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Full text of "Kunstkritische Studien über italienische Malerei; die Galerien Borghese und Doria Panfili in Rom. Von Ivan Lermolieff"

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KINSTKRITISCHE  STUDIEN 

ÜBER 

ITALIENISCHE  MALEREI. 


KUNSTKRITISCHE  STIDIEN 

ÜBER 

ITALIENISCHE  MALEREI. 

DIE  GALEKliiN 

BOR(;ilESE  UND  DORM  PWl-IIJ 

IN  ROM. 

VON 

IVAN  LERMOLIEFF. 

MIT62ABR" 


LEIPZIG : 
BROCKHAUS. 

1890. 


MICROFILMEO  BY 
WlVEfls/rv  OF  TORONTO 

LIBRARY 
MASTER  NEGATIVE  NO  • 

■'^Sa.us. 


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VORWORT. 


V  erliegendes  Buch  beschäftigt  sich  wesentlich  mit 
zwei  römischen  Galerien  sowie  mit  Gemälden,  die  sich 
in  Italien  befinden,  und  darf  somit  als  ein  für  sich  be- 
stehendes, selbständiges  Werk  betrachtet  werden.  In- 
dessen hoffe  ich  in  der  Lage  zu  sein,  demselben  in 
nicht  gar  zu  langen  Zwischenräumen  zwei  weitere 
Bände  folgen  zu  lassen,  welche  den  Galerien  zu  Mün- 
chen, Dresden  und  Berlin  gewidmet  sein  und  trotz 
ihres  ebenfalls  selbständigen  Charakters  mit  vorliegen- 
dem Werke  zusammen  meine  „Kunstkritischen  Studien 
i'iber  italienische  Malerei",  theils  ergänzt,  tlnils  «/anz 
umgearbeitet  enthalten  werden. 

Die  Aufsätze  über  die  Bildersammlung  des  Fürsten 
Borghese  in  Kom,  welche  ich  nun  vereint,  bedeutend 
erweitert  und ,  soweit  es  in  meinen  Kräften  lag, 
auch  verbessert  wieder  der  Oeffentlichkeit  übergebe, 
erschienen  zuerst  vereinzelt  in  den  Jahren  1874,  1875 
und  187H  in  der  von  Lützow'schen  „Zeitschrift  für 
bildende  Kunst".  Hat  man  mir  damals  die  Wahr- 
heit gesajQ^,  so  sollen  diesolbon  in  den  Kreisen  jüngerer 
und    dabei    unbefangener    Kunstbeflissenen    eine    weit 


VI  Vorwort. 

freundlichere  Aufnahme  gefunden  haben,  als  ich  bei 
der  Trockenheit  der  darin  behandelten  Materie  er- 
warten durfte.  Ueber  das  Urtheil  der  meisten  ältei-n 
Fachgelehrten  konnte  ich  natürlich  keinen  Augenblick 
im  Zweifel  sein.  Ich  konnte  es  hier  voraussehen,  dass 
meine  Ansichten  und  Vorschläge  von  diesen  entweder 
ganz  ignorirt  oder  doch  mit  mistrauischem  Lächeln 
würden  abgewiesen  werden,  wenn  sie  nicht  gar,  was  ja 
auch  vorgekommen  ist,  als  eigene  Waare  ausgegeben 
wurden.  Meine  einzige  Hoffnung  bei  der  Veröffent- 
lichung jener  Aufsätze  war  daher  auf  die  Schar  des 
Jüngern  Nachwuchses  unter  den  russischen,  deutschen 
und  englischen  Kunstjüngern,  sowie  auch  auf  jene 
wenigen  Kunstfreunde  gerichtet,  die,  gleich  mir,  nach 
Italien  kommen,  in  der  Absicht  sich  für  die  Kunst- 
wissenschaft vorzubereiten,  und  die  den  Wunsch  hegen, 
in  einer  Bildergalerie  frei  und  selbständig  sich  bewegen 
zu  lernen,  anstatt,  wie  das  Gebrauch  ist,  sich  von  An- 
dern am  Gängelbande  herumführen  zu  lassen.  Es  wäre 
mir  jedoch  gewiss  nie  in  den  Sinn  gekommen,  jene 
verfrühten  Auslassungen  über  italienische  Kunstwerke 
aufs  neue  zu  publiciren,  hätten  nicht  wohlgesinnte  Leser 
meines  ein  paar  Jahre  später  erschienenen  „Kritischen 
Versuchs"  über  „Die  Werke  italienischer  Meister  in  den 
Galerien  von  München,  Dresden  und  Berlin"  mehrfach 
mir  den  Wunsch  geäussert,  wie  dieses  letztere,  seit  Jahren 
schon  vergriffene  Büchlein  so  auch  jene  Aufsätze  über 
die  Galerie  Borghese  aufs  neue  erscheinen  zu  lassen; 
dieser  Aufforderung  habe  ich  mit  um  so  grösserer  Be- 
reitwilligkeit Folge  geleistet,  als  ich  mir  bewusst  bin, 
in  der  Zwischenzeit  etwas  gelernt  und  somit  einen 
Schritt  vorwärts  in  der  Kunstkenntniss  gethan  zu  haben, 
was  mich  in  den  Stand  setzte,  auch  gar  manchen  frühern 
Irrthum  zu  tilgen. 


Vorwort.  vu 

Den  ganz  umgearbeiteten  Aufsätzen  über  die  Bor- 
ghese-Saminlung  lüge  ich  bei  dieser  Gelegenheit  auch 
«ine  Besprechung  über  etliche  Bilder  in  der  Doria- 
Panfili- Galerie  bei,  sowie  auch  iiber  Kunstwerke  in 
andern  römischen  und  italienischen  Gemäldesammlungen, 
sodass  diese  Abhandlungen  wol  als  neu  betrachtet 
werden  dürfen.  Ausserdem  hielt  ich  es  für  nicht  un- 
passend, in  einer  „Einleitung"  meinen  Jüngern  Kunst- 
genossen -zu  erzählen ,  auf  welche  sonderbare  Weise  das 
Geschick  mich  zum  Kunstkritiker  hat  werden  lassen. 
Für  diejenigen,  welche  in  der  Kunstgeschichte  schon 
wohlbewandert  sind,  ist  dieselbe  nicht  bestimmt;  sie 
mögen  sie    getrost    i'iberschlagen. 

Ich  muss  auch  hier  wiederholen,  dass  ich  weit  entfernt 
bin,  meine  Ansichten  und  Urtheile  für  massgebend  halten 
zu  wollen;  ich  gebe  im  Gegentheil  schon  im  voraus 
gern  zu,  dass  auch  in  dieser  zweiten,  verbesserten  Auf- 
lage noch  gar  mancher  Fehler  sich  eingeschlichen  haben 
wird.  Bei  dem  grossen  Wirrwar,  der  noch  immer  in 
der  Bestimmung  italienischer  Kunstwerke  besteht  und 
der  in  neuester  Zeit  eher  zu-  als  abzunehmen  droht, 
wird  es,  glaube  ich,  auch  mir  nicht  verwehrt  sein, 
eine  eigene  Anschauung  und  Meinung  zu  haben  und 
dieselbe  der  geringen  Schar  meiner  Leser  und  Gönner 
zur  Prüfiuig  zu  unterbreiten.  Damit  jedoch  die  Ver- 
antwortlichkeit der  neuen,  von  mir  vorgeschlagenen  Bil- 
derbestimmungen allein  auf  mich  falle,  sollen  dieselben 
jedesmal  mit  einem  Kreuze  (f)  angemerkt  werden.  Auf 
diese  Weise  Weiss  der  Leser,  mit  wem  er  es  zu  thun 
hat  und,  erweist  sich  mit  der  Zeit  die  Taufe  als  un- 
richtig, so  soll  der  Vorwurf  mir  allein  und  keinem 
andern  zur  Last  gelegt  werden;  erweist  sich  aber  die- 
selbe als  richtig  und  sti<*hhaltig,  nun  dann  soll  auch 
mir  allein,  d.  h.  d  mir  anempfohlenen  Experi- 


VIII  Vorwort. 

mentalmethode,  das  Verdienst  zufallen.      Es   ist  wahr, 
einige  meiner  Widersacher  in  Italien  werfen  mir  vor, 
dass    diese    Experimentalmethode    gar    nicht    neu    sei, 
sondern  bereits  vom  Pater  Lanzi  und  von  den  Brüdern 
de    Goncourt    in     Paris     anempfohlen     worden    wäre. 
Ich  will    dies    durchaus    nicht    in   Abrede    stellen,    ist 
ja  unter  der  alten  Sonne  alles  schon  einmal  dagewesen, 
und  so  könnte  es  sich  mit  der  Zeit  auch  herausstellen,, 
dass   irgendein   chinesischer  Kunsthistoriker   schon   vor 
drei-  oder  viertausend  Jahren  diese  Experimentalmethode 
in  Anwendung  gebracht  hätte.     Nur,  meine  ich,  kommt 
es  bei  Anwendung  irgendeiner  Methode  immer  auf  das 
Wie  an.    Daher  erlaube  ich  mir  an  jene  Herren  folgende 
Frage   zu   richten:   wie   kommt  es,   dass   die   nicht  ge- 
ringe Zahl  von  Umtaufen  italienischer  Bilder,   wie  ich 
sie   in    den    verschiedenen    Kunstsammlungen    Europaa 
vorschlug  und  wie  sie  zum  grossen  Theil  nach  meinem 
W^unsch   auch  von  den   dafür   verantwortlichen   Direc- 
tionen  angenommen  worden  sind,  —  wie  kommt  es,  frage 
ich,  dass  diese  Umtaufen  nicht  schon  längst  vom  Pater 
Lanzi,    von    den    Brüdern    de    Goncourt  und  wie  die 
Herren  alle  heissen  mögen,  vorgeschlagen  wurden?  Und 
wäre   dieser  letztere   mir  in  Italien  gemachte  Vorwurf 
wirklich  begründet,  warum  haben  denn  wieder  andere 
meiner  Gegner,  besonders  die  in  Deutschland,  die  von 
mir  anempfohlene  Methode   zur   sicherern  Bestimmung 
der  Meister  dadurch  lächerlich  zu  machen  gesucht,  dass 
sie  mich  darzustellen  belieben  als  einen,  welcher  blind 
sei  für   den    geistigen   Gehalt  eines  Kunstwerkes   und 
darum   auf  äussere  Hülfsmittel,    wie    die  Formen    der 
Hand,  des  Ohres,  ja  sogar,  horribile  dictu^  der  garstigen 
Nägel,  ein  besonderes  Gewicht  lege? 

Wie  man  nun  in  rein  physischer  Beziehung  zwischen 
einem  weitsichtigen  und  einem  kurzsichtigen  Auge  unter- 


•Vorwort.  ix 

scheidet,  so  befiuden  sich  auch  in  der  grossen  Zahl  der 
Freunde  alter  Kunst  solche,  welche  Augen  zum  Sehen 
haben,  und  andererseits  solche,  denen  auch  das  schärfste 
Vergrossenuigjiglas  nicht  den  mindesten  Dienst  leistet; 
ich  meine  deshalb  nicht,  weil  es  eben  auch  zwei  Arten 
desSehens  gibt:  die  eine  ist  die  Sache  des  äussern, 
die  andere  die  des  innern  Auges.  Die  erste  Art,  die 
Dinge  dieser  Welt  anzusehen,  gehört  jener  grossen 
Menge  an,  auf  deren  grenzenlose  Glaubensfähigkeit 
die  meisten  Kunstschriftsteller  auch  stets  gerechnet 
haben;  die  andere  ist  das  Privilegium  einer  winzig 
kleinen  Zahl  einsichtsvoller  und  unabhängiger  Kunst- 
freunde und  Kunstler.  Kur  diesen  durch  natörliche 
Anlugon  und  dun-li  langes,  freudiges  Studium  Bevor- 
zugten ist  es  vorbehalten,  im  menschlichen  Antlitz,  in 
der  Form  und  Bewegung  der  Hand,  in  der  Stellung 
des  Korpers,  kurz  in  der  menschlichen  Gestalt  geistige 
Beziehungen  wahrzunehmen,  die  den  andern  entweder 
ganz  und  gar  entgehen  oder  aber,  was  dasselbe  ist, 
ganz  bedeutungslos  erscheinen.  Mit  einem  Wort:  die 
äussere  Form  in  den  Werken  der  Kunst  richtig  auf- 
zufassen, auf  deren  Erkenntniss  ich  ein  besonderes  Ge- 
wicht lege,  ist  nicht  jedermanns  Sache;  diese  äussere 
Form  der  Menschengestalt  ist  nicht  zufällig,  wie  viele 
meinen,  sondern  sie  hängt  von  geistigen  Ursachen  ab, 
wogegen  die  sogenannten  Schnörkel  .,<ri(lf'ntf'11  nn«! 
Sache  der  Angewohnung  sind. 

Während  nun  die  Grundform  sowol  der  Hand 
als  des  Ohres  bei  allen  selbständigen  Meistern  charak- 
teristihch  inid  daher  bei  der  Bestinnuung  ihrer  Werke 
massgebend  ist,  dürften  die  sogenannten  Schnörkel 
höchstens  dazu  dienen,  die  Wn'  i   charakterlosen 

Künstlern  leichter  zu  erkennen. 

l  nter  der  Zahl  meiner  Widersacher,   welche  gegen 


X  Vorwort. 

die  von  mir  aufgestellten  Principien  sowie  gegen  meine 
Bilderbestimmungen  öffentlich  aufgetreten  sind,  bean- 
sprucht ohne  Zweifel  Herr  Director  Wilhelm  Bode  in 
Berlin  der  hohen  Stellung  halber,  die  er  als  Director  an 
den  königlich  preussischen  Museen  einnimmt,  wie  auch 
seiner  rastlosen  Thätigkeit  wegen,  die  meiste  Beachtung. 
Auch  geniesst  derselbe  in  Deutschland  und  Paris  ein 
hohes  Ansehen.  Geheime  Gegner  und,  wie  Herr 
Director  Bode  selbst  sagt,  viel  unbarmherzigere  als  er^ 
mag  ich  vielleicht  gar  manchen  andern  haben;  ich  hoffe 
es  wenigstens.  Denn  Schriften  kunstkritischen  Inhalts,, 
die  nicht  leidenschaftlichen  Widerspruch  hervorrufen, 
können,  wie  die  Dinge  einmal  liegen,  in  meinen  Augen 
einen  nur  höchst  geringen  Werth  haben.  Ausser  aus  den 
sachlichen  Grianden,  die  Herrn  Dr.  W.  Bode  veranlassten, 
gegen  mich  zu  polemisiren,  scheint  der  berliner  Kunst- 
gelehrte mich  auch  deshalb  ganz  besonders  aufs  Korn 
genommen  zu  haben,  weil  ich  den  Muth  hatte,  gegen 
seine  verehrten  Lehrer  und  Gewährsmänner,  die  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle,  aufzutreten  und  die  Schriften 
dieser  Herren  für  verderblich  zu  erklären.  Dieser  ritter- 
liche Zug  macht  wol  seinem  Herzen  alle  Ehre. 

Vor  allem  beschuldigt  er  mich,  als  alten  Mediciner, 
blos  Empiriker  zu  sein;  er  wirft  mir  vor,  indem  er 
meine  eigenen  Studien  auf  Schritt  und  Tritt  verfolgt^ 
weder  den  Lionardo  da  Vinci  noch  die  mailänder  Schule 
in  ihren  Hauptvertretern:  Sodoma,  Beltraffio,  Giampie- 
trino,  Solario,  A.  de  Predis  und  Bernardino  de'  Conti 
zu  kennen;  weder  den  Timoteo  Viti  und  Raffael  in  der 
umbrischen,  noch  die  Pollajuoli,  den  Verrocchio  und 
den  Kaffaellino  del  Garbo  in  der  florentinischen;  weder 
den  Jacopo  de'  Barbarj,  noch  den  Mantegna  in  der  vene- 
tianischen  Schule  verstanden  zu  haben,  —  mit  einem 
Wort,  er  stellt  mich  seinem  Leserkreis  als  einen  ganz 


Vorwort  xi 

unberufenen  Eindringling  in  die  italienische  Kunstge- 
schichte dar,  dessen  oberflächliche  Lehren  noth wendig 
^zuin  verderblichsten  Dilettantismus  führen  müssten". 
Und  von  si'inem  Standpunkt  aus  hat  wol  Herr  Director 
Bode  auch  vollkommen  recht;  denn  ist  meine  Auffassung 
und  Anschauung  die  richtige^  so  ist  die  seinige  grund- 
falsch., und  umgekehrt^  da  wir  beide  leider  in  allem  die 
erklärtesten  Antipoden  sind.  Was  dem  einen  von  uns 
schwarz  erscheint,  ist  dem  andern  weiss,  und  was  für 
Herrn  Director  Bode  Meisterwerke  sind,  erscheint 
meinen  Augen  meist  als  mittelmässige  Schularbeit.  Und 
weder  aus  seinem,  noch  aus  meinem  Munde  spricht 
Parteileidenschaft;  sowol  ihm  wie  mir  ist  es  dabei 
lediglich  um  die  Wahrheit  zu  thun,  und  seine 
Augen  wie  die  meinen  sehen  die  Dinge  wirklich  so, 
wie  wir  beide  sie  beurtheilen  und  beschreiben.  Es  ist 
dies,  in  der  That,  ein  wunderbares  psychologisches  Phä- 
nomen, dessen  Erklärung,  wie  ich  meine,  einerseits  in 
der  Einwirkung  der  Medien,  d.  h.  des  Bodens,  der  Luft, 
der  Wärme,  andererseits  auch  in  der  Verschiedenheit 
unserer  beiderseitigen  Erziehung  —  ich  Mediciner,  er 
Jurist  —  gesucht  werden  umss.  Wäre  nun  der  Aus- 
spruch des  grossten  Geographen  unserer  Zeiten,  Karl 
Kitter,  als  absolute  Wahrheit  anzunehmen,  dnss  nämlich 
im  Norden  Deutschlands  der  voUkonuncnste  Mensch  er- 
zeugt wird,  so  konnte  ninn  daraus  schliessen,  dass  mein 
Gegner  in  Berlin  allein  schon  seiner  Geburt  halber  einen 
grossen  Vorsprung  vor  mir  hatte.  Da  jedoch,  wie  ich 
glaube,  die  Beliauptung  des  eminenten  norddeutschen 
Geographen  nicht  als  absolut  zu  nehmen  ist,  sondern 
sich  blos  auf  die  Allgemeinheit  und  nicht  aufs  Individuum 
beziehen  dürfte,  so  ist  auch  gegen  ein  solches  Axiom 
nicht.s  einzuwenden.     Every  one  ha«  hi«  Jnncy, 

Es  sei  mir  hier  verstattet,  jenem  Axiom  ein  anderes 


xn  Vorwort. 

an  die  Seite  zu  stellen,  das  in  diesem  Zusammenhang 
keinen  geringern  Anspruch  auf  Geltung  haben  dürfte, 
dass  nämlich  auf  dieser  Welt  jeder  sich  selbst  für  den 
Klügsten  hält.  Diesem  Axiom  zufolge  ist  fast  mit  Ge- 
wissheit vorauszusehen,  dass  diese  schroffen  Gegensätze 
in  der  Beurtheilung  derselben  Dinge  zwischen  dem 
nordischen  Kunstgelehrten  und  mir  schliesslich  eine 
babylonische  Verwirrung  in  der  italienischen  Kunst- 
wissenschaft hervorbringen  würden,  wenn  es  uns,  und 
nicht  vielmehr  andern  unparteiischen,  sachverständigen 
und  dazu  berufenen  Leuten  zustände,  in  den  Streitfrauen 
der  Wissenschaft  das  letzte  Wort  zu  sagen.  Möge  daher 
mein  Gegner  in  Berlin  meinem  Beispiele  folgen  und 
die  Entscheidung  über  Recht  und  Unrecht  in  den 
schwebenden  Fragen  dem  Urtheile  einsichtiger  Schieds- 
richter anheimstellen.  Wir  können  dann  beide,  Herr 
Director  Bode  und  ich,  uns  der  Hoffnung  überlassen, 
dass,  wie  auch  immer  der  Ausgang  sein  möge,  er  schliess- 
lich doch  jener  Kunstwissenschaft,  die  uns  ja  vor  allem 
am  Herzen  liegt,  zum  Heile  gereichen  dürfte. 

Aus  diesem  Grunde  habe  ich  bei  den  fol^renden 
kritischen  Untersuchungen  jedesmal  neben  der  eigenen 
Ansicht  auch  die  meines  verehrlichen  Gegners  ange- 
führt, wie  dieselbe  in  der  von  ihm  besorgten  fünften 
Auflage  von  Jakob  Burckhardt's  „6^cero?^e"  sich  aus- 
gesprochen findet. 

Doch  sei  erwähnt,  dass  bei  der  Anführung  der 
Werke  der  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  stets  die 
englische  Originalausgabe  gemeint  ist:  ,^A  new  Ilistory 
of  Paintmg  in  Italif-''  (3  Bände,  London  1866);  mit  der 
Fortsetzung:  „J.  Ilistory  of  Painting  in  North  Italy'-^ 
(2  Bände,  London  1871).- 

Ferner:  dass  bei  der  Berufung  auf  das  Raffael-Werk 
von  Passavant  die  französische  Ausgabe  verstanden  ist: 


Vorwort.  \iii 

^^Raphael  cTUrbtnet  son  p^re  G.Santi par  J.D.  l\n>6avant. 
Edition  fran^aue^  refaitty  cot^gh  et  amsidirablenient  aug- 
vientee  par  Vavteur  et  rerue  et  armotie  par  M,  Paul 
Lncroijc"-  (2  Bande,  Paris  1860). 

Die  Citate  nach  Vasari  beziehen  sich  auf  die  floren- 
tiner  Ausgabe  von  Le  Monnier  (in  13  Bänden,  1846). 

Es  enibrigt  mir  noch  über  die  von  mir  getroftene 
Auswahl  der  diesem  Büchlein  beigefügten  Abbildungen 
ein  Wort  zu  sagen.  Manchem  meiner  Leser  wird  viel- 
leicht die  Anz4ihl  derselben  zu  gering,  andern  dagegen 
zu  groiis  erscheinen.  Es  war  allerdings  für  mich  eine 
nicht  leichte  Aufgabe,  auch  in  dieser  Beziehung  die 
richtigen  Grenzen  zu  wahren,  welche  einem  Buche  dieser 
Art  gesetzt  sein  dürften.  Bei  der  Auswahl  solcher 
Illustrationen  konnte  ich,  wie  sich  von  selbst  versteht, 
nur  von  dorn  Gedanken  geleitet  sein,  dem  I^ser  das 
Verständniss  des  Textes,  soviel  als  dies  eben  möglich 
ist,  dadurch  zu  erleichtern.  Ich  habe,  mich  jedoch  nur 
an  das  gehalten,  was  mir  als  das  allernothwendigste  er- 
schien, in  der  Voraussetzung,  dass  diejenigen,  welche 
die  Lust  in  sich  fühlen,  mit  dem  Studium  der  Fonnen 
sich  ernstlicher  zu  befassen,  nothwendigerweise  diese 
an  den  Originalwerken  selbst  beobachten  und  studiren 
werden,  und  zu  diesem  Zwecke  glaube  ich  ihnen  eine 
genügende  Anzahl  von  Bildern  vorgeführt  zu  haben. 

Schliesslich  sei  mir  noch  vergönnt,  ein  Wort  des 
wärmsten  Dankes  sowol  an  Herrn  Dr.  J.  P.  Richter, 
wie  auch  an  meinen  Herrn  Verleger  zu  richten.  Herr 
Dr.  Richter  hatte  nicht  nur  die  Güte,  auch  dieses  mal 
mein  Manusrript  durchzusehen  und  mich  auf  manchen 
M:in^«'l  darin  aufmerksam  zu  machen,  sondern  wollte 
ülMnlie?»  no. '     '      Merstellung  <  ii  (Tihrlichen  Orts- 

und   Nanieii  hnisses    über  i.      Dasselbe    ist 

auch    mit    solchem    Verständnis«   ausgeftihrt,    dass    es 


XIV  Vorwort. 

wie  mir  scheint,  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt.  An- 
dererseits hat  mein  Herr  Verleger  weder  Kosten  noch 
Mühen  erspart,  um  meine  Wünsche  zu  befriedigen,  und 
seiner  Sachkenntniss  verdanke  ich  es  auch,  dass  die 
Keproduction  der  Abbildungen  so  überaus  befriedigend 
ausgefallen  ist. 

GoRLAW,  im  October  1889. 

IVAN  LERMOLIEFF. 


INHALT. 


Seit« 

Vorwort 

V 

Princip  and  Methode 

1 

I.    Die  Galerie  Bor^heie. 

L  1  ti  1  «.-  i  i,  U  11  g      .      . 

81 

Die  Tosoaner  . 

105 

Alessandro  Botticelli . 

105 

LorcMo  di  Credi    .    . 

112 

I   u;i  Signorelli    . 

117 

(jirolamo  Genga  .    . 

HD 

Gioliano  Bugiardini 

123 

Franciabigio. 

.     124 

Baochiacca   . 

.     128 

Pintoricchio 

142 

Filippo  Lippi)  genannt  Filippin- 

146 

Raffaellino  del  Garbo 

147 

Pier  di  Cosimo    .    .    . 

141» 

Mariotto  Albertinelli . 

153 

Andrea  del  Sarto    .    . 

159 

Jacopo  da  Pontormo 

161 

Baldasaare  Peruzzi  . 

169 

Raffael  Sanzio .    . 

172 

Perino  del  Vaga . 

175 

Giovan  Antonio  Baz/.i,  ii  .^o  : 

190 

Giampictrino  oder  Giampedi 

J02 

Boltraffio  .... 

•_*(m; 

Marco  d*Oggionno 

L'OS 

Nicola  Appian 

209 

CeMure  da  Sesto 

210 

Bcmardino  'Luini 

2U 

Andrea  Solario    . 

216 

Lionardo  da  Vinci 

225 

XVI  Inhalt. 

Seite 

Lombardiscbe  Meister 230 

Ambrogio  de  Predis 230 

Bernardino  de'  Conti 243 

Francesco  Francia 251 

Sofonisba  Anguissola 254 

Die  Ferraresen 258 

Benvenuto  Garofolo 258 

Dosso  Dossi 276 

Correggio 288 

Die  Venetianer 304 

Nordische  Meister 320 

II.    Die  Galerie  Doria  -  Panfili. 

Justus  von  Gent 328 

Diego  Velasquez 330 

Francesco  Pesellino 332 

Die  Venetianer 339 

Giovanni  Bellini 339 

Niccolo  Rondinelli 345 

Andrea  Mantegna 356 

Antonio  Vivarini 3G0 

Carlo  Crivelli 361 

Cima  da  Conegliano 363 

Boccaccio  Boccaccino 365 

Marco  Basaiti 368 

Girolamo  Romanino 371 

]       Alessandro  Moretto 373 

Calisto  da  Lodi 376 

Paris  Bordone 379 

Bonifazio  Veronese 383 

Palma  vecchio 384 

Lorenzo  Lotto 390 

Giovan  Antonio  da  Pordenone 395 

Giovan  Battista  Moroni 400 

Tizian 402 

Lionardo  da  Vinci 408 

Correggio 409 

Eaffael 414 

Orts-  und  Namens verzeichniss 424 


ABBILDUNGEN  DU  TEXT. 


S«ite 

Faun  des  S.  Sebastiane  del  Piorabo 52 

Johannes  der  Täufer  in  der  Louvre-Galerie 54 

Zwei    Figuren  Michelangelo's  an    der  Decke    der  Sixtini- 

schen  Kapelle 55 

Ohr  bei  Sebastiano  del  Piombo  .  55 

Tizian's  Daumenballen 58 

Hände  (Fra   Filippo    Lippi.       Filippino.      Antonio  Polla- 

juolo.    Bemardino  dei  Conti.    Giovanni  Bellini.    Cosimo 

Tura.    Bramantino.    Botticelli) 98 

Ohren  (Fra  Filippo.     Filippino.     Signorelli.    Bramantino. 

Mantegna.     Giambellino.     Bonifazio.     Botticelli  99 

Ohr  und  Hände  bei  Botticelli 105 

Ohr  bei  L.  di  Credi  114 

Ohr  bei  Tommaao  115 

Ohr  bei  Signorelli  118 

Die  Hände  auf  dem  rorirut  des  Losimo  Medici  von  Poutoi mo  162 

Ohr  bei  Antonello.    Ohr  bei  Giambellino 318 

Der  heilige  Antonius  der  Wunderthäter  (Akademie  zu  Florenz)  336 

Runde  Falten  bei  Pesellino .  339 


SEPARATBILDER. 


Die   sogenannte   Fomarina   in    der  Tribuna  der  Uffizien- 

Galerie 49 

Die  „Donna  velata"  im  Pitti-Palaat 64 

La  Fomarina  in  der  Galerie  Barberini  in  Rom  68 

La  Vierg«  au  sein 133 

Adam  und  Eva  in  der  Sammlung  Frizzoni  in  Muiluud  .    .  134 
Carton   von   P.   Perugino  zum   Bilde  Apollo    und   Marsya«, 

in  Venedig 134 

Ih*-    Maddalena    Str»??!    ul«    liriliae    Kntlinrinn    in     Aor   X\nV' 

gheie-Galcrie  148 
Federzeichnung  von  iiufiuci  /u  eitier  Kreu/niMiniimo,  ini  iie- 

»it/.c  des  Herrn  £.  Habich  in  Caatel 178 


XVIII  Separatbilder. 

Seite 
Die  Anbetung  des  Kindes,  von  Perino  del  Vaga,  Zeichnung 

in  der  Albertina  in  Wien 17G 

Federskizze  Raffael's  zu  den  Fresken  in  der  Farnesina,  in 

der  Sammlung  von  Köln 181 

Triumph  des  Silen  von  Perino  del  Vaga,  in  der  Albertina     183 
Studienblatt  Perino's  nach  Entwürfen  Raffael's  zur  Disputa, 

in  Windsor-Castle 183 

Der  Untergang  Pharao's,  Zeichnung  von  Perino,  im  Louvre     184 
Joseph  seinen  Brüdern  den  Traum  deutend.    Zeichnung  des 

Perino  nach  einer  Skizze  Raffael's  zum  Gemäldecyclus 

in  den  Loggien  im  Vatican 185 

Ledabild  des  Sodoma  in  der  Borghese-Galerie 193 

Federzeichnung  des  Sodoma,  in  Weimar 196 

Federzeichnung   des  Sodoma   zu   einem  Ledabild,    in  der 

Sammlung  in  Chats worth 196 

Sodoma's  Entwurf  zum  Ledabild  der  Borghese-Galerie  in 

Rom,  in  Windsor-Castle 197 

Federzeichnung  des  Sodoma  zum  Kopfputze   der  Leda,  in 

Windsor-Castle 198 

Federskizze  zur  Hochzeit  Alexander's  mit  der  Roxane,   in 

der  Uffizien  -  Galerie 201 

„La  Colombina"  in  der  kaiserl.  Ermitage  in  St.-Petersburg    205 
Studien  des  Cesare  da  Sesto  zum  Christkinde,  Röthelzeich- 

nuug,  in  Windsor-Castle 213 

Marter  des  Heiligen  Sebastianus,  Rötheizeichnung  des  Ce- 
sare da  Sesto,  in  Windsor-Castle 213 

Porträt  des  Kaisers  Maximilian  von  A.  de  Predis,  in  der 

Ambraser-Sammlung  zu  Wien 230 

Profilporträt  einer  unbekannten  Dame  aus  dem  Hause  Sforza, 

von  A.  de  Predis,  in  der  Ambrosiana  zu  Mailand    ,    .     238 
Profilporträt  des  Lodovico  Sforza  im  „Libro  del  Jesus"  in 

der  Bibliothek  des  Fürsten  Trivulzio  in  Mailand.    .    .     239 
Zeichnung  von  A.   de  Predis  zu  den  Porträts  des  Kaisers 

Maximilian  und    seiner  Gattin,    in    der  Akademie  zu 

Venedig 240 

Madonna  von  Bernardino  de' Conti,  in  St.-Petersburg.    .    ,     249 
Profilporträt  des  jungen  Massimiliano   Sforza,    Silberstift- 

zeiclmung,  in  der  Ambrosiana 250 

Madonnenbild  aus  der  Frühzeit  des  Carlo  Crivelli,  in  der 

städtischen  Galerie  von  Verona 362 


PRINCIP  UlSD  METHODE. 


Daus  les  choses  du  tnonde  presque  toute 
queation  n'est  qu'une  question  de  möthode. 

La  Bruyere, 

If^;*!!!  älterer  Mann  in  Florenz,  dti .   ^niui   aus&eiii 

I        Erscheinung  nach  zu  schliessen,  dem  gebildetem 

^    ''^Stande  der  Italiener  angehörte  und  den  ich  meh- 

■x-^r-'  rere  male  Gelegenheit  gehabt  hatte,  in  den  Sälen 

der   dortigen  Galerien,   allein   oder  auch   von   Jüngern 

Freunden  begleitet,  mit  ungewöhnlichem  Interesse  die 

Bilder  sich  betrachten  und  besprechen  zu  sehen,  stieg 

eines   Nachmittags   neben  mir  die  Treppen    des  Pitti- 

Palastes  hinab. 

Entzückt,  wie  ich  an  jenem  Tage  war,  nicht  nur 
über  eine  Landschaft  von  Rubens,  die  ich  zuletzt  mir 
ani,'<'!?(.'licn  hatte,  sondern  auch  über  die  schönen  gross- 
artigen liäume,  in  denen  alle  jene  Prachtbilder  dort  auf- 
gestellt sind,  sowie  über  die  herrlichen  Pinien,  Cypi'essen 
und  Eiclien  im  Garten  des  Palastes,  koinite  ich  nicht 
umhin,  als  wir  zur  Thüre  in  die  freie  Luft  hinaustraten, 
dem  unbekannten  Herrn  an  meiner  Seite  meine  Be- 
wunderung über  den  grossartigen  Bau  des  Brunelleschi 
auszu(h'ücken.  „Ich  hätte  nie  geglaubt",  sagte  ich  zu 
ihm,  „dass  solche  Gewnltbauten  in  einer  KepubUk 
entstehen  könnti'u!"  —  „Warum  denn  nicht,  mein  Ilerr?*^ 
erwiderte  er  mir  läcliehid.  „(Hauben  Sie  denn  etwa, 
l.KRxoLtxrr.  \ 


•  )  Princip  und  Methode. 

dass  die  Kunst  von  der  Staatsform  abhängig  sei  und 
dass  es  somit  eine  republikanische  und  eine  monarchische 
Kunst  gebe  oder  je  gegeben  habe?  Ich  dächte  doch, 
dass  sowol  die  Kunst  als  die  Religion  in  Ivepubliken 
ebenso  wie  unter  Despoten  gedeihen,  vorausgesetzt  dass 
der  Boden  und  die  äussern  Bedingungen  ihnen  gimstig 
sind."  „Da  ich  sehe",  fuhr  er  fort,  „dass  Sie  unsern 
o-rossen  Baumeistei-  zu  schätzen  wissen,  so  lade  ich  Sie 
ein,  folls  Sie  nichts  Besseres  vorhaben,  mit  mii-  die  nahe 
o-elegene  Villa  Rucciano  zu  besuchen,  ein  Landhaus,  das 
Brunelleschi  ebenfalls  für  seinen  reichen  Mitbürger 
Luca  Pitti  erbaute."  „Der  heutige  Abend",  fügte  er  hin- 
zu, „ist  so  hell,  die  Luft  so  lau,  dass  Sie  die  kleine  An- 
strengung des  Weges  gewiss  nicht  gereuen  soll." 

Ich  dankte  dem  gefälligen  Mann  für  sein  freund- 
liches Anerbieten  und  sagte  ihm,  dass  ich  als  Russe, 
der  zum  ersten  mal  nach  Italien  komme,  nie  etwas  von 
dieser  Villa  gehört  hätte,  und  dass  dieselbe  auch  nicht 
in  meinem  Führer   angegeben  wäre. 

„Die  Führer",  bemerkte  er  nicht  ohne  einen  leichten 
ironischen  Ton,  „schreiben  eben  für  das  grosse  Reise- 
publikum, und  dieses  ist  zufrieden,  wenn  man  es  nicht 
gar  zu  sehr  mit  Sehenswürdigkeiten  abplagt  und  er- 
müdet. Heutzutage  betrachtet  man  ja  das  Reisen  nicht 
sowol  als  ein  Vergnügen,  sondern  vielmehr  noch  als 
eine  leidige  Forderung  der  sogenannten  allgemeinen 
Bilduno-.  Man  reist  eben,  um  anzukommen,  und  ist 
man  da,  so  trachtet  man  so  schnell  als  nur  möglich 
mit  den  unumgänglich  nöthigen  Sehenswürdigkeiten 
fertio-  zu  werden,  um  sodann  mit  erneuter  Resignation 
am  nächsten  Orte  ein  Gleiches  zu  thun.  Das  heutige 
Leben  lässt  den  Menschen  kaum  zu  sich  selbst  kommen. 
Die  Begebenheiten  des  Tages  ziehen  in  aller  Hast,  eine 
nach  der  andern,  vor  unserm  Auge  vorüber,  ungefähr 
so  als  stünden  wir  vor  einer  Laterna  magica,  ein  Ein- 
druck verwischt  den   andern,   und   in   diesem  endlosen 


Kanstkexmer  and  Kunsthistoriker.  3 

Wirbel   und  Wechsel  ist  keine  Hube  und  obne  Ruhe 
kein  Kunstgenuss  möglieb.'- 

„Leider",  sagte  icb,  „ist  alles  dies  nur  zu  wabr.  Aucb 
icb  bin  von  Müncben  über  Verona  und  Bologna  nacb 
Florenz  gefahren,  obne  mir  jene  gewiss  interessanten 
Städte  aucb  nur  oberfläcblicb  angeseben  zu  baben.  Zu 
meiner  Entscbuldigung  muss  icb  jedocb  hinzufügen, 
dass  icb  durch  die  vielen  Bücher  über  Kunst  und  Aestbe- 
tik,  die  icb  in  Deutschland  und  in  Paris  gelesen,  die 
Kunst  und  alles  was  damit  zusammenhängt  so  herzlich 
siitt  bekam,  dass  icb  mir  vorgenommen  hatte,  in  Ita- 
lien gar  keine  Bildersammlung  und  Kirche  mehr  zu 
besuchen  —  ein  Vorhaben,  das  ich  jedoch  hier  in  Flo- 
renz gar  bald  vergessen  musste.'' 

„Sie  waren  also  früher  ein  Verehrer  der  alten  Kunst 
und  sind  in  Deutschland  und  in  Paris,  wie  Sie  sagen, 
ein  Feind  derselben  geworden?'' 

„Ich  darf  meine  Abneigiuig  nicht  Feindschaft  nennen, 
wol  aber  Ueberdruss/'  —  „Und  dieser",  versetzte  mein 
Begleiter,  „war  wol  veranlasst  durch  das  zu  viele  Lesen, 
Die  Kunst  will  eben  gesehen  sein,  sollen  wir  uns  Ge- 
nuss  und  wahre  Belehrung  von  ihr  versprechen." 

„In  Deutschland,  mein  lieber  Herr",  sagte  ich,  „ver- 
steht man  das  anders.  Dort  will  jedermann  blos  lesen 
und  die  Kunst  nirbt  g<»inalt  oder  gemeisselt,  sondern 
schwarz  auf  weiss  gedruckt  vor  sich  sehen." 

„Leider",  sagte  der  Italiener,  „leben  wir  in  einer 
Zeit,  wo  das  Schreiben  und  Drucken  in  Euroj)a  epi- 
di'Uiisch  ist,  gleich  als  ob  ein  jeder  sich  verpflichtet 
fühlte,  die  eigene  Unwissenheit  seinen  Mitmenschen, 
kund  zu  thun."  —  „Ja  wold",  l)emerkte  icb,  ,.die  alber- 
nen I^'ute  verlieren  ihre  Augen  und  ihre  beste  Zeit 
mit  Ivesen  und  Schreiben,  und  zu  leben  wissen  nur 
wenige!"  —  „In  Deutschland",  meinte  mein  Begleiter, 
„mag  schon  das  unwirthliclie,  raulie  Klima  an  diesem 
psychologischen  Phänomen  grosse  Schuld  tragen.     Die 

1* 


4  Princip  und  Methode. 

kalten,  langen  Winternäclite  und  die  vielen  Nebeltage 
laden  den  Menschen  zum  Lesen  und  zum  Schreiben  ein, 
und  wie  das  Meer  grosse  Schiflahrer  und  Handelsleute 
erzeugt,  so  bringt  die  geographische  Lage  Deutschlands 
ein  Volk  von  Denkern,  von  Schreibern  und  somit  auch 
von  Lesern  hervor.  Auch  ich  war  mehrere  Jahre  in 
den  deutschen  Landen  in  meiner  Jugend,  und  das  ist 
leider  schon  sehr  lange  her;  ich  liebe  die  deutsche  Na- 
tion gar  sehr,  es  sind  in  der  Mehrzahl  höchst  anstän- 
dige, zuverlässige  und  sehr  gelehrte  Leute,  und  kein 
Volk  auf  Erden  studirt  mit  grösserm  Eifer  unsere 
Künstler  aus  der  guten  Zeit,  als  die  Deutschen.  Nur 
haben  sie,  wie  ich  glaube,  die  Schwäche,  über  das  An- 
geschaute gar  zu  viel  zu  schreiben  und  leider  auch 
drucken  zu  lassen,  und  dies  zwar,  ehe  die  Frucht  ihrer 
Studien  zur  vollen  Reife  gelangt  ist,  uneingedenk  des 
weisen  Käthes,  den  Horatius  dem  Piso  ans  Herz  legte: 
«  nonumque  prematur  in  mmum  »,  ein  Rath,  der,  wie  mir 
scheint,  noch  viel  mehr  von  den  Kunstschriftstellern 
als  von  den  Dichtern  beherzigt  zu  werden  verdiente. 
Denn  eine  schlechte  Dichtung  ist  wie  eine  hohle  Nuss, 
die  man  wegwirft  —  sie  bringt  keinen  Schaden;  wogegen 
die  fVdsche  Anschauung  imd  Beurtheilung  eines  Kunst- 
werks, wenn  einmal  gedruckt,  unendlichen  Schaden 
schon  dadurch  hervorbringen  kann,  dass  sie  von  der  un- 
wissenden Menge  w^iederholt,  von  dem  Urheber  dersel- 
ben jedoch,  schon  aus  Eitelkeit,  nicht  widerrufen  wird." 

„Sie  haben  vollkommen  recht",  sagte  ich.  „Auch 
mir  kamen  diese  leichtsinnigen  Kunstschreiber  stets  als 
die  eitelsten  Leute  von  der  Welt  vor." 

„Scharenweise",  fuhr  der  Welsche  fort,  „ziehen  in 
unsern  Tagen  diese  jungen,  lernbegierigen  Menschen 
über  die  Alpen  zu  uns  herab,  und  da  sehen  wir  sie 
bei  schönem  Wetter  schon  am  frühen  Morgen,  vom 
Wissensdurst  getrieben,  mit  ihrem  rothen  oder  braunen 
Führer  unter  dem  Arm   die  Kirchen  und  Kunstsamm- 


Kunstkenner  und  Kunsthistoriker.  5 

hingen  mit  unverwüstlichem  Eifer  durchmustern.  Es 
ist  eine  walire  Freude,  ihnen  zuzuschauen!  Und  dar- 
unter ti-iät  man  doch  zuweilen  auch  sehr  gut  geschulte 
Kenner  an,  die  die  Werke  unserer  alten  Meister  viel 
besser  zu  würdigen  wissen,  als  —  ich  muss  es  zu  im- 
serer  grossen  Schande  bekennen  —  die  meisten  von 
uns,  die  wir  doch  im  I^ande  selbst  wohnen  und  es  da- 
h«*r  so  bequem  hätten,  dieselben  mit  Müsse  zu  studiren." 

„Ach.  um  Gottes  willen^*,  rief  ich  aus,  „sprechen  Sie 
mir  nur  nicht  von  Kunstkennern.  Ich  habe  über  die- 
selben in  Deutschland  so  viele  Streitschriften  gelesen, 
dass  mir  davon  die  Ohren  noch  immerfort  gellen."  „Sie 
müssen  nämlich  wissen'',  bemerkte  ich  noch  dem  über 
meinen  Schreckensschrei  erstaunten  Mann,  ,,dass  die 
Kathederprofessoren,  die  da  Bücher  über  Kunstgeschichte 
zu  schreiben  pflegen,  gegen  die  Kunstkenner  grimmig 
erbost  sind,  und  dass  die  Maler  ihrerseits  über  beide 
zugleich  schimpfen  und  sich  lustig  machen,  über  die 
Kunsthistoriker  sowol  als  über  die  Kunstkenner;  ja, 
einige  Spassvogel  haben  sogar  die  Behauptung  aufge- 
stellt, der  Kunstkenner  unterscheide  sich  vom  Kunst- 
historiker dadurch,  dass  er  von  der  alten  Kunst  etwas 
weniges  verstehe,  indess,  falls  er  zur  feinern  Sorte  der- 
selben gehöre,  nichts  darüber  schreibe,  der  letztere  da- 
gegen viel  darüber  schreibe,  ohne  das  geringste  davon 
zu  verstehen,  während  die  2ilaler,  die  mit  ihrer  Tech- 
nologie grossthun,  im  allgemeinen  weder  das  eine  noch 
das  andere  verständen." 

Der  Welsche,  der  von  diesem  Federkriege  in  Deutsch- 
land nichts  zu  wissen  schien,  musste  laut  auflachen  über 
meinen  Bericht,  meinte  jedoch,  indem  er  im  (lehen 
nachdenkend  stille  hielt,  dass  der  (legenstand  allerdings 
derart  wäre,  eine  interessante  Coutroverse  zu  nähren. 
Sodann  ging  er  eine  Weile  sinnend  vorwärts,  ohne  ein 
Wort  zu  sagen,  bis  wir  endlich  an  einem  grünen  Platz 
am  Arno  angelangt  waren,  wo  er  mich  zum  Ausruhen 


6  Princip  und  Methode. 

einlud.  —  Es  war  ein  glänzender  Ilerbstabend;  der 
schwarze  Tliurm  des  Palazzo  veccliio  stieg  schlank  und 
stolz  in  den  blauen  Himmel  hinauf,  und  in  der  Ferne 
sah  man  in  lichtgotränktem  Duft  die  bläulichen  Berge 
von  Pistoja  und  Pescia  hervorragen.  Als  wir  uns  nie- 
dergelassen, sagte  er:  „Sie  erzählten  mir  also,  dass  in 
Deutschland  und  Paris  die  Kunsthistoriker  die  Kunst- 
kenner und  diese  ihrerseits  wieder  jene  als  solche  nicht 
gelten  lassen  wollen?" 

„Nicht  doch,  mein  Herr",  erwiderte  ich;  „die  Kunst- 
kenner sagen  von  den  Kunsthistorikern,  sie  schrieben 
über  Dinge,  die  sie  gar  nicht  kennten,  wogegen  die 
Kunsthistoriker  ihrerseits  die  Kunstkenner  iiber  die 
Achseln  ansehen  und  blos  als  ihre  Handlanger,  die  ihnen 
das  Material  zuführten,  betrachten,  die  aber  selbst  von 
dem  Lebensorganismus  der  Kunst  keinen  Begriff  hätten." 

„Ich  denke  doch",  meinte  mein  Begleiter,  „dass  die 
Herren  Kunstprofessoren  in  Deutschland  und  in  Paris 
etwas  zu  weit  in  ihrem  Urtheile  gehen  und  dass  sie 
die  Sache,  um  die  es  sich  handelt,  nicht  hinlänglich 
sich  überlegt  haben."  „Die  Streitfrage  ist  übrigens  nicht 
von  gestern  her",  fügte  er  hinzu,  „sondern  sie  ist  eine 
schon  sehr  alte.  Mir  scheint  sie  in  der  That  nicht 
ganz  ohne  Interesse  zu  sein,  und  daher  würdig,  unpar- 
teiisch und  vorurtheilsfrei  gepriift  zu  werden."  „Ein 
Kunstkenner",  fuhr  er  dann  fort,  „was  ist  er  anders 
als  ein  Kenner  der  Kunst?" 

„Dem  Worte  nach  allerdings",  bemerkte  ich.  „Ein 
Kunsthistoriker  dagegen  ist  ein  solcher,  welcher  die 
Entwickelung  der  Kunst  von  ihrem  ersten  Athemzuge 
bis  zu  ihrem  endlichen  Verscheiden  verfolgt  und  uns 
dann  dieselbe  erzählt  —  nicht  wahr?" 

„So  wenigstens  sollte  es  sein.  Um  aber  die  Ent- 
wickelung irgendeiner  Sache  darzustellen,  ist  es  doch 
nöthig",  meinte  der  Italiener,  „dass  man  die  Sache  selbst, 
von  der  man  spricht  oder  schreibt,  genau  kenne.    Ohne 


KuDstkenner  and  Kuusthisturiker.  7 

sich  vorher  mit  der  Anatomie  vertraut  gemacht  zu  haben", 
lugte  er  hinzu,  „können  Sie  doch  scIiw.iTh  h  mit  d«'r 
Physiologie  sich  befassen." 

„Auch  dies  scheint  mir  khu'",  sagte  icli.  —  „\\  ic 
der  Botaniker  seine  Pflanzen",  fuhr  er  daiui  weiter  fort, 
„der  Zoologe  seine  Thiere  kennen  mus^  damit  er  beim 
ersten  Blick  den  jungen  Löwen  von  der  Hauskatze, 
die  Feige  von  dem  Kürbis  zu  unterscheiden  wisse,  so 
ist  auch  der  Kunsthistoriker  angehalten,  mit  seinen  Ge- 
bäuden^ Statuen  und  Bildern  vertraut  zu  sein,,  will  er 
vorerst  sich  selbst,  sodann  seinen  Zuhörern  oder  Lesern 
einen  richtigen  Ueberblick  über  dieselben  verschaffen. 
—  Wer  auf  einen  Berg  steigt,  sagt  ein  alter  Schrift- 
steller, ohne  vorher  die  Ebene  kennen  gelernt  zu  haben, 
der  weiss,  oben  angelangt,  nicht  zu  sagen,  ob  die 
Bäume  dort  unten  Oliven  oder  Weiden,  ob  es  Pappeln 
oder  Cypressen  sind,  d.  h.  ob  er  eine  nordische  oder 
eine  südliche  Landschaft  vor  sich  habe;  daher,  meine 
ich,  sollte  man  sich  zuvor  etwas  mit  der  Ebene  be- 
kannt machen,  will  man  von  der  Höhe  herab  das  Ge- 
s:unmtbild  der  Gegend  richtig  auffassen  und  schildern. 
Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  kann  doch,  wahrlich,  die 
Beschreibung  der  Landschaft  nur  aus  leeren,  auf  jede 
beliebige  Landschaft  passenden  Phrasen  und  hochklingen- 
den Gemeinplätzen  bestehen  und  wlid  (l.ilici-  kilnes- 
wegs  zutreffend  sein." 

„Dieser  Art  sind  aber  die  iiu'K>tcn  der  »ogcnaunten 
kunstgeschichtlichen  Bücher",  erwiderte  ich. 

„Vor  Zeiten",  antwortete  der  Italiener,  „das  gebe 
ich  Ihnen  gern  zu,  vor  Zeiten  war  dies  allen T  Imt- 

all  in  Kuropa  d<'r  Fall.     Die  Lehrer  der  Kun-  .  hte 

waren  in  der  Kegel  ästhetische  Literaten  oder  auch  ge- 
lehrte Archäologen,  die  für  die  Kunst  keinen  wahren 
Sinn  hatten  und  von  ihr  auch  nichts  anderes  wussten, 
als  was  sie  eben  aus  den  Büchern  ihrer  Vorgänger  aus- 
wendig   gelenit       )    •      twn    mündlich    von  Akademie- 


g  Princip  uud  Methode. 

Professoren  der  Maleroi  vernommen  hatten.  Ilentzn- 
tage  jedoch  soll  es,  wie  ich  höre,  in  Paris  nnd  in  Eng- 
land und  zumal  in  Deutschland  in  dieser  Beziehung 
ganz  anders  bestellt  sein.  Da  haben  sie  ja  tüchtige, 
weltberühmte  Docenten  der  Kunstgeschichte  fast  an 
jeder  Universität,  von  denen  jeder  seinerseits  jährlich 
treffliche  Schüler  heranzieht  und  zu  zukünftigen  Nach- 
folffern  ausbildet." 

„Ach,  leider,  viel  zu  viele",  bemerkte  ich  ihm.  „Die 
Lehrer,  wie  Sie  dieselben  sich  vorzustellen  belieben, 
sind  selbst  im  gelehrten  Deutschland  die  Ausnahme  von 
der  Regel,  denn  auch  hier  gilt  das  Sprichwort:  An  den 
Früchten  erkennt  man  die  Güte  des  Baumes,  ^iun 
sehen  Sie  sich  doch  die  Leute  an,  die  dergleichen  Vor- 
lesungen angehört  haben  und  davon  begeistert  in  eine 
Kunstsammlung  treten.  Entweder  stehen  sie  da  wie 
der  Bauer  in  der  Menagerie,  oder  aber,  falls  sie  zu  der 
wissenschaftlich  gebildeten  Klasse  der  Menschheit  ge- 
hören, sieht  man  sie,  in  einer  Art  Kunstdusel  beffuigen, 
an  die  Bilder  herantreten,  ohne  dass  sie  recht  wüssten, 
was  sie  mit  denselben  anfangen  sollen.  Dem  einen  ver- 
wehrt die  soeben  vom  Lehrer  gegebene  schwunghafte 
Definition  des  « Schönen  »,  das  vor  ihm  stehende  Ge- 
mälde Tizian's  oder  Correggio's  schön  zu  finden;  dem 
andern  kribbeln  die  verschiedenen  Malernamen  im  Kopfe 
herum  und  lassen  ihn  das  Bild  vor  seinen  Augen  nicht 
sehen,  denn  der  junge  Mann  erinnert  sich  nicht  mehr 
recht,  ob  sein  Lehrer  den  Perugino  über  den  Botticelli 
oder. aber  diesen  über  jenen,  den  Tizian  über  den  Gior- 
gione  oder  diesen  über  den  erstem  gestellt  hat;  und 
ich  spreche  hier,  wie  gesagt,  von  den  allergebildetsten 
unter  den  Kunstfreunden.  Die  grosse  Menge  jedoch, 
welche  Bildergalerien  besucht,  findet  keine  andere  Freude 
an  einer  Statue  oder  an  einem  Gemälde,  als  das  Nach- 
gebildete mit  dem  Urbilde  zu  vergleichen,  eingedenk 
des  Lehrsatzes,  dass  die  Kunst  nichts  anderes  sein  soll 


Kunstkenner  und  Kunsthistoriker.  9 

als  der  Affe  der  Natur.  Und  da  vergessen  die  guten 
I^ute,  wie  sich  dies  von  selbst  versteht,  vor  einem  Bild- 
niss  des  Denner  oder  des  Seibold  da«<  dnnebt'n  liaiijjende 
eines  Tizian  oder  eines  Holbein." 

„Leider",  meinte  mein  BegKiu  i  ,  .,i>i  t>  aui  1»  bei 
uns  ungefähr  so,  wFdirend  doch  jeder  gebildete  Mensch 
von  seinem  Lehrer  wenigstens  so  viel  gelernt  haben 
sollte,  um  an  einem  Gemälde  denselben  Genuss  zu 
haben,  den  ihm  ein  gutes  Gedicht  oder  eine  interes- 
sante Novelle  bietet.** 

,,Wie  ist  das  möglich,  mein  lieber  Herr**,  unterbnich 
ich  ihn,  „wenn  der  Lehrer,  selbst  der  Sprache  der  Kunst 
unkundig.,  entweder  nur  trockene  Kunstlernanion  und 
Daten  oder  nichtssagende  Biographien  aufzuzählen 
weiss  oder  seine  Zuhörer  mit  allgemeinen  ästhetischen 
( f  üi'inplätzen  abspeist!  Ich  meinte  doch,  dass  die 
l'tiulit  eines  Lehrers  der  Kunstgeschichte  vor  allem 
die  sein  sollte,  seine  Schüler  auf  das  Charakteristische 
in  einem  Kunstwerk  aufmerksam  zu  machen.  Die  S<  lin- 
ier sollten  lernen  auch  mitten  unter  den  altmodiM  li«  u. 
eckigen  Künstlern  des  Quattrocento  sich  heimisch  zu 
'  '  '  11.  mit  denselben  geistig  verkehren  zu  können.  Um 
■  lier  würde  dann  ihr  (ieiiuss  sein  vor  den  erhabenen 
Werken  eines  Kaffael,   eines  Tizian,  eines  Giorgione, 

-  CVirreggio.  Warum  weiss  die  grössere  Zahl  der 
leten  Leute,  selbst  in  Deutschland,  nichts  mit  den 
Werken  des  g^rossen  Dürer  anzufangen?  Darum,  weil 
sie  nicht  gelernt  haben  zu  sehen,  weil  das  Eckige,  oft 
Unschöne,  jedoch  stets  Charaktervolle  der  Dürer'schen 
Ausdnicksweise  ihnen  unverständlich  geblieben  ist.**  — 

„Alles,  was  Sie  mir  erzählen,  ist  sehr  traurig"*,  be- 
merkte der  Italiener.  „Ich  hätte  geglaubt,  dass  es  nur 
iH'i  uns  hier  in  Italien,  w»»  der  Wahlspruch  inertia  nt 
§apietitia  noch  inmier  Geltung  hat,  S(»  übel  um  die  künst- 
lerische Bildung  der  MensiluMi  Ix^stellt  wäre,  dass  man 
dnv'«'Lr*-M    in  den  andeni    gebildeten    iJindern   Europas, 


10  Princip  und  Methode. 

vornehmlich  in  Deutschhind,  bedeutende  Fortschritte, 
Avie  in  den  übrigen  Wissenschaften,  so  auch  in  der 
Kunstkenntniss  gemacht  hätte."  „Ich  fürchte  jedoch"  — 
fügte  er  lächehid  hinzu  — -,  „dass  Sie  das  Uebel  mit  gar 
zu  schwarzen  Farben  darzustellen  belieben.  Dass  die 
Dilettanten  allenthalben,  nicht  nur  hier  in  Italien,  son- 
dern auch  in  Frankreich,  Kussland,  England  und  Deutsch- 
land, sowol  in  der  bildenden  Kunst  als  in  der  Literatur, 
nur  dem  sinnlichen  Genuss  fröhnen,  das  mag  wol  sein, 
da  die  hohen  Freuden,  die  das  Wissen  dem  Menschen 
bietet,  im  Schweisse  unsers  Angesichts  erworben  sein 
wollen.  Haben  wir  es  nicht  so  weit  gebracht,  vor  allem 
ein  Kunstwerk  analysiren  zu  können,  um  von  der  Ana- 
lysis  sodann  zur  Synthesis  zu  gelangen,  so  dürfen  wir 
doch  kaum  sagen,  dass  wir  im  Stande  sind,  ein  Ge- 
mälde zu  begreifen.  Und  solch  eine  Bildung  darf  man, 
wahrlich,  doch  nicht  von  der  grossen  Menge  verlangen. 
Das  gebildete  Publikum  in  Deutschland  jedoch,  das 
sehr  gross  ist,  ja  grösser  als  in  allen  andern  Ländern 
Europas  zusammen,  würde  gewiss  kaum  so  viele  Bücher 
über  Kunst  lesen,  wäre  es  nicht  von  dem  Wunsche  be- 
seelt, in  denselben  etwas  mehr  als  blos  Sinnengenuss 
zu  finden,  und .  .  .  ." 

„Mein  lieber  Herr",  fiel  ich  ihm  ins  Wort,  „ein 
gebildeter  Mensch,  der  die  Geduld  gehabt,  die  dicken 
Bände,  die  ihm  jährlich  über  Kunst  geboten  werden, 
fertig  zu  lesen,  weiss  am  Ende,  wie  dies  auch  mir  er- 
ging, ungefähr  soviel  davon  als  zuvor.  Er  hat  aller- 
dings dabei  herrliche  Phrasen  und  ästhetische  Maximen 
zu  lesen  bekommen,  die  seine  Ohren  berauschten  und 
seinen  Geist  kitzelten,  und  hat  dabei  vielleicht  zugleich 
auch  ein  paar  Dutzend  nagelneuer  Künstlernamen  und 
Kunstwörter  im  Gedächtniss  behalten,  womit  er  etwa 
in  einer  Theegesellschaft  sich  brüsten  kann;  allein  alle 
diese  Namen  und  Daten,  sind  nichts  als  leerer  Schall 
und  können  ihm  daher  ebenso  wenig  als  die  schwung- 


Kuustkenner  und  Kunsthistoriker.  11 

vollen   Phrasen  und    ästhetischen   Recepte    irj^endpinoü 
geistigen  Gewinn  bringen." 

^Darf  ich  demnach  Ihren  Worten  trauen,  >u  u.ii. n 
wir  riberall  in  Europa  grossen  Mangel  an  tüchtigen, 
sachkundigen  Lehrern  der  Kunstgeschichte,  und  dies 
aus  dtMU  einfachen  Grunde,  weil  man  noch  immer,  nach 
altem  Brauch,  fortführt,  diese  Geschichte  in  den  Bü- 
chern und  nicht  in  den  Kunstwerken  selbst  zu  studiren." 

yjDies  mag  allerdings  auch  ein  Grund  sein",  sagte 
ich.  „Viele  und  schlechte  Lehrer  erziehen  Halbwisser 
und  diese  venirsachen  überall,  sowol  in  der  \\  issen- 
schatt  als  in  der  Politik,  Wirrwarr  und  Anarchie."* 

„Sehr  wahr'%  bemerkte  mein  Begleiter,  „deshalb 
habe  ich  auch  immer  gedacht,  dass  wer  andern  die  Ge- 
schichte der  Kunst  beschreiben  und  erklären  will,  vor- 
erst doch  sich  selbst  einen  klaren  Begriff  von  den  Kunst- 
werken, aus  denen  ja  die  Kunst  besteht,  verschaffen 
sollte,  oder  mit  andern  Worten,  dass  er  vor  allem  an- 
gehalten sein  sollte,  diese  Werke,  seien  es  Bilder,  seien 
es  Statuen  oder  Gebäude,  mit  dem  Verstand  anzuschauen 
und  zu  aualysireu,  in  denselben  das  Wichtige  vom  Un- 
bedeutenden zu  erkennen,  kurz  sie  verstehen  zu 
lernen.*"* 

„Sie  sprechen  hier",  entgegnete  ich  ihm,  „von  der 
formalen  Kunst,  d.  h.  von  der  äussern  Kenntniss  der 
Kunstwerke.  Und  ich  gebe  Ihnen  geni  zu,  dass  Sie 
in  gewisser  Beziehung  auch  darin  recht  haben  mögen. 
Allein  der  deutsche  Kunstphilosoph  würde  seiner- 
seits Ihnen  bemerken,  dass  vor  dem  formalen  Kunst- 
werk im  Kopfe  des  Künstlers  die  Idee  dazu  bereits 
existirt  und  dass  giTade  dit^e  Idee  zu  erfassen,  zu  er- 
gründen und  zu  erklären  der  Ilauptgegenstand  sei,  der 
den  echten  Kunsthistoriker  beschäftigen  sollte,  oder  mit 
andern  Worten,  dass  vornehmlich  das  innere  oder 
a  centrale»  Verständniss  der  Kunstwerke  die  wahre 
Auf«^abe  ist,  die  zu  losen  der  Kunsthistoriker  berufen 


12  Princip  und  Methode. 

sei.  Der  Kunstgeschichtschreiber  aber  würde  seiner- 
seits Ihnen  entgegnen,  dass  das  Hauptinteresse  der 
Kunstgeschichte  nicht  sowol  auf  die  Kunstwerke  selbst, 
sondern  viehnehr  auf  die  Cultur  des  Volkes,  aus  der 
diese  Kunstwerke  hervorgegangen  und  von  der  sie  be- 
dingt wurden,  gerichtet  sein  müsse." 

„Dann  hätten  wir  jedoch,  abgesehen  davon,  dass  man 
schwerlich  eine  Sache  innerlich  erkennen  kann,  ohne  sie 
vorher  auch  äusserlich  erkannt  zu  haben,  dann  hätten 
wir",  sagte  der  Welsche,  „keine  Kunstgeschichte  mehr, 
sondern  auf  der  einen  Seite  eine  Kunstpsychologie, 
auf  der  andern  eine  Geschichte  der  Civilisation; 
zwei  allerdings  sehr  schöne  Branchen  der  Philosophie, 
allein  wenig  geeignet,  das  Kunstverständniss  und  somit 
den  w^ahren  Kunstgenuss  zu  fördern.  Nicht  dass  ich 
etwa  leugnen  wollte,  dass  über  die  Ursachen  gewisser 
stilistischer  Neuerungen  einzig  und  allein  die  Cultur- 
geschichte  uns  genügende  Rechenschaft  geben  kann. 
Diese  Fälle  kommen  jedoch  seltener  vor,  als  man  dies 
zugeben  will."  „Damit  will  ich  durchaus  nicht  sagen", 
fügte  er  mit  Lebhaftigkeit  hinzu,  „dass  es  nicht  wün- 
schenswerth  sei,  dass  der  Professor  der  Kunstgeschichte 
von  Zeit  zu  Zeit,  wenn  gerade  eine  passende  Gelegen- 
heit dazu  sich  bietet,  seine  Schüler  vom  Studium  der 
Form  und  der  Technik  ab  in  die  höhern  Regionen  des 
Gedankens  hinaufführe,  oder  mit  andern  ^Y  orten,  dass 
er  vom  einzelnen  Theil  absehe  und  die  Zuhörer  oder 
Leser  auf  das  Allgemeine  aufmerksam  mache  —  dass 
er  sie  lehre,  den  Zusammenhang  der  Entwickelungs- 
epochen  der  Kunst  zu  verstehen  und  endlich  über  die 
Thatsachen  sich  zu  erheben  und  dieselben  zu  beurtheilen. 
Allein  meiner  Ansicht  nach  dürfen  solche  Ascensionen 
nur  mit  Maass  und  zu  rechter  Zeit  stattfinden,  da  sonst 
der  Schüler  nur  zu  leicht  verleitet  wird,  in  den  alten 
Fehler  zu  verfallen  und  die  eigenen  Gedanken  in  das 
Object  hineinzulegen,   statt  die  das  Object  belebenden 


Kunstkenner  und  Kunsthistoriker.  13 

Gedanken  aus  demselben  herauszulocken.  Der  Schüler 
sollte,  meinte  ich,  vor  allem  lernen,  d:i8  Kunstwerk  so 
vernünftig  und  zugleich  so  liebevoll  zu  befragen,  bb 
dus  Hild  oder  die  Statue,  durch  seine  einsichtsvolle  Liebe 
erwärmt,  ihm  Antwort  gibt,  und  so  muss  doch  die 
Cirundla<;e  alles  Kunststudiums  die  Form  und  die  Tech* 
iiik  bU-iben."  „Alle  Wissenschaften",  fügte  er  hinzu, 
^sind  ja  auf  Beolwchtung  und  Erfahning  gegründet: 
Per  carios  usvs  /"•'-"•    -.•,..,>.•.-. ../.■..    r\>..:t      „...,..,.>/,.    ...a;,- 

strante  viam.''* 

„Das  alles  klingt  st.'hr  schön **,  bemerkte  ich  ihm, 
,^und  mag  auch  ganz  richtig  sein;  allein  welche  Kosten 
an  Zeit  und  Geld  würden  Sie  nicht  dem  Kunst  beflissenen 
11,  falls  er  Ihren  Rath  befolgen  sollte;  gar 
\  - -.  wären  in  der  Lage  Kunsthistoriker  zu  werden. 
Durch  Ihre  Vorschriften,  mein  lieber  Herr,  dürften  Sie 

^  i-is  die  jungen  Leute  vor  der  Kunst  eher  abschrecken 
.1  sie  von  ihr  entfernen,  als  dieselben  ihr  zufüliren, 
und  damit  würden  Sie  ja  hunderten  und  aber  hunderten 
den  ßroterw»»rb  wegnehmen.'"' 

„Lassen  wir  den  Broterwerb  aus  dem  Spiel«  -. 
widerte  trocken  mein  Begleiter;  „wer  die  Kunst  oder 
die  Wissenschaft  als  eine  Kuh  ansieht,  die  ihn  ernäh- 
ren soll,  dem  rathe  ich  eher  zum  Bankier,  zum  Advo- 
caten,  zum  Wirth  oder  zum  Apotheker  sich  auszubilden. 
Das  Studium  der  Kunst,  wie  ich  es  im  Sinne  habe, 
mag  allerdings  viele,  viele  Jahre  Zeit  in  Anspruch  nah- 
men, dies  gebe  ich  Ihnen  gern  zu.  Waa  jedoch  die 
(;.iji...,lpu  anbelangt,  so  kommt  es  mir  vor,  als  ol)  Sie 
1  gar  zu  s«'hr  überschätzen.  Wie  der  Botaniker 
uiiirr  »einen  Pflanzen,  frischen  und  getrockneten,  der 
Mineralog  und  Geolog  unter  seinen  Steinen  und  Fossilen 
lebt  und  webt,  so  soll  der  Kunstkenner  zwischen  seineu 
l*hotn;rraphieu.  und  ist  derselbe  wohlhabend,  womög- 
lich auch  unter  Ctemälden  und  Statuen  leben.  Das  ist 
»eine  Welt,   worin  er  das  Auge   täglich  zu   üben  und 


14  Princip  und  Methode. 

zu  verfeinern  hat;  denn  visits^  qid  nisi  est  verus,  ratio 
(juoqite  falsa  sit  omnis.  Es  verstellt  sich  von  selbst, 
dass  der  Kunstfreund  dabei  auch  das  Studium  der  um- 
gebenden Ncatur  keinen  Tag  vernachlässigen  darf;  will 
er  die  Werke  der  Kunst  verstehen,  so  muss  er  doch 
selbst  Kiinstler  sein,  d.  h.  er  nuiss  lernen,  die  Menschen 
und  Dinge  um  sich  herum  mit  dem  Auge  des  Künst- 
lers anzusehen." 

„Gegen  diese  allzu  grossen  Forderungen,  die  Sie 
an  den  angehenden  Kunstkenner  stellen",  sagte  ich  ihm, 
„wäre  gar  vieles  einzuwenden.  Erlauben  Sie  mir  hier 
nur  folgende  Bemerkung  zu  machen:  Wie  wollen  Sie, 
unter  anderm,  dass  der  Anfänger  in  der  Kunstwissen- 
schaft im  Stande  sei,  die  Photographien  der  echten  von 
denen  der  unechten  Kunstwerke  zu  unterscheiden,  pho- 
tographirt  man  doch  heutzutage  alles  durcheinander, 
Kraut  und  Rüben,  Echtes  und  Falsches?" 

„Nun",  entgegnete  der  Welsche,  „weshalb  besuchen 
wir  denn  die  Vorlesungen  des  Kunsthistorikers,  wäre  es 
nicht,  um  von  ihm  Anleitung  zu  erhalten,  selbst  denken 
und  sehen,  das  Echte  vom  Falschen,  das  Bedeutende 
vom  Unbedeutenden  unterscheiden  zu  lernen?  Wir 
gehen  doch  nicht  in  die  Schule,  um  uns  vom  Lehrer 
wörtlich  das  hersagen  zu  lassen,  was  wir  zu  Hause 
viel  bequjemer  gedruckt  lesen  könnten,  sondern  wir 
gehen  in  die  Schule,  um  durch  die  lebendigen,  anregen- 
den Worte  des  Lehrers  für  die  Kunst  begeistert  zu 
werden,  um  durch  seine  Anleitung  an  Beispielen  das 
Wahre  vom  Falschen,  das  Charakteristische  in  den 
Werken  der  grossen  Meister,  sei  es  in  der  Wahl  und 
Aufiassung  des  Gegenstandes,  sei  es  in  der  Eigenthüm- 
lichkeit  der  Darstellung  dei"  Formen  und  der  Farben- 
harmonie, erkennen  zu  lernen." 

„Wir  haben  aber",  fiel  ich  ihm  ins  Wort,  „bereits 
gesehen,  dass  solche  Lehrer,  wie  Sie  sie  wünschen,  in 
der  ganzen   Welt    höchst  seltene   Vögel    sein    dürften. 


KuDstkeDner  ond  Kunsthistoriker.  15 

Ueberdies  kommt  es  mir  so  vor,  als  ol>  Sie  in  Ihren 
Forderungen  an  den  Kunstliistoriker  doch  viel  zu  weit 
iringen.  Wie  darf  man  auch  von  einem  Manne  ver- 
hin;^»'n,  er  solle,  bei  unserer  so  knappen  Lebensdauer, 
:ill«»  alten  Maler  kennen  und  voneinander  unterscheiden 
lernen,  und  nun  gar  ein  vielbeschäftigter  Director  oder 
Professor,  der  ja  ausserdem  seine  Kataloge  und  Bücher 
anzufertigen  hat,  wo  ums  Himmels  willen  soll  er  die 
Zeit  hernehmen,  um  alles  selbst  zu  untersuchen  und  zu 
prüfen,  und  sogar  den  Meistern  zweiten  und  dritten 
U:in;r<s  unrlr/ugehen?  Wie  wollen  Sie,  dass  derselbe  z.  B. 
di«-*  Ergrbnisse  der  Kunstkenner  controlire,  die  guten  von 
den  schlechten  scheide,  wenn  er  nicht  selber  Kenner  ist  — 
'  nntlich  unter  den  Kunstkennern  fbenso  viele 
N  iis  unter  den  Kunsthistorikern?!  — Nein,  was 

man  von  ihm  verlangen  darf,  ja  fordern  sollte,  ist,  dass  er 
IIS  mit  den  Bahnbrechern,  mit  denllauptmeistern 
iMstschule  vertraut  sei,  um  die  Werke  derselben 
von  denen  ihrer  Schüler  und  Nachahmer  unterscheiden  zu 
kotnien.  und  nicht  etwa,  wie  dies  noch  inmier  geschieht, 
eine  beliebige  Statue  für  das  Werk  des  Michelangelo 
oder  zweideutige  Bilder  für  die  Arbeiten  Verrocchio's 
oder  gar  Leonardo^s  dem  Publikum  aufdrangt,  welche,  bei 
Lichte  betrachtet,  doch  nur  als  Erzeugnisse  schwacher 
Nachahmer  der  grossen  Künstler  sich  heniusstellen.*'' 

„Das,  was  Sie  da  sagen,  mein  Herr,  ist  alles  schon 
und  gut*%  antwortete  lächelnd  mein  Begleiter,  „nur 
fragt  es  sich,  ob  das  eine  ohne  das  andere  zu  erzielen 
iht.  Ich  kann  ja  doch  die  (trösse  und  Wesenheit  eines 
Menschen  nur  dann  richtig  messen  und  beurtheilen, 
wenn  ich  denselben  n«'ben  einen  andern,  sei  er  grosser 
sei  er  kleiner,  stelle  und  ihn  mit  demselben  vergleiche. 
Nehmen  wir  z.  B.  an,  was  ja  auch  möglich  ist,  Ihr 
Kunsthistoriker  besuche  eine  Bildergalerie,  tun  darin 
vornelimlich  den  Tizian  zu  studiren,  wie  konnte  da  der 
brave  Mann,   ist    es  ihm  wirklich  ernst  um  die  Sache, 


16  Triücip  und  Methode. 

vor  den  in  derselben  Sammlung  ihm  ebenfalls  entgegen- 
leuchtenden und  zuwinkenden  Gemälden  der  grossen 
Vorgänger  und  Zeitgenossen  des  Cadoriners  sein  Auge 
ganz  und  gar  verschliessen?  Sollte  man  nicht  anneh- 
men diirfen,  dass  ihn  sein  Wissensdurst  vom  Studium 
der  Werke  Tizian's  nicht  auch  zugleich  auf  das  Stu- 
dium der  Gemälde  seiner  Vorgänger  und  seiner  Zeit- 
genossen, derBrüderBellini,desCarpaccio,  des Giorgione, 
des  Lorenzo  Lotto,  des  Pordenone,  des  Palma  u.  s.  w., 
leiten  müsse?  Doch  lassen  vv^ir  diesen  Streitpunkt  fallen, 
genügt  es  mir  doch  vorderhand,  dass  Sie  mir  zugeben, 
man  dürfe  von  einem  Kunsto;eschichtschreiber  weniir- 
stens  verlangen,  die  Hauptmeister,  die  grossen  Perso- 
nalitäten der  verschiedenen  Kunstschulen  insoweit  zu 
kennen,  dass  er  dieselben  von  ihren  Schülern  und  Nach- 
ahmern mit  relativer  Sicherheit  zu  unterscheiden  wisse.'' 

„Ja,  dies  scheint  mir  eine  billige  Forderung  zu  sein", 
antwortete  ich. 

„Meinen  Sie  aber",  fuhr  mein  Begleiter  fort,  indem 
er  stille  hielt  und  dabei  lächelnd  mir  ins  Auge  sah, 
„meinen  Sie,  dass  dies  eine  so  leichte  Sache  sei?  Ich 
kann  mich  doch  nicht  an  das  Studium  der  Werke  z.  B. 
Leonardo's  oder  RaffaeFs  machen,  ohne  zuvor  in  allen 
andern  Kunstschulen  Italiens  gründlich  mich  umgesehen 
zu  haben.  Und  will  ich  sodann  Leonardo  oder  Kaö'ael 
näher  kennen,  diese  zwei  Heroen  der  Kunst  richtig 
auffassen  und  beurtheilen  lernen,  so  muss  ich  nicht  nur 
die  Werke  der  Kunstschule,  aus  der  sie  hervorffecranofen, 
auch  ins  Auge  fassen,  sondern  ich  muss  selbst  ihre  Vor- 
gänger und  Zeitgenossen  und  ihre  unmittelbaren  Schü- 
ler zu  beurtheilen  gelernt  haben,  um  sagen  zu  können, 
welche  Vortheile  durch  den  Meister  seiner  Schule  ere- 
bracht  wurden  in  der  Auffassung,  in  der  Darstellung, 
in  der  Technik.  Steht  mein  Urtheil  nicht  auf  dieser 
soliden  und  breiten  Basis,  so  wird  dasselbe  stets  doch 
nur  einseitig  und  lückenhaft  bleiben,  mit  einem  Worte, 


Kaü^tktnner  urul  Kunsthistoriker.  17 

iih    werde    au:    ....    >......  ..     •.  ihl-    Kunstv«TstriiHri«j'«'n 

keinen  Anspruch  erheben  dürfen." 

^Aber,  mein  lieber  Herr^,  unterbrach  ich  ihn,  „der- 
gleichen weitläulige  und  langwierige  Studien,  wie  Sie 
sie  dem  Kunsthistoriker  zumutheit,  wurden  ja  denselben 
iiMcli  und  nach  in  einen  blossen  Kunstkenner  ver- 
w.iüdeln!  Auch  bliebe  ihm  keine  Zeit  mehr  übriir.  die 
wahre  Kunstgeschichte  zti*  betreiben.'* 

..Si«*  haben**,  antwortete  der  Italiener  mit  Ijuheln- 
der  Miene,  .«den  Nagel  auf  den  Kopf  getroften.  Ja, 
ganz  richtig,  Ihr  Kunstgeschichtschreiber  würde  all- 
mählich verschwinden  —  was  ja,  wie  Sie  mir  zugeben 
werden,  kein  grosser  Schaden  wäre  —  und  aus  ihm 
würde,  wie  aus  der  Raupe  der  Schmetterling,  der 
Kunstkenner  sich  nach  und  nach  entpuppen.^' 

„Was  Sie  mir  da  sagen*",  bemerkte  ich  ihm,  etwas 
unangenehm  überrascht  über  seine  triumphirende  Miene, 
"  -^  Sie  da  behaupten,  kann  ich  Ihnen  durchaus  nicht 
•en.     Und  zum  Heweise,  dass  Sie  im  Unrecht  sind 
mier   wenigstens   in   Ihren   Ansprüchen   an  den  Kunst- 
historiker viel  zu  weit  gehen,  wollen  Sie  mir  erlauben, 
Ihnen  die  neuesten   zwei   Werke  über  Kaffael   Sanzio 
'tdialten.  Das  «'ine  derselben,  ein  wahrer  Praclit- 
.1    in   Paris   erschienen,    das  andere    in    Berlin, 
also  in  den  zwei  «Centralpunkten»  aller  geschichtlichen 
Kirnst forschung.     Und   hat  das    erstere    in   ganz   Paris, 
und  somit  in  der  ganzen  gebildeten  Welt,   Heifall  bei 
alt  und  jung  gefunden,  so  darf  man  vom  Buche  des 
1     "         K'  KifesHom  sagen,  dass  es  wenigstens  an 

M  I  ree  mit  wahrem  Jubel  begrüsst  wurde. 

Nun  kann  ich  aber  versichern,  dass  beide  Verfasser 
w.tl  Kunsthistoriker,  und  zwar  vom  reinsten  Wasser, 
:ill<  III  keineswegs  Kunstkenner  sind.  Ja,  beide  Herren 
würden  es  Ihnen  sogar  sehr  ül>el  vermerken,  wollten 
*^-  -ie  als  Kunstkenner  betrachten,  denn  das  oBilder- 
rken«  ist  ihnen  geradezu  ein  Dom  im  Auge." 

I.r  RM<>t,tt.rr  *J 


18  Princip  und  Methode. 

„So  etwas",  unterbrach  mich  laut  auflachend  der 
Welsche,  „so  etwas  würde  mir  auch  nicht  im  Traume 
einfallen."  Er  fuhr  dann  mit  sichtlicher  Lebhaftigkeit 
fort:  „Nein  nein,  mein  Herr,  nur  durch  eingehende, 
mit  Ernst  und  Liebe  gepflegte  Studien  wird  der  Kunst- 
freund, ohne  es  zu  wissen,  mit  der  Zeit  zum  Kunst- 
kenner, und  dieser  wieder,  ohne  sich  dessen  zu  ver- 
sehen, zum  Kunsthistoriker,  falls  nämlich,  der  Stoff 
dazu  in  ihm  liegt,  was  doch,  wie  sich  von  selbst 
versteht,  die  conditio  sine  qua  non  ist.  Jeder  junge 
Mann  kann  wol  a  friori  sagen:  ich  will  Pfarrer,  Ad- 
vocat,  Professor,  Feldmesser,  Arzt,  Ingenieur,  ja  sogar, 
hat  er  Geld,  ich  will  Deputirter  werden,  es  wäre  aber 
lächerlich,  wollte  ein  Jiingling  von  20  oder  24  Jahren 
sagen:  ich  will  Kunstkenner  oder  gar  Kunsthistoriker 
werden." 

„Und  doch",  bemerkte  ich  ihm,  „geschieht  dies 
täglich,  und  zwar  wenn  einer  in  andern  Fächern  des 
menschlichen  Wissens  stecken  blieb  und  einsah,  dass 
er  damit  zu  keinem  Broterwerb  es  bringen  kann." 

„Dies  will  gar  nichts  sagen",  antwortete  mein  Be- 
gleiter, „vorausgesetzt,  dass  es  die  Ausnahme  imd  nicht 
die  Regel  sei.  In  jeder  Branche  des  menschlichen  Wis- 
sens ereignen  sich  ja  solche  Fälle,  in  den  Wissenschaften 
sowol  wie  in  den  ausübenden  Künsten.  Kommen  wir 
jedoch  wieder  zu  unserm  Thema  zurück.  Ich  wollte 
also  nur  sagen,  dass  der  Keim  des  Kunsthistorikers, 
falls  eben  einer  da  ist,  nur  im  Kopfe  des  Kunstkenners 
sich  entwickeln  und  da  aufblühen  kann,  oder  mit  an- 
dern Worten,  dass  dem  künftigen  Kunstgeschicht- 
schreiber die  Grundzüge  seiner  Geschichte  in  der  Pina- 
kothek und  nicht  etwa  in  der  Bibliothek  aufgehen 
müssen;  um  es  kurz  zusagen,  um  Kunsthistoriker 
zu  werden,  muss  man  vor  allem  Kunstkenner 
sein." 

„Auch  mir",  sagte  ich,  „wollte  diese  Ihre  Ansicht 


Kunstkenner  nnd  Kantthisioriker.  19 

stets  als  die  richtige  erscheiuen,  iiümlich,  dass  erstens 
ohne  innern  Trieb  keiner  sich  kunstwissenschaftlichen 
'  >  sollte,  und  zweitens,  dass  nur  das 
N  ike  der  Kunst  selbst  im  Stande  sei, 
den  heruC,  eine  Geschichte  der  Kunst  zu  schreiben,  im 
Menschen  heranreifen  zu  lassen.  Ich  kann  wol  theo- 
retisch der  ästhetisch  gebildetste  Mensch  sein,  ohne 
einen  Funken  Sinn  für  bildende  Kunst  zu  besitzen. 
Exempia  sunt  odiota.'^ 

„Sehr  wahr**,  t)emerkte  der  Italiener,  „und  doch 
sind  fast  alle  unsere  neuern  Kunstgeschichtschreiber 
hier  in  Italien  nichts  anders  als  Aesthetiker  und  mei> 
stens  dazu  noch  Aesthetiker  von  einer  nicht  sehr  kurz- 
weiligen Sorte,  weshalb  deiui  auch  die  Kunstgeschichte 
bei  uns  ihre  Aufgabe  hauptsächlich  darin  sucht,  durch 
pomphafte  lieschreibung  der  Bilder,  durch  wohlklingende 
Phrasen,  mehr  oder  weniger  pikante  Apervus  und  Ana- 
Ux/ien  zu  glänzen  und  den  I^ser  zu  bestechen:  eine 
I.  liäftigung,  die  für  den,  der  sich  ihr  unterzieht,  viel- 
I»  I»  lit  unterhnlteiid  sein  mag,  dem  ernsten  I><»ser  jedoch 
nicht  nur  keinen  bleibenden  (Jewinn  bringt,  sondeni 
ihm  meist  auch  nur  I^aiigeweile  verursacht  und  seinen 
C.  ipft.     Au  '       '  !••  Kunsthistoriker, 

I.  -iie    IvOc;n  IM*    vom   Staat    b«»- 

soldeten,  mit  strenger,  ja  peinlicher  (iewissenhaftigkeit 
'     an   dif   l^eb.    '    *'     iiigen    festzuk'  n,    mögen 

auch  nm^h  >  .     <  h  und  abg<-  :  klingen.^* 

..Dies  geschieht  nicht  mir  bei  Ihnen  in  Italien^S 
-.i:/t.  ich  ihm,  „es  geschieht  geradeso  auch  bei  uns  in 
Uii-^land;  denn  wer  ein  Amt  zu  erha»<hen  oder  ein 
solches  zu  iM'halten  strebt,  der  darf  beileibe  nicht  an 
d«r  relM»rlieferung  Kitteln,  wäre  es  auch  nur  um  gegen 
die  Vonirthfile  seiner  l'rotectoren  und  seiner  dienten 
im   Reich  nicht  zu  Verstössen.^ 

.,Ich  will  nicht  sagen",  liemerkt*  ;.  .  i  iorentiner, 
„dass  die  Tradition  ganz  und  gar  zu  verachten  sei^  nur 

2« 


20  Princip  und  Methode. 

darf  man  dieselbe  nicht  als  Evangelium  betrachten,  sit' 
soll  der  Kritik  nicht  den  Mund  stopfen  wollen.  Bei 
der  Bestimmung  von  Kunstwerken  aber  hat  dieselbe 
fast  allen  Anspruch  auf  Geltung  verloren.  Wenn  ich 
bedenke,  welche  absurde  Sagen,  selbst  über  Menschen 
und  Ereignisse  der  Weltgeschichte  unserer  Tage,  sei  es 
aus  Parteileidenschaft,  sei  es  aus  Leichtsinn  oder  gar 
aus  der  dem  Menschen  angeborenen  Sucht,  den  einftxch- 
sten  Voi'fjill,  um  ihn  interessant  zu  machen,  durch  Ver- 
grösserung  oder  Verkleinerung  zu  entstellen,  ja  oft  ge- 
radezu unkenntlich  zu  machen,  in  Umlauf  gebi'acht 
worden  sind  und  somit  die  Bedeutung  der  Tradition 
erworben  haben;  wenn  ich  ferner  bedenke,  wie  andere 
diu'ch  Tradition  auf  uns  gekommene  Sagen  durch  die 
neuere  Kritik  als  Luftgespinste  erkannt  und  aus  der 
Völkergeschichte,  wo  dieselben  sich  eingenistet  hatten, 
bereits  ausgemerzt  worden  sind,  so  erscheint  mir  das 
grosse  Mistrauen,  das  mir  aus  langer  Erfahrung  die 
sogenannte  Tradition  einflösst,  die  an  die  Persönlichkeit 
der  alten  Künstler,  sowie  auch  an  gar  manches  Kunst- 
werk gleich  einem  Pilz  sich  angeklammert  hatte,  nicht 
ganz  unberechtigt.  Ich  glaube  daher,  dass  die  Tradi- 
tion in  der  Kunstgeschichte  ungefähr  denselben,  wenn 
nicht  vielleicht  einen  noch  geringern  Werth  für  den 
Forscher  haben  dürfte,  als  dieselbe  in  der  Welt- 
geschichte verdient.  Und  davon  mögen  ein  paar  Bei- 
spiele genügen,  um  Sie  zu  überzeugen,  dass  auch  dieses 
Hülfsmittel,  über  das  so  viel  Lärm  von  den  Kunsthisto- 
rikern gemacht  wird,  nur  mit  der  grössten  Vorsicht 
angenommen  werden  darf.  Die  Tradition  Hess  den 
Maler  Andrea  del  Castagno  als  den  Mörder  seines 
Freundes  und  Arbeitsgenossen  Domenico  Veneziano 
so  lange  erscheinen,  bis  durch  das  Verdienst  unsers  be- 
kannten Archivars  Milanesi  ein  schriftliches  Document 
ans  Licht  gebracht  wurde,  aus  welchem  erhellt,  dass  der 
Mörder  vor   dem  Ermordeten    das  Zeitliche    gesegnet 


Tradition.  1>  1 

lial»  .     Nach  der  Tradition  wäre  Leonardo  da  Vinci  in 
\        II  dos  kunstr  '       '  u  Königs  Franzi.  ^'« - 

.    V    iiiend  es  nun  :•       i        -arlie  feststeht,  dass  > 
Majestät^  der  König  der  Franzosen,  am  Sterbetage  des 
'  '  •  sich  gar  nicht  an  jenem  Orte  befand  und  >vahr- 

I  ganz  anderes  zu  tinin  hatte,  als  dem  alten 
Künstler  pietätsvoil  die  Augen  zu  schliessen.  Die  Tra- 
«lition  berichtete  uns  durch  Vasari,  dass  der  *^  ^  '  !\att*nt  1 
vi.n  seinem  Vater  dem  I^hrer  Penigino  v>  .;  uiitl 

anempibhlen  worden  sei;  nach  der  Tradition  hätte  der 
alte  (lianbellino,  als  Senator  verkleidet,  dem  Antonello 
da  Messina  die  neue  Weise  in  Gel  zu  malen  verstoh- 
len abgelauseht:  die  Tradition  lä*8t  ferner  noch  immer- 
fort das  niedliche,  vielbewunderte  Modellstudium  eines 
hübschen  romischen  Mädchens  in  der  Barberini-Galerie 
als  diis  nach  dem  Leben  gefertigte  Bildniss  der  Bea- 
trice (  enci  gelten;  die  Tradition  endlich  will,  d;iss  der 
junge  Baftäcl  seinem  Lehrer  Pintoricchio  die  Cartons 
zu    dessen   Wandmalereien    in    der   si  n    Dom- 

bibliothek gemacht  habe.     Von  den  Li:.:...  .^- ii  Bilder- 
taufen, die  durch  Tradition   bei  uns  noch  immer  Gel- 
tung haben,  will  ich  gar  nicht  reden,  da  ich  Sie  damit 
L'ar  /u  sehr  ermüden  würde.**" 
( ianz  gewiss^  sagte  ich. 

..Hat  nun  eine  vorurthcilsfreiere  und  somit  im 
tigere  Kritik",  fuhr  er  fort,  „in  unsern  Tagen  eine  I;  m 
solcher  fader,  ja  geradezu  kindischer  Erfindungen  zu 
nichte  p'macht,  so  ist  damit  keineswegs  gesagt,  dass 
ihr  nielit  gar  viel  noch  zu  thun  übrigbliebe.  Aber 
lassen  wir  diesen  unt<*rgeordneten  Gegenstand  vorder- 
liand  beiseite  und  wenden  >vir  uns  wieder  zu  dem  vor- 
hin ausgesprochenen  (tnindsatz,  nämlich,  dass  die  Ge- 
M-hirhte  der  Kunst  einzig  und  allein  vor  den  Werken 
tler  Kunst  selbst  studirt  wenlen  muss.  Ueber  den 
Büchern  verliert  der  Mensch  fast  inuner  sich  selbst. 
Zwar  gebe  ich  gern  zu,  cbss  der  Begriff,  den  wir  uns 


22  Princip  und  Methode. 

durch  gute  Abbildungen  und  Durstellungen  von  dei- 
Kunst  der  Aegypter,  der  Hindus,  der  Assyrer,  der  Clial- 
däer,  der  Phönizier,  der  Perser  u.  s.  f.,  sowie  der  An- 
fänge der  griechischen  Kunst  verschaffen  können,  nicht 
blos  förderlich  für  unsere  allgemeine  Bildung  sei,  son- 
dern ich  bin  auch  überzeugt,  dass  dergleichen  Studien 
den  Kunstsinn  in  uns  schärfen  und  erweitern,  voraus- 
gesetzt natürlich,  dass  wir  einen  solchen  haben.  Die  Kunst 
jedoch,  die  mit  unserer  eigenen  Cultur  im  innigsten  Zu- 
sammenhang steht,  die  allein  können  wir  vollkommen 
verstehen  und  in  uns  aufnehmen,  und  diese  Kunst  miissen 
wir,  wie  gesagt,  nicht  sowol  aus  Büchern  und  aus  schrift- 
lichen Documenten,  sondern  vor  allem  aus  den  Kunst- 
werken, und  dies  im  Lande  selbst,  auf  dem  Boden  und 
in  der  Luft,  wo  diese  erzeugt  wurden  und  gross  ge- 
worden sind,  kennen  lernen.  Wer  den  Dichter  will 
verstehen,  sagt  Goethe,  muss  in  Dichters  Lande  gehen." 
„Alles",  erwiderte  ich,  „was  Sie  da  vorbringen  zur 
Unterstützung  Ihrer  Thesis,  dass  nämlich  nur  ein  ein- 
dringliches, unausgesetztes  Studium  der  Form  und  dei* 
Technik  zur  wahren  Kunstkenntniss  führen  könne,  und 
dass  somit  keiner  an  die  Kunsto^eschichte  sich  wasren 
dürfe,  ohne  vorher  Kunstkenner  geworden  zu  sein,  alles 
dies  mag  wahr  und  richtig  sein,  ich  will  es  weder  be- 
jahen, noch  verneinen,  da  ich  in  meinen  Studien  noch 
nicht  so  weit  vorgerückt  bin,  um  mir  erlauben  zu  dür- 
fen, Ihnen  mit  Nachdruck  beizupflichten  oder  auch  zu 
widersprechen.  Was  ich  aber  Ihnen  schon  im  voraus 
versichern  kann,  ist,  dass  sowol  die  heutigen  Kunst- 
kenner als  die  Kunsthistoriker  in  Europa,  wenigstens 
wie  ich  dieselben  zu  kennen  Gelegenheit  hatte,  über 
diese  Ihre  Zumuthungen  Ihnen  herzlich  ins  Gesicht 
lachen  dürften.  Diese  Herren  würden  Ihnen  entgegnen, 
dass  der  wahre,  von  der  Natur  prädestinirte  Kunst- 
kenner und  Kunsthistoriker  allen  diesen  Geist  und  Zeit 
tödtenden  Plunder,  den  zu  besitzen  Sie  ihm  ans  Herz 


Totaleiudruck.  23 

!  _  n.  gar  nicht  nothig  hat,  sondern  dass  für  ihn  der 
i  i  laleindruck,  den  ein  Knnstwerk,  möge  dies  ein 
Bild  oder  eine  StAtue  sein,  auf  ihn  macht,  vollkom- 
nit-n  hinreiche,  um  ihn  den  Meister,  sei  es  des  Ge- 
mäldes, sei  es  der  Statue,  auf  den  ersten  Blick  erkennen 
zu  hissen,  und  dass  sie  ausser  dem  Totaleindruck 
oder  der  Intuition  und  ausser  der  Tradition  nur  noch 
das  schriftliche  Document  gelten  lassen,  um  zur 
volligen  Gewissheit  zu  gelangen,  dass  ein  Kunstwerk 
von  diesem  oder  jenem  Meister  herrühre:  alle  anderen 
Ilfilfsmittel  aber  mochten  höchstens  blöden  Augen  einen 
Dienst  leisten,  etwa  wie  die  Schwimmblase  denen,  die 
nicht  schwimmen  können  —  falls  sie  nicht  sogar  dazu 
dienten,  in  das  Studium  der  Kunst  eine  heillose  Ver- 
wirrung zu  bringen  und  «den  gefährlichsten  Dilettan- 
tismus» gross  zu  ziehen.'^ 

„Diese  Einwendungen",  antwortete  der  Florentiner, 
„werden  auch  hierzulande  gegen  die  Würdigung  der 
Formen  und  der  Technik,  d.  h.  gegen  eingehendere 
analytische  Untersuchungen,  erhoben  und  zwar  mn  lau- 
testen von  denen,  die  zu  allem  ernsten  Studium  weder 
Anlage  noch  Lust  haben.  Ja,  ich  kenne  sogar  Leute, 
denen  man  weder  Verstand  noch  Bildung  absprechen 
darf,  die  da  glauben,  dass  eine  Sache  in  Unehre  komme, 
sobald  man  sie  begriffen  hat,  und  die  daher  dem  Stu- 
dium der  Formen  und  der  Technik  in  einem  Kunst- 
werk ebenso  abhold  sind,  als  es  etwa  die  Klerisei  der 
Naturwissenschaft  ist.  Untersuchen  wir  nun,  wenn  Sie 
es  erlauben,  in  aller  Ruhe  diese  Ansicht.  Sie  sagten 
alst»,  habe  ich  Sie  richtig  verstanden,  der  Kunsthisto- 
riker in  Deutschland  und  in  Paris  lege  blos  auf  die 
Intuition  und  auf  das  schriftliche  Document  Gewicht, 
seht*  dagegen  das  Studium  der  Kunstwerke  selbst  als 
zeitraubend  und  nicht  zum  Ziele  fi'ihrend  an.  Ich  will 
nun  keineswegs  in  Abrede  stellen,  dass  in  sehr  vielen 
Fällen  einem  feinen  und  sehr  geübten  Auge  der  Total- 


24  Priucip  und  Methode. 

eindruck  oder  die  Intuition  allerdings  «illein  hinreiche, 
um  den  Meister  eines  Kunstwerkes  zu  errathen  — 
allein,  wie  bei  uns  ein  Sprichwort  sagt:  aV apparenza 
ingannar>^  d.  h.  der  Schein  hat  uns  oft  zum  besten. 
Ich  behaupte  daher,  und  könnte  es  Ihnen  durch  hun- 
derte von  Beispielen  bekräftigen,  dass,  solange  die  Be- 
stimmung von  Kunstwerken  lediglich  dem  Totalein- 
druck anheimgestellt  bleibt,  ohne  die  Controle  einer 
aus  Beobachtung  und  Erfahrung  gewonnenen  Kennt- 
niss  der  jedem  grossen  Meister  eigenthümlichen  For- 
men, wir  fortfahren  werden  mit  Unsicherheit  uns  zu 
bewegen,  und  dass  folglich  die  Kunsthistorie  wie  zu- 
vor auf  wankendem  Boden  stehen  wird.  Der  Ansicht 
jener  Herren  gemäss  würde  also  der  Kunstkenner,  wie 
man  zu  sagen  pflegt,  ebenso  gut  als  solcher  geboren 
wie  der  Künstler?" 

„Allerdings",  sagte  ich;  „dies  ist  die  herrschende 
Meinung  bei  vielen  unter  den  tonangebenden  Kunst- 
kennern unserer  Tage." 

„Ich  dagegen  halte  dafür",  erwiderte  mein  Beglei- 
ter, „dass  sowol  die  eine  wie  die  andere  Thesis  cum 
grano  salis  zu  verstehen  sei.  Der  Künstler  wird  aller- 
dings insofern  geboren,  als  es  viele  Menschen  gibt,  die 
gar  keinen  Sinn  für  Kunst  auf  die  Welt  mitbringen, 
wie  es  andererseits  wieder  ebenso  viele  gibt,  die  gar 
keinen  Sinn  für  Wissenschaft  besitzen.  Nun  glaube 
ich  aber,  dass  ohne  günstige  äussere  Verhältnisse  und 
ohne  Studium  wir  es  in  keinem  Fache,  weder  in  der 
Kunst  noch  in  der  Wissenschaft,  zu  etwas  bringen. 
Ein  Mensch  mag  mit  mehr  Talent  für  die  bildenden 
Künste,  ein  anderer  dagegen  für  irgendeine  Wissen- 
schaft auf  die  Welt  kommen;  ohne  Studium  und  täg- 
liche üebung  wird  jedoch  sowol  der  eine  wie  der  an- 
dere ein  Thor  bleiben.  Unsere  grössten  Künstler, 
wie  z.  B.  Ghiberti,  Pollajuolo,  die  Brüder  Bellini, 
Correggio  u.  s.  w.,  ja  Raftael  von  Urbino  selbst,  waren 


Totaleindrack. 

litr  Mehrzahl  nach  Sohne  von  Küii>ilrrii  mm  wuhpu 
von  ihivn  Vätern  in  ihrer  frühesten  Jugend  für  dii' 
Kunst  bestimmt  und  in  derselben  unterrichtet:  ohne 
(l«*n  väterlichen  Zwang  würden  mehrere  unter  ihnen, 
vielleicht  Kaflael  selbst,  sei  es  zur  Wissenschaft,  sei  es 

um  Handel  oder  zur  Industrie  sich  gewendet  haben. 
^•>    geht  es    ebenfalls    mit    den  Kunstkennern.     Diese 

liU-ifu  allerdings  vor  allem  sinnlicher  Natur  sein,  sie 
uiui^sen  ein  Auge  haben  für  den  Reiz  der  Können  und 
der  Farben,  dürfen  beileibe  nicht  den  sogenannten  Phi- 
losophenhocker am  Schädel  tragen;  allein  der  ange- 
borene Kunstsinn,  der  durch  Uebung  zur  Intui- 
tion wird,  reicht  doch  nicht  aus  für  die  Kunst- 
wissenschaft, wenn  er  nicht  durch  langwieriges 
Studium  der  Kunst  werke  selbst  verfeinert  und 
ausgebildet  wird.  Fufjgi  i precetti  di  quellt  specula- 
torif  che  le  loro  ragioni  non  sono  confermate  dalla  sperientia^ 
sagte  schon  Leonardo  da  Vinci  (««Leonardo  da  Vinci»  von 
J.  P.  Kicliter,  II,  304:  «verschmähe  die  Lehren  jener 
Kunstforscher,  deren  Auseinandersetzungen  nicht  durch 
dieErfahning  '  " '  t  sind»).  Ich  spreche  aus  Erfahrung, 
mein  Herr.  In  Lande  aufgewachsen,  wo  leidiM*  die- 
selben pedantischen  Maximen  von  alters  her  gang  und 
gebe  sind,  muss  ich  Ihnen  oft'en  gestehen,  dass  auch  ich 
den  nämlichen  Ansichten  huldigte,  die,  wie  Sie  mir  sagten, 
in  Paris  und  in  Deutschland  grassiren;  sind  wir  ja  hier 
in  Italien  seit  alter  Zeit  von  Jugend  auf  gewohnt,  in 
allen  Dingen  das  Losungswort  jenseits  der  Berge  uns 
zu  holen.  Und  so  tappte  auch  ich  jahrelang,  mich  auf 
die  blosse  Intuition  verlassend,  im  Nel>el  herum,  und 
gerieth  jedesmal  in  Harnisch,  wenn  ich  Leute  fand,  die 
nicht  waren,  meine  von  mir  für  unfehlbar  ge- 
halten      ung  zu  theilen;  —  es  hängt  ja  unser  Ur- 

theil  viel  mehr  von  unserm  Willen  als  von  unserm 
Verstand  abl  Müde  aller  dieser  Irifnhrtrn,  fing  ich 
diinii    :in.    dir    Hilil«i'    mii'   •/'«•iiMiiri*   mii/ii«..  Ii.n    mim]    <iii.n 


26  Princip  und  Methode. 

Meister  mit  dem  andern  zu  vergleichen,  und  endlich 
glaube  ich  einen  Weg  gefunden  zu  haben,  der,  richtig 
verfoljrt,  uns  aus  dem  Nebel  heraus  in  eine  reinere  Luft 
l^rinjren  dürfte.  Das  einücehende  Studium  der  Formen 
und  der  Technik  fiihrte  mich  nämlich,  zu  meiner  grossen 
Freude,  bald  zur  Ueberzeugung,  dass  dieser  der  ein- 
zige Weg  ist,  der  uns,  ich  will  nicht  sagen  jedesmal, 
jedoch  in  sehr  vielen  Fcällen  zum  Ziele  fiihren  kann. 
Und  in  der  That,  haben  nicht  etwa  alle  Kunstkenner, 
von  Vasari  an  bis  auf  unsere  Zeit  herab,  jener  zwei 
Hülfsmittel,  d.  h.  der  Intuition  oder  des  sogenannten 
Totaleindrucks  und  des  schriftlichen  Documents,  sich 
bedient,  um  Kunstwerke  zu  bestimmen?  Wie  weit  die- 
selben damit  gekommen,  das  sehen  Sie  ja  selbst,  nach- 
dem Sie,  wie  Sie  mir  sagten,  in  Paris  und  in  Deutsch- 
land so  viele  Bücher  der  Kunstgeschichte  und  dei- 
Kunstkritik  zu  lesen  Gelegenheit  hatten  und  bald  inne 
wurden,  dass  fast  jeder  Kritiker  eine  von  seinem  Col- 
legen  verschiedene  Meinung  haben  zu  müssen  glaubt." 
„Leider",  sagte  ich  ihm,  „ist  dies  sehr  wahr;  alle 
jene  Bücher  und  Schriften  dienten  nur  dazu,  mir  das 
Kunststudium  zu  verleiden." 

„Dass  der  Totaleindruck",  fuhr  mein  Begleiter  fort, 
„in  manchen  Fällen  allein  hinreicht,  um  festzustellen,  ob 
ein  Kunstwerk  der  italienischen  oder  der  vlämischen, 
oder  aber  der  deutschen  Schule  angehöre,  und  wenn 
es  z.  B.  italienische  Arbeit  ist,  ob  es  der  florentini- 
schen,  der  venetianischen  oder  umbrischen  Maler- 
schule u.  s.  f.  zukomme;  ja,  dass  es  zuweilen  einem 
ergrauten  Praktiker  durch  blosse  Lituition  gelingt,  in 
einem  Bild  oder  in  einer  Statue  den  Meister  desselben 
zu  errathen,  das  versteht  sich  doch  wahrlich  von  selbst; 
es  ist  dies  eine  Weisheit,  die  Sie  ja  in  der  Bude  jedes 
Kunsttrödlers  vernehmen  können;  denn  in  allen  intel- 
lectuellen  Dingen  ist  das  Allgemeine  die  logische  Be- 
dingung des  Besondern.     Allein,   ist  diese  Hauptfrage 


ToUleindrack.  27 

-inmal  ('riedigt,  und  nehmen  wir  an,  das  Bild  oder 
<lie  Zeichnung  gehöre  der  alten  florentinit>chen  Kunst- 
schule an,  so  handelt  es  sich  weiter  dann,  mit  rela- 
tiver Gewissheit  zu  bestimmen,  ob  es  z.  B.  dem 
Fra  Filippo  Lippi  oder  dem  Pesellino  oder  dem 
Sandro  Botticelli  oder  dem  Filippino  Lippi  oder 
aber  irgendeinem  der  vielen  Nachahmer  der  drei  Meister 
zuzuschreiben  sei.  Sagt  uns  fenier  der  Totaleindruck, 
(las  Bild  gehöre  der  venetiauiseben  Schule  an,  so  kommt 
es  weiter  darauf  an  festzustellen,  ob  der  Schule  Venedigs, 
oder  der  von  Padua,  ob  der  ferraresischen,  der  vero- 
nesischen  u.  8.  w^  d.  h.  ob  es  z.  B.  das  Werk  des  Giani- 
Iwllliio,  des  Vivarini  oder  des  Mantegna,  des  Barto- 
iMiiiiueo  Montagna,  oder  des  Tura  oder  des  Liberale 
da  Verona  u.  s.  w.  sei.  Und  um  diese,  in  vielen  Fallen 
nicht  ganz  leicht  zu  losenden  Fragen  zu  beantworten, 
da  reicht,  wie  wir  gesehen,  der  blosse  Totaleindruck  nicht 
immer  aus.  Ich  spreche  aus  langer  Erfahnmg,  mein  Herr. 
Wird  ja  denn  nicht  immer  noch,  und  zwar  in  öftent- 
lichen  Sammhuigen,  so  manches  Bild  des  Giambellino 
dem  Mantegna,  in  den  Uflizien  in  jüngster  Zeit  sogar 
dem  Basaiti  (631),  in  der  veronesischen  Pinakothek 
Halbst  der  «florentinischen»  Schule  zugeschrieben  (Nr.  77 
^  '  i  Bemasconi)?  Und  geschieht  es  nicht,  dass  man 
IWui.-r  aus  der  Jugendzeit  Correggio's  hier  dem  Tizian 
(Uflizien,  1002),  dort  dem  F^rancia  (Pavia),  Werke  des 
Fra  Bartdlonuneo  dem  Albertinelli  (Louvre  17),  des 
Giulio  Uonuuio  dem  Bagnacavallo  (Louvre  1^9), 
Werke  des  Botticelli  dem  Filippino  (Nat,  Gallery), 
Werke  des  Sodonia  hier  dem  I.«eonardo  da  Vinci,  dort 
dem  SebastiaiKi  dcl  Piombo,  letzthin  sogar  dem  Jan 
Score  1  (Frankfurt),  in  der  Albertina'  und  in  Pest 
(Hoxane)  dem    l{aff*a«*l  Sanzio   zuschreibt?     Will  man 


iur  .\lbertiiia  erhielt  jeCxt  die  tohöne  UötbeUeiobuuDg 
>Mluma  ihren  richtigen  Vtmen. 


1>>^  Princip  und  Methode. 

also  die  Arbeiten  der  Schiller  und  Nachahmer  oder  gär 
Copien  von  den  Originalwerken  der  grossen  Meister 
unterscheiden  lernen,  und  zwar,  ich  will  nicht  gerade 
behaupten  mit  absoluter,  so  doch  mit  relativer  Sicher- 
heit, so  kann  dies  doch  nur  auf  die  Weise  geschehen, 
welche  ich  soeben  angedeutet  habe,  d.  h.  durch  die  ge- 
naue Kenntniss  der  jedem  Meister,  d.  h.  jeder  Persön- 
lichkeit eigenthümlichen,  für  ihn  charakteristischen  For- 
men- und  Farbenharmonie." 

„Das  mag  sein",  sagte  ich,  „allein,  mein  lieber 
Herr,  jedes  menschliche  Auge  sieht  wieder  die  Form 
auf  sejne  eigene  Weise  an." 

„Ganz  richtig",  fiel  der  Italiener  mir  ins  Wort, 
„ganz  richtig,  und  somit  sehen  alle  grossen  Kiinstler 
die  Formen  ebenfalls  auf  ihre  eigene  Weise  an  und 
gerade  deshalb  sind  dieselben  für  sie  charakteristisch 
geworden,  da  ja  die  äussere  Form  keineswegs,  wie  viele 
meinen,  zufällig  und  willkürlich  ist,  sondern  von  innern 
Ursachen  abhängt." 

„Allein  sagen  Sie  doch  lieber",  fuhr  er  dann  lächelnd 
fort,  „dass  die  meisten  Menschen  diese  verschiedenen 
Formen  gar  nicht  sehen,  am  wenigsten  vielleicht  die 
Kunsthistoriker  und  Kunstphilosophen,  wie  Sie  sie 
heissen;  denn  diese  Herren,  welche  die  Abstraction  der 
Beobachtung  vorziehen,  pflegen  in  ein  Bild  wie  in  einen 
Spiegel  zu  schauen  und  sehen  darin  gewöhnlich  nur 
das  für  sie  stets  so  interessante  eij^rene  Ich.  —  Ich  ffebe 
Ihnen  gern  zu,  dass  es  keine  sehr  leichte  Sache  ist, 
die  Form  richtig  zu  erfassen  und  zu  sehen,  ja,  ich 
möchte  fost  sagen,  richtig  zu  fühlen  —  hängt  ja  dies 
zum  Theil  auch  von  der  physischen  Construction  des 
Auges  ab ;  allein  ich  bin  fest  überzeugt,  dass  mit  einem 
liebevollen,  anhaltenden  Studium  ein  begabter  Mensch 
auch  darin  es  weiter  bringen  kann,  als  man  meinen 
sollte.  Alles  Studium  erfordert  ja  Zeit  und  Müsse,  und 
die  höchsten  Güter  werden  von  den  Göttern  uns  nicht 


Totaleindruck.  29 

geschenkt,  wir  müssen  dieselben  uns  durch  Anstrengung 
und  Entbehrungen  aller  Art  verdienen.  Das  wussten 
schon  die  alten  Griechen  und  auch  der  grosse  Leonardo 
da  Vinci  musste  bei  seiner  Arbeit  oft  ausrufen:  «  Ji/,  oDio, 
ci  vendi  tutti  It  beni  per  prezzo  di  fatica.n  (O  Gott,  die 
wahren  Guter  schenkst  du  uns  nicht,  sondern  willst,  dass 
wir  sie  uns  durch  Muhe  und  Anstrengung  verdienen.) 
Wollte  ich  von  meiner  eigenen  Erfahning  Ihnen  erzählen, 
so  müsste  ich  gestehen,  dass  ein  zwanzigjähriges  Studium 
mich  kaum  ii])er  die  Anfangsgriinde  der  Formensprache 
gebracht  hat;  ich  gebe  jedoch  gern  zu,  dass  ein  schnel- 
leres oder  langsameres  Fortschreiten  auch  in  dieser 
wie  in  allen  andern  Wissenschaften  von  der  grössern 
oder  geringern  Begabung,  die  wir  dazu  mitbringe^, 
abhängt.  Ich  z.  B.  habe  diese  so  interessanten  und  so 
lohnenden  Studien  leider  erst  in  meinen  alten  Tagren 
begonnen,  wo  der  Gesichtssinn  bereits  etwas  abge- 
stumpft zu  sein  pflegt  und  auch  das  Gedächtniss  uns 
gar  oft  im  Stiche  lässt.  Diese  Formen-  und  Farben- 
sprache kann  jedoch,  geradeso  wie  die  Lautsprache, 
nur  im  Lande  selbst,  wo  sie  entstand,  gelernt  und  ver- 
standen werden.  Man  mache  sich  darüber  keine  Täu- 
schung. Sowol  unser  geistiges  wie  unser  physisches 
Auge  bringt  nationale  Vorurtheile  mit  sich  —  diese 
müssen  nach  und  nach  im  fremden  Lande  abgestreift 
werden.  Wir  müssen  mit  der  äussern  sowol  als  auch 
mit  der  geistigen  Atmosphäre  des  Landes  uns  so  ver- 
traut maciien,  dass  wir  uns  daselbst  einheimisch  fiihlen." 

..Kunst  und  Wissenschaft",  fiel  ich  ihm  ins  Wort,  ..ken- 
nen keine  Nationalität,  sie  gehören  der  Menschheit  an.*^ 

,.Gnnz  wohl**,  entgegnete  mir  der  Welsche,  „allein 
auch  dieses  Axiom  ist  cum  grano  saiis  zu  verstehen. 
Denn  ich  behaupte,  dass  jedes  Volk  sowol  die  Wissen- 
schaft als  auch  die  Kunst  und  Religion  auf  seine 
eigene  W^eise  auffasst  Schwört  z.  B.  niclit  jede  Nation 
auf  (Viv   Weisheit  der  eigenen   Doctoren,    der  eigenen 


30  Princip  und  Methode. 

Philosophen,  sogar  der  eigenen  Bilderrestiuiratoren, 
denen  allen  sie  mehr  Zutrauen  schenkt  als  den  fremden?" 

„Damit  sagen  Sie  mir  also",  bemerkte  ich  mit  Er- 
staunen, „dass  zum  Studium  der  Formensprache  fast 
ein  ganzes  Menschenalter  erforderlich  sei!  Mit  dieser 
Angelruthe,  mein  lieber  Herr,  werden  Sie,  das  kann 
ich  versichern,  wenig  Fische  ködern,  sowol  in  der  Alten 
als  in  der  Neuen  Welt." 

„Daran  liegt  auch  gar  nichts",  erwiderte  stolz  der 
Italiener.  „Fühlt  einer  nicht  Lust  und  Kraft  in  sich, 
so  eindringendem  Studium  sich  hinzugeben,  da  mag 
er  unten  am  Fusse  des  Berges  bleiben,  den  Rauch- 
wolken seiner  Pfeife  brütend  nachsinnen  und  dabei 
iiber  die  langsam  den  Berg  Erklimmenden  sich  lustig 
machen.  Für  ihn  haben  die  göttlichen  Künstler  nicht 
geschaffen.  Oder  versteht  etwa  einer  die  Feinheiten 
in  den  Werken  der  grossen  Dichter  der  Vorzeit,  wenn  er 
nicht  zuvor  vor  allem  sich  ihrer  Sprache  bemächtigt  hat?" 

„Ganz  gut",  sagte  ich,  „allein  das  grosse  Publikum 
wird  Ihre  sogenannte  Formensprache  nie  sich  zu  eigen 
machen.  Die  Menge,  mein  Herr,  weiss  ja  kaum  ein 
bedeutendes  Gesicht  eines  Menschen  von  einem  nichts- 
sagenden zu  unterscheiden;  höchstens  wird  sie  merken, 
dass  der  eine  an  der  Stirn  eine  Warze,  der  andere 
eine  Hasenscharte,  eine  Stumpfnase  oder  statt  blauer 
schwarze  Augen  hat;  mehr  als  das  beachtet  sie  gewöhn- 
lich an  einem  menschlichen  Gesicht  nicht." 

„Ich  weiss",  sagte  er,  „dass  es  nur  den  von  Gott 
Begnadigten  gegeben  ist,  an  der  siissen  Frucht  der 
Kunst  sich  zu  erlaben,  und  dass  man  nicht  erwarten 
darf,  dass  die  Bildung  des  grossen  Publikums  so  inten- 
siv sei,  um,  sei  es  die  Kunst  der  Griechen  und  Römer, 
oder  die  eines  Dante,  eines  Shakespeare,  eines  Goethe, 
eines  Ariosto,'  oder  eines  Giotto,  eines  Masaccio,  eines 
Leonardo  da  Vinci,  eines  Giorgione,  eines  Raifael,  eines 
Dürer,  eines  Correggio  in  ihren  Feinheiten  zu  empfinden 


Totaleindruck.  31 

und  in  sich  aufzunehmen ;  allein  ich  glaube  trotzdem,  dass 
ein  vernirnftigerer  Schulunterricht,  als  der  von  den  Je- 
suiten überall  in  Europa  eingeführte,  auch  in  diesem 
Punkte  viel  mehr  zu  leisten  im  Stande  wäre,  als  wir 
gegenwärtig  erreichen." 

„Die  nach  Ihrer  Ansicht  von  Gott  Begnadigten 'S 
entgegnete  ich,  „mögen  zu  allen  Zeiten  sehr  seltene 
Vogel  gewesen  sein.  Jede  Epoche  hat  ja  ihre  Mode 
und  folglich  auch  ihre  Kunst.  Versteht  daher  das 
grosse  Publikum,  das  ja  immer  nur  in  seiner  eigenen 
Zeit  lebt  und  mit  derselben  denkt  luid  trachtet,  die 
Kunst  vergangener  Zeiten  nicht,  so  versteht  es  dafür 
um  so  besser  die  eigene,  d.  h.  unsere  gegenwärtige  Kunst, 
den  socialdemokratischen  Roman,  das  Genre-  und  Land- 
schaftsbild, das  Schlachtstuck,  das  Stillleben,  das  Vieh- 
stück —  vor  allem  jedocFi  die  «Illustrirte  Zeitung». 
Was  die  alten  Meister  anbetriift,  so  halte  ich  dafür, 
dass  eine  gute  Copie  ihrer  ja  meist  auch  sehr  entstellten 
Bilder  fürs  grosse  Publikum,  d.  h.  für  die  Laien,  den- 
selben Dienst  thim  würde,  wie  das  Original bild  selbst." 

„Wenn  nicht  noch  einen  bessern",  antwortete  mir 
ganz  gelassen  mein  Begleiter;  „davon  bin  auch  ich  mehr 
als  überzeugt.  Je  näher  der  Copist,  in  dessen  Auge 
das  Originalbild  sich  ja  widerspiegelt,  unserer  Zeit, 
d.  h.  unserm  eigenen  Geschmack  und  unserer  Sinnes- 
weise steht,  desto  besser  wird  uns,  d.  h.  den  Laien, 
auch  seine  Copie  gefallen;  und  davon  könnte  ich  Ihnen 
viele  schlagende  Beispiele  anfiihren,  unter  andern  auch 
die  IIolbein-Madonna  und  die  Magdalene  des  Correggio 
in  der  Dresdener  Galerie." 

„Und  dies,  mein  Herr",  fiel  ich  mit  Le!)haftigkeit 
ihm  ins  Wort,  „ist  schon  lange  die  Ansicht,  die  ich  vom 
Publikum  in  den  ött'cntliclien  (ialerien  gewonnen  habe." 

„Wir  sind  in  unserm  Gespräch  auf  Abwege  ge- 
rat hen",  sagte  der  Welsche,  indem  er  von  seinem  Sitze 
sich  erhob.     „Uebcr  den  Werth  der  sogenannten  Tra- 


32  Princip  und  Methode. 

dition,  sowie  über  die  Unsicherheit,  in  welcher  bei  Be- 
stimmung von  Kunstwerken  in  den  meisten  Fällen 
der  blosse  Totaleindruck  uns  lässt,  sind  wir,  denke  ich, 
so  ziemlich  einig  geworden." 

„Sagen  Sie  nur  «ganz  und  gar»",  erwiderte  ich  ihm. 
„Das  schriftliche  Document  jedoch",  fuhr  ich  fort, 
„werden  Sie  hoffentlich  doch  gelten  lassen?" 

„Nur  ein  wissenschaftlich  gebildeter  Kunstkenner", 
antwortete  er,  „ist  in  der  Lage,  ein  schriftliches  Do- 
cument vollkommen  zu  verwerthen;  einem  blossen  Ar- 
chivar, der  von  der  Kunst  nichts  weiss,  sowie  auch  dem 
Neuling  in  der  Kunstwissenschaft  hilft  dasselbe  nicht 
nur  nichts,  sondern  es  führt  ihn  in  den  meisten  Fällen 
sogar  auf  Abwege." 

„Wie?"  rief  ich  erstaunt  aus,  „sogar  den  Werth  des 
von  allen  Kunsthistorikern  so  hochgehaltenen  schrift- 
lichen Documents  wollen  Sie  in  Zweifel  ziehen?" 

„Das  einzige  wahre  Document",  antwortete  er  ganz 
ruhig,  „bleibt  am  Ende  für  den  Kunstkenner  doch  nur 
das  Kunstwerk  selbst.  Dieser  Ausspruch  klingt  aller- 
dings sehr  verwegen,  ja  arrogant,  ist  es  aber  durchaus 
nicht,  wie  ich  dies  an  mehrfachen  Beispielen  Ihnen  dar- 
zuthun  trachten  werde.  Und  in  der  That,  wo  wollen 
Sie  etwa  ein  vertrauungsvolleres ,  in  die  Augen  leuch- 
tenderes Document  finden,  als  in  dem  auf  des  Meisters 
Werk  gesetzten  Namen,  einem  Document,  das  wir  in 
Italien  acartellinoy)  zu  nennen  pflegen?" 

„Nun  ja",  sagte  ich,  „wenn  alle  Bilder  mit  Auf- 
schriften versehen  wären,  dann  wäre  es  wahrlich  kein 
grosses  Verdienst,  Kunstkenner  zu  sein." 

„Auch  hierin  kann  ich  Ihnen  nicht  beipflichten", 
sagte  der  Italiener,  und  fuhr  dann  fort:  „Wie  in  der 
guten  alten  Zeit,  als  noch  die  Pässe  im  Schwange 
waren,  gerade  die  durchtriebensten  Spitzbuben  sich  die 
regelmässigsten,  untadelhaftesten  a  Papiere»  zu  ver- 
schafi'en    und    mit    diesen    « schriftlichen  Documenten » 


Schriftliches  Document.  ^ 

die  Polizeiagenten  zu  tauschen  wussten,  geradeso  wur- 
deu  und  werden  noch  immerfort  die  Kunsthistoriker 
und  Galeriedirectoren  durch  schriftliche  Documente  und 
Cartellini  an  der  Nase  herumgeführt.  Ich  konnte  Ihnen, 
mein  Herr,  Dutzende  solcher  falscher  Cartellini  altern 
und  neuern  Datums  anfuhren,  die  sich  auf  Bildern  in 
weltberühmten  Galerien  vorfinden;  die  folgenden  mögen 
vorderhand  genügen,  Sie  von  der  Richtigkeit  meiner 
Aussage  zu  überzeugen.  Sie  finden  in  der  Doria-Galerie 
in  Rom,  im  Louvre  zu  Paris  ^  Bilder  des  Niccolo  Ron- 
dinelli  aus  Ravenna,  die  wegen  ihrer  gefälschten  Auf- 
schrift unter  dem  Namen  des  Giambellino  gehen  und 
als  solche  auch  von  den  Kunsthistorikern  beschrieben 
und  besungen  werden.  Andere  Bilder,  die  von  andern 
Schülern  und  Nachahmern  des  Meisters  verfertigt  wur- 
den, tragen  ebenfalls  den  Namen  des  Giambellino,  so 
unter  andern:  das  Madonnabildchen  der  Galerie  Bor- 
ghese  in  Rom^;  der  u  Ecce  homo»  in  der  Sammlung 
Poldi - Pezzoli  in  Mailand':  zwei  Madonnenbilder  in 
der  städtischen  Galerie  von  Padua  *;  eine  « Pietii »  in 
der  von  Bergamo.''  So  erblicken  wir  das  Zeichen  des 
Andrea  del  Sarto  auf  gar  manchem  Bild,  das  sich  doch 
nur  als  schwache  C'opie  nach  jenem  grossen  Meister 
erweist,  wie  Sie  dies  besonders  in  der  Borghese-Galerie 
und  in  der  des  Fürsten  Doria  Pamphili  in  Rom  zu 
sehen  Gelegenheit  haben.  Und  liat  nicht  etwa  in 
neuester  Zeit  sogar  der  gefälschte  Name  auf  einem  Ma- 
donnenbild aus  der  Peruginischen  Schule  in  der  turiuer 
Galerie  gar  manchen  oberflächlichen  und  vorwitzigen 
Kun^tkenner  veranlasst,  jenes  schwarze  und  hässliche 
Gemälde  fiir  das  Werk  des  Timoteo  Viti  zu  halten  und 


'  Crowe  auil  t'avalcuaclie,  Uistory  ol  l'ainliuK  m  >urth  luly, 
I,  185.  :).  >  Ehend.  1.  198,  8.  *  Ebend.  I,  144,  1. 

«  Nr.  Vm  und  Nr.  1273  (Leg»to  Crwcini). 
*  Crowe  and  CaraloMelle  I.  143«  3. 
LKaaoLiBrr.  3 


34  Princip  und  Methode. 

demnach  den  liebenswürdigen  Meister  von  Urbino  zu 
verdammen  und  ihn  fiir  unwürdig  zu  erklären,  der 
Lehrer  KatfaePs  gewesen  zu  sein? 

Noch  ein  anderes  Beispiel,  um  Ihnen  zu  beweisen, 
welchen  Werth  solche  Documente  in  den  Augen  der- 
jenigen haben  dürfen,  denen  die  Kunstsprache  unbekannt 
ist,  liefert  mir  auch*  das  grosse  Glasfenster  in  der  Kirche 
von  S.  Giovanni  in  monte  zu  Bologna.  Dieses  grossartige 
Bild,  auf  dem  Johannes  der  Evangelist  dargestellt  ist,  trägt 
die  Bezeichnung  C.  A.  F.  Nun  wird  jeder  mit  der  ferrare- 
sischen  Kunstschule  vertrauteKunstfreund  keinen  Augen- 
blick anstehen,  in  demselben  den  ernsten  Geist  und  die 
breiten,  von  denen  des  Lorenzo  Costa  so  verschiedenen 
Formen,  sowie  auch  die  charakteristischen,  stark  ge- 
schwungenen Falten  des  Ferraresen  Francesco  Cossa  zu 
erkennen.  Trotz  alledem  aber  wurde  und  wird  jenes  Werk 
von  den  Führern  von  Bologna  und  somit  auch  von 
sämmtlichen  Kunsthistorikern  ^  dem  Lorenzo  Costa  zu- 
geschrieben, und  dies  nur  deshalb,  weil  sie  eben  nicht 
im  Stande  waren,  das  Bild  selbst  zu  lesen  und  somit 
das  schriftliche  Document  richtig  zu  deuten,  vielleicht 
auch  weil  schon  Vasari  den  ihm  weniger  bekannten 
Maler  Francesco  Cossa  stets  mit  dem  Jüngern,  ihm  be- 
kannter'n  Ferraresen  Lorenzo  Costa  zu  verwechseln 
pflegte.  Ebenso  wurde  auf  das  Bild  eines  andern  Fer- 
raresen, auf  dem  der  heilige  Sebastianus  dargestellt  ist, 
von  einem  Gauner  mit  hebräischen  Buchstaben  der  Name 
Laurentius  Costa  geschrieben  und  das  Bild  von  alt 
und  jung  wieder  diesem  letztern  Maler  zugedacht,  wo- 
gegen es  sich  für  jeden  Kenner  als  ein  Werk,  und  zwar 
als  ein  sehr  charakteristisches,  des  Cosimo  Tura  erweist. ^ 


^  Die  neueste  „Guida  di  Bologna'"''^  von  Herrn  Corrado  Ricci 
verfasst,  gibt  LermoliefF  recht  und  führt  nun  dieses  Glasfenster 
als  Werk  des  Francesco  Cossa  an. 

2  Siehe  Crowe  and  Cavalcaselle,  I,  538. 


Schriftliches  Documeni  35 

Es  wäre  ein  Leichtes  IVu  miiii,  iioili  l)ui/.cude  solcher 
von  Unkundigen  falsch  gedeuteter  Documeute  anzu- 
führen, sowie  auch  eine  Menge  von  schon  vor  Jahr- 
hunderten betrügerisch  gefälschten  Aufschriften,  die 
von  den  Kunsthistorikern  schon  ihres  hohen  Alters 
wegen  für  echt  gehalten  wurden  und  auf  die  sie  folg- 
lich ihre  tiefen  und  hohen  Betrachtung«Mi  In  .ill.r  Zu- 
versicht basiren  zu  dürfen  vermeinten.^' 

„Je  weniger  wir  eine  Sache  be^n.it  n -.  btuurkte 
ich  ihm,  „mit  desto  mehr  Worten  und  (iih.  rden  pflegen 
wir  unsere  Bewunderung  darüber  auszudrücken." 

„Lassen  Sie  mich  nun  Ihnen",  fuhr  mein  Begleiter 
fort,  „von  einer  andern  Sorte  von  Documenten  erzäh- 
len, auf  die  man  heutzutage  mit  besonderm  und  löb- 
lichem Eifer  fahndet,  nämlich  von  den  im  Staube  der 
Archive  aufgefundenen.  Es  ist  unstreitig  eine  sehr 
rühmliche  Arbeit  der  Herren  Archivare,  namentlich  in 
Italien  und  Belgien,  dass  sie  sich  alle  erdenkliche  Mühe 
geben,  dergleichen  Documenten,  die  auf  Künstler  und  auf 
ihre  Werke  sich  beziehen,  nachzuspüren.  Gar  manches 
solcher  Schriftstücke  hat  uns  schon  dazu  gedient  und 
wird  uns  noch  oft  dazu  dienen,  dunkle  Stellen  in  der 
Kunstgeschichte  aufzuklären,  unbekannte  Künstlernamen 
zu  entdecken.  Und  in  dieser  Hinsicht  kann  die  Kunst- 
geschichte dem  gelehrten  und  kunstverständigen  Dänen 
(laye,  dem  Herrn  (iaetano  Milanesi,  dem  verstorlnMien 
Michelangelo  (iualandi  aus  Bologmi,  dem  ebenfalls  ver- 
storbenen gelehrten  Marquis  C  ampori,  sowie  dem  ver- 
•llen  Adolfo  Venturi  aus  Modena,  den  Herren 
1  >lli  und  Bertolotti  in  Mantua,  dem  vorsichtigen, 

sachkundigen  leider  kürzlich  verstorbenen  Cecchetti  in 
VrnrdiL'  '        '       Beniühungi'U  ni«  '      '     ''  In. 

Andt-rei-  >>cn  ab^r  vi««le  d*  1  kg, 

Ton  den  Archivaren  selbst  verdolmetscht,  den  gröasten 
Unsinn  erzeugt  und  in  Umlauf  gebracht.  H«  i'  *'  " 
ich  noch  iH'nicrkrn,  daas  es  sich  vi>n  S4>lt)st  v<  1 


36  Princip  und  Methode. 

die  meisten  solcher  archivarischen  Documente  sich  doch 
nur  auf  bedeutende,  grosse  Werke,  sei  es  für  Kirchen  odei* 
aber  für  Fürsten  bestimmt,  beziehen  können.  Die  grössere 
Zahl  der  Bilder  in  den  öffentlichen  sowol  als  in  den  Pri- 
vatsamnilungen  sind  aber  kleinere  Staffeleibilder,  für 
deren  Herkunft  und  Autorschaft  in  den  wenigsten  Fällen 
schriftliche  Documente  aufgefunden  werden  dürften.  Um 
diese  Bilder  zu  bezeichnen,  sind  wir  daher  sei  es  auf 
die  Tradition,  sei  es  auf  den  Totaleindruck  allein  an- 
gewiesen. Da  nun  aber  die  Intuition  bei  jedem  von 
uns  eine  andere  zu  sein  pflegt,  so  musste  ja  auch  das 
Resultat  solcher  Bestimmungen  ein  höchst  verschiedenes 
sein,  was  bisher  auch  fast  immer  der  Fall  war. 

„Erlauben  Sie  mir,  Ihnen  nun  noch  ein  paar  solcher 
Beispiele  anzuführen,  damit  Sie  einsehen,  dass  ich  in 
jenem  meinem  Ausspruch  über  den  relativen  Werth  der 
schriftlichen  Documente  nicht  zu  weit  gegangen  bin. 

„Ums  Jahr  1840  wurde  hier  in  Florenz  im  Refec- 
torium  des  ehemalioren  Klosters  von  S.  Onofrio  zufällig 
ein  grosses  Wandgemälde  mit  dem  Abendmahl  ent- 
deckt und  von  der  weissen  Tünche,  die  es  verdeckte, 
befreit.  Ueber  die  Autorschaft  jenes  Frescobildes  waren 
sowol  die  Kunsthistoriker  als  die  damaligen  Kunst- 
kenner, sowie  auch  die  Maler,  der  verschiedensten  An- 
sichten. Einige  Fanatiker  wollten  es  sogar  dem  Rafiael 
Sanzio  zugedacht  wissen,  und  als  das  Werk  desselben 
wurde  es  auch  vom  verstorbenen  Kupferstecher  Jesi 
gestochen;  wenige  Vernünftigere  erklärten  es  jedoch 
blos  für  ein  Werk  aus  der  Schule  von  Perugia.  Da 
fand  ein  Maler,  wenn  ich  nicht  irre  in  der  Biblio- 
thek Strozzi,  ein  Document,  woraus  hervorging,  dass 
im  Jahre  1461  der  florentinische  Bilderverfertiger  Neri 
di  Bicci  in  jenem  Kloster  ein  Abendmahl  zu  malen 
beauftragt  wurde.  Der  gute  Mann  rief  Heureka  aus  und 
veröffentlichte  sein  goldenes  Schriftstück.  Alle  einsich- 
tigem   Kunstfreunde    lachten    darüber.      Selbst    einem 


Schriftliches  Docameut.  37 

unserer  bekanntesten  und  in  seinem  Fache  höchst  ver- 
dienstvollen Archivar  erschien  diese  Taufe  doch  zu 
absurd,  sodass  er  sich  verpflichtet  hielt,  dem  unvorsich- 
tigen Maler  oflfentlich  den  Text  zu  lesen,  indem  er  ihm 
seine  Unwissenheit  vorhielt  und  dafür  seinei-seits  das 
bewusste  Abendmahl  als  Arbeit  eines  spatern  floren- 
tiner  Malers,  nämlich  des  Kaffaellino  del  Garbo,  Schü- 
lers des  Filippino  Lippi,  erklärte.  Mit  diesem  Ur- 
theile  bewies  jedoch  der  treffliche  Archivar,  dass  er  in 
der  Kunstkenntniss  ungefähr  auf  derselben  Stufe  stehe, 
wie  sein  Gegner,  der  Maler,  der  seinem  Documente  zu 
Liebe  auf  Neri  di  Bicci  geschworen  hatte." 

„Und   welchem  Meister  wird   das  Frescobild   heut- 
zutage zugeschrieben?*''  fragte  ich  ihn. 

„Passavant  gibt  es  dem  Giovanni  Spagiia  und  Ca- 
valcaselle  dem  Gerino  da  Pistoja,  beide  Forscher  also 
einem  Schüler  des  Pietro  Perugino." 

„Und  was  halten  Sie  von  diesen  Taufen?" 
„Auch  ich  bin  der  Ansicht,  dass  es  das  Werk  eines 
Schülers  desPerugino  sei,  der  sich  an  einen  florentinischen 
Stich  des  15.  Jahrhunderts  hielt  und  nach  Zeichnungen 
seines  Lehrers  das  Gemälde  ausfiihrte.  Vielleicht  ist  es 
das  Werk  des  Ginnnicola  Manni^  des  bekannten  Gehülfen 
des  Penigino.  Aber  lassen  wir  vorderhand  diese  Special- 
fragen beiseite,  und  erlauben  Sie  mir  dafür,  Ihnen 
noch  ein  anderes,  noch  schlagenderes  Heispiel  anzu- 
führen von  dem  sehr  problematischen  Werth  eines  schrift- 
lichen Documenta  in  den  Händen  eines  Mannes,  der 
mit  der  Kunstsprache  nicht  vertraut  ist.  Derselbe  in 
seinem  Fache  ausgezeichnete  Archivar,  von  dem  ich  Ihnen 
soeben  sprach,  hatte  das  Unglück,  vor  nicht  vielen  Jahren 
im  Archive  unserer  Stadt  auf  ein  Document  zu  stossen, 
aus  dem  erhellt,  dass  Fra  Diainante.,  ein  untergeord- 
neter Maler  aus  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  und 
Schüler  und  Gehülfe  de«  Fra  Filippo  Lippi,  den  Auf- 
trag erhielt,  im  Vatican  die  «Verleihung  der  Schlüssel 


38  Princip  und  Methode. 

an  Petrus»  auf  die  Mauer  zu  malen.  Entzückt  über 
den  aufgefundenen  Leckerbissen  rief  sogleich  der  be- 
geisterte Archivar  in  alle  vier  Winde  aus:  Seht  doch 
zu,  was  ihr  Kunstkenner  für  blinde  Leute  seid!  Ihr 
habt,  von  Vasari  an  bis  auf  unsere  Tage,  sammt  und 
sonders  das  grosse  Frescobild  mit  der  «Verleihung  der 
Schlüssel  an  Petrus »  in  der  Sixtinischen  Kapelle  dem 
Pietro  Perugino  zugeschrieben  und  in  demselben  seine 
Art  und  Weise  zu  sehen  vermeint;  ihr  alle  wäret  da- 
mit ganz  im  Irrthum.  Jenes  schöne  Wandgemälde  ge- 
hört keineswegs  dem  Umbrier  an,  sondern  ist  das  Werk 
unsers  Florentiners  Fra  Diamante.  Ihr  schüttelt  laut 
auflachend  den  Kopf  und  wollt's  mir  nicht  glauben? 
Seht  da,  schwarz  auf  weiss;  mein  schriftliches  Docu- 
ment  bezeugt  es  so  klar  wie  die  Sonne,  und  vor  einem 
schriftlichen  Zeugniss  hört  alle  Kritik  und  Polemik  auf." 

„Da  ich  nicht  in  Rom  war",  bemerkte  ich  ihm,  „so 
kann  ich  über  jenes  Gemälde  kein  Urtheil  fällen.  Und 
auch  Sie  halten  es  für  das  Werk  des  Perugino?" 

„Ja,  sogar  für  sein  bestes",  antwortete  mir  der  Ita- 
liener mit   dem    schärfsten  Accent    der  Ueberzeugung. 

„Ich  muss  gestehen",  sagte  ich,  „dass  Sie  mich 
mehr  als  zur  Genüge  überzeugt  haben,  dass  das  einzige 
wahre  Document  zur  Bestimmung  eines  Kunstwerks 
am  Ende  doch  nur  das  Kunstwerk  selbst  bleiben  dürfte. 
Sie  werden  mir  jedoch  zugestehen  müssen,  dass  auch 
die  Maltechnik  einem  geübten  Auge  grosse  Dienste 
leisten  kann,  um  den  einen  von  dem  andern  Meister  zu  un- 
terscheiden. In  Deutschland  gibt  es  nämlich  eine  Schule 
von  Kunstkennern,  die  auf  die  Kenntniss  der  Maltech- 
nik ein  ganz  besonderes,  wenn  nicht  das  grösste  Ge- 
wicht für  die  Bestimmung  eines  Gemäldes  legen  möchte." 

„An  Gemälden  aus  dem  15.  und  16.  Jahrhundert, 
die  überdies  noch  der  grössten  Zahl  nach  verdorben 
und  übermalt  auf  uns  gekommen  sind",  antwortete 
er  lachend,  „noch   die  Maltechnik,    d.  h.  die  Palette, 


Maltechnik.  3^ 

herausconstruirtMl  zu  wollen,  wie  dies  allerdings  seit 
den  Zeiten  des  französischen  Malers  Largilliere  bei  vie- 
len Malern,  Kunstkennern  und  selbst  bei  einigen  Kunst- 
liistorikern  auch  bei  uns  Sitte  geworden  ist,  scheint  mir 
ein  kühnes  Waguiss  zu  sein,  und  in  dieser  Hinsicht 
diu-ften  die  vernünftigem  unter  den  Malern  nicht  ganz 
unrecht  haben,  über  die  Prätensionen  einiger  Kunst- 
kenner und  Kunstschreiber  unserer  Tage  sich  lustig  zu 
machen.  Auch  mochten  solche  aus  der  Luft  gegrifl'enen 
Auseinandersetzungen  hauptsächlich  nur  dazu  dienen, 
dem  blöden  Publikum  Sand  in  die  Augen  zu  streuen. 
Befragen  Sie  doch  iiber  diesen  Gegenstand  verständige, 
sachkundige  und  ehrliche  Bilderrestauratoren  und  Sie  — ." 

„Gibt  es  deren?"  fiel  ich  ihm  ins  Wort. 

„Dieselben",  bemerkte  er  lächelnd,  „sind  alK  uiiiij^:? 
><>  selten  wie  die  weissen  Fliegen,  allein  ich  hatte  doch 
das  Glück,  in  meinem  Leben  einige  wenige  solcher  zu 
kennen,  und  keiner  von  ihnen  getraute  sich  vor  einem 
alten  Gemälde  mir  zu  sagen,  welcher  specieller  Farben 
und  Firnisse  der  Maler  zu  seinem  Bilde  sich  bedient 
habe;  ja  oft  waren  sie  sogar  in  Verlegenheit,  mir  die 
an  sie  gestellte  Frage:  ob  nämlich  das  Bild  ganz  in 
tempera  ausgeffdirt  oder  aber  mit  Oelfarben  lasirt  wäre, 
zu  beantworten."  — 

Es  war  inzwischen  dunkel  geworden  und  wir  stan- 
den bereits  am  Ponte  vecchio.  Mein  Begleiter,  der  in 
der  Via  S.  Frediano  wohnte,  hielt  da  inne,  mir  die  Hand 
reichend  und  um  Verzeihung  bittend,  durch  sein  langes 
Gespräch  mich  abgehalten  zu  haben,  die  Villa  Kucciano 
zu  besuchen,  deren  Besichtigung  ja  doch  dor  Zweck  nn- 
sers  Spazierganges  gewesen  wai 

Ich  dankte  dem  freundlichen  aitrn  Maim  tui  >fmt' 
gute  Absicht,  sowie  (Tir  die  grosse  Mühe,  die  er  sich  da- 
bei gegeben,  seine  Anschauungen  über  so  manche  Streit- 
frage in  der  Kunstwissenschaft  mir  begreiflich  zu  machen, 
und  fragte  ihn  dann,  ob  er  nicht  vielleicht  g4.>»onneu  wäre. 


40  Princip  und  Methode. 

falls  seine  Zeit  es  ihm  erlaubte,  mich  am  folgenden  Tage  in 
die  Säle  der  Uffizien  und  des  Pitti-Palastes  zu  begleiten. 

„Mit  der  grössten  Freude",  antwortete  er.  „Nur 
möchte  ich  nicht,  dass  Sie  mich  etwa  fiir  einen  Mann 
des  Faches  und  meine  Ansichten  daher  für  Orakelsprüche 
hielten!  Meine  Meinungen  über  die  Kunstwissenschaft 
können  natürlich  keinen  absoluten,  sondern  nur  einen 
sehr  relativen  Werth  haben.  Auch  traue  ich  mir  wahr- 
lich nicht  so  viel  Geist  und  Kenntnisse  zu,  um  mich 
iiber  andere  erheben  zu  wollen.  Wenn  ich  jedoch  an- 
dererseits sehe,  wie  so  mancher  Tölpel  über  italienische 
Kunst  als  Kichter  und  Kritiker  sich  dem  grossen  Pub- 
likum aufdrängt,  so  denke  ich,  dass  es  doch  auch  mir, 
der  ich  so  lange  und  gewissenhafte  Studien  durch- 
gemacht habe,  erlaubt  sein  wird,  wenigstens  ebenso 
viel  Urtheil  mir  zuzutrauen  als  jener  oberflächlichen 
Schar  von  Kunstschriftstellern  im  In-  und  Ausland." 

Wir  bestimmten  sodann  die  Stunde  unsers  Zusam- 
mentreffens in  der  „Tribuna"  und  verabschiedeten  uns 
voneinander. 


Am  folgenden  Morgen  stieg  ich  zur  festgesetzten 
Stunde  die  unbequeme  Treppe  der  Uffizien-Galerie  hinauf 
und  traf,  oben  in  der  Tribuna  angelangt,  meinen  gestri- 
gen Gefährten,  der,  mit  freundlicher  Miene  entgegen- 
kommend, mir  die  Hand  reichte,  wahrscheinlich  in  der 
Hoffnung,  an  mir  einen  willigen  Jünger  seiner  Kunst- 
theorie gefunden  zu  haben. 

„W^ir  befinden  uns  hier  in  einem  Raum",  sagte  ich, 
rings  um  mich  schauend,  „wo  viele  Bilder  —  eins,  zwei, 
drei,  vier,  fünf,  ja  sogar  sechs  —  den  Namen  des  Raffael 
Sanzio  von  Urbino  tragen.  Wollen  Sie  nun  die  Ge- 
fälligkeit  haben,  mir  an  denselben  praktische  Beweise 
von  der  Richtigkeit  Ihrer  Formenlehre  zu  geben?" 


Florenz:  Uffizien-Galerie.  41 

„Sie  stellen  da",  erwiderte  lächelnd  der  Italiener, 
„eine  sehr  verfängliche  Frage  an  mich;  denn,  sollten 
in  diesen  sechs  dem  KaÜael  zugeschriebenen  Bildern 
die  Formen  nicht  nur  nicht  der  Raffaerschen  (rrund- 
form  sich  nähern,  sondern  sollten  im  Gegentheil  in 
jedem  dieser  Bilder  die  Formen  als  sehr  verschieden 
voneinander  sich  herausstellen,  was  würden  Sie  dann 
sagen?'' 

„Dass  eine  Theorie,  die  bei  der  Probe  sich  nicht 
bewährt,  gar  keinen  praktischen  Werth  haben  kann 
und  folglich  werthlos  ist",  entgegnete  ich. 

„Da  Sie,  wie  Sie  selbst  sagen,  nur  Dilettant  sind 
und  noch  nicht  sehen  gelernt  haben,  durfte  ich  auch 
von  Ihnen  keine  andere  Antwort  erwarten.  Uebrigens 
pflegen  meine  Gegner  mir  denselben  Vorwurf  zu  machen. 
Darf  aber  derselbe  in  den  Augen  eines  sachverständigen 
Forschers  als  begründet  angesehen  werden?  Ich  glaube 
nicht."  „AVenn  etwa  zwei  Hellenisten",  fuhr  er  etwas 
verstimmt  fort,  „in  der  Auslegung  der  einen  oder  der 
andern  Stelle  eines  griechischen  Schriftstellers  nicht 
übereinstimmen,  so  mag  dies  daher  kommen,  dass  der 
eine  mehr  Scharfsinn  als  der  andere  besitzt.  Nun  mögen 
unter  den  Lesern  die  einen  dem  gescheiten,  die  an- 
dern dem  einfältigen  Commentator  und  Kritiker,  je 
nach  der  Wahlverwandtschaft,  recht  oder  unrecht  geben, 
allein  keinen  von  ihnen  wird  doch  der  mindeste  Zweifel 
anwandeln,  dass  der  eine  oder  der  andere  der  beiden 
Gelehrten  die  Ci rammatik  der  griechischen  Sprache  nicht 
gründlich  erlernt  habe." 

„Das  versteht  sich  ja  von  selbst",  bemerkte  ich. 

„Gut",  sagte  mein  Führer.  „Bei  den  sogenannten 
Kunstkritikern  und  Kunsthistorikern  ist  dies  aber  keines- 
wegs der  Fall.  Der  erste  beste  Literat  oder  dilettan- 
tisrlieK'  ■"    r  rümpft  die  1  '    ^' ise  über 

meine  !iii       ^      i    i.ilirung  und  •     ^  ^     «lien  be- 

ruhende Theorie,    welche   zu    begreifen    er  weder  die 


42  Princip  und  Methode. 

not  Ingen  Kenntnisse  noch  das  mindeste  Talent  besitzt, 
und  so  tritt  er  mir  mit  gewohnter  Frechheit  öfi'entlich 
entgegen,  ohne  dabei  irgendwelche  Gründe  zur  Unter- 
stützung: seines  verneinenden  Urtheils  vorzubrino:en. 
Und  das  geduldige  Lesepublikum,  das  vor  allem  Ge- 
druckten den  grössten  Respect  hat,  weiss,  wie  jener 
Bauer,  welcher  den  Hut  abnahm  vor  dem  Papagaien, 
der  vom  Fenster  herab  ihm  einen  «  guten  Morgen  »  ge- 
wünscht hatte,  natürlich  nicht,  wem  von  beiden  zu 
trauen  ist:  mir,  der  ich  ja  mit  grösster  Mühe  und 
durch  jahrelangen  Fleiss  die  Grammatik  der  Kunst  mir 
zu  eigen  zu  machen  trachtete,  oder  dem  improvisirten 
«Kunstkritiker»,  der  meine  Anschauungen  und  die  Resul- 
tate meiner  ernsten,  jahrelangen  Forschungen  mit  olym- 
pischer Sicherheit  entweder  bekämpft  oder  auch  für  die 
eigenen  ausgibt. 

„Für  einen  Anfänger,  wie  Sie  zu  sein  gestehen",  fuhr 
er  dann  nach  einer  kleinen  Pause  mit  milderer  Stimme 
fort,  „würden  wir  besser  thun,  wenn  wir  zu  diesem 
Zweck  uns  vorerst  an  einige  Quattrocentisten  hielten, 
wie  etwa  Antonio  Pollajuolo,  Signorelli  oder  Fra  Fi- 
lippo  Lippi  oder  seinen  Schüler  Botticelli,  da  in  den  Wer- 
ken dieser  altern  Maler  das  Knochengerüst  schärfer 
durch  die  Fleischhülle  durchscheint  und  somit  die  jedem 
Meister  eigenthümlichen,  für  ihn  charakteristischen  For- 
men uns  klarer  vor  die  Augren  treten  als  bei  den  Ma- 
lern  des  Cinquecento,  zumal  bei  Kaffael,  der  die  knö- 
cherne Unterlage,  soviel  als  dies,  ohne  den  Charakter 
der  Form  zu  beeinträchtigen,  möglich  ist,  mit  seinem 
feinen  Sinn  für  Anmuth  zu  verhüllen  trachtet."  „Ich  will 
indess  doch",  fügte  er  hinzu,  „Ihrer  Aufforderung  Folge 
leisten,  so  gut  mir  dies  an  diesem  Orte  eben  möglich 
ist.  Ehe  wir  aber  an  die  kritische  Betrachtung  dieser 
sechs  dem  Urbinaten  zugedachten  Gemälde  gehen,  er- 
lauben Sie  mir,  Sie  auf  zwei  Bilder  aufmerksam  zu 
machen,  die  hier  in  nächster  Nähe  hängen  und  die  beide 


Florenz:  Uffizien-Galerie.  43 

im  Katalog  deu  Namen  des  Fra  Filippo  fuhren,  ob- 
gleich das  eine,  meiner  Ansicht  nach,  nicht  dem  Frate, 
sondern  dessen  Schüler  Botticelli  angehört.'' 

Ich  t'olüfte  nun  meinem  riihrijjen  Führer  ins  nächste 
Zimmer,  wo  sich  unter  der  Nummer  1179  ein  kleines 
Bild  befindet,  auf  dem  der  heilige  Augustinus  in  seinem 
Stildirzimmer  dargestellt  ist. 

,, Sehen  Sie  sich  nun  dieses  Bildchen  genauer  an'*, 
i>iiaiQ  er,  indem  er  mich  ins  rechte  Licht  davor  stellte. 
„Die  charakteristischen  Formen  des  Sandro  Botticelli'', 
begann  er,  „sind  unter  andern:  die  Hand  mit  den  aller- 
dings nicht  sehr  anmuthigen,  allein  stets  lebendigen, 
knöchernen  Fingern,  deren  Nägel,  wie  z.  B.  hier  der 
Daumen,  viereckig  und  schwarz  umrissen  sind; 
die  stumpfe  Nase  mit  den  aufgetriebenen  Nüstern, 
wie  Sie  dies  hier  in  dem  daneben  hängenden  berühm- 
ten Bild  der  Cahinnia  (Nr.  1288)  des  Apelles,  einem 
unbestrittenen  Werk  des  Meisters,  sofort  finden  können. 
Sehen  Sie  sich  femer  in  beiden  Gemälden  die  eigen- 
thi'imlichen  Längsfalten  an  und  die  durchsichtige  goldig 
rothe  Farbe.  Vergleichen  Sie  auch  noch,  wenn  Sie 
wollen,  den  Nimbus  dieses  heiligen  Augustinus  mit  dem 
Nimbus  anderer- Heiligen  in  authentischen  Bildern 
des  Botticelli  aus  derselben  Epoche,  und  Sie  werden 
nicht  umhin  können,  mir  zuzugeben,  dass  der  Maler 
dieser  «(alunnia»  und  des  grossen  Kundbildes  Nr.  25 
im  näclisten  Saale  der  Urheber  auch  dieses  kUMuen 
heiligen  Augustinus  gewesen  sein  müss* 

<  ^'  '  !i  mir  diese  unästhetische  Art,  um  au»»'iu 
Hill:  I  die  Werke  der  Kunst  zu  l)estinnnen^  mehr 

die  eines  Natur-  als  die  eines  Kunstforschers  und  über- 
dies ganz  gegen  die  hergebrachte  Sitte  zu  sein  schien, 
so  gab  ich  doch  zur  Antwort:  ,<>Sie  scheinen  mir  mit  die- 
sen Ihren  Behauptungen  recht  zu  haben.  Wie  konunt  es 
aber',  fugt«*  ich  hinzu,  „dass  man  dieses  Bildchen  dem  Fra 
Filippo  und  nicht  dem  Botticelli  hat  zuschreiben  wollen?'* 


44  Princip  und  Methode. 

„Weil  die  Leute",  sagte  er,  „welche  die  Bilder  tniiften, 
nur  dem  sogenannten  Totaleindriick  folgten  und  eben 
nicht  gewohnt  waren,  die  Werke  der  verschiedenen 
Meister  aus  derselben  Schule  miteinander  zu  verglei- 
chen;  vor  allem  aber  weil  Vasari  im  Leben  des  Fra 
Filippo  uns  berichtet,  der  Frate  hätte  dem  Bernardo 
Vecchietti  ein  Bildchen  mit  dem  heiligen  Augustinus 
im  Studirzimmer  gemalt." 

„Als  ob  nicht  noch  andere  Maler",  bemerkte  ich, 
„denselben  Gegenstand  hätten  darstellen  können!" 

„Sehr  richtig!  Sie  sehen  also  auch  aus  diesem 
Beispiel,  welchen  Werth  ein  schriftliches  Document  oder 
die  Tradition  hat,  wenn  wir  nicht  in  der  Lage  sind, 
das  Kunstwerk  selbst  über  seinen  Urheber  zu  be- 
fragen. " 

„Gut",  sagte  ich  meinem  sichtlich  befriedigten  Be- 
gleiter; „um  Ihnen  aber  mit  vollem  Bewusstsein  zu- 
stimmen zu  diirfen,  müssen  Sie  die  Gefälligkeit  haben, 
mich  vor  ein  authentisches  Gemälde  des  Fra  Filippo 
zu  führen,  damit  ich  auch  dieses  mit  dem  kleinen  Au- 
gustinus hier  vergleichen  könne." 

„Folgen  Sie  mir."  Er  fasste  mich  an  der  Hand  und 
führte  mich  in  den  letzten  Saal  jener  Abtheilung  der 
Galerie,  woselbst  wir  vor  ein  Bild  Nr.  307  traten,  auf 
dem  Maria  dargestellt  ist,  wie  sie  das  von  zwei  Engeln 
gestützte  Christkind  anbetet. ^  „Betrachten  Sie  nun", 
sagte  er,  „auf  diesem  Gemälde  vor  allem  die  Verschie- 
denheit der  Farbenharmonie;  stellen  Sie  diese  hellblaue 
Farbe  des  Mantels  der  Maria  mit  der  dunkeln  Farben- 
scala    des   Botticelli    zusammen;    vergleichen   Sie    auch 


^  Von  diesem  Bilde  gibt  es  eine  zwar  alte,  allein  durch  neue 
Restauration  ganz  und  gar  entstellte  Copie  in  der  Sammlung 
des  Fürsten  Torlonia  in  Rom,  sowie  in  der  Uffiziensammlung 
eine  auf  Betrug  berechnete  Zeichnung,  die  aber  doch  von  den 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (II,  347 — 348)  „an  admirable 
drawing"^  genannt  wird.  —  (Rahmen  39,  184.) 


Florenz:  Üffizien-Galerie.  45 

die  Formen  auf  diesem  Bilde  mit  denen  in  den  Ge- 
mälden des  Botticelli,  z.  B.  die  Form  der  Hand,  der 
Käse,  des  Ohres,  des  Schädels,  der  Falten,  und  sagen 
Sie  mir  dann  oft'en  Ihre  Meinung  darüber.'» 

Ich  beschaute  mir  nun  das  Bild  des  Frate  Filippo 
so  scharf  als  mir  nur  möglich  war,  und  in  einer  Weise, 
wie  ich  vorher  noch  nie  ein  Gemälde  mir  angesehen 
hatte,  und  nuisste  schliesslich  doch  eingestehen,  dass, 
wer  dieses  Madonneiibild  verfertigte,  nie  und  niemals 
den  kleinen  heiligen  Augustinus  im  Studirzimmer  gemalt 
haben  könne. 

Zufrieden  mit  diesem  meinem  Zugeständniss  gelei- 
tete mich  mein  Begleiter  wieder  in  die  Tribuna  zurück, 
wo  das  reizende  Bild  Kaffaers  mit  der  <•  Madonna  del 
Cardellino»)  uns  zuerst  anzog.  Mich  muthete  dieses  von 
jugendlicher  Zartheit  strahlende  Bild  vor  allen  andeni 
danebenhängenden  Gemälden  des  Urbinaten  an  und 
ich  konnte  nicht  umhin,  mein  Entzücken  dem  gefälligen 
Cicerone  auszusprechen. 

„Ich  stimme  Ihnen  au^  volk-m  Unzen  bei",  sagte 
er;  „auch  mir  kam  dieses  Madonnenbild  Itaflaels  stets 
als  vielleicht  das  reizendste  Werk  aus  seiner  Jugend- 
zeit vor,  und  ich  hatte  das  Glück,  fast  alle  Madonneu- 
bilder  des  Urbinaten  von  Angesicht  zu  Angesicht  zu 
sehen  und  zu  geniessen.  Denken  wir  jedoch  vorder- 
hand nicht  an  den  ästhetischen  Werth  des  Ciemäldes, 
sondern  sehen  wir  uns,  unserm  Vorhaben  gemäss,  blos 
die  Formen  in  demselben  an,  z.  B.  die  de«  Ohres  und 
der  Hand.  Schauen  Sie  doch,  wie  dieses  Raffaersche  Ohr 
hier  bei  den  Kindern  rund  und  fett,  wie  es  innig  mit 
dem  Backen  verwachsen  und  nicht,  wie  in  den  Bil- 
dern vieler  anderer  Meister,  blos  an  den  Backen  an- 
gesetzt ist;  sehen  Sie  sich  ebenfalls  die  Hand  der  Jung- 
frau an  mit  dem  breiten  Metacarpium,  den  noch  etwas 
ungelenken  Fingern,  mit  den  nicht  über  die  Finger- 
spitze hinausreichenden  Nägeln,  wie  Sie  dies  ebenso  auf 


46  Princip  und  Methode. 

den  andern  gleichzeitigen  authentischen  Bildern  RaöaeFs 
gewahren  werden,  z.  B.  auf  der  «Verlobung  der  Maria» 
in  der  Brera;  auf  dem  Bilde  mit  der  Madonna  de*  Tempi 
in  Mimchen,  auf  dem  kleinen  Madonnenbilde  des  Lord 
Cowper  in  England  und  anderwärts." 

„Ums  Himmels  willen'^,  rief  ich  lachend  aus,  „lassen 
wir  doch  die  garstigen,  unästhetischen  Nägel  beiseite. 
Die  Kunstkenner  in  Deutschland  und  Paris  würden  sich 
über  Sie  lustig  machen,  wollten  Sie  ihnen  selbst  die 
Nägel  als  ein  charakteristisches  Zeichen  eines  grossen 
Meisters  anführen." 

„Man  kann  über  alles  lachen",  bemerkte  etwas  ver- 
driesslich  der  Italiener,  „besonders  wenn  man  nichts 
von  der  Sache  versteht.  Und  ist  etwa,  wenigstens  in 
den  Augen  des  Naturforschers,  ein  Nagel  unästhetischer 
als  das  Haar  oder  irgendein  anderer  Theil  des  mensch- 
lichen Körpers?  Kann  uns  vielleicht  in  manchen  Fällen 
die  Form  und  der  Schnitt  des  Nagels  nicht  dazu  be- 
hülflich  sein,  z.  B.  ein  nordisches  (vlämisches  oder  deut- 
sches) Bild  von  einem  italienischen,  ein  Werk  des  Mariotto 
Albertinelli  von  einem  seines  Vorbildes  Fra  Barto- 
lommeo,  die  Hand  des  Bernardino  de'  Conti,  des  Barto- 
lommeo  Montagna  und  anderer  Meister  mehr  mit 
grösserer  Sicherheit  zu  erkennen  und  von  den  Händen 
ihrer  Schulgenossen  zu   unterscheiden?"^     „Ihnen   und 


^  In  der  Oxfordsammlung,  um  unter  vielen  ein  paar  Bei- 
spiele nur  anzuführen,  schreibt  man  ein  Blatt,  worauf  der  Kopf 
eines  jungen  Mannes  und  darunter  eine  Hand  dargestellt  sind, 
dem  Urbinaten  zu,  und  als  Zeichnung  Raffael's  wurde  das  Blatt 
auch  in  der  Publication  der  Grosvenor-Gallery  reproducirt  (Nr.  19). 
Nun  ist  es  gerade  diese  Hand  mit  ihrem  wie  mit  der  Schere  in 
drei  Tempos  scharf  abgeschnittenen  Daumennagel,  der  somit  die 
Form  eines  Fragments  von  einem  Octogon  annimmt  —  wie  dies 
in  sehr  vielen  Händen  nordischer,  nie  aber  in  denen  italie- 
nischer Bilder  wahrzunehmen  ist  — ,  gerade  diese  Hand  ist  es, 
die  den  nordischen  Meister  am  deutlichsten  verräth.  —  In  der 


Florenz:  Uffizien-Galerie.  47 

Ihren  deutschen  und  französischen  Freunden  zu  Ge- 
lallen", fügte  er  lächelnd  hinzu,  „will  ich  jedoch  die 
hässlichen,  unästhetischen  Nägel  aus  dem  Spiele  lassen 
und  Ihre  Aufmerksamkeit  dafiir  blos  auf  die  edlem 
Formen  des  menschlichen  Körpers  leiten.  Ich  bitte  also 
jene  Formen,  die  wir  in  diesem  Bilde  Kaflaers  genau 
betrachtet  und  erfasst  haben,  mit  den  Formen  auf  dem 
andern  Bilde  hier  in  der  Nähe,  die  «Madonna  del  pozzo» 
genannt  (Nr.  1125),  vergleichen  zu  wollen.  Hat  hier 
das  Ohr  nicht  eine  ganz  andere  Form,  ebenso  die  Hand 
mit  den  dicken,  kurzen  Fingern?  Gleicht  etwa  der 
Typus  der  Kinder  auf  diesem  Bilde  dem  der  Kinder 
auf  jenem  Gemälde  Raöaefs?  Und  die  glatte,  etwas 
gläserne  Farbe,  ist  sie  nicht  sehr  verschieden  von  der 
blonden  Hautfarbe,  die  wir,  trotz  der  Kestauration,  soeben 
in  der  «Madonna  del  Cardellino»  beobachtet  haben?" 

„O  ja'"',  rief  ich  freudig  aus,  „das  sehe  auch  ich  ein; 
selbst  die  Landschaft  mit  dem  dichten  struppigen 
Strauchwerk  ist  gar  nicht  in  der  Art  jener  Landschaft 
Kafiaels,  und  dann  gar  diese  unschöne  Zusanunenstel- 
lung  der  Figuren  und  die  hässliche  Stellung  des  rech- 
ten Beines  der  Maria  —  gewiss  hatte  li^ifiael  ein  ganz 
anderes  Liniengefühl!  Auch  die  Farbensciila  ist  sehr 
verschieden  von  jener  auf  dem  Bilde  mit  der  Madonna 
del  Cardellino." 

„Dieses  Gemälde",  fuhr  dann  mein  Begleiter  fort, 
„wurde  schon  von  Passavant,  später  von  Mündler  und 
zuletzt  selbst  von  den  Herren  (  Vowe  und  C  avalcaselle  ftir 
unwürdig  des  Urbinaten  erklärt,  und  es  ist  eine  wahre 
Schande  für  unsere  Galeriedirection,  dass  noch  immer 
'       ^   ine  Kaflaers  unter  dem   Bilde  zu   lesen   steht." 


Stmmluog  der  Hrnndzeicbnangen  in  Cbat«worth  befindet  •ich  ein 
Blntt.  worauf  zwei  Binde  daiifetteUt  tind  (Bniun,  \Ml  die  troU- 
dem  «tc  <in  ausgesprochen  nordisches  Ausschou  hAl>cn,  dort 
doch  dem  Psrmeggianino  tugeschrieben  werden. 


48  Princip  und  Methode. 

„Welchem  Meister  schreiben  es  denn  die  eben  ge- 
nannten Herren  zu?" 

„Wicar,  Passavant  und  Cavalcaselle  erkannten  es, 
und  zwar  sehr  richtig  wie  mir  scheint,  als  ein  Werk 
des  Franciabigio." 

„Da  nun  heutzutage  sowol  Kenner  als  Nichtkenner 
einig  sind,  dass  dieses  Bild  keinesfalls  dem  Raffael  an- 
gehöre, so  lassen  wir  das  jetzt  ruhen",  bemerkte  ich. 
„Haben  Sie  doch  die  Güte,  mir  Ihre  Meinung  über  diese 
danebenhängende  «Fornarina»  mitzutheilen." 

„Sehr  gern",  antwortete  mein  Begleiter.  „Vor  alleni 
müssen  Sie  wissen,  dass  dieses  Frauenbildniss  lange  Zeit 
als  Werk  des  Giorgione  galt,  bis  zu  Anfang  unsers 
Jahrhunderts  dem  damaligen  Galeriedirector  Puccini, 
demselben  der  auch  die  soeben  von  uns  betrachtete 
«Madonna  del  pozzo»  für  die  Arbeit  Raftaers  erklärte, 
in  den  Sinn  kam,  die  Züge  der  mythischen  «Forna- 
rina»  in  diesem  Porträt  erkennen  zu  wollen  und  es  daher 
dem  Urbinaten  zuzuschreiben.  Die  neuere,  etwas  weit- 
sichtigere Kritik  hat  jedoch  auch  dieses,  wie  auch  noch 
gar  manches  andere  Gemälde  dem  Sanzio  abgesprochen 
und  es  wieder  in  die  Schule  Giorgione's  versetzt." 

„Ich  kenne  die  Art  und  Weise  des  Urbinaten  viel 
zu  wenig",  sagte  ich,  „um  der  neuen  Kritik  gegenüber 
mir  ein  Urtheil  über  dessen  bestrittene  Werke  zu  er- 
lauben. Soll  ich  aber  den  ersten  Eindruck,  den  die- 
ses Frauenbildniss  auch  auf  mich  machte,  Ihnen  un- 
umwunden sagen,  so  muss  ich  gestehen,  dass  aus  diesem 
Bilde  auch  mir  ein  Ratfaerscher  Duft  entgegenzuwehen 
schien." 

„Zu  wehen!  Ganz  wohl",  meinte  lächelnd  der 
Italiener,  „denn  auch  Sie,  wie  dies  alle  Dilettanten  zu 
thun  pflegen,  urtheilen  blos  nach  dem  oberflächlichen 
Totaleindruck."  „Ein  KafFaeFscher  Duft",  fuhr  er  dann 
fort,  „das  ist  etwas  sehr  Unschuldiges  für  einen  ernsten 
Kritiker  —  doch  will  ich  Ihnen  denselben  zugeben,  da 


Iiir  f*rNiK?(AN5(TR  roR^ARIXA  IX  tiRR  TRItllXA  t«RR  JrrtXIRX   OALKRIB.       ■. 


Der  Violinspieler  bei  Sciarra  -  Colonna.  49 

ja  dieser  römische  Frauenkopf  von  weitem  schon  an  gar 
manchen  Modellkopf  in  den  Werken  Raffaers  gemahnt 
Und  wird  vielleicht  nicht  auch  Tizian  von  den  Dilet- 
tanten gar  oft  mit  Palma  vecchio  verwechselt?  Doch  nur 
deshalb,  weil  eben  beide  Venezianer  denselben  oder  doch 
ahnliche  venezianische  Modellkopfe  darstellten.  Be- 
trachten Sie  doch  etwas  genauer  die  Formen  in  diesem 
Bilde,  z.  B.  den  dicken,  fetten  Arm,  die  unvollkommene 
Modellirung  des  Mundes,  die  unraffaelische  Stellung  der 
Finger,  dann  diese  tiefschwarzen  Schatten,  wie  Sie  auf 
keinem  Gemälde  RaffaeFs  aus  seiner  florentinischen  und 
römischen  Zeit  sie  finden ;  betrachten  Sie.  endlich  noch 
die  vereinzelten  Spuren  der  Originalfarben  in  diesem 
Porträt,  so  werden  Sie  gewiss  das  erste  oberflächliche 
Urtheil,  das  Sie  über  das  Bild  fällten,  modificiren 
müssen.  Und,  in  der  That,  aus  dieser  etwas  akade- 
misch steifen  Hand  weht,  scheint  mir,  weder  der  Geist 
des  Giorgione,  noch  viel  weniger  der  des  Raflfael  uns 
entgegen.  Auch  sprechen  diese  mit  Gold  aufgesetzten 
Verzierungen,  sowie  die  vergoldete  Jahreszahl  1512 
keineswegs  für  llaftael,  denn  mir  wenigstens  ist,  nach 
der  im  Jahre  1507  gemalten  Grablegung  in  der.  Bor- 
ghese- Galerie,  kein  authentisches  Werk  von  ihm  be- 
kannt, worauf  die  Jahreszahl  zu  finden  wäre." 

„Ist  denn  der  Violinspieler  der  Galerie  Sciarra- 
Colonna  nicht  vom  Jahre  1518?"  bemerkte  ich  ihm. 
„Ich  kenne  das  Bild  nur  nach  dem  Kupferstich,  allein 
ich  glaube  doch  nicht  zu  irren,  die  Jahreszahl  1518 
darauf  gesehen  zu  haben." 

„Sehr  richtig",  antwortete  mein  Begleiter,  „allein 
jrin«  Jahreszahl  scheint  mir  spätem  Ursprungs  als  das 
Cicniälde  selbst  zu  sein.*  Auch  der  Violinspieler  wurde 
überdies  erst  viele  Jahre  nach  dem  Tode  des  Urbinaten 


'   BarOD    von    RumoLr    iM-inmjitrt  ,    <i;i«s   in 

in  das  „Impasto^*  hineingemalt  sei  (III,  137). 

I.KKMOLISFF. 


50  Princip  und  Methode. 

auf  Eafiael  getauft.  Vasari  wusste  nichts  von  diesem  Bilde. 
Selbst  die  steinerne  Brüstung,  an  die  der  junge  Mann  sich 
lehnt  und  auf  welche  die  verfängliche  Jahreszahl  gesetzt 
wurde,  erinnert,  ebenso  wie  die  Modellirung  des  Gesichts 
und  die  Behandlung  des  Pelzwerkes,  an  die  Schule  Gior- 
gione's;  ja,  wenn  Sie  jenen  hübschen,  verführerischen  Vio- 
linspieler mit  dem  Porträt  unserer  sogenannten  Fornarina 
hier,  sowie  mit  einzelnen  Köpfen  im  Bilde  in  S.  Giovan 
Crisostomo  in  Venedig  vergleichen,  so  dürften  Sie  viel- 
leicht meine  Meinung  theilen,  dass  auch  dieser  Violin- 
spieler das  Werk  des  jungen  Sebastiano  Luciani  sei  ^  und 
keineswegs  von  Rafiael  herrühre.  Auch  treffen  Sie  so  ge- 
formte steinerne  Fensterbrüstungen  nur  auf  Bildnissen 
der  Venezianer  an,  so  z.  B.  bei  der  sogenannten  Bella 
di  Tiziano  von  Palma  vecchio  in  derselben  Galerie 
Sciarra-Colonna;  so  auf  dem  weiblichen  Bildnisse  des 
B.  Licinio  vom  Jahre  1524  bei  den  Erben  Andreossi 
in  Mailand  und  anderwärts  mehr.  Kommen  wir  jedoch 
wieder  auf  unsere  sogenannte  Fornarina  hier  zu  spre- 
chen. Um  1512  malte  Raffael  seine  berühmte  Madonna 
di  Foligno  in  der  vaticanischen  Bildersammlung.  Wenn 
Sie  nun  die  Hände  auf  diesem  letztern  Bilde  mit  der 
Hand  dieser  Fornarina  vergleichen  würden,  so  zweifle 
ich  nicht,  dass  selbst  Ihnen,  der  Sie  sich  doch  nie  ein- 
gehend mit  Formenstudien  befasst  haben,  der  grosse 
Abstand  auch  in  die  Augen  springen  dürfte,  der  zwi- 
schen der  Hand  dieses  bekränzten  Weibes  und  der 
Madonna  di  Foligno  besteht.  Und,  bitte,  wollen  Sie 
doch  ausserdem  noch  sich  diese  saftigen,  echt  venezia- 
nischen Farben,  nicht  etwa  im  Gesicht,  denn  dieses  ist  ja 
ganz  übermalt,  sondern  an  dem  hellblauen  und  dunkel- 
rothen   Mieder   besehen.     Solche  Farbenaccorde  finden 


^  Irre  ich  nicht,  so  war  es  Prof.  Springer,  der  zuerst  bei  diesem 
Porträt  den  Raffaelischen  Ursprung  bezweifelte  und  Sebastian 
del  Piombo  als  Urheber  vermuthungsweise  nannte. 


Die  „Fornarina"  der  Üffizien-Galerie.  51 

Sie  wahrlich  weder  auf  einem  Gemälde  RaftaePs  noch 
auf  irgendeinem  eines  gleichzeitigen  Florentiners,  wol 
aber  auf  vielen  andern  Bildern  des  Fra  Sebastiano  aus 
seiner  venezianischen  Periode,  wie  z.  B.  auch  auf  seinem 
grossen  Bilde  hier  in  den  Uffizicn,  den  Tod  des  Adonis 
darstellend  (Nr.  590),  das  der  Katalog  dem  Moretto  da 
Brescia  zuschreibt,  ferner  in  den  Lunetten  im  untern 
Saale  der  Farnesina  in  Rom.  Vergleichen  Sie  dann 
noch  die  Behandlung  des  Pelzwerks  auf  diesem  Frauen- 
porträt mit  der  Behandlung  des  Pelzes  auf  dem  männ- 
lichen Porträt  Sebastiano's  (Nr.  409)  in  der  Pitti-Galerie, 
—  und  Sie  werden,  hotte  ich,  nach  diesen  Vergleichen 
zur  Ueberzeugung  kommen,  dass  sowol  diese  sogenannte 
Fornarina  als  der  Violinspieler  nichts  anders  sind  als 
Bilder  von  Fra  Sebastiano  del  Piombo  und  mit  llafiael 
nichts  zu  schaffen  haben." 

„Entspricht  aber",  fragte  ich  meinen  Fuhrer,  „die 
Form  der  Hand  dieser  sogenannten  Fornarina  auch 
wirklich  jener  auf  allen  beglaubigten  Bildern  des  Fra 
Sebastiano?" 

„Keineswegs",  erwiderte  der  Italiener  etwas  er- 
staunt über  meine  Frage.  „Die  Formen  in  den  Wer- 
ken des  Sebastiano  del  Piombo  sind  in  den  verschie- 
denen Epochen  seiner  Wirksamkeit  sehr  verschieden, 
denn  Sebastiano  ist,  ebenso  wie  Girolamo  Genga,  nach 
meinem  Dafürhalten  als  einer  der  ersten  Repräsentanten 
des  Eklekticismus  anzusehen.  So  wie  Genga  durch  Luca 
Signorelli  aus  seinem  natürlichen  Fahrwasser  gezogen 
ward,  so  wurde  Sebastiano  Luciani  zuerst  durch  Ratt'ael, 
dann  aber  hauptsächlich  durch  Michelangelo  aus  seiner 
I  iL'«non  Bahn  gerissen.  In  seinem  Jugendbild,  adie  Be- 
u«inung  Christi»,  in  der  Sanunlung  von  Sir  Henry 
Layard  in  Venedig,  ahmt  er  noch  den  strengen  Cima  da 
Conogliano  nach,  und  seine  Typen  und  Formen  sind  daher 
dort  die  des  letztgenannten  Meisters.  Spater  erfährt  er 
den  überwältigenden  Einfluss  des  cnleln  Giorgione,  und 

I* 


52 


Princip  und  Methode. 


seine  Typen  und  Formen,  sowie  seine  Maltecbnik  er- 
innern dann  an  die  des  Barbarelli,  wie  z.  B.  in  dem 
trefflichen  eben  genannten  Bilde  in  S.  Giovan  Criso- 
stomo,  in  den  vier  Heiligen  (Bartholomeus,  Sebastia- 
nus,    Sinibaldus    und   Lodovicus)   in    der   Kirche    von 


Faun  des  S.  Sebastiauo  del  Piombo. 


S.  Bartolommeo  di  Rialto  in  Venedig  und  beim  Violin- 
spieler   bei    Sciarra-Colonna.^     Ums    Jahr  1510,    von 


^  Aus  dieser  Epoche  Sebastiano's  besitzt  die  Liller  Samm- 
lung eine  charakteristische  Federzeichnung  unter  dem  falschen 
Namen  Tizian's.  Dieselbe  stellt  einen  Faun  dar  (Braun,  39;  siehe 
obige  Abbildung).  Die  Form  der  Hand  ist  hier  noch  giorgio- 
nesk,  die  des  Ohrs  dieselbe,  die  wir  noch  in  den  Bildern  seines 
ersten  römischen  Aufenthalts  (1511 — 1513)  finden. 


^ebaatiano  Luciani.  53 

Agostino  Chigi  nach  Rom  benifen,  wurde  Sebastiano, 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  durch  seinen  neuen  Gönner 
Chigi  mit  dem  jungen  llaftael,  der  gerade  damals 
anfing,  der  Liebling  der  romischen  Kunstfreunde  zu 
werden,  bekannt  gemacht.  Und  so  dürfen  wir  uns  nicht 
wundern,  dass  in  den  Bildern  des  Sebastiano  aus  jenen 
Jahren  die  Typen  und  Formen  sich  denen  des  Urbi- 
naten  nähern,  wie  wir  dies  auch  in  dieser  Fornarina 
vom  Jahre  1512  zu  erkennen  glauben,  ebenso  wie  in 
dem  schonen  männlichen  Porträt  der  Sammlung  Scarpa 
in  La  Motta.*  Nach  dem  Jahre  1512  tritt  aber  Luciani,  zu 
seinem  Unglück,  in  ein  freundschaftliches  Verhältniss  mit 
dem  gewaltigen,  über  den  Ruhm  Raftaers  etwas  unmuthi- 
gen  Michelangelo,  und  seine  Formen  und  Typen  werden 
sofort  michelangelesk.  Kurze  Zeit  nach  dieser  Fornarina 
dürfte,  irre  ich  nicht,  Sebastiano  das  ebenfalls  Forna- 
rina, auch  Dorothea  genannte  Porträt,  welches  kürz- 
lich aus  dem  Schloss  Blenheim  ins  berliner  Museum 
gelangte,  gemalt  haben.  Während  auf  diesem  letztern 
Bild,  das  früher  auch  I^iftael  zugedacht  war,  der  land- 
schaftliche Grund  durchaus  noch  giorgionesk  ist,  hat 
(Ini^cj^cii  die  Hand  mit  ihren  überlangen  Fingern  schon 
fine  an  Micih'laiiLj'lo  erinnernde  Form  erhalten.  Und 
bei  (li. -<  r  (l«  1.  i/cnheit  sei  mir  gestattet,  Ihnen  meine 
•etw.i  Ansicht  über  ein  anderes  viel  bespro- 

rhei»L>  i>iiü  1  '*     iiiitzuthcilen,  falls  Ihnen  das  nicht 

zu   langweilig  u  sollte».'' 

..Durchaus  nicht*^^  sagte  ich,  um  den  redseligen  Mann 
nicht  zu  beleidigen,  obschon  ich  dieser  seiner  weit- 
Kch weitigen  Erörterungen  müde  zu  werden  begann. 


'  Dieses  herrliche,  aber  loider  etwas  abermalto  Porirftt, 
welches  dort  Raflscl  zageschrieben  and  als  das  des  Tibaldeo 
auflffcgeben  winl,  dürfte  vielleicht  eher  das  Bildnis  des  etwa  26 
oder  27  jihrigen  Raffaers  selbst  sein,  tod  seinem  damaligen  Ver- 
ehrer Sebastiano  gemalt. 


^  Princip  und  Methode. 

„Bin  ich  namlieli",  fuhr  er  fort,  „nicht  in  einer  argen 
Täuschung  befangen,  was  ja  uns  armen  Kunstkennern 
gar  oft  begegnet,  so  dürfte  der  auf  einem  Baumstamm 
sitzende  Täufer,  den  Sie  im  Louvre  unter  dem  Namen 
RaffaeFs  gewiss  auch  betrachtet  haben  werden  (Nr.  3GG), 
ebenfalls  eines  der  ersten  Werke  sein,  die  Sebastiano 
in  Rom,  nach  einem  Entwurf  seines  neuen  Freundes 
und  Beschützers  Michelangelo  ausführte  und  diesmal 
wahrscheinlich  im  Wettstreit  mit  dem  Ivatt'aerschen  Ge- 
mälde desselben  Gegenstandes,  von  dem  Sie  auch  hier 


Johannes  der  Täufer  in  der  Louvre-Galerie,  Nr.  336. 

in  der  Tribuna  (Nr.  1127)  eine  Schulcopie  sehen.  Wie 
also  die  Fornarina  hier  die  Nachahmung  Raffaers,  so 
bedeutet  in  meinen  Augen  jener  Täufer  im  Louvre  den 
Uebergang  Sebastiano's  von  der  Raflaerschen  in  die 
michelangeleske  Manier.  Die  Bewegung  und  die  Kör- 
perstellung jenes  Täufers  im  Louvre,  sowie  der  Aus- 
druck gemahnen,  scheint  mir,  an  die  Körperstellung 
jener  Riesen  des  Michelangelo  an  der  Decke  der  Sixti- 
nischen  Kapelle,  etwa  an  jene  zwei  nackten  Jünglinge 
oberhalb  der  Erythräischen  Sibylle.  ^   Auch  ist  die  Form 


*  Die  Sammlung  in  Chats worth  besitzt  mehrere  Zeichnungen 
des  Sebastiano  del  Piombo,  die  eine  unter  dem  Namen  Giorgione's, 


Sebastiano  Luciani. 


55 


und  Biegung  des  Mittelfingers  jenes  Täufers  durchaus 
micbelangelesk,  die  Landschaft  jedoch  noch  immer  vene- 


Zwei  Figuren  Miohelangelo^e  an  der  Decke  der  Sikttnitchen  Kapelle. 

tianisch   und  sehr  verschieden  von  den  idealen  Land- 
schaften lliiftaers.* 


die  andere  unter  dem  Tizian^<  M>r.  i.».-^;,  fiut-  urutf 
(Br.  190)  einen  der  Prot)heten  in  der  Kapelle 
der  Kirche  von  S.  Pietro  in  Montorio  darstellend. 
Nun  entspricht  auf  dieser  letztem  getaschten 
Zeichnung  die  Form  des  Ohres  ganz  und  gar 
der  Ohrform  des  Täufers  im  Louvre.  Eine  an- 
dere vorzügliche  Zeichnung  des  Sebastiano,  aus 
seiner  michelangelesken  Zeit,  finden  wir  auch  in  ohTbel  sebaetiano 
der  Sammlung  des  Louvre  (Braun  424).  dei  Ptombo. 

*  Herr  Director  W.  Bode  behauptet,  beiläufig  bemerkt,  eine 
deutliche  Verwandtschaft  der  Barberini^schen  „Fornarina"  mit 
der  )>erliner  „Dorothea**  und  setzt  die  Entstehung  der  erstem 
ins  Jahr  1609  oder  1510,  die  Dccorationsmalcreien  Sebastiano^s 
ia  der  Famesina  ins  Jahr  1500  und  die  „Dorothea"  ins  Jahr 
1511,  also  ein  Jahr  vor  der  „Fomarina**  in  der  Tribuna  (Kunst- 
freund, Nr.  15,  S.  228).  Man  lese  über  diesen  Streitpunkt  auch 
die  glänzend  geschriebene  Abhandlung  des  Herm  Geh.  Regie- 
mngsraths  Director  Julius  Meyer  im  ersten  Heft  der  k.  preussi- 


56  Princip  und  Methode. 

„Nun",  fuhr  er  fort,  indem  er  mich  bei  der  Hand 
nahm  und  meine  ganze  Aufmerksamkeit  wieder  auf  das 
vor  uns  stehende  Frauenporträt  der  sogenannten  For- 
narina  lenkte,  „nun  ist  die  Form  der  Hand  hier  eben 
nichts  anderes  als  die  Uebergangsform  von  der  gior- 
gionesken  in  die  Rafiael'sche,  es  ist  somit  eine  charak- 
terlose, akademische  Hand. 

„Ich  will  Sie  jedoch  nicht  ermüden  mit  dergleichen 
etwas  hyperkritischen  Auseinandersetzungen,  zumal  es 
heutzutage  wol  kaum  einen  namhaften  Kenner  der 
EaffaePschen  Kunst  geben  dürfte,  der  bei  der  Puccini'- 
schen  Taufe  noch  Gevatter  zu  stehen  geneigt  wäre.'^ 

„Ich  bin  zwar  nicht  in  der  Lage,  in  solchen  ver- 
fänglichen Fragen  mitsprechen  zu  dürfen",  sagte  ich; 
„soviel  ist  jedoch  gewiss,  dass  Ihre  Einwürfe  gegen 
die  Ansicht  jener  Kunsthistoriker,  welche  dieses  Frauen- 
bildniss  hier  als  Werk  Raffael's  ansehen,  es  noch  nicht 
vermocht  haben,  den  ersten  Eindruck  zu  verwischen, 
den  dieses  Bild  auf  mich  machte." 

lieber  dieses  mein  Geständniss  wurde  der  Italiener 
zuerst  etwas  unwillig,  willigte  jedoch  zuletzt  ein,  dass 
ich  nicht  ganz  unrecht  hätte,  und  dass  man  Anfänger 
niemals  vor  dergleichen  eklektische  Kunstwerke  führen 
sollte,  um  daran  Formenstudien  zu  machen. 

„Betrachten  wir  daher",  sagte  er  dann,  „dieses 
zweite  hier  ebenfalls  auf  Raffael  getaufte  Frauenbild- 
niss,  Nr.  1120,  in  der  Nähe.  Leider  ist  dieses  herrlich 
aufgefasste  und  ganz  meisterhaft  modellirte  Porträt  so 
stark  übermalt  worden,  dass  wir  es  nur  noch  nach  der 
Farbenscala  des  Kleides  und  nach  der  Zeichnung  des 
Gesichts  und  besonders  der  Hand  mit  dem  ausgestreck- 
ten Zeigefinger  zu  beurtheilen  im  Stande  sind. 


sehen  Kunstsammlungen  vom  Jahre  1886.  Hen*  Julius  Meyer  war, 
meiner  Ansicht  nach,  zuerst  auf  dem  rechten  Weg,  Hess  sich  jedoch 
durch  seinen  Freund  und  Collegen  Bode  wieder  davon  abbringen. 


Unbekanntes  Fi-auenporträt  in  der  Tribuna.  57 

,,Trotz  aller  Unbilden,  die  es  erfahren,  bleibt  es  doch 
noch  immer  ein  bestechendes  Bild  und  kann  nur  das  Werk 
eines  hervorragenden  florentiner  Meisters  sein.  Sehen  Sie 
sich  nun  j^efälligstvor  allem  die  Form  der  linken  Hand  mit 
dem  ausgestreckten  Zeigefinger  an.  Ist  etwa  diese  Hand 
mit  jener  der  sogenannten  Fornarina  dort  verwandt,  oder 
finden  Sie,  dass  sie  der  Hand  der  «Madonna  del  Car- 
dellino»  entspreche?  Und  nun  erst,  wenn  Sie  die  Hand 
auf  diesem  Bild  (1120)  mit  der  Hand  der  Maddalena 
Doni  in  der  Pitti-Galerie  vergleichen  wollten,  durfte  es 
Ihnen  aufiallen,  w4e  Passavant  dazu  kommen  konnte, 
gerade  an  den  Händen  in  diesem  Frauen port rät  die  Art 
und  Weise  Raftaers  erkennen  zu  wollen.^  Ich  meiner- 
seits halte  dafür,  dass  diese  Hand  hier  keinem  der  so- 
eben besprochenen  Beispiele  von  Handformen  in  au- 
thentischen Werken  des  Urbinaten  ähnlich  sieht.  Auch 
hat  dieses  Frauenporträt  ein  noch  durchaus  quattrocen- 
tistisches  Aussehen.  Hätte  es  demnach  liaÜael  gemalt, 
so  müsste  dies  vor  der  Zeit  geschehen  sein,  ab  die 
Maddalena  Doni   im   Pitti-Palast  entstand." 

Um  nicht  den  Schein  zu  haben,  als  wenn  alle  diese 
spitzfindigen  Erläutemngen  mich  gelangweilt  hätten, 
fragte  ich  meinen  Begleiter,  welchem  Meister  er  denn 
dieses  Frauenpoiirät  zuschreibe? 

„Das  ist  eine  sehr  verfängliche  Frage",  erwiderte 
er.  ^Dieses  Bild,  ich  muss  es  Ihnen  offen  gestehen,  bietet 
mir  nicht  hinlängliche  Anhaltspunkte  dar,  um  es  mit 
einiger  Sicherheit  bestimmen  zu  duifen.  Nur  Neulinge 
in  der  Kunstwissenschaft  oder  Charlatane  wissen  jedem 
Kunstwerk  einen  Namen  zu  geben."  „Ehe  wir  nun", 
fuhr  er  fort,  „in  die  Säle  de^  Pitti-Palastes  hinüber- 
gehen, um  auch  dort  die  charakteristischen  Formen 
iiaffael's  in  den  daselbst  ihm  zugedachten  Bildern  ins 
Auge  zu  fassen,  gestatten  Sie  mir,  hier  in  dieser  Tri- 

>  PMMfant,  Raffael  d'Urbin  (franiöi.  Aotg.),  11,  41. 


58  Priucip  und  Methode. 

buna  Sie  noch  auf  die  dem  Tizian  eigenthiimlichen 
Formen  des  01u*s  und  der  Hand  an  diesem  seinem  vor- 
trefflichen Porträt  des  Prälaten  Beccadelli  (Nr.  1116) 
aufmerksam  zu  machen.  Ich  bitte,  verlieren  Sie  ja  nicht 
die  Geduld,  wenn  ich  Sie  so  lange  bei  Dingen  aufhalte, 
die  Ihnen  jetzt  sehr  unbedeutend,  ja  vielleicht  sogar 
lächerlich  erscheinen  dürften;  ist  es  doch  mir  vor  allem 
daran  gelegen,  Sie  zu  gewöhnen,  bei  Betrachtung  eines 
Kunstwerkes  auf  alles,  selbst  auf  die  an  und  für  sich 
geringfügigsten  Dinge  Ihr  Auge  zu  richten;  denn  Sie 
werden  mit  der  Zeit  einsehen  lernen,  dass  oft  sogar  ein 
einfjicher  sogenannter  Schnörkel  dazu  dienen  kann,  Sie 
auf  die  rechte  Fährte  zu  leiten  und  das  besonders  bei 
Gemälden  untergeordneter  Meister.  Betrachten  Sie  also 
auf  diesem  Tizian'schen  Bildniss  die  Hand  mit  dem 
allzu  stark  accentuirten  Daumenballen  und  lassen  Sie 
auch  die  rundliche  Form  des  Ohrs  nicht  unbeachtet. 
Tizian  gibt  nämlich  in  allen  Bil- 
dern seiner  Jüngern  und  in  fost 
allen  seiner  mittlem  Wirkungs- 
zeit, d.  h.  bis  ungefähr  in  die 
vierziger  Jahre  des  16.  Jahrhun- 
derts, dieselbe  runde  Form  dem 
Ohr,  z.B.  in  dem  Bilde  mit  den 
drei  Menschenaltern  und  dem 

Tiziau'a  Daumenballen.  .  i       •  i  •  t-\ 

andern  mit  der  heiligen  J^  a- 
milie  bei  Lord  EUesmere  in  London,  wo  das  letz- 
tere Gemälde  fälschlich  dem  Palma  vecchio  zugeschrie- 
ben wird;  in  der  a  Herodias »  in  der  Galerie  Doria- 
Panfili,  im  Madonnenbilde  Nr.  633  in  den  Offizien  u.  s.  f., 
und  so  finden  Sie  ebenfalls  sehr  häufig  in  den  Gemäl- 
den und  Zeichnungen  des  Cadoriners  den  klobigen 
Daumenballen.  Da  nun  sehr  oft  Bilder  Tizian's  mit 
denen  von  Giorgione  (Pitti- Palast  und  Madrid),  von 
Pordenone  (Doria- Galerie),  von  Paris  Bordone  (Ga- 
lerie des  Capitols  in  Rom),  sogar  von  Andrea  Schiavone 


Madonna  del  Granduca.  59 

(Dresdener  Galerie,  Nr.  1G8)*  verwechselt  werden,  so 
können  Ihnen  auch  diese  Bemerkungen  bei  Beurtheihuig 
streitiger  Bilder  manchmal  von  Nutzen  sein,  insofern  als 
sowol  bei  Giorgione  als  bei  Pordenone,  bei  P.  Bordone 
wie  bei  Andrea  Schiavone  die  Formen  der  Hand  und 
des  Ohrs  sehr  verschieden  von  denen  Tizian's  sind." 

„Sie  mögen  auch  hierin  recht  haben",  sagte  ich 
mit  schlecht  verhehlter  Ungeduld,  „halten  wir  uns  jedoch 
vorderhand  an  die  Formen  Itafl'aers,  von  denen  ich 
schon  etwas  begriffen  zu  haben  glaube;  denn  sonst 
mochte  in  meinem  Kopf  eine  solche  Konfusion  entstehen, 
dass  ich  vor  lauter  Ohren  und  Händen  und  Nägeln  nicht 
mehr  im  Stande  sein  dürfte,  die  Bilder  selbst  zu  sehen." 

Der  Italiener  lachte,  stimmte  mir  jedoch  bei  und 
wir  verliessen  alsbald  di«*  Till m um  und  i/luL'in  iu  dm 
Pitti-Palaijt  hinüber. 

„Suchen  wir",   sagte  er  in  d  "         hiiuin- 

tretend,  „sogleich  die  sogenannt*  \i  ,  i  i,  ,  i  ;  i  Grnn- 
.  duca  auf;  diese  Madonna  dürfte  übrigens  wol  eher  vcr- 
<li<  iion,  den  Namen  del  Duca  als  den  dt«  Granduca  zu 
tragen,  da  das  Bild,  aller  AVahrscheinlichkeit  nach,  in 
Urbino  (1504)  entstanden  ist  und  ftir  den  Herzog  Guido- 
baldo  gemalt  wurde.  Doch  daran  liegt  nicht  viel."  Als 
wir  nun  vor  dem  Bilde  standen,  machte  mein  Führer  vor 
allem  mich  auf  das  Gc«icht«oval  der  Maria  aufmerk- 
sam, das,  wie  er  meinte,  viel  mehr  an  Bafl'ael's  ersten 
Lehrer  Timoteo  Viti,  als  an  seine  spätem  Lehrer  Pin- 
toricchio  oder  Perugino  erinnerte.  Auch  sei,  meinte  er, 
der  Ausdruck  und  dir  Kopfstellung  durt*haus  Timoteisch. 
Sodann  besahen  wir  uns  natürlich  die  Form  der  Händ(% 
welche  nach  scMuer  Ansicht  zwar  noch  »ehr  an  j^'ue  der 
Madonna  del  (  nrdcUino  gtMuahuten,  jedoch  (knöcherner, 
d.  h.  c|uattrmH>ntistis4*h('r  seien  als  jene.  ,,Und  hier  diui 
Ohr  des  Kindes**,   bemerkte  er  dann,  „erinnert  e«  Sio 

*  Stphe  Cn>wc  und  CaTmleatellt,  nl^h^  Ttli•n*■^  II,  478. 


60  Princip  und  Methode. 

nicht  lebhaft  an  das  Ohr  der  Kinder  auf  der  Madonna 
del  Cardellino?  Sehen  Sie  sich  doch  auch  hier  diese 
runde,  fleischige  Form  an,  betrachten  Sie  auch,  wie  fest 
das  Ohr  mit  dem  Backen  verwachsen  ist.  Jammer- 
schade", bemerkte  er  zuletzt  verächtlich,  „dass  der  nichts- 
würdige Restaurator  den  blauen  Mantel  der  Maria  nur 
oberflächlich  geputzt  hat,  sodass  derselbe  jetzt  eher  grün 
als  blau  aussieht  und  dabei  auch  den  ursprünglichen 
Glanz  ganz  und  gar  einbüssen  musste.  Nun",  fragte  er 
mich  dann,  „gleicht  diese  Hand  der  Maria  hier  jener 
der  «Madonna  del  pozzo»,  oder  gar  jener  des  Frauen- 
porträts mit  der  Nummer  1120  in  der  Tribuna?" 

„Soviel",  antwortete  ich,  „glaube  auch  ich  schon  jetzt 
einzusehen,  dass  der  Künstler,  welcher  diese  Hand  hier 
geformt  und  gemalt,  nicht  die  Hände  auf  jenen  zwei 
Bildern  in  der  Tribuna  gezeichnet  und  gemalt  haben 
kann.  Der  Unterschied  in  der  Auflassung  und  Model- 
lirung  ist  ja  in  die  Augen  springend."  Mein  Begleiter 
lächelte  bei  dieser  Bemerkung^  wohlo^efällis:.  Wir  traten 
alsdann  wieder  in  den  ersten  grossen  Saal  hinein  und 
gingen  auf  ein  Frauenporträt,  die  sogenannte  Donna 
gravida  zu  (Nr.  229),  welches  der  Katalog  als  das  Werk 
eines  „Unbekannten"  verzeichnet.  „Passavant",  sagte 
er,  „gibt  dieses  weibliche  Bildniss,  wie  mir  scheint,  mit 
Recht  dem  Urbinaten,  nur  versetzt  er  es,  meiner  Mei- 
nung nach,  in  eine  zu  späte  Wirkungsepoche  des 
Meisters,  nämlich  ins  Jahr  1507.  Irre  ich  nicht,  so 
dürfte  dieses  Porträt  ungefähr  um  dieselbe  Zeit  wie 
die  Bildnisse  der  Eheleute  Doni,  d.  h.  ums  Jahr  1505 
entstanden  sein.  Dafür  spricht  vor  allem  die  Form  der 
Hände,  die  durchaus  dieselbe  ist,  wie  in  diesen  letzt- 
genannten Porträts.  Das  Gesicht  der  Frau  hier,  zumal 
die  linke  Seite,  hat  durch  den  Restaurator  so  arg  ge- 
litten, dass  man  darin  kaum  noch  die  Spuren  des  RafiaeP- 
schen  Pinsels  zu  erkennen  vermag.  Prägen  Sie  sich 
dafür   recht  scharf  die  Form   der  Hände   hier  ins  Ge- 


Porträts  der  Eheleute  Doni.  61 

dächtniss  und  lassen  Sie  uns  nun  sofort  an  die  Betrach- 
tung der  zwei  Bildnisse  der  Doni  gehen."  Als  wir  nun 
vor  dem  Porträt  der  Maddalena  Doni  standen,  konnte 
ich  mich  nicht  enthalten  auszurufen:  „Ganz  dieselbe 
Auffassung,  dieselbe  Behandlung  des  Aermels,  dieselbe 
breite  Form  der  Hand  mit  den  kurzen,  fetten  Fingern, 
dieselben  Nägel,  denselben  —  wenn  ich  so  sagen  darf 
—  etwas  langweiligen,  freudelosen  Ausdruck  des  Ge- 
sichts, wie  in  jenem  weiblichen  Bildniss.  Auch  der 
landschaftliche  Hintergrund  entspricht  der  Landschaft 
auf  der  Madonna  del  Cardellino." 

Mein  Führer  freute  sich  über  mein  williges  Ein- 
gehen in  seine  Anschauungsweise  und  über  meine  Fort- 
schritte, wie  er  behauptete,  in  der  Auffassung  der  Formen 
und  rieb  sich  dabei  vor  Genugthuung  die  Hände.  „Und 
die  Stellung  der  Arme",  sagte  er  dann,  „sowie  über- 
haupt die  ganze  Darstellung  dieses  Porträts,  gemahnt 
sie  Sie  nicht  an  ein  anderes,  hochberühmtes  weibliches 
Bildniss,  das  Sie  während  Ihres  Aufenthalts  in  Paris 
gewiss  oft  im  Louvre  bewundert  haben  werden?'' 

„O  gewiss",  antwortete  ich,  „Sie  meinen  ohne  Zwei- 
fel die  «Mona  Lisa»  von  Lionardo  da  Vinci?" 

y,Colto  nel  segno^''^  rief  er  aus,  „ —  ins  Schwarze  ge- 
troffen. Wir  dürfen  denmach  annehmen,  dass  Baffael, 
als  er  im  Jahre  1505  diese  Bildnisse  malte,  die  Werk- 
statt des  grossen  T,«"""'l"  ^»"^  '"••»  r.ft.ru  In-Hinlit 
haben  dürfte. 

„Nachdem  wir  iiiui  diist'  lüul  lüUitr  au«»  dt-r  Früli- 
zeit  Itaffaels  uns  angeschaut",  fuhr  mein  Führer  fort, 
„liusen  Sie  uns  noch  ein  anderes  Bild  in  diesen  Sälen 
ansehen,  das  ebenfalls  in  die  florentinische  Epoche  des 
Meisters  gehört,  ich  meine  die  grosse  Altartafel,  die 
Unffael  im  Auftrage  der  Familie  Dei  zu  malen  über- 
nonimrn  hatte,  jodoch  unvollendet  in  Florenz  zurück- 
lifs.H,  da  (T  vom  Papst  Julius  U.  nach  Rom  berufen 
wurde." 


62  Princip  und  Methode. 

Als  wir  nun  vor  dieses  Bild  (Nr.  165)  traten,  machte 
mich  mein  Begleiter  zuerst  aufmerksam,  wie  auch  dieses 
Gemiilde  in  spaterer  Zeit  vom  Pinsel  eines  ungeschick- 
ten Malers  ganz  iibergangen  ward,  sodass  man  in  seinem 
gegenwärtigen  Zustande  kaum  noch  die  Originalzeichnung 
darunter  zu  errathen  vermag.  Das  hat  jedoch",  fügte 
er  hinzu,  „bei  den  Formstudien,  welche  uns  jetzt  be- 
schäftigen, nicht  viel  zu  sagen.  Sehen  Sie  sich  also  auch 
in  diesem  Bild  vornehmlich  die  Form  des  Ohrs  und  der 
Hand  an.  Nur  muss  ich  Ihnen  bemerken,  dass  Raffael 
dieses  Bild  etwa  drei  Jahre  später  als  die  bisher  von  uns 
betrachteten  anfertigte,  nämlich  im  Sommer  1508." 

„Ich  sehe  auch  in  diesem  Gemälde",  rief  ich  freu- 
dig aus,  „dasselbe  fette,  runde  Ohr,  wie  in  den  andern, 
nur  kommt  mir  die  Form  der  Hand  hier  etwas  ver- 
schieden von  den  Händen  in  den  fünf  andern  Bil- 
dern vor." 

„Ganz  richtig",  antwortete  er,  „blieb  ja  doch  der 
junge  Raffael  nie  stille  stehen,  sondern  machte  immer 
Fortschritte  in  seiner  Kunst;  allein  die  Grund- 
form der  Hand  ist,  wie  in  allen  seinen  spätem  Bil- 
dern, so  auch  in  diesem,  doch  immer  dieselbe  geblie- 
ben, doch  bitte  ich  Sie  zu  bedenken,  dass  die  Hände 
hier  auf  dieser  Tafel  durch  Uebermalung  ganz  ent- 
stellt sind." 

„Mir  scheint  es",  fügte  ich  nach  einer  Weile  hinzu, 
„als  ob  dieses  Gemälde  ganz  und  gar  an  jenes  grosse  Bild 
des  Fra  Bartolommeo  im  ersten  Saal  (Nr.  208),  ja  selbst 
an  dies  andere  dort  (Nr.  159)  erinnere,  sowol  in  dem 
architektonischen  Hintergrund  und  in  der  Composition, 
als  auch  in  der  Faltenlegung  und  selbst  in  den  Typen 
jener  zwei  fliegenden  Engel." 

„Ich  bin  vollkommen  mit  Ihnen  darin  einverstan- 
den", sagte  er,  „und  es  scheint  mir  dies  ein  weiteres 
Zeichen  zu  sein,  dass  Fra  Bartolommeo  doch  wol 
erst  nur  in  dieser  Zeit,  d.  h.  im  Jahre  1508,  ein 


Madonna  di  casa  Dei  und  Madonna  della  Seggiola.        63 

innigeres  Verhältniss  mit  dem  jungen  Raffacl 
geschlossen  haben  durfte.  Auch  erlaube  ich  mir, 
in  diesem  Bilde  auf  die  singenden  Engel  am  Fusse  des 
Tlirons  Sie  aufmerksam  zu  machen;  der  Brauch,  musi- 
cirende  Engelknaben  unten  am  Thron  der  Madonna 
anzubringen,  ist  durchaus  venetianisch,  und  Fra  Barto- 
loinnieo  mag  ihn  aus  der  Lagunenstadt  nach  Florenz 
mitgebracht  haben.'*" 

Aus  diesem  Zimmer  führte  mich  mein  Begleiter  in 
die  Sala  di  Marte  und  vor  die  a Madonna  della  Seg- 
giola», Nr.  79. 

„Wenn  Sie  nun",  sagte  er,  „die  Formen  der  Hand 
und  des  Ohrs  auf  diesem  berühmten  Bild  RaffaeFs  sich 
naher  besehen,  so  dürfte  es  Ihnen  nicht  entgehen,  dass, 
während  die   Grundform  des  Ohrs  auch   hier  dieselbe 
ist  wie  auf  allen  seinen  Werken  aus  der  peniginischen 
und  florentinischen  Epoche,  die  der  Hand  dagegen  auf 
diesem  Bild  jene  Naturwahrheit  verloren   hat,  die  wir 
z.  B.   an    den    Händen    der   zwei   weiblichen    Portrats 
(Nr.  229  und  59)  und  der  Madonna  del  Cardellino  wahr- 
genommen, sowie  auch   in  mehrern  Bildern  der  IVru- 
gini'schen  Zeit,  wie  z.  B.  im  oEcce  homoi  in  der  Tosio- 
Galerie  vonBrescia,  im  heiligen Sebastianus  in  der  st"-!*- 
sehen  Galerie  von  Bergamo,  in  der  Zeichnung  zum  «g«  . 
den  Engel»  (zur  Krönung  Maria)  im  Britischen  Museum 
(Braun,  70).    In  diesem  Bild  hier  finden  Sie  nicht  mehr 
jene    «bürgerliche»    Hand,    die  der  junge   Hafiael   trou 
nach  der  Natur  zeichnete,  sondern  Sie  sehen  hier  - 
die   feine    «aristokratische»   Hand,  und  zwar  ist   •. 
!>ei  dem  Künstler  während   seiner  römischen  Zeit    _ 
radezu  dio  nonnalc  geworden.    Di«'  Mittelhand  ist  /um 
auch  Ihm  dieser  Madonna  noch  immer,  nach  dem   \  "i- 
bild   des  Lehrers  Tiuioteo,  breit  und  etwas  flach,   wie 
in  Hnfl'aels  fnihern  Bildern,  allein  die  Finger  tilld  hier 
fein  zugetipitzt,  kurz,  wir  haben   hier  eine  aogeminnte 
vornehme,  oder  wenn  Sie  lieber  wollen,  eine  ideal o 


64  Princip  und  Methode. 

weibliche  Hnnd  vor  uns.  Dieses  Rundbild  mag  ungefähr 
ums  Jahr  1513  oder  1514  entstanden  sein,  und  wenn 
Sie  RiiffaeFs  Bilder  von  dieser  Epoche,  wie  unter  an- 
dern auch  die  Madonna  bei  Lord  EUesmerfe  in  Lon- 
don, bis  zu  seinem  Tod  unter  diesem  Gesichtspunkt 
betrachten,  so  werden  Sie  gewahren,  dass  sowol  in  den 
wenigen  von  seiner  eigenen  Hand  ausgeführten,  als  auch 
in  jenen  blos  nach  seinen  Cartons  von  den  Gehiilfen 
ausgeführten  Werken  diese  weibliche  liandform  stets 
sich  wiederholt  und  somit  conventioneil  wird,  so 
z.  B.  auch  in  dem  herrlichen  Bildniss  seiner  Geliebten." 

„Und  wo  ist  denn  "^das  wahre  Porträt  der  Geliebten 
llaftaeFs?"  fragte  ich  ihn. 

„Hier  in  einem  Seitencabinet,  das  wir  schon  ein- 
mal betreten  haben." 

Wir  begaben  uns  nun  sofort  dahin,  und  vor  dem 
Bilde  angelangt,  unterliess  mein  enthusiastischer  Führer 
nicht,  mich  sogleich  ins  rechte  Licht  davor  zu  stellen. 
Dieses  lebensprühende  weibliche  Antlitz  machte  einen 
so  überwältigenden  Eindruck  auf  mich,  dass  ich  dabei 
gar  nicht  mehr  an  die  langweiligen  Studien  der  Ohr- 
und  Handformen  denken  mochte. 

„Ja",  rief  ich  entzückt  aus,  „dies  Weib  und  kein 
anderes  war  würdig  von  einem  RaiFael  geliebt  zu  wer- 
den und  kein  anderes  als  dieses  konnte  der  göttliche 
Meister  im  Auge  haben,  als  er  die  Madonnn  di  S. 
Sisto  auf  die  Leinwand  zauberte!" 

„Wenn  Sie",  bemerkte  der  Italiener  ironisch  lächelnd, 
„die  florentinischen  Directoren  der  Galerie  ausnehmen, 
die  noch  immer  fortfahren,  dieses  Weib  die  aDonna  ve- 
lata»  zu  benennen  und  das  Gemälde  einem  «unbekann- 
ten» zuzuschreiben,  so  dürften  heutzutage  wol  sämmt- 
liclie  Kunstverständigen  der  Alten  und  der  Neuen  Welt 
in  Ihr  Urtheil  einstimmen.  Worüber  jedoch  nicht  alle 
Kritiker  miteinander  einig  sind,  ist,  ob  dieses  Bild  Ori- 
ginal oder  blos  Copie  sei." 


*•    IM  PtTTI  .  rALAwT 


Die  sogenannte  Donna  velata.  65 

„Wie,  uins  Himmels  willen",  rief  ich  erstaunt 
aus,  „wie  ist  es  doch  möglich,  ein  so  wunderbar 
schönes,  jedes  gesunde  Auge  fesselndes  Antlitz  für  eine 
Copie  zu  nehmen?  Welche  Begriffe  von  Kunst  müssen 
doch  die  Leute  haben,  die  ein  so  wunderbar  leuch- 
tendes Gesicht  als  mechanische  Nachahmung  ansehen 
können!" 

In  diesem  Augenblicke  trat  ein  noch  junger  Herr  in 
unsere  Nähe  und,  nachdem  er  meinen  Führer  freund- 
lich gegrüsst  hatte,  sagte  er,  seine  Brille  an  die  Augen 
setzend,  in  einem  bedeutungsvollen  Ton:  „Nicht  wahr, 
selbst  in  der  Copie  macht  dieses  weibliche  Porträt  noch 
immer  einen  gewissen  Eindmck?  Wie  mag  erst  das 
Original  ausgesehen  haben!" 

Ich  bemerkte,  dass  meinem  Begleiter  bei  diesen 
Worten  des  Fremden  das  Blut  in  den  Kopf  stieg.  „Auch 
Ihnen",  sagte  er  dann  ganz  trocken,  „kommt  also  dieses 
Bild  als  Copie  vor?" 

„Darüber  sind  alle  Kunstkenner  der  Welt  einig'"*', 
antwortete  mit  Entschiedenheit  der  andere. 

..Und  Sie  sind  Professor  der  Malerei  an  unserer 
Akademie!"  versetzte  mein  Begleiter  mit  unverhüUter 
Ironie. 

„Und  gerade  als  Professor  der  Malerei  glaube  ich, 
wenn  Sie  etwa  im  Irrthum  darüber  sein  sollten,  Sie 
eines  Bessern  belehren  zu  dürfen",  erwiderte  mit  hohem 
Selbstbewusstsein  der  Professor  und  fuhr  dann  fort: 
„Sie  sollten  doch  wissen,  dass  kein  feinerer  Kenner  un- 
serer Kunst  heutzutage,  weder  im  gelehrten  Deutsch- 
land, noch  in  Paris  dieses  Bild  für  Original  annehmen 
will.  Seilen  Sie  denn  nicht  hier  an  der  Wange  und 
da  an  der  Stirn  noch  die  Spuren  der  Pinselstriche  des 
venetianischen  oder,  wenn  Sie  Heber  wollen,  bolognesi- 
schen  Copisten?" 

Mein  Führer  schien  bei  diesen  Bemerkungen  des 
•  Akademieprofessors  die  Fassung  fast  zu  verlieren. 

LsKMOLttrr.  5 


66  Priucip  und  Methode. 

„^Vi^  sind  jetzt",  sagte  er  mit  lauter  Stimme,  „weder 
im  gelehrten  Deutschland  noch  im  alles  besser  wissen- 
den Paris,  sondern  wir  sind  gegenwärtig  hier  in  Florenz 
und  stehen  vor  dem  Bilde  selbst.  Vor  allem,  Herr 
Professor,  gestatten  Sie  mir,  Ihnen  zu  bemerken",  fuhr 
er  dann  in  gemildertem  Tone  fort,  „dass  dieses  Ge- 
mälde, welches  nach  dem  Zeugniss  des  Vasari  sich  im 
Besitz  der  Familie  Botti  befand,  daselbst  noch  im  Jahre 
1677  von  Cinelli  gesehen  und  als  Original  beschrie- 
ben wurde.  Wäre  es  also  eine  bolognesische  Copie,  so 
müssten  wir  annehmen,  dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
diese  Copie  wol  später,  nämlich  als  das  Bild  in  dieOeffent- 
lichkeit  kam,  von  einem  Bolognesen  angefertigt  wor- 
den sei.  Welche  Maler  hatte  damals  Bologna,  die  im 
Stande  gewesen  wären,  eine  solche  Copie  herzustellen  ? 
Betrachten  Sie  doch  die  bekannten  Copien  eines  Don- 
duzzi  und  eines  G.  M.  Crespi  und  Sie  werden  sehen, 
wie  schwarz  in  den  Schatten  all  jene  Copien  geworden 
sind.  Auch  müsste  dieses  Gemälde,  wäre  es  Copie  des 
vorigen  oder  auch  des  17.  Jahrhunderts,  in  einem  viel 
bessern  Zustande  sein,  als  wir  es  hier  sehen.  Sehen 
Sie  doch,  wie  an  vielen  Stellen  die  Farben  abge- 
bröckelt sind,  sodass  man  noch  die  helle  Imprimitur 
wahrnimmt.  —  Und  wo  wäre  denn  das  Originalgemälde 
hingekommen?  Ein  Bild  Raffaers  verlor  man  selbst 
im  18.  Jahrhundert  nicht  so  leicht  aus  den  Augen. 
Nein,  nein,  mein  lieber  Professor,  von  solchen  aus  der 
Luft  gegriffenen,  ganz  willkürlichen  Behauptungen  ir- 
gendeines confusen  ausländischen  Kunstprofessors  lasse 
ich  mich  nicht  irre  machen!  Und  wie  wollen  Sie  denn 
mir  auch  beweisen,  dass  da  im  Gesicht  der  Frau  bo- 
lognesische Pinselstriche  wahrzunehmen  sind?  Sind 
etwa  diese  Pinselstriche  hier  ganz  anderer  Art  als  jene 
im  Antlitz  der  Madonna  di  S.  Sisto  in  der  dresdener 
Galerie?  Uebrigens  ist  ja  dies  Gesicht  so  sehr  ver- 
rieben,   dass    nur    ein    Phantast    noch     die     einzelnen 


Die  sogenannte  Donna  yelata.  67 

Pinselstriche .  darin  gewahren  dürfte.  Auch  ist  dies 
Gemälde,  wie  Sie  sehen  können,  an  mehrern  Stellen  re- 
touehirt  worden,  z.  B.  hier  an  der  Stirn  und  hier  an  der 
Nasenwurzel,  an  der  rechten  Wange,  am  Nacken,  am 
Halse;  selbst  der  originale  bräunliche  Grund  des  Bildes 
wurde  vom  Bilderputzer  überklext." 

„Ja,  das  gebe  ich  Ihnen  zu",  murmelte  der  Pro- 
fessor. „Und  ist  dies  nicht  ein  weiterer  Beweis,  wenn 
es  dessen  bedürfte,  dass  es  keine  Copie  ist?  Nein, 
mein  guter  Herr  Professor,  schauen  Sie  sich  doch  dieses 
herrliche  Bild  mit  eigenen  Augen  an  und  überlassen 
Sie  es  den  Herren  in  Paris  und  in  Berlin,  solche 
Dinge  in  der  Wüste  zu  predigen.  Lieber  Himmel! 
Ein  Copist  soll  dieses  Auge  mit  dem  wunderbaren 
Blick,  diesen  stolzen  Mund,  diese  edle  Stirn  da  gemalt 
haben?     Niemals." 

Der  Professor  steckte  bei  diesen  Worten  meines  b(»- 
geisterten  Führers  seine  Brille  wieder  in  die  Tasche 
und  flüchtete  sich,  ohne  ein  Wort  weiter  zu  sagen,  ins 
Nebenzinuner. 

„Sie  haben  vollkommen  recht",  sagte  ich,  als  der 
Professor  verschwunden  war,  „wenn  Sie  über  solche 
Kunsturtheile,  und  noch  dazu  im  Munde  eines  Aka- 
demielehrers, nicht  nur  sich  wundern,  sondern  auch  un- 
willig werden.  Selbst  mir,  der  ich  doch  nur  Dilettant 
bin  inid  dieses  Porträt  bisher  nur  in  der  Photographie 
kannte,  wollte  es  immer  unerklärlich  erscheinen,  doss 
«•s  Leute  gäbe,  ja  Gelehrte,  welche  sich  sogar  lur  un- 
fehlbare Kunstrichter  halten,  die  •'•n  ^..1.1,..^  ,T..n.l  fTir 
eine  Copie  ausgeben  koimen!" 

„Diesem  echt  romischen  Fraueiilypus",   -  in 

Begleiter,  „begegnen  wir  schon  in  der  Magii.. ...  auf 
dem  Bilde  mit  der  heiligen  Cäcilie  in  Bologna,  da» 
lJ:itT;M'l  im  Jahre  1510  für  die  Kapelle  dalP  Olio  in  der 
Kiitiie  von  S.  Giovanni  in  Monte  aut^tuhrte.  Um  diese 
Zeit  etwa  mag  er  auch  diese«  von  ihm  geliebte  Weib 


Qg  Princip  und  Methode. 

mit  seiuem  Pinsel  verewigt  haben.  Dass  er,  nach  seiner 
Gewohnheit  von  damals,  die  Ausführung  des  Kleides 
und  der  Hand  einem  seiner  Gehiilfen  überlassen  habe, 
wie  unter  andern  auch  der  verstorbene  Passavant  meinte, 
will  auch  mir  als  sehr  wahrscheinlich  erscheinen;  allein 
diesen  majestätischen,  wahrhaft  adeligen  Frauenkopf' 
kann  nur  der  göttliche  Meister  selbst  so  aufgefasst  und 
so  gemalt  haben.  Etwa  fünf  oder  sechs  Jahre  später, 
wurde  diese  Geliebte  des  damals  nicht  mehr  unter  den 
Lebenden  weilenden  Künstlers  von  einem  seiner  Schüler 
und,  wie  ich  glaube,  von  Giulio  Romano  aufs  neue 
abconterfeit,  und  dies  Bildniss  befindet  sich  gegenwär- 
tig unter  dem  Namen  RaffaePs  in  der  Barberini-Galerie 
in  Rom.  Sie  werden  sehen,  wie  auf  jenem  Bilde  dieses 
stolze  Weib  hier  nicht  nur  gealtert  und  verkommen 
aussieht,  sondern  i\nc]i  wie  gemein  und  widerwärtig 
sie  vom  Maler  dort  aufgefasst  und  dargestellt  wurde, 
man  meint  wahrlich,  eine  liederliche  Dirne  vor  sich  zu 
haben. 

„Nun  sehen  Sie  auch",  fuhr  er  dann  fort,  indem  wir 
nahe  vor  das  Bild  traten,  „wie  durchaus  Rafiaelisch 
auch  in  diesem  Porträt  die  Ohrform  ist." 
.  „Nein,  nein,  mein  lieber  Herr",  antwortete  ich,  „ver- 
schonen Sie  mich  doch  vor  diesem  Bild  hier  mit  Ihren 
Ohr-  und  Handformen.  Vor  solchen  Kunstwerken  ist's 
für  mich  eine  reine  Unmöglichkeit,  Detailstudien  zu 
machen;  RaffaePs  göttlicher  Geist  hält  mich  noch  zu 
sehr  festgebannt,  als  dass  ich  sogleich  mich  selbst  und 
zugleich  jene  Nüchternheit  des  Geistes  wiederfinden 
sollte,  die  doch  erforderlich  ist,  um  an  einem  Werke 
der  Kunst  bei  den  einzelnen  Formen  und  Schnörkeln 
sich  aufzuhalten." 

Nachdem  ich  an  diesem  Prachtbildniss  noch  eine 
Weile  meine  Augenweide  gehabt  hatte,  forderte  mich 
mein  geduldiger  Cicerone  auf,  mit  ihm  ein  anderes  Por- 
trät   RaffaePs,    ungefähr    aus    derselben    Epoche,    an- 


UA  iUK..\AUl.SA  l.N 


IS  KOM  fl.  «. 


Porträt  des  Papstes  Leo  X.  69 

sehen  zu  wollen,  und  wir  begaben  uns  demzufolge  in 
den  sogenannten  Apollosani  zurück,  wo  das  berühmte 
Hildniss  des  Papstes  Leo  X.,  nebst  denen  der  Car- 
dinale Giulio  de'  Medici  und  Lui^  Rossi  aufge- 
stellt ist. 

„Ungefähr  dieselbe  Behandlung  der  Stofie  wie  im 
vorigen  Bild",  bemerkte  ich,  „und",  fugte  er  hinzu, 
„dasselbe  runde,  fleischige  Ohr.  Ueber  dieses  welt- 
bekannte Bild  könnte  ich  Ihnen",  fuhr  er  fort,  „ein 
Langes  und  Breites  erzählen;  für  diesmal  müssen  wir 
jedoch  uns  begnügen,  auch  in  diesem  Werke  Raffaers 
blos  die  Identität  der  Ohrform  mit  der  in  seinen  an- 
dern von  uns  heute  betrachteten  Bildern  zu  bestätigen. 
Hände  inid  Beiwerk  wurden  wol  auch  auf  diesem  Bild 
von  Gehulfen  ausgeführt." 

„Wie  stolz  und  edel",  sagte  ich,  „sieht  nicht  die 
Geliebte  des  Meisters,  die  doch  dem  niedern  Stand  an- 
gehört haben  soll,  gegen  diesen  adeligen  Papst  aus! 
Hätte  der  Maler  ihn  nicht  durch  die  aristokratischen 
Beiwerke,  wie  das  Miniaturenbuch,  die  Lupe,  die  fein- 
ciselirte  goldene  Klingel,  das  reiche  Priestergewand, 
die  Teppiche  u.  s.  w.  zu  veredeln  getrachtet,  so  würde 
ja  dieser  Medici  otwfi  wif  «»in  roich  geword^MMT  i^('h»'iik- 
wirth  aussehen.^* 

Der  Italiener  lächelte  dazu  und  zog  mich  vom  Bilde 
weg  in  den  Saturnussaal,  wo  wir  einen  Augenblick 
vor  dem  Porträt  eines  andern  Papstes,  Julius  IL,  still- 
hielten. 

„Schauen  Sie  sich  dagegen",  sagi  u  ,,da8  leiden- 
schaftliche Bildniss  dieses  Vorgängers  Leo's  X.  an. 
(xleich  der  Geliebten  Raffaers  war  auch  er  ein  Kind 
(los  Volkes.  Welch  ein  hochfahrender  Charakter  schaut 
nicht  aus  diesem  edlen  Antlitze  heraus!  Aus  diesen  von 
tieftMi  Leidenschaften  durchfurchten  Zügen  spricht  männ- 
licher Stolz  und  selbstbewusste  KraÜ;  wie  verschieden 
von  jener  sinnlichen,  verschmitzten  Indifferenz,  die  uns 


70  Princip  und  Methode. 

vorhiu  aus  den  Gesichtern  der  zwei  Mediceer  ent- 
gegenblickte." * 

„Das  Studium  der  Porträts",  bemerkte  ich,  „ist  ge- 
wiss eines  der  interessantesten,  das  einem  Kunsthisto- 
riker geboten  werden  kann." 

„Unstreitig",  antwortete  er,  „wenn  der  Kunsthisto- 
riker selbst  interessant  ist,  was  doch  leider  höchst 
selten  der  Fall  ist.  Wollen  Sie",  fügte  er  hinzu,  „die 
Geschichte  Italiens  ganz  verstehen  lernen,  so  diirfen  Sie 
ja  nicht  vernachlässigen,  auch  die  Bildnisse,  sowol  die 
weiblichen  als  die  männlichen,  sich  anzuschauen.  In 
den  Gesichtern  der  Leute  steht  immer  ein  Stück  Ge- 
schichte ihrer  Zeit  zu  lesen,  falls  man  eben  darin  zu 
lesen  versteht.  Wenn  Sie  z.  B.  das  Porträt  der  Ge- 
liebten RaffaePs  neben  jenes  der  vornehmen  Maddalena 
Doni  oder  auch  neben  das  der  Eleonora  Gonzaga  della 
Kovere,  der  sogenannten  «Bella  di  Tiziano»  (Nr.  18  dieser 
Galerie)  stellen,  so  werden  Sie  daraus  sogleich  ersehen, 
dass,  w^ährend  in  den  vornehmen  Ständen,  zur  Zeit  der 
llenaissance,  alles  Ideal  schon  völlig  erloschen  war,  im 
Volke  dagegen  noch  immerfort  eine  gesunde  Lebens- 
lust  und  moralische  Kraft  sich  erhalten  hatten." 

Nach  dieser  culturgeschichtlichen  Abschweifung  lud 
mich  mein  Begleiter  ein,  mir  das  an  der  Wand  gegen- 
über hängende  Bildchen  mit  der  „Vision  EzechieFs" 
anzusehen.  Ich  kannte  natürlich  längst  dieses  durch 
den  Stich  verewigte  Werk  Raffaers,  dessen  reizende 
und  zugleich  grossartige  Composition  mich  jedesmal  in 
Entzücken  versetzte. 


'  In  der  Tribuna  der  Uffizien- Galerie  dürfte  vielleicht  das 
Originalporträt  dieses  Papstes,  obwol  durch  Uebermalung  sehr 
entstellt,  sich  befinden.  Vasari  berichtet  uns  übrigens,  im  Schloss 
von  Urbino  wäre,  ausser  dem  Originalporträt  Julius'  IL,  auch 
noch  eine  Copie  dieses  Bildnisses  von  der  Hand  Tizian's  (?)  ge- 
wesen. Nun  behauptet  man,  dass  beide  Bilder  von  Urbino  nach 
Florenz  gebracht  worden  seien. 


Der  „Traum  Ezechiers".  71 

„Vasari",  sagte  ich  zu  ihm,  „bemerkt  von  diesem 
Bild,  wenn  ich  mich  recht  entsinne,  dass  Kafiael  es  für 
den  Bolognesen  Ilercolani  gemalt  habe." 

„Allerdings",  antwortete  er,  „und  daher  folgerten 
einige  nordische  Kunstkritiker,  lun  etwas  ganz  Apartes 
zu  sagen,  dass  das  Bildchen,  gleich  der  «Donna  velata», 
nicht  Original,  sondern  die  von  einem  spatem  bolog- 
neser  Maler  angefertigte  Copie  sei." 

„Wo  waro  aber  dann  das  Originalbild  Kaffaers?" 
fragte  ich. 

„Die  Antwoii  aut  dies»  1  im-«'  hkMl)cu  luij?  jene 
weisen  Herren  schuldig.  Da»  du  Ausführung  dieses 
übrigens  vorziiglich  gemalten  Bildes",  iiihr  er  dann  fort, 
„nicht  dem  Urbinaten  selbst  angehöre,  davon  bin  auch 
ich  überzeugt,  denn  sowol  in  der  Form  der  Hand  des 
Gottvaters  und  des  Ohrs  der  Engel,  wie  auch  in  der 
Farbenscala  und  vornehmlich  in  der  wulstigen  Ober- 
lippe der  kleinen  Engel  da,  glaube  ich  sehr  deutlich 
die  Art  und  Weise  des  Giulio  Romano,  des  Lieblings- 
schülers Kaftaers,  zu  erkennen;  trotzdem  aber  spricht 
Uaflaers  (reist  zu  uns  noch  frisch  und  lebendig  aus 
diesem  herrlich  componirten  Bildchen,  das  allerdings, 
wie  einige  Kunstkenner  meiinn.  iisf  im^  Jahr  1517 
entstanden  sein  mag.^ 

„Ist  Ihr  Urtheil  zutreflenU'%  wigte  ich,  „so  muss 
doch  (fiulio  Romano  die  Technik  und  die  Formen  seines 
Lehrers  und  Vorbildes  zum  Täuschen  nachzuahmen  ge- 
wusst  haben,  denn  mir  wäre  es  wahrli  "  '  't  im  Traum 
eingefallen,   an  der  Echtheit  dieses   1  ildihens  zu 

zweifeln.'- 

..y     '  li".   Im  II      '         im-in  i'uln'i.   .."'iinl  t.i^t   alle 

Stati  11    tj.H   l  II   aus   di«  -(  I    >.m,i    l.t/.ten 

Wirkungszeit,  d.  h.  vom  Jahre  151G  bb  zu  seinem  Hin- 
'      '  jrossten  Theil  von  seinen  Schülern  und 

(  limlich  %'on  Giulio  Romano,  ausgeführt; 

war  ja  der  Meister  selbst  in  jenen  Jahren  so  vielfach 


72  Princip  und  Methode. 

in  Anspruch  genommen  als  Maler,  als  Baumeister,  als 
ArchUolog,  dass,  hätte  er  auch  statt  zwei,  vier  Hände 
gehabt,  und  hätte  er  statt  über  zwölf,  über  vierund- 
zwanzig Stunden  am  Tage  gebieten  können,  es  ihm  den- 
noch unmöglich  gewesen  wäre,  all  den  Aufträgen  zu 
entsprechen,  die  ihm  von  allen  Seiten  zuströmten." 

Wenig  erbaut  davon,  dass  ich  dieses  mich  so  sehr  an- 
muthende  Bildchen  nicht  ganz  als  Raffaers  eigenes  Werk 
sollte  ansehen  dürfen,  begab  ich  mich  kopfschüttelnd 
vor  das  an  derselben  Wand  hängende  Cardinalsporträt, 
Nr.  171,  und  wandte  mich  dann  lächelnd  zu  meinem 
Cicerone  mit  den  Worten:  „Nun,  ist  vielleicht  in  Ihren 
Augen  auch  dieses  herrliche  Bildniss  des  schielenden  Car- 
dinais nicht  vom  Meister  selbst,  sondern  gleichfalls 
nur  von  einem  seiner  Schüler  gemalt?" 

„Und  wenn  ich  Ihnen  sagte",  antwortete  er  lachend, 
„dass  ich  dieses  Porträt  nicht  einmal  für  italienische  Ar- 
beit, sondern  für  eine  von  einem  Ausländer  gefertigte 
Copie  nach  einem  Originalbild  RafRieFs  halte!" 

„Nun",  rief  ich  aus,  „wenn  Ihre  Experimental- 
methode  zu  solchen  Ergebnissen  führt,  da  wäre  es  für 
die  Welt  besser,  wenn  dieselbe  möglichst  wenig  davon 
erführe,  und  wenn  sie,  einmal  bekannt  gemacht,  mög- 
lichst bald  wieder  vergessen  würde!" 

„Und  dies",  erwiderte  lächelnd  der  Italiener,  „wird 
auch  höchst  wahrscheinlich  der  Fall  sein." 

„Lassen  Sie  uns  jedoch",  fuhr  er  dann  fort,  „dieses 
berühmte  Porträt  etwas  genauer  betrachten.  Schon  Passa- 
vant (I,  175)  wurde  durch  die  flüssige  Art  dieser  Malerei 
an  deutsche  Meister  erinnert,  und  er  meinte  sogar, 
Raffael  dürfte  dabei  von  irgendeinem  Bilde  Holbein's 
beeinflusst  worden  sein,  was  übrigens,  beiläuiig  be- 
merkt, schon  chronologisch  unmöglich  gewesen  wäre. 
Dass  jedoch  die  Maltechnik  in  diesem  Gemälde  jedem 
Kenner  als  unitalienisch  vorkommen  muss,  darüber, 
scheint  mir,  kann  kein  Zweifel  mehr  obwalten.     Be- 


Porträt  des  Cardlnal's  iDghirami.  73 

trachten  Sie  sich  vor  allem  dieses  stiere,  metallene 
Auge,  diesen  schlecht  modellirten  Mund,  diese  ganz 
verfehlte  Zeichnung  des  Daumens  der  rechten  Hand, 
diese  grellen  Farben  am  Buch,  und  Sie  werden  mir 
doch  wenigstens  zugeben,  dass,  wer  immer  dies  Bild 
gemalt  haben  mag,  kein  grosser  Meister  gewesen  s^in 
kann.  Um  Sie  jedoch  aus  aller  Ungewissheit  zu  be- 
freien, will  ich  Ihnen  nicht  verheimlichen,  dass  das 
Originalbild  noch  immer  in  der  Familie  Inghirami 
zu  Volterra  sich  befindet,  zwar  durch  eine  moderne 
Kt'stauration  ganz  und  gar  entstellt,  allein  an  einzelnen 
Stillen  immer  noch  als  das  Original  erkennbar.*^ 

Gegen  eine  solche  Thatsache  vermochte  ich,  wie 
sich  von  selbst  versteht,  nichts  einzuwenden  und  musste 
daher  meinem  Führer  beistimmen,  wiewol  ich  an  dieser 
seiner  zerstörenden  Kritik  ebenso  wenig  Gefallen  fin- 
den konnte,  als  etwa  Ariosto^s  Roland  an  dem  Feuer- 
gewehr. 

„Dort",  sagte  der  Italiener,  indem  er  auf  die  Wand 
gegenüber  deutete,  „dort  hängt  noch  ein  anderes  Car- 
dinalsporträt, das  man  hier  noch  immer  dem  Urbinaten 
zuzuschreiben  beliebt,  obgleich  es  schon  der  verstor- 
bene Passavant  als  das  Werk  eines  Schülers  erklärte, 
und  zwar  mit  vollem  Recht,'* 

Wir  traten  nun  vor  jenes  Porträt  (Nr.  158)  und  ich 
konnte  unschwer  mich  überzeugen,  dass  an  diesem  Bilde 
weder  die  Augen,  noch  die  linke  Hand  richtig  model- 
lirt  waren  und  dass  selbst  das  Ohr  nicht  jene  ninde, 
volle  Form  hat,  die  wir  an  den  echten  Bildnissen 
Raffaers  soeben  wahrzunehmen  zur  Genüge  Gelegen- 
h«Mt  hnttrii.      '  iliches  Schüler|>orträt,  den  Cardinal 

l*as!*<.Tini  dai-:  -.  .1,  befindet  sich  im  Museum  von 
NiapeH,  9Mgie  er,  indem  er  mir  die  Hand  reichte  und, 
all!  ihr  rhr  *  m1,  sich  >  'licdete.     Und  auch 

uU  war  d«r     \  .  dass  i«  iiesor  I^ction  vor- 

läufig genug  batt«'.   — 


74  Priacip  und  Methode. 

Ich  verlängerte  meinen  Aufenthalt  in  Florenz  noch 
um  mehrere  Wochen  und  benutzte  denselben,  um  täg- 
lich in  den  verschiedenen  Kunstsammlungen  der  Stadt 
nach  der  von  meinem  Führer  mir  angedeuteten  Me- 
thode Formstudien  an  Gemälden,  Statuen  und  Gebäu- 
den zu  machen.  Allein  gar  bald  wurde  es  mir  da  klar, 
dass  eine  so  niichterne,  trockene,  ja  geradezu  pedan- 
tische Art,  die  Werke  der  Kunst  anzuschauen,  den  Geist 
auf  die  Länge  der  wahren,  höhern  Auffassung  entfrem- 
den müsste,  wennschon  sie  immerhin ,  dem  persönlichen 
Geschmack  eines  „alten  Mediciners"  wol  zusagen  möge 
und  etwa  auch  für  den  Kunsttrödler  und  Experten  von 
einigem  Vortheil  sein  diirfte.  Und  so  verliess  ich  end- 
lich Florenz  unbefriedigt. 

Bei  meiner  Kückkehr  nach  Kasan  vernahm  ich  zu 
meiner  grossen  Verwunderung,  dass  die  im  Lande  weit 
und  breit  gepriesene  Bildergalerie  im  Schlosse  des 
Fürsten  Smaranzoff,  die  zur  grössern  Hälfte  aus  Werken 
der  besten  italienischen  Meister  bestand,  in  nächster 
Zeit  unter  den  Hammer  kommen  sollte.  Ich  hatte 
jene  Sammlung,  da  das  fürstliche  Schloss  nur  wenige 
Werst  von  der  Stadt  entfernt  war,  in  meiner  Jugend 
gar  oft  besucht  und  darin  meine  ersten  Kunststudien 
gemacht,  sodass  die  sechs  Madonnenbilder  von  Raffael 
Sanzio,  die  sich  in  derselben  befanden,  noch  glanzvoll 
in  meinem  Gedächtniss  fortlebten.  Ich  fühlte  daher 
ein  wahres  Bedürfniss,  jene  Bilder  mir  noch  einmal  an- 
zusehen und  scharf  einzuprägen,  bevor  sie  in  alle  Welt 
verstreut  würden. 

An  einem  heitern  Decembertag  Hess  ich  daher  meine 
Droschke  anspannen  und  fuhr  vergnügten  Sinnes  nach 
dem  Schloss,  in  dessen  prächtigen  Galerieräumen  ich  be- 
reits einheimische  und  ausländische  Kunsthändler,  Kunst- 
freunde und  Galeriedirectoren  vorfand,  die  alle  mit  lebhaf- 
tem Interesse  und,  wie  es  mir  zuerst  erschien,  auch  mit 


i 


Die  Galerie  des  Fanten  Smarauzoff.  75 

ausserordentlicher  Sachkenntnis&'die  Gemälde  eines  nach 
dem  andern  prüften,  bald  vor  diesem,  bald  vor  jenem 
Bilde  ihre  volle  Bewunderung  ausdrückend  und  hier 
den  Verrocchio,  da  den  Melozzo  da  Forli,  da  selbst 
den  Lionardo  da  Vinci  auf  den  ersten  Blick  erken- 
nend. Ich  hörte  mit  Neugierde  und  Staunen  ihren  ana- 
lytischen Bemerkungen  über  die  vorzügliche  Maltech- 
nik der  Venetianer  und  die  trefl'liche  Erhaltung  der 
KaÜ'ael-Bilder  zu.  Wie  gross  war  aber  mein  Erstau- 
nen, als  ich  endlich  selbst  jene  Raffael-Madonnen,  die 
vor  Jahren  auch  mich  in  so  hohes  Entzücken  versetzt 
hatten,  genauer  untersuchte!  Ich  wagte  kaum  meinen 
Augen  zu  trauen,  da  ich  noch  lebhaft  die  Kafi'ael-Bilder 
im  Pitti- Palast  vor  der  Seele  stehen  hatte,  diesmal 
auch  nicht  umhin  konnte,  die  Kunstwerke  nach  der 
Methode,  welche  der  Italiener  in  Florenz  mich  gelehrt 
hatte,  mir  anzusehen  und  zu  prüfen.  Es  war  mir  da 
zu  Muthe,  etwa  als  wenn  inzwischen  eine  Binde  mir 
von  den  Augen  gefallen  wäre.  Wie  steif  und  lang- 
weilig erschienen  mir  jetzt  diese  Madonnen,  wie  ab- 
geschmackt, ja  lücherlich  die  Kinder  auf  ihrem  Arm 
oder  an  ihrer  Seite,  wie  unraflaelisch  die  Formen! 
Kurz,  die  vor  wenig  Jahren  von  mir  noch  angestaunten 
Werke  des  „göttlichen'^  Urbinaten  wollten  mir  nun 
durchaus  nicht  mehr  gefallen,  und  ich  glaubte  bei 
näherer  Prüfung  deutlich  einzusehen,  dass  all  jene  hoch- 
bewiuiderten  und  gepriesenen  Kaffael-Bilder  nichts  an- 
•  1'  I  'S  als  lauter  C<»pien,  ja  vielleicht  zum  Theil  sogar 
FiiLschungen  waren.  Ebenso  erging  es  mir  bei  der  Be- 
sichtigung der  sogenannten  Werke  von  Michelangelo,  von 
Verrocchio,  von  Lionardo  da  Vinci,  von  Botticelli,  von 
I^)rcnzo  IjQtto  und  von  Palma  vecchio.  Die  Freude,  in 
so  kurzer  ^it  und  nach  so  oberflichlichcn  Studien 
schon  zu  dieser,  wenn  auch  nur  negativen  Erkeiuitniss 
gekommen  zu  sein,  war  in  mir  so  gross,  dass  ich  auf  dem 
Heimweg  den  Entschluss  &8ste,  sobald   als  nur  mog- 


76  Princip  und  Methode. 

lieh  Gorlaw  und  die  Heimat  wieder  zu  verlassen  und 
abermals  meine  Schritte  nach  Deut^^chland,  Paris  und 
Italien  zu  richten,  in  der  Absicht,  in  den  dortigen 
Kunstsammlungen  neuen,  intensiveren  Studien,  und  zwar 
nach  der  von  mir  zuerst  misdeuteten  Methode  des  Ita- 
lieners mich  hinzugeben.  Demzufolge  brachte  ich  zum 
zweiten  male  ein  ganzes  Jahr  theils  in  den  deutschen 
Landen,  theils  in  Paris  und  London  zu  und  wanderte 
dann  voller  Zuversicht  über  die  Alpen  nach  dem  son- 
nigen Italien,  dessen  dunkle  Cypressen  und  Pinien 
mit  dem  blauen  Himmel  darüber  ich  diesmal  mit 
wahrem  Jubel  begrüsste.  Nachdem  ich  mehrere  Monate 
hindurch  in  der  Lombardei  und  ebenso  im  Venetiani- 
schen  emsig  dem  Studium  jener  Localschulen ,  sowie 
der  italienischen  Sprache  und  Literatur  mich  gewidmet 
hatte,  kam  ich  endlich  wieder  nach  Toscana,  dem  seli- 
gen Lande  der  Kunst.  In  Florenz  angelangt,  fragte 
ich  sogleich  nach  meinem  ehemaligen  Führer,  dem  ich 
meine  Dankbarkeit  für  die  freundliche  Mühe,  mit  der  er 
vor  Jahren  sich  mit  mir  befasst  hatte,  ausdrücken  wollte. 

In  der  üeberzeugung,  von  irgendeinem  Beamten  der 
florentiner  Kunstsammlungen  die  Wohnung  des  alten,  un- 
ermüdlichen Galeriebesuchers  leichter  als  irgendwosonst 
erfahren  zu  können,  wandte  ich  mich  sofort  an  den 
Inspector  der  Galerie  mit  der  Bitte,  mir  sagen  zu  wollen, 
ob  gegenwärtig  Herr  .  .  .  noch  in  Florenz  und  wo  er 
da  zu  treöen  sei.  Wie  erstaunt  jedoch  war  ich,  als 
der  königliche  Beamte  mir  trocken  antwortete,  dass  er 
mit  jenem,  ihm  antipathischen  Kritiker  der  alten  Bilder 
nichts  zu  schaffen  habe.  Ueberdies,  fügte  er  hinzu,  sei 
jener  abgeschmackte  Wiedertäufer  ein  ausgemachter 
Feind  der  Freiheit  und  ich  müsste  mich  daher  an  einen 
^^Codino'-^  wenden,  wenn  ich  seine  Wohnung  erfahren 
wolle. 

Erst  nach  langem  Herumfragen  und  Suchen  gelang 
es  mir  endlich   eine  Person  ausfindig  zu  machen,   die 


Mein  ehemaliger  Führer.  77 

in  der  Lage  war,  über  ihn  einige  Auskunft  mir  zu  er- 
theilen.  Es  war  die^  ein  Apotheker,  ein  hagerer  Mann 
mit  blassem  Gesicht,  scharfem  dunkeln  Auge  und  langer, 
spitzer  Nase.  Ich  fragte  ihn,  ob  er  mir  sagen  konnte, 
ob  der  alte  Mann  noch  immer  am  Leben  sei. 

„Falls  er  nicht  ganz  kürzlich  gestorben  ist,  so  lebt 
er  noch",  erwiderte  er  mir  in  kaltem  Tone. 

„L^nd  wissen  Sie   nicht,   wo  er  jetzt  wohnt. 
Jahren",  fugte  ich  hinzu,  „war  seine  Wohnung  in  der 
Via  San  Frediano." 

„Ja,  ja,  ich  weiss  es",  sagte  der  mürrische  Mann. 
„Ich  glaube  aber,  er  hat  seit  Monaten  die  Stadt  Ter- 
lassen  und  sich  aufs  Land  zurückgezogen.  Wie  ich 
hörte",  fugte  er  spöttisch  lächelnd  hinzu,  „soll  er  seine 
Mitmenschen,  die  eben  nicht  nach  seiner  Pfeife  tanzen 
wollen,  satt  bekommen  haben.  Ausser  einigen  wenigen 
politischen  Spiessgesellen  von  hier  empßnjft  er  aiu-h 
niemand  mehr." 

„Und  doch",  sagte  ich,  „schien  er  mir,  als  ich 
ihn  kennen  lernte,  ein  heiterer,  lebensfroher  Mann 
zu  sein." 

„Es  war  stet»  eiu  Feind  der  Ordnung  und  des  Ge- 
setzes", fiel  mir  der  Apotheker  ins  Wort,  ,,ein  Mensch 
ohne  Gewissen.  Alle  diese  RevQlutionsmänner  und  Welt- 
verbesserer in  unserm  Italien  sind  nichts»  als  freche,  eitle 
Egoisten,  ohne  alle  Pietät  vor  dem  Bestehenden  und  ohne 
Religion;  was  Wunder,  dass  sie  mit  den  Jahren  menschen- 
scheu werden!  Gott  möge  ihnen  das  Unheil  vergeben,  das 
sie  über  unser  schönes  Land  gebracht  haben." 

Aus  diesen  bissigen  Bemerkungen  des  hagem  Man- 
nes erkannte  ich  unschwer,  dass  er  zur  klerikalen, 
mein  ehemaliger  Begleiter  in  den  florentinischen  Bilder- 
galerien aber  zur  Partei  der  Patrioten  gehören  müsm*. 
Mich  wunderte  es  jedoch,  dans  *>in  Mann,  der  noch  vor 
kurzem  so  begeistert  war  für  Kunst  und  Wissenschaft 
und  namentlich  ftir  die  Regeneration  seine«  Landes,  sich 


78  Princip  und  Methode. 

nun  plötzlich  von  der  Welt  gänzlich  habe  zurückziehen 
wollen. 

Ich  dankte  meinem  griesgrämigen  Berichterstatter 
und  verabschiedete  mich  sobald  als  möglich  von  ihm. 
Beim  Nachhausegehen  konnte  ich  mich  nicht  erwehren, 
über  die  Wandelbarkeit  unserer  Freuden  und  Leiden 
in  dieser  Welt  Betrachtungen  anzustellen. 

Nach  einem  zweijährigen  Aufenthalt  in  Toscana 
kam  ich  endlich  in  der  Ewigen  Stadt  an,  wo  ich  es  mir 
seit  vielen  Monaten  angelegen  sein  lasse,  die  Werke  dei- 
Kunst  in  Kirchen  und  Galerien  zu  studiren,  und  wo  ich 
schliesslich  dem  iibermüthigen  Gedanken  Folge  leistete, 
einen  Theil  der  llesultate  dieser  meiner  Studien  den 
jungen  Kunstbeflissenen  meines  Vaterlandes  mitzuthei- 
len.  Mögen  sie  diese  Versuche  mit  demselben  Wohl- 
wollen aufnehmen,  mit  dem  ich  sie  ihnen  darbiete. 


I. 
DIE  GALERIE  BORaHESR 


EIKXEITÜXG. 

Sin  T»9  tohtt  dM  «adOTB. 

»n  diesen  unsern  Tagen,  wo  die  Demokratie  ihre 
alles  und  alle  gleich-  und  seligniachende  Fahne 
auch  auf  den  verlotterten  Mauern  der  Haupt-  und 
Residenzstadt  des  Katholicismus  aufgepflanzt  hat, 
und  wo  es  demnach  zu  erwarten  steht,  dass  mit  der 
Aufhebung  der  verhassten  Familienstiftungen  auch  hier, 
wie  es  überall  anderwärts  geschehen,  die  Kunstschätze 
der  grossen  Patricierfamilien  und  zugleich  wol  auch 
manches  Kleinod  in  Taschenformat  aus  den  vaticanischen 
Sammlungen  in  alle  Welt  zerstreut  werden,  möchte  es 
wol  an  der  Zeit  sein,  die  bedeutenden  und  bekanntesten 
dieser  Kunstsammlungen  uns  noch  einmal  anxusehen, 
solange  dieselben  beisammen  sind,  und  die  darin  ent- 
haltenen Hauptwerke  kritisch  zu  besprechen.  Die  Auf- 
gabe ist  weder  ganz  leicht  noch  ist  sie  sehr  angenehm. 
Auch  hätte  ich,  im  Beginne  meiner  Lehrjahre,  mich 
niemals  von  der  Anmassung  anwandeln  Ussen,  eine  so 
schwere  und  drückende  Last  auf  meine  schwachen  Schul- 
tern zu  nehmen,  wäre  ich  nicht  bei  einem  langem 
Aufenthalt  in  Rom  zu  der  Ueberzeugiuig  gekonunen, 
dass  die  meisten  der  bedeutenderen  einheimischen  Kunst- 
golehrton  in  den  gegenwärtigen  Zeiten  ihre  koi^tbaren 
Studien,  ihre  Gelehrsamkeit  und  ihren  Scharfsinn  mit 
weit  grosserm  Nutzen  für  sich  selbst,  sei  es  in  der 
Politik  sei  es  allenfalls  auch  in  der  Leitung  von  Aus- 

LKRMOLIKrr.  0 


32  Die  Galerie  Borghese. 

grabungen  etruskischer  oder  römischer  Trümmer,  ver- 
werthen  können,  und  dass  sie  es  daher  einem  Fremden 
schwerlich  veriibehi  werden,  wenn  er  diese  verführer- 
ische Gelegenheit  benutzt,  seine,  wenn  auch  mit  ge- 
ringen Kräften,  so  doch  gewiss  mit  grosser  Gewissen- 
haftigkeit gemachten  Studien  auf  die  Probe  zu  stellen. 
Bedenkt  man  wieder  andererseits,  welch  eine  langwie- 
rige und  in  den  Augen  der  meisten  auch  geringfügige 
Arbeit  die  Compilation  eines  Galeriekatalogs  ist,  so 
wird  man  wol  ebenfalls  zugeben  miissen,  dass  man  einem 
namhaften,  vielbeschäftigten  Kunsthistoriker  oder  Gale- 
riedirector  doch  nicht  wohl  zumuthen  darf,  sich  mit 
derlei  Dingen  zu  befassen.  Es  ist  dies  also  die  eigent- 
liche Arbeit  eines  Anfängers  und  Lehrlings,  einer  Sorte 
Menschen,  zu  denen  ich  mich  bekenne,  die  in  der  Kunst- 
wissenschaft noch  die  Sporen  sich  verdienen  wollen, 
während  es  dem  Kunsthistoriker  und  Kunstphilosophen 
vorbehalten  bleiben  muss,  in  reineren,  erhabeneren  Re- 
gionen zu  walten,  damit  er,  gleichsam  zwischen  Erde 
und  Himmel  schwebend,  dem  Genius  der  Kunst  un- 
beirrt folgen  könne.  Alle  diese  Betrachtungen  und  Vor- 
aussetzungen haben  meine  angeborene  Schüchternheit 
nach  und  nach  eingeschläfert  und  meiner  Eitelkeit  so- 
mit freie  Zügel  gelassen.  Mögen  die  gütigen  Götter 
es  verhüten,  dass  die  dreiste  Probe  nicht  der  des 
Frosches  in  der  Fabel  gleichkomme! 

Ich  hielt  es  für  rathsam,  diese  wenigen  Worte  der 
Entschuldigung  vorauszuschicken,  auf  dass  man  diese 
Arbeit  für  nichts  anderes  ansehen  wolle,  als  für  was 
ich  sie  selbst  halte,  nämlich  für  einen  mehr  oder 
minder  anspruchslosen  Versuch  eines  Anfängers,  seinen 
Witz  an  den  grossen  italienischen  Malern  der  Vor- 
zeit zu  prüfen,  und  dieselben  kritisch  zu  bestimmen, 
wo  es  ihm  eben  däucht,  dass  eine  passendere  Taufe  als 
die  des  Katalogs  am  Platze  sein  dürfte.  Diese  und 
keine   andere    Aufgabe    habe    ich  mir    gestellt. 


Einleitung.  g3 

Ein  solches  Unternehmen  mochte  daher  niemand  an- 
ders interessiren  können,  als  etwa  irgendeinen  eben- 
bürtigen Fremden,  der  in  den  römischen  Kunstsamm- 
lungen, solange  dieselben  noch  bestehen  werden,  ähn- 
liche Studien  zu  machen  Lust  hätte;  denn,  da  meine 
Urtheile  in  einigen  Fallen  von  den  hergebrachten  und 
allgemein  vom  kunstliebenden  Publikum  anerkannten 
abweichen,  so  ist  derselbe  angehalten,  seinen  Scharf- 
sinn zu  üben,  beide  Urtheile  zu  prutVn  und  gegeneinan- 
der abzuwägen,  um  sich  sodann  entweder  an  das  eine 
oder  das  andere,  oder  auch,  wenn  er  will,  an  keines 
von  beiden  zu  halten.  In  diesem  Sinne  können  ja  selbst 
meine  Fehltritte,  und  daran  wird  es  keinen  ]^Iangel 
haben,  manchem  zu  Nutzen  kommen,  und  ihm  viel- 
leicht dienlich  sein,  den  rechten  Weg  aufzufinden.  Hat 
ja  doch  auch  das  kühne  Wort  des  Engländers  Wornuni 
über  die  Holbein-Madonna  zu  Dresden,  trotzdem  es  von 
den  orthodoxen  Kunstgelehrten  Deutschlands  anfäng- 
lich als  Häresie  betrachtet  und  gebrandmarkt  wurde, 
zuletzt  doch  durch  das  Erkenntniss  des  ehrenwerthen 
Kunstgerichts  in  der  Hauptstadt  Sachsens  selbst  die 
glänzendste  Anerkennung  und  Hekräftigung  gefunden. 

Ich  werde  vorderhand  nur  zwei  der  bedeutendsten 
unter  den  Gemäldegalerien  Roms  vornehmlich  ins  Auge 
fjissen,  die  Borghesische  und  diejenige  des  Fürsten  Doria 
Pamfili,  was  mich  aber  nicht  abhalten  soll,  wenn  die  Ge- 
legenheit sich  darbietet,  einige  Blicke  auch  in  die  an- 
dern Bildersammlungen,  und  zwar  nicht  nur  Koma, 
sondern  auch  des  übrigen  Italien  zu  werfen. 

Ueber  die  Entstehung  dieser  Galerien  kann  ich  nichts 
Zuverlässiges   berichten,    da   ich    '  il icherweise   mit 

keinem  der  hohen  inid  höchsten  i  "in  personliche 

Berührung  gekommen  hin,  und  da,  sorviel  mir  bekannt» 
die  meisten  Führer  darüber  schweigen.  Dem  Studium 
der  Kunstwerke  selbst,  wenigstens  wie  ich  i»s  verstehe, 
geschieht  dadurch  jedenfalls  kein  Abbnich.    Die  meisten 


g4  Die  Galerie  Borghese. 

» 

dieser  Sammlungen  verdanken  ihren  Ursprung,  wenn 
ich  nicht  irre,  der  Kunstliebe  oder,  wie  andere  meinen, 
der  spanischen  Prunksucht  des  17.  Jahrhunderts:  die 
Grundlage  zu  der  Borghesischen  wurde  in  den  ersten 
Decennien  jenes  Jahihunderts  durch  den  Cardinal 
Scipione  Borghese  gelegt,  die  andern  Sammlungen, 
mit  Ausnahme  der  Colonnesischen  und  der  des  Hauses 
Chigi,  entstanden  später.  Die  Galerie  Barberini,  welche 
durch  den  Papst  Urban  VIII.,  bei  der  Annexion  des 
Fürstenthums  Urbino  an  den  Heiligen  Stuhl,  einen 
bedeutenden  Zuwachs  aus  dem  Schlosse  von  Urbino 
erhielt,  traf  später  das  üble  Los,  in  zwei  Hälften 
getheilt  zu  werden,  von  denen  die  eine  der  Familie 
Barberini -Colonna  verblieb,  die  andere  dem  Hause 
Sciarra-Colonna  anheimfiel. 

Was  nun  die  Aufstellung  und  Anordnung  der  Bil- 
der in  diesen  Galerien  betrifi't,  so  wurde  dieselbe  in  den 
allermeisten  Fällen  keinem  leitenden  Gedanken,  sondern, 
wie  dies  leider  in  Italien  gäng  und  gebe  ist,  der  Grösse 
und  der  Form  des  Bildes,  ja  zuweilen  auch  des  Rah- 
mens unterworfen,  sodass  die  Gemälde  in  den  Zinnnern 
eher  untergebracht,  als  geordnet  sind.  Eine  beher- 
zigenswerthe  Ausnahme  davon  macht  die  Borghesische 
Pinakothek,  die  ihre  gegenwärtige  Aufstellung  ihrem 
ehemaligen  langjährigen  Custoden  verdankt,  nämlich 
dem  in  neuester  Zeit  so  hoch  gefeierten  Archäologen 
Commendatore  Kosa,  welcher  in  der  jetzigen  Anord- 
nung derselben  die  Absicht  zu  erkennen  gab,  die  ver- 
schiedenen Kunstwerke  nach  Schulen  aufzustellen  und 
zu  vertheilen.  Die  Wahl  der  meisten  Namen,  die  man 
unter  die  Bilder  gesetzt  hat,  sowol  in  diesen  Privat- 
galerien Koms,  als  auch  in  allen  öffentlichen  Kunst- 
sammlungen Italiens,  datirt  aus  dem  Ende  des  16. 
oder  dem  Anfänge  des  17.  Jahrhunderts,  also  aus 
einer  Zeit,  wo  die  Kunstkritik  meist  von  Akademikern 
und  kunstliebenden  Prälaten  zwischen  einer  Prise  und  der 


EiDleitong.  85 

andern  ausgeübt  wurde,  und  wo  danu  die  jedesmaligen 
Erkenntnisse  jener  Herren  als  endgültig  anerkannt, 
keiner  weitern  Instanz  unterbreitet  werden  durften. 
Derartige  Urtheile  nun,  die  in  den  meisten  Fällen  nicht 
nur  das  gutwillige  Kunstpuhlikum,  sondern  auch  die 
Mehrheit  der  modernen  Kunstschriftsteller  unbesehen 
angenommen  haben,  kritisch  anzutasten,  nach  so  langen, 
hingen  Jahren  einer  ungefährdeten  friedlichen  Existenz, 
mag  den  gläubigen  Kunstfreunden  als  ein  Frevel  er- 
scheinen und  in  gewisser  Hinsicht  wol  mit  Hecht,  da 
dies  ja  dahin  fuhren  konnte,  den  lieblich  gemüthlichen 
Kunstdusel  vieler  ästhetischen  Seelen  unangenehm  zu 
unterbrechen.*  Ein  solcher  Gedanke  hätte  auch  fiir 
mich  peinlich  sein  müssen,  wenn  ich  nicht  im  voraus 
die  Gewissheit  hätte,  dass  meine  Worte,  wie  sie  ja 
nicht  für  jenes  Publikum  niedergeschrieben  sind,  so 
auch  schwerlich  an  das  Ohr  desselben  gelangen  wer- 
den. Ich  mochte  wahrlich  um  keinen  Preis  dem  In- 
fallibilitätsglauben  der  kunstliebenden  Touristen  und 
Bildergalerie -Beflissenen  der  Alten  und  Neuen  Welt 
den  mindesten  Anstoss  geben!  Denn,  wehe  allen  den 
grossen  und  berühmten  Kunstsammlungen  P^uropas,  falls 
das  bisher  gläubige  Publikum  anfangen  sollte,  die  Ka- 
taloge und  rothbändigen  Führer  mit  dem  Auge  des 
Zweifels  und  des  Mistrauens  anzusehen!  Der  ästhe- 
tische Genuss  wäre  dahin,  der  Drang  nach  den  Glypto- 
und  Pinakotheken  Hesse  nach,  und  der  Gewinn  und 
Nutzen  fTir  die  sogenannte  allgemeine  Bildung  dürften 
somit  sehr  in  Frage  kommen.  —  Damit  aber  hat  es, 
wie  gesagt,  nicht  die  mindeste  Gefahr.  Von  einem 
hohem  oder  höchsten  Standpunkte  aus  die  Sache  an- 
gesehen, ist  es  auch  in  der  That  ganz  gleichgültig,  ob 

'  „La    coutume",    »aRt   VMctkl  irgendwo,    „/ail  I0«<«  VI- 
'initc  par  cette  seuh  raison  qnUUe  ett  re^ne;  c^est  U  fomdiment 


m  //.N 


tique  de  aon  autoriU !  Qui  la  ramkne  A  «oh  principe,  VamkmUV* 


gß  Die  Galerie  Borghese. 

ein  Kunstwerk  mir  unter  diesem  oder  unter  jenem  Namen 
Genuss  und  Belehrung  gewährt,  die  Hauptsache  bleibt 
ja  doch  immer,  dass  es  iiberhaupt  mir  Freude  bringt, 
d.  h.  dass  es  meinen  Geist  auf  angenehme  Art  beriihrt, 
dass  es,  wie  die  Deutschen  sagen,  die  zartesten  Saiten 
oder  Fäden  meiner  Seele  erzittern  macht.  Und  zum 
Gliick  der  Menschheit  geschieht  dies  täglich  in  allen 
Bildergalerien  Europas,  allen  Mängeln  zum  Trotz,  welche 
pedantische  Kunstkritiker  in  den  Katalogen  aufzufinden 
sich  abplagen.  Ein  Gemälde,  sagt  ja  ein  alter  Pro- 
fessor der  Aesthetik,  ist  gleich  einer  Blume  des  Feldes : 
zarte,  reine  Seelen  freuen  sich  derselben,  unbekümmert 
darum,  ob  gelehrte  Botaniker  sie  zu  den  Kosaceen  oder 
zu  den  Malvaceen  zu  klassificiren  sich  gefallen. 

Und  nun  treten  wir,  ohne  weitere  Worte  zu  ver- 
lieren, in  die  Borghesische  Galerie  ein.  Dieselbe  ver- 
dient die  Ehre  unsers  ersten  Besuches,  da  sie  trotz 
mancher  bedeutenden  Verluste,  die  sie  während  der 
langen  Jahre  ihres  Bestandes  erfahren  musste,  doch  noch 
immer  unter  allen  Privatsammlungen  der  Welt,  nach 
meinem  Dafürhalten  wenigstens,  weitaus  die  erste  Stelle 
einnimmt.  Und  wenn  man  in  neuester  Zeit  das  Ge- 
rücht verbreitet,  dass  die  russische  Regierung  25  Mil- 
lionen Franken  flir  dieselbe  geboten  habe,  so  hat  man 
damit  nur  dem  grossen  unschätzbaren  Werthe  dieser 
Sammlung  durch  eine  runde  Zahl  einen  Ausdruck,  und 
damit  dem  kunstsinnigen  Publikum  einen  fasslichen,  un- 
abweisbaren Beweis  dafür  an  die  Hand  geben  wollen, 
dass  die  in  diesen  Räumen  aufgestellten  Bilder  wirk- 
lich theuer,  und  somit  seiner  Bewunderung  werth  sind. 
—  Ich  werde  mich  in  meiner  kritischen  Musterung 
der  Gemälde  nicht  an  die  Nummerfolo-e  des  Katalogs 
halten  und  derselben  nachgehen.  Diese  Methode  ist 
zwar  nicht  die  praktischste,  wol  aber  die  logischste 
und  wird  jenen  wenigen,  die  gesonnen  sind,  mir  in 
dieser  Rundschau  zu  fol*]cen,  die  Sache  erleichtern. 


Einleitung.  g7 


Erstes,  zweites  und  drittes  Zimmer. 

Die  in  dem  ersten  Gemache  enthaltenen  Bilder  sind 
fast  ausschliesslich  Werke  von  Meistern,  die  ihrer  Geburt 
nach  dem  15.  Jahrhundert  angehören,  die  aber  noch 
lange  Jahre  hindurch  im  16.  Jahrhundert  fortgewirkt 
haben,  wie  Sandro  Botticelli,  Francesco  Raibolini,  Pinto- 
ricchio,  Pier  di  Cosimo,  Lorenzo  di  Credi,  Giovan 
Antonio  Bazzi  und  andere  mehr,  und  die  somit  in  jene 
Kategorie  einzureihen  sind,  welche  Pater  Lanzi  mit 
einem  für  seine  Zeit  und  seinen  Orden  charakteristi- 
schen Ausdrucke  die  Modernsten  unter  den  Alten  oder 
die  Aeltesten  unter  den  Modernen  zu  nennen  beliebte. 

Ehe  wir  die  einzelnen  Bilder  näher  betrachten,  erlaube 
man  mir  einige  Worte  der  Verstandigimg  an  den  berühm- 
ten franzosischen  Kunstkritiker  Herrn  Charles  Blanc, 
Membre  de  V Institut^  zu  richten.*  Dieselben  sollen  nicht 
nur  als  Entgegnung  auf  eine  von  ihm  wiederholte  und  von 
den  meisten  Aesthetikern  und  Kunsthistorikern  unserer 
Tage  anerkannte  Maxime  dienen,  sondern  sie  sollen  m- 
gleich  ein  Massstab  sein  für  die  von  mir  befolgte  Methode. 
Plus  les  mattres  sont  grands^  plus  leur  ante  est  emgagie 
dans  leurs  ouvrages^  sagt  also,  wenn  auch  nicht  gerade  su* 
erst,  so  doch  gewiss  ganz  richtig  Herr  Charles  Blanc  in 
einem  seiner  Artikel  der  „Gazette  des  Beaux-Arts",  1861, 
„  üne  peinture  de  Uonard  de  Vinci^  betitelt,  worin 
derselbe  beweisen  mochte,  dass  ein  heiliger  Sebastian, 
den  sein  Besitzer,  Herr  Moreau,  für  60000  Francs  an 
den  Kaiser  von  Russland  verkauft  hatte,  nichts  anderes 
sein  könne,  als  ein  echtes  Werk  des  Lionardo.    Und, 


*  Dieser  geistreiche,  aber  tahr  oberfliehHelM 
Kunstschriftsieiler  ist  inswisohen  gestorben. 


^  Die  Galerie  Borghese. 

fährt  er  fort,  pour  juger  de  Vauthenticite  d^un  tableau^ 
il  Importe  de  connaitre  Vesprit  du  peintre  plus  encore 
que  868  procedes,  car  les  procedh  s'apprennent^  le  faire 
se  traiumet  et  s'hnite,  maü  Väme  ne  saurait  se  trans- 
mettre;  eile  est  essentielle ment  inimitable,  Ainsi^  ä  Vin- 
verse  (!f)  de  la  plvpart  des  connaisseurs  qui  regardent 
principalement  dans  Vceuvre  d''un  artiste  aux  habitudes 
de  8011  pinceau^  faimerais  mieux  m'^enquerir  avant  taut 
de  la  tournure  de  son  esprit.  Vesprit  de  Leonard  ou 
plutot  son  genie  etait  singulih'ement  co7nplexe  etc.  etc.  — 
Und  eben,  weil  dieses ^e'wie  des  Leonardo  so  complex 
war,  glaubte  Herr  Blanc  den  obengenannten  heiligen 
Sebastian,  von  dem  er  ein  Facsimile  seinem  Artikel 
beifügt,  dem  Lionardo  da  Vinci  zuschreiben  zu  dürfen. 
Was  würde  nun  Herr  Blanc  sagen,  wenn  ich  meiner- 
seits ihm  entgegnete:  Man  eher  Monsieur  Blanc ^  auch 
ich  glaube,  wie  Sie,  la  tournure.,  le  genie  singulierement 
complexe  des  Lionardo,  wenn  auch  nicht  erfasst,  so  doch 
wenigstens  nach  besten  Kräften  studirt  zu  haben,  aber 
neben  diesem  Studium  der  geistigen  Persönlichkeit  des 
Künstlers,  die  ja  immer  in  einem  echten  Kunstwerke 
steckt,  ja  die  das  eben  ist,  was  aus  dem  Bilde  heraus- 
schauend zu  uns  spricht  und  unser  Herz  und  unsern 
Geist  ergreift,  —  neben  diesem  psychologischen  Studium, 
sage  ich,  habe  ich  doch  nie  das  der  procedes  und  des 
faire  des  Meisters  vernachlässigt,  aus  langer  Erfahrung 
wohl  wissend,  welch  üble  Streiche  die  Einbildungskraft 
uns  zu  spielen  sich  gefällt.  Und  gerade  weil  ich  in 
meinen  Kunststudien  sowol  dem  Geiste  gelauscht  habe 
als  der  Form  nachgegangen  bin,  glaube  ich  mit  Zuver- 
sicht sagen  zu  können:  der  von  euch  als  ein  Werk  des 
Lionardo  gepriesene  heilige  Sebastianus  ist,  meiner  An- 
sicht nach,  keineswegs  die  Arbeit  des  grossen  Floren- 
tiners, sondern  scheint,  dem  schlechten  Facsimile  nach 
zu  urtheilen,  nur  seiner  Schule  anzugehören  und  zwar 
höchst  wahrscheinlich  dem   Cesare  da  Sesto,    wenn 


Einleitung.  g9 

es  überhaupt  erlaubt  ist,  nach  einem  sehr  schwachen 
Stiche  ein  Gemälde  zu  besprechen  und  zu  beurtheilen. 
Doch  daran  liegt  vorderhand  nichts,  wollte  ich  doch 
damit  nur  sagen,  dass  eben  jeder  Kunstforscher  in  der 
Einbildung  lebt,  den  Geist  und  die  besondere  Art  des 
Meisters,  über  den  er  sich  vernehmen  lässt,  erfasst,  ja 
besser  als  alle  seine  Vorganger  ergründet  und  begriffen 
zu  haben.  Und  eben  weil  seit  Väsari  die  Kunst- 
geschichte diesen  so  breiten,  so  bequemen  und  doch 
so  schlüpfrigen  und  bodenlosen  Weg  gegangen  ist,  ge- 
rade deshalb  hat  dieselbe  seither  so  wenige  Fortschritte 
gemacht,  da  ja  doch  wahrlich  kein  besonnener  Mann 
den  Einfall  haben  kann,  jenen  ästhetischen  Kunstdilet- 
tantismus, der  in  neuester  Zeit  in  Europa  in  allen  Ton- 
arten sich  vernehmen  lässt,  und  in  dicken  Bänden,  Bro- 
schüren und  öffentlichen  Vorträgen,  zum  Entzücken 
namentlich  der  Damenwelt,  sich  Luft  macht,  als  eine 
Wissenschaft  betrachten  zu  wollen,  sondern  eben  für 
nichts  anders  halten  wird,  als  für  ein  unschuldiges  Amü- 
sement, von  den  Geistreichen  mit  Geist  und  Witr.  von 
.den  Einfältigen  aber  einfältiglich  betrieben. 

Herr  Blanc  wird  daher  hoffentlich  einsehen,  dass 
mit  dem  sogenannten  Studium  der  toumure  de  Petprit^ 
de  Vdme  eines  Meisters  noch  nichts  oder  doch  sehr 
wenig  gethan  ist,  wenn  es  sich  darum  handelt,  mit 
mehr  oder  minder  wissenschaftlicher  Sicherheit  den 
Autor  eines  Kunstwerks  zu  bestimmen.'     Ist  der  ver- 


'  Wie  gefahrlich  es  ist,  blos  auf  seine  Intuitionsgmbe,  so  fein 

dieselbe  auch  immer  sein  mag,  sich  verlassen  so  woUan,  davon 

liefert  ans  derselbe  mit  der  .^toumure  de  Veeprit*  des  Lionardo  da 

80  vertraute  französische  Kunstsohriftsteller  ein  anderas 

;rcnde8  Beispiel  in  seinem  Urtheil  über  die  Federskiita 
(Nr.  268)  der  Thiers'schen  Kunstsammlong  im  Lonvre.  War  den 
Muth  bat,  eine  so  ekelhaft  grobe  F&lsohnng  einam  Lionardo 
da  Vinci  zuzuschreiben,  der  bitte  wahrlich  bemr  gtibao,  Ober 


90  I^ic  Galerie  Borghese. 

storbene  Graf  von  Lepel  auf  diesem  iiämliclieii  Wege, 
d.  h.  indem  er  blos  nach  dem  Totaleindruck  urtlieilte, 
doch  dahin  gekommen,  im  Jahre  des  Herrn  1825  noch 
die  Echtheit  der  Madonna  di  San  Sisto  in  der  dresdener 
Galerie  zu  bezweifeln!  Der  edle  Graf  führte  als  Haupt- 
grund seiner  Zweifel  eben  auch  an:  dass  die  Kunst 
nicht  leicht  in  Worte  gefasst  werden  könne,  denn  sie 
rühre  und  wirke  aufs  Gefühl.  Und,  auf  diese 
schlüpfrige  Maxime  gestützt,  erklärte  derselbe  die 
dresdener  Madonna  di  San  Sisto  für  ein  Werk  aus  der 
Schule  Raffael's,  etwa  des  Timoteo  della  Vite,  während 
es  Hofrath  Aloysius  Hirt  als  eine  Arbeit  ,des  Fattore 
betrachtet  wissen  wollte.^ 

Ich  meinerseits  bin  immer  mehr  zu  der  Ueberzeu- 
gung  gekommen,  dass  man  nur  durch  ernste,  unaus- 
gesetzte Studien  der  Form  nach  und  nach  dazu  ge- 
langen kann,  den  Geist,  der  sie  belebt,  zu  erkennen 
luid  zu  erfassen.  Freilich  lassen  sich  solche  Studien 
nicht  in  ein  paar  Wochen  oder  Monaten,  ja  selbst  nicht 
in  einigen  Jahren  abthun.  Jedes  echte  Werk  eines 
Meisters,  bemerkt  ein  indischer  Kunstkritiker,  wird  dir 
antworten,  wenn  du  es  verstehst  es  zu  befragen.  Bleibt 
es  dir  die  Antwort  schuldig,  so  rechne  darauf,  dass  ent- 
weder deine  Frage  unverständig  war,  oder  aber  dass 
die  Seele,  der  Geist,  das  Wesen  des  Meisters  nicht  in 
jenem  Werke  lebt.  Folglich,  füge  ich  hinzu,  dass  das 
vermeintliche  Kunstwerk  entweder  Copie  oder  Fabrik- 
arbeit war.  Und  wenn  ich  nun  zum  Beweise  dieser 
von  mir  hier  wiederholten  Wahrheit  mich  sozusagen  ge- 
zwungen sehe,  einzelne  materielle  Zeichen  und  For- 
men (die  aber  doch  wieder  nicht  so  materiell  oder  auch 
zufällig  sind,    wie    sie  vielleicht    manchem    erscheinen 


andere  Dinge  auf  dieser  Welt  zu  discouriren,   als  über  „Vame 
et  la  toiirnure  de  Vesprit^'^  des  grossen  Florentiners. 

^  Siehe  Graf  von  Lepel,   Verzeichniss  der  Werke  Raffael's. 


Einleitung.  91 

möchten)  näher  anzugeben^  so  darf  ich  wol  hofieu,  von 
meinen  gütigen  Lesern  nicht  misverstanden  zu  wer- 
den. Schon  Lionardo  da  Vinci  sagt:  y^Chi  s%  prometfe 
dalla  sperienza  quel  che  non  k  in  lei  si  discosta  dalla 
ragione''\  auf  deutsch:  Wer  von  der  £xpenmental- 
methode  sich  das  verspricht,  was  zu  leisten  nicht  in 
ihrer  Macht  liegt,  ist  unvernünftig  (Codex  Atlrin- 
ticus). 

Niemand,  der  einigermassen  mit  deui  muuiuiu  ua- 
lienischer  Kunstwerke  befreundet  ist,  wird  in  Abrede 
stellen  wolle«,  dass  es  manchmal  nicht  so  leicht  ist 
wie  es  scheint,  Werke  des  Schülers  von  denen  des 
Meisters  zu  unterscheiden,  und,  da  wir  bei  der  floren- 
tinischen  Malerschule  stehen,  ein  Werk  z.  B.  des  Ma- 
solino  von  dem  des  Masaccio  *  (Crowe  und  Cavalcaselle, 
I,  521,  528),  ein  Werk  des  jungen  Filippino  Lippi  von 
dem  eines  Sandro  Botticelli,  oder  ein  Jugendwerk  des 
letztem  von  dem  des  Fra  Filippo  Lippi,  oder  eine  tüch- 
tige Jugendarbeit  des  KaÖaellino  del  Garbo  von  einer 
schwächern  Arbeit  des  Filippino  zu  unterscheiden.  Han- 
delt es  sich  ja  hier  doch  immer  um  Werke  der  näm- 
lichen Schule  oder  der  nämlichen  Kunstrichtung.  Denn 
wie  Masolino  das  Vorbild  des  Masaccio,  und  Fra  Fi- 
lippo der  Lehrer  des  Botticelli,  so  war  dieser  der 
Meister  des  Filippino,  der  seinerseits  wieder  den  Kafiael- 
lino  del  Garbo  zum  Schüler  hatte.  Ja  manchmal  gi*- 
schieht  es  sogar,  dass  der  Grossenkel  in  der  Kunst  mit 
seinem  Urgrossvater  verwechselt  wird,  wie  dies,  um 
einige  Beispiele  anzuführen,  in  der  Galerie  dolle  belle 
arti  in  Florenz  goschchen  ist,  woselbst  zwei  Bilder  (den 
heiligen  Johannes  den  Täufer  und  die  heilige  Magdalena 


*  So  wird,  sowol  in  der  Brtncmcci-Kapellc  ain  nuou  m  ^un 
demente  in  Rom,  Masolino  von  den  Herren  Crowe  und  C«%*al- 
catelle  und  auch  von  Director  W.  Bode  (Cicerone,  II,  5C3  und 
564)  immer  noch  mit  Masaooio  verwechselt 


92  J^ie  Galerie  Borghese. 

darstellend)*,  welche  zweifellos  dem  Filippino  angehören^ 
zuerst  dem  Masaccio,  also  dem  Vorbild  Fra  Filippo's, 
später  dann  dem  Andrea  del  Castagno  zugeschrieben 
wurden,  während  man  in  Florenz  noch  immer  fortfährt, 
den  in  der  Mitte  derselben  Bilder  aufgestellten  heiligen 
Hieronymus^,  ebenfalls  ein  Werk  des  Filippino,  als 
ein  Werk  des  Andrea  del  Castagno  dem  gutwilligen 
Publikum  vorzustellen. ^ 

Es  wäre  mir  leicht,  noch  mehrere  andere  Beispiele 
der  Art  aus  andern  Kunstschulen  anzuführen  zum  Be- 
weise dafür,  dass  es  selbst  anerkannten  Kunstkennern 
nicht  immer  gelingt,  mit  einer  gewissen  Sicherheit  die 
Werke  des  Schillers  von  denen  des  Meisters,  oder  um- 
gekehrt, zu  unterscheiden,  wenn  sie  bei  einer  solchen 
Beurtheilung  nur  den  sogenannten  ästhetischen  Mass- 
stab der  .^tournure  de  Vespnt'-'-  und  den  der  „ame"  eines 
Künstlers  mitbringen  oder  auf  den  sogenannten  „Total- 
eindruck" sich  allein  verlassen  wollen. 

Andererseits  reicht  manchmal  auch  die  grosste  Praxis 
und  Routine  nicht  aus,  ein  Originalwerk  von  einer 
guten  Schulcopie  zu  unterscheiden,  und  davon  Hessen 
sich  schlagende  Beweise  aus  öfientlichen  Galerien  so- 
wol  Italiens  und  Frankreichs,  als  namentlich  auch 
Deutschlands  anführen.  Der  Schreiber  dieser  Zeilen 
muss  sich  bei  dieser  Gelegenheit  vor  allem  dagegen 
verwahren,  als  ob  er  auch  im  mindesten  die  Anmas- 
sung  hätte,  die  tournure  de  Vesprit^  Väme  irgendeines 
der  grossen  Kiinstler  Italiens  erfasst  zu  haben.  So  weit 
wahrlich  versteigt  er  sich  nicht  in   seiner  Selbstüber- 


1  Nr.  57  und  59. 

»  Nr.  58. 

'  So  wurde  auch  im  Britischen  Museum  vor  Jahren,  bevor 
Herr  Prof.  Colvin  die  Leitung  jenes  Departements  übernahm, 
eine  Zeichnung  des  Filippino  dem  Masaccio  zugeschrieben 
(Vol.  XXXIV,  bez.  1860,  G,  16,  64). 


Einleitung.  93 

hebung.  Er  weiss  gar  wohl,  dass  es  ihm,  dem  Sohne 
einer  iinwirthlichen  Steppe,  schon  von  der  Mutter  Natur 
versagt  wäre,  die  Seele  eines  italienischen  Künstlers, 
hiesse  er  auch  nicht  liafl'ael  oder  Michelangelo,  Lio- 
nardo  da  Vinci  oder  Correggio,  vollkommen  zu  ver- 
stehen und  zu  der  seinigen  zu  machen.  Auch  wandelt 
denselben  gar  oft  der  Gedanke  an,  als  ob  er  nach  seinem 
vieljährigen  Studium  der  italienischen  Meister  kaum  über 
die  ersten  Anfangsgründe  der  Kunstsprache  hinaus- 
gekommen sei.  Worüber  aber  in  seinem  Herzen  kein 
Zweifel  mehr  waltet  noch  walten  kann,  ist,  dass  man 
bei  solchen  Studien  zuerst  und  vor  allem  durch  die 
Form  in  den  Geist  dringen  muss,  um  sodann  von  diesem 
zurück  zur  wahren  Erkenntniss  der  Form  selbst  zu  ge- 
langen.* Solch  eine  philosophische  Phrase  klingt  un- 
gefähr wie  ein  Recept,  und  muss  dem  modernen  Lese- 
publikum, welches  überhaupt  an  dergleichen  ästheti- 
schen Verordnungen  und  Recipes  grossen  Gefallen  zu 
finden  scheint,  nicht  ganz  verwerflich  vorkommen.  Was 
aber  mich  selbst  anbetrifft,  so  kann  ich  ihm  aus  lang- 
jähriger Erfahrung  die  Versicherung  geben,  dass  die 
praktische  Anwendung  einer  solchen  Verordnung  eine 
nicht  so  leichte  Sache  ist,  wie  sie  eben  zu  sein  scheint, 
und  zudem  keine  geringe  Zeit  und  Mühe  kostet.  — 
Was  ist  aber  z.  B.  in  einem  Gemälde  die  Form,  wo- 
durch der  Geist,  Pdme^  la  tournure  tU  Vetprit  des  Ma- 
lers sich  ausspricht?  Doch  nicht  blos  die  Stellung  und 
Bewegung  des  menschlichen  Körpers,  die  Form  des 
Antlitzes,  das  Colorit,  der  Faltenwurf?  Das  sind  aller- 
dings bedeutende  Theile  dieser  Form,  aber  nicht  die 
ganze  Form.  Dazu  gehören  z.  B.  noch  die  Hand,  als 
einer  der  geistigsten,  charakteristischsten  Theile  des 
menschlichen    Körper»,    das    (^hr.    die    Landschaft    im 


*  j^Lg  tiaiurd  nicummcm  roi  rm/i «»»ifi »«fwlo  €  (ff»*»«»!  umi  cji|»t- 
rienza^'j  lehrte  »chon  Lionnnlo  da  Vinci. 


94  I^ie  Galerie  Borghese. 

Hintergrunde,  wenn  eine  da  ist,  die  Farbenaccorde  oder 
die  sogenannte  Farbenharmonie.^  In  dem  AVerke  eines 
echten  Künstlers  sind  alle  diese  einzelnen  Theile  des 
Bildes  charakteristisch,  individuell  und  daher  von  Be- 
deutung —  denn,  wie  gesagt,  nur  durch  die  Erkennt- 
niss  derselben  vermag  man  zur  „a??««"  und  zur  ^^tour- 
nure  de  Vespnt'-^^  zum  Geiste  des  Schöpfers  selbst  zu 
dringen.  Der  Charakter  oder  Stil  eines  Kunstwerks 
entsteht  gleichzeitig  mit  der  Idee,  oder,  um  deutlicher 
zu  reden,  es  ist  des  Künstlers  Idee,  die  ja  die  Form 
erzeugt  und  somit  den  Charakter  oder  Stil  bedingt. 
Copisten  können  durchaus  keinen  Charakter  oder  Stil 
haben,  da  es  nicht  ihre  eigene  Idee  ist,  die  die  Form 
in  ihren  Werken  schafft. 

Das  ist  aber  noch  nicht  alles.  Wie  die  meisten 
Menschen,  sowol  die  redenden  als  die  schreibenden, 
beliebte  Worte  und  Phrasen,  angewöhnte  Redensarten 
haben,  die  sie,  ohne  dessen  sich  zu  versehen,  absichts- 
los oft  anbringen,  und  nicht  selten  auch  da,  wo  sie  gar 
nicht  hingehören,  so  hat  auch  fast  jeder  Maler  solche 
angewohnte  Manieren,  die  er  zur  Schau  trägt  und  die 
ihm  gleichsam  entschlüpfen,  ohne  dass  er  derselben  ge- 


*  Ich  kann  nicht  umhin,  hier  eine  Stelle  aus  dem  interes- 
santen Buch:  „Louis  Agassis^  sa  vie  et  sa  correspondance^^, 
aus  dem  Englischen  übersetzt  von  Auguste  Mayor  (Paris  1887), 
anzuführen.  S.  443  heisst  es:  „Les  premieres  legons  d'histoirc 
naturelle  n'etaient  guere  encouragecmtes ;  V Observation  et  la 
comparaison  etant ,  suivant  Agassiz,  les  qualites  fondamen- 
tcdes  du  naturdliste  (und  icl^  füge  liinzu,  auch  des  Kunstkenners), 
il  commenQait  par  enseigner  ä  ses  eleves  ä  hien  voir;  il  ne  les 
aidait  pas  directement ,  7nais  les  j^lci^^it  en  face  dhm  specimen^ 
en  leur  recommandant  avant  tont  de  faire  hon  usage  de  leurs 
geux  et  de  lui  rendre  compte  de  ce  qii'ils  avaient  observe  etc.  — 
le  professeur  exigeant  que  Veleve  distinguät  non  seidement  les 
differentes  parties  de  Vanimal,  mais  decouvrit  le  rapport  des 
detaih  quHl  avait  observes  lui-meme  avec  les  traits  typiques  plus 
generaux  etc.^^ 


Einleitang.  95 

wahr  wird.  Ja  es  geschieht  selbst,  dass  der  Künstler 
manche  seiner  physischen  Gebrechen  und  Unarten  in 
sein  Werk  übertragt,*  Wer  nun  die  Absicht  hat,  einen 
Meister  näher  zu  studiren,  besser  keimen  lernen  eu  wol- 
len, der  muss  auch  auf  dergleichen  materielle  Kleinig- 
keiten —  ein  Kalligraph  würde  sie  Schnörkel  nennen 
—  sein  Auge  richten  und  dieselben  aufzufinden  wissen, 
wozu  natürlich  die  Beschauung  eines  einzelnen  oder 
nur  einiger  seiner  Werke  nicht  genügt,  sondern  itets 
eine  grössere  Zahl  derselben  erforderlich  ist,  und  zwar 
aus  allen  Perioden  seines  künstlerischen  Wirkens  und 
Schaffens.  Herr  Charles  Blanc,  und  mit  ihm  mancher 
deutsche  Kunstgelehrte  und  Kritiker,  werden  die§e 
kleinlidum  Zumuthungen  und  Rathschläge  eines  An- 
fängers vielleicht  mit  dem  Lächeln  des  Mitleids  auf- 
nehmen, an  solche  grosse  Herren  sind  dieselben  aber 
auch  nicht  gerichtet.  Gebe  ich  ja  auch  gern  zu,  dasa 
«'S  viele  bevorzugte,  eminente  Geister  gibt,  welche  durch 
])losse  Divination  und  mit  einem  einzigen  Blicke  das 
erkennen  und  durchschauen,  wozu  unsereiner  entweder 
gar  nicht  oder  doch  nur  nach  langen  Jahren  und  mit 
vieler  Mühe  zu  gelangen  vermag,  —  ja  auch,  daas  es 
Leute  unter  der  Sonne  gegeben  hat  und  noch  gibt,  deren 
Auge  so  scharfsichtig  und  eindringend  ist,  dass  sie  mit 
einem  Blicke  ein  altes  Gemälde  darauf  bestimmen  kön- 


'  Lionardo  4»  Viuci  Mugi,  i\ii|.jn;i  XLlll;  „i^*ui  ^^tttore  ehr 
ncrä  goffe  mani,  h  farä  simili  neUe  »ue  opert^  e  cos*  gli  tHUr- 
verrä  in  quahtnque  membro,  sc  il  lutiffo  ntiidio  non  glielo 
l'nd  im  Kapitel  LXV  seines  „Trattato  dcJla  PiltHra''  bem 
abermals,  dass  die  Künstler  sehr  lefcht  in  den  Fehler  vorfallcu. 
die  Gebrechen  ihres  eigenen  Körpers  in  die  von  ihnen  dargr- 
Htellten  Figuren  überzutragen,  und  warnt  sehr  davor:  „concio*- 
siacKegli  e  mancamento,  cht  h  naio  insieme  cot  giudisio:  perchk 
Vanima  k  macsira  del  iuo  corpo,  e  qutüo  (d.  h.  mancnmtnto)  äeJ 
Uto  proprio  giuditio  h  ehe  eolentieri  n  dileUa  ntttt  opert  iimtli 
a  quelle  che  etfsa  (d.  h.  ranima)  operb  fiel  compom  i7  tmo  eorpo**. 


96  I^ie  Galerie  Borgbese. 

nen,  ob  es  a  tempera  oder  in  Oel  gemalt  ist,  ja  es  gleich- 
sam chemisch  zu  analysiren  vermögen,  und  die  da  im 
Stande  sind,  genau  und  mit  grosser  Bestimmtheit  zu 
sagen,  wie  der  Maler  dabei  verfahren  ist,  ob  er  sich  dieses 
oder  jenes  Firniss,  des  Eiweiss  oder  aber  des  Feigen- 
saftes, ob  er  einer  mineralischen  oder  vegetabilischen 
Farbe  u.  s.  w.  sich  bedient  habe,  geradeso  als  ob  sie 
hinter  der  Staffelei  des  alten  Meisters  selbst  gestanden 
und  ihm  mit  der  Brille  auf  der  Nase  i'iber  die  Schul- 
tern zugesehen  hätten,  als  er  das  Bild  verfertigte. 
Wohl  ihnen,  und  noch  wohler  denen,  die  ihren  Worten 
Gehör  schenken!  —  Was  von  solchen  grossen  Aesthe- 
tikern,  Kunsthistorikern  und  Universalkennern  gilt, 
das  soll  auch  auf  alle  lebenden  Heroen  der  Maler- 
zunft, wie  sich  von  selbst  versteht,  bezogen  werden. 
Grosse,  geniale  Maler  können  ja  nur  von  ihren  Kunst- 
genossen richtig  beurtheilt  und  verstanden  werden. 
Dieses  sehr  alte  und  deshalb  ehrwürdige  Axiom  der 
Chinesen  hat  auch  in  jüngster  Zeit,  namentlich  in  Deutsch- 
land, seine  Bekräftigung  gefunden,  und  ich  beuge  daher 
mit  verdoppelter  Demuth  vor  der  Wahrheit  die  Stirn; 
was  mich  aber  durchaus  nicht  abhalten  soll,  auf  jenem 
steilen  mühsamen  Wege  mit  gewohnter  Beharrlichkeit 
weiter  aufwärts  zu  klimmen,  in  der  Hoffnung,  wenn 
der  Tod  nicht  schon  vorher  mich  ereilt,  endlich  auf 
einen  Punkt  zu  gelangen,  von  wo  aus  auch  uns  armen 
Eindringlingen  die  Aussicht,  wenigstens  auf  den  zu- 
nächst unter  unserm  Blicke  laufenden  Thalweg  der 
Kunst,  gestattet  sein  mag! 

Doch  kehren  wir  wieder  zu  unserm  Thema  zurück. 
Es  ist  also  gerade  das  Studium  aller  der  einzelnen 
Theile,  welche  die  Form  eines  Kunstwerks  bilden,  das 
ich  denjenigen  empfehlen  möchte,  die  da  nicht  gesonnen 
sind  blos  kunstfaselnde  Dilettanten  zu  bleiben,  son- 
dern die  wirklich  Lust  haben,  durch  das  verworrene 
Gestrüppe  der  Kunstgeschichte  mit  Axt  und  Beil  durch- 


Einleitung.  97 

zudringen,  um  womöglich  zu  einer  Kunstwissenschafl 
zu  gelangen.  Denn  wie  es  eine  Schriftsprache  gibt, 
so  gibt  es  auch  eine  Sprache,  die  sich  durch  Formen 
ausdrückt.  Nun  lernt  das  Kind  seine  Muttersprache 
bewusstlos  der  Mutter  nachlallen,  und  diese  Sprache 
reicht  für  seine  beschränkten  Bediirfnisse  aus,  geradeso 
wie  der  Totaleindruck,  den  das  Kunstwerk  auf  das 
grosse  Publikum  macht,  tur  die  Bedürfnisse  desselben 
auslangen  mag.  Wird  jedoch  das  Kind  älter  und  soll 
es  dann  in  den  Stand  gesetzt  werden,  dereinst  die 
grossen  Meister  der  eigenen  Literatur  lesen  und  wür- 
digen zu  lernen,  so  muss  es  vorerst  in  die  Schule  gehen 
und  sich  da  die  Grammatik  seiner  Muttersprache  zu 
eigen  machen.  Dasselbe  gilt  auch  für  den  Kunstbeflis- 
senen. Ohne  vorerst  sich  mit  der  Sprache,  in  der  die 
Kunst  sich  vernehmen  lässt,  vertraut  gemacht  zu  haben, 
wird  ein  solcher  nie  und  nimmermehr  im  Stande  sein, 
ein  Kunstwerk  vollkommen  zu  verstehen  luid  somit  auch 
zu  geniessen. 

Versuchen  wir  durch  vm  Im  i^pi*!  uiisem  leider  sehr 
mangelhaft  ausgesprochenen  Gedanken  dem  geduldigen 
Leser  zu  veranschaulichen.  Ich  habe  oben  bemerkt, 
dass  nach  dem  Antlitze  die  Hand  der  vergeistigtste, 
charakteristischste  Theil  des  menschlichen  Korpers  sei. 

Es  sind  die  meisten  Maler,  inid  mit  vollem  Recht, 
gewohnt,  den  Ilauptaccent  ihrer  Kunst  auf  das  Gesicht 
zu  legen,  und  dasselbe  so  bedeutungsvoll  wie  möglich 
darzustellen,  wobei  es  bei  Schülern  oft  vorkonunt,  dass 
sie  Seitenblicke  auf  die  Werke  ihres  Meisters  werfen. 
Das  Nämliche  geschieht  aber  wol  nicht,  oder  doch  nur 
srhr  selten,  bei  der   D/n      "  der  Hände    und   der 

Ohren,  die  in  jedem  Indi  .  doch  wieder  versc*hic- 

den  gestaltet  sind.  Während  nun  der  Typus  der  Hei- 
ligen meistens  der  Schule  angehört,  die  Art  die  Fal- 
ten zu  Ingen  durch  die  Vorbilder  des  Meisters  den 
Schülern  und  Nachahmern  überliefert  wird,  so  hat  da- 


»8 


Die  Galerie  Borghese. 


gegen  jeder  selbständige  Maler  seine  eigene  Art,    die 
Landschaft  und,  was  noch  mehr  sagen  will,  die  Form 


Fra  Filippo  Lippi. 


Filippino. 


Antonio  rollajuolo. 


Bernardino  dei  Conti. 


Giovanni  Bellini, 


Cosimo  Tura. 


:!5)W*^" 


Bramantino. 


Botticelli. 


der  Hand  ^  und  des  Ohres  aufzufassen  und  darzustellen. 


^  Ausser  dem  Antlitz  ist  wol  kein  anderer  Körpertheil  so 
charakteristisch,  so  individuell,  so  geistig  belebt  und  sprecbend 
wie  gerade  die  Hand.  Aucb  ist  es  für  den  Künstler  eine  der 
schwierigsten  Aufgaben,  dieselbe  befriedigend  darzustellen,  und 
war  es  zu  allen  Zeiten  nur  den  Heroen  der  Kunst  vorbehalten, 
diese  schwierige  Aufgabe  vollkommen  zu  lösen,  wovon  uns  so- 
wol  die  Werke  der  Maler  als  die  der  Bildhauer  genügende  Be- 
weise liefern.  Es  mögen  hier  einige  Beispiele  charakteristischer 
Hände  meinen  verehrlichen  Lesern  vorgestellt  werden,  damit 
sie  sich  von  dieser  Wahrheit  überzeugen. 


Einleitung. 


99 


Jeder    bedeutende  Maler  hat,  sozusagen^   seinen    ihm 
eigenthümlichen   Typus    von   Hand    und    Ohr."     Mftn 


Fra  Filippo.  Filippino.  SlgnoralU.  BrmaaBtiao. 


Mantagna. 


OiambelUoo. 


BoBifaalo. 


BotUMlIi. 


*  Einige  meiner  erbittertaten  Gegner  behaupten,  datt  auf 
ein  nnd  demselben  Bilde  eines  Meisters  gar  oft  Tertohiedene 
Formen  von  Ohren  und  H&nden  vorkommen.  Ich  kann  dttt 
durchaus  nicht  zugeben.  „In  der  Dämmerung*',  sagt  Goethe  ir- 
gendwo, „wird  auch  die  deutlichste  Schrift  nniichtbar.**  Jene 
Herren  müssen  wahrscheinlich  irgendein  Atalierbild  oder  gar  eine 
schwache  Copie  für  ein  Originalbild  angeeehen  haben.  Ich  er» 
laube  mir  bei  dieser  Gelegenheit  sogar  ra  bemerken,  dait  die 
den  grossen  Meistern  eigenthümliche  Grundform  der  Hand 
und  des  Ohres  nicht  nur  auf  ihren  Bildern ,  sondern  telbsi  auf 
den  von  ihnen  nach  dem  Leben  gemalten  Portrits  iieb  tot* 
findet.     Zum  Beweise  davon  mA^ren  folgende  Beifpiele  dienen: 

1)  Fra  Filippo's  S       üt  auf  deeaea  Bilde  in  der 

florentinisohen  Akau  «nd  und  Ohr). 


100  Die  Galerie  Borghese. 

vergleiche  z.  B.  die  Hände  in  den  Bildern  des  jugend- 
lichen Rnffael  —  von  1504  etwa  bis  1515  —  mit  den 
Händen  in  den  Werken  seiner  Lehrer  P.  Perugino  und 
Pintoricchio,  und  man  wird  in  denselben  einen  sehr 
merklichen  Unterschied  finden  zwischen  dem  Schüler 
und  dem  Meister.  Namentlich  in  den  Bildern  seiner 
florentinischen  Epoche,  wie  z.  B.  in  der  Madonna  di 
casa  Tempi  in  Miinclien,  in  der  Madonna  del  Granduca 


2)  Die  Bildnisse  des  sogenannten  Pico  della  Mirandola, 
Nr.  1154  in  den  Uffizien  (Hand);  und  das  eines  Gold- 
schmieds in  der  Galerie  des  Fürsten  Corsini  in  Florenz 
(Hand),  von  Sandro  Botticelli. 

3)  Das  Porträt  des  Pandolfini  auf  Filippino's  Altartafel  in 
der  Badia  zu  Florenz  (Hand  und  Ohr). 

4)  Ein  männliches  Bildniss  von  Raffaellino  del  Garbo  in 
der  Sammlung  von  Sir  Henry  Layard  in  Venedig  (Hand). 

5)  Die  Bildnisse  des  Navagero  und  des  Beazzano  in  der 
Doria-Galerie  in  Rom  (Ohr) ;  das  des  Papstes  Leo  X.  und 
jenes  der  sogenannten  Donna  velata  von  Raffael  im 
Pitti-Palast  (Ohr). 

6)  Die  Porträts  der  zwei  Mönche  von  Vallombrosa  von  P. 
Perugino  in  der  florentinischen  Akademie  (Ohr). 

Die  Porträts  der  Gonzaga  von  Mantegna  in  der  so- 
genannten Camera  degli  sposi  im  herzoglichen  Palast  zu 
Mantua,  sowie  auch  das  Porträt  eines  Cardinais,  Nr.  9  im 
Berliner  Museum  (Ohr). 

8)  Das  Bildniss  des  Massimiliano  Sforza  auf  der  grossen  Tafel 
von  Bernardino  dei  Conti  in  der  Brera-Galerie  (Hand 
und  Ohr). 

9)  Die  Porträts  des  L.  Lotto  in  der  Brera-Galerie,  in  Hamp- 
ton-Court, in  der  Belvedere-Galerie  in  Wien  (Hand). 

10)  Das  Porträt   eines   Malteserritters  von  Giorgione,    in 
den  Uffizien  (Hand). 

11)  Andrea  Doria's  Porträt  in  der  Doria-Galerie  von  Seb.  del 
Piombo  (Hand),  (aus  seiner  Michelangelesken  Epoche). 

12)  Männliches  Porträt  von  Girolamo  Romanino,   Nr.  32  in 
der  Galerie  Tosi  zu  Brescia  (Ohr). 

Diese  Beispiele,  deren  Zahl  ich  sehr  vermehren  könnte^ 
dürften  vorderhand  hinreichen,  meine  etwas  zu  voreiligen  Wider- 
sacher eines  Bessern  zu  belehren,  falls  dies  möglich  sein  sollte. 


EiDleituDg.  101 

im  Pitti- Palast,  in  der  Madonna  del  Cardellino  in  den 
Uffizien,  in  jener  bei  Lord  Cowper  in  Panshanger, 
im  Porträt  der  Maddalena  Doni,  der  sogenannten  Donna 
gravida  im  Pitti -Palast  u.  s.  w.,  ist  die  Mittelband 
breit  und  platt,  sind  die  kurzen  fetten  Finger  noch 
etwas  leblos.  Die  Hand  hat  dn  einen,  wenn  ich  mich  so 
ausdrücken  darf,  noch  sehr  hausbackenen,  bürgerlichen 
Charakter.  Nach  dem  Jahre  1509,  als  ItafFael  in  Rom 
mehr  mit  Leuten  aus  den  hohem  Standen  in  Berüh- 
rung gekommen  war,  veredelt  er  auch  die  Hand,  wie 
z.  B.  in  seinem  Carton  zur  Schule  von  Athen  in  der 
„Ambrosiana^^  in  Mailand,  um  nach  und  nach  zur  ele- 
ganten, aristokratischen  Hand  der  Madonna  di  casa 
d'Alba,  der  Madonna  della  Soggiola,  der  Galatea  u.  s.  w. 
zu  gelangen.  Und  wie  die  Hand,  so  ist  auch  in  jenen 
Bildern  RaftaeFs,  deren  Ausführung  ganz  ihm  an- 
gehört, das  Ohr  stets  charakteristisch  und  unterschei- 
det sich  ebenfalls  in  der  Bildung  von  dem  Ohre  in  den 
Bildern  des  Timoteo  Viti,  des  P.  Perugino,  des  Pin- 
toricchio  u.  a.  m. 

Nach  diesen  sehr  flüchtigen  Vorbemerkungen  über 
die  Bedeutung  der  einzelnen  Theile  im  allgemeinen  und 
der  Hand  im  besondern  in  den  Werken  der  Meister 
aus  der  guten  Zeit,  sehen  wir  uns  nun  z.  B.  die  Hände 
der  obengenannten  drei  florentinischen  Meister  Fra  Fi- 
lippo,  S.  Botticelli  und  Filippino  genauer  an. 

Fra  Filippo  hat  seine  Hand  derjenigen  seiner 
Vorbilder  Fra  Beat'  Angelico »  und  Masaccio  geradem 
nachgebildet  und  bis  ans  Ende  seines  Lebens  beibe- 
halten. Dieselbe  wurde  schon  von  seinen  Zeitgenossen^ 
wio    Vasari    erzählt,    bekrittelt  *      V    '  (1t    Thtt, 

*  Den  EinfluBs  de«  Fra  b.  Adrcüco  aul  Utu  juugeu  Fra  Fi- 
lippo sieht  man  vielleicht  nirgendwo  deailioher  alt  aaf  einem 
„Tondo"  dieses  leUtem  in  der  Sammlung  ton  Sir  Francis  Cook 
in  Kichmond. 

«  Siehe  Vasari  (ed.  Le  Monnier,  IV,  180):  „A>r«  da  CnWo  Mar- 


102  Die  Galerie  Borghese. 

sie  ist  eben  nicht  schön  geformt,  sondern  plump,  schwer- 
lallig  und  schlecht  in  der  Modellirung;  auch  dtis  Ohr 
hat  bei  ihm  eine  runde,  klotzige  Form  und  ist  gewöhn- 
lich einwärts  gebogen.  Für  dergleichen  Studien  ist 
freilich  die  Stadt  Rom  zu  arm  an  Werken  des  Meisters; 
wer  daher  von  der  Wahrheit  meiner  Beobachtungen  sich 
besser  zu  überzeugen  wünscht,  dem  würde  ich  rathen 
nach  Florenz  zu  gehen,  woselbst  er  in  jenen  drei  Ga- 
lerien über  ein  halbes  Dutzend  Bilder  des  Fra  Filippo 
finden  wird.  In  llom  jedoch  befinden  sich  noch  zwei 
Tafeln  dieses  bedeutenden  Meisters:  die  eine  in  der  Ga- 
lerie Doria-Pamfili,  die  andere  in  der  Bildersammlung 
des  Lateran.  Auf  der  ersten  ist  die  Verkündiofun«:  dar- 
gestellt  (II.  Saal,  Nr.  28) :  die  heilige  Jungfrau  sitzt  vor 
einem  Lesepulte,  ihr  gegenüber  der  Erzengel  mit  einer 
Lilie  in  der  Hand,  Goldgrund.  Aehnliche  Verkündi- 
gungen von  ihm  sieht  man  auch  in  der  Kirche  S. 
Lorenzo  in  Florenz  und  in  der  münchener  Pinako- 
thek. Das  Bild  Fra  Filippo's  im  Lateran  ist  ein 
Triptychon:  in  der  Mitte  die  Krönung  Maria's,  rechts 
zwei  heilige  Olivetaner-Mönche ,  die  den  Besteller  des 
Bildes,  Carlo  Marsuppini  von  Arezzo,  der  Madonna  em- 
pfehlen, im  Hintergrunde  drei  Engel  mit  musikalischen 
Instrumenten;  links  zwei  andere  heilige  Mönche,  die 
ebenfalls  einen  gläubigen  Erdensolm  der  Mutter  Gottes 
vorstellen  und  ihrer  Gnade  anempfehlen,  und  im  Hinter- 
grunde ebenso  drei  Engel.  Dieses  Gemälde  hat  stark 
durch  Retouchen  gelitten  und  wurde  1842  durch  den 
Bilderhändler  Baldeschi  von  Arezzo  nach  Rom  gebracht 
und  an  Papst  Gregor  XVI.  verkauft.  Ausser  seinen 
Bildern  in  Rom  und  in  Florenz  und  seinen  berühmten 


tsuppini  (jU  fü  detto,  che  egli  avvertisse  alle  mani  che  dipingeva 
per  che  molto  le  sue  cose  erano  biasimate"  (wobei  ihm  von  Carlo 
Marsuppini  bemerkt  wurde,  er  solle  auf  die  Hände,  die  er  malte, 
Acht  geben,  denn  diese  würden  sehr  getadelt). 


Einleitung.  103 

Gemälden  in  Prato  und  Spoleto  sind  mir  von  ihm  in 
Italien  nur  noch  die  zwei  Tafeln  mit  den  vier  Kirchen- 
vätern in  der  Akademie  zu  Turin  bekannt.^ 

Bei  Botticelli  ist  dagegen  die  Uand  sehr  knochig 
und,  wenn  ich  so  sagen  darfi  plebejisch,  —  mögen  die 
Herren  Demokraten  mir  diesen  Ausdruck  vergeben,  — 
die  Nägel  sind  breit,  viereckig,  mit  scharfen  dunkeln 
Umrissen.  Diese  seine  Hand,  dabei  seine  angeschwol- 
lenen Nasenflügel,  sein  bewegter  länglicher  Faltenwurf 
nebst  der  leuchtenden  Durchsichtigkeit  seiner  Farben, 
wo  das  goldige  Kirschroth  die  vorherrschende  Note  ist, 
während  in  den  Gemälden  des  Fra  Filippo  das  Hell- 
blau und  Hellgrau  die  Grundtone  bilden,  lassen  des 
Botticelli  Bilder  leicht  von  denen  seiner  Nachahmer 
auch  schon  an  der  Aussenseite  unterscheiden.' 

Die  Hand  des  Filippino  Lippi  endlich  hat  eine 
ganz  eigenthümliche  und  unschöne  Fingerbildung.  Der 
Ansatz  der  Finger  an  der  Hinterhand  (^Metaearpium)  ist 
so  scharf  angegeben,  dass  diese  zwei  Theile  nicht  in- 
einander gewachsen,  sondern  fast  wie  ineinander  ge- 
schraubt aussehen.  Die  Finger  sind  lang,  hölzern  und 
wenig  belebt.  Und  wie  die  Gamme  der  Farben  bei 
diesen  drei  verwandten  Malern  eine  verschiedene  ist, 
so  weichen  sie  auch  in  ihren  landschafllichen  Hinter- 
gründen stark  voneinander  ab,  und  selbst  die  Form  de% 


»  Herr  Director  W.  Bode  (II,  572)  stellt  dat  tchöne  und  echte 
Bild  des  Frate  (Nr.  1307)  in  den  Uffisien  (von  dem  im  Heute  des 
Fürsten  Torlonia  in  Rom  eine  alte  Copie  tich  vorfindet)  mit  dem 
Madonnenbildchen  im  Museum  von  8.  Maria  nuova  in  Floreni 
ungefähr  auf  dieselbe  Stufe,  wfthrend,  nach  meiner  Ansicht,  diee 
letztere  Bildchen  doch  nur  der  Schule  angehören  kann. 

«  Die  meisten  Galeriedirectoren,  die  gewöhnt  sind  der  Tra- 
dition zu  folgen  oder  auch  blot  nach  dem  flaohtigen  Totalein- 
druck die  Bilder  ru  bestimmen,  pflegen  jedoeh  fast  allenthalben 
sowol  die  Atelierwerke  als  auch  die  der  Nachahmer  des  Botti- 
celli mit  den  Originalbildem  des  Meisten  tu  verweehteln. 


104  Die  Galerie  Borghese. 

Nimbus  oder  Heiligenscheins  auf  ihren  Bildern  ist  ver- 
schieden. Die  Landschaft  des  Fra  Filippo  und  seines 
Schillers  Francesco  Pesellino  gleicht  der  seiner  Zeit- 
genossen und  besteht,  wie  auf  den  Bildern  des  Beat' 
Angelico,  meist  aus  einer  Reihe  kugelförmiger  Iliigel 
oder  auch  spitzer  Felsen;  Botticelli  hat  dagegen  ideale 
Landschaften  mit  zackigem  Gefelse  und  sehr  oft  auch 
tief  eingeschnittenen  Fluss-  und  Meerbuchten ;  Filippino 
Lippi  studirte  seine  landschaftlichen  Grimde  schon  mehr 
nach  der  Natur  und  gibt  gewöhnlich  toscanische  baum- 
bepflanzte Hügelgegenden.  Auch  sind  seine  Landschaf- 
ten dunkler  gefärbt  als  diejenigen  des  Botticelli.  Ein 
feines  Gefühl  fiir  landschaftliche  Linien  hatte  sein  be- 
gabter Schüler  Kaftaellino  di  Bartolommeo  del  Garbo, 
dessen  landschaftliche  Hintergri'mde  besser  aufgebaut 
imd  feiner,  wärmer  getönt  sind  als  die  des  Meisters. 

Einzelne  Werke  dieser  drei  obengenannten  Meister 
findet  man  zwar  in  Roms  öffentlichen  Galerien;  um  die- 
selben aber  genauer  kennen  zu  lernen,  muss  man,  wie 
oben  gesagt,  nach  Florenz  wallfahrten.  Von  Filippino 
Lippi  sieht  man  in  Rom  nur  noch  seine  bekannten 
Fresken  in  S.  Maria  sopra  Minerva,  die  in  unsern 
Tagen  unter  den  Auo;en  des  Ministers  des  öffentlichen 
Unterrichts  auf  die  gewissenloseste  Weise  „  res  tau - 
rirt",  d.  h.  entstellt  wurden,  —  geradeso  wie  es  später 
mit  dem  Wandgemälde  RaffaeFs  in  Perugia,  mit  denen 
Tizian's  in  der  Scuola  del  Santo  in  Padua  und  nament- 
lich mit  denen  Mantegna's  im  Palazzo  ducale  in  Mantua, 
unter  den  Auspicien  des  Generalinspectors  G.  B.  Caval- 
caselle,  geschah. 


DIE  TOSOANER. 


ach  dieser  dem  Leser  vielleicht  allzu  laiig  schei- 
nenden Einleitung  gehen  wir  nun  zur  Musterung 
der  einzelnen  Bilder  der  Borghese-Gnlerie  über, 
und  da  das  mit  Nr.  1  bezeichnete  Rundbild  dem 
8aiidro  Botticelli,  also  einem  Florentiner,  zugesi'hrio- 
ben  wird,  so  sehen  wir  uns  vor  allen  andern  die  in 
diesen  Sälen  enthaltenen  Werke  der  Toscaner  an. 

ALESSANDRO  BOTTICELLI. 

Alessandro  Botticelli  (wir  geben  hier  das  Facsimile 
der  Form,  d.  h.  der  Grundform  sowol  der  Hand  als 


Ohr  and  Hlad«  M  BottteeUI. 

des  Ohres  bei  Sandro  Botticelli)  ist  ab  Schüler  toii 
Fra  Filippo  Lippi  zu  betrachten  und  war  in  der  zwei- 
ten Ilältle  des  15.  Jahrhunderts  gewiss  einer  der  genial- 
sten und  charaktervollsten  Künstler  Italiens  (1446  f  1510). 
Das  ihm  hier  zugeschriebene  Rundbild  stellt  Maria 
mit  dem  Jesuskinde  dar;  auf  beiden  Seiten  Engel.  Die 
('om Position,  ja  vielleicht  auch  der  Carton  su  diesem 


106  Die  Galerie  Borghese. 

Gemälde,  gehören  wahrscheinlich  dem  Meister  selbst  an, 
allein  die  Ausführung  des  Bildes  darf  doch  nur  einem  seiner 
Gehülfen  zugeschrieben  werden.  Ich  vermisse  nämlich  in 
diesem  Tondo  nicht  nur  die  dem  Meister  eijrenthüm- 
liehe  Lebendigkeit  der  Aä'ecte,  sondern  auch  jene  Durch- 
sichtigkeit der  Farbe,  die  die  Werke  des  Botticelli  vor 
denen  seiner  vielen  Nachahmer  kennzeichnet.  Und  in 
der  That,  wir  sehen  hier  wol  die  Form  seiner  Hand 
mit  den  unschönen  knöchernen  Fingern  und  'den  vier- 
eckigen, schwarzumrissenen  Nägeln,  allein  dieser  Hand 
fehlt  das  Leben;  auch  ist  das  Haar  ohne  Geist  behan- 
delt. Ein  Vergleich  dieses  Gemäldes  mit  den  herrlichen 
Rundbildern  in  den  Uffizien  in  Florenz  dürfte  wol  jeden, 
der  da  sehen  will,  von  der  Wahrheit  meiner  Bemer- 
kung sogleich  überzeugen.!  Es  versteht  sich  von  selbst, 
dass,  wie  schon  Mephistopheles  dem  Schüler  bemerkte, 
„ein  jeder  lernt  nur  das,  was  er  lernen  kann". 

Mit  Ausnahme  der  trefflichen  Fresken  in  der  Sixti- 
nischen  Kapelle  und  einem  ganz  vorzüglichen  Madon- 
nenbilde im  Besitz  des  Fürsten  Mario  Chigi  (Maria  mit 
dem  Kind,  welchem  ein  Engel  einen  Büschel  Korn- 
ähren darbringt)  befindet  sich  in  Rom,  soviel  wenig- 
stens mir  bekannt  ist,  kein  anderes  echtes  Werk  dieses 
energischen  Florentiners.  Sowol  das  Bildchen  (die  Jung- 
frau mit  dem  unbekleideten  Christkind  im  Arm)  im 
letzten  Saal  der  Colonna-Galerie^,  als  auch  die  „kleine 


*  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (II,  425)  und  Director 
W.  Bode  (II,  580)  halten  dagegen  auch  dieses  Gemälde  für  ein 
Originalwerk. 

2  Im  letzten  Saal  der  Galerie  Colonna  befindet  sich  ein  Bild- 
chen, worauf  der  heilige  Jacobus  dargestellt  ist  und  das  dort 
svunderlicherweise  demMelozzo  daForli  zugemuthetwird.  Täusche 
ich  mich  nicht  sehr,  so  ist  jenes  Machwerk  nichts  anders  als  die 
Copie  eines  schwachen  nordischen  Malers  nach  einer  Heiligenfigur 
aus  der  Schule  des  Botticelli.  Man  betrachte  unter  andern  Merk- 
malen auch  die  nordische  hackenförmige  Falte  am  Mantel,  (f) 


Die  Toscaner:  S.  BotticelH.  107 

Verkündigung*'  der  Barberinrschen  Sammlung  *  sind  ge- 
wiss nur  schwache  Erzeugnisse  der  Schule,  (f) 

In  Erwägung  des  Umstandes,  dass  so  viele  Atelier- 
bilder und  Arbeiten  von  mehr  oder  minder  glücklichen 
Nachahmern  des  grossen  Meisters  ihm  selbst  zuge- 
schrieben werden,  bitte  ich  meine  lernbegierigen  Freunde 
es  mir  nicht  verargen  zu  wollen,  wenn  ich  zu  ihrer  Be- 
lehrung bei  dieser  Gelegenheit  ein  paar  Dutzend  sol- 
cher Zwitterwerke  anführe,  die  selbst  in  Italien  als 
Originalbilder  des  Botticelli  noch  immer  den  Leuten  prä- 
sentirt  und  von  in-  und  ausländischen,  berufenen  und 
unberufenen  Kunstschrif^stellem  als  solche  angenommen 
werden.  Nur  durch  solche  ins  einzelne  gehende  Ver- 
gleiche werden  Anfänger  in  der  Kunstwissenschaft  mit  der 
Zeit  in  den  Stand  gesetzt,  diesen  so  seelenvollen,  so 
energischen  und  doch  so  liebenswürdigen  Künstler  besser 
kennen  und  somit  auch  würdigen  zu  lernen  und  seine 
echten  Werke  von  den  ihm  mit  Unrecht  zugeschriebenen 
zu  unterscheiden. 

Meiner  Ueberzeugimg  nach  w^erden  folgend«^  "Rn.l.^r 
tulschlich  dem  Botticelli  selbst  zugeschrieben: 

In  der  Uffizien- Galerie: 

1.  Eine  allegorische  Figur,  Nr.  1299  (Crowe  und 
Cavalcaselle,  II,  417).  (f) 

2.  Die  „Verkündigung".  Xr.  mn.  nach  einer  Skizze  (?) 
des  Meisters,  (f) 

3.  Die  heilige  Jungfrau,  die  dein  Kiml  iincn  (fraii.it- 
apfel  darreicht,  Nr.  1303.  (f)  (Herr  Dr.  W.  Bode  nennt  es, 
wie  wir  bereits  gesehen,  im  „Cicerone"  ein  Jugend  werk 
des  Botticelli  (II,  579).  Weder  die  Form  der  Hand 
noch  die  des  Ohres  sind  die  de«  Meisten,  auch  ist  der 

*  Dies  Bildohen  wird  von  den  Herrsn  Crowe  ond  Cavaka- 
selle  (II,  860,  Anmerkung)  unbegreiflicherwet»«  J«ni  Maröo  Zoppo 
Eagcschrieben. 


108  Die  Galerie  Borghesc. 

Leib  des  Kindes  viel  zu  schwach  in  der  Modellirung, 
ist  der  Ausdruck  und  die  Bewegung  der  Madonna  und 
des  Kindes  viel  zu  wenig  beseelt. 

Im  Pitti-Palast: 

4.  Die  heilige  Jungfrau  von  Engeln  umgeben,Nr.  348  (t) 
(Crowe  und  Cavalcaselle,  II,  424);  auch  Director  Bode 
stimmt  dem  bei. 

5.  Das  sogenannte  Porträt  der  schönen  (?)  Simo- 
netta  (?),  Nr.  353.  (f)  (Crowe  und  Cavalcaselle,  II,  424, 
und  Dir.  Bode  a.  a.  O.)  Herr  Bode  findet  übrigens 
mit  Recht  dieses  Porträt  „ohne  grössern  Keiz". 

6.  Die  heilige  Familie,  Nr.  357  (Crowe  und  Caval- 
caselle II,  424).  (t) 

In  der  Akademie  der  schönen  Künste  daselbst: 

7.  Die  drei  Erzengel  mit  dem  Tobias  (Vasari,  V, 
lll,2).i(t) 


^  Dieses  unbedeutende  Kunstwerk  kam  unter  dem  Namen  Bot- 
ticelli's  aus  der  Kirche  S.  Spirito  in  die  Akademie  und  wurde  dort 
auf  Antonio  del  Pollajuolo  umgetauft,  von  den  Herren  Crowe 
und  Cavalcaselle  aber  (II,  424)  als  Werk  der  Gebrüder  Pietro 
und  A.  Pollajuolo  uns  präsentirt.  Neuerdings  jedoch  trat  Herr 
Director  W.  Bode  in  Berlin  gegen  diese  Taufen  mit  lebhafter 
Entschiedenheit  auf  und  erklärte  das  Bild  für  ein  ganz  vorzüg- 
liches Werk  seines  Andrea  del  Verrocchio,  ja  er  em- 
pfahl es  sogar  unserer  ganz  besondern  Bewunderung  als  eins 
der  „bedeutendsten  Tafelbilder  des  Quattrocento".  Ich  werde 
mich  wohl  hüten,  gegen  die  ästhetische  Würdigung  des  Bildes 
seitens  des  berliner  Gelehrten  Einwendungen  zu  erheben  und 
dies  um  so  mehr,  als  Herr  Director  W.  Bode  mir  vorwirft,  über 
„die  äussern  Kennzeichen  den  Innern  Gehalt  der  künstlerischen 
Erscheinung  der  betreffenden  Kunstwerke  ganz  und  gar  zu  ver- 
kennen". Es  sei  mir  jedoch  hier  erlaubt,  gegen  diese  Neutaufe 
tu  bemerken,  dass  in  diesem  Bilde  die  Formen  keineswegs  denen 
entsprechen,  die  sowol  in  den  Sculpturen  als  auch  in  der  „Taufe 
Chnsti",  sowie  selbst  auch  in  den  andern  seinem  Andrea  del 


Die  Toscaaer:  S.  Bottioelli.  109 

s.  Die  thronende  Madonna  mit  den  Ueiligen  Cosmas 
und  Damianus  (Vasari,  V,  123).  (f) 

Im  Oratorioxn  8.  Jacopo  di  Bipoli: 

(Seit  einigen  Jahren  in  einem  Saal  de«  Mideh<>niii*tittitr«  ..1»  Uuirt«*" 
ant«rg«br»olii.) 

VI.  Die  ., Krönung  der  Jungfrau    im    lirij»viti    \iiicr 
Heiligen",  (f)  In  der  Ausgabe  dea  „Cicerone"  vom  Jahre 


Verroccbio  von  ihm  zuerkannten  Gemälden  ( iu  Berlin  und  Lon- 
don) uns  entgegentreten.  Was  die  Thatsache  anbelangt,  auf  die 
Herr  Dr.  Bode  ein  ganz  besonderes  Gewicht  xu  legen  tcheint, 
dass  nämlich  sowol  in  der  „Taufe  Christi**  wie  aooh  in  dieaem 
Gemälde  hier  derselbe  sogenannte  Sandarakfimiss  angewandt 
wurde,  so  dürfte  der  berliner  Kunstgelehrte,  falls  er  Lust  und 
Müsse  zu  solchen  Vergleichen  hätte,  die  nämliche  Farbe  in  manch 
anderem  Gemälde  der  gleichzeitigen  Florentiner,  z.  B.  in  denen 
ans  der  Werkstatt  des  S.  Botticelli,  der  Pollajuoli  und  des  C. 
Rosselli  antrefifen.  Nicht  zufrieden  jedoch,  dieses  ganx  unbedea- 
tende  Kunstproduct  dem  Verrocchio  vindiciren  xa  wollen,  glaubt 
Herr  Director  Bode  in  der  florentinischen  Akademie  noch  ein  an- 
deres  und  zwar  früheres  eigenartiges  Gemälde  seines  A.  Verrocohio 
entdeckt  zu  haben.  Dieses  „noch  ganz  m  tempera^  ausgeführte 
Stück  trägt  die  Nummer  26  und  stellt  el>enfalls  den  Tobias  mit 
dem  Erzengel  auf  der  Reise  dar.  Jeder  vorurtheilsfreie  Kunst- 
freund möge  selbst  entscheiden,  üb  es  erlaubt  ist,  blo«  dem  darin 
vermutheten  „geistigen  Gehalt"  zu  Liebe,  einem  Meister  von  der 
Bedeutung  des  Verrocchio  in  allem  Ernst  dergleichen  impotaotaa 
Zeug  zuzuschreiben.  Mit  derselben  Sachkenntniss  Uom  das  fkat 
aus  lauter  Malern  bestehende  florentiner  Comit^  xur  „Erhaltung 
der  einheimischen  Kunstwerke**  aus  dem  Depot  der  Uffisien- 
Galerie  das  schwache  Machwerk  eines  toskaniaohen  K&nttlers 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  henrorholen  und 
unter  Nr.  1335  als  Werk  des  A.  del  Verrocchio  dem  Poblikum 
vorstellen.  Auch  an  dieser  Taufe  mögen  wol  die  Annmatkeln, 
die  wie  ein  Bündel  Rettiche  anetehen,  vielleicht  auch  der  San* 
«larakfimiss,  die  meiste  Schuld  gehabt  haben.  Viel  klOfer  wlre 
es  auch  in  diesem  Falle  gewesen,  bei  der  Ansicht  «Icr  Vorgiagtr 
zu  verharren  und  Bilder,  die  für  nnwOrdig  gehalten  wnrdao,  MTant- 
lich  ausgestellt  zu  w- '  ••  •-^»v"  •••  '^♦•r  Rumpelkammer  itAhen 
zu  lassen. 


HO  I^ie  Galerie  Borghese. 

1879  (Seite  545)  nahm  auch  Herr  Director  Bode  dies 
Bild  noch  für  ein  Originalwerk  des  Botticelli  an;  in  der 
spätem  Ausgabe  jedoch  folgt  der  berliner  Gelehrte  zu 
meiner  grossen  Genugthuung  dem  Lermolieft'  und  stellt 
es  uns  blos  als  Atelierarbeit  vor  (a.  a.  O.  580),  während 
die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (II,  424)  es  sogar 
eine  ^^carefnl  jproduction  of  BotticelWa  fine  time'-'-  ge- 
nannt wissen  wollen. 

10.  In  der  Kirche  S.  Feiice,  1.  Altar  links:  Tafel  mit 
den  Heiligen  Antonius,  Rochus  und  Katharina;  von  einem 
von  Filippino  beeinflussten  Schüler  des  Botticelli,  doch 
gewiss  nicht  von  Filippino  Lippi  selbst,  wie  Herr  Di- 
rector Bode  meint  (II,  581).  (f) 

Im  Oratorium  von  S.  Ansano: 

(Bei  Fiesole.) 

11.  Vier  kleine  Tafeln,  von  den  florentinischen  Heraus- 
gebern des  Vasari  (V,  124)  für  „unzweifelhafte"  Bilder 
des  S.  Botticelli  erklärt,  (f) 

In  der  Galerie  Corsini  in  Florenz: 

12.  Tondo  mit  der  von  Engeln  umgebenen  Madonna 
(Crowe  und  Cavalcaselle,  II,  578)  und  ebenfiills  von  Di- 
rector Bode  für  eigenhändiges  Werk  des  Botticelli  ge- 
nommen (11,580).  (f)  In  derselben  Sammlung  befindet  sich 
überdies  ein  zwar  echtes,  wiewol  stark  verputztes  Werk 
des  Botticelli;  es  ist  dies  das  Porträt  eines  Goldschmieds, 
ähnlich  dem  höchst  verunstalteten  Medailleur  (Nr.  1154) 
in  den  Uffizien.  (f) 

In  der  Galerie  von  Turin: 

13.  Die  drei  Erzengel  mit  dem  Tobias,  Nr.  98.  (f) 

14.  Die  Jungfrau  mit  dem  Christkind,  dem  kleinen 
Johannes  und  einem  Engel,  Nr.  99.  (f ) 

15.  Allegorisches  Bildchen,  den  Triumph  der  Keusch-, 
heit  darstellend,  Nr.  369  (Crowe  und  Cavalcaselle,  II, 
426);  der  gebundene  Amor  erinnert  an  Filippino,   die 


Die  Toscaner:  S.  Botticelli.  1 1 1 

dem  Triumphwagen   folgende   Mädchenschar    mehr   an 
Botticelli.  1  (f) 

In  der  Sammlung  Poldi-Pezzuoli  in  Mailand: 

16.  Die  „Beweinung  Christi",  (f) 

Diese  Sammlung  besitzt  übrigens  in  einem  leider  zu 
stark  geputzten  Madonnenbilde  ein  echtes  Werk  von 
Botticelli.  Ueberdies  finden  wir  in  Mailand  ein  anderes 
überaus  köstliches  Madonnenbild  des  Meisters  in  der 
Ambrosiana,  wie  auch  in  der  Sammlung  des  Herrn 
Giovanni  Morelli  weitere  drei  echte  Werke  des  Sandro: 
die  Geschichte  der  römischen  Virginia^,  einen  „Salvator 
mundi"  und  endlich  das  Original2)orträt  des  Giuliano 
de'  Medici,  von  dem  der  Fürst  Strozzi  in  Florenz  eine 
Schulcopie  besitzt.'  Doch  genug  für  heute  von  Botti- 
celli's  Nachahmern,  deren  Werke,  gute  und  schlechte, 
unter  dem  Namen  des  Meisters  den  Leuten  von  den 
Katalogen   und   somit   auch  von    den  roth-  und  braun- 


*  Von  demselben  florentincr  Meister,  der  wol  Mitschüler  des 
Filippino  gewesen  sein  mag,  besitzt  der  Marquis  Adorno  in  Genua 
vier  Bildchen ;  ein  sechstes,  den  „Kampf  zwischen  Amor  und  der 
Keuschheit"  darstellend,  wurde  vor  kurzem  von  der  National 
Gallery  in  London  erworben.  Diese  sechs  Bildchen  scheinen  ein 
und  derselben  Reihenfolge  anzugehören  und  dereinst  zur  Zierde 
eines  Möbels  gedient  zu  haben.  Director  Bode  gibt  diese  Bilder 
dem  Botticelli  (II,  .579). 

*  Vielleicht  dürfte  dieses  Bild  eins  von  denen  sein,  welche, 
wie  Vasari  berichtet,  der  Meister  für  Giovanni  Vespucci  malte: 
„con  moUe  ßgure  vivissime  e  fteü«".  Die  Längstafel  zählt  in  der 
That  an  50  Figuren,  von  denen  man  nicht  eine  einzige  ver- 
missen möchte,  mit  solchem  Feuer  sind  sie  alle  empfunden,  mit 
solcher  Liebe  ausgeführt.  Wenige  Werke  legen,  neben  den 
Unarten,  so  auch  die  hervorragenden  küoatlerisohen  Eigen- 
schaften des  Botticelli  so  klar  an  den  Tag,  wie  diese  meisterhaft 
dargestellte  Tragödie. 

*  Alle  Kunstwerke  der  fürstlichen  Familie  Strozii  wurden 
von  der  Witwe  verkauft.  Das  Porträt  des  Giuliano  gelangte  ins 
berliner  Museum. 


112  Die  Galerie  Borghese. 

bändigen  „Führern"  empfohlen  werden.  Hier  möchte 
ich  meinen  jungen  Freunden  noch  einige  Zeichnungen 
des  Meisters  zum  Studium  der  eigenthiimlichen  Aus- 
drucks- und  Da rstelhmgs weise  dieses  grossen  Künstlers 
anempfehlen : 

In  der  Uffizien- Sammlung  : 

Rahmen  41:  der  heilige  Johann  Baptist,  Feder, 
Tusche  und  Gips;  Rahmen  43:  der  heilige  Hieronymus, 
Silberstift  und  Gips. 

In  der  Sammlung  des  Herrn  John  Malcolm  in  London: 

Eine  allegorische  weibliche  Figur  mit  Putten  (Braun, 
B.  arts,  Nr.  21),  Rötheizeichnung.  Nach  dieser  Zeich- 
nung malte  ein  Schüler  Botticelli's  das  bekannte  Bild, 
das  aus  der  Sammlung  des  Herrn  Reiset  in  die  des  Her- 
zogs von  Aumale  überging.  Crowe  und  Cavalcaselle 
(II,  429)  geben   auch   dieses  Bild   dem  Meister  selbst. 

LORENZO  DI  CREDI. 

Unter  der  Nr.  2  ^  begegnen  wir  in  der  Galerie  des 
Fürsten  Borghese  einem  Jüngern  Zeitgenossen  des  San- 
dro  Botticelli,  nämlich  dem  Lorenzo  di  Credi,  den  ich 
den  Carlin  Dolce  des  15.  Jahrhunderts  nennen  möchte 
(Lorenzo  di  Andrea  di  Credi  wurde  zu  Florenz  1459 
geboren  und  starb  daselbst  1537).  Er  war  als  Künst- 
ler der  Antipode  des  Botticelli.  Seit  den  Rundbildern 
in  Terracotta  des  Luca  della  Robbia  scheint  besonders  in 
Florenz  diese  Bildform  in  Aufnalime  gekommen  zu  sein. 
Es  ist  hier  die  Maria  dargestellt,  die  das  Christkind  auf 
ihren  Knien  hält.  Der  kleine  Jesus  sitzt  auf  einem  Kissen 
und  ertheilt  mit  dem  rechten  Händchen  dem   kleinen 


*  Leider  wurde  neuerdiogs  dieses  vorzügliche  Bild  mit  andern 
Gemälden,  welche  die  Hauptzierde  der  Galerie  bildeten,  in  die 
obern  Räume  des  Palastes  gebracht,  doch,  wie  zu  hoffen  ist, 
nur  auf  kurze  Zeit. 


Die  Tosoaner:  Lorenzo  di  Credi.  113 

Johannes  den  Segen,  während  er  mit  der  Linken  eine 
Frucht  hält.  Hintergrund  Landschaft.  Auf  dem  Ge^ 
sims,  zur  Rechten  der  Jungfrau,  machte  der  gewissen- 
hafte Lorenzo  sich  die  Freude,  'mit  miniaturartigem 
Fleiss  und  grosser  Kunst  einige  Bhimen  in  einem  Trink- 
glas nach  der  Natur  zu  malen,  so  treu  und  so  niedlich,  wie 
nur  ein  Niederländer  den  Gegenst^md  behandelt  hätte.  * 
Dieses  Bild,  das  nach  meinem  Dafiirhalten  zu  den  voll- 
kommensten Werken  des  Lorenzo  zu  zählen  ist,  ist  a 
tempera  gemalt  und  mag  wol  noch  in  den  letzten  De- 
cennien  des  15.  Jahrhunderts  entstanden  sein.  Die  Far- 
ben sind  sehr  klar,  die  Modellirung  des  Kindes  erin- 
nert an  den  putto  des  Verrocchio  im  Hofe  des  Palazzo 
vecchio  in  Florenz,  sowie  ebenfalls  an  die  Putten  auf 
einer  echten  Federzeichnung  des  Verrocchio  im  Louvre 
(SaalX,  im  Fächer  ausgestellt),  (f)  Lorenzo  mag  in  seinen 
jungem  Jahren  mehr  mit  der  Sculptur.  d.  h.  mit  Modol- 


'  Nach  Vasari  soll  auch  Lionardo  da  Vinci  iu  einem  Ma- 
donnenbild aus  seiner  Frühzeit  ein  solches  Glas  mit  Blumen  an- 
gebracht  haben  (Vasari,  ed.  Le  Monnier,  VII,  17) :  „/ece  poi  Lio- 
nardo  una  nostra  Donna  in  un  quadrOy  che  era  appresso  papa 
demente  VIT,  molto  eccellevte  e  fra  V  nitre  cose,  che  v^eran  fatte^ 
contraffece  una  caraffa  pietrn  d^  acqua  con  aicuni  ßori  dentro^ 
(lote  nitre  Ja  meran'fjlia  deUa  vivtzza,  arera  imitato  la  rugiada 
delV  acqua  sopra,  8i  che  parcva  piü  viva  che  la  virezza.^'  Vasari 
beschreibt,  wie  man  sieht,  das  Bild  vom  Hörensagen,  und  es  wäre 
daher  nicht  unmöglich,  dass  er  damit  dieses  borghesische  Bild  ge- 
meint hätte,  welches  also  schon  damals  für  die  Arbeit  Lionar- 
do's  angesehen  und  als  solche  gepriesen  worden  wäre.  Deshalb 
darf  man  sich  auch  nicht  wundern,  dass  der  gelehrte  Bibliothekar 
Amr)retti  es  als  solche  in  seiner  Monographie  über  Lionardo 
{Metnorie  storicJie  un  la  rrto,  gli  studi  e  le  opere  äi  JJonardo 
du  Vincij  scritte  da  Carlo  Amoretti,  Milano  1804)  citirte,  noch 
dass  die  florentinischen  IlerauNgcber  des  Yatari  (VII,  17)  auch 
in  diesem  Falle  den  FuHRHiaprca  anderer  willig  gefolgt  sind.  Wie 
oft  wird  man  nicht  in  Büchern  über  Kun«t  an  jene  Parabel  er- 
innert, die  der  trefTliche  alte  Bruogcl  Buf  meinem  Bild  im  Museo 
von  Neapel  so  köstlich  darstellte. 

LBsaoLtBrv.  g 


J^J4  I^iß  Galerie  Borghese. 

lireii,  als  mit  der  Malerei  sich  beftisst  haben.  Und  so 
durfte  auch  sein  Lehrer  Verrocchio  in  seinem  letzt- 
willigen Gesuch  an  die  Signoria  von  Venedig  die  Bitte 
richten,  die  Vollendung  seines  Colleoni-Monuments  sei- 
nem Gehülfen  Lorenzo  überlassen  zu  wollen. 

In  diesem  nämlichen  Saal  sieht  man  an  der  Wand 
gegenüber  unter  der  Nr.  54  ein  anderes,  etwas  kleineres 
Rundbild,  im  Katalog  ebenfalls  als  Werk  des  Lorenzo 
di  Credi  aufgeführt,  während  Herr  Jansen  in  seiner  Mo- 
nographie über  den  Sodoma  es  diesem  letztern  Maler 
zuzuschreiben  für  gut  erachtete.  Dieses  Bild  stellt  die 
heilige  Jungfrau  und  Joseph  dar,  kniend  vor  dem 
Jesuskindchen,  welches  auf  einem  Kissen  am  Boden  liegt; 
Hintergrund  Landschaft.  Vergleicht  man  nun  beide 
Bilder  miteinander,  so  wird  man  ohne  viele  Mühe 
erkennen,  dass,  während  Composition  und  Zeich- 
nuno;  allerdino^s  an  Lorenzo  erinnern,  die  Far- 
benscala  in  diesem  Gemälde  eine  viel  tiefere  ist, 
als  die  des  Lorenzo  di  Credi  und  eher  an  die  des 
Botticelli  und  des  Signorelli  gemahnt.  Weder 
die  Form  des  Ohres  und  der  Hand,  noch  die 
Falten  entsprechen  den  Formen,  die  wir  ge- 
wohnt sind,  auf  den  authentischen  Bildern  des  Lo- 
renzo di  Credi  zu  sehen.  Auch  die  scharfen  Lichter 
auf  dem  Nasenrücken,  auf  der  Oberlippe  und  anderwärts 
scheinen  mir  charakteristisch  für  diesen  Meister  zu  sein. 
Solche  scharfe  Lichter  finden  sich  auf  keinem  Gemälde 
des  Lorenzo.  Die  Farbenaccorde  und  die  Längsfalten 
weisen  vielleicht  mehr  auf  Signorelli  hin  als  auf  Botti- 
celli, die  Faltenlage  ist  jedoch  ungefähr  die  des  Botticelli; 
alles  übrige,  zumal  die  Landschaft,  deuten  auf  Lorenzo 
hin.  Wir  schreiben  daher  dieses  vorzügliche  Bild  einem 
tüchtigen  florentiner  Maler  zu,  der  bei  Botticelli  wahr- 
scheinlich in  die  Schule  gegangen,  später  aber  sich  eng 
an  Lorenzo  angeschlossen  und  möglicherweise  auch  in 
dessen  Werkstatt  thätig  war,  und  freuen  uns,  dass  die 


Die  Toscaner:  Lorenzo  di  Credi.  1 1.) 

Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  ein,  wenn  wir  sie  rich- 
tig verstanden,  ahnliches  Urtheil  (III,  412)  darüber  ab- 
gegeben haben.*  Von  diesem  letztern  Meister,  den  wir 
Tommaso  nennen  wollen,  finden  wir  andere  Werke, 
bessere  und  mittelmässige,  ebenfalls  unter 
dem  Namen  des  Lorenzo  di  Credi  in  der 
Pitti-Galerie  Nr.  354  (f);  im  Palaste  des 
Cav.  G.  Giuritini  in  Florenz  (f);  in  der 
Galerie  von  Modena,  unter  dem  Namen 
des  Lippo  Fiorentino,  Nr.  43  (f);  im  ohr bei  Tomc-o. 
Hause  der  Gebrüder  Prinetti-Esengrini  in 
Mailand  (f);  in  den  Sammlungen  der  Herren  Dr.  Gustavo 
Frizzoni  und  Giovanni  Morelli,  ebendaselbst. 

Von  Lorenzo  di  Credi  ist  in  den  übrigen  Galerien 
Roms,  ausser  einem  Bild  aus  der  späten  Zeit  des 
Meisters  in  der  capitolinischen  Galerie,  kein  echtes  Werk 
mir  zu  Gesicht  gekommen.  Allerdings  besitzt  die  Samm- 
lung im  Palast  Colonna  (1.  Saal)  ein  Bildchen:  mit 
Maria,  die  das  nackte  Jesuskind  auf  dem  Schos  hat 
und  ihm  Erdbeeren  darreicht,  welches  dort  schlechtweg 
einem  Lippo  (?)  zugeschrieben  ist,  von  einem  neuern 
deutschen  Kunstschriftsteller  jedoch  (Mündler,  Beiträge 
zu  J.  Burckhardt's  Cicerone,  4)  für  eine  reizende  Arbeit 
unsers  Lorenzo  di  Credi  erklärt  wurde*.  Meiner  Ansicht 
nach  gehört  dieses  Bild  doch  wol  eher  einem  frühen  Nach- 
ahmer des  Lorenzo  an,  und  zwar,  wie  ich  vermuthe,  einem 
tlämischen  (f),  wahrscheinlich  demselben  oder  wenig- 
stens einem  Zeitgenossen  jenes  Malers,  dem  in  der  Dres- 
dener Galerie  ebenso  voreilig  wie  naiv  der  Name  Lio- 
iiardo's  gegeben  wurde.  Die  besten  Bilder  des  Lorenzo  di 
Credi  sieht  man  in  den  Galerien  der  Ufßzien  und  der 


'  iit-rr  i'n'Mior  \\ .  1.  •  ^lil^  .um  iMJigheae- 

Katalo(r  recht,  indem  er  •!  r  Färbung  halber  ihn 

tliciK         I  ■       tlieils  HU  biguorclli  erinnert,  für  dav 

.!••     I.  li  erklärt. 

8* 


116  Die  Galerie  Borghese. 

florentinischen  Akademie,  sowie  auch  in  der  Pinakothek 
Ton  Turin  (Nr.  356  B)  und  im  Louvre  (Nr.  156).  Auch 
in  der  Kirche  delP  Olivella  in  Palermo  befindet  sich 
unter  dem  Namen  Raffael's  ein  Madonnenbildchen  von 
Lorenzo  di  Credi.  (f) 

Ich  bitte  meine  jungen  Freunde,  in  diesem  schönen 
Bilde  der  Galerie  Borghese  sowol  die  Landschaft  als 
auch  die  eigenthiimliche  Form  des  Ohres  und  der  Hand 
mit  der  bei  diesem  Meister  fast  immer  wiederkehren- 
den etwas  steifen  Biegung  der  Finger  sich  ansehen  zu 
wollen,  da  beide  Eigenthümlichkeiten  sehr  charakteri- 
stisch für  unsern  Meister  sind  und  daher  in  allen  seinen 
echten  Werken  sich  wiederholen.  In  den  Uffizien  wer- 
den sie  dann  sich  überzeugen  können,  dass  das  dort 
dem  Lorenzo  zugerechnete  Madonnenbild  (Nr.  1287) 
nicht  ihm  selbst,  sondern  blos  einem  seiner  Gehiilfen 
oder  Nachahmer,  der  den  Carton  des  Meisters  benutzte, 
angehören  muss.^  (f)  Director  Bode  hebt  jedoch  gerade 
dieses  Bild  hervor  (II,  585).  Die  Farben  der  Landschaft 
sind  nicht  die  des  Lorenzo  di  Credi,  noch  entsprechen  die 
Formen  der  Hand  und  des  Ohres  in  diesem  schwachen 


*  Ausser  den  Gemälden  des  Lorenzo  empfehle  ieli  auch  et- 
liche seiner  auf  uns  gekommenen  Zeichnungen  dem  Studium  der 
Kunstbeflissenen,  unter  andern  den  Carton  in  der  florentinischen 
Akademie;  in  der  Uffiziensammlung:  Rahmen  125,  Nr.  476; 
die  Rötheizeichnungen  im  Louvre  (Katalog  Reiset:  Nr.  199, 
200,  202;  auf  dem  Blatt  Nr.  200  ist  die  Ohrform  des  Meisters 
besonders  deutlich  angegeben) ;  die  Federzeichnung  im  Briti- 
schen Museum  (Braun  26),  sowie  auch  das  Porträt  eines  alten 
Mannes,  das  in  der  Sammlung  von  Chatsworth  unter  dem  Namen 
des  Daniele  da  Volterra  geht  (Braun,  Nr.  30);  diese  letztere  ganz 
vorzügliche  Zeichnung,  an  der  man  auch  die  dem  L.  di  Credi 
charakteristische  Form  des  Ohres  sieht,  stellt,  täusche  ich  mich 
nicht,  den  Kopf  des  Bildhauers  Mino  da  Fiesole  (gestorben 
1486)  vor.  Man  vergleiche  dieses  Porträt  mit  dem  Conterfei  des 
Mino,  welches  der  Biographie  desselben  im  Werke  des  Vasari 
vorgesetzt  ist.  (f) 


Die  Toscaner:  Luca  Signorelli.  117 

Bilde  denen  des  Lorenzo;  auch  mangelt  den  Gesichtern 
Leben  und  Ausdruck. 

LUCA  SIGNORELLL 

Vom  grossen,  edeln  Luca  Signorelli,  diesem  Vor- 
läufer des  Michelangelo,  habe  ich  ausser  seinem  Wand- 
gemälde in  der  Sixtinischen  Kapelle,  in  den  Samm- 
lungen Roms  nichts  gefunden,  mit  alleiniger  Ausnahme 
zweier  kleiner  Bilder.  Das  eine  davon,  welches  im  Hause 
Patrizi  war,  wurde  inzwischen  sammt  allen  übrigen 
künstlerischen  Habseligkeiten  dieser  Familie  ins  Aus- 
land verkauft;  das  andere,  eine  heilige  Familie,  befindet 
sich  noch  immer  im  Casino  Rospigliosi.  Das  erstere 
war  ein  Rundbild  und  stellte  Maria  Heimsuchung  dar: 
links  steht  der  heilige  Zacharias  mit  dem  kleinen  Jo- 
hannes auf  dem  Arm,  rechts  hält  der  heilige  Joseph 
das  kleine  Christuskind  auf  den  Knien;  bezeichnet-: 
LVCHAS  SIGNORELLVS  •  DE  •  CORTONA.  Ge- 
hört wol  zu  den  späten  Werken  des  Meisters.*  Jene 
schmalen,  länglichen  Bilder  aber  mit  Heiligen,  welche 
in  der  Lateranischen  Sammlung  zum  Theil  dem  Signo- 
relli, zum  Theil  der  Schule  von  Murano  zugeschrieben 
werden,  sind,  w^ie  ich  glaube,  von  der  Hand  des  Cola 
delTAmatrice  (f),  eines  verwilderten  und  rohen  Ma- 
lers aus  der  Ascolanischen  Nachblüte  der  Schule  des 
Carlo  Crivelli. 

Denjenigen  aber  unter  meinen  jungen  Freunden,  die 
da  Lust  hätten,  den  L.  Signorelli,  diesen  wahrhaft 
grossen  Meister  näher  kennen  zu  lernen,  würde  ich 
rathen,  vor  allem  seine  Frescocykltii  im  Dom  von  Or- 
vieto  zu  Studiren.  Nirgendwo  sonst,  will  es  mir  scheinen, 
hat  es  die  Kunst  im  15.  Jahrhundert  vermocht,  der 
menschlichen  Gestalt  so  viel  Leidenschaft,  eine  so  über- 
wältigende Willens-  und  Thatkrafl  einzuhauchen,   als 


Diese«  Bildchen  wurde  vom  Berliner  Museum  erworben. 


118  Die  Galerie  Borghese. 

in  einigen  jener  gewaltigen  Figuren,  welche  Luca  mit 
seinem  Pinsel  dort  in  Orvieto  auf  die  Wand  gezaubert 
hat.  Gute  'Werke  Signorelli's  sind  ferner  die  Fresken 
im  Klosterhof  von  Mont'  Oliveto;  seine  grosse  Altar- 
tafel in  der  Domsakristei  von  Perugia;  seine  Proces- 
sionsfahne  im  Municipalgebäude  von  Borgo  S.  Sepol- 
cro.  Auch  in  Cortona,  in  Urbino  und  Volterra  trifft 
man  charakteristische  Werke  unsers  Meisters  an.  In 
der  florentinischen  Akademie  sieht  man  eine  grosse  Altar- 
tafel von  ihm,  sowie  auch  eine  Predella,  und  in  den 
Uffizien  einige  vorzügliche  Staffeleibilder  und  ebenfalls 
eine  Predella;  die  Pitti-Galerie  besitzt  desgleichen  ein 
Bildchen  von  Signorelli,  und  zwei  sehr  interessante 
Jugendwerke  des  Meisters,  die  „Geiselung  Christi"  und 
eine  Madonna  mit  dem  Christkind,  hängen  in  der  Brera 
zu  Mailand;  ein  männliches  Porträt  in  der  Sammlung 
Torreggiani  zu  Florenz,  und  einige  treffliche  Madonnen- 
bilder ebendaselbst  in  der  Galerie  Ginori  und  Corsini 
diirfen  ebenfalls  nicht  imerwähnt  bleiben.  Auch  bei  Signo- 
relli sind,  wie  bei  allen  grossen  Meistern, 
sowol  die  Form  der  Hand  und  die  des  Ohres 
als  auch  die  Landschaft  sehr  charakteristisch.  ^ 
Zeichnungen  des  Signorelli  finden  sich  in 
allen  bedeutenden  Sammlungen  Europas: 
mehrere  in  den  Uffizien  (Rahmen  459, 
Nr.  1246—1250);  der  Louvre  besitzt  nicht 
weniger  als  sieben  Blätter  von  Luca  (Nr.340 — 
347,  Br.  140,  141),  w^ogegen  die  vom  verstorbenen 
Moris  Moore  geschenkte  Zeichnung,  Nr.  347  (Bravui  142) 
daselbst  augenscheinlich  nichts  anderes  als  eine  plumpe 
Copie  oder  auch  Fälschung  ist.  (f )  Im  Britischen  Museum 
in  London  sah  ich  ebenfiills  drei  gute  Zeichnungen  von 


*  Wer  die  dem  Meister  charakteristischen  Formen  der  Hand 
und  des  Ohres  studiren  will,  beobachte  sie  z.  B.  im  Bilde  Nr.  1291 
der  Uffizien-Galerie. 


Die  Toscaner:  Girolamo  Genga.  119 

ihm  (Vol.  32)  und  in  der  Bibliothek  von  Windsor  Castle 
ein  Blatt  des  Signorelli  unter  dem  Namen  des  Ma- 
saccio.  (+) 

Fast  alle  Zeichnungen  des  Signorelli  sind  mit  der 
Kohle  flüchtig  hingeworfen,  zuweilen  bedient  er  sich 
sowol  der  schwarzen  als  der  rothen  Kreide.  Aus  all 
denselben  scheint  mir  hervorzuleuchten,  dass  Antonio 
del  Pollajuolo  einen  stärkern  Einfluss  auf  ihn  gehabt 
haben  dürfte,  als  man  dies  bisher  hat  annehmen  wollen, 
wovon  auch  in  den  Uffizien  die  zwei  Zeichnungen  Adam 
und  Eva  des  A.  del  Pollajuolo  (f),  die  dort  dem 
Signorelli  zugeschrieben  werden,  uns  einen  Beweis  liefern. 

GIROLAMO  GENGA. 

Dem  Girolamo  Genga,  der  das  Unglück  hatte, 
Signorelli's  Schüler  und  Gehülfe  zu  werden,  erging  es 
ahnlich  wie  später  allen  Schülern  oder  vielmehr  Nach- 
ahmern des  Michelangelo:  er  wurde  die  Caricatur  seines 
Vorbildes.  Und  was  würde  wol  gar  aus  der  schmieg- 
samen, leicht  empfänglichen  Natur  des  jungen  Raffael 
geworden  sein,  falls  auch  er,  wie  viele  seiner  unbedacht- 
samen Biographen  uns  glauben  machen  möchten,  unter 
die  einseitige,  eiserne  Leitung  des  Signorelli,  statt  unter 
die  des  sanften,  anmuths vollen  Timoteo  Viti  gerathen 
wäre?  Auf  diese  Frage  gibt  uns  eine  sehr  lehrreiche 
Antwort  das  Beispiel  des  Girolamo  Genga.  Auch  er 
war  aus  Urbino  und  auch  er  war  gewiss  ein  vielbegabter 
Schüler.  Man  vergegenwärtige  sich  aber  bei  der  Be- 
trachtung seiner  Bilder  und  Zeichnungen,  was  unter 
dem  erdrückenden  Einfluss  seines  grossen  Lehrmeisters 
Signorelli  aus  ihm  geworden  ist.  In  seinem  Jugendwerk 
.,die  Marter  des  heiligen  Sebastianus^^  (t)  (Nr.  1182), 
(las  in  der  Ufßzien -Galerie  als  unbekannt  ausgestellt 
ist,  von  den  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (III,  370) 
dem  Domenico  und  Orazio  Alfani  zugeschrieben .  wird, 
mir  jedoch   als  Jugendarbeit  (etwa  um  1498—99)  des 


120  I^ie  Galerie  Borghese. 

G.  Geuga  erscheint,  in  diesem  Bild,  sage  ich,  ist  die 
Kachahmung  oder  besser  die  NachäflPung  des  Signorelli 
noch  kaum  erkennbar.  Um  so  greller  tritt  uns  dieselbe 
in  seinen  Gemiilden  und  Zeichnungen  aus  spätem  Jahren 
vor  Augen.     Ich  will  einige  davon  hier  anführen : 

1.  Die  z\v^ei  Frescobilder  in  der  Akademie  von  Siena, 
welche  aus  dem  Palazzo  Petrucci  stammen  und  die  Mum- 
mern 224  und  225  führen.  Auf  dem  einen  derselben 
ist  Aeneas  mit  seinem  Vater  Anchyses,  auf  dem  andern 
die  Auslösung  von  Gefangenen  dargestellt.  Die  Com- 
position  zu  diesen  Bildern  muss  allerdings  auf  Signo- 
relli zurückgeführt  werden,  allein  die  Ausiührung  ge- 
hört unstreitig  dem  Schüler  und  Gehülfen  Genga  an.^ 
Eine  kleine  Tuschzeichnung  des  Genga  zur  „Auslösung 
der  Gefangenen"  befindet  sich,  unter  dem  Namen  des 
Jacopo  Francia,  in  der  Liller  Sammlung  (f )  (Braun  102). 
In  derselben  Sammlung,  und  zwar  diesmal  unter  dem 
Namen  des  Giulio  Romano,  begegnen  wir  einer  andern 
Zeichnung  des  Genga  (f)  (Braun  133),  auf  welcher  mit 
der  Feder  die  „Enthaltsamkeit"  Scipio's  dargestellt  ist. 

2.  Die  Galerie  von  Siena  besitzt  überdies  unter  dem 
Namen  des  Girolamo  delPacchia  (Nr.  31 ''^)  ein  Madonnen- 
bild, das  ich  ebenfalls  für  Arbeit  Genga's  halte  (f),  ebenso 
wie  das  andere  Madonnenbild  dort  (Nr.  38*)  (f),  welches 


*  Director  Bode  nimmt  sie  dagegen  für  eigenhändige  Werke 
Signorelli's ,  II,  603.  Auch  die  heilige  Barbara  der  Sammhing 
Poldi  in  Mailand  gehört  doch  nur  einem  Schüler  und  nicht 
dem  Signorelli  selbst  an,  ebenso  wie  die  heilige  Magdalena  unter 
dem  Kreuz  in  felsiger  Landschaft  (Nr.  6)  in  der  Akademie  zu 
Florenz,  (f) 

2  Dieser  sienesische  Maler  muss  allerdings  zuerst  von  Genga, 
sodann  von  M.  Albertinelli  und  erst  später  ganz  besonders  vom 
Sodoma  Einflüsse  in  sich  aufgenommen  haben.  Del  Pacchia  wird 
seinerseits  öfters  auch  mit  Andrea  delBrescianino  verwech- 
selt, so  z.  B.  im  Bilde  dieses  letztern,  Nr.  115  der  Turiner 
Galerie,  (f) 


Die  Toscaner:  GiroUmo  Genga.  121 

vom  Katalog  in  die  florentinische  Schule  gesetzt  wird. 
Auch  in  der  Bildersammlung  von  Lille  finden  wir,  unter 
der  BezeicluHuig:  ecole  italienne  primitive^  ein  Werk 
Genga's.  (f)  In  demselben  ist  die  Madonna  kniend  vor 
dem  Christkind  dargestellt,  das  vom  heiligen  Joseph 
gehaltene  Kind  anbetend.  Der  kleine  Christus  umarmt 
den  jungen  Johannes;  rechts  zwei  Hirten.  In  der  Opera 
del  Duomo  in  Siena  befindet  sich  eine  grosse  „Auf- 
erstehung Christi"  (ehemals  Orgelflügel),  die  von  Genga 
im  Jahre  1510  ausgeführt  wurde.  Einige  Schriftsteller 
verwechselten  in  diesem  Bild  den  Genga  mit  dem  So- 
doma, ein  gut  pro  quo^  das,  wie  mir  scheint,  dem  Genga 
auch  in  seinem  männlichen  Porträt  in  der  Pitti-Galerie 
(Nr.  382)  (f)  begegnet  ist.*  Neben  diesen  sei  mir  noch 
gestattet,  das  berühmteste  Werk  des  Girolamo  Genga 
hier  zu  erwähnen,  das  er  um  1517 — 18  für  den  Haupt- 
altar der  Kirche  von  S.  Agostino  in  Cesena  malte  und 
das  jetzt  in  der  Brera-Galcrie  aufgestellt  ist  Die  Pre- 
della dazu  befindet  sich  in  der  städtischen  Sammlung 
von  Bergamo  und  die  Zeichnung  in  den  Uffizien,  unter 
dem  Namen  KaffaeFs  (Philpot,  Nr.  2610)  (f).  Die  grosse 
liöthelzeichnung  aber  zum  Bild  in  der  Brera  besitzt 
die  Louvre- Sammlung  (Braun  223).  Eine  andere  für 
(ienga  höchst  charakteristische  Zeichnung  in  schwarzer 
Kreide  fand  ich  vor  Jahren,  unter  einem  ebenfalls  wohl- 
klingendem Namen,  in  der  interessanten  Sammlung 
des  Herrn  Ileseltine  in  London.  Dieselbe  stellt  die 
Madonna  mit  dem  Kind  und  den  kleinen  Johannes  dar.(f ) 
Und  nun  genug  über  diesen  von  seinem  Freund  Vasari 
so  hoch  bewunderten  Meister,  der,  dank  seinem  Lehrer, 
vor  allen  andern  Künstlern  Italiens  den  beginnenden 
Verfall    der  Kiuist  niikündet. 


'  In  jener  Sammlung  gibt  man  dafQr  dem  Genga  di«  heilige 
I  uiiilie,  Nr.  349.  die  mir  als  eine  alt«  Copie  nach  Filippino  Lippi 
i-r>ihcint,  jedenfalls  aber  mit  Gcuga  uichtt  zu  thun  hat  (f). 


122  I^i®  Galerie  Borghese. 

Nach  dieser  Abschweifung  wollen  wir  wieder  zur 
Musterung  der  Florentiner  zurückkehren. 

Von  jener  Schule  des  15.  Jahrhunderts,  welche  von 
Paolo  Uccello  und  später  von  Domenico  Veneziano  be- 
rührt, durch  xVlesso  Baldovinetti,  Cosimo  Rosselli,  Do- 
menico Ghirlandaio,  Mainardi  und  Granacci  vornehm- 
lich repräsentirt  ist,  sind  mir  in  den  römischen  Bilder- 
sammlungen keine  erheblichen  Werke  vorgekommen.^ 
Und  nun  kommen  wir,  der  Nummerreihe  folgend,  auf 
ein  Bild  zu  sprechen,  das  die  Nummer  3  führte  und  dem 
Paris  Alfani  von  Perugia  zugeschrieben  ward.  Nach 
meiner  Ansicht  ist  dieses  sehr  verdorbene  Gemälde  mit 
mehr  Wahrscheinlichkeit  dem  Franciabigio  zuzu- 
theilen.2  (f) 

Es  gibt  unter  den  florentiner  Malern  aus  den  ersten 
Decennien  des  16.  Jahrhunderts  etliche,  wie  Francia- 
bigio, Giuliano  Bugiardini,  Francesco  Granacci,  Ridolfo 
del  Ghirlandaio  und  andere  mehr,  deren  Werke  in  den 
Galeriekatalogen  und  somit  auch  in  andern  Büchern 
sehr  oft  miteinander  verwechselt  werden.  Dies  ist  darum 
wohl  verzeihlich,  weil  jene  Künstler  keinen  scharf  aus- 
geprägten Charakter  (Stil)  hatten,  sondern,  wie  dies  eben 
bei  Halbnaturen  zu  gehen  pflegt,  sich  bald  an  diesen, 
bald  an  jenen  hervorragenden  Meister  anschlössen  und 
dessen  Art  und  Weise  nachzuahmen  und  zu  der  ihrigen 
zu  machen  trachteten.  Bei  einem  aufrichtigen  Studium 
ihrer  angewöhnten  und  daher  für  sie  bezeichnenden  Ma- 
nieren und  Unarten  dürfte  man  jedoch,  scheint  mir, 
dazu  kommen,  selbst  die  Werke  dieser  Zwitterkünstler 
mit    einer    gewissen  Sicherheit  voneinander    zu   unter- 

*  Die  zwei  Breittafeln  in  der  Galerie  Colonna,  dort  dem 
Dom.  Ghirlandaio  gegeben,  sind  gewiss  nicht  von  ihm,  sondern 
gehören  nur  der  Schule  an.  Director  W.  Bode  (II,  58G)  schreibt 
diese  zwei  Tafelbilder  dem  Pier  di  Cosimo  zu.  (!) 

2  Auch  dieses  Bild  wurde  in  neuerer  Zeit  in  den  obern  Stock 
des  Palastes  versetzt. 


Die  Toscaner:  Giuliano  Bugiardini.  \'j:\ 

scheiden.  Auch  ein  solches  untergeordnetes  Studium 
hat  seineu  Reiz,  indem  es  unser  Auge  schärft,  und  lohnt 
daher  die  Muhe,  die  man  darauf  wendet.  Wenn  der 
treuliche  O.  Mündler  in  diesem  Bild  (Nr.  3)  die  Hand 
des  Bugiardini  sah,  so  verfuhr  derselbe  wenigstens  mit 
strenger  Consequenz,  da  er  als  Werke  desselben  Malers 
auch  die  „Verkündigung''  in  der  Turiner  Galerie,  sowie 
die  sogenannte  „Madonna  del  pozzo''  in  der  Tribuna 
der  üffizien  erklärte.*  Nun  gehören  allerdings,  wie  ich 
dafür  halte,  die  ebengenannten  zwei  Bilder  ein  und  dem- 
selben Meister  an,  nur  möchte  ich  dem  Namen  des  Bu- 
i/laidlnl  den  des  Franciabiffio  substitninn. 

GIULIANO  BUGIARDINI. 

Von  Giuliano  Bugiardini  haben,  soviel  ich  weiss, 
in  den  öffentlichen  Sammlungen  Roms  nur  drei  Bil- 
der sich  noch  erhalten.  Das  eine  davon,  bezeichnet  mit 
seinem  Namen:  IVLIANl  •  FLORENTINI  .  OPVS, 
und  durch  die  Restauration  hart  mitgenommen,  im  Pa- 
last Colonna  (I.  Saal);  das  andere,  mit  der  gefälschten 
Aufschrift  Andrea  del  Sarto,  in  der  Galerie  Corsini 
(III.  Saal,  Nr.  9).^  Das  dritte  Werk  Giuliano's  (?)  ist 
im  zweiten  Saal  dieser  Borghese-Galerie  unter  der  Be- 
zeichnung: Schule  RaffaePs  und  der  Nr.  30  aufgestellt. 
Dasselbe  stellt  die  Madonna  mit  dem  Jesuskind  und 
dem  kleinen  Johannes  dar.  Bugiardini,  von  dem  in  der 
Pinakothek   von   Bologna  drei   gute   Werke    sich    vni- 


*  Herr  Director  W.  Bode  (II,  682)  gibt  dagegen  die  ,,  Ma- 
donna del  pozzo**  dem  Ridulfo  del  Gbirlandaio. 

'  In  der  Bibliothek  desselben  Palastes  hat  sich  merkwür- 
«ligerweise  die  flQchtige  Skizse  erhalten,  die,  wie  ans  Vasari  er- 
zäblt,  Michelangelo,  um  seinem  Freund  Giuliano  aus  der  V«r* 
legenheit  zu  helfen,  zn  dessen  Bild  für  die  Kapelle  Kuoellai  (in 
<li't'  Kirche  von  S.  Maria  Novella),  „die  Marter  der  heiligen 
Katharina",  componirte  (CoL  167,  G.  7,  Nr.  125514). 


124  I^i®  Galerie  Borghese. 

finden  *,  und  in  der  Kirche  von  S.  Maria  delle  Grazie 
in  Mailand  ein  mit  dem  Namen  bezeichneter  Johannes 
der  Täufer,  ist  unter  anderm  in  seinem  Farbenauftrag 
flüssiger  als  Franciabigio,  auch  hat  bei  ihm  das  Incar- 
nat  weniger  smalto,  als  dies  in  den  Gemälden  des  letz- 
tern der  Fall  ist.  Eine  Zeit  lang  war  Bugiardini  in 
der  Werkstatt  und  unter  dem  Einfluss  des  M.  Alber- 
tinelli  luid  ahmte  diesen  nach,  wovon  man  deutlich  an 
einem  Bilde  mit  der  heiligen  Familie,  Nr.  106  der  Turiner 
Galerie,  sich  überzeugen  kann. 

FRANCIABIGIO. 

Franciabigio,  geboren  1482  und  gestorben  1525, 
soll,  dem  Vasari  zufolge,  sich  zuerst  an  Mariotto  Al- 
bertinelli  angeschlossen-  haben,  was  auch  bei  Bugiardini 
der  Fall  war.  Meiner  Ansicht  nach  dürfte  derselbe  aber 
einen  Theil  seiner  Lehrjahre  auch  in  den  Werkstätten 
des  Granacci  und  des  Pier  di  Cosimo  zugebracht  haben. 
Dafür  spricht  seine  ganze  Auffassungsweise,  seine  Art 
die  Falten  zu  legen,  und  dafür  sprechen  seine  landschaft- 
lichen Gründe,  die  an  diejenigen  des  Pier  di  Cosimo 
erinnern.  Später  lehnte  er  sich  allerdings  an  A.  del 
Sarto,  seinen  ehemaligen  Mitschüler  unter  Pier  di  Co- 
simo, an  und  diese  Berührung  tritt  namentlich  in  den 
Werken  seiner  letzten  Jahre  zu  Tage.  Zu  den  frühern, 
von  Albertinelli  beeinflussten  Bildern  des  Franciabigio 
gehören  unter  andern  die  soeben  genannte  „Verkün- 
digung" in  Turin;  gehört  die  Altartäfel,  die  er  für  die 
Kirche  S.  Giobbe  in  Florenz  malte  und  die  jetzt  unter 
Nr.  6  im  zweiten  Saal  der  Uffizien  -  Galerie  hängt; 
ferner  die  kleine  „Calunnia  d'  Apelle"  (Nr.  427)  in  der 
Pitti-Galerie ;  endlich  das  Bild  in  dieser  unserer  Borghese- 


^  Madounenbild  mit  dem  Namen  bezeichnet;  die  Madonna 
mit  dem  Kind  und  Heiligen,  mit  dem  Namen  bezeichnet;  „Jo- 
hannes der  Täufer",  ohne  Namenbezeichnung. 


Die  Toscaner:  Franciabi^'o.  125 

Galerie  (II.  Saal,  Nr.  16),  welches  die  Vermählung 
der  heiligen  Katharina  darstellt.*  (f)  Zu  den  "Werken 
seiner  mittlem  Zeit  scheinen  mir  folgende  zu  gehören: 
das  Kundbild  mit  der  heiligen  Familie  und  dem  kleinen 
Johannes  in  der  Uffizien-Galerie,  Nr.  1224  (f ),  dort  dem 
Kidolfo  del  Ghirlandaio  zugeschrieben  und,  wie  wir  so- 
eben gesehen,  als  solches  auch  von  Herrn  Director  W. 
Bode  angenommen;  ferner  das  Breitbild  ebendaselbst 
mit  dem  Herculestempel,  Nr.  1223;  ebenso  im  ersten 
Gang  jener  Galerie  das  kleine  Bild,  Nr.  35,  mit  der 
Madonna  und  dem  Jesuskind,  sowie  das  andere  Nr.  37 
und  unter  dem  falschen  Namen  des  Kafiaellinodel 
(rarbo  (f);  sodann  die  zwei  Bilder  unter  den  Nrn.  1282 
und  1249  (f)  im  zweiten  Saal.  Auf  dem  einen  dieser  zwei 
letztern  Breitbilder,  die  im  Katalog  dem  Pontormo  zu- 
geschrieben werden,  sieht  man,  wie  Joseph  in  den 
Kerker  geführt  wird;  auf  der  andern  Tafel  stellt  Jo- 
seph seine  Brüder  dem  Pharao  vor.*  In  seine  mitt- 
lere, von  A.  del  Sarto  stark  beeinflusste  Manier  würde 
ich  ebenfalls  das  Frescogemälde  im  Hofe  der   heiligen 

*  In  diesem  Urtheil  stimmt  Director  Bode  (II,  680)  mit  Ler- 
moliefif  übercin,  während  es  diesem  letztem  andererseits  wieder 
unmöglich  ist,  vor  dem  ganz  übermalten  weiblichen  Bilduiss  der 
sogenannten  Nonne  des  Lionardo  da  Vinci  (Nr.  140)  im  Pitti- 
Palast  an  Franciabigio  zu  denken.  Man  betrachte  die  Form  der 
Hand  jener  Nonne,  und  wer  mit  den  Händen  des  Pietro  Peru- 
gino  befreundet  ist,  wird  nicht  anstehen,  jenes  Porträt  als  sein 
Werk  zu  erkennen,  (f) 

'  Studien  zum  Bilde  Nr.  1249,  unter  dem  richtigen  NameiT 
des  Franciabigio,  befinden  sich  in  der  Uffixien-Sammlung  (Phil- 
pot,  löOT)).  Diese  zwei  Werke  dem  Pontormo  jsu  nehmen,  um  sie 
dem  Franciabigio  zurückzuerstatten,  bestimmte  mich  sowol  der 
landschaftliche  Grund,  die  Form  des  Ohres  und  der  Hand,  welche 
von  der  des  Pontormo  verschieden  ist,  sowie  auch  die  Gesiohts- 
typen.  Auch  finden  wir  auf  diesen  iwei  Bildern  nicht  jene  ein- 
gesackten Augen,  die  dem  Pontormo  so  eigenthümlich  sind.  Ich 
1>itt<-  in  dieser  Beziehung  diese  zwei  Gemälde  mit  dem  andern 
Kk  ithild  des  Franciabigio,  Nr.  12S8,  Tergleiohen  zu  wollen. 


126  I^J6  Galerie  Borgliese. 

Anuunzinta  in  Florenz,  die  beiden  Wandgemälde  in 
den  ,,Scalzi",  sowie  die  stark  nachgedunkelten  männ- 
lichen Porträts,  das  eine  im  Pitti-Palast ,  Nr.  43,  das 
andere  in  Windsor  Castle,  das  dritte  bei  den  Erben  des 
Marchese  Gino  Capponi  \  setzen.  Und  ungefähr  in 
dieselbe  Epoche  stelle  ich  auch  das  Madonnenbild 
(Nr.  294),  das  wieder  unter  dem  Namen  des  Pontormo, 
in  der  Pinakothek  von  Bologna  sich  befindet,  (f )  Zu 
den  Werken  seiner  letzten  oder  dritten  Epoche  endlich 
rechne  ich  die  sogenannte  Madonna  del  pozzo  in  der 
Tribuna;  ein  schönes  Rundbild  mit  der  Jungfrau  und 
dem  Christkind  im  fürstlichen  Palast  Corsini  (al  Prato) 
in  Florenz;  den  „Uriasbrief"  in  der  Dresdener  Galerie 
(Nr.  75) ;  daS  schöne  männliche  Porträt  im  Berliner  Mu- 
seum; das  Frescobild  in  der  „Calza"  (Abendmahl)  in 
Florenz  und  das  Wand<]cemälde  in  der  Villa  von  Poofffio 
a  Caiano.  Franciabigio  starb  1525.  Sein  Leben  er- 
füllt dieselbe  Zeitspanne  wie  das  R^iffaePs.  Er  hiess 
nicht,  wie  seit  Baldinucci  die  Kataloge,  sogar  jener  der 
Pitti-Galerie,  angeben,  •  Marcantonio,  sondern  Francesco 
(im  Dialekt  Francia)  Bigi;  der  Name  seines  Vaters  war 
Christoph,  daher  sein  Monogramm  mit  einem  F,  einem 
K,  einem  C  und  einem  P,  d.  h.  FRanciscus,  Christo- 
phori  (Christoph's  Sohn)  Pinxit.^  Die  fast  gleichzei- 
tigen Meister  Granacci,  Franciabigio  und  Pontormo 
werden  in  ihren  kleinen  Predellenbildchen,  wie  wir  ge- 
sehen, selbst  von  Kennern  gar  oft  miteinander  verwech- 
selt, da  sie  Familienähnlichkeit  haben,  d.  h.  man  sieht, 
dass  zu  einer  gewissen  Zeit  der  ältere  Granacci  (geb. 
1477)  auf  die  beiden  Jüngern  Zeitgenossen  einen  mehr 
oder  minder    grössern  Einfluss  ausgeübt   haben  muss. 


*  Von  den  Erben  neuerdings  nach  Deutschland  verkauft. 

'  Eine  gute  Zeichnung  von  Franciabigio  besitzt  auch  die 
Louvre-Sammlung  (Braun,  93);  eine  andere  ist  im  Museum  von 
Lille,  unter  dem  Namen  RafFael's  (Braun  91)  (f). 


Die  Toscaner:  Franciabigio.  127 

Die  sechs  Predellenbilder  des  Granacci  in  der  floren- 
tinischen  Akademie  mit  den  Martyrien  der  heiligen  Ka- 
tharina, ApoUonia,  Agnes  u.  s.  w.,  gemahnen  z.  B.  in 
den  Gesichtstypen  etwas  an  Pontormo,  während  die 
Landschaft  sehr  verschieden  von  denen  des  Pontormo 
und  des  Franciabigio  ist  Anf  dem  grossen  Tafelbilde 
des  Granacci  ebendaselbst  sind  die  Gesichtstypen  der 
fliegenden  Engel  fast  dieselben,  wie  in  den  Breitbildern 
des  Franciabigio  in  der  Uffizien -Galerie  (1249  und 
1282).  Im  Pitti- Palast  wird  dagegen,  unglaublicher- 
weise, Granacci  (f )  in  seinem  Bild  mit  der  heiligen  Fa- 
milie (Nr.  345)  selbst  von  Director  Bode,  der  auch  in 
diesem  Urtheil  den  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  mehr 
Vertrauen  schenkte  als  seinen  eigenen  Augen,  mit  B. 
Peruzzi  verwechselt.^  Der  Marchese  Covoni  in  Flo- 
renz besitzt  vielleicht  das  beste  Werk  des  Granacci: 
die  aufrecht  stehende  Madonna  hält  auf  ihrem  linken 
Arm  das  unbekleidete  Kind,  in  der  rechten  Hand  ein 
Bufh,  zu  ihren  Füssen  der  kniende  Thomas  und  die 
Heiligen  Zenobius  und  Franciscus,  oben  zwei  Engel. 
Dieses  Bild  wurde  im  Jahre  1505  auf  Bestellung  der 
Maria  Francesca  di  Zonobio  de'  Girolami  für  die  Kirche 
von  S.  Gallo  ausgeführt. 

Ehe  wir  nun  zur  Besprechung  der  Werke  von  Fran- 
( i.iMi^io's  bekanntestem  Schüler,  Francesco  Ubertini, 
iil"i gehen,  wollen  wir  uns  noch  das  kleine  Porträt  an- 
sehen, welches  unter  der  Nr.  4  ausgestellt  ist.  Es  ist 
dies  die  Copie  des  vorzüglichen  Bildnisses,  das  im  Ka- 
talog der  Galerie  degli  Uffizi  (Nr.  1217)  als  das  Con- 
terfei  des  „Alessandro  Braccesi",  Sekretärs  der  Balia, 
angegeben   inid    dem    Lorenzo  di   Credi  zugedacht  ist, 

'  Die  II«  rreu  Crowe  und  Cavalouelle  bemerkten  jedoch,  um 
klup^rweise  Mich  den  Uüekzug  zu  ermöglicheu:  „<Ai>  is  a  Siennese 
tcork  icithout  tht  tiact  stamp  of  Ptruztx''  (III,  401,  2).  Eine 
jrute  l'hoto^aphie  dieneff  Bildes  findet  man  bei  «l«  ?»  T^ni-l..-.. 
Alinari  in  Florenz. 


128  Die  Galerie  Borghese. 

welcher  ganz  verfehlten  Taufe,  zu  meiner  nicht  geringen 
Verwunderung,  auch  die  Herren  Crowe  und  Cavalca- 
selle  ihre  Zustimmung  nicht  versagen  wollen  ^  (III,  412). 
Meiner  Meinung  nach  ist  jenes  Porträt  für  Lorenzo  di 
Credi  viel  zu  lebendig  aufgeftxsst,  auch  zu  warm  in 
der  Farbe.  Ich  trage  meinerseits  kein  Bedenken,  das- 
selbe für  ein  gutes  Jugendwerk  des  Pietro  Perugino  (f ) 
(etwa  um  1485 — 90),  ungefähr  aus  derselben  Epoche  wie 
die  sogenannte  Nonne  des  Lionardo  im  Pitti- Palast, 
anzusehen  und  es  meinen  Freunden  zum  Studium  anzu- 
empfehlen. Messer  Alessandro  Braccesi  ist  schon  1474 
als  Notaro  della  Signoria  verzeichnet,  musste  also  da- 
mals schon  in  den  Zwanzigern  seines  Alters  stehen. 
Unser  Porträt  stellt  aber  einen  Knaben  von  etwa  14 — 
15  Jahren  dar.  Der  Name  des  Dargestellten  wie  der 
des  Malers  scheint  also  auch  bei  diesem  Bild,  wie  bei 
so  vielen  andern,  ganz  willkürlich  und  blos  nach  dem 
sogenannten  Total  eindruck   aufgestellt  worden   zu  sein. 

BACCHIACCA. 
Die  Nrn.  3,  5,  67,  12  und  19  gehören  sämmtlich 
demselben  Meister  an,  nämlich  dem  im  allgemeinen 
sehr  wenig  bekannten  Maler  Francesco  übertini, 
Bacchiacca  genannt.^  (f)  Sie  stellen  Episoden  aus  dem 
Leben  Joseph's,  des  keuschen  Hebräers,  dar  —  ein  wie 
es  scheint  im  dritten  Decennium  des  16.  Jahrhunderts 
in  Florenz  sehr  beliebtes  Sujet  zur  Ausschmückung  des 
Schlafgemachs  der  Neuvermählten.  Werke  dieses  nicht 
talentlosen  Malers,  dessen  Vasari  mehrere  male,  obwol 
nur  im  Vorbeigehen  Erwähnung  thut,  so  unter  andern 
in  den  Biographien  des   Perugino,   des   Granacci,   des 


^  Auch  Director  W.  Bode  stimmt  in  das  Urtheil  seiner  Ge- 
währsmänner ein  (II,  580). 

2  Der  neue  Director  dieser  Galerie  hat,  zu  meiner  grossen 
Genugthuung,  meine  Bestimmung  dieser  fünf  Bilder  als  richtig 
anerkannt,  das  Hauptgemälde  auch  in  besseres  Licht  gebracht. 


Die  Toscaner:  Bacchiacca.  129^ 

Franciabigio,  des  Aristotele  da  San  Gallo,  sind  ziem- 
lich selten.  Deshalb  vergönne  man  mir  etwas  länger, 
als  vielleicht  die  gute  Sitte  bei  Durchmusterung  einer 
Bildergalerie  es  erlaubt,  bei  diesem  nicht  uninteressanten 
Meister  zu  verweilen,  der  in  der  Kunstgeschichte  weniger 
bekannt  ist,  als  er  es,  meiner  Meinung  nach,  verdient, 
und  dessen  Werke,  wie  ich  Gelegenheit  gehabt  habe 
zu  beobachten,  in  den  Sammlungen  sogar  mit  den  Namen 
Dürer's,  Lionardo's,  RaftaeFs  und  Michelangelo's  beehrt 
werden. 

Francesco  Ubertini  muss  ums  Jahr  1494  in  Flo- 
renz geboren  sein.  Auf  dem  grossen  Bild  des  Angelo 
Bronzino  vom  Jahre  1552,  Nr.  1271  in  den  Uffizien, 
das  Christus  in  der  Vorholle  darstellt,  befindet  sich,  laut 
Vasari  (XIII,  165),  nebst  den  Porträts  des  Pontormo 
und  des  Giovan  Battista  Gello  auch  das  des  Bacchiacca. 
Derselbe  scheint  nun,  seinem  Gesicht  nach  zu  scldiessen, 
etwa  ein  Sechziger  damals  gewesen  zu  sein.  Einige 
Jahre  später,  d.  h.  im  Jahre  1557,  starb  er  in  Florenz. 
Er  hatte  zwei  Brüder,  von  denen  der  eine,  Baccio, 
Schüler  und  Gehülfe  des  Perugino  war,  der  andere,  An- 
tonio, zu  seiner  Zeit  in  der  Teppichstickerei  sich  aus- 
zeichnete. 

Dass  Bacchiacca  eine  Zeit  lang  mit  seinem  Bruder 
Baccio  auch  bei  Pietro  Perugino,  wahrscheinlich  ums 
Jahr  1505 — 1506,  in  die  Lehre  gegangen  und  sich  dami 
später  an  Franciabigio  angeschlossen  und  bei  diesem 
Meister  wol  die  letzte  Zeit  seiner  Lehrjahre  durch- 
gemacht und  vielleicht  als  Gehülfe  bis  zum  Tod  Francia- 
bigio's  (1525)  in  dessen  Werkstatte  gearbeitet  habe, 
wird  von  Vasari  berichtet,  der  ihn  personlich  gut  ge- 
kannt und  sowol  als  Menschen  wie  als  Künstler  schätzte. 
Passavant  lässt  die  Brüder  Baccio  und  Francesco  Uber- 
tini von  Florenz  nach  Perugia  übersiedeln,  um  dort 
von  Pietro  in  der  Malerkunst  unterrichtet  zu  werden. 
Mir  erscheint  es  jedoch  wahrscheinlicher,  dass  die  bei- 

Lbbmolibfp.  9 


130  Die  Galerie  Borgbese. 

den  Florentiner  in  Florenz  selbst  die  Werkstatt  des 
Perugino  besucht  haben  mögen.  Periigino  hielt  sich  ja 
im  ersten  Decennium  des  16.  Jahrhunderts  mehr  in 
Florenz  als  in  Perugia  auf.  Dass  Bacchiacca  aber  später 
auch  sehr  vieles  von  seinem  Freunde  Andrea  del  Sarto 
und  in  seiner  letzten  Periode  auch  von  Michelano-elo 
angenommen,  scheint  mir  ebenfalls  einleuchtend  zu  sein. 
Nach  der  Art,  wie  er  in  seinen  Bildern  den  Körper  zu  be- 
wegen pflegt,  wie  er  die  Hände  zeichnet,  die  Falten  legt 
und  namentlich  wie  er  die  meist  sehr  sorgfältig  auso-e- 
fuhrten  landschaftlichen  Griinde'darstellt,  bin  ich  geneigt, 
mehr  den  Einfluss  von  A.  del  Sarto  zu  sehen,  als  den  des 
Perugino  oder  des  von  Andrea  selbst  abhängigen  Francia- 
bigio,  von  welchem  letztern  er  wol  das  geleckte  Colorit 
und  die  kalten  Fleischtöne  angenommen  haben  murr. 
Bacchiacca  scheint  nach  dem  Tode  Franciabigio's  nach 
Rom  gegangen  zu  sein;  wenigstens  befand  sich  derselbe 
um  die  Mitte  der  zwanziger  Jahre  in  der  Ewigen  Stadt 
und  lebte  dort  auf  freundschaftlichem  Fusse  mit  Giulio 
Romano,  Francesco  Penni  und  Benvenuto  Cellini,  der 
im  Anfang  seiner  Selbstbiographie  uns  von  ihm  be- 
richtet. Vasari  rühmt,  und  mit  Recht,  den  grossen  Fleiss 
und  die  Sauberkeit,  womit  er  seine  meist  nicht  über 
eine  Spanne  hohen  Figürchen  malte,  lobt  auch  die  Ara- 
besken mit  nach  der  Natur  gemalten  Thieren  und  Pflan- 
zen, womit  Bacchiacca  das  Cabinet  des  Herzogs  Cosimo 
de'  Medici  ausgeschmückt  hatte,  und  fügt  noch  hinzu, 
dass  von  diesem  Meister  gar  mancher  Carton  zu  den 
herzoglichen  Teppichen  geliefert  wurde.  In  der  Samm- 
lung der  Arazzi  in  Florenz  sieht  man  noch  heute  drei 
grosse  mit  Gold  gestickte  Teppiche,  worauf  die  zwölf 
Monate  dargestellt  sind  und  in  denen  ich  den  Geist 
des  Bacchiacca  und  dessen  Art  und  Weise  zu  formen 
zu  erkennen  glaube,  (f)  Wahrscheinlich  sind  es  jene 
Teppiche,  die  der  vlämische  Teppichsticker  Rost  nach 
Zeichnungen  des  Ubertini  anfertigte  (siehe  Vasari  dar- 


Die  Toscaner:  Bacchiacca.  131 

über).  Bacchiacca  soll  auch  ein  vorzüglicher  Thiermaler 
gewesen  sein  {era  ottimo  pittore  in  ritrarre  tutte  le  sot'ti 
{Tanimali).  Und  in  der  That  waren  die  Thiere,  die 
ich  auf  einigen  seiner  Bilder  (z.  B.  auf  dem  in  der 
Sammlung  Giovanelli  in  Venedig)  zu  sehen  Gelegen- 
heit hatte,  musterhaft  dargestellt  Da  ich  nun  diesem 
so  wenig  gekannten  Meister  mit  einigem  Interesse  nach- 
gegangen bin,  so  sei  mir  gestattet,  in  chronologischer 
Folge  die  Bilder  des  Bacchiacca,  die  ich  auf  meinen 
Kunstfahrten  entdeckte  oder,  um  bescheidener  zu  reden, 
entdeckt  zu  haben  glaube,  hier  anzuführen.  Mochten 
diese  fluchtigen  Angaben  seiner  Werke  irgendeinen 
Kunsthistoriker  veranlassen,  diesem  sonderbaren  floren- 
tinischen  Künstler,  der  uns  in  manchem  seiner  Werjce 
durch  geistreiche  Züge  und  ungesuchte  Anmuth  über- 
rascht, scharfer  ins  Auge  zu  fassen  und  den  Kunst- 
freunden ein  historisches  Porträt  desselben  zu  bieten. 
Vorerst  wollen  meine  gutwilligen  Freunde  mir  erlauben^ 
ihnen  einige  charakteristische  Merkmale  hier  anzugeben, 
an  denen  man  seine  Werke  von  denen  anderer  seiner 
ihm  nahe  kommenden  Zeitgenossen  leichter  zu  erkennen 
vermag. 

1.  Im  Vorgrund  seiner  Landschaften  pflegt  er  fast 
immer  einen  hellgrauen,  mit  Bäumchen  und  Strauchwerk 
bewachsenen,  keilförmigen  Felsen  anzubringen  (wie  wir 
dies  auch  auf  dem  Bilde  dieser  Galerie,  Nr.  67,  ge- 
wahren); im  Mittelgnmd  eine  reichbethürmte  Stadt. 

2.  Die  Iland  hat  bei  ihm  lange,  zugespitzte  Finger. 

3.  Auch  er,  wie  sein  Lehrer  Franciabigio,  zeigt  eine 
Vorliebe  für  die  blaue  Farbe. 

4.  Die  llaarmasse  pflegt  er  bräunlich  zu  unternmlen 
und  dann  die  einzelnen  Haarbüscliel  gelblich  darauf  zu 
lasiren,  wovon  wir  uns  auch  hier  in  diesem  Bilde,  Nr.  67, 
überzeugen  können. 

5.  Wie  alle  Zwitterkünstler  hat  auch  Bacchiacca 
keine  für  ihn  charakteristische  Form  de^  Ohres;  bald 


132  I^ie  Galerie  Borghese. 

ist  dasselbe  rundlicher,  bald  länglicher  geformt,  je  nach 
dem  Vorbilde,  das  er  zufallig  vor  sich  hatte. 

6.  Seine  am  Vorderarm  mit  dichten  steifen  Quer- 
fältchen  bedeckten  enganliegenden  Aermel  der  weib- 
lichen Kleider  pflegen  bis  i'iber  den  Knöchel  hinauszu- 
reichen; ein  Brauch,  den  er  wol  dem  Lukas  von  Lei- 
den, dessen  Kupferstichen  er  gar  mancherlei  entnahm, 
abgesehen  haben  mag. 

7.  Auf  seinen  Gewändern  erscheint  sehr  oft  eine 
Falte  von  der  Form  eines  Q) ^  wie  z.  B.  am  rechten 
Oberam  der  „Vierge  au  sein"  des  Professor  Nicole  in 
Lausanne;  an  einigen  Stellen  des  Bildes  beim  Priester 
Bertoldi;  ebenso  im  Bilde  der  Sammlung  Giovanelli, 
sowie  auf  den  Zeichnungen  bei  Herrn  Giovanni  Mo- 
relli,  im  Louvre  und  anderwärts. 

In  Bacchiacca's  früheste  oder  Peruginische  Epoche 
setze  ich: 

a)  Ein  Bildchen,  Nr.  55,  auf  dem  das  „Noli  me 
tangere"  dargestellt  ist,  und  das  sich,  wie  auch  das 
folgende  Bild,  in  dem  Museum  von  Oxford  (Christ- 
Church  College)  befindet,  (f) 

b)  Die  „  Auferweckung  des  Lazarus"  in  Gegenwart 
der  zwei  Schwestern  Martha  und  Maria  kniend  vor 
Christus;  ebendaselbst,  (f) 

Beide  Bildchen  erinnern  noch  an  die  Schule  des  P. 
Perugino. 

c)  Ein  kleines  Bild,  das  vor  Jahren  noch  im  Besitz 
des  Priesters  Don  Giacomo  Bertoldi  von  Carpenedo, 
bei  Mestre,  sich  befand  und  von  ihm,  mit  Zustimmung 
einiger  Kunstfreunde  Venedigs,  Kaö'ael  Sanzio  zuge- 
muthet  ward.  In  jenem  Bild,  auf  dem  die  in  einer 
Landschaft  zwischen  der  heiligen  Elisabeth  und  dem 
kleinen  Johannes  sitzende  Maria  dargestellt  ist,  wie 
sie  das  unbekleidete  Christkind  auf  ihren  Knien  hält, 
ist  die  Composition  noch  die  eines  unerfahrenen  Künst- 
lers, auch  erinnert  die  Haltung  der  Jungfrau  noch  an 


IJl  VIKRUS  AV  BUS. 


Die  Toscaner:  Bacchiacca.  133 

die  Perugiuiscbe  Schule,  während  die  Landschaft  und 
die  Farbenscala  schon  lebhaft  an  seinen  zweiten  Lehrer 
Franciabigio  gemahnen,  (f) 

d)  Ein  anderes  kleines  Bild  (ganz  und  gar  über- 
malt), das  in  eine  spätere  Zeitperiode  des  Künstlers 
fällt,  schien  mir  die  vielgewanderte  „  Vierge  au  »ein, 
ricemment  dicouverte'-''  mit  der  Herr  Professor  Ni- 
cole aus  Lausanne  in  Europa  herumzog,  allenthalben 
vergeblich  nach  einem  gläubigen  Käufer  spähend.  Die 
Composition  dieses  Bildchens,  das  man  in  der  Photo- 
graphie, wie  dies  ja  oft  der  Fall  ist,  besser  als  in  seinem 
durch  Uebermalung  verunstalteten  Originaltext  zu  lesen 
im  Stande  ist,  hat  Aehnlichkeit  mit  der  des  eben  ge- 
nannten Bildes;  die  Madonna  hält  das  an  ihrer  Brust 
säugende  Christkind  auf  dem  Schos,  links  von  ihr  der 
kleine  Johannes,  Hintergrund  Landschaft  mit  dem  für 
den  Meister  charakteristischen  keilförmigen  Felsen  und 
der  reichbethiirmten  Stadt  im  Mittelgrund.  Die  Com- 
position sowie  die  Stellung  der  Jungfrau  erinnern  an 
die  sogenannte  „Madonna  del  pozzo"  des  Franciabigio 
in  der  Uffizien- Galerie.  Es  ist  meinerseits  vielleicht 
allzu  gewagt,  in  einem  solchen  durch  Uebermalung  so 
sehr  entstellten  Gemälde  noch  die  Hand  des  Meisters 
erkennen  zu  wollen,  allein  ich  trage  in  mir  die  Ueber- 
zeugung,  mich  ebenso  wenig  in  der  Bestimmung  die- 
ses wie  der  obengenannten  dn'i  Bildclifti  getauscht  vw 
haben,  (f) 

In  die  letzten  Jahre  dieser  ersten  Periode  Bacchiacca  ^i, 
die  etwa  bis  zum  Jahre  1518  gedauert  haben  mag,  setze 
ich  auch: 

e)  Das  interessante  Bildchen  mit  Adam  und  Eva 
in  der  Sammlung  des  Herrn  Doctor  G.  Frizzoni  in  Mai- 
land. Dieses  kleine  Gemälde  galt  vor  Zeiten  als  von  der 
Hand  des  Giulio  Romano.  Nach  Rom  verkatift,  wurde 
es  dort  auf  B.  Peruzzi  umgetauft.  Zu  diesem  höchst 
merkwürdigen  Bildchen,  in  welchem  die  Correctheit  der 


134  I^i®  Galerie  Borghese. 

Zeichnung  manches  zu  wünschen  übrig  lässt,  benutzte 
Bacchiacca  augenscheinlich  den  kleinen  Carton  seines 
Lehrers  Pietro  Perugino,  welcher  diesem  zu  seinem  welt- 
bekannten Bilde  „Apollo  und  Marsyas"  (gegenwärtig 
unter  dem  ihm  von  seinem  frühern  Besitzer  octroyirten 
Namen  Raffael  im  Salon  carre  des  Louvre  aufgestellt) 
gedient  hatte.  Der  Carton  des  Perugino  (f),  ganz  in  der 
Art  und  Weise  behandelt  wie  die  Zeichnung  in  Oxford 
(Sammlung  der  University)  mit  dem  Erzengel  Raftiel 
und  dem  kleinen  Tobias  (Robinson's  Katalog  Nr.  16), 
befindet  sich  in  der  venetianischen  Akademie,  wie  sich 
von  selbst  versteht  auch  dort  als  Werk  IlafiaeFs  be- 
zeichnet. Bacchiacca  machte  nun  aus  dem  Apoll  eine 
Eva  und  aus  dem  Marsyas  einen  Adam. 

In  die  mittlere  Epoche  der  künstlerischen  Thätig- 
keit  des  Bacchiacca,  also  ungefähr  in  die  Jahre  1518 — 
1536  würde  ich  setzen: 

f )  Das  niedliche,  ansprechende  Porträt  eines  Knaben^ 
der  den  Kopf  auf  die  rechte  Hand  stützt  und  uns  mit 
jugendlicher  Heiterkeit  ansieht;  ein  Bildniss,  das  im 
Louvre  ebenfalls  unter  dem  hochklingenden  Namen 
RaffaePs  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich  zieht 
und  so  im  voraus  schon  alle  Herzen  gewinnt.  Das 
Bildchen  führt  die  Nummer  372  und  wurde  vielfach  ge- 
stochen. Bailly  in  seinem  Inventarium  vom  Jahre  1709^ 
— 1710  bemerkt  zu  diesem  Porträt:  ^^tahleau  estime  de 
Raphael  representant  son  portrait''^.  Schon  vor  vielen 
Jahren  erschien  mir  dieses  anziehende  Bildniss  des  sym- 
pathischen Jünglings  als  Arbeit  irgendeines  florentiner 
Malers  aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  mit 
der  Zeit  jedoch  gestaltete  sich  in  mir  jene  Yermuthung 
zur  Ueberzeugung,  dass  es  nämlich  nicht  nur  das  Werk 
eines  Florentiners,  sondern  auch  bestimmt  des  Bacchiacca 
sei;  und  dies  sowol  wegen  der  Form  der  Hand,  als  auch 
wegen  der  Technik,  mit  der  die  Haarmasse  gemalt  ist 
(gelblich  lasirt  auf  bräunlichem  Grund),  eine  Technik^ 


ADAM  tnro  STA  w  DU  SAiocLiTirQ  FEinom  nr  Mailand. 


(  ARTOW  TON  P.  PSRUOtVO  HTM  BILDI  APOLU>  UVD  1IAR8YAA, 

IX  VKXXOIO.  g.  m. 


Die  Toscaner:  Bacchiacca.  135 

die  wir  unter  andern  auf  dem  Bild  bei  Herrn  G.  Friz- 
zoni  ebenfalls  zu  beobachten  die  Gelegenheit  hatten. 
Das  linke  Auge  in  diesem  Porträt  ist  fehlerhaft  in  der 
Zeichnung.    Die  Tafel  ist  später  vergrössert  worden,  (f) 

g)  In  diese  Jahre  gehört  auch  das  Breitbild  in  den 
Uffizien  (Nr.  1296),  worauf  Thaten  aus  dem  Leben  des 
heiligen  Ascanius  dargestellt  sind,  und  das  als  Predella 
der  Altai-tafel  seines  Lehrers  Franciabigio  in  der  Kirche 
von  S.  Lorenzo  diente.  Zu  diesem  Bild  entnahm  augen- 
scheinlich unser  Bacchiacca  mehrere  Figuren  den  Stichen 
von  Lukas  von  Leiden:  ein  Brauch,  der  damals  in  Flo- 
renz auch  bei  andern  Künstlern  statthatte,  wie  z.  B. 
auch  bei  Franciabigio  und  Pontormo,  die  beide  sehr  oft 
sich  der  Stiche  Dürer's  zu  ihren  Compositionen  bedien- 
ten, wie  uns  dies  auch  Vasari  berichtet. 

h)  Auch  das  fleissig  ausgeführte,  vielfach  noch  an 
seinen  Lehrer  Franciabigio  gemahnende  Bild,  Nr.  80, 
in  der  Dresdener  Galerie  gehört  wol  in  diese  Mittel- 
zeit, sowie  ebenfalls: 

i)  Das  Breitbild  mit  der  Taufe  Christi  im  Museum 
zu  Berlin;  ferner: 

k)  Die  Tafel  in  der  k?aininlung  dt's  Herrn  (Tiovauni 
Morelli  in  Mailand,  mit  dem  Tod  Abel's,  und 

1)  und  m)  Die  zwei  jüngst  von  der  National  Gallery 
in  London  erworbenen  Gemälde  mit  Darstellungen  aus 
dem  Leben  Joseph's.* 

Zu  den  reifsten  und  treft'lichsten  Werken  dieser 
Wirkungszeit  des  Bacchiacca  gehört  jedoch,  meiner  An- 
sicht nach,  das  mit  grosser  Sorgfalt  und  Liebe  ausge- 
führte Bild  im  Palast  Giovanelli  in  Venedig.  Dieses  noch 
vor  nicht  langer  Zeit  fin'  ein«'   Arb«'lt  Djipt's  ir<'lt«'iHlo 


*  Stadien  zu  diesen  zwei  Bildern  finden  sich  im  Louvre, 
Nr.  352  nnd  868  des  Reiset'sohen  Katalogs.  Aach  die  Sammlung 
des  Christ-Charch  College  in  Oxford  besitzt  das  Fragment  einor 
Zeichnung  zn  dem  einen  dieser  Bilder,  (f) 


136  I^ic  Galerie  Borghese. 

Gemälde  hatte  der  Schreiber  dieser  Zeilen  das  Gliick 
zuerst  als  Werk  imsers  Bacchiacca  zu  erkennen  (photo- 
graphirt  von  Naya  in  Venedig),  (f )  Es  zählt  ungefähr 
vierzig  grossere  nebst  einer  Menge  kleinerer  Figuren 
im  Hintergrund*,  ist  auf  Holz  gemalt  und  misst  un- 
gefähr SVa  Fuss  in  der  Höhe  und  273  in  der  Breite. 
In  der  Mitte  kniet  Moses  mit  einem  goldenen  Stab  in 
der  Hand  vor  einem  hohen  Felsen,  aus  dem  eine  Quelle 
sprudelt.  Von  allen  Seiten  strömt  das  Volk  herbei, 
sich  den  Durst  zu  stillen.  Doch  nicht  nur  die  Men- 
schen kommen  herbei,  sondern  auch  vielerlei  Gethier: 
Luchse,  Katzen,  Rehe,  Papagaien,  Ziegen,  Ochsen,  Mar- 
der, Esel  u.  s.  w.  Einzelne  Köpfe,  namentlich  weib- 
liche, hat  Bacchiacca  mit  miniaturartigem  Fleiss  aus- 
geführt. Die  Costüme  sind  hier  und  da  sehr  phan- 
tastisch und  etliche  darunter  ofl'enbar  wieder  Stichen  Von 
Lukas  von  Leiden  entlehnt,  weshalb  wol  auch  das  Bild 
früher  für  die  Arbeit  eines  Deutschen  gehalten  wurde. 
Der  landschaftliche  Grund  mit  dem  charakteristischen 
keilförmigen  grauen  Felsen  ist  kalt  im  Ton.  Drei  mit 
schwarzer  Kreide  gezeichnete  Studien  zu  verschiedenen 
weiblichen  Köpfen  auf  diesem  Gemälde  finden  sich 
auf  einem  Blatt  in  der  Uffizien- Sammlung,  unter  dem 
Namen  des  Michelangelo  Buonarotti  (Rahmen  183, 
Nr.  599).  (f )  Auch  die  Sammlung  in  Lille  besitzt  von 
Bacchiacca  eine  Rötheizeichnung  mit  sieben  Studien  zu 
Masken,  wahrscheinlich  zur  Randverzierung  von  Ta- 
peten bestimmt,  die  dort  ebenfalls  dem  Michelangelo 
zugeschrieben  wird  (Braun  35).  (f) 

Zu  den  Werken  dieser  mittlem  Epoche  würde  ich 
auch  rechnen: 


*  Ich  bitte  auf  der  rechten  Seite  dieses  Bildes  unter  an- 
derm  auch  den  Kopf  eines  Jünglings,  dem  eine  alte  Frau  ein 
Gefäss  überreicht,  sich  genauer  anzusehen  und  ihn  sodann  mit 
dem  Knabenporträt  Nr.  372  im  Louvre  vergleichen  zu  wollen. 


Die  Toscaner:  Baochiacca.  137 

o)  Die  fünf  zusammengehörigeQ  Tafeln  der  Borghese- 
Galerie.  (f )  Eine  gute  Kötlielzeichnung  zum  Benjamin 
auf  zweien  dieser  Bilder  besitzt  Herr  Giovanni  Morelli.^ 

Der  spätesten  oder  dritten  £poche  des  Baochiacca 
dürften,  meiner  Meinung  nach,  etwa  die  folgenden  Ar- 
beiten des  Meisters  angehören: 

p)  Die  Predigt  Johannes  des  Täufers  im  Hause  des 
Marchese  Bacciocchi  in  Florenz.  Johannes  steht  auf 
einer  Erderhohung  und  hat  auf  seiner  rechten  Seite  die 
männlichen,  auf  der  linken  die  weiblichen  Zuhörer  um 
sich  versammelt. 

q)  Die  leider  etwas  übermalte  „Anbetung  der  Kö- 
nige" in  der  an  guten  Bildern  reichen  Sammlung  des 
rühmlichst  bekannten  Kunstfreundes  Herrn  Edward 
Ilabich  zu  Cassel. 

r)  Ein  grosses  Madonnenbild  (unbenannt)  in  der 
Sammlung  von  Sir  Francis  Cook  in  Kichmond.  (f) 

Vasari  erzählt  uns  (Biographie  des*Tribolo),  dass 
beim  Einzug  der  Eleonore  von  Toledo  in  Florenz 
Bacchiacca  in  Gesellschaft  des  Bronzino,  des  Pier  Fran- 
cesco di  Sandro  (Schüler  des  A.  del  Sarto),  des  Bat- 
tista  Franco  und  anderer,  an  den  Malereien  im  Hofe  des 
Medicei'schen  Palastes  theilgenommen  und  sodann  bei 
der  Feier  der  Hochzeit  des  Herzogs  Cosimo  zu  einer 
dramatischen  Darstellung  des  Poeten  Landi  „die  Reise 
des  Lorenzo  il  magnifico  nach  Neapel"  und  „die  Kück- 
kehr  aus  der  Verbannung  des  alten  Cosimo  de'  Me- 
dici"  gemalt  habe  (siehe  die  Biographie  des  Aristotele 
da  San  Gallo).  Ferner  lässt  Vasari  den  Bacchiacca 
ebenfalls  an  der  Bemalung  von  Triumphbögen  für  Fest- 
lichkeiten thätig  sein.    Aus  allem  diesem  erkennt  man, 


*  Wurde  pablicirt  im  Werke  des  Ilcrro  Qustavo  Frizzoui: 
CoUmone  di  quaranta  disegni  scelti  dalla  liaccoUa  del  Senatore 
Oiovanni  MoreUif  riprodotti  in  Eliotipia^  descritti  '-'^  fii...t,:.t. 
dal  DoU.  Ousiavo  Friezoni  (Milano,  lloepli,  1884> 


13g  Die  Galerie  Borghese. 

dass  Francesco  übertini  im  dritten  und  vierten  Decen- 
niiini  des  16.  Jahrhunderts  ein  Maler  war,  dessen  Kunst 
in  Florenz  vielfach  in  Anspruch  genommen  wurde. 

Die  Figuren  in  seinen  Bildern  messen,  wie  schon 
bemerkt,  in  sehr  seltenen  Fällen,  wie  z.  B.  im  Madon- 
nenbild bei  Sir  Francis  Cook  und  im  Porträt  im  Louvre, 
mehr  als  eine  Spanne,  gewöhnlich  sind  sie  noch  kleiner. 

Es  mögen  noch  gar  viele  andere  Bilder  dieses 
Meisters  in  der  Welt  zerstreut  sein  und  die  meisten 
wol  unter  fremdem  Namen  gehen.  ^^Fece  anco  molti 
altH  quadH  per  diversi^  che  furono  mandati  in  Francia 
e  in  Inghilterra'-^^  sagt  Vasari. 

Bacchiacca  scheint  übrigens  grösstentheils  Predellen, 
d.  h.  Altaraufsätze  und  sogenannte  Cassoni,  die  im  14., 
15.  und  16.  Jahrhundert  in  Italien  unsere  heutigen 
Kommoden  und  Schränke  ersetzten,  bemalt  zu  haben. 
Die  Kunst  hatte  in  jenen  glücklichen  Zeiten  in  jedem 
Hause  Italiens  freien  Zutritt  und  mischte  sich  so  in 
fast  alle  menschlichen  Angelegenheiten,  sie  wollte  in 
allen  Begebenheiten  und  Festlichkeiten  des  Lebens  zu- 
gegen sein  und  daran  Antheil  nehmen.  Die  vor- 
nehmen und  reichen  Leute  hatten  nicht  nur  die  Freude 
und  den  rühmlichen  Stolz,  ihre  Paläste  in  der  Stadt, 
ihre  Villen  auf  dem  Lande,  ihre  Kapellen  in  den  Kir- 
chen mit  Bildern  und  Statuen  ausgeschmückt  zu  sehen, 
sie  wollten  auch,  dass  ihre  Hausmöbel  durch  schöne, 
dem  Zweck  entsprechende  Verhältnisse,  durch  Zier- 
rathen  in  Metall  und  Holz,  durch  Farbenpracht  das 
Auge  anzögen  und  den  Geist  ergötzten.  Und  doch 
existirten  zu  jenen  Zeiten  noch  keine  öffentlichen  Bil- 
dergalerien zur  Belehrung  des  Publikums,  gab  es  noch 
keine  öffentlichen  Vorträge  und  Unterweisungen,  waren 
gute  Anleitungen  zur  richtigen  Kunstkenntniss,  wie  wir 
sie  heutzutage  glücklicherweise  in  Hülle  und  Fülle  be- 
sitzen, noch  nicht  in  Aufnahme  gekommen.  Auch  waren 
die  jährlichen  Kunstausstellungen  jenen  unmündigen  Ge- 


Die  Toscaner:  BUcchiacca.  139 

schlechtem  noch  gänzlich  unbekannt  Wir  müssen  da- 
her, der  Ansicht  eines  norddeutschen  Philosophen  bei- 
pflichtend, annehmen,  dass  in  jenen  Leuten  die  Freude 
und  der  Genuss  an  den  Erzeugnissen  der  Kunst  „keine 
bewusste  positive,  sondern  blos  eine  unbegrenzte,  in 
ihrem  Gemüth  schlummernde,  die  Intelligenz  wenig  oder 
gar  nicht  afficirende  Sensation"  war. 

Sei  dem  nun  wie  ihm  wolle,  sicher  ist  es,  dass  in 
der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  Baccio  d'Agnolo, 
ein  in  Florenz  höchst  beliebter  Baumeister,  oft  von 
vornehmen  Herren  um  Ratli  angegangen  wurde,  wenn 
es  sich  darum  handelte,  schön  geschnitzte  Möbel  zu 
bekommen.  So  erzählt  uns  Vasari  im  Leben  des 
Pontormo,  dass  der  reiche  Florentiner  Pier  Francesco 
Borgherini  bei  seiner  Vermählung  mit  dem  Gretchen 
des  Hauses  Acciajuoli  sich  an  den  ebengenannten  Baccio 
gewandt  habe,  um  reich  verzierte  Cassoni  von  ihm  ge- 
schnitzt zu  haben,  und  diese  sodann  dem  Andreii  del 
Sarto,  dem  Pontormo,  Franciabigio,  Bacchiacca  und  dem 
Granacci  zur  Bemalung  anvertraute.  Allen  diesen  Ma- 
lern wurde,  wie  es  scheint,  die  Darstellung  von  Ge- 
schichten aus  dem  Alten  Testament  aufgetragen.  So 
malte  Pontormo,  wahrscheinlich  auch  fin*  den  Borghe- 
rini, Joseph  mit  seinen  Brüdern  und  Verwandten  (jetzt 
in  der  National  Gallery  in  London,  Nr.  1131);  Andrea 
del  Sarto  stellte  seinerseits  ebenfalls  zwei  Episoden  aus 
dem  Leben  Joseph's  dar  und  zwar  auf  die  liebens- 
würdigste Art.  Diese  letztern  herrlichen  Compositionen 
befinden  sich  gegenwärtig  im  Pitti-Palast  unter  Nr.  87 
und  88,  während  die  von  unserm  Bacchiacca  bemalten 
Cassoni  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  zwei  ebenfalls 
n  der  National  Gallery  aufgestellten  sein  dürften. 

Bei  dieser  Gelegenheit  vergönne  man  mir,  eine  be- 
herzigenswerthe  Geschichte  dem  Vasari,  diesem  naivsten 
und  liebenswürdigsten  aller  Kunsthistoriker,  dessen  Bü- 
cher noch  immer  die  Hauptquelle   aller  neuern  Kunst- 


140  I^ie  Galerie  Borghese. 

forschling  sind,  nachzuerzählen.  Nachdem  Vasari  im 
„Leben  des  Pontormo"  in  lebendigen  Worten  die  Pracht 
der  Zimmer  mit  den  eben  beschriebenen  Cassoni  im 
Hause  Borgherini  uns  veranschaulicht  hat,  erzählt  er 
Folgendes:  Als  Pier  Francesco  Borgherini,  der,  wie  es 
scheint,  zu  den  Medicis  hielt,  bei  der  Belagerung  von 
Florenz  (1529)  nach  Lucca  geflüchtet  war,  wusste  der 
florentinische  Bilderspeculant  Giovanni  della  Palla  von 
der  florentiner  Stadtbehörde  die  Erlaubniss  sich  zu  ver- 
schaften,  die  eben  bezeichneten  Bilder  aus  dem  Hause 
Borgherini  gegen  eine  Entschädigungssumme  an  die 
Familie  wegzunehmen,  unter  dem  Vorwand,  dieselben 
König  Franz  I.  als  ein  Geschenk  darzubringen,  im 
Grunde  aber,  um  sie  nach  Frankreich  zu  schleppen  und 
dort  ein  gutes  Geschäft  damit  zu  machen.  Als  der- 
selbe nun,  von  einigen  Gemeindedienern  begleitet,  zu 
diesem  Zweck  in  den  Palast  Borgherini  sich  begab  und 
der  Gemahlin  des  Pier  Francesco,  Margarita  Acciaioli, 
welche  allein  in  Florenz  zurückgeblieben  war,  seine  Ab- 
sicht kundgegeben,  gerieth  die  naive  Frau  in  Ent- 
rüstung über  eine  so  schamlose  Zumuthung  und  brach 
in  folgende  Worte  aus:  „Du,  Giovanni,  hättest  also 
die  Unverschämtheit,  Hand  anzulegen  an  den  edelsten 
Schmuck,  der  die  Häuser  der  Edelleute  ziert?  Schnöder 
Mann,  der  du  bist,  über  dein  schmähliches  Ansinnen 
wundere  ich  mich  keineswegs,  denn  du  bist  zu  nichts 
Besserem  geboren  und  Ruhm  und  Ehre  deines  Vater- 
landes können  dich  nicht  kümmern;  was  mich  empört, 
ist  nicht  deine  eigene,  sondern  die  Niedrigkeit  unserer 
Stadtbehörde,  einem  solchen  Menschen  wie  du  bist  willig 
Gehör  zu  leihen!  Dieses  Bett,  das  deine  Habgier  zum 
Vertrödeln  fortschleppen  möchte,  ist  mein  Hochzeits- 
bett,  mir  verehrt  von  meinem  geschätzten  Schwieger- 
vater; diese  durch  die  Kunst  unserer  besten  Meister 
geschmückten  Truhen,  auf  die  du  deine  gierigen  Blicke 
geworfen  hast,  sind  das  Brautgeschenk  meines  geliebten 


Die  Toscaner:  Bacchiaoca.  141 

Mannes.  Wiese,  dass  ich  aus  Verehning  und  Liebe  zu 
ihnen  mit  meinem  Blute  diese  Kleinodien  vertheidigen 
werde.  Packet  euch  daher  aus  diesem  Hause,  du  und 
deine  Helfershelfer;  kehrt  zurück  zu  denen,  die  euch 
hergeschickt  haben,  und  sage  ihnen  in  meinem  Namen, 
dass  ich  niemals  dulden  werde,  dass  man  den  gering- 
sten Gegenstand  in.  diesem  Haus  antaste.  Mögen  sie 
doch  ihre  eigenen  Häuser  ausplündern,  falls  sie  damit, 
wie  sie  sagen,  den  König  von  Frankreich  beschenken 
wollen.  Solltest  du  aber  noch  einmal  dich  vermessen, 
die  Schwelle  dieses  Hauses  zu  betreten,  so  soll  es  dir 
wahrlich  nicht  zum  Heile  gereichen."  Dieses  etwas 
barsche  Benehmen  der  altmodischen  Frau  wird  viel- 
leicht manchem  meiner  Leser  ein  spöttisches  Lächeln 
ablocken;  ich  bitte  jedoch  zu  bedenken,  dass  dazumal 
die  „Bildung"  noch  in  der  Wiege  lag  und  dass  daher 
unsere  heutigen  Begriffe  von  einer  vernünftigen  Ilausöko- 
nomie  den  Leuten  noch  abgingen.  Später,  als  jene  ein- 
fachen Bürger  zu  Baronen,  Grafen,  Marquis  und  Her- 
zögen erhoben  wurden,  da  hatten  die  della  Pallas  so- 
wol  Italiens  als  anderer  Länder  keine  so  unkluge  und 
unfreundliche  Aufnahme  seitens  der  Besitzer  von  Kunst- 
werken zu  erwarten. 

Wir  haben  bereits  gesehen,  wie  mehrere  Arbeiten 
Bacchiacca's  einerseits  dem  Raffael  (Nr.  c  und  d  un- 
serer chronologischen  Folge),  sowie  das  Knabenporträt 
im  Louvre  und  wie  andererseits  einige  seiner  Zeich- 
nungen dem  Michelangelo  zugeschrieben  wurden.  Nun 
bleibt  mir  noch  übrig,  meine  vorurtheilsfreien  Leser 
mit  einer  Zeichnung  bekannt  zu  machen,  die  zwar  den 
hohen  Namen  Lionardo's  führt,  in  der  ich  jedoch  alle 
Kigenthümlichkeiten  des  Bacchiacca  zu  erkennen  glaube. 
Es  ist  dies  die  hübsche  Rötheizeichnung  in  den  Uf- 
fizien  mit  dem  Portrat  einer  schönen,  noch  jungen 
Dame  (Rahmen  103,  Nr.  4U,  Braun  434).  Schon  die 
Tracht  der  Frau  spricht  für  eine  spätere  Zeit  als  die 


142  Die  Galerie  Borghese. 

Lionardo's;  die  feine  Ausführung  des  Kleides,  die  Form 
der  Hand  und  jene  des  Ohres  (an  die  des  Lehrers 
Franciabigio  erinnernd),  die  langen  an  den  Knöchel 
reichenden  Aermel,  sowie  die  charakteristische  Falte  V 
auf  dem  Oberärmel,  die  harten  Querfältchen  auf  dem 
Unterärmel,  bestimmen  mich,  dieses  Frauenbildniss  dem 
Lionardo  da  Vinci  zu  nehmen,  um  es  unserm  Bacchiacca 
zu  geben,  (f)  Doch  will  ich  nicht  durchaus  fiir  diese 
Taufe  gutstehen. 

Francesco  Ubertini  gehörte,  wie  wir  gesehen,  zu 
jener  Gruppe  florentinischer  Künstler  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  die  wie  Franciabigio,  Ridolfo  del 
Ghirlandaio,  Bugiardini,  Pontormo  sich  unter  der  Lei- 
tung Albertinelli's  und  Granacci's  und  später  unter  der 
des  Andrea  del  Sarto  gebildet,  manche  Einflüsse  von 
Lionardo,  von  ivaffael  und  zuletzt  auch  von  Michel- 
angelo in  sich  aufnahmen. 

PINTORICCHIO. 

Bevor  wir  zu  den  andern  florentinischen  Bildern 
übergehen,  wollen  wir  in  diesem  ersten  Saal  noch  zwei 
andere  solcher  Breitbilder,  welche  ebenfalls  zur  Verzie- 
rung von  Truhen  dienten,  betrachten.  Dieselben  stellen 
wiederum  Geschichten  aus  dem  Leben  Joseph's  dar  und 
werden  im  Katalog  als  Werke  des  Pintoricchio  bezeich- 
net, Nr.  49  und  57.  Für  diesen  Meister  ist  die  Aus- 
führung jedoch  viel  zu  roh  und  ungeschickt.  Wir  wer- 
den daher  besser  thun,  sie  mit  den  Herren  Crowe  und 
Cavalcaselle  blos  der  Werkstatt  des  vielbeschäftigten 
Malers  zuzuschreiben.*     Hier  dürfte  vielleicht  mancher 


^  Auf  Tafel  .57  liest  man  einigemal  „sogno  di  Faragone^^. 
Noch  heutzutage  pflegen  die  Bewohner  der  Abruzzen  zwei  auf- 
einander folgende  Vocale  durch  ein  g  zu  trennen  [idega  für  idea, 
lagonde  für  Jaonde,  Magometto  für  Maometto  u.  s.  f.),  woraus  ich 
schliessen  möchte,    dass  dieser  Gehülfe  Pintoricchio's  aus   den 


Die  Toscaner:  Pintoricohio.  143 

Leser  mit  Erstaunen  ausrufen:  sollte  denn  wirklich  in 
einer  so  reichhaltigen  romischen  Bildersammlung  wie 
die  Borghesische  auch  nicht  ein  einziges  echtes  Bild 
des  liebenswürdigen  Pintoricchio  sich  befinden?  Aller- 
dings gibt  es  auch  hier  echte  Werke  dieses  bisher  so 
allgemein  verkannten,  ja  verleumdeten  Meisters,  und 
beide  befinden  sich  in  diesem  ersten  SaaH;  nur  werden 
dieselben  auch  an  diesem  Orte,  wie  dies  dem  armen 
Pintoricchio  fast  überall  ergeht,  nicht  ihm,  sondern  an- 
dern gefeiertern  Malern  zugeschrieben.  Das  eine  dieser 
Bilder  trägt  die  Nummer  44  und  fuhrt  unsinnigerweise 
den  Namen  des  Venetianers  Carlo  Crivelli.  Es  stellt 
den  Gekreuzigten  dar,  an  dessen  rechter  Seite  der  hei- 
lige Hieronymus  kniend  aufwärts  blickt,  an  der  linken 
der  heilige  Christophorus  mit  dem  Christkind  auf  der 
Schulter.  In  diesem  Bilde,  dem  ältesten  mir  bekann- 
ten Werk  des  Meisters,  steht  Pintoricchio  seinem  Lehrer 
Fiorenzo  di  Lorenz©  noch  sehr  nahe,  und  zwar  so  sehr, 
dass  mancher  Kunstjünger  in  Versuchung  kommen  könnte, 
hier  den  Lehrer  mit  dem  Schüler  zu  verwechseln.^  Bei 
Beurtheilung  dieses  Gemäldes  kann  ich  mir  übrigens 
das  Zeugniss  geben,  in  demselben  sowol  den  Geist  als 
die  Hand  des  Künstlers  erkannt  zu  haben,  ohne  zu 
wissen,  dass  es  schon  von  Vermiglioli  als  Werk  des  Ber- 
nardino  Betti  angeführt  ist.'  (f )  Das  andere  Bild,  Nr.  37, 

Abruzzen  •tammte.  Auch  diese  zwei  Bilder  wurden  seit  kurzem 
aus  der  Galerie  verbannt. 

*  Beide  Bilder  traf  leider  dasselbe  Los  wie  die  vorigen, 
sie  wurden  nämlich  ins  obere  Stockwerk  des  Palastes  gebracht. 

'  Der  zu  lange  Oberleib  des  Christkindes,  der  fliegende  Mantel 
de«  heiligen  Christophoms  sind  durchaus  den  Vorbildern  des 
Lehrera  abgesehen,  während  der  Kopftypus  des  Christophorus, 
die  Form  seiner  Hand  mit  dem  gebogenen  Zeigefinger,  die  Fal- 
tenansätze im  Mant«»l  di«  St(*11iing  der  langen  Beine  des  Christo- 
phorus den  V  'lon. 

•Oio.  Bat  M$mori€  di  Bemardino  Pintu- 

riechiOf  S.  109,  llU.  i>as  Bild  gehörte  damals  einem  Dottore  Monaco. 


144  Die  Galerie  Borgheso. 

aus  einer  etwas  spätem  Zeitepoche  des  Pintoricchio  stellt 
den  heiligen  Bartholomäus  dar.  Der  Katalog  schreibt 
es  dem  Giovanni  Spagna  zu.  Der  Typus  sowie  die 
Modellirung  des  Gesichtes  verrathen  jedoch  sogleich  den 
Geist  und  die  Technik  des  Pintoricchio.  Die  Schatten- 
partien sind  in  derselben  Weise  schraffirt  wie  auf  seinen 
Federzeichnungen,  (f) 

Wenden  wir  uns  nun  nach  der  Fensterwand  zu,  so 
fällt  unser  Blick  auf  das  Porträt  des  Fra  Savonarola 
(Nr.  36),  das  unglaublicherweise  hier  dem  Filippino 
Lippi  zugemuthet  wird.  Das  ganz  imbedeutende  Mach- 
werk ist  gewiss  nichts  anderes  als  eine  der  vielen  schwa- 
chen Copien  (von  denen  eine  auch  in  der  florentinischen 
Akademie  sich  befindet)  des  vorzüglichen  Bildnisses  von 
Savonarola,  das  sein  Freund  und  Parteigenosse,  der 
junge  Bartolommeo  della  Porta  malte  und  das  gegen- 
wärtig im  Besitz  der  Erben  des  Herrn  Ermolao  Ru- 
bieri  ist.^  In  diesem  Saal  hängt  aber  noch  ein  zweites 
Bild,  das  unrechtmässigerweise  vom  Katalog  unserm 
Filippino  zugerechnet  wird.  Es  trägt  die  Nummer  71,  ist 
über  der  Eingangsthiir  aufgehängt  und  stellt  „die  Be- 
weinung Christi"  dar.  Dieses  Gemälde  ist  sehr  beschä- 
digt und  gehört,  soweit  dasselbe  noch  beurtheilt  werden 
kann,  eher  derWerkstatt  des  Meisters  als  diesem  selbst  an.^ 
Von  diesem  sehr  begabten  und  liebenswürdigen  Maler, 
von  dem  man  in  Florenz,  Prato,  Lucca  so  viele  gute  Werke 
findet,  hat  sich  ausser  den  Fresken,  die  er  mit  Hülfe 
seines  Schülers  KafFaellino  del  Garbo  in  der  Kapelle 
Caraffa  in  S.  Maria  sopra  Minerva  ausgeführt  und  die, 
beiläufig  gesagt,  nicht  gerade  zu  seinen  bessern  Arbeiten 


^  Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  bemerken,  dass  die  Feder- 
zeichnung des  Lionardo  da  Vinci  in  der  „Albertina"  in  Wien 
(Braun  97),  die  dort  als  Porträt  des  Savonarola  gilt,  wol  eher 
einen  andern  Mönch  darstellen  dürfte,  als  den  Fra  Savonarola. 

2  Wurde  glücklicherweise  aus  der  Galerie  entfernt. 


Die  Tosoaner:  Pintoricchio.  145 

zu  rechnen  sind,  in  der  Stadt  Rom,  soviel  ich  weiss, 
nichts  mehr  erhalten.  Wer  jedoch  den  geist-  und  an- 
muthsvollen  Filippino  näher  kennen  zu  lernen  wünscht, 
dem  rathe  ich  nach  Florenz  zu  wallfahrten,  woselbst  er 
in  der  Badia,  in  der  Galerie  degli  üffizi,  in  der  des 
Fürsten  Corsini,  in  der  Kirche  S.  Spirito,  im  Carmine, 
in  S.  Maria  Novella,  zur  Genüge  Gelegenheit  haben 
wird,  diesen  geistvollen  Künstler  zu  studiren.  Auch 
die  Sammlung  im  Pitti-Palast  besitzt  ein  Werk  des 
Filippino,  zwar  nicht  wie  uns  die  Direction  mit  ihrem 
Katalog  glauben  machen  will  in  der  Nr.  88  (der  Tod 
der  Virginia,  ein  Bild,  das  augenscheinlich  die  Arbeit 
eines  andern,  viel  schwächern  Schülers  des  Botticelli 
ist)  (f )  und  noch  viel  weniger  in  der  Nr.  347  (Heilige  Fa- 
milie mit  Engeln),  die  wol  eher  von  einem  Nachahmer 
des  Ghirlandaio  herrühren  dürfte,  sondern  in  der 
Nr.  336.  Dieses  Bildchen,  welches  eine  Allegorie  dar- 
stellt, ist  dort  als  „unbekannt"  bezeichnet;  ich  bitte' 
meine  gutwilligen  jungen  Freunde,  in  demselben  die 
längliche  Ohrform,  die  Hand  mit  den  langen,  an  der 
Spitze  breiten  Fingern,  den  Gesichtstypus,  sowie  auch 
die  Landschaft  sich  genauer  ansehen  zu  wollen,  und  ich 
zweifle  keinen  Augenblick,  dass  sie  meiner  Bestimmung 
beipflichten  und  in  dem  Bilde  sowol  den  Geist  als  auch 
die  Hand  unsers  Filippino  erkennen  werden.  *(f)  Auch  das 
Städtchen  Prato  besitzt  in  einem  Tabernakel  eine  gute 
Arbeit  des  Filippino;  ebenso  die  Kirche  S.  Domenico 
in  Bologna,  sowie  auch  die  Sammlung  des  Seminario 
Vetjcovile  in  Venedig  (dort  unter  dem  sonderbaren  Namen 
des  Crespi).  Da  die  Zeichnungen  des  Filippino  gar  oft 
von  Anfängern  mit  denen  seines  Schülers,  des  soge- 
nannten Raffaellino  di  Bartolommeo  del  Garbo 


*  Bei  den  Oebrfldem  AUnari  in  Florenz  findet  man  eine  gute 
Photographie  diese«  Bilde*. 

LsaaoLiBrr.  |q 


146  Die  Galerie  Borghese. 

verwechselt  werden  ^,  so  erachte  ich  es  für  Fcathsam,  hier 
einige  charakteristische  Blätter  sowol  des  einen  als  des 
andern  Meisters  anzuführen,  damit  der  Kunstbeflissene 
sich  mit  dem  Genius  auch  die  dem  Meister  eigenthüm- 
liche  Form  sowol  des  Fusses  als  auch  des  Ohres  und  der 
Hand  scharf  ins  Gedächtniss  präge: 

FILIPPINO. 

In  der  XJffizien-Sammlung: 

(Rahmen  37,  Nr.  171  und  172;  Rahmen  460,  Nr.  1253  und  1257). 

1.  Rahmen  32  (32),  Nr.  139,  Studie  zum  Kopf  der 
Maria  im  Bilde  der  Badia  (Ohr). 

2.  Rahmen  40,  Nr.  186,  Skizze  zu  einem  seiner  Wand- 
gemälde der  Cappella  Strozzi  in  S.Maria  No  vella  in  Florenz. 

Ambrosiana-Sammlung  in  Mailand: 

3.  Studie  zum  Kopf  des  einen  der  drei  Könige  in 
seiner  „Anbetung"  der  Uffizien- Galerie  (Ohr)  (dem 
Lionardö  da  Vinci  zugeschrieben),  (f) 

In  der  Sammlung  von  Lille: 

4.  Braun  Nr.  9,  unter  dem  Namen  des  Masaccio.  (f ) 

In  der  Dresdener  Sammlung: 

5.  Studie  zu  einem  heiligen  Johannes  (unter  dem 
Namen  des  Cosimo  Rosselli),  Braun  40.  (f) 

6.  Sitzender  Mann  (unter  dem  Namen  des  Cosimo 
Rosselli),  Braun  41.   (f) 

In  der  Louvre-Sammlung  : 

7.  Ein  sitzender  Mann,  den  Kopf  auf  seine  linke 
Hand  gestützt  (Katalog  Reiset,  Nr.  230,  unter  dem  Na- 
men des  Fra  Filippo  Lippi).  (f) 


^  Das  kleine  Bild,  die  „Communion  des  heiligen  Hieronymus" 
darstellend,  im  Hause  Balbi  in  Genua,  das  Director  Bode  (II,  581) 
dem  Filippino  zuschreibt,  ist  wol  nichts  anderes,  denke  ich,  als 
eine  alte  Copie  des  Originalbildes  von  Botticelli  bei  den  Erben 
des  Marchese  Gino  Capponi  in  Florenz. 


Die  ToBcaner:  Raffaellino  del  Garbo.  147 

RAFFAELLINO  DEL  GARBO. 

In  der  Uffizien- Sammlung: 
1.  Rahmen  83,  Nr.  350  und  352. 

In  der  Sammlung  von  Chrlst-Church  College  in  Oxford: 

•2.  Photograpbirt  im  Werke  der  Grosvenor-Galerie, 
Nr.  44. 

Im  Britischen  Museum: 

3.  Photograpbirt  von  Braun,  Nr.  113  (Hand  u.  Fuss). 

In  der  Sammlung  von  Lille: 

4.  Photographirt  von  Braun,  Nr.  23  und  24,  unter 
dem  Namen  des  Domenico  del  Ghirlandaio.  (f) 

Auf  der  rechten  Wand  dieses  Saales  hangt  ein  weib- 
liches Porträt  (Nr.  38),  bei  dessen  Anblick  jeder  Kunst- 
freund sogleich  ausrufen  wird:  dies  Gesicht  kommt  mir 
wohlbekannt  vor.  Der  Katalog  sagt  uns  nichts  weiter 
darüber,  als  dass  es  im  „Stil  des  Perugino"  gemalt  sei. 
Gegenwärtig  trägt  es  den  der  Wahrheit  näher  kommen- 
den Namen  des  Ridolfo  del  Ghirlandaio,  den  ich  in 
meinen  frühern  Besprechungen  der  Bilder  dieser  Galerie 
vorgeschlagen  hatte.  Weder  die  Modellirung,  noch  der 
Farbenaccord  und  noch  viel  weniger  der  landschaftliche 
Grund  erinnern  an  die  Schule  des  Perugino,  wol  aber 
an  die  florentinisch(>  aus  dem  ersten  Deoennium  des 
16.  Jahrhunderts.^ 


*  Dm  Auge  desselben  oder  der  Faltenansats  ist  nicht  rund- 
Hob,  wie  es  die  Schüler  des  Pemgino  and  Pintoricchio  zu  bilden 
pflegen,  sondern  viereckig,  wie  wir  ihn  namentlich  bei  Oranaoci 
und  bei  Ridolfo  Ghirlandaio  finden.  Die  Haarmasse  ist  mit 
wenig  Geschmack  hingemslt;  die  Landschaft  in  ihrem  kalten 
r  !)  <len  Bildern  des  Oranacci ,  als  an 

■  .■!..  ■     i  -  ,      ,  ..laio. 

in* 


148  I^iö  Galerie  Borghese. 

Diese  voUbackige,  etwas  nüchtern  in  die  Welt  hinein- 
blickende junge  Frau  ist,  wie  mancher  meiner  verehrten 
Leser  wol  errathen  haben  diirfte,  niemand  anders  als 
die  Maddalena  Strozzi,  des  reichen  und,  wie  die  bösen 
Zungen  meinten,  etwas  geizigen  Florentiners  Angelo 
Doni  Lebensgefährtin,  dessen  Bekanntschaft  wir  durch 
die  Vermittelung  des  jungen  Raffael  Santi  schon  im  Pa- 
last Pitti  in  Florenz  gemacht  haben.  Die  Raffaelische 
Federzeichnung  zu  diesem  Frauenbild  befindet  sich  in 
der  „Salle  aux  boites"  des  Louvre.  Ein  tüchtiger,  dem 
Francesco  Granacci  sehr  nahe  stehender  Künstler,  wenn 
nicht  Granacci  selbst,  mag  nun,  wie  mir  scheint,  die 
RaffaeTsche  Zeichnung^  benutzt  haben,  um  ein 
Heiligenbild  daraus  zu  machen,  wahrscheinlich  für 
irgendeinen  Verwandten,  vielleicht  sogar  für  einen  from- 
men Anbeter  der  pausbackigen  Maddalena,  die  durch 
den  Maler  hier  in  eine  heilige  Katharina  verwandelt 
worden  ist.^  (f)  Dergleichen  Kanonisationen  hübscher 
oder  für  hübsch  gehaltenen  Weiber  durch  die  Maler, 
ohne  Zustimmung  des  Heiligen  Vaters,  kommen  in  der 
Kunstgeschichte  Italiens  gar  oft  vor. 

So  schrieb,  um  ein  Beispiel  davon  hier  anzuführen, 
im  Jahre  1594  Arnolfini  an  seine  geliebte  Nonne  Lu- 
crezia  Buonvisi  von  Lucca,  sie  möchte  ihm  ja  eine  „ge- 
wisse Leinwand"  schicken,  worauf  sie  als  heilige  Ur- 
sula abgebildet  ist  (in  figura  di  S.  Orsola)^  „  damit  er 
sich  wenigstens  am  Anblick  des  Bildes  erlaben  könne" 
(^perche  possa  almeno  bearmi  nella  vista  della  immagine).^ 


^  Auf  unserm  Bilde  hier  sind  nämlich  wie  auf  der  Feder- 
zeichnung Raffael's  im  Louvre  die  zwei  Säulen  an  den  Seiten  des 
Fensters  angebracht,  welche  auf  dem  Porträt  im  Pitti-Palast  fehlen. 

*  Siehe  Passavant,  II,  278.  Dieses  Bild  gehörte  dem  Mar- 
chese  Letizia  von  Neapel  und  galt  für  das  Werk  Raffael's. 

^  Siehe  das  gut  geschriebene  Büchlein:  Storia  di  Lucrezia 
Buonvisi,  raccontata  da  Salvatore  Bongi  (Lucca  1864),  p.  114. 


KATBAftlJIA  tir  On  BOlOHSnOALnOL 
8.1A 


Die  Toscaner:  Pier  di  Cosimo.  149 


PIER  DI  COSIMO. 


Wenden  wir  uns  nach  der  gegenüberliegenden  Wand, 
so  begegnet  unser  Blick  einem  Rundbild  (Nr.  16),  auf 
dem  die  Jungfrau  das  vor  ihr  liegende  Kindlein  mit 
gefalteten  Händen  verehrt,  während  daneben  zwei  Engel 
an  der  mütterlichen  Andacht  der  Maria  theilnehmen. 
Der  Katalog  weist  dieses  sehr  verdorbene  Gemälde  der 
Schule  RaffaePs  zu,  ja,  derselbe  drückt  sich  eigentlich 
viel  bestimmter  aus:  ^^abbozzo  di  RafaellOy  fatto  nei 
primi  anni  sulla  maniera  del  Petntgino'''',  Quante  parole^ 
tafiti  apropositi  (jedes  Wort  ein  Unsinn)  sagen  die  Ita- 
liener. Gegenwärtig  trägt  sowol  dieses  Bild  (Nr.  16)  als 
das  andere  kleinere  (Nr.  60)  den  Namen  des  Pier  di 
Cosimo.  Das  Colorit  des  höchst  interessanten  Bildes 
gemahnt  uns,  namentlich  das  Hochroth  des  Kleides  der 
Maria,  wieder  an  Filippino's  herrliches  Bild  in  der  Badia 
in  Florenz,  während  die  zwei  Putti  uns  eher  an  die 
Putti  des  Sodoma  und  des  Cesare  da  Sesto  erinnern. 
Nun  waren  sowol  Sodoma  als  Cesare  da  Sesto  im  An- 
fang des  Jahres  1500  in  Florenz.^  Geht  man  nun  näher 
auf  die  Form  der  einzelnen  Körpertheile  ein,  wie  z.  B. 
der  unschönen,  hölzernen  Hand,  der  Gesichtsbildung, 
betrachtet  man  sich  namentlich  noch  die  Landschaft  und 
die  Faltenlage  genauer,  so  dürfte  man  bald  und  mit 
Sicherheit  den  wahren  Meister  dieses  Bildes  finden. 
Dieser  ist  nämlich  kein  anderer  als  Pier  di  Cosimo  (f), 


*  Nach  einem  Rundbild  des  Cesare  da  Sesto  (von  dem 
in  diesem  Saale  eine  Copie,  Nr.  26^  hängt  und  eine  andere  unter 
dem  Namen  des  B.  Lnini  in  der  Uffizien-Galerie,  Nr.  1018),  im 
Besitze  der  herzoglichen  Familie  Melzi  d'Eril  in  Mailand,  sowie 
besonders  nach  einem  Bild  mit  der  „Anbetung  der  Könige" 
in  der  Galerie  Borromeo  in  Mailand  (f)  zu  schliessen,  muss 
Cesare  da  Sesto  in  den  'ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  in 
Florenz  sich  aufgehalten  und  manchen  Einfluss  von  dortigen 
Künstlern,  namentlich  auch  von  Lorenzo  di  Credi  und  Alber- 
tinelli,  in  sich  anfgenommen  haben. 


150  I^iß  Galerie  Borghese. 

von  dem  uns  Vasari  eine  sehr  knappe,  ungenügende 
Biographie  hinterlassen  hat.  Pietro  di  Lorenzo,  Pier  di 
Cosimo  genannt,  wurde  ums  Jahr  1462  in  Florenz  ge- 
boren und  starb  daselbst  1521.  Dass  derselbe  Schüler 
des  Cosimo  Rosselli  gewesen,  von  welchem  letztern 
sein  Beiname  herrührt,  ist  festgestellt;  dass  er  folg- 
lich in  näherer  Berührung  mit  dem  jungen  Barto- 
lommeo  della  Porta  (geboren  1475)  und  mit  Mariotto 
Albertinelli  (geboren  1474)  gestanden,  auf  die  er  als 
alterer  und  somit  geübterer  Ateliergenosse  auch  einen 
Einfluss  gehabt  haben  mag,  namentlich  im  Landschafts- 
fache, ist  ebenfaUs  sehr  wahrscheinlich;  dass  er  ferner 
in  seiner  trefflichen  Altartafel  (Stanza  del  Commissario 
degli  Innocenti  in  Florenz)  ein  nahes  Verhältniss  so- 
wol  in  den  Gesichtstypen  seiner  Figuren  wie  auch  in 
Nebendingen  mit  Filippino  Lippi  verräth,  wird  man, 
wie  ich  hoffe,  nicht  in  Abrede  stellen  wollen.  Unter  den 
Malern  des  15.  Jahrhunderts  hat,  wenn  wir  Benozzo 
Gozzoli,  Pintoricchio  und  Lorenzo  Costa  ausnehmen, 
vielleicht  keiner  mit  solcher  Liebe  der  Landschaft 
sich  hingegeben  wie  Pier  di  Cosimo,  und  in  der  That 
liefern  uns  vollen  Beweis  davon  auf  gar  manchem 
seiner  Bilder  jene  oft  etwas  phantastischen  landschaft- 
lichen Hintergründe,  die  jedoch  immer  geistreich  ge- 
dacht und  mit  Fleiss  ausgeführt  sind,  wovon  man  in 
den  Uffizien  reichliche  Gelegenheit  hat  sich  zu  über- 
zeugen. ^     Auch  mag  Andrea  del  Sarto  diese  Vorliebe 


^  Die  Landschaft  auf  dem  Bilde  von  Pier  di  Cosimo,  Nr.  124G, 
worauf  die  Befreiung  Andromeda's  dargestellt  ist,  ist  durchaus 
identisch  mit  derjenigen  auf  diesem  Rundbild  der  Galerie  Bor- 
ghese.  Im  Inventarium  der  Galerie  degli  Uffizi,  vom  Jahre  1580, 
heisst  es,  dass  das  Bild  von  Lionardo  da  Vinci  gezeichnet  und 
von  Pier  di  Cosimo  nur  gemalt  sei  (Vasari,  VII,  119,  2).  Ich 
halte  gewöhnlich  sehr  wenig  auf  dergleichen  „Traditionen",  dies- 
mal jedoch  scheint  mir  dieselbe  doch  einiger  Beachtung  werth. 
Denn  in  jenem  Bilde  des  Pier  di  Cosimo  haben  allerdings  meh- 


Die  Tosoaner:  Pier  di  Cosirao.  151 

für  schöne  landschaftliche  Grunde  von  seinem  Lehrer 
Pier  di  Cosimo  ererbt  haben.  Bei  dieser  Gelegenheit 
gestatte  man  mir,  zumal  die  Werke  dieses  Meisters  so 
selten  sind,  noch  zwei  Werke  Piero's  zu  erwähnen, 
von  denen  das  eine  in  Rom,  das  andere  im  Louvre  sich 
befindet.  Das  erstere  stellt  in  halber  Figur  eine  hei- 
lige Magdalena  dar,  ist  gut  erhalten  und  erinnert  in 
der  Gesichtsbildung  an  Filippino  Lippi.  Das  Kleid  ist 
dunkelgrün,  der  Mantel  hochroth  mit  schwarz  schraffir- 
ten  Schatten,  die  bräunlichen  Haare  sind,  wie  immer 
bei  Piero,  glatt  über  die  Schläfe  gezogen  und  mit  einer 
Perlenschnur  geschmückt,  der  Ausdruck  der  schonen 
Büsserin  ist  von  einer  milden,  liebenswürdigen  Melan- 
cholie, Hintergrund  dunkel.  Dieses  herrliche  Gemälde 
gehört  dem  ehrenwerthen  Baron  Giovanni  Barracco  aus 
Neapel,  Mitglied  des  italienischen  Senats,  einem  der 
gebildetsten  Kunstfreunde,  die  ich  in  Italien  kennen  zu 
lernen  Gelegenheit  hatte.  Das  Bild  wurde  von  ihm 
vom  romischen  Monte  di  Pieta  erworben,  woselbst  es 
thörichterweise  für  ein  Werk  des  Mantegna  galt.  Das 
andere  Bild  stellt  die  Madonna  mit  dem  Kind  dar  und 
befindet  sich  in  der  Louvre-Galerie,  Nr.  497,  unter  den 
y, Unbekannten".  Der  verstorbene  Galeriedirector  V. 
Both  de  Tanzia  wurde  bei  Betrachtung  des  Bildes  an 
L.  Signorelli  erinnert.  Herr  Doctor  Gustavo  Frizzoni 
erkannte  jedoch  darin  sogleich  die  Hand  des  Pier  di 
Cosimo.*     Noch  ein  anderes  Werk  unsers  Pier  di  Co- 


rere  Köpfe  nicht  nur  da«  ^^sfumato**  des  Lionardo,  londem  auch 
einen  an  die  f,Oioconda**  gemahnenden  Ausdruck.  Pier  di  Co- 
simo  dürfte  folglich  jenes  sein  Bild  etwa  um  1506  gemalt  haben, 
als  nämlich  Lionardo  das  Portr&t  der  Mona  Lisa  vollendete.  Dass 
aber  auch  die  Composition  dem  Pier  di  Cosimo  und  nicht  Lio- 
nardo gehöre,  versteht  sich  von  selbst. 

>  Die  Herren  Crowe  und  Cavaloasellc  (III,  421)  wollen  die 
Mitwirkung  des  Pier  di  Cosimo  in  all  jenen  Altarlafeln  in  der 
Kirche  von  S.  Spirito  in  Florens  erblicken,  die  dort  bald  dem 


152  I^i«  Galerie  Borghese. 

simo  haben  wir  hier  zu  verzeichnen.  Dasselbe  ist  zwar 
nicht  dem  jugendlichen  Rafi'ael,  sondern  einem  Schüler 
oder  Nachahmer  seines  eigenen  Schülers  Andrea  del 
Sarto  zugeschrieben,  nämlich  dem  Franciabigio,  der  uns 
schon  als  Lehrer  des  Bacchiacca  bekannt  ist  und  der, 
wie  gesagt,  vielleicht  auch  in  der  Werkstatt  des  Pier 
di  Cosimo  gelernt  haben  mag.  Dies  Bildchen  stellt  das 
„Urtheil  Salomonis"  vor  und  ist  im  Katalog  unter  Nr.  60 
aufgeführt,  (t)  Auch  diese  hübsche  kleine  Tafel  hier  dürfte 
von  Piero  zum  Schmuck  irgendeines  Möbels  gemalt  wor- 
den sein.  Man  ersieht  daraus,  dass  die  reichen  Floren- 
tiner im  zweiten  und  dritten  Jahrzehnt  des  16.  Jahr- 
hmiderts  derlei  Arbeiten  mit  Vorliebe  jener  Gruppe 
gfistreicher  Maler  übertrugen,  die  direct  oder  indirect 
sicli  in  der  Werkstätte  unsers  Pier  di  Cosimo  gebildet 
hatten,  wie  Andrea  del  Sarto,  Franciabigio,  Pontormo, 
Bacchiacc«  u.  a.  m. 

Die  älteren  Werke  des  Piero,  wie  z.  B.  Nr.  1250 
in  der  Galerie  degli  Uffizi;  das  grosse  Bild  in  der  Stanza 
del  Commissario  degli  Innocenti  daselbst;    die  heilige 


Ghirlaudaio,  bald  dem  P'ilippino  Lippi  oder,  mit  grösserer  Sach- 
keuntniss,  dem  Cosimo  Rosselli  zugeschrieben  werden.  Ich  will 
dies  Urlheil  dahingestellt  sein  lassen,  kann  aber  einige  Zweifel 
au  der  Richtigkeit  desselben  kaum  unterdrücken,  und  dies  um 
80  weniger,  als  jene  Herren  auch  von  diesem  Meister  keinen 
klaren  Begriff  sich  gebildet  zu  haben  scheinen,  da  sie  sonst  die 
Werke  des  Pier  di  Cosimo  nicht  nur  in  dieser  Borghese-Galerie, 
sondern  auch  jene  im  Museum  von  Berlin  und  in  der  Dresdener 
Gfilerie  sogleich  würden  erkannt  haben,  wogegen  sie  über  alle 
diese  Bilder  das  tiefste  Stillschweigen  beobachten.  Was  die  drei 
Bilder  in  der  Kirche  S.  Spirito  anbelangt,  so  kommen  mir  die- 
selben als  Atelierwerke  des  Cosimo  Rosselli  vor,  und  himmel- 
weit entfernt  von  denen  des  Pier  di  Cosimo.  Auch  die  Kohle- 
zeichnung mit  dem  nackten,  liegenden  Kind  in  der  Sammlung 
in  Weimar  (Braun,  19)  ist  gewiss  nicht  von  der  Hand  des  Pier 
die  Cosimo  und  ebenso  wenig  das  Porträt  im  ersten  Gange  der 
Uffizien  (Nr.  32),  jetzt  unbegreiflicherweise  Pietro  Rosselli  ge- 
tauft —  augenscheinlich  ein  Werk  des  Ridolfo  del  Ghirlandaio.  (f) 


Die  Toscaner:  Pier  di  Cosimo.  153 

Magdalena  des  Senators  Barracco;  das  „tondo"  der 
Dresdener  Galerie;  die  Bilder  unter  den  Nrn.  107 
und  204  im  Berliner  Museum;  das  trefiliche  Bild  iu 
der  National  Gallery  (Tod  des  Procris);  das  Madonnen- 
hildchen  im  Louvre:  alle  diese  Bilder  deuten  auf  einen 
Einfluss  Filippino's  und  gehören  wahrscheinlich  den  letz- 
ten Jahren  des  15.  Jahrhunderts  oder  den  ersten  Jahren 
des  16.  an.  Das  Bild  des  Pier  di  Cosimo  dagegen, 
welches  in  der  üffizien -Galerie  unter  Nr.  1246  aufge- 
stellt ist  und  worin  am  deutlichsten  ein  leiser  Einfluss 
Lionardo's  zu  Tage  tritt,  hat  jene  hellere  Farbengamme, 
wie  sie  später  zum  Theil  Andrea  del  Sarto  und  viel 
mehr  noch  Bacchiacca  zu  den  ihrigen  gemacht  haben. 
Auch  jene  dem  Piero  eigenthümliche  rundliche,  fast  ge- 
quetschte Schädelform  zeigt  sich  erst  in  seinen  spätem 
Bildern,  wie  z.  B.  in  den  Nrn.  28,  38,  1246  der  Ufßzien- 
Galerie  und  in  Nr.  60  unserer  Borghese-Sammlung.  Es 
sind  dies  lauter  kleine,  zur  Verzierung  von  Möbeln  oder 
Zimmerwänden  bestimmte  Bilder.  Die  freigewordene 
Kunst  fing  dazumal  schon  an,  die  Wände  der  Gottes- 
liäuser  zu  verlassen  und,  ihre  volle  Freiheit  benutzend, 
in  die  Wohnungen  der  Menschen  einzukehren. 

MARIOTTO  ALBERTINELLI. 

Um  nun  den  übrigen  Bildern  florentiner  Meister 
innerhalb  dieser  Galerie  uns  zuzuwenden,  müssen  wir 
uns  ins  zweite  Zimmer  begeben  und  da  finden  wir  an 
der  linken  Wand  unter  der  Nr.  40  eine  heilige  Familie 
mit  der  vergoldeten  Jahreszahl  1511  bezeichnet.  Die 
Composition  dieses  Bildes  scheint  von  Fru  Bartolommeo 
dclla  Porta  herzustammen,  indess  die  flüchtige  Aus- 
führung derselben  gehört  unbedingt  dem  Mariotto 
Albertinelli  an.  (f)  Das  Bild  stellt  die  Madonna  mit 
dem  Jesuskind  und  dem  kleinen  Joiiaunes  dar.  Ausser 
der  goldenen  Jahreszahl  ist  noch  das  bekannte  rothe 
Kreuz  mit  den  zwei  ineinander  verschhuigenen  Ringen 


154  Die  Galerie  Borghese. 

darauf  angebracht.  Das  Kreuz  soll  das  Kloster  von  S. 
Marco  in  Florenz  bedeuten,  die  zwei  Hinge  die  beiden 
Freunde  und  Mitarbeiter  Fra  Bartolommeo  und  Ma- 
riotto. Solcher  schwachen  Erzeugnisse  aus  den  Jahren 
1510,  1511  und  1512  bekam  ich  mehrere  zu  Gesicht, 
sowol  in  Privatliäusern  (in  Florenz  im  Hause  des  Mar- 
chese  Bartolommei,  in  Rom  im  Hause  Guerrini-Antinori) 
als  auch  in  öffentlichen  Sammlungen,  wie  z.  B.  in  der 
des  Belvedere  in  Wien  mit  der  Jahreszahl  1510,  in 
der  des  Fürsten  Corsini  in  Florenz  vom  Jahre  1511.  (f) 
Das  Kloster  von  S.  Marco,  behauptet  man,  lieferte  das 
Material  zu  solchen  Fabrikbildern,  deren  Erlös  sodann 
in  zwei  Hälften  getheilt  wurde,  wovon  die  eine  dem 
Fra  Bartolommeo  und  somit  dem  Kloster,  die  andere 
dem  Albertinelli  anheimfiel.  Ein  dem  oben  beschrie- 
benen Bilde  der  Borghese-Galerie  ähnliches  Werk  mit 
der  gleichen  Jahreszahl  sah  man  früher  auch  in  der 
jetzt  unzugänglichen  Galerie  Sciarra-Colonna  in  Rom, 
woselbst  es,  wie  sich  dies  von  selbst  versteht,  ebenfalls 
dem  Fra  Bartolommeo  zur  Last  gelegt  wurde,  (f )  Die 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  möchten  dagegen  diese 
so  bezeichneten  Bilder  (III,  478  und  482)  dem  Fra 
Paolino  da  Pistoia  vindiciren.  Ich  kann  beim  besten 
Willen  auch  diesmal  ihre  Ansicht  nicht  theilen.  Fra 
Paolino  erscheint  in  seinem  Wandgemälde  vom  Jahre 
1516,  „den  Gekreuzigten  nebst  mehrern  Heiligen  zur 
Seite"  darstellend,  im  Hof  von  S.  Spirito  in  Siena^, 
als  ein  höchst  ungelenker,  schwacher  Maler  2;  ja  selbst 


*  Die  Zeichnung  zu  diesem  Wandgemälde  in  den  Uffizien: 
Rahmen  484,  Nr.  1402. 

2  Man  besehe  sich  doch  in  jenem  Wandgemälde,  wie  dick 
und  ohne  alle  Anmuth  die  Köpfe  der  Magdalene  und  des  Jo- 
hannes, wie  hart  die  Hände  mit  den  kurzen  klobigen  Daumen, 
wie  schlecht  modellirt  der  Körper  des  Christus  ist,  wie  roh  die 
Aermelfalten  sind.  Kurz  man  sieht,  dass  im  Jahre  1516  Fra 
Paolino  noch  Anfänger  war,  während  die  Gemälde  des  Albertinelli 


Die  Toscaner:  Mariotto  AlbertinellL  155 

in  seinem  grossen  Bild  vom  Jahre  1519  in  der  Aka- 
demie von  Florenz  ist  er  noch  klotzig  und  steif  und 
nur  in  seinen  spätem  Werken  (1528)  in  S.  Domenico 
und  in  S.  Paolo  zu  Pistoia  ahmt  er  mit  grösserer  Ge- 
schicklichkeit den  Fra  Bartolommeo  nach.  Fra  Paolino 
war,  wie  uns  Vasari  berichtet,  der  Sohn  eines  schwa- 
chen Schülers  des  Domenico  Ghirlandaio,  nämlich  des 
Bernardo  del  Signoraccio  und  hatte  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  seine  Lehrjahre  in  der  Werkstatt  seines 
Vaters  durchgemacht,  ehe  er  mit  Fra  Bartolommeo  in 
Berührung  kam.  Man  vergleiche  aber  diese  soeben  an- 
geführten Madonnenbilder  aus  den  Jahren  1510,  1511 
und  1512  mit  dem  höchst  sorgfältig  ausgeführten  Ge- 
mälde der  „Verkündigung",  aus  der  nändichen  Zeit  von 
der  Hand  des  Mariotto  Albertinelli,  gleichfalls  in  der 
florentinischen  Akademie  aufgestellt,  und  selbst  mit  der 
1503  ausgeführten  Predella,  Nr.  1259,  in  der  Uffizien- 
Galerie  mit  demselben  Madonnentypus,  und  man  wird 
in  allen  diesen  Werken  die  nämliche  Modellirung  des 
Auges  mit  den  scharf  beleuchteten  Rändern  der  Augen- 
lider, dieselbe  Form  der  Hand  mit  dem  kurzen  eigen- 
thümlich  geformten  Daumen  und  den  graugefärbten 
Nägeln,  ja  sogar  denselben  Nimbus  wahrnehmen,  nur 
mit  dem  Unterschied,  dass  diese  in  der  Klosterfabrik 
ausgeführten  und  wahrscheinlich  für  wenig  bemittelte 
Besteller  gefertigten  Malereien  höchst  fahrlässig  behan- 
delt sind.     Um  aber  in  dieser  Streitfrage  zwischen  den 


aoB  den  Jahren  1510—1512  die  Hand  eines  Praktikers  verrathen. 
Ausser  den  bekannten  Werken  des  Fra  Paolino  in  Pistoia  be- 
sitzt auch  die  dortige  Spitalkirche  eine  „thronende  Madonna"  mit 
den  Heiligen  Hieronymus,  Sebastianus,  Maria  Magdalena,  dem  klei- 
nen Johannes  und  einer  andern  Heiligen.  In  demselben  Kirch- 
lein  befindet  sich  noch  ein  trefiliches  grosses  Tafelbild  von  Lo- 
renzo  di  Credi:  thronende  Madonna  mit  dem  Christkind,  welches 
der  vor  ihm  knienden  Magdalena  den  Segen  ertheilt,  dabei  die 
Heiligen  Katharina,  Johannes  der  Täufer  und  Hieronymus. 


156  I)ie  Galerie  Borghese. 

Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  und  mir  mit  einem 
Schlage  ein  Ende  zu  machen,  sei  hier  noch  das  grosse 
Bild  mit  der  „Verkündigung"  im  Genfer  Museum  er- 
wähnt.    Jenes  Tafelbild  trägt  folgende  Aufschrift: 

1511.    FRIS.  BARTHO.  OR.  P. 
ET  MARIOTTI  FLORENTINOR 
OPVS. 

Wäre  dieses  Bild  in  Genf  dem  Herrn  Director  W. 
Bode  bekannt  gewesen,  so  würde  er,  denke  ich,  doch 
Anstand  genommen  haben,  auch  in  diesem  Urtheil  seinen 
Lehrern  zu  folgen  (II,  675).  Sowol  Bartolommeo  della 
Porta  als  auch  sein  um  wenige  Monate  älterer  Schul- 
und  Arbeitsgenosse  Mariotto  machten  in  der  in  den 
achtziger  Jahren  des  15.  Jahrhunderts  vielfach  besuch- 
ten Werkstätte  des  Cosimo  Rosselli  ihre  Lehrzeit  durch. 
Gegen  das  Jahr  1485  dürfte,  neben  dem  Meister  selbst, 
Pier  di  Cosimo  in  jener  Werkstatt  thätig  gewesen  sein, 
sodass  es,  wie  gesagt,  sehr  wahrscheinlich  erscheint,  dass 
die  Aufsicht  und  die  Leitung  der  Schüler  diesem  letz- 
tern vom  Meister  Rosselli  überlassen  wurde.  Und  in 
der  That,  wenn  wir  die  Federzeichnungen  des  Fra  Bar- 
tolommeo und  des  Mariotto  in  den  Uffizien  mit  der 
Federzeichnung  des  Pier  di  Cosimo  „die  Anbetimg  des 
Christkindes"  (Nr.  343,  Rahmen  80,  Braun  211)  ver- 
gleichen, so  stellt  sich  deutlich  heraus,  dass  dieser  letz- 
tere in  der  Technik  einen  starken  Einfluss  auf  die  bei- 
den ersten  ausgeübt  haben  muss.  In  der  Folge  jedoch 
wurde  das  Vorbild  des  Albertinelli  der  begabtere  und 
auch  gediegenere  Fra  Bartolommeo,  und  dieses  sein  Stre- 
ben ist  ihm  auch  so  gut  gelungen,  dass  noch  heutzu- 
tage mehrere  Werke  aus  der  Frühzeit  des  Albertinelli 
unter  dem  Namen  des  Fra  Bartolommeo  gehen,  wie 
z.  B.  das  schöne  kleine  Triptychon  aus  dem  Jahre  1500 
in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli  in  Mailand  (f);  das  Ma- 


Die  Toscaner:  Mariotto  Albertinelli.  157 

donnenbild  iü  der  Sammlung  des  Serainario  Vescovile  zu 
Venedig  (f);  die  zwei  Tafeln  mit  den  Heiligen  Katha- 
rina und  Magdalena  (Nr.  91  und  99)  in  der  Akademie 
von  Siena  *  (f) ;  während  andererseits  eine  Jugendarbeit 
von  Bnrtolommeo  della  Porta,  das  „Noli  me  tangere'** 
im  Louvre  (Nr.  17)  (f)  fTw  .In  Werk  des  Mariotto  Al^ 
bertinelli  gilt.^ 

In  den  letzten  Jahren  den  15.  Jahrhunderts,  als 
Albertinelli  in  Gesellschaft  seines  Freundes  Bartolommeo 
della  Porta  im  Kloster  von  S.  Maria  Nuova  thätig  war, 
muss  das  grosse  Triptychon  mit  den  Porträts  der  Por- 
tinari-Familie  von  Hugo  van  der  Goes,  das  sich  in  jener 
Kirche  befand,  einen  starken  Eindruck  auf  ihn  aus- 
geübt haben.  Offenbar  trachtete  er  in  etlichen  Bil- 
dern aus  jener  Zeit  jenen  YJamländer,  schwerlich  den 
Memling  wie  Herr  Director  Bode  (II,  676)  meint, 
nachzuahmen  und  zwar  nicht  nur  in  der  Farbenharmonie 
und  in  der  Kleidertracht,  wie  im  Triptychon  des  Museo 
Poldi,  sondern  auch  in  der  sorgfältigen  Ausfuhrung 
seiner  landschaftlichen  Gründe,  wie  in  der  „Verbannung 
aus  dem  Paradies"  bei  Basseggio  in  Rom.^    Mario tto's 


*  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (III,  473)  schreiben 
dieae  zwei  Tafeln  ihrem  Fra  Paolino  zu. 

'  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle,  die  das  Bild  als  Ar- 
beit des  Albertinelli  ansehen,  setzen  es  ins  Jahr  1494  (!).  In 
diesem  Bild  ist  die  Form  der  Hand  sehr  bezeichnend  für  Bar- 
tolommeo; die  Landschaft  erinnert  an  die  auf  dem  Bilde  des  Fra 
Bartolommeo  in  der  florentinischen  Akademie,  vom  Jahre  150(j(?): 
der  heilige  Bernhard,  welchem  die  Maria  mit  dem  Christkind  er- 
scheint. Die  schöne  Kreidezeichnung  zum  heiligen  Bernhard  ist  im 
Besitze  Sr.  Ko  it  des  Grossherzogs  von  Weimar  (Braun  25). 

'  Dieses  I  des  Albertinelli,  welches  neuerdings  nach 

England  verkauft  wurde,  wird  von  den  Herren  Crowe  und  Ca- 
valcaselle als  Jugendwerk  Raffael*s  angenommen.  (!)  Passavant  (II, 
814)  sagt  von  diesem  Bilde,  in  welchem  er  richtig  die  Hand  AI- 
bertinelli's  erkannte:  „L9  pap$age  eH  riche,  mais  froid  de  ton^'^ 
(d.  h.  niederländisch). 


158  I^ie  Galerie  Borghese. 

Bilder  aus  den  ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts,  wie 
die  treft'liche  „Heimsuchung"  vom  Jahre  1503  in  den 
UfTfizien,  die  zwei  Heiligen  Johannes  der  Evangelist  und 
Magdalene  (Bruchstücke  in  der  Sammlung  des  Herrn 
Giovanni  Morelli),  kommen  der  Art  und  Weise  des 
Fra  Bartolommeo  sehr  nahe,  mit  dem  Unterschied  je- 
doch, dass  die  Figuren  weniger  schlank  und  edel  sind 
als  die  des  Frate  und  dass  das  Laubwerk  der  Bäume 
mit  der  sorgfältigen  Feinheit  des  Miniators  ausgefiihrt 
ist,  was  in  den  Landschaften  Fra  Bartolommeo's  nie 
statthat.  Kurz  vor  dem  Tode  des  Filippino  Lippi  (1504) 
und  als  sein  Freund  Bartolommeo  schon  seit  Jahren 
sich  in  die  StiUe  des  Klosters  zurückgezogen  hatte,  muss 
Mariotto  in  ein  innigeres  Verhältniss  zu  Filippino  ge- 
treten sein.  Einige  seiner  Bilder  aus  jenen  Jahren,  wie 
das  schöne  Tondo  (Nr.  365)  im  Pitti-Palast,  sowie  auch 
sein  Bild  im  Dom  von  Volterra,  tragen  den  Einfluss 
Filippino's  an  der  Stirn.  Auch  war  es  Albertinelli  und 
kein  anderer,  dem  beim  Tode  Filippino's  der  Auftrag 
wurde,  die  grosse  Altartafel  (Nr.  16  im  Louvre),  welche 
Filippino  kaum  begonnen  hinterlassen  hatte,  zu  voll- 
enden. Die  Figur  des  heiligen  Hieronymus  auf  diesem 
letztern  Bild  wurde  augenscheinlich  noch  von  Filippino 
selbst  auf  die  Tafel  gezeichnet.  ^  Aus  der  spätem  Zeit 
Albertinelli's  besitzt  die  florentinische  Akademie  einige 
gute  Bilder. 

Die  besten  Werke  des  Fra  Bartolommeo  befinden 
sich  wol  in  Lucca;  die  grössere  Zahl  derselben  ist  jedoch 
leider  durch  abscheuliche  Uebermalung  entstellt.  In  Rom 
selbst  ist  mir,  ausser  dem  Bilde  in  der  Corsini-Galerie, 
kein    anderes  Werk   dieses    grossen  Meisters    bekannt. 

In  Florenz  dagegen  sieht  man  sowol  in  der  Uffizien- 


'  Der  Typus  des  Heiligen  sowol  als  die  Form  der  Hand  und 
die  des  Ohres  sind  ohne  grosse  Mühe  als  Arbeit  des  Filippino 
zu  erkennen. 


Die  Toscaner:  Andrea  del  Sarto.  159 

Galerie,  wie  auch  in  der  Akademie  und  im  Palazzo 
Pitti  mehrere  charakteristische  Bilder  von  ihm.  Eins 
der  vorzüglichsten  aus  des  Meisters  Frühzeit  gelangte 
jüngst  aus  dem  Hause  der  verstorbenen  Grafen  Baldelli 
in  Florenz  in  die  schone  Sammlung  des  bekannten 
Staatsmannes  Marchese  £milio  Visconti-Venosta  in  Mai- 
land. Es  ist  dies  ein  Tondo  mit  der  heiligen  Familie, 
die  das  am  Boden  liegende  Kind  anbetet;  der  Carton 
zu  diesem  Bilde  befindet  si«}»  in  il.r  florentinischen 
Akademie.* 

Ausserhalb  Italiens  sind  die  W  erko  des  Fra  Barto- 
loniiiR'o  und  des  Albertinelli  von  grosser  Seltenh<Mt. 

ANDREA  DEL  SARTO. 

Von  Fra  Bartolommeo  werden  wir  unwillkürlich 
auf  Andrea  del  Sarto  geführt,  dessen  vermeintliche 
Werke  im  folgenden,  dritten  Saal  aufgestellt  sind. 
Unter  Nr.  39  sehen  wir  eine  heilige  Familie  (lebens- 
grosse  Figuren),  mit  dem  echten  Monogramm  des 
Malers  versehen,  d.  h.  mit  den  zwei  verschlungenen  A. 
Ehe  die  florentinischen  Commentatoren  des  Vasari  aus- 
findig gemacht,  dass  der  wahre  Name  des  Malers  An- 
drea del  Sarto  nicht,  wie  Baldinucci  angab,  Vannucchi, 
sondern  Andrea  d'Agnolo  war  (heutzutage  würde  man 


'  Die  Zeichnaogen  aus  der  Frübzeit  des  Bartolommeo  della 
Porta  sind  meist  mit  feiner  Feder  ausgeführt,  wie  man  deren 
gar  manche  in  den  Uffixien  (Rahmen  457,  Nr.  1233—1239)  und 
auch  in  der  Sammlung  de«  British  Museum  findet  (Braun  1,  2, 
3  und  4) ;  jene  aus  seiner  sp&tem  Zeit  dagegen  sind  fast  alle  mit 
der  Kohle  oder  auch  mit  der  schwanen  Kreide  ausgeführt.  Nicht 
seilen  werden  Fedeneichnungen  seines  Nachahmers  Andrea  del 
Brescianino  ihm  selbft  sngeachrieben ,  so  z.B.  in  der  Uffizien- 
Sammlung,  Rahmen  468,  Kr.  1244.  (f)  Andrea  del  Brescianino 
copirte  nicht  nur  die  Zeichnangen,  sondern  auch  die  Bilder  des 
Fra  Bartolommeo,  so  i.  B  •••  .i—  r-'-'-^r  Akadon  ■  1  ■  heilige 
Familie**,  Nr.  138.  (t) 


160  I^ie  Galerie  Borghese. 

also  Angeli  oder  de  Angelis  sagen),  fand  man  gewöhn- 
lich auf  den  Bildern,  die  in  den  Sammlungen  dem  An- 
drea zugeschrieben  wurden,  ein  A  und  ein  V  ineinander 
verschlungen,  welche  Buchstaben  eben  als  Monogramm 
des  Andrea  Vannucchi  oralten.  Nach  der  Entdeckuno- 
des  echten  Namens  des  Malers  aber  wurde  jenes  Mono- 
gramm meist  corrigirt,  d.  h.  es  ward  dem  V  ein  Quer- 
strich hinzugefügt  und  dieser  Buchstabe 
\^^  W^  damit  in  ein  A  verwandelt,  sodass  auf 
^^^A^  yv\^  diese  bequenie  Art  wieder  das  echte  Mo- 
nogramm des  Andrea  del  Sarto,  aus  zwei 
verschlungenen  A,  hergestellt  wurde.  Solche  verbes- 
serte Monogramme  sehen  jedoch  alle  sehr  aufgefrischt 
und  neu  aus,  wie  z.  B.  dasjenige,  das  wir  hier  vor 
Augen  haben.  ^  Die  Composition  dieses  Bildes  ge- 
hört allerdings  dem  Andrea,  die  Ausführung  desselben 
ist  indess  zu  hart  und  viel  zu  geistlos  für  den  Meister. 
Ich  halte  es  daher  für  eine  der  vielen  Copien,  die 
man  von  diesem  trefflich  componirten  Bild  zu  sehen 
bekommt.  Von  den  andern  ebenfalls  dem  Andrea 
del  Sarto  zugemutheten  Bildern  lässt  sich  ungefähr 
dasselbe  sagen  und  es  möge  sowol  mir  als  nament- 
lich meinen  verehrlichen  Lesern  die  Mühe  erspart  blei- 
ben, uns  bei  denselben  aufzuhalten.  Eine  Ausnahme 
davon  macht  jedoch  die  in  der  Nähe  des  Fensters  auf- 
gestellte heilige  Magdalene^,  ein  Bild,  welches  vielfach 


^  Auch  in  der  Doria-Galerie  sieht  man  im  Braccio  I,  unter 
Nr.  37,  ein  Madonnenbild  mit  dem  Täufer,  auf  dem  das  Mono- 
gramm des  Andrea  del  Sarto  gezeichnet  ist.  Nach  meiner  An- 
sicht ist  jenes  Bild  das  Werk  eines  deutschen  Malers,  der  die 
Madonna  mit  dem  Kind  dem  Andrea  del  Sarto,  den  Täufer  mit 
seinem  mit  Pelzwerk  verbrämten  Rock  jedoch  wahrscheinlich 
dem  A.  Dürer  entnahm.  Die  Form  der  Hand,  sowie  der  Kopf 
jenes  Täufers  kommen  mir  sehr  Dürerartig  vor.  (f) 

'  Aus  derselben  Wirkungszeit  des  Puligo  besitzt  Marchese 
Covoni  in  Florenz  das  Porträt  einer  jungen  Frau. 


Die  Tosoancr:  Jaoopo  da  Pontormo.  161 

copirt  wird.*  Meinem  Dafürhalten  nach  gehört  das 
reizende  Gemälde  zwar  nicht  dem  Andrea,  jedoch  einem 
seiner  fleissigsten  Nachahmer,  ich  meine  dem  Domenico 
Puligo  an  (f),  von  dem  ein  paar  andere  Werke  in 
diesem  nämlichen  Zimmer  aufgestellt  sind,  sowie  auch 
eines  in  der  Galciic  (^t»l<nina.  Nr.  17. 

JALui^j  DA  i^uNiOKMU. 

Ein  anderer  von  Andrea  vielfach  beeinflusster  flo- 
rentiner  Maler  war  Jacopo  da  Pontormo  (1494 — 1556). 
Ihm  und  nicht  seinem  Schüler  Angelo  Bronzino,  wie 
der  Katalog  angibt,  gehört  das  gute  Porträt  Nr.  44  im 
dritten  Saal  an.^  (f)  Es  stellt  einen  altern  Mann  dar  in 
rothsiimmtenem  Unterkleid  und  mit  einem  Buch  in  der 
Ilnnd,  Kniestück  in  Lebensgrosse. 

Lassen  wir  jedoch  all  dieses  Mittelgut  florentinischer 
Kunst  beiseite  und  richten  wir  dafür  unser  Auge  auf 
ein  Werk  aus  jener  Schule,  das  unsere  ganze  Aufmerksam- 
keit verdient.  Ich  sage  florentinischer  Schule,  obwol 
der  Katalog  das  lebensgrosse  Bildniss  eines  Cardinnls 
keinem  andern  Meister  zuschreibt,  als  dem  „göttlichen^^ 
Kaffael  selbst,  und  als  solches  wird  es  natürlicherweise 
auch  vom  kunstliebenden  Publikum  angesehen  und  be- 
wundert.'    Heilige  Macht  des    Namens!     Dies  schone 


*  Eine  alte  Copie  dieses  Bildes  sieht  man  auch  in  der  Tu- 
riner  Akademie.  Nr.  148. 

*  Dasselbe  wurde  vom  neuen  Director  der  Galerie  in  meinem 
Sinne  kürxlioh  neu  benannt. 

*  Passavant  (U,  3.58)  glaubt,  der  Kopf  und  die  Hände  (!)• 
hätten  das  Raffaersohe  Gepräge,  alles  übrige  wäre  von  einem 
Scliöler  ausgeführt,  und  weist  dabei  namentlich  auf  den  Teppich 
hin^  der  die  Hand  desselben  Malers  verrathe,  welcher  den  Tep- 
pich  auf  dem  Porträt  dos  CardinaU  Inghirami  in  der  Pitti-Galerio 
gemalt  Wir  sahen  jedoch,  dass  dieses  letztere  sogenannte  Raffaer- 
sche  Bildniss  von  andern  Kunstforschern  als  vlämische  Copie 
angesehen  wird. 

L««oM.rr.  II 


162  Die  Galerie  Borgbese. 

Bildniss  hängt  im  zweiten  Zimmer  der  Galerie  und  ft'ihrt 
die  Nummer  21.  Der  Cardinal,  ein  Mann  in  mittlem  Jah- 
ren, sitzt  an  einem  mit  türkischem  Teppich  bedeckten 
Tisch,  auf  welchem  eine  kostbar  ciselirte  Klingel  steht, 
ähnlich  derjenigen,  die  wir  im  classischen  Porträt  Leo'sX. 
von  Raffael  im  Pitti-Palast  finden.  Der  hohe  Herr  sitzt 
mit  vornehmem,  jedoch  sehr  natürlichem  Anstand  da 
und  blickt  uns  mit  grosser  Sicherheit  an.  Die  Farben 
des  Gemäldes  sind  harmonisch,  allein  weder  umbrisch 
noch  römisch -Raffaelisch,  sondern  durchaus  florenti- 
nisch.  Betrachte  ich  nun  den  Cardinal  genauer,  so 
will  es  mir  scheinen,  als  ob  aus  dieser  Gestalt  der  Ge- 
nius des  Pontormo  herausschaue,  da  doch  niemand  leug- 


Die  Hände  auf  dem  Porträt  des  Cosimo  Medici  von  Pontormo. 

nen  wird,  dass  in  allen  echten  Kunstwerken  etwas  vom 
Wesen  des  Künstlers  selbst  steckt.  ^  Die  Modellirung 
der  tiefliegenden,  eingesackten  Augen  ist  durchaus 
die  des  Pontormo,  auch  die  Zeichnung  der  Hände  mit 
der  diesem  Meister  ganz  eigenthümlichen  verfehl- 
ten Modellirung  der  ersten  Phalanx  des  Zeige- 
fingers^,  sowie  das   schwammige  Incarnat  und  eben- 


^  üeber  die  Persönlichkeit,  die  wir  in  diesem  Bilde  vor 
Augen  haben,  weiss  ich  nichts  Positives  mitzutheilen ;  Passavant 
(II,  358)  meint,  es  könnte  vielleicht  den  Cardinal  Borgia  vorstellen. 

^  Diesen  Fehler  scheint  Pontormo  von  seinem  Vorbild  An- 
drea del  Sarto  überkommen  zu  haben ,  nur  dass  er,  wie  dies  bei 


Die  Toscaner:  Jacopo  da  Pontormo.  163 

falls  der  florentinische,  an  A.  del  Santo  erinnernde  Hinter- 
grund, lassen  mir  wenigstens  keinen  Zweifel  mehr  übrig, 
dass  der  Rafiael  dieses  trefflichen  Porträts  kein  anderer 
sei,  als  unser  Jacopo  Carucci  da  Pontormo.  (f)  Wer 
aber  den  Wunsch  hätte,  sich  davon  gründlicher  zu  über- 
zeugen, der  möge  dieses  Porträt  mit  dem  Bildniss  des 
alten  Cosimo  de"*  Medici  vergleichen,  welch  letzteres  ein 
unbestrittenes  Werk  des  Pontormo  und  in  den  Uffizien 
unter  Nr.  1266  aufgestellt  ist,  sowie  auch  mit  den  an- 
dern zwei  Bildnissen  daselbst,  Nr.  1270  und  1267. 

Ein  anderes  Werk  des  Pontormo,  welches  in  Rom 
unter  dem  Namen  des  Peruzzi  geht,  ist  der  Pygmalion 
in  der  Barberini- Galerie  (II.  Saal,  Nr..  64).  (f)  —  Die 
besten  Werke  dieses  Meisters  sind  in  Florenz:  im  Pitti- 
Palast  und  in  der  Uffizien-Galerie;  im  Palast  des  Mar- 
chese  Farinola;  in  den  Kirchen  von  S.  Michelino  und 
S.  Felicita ;  in  der  Villa  Poggio  a  Cajano.  Gute  Zeich- 
nungen: in  der  Ufßzien-Sammlung,  Rahmen  224,  Nr.  671 
und  672;  Rahmen  226,  Nr.  675,  und  ebendaselbst:  Rah- 
men 147,  Nr.  526,  die  Federzeichnung  mit  Gottvater 
der  dem  Noah  die  Arche  zu  bauen  befiehlt,  wahrschein- 
lich eine  vom  Pontormo  gefertigte  Copie  nach  der 
Originalzeichiumg  R;ifl'uers;  die  Bibliothek  Corsini  in 
Rom  besitzt  an  27  Zeichnungen  des  Pontormo,  darunter 
einige  sehr  gute,  besonders  die  Nummern:  124173, 
124182,  124183,  124187,  1241228,  1241254. 


allen  Nachahmern  der  Fall  ist,  den  Fehler  des  Lehrers  über- 
treibt Jacopo  mag  allerdings,  wie  Yasari  berichtet ,  in  seinen 
Knabenjahren  die  Werkstatten  des  Lionardo,  des  Albertinelli 
und  des  Pier  di  Cosimo  eine  Zeit  lang,  etwa  als  Fattorino,  be- 
sucht  haben,  sein  eigentlicher  Lehrer  war  jedoch  .\udrea  del 
Sarto;  daffir  spricht,  ausser  seinem  Frescobild  im  Yorhof  der 
Kirche  der  ,fheiligen  Annnnziata"  zu  Florens,  gar  manchog  Tor- 
trit  aus  «cinpr  frühem  Zeit,  wie  x.  B.  das  männliche  Profilbild- 
niss  im  Pitti-Palast  (249),  sowie  auch  jenen  cinrH  iuiiLnn  Künst- 
lers in  der  Sammlung  Morelli  in  Mailand. 


164  I^i^  Galerie  Borgliese. 

In  der  Sammlung  in  Chatswortli  treffen  wir  auch, 
unter  dem  Namen  des  Michelangelo,  zwei  Zeichnungen 
Jacopo's  an:  die  eine  in  schwarzer  Kreide  stellt  die 
Madonna  mit  dem  Kinde  (Braun  47),  die  andere  (eine 
Rötheizeichnung)  eine  Figur  in  der  Decke  der  Sixti- 
nischen  Kapelle  dar  (Braun  25).  (f) 

In  der  Nähe  dieses  berühmten  Cardinalporträts 
begegnen  wir  einem  sehr  fraglichen,  unbedeutenden 
weiblichen  Bildniss  des  Angelo  Bronzino(?)  (Nr.  28), 
des  eminenten  Schülers  des  Pontormo,  welcher,  wie 
Vasari  uns  erzählt,  die  ersten  Schritte  in  der  Kunst 
unter  der  Leitung  des  Raffaelino  del  Garbo  gethan, 
ehe  er  sich  an  Jacopo  Carucci  da  Pontormo  anschloss. 
Angelo  Bronzino  (1502,  f  1572)  hat  eine  grosse  An- 
zahl Schüler  und  Nachahmer  in  seiner  Vaterstadt 
Florenz  gehabt,  von  denen  ich  nur  einige  hier  in  Er- 
innerung bringen  will,  da  es  gar  zu  oft  zu  geschehen 
pflegt,  dass  namentlich  Bildnisse  von  diesen  Leuten 
verfertigt,  dem  Bronzino  selbst  zugemuthet  werden, 
der  jedoch,  sowol  was  Geist  und  Eleganz  in  der  Zeich- 
nung, als  Gediegenheit  in  der  Ausführung  anbelangt, 
sehr  erhaben  ist  über  alle  seine  Nachahmer,  die  da 
heissen:  Cristoftino  delP  Altissimo,  Lorenzo  dello  Scio- 
rina,  Stefano  Pieri,  Alessandro  Allori,  Bronzino's 
Neffe,  u.  a.  m. 

Von  Angelo  Bronzino  selbst,  den  ich  seiner  Eleganz 
halber  den  florentinischen  Parmeggianino  nennen  möchte, 
sehen  wir  schon  im  ersten  Saal  dieser  Galerie  eine  vor- 
zügliche „Lucrezia"  (Nr.  50),  ein  Bild,  das  ich  ebenso 
wie  die  noch  vorzüglichere  Cleopatra  (Nr.  2)  in  diesem 
zweiten  Saal,  der  Jugendzeit  des  Künstlers  zuschreibe. 
Diese  seine  frühen  Werke  sind  alle  streng:  in  der  Zeich- 
nung,  allein  sehr  schwarz  in  den  Schatten.  Zu  den 
besten  Bildnissen  dieses  Künstlers  rechne  ich  auch  das 
des  Giannettino  Doria  in  der  Galerie  Doria-Panfili 
in  Rom;   das  des  Bildhauers  (Nr.  1263)  und  der  Ehe- 


Die  Tosoaner:  Jacopo  da  Pontormo.  165 

galten  Panciatichi  in  der  Uffizien-Sammlung,  und  vor 
allen  jenes  im  Salon  carre  des  Louvre. 

PORTRÄT  DES  CESARE  BORGU. 

\\  .1  alter  hat  das  stattliche,  etwas  elegani  -i.  liu  ou- 
genannte  Porträt  des  Cesare  Borgia  in  der  Nähe  ge-* 
fertigt  (Nr.  26)?  Diese  Frage  wird  vielleicht  einigen 
meiner  Leser  dreist,  ja  vorwitzig  erscheinen,  da  ja  dad 
vielbewiinderte  Porträt  im  Publikum  nicht  nur  als  das 
Conterfei  des  Duca  Valentino  gilt,  sondern  gemein- 
hin auch  als  Werk  Raftaers  angestaunt  wird.*  Meh- 
rere neuere  Kritiker  haben  zwar  diese  letztere  Attri- 
bution belächelt  und  der  Einsichtsvollste  unter  ihnen,, 
der  zu  früh  verstorbene  O.  Mündler  2,  schrieb  dies  Por- 
trat ohne  Bedenken  dem  Parmeggianino  zu.  Der  geist- 
volle J.  Burckhardt'  hält  es  dagegen  für  ein  treff- 
liches deutsches  Bild,  vielleicht  von  Georg  Pencz. 
Solchen  eminenten  Kennern  gegenüber  ist  es  für  mich 
sehr  gewagt,  meine  schwache  Stimme*  hören  zu  lassen. 
Wenn  jedoch  das  italienische  Sprichwort  wahr  ist,  dass 
nämlich  y^fra  due  liticanti  il  terzo  gode^  so  darf  ich 
mich  der  Hoffnung  überlassen,  bei  solchem  Zwiespalt 
der  Grossen  auch  vernommen  zu  werden.  Sollte  auch 
ich  fehlschiessen ,  nun  so  geschieht  es  wenigstens  in 
guter  Gesellschaft. 

Sehen  wir  uns  also  diesen  weltberühmten,  durch 
Stich  und  Photographie  vervielfältigten  Duca  Valen* 
tino  genauer  an.^  Dass  das  Gemälde  nicht  das  Werk 
Raffaers  sein  kann,  das,  meine  ich,  dürfte  selbst  der 


>  Herr  Geheimrath  Carl  von  Ruland  lohreibt  es  jedoch  blot 
der  Sohule  RaffaePs  eu  (a.  a.  0.). 

*  Siehe  a.  a.  0.,  8.  80. 

*  Siehe  „Cicerone",  1.  Aufl.,  S.  910. 

*  Ceaare  Borgia  wurde  im  Jahre  1499  vom  Kunig  Ludwig  \il. 
zum  HenOg  von  Valentinois  eroannt,  and  heirathete  in  jenem 
Jahr  Charlotte  d'Albret,  Schwester  de«  Jean  d' Albret,  Königs 
von  Navarra. 


IQQ  Die  Galerie  Borghese. 

kurzsichtigste  Galeriebesucher  erkennen,  braucht  er  doch 
bloö  die  Mühe  sich  zu  geben,  dieses  Bild  mit  der  in  der 
Nähe  aufgestellten  „Grablegung"  des  Urbinaten  zu  ver- 
gleichen, was  freilich  gegen  die  herkömmliche  Sitte  der 
Steeple-chase  in  den  Bildergalerien  Verstössen  möchte. 
Auch  darf  man  solche  Pedanterien  einem  genuss-  und 
lernbegierigen  Touristen,  bei  der  Eile  und  Kostbarkeit 
seiner  Zeit,  nicht  wohl  zumuthen.  Untersuchen  wir 
zuerst,  ob  dieser  junge  Mann  wirklich  das  Ebenbild  des 
Cesare  Borgia  sei  oder  auch  nur  sein  könne.  Die  süffi- 
sante Pose  und  der  ihr  entsprechende  etwas  gemeine, 
ja  sinnlich  rohe  und  wenig  sagende  Ausdruck  des  regel- 
mässigen Gesichts  geben  dem  jungen  Cavalier  etwas, 
*fur  mich  wenigstens,  eher  Abstossendes  als  Anziehendes. 
"Würde  dieser  Cesare  lebendig,  so  wäre  es  eben  nicht 
der  Mann,  dessen  nähere  Bekanntschaft  ich  zu  machen 
wünschte,  und  in  diesem  Sinne  lasse  ich  die  Taufe  gern 
gelten.  Es  ist  zwar  nicht  zu  leugnen,  dass  es  ein  „bild- 
schöner" Cavalier  ist,  der  auch  in  einem  modernen  Salon 
sein  Glück  in  der  Damenwelt  machen  dürfte.  Die  Sage 
geht  nun  allerdings,  dass  der  berüchtigte  Herzog  von 
Valentinois  ein  schöner,  ja  geradezu  der  schönste  Mann 
seiner  Zeit,  wie  sich  dies  bei  Prinzen  von  selbst  ver- 
steht, gewesen  sei,  und  dies  mag  auch  ein  Grund,  viel- 
leicht der  Hauptgrund  für  die  Direction  der  Galerie 
gewesen  sein,  in  diesem  Porträt  das  Ebenbild  des  Ce- 
sare Borgia  zu  erkennen.  Es  ist  nur  schade,  dass  man 
dabei  nicht  bedacht  hat,  dass  die  politische  Laufbahn 
jenes  Helden  in  Italien  schon  im  Jahre  1508  abgeschlossen 
war.  Wie  bekannt  starb  Cesare  Borgia  vier  Jahre 
später  vor  der  Stadt  Viana  im  Navarresischen.  Wären 
nun  seine  Züge  durch  die  Hand  KaffaeFs  auf  diese 
Tafel  hier  festgebannt,  so  müssten  sowol  Zeichnung  als 
Malweise,  ganz  abgesehen  von  der  Auffassung,  die  peru- 
ginische  Manier  des  Urbinaten  verrathen,  wovon  in  die- 
sem Bild  auch  nicht  eine  Spur  wahrzunehmen  ist.    Man 


Die  Toscaner:  Portrat  des  Cesare  Borgia.  167 

konnte  zwar  dagegen  einwenden,  dass  Raffnel  das  Por- 
trat nicht  nach  dem  Leben,  sondern  später,  frei  nach 
irgendeiner  vorhandenen  Zeichnung  oder  nach  einem 
altern  Bildniss  gemalt  habe.  Die  Einwendung  wäre  an- 
nehmbar, wenn  sie  die  historische  Wahrscheinlichkeit  ftir 
sich  hätte  und  wenn,  was  doch  die  Hauptsache  dabei  ist, 
das  Gemälde  selbst  für  die  Hand  R^ifiaePs  spräche. 

Hat  sich  der  „Duca  Valentino"  je  abconterfeien 
lassen,  so  möchte  er  diese  Ehre  wol  am  ehesten  dem 
Hofmaler  seines  Vaters,  dem  Pintoricchio,  zugedacht 
haben,  welcher,  nachdem  er  vom  Jahre  1492 — 97  fiir 
Papst  Alexander  VI.  in  Rom  gearbeitet,  1501  in  die 
Dienste  des  Sohnes  Cesiire  Borgia  getreten  war.' 

Auch  Lionardo  da  Vinci,  der  wie  bekannt  ebenfalls 
in  den  Jahren  1501  und  1502  als  oberster  Kriegsingenieur 
beim  Borgia  angestellt  war,  möchte  eher  als  andere 
Maler  den  Auftrag  erhalten,  allein  schwerlich  ausgeführt 
haben,  seinen  Herrn  und  Gönner  durch  den  Pinsel  zu 
verewigen. 

Sehen  wir   uns   dtis  Porträt  noch   «genauer  an.     Der 


*  Yasari  erzählt  im  Leben  des  Pintoricchio,  dass  dieser  in 
der  That  in  einem  Gemach  des  Castel  S.  Angelo  auch  die  Por- 
träts Isabella  der  Katholischen,  des  Niocolo  Orsini,  des  Gian-Gia- 
como  Trivalzio,  des  Cesare  und  der  Lucrezia  Borgia  al  fresco 
gemalt  habe.  Femer  sagt  uns  derselbe  Schriftsteller  (VII,  113), 
dass  auch  Pier  di  Cosimo  das  Bildniss  des  Duca  Valentine  ge- 
macht: ,,ritra88e  <mcora  poi  ü  duca  ValentittOf  figliuolo  di  papa 
Aleisandro  FJ,  la  qttal  pitiura  oggi  cKio  sappia  non  st  trova, 
wta  bene  ü  eartone  di  8ua  nuntOf  ed  b  appresso  il  revtrendo  di. 
Ootimo  Bartoli  propo$to  di  S.  Oiocanni**.  Was  ist  wol  ans 
diesem  Carton  geworden?  Der  bekannte  italienische  Kunst- 
forscher Dr.  Gustavo  Frixzoni  behauptet,  vier  Porträts  von  Pier 
di  Cosimo^s  Hand  aufgefunden  lu  haben:  zwei  davon  in  der 
Bildersammlung  vom  Haag  (Braun  816**^,  816^"***^,  ein  drittes 
in  der  Kational-Gallery  in  London,  und  endlich  das  von  Vaaari  be- 
schriebene Bildniss  der  „bella  Simonetta"  in  der  Gestalt  einer 
Kleopatra,  in  der  Sammlung  Sr.  Hoheit  des  Herzogs  von  Aumale. 


Ißg  Die  Galerie  Borghese. 

Cavalier  trägt  ein  schwarzbefiedertes  Baret  und  ein 
ebenfalls  schwarzes  Wams  mit  Schlitzärmeln,  aus  denen 
die  Manschetten  hervorschauen.  Die  Rechte  hält  er  auf 
den  Degengriff  gestützt,  die  Linke  an  der  Hüfte.  Der 
Tracht  nach  muss  dieser  „Pseudo-Cesare"  irgendeinen 
florentinischen  Junker  aus  dem  vierten  Decennium  des 
16.  Jahrhunderts  vorstellen.  Und  Avürde  der  dichte 
gelbgewordene  Firnis  von  der  Oberfläche  entfernt,  so 
glaube  ich  nicht  zu  irren,  wenn  ich  vermuthe,  dass  ein 
den  Bronz in o 'sehen  sehr  nahe  kommendes  Porträt 
sich  unsern  Blicken  zeigen  würde,  mit  jenem,  den  Ge- 
mälden des  Angelo  Bronzino  eigenthümlichen  „Smalto", 
mit  den  kalten  Fleischtönen  und  mit  den  scharf  und 
etwas  hart  eingesackten  Augen.  ^  (f)  Die  steif  elegante 
Pose  weist  mehr  auf  den  Bronzino  hin  als  auf  irgend- 
einen andern  gleichzeitigen  Florentiner  und  erinnert  an 
jene  der  Panciatichi  in  den  Uffizien.  Die  Modellirung 
und  Stellung  der  Hand  ist  fast  die  der  rechten  Hand 
auf  jenem  kleinen  hübschen  Porträt  in  der  National- 
Gallery  in  London,  Nr.  649,  das  zwar  dort  den  Namen 
des  Pontormo  führt,  mir  jedoch  ebenfalls  als  ein  treff- 
liches Werk  unsers  Angelo  Bronzino  erschienen  ist.  (f ) 
Man  findet  in  mehrern  andern  Bildersammlungen  Ita- 
liens sogenannte  Porträts  des  Cesare  Borgia,  so  z.  B.  in 
jener  von  Forli,  Nr.151,  dort  dem  Giorgione  zugeschrieben ; 
dasselbe  hat  jedoch  weder  mit  Cesare  Borgia  noch  mit 
Giorgione  irgendetwas  zu  thun,  sondern  ist  wahrschein- 
lich irgendein  Bildniss  von  der  Hand  des  Palmezzano  da 
Forli.  (f )  Jener  vom  verstorbenen  General  Pepe  im  Jahre 
1849  der  Stadt  Venedig  geschenkte  „Cesare  Borgia"  von 
Lionardo  da  Vinci,  der  gegenwärtig  im  Museo  Correr 
aufgestellt  ist,  scheint  eher  den  Don  Ferdinando  Avalos 
von    Aquino    vorzustellen;    übrigens  ist    das    schwache 


^  Es  ist  zuweilen  äusserst  schwer,  Bildnisse  des  A.  Bronzino 
von  denen  des  Fr.  Salviati  zu  unterscheiden. 


Die  Toscaner:  Baldassare  Pernzzi.  169 

Profil  porträt  so  stark   überaialt,   dass  es  keine  nähere 
Beachtung  verdient. 

Ein  dritter  „Cesare  Borgia"  ist  in  der  Communal- 
sammlung  von  Bergamo  (Abtheilung  Lochis,  Nr.  36)  zu 
sehen,  wo  das  Bild  als  Werk  des  Giorgione  gilt,  während 
die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  es  demCalisto  daLodi 
zuschreiben.  ^  Meiner  Ansicht  nach  dürfte  jenes  höchst 
lebendige  Porträt  der  ferraresisch-bolognesischen  Maler- 
schule angehören  und  wahrscheinlich  dem  Giacomo 
Francia'  (f),  auf  keinen  Fall  jedoch  weder  dem  Calisto 
da  Lodi  noch  dem  Romanino,  wie  die  Herren  Crowe  und 
Cavalcaselle  meinen.  Bei  den  nach  der  Natur  gemalten 
Bildnissen  in  dieser  Epoche  der  sinkenden  Kunst  in  Ita- 
lien ist  es  übrigens  eine  sehr  heikle  und  gewagte  Sache, 
jedesmal  den  Urheber  desselben  feststellen  zu  wollen. 
Ein  viertes  Porträt  des  sogenannten  „Cesare  Borgia" 
besass  vormals  die  Bildersammlung  des  Grafen  Castel- 
barco  in  Mailand.  Das  Bild  wurde  dort  ebenfalls  dem 
Kaifael  zugemuthet.  Meiner  Meinung  nach  gehörte  das 
stark  übermalte  Porträt  flom   AikIppm  Solnrio.  (f) 

BALDASSARE  PERUZZI. 

In  der  Nähe  dieses  selbstzufriedenen  florentinischen 
Salonhelden  jener  Tage  fallt  unser  nach  Edlerem  sich 
sehnender  Blick  auf  die  unbekleidete  Gestalt  eines  jungen 
Weibes,  das  unwillkürlich  das  Auge  fesselt  durch  das 
echt  künstlerische  Gefühl,  das  sowol  in  der  Bewegung 
als  auch  im  Ausdruck  dieser  weiblichen  Gestalt  sich 
auaspricht  Der  Katalog  nennt  sie  „eine  aus  dem  Bade 
steigende  Venus '^  und  gibt  als  Maler  derselben  den 
Giulio  Romano  au.   Doctor  G.  Frizzoni  vindicirte  dieses 


»  VoL  II,  168. 

'  Man  vergleiohe  dieses  Porträt  mit  deu  zwei  geharnischten 
Heiligen  im  grossen  Bilde  Nr  17'>  des  Giaoomo  Franoia  der 
Breni-Oalerie. 


170  Die  Galerie  Borghese. 

Bild  jedoch  schon,  und  wie  mir  dünkt  mit  voller 
Sachkenutniss,  in  seinem  Aufsatz  über  Baldassare 
Peruzzi  diesem  letztern  Meister.  Dieser  höchst  fein- 
sinnige sienesische  Künstler  und  Freund  des  Agostino 
Chigi  hat,  wie  bekannt,  mehr  als  Baumeister  denn  als 
Maler  gewirkt  und  sich  ausgezeichnet,  ja  in  dieser  letz- 
tern Kunst  darf  er  nur  jenen  grossen  Decoratoren  bei- 
gezahlt werden,  deren  glänzende  Reihe  mit  Bramante 
und  Melozzo  da  Forli  anhebt. 

Auf  den  Maler  Peruzzi  (geboren  1481)  haben  nun 
besonders,  wie  mir  scheint,  drei  Künstler  einen  sehr 
leicht  erkennbaren  Einfluss  ausgeübt:  Pintoricchio  zu- 
erst, sodann  vornehmlich  Sodoma  und  zuletzt  Ratfael. 
Von  den  decorativen  Malereien  Peruzzi's  in  Rom,  wo 
er  den  grössten  Theil  seiner  künstlerischen  Laufbahn 
durchmachte,  sind  uns,  besser  oder  schlechter  erhalten, 
noch  manche  Proben  aufbewahrt.  Wandgemälde  von 
ihm  finden  wir  in  der  Chornische  der  Klosterkirche  von 
S.  Onofrio,  ganz  in  der  Weise,  ja  wahrscheinlich  nach 
Skizzen  des  Pintoricchio  ausgeführt;  die  drei  Grazien 
im  Palast  Chigi ;  die  Darstellungen  aus  der  römischen  Ge- 
schichte in  den  Sälen  des  Conservatoren-Palastes  auf  dem 
C'apitol  (Einfluss  des  Sodoma),  dort  auf  einem  Denkstein, 
um  die  romische  Unwissenheit  in  der  Kunstkenntniss  zu 
verewigen,  dem  B.  Bonfigli  von  Perugia  zugeschrieben; 
die  Fresken  in  der  ersten  Kapelle  links  in  S.  Maria  della 
Pace,  worin  die  Art  und  Weise  des  Sodoma  am  deutlich- 
sten zu  Tage  tritt,  sowol  in  der  Farbenharmonie  und  in  den 
Gesichtstypen,  als  auch  selbst  in  dem  dem  Sodoma  eigen- 
thümlichen  geschlängelten  Gefälte.  Unter  seine  Staffelei- 
bildcr  der  Pintoricchio'schen  Epoche  rechne  ich  ebenfalls 
zwei  Breitbilder  im  Madrider  Museum  (Nr.  573  und  574), 
von  denen  das  eine  den  Raub  der  Sabinnerinnen  \  das  an- 


»  Director  W.  Bode  (II,  733,  1884)  gibt,  wie  schon  bemerkt, 
mit  Unrecht  das  Bild  im  Palast  Chigi,  den  Raub  der  Sabinerinnen 


Die  Toscaner:  Baldassare  Peruzzi.  171 

dere  die  Enthaltsamkeit  des  Scipio  Africanus  darstellt,  (f) 
Zu  den  Werken  seiner  zweiten  oder  Sodoma'schen  Periode 
scheinen  mir  unter  andern,  ausser  dem  oben  angeführten 
Frescobild  in  S.  Maria  della  Pace,  auch  die  zwei  ganz 
vorzuglichen  Federzeichnungen  im  Louvre  zu  gehören: 
Triumph  deö  Vespasianus,  Nr.  437  im  Reisetaschen  Kata- 
log, Braun  363  *,  und  eine  andere  Episode  aus  der  römi- 
schen Geschichte  (Fächer,  im  X.  Saal),  unter  dem  Namen 
des  Sodoma  aufgestellt  (Katalog  Tauzia  Nr.  1967).  (f) 
In  den  Deckengemälden  der  Farnesina,  1511  vollendet, 
ist  Peruzzi  sehr  antikisirend.  Man  wird  beim  Anblick 
jener  weiblichen  Gestalten  unwillkürlich  an  griechische 
oder  romische  Gemmen  erinnert.  Unter  dem  Einfluss  des 
Raftaerschen  Genius  aber  scheint  diese  dem  Bade  ent- 
steigende Venus  entstanden  zu  sein.  Das  anmuthige 
Weib,  wahrscheinlich  nach  der  Natur  gezeichnet,  sitzt 
unbekleidet  auf  einem  Stein;  ein  hellblau  schillerndes 
Tuch  fällt  ihr  vom  rechten  Arm  herab,  ursprünglich 
nur  die  Hüfte  erreichend.    Das  verletzte  Schamgefühl 


darstellend,  dem  Peruzzi,  es  gehört  dem  Sodoma  an;  in  jenem 
Palast  befindet  sich  indessen,  wie  eben  bemerkt,  ein  Frescobild 
von  Peruzzi.  Auch  J.  C.  Robinson  in  seinem  Katalog  der  Malcolm - 
Sammlung  in  London  verwechselt  in  einer  Zeichnung  (Nr.  31G), 
auf  welcher  Sibyllen  dargestellt  sind,  den  Peruzzi  mit  Sodoma.  (f) 
( Descriptive  Catalogtu  of  Drawinga  etc.^  hy  J.  C.  Bobinson,  p.  113.) 
*  Herr  Reiset  weiss  nicht,  ob  er  diese  Zeichnung  dem  Francia 
oder  dem  L.  Costa  oder  aber  dem  Pellegrino  da  S.  Daniele  zu- 
schreiben soll.  Passavant  gibt  sie  mit  grösserer  Sachkenntniss 
dem  Sodoma.  Andererseits  wird  dieser  letztere  in  einer  guten 
getuschten  Zeichnung  zu  einer  Deckendecoration  in  den  Uffizieu, 
Nr.  1644,  den  Sturz  des  Phaeton  darstellend,  mit  Peruzzi  ver- 
wechselt. Auf  diese  treffliche  Zeichnung  des  Sodoma  wurde  ich 
zuerst  durch  Herrn  Dr.  Frizzoni  aufmerksam  gemacht.  Den  Pe- 
ruzzi erkennt  man  leicht  an  der  übergrossen  L&nge  seiner  Beine, 
einem  Fehler,  den  er  von  seinem  ersten  Lehrer  Pintoricchio 
erbte,  welcher  letrtere  teineneits  ihn  von  Fiorenzo  di  Lorenzo 
überkommen  hatte. 


172  I^ie  Galerie  Borghese. 

irgendeines  spätem  Besitzers  dieser  ganz  im  classischen 
Geist  des  römischen  Hofes  zur  Zeit  Leo's  X.  gedachten 
Venus  Hess  jedoch  durch  einen  willigen  Restaurator  das 
Tüchlein  um  einige  Spannen  verlängern  und  verdeckte 
damit,  im  Interesse  der  Moral,  auch  die  linke  Hüfte.  ^ 

RAFFAEL  SANZIO. 
Baldassare  Peruzzi  fiihrt  uns  zu  Raffael  Sanzio,  von 
dem  das  berühmteste  Werk  aus  seiner  florentinischen 
Epoche  in  diesem  zweiten  Saal  aufgestellt  ist,  ich  meine 
die  weltbekannte  „Grablegung"  vom  Jahre  1507.  Raffael 
führte  den  Carton  zu  diesem  seinem  ersten  dramatischen 
Bild  wahrscheinlich  in  Florenz  aus  und  zwar  nach  viel- 
fachen sehr  mühsamen  und  gewissenhaften  Studien.  Das 
Bild  selbst,  von  Atalanta  Baglioni  aus  Perugia  wahr- 
scheinlich schon  im  Jahre  1503  bestellt,  muss  er  im 
Sommer  1507  mit  Beihülfe  einiger  Gehülfen  in  Perugia 
vollendet  haben.  Dass  Raffael  schon  damals  Gehülfen 
hatte,  ersehen  wir,  so  scheint  es  mir,  nicht  nur  aus  dem 
Gemälde  selbst,  sondern  auch  aus  mehrern  Federzeich- 
nungen zu  dieser  Grablegung,  Zeichnungen,  die  aller- 
dings von  seiner  eigenen  Hand  mit  dem  Silberstift  ent- 
worfen, von  seinen  Gehülfen  aber,  zur  Sicherung  der 
Zeichnung,  mit  der  Feder  übergangen  wurden.  Dies 
können  wir  deutlich  erkennen,  unter  vielen  andern,  auch 
an  der  grossen  „Grablegung"  oder  „Beweinung  Christi" 
in  der  „Salle  aux  boites"  des  Louvre,  ferner  in  der  qua- 
dratirten  Zeichnung  in  den  Uffizien  und  in  mancher 
andern  Federzeichnung  mit  demselben  Gegenstand  in 
den  Sammlungen  von  Oxford,  des  Britischen  Museums, 
des   Herrn  John   Malcolm  ^    in  London,    des  Herzogs 

^  In  der  Gemäldesammlung  des  Seminario  Vescovile  in  Ve- 
nedig schreibt  man  ein  Bild  mit  der  Penelope  des  Beccafumi 
von  Siena  dem  B.  Peruzzi  zu.  (f) 

*  Die  aus  der  Sammlung  Antaldi  zuletzt  in  die  Sammlung 
des  HeiTu  John  Malcolm  gelangte  Skeletzeichnung  (Nr.  179  im 


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Die  Toscaner:  Raffael  Sauzio.  173 

von  Aumale,  der  „Albertina"  in  Wien  und  anderwärts 
mehr.  ^ 

Wie  gesagt,  auch  mir  fallt  in  diesem  „akademischen" 
Gemälde  gar  manches  auf,  worin  ich  die  Hand  sowol 
als  auch  das  feine  Liniengefuhl  I{aft*aers  durchaus  ver- 
misse, sodass  ich  nicht  umhin  kann,  dem  Urtheil  Ku- 
mohr's  beizustimmen,  welcher  in  der  Ausfuhrung  dieses 
mit  zu  grossem  Studium  zusammencomponirten  Bildes 
eine  fremde  Hand  gewahr  ward.  Sei  jedoch  dem  wie 
ihm  wolle,  gewiss  ist  es,  dass  diese  „Grablegung"  nicht 
nur  mich,  sondern  auch  manch  andern  Kunstfreund 
stets  viel  kälter  lassen  wollte,  als  viele  andere  gleich- 
zeitige Werke  RaffaeFs.  Dieses  Bild,  vom  Papst  Paul  V. 
(Borghese)  im  Jahre  1607  von  den  Franciskanern  in 
Perugia  erworben,  gehört  zu  den  ältesten  Bildern  dieser 
Sanunlung.  Winckelmann  betrachtete  es  als  eins  der 
vollkommensten  Werke  des  Ürbinaten  und  hebt  nament- 
lich die  Kraft  und  Wahrheit  der  Bewegungen  und  des 
Ausdrucks  und  das  Dramatische  der  Composition  her- 
vor. Die  Kälte,  die  für  mich  und  manchen  meiner  Be- 
kannten aus  diesem  sogenannten  classischen  Werke 
herausweht,  rührt  vielleicht  gerade  von  dem  allzu  grossen 
Studium  her,  das  der  junge  Künstler  an  die  Compo- 
sition dieses  Bildes  gewendet  hat.  Auch  in  andern 
Werken  liaffaePs,  die  aus  dieser  Epoche  stammen,  wie 


Robimon'schen  Katalog)  scheint  mir  nichts  anderes  als  eine  der 
Fälschungen  za  sein,  an  denen  die  Antaldi- Sammlung  so  reich 
war  (t);  die  andere  sogenannte  Raffaelzeichnung,  Kr.  14,  zu  diesem 
Bilde,  ebendaselbst,  dürfte  blos  Copie  sein.  Man  vergleiche  da- 
gegen, mit  all  den  soeben  citirten  Zeichnungen  und  Skizzen 
KafTaers  zu  diesem  seinem  Bilde,  die  herrliche  Federzeichnung, 
die  der  bekannte  Kunstfreund  und  Sammler  Herr  Edward  Habich 
aus  Cassel  aus  der  Klinkosch^sohen  Sammlung  in  Wien 
werben  das  Glück  hatte. 

*  Siehe  darüber  den  mit  Saohkenntniss  verfassten  AufsaU 
des  Herrn  Doctor  W.  Koopmann  in  von  Lützow^s  „Zeitschrift 
für  bildende  Kunst". 


174  Die  Galerie  Borghese. 

z.  B.  in  der  sogenannten  Madonna  di  casa  Colonna  im 
Berliner  Museum  und  in  der  der  Casa  Niccolini  bei 
Lord  Cowper  in  Panshanger,  haben  feinere  Kenner  die 
Hand  von  Gehiilfen  zu  entdecken  geglaubt,  und  wie 
ich  meine  mit  vollem  Recht. 

In  diesem  Zimmer,  und  zwar  neuerdings  nahe  am 
Fenster  aufgestellt,  befindet  sich  ein  anderes  Eafftieli- 
sches  Werk,  falls  ich  mich  nicht  sehr  täusche.  Dasselbe 
führt  die  Nr.  53  und  trug  früher  den  Namen  Hol- 
bein,  wurde  aber  vom  neuen  Director  nach  meiner  Be- 
stimmung, freilich  nur  dubitativ,  dem  Sanzio  zuge- 
schrieben. Das  Bild  stellt  einen  Mann  mit  langen 
braunschwarzen  Haaren  vor,  der  ein  angehender  Fünf- 
ziger zu  sein  scheint;  er  hat  ein  schwarzes  Baret  auf 
dem  Kopfe  und  trägt  ein  schwarzes  Kleid  mit  Pelz- 
werk. Das  Kleid  scheint  blos  untermalt  zu  sein.  Die 
Züge  des  Mannes  erinnern  an  die  des  Pintoricchio  auf 
dem  Wandgemälde  der  sienesischen  Dombibliothek.  Es 
gehört  allerdings  ein  gewisser  Muth  oder  wenn  man 
lieber  will  eine  ungewöhnliche  Dreistigkeit  dazu,  in 
einer  der  besuchtesten  Bildersammlungen  der  Welt  heut- 
zutage noch  ein  unbekannt  gebliebenes  Werk  RaffaeFs 
entdecken  zu  wollen,  und  doch  stehe  ich  nicht  an,  oö'en 
zu  erklären,  dass  mir  dieses  Bild  gleich  beim  ersten  An- 
blick den  Eindruck  einer  RafiaePschen  Arbeit  aus  seiner 
Frühzeit,  etwa  um  1502,  machte.  Ich  kann  daher  nicht 
mit  dem  verstorbenen  Mündler  dieses  Porträt  für  ein 
Selbstporträt  des  Pietro  Perugino  halten.  Die  Haar- 
masse ist  durchaus  mit  Raffaelischem  Gefühl,  mit  seiner 
ihm  eigenthümlichen  Grazie  geordnet,  die  Augen  haben 
eine  Lebendigkeit,  einen  Glanz,  den  wir  in  den  Köpfen 
des  Perugino  meistens  vermissen,  auch  sind  Nase  und 
Mund  schärfer  modellirt,  als  dies  in  den  Bildnissen  Pie- 
tro's  der  Fall  zu  sein  pflegt.  Und  dazu  noch  diese  dem 
Urbinaten  ganz  eigene  Leuchtkraft  des  Incarnats.  Ich 
bitte  meine  Freunde,  dieses  Porträt  mit  dem  einen  oder 


Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  175 

andern  Apostelkopf  auf  der  „Krönung  Maria*'  K^ifiaePs 
in  der  vaticanischen  Pinakothek  zu  vergleichen,  (f) 

Das  Bild  hat  übrigens  gelitten,  die  Oberhaut  des- 
selben ist  verrieben.  Die  Stellung  der  Mütze  wurde 
vom  Meister  selbst  geändert,  wie  dies  noch  deutlich 
wahrzunehmen  ist.  Ueberhaupt  scheint  dies  Bildniss 
nicht  ganz  vollendet  zu  sein.* 

Ueber  das  kleine  Bildniss  eines  Knaben,  das  am 
Fenster  des  ersten  Saales,  unter  Nr.  35,  aufgestellt  ist 
und  im  Katalog  ebenfalls  fiir  Arbeit,  ja  als  Selbstpor- 
trat (!)  Kafi'aers  ausgegeben  wird,  ist  wenig  zu  sagen, 
so  sehr  ist  dasselbe  durch  Uebermalung  entstellt.  Die 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  sehen  es  als  die  Arbeit 
etwa  des  Ridolfo  del  Ghirlandaio  an.  Sollte  ich  einen 
Namen  für  dieses  ganz  unbedeutende  Machwerk  vor- 
schlagen, so  würde  es  der  des  Domenico  Alfani 
sein,  (t)  Man  vergleiche  in  diesem  Betracht  dies  Bildniss 
mit  dem  „Präsepium***  des  Domenico,  Nr.  24  in  der 
Communal-Galerie  von  Perugia. 

PEKING  DEL  VAGA. 
KaÖ'ael  fuhrt  uns  jedoch  zu  einem  andern  seiner  Zeit- 
genossen und  Nachahmer,  welcher  eine  ganz  andere 
Bedeutung  in  der  Kunstgeschichte  hat  als  Donienico 
Alfani,  ich  meine  Perino  del  Vaga.  Wie  Giulio 
Romano  bald  nach  Itafi'aers  Tod,  so  verwilderte,  eben- 
fiüls/TOQ  Michelangelo  verleitet,  auch  Perino.^     Wer 

*  Unter  den  neuem  RafTaelisten  sind,  soviel  ich  weiss,  nur 
der  verstorbene  Maroo  Minghetti  und  Prof.  Karl  von  Lützow 
meiner  Ansicht  beigetreten.  Die  berliner  Raffaelkenuer  fahren 
iedocb  zu  meinem  Leidwesen  noch  immer  fort  dagegen  zu  pro- 
testiren,  und  mit  ihnen  protestirt  auch  Professor  M.  Müntz. 

'  Einen  beweis  davon  liefern  uns  seine  Wandmalereien  im 
Doria-Palast  zu  Genua.  In  einer  ,,Anbetung  der  Hirten''  bei  Lord 
Dudley  in  London  erkennt  man  anderenoits  auch  Einflüsse  des 
Venetianers  0.  A.  Pordenone  auf  Perino.  Jenes  Bild  ist  mit 
dem  Kamen  und  der  Jahreszahl  1684  bezeichnet. 


176  I^i«  Galerie  Borghese. 

diesen  höchst  talentvollen,  echt  florentinischen  Künstler 
besser  kennen  zu  lernen  wünscht,  der  muss  die  Werke 
seiner  frühen  Jugend  aufsuchen,  zumal  diejenigen,  die 
er  unter  dem  unmittelbaren  Einfluss  seines  Lehrers  und 
vaterlichen  Freundes  Uaft'ael  ausführte.  Diese  seine 
Werke  aus  der  Frühzeit  bestehen  sammt  und  sonders 
aus  Zeichnungen  und  aus  den  Wandgemälden  im  Va- 
tican  und  gehen,  wie  ich  darzuthun  mich  bemühen 
werde,  fast  alle  unter  dem  Namen  des  Urbinaten.  Und 
da  die  Biographen  dieses  letztern  unsern  Perino  nur  in 
den  Werken  aus  seiner  zweiten  römischen  Epoche  zu 
beurtheilen  gewohnt  sind,  so  möge  es  mir  erlaubt  sein,  bei 
der  hier  sich  bietenden  Gelegenheit,  diesem  so  interes- 
Siinten  frühreifen  Künstler  nachzugehen,  die  Werke  aus 
seiner  Jugend,  etwa  vom  Jahre  1514  bis  zum  Jahre  1527, 
aufzusuchen  und  sie  den  Kunstfreunden  vorzustellen. 
So  sehr  nun  alle  selbständige,  mit  Liebe  und  Ausdauer 
gepflogene  Forschung,  die  uns  zu  überraschenden  Re- 
sultaten und,  wie  uns  vorkommt,  der  Wahrheit  näher 
bringt,  in  der  stillen  Einsamkeit  des  Studirzimmers 
unsern  Geist  erfreut  und  ermuntert,  so  schwer  fällt  es 
uns  andererseits,  Thatsachen  vor  die  Oeffentlichkeit  zu 
bringen,  die  gar  manchen  unter  unsern  hochgefeierten 
Brüdern  inRaffaello  höchst  unangenehm  berühren  müssen. 
Und  dies  ist  leider  auch  hier  der  Fall  mit  Perino  del 
Vaga,  von  dem  ich  im  ersten  Saal  dieser  Borghese- 
Galerie  ein  Werk  aus  dessen  erster  römischer  Epoche 
entdeckt  zu  haben  glaube,  (f )  Das  Bild  führt  die  Nr.  40 
und  wird  mit  Recht  im  Katalog  als  aus  der  Schule 
liaffaers  bezeichnet.  Es  stellt  das  „Praesepium"  dar. 
Joseph  stützt  mit  beiden  Händen  das  auf  dem  Boden 
liegende  nackte  Christkind,  dem  die  Jungfrau  den  kleinen 
Johannes  vorstellt.  Eine  gute  aquarellirte  Zeichnung 
dazu  befindet  sich  in  der  Albertina  und  wurde  von 
Braun  unter  dem  Namen  des  Luca  Penni  und  der 
Nr.  53  photographirt.  (f) 


Die  Toscaner:  Perino  del  Yaga.  177 

Perino  del  Vaga  ward  um  1500  in  Florenz  ge- 
boren und  starb  in  Rom  im  Jahre  1547.  Die  Werke 
seiner  ersten  romischen  Epoche,  d.  h.  von  1513  unge- 
fähr bis  1527  sind  kaum  bekannt,  da  seine  Biographen 
nur  seine  Arbeiten  in  Genua  und  die  aus  seiner  zweiten 
romischen  Epoche  (1535 — 1547)  in  Betrachtung  zu 
ziehen  und  den  Künstler  nach  derselben  zu  beurtheilen 
gewohnt  sind.  Das  gleiche  Los  traf  ja  auch  den  Hol- 
länder Frans  Hals,  dessen  Gemälde  aus  der  Frühzeit, 
d.  h.  bis  zum  Jahre  1616,  bisher  unbekannt  geblieben 
sind  und  höchst  wahrscheinlich  unter  andern  Namen 
gehen.  Vasari,  der  den  Perino  persönlich  wohl  kannte 
und  als  Kfmstler  schätzte,  lässt  ihn  luigefahr  in  seinem 
elften  Jahr  in  die  Werkstatt  des  Ridolfo  del  Ghirlan- 
daio  eintreten  und  sich  dort  vornehmlich  im  Zeichnen 
üben,  in  welcher  Kunst  er  alle  andern  Mitschüler  weit 
übertraf*,  sodass  der  florentiner  Maler  Vaga,  der  gerade 
einen  tüchtigen  Zeichner  für  die  Wandgemälde  brauchte, 
welche  er  in  Toscanella  auszuführen  hatte,  den  jungen 
Perino  zu  seinem  Gehülfen  dahin  mit  sich  nahm.  Nach- 
dem nun  Vaga  mit  der  Beihülfe  des  Perino  dort  seine 
Arbeit  erledigt  hatte,  führte  er  den  strebsamen,  wiss- 
begierigen Jüngling  nach  Rom,  wo  derselbe  mit  un- 
verwüstlichem Fleiss  und  unter  den  grossten  Entbeh- 
rungen Tag  und  Nacht,  wie  Vasari  sagt,  seinen  Kunst- 
studien oblag.  Ferner  erzählt  uns  der  Aretiner,  dass, 
während  Perino  die  Decke  des  Michelangelo  in  der 
Sixtinischen  Kapelle  copirte,  seine  Naclibildungen  und 
Studien  mehr  die  Art  und  Weise  Raffael's,  als  die  des 
Buonarotti  verriethen  {^^seguitava  piü  gli  andari  e  la 
maniera  di  Raffaello  che  non  quella  del  Buonarofti^^). 
Und  so  geschah  es  denn,  fügt  der  Ilistoriograpli  hinzu, 
dass  Perino  als  der  beste  und  anmuthigste  Zeichner  von 


*  it^  f^  A^  ^^^^^  *  giovani  suoi  pari  riieniUo  il  miglior  di- 
segnatore  di  quanti  itudiaasero  con  tut  nella  bottega di  RidoJfo.^' 
hu»MOtitrr.  12 


178  I^ie  Galerie  Borgliese. 

Rom  augeseben  ward  („?7  piü  hello  e  miglior  clisegnatore 
che  ci  fo88€^'-).  Mit  Giulio  Romano  und  namentlich  mit 
seinem  Landsmann  Francesco  Penni,  il  Fattore  genannt, 
scheint  Perino  schon  früh  in  ein  freundschaftliches  Ver- 
hältniss  getreten  zu  sein,  und  der  eine  oder  der  andere 
von  ihnen  mag  ihm,  wie  es  damals  unter  den  jungen 
lernbegierigen  Künstlern  Sitte  war,  Skizzen  und  Zeich- 
nungen ihres  eigenen  Vorbildes  und  Lehrers  Raff'ael 
zum  Copiren  verschafi't  haben. ^ 

Mehrere  solcher  Copien  Perino's  nach  RaffaePschen 
Skizzen  sind  nun,  meiner  üeberzeugung  nach,  uns  noch 
erhalten  geblieben  und  wir  werden  sie  später  hier  an- 
geben. Dieselben  sind  wie  fast  alle  Zeichnungen  Perino's 
aquarellirt  und  erinnern  in  der  Technik  an  den  Rosso 
Fiorentino,  in  dessen  Gesellschaft  Perino  mit  vielen 
andern  florentiner  Künstlern  die  nackten  Figuren  des 
berühmten  Cartons  (zur  sogenannten  Schlacht  von  Pisa) 
des  Michelangelo  .  studirt  und  nachgezeichnet  und  sich 
unter  allen  seinen  Mitschülern,  wie  der  Aretiner  be- 
merkt, ausgezeichnet  hatte.  Es  verging  daher  nicht 
lange  Zeit,  dass  der  junge  Florentiner  seiner  treflPlichen, 
geistvollen  Zeichnungen  halber  unter  den  Künstlern 
Roms  so  bekannt  wurde,  dass  Rafiael  den  etwa  vierzehn- 


^  Vasari  erzählt  uns  im  „Leben  des  Garofolo",  den  er  eben- 
falls persönlich  kannte,  Folgendes :  „Benvenuto,  in  seinem  19.  Jahre 
in  Rom  angelangt  (1499),  trat  dort  in  Verbindung  mit  dem  flo- 
rentiner Maler  Giovanni  Baldini,  welcher  viele  schöne  Hand- 
zeichnungen verschiedener  ausgezeichneter  Meister  besass.  An 
diesen  Zeichnungen,  die  ihm  Baldini  lieh,  trachtete  nun  Garofolo 
sein  Auge  zu  bilden  und,  indem  er  sie  nachts  copirte,  seine 
Hand  zu  üben"  (Vasari  XI,  223)  —  und  im  „Leben  des  Cristo- 
fano  Gherardi"  (XI,  2):  „capitb  al  Borgo  il  Eosso,  col  quäle  avendo 
il  Gherardi  fatto  amicizia,  ed  avuto  de'  suoi  disegni,  studio 
sopra  quelli  con  molta  diligenza^'  etc.  —  Siehe  auch  im  „Leben 
des  Michelangelo"  (XII,  159):  „amando  il  Granacci  Michelangelo 
e  vedutolo  violto  atto  al  disegno,  lo  serviva  giornalmente  de' 
disegni  del  Grillandaio^'-  etc. 


Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  179 

jährigen  Wunderknaben  kennen  zu  lernen  wünschte  und, 
als  er  dessen  Zeichnungen  und  Studien  gesehen,  ihn  dem 
Giovanni  da  Udine,  welchem  eben  die  Direction  der  Ma- 
lereien und  Verzierungen  der  Loggien  anvertraut  worden 
war,  empfahl  und  diesem  auftrug,  dem  jungen,  so  viel- 
versprechenden Perino  unter  seiner  Leitung  Arbeit  zu 
verschaffen.  Vasari  (X,  88)  citirt  uns  auch  folgende  W  and- 
Mldor  in  den  Loggien,  die  Perino  del  Vaga  nach  Skizzen 
Katlaers  auszufuhren  beauftragt  wurde*:  Die  Hebräer 
ziehen  mit  der  Arche  über  den  Jordan;  der  Stunn  auf 
Jericho;  der  Kampf  Josua^s;  Josua  hält  die  Sonne  in 
ihrem  Laufe  auf;  die  Geburt  und  die  Taufe  Christi; 
das  Abendmahl  und  viele  andere  noch.  (Alle  diese 
Wandgemälde,  und  zumal  das  „Abendmahl",  sind  so 
stark  übermalt,  dass  sie  blos  noch  als  Compositionen 
geniessbar  sind.)  Sodann  berichtet  uns  Vasari,  dass 
die  allegorischen  Sockelbilder  in  der  Stanza  d'  Eliodoro 
ebenfalls  dem  Perino  angehören.^  Und  als  später  Papst 
Paul  IIL  den  Kamin  aus  der  „Camera  del  fuoco" 
(d.  h.  Ileliodor's,  nicht  zu  verwechseln  mit  der  „Camera 
deir  Incendio  di  Borgo"  oder  auch  „Torre  Borgia") 
in  die  der  Segnatura  versetzen  und  hier  das  von  Fra 
Giovanni  da  Verona  gearbeitete  Holzgeländer  wegneh- 
men Hess,  bekam  Perino  del  Vaga  den  Auftrag,  auch 
die  allegorischen  Sockelbilder  unter  den  Wandgemäl- 


*  Der  Aretiner  führt  folgende  Maler  an,  die  in  den  Loggien 
nach  Skizzen  Raffael's  gearbeitet  hätten:  Giulio  Romano,  Penni, 
Pellegrino  da  Modena  (?),  Bagnacavallo  (?),  Vinoenzo  da  S.  Gimig- 
nano,  Polidoro  dm  Caravaggio  (?)  und  Perino  del  Vaga.  Titti  fügte 
im  Jahre  1674  den  Obengenannten  noch  den  Gaudenzio  Ferrari 
hinzu,  und  Taja  im  Jahre  1754  wollte,  dass  auch  Raffaele  del 
Colle  an  jenen  Malereien  theilgenommen  hätte. 

*  Siebe  die  aquarellirte  Skizze  zu  einem  dieser  Sockelbilder 
„Die  Argonautonfabrt'*  im  Werke  des  Herrn  Dr.  Gustavo  Frizzoni : 
(Quaranta  ditegni  scelti  dalla  Baccotta  <kl  Senatore  G.  MortUi 
(.Milane  1886). 

12* 


180  I^ie  Galerie  Borghese. 

den  RaffaePs,  gleich  denen  in  der  Stanza  d'Eliodoro^ 
mit  bronzefarbenen  Geschichten  zu  verzieren.  Vergleicht 
man  nun  diese  letzteren,  während  Perino's  zweiten  rö- 
mischen Aufenthalts  ausgeführten  Arbeiten  mit  denen 
im  angrenzenden  Zimmer,  die  er  unter  dem  unmittel- 
baren Einfluss  seines  Lehrers  Raffiiel  anfertigte,  so  ge- 
wahrt man,  scheint  mir,  wie  die  Schule  des  ürbi- 
naten  wenige  Jahre  nach  des  Meisters  Tode  ihrem  Ver- 
fall entgegenging.  Auch  meinem  Gefühl  nach  hat 
Vasari  vollkommen  recht,  wenn  er  (a.  a.  O.,  S.  156)  be- 
hauptet, dass,  wenngleich  Giulio  Romano  und  Francesco 
Penni  den  Namen  von  Schülern  Ratfaers  führten  und 
auch  die  Erben  von  Raffael's  Skizzen  und  Zeichnungen 
wurden,  dieselben  doch  nicht  die  Kunst  und  die  An- 
muth  {V arte  e  la  grazia)  miterbten,  die  Perino  seinen 
Figuren  zu  verleihen  wusste.  Gewiss  ist  es  allerdings, 
dass  die  Technik  Giulio's  und  auch  die  des  Fattore 
sDwol  in  den  Zeichnungen  wie  auch  in  den  Malereien 
der  Technik  ihres  Lehrers  sehr  nahe  kommt,  ja  so  nahe, 
dass  nicht  nur  gar  manches  Bild  Giulio's,  sondern  auch 
sehr  viele  Zeichnungen,  welche  beide  nach  Skizzen  des 
Meisters  ausführten,  noch  immerfort  dem  Urbinaten 
selbst  zugemuthet  werden^;  allein  den  Geist  und  die 


^  Man  gestatte  mir  einige  wenige   dieser  Bilder  und  Zeich- 
nungen des  Giulio  Romano  als  Beispiele  hier  anzuführen: 

Bilder. 

1.  Die  „Vision  Ezechiel's"  im  Palast  Pitti  zu  Florenz. 

2.  Die  „Fornarina"  in  der  Galerie  Barberini  in  Rom. 

3.  Die  „Madonna  del  divino  amore"  im  Museum  von  Neapel. 

4.  Die  „Madonna  della  Perla"  im  Museum  von  Madrid. 

5.  Das  Bild  genannt  „Lo  spasimo  di  Sicilia"  im  Museum  von 
Madrid. 

6.  Die  „Madonna  della  Rosa"  im  Museum  von  Madrid. 

7.  Die  „Madonna  di  Francesco  I."  im  Louvre  zu  Paris. 

8.  Der  grosse  „heilige  Michael"  ebendaselbst. 

Zeichnungen, 
welche  allgemein  Raflfael  zugeschrieben  sind,  die  mir  jedoch  als 


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Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  181 

Grazie  Raflaers  Laben,  meiner  Ansicht  nach,  weder  Giulio 
Romano  noch  Francesco  Penni,  noch  irgendein  anderer 


von  der  Hand  des  GiulioRomano  nach  Skizzen  des  Meisters 
ausgeführt  erscheinen: 

a)  Za  den  Fresken  in  der  Farnes ina: 

In  der  Sammlung  von  Köln  befindet  sich  ein  höchst  interes- 
santer von  Raffael  mit  der  Feder  leicht  hingeworfener  Entwurf 
(den  wir  hier  reproduciren)  zu  einer  Lunette  im  ersten  Saal  der 
Famesina.  Diese  Federskizze  dürfte  uns  über  den  Antheil  des 
ürbinaten  sowol  an  jenen  Fresken,  als  auch  an  denen  iu 
der  Stanza  dell'Incendio  di  Borgo,  in  der  Kirche  della  Pace  u.s.f., 
Aufschluss  geben.  Raflfael  entwarf  nämlich,  wie  ich  glaube,  in 
leichten  Skizzen  die  Bilder.  Diese  Entwürfe  des  Meisters  wur- 
den sodann  von  seinen  Schülern  und  Gehülfen  an  jenen  Werken 
in  Zeichnungen  ausgeführt,  ehe  sie  auf  die  zum  Durchpausen  be- 
stimmten Cartons  in  grössern  Verhältnissen  übertragen  wurden. 
Der  Carton  ward  dann  dem  Meister  zur  Begutachtung  unter- 
«tellt,  von  ihm  corrigirt  und  der  Gehülfe  machte  sich  sofort  ans 
Werk.  So  begreift  man,  wie  Raffael,  der  in  jener  Zeit  sowol  als 
Archäolog  als  auch  als  Baumeister  der  Sanct-Peterskirche  in  An- 
spruch genommen  war,  in  sechs  Jahren  eine  solche  Menge  von 
Gemälden  und  Zeichnungen  anzufertigen  im  Stande  war.  Ya- 
•  ari  bemerkt  (VIII,  38):  „weW«  quali  saJe  del  continuo  teneca 
(Baffael)  deUe  genti  (d.  h.  Gehülfen)  che  con  i  disegni  8uoi 
medesimi  gli  tiravano  innanzi  Topera  (d.h.  das  Gemälde  aus- 
führten) ed  egli,  continuamente  rivedendo  ogni  eosay  suppUva  con 
tutti  quegli  aiuti  migliori,  che  egU  piu  potevüy  ad  un  peso  cosi 
fatto^^.  Dies  bemerkt  der  Aretiner  bei  Besprechung  der  Male- 
reien in  der  Stanza  dell'  Incendio  di  Borgo;  und  bei  Bespre- 
chung der  Wandgemälde  der  Farnesina  sagt  er  dann  wieder 
(VIII,  54):  „Parimenie  non  soddisfeciono  affatto  gli  ignudi 
(d.  h.  die  nackten  Figuren)  che  furono  similmente  (d.  h.  mit  Hülfe 
der  Schüler)  fatti  da  lui  (Raffael)  nella  roUa  del  palazzo  d'Ago- 
siino  Chigi  in  Trastecere  (Famesina),  perche  mancauo  di  quella 
grazia  e  dolcezza  che  fit  propria  di  Baffaello,  del  chefü  in  gran 
parte  cagiont  Vavergli  fatti  colorire  ad  altri  col  8uo 
disegno". 

Die  meisten  dieser  nach  Raffaers  Skizzen  aoagpeführten  Zeich- 
nungen gehören,  meiner  Ansicht  nach,  dem  Oiolio  Romano  an, 
ao  z.  B.: 


182  I^ie  Galerie  Borghese. 

seiner  vielen  Schüler   und  Nachahmer   so   rein  und  so 
frisch  wiederzugeben  verstanden,  wie  Perino  del  Vaga 


1.  „Venus  und  Psyche",  Rötheizeichnung  iniLouvre,  Braun  257. 

2.  Die  „drei  Grazien",  Rötheizeichnung  in  Windsor,  Publi- 
cation  der  Grosvenor  Gallery,  R.  14. 

3.  Nackter  junger  Mann,  der  mit  beiden  Händen  einen  Krug 
hält,  Rötheizeichnung.     Ambrosiana,  Mailand,  Braun  129. 

b)  Zeichnungen  Giulio's  zu  den  Wandgemälden  in  der  Stanza 
dell'  Incendio  di  Borgo  im  Vatican: 

4.  Die  „Wasserträgerin",  Rötheizeichnung  in  den  Uffizien, 
Braun  493.  Prof.  A.  Springer  hat  zuerst  an  der  Echt- 
heit dieser  sogenannten  Rafifaelzeichnung  gezweifelt.  Die 
Originalskizze  zu  dieser  Figur,  mit  schwarzer  Kreide 
leicht  auf  blauem  Papier  hingeworfen,  befindet  sich  in 
der  Sammlung  Morelli  in  Mailand. 

5.  Zwei  aufrechtstehende  nackte  Männer,  Rötheizeichnung 
in  der  Albertina,  Braun  176.  Die  Aufschrift  auf  dieser 
Zeichnung  ist,  meiner  Ansicht  nach,  Fälschung.  Die 
Schriftzüge  entsprechen  erstens  nicht  denen  Dürer's  und 
zweitens  hätte  der  gebildete  Maler  aus  Nürnberg  schwer- 
lich „Raffahel"  geschrieben.  Auch  war  ihm  gewiss 
bekannt,  dass  Raffael  vom  Papst  Leo  X.  nicht  weniger 
geachtet  wurde,  als  er  es  von  seinem  Vorgänger  Julius  II. 
gewesen  war.  Die  Hauptsache  jedoch  bleibt  immer,  dass 
die  Zeichnung  selbst  die  Hand  des  Giulio  Romano  ver- 
räth  und  nicht  die  RafTael's. 

c)  6.  Die  Rötheizeichnung  zum  Bilde  „lo  spasimo  di  Sicilia" 

(jetzt  im  Museum  von  Madrid),  in  den  Uffizien,  Braun  491. 

d)  7.  Die  Rötheizeichnung  zur  sogenannten  Madonna  di  Fran- 

cesco I.  (im  Louvre),  in  den  Uffizien,  Braun  486. 

8.  Die  Rötheizeichnung  zum  Christkind  auf  dem  ebenge- 
nannten Bilde,  in  den  Uffizien,  Braun  487. 

Die  drei  Rötheizeichnungen  zur  „Transfiguration",  von  denen 
die  eine  im  Louvre  (Braun  254),  die  andere  in  der  „Albertina" 
(Braun  139) ,  die  dritte  in  der  Ambrosiana  (Braun  128)  sich  be- 
findet, dürften  vielleicht  dem  Francesco  Penni,  il  Fattore 
genannt,  angehören.  (?)  Die  Formen  in  diesen  drei  Zeichnungen 
sind  nämlich  weder  die  des  Giulio  Romano  und  noch  viel  weniger 
die  Ra£fael's,  dem  sie  zugeschrieben  werden. 

Welches,  wird  man  mich  fragen,  sind  denn  aber  die  äussern 


TKIIMI-M   HKS  SlI.K.v     ^ON   l-KKI-NO  KKI.  VACA.   IN   I>KK  ALBEBTINA. 


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Die  Tosoaner:  Perino  del  Vaga.  183 

in  seiner  ersten  romischen  Epoche.  Und  so  darf  es 
uns  nicht  wundem,  dass  auch  die  Zeichnungen  Perino's, 
80  verschieden  sie  auch  in  den  Formen  und  in  der  Tech- 
nik von  denen  llafiaers  sind,  bis  auf  den  heutigen  Tag 
fast  ausnaiimslos  ebenfalls  dem  Urbinaten  selbst  zuge- 
niuthet  werden,  was  ein  fernerer  Beweis  ist,  wie  ober- 
flächlich bisher  die  italienischen  Kunstwerke  angesehen 
wurden. 

Kommen  wir  jedoch  zur  Sache  und  betrachten  wir 
uns  vor  allem  einige  jener  Zeichnungen  aus  der  Mittel- 
zeit Perino's,  die  als  solche  in  den  öffentlichen'  Samm- 
lungen anerkannt  sind,  und  trachten  wir  das  Charakteri- 
stische in  denselben  festzustellen.  In  der  Albertina: 
Triumph  des  Silen,  Braun  25;  im  Louvre  (Salle  aux 
boites),  Triumph  des  Bacchus,  Braun  70.  Diese  zwei 
trefflichen  Blätter  gehören  beide  beiläufig  in  dieselbe 
Wirkungszeit  des  Meisters  und  sind,  wie  auch  Herr 
Reiset  in  seinem  Katalog  angibt,    mit    der  Feder  Muf 


charakteristischen  Merkmale,  an  denen  man  die  Zeichnungen 
Giuiio's  von  denen  Raffael's  erkennen  kann? 

Die  jedem  Auge  sichtbaren  sind  unter  andern  folgende: 
'  a)  Das  Ohr  ist  bei  ihm  nie  so  fleischig  und  so  rund  wie  bei 
Raffael. 

b)  Die  Oberlippe  ist  stets  wulstig,  wie  angeschwollen. 

c)  Die  Knochen  des  Ellenbogens  und  des  Kniegelenkes  sind 
bei  ihm  stets  überaus  accentuirt. 

d)  Die  Form  der  Hand  ist  verschieden  von  der  der  Hand 
bei  Raffael. 

e)  Die  Kanten  der  Falten  sind  schärfer  als  bei  Raffael. 
Diese  charakteristischen  Merkmale  finden  sich  vornehmlich 

auf  den  Zeichnungen  seiner  römischen  Periode.  Man  stndire 
diesen  Meister  in  seinem  Madonnenbilde  in  der  Kirche  von  S. 
Maria  deir  Anima  in  Rom;  in  der  „Madonna  della  Gatta**  im 
Museum  von  Neapel;  in  der  „Co nstantins- Schlacht**  im  Vatican; 
in  seiner  ihm  richtig  zugeschriebenen,  fleissig  ausgeführten  Zeich- 
nung  in  Chatsworth  (Braun  66)  zu  seinem  Bilde  im  Louvre  (die 
..Vorstellung  im  Tempel **,  Nr.  309),  welches  dort  den  falschen 
Namen  des  Bagnacavallo  führt,  (f) 


184  I^ie  Galerie  Borghese. 

graulich  gruudirtem  Papier  gezeichnet,  mit  dem  Bister 
schattirt  und  weiss  gehöht.  Die  Köpfe  haben  alle  einen 
iiboraus  starken  Schädel  im  Verhältniss  zum  Gesicht, 
sodiiss  sie  ein  Dreieck  bilden,  mehrere  der  Figuren  im 
Hintergrunde  fallen  uns  durch  das  zu  lange  Oval  ihres 
Kopfes  in  die  Augen;  die  Arme  iiberaus  lang  und  zu 
fleischig,  besonders  der  Oberarm  am  Schulteransatz; 
der  Zeigefinger  oft  hackenartig  gebogen;  die  Augen^ 
höhle  so  tief  beschattet,  dass  man  das  Auge  darin  kaum 
gewahrt.  Die  nämlichen  charakteristischen  Merkmale 
finden  wir  auch  in  einer  andern  Zeichnung  im  Louvre, 
Braun  275,  die  sowol  Herr  Reiset  in  seinem  Katalog 
als  der  verstorbene  Passavant  (H,  180  und  465)  dem 
Rafiael  zuschreiben,  während  sie  schon  von  Vasari  (X, 
154)  als  eine  Zeichnung  des  Perino,  die  er  zum  Bilde 
für  den  Kaplan  der  Kirche  von  S.  Lorenzo  in  Florenz 
im  Jahre  1522  anfertigte ,  angeführt  wird.  Dieselbe 
stellt  den  Untergang  Pharao's  vor  und  Moses,  der 
durchs  Rothe  Meer  zieht,  (f )  Niemand  wird  hofi'entlich  in 
Abrede  stellen,  dass  derselbe  Künstler,  welcher  die  zwei 
ersten  der  drei  ebengenannten  Zeichnungen  ausführte, 
auch  der  Urheber  der  letztgenannten  sein  müsse. 

Von  diesen  drei  Zeichnungen  des  Perino  kehren  wir 
nun  zu  jenen  Zeichnungen  und  Skizzen  zurück,  die  der 
Florentiner  in  seinen  frühern  Jahren  in  Rom  machte. 
Unter  diesen  scheinen  mir  die  friihesten  zwei  Blätter 
zu  sein,  von  denen  das  eine  im  ersten  Bande  der  Rafiael- 
zeichnungen  in  Windsor,  das  andere  in  der  Sammlung 
der  University  Galleries  (Nr.  60,  Robinson)  in  Oxford 
sich  befindet,  (f )  Beide  Blätter  enthalten  Skizzen  und  Stu- 
dien zur  „Disputa  del  Sacramento"  und  dürften,  meiner 
Ansicht  nach,  wahrscheinlich  Nachbildungen  sein,  die 
der  junge  Perino  zur  eigenen  Belehrung,  sei  es  nach 
dem  Wandgemälde  selbst,  sei  es  nach  ihm  geliehenen 
Skizzen  Raffiaers,  gefertigt  haben  könnte.  Ueber  die 
Zeichnung  inWindsor-Castle  ist  selbst  Passavant  (II,  491) 


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Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  185 

nicht  recht  im  klaren,  ob  er  sie  Kaffael  lassen  oder 
ihm  nehmen  solle,  wahrend  die  Zeichnung  in  Oxford 
sowol  ihm  als  andern  Kaflaelisten  als  echtes  Werk  des 
Urbinaten  erschien.  Nun  bitte  ich  meine  Freunde  z.  B. 
die  rechte  Hand  der  äussersten  Figiu*  links  auf  dem 
Windsorblatt  mit  der  linken  Hand  des  äussersten  obern 
Weibes  rechts  auf  dem  Blatt  der  Albertina,  Braun  25, 
vergleichen  zu  wollen,  und  sie  werden  hoflfentlich  schon 
daran  erkennen,  dass  beide  Blätter  demselben  Meister 
angehören,  dass  sie  ausserdem  vom  nämlichen  Geist  be- 
seelt sind  und  die  nämliche  Technik  an  den  Tag  legen. 

Betrachten  wir  nun  einige  andere  Blätter,  die  eben- 
falls dem  Urbinaten  zugeschrieben  werden,  die  jedoch 
denselben  Geist  und  dieselbe  Technik  aufweisen  und 
die  folglich  nach  meiner  Ansicht  dem  Perino  angehören. 
Unstreitig  sind  dieselben  nach  Skizzen  Kaftaers  aus- 
geführt und  durften  vielleicht  von  Perino  auch  auf  die 
Wand  in  den  sogenannten  Loggien  KaffaePs  gemalt 
worden  sein. 

In  der  Albertina:  Abraham  kniend  vor  den  drei 
Engeln,  (f)  Passavant  (II,  176)  gibt,  der  Tradition  fol- 
gend, das  Gemälde  dem  F.  Penni,  die  Zeichnung  aber 
Kafiael  (II,  430). 

Ebendaselbjsi;  Jakob  und  Kahel.  (f)  Pa8>a\..iii 
(II,  177)  lässt  das  Gemälde  von  Pellegrino  da  Modena 
ausgeführt  sein,  schreibt  aber  die  Zeichnung  eben- 
falls llaffael  zu  (II,  430). 

Ebendaselbst:  Joseph  seinen  Brüdern  den  Traum 
deutend,  (f)  Passavant  (II,  178)  weiss  nicht,  wem  die 
Ausführung  dieses  Bildes  angehört,  gibt  jedoch  die 
Zeichnung  dem  Urbinaten  (II,  430). 

Im  Louvrc:  Gottvater  übergibt  dem  Moses  die 
Gesetzestafeln,  (f)  (Pnssavnnf  TT.  4nr>  mul  TT.  180, 
Braun  270.) 

Ebendaselbst:  Die  Apostel  Petrus  uiul  l'aulus  dem 
Attila  ersjcluMncnd.  (+)   (Stan/a  (riCllddoro.^    TPassavant 


186  Die  Galerie  Borghese. 

II,  470,  Braun  235.)  Bereits  im  Jahre  1530  galt  dieses 
Blatt  in  Venedig  als  von  der  Hand  RaffaePs,  wie  uns 
der  Anonymus  des  Morelli  berichtet,  was  uns  wieder 
einen  Beweis  liefert,  wie  wenig  der  Tradition  zu  trauen  ist. 

Ebendaselbst:  Die  „Calunnia  d'Apelle".  (f) 
(Passavant  II,  469.) 

Ebendaselbst:  Die  Schlacht  Constantin's. 
(Passavant  II,  470,  Braun  236.) 

In  der  Sammlung  der  Uffizien  werden  vier  Zeich- 
nungen Perino's  dem  Urbinaten  zugeschrieben :  die  An- 
betung des  goldenen  Kalbes  (Passavant  II,  180),  Rahmen 
138,  Nr.  510;  der  sogenannte  Morbetto^  (Br.484),  eine 
Zeichnung,  deren  Erfindung  nach  meiner  Ansicht  durch- 
aus dem  Perino  angehört  und  die  er  wahrscheinlich  in 
den  zwanziger  Jahren,  nach  dem  Tode  seines  Meisters 
Raffael,  dem  Marcanton  zu  dessen  Stich  geliefert  haben 
dürfte.  Denn  damals  scheint  Perino  derjenige  Künstler 
gewesen  zu  sein,  an  den  sich  die  Kupferstecher  mit  Vor- 
liebe um  Vorbilder  wandten.  ^  (•)•)  So  stach  Caraglio  oder 
Bonasone  das  Blatt,  die  Hochzeit  Alexander's  des  Grossen 
mit  der  Roxane  darstellend,  nach  einer  Zeichnung,  die 
Perino  ihm,  nicht  nach  dem  bekannten  Wand- 
gemälde des  Sodoma  in  der  Farnesina,  sondern 
nach  der  Rötheizeichnung  (jetzt  in  der  Albertina), 
welche  damals  noch  in  Rom,  ja  vielleicht  sogar  selbst  im 


^  Die  zwei  andern  Zeichnungen  sind:  Nr.  509  (Rahmen  138) 
und  Nr.  536  (Rahmen  152) ;  eine  fünfte  Zeichnung  aus  derselben 
ersten  Epoche  des  Künstlers  ist  ihm  richtig  zugeschrieben  und 
trägt  die  Nr.  533  (Rahmen  150). 

^  Ein  geistreicher  RafFaelist  aus  Berlin  bemerkt  zu  diesem 
Blatt:  „Ich  sehe  das  Blatt  nie  ohne  eine  Art  Schauder  an,  aber 
die  Idealität  der  Auffassung  erhebt  mich  über  das  Gefühl;  man 
fühlt,  der  Künstler  stand  über  dem  allen"  (H.  Grimm,  Zehn  aus- 
gewählte Essays,  S.  101).  Würde  dieses  Blatt  denselben  Eindruck 
auf  den  phantasiereichen  Mann  gemacht  haben,  hätte  er  ge- 
wusst,  dass  es  nicht  von  Raffael  herrührt? 


Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  187 

Besitze  Perino's  war.  Von  der  O  riginalzeichnung  des  Perino 
zum  Stiche  des  Caraglio  sind  uns  leider  nur  noch  zwei 
schwache  Copien  erhalten  geblieben,  von  denen  die 
bessere  im  Louvre,  die  andere  in  der  Sammlung  von 
Windsor  sich  befindet  (f)  (siehe  Braun  Nr.  144—178). 

Auch  die  Devonshire-Sammlung  in  Chats- 
wort h  besitzt  mehrere  schone  und  charakteristische 
Zeichnungen  unter  dem  richtigen  Namen  des  Perino 
(Nr.  12,  17,  21,  Braun),  dann  aber  auch  einige  andere, 
die  ihm  ebenfalls  angehören,  allein  dort  den  Namen 
Kafiael's  fuhren,  so  z.  B.  das  Blatt  mit  der  Auferstehung 
des  Lazarus,  jenes  mit  Constantin's  Ansprache  an  seine 
Krieger  (für  den  Constimtins-Saal  im  Vatican);  ein 
drittes  mit  einem  bekränzten  Fiirsten  auf  dem  Thron, 
vor  dem  zwei  junge  Männer  flehen,  rechts  vier,  links  fünf 
andere  Figuren,  (f)  In  derselben  Sammlung  schreibt 
man  dagegen  ein  interessantes  Blatt  aus  der  Friihzeit 
des  Giambellino  (vier  Figuren  von  Heiligen)  dem  Perino 
zu  und  ein  anderes  Blatt  desselben  mit  der  heiligen 
Familie,  der  Elisabeth  und  Joachim  sogar  dem  Lionardo 
da  Vinci,  (f) 

Um  aber  meine  Leser  nicht  allzusehr  mit  solchen 
Aufzählungen  zu  ermüden,  erlaube  man  mir  zum  Schluss 
nur  noch  ein  paar  Federzeichnungen  Perino's  an- 
zuführen, die  ebenfalls  unter  dem  Namen  Raft'aers  gehen: 
die  eine  ist  das  bekannte  Blatt  in  Dresden  mit  dem 
Neptunszug,  das,  wie  Passavant  (II,  450)  meint,  Rafi'ael 
dem  Agostino  Chigi  zur  Verzierung  eines  silbernen  oder 
bronzenen  Tellers  anfertigte.  Die  andere  Zeichnung 
befindet  sich  in  der  Oxford-Sammlung  (Katalog  Robin- 
son Nr.  76)  und  stellt  die  Anbetung  der  Hirten  dar 
(Passavant  II,  512,  c.  c);  endlich  befindet  sich  eine  Feder- 
zeichnung Perino's  in  Oxford  in  der  Sammlung  der 
Tailor  Institution.  Diese  stellt  einen  Zug  von  Tritonen 
und  Nymphen  vor.  (f)  Weder  Herr  Robinson  (Katalog 
Nr.  83)   noch  Passavant  haben  dieses  Blatt  dem   Ur- 


188  I^ie  Galerie  Borghese. 

binaten  selbst  zuschreiben  wollen.  Der  letztere  Raffue- 
list  (Passavant  II,  507,  Nr.  523)  nimmt  an,  diese  Zeich- 
nung sei  von  Francesco  Penni  ausgeführt. 

Kach  diesen  wonigen  Fingerzeigen  mögen  meine 
wissbegierigen  Freunde  in  den  verschiedenen  Samm- 
lungen Europas  die  vielen  Blätter  selbst  herausfinden, 
welche  unsenn  Perino  angehören,  die  aber  bisher  ge- 
wohnlich unter  dem  Namen  seines  Vorbildes  Rafiael 
angeführt  werden. 

Ehe  ich  diesen  liebenswürdigen  florentiner  Meister 
verlasse,  der,  was  natürliche  Anmutli  und  Leichtigkeit 
anbelangt,  seinen  altern  Landesgenossen  Lionardo,  Fra 
Bartolommeo  und  Andrea  del  Sarto  an  die  Seite  gestellt 
werden  darf,  möchte  ich  hier  noch  ein  kürzlich  von 
Bertolotti  veröfientlichtes  Document  aniühren,  das  wol 
auf  unsem  Perino  del  Vaga  Bezug  haben  könnte.  Es 
ist  dies  ein  Bericht  des  Pandolfo  di  Pico  della  Miran- 
dola,  politischen  Geschäftsträgers  des  Herzogs  von  Man- 
tua  in  Rom,  an  seine  Herrin,  die  wohlbekannte  Mar- 
chese  Isabella  Gonzaga.  Der  Bericht  ist  von  Rom  aus, 
den  29.  Januar  1520  datirt,  also  wenige  Monate  vor 
dem  Tode  Raffaers: 

^^lllustrissima  Madama:  In  Roma  evvi  un  giocane  de 
20  aniii^  fiorentinOy  quäle  in  arte  de  pictura^  sotto  V  opera 
de  Michelangelo^,  s'^  fatto  grande  che  ognuno  che  se 
intende  de  taVarte  se  meraviglia  che  in  quell a  etade  sia 


'  Vasari  berichtet  (X,  S.  139):  „E  Perino  disegnando  in  com- 
pagnia  d*  altri  giovani ,  e  ßorentini  e  forestieri,  al  cartone  di 
Michelangelo,  vinse  e  tenne  il  jn'imo  grado  fra  tutti  gli  altri; 
di  nianiera  che  si  stava  in  quella  aspcttazione  di  lui,  etc.  etc.^^  — 
und  S.  141  (wie  schon  oben  bemerkt):  „Perino  comincib  a  di- 
segnare  nella  cappella  di  papa  Giulio  (Sixtinische  Kapelle),  dove 
lavolta  di  Michelangelo  Bonarotti  era  äipinta  da  lui,  segui- 
tando  gli  andari  e  la  nianiera  di  Raffaello  da  Urbino^^ ;  d.  h. 
er  copirte  die  Figuren  des  Michelangelo  in  der  Art  und  Sinnes- 
weise Raffael's. 


Die  Toscaner:  Perino  del  Vaga.  189 

tanta  sufßcientia,  et  perM  Raphaello  cognosce  quanto  i 
per  revsir,  lo  tiene  basso  in  modo  che^  avendo  pigliato  io 
sua  amicitia^  V ho  persuaso  a  voler  andar  fuor  de  Roma, 
per  farsi  conoscere;  esso  mi  ha  promesso  che^  ßnite  alcune 
cose  (che)  ha  nelle  mam\  che  sarä  a  Kaiende  de  Giugno^ 
che  ad  ogni  modo  vole  andar  fori,  donde  che  io  ho  pen- 
sato  che  (se)  V,  Exe,  volesse  far  dipingere  di  posto  (d.  h. 
an  die  Stelle,  auf  die  Wand?),  come  meriterehbe  quel 
loco,  io  lo  invierö  et  sarä  cosa  da  pocht  giorni  et  da 
poche  spese,  perchh  se  contenterä  in  pocha  cosa.  La  pro- 
fessione  del  ditto  giovane  k  de  dipingere  a  fresco  sopra 
mtiro  ovvero  a  tempera,  non  havendosi  usato  a  colonre 
a  olio.  Nondimeno  tanto  h  grande  el  disegno,  ma  che 
tutto  farä  bene  pur  ch^el  se  exerciti.  Io  gli  facio  fare 
un  quadro  colorito  a  olio  per  mandarlo  a  V,  Blxtia,^ 
acciö  quello  indichi  V  arte  sua  quanto  ^  grande  in  quella 
etä  de  20  anni^^ 

Auf  deutsch  dürfte  der  Brief  ungefähr  so  lauten: 
„Erlauchteste  Herrin :  In  Rom  gibt  es  einen  jungen 
Menschen  von  zwanzig  Jahren,  einen  Florentiner,  der  in 
der  Malerkunst  unter  dem  Einfluss  des  Michelangelo 
sich  sehr  henrorgethan  hat,  sodass  jeder  Kunstkenner 
sich  wimdert,  dass  er  in  so  jungen  Jahren  schon  zu 
solcher  Meisterschaft  gelangt  ist;  und  weil  Raffael  wol 
einsieht,  welche  Höhe  in  der  Kunst  dieser  junge  Mensch 
erreichen  dürfte,  so  gibt  er  ihm  nur  unbedeutende  Ar- 
beiten auszuführen;  und  da  ich  nun  mit  demselben  in 
ein  freundschaftliches  Verhältniss  getreten  bin,  so  habe 
ich  ihn  beredet,  ausserhalb  Roms  sein  Glück  zu  ver- 
suchen und  sich  bekannt  zu  maclien.  Auch  hat  er  mir 
versprochen,  dass,  sobald  er  die  Werke  die  er  unter 
den  Händen  hat,  vollendet  haben  wird,  was  im  Juni 
geschehen  soll,  er  auf  jeden  Fall  Rom  verlassen  will. 
Weshalb  ich  gedacht,  dass  falls  Ew.  Excellenz  gedenken 
sollte,  ein  Wandgemälde,  wie  jener  Ort  es  wohl  ver- 
diente, ausfuhren  zu  lassen,  so  würde  ich  ihn  hinschicken 


190  I^iß  Galerie  Borghese. 

und  die  Sache  würde  wenig  Zeit  und  auch  wenig  Geld 
kosten,  da  der  junge  Mann  mit  Wenigem  sich  begnügen 
wird.  Die  Profession  des  genannten  Jünglings  ist  die 
Wand-  oder  Temperamalerei,  da  er  im  Oelmalen  sich 
noch  nicht  versucht  hat.  Nichtsdestoweniger  wird  er, 
da  er  im  Zeichnen  so  stark  ist,  alles  zum  Besten  machen, 
wenn  er  nur  vorher  sich  darin  etwas  geübt  hat.  Ich 
lasse  ihn  jetzt  ein  Oelgemälde  ausführen,  um  es  Ew. 
Excellenz  zu  senden,  damit  er  darin  seine  Kunst  an  den 
Tag  lege  und  zeige,  wie  weit  er  es  schon  in  diesem 
Alter  von  zwanzig  Jahren  darin  gebracht  liat."^ 

Wer  die  Zeichnungen  des  Francesco  Mazzola,  Par- 
meggianino  genannt,  aus  den  zwanziger  Jahren  des 
16.  Jahrhunderts  genau  betrachtet,  wird  leicht  ein- 
sehen, welch  grossen  Einfluss  Perino  auf  den  ihm  geistig 
verwandten  Parmensen  ausgeübt  liat.^ 

Wir  haben  der  toscanischen  Malerschule  zu  Liebe  die 
Nummerfolge  der  Bilder  im  ersten  Saal  für  eine  Zeit 
lang  verlassen  müssen  und  kommen  nun,  nach  einem 
vielleicht  viel  zu  langen,  allein  wie  ich  hoffe  nicht  ganz 
werthlosen  Excurse  über  Perino  del  Vaga,  wieder  zur 
Betrachtung  der  Bilder  im  ersten  Saal  dieser  Galerie 
zurück. 

GIOVAN  ANTONIO  BAZZI,  IL  SODOMA. 

Und  da  unter  Nr.  2  des  Katalogs  ein  Gemälde 
aufgestellt  ist,  das  jetzt  richtig  seinem  wahren  Ur- 
heber, dem  Sodoma,  zugeschrieben  ist,  so  wollen  wir 


^  Siehe  Bertolotti,  Artisti  in  relazione  coi  Gonzaga  (1885), 
S.  155. 

'  Und  hat  nicht  P.  J.  Mariette,  gewiss  einer  der  grössern, 
wenn  nicht  der  grösste  Kenner  von  Handzeichnuugen  und  Stichen 
in,  Frankreich,  die  Louvre-Copie  einer  getuschten  Zeichnung 
Perino 's  für  eine  Zeichnung  des  Parmeggianino  genommen? 
(Abecedario,  I,  89.) 


Die  Toscaner:  Giovan  Antonio  Bazzi,  il  Sodoma.       191 

mit  diesem  bisher  kaum  nach  seinem  vollen  Verdienst 
gewürdigten  Meister  den  Anfang  machen  und  so  der 
Reihe  nach  die  lombardischen  Meister  besprechen,  von 
denen  sowol  in  dieser  wie  in  andern  Galerien  Roms  und 
Italiens  Werke  sich  vorfinden.  Das  Bild  unter  Nr.  2 
ist  ein  schwarzes,  sehr  nachgedunkeltes  Gemälde  und 
stellt  eine  sogenannte  „Pietä"  oder  Beweinung  Christi 
dar.  Die  heilige  Jungfrau  halt  den  Leichnam  ihres 
göttlichen  Sohnes  auf  dem  Schos.  Bis  noch  vor  kur- 
zer Zeit  wurde  dieses  trotz  seiner  Schwärze  noch  immer 
höchst  werthvolle  Bild  blos  der  Schule  Lionardo's  zuge- 
wiesen. (Der  neue  Galeriedirector  erkannte  es  jedoch, 
dem  in  meinem  Zeitschriftaufsatze  gemachten  Vorschlag 
folgend,  als  echtes  Werk  des  Sodoma  an.)  Dass  der 
Meister  dieses  Bildes  der  lombardisch- mailändischen 
Malerschule  und  zwar  jener  Richtung  derselben  ange- 
höre, die  unter  dem  unmittelbaren  Einfluss  Lionardo's 
wirkte,  habe  ich  nicht  nur  gern  zugegeben,  sondern 
ich  stimme  auch  ohne  Bedenken  dem  sachkundigen 
Urtheil  des  Herrn  Doctor  G.  Frizzoni  bei,  welcher  zuerst 
dieses  Gemälde  dem  Giovan  Antonio  Bazzi  vindicirt 
hatte.  Sowol  die  Formengebung  als  auch  die  Gesichts- 
typen und  der  Faltenwurf,  sowie  ganz  besonders  noch 
die  dem  Sodoma  so  eigenthiimliche  Landschafl  lassen 
auch  mich  keinen  Augenblick  im  Zweifel  über  den  Autor 
dieser  „Pieta".  Und  da  in  den  Werken  aus  seiner 
Frühzeit,  d.  h.  vom  Jahre  1501  bis  etwa  zum  Jahre  1512, 
wie  unter  andern  in  jenem  schönen  Rundbild  mit  der 
„Geburt  Christi"  (Nr.  85  in  der  städtischen  Galerie  von 
Siena)  und  in  der  trefflichen  „Kreuzabnalune^  (Nr.  336 
ebendaselbst),  die  Schatten  klar  und  hell  sind,  so  dürfen 
wir  schon  aus  diesem  (irunde  unser  Bild  hier  zu  den 
Werken  aus  des  Meisters  reifster  Wirkungszeit  setzen. 
Nachdem  nun  Bazzi  durch  seine  Tafelbilder  in  Siena 
und  namentlich  durch  seine  geistreichen  Wandgemälde 
im  Klosterhof  von  Montoliveto  (1505)  sich  einen  Namen 


192  I^io  Galerie  Borghese. 

gemacht,  wurde  er  gegen  Ende  des  Jahres  1507,  wie 
bekannt,  nach  Rom  berufen  und  beauftragt,  die  Decke 
der  Camera  della  Segnatura,  wo  Bramantino  arbeitete, 
mit  Malereien  auszuschmiicken.  Bartolommeo  Suardi, 
Bramantino  genannt,  war  von  Mailand  her  schon  mit 
Sodoma  wohlbekannt  und  es  ist  daher  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  auch  er  zu  Bazzi's  Berufung  nach  Rom 
beigetragen  hat.  Aus  einem  schriftlichen  -Document 
wissen  wir,  dass  im  Sommer  1508,  als  Raffael  nach  Roni. 
kam,  Sodoma  noch  immer  im  Vatican  beschäftigt  war.: 
Und  seine  wahrhaft  herrliche  Deckendecoration  der  Ca- 
mera della  Segnatura  wurde  ja  von  Raffael  so  trefflich 
befunden,  dass  er  sie  nicht  nur,  soweit  es  ihm  eben 
möglich  war,  stehen  Hess,  sondern  überdies  seine  Ach- 
tung vor  dem  lombardischen  Meister  noch  dadurch  be- 
zeugen wollte,  dass  er  dessen  Porträt  neben  dem  eige- 
nen in  der  Scuola  d'Atene  anbrachte.^  Im  Jahre  1513 
war  Sodoma  wieder  in  Rom,  vielleicht  zur  selben 
Zeit  als  auch  Lionardo,  sein  Lehrmeister  und  sein  Vor- 
bild,  in  der>JEwigen  Stadt  sich  befand.     Aller  Wahr- 


*  Der  Mann  im  weissen  Gewand  und  mit  der  weissen  Mütze 
neben  Raffael  stellt  nämlich  keineswegs,  wie  man  allgemein  an- 
zunehmen beliebt,  den  Pietro  Pemgino  vor,  der  ja  in  diesem 
Zimmer  zum  Glück  nichts  zu  schaffen  hatte,  sondern  den  Bazzi, 
dem  die  Deckendecoration  angehört ,  und  es .  freut  mich ,  dass 
diesmal  sogar  Herr  Director  Bode  (II,  707,  1884)  diese  meine  An- 
sicht zu  theilen  scheint.  Aus  derselben  liebevollen  Rücksicht 
porträtirte  Raffael  im  folgenden  Zimmer,  d.  h.  in  der  sogenannten 
Camera  d'Eliodoro,  unter  die  Träger  des  Papstes  nicht,  wie  die 
Kunsthistoriker,  von  Vasari  an,  anzugeben  pflegen,  den  im  Jahre 
U)14i  kaum  22jährigen  Giulio  Romano,  sondern  vielmehr,  wie 
ich  glaube,  den  Balthasar  Peruzzi,  dem  ja  ein  grosser  Theil  der 
Decoration  jenes  Zimmers  angehört  und  der  folglich  hier  eben- 
falls als  Mitarbeiter  des  Urbinaten  angesehen  werden  muss.  Will 
man  sich  davon  überzeugen,  so  vergleiche  man  den  Kopf  des 
ersten  Trägers  links  mit  dem  Porträt  Peruzzi's  auf  seiner  grossen 
getuschten  Zeichnung  (Nr.  438)  in  der  Uffizien-Sammlung. 


•M  \  IN   I'l.K  l;"l.',lll_'l.   (.Al.lJ.U:, 


Die  Tosoaner:  Giovan  Antonio  Bazzi,  il  Sodoma.       193 

scheinllclikeit  nach  wurde  er  von  seinem  reichen  Gönner, 
dem  Sienesen  Agostino  Chigi,  dahin  berufen,  um  in 
dessen  neu  erbautem  Villino,  der  Farnesina,  diis  Ge- 
mach im  obem  Stockwerk  mit  Gemälden  auszuschmücken. 

Doch  hierüber  werde  ich  später  Gelegenheit  haben, 
mich  weitläufiger  auszusprechen;  vorderhand  mögen 
meine  jungen  Freunde  mir  erlauben,  sie  vor  ein  anderes 
Werk  des  Sodoma  zu  fuhren,  das  in  diesem  nämlichen 
Saal  sich  vorfindet  und  das  mir  ebenfalls  als  ein  höchst 
werthvolles  Bild  des  Meisters  erscheint.  Das  Gemälde 
trägt  die  Nr.  19  und  wurde  vordem  im  Katalog  gleich- 
wie das  vorige  Bild  blos  der  Schule  Lionardo's  zuge- 
theilt.^  Es  stellt  die  Leda  mit  ihren  Zwillingen  und  dem 
Schwane  dar.  Die  Composition  dieses  treft'lichen  Bil- 
des ist  zwar  im  Lionardo'schen  Sinn  2,  allein  ganz  und  gar 
im  Geiste  des  Sodoma  erfunden,  (f )  Es  mag  wol  sein, 
wenn  wir  dem  Lomazzo  {^^Trattato  della  pittura''^)  trauen 
dürfen,  dass  Lionardo  „/ßc«  Leda  tutta  ignuda  col  cigno 
in  (jrembo  che  vergognosamente  abbassa  gli  occhi'-^^  allein 
bisher  ist,  wenigstens  mir,  keine  einzige  Zeichnung 
Lionardo'^s  zu  Gesicht  gekommen,  die  auf  diesen  Gegen- 
stand irgendeinen  Bezug  hätte.  Baron  von  Rumohr 
glaubt  allerdings  in  Cassel  eine  Leda  von  Lionardo  ge- 
funden zu  haben,  und  in  Hannover  soll  sich  ebenfalls 
ein  solches  Bild  des  grossen  Florentiners  befinden.  Da- 
her will  ich  durchaus  nicht  die  Möglichkeit  bestreiten, 
dass  auch  Lionardo  ein  Ledabild  gemalt  haben  könne. 

Betrachten  wir  nun  das  schöne  Bild  der  Borghese- 


'  Der  neue  Galeriedirector  stimmte  auch  in  diesem  Urtbeil 
mit  mir  überein  und  gegenwärtig  führt  das  Bild  den  Namen  des 
Sodoma. 

'  Lionardo  sagt  nämlich  in  seinem  ^^Trattato  (Ulla  Pi' 
(Cap.  liXIV):   „L«  donne  ai  devono  ßgurar  con  atti  reryi' 
le  gambe  imieme  riatreite^  le  braccia  iusieme  raccolte,  teste  basse, 
t  piegate  in  traverao.^*    BIbenso  J.  P.  Richter,  „  The  Literary 
\rork8  of  Leonardo  da   Vinci",  I,  291,  Nr.  583. 

LxmMouBrF.  ^3 


194  I^io  Galerie  Borghese. 

Galerie  genauer.  Im  Vorgrunde  schauen,  wie  es  in 
jener  Schule  Brauch  war,  Veilchen  und  Gänseblümchen 
aus  dem  Grase  hervor,  ein  Distelfink,  eine  Turteltaube, 
eine  Drossel  sitzen  ganz  vertraulich  unter  den  kleinen 
Halbgottern  Castor  und  Pollux,  welche  da  schon  ganz 
heiter  und  frischen  Muthes  in  die  Welt  hinausschauen, 
obwol  sie  kaum  dem  Ei  entschli'ipft  zu  sein  scheinen. 
In  der  Mitte  des  Bildes  steht  die  unbekleidete  Leda, 
an  die  der  göttliche  Schwan  sich  inbrünstig  anschmiegt. 
Sie  schlägt  halbverschämt  lächelnd  die  Augen  nieder. 
Die  Bewegung  ihres  schönen,  wohlgebauten  Leibes  ist 
fein  sinnlich  und  voll  höchsten  Reizes;  sie  erinnert  leb- 
haft an  die  herrliche  Eva  auf  dem  Frescobild  Sodoma's 
(Nr.  334),  „Christus  in  der  Vorhölle"  in  der  städtischen 
Bildersammlung  von  Siena.  Der  Schwan  könnte  für- 
wahr nicht  geistreicher  dargestellt  sein,  sowol  in  seiner 
leidenschaftlich  zudringlichen  Bewegung  als  in  der  Mo- 
dellirung.  Man  stelle  diesen  wahrhaft  künstlerisch  auf- 
gefassten  und  geformten  Schwan  mit  einem  realistischen 
zusammen,  etwa  eines  Hondekoeter,  ja  selbst  mit  jenem 
berühmten  allegorischen  Schwan  des  Asselijn  im  Amster- 
damer Museum,  und  man  wird  sofort  erkennen,  welch 
tiefe  Kluft  die  grosse  italienische  Kunst  von  der  rea- 
listischen der  Holländer  trennt.  Mögen  die  Manen 
Thore's,  jenes  geistvollen  und  der  holländischen  Maler- 
schulen so  kundigen  Mannes,  mir  diesen  harmlosen 
Seitenblick  vergeben!  Die  reiche  Landschaft  im  Hinter- 
grund dieses  Bildes  ist  ebenfalls  ganz  im  Geiste  So- 
doma's   gedacht   und  aufgebaut  ^,   und   ebenso  erinnern 


*  Wer  die  Landschaften  auf  den  Bildern  des  Sodoma  mit 
denen  aus  der  Frülizeit  des  Cesare  da  Sesto  und  Giampietrino's 
vergleicht,  der  wird  unschwer  erkennen,  dass  auch  in  dieser  Hin- 
sicht eine  enge  Verwandtschaft  zwischen  den  drei  Künstlern  be- 
steht. Ihr  gemeinschaftlicher  Lehrer  soll  nämlich  der  tüchtige 
Landschaftsmaler  Bernazzano,  wie  uns  Vasari  berichtet,  ge- 
wesen sein. 


Die  Toscaner:  Giovan  Antonio  Bazzi,  il  Sodoma.       195 

uns  die  kleinen  Halbgotter  sowol  an  jene  der  Farne- 
sina, wie  auch  an  jene,  die  man  im  freilich  sehr  be- 
schädigten Zustande  an  der  Decke  der  Camera  della 
Segnatura  im  Vatican  noch  sieht* 

So  dachte  und  schrieb  ich  über  dieses  Ledabild  des 
Sodoma  vor  etwa  fünfzehn  Jahren,  und  auch  später,  als 
ich  wieder  vor  dieser  anziehenden  Leda  stand,  fand  ich 
nie  an  meiner  ersten  Auflfassung  etwas  zu  ändern.  Das 
Bild  hing  nämlich,  zu  meiner  Entschuldigung,  bis  noch 
vor  kurzem  etwas  weit  ab  vom  Fenster,  sodass  man  es 
nur  im  Halblicht  sehen  konnte.  Als  es  nun  neuerdings 
durch  die  Galeriedirection  ganz  in  die  Nähe  des  Fen- 
sters gestellt  wurde,  sah  es  Herr  Dr.  J.  P.  Richter,  und 
dieser  hatte  die  Güte,  mich  sogleich  aufmerksam  zu  machen, 
dass  es  wol  blos  eine  alte  gute  Copie  des  Sodoma'- 
schen  Originalbildes  sein  dürfte.  Und  in  der  That, 
als  ich  dann  auf  diesen  Wink  des  Freundes  hin  diese 
Leda    mir    wieder    näher    besah,   da    fielen    auch    mir 


*  Einige  nordische  Kunstgelchrte  behaupten  noch  immer 
nachdrücklich,  dass,  wie  die  Roxaue-Zeichnung  in  der  Albertina 
dem  Raffael  und  nicht,  wie  ich  bewies,  dem  Sodoma  angehöre, 
80  auch  dass  die  Putten  an  der  Decke  der  Camera  della  Segna- 
tura nicht  dem  Lombarden,  sondern  dem  Melozzo  da  Forli  (!) 
zugeschrieben  werden  müssen,  und  zwar  hauptsächlich  aus  dem 
Orunde,  sagt  Herr  Director  Bode  (II,  596,  Anmerkung),  weil  in 
der  Mitte  auf  blauem  Himmel  das  Wappen  der  della  Rovere, 
welchem  Hause  Papst  Sixtus  IV.  angehörte,  angebracht  sei.  Allein 
auch  Julius  II.  war  ja  aus  der  Familie  della  Rovere!  Es  ist  mir 
wirklich  unerklärlich,  wie  der  berliner  Gelehrte  vor  jenen  Putten 
des  Sodoma  an  Melozzo  nur  denken  konnte.  Braun  in  Domach 
hat  nun  sämmtliche  Gemälde  des  Sodoma  an  der  Decke  der 
Camera  della  Segnatura  photographirt  (Nr.  115,  114,  113,  112, 
111).  Meine  Freunde  wollen  sich  diese  schönen  Blätter  ver- 
schaffen und  mögen  dann  vor  Blatt  115  entscheiden,  ob  jene 
Putten,  so  sehr  sie  auch  durch  ücberraalung  entstellt  sind,  nicht 
alle  noch  den  Charakter  der  übrigen  Putten  des  Sodoma  haben, 
braucht  man  sie  doch  blos  mit  d«-  "-!•-•  ?■.♦♦'"  nuf  den  Blät- 
tern 113  und  114  zu  vergleichen 

13» 


196  I>ie  Galerie  Borghese. 

plötzlich  die  Schuppen  von  den  Augen  und  ich  erkannte 
sogleich  die  Richtigkeit  des  Richter'schen  Ausspruchs. 
Dieses  eine  Beispiel  möge  allen  Kunstkritikern  zur 
"Warnung  dienen,  dass  man  nämlich  nie  ein  Urtheil  ab- 
geben darf  über  Kunstwerke,  die  man  nur  im  Halb- 
dunkel sah.  Ob  das  Originalbild  sich  noch  immer  ir- 
gendwo vorfindet,  ist  eine  Frage,  auf  die  ich  keine  Ant- 
wort habe.  Dagegen  bin  ich  in  der  Lage,  meinen  Freun- 
den mehrere  Zeichnungen  anzufiihren,  welche  unserm 
Sodoma  zu  diesem  seinen  Bilde  gedient  haben.  Drei 
derselben  werden  dem  Lionardo,  eine  vierte  dem  Ur- 
binaten  und  eine  fünfte  endlich  richtig  dem  Bazzi  selbst 
zugeschrieben.  Die  eine  der  zwei  ersten,  dem  Lionardo 
zugemutheten  Federzeichnungen  befindet  sich  im  gross- 
herzoglichen Schloss  zu  Weimar.  Sie  stellt  die  Leda 
dar  mit  nach  links  dem  Schwane  zugewendetem  Ge- 
sicht (Braun  148).  (f) 

Auf  der  zweiten,  die  in  der  Sammlung  von  Chats- 
worth  aufgestellt  ist  (Braun  51),  ist  die  Leda  ebenfalls 
kniend  dargestellt,  wie  sie  mit  ihrem  linken  Arm  den 
Hals  des  liebeerfüllten  Schwans  umfasst.  (f) 

Eine  dritte  Federzeichnung  zu  diesem  Bilde  befindet 
sich  in  der  Windsor-Sammlung  im  zweiten  Bande  der 
Rafiaelzeichnungen  (Grosvenor  Gallery  Publication,  50). 
Dieses  merkwürdige  Blatt  stellt  die  nackte  Leda  stehend 
dar,  wie  sie  mit  beiden  Armen  den  Schwan  umarmt, 
ungefähr  in  der  nämlichen  StelUmg  wie  hier  auf  un- 
serm Bilde.  Diese  letztere  Federzeichnung  hat  allerdings 
einen  Raffaerschen  Anflug,  sodass  man  es  Dilettanten 
nicht  verargen  darf,  wenn  sie  dieselbe  für  die  Arbeit  des 
Urbinaten  ansehen.  Wer  jedoch  mit  dem  Geist  und  der 
Technik  Sodoma's  näher  vertraut  ist,  dem,  glaube  ich, 
muss  auch  dieses  Blatt  als  ein  untrügliches  Werk  des 
Bazzi  erscheinen,  (f )  Wir  sehen  darin  einen  fernem  Be- 
weis, dass  der  Lombarde  in  jenem  Jahre  in  Rom,  als 
er    das   Ledabild    und    die    Hochzeit   Alexander's    mit 


^^ 


SOIMtMA.  IN  WKIMAR. 


VX  wi)ioaoft*OA«i 


Die  Toscaner:  Giovan  Antonio  Bazzi^  il  Sodoma.       197 

Hoxane  malte,  zu  Raffael  in  näherer  Beziehung  gestan- 
den haben  muss.  Das  nackte  Kind  z.  B.  neben  der 
Leda  auf  dieser  Windsorzeichnung  ist  sehr  Raflfaelisch 
oder  besser  Lionardisch-Raffaelisch.^  Prüfen  wir 
jedoch  diese  Federzeichnung  genauer,  so  erkennen  wir 
ohne  Mühe  an  der  Form  der  Füsse,  an  den  vollen  dicken 
Knien,  an  den  mandelförmigen  Augen,  am  durchaus 
unrafFaelischen  Kopfputz  und  an  den  spitzigen  Feder- 
strichen, die  Hand  und  den  Geist  des  Sodoma.*  Die 
nicht  ganz  fehlerfreie  Modellirung  des  Korpers  ist  die- 
selbe wie  in  den  vorigen  zwei  Zeichnungen  und  ent- 
spricht andern  Federzeichnungen  und  Skizzen,  die  in 
öffentlichen  Sammlungen  als  unbezweifelte  Arbeiten  des 
Sodoma  angesehen  werden.  Die  Federzeichnung  der 
aufrechtötehenden  Roxane  in  der  Esterhazy-Sammlung 
zu  Budapest,  sowie  die  Zeichnung  zum  Ruhebett  der 
Roxane  in  der  üniversitätssammlung  von  Oxford  (Ka- 
talog Robinson  177)  mögen  zur  selben  Zeit,  d.  h.  im 
Jahre  1514,  entstanden  sein,  (f) 


'  Zuweilen  geschieht  es  ja,  dass  auch  Zeichnungen  seines 
Lehrers,  d.  h.  Lionardo's ,  Raffael  zugemuthet  werden ,  wie  z.  B. 
in  der  Sammlung  His  la  Salle  im  Louvre  (Katalog  des  V*  Both 
de  Tanzia,  Nr.  101),  wo  eine  Federzeichnung  Lionardo^s  dem 
Raffael  zugeschrieben  wird. 

'  Die  jedem  Auge  sichtbaren  charakteristischen  Merkmale 
in  den  Werken  des  Sodoma  sind  ungefähr  die  folgenden: 

1)  Die  Hand  hat  bei  ihm  f""»  "«mpr  zugespitzte  Finger  '^1^*^ 
affusolaU). 

2)  Sehr  oft  sind  die  Wurzcm  (ior  Finger  an  der  Hanu  mu 
Grübchen  angedeutet. 

3)  Das  Auge  ist  mandelförmig. 

4)  Das  Knie  voll  und  stark. 

5)  Seine  Landschaft  stellt  cameist  eine  weite,  von  GewlMem 
durchzogene  Ebene  mit  niedern  Baamgmppen  vor,  welche 
auf  der  einen  Seite  durch  einen  Hügel  mit  reichbethürm- 
ten  Ortschaften,  römischen  Tempeln  and  Bogen  einge- 
rahmt wird. 


198  ^iö  Galerie  Borghese. 

Eine  vierte  Federzeichnung  (Grosvenor-Gallery, 
Nr.  50)  zum  Ledabild  befindet  sich  ebenftills  in  Windsor- 
Castle,  allein  nicht  unter  dem  Namen  IvafiaeFs,  sondern 
unter  dem  Lionardo's.  Auf  diesem  Blatt  ist  der  Kopf 
der  Leda  viermal  dargestellt,  in  der  Vorder-  und  in  der 
Hinteransicht  und  zwar  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
ihre  gekünstelte  Haarfrisur,  (f) 

Eine  fünfte  und  zwar  überaus  herrliche  Zeichnunsr 
zum  Kopfe  unserer  Leda  hier  besitzt  endlich  das  Museo 
civico  in  Mailand.  Diese  fein  ausgeführte  Röthelzeich- 
nung  erinnert  in  der  Mache  durchaus  an  die  Roxane- 
zeichnung  in  der  Albertina  und  wird  an  Ort  und 
Stelle  richtig  dem  Sodoma  zugeschrieben.  Der  Kopf 
hat  dieselbe  Haarfrisur  wie  die  auf  dem  Blatt  in  Windsor. 

Von  Sodoma  sehen  wir  im  zweiten  Zimmer  dieser 
Borghese-Galerie  unter  Nr.  44  noch  ein  drittes  Werk, 
eine  heilige  Familie,  ein  immerhin  gut  gemaltes  Bild, 
aus  dem  jedoch  die  frische  Lust  seiner  lombardischen 
Jugendzeit  nicht  mehr  herausschaut. 

Ausser  seinen  herrlichen  Wandgemälden  in  der  Far- 
nesina, einem  übel  zugerichteten  heiligen  Christoph  im 
Palast  Spada  und  einem  Bilde  mit  dem  Raub  der  Sabi- 
nerinnen im  Palast  Chigi  sind  mir  von  ihm  in  Rom  keine 
Werke  bekannt.^  Will  man  diesen  geistvollen,  hoch- 
begabten Künstler,  der  in  seinen  besten  Werken  den 
Grössten  an  die  Seite  gestellt  werden  darf,  näher  kennen 
lernen,  so  muss  man  ihn  in  Siena  aufsuchen:  in  S.  Spi- 
rito,  in  S.  Domenico,  in  S.  Bernardino,  in  der  städtischen 


^  Ein  stark '  übermaltes  Madonnenbild  (Nr.  54)  in  der  Bar- 
berini-Galerie  wird  dort  allerdings  dem  Bazzi  zugemuthet.  Für 
jene  Kunstfreunde,  die  es  gesehen,  wird  es  kaum  nöthig  sein, 
gegen  eine  so  abgeschmackte  Taufe  zu  protestiren.  Jenes  Bild 
gehört  wahrscheinlich  demselben"  Maler  aus  der  Bolognesischen 
Schule  an,  der  in  der  Doria- Galerie  (Nr.  79)  den  Namen  Lodi 
(soll  wol  Calisto  da  Lodi  heissen?)  erhielt,  und  der  dem  Inno- 
cenzo  da  Imola  und  dem  Bagnacavallo  nahe  steht. 


Die  ToBcaner:  Giovan  Antonio  Bazzi,  il  Sodoma.       199 

Akademie,  im  Palazzo  publico,  in  Montoliveto.  Auch 
Florenz  besitzt  vorzügliche  Werke  von  ihm,  danmter 
namentlich  den  herrlichen  heiligen  Sebastianus  in  den 
Uffizien  und  das  Wandgemälde  in  Montoliveto.  Als 
Frescomaler  zumal  ist  Sodoma,  wenn  er  nur  will,  un- 
übertrefflich. Auch  in  Oberitalien  befinden  sich  gute 
Werke  von  ihm,  doch  fast  ausschliesslich  Tafelbilder: 
drei  davon  in  der  Pinakothek  von  Turin;  mehrere  in 
Privatsammluugen  in  Mailand:  bei  Herrn  Cereda-Bo- 
nomi,  beim  Grafen  Borromeo,  bei  Herrn  Ginoulhiac, 
in  der  Sammlung  des  Herrn  G.  Frizzoni,  und  ein  ganz 
im  Frans  Hals'schem  Sinne  gemalter  männlicher  Kopf 
in  der  Sammlung  des  Herrn  Giovanni  Morelli;  femer 
die  grosse  sogenannte  Madonna  (il  Madonnone)  des 
„Lionardo  da  Vinci"  im  Hause  Melzi  in  Vaprio,  das  ein- 
zige Wandgemälde  des  Sodoma,  das  mir  in  Oberitalien 
bekannt  ist,  vom  verstorbenen  Mündler  noch  immer  als 
Werk  Lionardo's  angesehen  (M.'s  Beiträge  zu  Jakob 
Burckhardt's  Cicerone,  S.  32).  Dieses  ziemlich  hudelig 
behandelte,  allein  grossartig  aufgefasste  Frescobild  ge- 
hört meiner  Ansicht  nach  keinem  andern  Meister  an, 
als  unserm  Sodoma,  welcher  es  höchst  wahrscheinlich 
während  seines  Aufenthalts  in  der  Lombardei  (in  (1«mi 
Jahren  1518 — 21?)  ausgeführt  haben  dürfte,  (f) 

Auch  die  städtische  Galerie  von  Bergamo  besitzt, 
unter  dem  Namen  Lionardo's,  ein  kleines,  sehr  nachge- 
dunkeltes Madonnenbild  des  Sodoma  Nr.  183.  Im  Vene- 
zianischen bin  ich  keinem  einzigen  Werk  unsers  Meisters 
begegnet,  ausser  einem  Madonnenbild  in  der  Sammlung 
Scarpa  in  la  Motta.  Es  ist  dies  ein  Rundbild,  auf  dem 
die  Madonna  kniend  vor  dem  auf  der  Erde  liegenden 
Christkind  darg(>stellt  ist,  der  kleine  Johannes,  von 
<inem  Engel  unterstützt,  beugt  sich  vor  dem  Christ- 
kind; hinter  der  heiligen  Jungfrau  Joseph.  Dieses  Bild, 
das  dort  dem  Cesare  da  Sesto  zugeschrieben  wird,  ist 
übrigens  sehr  verdorben. 


200  I^ie  Galerie  Borghese. 

Betrachtet  man  nun  die  Menge  der  doch  so  mannich- 
fachen  Werke  dieses  verschieden  gestimmten  Ki'instlers, 
so,  glaube  ich,  werden  viele  Kunstfreunde  mit  mir  zur 
Erkenntniss  kommen,  dass  im  grossen  und  ganzen  So- 
doma als  der  bedeutendste  und  geistvollste  Maler  der 
Lionardo-Schule  angesehen  werden  darf.  Von  keinem 
andern  der  mehr  oder  weniger  begabten  Schüler  und 
Nachahmer  des  grossen  Florentiners  werden  so  viele 
Werke  dem  Meister  selbst  zugeschrieben,  als  wie  vom 
Sodoma.  Lebensfroh  und  eitel,  sorglos  lustig,  ja  oft 
ausgelassen  bis  zur  Liederlichkeit  wie  er  war,  fehlte  es 
ihm  vor  allem  an  Ernst  und  an  Ehrgeiz.  Auch  war 
ihm  andererseits  als  echtem  Künstler  die  Kunst  fremd, 
den  Leuten  zu  imponiren  und  auf  Stelzen  in  der  Welt 
einherzumarschiren,  und  wer  diese  Kunst  nicht  besitzt, 
der  wird  hier  unter  der  Sonne  entweder  niemals  oder 
wenigstens  doch  sehr  spät  zu  seinem  Verdienst  gelangen. 
In  den  guten  Stunden,  in  denen  Sodoma  seine  Kräfte 
zusammennahm,  brachte  er  Werke  hervor,  die  unsere 
ganze  Bewunderung  verdienen  und  die  auch  zum  Schön- 
sten gehören,  was  die  italienische  Kunst  aufzuweisen 
hat.  Naturwüchsig  wie  er  war,  hat  die  Michelangeleske 
Strömung  seiner  Zeit  ihn  nie  aus  seinem  Fahrwasser 
zu  bringen  vermocht.  Seina  weiblichen  Köpfe  sind,  wie 
schon  Vasari,  sein  Widersacher,  hervorzuheben  sich  ge- 
zwungen sah,  unübertrefi'lich.  In  einem  gewissen  Sinn 
darf  Sodoma  in  mehrern  seiner  Werke  neben  L.  Lotto 
und  Correggio,  d.  h.  in  jene  Schar  hochbegabter  Maler 
gestellt  werden,  welche,  gleich  Lionardo,  vornehmlich  die 
„Anmuth  der  Seele"  darzustellen  bemüht  waren.  Man 
beobachte  z.B.  in  der  Ekstase  der  heiligen  Katharina  (S. 
Domenico  in  Siena)  selbst  die  Hände,  zumal  die  linke, 
der  Heiligen.  Sind  sie  nicht  empfunden,  wie  sie  etwa 
Correggio  empfunden  und  dargestellt  hätte?  Und  jene 
lieblichen  Engelknaben  über  dem  Bogen,  gemahnen 
sie  nicht  an  die  des  L.  Lotto  und  auch  an  die  des  Cor- 


>  /.IR  il«K:M£eiT  AI.RXANOKR'M  MIT  DKR  ROXANX. 

IN    lir.U    <   Fl  t/.IKN     LALKKIK. 


Die  Toscaner:  Giovan  Antonio  Bazzi,  il  Sodoma.       201 

reggio  ?  Dem.  von  Viisari  unwürdig  behandelten  Giovan 
Antonio  Bazzi  erging  es  wie  dem  bescheidenen  Lotto, 
dem  ebenso  bescheidenen  Moretto  von  Brescia,  dem 
Bonifazio  Veronese  und  andern  trefflichen  Meistern  der 
ersten  Hälfte  des  IG.  Jahrhunderts  —  seine  besten  Werke 
wurden  nämlich  berühmtem  Zeitgenossen  zugemuthet 
und  vom  Publikum  als  solche  angestaunt.*  Von  diesen 
Verwechselungen  sei  es  mir  erlaubt,  hier  einige  anzu- 
fi'ihren.  Wir  haben  schon  oben  gesehen,  wie  vier  von 
den  Zeichnungen  zu  jenem  Ledabild,  ebenso  wie  das 
grosse  Wandgemälde  in  Vaprio  dem  Lionardo  zuge- 
schrieben werden.  Andere  Zeichnungen  Sodoma's  wur- 
den dagegen  auf  Riiffael  getauft,  so  alle  diejenigen  (in 
Budapest,  in  der  Albertina,  in  den  Uffizien),  die  auf  die 
Hochzeit  Alexander's  mit  der  Roxane  Bezug  haben; 
ebenso  der  schone  männliche  Kopf  im  Britischen  Museum 
(Braun  94)  und  der  aiidon»  m  (\*^r  Albertina,  während 


*  Von  den  Zeichnungen  Sodoroa's  ist  die  Mehrzahl  noch  in 
Italien,  und  die  Uffizien-Sammlung  allein  besitzt  über  ein  Dutzend 
derselben,  unter  den  Nrn.  105  (dem  Lionardo  zugeschrieben); 
563,  565,  1506,  1507,  1644,  566,  1479,  und  in  den  Mappen  des 
Kupferstichcabinets:  die  Nrn.  1932,  1935,  1936,  1938,  1943,  1944, 
1945.  Auch  die  Sammlung  der  königl.  Bibliothek  in  Turin  hat  zwei 
Zeichnungen  des  Sodoma  und  zwei  besitzt  auch  Herr  Giovanni 
Morelli  in  Mailand.  Es  wird  kaum  nöthig  sein  zu  bemerken, 
dass  die  Röthelzcichnung  mit  dem  weiblichen  Kopf,  welche  in 
der  Liller  Sammlung  dem  Sodoma  zugeschrieben  wird  (Braun  43) 
blos  Copie  nach  ihm  sein  kann. 

In  der  Louvre- Sammlung  fand  ich  drei  echte  Zeichnungen 
des  Bazzi,  unter  den  Nrn.  87,  88  und  94  des  Reisetaschen  Kata- 
logs, während  die  kleinlichen  Blätter  unter  den  Nrn.  89,  90,  91, 
92  und  93  von  Herrn  Reiset  mit  grossem  Unrecht  dem  Sodoma 
zugemuthet  werden  und  zwar  blos  deshalb,  weil  auf  Blatt  93 
der  Name  des  (Miniaturmalers?)  Antonius  Vercellonsis  gesetzt 
ift.  (t)  Es  ist  dies  ein  anderes  Beispiel,  zu  welch  groben  Irr- 
thümem  das  Vertrauen  auf  sohriftlicho  Dooumente  selbst  einen 
ergrauten  Kenner  führen  kann.  Auch  die  Ambrosiana  in  Mailand 
besitzt  eine  heilige  M.  Magdalena  von  Bazzi  (Braun  191). 


202  I^iß  Galerie  Borghese. 

man  in  der  Sammlung  des  Städel'schen  Instituts  noch 
immer  fortfährt,  das  herrliche  Frauenporträt  (f )  dem  Se- 
bastian del  Piombo  zu  geben!  ^  Bei  solchem  Zwiespalt 
der  Ansichten  ist  daher  zu  hoffen,  dass  recht  bald  ein 
der  italienischen  Malerschulen  kundiger  Mann  sich  auch 
des  Sodoma  erbarmen  und,  die  Gesammtzahl  seiner  Werke 
ins  Auge  fassend,  uns  ein  treues  Bild  seiner  wahrhaft 
künstlerischen  Personalität  darbieten  möge. 

GIAMPIETRINO  ODER  GIAMPEDRINO. 

Unter  Nr.  15  hängt  in  diesem  ersten  Saal  der  Bor- 
ghese-Galerie  ein  zwar  stark  beschmutztes,  allein  trotz- 
dem noch  immer  wunderherrliches  Madonnenbild,  wel- 
ches im  Katalog  ebenfalls  namenlos  blos  als  zur  Schule 
Lionardo's  gehörig  eingeschrieben  ist.  Und  in  der  That 
gemahnt  uns  das  süsse  Lächeln  der  Jungfrau  an  die 
Fraueriköpfe  Lionardo's  und  Sodoma's,  mit  welchem 
letztern  Giampietrino,  dem  unserer  Ansicht  nach  die- 
ses Werk  angehört,  nicht  selten  verwechselt  wird.^  (f) 

Spricht  man  von  der  mailändischen  Malerschule  vom 
Ende  des  15.  und  von  den  ersten  Decennien  des  16.  Jahr- 
hunderts ,  so  wäre  es  wünschenswerth,  dass  man  einen 
Unterschied  machte  zwischen  den  eigentlichen  Schülern 
Lionardo's,  d.  h.  jener  wenigen,  die  unter  seiner  un- 
mittelbaren Leitung  standen,  und  jenen  Malern,  auf  die 
der  grosse  Florentiner  einen  nur  allgemeinen,  mehr  ästhe- 
tischen als  technischen  Einfluss  ausgeübt  hat.  Wenn 
zu  den  erstem  unter  andern  Boltraffio,  Marco  d'Og- 
giono,  Salaino,  Giovan  Antonio  Bazzi,   Giam- 


*  Von  Director  W. Bode  neuerdings  sogar  dem  Jan  Scorel 
zugeschrieben  (Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XII,  1.  Heft, 
S.  72). 

2  Im  Jahre  1860  galt  die  Lucrezia,  Nr.  376 ,  in  der  Pinako- 
thek von  Turin  noch  als  Werk  des  Giampietrino,  bis  der  Schrei- 
ber dieser  Zeilen  das  schöne  Bild  auch  dem  Sodoma  vindicirte.  (f) 


Die  Toscaner:  Giampietrino  oder  Giampedrino.         203 

pietrino,  Cesare  da  Sesto  und  vielleicht  auch  Fran- 
cesco Napoletano*  zu  zählen  sind,  so  gehören  zu 
den  letztem  Andrea  Solario,  Ambrogio  de  Pro- 
dis, Bernardino  de'Conti,  Bernardino  Luini, 
Gaudenzio  Ferrari,  der  Miniaturmaler  Antonio  da 
Monza  und  andere  mehr,  deren  Werke  man  zwar  kennt, 
deren  Namen  aber  bisjetzt  aus  Documenten  noch  nicht 
ermittelt  wurden. 

Giampietrino  wird  von  Lomazzo  Pietro  Rizzo  Mi- 


^  Von  diesem:  nicht  talentlosen  Nachahmer  Lionardo's  sind 
in  Italien  nur  wenige  Arbeiten  bekannt  und  auch  diese,  wie  es 
scheint,  lauter  Werke  aus  seiner  Frühzeit,  da  Francesco  schon 
in  den  ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  in  Valencia  sich 
niedergelassen  hatte  und  wahrscheinlich  Spanien  nicht  mehr  ver- 
liess.  Von  diesen  seinen  Jugendwerken  besitzt  Herr  Bonomi- 
Cereda  ein  mit  dem  Namen  bezeichnetes  Bildchen:  die  thro- 
nende Madonna  mit  dem  Kinde,  an  den  Seiten  die  Heiligen  S. 
Sebastianus  und  Johannes  der  Täufer.  Ein  anderes  Madonnen- 
bildchen kam  durch  Tausch  aus  der  Akademie  von  Venedig  in 
die  Brera-Galerie  und  zwar  unter  dem  Namen  des  Cesare  da  Sesto. 
Nach  gütiger  Mittheilung  des  Herrn  Prof.  Carl  Justi,  des  geistvollen 
Kenners  der  Kunstgeschichte  Spaniens,  befinden  sich  in  Valencia 
mehrere  Werke  dieses  Francesco  Napoletano,  das  bedeutendste 
darunter  in  der  Kathedrale.  Dieses  letztere  Werk  besteht  aas 
zwölf  Lionardesken  Gemälden  mit  lebensgrossen  Figuren,  die  so- 
wol  die  innem  als  auch  die  äussern  Seiten  der  Flügel  des  grossen 
plastischen  Retablo  ausfüllen.  Diese  Bilder,  Darstellungen  aus 
dem  Leben  der  Maria,  wurden  von  Francesco  Neapoli  (sie) 
in  Gemeinschaft  mit  Paolo  von  Arezso  im  Jahre  1506  voll- 
endet. Die  Farben  in  diesen  Gemälden,  fügt  Professor  Justi  hin- 
zu, sind  sehr  gesättigt;  ein  warmer  brauner  Ton  herrscht  im 
Vordergrund,  in  den  Gebäuden  und  im  Incamat.  Die  Erzählung 
ist  voll  Anmuth  und  Heiterkeit.  Im  Nackten  jedoch  crsohienen 
ihm  beide  Meister  schwach.  Ein  Madonnenbild  mit  der  heiligen 
Anna  soll  sich,  nach  Angabe  desselben  competenten  Gewährs- 
mannes, in  der  Kirche  von  S.  Nicolas,  ebendaselbst,  vorfinden; 
ein  anderes  Bild,  die  „Vermählung  der  Maria**,  in  der  Kathe- 
drale von  Murcia,  dürfte  ebenfalls  diesem  Francesco  Napoletano 
zugeschrieben  werden. 


204  Die  Galerie  Borghese. 

lanese  genannt.  Weder  sein  Geburtsjahr  noch  das  semes 
Todes  sind  bekannt,  noch  gibt  es  von  ihm,  soviel  ich  weiss, 
mit  dem  Namen  bezeichnete  Werke.  Dass  er  unmittelbar 
von  Lionardo  herkommt,  scheint  mir  am  deutlichsten  aus 
einer  dem  Lionardo  selbst  zugemutheten  Kohlezeichnung 
in  der  Sammlung  des  Christ-Church  College  in  Oxford  her- 
vorzugehen. Leider  ist  jene  ganz  vorzügliche  Zeichnung, 
die  das  nackte  Christkind  auf  dem  rechten  Knie  seiner 
gottlichen  Mutter  ruhend  darstellt,  von  der  Stirn  auf- 
wärts durch  Restauration  verdorben,  (f )  Giampietrino 
malte  zumeist  Halbfigurenbilder,  höchst  selten  grössere 
Altarwerke.  Die  Mehrzahl  der  unter  seinem  Namen 
gehenden  Bilder  gehört  nur  der  Werkstatt  an.^  In  den 
Werken  seiner  Frühzeit  ist  das  Incarnat  stets  kalt  im 
Ton,  die  Hände  sehr  lebendig  modellirt  im  Gegensatz 
zu  den  stets  steifen  leblosen  Händen  bei  Marco  d'  Og- 
giono,  mit  dem  er  oft  verwechselt  wird.^  Auch  möchte 
ich  meine  Freunde  noch  auf  das  sehr  gesättigte  Orange- 
gelb in  den  Gemälden  des  Meisters  aufmerksam  machen, 
da  diese  Farbe  für  ihn  sowie  fiir  seine  Schule  bezeich- 
nend ist.  Von  diesem  wahrhaft  schönen  Bilde  hier  gibt 
es  viele  alte  Copien:  eine  davon  auch  in  Rom,  im  Pa- 
last Rospigliosi;  eine  andere  in  der  Münchener  Pina- 
kothek (Nr.  1047),  dort  friiher  dem  Luini  zugeschrieben, 
im  neuern  Katalog  jedoch  als  Originalbild  des  Giovanni 
P  e  d  r i n i  (sie)  angeführt. 

Zu  den  bessern  Werken  des  Giampietrino  rechne 
ich  neben  diesem  Madonnenbild  der  Borghese-Galerie 
aoch  ein  anderes  Bildchen  mit  demselben  Gegenstande 


^  So  z.  B.  auch  die  heilige  Katharina,  Nr.  381  im  Pitti-Palast, 
wo  sie  dem  Aurelio  Luini  zugeschrieben  wird,  und  ein  grosses 
Bild  in  der  Turiner  Akademie  „Ecce  homo",  Nr.  240.  (f) 

'  So  unter  andern  im  kreuztragenden  Christus  (Nr.  107)  der 
Turiner  Pinakothek,  (f)  Einen  kreuztragenden  Christus  von  Giam- 
pietrino besitzt  auch  Sir  Henry  Layard  in  seiner  ausgewählten 
Sammlung  zu  Venedig. 


LA  CX>LOMBI.NA  IM  DER  KAIMKU  BftlllTAOI  IN  tT.-PBTBMBVBO.  B,  t». 


Die  Toscaner:  Giampietrino  oder  Giampedrino.        205 

in  der  Sammlung  der  Villa  Albani  in  Rom  (Nr.  9),  wo 
es  dem  Salaino  zugeschrieben  wird  und  auch  als  sol- 
ches vom  verstorbenen  Professor  Minardi  besprochen 
wurde.*  Es  stellt  die  Madonna  mit  dem  Kinde  auf  den 
Knien  dar.  Die  heilige  Jungfrau  hält  Veilchen  in  der 
Rechten,  das  Kind  eine  Lilie,  (f ) 

Die  vorzüglichsten  Werke  Giampietrino^s  befinden 
sich  in  Mailand:  ein  heiliger  Rochus  im  Besitz  von 
Donna  Laura  Visconti -Venosta;  eine  „Flora"  in  der 
Sammlung  Borromeo;  eine  herrliche  Nymphe  Egeria 
beim  Marchese  Brivio;  zwei  heilige  Magdalenen,  die 
eine  in  der  Brera-Galerie,  die  andere  im  Museo  civico; 
die  Madonna  mit  dem  Christkinde  und  dann  die  Jung- 
frau mit  beiden  Kindern  (nach  dem  Lionardo'schen  Car- 
ton  zum  Bild  der  sogenannten  heiligen  Anna  im  Salon 
carre  des  Louvre)  in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli,  dort 
dem  Cesare  da  Sesto  zugeschrieben. 

Eins  der  allerbesten  Werke  unsers  Meisters  jedoch 
besitzt  der  bekannte  Verlagsbuchhändler  John  Murray  in 
London,  (f )  In  jenem  Madonnenbildchen  kommt  Giam- 
pietrino dem  Sodoma  sehr  nahe.  Auch  Sir  Francis 
Cook  zu  Richmond  hat  in  seiner  interessanten  Samm- 
lung, unter  dem  Namen  des  Lionardo,  ein  Werk  von 
Giampietrino.  (f)  Die  sogenannte  Colombina  in  der 
Ermitage  zu  St.-Petersburg,  die  früher  Lionardo  selbst 
zugemuthet  wurde,  nun  aber  den  Namen  Luini  fuhrt, 
ist  nach  meinem  Dafürhalten  ebenfalls  ein  untrügliches 
Werk  Giampietrino's  (f),  obwol  die  Herren  Crowe  und 


>  Minardi,  „Scritti  ddte  quaiitä  essentiaH  deUa  pittura*-*- 
(Rom  1864).  Minardi  nennt  das  Bild  „dt  una  esecuzione  sten- 
tata,  povera  dt  sefitimento  e  di  sapere,  mediocre  dd  tutto".  Da 
derselbe  Kunstprofessor  den  ^^MedusenkopP*  in  den  Uffizien  für 
i'in  „vorzügliches"  Werk  des  Lionardo  da  Vinci  erklärte,  so  habe 
ich  auch  nichts  gegen  seine  Würdigung  nniers  Giampietrino  ein- 
zuwenden. Es  ist  eben  da«  gewöhnliche  Urtheil  der  meisten  mo- 
dernen Maler  über  alte  Meister. 


206  Die  Galerie  Borghese. 

Cavalcaselle  (II,  58)  jenes  Bild  als  eine  der  schönsten 
„Productionen"  von  Andrea  Solario,  ja  der  ganzen  Lio- 
nardischen  Schule  erklären.  In  diesem  Bilde  \  das  ich 
nur  in  der  Photographie  kenne,  lässt  sich  der  Meister 
hauptsächlich  an  der  Form  der  linken  Hand  erkennen, 
welche  von  der  bei  Luini  und  bei  A.  Solario  abweicht. 
Zu  den  grössern  Altarbildern  des  Giampietrino  ge- 
hören die  Tafel  vom  Jahre  1521  in  der  Kirche  von  S. 
Marino  in  Pavia,  dort  Sala'ino  getauft  2,  (f)  und  das 
„Präsepium"  mit  musicirenden  Engeln  in  der  Sakristei 
der  Kirche  von  S.  Sepolcro  in  Mailand.  Die  Werk- 
statt Giampietrino's  mag  vielfach  besonders  von  nieder- 
ländischen Malern,  die  nach  dem  Tode  Lionardo's  häufig 
nach  Italien  pilgerten,  besucht  worden  sein.  Dies  be- 
weisen uns  mehrere  Bilder  von  einem  vlämisch-ffiam- 

o 

pietrinischen  Aussehen,  wie  z.  B.  das  Porträt  der  Gio- 
vanna  von  Aragon  im  Braccio  II  der  Doria- Galerie; 
eine  ähnliche  Giovanna  finden  wir  in  der  Sammlung 
Balbi  zu  Genua;  sowie  auch  die  vlämische  heilige  Cä- 
cilie  der  Münchener  Pinakothek. 

BOLTRAFFIO. 
Von  Boltraffio  finden  wir,  wenn  wir  das  sehr  ver- 
dorbene Mauergemälde  im  Klostergang  von  S.  Onofrio 
in  Rom  ausnehmen,  in  ganz  Mittel-  und  Süditalien,  so- 
viel mir  bekannt  ist,  kein  einziges  Werk.  Das  Ma- 
donnenbild in  S.  Onofrio,  das  zuerst  von  Doctor  G. 
Frizzoni  und,  wie  ich  glaube  mit  vollem  Recht,  als  von 
der  Hand  des  Boltraffio  und  nicht  des  Lionardo  erklärt 
wurde,  ist  schon  an  dem  hohen,  für  Boltraffio  höchst 
charakteristischen  Oval    des  Kopfes    der  Jungfrau    als 


^  Braun  Nr.  74,  unter  dem  Namen  des  B.  Luini. 

^  Eine  Eöthelzeichnung  Giampietrino's ,  die  als  Skizze  zu 
diesem  seinem  Bild  gedient  haben  dürfte,  besitzt  die  Louvre- 
Sammlung,  unter  dem  falschen  Namen  des  Lionardo  da  Vinci 
(Braun  187).  (f) 


Die  Toscaner:  Boltraffio.  207 

sein  Werk  erkennbar.  In  seinem  gegenwärtigen  Zu- 
stand ist  jedoch  leider  dieses  Frescobild  als  fast  ver- 
loren zu  betrachten.  Wer  den  edeln  Boltraffio  näher 
kennen  zu  lernen  wünscht,  trifft  seine  meist  kleinen 
Bilder  in  seiner  Vaterstadt  Mailand  an:  in  der  Samm- 
lung Poldi-Pezzoli,  im  Hause  del  Maino,  beim  Grafen 
Sola,  in  den  Sammlungen  der  Herren  Frizzoni  und  Mo- 
relli,in  der  Ambrosiana  (Zeichnungen);  auf  der  Isola  Bella; 
in  Bergamo  sieht  man  in  der  städtischen  Galerie  ein 
vorzügliches  Madonnenbild  des  Meisters  und  ebendort  bei 
Herrn  Federico  Antonio  Frizzoni  einen  kleinen  heiligen 
Sebastianus  im  Profil  dargestellt.  Auch  die  Halbfiguren 
von  Märtyrerinnen  im  hintern  obern  Gange  der  Kirche 
von  S.  Maurizio  zu  Mailand  mögen  nach  Cartons  des 
Boltraffio  von  seinen  Schülern  auf  die  Mauer  gemalt 
worden  sein;  einige  von  diesen  Rundbildern  sind  von 
grosser  Schönheit. 

Das  beste  Werk  des  Meisters  ist  jedoch,  wie  ich 
glaube,  das  grosse  Madonnenbild  in  der  englischen  Natio- 
nalgalerie ',  dem  in  der  Esterhazy-Galerie  zu  Budapest 


*  Ausser  den  paar  ganz  vorzüglichen  Pastellzeichnungen  in 
der  Ambrosiana,  dort  dem  Lionardo  zugeschrieben,  kenne  ich 
nur  noch  eine  Zeichnung,  welche  man  im  Louvre  ebenfalls  dem 
Lionardo  zuschreibt,  die  mir  jedoch  von  Boltraffio  herzurühren 
scheint.  Es  ist  dies  die  Silberstiftzeichnung  (Braun  17G),  welche 
einen  mit  Eichenlaub  bekränzten  Jünglingskopf  im  Profil  vor- 
stellt, und  die  dem  Boltraffio  zu  dem  obengenannten  Sebastians- 
bildchen im  Besitz  des  Herrn  Antonio  Federico  Frizzoni  in  Ber- 
gamo gedient  hat.  Director  Bode  wolle  es  mir  erlauben,  ihm 
bei  dieser  Gelegenheit  zu  bemerken,  dass  das  männliche  Bild- 
nisg  in  der  Ambrosiana,  welches  ihm  als  eine  „tüchtige"  Arbeit 
unsers  Boltraffio  vorkam  (II,  746),  mir  dagegen  nicht  einmal  der 
mailändischen,  sondern  vielmehr  der  Malersohule  von  Parma  an- 
zugehören scheint.  In  der  Ambrosiana  wird  jenes  Porträt  aller- 
dingt dem  Boltraffio  zugeschrieben,  allein  es  ist  das  wieder  eine 
jener  vielen  willkürlichen  Bilderattributionen  aus  dem  vorigen 
Jahrhundert,  die  aus  Unkenntniss  oder  Indolenz  der  Galerie- 
directionen  in  Italien  noch  immer  fortdauern. 


20B  I^ie  Galene  Borghcse. 

die  Madoima  (Nr.  175)  sehr  nahe  kommt  (von  Director 
Bode,  wenn  ich  mich  recht  besinne,  dem  Bernurdino 
de'  Couti  zugeschrieben). 

MARCO  D'OGGIONNO. 

Von  Salaino  gibt  es  kein  einziges  beglaubigtes  Werk, 
und  jene  Gemälde,  die  man  ihm  in  den  öfientlichen  Ga- 
lerien zumuthet,  sind  alle  sehr  fraglich.  Dagegen  be- 
sitzt unsere  Borghese-Galerie  unter  Nummer  33  einen 
„Salvator  mundi"  von  der  Hand  des  Marco  d'Og- 
g  i  o  n  n  o  ( 1470  [?] — 1 540  [?] ).  Dieses  fleissig  ausgeführte 
Bildchen  ist  in  der  Nähe  des  Fensters  aufgestellt,  wo- 
durch die  Direction  zu  verstehen  gab,  dass  auch  sie  es 
zu  schätzen  wisse.  Und  wie  sollte  sie  es  nicht,  da  ja 
das  Bild  seit  beinahe  drei  Jahrhunderten  als  ein  Werk 
Lionardo's  gilt.  Für  ein  solches  hielt  es  schon  Se. 
Heiligkeit  Papst  Paul  V.,  der  es  über  seinem  Bett  hatte 
aufhängen  lassen  und  es  nur  mit  schwerem  Herzen  end- 
lich seinem  Neffen,  dem  Cardinal  Scipione  Borghese, 
dem  Gründer  dieser  Sammlung,  überliess,  nachdem  des 
Cardinais  langjährige  Bemühungen,  für  seine  damals  be- 
ginnende Bildersammlung  ein  Werk  des  grossen  Floren- 
tiners aufzutreiben,  gescheitert  waren.  Das  Bildchen 
stellt  den  Heiland  dar,  welcher  mit  der  Rechten  den 
Segen  ertheilt  und  in  der  Linken  die  Weltkugel  hält; 
Halbfiguren.  Das  Pendant  zu  diesem  Bildchen  ist  im 
Besitze  von  Giovanni  Morelli  in  Mailand;  es  stellt 
einen  ähnlichen  „Salvator  mundi"  ungefähr  von  der- 
selben Grosse  dar  und  ist  von  der  Hand  Boltraffio's. 
Wie  es  scheint  wurden  beide  Bilder  zur  selben  Zeit 
von  den  zwei  Schülern  und  Kostgängern  Lionardo's 
ausgeführt.  Das  Kleid  auf  unserm  Bildchen  hier  ist 
kirschroth,  einer  von  Marco,  Boltraffio  und  zuweilen 
auch  von  Giampietrino  mit  Vorliebe  angewandten  Farbe, 
der  Mantel  dunkelblau.  Die  Hand  mit  ihren  steifen, 
knochigen   und  leblosen  Fingern  ist,    nebst    den   weit 


Die  Toscaner:  Nicola  Appiani.  209 

auseinanderstehenden  Zygomen,  charakteristisch  ftir  die- 
sen Meister.  Die  zackigen  Aermelfalten  sowie  die 
schwarzen  Schatten  und  die  scharfen  Lichter  finden 
sich  ebenfalls  in  allen  Werken  Marco's;  der  Grund  ist 
dunkel  wie  in  fast  allen  Ilalbfigurenbildern  und  Por- 
träts der  lombardisch- mailändischen  Malerschule.  Die 
grössere  Zahl  der  Werke  von  Marco  d'Oggionno  be- 
findet sich  noch  immer  in  Mailand  und  im  Mailändi- 
schen: in  der  Kirche  von  S.  Eufemia,  in  der  Ambro- 
siana, in  der  Sammlung  Bonomi-Cereda,  in  der  Brera- 
Galerie  und  anderwärts  noch. 

NICOLA  APPIANLi 

Zeitgenosse  und  Nachahmer  des  Marco  d'Oggionno 
war  der  wenig  bekannte  und  allerdings  auch  wenig  be- 
achtungswerthe  Nicola  Appiani,  von  dem  man  ein 
paar  Bilder  in  der  Brera-Galerie  (eine  „Anbetung  der 
Konige"  und  die  „Taufe  Christi",  Nr.  84  und  85)  sehen 
kann.  Auch  das  Altarbild  in  der  Sakristei  der  Kirche 
von  S.  Maria  delle  Grazie  gehört  dem  Appiani  an,  wie 
ich  glaube,  und  nicht  dem  Marco  d'Oggionno,  wie  dort 
behauptet  wird,  (f) 

Ebenso  dürfte  das  Bild  in  der  Turiner  Pinakothek 
mit  der  „Vermählung  der  heiligen  Katharina",  Nr.  104, 
eher  von  Nicola  Appiani  als  von  Marco  d**  Oggionno  her- 
rühren, (f)  Andere  kleinere  Bilder  dieses  untergeord- 
neten Meisters  findet  man  rmdi  nocli  in  Privntsanim- 
lungen  in  Mailand. 


*  Die  zwei  Bilder  in  der  Brera  sind  schon  im  „Kitratto  di 
Milano"  des  Canonious  Carlo  Torro  als  Werke  des  Nicola  Ap. 
]>iani  angeführt,  ob  mit  Recht  wüiste  ich  nicht  zu  sagen,  da  kein 
mit  dem  Namen  des  Meisters  bezeichnetes  Bild  bekannt  ist. 
Weder  Vasari  noch  Lomauo  erwähnen  den  Appiani,  wol  aber 
Carlo  Amoretti  auf  Seite  156  seiner  „  Memorie  storiche  suHa  vita, 
gli  studi  e  le  opere  di  Lianardo  da  Ktitct". 

LxBiioi.nnT.  14 


210  I^i«  Galerie  Borghese. 

CESARE  DA  SESTO. 

Von  Cesare  da  Sesto  ist  mir  merkwürdigerweise  kein 
einziges  Werk  in  Rom,  wo  er  sich  doch  lange  aufhielt, 
vorgekommen.  In  der  vaticanischen  Bildersammlung 
begegnet  man  allerdings  einem  grossen  Madonnenbild 
mit  dem  Namen  des  Meisters  und  der  Jahreszahl  1521 
versehen,  das  der  in  der  Kirchengeschichte  besser  als 
in  der  Kunstgeschichte  bewanderte  Herr  Rio  (^«^ Leonard 
de  Vinci  et  son  ccoler>^  S.  216)  für  baare  Münze  an- 
genommen, das  jedoch  jedem  auch  nur  einigermassen 
mit  den  Werken  der  oberitalienischen  Malerschulen  ver- 
trauten Kunstfreund  als  ein  höchst  schwaches  Mach- 
werk aus  der  spätem  lombardisch-mailändischen  Schule 
erscheinen  wird.  Die  italienische  Aufschrift  Cesare 
da  Sesto  sowie  das  Datum  sind  evident  modernen 
Ursprungs  und  von  irgendeinem  Fälscher  darauf  ange- 
bracht worden.  2  (♦)•) 

Dieses  Tafelbild  stellt  die  sitzende  Madonna  mit  dem 
Jesuskinde  auf  dem  Schose  dar,  das  Kind  hält  den 
Gürtel  der  Mutter  in  den  Händen,  rechts  ein  heiliger 
Bischof,  links  Johannes  der  Täufer. 

Cesare  da  Sesto  wurde  wahrscheinlich  um  1480 
in  Sesto  Calende  am  Lago  Maggiore  geboren;  wann 
und  wo  er  gestorben,  ist  unbekannt.  Vasari  erwähnt 
seiner  im  Band  IX,  25,  und  sagt:  „Bernazzano,  ausge- 
zeichnet in  der  Landschaft,  allein  schwach  als  Figuren- 
maler, verband  sich  mit  Cesare  da  Sesto,  der  die 
Figuren  gut  darzustellen  wusste";  und  in  Band  XI,  274, 
bemerkt  er  noch,  dass  ausser  Marco  Uggioni  (d'Oggionno) 
noch  viele  andere  den  Lionardo  da  Vinci  gut  nachzu- 
ahmen wussten,  unter  ihnen  namentlich  Cesare  da  Sesto, 
und   citirt  bei  dieser  Gelegenheit  von  ihm  die  „Taufe 


*  Auch  Herr  Director  W.  Bode  (II,  751)  sieht  dieses  Rund- 
bild als  von  der  Hand  des  Cesare  da  Sesto  an. 


Die  Toscaner:  Cesare  da  Sesto.  211 

Christi^*,  eine  „Herodias"  und  ein  grosses  Bild  mit 
dem  heiligen  Rochus.  Das  früheste  Werk,  das  von  Ce- 
sare da  Sesto  mir  bekannt  ist,  befindet  sich  in  der  Ge- 
mäldesammlung der  gräflichen  Familie  Borromeo  in 
Mailand :  es  stellt  die  „Anbetung  der  Könige"  dar.  In 
diesem  höchst  interessanten  Bilde,  das  der  Meister  in 
den  ersten  Jahren  des  15.  Jahrhunderts  gemalt  haben 
dürfte,  treten  klar  die  Einflüsse  hervor,  die  der  junge 
Lombarde  in  Florenz  theils  von  Lorenzo  di  Credi,  theils 
von  M.  Albertinelli,  sowie  auch  in  Siena  von  Pinto- 
ricchio  in  sich  aufgenommen  hatte.  ^  Ein  anderes  Werk 
aus  seiner  Frühzeit  möchte  ebenfalls  das  Tondo  mit 
der  Madonna  und  den  beiden  Kindern  sein,  welches 
sich  im  Hause  des  kürzlich  verstorbenen  Herzogs  Lo- 
dovico  Melzi  d'Eril  in  Mailand  befindet,  von  welchem 
Bilde  eine  Copie  unter  dem  Namen  des  B.  Luini  in 
den  Uffizien,  Nr.  1013,  aufgestellt  ist.  Eine  andere 
Copie  jenes  Tondo  sah  man  früher  auch  in  der  Bor- 
ghese-Galerie.  (f) 

Jener  „Cesare  Milanese",  der  um  1506  wahrschein- 
lich im  Auftrag  des  kunstliebenden  Castellans  von  Ostia, 
Baldo  Magini  (Vasari  X,  222),  in  Gemeinschaft  mit  B. 
Peruzzi  in  der  „Rocca"  von  Ostia  al  fresco  malte  (Va- 
sari VIII,  221),  dürfte  wol  kein  anderer  sein,  als  unser 
Cesare  da  Sesto.  Während  der  Jahre  1507  bis  ungefähr 
1512  wirkte  Cesare,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  in 
Mailand  und  unter  dem  directen  Einflüsse  des  Lionardo 
da  Vinci.    Dafür  zeugen,  wie  mir  scheint,  unter  andern 


^  Die  t^Taofe  Christi"  befand  sich  1595,  nach  Moriggia,  im 
Hanse  des  Senators  Galeazzo  Visconti  und  ist  gegenwärtig  im 
Palast  des  Herzogs  Scotti  in  Mailand. 

'  Ich  bitte  meine  Freunde,  in  diesem  Bilde,  das  ich  dem 
Cesare  da  Sesto  vindiciren  zu  dürfen  glaube,  sich  vornehmlich  die 
diesem  Meister  eigenthümlichen  Stellungen  und  Bewegungen,  so- 
wie die  Form  der  Hand  und  des  Obres  genau  ansehen  zu  wollen,  um 
von  der  Richtigkeit  meiner  Bestimmung  sich  lo  überzeugen,  (f) 

14  ♦ 


212  ^^6  Galerie  Borgbese. 

seine  sogenannte  „Vierge  aux  Balances",  Nr.  465,  in 
der  Louvre- Galerie  (von  Passavant,  II,  345,  dem  Sa- 
laino  zugeschrieben);  seine  „Herodias"  (jetzt  im  Bel- 
vedere  zu  Wien) ;  ein  heiliger  Hieronymus  bei  Sir  Francis 
Cook  in  Richmond^;  das  schöne  Madonnenbild,  Nr.  172, 
der  Esterhazy-Galerie  in  Budapest  und  auch  die  grosse 
Tafel  „Anbetung  der  Könige",  jetzt  im  Museum  von 
Neapel,  die  Cesare  für  eine  Kirche  von  Messina  ausführte. 
Alle  diese  hier  angeführten  Bilder  stellen  uns  Cesare 
da  Sesto  als  Nachahmer  Lionardo's  dar,  wogegen  das 
grosse  Bild  mit  dem  heiligen  Rochus,  das  er  für  die 
gleichnamige  Kirche  in  Mailand  malte,  uns  einen  Be- 
weis gibt,  dass  später  RafFael,  mit  dem  er  in  Rom,  nach 
Lomazzo,  auf  sehr  freundschaftlichem  Fusse  gestanden 
haben  soll,  sein  Vorbild  wurde.  ^  Aus  einer  seiner  Zeich- 
nungen im  Louvre  dürfen  wir  fast  schliessen,  dass  ums 
Jahr  1520  Cesare  sich  noch  immer  in  Rom  befjind. 
Jenes  interessante  Blatt  findet  sich  im  sogenannten 
Lionardo-Buch  des  Vallardi  und  führt  die  Nr.  6782. 
Auf  demselben  ist  der  von  Lomazzo  schon  erwähnte 
„Kampf  mit  dem  Drachen"  dargestellt.  Auf  der  Rück- 
seite des  Blattes  sieht  man  drei  Figuren,  und  darunter 
auch  die  Mutter  des  Besessenen  aus  der  von  Raffiiel 
um  1519  —  20  ausgeführten  „  Transfigurati on"  nach- 
gebildet, (t) 

Zu  den  Werken  aus  der  spätem  Zeit  unsers  Künst- 
lers glaube  ich  die  drei  Tafelbilder  mit  der  Madonna, 
das  Christkind  in  den  Armen  haltend,  und  den  zwei 
Heiligen  an  den  Seiten,  rechnen  zu  dürfen.  Von  diesen 
drei  Bildern    befindet   sich    eines   in    der  Ermitage    in 


^  Im  Jahre  1595,  als  Moriggia  sein  Buch  „La  Nobiltä  di 
Milano"  herausgab,  befand  sich  dieses  Bild  bei  Herrn  Guido 
Mazenta. 

*  Dieses  gi'osse  Rochusbild  befindet  sich  gegenwärtig  im 
Palast  des  verstorbenen  Herzogs  Lodovico  Melzi  zu  Mailand. 


AirtlA^t;!!. 


Die  Toscaner:  Cesare  da  Sesto.  213 

St.-Petersburg,  unter  dem  Namen  des  Lionardo  da  Vinci  *, 
ein  zweites  in  London  bei  Lord  Monson,  und  das  dritte 
endlich,  unter  dem  richtigen  Namen  des  Cesare  da  Sesto, 
in  der  Brera-Galerie.  Auf  diesem  letztern  Bilde  sieht 
man,  ausser  der  Madonna  mit  dem  Christkind  und  den 
Heiligen  Joseph  und  Joachim  an  den  Seiten,  noch  den 
kleinen  Johannes  darorestellt. 

Ausser  diesem  besitzt  die  Brera-Sammlung  noch  ein 
zweites,  höchst  elegantes  Madonnenbildchen,  Nr.  323, 
aus  einer  frühern  Zeit  des  Meisters.^ 


»  Von  P.  Moriggia:  „La  Nobiltä  dt  Milano''  (1595,  Libro 
quinto,  p.  277)  als  Werk  des  Cesare  da  Sesto  im  Besitze  des 
Senators  Galeazzo  Visconti  citirt:  „Una  Madonna  col  figUuolo 
in  braccio  con  San  Gitts^pe  ed  una  Martire^^.  Erst  in  einer 
spätem  Zeit  wurde  also  das  Bild  auf  den  Namen  des  Lionardo 
da  Vinci  umgetauft. 

*  Zur  Belehrung  der  Anfänger  seien  hier  einige  Zeichnungen 
des  Cesare  da  Sesto  angeführt,  welche  zum  Theil  wieder  dem 
Lionardo  zugemuthet  werden,  so  unter  andern  jüngst  auch  noch 
in  der  „Gazette  des  beaux-arts^^  {Les  demiers  travaux  de  Lio- 
nard  da  Vinci)  die  Rötheizeichnung  in  Windsor  mit  dem  an 
einen  Baumstamm  gebundenen  heiligen  Sebastianus  mit  den  zwei 
Schergen  an  der  linken  Seite  (Grosvenor  Society,  Nr.  86).  (f) 
Diese  Zeichnung  diente  dem  Cesare  da  Sesto  zu  einem  Wand- 
gemälde, das,  wie  der  oben  citirte  Moriggia  uns  berichtet,  in 
einer  Villa  der  Grafen  Resta  in  der  Nähe  von  Mailand  im  Jahre 
1595  noch  sichtbar  war.  Eine  alte  Copie  jenes  jetzt  zu  Grunde 
gegangenen  Frescobildes  befindet  sich  in  der  Galerie  Malaspina 
in  Pavia.  Der  Einfluss  Miohelangelo's  ist  in  diesem  Blatt  des 
Cesare  nicht  zu  verkennen.  Ausser  dieser  Rötheizeichnung  des 
Cesare  will  ich  noch  zweier  anderer  Rötheizeichnungen  der 
Windsor-Sammlung  erwähnen,  welche  dort  ebenfalls  den  Namen 
Lionardo's  führen:  es  sind  dies  zwei  Kinderstudien  auf  einem 
und  demselben  Blatt  (Grosvenor  Society,  Nr.  66).  (f)  Auch  in  der 
Sammlang  des  Britischen  Museums  sah  ich  unter  dem  Namen 
des  Lionardo  eine  treffliche  Zeichnung  des  Cesare  da  Sesto:  ein 
Blatt  im  16.  Band  mit  der  Bezeichnung  1862,  10,  11,  196;  das- 
selbe enthält  twei  Federzeichnungen  nach  der  sogenannten  Ma- 
donna di  Casa  d'Alba  und  auf  der  Rückseite  den  Kopf  eines  alten 


214  Die  Galerie  Borghese. 

Aus  dem  eben  Gesagten  geht  hervor,  dass  Cesare 
zwar  ein  trefflicher  Techniker,  gleich  allen  Schülern 
Lionardo's,  allein  kein  naturwüchsiger,  selbständiger 
Künstler,  wie  etwa  Sodoma,  gewesen  ist.^ 

Als  Werke  der  Schule  Lionardo's  werden  sodann  in 
diesem  ersten  Zimmer  der  Borghese -Galerie  noch  fol- 
gende Bilder  bezeichnet: 

Eine  allegorische  Gestalt  „die  Eitelkeit"  darstellend 
(Nr.  8),  Copie  nach  B.  Luini. 

Ein  „Ecce  homo"  (Nr.  17),  in  der  Auffassung  und 
Technik  dem  Andrea  Solario  verwandt. 

Ein  Halbfigurenbild,  das  die  heilige  Agatha  darstellt 
(Nr.  32),  eine  spätere  und  schwache  Copie  nach  B.  Luini. 

BERNARDINO  LUINI. 

Von  Bernardino  Luini  (ungefähr  um  1475  geboren^ 
1533  noch  am  Leben)  selbst  besitzt  also  diese  Galerie 
kein  Originalwerk.  Ein  herrliches,  wenn  auch  von  einem 
dichten  Firnis  bedecktes  Bild  des  Meisters  sieht  man  da- 
gegen in  der  Galerie  Sciarra  Colonna  (Nr.  43).  Ich  meine 
damit,  wie  man  leicht  errathen  wird,  die  weltberühmte^ 


Mannes  in  rother  Kreide.  Ebenfalls  unter  dem  Namen  Lionar- 
do's befindet  sich  im  sogenannten  Lionardo-Bucb  des  Vallardi 
im  Louvre  ein  Blatt  mit  Studien  zu  einem  Madonnenbilde ;  unter- 
halb eine  sitzende  allegorische  Figur  (Nr.  6,  781,  Braun  189).  (f) 
Zwei  schöne  Studien  zum  Christkinde  besitzt  mit  richtiger  Be- 
nennung die  Sammlung  der  königl.  Bibliothek  in  Turin;  auch  die 
venetianische  Akademie  hat  mehrere  gute  Rötheizeichnungen  des- 
Cesare  da  Sesto  und  überdies  die  Federzeichnung  zu  dessen 
grossem  Bilde  „die  Anbetung  der  Könige"  im  Museum  von  Neapel 
{Perini  196). 

*  Der  geistreiche  „Improvisator"  Andrea  Sabbatini  von 
Salemo  dürfte  statt  des  Rafifael,  wie  Dominici  uns  glauben  machen 
möchte,  wol  eher  unsern  Cesare  da  Sesto  zum  Lehrer  gehabt 
haben,  (f)  Die  Werke  des  Andrea  da  Salemo  muss  man  im  Mu- 
seum von  Neapel  und  in  einigen  Kirchen  daselbst  aufsuchen. 


Die  Toscaner:  Bemardino  Luini.  215 

unter  dem  Namen  „Bescheidenheit  und  Eitelkeit"  be- 
kannte, dort  dem  Lionardo  da  Vinci  zugeschriebene 
Tafel.  Vielleicht  dürfte  „Irdische  und  göttliche  Liebe" 
eine  ebenso  passende  Benennung  sein  für  dieses  Ge- 
mälde, welches,  beiläufig  bemerkt,  um  dieselbe  Zeit  wie 
das  ungefähr  denselben  Gegenstand  behandelnde  Bild 
Tizian's  im  zehnten  Saal  der  Borghese- Galerie  ent- 
standen sein  dürfte.  Auch  andere  Maler  jener  Epoche 
haben  dasselbe,  wie  es  scheint,  damals  sehr  beliebte  Sujet 
behandelt,  was  für  die  Culturgeschichte  mir  nicht  ohne 
Interesse  zu  sein  scheint.  Wie  schon  oben  angedeutet 
ist  dieses  Werk  des  Luini  in  dessen  zweiter  Manier, 
der  sogenannten  maniera  grigia  gemalt  (von  1508 — 1520 
ungefähr),  als  derselbe  nämlich,  von  Lionardo  beein- 
flusst,  die  Werke  dieses  Meisters  studirte  und  sich  be- 
mühte, namentlich  die  Formen  des  Antlitzes  plastischer 
darzustellen,  als  dies  in  seinen  frühern  Werken  der 
Fall  war. 

Noch  eines  andern  Bildes  von  Luini,  das  sich  in 
Rom  befindet,  sei  mir  erlaubt  hier  zu  gedenken:  es  ist 
dies  die  liebliche  Madonna  mit  dem  Jesuskind  in  den 
Armen,  das  liebevoll  sich  herabneigend  eben  im  Be- 
griÖ'  steht  den  kleinen  Johannes  zu  küssen,  ein  Motiv, 
das  von  diesem  Meister  öfters  wiederholt  wurde;  hinter 
dem  Täufer  die  heilige  Elisabeth.  Dieses  schön  auf- 
geftisste  Bildchen  hängt  im  letzten  Saale  des  Palazzo 
Colonna,  ist  jedoch  so  arg  übermalt,  dass  es  fast  un- 
geniessbar  geworden.  Auch  die  Corsinische  Sammlung 
in  Rom  hat  ein  weibliches  Porträt  (Nr.  31),  dem  der 
Name  des  B.  Luini  angehängt  wurde,  was  jedoch,  wie 
ich  denke,  wol  nur  aus  Versehen  geschah. 

In  Unter-  und  Mittelitalien  finden  wir,  in  den  öffent- 
lichen Sammlungen  wenigstens,  keine  andern  Bilder 
Luini's,  mit  Ausnahme  der  stark  restaurirten  „Ilero- 
dias"  in  der  Tribuna  der  UfBzien-Galeric  und  des  zwar 
für   den  Meister    charakteristischen,    allein  wenig   an- 


216  I>ie  Galerie  Borghese. 

sprechenden  Madonnenbildes  im  Museum  von  Neapel 
(Nr.  15). 

Diesen  nicht  gerade  phantasiereichen,  doch  höchst 
gewissenhaften  und  lieblichen  Meister  kann  man  nur  in 
Mailand  und  im  Mailändischen  (in  den  Kirchen  der 
Passione,  von  S.  Giorgio  in  Palazzo,  S.  Maurizio,  in 
der  Ambrosiana,  der  Brera-Galerie,  in  den  Sammlungen 
Poldi-Pezzoli  und  Borromeo;  in  Legnano,  Saronno,  im 
Dom  von  Como,  in  Lugano  und  anderwärts)  kennen 
lernen.  Seine  Formen  sind  rund  und  etwas  schwerfällig, 
die  Füsse  meist  zu  lang  und  die  Hände,  wie  bei  Giovan 
Bellini,  zu  stiirk  und  zu  breit.  Auch  Luini  steht  als 
schöpferischer  Kimstler  dem  Sodoma  weit  nach.^  Er 
hatte  viele  Schüler  und  Nachahmer,  deren  Arbeiten, 
sogar  in  der  Brera-Galerie,  noch  immer  ihm  selbst  zu- 
geschrieben werden,  wie,  unter  manchen  andern,  z.  B. 
auch  die  Wandgemälde  unter  der  Nr.  13  und  die  von 
Nr.  23—42.  (f) 

ANDREA  SOLARIO. 

In  der  Borghesischen  Galerie  finden  wir  jedoch  noch 
ein  Werk  eines  andern  mailändischen  Kiinstlers  aus  der 


*  Die  auf  uns  gekommenen  Zeichnungen  dieses  Meisters  sind 
selten,  daher  mögen  einige  davon  hier  bezeichnet  werden: 

a)  Ein  Blatt  mit  drei  getuschten  Kinderstudien  in  der  Am- 
brosiana (Braun  175). 

b)  Getuschte  Zeichnung  mit  Gips  gehöht,  „den  kleinen  To- 
bias vor  seinem  Vater"  darstellend,  ebendaselbst  (Braun  179). 

c)  Rötheizeichnung  einer  Madonna,  ebendaselbst. 

d)  Die  „Vertreibung  aus  dem  Paradies",  Kreidezeichnung  in 
der  venetianischen  Akademie. 

e)  In  der  Uffizien-Sammlung  (Küpferstichcabinet ,  Nr.  1940) 
ein  aquarellirtes  Blatt. 

f)  Auch  die  von  Herrn  Reiset  nur  dubitativ  dem  Meister 
selbst  zugeschriebenen  zwei  Kinderköpfe  in  der  Louvre- 
Sammlung,  Nr.  237  und  238,  sind  meiner  Ansicht  nach  echt. 


Die  Toscaner:  Andrea  Solario.  217 

„goldenen  Zeit"  und  zwar  ebenfalls  in  diesem  ersten 
Saiil,  unter  Nr.  42  und  unter  dem  Namen  des  Andrea 
Solario.  Es  stellt  Christus  mit  dem  Kreuz  und  zwei 
grinsenden  Schergen  dar.  Kalt  in  der  Farbe,  geleckt  in 
der  Ausfuhrung,  dunkel  in  den  Schatten,  ist  es  doch 
mit  grossem  Fleisse  ausgeführt.  Die  Häscher  sind  ca- 
rikirt  und  haben  ein  sehr  vlämisches  Aussehen,  sodass 
ich  keinen  Augenblick  anstehe,  dieses  Bild  für  die  Ar- 
beit eines  Niederländers  (f)  zu  erklären.  Die  Figur 
des  Christus  ist  allerdings  dem  Solario  entlehnt,  allein 
die  die  Zähne  zeigenden  Häscher  mit  dem  abscheu- 
lichen Daumen  na  gel  des  einen  sind  die  Zuthat  eines 
in  Italien  weilenden  Malers  der  Antwerpener  Schule, 
wie  mir  scheint.* 

Der  nämliche  Gegenstand  wurde  von  Andrea  Solario 
oft  behandelt,  so  unter  anderm  in  einem  Bildchen  der 
Communal  -  Galerie  von  Brescia  und  auf  zwei  Tafeln, 
die  einst  der  Maler  Galgani  in  Siena  besass.  In  all 
diesen  Werken  ist  Christus  edler,  würdiger  aufgefasst,  als 
in  diesem  Bild  der  Borghese- Galerie,  das  Colorit  ist 
wärmer,  die  Farben  sind  pastöser  aufgetragen,  alles 
Eigenschaften,  die  wir  in  seiner  treÖ'lichen  „Ruhe  auf 
der  Flucht"  vom  Jahre  1515  in  der  Sammlung  Poldi- 
Pezzoli  in  Mailand  bewundern. 

Andrea  Solario  nimmt  in  der  lombardisch -mailän- 
dischen  Schule  eine  ganz  eigenthümliche  Stellung  ein 
und  ist,  was  Technik  betriflft,  vielleicht  der  vorzüglichste 
Maler  derselben.    Da  nun  über  diesen  Maler  unter  den 


'  Andere  vlämische  Copien  oder  Nachbildungen  derart  nach 
Solario  finden  wir  in  der  Tariner  Pinakothek ;  in  der  städtischen 
Galerie  von  Siena  (Nr.  60);  im  Belvedere  in  Wien  (Saall,  Nr.  76). 
Alle  diese  Bilder  stellen  die  ^Uerodias*^  dar.  Aach  das  Bild  im 
Lonvre  mit  dem  Haupte  des  Täufers  auf  einem  Prisen tirteller 
(Nr.  397),  ist,  meiner  Ansicht  nach,  (f)  nichts  anders  als  vlä- 
mische  Nacbl>>l<1'i><r  ddch  A.  Solario. 


218  Die  Galerie  Borghese. 

Kunstschriftstellern  noch  immer  nicht  die  erwi'inschte 
Uebereinstimmiing  herrscht,  so  sei  mir  erlaubt,  bei 
dieser  Gelegenheit  mich  doch  weiter  über  ihn  auszu- 
sprechen. Die  Künstlerfamilie  der  Solari  (Architekten 
und  Bildhauer)  stammte,  wie  auch  die  Familie  der  Lom- 
bard! in  Venedig,  aus  dem  Dorfe  Solaro  in  der  Pro- 
vinz von  Como,  war  aber  schon  in  der  ersten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  in  Mailand  ansässig;  es  erscheint 
daher  als  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  Maler  Andreas, 
der  ums  Jahr  1460  geboren  sein  dürfte,  in  Mailand 
selbst  das  Licht  der  Welt  erblickt  habe.  Sein  älterer 
Bruder  hiess  Christoph,  war  Bildhauer  und  Baumeister, 
und  da  er  etwas  buckelig  war,  so  bekam  er  den  Zu- 
namen il  gobbo,  d.  h.  der  Buckelige.^ 

Andreas  war  diesem  Bruder  sehr  zugethan,  auch 
scheint  er  ihm  auf  dessen  Hin-  und  Herzügen  gefolgt 
zu  sein.  Daher  dürfte  es  wol  kommen,  dass  die  Bilder 
des  Malers  bald  Andreas  Mediolanensis  bald  Andreas 
de  Solario  bezeichnet  sind;  die  erstere  Aufschrift  steht 
auf  denjenigen  Bildern,  die  er  fern  von  Mailand  ge- 
malt, die  zweite  auf  jenen,  die  er  in  Mailand  selbst 
ausführte.  Andreas  wird  bei  allen  altern  Schriftstellern 
auch  Andreas  del  Gobbo  genannt,  woraus  zu  schliessen 
wäre,  dass  Christoph  beim  Jüngern  Bruder  Andreas 
gleichsam  Vaterstelle  vertreten  habe.  Einige  Kunst- 
historiker verwechselten  ihn  mit  Andrea  Salaino,  dem 
Famulus  Lionardo's.  Der  verstorbene  Otto  Mündler 
hat  in  seiner  trefflichen  ^^  Analyse  critique  de  la  notice 
des  tableaiLv  du  Louvre'-'-  das  Verdienst  gehabt,  zuerst 
über  den  Charakter  auch  dieses  italienischen  Künstlers 
Licht  zu  verbreiten.   Ihm  sind  sodann  die  Herren  Crowe 


^  Villot  machte  in  seinem  Louvre- Katalog  dagegen  den 
Andrea  selbst  zum  Buckeligen,  was  nicht  artig  von  ihm  war, 
während  im  neuesten  Katalog  der  Louvre-Galerie  Christoph  so- 
gar zum  Vater  des  Andreas  erhoben  wird. 


Die  Toscaner:  Andrea  Solario.  219 

und  Cavalcaselle  gefolgt,  haben  jedoch  in  dem  Kapitel, 
das  sie  diesem  Maler  widmen,  einiges  Neue  hinzugetugt, 
das  mir  durchaus  unhaltbar  erscheint.  Wer  sein  eigent- 
licher Lehrer  gewesen,  ist  noch  nicht  ermittelt.  In  der 
ausgezeichnet  feinen  Modellirung  seiner  Köpfe  darf  man 
wol  die  Schule  sehen,  die  er  bei  seinem  Bruder,  dem 
Bildhauer',  durchgemacht  hat.  Kein  lombardischer  Maler 
kommt  dem  Lionardo  so  nahe  wie  er  in  der  Model- 
lirung, keiner  hat  in  dieser  Beziehung  so  vollendete 
Köpfe  zu  Stande  gebracht,  wie  z.  B.  der  des  „Ecce 
homo"  der  Poldi-Sammlung  (Mailand);  in  der  Darstel- 
lung der  Hand  aber  bleibt  Solario  weit  hinter  Lionardo 
luid  Sodoma  und  selbst  Giampietrino  zurück.  Zwei 
kleine  Madonnenbilder,  das  eine  in  der  Poldi-Samm- 
lung, das  andere  in  der  Brera- Galerie,  Nr.  310,  sind 
die  ältesten  mir  bekannten  Werke  von  ihm.  Dieses 
letztere  dürfte  uns  auch  auf  den  Einfluss  des  Barto- 
lommeo  Suardi,  Bramantino  genannt,  schliessen  lassen.^ 
Im  Jahre  1490  begleitete  er  seinen  Bruder  Christoph 
nach  Venedig,  und  dort  mag  er  das  schöne  Bildniss  seines 
venetianischen  Senators  (jetzt  in  der  National  Gallery  in 


^  Ausser  dem  Cristoforo  gab  es  nooh  einen  andern  Bild- 
haaer  in  der  Familie  der  Solari,  nämlich  einen  Pietro  Solari, 
von  dem  in  dem  Seiteneingange  zur  Kirche  di  S.  Angelo  in  Mai- 
land ein  mit  seinem  Namen  bezeichnetes  Hochrelief  (Madonna 
und  Kind)  sich  vorfindet. 

*  Die  Madonna  auf  dieeem  Bilde ,  daa  fraher  die  gefälschte 
Aufschrift  Johannes  Bellinus  trti^  und  deshalb  nooh  von  den 
Commentatoren  des  Vasari  (\      <  Werk  des  Giambellino  an- 

fcefuhrt  wird,  hat  eine  alt«  i  >  ue  Haube  in  der  Art  der- 

jenigen, die  Bramantino  seinen  Frauen  aufsetzte  und  mit  wel- 
cher auch  Qaudenzio  Ferrari  seine  weiblichen  Köpfe  tu  schmücken 
beliebte.  In  der  Sammlung  des  Fürsten  Qiangiacomo  TrivuUio 
in  Mailand  sieht  man  andererseits  ein  m&nnliches  Porträt  (Bas- 
relief) von  Christoforo  Solan,  das  sehr  an  die  gemalten  Bild- 
nisse seines  Bruders  Andreas  erinnert 


220  ^iß  Galerie  ßorghese. 

London,  Nr.  923)  gemalt  haben,  etwa  um  1492 — 93.  In 
diesem  Gemälde  ist  der  Einfluss  des  Giambellino  und 
mehr  noch  der  des  Antonello  da  Messina  sichtbar;  auch 
galt  dasselbe  im  Hause  Gavotti  zu  Genua,  wo  dieses 
Bild  sich  früher  befand,  als  Werk  des  Giovanni  Bel- 
lini. Im  Jahre  1493  scheinen  beide  Briider  wieder  nach 
Mailand  zuriickgekehrt  zu  sein.  Ob  nun  Andreas  das 
Altarbildchen  für  die  Kirche  von  S.  Pietro  Martire  in 
Murano  (vom  Jahre  1495),  jetzt  in  der  Brera-Galerie 
(Nr.  103),  in  Venedig  selbst  oder  anderswo  ausgeführt, 
bin  ich  nicht  in  der  Lage  anzugeben.  Es  ist  jedoch 
wahrscheinlich,  dass  er  ein  zweites  mal  die  Lagunen- 
stadt besucht  und  das  Bild  dort  gemalt  habe.  Das 
Madonnengesicht  in  diesem  Gemälde  ist  durchaus  Lio- 
nardisch  und  erinnert  in  der  Zeichnung  an  die  Madonnen 
Boltraffio's,  was  uns  vermuthen  lässt,  dass  Solario  nach 
seiner  Rückkunft  von  Venedig,  also  in  den  Jahren  1493 
und  1494,  von  dem  grossen  Florentiner  stark  beeinflusst 
worden  sein  muss.  Die  Herren  Crowe  und  Cavalca- 
selle  sehen  jedoch  in  diesem  Bilde,  ausser  den  Lionar- 
dischen  Einflüssen,  auch  noch  den  von  Andrea  del  Ver- 
rocchio  (!)  und  der  venetianischen  Schule;  für  sie  ist 
dieses  Gemälde  ein  Conglomerat  von  florentinischen, 
lombardischen  und  venetianischen  Einflüssen;  ja,  der 
landschaftliche  Hintergrund  erinnert  sie  ganz  speciell 
an  die  Landschaften  des  Bergamasken  Previtali,  der 
1495  höchstens  15  Jahre  gezählt  haben  dürfte. 

Auf  diesem  schlüpfrigen  Wege  der  Beeinflussungen 
und  Analogien  will  ich  diesen  Herren  nicht  folgen,  denn 
derselbe  pflegt  gewöhnlich  entweder  in  ein  Dorngestrüpp 
oder  in  einen  Morast  zu  führen. 

Vom  Jahre  1499  besitzt  die  Poldi-Sammlung  zwei 
Täfelchen  mit  dem  Täufer  und  der  heiligen  Katharina, 
(Fragmente  eines  Triptychons),  bezeichnet:  Andreas  Me- 
diolanensis,  also  nicht  in  Mailand  gemalt.  Auch  kamen 
die  beiden  Täfelchen  von  Venedig  nach  Mailand.    Der 


Die  Toscaner:  Andrea  Solario.  221 

Täufer  ist  ganz  und  gar  Lionardiscb,  die  Katharina  da- 
gegen einheimisch  lombardisch.* 

Zeitlich  folgt  nun  die  kleine  „Kreuzigung",  Nr.  396^ 
in  der  Louvre- Galerie  aus  dem  Jahre  1503,  ebenfalls 
Andreas  Mediolanensis  bezeichnet.  Aus  derselben  Epoche 
ungefähr,  d.  h.  aus  den  Jahren  1503—1504  mag  wol 
auch  das  männliche  Bilduiss,  Nr.  395,  in  derselben  Ga- 
lerie stammen.  In  neuer  Zeit  wurde  es  als  das  Por- 
trät von  Charles  d'Amboise,  des  französischen  Statt- 
halters in  Mailand,  erklärt  und  merkwürdigerweise  dem 
A.  Solario  blos  attribuirt.  Das  Bild  stellt  einen  Mann 
hoch  in  den  Dreissigen  dar,  auf  dessen  Baret  der  Or- 
den des  heiligen  Michael  angebracht  ist;  im  Hintergrund 
die  Aussicht,  die  man  von  Mailand  aus  auf  die  beschneiten 
Alpen  hat.  Die  malerische  Ausführung  ist  fein,  aber  ein 
dichter,  schmutziger  Firnis  lässt  dieselbe  kaum  noch 
erkennen.  Auch  dieses  Porträt  mag  von  Solario  in  den 
ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  in  Mailand  ausge- 
führt worden  sein.  Vom  Jahre  1505  ist  auch  der  kreuz- 
tragende Christus  beim  Maler  Galgani.  Dieses  Bild 
wurde  wahrscheinlich  gleichfalls  in  Mailand  ausgeitihrt 
und  keineswegs  in  Florenz,  wie  Calvi  anzunehmen 
scheint,  um  daraus  seine  weitern  Schlüsse  zu  ziehen; 
denn  A.  "Solario  malte  in  demselben  Jahre  1505  das 
Porträt  seines  Freundes,  des  Mailänders  Cr.  Longoni 
(gegenwärtig  in  der  National  Gallery  in  Jjondon, 
Nr.  734).  In  dieselbe  Zeit,  d.  h.  in  die  mailändische 
Epoche,  die  seiner  Abreise  nach  Frankreich  vorausging, 
setze  ich  noch  ein  Frauen port rät  im  Besitze  des  Mar- 
chese  Emmanuele  d'Adda  in  Mailand. 

In  der  Mitte  des  Jahres  1507  reiste  Solario  von  Mai- 
land nach  Frankreich   mit   Kinpfehlungen  des  französi- 


'  Eine  heilige  Katharina  in  einem  Bilde  des  Maorino  d^Alba 
vom  Jahre  1506  in  der  Tnriner  Pinakothek  gemahnt  lebhaft  an 
diese  Katharina  des  Andrea  Solario. 


222  I^i©  Galerie  Borghese. 

sehen  Statthalters  im  Mailändischen,  Charles  de  Chau- 
mont,  in  Italien  Ciamonte  genannt,  an  seinen  Onkel, 
den  Cardinal  Georg  von  Amboise,  für  welchen  Solario 
dann  zwei  Jahre  lang  in  Gaillon  beschäftigt  war.  Der 
ehrsüchtige  Cardinal,  der  nach  dem  Tode  Pius'  III.  sich 
einige  Zeit  lang  mit  der  Hoffnung  getragen  hatte  die 
Papst  würde  zu  erlangen,  hatte  nämlich  seinem  Neffen, 
dem  Stellvertreter  Ludwig's  XII.,  den  Wunsch  geäussert, 
dem  berühmten  Lionardo  da  Vinci  die  Ausschmückung 
seiner  Schlosskapelle  in  Gaillon  anzuvertrauen.  Allein 
Lionardo  war  in  jener  Zeit  so  sehr  mit  fortificatori- 
schen  und  hydraulischen  Arbeiten  im  Mailändischen  in 
Anspruch  genommen,  dass  er  nicht  einmal  die  Zeit 
finden  konnte,  für  König  Ludwig  ein  Madonnenbild- 
chen auszuführen  (siehe  Gaye,  ^^Carteggio^\  II,  94 — 96). 
Chaumont  sendete  ihm  daher  statt  den  Lionardo  den 
Andreas  Solario,  den  er  nach  dem  grossen  Florentiner 
für  den  besten  damals  in  Mailand  lebenden  Meister 
zu  halten  berechtigt  war.  Andreas  vollendete  seine 
Wandgemälde  in  der  Schlosskapelle  von  Gaillon  im  Sep- 
tember des  Jahres  1509. 

Vor  seiner  Abreise  nach  Frankreich  oder  gleich  nach 
seiner  Ankunft  in  Gaillon  mag  die  sogenannte  „Vierge  au 
coussin  vert",  gegenwärtig  in  derLouvre-Galerie,  Nr.  394, 
entstanden  sein.  Bisjetzt  ist  es  noch  nicht  ermittelt,  ob  So- 
lario nach  vollendeter  Arbeit  im  Schlosse  Gaillon  längere 
Zeit  noch  in  Frankreich  sich  aufgehalten  hat.  Mir  er- 
scheint die  Hypothese  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  vor 
der  Rückkehr  in  die  Heimat  einige  Zeit  auch  in  Flandern, 
wahrscheinlich  in  Antwerpen,  dessen  Malerschule  da- 
mals in  hoher  Blüte  stand  und  mit  deren  Vertretern 
er  höchst  wahrscheinlich  schon  in  Italien  nähere  Bekannt- 
schaft gemacht  haben  dürfte,  verweilt  habe.  Denn  gar 
manches  seiner  Gemälde,  wie  unter  andern  auch  ganz 
besonders  die  „Ruhe  auf  der  Flucht"  vom  Jahre  1515, 
sowie  auch  der  fein  ausgeführte,  allein  kalte  „Ecce  homo" 


Die  Toscaner:  Andrea  Solario.  223 

in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli  in  Mailand,  haben  einen 
so  ausgesprochen  flandrischen  Charakter,  erinnern  selbst 
in  der  violetten  Farbe  und  auch  in  der  Composition 
so  sehr  an  die  Schule  von  Antwerpen  und  namentlich 
an  Patinir,  dass  sie  beim  ersten  Anblick  wie  viamische 
Arbeiten  erscheinen.^  Im  Jahre  1515  scheint  Solario 
wieder  in  Italien,  wenn  auch  nicht  in  Mailand,  gewesen 
zu  sein.  Dies  geht  aus  dem  eben  erwähnten  Bild  mit 
der  „Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten"  hervor,  wel- 
ches die  Aufschrift  hat:  Andreas  do  Solario  mediolanen: 
f.  1515. 

Von  dieser  Zeit  an  wissen  wir  niehts  mehr  von  ihm. 
Dass  er  das  grosse  Altarbild  für  die  Kartäuserkirche  bei 
Pavia  (jetzt  in  der  neuen  Sakristei  daselbst  aufgestellt) 
nach  dem  Jahre  1515  gemalt,  ist  mehr  als  wahrschein- 
lich, zumal  da  es  heisst,  dass  der  obere  Theil  des  Bildes 
von  Solari  unvollendet  gelassen,  durch  Bernardino  Campi, 
etwa  um  1576,  zu  Ende  geführt  worden  sei.  (Wahr- 
scheinlich hat  Bernardino  Campi  den  obern  Theil  des 
Bildes,  der  damals  vielleicht  gelitten  hatte,  blos  restau- 
rirt,  da  soviel  mir  bekannt,  die  Maler  von  oben  und 
nicht  von  unten  ihre  Bilder  zu  bemalen  beginnen.*) 

Durchaus  unhaltbar  erscheint  mir  auch  die  von  G. 
Calvi  wiederholte  Behauptung,  dass  Andrea  Solari  etwa 
um  1513  den  Andrea  da  Salemo  nach  Süditalien  be- 
gleitet (von  wo  aus?)  und  in  Neapel,  in  Gesellschaft 
desselben,  eine  Kapelle  in  der  Kirche  von  S.  Gaudioso 
gemalt  habe.'  Hier  mag  vielleicht  eine  Verwechselung 
mit  Cesare  da  Sesto  stattgefunden  iiabon. 

*  Director  W.  Bode  (II,  745)  sieht  dagegen  in  diesem  Bilde 
det  Solario  Einflüsse  von  Rom.  (?) 

*  In  der  That  sieht  man  noch  die  Uebermalungen  Campi*s 
besonders  an  den  Gesichtern  der  Madonna  und  der  xwei  sie  be- 
krönenden Engel. 

'  G.  Calvi,  „Notisie  suHa  rita  e  sttüe  opere  dei  prindpaU 
architettij  scuUori  e  pitiori  cht  fiorirono  in  MUano  duranU  il 


224  I^ie  Galerie  Borghese. 

Dreier  männlicher  Porträts  des  Solario  möchte  ich 
hier  noch  Erwähnung  thiin.  Das  eine  derselben  muss 
nach  1515  entstanden  sein.  Es  ist  dies  das  Bild- 
niss,  das  unter  dem  Namen  Lionardo's  in  der  Ge- 
mäldesammlung des  Herzogs  Scotti  in  Mailand  auf- 
gestellt ist.  Der  dargestellte  Herr  hat  ein  feines 
Gesicht,  einen  scharfen  Blick  und  einen  sehr  entschie- 
denen Mund.  Im  Hause  Scotti  gilt  das  Bild  für  das 
Porträt  des  Kanzlers  Morone.^  Dieser  wurde  aber 
erst  im  Jahre  1518,  wenn  ich  nicht  irre,  zum  Gross- 
kanzler erhoben. 

Das  zweite  Porträt  besitzt  Graf  Castelbarco  in  Mai- 
land; es  soll  Cesare  Borgia  vorstellen  und  wird  im 
Haus  Castelbarco  dem  Urbinaten  zugeschrieben.  Beide 
Gemälde  sind  durch  Uebermalung  sehr  entstellt. 

Das  dritte,  ganz  vorzügliche,  obwol  sehr  verdorbene 
Porträt  eines  vornehmen  Cavaliers  befindet  sich  im  Hause 
Perego  zu  Mailand. 

Von  Andrea  Solario  ist  mir  nur  eine  einzige  Zeich- 
nung bekannt.  Sie  befindet  sich  in  der  venetianischen 
Akademie  und  ist  die  Federskizze  zu  seinem  Bilde  in 
der  Sakristei  der  Certosa  von  Pavia.  An  dieser  Feder- 
zeichnung sieht  man,  wie  mir  scheint,  dass  Andrea  das 
Zeichnen  von  seinem  Bruder  Cristoforo  (von  dem  in 
der  Ambrosiana  mehrere  Federzeichnungen  sind)  er- 
lernt hat. 


regno  dei  Visconti  e  degli  Sforza,  raccoUe  ed  esposte  da  S.  Calvi^^ 
(Milano  1865),  p.  277.  An  diesem  Büchlein  sieht  man ,  wie  ein 
aller  Kunstkenntniss  barer  Documenten Jäger  von  seinen  Induc- 
tionen  sich  irreführen  lassen  kann. 

'  Hieronymus  Morone,  geboren  1470,  starb  1529.  Dieses  Bild- 
niss  stellt  aber  einen  Mann  von  annähernd  fünfzig  Jahren  vor. 
Solari  müsste  ihn  also  um  1518—20  gemalt  haben.  Danach 
könnte  allerdings  hier  der  Kanzler  Morone  dargestellt  sein.  Der 
Vergleich  mit  der  Medaille  scheint  diese  Bestimmung  noch  zu 
bestätigen. 


Lionardo  da  Vinci.  225 

LIONARDO  DA  VINCI. 

Vom  grossen  Lionardo  selbst  besitzt  die  vaticani- 
sche  Sammlung  ein  höchst  interessantes,  allein  blos 
untermaltes  Bild,  den  knienden  und  sich  kasteienden 
heiligen  Hieronymus  darstellend;  für  Kunstforscher  von 
höchstem  Interesse,  den  Laien  meist  ein  Greuel.  Ausser 
diesem  Bilde  und  der  ebenfalls  blos  untermalten  Tafel 
mit  der  „Anbetung  der  Hirten"  in  der  üffizien-Galerie, 
und  dem  vielfach  übermalten,  weltberühmten  „Abend- 
mahl" in  Mailand,  kenne  ich  kein  anderes  Gemälde  in 
Italien,  das  man  dem  grossen  Florentiner  in  allem  Ernst 
zuschreiben  dürfte. 

Da  in  der  Auffassung  der  grossen  sowol  als  der 
weniger  grossen  italienischen  Meister  zwischen  Herrn 
Director  Bode  und  mir,  wie  wir  bereits  gesehen,  eine 
«benso  breite  als  tiefe  Kluft  besteht,  so  werden  meine 
Freunde  auch  diesmal  sich  nicht  wundem,  wenn  ich 
die  vom  berliner  Gelehrten  (II,  668)  als  Arbeit  Lio- 
nardo's,  Nr.  73  im  achten  Saal  dieser  Borghese-Galerie, 
angesehene  Zeichnung  (weiblicher  Kopf)  meinerseits 
nur  als  das  Machwerk  eines  untergeordneten  Nach- 
ahmers des  Bernardino  de'  Conti  betrachten  kann. 
Echte  Zeichnungen  des  Lionardo  gibt  es,  soviel  mir 
bekannt  ist,  weder  in  Rom  noch  in  Neapel,  und  von 
den  siebenundzwanzig  in  der  Uffizien- Sammlung  ihm 
zugeschriebenen  gehören,  nach  meinem  Dafürhalten, 
kaum  fünf  ihm  selbst  an.^     Dagegen  besitzt  die  vene- 


*  Da  über  diese  meine  dreiste  Behauptong  selbst  unter  meinen 
Freunden  and  Gönnern  gar  mancher  ungläubig  den  Kopf  sohüt> 
teln  dürfte,  sehe  ich  mich  vor  ihnen  verpflichtet,  hier  die  Zeich- 
nungen anzugeben  f  die  in  der  Uffixien- Sammlung  nach  meiner 
Ueberzeugung  mit  Recht  den  Namen  Lionardo^s  tragen,  sowie  jene, 
die  dort  mit  Unrecht  dem  grossen  Florentiner  zugeschrieben 
werden.  Nach  meiner  Ansicht  also  sind  echt:  die  Zeichnungen 
unter  den  Nrn.  423,  436,  446,  449,  und  endlich  die  Federzeich- 

LsBXOLisrr.  1 5 


226  I^i®  Galerie  Borghese. 

tianische  Akademie  etwa  fünfundzwanzig,  die  königL 
Bibliothek  in  Turin  zwölf,  die  Ambrosiana,  die  vielen 
im  sogenannten  Codex  atlanticus  enthaltenen  nicht  mit 
eingerechnet,  etwa  zehn  echte  Zeichnungen  des  gros- 
sen Florentiners.  Auf  allen  diesen  Zeichnungen  Lio- 
nardo's  gehen  die  Strichzüge,  wie  schon  bemerkt,  von 
links  nach  rechts,  denn  Lionardo  pflegte  mit  der 
linken  Hand  nicht  nur  zu  schreiben,  sondern  auch  zu 
zeichnen  und  nur  bei  Darstellung  runder  Körper 
bediente  er  sich  zuweilen  auch  der  rechten  Hand. 
Will  man  sich  von  der  Richtigkeit  dieser  meiner  Be- 
merkung überzeugen,  so  beschaue  man  unter  diesem 
Gesichtspunkt  alle  Zeichnungen  im  sogenannten  Codex 
atlanticus-^  man  prüfe  daraufhin  ferner  die  Zeichnungen 
auf  den  verschiedenen  Manuscripten  Lionardo's  in  Paris, 
in  England,  in  Italien;  man  betrachte  sich  auch  die  von 
Dr.  J.  P.  Richter  in  seinem  mustergültigen  Werk  über 
Lionardo  („  The  literary  works  of  Leonardo  da    Vinci'^^ 


nung  mit  der  Landschaft  vom  Jahre  1473,  im  ganzen  also  fünf^ 
für  unecht  halte  ich  dagegen  die  Zeichnungen  unter  den  Nrn. : 
414  (gehört  einem  spätem  Künstler  an); 

419  (Copie); 

420  (viel  zu  schwach  für  Lionardo); 

421  (Sodoma),  Br.  448; 

422  (Schülerarbeit); 

424  (Copie); 

425  (Schülerarbeit) ; 

426  (Schülerarbeit); 

427  (A.  de  Predi8[?]); 

428  (niederländische  Copie  nach  Verrocchio),  Br.  429; 

429  (Schülerarbeit); 

430  (Schülerarbeit); 
.431  (Schülerarbeit); 

432  (Copie  nach  Lorenzo  di  Credi); 

433,  434  (Nachahmungen); 

435,  437  (Nachahmungen); 

447  (Fälschung); 

448,  450,  451  (Nachahmungen). 


Lionardo  da  Vinci.  227 

London  1883)  mit  grosser  Sachkenntniss  uns  darge- 
botenen Zeichnungen,  und  ich  zweifle  nicht,  dass  jeder 
Unbefangene  sich  überzeugen  wird,  dass  ich  nicht  un- 
recht habe,  gegen  die  Masse  von  entweder  aufs  gerathe- 
wohl  oder  auf  den  sogenannten  „geistigen  Inhalt"  hin, 
ja  nicht  selten  auch  ganz  willkürlich  dem  Lionardo 
zugeschriebenen  Zeichnungen  und  Getnälden  zu  pro- 
testiren.  Die  bessern  von  diesen  sogenannten  Lionardo- 
Zeichnungen  gehören,  wie  wir  bereits  gesehen,  seinen 
Schülern  an:  dem  Boltraffio,  dem  Sodoma,  dem 
Cesare  da  Sesto,  dem  Giampietrino,  oder  auch 
seinen  Nachahmern:  dem  Ambrogio  de  Predis  (Ve- 
nedig), dem  Bernardino  de'  Conti  (Ambrosiana, 
Louvre  u.  a.  m.);  die  geringern,  wie  z.  B.  dieser  weib- 
liche Kopf  der  Borghese-Galerie,  sind  Copien  spaterer 
Kiinstler  oder  auch  Fälschungen  und  von  dieser  letz- 
tern Sorte  gibt  es  nicht  wenige.* 


^  Zar  Belehrung  für  Neulinge  in  der  Kunstwissenschaft  will 
ich  hier  ein  halbes  Dutzend  solcher,  nach  meiner  Ansicht*  fal- 
scher Lionardo-Zeichnungen  anführen: 

1)  Windsor:  Federzeichnung,  eine  Madonna  in  liegender 
Stellung  mit  dem  Kinde ;  überdies  vier  Kinderstudien  mit 
einer  Katze  spielend  (Grosvenor  Gallery,  Nr.  57). 

2)  Albertina:  ein  grosses  Blatt,  vormals  in  den  Samm- 
lungen Yasari  und  Mariette;  die  sechs  Köpfe  auf  den 
Seiten  sind  echt,  während  der  weibliche  Kopf  und  der 
kleine  Johannes  in  der  Mitte  des  Blattes  unecht  sind 
(Braun  102—109). 

:\)  Louvre:  {Solle  atus  boHes)^  Federzeichnung  mit  dem 
Profilkopfeines  Jünglings,  von  recht«  nach  links  gewandt; 
daneben  Caricaturen  (Katalog  Reiset,  882;  F&bchong. 
Braun  174).  Man  betraohte  besonders  die  Zeichnung  des 
Auges  und  der  Haare. 

4)  Albertina:  Federzeichnung  mit  fünf  Carioataren  nnd 
zwei   Profilköpfen  (Braun  98). 

r>)  Britisches  Musenm:  Fedcrsaiohniiiiir  mit  drei  Carica- 
turen, oben  der  Name  des  I.i  la  Vinci  und  das 
Jahr  1476;  von  einem  vl&miscl.  r  (Braun  49)  und 

lo* 


228  I^io  Galerie  Borghese. 

Es  wäre  wol  eine  unverzeihliche  Anmassung  meiner- 
seits, wenn  ich  als  Südländer  einen  Nordländer  und  jxar 
einen  Mann  in  der  Stellung  des  Herrn  Director  W.  Bode 
der  Oberflächlichkeit  zeihen  wollte;  bedenke  ich  jedoch 
andererseits,  welch  grosses  Unrecht  der  berliner  Kunst- 
gelehrte einem  Künstler  von  der  Bedeutung  des  Lio- 
■nardo  da  Vinci  zuzufügen  sich  angelegen  sein  lässt  durch 
die  von  ihm  mit  der  Zähigkeit  der  vollen  üeberzeu- 
gung  demselben  octroyirten  Werke,  sowol  Zeichnungen 
als  Bilder,  so  kann  ich  nicht  unterlassen  (und  als  „un- 
parteiischer" Mann  wird  er  hoffentlich  mir  dies  nicht 
übel  nehmen),  bei  dieser  Gelegenheit  öffentlich  gegen 
solche  Profanationen  Protest  einzulescen.  Stellte  man 
alle  die  von  Herrn  Director  Bode  dem  grossen  Floren- 
tiner zugedachten  Bilder,  wie  z.  B.  die  „Verkündigung" 
in  den  üffizien,  den  „auferstandenen  Christus"  im  Ber- 
liner Museum,  den  weiblichen  Profilkopf  und  den  un- 
vollendeten männlichen  Kopf  in   der  Ambrosiana,   die 


ebendaselbst  auch  der  Kopf  eines  alten,  die  Vorderzähne 
zeigenden  Mannes;   ebenfalls  die  Arbeit  eines   Vlamlän- 
ders  (Braun  27). 
6)  Britisches  Museum:  Allegorische  Darstellung,  Tusch- 
zeichnung;  das  Originalblatt  in  der  Salle  anx  hohes  im 
Louvre  (Braun  53). 
Es  ist  merkwürdig ,  wie  die  grossen  Personalitäten  der  ita- 
lienischen Kunst,   sowol  im  Lande    selbst  als  auch  anderwärts, 
schon  in  der  Mitte  des   IG.  Jahrhunderts  den  Kunstfreunden  so 
nebelhaft  vor  den  Augen  schwebten,   dass,  wie  wir  soeben  ge- 
sehen, selbst  ein  Vasari  seinen  grossen  Landsmann,  dessen  sämmt- 
liche  Werke,  sogar  die  unbedeutendsten,  allein  schon  durch  ihren 
geistigen  Ausdruck  fesseln,  so  sehr  verkennen  konnte,  dass  er 
ihm  die  zwei  Zeichnungen  in  der  Mitte  jenes  Blattes  in  seinem 
eigenen  Besitz  zuschrieb.     Im  Venetianischen  traf  dasselbe  Los 
den  Giambellino,  den  Giorgione  u.  a.  m. ;  denn,  wie  in  Mittelita- 
lien Michelangelo  alle  seine  Vorgänger  in  Schatten  gestellt  hatte? 
BO  wurden  alle  Augen    in  Venedig  vom  Glänze  Tizian's,   Tinto- 
retto's  und  des  Paolo  Veronese  geblendet. 


Lionardo  da  Vinci.  229 

„das  Kind  säugende  Madonna"  in  der  Ermitage  in 
St.-Petersburg  u.a.m.  neben  die  „Anbetung  der  Hirten" 
in  den  Uffizien,  den  „heiligen  Hieronymus"  im  Vatican, 
die  „Mona  Lisa"  im  Louvre,  die  „Vierge  aux  rochers" 
ebendaselbst,  so  bin  ich  schon  im  voraus  überzeugt, 
dass  selbst  die  Freunde  und  Anhänger  des  Herrn  Di- 
rectors  sich  sträuben  würden,  alle  diese  Werke  als  vom 
Geist  und  von  der  Hand  ein  und  desselben  Meisters 
anzuerkennen.  Herr  Director  Bode,  dem  es  um  die 
Wahrheit  gewiss  ebenso  ernst  ist  wie  mir,  möge  mir 
diese  meine  vielleicht  zu  heftigen  Expectoration  nicht 
übel  deuten,  denn  sie  ist  gut  gemeint. 

Von  Gaudenzio  Ferrari  besitzt  weder  Florenz 
noch  Rom,  weder  Palermo  noch  Neapel  irgendein 
Gemälde;  es  ist  dies,  wie  mir  scheint,  ein  fernerer 
Beweis,  wenn  auch  nur  ein  negativer,  dass  dieser  Künst- 
ler niemals  den  Apennin  überschritten  hat  und  dass 
somit  seine  behauptete  Schülerschaft;  unter  Pietro  Peru- 
gino  und  die  persönliche  Freundschaft  mit  Raffael  nur 
eine  leere  Erfindung  ist,  wie  ich  später  dies  zu  beweisen 
versuchen  will.  Die  grosse  Altartafel,  eine  Apotheose 
des  heiligen  Bcrnardinus  von  Siena  im  Palast  Sciarra- 
Colonna,  dort  lächerlicherweise  dem  Gaudenzio  zu- 
geschrieben, gehört  ihm  nicht  nur  nicht  an,  sondern 
stammt  nicht  einmal  aus  einer  Malerschule  Oberitaliens. 
Wie  mir  scheint,  ist  dies  das  Machwerk  irgendeines 
Sienesen  vom  Ende  des  16.  Jalirhunderts.  Die  kleine 
Madonna  mit  dem  Christkinde  in  der  Capitolinischen 
Sammlung  (Saal  1, 44)  verdankt,  wie  noch  andere  Bilder 
dort,  hüclist  wahrscheinlich  ihre  sonderbare  Taufe  einem 
ergötzlichen  (juid  pro  quo.  Man  hatte  nämlich,  wie  ich 
vermuthe,  auf  der  Rückseite  der  Tafel  den  Namen  „Fer- 
rara"  angebracht,  als  das  Bild  von  der  Stadt  Ferrara 
nach  Rom  kam,  und  dieser  Name  wurde  dann  von  dem 
damaligen  Galcriedirector  für  den  des  Malers  Ferrari 
genommen.    Jedem  auch  nur  oberflächlichen  Kuustver- 


230  I^i«  Galerie  Borghese. 

staudigen  stellt  sich  jenes  Bildchen  auf  den  ersten  Blick 
als  ein  Werk  aus  der  Schule  des  Garofolo  dar.  So 
wenigstens  sollte  man  meinen;  dem  ist  aber  nicht  so. 
Der  kürzlich  verstorbene  Professor  Tommaso  Minardi 
uahm^  wie  viele  andere,  so  auch  diese  hergebrachte  Be- 
nennung für  baare  Münze  an  und  schrieb  darauf  hin  über 
Gaudenzio  Ferrari  und  die  mailändische  Schule.  Ich  würde 
dieses  Minardi  nicht  gedacht  haben,  hätte  er  nicht  bei 
seinen  Lebzeiten  in  Rom  sowol  als  auch  im  ganzen  päpst- 
lichen Staate  für  die  grösste  Autorität  in  der  Kunst- 
wissenschaft gegolten  und  gäbe  es  der  Minard is  nicht 
so  viele  auch  bei  uns  im  heiligen  Kussland,  ja  vielleicht 
selbst  im  gelehrten  Deutschland.  Minardi  war  Pro- 
fessor der  Malerei  und  überdies  „Fachmann"  und  nicht 
etwa  ein  blosser  Dilettant. 


LOMBARDISCHE  MEISTER. 

Nun  bleibt  mir  noch  übrig,  meinen  Lesern  das 
wenige  mitzutheilen ,  was  ich  über  die  zwei  mailänder 
Maler  Ambrof^rio   de  Predis   und  Bernardino  de'  Conti 


AMBROGIO  DE  PREDIS. 

Vor  ungefähr  zehn  Jahren  hatte  ich  die  Freude,  den 
Freunden  italienischer  Kunst  den  trefflichen,  bisher 
völlig  unbekannt  gebliebenen  Porträtmaler  aus  der  mai- 
ländischen  Schule  namens  Ambrogio  Predi  vorzu- 
stellen. Ein  mit  dem  Namen:  Ambrosius  de  pdis 
(predis)  melanensis  (mediolanensis)  1502  ^  bezeichnetes 
Bildniss  des  Kaisers  Maximilian  in  der  Ambraser- 
Sammlung  zu  Wien  hatte  mich  im  Jahre  1873  zuerst 
auf    diesen    von    den    Kunstschriftstellern    bisher    ver- 


*  Siehe  Nagler's  Monogrammisten,  I,  414. 


roRTRlT  DU  KAIMM  MAXIMILIAN  VON  A.  DB  rRBDIfl. 
IN  D«a  AMBRA^P»«    -»»«Ml  I  «wü  »I    u  ii/v 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  231 

kannten  Maler  aufmerksam  gemacht.  Die  Herren  Crowe 
und  Cavalcaselle  (II,  50)  erwähnen  zwar  auch  dieses 
Porträt  des  Kaisers,  versetzen  es  aber  in  die  Schönborn- 
Sammhmg  und  schreiben  es  überdies  zwar  nicht  dem 
Ambrogio  Bevilacqua  wie  Nagler,  wol  aber  dem  Am- 
brogio Borgognone  zu.  Nachdem  ich  nun  damals  die 
charakteristischen  Merkmale  in  diesem  etwas  übennalten 
Porträt  des  Ambrogio  Preda  oder  Predi  scharf  ins  Auge 
gefasst  hatte  *,  war  ich  in  der  Lage  auch   anderwärts 

*  Ich  schrieb  vor  diesem  Porträt  folgende  charakteristische 
Merkzeichen  in  meinem  Notizbuch  nieder: 

a)  Der  schwarze  Rand  des  obem  Augenlides  läuft  in  gerader 
Linie  seiner  äussern  Spitze  zu  und  wird  da  von  der  Spitze 
des  Bandes  des  untern  Augenlides  durch  einen  hellen 
Lichtstreifen  geschieden.  (Diesen  Lichtstreifen  zwi- 
schen der  schwarzen  Linie  des  obern  Augenlides  und  dem 
accentuirten  Schlagschatten  desselben  fand  ich  sodann 
in  allen  nicht  übermalten  Profilporträts  des  Ambrogio 
de  Predis.  Es  ist  dies  also  ein  höchst  charakteristisches 
Merkmal  für  den  Meister.) 

b)  Die  Augenwimpern  sind  einzeln  angezeigt. 

•c)  Die  Contour  der  Oberlippe  ist  steif,  die  Unterlippe  voll 
und  wulstig.  (In  einigen  gut  erhaltenen  Bildnissen  sind 
die  kleinen  Längsfaltchen  darauf  augegeben,  so  im  weib- 
lichen Profilporträt  in  der  Ambrosiana,  im  Porträt  eines 
Pagen  in  der  Sammlung  Morelli,  und  auch  im  Bildnisse 
des  Kaisers  Maximilian.) 

d)  Der  Nasenrücken  ist  sehr  scharf  beleuchtet. 

e)  Auf  die  schwerfallig  herabfallende  Haarmasse  sind  die 
Lichter  mit  einzelnen  Strichen  aufgesetzt. 

f)  Die  Kette  mit  dem  goldenen  Vlies  ist  in  der  Weise  eines 
Miniaturmalers  ausgeführt.  Alle  diese  charakteristischen 
Merkmale,  die  mir  im  Profilportr&t  des  Kaisers  Maximilian 
aufgefallen  waren,  fand  ich  dann  wieder  nicht  nur  auf 
dem  weiblichen  Profilporträt  in  der  Arabrosiana,  sondern 
auch  auf  dem  Profilporträt  in  der  Poldi-Pezzoli*SammIang 
in  Mailand,  auf  dem  Profilporträt  eines  alten  Herrn  bei 
Herrn  Dr.  Frizzoni,  in  den  Porträts  des  Lodovico  Sforza 
und  seines  Sohnes  Maximilian  im  „Libro  del  Jesus"  der 
Bibliothek  des  Fürsten  Trivulzio ,  und  in  dem  vorzüglichen 


232  I^iö  Galerie  Borghese. 

Werke  dieses  ganz  vergessenen  Meisters  aufsuchen  zu 
können.  Meine  Nachforschungen  blieben  in  der  That 
nicht  ohne  Erfolg,  und  ich  hatte  die  Genugthuung,  schon 
im  Jahre  1880,  in  meinem  kritischen  Versuch  über  „die 
Werke  der  italienischen  Meister  in  den  Galerien  von 
München,  Dresden  und  Berlin"  (S.  456 — 458),  ausser 
dem  Porträt  des  Kaisers  Maximilian  meinen  jungen 
Freunden  noch  drei  andere  Bildnisse  sowie  auch  eine 
Zeichnung  anführen  zu  können,  die  zwar  alle  den 
Namen  Lionardo's  führten,  mir  jedoch  als  Werke  von 
der  Hand  unsers  Ambrogio   de  Predis  erschienen. 

In  einer,  ich  gestehe  es  gern,  vielleicht  etwas  über- 
müthigen  Stimmung  wähnte  ich  damit  der  Kunstwissen- 
schaft, wenn  auch  keinen  erheblichen,  immerhin  doch 
einen  Dienst  geleistet  zu  haben.  Doch  es  sollte  anders 
kommen.  Herr  Director  W.  Bode  schien  auch  diese 
Freude  mir  durchaus  nicht  gönnen  zu  wollen  und  trat 
—  aus  Liebe  zur  Wahrheit,  ich  will  ihm  dies  gern  zu- 
geben —  meiner  Behauptung  mit  offenem  Hohn  ent- 
gegen, indem  er  mir  unter  vielem  andern  vorwarf, 
den  grossen  Lionardo  da  Vinci,  den  er  ja  so  gründlich 
studirt  zu  haben  behauptet,  mit  dem  trockenen  lom- 
bardischen Bildnissmaler  Matteo  de  Pretis  ver- 
wechselt zu  haben.  Ich  will  gegen  meinen  verehr- 
lichen Widersacher  grossmüthiger  sein,  als  er  es  gegen 
mich  zu  sein  pflegt,  und  ihm  daher  gern  verzeihen, 
wenn  er  in  seiner  wissenschaftlichen  Kampflust  den 
mittelmässigen  calabresischen  Seicentisten  Matteo  Preti 
für  den  Mailänder  Ambrogio  de  Predis  —  derjasowol 
ihm  wie  allen  andern  Kunstgelehrten  unbe- 
kannt war,  bevor  ich  ihn  wieder  aus  dem  Grabe 
auferweckte  —  genommen  hat.  Ich  w^ill  also  anneh- 
men, dass  der  von  ihm  begangene  Fehltritt  nicht  aus 


Profilporträt  desselben  Massimiliano   Sforza,   als  Herzog 
von  Mailand  dargestellt,  in  der  Sammlung  Morelli. 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  233 

Mangel  an  Kenntniss  der  italienischen  Kunstgeschichte 
herrühre,  sondern  blos  ein  lapsus  calami  war.  Herr 
Director  Bode  schloss  die  mir  ertheilte  Strafpredigt 
mit  folgenden  mich  überraschenden  Worten:  „Ein  echtes 
und  köstliches  Bildniss,  der  sogenannten  «Belle  Feron- 
niere  im  Louvre»  nahe,  ist  das  angebliche  Bildniss 
der  Isabella  von  Aragon  (jetzt  auch  als  Bianca  Maria 
Sforza,  Gemahlin  Kaiser  Maximilian's  angesprochen) 
Gemahlin  des  Giovanni  Galeazzo  Sforza,  welches  sich 
neben  dem  des  Gatten  in  der  Ambrosiana  zu  Mailand 
befindet,  um  1485.^  Dieses  Profilporträt,  von  höchster 
Einfachheit  und  Anspruchslosigkeit  der  Auffassung,  ist 
über  alle  Beschreibung  schön  und  reizend  und  von 
einer  Vollendung  in  der  Ausführung,  welche,  wie  man 
glauben  sollte,  gar  keinen  andern  Gedanken  als  an 
Lionardo  aufkommen  lässt,  auch  wenn  es  nicht  alle 
charakteristischen  Züge  (?)  der  frühern  Werke 
Lionardo's  zeigte.  ^     Dennoch  hat  man  (d.  h.  Lermo- 


^  Gian  Galeazzo  Maria  Sforza  starb  1494,  fünfundzwanzig- 
jährig, war  also  im  Jahre  1485  kaum  16  Jahre  alt,  während  der  auf 
diesem  Porträt  dargestellte  Mann  doch  das  Alter  von  ungefähr 
30  Jahren  zeigt.  Ein  bischen  Weltgeschichte  dürfte  zuweilen 
selbst  den  Kunsthistorikern  nicht  schaden. 

*  In  der  Ausgabe  seines  „Cicerone"  vom  Jahre  1879  schreibt 
Herr  Director  Bode  (626)  „ein  echtes,  schönes  Bildniss  aus 
Leonardo's  früherer  Zeit  besitzt  der  Palast  Pitti,  den  Gold- 
schmied (Nr.  207)".  In  der  Ausgabe  von  18$4,  also  vier  Jahre  nach 
dem  Erscheinen  meines  „kritischen  Versuchs",  schrieb  derselbe 
Gelehrte  (11,681):  „Die  schlagendste  Uebereinstimmung  mit  diesem 
beglaubigten  Altarwerke  des  RidolfoGhirlandaio  (dem  Ler- 
molieff  zuerst  den  «Goldschmied»  im  Pitti-Palast  vindicirt  hatte), 
lasst  auch  die  Bestimmung  des  bekannten  «Goldschmieds«,  wel- 
cher vielbewundert  als  Lionardo  im  Palast  Pitti  hängt  (Nr.  207) 
als  ein  Werk  des  Ridolfo  kaum  zweifelhaft  erscheinen".  „11  tempo 
b  gakmtuomo^f  sagen  die  Italiener.  Wenn  also  auch  in  der  Be- 
stimmung dieses  von  ihm  früher  für  ein  feines  Jugendwerk 
Lionardo^s  gehaltenen  and  bewunderten  Bildes  Herr  Direotor 
Bode  durch  Lermoliefif  sich  anders  belehren  liess,  so  darf  ich 


234  Diö  Galerie  Borghese. 

lieff)  dies  «Wunderwerk»  neuerdings  einem  trockenen 
lombardischen  Bildnissmaler  zugeschrieben."  „Das  Bild 
des  Herzogs  Giovanni  Galeazzo",  fährt  Herr  Director 
Bode  fort,  „welches  sich  neben  dem  der  Gemahlin  Isa- 
bella befindet,  ist  gleichfalls  echt  aber  leider  unvoll- 
endet, wodurch  es  jedoch  für  den  Einblick  indieTech- 
nik  des  Lionardo  ein  ganz  besonderes  Interesse  hat."  ^ 
Verblüfft  über  diese  derbe  Zurechtweisung,  die  mir 
der  berliner  Kunstgelehrte  wieder  zutheil  werden  liess, 
wusste  ich  zuerst  nicht  recht,  ob  ich  dem  seiner  Sache  so 
sichern  nordischen  Kunstkenner,  der  mit  unerschütter- 
lichem Selbstbewusstsein  mich  über  meine  Verblendung 
so  hart  angelassen  hatte,  oder  aber  meinen  eigenen 
langjährigen  und  mit  so  grosser  Liebe  und  Ausdauer 
gepflogenen  Studien  eher  trauen  sollte?  Mit  gutem 
Gewissen  entschied  ich  mich  für  das  letztere,  und  so 
bin  ich  es  nun  mir  selbst  und  meinen  Glaubensgenossen 
in  der  Kunstwissenschaft  schuldig,  die  im  Jahre  1880 
von   mir    öffentlich    ausgesprochene  Ansicht    über    das 


die  Hofifnung  nicht  aufgeben,  dass  der  unbefangene  berliner  Ge- 
lehrte mit  der  Zeit  und  auf  Grund  ernsterer  Studien  auch  das 
Profilporträt  in  der  Ambrosiana  nicht  mehr  als  „Wunderwerk" 
des  grossen  Lionardo  seinen  Lesern  vorstellen  werde.  Denn  was 
sollten  sonst  diese  von  seiner  Auffassung  der  Lionardischen  Kunst 
denken,  wenn  er  noch  länger  fortführe,  auch  dieses  Bild  eines 
„trockenen,  handwerksmässigen"  lombardischen  Bildniss- 
malers durchaus  dem  grossen  Florentiner  zuschreiben  zu  wollen? 
*  Ist  es  auch  einem  Laien,  wie  ich  bin,  erlaubt,  über  die 
Maltechnik  in  den  Bildern  der  alten  Meister  Italiens  ein  Wort 
zu  sagen,  so  möchte  ich  meine  verehrlichen  Leser  bitten,  die 
Technik  auf  diesem  unvollendeten  Porträt  in  der  Ambrosiana 
mit  der  Technik  auf  dem  gleichfalls  unvollendeten  „heiligen 
Hieronymus"  in  der  vaticanischen  Galerie,  sowie  mit  der  Technik 
der  „Anbetung  der  Hirten"  in  den  Uffizien  vergleichen  zu  wollen. 
Ich  glaube,  dass  sie  dann  bald  mit  mir  zur  Einsicht  kommen 
dürften,  dass  der  Urheber  des  Porträts  in  der  Ambrosiana  un- 
möglich auch  der  der  andern  unvollendeten  zwei  Bilder  sein  kann. 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  235 

ganz  vorzügliche  Profilporträt  in  der  Ambrosiana,  sei 
es  mm  das  der  Isabella,  der  Bianca  Maria  oder  das 
einer  andern  Person,  abermals  und  zwar  mit  Nachdruck 
als  das  Werk  des  Ambrogio  Predi  aufrecht  zu  er- 
halten. 

Was  das  andere  unvollendete  Bildniss  daselbst  an- 
belangt, 80  ist  es,  nach  meinem  Dafürhalten,  das  Por- 
trät eines  unbekannten  Mannes  luid  hat  weder  mit 
Ambrogio  Predi  und  noch  viel  weniger  mit  Lionardo  da 
Vinci  etwas  zu  schaffen,  sondern  dürfte,  wie  ich  glaube, 
demselben  Schüler  und  Nachahmer  Lionardo's  ange- 
hören, der  die  Copie  der  „Yierge  aux  rochers"  in  der 
National  Gallery  und  die  zwei  dazu  gehörigen  Engel 
(im  Besitze  des  Herzogs  Giovanni  Melzi  in  Mailand) 
anfertigte.  ^  Damit  jecjoch  mein  verehrlicher  Wider- 
sacher in  Berlin  sofort  einsehe,  dass  ich  weit  entfernt 
bin,  die  mir  von  ihm,  gewiss  in  der  besten  Absicht, 
gegebene  Lection  übel  zu  nehmen,  will  ich  hier 
zu  seiner  Entschuldigung  das  Urtheil  anfuhren,  das 
über  die  Bildnisse  in  der  Ambrosiana  ein  anderer  und 
zwar  ebenfalls  berühmter  Kenner  der  italienischen  Kunst 
aus  Berlin,  Baron  von  Rumohr,  vor  vielen  Jahren 
zu  veröffentlichen  beliebte:  „Merkwürdig  noch'',  sagt 
Kuiiiohr  auf  Seite  73  seines  Büchleins:  „Drei  Reisen 
in  Italien",  „merkwürdig  in  der  Ambrosiana  die  Bildnisse 
des  Lodovico  Sforza  (nämlich  des  Giangaleazzo  des 
Herrn  Director  Bode)  und  seiner  Gemahlin  (der  Isabella 


^  Vielleicht  könnte  man  diesem  anbekannten  hervorragenden 
Nachahmer  Lionardo's  auch  einige  Zeiohnangen  tasohreiben, 
welche  bisher  unter  dem  Namen  de«  grossen  Florentiners  gingen, 
wie  unter  andern  die  Silberstiftxeichnung  mit  dem  weibliohen 
Kopf  in  den  UfBzien  (Rahmen  107,  Nr.  426)  (»raun  436),  und 
eine  andere  SilberstifUeeichnung  in  der  Ambrosiana  (Fraaenkopf 
mit  Perlenschnur  um  den  Hals,  Dreiviertelansicht),  sowie  auch 
deu  jugendlichen  Kopf  im  grotshersogUohen  Schlosse  xu  Wei- 
mar (Braun  149)  (?). 


236  I^ie  Galerie  Borghese. 

des  Herrn  Director  Bode);  er  in  Dreiviertelansicht, 
etwas  violett  im  Tone,  in  den  Schatten  noch  gedeckt, 
überhaupt  noch  von  alterthümelnder  Kunstart,  doch 
fein  und  verstandvoll  in  den  Formen.  Seine  Gemahlin 
geringer.  Diesen  Bildern  gegenüber  drängte  sich  mir 
die  Vermuthung  auf,  dass  Lionardo  zu  Mailand  mit 
niederdeutschen  Malern  sich  berührt,  von  ihnen  die 
Oelmalerei  gelernt  habe,  welche  zu  Florenz  vor  seiner 
mailändischen  Keise  nicht  üblich,  ja  kaum  historisch 
bekannt  war.  Hierin  bestärkt  mich  ein  allerliebstes 
kleines  Bild  beim  Grafen  Alberto  Litta,  «Madonna  mit 
dem  Kinde».  (Gegenwärtig  in  der  Ermitage  zu  St.- 
Petersburg.)  Das  Motiv  dieses  Bildes  zeigt  sich  in 
einer  stark  retouchirten  Zeichnung  in  der  Uffizien- 
Galerie  (?).  Auch  das  Bild  selbst  hat  in  einigen  Theilen 
gelitten,  die  Hand  des  Kindes  die  Lasuren  eingebüsst, 
doch  sieht  man  um  so  deutlicher,  dass  Lionardo  damals 
die  Schatten  pastös  unterlegte,  wie  überhaupt  an  der 
fein  abgeriebenen  Farbe,  der  sorgfältigen  und  hellen 
Unterlage,  der  Reinlichkeit  und  Behandlung,  sehr  viel 
Altniederländisches."  ^ 

Dass  nun  die  beiden  Porträts  in  der  Ambrosiana 
schon  zu  den  Zeiten  des  Cardinais  Federigo  Borommeo 
als  Werke  ein  und  desselben  Meisters  galten,  darf  uns 
wahrlich  nicht  wundern,  denn  die  Kunstkritik,  wie 
überhaupt  jede  Kritik,  lag  damals  noch  im  tiefsten 
Schlummer  und  jedes  Bild  und  jede  Zeichnung,  die 
den  leisesten  Anflug  Lionardischer  Art  hatte,  wurde 
begreiflicherweise  dem  Meister  selbst  zugemuthet.  Un- 
begreiflich ist  dagegen,  dass  man  in  Mailand  in  dem 
einen  dieser  beiden  Bildnisse  die  Züge   des  Moro,  im 


^  Nach  meinem  Dafürhalten  gehört  jenes  niedliche  Madon- 
nenbildchen keineswegs  Lionardo  da  Vinci  an,  sondern  ebenfalls 
einem  „trockenen"  lombardischen  Maler,  nämlich  dem  Ber- 
nardino  de'  Conti. 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  237 

andern  die  seiner  Gemahlin  Beatrice  d'Este  erblicken 
wollte,  während  doch  die  Porträts  sowol  des  Moro  als 
seiner  Ehehälfte  zu  Dutzenden  sowol  gemeisselt  als  ge- 
malt in  der  Stadt  und  auf  dem  Lande,  in  Kirchen  und 
in  Privathäusern  zu  sehen  waren.  Die  liebe  Tradition 
brachte  nun  diese  wunderlichen  Taufen  bis  auf  uns  und 
selbst  die  hervorragendsten  Kunstkritiker  dieses  Jahr- 
hunderts, sowol  die  einheimischen  als  die  fremden, 
nahmen  dieselben  mit  geschlossenen  Augen  an.  Nicht 
nur  die  Patres  Amoretti  und  Lanzi  in  Italien,  sondern 
auch  Baron  von  Rumohr  und  Otto  Mündler  in  Deutsch- 
land, ja,  40  Jahre  später,  selbst  Herr  Director  W.  Bode 
gingen,  ohne  sich  dessen  zu  versehen,  in  die  Falle,  die 
ihnen  die  perfide  Tradition  gestellt  hatte;  für  sie  alle 
sind  nicht  nur  die  beiden  Porträts  in  der  Ambrosiana, 
sondern  auch  das  Madonnenbild  in  St.-Petersburg  Werke 
ein  und  desselben  Meisters,  nämlich  des  Lionardo  da 
Vinci.  Baron  von  Rumohr  stellt  jedoch  und,  wie  mir 
scheint,  mit  vollem  Recht  das  unvollendete  männliche 
Bildniss  in  der  Ambrosiana  hoher  als  das  weibliche 
Profilporträt,  das  „Wunderwerk"  des  Herrn  Director 
Bode.  Ausser  in  diesem  kommen  jedoch  die  zwei  ber- 
liner Kunstkritiker  noch  in  einem  andern  Punkte  mit- 
einander in  Collision,  nämlich  in  der  Bestimmung  der 
Zeitepoche,  in  welcher  die  Oelmalerei  in  Toscana  üblich 
wurde.  Director  W.  Bode  mochte,  mit  Hinweis  auf 
seinen  neuerdings  entdeckten  „auferstandenen  Christus", 
beweisen,  dass  man  schon  im  Jahre  1478  zu  Florenz 
in  Oel  malte;  Baron  von  Rumohr  behauptet  dem  ent- 
gegen, dass  im  15.  Jahrhundert  die  Oehnalerei  in  Tos- 
cana nicht  nur  nicht  üblich,  sondern  kaum  historisch 
bekannt  war.  Wer  von  beiden  ist  nun  auch  in  dieser 
letztern  Streitfrage  der  Wahrheit  näher  gekommen? 
Nach  meiner  Ansicht  der  verstorbene  Baron  von  Rumohr. 
Ich  denke  nun  in  aller  Kürze  von  den  Bildern  zu 
handeln,  die  ich  mit  Zustimmung  meiner  Freunde  in 


238  I^i®  Galerie  Bor{?hese. 

Mailand:  der  Herren  Giistavo  Frizzoni,  Mnrchese 
E.  Visconti -Venosta  und  des  rühmlichst  bekannten  Bil- 
derrestaurators Cav.  Cavenaghi,  als  von  der  Hand  des 
Ambrogio  de  Predis  anzusehen  mich  berechtigt  erachte. 
Vorher  sei  es  mir  nur  noch  vergönnt  mitzutheilen,  dass 
Ambrogio  schon  im  Jahre  1482  der  begünstigte  Por- 
trätmaler des  Lodovico  Sforza  war.  Dies  geht  aus 
folgendem  vom  verstorbenen  Marchese  Campori  publi- 
cirten  Document  hervor:  A  di  22  Mazo  (Mai)  1482: 
A  Zoane  Ambroso'di  predj  de  Milano  (depintore)  de  lo 
lll.  S.  Lud.  Sforza^  Braza  10  de  razo  alexandrino  de 
campione  de  la  Ex.  de  Madama^  la  quäle  gie  dona  la 
Ex.  del  nro.  Sig.  (Archivio  di  Stato  in  Modena ;  Libro : 
Ricordi  de  la  Salvaroba  de  Castello^  ö.  c.  65.)  Auf 
Deutsch  heisst  das:  „Dem  Johann  Ambrosius  di  Predj 
aus  Mailand,  Maler  des  Erlauchten  Herrn  Ludwig 
Sforza,  zehn  Ellen  vom  alexandrinischen  Atlas,  von 
derselben  Sorte  wie  der  Ihrer  Excellenz  der  Madama 
(d.  h.  der  Herzogin),  welche  (nämlich  das  zehn  Ellen 
lange  Stück)  ihm  S.  Excellenz  unser  Herr  zum  Ge- 
schenk macht." 

Im  Jahre  1482  war  also  An^brogio  de  Predis  bereits 
ein  ausgelernt  er  Maler;  er  dürfte  somit  etwa  zwi- 
schen 1450  und  1460  geboren  sein.  Das  älteste  der  mir 
bekannten  Bilder  von  ihm  ist  wol  das  Profilporträt  des 
Herzogs. 

1.  Giangaleazzo  Maria  Sforza,  Graf  von  Pavia^ 
im  Besitze  des  Grafen  Porro  in  Mailand.^  (f) 

2.  In  derselben  Epoche  ungefähr  dürfte  auch  das 
andere  oben  besprochene  Profilporträt  (sei  es  der  Isa- 


*  Man  vergleiche  dieses  Porträt  mit  der  Medaille  des  unglück- 
lichen jungen  Fürsten.  Der  hier  auf  dem  Bildnisse  etwa  wie 
ein  Zwanziger  aussehende  Jüngling  trägt  einen  goldenen  Ring 
am  Daumen.  Wie  bekannt  starb  Giangaleazzo  1494  in  seinem 
fünfundzwanzigsten  Lebensjahre.  Er  heirathete  1489  Isabella 
von  Aragon.    Unser  Porträt  dürfte  also  um  jene  Zeit  gemalt  sein. 


PKOFILruRTKAT  RINKR  l'NBKKAKXTKN  UAMK  AI?«  ÜKM 
HAtritB  HK«>RZA.  VON    *.  f>K  rRKM«! 
IN   DKR   AMBKOKMN  •   t« 


l-UuIILr"!ai:Al    i'L     !..!,.,\|,.,   -(..KZA   IM  ..I.Ilir.«»  OKI.  J|>«tM 
IX  l»KR  tllBUoTIlRK  DM  kCkmTKN  TIltVtLZIO  IN  MAILAND. 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  239 

bella,  wie  Herr  Bode  meint,  sei  es  einer  andern  Fürstin 
aus  dem  Hause  Sforza)  in  der  Ambrosiana  entstanden 
sein.  Der  Schädel  dieser  hübschen  höchst  sympathischen 
jungen  Frau  ist  nicht  ganz  richtig  in  der  Zeichnung^ 
auch  fällt  die  Linie  vom  Nacken  auf  den  Rücken  zu 
jäh  herab.  Lionardo  hätte  sich  nie  solche  Fehler  zu 
Schulden  kommen  lassen.^  (f) 

3.  Das  feine  Porträt  des  Francesco  di  Bartolommeo 
Archinto  (geboren  1474,  gestorben  1551),  zur  Zeit  Lud- 
wig's  XII.  Gouverneur  von  Chiavenna.  Dieses  Bild  war 
vordem  im  Besitze  der  gräflichen  Familie  Archinto 
in  Mailand  und  gehört  gegenwärtig  Herrn  FuUer-Mait- 
land  in  England,  wie  mir  Dr.  Frizzoni,  der  es  dort 
sah,  mittheilte.  Es  ist  mit  der  Jahreszahl  1494  und 
mit  der  Chiffre  M^  (Ambrogio  Preda)  F.  bezeichnet. 

4.  Die  Miniatur  mit  dem  Profilporträt  des  Lodovico 
il  Moro  im  sogenannten  „Libro  del  Jesus"  in  der  Biblio- 
thek des  Fürsten  Trivulzio  in  Mailand,  (f) 

5.  Die  Miniatur  mit  dem  Profilporträt  des  etwa 
fürifjährigen  Massimiliano  Sforza,  ebendaselbst,  (f)  Alle 
die  Miniaturen  in  diesem  weltbekannten  Codex  werden 
dem  Lionardo  zugemuthet.  Die  oben  von  mir  als 
charakteristisch  angeführten  Merkmale  für  Ambrogio 
de  Predis  dürften  jedoch  sogleich  jeden  Kunstver- 
ständigen, und  unter  ihnen  vielleicht  sogar  meinen 
Gegner,  Herrn  Director  W.  Bode,  überzeugen,  dass 
auch  diese  zwei  Bildnisse  im  „Libro  del  Jesus",  etwa  im 
Jahre  1497  gemalt,  dem  lombardischen  Meister  Am- 
brogio angehören  und  keineswegs,  wie  man  früher  all- 


*  Wen  dieses  Porträt  vorstelle  will  ich  dabingestellt  sein 
lassen.  Was  icb  behaupte  und  worauf  ioh  Nachdruck  lege,  ist: 
ersten»,  dass  es  nicht  die  Beatrice  d'Este,  Gemahlin  des  Moro, 
wie  man  sie  in  der  Ambrosiana  von  alters  her  nennt,  vorstellt, 
und  zweitens,  dass  dieses  hübsche  Bild  nicht  von  der  Hand  des 
Lionardo  sein  kann,  wie  man  allgemein  annimmt,  sondern  dass 
e9  ein  Werk  des  verkannten  Ambrogio  de  Predis  ist. 


240  I>ie  Galerie  Borghese. 

gemein  behauptete,  dem  grossen  Florentiner.  In  diesem 
Codex  wird  nun  unter  andern  Persönlichkeiten  auch 
ein  Messer  Bruno ro  Preda  erwähnt,  welcher  1499 
die  herzogliche  Familie  auf  ihrer  Flucht  von  Mailand 
nach  Innsbruck  begleitete.  Ob  dieser  Brunoro  ein  Ver- 
wandter des  Malers  Ambrogio  war,  wüsste  ich  nicht 
zu  sagen,  dagegen  erscheint  es  mir  als  sehr  wahrschein- 
lich, dass  der  in  den  folgenden  Versen  des  Codex  ge- 
nannte Maestro  Ambrosio  kein  anderer  gewesen  sein 
dürfte  als  unser  Maler.  ^^Qui  maatro  Ambrosio  dice: 
Da  de  ughette  al  Conte^  E  lui  con  lieta  fronte  Dimanda 
del  Cappone'-'-  u.  s.  w.^  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  Maestro  Ambrogio  de  Predis,  der  die  Söhne  des 
Moro  im  Zeichnen  (damals  ein  Requisit  der  Erziehung 
eines  vollkommenen  Edelmannes)  unterrichtet  haben 
dürfte,  die  Prinzen  im  September  des  Jahres  1499  auf 
ihrer  Flucht  nach  Innsbruck  begleitete  und  sodann  meh- 
rere Jahre  am  kaiserlichen  Hof  lager  dort  verblieben  sei. 
In  Innsbruck  wird  er  auch  1502  das  Porträt  des  Kaisers 
Maximilian  und  das  seiner  Gemahlin  gemalt  haben. ^ 

6.  Das  Porträt  eines  jungen  blonden  Mannes,  Brust- 
bild auf  dunkelm  Grunde,  wie  alle  Bildnisse  des  Am- 
brogio de  Predis.  Früher  wurde  auch  dieses  Bild  Lio- 
n?irdo  zugeschrieben.  Im  Besitze  der  Familie  Maggi  in 
Mailand,  (f ) 

7.  Das  Porträt  eines  Jünglings  mit  langen  blonden 
Haaren,  im  Costüme  eines  Pagen.  Vorderansicht.  In 
der  Sammlung  Morelli  in  Mailand.  Auf  der  Rückseite 
des  Bildes  liest  man  in  alter  Schrift:  DI  LEONARDO 
PITOR  Fiorentino.  (f) 


\,Da  sagt  Meister  Ambrosius — Gib  Rosinen  dem  Grafen  t- Und 
dieser  mit  heiterer  Stirne  —  Verlangt  Kapaunen."  Die  Verse  be- 
schreiben  nämlich  den  jungen  Massirailiano  Sforza  bei  Tische. 

2  Die  hier  reproducirte  Zeichnung  zu  diesem  Bildniss  fand 
ich  später  unter  dem  Namen  Lionardo's  in  der  Sammlung  der 
venetianischen  Akademie.    • 


Lombardische  Meister:  Ambrogio  de  Predis.  241 

8.  Das  Porträt  eines  jungen  Mannes  mit  einem 
Pfeile  in  der  Hand  (Sebastianus).  Vorderansicht.  Bei 
Herrn  Dr.  Gustavo  Frizzoni  in  Mailand.  Dieses  Bild 
galt  ehedem  als  von  der  Hand  des  Boltraffio. 

Die  eben  erwähnten  Werke,  welche  alle  der  frühern 
Zeit  des  Ambrogio  de  Predis  angehören,  sind  hell  in  der 
Carnation  und  haben  einen  ganz  eigenthümlicheu  Smalto, 
gleich  dem  im  Profilporträt  in  der  Ambrosiana,  wogegen 
die  folgenden  Bildnisse,  die  der  spätem  Wirkungszeit  des 
Malers  (von  etwa  1510 — 15)  angehören,  eine  vollkom- 
menere Modellirung  und  ein  bräunlicheres  Incarnat 
aufweisen.     Zu  diesen  letztern  Bildern  rechne  ich: 

9.  Das  männliche  Profilporträt  des  Francesco  Brivio, 
Sohn  des  Jacopo  Stefano,  herzoglichen  Raths  und  im 
Jahre  1514  Herr  von  Melegnano.  In  der  Saumilung 
Poldi-Pezzoli  in  Mailand,  wo  das  Bild  dem  V.  Foppa 
zugeschrieben  wird. 

10.  Das  Profilporträt  eines  alten  vornehmen  Herrn, 
in  der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  G.  Frizzoni.  Auch 
dieses  Bild  galt  als  Werk  Lionardo's  und  wurde  im  Jahre 
1848  als  solches  von  der  florentinischen  Akademie  be- 
stätigt, (t) 

11.  Das  Profilporträt  eines  zwanzigjährigen  Jüng- 
lings mit  der  goldenen  Fürstenkette  um  den  Hals,  in 
der  Sammlung  Morelli.  (f)  Täusche  ich  mich  nicht,  so 
stellt  dieses  treulich  modellirte  Bildniss  den  Massimiliano 
Sforza  vor,  welcher  den  herzoglichen  Thron  in  Mailand 
vom  Jahre  1512  bis  zum  Jahre  1515  innehatte. 

12.  Vielleicht  dürfte  auch  das  Profilporträt  im  Gange 
der  Uffizien-Galerie  (Nr.  30 ''*•),  dort  dem  Antonio  del 
Pullajuolo  zugeschrieben,  als  das  W^erk  unsers  Ambrogio 
sich  herausstellen,  wenn  es  nämlich  von  der  dichten 
Maske,  die  das  Gesicht  bedeckt,  befreit  würde.  Der 
Mund  scheint  mir  ganz  in  der  Art  des  de  Predis  mo- 
dellirt  zu  sein,  ebenso  werden  wir  durch  die  Weise,  wie 
die  Lichter  auf  die  schwerfällig  herabfallende  Haarmasse 

LBBXot.iBrr.  16 


242  ^i®  Galerie  Borghese. 

aufgetragen  und  wie  die  einzelnen  Wimi^ern  angegeben 
sind,  an  Ambrogio  erinnert.  Selbst  die  Augenpartie  ist 
durchaus  so  modellirt,  wie  wir  dieselbe  auf  den  eben 
angeführten  Bildnissen  des  Ambrogio  de  Predis  ge- 
wahren. Dieses  letztere  Porträt  in  Florenz  ist  jedoch  so 
stark  übermalt,  dass  eine  positive  Bestimmung  desselben 
mir  etwas  gewagt  erscheint. 

Wie  das  Jahr  der  Geburt,  so  ist  auch  das  des  Todes 
des  Ambrogio  Predi  unbekannt.  Er  wurde  wahrscheinlich 
von  dem  berühmten  »Miniaturmaler  Christop  ho  rus  de 
Predis,  wol  einem  Verwandten,  zuerst  im  Zeichnen 
unterrichtet.  ^  Nach  einigen  seiner  Miniaturen  im  „Libro 
del  Jesus"  zu  schliessen  dürfte  Ambrogio  später  von  der 
Schule  des  V.  Foppa,  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts 
jedoch  von  Lionardo  da  Vinci  stark  beeinflusst  worden 
sein.  Ambrogio  ist  ?illerdings  ein  gewissenhafter,  feiner 
Maler,  seine  Zeichnung  und  Modellirung  sind  jedoch 
gar  oft  mangelhaft,  wie  z.  B.  in  der  Auffassung  und  Dar- 
stellung der  Hand;  in  dem  Bildnisse  bei  Herrn  Friz- 
zoni,  in  dem  des  Gian  Galeazzo  Sforza  beim  Grafen 
Porro,  in  jenem  des  Archinto  bei  Herrn  FuUer-Maitland 
sind  die  Hände  plump  und  leblos.  ^ 

^  Von  diesem  modenesischen,  iu  Mailand  ansässigen  Miniatur- 
maler besitzt  die  königliche  Bibliothek  in  Turin  eine  vorzügliche 
Miniatur,  bezeichnet; 

— n n_ 

GZ.  MA 

DUX  MDL.  QVINTVS 

OPVS  XOFORI  DE  PREDIS 

MVT.  DIE  3.  APRILIS.  1474. 

Andere  seiner  Miniaturen  befinden  sich  im  Hause  der  Erben  des 

Marchese  Girolamo  d'Adda  in  Mailand,  in  der  Kirche  Madonna 

del  Monte  bei  Varese  und  anderwärts  noch. 

*  Dieser  Excurs  über  den  Bildnissmaler  des  Lodovico  Sforza 
war  seit  Wochen  niedergeschrieben,  als  Herr  Director  W.  Bode 
die  Gewogenheit  hatte,  mir  einen  Sonderabdruck  des  von  ihm 
im  Heft  II  (1889)  des  „Jahrbuchs  der  königl.  preussischen  Kunst- 
sammlungen" veröffentlichten  Aufsatzes  über  ein  im  Privatbesitz 


Lombardische  Meister:  Bernardino  de'  Conti.  243 


BEUNAKDINO  DE'  CONTI. 

Da  mm  die  frühem  Bilder  des  Ambrogio  de  Predis 
eine  grosse  Verwandtschaft  mit  den  spätem  Porträts 
(von  1505  an)  des  Bernardino   de' Conti  haben,  so 


zu  Berlin  befindliches  weibliches  Profilporträt  zukommen  zu 
lassen.  Indem  ich  es  für  meine  Pflicht  erachte,  dem  berliner 
Kunstgelehrten  meinen  Dank  auch  für  sttne  Zuvorkommenheit 
auszusprechen,  möge  der  freundliche  Herr  mir  gestatten,  ihm 
zugleich  meine  Glückwünsche  hier  darzubringen  zu  der  von  ihm 
gemachten  Entdeckung  des  wahren  Conterfeis  der  Bianca  Maria 
Sforza,  zweiten  Gemahlin  des  Kaisers  Maximilian.  Und  ich  ent- 
ledige mich  dieser  meiner  Schuld  gegen  ihn  mit  um  so  grösserer 
Bereitwilligkeit,  als  bei  der  Beurtheilung  dieses  von  ihm  als 
Porträt  der  Bianca  Maria  bezeichneten  Bildes  ich  diesmal  die 
höchst  seltene  Genugthuung  habe,  nicht  nur  über  die  Persön- 
lichkeit der  dargestellten  Frau,  sondern  sogar  auch  in  der  ästhe- 
tischen Werthschätzung  des  Kunstwerks  mit  ihm  vollkommen 
einverstanden  zu  sein.  Zu  meiner  grossen  Beruhigung  finden 
sich  auch  auf  diesem  Profilporträt  der  Bianca  Maria  in  Berlin, 
wie  die  Heliogravüre  beweist,  fast  alle  jene  Merkmale  vor,  die 
ich  auf  Seite  238  als  charakteristisch  für  Ambrogio  de  Predis 
angab.  Denn  abgesehen  von  der  Zeichnung  des  Auges  mit 
den  einzeln  angezeigten  Wimpern,  abgesehen  von  der  steifen 
Gontour  der  Oberlippe,  abgesehen  von  dem  scharf  beleuchteten 
Nasenrücken  und  der  trockenen,  miniaturartigen  Behandlung  der 
Nebendinge,  der  Juwelen,  Schnürchen  u.  s.  w.,  erblicke  ich,  zum 
Glück,  auf  diesem  Porträt  der  Bianca  Maria  auch  jenen  hellen 
Lichtstreifen  am  äussern  Augenwinkel,  welcher  sowol  auf 
dem  mit  dem  Namen  des  Meisters  bezeichneten  Porträt  des 
Kaisers  Maximilian  als  auch  auf  dem  Profilporträt  in  der  Am- 
brosiana sich  vorfindet  —  ein  Lichtstreifen,  tlen  man  vergebens 
auf  den  Profilbildnissen  anderer  gleichzeitiger  italienischer  Maler 
suchen  wird.  £s  ist  wahr,  das  auf  dem  Profilporträi  der  Am 
brosiana  dargestellte  weibliche  Antlitz  ist  viel  anmuthiger  und 
geistreicher  als  das  der  Bianca  Maria,  wie  dies  Herr  Director 
Bode  richtig  bemerkt,  dürfte  aber  das  nicht  wol  eher  das  Ver- 
dienst der  Mutter  Natur  als  der  des  Malers  selbst  sein?  Der  ber- 
liner Kunstgelehrte  ist  keineswegs  dieser  Meinoog.   „Der  Abstand 

16* 


244  JDie  Galerie  Borghese. 

erscheint  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  Bernardino  ausser 
von  Lionardo  auch  von  Ambrogio  de  Predis  beeinflusst 
•worden  sei.     Es  sei  mir  nun  erlaubt,  auch  über  diesen 


dieses  Porträts  der  Bianca  Maria",  sagt  er,  „von  dem  Profilporträt 
in  der  Ambrosiana  ist  so  gross,  wie  er  nur  zwischen  den  Werken 
eines  der  grössten  Maler  aller  Zeiten  und  den  Arbeiten 
eines  fleissigen,  handwerksmässigen  Nachfolgers  sein  kann".  Ich 
bin  wahrlich  ein  zu  warmer  Freund  der  Gedankenfreiheit,  als 
dass  ich  mich  durch  ^en  herben  Vorwurf,  den  mir  hier  mein 
verehrlicher  Gegner  macht,  aus  meiner  Gemüthsruhe  sollte  brin- 
gen lassen.  Ich  überlasse,  wie  immer,  auch  in  diesem  Falle  die 
ästhetische  Würdigung  der  Kunstwerke  den  Kunstfreunden 
selbst;  ich  kann  jedoch  nicht  unterlassen,  abermals  den  freund- 
lichen Leser  auf  die  ungeheure  Kluft  aufmerksam  zu  machen, 
di3  selbst  in  der  ästhetischen  Beurtheilung  der  italienischen 
Kunstwerke  zwischen  dem  berliner  Gelehrten  und  mir  besteht.  — 
Einen  fernem  Grund,  meine  Freunde  zu  ersuchen  die  italienischen 
Autorbestimmungen  des  Herrn  Director  Bode  stets  in  jene  Reihe 
von  Sentenzen  stellen  zu  wollen,  die  Monsieur  de  Pourceaugnac 
„sujettes  ä  caution'-''  nennen  würde,  liefert  mir  wieder  der  Herr 
Director  des  Berliner  Museums  in  dieser  seiner  Abhandlung 
in  welcher  er  mir  über  den  Unterschied  zwischen  den  Werken 
des  A.  de  Predis  und  denen  des  Lionardo  da  Yinci  eine  Lection 
zu  ertheilen  die  besondere  Gefälligkeit  hat,  indem  er  mir  zwei 
andere  Bildnisse  als  Originalwerke  vorhält,  die  in  meinen  Augen 
nur  Copien  sind.  Das  eine  ist  das  Bild  bei  Herrn  George  Salting 
in  London,  welches  Director  Bode  auf  Seite  9  erwähnt ;  das  an- 
dere ist  das  weibliche  Profilporträt  im  Palazzo  Pitti  (Nr.  371, 
dort  Pier  della  Francesca  benannt).  Zum  Glück  sah  auch  ich 
jenes  Bild  bei  Herrn  Salting  und  zwar  nicht  allein,  sondern  im 
Beisein  mehrerer  kunstverständiger  Freunde,  unter  andern  auch 
des  Herrn  Dr.  J.  P.  Richter,  und  wenn  wir  alle  auf  den  ersten 
Blick  in  jenem  Bilde  eine  kümmerliche  Copie  des  Profilpor- 
träts in  der  Ambrosiana  erkannten,  so  konnte  wahrlich  keinem 
von  uns  in  den  Sinn  fallen,  dabei  mit  Herrn  Director  Bode  an 
Ambrogio  de  Predis  zu  denken ;  sieht  man  doch  ähnliche  schlechte 
Copien  von  Bildnissen  des  zu  seiner  Zeit  gefeierten  de  Predis 
auch  im  Museo  civico  zu  Mailand  und  anderwärts  noch.  Auch 
soll  Herr  Salting  nach  jenem  unserm  Besuch  sich  des  vermeint- 
lichen Juwels  baldmöglichst  entledigt  haben. 


Lombardische  Meister:  Bernardino  de'  Con  _'45 

Bernnrdino  de**  Conti,  den  kaum  gekannten  mailändischen 
^Maler,  dessen  Bilder  gar  oft  in  den  Augen  der  Laien 
den  Namen  des  Lionardo  fuhren,  einige  Worte  hier  zu 


Das  andere  weibliche  Profilportrat,  welches  Director  Bodo 
aaf  Seite  6  seiner  Abhandlung  bespricht,  stellt  die  Beatrice 
Sforza,  Gemahlin  des  Moro,  dar.  In  den  Aagen  des  berliner 
Directors  ist  auch  jene  langweilige  Copie  im  Palazzo  Pitti 
ein  „schönes  ferraresisches''  Bild  und  zwar  von  der  Hand  des 
Lorenzo  Costa.  Hätte  Director  Bode  sich  das  ganz  yorzög- 
liche  Porträt  des  Bentivoglio  von  Lorenzo  Costa,  das  an  der- 
selben Wand  hängt,  sich  angesehen,  so  würde  er  schwerlich  za 
dergleichen  im  Munde  eines  Kunstverständigen  ganz  unbegreif- 
lichen Behauptuugen  gelangt  sein.  In  der  Zaversicht  nun,  mich 
für  immer  zu  entwaffen  und  für  die  Zukunft  unschädlich  zu  machen, 
beruft  sich  der  berliner  Kunstgelehrte  auf  das  Urtheil  meines 
verstorbenen  Freundes  Otto  Mündler,  den  er  mit  vollem  Recht 
den  ,,feinfühligen  Kenner  alter  Kunst"  nennt.  Wenn  jedoch 
Mündler  in  Gegenwart  des  Ambrosianabildes  feinfühlig  war  in 
den  Augen  des  Herrn  Director  Bode,  weil  er  jenes  Werk  als 
von  der  Hand  des  Lionardo  erklärte,  wie  kommt  es,  frage  ich, 
(lass  derselbe  feinfühlige  Kenner  alter  Kunst  vor  dem  Porträt 
•ler  sogenannten  „Donna  velata"  im  Pitti-Palast  für  Herrn  Di- 
rector Bode  auf  einmal  aufhört  „feinfühlig"  zu  sein?  Meine 
freundlichen  Leser  müssen  nämlich  wissen,  dass  jenes  herrliche 
Hafi"aelbild  im  Palast  Pitti  vom  berliner  Director  für  eine  Copie 
und  zwar  für  die  eines  spätem  Bolog^nesen  erklärt  wird.  (Cic.  II, 
704.)  Mündler  aber,  der  feinfühlige  Kenner  alter  Kunst,  dachte 
ganz  anders  über  jenes  weibliche  Bildniss.  „Mir  erneuerte  sich", 
sagt  er  (Beiträge  zu  J.  Burckhardt's  Cicerone,  41),  „so  oft  ich 
das  Bild  wiedersah,  der  erste  Eindruck:  «Raffael»  ruft  jeder 
Pinselstrich,  und  welchem  Autor  als  ihm  gelang  dieser  aner- 
reichbare Adel  und  dieser  Zauber?  Das  linke  Auge,  unter  an- 
(lerm,  ist  ein  wahres  Wunder  von  Zeichnung,  von  Helldunkel 
und  von  malerischer  Behandlung."  Und  Otto  Mündler  war  nicht 
nur  feinfühlig,  weil  die  Natur  ihn  mit  den  Gaben  einea  Künst- 
lers beschenkt  hatte,  sondern  aach  weil  er  eine  allgemeine  ftathe- 
tische  Bildung  besass,  eine  Bildung,  die  leider  so  vielen  Kaost- 
kennem  unserer  Tage  gans  und  gar  abgeht  Mir  ward  das 
(ilü'k,  den  treffliehen,  von  mir  bochgesohitzten ,  feinfQhligen 
Kuiibtforscher  aus  Bayern  gewiss  ebenso  gut,  wenn  nicht  viel- 


246  I^ie  Galerie  Borghese. 

sagen.  Kein  Kunstschriftsteller,  ausgenommen  die  wenig 
zuverlässigen  Lomazzo  und  Orlandi,  bericliet  uns  über 
diesen  Meister.     Derselbe  soll  ein  Pavese  gewesen  sein 


leicht  besser  als  Herr  Director  Bode  zu  kennen,  denn  ich  ver- 
lebte zwei  volle  Jahre  in  Paris  im  vertrautesten  Umgange  mit 
ihm  und  wir  machten  zusammen  unsere  Studien  in  der  Louvre- 
Galerie  zu  einer  Zeit,  als  der  berliner  Director,  der  Glückliche, 
wahrscheinlich  noch  in  den  Windeln  lag  und  weder  von  Lio- 
nardo  noch  von  Kafifael  träumte.  Ich  kann  daher  ihm  mit  gutem 
(iewissen  bezeugen,  dass  zu  seiner  Zeit,  d.  h.  vor  etwa  40  Jahren 
kaum  ein  anderer  Kunstfreund  mit  der  italienischen  Kunst  so 
vertraut  war  wie  Mündler,  was  jedoch  den  braven  Mann  nicht 
abhielt,  mit  bewunderungswürdiger  Bescheidenheit  auch  von  an- 
dern, weniger  competenten  Kennern  als  er  war,  wenn  der  Enthu- 
siasmus ihn  zuweilen  zu  Fehltritten  verleitet  hatte,  sich  eines 
Bessern  belehren  zu  lassen.  Denn,  wie  alle  Menschen  von  feinerm 
Schrot  und  Korn,  so  war  auch  Mündler  ein  abgesagter  Feind 
aller  Stelzenlauferei.  Stets  lernbegierig  kam  es  ihm  nie  in  den 
Sinn,  andern  das  vordociren  zu  wollen,  was  er  selbst  nicht 
wusste.  Ich  bin  daher  überzeugt,  dass,  weilte  Mündler  noch 
unter  den  Lebenden,  er  es  für  seine  heilige  Pflicht  gehalten 
hätte,  die  von  ihm  begangenen  und  im  damaligen  Zustande,  der 
K  urstwissenschaft  sehr  verzeihlichen  Irrthümer  durch  ein  offenes 
Bekenntniss  wieder  gut  zu  machen,  und  dass  er  somit  heutzu- 
tage weder  das  Profilporträt  in  der  Ambrosiana,  noch  das  Wand- 
gemälde in  Vaprio  (il  Madonnone),  noch  die  „Vierge  aux  rochers" 
in  der  Londoner  National  Gallery  immerfort  noch  als  Werke  Lio- 
nardo's  ansehen  würde.  Denn  seit  jener  Mündler'schen  Zeitepoche 
hat  ja  doch  die  Kunstwissenschaft,  und  wenigstens  dies  wird  Herr 
Director  Bode  mir  nicht  bestreiten  wollen,  wenn  auch  nicht  sehr 
grosse,  immerhin  doch  Fortschritte  gemacht,  und  zwar  nicht 
nur  in  der  Kenntniss  der  holländischen  Malerschulen,  in  denen 
ja,  wie  bekannt,  der  berliner  Kunstgelehrte  so  manchen  Lorber- 
kranz  sich  gepflückt  hat  —  nein,  auch  das  Studium  der  Kunst- 
schulen Italiens,  mitErlaubniss  meines  verehrlichen  Widersachers, 
ist  nicht  zurückgeblieben  und  hat  zu  mancher  Eroberung  ge- 
führt: Eroberungen,  die  zwar,  wie  dies  in  fast  allen  Wissen- 
schaften zu  geschehen  pflegt,  von  vielen  Seiten  noch  immer  be- 
stritten werden,  welche  aber  in  der  Mehrzahl,  wie  ich  denke, 
die  harte  Prüfung  siegi*eich  bestehen  dürften. 


Lombardische  Meister:  Bernardino  de*  Conti.  247 

und  als  solcher  dürfte  er  wol  seine  erste  künstlerische 
Erziehung  dem  Vincenzo  Foppa  oder  dem  Civerchio 
verdanken.  Das  rothlich -braune  Incarnat  sowie  auch 
das  Faltensystem  auf  seinem  Bilde  vom  Jahre  1496  in 
der  Brera- Galerie  deuten  wenigstens  auf  die  Schule 
Foppa's  hin.  Später  jedoch  muss  Conti,  in  Mailand 
ansässig,  theils  von  Lionardo  theils  von  Ambrogio 
de  Predis  beeinflusst  worden  sein.  Die  Herren  Crowe 
und  Cavalcaselle  (II,  67)  fertigen  diesen  lombardi- 
schen Maler  kurz  ab,  indem  sie  ihn  ohne  weiteres 
als  einen  Schüler  ihres  Zenale  uns  vorstellen  und  so- 
dann einige  w^enige  Werke  von  ihm  anführen,  nämlich 
das  mit  dem  Namen  bezeichnete  Porträt  eines  Prälaten 
im  Berliner  Museum  vom  Jahre  1499;  eine  das  Kind 
säugende  Madonna  in  der  Münchener,  ehemals  Schleiss- 
heimer  Galerie;  eine  „Wiederholung"  davon  in  der 
städtischen  Sammlung  von  Bergamo;  eine  „Vermählung 
der  heiligen  Katharina"  ebendaselbst,  und  endlich  ein 
Madonnenbild  in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli  zu  Mai- 
land. Das  Madonnenbild  in  München  ist  nach  meiner 
Ansicht  eine  alte  Copie,  und  die  beiden  Bilder  in 
Bergamo  können  doch  wol  nur  als  Atelierwerke  des 
Meisters  angesehen  werden;  die  Aufschrift  mit  dem 
Jahre  1501  auf  dem  einen  derselben  wurde  schwerlich 
vom  Maler  selbst  darauf  gesetzt.  Dem  Beispiele  seiner 
bewährten  Führer,  der  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle, 
folgte  auch  diesmal  Herr  Director  Bode  und  schilderte 
<laher  mit  einigen  geringschätzigen  Bemerkungen  den 
Conti  als  einen  ganz  untergeordneten  Meister.  Ueber 
die  ästhetische  Werthschätzung  von  Kunstwerken  Hesse 
sich  gar  vieles  sagen,  denn,  wie  die  Peripatetiker  richtig 
bemerkten :  omne  quod  recipüur  ad  modum  recipientie  re- 
cipitur.  Stellen  wir  daher  lieber,  unserer  materialistischen 
Methode  folgend,  vorerst  die  charakteristischen  Zeichen 
fest,  nach  denen  die  Werke,  sowol  Gemälde  als  Zeich- 
nungen, auch  dieses  Meisters  sich  von  denen  anderer 


248  I^iö  Galerie  Borghese. 

gleichzeitiger  mailändischer  Maler,  und  zumal  Lionar- 
do's  da  Vinci,  mit  dem  Conti  besonders  in  seinen  Zeich- 
nungen verwechselt  wird,  unterscheiden  lassen. 

1)  In  seinen  Bildern  aus  dem  15.  Jahrhundert,  wie  in 
der  grossen  Altartafel  der  Brera- Galerie,  ehedem  dem 
Zenale  zugeschrieben,  und  auch  im  Prälatenporträt  vom 
Jahre  1499  im  Berliner  Museum,  ist  die  Carnation  röth- 
lieh;  in  seinen  spätem  Werken,  wie  in  dem  Bildnisse 
vom  Jahre  1505  bei  der  Gräfin  d'Anfrrogna  in  Turin^ 
in  dem  weiblichen  Porträt  bei  Herrn  A.  Morrison  in 
London,  in  der  das  Kind  säugenden  Madonna  in  der 
Ermitage  in  St.-Petersburg  ist  dagegen  das  Incarnat  kalt 
und  hell  und  von  einem  Smalto,  der  an  die  Porträts  au& 
der  ersten  Wirkungszeit  des  Ambrogio  de  Predis  erinnert- 

2)  Die  Antihelix  des  Ohres  ist  bei  ihm  sehr  breit, 
sodass  dadurch  das  Ohrloch  schmal  wird. 

3)  Der  Schlagschatten  des  Auges  an  der  Nasen- 
wurzel ist  scharf  angezeigt. 

4)  Die  Haarmasse  an  den  weiblichen  Köpfen  ist 
glatt  über  die  Schläfe  gezogen. 

5)  Die  Finger  sind  unschön  in  ihrer  Bewegung,  ähn- 
lich denen  an  den  Händen  des  Antonio  del  Pollajuolo, 
und  die  Nägel  daran  kurz  und  breit. 

6)  Seine  Zeichnungen  sind  fast  alle  fleissig  und  zier- 
lich mit  dem  Silberstift  ausgeführt,  die  Striche  gehen 
nicht,  wie  bei  Lionardo,  von  links  nach  rechts  sondern 
von  rechts  nach  links. 

7)  Der  Mund  ist  bei  ihm  weniger  hart  als  in  den 
Porträts  des  Ambrogio  de  Predis. 

Demnach  dürften  folgendeWerke,  meiner  Ansicht  nach^ 
dem  Bernardino  de' Conti  zugeschrieben  werden: 

1)  Die  grosse  Altartafel  (Nr.  499)  in  der  Brera- 
Galerie.  Auf  derselben  ist  die  thronende  Jungfrau  mit 
dem  Kinde  und  den  vier  Kirchenvätern  (Caricaturen 
Lionardischer  Köpfe)  nebst  der  am  Fusse  des  Thrones 
knienden  Familie  des  Lodovico  Sforza  dargestellt.  Dieses 


MADONXA  VON   liKI'.N  U'.MI  N-ijnr  (tJjTTI ,  IJC  KT        i  :i  i  -lUEO. 


Lombardische  Meister:  Bemardino  de'  Conti.  249 

Bild  galt  vor  Zeiten  in  Mailand  für  ein  Werk  des  Lio- 
nardo  da  Vinci,  wurde  sodann,  als  es  in  die  Brera- 
Galerie  versetzt  ward,  ohne  allen  Grund  auf  Bemar- 
dino Zenale  getauft,  ungefähr  auf  dieselbe  Weise,  wie 
in  Berlin  das  Giovanni  Santi-Bild  des  Herrn  Rumohr 
auf  einmal  in  ein  Hauptwerk  des  Timoteo  Viti  ver- 
wandelt wurde.  Gegenwärtig  führt  es  seinen  richtigen 
Namen,  d.  h.  den  des  Bemardino  de'  Conti,  (f ) 

2)  Das  sogenannte  Selbstbildniss  des  Lukas  von  Ley- 
den  in  der  Uffizien -Galerie,  Nr.  444,  scheint  mir  eher 
eine  alte  Copie  als  Originalbild  des  Bemardino  de' 
Conti  zu  sein,  (f ) 

3)  Das  grosse  weibliche  Porträt  bei  Herrn  A.  Mor- 
rison in  London.  Dieses  Bild  war  ehedem  im  Hause 
Castelbarco  in  Mailand  und  galt  dort  für  »in  Werk 
Lionardo's.  (f) 

4)  Das  mit  dem  Namen  des  Meisters  und  der  Jahres- 
zahl 1505  bezeichnete  Porträt  des  Catcllanus  Trivulcius 
bei  der  Gräfin  d'Angrogna  in  Turin. 

5)  Die  niedliche,  das  Kind  stillende  Madonna,  einst 
im  Hause  Litta  zu  Mailand,  jetzt  in  St.-Petersburg.  Dieses 
Bild  ging  und  geht  noch  immer  unter  dem  Namen 
Lionardo's  da  Vinci.  Charakteristisch  auf  diesem  Ge- 
mälde sind  die  kleinen  breiten  Nägel,  sowie  auch  das 
Incamat  und  das  glatt  über  die  Schläfe  der  Jungfrau 
gestrichene  Haar,  (f) 

6)  Das  Madonnenbild  in  der  Poldi-Pezzoli-Sammlung. 
Von   den    vielen  Zeichnungen    des   Bemardino    de' 

Conti,  die  unter  dem  Namen  Lionardo's  in  den  öffent- 
lichen Sammlungen  uns  vorgestellt  werden,  will  ich  eben- 
falls hier  etliche  anführen,  auf  dass  meine  Freunde  sich 
von  der  Richtigkeit  meiner  Behauptungen  überzeugen 
mögen,  gilt  doch  bei  allen  emsten  Forschem  der  Grund- 
satz, dass  das  was  man  behauptet  in  der  Wissenschaft 
keinen  Werth  haben  kann,  wenn  man  nicht  in  d^r  Lage 
ist,  es  durch  triftige  Grunde  zu  beweisen. 


250  I^iö  Galerie  Borghese. 

7)  Die  Profilzeiclmung  des  Kopfes  des  jungen  Massi- 
niilinno  Sforza,  eine  Studie  zu  Conti's  grossem  Altar- 
werk (Nr.  499)  in  der  Brera-Galerie.  Diese  Zeichnung, 
die  wir  hier  reproduciren,  damit  der  Leser  auch  die 
charakteristische  Form  des  Ohres  mit  der  breiten  Anti- 
helix  sich  merken  könne,  befindet  sich  unter  dem  Namen 
Lionardo's  in  der  Ambrosiana.  Braun  hat  dieselbe  unter 
Nr.  38  photographirt.   (f ) 

8)  Die  grosse  Silberstiftzeichnung  im  Britischen  Mu- 
seum, Braun  45,  unter  dem  Namen  Lionardo's.  Es  ist 
dies  ebenfalls  eine  Studie  zum  Madonnenbilde  Conti's 
in  der  Brera-Galerie.  (f) 

9)  Der  männliche  Kopf,  Dreiviertelansicht,  Silber- 
stiftzeichnung im  Louvre,  ebenfalls  unter  dem  Namen 
Lionardo's,  Braun  169.  (f) 

10)  Der  Lionardeske  Kopf  eines  alten  Mannes  im 
Britischen  Museum,  Vol.  36,  P.  p.  1,  35.  (f) 

11)  Der  herrliche  männliche  Kopf,  Silberstiftzeich- 
nung, Nr.  39,  unter  den  Lionardo-Zeichnungen  im  Kata- 
loge der  an  guten  Zeichnungen  reichen  Sammlung  des 
Herrn  John  Malcolm  in  London,  (f ) 

12)  Der  weibliche  Kopf  mit  aufgelösten  Haaren  in 
der  Sammlung  des  Christ  Church  College  in  Oxford, 
dort  ebenfalls  Lionardo  da  Vinci  zugeschrieben,  (f) 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass,  wie  Ambrogio 
de  Predis,  so  auch  Bernardino  de'  Conti  in  den  ersten 
Decennien  des  16.  Jahrhunderts  ein  in  Mailand  sehr  be- 
liebter Porträtmaler  war.  Man  darf  zwar  auch  ihn  nicht 
zu  den  grossen  Meistern  rechnen,  allein  zuweilen  glückt 
es  auch  ihm  Werke  zu  schaffen,  durch  welche,  wie  dies 
z.  B.  mit  dem  Madonnenbilde  in  St.-Petersburg  der  Fall 
ist,  selbst  die  sogenannten  Kenner  der  mailändischen 
Kunstschule  und  Lionardo's  getäuscht  werden  können. 

Ich  habe  leider  bei  diesen  zwei  alten  „handwerks- 
mässigen"  lombardischen  Meistern  länger  mich  aufhalten 


PBOPILPORTKAT  DRM  Jt'NORS  MAHHIMII.IAXO  HPDIIXA  . 
«ILBBRrrKTUK'II.VrXd  IN'  DER  AMBROaUNA. 


Lombardische  Meister:  Francesco  Francia.  251 

müssen,  als  es  in  meinem  Wunsche  lag,  da  mir  der  Vor- 
wurfgemacht wurde  („Deutsche  Litteraturzeitung'',  1886, 
Nr.  42),  die  Kenntniss  sowol  des  Predi  als  des  Conti 
(die  vor  mir  doch  sozusagen  ganz  vuid  gar  unbekannt 
waren)  nur  „durch  den  Widerspruch,  den  meine  An- 
sichten über  dieselben  hervorrufen  müssen,  gefördert  zu 
haben". 

FRANCESCO  FRANCIA. 

Und  nun  muss  ich  noch  des  Francesco  Francia  ge- 
denken, dem  in  diesen  zwei  ersten  Zimmern  der  Galerie 
mehrere  Bilder  zugedacht  werden.  Das  eine  darunter 
ist,  meinem  Gefühle  nach,  eins  der  empfundensten 
Werke  des  Meisters  und  gehört  wol  zu  den  Arbeiten 
aus  der  Frühzeit  (1490—96)  dieses  wahrhaft  frommen 
und  liebenswürdigen  Mannes;  ich  meine  die  mit  Nr.  50 
bezeichnete  Tafel.  ^  Auf  derselben  ist  der  heilige  Ste- 
phanus  kniend  und  mit  gefalteten  Händen  dargestellt. 
Sein.  Kopf  blutet  aus  einer  klaftenden,  eben  erhaltenen 
AVunde,  sein  Auge  blickt  voll  Gottvertrauen  dem  nahen 
Tode  entgegen.  Hintergrund  Landschaft.  Auf  oinem 
unten  angebrachten  Zettel  {cartellind)  liest  man: 

VINCENTH  .  DESIDERII  •  VOTVM  •  FRANCIE  • 
EXPRESSVM  .  MANV. 

W  eilige  Bilder  hauchen  so  rein,  so  voll  das  Arom 
jener  goldenen  Kunstblüte  aus,  wie  dieser  Stephanus 
des  Francia. 

Die  Madonna  mit  dem  Kinde  mitten  unter  Rosen* 
dürfte  dagegen,  in  der  Ausfühnnig  wenigstens,  eher 
einem  der  bessern  Schüler  und  Nachahmer,  deren  ja 
Francia  so  viele  linttr.    als  ihm  selbst  angehören.     Als 


*  Leider  ist  auch  dieses  Bild,  eine  der  Perleu  der  Samm- 
lung, ins  obere  Stockwerk  des  Palastes  gewandert. 
'  Hängt  jetst  im  ersten  Saal. 


252  ^*®  Galerie  Borghese. 

von  der  Hand  des  Meisters  selbst  ausgeführt  betrachte 
ich  dagegen  das  ganz  vorzugliche  Bild  mit  der  „Lucrezia 
romana^^  im  ersten  Saal  der  Galerie.^ 

Die  übrigen  Madonnen bilder  sowie  auch  der  heilige 
Antonius,  die  gegenwärtig  in  diesem  ersten  Saale  auf- 
gestellt sind  und  zwar  noch  immer  unter  dem  Namen  des 
Francesco  Francia  (Nr.  55,  56,  57),  sind  nach  meiner 
Ueberzeugung  nur  Werke  der  Schule,  ebenso  wie  die 
Madonnenbilder  in  der  Galerie  Doria  und  in  der  des 
Vaticans.  Ein  echtes,  obwol  unvollendet  gelassenes  Werk 
des  Francesco  Francia  scheint  mir  dagegen  das  grosse 
Tafelbild  im  ersten  Saal  der  Capjtolinischen  Galerie  zu 
sein.  Eä  ist  dies  vielleicht  das  letzte  Werk  des  Mei- 
sters und  stammt  wol  aus  demselben  Jahr  wie  jenes  in 
der  Kapelle  Facci  der  Kirche  von  S.  Stefano  in  Bo- 
logna.^ Uebrigens  wurde  das  Tafelbild  in  der  Capito- 
linischen  Galerie  von  Francia  blos  untermalt  (man  er- 
kennt darin  sehr  leicht  die  von  ihm  selbst  gezeichneten 
Figuren).  Es  dürfte  wol  im  17.  Jahrhundert  von  einem 
bolognesischen  Maler  mit  Hinzufügung  mehrerer  an- 
derer Figuren,  des  Hundes  und  anderer  Zuthaten  fertig 
gemalt  worden  sein. 

Im  nämlichen  Saale  der  Galerie  hängt  ein  anderes 
ebenfalls  dem  Francesco  Francia  zugemuthetes  Bild, 
auf  welchem  die  thronende  Jungfrau  mit  dem  Kinde 
dargestellt  ist,  zur  rechten  Seite  des  Throns  die  Hei- 
ligen Petrus,    Paulus  und  Johannes    der  Täufer,    zur 


*  Auch  die  Lucrezia  wurde  in  die  obern  Gemäclier  des  Pa- 
lastes gebracht.  Jenes  Bild  ist  wol  das  von  Vasari  beschriebene 
(VI,  11).  „77  duca  Guido  Baldo  parimente  ha  nella  sua  guar- 
darobüj  dt  mano  del  Francia,  in  un  quadro  una  Lucrezia  ro- 
niana,  da  lui  molto  stimata.^^  In  der  Sammlung  von  Lord  North- 
brook  in  London  befindet  sich  eine  alte  und  gute  Copie  der  Bor- 
ghesischen  Lucrezia. 

'  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (I,  574,  3)  geben  jenes 
Bild  der  Kapelle  Facci  dem  Giacomo  Francia. 


Lombardische  Meister:  Francesoo  Francia.  253 

linken  Andreas,  Johannes  der  Evangelist  und  Francis- 
cus.  Die  mit  Gold  reich  verzierte  Architektur  lässt 
uns  im  Autor  des  Bildes  einen  vom  Palmezzano  be- 
einflussten  Maler  vermuthen.  Der  Gesichtstypus  der 
Madonna,  die  Form  der  Hand  und  des  Ohres  des  Christ- 
kindes, sowie  die  Landschaft  sind  augenscheinlich  dem 
Francia  entlehnt,  wogegen  der  Typus  des  heiligen  Fran- 
ciscus  sowie  die  carrikirten  Gesichtstypen  der  übrigen 
Heiligen  an  Palmezzano  erinnern;  die  auf  dem  Thron- 
sessel angebrachten  Früchte  lassen  uns  an  die  Schule 
des  Carlo  Crivelli  denken.  Das  Bild  ist  mit  der  Jahres- 
zahl 1513  bezeichnet  und  dürfte  einem  Künstler  aus 
der  Marca  d'  Ancona  angehören. 

Hatten  wir  soeben  Gelegenheit,  in  diesem  Saal  der 
Capitolinischen  Gemäldesammlung  eins  der  letzten  Werke 
des  Francia  zu  sehen,  so  bietet  uns  dagegen,  meiner 
Ueberzeugung  nach,  die  Galerie  Corsini  in  Rom  im 
kleinen  Tafelbilde  mit  dem  heiligen  Georg  im  Kampfe 
mit  dem  Drachen  einen  der  ersten  Versuche  in  der 
Malerei  des  Meisters  dar.  Jenes  Bildchen  wird  all- 
gemein für  die  Arbeit  des  Ercole  Grandi  di  Giulio 
Cesare  gehalten  und  als  solche  wurde  es  vor  Jahren 
auch  von  mir  angeführt.  Bei  einer  nähern  Besichti- 
gung jedoch  fielen  mir  auch  vor  diesem  Bilde  die 
Schuppen  von  den  Augen  und  ich  erkannte  es  als  Jugend- 
werk des  Francesco  Francia,  etwa  aus  derselben 
Epoche,  in  der  das  Bildchen  mit  dem  Gekreuzigten  im 
Arciginnasip  von  Bologna  (f),  das  Madonnenbildchen 
Nr.  1040  in  der  Münchener  Pinakothek,  die  Bilder  für 
den  Bianchini  (im  Museum  von  Berlin)  und  für  den 
Felicini  (in  der  Pinakothek  von  Bologna)  entstanden, 
d.  h.  in  den  Jahren  1490—94.  (f) 

Florenz  besitzt  ein  Porträt  des  Evangelbta  Scappi, 
in  der  Tribuna  der  Uffizien-Galerie  aufgestellt,  ein  zwar 
vorzügliches,  allein  stark  restaurirtes  Werk  des  Francia. 
Die  grossere  Zahl  der  Bilder  dieses  Meisters,  und  dar- 


254  I^io  Galerie  Borghese. 

unter  auch  seine  besten,  müssen  in  seiner  Vaterstadt 
Bologna  nufgesucbt  werden :  in  der  Pinakothek,  in  den 
Kirchen  S.  Jacopo  mnggiore,  S.  Martino,  S.  Vitale,  in 
der  Kapelle  der  heiligen  Cäcilia. 

Francesco  Francia  verhält  sich  zu  Lorenzo  Costa  un- 
gefähr so  wie  Pietro  Perugino  zu  Pintoricchio.  So- 
wol  Costa  als  Bernardino  Betti  sind  phantasiereichere, 
lebendigere,  dramatischere  Künstler  als  Francia  und  Pe- 
rugino. Diese  letztern  waren  jedoch  strengere  Zeichner 
und  gewissenhaftere  Maler  als  jene,  wenigstens  in  den 
Arbeiten  aus  ihrer  Frühzeit.  Die  einzelnen  Figuren  in 
ihren  Bildern  sind  mit  grösserer  Sorgfalt  ausgeführt, 
allein  alle  diese  Figuren  stehen  gleichsam  fiir  sich  da, 
der  Lichtstrahl  ein  und  derselben  Idee  erleuchtet  und 
erwärmt  sie  nicht,  mit  einem  Wort,  sie  sind  nicht  bei 
der  Sache.  Trotzdem  erfreuen  sie  den  Beschauer  durch 
ihren  sanften,  innigen  Ausdruck. 

SOFONISBA  ANGUISSOLA. 

Es  erübrigt  mir  noch  von  einem  zwar  spätrem,  allein 
zu  seiner  Zeit  weitberühmten  lombardischen  Bildniss- 
maler, dem  im  dritten  Saal  dieser  Borghese -Galerie 
ein  kleines  weibliches  Porträt  zugeschrieben  wird,  mei- 
nen freundlichen  Leserinnen  und  Lesern  einiges  mit- 
zutheilen.  Das  Bild  führt  die  Nr.  14  und  gehört  keinem 
männlichen,  sondern  einem  weiblichen  Porträtmaler 
an.  Der  Katalog  schreibt  es  der  Sofonisba  Anguis-^ 
sola,  der  mütterlichen  Freundin  von  A.  van  Dyck,  zu. 
Sofonisba  stammte  aus  der  cremonesischen  Patricier- 
familie  der  Anguissola  und  wurde  von  ihrem  Vater 
Ilamilcar  schon  in  ihrem  siebenten  Jahre  dem  cremo- 
neser  Maler  Bernardino  Campi  anvertraut,  damit  der- 
selbe sie  im  eigenen  Hause  zur  Malerei  ausbilde. 

Welcher  aristokratische  Vater  und  zumal  welche 
adelige  Frau  Mama  würde  in  unserer  demokratisch  sich 
geberdenden  Zeit    ihrem    vornehmen    Töchterlein    eine 


Lombardisühe  Meister:  Sofonisba  Anguissola.  255 

solche  ^^education^^  zuniuthenl  Als  aber  nach  einigen 
Jahren  (1550)  Bernardino  Campi  nach  Mailand  berufen 
ward,  übernahm  der  in  Cremona  ansässige  Bernardino 
Gatti,  il  Sojaro  genannt,  ein  Nachahmer  des  Correggio 
und  des  Parmeggianino,  die  weitere  künstlerische  Er- 
ziehung und  Ausbildung  der  jungen  Sofonisba,  welche 
1559  schon  zu  solchem  Ruf  gelangt  war,  dass  Philipp  II. 
sie  an  seinen  königlichen  Hof  nach  Madrid  berief. 

Das  älteste  mir  bekannte  Gemälde  der  jungen  vor- 
nehmen Malerin  ist  das  Porträt  einer  schwarzäugigen 
Nonne  bei  Lord  Yarborough  in  London,  mit  dem  Namen 
der  Malerin  und  der  Jahreszahl  1551  bezeichnet.  So- 
fonisba hätte  also  das  wirklich  hübsche  Bild  in  ihrem 
elften  oder  höchstens  zwölften  Jahre,  wahrscheinlich  mit 
Beihülfe  des  Lehrers,  gemalt.  Denn  auf  ihrem  Selbst- 
porträt im  Belvedere  in  Wien  sieht  das  grossäugige 
Mädchen  etwa  vierzehn-  oder  fünfzehnjährig  aus.  Jenes 
Bild  trägt  die  Aufschrift:  SOPHONISBA  •  ANGVIS-. 
SOLA .  VIRGO  .  SE  •  IPSAM  •  FECIT  •  1 554.  Ausser 
diesem  sind  mir  noch'  etwa  ein  halbes  Dutzend  anderer 
Selbstporträts  von  ihr  bekannt.  Ein  solches  befindet 
sich  auch  in  der  an  guten  Bildern  reichen  Sammlung 
der  Sienesischen  Akademie.  Die  Malerin  sieht  darauf 
etwa  wie  ein  18-  oder  19 jähriges  Mädchen  aus,  und  das 
Bild  muss  daher  ums  Jahr  1558  von  ihr  gemalt  sein. 
Sofonisba  hat  neben  sich  einen  Mann  mit  dem  Stift  in 
der  Hand  hingestellt,  wahrscheinlich  ihren  ehemaligen 
Lehrer  Bernardino  Campi,  welcher,  1522  geboren,  auf 
dem  Bilde  auch  wirklich  wie  ein  naher  Vierziger  aus- 
sieht. Die  Figuren  sind  in  Lebensgrosse.  Auch  der 
verstorbene  Herzog  Melzi  in  Mailand  besass  ein  frei- 
lich sehr  beschädigtes  Selbstporträt  der  Anguissola; 
ein  späteres  befindet  sich  in  der  florentinischen  Künstler- 
porträtsammlung der  Uffizien.  Dasselbe  ist  bezeichnet: 
SOPHONISBA  .  ANGVISSOLA  •  CREM^s  (Cremo- 
nensis)  AET  •  SVAE  •  ANN  •  XX,    wurde  demnach 


256  ^i®  Galerie  Borghese. 

wabrscbeinlich  von  ihr  in  Madrid  gemalt,  was  auch  die 
Beifügung  ihrer  Heimat  in  der  Inschrift  andeuten  dürfte. 
Andere  Porträts  von  ihrer  Hand  finden  sich  in  Eng- 
land beim  Grafen  Spencer,  bei  Herrn  Danby  Seymour, 
bei  Herrn  William  Stirling;  in  Deutschland  unter  an- 
dern das  schöne  Bild  mit  den  Porträts  ihrer  drei  Schwe- 
stern in  der  im  Berliner  Nationalmuseum  aufgestellten 
Sammlung  des  Grafen  Raczynski  in  Berlin;  ein  anderes 
in  der  Ermitage  in  St.-Petersburg,  aus  der  Leuchtenberg'- 
schen  Sammlung  erworben;  ein  anderes  im  Museum  von 
Neapel.  Herr  Giovanni  Morelli  in  Mailand  besitzt  auch 
ein  sehr  niedliches  Bildchen  von  ihr,  worauf  die  heilige 
Familie  dargestellt  ist.  Auf  demselben  liest  man  fol- 
gende Aufschrift:  SOPHONISBA  •  ANAGVSSOLA 
(sie)  .  ADOLESCENS  •  P.  1559,  also  aus  dem  Jahre, 
in  dem  die  etwa  19-  oder  20jährige  Sofonisba  an  den 
Hof  Philipp's  n.  nach  Madrid  berufen  wurde.  ^ 

lieber  das  Geburts-  und  Todesjahr  dieser  höchst 
interessanten,  selbst  von  Michelangelo  belobten  und  von 
Vasari  hochgepriesenen  Malerin  herrscht  noch  immer 
unter  den  Kunstschriftstellern  eine  grosse  Confusion. 
Nach  meinem  Dafürhalten  also  wurde  Sofonisba  etwa 
im  Jahre  1539  in  Cremona  geboren.  Ihr  Selbstporträt 
in  Wien  vom  Jahre  1554  stellt,  wie  gesagt,  ein  etwa 
14-  bis  15 jähriges  Mädchen  vor.'  Auch  hätte  sie  im 
Jahre  1559  schwerlich  sich  noch  als  adolescens  qualifi- 
cirt,  wie  dies  auf  dem  Bilde  bei  Herrn  Morelli  der  Fall 
ist,  wäre  sie  damals  schon  nahe  an  die  Dreissig  ge- 
wesen und  hätte  sie  daher  das  Tageslicht  schon  im 
Jahre  1530  erblickt,  wie  die  Mehrzahl  ihrer  Biographen 
behauptet. 


*  Eine  Replik  dieses  Bildchens  sah  icli  vor  Jahren  in  der 
Sammlung  des  verstorbenen  Grafen  Varano  in  Ferrara.  Andere 
Madonnenbilder  von  der  Hand  dieser  Malerin  sind  mir  nicht  zu 
Geaicht  gekommen. 


Lombardische  Meister:  Sofonisba  Anguissola.  257 

Vom  Jahre  1559  bis  etwa  1570  scheint  Sofonisba 
Jim  spanischen  Hof  verweilt  zu  haben.  Sie  heirathete 
dort  einen  sicilianischen  Edelmann,  Namens  Moncada, 
dem  sie  später  nach  Palermo  folgte,  wo  derselbe  starb. 
In  zweiter  Ehe  an  den  genuesischen  Patricier  Lomellini 
vermählt,  liess  sie  sich  sodann  in  Genua  nieder.  Im 
Jahre  1624  machte  der  junge  van  Dyck,  von  Palermo  in 
Genua  ankommend,  die  persönliche  Bekanntschaft  So- 
fonisba's  und  soll  dort  im  folgenden  Jahre  das  Porträt 
der  damals  schon  erblindeten  alten  Dame  gemalt  haben, 
-die  ein  Jahr  später,  also  1626,  ungefähr  86  Jahre 
alt  starb. 

Die  Bildnisse  der  Sofonisba  gehen  meistens  unter 
fremden  Namen.  Sie  sind  alle  sehr  naiv  und  frisch 
aufgefasst  und  solid  gemalt.  Im  Museum  von  Ma- 
drid ist  mir  kein  einziges  Gemälde  ihrer  Hand  vor- 
gekommen, wol  aber  fand  ich  dort  das  lebensgrosse  Por- 
trät des  cremoneser  Arztes  Piermaria  (Nr.  15)  mit  der 
Aufschrift:  LVCIA  •  ANGVISOLA  .  AMILCARIS  • 
F  .  ADOLESCENS.  Diese  Lucia,  von  der  auch  die 
städtische  Bildergalerie  von  Brescia  das  sehr  naive  Por- 
trätchen einer  dritten  Schwester  Anguissola,  nämlich 
der  Europa  besitzt,  war,  wenn  ich  nicht  irre,  die  zweite 
Schwester  der  Sofonisba  und  auch  ihre  Schülerin. 

Von  dieser  Lucia  nun  und  nicht  von  der  Sofo- 
nisba wurde,  nach  meiner  Ansicht,  das  kleine  weibliche 
Bildniss  der  Borghese-Galerie  gemalt,  (f)  Aber  auch 
Europa,  die  dritte  Schwester,  war  Malerin,  wie  uns 
Vasari  berichtet,  der  dieselbe  im  Jahre  1568  in  Cre- 
mona  besuchte  (XI,  260).  Die  vierte  und  jüngste 
Schwester^  hiess  Anna  Maria  und  gab  sich  ebenso 


^  Ausser  diesen  gab  es  nooh  zwei  andere  Schwestern  der 

Sofonisba,    von  denen  die  eine  jong  verstarb,   die  andere  sich 

ins  Kloster  zurückzog.    Siehe  darüber  auch  Gh^sselli's  yjÄbeee- 

dario  biografico  dei  Pittori^  ScuUori  ed  Architetti  OnmoneH", 

hmuuovtnrr.  i'j 


258  ^i^  Galerie  Borghese. 

wie  ihre  drei  altern  Schwestern  mit  Malerei  ab.  Von 
ihrer  Hand  sah  ich  vor  Jahren  im  Hause  des  Vicars 
von  S.  Pietro  zu  Cremona  ein  wenig  erfreuliches  Bild- 
chen, worauf  die  heilige  Familie  dargestellt  ist,  nebst 
dem  heiligen  Franciscus,  welcher  ein  Körbchen  voll 
Trauben  und  Maulbeeren  dem  Christkinde  darbringt. 
Auf  dem  Bilde  ist  der  Name  der  Künstlerin  in  Goldbuch- 
staben folgendermassen  bezeichnet:  ANNAE  •  MARIAE 
.  AMILCARIS  .  ANGVSOLAE  •  FILIAE. 

Italien  ist  wol  das  einzige  Land  Europas,  in  wel- 
chem so  viele  Jungfrauen  sich  der  Malerkunst  wid- 
meten und  es  darin  auch  zu  einer  gewissen  Meister- 
schaft gebracht  haben.  Ich  nenne  hier  unter  andern 
die  fromme  Catharina  Vigri*  aus  Bologna;  die  Irene 
von  Spilimbergo,  Tizian's  Schülerin;  die  Schwestern 
Anguissola;  die  Marietta  Robusti^;  die  Barbara 
Longhi  aus  Ravenna;  die  Agnes  Dolci  aus  Florenz; 
die  Lavinia  Fontana  aus  Bologna;  die  Galizia  Fede 
aus  Trient  u.  a.  m. 


DIE  FEERAEESEK 

Nachdem  wir  einen  Blick  den  Werken  der  floren- 
tinischen,  sowie  anderer  Malerschulen  Italiens,  geschenkt 
haben,  wollen  wir  nun  einige  unter  den  vielen  Bildern 
aus  der  ferraresischen  Malerschule  betrachten. 

BENVENUTO  GAROFOLO. 

Die  Bilder  von  Benvenuto  Garofolo  und  von 
DossoDossi  leuchten  uns  ja  von  allen  Wänden  dieser 


^  Ein  Bild  von  ihr  befindet  sich  in  der  Akademie  von  Venedig, 
*  Das  Museum  von   Madrid  besitzt  mehrere  Bildnisse  von 
ihrer  Hand. 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  259 

Räume  entgegen  und  unter  denselben  sind  einige,  die 
zu  den  schönsten  Stücken  der  Borghese-Galerie  gerech- 
net zu  werden  verdienen.  Beginnen  wir  mit  der  Be- 
sprechung der  Werke  des  Garofolo  und  seiner  Schule. 
Benvenuto  war  zwar  um  einige  Jahre  jünger  als  sein 
Landsmann  Dosso,  auch  steht  er  diesem,  wenigstens  in 
meinen  Augen,  als  Künstler  in  mancher  Hinsicht  nach, 
die  Anzahl  seiner  Werke  ist  aber  hier  so  überwiegend, 
dass  er  schon  deshalb  den  Vorrang  verdient. 

Wer  diesen  Meister  kennen  lernen  will,  der  muss 
nach  Kom  kommen.  In  keiner  andern  Stadt,  selbst 
Ferrara  nicht  ausgenommen,  findet  man  ihn  in  allen 
Tonarten,  in  allen  seinen  künstlerischen  Entwickelungs- 
stufen  so  reichlich  vertreten,  wie  dies  in  den  verschie- 
denen Sammlungen  der  Ewigen  Stadt  der  Fall  ist.  Die 
meisten  dieser  ferraresischen  Bilder  mögen  schon  im 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  nach  Kom  gebracht  wor- 
den sein,  als  nämlich  durch  die  Aldobrandini  die  Reihe 
auch  an  Ferrara  kam,  dem  päpstlichen  Staate  annectirt 
zu  werden.  Wie  über  die  Völkerwandeningen,  so  wal- 
tet auch  über  die  Bilder  ein  politisches  Fatum. 

Die  Biographie  des  Garofolo,  welche  uns  Vasari 
mittheilt,  der  ihn  personlich  kennen  zu  lernen  Gelegen- 
heit hatte,  leidet  zwar  sehr  an  Anachronismen,  wie  fast 
alle  Biographien  im  Werke  des  Aretiners,  scheint  mir 
jedoch  in  der  Hauptsache  wahr  zu  sein.  Sie  enthält 
beiläufig  folgende  Thatsachen:  Benvenuto  Tisi  wurde  in 
Ferrara  im  Jahre  1481  geboren  und  starb  daselbst  1559, 
erreichte  somit  ein  Alter  von  78  Jahren.  Obgleich  er 
ungefähr  in  seinem  50.  Lebensjahre  fast  ganz  die  Seh- 
kraft des  einen  Auges  eingebüsst  haben  soll,  so  wurde 
er  dadurch  keineswegs  in  der  Ausühuni^  seines  Berufs 
gehindert,  und  Garofolo  war  ein  Mann  von  grossem 
Fleiss.  Bei  einer  künstlerischen  Thätigkeit  von  un- 
gefähr 50  Jahren  konnte  er  demnach  sicherlich  eine 
grosse  Anzahl  Arbeiten  ausführen  und  davon  kann  man, 

17  • 


260  I^ie  Galerie  Borghese. 

wie  gesagt,  in  den  römischen  Sammlungen  zur  Genüge 
sich  überzeugen.  Sein  Vater  Pietro  Tisi  (seines  Zei- 
chens ein  Schuhmacher,  gleich  dem  Vater  des  Sodoma) 
stammte  aus  dem  kleinen  Ort  Garofolo,  im  paduani- 
schen  Gebiet  liegend,  weshalb  sein  Sohn  gewöhnlich 
Benvenuto  da  Garofolo  zuweilen  auch  schlechtweg 
Benvenuto  Garofolo  genannt  wurde.  Ums  Jahr  1491, 
also  zehnjährig,  ward  Benvenuto  vom  Vater  zu  dem 
ferraresischen  Meister  Domenico  Panetti^  in  die 
Lehre  gegeben.  Dieser  war,  wenn  auch  ein  trockener, 
zuweilen  selbst  ein  nicht  sehr  kurzweiliger,  doch 
immerhin  ein  ganz  tüchtiger  und  gewissenhafter  Maler, 
wovon  man  sich  besonders  in  der  Pinakothek  von  Fer- 
rara,  wo  mehrere  Bilder  von  ihm  aufgestellt  sind,  über- 
zeugen kann.  Er  mag  damals  der  beliebteste  unter  den 
in  der  Stadt  Ferrara  lebenden  Malern  gewesen  sein. 
In  der  Geschichte  der  ferraresischen  Malerschule  neh- 
men, wie  mir  scheint,  Panetti,  Francesco  Bianchi  und 
Lorenzo  Costa  ungefähr  denselben  Platz  ein,  den  in 
der  Schule  von  Perugia  Fiorenzo  di  Lorenzo,  Pinto- 
ricchio  und  Pietro  Perugino,  in  der  von  Verona  etwa 
Francesco  Morone,  Girolamo  dai  Libri  und  Bonsignori 
behaupten. 

Nach  ungefähr  sieben  Jahren  war  die  sogenannte 
Lehrzeit  vorüber,  und  um  1498  beginnen  nun  die  Wan- 
derjahre des  jungen  Garofolo.  Zuerst  begab  er  sich  nach 
Cremona,  wo  er  an  dem  Maler  Soriani  einen  Verwandten 
oder  Freund  gehabt  zu  haben  scheint  und  wo  auch 
Boccaccio  Boccaccino,  den  er  wahrscheinlich  schon  von 
Ferrara  her  kannte,  thätig  war.  Boccaccino,  ein  Schüler 
mehr  der  venetianischen  als  der  mailändischen  Schule, 


*  Panetti  (1512  gestorben)  war,  meiner  Ansicht  nach,  in  der 
Schule  des  Cosimo  Tura  Mitschüler  jenes  Francesco  Bianchi  (1510 
▼erstorben),  der,  wie  die  Geschichte  berichtet,  die  Ehre  hatte 
den  jungen  Correggio  in  der  Malerei  zu  unteiTichten. 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  261 

wurde  schon  damals,  und  mit  Recht,  für  den  vorzüg- 
lichsten Maler  Cremonas  gehalten.  Von  diesem  letztern 
mag  nun  Garofolo  in  dessen  Werkstätte  wol  Bilder  ge- 
sehen haben,  die  ihm  schon  ihrer  herrlichen  Farbe  halber 
zusagten,  allein  auf  keinen  Fall  jene,  welche  Vasari  und 
Baruffaldi,  der  den  Vasari  copirt,  angeben,  da  ja  die 
Tribuna  des  Doms  von  Cremona  erst  1505  und  1506 
von  Boccaccino  al  fresco  bemalt  wurde  und  seine  Ge- 
schichten aus  dem  Leben  der  Maria,  ebenso  wie  die 
Wandgemälde  des  Romanino  und  seines  Schülers  Alto- 
bello  Meloni  in  jener  Kirche  erst  ungefähr  zehn  oder 
zwölf  Jahre  später,  d.  h.  in  den  Jahren  1513 — 18  ent- 
standen sind.  Benvenuto  aber  fand  Arbeit  bei  Boccac- 
cino, wie  dies  uns  auch  durch  folgenden  Brief  bestä- 
tigt wird,  welchen  Boccaccino  an  den  Vater  des  Ben- 
venuto geschrieben  haben  solH: 

„Hochzuverehrender  Herr  Peter! 

„Hätte  Euer  Sohn  Benvegnü  die  guten  Sitten  eben- 
sowohl erlernt  als  das  Malen,  so  würde  er  mir  gewiss 
nicht  einen  so  schlimmen  Streich  gespielt  haben.  Denn, 
nachdem  am  3.  Januar  sein  Onkel  und  Euer  Schwager  (?) 
Herr  Niccolö  (Soriani)  starb,  hat  er  keinen  Pinsel  mehr 
angerührt,  und  doch  wusste  er  gar  wohl  an  was  für 
einem  schönen  Werke  er  arbeitete.  Das  ist  aber  noch 
gar  nichts.  Er  ist,  ohne  auch  nur  «hoP  dich  der  Henker» 
zu  sagen,  davongelaufen,  ich  weiss  aber  nicht  in  wel- 
cher Richtung.  Ich  hatte  ihm  Arbeit  verschafft,  er  hat 
aber  alles  unvollendet  im  Stiche  gelassen  und  ist  auf 
und  davon,  nachdem  er  alle  seine  eigenen  Geräthschaflen 
nebst  denen  des  Herrn  Niccolö  bei  mir  hatte  liegen 
lassen.     Das  diene  Euch  zur  Richtschnur  um  ihn  auf- 


>  Von  oinigt^n  neuem  Kritikern  wird  dieser  Brief  für  apo- 
kryph gehalten,  jiMl«>ch,  wie  icli  glaube,  ohne  hinreichenden  Grund. 


262  ^^^  Galerie  Borghese. 

zutreiben.  Durfte  man  ihm  Glauben  schenken,  so  sagte 
er,  er  wolle  Rom  sehen;  möchte  wol  sein,  dass  er  sich 
nach  jener  Stadt  begeben  hat.  Und  nun  sind  es  schon 
zehn  Tage  her,  dass  er  abgereist  ist  bei  einer  Kälte  und 
bei  einem  Schnee,  dass  es  kaum  zum  Aushalten  ist.  Ich 
küsse  Euch  die  Hände  und  verbleibe  Euer  brüderlich 
gesinnter  Boccaccino." 

Cremona,  29.  Januar  1499. 

Diesem  Brief  zufolge  erscheint  uns  Benvenuto  als 
ein  etwas  unartiger,  aber  entschlossener  Bursche.  Am 
19.  Januar  des  Jahres  1499  also  verliess  der  18jährige 
Garofolo  die  Werkstätte  des  Boccaccino  und  Cremona, 
und  begab  sich  im  tiefsten  Winter  auf  den  Weg  nach 
Rom.  Diese  Reise  scheint  die  Folge  eines  plötzlichen 
Entschlusses  gewesen  zu  sein.  In  Rom  angekommen 
miethete  er  sich,  wie  Vasari  berichtet,  in  der  Wohnung 
des  florentinischen  Künstlers  Giovanni  Baldini  (wol  ein 
Verwandter  des  berühmten  Baccio  Baldini)  ein,  bei 
welchem  er  Gelegenheit  hatte,  viele  Zeichnungen  be- 
rühmter Meister  aus  Florenz  zu  sehen  und  zu  copiren. 
Die  Nachricht,  dass  sein  Vater  schwer  krank  danieder- 
liege, rief  ihn  jedoch  plötzlich  von  Rom  wieder  nach 
Ferrara  zurück.  Dort  angekommen  scheint  er  dann 
kürzere  Zeit  unter  dem  Einfluss  der  Brüder  Dossi  ge- 
arbeitet zu  haben. ^  Benvenuto  schloss,  wie  es  scheint, 
innige  Freundschaft  mit  den  Brüdern  Dossi  (Giovanni 
und  Battista)  und  ward  später  in  ihrer  Gesellschaft  viel- 
fältig vom  Herzog  Alfonso  und  seiner  anmutliigen  Gattin 
Lucrezia  Borgia,  die  damals  in  ihrem  24.  Jahre  stand. 


*  Mancher  Zug  in  seinem  Bilde  aus  der  Frühzeit  „die  An- 
betung der  Hirten",  im  ersten  Saal  der  Borghese- Galerie,  erin- 
nert mehr  an  Battista  wie  an  Giovanni  Dosso.  Leider  ist  auch 
dieses  Bildchen  neuerdings  ins  obere  Stockwerk  des  Palastes  ge- 
bracht worden. 


Die  Ferrareaen;  Benvenuto  Garofolo.  263 

in  Anspruch  genommen.  Der  ältere  Dossi,  Giovanni, 
zählte  in  jener  Zeit  auch  24 — 25  Jahre,  Garofolo  22 
oder  23,  fürwahr  die  schönste,  heiterste  Zeit  für  einen 
begabten  Künstler!  Standen  Masaccio,  Filippino  Lippi, 
Mantegna,  Andrea  del  Sarto  und  selbst  der  göttliche 
Rafl'ael  nicht  auch  im  Anfange  ihrer  zwanziger  Jahre, 
als  sie  herrliche  Werke  schufen!  Und  an  Arbeit  fehlte 
es  gewiss  nicht  zu  Ferrara  bei  dem  kunstliebenden 
Luxus  der  regierenden  Herrschaften! 

Vergleichen  wir  nun  die  grosse  „Kreuzabnahme'' 
im  zweiten  Saal  (Nr.  9)  dieser  Borghese- Galerie  mit 
der  sogenannten  „Circe"  und  mit  der  „Calisto"  des  Dosso 
im  dritten  Saal,  so  gewahren  wir  in  diesen  drei  cha- 
rakteristischen Gemälden  eine  nahe  Verwandtschaft  zwi- 
schen dem  einen  und  dem  andern  Künstler.  Welcher 
von  beiden  hat  nun  auf  den  andern  eingewirkt,  Garo- 
folo auf  den  Dosso,  oder  dieser  auf  den  jungem  Ga- 
rofolo? Meinem  Gefi'ihle  nach  haben  wol  beide  Maler 
in  einem  ähnlichen  Verhältnisse  zueinander  gestanden, 
wie  etwa  Fraucia  und  Lorenzo  Costa,  d.  b.  ein  jeder 
von  beiden  mag  etwas  vom  andern  genommen,  etwas 
dem  andern  gegeben  haben.  In  allen  seinen  Werken, 
den  guten  wie  den  flüchtigen,  erscheint  uns  Dosso  als 
ein  höchst  phantastischer,  heutzutage  würde  man  sagen 
„romantischer"  Künstler,  der  sich  im  grossen  und  ganzen 
stets  gleich  bleibt,  den  gleichen  künstlerischen  Charak- 
ter bewahrt,  sei  es  in  der  würzigen  Herbe  seiner  Jugend- 
zeit, wie  hier  in  der  „Circe"  und  der  „Calisto",  sei  es  in 
seinen  spätem  Jahren,  als  er  durch  einen  längern  Auf- 
enthalt im  nahen  Venedig  die  Malweise  des  Giorgione 
und  des  Tizian  sich  zu  eigen  gemacht  hatte.  Dasselbe 
lässt  sich  aber  vom  nüchternen,  roaass-  und  geschmack- 
vollem, besonnenem  Garofolo  nicht  sagen. 

Auch  dieser  Künstler  bleibt  zwar  in  allen  seinen 
Werken  stets  Ferrarese,  allein  in  den  verschiedenen 
Epochen    seiner   Wirksamkeit  bemerkt    man    h\or    i\rn 


264  ^^®  Galerie  Borghese. 

Einfluss  seiner  altern  Vorbilder,  des  Panetti  und  de» 
Boccaccino  und  den  der  Gebrüder  Dossi,  dort  den  de& 
Lorenzo  Costa  und  zuletzt  selbst  den  des  Urbinaten. 

Betrachten  wir  uns  vorerst  diese  seine  grosse  „Kreuz- 
abnahme" im  zweiten  Saal.^  Wir  haben  hier  etwa  neun 
fast  lebensgrosse,  innerlich  bewegte  Figuren  vor  uns» 
Den  Hintergrund  bildet  auch  in  diesem  Bilde  eine  ganz^ 
im  Sinne  der  Dossi  gedachte  phantastische  Landschaft,. 
in  der  man  den  heiligen  Christoph  gewahrt,  wie  er,  mit 
dem  Jesuskind  auf  der  Schulter,  durch  einen  Fluss 
watet.  Der  kalte  Ton  dieser  Landschaft  mit  den  kreide- 
weiss  beleuchteten  Felsen  und  Landesstrecken  hebt  sehr 
kräftig  die  braunen,  warmen  Fleischtöne  der  Figuren 
im  Yorgrunde  ab:  ein  Kunstmittel,  dessen  unter  den 
Venetianern  viele  Maler  sich  bedienten.  Garofolo's  gelbe,. 
sehr  gesättigte  Farbe,  sowie  das  der  gekochten  Zucker^ 
rübe  ähnliche  Roth  sind  fast  allen  Gemälden  aus  dieser 


^  Von  diesem  wahrhaft  grossartigen  Bilde  des  Garofolo  gibt 
es  im  Museum  von  Neapel  eine  modif  icirte  Copie  aus  dem 
Jahre  1521  (?):  eine  Arbeit,  die  von  einem  höchst  schwachmüthi- 
gen  Gesellen  herrührt,  die  aber  dort  unglaublicherweise  für 
Originalwerk  ausgegeben  wird.  Man  betrachte  doch  in  jenem 
widerlichen  Bilde  unter  anderm  die  vor  Schmerz  grinsende  Mag- 
dalena zu  den  Füssen  des  todten  Christus  und  die  plumpen 
Waschweiber  im  Mittelgrund !  Selbst  in  der  Linienperspective  ist 
jene  Copie  ganz  und  gar  verfehlt !  Nichtsdestoweniger  hat  selbst 
Director  Bode  (II,  737)  zu  meiner  nicht  geringen  Verwunderung 
keinen  Anstand  genommen,  das  Bild  in  Neapel  für  Originalwerk 
Garofolo's  hinzunehmen.  Da  jedoch  derselbe  Kunstschriftsteller 
auch  den  „Reiterzug"  des  Bagnacavallo  im  Palast  Colonna  für 
ein  Werk  des  Garofolo  seinen  Lesern  präsentirt,  so  muss  ich  an- 
nehmen, dass  er  auch  mit  den  Meistern  der  ferraresischen  Schule 
nicht  so  innig  vertraut  sein  dürfte,  wie  er  zu  glauben  scheint. 
Das  Leben  ist  eben  zu  kurz  und  die  Kunst  zu  lang,  als  dass  ein 
einzelner  Mensch,  so  begabt  und  dauerhaft  er  auch  bei  seinem 
kritischen  Bestreben  immer  sein  mag,  im  Stande  sein  sollte,  die- 
selbe ganz  zu  umfassen  und  in  allen  ihren  vielfältigen  Erschei- 
nungen und  Wandlungen  zu  beherrschen. 


Die  Ferrareeen:  Benvenato  Garofolo.  265 

seiner  Frühzeit  eigenthumlich,  sein  Blau  und  sein  Weiss 
sind  dagegen  klar  und  hell.  Ein  Glück  für  seine  Kunst 
wäre  es,  wie  ich  glaube,  gewesen,  wenn  er  stets  in  dieser 
seiner  echt  ferraresischen  Art  hätte  fortwirken  können, 
denn  gewiss  gehören  den  fünf  oder  sechs  Jahren,  in 
denen  er  oft  in  Gemeinschaft  der  Brüder  Dossi  arbei- 
tete, seine  frischesten  und  kräftigsten  Werke  an.  Sehen 
wir  uns  nun  in  chronologischer  Hinsicht,  soweit  dies 
eben  thunlich  ist,  mehrere  seiner  in  Rom  befindlichen 
Bilder  an. 

Für  das  älteste  der  mir  bekannten  Werke  des  Ga- 
rofolo halte  ich  die  kleine  „Anbetung  der  Hirten", 
Nr.  67  im  ersten  Saal.*  In  diesem  Bilde  erscheint  alles 
noch  sehr  jugendlich;  das  gilt  sowol  von  der  Empfin- 
dung als  auch  von  der  Technik.  So  sind  z.  B.  die 
schweren  Knittelfalten  am  blauen  Mantel  der  Jungfrau 
noch  durchaus  quattrocentistisch,  und  wie  überlang  ist 
nicht  der  Oberleib  des  heiligen  Joseph!  Die  Carna- 
tion  ist  bräunlich  wie  die  der  Figuren  in  der  „Kreuz- 
abnahme", die  phantastische  Landschaft  ist  ebendieselbe. 
Ehe  wir  jedoch  weiter  schreiten  in  dieser  Musterung, 
trachten  wir,  unserer  Methode  getreu,  die  charakteri» 
stischen  Merkmale  auf  diesem  Jugendwerk  des  Garo- 
folo festzustellen,  damit  wir  es  dann  mit  grösserer  Ein- 
sicht mit  den  andern  Werken  aus  spätem  Zeiten  des 
Malers  vergleichen  können: 

1)  der  heilige  Joseph  hat  einen  Kopftypus,  der  auf 
den  Bildern  dieser  seiner  Frühzeit  öfters  wiederkehrt; 

2)  die  Nasen  sind  geradlinig; 

3)  auf  dem  Vorderärmel  sind  steife  Querfältchen 
angebracht; 

4)  die  Form  der  TTmiwI  mit  dem  auswärts  gekehrten 


'  Leider  wurde  inzwischeOi  wie  getagt,  auch  dieses  in  bisto- 
risoher  Hinrioht  so  interetsante  Bildchen  ins  obere  Stockwerk 
des  Palastes  gebracht. 


266  I^iö  Galerie  Borghese. 

Daumen  und  dem  gebogenen  Zeigefinger  ist  ebenfalls 
charakteristisch ; 

5)  das  Ohr  ist  länglich  und  gleichförmig  breit; 

6)  die  Landschaft  mit  den  geradlinigen,  auf  der  einen 
Seite  schroff  abfallenden  Bergrücken,  den  kreidegelb 
beleuchteten  Strecken  Landes  im  Mittelgrund,  mit  dem 
röthlichen  Horizont,  mit  der  dunkelgrünen  Baum- 
gruppe, hinter  welcher  andere  hellbraun  belaubte  Bäume 
hervorschauen,  mit  den  kleinen  runden  Steinchen  auf 
dem  Boden  des  Vordergrundes;  diese  Landschaft  ist 
höchst  bezeichnend  für  die  Jugendwerke  unsers 
Meisters. 

Nach  diesem  Bildchen,  freilich  mehrere  Jahre  später, 
würde  ich  die  jugendfrische,  wahrhaft  schöne  „Anbe- 
tung" oder  „Geburt  Christi",  Nr.  61,  in  der  Doria- 
Galerie,  setzen,  (f)  Sie  wird  dort  dem  Ortolano  zu- 
geschrieben. Auch  hier  finden  wir,  nebst  demselben 
Typus  des  Joseph  wie  im  vorigen  Bilde,  all  die  an- 
dern soeben  als  charakteristisch  angeführten  Merkmale, 
nämlich  die  geradlinigen  Nasen,  dieselbe  Ohr-  und 
Handform,  dieselbe  eigenthümlich  beleuchtete  Landschaft 
mit  dem  röthlichen  Horizont,  dasselbe  Faltensystem  — 
alles  dies  jedoch  schon  mit  grösserer  Gewandtheit  ausge- 
führt, als  dies  im  vorigen  Bilde  des  Garofolo  der  Fall  ist. 
Auch  der  oben  in  den  Lüften  singende  Engelchor,  wie 
wir  ihn  gar  oft  auf  den  Gemälden  des  Garofolo  antreffen, 
scheint  mir  auf  dem  Bilde  der  Doria-Galerie  charak- 
teristisch für  diesen  Meister  zu  sein.  Man  vergleiche 
z.B.  dieses  Bild,  Nr.  61,  mit  dem  einer  viel  spätem  Zeit 
des  Garofolo  angehörigen  Gemälde  im  Braccio  I  (Nr.  2) 
dieser  Doria-Galerie  und  man  wird  auch  dort  denselben 
röthlich-gelben  Horizont,  dieselbe  Handform,  dieselben 
Gesichtstypen,  dieselbe  Behandlung  finden,  wie  hier  in 
der  „Anbetung  des  Christkindes"  (Nr.  61).  Ueberdies 
steht  in  demselben  Braccio  I  ein  anderes  und  zwar  grosses 
Werk  des  Garofolo   aus  dem  Jahre  1519,   die  „Heim- 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  267 

suchuug",  und  auch  auf  diesem  Bilde  finden  wir  die- 
selben runden  Steinchen  am  Boden,  dieselbe  Land- 
schaft, dasselbe  Faltensystem  mit  den  steifen  Querfält- 
chen  auf  dem  Vorderärmel  der  Elisabeth,  denselben  Kopf- 
putz u.  s.  w. 

Der  chronologischen  Reihenfolge  nach  kämen,  wie 
mir  scheint,  nach  der  „Anbetung  des  Christkindes"  der 
Doria- Galerie  die  zwei  Tafeln  mit  den  Heiligen  Se- 
bastianus  und  Nicolaus  von  Bari,  die  in  der  Capitoli- 
nischen  Galerie  die  Nrn.  70  und  87  führen  und  dort  un- 
glaublicherweise auf  Giovanni  Bellini  getauft  wurden,  (f) 
Auch  auf  diesen  zwei  Bildern  trefien  wir  die  oben  an- 
geführten, für  unsern  Meister  charakteristischen  Merk- 
male an. 

Gegen  das  Jahr  1508  nun,  also  in  seinem  27.  Jahre 
dürfte  Garofolo  seine  grosse  „Kreuzabnahme"  in  un- 
serer Borghese-Galerie  *  und  vielleicht  ein  Jahr  später 
das  herrliche  Bild  in  der  englischen  National  Gallery, 
dort  dem  Ortolano  zugeschrieben  (f ),  ausgeführt  haben. 
Dieses  letztere  Gemälde  stellt  den  heiligen  Sebastianus 
zwischen  zwei  andern  Heiligen  vor.  Die  Figur  des 
Sebastian  erinnert  an  die  desselben  Heiligen  des  Dosso 
Dossi  in  der  Brera-Galerie.  Auch  in  jenem  Bilde  in  Lon- 
don begegnen  wir  derselben  Form  der  Hand,  demselben 
braunen  Incamat,  demselben  Faltensystem,  derselben 
Landschaft,  denselben  Steinchen  am  Boden,  wie  in  all  den 
soeben  von  uns  betrachteten  Werken  des  Garofolo.  Auch 
der  andere  kleine  heilige  Sebastianus  von  Garofolo,  Nr.39, 
in  der  Sala  Veneziana  des  Museums  von  Neapel  hat 
noch  ein  sehr  an  Dosso  erinnerndes  Aussehen,  ebenso 
das  herrliche  kleine  Madonnenbildchen  in  der  stadti- 
schen Galerie  von  Bergamo:  die  thronende  Jungfrau  mit 


'  Ans  dieser  nämlichen  Epoche  des  Garofolo  besitct  auch 
Marchese  £.  Visoonti-Venosta  in  Mailand  das  Brustbild  des  hei- 
ligen Antonius. 


268  ^^^  Galerie  Borghese. 

dem   Christkind    und    den    Heiligen    Rochus    und    Se- 
bastiauus. 

Gleich  nach  diesen  Bildern  dürfte  Garofolo  das  „Noli 
me  tangere"  (Nr.  23)  im  zweiten  Saal  dieser  Borghese- 
Galerie  und  die  einfältigerweise  im  zweiten  Saal  der 
Doria-Galerie  dem  Basaiti  zugeschriebene  „Santa  con- 
versazione"  (Nr.  18)  gemalt  haben.  Auf  diesem  letzten 
trefflichen  Bilde  finden  wir  ebenfalls  dieselbe  Handform, 
wie  auf  der  „Anbetung  der  Hirten"  (Nr.  67)  in  der 
Borghese-Galerie,  dieselbe  strohgelbe  Farbe  am  Schuh- 
werk des  heiligen  Zacharias,  dasselbe  Faltensystem,  die- 
selbe Landschaft,  denselben  Kopfputz  bei  der  heiligen 
Elisabeth,  dieselben  Steinchen  am  Boden,  dieselben 
steifen  Längsfalten  auf  der  Brust  der  Madonna  und 
denselben  Gesichtstypus  beim  heiligen  Zacharias.  Dieses 
letztere  Bild  und  ebenso  das  „Noli  me  tangere"  und 
der  „Christus  mit  der  Samariterin  am  Brunnen"  (Nr. 42) 
in  der  Borghese-Galerie  gehören,  wie  ich  glaube,  der 
Uebergangsperiode  an  zwischen  der  Dossi'schen 
Malweise  und  der  dritten  oder  Costa'schen  Manier 
des  Garofolo.  Im  selben  zweiten  Saal  der  Doria-Galerie 
sehen  wir  unter  Nr.  90  und  unter  dem  Namen  des  Lo- 
renzo  Costa  ein  kleines  Bild  des  Garofolo  mit  der  hei- 
ligen Familie.  Dieses  Gemälde  erinnert  allerdings, 
namentlich  im  Kopf  der  Madonna,  gar  sehr  an  Lorenzo 
Costa,  und  es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  Garofolo, 
der,  wie  wir  wissen,  im  Jahre  1511  längere  Zeit  mit 
Dosso  Dossi,  sich  in  Mantua  aufhielt,  daselbst  von 
den  Bildern  des  Costa  beeinflusst  wurde.  Bald  nach 
diesem  Bildchen,  d.  h.  im  Jahre  1512,  malte  Benvenuto 
das  schöne  Tafelbild  der  Dresdener  Galerie  „Poseidon 
und  Athene".  ^    Sodann  kommt  die  heilige  Familie  vom 


^  Sowol  dieses  Bild  als  auch  die  heilige  Familie  aus  dem 
Jahre  1513  in  der  Pinakothek  von  Ferrara  gemahnen  gewiss 
mehr  an  Lorenzo  Costa  als   an  Raffael.     Braun  in  Dornach  hat 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  269 

Jahre  1513,  Nr.  93  in  der  Pinakothek  von  Ferrara,  dort 
dem  Ortolano  zugeschrieben.*  Von  jener  Zeit  an  bleibt 
sich  Garofolo  fast  immer  gleich  und  schaflPt  bis  in  die 
dreissiger  Jahre  hinein  meistentheils  ganz  vorzügliche 
Werke.  Ich  würde  jedoch  meine  Leser  gar  zu  sehr 
ermüden,  wollte  ich  mir  die  unfruchtbare  Mühe  geben, 
die  mehrern  Dutzende  von  kleinern  und  grössern  Bil- 
dern des  Garofolo  und  seiner  Nachahmer,  welche  in  diesen 
beiden  Sälen  und  in  den  andern  Galerien  Roms  und 
Italiens  sich  vorfinden,  eins  nach  dem  andern  zu  be- 
schreiben oder  auch  nur  flüchtig  zu  erwähnen.  Es  dürfte 
sich  aber  wol  der  Mühe  lohnen  für  einen  Kunstbeflis- 
senen, der  etwa  Lust  hätte  diesem  sehr  gut  gearteten 
Maler  in  seinen  Werken  Schritt  für  Schritt  nachzu- 
gehen, sowol  in  dieser  als  in  den  andern  Gemäldesamm- 
lungen Roms  und  Italiens  die  Werke  aus  der  Früh-, 
der  Mittel-  und  der  Spätzeit  des  Meisters  aufzusuchen. 


sowol  das  Bild  in  Dresden  (Nr.  156)  als  auch  das  in  der  National 
Gallery  in  London  dem  Ortolano  zugeschriebene  Gemälde  mit 
dem  heiligen  Sebastianus  in  der  Mitte  und  den  zwei  Heiligen 
Kochus  und  Demetrius  an  den  Seiten  photographirt,  Nr.  669. 
Man  halte  nun  die  beiden  photographischen  Blätter  nebeneinan- 
der und  man  wird  hoffentlich  sowol  an  der  Landschaft  mit  den 
kreideweissen  Lichtem,  der  grünen  Baumgruppe  im  Mittelgrund 
und  den  runden  Steinchen  am  Boden  des  Vorgrundes,  wie  auch 
an  dem  Faltensystem,  an  der  Form  der  ü&nde  und  Füsse  und 
an  den  Gesichtstypen  den  Geist  und  die  Hand  ein  und  desselben 
Meisters  in  beiden  Bildern  erkennen.  Das  Bild  in  London  ge- 
hört  noch  der  Dossi'soben  Wirkungszeit,  das  um  etwa  drei  Jahre 
später  entstandene  Gemälde  der  Cotta*sohen  Uebergangsperiode 
des  Meisters  an. 

^  Auch  auf  diesem  Bilde  finden  wir  dieselben  Steinohen  am 
Boden,  dieselbe  grüne  Baumgmppe,  hinter  welcher  hellbraun  be- 
laubte Bäumchen  hervorschauen,  dieselbe  Ohr-  und  Handform; 
bezeichnet  M.  DXIil,  IVLL  Die  Beseichnang  des  Monats  ist 
ebenfalls  charakteristisch  für  Garofolo.  Neben  dieeem  hängt  dort 
ein  anderes  Bild  des  Oarofolo,  Nr.  66,  mit  dem  Jahre  1614  nnd 
dem  Monat  December  bezeichnet 


270  I^ie  Galerie  Borghese. 

Kehren  wir  wieder  zur  Biographie  unsers  Künst- 
lers zurück,  den  wir,  mit  den  Brüdern  Dossi  wetteifernd, 
in  Ferrara  vollbeschäftigt  verliessen.  Gegen  Ende  des 
Jahres  1509  ungefähr  wurde  Benvenuto  von  seinem 
Landsmann,  dem  Ritter  Hieronymus  Sagrato,  nach  Rom 
eingeladen.  1  In  die  Ewige  Stadt  zurückgekehrt  sah 
Garofolo  die  Decke  der  Sixtinischen  Kapelle  zum  Theil 
vollendet  und,  wenn  auch  nicht  die  Fresken  selbst,  so 
mag  er  doch  vielleicht  die  Zeichnungen  und  die  Gar- 
tens zu  Gesicht  bekommen  haben,  die  Raffael  für  die 
Stanza  della  Segnatura  damals  anfertigte.  Es  muss  in 
der  That  in  jenen  Jahren,  als  der  29jährige  Benvenuto 
nach  Rom  zurückkam,  ein  gewaltiges  Kunstleben,  ein 
grosser  Enthusiasmus  und  ein  brennender  Wettstreit 
unter  den  Künstlern,  die  in  Rom  um  den  Thron  des 
greisen  Julius  II.  versammelt  waren,  gewaltet  haben. 
Und  man  begreift  gar  wohl,  dass  der  noch  jugendliche 
Garofolo,  das  Kunstleben  Roms  mit  dem  in  Ferrara, 
in  Bologna  oder  gar  Cremona  vergleichend,  dem  Auf- 
enthalt in  der  Weltstadt  den  Vorzug  geben  mochte. 
In  diesem  Sinne,  wenn  man  überhaupt  den  Vasari  ent- 
schuldigen will,  möchten  wol  die  „maledizioni"  der 
„maniere  di  Lombardia",  die  der  Aretiner  dem  Ferra- 
resen  in  den  Mund  legt,  zu  verstehen  sein.^  Die  flo- 
rentinischen  Herausgeber  und  Commentatoren  des  Va- 


^  Vasari  lässt,  wahrscheinlich  aus  Versehen,  den  Garofolo 
schon  im  Jahre  1505  nach  Rom  zurückkehren  (XI,  224).  Da- 
mals hätte  Benvenuto  schwerlich  die  Werke  Michelangelo's  und 
RafiFael's  sehen  können! 

*  Die  Aesthetik  Vasari's  war  derart,  dass  ihm  alle  Kunst 
„wmMta,  secca  e  di  poco  disegno^'-  erschien,  die  sich  nicht  an 
Michelangelo  herangebildet  hatte.  So  geht  es  auch  einigen  Kunst- 
schreibern unserer  Tage,  die  sich  in  irgendeinen  Meister  des 
Quattrocento  verlieben,  die  Spuren  desselben  überall  wittern, 
auch  da  wo  sie  nicht  sind,  und  die  dann  die  grossen  Künstler 
aus  der  Blütezeit  unleidlich  finden! 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  27l 

sari  suchen  den  Biographen*  auch  bei  dieser  Gelegen- 
heit vom  Vorwurf  seiner  Vorliebe,  ja  Parteilichkeit  für 
die  Toscaner  und  namentlich  für  die  sogenannte  romi- 
sche Schule  rein  zu  waschen,  aber  sie  fugen,  wie  das 
bei  gutgesinnten  aber  nicht  eben  sonderlich  gut  unter- 
richteten Leuten  zu  geschehen  pflegt,  den  lombardischen 
und  venetianischen  Kunstschulen  dabei  ein  viel  grösseres 
Unrecht  zu,  als  Vasari  selbst  durch  seinen  unbedachten 
ihm  wol  in  der  Flüchtigkeit  des  Schreibens  entschlüpften 
Ausdruck,  indem  sie  naiv  hinzufügen :  ^^certamente  il  Vasari 
intese  di  alludere  alla  grettezza  delle  scuole  primitive  (?)  in- 
nanzi  che  Leonardo  ne  fondasse  una  nuova''^.  „Troppa 
grazia,  S.  Antonio",  dürften  mit  jenem  Bauer,  der  den 
Heiligen  um  Regen  gebeten  hatte,  statt  dessen  aber 
Hagel  erhielt,  wol  die  Lombarden  und  Venetianer  da- 
bei ausrufen  und  jenen  Herren  etwa  antworten:  Hatten 
wir  damals  nicht  etwa  schon  unsern  Giovanni  und  Gen- 
tile  Bellino,  unsern  Alvise  Vivarini,  unsern  Mantegna, 
unsern  Bartolommeo  Montagna,  unsern  Domenico  Mo- 
rone,  unsern  Giorgione  und  Tizian,  vieler  anderer  grosser 
Künstler  zu  geschweigen?  Vasari  fügt  sodann  noch 
hinzu:  „joer  lo  che  mutd  (d.  h.  Garofolo)  in  tanto  la 
pratica  cattiva  in  buona^  che  rCera  tenuto  dagli  artefici 
conto'-^^  d.  h.  mit  andern  Worten:  Er  verlor  durch  seinen 
zweiten  Aufenthalt  in  Rom,  wie  dies  manch  anderm 
Künstler  von  noch  grosserer  Fähigkeit  «erging,  seinen 
localen  ferraresischen  Charakter  zum  Theil,  seine  wür- 
zige und  gesunde  Herbe  aber  ganz  und  gar.  Es  ist 
zwar  nicht  zu  leugnen,  dass  er  in  mancher  Hinsicht, 
und  namentlich  was  äussere  Form  und  Geschmack  be- 
triff, gewann;  andererseits  kann  man  aber  auch  nicht 
leugnen,  dass  er  zugleich  etwas  flach,  süsslich  und  hier 
und  da  auch  leer  und  conventioneil  wurde.  Dosso  da- 
gegen, der  sich  an  Venedig  hielt  und  dort  in  der  prak- 


Antgabe  Le  Monnier,  XI,  225. 


272  ^iö  Galerie  Borgliese. 

tischeo  Kunst  des  Malens  sich  umgesehen  hatte,  ent- 
wickelt seinen  eigenthiimlichen  Charakter  viel  unge- 
störter und  erhält  sich  daher  auch  stets  originell. 

Während  nun  Garofolo  in  den  eben  bezeichneten 
Werken  seiner  ersten  Epoche  als  eine  echte  Künstler- 
natur sich  bewährt,  kühn,  entschlossen  und  zuweilen 
selbst  grossartig,  ebenso  entfernt  von  jenem  philiströsen 
prosaischen  Realismus,  der  dem  Kleinbürger  in  der 
Kunst  so  absonderlich  zu  Herzen  geht,  als  von  jenem 
nebelhaften  Idealismus,  der  vornämlich  die  brillenbe- 
schlagenen Philosophen  und  Aesthetiker  in  einem  Werk 
der  Kunst  anzieht  und  sie  zu  ihren  Luftfahrten  ein- 
ladet, sehen  wir  dagegen  denselben  Mann  in  dem  all- 
gemein bewunderten  Bild  (Nr.  G)  im  Saal  II  unserer 
Borghese-Galerie,  worauf  die  heilige  Familie  mit  meh- 
rern Heiligen  dargestellt  ist,  in  seinen  Zügen  schon 
verändert.  Garofolo  ist  zwar  auch  in  diesem  Bilde  noch  ein 
liebreicher,  gewissenhafter  Maler,  ja  man  gewahrt  deut- 
lich, dass  seine  Technik  in  mancher  Beziehung  Fort- 
schritte gemacht  hat,  allein  seine  Zeichnung  ist  flauer  ge- 
worden, seine  Pinselführung  schwammiger,  seine  Auf- 
fassung der  menschlichen  Charaktere  kleinlicher,  fader, 
konventioneller.  Die  Farbenaccorde  sind  zwar  in  diesem 
Bilde  noch  ähnlich  denen  in  den  Bildern  aus  der  Frühzeit 
des  Meisters,  allein  sie  sind  doch  schon  viel  realistischer  als 
jene,  die  wir  z.  B.  in  der  „Anbetung  des  Kindes"  der 
Doria-Galerie,  in  der  grossen  „Kreuzabnahme"  hier  da- 
neben, in  der  kleinen  „Anbetung  der  Hirten"  im  ersten 
Saal  wahrgenommen.  Hier  finden  wir  auch  die  Schat- 
ten, die  in  jenen  Jugendbildern  Garofolo's  saftig  braun 
erscheinen,  schwärzlich  geworden. 

Benvenuto  Garofolo's  Aufenthalt  in  Rom  scheint 
etwa  ein  und  ein  halbes  Jahr  gedauert  zu  haben,  denn 
1511  war  er  in  Mantua  und  1512  finden  wir  ihn  in 
seiner  Vaterstadt  Ferrara  niedergelassen,  und  von  da 
an  verliess  er  sie,  wie  ich  glaube,  nie  wieder  auf  längere 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  273 

Zeit.  In  der  Pinakothek  von  Ferrara  treffen  wir  Werke 
von  ihm  vom  Jahre  1513  bis  zum  Jahre  1549  an.^  Die 
grossen  Altarbilder,  die  derselbe  nunmehr  bis  an  sein 
Lebensende  dort  zu  malen  Gelegenheit  hatte  und  von 
denen  einige  im  zweiten  und  im  dritten  Decennium 
gemalte  ganz  vorzüglich  sind,  tragen  fast  alle,  wenn 
auch  nicht  den  Namen,  so  doch  das  Jahr  und  sogar 
meist  auch  den  Monat,  in  dem  sie  vollendet  wurden. 
Von  dieser  Zeit  an  entstand  jene  grosse  Anzahl  von 
Werken,  aus  welchen  man  sich  das  gewöhnlich  bekannte 
Bild  des  Malers  Garofolo  abstrahirte.^ 

Garofolo  wird  von  seinen  Landsleuten  der  Ferra- 
resische  Raffael  genannt,  wie  die  Mailänder  ihren  Luini 
den  lombardischen  Raffael  genannt  haben.  Richtig  ver- 
standen haben  beide  Bezeichnungen  einen  guten  Sinn, 
insofern  nämlich  sowol  Luini  in  der  Mailändischen, 
als  Garofolo  in  der  Ferraresischen  Malerschule  unge- 
fähr denselben  Platz  einnehmen,  wie  Raffael  Santi  in 
der  Umbrischen,  Francesco  Carotto  in  der  Veronesischen, 
A.  del  Sarto  in  der  Florentinischen  u.  s.  f.  Die  indi- 
viduelle Begabung  war  freilich  in  allen  diesen  Männern 


*  Als  Maler  bleibt,  wie  gesagt,  Garofolo  selbst  nach  seinem 
zweiten  römischen  Aufenthalt  immer  ferraresisch ,  als  Künstler 
aber  bringt  er  von  Rom  classische  Eindrücke  mit;  er  erscheint 
zahmer,  dafür  hat  sein  Geschmack  sich  in  Rom  geläutert.  Den 
Einfluss,  den  Raffael  auf  ihn  gehabt,  wird  man  am  klarsten  ge- 
wahr in  jenen  schönen  grau  in  grau  gemalten  Fresken,  womit 
er  zwei  Gemächer  im  einstigen  Palazzo  Trotti  und  gegenwärtigen 
Seminarium  in  Ferrara  (im  Jahre  1517)  ausschmückte  und  worin 
Geschichten  aus  der  griechischen  wie  aus  der  christlichen  My- 
thologie dargestellt  sind.  Man  wird  in  Italien  nicht  leicht  Räume 
finden,  die  mit  mehr  Verstand,  Geschmack  und  Geist  auBgeschmückt 
sind  wie  diese. 

'  Garofolo  zeichnet  sich  auf  einigen  seiner  Bilder :  BEN  VEGNV; 
auf  andern:  BENVEGNV  DE  GAROFOLO,  MDXXXV;  auf  andern: 
BENVEGNV  GARüFALO,  MDXXXIV;  und  wieder  auf  andern: 
BENVENVTO  GAROFALO. 


274  I^^®  Galerie  Borgheae. 

eine  rerechiedenei  Benvenuto  Garofolo  starb  zu  Fer- 
rnra  im  Jahre  1559.  Seine  Mutter  hiess  nicht  Giro- 
lama Soriani,  wie  man  bisher  behauptete,  sondern  An- 
tonia  Barbiani;  seine  Frau  war  Caterina  di  Ambrogio 
Scoperti,  della  Grana  genannt,  und  Witwe  des  Niccolo 
Besuzzi.  Im  Jahre  1536  wurde  ihm  Girolamo,  sein 
letzter  Sohn,  geboren,  welcher  den  Wissenschaften  sich 
widmete,  1576  Kanzler  der  Universität  von  Ferrara 
wurde  und  zu  der  Ausgabe  des  „Orlando  furioso"  von 
1584  eine  Biographie  des  Ariosto  lieferte.  ^ 

Habe  ich  nun,  vielleicht  allzulange,  mich  bei  der  Be- 
schreibung der  Bilder  des  Garofolo  aufgehalten  und 
war  ich  dabei  genöthigt,  selbst  die  geringfügigsten  Merk- 
male in  seinen  Bildern  anzugeben,  an  denen  man  den 
Meister  erkennen  kann,  so  geschah  dies  unter  anderm 
auch  aus  Riicksicht  darauf,  dass  Herr  Director  W.  Bode 
alle  jene  Bilder,  die  ich  in  die  Frühzeit  des  Meisters 
setzte,  wie  z.  B.  auch  die  grosse  „Kreuzabnahme"  der 
Borghese-Galerie,  nicht  als  Werke  des  Benvenuto  Garo- 
folo anerkennen  will.  Vor  Zeiten  schrieb  der  berliner 
Gelehrte  sie  dem  Giovanni  Battista  Benvenuti,  FOrto- 
lano  genannt,  zu  (II,  737),  später  aber  einem  unbe- 
kannten ferraresischen  Maler,  den  er  den  „Meister  der 
Borghesischen  Kreuzabnahme"  genannt  wissen  möchte. 
Freilich  erwähnt  Vasari  mit  keiner  Silbe  weder  den 
Ortolano,  noch  den  Meister  der  Borghesischen  Kreuz- 
abnahme, dem  Herr  Director  Bode  das  „grossartigste 
Werk  der  Ferraresen  jener  Zeit"  zuschreibt;  auch  spricht 
kein  anderer  Zeitgenosse  von  diesem,  also  dem  „bedeu- 
tendsten, ferraresischen  Meister  im  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts". Ja,  der  unlängst  verstorbene  Graf  Laderchi, 
einer  der  fleissigsten  und  intelligenteren  Kunsthistoriker 
der  ferraresischen  Schule,  ging  so  weit,  an  der  wirk- 
hchen  Existenz  eines  Malers  Ortolano  zu  zweifeln,  und 


Siehe:  „Memorie  di  L.  Napoleone  Cittadella"  (Ferrara  1872). 


Die  Ferraresen:  Benvenuto  Garofolo.  275 

war  daher  geneigt,  sie  für  Mythus  zu  halten.  Was 
jedoch  noch  mehr  in  die  Wagschale  fällt  als  die 
persönliche  Meinung  Laderchi's,  ist  der  umstand, 
dass  der  gewissenhafte,  jungst  verstorbene  Bibliothekar 
von  Ferrara,  Napoleone  Cittadella,  nicht  im  Stande 
war,  irgendein  Document  ausfindig  zu  machen,  durch 
welches  die  künstlerische  Thätigkeit  des  G.  B.  Ben- 
venuti,  l'Ortolano  genannt,  bestätigt  würde.  Diesem 
letztern  Forscher  zufolge  fungirte  allerdings  als  Zeuge 
in  Ferrara,  im  Jahre  1512,  ein  Maler  Namens  Giovan 
Battista  Benvenuti,  dessen  Bruder  Schuster  und  dessen 
Schwager  Fruchthändler  war.  Aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  mag  sein  Vater  die  Fruchtjjärtnerei  betrieben 
haben  und  sein  Sohn,  der  Maler,  daher  Giovan  Bat- 
tista deir  Ortolano  (d.  h.  Sohn  des  Fruchtgärtners)  ge- 
nannt worden  sein.  Die  wenigen  Bilder  in  der  zweiten 
Sakristei  des  Doms  von  Ferrara,  die  man  ihm  dort 
zuschreibt,  lassen  ihn  als  einen  stumpfen,  geistlosen 
Nachahmer  Garofolo's  erscheinen.*  Hätten  mich  daher 
nicht  innere  Gründe  schon  bewogen,  dieses  herrliche 
Bild  der  „Kreuzabnahme",  die  „Anbetung  des  Christ- 
kindes" im  Palast  Doria-Panfili,  die  zwei  Heiligen 
in  der  Capitolinischen  Galerie,  das  grosse  und  ganz 
vorzügliche  Bild  in  der  englischen  National  Gallery 
dem  Garofolo  zuzuerkennen,  so  würden  die  eben  an- 
geführten äussern  Gründe  mehr  als  hinreichen,  lun  alle 
diese  Werke  aus  der  Frühzeit  des  Meisters  dem  Orto- 
lano abzusprechen.     Allerdings  ist    manches  Bild    des 


*  Andere  Bilder,  die  den  Tafeln  in  der  zweiten  Domsakrisiei 
•Dt  sprechen  and  folglich  dem  Ortolano  angehören  dürften,  schei- 
n>  n  mir  zu  sein:  das  Frescobild  mit  Madonna  und  ChriHtkind 
im  Atrium  des  Palast  Crispi  (dort  dem  Gir".  da  Carpi  zuge- 
muthet);  femer  die  Fresken  mit  den  Halbfigurcn  von  Heiligen 
beim  Cavaliere  Santini  (cinnt  im  Kloster  von  S.  Giorgip);  andere 
Fresken  mit  Heiligen  im  Palast  Massari  (einst  in  S.  Francesco) ; 
sowie  die  ,, Verkündigung"  (Nr.  44)  in  der  Pinakothek  von  Ferrara. 

18» 


276  I^ie  Galerie  Borghese. 

Garofolo,  zumal  im  vorigen  Jahrhundert,  dem  Beneve- 
nuti  zugeschrieben  worden,  vielleicht  aber  nur  deshalb, 
weil  darauf  der  Vorname  des  Garofolo  „Benvegnü"  für 
den  Familiennamen  des  Ortolano  genommen  wurde.  ^ 

Mögen  unparteiische  Forscher  nun  entscheiden,  wer 
von  uns  beiden,  Herr  Director  Bode  oder  ich,  auch  in 
dieser  Streitfrage  recht  oder  unrecht  hat. 

In  den  öffentlichen  Sammlungen  Italiens,  die  von 
Rom  und  Ferrara  ausgenommen,  ist  Garofolo  nicht  gut 
vertreten;  im  Pitti -Palast  schreibt  man  ihm  z.  B.  die 
Copie  eines  Apostelkopfes  des  Dosso  Dossi  (Nr.  5), 
und  ein  hübsches  Bildchen,  die  „Zingarella"  (Nr.  246) 
des  Boccaccio  Boccaccino  zu.  Die  Galerie  von  Modena 
besitzt  dagegen  mehrere  gute  Stücke  von  ihm.  Auch 
in  der  Pinakothek  von  Mailand  begegnet  man  einigen 
lobenswerthen  Bildern  des  Garofolo. 

DOSSO  DOSSI. 

Merkwürdig  ist  es,  dass  sein  grosser  Landsmann 
Lodovico  Ariosto  mit  keiner  Silbe  des  Garofolo  ge- 
denkt, während  er  doch,  obwol  erst  in  der  1532  ver- 
anstalteten Auflage  seines  „Orlando"  in  jener  bekannten 
Octave  die  Dossi  sogar  über  Verdienst  erhebt,  indem 
er  sie  mit  Lionardo,  Mantegna,  Giambellino,  Michel- 
angelo, Raffael  und  Tizian  zusammenstellt.  Doch  da- 
zu mag  wol  der  etwas  spiessbürgerliche  Charakter 
des  Garofolo,  welcher  dem  des  Dichters  wenig  sym- 


*  Es  wird  wol  kaum  nöthig  sein  zu  bemerken,  dass  das  von 
Baruffaldi  {Vite  de^  Fittori  ecc.  I,  168)  angeführte  „Skizzenbuch" 
mit  dem  Titel:  Studio  di  me  Zoane  Bapta  d^.  Benvegnii  fatto 
in  Bologna  Suxo  le  dipinture  del  Bagnacavallo  et  del  Sanzio 
da  Urbino  a  li  anni  MD  VII  et  MD  VIII,  nichts  anderes  sein 
dürfte  als  eine  der  vielen,  wahrscheinlich  zu  Bologna  im  17.  Jahr- 
hundert erfundenen  Fälschungen  von  sogenannten  Documenten. 
Wo  hätte  auch  Ortolano  in  jenen  Jahren  Werke  Raffael's  in 
Bologna  finden  können?! 


Die  Ferraresen:  Dosso  Dossi.  277 

pathisch  sein  mochte,  der  Anlass  gewesen  sein.  Dosso 
dagegen,  wenngleich  zuweilen  etwas  ungehobelt  und 
liederlich  in  seinen  Werken,  hat  in  seiner  Natur 
viele  dem  Ariosto  verwandte  Züge.^  Man  betrachte 
z.  B.  seine  Circe  im  III.  Saal  dieser  Borghese-Galerie. 
Sieht  dieses  phantastische,  geistvolle  Bild  nicht  wie 
eine  in  Farben  gesetzte  Ariostische  Dichtung  aus?  Und 
da,  wie  ich  allen  Grund  habe  zu  vermuthen,  dieses 
Werk  der  Frühzeit  Dosso's  angehört  und  etwa  im 
Anfange  des  zweiten  Decenniums  des  16.  Jahrhunderts 
entstanden  sein  mag,  so  dürfte  diese  Circe  des  Dosso 
etwa  gleichzeitig  mit  dem  Erscheinen  der  ersten  Aus- 
gabe des  „Orlando"  (1516)  gemalt  worden  sein.  Später 
hat  Dosso  wol  bedeutendere  und,  was  Glut  der  Farbe 
betrifft,  unübertroffene  Werke  hervorgebracht,  ich  er- 
innere mich  jedoch  kaum,  dass  eines  derselben,  viel- 
leicht jene  herrliche  Gestalt  des  heiligen  Georg  in  der 
Galerie  von  Modena  ausgenommen,  einen  so  frischen, 
einen  so  poetischen  Eindruck  auf  mich  gemacht,  meinen 
Geist  in  so  hohem  Grade  entzückt  hätte,  wie  diese 
Zauberin  der  Galerie  Bor'ghese.  An  der  Wand  gegen- 
über sehen  wir,  unter  Nr.  45,  die  Nymphe  Calisto  eben- 
falls durch  den  Pinsel  Dosso's  verewigt,  obwöl  der 
Katalog  dieses  Bild  dem  Garofolo  zumuthet.*  (f )  Auch 
hier  ist  der  landschaftliche  Hintergrund  höchst  poetisch 
empfunden.  So  gehören  nach  meiner  Ansicht  dem  Dosso 
mehrere  andere  Werke  in  dieser  Borghese-Galene  an, 
die  im  Katalog  unter  verschiedenen  Namen  verzeichnet 
stehen.    Im  ersten  Saale  sehen  wir  Nr.  67  Apollo,  liebes- 


>  Vasari  sagt  von  ihm:  „Fii  t7  Dosso  moUo  amato  dal  duca 
Alfonso  di  Fefrara^  prima  per  h  sue  qualiiä  neW  arte  della  pit- 
turoj  e  poi  per  essere  uomo  affabiU  moUo  e  piacevole^^  (IX,  22). 

*  Schon  im  17.  und  18.  Jahrhundert  gab  man  gar  manches 
Bild  des  Dosso  dem  .Garofolo ;  so  unter  andern  auch  mehrere 
von  denen,  die  aus  der  Galerie  von  Modena  nach  Dresden  kamen. 


278  ^^^  Galerie  Borghese. 

truuken  auf  einer  Felsenbank  sitzend;  er  spielt  auf  einer 
Violine  in  der  HoflPnung  durch  seine  schmachtenden 
Tone  die  vor  ihm  fliehende  Daphne  zu  bannen,  (f)  Mit 
zu  beherzigender  Bescheidenheit  begnügt  sich  der  Kata- 
log, dies  zwar  verdorbene  allein  hochpoetische  Bild  blos 
der  Schule  von  Ferrara  zuzuweisen. ^  Der  lebensgrosse 
Apollo  ist  sehr  energisch  und  lebendig  gedacht,  die 
Landschaft  auch  hier  phantastisch  und  sehr  charakte- 
ristisch für  den  Meister,  ebenso  wie  die  runden  For- 
men der  Hand  und  des  Ohres.  Unter  Nr.  20  sehen  wir 
eine  grosse  Tafel  mit  zwei  niedergebeugten  Kranken, 
einem  Mann  und  einem  Weib,  die  sich  an  die  Heiligen 
und  Doctoren  Cosmas  und  Damianus  um  ärztliche  Hülfe 
wenden,  (f)  Im  Katalog  ist  dieses  flüchtig  gemalte  Bild 
der  Schule  des  Paolo  Veronese  zugeschrieben. ^  Dosso 
scheint  diesmal  sogar  seinen  Namen  auf  einem  unten 
angebrachten  medicinischen  Gefäss  in  humoristischer 
Weise  angedeutet  zu  haben.    Man  liest  nämlich  darauf: 

ONTÜ  D ,  d.  h.  unto,  Fett,  D'[osso]  Knochen,  also 

Knochenfett.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  diente  diese 
Tafel  als  Apothekerschild.  Die  Figuren  sind  lebens- 
gross. 

Aus  diesem  ersten  bitte  ich  die  gewiss  inzwischen 
sehr  gelichtete  Reihe  meiner  freundlichen  Begleiter  mir 
bis  hinab  in  den  Saal  X  der  Galerie  zu  folgen.  Da- 
selbst finden  wir  nämlich,  mit  dem  Namen  des  Gior- 
gione  bezeichnet,  ein  Bild,  auf  welchem  David  und 
Saul  mit  dem  Haupte  seines  plumpen  Feindes  in 
der  Hand  dargestellt  sein  soll,  (f)  Wir  sehen  auf 
dieser  allerdings  ganz  im  Giorgionischen  Sinn  colorirten 


*  Wurde  jetzt  vom  neuen  Director  der  Galerie,  zu  meiner 
Genugthuung,  als  Werk  Dosso's  anerkannt,  ebenso  wie  auch  das 
vorige  Bild. 

'  Wurde  neuerlich  ebenfalls,  meinem  Vorschlage  gemäss, 
vom  neuen  Director  dem  Dosso  zugeschrieben. 


Die  Ferraresen:  Dosso  Dossi.  279 

Tafel  einen  mannhaften  Krieger,  mit  Schwert  und  Panzer 
ausgerüstet,  der  den  abgehauenen  Kopf  eines  Riesen 
vor  sich  hat;  hinter  demselben  steht  ein  junger  Knappe 
mit  rother,  weissbefiederter  Mütze  auf  dem  Kopfe.  Ob 
dieses  Bild  gerade  David,  Saul  und  den  Demokraten 
Goliath  oder  nicht  eher  irgendeinen  Helden  des  „Or- 
lando furioso"  vorstellen  soll,  lassen  wir  dahingestellt. 
Jedenfalls  gehört  es  zu  den  spätem  und  somit  flauern 
Werken  des  Dosso.  ^  Nach  den  Mittheilungen  des  ver- 
storbenen N.  Cittadella  {Notizie  relative  a  Ferrara^ 
1864)  scheint  es,  dass  Giovanni  (Sohn  des  Niccolö  de 
Lutero),  der  1528  im,  herzoglichen  Schlosse  von  Fer- 
rara  seinen  Wohnsitz  au%eschlagen  hatte,  damals  noch 
nicht  den  Beinamen  Dosso  führte;  wenigstens  findet 
man  denselben  noch  nicht  in  öffentlichen  Acten  ver- 
zeichnet. Erst  im  Jahre  1532  fand  ihn  Herr  Cittadella 
als  Magister  Dossus,  J.  Nicolai  de  Lutero,  bezeichnet. 
Jene  Bilder  des  Dosso,  auf  denen  als  Monogramm  ein 
von  einem  Knochen  durchbohrtes  D  steht,  wie  z.  B. 


*  Jakob  Burckhardt  lässt  dieses  Werk  als  Giorfl^ione  gelten. 
Da  derselbe  geistvolle  Schriftsteller  aber  den  schönen  heiligen 
Sebastianus  in  der  Brera-Galerie,  der  unstreitig  dem  Dosso  und 
nicht  den  Brüdern  Dossi,  wie  die  Herren  Crowe  und  Caval- 
caselle  behaupten,  angehört,  ebenfalls  als  ein  gutes  Bild  des 
Giorgione  bezeichnet,  so  bleibt  er  sich  diesem  Bilde  der  Boro 
ghese-Galerie  gegenüber  wenigstens  consequent.  Schon  der  wenig 
kritische  Ridolfi  hatte  die  beiden  ebengenannten  Bilder  des  Dosso 
dem  Giorgione  zugeschrieben.  (Ridolfi  I,  130.)  Die  Herren 
Crowe  und  Gavalcaselle  (II,  164)  wollen  dagegen  in  diesem  Bilde 
den  Pinsel  des  Pietro  della  Veochia,  namentlich  in  der  „Rüntung, 
im* Kopfe  des  Goliath  und  in  den  Händen  des  Saul**  wahrnehmen, 
während  dieselben  Kunsthistoriker  die  sogenannte  „Schiava'^  der 
Galerie  Barberini  für  ein  Werk  des  Palma  vecchio  nehmen!! 
Dieser  unser  „David  und  Goliath**  wurde  allerdings  vom  Pietro 
della  Veochia  manches  Mal  oopirt  und  diese  Copien  befinden 
«ich  im  Belvedere  in  Wien  (Ital.  Schulen,  VII.  Saal,  Nr.  56;  in 
der  städtischen  Galerie  von  Padoa,  Nr.  531,  und  anderwärts  noch. 


230  ^iö  Galerie  Borghese. 

die  kleine  Tafel  der  Galerie  Doria-Paniili  (Braccio  I, 
Nr.  51),  auf  welcher  Christus  dargestellt  ist,  wie  er  die 
Speculanten  und  Börsenmänner  jener  Zeiten  aus  dem 
Tempel  hinaustreibt,  gehören  somit  der  spätem  Epoche 
des  Meisters  an:  1525 — 1540. 

Wie  wir  gesehen,  ist  auch  dieser  Meister  in  Rom 
wenig  gekannt  und  studirt,  denn  von  den  fünf  Bildern, 
welche  diese  Galerie  von  ihm  besitzt,  wurden  vier  an- 
dern Meistern  zugeschrieben.^  In  den  andern  Galerien 
Roms,  Italiens,  Deutschlands  und  Englands  ergeht  es 
dem  armen  Dosso  nicht  besser  als  hier.  So  werden, 
um  nur  einige  Beispiele  anzufülyen,  in  der  Capitolini- 
schen  Galerie  mehrere  Bilder  dem  Dosso  zugeschrieben, 
die  seiner  durchaus  unwürdig  sind  und  auch  keines- 
wegs von  ihm  herrühren,  wie  das  schwache  männliche 
Porträt  (I.  Saal,  Nr.  85)  und  die  „Vermählung  der 
Maria  (I.  Saal,  Nr.  23),  wogegen  die  grosse  heilige 
Familie  (II.  Saal,  Nr.  145),  welche  jedenfalls  nicht  zu 
den  erfreulichsten  Werken  des  Dosso  gehört  und  über- 
dies durch  unverständiges  Putzen  verdorben  worden  ist,. 
dem  Giorgione  zugemuthet  wird,  (f) 

In  der  Galerie  Doria-Panfili  sieht  man  von  Dosso, 
ausser  dem  oben  angeführten  mit  dem  Monogramm  be- 
zeichneten Bildchen,  ein  ganz  im  Ariostischen  Sinne 
aufgefasstes  Weib.  Sie  ist  in  einen  rothen  Mantel  ge- 
hüllt, hat  die  Stirn  mit  einem  reichen  Diadem  ge- 
schmückt und  hält  einen  kolossalen  Helm  in  den  Händen. 
Wahrscheinlich  stellt  diese  schöne,  junge  und  aggressive 
Frau  ebenfalls  irgendeine  Heldin  aus  dem  „Orlando 
furioso"  vor.  Im  Katalog  erhielt  dieses  Bild  folgende 
lächerliche  Bezeichnung:  Porträt  der  Katharina,  Van- 
nozza  genannt,    von  Dosso.      Nun  war  die  Vannozza 


^  Das  sogenannte  „Präsepium"  (II.  Saal,  Nr.  27)  gehört,  meiner 
Ansicht  nach,  nicht  dem  Giovanni  an,  wie  der  Katalog  meint, 
sondern  doch  wol  eher  dem  Bruder  Battista.  (f) 


Die  Ferraresen:  Dosso  Dossi.  281 

nichts  anders  als  das  Kebsweib  des  später  zur  Papst- 
würde erhobenen  Cardinais  Borgia  und  folglich  die 
Mutter  des  Cesare,  der  Lucrezia  und  der  andern  Kin- 
der Alexander's  VI. ;  sie  lebte  also  um  1470,  als  Dosso 
noch  nicht  geboren  war.  Ich  erinnere  mich  nicht,  in 
den  Galerien  Roms  andern  Bildern  des  Dosso,  mit 
Ausnahme  eines  bedeutenden  grossen  Altarwerkes  mit 
der  Madonna  und  Heiligen  im  Palast  Chigi,  begegnet 
zu  sein. 

In  den  Sammlungen  der  UfQzien  und  des  Palast 
Pitti  in  Florenz  gibt  es  keine  namhaften  Bilder  des 
Dosso;  der  Johannes  der  Täufer,  Nr.  380  daselbst, 
gehört  dem  Dosso  und  nicht  dem  Giorgione  an,  dem 
er  dort  zugeschrieben  wird,  und  ebenso  urtheile  ich  über 
die  Copie  des  Porträts  des  Herzogs  Alfonso  nach  Tizian, 
Nr.  311,  das  uns  der  Katalog  als  das  Bildniss  von 
Karl  V.  und  als  das  Werk  Tizian's  vorstellt. 

In  den  einst  zur  llepublik  Venedig  gehörigen  Län- 
dern sind  mir,  ausser  dem  grossen,  nicht  gerade  sehr 
gelungenen  Werke  des  Dosso  in  der  Galerie  von  Rovigo* 
und  dem  kleinen  höchst  poetischen  Bildchen  in  der 
städtischen  Galerie  von  Bergamo',  keine  andern  Werke 
von  diesem  Meister  zu  Gesicht  gekommen. 

Auch  in  Mailand  kenne  ich  von  Dosso  nur  den 
herrlichen,  oben  schon  erwähnten  heiligen  Sebastianus 
in  der  Brera-Galerie,  ein  Bild,  das  früher  den  Namen 
des  Giorgione  führte.  Die  „Fusswaschung^'  in  der  Am- 
brosiana dagegen,  welche  Herr  Director  Bode  (II,  736) 
als  ein  Werk  aus   der    romischen  (?)  Zeit   des  Dosso 


>  Dai  Bild  tr&gt  die  Nammer  185  and  den  Namen  des  öa- 
rofolo.  Es  stellt  eine  thronende  Madonna  mit  dem  Kinde  und 
«  '^^  Heiligen  an  den  Seiten  dar. 

Abtheilang  Lochia,  Nr.  204.  Es  stellt  die  heilig^  Jung- 
irau  und  das  Kind  dar,  vor  dem  an  den  Seiten  der  heilige  Georg 
and  ein  heiliger  Bischof  knien. 


282  ■     I^i®  Galerie  Borghese. 

Dossi  erwähnt,  ist  meiner  Meinung  nach  sicher  nicht 
von  ihm,  sondern  dürfte  wahrscheinlich  von  einem 
vlämischen  Eklektiker  herrühren,  der  in  diesem  lang- 
weiligen Bilde  auch  dem  Urbinaten  mehreres  ent- 
lehnte, (t) 

Selbst  Dosso's  Vaterstadt  Ferrara  hat  nur  wenige 
Gemälde  von  ihm  aufzuweisen:  nämlich  das  grosse 
leuchtende  Altarwerk  in  der  Pinakothek,  das  jetzt  durch 
eine  heillose  Restauration  fast  ungeniessbar  geworden 
ist,  und  vielleicht  die  durch  Uebermalung  ganz  und  gar 
entstellten  Wandgemälde  in  einem  Cabinet  des  einst  her- 
zoglichen Schlosses.  (?)  Modena  hingegen  besitzt  mehrere 
und  darunter  ganz  vorzügliche  Bilder  des  Dosso. 

Fast  alle  seine  Fresken  im  Schlosse  zu  Ferrara,  so- 
wie diejenigen  im  fürstbischöflichen  Schlosse  zu  Trient 
haben  entweder  das  Feuer  oder  der  Zahn  der  Zeit  zer- 
stört oder  aber  der  Stumpfsinn  der  Menschen  hat  sie 
zu  Grunde  gehen  lassen.  Armer  Dosso!  So  hat  man, 
viribus  unitis^  allerorts,  was  noch  von  deinem  grossen 
Werk  auf  uns  gekommen,  zerbröckelt  und  zerstückelt, 
und  mit  diesem  Stück  den  einen,  mit  jenem  den  an- 
dern Meister  geschmückt.  Hier  den  Giorgione,  dort 
den  Parmeggianino,  hier  den  Pordenone,  dort  den  Fran- 
cesco Penni  oder  den  Garofolo.  Er  verdient  es  wohl, 
dass  man  ihn  wieder  zu  Ehren  bringe  und  ihn  in  das 
richtige  Licht  stelle.  .  Steht  doch  seinem  vielbewun- 
derten Landsmann  und  Freund  Ariosto  kein  anderer 
Künstler  so  nahe  wie  gerade  dieser  begabte  Maler  mit 
seinem  heitern,  gesunden  und  oft  so  glänzenden  Geiste. 
Allerdings  geberdet  er  sich  zuweilen  etwas  ungebun- 
den, zu  Zeiten  manchmal  auch  fahrlässig  und  leicht- 
sinnig, doch  niemand  darf  von  ihm  sagen,  dass  sein 
Sinn  roh  und  alltäglich  gewesen  sei. 

Vasari  hat  den  Dosso  nicht  persönlich  gekannt.  Wenn 
also  dieser  sonst  feinsinnige  und  .  liebenswürdige  Bio- 
graph in  der  knappen  Lebensgeschichte,    die   er  dem 


Die  Ferraresen:  Dosso  Dossi.  283 

Dosso  widmet,  nicht  den  ihm  gewohnlichen  Sinn  für 
Gerechtigkeit  und  Unparteilichkeit  bewährt,  so  mag 
dies  vielleicht  aus  zwei  Gründen  herzuleiten  sein: 
erstens  weil  Dosso  nicht  für  gut  befunden  hatte  nach 
Ivom  zu  pilgern,  um  dort  seine  heimatliche  ^^maniera 
^ecca^^  zu  erweitern,  und  zweitens  weil  wahrscheinlich 
Yasari's  Freund  Girolamo  Genga  ihn  gegen  Dosso,  des- 
sen Nebenbuhler  er  im  Palazzo  Imperiale  bei  Pesaro 
gewesen  war,  ebenso  sehr  eingenommen  haben  mochte, 
wie  ein  anderer  seiner  Berichterstatter,  der  neidische 
Beccaftimi  aus  Siena,  ihm  über  den  Sodoma  Uebles 
berichtet  hatte.  Weder  von  den  glänzenden  und  um- 
fangreichen Wandgemälden,  womit  der  Liebling  Al- 
fonso's  von  Este  die  Räume  der  Lustschlösser  um  Fer- 
rara  ausgeschmückt  hatte,  noch  voui  den  Gemälden 
Dosso's  im  Schlosse  der  Gonzaga  in  Mantua  weiss 
Vasari  uns  etwas  zu  sagen.  Von  den  spätem  Nach- 
treten! des  Aretiners  durfte  man  auch  nicht  erwarten, 
dass  sie  die  Lücken  im  Werke  des  Meisters  ergänzten 
und  -die  von  ihm  begangenen  Fehler  wieder  gut  zu 
machen  gesucht  hätten.  Auch  dürften  wol  wenige 
Künstler  der  Sinnesweise  der  folgenden  Jahrhunderte 
so  wenig  zugesagt  haben,  so  unverständlich  geworden 
sein,  wie  gerade  Dosso.  P>ging  es  etwa  dem  Ariosto 
nicht  ebenso  nach  dem  Auftreten  des  Tasso? 

Dosso  starb  nicht  im  Jahre  1560,  wie  allgemein  be- 
richtet wird,  sondern  schon  um  1541,  und  daher  un- 
gefähr sieben  Jahre  vor  seinem  Bruder  Battista.  Er 
hinterliess  drei  Töchter.* 

Von  Battista  Dossi  finden  wir  mehrere  Bilder  in 
unserer  Borghese-Galerie,  zwei  davon  über  den  Thüren 
des  ersten  Saales,  und  ein  kleines  Präsepium  im 
Saale  III;  ein  viertes  im  ersten  Saale  der  Doria-Galerie, 
über  der  Thür  aufgestellt 


Siehe  Cittadella,  a.  a.  0. 


284  Die  Galerie  Borghese. 

Ein  Zeitgenosse,  vielleicht  auch  Mitschüler  Dosso's 
bei  Lorenzo  Costa  (?),  war  der  Ferrarese  Lodovico 
Mazzolini,  dieser  Glühwurm  unter  den  Malern.  Sein 
Vater  war  auch  Maler  und  hiess  Giovanni.  Mehr  für  das 
Genrefach  als  für  die  „historische"  Kunst  geschaffen,  ob- 
wol  er  in  seiner  Frühzeit  auch  viel  al  fresco  gemalt  haben 
soll,  wurde  er  schon  seiner  herrlich  glänzenden  Farben 
halber  ein  Liebling  aller  kunstliebenden  Prälaten  der  fol- 
genden Jahrhunderte.  Daher  sind  auch  die  römischen 
Galerien  mit  seinen  Bilderchen  reichlich  versehen.  Die 
Borghesische  hat  von  seiner  Hand,  ausser  den  beiden  im 
ersten  Saal  hängenden,  noch  ein  drittes  Bildchen:  eine 
„Anbetung  der  Könige",  mit  prächtigem  architektonischen 
Hintergrund,  Saal  H,  Nr.  58.  Hier  ist  Mazzolini  klar 
und  leuchtend  in  der  Farbe  und  nicht  so  manierirt  wie 
gewöhnlich. 

Wenn  ich  nun  noch  zwei  Bilder  des  Scarsellino 
erwähne,  die  im  dritten  Saal  der  Galerie  (Diana  im 
Bade  und  Venus  dem  Bade  entsteigend)  aufgestellt 
sind,  so  glaube  ich  ungefähr  aller  ferraresischen  Maler 
gedacht  zu  haben,  von  denen  Werke  in  dieser  Galerie 
sich  vorfinden.  Es  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  der  be- 
kannten, ja  weltberühmten  Danae  des  Correggio  einige 
Worte  zu  widmen. 

Mit  derselben  Ungerechtigkeit  und  Oberflächlichkeit, 
mit  welcher  man  bisher  den  Dosso  behandelt,  ist  man 
überhaupt  mit  der  ganzen  Malerschule  Ferraras  ver- 
fahren. Wer  diese  interessante,  energische  Schule  mit 
Liebe  studirt,  derselben  ohne  Vorurtheile  in  ihrer  or- 
ganischen Entwickelung  nachgeht ,  der  wird  leicht  er- 
kennen, dass  dieselbe  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts eine  weit  grössere  Bedeutung  gehabt  hat  als 
man  ihr  bisher  einräumen  wollte.  Ihre  drei  Haupt- 
träger sind  der  ernste,  eckige  vmd  knochige  Cosimo 
Tura,  Cosme  genannt;  der  naive,  energische  und 
trotz  seiner  Griesgrämigkeit  liebenswürdige  Francesco 


Die  Ferraresen.  285 

Cossa  oder  del  Cossa*  und  Ercole  Roberti.  Der 
erstere  lebte  und  wirkte  stets  in  seiner  Vaterstadt,  und 
seiner  Schule  mögen,  unter  vielen  andern,  auch  die 
Maler  Francesco  Bianchi  (in  Modena,  wo  er  sich 
niederliess,  Frare,  d.  h.  der  Ferrarese,  genannt)*,  Do- 
menico Panetti  und  Lorenzo  Costa  angehören. 

Francesco  Cossa  dagegen  verliess  schon  im  Jahre 
1470  den  Hof  seines  Herrn  Borso  und  setzte  sich  in 
Bologna  fest,  woselbst  er  nicht  erst  gegen  Ende  des 
Jahrhunderts,  wie  ich  früher  annahm,  sondern  schon 
im  Anfange  der  achtziger  Jahre,  also  in  seinem  besten 
Mannesalter,  verstarb.'  Diesem  seinem  Landsmann 
und  dessen  Mitarbeiter  in  Bologna  Ercole  di  Ro- 
berto, hatte  es  wahrscheinlich  Lorenzo  Costa  zu 
verdanken,  dass  er  in  seinen  Jugendjahren,  d.  h.  um 
1483,  von  Ferrara  an  den  Hof  des  kunstliebenden  Ben- 
tivoglio   kam,  woselbst   er  dann  später   eine  blühende 


*  Die  meisten  der  auf  uns  gekommenen  Werke  des  Cossa 
gehen  in  Italien  unter  dem  Namen  des  Lorenzo  Costa,  mit 
welch  letzterm  Cossa  schon  von  Vasari  verwechselt  wurde. 
So  z.  B.  der  herrliche,  in  seinem  Lehnstuhle  sitzende  heilige 
Hieronymus  in  S.  Petronio;  die  zwölf  stehenden  Apostelfiguren 
in  der  Kapelle  Marsilj,  ebendaselbst,  wahrscheinlich  nach  dem 
Tode  des  Meisters  von  einem  seiner  Schüler  nach  Cartons  des 
Cossa  gemalt;  die  zwei  Glasfenster  in  S.  Giovanni  in  Monte, 
ebenfalls  in  Bologna.  Im  Ausland  werden  die  wenigen  sich  dort 
befindenden  Bilder  des  Cossa  bald  dem  Mantegna,  bald  dem 
Marco  Zoppo  von  Bologna  zugeschrieben. 

*  Viele  meinen,  er  hätte  Bianohi-Ferrari  geheissen;  warum 
denn  zwei  Familiennamen?  üeberdies  schrumpft,  soviel  ich 
weiss,  selbst  im  modei^sischen  Dialekt  der  Familienname  Fer- 
rari niemals  in  Frare  zusammen.  Uebrigens  hat  die  Frage, 
ob  Bianchi  in  Modena  oder  in  Ferrara  geboren  sei,  gar  keinen 
wissenschaftlichen  Werth;  als  Künstler  gehört  Franoesoo 
Bianchi  der  Malerschule  Ferraris  an. 

*  Cosimo  Tura  dagegen  starb  nicht  im  Jahre  1469,  wie  man 
gewöhnlich  annimmt,  sondern,  wie  Cittadella  uns  beriobtet, 
nach  1495. 


286  I^ie  Galerie  Borghese. 

Schule  heranzubilden  Gelegenheit  hatte,  nämlich  jene, 
als  deren  Haupt  man  den  Francesco  Francia  anzu- 
nehmen gewohnt  ist.  Ja,  ich  bin  fest  überzeugt,  dass 
ausser  dem  Chiodarolo,  Cesare  Tamarozzo^  und  andern 
mehr,  selbst  der  um  1488  in  der  Goldschmiedekunst 
zu  höchster  Blüte  gelangte  Francesco  Raibolini, 
il  Francia  genannt,  das  Malen  von  keinem  andern  als 
von  seinem  Freunde  Lorenzo  Costa  erlernt  haben  kann. 
Man  vergleiche  die  Werke  dieses  letztern  vom  Jahre 
1488  (in  der  Kapelle  Bentivoglio)  mit  seinen  zwei  Wand- 
gemälden, vom  Jahre  1506,  in  der  Kapelle  der  heiligen 
Cäcilie,  und  man  wird  darin  nirgends  eine  Spur  von 
Francia's  Einfluss,  wol  aber  den  des  Ercole  Roberti 
entdecken  können,  während  dem  entgegen  die  frühesten 
Werke   des  Francia,  wie  z.  B.  die  kleine  Kreuzifjunsc 

'  DO 

(in  der  Bibliothek  (f )  des  Arciginnasio  2)  und  die  Altar- 
tafel vom  Jahre  1494  (in  der  Pinakothek),  so  wol  im 
Tone  als  in  gar  manch  anderm  Zuge  noch  lebhaft  an 
L.  Costa  erinnern.  Ich  gebe  zwar  gern  zu,  dass  Fran- 
cia als  eminenter  Plastiker  auch  seinerseits  einen  vor- 
theilhaften  Einfluss  auf  den  Ferraresen  ausübte,  verkenne 
auch  durchaus  nicht,  dass  er  ein  feineres  Liniengefühl, 
ein  grösseres  Verständniss  der  menschlichen  Formen 
besass,  ja  dass  er,  namentlich  in  seinen  Werken  aus 
der  frühern  Zeit,  seinen  Köpfen  einen  tiefern,  edlern 
Ausdruck  zu  verleihen  im  Stande  war  (man  besehe  sich 

^  Von  Cesare  Tamarozzo  sieht  man  zwei  Wandgemälde  in  der 
Kapelle  der  heiligen  Cecilia  (Kirche  S.  Jacopo  Maggiore),  von 
einigen  fälschlich  dem  Giacomo  Francia  zugeschrieben ;  ferner  ein 
anderes  Wandgemälde  „S.  Agostino  mit.  einigen  Ordensbrüdern" 
in  der  Kirche  della  Misericordia  in  Bologna  (f);  und  ein  mit 
dem  Namen  bezeichnetes  Tafelbild  „Madonna  mit  dem  Christ- 
kind" in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli  in  Mailand. 

^  Dort  früher  dem  L.  Costa,  von  andern  auch  dem  Ercole 
Grandi  di  Giulio  Cesare  zugeschrieben.  Director  Bode  hat  jedoch 
meine  Bestimmung  jenes  Bildchens  angenommen  und  es  in  die 
Frühzeit  des  F.  Francia  gesetzt. 


Die  Ferraresen.  287 

z.  B.  den  zum  Tode  verwundeten  Stephanus  dieser 
Galerie)*  als  Lorenzo  Costa  den  seinigen;  andererseits 
bin  ich  jedoch  derUeberzeugung,  dass  dieser  letztere  sei- 
nen Pinsel  mit  viel  grösserer  Meisterschaft  und  Freiheit 
handhabte,  und  auch  bei  einem  feurigem,  lebhaftem 
Naturell  in  einem  hohem  Grade  mit  jenen  Gaben  aus- 
gerüstet war,  die  den  vollendeten  Maler  kennzeichnen, 
als  dies  eben  bei  Francesco  Francia  der  Fall  war.  Wie 
nun  Cossa,  Ercole  Roberti^  und  hauptsächlich  Lo- 
renzo Costa  als  die  eigentlichen  Gründer  jener  Maler- 
schule anzusehen  sind,  welche  in  den  zwei  letzten  De- 
cennien  des  15.  und  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts 
in  Bologna  blühte,  so  ist  auch  der  Einfluss  Dosso's  und 
Garofolo's  unverkennbar  in  den  frühem  Werken  des 
Bagnacavallo,  des  Niccolö  Pisani',  des  Biagio 
Puppini  und  in  späterer  Zeit  sogar  in  dem  des  Gia- 
como  und  Giulio  Francia«  Mit  einem  W^orte,  die 
Malerschule  Ferraras  war  es,  die  während  etwa 
fünfzig  Jahren,  von  1470  bis  etwa  1520,  die  ganae 
Uoniagna  mit  ihrem  Lichte  erleuchtete  und  erwärmte. 
Ich  hätte  den  Lesern  diese  flüchtig  hingeworfenen 
kunstgeschichtlichen  Vorbemerkungen  erspart,  wäre' ich 
nicht  durch  die  Gelegenheit,  die  uns  die  Betrachtung  der 
„Dauae"  des  Correggio  darbietet,  verlockt  worden ,  in 
aller  Kürze  meine  Ansicht  über  einen  Punkt  in  der 
Kunstgeschichte  Italiens  auszusprechen,  über  den  noch 
eine    grosse  Unklarheit    herrscht,    nämlich    über    die 


*  Auch  dieses  herrliche  Bild  wurde  leider  in  vo.-^^o,.  /o;< 
in  den  obern  Stock  des  Palastes  gebracht 

'  Als  Schüler  des  Roberti  dürfte  dooh  wol  eher  Amico  uiui 
nicht  6uidoAspertini,wie  Vaaari  berichtet,  betrachtet  werden. 

*  £in  Bild  aus  seiner  Frühxeit  befindet  sich  in  der  Pinako- 
thek von  Bologna  (Pieta)  „Nicholo**  bezeichnet,  und  dort  fillsoh- 
licli  il*  in  Niccolö  Soriani  zugeschrieben;  ein  Gem&lde  ans  semer 
Bpätcru  Zeit  ist  in  der  Brera-Oalerie;  in  diesem  letstem  tritt 
Niccolö  uns  als  Nachahmer  des  Oarofolo  entgegen« 


288  I>ie  Galerie  Borghese. 

Lehr-  und  Wanderjahre  des  Malers  Antonio  Allegri  da 
Correggio.i 


*  In  einem  der  interessanten  Aufsätze,  die  Herr  Director  Bode 
in  der  „Gazette  des  beaux-arts"  über  die  italienischen  Bilder 
des  Berliner  Museums  publicirt,  in  der  Absiebt  seine  neuen  Ideen 
über  die  italienische  Kunstgeschichte  sowie  die  eigenen,  gewiss 
nicht  geringen  Verdienste  um  die  Sammlungen  der  Berliner 
Museen  auch  einem  französischen  Publikum  bekannt  zu  machen, 
bemerkt  er:  „^.  Venturi,  dont  les  recherches  ont  poseles  fonde- 
ments  de  la  connaissance  des  ecoles  de  Ferrare,  de  Bologne  et 
de  Modene"'  (V.  Heft  vom  1.  Februar  1889,  Seite  118). 

Nun  kann  es  mir  gewiss  nicht  im  Traum  einfallen,  die  wirk- 
lichen Verdienste  des  jungen  und  vielversprechenden  modene- 
fiischen  Kunstforschers  Herrn  Venturi  irgendwie  schmälern  zu 
wollen ;  Herr  Director  Bode  wird  mir  aber  erlauben,  meinerseits 
ihm  zu  bemerken,  dass,  als  ich  im  Jahre  1875—76  diese  nun 
aufs  neue  erscheinenden  Artikel  über  die  Malerschule  von  Fer- 
rara  und  Bologna  veröffentlichte,  noch  ein  dichter  Nebel  über 
jenen  beiden  Malerschulen  lag,  wovon  uns  selbst  noch  die  Aus- 
gabe von  1879  des  Bode'schen  „Cicerone"  (11,579—587)  Zeugniss 
ablegt.  Es  ist  wahr,  Herrn  A.  Venturi  glückte  es,  den  wahren  Autor 
des  grossen  Bildes,  das  in  der  Brera-Galerie  bisher  als  von  einem 
sonst  ganz  unbekannten  Stefano  da  Ferrara  gegolten  hatte,  aus- 
findig zu  machen.  Er  fand  nämlich  in  einer  alten  „Guida",  dass 
jenes  Bild,  ehe  es  nach  Mailand  kam,  den  Altar  einer  Kirche 
in  der  Nähe  von  Ravenna  zierte  und  dort  als  "Werk  nicht  des 
Stefano,  sondern  des  Ercole  da  Fen-ara  galt,  und  bei  näherer 
Prüfung  des  Bildes  hat  sich  auch  wirklich  bestätigt,  dass  es  dem 
Ercole  di  Roberto  angehöre.  —  Ausserdem  verdanken  wir 
Herrn  Venturi  die  Entdeckung  mancher  wichtigen  Documente, 
die  dazu  dienen,  uns  mit  den  Malern  von  Ferrara,  Bologna  und 
Modena  vertrauter  zu  machen.  Dies  alles  erkenne  auch  ich  und 
mit  der  grössten  Freude  an.  Allein  das  eigentliche  Verhältniss 
■der  alten  Bologneser  Schule  zu  der  von  Ferrara,  die  Bedeutung 
des  Fr.  Cossa  und  des  Lorenzo  Costa  in  jener  ehedem  sogenannten 
-,Schule  des  Marco  Zoppo  und  des  Francia",  sowie  die  künstlerische 
Entwickelungsgeschichte  des  Garofolo  und  des  Dosso  Dossi,  und 
ebenso  die  des  Correggio,  glaube  ich  doch  etwas  früher  als  die 
Herren  Bode  und  Venturi  erkannt  zu  haben.  —  Mögen  diese 
wenigen  Worte   der  Abwehr,  die   ich  mir   selbst  schuldig  war, 


Die  Ferraresen:  Correggio.  289 

Dem  Vedriani  folgend,  lassen  nämlich  die  Schrift- 
steller über  italienische  Kunst  den  Correggio  seine 
■ersten  Lehrjahre  unter  der  Anleitung  des  Francesco 
Bianchi  in  Modena  zubringen  und  lassen  ihn  dann, 
nach  dem  im  Jahre  1510  erfolgten  Tode  des  Bianchi, 
nach  Mantua  übersiedeln,  um  sich  dort  beim  grossen 
Andrea  Mantegna  weiter  auszubilden,  bis  er  etwa  zwan- 
zigjährig 1514  von  den  Mönchen  in  Carpi  den  ehren- 
vollen Auftrag  erhielt,  das  grosse  Altarbild  auszuführen, 
welches  gegenwärtig  die  Dresdener  Galerie  ziert,  und 
worin,  wie  sich  dies  von  selbst  versteht,  die  meisten 
Schriftsteller  noch  ganz  deutlich  die  Art  und  Weise 
seines  Lehrers  Mantegna  zu  erkennen  behaupteten. 
Freilich,  als  man  später  ausfindig  machte,  dass  Man- 
tegna schon  im  Jahre  1506  gestorben  war,  behalf  man 
sich  damit,  dem  Vater  einen  seiner  zwei  Sohne,  sei  es 
-den  Lodovico  sei  es  den  Francesco,  als  Lehrer  und 
Kathgeber  des  jungen  Correggio  zu  substituiren.  Zum 
Belege  fiir  diese  Annahme  und  zum  Beweise  der  per- 
sönlichen Gegenwart  des  jungen  AUegri  in  Mantua 
führte  man  sogar  einige  Fresken  an,  die  da  und  dort 
an  den  Mauern  jener  Stadt  noch  sichtbar  wären  und 
worin  jeder  Sachkundige  di<'  TTmiuI  des  Correggio  er- 
kennen müsste. 

Diese  ganze  Entwickelungsgeschichte  jedoch  ist  auf 
Sand  gebaut;  sie  wird  weder  durch  irgendein  Gemälde 
■des  Correggio,  noch  weniger  durch  schriftliche  Docu- 
mente  begründet,  sie  ist  nichts  mehr  und  nichts  weniger 
als  eine  leere  „supposition"  des  Vedriani,  welche,  da  sie 
dem  Localpatriotismus  der  Mantuaner  schmeichelte,  bald 
zu  einer  sogenannten  „Tradition"  wurde. 

Betrachten  wir  uns  dio  Sache  ohne  vorgefasste  Mei- 


von  meinen  freundlichen  Lesern  mir  dkIii  uU  Si  l)>stüberhcbung 
gedentet  werden.  Das  italienische  Sprichwort  s.i^rt  ''^  •  :  vora 
si  fa  ü  lupo  lo  mangia". 

LBKMousrr.  ^9 


290  I^iß  Galerie  Borghese. 

nungen.  Das  obengenannte  Bild  in  Dresden  mag  also 
vom  jungen  Correggio  1515  beendigt  worden  sein.  Der- 
selbe, in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1493  oder  in 
den  ersten  des  folgenden,  wie  man  gewöhnlich  annimmt,, 
geboren,  hätte  also,  als  er  jenes  Bild  den  Mönchen 
nicht  von  Carpi,  sondern  von  Correggio  vollendet  über- 
lieferte, etwa  21  Jahre  gezählt.  In  jenen  für  die  Kunst 
glücklichen  Zeiten  hatte  aber  ein  Maler  gewöhnlich 
schon  in  seinem  15.  oder  16.  Jahre  die  Lehrzeit  durch- 
gemacht und  die  technischen  Handgriffe  erlernt,  und 
von  einer  in  so  hohem  Grade  begabten  Natur,  wie  die 
des  Corregio  war,  ist  man  um  so  mehr  berechtigt  eine 
solche  Frühreife  zu  erwarten.  Es  ist  daher  wol  anzu- 
nehmen, dass  er  schon  vor  1514  Bilder  gemalt  habe, 
die  ihn  als  einen  guten  Maler  bekannt  gemacht  und 
ihm  daher  jenen  so  ehrenvollen  Auftrag  von  den  Mön- 
chen von  Correggio  verschafft  haben  werden.  Betrach- 
ten wir  nun  dieses  Bild  mit  kritischem  Auge,  so  werden 
wir  durch  den  Ton  und  die  Harmonie  der  Farben,  durch 
den  Auftrag  derselben,  durch  die  architektonische  Form 
des  Thrones  und  endlich  auch  durch  das  Medaillon,  mit 
dem  der  Thron  verziert  ist,  eher  an  Costa  und  die  Fer- 
raresische  Schule  erinnert,  als  an  die  Weise  des  Man- 
tegna.  Für  diese  meine  Ansicht  spricht  jedoch  noch 
deutlicher  das  schöne  Bild  bei  Lord  Ashburton  in  Lon- 
don. Wer  an  der  Echtheit  desselben  zweifelt,  der  bekun- 
det, wie  mir  scheint,  wenig  Verständniss  für  das  Eigen- 
thümliche  der  künstlerischen  Auffassung  und  Darstel- 
lungsweise des  Correggio.  Ueberhaupt,  sei  mir  erlaubt 
im  Vorbeigehen  zu  bemerken,  pflegen  gar  viele,  ja  die 
meisten  Kunsthistoriker  sich  den  Begriff  vom  Charakter 
und  der  Ausdrucksweise  eines  Künstlers  von  den  spä- 
tem Werken  desselben  zu  abstrahiren.  Wer  daher  im 
sogenannten  Bilde  des  heiligen  Georg  oder  in  dem  der 
„Nacht"  der  Dresdener  Galerie  oder  im  sogenannten 
Hieronymusbild  in  Parma  den  Inbegriff  der  Kunst  des 


Die  Ferraresen:  Correggio.  291 

Antonio  Allegri  zu  sehen  gewohnt  ist,  der  wird  natür- 
lich anstehen,  im  Bilde  Ashburton  die  Hand  desselben 
Künstlers  zu  erkennen.  Und  doch  sind  in  jenen  Werken 
aus  der  Frühzeit  des  Correggio,  nämlich  der  Madonna 
des  heiligen  Franciscus  zu  Dresden  und  dem  Bilde  bei 
Lord  Ashburton,  im  Keime  schon  dieselben  Licht- 
und  Schattenseiten  sichtbar,  die  in  den  spätem  Ge- 
mälden des  Meisters  uns  theils  anziehen,  theils  abstossen. 
Dieselbe  Form,  dieselbe  Empfindung  in  der  Darstellung 
der  Hände,  dieselbe  dem  Correggio  eigenthümliche  Form 
des  Ohres,  dieselben  ihm  eigenen  Faltenbrüche;  nur  die 
Färbung  ist  in  diesen  Bildern  aus  der  Frühzeit  eine 
andere,  sowol  im  Tone  als  auch  in  der  Harmonie,  und 
gemahnt  uns  an  Lorenzo  Costa  und  an  dessen  Schule. 
Wie  ich  nun  das  Bild  bei  Ashburton  für  früher  gemalt 
halte,  als  das  Bild  vom  Jahre  1515  in  Dresden,  so  er- 
scheint mir  dagegen  die  sogenannte  Flucht  nach  Aegyp- 
ten  (in  der  Tribüne  der  Üftizien-Galerie)  als  um  mehrere 
Jahre  später  ausgeführt,  als  die  Madonna  des  heiligen 
Franciscus,  also  ums  Jahr  1517 — 18.  Auch  in  diesem 
letztern  Bilde  ist  der  Ton  durchaus  noch  ferraresisch, 
und  zwar  nicht  so  sehr  an  Costa  und  Ercole  Grandi  di 
Giulio  Cesare  erinnernd,  als  vielmehr  an  Dosso  und  Garo- 
folo.  Das  helle  Strohgelb  in  der  Bekleidung  des  hei- 
ligen Joseph  in  jepem  Bilde  ist  eine  Farbe,  deren  sich 
Dosso  und  Garofolo  mit  Vorliebe  bedienten.  Im  klei- 
nen, rechts  an  die  Tribüne  der  Uftizien- Galerie  an- 
stossenden  Zimmer  hangt  ein  Bildchen,  das  man  früher 
der  ferraresischen  Schule,  später  aber  geradezu  dem 
Tizian  zuzuschreiben  beliebte.  Es  führt  die  Nr.  1002 
und  stellt  die  Madonna  mit  dem  Kind  im  Arme  zwi- 
schen zwei  musicirenden  Engeln  vor.  Wer  nun  den 
Formen  in  diesem  Bilde  näher  nachgeht,  zumal  der 
Hände,  des  Ohres,  der  Falten,  ganz  abgesehen  von  der 
dem  Correggio  ganz  eigenthümlichen  Leuchtkraft  der 
Farbe,  der  wird  darin  überall  den  Geist  und  die  Hand 

19  ♦ 


292  JÖie  Galerie  Borghese. 

des  Correggio  erkennen;  allein  mehr  noch  als  die  äussere 
Form  spricht  auch  in  diesem  Gemälde  für  den  Meister 
der  ihm  ganz  eigene  Ausdruck  der  Madonna  und  des 
Jesuskindes,  und  namentlich  der  des  Engels  auf  der 
rechten  Seite  der  Jungfrau,  während  der  Engel  auf  der 
linken  Seite  mehr  an  Giorgione  und  an  Tizian's  Jugend- 
werke erinnert. 

Jenes  höchst  interessante,  bisher  wenig  beachtete 
Bildchen  halte  ich  nun  ebenfalls  für  die  Arbeit  aus  der 
Erühzeit  des  Correggio,  und  zwar  als  von  ihm  unter  dem 
Einfluss  der  Werke  Giorgione's,  Tizian's  und  Lotto's 
gemalt,  (f)  Denn  ich  stehe  nicht  an  anzunehmen,  dass 
der  junge  Antonio  an  Ort  und  Stelle,  d.  h.  in  Venedig, 
gar  manches  Werk  jener  grossen  venetianischen  Colo- 
risten  sich  angesehen  und  beherzigt  habe,  ehe  er  sich 
in  Parma  niederliess.  Um  meine  Thesis  fester  zu  be- 
gründen, als  dies  eben  durch  die  angeführten  Beispiele 
geschehen  konnte,  hätte  ich  gewünscht,  noch  eines  andern 
Bildchens  Erwähnung  zu  thun,  das  einst  in  der  Galerie 
Costabili  in  Ferrara  sich  befand,  seit  etlichen  Jahren 
aber  in  den  Besitz  des  Herrn  Dr.  G.  Frizzoni  über- 
gegangen ist.  Da  ich  nun  weiss,  dass  der  glückliche 
Inhaber  dieses  Kleinodes  gesonnen  ist,  in  naher  Zeit 
dem  kunstwissenschaftlichen  Publikum  seinen  kleinen 
Juwel  vorzustellen  und  die  Gelegenheit  benutzen  wird, 
mehrere  andere  Jugendarbeiten  des  Correggio  mit  ge- 
wohnter Sachkenntniss  zu  erörtern,  so  unterlasse  ich 
es,  an  diesem  Orte  das  liebliche  Bildchen  eingehender 
zu  beschreiben.  Dasselbe  stellt  die  „Vermählung  der 
heiligen  Katharina"  vor  und  hat  eine  so  scharf  ausge- 
sprochene ferraresische  Färbung,  dass  es  mehrern  nor- 
dischen Dilettanten  als  ein  Werk  des  Mezzolini 
erschien. 

Mag  nun  Correggio  den  in  Modena  ansässigen  Maler 
Francesco  Bianchi  zum  Lehrer  gehabt  oder  mag  der- 
selbe   selbst  die  Technik  des   Malens    in  Mantua    bei 


Die  Ferraresen:  Correggio.  293 

Lorenzo  Costa  oder  in  Ferrara  selbst  die  Technik  des 
Malens  erlernt  und  sich  später  an  den  Werken  der 
Venezianer  ausgebildet  haben,  daran  liegt  nicht  vieL 
Woran  es  mir  hauptsächlich  lag,  war,  meinen  P^reunden 
zu  beweisen,  dass  Correggio  mit  der  Schule  des  An- 
drea Mantegua  nichts  zu  schaffen  hat,  sondern 
durchaus  und  unbedingt  der  Malerschule  Fer- 
raras  angehört.*  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese 
Ansicht  eines  weitem  auszuführen  und  zu  begründen; 
ich  hoffe  aber,  dass  diejenigen  meiner  Leser,  welche  der 
italienischen  Kunst  in  ihrer  Entwickelung  nachgegangen 
sind  und  dieselbe  nicht  im  Sturmschritt,  sondern  mit 
Liebe  und  ohne  vorgefasste  Meinung  studiren,  meine 
Gedanken  nicht  höhnisch  abweisen  werden;  ja,  ich 
schmeichle  mir  sogar,  dass  mancher  unter  ihnen,  früher 
oder  später,  seine  Zustimmung  mir  nicht  versagen  wird. 
Nach  dieser  Abschweifung  betrachten  wir  nun  das 
herrliche  Werk  des  Meisters,  das  die  Galerie  Borghese 
besitzt,  die  „Danae".  Es  ist  ein  vielgewandertes  Bild. 
Von  Italien  kam  es  nach  Spanien  und  sodann  wieder 
nach  der  Lombardei  zurück.  In  den  achtziger  Jahren 
des  15.  Jahrhunderts  beschrieb  es  Lomazzo  als  in  Mai- 
land befindlich  und  zwar  im  Hause  des  Bildhauers  Leoni 
Aretiuo:  ^^Danae  e  Giove  che  gli  piove  in  grembo  in 
forma  dt  pioggia  d*oro^  con  Cupido  ed  altri  amori^  c6* 
lumi  talmente  intesi^  che  tengo  sicuro^  che  niun  altro  pit- 
tore  in  colorire  ed  allurtiare  possa  agguagliargli;  man" 
dato  di  Spagna  da  Pompeo  suo  ßglio  statuario,^'  Von 
Mailand  aber  gelangte  es  sodann  an  den  Hof  Kaiser 
Rudolfs  nach  Prag,  von  wo  aus  es  durch  die  Politik 
nach  Stockholm  verschlagen  ward,  um  vom  hohen  Nor- 
den, wo  die  arme  Danae  sich  fast  zu  Tode  gefroren  haben 


'  Dass  Correggio  in  Mantna  die  eine  oder  die  andere  Figur 
defi  Mantegna  copirt  haben  mag,  thot  wahrlich  meiner  Behanpinng 
nicht  den  mindesten  Abbruch. 


294  Die  Galerie  Borghese. 

mag,  wieder  nach  Süden,  und  zwar  nach  Paris  gebracht 
"ZU  werden.  Von  da  später  nach  London  verkauft, 
iehrte  das  Bild  bald  wieder  nach  Paris  zurück,  wo  es 
im  dritten  Decennium  unsers  Jahrhunderts  glücklicher- 
■weise  als  Copie  angesehen  wurde  und  daher  vom  Für- 
sten Borghese  um  einen  Spottpreis  angekauft  werden 
konnte.  So  bekam  denn,  nach  zwei  und  einem  halben 
Jahrhundert,  unsere  D^nae  abermals  ihr  sonniges  Vater- 
land wieder  zu  sehen.  Nur  die  Götter  mögen  es  wissen, 
wo  diese  weitgereiste  Freundin  des  alten  Jupiter  am  Ende 
unsers  Jahrhunderts  sich  befinden  werde! 

Nach  allen  den  Wanderungen  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, dass  dieses  Wunderwerk  der  Malerei  vielfach 
gelitten  hat.  Jedenfalls  ist  es  jedoch  den  heillosen  so- 
genannten Restaurationen  entgangen,  welche  die  Bilder 
des  Correggio  in  Dresden,  den  heiligen  Franciscus  etwa 
ausgenommen,  erfahren  mussten  und  die,  mir  wenig- 
stens, jene  gepriesenen  Correggio-Bilder  fast  ungeniess- 
bar  machen.  Trotzdem,  dass  die  Oberhaut  dieses  Bil- 
des verloren  gegangen,  bleibt  es  doch  immer  vielleicht 
das  correggeskeste  Werk  des  Antonio  Allegri,  und  wie 
Otto  Mündler  sehr  richtig  bemerkt,  der  Triumph  der 
Luftperspective  und  des  Helldunkels.  Die  kindliche, 
naive  Geschäftigkeit  der  die  Pfeile  spitzenden  Liebes- 
götter, sowie  das  etwas  verdutzte  ängstliche  Geschehen- 
lassen und  zugleich  die  echt  weibliche,  sinnliche  Glück- 
seligkeit, die  den  ganzen  Körper  der  Danae  durchzittert, 
bis  in  die  Fusszehen  hinab,  scheinen  mir  unübertreff- 
lich. Es  mag  wol  sein,  dass  die  naive,  natürliche  Freude 
dieses  Mädchens  den  Superlativen  Aesthetikern  und 
den  principiell  „Reinen"  allzu  sinnlich  erscheint.  Auch 
gebe  ich  gern  zu,  dass  die  Kunst  des  Correggio  in 
diesem  Bilde  sich  auf  der  Schneide  eines  Rasirmessers 
bewegt.  Diese  Danae  wurde  für  den  Markgrafen  von 
Mantua  gemalt,  und  schon  Giulio  Romano,  nach  dem 
Zeugniss  Vasari's,  erklärte    dieses    Bild    für  so  schön, 


Die  Ferraresen:  Correggio.  295 

dass  er  kein  anderes  kenne,  das  diesem  gleichkomme. 
Was  die  darin  so  meisterhaft  veranschaulichte  Empfin- 
dung des  Meisters  betrifft,  so  finde  ich  sie  so  wahr, 
so  menschlich,  ja  so  keusch  im  wahren  Sinne  des 
Wortes,  so  fern  von  all  der  unsittlichen  Prüderie  un- 
serer Tage,  dass  mir  kein  Werk  modemer  Kunst  be- 
kannt ist,  welches  in  dieser  Hinsicht  mehr  Recht  hätte, 
•den  Kunstschöpfungen  der  Griechen  an  die  Seite  ge- 
setzt zu  werden.  Freilich  hat  Corregio  seine  Danae 
keineswegs  für  ein  Mädcheninstitut  gemalt.  Jedenfalls 
ist  es  eine  der  Perlen  der  Borghese-Galerie,  und,  meinem 
Dafürhalten  nach,  das  einzige  Werk  des  Correggio, 
das  sich  in  Rom  befindet  *,  da  anerkanntermassen  der 
wüste' „Christus  in  der  Glorie"  der  Vaticanischen  Bil- 
dersammlung wahrscheinlich  einem  schwachen  Nach- 
ahmer aus  der  spätem  bologneser  Schule  zuzuschreiben 
ist.  Es  ist  wol  kaum  nöthig  zu  bemerken,  dass  die 
Danae  auf  Leinwand  und  nicht  wie  die  bewunderte  und 
vielbesungene  „Magdalena"  der  Dresdener  Galerie  (f) 
auf  Kupfer  gemalt  ist,  ein  Gebrauch,  der,  wenn  ich 
nicht  irre,  erst  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  durch 
die  Niederländer  in  Italien  eingeführt  wurde,  in  diesem 
Lande  jedoch  wenig  Anklang  fand.* 

Von  dieser  „gemein  sinnlichen"  Gestalt  des  Correggio, 


*  Das  Madonnenbild  im  Hanse  des  Fürsten  Torlonia  (Lun- 
gara)  ist,  ebenso  wie  jenes  in  St.-Petersbarg,  nichts  anderes  als 
Copie  des  in  der  Esterhazy- Galerie  in  Budapest  befindlichen 
Oriprinals.  (f) 

'  Soviel  ich  weiss,  haben  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des 
!<;.  Jahrhunderts  Niederländer,  wie  Brill,  Jan  Bmeghel  der  Ael- 
tere,  Pourbus  u.  a.  m.,  sich  des  Kapfers  zu  ihren  Malereien  be ' 
dient.  Mir  wenigstens  ist  kein  italienisches  Bild  aus  der 
ersten  Hälfte  jenes  Jahrhunderts  bekannt,  das  auf  Kupfer  ge- 
malt wäre;  spätere  Copien,  die  fClr  Originale  gelten«  sah  ich 
allerdings  mehrere. 


296  Die  Galerie  Borghese. 

wie  die  Danae  von  einem  sonst  hochsinnigen  deutsche« 
Kunsthistoriker  genannt  wurde,  wenden  wir  uns  alsa 
schleunig  weg  und  treten  in  die  folgenden  Säle  ein, 
wo  wir  die  Ehehälfte  Potiphar's  von  drei  oder  vier 
keuschen  Malern  vom  Ende  des  16.  und  17.  Jahrhun- 
derts, zur  grossen  Freude  der  Fastenprediger  in  der 
Kunst,  dargestellt  sehen.  Doch  wir  überlassen  es  dem 
diese  Art  von  Kunst  liebenden  Publikum,  jene  Bilder 
sich  selbst  aufzusuchen  und  sich  daran  zu  ergötzen.  Für 
unsere  Studien  ist  nichts  in  denselben  zu  lernen.  Auch 
möge  man  es  mir  nicht  verargen,  wenn  ich  die  im  IV., 
y.,  VI.,  VII.  und  VIII.  Saale  ausgestellten-  Gemälde 
für  diesmal  ganz  übergehe.  Für  die  Geschichte  der 
Kunst  und  der  Cultur  haben  dieselben  allerdings  das- 
selbe und  für  das  grössere  Publikum  ein  noch  viel  stär- 
keres Interesse  und  eine  grössere  Anziehungskraft,  als 
die  von  uns  bisher  betrachteten  Werke,  allein  für  un- 
sere Studien  sind,  wie  gesagt,  die  Eklektiker  von  sehr 
untergeordneter  Bedeutung. 

Das  weitaus  schönste  Gemälde  in  diesen  Sälen  ist 
jedenfalls  Domenichino's  berühmte  „Caccia  di  Diana  "► 
Aus  diesem  an  schönen,  ja  reizenden  Details  so  reichen 
Bilde  schaut  noch  eine  so  naive  Lust  und  Freudigkeit 
heraus,  dass  man  sich  in  für  die  Kunst  glücklichere 
Zeiten  versetzt  glaubt.  Kein  Bild  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert, die  herrliche  Aurora  des  Guido,  die  Fresken 
des  Annibale  Caracci  im  Palast  Farnese  und  jene  de& 
Guercino  im.  Casino  Ludovisi  etwa  ausgenommen,  ge- 
niesst  aber  auch  eines  solchen  Rufes,  ist  so  allgemein 
bekannt,  wie  diese  wirklich  anmuthige,  mit  Freude  ge- 
dachte und  gemalte  und  daher  auch  Freude  erweckende 
weibliche  Jagdpartie  des  liebenswürdigen  Domenichino. 
Im  nämlichen  Saal  hängen  noch  Rundbilder  des  Fran- 
cesco Albani,  die  Jahreszeiten  darstellend,  die  als 
Decorationsstücke  werthvoll  und  beachtenswerth  sind^ 
und  überdies  eine  grosse  Madonna  mit  dem  Kinde  vom 


„Die  Hochzeit  Alexander's  mit  Roxane."  297 

unerquicklichen,  aber  höchst  talentvollen  Michelangelo 
da  Caravaggio. 

Im  letzten  untern  Saale  der  Galerie  befinden  sich 
Fragmente  von  Wandmalereien,  welche  drei  verschie- 
denen Meistern  angehören.  Diejenigen,  in  denen  die 
Geschichte  des  Apoll  und  Marsyas  dargestellt  ist,  rühren 
vom  Domenichino  her  und  zierten  dereinst  einen  Saal 
der  Villa  Borghese  in  Frascati.  Die  andern,  welche 
Legenden  aus  der  römischen  Geschichte  zum  Vorwurfe 
haben  und  von  neuern  Schriftstellern  dem  Giulio  Ro- 
mano zugeschrieben  wurden  *,  befanden  sich  ehemals  in 
der  Villa  Laute  auf  dem  Janiculus.  Dieselben  haben 
allerdings  noch  einen  Anflug  Kaffaerschen  Geistes,  denn 
die  Villa  Lante  wurde  von  Giulio  Romano  erbaut 
und  die  malerische  Ausschmückung  derselben  von  den 
Gehülfen  und  Schülern,  Pappacello,  Pagni  u.  A.  aus- 
geführt. 

Die  übrigen  drei  Fresken  endlich  wurden  ehedem 
dem  Urbinaten  selbst,  von  Passavant  jedoch  blos  dem 
Perino  del  Vaga  zugeschrieben. ^  Sie  zierten  dereinst 
das  im  Jahre  1849  zerstörte  Casino  di  Rafiaello  auf  dem 
Pincio  und  stellen  das  eine  eine  Gruppe  von  Schei- 
benschützen, ein  anderes  „die  Hochzeit  Alexander^s 
mit  Roxane^^  dar.  Meiner  Ansicht  nach  sind  es  schwache 
Copien  eines  spätem  talentlosen  Nachahmers  Raffaers, 
das  „Bogenschi essen"  nach  einer  Zeichnung  in  der 
Sammlung  von  Windsor,  die  dort  dem  Michelangelo 
zugeschrieben  wird;  die  „Hochzeit  Alcxauder's"  nach 
dem  Stiche  des  Caraglio  oder  wie  andere  wollen  des 


>  Passavant:  Raffael  d'UrbiD  eto.  I,  288:  „Voriginalite 
(jrandiose  de  Julet.  Romain  reuort  auasi  äatu  les  pUiUs  fresques 
de  la  Villa  Lante;  ce  8oni  des  tujtU  tiris  des  legendes  et  de 
Vhistoire  rowMine,  qui  ae  rapporte  au  Janicuie  etc." 

*  Passavant  a.  a.  0.  (II,  236):  .^UexicuUim  de  cetU  fresqut, 
en  bon  H<U  dt  conservation  t  est  traiUe  avec  toute  la  düicaiesse 
particulihre  (?)  ^  Perino  del  Vaga,"" 


298  ^^®  Galerie  Borghese. 

Bonasone^,  den  einer  von  diesen  nach  einer  ihnen  von 
Perino  delVaga  angefertigten  getuschten  Zeichnung 
ausführte,  (f) 

Meinen  eigenen  Studien  zufolge  dürfte  der  Hergang 
der  Sache  sich  ungefähr  so  herausstellen.  Vasari  er- 
zählt (IX,  275)  uns,  dass  unter  den  Schülern  Marcan- 
ton's  sich  besonders  Marco  da  Eavenna  und  Agostino 
Veneziano  auszeichneten  und  dass  beide  Stecher  Zeich- 
nungen RaffaeFs  als  Vorlage  zu  ihren  Blättern  benutzten. 
Unter  derartigen  von  Agostino  ausgeführten  Stichen 
führt  Vasari  nun  mit  seiner  gewöhnlichen  Leichtfertig- 
keit auch  den  mit  der  Hochzeit  Alexander's  an,  ^Jece 
ancora  Alessandro  con  Rosana  ^  a  cui  gli  presenta  una 
Corona  reale  ^  ecc.  ecc.'"'  Und  dieses  unbedachtsam  hin- 
geworfene Wort  des  Aretiners  reichte  hin,  den  groben 
Irrthum  herbeizuführen,  der  später  in  der  Bestimmung 
aller  auf  das  Freskobild  Sodoma's  bezüglichen  Zeich- 
nungen und  Skizzen  sich  einschlich  und  der  noch  immer 
besteht.  Raffael  Santi  und  kein  anderer  musste  sie  alle 
angefertigt  haben,  und  dem  armen  Sodoma  blieb  an 
seinem  herrlichen  Frescobilde  kein    anderes  Verdienst 


^  P.  J.  Mariette  („Abecedario",  I,  89)  sagt,  es  gebe  zwei  Stiche 
mit  diesem  Gegenstand,  der  eine  sei  von  Caraglio,  der  andere 
vom  altern  Beatricet.  Die  getuschte  Zeichnung  dazu  befand  sich 
damals  in  der  Sammlung  Crozat  und  scheint  jene  gewesen  zu 
sein,  die  L.  Dolce  als  von  der  Hand  Rafifael's  citirt  (eine  mit 
Gips  gehöhte  Bisterzeichnung),  mit  der  Bezeichnung:  Baffaello 
da  Urbino.  Diese  Zeichnung  befindet  sich  in  den  Mappen  des 
Louvre  und  ist,  meiner  Ansicht  nach,  nichts  anderes  als  eine 
Copie  der  Originalzeichnting  Perino's,  die  jetzt  verloren  zusein 
scheint.  Mariette  erklärte  jene  Zeichnung  bei  Crozat  als  von 
der  Hand  des  Parmeggianino,  und  Zanetti  desgleichen;  dem  Abbe 
Marolle  dagegen  schien  das  Blatt  von  keinem  andern  herzu- 
rühren, als  von  Raifael  selbst.  Die  Herren  Montaiglon  und  Mar- 
quis de  Chennevieres  endlich  erklärten  die  Louvre-Zeiohnung  als 
von  der  „Schule  des  Urbinaten". 


„Die  Hochzeit  Alexander's  mit  Roxane/'  299 

iibrig,  als  dasselbe  nach  den  Vorlagen  RaffaePs  aus- 
geführt zu  haben.  An  der  ganzen  Sache  ist  jedoch, 
davon  bin  ich  überzeugt,  kein  Wort  wahr  und  auch 
bei  dieser  Gelegenheit  werden  wir  wieder  an  die  tief- 
sinnige Parabel  erinnert,  die  der  alte  Brueghel  in  seinem 
Bilde  im  Museum  von  Neapel  so  witzig  darzustellen 
wusste. 

Dem  Giovanni  Antonio  Bazzi  kann  man  viele 
Mängel  vorwerfen,  nur  nicht  Mangel  an  Erfindungs- 
gabe, wovon  sich  ja  jeder  Unbefangene  überzeugen 
kann,  der  seine  Wandgemälde  im  Klosterhof  von  Mont- 
oliveto  und  in  den  Kirchen  von  S.  Domenico  und  S. 
Bernardino  in  Siena  betrachtet.  Uebrigens  hat  die  be- 
kannte Rötheizeichnung  in  der  Albertina  ausser  den 
für  den  Meister  sehr  charakteristischen  Merkmalen  in 
der  Technik  ^  dieselben  Mängel  in  der  Composition,  die 
wir  auch  in  dem  Wandgemälde  des  Sodoma  „die  Fa- 
milie des  Darius  vor  Alexander"  finden  und  über  dessen 
Erfindiuig,  bisjetzt  wenigstens,  soviel  ich  weiss,  die 
kritischsten  Kunstkritiker  keinerlei  Zweifel  haben  laut 
werden  lassen.  Zum  Frescobilde  der  „Hochzeit  Alexan- 
der's mit  Roxane"  sind  vier  Zeichnungen  des  Sodoma  uns 
erhalten  geblieben,  jiämlich: 

1)  Die  treffliche  „Rötheizeichnung"  in  der  Alber- 
tina in  Wien.2  (f) 


*  Man  beobachte  als  oharakteriatische  Merkmale  des  Sodoma 
z.  B.  am  rechten  Bein  der  Roxane  das  runde  volle  Knie  ge- 
rade wie  auf  den  zwei  Ledazeichnungen  in  Weimar  und  in  Chats- 
worth  (Braun  51  und  14H,  falschlich  dem  Lionardo  da  Vinci  su- 
gesohrieben);  die  zu  stark  acoentuirte  grosse  Zehe;  die  Form 
der  Hand  und  des  Ohres;  den  dem  Sodoma  eigenthümliohen 
Kindertypus;  die  dichte  Strichführung,  so  verschieden  von  der 
«uf  den  echten  Zeichnungen  Rafiiael's;  die  Behandlung  der 
Haare  u.  a.  m. 

*  Ueber  diese  Röthelzelchnung  bemerkt  Mariette:  ^^tTy  re- 
connais  tout  le  faire  de  Baphael;  Ut  expremons  en  tont  bien 


300  I^ie  Galerie  Borghese. 

2)  Ein  Entwurf  zu  dieser  Composition  in  der  Feder- 
skizze in  den  Uffizien  (Rahmen  495,  Nr.  1479). 

3)  Eine  Federzeichnung  zur  Roxane,  dieselbe  nackt 
und  stehend  darstellend,  in  der  Esterhazy- Sammlung 
in  Budapest  (f),  von  Herrn  von  Pulszky  als  Raffael- 
zeichnung  besprochen  in  seinem  Aufsatz  iiber  die  „Un- 
garische Reichsgalerie",  Seite  41 — 47. 

4)  Eine  Federskizze  zum  Ruhebett  der  Roxane  (f), 
in  der  Universitätssammlung  von  Oxford  (Robinson's 
Katalog,  Nr.  177,  S.  311). 

Die  Zeichnungen  1,  3  und  4  werden,  wie  gesagt, 
alle  drei  Rafiael  zugeschrieben,  die  Skizze  in  Florenz 
wurde  friiher  einem  Schüler  Rafiael's  gegeben,  in 
neuester  Zeit  jedoch  als  Zeichnung  des  Sodoma  erkannt, 
allein  unbegreiflicherweise  hat  man  dazu  bemerkt,  sie 
stelle  einen  Theil  des  Frescobildes  dar,  das  Sodoma  in 
der  Farnesina  nach  einer  Zeichnung  RaffaePs  aus- 
führte. Letzteres  ist  in  doppelter  Hinsicht  unwahr, 
denn  erstens  führte  Sodoma  sein  Wandgemälde  mit 
grossen  Modificationen  der  Albertina- Zeichnung  aus, 
und  zweitens  würde  diese  Federskizze  in  Florenz,  falls 
sie  Copie  wäre,  nicht  dem  Frescobild,  sondern  der 
Albertina-Zeichnung  entnommen  sein. 


plus  fines  (als  in  der  andern  Zeichnung,  die  er,  wie  wir  soeben 
gesehen,  dem  Parmeggianino  zuschrieb)  et  le  detail  en  est  ex- 
cellent.  Baphael  le  dut  faire  pour  lui  servir  d^etude  et  de  pre- 
paration  au  dessin  drappe."  Die  Rötheizeichnung  kam  nun, 
nachdem  sie  vorher  durch  mehrere  andere  Sammlungen  gewandert 
war,  endlich  in  die  Albertina  und  zwar,  wie  sich  dies  von  selbst 
versteht,  unter  dem  Namen  Raflfael's.  Passavant  (II,  441)  be. 
schreibt  sie  folgendermassen:  „Ce  dessin,  que  Buhens  avait  achete 
ä  Borne,  passa  depuis  daris  la  possession  du  Cardinal  BentivogliOy 
qui  en  fit  present  au  graveur  en  medailles  Melan.  Crozat  Veut  en- 
suite  au  sortir  de  la  colleciion  Vanrose,  et  le  duc  Albert  de  Saxe- 
Teschen  Vacquit  d'un  amateur.  11  2'^'*'^^  aussi  V estampille  du 
prince  Charles  de  Ligne.  Toutes  les  figures  sont  nues  et  de  la 
plus  delicate  execution  u  la  sanguine." 


„Die  Hochzeit  Alexander's  mit  Roxane."  301 

Mehrere  Jahre  nun  nach  dem  Tode  des  Urbiuaten 
mag  höchst  wahrscheinlich  der  Stecher  des  Blattes  der 
„Hochzeit  Alexanders  mit  Roxane"  (sei  es  Caraglio 
oder  Bonasone)  etwa  den  Perino  del  Vaga  angegangen 
haben,  ihm  als  Vorlage  zu  einem  Stiche  die  Zeichnung 
anzufertigen.  Zwei  solcher  Zeichnungen,  die  an  Perino's 
Technik  erinnern,  sind  nun  auf  uns  gekommen:  die  eine 
bessere  davon  befindet  sich  im  Louvre^  die  andere 
viel  geringere  in  der  Sammlung  von  Windsor.*  Ob 
und  wo  die  Originalzeichnung  Perino's  sicli  erhalten 
hat,  kann  ich  nicht  sagen.  Der  Stich  sowol  als  die 
zwei  Copien  der  Zeichnung  des  Perino,  die  als  Vor- 
lage dem  Stecher  diente,  reproduciren  die  Composition, 
wie  wir  dieselbe  auf  der  Rötheizeichnung  der  Al- 
bertina, nicht  aber  wie  wir  sie  auf  dem  Wandgemälde 
^ehen.  Perino  copirte  folglich  die  Rötheizeichnung  und 
nicht  das  Frescobild,  mit  nur  der  einen  Abänderung, 
dass  er  die  Hüften  der  Roxane  mit  einem  Tuch  be- 
deckte und  Alexander  mit  einem  Kleide  und  einem 
Helm 2  ausstattete,  und  überdies  einige  andere  unbe- 
deutende Modificationen  noch  in  seine  Copie  einführte. 
So  viel  scheint  mir  jedenfalls  in  dieser  Frage  ausser  allem 
Zweifel  zu  sein,  dass  nämlich  all  die  vier  oben  von 
mir  bezeichneten  Blätter,  die  zumWandgemälde 
des  Sodoma  in  Bezug  stehen,  diesem  Meister  und 
keinem  andern  angehören,  (f) 

Man  darf  wol  sagen,  dass  das  Studium  der  Hand- 
zeichnungen, wahrlich  noch  sehr  in  der  Wiege  liegt. 
Erst  in  neuern  Zeiten  haben  ernstere  Forscher  in  Deutsch- 

*  Auch  Passavant  ist  dieser  Ansicht  (II,  498):  „Les  noeu 
d'Altxtmdre  et  de  Roxane:  figure$  vHue$,  denin  a  la  plmme  et 
tehaiMse  de  blanc.  On  connait  plusieura  etquisses  de  cetie  bette 
compoaitionf  mais  dont  aucune  est  Voriginal**. 

*  Man  vergleiche  die  Form  dieses  Helmes  mit  dem  Helm 
des  änssersten  Kriegers  recht«  auf  Perino*!  Zeichnung  im  Loavre 
<Braun  71). 


302  I^iö  Galerie  Borghese. 

land,  England  und  Italien  vielfach  mit  Raffael  sich  be- 
schäftigt und  namentlich  die  Darstellung  seiner  Jugend- 
erziehung einer  kritischen  Revision  unterstellt.  Dadurch 
wurde  gar  manches  bisher  dem  Meister  zugemuthete 
Werk  ihm  genommen  und  andern  Meistern,  den  wahren. 
Urhebern,  zurückerstattet.  Die  Personalität  des  gött- 
lichen Urbinaten  ist  durch  solche  Läuterungen  uns  näher 
gebracht  worden  und  konnte  dabei  nur  gewinnen.  Es- 
ist  selbstverständlich,  dass  die  Resultate  solcher  kriti- 
schen Studien  im  Anfange  von  den  Orthodoxen  mit 
grossem  Unmuth  aufgenommen  wurden,  und  zur  Ver- 
theidigung  ihrer  fossilen  Vorurtheile  wurde  von  den- 
selben gar  manche  harmlose  Bombe  gegen  die  ketzeri- 
schen Neuerer  in  die  Luft  geworfen.  Ihre  Nothschüsse- 
verhallten  indessen  und  die  Göttin  der  Wahrheit  schritt 
auf  ihrem  Siegeswagen  sicher  und  unbehindert  vorwärts, 
unbekümmert  um  die  Zöpfe,  die  sie  unterwegs  mit  ihrer 
Fackel  in  Brand  gesetzt  hatte.  Das  Publikum  lachte 
laut  auf,  wie  dies  zu  gehen  pflegt,  zu  den  langen  Nasen> 
der  heisern  Kathederhelden  und  Galeriedirectoren  und 
begann  an  ihrer  „Berufenheit"  und  Unfehlbarkeit  zu 
zweifeln.  Inzwischen  haben  sich  jüngere  Kräfte  in  die 
Streitfragen  gemischt  und  es  ist  zu  hoffen,  dass  binnen 
kurzer  Zeit  all  diese  offenen  Fragen  allgemein  für  ge- 
schlossen gelten  werden. 

Zur  Aufmunterung,  vielleicht  auch  zur  Belehrung 
der  Anfänger  in  der  Kunstwissenschaft  will  ich  jene 
Zeichnungen  in  der  Uffizien-Sammlung,  die  nach  meiner 
Ueberzeugung  dem  Urbinaten  angehören,  neben  jenen, 
die  ihm,  wie  ich  glaube,  dort  mit  Unrecht  zugeschrie- 
ben werden,  hier  angeben: 

Die  Zeichnungen  RaffaePs  in  Florenz,  die  mir  als 
echt  erscheinen,  sind  die  folgenden: 

Nr.  496  Skizze. 
„     497  (Madonnenbild). 
„     505  (Madonna  del  Granduca). 


Die  Zeichnangen  Raffaers. 


3oa 


Nr.  529)  Der  heilige  Georg  zu  Pferd  im  Kampf  mit 
„     530J  dem  Drachen. 
„     539     Madonna  und  Kind   (zum   unvollendeten 

Bilde  in  Budapest). 
„  538  Beweinung  Christi  (Zeichnung  zum  Bor- 
ghese-Bild),  diese  Zeichnung  von  einer  an- 
dern Hand  ausgeführt,  wurde  von  Raffael 
selbst  jedoch  an  mehrern  Stellen  mit  der 
Feder  übergangen. 
„     541     Adam  (zur  Disputa). 

In  der  Mappe  befinden  sich,  als  Zeichnungen  der 
umbris chen  Schule  bezeichnet,  zwei  der  herrlichsten 
Zeichnungen  Raffaers  (schwarze  Kreide).  Die  eine  der- 
selben stellt  einen  Häscher  (im  bethlehemitischen  Kinder- 
mord), die  andere  den  heiligen  Stephan  (in  der  Dis- 
puta) dar. 

In  allem  also  zehn  Zeichnungen. 

Jene,  die  nach  meiner  üeberzeugung  dort  mit  Un- 
recht Raffael  zugetheilt  werden,  sind  folgende: 
Nr.  531. 

"     FilOi  ^^""^^  ^®^  Vaga. 

„     514    Giulio  Romano. 
Perino  del  Vaga. 


525 

521 

545 

544 

543 

534 

535  j 

143 

54 
540| 
515( 


Giulio  Romano. 


Der  Reiterzug  des  Aeneas  Sylvias,  Pinto- 

ricchio. 

Timoteo  Viti. 


Copie  nach  Raffitel. 


304  I^ie  Galerie  Borghese. 


Nr. 

516   von  einem  florentiner  Meister. 

9? 

424  Copie. 
498  Fälschung. 

9? 
11 

-^^1  Nachahmungen. 
501    Fälschung. 

15 

504    Schule  des  Perugino. 

Zehntes,  elftes  und  zwölftes  Zimmer. 

DIE  YENETIANEE. 

In  den  Sälen  X  und  XI  sind  die  Repräsentanten 
<der  venetianischen  Schule  versammelt.  Da  ich  mir  vor- 
genommen habe,  bei  der  Musterung  der  Doria-Galerie 
denselben  eine  eingehendere  Besprechung  zu  widmen, 
so  begnüge  ich  mich  hier,  nur  bei  jenen  Bildern  länger 
zu  verweilen,  über  deren  Authenticität  meine  eigenen 
Anschauungen  mit  der  Bestimmung  des  Katalogs  nicht 
iibereinstimmen. 

Im  zehnten  Saal  ist  unter  Nr.  1  ein  männliches  Por- 
trät als  Arbeit  des  Giovanbattista  Moroni  von  Al- 
bino bezeichnet.  Der  bergamaskische  Schüler  des  sil- 
berfarbigen Moretto  von  Brescia  war  jedoch  ein  ganz 
anderer  Mann,  als  der  Autor  dieses  ziemlich  langweiligen 
Bildnisses  gewesen  zu  sein  scheint;  auch  gehört  das 
Bild  nicht  einmal  der  venetianischen  Schule  an. 

Gehen  wir  daher  schnell  zu  dem  ganz  vorzüglichen 
daneben  hängenden  Gemälde  Tizian's  über.  Es  trägt 
die  Nr.  2,  ist  auf  Leinwand  gemalt,  misst  ungefähr 
4  Fuss  in  der  Höhe  und  6  Fuss  in  der  Breite  und  hat 
leider  an  vielen  Stellen  durch  Retouchen  gelitten.  Dieses 
Bild  stellt,  wie  der  Katalog  besagt,  die  drei  Grazien  (?) 


Die  Venetianer.  305 

vor  und  ist  schon  von  Ridolfi  als  im  Hause  Borghese 
befindlich  angeführt.  Es  ist  ein  gar  herrliches,  farben- 
reiches Bild  und  gehört  wol  der  reifsten  Zeit  des  Künst- 
lers an.  Modificirte  Copien  dieses  Gemäldes  sind  mir 
mehrere  vorgekommen,  eine  sehr  schöne  unter  andern 
im  Palast  Balbi  in  Genua. 

Unter  Nr.  2  folgt  ein  Bildchen,  das  die  heilige  Ca- 
cilie  und  ihren  Gatten  Valerianus  darstellt.  Anstatt 
des  Paolo  Veronese,  dem  es  der  Katalog  zumuthet, 
dürfte  dasselbe  vielmehr  dem  Domenico  Feti  (f)  an- 
gehören. So  wie  hier  den  Paolo,  so  hat  Feti,  im  zweiten 
Saal  der  Galerie  Sciarra-Colonna,  den  Schidone  nach- 
zuahmen getrachtet. 

Mit  Nr.  9  ist  ein  ganz  vorzügliches,  fesselndes  Porträt 
bezeichnet,  Kniestück,  lebensgross,  auf  Leinwand.  Die 
dargestellte  Persönlichkeit  hat  zwar  kein  einnehmendes 
Aeussere,  jader  Ausdruck  des  Gesichts  ist  geradezu  alltäg- 
lich, trotzdem  hat  es  jedoch  der  Künstler  verstiinden,  den 
Blick  des  Vorübergehenden  auf  diesen  schwarzen  Mann 
festzubannen.  Der  noch  junge  Cavalier  ist  imTrauerkleid. 
Sein  feuriges  Auge,  durch  Schwermuth  getrübt,  scheint 
dem  Verluste  einer  geliebten  Person  nachzusinnen.  Er 
hält  die  linke  Hand  auf  einen  Tisch  gestützt,  auf  wel- 
chem unter  Rosen-  und  Jasminblättern  ein  elfenbeiner- 
nes Todtenköpfchen  liegt.  In  voller  Unschuld  und  Liebe 
hat  sie  also  der  Tod  erreicht!  Auf  dem  reizenden  land- 
schaftlichen Hintergrund  sieht  man  den  heiligen  Georg 
zu  Pferde,  im  Begriff  den  Drachen  zu  erlegen.  Im  Ka- 
talog wird  dieses  Bildniss  als  Werk  des  Giovan  An- 
tonio da  Pordenono  bezeichnet*,  allein  schon  der  ver- 
storbene O.  Mündler'  schrieb  dieses  schöne  Porträt 
seinem  wahren  Urheber,  d.  h.  dem  Lorenzo  Lotto 


*  Wurde  neuerdings  vom  neuen  Director  dem  L.  Lotto  rich- 
tig zugeschrieben. 

*  Beiträge  sn  J.  Burokhardt's  „Cioerone**i  S.  58. 
Lbrmoubtf.  20 


306  I^ie  Galerie  Borghese. 

zu.  Und  in  der  That  genügt  es,  wenn  man  auch  nur 
die  Art  und  Weise  wie  die  Hände  geformt  und  eremalt 
sind,  sich  näher  betrachtet,  sowie  die  dem  Lotto  ganz 
eigene  Bewegung  und  Stellung  des  Kopfes,  das  wun- 
derbare Lichtspiel  auf  dem  schwarzen  Gewände  und 
überdem  die  Landschaft,  um  keinen  Augenblick  anzu- 
stehen, nicht  nur  die  Hand,  sondern  auch  „/a  tournure 
de  Pesprif-'  dieses  geistvollen  und  originellen  Lands- 
mannes und  Zeitgenossen  des  Giorgione  in  dem  Bilde 
zu  erkennen.  Von  demselben  Meister  befindet  sich  in 
dieser  Sammlung  Borghese  noch  ein  anderes  Werk,  und 
zwar  ein  gar  köstliches  aus  seiner  Frühzeit;  es  hängt 
im  elften  Saal,  ist  mit  Nr.  1  bezeichnet  und  trägt  die  Auf- 
schrift: LAVKEN  .  LOTVS  •  M  •  D  •  VIII.  Es  stellt 
die  Madonna  dar,  die,  etwas  griesgrämig  gestimmt, 
das  Christkind  auf  dem  Arme  hält;  rechts  steht  ein  hei- 
liger Bischof,  an  der  linken  Seite  der  heiligen  Jung- 
frau der  alte  ehrsame  Onuphrius.  Das  Kind  ist  mit 
einem  Hemdchen  bedeckt,  ein  Umstand  der  darauf  deutet, 
dass  dieses  Madonnenbildchen  für  irgendein  Nonnen- 
kloster, sei  es  Roms,  sei  es  der  Marca  d'Ancona,  wo 
in  jener  Zeit  Lotto  längere  Zeit  sich  aufhielt,  gemalt 
wurde.  Das  Kleid  der  etwas  ältlichen  und,  wie  schon  be- 
merkt, übelgelaunten  Madonna  ist  scharlachroth,  in  einer 
Farbe,  die  bei  keinem  seiner  Zeitgenossen,  wie  Gior- 
gione, Tizian,  Palma  u.  s.  w.  vorkommt,  wol  aber  bei 
etwas  altern  venetianischen  Malern,  wie  Boccaccio  Boc- 
caccino,  Marco  Marziale,  Lattanzio  da  Rimini,  Rondi- 
nelli  und  andern  mehr.  Ueberhaupt  ist  der  Farben- 
accord  auch  in  diesem  Bilde  des  Lotto  ganz  originell 
und  ihm  eigenthümlich,  die  Bewegung  des  Christkindes 
ist  sehr  naiv;  in  spätem  Werken  hat  Lotto  oft  diese 
kindliche  Unruhe  und  Hast  ein  wenig  übertrieben  und 
dieselbe  erscheint  denn  auch  manchmal  etwas  affectirt. 
Der  Kopf  und  die  Schultern  der  Madonna  sind  mit 
einem  graugelblichen  Tuche  (der  Lieblingsfarbe  Tizian's 


t 


Die  Venetianer.  307 

in  seiner  Fruhzeit  und  hier  und  da  auch  des  Palma 
vecchio)  bedeckt.  Sie  schaut  links  hin  auf  den  alten 
OnuphriusS  während  das  Kind  beide  Händchen  aus- 
streckt nach  dem  Herzen,  das  ihm  mit  andächtiger,  wie- 
wol  etwas  pfaffisch-mürrischer  Miene  und  Geberde  der 
beilige  Bischof  darreicht.  Das  Gefälle  ist  hier  noch 
ziemlich  eckig  und  hart,  allein  man  bemerkt  schon  in 
diesem  Jugendwerk  des  liebenswürdigen  Meisters  die 
Tendenz  zum  Bauschigen,  die  in  seinen  spätem  Bildern 
für  ihn  charakteristisch  wird.  Die  rechte  Hand  der 
^laria  ist  noch  ganz  Bellinisch  geformt,  die  Lichter  sind 
scharf  und  kalt,  das  Colorit  strahlend,  die  Zeichnung 
höchst  sorgfältig,  die  Ausführung  fein  und  liebevoll. 
Der  Ausdruck  der  zwei  Heiligen  ist  wahr  und  warm, 
und  dieselben  sind  ganz  bei  der  Sache,  unbekümmert 
um  das,  was  etwa  die  Zuschauer  dazu  sagen  möchten. 
Der  verstorbene  geistreiche  Professor  M.  Thausing  be- 
merkt in  seiner  Biographie  Dürers  von  diesem  Bilde 
ganz  richtig,  dass  der  heilige  Onuphrius  durchaus  an 
Dürer  erinnert  und  es  ist,  wie  gesagt,  wol  möglich, 
dass  L.  Lotto  im  Jahre  1506  den  grossen  Nürnberger 
in  Venedig  persönlich  gekannt  und  die  dort  von  dem- 
selben gemalten  Bilder  genauer  studirt  hat.  Werke 
aus  der  nämlichen  Kunstperiode  des  Lotto  enthalten 
die  Galerien  von  Neapel  und  München,  die  Pfarrkirche 
von  Asolo,  die  Dominikanerkirche  von  Recanati  und 
die  an  vorzüglichen  Bildern  reiche  Sammlung  von  Lord 
Ellesmere  in  London.  Wer  jedoch  diesen  nicht  nach 
seinem  vollen  Werth  gewürdigten,  höchst  phantasie- 
reichen und  feinen  Künstler  näher  zu  kennen  wünscht, 
der  muss  ihn  in  Venedig  und  im  Bergamaskischen  auf- 
suchen.    Das  kleine  Madonnenbild,   das  die  UfBzien- 


*  Der  Kopf  dieses  Heiligen  erinnert  an  Darer*sohe  Köpfe, 
und  es  ist  wol  möglich,  dass  beiden  Malern  derselbe  venetiani- 
sehe  Alte  als  Modell  gedient  hat. 


308  I^ie  Galerie  Borghese. 

Galerie  von  ihm  besitzt,  spricht  nicht  zum  Vortheil  des 
Meisters;  dagegen  finden  wir  in  der  Brera  in  Mailand 
drei  ganz  vorzügliche  Porträts  von  L.  Lotto. 

Im  nämlichen  elften  Saal  hängt  unter  Nr.  19  ein 
grösseres  Bild,  das  sehr  an  unsern  Lotto  erinnert,  und 
das  mir  nichts  anders  als  eine  gleichzeitige  gute  Copie 
nach  einem  jetzt  verschollenen  Werk  des  Meisters  zu 
sein  scheint.  Der  Katalog  wies  es  früher  schlechtweg 
der  venetianischen  Schule  zu;  neuerdings  wurde  es,  nicht 
eben  sehr  glücklich,  auf  Previtali  getauft.  Die  Ma- 
donna sitzt  unter  einem  Orangenbaum  auf  einem  stei- 
nernen Thron,  dessen  Basis,  nach  Art  des  Correggio, 
mit  zwei  in  Grau  gemalten  Reliefs  verziert  ist.  Maria 
hält  das  nackte  Kind  auf  ihren  Knien,  auf  den  Seiten 
des  Throns  stehen  die  Heiligen  Justina  und  Barbara, 
die  erstere  eine  kniende  Matrone,  die  andere  einen  knien- 
den Herrn  dem  göttlichen  Kinde  empfehlend;  Hinter- 
grund Landschaft.  Ein  Aveisses  Tuch  fällt,  nach  Art 
des  Giambellino,  vom  Haupte  der  Madonna  auf  ihre 
Schultern  herab,  der  Mantel  ist  von  himmelblauer  Farbe, 
die  Innenseite  gelb,  das  Kleid  malvenroth,  was  sehr  an 
Catena  erinnert.  Maria  segnet  mit  der  Linken,  ihre 
Rechte  hält  das  ganz  in  Correggio's  Sinne  bewegte  Kind 
fest.  Die  Landschaft  ist  durch  ein  Schloss  und  durch 
eine  Mühle  belebt  und  gleicht  der  Landschaft  auf  dem 
Bilde  Lotto's  vom  Jahre  1506  in  Asolo.  Auf  dem 
Boden  zwischen  den  andächtigen  Donatoren  liegen 
Rosenblätter,  ganz  in  der  Art  Lotto's,  neben  einer  vom 
Baume  gefallenen  Apfelsine.  Das  meisterhaft  gezeich- 
nete Porträt  der  andächtigen  Dame  ist  mit  sehr  viel 
Geist  gemalt.  Das  Original  dieses  schönen  Bildes 
muss  meiner  Ansicht  nach,  wie  gesagt,  dem  Lotto  an- 
gehört haben;  wer  jedoch  der  Autor  dieser  trefflichen 
Reproduction  gewesen  sein  mag,  bin  ich  nicht  im  Stande 
mit  Bestimmtheit  zu  sagen,  „a  genuine  Car'iani'''  je- 
doch, wie  die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (II,  553, 


Die  Venetianer.  309 

Anm.  1)  meinen,  scheint  mir  das  Bild  auf  keinen  Fall 
zu  sein. 

Kehren  wir  jedoch  nach  dieser  Abschweifung  wie- 
der zurück  in  den  zehnten  SjuiI,  wo  wir,  unter  Nr.  14, 
auf  einer  ziemlich  grossen  Leinwand  die  Predigt  Jo- 
hannes des  Täufers  in  der  Wüste  dargestellt  sehen.  Die 
Predigt  lässt  uns  kalt,  obwol  die  Malerei  von  einem 
sehr  tüchtigen,  veronesischen  Frescomaler  herrührt,  näm- 
lich von  Battista  Zelotti,  dem  Landsmann  und  Mit- 
arbeiter des  Paolo  Veronese,  dem  im  Katalog  dieses 
Bild  zugeschrieben  wird.*  (f)  In  der  Nahe,  unter  Nr.  16, 
ist  ein  heiliger  Dominicus,  gemalt  vom  alten  Tizian, 
aufgestellt.  „F^ce",  sagt  Ridolfi,  „i7  ritratto  del  8U0 
confessore,  deW  ordine  dei  Predicatori;  era  tra  le  cose 
del  Gamberato^'  (d.  h.  das  Bild  war  im  Besitze  des 
Gamberato). 

Mit  Nr.  19  bezeichnet  hängt  ein  anderes  gutes 
Porträt  daneben,  es  stellt  einen  Alten  mit  weissem  Bart 
und  schwarzem  Barett  auf  dem  Kopfe  dar.  Der  gute 
Mann  ist  in  der  angenehmen  Beschäftigung  begriffen, 
Geld  zu  zählen.  Der  Katalog  schreibt  das  Bild  dem 
Giacomo  da  Ponte  zu;  nach  meiner  Ansicht  dürfte 
es  aber  vielleicht  eher  ein  vorzügliches  Werk  seines 
Sohnes  Francesco  Bassano  sein,  (f) 

Unweit  dieses  Geizhalses  hängt  unter  Nr.  20  „Venus 

'  Es  geschieht  gar  oft,  dass  die  Werke  des  Zelotti  mit  denen 
des  Paolo  Veronese  von  den  Dilettanten  verwechselt  werden,  so 
unter  vielen  andern  selbst  in  seiner  Vaterstadt  Verona,  wo  ein 
allegorisches  Wandgemälde  auf  die  Mosik  (Nr.  277,  V.  Saal)  des 
Zelotti  dem  Paolo  Caliari  cageschrieben  wird;  ebenso  in  der 
Uffizien-Oalerie  „die  Verkündigung**  (Nr.  578),  ungefähr  um  die 
Zeit  entstanden  wie  dieser  predigende  Johannes  in  der  Wüste 
der  Borghese- Galerie.  Ueber  diesen  interessanten  Maler  aus 
Verona,  sowie  über  die  fi^anse  veronesitche  Sohule  wird  jedoch 
Herr  Dr.  J.  P.  Richter,  als  der  weitaus  oompetenteste  Kenner 
der  veronesischen  Kunstschule,  hoffentlich  uns  alle  recht  bald 
eines  Bessern  belehren,  (f) 


310  Die  Galerie  Borghese. 

mit  Amor",  ein  schwaches  Bild,  das  der  Katalog  mit 
grossem  Unrecht  dem  Paolo  Veronese  selbst  zuschreibt; 
es  ist,  wie  ich  glaube,  nichts  anderes  als  eine  Copie 
nach  Paolo.  Und  nun  kommen  wir  endlich  zu  Nr.  21, 
einem  Hauptbilde  dieser  ganzen  Sammlung,  ein  Bild,  das 
wol  zu  den  berühmtesten  Bildern  der  Welt  gezählt 
werden  darf.  Dieses  Wunderwerk  Tizian's  ist  unter 
dem  Titel  „die  himmlische  und  die  irdische  Liebe"  all- 
gemein bekannt,  wurde  von  ihm,  wie  ich  glaube,  etwa 
um  1510 — 12  gemalt  und  ist  ganz  und  gar  noch  im 
Giorgionischen  Geist  gedacht.  Ein  kostbares  allegori- 
sches Novellenbild  mit  dem  poetischsten  landschaftlichen 
Hintergrund,  den  man  sich  nur  träumen  kann.  Man 
halte  dagegen  die  berühmten  Landschaften  der  gleich- 
zeitigen Niederländer,  etwa  die  des  Civetta,  des  Mabuse, 
des  Patenir,  welchen  letztern  Dürer  den  „guten"  Land- 
schaftsmaler nennt  (siehe  Dürer's  „Tagebuch  der  Reise 
nTdie  Niederlande",  S.  118),  und  sehe  dann  zu,  was  für 
ein  ganz  anderer  Mann,  auch  in  diesem  Fache,  der  Ita- 
liener war.  Derselben  goldenen  Zeit  des  Meisters  dürfte 
wol  auch  das  Bild  angehören  mit  den  sogenannten  drei 
Lebensaltern  des  Menschen,  von  dem  sowol  in  dieser, 
wie  in  der  Doria- Galerie  Copien  sich  befinden.  Die 
rechte  Seite  des  Antlitzes  des  die  irdische  Liebe  dar- 
stellenden Weibes  wurde  leider  ungeschickt  restaurirt.^ 
Im  ganzen  jedoch  ist  dieses  köstliche,  „traumhaft  schöne" 
Bild  leidlich  erhalten.  Die  dicht  gedrängten  Längs- 
falten auf  den  Gewändern  erinnern  unwillkürlich  an  das 
ganz  ähnliche  Gefälte  auf  dem  Mantel  der  Salome  in 
einem  zweiten  nicht  minder  herrlichen  Bild  aus  der  Früh- 
zeit Tizian's  in  der  Doria-Galerie,  früher  dort  dem  Gior- 


*  Auch  bei  diesem  Bilde  Tizian's  sei  mir  erlaubt,  meine  jungen 
Freunde  auf  den  zu  stark  accentuirten  Daumenballen  der  rechten 
Hand  des  die  „reine  Liebe"  vorstellenden  Weibes  als  charak- 
teristisch für  den  Meister  aufmerksam  zu  machen. 


Die  Venetianer.  311 

gione  zugemuthet,  jetzt  aber  als  „Herodias"  des  Por- 
denone  verzeichnet  und  allgemein  unter  diesem  Namen 
auch  bekannt.*  Auch  die  Haare  sind  auf  diesem  Tizian'- 
schen  Gemälde  hier  geradeso  behandelt  wie  dort.  Merk- 
wiirdig,  dass  Vasari  dieses  Prachtbild  mit  keiner  Silbe 
erwähnt! 

Ridolfi  (1650),  der  das  Bild  nur  vom  Hörensagen 
kannte,  bemerkt  blos:  „Im  Hause  des  Fürsten  Borghese 
befinden  sich,  von  Tizian  gemalt,  zwei  Weiber  an  einem 
Brunnen,  in  dem  sich  ein  Kind  spiegelt". 

Unter  Nr.  36  hängt  in  der  Nähe  des  Fensters  ein 
Bildchen,  das  die  Maria  mit  dem  Christkinde  darstellt 
und  das  auf  einem  Cartellino   folgende  Aufschrift  hat: 

^^  Joannes  hellinua  faciebat}^ 
Diese  Aufschrift  hat  nicht  den  Charakter  der  echten 
Namensbezeichnungen  des  Giambellino.^  Das  unbedeu- 
tende Bildchen  kann  nur  von  einem  Schüler  und  Nach- 
ahmer des  Giambellino  herstammen.  Francesco  Bis- 
solo ist  unter  allen  Schülern  und  Nachahmern  des 
grossen  Meisters  derjenige,  dem  ich  am  ehesten  diese 
kleine  Madonna  zuschreiben  möchte,  (f)  Die  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle  (I,  193)  halten  jedoch  auch 
dieses  Bild  für  ein  Werk  des  Giambellino.' 


*  In  der  BestimmuDg  dieses  letztem  Bildes  gibt  Direotor 
Bode  (II,  758),  zu  meiner  Verwunderung,  mir  recht  und  seinen 
Gewährsmännern  Crowe  und  Cavalcaselle  unrecht. 

*  Dergleichen  falsche  Cartellini  und  Namensbezeichnungen 
des  Giambellino  auf  Bildern  seiner  Schüler  und  Nachahmer  gibt 
es  mehrere,  so  z.  B.  auf  einem  Madonnenbilde  in  der  städtischen 
Galerie  von  Padua,  Nr.  755,  auf  einer  sogenannten  Pieta  oder 
Beweinung  Christi  in  jener  von  Bergamo  (Abtheüung  Loohis); 
in  der  Sammlung  Poldi-Pezzoli  in  Mailand  und  anderwärts  noch. 
Auch  Director  Bode  sieht,  seinen  Führern  Crowe  und  Cavalca- 
selle folgend,  alle  diese  sohwaohen  Prodaotioncn  für  Werke  des 
grossen  Bellini  an  (II,  684). 

*  Das  Originalbild  des  Giambellino  wurde  auch  von  Roooo 
Marconi,    allein    in  grossem  Verhältnissen  als   hier  von  Bis- 


312  I^ie  Galerie  Borghese. 

Die  mit  Nr.  30  bezeichnete  „Dreifaltigkeit"  ist  ein 
gutes,  farbenreiches,  durch  die  Namensbezeichnung  des 
Meisters  bejjlaubijjtes  Werk  des  Francesco  Bassano. 
Die  sogenannte  Geburt  eines  fürstlichen  Kindes  (Nr.  35) 
gehört  nicht  in  die  venetianische  Schule,  der  es  der  Ka- 
talog einreiht,  sondern  ist  nichts  anders  als  die  Copie 
eines  im  Pitti-Palast  befindlichen  Bildes  des  Scarsel- 
lino  (394)  von  Ferrara.  Es  ist  wol  kaum  nöthig  zu 
bemerken,  dass  die  Bilder  unter  den  Nrn.  4,  6,  23,  28,  33 
und  38  falsche  Bezeichnungen  erhielten;  das  sind  lauter 
Findelkinder. 

Im  elften  Saale  begegnet  unser  Auge  unter  Nr.  2 
dem  heiligen  Antonius  von  Padua,  wie  er  den  stummen 
Fischen  die  Predigt  hält,  welche  die  Menschen  von 
Rimini  nicht  anhören  wollten.  Dieses  Bild  wird  dem 
Paolo  Veronese  selbst  zugeschrieben,  dürfte  jedoch  eher 
Arbeit  der  Schule  sein.  Unter  Nr.  5  sieht  man  die  rö- 
mische Lucrezia  dargestellt.  Das  stark  gebaute,  volle 
Mädchen  hat  seine  blonden  Haare  aufgelöst  und  ist 
eben  im  Begriffe,  sich  die  Brust  zu  durchbohren.  Ihr 
Ausdruck  ist  gar  zu  sehr  gelassen,  ja  indifferent  für 
einen  so  tragischen  Augenblick.  Das  Weib  scheint  nach 
dem  Leben  gemalt  zu  sein.  Der  Katalog  schreibt  es 
mit  Recht  der  Schule  Tizian's  zu.^  Diese  Lucrezia 
gehört,  nach  meiner  Ueberzeugung,  unstreitig  dem 
Palma  vecchio  an  (f),  und  zwar  jener  Epoche  des 
Meisters,  in  der  er  sich  eng  an  Lorenzo  Lotto  ange- 
schlossen hatte  (1510—14). 


solo  copirt.  Der  ehrlichere  Marconi  bezeichnete  jedoch  seine 
Copie  mit  dem  eigenen  Namen.  Das  Bild  des  Rocco  Marconi 
befand  sich  noch  im  Jahre  1888  im  Besitze  des  bekannten  Anti- 
quars Comm.  M.  Guggenheim  in  Venedig.  Auch  Giulio  Cam- 
pagnola  aus  Padua  scheint  gar  manches  Bild  des  Giambellino 
copirt  zu  haben  (siehe  „Archivio  storico  dell'  arte",  Fase.  V,  184). 
^  Wurde  neuerdings  als  Werk  des  Palma  vecchio  in  den 
Katalog  eingetragen. 


Die  Venetianer.  313 

In  der  üffizien- Galerie  befindet  sich  vom  Palma 
vecchio  eine  zweite  Lucrezia,  die  aber  einer  viel  spä- 
tem Zeit  des  Malers  angehört  und  auch  wol  nichts  an- 
ders als  das  Porträt  irgendeines  dicken,  fetten  und  ge- 
rade nicht  schönen  venetianischen  Weibes  ist,  das  ihm 
auch  zu  andern  Bildern  Modell  gestanden.  Ueberhaupt 
war  die  Darstellung  solch  stürmischer  Seelenzustände 
nicht  eben  die  Sache  des  trefflichen  Bergamasken.  Trotz- 
dem hat  er  dreimal  diesen  Gegenstand  behandelt,  jedes- 
mal jedoch  ohne  besonderes  Glück.  Ausser  den  eben 
genannten  beiden  Gemälden  findet  sich  auch  in  der 
Galerie  des  Belvedere  in  Wien  eine  Darstellung  der  rö- 
mischen Heldin  von  seiner  Hand. 

Das  mit  Nr.  11  bezeichnete  schwache  Bild  mit  Venus, 
Amor  und  einem  Satyr  (Schule  Tizian's)  scheint  mir 
nichts  anders  als  eine  schlechte  Copie  nach  Paris  Bor- 
don e  zu  sein.  Die  Nrn.  15,  16  und  18  bezeichnen  drei 
grosse  Gemälde,  die  im  Katalog  ein  und  demselben 
Maler,  nämlich  dem  Bonifa zio  Veneziano  beigelegt 
werden.  Das  erstere,  Nr.  15,  führt  uns  die  Mutter  der 
Zebedäer  vor,  wie  sie  ihre  Söhne  Christo  empfiehlt. 
Dieses  farbenreiche,  obwol  schmutzige  Gemälde  scheint 
mir  dem  altern  Bonifazio  Veronese  anzugehören. 

Auf  dem  Bilde  Nr.  16  sehen  wir  die  „Heimkehr 
des  verlorenen  Sohnes"  dargestellt;  dieses  Werk  würde 
ich  dem  Bonifazio  Veronese  jun.  zuweisen.  Die  „Ehe- 
brecherin" (Nr.  18)  aber  erscheint  mir  als  ein  schwaches 
Atelierwerk;  vielleicht  ist  es  auch  nur  eine  ältere  Copie. 
Schon  der  verstorbene  O.  Mündler  machte  in  seinem 
oben  angeführten  kritischen  Büchlein  („Beiträge  zu  J. 
Burckhardt's  Cicerone",  S.  62)  darauf  aufmerksam,  dass 
es  in  Venedig  eine  Malerfamilie  Namens  Bonifazio  gab, 
welche  fast  durch  das  ganze  16.  Jahrhundert  wirkte.  Diese 
Entdeckung  verdanken  wir  jedoch  nicht  ihm,  sondern 
zwei  italienischen  Forschem.  Der  Venetianer  Moschini 
bemerkte  nämlich   schon   in   seiner  1815   erschienenen 


314  I^ie  Galerie  Borghese. 

y^Guida  di  Venezia^''^  dass  es  zwei  Maler  Namens  Boni- 
fazio  gegeben  haben  müsse,  und  der  vor  mehrern  Jahren 
verstorbene  Doctor  Cesare  Bernasconi  aus  Verona 
wies  in  seiner  löblichen  „Geschichte  der  veronesischen 
Malerschule"  durch  Documente  nach,  dass  wenigstens 
drei  Maler  Bonifazio  existirt  haben,  wovon  der  älteste 
aus  Verona  gebürtig,  sich  jedoch  schon  in  seiner  Jugend, 
wie  es  scheint,  in  Venedig  niedergelassen  hatte,  woselbst 
er  im  Jahre  1540  verstarb.  Der  zweite,  jüngere  Boni- 
fazio, ein  Verwandter,  vielleicht  Bruder  des  altern,  jeden- 
falls dessen  Schüler  und  Nachahmer,  verschied  im  Jahre 
1553,  während  ein  dritter  Bonifazio  noch  im  Jahre  1579 
malte.  Diese  zwei  letztern  Bonifazio  hielten  sich  strencr 
an  die  Mal-  und  Compositionsweise  des  erstem,  so- 
dass man,  ohne  das  Auge  geübt  zu  haben,  sehr  leicht, 
wie  dies  ja  auch  bei  den  drei  oder  vier  Bassano  ge- 
schieht, die  Werke  des  einen  Bonifazio  mit  denen  des 
andern  verwechselt;  was  übrigens  kein  grosser  Schaden 
ist.  Der  zweite  oder  der  dritte  dieser  Bonifazio  mag 
nun  in  Venedig  das  Licht  der  Welt  erblickt  haben,  und 
es  wäre  somit  die  Existenz  eines  Bonifazio  Veneziano 
ebenso  berechtigt,  als  es  die  eines  Bonifazio  V er onese 
ist,  von  welchem  letztern  schon  der  „Anonimo"  des 
Morelli  spricht.  Es  ist  hier  noch  zu  bemerken,  dass 
der  jüngste  dieser  drei  Bonifazio  in  seinen  spätem  Wer- 
ken sich  auch  als  Nachahmer  des  damals  allmächtigen 
Tizian  erweist,  während  der  erste  oder  grosse  Bonifazio 
unstreitig  als  Schüler  und  Nachahmer  des  Palma  vecchio 
zu  betrachten  ist.  Ich  werde  bei  einer  andern  Gelegen- 
heit länger  bei  dieser  Malerfamilie  verweilen.  Betrach- 
ten wir  für  jetzt  nur  noch  das  mit  Nr.  32  bezeichnete 
Bild.  Dasselbe  stellt  die  Madonna  mit  dem  nackten 
Kinde  dar,  welches  einer  andächtigen  Frau  den  Segen 
ertheilt;  auf  den  Seiten  der  heilige  Antonius,  dessen 
Ausdruck  wahr  und  seelenvoll  ist,  und  der  heilige  Hie- 
ronymus,  in  der  Art  Lotto's  beleuchtet.   Die  Maria  aber 


Die  Venetianer.  315 

sieht  ganz  wie  ein  bergamaskisches  Bauermädchen  aus. 
Die  Zeichnung  ist  noch  ziemlich  gebunden,  der  Falten- 
wurf hart  und  etwas  unbeholfen.  Es  ist  dies  wol  ein  Werk 
des  Palma  vecchio  aus  seiner  Mittelzeit  (1514 — 18)  S 
einige  Jahre  früher  entstanden  als  das  vorzügliche  Bild 
des  Palma  im  Pahist  Colonna  agli  Apostoli. 

Die  heilige  Familie,  Nr.  30,  gehört  nicht,  wie  der 
Katalog  angibt,  der  venetianischen  Schule  an,  sondern 
ist  wahrscheinlich  die  Arbeit  des  Ramenghi,  Bagna- 
cavallo  genannt.  Von  einem  andern  Bergamasken  und 
sogenannten  Schüler  des  Giorgione  rührt  das  Madonnen- 
bild unter  Nr.  31  her,  welches  vom  Katalog  dem  Gio- 
vanni Bellini  zugeschrieben  wird.^  Es  stellt  dar  in 
Halbfiguren:  rechts  die  Madonna,  in  der  Mitte  das  auf 
einem  Gesimse  stehende  nackte  Christkind,  welches  dem 
heiligen  Petrus  nach  links  den  Segen  ertheilt.  Ein 
grauer  Vorhang  bildet  den  Hintergrund.  Die  Zeich- 
nung ist  schwach,  die  Charaktere  sind  trivial  und  bäue- 
risch, das  Kind  plump  und  ohne  alle  Aumuth  in  der  Be- 
wegung, die  Wolken  baumwollenartig.  Das  Colorit 
dagegen  ist  fein  und  glühend.  Wie  schon  Mündler 
(Beiträge  zu  Burckhardt's  Cicerone,  S.  64)  richtig  be- 
merkte, gehört  dieses  Gemälde  dem  Bergamasken  Gio- 
vanni Cariani  oder  besser  Giovanni  de'  Busi,  Cariani 
genannt,  an,  welcher  nach  meiner  Ueberzeugung  Schü- 
ler seines  Landsmannes  Palma  vecchio  und  Nachahmer 
des  Giorgione  war.  Derselbe  muss  zwischen  1480  und 
1490  geboren  sein,  und  zwar  in  Fuipiano,  in  der  Valle 
Brembana,  bei  Bergamo.  Im  Jahre  1541  war  er  noch 
am  Leben.     Wer  diesen   trtft'liilicn  Coloristcn   kennen 


*  Diese  Madonna  des  Palma  vecchio  erinnert  an  jene  nut 
dem  bekannten  Bilde  beim  Herzog  d'  Aumale,  mit  dem  gef&ltoh- 
ten  Cartellino  and  der  ebenfalls  gefälschten  Jahrestahl  1500: 
einem  Bilde ,  das,  wie  bekannt,  dnreh  seine  falsche  Aufschrift 
eine  grosse  Yerwiming  in  die  Knnstgesohiohte  einzuführen  drohte. 

'  Neuerdings  richtig  als  Cariani  bezeichnet. 


316  ^^^  Galerie  Borghese. 

zu  lernen  wünscht,  muss  Bergamo  besuchen,  wo  sowol 
in  der  städtischen  Gemäldesammhmg  wie  auch  in  Privat- 
häusern gar  manches  gute  Bild  von  ihm  zu  sehen  ist.^ 
Unter  Nr.  33  sehen  wir  ein  grosses  Familienbild, 
auf  dem  die  Porträts  einer  zahlreichen  Künstlerfamilie, 
wol  die  des  Bernardino  Licinio  selbst,  dargestellt 
sind.  In  der  Mitte  die  fette,  blonde  Mutter  in  einem 
weisslichen  Kleide  mit  ziegelrothen  Aermeln;  sie 
hält  auf  ihrem  linken  Arm  den  jüngsten  Sprössling, 
noch  ein  Wickelkind,  auf  ihrem  rechten  das  zweitjüngste 
Kind;  die  andern  fünf  Knaben,  von  denen  der  eine  ein 
Bildhauer  zu  werden  verspricht,  sind  alle  gleich  als  wie 
Küchlein  um  die  Henne  versammelt;  im  Hintergrund 
steht  der  Vater,  es  ist  der  Maler  des  Bildes.  Bernar- 
dino Licinio  von  Pordenone  stellt  sich  uns  hier  un- 
gefähr als  ein  Fünfziger  dar;  der  Grund,  wie  in  fast 
allen  seinen  Bildern,  ist  bräunlich-grau.  Dieses  ganz  vor- 
zügliche Familienbild  ist  mit  dem  Namen  des  Meisters  be- 
zeichnet: B.  Lycinj  opus.  Demselben  Bernardino,  nicht 
Bartolommeo,  wie  der  Katalog  behauptet,  gehört  auch 
die  „Santa  conversazione",  Nr.  42,  an.  In  der  Mitte 
sitzt  die  Madonna  in  ziegelrothem  Kleide,  den  Kopf 
mit  einem  weissen  Tuch  bedeckt;  sie  hält  das  nackte, 
jedoch  nicht  sehr  anmuthige  Christkind  vor  sich  hin, 
während  der  kleine  Johannes,  auf  einem  Lamm  sitzend, 
ihm  ein  Kreuz  darreicht.  Hinten  sieht  man  noch  den 
heiligen  Joseph  und  die  heilige  Anna,  rechts  den  hei- 
ligen Hieronymus  und  die  kniende  Katharina;  Hinter- 
grund Landschaft.     Auch  in  diesem  wie  in  allen  Ge- 


*  Von  Cariani  finden  sich  auch  in  Mailand  mehrere  Bilder: 
zwei  in  der  Brera- Galerie,  eins  in  der  Ambrosiana,  eins  im 
Museo  civico,  eins  in  der  Sammlung  Bonomi-Cereda,  zwei  in 
der  Sammlung  Giovanni  Morelli,  ein  männliches  Porträt  und 
eine  heilige  Familie  in  freier  Landschaft.  Auch  die  Gemälde- 
galerie in  Vicenza  besitzt  ein  Madonnenbild  des  Cariani  (I.  Saal, 
Nr.  41).  (t) 


Die  Venetianer.  317 

mälden  des  Meisters  finden  wir  die  rosenrothen  Lasuren 
auf  dem  kalten  Inciu-nat,  sowie  auch  seine  Lieblings- 
farben Ziegelroth  und  Himmelblau.  Das'  Bild  gehört 
übrigens  zu  den  rohem  Arbeiten  des  Licinio.*  Von  Ber- 
nardino  besitzt  auch  die  Galerie  Sciarra-Colonna,  unter 
dem  Namen  Giorgione's,  eine  sogenannte  Herodias,  (t) 
Endlich  mag  noch  bemerkt  werden,  dass  Bernardino 
Licinio  keineswegs,  wie  Mündler  meinte,  Bruder  des 
Giovan  Antonio  Regillo  da  Pordenone  war;  sein  Schüler 
und  vielleicht  auch  ein  Verwandter  von  ihm  mag  er 
wol  gewesen  sein.  Von  einem  seiner  Schüler,  dem 
Francesco  Beccaruzzi,  befindet  sich,  meiner  An- 
sicht nach,  ein  männliches  Porträt  in  der  Galerie  Sciarra- 
Colonna  unter  dem  Namen  des  Carletto  Caliari. 

Das  hübsche  Bildchen  „Christus  im  Tempel  predi- 
gend", Nr.  26,  gehört  einem  guten  venetianischen  Meister 
aus  der  Schule  des  Paolo  Veronese  an,  der  hier  mit 
geringen  Modificationen  ein  in  der  National  Gallery  zu 
London  befindliches  Bild  des  Pedro  Campaiia,  eines 
in  Sevilla  ansässigen  Niederländers,  copirte.  (f) 

Im  zweiten  Saal  dieser  Borghese- Galerie  ist  nahe 
am  Fenster  noch  ein  Porträt  aufgestellt,  das  wol  auch 
in  die  venetianische  Schule  gehört,  obwol  es  von  einem 
Sicilianer  herrührt.     Es  trägt  die  Nummer  54.*    Wir 


*  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  wagen  nicht  in  ihrem 
Urtheil  so  weit  zu  gehen  und  erkennen  daher  in  diesem  Gem&lde 
blos  „den  Stil  von  Bemardino's  Schule'*  (II,  294);  0.  Mündler 
(a.  a.  0.,  p.  75)  hingegen  ist  meiner  Ansicht.  Wie  jedoch  der- 
selbe feine  Kunstforscher  das  herrliche  Jugendwerk  Tizian's 
im  Palast  Balbi-Piovera  in  Genua  diesem  B.  Licinio  zuschreiben 
konnte  I  ist  mir  ebenso  unbegreiflich  wie  ebenfalls  sein  Urtheil 
über  das  weibliche  Profilportr&t  in  der  Ambrosiana. 

*  Dieses  Bild  ging  früher  unter  dem  Namen  des  Giovanni 
Bellini,  ein  fernerer  Beweis,  dass  Antonello  den  Venetianem 
mehr  schuldet  als  diese  ihm.  Ein  anderes  Portr&t  und  swar  ein 
ganz  vorzügliches  der  letzten  2^it  (14S5— 1493)  dcs,Antonello 
befindet  sich  im  Museum  von  Neapel,  ebenfallt  unter  dem  fialiohen 


I 


318 


Die  Galerie  Borghese. 


haben  hier  das  Brustbild  eines  Mannes  von  einem,  mir 
wenigstens,  sehr  unangenehmen  Ausdruck  vor  uns. 
Derselbe  trägt  ein  rothes  Kleid  und  hat  eine  schwarze 
Mütze  auf  dem  Kopfe.  Das  Auge  ist,  wie  in  fast  allen 
Bildnissen  desAntonello  da  Messina,  dem  diesesBild 
unstreitig  angehört,  ausserordentlich  lebendig,  die  Fleisch- 
farbe röthlich- braun,  die  Augenbrauen  mit  der  Sorg- 
falt eines  Miniaturmalers  ausgeführt,  der  Mund  scharf 
in  der  Zeichnung.  Im  Katalog  führte  das  Bild  früher, 
wie  schon  bemerkt,  den  Namen  des  Giovanni  Bellini, 
allein  schon  Mündler  und  nach  ihm  auch  die  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle  gaben  es  seinem  wahren  Autor 
zurück.  Dem  Ausdruck  des  Mundes  nach  zu  schliessen, 
scheint  dieser  Yenetianer  eben  kein  freundlicher  und 
angenehmer  Ehegatte  gewesen  zu  sein,  doch  war  er 
wol  ein  trefflicher  Geschäftsmann.  Ein  anderes  Por- 
trät, das  in  demselben  Jahre  wie  das  eben  genannte 
entstanden  sein  mag,  befindet  sich  im  Palast  Trivulzio 
in  Mailand  und  trägt  ausser  dem  Namen  des  Meisters 
auch  die  Jahreszahl  1476. 


Namen  des  Giambellino  (grosser  Saal,  Nr.  IG),  (f)  Schon  die 
Ohrform,  so  verschieden  von  der  bei  Giambellino,  würde  hin- 
reichen, den  Meister  zu  erkennen.  —  Die  Linienperspective  des 


Ohr  bei  Antonello. 


Ohr  bei  Giambellino. 


Auges  ist  in  diesem  Bildnisse  nicht  so  sehr  übertrieben  wie  in 
den  frühern  Porträts  des  Sicilianers,  sodass  es  vielleicht  diesem 
Umstände  seine  gegenwärtige  Taufe  verdanken  dürfte. 


Die  Venetianer.  319 

Kehren  wir  jedoch  wieder  in  den  elften  Saal  zurück, 
wo  noch  ein  anderes  venetianisches  Porträt  sich  vorfindet, 
auf  das  ich  meine  Freunde  aufinerksam  machen  möchte. 
Es  ist  dies  das  Profilporträt  eines  jungen  Mannes,  das  hier 
die  Nr.  9  fuhrt.  Wie  man  dieses  Bildniss  demselben  Maler 
zuschreiben  konnte,  dem  man  im  zehnten  Saal  das  Porträt 
unter  Nr.  1  zumuthete,  nämlich  dem  Giovan  Battista 
Moroni  von  Albino,  ist  wahrlich  unbegreiflich.  Sowie 
aber  jenes  Porträt,  wie  wir  bereits  gesehen,  nichts  mit 
dem  trefllichen  Bergamasken  zu  thun  hat,  so  gehört 
auch  dieses  Bild  im  elften  Saal  auf  keinen  Fall  dem 
Moroni  an^,  sondern  ist  augenscheinlich  ein  Werk  des 
Girolamo  Savoldo  von  Brescia,  eines  Schülers,  wie 
es  scheint,  des  Romanino  und  sodann  Nachahmers  des 
alten  Giambellino  und  später  besonders  des  Tizian,  (f ) 
Dieses  schöne  Porträt  verdiente  in  ein  besseres  Licht 
gestellt  zu  werden,  zumal  die  Bilder  dieses  ausgezeich- 
neten Dilettanten  selten  sind.  Die  Uffizien-Galerie  be- 
sitzt ein  BildcheVi  von  ihm,  die  Turiner  Pinakothek 
zwei  und  die  Brera- Galerie  sein  bedeutendstes  Werk.* 
Ausser  diesem  befindet  sich  in  Rom  noch  ein  anderes 
Porträt  des  Savoldo.  Es  hängt  im  ersten  Saal  der  Capi- 
tolinischen  Galerie  unter  dem  Namen  des  Giorgione 
imd  stellt  ein  weibliches  Bildniss  mit  den  Emblemen 
der  heiligen  Margarethe  vor.  (f) 

Treten  wir  nun  in  das  zwölfte  und  letzte  Zimmer 
dieser  Borghese-Galerie. 


*  Wurde  jetzt  auf  Savoldo  umgetauft. 

*  Man  vergleiche  dieses  Profilporträt  der  Borghete-Gtleri«  mit 
dem  Profil  eine«  in  der  Luft  schwebenden  Elngels  auf  dem  Brera- 
bilde  des  Savoldo.  Andere  Bilder  des  Savoldo  befinden  sich  in 
der  städtischen  Sammlung  von  Brescia,  in  der  Kirche  S.  Maria 
in  Organo  zu  Verona  and  in  der  von  S.  Oiobbe  in  Venedig. 


320  I^ie  Galerie  Borghese. 


N^ORDISOHE  MEISTER. 

In  diesem  eben  nicht  reichlich  mit  Licht  versehenen 
Räume  finden  wir  einige  kostbare  Bilder  der  hollän- 
dischen, der  vlämischen  und  selbst  der  deutschen 
Schule.  Die  Aufmerksamkeit  und  Bewunderung  des 
kunstsinnigen  Publikums  wird  hier  vor  allem  durch 
ein  Bild  angezogen,  auf  welchem  Wenzeslaus  Peters 
eine  Henne  mit  ihren  Küchlein  darstellte,  und  besagtes 
Meisterstück  mag  auch  der  Galeriedirection  ganz  char- 
mant erschienen  sein,  da  sie  es  nahe  ans  Fenster  und 
ins  beste  Licht  zu  stellen  für  gut  befand.  Lassen  wir 
dies  Bild  beiseite  und  betrachten  wir  uns  vielmehr  die 
hier  vorhandenen  Werke  hervorragender  Meister. 

Unter  Nr.  44  leuchtet  aus  dem  Dunkeln  eine  fast 
lebensgrosse  Venus  mit  Amor  uns  entgegen.  Ausser 
dem  gewöhnlichen  Monogramm  des  treflPlichen  deutschen 
Meisters  Lukas  Cranach  des  Aeltern  trägt  das  Bild 
die  Jahreszahl  1531;  es  ist  ganz  vorzüglich  in  der 
Farbe. 

Das  kleine  Porträt  des  jugendlichen  Karl  V.  (?) 
führt  die  Nr.  26  und  den  Namen  Holbein's.  Mir 
scheint  es  eher  die  Arbeit  eines  Flamländers  zu  sein. 

Auf  dem  Bilde  Nr.  22  erblicken  wir  das  Atelier  eines 
vlämischen  Malers,  vielleicht  dasjenige  des  altern  Fr. 
Franken  selbst.  Dieser  etwas  steifleinene  Künstler, 
dem  Herr  Director  W.  Bode  die  dresdener  Copie  der 
Holbein'schen  Madonna  vindiciren  möchte,  hat  mehrere 
mal  denselben  Gegenstand  dargestellt.  Das  Bild  hier 
trägt  folgende  Aufschrift:  FRANS.  FRANK  INVEN- 
TUR et  fecit. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  gegenüberliegenden 
besser  beleuchteten  Wand  des  Zimmers,  so  blicken 
uns  da  vorerst  einige  hübsche  Bildchen  aus  der  hollän- 


Nordische  Meister.  321 

dischen  Schule  entgegen.  Auf  Kr.  9  sehen  wir  einen 
Quacksalber  in  voller  Arbeit;  es  handelt  sich  darum,  eine 
chirurgische  Operation  am  Oberarm  eines  unglücklichen 
Patienten  und  zwar  mit  möglichster  Bravour  auszufüh- 
ren. Der  Bauer,  welcher  den  Worten  des  Chirurgen 
traute,  sitzt  auf  einem  Sessel  im  Freien  und  brüllt  unter 
dem  Messer  des  Herrn  Professors  laut  auf,  während 
eine  alte  Frau,  als  Gehülfin  des  Chirurgen,  dem  Mär- 
tyrer Muth  und  Vertrauen  in  sein  Geschick  zuspricht. 
Der  Katalog  schreibt  dies  joviale  Bildchen  dem  A.Brower 
mit  grossem  Unrecht  zu,  da  ja  der  wahre  Name  des 
Malers  auf  dem  Bilde  selbst  zu  lesen  ist,  nämlich:  G.Lun- 
ders  1648.  In  diesem  Gemälde  hat  Gerrit  Lunders 
offenbar  den  Brower  nachzuahmen  getrachtet,  während 
er  acht  Jahre  später  in  seinem  Bilde  der  Dresdener 
Galerie  vom  Jahre  1656  den  Dusart  oder,  wenn  man 
lieber  will,  den  A.  Ostade  selbst  sich  zum  Muster  ge- 
nommen hatte  und  in  einem  guten  Bildchen  der  einst 
Ilausmann'schen  Sammlung  in  Hannover  (Nr.  283)  (?), 
ebenfalls  eine  chirurgische  Operation  vorstellend  und 
vom  Jahre  1660,  den  Metsu  und  Mieris  nachahmte. 
Gehen  wir  zu  Nr.  10  über:  „Opera  d**  un  Fiammingo" 
meinte  der  frühere  Katalog.  Wenn  ich  aber  den  Herren 
Galeriedirectoren  in  Italien  sagen  würde:  „Meine Herren, 
es  ist  nicht  das  Werk  eines  Fiammingo,  wol  aber  eines 
Holländers",  so  würden  dieselben  achs^lzuckend  ant- 
worten: „^  tutf  uno''^^  d.  h.  es  ist  ein  und  dasselbe.  Und 
den  italienischen  Galeriekatalogen  zufolge  ist^s  aller- 
dings ganz  dasselbe,  denn  in  Italien  scheint  man  aus 
Holland  blos  die  Heringe  und  den  Stoccofisso  zu  ken- 
nen. Was  stellt  aber  diese  y^Opera  (Tun  Fiammingo^^  vor? 
Schwer  zu  sagen.  Wir  sehen  hier  sechs  Kriegsmänner 
in  verschiedenen  Attitüden,  was  sie  aber  eigentlich 
wollen  und  treiben,  das  konnte  ich  wahrlich  nicht  er- 
rathen.  Es  ist  übrigens  ein  recht  gutes  Bildchen  aus 
der  Harlemer  Schule  des  Frans  oder  Dirk  Hals  und  sieht 

LBEXOLtsrr.  21 


322  ^i®  Galerie  Borghese. 

man  genauer  nach,  so  entdeckt  man  auch  den  Namen  des 
Malers,  der  kein  anderer  ist  als  Pieter  Codde,  über 
dessen  Werke  Herr  Director  Bode  in  seinem  Buch: 
„Frans  Hals  und  seine  Schule"  uns  hinlänglich  und 
mit  Sachkenntniss  belehrt  hat.^  Das  andere  Bildchen 
daneben,  Nr.  8,  zeigt  uns  das  Innere  einer  vlämischen 
Dorfschenke  mit  einem  Bauern,  der  gemüthlich  vor 
seinem  Bierkruge  sitzt,  während  die  andern  Schenk- 
und  Gesinnungsgenossen  hinten  am  Herde  sich  wärmen. 
Es  ist,  wie  ich  glaube,  blos  Atelierarbeit;  eine  Copie 
dieses  Bildchens  besitzt  unter  Nr.  28  die  Galerie  Cor- 
sini  in  Rom. 

Oberhalb  dieses  Teniers'schen  Bauern  hängt  unter 
Nr.  1  ein  gekreuzigter  Christus,  den  der  Katalog  dem 
A.  van  Dyck  zuschreibt.  Auch  dieses  Bild  dürfte  jeden- 
falls blos  Copie  sein,  wie  auch  die  „Kreuzabnahme", 
Nr.  7 ,  nur  das  Werk  eines  Nachahmers  des  steif  ele- 
ganten van  Dyck  ist.  Die  im  Freien  badenden  nackten 
Weibspersonen,  Nr.  2,  müssen,  statt  dem  Poelenburg, 
dessen  Nachahmer  A.  Cuylenborch  zugeschrieben  wer- 
den, (f)  Die  weidenden  Kühe,  die  unter  Nr.  22  dem 
P.  Potter  zugedacht  sind,  werden  jedem  Sachkundigen 
sogleich  als  moderne  Copie  erscheinen.  Als  echt  dürfte 
dagegen  das  dem  Pieter  Wouwerman  zugeschriebene 
Bildchen  betrachtet  werden;  ich  wenigstens  finde  es  zu 
fein  im  Tone,  um  Copie  zu  sein.  Daneben  hängt  eines 
der  vielen,  ziemlich  langweiligen  Seestücke  von  Ludolf 
Backhuysen. 


^  Werke  von  P.  Codde  sind  nicht  selten  in  italienischen 
Sammlungen ;  in  Mailand  allein  sind  deren  drei :  eines  im  Palast 
Trivulzio,  eines  in  der  Sammlung  des  verstorbenen  Grafen  Lodo- 
vico  Belgiojoso,  ein  drittes  in  der  Sammlung  Bonomi-Cereda. 


Giorgione.  ^3 

Die  sonstigen  mehr  oder  weniger  unbedeutenden 
Bilder,  welche  noch  in  diesem  Zimmer  aufgestellt  sind, 
will  ich  der  Kürze  halber  übergehen  imd  will  dafür 
imsere  Musterung  mit  der  eingehendem  Besprechung 
eines  Porträts  schliessen,  das  unter  Nr.  30  im  zweiten 
Saal  der  Galerie  sich  befindet  und  das  seit  langer  Zeit 
schon  meine  ganze  Aufmerksamkeit  auf  sich  zog. 

Im  Katalog  wird  dieses  wunderbare  Frauenbildniss 
als  von  der  Hand  eines  unbekannten  Meisters  dem  Pub- 
likum präsentirt.  Das  Bild  stellt  eine  noch  junge  Frau 
von  etwa  28  Jahren  vor.  Ihre  intelligente  kurze  Stirn 
wölbt  sich  leicht  über  zwei  schwarze  Augen  von  leiden- 
schaftlich feurigem  Blick;  das  braunschwarze  Haar  ist 
an  den  Schläfen  ungefähr  so  geordnet  wie  das  des 
Malteserritters  in  der  Uffizien- Galerie;  das  dunkle 
Kleid  hat  an  den  Aermehi  harte  Längsfalten.  Sie  steht 
vor  einer  steinernen  Fensterbrüstung,  hält  mit  beiden 
Händen  ein  weisses  Tüclilein  und  schaut  dabei  mit 
sehnsuchtsvoll  träumerischem  Blick  in  die  Ferne,  gleich 
als  ob  sie  jemand,  den  sie  erwartet,  zu  erspähen  trachtete. 
Die  einfache  Auffassung  dieser  mysteriösen  Frau  verräth 
einen  grossen  Künstler;  wer  kann  es  sein?  Bevor  ich  dies 
80  sehr  ansprechende  Bild  mit  kritischen  Auge  mir  an- 
sah, vermuthete  ich  den  Dosso  Dossi  darin  zu  erkennen, 
allein  der  dunkle  Grund,  die  steinerne  Fensterbrüstung, 
die  Einfachheit  der  Darstellung  selbst,  schienen  mir  den 
ferraresisch-venetianischen  Maler  auszuschliessen.  So- 
dann dachte  ich  an  den  jungen  Sebastiano  Luciani,  jedoch 
auch  für  diesen  Meister  erschien  mir  das  Bild  zu  tief- 
sinnig aufgefasst  und  auch  die  Form  der  Hand  noch 
zu  quattrocentistisch.  Eines  Tages  jedoch,  als  ich  wieder 
fragend  und  entzückt  vor  dem  mysteriösen  Bilde  stand, 
begegnete  mein  eigener  Geist  dem  des  Künstlers,  welcher 
aus  diesen  weiblichen  Zügen  heraussah,  und  siehe  da, 
in  der  gegenseitigen  Berührung  zündete  es  plötzlich 
wie  ein  Funken  und  ich  rief  in  meiner  Freude  aus: 

21  • 


324  I^ie  Galerie  Borghese. 

Nur  du,  mein  Freund,  Giorgione  kannst  es  sein,  und  das 
Bild  antwortete:  Ja,  ich  bin's. 

Dieses  Auge  mit  den  leicht  geschwungenen  Brauen, 
mit  -dem  tiefen,  sehnsuchtsvollen,  mysteriösen  Blick, 
die  geradlinige,  niedere  Stirn,  der  feine  Mund,  sie  alle 
sprechen  für  den  Giorgione,  sie  sind  gerade  so  model- 
lirt  wie  die  des  Malteserritters  in  Florenz.  Leider 
sind  einige  Stellen  am  Hals  und  an  der  Brust  des  Bildes 
retouchirt,  im  übrigen  ist  jedoch  das  Gemälde  gut  er- 
halten. Das  reizende  Weib  trägt  auf  dem  Kopf  eines 
jener  braun-gelblichen  Häubchen,  wie  man  solche  nicht 
selten  auf  den  Madonnenbildern  aus  der  Frühzeit  Ti- 
zian's  gewahrt.  Je  öfter  ich  nun  seitdem  vor  dieses 
Frauenbild  zu  stehen  kam,  desto  mehr  hatte  es  jedes- 
mal mir  zu  sagen.  Was  die  Auffassung  anbetrifft, 
scheint  es  mir  ein  Wunderwerk  der  Kunst  zu  sein. 
Nur  ihm,  dem  Giorgione,  gelang  es,  solche  Porträts, 
die  uns  so  viel  zu  sinnen,  so  viel  zu  ahnen  geben,  mit 
solcher   Einfachheit  auf  die  Leinwand  zu  zaubern!  (f) 

Mit  diesem  neuen  Werk  Giorgione's,  das  ich  hier- 
mit den  Freunden  italienischer  Kunst  vorzustellen  die 
Freude  habe,  seien  nun  unsere  Besprechungen  der  Bilder 
dieser  Borghese-Galerie  abgeschlossen. 


n. 
DIE  GALERIE  DORIA-PANFILI. 


uf  das  lange  Pontificat  PauFs  V.,  aus  dem  Hause 
Borghese,  folgte  das  um  etliche  Jahre  längere 
'Urban's  VIII.,  aus  dem  Hause  Barberini.  Man 
konnte  demnach  vermuthen,  dass,  wie  die  Galerie 
Borghese  nicht  nur  der  Zeit  sondern  auch  der  Be- 
deutung nach  der  erste  Platz  gebührt,  der  zweite 
Ehrenplatz  in  der  Rangordnung  der  römischen  Gemälde- 
sammlungen von  derjenigen  des  Hauses  Barberini  ein- 
genommen würde.     Dem  ist  jedoch  nicht  so. 

Urban  YIIL  hat  bei  der  Besitznahme  der  Schlosser 
der  Herren  von  Montefeltro  und  della  Rovere  wol  auch 
manches  Kunstwerk  nach  Rom  in  die  Barberini'schen 
Paläste  bringen  lassen,  unter  andern  auch  die  neun 
Tafelbilder  mit  dem  Apoll  und  den  acht  Musen ^,  so- 


*  Diese  nenn  Bilder  wurden  von  Baldi  (Vita  e  Fatti  dt 
FedericOy  duca  di  ürbino)  dem  Timoteo-Viti  zugesohrieben. 
Sie  hingen,  als  ich  dieselben  zum  ersten  mal  sah,  hoch  in  einem 
überdies  dunkeln  Saal  und  kamen  mir  damals  als  Arbeiten  des 
mythischen  Francesco  Bianchi  vor,  den  ich  unbesonnenerweise 
lange  Zeit  mit  dem  Ferraresen  Cortellini  Terweohselte.  „Es  irrt 
der  Mensch,  so  lang  er  strebt/*  Nach  dem  vor  wenigen  Jahren 
erfolgten  Tode  des  Fürsten  Barberini,  Duca  di  Castelvecchio, 
kamen,  nebst  andern,  auch  diese  Bilder  in  die  Galerie  Corsini 
zu  Florenz.  Dort  bei  Lichte  besehen  erschienen  mir  zwei  jener 
Tafeln  wirklich  als  Werke  des  Timoteo:  Apollo  und  eine  Muse 
(wie  Vasari  berichtet);  die  übrigen  Mohs  (eine  Mose  fehlt)  rühren, 


328  I^i®  Galerie  Doria-Panfili. 

wie  ebenfalls  jene  Reihenfolge  „berühmter  Männer  des 
Alterthums",  die  einst  den  grossen  Bibliotheksaal  im 
Schlosse  von  Urbino  zierten  und  deren  eine  Hälfte  im 
Palast  Barberini,  die  andere  im  Louvre  aufgestellt  ist  ^ ; 


meiner  jetzigen  Ansicht  nach,  von  mehrern  und  zwar  viel 
schwächern  Malern  aus  der  Schule  des  Giovanni  Santi  her. 
Eine  getuschte  Zeichnung,  welche  als  Vorlage  zu  einer  dieser 
Musen  diente,  befindet  sich,  unter  dem  Namen  des  Botticelli,  in 
der  Sammlung  von  Windsor.  (Grosvenor  Gallery  Nr.  17.)  Ist 
nun  diese  Zeichnung  wirklich,  wie  ich  anzunehmen  geneigt  bin, 
von  der  Hand  des  Giovanni  Santi,  so  dürfte  man  hieraus  die 
Folgerung  ziehen,  dass  der  Vater  Eaffael's  auch  bei  Fiorenzo 
di  Lorenzo  in  die  Lehre  gegangen  ist.  (f) 

^  Bei  der  Theilung  des  Besitzthums  der  Familie  Colonna- 
Barberini  kam  die  eine  Hälfte  der  Bilder  an  das  Haus  Sciarra- 
Colonna  (14  an  der  Zahl),  die  später  alle  an  den  Herrn  Campana 
verkauft  und  sodann  mit  der  ganzen  Sammlung  Campana  vom 
Kaiser  Napoleon  III.  für  den  Louvre  erworben  wurden.  Die 
Barberinische  Hälfte  (15  Stück)  ist  bisjetzt  noch  immer  in  den 
Wohnzimmern  des  fürstlichen  Palastes  aufgestellt.  Auf  diesen 
letztern  Tafelbildern  sehen  wir  dargestellt :  Homer,  Scotus,  Cicero, 
Petrarca,  Moses,  Hippokrates,  Salomo,  Bartolus,  Euklides,  Alber- 
tus Magnus  und  zwei  andere,  deren  Namen  ich  mich  nicht  mehr 
entsinne,  endlich  das  Porträt  Friedrich's  von  Montefeltro,  im 
Panzer  und  Herzogsmantel  auf  einem  Throne  sitzend.  Der  greise 
Herr  mit  der  übergrossen  Adlernase  hält  mit  beiden  Händen 
ein  grosses  Buch  vor  sich  hin,  während  sein  Söhnlein  Guido- 
baldo  (geboren  24.  Januar  1471;  der  Knabe  sieht  auf  diesem 
Bilde  etwa  vierjährig  aus)  auf  ein  Knie  gestützt  dem  Vater  den  her- 
zoglichen Scepter  vorhält.  Dieses  letztere  grössere  Bild  schien 
mir  besser  als  die  andern  erhalten,  allein  von  derselben  Hand 
wie  die  übrigen  gemalt  zu  sein,  d.  h.  von  der  des  Justus  von 
Gent.  Dieser  Justus  (Josse  Sneevoet)  war  vom  Jahre  1464  bis 
zum  Jahre  1476  in  Urbino  ansässig  und  hinterliess  dort,  ausser 
den  angeführten  Tafelbildern  mit  den  Porträts  berühmter  Män- 
ner, auch  noch  ein  sehr  mittelmässiges  „Abendmahl",  das  nun 
seit  dem  Jahre  1865  in  der  Akademiesammlung  von  Urbino  sei- 
nen Platz  gefunden  hat.  Dass  in  einigen  jener  Tafelbilder  auch 
die  Hand  des  Girolamo  Genga  wahrzunehmen  sei,  wie  dies 
die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  (II,  565)   behaupten,   kann 


Justus  von  Gent.  329 

im  übrigen  aber  scheinen  die  Nepoten  jenes  Kirchen- 
fiirsten  sich  nicht  besonders  um  die  schönen  Künste 
bekümmert  zu  haben. 

Statt  der  Barberini'schen  nimmt  viehnehr  die  Doria- 
Panfili'sche  Bildersammlung  den  zweiten  Platz  unter 
den  römischen  Galerien  ein.  Kurz  nach  dem  Tode 
Urban's  VIII.  (1644)  gelangte  der  Cardinal  Giovan 
Battista  Panfili,  unter  dem  Namen  Innocenz  X., 
auf  den  päpstlichen  Stuhl  (29.  September  1644).  Die 
Schwägerin  dieses  Papstes,  Donna  Olimpia,  eine  ge- 
borene Maldachini  aus  Viterbo,  war,  wie  man  sagte, 
eine  prachtliebende  und  herrschsüchtige  Frau,  die  also 
wol  schwerlich  geduldet  haben  würde,  dass  das  eigene 
Haus  irgendeinem  andern  Haus  in  Rom  nachstehe. 
Eher  als  dem  Kunstsinn  mag  demnach,  wie  schon  be- 
merkt, auch  diese  Sammlung  ihre  Entstehung  der  Mode 
sowie  der  Prunksucht  jener  sonst  sehr  habgierigen  Frau 
zu  verdanken  haben.  Einige  der  bedeutendem  Bilder 
dieser    Sammlung    stammen   jedoch    aus    der  Zeit   des 


ich  in  keinem  Fall  zugeben,  und  zwar  vor  allem  deshalb  nicht, 
weil  ich  in  keinem  einzigen  jener  29  Gemälde  Spuren  von  der 
Art  und  Weise  des  Genga  zu  sehen  im  Stande  war,  und  zwei- 
tens weil  ich  vermuthen  muss,  dass  die  obengenannten  Decora- 
tionsstücke  im  Jahre  1476,  dem  Geburtsjahre  Genga's,  bereits 
vollendet  waren.  Und  da  ich  hier  auf  den  Maler  Justus  von 
Gent  zu  sprechen  kam,  so  will  ich  diese  Gelegenheit  benutzen, 
um  einen  weitem  Irrthum  zu  berichtigen,  der  in  unserm  Jahrhun- 
dert mit  so  vielen  andern  sich  in  die  Kunstgeschichte  einge- 
schlichen hat.  Mehrere  neuere  Kunstschriftsteller,  unter  andern 
auch  der  federgewandte  Monsieur  Alfred  Michiels  {Histoirt 
dt  la  pcinture  flamande,  III,  149),  haben  nämlich  diesen  Justus 
von  Gent  mit  jenem  Justus  deAlemania  identificirt,  der 
im  Klosterhof  von  S.  Maria  di  Castello  in  Genua  im  Jahre 
1451  die  „Verkündigung**  auf  die  Wand  malte.  Dieser  letztere 
Justus  ist  kein  Flamländer,  sondern  ein  Schwabe  aoa  Ravens- 
burg, und  hat  daher  mit  dem  Justus  von  Gent,  der  erst  1464 
nach  Italien  kam,  gar  nichts  zu  sohafifen. 


330  I^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

grossen  Aduiirals  Andrea  Doria  und  wurden  erst  später 
von  Genua  nach  Rom  gebracht.  Wenn  also  die  Galerie 
Doria  Panfili,  was  Zahl  und  Bedeutung  der  Gemälde 
anbetrifft,  sich  auch  nicht  mit  derjenigen  des  Fürsten  Bor- 
ghese  messen  darf,  so  hat  sie  doch  wenigstens  vor  der 
letztern  das  voraus,  dass  ihre  Räume,  wenn  auch  kein 
besseres,  so  doch  immer  volleres  Licht  haben,  als  jene 
Kellerräume,  in  denen  die  Borghesischen  Bilder  einge- 
kerkert scheinen.  Was  Licht  und  verniinftige  Auf- 
stellung und  Ordnung  anbelangt,  so  kann  man  wol 
von  den  meisten  öffentlichen  Bildersammlungen  Italiens 
sagen,  dass  keine  Grund  hat  i'iber  ihre  Schwestern  sich 
zu  erheben.  Im  ganzen  können  alle  von  sich  selbst 
sagen:  Wir  haben  keine  Ursache  uns  gegenseitig  zu 
beneiden,  wir  alle  tragen  ja  dasselbe  Los,  das  Un- 
wissenheit und  unverantwortliche  Indifferenz  uns  be- 
schieden haben. 

Im  dem  grossen  Vorsaal,  der  in  die  den  Bildern 
überlassenen  Zimmer  und  Gänge  des  fürstlichen  Palastes 
führt,  finden  wir  unter  manchen  andern  unbedeutenden 
Productionen  der  Kunst  des  17.  Jahrhunderts  mehrere 
trefflich  componirte Landschaften  desGasparo  Dughet, 
auch  Poussin  genannt;  ein  grosses,  ziemlich  triviales 
„Opfer  desNoah"  vonPietro  daCortona;  eine  „Sünd- 
flut" von  Scarsellino;  eine  Landschaft  mit  reicher 
Staffage  von  Battista  Dossi,  dem  Bruder  des  Gio- 
vanni, sowie  andere  Decorationsstücke.  Allein  die  ita- 
lienische Kunst  des  17.  Jahrhunderts  muss,  für  dies- 
mal wenigstens,  aus  unserm  Studienplan  wegfallen. 

Ehe  wir  aber  diesen  Saal  verlassen,  ist  es  mir  un- 
möglich, meine  Begleiter  nicht  einzuladen,  eine  Weile 
vor  dem  Velasquez'schen  Porträt  des  Papstes  Panfili 
still  zu  halten.  Es  ist  dies  ein  weltberühmtes  Bildniss 
des  grossen  spanischen  Künstlers  und  wol  auch  des 
originellsten  aller  Porträtmaler  der  Welt. 

Karl  Justi,  der  geistvolle  und  gediegene  Kunst- 


Diego  Velasquez.  331 

Historiker,  bemerkt  in  seiner  gelehrten  und  muster- 
gültigen Monographie  über  „Diego  Velasquez  und  sein 
Jahrhundert"  (II,  183),  dass  „wie  zu  Hause  dem  grossen 
Maler  wunderlicherweise  der  unheimlichste  aller  Minister- 
köpfe, der  uninteressanteste  aller  Fürstentypen  beschie- 
den war,  ihm  in  Rom  der  abstossendste  Kopf  unter 
den  Nachfolgern  des  Menschenfischers  zufiel".  Und  in 
der  That,  in  diesem  Papstgesicht  findet  sich  auch  nicht 
ein  Zug  weder  jener  gelehrten  Feinheit,  noch  jener  welt- 
männischen Vornehmheit,  die  wir  gewohnt  sind  in  den 
Köpfen  der  meisten  Kirchenfürsten  aus  jener  Zeit  zu 
sehen.  Der  Typus  dieses  Papstes  ist  unbedeutend,  ja 
vulgär;  sein  Blick  ist  der  eines  verschmitzten  Advo- 
caten.  Man  ist  froh,  wenn  man  diesen  abstossenden 
Blick  vergessen  hat.  Und  doch  war  Innocenz  X.  trotz 
seines  verschlossenen,  mistrauischen  Charakters  der 
Spielball  seiner  Schwägerin  Olimpia.  Wie  lässt  sich 
dies  erklären?  Unter  allen  Bildnissen,  mit  Ausnahme 
von  einigen  der  vorzüglichsten  Rembrandt's,  düi-fte 
diesem  Papstporträt  des  Valasquez  wol  kein  anderes 
aus  jenem  Jahrhundert  vortheilhaft  an  die  Seite  gestellt 
werden.  Hat  man  nun  im  ^^hlue  hoy^^  des  Gainsborough 
ein  blaues,  in  jenem  männlichen  Porträt  von  der  Iland 
des  Paul  Veronese  im  Palast  Colonna  ein  grünes 
Porträt,  80  gab  uns  hier  Velasquez  ein  rothes.  Dürfte 
man  einigen  sachkundigen  Kunstfreunden  unbedingt  ver- 
trauen, so  hätten  wir  in  Rom  noch  ein  anderes  Bild- 
niss  des  grossen  Spaniers  und  zwar  sein  Selbstportrat. 
Es  hängt  unter  den  Bildern  der  Capitolinischen  Samm- 
lung. Ich  selbst  bin  mit  den  spanischen  Malerschulen 
zu  wenig  vertraut,  um  in  dieser  heikeligen  Streitfrage 
ein  Urtheil  mir  erlauben  zu  dürfen,  zumal  der  grosse 
Kenner  des  Velasquez,  Professor  Karl  Justi,  selbst  sich 
scheute,  mit  Bestimmtheit  darüber  sich  auszusprechen. 
Dies  letztere  Bildniss  müsste  jedenfalls  der  ersten 
Manier  des  Velasquez  angehören. 


Die  Galerie  Doria-Panfili. 

Treten  wir  nun  ein  in  den  zweiten  Saal  der  Galerie. 
Und  da  in  dieser  Sammlung  die  Venetianer  besonders 
reichlich  vertreten  sind,  so  möchte  ich  diese  Gelegen- 
heit nicht  voriibergehen  lassen,  ohne  mich  etwas  länger 
bei  den  Werken  derselben  aufzuhalten,  in  der  ffuten 
Absicht,  das  wenige,  was  ich  über  dieselben  zu  sagen 
weiss,  meinen  wissbegierigen  Freunden  mitzutheilen ; 
was  mich  übrigens  keineswegs  abhalten  soll,  auch  dieses 
oder  jenes  Werk  aus  andern  Malerschulen  mit  ihnen  zu 
besprechen.  Um  diesem  Vorsatz  sogleich  Genüge  zu 
thun,  will  ich  hier  zunächst  von  einigen  florentinischen 
Bildern  reden,  denn  unter  allen  in  diesem  zweiten  Zim- 
mer aufgestellten  Bildern  leuchten  uns  besonders  drei 
in  die  Augen,  die  nicht  venetianischen,  sondern  floren- 
tinischen Ursprungs  sind;  ich  meine  die  trefi'liche  „Ver- 
kündigung", ein  Werk  aus  der  Frühzeit  des  Fra  Fi- 
lippo  Lippi,  und  an  den  Seiten  derselben  die  beiden 
Bildchen  seines  Schillers  Pesellino. 

FRANCESCO  PESELLINO. 
Francesco  Pesello,  il  Pesellino  genannt,  so  ge- 
nannt um  den  Meister  von  seinem  Onkel  Giuliano 
Pesello  zu  unterscheiden,  wurde  1422  in  Florenz  ge- 
boren und  starb  1457  daselbst,  also  kaum  35  Jahre  alt. 
Gewiss  müssen  auf  ihn,  wie  auf 'die  meisten  Florentiner 
aus  der  guten  Zeit,  die  Wandgemälde  des  Masaccio  im 
Carmine  einen  grossen  und  bleibenden  Eindruck  ge- 
macht haben,  und  davon  kann  sich  jedermann  über- 
zeugen im  Hinblick  sowol  auf  die  Einfachheit  der  Dar- 
stellung wie  auf  manch  einzelne  Figur  in  den  Bildern 
Pesellino's.  Als  sein  wahrer  Lehrer  muss  jedoch  Fra 
Filippo,  wie  Vasari  uns  berichtet,  angesehen  werden. 
Dies  schliesst  aber  nicht  die  Vermuthung  aus,  dass 
Pesellino  die  Anfangsgründe  seiner  Kunst  von  seinem 
Onkel  Giuliano  erhalten  haben  könnte.  Und  in  der 
That  gewahrt  man,  scheint  mir,   in  Pesellino's  Längs- 


Francesco  Pesellino.  333 

tafel  in  der  Casa  Buonarotti  in  Florenz,  wol  das  älteste 
mir  bekannte  Werk  des  Meisters*,  eine  Art  und  Weise, 
die  durchaus  nicht  die  des  Fra  Filippo  ist.  Vasari 
schreibt  zwar  mit  Unrecht  jenes  Bild  dem  Giuliano 
selbst  zu,  allein  es  könnte  doch  sein,  dass  Pesellino  es 
unter  der  Leitung  seines  Onkels  ausgeführt  hätte.  Von 
Giuliano  Pesello  ist,  soviel  ich  weiss,  kein  beglaubigtes 
Werk  auf  uns  gekommen.^  Da  nun  Vasari  uns  von 
einer  „Anbetung  der  Könige",  die  Giuliano  gemalt 
haben  soll,  berichtet,  so  glaubte  der  gute  Pater  Lanzi 
dieses  Bild  in  einer  denselben  Gegenstand  vorstellenden 
Tafel  der  üffizien- Galerie  entdeckt  zu  haben,  und  die 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  trugen  sonderbarer- 
weise kein  Bedenken,  dem  Lanzi  darin  beizustimmen 
und  jenes  Bild  uns  als  Werk  Giuliano's  zu  präsent i reu.  ^ 


*  Dieses  Bild,  welches  früher  in  der  Kapelle  Cavaloanti  in  S. 
Croce  war,  stellt  Wunderthaten  des  heiligen  Nikolaus  von 
Bari  vor. 

'  Eine  Längstafel,  die  aus  dem  Palast  Ruocellai  in  die  Samm- 
lung von  Giovanni  Morelli  gelangte  und  auf  welcher  die  Ueber- 
gabe  einer  befestigten  Stadt  an  einen  florentinischen  Feldhaupt- 
mann dargestellt  ist,  könnte  vielleicht  von  Giuliano  Pesello  her- 
stammen. Der  landschaftliche  und  architektonische  Hintergrund 
auf  jenem  Gemälde  erinnert  sehr  lebhaft  an  die  Art  und  Weise 
des  Pesellino,  während  die  jugendlichen  und  höchst  unschuldigen 
Gesichtstypen  der  Kriegsleute  mehr  an  Fra  G.  Angelico  gemah- 
nen, die  Gestalt  der  Rosse  aber  die  Pferderasse  des  Paolo  Ucoello 
uns  ins  Gedächtniss  ruft. 

'  Die  neuere  Direction  der  Galerie,  besser  berathen  als  die 
ältere,  hat  nun  jenes  Bild  (Nr.  26)  nach  meinem  Vorschlag  sei- 
nem wahren  Autor,  d.  h.  Cosimo  BosselH,  zurückerstattet  Herr 
Direotor  W.Bode  fährt  demungeacbtet  fort,  auch  in  diesem  Punkt 
seinen  Gewährsmännern  Crowe  und  Cavalcaselle  recht  und  mir 
unrecht  zu  geben,  und  ich  habe  natürlich  nichts  dagegen  ein- 
zuwenden. Was  jedoch  die  neue  Firnismalerei  anbetrifft, 
die  der  berliner  Gelehrte  auch  in  diesem  Gem&lde  wahrnimmt 
und  auf  die  er  ein  grosses  Gewicht  tu  legen  scheint,  so  dürfte 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  dieselbe  —  ebenso  wie  die  ,,Oel: 


I 


334  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Betrachten  wir  uns  nun  etwas  genauer  die  zwei 
Bildchen,  die  von  diesem  bisher  sehr  verkannten  und 
doch,  wie  mir  scheint,  so  überaus  talentvollen  florentiner 
Meister  in  diesem  Saale  aufgestellt  sind.  Diese  Bilder 
haben  die  Nummern  29  und  39.  Das  eine  davon  stellt 
Papst  Sylvester  in  Gegenwart  des  Kaisers  Maximilian 
vor,  das  andere  Papst  Leo  IV.  im  Begriff  einem  bösen 
Drachen  Fesseln  anzulegen,  um  ihn  unschädlich  zu 
machen.  Beide  Tafelbildchen  erhielten  hier  den  richti- 
gen Namen  des  Autors  und  gehören,  wie  mir  scheint^ 
der  spätem  Wirkungszeit  des  Meisters  an. 

In  der  unmittelbaren  Nähe  dieser  zwei  florentini- 
schen  hängen  zwei  andere  kleine  Bildchen,  die  wunder- 
licherweise im  Katalog  dem  grossen  Yeronesen  Vittor 
Pisano,  Pisanello  genannt,  zugeschrieben  sind.  Das 
eine  derselben  stellt  die  „Geburt",  das  andere  die  „Ver- 
mählung Maria"  vor.  Täusche  ich  mich  nicht,  so  sind 
beide  Bilder  Erzeugnisse  der  Schule  von  Siena  und 
dürften  vielleicht  dem  Bartolo  di  Maestro  Fredi  an- 
gehören, (f)  Unerklärlich  war  es  mir  immer,  wie  das  sonst 
so  feine  Kennerauge  des  verstorbenen  O.  Mündler  in 
diesen  schwachen  Bildern  nicht  nur  die  Art  und  Weise^ 
sondern  selbst  den  Farbenton  des  Pisanello  zu  sehen 
vermeinte.     (Siehe  a.  a.  O.,  S.  6.) 

Kehren  wir  jedoch  zu  Pesellino  zurück.  Seine  Werke 
sind  von  der  grössten  Seltenheit.  Trotz  meiner  lang- 
jährigen Nachforschungen  ist  es  mir  nicht  geglückt, 
ausser  den  zwei  eben  genannten  Bildern,  mehr  als  etwa 
ein  Dutzend  Werke  aufzufinden,  die  man  mit  Sicher- 
heit ihm  zuzuschreiben  ein  Recht  hätte.  Ich  will  die- 
selben hier  anführen. 


mal  er  ei"  auf  der  „Taufe  Christi"  des  Verrocchio,  die  Herr  Bode 
dem  jungen  Lionardo  da  Vinci  zuschreiben  möchte  —  von  kei- 
nem andern  Meister  herrühren,  als  von  dem  Restaurator,  der 
durch  seinen  Firnis  und  durch  sein  Oel  jene  beiden  Bilder  in 
später  Zeit  verunstaltet  hat. 


Francesco  Pesellino.  335 

Als  das  älteste  unter  diesen  Werken  Pesellino's  sehe 
ich,  wie  schon  gesagt,  die  Längstafel  im  Hause  Buo- 
narotti  an. 

Ebenfalls  aus  seiner  Frühzeit,  indessen  schon  ganz 
und  gar  in  der  Weise  des  Lehrers  Fra  Filippo  Lippi, 
scheint  mir  die  kleine,  von  Vasari  citirte  Tafel  in  der 
Sammlung  Morelli  in  Mailand  zu  sein;  ^^fece  ai  /an- 
ciulli  della  Compagnia  dt  S.  Giorgio  un  S,  Girolamo  e 
nn  S.  Francesco'-''  (Vasari,  IV,  183).  Mitten  in  einer 
Felsschlucht  kniet  der  heilige  Hieronymus  vor  einem 
Todtenschädel,  in  der  Rechten  einen  Stein,  in  der  Linken 
ein  Crucifix  haltend.  Der  obere  Theil  seines  Korpers 
ist  entblösst,  den  untern  bedeckt  der  rothe  Cardinals- 
mantel. Unten  an  der  Felsschlucht  sitzt  ein  anderer 
Mönch  im  grauen  Ordenskleide  und  spielt  mit  einem 
Löwen,  neben  dem  eine  Löwin  kauert,  ihren  Blick  auf 
den  heiligen  Hieronymus  gerichtet.  Hinter  den  Felsen 
sieht  man  das  rothe  Dach  des  Klosters  hervorschauen. 
Alles  in  diesem  Bilde  ist  noch  sehr  jugendlich  und  naiv, 
sowol  in  der  Darstellung  als  in  der  Ausfuhrung;  der 
Kopf  des  heiligen  Hieronymus  ist  seinem  Lehrer  Fra 
Filippo  entlehnt. 

In  derselben  Morelli'schen  Bildersammlung  befindet 
sich  ein  anderes  Tafelbild  Pesellino's,  worauf  ein  Floren- 
tiner aus  der  sogenannten  ^^borghesia  grassa''^  (dem  fetten 
Burgerstand),  d.  h.  ein  Patricier,  dargestellt  ist,  wie 
er,  von  Demokraten  angeklagt,  vor  den  auf  hohem 
Thronsessel  sitzenden  Richter  geführt  wird.  Auch  dieses 
durch  Lebendigkeit  der  Darstellung  und  Schärfe  der 
Charakteristik  ganz  ausgezeichnete  Bild  trägt  an  der 
Stirn  noch  immer  den  Stempel  des  Lehrmeisters  Fra 
Filippo. 

In  eine  nicht  viel  spätere  Wirkungszeit  des  Pesel- 
lino dürften  auch  die  drei  Täfelchen  im  Palast  Ales- 
sandri  in  Florenz  gesetzt  werden.-  Das  eine  davon 
stellt  Simon  den  Zauberer  dar,  das  andere  PauFs  Be- 


336 


Die  Galerie  Doria-Panfili. 


kehrung,  das  dritte  den  heiligen  Zenobius,  welcher  den 
todten  Sohn  einer  Witwe  wieder  ins  Leben  ruft. 

Von  den  zwei  vorzüglichen^  Längstafeln,  die,  einst 
vereint,  den  Altaraufsatz  (Predella)  eines  grossen  Bildes 
des  Fra  Filippo  bildeten,  befindet  sich  die  eine  noch 
im  Besitz  der  florentinischen  Akademie,  die  andere 
wurde  nach  Frankreich  entführt  und  ist  jetzt  unter 
Nr.  287  im  Louvre  ausgestellt.  Auf  der  erstem 
dieser  Tafeln  sind  das  Präsepium,  eine  Wunderthat 
des  heiligen  Antonius  und  der  Märtyrertod  der  heiligen 


Der  heilige  Antonius  der  Wnnderthäter  (Akademie  zu  Florenz). 

Cosmas  und  Damianus  dargestellt;  auf  der  letztern  die- 
selben zwei  Heiligen  Cosmas  und  Damianus,  wie  sie  als 
Aerzte  einem  Kranken  beistehen,  und  endlich  der  hei- 
lige Franciscus  mit  den  Wundmalen. 

Zu  den  Arbeiten  der  Spätzeit  unsers  Meisters  würde 
ich  eine  grössere  Längstafel  rechnen,  auf  welcher,  nach  der 
bekannten  Novelle  des  Boccaccio,  die  Vermählung  der 


^  Schon  Pater  Lanzi  bemerkte  mit  Recht  über  diese  Predella : 
^,che  Vistorico  (d.  h.  Vasari)  chiamb  maravigliosissima,  e  forse  non 
la  lodb  per  quel  secolo  oltre  ü  dovere"  (I,  103). 


Francesco  Peselliüo.  337 

Griseldis  mit  dem  Marchese  di  Saluzzo  dargestellt  ist. 
Dieses  köstliche  Bild  gelangte  aus  dem  Palast  Gherardi 
in  Florenz  in  die  Sammlung  des  Herrn  Giovanni  Mo- 
relli.  Es  ist  dies  wol  eine  der  charakteristischsten  und 
auch  anziehendsten  Darstellungen,  die  wir  von  dem 
geistreichen,  feinen  und  stets  liebenswürdigen  Erzähler 
Pesellino  besitzen.  In  diesem  Werke  ist  der  Meister 
ganz  er  selbst  und  wir  sehen  hier  kaum  noch  Spi»en 
von  Erinnerungen  an  seinen  Lehrer  Fra  Filippo,  ebenso 
wenig  wie  in  den  zwei  andern  ebenfalls  höchst  feinen 
Längstafeln  mit  dem  Sieg  und  dem  Triumph  David's, 
in  der  Sammlung  der  Familie  Torrigiani  in  Florenz. 
Die  zwei  letztern  Tafelbilder  werden  zwar  dort  noch 
immer  dem  Benozzo  Gozzoli  zugetheilt,  dürften  jedoch, 
wie  ich  meine,  jedem  Kenner  der  florentinischen  Maler- 
schulen sogleich  als  Werke  unsers  Pesellino  sich  er- 
weisen. *   (f) 

Ausser  diesen  dreizehn  soeben  angeführten  Werken 
Pesellino's  befindet  sich  noch  ein  grosses  Tafelbild  in 
der  National  Gallery  zu  London,  das  man  dort  mit 
um  80  grÖsserm  Recht  unserm  Meister  glaubt  zuschrei- 
ben zu  dürfen,  als  jenes  Bild  bereits  von  Vasari  als 
Werk  des  Pesellino  citirt  worden  ist  (IV,  182).  Auf 
demselben  ist  die  Dreieinigkeit  mit  den  heiligen  Jacobus 
und  Zeno  dargestellt.  Das  Bild  war  ehedem  in  einer 
Kirche  von  Pistoja.  Ich  gestehe  jedoch,  dass  es  mir 
unmöglich  ist,  in  jenem  Gemälde  den  Geist  und  noch 
viel  weniger  die  Art  und  Weise  des  Francesco  Pesello 
wahrzunehmen,  und  ich  vermuthe  daher,  dass  es  wol 
eher  die  Arbeit  des  Piero  di  Lorenzo  Pratese,  des 
Gehülfen  Pesellino's,  sein  dürfte.    Auch  hat,  soviel  mir 


*  Herr  Direotor  W.  Bode  (11,  575)  steht  vor  diesen   zwei 
Bildern  wie  Heroales  am  Sobeidewege,  er  weiss  nämlich  nioht, 
ob  er  sie  dem  Pesellino  nehmen  oder  ob  er  sie  ihm  lassen  soll. 
LsBHouvnr.  22 


338  I^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

bekannt  ist,   Francesco  Pesello   sich  nie  in    der  Dar- 
stellung grosserer  Figuren  versucht.^ 

Von  diesem  seltenen,  durch  und  durch  florentinischen 
Meister  mögen  wol  noch  andere  Bildchen  in  den  Privat- 
sammlungen Europas  sich  vorfinden;  doch  da  ich  die- 
selben nicht  gesehen  habe,  bin  ich  nicht  im  Stande 
darüber  zu  berichten. 

In  Erwägung  nun,  dass  Neulinge  in  der  italienischen 
Kunstwissenschaft  nicht  selten  Gefahr  laufen,  Werke 
des  Pesellino  mit  denen  seines  Lehrers  Fra  Filippo  oder 
gar  mit  denen  seines  Zeitgenossen  Benozzo  Gozzoli, 
wie  dies  den  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  erging 
(III,  107),  zu  verwechseln,  sei  es  mir  erlaubt,  in  aUer 
Kürze  einige  für  unsern  Meister  höchst  charakteristische 
Merkmale  hier  anzuführen. 

Die  Figuren  Pesellino's  sind  stets  fein  und  schlank 
und  von  grosser  Anmuth,  im  Gegensatz  zu  den  vollen, 
nicht  selten  klotzigen  Gestalten  seines  Lehrers  Fra  Fi- 
lippo, mit  dem  man  ihn  zuweilen  verwechselt. 

Pesellino  hat  eine  besondere  Vorliebe  für  die  graue, 
blaue  und  violette  Farbe. 

Die  Form  der  Hände  bei  ihm  ähnelt  der  plumpen 
Form  der  Hand  bei  Fra  Filippo,  sowie  auch  der  Typus 
mancher  Köpfe  in  den  Bildern  aus  seiner  Frühzeit. 

Das  Ohr  hat  bei  Pesellino  eine  zwar  rundliche,  allein 
doch  immer  länglichere  Form  als  bei  Fra  Filippo  und 
charakteristisch  an  demselben  sind  die  sehr  scharf  mit 
dunkelbrauner  Farbe  bezeichneten  Contouren  des  äussern 
Ohrrandes  oder  der  sogenannten  Helix. 


^  Allerdings  sieht  man  in  der  Uffizien-Galerie,  unter  Nr.  25, 
eine  „Verkündigung"  ausgestellt,  welches  Bild  früher  den  Namen 
des  Giuliano  Pesello  führte,  neuerdings  aber  dem  Neffen  Pesellino 
zugeschrieben  wurde.  Allein  jenes  Gemälde  gehört  untrüglicher- 
weise dem  Allesso  Baldovinetti  an,  was  selbst  Herr  Director 
W.  Bode  zugibt  (II,  576). 


Die  y«netiAner:  GioTanai  Belli  dl  3S9 

Bemerkenswertii  sind  bei  ihm  ebenfalls  die  zwei  oft 
wiederkehrenden  (besondere  am  Ellenbogengeleiik)  run- 
den Falten. 

Der  Fussboden  ist  auf  seinen 
Bildern     gewöhnlich    ziegelroth- 
lich,  die  Säulen  an  den  Gebäuden 
grünlich,  die  Dächer  an  den  Iläu- 
serB  hochroth.    Wie  wir  also  ge-       m 
sehen,  befinden  sich  die  bekann-      Im/-    l^/  /// 
ten,  auf  uns  gekommenen  Werke     ^  y^S^X^^ 
dieses  überaus  anmuthigen  Mei-     ^^"''^ 
sters   fast    sämmtlich    in   Italien, 

nämlich  zwei  in  Rom,  sieben  in  Florenz,  drei  in 
der  Sammlung  Morelli  in  Mailand,  eins  im  Louvre 
und  eins  aus  der  Werkstatt  Pesellino's  in  der  National 
Gallery  in  London. 


DIE  VEÜTETIANER 

Kach  dieser  Abschweifung  gehen  wir  nun,  unserm 
Vorhaben  gemäss,  an  die  Betrachtung  der  sowol  in 
dieser  als  auch  in  andern  Galerien  Roms  ausgestellten 
Werke  der  venetianischen  Malerschulen.  Dieselben  sind 
hier  nicht  zusammengestellt  wie  in  der  Borghese-Galerie, 
sie  hängen  vielmehr  zerstreut  in  den  verschiedenen  Sälen 
und  Gängen,  welche  in  diesem  fürstlichen  Palast  als 
Bildergalerie  dienen.  Suchen  wir  also  diesellMB  auf  in 
Geduld  und  Triebe  und  beginnen  wir  unsere  Mustemng 
mit  den  Werken  der  Altmeister,  deren  Namen  wir  im 
Katalog  der  Sammlung  angefulirt  finden,  nämlich  mit 
denen  des  Giovanni  Belli »li  mm'I  des  Andrea 
Mantegna. 

GIOVANNI  BELLINI. 

Keine  unter  den  hervomigeiideii  Sammlungen  Eu- 
ropas mochte  heutzutage  den  Naneo  des  Giambeüino 

22* 


340  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

in  ihrem  Katalog  vermissen,  und  doch  dachte  man  seit 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  bis  etwa  um 
die  Mitte  des  unserigen  kaum  noch  an  denselben,  wenn 
von  den  venetianischen  Malern  die  Rede  war,  sondern 
man  hatte  da  nur  Sinn  für  seine  grossen  Schüler  und 
Nachfolger:  den  Giorgione,  den  Tizian  vor  allen  andern, 
den  Sebastiano  del  Piombo,  den  Palma  vecchio,  den 
Paris  Bordone,  den  Tintorretto,  den  Paolo  Veronese. 
Ueberdies  war  Giambellino  in  den  letzten  drei  Pecennien 
seines  Lebens  dermassen  mit  der  Ausführung  grosser 
Werke,  sei  es  für  den  Senat  sei  es  für  die  Kirchen 
seiner  Vaterstadt  in  Anspruch  genommen,  dass  selbst 
die  kunstliebende  Markgräfin  von  Mantua,  Isabella  Gon- 
zaga,  trotz  ihrer  directen  und  indirecten  Bitten  und 
Mahnungen,  lange  Jahre  warten  musste,  bis  sie  endlich 
das  ihr  vom  Meister  versprochene  Bild  erhielt.^  Diesem 
Umstand  ist  es  denn  auch  zuzuschreiben,  dass  damals 
Werke  des  Meisters  ausserhalb  seiner  Vaterstadt  Venedig, 
selbst  in  Italien,  eine  grosse  Seltenheit  waren.  Denn  mit 
Ausnahme  einer  für  Sigismondo  Malatesta  von  Rimini 
gemalten  „Pieta",  der  grossen  Altartafel  für  die  Fran- 
ciscaner  von  Pesaro,  des  Bacchanals  für  den  Herzog  von 
Ferrara,  des  Altarbildes  für  die  Kirche  von  Santa  Co- 
rona in  Vicenza  und  eines  reizenden  Madonnenbildes  für 
ein  Nonnenkloster  in  Alzano  bei  Bergamo  2,  wüsste  ich 


^  Siehe  darüber:  Gaye,  Carteggio  d'artisti,  II,  71 — 82.  Die 
Briefe  datiren  aus  den  Jahren  1505  und  1506. 

"  Das  schöne  Bild  mit  der  „Beweinung  Christi"  ist  gegen- 
wärtig im  Stadthause  von  Rimini,  die  Altartafel  von  Pesaro  be- 
findet sich  in  einer  andern  Kirche  der  Stadt,  das  Bacchanal  soll 
im  Besitze  des  Herzogs  von  Northumberland  sein,  die  Altartafel 
von  S.  Corona  ist  noch  immer  an  Ort  und  Stelle,  das  von  Ri- 
dolfi  citirte  Madonnenbild  für  Alzano  befindet  sich  jetzt  in  der 
Sammlung  Morelli  in  Mailand.  Es  ist  dies  eins  der  bester- 
haltenen Gemälde  des  Meisters  (um  1496 — 98),  auch  wurde  es 
zweimal  von  Giovan  Battista  Moroni  copirt.    Von  diesen  Copien 


Die  Yenetianer:  Giovanni  Bellini.  341 

kaum  ein  anderes  Werk  anzugeben,  das  der  venetianische 
Meister  auf  auswärtige  Bestellung  hin  ausgeführt  hätte. 

Ausserhalb  Venedig  finden  wir  gegenwärtig  in  Ita- 
lien  beiläufig   noch  folgende  Werke   des  Giambellino: 

In  der  Uffizien- Galerie  die  „heilige  Allegorie" 
unter  Nr.  631.  Dieses  wunderliebliche,  geist-  und  an- 
muthsvolle  Bildchen  kam  nach  Florenz  unter  seinem  rich- 
tigen Namen ;  später  wurde  es  auf  Giorgione  umgetauft 
und  bekam  in  neuester  Zeit,  zur  Verwunderung  aller 
Kenner  der  venetianischen  Meister,  ich  meine  die  von 
der  feinern  Sorte,  den  Namen  des  Marco  Basaiti.  (Auch 
Director  W.  Bode,  II,  641,  nahm  es  für  ein  Werk 
des  Basaiti.)  Allein  auch  schon  die  Formen  des  Ohres 
und  die  allzugrosse,  für  Giambellino  so  charakteri- 
stische Hand  verrathen  sogleich  den  Meister.  Der  Typus 
der  Madonna,  ihre  Stellung,  sowie  auch  die  Felsenland- 
schaft auf  diesem  Bilde  erinnern  an  die  „Anbetung  der 
Könige"  seines  Bruders  Gentile  in  der  Sammlung  von 
Sir  Henry  Layard  in  Venedig. 

Der  kleine  Apostelkopf,  Nr.  177,  in  den  Uffizien 
gcliört  einem  Schüler  an,  ebenso  wie  das  sogenannte 
tSeibstporträt  des  Giambellino,  Nr.  354,  mit  der  gefälsch- 
ten Aufschrift;  die  blos  untermalte  „Beweinung  Christi", 
Nr.  581  ebendaselbst,  ist  durch  die  Restauration  der- 
massen  entstellt,  dass  das  Bild  in  seinem  gegenwär- 
tigen Zustande  für  jeden  feinern  Kunstfreund  fast  allen 
Werth  verloren  hat. 

Die  Pinakothek  von  Turin  besitzt  ein  durch  Ueber- 
malung  zwar  ganz  und  gar  verdorbenes,  allein  echtes 
Madonnenbild  unsers  Meisters,  Nr.  779.  Das  andere 
in  jenem  Galeriekatalog  ebenfalls  dem  Giambellino  zu- 
geschriebene Madonnenbild,  Nr.  105 B,  ist  Copie. 


ist  die  eine  im  Besitze  der  griflichen  Familie  Agliardi  in  Ber- 
gamo, die  andere  siert  den  Altar  einer  Kirche  im  Seriothal,  in 
der  Nähe  von  Albino. 


k 


342  I>»e  Galerie  Doria-Panfili. 

In  Mailand  findet  man  in  der  Brera-Galerie  drei 
Werke  und  zwar  aus  drei  verschiedenen  Epochen  des 
Gijinibellino.  Das  älteste  davon,  etwa  um  1464 — 67, 
ist  die  „Pieta",  Nr.  220.  Der  Schmerz  einer  Mutter 
über  den  Verlust  ihres  Sohnes  hat  wol  in  keinem  an- 
dern Werk  der  Kunst  einen  so  tiefen,  so  tragischen 
Ausdruck  gefunden,  als  in  diesem  Bilde.  Das  für  eine 
griechische  Kirche  gemalte  Madonnenbild,  Nr.  293,  dürfte 
um  ein  Jahrzehnt  später  entstanden  sein.  Ich  kenne 
kein  anderes  Madonnenbild,  das  auf  mich  einen  so  tiefen 
Eindruck  gemacht  hätte.  Die  sanfte  Melancholie,  die 
sowol  aus  dem  Antlitz  des  Christkindes  wie  aus  dem 
Auge  der  göttlichen  Mutter  spricht,  ist  wahrhaft  er- 
haben. Ein  drittes  Madonnenbild  daselbst  trägt  die 
Jahreszahl  1510  und  die  Nr.  297.  Dasselbe  hat  viel- 
fach gelitten.  Ausser  diesen  drei  Bildern  in  der  Brera 
besitzt  Dr.  G.  Frizzoni  in  Mailand  ein  höchst  interes- 
santes an  Alvise  Vivarini  erinnerndes  Madonnenbildchen 
aus  der  Frühzeit  des  Giambellino  und  Giovanni  Morelli 
hat,  ausser  der  oben  angeführten  Madonna  mit  dem 
Kinde,  ein  zweites  Madonnenbild  des  Meisters,  etwa 
aus  den  Jahren  1475 — 78. 

In  der  städtischen  Bildersammlung  von  Bergamo 
sieht  man  (Abtheilung  Lochis)  ein  echtes,  allein  stark 
restaurirtes  Madonnenbildchen  ebenfalls  aus  der  Früh- 
zeit Giambellino"' s,  Nr.  47,  und  im  Dom  daselbst  ein  an- 
deres Madonnenbild  aus  den  letzten  Jahren  ties  Meisters 
(um  1512). 

In  Brescia  ist,  soviel  ich  weiss,  kein  Werk  des 
Bellini  zu  sehen.  Die  ihm  in  der  Kirche  von  S.  Gio- 
vanni Ev.  zugemuthete  „Kreuzabnahme"  gehört  wahr- 
scheinlich dem  V.  Civerchio  aus  Crema  an,  einem  Schüler 
des  Foppa.  (f)  Dafür  findet  man  unter  den  im  Palast 
Tosi  aufgestellten  Zeichnungen  eine  dem  Mantegna 
fälschlich  zugeschriebene  Federskizze  (zu  einer  „Pieta") 
von  Giambellino's  Hand,  (f) 


Die  Yenetianer:  GioTttnni  Bellini.  343 

In  Verona  befindet  sich  in  der  etädtischen  Pina- 
kothek (Abtheilung  Bemasconi,  Nr.  77)  ein  sehr  ver- 
dorbenes, allein  echtes  und  herrlich  gedachtes  Madonnen- 
bild (um  1477)  des  Giambellino,  dort  unsinnigerweise 
in  die  florentinische  Schule  verwiesen,  (f) 

Vicenza  besitzt  in  der  Kirche  von  S.  Corona  noch 
immer  das  grosse  Altarbild  des  Meisters  aus  dem 
Jahre  1510. 

In  Padua,  Ferrara,  Bologna,  Treviso,  sowie 
auch  in  Friaul  war  es  mir  nicht  vergönnt,  irgendein 
echtes  Werk  des  Giambellino  aufzufinden. 

Dagegen  besitzt  die  stadtische  Sammlung  von  Ro- 
vigo  ein  echtes,  allein  ganz  und  gar  verunstaltetes  Ma- 
donnenbild unsers  Meisters  unter  Nr.  109. 

Die  zahlreichen  Werke,  grössere  und  kleinere,  die 
seine  Vaterstadt  Venedig  noch  von  ihm  zu  wahren  das 
Glück  hat,  sind  jedoch  leider  zum  grössten  Theil  durch 
sogenannte  Restauratoren  so  schändlich  zugerichtet  wor- 
den, dass  der  Genuss  an  denselben  dadurch  sehr  ver- 
mindert wird.     Zahlen  wir  nun  dieselben  auf: 

Aus  der  Frühzeit  des  Meisters  besitzt  das  neuer- 
dings so  unsinnig  geordnete  Museum  Corr^r  einige  kost- 
bare Werke:  eine  „Beweinung  Christi'*  (Saal IX,  Nr.  27), 
von  Director  W.  Bode  (II,  771)  zwar  noch  immer  dem 
Pier  Maria  Pennacchi  zugeschrieben,  nach  meiner 
üeberzeugung  jedoch  ein  echtes  und  zwar  tief  empfun- 
denes Werk  Giambellino's  (f);  ferner  ein  kleines  Bild 
mit  dem  gekreuzigten  Christus,  von  der  göttlichen  Mutter 
und  dem  treuen  Johannes  beweint  (Saal  IX,  Nr.  4B), 
noch  ganz  in  der  Art  des  Vaters  Giacomo  (f);  drittens 
die  „Transfiguration"  (Saal  VII,  Nr.  23). 

Die  Galerie  der  Akademie  besitzt  ihrerseits  aus 
der  Frühzeit  des  Meisters  eben&lls  ein  Madonnenbild 
Nr.  372.  In  derselben  Sammlung  finden  wir  überdies 
noch  manches  interessante  Werk  ans  den  versohiedenen 
spatem  £pocken  des  Giambellino,  m»  die  grosse  Altar- 


344  ßie  Galerie  Doria-Panfili. 

tafel,  Nr.  38,  aus  dem  zweitletzten  Decennium  des 
15.  Jahrhunderts;  sodann  mehrere  Madonnenbilder  im 
Contarini-Saal  V,  unter  den  Nrn.  94  und  101 ;  im  Saal  VI 
die  vier  Tafelbildchen  allegorischen  Inhalts  (Nr.  235 — 
238).  Das  Madonnenbild  (Saal  IX)  dürfte  wol  dem 
letzten  Decennium  des  15.  Jahrhunderts  angehören, 
ebenso  wie  die  andern  zwei  Madonnenbilder,  Nr.  424 
und  436  (Saal  XIII).  Ein  ganz  vorzügliches  Werk 
unsers  Meisters  vom  Jahre  1488  sieht  man  auch  in  der 
Sakristei  von  S.  Maria  dei  Frari ;  ein  anderes  Madonnen- 
bild aus  der  Frühzeit  des  Giambellino  besitzt  die  Kirche 
„Madonna  delFOrto"  (mit  einem  vom  Bilderputzer  ent- 
stellten CarteUino);  ein  grosses  und  sehr  berühmtes 
Altarblatt,  vom  Jahre  1505,  die  Kirche  von  S.  Zaccaria; 
in  S.  Francesco  della  Vigna  ist  ein  Längsbild  mit  der 
Madonna,  dem  Christkinde  und  vier  Heiligen,  der  Do- 
nator wahrscheinlich  erst  im  17.  Jahrhundert  darauf  ge- 
setzt (vom  Jahre  1507). 

In  S.  Grisostomo  endlich  befindet  sich  eins  der  letz- 
ten Werke  des  Meisters,  vom  Jahre  1513;  Bellini  malte 
das  grossartige  Bild  in  seinem  85.  Lebensjahre! 

Es  erübrigt  mir  noch  ein  anderes  grosses  Altar- 
blatt vom  Jahre  1488  zu  erwähnen,  das  Giambellino 
im  Auftrag  des  Dogen  Agostino  Barbarigo  für  die 
Kirche  S.  Pietro  Martire  in  Murano  malte. 

Dass  in  Venedig  noch  gar  manch  anderes  Werk  dem 
Giovanni  Bellino  zugemuthet  wird,  ist  selbstverständ- 
lich, ich  glaube  jedoch  unter  den  meiner  Ansicht  nach 
echten  Bildern  kaum  eines  in  dem  obigen  Verzeich- 
niss  ausgelassen  zu  haben. 

Was  es  mit  dem  Madonnenbildchen  des  Giovanni 
Bellini  in  der  Borghese- Galerie  auf  sich  hat,  darüber 
habe  ich  mich  bereits  bei  der  Besprechung  der  Bilder 
jener  Sammlung  ausgesprochen.  Auch  in  der  Capitoli- 
nischen  Bildersammlung  werden  mehrere  Gemälde,  nicht 
weniger  denn  fünf,  dem  grossen  Meister  zugemuthet. 


Die  Venetianer:  Niccolo  Rondinelli.  345 

Die  zwei  Figuren  von  Heiligen  dort,  Nr.  79  und  87, 
gehören  jedoch,  wie  wir  gesehen,  dem  Garofolo  an;  das 
hübsche  Mädchenporträt  (Nr.  207)  ist,  täusche  ich  mich 
nicht,  die  Arbeit  des  Amico  Aspertini  (f),  eines 
Schülers  des  Ercole  Roberti  von  FeF*rara,  und  die  an- 
dern zwei  Bildnisse  (Nr.  129  und  132)  scheinen  mir 
ebenfalls  nicht  von  der  Meisterhand  des  Giambellino 
zu  stammen.  Zu  einem  ähnlichen  Resultat  wird  uns 
auch  die  Betrachtung  zweier  in  dieser  Doria- Galerie 
dem  Giovanni  Bellini  zugeschriebenen  Bilder  führen. 
Das  eine  davon  hängt  im  zweiten  Saal  unter  Nr.  47, 
und  hat  die  „Darstellung  im  Tempel"  zum  Gegenstand; 
es  ist  nichts  anderes  als  eine  der  unzähligen  Copien 
von  dieser  Composition  mit  dem  widerlichen  Gegen- 
stand, denen  man  sowol  in  Italien  als  anderwärts  be- 
gegnet. Das  Originalbild  des  Giambellino  soll  sich  in 
England  befinden.^ 

NICCOLÖ  RONDINELLI. 

Um  das  andere  sogenannte  Bellinibild  zu  sehen, 
müssen  wir  uns  in  den  Braccio  II  der  Galerie  be- 
geben; dort  hängt  es  unter  der  Nr.  3.  Das  Bild  hat 
allerdings  einen  Anflug  Bellini'scher  Art,  obwol  ein  auch 
nur  oberflächlich  mit  den  venetianischen  Malerschulen 
vertrauter  Kunstfreund  kaum  dabei  an  den  grossen 
Meister  Giovanni  selbst  denken  könnte,  stünde  nicht 
unten  auf  der  Tafel  das  verführerische  schriftlicheDo- 
cument,  d.h.  die  Aufschrift:  lOANNES  •  BELLINVS. 
Auf  demselben  ist  die  Maria  dargestellt,  welche  das 
unbedeckte,  auf  ihrem  Schos  liegende  Christkind  an- 
betet; der  kleine  Johannes  steht  zuschauend  dabei.  Man 
vergleiche  nun  diese  Madonna  hier  mit  den  zwei  Bil- 
dern des  Niccolö  Rondinelli,  eines  Schülers  und  Ge- 


*  Eine  solche  Copie,  mit  dem  Namen  des  Marco  BELLI  be* 
zeichnet,  ist  in  der  stadtischen  Sammlung  von  T^^vi.r.v 


346  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

hülfen  des  Giambelliiio ,  im  zweiten  Saal  der  Galerie 
und  mau  wird  ohne  Mühe  zu  der  üeberzeugung  kommen, 
dass  alle  diese  drei  Gemälde  von  ein  und  demselben 
Meister  herrühren.  Das  eine  der  zwei  letztern  Ma- 
donnenbilder (Nr.  43)  hat  überdies  die  Aufschrift: 
NICOLAVS  •  RONDINELO.  Beide  Bilder  in  diesem 
zweiten  Saal,  sowol  das  mit  der  Nr.  43,  als  das  andere 
mit  der  Nr.  12,  sind  übrigens  so  verdorben,  dass  man 
das  Antlitz  des  Malers  kaum  noch  darin  zu  erkennen 
vermag.  Die  Hand  auf  allen  diesen  Bildern  ist  noch 
immer  sehr  Bellinisch  geformt,  die  Augenbrauen  sind, 
wie  immer  bei  Rondinelli,  voll  und  schwarz,  die  breite 
goldene  Borde  am  rothen  Kleide  der  Madonna,  sowie 
die  steifen  senkrechten  Brustfalten  an  demselben  sind 
in  dieser  seiner  spätem  Manier,  ebenfalls  bezeich- 
nend für  ihn.  Wie  wir  nun  in  dieser  Doria-Galerie 
•ein  Gemälde  des  Rondinelli  mit  der  gefälschten  Auf- 
schrift des  Giambellino  gefunden  haben,  so  könnte  ich 
noch  andere  Bilder  angeben,  welche,  von  Schülern  oder 
Nachahmern  ausgeführt,  die  Namensaufschrift  ihres 
grossen  Meisters  haben.  So  befindet  sich  in  der  Louvre- 
Galerie,  unter  Nr.  61,  ein  anderes  Madonnenbild  des 
N.  Rondinelli  mit  den  Heiligen  Petrus  und  Sebastia- 
nus  mit  der  gefälschten  Namensbezeichnung  des  Gio- 
vanni Bellini ;  auch  das  sogenannte  Selbstporträt,  Nr.  354, 
in  den  Uffizien,  hat  eine  falsche  Aufschrift;  das  andere 
männliche  Porträt  in  der  Capitolinischen  Galerie  eben- 
falls, und  auch  das  Madonnenbild  in  der  städtischen 
Bildersammlung  in  Padua,  Nr.  1273,  gehört  in  diesen 
Zusammenhang.  Francesco  Bissolo,  ein  anderer 
Schiller  und  Nachahmer  des  Bellini,  versah  desgleichen 
manches  seiner  Madonnenbilder  mit  der  gefälschten 
Aufschrift  seines  Meisters.  Auf  seinen  Cartellini  ist 
jedoch  der  Name  des  Giambellino  nicht  wie  auf  jenen 
des  Rondinelli  mit  lateinischen  Buchstaben,  sondern 
stets  in  Cursivschrift   gezeichnet,   Joannes   bellinus^   wie 


Die  Venetianer :  Niocolo  RondinellL  347 

2.  B.  auf  dem  Madonnenbildchen  der  Borghese-Galerie, 
auf  dem  Bilde  vom  Jahre  1515  mit  dem  nackten  Weibe, 
das  sich  das  Haar  ordnet,  Nr.  60,  in  der  Belvedere- 
Galerie  in  Wien  und  anderwärts  mehr. 

Wir  dürfen  daher  annehmen,  dass  solche  Fälschungen 
wol  erst  nach  dem  Tode  des  Meisters  Bellini  stattfanden 
und  dass  sie  in  der  Absicht  gemacht  wurden,  die  eigene 
Waare  leichter  und  theurer  an  den  Mann  zu  bringen. 
Ich  will  hier  nur  an  die  mit  dem  Dürer-Zeichen  bezeich- 
neten Copien  des  Marcanton  erinnern.  Mehrere  nor- 
dische Kunstgelehrte,  auf  den  hartnäckigen  Widerstand 
sich  stützend,  den  solche  gefälschte  Aufschriften  den 
Reagentien  entgegensetzen,  möchten  gern  sich  und  an- 
dern glauben  machen,  dass  dieselben  vom  Meister 
selbst  auf  die  Bilder  der  Schüler  und  Gehülfen  ge- 
setzt worden  seien!  Wem  Selbsttäuschung  Freude 
macht,  dem  will  ich  sie  auch  von  Herzen  gönnen.  Was 
wäre  das  Leben  ohne  sie?  Auch  schadet  es  am  Ende 
gar  nichts,  dass  dergleichen  Betrügereien  von  den  Dilet- 
tanten, denen  ja  ein  falsches  Kunstwerk  denselben  Spass 
macht  wie  das  echte,  für  baare  Münze  angenommen 
werden.  Im  entgegengesetzten  Falle  wäre  ja  den  Gau- 
nern, die  ja  auch  leben  wollen,  Thür  und  Thor  zu  ihrem 
Handwerk  fiir  immer  verschlossen. 

Ein  dem  Doria-Bild,  Nr.  3,  ganz  ähnliches  Madonnen- 
bildchen des  Niccolö  Rondinelli  besitzt  auch  Senator 
Giovanni  Barraceo  in  Rom;  ein  anderes  aus  derselben 
Wirkungszeit  des  Meisters  kam  aus  dem  Hause  Buri 
in  Verona  in  die  Sanunluiig  des  verstorbenen  Fürsten 
Giovanelli  in  Venedig.  Andere  Werke  aus  dieser  Spät- 
zeit des  Rondinelli  trifft  man  in  Ravenna,  sowol  bei 
Privaten  als  in  den  Kirchen  an,  wie  z.  B.  das  grosse 
Altarblatt  in  der  Kirche  von  S.  Croce  und  den  heiligen 
Sebastianus  im  Dom  von  Forli.  Die  Brera-Galerie  be- 
sitzt hingegen  ein  sehr  tüchtiges  Werk  aus  der  Früh- 
zeit unsers  Meisters,  Nr.  177.    Auf  demselben  sieht  man 


348  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

den  heiligen  Johannes,  welcher  in  einem  Tempel  der 
vor  ihm  knienden  Galla  Placidia  erscheint.  Ausser 
diesem  hat  die  Brera,  nach  meiner  Ansicht,  noch  eine 
zweite  Altartafel  des  Rondinelli  aufzuweisen;  dieselbe 
trägt  die  Nr.  176  und  stellt  die  thronende  Madonna  mit 
dem  Christkind  vor,  im  Beisein  der  Heiligen  Nikolaus, 
Augustinus,  Petrus  und  Bartholomeus,  nebst  drei  musi- 
cirenden  Engelknaben.  Der  Brera-Katalog  schreibt  das 
Bild  dem  Baldassare  Carrari  aus  Forli  zu^;  vom  ver- 
storbenen O.  Mündler  (a.  a.  O.,  S.  9)  wurde  es  dagegen 
dem  Parmensen  Cristoforo  Caselli  gegeben.  Weder  das 
Jahr  der  Geburt  noch  das  des  Todes  dieses  Meisters 
sind  bekannt.  Rondinelli  gehört  zu  jener  Schar  von 
Künstlern,  welche,  wie  Cima  da  Conegliano,  Cristoforo 
Caselli,  Jacopo  da  Montagnana,  Lattanzio  da  Rimini, 
Pier  Maria  Pennacchi,  Francesco  Bissolo  u.  a.  m.,  in 
den  letzten  zwei  Decennien  des  15.  Jahrhunderts  in  der 
Werkstätte  des  Giambellino  arbeiteten.  Aus  der  Schule 
des  Rondinelli  gingen  dann  die  Brüder  Francesco  und 
Bernardino  Zaganelli  aus  Cotignola  hervor,  Girolamo 
Marchesi,  ebenfalls  aus  Cotignola,  sowie  auch  der 
Ravennate  Luca  Longhi.  Dass  Rondinelli,  wie  Di- 
rector  W.  Bode  meint  (II,  643),  von  Marco  Palmezzano, 
dem  Schüler  und  Gehülfen  des  Melozzo  von  Forli,  be- 
einflusst  worden  sei,  scheint  mir  kaum  der  Wahrheit 
zu  entsprechen.  Ich  halte  dafür,  dass  das  Gegentheil 
wahrscheinlicher  sei  und  dass  wol  eher  der  schwächere 
Palmezzano  gar  manches  von  Rondinelli  angenommen 
haben  dürfte. 

Mit  Ausnahme  eines  einzigen,   durch  Uebermalung 


^  Schon  Pater  Lanzi  gibt  dieses  Bild  dem  Baldassare  Carrari 
(IV,  35),  allein  es  freut  mich,  dass  ich  in  der  Beurtheilung  dieses 
Gemäldes  mit  der  Ansicht  der  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle 
(I,  594,  2)  übereinstimme,  die  schon  vor  mir  dieses  Bild  dem  N. 
Rondinelli  vindicirt  haben. 


Die  Venetianer:  Niccolo  Rondinelli.  349 

ganz  und  gar  verunstalteten  Madonnenbildes  beim 
Fürsten  Torlonia  ^,  ist  mir  in  Rom  kein  einziges  Werk 
des  Giovanni  Bellini  zu  Gesicht  gekommen.  Dagegen 
besitzt  das  Museum  von  Neapel  in  der  „Verklärung 
Christi"  ein  kostbares  Bild  aus  der  Friihzeit  des  Mei- 
sters. Dasselbe  kam  mit  der  farnesischen  Erbschaft 
von  Parma  dahin. 

Vasari  wurde  von  seinem  venetianischen  Bericht- 
erstatter nicht  nur  sehr  unvollständig,  sondern  auch  un- 
richtig über  die  Malerfamilie  der  Bellini  berichtet.  So 
zählt  er  z.  B.  das  Porträt  der  Catarina  Cornaro,  Königin 
von  Cypern,  und  die  Darstellungen  der  Wunder  des 
heiligen  Kreuzes  zu  den  Werken  aus  der  Frühzeit  des 
Vaters  Ja  CO  po  Bellini,  während  jene  Bilder  der  spä- 
tem Wirkungszeit  des  Sohnes  Gentile  angehören.^  Der 
A  retiner  schreibt  ferner  die  Werke  des  Gentile  da  Fab- 
briano  und  des  Pisanello  im  Dogenpalast  den  Brüdern 
Bellini  zu,  während  diese  letztern  mit  Alvise  Vivarini 
im  Jahre  1474  beauftragt  wurden,  dieselben  blos  zu 
restauriren. 

Vasari  lässt  ferner,  auf  die  Einladung  des  Sultans 
hin  einen  guten  Maler  von  Venedig  geschickt  zu  er- 
halten, statt  Giovanni  Bellini,  der  seines  „hohen  Alters 
wegen,  schwerlich  die  Keisestrapazen  von  Venedig  nach 
Konstantinopel  ohne  Gefahr  für  seine  Gesundheit  er- 
tragen hätte",  den  Gentile  dahingehen.  Nun  war  dieser 
letztere  um  einige  Jahre  älter  als  Giovanni,  welcher 
übrigens   1479,  als  jene  Reise   stattfand,  die  fünfziger 


*  Da8  unbedeckte  Christkind  steht  auf  einem  Gesims  vor 
der  Madonna ;  an  den  Seiten  die  Apostel  Petrus  und  Paulus,  be- 
zeichnet :  , 

JOANNES.  BELLiNVS. 

*  Das  iiiiiiniNH  der  bereits  alternden  Catamia  Cornaro  be- 
findet sich  in  der  Esterhazy* Galerie  zu  Budapest;  die  Bilder  mit 
den  Wundem  des  heiligen  Krauses  aus  dem  letzten  Decennium 
des  15.  Jahrhunderts  sind  in  der  venetianischen  Akademie. 


350  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

Jahre  kaum  überschritten  hatte.  Es  ist  dies,  scheint 
mir,  ein  klarer  Beweis  dafür,  dass  in  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  selbst  bei  den  Venetianern  das  An- 
denken an  die  Familie  Bellini  bereits  im  Erlöschen  war. 

Alles  in  allem  ist  in  meinen  Augen  Giambellino  im 
15.  Jahrhundert  der  grösste  Künstler  Oberitaliens.  Vittor 
Pisano  war  zwar  für  seine  Zeit,  d.  h.  in  der  ersten 
Hälfte  jenes  Jahrhunderts,  in  gewisser  Beziehung  ebenso 
bahnbrechend,  wie  jener  in  der  zweiten  es  war;  man 
sehe  sich  sein  ganz  vorzügliches  Wandgemälde  in  S. 
Anastasia  in  Verona  an,  den  heil.  Georg  vor  dem  Sieg 
über  den  Drachen  vorstellend;  man  betrachte  ferner  seine 
höchst  interessanten  Federzeichnungen,  welche,  unter 
vielen  andern  der  alten  veronesischen  Schule,  sich  im 
sogenannten  Vallardi-Buch  im  Louvre  befinden;  seiner 
herrlichen  Medaillen  ganz  zu  geschweigen. 

Andrea  Mantegna  ist  allerdings  energischer,  im- 
ponirender,  gelehrter  als  Giambellino,  auch  führt  er  den 
Moment  des  Geschehens  mit  grösserer  Evidenz  und  rea- 
listischer Wahrheit  uns  vor  die  Augen.  Während  je- 
doch sowol  Pisanello  als  Mantegna  eine  gewisse  Ein- 
förmigkeit in  Auffassung  und  Darstellung  an  den  Tag 
legen,  entfaltet  dagegen  Giovanni  Bellini  als  Künstler 
die  grösste  Mannichfaltigkeit.  Seine  künstlerische  Er- 
ziehung verdankten  sowol  Giovanni  als  sein  älterer 
Bruder  Gentile  vor  allen  andern  ihrem  Vater  Gia- 
como,  dessen  ganze  Bedeutung  als  Künstler  uns  erst 
aus  seinem  kürzlich  von  der  Direction  der  Louvre- 
Galerie  erworbenen  Zeichnungsbuche  vor  die  Augen 
tritt.  In  jenen  mannichfaltigen  Federzeichnungen  er- 
scheint Giacomo  Bellini  als  einer  der  bedeutendsten 
venetianischen  Künstler  aus  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts. ^ 


*  Seine  Wandgemälde,  deren  Giaoomo  Bellini  gewiss  meh- 
rere ausgeführt  haben  muss,   sind,   soviel  mir  bekannt  ist,  alle 


Die  Venetianer:  Niccolö  Rondinelli.  351 

Von  seinen  zwanziger  Jahren  an,  also  etwa  um 
1450,  bis  zu  seinen  letzten  uns  bekannten  Werken  von 
1513  und  1514  (S.  Giovanni  Grisostomo  in  Venedig 
und  dem  Bachanal  beim  Herzog  von  Northumberland) 
ist  Giambellino  in  stetem  Wachsen,  in  einer  nie  inne- 
haltenden Evolution  begriffen,  und  zwar  so,  dass  Dürer 
ganz  recht  hatte,  als  er  im  Jahre  1506  denselben  fiir 
den  y,besten"  Maler  in  Venedig  erklärte. 

Giambellino  ist  grossartig  und  ernst,  anmuthig  und 
liebreich,  naiv  und  einfach,  und  dies  stets  am  rechten 
Platze  und  wenn  es  der  Gegenstand  erheischt.  Seine 
Frauen  und  Kinder,  seine  Greise  und  Jünglinge  sind  nie 
dieselben  und  haben  nur  selten  den  gleichen  Typus  oder 
Ausdruck.  Manchmal  ist  er  sogar  phantastisch  wie  sein 
eminenter  Schüler  Giorgione;  so  z.  B.  in  jenem  herr- 
lichen allegorischen  Bildchen  in  den  Uffizien  (Nr.  631). 

Dies  alles  sei  jedoch  bemerkt,  ohne  damit  den  grossen 
Verdiensten  des  gewaltigen  Mantegna  den  geringsten 
Abbruch  thun  zu  w^ollen;  gehöre  ich  doch  wahrlich 
nicht  zu  jenen  Kritikern,  die  in  einer  ausserordentlichen 
Individualität  alle  Eigenschaften  suchen  und  verlangen. 
Ja,  ich  glaube  sogar,  dass  gewisse  Geistes-  und  Ge- 
müthsgaben  geradezu  andere  ausschliessen,  und  dass  so- 


entweder  2u  Grunde  gegangen  oder  vielleicht  anoh  nnr  über- 
tüncht worden.  Von  seinen  Tafelbildern  kann  ioh  nur  den  stark 
übermalten  Christus  am  Kreuz  in  der  Pinakothek  von  Verona, 
Nr.  .344,  das  noch  schlimmer  restaurirte  Madonnenbild,  Nr.  443, 
in  der  Akademie  von  Venedig,  und  endlich  das  ebenfalls  rettau- 
rirte  Madonnenbild  in  der  Galerie  Tadini  in  Lovere  in  der  Pro- 
vinz von  Bergamo  anführen.  Bilder,  die  an  seine  Art  und  Weise 
lebhaft  erinnern,  sind  nach  meiner  Ansicht  die  dem  Fra  b. 
Angelico  zugeschriebene  „Verkündigung"  in  der  Kiroh«  von  S. 
AleaMUüdro  in  Bresoi»  ond  dM  Madonnenbild,  Hr.  160,  in  der 
•iidtiaoken  Bildersammlung  von  Bergano  (Abiktihng  Looki»), 
dort  dem  Gentile  da  Fabriano  lugeibeilt.  (Sitk*  Wkn  aaden 
Werke  des  Giacomo  Bei  Lisi  die  Mittheil«ng«n  des  Prof.  Mol> 
menti  im  ^rcAirto  storico  vmuto,  1888). 


352  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

mit  Mantegna  sowol  wie  Michelangelo  nicht  jene  Höhe 
in  ihrer  Art  erreicht  hätten,  wenn  an  ihrer  Wiege  die 
Grazien  gestanden  haben  würden.  Um  meine  Gedanken 
verständlicher  zu  machen,  möchte  ich  sagen :  besässe  Bis- 
marck  alle  jene  Eigenschaften,  die  mancher  seiner  Wider- 
sacher an  ihm  vermisst,  so  wäre  schwerlich  die  Ein- 
heit Deutschlands  eine  Wahrheit  geworden. 

Zu  den  allerfrühesten  Werken,  die  ich  von  unserm 
Meister  kenne,  rechne  ich  das  höchst  interessante  Bild- 
chen in  der  englischen  National  Gallery  mit  dem  stehen- 
den Christus,  der  das  Kreuz  mit  dem  linken  Arme  hält, 
während  rechts  ein  Engelknabe  auf  dem  Knie  in  einer 
Schale  das  aus  der  Brustwunde  Christi  spritzende  Blut 
auffängt;  den  Hintergrund  bildet  eine  reiche  Hügel- 
landschaft mit  zahlreichen  Gebäuden  und  mit  einer  in 
der  Art  des  Gentile  da  Fabbriano  beleuchteten  Hügel- 
kette. Bald  nach  diesem  Bilde  dürfte  er  die  „Kreuzi- 
gung" mit  der  Maria  und  dem  Johannes  im  Museo 
Correr^  gemalt  haben. 

In  der  Epoche,  in  der  die  Kunst  vornehmlich  den 
Charakter  darzustellen  bemüht  war,  ist  Giambellino, 
nach  Mantegna,  der  grösste  Charakterzeichner  in  Ober- 
italien; später,  als  zur  Hauptaufgabe  der  Kunst  die  Dar- 
stellung der  menschlichen  Seelenregungen  gehörte,  steht 
er  keinem  andern  nach  in  der  Versinnlichung  der  Mutter- 
liebe, der  Frömmigkeit,  des  naiven  kindlichen  Frohsinns, 
sowie  der  religiösen  Demuth  bei  den  heiligen  Frauen, 
eines  gotterfüllten  Ernstes  bei  den  Männern.  Drama- 
tisch ist  Bellini  zwar  nie,  seine  Heiligen  sind  jedoch 
alle  voll  Lebenskraft,  Energie  und  Würde. ^ 

1  Saal  IX,  Nr.  46. 

^  Der  verstorbene  venetianische  Archivar  Cecchetti  veröflfent- 
lichte  im  Archivio  veneto  (XXXIV,  204)  ein  merkwürdiges  Do- 
cument,  aus  dem  erhellt,  dass  Maria,  die  Witwe  des  Giambellino, 
im  Jahre  1554,  also  38  Jahre  nach  dem  Tode  ihres  88jährigen 
Gatten,  ihr  Testament  gemacht  hat. 


Die  Venetianer:  Niccolö  Rondinelli. 


353 


Während  nun  einerseits  gar  manches  von  seinen  Schü- 
lern und  Nachahmern  ausgeführte  Bild  dem  Meister  selbst 
zugewiesen  wird,  so  werden  andererseits  noch  heutzu- 
tage, und  dies  selbst  von  berühmten  Kunstgelehrten, 
viele  seiner  Jugendwerke  bald  dem  Mantegna  oder  dem 
Ercole  di  Roberto,  und  dies  noch  im  besten  Fall,  bald 
aber  auch  viel  geringern  Meistern,  wie  F.  Maria  Pen- 
nacchi,  Zaganelli,  Rondinelli,  Lattanzio  da  Rimini,  in 
jüngster  Zeit  sogar  dem  Basaiti  u.  s.  f.  zugemuthet.' 

Um  den  Unterschied  der  Werke  des  Giambellino 
von  denen  des  Mantegna,  mit  dem  er  in  einer  gewissen 
Epoche  seines  Wirkens  (1460—1480)  am  meisten  ver- 
wechselt wird,  meinen  jungen  Freunden  zu  erleichtern, 
will  ich  hier  für  Anfänger  in  der  Kunstwissenschaft, 
unserer  Methode  gemäss,  einige  materielle,  jedem  Auge 
erkennbare  Zeichen  anführen,  wie  dieselben  während 
meiner  Studien  in  Venedig  mir  eben  in  die  Augen  ge- 
fallen sind.  Wie  gesagt,  diese  Fingerzeige  sind  nur 
Neulingen  gewidmet,  wäre  es  doch  lächerlich  von  mir, 
dergleichen  ABC-Uebungen    dem    grossen    gebildeten 


*  Ich  hatte  schon  bei  Besprechung  des  Madonnenbildohens 
in  der  Borghese-Galerie  Gelegenheit,  meine  Leser  auf  die  That- 
Sache  aufmerksam  zu  machen,  dass  erstens  die  Gartellini  des 
Giambellino  in  Cursivschrifl  insgesammt  gefälscht  sind,  und 
zweitens,  dass  auf  den  echten,  von  ihm  selbst  auf  seine  Bilder 
gesetzten  Aufschriften  das  eine  der  zwei  L  stets  höher  als  das 
andere  gebildet  ist.  In  den  aufgefrischten  echten  Gartellini 
ist  übrigens  nicht  selten  durch  den  Restaurator  das  höhere  L 
verkürzt  worden,  sodass  beide  L  schulgerecht  dieselbe  Höhe  haben. 

Facsimile  eines  echten  Gartellino: 


LsRMOLiBrr. 


S8 


354  I^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Kunstpublikum  des  civilisirten  Europa  zu  bieten.  Hand- 
und  Ohrform  also  sind  bei  beiden  Meistern  sehr  ver- 
schieden. Während  bei  Giambellino  das  Ohr  rundlich 
und  fleischig  erscheint,  ist  es  bei  Mantegna  länglich 
und  sehr  knorpelig  gebildet;  die  Hand  und  die  Finger 
dagegen  sind  bei  Mantegna  fleischiger  und  kürzer,  bei 
Giambellino  (in  seiner  Frühzeit)  knochiger,  mehr  zu- 
gespitzt und  mit  stark  accentuirten  Gelenken  versehen. 
Auch  ist  die  Hand  bei  Bellini  fast  immer  allzu  gross. 
Der  landschaftliche  Hintergrund  auf  den  Bildern  dieses 
letztern  stellt  bis  ungefähr  in  die  ersten  Jahre  de& 
16.  Jahrhunderts,  wo  seine  Landschaft  realistisch  wird, 
gewöhnlich  eine  Ebene  vor,  mit  Gewässer,  mit  befestig- 
ten Orten  im  Mittelgrund  und  Gebirgen  in  der  Ferne; 
zumeist  zieht  ein  Weg  in  Schlangenwindung  durch  Vor- 
und  Mittelgrund.  Ursprünglich  waren  die  Farben  dieser 
Landschaften  ftihlgrün  im  Vordergrund  und  dunkelgrün 
im  Mittelgrund,  mit  der  Zeit  jedoch  oxydirten  diese 
Farben,  sodass  sie  gegenwärtig  gewöhnlich  schwarz, 
aussehen. 

Mantegna  hatte  wenig  Sinn  weder  für  die  Linien 
noch  für  die  Farben  in  der  Landschaft.  Meistens  stellen 
seine  landschaftlichen  Gründe  einen  befestigten  Ort  vor^ 
auf  steilem  Hügel,  zu  dem  ein  gewundener  Weg  führt ; 
zuweilen  auch  blos  zackige  Felsen. 

Da  nun,  wie  schon  bemerkt,  die  grössere  Zahl  der 
Bilder  des  Giambellino  leider  stark  übermalt  oder  ver- 
putzt wurde,  so  sind  durch  solche  Kestaurationen  gar 
oft  gerade  die  charakteristisch  accentuirten  Formen  des 
Meisters  nach  den  Vorschriften  der  Akademieschule  ab- 
geschwächt worden  und  springen  deshalb  nicht  sogleich 
in  die  Augen.  Will  man  daher  den  Meister  in  der 
Auffassung  seiner  Formen  studiren,  so  suche  man  die 
Werke  aus  seiner  Jugendzeit  auf,  welche  alle  a  tempera 
gemalt  und  daher  auch  weniger  entstellt  wurden,  al& 
<liejenigen   der  spätem  Epoche,   die   alle   mit  Oelfarbe 


Die  Venetianer:  Niccolö  Rondinelli.  355 

laßirt  waren  und  somit  fast  sämmtlich  durch  den  Restau- 
rator verputzt  worden  sind.  Diese  Bemerkung  soll  nicht 
nur  für  die  Werke  des  Giambellino  gelten,  sondern  sie 
gilt  ebenfalls  für  die  aller  grossen  venetianischen  Maler 
aus  der  goldenen  Zeit.  In  den  Jugendwerken  treten 
die  Eigenthümlichkeiten  des  Künstlers,  sowol  die  guten 
als  die  schlimmen,  scharf  und  unverblümt  hervor.  Wären 
die  „Pieta"  in  der  Brera- Galerie  (Nr.  284)  und  die 
„Transfiguration"  im  Museum  von  Neapel  nicht  mit 
dem  Namen  des  Meisters  bezeichnet,  so  würden  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  diese  Bilder  des  Giambellino 
dem  Mantegna  zugeschrieben  worden  sein,  wie  dies  ja 
so  manch  anderm  Gemälde  des  Bellini  aus  derselben 
Wirkungszeit  ergangen  ist;  ich  brauche  hier  nur  auf 
den  „Christus  am  Oelberg"  in  der  englischen  National 
Gallery  (Nr.  726)  und  auf  das  Bild  mit  demselben 
Gegenstand  im  Museo  Correr  in  Venedig  ^  als  Beispiele 
solcher  Verwechselungen  hinzuweisen. 

Sind  nun,  wie  wir  gesehen,  die  Gemälde  Giambel- 
lino's  noch  in  verhältnissmässig  grosser  Anzahl  uns  er- 
halten geblieben,  so  ist  dies  keineswegs  mit  seinen  Zeich- 
nungen der  Fall.  Ich  kann  daher  leider  meinen  Lesern 
nur  einige  wenige  derselben  anführen. 

In  dem  Sjiale  der  venetianischen  Akademie, 
wo  die  Zeichnungen  ausgestellt  sind,  befinden  sich  unter 
dem  Namen  des  Mantegna  eine  Federskizze  zu  einer 
„Beweinung  Christi"  und  eine  Federzeichnung  mit  einer 
stehenden  Apostelfigur,  die  mir  dem  Giovanni  Bellini  an- 
zugehören scheinen;  auch  in  der  Sammlung  des  verstor- 
benen Grafen  Tosi  in  Brescia  findet  man  eine  Feder- 
zeichnung Giambollino's  zu  einer  „Grablegung",  gleich- 
falls unter  dem  Namen  des  A.  Mantegna.  Eine  andere 
Federzeichnung  unsers  Meisters  mit  der  „Boweinung 
Christi"  sieht  man  im  Louvre,  Abtheilung  Ilis  de  la 


»  Saal  VU,  Nr.  23. 

23' 


356  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

Salle,  Nr.  20;  in  der  reichen  Sammlung  von  Zeich- 
nungen italienischer  Meister  in  Chatsworth  schreibt  man 
sonderbarerweise  eine  Federzeichnung  des  Giambellino 
dem  Perino  del  Vaga  zu.  (f )  Dieselbe  stellt  vier  stehende 
Figuren  vor. 

ANDREA  MANTEGNA. 

Von  Andrea  Mantegna,  der  nach  einem  neuer- 
dings aufgefundenen  Document  nicht  in  Padua,  wie  man 
bisher  geglaubt  hat,  sondern  in  Vicenza  das  Licht  der 
Welt  erblickte,  ist  in  den  öffentlichen  Sammlungen  Roms 
kein  einziges  Werk  zu  sehen.  Der  Katalog  der  Doria- 
Galerie  führt  allerdings  nicht  weniger  als  vier  Bilder 
an,  die  man  hier  dem  grossen  Paduaner  zuschreiben 
möchte,  wie  ich  jedoch  glaube  mit  grossem  Unrecht. 
Sehen  wir  uns  nun  in  aller  Müsse  dieselben  an. 

Eins  dieser  Bilder  hängt  hier  im  zweiten  Saal 
unter  Nr.  55.  Auf  demselben  ist  eine  der  vielen  „Ver- 
suchungen" oder  Plackereien  dargestellt,  mit  denen  der 
böse  Geist  die  Geduld  des  frommen  Einsiedlers  An- 
tonius auf  die  Probe  stellen  wollte.  Der  alte  weise 
Klausner,  der  an  nichts  Böses  dachte,  sieht  sich  hier 
plötzlich  vom  Teufel  und  seinen  Helfershelfern  umringt 
und  bedroht.  Antonius  verliert  jedoch  keineswegs  seine 
Fassung,  sondern  durchschaut  sogleich  die  Tücken  des 
Erbfeindes  und  blickt  ihm  daher  unverzagt,  ja  sieges- 
bewusst  ins  Fratzengesicht.  Ist  er  hier  in  seiner  be- 
drohlichen Lage  nicht  etwa  dem  scharfblickenden  und 
sachkundigen  Kunstforscher  vergleichbar,  der  mit  Sicher- 
heit den  Fallen  zu  entgehen  weiss,  welche  Gauner 
und  Betrüger  auf  allen  Wegen  und  Stegen  ihm,  sei  es 
mit  den  falschen  Cartellinos  sei  es  mit  vlämischen  Co- 
pien,  zu  legen  trachten? 

Zwei  andere  Bilder,  die  demselben  Meister  ange- 
hören, wie  das  soeben  besprochene,  befinden  sich  im 
Braccio  III,  unter  den  Nrn.  8  und  17.     Auf  dem  einen 


Die  Venetianer:  Andrea  Mantegna.  357 

derselben  sehen  wir  den  heiligen  Lodovicus  aus  Tou- 
louse, den  Armen  Almosen  spendend;  auf  dem  an- 
dern begegnen  wir  wieder  iinserm  unverzagten  Ein- 
siedler Antonius,  von  seinem  unermüdlichen  Erbfeind, 
dem  Teufel,  diesmal  unter  der  Gestalt  eines  Raubers, 
angefallen  und  bedroht.  Allein  auch  in  diesem  Falle 
weiss  der  weise  Antonius  sich  glücklich  aus  der  Schlinge 
zu  ziehen. 

Die  drei  höchst  charakteristischen  und  geistreichen 
Darstellungen  werden  von  den  Herren  Crowe  und  Ca- 
valcaselle  dem  Maler  Parentino  zugeschrieben  (I,  359), 
in  welchem  Urtheil  es  mir  unmöglich  ist  ihnen  beizu- 
stimmen. Diese  drei  Bildchen  haben  in  meinen  Augen 
ein  so  ausgesprochenes  veronesisches  Aussehen,  dass 
Dr.  G.  Frizzoni  mir  recht  zu  haben  scheint,  in  den- 
selben sowol  die  Hand  als  den  Geist  eines  dem  Libe- 
rale da  Verona  sehr  nahe  stehenden  Künstlers  zu 
vermuthen.  (?) 

Das  vierte  Bild  endlich,  das  in  dieser  Doria-Galerie 
demMantegna  zugeschrieben  wird,  findet  sich  imBraccio  I 
und  stellt  den  kreuztragenden  Christus  dar,  Nr.  5.  Bei 
Herrn  Lombardi  in  Ferrara  sah  ich  eine  Replik  dieses 
Gemäldes  auf  feiner  Leinwand  und,  wie  mir  schien,  von 
demselben  Meister  ausgeführt.  Täusche  ich  mich  nicht, 
so  rühren  diese  beiden  Bilder  von  der  Hand  eines 
vlämischen  Meisters  her  (f),  der  dabei  wahrschein- 
lich sich  an  ein  italienisches  Original  gehalten  haben 
dürfte.  > 

Die  in  der  vaticanischen  Sammlung  dem  Mantegna 
zugeschriebene  „Deposizione"  gehört  auf  keinen  Fall 
diesem  Meister  an,  sondern  ist  wahrscheinlich  eine  von 
Gioyanni  Bonconsigli  (+)  aus  Vicenza  angefertigte 


*  Die  Herren  Crowe  und  Cavaloaaelle  sehen  dagegen  in  diesem 
Bilde  die  vom  Palmezsano  da  Forli  beeinflosste  Hand  des  Bon- 
signori  (I,  478,  4). 


358  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Copie  nach  einem  verschollenen  Bild  seines  Vorbildes 
Bartolommeo  Montagna. 

Buonconsigli,  von  dem  in  seiner  Vaterstadt  mehrere 
Werke  zu  sehen  sind,  wird  auch  in  der  Louvre-Zeich- 
nung  zu  einer  stehenden  Christusfigur  (Br.  Nr.  409) 
mit  Mantegna  verwechselt,  obgleich  er  als  Schüler  des 
Giambellino  und  als  Nachahmer  des  Bartolommeo  Mon- 
tagna zu  betrachten  ist.  Werke  von  diesem  Vicentiner 
befinden  sich  auch  in  Venedig  in  der  Kirche  S.  Gia- 
como  dairOrio  (die  Heiligen  Sebastianus,  Lauren- 
tius  und  Rochus);  in  jener  von  S.  Spirito  (Christus 
zwischen  den  Heiligen  Erasmus  und  Secundus) ;  in  der 
Akademie:  die  Madonna  zwischen  den  Heiligen  Cos- 
mas  und  Damianus;  in  der  Sammlung  von  Sir  Henry 
Layard,  ein  Johannes  der  Täufer. 

Dass  Giovanni  Bonconsigli  im  Jahre  1539  schon 
längst  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilte,  geht  aus 
einem  von  dem  jüngst  verstorbenen  Archivar  Cecchetti 
im  Archivio  veneto  (XXXIV,  S.  205)  veröfi*entlichten 
Document  hervor.^ 

Allein  nicht  nur  mit  Giambellino  und  dessen  Schüler 
Bonconsigli  wird  Andrea  Mantegna  sehr  oft  von  den 
Dilettanten  verwechselt,  manchmal  werden  ihm  sogar 
Zeichnungen  des  Luca  Signorelli  zugeschrieben,  wie 
z.  B.  in  dem  berühmten  Stich  des  Marcanton  (f):  Mars, 
Venus  und  Amor  (Bartsch,  345).^ 

Aus  Mantegna's  Mittelzeit  besitzt  die  Uffizien-Galerie 


^  „7o  Vitruvio  de  honconsejo  depentor  q.  miser  Zuane  de 
Vicenza  habüante  qui  in  Venetia  in  contrada  de  S.  S.  ApostoU 
in  casa  propria,  1539. 

^  „Cette  helle  estampe,  gravee  d^ apres  un  dessin  du  Man- 
tegna, porte  la  date  de  1508"-  sagt  Passavant  {„Peintre-Graveur^^ 
VI,  25).  Schon  die  steife,  eckige  Bewegung  der  Venus,  die  Form 
ihrer  Hände,  sowie  die  des  Mars ,  die  Kopftypen  u.  s.  w.,  lassen 
selbst  im  Stiche  den  Geist  und  die  Ausdruoksweise  des  Luca 
Signorelli  leicht  erkennen. 


Die  Venetianer:  Andrea  Mantegna.  359 

zwei  köstliche  Bilder  unter  den  Nrn.  1025  und  1111. 
Das  eine  stellt  die  in  einer  Felsenlandschaft  mit  dem 
Christkinde  sitzende  Madonna  vor,  das  andere  Bild  ist 
«in  Triptychon,  in  der  Mitte  mit  „Anbetung  der 
Konige"  und  auf  den  Seiten  „Auferstehung"  und 
„Vorstellung  im  Tempel".  Unter  den  Staffeleibil- 
dern des  Mantegna  dürfte  wol  dieses  Triptychon  eins 
der  allervorzüglichsten  sein.  Das  sehr  verdorbene  weib- 
liche Bildniss,  Nr.  1121,  welches  der  Katalog  jener 
Galerie  ebenfalls  dem  Paduaner  zuschreibt,  gehört  da- 
gegen ihm  sicher  nicht  an,  sondern  möchte  eher  vom 
Veronesen  Giovanni  Francesco  Carotto  her- 
rühren.* (f) 

Wer  jedoch  den  vollen  Werth  dieses  wahrhaft  grossen 
Künstlers  erkennen  und  bemessen  will,  der  muss  ihn 
in  seinen  Wandgemälden  in  den  Eremitani  in  Padua^ 
und  ganz  besonders  in  denen  der  sogenannten  Camera 
degli  sposi  im  herzoglichen  Schlosse  von  Mantua  be- 
trachten.' Da  sieht  man  den  ganzen  Mann  in  seiner 
vollen  Kraft! 

Auch  die  Brera-Galerie  besitzt  drei  höchst  interes- 
sante Werke  des  Mantegna,  darunter  insbesondere  das 
Triptychon  mit  dem  heiligen  Lucas,  aus  dem  Jahre  1452. 
Der  obere  Theil  des  mit  grosser  Sorgfalt  und  Liebe  bis 


*  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  schreiben  dagegen  jenes 
Portrat,  das  sie  für  das  der  Isabella  d'Este  (I)  halten,  dem 
Francesco  Bonsignori,  also  doch  auch  einem  Veronesen, 
zu  (I,  479).  Man  vergleiche  dieses  Frauenportrftt  mit  der  herr- 
lichen Zeichnung  des  Lionardo  da  Vinci  im  Louvre  (Braun  162), 
welche  das  Profilporträt  der  Isabella  darstellt. 

*  Eins  dieser  Gemälde  hat  eine  sinnlose  „Reparation^*  last 
ganz  zu  Grunde  gerichtet. 

'  Auch  diese  im  Jahre  1474  bereits  fast  vollendeten  Wand- 
gemälde wurden  im  Jahre  1876  und  1877,  unter  der  Direotion 
des  Herrn  Generalinspectors  Cavalcaselle ,  durch  eine  schmach- 
volle „Restauration"  vielfach  verdorben,  besonders  die  „Familie 
Gonzaga**  auf  der  grossen  Wand. 


360  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

ins  feinste  Detail  ausgeführten  Bildes  muss,  wie  ich 
glaube,  um  mehrere  Monate  früher  als  der  untere  Theil 
entstanden  sein.  Kein  Flamländer  iibertrifft  im  Rea- 
lismus den  Mantegna  in  diesem  seinem  Jugendwerke 
vom  Jahre  1452! 

Verona  besitzt  ebenfalls  im  Triptychon  in  S.  Zeno  eins 
der  besten  Werke  Mantegna's;  ein  anderes  Madonnen- 
bild mit  Heiligen  sieht  man  dort  noch  in  der  Pinako- 
thek, Abtheilung  Bernasconi.  Ein  diesem  letztern  ähn- 
liches Madonnenbild  befindet  sich  in  der  Galerie  von 
Turin.  Die  Akademie  von  Venedig  hat  einen  köst- 
lichen kleinen  heiligen  Georg;  die  Herren  Scarpa  in  la 
Motta  (bei  Treviso)  einen  überlebensgrossen  unschönen 
heiligen  Sebastianus;  die  städtische  Sammlung  von  Ber- 
gamo ein  überaus  herrliches  Madonnenbildchen  i,  und 
zwei  andere  Werke  des  Mantegna  befinden  sich  auch, 
noch  in  Mailand.  Das  eine  davon  ist  ein  grosses  Altar- 
bild (aus  dem  Jahre  1497)  im  fürstlichen  Palast  Tri- 
vulzio,  das  andere,  ein  kleines  Madonnenbild,  in  der 
Sammlung  Poldi-Pezzoli.  Diese  vier  letztern  Bilder 
sind  auf  Leinwand  gemalt  und  gehören  in  das  letzte 
Decennium  des  15.  Jahrhunderts. 

ANTONIO  VIVARINI. 

Sind  wir  nun  in  den  öffentlichen  Sammlungen  der 
Ewigen  Stadt  keinem  einzigen  echten  Werk  des  grossen 
Paduaners  begegnet,  so  finden  wir  dafür  sowol  in  der 
Bildersammlung  des  Lateran,  wie  auch  in  der  des  Va- 
tican    einige   gute  Werke   zweier  venetianischen    Zeit- 


^  Das  Porträt  des  Vespasiano  Gonzaga  in  jener  Galerie,  da» 
Director  W.  Bode  (II,  618)  seinen  Lesern  als  von  der  Hand  des 
Mantegna  präsentirt,  ist  meiner  Ansicht  nach  ein  vorzügliches 
Werk  des  Veronesen  F.  Bonsignori.  Die  Zeichnung  mit  schwar- 
zer Kohle  zu  diesem  Porträt  befindet  sich  im  Kupferstichcabinet 
unter  Nr.  1702  der  Uffizien-Sammlung  (Venetianische  Schule),  (f) 


Die  Venetianer:  Carlo  Crivelli.  361 

genossen  des  Mantegna:  eins  von  Antonio  Vivarini 
ausMurano  und  zwei  von  Carlo  Crivelli.  Das  erstere 
ist  ein  Polytychon  und  hat  in  der  Mitte  die  in  Holz^ 
geschnitzte  Figur  des  heiligen  Antonius,  an  den  Seiten 
die  Heiligen  Christophorus,  Sebastianus,  Venantius  und 
Yitus,  und  darüber  in  Halbfiguren  Gottvater  und  die 
Heiligen  Petrus  und  Paulus,  Augustinus  und  einen  from- 
men Bischof;  bezeichnet  1464:  Antonius  DE  MVRÄO 
(Murano)  Pinxit.  Es  ist  somit  ein  Werk  aus  der  Spät- 
zeit des  Meisters.  Um  diesen  alten  Venetianer  jedoch 
kennen  zu  lernen,  muss  man  ihn  in  der  Marca  d'An- 
cona,  z.  B.  in  der  Pfarrkirche  von  Pausola  (Sakristei)^ 
vor  allem  aber  in  Venedig  selbst  aufsuchen:  in  der  dor- 
tigen Akademie,  in  den  Kirchen  von  S.  Zaccaria,  von 
S.  Pantaleone,  in  S.  Francesco  della  Vigna  (Sakristei). 
Die  Bildersammlungen  von  Bologna,  von  Bergamo,  der 
Brera  in  Mailand  besitzen  ebenfalls  einzelne  Werke 
von  ihm.  Das  bischöfliche  Seminarium  in  Brescia  hat 
ein  Tafelbild  mit  der  heiligen  Ursula  und  ihren  Ge- 
fährtinnen, welches  dort  zwar,  schon  seit  der  Zeit  des 
Carlo  Kidolfi,  dem  Lombarden  V.  Foppa  zugeschrieben 
wird,  das  mir  jedoch  ein  untrügliches  Werk  unsers  An- 
tonio Vivarini  zu  sein  scheint.*  (f)  Aleiner  Ansicht  nach 
verdankt  Antonio  seine  künstlerische  Ausbildung  haupt- 
sächlich dem  Gentile  da  Fabbriano  und  dem  Pisanello 
oder,  wenn  man  lieber  will,  dem  von  diesem  letztern 
beeinflussten  Giambono. 

CARLO  CRIVELLI. 
Von  Carlo  Crivelli  sind  zwei  Bilder  im  Lateran' 
und  eine  ^Pietk^'  im  Vatican.    Carlo  und  sein  jüngerer 

*  Auch  der  verstorbene  Passavant  gab,  in  seinem  lebr  ober- 
flächlichen Aufsatz  über  die  lombardischen  Maler  im  „Kunst- 
blatt", diese«  Werk  dem  Vincenzo  Foppa. 

'  Das  eine  dieser  Bilder  ist  ein  Polyptychon,  das  aus  fünf 
Abtheilungen  besteht    In  der  einen  sieht  man  die  Madonna  mit 


362  I>i«  Galerie  Doria-Panfili. 

Bruder  (?)  Vittore  wirkten  fast  ihr  ganzes  Leben  lang 
in  der  Marca  d'Ancona  und  brachten  dort  den  grössten 
Theil  dieser  Zeit  im  Ascolanischen  zu.  Auch  befanden 
sich  ehedem  in  jenen  Gegenden  fast  alle  die  hellglän- 
zenden Tafelbilder  des  Carlo,  von  denen  er  viele  mit 
Beihülfe  des  Vittore  ausführte.  Obwol  die  bessern  jener 
Altarwerke  theils  nach  Mailand,  theils  nach  Rom,  theils 
nach  London  in  die  National  Gallery  gebracht  wurden, 
so  verblieben  doch  noch  immer  mehrere  derselben  an 
verschiedenen  Orten  der  Marca  d'Ancona;  ein  kleines 
in  Ancona  selbst,  ein  Jugendwerk  (1468)  in  Massa; 
ein  anderes  in  Penna  di  S.  Martino;  ein  anderes  in  As- 
coli  und  anderwärts  noch.  Das  in  geschichtlicher  Be- 
ziehung interessanteste  Madonnenbild  des  Carlo  Cri- 
velli  befindet  sich  jedoch  in  der  Pinakothek  von  Verona. 
Aus  diesem  Bildchen  glauben  die  Herren  Crowe  und 
Cavalcaselle  schliessen  zu  dürfen,  Carlo  Crivelli  habe 
seine  Lehrjahre  unter  den  muraneser  Malern  Antonio 
und  Bartolommeo  Vivarini  (I,  82)  durchgemacht.  Dieser 
Ansicht  seiner  Gewährsmänner  schliesst  sich  auch  Di- 
rector  W.  Bode  (II,  630)  an,  indem  er  überdies  auch 
noch  den  Einfluss  des  Niccolö  da  Foligno  und  selbst 
den  des  Luca  Signorelli  in  den  Werken  Carlo's  ge- 
wahren will.  Ich  kann  auch  diesmal,  mit  dem  besten 
Willen,  den  Ansichten  des  berliner  Kunstgelehrten  nicht 
beistimmen.  Ich  meinerseits  halte  dafür,  dass  in  dem 
Madonnenbild  der  Pinakothek  von  Verona  die  Jugend- 
erziehung Crivelli's  hauptsächlich    auf  die  Schule    des 


dem  Christkind,  das  einen  Distelfinken  an  einer  Schnur  festhält, 
unter  ihr  ein  andächtiger  Mann;  in  den  andern  vier  Abtheilungen 
sind  vier  Heilige  dargestellt.  Sehr  energisch  in  der  Zeichnung. 
Bezeichnet:  1481,  VLTIMA  IVLII. 

Das  andere  ist  aus  dem  Jahre  1482  datirt  und  stellt  die 
thronende  Madonna  mit  dem  Jesuskinde  dar,  das  einen  Apfel  in 
seiner  Rechten  hält;  [am  Fusse  des  Throns  sieht  man  einen  an- 
dächtigen Franciscanermönch. 


MAOOinmCBI  LD  AUS  DBB  rBOHKBIT  OBS  CABLO  CBIVBLLI 
tv  nrn  itTkVTtaCBMK  OALBEIB  VOH  VBBOlfA. 


Die  Yenetianer:  Cima  da  Conegliano.  363 

Squarcione  in  Padua  sich  zurückführen  lasse,  glaubt 
mau  doch  beim  ersten  Anblick  jenes  Bildes  ein  Werk 
des  Gregorio  Schiavone,  eines  unbestrittenen  Schülers 
und  Nachahmers  des  Squarcione,  vor  sich  zu  haben! 
Die  Engelkinder  darauf  sind  ja  ganz  und  gar  dieselben, 
wie  wir  sie  auf  den  Bildern  des  Schiavone  gedacht  und 
geformt  antreffen!  Dass  später  auch  die  Maler  von 
Murano  auf  Crivelli  einigen  £influss  ausgeübt  haben 
mögen,  will  ich  übrigens  durchaus  nicht  bestreiten.  Ein- 
flüsse des  Niccolö  Alunno  und  gar  die  des  Luca  Signo- 
relli  in  den  Bildern  Crivelli's  zu  sehen,  muss  ich  aber 
wieder  als  den  Ausfluss  einer  ungeregelten  hochnordi- 
schen Phantasie  betrachten.  Von  Carlo  Crivelli  stammt 
auch  Pietro  Alemanni  her,  von  dem  in  Ascoli 
manches  unbedeutende  Werk  zu  sehen  ist.  Auch  der 
jüngere  Lorenzo  da  Sanseverino,  von  dem  die 
National  Gallery  ein  gutes  Werk  besitzt,  dürfte  Ein- 
flüsse von  Carlo  Crivelli  empfangen  haben. 

Kehren  wir  jedoch  jetzt  wieder  zu  den  Schülern  des 
Giovanni  Bellini  zurück,  von  denen  diese  Doria-Galerie 
mehrere  ganz  vorzügliche  Werke  uns  darbietet.  Dar- 
unter zähle  ich  freilich  weder  das  Bild  mit  der  Nr.  95 
in  diesem  zweiten  Saal,  noch  jenes  ohne  Nummer  im 
Cabinet,  am  Ende  des  Braccio  III. 

CIMA  DA  CONEGLIANO. 

Das  erstere  dieser  zwei  Bilder,  mit  Nr.  95,  stellt 
die  Madonna  mit  dem  Christkinde  auf  dem  Arme  dar 
und  ist  nichts  anderes  als  eine  der  vielen  Copien  nach 
einem  Bilde  des  Cima  da  Conegliano,  denen  man  in 
den  Sammlungen  Italiens  begegnet. 

Von  diesem  zwar  etwas  einförmigen,  allein  stets  ge- 
wissenhaften, ernsten  und  in  manchem  seiner  Werke 
selbst  grossartigen  Schüler  und  Ateliergenossen  Giam- 
bellino's  finden  sich  weder  in  Mittel-  noch  in  Süditalien 
echte  Werke  vor.     Die  Uffizien-Galerie  hat  allerdings 


364  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

in  neuerer  Zeit  im  ersten  Saal  der  Venetianer  ein  Ma- 
donnenbildchen unter  dem  Namen  des  Cima  ausgestellt^ 
allein  dasselbe  ist,  meiner  Ansicht  nach,  nur  das  Werk 
eines  Nachahmers  des  Meisters  von  Conegliano,  wahr- 
scheinlich jenes  Pietro  da  Messina,  dem  es  ja  so  oft 
gelingt,  in  seinen  Nachbildungen  hier  für  Antonello, 
dort  für  Giambellino  (Scalzi,  in  Venedig),  anderwärts 
wieder  für  Jacopo  da  Valenza  (Pinakothek  von  Padua, 
Nr.  181  und  Nr.  23)  genommen  zu  werden,  (f) 

Die  Werke  des  Cima  müssen  aufgesucht  werden  ia 
den  Sammlungen  von  Bologna,  von  Modena,  von 
Parma  (ganz  vorzügliche),  in  der  Brera-Galerie 
(auf  den  Nrn.  191  [vielleicht  sein  grossartigstes  Bild]^ 
300,  286,  289  und  302),  in  Vicenza  (das  älteste  von 
ihm  bezeichnete  Werk,  1489),  in  Conegliano,  und 
dann  vor  allem  in  den  Kirchen  Venedigs:  S.  Giovanni 
in  Bragora,  S.  Maria  delP  Orto,  Carmine,  und  in  der 
Akademie  daselbst.  Auch  die  kleine  Dorfkirche  des 
Bergdörfchens  Olera  bei  Bergamo  besitzt  ein  vorzüg- 
liches Polyptychon  aus  der  Frühzeit  des  Meisters. 

Als  Nachahmer  des  Cima  erweisen  sich  Sebastiano 
Luciani  (siehe  dessen  „Pietä"  aus  seiner  Frühzeit 
in  der  Sammlung   von  Sir  Henry  Layard  in  Venedig) ; 

Giovan  Maria  da  Carpi,  von  welchem  Herr  An- 
tonio Piccinelli  in  Bergamo  ein  mit  dem  Namen  bezeich- 
netes Madonnenbildchen  besitzt; 

Cristoforo  Caselli  aus  Parma; 

Pietro  da  Messina; 

Girolamo   da  Santa  Croce,  Akademie  von  Ve- 
nedig, Nr.  256,   und  städtische   Galerie  von  Bergamo, 
Nr.  66  (Abtheilung  Lochis),   mit  der  gefälschten  Auf- 
schrift: 
BATT  .  CIMA  .  CONELIANENSIS  •  M.  D.  XV. 

Der  unbekannte  Meister,  der  in  der  Dorfkirche 
von  Sanfiore  (bei  Conegliano)  die  gute  Altartafel  da- 
selbst malte,  und  andere  Zeitgenossen  mehr. 


Die  Venetianer:  Boccaccio  Bocoaccino.  365 

Cima  da  Conegliano  ist  gewiss  ein  ganz  vorzüg- 
licher, allein  kein  origineller  Meister.  Die  meisten  Typen 
seiner  Heiligen  entnahm  er  seinem  Lehrer  Giovanni 
Bellini.  Auch  ist  er  nicht  dramatisch  begabt  gewesen. 
Unter  allen  seinen  Zeitgenossen  ist  er  aber  der  beste 
und  sorgfaltigste  Zeichner  der  Bellini'schen  Malerschule. 
Selbst  in  den  Werken  seiner  Spätzeit,  wie  in  dem  köst- 
lichen Bilde  der  venetianischen  Akademie,  Tobias  mit 
-dem  Engel,  bleibt  er  ein  Quattrocentist  im  Gegensatz 
zu  seinem  grossen  Lehrer  Bellini,  der  noch  in  seinen 
achtziger  Jahren  immer  fortschreitet. 

Dieser  etwas  zu  lange  Excurs  über  den  Meister  von 
Oonegliano,  zu  dem  uns  das  Madonnenbild  unter  Nr.  95 
<ien  Anlass  gab,  Hess  uns  das  andere  Bild  im  letzten 
Cabinet  der  Galerie  fast  übersehen.  Dasselbe  stellt  die 
Madonna  mit  dem  Kinde  vor,  von  den  vier  Heiligen 
Petrus,  Johannes  dem  Täufer,  Nikolaus  von  Bari  und 
einer  Märtyrerin  umstanden.  Der  Katalog  schreibt  dieses 
Werk  dem  Basaiti  zu.  Während  man  also  hier  im 
zweiten  Saal  dem  Basaiti  ein  Werk  des  Garofolo  (Nr.  18) 
zumuthet,  gibt  man  ihm  in  diesem  Madonnenbild  im 
letzten  Cabinet  der  Galerie  eins  aus  der  Werkstätte 
4e8  Boccaccio  Boccaccino  von  Cremona.  Wie  sollte 
nun  vor  diesen  zwei  Bildern  ein  Kunsthistoriker,  wenn 
er  nicht  zugleich  Kunstkenner  ist,  den  Charakter  des 
Basaiti  feststellen?  Wahrscheinlich  würde  er  sein  Heil 
unter  dem  Deckmantel  der  Beeinnussungen  suchen 
müssen. 

BOCCACCIO  BOCCACCINO. 

Auch  von  diesem  lombardisch -venetianischen  Mei- 
ster Boccaccio  Boccaccino  trifft  man,  ausser  der  schon 
besprochenen  Zingarella,  Nr.  246  im  Pitti-Palast,  weder 
in  Sud-  noch  in  Mittelitalien  Werke  an.  In  Venedig 
dagegen  begegnet  man  ihm  unter  den  verschiedensten 
2^amen:    in    der    Kirche   S.  Giuliano    unter   dem    des 


366  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Cordegliaghi;  in  der  Sakristei  von  S.  Stefano;  in  S. 
Pietro  Martire  in  Murano  unter  dem  Namen  des 
Palma  vecchio  (jenes  Bild  ist  freilich  sehr  über- 
malt); (f)  im  Bibliotheksaal  des  Dogenpalastes  unter 
dem  des  Giambellino.  (f)  In  der  Akademie  daselbst 
nennt  man  ihn  bald  einen  alten  Ferraresen  (Saal  XIV, 
Nr.  457),  bald  Schüler  des  Lionardo  da  Vinci  (Saal 
XIII,  Nr.  432),  bald  Pietro  Perugino  (Saal  VIII,  Nr. 
265).  1  In  seinem  Bilde  „Christus  in  Emmaus",  im  Hause 
des  Herrn  Sergianotto,  wird  Boccaccino  uns  sogar  als 
Lionardo  da  Vinci  vorgestellt.  Es  erging  also  diesem 
alten  Cremonesen  ungefähr  so  wie  seinem  Landsmann^ 
dem  sogenannten  Bartolommeo  veneto,  der  auf  einem 
seiner  Jugendwerke  sich  auch  „Bartolommeo  mezzo 
cremonese  e  mezzo  veneziano"  bezeichnete  und  dessen 
Bilder  ebenfalls  unter  den  verschiedensten  Namen  gehen, 
Boccaccio  Boccaccino  ist  übrigens  ein  ganz  anderer, 
viel  charaktervollerer  Meister  als  jener  Protheus  von 
Bartolommeo  veneto.  Boccaccino  dürfte  seine  Lehrjahre 
theils  in  Ferrara  theils  in  Venedig  durchgemacht  haben, 
wo  er  gar  manches,  ja  sein  Bestes  von  der  Schule  der 
Brüder  Bellini,    von   der  des  Alvise  Vivarini    und  zu- 


*  An  diesem  letztem  Bilde  mag  übrigens  wol  auch  sein 
Bruder  mitgearbeitet  haben.  Die  Herren  Crowe  und  Cavalca- 
seile  bemerken  über  dieses  höchst  mittelmässige  Werk  (II,  447): 
„TFe  are  reminded  in  this  picture  of  ihe  schools  of  Lombardy^ 
and  Leonardo,  of  Umhria  and  Pinturicchio,  yet  at  ihe  same  tim& 
of  those  of  Ferrara  and  Ercole  Roberti  as  illustrated  hy  Pa- 
netti,  Costa,  Timoteo  Viti,  and  the  Zaganelli.'-''  j,E  se  potran  con- 
tar8i^\  sagt  Ariosto,  „anco  fian  pochi!^^  Um  die  Herren  Crowe 
und  Cavalcaselle  richtig  zu  verstehen,  müssen  meine  Leser  wissen, 
dass  B.  Boccaccino  in  Rom  und  auch  in  Ferrara  war,  und  das» 
man  überdies  aus  einem  andern  Documente  erfahren  hat,  dass 
er  eine  Zeit  lang  sich  auch  in  Mailand  aufhielt.  An  allen  diesen 
Orten  erhielt  also  Boccaccino  jene  vielfältigen  Eindrücke  und 
Beulen,  die  die  obengenannten  Kunsthistoriker  in  dieser  „Fuss- 
Waschung"  der  venetianischen  Akademie  bemerkt  haben  wollen. 


Die  Venetianer:  Boccaccio  Boccaccino.  367 

letzt  auch  von  Giorgione  erhielt.  Eines  seiner  vorzüg- 
lichen Bilder  besitzt  die  Akademie  von  Venedig  (Saal  11^ 
Nr.  55).  Die  Madonna  sitzt  mit  dem  Jesuskinde  in 
einer  reizenden  Landschaft,  neben  ihr  die  Heiligen 
Petrus,  Katharina,  Rosa  und  der  Täufer,  bezeichnet: 
Bochazinus.^  Seine  Vaterstadt  Cremona  hat,  ausser  den 
guten  Wandgemälden  im  Dome,  von  ihm  auch  eine 
Altartafel  vom  Jahre  1518  aufzuweisen.  Ein  anderes, 
viel  vorzüglicheres,  farbenglänzendes  Werk  des  Boccac- 
cino ist  in  Mailand  bei  Herrn  Giulio  Prinetti;  es  stellt 
den  „englischen  Gniss"  dar.  Auch  die  städtische  Bilder- 
sammlung von  Padua  besitzt  unter  der  Nr.  3  ein  ech- 
tes und  treffliches  Bild  dieses  Meisters.  Auf  demselben 
ist  die  Madonna  mit  dem  Kinde  im  Beisein  der  Hei- 
ligen  S.  Lucia   und  Katharina   dargestellt. 

Sein  Sohn  Camillo  war  auch  Maler  und  unter  den 
lombardischen  Künstlern  aus  dem  3.  Jahrzehnt  des  1 6.  Jahr- 
hunderts gewiss  nicht  einer  der  geringsten,  wie  man  sich 
in  seinem  grossen  Bilde  der  Brera-Galerie,  Nr.  82,  über- 
zeugen kann.  In  diesem  Werke  gewahrt  man  deutlich 
den  starken  Einfluss,  welchen  Giovan  Antonio  da  Por- 
denone  während  seines  Aufenthalts  in  Cremona  und  in 
Piacenza  auch  auf  diesen  Lombarden  ausgeübt  hat. 
Wegen  seiner  Fresken  in  der  Kuppel  der  Kirche  von  S. 
Sigismondo  bei  Cremona  wurde  Camillo  von  seinen  Lands- 
leuten und  somit  auch  von  Pater  Lanzi  in  den  Himmel  er- 
hohen. Es  war  dagegen,  meiner  Ansicht  nach,  ein  Glück 
für  ihn,  dass  er  in  seinem  31.  Lebensjahre  und  bald  nach- 
Vollendung  jener  Arbeiten  in  eine  bessere  Welt  hinüber- 
ging! Die  Boccaccini- Familie  hat  mich  indessen  ver- 
leitet, von  ihr  in  diesem  Zusammenhange  ausftihrlicher  zu 
handeln,  als  es  hier  wol  am  Platze  gewesen  wäre. 

>  Er  zeichnet  sich  bald:  Bochazinas,  bald  Boccaccinus  de 
Boccacciis.  (S.  Grasselli»  Äbecedario  hiografico^  etc.  p.  64.)  Auch 
im  Maseo  Correr  ündet  man  ein  chtrmkteristtsches  Bild  des  Boo- 
oaccino  (Saal  VII,  Nr.  22). 


368  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

Ich  wende  mich  nun  zur  Besprechung  eines  andern 
venetianischen  Meisters.  Wenn  jenes  Madonnenbild  im 
Cabinet  keineswegs,  wie  wir  gesehen  haben,  dem  Ba- 
saiti  angehört,  so  ist  dagegen  in  diesem  Saal  II  der 
Oalerie  das  Tafelbild  Nr.  96,  mit  dem  heiligen  Seba- 
stianus,  Perugino  genannt,  ein  echtes  Werk  von  diesem 
Meister,  ich  meine  den  Marco  Basaiti,  und  ihm  ward 
es  zu  meiner  grossen  Genugthuung  auch  von  den  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle  zuerkannt. 

MARCO  BASAiTI. 
Ueber  die  Jugenderziehung  dieses  in  manchem 
Werke  seiner  Spätzeit  nicht  unbedeutenden  venetiani- 
schen Meisters  haben  wir  leider  fast  gar  keine  Kunde. 
Vasari  hat  ihn  mit  wenig  Worten  abgefertigt.  Er  wusste 
so  wenig  von  ihm,  dass  er  aus  der  einen  Person  zwei 
Maler  gemacht  hat,  nämlich  einen  Basarini  und  einen 
Bassiti  (VI,  102);  es  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  in  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  selbst  im  Venetianischen 
auch  dieser  Meister  schon  fast  ganz  vergessen  war. 
Dass  Marco  Basaiti  vornehmlich  in  der  Werkstatt 
des  Alvise  Vivarini  sich  zum  Künstler  ausbildete,  geht 
nicht  nur  aus  seinen  Bildern  selbst,  sondern  auch  aus 
dem  Umstände  hervor,  dass  er  nach  dem  im  Jahre  1503 
«rfolgten  Tode  des  Vivarini  die  von  diesem  für  die 
Kirche  S.  Maria  dei  Frari  begonnene  Altartafel  zu  Ende 
führte  und  folgende  Aufschrift  darauf  setzte  i^ 
i^uod  Vivarine  tua  fatali  nece  nequisti,  Marcus  Baxitus 

nobile  promsit  opus. 
M.  D.  III. 

^  Die  Historiographen  Crowe  und  Cavalcaselle  (I,  261—263) 
sehen  in  den  Werken  Basaiti's  das  eine  mal  Einflüsse  des  Peru- 
gino, des  Timoteo  Viti,  des  Simon  da  Cusinghe,  des  Matteo  und 
Antonio  Cesa,  sogar  die  des  Antonio  da  Tisoio,  das  andere  mal 
werden  sie  an  die  Vivarini,  dann  an  Previtali  und  an  Giorgione, 
ja  selbst  an  Lotto  und  Solario,  ein  anderes  mal  an  Cima,  an 
Carpaccio,  an  die  Bellini  und  an  die  Lombarden  erinnert. 


Die  Yenetianer:  Marco  Basaiti.  369 

War  mm  die  Persönlichkeit  dieses  Meisters  seinen 
spätem  Landes-  und  Zeitgenossen  so  wenig  bekannt, 
und  machten  selbst  die  gefeiertsten  neuern  Historio- 
graphen  eine  Art  Chamäleon  aus  ihm,  so  darf  es  uns 
nicht  wundernehmen,  wenn  im  vorigen  Jahrhundert 
<ler  Verfasser  des  Katalogs  dieser  Doria- Galerie  den 
Basaiti  hier  mit  Garofolo  (Saal  II,  Nr.  18),  dort  mit 
Boccaccino  (Cabinet)  und  endlich  sogar  mit  Pietro 
Perugino  verwechselte.  Ging  es  ihm  doch  ander- 
wärts nicht  besser.  In  der  Uffizien-Galerie  nahm  man 
ja  den  Basaiti  noch  in  jüngster  Zeit,  wie  wir  gesehen, 
für  Giambellino;  in  Mailand  und  in  London  für  Cima 
da  Conegliano,^  und  anderswo  sogar  für  den  Vero- 
nesen  GianfrancescoCarotto.  Auch  die  grosse  „Him- 
melfahrt Maria"  in  S.  Pietro  zu  Murano  dürfte  wol 
«her  ein  von  Bissolo,  unter  der  Leitung  des  Giambel- 
lino, ausgeführtes  Gemälde  sein,  als  das  Werk  des  Marco 
Basaiti,  wie  Herr  Director  Bode  (II,  641)  behauptet,  (f ) 
Dagegen  besitzt  sein  eigenes  Museum  in  Berlin  ein  gar 
köstliches  Bildchen  unsers  Basaiti  (Nr.  40  des  Meyer'- 
schen  Katalogs),  welches  indessen  selbst  von  den  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle  als  Jugendwerk  Carotto's  be- 
Htätigt  wurde  (I,  482).  Plerr  Director  Julius  Meyer 
kam  jedoch  in  der  zweittn  Auflage  sein«vs  K  it'ili.tr^  «],.r 

*  Auch  Herr  Director  lio.i.'  ^i,  641)  entging  mein  (iiescni 
■qui  pro  quo,  indem  er  den  kleinen  sich  kasteienden  heiligen 
Hieronymus  (Nr.  302)  der  Brera- Galerie  als  Werk  des  Basaiti 
seinen  Lesern  vorstellt.  Schon  die  Formen  der  Hand  und  des 
Ohres  sowie  auch  die  für  den  Cima  so  charakteristische  Land- 
Hchaft  in  jenem  Bildchen  sagen  jedem  Kenner  der  renetianisohen 
Meister,  dass  et  das  Werk  des  Malert  von  Conegliano  und  keines- 
wegs des  Basaiti  ist.  Auch  hat  es  die  neue  Direction  dem  erstern 
zurückerstattet.  Ein  ganz  ähnliches  Bildchen  des  Cima  kam  vor 
Jahren  aus  der  Sammlung  Hamilton  ebenfalls  unter  dem  falschen 
Namen  des  Basaiti  in  die  National  Oaliery,  wo  es  jedoch  von 
Sir  F.  Burton,  Director  jener  Galerie,  sogleich  als  Arbeit  des 
Cima  da  Conegliano  erkannt  wnrde. 

l.KBiioi.iBrr.  24 


370  J^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Wahrheit  insofern  näher,  als  er  es  aus  der  Schule  von 
Verona  in  dievenetianische  des  Alvise  Vivarini  versetzte. 
Ich  wage  aber  noch  einen  Schritt  weiter  zu  gehen  und  er- 
kläre, wie  schon  bemerkt,  jenes  ganz  vorzügliche  Ma- 
donnenbildchen mit  den  zwei  musicirenden  Engelknaben 
für    ein  untrügliches  Werk   des  Marco   Basaiti.  (f) 

Die  Gemälde  dieses  nicht  uninteressanten  Meisters 
sind  in  Italien  nicht  selten;  die  meisten  davon  befinden  sich, 
wie  sich  erwarten  lässt,  in  Venedig:  zwei  in  der  Kirche 
von  S.  Pietro  in  Castello,  ein  anderes  in  der  Sakristei  der 
Salute.  Das  Museum  Correr  daselbst  besitzt  ein  mit  dem 
Namen  bezeichnetes  Madonnenbild  (Saal  IX,  Nr.  24), 
Auch  in  der  Akademie  der  schönen  Kainste  begegnen 
wir  zwei  grössern  Werken  des  Meisters  aus  den  Jahren 
1510 — 12:  die  Berufung  des  Jacobus  und  des  Johannes 
zum  Apostelamt  und  das  „  Gethsemane ",  und  überdies 
noch  andere  kleinere  Werke.  Ausserhalb  der  Lagunen- 
stadt finden  wir  Bilder  des  Marco  Basaiti  in  der  Com- 
munal-Galerie  von  Padua^;  in  jener  von  Verona,  in  der 
Ambrosiana  in  Mailand  (Sala  Pecis);  in  der  Sammlung 
des  Herrn  Giovanni  Morelli  in  Mailand,  ein  männliches, 
nicht  weibliches  Porträt  wie  Herr  Director  Bode  sagt, 
mit  der  Bezeichnung  M.  BAXITVS.  F.  M.  D.  XXI. 
Die  breitere  Maltechnik  auf  diesem  schönen  Bilde  er- 
innert mehr  an  Cima  da  Conegliano  und  an  Giambel- 
lino,  als  an  Alvise  Vivarini. 

Auch  die  städtische  Galerie  von  Bergamo  hat,  ausser 
einem  zwar  mit  dem  Namen  des  Meisters  bezeichneten 
allein  stark  übermalten  männlichen  Porträt,  noch  einen 
„Ecce  homo"  vom  Jahre  1515  und  einen  sich  ka- 
steienden heiligen  Hieronymus,  bezeichnet:  MARCVS 
BAXAITI.     Dieses  letztere  übrigens  sehr  verdorbene 

^  Dieses  gute  Bild  aus  der  spätem  Zeit  (1515—20)  des  Meisters 
stellt  die  Jungfrau  mit  dem  Kinde  zwischen  den  Heiligen  Petrus 
und  Liberalis  und  drei  Engeln  dar;  es  ist  bezeichnet:  MARCHVS. 
BAXAITI,  und  führt  die  Nr.  139. 


Die  Venetianer:  Girolamo  Romanino.  371 

Gemälde  erinnert  an  Cima  da  Conegliano.  Ausserdem 
finden  wir  dort  auch  noch  im  Hause  Agliardi  ein  Ma- 
donnenbild, bezeichnet  MARCVS.  BAXAITI,  und  bei 
Herrn  Antonio  Piccinelli  einen  andern  stark  übermalten 
sich  kasteienden  heiligen  Hieronymus,  ebenfalls  mit  dem 
Namen  des  Meisters  bezeichnet. 

Allem  nach  zu  schliessen,  diirfte  M.  Basaiti  um  1470 
geboren  und  bald  nach  1521  gestorben  sein. 

GIROLAMO  ROMANINO. 

Sehen  wir  uns  nun  in  diesem  zweiten  Saal  der 
Doria- Galerie  noch  weiter  um,  so  fällt  unser  Auge 
auf  ein  grösseres  Madonnenbild  von  ebenfalls  ausge- 
sprochen venetianischem  Colorit.  Das  Bild  hat  zwar 
die  Nr.  50,  allein  wunderbarerweise  keinen  Namen 
erhalten.  Ein  namenloses  Bild  hat  aber,  wie  die 
klügern  Galeriedirectoren  wol  wissen,  gar  keinen  Werth 
in  den  Augen  eines  wissbegierigen  Publikums,  weshalb 
ich  mir  die  Freiheit  nehmen  will,  dieser  „Madonna^' 
einen  Namen  zu  geben,  und  ich  glaube  dies  mit  gutem 
Gewissen  thun  zu  dürfen,  da  mir  der  farbenprächtige 
Girolamo  Romanino  von  Brescia  her  schon  ein  alter 
und  lieber  Bekannter  ist.  Auch  würde,  falls  man  dieses 
Bild  einer  verständigen  Reinigung  unterzöge,  die  diesem 
Meister  eigenthümliche  glänzende  Originalfarbe  zu  Tage 
treten.  Von  diesem  kräftigen,  originellen  und  nicht 
selten  selbst  grossartigen,  obwol  hie  und  da  auch  sehr 
fahrlässigen  Künstler  trifft  man  ausserhalb  der  Provinz 
und  der  Stadt  Brescia  nur  eine  höchst  geringe  Anzahl 
Bilder  an.  Um  so  reichlicher  ist  der  Meister  in  den 
Kirchen  seiner  Vaterstadt  und  in  denen  der  ganzen 
Provinz  von  Brescia  vertreten.*     In   den  Galerien  des 


*  In  den  Kirchen  von  Monteohiari,  Calvitano,  Prealboino, 
S.  Feiice,  SaI6,  Capriolo  (anter  dem*  Kamen  Tizian's)  and  andere 
wärU  noch. 

24» 


372  I^e  Galerie  Doria-Panfili. 

Auslandes,  die  englische  National  Gallery  ausgenommen, 
begegnet  man  ihm  fast  nie.  Weder  das  Museum  des 
Prado  in  Madrid,  noch  der  Louvre  in  Paris,  noch  die 
Belvedere-Galerie  in  Wien,  noch  die  Pinakotheken  von 
München  und  Dresden  besitzen  Werke  von  Romanino. 
Und  doch  kommen  nur  wenige  Maler  im  Glänze  und 
in  der  Pracht  der  Farben,  in  der  geistreichen  Lebendig- 
keit der  Auffassung  und  in  der  Schärfe  der  Charakte- 
ristik dem  Romanino  gleich.  Sein  grosses  Altarwerk 
in  S.  Francesco  von  Brescia,  das  andere  in  S.  Maria 
Calchera  daselbst  sowie  jenes  in  der  städtischen  Galerie 
von  Padua,  gehören  zum  Glanzvollsten,  was  die  vene- 
tianische  Malerkunst  überhaupt  aufzuweisen  hat.  Ueber- 
aus  geistvoll  sind  ebenMls  die  vier  Orgelflügel  vom 
Jahre  1540  in  S.  Giorgio  zu  Verona,  in  welcher  Kirche, 
und  zwar  ganz  in  der  Nähe  der  Bilder  des  Romanino, 
sich  auch  ein  höchst  anmuthiges  Altarwerk  aus  dem- 
selben Jahre  1540  von  der  Hand  seines  Jüngern  Lands- 
mannes und  Nebenbuhlers  Alessandro  Moretto  be- 
findet. Als  tüchtigen  Frescomaler  lernen  wir  den 
Romanino  besonders  im  Dome  von  Cremona,  in  der 
Unterkirche  von  S.  Giulia  und  in  der  städtischen  Ga- 
lerie von  Brescia  sowie  an  mehrern  Orten  der  heimat- 
lichen Valle  Camonica  kennen.  Girolamo  Romanino 
war  eine  wahrhaftige,  höchst  einfache,  aller  Affeetation 
bare  Natur;  auch  entspricht  daher  seine  Kunstsprache 
durchaus  der  Dialektsprache  seiner  Landsleute.  Die 
wenigen  Bildnisse,  die  er  uns  hinterlassen  hat,  sind  mit 
einer  Naturtreue  und  Naivetät  aufgefasst  und  darge- 
stellt, dass  man  es  den  Leuten  ansieht,  dass .  der  Maler 
ihnen  nicht  geschmeichelt,  sondern  dass  sie  in  ihrem 
Thun  und  Lassen  so  und  nicht  anders  gewesen  sein 
müssen,  wie  der  Künstler  sie  eben  dargestellt  hat.  Diese 
Porträts  des  Romanino  sind,  meiner  Meinung  nach,  in 
der  Auffassung  noch  einfacher  als  die  des  Tintoretto 
und  Tizian  und  die  vorzüglichsten  darunter,  wie  unter 


Die  Venetianer:  Alessandro  Moretto.  373 

andern  dasjenige  eines  reichgekleideten  Cavaliers,  wel- 
ches aus  dem  Hause  der  verstorbenen  Gräfin  Fenaroli 
von  Brescia  in  den  Besitz  ihrer  Erben  gelangte,  stehen 
selbst  im  grossnrtigen  Schwünge  der  Linien  den  besten 
Porträts  eines  Tizian  und  eines  Velasquez  kaum  nach. 
Romanino  verhält  sich  zu  Alessandro  Moretto  ungefähr 
so  wie  in  der  mailänder  Schule  Gaudenzio  Ferrari  zu 
B.  Luini  sich  verhält.  Sind  die  erstem  zwei  phantasie- 
vollere, dramatischere,  energischere  Künstler  als  Mo- 
retto und  Luini,  so  sind  dafür  diese  letztern  liebreicher 
und  anziehender  als  jene  ihre  Nebenbuhler.^ 

ALESSANDRO  MORETTO. 

Von  Alessandro  Moretto  befindet  sich  in  Rom, 
soviel  ich  weiss,  nur  ein  einziges  Werk  und  auch  dieses 
so  stark  übermalt,  dass  man  darin  den  sonst  an  seinen 
feinen,  silbertönigen  Farbenaccorden  so  leicht  erkenn- 
baren Meister  nicht  mehr  gewahren  kann.  Dieses  Bild 
ist  in  der  Galerie  des  Vaticans  und  wurde,  zu  meiner 


>  Die  Zeichnungen,  die  von  Girolamo  Romanino  uns  erhal- 
ten geblieben,  sind  in  höchst  geringer  Zahl  vorhanden.  Mir 
wenigstens  ist  es  nicht  geglückt,  mehr  als  vier  oder  fünf  davon 
aufzufinden.  Dieselben  sind  alle  mit  der  Feder  sehr  leicht  und 
sicher  aufs  Papier  hingeworfen.  Zwei  dieser  Ilandzeichnungen 
befinden  sich  in  der  Uffizien-Sammlung,  die  eine  davon,  spielende 
Putten  darstellend,  trägt  die  Nr.  1465;  die  andere,  ein  getuschtes 
männliches  Porträt,  die  Nr.  215.  Eine  andere  ganz  vorzügliche 
Federzeichung,  die  „Ehebrecherin**  darstellend,  ist  in  der  Am- 
brosiana ausgestellt;  (f)  und  eine  vierte  fand  ich  im  Schlosse 
von  Cbatsworth  unter  dem  Namen  des  Giolio  Romano.  Diese 
letztere  sehr  charakteristisohe  Federseichnung  stellt  „ChristoB 
und  die  Samariterin"  vor.  (f)  In  allen  diesen  Zeichnungen 
erweist  sich  Romauiuo  als  ein  viel  geistreicherer  und  gewandte- 
rer Zeichner  als  Moretto  in  den  seinigen,  die  swar  sämmtlich 
sehr  sorgfältig  ausgeführt  sind,  in  denen  jedoch  der  Zug  der 
Feder  nicht  jenen  lebendigen  und  sichern  Schwung  hat,  den  wir 
in  den  Federzeichnungen  Romanino's  wahrnehmen. 


374  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Verwunderung,  von  den  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle 
seiner  guten  Erhaltung  halber  ganz  überschweng- 
lich gepriesen.  Zwar  trägt  auch  im  Palast  Colonna 
das  Porträt  eines  jungen  Cavaliers  mit  einem  Hund  an 
der  Seite  den  Namen  des  Moretto,  allein  mit  grossem 
Unrecht.  Mir  scheint  jenes  Bild  nicht  einmal  der  Schule 
von  Brescia  anzugehören. 

Bildnisse  des  Moretto,  mit  Ausnahme  der  zwei 
ganz  vorzüglichen  in  der  National  Gallery  zu  London, 
sind  mir  nur  sehr  wenige  zu  Gesicht  gekommen.  Die 
zwei  Porträts,  welche  von  Herrn  Director  Bode  (H, 
779  und  780)  als  solche  angeführt  werden,  nämlich  der 
sogenannte  Arzt  im  Palast  Brignole-Sale  in  Genua 
(A.  B.  bezeichnet)  und  ein  anderes  in  der  stadtischen 
Galerie  von  Brescia,  sowie  auch  dort  das  grosse  Reiter- 
bild der  Casa  Martinengo,  dürften  sich  blos  als  Ar- 
beiten von  Nachahmern  des  Moretto  herausstellen,  (f) 

Das  Museum  von  Neapel  besitzt  ein  kleines,  vor- 
zügliches Bild  von  unserm  Brescianer;  die  Uffizien- 
Galerie  hingegen  hat  nichts  von  Moretto  aufzuweisen, 
denn  das  grosse  dort  ihm  zugemuthete  Bild,  den  „Tod 
des  Adonis"  darstellend,  Nr.  590,  gehört,  wie  schon 
bemerkt,  dem  Sebastiano  Luciani  an,  was  auch  die 
Ansicht  der  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  ist  (II,  416); 
das  männliche  Porträt  (Nr.  639)  ebendaselbst  dürfte 
wol  eher  das  Werk  aus  der  Frühzeit  des  Cremonesen 
Giulio  Campi  sein;  (f)  und  das  kleine  Bildchen  end- 
lich, „Christus  in  der  Vorhölle"  darstellend,  Nr.  1009, 
erinnert,  wie  mir  scheint,  mehr  an  die  Art  des  Vero- 
nesen  Feiice  Brusasorci  als  an  Moretto.  (f)  Die  besten 
Werke  des  Alessandro  Bonvicino  sind  fast  alle  noch 
immer  in  der  Provinz  und  in  der  Stadt  Brescia  ver- 
blieben. ^     Wer  also  diesen  höchst  anziehenden  Meister 


*  In  den  Kirchen  von  Castenedolo,  von  Prealboino,  Maguz- 
zano,  Orzinuovi,  Paitone,  Calvisano,  Auro,  Mazzano  u.  a.  m. 


Die  Venetianer:  Alessandro  Moretto.  375 

kennen  zu  lernen  wünscht,  muss  ihn  in  der  Stadt  Bres- 
cia  und  im  Brescianischen  aufsuchen.  Dass  Moretto 
einen  starken  Einfluss  von  dem  in  Venedig  lebenden 
Palma  vecchio  erhalten  habe,  wie  die  Herren  Crowe 
und  Cavalcaselle  auf  Grund  ihrer  Beeinflussunijstheorie 
behaupten,  wundert  mich  nicht;,  was  mir  aber  unerklär- 
lich scheint,  ist.  dass  Herr  Director  Bode,  welcher  doch 
mit  der  Maltechnik  der  Venetianer  ganz  vertraut  zu  sein 
glaubt ,  selbst  in  dieser,  meiner  Ueberzeugung  nach,  so 
grundfalschen  Anschauung  seinen  Gewährsmännern 
Crowe  und  Cavalcaselle  treu  bleibt.  Eine  solche  Be- 
einflussung lässt  sich,  wie  mir  scheint,  vor  keinem  ein- 
zigen echten  Gemälde  Moretto's  rechtfertigen.  Meiner 
Ansicht  nach  ist  Moretto  stets  Brescianer  geblieben. 
Nach  seinen  bei  Ferramola  durchgemachten  Lehrjahren 
studirte  er  vornehmlich  die  Malweise  seines  Mitbürgers 
Romanino  und  bildete  dann  dieselbe  zur  höchsten  Voll- 
kommenheit aus.  Es  kommt  allerdings  nicht  selten  vor, 
dass  fremde  Kunstfreunde  und  Dilettanten,  welche  nur 
einige  Werke  der  grossen  venetianischen  Coloristen  sich 
in  der  Eile  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Früh- 
stück ansahen,  die  Einflüsse  derselben  dann  in  allen 
Werken  der  gleichzeitigen  Maler  aus  andern  stamm- 
verwandten Schulen  gewahren  wollen.  Ich  kann  auch 
hier  die  Anfänger  in  der  Kunstwissenschaft  vor  dieser 
zwar  sehr  geistreich  und  gelehrt  klingenden,  allein  un- 
wahren und  geistlähmenden  Beeinflussungstheorie,  mit 
der  man  seit  einiger  Zeit  so  grossen  Unfug  treibt,  nicht 
genug  warnen.  Dieselbe  gleicht  dem  glänzenden  Strei- 
fen, den  die  Schnecke  hinter  sich  lässt  und  der  den 
Kurzsichtigen  wie  Silber  vorkommt,  während  er  für 
die  Sehenden  nichts  anders  als  Schleim  ist. 

Nicht  weit  vom  Madonnenbilde  des  Romanino  hängt, 
unter  Nr.  60,  ein  anderes  Bild  mit  der  Madonna,  dem 
Kinde,  dem  kleinen  Johannes  und  dem  heiligen  Fran- 
ciscus,  welches  im  Katalog  als  Arbeit  des  Lodi  ange- 


376  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

fuhrt  wird.  Wahrscheinlich  hat  mau  damit  Calista 
da  Lodi,  den  bekannten  und  zu  seiner  Zeit  auch  be- 
rühmten Schiller  des  Roman ino  gemeint.  Nach  mei- 
ner Ansicht  dürfte  dieses  kümmerliche  Bild  eher  einem 
bolognesischen  Nachahnier  des  Bagnocavallo  oder  de& 
lunocenzo  da  Imola  angehören. 

CALISTO  DA  LODI. 

Calisto  Piazza,  gewöhnlich  unter  dem  Namen 
Calisto  da  Lodi  bekannt,  gehörte  der  Malerfomilie 
der  Piazza,  Toccagni  zugenannt,  von  Lodi  an.i  Sein 
Vater  hiess  Martino  und  sein  Onkel  Albertino.  Calista 
hatte  zwei  Brüder,  Scipione^  und  Cesare,  die  auch  Maler 
und  gewöhnlich  seine  Mitarbeiter  waren.  Schon  früh- 
zeitig scheint  sein  Vater  ihn  dem  Romanino  in  Brescia 
in  die  Lehre  gegeben  zu  haben.  Ausserhalb  Brescia 
und  jener  Umgegend,  dem  Lodigianischen  und  dem 
Mailändischen,  ist  dieser  sehr  talentvolle  Maler  kaum 
bekannt.  In  jenen  Gegenden  jedoch  trifi't  man  ihn  sehr 
oft  an,  zumal  in  der  Valle  Camonica:  in  Breno,  in  Esine,. 
in  Cividale  und  anderwärts  noch.  Einigen  Werken  au& 
seiner  Frühzeit  nach  zu  schliessen  scheint  Calisto  sich 
vorerst  an  Alessandro  Moretto,  seinen  Altersgenossen 
(er  wurde  um  1500  geboren  und  starb  im  Jahre  1561) 
und  auch  Schulgenossen  bei  Romanino,  eng  angeschlos- 
sen zu  haben,  wie  dies  aus  einem  Längsbilde  in  der 
Galerie  Poldi-Pezzoli  erhellt,  das  dort  dem  Moretto 
selbst    zugeschrieben    wird.^    (f)      Ein    anderes    etwas^ 


*  Siehe  darüber:  Memorie  originali  italiane,  risguardanti 
le  helle  arti,  von  Michelangelo  Gualandi  (Bologna  1840),  Serie 
prima,  p.  171. 

2  Von  Scipione  Piazza  sieht  man  auch  in  der  Kirche  von 
S.  Spirito  in  Bergamo  ein  mit  dem  Namen  bezeichnetes  Bild. 
Scipione  starb  im  Jahre  1551  in  Lodi. 

'  HeiT  Director  Bode  (II,  778)  möchte  dagegen  jenes  Bild 
dem   Romanino  vindiciren,  allein   schon  der   Typus   der  Engel 


Die  Venetianer:  Calisto  da  Lodi.  377 

späteres  Werk  aus  der  Fruhzeit  unsers  Calisto  scheint 
mir  ebenfalls  das  Altarbild  in  der  städtischen  Galerie  von 
Padua  zu  sein  —  ein  Bild,  das  mit  dem  Namen  des 
Komauino  und  der  Jahreszahl  1521  bezeichnet  ist.  (f) 
Wahrscheinlich  hat  es  Calisto  in  der  Werkstätte  und 
unter  der  Leitung  Komanino's  ausgeführt.  In  der  mit 
dem  Namen  und  dem  Jahre  1524  bezeichneten  „An- 
betung der  Hirten"  der  städtischen  Galerie  von  Brescia 
(ehedem  in  der  Kirche  S.  Clemente  daselbst)  gewahrt 
man  sowol  Einflüsse  des  Romanino  als  auch  des  Mo- 
retto.  In  der  „Heimsuchung"  vom  Jahre  1525  in  S. 
Maria  Calchera  dagegen  ahmt  Calisto  ausschliesslich 
seinen  Meister  Romanino  nach,  mit  dem  er  denn  auch 
in  den  folgenden  Jahren  gar  oft  verwechselt  wird. 
Ja,  in  der  Brera- Galerie  geht  man  in  dergleichen 
Verwechselungen  so  weit,  dass  man  sogar  ein  gutes 
Bild  Calisto's  (die  „Taufe  Christi",  Nr.  425)  dem 
schwächlichen  Maler  Carlo  ürbino  aus  Crema  zu- 
schreibt, (f) 

Nachdem  nun  unser  Meister  Calisto  manches  Werk 
für  die  Kirchen  der  Valle  Camonica  angefertigt  hatte, 
kehrte  er  im  Jahre  1529  wieder  in  seine  Vaterstadt 
Lodi  zurück,  wo  ihm  bald  der  ehrenvolle  Auftrag 
wurde,  in  Gemeinschaft  mit  seinen  Brüdern  Scipione  und 
Cesare  das  Octogon    der  Kirche  S.   Maria  Incoronata, 


oben,  sowie  die  Landschaft  hätten  ihn  belehren  sollen,  dass  er 
vor  einem  Werk  des  Calisto  da  Lodi  stehe.  Wenn  man  übrigens 
nicht  selbst  im  Lande  des  Künstlers  weilt  und  mit  Liebe  und 
Ausdauer  der  Jugenderziehung  desselben  nachgebt,  so  ist  es  be- 
greiflicherweise selbst  bei  dem  gl&nzendsten  Talente  gans  un- 
möglich, den  Meister  in  seinen  Jugendwerken  zu  erkennen.  Herr 
Staatsrath  Paul  Dclaroff  in  St.  •  Petersburg  besitzt  von  Calisto 
iMazza  ein  liebliches  Madonnenbildchen  in  Temperafarben,  das 
sich  als  Copie  nach  einem  Jugendwerk  Moretto's  im  Besitze 
von  Sir  Henrv  Layard  herausstellte  und  weluhes  grosse  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Längsbilde  in  der  Poldi*Sammlung  hat. 


378  I^iß  Galerie  Doria-Panfili. 

WO  die  Orgel  zu  stehen  kam,  auszumalen.  Ein  Jahr 
später,  d.  h.  1530,  führte  Calisto  die  ganz  vorzüglichen 
Bilder  mit  den  Darstellungen  aus  dem  Leben  des  Täu- 
fers für  die  gleichnamige  Kapelle  jener  Kirche  aus. 
Diese  letztern  Gemälde,  die  zu  den  besten  des  Meisters 
gezählt  werden  müssen,  sind  in  der  That  so  glänzend 
in  der  Farbe,  dass  in  Lodi  später  die  Sage  entstand, 
Tizian  hätte  auf  einer  Durchreise  in  jenen  Bildern 
diesen  und  jenen  Kopf  gemalt.  (Lanzi,  a.  a.  O.,  III,  151.) 
Und  auf  Grund  dieser  albernen  Tradition  wird  vielleicht 
irgendein  zukünftiger  Kunsthistoriker  aus  Finland  den 
Einfluss  Tizian's  auf  Calisto  da  Lodi  constatiren  wollen. 
Ein  anderes  vorzügliches  Werk  Calisto's  aus  dieser  seiner 
frühen  Wirkungszeit  besitzt  auch  die  Brera-Galerie  im 
Bilde  Nr.  450  (thronende  Madonna  mit  dem  Kinde, 
den  Heiligen  Hieronymus  und  Johannes  dem  Täufer 
und  einem  Engel).  In  jenen  Sälen  sieht  man  noch 
zwei  andere  Werke  von  ihm,  darunter  das  sehr  be- 
achtenswerthe  Porträt  des  Lodovico  Vistarini  (Nr.  373). 
Ein  ebenfalls  vorzügliches  Werk  unsers  Meisters  mit 
den  Bildnissen  der  Gatten  Trivulzio  befindet  sich  in 
einer  Kirche  von  Codogno.  Vom  Jahre  1535  an  war 
Calisto  in  Mailand  ansässig,  woselbst  er  in  mehrern 
Klosterkirchen  (S.  Maurizio,  S.  Francesco,  S.  Nazzaro 
e  Celso)  Wandgemälde  ausführte.  — 

Ich  habe  mich,  meiner  eben  nicht  sehr  lobenswerthen, 
einem  alten  Manne  jedoch  verzeihlichen  Gewohnheit 
gemäss,  wieder  viel  zu  lange  in  diesem  Saal  II  auf- 
gehalten und  es  ist  somit  hohe  Zeit,  dass  wir  unsere 
Wanderung  nach  dem  dritten  Zimmer  der  Galerie  fort- 
setzen. Ich  kann  indessen  nicht  umhin,  vorher  noch  in 
aller  Eile  zu  bemerken,  dass  ebenso  wenig  wie  die  zwei 
nicht  eben  sehr  anmuthigen  Bildnisse  mit  den  Nummern 
42  und  45  dem  grossen  Ilolbein  angehören,  dem  sie 
hier  zugeschrieben  werden,  so  auch  das  Porträt  einer 
mit    ihrem    Los    unzufriedenen    Edeldame    unmöglich 


Die  Venetianer:  Paris  Bordonc.  379 

die  Arbeit  Tintoretto's  sein  kann^  (unter  dessen  Namen 
noch  mehrere  andere  Bildnisse  in  dieser  Galerie  mit 
Unrecht  aufgestellt  sind);  vielleicht  rührt  dieses  weibliche 
Porträt  vom  Scipione  da  Gaeta  her. 

PARIS  BORDONE. 
Ueber  der  Eintrittsthür  des  dritten  Zimmers  erglänzt, 
von  der  in  diesem  Raum  herrschenden  Finstemiss  kaum 
behindert,  eines  jener  herrlichen  Decorationsstücke,  deren 
Paris  Bordone  gar  manches  geschafien  hat.  Das  Bild 
stellt  Mars  und  Venus  mit  dem  tückischen  Liebesgott 
dar.  Das  Leben  des  Paris  umfasst  ungefähr  dieselbe 
Zeitspanne,  wie  das  des  Moretto  und  des  Calisto  da  Lodi ; 
er  wurde  nämlich  um  1495  in  Treviso  geboren  und 
starb  bald  nach  1570.  Der  Archivar  Cecchetti  theilt 
uns  folgende  Unterschrift  von  ihm  mit:  „Jb.  Paris  Bor- 
don de  Treviso,  hahitante  in  Venetia  in  contra  de  S, 
Marcilian,  31  Agosto  1563 J-'-  Er  hatte  vier  Kinder: 
Jobannes,  Angelica,  Cassandra  und  Ottavia,  ,und  war 
wohlhabend.  Sein  Vorbild  war,  mehr  noch  als  Gior- 
gione,  wie  Vasari  behauptet,  Tizian,  in  dessen  Werk- 
statt der  etwa  14jährige  Paris  ums  Jahr  1509  eintrat 
und  an  dessen  Bildern  aus  jener  Gorgionesken  Epoche 
des  Cadoriners  er  vornehmlich  seine  Studien  machte, 
wovon  uns  unter  andern  auch  das  Jugendwerk  Tizian^s 
in  der  Capitolinischen  Galerie  (durch  eine  neue  Ver- 
putzung leider  ganz  verdorben)  einen  augenfälligen  Be- 
weis liefert.  Jenes  Bild  stellt  die  „Taufe  Christi"  Tor 
und  galt  stets  und  wie  ich  glaube  mit  dem  vollsten 
Recht  für  das  Werk  Tizian's,  bis  in  neuerer  Zeit  die 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  es  dem  Paris  Bordone 
zuzuweisen  für  gut  erachteten.     Auch  in  diesem,  nach 


*  Wer  ganz  vorzügliche  Portrftta  und  Bilder  des  Tintoretto 
in  Rom  zu  sehen  wünschtf  findet  sie  in  den  Sälen  der  Galerie  Co- 
lonna.  Dort  lernt  man  diesen  Meister  auch  noch  als  ausge- 
zeichneten Landschaftsmaler  kennen. 


380  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

meiner  Ueberzeugung ,  verfehlten  Urtheil  folgte  gut- 
willig Herr  Director  W.  Bode  seinen  Gewährsmännern 
(II,  764,  Anmerkung).* 

Ein  anderes  Bild,  wo  Paris  ganz  besonders  Tizian 
sich  zum  Vorbild  nahm,  befindet  sich  im  fünften 
Zimmer  dieser  Doria-Galerie.  Dasselbe  führt  die  Nr.  22 
und  stellt  die  heilige  Familie  mit  der  Märtyrerin  Katha- 
rina dar.  Indess  nach  meinem  Dafürhalten  ist  dieses 
Bild  nur  eine  alte  Copie  eines  Jugendwerks  von 
Paris  Bordone.^  Wünschen  wir  noch  ein  anderes  Werk 
unsers  Trevisaners  unter  dem  Namen  Tizian's  zu  sehen, 
so  müssen  wir  uns  in  den  Braccio  II  der  Galerie  be- 
geben. Dort  hängt  ein  zwar  durch  Restaurationen  stark 
verdorbenes  männliches  Bildniss,  an  dessen  dem  Paris 
eigenthümlichen  Hand  mit  den  steifen  Fingern  sowie  an 
den  ebenso  charakteristischen  rosenrothen  Lasuren  des 
Incarnats  man  doch,  wie  ich  glaube,  den  wahren  Autor 
des  Gemäldes  noch  erkennen  kann,  ich  meine  den  Paris 
Bordone.  Jenes  Bild  führt  die  Nr.  57  und  ist  offen- 
bar das  Conterfei  eines  Poeten,  obwol  der  dargestellte 
Mann  trotz  seines  Lorberkranzes  durchaus  kein  poe- 
tisches Aussehen  hat.  Andere  Werke  dieses  edeln,  stets 
vornehmen,  allein  nicht  selten  allzu  wandelbaren  und 
oberflächlichen  Künstlers  finden  sich  in  der  Galerie 
Colonna,  von  denen  das  eine  (die  heilige  Familie  im 
Beisein  der  Heiligen  Elisabeth,  Hieronymus  und  Jo- 
hannes des  Täufers),  wie  bekannt,  irrthümlich  dem 
Bonifazio  Veneziano  zugemuthet  wird ;  das  andere,  eine 
sogenannte  Santa   conversazione,  verdiente  zu  den 


^  Man  betrachte  in  diesem  Gemälde  besonders  die  dem  Cado- 
riner  in  seinen  Jugendwerken  ganz  eigenthümlichen  Formen  des 
Ohres  und  der  Hand  sowie  auch  das  durchaus  in  seinem  Sinne 
aufgefasste  Porträt  des  Donators  und  die  Giorgionesk  beleuchtete 
Landschaft. 

^  Herr  Director  Bode  gibt  dieses  Bild  dem  Bernardino 
Licinio,  „mit  Anklängen  an  Paris  Bordone"  (II,  775). 


Die  Venetianer:  Paris  Bordone.  381 

besten  Werken  des  Meisters  gezahlt  zu  werden,  wäre 
das  Bild  nicht  durch  eine  barbarische  Uebermalung  un- 
geniessbar  gemacht.  Im  Pitti- Palast  kommt  der  ent- 
entgegengesetzte Fall  vor.  Dort  gibt  man  nämlich  die 
„Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Aegypten"  (Nr.  89),  sowie 
die  „Sibylle  mit  Augustus"  (Nr.  257)  dem  Paris,  wäh- 
rend doch  beide  Bilder,  wie  schon  der  verstorbene 
O.  Mündler  mit  Sachkenntniss  nachwies,  den  Boni- 
fazios  angehören.  Vorziiglich  sind  dagegen  die  zwei 
Porträts,  die  Florenz  von  der  Hand  des  Bordone  besitzt: 
das  eine  ein  Jünglingsporträt  in  den  Uffizien,  Nr.  607, 
das  andere,  die  sogenannte  „Balia  di  casa  Medici",  im 
Pitti-Palast,  Nr.  109.  Auch  die  Galerie  im  Palast 
Brignole-Sale  zu  Genua  hat  ein  sehr  schönes  Bildniss 
unsers  Meisters  aufzuweisen. 

Die  Hauptwerke  dieses  liebenswürdigen  und  farben- 
prächtigen Malers  befinden  sich  jedoch  noch  immer  im 
Venetianischen  und  in  Venedig.  Die  dortige  Akademie 
hat  deren  mehrere  und  darunter  wol  sein  schönstes,  ich 
meine  jenes  mit  „dem  glücklichen  Fischer  des  Ringes 
vor  dem  Senat";  ein  Gemälde,  das  schon  seiner  aus- 
nahmslos guten  Erhaltung  halber  einen  unbeschreib- 
lichen Reiz  auf  jeden  feinfühligen  Kunstfreund  ausübt. 
Ein  zweites  Prachtwerk  des  Bordone,  in  dem  der  Meister 
von  seinem  Mitbürger  Lorenzo  Lotto  inspirirt  zu  sein 
scheint,  befindet  sich  in  der  Gemäldesammlung  Tadini 
in  Lovere,  am  L.'igo  d'Iseo.  Die«  letztere  Gemälde,  von 
einer  ganz  besondom  Leuchtkraft,  stellt  die  Jungfrau 
mit  dem  Christkinde,  umgeben  von  den  Heiligen  Christo- 
phorus  und  Georg,  vor.  Vasari,  welcher  das  Bild  er- 
wähnt (XIII,  50),  berichtet,  der  Maler  habe  im  heili- 
gen Georg  Giulio  Manfroni  von  Crema,  den  Besteller 
der  Altartafel,  dargestellt.*      In  s«»Inrr  Vaterstadt  Tre- 

^  Siehe  auch  im  Anonimo   dea  MorcUi  {'J'^  editiotu  rnimctt- 
lata  per  cura  di  &uttato  Fruttmij  Bologna,  1884),  p.  14:'). 


382  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

viso  hat  sich  noch  etwa  ein  halbes  Dutzend  seiner  Werke 
erhalten^;  auch  die  Communal- Galerie  von  Padua  be- 
sitzt ein  zwar  sehr  verputztes,  allein  nach  meiner  An- 
sicht echtes  Bild  von  Paris ^  (Christus  der  von  seiner 
göttlichen  Mutter  Abschied"  nimmt,  Nr.  93);  im  Kata- 
log jener  Sammlung  wird  das  Bild  blos  in  die  Schule 
des  Meisters  gesetzt.  Ausser  Venedig  findet  man  auch 
in  Mailand  eine  grössere  Anzahl  von  Werken  des 
Paris  Bordone:  in  der  Kirche  von  S.  Celso,  in  der 
Brera- Galerie,  im  erzbischöflichen  Palast^  und  einige 
herrliche  Porträts  in  Privatbesitz.  Wir  wissen  durch 
Vasari,  dass  die  Fugger  aus  Augsburg,  welche  auch  in 
Venedig  ansässig  waren,  den  Paris  nach  ihrer  Vater- 
stadt kommen  liessen  und  dort  vielfach  seine  Kunst  in 
Anspruch  nahmen.  Im  Jahre  1538,  berichtet  der  Are- 
tiner,  wurde  Paris  von  König  Franz  I.  nach  Frankreich 
berufen  und  beauftragt,  die  schönsten  Frauen  am  Hofe 
des  kunstliebenden  Monarchen  durch  seinen  Pinsel  zu 
verewigen.  Jene  Porträts  scheinen  jedoch  verloren  zu 
sein,  denn,  so  viel  mir  bekannt  ist,  sind  in  Frankreich 
nicht  nur  die  Bildnisse  des  Paris,  sondern  seine  Werke 
überhaupt  von  der  grössten  Seltenheit.  Im  Privatbesitz 
ist  mir  dort  kein  einziges  zu  Gesicht  gekommen  und 
von  den  drei  in  der  Louvre-Galerie  ihm  zugeschriebenen 
Bildern  wurde  das  Porträt  des  Hieronymus  Crofi't  aus 
Augsburg  (Nr.  82)  erst  zur  Zeit  Ludwig's  XIV.  erwor- 
ben; das  Decorationsstück  (Nr.  81)  mit  Vertumnus 
und  Pomona  kam  nicht  früher  als  im  Anfange  dieses 
Jahrhunderts    nach    Frankreich,    und    Nr.   83    endlich 


^  Darunter  eine  „heilige  Familie"  in  der  Communal-Galerie, 
welche  dort  dem  Palma  vecchio  zugemuthet  wird  (Nr.  53). 

2  Es  ist  merkwürdig,  dass  derselbe  Gegenstand  ungefähr 
gleichzeitig  von  Correggio,  von  L.  Lotto  und  dann  auch  von 
Paris  Bordone  behandelt  wurde. 

3  Das  schöne  Bild  des  Paris  stellt  die  heilige  Familie  mit 
einem  frommen  Bischof  und  dem  Donator  dar. 


Die  Yenetianer:  Bonifazio  Yeronese.  383 

(die  Bildnisse  eines  Mannes  und  eines  Kindes  ent- 
haltend) ist  nach  meiner  Ueberzeugung  die  Arbeit 
eines  Niederländers  und  keineswegs  das  Werk  des 
Trevisaners.  (f) 

BONIFAZIO  VERONESE. 
Ein  Zeit-  und  Gesinnungsgenosse  des  Paris  Bordone 
war  der  Veronese  Bonifazio  I.*,  von  dem  im  Saal  V 
ein  durch  unsinnige  Verputzung  allerdings  sehr  verdor- 
benes allein  dennoch  höchst  anziehendes  Bild,  unter 
Nr.  52,  aufgestellt  ist  (die  heilige  Familie  im  Bei- 
sein von  zwei  Märtyrerinnen).  Da  Porträts  von  der 
Hand  dieses  heitern,  farbenreichen  Künstlers  eine  Selten- 
heit sind,  so  bitte  ich  meine  Begleiter,  mir  in  den  Brac- 
cio  III  dieser  Galerie  zu  folgen,  wo  ich  unter  Nr.  27 
eins  derselben  entdeckt  zu  haben  glaube.  Es  ist  dies 
das  Bild  eines  jungen  Mannes  mit  schwarzer  Mütze  auf 
dem  Kopfe;  im  Katalog  wird  es  als  Arbeit  des  Giorgione 
angegeben,  (f)  Leider  wurde  auch  dieses  Bild  Boni- 
fazio's  gleich  dem  vorigen,  und  wahrscheinlich  von  der 
Hand  desselben  Barbaren,  durch  Verputzung  seiner  Ober- 
haut gänzlich  beraubt.  Trotzdem  übt  es  noch  immer  eine 
besondere  AnziehungskraR  auf  den  Beschauer  aus,  sowol 
durch  die  Einfachheit  der  Auffassung  als  auch  durch 
die  Anmuth  der  Darstellung.  Von  diesem  glänzenden 
Coloristen  besitzt  die  Galerie  Colonna  ein  ganz  vor- 
zügliches Madonnenbild  mit  den  Heiligen  Hieronymus 
und  Lucia  unter  dem   Namen  Tizian's  (Saal  I).'     An 

^  Aus  einem  vom  yentorbenen  Archivar  Cecohetti  veröffent- 
lichten Docoment  erhellt,  dass  die  Familie  Bonifazio  sich  de 
Pittatis  nannten:  1558,  26  luglio,  De  Pittatit  BonifaeiOf 
abitante  neUa  contra  di  San  Mareuola^  m  le  case  dtU  monache 
dt  S.  Alvise  und  Jo.  Bonifaiio  di  PiUati  da  Verona  pitorf  fb 
(fü)  di  Ser  Marzio  (d.  h.  Sohn  des  ventorbenen  Herrn  Marsio) 
{Ärchivio  veneio,  T.  84,  p.  207). 

*  Während  also  in  der  Doria  -  Galerie  Bonifaxio  mit  Qior- 
gione  verwechselt  wird,  wird  er  in  der  Galerie  Colonna  einmal 


384  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

diesem  letztem  Bilde  mögen  die  Anfänger  die  diesem 
Meister  eigenthümliche  Form  der  Hand  und  des  Ohres 
Studiren*  Auch  im  Palast  des  Fürsten  Mario  Chisri 
trifft  man  ein  kleines  farbenglänzendes  Bildchen  unsers 
Bonifazio  Veronese,  jedoch  nicht  so  glänzend  und  fein 
wie  die  kleine,  im  Saturnussaal  des  Pitti-Palastes  unter 
Nr.  161  und  dem  Namen  des  Giorgione  aufgestellte  „Auf- 
findung Mosis"  ist.  Wer  jedoch  diesen  vielleicht  farben- 
prächtigsten aller  venetianischen  Maler  ganz  kennen  und 
schätzen  will,  der  muss  die  Galerien  von  Venedig  und 
Mailand  besuchen,  wo  die  Hauptwerke  dieses  eminenten 
Künstlers  sich  befinden. 

PALMA  VECCHIO. 

Ein  anderer  grosser  Colorist  aus  der  Schule  des 
Giambellino  und  des  Giorgione,  dessen  Werke  nicht 
selten  dem  Giorgione  (Dresden  und  Braunschweig)  oder 
auch  Tizian  zugeschrieben  werden,  ist  Jacopo  Palma, 
Palma  vecchio  genannt.^  Von  ihm  hatten  wir  bereits 
in  der  Borghese- Galerie  Gelegenheit  zwei  Werke  zu 
betrachten;  in  diesem  Doria- Palast  dagegen  ist  der  treff- 
liche Bergamaske  gar  nicht  repräsentirt,  weder  durch 
falsche  noch  durch  echte  Bilder.  Dafür  besitzt  die 
Galerie  Sciarra-Colonna  ein  prachtvolles  Frauenbildniss 
des  Palma,  unter  dem  Namen  der  „Bella  di  Tiziano". 
Diese  berühmte  venetianische  Schöne,  deren  Zügen  wir 
öfters  in  andern  Bildern  des  Palma,  in  denen  Tizian's 
und  anderer  gleichzeitiger  Maler  Venedigs  begegnen, 
wurde  erst  in  neuerer  Zeit  auf  Tizian  umgetauft.     Im 


mit  Tizian,  ein  anderes  mal  mit  Paris  Bordone  verwechselt, 
im  Pitti-Palast  aber  mit  Palma  vecchio  und  auch  wieder  mit 
Giorgione. 

^  Ein  neuerer  Kunstschriftsteller,  Herr  Elia  Fornoni  aus 
Bergamo  {Notizie  hiograßche  su  Palma  vecchio,  Bergamo  1886) 
behauptet,  der  wahre  Familienname  des  Palma  sei  Nigreti  ge- 
wesen, was  ich  dahingestellt  lassen  will. 


t 


Die  Venetianer:  Palma  vecchio.  385 

17.  Jahrhundert  befand  sich  das  Bild  in  der  Sammhmg 
des  Erzherzogs  Leopold  Wilhelm  zu  Brüssel.  Bekannt- 
lich hat  der  Conservator  jener  Sammlung,  der  Maler 
David  Teniers,  im  Auftrag  seines  Herrn  und  Gönners 
die  meisten  bedeutendem  Gemälde  der  ihm  anvertrauten 
Sammlung  in  kleinern  Verhältnissen  reproducirt,  welche 
Copien  durch  Vorsterman,  J.  van  Kessel  und  andere 
gestochen  wurden  fi'ir  das  grosse  Werk,  welches  unter 
dem  Titel:  ^^Theätre  des  peintvres  de  David  Teniers, 
didie  au  Prince  Leopold-Guillaume^  archiduc  etc.%  1660 
in  Brüssel  erschien.  Viele  von  jenen  Bildern  nun,  in 
welchen  der  trefl'liche  Teniers  die  italienischen  Origi- 
nale ins  Vlämische  übersetzt  hatte,  wurden  dereinst,  wie 
es  scheint,  dem  Herzog  von  Marlborough  zum  Geschenk 
gemacht  und  befanden  sich  noch  vor  Jahren  in  einem 
obern  Zimmer  des  herzoglichen  Schlosses  von  Blenheim. 
Unter  diesen  Teniers'schen  Copien  sah  ich  nun  auch  die 
imserer  „Bella  di  Tiziano'*.  Dort  trug  dieselbe  jedoch 
noch  immer  den  wahren  Namen  des  Autors,  denn  sie  war 
auf  der  Rückseite  bezeichnet  als  „Copie  d'apres  Palma 
vecchio'S 

In  ihren  jungen  Jahren  war  dies  stattliche  Weib  höchst- 
wahrscheinlich nichts  anders  als  eine  jener  berühmten  ve- 
netianischen  Courtisauen,  die  Musen  des  Pietro  Aretino, 
welche  den  Malern  gar  ofl  als  Modell  dienten.  Und  in 
der  That  erinnert  in  den  Bildern  Tizian^s  mancher  weib- 
liche Kopf  an  diese  „Bella"  der  Galerie  Sciarra-Colonna, 
in  welch  letztorm  schönen  Gemälde  jedoch  jeder  auch 
nur  oberflächliche  Kenner  der  venetianischen  Schule  die 
Hand  des  Palma  vecchio  erkennt  und  zwar  aus  jener 
Epoche  des  Meisters,  in  der  er  sich  an  seinen  altem 
Nrlnil.r.ni  wnen  Lorenzo  Lotto  angeschlossen  hatte. »  T^:-« 

*  Die  Herren  Crowe  and  Cavaloaselle  (II,  478)  oitiren  eben- 
falls dieses  Bild  als  Werk  des  Palma  vecchio.  Für  die  floren- 
tinischen  Commentatoren  des  Vasari  ist  et  dagegen  noch  immer 

LBBMOLtBrr.  25 


38(5  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

sogenannte  „Bella  di  Tiziano"  gemahnt  sowol  in  der 
Heiterkeit  der  Farben,  in  den  hellgrünen  Schatten,  als 
auch  in  der  Modellirung  der  Hand  an  Lotto.  Ein  ähn- 
liches Frauenbildniss  des  Palma  besitzt  auch  die  Samm- 
lung Poldi-Pezzoli  in  Mailand;  dies  letztere  Gemälde 
ist  freilich  durch  den  Restaurator  so  sehr  modernisirt 
worden,  dass  es  fast  wie  eine  Copie  aussieht;  früher  war 
es  dem  Giorgione  zugeschrieben.  Meinem  Geschmack 
sagt  das  reizende  weibliche  Porträt  des  Palma,  Nr.  197, 
im  Berliner  Museum  viel  mehr  zu,  als  diese  weltberühmte 
„Schöne"  im  Palast  Sciarra-Colonna.  Ein  für  Palma 
höchst  charakteristisches  Werk  befindet  sich  auch  im 
Palast  Colonna  in  S.  S.  Apostoli.  Auf  jenem  Bilde  sehen 
wir  die  Madonna  mit  dem  Christkinde,  welchem  der 
Donator  durch*  den  heiligen  Petrus  empfohlen  wird. 
Wer  die  dem  Palma  eigenthümlichen  Formen  des  Ohres 
und  der  Hand  kennen  lernen  will,  betrachte  sie  auf 
diesem  letztern  Gemälde,  in  welchem  die  Landschaft 
mit  dem  röthlichen  Horizont  für  den  Meister  ebenfalls 
bezeichnend  ist. 

Ein  anderes  Werk  des  Palma  vecchio,  das  in  Rom 
unter  dem  Namen  Tizian's  geht,  befindet  sich  in  der 
Capitolinischen  Galerie  und  stellt  die  „Ehebrecherin" 
dar,  ein  Bild,  das  der  Anonymus  des  Morelli  im  Jahre 
1528  in  der  Sammlung  des  Francesco  Zio  (Giglio)  zu 
Venedig  sah.^  Ausser  diesen  vier  sind  mir  in  Rom 
keine  andern  Werke  von  Palma  vecchio  zu  Gesicht  ge- 
kommen.    Die  sogenannte  „Schiava  di  Tiziano"  in  der 


die  Arbeit  Tizian's  (XIII,  45).  Ueberbaupt  sind  die  um  so  manche 
wicbtige  Frage  in  der  italienischen  Kunstgeschichte  sonst  so  hoch 
verdienten  Herren  Herausgeber  des  Vasari  in  der  Bestimmung 
von  Kunstwerken  und  namentlich  der  aus  den  venetianischen 
Malerschulen  nicht  gut  berichtet  und  ihre  Commentare  sind  daher 
meistens  nicht  nur  schwach,  sondern  gar  oft  auch  irrig. 

^  Siehe  im  Anonimo  des  Morelli    (2*  edizione,    aumentata 
per  cura  di  Gustavo  Frizzoni),  p.  180. 


Die  Venetianer:  Palma  vecchio.  387 

Galerie  Barberini,  von  den  Herren  Crowe  und  Caval- 
caselle  dem  Palma  zugetheilt  (II,  478),  ist  höchst  wahr- 
scheinlich nichts  anderes  als  eine  jener  vielen  Nach- 
äffungen, mit  denen  Pietro  Vecchia  im  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  die  Verehrer  des  Giorgione  zu  be- 
glücken pflegte.  Das  Museum  von  Neapel  hat  dagegen 
in  einer  sogenannten  „Santa  conversazione"  eines  der 
herrlichsten  Staffelei bilder,  die  Palma  je  geschaffen,  ein 
Bild,  das  würdig  ist  neben  Palma's  Bild  der  Louvre- 
Galerie  gestellt  zu  werden.  Von  den  vier  dem  Palma 
im  Pitti-Palast  zugemutheten  Bildern  gehört  kein  ein- 
ziges unserm  Bergamasken  an,  und  nicht  viel  besser 
sieht  es  mit  den  fünf  Palma  vecchio-Bildern  aus,  welche 
die  Uffizien-Galerie  zu  besitzen  sich  rühmt.  Unter  den- 
selben scheint  mir  blos  die  dicke  Judith  (Nr.  619),  die  dort 
ehemals  unter  dem  Namen  des  Pordenone  aufgestellt 
war,  ec  h  t  zu  sein.  Die  heilige  Familie  mit  derMagdalene 
dagegen  (Nr.  623)  dürfte  bei  miherer  Besichtigung  blos 
als  eine  alte  Copie  nach  Palma  sich  herausstellen.  Das 
sogenannte  Porträt  eines  Geometers  (Nr.  650)  ist  ebeur 
falls  Copie,  und  zwar  nicht  einmal  nach  Palma  vecchio.* 
Das  Madonnenbildchen  (Nr.  1019)  kann  nur  als  das 
Machwerk  eines  untergeordneten  Nachahmers  Tizian^s 
betrachtet  werden;  das  andere  kleine  Bild  (Nr.  1037), 
„Christus  in  Emmaus",  gehört  augenscheinlich  der  Werk- 
statt des  Bonifazio  an,  und  was  endlich  das  ganz  ver- 
dorbene Frauenporträt  (Nr.  1087)  anbelangt,  so  würde. 


*  Das  Origmalbild  diesei  sogenanntea  Geometers  befindet 
sich  unter  dem  Namen  des  Giorgione  in  der  Sammlung  von 
Sir  Francis  Cook  in  Richmond.  Täusche  ich  mich  nicht,  so  ge- 
hört jedoch  jenes  Bild  dem  Bartolommeo  Veneto  an.  (f)  Es 
ist  augenscheinlich  Portr&t.  Der  dargestellte  Cavalier  statzt  auf 
jenem  Bilde  in  Richmond  seine  Iteohte  aaf  den  Degengriff,  wäh- 
rend er  in  der  Linken  einen  Kompass  hält  Im  Musenm  Corr^r 
zu  Venedig  sieht  man  eine  andere  Copie  des  Bildes  in  der  Uffizien- 
Galerie,  mit  der  Jahrestahl  1555.  (t) 

26' 


388  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

glaube  ich,  der  Uffizien-Galerie  kein  erheblicher  Scha- 
den geschehen,  wenn  man  jenes  Bildchen  in  die  Rumpel- 
kammer verwiese. 

"Weder  die  öffentlichen  Bildersammlungen  von  Bologna 
und  Ferrara  noch  die  von  Padua  besitzen  Gemälde  des 
Palma  vecchio.  In  dieser  letztern  Sammlung  trägt  aller- 
dings ein  Madonnenbild  die  gefälschte  Aufschrift: 
lACOMO.  PALMA.  Jenes  Bild  verdient  jedoch  dem 
trefflichen  Bergamasken  ebenso  wenig  zugetheilt  zu 
werden,  als  sein  Zwillingsbruder  (f)  im  Berliner  Museum 
(Nr.  31),  auf  dem  ein  Fälscher  sich  den  Spass  machte, 
eine  ähnliche  Aufschrift  anzubringen,  wahrscheinlich  um 
damit  künftige  Kunstkritiker  und  Galeriedirectoren  in 
Verlegenheit  zu  bringen.  Dagegen  würde  die  städtische 
Bildergalerie  von  Rovigo  im  Madonnenbild  Nr.  39, 
mit  den  Heiligen  Hieronymus  und  Helena,  ein  Werk 
aus  der  besten  Epoche  des  Palma  besitzen,  wenn  jenes 
Gemälde  nicht  durch  Uebermalung  so  grausam  entstellt 
wäre,  dass  man  den  Meister  kaum  noch  darin  zu  er- 
kennen vermag.  Deshalb  erwähnen  klugerweise  auch 
die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  mit  keiner  Silbe 
jenes  Bildes,  wogegen  sie  ein  männliches  Porträt  (Nr.  123) 
in  derselben  Galerie  anführen,  in  dem  sie  noch  die  Hand 
des  Palma  gewahren  wollen  (II,  484).  Ich  kann  jedoch 
beim  besten  Willen  in  jenem  Porträt  nicht  mehr  als 
eine  Copie  erkennen,  (f) 

Zwei  andere  Copien  nach  Palma  vecchio  befinden 
sich,  meiner  Ansicht  nach,  ebenfalls  in  der  Bildersamm- 
lung von  Modena;  die  eine  unter  dem  Namen  des 
Palma,  Nr.  129,  die  andere,  Nr.  123,  unter  dem  Namen 
Giorgione's.  (f )  Auch  die  Pinakotheken  von  Parma  und 
von  Turin  besitzen  keine  Werke  unsers  Bergamasken; 
die  Brera- Galerie  hingegen  ein  Triptychon  (Nr.  79) 
mit  den  Heiligen  Helena,  Constanstin,  Rochus  und 
Sebastian,  und  ein  grosses  Altarbild  „Die  Anbetung 
der  drei  Könige",  welches,  nach  meiner  üeberzeugung. 


Die  Venetianer:  Palma  vecchio.  389 

wol  die  letzte  Arbeit  des  damals  (1526)  schon  kranken 
Meisters  gewesen  sein  dürfte,  weshalb  er  auch  die  Aus- 
führung des  Bildes  fast  ganz  einem  seiner  Gehülfen 
überlassen  musste.  Die  städtische  Bildersammlung  von 
Bergamo  hat  nur  ein  einziges  Werk  des  Bergamasken 
aufzuweisen  und  auch  dieses  kam  von  auswärts  in  die 
Galerie.  Dafür  birgt  sein  heimatliches  Brembothal  in 
den  grossen  Polyptychons  von  Peghera,  Dossena  und 
Serinaita  drei  werth volle  Werke  von  seiner  Hand.* 

Unter  den  grössern  Altarwerken  unsers  Meisters 
sind  jedoch  jenes  in  der  Kirche  von  S.  Stefano  in  Vi- 
ce nza  und  jenes  in  S.  Maria  Formosa  in  Venedig  als  die 
vorzüglichsten  des  Meisters  zu  betrachten.  Ich  würde 
auch  noch  das  andere  grosse  Bild,  Saal  IX,  Nr.  8,  in 
der  Akademie  von  Venedig  dazu  rechnen,  wäre  jenes 
Gemälde  durch  Rest;iuration  nicht  so  abscheulich  ent- 
stellt. Bildnisse  scheint  Palma  nur  wenige  gemalt  zu 
haben.  Zwei  davon  befinden  sich  in  der  Sammlung 
Querini-Stampalia  (die  Querini  waren  die  Protectoren 
Palma's);  freilich  hat  eine  neuere  Restauration  auch 
jene  zwei  Porträts  fast  ganz  zu  Gnuide  gerichtet. 

Palma  vecchio,    der  von    seinem   um  einige  Jahre 


*  Das  Polyptychon  in  der  Pfarrkirche  von  Serinalta,  dem 
Geburtsorte  Palma's,  besteht  aus  neun  Tafelbildern :  in  der  Mitte 
die  „Auferstehung  Christi"  und  darüber  die  „Vorstellung  im 
Tempel*';  an  tlen  Seiten  die  Heiligen  Joseph,  Franciscus,  Jo- 
hannes,  Jacobus,  Albertus,  Apollonia  und  ein  anderer  Heiliger. 
Ausser  diesem  Altai*werk  befinden  sich  dort  noch  zwei  andere 
Tafelbilder  des  Meisters  mit  den  Figuren  des  Pietro  martire  und 
des  heiligen  Adalbcrt. 

Das  Polyptychon  in  der  Pfarrkirche  von  Peghera  (im  Seiten- 
thal Taleggio)  besteht  aus  sieben  Abthoilungen;  in  der  Mitte 
die  Heiligen  Jacobus,  Rochus  und  Sebastianus  und  darüber 
eine  sogenannte  Pieta:  der  von  einem  Fogel  beweinte  todte 
Christus,  rechts  der  heilige  Antonius,  links  der  heilige  Ambro- 
sius  und  ganz  oben  Gottvater.  Aehnlioh  ist  das  Polyptychon  in 
der  Pfarrkirche  von  Dossena. 


390  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

altern  Stiidiengeiiossen  Lorenzo  Lotto  in  einer  ge- 
wissen Epoche  (etwa  in  den  Jahren  1510 — 1515)  be- 
einflusst  wurde \  fi'ihrt  uns  naturgemäss  zu  diesem  letzt- 
genannten, geist-  und  phantasiereichen  Schüler  des  Giam- 
bellino. 

LORENZO  LOTTO. 

Lorenzo  Lotto  ward,  wie  ich  glaube,  nicht  1480, 
sondern  schon  etwa  um  1475  in  Venedig  geboren,  Hess 
sich  jedoch  schon  in  den  ersten  Jahren  des  16.  Jahr- 
hunderts in  der  Stadt  Treviso  nieder  und  wurde  bald, 
wie  es  scheint,  Bürger  daselbst,  sodass  er  von  da  an 
sich  fast  immer  „de  Tarvisio"  zu  bezeichnen  pflegte.  ^ 
Von  seiner  Hand  finden  wir  zwei  Bilder  in  dieser 
Doria-Galerie.  Das  eine  derselben  (Braccio  II,  Nr.  15) 
stellt  den  heiligen  Hieronymus  in  einer  meisterhaft  ge- 
malten Landschaft  dar  und  wird  im  Katalog  als  Werk 
des  Caracci  (!)  angeführt.  Die  Leidenschaftlichkeit 
in  der  Bewegung  des  sich  kasteienden  alten  Mannes 
ist  durchaus  Lottisch.  Ein  diesem  ganz  ähnliches  Bild, 
doch  in  grösserm  Format,  besitzt  auch  das  Museum  von 
Madrid,  dort  Tizian  zugeschrieben.  Doch  schon  Otto 
Mündler  (a.  a.  O.^  S.  58)  und  nach  ihm  auch  die  Herren 
Crowe  und  Cavalcaselle  haben  beide  Bilder  als  Werke 


^  Dies  gewahrt  man  am  deutlichsten  im  Bilde  des  Palma 
im  Louvre,  sowie  auch  im  schönen  Frauenporträl  (Nr.  197A)  im 
Museum  von  Berlin. 

2  Siehe:  Gustavo  Bampo,  Spigolature  dalV  archivio  nota- 
rile  di  Treviso: 

1504,  24.  Febr.  „Tarvisn  in  domo  hdbitationis  mag.  Lau- 
rentii  LoH  de  Venetiis  pictoris  Tarvisii^^  etc. 

1504,  25.  Novb.  „Tarvisii  —  inesentihus  ....  et  m.  Lau- 
rentio  Loto  de  Venetiis  q.  S.  Thome,  pictore  hahitatore 
Tarvisii.'^ 

1505,  7.  Aprilis.  „  Tarvisii  in  domo  hahitationis  m.  Laurentii 
Loti  de  Venetiis,  q.  S.  Thome,  pictoris  celcherrimi"'  etc. 
Im  Jahre  1505  war  Lotto   also  schon  ein  berühmter  Meister. 


Die  Venetiauer:  Lorenzo  Lotto.  391 

Lotto's  erkannt.  Ich  hatte  vor  zelten  Gelegenheit  in  Paris 
bei  dem  verstorbenen  Otto  Mündler  ein  anderes  Bildchen 
mit  demselben  Gegenstand  zu  sehen,  worauf  der  Name 
des  Meisters  und  das  Jahr  1515  mit  Goldbuchstaben  ge- 
zeichnet standen.  Jenes  Bildchen  mag  wahrscheinlich 
dasselbe  gewesen  sein,  das  der  Anonymus  des  Morelli 
als  im  Hause  des  Domenico  dal  Cornello  (d.  h.  Tassi) 
zu  Bergamo  befindlich  erwähnt*:  ^.el  quadretto  de  S. 
(rieronimo^\  Das  andere  Bild  des  Lotto  in  dieser  Samm- 
lung hängt  in  demselben  Braccio  II  unter  Nr.  34  und 
ist  im  KatiUog  als  Porträt  eines  Richters  (!)  von  L.  Lotto 
angeführt.  Was  der  „Richter^'  mit  diesem  Bilde  zu 
schaflen  haben  mag,  mögen  gelehrtere  Männer  als  ich 
bin  erklären.  Doch  daran  liegt  ja  nicht  viel;  besehen 
wir  uns  das  Bild  selbst.  Der  noch  im  besten  Alter 
stehende  Mann  scheint  von  Gemüthsleiden  niederge- 
schlagen; sein  Antlitz  ist  blass,  er  hält  die  Hand  auf 
dem  Herzen,  gleich  als  ob  der  Schmerz  dort  seinen  Sitz 
hätte;  sein  Auge  scheint  etwas  zu  suchen,  was  nicht 
mehr  in  dieser  Welt  ist.  Seine  Figur  ist  zwar  nicht 
elegant  in  der  heutigen  Bedeutung  des  Wortes,  allein  die 
ganze  Haltung  dieses  noch  jungen  Mannes  entspricht 
dem  tiefbetrübten  Ausdruck  seiner  Gesichtszüge.  Der 
Mann  zählt  blos  37  Jahre  und  doch  bedeckt  schon  der 
Epheu  den  Stein,  auf  welchem  seine  Lebensjahre  ein- 
gegraben sind.  Auf  einem  danebensteheuden  Pilaster 
sieht  man  ein  Basrelief,  auf  dem  der  Gott  der  Liebe 
dargestellt  ist,  wie  er,  gen  Himmel  blickend,  mit 
seinen  Füssen  die  Schalen  einer  Wage  im  Gleichge- 
wicht erhalt  —  vielleicht  eine  Andeutung,  dass,  wie 
jene  Wage  nicht  mehr  vom  Liebesgott  auf-  und  nbg<*- 
worfen  wird,  so  auch  das  Herz  des  Mannes  nun  nicht 


*  Die  Familie  Tausi  besä««  im  Brcmbothal  ein  Schloss  mit 
Uem  Namen  Cornello ,  weshalb  die  MitgUeder  jener  Familie  blos 
„dal  Cornello"  genannt  wurden. 


392  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

mehr  von  der  Liebe  bewegt  wird.  Diese  nämliche 
Darstellung  Amor's  auf  der  Schale  einer  "Wage  stehend 
findet  man  auch  auf  einer  jener  schönen  Tarsien  des 
Capodiferro  in  der  Kirche  S.  Maria  maggiore  zu  Ber- 
gamo, wozu  im  Jahre  1523  L.  Lotto  die  Zeichnung 
lieferte.^  Unter  jenem  Amor  dort  liest  man:  „iVosce  te 
ipsum^'-.  Der  verstorbene  Mündler  mit  seinem  feinen 
Kunstsinn  konnte  nicht  umhin,  auch  diesem  seelen- 
vollen Bilde  des  Lotto  der  Doria- Galerie  in  warmen 
Worten  seine  Bewunderung  zu  zollen  (a.  a.  O.,  S.  58); 
nur  scheint  er  mir  darin  fehlgegriffen  zu  haben,  dass  er 
dieses  Porträt  als  das  des  Malers  selbst  ansah.  L.  Lotto 
ist  gewiss  schon  vor  dem  Jahre  1480  geboren ;  er  müsste 
folglich  das  Bild,  falls  es  Selbstporträt  wäre,  ungefähr 
1512  gemalt  haben.  Jener  Epoche  seiner  Wirksamkeit 
aber  entspricht  weder  die  Malart  in  diesem  Bildnisse, 
noch  die  darauf  gesetzte  Bezeichnung  L.  LOTTO,  da 
auf  allen  Werken  Lotto's  in  Bergamo,  also  vom  Jahre 
1515  bis  zum  Jahre  1524  der  Name  auf  lateinisch 
LAV.  LOTVS  gezeichnet  steht.  Erst  später  bezeich- 
nete er  seinen  Namen  auf  italienisch.  Die  Werke  dieses 
Meisters,  welche  die  Galerie  des  Fürsten  Borghese  be- 
sitzt, haben  wir  bereits  besprochen;  es  erübrigt  uns  nun, 
einen  Blick  in  die  andern  Sammlungen  Roms  zu  thun, 
woselbst  wir  noch  mehrern  Gemälden  dieses  stets  interes- 
santen und  originellen  Vorgängers  des  Correggio  be- 
gegnen werden.  So  finden  wir  in  der  Galerie  Colonna 
das  Bildniss  des  Cardinais  Pompeo  Colonna,  ein  Ge- 
mälde, das  in  seinem  gegenwärtigen  Zustande  mir  eher 
als  Copie  denn  als  Original  erscheint.  Im  Casino  oder 
Gartenhaus  des  Fürsten  Rospigliosi,  wo  die  Aurora  des 
Guido  glänzt,  sieht  man  ebenfalls  ein  Bildchen  des  Lotto, 
welches  uns  Zeugniss  gibt,  wie  dieser   religiöse  Mann 


^  Siehe :   Vite  dei  pittori,  scultori  e  architetti  Bergamaschi, 
scritte  dal  Conte  Fr.  Maria  Tassi,  I,  64. 


Die  Venetianer:  Lorenz©  Lotto.  393 

und  Freund  aller  Dominicanerklöster  die  griechische 
Mythologie  aufgefasst  und  dargestellt  wissen  wollte. 
Mündler  hat  auch  dieses  geistreich  gedachte  und  mit 
grosser  Feinheit  ausgeführte  Gemälde  des  Lotto  zu  wür- 
digen verstanden  und  es  den  „Sieg  der  Wollust  über 
die  Keuschheit"  genannt  (a.  a.  O.,  59).  Vielleicht  könnte 
er  ebensogut  damit  „die  Rache  dermitliecht  eifersüchtigen 
Juno  an  Venus"  haben  darstellen  wollen.  Wir  sehen 
hier  nämlich  die  Juno  in  einen  grünen  Mantel  gehüllt, 
den  Kopf  mit  einem  weissen  Tuch  bedeckt,  wie  sie 
den  zerbrochenen  Bogen  Amors  schwingend,  zorn- 
sprühend auf  Venus  losstürmt.  Die  Göttin  der  Liebe, 
mit  perlengeschmückten  blonden  Haaren,  einen  leuch- 
tenden Stern  auf  der  Stirn,  mit  goldenen  Ketten  am 
Hals  und  violettem  Mantel  über  den  Schultern,  sucht 
den  hinter  ihr  sich  schirmenden  buntbefiederten  Amor 
mit  verweinten  Augen  vor  dem  Zorn  der  Himmels- 
königin zu  schützen.  Auf  einem  Cartellino  kann  man 
noch  deutlich  den  Namen :  Laurentius  Lotus  lesen.  Der 
Malweise  nach  gehört  auch  dieses  Werk  des  Meisters 
in  seine  bergamaskische  Zeitepoche  (1515 — 1524).  Aus 
der  nämlichen  Wirkungszeit  des  Lotto  sah  man  vor 
dem  Jahre  1870  auch  im  Quirinal  ein  schönes  Werk 
Lotto's  vom  Jahre  1524.  Dasselbe  stellte  die  Jungfrau 
Maria  mit  dem  unbedeckten  Christuskind  auf  dem  Schos 
dar,  von  den  Heiligen  Antonius,  Katharina,  Johannes 
dem  Täufer,  Hieronymus  und  einem  heiligen  Bischof 
umstanden;  prachtvoll  in  der  Farbe.  Bei  der  grenzen- 
losen Indifferenz  in  Sachen  der  Kunst^  die  in  den  ober- 
sten wie  in  den  untersten  Kegionen  der  constitutionellen 
Regierung  Italiens  vorwaltet,  würde  es  mich  gar  nicht 
wundern,  wenn  auch  jenes  Bild  auf  die  eine  oder  auf 
die  andere  Art  verschwunden  wäre. 

Auch  in  der  CapitoKnischen  Bildersammlung  gibt  es 
ein  Werk  von  L.  Lotto,  freilich  unter  einem  fremden 
Namen  aufgestellt.     £s  ist  dies  ein  Porträt  im  zweiten 


394  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Saal,  mit  der  Nr.  74.  Das  Bild  stellt  einen  jungen  vorneh- 
men Mann  in  Lebensgrösse,  mit  schwarzer  Mütze,  schwar- 
zemWamsundschwarzenBeinkleidern  dar;  derselbe  stützt 
sich  leicht  mit  dem  linken  Ellenbogen  auf  einen  mit  grau- 
bläulichem Teppich  bedeckten  Tisch  und  hält  in  den 
Händen  ein  Feuergewehr.  Dieses  Bildniss,  das  einst 
gewiss  glänzend  gewesen  sein  mag,  ist  gegenwärtig 
leider  nur  noch  eine  Ruine.  Die  eigenthümliche  Körper- 
bewegung des  Mannes  ist  auch  auf  diesem  Porträt  Lotto's 
sehr  fein  empfunden  und  meisterhaft  wiedergegeben,  die 
Zeichnung  der  Hände  charakteristisch  für  den  Meister, 
das  reich  verzierte  Feuerojewehr  mit  grosser  Liebe  aus- 
geführt.  Das  Bild  wird  wunderlicherweise:  ^^ritratto 
di  un  Monaco^'  (Porträt  eines  Mönchs)  und  als  Werk 
des  Giorgione  im  Katalog  aufgeführt,  (f) 

Die  Galerie  Spada  endlich  hat  eine  Copie  des 
Originalbildes  mit  der  „Ehebrecherin"  von  L.  Lotto, 
das  im  Louvre  sich  befindet.  Eine  andere  und  zwar 
vlä mische  Copie  desselben  Bildes  befindet  sich  in  der 
Dresdener  Galerie.  Während  das  Museum  von  Neapel 
in  einem  Madonnenbildchen  ein  höchst  interessantes 
Jugendwerk  (1507)  des  Lorenzo  Lotto  besitzt,  gibt 
uns  dagegen  das  andere  Madonnenbildchen  vom  Jahre 
1534  in  den  Uffizien  (Nr.  575)  keinen  besonders  vor- 
theilhaften  Begriff  von  diesem  Meister.  Wer  jedoch 
wünschen  sollte,  den  Lotto,  diesen  so  feinsinnigen  und 
erfindungsreichen,  vom  verstorbenen  Baron  von  Ilumohr 
so  ganz  verkannten  Künstler  vollkommen  kennen,  ihn 
nach  seinem  Verdienst  würdigen  und  lieben  zu  lernen, 
dem  rathe  ich,  die  Werke  desselben  in  Recanati  (1508), 
in  Jesi  (1512),  in  Bergamo  (1515—1524),  in  Mailand 
und  Venedig  aufzusuchen.  Dort  wird  er,  zumal  vor 
seinen  Bildern  in  Bergamo:  in  der  Communalgalerie 
daselbst,  in  den  Kirchen  von  S.  Bartolommeo,  von  S. 
Spirito,  von  S.  Bernardino,  in  der  Pfarrkirche  von 
Alzano,  in  Trescorre,  vollkommen  einsehen,  welch  eine 


Die  Venetianer:  Giovan  Antonio  da  Pordenone.        395 

lebendige,  reiclibegabte,  liebenswürdige  Künstlernatur 
dieser  Meister  ist;  er  wird  aber  auch  darüber  sich  wun- 
dern, dass  bisher  so  wenige  Kunsthistoriker  ihn  erkannt 
und  nach  seinem  wirklichen  Verdienst  darzustellen  ver- 
standen haben,  üebrigens  begreife  ich  wohl,  dass  so- 
wol  für  angehende  Kunstkenner  als  auch  für  systema- 
tische Kunstästhetiker,  deren  beschränktem  Geschmack 
einzig  und  allein  die  charakteristische  Herbe  und  Härte 
der  Formen,  sowie  die  Schlichtheit  der  Darstellungs- 
weise der  Quattrocentisten  zusagen,  die  Gemälde  eines 
Lorenzo  Lotto  nicht  nur  keinen  Reiz  haben  können, 
sondern  dass  dieselben  sogar  eher  abstossend  als  an- 
ziehend auf  deren  Auge  und  Sinn  wirken  müssen.  Denn 
wie  alle  nervös  erregbaren,  in  sich  gekehrten  Naturen 
von  uns  verlangen,  dass  wir  ihnen  freundlich  und  ohne 
Vorbehalt  entgegenkommen,  sollen  sie  uns  ihr  Herz  er- 
schliessen,  so  wollen  auch  die  Werke  Lotto's  mit  liebe- 
voller Nachsicht  für  seine,  übrigens  stets  liebenswür- 
digen Schwächen  betrachtet  sein.  Wer  ihm  mit  der 
Brille  und  dem  ästhetischen  Katechismus  der  Akademiker 
entgegentritt,  dem  wird  der  Keiz  seiner  Werke  sicher 
verschlossen  bleiben.  Lorenzo  Lotto  war  melancholi- 
schen Temperaments;  den  meisten  seiner  Bildnisse  theilte 
er  den  schwermüthigen  Zug  des  eigenen  Gemüths  mit. 
Bereits  in  seinen  dreissiger  Jahren  scheint  er,  weltmüde, 
die  Einsamkeit  und  Stille  der  Klosterzelle  aufgesucht 
zu  haben.  Auch  ist  zu  bedenken,  dass  ebenso  wie  Tizian 
den  Giorgione,  so  hat  Correggio  später  auch  seinen  Vor- 
läufer Lotto  in  Schatten  gestellt. 

GIOVAN  ANTONIO  DA  PORDENONE. 

Ein  jüngerer,  durch  und  durch  weltlich  gesinnter 
Zeitgenosse  und  Antipode  des  Lotto,  sowol  in  seiner 
Empfindungs-  als  in  seiner  Darstelhingsweise,  ist  der 
ritterlich   vornehme,    hochfahrende  (iiovan  Antonio 


396  Die  Galerie  Doria-Paufili. 

da  Pordenone,  geboren  in  der  Stadt  Pordenone  1483, 
gestorben  in  Ferrara  1539.  Otto  Mimdler  verglich  diesen 
Friulaner,  und  wie  ich  glaube  mit  Recht,  in  Rücksicht 
auf  die  lebhafte  Energie  seines  Naturells  und  auf  seine 
Vorliebe  zum  Schwülstigen  und  Kolossalen,  mit  P.  P. 
Rubens.  Der  Vlamländer  war  jedoch  andererseits  ein 
diplomatisch  berechnender,  schmiegsamerWeltmann,  wäh- 
rend das  ungestüme,  leidenschaftlich  erregbare,  von  Stolz 
und  Ehrgeiz  stets  aufgeregte  Gemüth  den  Friulaner  nie 
zu  jener  behaglichen,  fürstlich  vornehmen  Ruhe  in  seiner 
künstlerischen  Wirksamkeit  kommen  Hess,  die  der  kluge 
Rubens  sich  zu  verschaffen  wusste  und  welche  er  auch 
in  vollem  Maasse  bis  an  sein  Lebensende  genoss.  Da- 
her mag  es  denn  vielleicht  auch  kommen,  dass  Porde- 
none nie  conventionell  wurde.  Dieser  geniale,  phan- 
tasiereiche und  nicht  selten  selbst  grossartige  Künstler, 
welcher  eine  Zeit  lang  in  Venedig,  und  zwar  nicht  ohne 
Erfolg,  mit  Tizian  um  die  Palme  rang,  nannte  sich  bald 
Sacchiense,  bald  de  Cuticellis  oder  auch  Corticellis,  bald 
wieder  Regillo,  und  lässt  uns  auch  schon  durch  diesen 
beständigen  Wechsel  seines  Namens  die  Unruhe  seines 
stolzen,  ehrgeizigen  Charakters  erkennen.  Mehr  für  die 
Wandmalerei  als  für  kleine  Staffeleibilder  geschaffen, 
hinterliess  er  uns  jedoch  auch  eine  grössere  Anzahl 
von  Oelgemälden,  von  denen  einige  zum  Erfreulichsten 
gehören,  was  die  venetianische  Kunst  erzeugte.  Ich 
brauche  hier  blos  an  die  Bilder,  welche  die  Stadt  Porde- 
none selbst  von  ihm  besitzt,  an  die  zwei  grossen  Altar- 
werke (Saal  VII,  Nr.  22  und  25^)  in  der  Akademie  von  Ve- 
nedig, an  das  Madonnenbild  in  S.  Giovanni  Elimosinaro 
und  an  den  heiligen  Martinus  zu  Pferde  in  S.  Rocco  eben- 


^  Unter  den  Bildnissen  der  Familie  Ottoboni  von  Pordenone, 
für  welche  Giovan  Antonio  1526  dieses  schöne  Bild  ausführte,  sind 
etliche,  die,  meinem  Gefühl  nach,  neben  die  besten  Porträts  aller 
Zeiten  gestellt  werden  können.  Leider  ist  jenes  Bild  sehr  schadhaft. 


Die  Venetianer:  Giovan  Antonio  da  Pordenone.         397 

daselbst,  an  die  herrliche  Altartafel  in  der  Pfarrkirche 
von  Sussigana,  an  die  ebenso  vorzügliche  „Anbetung 
der  Hirten"  in  S.  Maria  de'  miracoli  von  Motta  (bei 
Treviso),  sowie  auch  an  das  glanzvolle  Madonnenbild 
am  ersten  Altar  rechts  im  Dome  von  Cremona  zu  er- 
iimern. 

Von  diesem  seltenen  Meister  nun  darf,  wie  ich  glaube, 
auch  die  Doria- Galerie  sich  rühmen,  ein  gutes  Werk 
zu  besitzen.  Es  ist  dies  ein  männliches  Porträt,  Nr.  11 
im  Braccio  II.  Der  Katalog  bezeichnet  es  als  y^ritratto 
di  un  giudice^^^  also  wieder  als  das  Conterfei  eines  Rich- 
ters, und  zwar  wahrscheinlich  nur  darum,  weil  dei^ 
schöne  junge  Mann  im  rothen  Kleide  und  dem  schwarzen 
Mäntelchen  eine  Papierrolle  in  der  Iland  hält.  Wie  aber, 
wenn  dieses  Blatt  statt  eines  Gerichtsactes  ein  Liebes- 
brief wäre?  Doch  daran  liegt  nicht  viel.  Einer  meiner 
kunstsinnigen  Freunde  meinte  dieses  Bildniss  durchaus 
dem  Pordenone  absprechen  zu  müssen,  um  es  dem  Dosso 
Dossi  zu  geben.  In  der  That  hat  der  eigenthümliche 
Farbenglanz  des  Incarnats  etwas,  das  uns  an  das  so- 
genannte Porträt  der  Vannozza  von  Dosso,  Nr.  32  im 
Braccio  III,  erinnert;  allein  die  Carnation  ist  bei  Por- 
denone stets  heller  und  die  Zeichnung  straffer  als  bei 
Dosso,  wie  dies  sich  auch  hier  bestätigt,  wenn  wir  dieses 
sogenannte  Porträt  eines  Richters  mit  dem  der  soge- 
nannten Vannozza  vergleichen,  und  ich  kann  daher  nicht 
umhin,  diesmal  mit  voller  Ueberzeugung  der  Ansicht 
des  Verfassers  des  Katalogs  beizustimmen,  welcher  dieses 
Bild  dem  Pordenone  zuschreibt  Ausser  diesem  Por- 
trät in  der  Doria-Galerie  sah  man  vor  Jahren  in  Rom 
noch  ein  anderes  und  zwar  weit  bedeutenderes  W^erk 
dieses  eminentesten  aller  friulanischen  Künstler.  Jenes 
Gemälde  befand  sich  damals  in  einem  Vorsaal  des  quiri- 
nalischcn  Palastes;  es  stellte  den  heiligen  Georg  vor, 
der  auf  weissem  Rosse  mit  gezücktem  Schwert  auf  ein 
wildes  Ungethüm  losstürmte.     Im  Mittelgrund  des  Bil- 


398  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

des,  welcher  von  einer  reizvollen  Landschaft  gebildet 
ist,  sah  man  unter  grünem  Gebüsch  die  in  einem  orange- 
gelben Kleid  gehüllte  Prinzessin  mit  geftilteten  Händen 
auf  den  Knien  Gott  für  ihre  Rettung  danken.  Zu  den 
Füssen  des  vor  Wuth  schnaubenden  Drachen  lag,  umringt 
von  den  Knochen  der  verschiedensten  Thiere,  die  noch 
frische  Leiche  eines  jungen  Ritters.  Jenes  phantastische, 
glanzvolle  Gemälde,  aus  dem  das  volle  Arom  der  Blüte- 
zeit der  venetianischen  Kunst  uns  entgegenwehte,  war 
leider  durch  Restaurationen  etw^as  getrübt;  es  trug  den 
Namen  des  Malers  in  folgender  Fassung:  I  •  A  •  REG  • 
PORD  •  F.  (Joannes  Antonius  Regillus  Pordenonensis 
fecit).^  Wie  man  nun  diesem,  um  mich  eines  stereo- 
typen Ausdrucks  zu  bedienen,  durchaus  Giorgionesken 
Maler  so  lange  Zeit  hindurch  Werke  des  Brescianers 
Alessandro  Moretto,  einem  von  ihm  so  durch  und  durch 
vorschiedenen  Künstler,  hat  zuschreiben  können,  wäre 
fast  unglaublich,  würden  uns  nicht  neueste  Bilderbestim- 
mungen belehren,  dass  wir,  falls  es  so  fort  gehen  sollte, 
für  die  nächste  Zukunft  in  dieser  Beziehung  uns  aufs 
Aeusserste  gefasst  machen  dürfen.  Nicht  zufrieden  da- 
mit, das  grosse  Altarbild  Moretto's,  welches  ehedem  in 
der  Sammlung  des  Cardinais  Fesch  in  Rom  war  und 
gegenwärtig  eine  der  Hauptzierden  der  Bildergalerie  im 
StädePschen  Institut  bildet,  unserm  Giovan  Antonio  da 
Pordenone  zugeschrieben  zu  haben,  haben  einige  Kunst- 
schreiber kürzlich  auch  noch  ein  anderes,  viel  vorzüg- 
licheres Altarwerk  des  Brescianers  in  der  Belvedere- 
Galerie  in  Wien  ebenfalls  als  Arbeit  des  Pordenone  zu 


*  Gegenwärtig  soll  das  Bild  sich  im  Vorsaal  des  Privat- 
gemachs  Sr.  Heiligkeit  Papst  Leo's  XIII.  befinden.  Ich  kann 
nur  wünschen,  dass  die  kampflustigen  Prälaten,  die  sich  dort 
versammeln,  am  Anblick  des  tapfern  Ritters  der  Vorzeit  ihren 
Muth  stählen  mögen,  um  siegreicher,  als  dies  bisher  der  Fall  war, 
den  Kampf  gegen  den  sie  bedrohenden  Drachen  der  Geistesfrei- 
heit zu  bestehen. 


Die  Venetianer:  Giovan  Antonio  da  Pordenone.        399 

beschreiben  und  anzupreisen  versucht.*  Und  ein  sonst 
achtungswürdiger  italienischer  Kunstforscher  gefiel  sich 
vor  wenigen  Jahren  noch,  in  der  heiligen  Justina  das 
Ebenbild  der  Signora  Laura  Eustocchia  von  Ferrara  und 
in  dem  vor  ihr  knienden  bärtigen  Donator  das  Conterfei 
des  in  sie  verliebten  Herzogs  Alfonso  I.  d'Este  zu  er- 
blicken.- Ein  anderer  Kunstschriftsteller,  Monsieur  Viar- 
dot,  in  der  Voraussetzung,  dass  beide  ebengenannte  Ge- 
mälde von  der  Hand  des  Pordenone  seien,  geht  dann  so 
weit,  zwischen  dem  Bilde  des  Moretto  im  Belvedere  und 
dem  wirklichen  Bilde  des  Pordenone  (Saal  VH,  Nr.  25) 
in  der  venetianischen  Akademie  eine  „grosse  Analogie" 
wahrnehmen  zu  wollen.  Was  uns  schwache  Sterbliche 
die  Vorurtheile  doch  alles  sehen  lassen! 

Unter  den  Wandgemälden  unsers  Meisters  von  Por- 
denone erscheinen  mir  als  die  interessantesten  jene  in 
der  Kapelle  des  Schlosses  S.  Salvadore  der  Grafen  Col- 
lalto  (bei  Conegliano),  jene  in  S.  Maria  di  campagna 
bei  Piacenza  und  die  im  Dom  von  Treviso.  Ich  würde 
ebenfalls  noch  die  Fresken  im  Hofe  von  S.  Stefano  zu 
Venedig  hinzufügen,  wären  nicht  auch  jene  Gemälde 
in  neuerer  Zeit  durch  eine  einfältige  Restauration  voll- 
kommen ungeniessbar  gemacht  worden! 

Da  Pordenone  in  keiner  einzigen  der  bedeutendem 
Bildergalerien  Europas  vertreten  ist,  weder  in  der  des 
Leu  vre,  noch  in  der  von  Dresden,  weder  im  Museum 


*  Die  heilige  Justina,  Nr.  310.  Der  Gesichtstypus  dieser  Hei> 
ligen  kommt  auf  mohrem  andern  Bildern  des  Moretto  vor,  so 
z.  B.  auf  zwei  Altarwerken  in  S.  demente  zu  Brescia.  Damit 
wird  die  Annahme  hinfallig,  dass  es  das  Ebenbild  einer  bestimm- 
ten Person  sei.  Früher  schrieb  man  in  Wien  jenes  Bild  dem 
Tizian  zu. 

*  Sogar  der  verdienstvolle  und  vorsichtige  Graf  Pompeo 
Litta  hat  in  seinem  bekannten  Werk:  „Le  famiglie  iUmtri  d'Ra* 
7fa'S  den  Donator  in  diesem  Bilde  Moretto's  für  den  Henog 
Alfonso  genommen  und  in  seinem  .Werk  tlt  solchen  ihn  auch  re- 
producirt. 


400  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

von  Madrid,  noch  im  Belvedere  zu  Wien,  noch  in  der 
National  Gallery  in  London,  so  erscheint  es  mir  nicht 
unpassend,  einige  seiner  Handzeichnungen  hier  anzu- 
geben, damit  meine  jungen  Freunde  sich  wenigstens 
nach  Photographien  einen,  wenn  auch  nur  oberfläch- 
lichen Begriff  von  der  Art  dieses  höchst  interessanten 
venetianischen  Künstlers  machen  können: 

1)  Die  Akademie  zu  Venedig  besitzt  von  der  Hand 
des  Pordenone  eine  aquarellirte  Zeichnung  mit  der  „Vor- 
stellung im  Tempel".  Von  Perini  photographirt,  Nr.  155. 

2)  Das  Britische  Museum  hat  eine  ganz  vorziigliche 
Zeichnung  in  schwarzer  Kreide,  den  „heiligen  Christoph 
mit  dem  Christkind  auf  der  Schulter"  vorstellend; 
Braun  Nr.  103. 

3)  Eine  ebenüills  gute  RÖthelzeichnung  des  Porde- 
none, „die  heilige  Jungfrau  mit  dem  Kind  auf  ihrem 
Arm"  (f),  kam  vor  Jahren  aus  dem  Besitz  des  Mar- 
quis de  Chennevieres  in  Paris  in  den  Handel ;  sie  wurde 
von  Braun  unter  dem  Namen  des  Palma  vecchio  re- 
producirt.     Braun,  Beaux-arts^  Nr.  212. 

4)  Eine  andere  charakteristische  Tuschzeichnung, 
wie  ich  glaube  aus  der  Frühzeit  des  Meisters,  wurde 
von  Braun  photographirt  und  zwar  unter  dem  Namen 
des  Giambellino.  (f )  Dieselbe  stellt  den  heiligen  Mar- 
cus (?)  in  einer  Nische  sitzend  dar,  wie  er  einer  um  ihn 
versammelten  Schar  von  Gläubigen  guten  Rath  ertheilt. 
Braun,  Beaux-arts^  Nr.  144. 

5)  Auch  die  reiche  Sammlung  des  Herzogs  von  De- 
vonsliire  in  Chatsworth  besitzt  (f),  unter  dem  Namen 
des  Giörgione,  eine,  wie  mir  scheint,  ebenfalls  echte 
RÖthelzeichnung  des  Pordenone:  „Petrus  den  Märtyrer" 
vorstellend. 

GIOVAN  BATTISTA  MORONI. 

In  der  Nähe  des  schönen  Porträts  von  Giovan  An- 
tonio da  Pordenone  in  der  Doria-Galerie  blickt  uns  ein 


Die  Venetianer:  Giovan  Battista  Moroni.  401 

schielender  Mann  an,  der  ein  Buch  in  der  Hand  hat. 
Der  Verfasser  des  Katalogs,  dem,  wie  wir  bereits  ge- 
sehen, der  Name  Tizian  über  alles  geht,  verlieh  wie 
so  manchem  andern  Bilde  dieser  Sammlung  so  auch 
•diesem  Portrat  den  Namen  Tizian's,  und  es  war  dies 
gewiss  nicht  der  gröbste  Fehler,  den  er  beging;  findet 
man  ja  in  andern,  noch  viel  berühmtem  Galerien  Eu- 
ropas Bildnisse  des  Giovan  Battista  Moroni,  welche 
-den  Namen  des  Cadoriners  führen. 

Ausser  diesem  hier  besitzt  Rom,  soviel  mir  bekannt 
ist,  von  dem  berühmten  bergamaskischen  Porträtmaler 
nur  noch  ein  einziges  Bild,  ich  meine  jenes  im  ersten 
Saal  der  Galerie  des  Fürsten  Colonna.  In  den  öffent- 
lichen Sammlungen  von  Süditalien  begegnet  man  kaum 
diesem  Meister.  Dagegen  hat  Florenz  eine  ziemliche  An- 
zahl Bilder  von  der  Hand  des  Moroni  aufzuweisen,  und 
<larunter  einige  sehr  gute.  Zwei  echte  Porträts  von 
seiner  Hand  befinden  sich  unter  den  Nrn.  121  und  128 
im  Palast  Pitti,  dort  unglaublicherweise  noch  immer  dem 
grossen  Veronesen  Domenico  Morone  zugeschrieben, 
und  fünf  andere  männliche  Porträts,  wenn  ich  recht  ge- 
zählt habe,  besitzt  die  Uffizien-Galerie.  Darunter  gilt 
jenes  mit  der  Nr.  360  für  das  Selbstporträt  des  Malers. 
Dasselbe  wurde  1684  in  Venedig  von  Matteo  del  Teglia, 
Agenten  des  Herzogs  von  Toscana,  für  die  Florentiner 
Sammlung  erworben.*  Das  Selbstporträt  des  Moroni, 
welches  in  Bergamo  dafür  gilt,  stimmt  jedoch  keines- 
wegs mit  jenem  in  der  Portratsammlung  von  Florenz 
überein.  Wir  müssen  uns  daher  sei  es  an  das  eine, 
sei  es  an  das  andere  der  zwei  Selbstbildnisse  des  Ber- 
gamasken  halten,  oder  was  vielleicht  klüger  sein  dürfle, 
nn  keines  von  beiden. 

In   den  Galerien   von    Bologna,  Modena,    Ferrara, 


*  Siehe  Michelangelo  Quaianai ,  n^'"     '  /  '  <i'  Lfücre 

^uUa  Pittura,  ScüUura  e  Arehiiettura''  (13      .      i  -  •     V.  III,  192. 

LsBMOusrv. 


402  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

Padua,  Vicenza,  Verona,  ja  selbst  in  der  von  Venedig* 
sieht  man  sich  vergebens  nach  einem  Werke  des  Giovan 
Battista  Moroni  um.  Wer  übrigens  diesen  Meister  in 
allen  Phasen  seiner  Wirksamkeit  kennen  lernen  will, 
der  findet  ihn  in  der  Stadt  und  in  der  Provinz  Ber- 
gamo reichlich  vertreten.  Auch  die  National  Gallery 
in  London  besitzt  ein  paar  seiner  vorzüglichsten  Bildnisse» 

In  keiner  andern  Sammlung  der  Welt  machte  man 
vielleicht  einen  so  freigebigen  Gebrauch  von  den  glän- 
zenden Namen  des  Giorgione  und  des  Tizian,  wie  in 
dieser  Doria- Galerie.  Sollte  man  dem  Katalog  vollen 
Glauben  schenken,  so  müssten  fast  bei  jedem  Schritt 
und  Tritt  und  von  jeder  Wand  herab,  Werke  entweder 
des  einen  oder  des  andern  der  zwei  grossen  venetia- 
nischen  Meister  uns  entgegenwinken.  Damit  hat  e& 
jedoch  keine  Gefahr,  und  ich  warne  meine  Freunde,  bei 
dergleichen  Bilderattributionen  die  Sache  nicht  gar  zu 
ernstlich  nehmen  zu  wollen.  Sie  müssen  nämlich  be- 
denken, dass  die  verehrlichen  Verfasser  von  Galerie- 
katalogen, wenn  auch  nicht  alle,  so  doch  im  Durch- 
schnitt zwar  sehr  brave  und  respectable  Leute  sind,  aber 
meistens  von  sehr  sanguinischem  Temperament.  Sind 
diese  Herren  nun  einmal  in  ihr  Amt  eingesetzt  und 
fühlen  sie  sich  nach  und  nach  da  zu  Hause,  so  scheint 
in  ihnen  eine  Art  platonischer  Liebe  zu  irgendeinem 
der  grossen  Meister,  von  denen  sie  in  ihrem  Leben  reden 
gehört  haben,  zu  erwachen.  Von  dieser  Liebe  nun  be- 
geistert, pflegen  sie  dann,  der  eine  den  Raffael,  der  an- 
dere den  Michelangelo,  ein  dritter  den  Lioi^rdo  da 
Vinci  oder  den  Verrocchio  zu  seiner  besondern  Ver- 
ehrung sich  zu  erkiesen.  So  gibt  es  wieder  andere^ 
deren  Losungswort  Giorgione  und  Tiziano  Vecellio  ist. 


*  Die  zwei  ihm  dort  zugeschriebenen  Bildnisse  haben  nichts 
mit  Moroni  zu  schaffen. 


Tizian.  403 

Die  meisten  dieser  Herren  erhitzen  dann  nach  und  nach 
ilire  Phantasie  so  sehr,  dass  sie  in  fast  jedem  der  ihrer 
Fürsorge  anvertrauten  Bilder  oder  Statuen  die  Gesichts- 
züge ihrer  Lieblinge  zu  erblicken  wähnen. 

Und  ungefähr  so  mag  es  auch  unserm  Verfasser  des 
Katalogs  der  Doria-Galerie  mit  Giorgione  und  mit  Ti- 
zian ergangen  sein.  Ich  darf  daher,  ohne  befürchten  zu 
müssen  auf  Widerspruch  zu  stossen,  meine  freundlichen 
Leser  versichern,  dass,  wenn  einerseits  Giorgione  auf 
kein  einziges  der  ihm  hier  zugedachten  Bilder  Anspruch 
machen  darf,  andererseits  von  dem  anderthtilb  Dutzend 
der  auf  Tizian  getauften  Bilder,  nach  meiner  Ueber- 
zeugung,  nur  eins  mit  voller  Sicherheit  dem  grossen 
Cadoriner  zugeschrieben  werden  kann. 

Dieses  eine  aber  gehört  zu  den  allerköstlichsten 
Jugendwerken  des  Meisters;  es  ward  ehedem  dem  Gior- 
gione und  wird  in  neuerer  Zeit  dem  Pordenone  zuge- 
muthet.  In  meinen  Augen  ist  dieses  Gemälde  eine  der 
reizendsten  Schöpfungen  Tizian's  und  wiegt  allein  reich- 
lich die  15  oder  16  andern  Bilder  auf,  die  hier  ganz 
willkürlich  dem  Cadoriner  zugetheilt  werden.  Das  Bild, 
das  ich  im  Sinne  habe,  stellt  die  „Herodias"  dar  und 
hängt  unter  Nr.  40  im  Braccio  H.  (f)  Meinem  Ge- 
fühl nach  gibt  es  wenige  Kunstwerke,  die  solch  einen 
Zauber  ausüben,  wie  dieses  vornehm  feine  Jugendbild 
Tizian's.  Und  es  ist  mir  kaum  erklärlich,  wie  die 
Herren  Crowe  und  Cavalcaselle,  die  bekannten  Biogra- 
phen Tizian's,  dieses  holdselige  junge  Weib  von  einem 
80  ausgesprochenen  Tizianischen  Gesichtstypus  dem  stets 
viel  derbem  Pordenone  haben  zuschreiben  können! 
Aus  diesem  Grunde  wurden  sie  wol  auch  vor  diesem 
Bilde  selbst  von  Dircctor  Bode  im  Stich  gelassen.  Der 
berliner  Kunstgelchrte  ist  nämlich,  zu  meiner  nicht  ge- 
ringen Verwundening,  diesmal  mir  nachgf'foljrt  (II,  758). 
Man  beachte,  wie  gesagt,  in  dieser  „Ilorodias"  den 
durchaus  Tizianischen  Gesichtstypus  der  Salome,  dieses 

26* 


404  I^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

runde  charakteristische  Ohr  der  Magd,  so  verschieden 
von  der  länglichen  Ohrform  bei  Pordenone;  man  be- 
achte ferner  jene  bei  Tizian  sehr  oft  wiederkehrende 
scharfwinkelige  Falte  /\  (hier  auf  der  Schulter  der 
Salome),  sowie  auch  die  dem  Cadoriner  eigenthümlichen 
Farbenaccorde;  ich  darf  daher  wol  hoffen,  dass  selbst  An- 
fänger in  der  Kunstwissenschaft  nicht  anstehen  werden, 
in  diesem  Gemälde  mit  mir  den  Geist  und  die  Hand 
desselben  Meisters  zu  erkennen,  der  das  Bild  mit  den 
drei  Lebensaltern  bei  Lord  Ellesmere  in  London  schuft 
Wie  nun  Lord  Northbrook  in  London  von  dieser  He- 
rodias eine  alte  und  gute  Copie  besitzt,  so  vorzüglich, 
dass  der  verstorbene  Dr.  Waagen  dieselbe  für  ein  Werk 
des  Giorgione  glaubte  erklären  zu  dürfen,  so  finden  wir 
in  dieser  Doria-Galerie  eine  ebenfalls  gute  alte  Copie 
(Braccio  I,  Nr.  20)  vom  Originalbilde  bei  Lord  Elles- 
mere. ^  Allein  in  diesem  Braccio  I  hängt  noch  ein 
anderes  Bild,  das  allgemein  für  ein  Werk  Tizian's  gilt. 
Es  trägt  die  Nr.  14  und  stellt  einen  alten  Herrn  von 
sehr  leidenschaftlichen  Gesichtszügen  dar.  Der  weiss- 
bärtige  Mann  hat  ein  schwarzes  Kleid  an  und  hält  die 
ausgestreckte  rechte  Hand  auf  einem  Tische,  zwischen 
einer  weissen  Rose  und  einem  kostbaren  Frauen- 
geschmeide, wahrscheinlich  eine  Anspielung  auf  den 
Verlust  einer  jungen  Tochter.  Es  ist  ein  interessantes, 
lebendiges,  geistreich  gedachtes  Bild.  Wenn  ich  nun 
gern  zugebe,  dass  dieses  Porträt  nicht  unwürdig  wäre, 
in  die  grosse  Reihe  der  Tizian'schen  Bildnisse  gestellt 
zu  werden,  so  ist  es  mir  doch  andererseits  unmöglich 
die  Hand  des  Cadoriners  in  diesem  Gemälde  mit  voller 


1  Siehe  Vasari,  XIII,  25. 

^  Auch  auf  diesem  Bilde  Tizian's  sehen  wir  dieselbe  runde 
Ohrform,  ja  im  jungen  Schäfer  sogar  denselben  Gesichtstypus, 
wie  auf  der  „Taufe  Christi"  Tizian's  in  der  Capitolinischen  Ge- 
mäldesammlung. Beide  Bilder  mögen  daher  etwa  in  derselben 
Wirkungszeit  des  Meisters  entstanden  sein. 


Tizian.  405 

Klarheit  zu  erkennen.*  Um  nun  diesem  Bilde  ein  grös- 
seres Interesse  zu  verleihen,  taufte  man  den  darauf  dar- 
gestellten Mann  auf  Marco  Polo,  ebenso  wie  man 
im  Braccio  II  ein  anderes,  dem  Tizian  sicher  nicht  an- 
gehöriges Bildniss,  auf  Jansenius  getauft  hat.  Alle 
diese  gar  zu  einfältigen  Namen,  die  man  der  im  Bilde 
dargestellten  Persönlichkeit  gab,  wurden  erst  im  17.  Jahr- 
hundert, als  man  diese  Sammlungen  zusammenbrachte, 
erfunden,  in  der  löblichen  Absicht,  den  Bildern  eine  grös- 
sere Bedeutung  zu  geben.  Und  in  der  That  beküm- 
mert sich  ja  das  gewöhnliche  Kunstpublikum  stets  viel- 
mehr um  das,  was  in  einem  Bilde,  als  um  das,  wie  es 
dargestellt  ist.  So  gab  man  denn  dem  einen  Porträt 
den  Namen  des  Marco  Polo,  einem  andern  den  der 
Vannozza,  einem  dritten  den  des  Jansenius,  einem  vier- 
ten den  „Tizian's  mit  seiner  Frau."  Würde  man  wol 
in  der  Barberini-Galerie  das  hübsche  weibliche  Modell- 
studium, sei  es  nun  des  Guido,  sei  es  des  Guercino, 
mit  solcher  Inbrunst  in  Augenschein  nehmen,  wie  dies 
wirklich  geschieht,  trüge  jenes  weltberühmte  Bild  nicht 
den  Namen  der  unglücklichen  Beatrice  Cenci?  Mundus 
vtUt  decipi.  Ein  anderes  und  zwar  sehr  grosses  Bild,  das, 
man  weiss  nicht  wie,  zum  Namen  Tizian's  gelangte,  ist 
das  „Opfer  Abrahams",  Nr.  26,  im  Braccio  IL  Wie 
allgemein  bekannt,  gehört  dieses  Gemälde  dem  Jan 
Livens  an,  von  welchem  Maler  in  der  Sammlung  von 
Braunschweig  ein  diesem  ähnliches  Bild  sich  vorfindet. 
Ausser  den  drei  Bildern  also  in  der  Borghese-Galerie, 
der  „Taufe  Christi"  der  Capitolinischen  Sammlung,  den 
zwei  allgemein  bekannten  Gemälden  in  der  vaticani- 
schen  Pinakothek,  dieser  köstlichen  „Herodias"  hier 
und  einem  durch  die  Einfachheit  der  Auflassung  und 
der  Darstellung  ganz  vorzüglichen  Porträt  des  bereits 

^  Allerdings  erinnert  es  an  dM  Portrit  des  sogenannten 
Arztes  Parma  im  Belvedere  zo  Wien  (Saal  II,  Nr.  40),  das  ein 
untrügliches  Werk  Tician*8  ist 


406  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

sehr  gealterten  Pietro  Aretino  beim  Fürsten  Mario  Chigi, 
ist  mir  in  Rom  kein  anderes  Werk  zu  Gesicht  gekommen, 
das  nach  meiner  Ueberzeugung  mit  voller  Sicherheit 
dem  grossen  Cadoriner  zugeschrieben  werden  dürfte.  Es 
ist  wahr,  sowol  in  der  Galerie  Barberini  als  auch  in 
der  des  Fürsten  Corsini  befinden  sich  Bilder,  die  man 
als  Werke  Tizian's  in  den  Katalog  eintrug,  jedoch,  wie 
mir  scheint,  mit  Unrecht. 

In  den  unfreundlichen,  kellerartigen  Gemächern  des 
Palastes  Barberini  tragen  zwei  Bilder  den  Namen  Ti- 
zian's:  das  eine  davon  ist  die  hässliche  sogenannte 
Schiava  di  Tiziano,  Nr.  72,  von  der  schon  oben  die 
Rede  war;  das  andere  ist  das  Porträt  des  Cardinais 
Pietro  Bembo,  Nr.  35.  Wie  bekannt  porträtirte  Tizian 
den  eiteln  Mann  auch  zweimal,  bevor  derselbe  den  Car- 
dinalshut erhielt.  Eins  von  jenen  Bildnissen  befand 
sich  noch  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  im  Hause, 
welches  dereinst  Pietro  Gradenigo,  der  Schwiegersohn 
Bembo's  (er  hatte  dessen  Tochter  Helene  geheirathet), 
bewohnte.  Ein  anderes  Tizianeskes  Porträt  Bembo's 
in  kleinem  Format  besass  Paolo  Ramusio"  in  Venedig. 
Wenn  wir  dem  Anonimo  des  Morelli  trauen  dürfen, 
so  hätte  auch  Raffael  den  Bembo  in  dessen  Jugend  ab- 
conterfeit;  „e/  retratto  piccolo  de  esso  M.  Pietro  Bemho^ 
allorche  giovine  stava  in  corte  del  duca  d*  ürbino,  in  ma- 
tita^^  (das  kleine  Porträt  des  Messer  P.  Bembo  mit  der 
Kreide  gezeichnet,  als  derselbe  noch  jung  am  Hofe  des 
Herzogs  von  ürbino  weilte). 

Auch  im  Hause  Bembo's  in  Padua  befand  sich  sein 
Bildniss  im  Profil  von  der  Hand  des  Yenetianers  Jaco- 
metto;  „e?  retratto  delV  istesso  (d.  h.  Pietro  Bembo) 
allora  che  Vera  d^anni  undici  fic  de  mano  de  Jaco- 
metto^  in  proßlo'-''^  (das  Profilporträt  desselben,  als  er 


*  Siehe:  Notizia  d^opere  di  disegno  etc.,  2^  edizione,  riveduta 
ad  aumentata  per  cura  di  Gustavo  Frizzoni^',  S.  46. 


Tizian.  407 

elf  Jahre  zählte,  war  von  der  Hand  des  Jacometto). 
Yalerio  de"*  Belli  und  später  Benvenuto  Cellini  mussten 
ebenfalls  den  Prälaten  in  Silber  und  Erz  verewigen.  Es 
geht  daraus  hervor,  dass  Bembo  grossen  Gefallen  zu 
haben  schien,  sein  Antlitz  der  Nachwelt  zu  hinterlassen. 
Das  Porträt,  welches  im  zweiten  Zimmer  der  Galerie 
hängt,  erscheint  mir  in  seiner  harten  Zeichnung  und 
in  seiner  geistlosen  malerischen  Behandlung  nur  als  eine 
schwache  Copie.^  (f)  Eine  andere  Copie  nach  einem 
Tizian'schen  Porträt  Bembo's  wurde  im  Jahre  1673  von 
Marcantonio  Foppa  der  Stadt  Bergamo  vermacht.  Es  be- 
findet sich  gegenwärtig  in  der  dortigen  Communalgalerie. 
In  der  fürstlichen  Galerie  Corsini  zu  Rom  sind  ebenfalls 
zwei  Bilder  unter  dem  Namen  Tizian's  aufgestellt:  das  eine 
im  achten  Saal,  Nr.  30,  „die  Ehebrecherin  vor  Christus" 
ist  augenscheinlich  die  Arbeit  des  llocco  Marconi  aus 
Treviso  (f),  ein  Gegenstand,  den  dieser  phantasielose 
aber  farbenreiche  Nachahmer  des  Paris  Bordone  öfters 
behandelt  hat;  das  andere  ist  das  lebensgrosse  Porträt 
in  ganzer  Figur  von  Philipp  II.  und  darf,  wie  mir 
scheint,  blos  als  Atelierwerk  betrachtet  werden.  Tizian 
liat  mehrere  male  seinen  hohen  spanischen  Gönner  ge- 
malt. Das  weitaus  vorzüglichste  Bildniss  desselben  und 
gewiss  eines  der  herrlichsten  Porträts  der  Welt  be- 
findet sich  im  Prado-Museum  (Nr.  454)  in  Madrid.  In 
meinen  Augen  ist  jenes  Bild  vielleicht  noch  kostbarer 
als  das  etwas  beschädigte  grosse  Keiterbild  KarFs  V. 
in  derselben  Sammlung.  Die  Kunst,  mit  welcher  der 
Cadorincr  aus  der  schwächlichen,  unansehnlichen,  ja 
widerwärtigen  Gestalt  Philipp's  ein  Bild  zu  schaffen 
wuHHte,  das  unser  Auge  und  unsere  Phantasie  mit  so 
unwiderstehlicher  Macht  zu  fesseln  vermag,  ist  wahr- 
haft wunderbar.     Man  kann  sich  an   der  geistreichen 

*  Die  Herren  Crowe  und  Cavalcaselle  halten  dagegen  das 
Bild  für  Original,  und  derselben  Ansicht  sohliestt  sich  aach  Di- 
roctor  W.  Bode  an  (II,  761). 


408  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Zeichnung  und  an  der  feinen  kunstvollen  Farbenharmonie 
jenes  Bildes  nicht  satt  sehen.  Alles  lebt  in  jenem  Porträt. 
Die  aristokratisch  feinen  Hände  allein  sind  eine  ganze 
Biographie;  die  belebte  Zeichnung  der  Beine,  der  glän- 
zende Harnisch,  dabei  das  bleiche,  schweigsame  Antlitz 
mit  dem  düstern  stummen  Blicke,  wahrlich  ein  Wunder- 
werk der  Kunst!  Bilder  Tizian's,  wie  jene  Philipp's  H, 
und  Karl's  V.  in  Madrid,  sind  Shakespeare'sche  Darstel- 
lungen. Sie  ergreifen  unsere  Phantasie  mit  solcher  Ge- 
walt, dass  man  alles  übrige  dabei  vergisst.  Sie  geben 
nicht  blos  den  dargestellten  Menschen,  sie  geben  auch 
seine  ganze  Umgebung,  die  moralische  Atmosphäre,  u\ 
der  er  lebte,  kurz  seine  ganze  Zeit. 

Wir  wollen  uns  jedoch  nicht  länger  bei  den  Vene- 
tianern  aufhalten,  sondern  schliesslich  noch  ein  paar 
andere  Werke  dieser  Doria-Galerie  betrachten,  welche 
unter  den  Namen  der  grössten  Meister  Italiens  auf- 
gestellt sind.  Im  Braccio  II  hängt,  unter  Nr.  53,  ein 
Tafelbild,  welches  im  Katalog  als  Werk  des  Lionardo 
da  Vinci  angeführt  wird.  Es  ist  das  Porträt  einer 
vornehmen  Dame  in  rothsammtenem  Kleide.  Aus  der 
Ferne  gesehen  erinnert  das  schöne  Gesichtsoval  der 
noch  jungen  Frau  an  das  RafiaePsche  Bildniss  der  Jo- 
hanna von  Aragon,  Gemahlin  des  Ascanio  Colonna,  in 
der  Louvre- Galerie;  die  Farbenscala  des  Kleides  ge- 
mahnt jedoch  mehr  noch  als  an  die  Schule  RaflPael's- 
an  die  Lionardo's  in  Mailand  und  ganz  besonders  an 
jene  des  Giampietrino.  Treten  wir  aber  ganz  in  die 
Nähe  des  Bildes,  so  erkennen  wir  auf  den  ersten  Blick,, 
sowol  an  der  leblosen,  steifen,  akademischen  Zeichnung 
der  Hände  und  an  der  kleinlichen,  handwerksmässigen  Be- 
handlung des  blechernen  Weisszeugs,  als  auch  an  dem 
hölzernen  Vorhang  (ähnlich  demjenigen  auf  dem  so- 
genannten Lionardo-Bildchen  der  Dresdener  Galerie),  so- 
wie an  dem  geleckten,  elfenbeinernen  Incarnat  und  an 


Lionardo  da  Vinci.  409 

den  hackenförmigen  Falten,  dass  wir  wieder  vor  einem 
jener  sogenannten  ^^pasticci''^  stehen,  die  in  den  dreissiger 
und  vierziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  besonders  in 
Mailand  entstanden  zu  sein  scheinen  und  durch  die  so 
mancher  Kunstforscher  sich  verblenden  lässt.  Soviel  ich 
weiss,  war  Otto  Mündler  (a.  a.  O.,  S.41)  der  erste,  welcher 
dieses  Bild,  von  dem  man  früher  ebenso  viel  Aufsehens 
machte  als  heutigentags  von  andern  niederländischen 
sogenannten  Lionardo-Bildern,  für  eine  geistlose  nieder- 
ländische Nachahmung  erklärt  hat;  wogegen  Passavant 
(II,  269)  es  zwar  nicht  für  das  Werk  des  Lionardo  selbst, 
allein  doch  immer  für  die  Arbeit  eines  seiner  Schüler 
hielt.  In  neuester  Zeit  jedoch  getraut  sich  sogar  ein 
römischer  Cicerone  kaum  noch,  diese  steife  Giovanna  II 
der  Doria-Galerie  seinem  Publikum  als  Werk  Lionardo"» 
anzupreisen.*  Vielleicht  werden  in  nicht  allzu  ferner 
Zeit  die  Aufgeweckteren  unter  den  Kunstbeflissenen  end- 
lich auch  zur  Einsicht  gelangen,  dass  es  in  den  öffent- 
lichen Sammlungen  Europas  eine  unendlich  viel  grössere 
Anzahl  solcher  vlämischer  „jocwftm"  und  Nachahmungen 
von  italienischen  Vorbildern  gibt,  als  man  dies  bisher 
hat  zugeben  wollen. 

Nach  der  flüchtigen  Betrachtung  dieses  dereinst  so 
hochberühmten  Lionardo-Bildes  sei  es  mir  gestattet,  noch 
ein  nicht  minder  berühmtes  Werk  eines  andern  grossen 
italienischen  Meisters  kurz  zu  bespreclien.  Das  Bild 
befindet  sich  im  selben  Braccio  II  unter  Nr.  69.  Im 
Katalog  wird  es  folgendermassen  beschrieben:  Der 
Ruhm  der  die  Tugend  krönt,  Entwurf  vom  Correggio. 

Als  ich  mich  unlängst  dem  Bilde  mit  einigen  jungen 
Kunstfreunden  näherte,  warf  eben  ein  glattgeschorener 
Herr  noch  einen  letzten  Blick  dem  Gemälde  zu.    Eine 


*  Selbst  chronologitoh  wftre  et  unmöglich,  daM  Lionardo  da 
Vinci,  welcher  im  Jahre  1616  Italien  TerlieM,  die  Gemahlin  des 
Ascauio  Colonna  hätte  malen  können. 


410  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

ältere  Daine,  die  unweit  von  ihm  stand  und  zum  Fenster 
hinaussah,  sagte:  „Ein  charmantes  Bild,  nicht  wahr?" 
„Admirable",  antwortete  er,  indem  er  sein  Lorgnon  vom 
Auge  entfernte,  und  fügte  dann  hinzu,  der  Dame  den 
Arm  anbietend:  „Nach  dem  «Moulin»  von  Claude  ist 
mir  dies  das  liebste  Bild  der  ganzen  Galerie;  Correggio 
ist  hier  der  Vorläufer  von  Prudhon."  Nachdem  sich 
das  französische  Ehepaar  entfernt  hatte,  stellte  ich  das 
Werk  dieses  Correggio  in  günstigeres  Licht  und  wir  be- 
gannen das  zum  Theil  unvollendet  gebliebene  Tempera- 
bild auf  der  noch  ziemlich  neu  aussehenden  Leinwand 
mit  dem  Auge  des  Kritikers  uns  anzuschauen.  Dem 
einen  von  uns  fiel  nun  sogleich  die  undurchsichtige 
Farbe  auf,  dem  andern  die  rohen,  plumpen  Falten, 
einem  dritten  die  geistlos  behandelte  schwerfällige 
Haarmasse,  besonders  am  Kopfe  des  unschönen  Kna- 
ben rechts  im  Vorgrunde,  während  ja  Vasari  an  Cor- 
reggio gerade  die  hohe  Kunst  hervorhebt,  mit  der  er 
die  Haare  warm  und  luftig  hinzuzaubern  verstand.^ 
„Und  nun  gar  das  Mädchen,  das  hier  links  im  Vorgund 
sitzt",  sagte  ich,  „macht  es  nicht  den  , Eindruck  einer 
jener  «Bergeres»,  die  man  auf  Fächern  und  auf  Por- 
zellantassen aus  der  Zeit  Ludwig's  XIV.  sieht?  Und 
doch",  bemerkte  ich,  „gilt  dies  Bild  in  den  Augen  der 
berühmtesten  Kritiker  sowol  des  vorigen  als  unsers  Jahr- 
hunderts für  ein  Wunderwerk  der  Malerei!"    Mengs, 


^  Vasari,  VII,  99:  „E  oltra  di  cib,  capegli  si  leggiadri  di  co- 
lore  e  con  wfinita  pulitezza  sfilati  e  condotti,  che  meglio  di  quegli 
non  si  pub  vedere"  (und  überdies  Haare  von  so  reizender  Farbe 
und  mit  solcher  Sauberkeit  geordnet  und  ausgeführt,  dass  man 
nichts  Schöneres  sehen  kann) ;  und  auf  Seite  103 :  „perche  mostran- 
doci  i  suoi  capegli  faiti  con  tanta  facilitä  nelle  difficoltä  del 
fargli,  ha  insegnato  come  e*  si  ahhino  a  fare^'  (denn,  indem  er 
[d.  h.  Correggio]  uns  wies,  mit  welcher  Leichtigkeit  er  seine 
Haare,  welche  doch  so  schwer  darzustellen  sind,  hinmalte, 
lehrte  er  uns,  wie  man  dieselben  zu  machen  hat). 


Correggio.  41 1 

der  zu  seiner  Zeit  für  den  grössten  Kenner  der  Werke 
Correggio's  gehalten  wurde,  bewunderte  an  diesem 
Bilde,  „wie  sich  schon  in  der  blossen  Anlage  die  An- 
muth  und  das  Verständniss  des  Meisters  nicht  minder 
als  in  seinen  vollendeten  Werken  bekundet,  wie  in  an- 
dern kaum  angemalten  Theilen  schon  die  Wirkung  der 
Natur  vollkommen  erreicht  sei".  Es  gibt  viele  Male- 
reien Correggio's,  fugt  er  noch  hinzu,  die  schöner  sind 
als  diese,  aber  in  keiner  tritt  die  Grösse  des  Meisters 
deutlicher  zu  Tage.  Selbst  Otto  Mündler  fand,  „dass 
dies  nicht  vollendete  Bild  das  ausgeführte  im  Louvrc 
an  Freiheit  und  Beseelung  der  Köpfe  weit  übertrifiV». 
Herr  Geheimer  Regierungsrath  Julius  Meyer,  Director 
der  Berliner  Bilder-Galerie,  endlich  nennt  es  in  seinem 
in  ganz  Deutschland  wohlbekannten  Buch  über  den 
Correggio:  eine  etwas  veränderte  Wiederholung  des 
Temperabildes  im  Louvre,  zwar  unvollendet  geblieben, 
aber  unzweifelhaft  echt. 

Es  gehört  allerdings  eine  an  Anmjissung  grenzende 
Dreistigkeit  dazu,  ein  Kunstwerk,  das  von  so  vielen 
ehrenwerthen  und  hochgestellten  Kunstkennern  nicht 
nur  als  unzweifelhaft  echt,  sondern  selbst  als  bewunde- 
rungswürdig gehalten  und  beschrieben  wurde,  ohne 
weiteres  für  Copie  zu  erklären.  Damit  soll  jedoch 
keineswegs  gesagt  sein,  dass,  wie  in  manch  anderm 
Falle,  ich  mich  nicht  auch  diesmal  getäuscht  haben 
könnte. 

Wie  allgemein  bekannt,  wurden  die  zwei  Originalbilder 
(L,^<'genwäi-tig  im  Louvre)  von  Correggio  für  die  Herzogen 
Isabella  Gonzaga  gemalt.  Später  kamen  dieselben  nel)8t 
dem  „Jupiter  und  der  Antiope"  (ebenfalls  von  Correggio) 
und  dem  „Triumphzug  Cäsnr's"  von  Mantegna  (jetzt  in 
Ilamptoi^  Court),  durch  Vermittelung  eines  belgischen 
Unterhändlers  in  die  Sammlung  KarFsI.  von  England.  Bei 
der  1650  abgehaltenen  Vcrsteigonmg  der  Kunstwerke 
jenes  unglücklichen  Königs  en^'arb  sie  der  kölner  Bankier 


412  I^ie  Galerie  Doria-Panfili. 

Jabach  in  Paris,  welcher  seinerseits  später  die  beiden  Bilder 
des  Correggio,  somit  auch  das  Originalbild  dieses  soge- 
nannten Entwurfs  in  der  Doria-Galerie,  an  Ludwig  XIV. 
verkaufte.  Nun  berichtet  P.  J.  Mariette,  nach  meiner 
Ueberzeugung  der  feinste  und  sachverständigste  Kunst- 
kenner, den  Frankreich  je  gehabt  hat,  in  seinem  „Abe- 
cedario"  i,  Band  III,  S.  2,  Jabach  hätte  in  seinem  Hause 
unter  andern  auch  die  Brüder  Johann  Baptist  und 
Michael  Corneille,  Pesne,  Masse,  Rousseau  und  mehrere 
andere  Maler  gehalten.  Und  im  Artikel,  den  derselbe 
Mariette  im  zweiten  Bande,  S.  7,  dem  Michael  Cor- 
neille widmet,  erzählt  er  uns  dann,  dass  Jabach  den 
jungen  Maler  und  dessen  Bruder  Johann  Baptist  ebenso 
wie  andere  junge  Leute  gebrauchte,  um  Copien  nach 
den  Handzeichnungen  berühmterMeister  in  seiner  Samm- 
lung zu  machen,  welche  Copien  Corneille  sodann  als 
Originale  an  den  Mann  zu  bringen  pflegte.  Dieser 
Betrug,  fügt  der  ehrliche  Mariette  hinzu,  war  gewiss 
verwerflich  und  schimpflich,  allein  der  junge  Corneille 
fand  seine  Rechnung  dabei.  ^ 

Wäre  es  nun  nicht  im  Bereiche  der  Möglichkeit,  dass 
auch  dieser  „Entwurf^'  des  Correggio  eine  von  den  im 
Hause  Jabach's  verfertigten  Copien  sei?  Würde  diese 
meine  Vermuthung  sich  bestätigen,  so  hätte  unser  Cor- 


^  Ahecedario  de  P.  J.  Mariette,  ouvrage  public  par  Ph.  de 
Chennevieres  et  A.  de  Montaiglon  (Paris  1854 — 56). 

*  „Mais  une  des  choses  qui  aiderent  davantage  ä  lui  (d.  h. 
dem  Michael  Corneille)  former  le  goüt,  et  ä  lui  faire  accorder 
la  preference  aux  ouvrages  des  meilleurs  maitres  d'Italie  et  sur- 
tout  ä  ceux  des  Carraches  et  de  leurs  eleves,  fut  Voccupation 
que  lui  fournit  dans  sa  premiere  jeunesse  le  sieur  Jabach,  qui  avait 
la  plus  belle  collection  de  dessins  qui  fut  alors,  et  qui  employait 
le  jeune  Corneille  et  son  frere  Jean  Baptiste  ainsi  qiw  plusieurs 
autres  jeunes  gens  ä  en  faire  des  copies,  qui  souvent  il  vendait 
pour  des  originaux.  Cette  supercherie  etait  veritablement  blamable 
et  honteuse;  mais  le  jeune  Corneille  y  irouvait  son  proßt.'^ 


Correggio.  413 

reggio-Bild  in  der  Doria- Galerie  ungefähr  dasselbe 
Schicksal  gehabt  wie  die  berühmte  Holbein-Madoona 
in  Dresden.  Die  Originalbilder  nämlich,  sowol  das 
des  Holbein  als  das  des  Correggio,  gelangten  um  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  in  die  Hände  von  Specu- 
lanten:  das  Bild  Holbein's  an  den  Bankier  Cromhart 
Losknrt  in  Amsterdam,  das  des  Correggio  an  Jabach 
in  Paris.  Beide  Bilder  hatten  wahrscheinlich  die  Ehre, 
im  Hause  ihrer  neuen  Besitzer  verdoppelt  zu  werden. 
Die  Copien  beider  Bilder  kamen  später  nach  Italien: 
<lie  Holbein's  nach  Venedig  ins  Haus  Dolfin,  die  des 
Correggio  nach  Rom  in  den  Palazzo  Panfili.  Beiden 
Bildern  endlich  wurde  dieselbe  Auszeichnung  zutheil, 
bis  in  unsere  Tage  von  gross  und  klein,  von  Klugen 
und  von  Thoren,  für  wunderbar  schöne  Original- 
bilder gehalten  zu  werden.  Da  nun  aber,  nachdem 
«in  verehrliches  deutsches  Schiedsgericht  die  Holbein- 
Madonna  zu  Dresden  für  Copie  erklärt  hat,  heutzutage 
jeder  Fachmann  beim  ersten  Blick  schon  bereit  ist, 
in  diesem  letztem  Gemälde  nicht  nur  eine  moderne, 
sondern  sogar  eine  vlämische  Malweise  zu  erkennen, 
so  will  auch  ich  mich  nicht  der  Hoffnung  verschliessen, 
dass  nach  einigen  20  Jahren  es  keinen  Sterblichen,  der 
auf  den  Namen  eines  Kunstkenners  Anspruch  macht, 
geben  wird,  welcher  im  Doria -Bilde  des  Correggfio 
nicht  sogleich  den  Geist  und  die  Hand  eines  franzo- 
sischen Malers  aus  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts wahrnehmen  sollte!  Jedesmal,  wenn  ich  vor 
diesem  Bilde  stehe,  muthet  es  mich  an,  als  ob  etwas  von 
einem  Vorläufer  Watteau's  oder  I^ncret's  darin  steckte. 
Uebrigens  finde  ich  es  ganz  in  der  Ordnung,  dass 
üowol  diese  Correggio -Copie  im  Palast  Doria -Panfili 
wie  auch  jene  Holbein-Madonna  in  Dresden  unser  Kunst- 
puhlikum  mehr  anspricht,  demselben,  wenn  ich  so  sagen 
darf,^ familiärer  vorkommt,  als  die  Originalbilder  selbst; 
liegt  es  doch  in  der  Natur  der  Dinge,  dM8  je  moderner 


414  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

die  Copie  eines  alten  Bildes  ist,  je  näher  sie  also  dem 
Geschmack  und  der  Sinnesweise  des  Beschauers  steht, 
sie  ihm  auch  um  so  besser  zusagen  müsse.  Ja,  selbst 
berühmte  Maler  unserer  Zeit  bilden  hier  keine  Aus- 
nahme. Herr  A.  Teichlein  aus  München,  der  Schüler 
und  Reisegefährte  Wilhelm  von  Kaulbach's,  berichtet 
uns  in  seinem  Aufsatze:  „Zur  Charakteristik  Wilhelms 
von  Kaulbach"  (1876),  dass  dieser  berühmte  deutsche 
Maler  in  der  Pinakothek  von  Bologna  an  der  heiligen 
„Cäcilie"  von  Rafiael  nur  die  Farbe  zu  loben  hatte, 
das  Uebrige  im  Bilde  scharf  von  ihm  kritisirt  wurde. 
Dagegen  hätten  die  Fresken  von  Overbeck  in  S.  Maria 
degli  Angeli  bei  Assisi  grosse  Anerkennung  bei  ihm 
gefunden.  Nun  wurde  bekanntlich  die  heilige  Cäcilie 
RaffaeFs  zur  Zeit  Napoleon's  I.  in  Paris  zuerst  von  der 
Tafel  auf  Leinwand  übertragen  und  sodann  ganz  über- 
malt, d.  h.  restaurirt,  und  zwar  so  sehr,  dass  jedem 
feinern  Kunstfreund  dadurch  der  reine  Genuss  an  jenem 
herrlichen  Bilde  verdorben  wird.  Die  Arbeit  Raffael's  also, 
d.  h.  die  Composition  und  die  Zeichnung,  misfiel:  die 
Arbeit  des  modernen  Bilderrestaurators  dagegen  fand 
den  vollen  Beifall  Wilhelms  von  Kaulbach. 

Als  wir  von  dem  mysteriösen  „Correggio-Entwurf" 
Abschied  genommen,  begegnete  uns  das  französische 
Ehepaar,  welches,  wie  dies  auf  ihren  Gesichtern  zu 
lesen  war,  von  dem  Raffaelbilde,  vor  welchem  sie  so- 
eben gestanden  hatten,  ebenso  unbefriedigt  sich  ent- 
fernte, als  wir  unsererseits  den  „Correggio- Entwurf" 
verlassen  hatten.  Die  braven  Leute  wollten  nun  sozu- 
sagen „pour  la  bonne  bouche"  sich  noch  einmal  am 
Anblick  dieses  ihres  Lieblingsbildes  erlaben.  Wir  da- 
gegen näherten  uns  mit  nicht  geringerer  Befriedigung 
dem  Doppelporträt  RaffaeFs,  in  meinen  Augen  das 
interessanteste  Prachtstück  der  Doria- Galerie.  Es  war 
uns  jedoch  nicht  möglich,  sogleich  an  eine  eingehende 


Raffael.  415 

Betrachtung  des  Gemäldes  zu  gehen,  weil  zwei  deutsche 
Herren,  im  lebhaftesten  Zwiegespräch  vertieft,  davor 
sich  aufgestellt  hatten. 

„Ich  wiederhole  Ihnen",  sagte  der  eine,  der  seinem 
Accent  nach  ein  Wiener  zu  sein  schien,  „ich  wieder- 
hole Ihnen:  es  ist  durchaus  venetianische  Arbeit" 

„Und  ich",  entgegnete  der  andere,  seiner  Aussprache 
nach  ein  Norddeutscher,  „ich  sage  Ihnen,  dass  diese  Copie 
von  keiner  andern  Hand  sein  kann  als  von  der  des 
Polidoro  da  Caravaggio." 

Im  selben  Augenblick  lief  eilenden  Schrittes  ein 
römischer  „Cicerone",  von  vier  hochblonden  Amerika- 
nern gefolgt,  an  dem  Raffaelbilde  vorbei,  und  indem 
derselbe  dann  in  einer  gewissen  Entfernung  von  uns  still 
stand,  schrie  er,  mit  der  Rechten  auf  das  Bild  deutend: 
„Ce«^  Bartolo  et  Baldo,  chef-cTceuvre  du  Raffaello  d^Ur- 
hin^  peintre  de  Pape  Leon  dei  Medici''^.  Die  Amerikaner 
nickten  mit  rL-m  Kopfe  und  zogen  mit  ihrem  Fnbror 
von  dannen. 

„Diese  nichtswürdigen  italienischen  Cicerones!*'  be- 
merkte der  Norddeutsche.  „Diese  Ignoranten  scheinen 
nur  dafür  da  zu  sein,  um  bei  der  grossen  Menge  der 
Unwissenden  die  traditionellen  Albernheiten  von  einer 
Generation  auf  die  andere  fortzupflanzen." 

„Was  anders  thun  denn  die  nicht  italienischen  Cice- 
rones?" meinte  der  Wiener.  „Auch  diese  predigen 
ja  mit  unerschütterlichem  Selbstvertrauen  all  das  al- 
berne Zeug  in  die  Welt  hinaus,  da«  sie  von  andern 
gehört  haben." 

„Das  sagen  Sie",  entgegnete  pikirt  der  andere.  „Wie 
es  scheint  haben  die  Herren  in  Wien  keine  Kunde  von  der 
neuern  Kunstkritik,  wie  sie  bei  uns  in  Berlin  betrieben 
wird.  In  Oesterreich  ist  man,  scheint  mir,  viel  zu  ober- 
flächlich oder,  wenn  Sie  lieber  wollen,  zu  lebenslustig, 
als  dass  man  sich  da  für  den  organischen  innem  Werde- 
process  eines  Künstlers  intercssiren  könnte."     • 


416  Die  Galerie  Doria-Panfili. 

„Gehen  Sie  mir  doch  mit  Ihrem  innern  Werdepro- 
cess!  Was  geht  mich  der  an",  entgegnete  der  Oester- 
reicher.  „Ich  sage  Ihnen  blos,  dass  der  verstorbene 
Passavant  der  allergrösste  Raffaelkenner  war,  den  es  je 
gegeben  hat,  und  dieser  Gelehrte,  der  ja  über  zwölf 
Jahre  lang  die  Werke  des  Sanzio  aufs  allergründlichste 
studirte  und  der  also  diesen  Maler  besser  kennen  musste 
als  irgendein  anderer,  hat  dies  Bild  hier  für  eine  vene- 
tianische   Copie  erklärt." 

„Der  Standpunkt  Passavanfs",  antwortete  trocken 
der  Norddeutsche,  „ist  in  Berlin  ein  schon  längst 
überwundener.  Heutzutage  dürfte  kein  einigermassen 
gebildeter  Mensch  bei  uns  in  Preussen  vor  diesem 
Bilde  hier  noch  an  einen  venetianischen  Pinsel  denken. 
Bitte,  sehen  Sie  sich  doch  gefälligst  dieses  dunkel- 
braune, russige  Incarnat  des  Navagero  an,  betrach- 
ten Sie  ferner  hier  am  Auge  die  Firnislasuren  über 
den  Oellasuren  und  diese  flotte,  breite  Pinselführung 
da  am  Munde,  ganz  und  gar  wie  sie  Polidoro  im 
Brauche  hat." 

„Was  wollen  Sie  doch  von  der  Maltechnik  des  Cara- 
vaggio  zu  sagen  haben?  Wir  wissen  ja  davon  so  gut 
wie  gar  nichts,  mein  lieber  Herr",  sagte  der  Wiener. 
^,Die  wenigen  hässlichen  Bilder,  die  man  von  Polidor  im 
Museo  Borbonico  zu  sehen  bekommt,  lassen  uns  den- 
selben als  einen  höchst  geschmacklosen  und  rohen  Maler 
<irkennen,  und  seine  jetzt  ganz  übermalten  Hausfa9aden 
hier  in  Rom  können  iins  doch  in  ihrem  gegenwärtigen 
Zustande  schwerlich  noch  interessiren,  wenn  sie  auch 
für  seine  Erfindungsgabe  nicht  unvortheilhaft  sprechen. 
Vasari  hat  auch  diesen  brutalen  Lombarden  sehr  über- 
schätzt und  übermässig  gelobt,  wahrscheinlich  aus  keinem 
andern  Grunde,  als  weil  in  seinen  letzten  Jahren  auch 
Polidoro  ins  Fahrwasser  des  von  dem  Aretiner  ver- 
götterten Michelangelo  einlenkte." 

„Sie  in  Wien",  versetzte  mit  verdrossener  Stimme 


RaffaeL  417 

der  andere,  „mögen  über  den  Caravaggio  denken  wie 
Sie  wollen;  wir  in  Berlin  werden,  auch  ohne  vorher 
uns  die  Erlaubniss  dazu  von  Ihnen  einzuholen,  fort- 
fahren, der  neuern  Kritik  zu  folgen  und  in  Polidoro 
einen  grossen,  vom  Raflfaerschen  Geist  beseelten  Künst- 
ler zu  erblicken." 

„Ich  wiederhole  es  Ihnen  nochmals",  entgegnete  der 
"Wiener,  „Polidoro  ist  in  meinen  Augen  halt  gar  nichts 
anderes,  als  ein  ganz  gemeiner  Stubenmaler." 

„Und  ich  erlaube  mir  Ihnen  zu  bemerken",  erwiderte 
der  Berliner,  „dass  die  Kunstgelehrten  an  der  Donau 
von  der  wahren  historischen  Kunst  gar  V"»""»^  VlMren 
Begriff  sich  gebildet  zu  haben  scheinen. 

„Was",  rief  der  Wiener  aus,  „glauben  Sie  denn 
etwa,  weil  Sie  Directorialassistent  an  der  Spree  sind, 
dass  Sie  das  Recht  hätten,  alle  andern  Leute  in  der 
Welt  in  die  Schule  zu  nehmen?" 

„Sie  müssen  doch  gestehen,  lieber  Baron",  sagte 
lächelnd  und  mit  herablassender  Stimme  der  Nord- 
deutsche, „dass  Sie  ja  blos  Dilettant  und  keineswegs 
Mann  des  Fachs  sind." 

„Fach  oder  nicht  Fach",  rief  jener  mit  Leb- 
haftigkeit, „ich  sage  Ihnen,  dass  die  Dilettanten  bei 
Ulis,  denen  die  Kunst  am  Herzen  liegt  und  die  über- 
dies wie  ich  das  Glück  haben,  selber  Bilder  zu  be- 
sitzten, ebenso  viel,  wenn  nicht  noch  mehr,  Recht 
haben,  über  Kunstwerke  ihre  eigene  Meinung  zu  äus- 
sern, als  sogenannte  Fachmänner,  die  an  den  Bildern 
selbst  nicht  mehr  Freude  haben  als  etwa  der  Anatom 
an  dem  Cadaver,  den  er  secirt;  Leute,  die  am  Ende 
mit  der  Kunst  nur  deshalb  sich  abgeben,  um  jedem 
Bilde  und  jeder  Statiif*  in  der  Welt  fiiifMi  beliebigen 
Namen  zu  geben. '^ 

.,Lieber  Baron",  erwiderte  der  Norddeutsehe,  indem 
er  den  Kopf  in  die  Hohe  hob,  ^^gestatten  Sie,  das8  ich 
Sie  abermals  daran  erinnere,  dass  es  in  allen  Fäc|iern 

LiKxoLnnrr.  27 


418  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

der  AVissenschaft  und  folglich  auch  in  der  Kunstwissen- 
schaft Berufene  imd  Unberufene  gibt."  Mit  diesen 
Worten  knöpfte  er  den  grauen  U eberrock  zu  und  schritt, 
von  seiner  Würde  getragen,  von  dannen. 

Der  Baron  aber,  der  sich  in  der  entgegengesetzten 
Kichtung  fortbewegte,  rief  ihm  nach:  „Ganz  wohl,  es 
gibt  gescheite  und  es  gibt  langweilige  Leute." 

Eine  blonde,  noch  junge  Dame  von  sehr  intelligen- 
tem Blicke,  welche  sehr  aufmerksam  der  gelehrten  Dis- 
cussion  der  beiden  Herren  zugehört  hatte,  näherte  sich 
lächelnd,  als  jene  fort  waren,  mit  sichtlichem  Interesse 
dem  Bilde  und  sagte  dann,  sich  an  mich  wendend:  „Ver- 
zeihen Sie,  wenn  ich  es  wage,  die  Frage  an  Sie  zu 
richten,  ob  auch  Sie  die  Ansicht  der  beiden  Herren 
theilen,  dass  nämlich  dieser  herrliche  Kopf  hier",  in- 
dem sie  mit  dem  Finger  auf  dea  Navagero  hindeutete, 
„nicht  von  der  Hand  RaffaePs  gemalt  sei?  Ist  es 
nicht  das  Werk  Raffael's",  fügte  sie  sogleich  hinzu, 
ohne  meine  Antwort  abzuwarten,  „so  kann  es,  scheint 
es  mir,  doch  nur  von  einem  der  allergrössten  Maler 
der  Welt  herrühren!  Oder  sage  ich  vielleicht  eine 
Albernheit?" 

„Meine  Dame,  ich  theile  von  ganzem  Herzen  Ihre 
Meinung",  rief  ich  freudig  bewegt  aus.  „Vor  solch 
einem  Meisterwerk,  wie  es  ja  in  der  Welt  kaum  ein 
zweites  gibt,  an  eine  Copie  zu  denken  kommt  mir  wie 
eine  Blasphemie  vor.  Diese  zwei  Männer  da  sind  doch 
so  grossartig  aufgefasst,  sind  mit  einer  solchen  Meister- 
schaft auf  die  Leinwand  hingebannt,  dass  ich  mich  kaum- 
erinnere, andere  Bildnisse,  weder  von  Tizian,  noch  von 
Velasquez,  noch  von  irgendeinem  andern  der  berühm- 
ten Bildnissmaler  gesehen  zu  haben,  die  diesem  Doppel- 
porträt gleich  kämen;  die  einzige  «Gioconda«  Lio- 
nardo's  im  Louvre  vielleicht  ausgenommen.  Auch  ich 
glaube,  wie  Sie,  mein  Fräulein,  dass  es  nur  einem  Meister 
wie  Kaftael  gegeben  ist,  solche  zwei  menschliche  Exi- 


BaffaeL  419 

stenzen  so  wahr,  so  natürlich,  so  voller  Lebenslust  in 
einem  Guss  alla  prima  auf  die  Leinwand  hinzu- 
malen!" (t) 

„O  ja",  sagte  sie,  „es  sind  wirklich  zwei  leuchtende, 
lebensvolle  Gesichter.  Je  mehr  man  sie  ansieht,  desto 
lebendiger  werden  sie." 

„Und  schauen  Sie  doch  auch",  fuhr  ich  fort,  „mit 
welcher  Feinheit  dieser  Mund  hier  modellirt  ist,  be- 
trachten Sie  dieses  wunderbare  Lichtspiel  des  Auges, 
«eben  Sie  doch,  wie  lebendig  dieses  fleischige,  für 
Kaffael  so  charakteristische  Ohr  hier  mit  dem  Backen 
verwachsen  ist,  wie  frei  und  leicht  diese  Barthaare  hin- 
gemalt sind!" 

„Es  freut  mich  unendlich-,  sagte  die  hübsche  Dame, 
.,  mein  eigenes  Urtheil,  welches  doch  nur  von  der  Em- 
pfindung herrühren  kann,  von  dem  Ihrigen,  mein  Herr, 
der  Sie,  wie  ich  sehe,  sich  ernstlich  mit  der  Kunst  be- 
schäftigt zu  haben  scheinen,  genehmigt,  ja  bekräftigt  zu 
hören.  Wir  Frauen  beurtheilen  ja  die  Werke  der  Kunst 
doch  meist  nur  nach  unserm  Gefühl." 

„Und  gerade  deshalb",  sagte  ich,  „dürfle  das  Ur- 
theil gebildeter  Frauen  ofl  viel  richtiger  sein,  als  das 
der  hölzenien  Kunstgelehrten." 

„Sie  mögen  vielleicht  recht  haben",  erwiderte  sie 
nicht  ohne  einen  leichten  Anflug  von  Genugthuung. 
„Zu  viel  Gelehrsamkeit  verdirbt  gar  ofl  den  Kunst- 
genuss,  wie  auch  zu  viel  Salz  die  beste  Brühe  ungeniess- 
bar  macht.  Bei  uns  im  Norden  studirt  man  gar  zu  viel 
in  den  Büchern,  zumal  in  Berlin." 

„Berlin",  sagte  ich,  „ist  gei^^-iss  die  gelehrteste  Stadt 
der  Welt,  und  ich  bin  daher  um  so  mehr  befriedigt, 
meine  Ansicht  über  dieses  Doppelportrat  RafBiers  von 
einer  so  feingebildeten  Dame  aus  Berlin  getheilt  zu 
sehen." 

Bei  diesen  Worten  schante  sie  mir  etwas  mis- 
iranisch  in  die  Augen. 

27* 


420  I>ie  Galerie  Doria-Panfili. 

„Es  ist  dies  nicht  das  erste  mcal",  fuhr  ich  fort, 
.,dass  mir  die  Gelegenheit  geboten  wird,  die  Bemer- 
kung zu  machen,  dass  begabte  und  gebildete  Frauen, 
wenn  sie  sich  mit  Liebe  und  Ernst  Kunststudien  hin- 
geben, darin  eine  viel  feinere  Beobachtungsgabe  an  den 
Tag  legen,  als  dies  in  den  meisten  Fällen  bei  uns  Män- 
nern der  Fall  ist.  Auch  haben  die  Frauen  gewöhnlich 
den  grossen,  unberechenbaren  Vortheil  vor  uns,  keine 
vorscefassten  Meinuno:en  und  dünkelhafte  Schulansichten 
vor  das  Kunstwerk  mitzubringen." 

Die  junge  Dame  fragte  mich  dann  zuletzt: 

„Sagen  Sie  mir  doch  gefälligst,  wie  hiess  denn  der 
Kunstgelehrte,  der  zuerst  den  guten  Einfall  hatte,  dieses 
Prachtbild  RafiaePs  für  eine  Copie  zu  erklären?" 

„Täusche  ich  mich  nicht",,  antwortete  ich,  „so 
war  es  der  berühmte  frankfurter  Biograph  des  ür- 
binaten." 

„Passavant?"  sagte  sie. 

„Ja,  mein  Fräulein.  Ihm  folgten  dann,  wie  dies  in 
der  Welt  zu  gehen  pflegt,  die  meisten  Fachgenossen 
nach,  denen  man  ja  stets  einen  grossen  Gefallen  erweist, 
wenn  man  ihnen  das  Selbstdenken  erspart.  Der  ver- 
storbene Passavant,  der  sonst  gewiss  ein  sehr  gelehrter 
und  verdienstvoller  Mann  war,  hatte  nämlich  in  einem 
alten  italienischen  Büchlein,  das  als  aNotizie  di  urC 
Anonimo))  allgemein  bekannt  ist,  gelesen,  dass  dieses 
Doppelporträt  von  Beazzano  und  Navagero  auf  Holz 
gemalt  sei,  und  mit  dieser  Notiz  im  Kopfe  trat  er  dann 
vor  das  Bild  hin.  Statt  nun  vor  allem  das  Gemälde 
von  vorn  sich  anzusehen,  wollte  der  brave  Mann,  um 
sich  zu  vergewissern,  ob  es  auf  Holz  gemalt  sei,  es  von 
hinten  schauen.  Und  da  er  zu  seinem  Schrecken  ge- 
wahrte, dass  dasselbe  wirklich  auf  Leinwand  gemalt  ist, 
so  folgerte  er  sofort  daraus,  es  müsse  Copie  sein,  und 
zwar  eine  venetianische." 

„Warum  denn  gerade  eine  venetianische  und  nicht, 


Raffael.  421 

wie  man  in  solchen  Fällen  gewohnlich  annimmt,  eine 
bolognesische?"  fragte  die  Dame. 

,,Weil  das  Bild",  antwortete  ich,  „dem  Pietro  Bembo 
in  Padua  angehört  hatte,  der  es  dann  im  Jahre  1538 
dem  Beazzano  selbst  zum  Geschenk  machte.  Daraus 
glaubte  nun  Passavant  berechtigt  zu  sein  den  Schluss 
zu  ziehen,  dass  ein  Gemälde,  welches  so  lange  im  Vene- 
tianischen  geblieben  war,  nur  von  einem  Maler  aus 
Venedig  konnte  copirt  worden  sein." 

„Wäre  es  aber  nicht  möglich",  fragte  das  wissbegie- 
rige Fräulein,  „dass  jener  venetianische  Kunstfreund, 
von  dem  Sie  mir  sprachen,  beim  Niederschreiben  jener 
Notiz  sich  getäuscht  und  daher  die  Leinwand  für  eine 
Holztafel  genommen  habe?" 

„Gewiss",  antwortete  ich,  „und  es  wäre  mir  ein 
Leichtes,  mehrere  Verwechselungen  der  Art  Ihnen  an- 
zuführen. Hat  denn  nicht  z.  B.  selbst  Vasari  behauptet, 
die  a  Madonna  von  S.  Sisto»  in  Dresden  wäre  auf  Holz 
gemalt?  Jedermann  kann  sich  jedoch  selbst  überzeugen, 
dass  jenes  berühmte  Gemälde  RaffaeFs  auf  Leinwand 
gemalt  ist." 

„Nun  ja",  bemerkte  die  Dame,  „dergleichen  in  der 
Flüchtigkeit  der  Besichtigung  von  Bildersammlungen 
begangene  Irrthümer  sind  sehr  verzeihlich." 

„Allerdings",  sagte  ich.  „Was  mir  jedoch  durch- 
aus keine  Entschuldigung  zu  verdienen  scheint,  ist,  ein 
so  vorzügliches  Meisterwerk  wie  dieses  Doppelporträt 
für  eine  Copie  genommen  und  es  dann  leichtfertig  als 
solche  öffentlich  erklärt  zu  haben.  V  '  '  u  Begriff 
sollen   wir   uns    machen    vom  Kunstvi  i  i>s    eines 

Gelehrten,  der  zwölf  Jahre  lang  die  Werke  eines  Mei- 
ster» studirt,  um  zuletzt  zu  solchen  Ergebnissen  zu 
gelangen?" 

„Ich  glaube",  sagte  lächelnd  die  Dame,  „dass  solche 
Fehlgriffe  bei  den  gelehrten  Kunsthistorikern  und  Kunst- 
kennern nicht  selten  sind.    Aber  erlauben  Sie  mir  noch 


422  ^i^  Galerie  Doria-Panfili. 

eine  andere  Frage  an  Sie  zu  richten.  Ist  es  denn  wahr^ 
dass  Raffael,  wie  man  mir  sagte,  seine  Bildnisse  stets 
auf  Holz  gemalt  habe?" 

„In  seiner  Frühzeit  allerdings",  antwortete  ich.  „Sa 
ist  das  von  ihm  gemalte  Porträt  seines  Lehrers  und 
altern  Freundes  Pintoricchio  in  der  Borghese  -  Galerie 
auf  Holz.  Die  Porträts  der  sogenannten  Donna  gravida 
und  der  Eheleute  Doni  im  Pitti-Palast  sind  ebenfalls 
auf  Holz  gemalt,  desgleichen  sein  eigenes  in  Florenz 
und  jenes  des  Papstes  Leo  X.  ebendaselbst;  auch 
das  herrliche  Bildniss  des  Cardinais  Bibbiena  in  Ma- 
drid ist  auf  eine  Tafel  gemalt.  Vom  Jahre  1516  an 
scheint  dagegen  Raffael  der  Leinwand  den  Vorzug  vor 
dem  Holz  gegeben  zu  haben,  und  er  bediente  sich 
der  Leinwand  nicht  nur  zu  seinem  grossen  Bilde  der 
Madonna  di  S.  Sisto  in  der  Dresdener  Galerie,  son- 
dern auch  zu  den  in  den  letzten  vier  Jahren  seines 
Daseins  von  ihm  gemalten  Porträts  der  sogenannten 
«Donna  velata»  im  Pitti-Palast,  zu  jenen  des  Grafen 
B.  Castiglione  und  der  Giovana  II  im  Louvre,  wie 
auch  zu  diesem  Doppelporträt  des  Beazzano  und  Na- 
vagepo  hier:  ein  Bild,  das  er  im  April  1516  gemalt 
haben  muss." 

„Wie  weiss  man  dies?"  fragte  die  Dame. 

„Aus  einem  Briefe,  den  Pietro  Bembo  an  seinen 
Freund,  den  Cardinal  Divizio  da  Bibbiena,  schrieb  und 
worin  von  der  Anwesenheit  dieser  zwei  Venetianer  in 
Rom  die  Rede  ist",  antwortete  ich. 

Sie  dankte  mir  und  überliess  sich  noch  eine  Weile 
der  ungestörten  Betrachtung  des  Gemäldes. 

„Wie  langweilig",  sagte  sie  dann,  „erscheint  mir  jetzt 
unser  Porträt  des  Navagero  in  Berlin  gegen  diesen 
prachtvollen  Kopf  da!  Macht  es  nicht  auch  Ihnen  den 
Eindruck,  als  ob  der  stattliche  Mann  auf  diesem  Bilde 
mit  seinem  durchdringenden  Blicke  auf  unsern  Gesich- 
tern lesen  wollte,    ob   wir   wirklich  würdig  seien,   ein 


RaffaeL  423 

solches  Meisterwerk  anzusehen?  Was  würden",  fugte 
sie  mit  feinem  Lächehi  hinzu  und  indem  sie  sich  zum 
Weggehen  anschickte,  „was  würden  diese  zwei  ge- 
scheiten Venetianer  denken,  wenn  sie  all  die  verschie- 
denen Urtheile  und  die  gelehrten  Bemerkungen  anhören 
könnten,  die  über  ihre  Bildnisse  wöcli^ntli«  li  hier  ge- 
macht werden!" 

Und  leicht  sich  verneigend  verschwand  sie  dann. 


Orts-  und  Namens verzeichniss. 


Die  Malern  amen  sind  unter  den  gebräuchlichen  Benennungen  nachzu- 
sehen; also  Francia  (und  nicht  Raibolini),  Tizian  (und  nicht  Vecellio)  u.  s.  f. 
Die  Parenthese  bei  Seitenzahlen  deutet  an,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  der 
Ktlnstler  als  Urheber  der  ihm  dort  zugeschriebenen  Werke  vom  Verfasser  nicht 
anerkannt  wird. 

Die  Sammlungen  sind  unter  dem  Namen  der  Städte  aufgeftlhrt,  in  denen 
sie  sich  befinden.  Hier  stehen  an  erster  Stelle  die  öffentlichen  Galerien;  es 
folgen  die  Kirchen,  dann  die  Sammlungen  von  Privaten.  Die  Sammlungen  in 
London,  Oxford  und  andere  englische  Sammlungen  sind  unter  England 
nachzusehen.  (J.  P.  R.) 


Agassi z,  Louis  94. 

Albertinelli,  mit  Fra  Barto- 
lommeo  verwechselt  27.  46. 
156  fg.;  Einfluss  auf  Bugiar- 
dini  124;  beeinflusst  von  Pier 
di  Cosimo  150;  Bild  in  Bor- 
ghese-Gal.  153 fg.;  Verbindung 
mit  Fra  Bartolommeo  153  fg. 
156.  158;  mit  Filippino  Lippi 
158;  Uebersicht  der  Werke 
154—159. 

Alb  an i,  Franc,  in  Borghese- 
Gal.  296. 

Alemanni,  Pietro,  in  Ascoli 
363. 

Alfani,  Domenico,  Bilder  in 
Rom  und  Perugia  175. 

A  n  g  e  1  i  c  o ,  Fra,  da  Fiesole,  Ein- 
fluss auf  Fra  Filippo  101. 

Anguissola,  Sofonisba,  Cha- 
rakteristik und  Uebersicht  der 
Werke  254—257;  Werke  ihrer 
Schwestern  257  fg. 

Amoretti  113. 

Antonello's  Oelmalerei  21; 
sein  Stil  318;  Bild  in  Bor- 
ghese-Gal.  318. 

Appiani,  Nicola,  Bilder  in  Mai- 
land und  Turin  209. 


Aragonien,  Johanna  von,  Por- 
trät in  Doria-Galerie  408  fg. 

Arezzo,  Paolo  von,   Bilder  in 
Spanien  203. 

A  s  o  1  o ,  Pfarrkirche,  Lotto  307  fg. 

Aspertini,  Amico  345. 

Aumale,    Herzog  von,    Samm- 
lung in  Chantilly: 
Botticelli  (112). 
Palma  vecchio  315. 


Bacchiacca  (Francesco  Uber- 
tini),  seine  künstlerische  Ent- 
wickelung  128 — 130;  sein  Por- 
trät 129;  sein  Stil  131  fg.; 
Uebersicht  seiner  Werke  132 
—139. 

Bagnacavallo  264;  Bild  in 
Borghese-Gal.  315;  mit  Giulio 
Romano  verwechselt  imLouvre 
27;  beeinflusst  von  Dosso  und 
Garofolo  287. 

Baldeschi  102. 

Bartolommeo,  Fra,  verwech- 
selt mit  Albertinelli  27.  46; 
Verhältniss  zu  Rafi'ael  62.  63; 
beeinflusst  von  Pier  di  Cosimo 
150;  Verbindung  mit  Alberti- 


Orts-  und  Namensyerzeichniss. 


425 


nelli  153  fg.  156.  158;  Werke 
in  Lucca,  Florenz  und  Mai- 
land 158.  159. 

Bartolommeo,  Veneto,  366. 

Basaiti,  verwechselt  mit  Giov. 
Bellini  27.  311.  341;  —  mit 
Garofolo  268 ;  seine  Entwicke- 
lung  368. 

Bassano,  Franc.,  in  Borghese- 
Gal.  309. 

Beccaruzzi  317. 

B  e  1 1  i  n  i ,  Gent.,  Ausbildang  24  fg. 
349. 

B  e  1 1  i  n  i ,  Giov.(Gianbellino),Ver- 
liältniss  zu  Antonello  21;  Aus- 
bildung. 24  fg.;  Bilder  unter 
anderm  Namen  27;  im  Louvre 
mit  Rondinelli  verwechselt  33 ; 
sein  Stil  98.  99.  354;  beeiu- 
flusst  Solario  220;  copirt  von 

•  Bissolo  in  Borghese- Galerie 
311;  verwechselt  mit  Cariani 
ebenda  315;  seine  Bedeutung 
339—341.  350;  Uebersicht  sei- 
ner Werke  341—345.  348  fg.; 
Schulcopien  mit  seiner  Na- 
mensbezeichnung 346  fg.  353; 
verglichen  mit  Mant«gna  350 
—355. 

Bellini,  Jac.  (349).  350  fg. 

Bergamo,  Galerie: 
Basaiti  370  fg. 
Bellini,    Giov.    (311).    342; 

Schule  B.'s  33. 
Bcrnardino  de'  Conti  247. 
Boltraffio  207 

1)0880  281. 

Francia,  Giac.  l-.-. 

Garofolo  267  fg. 

Genga  121. 

Gentile  da  Fabriano  (351). 

Lotto  394. 

Mantegna  360. 

Palma  389. 

Raffael  63. 

Sodoma  199. 

Viv:iriiii,  Ant.   361. 

—  San  Hartolommeo:  Lotto  394. 

—  San  Bcrnardino:  Lotto  394. 

—  Dom:  Giov.  Bellini  342. 


Bergamo: 

—  S.  Maria  M;t"j:"4iorc:  Intarsien 
nach  Lotto  :ii«-2. 

—  S.  Spirito:  Lotto  394. 

—  Sammlung  Agliardi:   Basaiti 
371;  Moroni  341. 

—  Sammlung  Frizzoni:  Boltraf- 
fio 207. 

Bembo,  Cardinal  422;  sein  Por- 
trät 406  fg. 
Berlin,  Galerie: 

Bacchiacca  135. 

Bemardino  de'  Conti  247  fg. 

Botticelli  (111). 

Francia  253. 

Franciabigio  126. 

Lionardo  da  Vinci  (228). 

Sebastian  del  Piombo  53.  55. 

Signorelli  117. 

Palma  (388). 

—  Nationalmuseum: 

Anguissola  256. 
Bernasconi  314. 
Hernazzano  194. 
Bertolotti  35.  188. 
Bianchi,    Francesco  260.  285. 

289.  292. 
B  i  8  s  o  1  o ,  Francesco,  copirt  Giov. 

Bellini  346  fg. 
Blanc,  Charles  87—95. 
Boccaocino,  Lehrer  des  Garo- 
folo 261   fg.;    Uebersicht  der 

Werke  365—367. 
Bodc,  Wilh.  55.  91.   103.  106. 

107.   108.   109.    110.    IM.    116. 

122.   123.   125.   127.    128.    146. 

156.    157.   170.    195.   202.  207 

208.  210.  225.  228  fg.  232.  233. 

234.   236.   236.   237.   239.  242. 

243.   244.   245.   94G.   247.  2G4. 

272.   276.   281.   286.   288.  311. 

320.   834.  337.  338.  341.  343. 

348.  862.  369.  870.  874.  376. 

880.  403.  407. 
Bologna,  Arciginnasio :  Franota 

268.  286. 
Galerie: 
Bagiardini  123. 
Cima  864. 
Francia,  Fr.  261  fg.  286. 


426 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Bologna,  Galerie: 
Franciabigio  126. 
Pisani,  Nie.  287. 
Pontormo  (126). 
Raffael  G7. 

—  S.  Domenico :  Filippino  Lippi 
145. 

—  S.Giov.  inMonte:  Fr.Cossa34. 

—  S.  Jac.  Maggiore:  Francia 
254;  Tamarozzo  286. 

—  Misericordia:  Tamarozzo  286. 

—  S.  Stefano:  Francia  252. 

B  o  1 1  r  a  f  f  i  o ,  Verhältniss  zu  Lio- 
nardo  202;  Uebersicht  seiner 
Werke  206—208. 

Bonifazio,  Malerfamilie  313 — 
315;  Stil  99;  Uebersicht  der 
Werke  383  fg. 

Borgherini  139—141. 

Borgia,  Cesare  165—169. 

Borgo  San  Sepolcro   118. 

Bordone,  Paris,  Uebersicht 
seiner  Werke  379—382. 

Borghese,  Cardinal  Scipione 
84.  208. 

B  o  1 1  i  c  e  1 1  i ,  verwechselt  mit  Fi- 
lippino 27 ;  mit  Fra  Filippo  43 ; 
sein  Stil  27.  42.  98.  99.  103  fg. 
105.  106;  in  Borghese -Gal. 
(87.  105);  in  Sixt.  Kapelle  106; 
Schulbilder  107—111;  Bilder 
bei  Giov.  Morelli  111;  Zeich- 
nungen 112. 

Braccesi,  Aless.  128. 

Braghirolli  35. 

Bramantino,  sein  Stil  98.  99; 
in  Rom  192;  Einfluss  auf  So- 
lario  219. 

Brembothal,  Bilder  von  Palma 
389. 

Brescia,  Galerie: 

Bellini,  Giov.  342.  355. 
Calisto  da  Lodi  377.  ' 
Moretto  374. 
Raffael  63. 
Romanino  372. 
Savoldo  319. 
Solario  217. 

—  S.  Alessandro:  Fra  Angelico 
(351). 


Brescia,   S.  Francesco:  Roma- 
nino 372. 

—  S.  Giov.  Evang.:  V.  Civerchio 
342. 

—  S.  Giulia:  Romanino  372. 

—  S.  Maria  Calchera: 

Calisto  da  Lodi  377. 
Romanino  372. 

—  Bischöfl.  Seminar: 

Ant.  Vivarini  361. 

—  Sammlung  Fenaroli: 

Romanino  372. 

—  Sammlung  Martinengo: 

Moretto  374. 
Breughel  113. 
Bronzino,  Schüler  Pontormo's 

161.  164;  seine  Nachahmer  164; 

seine  Werke  164  fg.   168. 
Brunelleschi  2. 
Bugiardini,   Charakteristik  u. 

Uebersicht  seiner  Werke  123. 

124. 
Buonconsigli,  seine  Werke  in 

Venedig  357  fg. 
Burckhardt,  Jac.  165.  279. 


Campana,  Pedro  (317). 
Campi,  Bernardino  223.  25. 
Campi,  Giulio  374, 
Campori,  Marchese  35.  239. 
Capodiferro,  Intarsien  von398. 
Caravaggio,  in  Borghese-Gal. 

297. 
Cariani  315  fg. 
Carpi,  Giov.  Maria  da  364. 
Caselli,  Crist.  364. 
Castagno,  Andrea  20. 
Cavenaghi,  Luigi  238. 
Cecchetti  35. 
Cenci,  Beatrice  21. 
Chigi,   Agostino  170.  187.  193. 
Chiodarolo  286. 
Cima     da     Conegliano,      seine 

Werke  und  seine  Schüler  363 

—365. 
Cinelli  66. 

Cödogno:  Calisto  da  Lodi  378. 
Como,  Dom:  Luini  216. 
Conegliano  364.  399. 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


427 


Conti,  Beroardiuo  de\  sein 
Stil  46.  98;  beeinflusst  von 
Lionardo  203.  244;  Schulbild 
in  Borghese-Gal.  214.  225; 
verwechselt  mit  Lionardo  227. 
245.  248.  240;  Verwandtschaft 
mit  A.  de  Predis  243;  künst- 
lerische Entwickelung^  Ueber- 
sicht  der  Bilder  und  Zeich- 
nungen 243—251. 

Correggio,  Ausbildung  24.  25. 
289—293;  mit  Tizian  verwech- 
selt 27.  291;  —  mit  Francia 
27 ;  die  „Danae"  in  Borghese- 
Gal.  284. 287. 293-296 ;  Jugend- 
werke 290—293;  Skizze  (?)  in 
Doria-Gal.  (409—411);  sein  Stil 
410. 

Cortona:  Signorelli  118. 

Cortona,  Pietro  da,  in  Doria- 
Gal.  330. 

Cossa,  Fr.  285.  287;  Glasfenster 
in  Bologna  34. 

Costa,  Lorenzo  285;  mit  Fr. 
Cossa  verwechselt  34;  —  mit 
Tura34 ;  Verhältniss  zu  Francia 
287. 

Cremona,  Dom: 

Boccaccino,  B.  261.  367. 
Meloni,  Alt.  261. 
Pordenone  397. 
Romanino  261.  372. 

—  S.  Pietro: 

Anguissola.  An.  Maria  258. 

—  S.  Sigismondo: 

Boccacino,  C.  367. 
Crespi,  G.  M.  66. 
Crivelli,  C,  Uebersicht  seiner 

Werke  361—363. 
Crowe  und  Cavalcaselle  33. 

34.  37.  44.  47.  48.  59.  91.  104. 

106.   107.    108.    110.    112.  115. 

119.  127.  128.  142.  151  fg.  164. 

156  fg.    169.   205.   218  fg.  220. 

231.   247.   252.   279.   308.  311. 

317  fg.  328.  333.  338.  348.  357. 

362.  366.  368.  374  fg.  379.  385. 

387  fg.'  390.  403.  407. 


Di  am  ante,   Fra,   Schüler  des 

Fra  Filippo  37  fg. 
Domenichino,    in    Borghese- 

Galerie  296. 
Donduzzi  66. 

Doria,  Andrea,  Admirai  330. 
D  o  8  8  0 ,  Battista,  Werke  280. 283. 
Dosso  Dossi,  Einfiuss  auf  Gkt- 
rofolo  262;  Bilder  in  Borghese- 
und  Doria-Gal.  258.  277-281; 
die  „Circe"  263.  277  ;  sein  Cha- 
rakter 276  fg.  282  fg.;  Ueber- 
sicht seiner  Werke  281—283. 
Dresden,  Galerie: 

Correggio  289.  291.  294.  295. 
Filippino  Lippi  146. 
Franciabigio  126.  135. 
Garofolo  268. 
Holbein  83. 
Lionardo  (115.  408). 
Lotto  (394). 
Lunders  321. 
Raffael  66.  90.  421  fg. 
Rosselli,  Cos.  (146). 
Dyck,  Ant.  van,  Beziehung  zu 
Sof.  Anguissola  257. 


England:    London,    National 
Gallery: 
Bacohiaooa  135.  139. 
Bellini,  Giov.  352.  355. 
Boltraffio  207. 
Botticelli  27. 
Bronzino  168. 
Campaäa,  P.  317. 
Garofolo  267.  269.  275. 
Lionardo  (235.  246). 
Moretto  347. 
Moroni  402. 
Ortolano  (267). 
Petellino  (337.  339). 
Pier  di  Cosimo  153. 
Piero  di  Lorenzo  Pratese  337. 
Pontormo  139.  (168). 
Romanino  372. 
SanaeYerino,  Lor.  da  363. 
SoUrio  319—221. 


428 


Orts-  und  Namens verzeicliniss. 


England,  London,  British  Mu- 
seum Handzeichnungen: 
Cesare  da  Sesto  213. 
Conti,  Bern,  de'  250. 
Credi,  Loreuzo  di  116. 
Filippino  92. 

Garbo,  Raffaelino  del  147. 
Lionardo  (227  fg.  250). 
Masaccio  (92). 
Pordenone  400. 
Raffael  63. 
Signorelli  118.  119. 
Sodoma  201. 

—  Ashburton,  Lord:  Correggio 

290  fg. 
— Chatsworth,  Handzeichnungen: 
Bellini,  Giov.  (187).  356. 
Credi,  Lorenzo  di  116. 
Lionardo  (187). 
Michelangelo  (163). 
Parmeggianino  (47). 
Pontormo  163. 
Pordenone  400. 
Romanino  373. 
Romano,  Giulio  183. 
Sebastian  del  Piombo  54  fg. 
Sodoma  196. 

—  Cowper,  Lord,  Sammlung  in 
Panshanger:  Raffael  34.  101. 

—  London,  Dudley  House: 

Perino  del  Vaga  175. 

—  —  EUesmere,  Lord: 

Lotto  307. 

Palma  (58). 

Raffael  64. 

Tizian  58.  404. 
Heseltine,J.P.,  Sammlung: 

Genga  121. 
Malcolm  of  P.,  Sammlung: 

Botticelli  112. 

Conti,  Bern,  de'  250. 

Raffael  172  fg. 

—  —  Monson, Lord,  Sammlung: 

Cesare  da  Sesto  213. 

—  —  Morrison,  A.,  Sammlung: 

Conti,  Bern,  de'  248  fg. 

Murray,  John,  Sammlung: 

Giampietrino   203. 

—  F.  Maitland  Sammlung: 

Ambrogio  de  Predis  239. 242. 


England,  London,  Northbrook, 
Lord : 

Francia  252. 
Tizian  (404). 

—  Northumberland,  Herzog  von : 

Bellini,  Giov.  340.  351. 

—  Oxford,  Universitäts-Galerie, 
Handzeichnungen : 

Perino  del  Vaga  184  fg. 
Perugino  134. 
Raffael  (46.  184). 
Sodoma  197.  300. 

—  —  Christ  Church  Gallery: 

Bacchiacca  132.  135. 
Conti,  Bernardino  de'  250, 
Giampietrino  204. 
Lionardo  (204). 
Raffaellino  del  Garbo  147. 

—  Richmond,   Sir  Fr.  Cook: 

Bacchiacca  137. 
Fra  Filippo  101. 
Giampietrino  205. 

—  Seymour,  Danby,  Sammlung: 

Anguissola  256. 

—  Spencer,    Lord,  Sammlung- 

Anguissola  256. 

—  Stirling,  William: 

Anguissola  256. 

—  Windsor-Castle ,  s.d. 

—  Yarborough,  Lord: 

Anguissola  255. 


Ferrara.  Galerie: 
Dosso  282. 
Garofolo  269.  273. 
Ortolano  (269).  275. 

—  Dom:  Ortolano  275. 

—  Seminar:  Garofolo  273. 

—  Varano,  Sammlung: 

Anguissola  256. 
Feti,  Dom.,inBorghese-Gal.305. 
Florenz,  Akademie  der  schönen 
Künste : 

Albertinelli  155. 

Bartolommeo,  Fra  (144).  159. 

Botticelli  (108). 

Castagno,   Andrea  del  (92). 

Credi,  Lor.  di  116. 

Filippino  91  fg. 


Orts-  and  Namensverzeichniss. 


429 


Florenz,  Akademie: 
Filippo,  Fra  99. 
Granacei  127. 
Lionardo  (334). 
Masaccio  (92). 
Pesellino  336. 
Signorelli  118. 
Verrocchio  108.  109.  334. 
—  Pitti-Galerie,  Gemälde: 
Albertinelli  158. 
Bartolommeo,  Fra  159. 
BoocacciDO,  B.  365. 
Bonifazio  381.  384. 
Bordone,  Paris  381. 
Botticelli  (108). 
D088O  276.  281. 
Filippino  145. 
Franciabigio   124.  126. 
Garofolo  (276). 
Genga  121. 

Ghirlandajo,  Schale  145. 
Granaeci  127. 
Lionardo  (125). 
Laini,  A.  (204). 
Moroni  401. 
Palma  (387). 
Perugino  125.  128. 
Pontormo  163.  168. 
Pordenone  (387). 
Raffael:  Doni  M.  57.  60  fg. 

70.101. 148.422;  Madonna 

del  Granduca  59  fg.  100  fg. ; 

Donna   gravida    60.    101. 

422;     Altarbild    für    Dei 

61  fg.;  Mad.  d.  Sedia  63. 

101;   Donna  velata  64  — 

68.  245.  422;   Leo  X.  60. 

422:  Julius  11.69.70;  Vi- 
ior8  70fg.;Car- 

•  i  !.   (72  fg.    161). 

Ridolto  dei  Ghirlandigo  233. 
Romano,  Giulio  180. 
Sarto,  A.  del  139. 
Scarsellino  312. 
Sebastian  del  Piombo  51. 
Signorelli  118. 
Sodoma  (121). 
Tizian:   la  Bella  70;  Copie 

des  Porträts  Alfonso's  281. 
Tommaso  115. 


Florenz,  Üffizien-Gal.,  Bilder: 
Albertinelli  155.  158. 
Anguissola.  Sof.  255. 
Bacehiacca  135. 
Baldovinetti  338. 
Bartolommeo,  Fra  158  fg. 
Bellini,  Giov.  27.  341.  (346). 

351.  369. 
Bordone,  P.  381. 
Botticelli       43—45.       106. 

(107  fg.). 
Bronzino  129.  164  fg. 
Brasasorci,  Fei.  374. 
Campi,  Gialio  374. 
Carotto  359. 
Cima  (364). 
Conti,  Bern,  de'  249. 
Correggio  27.  291  fg. 
Credi,    Lor.    di    115.    (116. 

127  f^.). 
Fra  Filippo,  (43—46). 
Francia  253. 
Franciabigio    47.    48.    124. 

125—127. 
Genga,  Gir.  119. 
Giorgione  323  fg. 
Lionardo  225.  (228.  229). 
Lotto  307  fg.  394. 
Lukas  V.  Leydcn  (249). 
Luini  (149.  211).  215. 
Mantegna  359. 
Moretto  (51.  374) 
Moroni  401. 

Palma  veochio  31».  w.  .     „. 
Pier  di  Cosimo  150.  152  fj^. 
Pietro  di  Messina  364. 
Pollajuolo  (241). 
Pontormo  (125).  163. 
Predis,  Ambr.  de  241  fg. 
Raffael:   Madonna  del  Car- 

dellino    45.    47.    57.    101  j 

(Mad.   del   pnrro  47.   48. 

123);  (sog.  1  48- 

61);  (unbek  ,  «'itr. 

66);  Julius  11.  70;  bcibst- 

porir.  422. 
RafTa  ••         !.  1  Garbo  (126). 
Hi<i  iirUndajo(126. 

15.:  I. 

Romanino  37a. 


430 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Florenz,  Üffizien-Gal.,  Bilder: 
Rosselli,  Cos.  333. 
Savoldo  319. 
Sebastian  del  Piombo  48 — 

51.  55.  56.  374. 
Sesto,  Cesare  da  (149). 
Signorelli  118. 
Sodoma  199. 
Tizian  58. 
Verrocchio  (109). 
Zelotto  309. 

—  Uffizien,  Handzeichnungen: 

Baccliiacca  136.  141  fg. 
Bartolommeo,  Fra  154. 
Botticelli  112. 
Brescianino,  A.  del  159. 
Credi,  Lor.  di  116.  (226). 
Filippino  146. 
Filippo,  Fra  (44). 
Franciabigio  125. 
Genga  121. 

Lionardo  (141.  201).  225  fg. 
Luini  216. 
Michelangelo  (136). 
Paolino,  Fra  154. 
Perin  del  Vaga  186.  303. 
Peruzzi  171.  192. 
Pier  di  Cosimo  156. 
Pollajuolo,  A.  del  119. 
Pontorino  (125).  163. 
Predis,  A.  de  226.  235. 
Raffael  (121).  302  fg. 
Raffaellino  del  Garbo  147. 
Romano,  Giul.  182.  303. 
Signorelli  118. 
Sodoma  (171).  201.  226.  300. 
Viti,  Tim.  303. 

—  Galerie  Corsini : 

Albertinelli  154. 

Botticelli  110. 

Santi,  Giov.,  Schule  328. 

Signorelli  118. 

Viti,  Tim.  327  fg. 

—  Museo  degli  Arazzi: 

Bacchiacca  130. 

—  Museo  Buonarotti: 

Pesellino  333.  335. 

—  Museo  di  S.  Maria  Nuova: 

Fra  Filippo,  Schulbild  103. 


Florenz,  Kirchen: 

SS.  Annunciata:  Franciabi- 
gio 125  fg.;  Pontormo  163. 

La  Calza:  Franciabigio  125. 

S.  Felicita:  Pontormo  163. 

Fiesole,  bei,  Oratorium  von 
S.Ansano:  Botticelli  (HO). 

S.  Jacopo  a  Ripoli  siehe :  La 
Quiete. 

La  Quiete:  Botticelli  (109). 

S.  Lorenzo :  Fra  Filippo  102. 

S.  Maria  Novella :  Bugiar- 
dini  123. 

S.  Michelino:  Pontormo  163. 

S.  Onofrio :  G.  N.  Manni  36  fg. 

Chiostro  degli  Scalzi:  Fran- 
ciabigio 126. 

S.  Spirito :  C.  Rosselli,  Schule 
152. 

—  Privatsammlungen: 

Alessandri,  Pal.:  Pesellino 
335  fg. 

Bacciocchi,  March.:  Bac- 
chiacca 137. 

Bartolommei,  March.:  Al- 
bertinelli 154. 

Corsini,  Pal.  al  Prato :  Fran- 
ciabigio 126. 

Covoni ,  March. :  Granacci 
127;   Puligo   160. 

Farinola,  March. :  Pontormo 
163. 

Ginori,  March.:  Botticelli 
146;  Signorelli  118. 

Giuntini,  Pal.  115. 

Innocenti,  Stanza  del  Com- 
raiss.:  Pier  di  Cosimo  150. 
152. 

Torrigiani,  March.:  Signo- 
relli 118;  Pesellino  337. 

—  Pal.Vecchio:  Verrocchio  113. 

—  Poggio   a    Cajano    (bei  Flo- 

renz):   Franciabigio    126; 
Pontormo  163. 
Forli,  Dom:  Rondinelli  347. 

—  Galerie:  Palmezzano  168. 

F  r  a  n  c  i  a ,  Franc.(Raibolini) :  ver- 
wechselt mit  Correggio  in  Pa- 
via  27;  in  Borghese-Gal.  87. 
251  —  253:    sein  Künstlercha- 


Orts-  and  Namensverzeichniss. 


431 


rakter    254;     Verhältniss     zu 
L.  Costa  286  fg. 

Francis,  Giacomo  u.  Giulio  287. 

F  r  a  n  c  i  a  b  i  g  i  o,  mit  Rafiael  ver- 
wechselt in  Uffizien- Galerie 
47  fg.;  in  Borghese-Gal.  122; 
Charakteristik  und  Uebersicht 
der  Werke  124—128;  copirt 
Dürer  -  Stiche  135. 

Frankfurts. M.,  Stadt. Galerie; 
Moretto  398. 
Sodoma  27.  202. 

Franz  I.  von  Frankreich  21. 

Frizzoni,  Gustavo  137.  151. 
169  fg.  191.  206.  238.  292. 
357.  Dessen  Gemäldesamm- 
lung siehe  unter  Mailand. 


Galgani,  Sammig.:  Solario  221. 
Garofolo,  Benvenuto,  seine 
Lehrzeit  260—263 ;  Aufenthalt 
in  Rom  262  fg.  270  —  272; 
Bilder  in  Borghese-  u.  Doria- 
Gal.  263.  265  —  269;  Einfluss 
des  Dosso  263;  die  Merkmale 
seines  Stils  265  fg.;  Ueber- 
sicht der  Werke  276;  seine 
künstlerische  Natur  272  fg.; 
mit  Ortolano  verwechselt  274 
fg.;  seine  Familie  274. 
GaudenzioFerraribeeinflusst 
von  Lionardo  203;  ihm  zu- 
geschr.  Werke  229  fg. 
Gaye  35. 

Genf,  Museum:  A"  llil56. 

Genga,    Gir.,    1  r    51 ; 

Charakteristik  miu  u<  Mcrsicht 
der  Werke  119—123;   Neben- 
buhler Dosso's  283. 
Genua,    S.  Maria  di  Castello: 

Justus  de  Alemania  329. 
—  Adorno,  March.,  Sammlung: 
Botticelli  (111). 
Balbi  Pal.:   I  (146); 

vlimischci  206. 

Balbi  Piovera  Pal.:    Tixian 

317. 
Doria  Pal.:  Penn  del  Vagi 
175. 


Genua,  Adorno,  March.,  Samm- 
lung: 

—  Bngnole  Sale  Pal.:  Bordone 
381;  Moretto  374. 

Ghiberti*8  Ausbildung  24  fg. 

Giambono  361. 

Giampietrino  oder  Oiampe- 
drino,  seine  Landschaften 
194;  Bild  in  Boi-ghese  -  Gal 
202;  Charakteristik  u.  lieber 
sieht  der  Werke  202  —  206 
verwechselt  mit  Lionardo  227 

Giorgione  mit  Dosso  verwech 
seit  in  Borghese-Gal.  278  fg.; 
Original     in     Borghese  •  Gal. 
323  fg. 

Goethe  99. 

Granacci,  sein  Stil  126;  Bil- 
der in  Florenz  127;  in  Rom 
(?)  147  fcr. 

Gregor  XVL,  Papst  102. 

Gualandi  33. 

Guidobaldo  von  ürbino  69. 


Habicb,  Edw.,  Sammlung: 

Baochiaoca  137. 

Raffael  173. 
Hals,  Frans  177. 
Hirt,  Aloysius  90. 


Innooenz  X.,  Papst  329.  331. 
Isola  Bella:  Boltraffio  207. 


Jansen  114. 
Jesi:  Lotto  394. 
Julius  IL,  Papst  69. 
Jnsti,  Karl  S03.  330  fg. 


Kaulbach,  Willi,  von  414. 
Köln:  Raffael  18L 


La  Motta,  Gal.  Scarpa:  Man- 
i%gaA  360;  Pordenona  893: 
Sodoma  199;  Sebastian  del 
Piombo  53. 


432 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Lanzi  87.  333. 

Largilliere  39. 

Lausanne,  Sammlung  Nicole: 

Bacchiacca  132  fg. 
Legnano:  Luini  216. 
Leo  X.,  Papst,  von  Raffael  ge- 
malt 69. 
Lepel,  Graf  88. 
Liberale  da  Verona  357. 
Licinio  da  Pordenone,  Bild  in 
Mailand  50;  in  Borghese-Gal. 
316  fg. 
Lille,  Galerie: 

Bacchiacca  136. 
Francia  (120). 
Franciabigio  126. 
Filippino  146. 
Genga  120.  121. 
Ghirlandajo  (147). 
Masaccio  (146). 
Micbelangelo  (136). 
Raffael  (126). 

Raflfaellino  del  Garbo  147. 
Romano,  Giulio  (120). 
Sebastian  del  Piombo  52. 
Lionardo  daVinci  21;  Citate 
aus  seinen  Schriften  25.  91. 
93.  95;  mit  Sodoma  verwech- 
selt 27;  „Mona  Lisa"  61; 
St.  Sebastian  (87—88);  Zeich- 
nung in  Sammlung  Thiers 
(89);  Bild  bei  Clemens  VII. 
113;  Zeichnung  in  Dresden 
(146);  mit  Ges.  Borgia  167; 
Zeichnung  im  Louvre  197 ; 
Verhältniss  zur  Mailänder 
Schule  202  fg.;  seine  Zeich- 
nungen und  Bilder  225—229. 
234;  Bild  in  Doria  -  Galerie 
(408  fg.);  Bilder  der  Schule 
L.'s  in  Borghese-Gal.  204. 
Lippi,  Fra  Filippo,  sein  Stil 
27.  42.  98.  99.  101  fg.  104; 
erwähnt  91 ;  Bilder  in  Rom, 
München,  Prato  und  Spoleto 
102;  in  Turin  und  in  den  Uf- 
fizien  103;  in  Doria-Gal.  332. 
Lippi,  Filippino,  sein  Stil 
27.  98  fg.  103  fg.;  verwechselt 
mit  Botticelli  27;  erwähnt  91; 


Bilder  in  Rom  104.  144;  in 
Florenz  145 ;  Zeichnungen  146. 

L  o  d  i ,  S.  Maria  lucoronata : 
Cal.  da  Lodi  377  fg. 

iLodi,    Calisto    Piazza    von, 

'  Charakteristik  und  Uebersicht 
der  Werke  376—378. 

Longhi,  L.  348. 

Lorenzo  di  Credi,  in  Bor- 
ghese-Gal. 87.  112—117. 

Lotto,  Lor.,  in  Borghese-Gal. 
305—308;  Charakteristik  und 
Uebersicht  der  Werke  390  — 
395. 

Lovere,  Gal.  Tadini:  Giacomo 
Bellini  351;  Bordone  381. 

Lucca,  Galerie:  Fra  Bartolom- 
meo  158. 

Lugano:  Luini  216. 

Luini,  Bern.,  beeinflusst  von 
Lionardo  203;  Aufzählung  der 
Gemälde  und  Zeichnungen 
214—216. 

Lützow,  K.  von  175. 


Anguissola,  Lucia  257. 

Lotto  390. 

Peruzzi  170. 

Romano,  Giulio  180. 

Tizian  407  fg. 
Macrino  d'Alba,  von  A.  Solario 

beeinflusst  221. 
Mailand,  Galerie  der  Brera: 

Appiani,  Nie.  209. 

Bellini,  Giov.  343.  355. 

Boccaccino,  C.  367. 

Bordone  381. 

Cariani  316. 

Cijna  364. 

Conti,  Bern,  de'  248  fg. 

Dosso  267.  279.  281. 

Garofolo  276. 

Genga  121. 

Giampietrino  205. 

Lotto  308, 

Luini,  Schule  216. 

Mantegna  359  fg. 

Marco  d'Oggionno  209. 


Orts-  und  KamensTerzeiohiiiss. 


433 


Mailand,  Galerie  der  Brera:    | 
Palma  318  fg. 
Pisani,  Nie.  287, 
Rondinelli  347  fg. 
Savoldo  319. 
Solario  219  fg. 
Vivarini,  Ant.  361. 

—  Museo  Poldi-Pezzoli: 
Albertinelli  156  fg. 
Bellini,  Giov.,  Schule  33. 31 1. 
Boltraffio  207. 
Botticelli  111. 

Conti,  Bern,  de'  247.  249. 
Giampietrino  205. 
Lodi,  C.  da  376  fg.  378. 
Luini  216. 
Mantegna  360. 
Predis,  Ambr.  de  231.  241. 
Solario   217.   219.   220.  222. 
Tamarozzo  286. 

—  Ambrosiana: 

Basaiti  370. 

Boltraffio  207. 

Cariani  316. 

Conti,  Bern,  de'  250. 

D088O  (281). 

Filippino  146. 

Lionardo  226.  (228).  (250). 

Luini  216. 

Predis,  Ambr.  de  233—235. 

238  fg. 
Raffael  101. 
Romanino  373. 
Sodoma  201. 
Solano,  Cristoforo  224. 

—  Museo  Civico: 

Giampietrino  205. 
Sodoma  198. 

—  Kirchen: 

S.  Angele:    Solario  P.  219. 
S.  Eufemia:    Marco   d'Og- 

gionno  208. 
S.Giorgio  in  Palazzo:  Luini 

216. 
S.  Maria  delle  Grazie:    Bu- 

giardini  124;  Appiani,  M. 

209. 
S.  Manrizio:  Boltraffio  207; 

Luini  216. 
La  Passione:  Luini  210. 

LBKMOLtBrr 


Mailand,  Kirchen: 

S.  Sepolcro:    Giampietrino 
206. 

—  Privatsammlongen : 

d'Adda^March.:  Solario  221. 

Andreossi:  Licinio  60. 

Belgiojoso ,    Graf  L. :    P. 

Codde  322. 

Bonomi-Cereda:  P.  Codde 

322. 

Francesco  Napoletano  203. 

Marco  d'Oggionno  209. 

Sodoma  199. 
Borromeo,  Graf : 

Giampietrino  205. 

Luini  216. 

Cesare  da  Sesto  149.  )11. 

Sodoma  199. 
Prinetti-Esengrini: 

Tommaso  115. 
Brivio,  Marob.: 

Giampietrino  206. 
Castelbaroo: 

Solario  169.  2S4. 
Erzbischöflicher  Palast: 

Bordone  882. 
Frizzoni,  Gustave : 

Bacchiacca  133 — 186. 

Bellini,  Giov.  842. 

Boltraffio  207. 

Correggio  292. 

Predis,  Ambr.  de  S81.  241  fg. 

Sodoma  199. 

Tommaso  115. 

—  —  Ginoulhiac: 

Sodoma  199. 

—  —  Maggi: 

Ambr.  de  Predis  240. 

—  —  del  Maino: 

Boltraffio  807. 

—  —  MeUi,  Henog: 

Angoiasola  S66. 

Cetare  d«  Setio  149.  21 1  fg. 

Lionardo,  Schule  236. 

Morelli,  Giov.: 

Albertinelli  168. 
AngniMoU  266. 

BnroliJarft«    |82.    136.    137. 
70. 
<>iov.  340.  842. 

28 


434 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Mailand,  Privatsammlungen:    1 
Boltraffio  207.  208.  ! 

Botticelli  111.  ! 

Cariani  3l(i. 
Perin  del  Vaga  179. 
Pesello,  Giul.  333. 
Pesellino  335.  337.  339. 
Pontormo  163. 
Predis,  Ambr.  de  231.   232. 

240  fg. 
Raffael  182. 
Sodoma  199.  201. 
Tommaso  115. 

—  —  Perego: 

Solario  224. 

—  —  Porro,  Graf: 

Ambr.  de  Predis  238.  242. 

—  —  Prinetti: 

Boccaccino,  B.  367. 

—  —  Scotti,  Herzog: 

Cesare  da  Sesto  211. 
Solario  224. 

—  —  Sola,  Graf: 

Boltraffio  207. 

Trivulzio,  Princ: 

Antonello  318. 
Codde,  P.  322. 
Mantegna  360. 
Predis,  Ambr.  de  231. 

—  —  Visconti -Venosta: 

Fra  Bartolommeo  159. 
Garofolo  267. 
Giampietrino  267. 

Manni,  Giannicola,  in  S.  Ono- 
frio,  Florenz  37. 

Mantegna,  verwechselt  mit 
Giov.  Bellini  27;  sein  Stil  99. 
354;  Fresken  in  Mantua  104; 
sein  künstlerischer  Charakter 
350;  Bilder  unter  seinem  Na- 
men in  der  Doria-Gal.  356  fg.; 
mit  Signorelli  verwechselt  358 ; 
Uebersicht  der  Werke  359 — 
360. 

Mantua,  Fresken  des  Mantegna 
104.  359. 

Marchesi  ,  Girol.  348. 

Marconi,  Rocco,  coj^irt  Bellini 
311  fg.  407. 

Mariette   190.  412. 


Marsuppini,  Carlo  102. 
Masaccio  91;  Lehrer  des  Fra 

Filippo  101. 
Masolino  91. 
Mazzolino,   Bild  in  Borghese- 

Gal.  284. 
Medici,  Giuliano  de'  111. 
—  Giulio  de',  Cardinal  69. 
Mengs  410  fg. 
Mestre,    Carpenedo  bei:    Bac- 

chiacca  132. 
Meyer,  Jul.  55.  3G9  fg. 
Michelangelo,     Einfluss     auf 
Seb.  del  Piombo  54;  Zeichnung 
in  Windsor  297. 
Milanesi,  Gaet.  20.  35. 
Minghetti,.  Marco  175. 
Mino  da  Fiesole  116. 
Modena,  Galerie: 
Cima  364. 
Dosso  282. 
Garofolo  276. 
Lippo,  Fiorent.  (115). 
Palma  388. 
Tommaso   115. 
Montagna,  Form  der  Hand  46 
Mont'Oliveto  (bei  Siena): 
Signorelli  118.  191. 
Sodoma  199.  299. 
Monza,  Ant.  da,  beeinflusst  vod 

Lionardo  203. 
Moreau  87. 

Moretto,     Charakteristik    und 
Uebersicht  der  Werke   373 — 
375.  399. 
Morone,  Hieron.  224. 
Moroni,   Giov.   Batt.,    in  Bor- 
ghese-Gal.   304;   copirt   Giov. 
Bellini  340  fg. ;  Charakteristik 
und  Uebersicht  der  Werke  400 
—402. 
Morris  Moore  118. 
Moschini  313  fg. 
München,  Galerie: 

Conti,  Bernard.  de'  247. 
Filippo,  Fra  102. 
Flämischer  Meister  206. 
Francia,  Fr.  253. 
Giampietrino  204. 
Lotto  307. 


Orts-  and  KamensTerzeichniss. 


435 


München,  Galerie: 

Kaffael  46. 
Müudler,0tto47.  115.  123.  165. 
174.  199.   218.   245.   294.    313. 
318.  334.  381.  390  fg.  392.  396. 
409. 
Murano,  S.  Pietro  Mariire: 
Bellini,  Giov.  344. 
Bissolo  369. 
Boccaccino,  B.  366. 


Neapel,  Galerie: 

Anguissola  25G. 

Antonello  317. 

Bellini,  Giov.  349.  355. 

Breughel  113. 

Garofolo  (264).  267. 

Luini  215  fg. 

Lotto  307.  394. 

Moretto  374. 

Palma  387. 

Raflfael,  Schule  73. 

Romano,  Giul.  180.  183. 

Sesto,  Cesare  da  212.  214. 
Napoletano,  Francesco,  Ver- 
hältniss  za  Lionardo,    Bilder 
in  Mailand  und  Valencia  203. 
Keri   dl  Bicci  (36). 


Oggionno,  Marco  d',  Verhält- 
niss  zu  Lionardo  202.  210;  Bil- 
der in  Rom  und  Mailand  208  fg. 

Olera  bei  Bergamo:  Ciraa  364. 

Ortolano  274.  275. 

Orvieto,  Dom:  SignorellillTfg 


Padua,  (iaierie: 

Basal ti  370. 

Belliui,  Giov.  33.311.(946). 

Boccaccino,  B.  867. 

Cal.  da  Lodi  377. 

Palma  (388). 

Pietro  da  Messina  864. 

Pietro  della  Vecchia  «79. 

Romaninu  372.  (377). 
•^  Scuolu  del  Santo:  Tizian  104. 
~  Eremitani:  Mmntegn«  869. 


Palermo,  Kirche  deir Olivella: 

Lor.  di  Credi  116. 

Palma    vecchio,    mit    Tizian 

verwechselt  49.  50;  Werke  in 

Borghese-Gal.  312.  314  fg. 

P  a  n  e  1 1  i ,  Lehrer  Garofolo's  260. 

Pandolfo  di  Pico  della  Miran- 

dola  188. 
Paolino,  Fra,  Stil  und  Werke 

154  fg. 
Paris,  Louvre,  Gemäldegalerie: 

Albertinelli  (157).  168. 

Bacchiacca  134.  135.  136. 

Bartolommeo,  Fra  27.  157. 

Bellini,  Giov.  (346). 

Bordone,  P.  382. 

Corregffio  411. 

Credi,  Lor.  di  116. 

Filippino  158. 

Justus  von  Gent  328. 

Lionardo  229. 

Lotto  394. 

Palma  387. 

Perugino  134. 

Pesellino  336.  339. 

Pier  di  Cosimo  151. 

Pontormo  165. 

Raffael  (54). 

Romano,  Giul.  27.  180.  182. 

Rondinelli  SS.  346. 

Sebastian  del  Piombo  54. 

Sesto,  Cesare  da  212. 

Solano  221.  222. 
—  —  Handzeiohnungeu: 

Baochiaoca  135. 

Bellini,  Giov.  355  fg. 

Conti,  Bern,  de'  250. 

Boltraffio  207. 

BaoDOonsigli  858. 

Credi,  Lor.  di  116. 

Filippino  146. 

Füippo,  Fra  (146). 

Franciabigio  12<v 

Genga  121. 

Lionardo(89).  197.  (212.227). 
359. 

Luini  216. 

MantagnA  (358). 

Penni  182. 

Perin  del  Vaga  183— 187.301. 

28» 


436 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Paris,  Louvre,  Handzeichuung. 

Peinizzi  171. 

Pordenone  400. 

Raffael  148. 

Sesto,  Cesare  da  212.  214. 

Sebastian  del  Piombo  55. 

Signorelli  118. 

Sodoma  (171).  201. 

Verroc  hio  113. 
Parma,  Galerie: 

Cima  364. 

Correggio  290. 
Parmeggianino,      beeinflusst 

von  Periuo  del  Vaga  190. 
Passavant   37.   47.   57.  60.  72. 
129.    161  fg.    184  fg.    297.  301. 
361.  409. 
Paul  V.,  Papst  208.  327. 
Pausola  (Marca  d'Ancona): 

Vivarini,  Ant.  361. 
Pavia,  Galerie: 

Correggio  27. 

Sesto,  Cesare  da  (213). 

—  Kirche  S.  Marino: 

Giampietrino  206. 

—  Certosa: 

Solario  223. 

Penni,  Franc.  178.  180.  188. 

Perino  del  Vaga,  Werke  der 
Frühzeit  und  künstlerische 
Entwickelung  175—188;  wird 
der  Isab.  Gonzaga  empfohlen 
188—190;  beeinflusst  den  Par- 
meggianino 190 ;  Zeichnung  für 
Fresco  in  Borghese-Gal.  298. 
301. 

Perugia,  Fresken  Raffael's  104. 

—  Dom:  Signorelli  118. 

—  Schule  von  36. 

P  e  r  u  g  i  n  o ,  Lehrer  Rafifael's  2 1 ; 
sein  Stil  100.  101 ;  „Apollo  und 
Marsyas"  im  Louvre  134." 

Peruzzi,  seine  Entwickelung 
170;  Bild  in  Borghese-Gal. 
169—172;  von  Raflfael  porträ- 
tirt  192. 

Pesellino,  sein  Stil  27.  104. 
fg.  338;  seine  künstlerische 
Entwickelung  und  Aufzählung 
der  Werke  332—337.  339. 


Pesello,  Giuliano  332  fg. 
Pest,  Galerie: 

Bellini,  Gent.  349. 

Boltraffio  207. 

Correggio  295. 

Sesto,  Cesare  da  212. 

Sodoma  27.  197.  201.  300. 
Petersburg,  Ermitage: 

Giampietrino  205. 

Lionardo  (229). 

Sesto,  Cesare  da  213. 

—  Staatsrath  DelarofF,  Samm- 
lung: 

Calisto  da  Lodi  377. 

P  h  i  1  i  p  p  IL,  porträtirt  von  Tizian 
407. 

Piacenza,  S.  Maria  d.  Cam- 
pagna : 

Pordenone  399. 

Pier  di  Cosimo,  Bilder  in 
Borghese-Gal.  87.  149;  Be- 
deutung als  Landschaftsmaler 
150  fg.;  beeinflusst  von  Lio- 
nardo 150  fg.;  Gemälde  151 — 
153;  bei  C.  Rosselli  156;  Zeich- 
nung 156. 

Pinto ricchio,  Verhältniss  zu 
Raffael  21;  in  Borghese-GaL 
87.  142—144;  Stil  100.  101; 
Hofmaler  Alexander's  VL  167 ; 
Zeichnung  in  Uffizien  303. 

Pisani,  Nie.  387. 

Pisano,  Vittore,  Bilder  und 
Zeichnungen  350. 

Pistoja,  S.  Domenico: 
Fra  Paolino  155. 

—  Spitalkirche: 

Lor.  di  Credi  155. 
Fra  Paolino  155. 

Pitti,  Luca  3. 

Pollajuolo,  Ausbildung  24  fg.; 
sein  Stil  42.  98. 

Pontormo,  sein  Stil  126. 162  fg.; 
sein  Porträt  129;  copirt  Dürer- 
Stiche  135;  Bild  in  National 
Gallery  139;  —  in  Borghese- 
Gal.  161—163;  Uebersicht  sei- 
ner Werke  163  fg. 

Pordenone,  Bilder  des  Giov. 
Ant.  da  P.  daselbst  396. 


Orts-  und  NamensTeneiohniss. 


437 


P  0  r  d  e  n  o  D  e ,  Giov.  Ant,  Charak- 
teristik und  Uebersicht  der 
Werke  395—400. 

Poussin  (Dughet),  Gaspar,  in 
Doria-Gal.  330. 

r  r  e  d  i  s ,  Ambrogio  de,  beeinflusst 
von  Lionardo  203 ;  verwechselt 
mit  Lionardo  227.  232;  Zeich- 
nung in  üffizien  226;  Charak- 
teristik und  üebersicht  der 
Werke  230—242. 

Predis,  Cristoforo  de  242. 

Predis,  Mateo  de  232. 

Puligo,  Werke  in  Rom  161. 

Puccini  48. 

Pulsky,  von  300. 

Puppini,  Biagio  287. 


Raffael,  Schüler  Perugino's  21. 
59;  —  Pintoricchio's  21.  59; 
—  des  Tim.  Viti  34.  59;  Künst- 
lerberuf 24  fg.;  mit  Sodoma 
verwechselt  27.  196  fg.  198  fg.; 
(in  S.  Onofrio,  Florenz  36); 
sein  Stil  42.  45.  47.  100  fg.; 
Bilder  in  Üffizien  40  fg.;  „Ma- 
donna del  Cardellino"  45.  47. 
61.  63;  („Madonna  del  Pozzo" 
47.  48.  60);  (sogen.  Fomarina 
48  —  51);  („Violinspieler'*  in 
Pal.  Sciarra  Colonna  49—51); 
Einfluss  auf  Sebastian  del 
Piombo  53;  sein  Porträt  53; 
mit  Seb.  del  Piombo  verwech- 
selt im  Louvre  54;  Bilder  in 
Pitti-Gal.  59  fg.;  „Madonna 
del  Granduca"  50  fg.  100; 
Portr.  Doni  61;  Altarbild  für 
Dei  61  —  63;  „Madonna  della 
Sedia"  63;  „Donna  Velata" 
64  —  71.  245;  „Leo  X.'*  69; 
«.Vision  Ezeobiers"  70;  Ein- 
diMS  Lionardo't  61;  Verhält- 
niss  zu  Fra  Bartolommeo  62  fg. ; 
Fresco  in  Perugia  104;  Ver- 
hältniss  zu  Giul.  Romano  und 
Perino  del  Vag«  178—187; 
copirt   von   Cetare   da  Sesto 


212;  Doppelporträt  in  Doria- 
Gal.  414  fg. 

Raffaellino  del  Garbo  91;  sein 
Stil  104;  in  S.  Onofrio,  Florenz 
(37);  mit  Filippino  verwech- 
selt 145;  Zeichnungen  147  fg. 

Ravenna,  S.  Croce: 
Rondinelli  347. 

Recanati,  Dominicanerkirche: 
Lotto  307.  394. 

Richter,  J.  F.  25. 193  fg.  226 fg. 
309. 

Reiset  112. 

Ricci,  Corrado  34. 

Rio  210. 

Robbia,  Lnca  della  113. 

Roberti,  Ercole  285.  287  fg. 

Rom,  Albani,  Villa: 
Giampietrino  205. 

—  Barracco,  Giov.,  Baron,  Samm- 
lung: 

Pier  di  Cosimo  151.  153. 
Rondinelli  347. 

—  Barberini,  Galerie:  Entstehung 
derselben  84.  86.  328. 

Botticelli  (107). 

Cenci,  Beatrice  (?),  Porträt 

derselben  21.  404. 
Fomarina,  Porträt  derselben 

68. 
Palma  (387). 
Peruzzi  (163). 
Pietro  della  Vecchia  387. 
Pontormo  163. 
Sodoma  (198). 
Tizian  (406). 

—  Palazzo  Barberini: 

Justut  von  Qent  388  fg. 

—  Galerie  Borghete,  Entstehung 
derselben  83  fg. 

Albani  296. 

AllxMtint-lIi  153. 

Alf 

.\i  S.  (354);  Luoia 

;io  317  fg. 
Bacchiaooa  138.  131.  137. 
BMSftoo  309.  313. 
Bellini,  Qiov.  (33  n 

347). 


438 


Orts-  und  KamensverzeichnisB. 


Rom,  Galerie  Borghese: 
Bissolo  311. 
Bonifazio  313. 
Bordone,  Paris  313. 
Botticelli  (87.  105  fg.) 
Bronzino  164. 
Brower  (3->l). 
Bugiardini  123. 
Caravaggio  297.  • 
Codde,  P.  322. 
Correggio  284.287.293—296. 
Cranach,  Lukas  320. 
Crivelli  (143). 
Domenichino  296. 
Dosso,  B.  280.  283. 
Dosso  Dossi  258.  263.  277— 

280. 
Feti,  Dom.  305. 
Filippino  (144). 
Francia,  Fr.  (Raibolini)  87. 

251  fg.  287. 
Franciabigio  122.  124  fg. 
Francken,  Fr.  320. 
Garofolo   258  fg.    263  —  265. 

268.  272.  275.  (277). 
Genga,  Girol.  (119). 
Giarapietrino  202. 
Giorgione  323  fg. 
Hals,  D.  321. 
Holbein  (320). 
Lionardo  (113.  225.  227). 
Lorenzo  di  Credi  87.  112 — 

117.  155. 
Lotto  305—309. 
Lunders,  G.  321. 
Luini  (214). 
Mazzolino  284. 
Moroni  304.  (319). 
Oggionno,  Marco  d'  208. 
Palma  vecchio   312.  314  fg. 
PerindelVagal75.(287fg.). 
Peruzzi  170. 
Peters,  W.  320. 
Pier  di  Cosimo   87.  149  fg. 

153. 
Pintoricchio  87.(142).  143  fg. 
Pontormo  161—163. 
Puligo  161. 
Raffael  (161.  165).  172—175. 

(297).  422. 


Rom,  Galerie  Borghese: 

Ridolfo  del  Ghirlandajo  (147). 
Sarto,  Andrea  del  (33.  159— 

161). 
Savoldo  319. 
Scarsellino  284.  (312). 
Sesto,  Cesare  da  (211). 
Signorelli  (117). 
Sodoma  (Bazzi)    87.  190  fg. 

193—198. 
Solario,  A.  216  fg. 
Spagua,  Giov.  (144). 
Tizian  215.  304.  310  fg.  (312). 
Tommaso  114  fg. 
Veronese,  Paolo  (305.  309  fg. 

312). 
Zelotto  309. 

—  Galerie  des  Capitols: 

Aspertini  345. 

Bellini  (267.  345  fg.). 

Bordone,  P.-(379). 

Credi,  Lor.  di  (115). 

Dosso  280. 

Ferrari,  Gaud.  (229). 

Francia  252. 

Garofolo  267.  275. 

Giorgione  (319.  394). 

Lotto  393  fg. 

Palma  386. 

Savoldo  319. 

Tizian  58.  379.  (386).  404. 

—  Chigi,    Entstehung    der  Ga- 
lerie 84. 

Bonifazio  384. 
Botticelli  106. 
Dosso  281. 
Peruzzi  170  fg. 
Sodoma  170  fg.  198. 
Tizian  406. 

—  Doria,    Galerie,   Entstehung 
derselben  83  fg.  327—330. 

Bartolo    di    Maestro  Fredi 

334. 
Basaiti  (268.  365).  368. 
Bellini,  Giov.  (33.  345). 
Boccaccino,  B.  365. 
Bonifazio  383. 
Bordone  P.  379  fg. 
Bronzino  164. 
Caracci  390. 


\ 


Orts-  und  XamensTerzeiohniss. 


439 


Kom,  Doria,  Galerie: 
Cima  (363). 
Correggio  409  fg. 
Cortona,  P.  da  330. 
Costa,  L.  (268). 
Dosso,  B.  283.  330. 
D088O  Dossi  280. 
Francia,  Fr.  252. 
Filippo,  Fra  102.  332. 
Garofolo  266.  267  fg.  275. 
Giorgione  (383). 
Holbein  (378). 
Lionardo  (206.  408). 
Liberale  357. 
Livens  405. 
Lodi  (?)  375  fg. 
Lotto  390—392. 
Idantegna  (356). 
Moroni,  G.  B.  401. 
Ortolano  (266.  275). 
Pesellino  332.  334. 
Pisanello  (334). 
Pordenone  (58.  311).  397. 
PouBsin  (Dughet),  G.  330. 
Raffael  414  fg. 
Romanino  371. 
Bondinelli   33.   345  fg.  34: 
Sarto,  A.  del  (33.  160). 
Scarsellino  330. 
Scipione  da  Gaeta  379. 


Tizian  58.  310.  (401).  403- 

405. 
Velasquez  330  fg. 

—  Farnese  Pal.: 

Caracci,  An.  20G. 

—  Famesina: 

Peruzzi  171. 
Raffael  101.  181. 
Seb.  del  Piombo  51. 
Sodotna  193.  299.  300. 

—  Haus  Gucrrini-Antinon: 

Albertinelli  154. 

—  Lateran-Galene: 

Cola  deir  Amatrice  117. 
Crivelli  361. 
Filippo,  Fra  102. 
Signorelli  117. 
Vivarini,  Ant.  360  fg. 


Rom,  Ludovisi  Casino: 
Guercino  296. 

—  Patrizi  Sammlung: 

Signorelli  117. 

—  Quirinal  (?): 

Lotto  393. 

—  Rospigliosi  Casino: 

Giampietrino  204. 
Lotto  392  fg. 
Reni,  Guido  296. 
Signorelli  117. 

—  SciarraColonua-Galerie:  Ent- 
stehung derselben  84. 

Albertinelli  154. 
Beccaruzzi  317. 
Feti  305. 
Licinio,  B.  317. 
Luini  215. 
Palma  384.  • 

„Violinspieler**  von  Se^  ^' ' 
Piombo  49—52. 

—  Spada  Pal.: 

Lotto  (394). 
Sodoma  198. 

—  -  Torlonia : 

Bellini,  Giov.  349. 
Correggio  (295). 
Filippo,  Fra  44. 

—  Yatioan,  Galerie: 

BuoiinoiisiLrlio   .'».ST 

Co! 

Cn. 

Lionardo  225.. 329. 

Maniegna  (357). 

Moretto  373. 

Sesto,  Cesare  da  SIC. 

Tixian  405. 
'■ Loggien: 

Penn  del  Vaga  179. 
Stanxen: 

Perin  del  Vaga  179. 

Raffael  181. 
Gemiober  det  Papstes: 

Pordenone  398. 
Sixtinische  Kai-  :" 

DUmante,  Fra  {■>■ 

Parugino  38. 

SigDOKlU  117. 


440 


Orts-  und  Namensverzeichniss. 


Rom,  Kirchen: 

S.    Maria    della    Pace:    Pe- 

ruzzi  170  fg. 
S.  Maria  sopra  Minerva:  Fi- 

lippino  104. 
S.  Onofrio:    Boltraffio   206; 
Peruzzi  170. 

Romanino,  Charakteristik  und 
Uebersicht  der  Werke  371 — 
373. 

Romano,  Giulio,  mit  Bagna- 
cavallo  verwechselt  im  Louvre 
27.  183;  »malt  die  Fornarina 
68.  180;  führt  Raffaelische  Bil- 
der aus  71  fg. 

Rondinelli,  Bilder  in  Doria- 
Gal.  345  fg. 

Rosselli,  Cos.  333. 

Rossi,  Luigi  Car.  69. 

Rovigo  Galerie: 

Bellini,  Giov.  343. 
Dosso  281. 
Palma  388. 

Rucciano,  Villa,  von  Brunel- 
leschi  2.  39. 

Ruland  165. 

Rumohr,  von,  Baron  49.  193. 
235.  237. 

Salaino,  Verhältniss  zu  Lio- 
nardo  202;  seine  Werke  208; 
verwechselt  mit  Solario  218. 

Salerno,  Andrea  da,  Malereien 
in  Neapel  223. 

Salviati,  Fr.,  Porträts  168. 

Santa  Croce,  Gir.  da  364. 

Santi,  Giov.,  Lehrzeit  bei  Fio- 
renzo  di  Lorenzo  328. 

Sanseverino,  Lorenzo  da  363. 

Saronno:  Luini  216. 

Sarto,  Andrea  del,  sein  Mono- 
gramm 33.  160;  Bilder  in  Pitti 
139;  Bilder  in  Borghese-Gal. 
(160). 

Scarsellino,  Bilder  in  Bor- 
ghese-Gal. 284.  (312);  Bilder 
in  Doria-Gal.  330. 

Scorel,  mit  Sodoma  verwech- 
selt 27. 

Sebastian    del    Piombo    (Lu- 


ciani),   verschiedene  Gemälde 
49—56;  364. 
Sesto,  Cesare  da,  mit  Lionardo 
verwechselt  88.  227;  sein  Auf- 
enthalt in  Florenz  149;  seine 
Landschaften  194;  Verhältniss 
zu   Lionardo    203;    Charakte- 
ristik u.  Uebersicht  der  Werke 
210—214. 
Sforza,  Gian.  Gal.  233  fg.  238. 
Siena,  Galerie: 

Anguissola,  S.  255. 

Albertinelli  157. 

Genga  120. 

Girol.  del  Pacchia  (120). 

Sodoma  191.  194.  199. 

—  Opera  del  Duomo  : 

Genga  120. 

—  Pal.  Publice:    Sodoma  199. 

—  S.  Spirito: 

Fra    Paolino   154;    Sodoma 
198. 

—  Kirchen  von  S.  Bernardino, 
S.  Domenico:  Sodoma  299. 

Signorelli,  Stil  99;  Ueber- 
sicht der  Werke  117  —  119; 
Einfluss  auf  Genga  119.  120. 

Sodoma,  verwechselt  mit  Lio- 
nardo 27;  mit  Sebastian  del 
Piombo  27.  202,  und  Scorel 
27.  202;  in  Borghese-Gal.  87. 
190  fg.  193-196.  198;  Jugend- 
werke 191,  in  Rom  192;  von 
Raffael  porträtirt  192;  Male- 
reien im  Vatican  192.  195; 
die  „Leda"  und  Studien  dafür 
193—198;  die  Merkmale  sei- 
nes Stils  197.  299;  Uebersicht 
der  Werke  198  —  199;  sein 
künstlerisches  Naturell  200. 
299;  seine  Zeichnungen  196 
—198.  201.  226.  298;  Verhält- 
niss zu  Lionardo  202 ;  Zeich- 
nungen zur  Hochzeit  Alexan- 
der's  u.  der  Roxane  298—301. 

Solario,  Andrea,  beeinflusst 
von  Lionardo  203;  Schulbild 
in  Borghese-Gal.  214.  216  fg.; 
Charakteristik  und  Uebersicht 
der  Werke  216—224. 


Orts-  and  Namensverzeichniss. 


441 


Solario,  Cristoforo  218. 
—  Pietro  219. 
Springer,  A.  60. 


Tamarozzo,  Bilder  in  Bologna 
und  Mailand  286  fg. 

Teniers  copirt  Palma  385. 

Thaussing  307. 

Tizian,  verwechselt  mit  Cor- 
reggio  in  den  Uffizien27 ;  —  mit 
Palma  49;  sein  Stil  58;  Fres- 
ken in  Padua  104;  Bilder  in 
Borghese-Gal.  304  fg.  309  — 
311;  „Herodias"  in  Doria-Gal. 
403  fg. 

Tommaso,  Schüler  des  Botti- 
celli  u.  des  Lorenz©  di  Credi 
114.  115. 

Treviso,  Werke  des  Bordone 
daselbst  382. 

—  Dom:  Pordenonc  399. 
Tura   34;    sein  Stil   98;    seine 

Bedeutung  284  fg. 
l'urin,  Galerie: 
Appiani,  N.  209. 
Bellini,  Giov.  341. 
Botticelli  HO  fg. 
Brescianino  159. 
Credi,  Lor.  di  116. 
PVanciabi^io  123  fg. 
Giampietnno  202.  204. 
Macrino  d'Alba  221. 
M         -na  360. 

o'g  Schule  33. 

SoU..iini  ».».'. 
Viti,  Tim.  (33). 

—  königl.  Bibliothek,  Uandxeich- 
nun^en : 

Lionardo  326. 
Sesto,  Cesare  da  214. 
Sodoma  201. 

—  Angrogna,  Grafin,  Sammlung: 
Bemardino  fle'  Conti  248  fp. 


ürban  VÜl.,  l'apst  h4.  327. 
Urbino:  Signorclli  138. 


Talen oia:   Bilder  Yon  Franc. 
Napoletano    and    Paolo    von 
Arezzo  203. 
Vaprio:  Sodoma  199. 
Vasari  21.34.64.70.89.  101  fg. 
111.  113.  121.  129  fg.   137  fg. 
177  fg.  210.  259.  270  fg.  349. 
382. 
Vecchia,  Pietro  della,   copirt 

Dosso  279. 
Vecchietti,  Bernardo  44. 
Velasqnez,  Doria-Gal.  330 fg.; 

Capitol.  Gal.  331. 
Venedig,  Gemäldegalerie: 
Bacohiacca  134. 
Basaiti  370. 
Bellini,  Gent.  349. 
Bellini,  Giov.  355. 
Boccaccino,  B.  366  fg. 
Bordone,  P.  381. 
Buonoonsigli  358. 
Cima  364. 

Lionardo  226.  (240). 
Luini  216. 
Moroni  (402). 
Pahna  389. 
Pordenone  396.  400. 
Predis,  A.  de  240. 
Raffael  (134). 
Sesto,  Cesare  da  214. 
Solano  224. 

—  Maseo  Correr 

Basaiti  370. 
Bellini,  Giov.  .m3.  a.i.>. 
Portr.   des   Don    F.  Avalos 
168. 

—  Dogenpalast: 

Bocoaooino,  1..  ..i.^. 

—  Qaerini    Stampalia  •  Galerie : 

Palma  389. 

—  Seminario  vesoonle-Qalerie: 

AlbertioolU  157. 
Beocafuroi  172. 
Filippino  145. 
Peruzii  (172). 

—  Kirchen:  S.  Bartolommeo  di 
Iliilto: 

^  ))astiaD  dcl  Piombo  52. 

Carmioe: 

Cima  364. 


442 


Orts-  und  Nameusverzeicbniss. 


Venedig,    Kirchen:     S.   Fran- 
cesco della  Vigna: 

Bellini,  Giov.  344. 

Vivarini,  Ant.  361. 
S.  Giacomo  dell'Orio: 

Buonconsigli  358. 
S.  Giobbe: 

Savoldo  319. 

—  —  S.  Giovanni  Grisostomo: 

Bellini,  Giov.  344. 
Sebastian  del  Piombo  52. 

—  —  S.  Giov.  Elemosinario : 

Pord^none  396. 

—  —  S.  Giuliano: 

Boccaccino,  B.  365. 

—  —  Madonna  dell'Orto: 

Bellini,  Giov.  344. 
Cima  364. 

—  —  S.  Maria  Formosa: 

Palma  389. 

—  —  S.  Maria  di  Frari: 

Basaiti  368. 
Bellini,  Giov.  344. 

—  —  S.  Pantaleone: 

Vivarini,  Ant.  361. 

—  —  S.  Pietro  in  Castello: 

Basaiti  370. 

—  —  S.  Rocco: 

Pordenone  396. 

—  —  Scalzi: 

Pietro  da  Messina  3G4. 

—  —  S.  Spirito: 

Buonconsigli  358. 

—  —  S.  Stefano: 

Boccaccino,  B.  366. 
Pordenone  399. 

—  —  S.  Zaccaria: 

Bellini,  Giov.  344. 
Vivarini,  Ant.  361. 

—  l'rivatsammlungen: 
-r-  —  Pal.  Giovanelli: 

Bacchiacca  131.  135  fg. 

Rondinelli  347. 

M.  Guggenheim: 

.     K.  Marconi  311  fg. 
Sir  H.  A.  Layard: 

Bellini,  Gent.  34. 

Buonconsigli  358. 

Giampietrino  204. 

Moretto  377. 


Venedig,  Privatsammlungen: 
Sir  H.  A.  Layard: 

Sebastian  del  Piombo  51. 364. 

—  —  Sergianotto: 

Boccaccino,  B.  366. 
Veneziano,  Domenico  20. 
Venturi,  Adolfo  35.  288. 
Verona,  Galerie: 

Basaiti  370. 

Bellini,  Giov.  27.  343. 

Bellini,  Jac.  351. 

Crivelli  362. 

Mantegna  360. 

Zelotto  309. 

—  S.  Giorgio: 

Eomanino  372. 
Moretto  372. 

—  S.  Maria  in  Organo : 

Savoldo  319. 

—  S.  Zeno: 

Mantegna  360. 
Verrocchio    334;     Bilder    in 
Florenz    108  fg.;    Verhältniss 
zu  Lorenzo  di  Credi  113.  114. 
Vicenza,  Galerie: 
Cariani  316. 
Cima  364.  368. 

—  S.  Corona: 

Bellini,  Giov.  340.  343. 

—  S.  Stefano : 

Palma  389. 

Visconti-Venosta,  Marchese 
238. 

Viti,  Timoteo,  in  Gal.  von  Tu- 
rin (33);  Lehrer  Kaffael's  34. 
59.  63;  sein  Stil  101;  Bilder 
in  Gal.  Corsini,  Florenz  327  fg. 

Vivarini,  Aut.,  Uebersicht  sei- 
ner Werke  361. 

Vlämische  Copisten  in  Ita- 
lien: nachBaffael  72.  73.  282. 
408 ;  nach  Lorenzo  di  Credi  115; 
nach  Giampietrino  206;  nach 
Solario  217;  nach  Verrocchio 
226.  357;  alsP.  Bordone  383; 
nach  Lotto  394;  nach  Holbein 
413. 

Volterra,  Dom: 
Albertinelli  158. 
Signorelli  118. 


Orts-  und  Namensyerzeichniss. 


443 


Weimar,  Schloss : 

Albertinelli  157. 

Lionardo  (1%). 

Pier  di  Cosimo  162. 

Predis,  Ambr.  de  235. 

Sodoma  196. 
Wicar  48. 
Wien,  Belvedere-Galerie : 

Albertinelli  154. 

Anguissola  255  fg. 

Bissolo  347. 

Moretto  399. 

Palma  313. 

Pietro  della  Vecchia  279. 

Sesto,  Cesare  da  212. 

Tizian  405. 
—  Albertina,  Handzeicbnüngen : 

Lionardo.  (227). 

Penni  (17G). 


Wien,    Albertina,    Handzeich- 
nuDgen: 

Penn  del  Va^  176.  183. 

Romano,  Ginlio  182. 

Sodoma    27.    1«5   fg.    201. 
299  fg. 
WindsorCastle,  Sammlangen: 

Franciabigio  126. 

Lionardo  (198). 

Perino  del  Vaga  184.  187. 

Romano,  Giulio  182. 

Sesto,  Cesare  da  213. 

Signorelli  119. 

Sodoma  lv^6.  198.  301. 
Wornnm  83. 


jZaganelli  348. 

.Zelotti  in  Borghese-Gal.  309, 


Berichtigungen: 

Seite  46,  Zeile  7  v.  u.,  statt:  auch  in  der  Publication  der  Gros- 

venor-Gallery  reproducirt  (Nr.  19),  lies: 

•     auch  von  Braun  (Nr.  19)  photographirt 

))    147,      »     7  V.  u.,  st.:   Das    Auge    desselben,    1.:    Das  Auge 

der  Falten 
»    334,      »     6  V.  o.,  st.:  Maximilian,  1.:  Maximinian 
»    36G,    Anmerkung  füge  hinzu:   Die  hier  angeführten  Bilder 
des  Boccaccio  Boccaccino   hängen  jetzt  nach  dem 
neuen    wenig   befriedigenden    Katalog   im    Saal  V 
unter  Nr.  7   und   in  der  Sala  Paladiana  VI  unter 
Nr.  36  und  149. 
»    369,  Zeile  10  v.  o.,  st.:  In  der  Üffizien-Galerie  nahm  man 
ja  den  Basa'iti  .  .  .  für  Giambellino,    1.: 
In  der  Üffizien-Galerie  wurde  Giambel- 
lino .  .  .  für  Basaiti  genommen 
»    370,        »       7  V.  u.,  St.:  1515,  1.:  1517 
»    376,        »       5  V.  0.,  St.:  Bagnocavallo,  1.:  Bagnacavallo 


Druck  von  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig. 


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N  Morelli,  Giovanni 

2820  Kunstkritische  Studien 

K6  über  italienische  Malerei 


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