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KINSTKRITISCHE STUDIEN
ÜBER
ITALIENISCHE MALEREI.
KUNSTKRITISCHE STIDIEN
ÜBER
ITALIENISCHE MALEREI.
DIE GALEKliiN
BOR(;ilESE UND DORM PWl-IIJ
IN ROM.
VON
IVAN LERMOLIEFF.
MIT62ABR"
LEIPZIG :
BROCKHAUS.
1890.
MICROFILMEO BY
WlVEfls/rv OF TORONTO
LIBRARY
MASTER NEGATIVE NO •
■'^Sa.us.
Ö^H ^M. >^^ ^V. ^^^ ^V' ^H r-^
f - \ '*4, *. *>/. •■ '"'4, •- y,-'^'
VORWORT.
V erliegendes Buch beschäftigt sich wesentlich mit
zwei römischen Galerien sowie mit Gemälden, die sich
in Italien befinden, und darf somit als ein für sich be-
stehendes, selbständiges Werk betrachtet werden. In-
dessen hoffe ich in der Lage zu sein, demselben in
nicht gar zu langen Zwischenräumen zwei weitere
Bände folgen zu lassen, welche den Galerien zu Mün-
chen, Dresden und Berlin gewidmet sein und trotz
ihres ebenfalls selbständigen Charakters mit vorliegen-
dem Werke zusammen meine „Kunstkritischen Studien
i'iber italienische Malerei", theils ergänzt, tlnils «/anz
umgearbeitet enthalten werden.
Die Aufsätze über die Bildersammlung des Fürsten
Borghese in Kom, welche ich nun vereint, bedeutend
erweitert und , soweit es in meinen Kräften lag,
auch verbessert wieder der Oeffentlichkeit übergebe,
erschienen zuerst vereinzelt in den Jahren 1874, 1875
und 187H in der von Lützow'schen „Zeitschrift für
bildende Kunst". Hat man mir damals die Wahr-
heit gesajQ^, so sollen diesolbon in den Kreisen jüngerer
und dabei unbefangener Kunstbeflissenen eine weit
VI Vorwort.
freundlichere Aufnahme gefunden haben, als ich bei
der Trockenheit der darin behandelten Materie er-
warten durfte. Ueber das Urtheil der meisten ältei-n
Fachgelehrten konnte ich natürlich keinen Augenblick
im Zweifel sein. Ich konnte es hier voraussehen, dass
meine Ansichten und Vorschläge von diesen entweder
ganz ignorirt oder doch mit mistrauischem Lächeln
würden abgewiesen werden, wenn sie nicht gar, was ja
auch vorgekommen ist, als eigene Waare ausgegeben
wurden. Meine einzige Hoffnung bei der Veröffent-
lichung jener Aufsätze war daher auf die Schar des
Jüngern Nachwuchses unter den russischen, deutschen
und englischen Kunstjüngern, sowie auch auf jene
wenigen Kunstfreunde gerichtet, die, gleich mir, nach
Italien kommen, in der Absicht sich für die Kunst-
wissenschaft vorzubereiten, und die den Wunsch hegen,
in einer Bildergalerie frei und selbständig sich bewegen
zu lernen, anstatt, wie das Gebrauch ist, sich von An-
dern am Gängelbande herumführen zu lassen. Es wäre
mir jedoch gewiss nie in den Sinn gekommen, jene
verfrühten Auslassungen über italienische Kunstwerke
aufs neue zu publiciren, hätten nicht wohlgesinnte Leser
meines ein paar Jahre später erschienenen „Kritischen
Versuchs" über „Die Werke italienischer Meister in den
Galerien von München, Dresden und Berlin" mehrfach
mir den Wunsch geäussert, wie dieses letztere, seit Jahren
schon vergriffene Büchlein so auch jene Aufsätze über
die Galerie Borghese aufs neue erscheinen zu lassen;
dieser Aufforderung habe ich mit um so grösserer Be-
reitwilligkeit Folge geleistet, als ich mir bewusst bin,
in der Zwischenzeit etwas gelernt und somit einen
Schritt vorwärts in der Kunstkenntniss gethan zu haben,
was mich in den Stand setzte, auch gar manchen frühern
Irrthum zu tilgen.
Vorwort. vu
Den ganz umgearbeiteten Aufsätzen über die Bor-
ghese-Saminlung lüge ich bei dieser Gelegenheit auch
«ine Besprechung über etliche Bilder in der Doria-
Panfili- Galerie bei, sowie auch iiber Kunstwerke in
andern römischen und italienischen Gemäldesammlungen,
sodass diese Abhandlungen wol als neu betrachtet
werden dürfen. Ausserdem hielt ich es für nicht un-
passend, in einer „Einleitung" meinen Jüngern Kunst-
genossen -zu erzählen , auf welche sonderbare Weise das
Geschick mich zum Kunstkritiker hat werden lassen.
Für diejenigen, welche in der Kunstgeschichte schon
wohlbewandert sind, ist dieselbe nicht bestimmt; sie
mögen sie getrost i'iberschlagen.
Ich muss auch hier wiederholen, dass ich weit entfernt
bin, meine Ansichten und Urtheile für massgebend halten
zu wollen; ich gebe im Gegentheil schon im voraus
gern zu, dass auch in dieser zweiten, verbesserten Auf-
lage noch gar mancher Fehler sich eingeschlichen haben
wird. Bei dem grossen Wirrwar, der noch immer in
der Bestimmung italienischer Kunstwerke besteht und
der in neuester Zeit eher zu- als abzunehmen droht,
wird es, glaube ich, auch mir nicht verwehrt sein,
eine eigene Anschauung und Meinung zu haben und
dieselbe der geringen Schar meiner Leser und Gönner
zur Prüfiuig zu unterbreiten. Damit jedoch die Ver-
antwortlichkeit der neuen, von mir vorgeschlagenen Bil-
derbestimmungen allein auf mich falle, sollen dieselben
jedesmal mit einem Kreuze (f) angemerkt werden. Auf
diese Weise Weiss der Leser, mit wem er es zu thun
hat und, erweist sich mit der Zeit die Taufe als un-
richtig, so soll der Vorwurf mir allein und keinem
andern zur Last gelegt werden; erweist sich aber die-
selbe als richtig und sti<*hhaltig, nun dann soll auch
mir allein, d. h. d mir anempfohlenen Experi-
VIII Vorwort.
mentalmethode, das Verdienst zufallen. Es ist wahr,
einige meiner Widersacher in Italien werfen mir vor,
dass diese Experimentalmethode gar nicht neu sei,
sondern bereits vom Pater Lanzi und von den Brüdern
de Goncourt in Paris anempfohlen worden wäre.
Ich will dies durchaus nicht in Abrede stellen, ist
ja unter der alten Sonne alles schon einmal dagewesen,
und so könnte es sich mit der Zeit auch herausstellen,,
dass irgendein chinesischer Kunsthistoriker schon vor
drei- oder viertausend Jahren diese Experimentalmethode
in Anwendung gebracht hätte. Nur, meine ich, kommt
es bei Anwendung irgendeiner Methode immer auf das
Wie an. Daher erlaube ich mir an jene Herren folgende
Frage zu richten: wie kommt es, dass die nicht ge-
ringe Zahl von Umtaufen italienischer Bilder, wie ich
sie in den verschiedenen Kunstsammlungen Europaa
vorschlug und wie sie zum grossen Theil nach meinem
W^unsch auch von den dafür verantwortlichen Direc-
tionen angenommen worden sind, — wie kommt es, frage
ich, dass diese Umtaufen nicht schon längst vom Pater
Lanzi, von den Brüdern de Goncourt und wie die
Herren alle heissen mögen, vorgeschlagen wurden? Und
wäre dieser letztere mir in Italien gemachte Vorwurf
wirklich begründet, warum haben denn wieder andere
meiner Gegner, besonders die in Deutschland, die von
mir anempfohlene Methode zur sicherern Bestimmung
der Meister dadurch lächerlich zu machen gesucht, dass
sie mich darzustellen belieben als einen, welcher blind
sei für den geistigen Gehalt eines Kunstwerkes und
darum auf äussere Hülfsmittel, wie die Formen der
Hand, des Ohres, ja sogar, horribile dictu^ der garstigen
Nägel, ein besonderes Gewicht lege?
Wie man nun in rein physischer Beziehung zwischen
einem weitsichtigen und einem kurzsichtigen Auge unter-
•Vorwort. ix
scheidet, so befiuden sich auch in der grossen Zahl der
Freunde alter Kunst solche, welche Augen zum Sehen
haben, und andererseits solche, denen auch das schärfste
Vergrossenuigjiglas nicht den mindesten Dienst leistet;
ich meine deshalb nicht, weil es eben auch zwei Arten
desSehens gibt: die eine ist die Sache des äussern,
die andere die des innern Auges. Die erste Art, die
Dinge dieser Welt anzusehen, gehört jener grossen
Menge an, auf deren grenzenlose Glaubensfähigkeit
die meisten Kunstschriftsteller auch stets gerechnet
haben; die andere ist das Privilegium einer winzig
kleinen Zahl einsichtsvoller und unabhängiger Kunst-
freunde und Kunstler. Kur diesen durch natörliche
Anlugon und dun-li langes, freudiges Studium Bevor-
zugten ist es vorbehalten, im menschlichen Antlitz, in
der Form und Bewegung der Hand, in der Stellung
des Korpers, kurz in der menschlichen Gestalt geistige
Beziehungen wahrzunehmen, die den andern entweder
ganz und gar entgehen oder aber, was dasselbe ist,
ganz bedeutungslos erscheinen. Mit einem Wort: die
äussere Form in den Werken der Kunst richtig auf-
zufassen, auf deren Erkenntniss ich ein besonderes Ge-
wicht lege, ist nicht jedermanns Sache; diese äussere
Form der Menschengestalt ist nicht zufällig, wie viele
meinen, sondern sie hängt von geistigen Ursachen ab,
wogegen die sogenannten Schnörkel .,<ri(lf'ntf'11 nn«!
Sache der Angewohnung sind.
Während nun die Grundform sowol der Hand
als des Ohres bei allen selbständigen Meistern charak-
teristihch inid daher bei der Bestinnuung ihrer Werke
massgebend ist, dürften die sogenannten Schnörkel
höchstens dazu dienen, die Wn' i charakterlosen
Künstlern leichter zu erkennen.
l nter der Zahl meiner Widersacher, welche gegen
X Vorwort.
die von mir aufgestellten Principien sowie gegen meine
Bilderbestimmungen öffentlich aufgetreten sind, bean-
sprucht ohne Zweifel Herr Director Wilhelm Bode in
Berlin der hohen Stellung halber, die er als Director an
den königlich preussischen Museen einnimmt, wie auch
seiner rastlosen Thätigkeit wegen, die meiste Beachtung.
Auch geniesst derselbe in Deutschland und Paris ein
hohes Ansehen. Geheime Gegner und, wie Herr
Director Bode selbst sagt, viel unbarmherzigere als er^
mag ich vielleicht gar manchen andern haben; ich hoffe
es wenigstens. Denn Schriften kunstkritischen Inhalts,,
die nicht leidenschaftlichen Widerspruch hervorrufen,
können, wie die Dinge einmal liegen, in meinen Augen
einen nur höchst geringen Werth haben. Ausser aus den
sachlichen Grianden, die Herrn Dr. W. Bode veranlassten,
gegen mich zu polemisiren, scheint der berliner Kunst-
gelehrte mich auch deshalb ganz besonders aufs Korn
genommen zu haben, weil ich den Muth hatte, gegen
seine verehrten Lehrer und Gewährsmänner, die Herren
Crowe und Cavalcaselle, aufzutreten und die Schriften
dieser Herren für verderblich zu erklären. Dieser ritter-
liche Zug macht wol seinem Herzen alle Ehre.
Vor allem beschuldigt er mich, als alten Mediciner,
blos Empiriker zu sein; er wirft mir vor, indem er
meine eigenen Studien auf Schritt und Tritt verfolgt^
weder den Lionardo da Vinci noch die mailänder Schule
in ihren Hauptvertretern: Sodoma, Beltraffio, Giampie-
trino, Solario, A. de Predis und Bernardino de' Conti
zu kennen; weder den Timoteo Viti und Raffael in der
umbrischen, noch die Pollajuoli, den Verrocchio und
den Kaffaellino del Garbo in der florentinischen; weder
den Jacopo de' Barbarj, noch den Mantegna in der vene-
tianischen Schule verstanden zu haben, — mit einem
Wort, er stellt mich seinem Leserkreis als einen ganz
Vorwort xi
unberufenen Eindringling in die italienische Kunstge-
schichte dar, dessen oberflächliche Lehren noth wendig
^zuin verderblichsten Dilettantismus führen müssten".
Und von si'inem Standpunkt aus hat wol Herr Director
Bode auch vollkommen recht; denn ist meine Auffassung
und Anschauung die richtige^ so ist die seinige grund-
falsch., und umgekehrt^ da wir beide leider in allem die
erklärtesten Antipoden sind. Was dem einen von uns
schwarz erscheint, ist dem andern weiss, und was für
Herrn Director Bode Meisterwerke sind, erscheint
meinen Augen meist als mittelmässige Schularbeit. Und
weder aus seinem, noch aus meinem Munde spricht
Parteileidenschaft; sowol ihm wie mir ist es dabei
lediglich um die Wahrheit zu thun, und seine
Augen wie die meinen sehen die Dinge wirklich so,
wie wir beide sie beurtheilen und beschreiben. Es ist
dies, in der That, ein wunderbares psychologisches Phä-
nomen, dessen Erklärung, wie ich meine, einerseits in
der Einwirkung der Medien, d. h. des Bodens, der Luft,
der Wärme, andererseits auch in der Verschiedenheit
unserer beiderseitigen Erziehung — ich Mediciner, er
Jurist — gesucht werden umss. Wäre nun der Aus-
spruch des grossten Geographen unserer Zeiten, Karl
Kitter, als absolute Wahrheit anzunehmen, dnss nämlich
im Norden Deutschlands der voUkonuncnste Mensch er-
zeugt wird, so konnte ninn daraus schliessen, dass mein
Gegner in Berlin allein schon seiner Geburt halber einen
grossen Vorsprung vor mir hatte. Da jedoch, wie ich
glaube, die Beliauptung des eminenten norddeutschen
Geographen nicht als absolut zu nehmen ist, sondern
sich blos auf die Allgemeinheit und nicht aufs Individuum
beziehen dürfte, so ist auch gegen ein solches Axiom
nicht.s einzuwenden. Every one ha« hi« Jnncy,
Es sei mir hier verstattet, jenem Axiom ein anderes
xn Vorwort.
an die Seite zu stellen, das in diesem Zusammenhang
keinen geringern Anspruch auf Geltung haben dürfte,
dass nämlich auf dieser Welt jeder sich selbst für den
Klügsten hält. Diesem Axiom zufolge ist fast mit Ge-
wissheit vorauszusehen, dass diese schroffen Gegensätze
in der Beurtheilung derselben Dinge zwischen dem
nordischen Kunstgelehrten und mir schliesslich eine
babylonische Verwirrung in der italienischen Kunst-
wissenschaft hervorbringen würden, wenn es uns, und
nicht vielmehr andern unparteiischen, sachverständigen
und dazu berufenen Leuten zustände, in den Streitfrauen
der Wissenschaft das letzte Wort zu sagen. Möge daher
mein Gegner in Berlin meinem Beispiele folgen und
die Entscheidung über Recht und Unrecht in den
schwebenden Fragen dem Urtheile einsichtiger Schieds-
richter anheimstellen. Wir können dann beide, Herr
Director Bode und ich, uns der Hoffnung überlassen,
dass, wie auch immer der Ausgang sein möge, er schliess-
lich doch jener Kunstwissenschaft, die uns ja vor allem
am Herzen liegt, zum Heile gereichen dürfte.
Aus diesem Grunde habe ich bei den fol^renden
kritischen Untersuchungen jedesmal neben der eigenen
Ansicht auch die meines verehrlichen Gegners ange-
führt, wie dieselbe in der von ihm besorgten fünften
Auflage von Jakob Burckhardt's „6^cero?^e" sich aus-
gesprochen findet.
Doch sei erwähnt, dass bei der Anführung der
Werke der Herren Crowe und Cavalcaselle stets die
englische Originalausgabe gemeint ist: ,^A new Ilistory
of Paintmg in Italif-'' (3 Bände, London 1866); mit der
Fortsetzung: „J. Ilistory of Painting in North Italy'-^
(2 Bände, London 1871).-
Ferner: dass bei der Berufung auf das Raffael-Werk
von Passavant die französische Ausgabe verstanden ist:
Vorwort. \iii
^^Raphael cTUrbtnet son p^re G.Santi par J.D. l\n>6avant.
Edition fran^aue^ refaitty cot^gh et amsidirablenient aug-
vientee par Vavteur et rerue et armotie par M, Paul
Lncroijc"- (2 Bande, Paris 1860).
Die Citate nach Vasari beziehen sich auf die floren-
tiner Ausgabe von Le Monnier (in 13 Bänden, 1846).
Es enibrigt mir noch über die von mir getroftene
Auswahl der diesem Büchlein beigefügten Abbildungen
ein Wort zu sagen. Manchem meiner Leser wird viel-
leicht die Anz4ihl derselben zu gering, andern dagegen
zu groiis erscheinen. Es war allerdings für mich eine
nicht leichte Aufgabe, auch in dieser Beziehung die
richtigen Grenzen zu wahren, welche einem Buche dieser
Art gesetzt sein dürften. Bei der Auswahl solcher
Illustrationen konnte ich, wie sich von selbst versteht,
nur von dorn Gedanken geleitet sein, dem I^ser das
Verständniss des Textes, soviel als dies eben möglich
ist, dadurch zu erleichtern. Ich habe, mich jedoch nur
an das gehalten, was mir als das allernothwendigste er-
schien, in der Voraussetzung, dass diejenigen, welche
die Lust in sich fühlen, mit dem Studium der Fonnen
sich ernstlicher zu befassen, nothwendigerweise diese
an den Originalwerken selbst beobachten und studiren
werden, und zu diesem Zwecke glaube ich ihnen eine
genügende Anzahl von Bildern vorgeführt zu haben.
Schliesslich sei mir noch vergönnt, ein Wort des
wärmsten Dankes sowol an Herrn Dr. J. P. Richter,
wie auch an meinen Herrn Verleger zu richten. Herr
Dr. Richter hatte nicht nur die Güte, auch dieses mal
mein Manusrript durchzusehen und mich auf manchen
M:in^«'l darin aufmerksam zu machen, sondern wollte
ülMnlie?» no. ' ' Merstellung < ii (Tihrlichen Orts-
und Nanieii hnisses über i. Dasselbe ist
auch mit solchem Verständnis« ausgeftihrt, dass es
XIV Vorwort.
wie mir scheint, nichts zu wünschen übrig lässt. An-
dererseits hat mein Herr Verleger weder Kosten noch
Mühen erspart, um meine Wünsche zu befriedigen, und
seiner Sachkenntniss verdanke ich es auch, dass die
Keproduction der Abbildungen so überaus befriedigend
ausgefallen ist.
GoRLAW, im October 1889.
IVAN LERMOLIEFF.
INHALT.
Seit«
Vorwort
V
Princip and Methode
1
I. Die Galerie Bor^heie.
L 1 ti 1 «.- i i, U 11 g . .
81
Die Tosoaner .
105
Alessandro Botticelli .
105
LorcMo di Credi . .
112
I u;i Signorelli .
117
(jirolamo Genga . .
HD
Gioliano Bugiardini
123
Franciabigio.
. 124
Baochiacca .
. 128
Pintoricchio
142
Filippo Lippi) genannt Filippin-
146
Raffaellino del Garbo
147
Pier di Cosimo . . .
141»
Mariotto Albertinelli .
153
Andrea del Sarto . .
159
Jacopo da Pontormo
161
Baldasaare Peruzzi .
169
Raffael Sanzio . .
172
Perino del Vaga .
175
Giovan Antonio Baz/.i, ii .^o :
190
Giampictrino oder Giampedi
J02
Boltraffio ....
•_*(m;
Marco d*Oggionno
L'OS
Nicola Appian
209
CeMure da Sesto
210
Bcmardino 'Luini
2U
Andrea Solario .
216
Lionardo da Vinci
225
XVI Inhalt.
Seite
Lombardiscbe Meister 230
Ambrogio de Predis 230
Bernardino de' Conti 243
Francesco Francia 251
Sofonisba Anguissola 254
Die Ferraresen 258
Benvenuto Garofolo 258
Dosso Dossi 276
Correggio 288
Die Venetianer 304
Nordische Meister 320
II. Die Galerie Doria - Panfili.
Justus von Gent 328
Diego Velasquez 330
Francesco Pesellino 332
Die Venetianer 339
Giovanni Bellini 339
Niccolo Rondinelli 345
Andrea Mantegna 356
Antonio Vivarini 3G0
Carlo Crivelli 361
Cima da Conegliano 363
Boccaccio Boccaccino 365
Marco Basaiti 368
Girolamo Romanino 371
] Alessandro Moretto 373
Calisto da Lodi 376
Paris Bordone 379
Bonifazio Veronese 383
Palma vecchio 384
Lorenzo Lotto 390
Giovan Antonio da Pordenone 395
Giovan Battista Moroni 400
Tizian 402
Lionardo da Vinci 408
Correggio 409
Eaffael 414
Orts- und Namens verzeichniss 424
ABBILDUNGEN DU TEXT.
S«ite
Faun des S. Sebastiane del Piorabo 52
Johannes der Täufer in der Louvre-Galerie 54
Zwei Figuren Michelangelo's an der Decke der Sixtini-
schen Kapelle 55
Ohr bei Sebastiano del Piombo . 55
Tizian's Daumenballen 58
Hände (Fra Filippo Lippi. Filippino. Antonio Polla-
juolo. Bemardino dei Conti. Giovanni Bellini. Cosimo
Tura. Bramantino. Botticelli) 98
Ohren (Fra Filippo. Filippino. Signorelli. Bramantino.
Mantegna. Giambellino. Bonifazio. Botticelli 99
Ohr und Hände bei Botticelli 105
Ohr bei L. di Credi 114
Ohr bei Tommaao 115
Ohr bei Signorelli 118
Die Hände auf dem rorirut des Losimo Medici von Poutoi mo 162
Ohr bei Antonello. Ohr bei Giambellino 318
Der heilige Antonius der Wunderthäter (Akademie zu Florenz) 336
Runde Falten bei Pesellino . 339
SEPARATBILDER.
Die sogenannte Fomarina in der Tribuna der Uffizien-
Galerie 49
Die „Donna velata" im Pitti-Palaat 64
La Fomarina in der Galerie Barberini in Rom 68
La Vierg« au sein 133
Adam und Eva in der Sammlung Frizzoni in Muiluud . . 134
Carton von P. Perugino zum Bilde Apollo und Marsya«,
in Venedig 134
Ih*- Maddalena Str»??! ul« liriliae Kntlinrinn in Aor X\nV'
gheie-Galcrie 148
Federzeichnung von iiufiuci /u eitier Kreu/niMiniimo, ini iie-
»it/.c des Herrn £. Habich in Caatel 178
XVIII Separatbilder.
Seite
Die Anbetung des Kindes, von Perino del Vaga, Zeichnung
in der Albertina in Wien 17G
Federskizze Raffael's zu den Fresken in der Farnesina, in
der Sammlung von Köln 181
Triumph des Silen von Perino del Vaga, in der Albertina 183
Studienblatt Perino's nach Entwürfen Raffael's zur Disputa,
in Windsor-Castle 183
Der Untergang Pharao's, Zeichnung von Perino, im Louvre 184
Joseph seinen Brüdern den Traum deutend. Zeichnung des
Perino nach einer Skizze Raffael's zum Gemäldecyclus
in den Loggien im Vatican 185
Ledabild des Sodoma in der Borghese-Galerie 193
Federzeichnung des Sodoma, in Weimar 196
Federzeichnung des Sodoma zu einem Ledabild, in der
Sammlung in Chats worth 196
Sodoma's Entwurf zum Ledabild der Borghese-Galerie in
Rom, in Windsor-Castle 197
Federzeichnung des Sodoma zum Kopfputze der Leda, in
Windsor-Castle 198
Federskizze zur Hochzeit Alexander's mit der Roxane, in
der Uffizien - Galerie 201
„La Colombina" in der kaiserl. Ermitage in St.-Petersburg 205
Studien des Cesare da Sesto zum Christkinde, Röthelzeich-
nuug, in Windsor-Castle 213
Marter des Heiligen Sebastianus, Rötheizeichnung des Ce-
sare da Sesto, in Windsor-Castle 213
Porträt des Kaisers Maximilian von A. de Predis, in der
Ambraser-Sammlung zu Wien 230
Profilporträt einer unbekannten Dame aus dem Hause Sforza,
von A. de Predis, in der Ambrosiana zu Mailand , . 238
Profilporträt des Lodovico Sforza im „Libro del Jesus" in
der Bibliothek des Fürsten Trivulzio in Mailand. . . 239
Zeichnung von A. de Predis zu den Porträts des Kaisers
Maximilian und seiner Gattin, in der Akademie zu
Venedig 240
Madonna von Bernardino de' Conti, in St.-Petersburg. . , 249
Profilporträt des jungen Massimiliano Sforza, Silberstift-
zeiclmung, in der Ambrosiana 250
Madonnenbild aus der Frühzeit des Carlo Crivelli, in der
städtischen Galerie von Verona 362
PRINCIP UlSD METHODE.
Daus les choses du tnonde presque toute
queation n'est qu'une question de möthode.
La Bruyere,
If^;*!!! älterer Mann in Florenz, dti . ^niui aus&eiii
I Erscheinung nach zu schliessen, dem gebildetem
^ ''^Stande der Italiener angehörte und den ich meh-
■x-^r-' rere male Gelegenheit gehabt hatte, in den Sälen
der dortigen Galerien, allein oder auch von Jüngern
Freunden begleitet, mit ungewöhnlichem Interesse die
Bilder sich betrachten und besprechen zu sehen, stieg
eines Nachmittags neben mir die Treppen des Pitti-
Palastes hinab.
Entzückt, wie ich an jenem Tage war, nicht nur
über eine Landschaft von Rubens, die ich zuletzt mir
ani,'<'!?(.'licn hatte, sondern auch über die schönen gross-
artigen liäume, in denen alle jene Prachtbilder dort auf-
gestellt sind, sowie über die herrlichen Pinien, Cypi'essen
und Eiclien im Garten des Palastes, koinite ich nicht
umhin, als wir zur Thüre in die freie Luft hinaustraten,
dem unbekannten Herrn an meiner Seite meine Be-
wunderung über den grossartigen Bau des Brunelleschi
auszu(h'ücken. „Ich hätte nie geglaubt", sagte ich zu
ihm, „dass solche Gewnltbauten in einer KepubUk
entstehen könnti'u!" — „Warum denn nicht, mein Ilerr?*^
erwiderte er mir läcliehid. „(Hauben Sie denn etwa,
l.KRxoLtxrr. \
• ) Princip und Methode.
dass die Kunst von der Staatsform abhängig sei und
dass es somit eine republikanische und eine monarchische
Kunst gebe oder je gegeben habe? Ich dächte doch,
dass sowol die Kunst als die Religion in Ivepubliken
ebenso wie unter Despoten gedeihen, vorausgesetzt dass
der Boden und die äussern Bedingungen ihnen gimstig
sind." „Da ich sehe", fuhr er fort, „dass Sie unsern
o-rossen Baumeistei- zu schätzen wissen, so lade ich Sie
ein, folls Sie nichts Besseres vorhaben, mit mii- die nahe
o-elegene Villa Rucciano zu besuchen, ein Landhaus, das
Brunelleschi ebenfalls für seinen reichen Mitbürger
Luca Pitti erbaute." „Der heutige Abend", fügte er hin-
zu, „ist so hell, die Luft so lau, dass Sie die kleine An-
strengung des Weges gewiss nicht gereuen soll."
Ich dankte dem gefälligen Mann für sein freund-
liches Anerbieten und sagte ihm, dass ich als Russe,
der zum ersten mal nach Italien komme, nie etwas von
dieser Villa gehört hätte, und dass dieselbe auch nicht
in meinem Führer angegeben wäre.
„Die Führer", bemerkte er nicht ohne einen leichten
ironischen Ton, „schreiben eben für das grosse Reise-
publikum, und dieses ist zufrieden, wenn man es nicht
gar zu sehr mit Sehenswürdigkeiten abplagt und er-
müdet. Heutzutage betrachtet man ja das Reisen nicht
sowol als ein Vergnügen, sondern vielmehr noch als
eine leidige Forderung der sogenannten allgemeinen
Bilduno-. Man reist eben, um anzukommen, und ist
man da, so trachtet man so schnell als nur möglich
mit den unumgänglich nöthigen Sehenswürdigkeiten
fertio- zu werden, um sodann mit erneuter Resignation
am nächsten Orte ein Gleiches zu thun. Das heutige
Leben lässt den Menschen kaum zu sich selbst kommen.
Die Begebenheiten des Tages ziehen in aller Hast, eine
nach der andern, vor unserm Auge vorüber, ungefähr
so als stünden wir vor einer Laterna magica, ein Ein-
druck verwischt den andern, und in diesem endlosen
Kanstkexmer and Kunsthistoriker. 3
Wirbel und Wechsel ist keine Hube und obne Ruhe
kein Kunstgenuss möglieb.'-
„Leider", sagte icb, „ist alles dies nur zu wabr. Aucb
icb bin von Müncben über Verona und Bologna nacb
Florenz gefahren, obne mir jene gewiss interessanten
Städte aucb nur oberfläcblicb angeseben zu baben. Zu
meiner Entscbuldigung muss icb jedocb hinzufügen,
dass icb durch die vielen Bücher über Kunst und Aestbe-
tik, die icb in Deutschland und in Paris gelesen, die
Kunst und alles was damit zusammenhängt so herzlich
siitt bekam, dass icb mir vorgenommen hatte, in Ita-
lien gar keine Bildersammlung und Kirche mehr zu
besuchen — ein Vorhaben, das ich jedoch hier in Flo-
renz gar bald vergessen musste.''
„Sie waren also früher ein Verehrer der alten Kunst
und sind in Deutschland und in Paris, wie Sie sagen,
ein Feind derselben geworden?''
„Ich darf meine Abneigiuig nicht Feindschaft nennen,
wol aber Ueberdruss/' — „Und dieser", versetzte mein
Begleiter, „war wol veranlasst durch das zu viele Lesen,
Die Kunst will eben gesehen sein, sollen wir uns Ge-
nuss und wahre Belehrung von ihr versprechen."
„In Deutschland, mein lieber Herr", sagte ich, „ver-
steht man das anders. Dort will jedermann blos lesen
und die Kunst nirbt g<»inalt oder gemeisselt, sondern
schwarz auf weiss gedruckt vor sich sehen."
„Leider", sagte der Italiener, „leben wir in einer
Zeit, wo das Schreiben und Drucken in Euroj)a epi-
di'Uiisch ist, gleich als ob ein jeder sich verpflichtet
fühlte, die eigene Unwissenheit seinen Mitmenschen,
kund zu thun." — „Ja wold", l)emerkte icb, ,.die alber-
nen I^'ute verlieren ihre Augen und ihre beste Zeit
mit Ivesen und Schreiben, und zu leben wissen nur
wenige!" — „In Deutschland", meinte mein Begleiter,
„mag schon das unwirthliclie, raulie Klima an diesem
psychologischen Phänomen grosse Schuld tragen. Die
1*
4 Princip und Methode.
kalten, langen Winternäclite und die vielen Nebeltage
laden den Menschen zum Lesen und zum Schreiben ein,
und wie das Meer grosse Schiflahrer und Handelsleute
erzeugt, so bringt die geographische Lage Deutschlands
ein Volk von Denkern, von Schreibern und somit auch
von Lesern hervor. Auch ich war mehrere Jahre in
den deutschen Landen in meiner Jugend, und das ist
leider schon sehr lange her; ich liebe die deutsche Na-
tion gar sehr, es sind in der Mehrzahl höchst anstän-
dige, zuverlässige und sehr gelehrte Leute, und kein
Volk auf Erden studirt mit grösserm Eifer unsere
Künstler aus der guten Zeit, als die Deutschen. Nur
haben sie, wie ich glaube, die Schwäche, über das An-
geschaute gar zu viel zu schreiben und leider auch
drucken zu lassen, und dies zwar, ehe die Frucht ihrer
Studien zur vollen Reife gelangt ist, uneingedenk des
weisen Käthes, den Horatius dem Piso ans Herz legte:
« nonumque prematur in mmum », ein Rath, der, wie mir
scheint, noch viel mehr von den Kunstschriftstellern
als von den Dichtern beherzigt zu werden verdiente.
Denn eine schlechte Dichtung ist wie eine hohle Nuss,
die man wegwirft — sie bringt keinen Schaden; wogegen
die fVdsche Anschauung imd Beurtheilung eines Kunst-
werks, wenn einmal gedruckt, unendlichen Schaden
schon dadurch hervorbringen kann, dass sie von der un-
wissenden Menge w^iederholt, von dem Urheber dersel-
ben jedoch, schon aus Eitelkeit, nicht widerrufen wird."
„Sie haben vollkommen recht", sagte ich. „Auch
mir kamen diese leichtsinnigen Kunstschreiber stets als
die eitelsten Leute von der Welt vor."
„Scharenweise", fuhr der Welsche fort, „ziehen in
unsern Tagen diese jungen, lernbegierigen Menschen
über die Alpen zu uns herab, und da sehen wir sie
bei schönem Wetter schon am frühen Morgen, vom
Wissensdurst getrieben, mit ihrem rothen oder braunen
Führer unter dem Arm die Kirchen und Kunstsamm-
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 5
hingen mit unverwüstlichem Eifer durchmustern. Es
ist eine walire Freude, ihnen zuzuschauen! Und dar-
unter ti-iät man doch zuweilen auch sehr gut geschulte
Kenner an, die die Werke unserer alten Meister viel
besser zu würdigen wissen, als — ich muss es zu im-
serer grossen Schande bekennen — die meisten von
uns, die wir doch im I^ande selbst wohnen und es da-
h«*r so bequem hätten, dieselben mit Müsse zu studiren."
„Ach. um Gottes willen^*, rief ich aus, „sprechen Sie
mir nur nicht von Kunstkennern. Ich habe über die-
selben in Deutschland so viele Streitschriften gelesen,
dass mir davon die Ohren noch immerfort gellen." „Sie
müssen nämlich wissen'', bemerkte ich noch dem über
meinen Schreckensschrei erstaunten Mann, ,,dass die
Kathederprofessoren, die da Bücher über Kunstgeschichte
zu schreiben pflegen, gegen die Kunstkenner grimmig
erbost sind, und dass die Maler ihrerseits über beide
zugleich schimpfen und sich lustig machen, über die
Kunsthistoriker sowol als über die Kunstkenner; ja,
einige Spassvogel haben sogar die Behauptung aufge-
stellt, der Kunstkenner unterscheide sich vom Kunst-
historiker dadurch, dass er von der alten Kunst etwas
weniges verstehe, indess, falls er zur feinern Sorte der-
selben gehöre, nichts darüber schreibe, der letztere da-
gegen viel darüber schreibe, ohne das geringste davon
zu verstehen, während die 2ilaler, die mit ihrer Tech-
nologie grossthun, im allgemeinen weder das eine noch
das andere verständen."
Der Welsche, der von diesem Federkriege in Deutsch-
land nichts zu wissen schien, musste laut auflachen über
meinen Bericht, meinte jedoch, indem er im (lehen
nachdenkend stille hielt, dass der (legenstand allerdings
derart wäre, eine interessante Coutroverse zu nähren.
Sodann ging er eine Weile sinnend vorwärts, ohne ein
Wort zu sagen, bis wir endlich an einem grünen Platz
am Arno angelangt waren, wo er mich zum Ausruhen
6 Princip und Methode.
einlud. — Es war ein glänzender Ilerbstabend; der
schwarze Tliurm des Palazzo veccliio stieg schlank und
stolz in den blauen Himmel hinauf, und in der Ferne
sah man in lichtgotränktem Duft die bläulichen Berge
von Pistoja und Pescia hervorragen. Als wir uns nie-
dergelassen, sagte er: „Sie erzählten mir also, dass in
Deutschland und Paris die Kunsthistoriker die Kunst-
kenner und diese ihrerseits wieder jene als solche nicht
gelten lassen wollen?"
„Nicht doch, mein Herr", erwiderte ich; „die Kunst-
kenner sagen von den Kunsthistorikern, sie schrieben
über Dinge, die sie gar nicht kennten, wogegen die
Kunsthistoriker ihrerseits die Kunstkenner iiber die
Achseln ansehen und blos als ihre Handlanger, die ihnen
das Material zuführten, betrachten, die aber selbst von
dem Lebensorganismus der Kunst keinen Begriff hätten."
„Ich denke doch", meinte mein Begleiter, „dass die
Herren Kunstprofessoren in Deutschland und in Paris
etwas zu weit in ihrem Urtheile gehen und dass sie
die Sache, um die es sich handelt, nicht hinlänglich
sich überlegt haben." „Die Streitfrage ist übrigens nicht
von gestern her", fügte er hinzu, „sondern sie ist eine
schon sehr alte. Mir scheint sie in der That nicht
ganz ohne Interesse zu sein, und daher würdig, unpar-
teiisch und vorurtheilsfrei gepriift zu werden." „Ein
Kunstkenner", fuhr er dann fort, „was ist er anders
als ein Kenner der Kunst?"
„Dem Worte nach allerdings", bemerkte ich. „Ein
Kunsthistoriker dagegen ist ein solcher, welcher die
Entwickelung der Kunst von ihrem ersten Athemzuge
bis zu ihrem endlichen Verscheiden verfolgt und uns
dann dieselbe erzählt — nicht wahr?"
„So wenigstens sollte es sein. Um aber die Ent-
wickelung irgendeiner Sache darzustellen, ist es doch
nöthig", meinte der Italiener, „dass man die Sache selbst,
von der man spricht oder schreibt, genau kenne. Ohne
KuDstkenner and Kuusthisturiker. 7
sich vorher mit der Anatomie vertraut gemacht zu haben",
lugte er hinzu, „können Sie doch scIiw.iTh h mit d«'r
Physiologie sich befassen."
„Auch dies scheint mir khu'", sagte icli. — „\\ ic
der Botaniker seine Pflanzen", fuhr er daiui weiter fort,
„der Zoologe seine Thiere kennen mus^ damit er beim
ersten Blick den jungen Löwen von der Hauskatze,
die Feige von dem Kürbis zu unterscheiden wisse, so
ist auch der Kunsthistoriker angehalten, mit seinen Ge-
bäuden^ Statuen und Bildern vertraut zu sein,, will er
vorerst sich selbst, sodann seinen Zuhörern oder Lesern
einen richtigen Ueberblick über dieselben verschaffen.
— Wer auf einen Berg steigt, sagt ein alter Schrift-
steller, ohne vorher die Ebene kennen gelernt zu haben,
der weiss, oben angelangt, nicht zu sagen, ob die
Bäume dort unten Oliven oder Weiden, ob es Pappeln
oder Cypressen sind, d. h. ob er eine nordische oder
eine südliche Landschaft vor sich habe; daher, meine
ich, sollte man sich zuvor etwas mit der Ebene be-
kannt machen, will man von der Höhe herab das Ge-
s:unmtbild der Gegend richtig auffassen und schildern.
Ist dies nicht der Fall, so kann doch, wahrlich, die
Beschreibung der Landschaft nur aus leeren, auf jede
beliebige Landschaft passenden Phrasen und hochklingen-
den Gemeinplätzen bestehen und wlid (l.ilici- kilnes-
wegs zutreffend sein."
„Dieser Art sind aber die iiu'K>tcn der »ogcnaunten
kunstgeschichtlichen Bücher", erwiderte ich.
„Vor Zeiten", antwortete der Italiener, „das gebe
ich Ihnen gern zu, vor Zeiten war dies allen T Imt-
all in Kuropa d<'r Fall. Die Lehrer der Kun- . hte
waren in der Kegel ästhetische Literaten oder auch ge-
lehrte Archäologen, die für die Kunst keinen wahren
Sinn hatten und von ihr auch nichts anderes wussten,
als was sie eben aus den Büchern ihrer Vorgänger aus-
wendig gelenit ) • twn mündlich von Akademie-
g Princip uud Methode.
Professoren der Maleroi vernommen hatten. Ilentzn-
tage jedoch soll es, wie ich höre, in Paris nnd in Eng-
land und zumal in Deutschland in dieser Beziehung
ganz anders bestellt sein. Da haben sie ja tüchtige,
weltberühmte Docenten der Kunstgeschichte fast an
jeder Universität, von denen jeder seinerseits jährlich
treffliche Schüler heranzieht und zu zukünftigen Nach-
folffern ausbildet."
„Ach, leider, viel zu viele", bemerkte ich ihm. „Die
Lehrer, wie Sie dieselben sich vorzustellen belieben,
sind selbst im gelehrten Deutschland die Ausnahme von
der Regel, denn auch hier gilt das Sprichwort: An den
Früchten erkennt man die Güte des Baumes, ^iun
sehen Sie sich doch die Leute an, die dergleichen Vor-
lesungen angehört haben und davon begeistert in eine
Kunstsammlung treten. Entweder stehen sie da wie
der Bauer in der Menagerie, oder aber, falls sie zu der
wissenschaftlich gebildeten Klasse der Menschheit ge-
hören, sieht man sie, in einer Art Kunstdusel beffuigen,
an die Bilder herantreten, ohne dass sie recht wüssten,
was sie mit denselben anfangen sollen. Dem einen ver-
wehrt die soeben vom Lehrer gegebene schwunghafte
Definition des « Schönen », das vor ihm stehende Ge-
mälde Tizian's oder Correggio's schön zu finden; dem
andern kribbeln die verschiedenen Malernamen im Kopfe
herum und lassen ihn das Bild vor seinen Augen nicht
sehen, denn der junge Mann erinnert sich nicht mehr
recht, ob sein Lehrer den Perugino über den Botticelli
oder. aber diesen über jenen, den Tizian über den Gior-
gione oder diesen über den erstem gestellt hat; und
ich spreche hier, wie gesagt, von den allergebildetsten
unter den Kunstfreunden. Die grosse Menge jedoch,
welche Bildergalerien besucht, findet keine andere Freude
an einer Statue oder an einem Gemälde, als das Nach-
gebildete mit dem Urbilde zu vergleichen, eingedenk
des Lehrsatzes, dass die Kunst nichts anderes sein soll
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 9
als der Affe der Natur. Und da vergessen die guten
I^ute, wie sich dies von selbst versteht, vor einem Bild-
niss des Denner oder des Seibold da«< dnnebt'n liaiijjende
eines Tizian oder eines Holbein."
„Leider", meinte mein BegKiu i , .,i>i t> aui 1» bei
uns ungefähr so, wFdirend doch jeder gebildete Mensch
von seinem Lehrer wenigstens so viel gelernt haben
sollte, um an einem Gemälde denselben Genuss zu
haben, den ihm ein gutes Gedicht oder eine interes-
sante Novelle bietet.**
,,Wie ist das möglich, mein lieber Herr**, unterbnich
ich ihn, „wenn der Lehrer, selbst der Sprache der Kunst
unkundig., entweder nur trockene Kunstlernanion und
Daten oder nichtssagende Biographien aufzuzählen
weiss oder seine Zuhörer mit allgemeinen ästhetischen
( f üi'inplätzen abspeist! Ich meinte doch, dass die
l'tiulit eines Lehrers der Kunstgeschichte vor allem
die sein sollte, seine Schüler auf das Charakteristische
in einem Kunstwerk aufmerksam zu machen. Die S< lin-
ier sollten lernen auch mitten unter den altmodiM li« u.
eckigen Künstlern des Quattrocento sich heimisch zu
' ' ' 11. mit denselben geistig verkehren zu können. Um
■ lier würde dann ihr (ieiiuss sein vor den erhabenen
Werken eines Kaffael, eines Tizian, eines Giorgione,
- CVirreggio. Warum weiss die grössere Zahl der
leten Leute, selbst in Deutschland, nichts mit den
Werken des g^rossen Dürer anzufangen? Darum, weil
sie nicht gelernt haben zu sehen, weil das Eckige, oft
Unschöne, jedoch stets Charaktervolle der Dürer'schen
Ausdnicksweise ihnen unverständlich geblieben ist.** —
„Alles, was Sie mir erzählen, ist sehr traurig"*, be-
merkte der Italiener. „Ich hätte geglaubt, dass es nur
iH'i uns hier in Italien, w»» der Wahlspruch inertia nt
§apietitia noch inmier Geltung hat, S(» übel um die künst-
lerische Bildung der MensiluMi Ix^stellt wäre, dass man
dnv'«'Lr*-M in den andeni gebildeten iJindern Europas,
10 Princip und Methode.
vornehmlich in Deutschhind, bedeutende Fortschritte,
Avie in den übrigen Wissenschaften, so auch in der
Kunstkenntniss gemacht hätte." „Ich fürchte jedoch" —
fügte er lächehid hinzu — -, „dass Sie das Uebel mit gar
zu schwarzen Farben darzustellen belieben. Dass die
Dilettanten allenthalben, nicht nur hier in Italien, son-
dern auch in Frankreich, Kussland, England und Deutsch-
land, sowol in der bildenden Kunst als in der Literatur,
nur dem sinnlichen Genuss fröhnen, das mag wol sein,
da die hohen Freuden, die das Wissen dem Menschen
bietet, im Schweisse unsers Angesichts erworben sein
wollen. Haben wir es nicht so weit gebracht, vor allem
ein Kunstwerk analysiren zu können, um von der Ana-
lysis sodann zur Synthesis zu gelangen, so dürfen wir
doch kaum sagen, dass wir im Stande sind, ein Ge-
mälde zu begreifen. Und solch eine Bildung darf man,
wahrlich, doch nicht von der grossen Menge verlangen.
Das gebildete Publikum in Deutschland jedoch, das
sehr gross ist, ja grösser als in allen andern Ländern
Europas zusammen, würde gewiss kaum so viele Bücher
über Kunst lesen, wäre es nicht von dem Wunsche be-
seelt, in denselben etwas mehr als blos Sinnengenuss
zu finden, und . . . ."
„Mein lieber Herr", fiel ich ihm ins Wort, „ein
gebildeter Mensch, der die Geduld gehabt, die dicken
Bände, die ihm jährlich über Kunst geboten werden,
fertig zu lesen, weiss am Ende, wie dies auch mir er-
ging, ungefähr soviel davon als zuvor. Er hat aller-
dings dabei herrliche Phrasen und ästhetische Maximen
zu lesen bekommen, die seine Ohren berauschten und
seinen Geist kitzelten, und hat dabei vielleicht zugleich
auch ein paar Dutzend nagelneuer Künstlernamen und
Kunstwörter im Gedächtniss behalten, womit er etwa
in einer Theegesellschaft sich brüsten kann; allein alle
diese Namen und Daten, sind nichts als leerer Schall
und können ihm daher ebenso wenig als die schwung-
Kuustkenner und Kunsthistoriker. 11
vollen Phrasen und ästhetischen Recepte irj^endpinoü
geistigen Gewinn bringen."
^Darf ich demnach Ihren Worten trauen, >u u.ii. n
wir riberall in Europa grossen Mangel an tüchtigen,
sachkundigen Lehrern der Kunstgeschichte, und dies
aus dtMU einfachen Grunde, weil man noch immer, nach
altem Brauch, fortführt, diese Geschichte in den Bü-
chern und nicht in den Kunstwerken selbst zu studiren."
yjDies mag allerdings auch ein Grund sein", sagte
ich. „Viele und schlechte Lehrer erziehen Halbwisser
und diese venirsachen überall, sowol in der \\ issen-
schatt als in der Politik, Wirrwarr und Anarchie."*
„Sehr wahr'% bemerkte mein Begleiter, „deshalb
habe ich auch immer gedacht, dass wer andern die Ge-
schichte der Kunst beschreiben und erklären will, vor-
erst doch sich selbst einen klaren Begriff von den Kunst-
werken, aus denen ja die Kunst besteht, verschaffen
sollte, oder mit andern Worten, dass er vor allem an-
gehalten sein sollte, diese Werke, seien es Bilder, seien
es Statuen oder Gebäude, mit dem Verstand anzuschauen
und zu aualysireu, in denselben das Wichtige vom Un-
bedeutenden zu erkennen, kurz sie verstehen zu
lernen.*"*
„Sie sprechen hier", entgegnete ich ihm, „von der
formalen Kunst, d. h. von der äussern Kenntniss der
Kunstwerke. Und ich gebe Ihnen geni zu, dass Sie
in gewisser Beziehung auch darin recht haben mögen.
Allein der deutsche Kunstphilosoph würde seiner-
seits Ihnen bemerken, dass vor dem formalen Kunst-
werk im Kopfe des Künstlers die Idee dazu bereits
existirt und dass giTade dit^e Idee zu erfassen, zu er-
gründen und zu erklären der Ilauptgegenstand sei, der
den echten Kunsthistoriker beschäftigen sollte, oder mit
andern Worten, dass vornehmlich das innere oder
a centrale» Verständniss der Kunstwerke die wahre
Auf«^abe ist, die zu losen der Kunsthistoriker berufen
12 Princip und Methode.
sei. Der Kunstgeschichtschreiber aber würde seiner-
seits Ihnen entgegnen, dass das Hauptinteresse der
Kunstgeschichte nicht sowol auf die Kunstwerke selbst,
sondern viehnehr auf die Cultur des Volkes, aus der
diese Kunstwerke hervorgegangen und von der sie be-
dingt wurden, gerichtet sein müsse."
„Dann hätten wir jedoch, abgesehen davon, dass man
schwerlich eine Sache innerlich erkennen kann, ohne sie
vorher auch äusserlich erkannt zu haben, dann hätten
wir", sagte der Welsche, „keine Kunstgeschichte mehr,
sondern auf der einen Seite eine Kunstpsychologie,
auf der andern eine Geschichte der Civilisation;
zwei allerdings sehr schöne Branchen der Philosophie,
allein wenig geeignet, das Kunstverständniss und somit
den w^ahren Kunstgenuss zu fördern. Nicht dass ich
etwa leugnen wollte, dass über die Ursachen gewisser
stilistischer Neuerungen einzig und allein die Cultur-
geschichte uns genügende Rechenschaft geben kann.
Diese Fälle kommen jedoch seltener vor, als man dies
zugeben will." „Damit will ich durchaus nicht sagen",
fügte er mit Lebhaftigkeit hinzu, „dass es nicht wün-
schenswerth sei, dass der Professor der Kunstgeschichte
von Zeit zu Zeit, wenn gerade eine passende Gelegen-
heit dazu sich bietet, seine Schüler vom Studium der
Form und der Technik ab in die höhern Regionen des
Gedankens hinaufführe, oder mit andern ^Y orten, dass
er vom einzelnen Theil absehe und die Zuhörer oder
Leser auf das Allgemeine aufmerksam mache — dass
er sie lehre, den Zusammenhang der Entwickelungs-
epochen der Kunst zu verstehen und endlich über die
Thatsachen sich zu erheben und dieselben zu beurtheilen.
Allein meiner Ansicht nach dürfen solche Ascensionen
nur mit Maass und zu rechter Zeit stattfinden, da sonst
der Schüler nur zu leicht verleitet wird, in den alten
Fehler zu verfallen und die eigenen Gedanken in das
Object hineinzulegen, statt die das Object belebenden
Kunstkenner und Kunsthistoriker. 13
Gedanken aus demselben herauszulocken. Der Schüler
sollte, meinte ich, vor allem lernen, d:i8 Kunstwerk so
vernünftig und zugleich so liebevoll zu befragen, bb
dus Hild oder die Statue, durch seine einsichtsvolle Liebe
erwärmt, ihm Antwort gibt, und so muss doch die
Cirundla<;e alles Kunststudiums die Form und die Tech*
iiik bU-iben." „Alle Wissenschaften", fügte er hinzu,
^sind ja auf Beolwchtung und Erfahning gegründet:
Per carios usvs /"•'-"• -.•,..,>.•.-. ../.■.. r\>..:t „...,..,.>/,. ...a;,-
strante viam.''*
„Das alles klingt st.'hr schön **, bemerkte ich ihm,
,^und mag auch ganz richtig sein; allein welche Kosten
an Zeit und Geld würden Sie nicht dem Kunst beflissenen
11, falls er Ihren Rath befolgen sollte; gar
\ - -. wären in der Lage Kunsthistoriker zu werden.
Durch Ihre Vorschriften, mein lieber Herr, dürften Sie
^ i-is die jungen Leute vor der Kunst eher abschrecken
.1 sie von ihr entfernen, als dieselben ihr zufüliren,
und damit würden Sie ja hunderten und aber hunderten
den ßroterw»»rb wegnehmen.'"'
„Lassen wir den Broterwerb aus dem Spiel« -.
widerte trocken mein Begleiter; „wer die Kunst oder
die Wissenschaft als eine Kuh ansieht, die ihn ernäh-
ren soll, dem rathe ich eher zum Bankier, zum Advo-
caten, zum Wirth oder zum Apotheker sich auszubilden.
Das Studium der Kunst, wie ich es im Sinne habe,
mag allerdings viele, viele Jahre Zeit in Anspruch nah-
men, dies gebe ich Ihnen gern zu. Waa jedoch die
(;.iji...,lpu anbelangt, so kommt es mir vor, als ol) Sie
1 gar zu s«'hr überschätzen. Wie der Botaniker
uiiirr »einen Pflanzen, frischen und getrockneten, der
Mineralog und Geolog unter seinen Steinen und Fossilen
lebt und webt, so soll der Kunstkenner zwischen seineu
l*hotn;rraphieu. und ist derselbe wohlhabend, womög-
lich auch unter Ctemälden und Statuen leben. Das ist
»eine Welt, worin er das Auge täglich zu üben und
14 Princip und Methode.
zu verfeinern hat; denn visits^ qid nisi est verus, ratio
(juoqite falsa sit omnis. Es verstellt sich von selbst,
dass der Kunstfreund dabei auch das Studium der um-
gebenden Ncatur keinen Tag vernachlässigen darf; will
er die Werke der Kunst verstehen, so muss er doch
selbst Kiinstler sein, d. h. er nuiss lernen, die Menschen
und Dinge um sich herum mit dem Auge des Künst-
lers anzusehen."
„Gegen diese allzu grossen Forderungen, die Sie
an den angehenden Kunstkenner stellen", sagte ich ihm,
„wäre gar vieles einzuwenden. Erlauben Sie mir hier
nur folgende Bemerkung zu machen: Wie wollen Sie,
unter anderm, dass der Anfänger in der Kunstwissen-
schaft im Stande sei, die Photographien der echten von
denen der unechten Kunstwerke zu unterscheiden, pho-
tographirt man doch heutzutage alles durcheinander,
Kraut und Rüben, Echtes und Falsches?"
„Nun", entgegnete der Welsche, „weshalb besuchen
wir denn die Vorlesungen des Kunsthistorikers, wäre es
nicht, um von ihm Anleitung zu erhalten, selbst denken
und sehen, das Echte vom Falschen, das Bedeutende
vom Unbedeutenden unterscheiden zu lernen? Wir
gehen doch nicht in die Schule, um uns vom Lehrer
wörtlich das hersagen zu lassen, was wir zu Hause
viel bequjemer gedruckt lesen könnten, sondern wir
gehen in die Schule, um durch die lebendigen, anregen-
den Worte des Lehrers für die Kunst begeistert zu
werden, um durch seine Anleitung an Beispielen das
Wahre vom Falschen, das Charakteristische in den
Werken der grossen Meister, sei es in der Wahl und
Aufiassung des Gegenstandes, sei es in der Eigenthüm-
lichkeit der Darstellung dei" Formen und der Farben-
harmonie, erkennen zu lernen."
„Wir haben aber", fiel ich ihm ins Wort, „bereits
gesehen, dass solche Lehrer, wie Sie sie wünschen, in
der ganzen Welt höchst seltene Vögel sein dürften.
KuDstkeDner ond Kunsthistoriker. 15
Ueberdies kommt es mir so vor, als ol> Sie in Ihren
Forderungen an den Kunstliistoriker doch viel zu weit
iringen. Wie darf man auch von einem Manne ver-
hin;^»'n, er solle, bei unserer so knappen Lebensdauer,
:ill«» alten Maler kennen und voneinander unterscheiden
lernen, und nun gar ein vielbeschäftigter Director oder
Professor, der ja ausserdem seine Kataloge und Bücher
anzufertigen hat, wo ums Himmels willen soll er die
Zeit hernehmen, um alles selbst zu untersuchen und zu
prüfen, und sogar den Meistern zweiten und dritten
U:in;r<s unrlr/ugehen? Wie wollen Sie, dass derselbe z. B.
di«-* Ergrbnisse der Kunstkenner controlire, die guten von
den schlechten scheide, wenn er nicht selber Kenner ist —
' nntlich unter den Kunstkennern fbenso viele
N iis unter den Kunsthistorikern?! — Nein, was
man von ihm verlangen darf, ja fordern sollte, ist, dass er
IIS mit den Bahnbrechern, mit denllauptmeistern
iMstschule vertraut sei, um die Werke derselben
von denen ihrer Schüler und Nachahmer unterscheiden zu
kotnien. und nicht etwa, wie dies noch inmier geschieht,
eine beliebige Statue für das Werk des Michelangelo
oder zweideutige Bilder für die Arbeiten Verrocchio's
oder gar Leonardo^s dem Publikum aufdrangt, welche, bei
Lichte betrachtet, doch nur als Erzeugnisse schwacher
Nachahmer der grossen Künstler sich heniusstellen.*''
„Das, was Sie da sagen, mein Herr, ist alles schon
und gut*% antwortete lächelnd mein Begleiter, „nur
fragt es sich, ob das eine ohne das andere zu erzielen
iht. Ich kann ja doch die (trösse und Wesenheit eines
Menschen nur dann richtig messen und beurtheilen,
wenn ich denselben n«'ben einen andern, sei er grosser
sei er kleiner, stelle und ihn mit demselben vergleiche.
Nehmen wir z. B. an, was ja auch möglich ist, Ihr
Kunsthistoriker besuche eine Bildergalerie, tun darin
vornelimlich den Tizian zu studiren, wie konnte da der
brave Mann, ist es ihm wirklich ernst um die Sache,
16 Triücip und Methode.
vor den in derselben Sammlung ihm ebenfalls entgegen-
leuchtenden und zuwinkenden Gemälden der grossen
Vorgänger und Zeitgenossen des Cadoriners sein Auge
ganz und gar verschliessen? Sollte man nicht anneh-
men diirfen, dass ihn sein Wissensdurst vom Studium
der Werke Tizian's nicht auch zugleich auf das Stu-
dium der Gemälde seiner Vorgänger und seiner Zeit-
genossen, derBrüderBellini,desCarpaccio, des Giorgione,
des Lorenzo Lotto, des Pordenone, des Palma u. s. w.,
leiten müsse? Doch lassen vv^ir diesen Streitpunkt fallen,
genügt es mir doch vorderhand, dass Sie mir zugeben,
man dürfe von einem Kunsto;eschichtschreiber weniir-
stens verlangen, die Hauptmeister, die grossen Perso-
nalitäten der verschiedenen Kunstschulen insoweit zu
kennen, dass er dieselben von ihren Schülern und Nach-
ahmern mit relativer Sicherheit zu unterscheiden wisse.''
„Ja, dies scheint mir eine billige Forderung zu sein",
antwortete ich.
„Meinen Sie aber", fuhr mein Begleiter fort, indem
er stille hielt und dabei lächelnd mir ins Auge sah,
„meinen Sie, dass dies eine so leichte Sache sei? Ich
kann mich doch nicht an das Studium der Werke z. B.
Leonardo's oder RaffaeFs machen, ohne zuvor in allen
andern Kunstschulen Italiens gründlich mich umgesehen
zu haben. Und will ich sodann Leonardo oder Kaö'ael
näher kennen, diese zwei Heroen der Kunst richtig
auffassen und beurtheilen lernen, so muss ich nicht nur
die Werke der Kunstschule, aus der sie hervorffecranofen,
auch ins Auge fassen, sondern ich muss selbst ihre Vor-
gänger und Zeitgenossen und ihre unmittelbaren Schü-
ler zu beurtheilen gelernt haben, um sagen zu können,
welche Vortheile durch den Meister seiner Schule ere-
bracht wurden in der Auffassung, in der Darstellung,
in der Technik. Steht mein Urtheil nicht auf dieser
soliden und breiten Basis, so wird dasselbe stets doch
nur einseitig und lückenhaft bleiben, mit einem Worte,
Kaü^tktnner urul Kunsthistoriker. 17
iih werde au: .... >...... .. •. ihl- Kunstv«TstriiHri«j'«'n
keinen Anspruch erheben dürfen."
^Aber, mein lieber Herr^, unterbrach ich ihn, „der-
gleichen weitläulige und langwierige Studien, wie Sie
sie dem Kunsthistoriker zumutheit, wurden ja denselben
iiMcli und nach in einen blossen Kunstkenner ver-
w.iüdeln! Auch bliebe ihm keine Zeit mehr übriir. die
wahre Kunstgeschichte zti* betreiben.'*
..Si«* haben**, antwortete der Italiener mit Ijuheln-
der Miene, .«den Nagel auf den Kopf getroften. Ja,
ganz richtig, Ihr Kunstgeschichtschreiber würde all-
mählich verschwinden — was ja, wie Sie mir zugeben
werden, kein grosser Schaden wäre — und aus ihm
würde, wie aus der Raupe der Schmetterling, der
Kunstkenner sich nach und nach entpuppen.^'
„Was Sie mir da sagen*", bemerkte ich ihm, etwas
unangenehm überrascht über seine triumphirende Miene,
" -^ Sie da behaupten, kann ich Ihnen durchaus nicht
•en. Und zum Heweise, dass Sie im Unrecht sind
mier wenigstens in Ihren Ansprüchen an den Kunst-
historiker viel zu weit gehen, wollen Sie mir erlauben,
Ihnen die neuesten zwei Werke über Kaffael Sanzio
'tdialten. Das «'ine derselben, ein wahrer Praclit-
.1 in Paris erschienen, das andere in Berlin,
also in den zwei «Centralpunkten» aller geschichtlichen
Kirnst forschung. Und hat das erstere in ganz Paris,
und somit in der ganzen gebildeten Welt, Heifall bei
alt und jung gefunden, so darf man vom Buche des
1 " K' KifesHom sagen, dass es wenigstens an
M I ree mit wahrem Jubel begrüsst wurde.
Nun kann ich aber versichern, dass beide Verfasser
w.tl Kunsthistoriker, und zwar vom reinsten Wasser,
:ill< III keineswegs Kunstkenner sind. Ja, beide Herren
würden es Ihnen sogar sehr ül>el vermerken, wollten
*^- -ie als Kunstkenner betrachten, denn das oBilder-
rken« ist ihnen geradezu ein Dom im Auge."
I.r RM<>t,tt.rr *J
18 Princip und Methode.
„So etwas", unterbrach mich laut auflachend der
Welsche, „so etwas würde mir auch nicht im Traume
einfallen." Er fuhr dann mit sichtlicher Lebhaftigkeit
fort: „Nein nein, mein Herr, nur durch eingehende,
mit Ernst und Liebe gepflegte Studien wird der Kunst-
freund, ohne es zu wissen, mit der Zeit zum Kunst-
kenner, und dieser wieder, ohne sich dessen zu ver-
sehen, zum Kunsthistoriker, falls nämlich, der Stoff
dazu in ihm liegt, was doch, wie sich von selbst
versteht, die conditio sine qua non ist. Jeder junge
Mann kann wol a friori sagen: ich will Pfarrer, Ad-
vocat, Professor, Feldmesser, Arzt, Ingenieur, ja sogar,
hat er Geld, ich will Deputirter werden, es wäre aber
lächerlich, wollte ein Jiingling von 20 oder 24 Jahren
sagen: ich will Kunstkenner oder gar Kunsthistoriker
werden."
„Und doch", bemerkte ich ihm, „geschieht dies
täglich, und zwar wenn einer in andern Fächern des
menschlichen Wissens stecken blieb und einsah, dass
er damit zu keinem Broterwerb es bringen kann."
„Dies will gar nichts sagen", antwortete mein Be-
gleiter, „vorausgesetzt, dass es die Ausnahme imd nicht
die Regel sei. In jeder Branche des menschlichen Wis-
sens ereignen sich ja solche Fälle, in den Wissenschaften
sowol wie in den ausübenden Künsten. Kommen wir
jedoch wieder zu unserm Thema zurück. Ich wollte
also nur sagen, dass der Keim des Kunsthistorikers,
falls eben einer da ist, nur im Kopfe des Kunstkenners
sich entwickeln und da aufblühen kann, oder mit an-
dern Worten, dass dem künftigen Kunstgeschicht-
schreiber die Grundzüge seiner Geschichte in der Pina-
kothek und nicht etwa in der Bibliothek aufgehen
müssen; um es kurz zusagen, um Kunsthistoriker
zu werden, muss man vor allem Kunstkenner
sein."
„Auch mir", sagte ich, „wollte diese Ihre Ansicht
Kunstkenner nnd Kantthisioriker. 19
stets als die richtige erscheiuen, iiümlich, dass erstens
ohne innern Trieb keiner sich kunstwissenschaftlichen
' > sollte, und zweitens, dass nur das
N ike der Kunst selbst im Stande sei,
den heruC, eine Geschichte der Kunst zu schreiben, im
Menschen heranreifen zu lassen. Ich kann wol theo-
retisch der ästhetisch gebildetste Mensch sein, ohne
einen Funken Sinn für bildende Kunst zu besitzen.
Exempia sunt odiota.'^
„Sehr wahr**, t)emerkte der Italiener, „und doch
sind fast alle unsere neuern Kunstgeschichtschreiber
hier in Italien nichts anders als Aesthetiker und mei>
stens dazu noch Aesthetiker von einer nicht sehr kurz-
weiligen Sorte, weshalb deiui auch die Kunstgeschichte
bei uns ihre Aufgabe hauptsächlich darin sucht, durch
pomphafte lieschreibung der Bilder, durch wohlklingende
Phrasen, mehr oder weniger pikante Apervus und Ana-
Ux/ien zu glänzen und den I^ser zu bestechen: eine
I. liäftigung, die für den, der sich ihr unterzieht, viel-
I» I» lit unterhnlteiid sein mag, dem ernsten I><»ser jedoch
nicht nur keinen bleibenden (Jewinn bringt, sondeni
ihm meist auch nur I^aiigeweile verursacht und seinen
C. ipft. Au ' ' !•• Kunsthistoriker,
I. -iie IvOc;n IM* vom Staat b«»-
soldeten, mit strenger, ja peinlicher (iewissenhaftigkeit
' an dif l^eb. ' *' iiigen festzuk' n, mögen
auch nm^h > . < h und abg<- : klingen.^*
..Dies geschieht nicht mir bei Ihnen in Italien^S
-.i:/t. ich ihm, „es geschieht geradeso auch bei uns in
Uii-^land; denn wer ein Amt zu erha»<hen oder ein
solches zu iM'halten strebt, der darf beileibe nicht an
d«r relM»rlieferung Kitteln, wäre es auch nur um gegen
die Vonirthfile seiner l'rotectoren und seiner dienten
im Reich nicht zu Verstössen.^
.,Ich will nicht sagen", liemerkt* ;. . i iorentiner,
„dass die Tradition ganz und gar zu verachten sei^ nur
2«
20 Princip und Methode.
darf man dieselbe nicht als Evangelium betrachten, sit'
soll der Kritik nicht den Mund stopfen wollen. Bei
der Bestimmung von Kunstwerken aber hat dieselbe
fast allen Anspruch auf Geltung verloren. Wenn ich
bedenke, welche absurde Sagen, selbst über Menschen
und Ereignisse der Weltgeschichte unserer Tage, sei es
aus Parteileidenschaft, sei es aus Leichtsinn oder gar
aus der dem Menschen angeborenen Sucht, den einftxch-
sten Voi'fjill, um ihn interessant zu machen, durch Ver-
grösserung oder Verkleinerung zu entstellen, ja oft ge-
radezu unkenntlich zu machen, in Umlauf gebi'acht
worden sind und somit die Bedeutung der Tradition
erworben haben; wenn ich ferner bedenke, wie andere
diu'ch Tradition auf uns gekommene Sagen durch die
neuere Kritik als Luftgespinste erkannt und aus der
Völkergeschichte, wo dieselben sich eingenistet hatten,
bereits ausgemerzt worden sind, so erscheint mir das
grosse Mistrauen, das mir aus langer Erfahrung die
sogenannte Tradition einflösst, die an die Persönlichkeit
der alten Künstler, sowie auch an gar manches Kunst-
werk gleich einem Pilz sich angeklammert hatte, nicht
ganz unberechtigt. Ich glaube daher, dass die Tradi-
tion in der Kunstgeschichte ungefähr denselben, wenn
nicht vielleicht einen noch geringern Werth für den
Forscher haben dürfte, als dieselbe in der Welt-
geschichte verdient. Und davon mögen ein paar Bei-
spiele genügen, um Sie zu überzeugen, dass auch dieses
Hülfsmittel, über das so viel Lärm von den Kunsthisto-
rikern gemacht wird, nur mit der grössten Vorsicht
angenommen werden darf. Die Tradition Hess den
Maler Andrea del Castagno als den Mörder seines
Freundes und Arbeitsgenossen Domenico Veneziano
so lange erscheinen, bis durch das Verdienst unsers be-
kannten Archivars Milanesi ein schriftliches Document
ans Licht gebracht wurde, aus welchem erhellt, dass der
Mörder vor dem Ermordeten das Zeitliche gesegnet
Tradition. 1> 1
lial» . Nach der Tradition wäre Leonardo da Vinci in
\ II dos kunstr ' ' u Königs Franzi. ^'« -
. V iiiend es nun :• i -arlie feststeht, dass >
Majestät^ der König der Franzosen, am Sterbetage des
' ' • sich gar nicht an jenem Orte befand und >vahr-
I ganz anderes zu tinin hatte, als dem alten
Künstler pietätsvoil die Augen zu schliessen. Die Tra-
«lition berichtete uns durch Vasari, dass der *^ ^ ' !\att*nt 1
vi.n seinem Vater dem I^hrer Penigino v> .; uiitl
anempibhlen worden sei; nach der Tradition hätte der
alte (lianbellino, als Senator verkleidet, dem Antonello
da Messina die neue Weise in Gel zu malen verstoh-
len abgelauseht: die Tradition lä*8t ferner noch immer-
fort das niedliche, vielbewunderte Modellstudium eines
hübschen romischen Mädchens in der Barberini-Galerie
als diis nach dem Leben gefertigte Bildniss der Bea-
trice ( enci gelten; die Tradition endlich will, d;iss der
junge Baftäcl seinem Lehrer Pintoricchio die Cartons
zu dessen Wandmalereien in der si n Dom-
bibliothek gemacht habe. Von den Li:.:... .^- ii Bilder-
taufen, die durch Tradition bei uns noch immer Gel-
tung haben, will ich gar nicht reden, da ich Sie damit
L'ar /u sehr ermüden würde.**"
( ianz gewiss^ sagte ich.
..Hat nun eine vorurthcilsfreiere und somit im
tigere Kritik", fuhr er fort, „in unsern Tagen eine I; m
solcher fader, ja geradezu kindischer Erfindungen zu
nichte p'macht, so ist damit keineswegs gesagt, dass
ihr nielit gar viel noch zu thun übrigbliebe. Aber
lassen wir diesen unt<*rgeordneten Gegenstand vorder-
liand beiseite und wenden >vir uns wieder zu dem vor-
hin ausgesprochenen (tnindsatz, nämlich, dass die Ge-
M-hirhte der Kunst einzig und allein vor den Werken
tler Kunst selbst studirt wenlen muss. Ueber den
Büchern verliert der Mensch fast inuner sich selbst.
Zwar gebe ich gern zu, cbss der Begriff, den wir uns
22 Princip und Methode.
durch gute Abbildungen und Durstellungen von dei-
Kunst der Aegypter, der Hindus, der Assyrer, der Clial-
däer, der Phönizier, der Perser u. s. f., sowie der An-
fänge der griechischen Kunst verschaffen können, nicht
blos förderlich für unsere allgemeine Bildung sei, son-
dern ich bin auch überzeugt, dass dergleichen Studien
den Kunstsinn in uns schärfen und erweitern, voraus-
gesetzt natürlich, dass wir einen solchen haben. Die Kunst
jedoch, die mit unserer eigenen Cultur im innigsten Zu-
sammenhang steht, die allein können wir vollkommen
verstehen und in uns aufnehmen, und diese Kunst miissen
wir, wie gesagt, nicht sowol aus Büchern und aus schrift-
lichen Documenten, sondern vor allem aus den Kunst-
werken, und dies im Lande selbst, auf dem Boden und
in der Luft, wo diese erzeugt wurden und gross ge-
worden sind, kennen lernen. Wer den Dichter will
verstehen, sagt Goethe, muss in Dichters Lande gehen."
„Alles", erwiderte ich, „was Sie da vorbringen zur
Unterstützung Ihrer Thesis, dass nämlich nur ein ein-
dringliches, unausgesetztes Studium der Form und dei*
Technik zur wahren Kunstkenntniss führen könne, und
dass somit keiner an die Kunsto^eschichte sich wasren
dürfe, ohne vorher Kunstkenner geworden zu sein, alles
dies mag wahr und richtig sein, ich will es weder be-
jahen, noch verneinen, da ich in meinen Studien noch
nicht so weit vorgerückt bin, um mir erlauben zu dür-
fen, Ihnen mit Nachdruck beizupflichten oder auch zu
widersprechen. Was ich aber Ihnen schon im voraus
versichern kann, ist, dass sowol die heutigen Kunst-
kenner als die Kunsthistoriker in Europa, wenigstens
wie ich dieselben zu kennen Gelegenheit hatte, über
diese Ihre Zumuthungen Ihnen herzlich ins Gesicht
lachen dürften. Diese Herren würden Ihnen entgegnen,
dass der wahre, von der Natur prädestinirte Kunst-
kenner und Kunsthistoriker allen diesen Geist und Zeit
tödtenden Plunder, den zu besitzen Sie ihm ans Herz
Totaleiudruck. 23
! _ n. gar nicht nothig hat, sondern dass für ihn der
i i laleindruck, den ein Knnstwerk, möge dies ein
Bild oder eine StAtue sein, auf ihn macht, vollkom-
nit-n hinreiche, um ihn den Meister, sei es des Ge-
mäldes, sei es der Statue, auf den ersten Blick erkennen
zu hissen, und dass sie ausser dem Totaleindruck
oder der Intuition und ausser der Tradition nur noch
das schriftliche Document gelten lassen, um zur
volligen Gewissheit zu gelangen, dass ein Kunstwerk
von diesem oder jenem Meister herrühre: alle anderen
Ilfilfsmittel aber mochten höchstens blöden Augen einen
Dienst leisten, etwa wie die Schwimmblase denen, die
nicht schwimmen können — falls sie nicht sogar dazu
dienten, in das Studium der Kunst eine heillose Ver-
wirrung zu bringen und «den gefährlichsten Dilettan-
tismus» gross zu ziehen.'^
„Diese Einwendungen", antwortete der Florentiner,
„werden auch hierzulande gegen die Würdigung der
Formen und der Technik, d. h. gegen eingehendere
analytische Untersuchungen, erhoben und zwar mn lau-
testen von denen, die zu allem ernsten Studium weder
Anlage noch Lust haben. Ja, ich kenne sogar Leute,
denen man weder Verstand noch Bildung absprechen
darf, die da glauben, dass eine Sache in Unehre komme,
sobald man sie begriffen hat, und die daher dem Stu-
dium der Formen und der Technik in einem Kunst-
werk ebenso abhold sind, als es etwa die Klerisei der
Naturwissenschaft ist. Untersuchen wir nun, wenn Sie
es erlauben, in aller Ruhe diese Ansicht. Sie sagten
alst», habe ich Sie richtig verstanden, der Kunsthisto-
riker in Deutschland und in Paris lege blos auf die
Intuition und auf das schriftliche Document Gewicht,
seht* dagegen das Studium der Kunstwerke selbst als
zeitraubend und nicht zum Ziele fi'ihrend an. Ich will
nun keineswegs in Abrede stellen, dass in sehr vielen
Fällen einem feinen und sehr geübten Auge der Total-
24 Priucip und Methode.
eindruck oder die Intuition allerdings «illein hinreiche,
um den Meister eines Kunstwerkes zu errathen —
allein, wie bei uns ein Sprichwort sagt: aV apparenza
ingannar>^ d. h. der Schein hat uns oft zum besten.
Ich behaupte daher, und könnte es Ihnen durch hun-
derte von Beispielen bekräftigen, dass, solange die Be-
stimmung von Kunstwerken lediglich dem Totalein-
druck anheimgestellt bleibt, ohne die Controle einer
aus Beobachtung und Erfahrung gewonnenen Kennt-
niss der jedem grossen Meister eigenthümlichen For-
men, wir fortfahren werden mit Unsicherheit uns zu
bewegen, und dass folglich die Kunsthistorie wie zu-
vor auf wankendem Boden stehen wird. Der Ansicht
jener Herren gemäss würde also der Kunstkenner, wie
man zu sagen pflegt, ebenso gut als solcher geboren
wie der Künstler?"
„Allerdings", sagte ich; „dies ist die herrschende
Meinung bei vielen unter den tonangebenden Kunst-
kennern unserer Tage."
„Ich dagegen halte dafür", erwiderte mein Beglei-
ter, „dass sowol die eine wie die andere Thesis cum
grano salis zu verstehen sei. Der Künstler wird aller-
dings insofern geboren, als es viele Menschen gibt, die
gar keinen Sinn für Kunst auf die Welt mitbringen,
wie es andererseits wieder ebenso viele gibt, die gar
keinen Sinn für Wissenschaft besitzen. Nun glaube
ich aber, dass ohne günstige äussere Verhältnisse und
ohne Studium wir es in keinem Fache, weder in der
Kunst noch in der Wissenschaft, zu etwas bringen.
Ein Mensch mag mit mehr Talent für die bildenden
Künste, ein anderer dagegen für irgendeine Wissen-
schaft auf die Welt kommen; ohne Studium und täg-
liche üebung wird jedoch sowol der eine wie der an-
dere ein Thor bleiben. Unsere grössten Künstler,
wie z. B. Ghiberti, Pollajuolo, die Brüder Bellini,
Correggio u. s. w., ja Raftael von Urbino selbst, waren
Totaleindrack.
litr Mehrzahl nach Sohne von Küii>ilrrii mm wuhpu
von ihivn Vätern in ihrer frühesten Jugend für dii'
Kunst bestimmt und in derselben unterrichtet: ohne
(l«*n väterlichen Zwang würden mehrere unter ihnen,
vielleicht Kaflael selbst, sei es zur Wissenschaft, sei es
um Handel oder zur Industrie sich gewendet haben.
^•> geht es ebenfalls mit den Kunstkennern. Diese
liU-ifu allerdings vor allem sinnlicher Natur sein, sie
uiui^sen ein Auge haben für den Reiz der Können und
der Farben, dürfen beileibe nicht den sogenannten Phi-
losophenhocker am Schädel tragen; allein der ange-
borene Kunstsinn, der durch Uebung zur Intui-
tion wird, reicht doch nicht aus für die Kunst-
wissenschaft, wenn er nicht durch langwieriges
Studium der Kunst werke selbst verfeinert und
ausgebildet wird. Fufjgi i precetti di quellt specula-
torif che le loro ragioni non sono confermate dalla sperientia^
sagte schon Leonardo da Vinci (««Leonardo da Vinci» von
J. P. Kicliter, II, 304: «verschmähe die Lehren jener
Kunstforscher, deren Auseinandersetzungen nicht durch
dieErfahning ' " ' t sind»). Ich spreche aus Erfahrung,
mein Herr. In Lande aufgewachsen, wo leidiM* die-
selben pedantischen Maximen von alters her gang und
gebe sind, muss ich Ihnen oft'en gestehen, dass auch ich
den nämlichen Ansichten huldigte, die, wie Sie mir sagten,
in Paris und in Deutschland grassiren; sind wir ja hier
in Italien seit alter Zeit von Jugend auf gewohnt, in
allen Dingen das Losungswort jenseits der Berge uns
zu holen. Und so tappte auch ich jahrelang, mich auf
die blosse Intuition verlassend, im Nel>el herum, und
gerieth jedesmal in Harnisch, wenn ich Leute fand, die
nicht waren, meine von mir für unfehlbar ge-
halten ung zu theilen; — es hängt ja unser Ur-
theil viel mehr von unserm Willen als von unserm
Verstand abl Müde aller dieser Irifnhrtrn, fing ich
diinii :in. dir Hilil«i' mii' •/'«•iiMiiri* mii/ii«.. Ii.n mim] <iii.n
26 Princip und Methode.
Meister mit dem andern zu vergleichen, und endlich
glaube ich einen Weg gefunden zu haben, der, richtig
verfoljrt, uns aus dem Nebel heraus in eine reinere Luft
l^rinjren dürfte. Das einücehende Studium der Formen
und der Technik fiihrte mich nämlich, zu meiner grossen
Freude, bald zur Ueberzeugung, dass dieser der ein-
zige Weg ist, der uns, ich will nicht sagen jedesmal,
jedoch in sehr vielen Fcällen zum Ziele fiihren kann.
Und in der That, haben nicht etwa alle Kunstkenner,
von Vasari an bis auf unsere Zeit herab, jener zwei
Hülfsmittel, d. h. der Intuition oder des sogenannten
Totaleindrucks und des schriftlichen Documents, sich
bedient, um Kunstwerke zu bestimmen? Wie weit die-
selben damit gekommen, das sehen Sie ja selbst, nach-
dem Sie, wie Sie mir sagten, in Paris und in Deutsch-
land so viele Bücher der Kunstgeschichte und dei-
Kunstkritik zu lesen Gelegenheit hatten und bald inne
wurden, dass fast jeder Kritiker eine von seinem Col-
legen verschiedene Meinung haben zu müssen glaubt."
„Leider", sagte ich ihm, „ist dies sehr wahr; alle
jene Bücher und Schriften dienten nur dazu, mir das
Kunststudium zu verleiden."
„Dass der Totaleindruck", fuhr mein Begleiter fort,
„in manchen Fällen allein hinreicht, um festzustellen, ob
ein Kunstwerk der italienischen oder der vlämischen,
oder aber der deutschen Schule angehöre, und wenn
es z. B. italienische Arbeit ist, ob es der florentini-
schen, der venetianischen oder umbrischen Maler-
schule u. s. f. zukomme; ja, dass es zuweilen einem
ergrauten Praktiker durch blosse Lituition gelingt, in
einem Bild oder in einer Statue den Meister desselben
zu errathen, das versteht sich doch wahrlich von selbst;
es ist dies eine Weisheit, die Sie ja in der Bude jedes
Kunsttrödlers vernehmen können; denn in allen intel-
lectuellen Dingen ist das Allgemeine die logische Be-
dingung des Besondern. Allein, ist diese Hauptfrage
ToUleindrack. 27
-inmal ('riedigt, und nehmen wir an, das Bild oder
<lie Zeichnung gehöre der alten florentinit>chen Kunst-
schule an, so handelt es sich weiter dann, mit rela-
tiver Gewissheit zu bestimmen, ob es z. B. dem
Fra Filippo Lippi oder dem Pesellino oder dem
Sandro Botticelli oder dem Filippino Lippi oder
aber irgendeinem der vielen Nachahmer der drei Meister
zuzuschreiben sei. Sagt uns fenier der Totaleindruck,
(las Bild gehöre der venetiauiseben Schule an, so kommt
es weiter darauf an festzustellen, ob der Schule Venedigs,
oder der von Padua, ob der ferraresischen, der vero-
nesischen u. 8. w^ d. h. ob es z. B. das Werk des Giani-
Iwllliio, des Vivarini oder des Mantegna, des Barto-
iMiiiiueo Montagna, oder des Tura oder des Liberale
da Verona u. s. w. sei. Und um diese, in vielen Fallen
nicht ganz leicht zu losenden Fragen zu beantworten,
da reicht, wie wir gesehen, der blosse Totaleindruck nicht
immer aus. Ich spreche aus langer Erfahnmg, mein Herr.
Wird ja denn nicht immer noch, und zwar in öftent-
lichen Sammhuigen, so manches Bild des Giambellino
dem Mantegna, in den Uflizien in jüngster Zeit sogar
dem Basaiti (631), in der veronesischen Pinakothek
Halbst der «florentinischen» Schule zugeschrieben (Nr. 77
^ ' i Bemasconi)? Und geschieht es nicht, dass man
IWui.-r aus der Jugendzeit Correggio's hier dem Tizian
(Uflizien, 1002), dort dem F^rancia (Pavia), Werke des
Fra Bartdlonuneo dem Albertinelli (Louvre 17), des
Giulio Uonuuio dem Bagnacavallo (Louvre 1^9),
Werke des Botticelli dem Filippino (Nat, Gallery),
Werke des Sodonia hier dem I.«eonardo da Vinci, dort
dem SebastiaiKi dcl Piombo, letzthin sogar dem Jan
Score 1 (Frankfurt), in der Albertina' und in Pest
(Hoxane) dem l{aff*a«*l Sanzio zuschreibt? Will man
iur .\lbertiiia erhielt jeCxt die tohöne UötbeUeiobuuDg
>Mluma ihren richtigen Vtmen.
1>>^ Princip und Methode.
also die Arbeiten der Schiller und Nachahmer oder gär
Copien von den Originalwerken der grossen Meister
unterscheiden lernen, und zwar, ich will nicht gerade
behaupten mit absoluter, so doch mit relativer Sicher-
heit, so kann dies doch nur auf die Weise geschehen,
welche ich soeben angedeutet habe, d. h. durch die ge-
naue Kenntniss der jedem Meister, d. h. jeder Persön-
lichkeit eigenthümlichen, für ihn charakteristischen For-
men- und Farbenharmonie."
„Das mag sein", sagte ich, „allein, mein lieber
Herr, jedes menschliche Auge sieht wieder die Form
auf sejne eigene Weise an."
„Ganz richtig", fiel der Italiener mir ins Wort,
„ganz richtig, und somit sehen alle grossen Kiinstler
die Formen ebenfalls auf ihre eigene Weise an und
gerade deshalb sind dieselben für sie charakteristisch
geworden, da ja die äussere Form keineswegs, wie viele
meinen, zufällig und willkürlich ist, sondern von innern
Ursachen abhängt."
„Allein sagen Sie doch lieber", fuhr er dann lächelnd
fort, „dass die meisten Menschen diese verschiedenen
Formen gar nicht sehen, am wenigsten vielleicht die
Kunsthistoriker und Kunstphilosophen, wie Sie sie
heissen; denn diese Herren, welche die Abstraction der
Beobachtung vorziehen, pflegen in ein Bild wie in einen
Spiegel zu schauen und sehen darin gewöhnlich nur
das für sie stets so interessante eij^rene Ich. — Ich ffebe
Ihnen gern zu, dass es keine sehr leichte Sache ist,
die Form richtig zu erfassen und zu sehen, ja, ich
möchte fost sagen, richtig zu fühlen — hängt ja dies
zum Theil auch von der physischen Construction des
Auges ab ; allein ich bin fest überzeugt, dass mit einem
liebevollen, anhaltenden Studium ein begabter Mensch
auch darin es weiter bringen kann, als man meinen
sollte. Alles Studium erfordert ja Zeit und Müsse, und
die höchsten Güter werden von den Göttern uns nicht
Totaleindruck. 29
geschenkt, wir müssen dieselben uns durch Anstrengung
und Entbehrungen aller Art verdienen. Das wussten
schon die alten Griechen und auch der grosse Leonardo
da Vinci musste bei seiner Arbeit oft ausrufen: « Ji/, oDio,
ci vendi tutti It beni per prezzo di fatica.n (O Gott, die
wahren Guter schenkst du uns nicht, sondern willst, dass
wir sie uns durch Muhe und Anstrengung verdienen.)
Wollte ich von meiner eigenen Erfahning Ihnen erzählen,
so müsste ich gestehen, dass ein zwanzigjähriges Studium
mich kaum ii])er die Anfangsgriinde der Formensprache
gebracht hat; ich gebe jedoch gern zu, dass ein schnel-
leres oder langsameres Fortschreiten auch in dieser
wie in allen andern Wissenschaften von der grössern
oder geringern Begabung, die wir dazu mitbringe^,
abhängt. Ich z. B. habe diese so interessanten und so
lohnenden Studien leider erst in meinen alten Tagren
begonnen, wo der Gesichtssinn bereits etwas abge-
stumpft zu sein pflegt und auch das Gedächtniss uns
gar oft im Stiche lässt. Diese Formen- und Farben-
sprache kann jedoch, geradeso wie die Lautsprache,
nur im Lande selbst, wo sie entstand, gelernt und ver-
standen werden. Man mache sich darüber keine Täu-
schung. Sowol unser geistiges wie unser physisches
Auge bringt nationale Vorurtheile mit sich — diese
müssen nach und nach im fremden Lande abgestreift
werden. Wir müssen mit der äussern sowol als auch
mit der geistigen Atmosphäre des Landes uns so ver-
traut maciien, dass wir uns daselbst einheimisch fiihlen."
..Kunst und Wissenschaft", fiel ich ihm ins Wort, ..ken-
nen keine Nationalität, sie gehören der Menschheit an.*^
,.Gnnz wohl**, entgegnete mir der Welsche, „allein
auch dieses Axiom ist cum grano saiis zu verstehen.
Denn ich behaupte, dass jedes Volk sowol die Wissen-
schaft als auch die Kunst und Religion auf seine
eigene W^eise auffasst Schwört z. B. niclit jede Nation
auf (Viv Weisheit der eigenen Doctoren, der eigenen
30 Princip und Methode.
Philosophen, sogar der eigenen Bilderrestiuiratoren,
denen allen sie mehr Zutrauen schenkt als den fremden?"
„Damit sagen Sie mir also", bemerkte ich mit Er-
staunen, „dass zum Studium der Formensprache fast
ein ganzes Menschenalter erforderlich sei! Mit dieser
Angelruthe, mein lieber Herr, werden Sie, das kann
ich versichern, wenig Fische ködern, sowol in der Alten
als in der Neuen Welt."
„Daran liegt auch gar nichts", erwiderte stolz der
Italiener. „Fühlt einer nicht Lust und Kraft in sich,
so eindringendem Studium sich hinzugeben, da mag
er unten am Fusse des Berges bleiben, den Rauch-
wolken seiner Pfeife brütend nachsinnen und dabei
iiber die langsam den Berg Erklimmenden sich lustig
machen. Für ihn haben die göttlichen Künstler nicht
geschaffen. Oder versteht etwa einer die Feinheiten
in den Werken der grossen Dichter der Vorzeit, wenn er
nicht zuvor vor allem sich ihrer Sprache bemächtigt hat?"
„Ganz gut", sagte ich, „allein das grosse Publikum
wird Ihre sogenannte Formensprache nie sich zu eigen
machen. Die Menge, mein Herr, weiss ja kaum ein
bedeutendes Gesicht eines Menschen von einem nichts-
sagenden zu unterscheiden; höchstens wird sie merken,
dass der eine an der Stirn eine Warze, der andere
eine Hasenscharte, eine Stumpfnase oder statt blauer
schwarze Augen hat; mehr als das beachtet sie gewöhn-
lich an einem menschlichen Gesicht nicht."
„Ich weiss", sagte er, „dass es nur den von Gott
Begnadigten gegeben ist, an der siissen Frucht der
Kunst sich zu erlaben, und dass man nicht erwarten
darf, dass die Bildung des grossen Publikums so inten-
siv sei, um, sei es die Kunst der Griechen und Römer,
oder die eines Dante, eines Shakespeare, eines Goethe,
eines Ariosto,' oder eines Giotto, eines Masaccio, eines
Leonardo da Vinci, eines Giorgione, eines Raifael, eines
Dürer, eines Correggio in ihren Feinheiten zu empfinden
Totaleindruck. 31
und in sich aufzunehmen ; allein ich glaube trotzdem, dass
ein vernirnftigerer Schulunterricht, als der von den Je-
suiten überall in Europa eingeführte, auch in diesem
Punkte viel mehr zu leisten im Stande wäre, als wir
gegenwärtig erreichen."
„Die nach Ihrer Ansicht von Gott Begnadigten 'S
entgegnete ich, „mögen zu allen Zeiten sehr seltene
Vogel gewesen sein. Jede Epoche hat ja ihre Mode
und folglich auch ihre Kunst. Versteht daher das
grosse Publikum, das ja immer nur in seiner eigenen
Zeit lebt und mit derselben denkt luid trachtet, die
Kunst vergangener Zeiten nicht, so versteht es dafür
um so besser die eigene, d. h. unsere gegenwärtige Kunst,
den socialdemokratischen Roman, das Genre- und Land-
schaftsbild, das Schlachtstuck, das Stillleben, das Vieh-
stück — vor allem jedocFi die «Illustrirte Zeitung».
Was die alten Meister anbetriift, so halte ich dafür,
dass eine gute Copie ihrer ja meist auch sehr entstellten
Bilder fürs grosse Publikum, d. h. für die Laien, den-
selben Dienst thim würde, wie das Original bild selbst."
„Wenn nicht noch einen bessern", antwortete mir
ganz gelassen mein Begleiter; „davon bin auch ich mehr
als überzeugt. Je näher der Copist, in dessen Auge
das Originalbild sich ja widerspiegelt, unserer Zeit,
d. h. unserm eigenen Geschmack und unserer Sinnes-
weise steht, desto besser wird uns, d. h. den Laien,
auch seine Copie gefallen; und davon könnte ich Ihnen
viele schlagende Beispiele anfiihren, unter andern auch
die IIolbein-Madonna und die Magdalene des Correggio
in der Dresdener Galerie."
„Und dies, mein Herr", fiel ich mit Le!)haftigkeit
ihm ins Wort, „ist schon lange die Ansicht, die ich vom
Publikum in den ött'cntliclien (ialerien gewonnen habe."
„Wir sind in unserm Gespräch auf Abwege ge-
rat hen", sagte der Welsche, indem er von seinem Sitze
sich erhob. „Uebcr den Werth der sogenannten Tra-
32 Princip und Methode.
dition, sowie über die Unsicherheit, in welcher bei Be-
stimmung von Kunstwerken in den meisten Fällen
der blosse Totaleindruck uns lässt, sind wir, denke ich,
so ziemlich einig geworden."
„Sagen Sie nur «ganz und gar»", erwiderte ich ihm.
„Das schriftliche Document jedoch", fuhr ich fort,
„werden Sie hoffentlich doch gelten lassen?"
„Nur ein wissenschaftlich gebildeter Kunstkenner",
antwortete er, „ist in der Lage, ein schriftliches Do-
cument vollkommen zu verwerthen; einem blossen Ar-
chivar, der von der Kunst nichts weiss, sowie auch dem
Neuling in der Kunstwissenschaft hilft dasselbe nicht
nur nichts, sondern es führt ihn in den meisten Fällen
sogar auf Abwege."
„Wie?" rief ich erstaunt aus, „sogar den Werth des
von allen Kunsthistorikern so hochgehaltenen schrift-
lichen Documents wollen Sie in Zweifel ziehen?"
„Das einzige wahre Document", antwortete er ganz
ruhig, „bleibt am Ende für den Kunstkenner doch nur
das Kunstwerk selbst. Dieser Ausspruch klingt aller-
dings sehr verwegen, ja arrogant, ist es aber durchaus
nicht, wie ich dies an mehrfachen Beispielen Ihnen dar-
zuthun trachten werde. Und in der That, wo wollen
Sie etwa ein vertrauungsvolleres , in die Augen leuch-
tenderes Document finden, als in dem auf des Meisters
Werk gesetzten Namen, einem Document, das wir in
Italien acartellinoy) zu nennen pflegen?"
„Nun ja", sagte ich, „wenn alle Bilder mit Auf-
schriften versehen wären, dann wäre es wahrlich kein
grosses Verdienst, Kunstkenner zu sein."
„Auch hierin kann ich Ihnen nicht beipflichten",
sagte der Italiener, und fuhr dann fort: „Wie in der
guten alten Zeit, als noch die Pässe im Schwange
waren, gerade die durchtriebensten Spitzbuben sich die
regelmässigsten, untadelhaftesten a Papiere» zu ver-
schafi'en und mit diesen « schriftlichen Documenten »
Schriftliches Document. ^
die Polizeiagenten zu tauschen wussten, geradeso wur-
deu und werden noch immerfort die Kunsthistoriker
und Galeriedirectoren durch schriftliche Documente und
Cartellini an der Nase herumgeführt. Ich konnte Ihnen,
mein Herr, Dutzende solcher falscher Cartellini altern
und neuern Datums anfuhren, die sich auf Bildern in
weltberühmten Galerien vorfinden; die folgenden mögen
vorderhand genügen, Sie von der Richtigkeit meiner
Aussage zu überzeugen. Sie finden in der Doria-Galerie
in Rom, im Louvre zu Paris ^ Bilder des Niccolo Ron-
dinelli aus Ravenna, die wegen ihrer gefälschten Auf-
schrift unter dem Namen des Giambellino gehen und
als solche auch von den Kunsthistorikern beschrieben
und besungen werden. Andere Bilder, die von andern
Schülern und Nachahmern des Meisters verfertigt wur-
den, tragen ebenfalls den Namen des Giambellino, so
unter andern: das Madonnabildchen der Galerie Bor-
ghese in Rom^; der u Ecce homo» in der Sammlung
Poldi - Pezzoli in Mailand': zwei Madonnenbilder in
der städtischen Galerie von Padua *; eine « Pietii » in
der von Bergamo.'' So erblicken wir das Zeichen des
Andrea del Sarto auf gar manchem Bild, das sich doch
nur als schwache C'opie nach jenem grossen Meister
erweist, wie Sie dies besonders in der Borghese-Galerie
und in der des Fürsten Doria Pamphili in Rom zu
sehen Gelegenheit haben. Und liat nicht etwa in
neuester Zeit sogar der gefälschte Name auf einem Ma-
donnenbild aus der Peruginischen Schule in der turiuer
Galerie gar manchen oberflächlichen und vorwitzigen
Kun^tkenner veranlasst, jenes schwarze und hässliche
Gemälde fiir das Werk des Timoteo Viti zu halten und
' Crowe auil t'avalcuaclie, Uistory ol l'ainliuK m >urth luly,
I, 185. :). > Ehend. 1. 198, 8. * Ebend. I, 144, 1.
« Nr. Vm und Nr. 1273 (Leg»to Crwcini).
* Crowe and CaraloMelle I. 143« 3.
LKaaoLiBrr. 3
34 Princip und Methode.
demnach den liebenswürdigen Meister von Urbino zu
verdammen und ihn fiir unwürdig zu erklären, der
Lehrer KatfaePs gewesen zu sein?
Noch ein anderes Beispiel, um Ihnen zu beweisen,
welchen Werth solche Documente in den Augen der-
jenigen haben dürfen, denen die Kunstsprache unbekannt
ist, liefert mir auch* das grosse Glasfenster in der Kirche
von S. Giovanni in monte zu Bologna. Dieses grossartige
Bild, auf dem Johannes der Evangelist dargestellt ist, trägt
die Bezeichnung C. A. F. Nun wird jeder mit der ferrare-
sischen Kunstschule vertrauteKunstfreund keinen Augen-
blick anstehen, in demselben den ernsten Geist und die
breiten, von denen des Lorenzo Costa so verschiedenen
Formen, sowie auch die charakteristischen, stark ge-
schwungenen Falten des Ferraresen Francesco Cossa zu
erkennen. Trotz alledem aber wurde und wird jenes Werk
von den Führern von Bologna und somit auch von
sämmtlichen Kunsthistorikern ^ dem Lorenzo Costa zu-
geschrieben, und dies nur deshalb, weil sie eben nicht
im Stande waren, das Bild selbst zu lesen und somit
das schriftliche Document richtig zu deuten, vielleicht
auch weil schon Vasari den ihm weniger bekannten
Maler Francesco Cossa stets mit dem Jüngern, ihm be-
kannter'n Ferraresen Lorenzo Costa zu verwechseln
pflegte. Ebenso wurde auf das Bild eines andern Fer-
raresen, auf dem der heilige Sebastianus dargestellt ist,
von einem Gauner mit hebräischen Buchstaben der Name
Laurentius Costa geschrieben und das Bild von alt
und jung wieder diesem letztern Maler zugedacht, wo-
gegen es sich für jeden Kenner als ein Werk, und zwar
als ein sehr charakteristisches, des Cosimo Tura erweist. ^
^ Die neueste „Guida di Bologna'"''^ von Herrn Corrado Ricci
verfasst, gibt LermoliefF recht und führt nun dieses Glasfenster
als Werk des Francesco Cossa an.
2 Siehe Crowe and Cavalcaselle, I, 538.
Schriftliches Documeni 35
Es wäre ein Leichtes IVu miiii, iioili l)ui/.cude solcher
von Unkundigen falsch gedeuteter Documeute anzu-
führen, sowie auch eine Menge von schon vor Jahr-
hunderten betrügerisch gefälschten Aufschriften, die
von den Kunsthistorikern schon ihres hohen Alters
wegen für echt gehalten wurden und auf die sie folg-
lich ihre tiefen und hohen Betrachtung«Mi In .ill.r Zu-
versicht basiren zu dürfen vermeinten.^'
„Je weniger wir eine Sache be^n.it n -. btuurkte
ich ihm, „mit desto mehr Worten und (iih. rden pflegen
wir unsere Bewunderung darüber auszudrücken."
„Lassen Sie mich nun Ihnen", fuhr mein Begleiter
fort, „von einer andern Sorte von Documenten erzäh-
len, auf die man heutzutage mit besonderm und löb-
lichem Eifer fahndet, nämlich von den im Staube der
Archive aufgefundenen. Es ist unstreitig eine sehr
rühmliche Arbeit der Herren Archivare, namentlich in
Italien und Belgien, dass sie sich alle erdenkliche Mühe
geben, dergleichen Documenten, die auf Künstler und auf
ihre Werke sich beziehen, nachzuspüren. Gar manches
solcher Schriftstücke hat uns schon dazu gedient und
wird uns noch oft dazu dienen, dunkle Stellen in der
Kunstgeschichte aufzuklären, unbekannte Künstlernamen
zu entdecken. Und in dieser Hinsicht kann die Kunst-
geschichte dem gelehrten und kunstverständigen Dänen
(laye, dem Herrn (iaetano Milanesi, dem verstorlnMien
Michelangelo (iualandi aus Bologmi, dem ebenfalls ver-
storbenen gelehrten Marquis C ampori, sowie dem ver-
•llen Adolfo Venturi aus Modena, den Herren
1 >lli und Bertolotti in Mantua, dem vorsichtigen,
sachkundigen leider kürzlich verstorbenen Cecchetti in
VrnrdiL' ' ' Beniühungi'U ni« ' ' '' In.
Andt-rei- >>cn ab^r vi««le d* 1 kg,
Ton den Archivaren selbst verdolmetscht, den gröasten
Unsinn erzeugt und in Umlauf gebracht. H« i' *' "
ich noch iH'nicrkrn, daas es sich vi>n S4>lt)st v< 1
36 Princip und Methode.
die meisten solcher archivarischen Documente sich doch
nur auf bedeutende, grosse Werke, sei es für Kirchen odei*
aber für Fürsten bestimmt, beziehen können. Die grössere
Zahl der Bilder in den öffentlichen sowol als in den Pri-
vatsamnilungen sind aber kleinere Staffeleibilder, für
deren Herkunft und Autorschaft in den wenigsten Fällen
schriftliche Documente aufgefunden werden dürften. Um
diese Bilder zu bezeichnen, sind wir daher sei es auf
die Tradition, sei es auf den Totaleindruck allein an-
gewiesen. Da nun aber die Intuition bei jedem von
uns eine andere zu sein pflegt, so musste ja auch das
Resultat solcher Bestimmungen ein höchst verschiedenes
sein, was bisher auch fast immer der Fall war.
„Erlauben Sie mir, Ihnen nun noch ein paar solcher
Beispiele anzuführen, damit Sie einsehen, dass ich in
jenem meinem Ausspruch über den relativen Werth der
schriftlichen Documente nicht zu weit gegangen bin.
„Ums Jahr 1840 wurde hier in Florenz im Refec-
torium des ehemalioren Klosters von S. Onofrio zufällig
ein grosses Wandgemälde mit dem Abendmahl ent-
deckt und von der weissen Tünche, die es verdeckte,
befreit. Ueber die Autorschaft jenes Frescobildes waren
sowol die Kunsthistoriker als die damaligen Kunst-
kenner, sowie auch die Maler, der verschiedensten An-
sichten. Einige Fanatiker wollten es sogar dem Rafiael
Sanzio zugedacht wissen, und als das Werk desselben
wurde es auch vom verstorbenen Kupferstecher Jesi
gestochen; wenige Vernünftigere erklärten es jedoch
blos für ein Werk aus der Schule von Perugia. Da
fand ein Maler, wenn ich nicht irre in der Biblio-
thek Strozzi, ein Document, woraus hervorging, dass
im Jahre 1461 der florentinische Bilderverfertiger Neri
di Bicci in jenem Kloster ein Abendmahl zu malen
beauftragt wurde. Der gute Mann rief Heureka aus und
veröffentlichte sein goldenes Schriftstück. Alle einsich-
tigem Kunstfreunde lachten darüber. Selbst einem
Schriftliches Docameut. 37
unserer bekanntesten und in seinem Fache höchst ver-
dienstvollen Archivar erschien diese Taufe doch zu
absurd, sodass er sich verpflichtet hielt, dem unvorsich-
tigen Maler oflfentlich den Text zu lesen, indem er ihm
seine Unwissenheit vorhielt und dafür seinei-seits das
bewusste Abendmahl als Arbeit eines spatern floren-
tiner Malers, nämlich des Kaffaellino del Garbo, Schü-
lers des Filippino Lippi, erklärte. Mit diesem Ur-
theile bewies jedoch der treffliche Archivar, dass er in
der Kunstkenntniss ungefähr auf derselben Stufe stehe,
wie sein Gegner, der Maler, der seinem Documente zu
Liebe auf Neri di Bicci geschworen hatte."
„Und welchem Meister wird das Frescobild heut-
zutage zugeschrieben?*'' fragte ich ihn.
„Passavant gibt es dem Giovanni Spagiia und Ca-
valcaselle dem Gerino da Pistoja, beide Forscher also
einem Schüler des Pietro Perugino."
„Und was halten Sie von diesen Taufen?"
„Auch ich bin der Ansicht, dass es das Werk eines
Schülers desPerugino sei, der sich an einen florentinischen
Stich des 15. Jahrhunderts hielt und nach Zeichnungen
seines Lehrers das Gemälde ausfiihrte. Vielleicht ist es
das Werk des Ginnnicola Manni^ des bekannten Gehülfen
des Penigino. Aber lassen wir vorderhand diese Special-
fragen beiseite, und erlauben Sie mir dafür, Ihnen
noch ein anderes, noch schlagenderes Heispiel anzu-
führen von dem sehr problematischen Werth eines schrift-
lichen Documenta in den Händen eines Mannes, der
mit der Kunstsprache nicht vertraut ist. Derselbe in
seinem Fache ausgezeichnete Archivar, von dem ich Ihnen
soeben sprach, hatte das Unglück, vor nicht vielen Jahren
im Archive unserer Stadt auf ein Document zu stossen,
aus dem erhellt, dass Fra Diainante., ein untergeord-
neter Maler aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und
Schüler und Gehülfe de« Fra Filippo Lippi, den Auf-
trag erhielt, im Vatican die «Verleihung der Schlüssel
38 Princip und Methode.
an Petrus» auf die Mauer zu malen. Entzückt über
den aufgefundenen Leckerbissen rief sogleich der be-
geisterte Archivar in alle vier Winde aus: Seht doch
zu, was ihr Kunstkenner für blinde Leute seid! Ihr
habt, von Vasari an bis auf unsere Tage, sammt und
sonders das grosse Frescobild mit der «Verleihung der
Schlüssel an Petrus » in der Sixtinischen Kapelle dem
Pietro Perugino zugeschrieben und in demselben seine
Art und Weise zu sehen vermeint; ihr alle wäret da-
mit ganz im Irrthum. Jenes schöne Wandgemälde ge-
hört keineswegs dem Umbrier an, sondern ist das Werk
unsers Florentiners Fra Diamante. Ihr schüttelt laut
auflachend den Kopf und wollt's mir nicht glauben?
Seht da, schwarz auf weiss; mein schriftliches Docu-
ment bezeugt es so klar wie die Sonne, und vor einem
schriftlichen Zeugniss hört alle Kritik und Polemik auf."
„Da ich nicht in Rom war", bemerkte ich ihm, „so
kann ich über jenes Gemälde kein Urtheil fällen. Und
auch Sie halten es für das Werk des Perugino?"
„Ja, sogar für sein bestes", antwortete mir der Ita-
liener mit dem schärfsten Accent der Ueberzeugung.
„Ich muss gestehen", sagte ich, „dass Sie mich
mehr als zur Genüge überzeugt haben, dass das einzige
wahre Document zur Bestimmung eines Kunstwerks
am Ende doch nur das Kunstwerk selbst bleiben dürfte.
Sie werden mir jedoch zugestehen müssen, dass auch
die Maltechnik einem geübten Auge grosse Dienste
leisten kann, um den einen von dem andern Meister zu un-
terscheiden. In Deutschland gibt es nämlich eine Schule
von Kunstkennern, die auf die Kenntniss der Maltech-
nik ein ganz besonderes, wenn nicht das grösste Ge-
wicht für die Bestimmung eines Gemäldes legen möchte."
„An Gemälden aus dem 15. und 16. Jahrhundert,
die überdies noch der grössten Zahl nach verdorben
und übermalt auf uns gekommen sind", antwortete
er lachend, „noch die Maltechnik, d. h. die Palette,
Maltechnik. 3^
herausconstruirtMl zu wollen, wie dies allerdings seit
den Zeiten des französischen Malers Largilliere bei vie-
len Malern, Kunstkennern und selbst bei einigen Kunst-
liistorikern auch bei uns Sitte geworden ist, scheint mir
ein kühnes Waguiss zu sein, und in dieser Hinsicht
diu-ften die vernünftigem unter den Malern nicht ganz
unrecht haben, über die Prätensionen einiger Kunst-
kenner und Kunstschreiber unserer Tage sich lustig zu
machen. Auch mochten solche aus der Luft gegrifl'enen
Auseinandersetzungen hauptsächlich nur dazu dienen,
dem blöden Publikum Sand in die Augen zu streuen.
Befragen Sie doch iiber diesen Gegenstand verständige,
sachkundige und ehrliche Bilderrestauratoren und Sie — ."
„Gibt es deren?" fiel ich ihm ins Wort.
„Dieselben", bemerkte er lächelnd, „sind alK uiiiij^:?
><> selten wie die weissen Fliegen, allein ich hatte doch
das Glück, in meinem Leben einige wenige solcher zu
kennen, und keiner von ihnen getraute sich vor einem
alten Gemälde mir zu sagen, welcher specieller Farben
und Firnisse der Maler zu seinem Bilde sich bedient
habe; ja oft waren sie sogar in Verlegenheit, mir die
an sie gestellte Frage: ob nämlich das Bild ganz in
tempera ausgeffdirt oder aber mit Oelfarben lasirt wäre,
zu beantworten." —
Es war inzwischen dunkel geworden und wir stan-
den bereits am Ponte vecchio. Mein Begleiter, der in
der Via S. Frediano wohnte, hielt da inne, mir die Hand
reichend und um Verzeihung bittend, durch sein langes
Gespräch mich abgehalten zu haben, die Villa Kucciano
zu besuchen, deren Besichtigung ja doch dor Zweck nn-
sers Spazierganges gewesen wai
Ich dankte dem freundlichen aitrn Maim tui >fmt'
gute Absicht, sowie (Tir die grosse Mühe, die er sich da-
bei gegeben, seine Anschauungen über so manche Streit-
frage in der Kunstwissenschaft mir begreiflich zu machen,
und fragte ihn dann, ob er nicht vielleicht g4.>»onneu wäre.
40 Princip und Methode.
falls seine Zeit es ihm erlaubte, mich am folgenden Tage in
die Säle der Uffizien und des Pitti-Palastes zu begleiten.
„Mit der grössten Freude", antwortete er. „Nur
möchte ich nicht, dass Sie mich etwa fiir einen Mann
des Faches und meine Ansichten daher für Orakelsprüche
hielten! Meine Meinungen über die Kunstwissenschaft
können natürlich keinen absoluten, sondern nur einen
sehr relativen Werth haben. Auch traue ich mir wahr-
lich nicht so viel Geist und Kenntnisse zu, um mich
iiber andere erheben zu wollen. Wenn ich jedoch an-
dererseits sehe, wie so mancher Tölpel über italienische
Kunst als Kichter und Kritiker sich dem grossen Pub-
likum aufdrängt, so denke ich, dass es doch auch mir,
der ich so lange und gewissenhafte Studien durch-
gemacht habe, erlaubt sein wird, wenigstens ebenso
viel Urtheil mir zuzutrauen als jener oberflächlichen
Schar von Kunstschriftstellern im In- und Ausland."
Wir bestimmten sodann die Stunde unsers Zusam-
mentreffens in der „Tribuna" und verabschiedeten uns
voneinander.
Am folgenden Morgen stieg ich zur festgesetzten
Stunde die unbequeme Treppe der Uffizien-Galerie hinauf
und traf, oben in der Tribuna angelangt, meinen gestri-
gen Gefährten, der, mit freundlicher Miene entgegen-
kommend, mir die Hand reichte, wahrscheinlich in der
Hoffnung, an mir einen willigen Jünger seiner Kunst-
theorie gefunden zu haben.
„W^ir befinden uns hier in einem Raum", sagte ich,
rings um mich schauend, „wo viele Bilder — eins, zwei,
drei, vier, fünf, ja sogar sechs — den Namen des Raffael
Sanzio von Urbino tragen. Wollen Sie nun die Ge-
fälligkeit haben, mir an denselben praktische Beweise
von der Richtigkeit Ihrer Formenlehre zu geben?"
Florenz: Uffizien-Galerie. 41
„Sie stellen da", erwiderte lächelnd der Italiener,
„eine sehr verfängliche Frage an mich; denn, sollten
in diesen sechs dem KaÜael zugeschriebenen Bildern
die Formen nicht nur nicht der Raffaerschen (rrund-
form sich nähern, sondern sollten im Gegentheil in
jedem dieser Bilder die Formen als sehr verschieden
voneinander sich herausstellen, was würden Sie dann
sagen?''
„Dass eine Theorie, die bei der Probe sich nicht
bewährt, gar keinen praktischen Werth haben kann
und folglich werthlos ist", entgegnete ich.
„Da Sie, wie Sie selbst sagen, nur Dilettant sind
und noch nicht sehen gelernt haben, durfte ich auch
von Ihnen keine andere Antwort erwarten. Uebrigens
pflegen meine Gegner mir denselben Vorwurf zu machen.
Darf aber derselbe in den Augen eines sachverständigen
Forschers als begründet angesehen werden? Ich glaube
nicht." „AVenn etwa zwei Hellenisten", fuhr er etwas
verstimmt fort, „in der Auslegung der einen oder der
andern Stelle eines griechischen Schriftstellers nicht
übereinstimmen, so mag dies daher kommen, dass der
eine mehr Scharfsinn als der andere besitzt. Nun mögen
unter den Lesern die einen dem gescheiten, die an-
dern dem einfältigen Commentator und Kritiker, je
nach der Wahlverwandtschaft, recht oder unrecht geben,
allein keinen von ihnen wird doch der mindeste Zweifel
anwandeln, dass der eine oder der andere der beiden
Gelehrten die Ci rammatik der griechischen Sprache nicht
gründlich erlernt habe."
„Das versteht sich ja von selbst", bemerkte ich.
„Gut", sagte mein Führer. „Bei den sogenannten
Kunstkritikern und Kunsthistorikern ist dies aber keines-
wegs der Fall. Der erste beste Literat oder dilettan-
tisrlieK' ■" r rümpft die 1 ' ^' ise über
meine !iii ^ i i.ilirung und • ^ ^ «lien be-
ruhende Theorie, welche zu begreifen er weder die
42 Princip und Methode.
not Ingen Kenntnisse noch das mindeste Talent besitzt,
und so tritt er mir mit gewohnter Frechheit öfi'entlich
entgegen, ohne dabei irgendwelche Gründe zur Unter-
stützung: seines verneinenden Urtheils vorzubrino:en.
Und das geduldige Lesepublikum, das vor allem Ge-
druckten den grössten Respect hat, weiss, wie jener
Bauer, welcher den Hut abnahm vor dem Papagaien,
der vom Fenster herab ihm einen « guten Morgen » ge-
wünscht hatte, natürlich nicht, wem von beiden zu
trauen ist: mir, der ich ja mit grösster Mühe und
durch jahrelangen Fleiss die Grammatik der Kunst mir
zu eigen zu machen trachtete, oder dem improvisirten
«Kunstkritiker», der meine Anschauungen und die Resul-
tate meiner ernsten, jahrelangen Forschungen mit olym-
pischer Sicherheit entweder bekämpft oder auch für die
eigenen ausgibt.
„Für einen Anfänger, wie Sie zu sein gestehen", fuhr
er dann nach einer kleinen Pause mit milderer Stimme
fort, „würden wir besser thun, wenn wir zu diesem
Zweck uns vorerst an einige Quattrocentisten hielten,
wie etwa Antonio Pollajuolo, Signorelli oder Fra Fi-
lippo Lippi oder seinen Schüler Botticelli, da in den Wer-
ken dieser altern Maler das Knochengerüst schärfer
durch die Fleischhülle durchscheint und somit die jedem
Meister eigenthümlichen, für ihn charakteristischen For-
men uns klarer vor die Augren treten als bei den Ma-
lern des Cinquecento, zumal bei Kaffael, der die knö-
cherne Unterlage, soviel als dies, ohne den Charakter
der Form zu beeinträchtigen, möglich ist, mit seinem
feinen Sinn für Anmuth zu verhüllen trachtet." „Ich will
indess doch", fügte er hinzu, „Ihrer Aufforderung Folge
leisten, so gut mir dies an diesem Orte eben möglich
ist. Ehe wir aber an die kritische Betrachtung dieser
sechs dem Urbinaten zugedachten Gemälde gehen, er-
lauben Sie mir, Sie auf zwei Bilder aufmerksam zu
machen, die hier in nächster Nähe hängen und die beide
Florenz: Uffizien-Galerie. 43
im Katalog deu Namen des Fra Filippo fuhren, ob-
gleich das eine, meiner Ansicht nach, nicht dem Frate,
sondern dessen Schüler Botticelli angehört.''
Ich t'olüfte nun meinem riihrijjen Führer ins nächste
Zimmer, wo sich unter der Nummer 1179 ein kleines
Bild befindet, auf dem der heilige Augustinus in seinem
Stildirzimmer dargestellt ist.
,, Sehen Sie sich nun dieses Bildchen genauer an'*,
i>iiaiQ er, indem er mich ins rechte Licht davor stellte.
„Die charakteristischen Formen des Sandro Botticelli'',
begann er, „sind unter andern: die Hand mit den aller-
dings nicht sehr anmuthigen, allein stets lebendigen,
knöchernen Fingern, deren Nägel, wie z. B. hier der
Daumen, viereckig und schwarz umrissen sind;
die stumpfe Nase mit den aufgetriebenen Nüstern,
wie Sie dies hier in dem daneben hängenden berühm-
ten Bild der Cahinnia (Nr. 1288) des Apelles, einem
unbestrittenen Werk des Meisters, sofort finden können.
Sehen Sie sich femer in beiden Gemälden die eigen-
thi'imlichen Längsfalten an und die durchsichtige goldig
rothe Farbe. Vergleichen Sie auch noch, wenn Sie
wollen, den Nimbus dieses heiligen Augustinus mit dem
Nimbus anderer- Heiligen in authentischen Bildern
des Botticelli aus derselben Epoche, und Sie werden
nicht umhin können, mir zuzugeben, dass der Maler
dieser «(alunnia» und des grossen Kundbildes Nr. 25
im näclisten Saale der Urheber auch dieses kUMuen
heiligen Augustinus gewesen sein müss*
< ^' ' !i mir diese unästhetische Art, um au»»'iu
Hill: I die Werke der Kunst zu l)estinnnen^ mehr
die eines Natur- als die eines Kunstforschers und über-
dies ganz gegen die hergebrachte Sitte zu sein schien,
so gab ich doch zur Antwort: ,<>Sie scheinen mir mit die-
sen Ihren Behauptungen recht zu haben. Wie konunt es
aber', fugt«* ich hinzu, „dass man dieses Bildchen dem Fra
Filippo und nicht dem Botticelli hat zuschreiben wollen?'*
44 Princip und Methode.
„Weil die Leute", sagte er, „welche die Bilder tniiften,
nur dem sogenannten Totaleindriick folgten und eben
nicht gewohnt waren, die Werke der verschiedenen
Meister aus derselben Schule miteinander zu verglei-
chen; vor allem aber weil Vasari im Leben des Fra
Filippo uns berichtet, der Frate hätte dem Bernardo
Vecchietti ein Bildchen mit dem heiligen Augustinus
im Studirzimmer gemalt."
„Als ob nicht noch andere Maler", bemerkte ich,
„denselben Gegenstand hätten darstellen können!"
„Sehr richtig! Sie sehen also auch aus diesem
Beispiel, welchen Werth ein schriftliches Document oder
die Tradition hat, wenn wir nicht in der Lage sind,
das Kunstwerk selbst über seinen Urheber zu be-
fragen. "
„Gut", sagte ich meinem sichtlich befriedigten Be-
gleiter; „um Ihnen aber mit vollem Bewusstsein zu-
stimmen zu diirfen, müssen Sie die Gefälligkeit haben,
mich vor ein authentisches Gemälde des Fra Filippo
zu führen, damit ich auch dieses mit dem kleinen Au-
gustinus hier vergleichen könne."
„Folgen Sie mir." Er fasste mich an der Hand und
führte mich in den letzten Saal jener Abtheilung der
Galerie, woselbst wir vor ein Bild Nr. 307 traten, auf
dem Maria dargestellt ist, wie sie das von zwei Engeln
gestützte Christkind anbetet. ^ „Betrachten Sie nun",
sagte er, „auf diesem Gemälde vor allem die Verschie-
denheit der Farbenharmonie; stellen Sie diese hellblaue
Farbe des Mantels der Maria mit der dunkeln Farben-
scala des Botticelli zusammen; vergleichen Sie auch
^ Von diesem Bilde gibt es eine zwar alte, allein durch neue
Restauration ganz und gar entstellte Copie in der Sammlung
des Fürsten Torlonia in Rom, sowie in der Uffiziensammlung
eine auf Betrug berechnete Zeichnung, die aber doch von den
Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 347 — 348) „an admirable
drawing"^ genannt wird. — (Rahmen 39, 184.)
Florenz: Üffizien-Galerie. 45
die Formen auf diesem Bilde mit denen in den Ge-
mälden des Botticelli, z. B. die Form der Hand, der
Käse, des Ohres, des Schädels, der Falten, und sagen
Sie mir dann oft'en Ihre Meinung darüber.'»
Ich beschaute mir nun das Bild des Frate Filippo
so scharf als mir nur möglich war, und in einer Weise,
wie ich vorher noch nie ein Gemälde mir angesehen
hatte, und nuisste schliesslich doch eingestehen, dass,
wer dieses Madonneiibild verfertigte, nie und niemals
den kleinen heiligen Augustinus im Studirzimmer gemalt
haben könne.
Zufrieden mit diesem meinem Zugeständniss gelei-
tete mich mein Begleiter wieder in die Tribuna zurück,
wo das reizende Bild Kaffaers mit der <• Madonna del
Cardellino») uns zuerst anzog. Mich muthete dieses von
jugendlicher Zartheit strahlende Bild vor allen andeni
danebenhängenden Gemälden des Urbinaten an und
ich konnte nicht umhin, mein Entzücken dem gefälligen
Cicerone auszusprechen.
„Ich stimme Ihnen au^ volk-m Unzen bei", sagte
er; „auch mir kam dieses Madonnenbild Itaflaels stets
als vielleicht das reizendste Werk aus seiner Jugend-
zeit vor, und ich hatte das Glück, fast alle Madonneu-
bilder des Urbinaten von Angesicht zu Angesicht zu
sehen und zu geniessen. Denken wir jedoch vorder-
hand nicht an den ästhetischen Werth des Ciemäldes,
sondern sehen wir uns, unserm Vorhaben gemäss, blos
die Formen in demselben an, z. B. die de« Ohres und
der Hand. Schauen Sie doch, wie dieses Raffaersche Ohr
hier bei den Kindern rund und fett, wie es innig mit
dem Backen verwachsen und nicht, wie in den Bil-
dern vieler anderer Meister, blos an den Backen an-
gesetzt ist; sehen Sie sich ebenfalls die Hand der Jung-
frau an mit dem breiten Metacarpium, den noch etwas
ungelenken Fingern, mit den nicht über die Finger-
spitze hinausreichenden Nägeln, wie Sie dies ebenso auf
46 Princip und Methode.
den andern gleichzeitigen authentischen Bildern RaöaeFs
gewahren werden, z. B. auf der «Verlobung der Maria»
in der Brera; auf dem Bilde mit der Madonna de* Tempi
in Mimchen, auf dem kleinen Madonnenbilde des Lord
Cowper in England und anderwärts."
„Ums Himmels willen'^, rief ich lachend aus, „lassen
wir doch die garstigen, unästhetischen Nägel beiseite.
Die Kunstkenner in Deutschland und Paris würden sich
über Sie lustig machen, wollten Sie ihnen selbst die
Nägel als ein charakteristisches Zeichen eines grossen
Meisters anführen."
„Man kann über alles lachen", bemerkte etwas ver-
driesslich der Italiener, „besonders wenn man nichts
von der Sache versteht. Und ist etwa, wenigstens in
den Augen des Naturforschers, ein Nagel unästhetischer
als das Haar oder irgendein anderer Theil des mensch-
lichen Körpers? Kann uns vielleicht in manchen Fällen
die Form und der Schnitt des Nagels nicht dazu be-
hülflich sein, z. B. ein nordisches (vlämisches oder deut-
sches) Bild von einem italienischen, ein Werk des Mariotto
Albertinelli von einem seines Vorbildes Fra Barto-
lommeo, die Hand des Bernardino de' Conti, des Barto-
lommeo Montagna und anderer Meister mehr mit
grösserer Sicherheit zu erkennen und von den Händen
ihrer Schulgenossen zu unterscheiden?"^ „Ihnen und
^ In der Oxfordsammlung, um unter vielen ein paar Bei-
spiele nur anzuführen, schreibt man ein Blatt, worauf der Kopf
eines jungen Mannes und darunter eine Hand dargestellt sind,
dem Urbinaten zu, und als Zeichnung Raffael's wurde das Blatt
auch in der Publication der Grosvenor-Gallery reproducirt (Nr. 19).
Nun ist es gerade diese Hand mit ihrem wie mit der Schere in
drei Tempos scharf abgeschnittenen Daumennagel, der somit die
Form eines Fragments von einem Octogon annimmt — wie dies
in sehr vielen Händen nordischer, nie aber in denen italie-
nischer Bilder wahrzunehmen ist — , gerade diese Hand ist es,
die den nordischen Meister am deutlichsten verräth. — In der
Florenz: Uffizien-Galerie. 47
Ihren deutschen und französischen Freunden zu Ge-
lallen", fügte er lächelnd hinzu, „will ich jedoch die
hässlichen, unästhetischen Nägel aus dem Spiele lassen
und Ihre Aufmerksamkeit dafiir blos auf die edlem
Formen des menschlichen Körpers leiten. Ich bitte also
jene Formen, die wir in diesem Bilde Kaflaers genau
betrachtet und erfasst haben, mit den Formen auf dem
andern Bilde hier in der Nähe, die «Madonna del pozzo»
genannt (Nr. 1125), vergleichen zu wollen. Hat hier
das Ohr nicht eine ganz andere Form, ebenso die Hand
mit den dicken, kurzen Fingern? Gleicht etwa der
Typus der Kinder auf diesem Bilde dem der Kinder
auf jenem Gemälde Raöaefs? Und die glatte, etwas
gläserne Farbe, ist sie nicht sehr verschieden von der
blonden Hautfarbe, die wir, trotz der Kestauration, soeben
in der «Madonna del Cardellino» beobachtet haben?"
„O ja'"', rief ich freudig aus, „das sehe auch ich ein;
selbst die Landschaft mit dem dichten struppigen
Strauchwerk ist gar nicht in der Art jener Landschaft
Kafiaels, und dann gar diese unschöne Zusanunenstel-
lung der Figuren und die hässliche Stellung des rech-
ten Beines der Maria — gewiss hatte li^ifiael ein ganz
anderes Liniengefühl! Auch die Farbensciila ist sehr
verschieden von jener auf dem Bilde mit der Madonna
del Cardellino."
„Dieses Gemälde", fuhr dann mein Begleiter fort,
„wurde schon von Passavant, später von Mündler und
zuletzt selbst von den Herren ( Vowe und C avalcaselle ftir
unwürdig des Urbinaten erklärt, und es ist eine wahre
Schande für unsere Galeriedirection, dass noch immer
' ^ ine Kaflaers unter dem Bilde zu lesen steht."
Stmmluog der Hrnndzeicbnangen in Cbat«worth befindet •ich ein
Blntt. worauf zwei Binde daiifetteUt tind (Bniun, \Ml die troU-
dem «tc <in ausgesprochen nordisches Ausschou hAl>cn, dort
doch dem Psrmeggianino tugeschrieben werden.
48 Princip und Methode.
„Welchem Meister schreiben es denn die eben ge-
nannten Herren zu?"
„Wicar, Passavant und Cavalcaselle erkannten es,
und zwar sehr richtig wie mir scheint, als ein Werk
des Franciabigio."
„Da nun heutzutage sowol Kenner als Nichtkenner
einig sind, dass dieses Bild keinesfalls dem Raffael an-
gehöre, so lassen wir das jetzt ruhen", bemerkte ich.
„Haben Sie doch die Güte, mir Ihre Meinung über diese
danebenhängende «Fornarina» mitzutheilen."
„Sehr gern", antwortete mein Begleiter. „Vor alleni
müssen Sie wissen, dass dieses Frauenbildniss lange Zeit
als Werk des Giorgione galt, bis zu Anfang unsers
Jahrhunderts dem damaligen Galeriedirector Puccini,
demselben der auch die soeben von uns betrachtete
«Madonna del pozzo» für die Arbeit Raftaers erklärte,
in den Sinn kam, die Züge der mythischen «Forna-
rina» in diesem Porträt erkennen zu wollen und es daher
dem Urbinaten zuzuschreiben. Die neuere, etwas weit-
sichtigere Kritik hat jedoch auch dieses, wie auch noch
gar manches andere Gemälde dem Sanzio abgesprochen
und es wieder in die Schule Giorgione's versetzt."
„Ich kenne die Art und Weise des Urbinaten viel
zu wenig", sagte ich, „um der neuen Kritik gegenüber
mir ein Urtheil über dessen bestrittene Werke zu er-
lauben. Soll ich aber den ersten Eindruck, den die-
ses Frauenbildniss auch auf mich machte, Ihnen un-
umwunden sagen, so muss ich gestehen, dass aus diesem
Bilde auch mir ein Ratfaerscher Duft entgegenzuwehen
schien."
„Zu wehen! Ganz wohl", meinte lächelnd der
Italiener, „denn auch Sie, wie dies alle Dilettanten zu
thun pflegen, urtheilen blos nach dem oberflächlichen
Totaleindruck." „Ein KafFaeFscher Duft", fuhr er dann
fort, „das ist etwas sehr Unschuldiges für einen ernsten
Kritiker — doch will ich Ihnen denselben zugeben, da
Iiir f*rNiK?(AN5(TR roR^ARIXA IX tiRR TRItllXA t«RR JrrtXIRX OALKRIB. ■.
Der Violinspieler bei Sciarra - Colonna. 49
ja dieser römische Frauenkopf von weitem schon an gar
manchen Modellkopf in den Werken Raffaers gemahnt
Und wird vielleicht nicht auch Tizian von den Dilet-
tanten gar oft mit Palma vecchio verwechselt? Doch nur
deshalb, weil eben beide Venezianer denselben oder doch
ahnliche venezianische Modellkopfe darstellten. Be-
trachten Sie doch etwas genauer die Formen in diesem
Bilde, z. B. den dicken, fetten Arm, die unvollkommene
Modellirung des Mundes, die unraffaelische Stellung der
Finger, dann diese tiefschwarzen Schatten, wie Sie auf
keinem Gemälde RaffaeFs aus seiner florentinischen und
römischen Zeit sie finden ; betrachten Sie. endlich noch
die vereinzelten Spuren der Originalfarben in diesem
Porträt, so werden Sie gewiss das erste oberflächliche
Urtheil, das Sie über das Bild fällten, modificiren
müssen. Und, in der That, aus dieser etwas akade-
misch steifen Hand weht, scheint mir, weder der Geist
des Giorgione, noch viel weniger der des Raflfael uns
entgegen. Auch sprechen diese mit Gold aufgesetzten
Verzierungen, sowie die vergoldete Jahreszahl 1512
keineswegs für llaftael, denn mir wenigstens ist, nach
der im Jahre 1507 gemalten Grablegung in der. Bor-
ghese- Galerie, kein authentisches Werk von ihm be-
kannt, worauf die Jahreszahl zu finden wäre."
„Ist denn der Violinspieler der Galerie Sciarra-
Colonna nicht vom Jahre 1518?" bemerkte ich ihm.
„Ich kenne das Bild nur nach dem Kupferstich, allein
ich glaube doch nicht zu irren, die Jahreszahl 1518
darauf gesehen zu haben."
„Sehr richtig", antwortete mein Begleiter, „allein
jrin« Jahreszahl scheint mir spätem Ursprungs als das
Cicniälde selbst zu sein.* Auch der Violinspieler wurde
überdies erst viele Jahre nach dem Tode des Urbinaten
' BarOD von RumoLr iM-inmjitrt , <i;i«s in
in das „Impasto^* hineingemalt sei (III, 137).
I.KKMOLISFF.
50 Princip und Methode.
auf Eafiael getauft. Vasari wusste nichts von diesem Bilde.
Selbst die steinerne Brüstung, an die der junge Mann sich
lehnt und auf welche die verfängliche Jahreszahl gesetzt
wurde, erinnert, ebenso wie die Modellirung des Gesichts
und die Behandlung des Pelzwerkes, an die Schule Gior-
gione's; ja, wenn Sie jenen hübschen, verführerischen Vio-
linspieler mit dem Porträt unserer sogenannten Fornarina
hier, sowie mit einzelnen Köpfen im Bilde in S. Giovan
Crisostomo in Venedig vergleichen, so dürften Sie viel-
leicht meine Meinung theilen, dass auch dieser Violin-
spieler das Werk des jungen Sebastiano Luciani sei ^ und
keineswegs von Rafiael herrühre. Auch treffen Sie so ge-
formte steinerne Fensterbrüstungen nur auf Bildnissen
der Venezianer an, so z. B. bei der sogenannten Bella
di Tiziano von Palma vecchio in derselben Galerie
Sciarra-Colonna; so auf dem weiblichen Bildnisse des
B. Licinio vom Jahre 1524 bei den Erben Andreossi
in Mailand und anderwärts mehr. Kommen wir jedoch
wieder auf unsere sogenannte Fornarina hier zu spre-
chen. Um 1512 malte Raffael seine berühmte Madonna
di Foligno in der vaticanischen Bildersammlung. Wenn
Sie nun die Hände auf diesem letztern Bilde mit der
Hand dieser Fornarina vergleichen würden, so zweifle
ich nicht, dass selbst Ihnen, der Sie sich doch nie ein-
gehend mit Formenstudien befasst haben, der grosse
Abstand auch in die Augen springen dürfte, der zwi-
schen der Hand dieses bekränzten Weibes und der
Madonna di Foligno besteht. Und, bitte, wollen Sie
doch ausserdem noch sich diese saftigen, echt venezia-
nischen Farben, nicht etwa im Gesicht, denn dieses ist ja
ganz übermalt, sondern an dem hellblauen und dunkel-
rothen Mieder besehen. Solche Farbenaccorde finden
^ Irre ich nicht, so war es Prof. Springer, der zuerst bei diesem
Porträt den Raffaelischen Ursprung bezweifelte und Sebastian
del Piombo als Urheber vermuthungsweise nannte.
Die „Fornarina" der Üffizien-Galerie. 51
Sie wahrlich weder auf einem Gemälde RaftaePs noch
auf irgendeinem eines gleichzeitigen Florentiners, wol
aber auf vielen andern Bildern des Fra Sebastiano aus
seiner venezianischen Periode, wie z. B. auch auf seinem
grossen Bilde hier in den Uffizicn, den Tod des Adonis
darstellend (Nr. 590), das der Katalog dem Moretto da
Brescia zuschreibt, ferner in den Lunetten im untern
Saale der Farnesina in Rom. Vergleichen Sie dann
noch die Behandlung des Pelzwerks auf diesem Frauen-
porträt mit der Behandlung des Pelzes auf dem männ-
lichen Porträt Sebastiano's (Nr. 409) in der Pitti-Galerie,
— und Sie werden, hotte ich, nach diesen Vergleichen
zur Ueberzeugung kommen, dass sowol diese sogenannte
Fornarina als der Violinspieler nichts anders sind als
Bilder von Fra Sebastiano del Piombo und mit llafiael
nichts zu schaffen haben."
„Entspricht aber", fragte ich meinen Fuhrer, „die
Form der Hand dieser sogenannten Fornarina auch
wirklich jener auf allen beglaubigten Bildern des Fra
Sebastiano?"
„Keineswegs", erwiderte der Italiener etwas er-
staunt über meine Frage. „Die Formen in den Wer-
ken des Sebastiano del Piombo sind in den verschie-
denen Epochen seiner Wirksamkeit sehr verschieden,
denn Sebastiano ist, ebenso wie Girolamo Genga, nach
meinem Dafürhalten als einer der ersten Repräsentanten
des Eklekticismus anzusehen. So wie Genga durch Luca
Signorelli aus seinem natürlichen Fahrwasser gezogen
ward, so wurde Sebastiano Luciani zuerst durch Ratt'ael,
dann aber hauptsächlich durch Michelangelo aus seiner
I iL'«non Bahn gerissen. In seinem Jugendbild, adie Be-
u«inung Christi», in der Sanunlung von Sir Henry
Layard in Venedig, ahmt er noch den strengen Cima da
Conogliano nach, und seine Typen und Formen sind daher
dort die des letztgenannten Meisters. Spater erfährt er
den überwältigenden Einfluss des cnleln Giorgione, und
I*
52
Princip und Methode.
seine Typen und Formen, sowie seine Maltecbnik er-
innern dann an die des Barbarelli, wie z. B. in dem
trefflichen eben genannten Bilde in S. Giovan Criso-
stomo, in den vier Heiligen (Bartholomeus, Sebastia-
nus, Sinibaldus und Lodovicus) in der Kirche von
Faun des S. Sebastiauo del Piombo.
S. Bartolommeo di Rialto in Venedig und beim Violin-
spieler bei Sciarra-Colonna.^ Ums Jahr 1510, von
^ Aus dieser Epoche Sebastiano's besitzt die Liller Samm-
lung eine charakteristische Federzeichnung unter dem falschen
Namen Tizian's. Dieselbe stellt einen Faun dar (Braun, 39; siehe
obige Abbildung). Die Form der Hand ist hier noch giorgio-
nesk, die des Ohrs dieselbe, die wir noch in den Bildern seines
ersten römischen Aufenthalts (1511 — 1513) finden.
^ebaatiano Luciani. 53
Agostino Chigi nach Rom benifen, wurde Sebastiano,
aller Wahrscheinlichkeit nach, durch seinen neuen Gönner
Chigi mit dem jungen llaftael, der gerade damals
anfing, der Liebling der romischen Kunstfreunde zu
werden, bekannt gemacht. Und so dürfen wir uns nicht
wundern, dass in den Bildern des Sebastiano aus jenen
Jahren die Typen und Formen sich denen des Urbi-
naten nähern, wie wir dies auch in dieser Fornarina
vom Jahre 1512 zu erkennen glauben, ebenso wie in
dem schonen männlichen Porträt der Sammlung Scarpa
in La Motta.* Nach dem Jahre 1512 tritt aber Luciani, zu
seinem Unglück, in ein freundschaftliches Verhältniss mit
dem gewaltigen, über den Ruhm Raftaers etwas unmuthi-
gen Michelangelo, und seine Formen und Typen werden
sofort michelangelesk. Kurze Zeit nach dieser Fornarina
dürfte, irre ich nicht, Sebastiano das ebenfalls Forna-
rina, auch Dorothea genannte Porträt, welches kürz-
lich aus dem Schloss Blenheim ins berliner Museum
gelangte, gemalt haben. Während auf diesem letztern
Bild, das früher auch I^iftael zugedacht war, der land-
schaftliche Grund durchaus noch giorgionesk ist, hat
(Ini^cj^cii die Hand mit ihren überlangen Fingern schon
fine an Micih'laiiLj'lo erinnernde Form erhalten. Und
bei (li. -< r (l« 1. i/cnheit sei mir gestattet, Ihnen meine
•etw.i Ansicht über ein anderes viel bespro-
rhei»L> i>iiü 1 '* iiiitzuthcilen, falls Ihnen das nicht
zu langweilig u sollte».''
..Durchaus nicht*^^ sagte ich, um den redseligen Mann
nicht zu beleidigen, obschon ich dieser seiner weit-
Kch weitigen Erörterungen müde zu werden begann.
' Dieses herrliche, aber loider etwas abermalto Porirftt,
welches dort Raflscl zageschrieben and als das des Tibaldeo
auflffcgeben winl, dürfte vielleicht eher das Bildnis des etwa 26
oder 27 jihrigen Raffaers selbst sein, tod seinem damaligen Ver-
ehrer Sebastiano gemalt.
^ Princip und Methode.
„Bin ich namlieli", fuhr er fort, „nicht in einer argen
Täuschung befangen, was ja uns armen Kunstkennern
gar oft begegnet, so dürfte der auf einem Baumstamm
sitzende Täufer, den Sie im Louvre unter dem Namen
RaffaeFs gewiss auch betrachtet haben werden (Nr. 3GG),
ebenfalls eines der ersten Werke sein, die Sebastiano
in Rom, nach einem Entwurf seines neuen Freundes
und Beschützers Michelangelo ausführte und diesmal
wahrscheinlich im Wettstreit mit dem Ivatt'aerschen Ge-
mälde desselben Gegenstandes, von dem Sie auch hier
Johannes der Täufer in der Louvre-Galerie, Nr. 336.
in der Tribuna (Nr. 1127) eine Schulcopie sehen. Wie
also die Fornarina hier die Nachahmung Raffaers, so
bedeutet in meinen Augen jener Täufer im Louvre den
Uebergang Sebastiano's von der Raflaerschen in die
michelangeleske Manier. Die Bewegung und die Kör-
perstellung jenes Täufers im Louvre, sowie der Aus-
druck gemahnen, scheint mir, an die Körperstellung
jener Riesen des Michelangelo an der Decke der Sixti-
nischen Kapelle, etwa an jene zwei nackten Jünglinge
oberhalb der Erythräischen Sibylle. ^ Auch ist die Form
* Die Sammlung in Chats worth besitzt mehrere Zeichnungen
des Sebastiano del Piombo, die eine unter dem Namen Giorgione's,
Sebastiano Luciani.
55
und Biegung des Mittelfingers jenes Täufers durchaus
micbelangelesk, die Landschaft jedoch noch immer vene-
Zwei Figuren Miohelangelo^e an der Decke der Sikttnitchen Kapelle.
tianisch und sehr verschieden von den idealen Land-
schaften lliiftaers.*
die andere unter dem Tizian^< M>r. i.».-^;, fiut- urutf
(Br. 190) einen der Prot)heten in der Kapelle
der Kirche von S. Pietro in Montorio darstellend.
Nun entspricht auf dieser letztem getaschten
Zeichnung die Form des Ohres ganz und gar
der Ohrform des Täufers im Louvre. Eine an-
dere vorzügliche Zeichnung des Sebastiano, aus
seiner michelangelesken Zeit, finden wir auch in ohTbel sebaetiano
der Sammlung des Louvre (Braun 424). dei Ptombo.
* Herr Director W. Bode behauptet, beiläufig bemerkt, eine
deutliche Verwandtschaft der Barberini^schen „Fornarina" mit
der )>erliner „Dorothea** und setzt die Entstehung der erstem
ins Jahr 1609 oder 1510, die Dccorationsmalcreien Sebastiano^s
ia der Famesina ins Jahr 1500 und die „Dorothea" ins Jahr
1511, also ein Jahr vor der „Fomarina** in der Tribuna (Kunst-
freund, Nr. 15, S. 228). Man lese über diesen Streitpunkt auch
die glänzend geschriebene Abhandlung des Herm Geh. Regie-
mngsraths Director Julius Meyer im ersten Heft der k. preussi-
56 Princip und Methode.
„Nun", fuhr er fort, indem er mich bei der Hand
nahm und meine ganze Aufmerksamkeit wieder auf das
vor uns stehende Frauenporträt der sogenannten For-
narina lenkte, „nun ist die Form der Hand hier eben
nichts anderes als die Uebergangsform von der gior-
gionesken in die Rafiael'sche, es ist somit eine charak-
terlose, akademische Hand.
„Ich will Sie jedoch nicht ermüden mit dergleichen
etwas hyperkritischen Auseinandersetzungen, zumal es
heutzutage wol kaum einen namhaften Kenner der
EaffaePschen Kunst geben dürfte, der bei der Puccini'-
schen Taufe noch Gevatter zu stehen geneigt wäre.'^
„Ich bin zwar nicht in der Lage, in solchen ver-
fänglichen Fragen mitsprechen zu dürfen", sagte ich;
„soviel ist jedoch gewiss, dass Ihre Einwürfe gegen
die Ansicht jener Kunsthistoriker, welche dieses Frauen-
bildniss hier als Werk Raffael's ansehen, es noch nicht
vermocht haben, den ersten Eindruck zu verwischen,
den dieses Bild auf mich machte."
lieber dieses mein Geständniss wurde der Italiener
zuerst etwas unwillig, willigte jedoch zuletzt ein, dass
ich nicht ganz unrecht hätte, und dass man Anfänger
niemals vor dergleichen eklektische Kunstwerke führen
sollte, um daran Formenstudien zu machen.
„Betrachten wir daher", sagte er dann, „dieses
zweite hier ebenfalls auf Raffael getaufte Frauenbild-
niss, Nr. 1120, in der Nähe. Leider ist dieses herrlich
aufgefasste und ganz meisterhaft modellirte Porträt so
stark übermalt worden, dass wir es nur noch nach der
Farbenscala des Kleides und nach der Zeichnung des
Gesichts und besonders der Hand mit dem ausgestreck-
ten Zeigefinger zu beurtheilen im Stande sind.
sehen Kunstsammlungen vom Jahre 1886. Hen* Julius Meyer war,
meiner Ansicht nach, zuerst auf dem rechten Weg, Hess sich jedoch
durch seinen Freund und Collegen Bode wieder davon abbringen.
Unbekanntes Fi-auenporträt in der Tribuna. 57
,,Trotz aller Unbilden, die es erfahren, bleibt es doch
noch immer ein bestechendes Bild und kann nur das Werk
eines hervorragenden florentiner Meisters sein. Sehen Sie
sich nun j^efälligstvor allem die Form der linken Hand mit
dem ausgestreckten Zeigefinger an. Ist etwa diese Hand
mit jener der sogenannten Fornarina dort verwandt, oder
finden Sie, dass sie der Hand der «Madonna del Car-
dellino» entspreche? Und nun erst, wenn Sie die Hand
auf diesem Bild (1120) mit der Hand der Maddalena
Doni in der Pitti-Galerie vergleichen wollten, durfte es
Ihnen aufiallen, w4e Passavant dazu kommen konnte,
gerade an den Händen in diesem Frauen port rät die Art
und Weise Raftaers erkennen zu wollen.^ Ich meiner-
seits halte dafür, dass diese Hand hier keinem der so-
eben besprochenen Beispiele von Handformen in au-
thentischen Werken des Urbinaten ähnlich sieht. Auch
hat dieses Frauenporträt ein noch durchaus quattrocen-
tistisches Aussehen. Hätte es demnach liaÜael gemalt,
so müsste dies vor der Zeit geschehen sein, ab die
Maddalena Doni im Pitti-Palast entstand."
Um nicht den Schein zu haben, als wenn alle diese
spitzfindigen Erläutemngen mich gelangweilt hätten,
fragte ich meinen Begleiter, welchem Meister er denn
dieses Frauenpoiirät zuschreibe?
„Das ist eine sehr verfängliche Frage", erwiderte
er. ^Dieses Bild, ich muss es Ihnen offen gestehen, bietet
mir nicht hinlängliche Anhaltspunkte dar, um es mit
einiger Sicherheit bestimmen zu duifen. Nur Neulinge
in der Kunstwissenschaft oder Charlatane wissen jedem
Kunstwerk einen Namen zu geben." „Ehe wir nun",
fuhr er fort, „in die Säle de^ Pitti-Palastes hinüber-
gehen, um auch dort die charakteristischen Formen
iiaffael's in den daselbst ihm zugedachten Bildern ins
Auge zu fassen, gestatten Sie mir, hier in dieser Tri-
> PMMfant, Raffael d'Urbin (franiöi. Aotg.), 11, 41.
58 Priucip und Methode.
buna Sie noch auf die dem Tizian eigenthiimlichen
Formen des 01u*s und der Hand an diesem seinem vor-
trefflichen Porträt des Prälaten Beccadelli (Nr. 1116)
aufmerksam zu machen. Ich bitte, verlieren Sie ja nicht
die Geduld, wenn ich Sie so lange bei Dingen aufhalte,
die Ihnen jetzt sehr unbedeutend, ja vielleicht sogar
lächerlich erscheinen dürften; ist es doch mir vor allem
daran gelegen, Sie zu gewöhnen, bei Betrachtung eines
Kunstwerkes auf alles, selbst auf die an und für sich
geringfügigsten Dinge Ihr Auge zu richten; denn Sie
werden mit der Zeit einsehen lernen, dass oft sogar ein
einfjicher sogenannter Schnörkel dazu dienen kann, Sie
auf die rechte Fährte zu leiten und das besonders bei
Gemälden untergeordneter Meister. Betrachten Sie also
auf diesem Tizian'schen Bildniss die Hand mit dem
allzu stark accentuirten Daumenballen und lassen Sie
auch die rundliche Form des Ohrs nicht unbeachtet.
Tizian gibt nämlich in allen Bil-
dern seiner Jüngern und in fost
allen seiner mittlem Wirkungs-
zeit, d. h. bis ungefähr in die
vierziger Jahre des 16. Jahrhun-
derts, dieselbe runde Form dem
Ohr, z.B. in dem Bilde mit den
drei Menschenaltern und dem
Tiziau'a Daumenballen. . i • i • t-\
andern mit der heiligen J^ a-
milie bei Lord EUesmere in London, wo das letz-
tere Gemälde fälschlich dem Palma vecchio zugeschrie-
ben wird; in der a Herodias » in der Galerie Doria-
Panfili, im Madonnenbilde Nr. 633 in den Offizien u. s. f.,
und so finden Sie ebenfalls sehr häufig in den Gemäl-
den und Zeichnungen des Cadoriners den klobigen
Daumenballen. Da nun sehr oft Bilder Tizian's mit
denen von Giorgione (Pitti- Palast und Madrid), von
Pordenone (Doria- Galerie), von Paris Bordone (Ga-
lerie des Capitols in Rom), sogar von Andrea Schiavone
Madonna del Granduca. 59
(Dresdener Galerie, Nr. 1G8)* verwechselt werden, so
können Ihnen auch diese Bemerkungen bei Beurtheihuig
streitiger Bilder manchmal von Nutzen sein, insofern als
sowol bei Giorgione als bei Pordenone, bei P. Bordone
wie bei Andrea Schiavone die Formen der Hand und
des Ohrs sehr verschieden von denen Tizian's sind."
„Sie mögen auch hierin recht haben", sagte ich
mit schlecht verhehlter Ungeduld, „halten wir uns jedoch
vorderhand an die Formen Itafl'aers, von denen ich
schon etwas begriffen zu haben glaube; denn sonst
mochte in meinem Kopf eine solche Konfusion entstehen,
dass ich vor lauter Ohren und Händen und Nägeln nicht
mehr im Stande sein dürfte, die Bilder selbst zu sehen."
Der Italiener lachte, stimmte mir jedoch bei und
wir verliessen alsbald di«* Till m um und i/luL'in iu dm
Pitti-Palaijt hinüber.
„Suchen wir", sagte er in d " hiiuin-
tretend, „sogleich die sogenannt* \i , i i, , i ; i Grnn-
. duca auf; diese Madonna dürfte übrigens wol eher vcr-
<li< iion, den Namen del Duca als den dt« Granduca zu
tragen, da das Bild, aller AVahrscheinlichkeit nach, in
Urbino (1504) entstanden ist und ftir den Herzog Guido-
baldo gemalt wurde. Doch daran liegt nicht viel." Als
wir nun vor dem Bilde standen, machte mein Führer vor
allem mich auf das Gc«icht«oval der Maria aufmerk-
sam, das, wie er meinte, viel mehr an Bafl'ael's ersten
Lehrer Timoteo Viti, als an seine spätem Lehrer Pin-
toricchio oder Perugino erinnerte. Auch sei, meinte er,
der Ausdruck und dir Kopfstellung durt*haus Timoteisch.
Sodann besahen wir uns natürlich die Form der Händ(%
welche nach scMuer Ansicht zwar noch »ehr an j^'ue der
Madonna del ( nrdcUino gtMuahuten, jedoch (knöcherner,
d. h. c|uattrmH>ntistis4*h('r seien als jene. ,,Und hier diui
Ohr des Kindes**, bemerkte er dann, „erinnert e« Sio
* Stphe Cn>wc und CaTmleatellt, nl^h^ Ttli•n*■^ II, 478.
60 Princip und Methode.
nicht lebhaft an das Ohr der Kinder auf der Madonna
del Cardellino? Sehen Sie sich doch auch hier diese
runde, fleischige Form an, betrachten Sie auch, wie fest
das Ohr mit dem Backen verwachsen ist. Jammer-
schade", bemerkte er zuletzt verächtlich, „dass der nichts-
würdige Restaurator den blauen Mantel der Maria nur
oberflächlich geputzt hat, sodass derselbe jetzt eher grün
als blau aussieht und dabei auch den ursprünglichen
Glanz ganz und gar einbüssen musste. Nun", fragte er
mich dann, „gleicht diese Hand der Maria hier jener
der «Madonna del pozzo», oder gar jener des Frauen-
porträts mit der Nummer 1120 in der Tribuna?"
„Soviel", antwortete ich, „glaube auch ich schon jetzt
einzusehen, dass der Künstler, welcher diese Hand hier
geformt und gemalt, nicht die Hände auf jenen zwei
Bildern in der Tribuna gezeichnet und gemalt haben
kann. Der Unterschied in der Auflassung und Model-
lirung ist ja in die Augen springend." Mein Begleiter
lächelte bei dieser Bemerkung^ wohlo^efällis:. Wir traten
alsdann wieder in den ersten grossen Saal hinein und
gingen auf ein Frauenporträt, die sogenannte Donna
gravida zu (Nr. 229), welches der Katalog als das Werk
eines „Unbekannten" verzeichnet. „Passavant", sagte
er, „gibt dieses weibliche Bildniss, wie mir scheint, mit
Recht dem Urbinaten, nur versetzt er es, meiner Mei-
nung nach, in eine zu späte Wirkungsepoche des
Meisters, nämlich ins Jahr 1507. Irre ich nicht, so
dürfte dieses Porträt ungefähr um dieselbe Zeit wie
die Bildnisse der Eheleute Doni, d. h. ums Jahr 1505
entstanden sein. Dafür spricht vor allem die Form der
Hände, die durchaus dieselbe ist, wie in diesen letzt-
genannten Porträts. Das Gesicht der Frau hier, zumal
die linke Seite, hat durch den Restaurator so arg ge-
litten, dass man darin kaum noch die Spuren des RafiaeP-
schen Pinsels zu erkennen vermag. Prägen Sie sich
dafür recht scharf die Form der Hände hier ins Ge-
Porträts der Eheleute Doni. 61
dächtniss und lassen Sie uns nun sofort an die Betrach-
tung der zwei Bildnisse der Doni gehen." Als wir nun
vor dem Porträt der Maddalena Doni standen, konnte
ich mich nicht enthalten auszurufen: „Ganz dieselbe
Auffassung, dieselbe Behandlung des Aermels, dieselbe
breite Form der Hand mit den kurzen, fetten Fingern,
dieselben Nägel, denselben — wenn ich so sagen darf
— etwas langweiligen, freudelosen Ausdruck des Ge-
sichts, wie in jenem weiblichen Bildniss. Auch der
landschaftliche Hintergrund entspricht der Landschaft
auf der Madonna del Cardellino."
Mein Führer freute sich über mein williges Ein-
gehen in seine Anschauungsweise und über meine Fort-
schritte, wie er behauptete, in der Auffassung der Formen
und rieb sich dabei vor Genugthuung die Hände. „Und
die Stellung der Arme", sagte er dann, „sowie über-
haupt die ganze Darstellung dieses Porträts, gemahnt
sie Sie nicht an ein anderes, hochberühmtes weibliches
Bildniss, das Sie während Ihres Aufenthalts in Paris
gewiss oft im Louvre bewundert haben werden?''
„O gewiss", antwortete ich, „Sie meinen ohne Zwei-
fel die «Mona Lisa» von Lionardo da Vinci?"
y,Colto nel segno^''^ rief er aus, „ — ins Schwarze ge-
troffen. Wir dürfen denmach annehmen, dass Baffael,
als er im Jahre 1505 diese Bildnisse malte, die Werk-
statt des grossen T,«"""'l" ^»"^ '"••» r.ft.ru In-Hinlit
haben dürfte.
„Nachdem wir iiiui diist' lüul lüUitr au«» dt-r Früli-
zeit Itaffaels uns angeschaut", fuhr mein Führer fort,
„liusen Sie uns noch ein anderes Bild in diesen Sälen
ansehen, das ebenfalls in die florentinische Epoche des
Meisters gehört, ich meine die grosse Altartafel, die
Unffael im Auftrage der Familie Dei zu malen über-
nonimrn hatte, jodoch unvollendet in Florenz zurück-
lifs.H, da (T vom Papst Julius U. nach Rom berufen
wurde."
62 Princip und Methode.
Als wir nun vor dieses Bild (Nr. 165) traten, machte
mich mein Begleiter zuerst aufmerksam, wie auch dieses
Gemiilde in spaterer Zeit vom Pinsel eines ungeschick-
ten Malers ganz iibergangen ward, sodass man in seinem
gegenwärtigen Zustande kaum noch die Originalzeichnung
darunter zu errathen vermag. Das hat jedoch", fügte
er hinzu, „bei den Formstudien, welche uns jetzt be-
schäftigen, nicht viel zu sagen. Sehen Sie sich also auch
in diesem Bild vornehmlich die Form des Ohrs und der
Hand an. Nur muss ich Ihnen bemerken, dass Raffael
dieses Bild etwa drei Jahre später als die bisher von uns
betrachteten anfertigte, nämlich im Sommer 1508."
„Ich sehe auch in diesem Gemälde", rief ich freu-
dig aus, „dasselbe fette, runde Ohr, wie in den andern,
nur kommt mir die Form der Hand hier etwas ver-
schieden von den Händen in den fünf andern Bil-
dern vor."
„Ganz richtig", antwortete er, „blieb ja doch der
junge Raffael nie stille stehen, sondern machte immer
Fortschritte in seiner Kunst; allein die Grund-
form der Hand ist, wie in allen seinen spätem Bil-
dern, so auch in diesem, doch immer dieselbe geblie-
ben, doch bitte ich Sie zu bedenken, dass die Hände
hier auf dieser Tafel durch Uebermalung ganz ent-
stellt sind."
„Mir scheint es", fügte ich nach einer Weile hinzu,
„als ob dieses Gemälde ganz und gar an jenes grosse Bild
des Fra Bartolommeo im ersten Saal (Nr. 208), ja selbst
an dies andere dort (Nr. 159) erinnere, sowol in dem
architektonischen Hintergrund und in der Composition,
als auch in der Faltenlegung und selbst in den Typen
jener zwei fliegenden Engel."
„Ich bin vollkommen mit Ihnen darin einverstan-
den", sagte er, „und es scheint mir dies ein weiteres
Zeichen zu sein, dass Fra Bartolommeo doch wol
erst nur in dieser Zeit, d. h. im Jahre 1508, ein
Madonna di casa Dei und Madonna della Seggiola. 63
innigeres Verhältniss mit dem jungen Raffacl
geschlossen haben durfte. Auch erlaube ich mir,
in diesem Bilde auf die singenden Engel am Fusse des
Tlirons Sie aufmerksam zu machen; der Brauch, musi-
cirende Engelknaben unten am Thron der Madonna
anzubringen, ist durchaus venetianisch, und Fra Barto-
loinnieo mag ihn aus der Lagunenstadt nach Florenz
mitgebracht haben.'*"
Aus diesem Zimmer führte mich mein Begleiter in
die Sala di Marte und vor die a Madonna della Seg-
giola», Nr. 79.
„Wenn Sie nun", sagte er, „die Formen der Hand
und des Ohrs auf diesem berühmten Bild RaffaeFs sich
naher besehen, so dürfte es Ihnen nicht entgehen, dass,
während die Grundform des Ohrs auch hier dieselbe
ist wie auf allen seinen Werken aus der peniginischen
und florentinischen Epoche, die der Hand dagegen auf
diesem Bild jene Naturwahrheit verloren hat, die wir
z. B. an den Händen der zwei weiblichen Portrats
(Nr. 229 und 59) und der Madonna del Cardellino wahr-
genommen, sowie auch in mehrern Bildern der IVru-
gini'schen Zeit, wie z. B. im oEcce homoi in der Tosio-
Galerie vonBrescia, im heiligen Sebastianus in der st"-!*-
sehen Galerie von Bergamo, in der Zeichnung zum «g« .
den Engel» (zur Krönung Maria) im Britischen Museum
(Braun, 70). In diesem Bild hier finden Sie nicht mehr
jene «bürgerliche» Hand, die der junge Hafiael trou
nach der Natur zeichnete, sondern Sie sehen hier -
die feine «aristokratische» Hand, und zwar ist •.
!>ei dem Künstler während seiner römischen Zeit _
radezu dio nonnalc geworden. Di«' Mittelhand ist /um
auch Ihm dieser Madonna noch immer, nach dem \ "i-
bild des Lehrers Tiuioteo, breit und etwas flach, wie
in Hnfl'aels fnihern Bildern, allein die Finger tilld hier
fein zugetipitzt, kurz, wir haben hier eine aogeminnte
vornehme, oder wenn Sie lieber wollen, eine ideal o
64 Princip und Methode.
weibliche Hnnd vor uns. Dieses Rundbild mag ungefähr
ums Jahr 1513 oder 1514 entstanden sein, und wenn
Sie RiiffaeFs Bilder von dieser Epoche, wie unter an-
dern auch die Madonna bei Lord EUesmerfe in Lon-
don, bis zu seinem Tod unter diesem Gesichtspunkt
betrachten, so werden Sie gewahren, dass sowol in den
wenigen von seiner eigenen Hand ausgeführten, als auch
in jenen blos nach seinen Cartons von den Gehiilfen
ausgeführten Werken diese weibliche liandform stets
sich wiederholt und somit conventioneil wird, so
z. B. auch in dem herrlichen Bildniss seiner Geliebten."
„Und wo ist denn "^das wahre Porträt der Geliebten
llaftaeFs?" fragte ich ihn.
„Hier in einem Seitencabinet, das wir schon ein-
mal betreten haben."
Wir begaben uns nun sofort dahin, und vor dem
Bilde angelangt, unterliess mein enthusiastischer Führer
nicht, mich sogleich ins rechte Licht davor zu stellen.
Dieses lebensprühende weibliche Antlitz machte einen
so überwältigenden Eindruck auf mich, dass ich dabei
gar nicht mehr an die langweiligen Studien der Ohr-
und Handformen denken mochte.
„Ja", rief ich entzückt aus, „dies Weib und kein
anderes war würdig von einem RaiFael geliebt zu wer-
den und kein anderes als dieses konnte der göttliche
Meister im Auge haben, als er die Madonnn di S.
Sisto auf die Leinwand zauberte!"
„Wenn Sie", bemerkte der Italiener ironisch lächelnd,
„die florentinischen Directoren der Galerie ausnehmen,
die noch immer fortfahren, dieses Weib die aDonna ve-
lata» zu benennen und das Gemälde einem «unbekann-
ten» zuzuschreiben, so dürften heutzutage wol sämmt-
liclie Kunstverständigen der Alten und der Neuen Welt
in Ihr Urtheil einstimmen. Worüber jedoch nicht alle
Kritiker miteinander einig sind, ist, ob dieses Bild Ori-
ginal oder blos Copie sei."
*• IM PtTTI . rALAwT
Die sogenannte Donna velata. 65
„Wie, uins Himmels willen", rief ich erstaunt
aus, „wie ist es doch möglich, ein so wunderbar
schönes, jedes gesunde Auge fesselndes Antlitz für eine
Copie zu nehmen? Welche Begriffe von Kunst müssen
doch die Leute haben, die ein so wunderbar leuch-
tendes Gesicht als mechanische Nachahmung ansehen
können!"
In diesem Augenblicke trat ein noch junger Herr in
unsere Nähe und, nachdem er meinen Führer freund-
lich gegrüsst hatte, sagte er, seine Brille an die Augen
setzend, in einem bedeutungsvollen Ton: „Nicht wahr,
selbst in der Copie macht dieses weibliche Porträt noch
immer einen gewissen Eindmck? Wie mag erst das
Original ausgesehen haben!"
Ich bemerkte, dass meinem Begleiter bei diesen
Worten des Fremden das Blut in den Kopf stieg. „Auch
Ihnen", sagte er dann ganz trocken, „kommt also dieses
Bild als Copie vor?"
„Darüber sind alle Kunstkenner der Welt einig'"*',
antwortete mit Entschiedenheit der andere.
..Und Sie sind Professor der Malerei an unserer
Akademie!" versetzte mein Begleiter mit unverhüUter
Ironie.
„Und gerade als Professor der Malerei glaube ich,
wenn Sie etwa im Irrthum darüber sein sollten, Sie
eines Bessern belehren zu dürfen", erwiderte mit hohem
Selbstbewusstsein der Professor und fuhr dann fort:
„Sie sollten doch wissen, dass kein feinerer Kenner un-
serer Kunst heutzutage, weder im gelehrten Deutsch-
land, noch in Paris dieses Bild für Original annehmen
will. Seilen Sie denn nicht hier an der Wange und
da an der Stirn noch die Spuren der Pinselstriche des
venetianischen oder, wenn Sie Heber wollen, bolognesi-
schen Copisten?"
Mein Führer schien bei diesen Bemerkungen des
• Akademieprofessors die Fassung fast zu verlieren.
LsKMOLttrr. 5
66 Priucip und Methode.
„^Vi^ sind jetzt", sagte er mit lauter Stimme, „weder
im gelehrten Deutschland noch im alles besser wissen-
den Paris, sondern wir sind gegenwärtig hier in Florenz
und stehen vor dem Bilde selbst. Vor allem, Herr
Professor, gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken", fuhr
er dann in gemildertem Tone fort, „dass dieses Ge-
mälde, welches nach dem Zeugniss des Vasari sich im
Besitz der Familie Botti befand, daselbst noch im Jahre
1677 von Cinelli gesehen und als Original beschrie-
ben wurde. Wäre es also eine bolognesische Copie, so
müssten wir annehmen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach
diese Copie wol später, nämlich als das Bild in dieOeffent-
lichkeit kam, von einem Bolognesen angefertigt wor-
den sei. Welche Maler hatte damals Bologna, die im
Stande gewesen wären, eine solche Copie herzustellen ?
Betrachten Sie doch die bekannten Copien eines Don-
duzzi und eines G. M. Crespi und Sie werden sehen,
wie schwarz in den Schatten all jene Copien geworden
sind. Auch müsste dieses Gemälde, wäre es Copie des
vorigen oder auch des 17. Jahrhunderts, in einem viel
bessern Zustande sein, als wir es hier sehen. Sehen
Sie doch, wie an vielen Stellen die Farben abge-
bröckelt sind, sodass man noch die helle Imprimitur
wahrnimmt. — Und wo wäre denn das Originalgemälde
hingekommen? Ein Bild Raffaers verlor man selbst
im 18. Jahrhundert nicht so leicht aus den Augen.
Nein, nein, mein lieber Professor, von solchen aus der
Luft gegriffenen, ganz willkürlichen Behauptungen ir-
gendeines confusen ausländischen Kunstprofessors lasse
ich mich nicht irre machen! Und wie wollen Sie denn
mir auch beweisen, dass da im Gesicht der Frau bo-
lognesische Pinselstriche wahrzunehmen sind? Sind
etwa diese Pinselstriche hier ganz anderer Art als jene
im Antlitz der Madonna di S. Sisto in der dresdener
Galerie? Uebrigens ist ja dies Gesicht so sehr ver-
rieben, dass nur ein Phantast noch die einzelnen
Die sogenannte Donna yelata. 67
Pinselstriche . darin gewahren dürfte. Auch ist dies
Gemälde, wie Sie sehen können, an mehrern Stellen re-
touehirt worden, z. B. hier an der Stirn und hier an der
Nasenwurzel, an der rechten Wange, am Nacken, am
Halse; selbst der originale bräunliche Grund des Bildes
wurde vom Bilderputzer überklext."
„Ja, das gebe ich Ihnen zu", murmelte der Pro-
fessor. „Und ist dies nicht ein weiterer Beweis, wenn
es dessen bedürfte, dass es keine Copie ist? Nein,
mein guter Herr Professor, schauen Sie sich doch dieses
herrliche Bild mit eigenen Augen an und überlassen
Sie es den Herren in Paris und in Berlin, solche
Dinge in der Wüste zu predigen. Lieber Himmel!
Ein Copist soll dieses Auge mit dem wunderbaren
Blick, diesen stolzen Mund, diese edle Stirn da gemalt
haben? Niemals."
Der Professor steckte bei diesen Worten meines b(»-
geisterten Führers seine Brille wieder in die Tasche
und flüchtete sich, ohne ein Wort weiter zu sagen, ins
Nebenzinuner.
„Sie haben vollkommen recht", sagte ich, als der
Professor verschwunden war, „wenn Sie über solche
Kunsturtheile, und noch dazu im Munde eines Aka-
demielehrers, nicht nur sich wundern, sondern auch un-
willig werden. Selbst mir, der ich doch nur Dilettant
bin inid dieses Porträt bisher nur in der Photographie
kannte, wollte es immer unerklärlich erscheinen, doss
«•s Leute gäbe, ja Gelehrte, welche sich sogar lur un-
fehlbare Kunstrichter halten, die •'•n ^..1.1,..^ ,T..n.l fTir
eine Copie ausgeben koimen!"
„Diesem echt romischen Fraueiilypus", - in
Begleiter, „begegnen wir schon in der Magii.. ... auf
dem Bilde mit der heiligen Cäcilie in Bologna, da»
lJ:itT;M'l im Jahre 1510 für die Kapelle dalP Olio in der
Kiitiie von S. Giovanni in Monte aut^tuhrte. Um diese
Zeit etwa mag er auch diese« von ihm geliebte Weib
Qg Princip und Methode.
mit seiuem Pinsel verewigt haben. Dass er, nach seiner
Gewohnheit von damals, die Ausführung des Kleides
und der Hand einem seiner Gehiilfen überlassen habe,
wie unter andern auch der verstorbene Passavant meinte,
will auch mir als sehr wahrscheinlich erscheinen; allein
diesen majestätischen, wahrhaft adeligen Frauenkopf'
kann nur der göttliche Meister selbst so aufgefasst und
so gemalt haben. Etwa fünf oder sechs Jahre später,
wurde diese Geliebte des damals nicht mehr unter den
Lebenden weilenden Künstlers von einem seiner Schüler
und, wie ich glaube, von Giulio Romano aufs neue
abconterfeit, und dies Bildniss befindet sich gegenwär-
tig unter dem Namen RaffaePs in der Barberini-Galerie
in Rom. Sie werden sehen, wie auf jenem Bilde dieses
stolze Weib hier nicht nur gealtert und verkommen
aussieht, sondern i\nc]i wie gemein und widerwärtig
sie vom Maler dort aufgefasst und dargestellt wurde,
man meint wahrlich, eine liederliche Dirne vor sich zu
haben.
„Nun sehen Sie auch", fuhr er dann fort, indem wir
nahe vor das Bild traten, „wie durchaus Rafiaelisch
auch in diesem Porträt die Ohrform ist."
. „Nein, nein, mein lieber Herr", antwortete ich, „ver-
schonen Sie mich doch vor diesem Bild hier mit Ihren
Ohr- und Handformen. Vor solchen Kunstwerken ist's
für mich eine reine Unmöglichkeit, Detailstudien zu
machen; RaffaePs göttlicher Geist hält mich noch zu
sehr festgebannt, als dass ich sogleich mich selbst und
zugleich jene Nüchternheit des Geistes wiederfinden
sollte, die doch erforderlich ist, um an einem Werke
der Kunst bei den einzelnen Formen und Schnörkeln
sich aufzuhalten."
Nachdem ich an diesem Prachtbildniss noch eine
Weile meine Augenweide gehabt hatte, forderte mich
mein geduldiger Cicerone auf, mit ihm ein anderes Por-
trät RaffaePs, ungefähr aus derselben Epoche, an-
UA iUK..\AUl.SA l.N
IS KOM fl. «.
Porträt des Papstes Leo X. 69
sehen zu wollen, und wir begaben uns demzufolge in
den sogenannten Apollosani zurück, wo das berühmte
Hildniss des Papstes Leo X., nebst denen der Car-
dinale Giulio de' Medici und Lui^ Rossi aufge-
stellt ist.
„Ungefähr dieselbe Behandlung der Stofie wie im
vorigen Bild", bemerkte ich, „und", fugte er hinzu,
„dasselbe runde, fleischige Ohr. Ueber dieses welt-
bekannte Bild könnte ich Ihnen", fuhr er fort, „ein
Langes und Breites erzählen; für diesmal müssen wir
jedoch uns begnügen, auch in diesem Werke Raffaers
blos die Identität der Ohrform mit der in seinen an-
dern von uns heute betrachteten Bildern zu bestätigen.
Hände inid Beiwerk wurden wol auch auf diesem Bild
von Gehulfen ausgeführt."
„Wie stolz und edel", sagte ich, „sieht nicht die
Geliebte des Meisters, die doch dem niedern Stand an-
gehört haben soll, gegen diesen adeligen Papst aus!
Hätte der Maler ihn nicht durch die aristokratischen
Beiwerke, wie das Miniaturenbuch, die Lupe, die fein-
ciselirte goldene Klingel, das reiche Priestergewand,
die Teppiche u. s. w. zu veredeln getrachtet, so würde
ja dieser Medici otwfi wif «»in roich geword^MMT i^('h»'iik-
wirth aussehen.^*
Der Italiener lächelte dazu und zog mich vom Bilde
weg in den Saturnussaal, wo wir einen Augenblick
vor dem Porträt eines andern Papstes, Julius IL, still-
hielten.
„Schauen Sie sich dagegen", sagi u ,,da8 leiden-
schaftliche Bildniss dieses Vorgängers Leo's X. an.
(xleich der Geliebten Raffaers war auch er ein Kind
(los Volkes. Welch ein hochfahrender Charakter schaut
nicht aus diesem edlen Antlitze heraus! Aus diesen von
tieftMi Leidenschaften durchfurchten Zügen spricht männ-
licher Stolz und selbstbewusste KraÜ; wie verschieden
von jener sinnlichen, verschmitzten Indifferenz, die uns
70 Princip und Methode.
vorhiu aus den Gesichtern der zwei Mediceer ent-
gegenblickte." *
„Das Studium der Porträts", bemerkte ich, „ist ge-
wiss eines der interessantesten, das einem Kunsthisto-
riker geboten werden kann."
„Unstreitig", antwortete er, „wenn der Kunsthisto-
riker selbst interessant ist, was doch leider höchst
selten der Fall ist. Wollen Sie", fügte er hinzu, „die
Geschichte Italiens ganz verstehen lernen, so diirfen Sie
ja nicht vernachlässigen, auch die Bildnisse, sowol die
weiblichen als die männlichen, sich anzuschauen. In
den Gesichtern der Leute steht immer ein Stück Ge-
schichte ihrer Zeit zu lesen, falls man eben darin zu
lesen versteht. Wenn Sie z. B. das Porträt der Ge-
liebten RaffaePs neben jenes der vornehmen Maddalena
Doni oder auch neben das der Eleonora Gonzaga della
Kovere, der sogenannten «Bella di Tiziano» (Nr. 18 dieser
Galerie) stellen, so werden Sie daraus sogleich ersehen,
dass, w^ährend in den vornehmen Ständen, zur Zeit der
llenaissance, alles Ideal schon völlig erloschen war, im
Volke dagegen noch immerfort eine gesunde Lebens-
lust und moralische Kraft sich erhalten hatten."
Nach dieser culturgeschichtlichen Abschweifung lud
mich mein Begleiter ein, mir das an der Wand gegen-
über hängende Bildchen mit der „Vision EzechieFs"
anzusehen. Ich kannte natürlich längst dieses durch
den Stich verewigte Werk Raffaers, dessen reizende
und zugleich grossartige Composition mich jedesmal in
Entzücken versetzte.
' In der Tribuna der Uffizien- Galerie dürfte vielleicht das
Originalporträt dieses Papstes, obwol durch Uebermalung sehr
entstellt, sich befinden. Vasari berichtet uns übrigens, im Schloss
von Urbino wäre, ausser dem Originalporträt Julius' IL, auch
noch eine Copie dieses Bildnisses von der Hand Tizian's (?) ge-
wesen. Nun behauptet man, dass beide Bilder von Urbino nach
Florenz gebracht worden seien.
Der „Traum Ezechiers". 71
„Vasari", sagte ich zu ihm, „bemerkt von diesem
Bild, wenn ich mich recht entsinne, dass Kafiael es für
den Bolognesen Ilercolani gemalt habe."
„Allerdings", antwortete er, „und daher folgerten
einige nordische Kunstkritiker, lun etwas ganz Apartes
zu sagen, dass das Bildchen, gleich der «Donna velata»,
nicht Original, sondern die von einem spatem bolog-
neser Maler angefertigte Copie sei."
„Wo waro aber dann das Originalbild Kaffaers?"
fragte ich.
„Die Antwoii aut dies» 1 im-«' hkMl)cu luij? jene
weisen Herren schuldig. Da» du Ausführung dieses
übrigens vorziiglich gemalten Bildes", iiihr er dann fort,
„nicht dem Urbinaten selbst angehöre, davon bin auch
ich überzeugt, denn sowol in der Form der Hand des
Gottvaters und des Ohrs der Engel, wie auch in der
Farbenscala und vornehmlich in der wulstigen Ober-
lippe der kleinen Engel da, glaube ich sehr deutlich
die Art und Weise des Giulio Romano, des Lieblings-
schülers Kaftaers, zu erkennen; trotzdem aber spricht
Uaflaers (reist zu uns noch frisch und lebendig aus
diesem herrlich componirten Bildchen, das allerdings,
wie einige Kunstkenner meiinn. iisf im^ Jahr 1517
entstanden sein mag.^
„Ist Ihr Urtheil zutreflenU'% wigte ich, „so muss
doch (fiulio Romano die Technik und die Formen seines
Lehrers und Vorbildes zum Täuschen nachzuahmen ge-
wusst haben, denn mir wäre es wahrli " ' 't im Traum
eingefallen, an der Echtheit dieses 1 ildihens zu
zweifeln.'-
..y ' li". Im II ' im-in i'uln'i. .."'iinl t.i^t alle
Stati 11 tj.H l II aus di« -( I >.m,i l.t/.ten
Wirkungszeit, d. h. vom Jahre 151G bb zu seinem Hin-
' ' jrossten Theil von seinen Schülern und
( limlich %'on Giulio Romano, ausgeführt;
war ja der Meister selbst in jenen Jahren so vielfach
72 Princip und Methode.
in Anspruch genommen als Maler, als Baumeister, als
ArchUolog, dass, hätte er auch statt zwei, vier Hände
gehabt, und hätte er statt über zwölf, über vierund-
zwanzig Stunden am Tage gebieten können, es ihm den-
noch unmöglich gewesen wäre, all den Aufträgen zu
entsprechen, die ihm von allen Seiten zuströmten."
Wenig erbaut davon, dass ich dieses mich so sehr an-
muthende Bildchen nicht ganz als Raffaers eigenes Werk
sollte ansehen dürfen, begab ich mich kopfschüttelnd
vor das an derselben Wand hängende Cardinalsporträt,
Nr. 171, und wandte mich dann lächelnd zu meinem
Cicerone mit den Worten: „Nun, ist vielleicht in Ihren
Augen auch dieses herrliche Bildniss des schielenden Car-
dinais nicht vom Meister selbst, sondern gleichfalls
nur von einem seiner Schüler gemalt?"
„Und wenn ich Ihnen sagte", antwortete er lachend,
„dass ich dieses Porträt nicht einmal für italienische Ar-
beit, sondern für eine von einem Ausländer gefertigte
Copie nach einem Originalbild RafRieFs halte!"
„Nun", rief ich aus, „wenn Ihre Experimental-
methode zu solchen Ergebnissen führt, da wäre es für
die Welt besser, wenn dieselbe möglichst wenig davon
erführe, und wenn sie, einmal bekannt gemacht, mög-
lichst bald wieder vergessen würde!"
„Und dies", erwiderte lächelnd der Italiener, „wird
auch höchst wahrscheinlich der Fall sein."
„Lassen Sie uns jedoch", fuhr er dann fort, „dieses
berühmte Porträt etwas genauer betrachten. Schon Passa-
vant (I, 175) wurde durch die flüssige Art dieser Malerei
an deutsche Meister erinnert, und er meinte sogar,
Raffael dürfte dabei von irgendeinem Bilde Holbein's
beeinflusst worden sein, was übrigens, beiläuiig be-
merkt, schon chronologisch unmöglich gewesen wäre.
Dass jedoch die Maltechnik in diesem Gemälde jedem
Kenner als unitalienisch vorkommen muss, darüber,
scheint mir, kann kein Zweifel mehr obwalten. Be-
Porträt des Cardlnal's iDghirami. 73
trachten Sie sich vor allem dieses stiere, metallene
Auge, diesen schlecht modellirten Mund, diese ganz
verfehlte Zeichnung des Daumens der rechten Hand,
diese grellen Farben am Buch, und Sie werden mir
doch wenigstens zugeben, dass, wer immer dies Bild
gemalt haben mag, kein grosser Meister gewesen s^in
kann. Um Sie jedoch aus aller Ungewissheit zu be-
freien, will ich Ihnen nicht verheimlichen, dass das
Originalbild noch immer in der Familie Inghirami
zu Volterra sich befindet, zwar durch eine moderne
Kt'stauration ganz und gar entstellt, allein an einzelnen
Stillen immer noch als das Original erkennbar.*^
Gegen eine solche Thatsache vermochte ich, wie
sich von selbst versteht, nichts einzuwenden und musste
daher meinem Führer beistimmen, wiewol ich an dieser
seiner zerstörenden Kritik ebenso wenig Gefallen fin-
den konnte, als etwa Ariosto^s Roland an dem Feuer-
gewehr.
„Dort", sagte der Italiener, indem er auf die Wand
gegenüber deutete, „dort hängt noch ein anderes Car-
dinalsporträt, das man hier noch immer dem Urbinaten
zuzuschreiben beliebt, obgleich es schon der verstor-
bene Passavant als das Werk eines Schülers erklärte,
und zwar mit vollem Recht,'*
Wir traten nun vor jenes Porträt (Nr. 158) und ich
konnte unschwer mich überzeugen, dass an diesem Bilde
weder die Augen, noch die linke Hand richtig model-
lirt waren und dass selbst das Ohr nicht jene ninde,
volle Form hat, die wir an den echten Bildnissen
Raffaers soeben wahrzunehmen zur Genüge Gelegen-
h«Mt hnttrii. ' iliches Schüler|>orträt, den Cardinal
l*as!*<.Tini dai-: -. .1, befindet sich im Museum von
NiapeH, 9Mgie er, indem er mir die Hand reichte und,
all! ihr rhr * m1, sich > 'licdete. Und auch
uU war d«r \ . dass i« iiesor I^ction vor-
läufig genug batt«'. —
74 Priacip und Methode.
Ich verlängerte meinen Aufenthalt in Florenz noch
um mehrere Wochen und benutzte denselben, um täg-
lich in den verschiedenen Kunstsammlungen der Stadt
nach der von meinem Führer mir angedeuteten Me-
thode Formstudien an Gemälden, Statuen und Gebäu-
den zu machen. Allein gar bald wurde es mir da klar,
dass eine so niichterne, trockene, ja geradezu pedan-
tische Art, die Werke der Kunst anzuschauen, den Geist
auf die Länge der wahren, höhern Auffassung entfrem-
den müsste, wennschon sie immerhin , dem persönlichen
Geschmack eines „alten Mediciners" wol zusagen möge
und etwa auch für den Kunsttrödler und Experten von
einigem Vortheil sein diirfte. Und so verliess ich end-
lich Florenz unbefriedigt.
Bei meiner Kückkehr nach Kasan vernahm ich zu
meiner grossen Verwunderung, dass die im Lande weit
und breit gepriesene Bildergalerie im Schlosse des
Fürsten Smaranzoff, die zur grössern Hälfte aus Werken
der besten italienischen Meister bestand, in nächster
Zeit unter den Hammer kommen sollte. Ich hatte
jene Sammlung, da das fürstliche Schloss nur wenige
Werst von der Stadt entfernt war, in meiner Jugend
gar oft besucht und darin meine ersten Kunststudien
gemacht, sodass die sechs Madonnenbilder von Raffael
Sanzio, die sich in derselben befanden, noch glanzvoll
in meinem Gedächtniss fortlebten. Ich fühlte daher
ein wahres Bedürfniss, jene Bilder mir noch einmal an-
zusehen und scharf einzuprägen, bevor sie in alle Welt
verstreut würden.
An einem heitern Decembertag Hess ich daher meine
Droschke anspannen und fuhr vergnügten Sinnes nach
dem Schloss, in dessen prächtigen Galerieräumen ich be-
reits einheimische und ausländische Kunsthändler, Kunst-
freunde und Galeriedirectoren vorfand, die alle mit lebhaf-
tem Interesse und, wie es mir zuerst erschien, auch mit
i
Die Galerie des Fanten Smarauzoff. 75
ausserordentlicher Sachkenntnis&'die Gemälde eines nach
dem andern prüften, bald vor diesem, bald vor jenem
Bilde ihre volle Bewunderung ausdrückend und hier
den Verrocchio, da den Melozzo da Forli, da selbst
den Lionardo da Vinci auf den ersten Blick erken-
nend. Ich hörte mit Neugierde und Staunen ihren ana-
lytischen Bemerkungen über die vorzügliche Maltech-
nik der Venetianer und die trefl'liche Erhaltung der
KaÜ'ael-Bilder zu. Wie gross war aber mein Erstau-
nen, als ich endlich selbst jene Raffael-Madonnen, die
vor Jahren auch mich in so hohes Entzücken versetzt
hatten, genauer untersuchte! Ich wagte kaum meinen
Augen zu trauen, da ich noch lebhaft die Kafi'ael-Bilder
im Pitti- Palast vor der Seele stehen hatte, diesmal
auch nicht umhin konnte, die Kunstwerke nach der
Methode, welche der Italiener in Florenz mich gelehrt
hatte, mir anzusehen und zu prüfen. Es war mir da
zu Muthe, etwa als wenn inzwischen eine Binde mir
von den Augen gefallen wäre. Wie steif und lang-
weilig erschienen mir jetzt diese Madonnen, wie ab-
geschmackt, ja lücherlich die Kinder auf ihrem Arm
oder an ihrer Seite, wie unraflaelisch die Formen!
Kurz, die vor wenig Jahren von mir noch angestaunten
Werke des „göttlichen'^ Urbinaten wollten mir nun
durchaus nicht mehr gefallen, und ich glaubte bei
näherer Prüfung deutlich einzusehen, dass all jene hoch-
bewiuiderten und gepriesenen Kaffael-Bilder nichts an-
• 1' I 'S als lauter C<»pien, ja vielleicht zum Theil sogar
FiiLschungen waren. Ebenso erging es mir bei der Be-
sichtigung der sogenannten Werke von Michelangelo, von
Verrocchio, von Lionardo da Vinci, von Botticelli, von
I^)rcnzo IjQtto und von Palma vecchio. Die Freude, in
so kurzer ^it und nach so oberflichlichcn Studien
schon zu dieser, wenn auch nur negativen Erkeiuitniss
gekommen zu sein, war in mir so gross, dass ich auf dem
Heimweg den Entschluss &8ste, sobald als nur mog-
76 Princip und Methode.
lieh Gorlaw und die Heimat wieder zu verlassen und
abermals meine Schritte nach Deut^^chland, Paris und
Italien zu richten, in der Absicht, in den dortigen
Kunstsammlungen neuen, intensiveren Studien, und zwar
nach der von mir zuerst misdeuteten Methode des Ita-
lieners mich hinzugeben. Demzufolge brachte ich zum
zweiten male ein ganzes Jahr theils in den deutschen
Landen, theils in Paris und London zu und wanderte
dann voller Zuversicht über die Alpen nach dem son-
nigen Italien, dessen dunkle Cypressen und Pinien
mit dem blauen Himmel darüber ich diesmal mit
wahrem Jubel begrüsste. Nachdem ich mehrere Monate
hindurch in der Lombardei und ebenso im Venetiani-
schen emsig dem Studium jener Localschulen , sowie
der italienischen Sprache und Literatur mich gewidmet
hatte, kam ich endlich wieder nach Toscana, dem seli-
gen Lande der Kunst. In Florenz angelangt, fragte
ich sogleich nach meinem ehemaligen Führer, dem ich
meine Dankbarkeit für die freundliche Mühe, mit der er
vor Jahren sich mit mir befasst hatte, ausdrücken wollte.
In der üeberzeugung, von irgendeinem Beamten der
florentiner Kunstsammlungen die Wohnung des alten, un-
ermüdlichen Galeriebesuchers leichter als irgendwosonst
erfahren zu können, wandte ich mich sofort an den
Inspector der Galerie mit der Bitte, mir sagen zu wollen,
ob gegenwärtig Herr . . . noch in Florenz und wo er
da zu treöen sei. Wie erstaunt jedoch war ich, als
der königliche Beamte mir trocken antwortete, dass er
mit jenem, ihm antipathischen Kritiker der alten Bilder
nichts zu schaffen habe. Ueberdies, fügte er hinzu, sei
jener abgeschmackte Wiedertäufer ein ausgemachter
Feind der Freiheit und ich müsste mich daher an einen
^^Codino'-^ wenden, wenn ich seine Wohnung erfahren
wolle.
Erst nach langem Herumfragen und Suchen gelang
es mir endlich eine Person ausfindig zu machen, die
Mein ehemaliger Führer. 77
in der Lage war, über ihn einige Auskunft mir zu er-
theilen. Es war die^ ein Apotheker, ein hagerer Mann
mit blassem Gesicht, scharfem dunkeln Auge und langer,
spitzer Nase. Ich fragte ihn, ob er mir sagen konnte,
ob der alte Mann noch immer am Leben sei.
„Falls er nicht ganz kürzlich gestorben ist, so lebt
er noch", erwiderte er mir in kaltem Tone.
„L^nd wissen Sie nicht, wo er jetzt wohnt.
Jahren", fugte ich hinzu, „war seine Wohnung in der
Via San Frediano."
„Ja, ja, ich weiss es", sagte der mürrische Mann.
„Ich glaube aber, er hat seit Monaten die Stadt Ter-
lassen und sich aufs Land zurückgezogen. Wie ich
hörte", fugte er spöttisch lächelnd hinzu, „soll er seine
Mitmenschen, die eben nicht nach seiner Pfeife tanzen
wollen, satt bekommen haben. Ausser einigen wenigen
politischen Spiessgesellen von hier empßnjft er aiu-h
niemand mehr."
„Und doch", sagte ich, „schien er mir, als ich
ihn kennen lernte, ein heiterer, lebensfroher Mann
zu sein."
„Es war stet» eiu Feind der Ordnung und des Ge-
setzes", fiel mir der Apotheker ins Wort, ,,ein Mensch
ohne Gewissen. Alle diese RevQlutionsmänner und Welt-
verbesserer in unserm Italien sind nichts» als freche, eitle
Egoisten, ohne alle Pietät vor dem Bestehenden und ohne
Religion; was Wunder, dass sie mit den Jahren menschen-
scheu werden! Gott möge ihnen das Unheil vergeben, das
sie über unser schönes Land gebracht haben."
Aus diesen bissigen Bemerkungen des hagem Man-
nes erkannte ich unschwer, dass er zur klerikalen,
mein ehemaliger Begleiter in den florentinischen Bilder-
galerien aber zur Partei der Patrioten gehören müsm*.
Mich wunderte es jedoch, dans *>in Mann, der noch vor
kurzem so begeistert war für Kunst und Wissenschaft
und namentlich ftir die Regeneration seine« Landes, sich
78 Princip und Methode.
nun plötzlich von der Welt gänzlich habe zurückziehen
wollen.
Ich dankte meinem griesgrämigen Berichterstatter
und verabschiedete mich sobald als möglich von ihm.
Beim Nachhausegehen konnte ich mich nicht erwehren,
über die Wandelbarkeit unserer Freuden und Leiden
in dieser Welt Betrachtungen anzustellen.
Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Toscana
kam ich endlich in der Ewigen Stadt an, wo ich es mir
seit vielen Monaten angelegen sein lasse, die Werke dei-
Kunst in Kirchen und Galerien zu studiren, und wo ich
schliesslich dem iibermüthigen Gedanken Folge leistete,
einen Theil der llesultate dieser meiner Studien den
jungen Kunstbeflissenen meines Vaterlandes mitzuthei-
len. Mögen sie diese Versuche mit demselben Wohl-
wollen aufnehmen, mit dem ich sie ihnen darbiete.
I.
DIE GALERIE BORaHESR
EIKXEITÜXG.
Sin T»9 tohtt dM «adOTB.
»n diesen unsern Tagen, wo die Demokratie ihre
alles und alle gleich- und seligniachende Fahne
auch auf den verlotterten Mauern der Haupt- und
Residenzstadt des Katholicismus aufgepflanzt hat,
und wo es demnach zu erwarten steht, dass mit der
Aufhebung der verhassten Familienstiftungen auch hier,
wie es überall anderwärts geschehen, die Kunstschätze
der grossen Patricierfamilien und zugleich wol auch
manches Kleinod in Taschenformat aus den vaticanischen
Sammlungen in alle Welt zerstreut werden, möchte es
wol an der Zeit sein, die bedeutenden und bekanntesten
dieser Kunstsammlungen uns noch einmal anxusehen,
solange dieselben beisammen sind, und die darin ent-
haltenen Hauptwerke kritisch zu besprechen. Die Auf-
gabe ist weder ganz leicht noch ist sie sehr angenehm.
Auch hätte ich, im Beginne meiner Lehrjahre, mich
niemals von der Anmassung anwandeln Ussen, eine so
schwere und drückende Last auf meine schwachen Schul-
tern zu nehmen, wäre ich nicht bei einem langem
Aufenthalt in Rom zu der Ueberzeugiuig gekonunen,
dass die meisten der bedeutenderen einheimischen Kunst-
golehrton in den gegenwärtigen Zeiten ihre koi^tbaren
Studien, ihre Gelehrsamkeit und ihren Scharfsinn mit
weit grosserm Nutzen für sich selbst, sei es in der
Politik sei es allenfalls auch in der Leitung von Aus-
LKRMOLIKrr. 0
32 Die Galerie Borghese.
grabungen etruskischer oder römischer Trümmer, ver-
werthen können, und dass sie es daher einem Fremden
schwerlich veriibehi werden, wenn er diese verführer-
ische Gelegenheit benutzt, seine, wenn auch mit ge-
ringen Kräften, so doch gewiss mit grosser Gewissen-
haftigkeit gemachten Studien auf die Probe zu stellen.
Bedenkt man wieder andererseits, welch eine langwie-
rige und in den Augen der meisten auch geringfügige
Arbeit die Compilation eines Galeriekatalogs ist, so
wird man wol ebenfalls zugeben miissen, dass man einem
namhaften, vielbeschäftigten Kunsthistoriker oder Gale-
riedirector doch nicht wohl zumuthen darf, sich mit
derlei Dingen zu befassen. Es ist dies also die eigent-
liche Arbeit eines Anfängers und Lehrlings, einer Sorte
Menschen, zu denen ich mich bekenne, die in der Kunst-
wissenschaft noch die Sporen sich verdienen wollen,
während es dem Kunsthistoriker und Kunstphilosophen
vorbehalten bleiben muss, in reineren, erhabeneren Re-
gionen zu walten, damit er, gleichsam zwischen Erde
und Himmel schwebend, dem Genius der Kunst un-
beirrt folgen könne. Alle diese Betrachtungen und Vor-
aussetzungen haben meine angeborene Schüchternheit
nach und nach eingeschläfert und meiner Eitelkeit so-
mit freie Zügel gelassen. Mögen die gütigen Götter
es verhüten, dass die dreiste Probe nicht der des
Frosches in der Fabel gleichkomme!
Ich hielt es für rathsam, diese wenigen Worte der
Entschuldigung vorauszuschicken, auf dass man diese
Arbeit für nichts anderes ansehen wolle, als für was
ich sie selbst halte, nämlich für einen mehr oder
minder anspruchslosen Versuch eines Anfängers, seinen
Witz an den grossen italienischen Malern der Vor-
zeit zu prüfen, und dieselben kritisch zu bestimmen,
wo es ihm eben däucht, dass eine passendere Taufe als
die des Katalogs am Platze sein dürfte. Diese und
keine andere Aufgabe habe ich mir gestellt.
Einleitung. g3
Ein solches Unternehmen mochte daher niemand an-
ders interessiren können, als etwa irgendeinen eben-
bürtigen Fremden, der in den römischen Kunstsamm-
lungen, solange dieselben noch bestehen werden, ähn-
liche Studien zu machen Lust hätte; denn, da meine
Urtheile in einigen Fallen von den hergebrachten und
allgemein vom kunstliebenden Publikum anerkannten
abweichen, so ist derselbe angehalten, seinen Scharf-
sinn zu üben, beide Urtheile zu prutVn und gegeneinan-
der abzuwägen, um sich sodann entweder an das eine
oder das andere, oder auch, wenn er will, an keines
von beiden zu halten. In diesem Sinne können ja selbst
meine Fehltritte, und daran wird es keinen ]^Iangel
haben, manchem zu Nutzen kommen, und ihm viel-
leicht dienlich sein, den rechten Weg aufzufinden. Hat
ja doch auch das kühne Wort des Engländers Wornuni
über die Holbein-Madonna zu Dresden, trotzdem es von
den orthodoxen Kunstgelehrten Deutschlands anfäng-
lich als Häresie betrachtet und gebrandmarkt wurde,
zuletzt doch durch das Erkenntniss des ehrenwerthen
Kunstgerichts in der Hauptstadt Sachsens selbst die
glänzendste Anerkennung und Hekräftigung gefunden.
Ich werde vorderhand nur zwei der bedeutendsten
unter den Gemäldegalerien Roms vornehmlich ins Auge
fjissen, die Borghesische und diejenige des Fürsten Doria
Pamfili, was mich aber nicht abhalten soll, wenn die Ge-
legenheit sich darbietet, einige Blicke auch in die an-
dern Bildersammlungen, und zwar nicht nur Koma,
sondern auch des übrigen Italien zu werfen.
Ueber die Entstehung dieser Galerien kann ich nichts
Zuverlässiges berichten, da ich ' il icherweise mit
keinem der hohen inid höchsten i "in personliche
Berührung gekommen hin, und da, sorviel mir bekannt»
die meisten Führer darüber schweigen. Dem Studium
der Kunstwerke selbst, wenigstens wie ich i»s verstehe,
geschieht dadurch jedenfalls kein Abbnich. Die meisten
g4 Die Galerie Borghese.
»
dieser Sammlungen verdanken ihren Ursprung, wenn
ich nicht irre, der Kunstliebe oder, wie andere meinen,
der spanischen Prunksucht des 17. Jahrhunderts: die
Grundlage zu der Borghesischen wurde in den ersten
Decennien jenes Jahihunderts durch den Cardinal
Scipione Borghese gelegt, die andern Sammlungen,
mit Ausnahme der Colonnesischen und der des Hauses
Chigi, entstanden später. Die Galerie Barberini, welche
durch den Papst Urban VIII., bei der Annexion des
Fürstenthums Urbino an den Heiligen Stuhl, einen
bedeutenden Zuwachs aus dem Schlosse von Urbino
erhielt, traf später das üble Los, in zwei Hälften
getheilt zu werden, von denen die eine der Familie
Barberini -Colonna verblieb, die andere dem Hause
Sciarra-Colonna anheimfiel.
Was nun die Aufstellung und Anordnung der Bil-
der in diesen Galerien betrifi't, so wurde dieselbe in den
allermeisten Fällen keinem leitenden Gedanken, sondern,
wie dies leider in Italien gäng und gebe ist, der Grösse
und der Form des Bildes, ja zuweilen auch des Rah-
mens unterworfen, sodass die Gemälde in den Zinnnern
eher untergebracht, als geordnet sind. Eine beher-
zigenswerthe Ausnahme davon macht die Borghesische
Pinakothek, die ihre gegenwärtige Aufstellung ihrem
ehemaligen langjährigen Custoden verdankt, nämlich
dem in neuester Zeit so hoch gefeierten Archäologen
Commendatore Kosa, welcher in der jetzigen Anord-
nung derselben die Absicht zu erkennen gab, die ver-
schiedenen Kunstwerke nach Schulen aufzustellen und
zu vertheilen. Die Wahl der meisten Namen, die man
unter die Bilder gesetzt hat, sowol in diesen Privat-
galerien Koms, als auch in allen öffentlichen Kunst-
sammlungen Italiens, datirt aus dem Ende des 16.
oder dem Anfänge des 17. Jahrhunderts, also aus
einer Zeit, wo die Kunstkritik meist von Akademikern
und kunstliebenden Prälaten zwischen einer Prise und der
EiDleitong. 85
andern ausgeübt wurde, und wo danu die jedesmaligen
Erkenntnisse jener Herren als endgültig anerkannt,
keiner weitern Instanz unterbreitet werden durften.
Derartige Urtheile nun, die in den meisten Fällen nicht
nur das gutwillige Kunstpuhlikum, sondern auch die
Mehrheit der modernen Kunstschriftsteller unbesehen
angenommen haben, kritisch anzutasten, nach so langen,
hingen Jahren einer ungefährdeten friedlichen Existenz,
mag den gläubigen Kunstfreunden als ein Frevel er-
scheinen und in gewisser Hinsicht wol mit Hecht, da
dies ja dahin fuhren konnte, den lieblich gemüthlichen
Kunstdusel vieler ästhetischen Seelen unangenehm zu
unterbrechen.* Ein solcher Gedanke hätte auch fiir
mich peinlich sein müssen, wenn ich nicht im voraus
die Gewissheit hätte, dass meine Worte, wie sie ja
nicht für jenes Publikum niedergeschrieben sind, so
auch schwerlich an das Ohr desselben gelangen wer-
den. Ich mochte wahrlich um keinen Preis dem In-
fallibilitätsglauben der kunstliebenden Touristen und
Bildergalerie -Beflissenen der Alten und Neuen Welt
den mindesten Anstoss geben! Denn, wehe allen den
grossen und berühmten Kunstsammlungen P^uropas, falls
das bisher gläubige Publikum anfangen sollte, die Ka-
taloge und rothbändigen Führer mit dem Auge des
Zweifels und des Mistrauens anzusehen! Der ästhe-
tische Genuss wäre dahin, der Drang nach den Glypto-
und Pinakotheken Hesse nach, und der Gewinn und
Nutzen fTir die sogenannte allgemeine Bildung dürften
somit sehr in Frage kommen. — Damit aber hat es,
wie gesagt, nicht die mindeste Gefahr. Von einem
hohem oder höchsten Standpunkte aus die Sache an-
gesehen, ist es auch in der That ganz gleichgültig, ob
' „La coutume", »aRt VMctkl irgendwo, „/ail I0«<« VI-
'initc par cette seuh raison qnUUe ett re^ne; c^est U fomdiment
m //.N
tique de aon autoriU ! Qui la ramkne A «oh principe, VamkmUV*
gß Die Galerie Borghese.
ein Kunstwerk mir unter diesem oder unter jenem Namen
Genuss und Belehrung gewährt, die Hauptsache bleibt
ja doch immer, dass es iiberhaupt mir Freude bringt,
d. h. dass es meinen Geist auf angenehme Art beriihrt,
dass es, wie die Deutschen sagen, die zartesten Saiten
oder Fäden meiner Seele erzittern macht. Und zum
Gliick der Menschheit geschieht dies täglich in allen
Bildergalerien Europas, allen Mängeln zum Trotz, welche
pedantische Kunstkritiker in den Katalogen aufzufinden
sich abplagen. Ein Gemälde, sagt ja ein alter Pro-
fessor der Aesthetik, ist gleich einer Blume des Feldes :
zarte, reine Seelen freuen sich derselben, unbekümmert
darum, ob gelehrte Botaniker sie zu den Kosaceen oder
zu den Malvaceen zu klassificiren sich gefallen.
Und nun treten wir, ohne weitere Worte zu ver-
lieren, in die Borghesische Galerie ein. Dieselbe ver-
dient die Ehre unsers ersten Besuches, da sie trotz
mancher bedeutenden Verluste, die sie während der
langen Jahre ihres Bestandes erfahren musste, doch noch
immer unter allen Privatsammlungen der Welt, nach
meinem Dafürhalten wenigstens, weitaus die erste Stelle
einnimmt. Und wenn man in neuester Zeit das Ge-
rücht verbreitet, dass die russische Regierung 25 Mil-
lionen Franken flir dieselbe geboten habe, so hat man
damit nur dem grossen unschätzbaren Werthe dieser
Sammlung durch eine runde Zahl einen Ausdruck, und
damit dem kunstsinnigen Publikum einen fasslichen, un-
abweisbaren Beweis dafür an die Hand geben wollen,
dass die in diesen Räumen aufgestellten Bilder wirk-
lich theuer, und somit seiner Bewunderung werth sind.
— Ich werde mich in meiner kritischen Musterung
der Gemälde nicht an die Nummerfolo-e des Katalogs
halten und derselben nachgehen. Diese Methode ist
zwar nicht die praktischste, wol aber die logischste
und wird jenen wenigen, die gesonnen sind, mir in
dieser Rundschau zu fol*]cen, die Sache erleichtern.
Einleitung. g7
Erstes, zweites und drittes Zimmer.
Die in dem ersten Gemache enthaltenen Bilder sind
fast ausschliesslich Werke von Meistern, die ihrer Geburt
nach dem 15. Jahrhundert angehören, die aber noch
lange Jahre hindurch im 16. Jahrhundert fortgewirkt
haben, wie Sandro Botticelli, Francesco Raibolini, Pinto-
ricchio, Pier di Cosimo, Lorenzo di Credi, Giovan
Antonio Bazzi und andere mehr, und die somit in jene
Kategorie einzureihen sind, welche Pater Lanzi mit
einem für seine Zeit und seinen Orden charakteristi-
schen Ausdrucke die Modernsten unter den Alten oder
die Aeltesten unter den Modernen zu nennen beliebte.
Ehe wir die einzelnen Bilder näher betrachten, erlaube
man mir einige Worte der Verstandigimg an den berühm-
ten franzosischen Kunstkritiker Herrn Charles Blanc,
Membre de V Institut^ zu richten.* Dieselben sollen nicht
nur als Entgegnung auf eine von ihm wiederholte und von
den meisten Aesthetikern und Kunsthistorikern unserer
Tage anerkannte Maxime dienen, sondern sie sollen m-
gleich ein Massstab sein für die von mir befolgte Methode.
Plus les mattres sont grands^ plus leur ante est emgagie
dans leurs ouvrages^ sagt also, wenn auch nicht gerade su*
erst, so doch gewiss ganz richtig Herr Charles Blanc in
einem seiner Artikel der „Gazette des Beaux-Arts", 1861,
„ üne peinture de Uonard de Vinci^ betitelt, worin
derselbe beweisen mochte, dass ein heiliger Sebastian,
den sein Besitzer, Herr Moreau, für 60000 Francs an
den Kaiser von Russland verkauft hatte, nichts anderes
sein könne, als ein echtes Werk des Lionardo. Und,
* Dieser geistreiche, aber tahr oberfliehHelM
Kunstschriftsieiler ist inswisohen gestorben.
^ Die Galerie Borghese.
fährt er fort, pour juger de Vauthenticite d^un tableau^
il Importe de connaitre Vesprit du peintre plus encore
que 868 procedes, car les procedh s'apprennent^ le faire
se traiumet et s'hnite, maü Väme ne saurait se trans-
mettre; eile est essentielle ment inimitable, Ainsi^ ä Vin-
verse (!f) de la plvpart des connaisseurs qui regardent
principalement dans Vceuvre d''un artiste aux habitudes
de 8011 pinceau^ faimerais mieux m'^enquerir avant taut
de la tournure de son esprit. Vesprit de Leonard ou
plutot son genie etait singulih'ement co7nplexe etc. etc. —
Und eben, weil dieses ^e'wie des Leonardo so complex
war, glaubte Herr Blanc den obengenannten heiligen
Sebastian, von dem er ein Facsimile seinem Artikel
beifügt, dem Lionardo da Vinci zuschreiben zu dürfen.
Was würde nun Herr Blanc sagen, wenn ich meiner-
seits ihm entgegnete: Man eher Monsieur Blanc ^ auch
ich glaube, wie Sie, la tournure., le genie singulierement
complexe des Lionardo, wenn auch nicht erfasst, so doch
wenigstens nach besten Kräften studirt zu haben, aber
neben diesem Studium der geistigen Persönlichkeit des
Künstlers, die ja immer in einem echten Kunstwerke
steckt, ja die das eben ist, was aus dem Bilde heraus-
schauend zu uns spricht und unser Herz und unsern
Geist ergreift, — neben diesem psychologischen Studium,
sage ich, habe ich doch nie das der procedes und des
faire des Meisters vernachlässigt, aus langer Erfahrung
wohl wissend, welch üble Streiche die Einbildungskraft
uns zu spielen sich gefällt. Und gerade weil ich in
meinen Kunststudien sowol dem Geiste gelauscht habe
als der Form nachgegangen bin, glaube ich mit Zuver-
sicht sagen zu können: der von euch als ein Werk des
Lionardo gepriesene heilige Sebastianus ist, meiner An-
sicht nach, keineswegs die Arbeit des grossen Floren-
tiners, sondern scheint, dem schlechten Facsimile nach
zu urtheilen, nur seiner Schule anzugehören und zwar
höchst wahrscheinlich dem Cesare da Sesto, wenn
Einleitung. g9
es überhaupt erlaubt ist, nach einem sehr schwachen
Stiche ein Gemälde zu besprechen und zu beurtheilen.
Doch daran liegt vorderhand nichts, wollte ich doch
damit nur sagen, dass eben jeder Kunstforscher in der
Einbildung lebt, den Geist und die besondere Art des
Meisters, über den er sich vernehmen lässt, erfasst, ja
besser als alle seine Vorganger ergründet und begriffen
zu haben. Und eben weil seit Väsari die Kunst-
geschichte diesen so breiten, so bequemen und doch
so schlüpfrigen und bodenlosen Weg gegangen ist, ge-
rade deshalb hat dieselbe seither so wenige Fortschritte
gemacht, da ja doch wahrlich kein besonnener Mann
den Einfall haben kann, jenen ästhetischen Kunstdilet-
tantismus, der in neuester Zeit in Europa in allen Ton-
arten sich vernehmen lässt, und in dicken Bänden, Bro-
schüren und öffentlichen Vorträgen, zum Entzücken
namentlich der Damenwelt, sich Luft macht, als eine
Wissenschaft betrachten zu wollen, sondern eben für
nichts anders halten wird, als für ein unschuldiges Amü-
sement, von den Geistreichen mit Geist und Witr. von
.den Einfältigen aber einfältiglich betrieben.
Herr Blanc wird daher hoffentlich einsehen, dass
mit dem sogenannten Studium der toumure de Petprit^
de Vdme eines Meisters noch nichts oder doch sehr
wenig gethan ist, wenn es sich darum handelt, mit
mehr oder minder wissenschaftlicher Sicherheit den
Autor eines Kunstwerks zu bestimmen.' Ist der ver-
' Wie gefahrlich es ist, blos auf seine Intuitionsgmbe, so fein
dieselbe auch immer sein mag, sich verlassen so woUan, davon
liefert ans derselbe mit der .^toumure de Veeprit* des Lionardo da
80 vertraute französische Kunstsohriftsteller ein anderas
;rcnde8 Beispiel in seinem Urtheil über die Federskiita
(Nr. 268) der Thiers'schen Kunstsammlong im Lonvre. War den
Muth bat, eine so ekelhaft grobe F&lsohnng einam Lionardo
da Vinci zuzuschreiben, der bitte wahrlich bemr gtibao, Ober
90 I^ic Galerie Borghese.
storbene Graf von Lepel auf diesem iiämliclieii Wege,
d. h. indem er blos nach dem Totaleindruck urtlieilte,
doch dahin gekommen, im Jahre des Herrn 1825 noch
die Echtheit der Madonna di San Sisto in der dresdener
Galerie zu bezweifeln! Der edle Graf führte als Haupt-
grund seiner Zweifel eben auch an: dass die Kunst
nicht leicht in Worte gefasst werden könne, denn sie
rühre und wirke aufs Gefühl. Und, auf diese
schlüpfrige Maxime gestützt, erklärte derselbe die
dresdener Madonna di San Sisto für ein Werk aus der
Schule Raffael's, etwa des Timoteo della Vite, während
es Hofrath Aloysius Hirt als eine Arbeit ,des Fattore
betrachtet wissen wollte.^
Ich meinerseits bin immer mehr zu der Ueberzeu-
gung gekommen, dass man nur durch ernste, unaus-
gesetzte Studien der Form nach und nach dazu ge-
langen kann, den Geist, der sie belebt, zu erkennen
luid zu erfassen. Freilich lassen sich solche Studien
nicht in ein paar Wochen oder Monaten, ja selbst nicht
in einigen Jahren abthun. Jedes echte Werk eines
Meisters, bemerkt ein indischer Kunstkritiker, wird dir
antworten, wenn du es verstehst es zu befragen. Bleibt
es dir die Antwort schuldig, so rechne darauf, dass ent-
weder deine Frage unverständig war, oder aber dass
die Seele, der Geist, das Wesen des Meisters nicht in
jenem Werke lebt. Folglich, füge ich hinzu, dass das
vermeintliche Kunstwerk entweder Copie oder Fabrik-
arbeit war. Und wenn ich nun zum Beweise dieser
von mir hier wiederholten Wahrheit mich sozusagen ge-
zwungen sehe, einzelne materielle Zeichen und For-
men (die aber doch wieder nicht so materiell oder auch
zufällig sind, wie sie vielleicht manchem erscheinen
andere Dinge auf dieser Welt zu discouriren, als über „Vame
et la toiirnure de Vesprit^'^ des grossen Florentiners.
^ Siehe Graf von Lepel, Verzeichniss der Werke Raffael's.
Einleitung. 91
möchten) näher anzugeben^ so darf ich wol hofieu, von
meinen gütigen Lesern nicht misverstanden zu wer-
den. Schon Lionardo da Vinci sagt: y^Chi s% prometfe
dalla sperienza quel che non k in lei si discosta dalla
ragione''\ auf deutsch: Wer von der £xpenmental-
methode sich das verspricht, was zu leisten nicht in
ihrer Macht liegt, ist unvernünftig (Codex Atlrin-
ticus).
Niemand, der einigermassen mit deui muuiuiu ua-
lienischer Kunstwerke befreundet ist, wird in Abrede
stellen wolle«, dass es manchmal nicht so leicht ist
wie es scheint, Werke des Schülers von denen des
Meisters zu unterscheiden, und, da wir bei der floren-
tinischen Malerschule stehen, ein Werk z. B. des Ma-
solino von dem des Masaccio * (Crowe und Cavalcaselle,
I, 521, 528), ein Werk des jungen Filippino Lippi von
dem eines Sandro Botticelli, oder ein Jugendwerk des
letztem von dem des Fra Filippo Lippi, oder eine tüch-
tige Jugendarbeit des KaÖaellino del Garbo von einer
schwächern Arbeit des Filippino zu unterscheiden. Han-
delt es sich ja hier doch immer um Werke der näm-
lichen Schule oder der nämlichen Kunstrichtung. Denn
wie Masolino das Vorbild des Masaccio, und Fra Fi-
lippo der Lehrer des Botticelli, so war dieser der
Meister des Filippino, der seinerseits wieder den Kafiael-
lino del Garbo zum Schüler hatte. Ja manchmal gi*-
schieht es sogar, dass der Grossenkel in der Kunst mit
seinem Urgrossvater verwechselt wird, wie dies, um
einige Beispiele anzuführen, in der Galerie dolle belle
arti in Florenz goschchen ist, woselbst zwei Bilder (den
heiligen Johannes den Täufer und die heilige Magdalena
* So wird, sowol in der Brtncmcci-Kapellc ain nuou m ^un
demente in Rom, Masolino von den Herren Crowe und C«%*al-
catelle und auch von Director W. Bode (Cicerone, II, 5C3 und
564) immer noch mit Masaooio verwechselt
92 J^ie Galerie Borghese.
darstellend)*, welche zweifellos dem Filippino angehören^
zuerst dem Masaccio, also dem Vorbild Fra Filippo's,
später dann dem Andrea del Castagno zugeschrieben
wurden, während man in Florenz noch immer fortfährt,
den in der Mitte derselben Bilder aufgestellten heiligen
Hieronymus^, ebenfalls ein Werk des Filippino, als
ein Werk des Andrea del Castagno dem gutwilligen
Publikum vorzustellen. ^
Es wäre mir leicht, noch mehrere andere Beispiele
der Art aus andern Kunstschulen anzuführen zum Be-
weise dafür, dass es selbst anerkannten Kunstkennern
nicht immer gelingt, mit einer gewissen Sicherheit die
Werke des Schillers von denen des Meisters, oder um-
gekehrt, zu unterscheiden, wenn sie bei einer solchen
Beurtheilung nur den sogenannten ästhetischen Mass-
stab der .^tournure de Vespnt'-'- und den der „ame" eines
Künstlers mitbringen oder auf den sogenannten „Total-
eindruck" sich allein verlassen wollen.
Andererseits reicht manchmal auch die grosste Praxis
und Routine nicht aus, ein Originalwerk von einer
guten Schulcopie zu unterscheiden, und davon Hessen
sich schlagende Beweise aus öfientlichen Galerien so-
wol Italiens und Frankreichs, als namentlich auch
Deutschlands anführen. Der Schreiber dieser Zeilen
muss sich bei dieser Gelegenheit vor allem dagegen
verwahren, als ob er auch im mindesten die Anmas-
sung hätte, die tournure de Vesprit^ Väme irgendeines
der grossen Kiinstler Italiens erfasst zu haben. So weit
wahrlich versteigt er sich nicht in seiner Selbstüber-
1 Nr. 57 und 59.
» Nr. 58.
' So wurde auch im Britischen Museum vor Jahren, bevor
Herr Prof. Colvin die Leitung jenes Departements übernahm,
eine Zeichnung des Filippino dem Masaccio zugeschrieben
(Vol. XXXIV, bez. 1860, G, 16, 64).
Einleitung. 93
hebung. Er weiss gar wohl, dass es ihm, dem Sohne
einer iinwirthlichen Steppe, schon von der Mutter Natur
versagt wäre, die Seele eines italienischen Künstlers,
hiesse er auch nicht liafl'ael oder Michelangelo, Lio-
nardo da Vinci oder Correggio, vollkommen zu ver-
stehen und zu der seinigen zu machen. Auch wandelt
denselben gar oft der Gedanke an, als ob er nach seinem
vieljährigen Studium der italienischen Meister kaum über
die ersten Anfangsgründe der Kunstsprache hinaus-
gekommen sei. Worüber aber in seinem Herzen kein
Zweifel mehr waltet noch walten kann, ist, dass man
bei solchen Studien zuerst und vor allem durch die
Form in den Geist dringen muss, um sodann von diesem
zurück zur wahren Erkenntniss der Form selbst zu ge-
langen.* Solch eine philosophische Phrase klingt un-
gefähr wie ein Recept, und muss dem modernen Lese-
publikum, welches überhaupt an dergleichen ästheti-
schen Verordnungen und Recipes grossen Gefallen zu
finden scheint, nicht ganz verwerflich vorkommen. Was
aber mich selbst anbetrifft, so kann ich ihm aus lang-
jähriger Erfahrung die Versicherung geben, dass die
praktische Anwendung einer solchen Verordnung eine
nicht so leichte Sache ist, wie sie eben zu sein scheint,
und zudem keine geringe Zeit und Mühe kostet. —
Was ist aber z. B. in einem Gemälde die Form, wo-
durch der Geist, Pdme^ la tournure tU Vetprit des Ma-
lers sich ausspricht? Doch nicht blos die Stellung und
Bewegung des menschlichen Körpers, die Form des
Antlitzes, das Colorit, der Faltenwurf? Das sind aller-
dings bedeutende Theile dieser Form, aber nicht die
ganze Form. Dazu gehören z. B. noch die Hand, als
einer der geistigsten, charakteristischsten Theile des
menschlichen Körper», das (^hr. die Landschaft im
* j^Lg tiaiurd nicummcm roi rm/i «»»ifi »«fwlo € (ff»*»«»! umi cji|»t-
rienza^'j lehrte »chon Lionnnlo da Vinci.
94 I^ie Galerie Borghese.
Hintergrunde, wenn eine da ist, die Farbenaccorde oder
die sogenannte Farbenharmonie.^ In dem AVerke eines
echten Künstlers sind alle diese einzelnen Theile des
Bildes charakteristisch, individuell und daher von Be-
deutung — denn, wie gesagt, nur durch die Erkennt-
niss derselben vermag man zur „a??««" und zur ^^tour-
nure de Vespnt'-^^ zum Geiste des Schöpfers selbst zu
dringen. Der Charakter oder Stil eines Kunstwerks
entsteht gleichzeitig mit der Idee, oder, um deutlicher
zu reden, es ist des Künstlers Idee, die ja die Form
erzeugt und somit den Charakter oder Stil bedingt.
Copisten können durchaus keinen Charakter oder Stil
haben, da es nicht ihre eigene Idee ist, die die Form
in ihren Werken schafft.
Das ist aber noch nicht alles. Wie die meisten
Menschen, sowol die redenden als die schreibenden,
beliebte Worte und Phrasen, angewöhnte Redensarten
haben, die sie, ohne dessen sich zu versehen, absichts-
los oft anbringen, und nicht selten auch da, wo sie gar
nicht hingehören, so hat auch fast jeder Maler solche
angewohnte Manieren, die er zur Schau trägt und die
ihm gleichsam entschlüpfen, ohne dass er derselben ge-
* Ich kann nicht umhin, hier eine Stelle aus dem interes-
santen Buch: „Louis Agassis^ sa vie et sa correspondance^^,
aus dem Englischen übersetzt von Auguste Mayor (Paris 1887),
anzuführen. S. 443 heisst es: „Les premieres legons d'histoirc
naturelle n'etaient guere encouragecmtes ; V Observation et la
comparaison etant , suivant Agassiz, les qualites fondamen-
tcdes du naturdliste (und icl^ füge liinzu, auch des Kunstkenners),
il commenQait par enseigner ä ses eleves ä hien voir; il ne les
aidait pas directement , 7nais les j^lci^^it en face dhm specimen^
en leur recommandant avant tont de faire hon usage de leurs
geux et de lui rendre compte de ce qii'ils avaient observe etc. —
le professeur exigeant que Veleve distinguät non seidement les
differentes parties de Vanimal, mais decouvrit le rapport des
detaih quHl avait observes lui-meme avec les traits typiques plus
generaux etc.^^
Einleitang. 95
wahr wird. Ja es geschieht selbst, dass der Künstler
manche seiner physischen Gebrechen und Unarten in
sein Werk übertragt,* Wer nun die Absicht hat, einen
Meister näher zu studiren, besser keimen lernen eu wol-
len, der muss auch auf dergleichen materielle Kleinig-
keiten — ein Kalligraph würde sie Schnörkel nennen
— sein Auge richten und dieselben aufzufinden wissen,
wozu natürlich die Beschauung eines einzelnen oder
nur einiger seiner Werke nicht genügt, sondern itets
eine grössere Zahl derselben erforderlich ist, und zwar
aus allen Perioden seines künstlerischen Wirkens und
Schaffens. Herr Charles Blanc, und mit ihm mancher
deutsche Kunstgelehrte und Kritiker, werden die§e
kleinlidum Zumuthungen und Rathschläge eines An-
fängers vielleicht mit dem Lächeln des Mitleids auf-
nehmen, an solche grosse Herren sind dieselben aber
auch nicht gerichtet. Gebe ich ja auch gern zu, dasa
«'S viele bevorzugte, eminente Geister gibt, welche durch
])losse Divination und mit einem einzigen Blicke das
erkennen und durchschauen, wozu unsereiner entweder
gar nicht oder doch nur nach langen Jahren und mit
vieler Mühe zu gelangen vermag, — ja auch, daas es
Leute unter der Sonne gegeben hat und noch gibt, deren
Auge so scharfsichtig und eindringend ist, dass sie mit
einem Blicke ein altes Gemälde darauf bestimmen kön-
' Lionardo 4» Viuci Mugi, i\ii|.jn;i XLlll; „i^*ui ^^tttore ehr
ncrä goffe mani, h farä simili neUe »ue opert^ e cos* gli tHUr-
verrä in quahtnque membro, sc il lutiffo ntiidio non glielo
l'nd im Kapitel LXV seines „Trattato dcJla PiltHra'' bem
abermals, dass die Künstler sehr lefcht in den Fehler vorfallcu.
die Gebrechen ihres eigenen Körpers in die von ihnen dargr-
Htellten Figuren überzutragen, und warnt sehr davor: „concio*-
siacKegli e mancamento, cht h naio insieme cot giudisio: perchk
Vanima k macsira del iuo corpo, e qutüo (d. h. mancnmtnto) äeJ
Uto proprio giuditio h ehe eolentieri n dileUa ntttt opert iimtli
a quelle che etfsa (d. h. ranima) operb fiel compom i7 tmo eorpo**.
96 I^ie Galerie Borgbese.
nen, ob es a tempera oder in Oel gemalt ist, ja es gleich-
sam chemisch zu analysiren vermögen, und die da im
Stande sind, genau und mit grosser Bestimmtheit zu
sagen, wie der Maler dabei verfahren ist, ob er sich dieses
oder jenes Firniss, des Eiweiss oder aber des Feigen-
saftes, ob er einer mineralischen oder vegetabilischen
Farbe u. s. w. sich bedient habe, geradeso als ob sie
hinter der Staffelei des alten Meisters selbst gestanden
und ihm mit der Brille auf der Nase i'iber die Schul-
tern zugesehen hätten, als er das Bild verfertigte.
Wohl ihnen, und noch wohler denen, die ihren Worten
Gehör schenken! — Was von solchen grossen Aesthe-
tikern, Kunsthistorikern und Universalkennern gilt,
das soll auch auf alle lebenden Heroen der Maler-
zunft, wie sich von selbst versteht, bezogen werden.
Grosse, geniale Maler können ja nur von ihren Kunst-
genossen richtig beurtheilt und verstanden werden.
Dieses sehr alte und deshalb ehrwürdige Axiom der
Chinesen hat auch in jüngster Zeit, namentlich in Deutsch-
land, seine Bekräftigung gefunden, und ich beuge daher
mit verdoppelter Demuth vor der Wahrheit die Stirn;
was mich aber durchaus nicht abhalten soll, auf jenem
steilen mühsamen Wege mit gewohnter Beharrlichkeit
weiter aufwärts zu klimmen, in der Hoffnung, wenn
der Tod nicht schon vorher mich ereilt, endlich auf
einen Punkt zu gelangen, von wo aus auch uns armen
Eindringlingen die Aussicht, wenigstens auf den zu-
nächst unter unserm Blicke laufenden Thalweg der
Kunst, gestattet sein mag!
Doch kehren wir wieder zu unserm Thema zurück.
Es ist also gerade das Studium aller der einzelnen
Theile, welche die Form eines Kunstwerks bilden, das
ich denjenigen empfehlen möchte, die da nicht gesonnen
sind blos kunstfaselnde Dilettanten zu bleiben, son-
dern die wirklich Lust haben, durch das verworrene
Gestrüppe der Kunstgeschichte mit Axt und Beil durch-
Einleitung. 97
zudringen, um womöglich zu einer Kunstwissenschafl
zu gelangen. Denn wie es eine Schriftsprache gibt,
so gibt es auch eine Sprache, die sich durch Formen
ausdrückt. Nun lernt das Kind seine Muttersprache
bewusstlos der Mutter nachlallen, und diese Sprache
reicht für seine beschränkten Bediirfnisse aus, geradeso
wie der Totaleindruck, den das Kunstwerk auf das
grosse Publikum macht, tur die Bedürfnisse desselben
auslangen mag. Wird jedoch das Kind älter und soll
es dann in den Stand gesetzt werden, dereinst die
grossen Meister der eigenen Literatur lesen und wür-
digen zu lernen, so muss es vorerst in die Schule gehen
und sich da die Grammatik seiner Muttersprache zu
eigen machen. Dasselbe gilt auch für den Kunstbeflis-
senen. Ohne vorerst sich mit der Sprache, in der die
Kunst sich vernehmen lässt, vertraut gemacht zu haben,
wird ein solcher nie und nimmermehr im Stande sein,
ein Kunstwerk vollkommen zu verstehen luid somit auch
zu geniessen.
Versuchen wir durch vm Im i^pi*! uiisem leider sehr
mangelhaft ausgesprochenen Gedanken dem geduldigen
Leser zu veranschaulichen. Ich habe oben bemerkt,
dass nach dem Antlitze die Hand der vergeistigtste,
charakteristischste Theil des menschlichen Korpers sei.
Es sind die meisten Maler, inid mit vollem Recht,
gewohnt, den Ilauptaccent ihrer Kunst auf das Gesicht
zu legen, und dasselbe so bedeutungsvoll wie möglich
darzustellen, wobei es bei Schülern oft vorkonunt, dass
sie Seitenblicke auf die Werke ihres Meisters werfen.
Das Nämliche geschieht aber wol nicht, oder doch nur
srhr selten, bei der D/n " der Hände und der
Ohren, die in jedem Indi . doch wieder versc*hic-
den gestaltet sind. Während nun der Typus der Hei-
ligen meistens der Schule angehört, die Art die Fal-
ten zu Ingen durch die Vorbilder des Meisters den
Schülern und Nachahmern überliefert wird, so hat da-
»8
Die Galerie Borghese.
gegen jeder selbständige Maler seine eigene Art, die
Landschaft und, was noch mehr sagen will, die Form
Fra Filippo Lippi.
Filippino.
Antonio rollajuolo.
Bernardino dei Conti.
Giovanni Bellini,
Cosimo Tura.
:!5)W*^"
Bramantino.
Botticelli.
der Hand ^ und des Ohres aufzufassen und darzustellen.
^ Ausser dem Antlitz ist wol kein anderer Körpertheil so
charakteristisch, so individuell, so geistig belebt und sprecbend
wie gerade die Hand. Aucb ist es für den Künstler eine der
schwierigsten Aufgaben, dieselbe befriedigend darzustellen, und
war es zu allen Zeiten nur den Heroen der Kunst vorbehalten,
diese schwierige Aufgabe vollkommen zu lösen, wovon uns so-
wol die Werke der Maler als die der Bildhauer genügende Be-
weise liefern. Es mögen hier einige Beispiele charakteristischer
Hände meinen verehrlichen Lesern vorgestellt werden, damit
sie sich von dieser Wahrheit überzeugen.
Einleitung.
99
Jeder bedeutende Maler hat, sozusagen^ seinen ihm
eigenthümlichen Typus von Hand und Ohr." Mftn
Fra Filippo. Filippino. SlgnoralU. BrmaaBtiao.
Mantagna.
OiambelUoo.
BoBifaalo.
BotUMlIi.
* Einige meiner erbittertaten Gegner behaupten, datt auf
ein nnd demselben Bilde eines Meisters gar oft Tertohiedene
Formen von Ohren und H&nden vorkommen. Ich kann dttt
durchaus nicht zugeben. „In der Dämmerung*', sagt Goethe ir-
gendwo, „wird auch die deutlichste Schrift nniichtbar.** Jene
Herren müssen wahrscheinlich irgendein Atalierbild oder gar eine
schwache Copie für ein Originalbild angeeehen haben. Ich er»
laube mir bei dieser Gelegenheit sogar ra bemerken, dait die
den grossen Meistern eigenthümliche Grundform der Hand
und des Ohres nicht nur auf ihren Bildern , sondern telbsi auf
den von ihnen nach dem Leben gemalten Portrits iieb tot*
findet. Zum Beweise davon mA^ren folgende Beifpiele dienen:
1) Fra Filippo's S üt auf deeaea Bilde in der
florentinisohen Akau «nd und Ohr).
100 Die Galerie Borghese.
vergleiche z. B. die Hände in den Bildern des jugend-
lichen Rnffael — von 1504 etwa bis 1515 — mit den
Händen in den Werken seiner Lehrer P. Perugino und
Pintoricchio, und man wird in denselben einen sehr
merklichen Unterschied finden zwischen dem Schüler
und dem Meister. Namentlich in den Bildern seiner
florentinischen Epoche, wie z. B. in der Madonna di
casa Tempi in Miinclien, in der Madonna del Granduca
2) Die Bildnisse des sogenannten Pico della Mirandola,
Nr. 1154 in den Uffizien (Hand); und das eines Gold-
schmieds in der Galerie des Fürsten Corsini in Florenz
(Hand), von Sandro Botticelli.
3) Das Porträt des Pandolfini auf Filippino's Altartafel in
der Badia zu Florenz (Hand und Ohr).
4) Ein männliches Bildniss von Raffaellino del Garbo in
der Sammlung von Sir Henry Layard in Venedig (Hand).
5) Die Bildnisse des Navagero und des Beazzano in der
Doria-Galerie in Rom (Ohr) ; das des Papstes Leo X. und
jenes der sogenannten Donna velata von Raffael im
Pitti-Palast (Ohr).
6) Die Porträts der zwei Mönche von Vallombrosa von P.
Perugino in der florentinischen Akademie (Ohr).
Die Porträts der Gonzaga von Mantegna in der so-
genannten Camera degli sposi im herzoglichen Palast zu
Mantua, sowie auch das Porträt eines Cardinais, Nr. 9 im
Berliner Museum (Ohr).
8) Das Bildniss des Massimiliano Sforza auf der grossen Tafel
von Bernardino dei Conti in der Brera-Galerie (Hand
und Ohr).
9) Die Porträts des L. Lotto in der Brera-Galerie, in Hamp-
ton-Court, in der Belvedere-Galerie in Wien (Hand).
10) Das Porträt eines Malteserritters von Giorgione, in
den Uffizien (Hand).
11) Andrea Doria's Porträt in der Doria-Galerie von Seb. del
Piombo (Hand), (aus seiner Michelangelesken Epoche).
12) Männliches Porträt von Girolamo Romanino, Nr. 32 in
der Galerie Tosi zu Brescia (Ohr).
Diese Beispiele, deren Zahl ich sehr vermehren könnte^
dürften vorderhand hinreichen, meine etwas zu voreiligen Wider-
sacher eines Bessern zu belehren, falls dies möglich sein sollte.
EiDleituDg. 101
im Pitti- Palast, in der Madonna del Cardellino in den
Uffizien, in jener bei Lord Cowper in Panshanger,
im Porträt der Maddalena Doni, der sogenannten Donna
gravida im Pitti -Palast u. s. w., ist die Mittelband
breit und platt, sind die kurzen fetten Finger noch
etwas leblos. Die Hand hat dn einen, wenn ich mich so
ausdrücken darf, noch sehr hausbackenen, bürgerlichen
Charakter. Nach dem Jahre 1509, als ItafFael in Rom
mehr mit Leuten aus den hohem Standen in Berüh-
rung gekommen war, veredelt er auch die Hand, wie
z. B. in seinem Carton zur Schule von Athen in der
„Ambrosiana^^ in Mailand, um nach und nach zur ele-
ganten, aristokratischen Hand der Madonna di casa
d'Alba, der Madonna della Soggiola, der Galatea u. s. w.
zu gelangen. Und wie die Hand, so ist auch in jenen
Bildern RaftaeFs, deren Ausführung ganz ihm an-
gehört, das Ohr stets charakteristisch und unterschei-
det sich ebenfalls in der Bildung von dem Ohre in den
Bildern des Timoteo Viti, des P. Perugino, des Pin-
toricchio u. a. m.
Nach diesen sehr flüchtigen Vorbemerkungen über
die Bedeutung der einzelnen Theile im allgemeinen und
der Hand im besondern in den Werken der Meister
aus der guten Zeit, sehen wir uns nun z. B. die Hände
der obengenannten drei florentinischen Meister Fra Fi-
lippo, S. Botticelli und Filippino genauer an.
Fra Filippo hat seine Hand derjenigen seiner
Vorbilder Fra Beat' Angelico » und Masaccio geradem
nachgebildet und bis ans Ende seines Lebens beibe-
halten. Dieselbe wurde schon von seinen Zeitgenossen^
wio Vasari erzählt, bekrittelt * V ' (1t Thtt,
* Den EinfluBs de« Fra b. Adrcüco aul Utu juugeu Fra Fi-
lippo sieht man vielleicht nirgendwo deailioher alt aaf einem
„Tondo" dieses leUtem in der Sammlung ton Sir Francis Cook
in Kichmond.
« Siehe Vasari (ed. Le Monnier, IV, 180): „A>r« da CnWo Mar-
102 Die Galerie Borghese.
sie ist eben nicht schön geformt, sondern plump, schwer-
lallig und schlecht in der Modellirung; auch dtis Ohr
hat bei ihm eine runde, klotzige Form und ist gewöhn-
lich einwärts gebogen. Für dergleichen Studien ist
freilich die Stadt Rom zu arm an Werken des Meisters;
wer daher von der Wahrheit meiner Beobachtungen sich
besser zu überzeugen wünscht, dem würde ich rathen
nach Florenz zu gehen, woselbst er in jenen drei Ga-
lerien über ein halbes Dutzend Bilder des Fra Filippo
finden wird. In llom jedoch befinden sich noch zwei
Tafeln dieses bedeutenden Meisters: die eine in der Ga-
lerie Doria-Pamfili, die andere in der Bildersammlung
des Lateran. Auf der ersten ist die Verkündiofun«: dar-
gestellt (II. Saal, Nr. 28) : die heilige Jungfrau sitzt vor
einem Lesepulte, ihr gegenüber der Erzengel mit einer
Lilie in der Hand, Goldgrund. Aehnliche Verkündi-
gungen von ihm sieht man auch in der Kirche S.
Lorenzo in Florenz und in der münchener Pinako-
thek. Das Bild Fra Filippo's im Lateran ist ein
Triptychon: in der Mitte die Krönung Maria's, rechts
zwei heilige Olivetaner-Mönche , die den Besteller des
Bildes, Carlo Marsuppini von Arezzo, der Madonna em-
pfehlen, im Hintergrunde drei Engel mit musikalischen
Instrumenten; links zwei andere heilige Mönche, die
ebenfalls einen gläubigen Erdensolm der Mutter Gottes
vorstellen und ihrer Gnade anempfehlen, und im Hinter-
grunde ebenso drei Engel. Dieses Gemälde hat stark
durch Retouchen gelitten und wurde 1842 durch den
Bilderhändler Baldeschi von Arezzo nach Rom gebracht
und an Papst Gregor XVI. verkauft. Ausser seinen
Bildern in Rom und in Florenz und seinen berühmten
tsuppini (jU fü detto, che egli avvertisse alle mani che dipingeva
per che molto le sue cose erano biasimate" (wobei ihm von Carlo
Marsuppini bemerkt wurde, er solle auf die Hände, die er malte,
Acht geben, denn diese würden sehr getadelt).
Einleitung. 103
Gemälden in Prato und Spoleto sind mir von ihm in
Italien nur noch die zwei Tafeln mit den vier Kirchen-
vätern in der Akademie zu Turin bekannt.^
Bei Botticelli ist dagegen die Uand sehr knochig
und, wenn ich so sagen darfi plebejisch, — mögen die
Herren Demokraten mir diesen Ausdruck vergeben, —
die Nägel sind breit, viereckig, mit scharfen dunkeln
Umrissen. Diese seine Hand, dabei seine angeschwol-
lenen Nasenflügel, sein bewegter länglicher Faltenwurf
nebst der leuchtenden Durchsichtigkeit seiner Farben,
wo das goldige Kirschroth die vorherrschende Note ist,
während in den Gemälden des Fra Filippo das Hell-
blau und Hellgrau die Grundtone bilden, lassen des
Botticelli Bilder leicht von denen seiner Nachahmer
auch schon an der Aussenseite unterscheiden.'
Die Hand des Filippino Lippi endlich hat eine
ganz eigenthümliche und unschöne Fingerbildung. Der
Ansatz der Finger an der Hinterhand (^Metaearpium) ist
so scharf angegeben, dass diese zwei Theile nicht in-
einander gewachsen, sondern fast wie ineinander ge-
schraubt aussehen. Die Finger sind lang, hölzern und
wenig belebt. Und wie die Gamme der Farben bei
diesen drei verwandten Malern eine verschiedene ist,
so weichen sie auch in ihren landschafllichen Hinter-
gründen stark voneinander ab, und selbst die Form de%
» Herr Director W. Bode (II, 572) stellt dat tchöne und echte
Bild des Frate (Nr. 1307) in den Uffisien (von dem im Heute des
Fürsten Torlonia in Rom eine alte Copie tich vorfindet) mit dem
Madonnenbildchen im Museum von 8. Maria nuova in Floreni
ungefähr auf dieselbe Stufe, wfthrend, nach meiner Ansicht, diee
letztere Bildchen doch nur der Schule angehören kann.
« Die meisten Galeriedirectoren, die gewöhnt sind der Tra-
dition zu folgen oder auch blot nach dem flaohtigen Totalein-
druck die Bilder ru bestimmen, pflegen jedoeh fast allenthalben
sowol die Atelierwerke als auch die der Nachahmer des Botti-
celli mit den Originalbildem des Meisten tu verweehteln.
104 Die Galerie Borghese.
Nimbus oder Heiligenscheins auf ihren Bildern ist ver-
schieden. Die Landschaft des Fra Filippo und seines
Schillers Francesco Pesellino gleicht der seiner Zeit-
genossen und besteht, wie auf den Bildern des Beat'
Angelico, meist aus einer Reihe kugelförmiger Iliigel
oder auch spitzer Felsen; Botticelli hat dagegen ideale
Landschaften mit zackigem Gefelse und sehr oft auch
tief eingeschnittenen Fluss- und Meerbuchten ; Filippino
Lippi studirte seine landschaftlichen Grimde schon mehr
nach der Natur und gibt gewöhnlich toscanische baum-
bepflanzte Hügelgegenden. Auch sind seine Landschaf-
ten dunkler gefärbt als diejenigen des Botticelli. Ein
feines Gefühl fiir landschaftliche Linien hatte sein be-
gabter Schüler Kaftaellino di Bartolommeo del Garbo,
dessen landschaftliche Hintergri'mde besser aufgebaut
imd feiner, wärmer getönt sind als die des Meisters.
Einzelne Werke dieser drei obengenannten Meister
findet man zwar in Roms öffentlichen Galerien; um die-
selben aber genauer kennen zu lernen, muss man, wie
oben gesagt, nach Florenz wallfahrten. Von Filippino
Lippi sieht man in Rom nur noch seine bekannten
Fresken in S. Maria sopra Minerva, die in unsern
Tagen unter den Auo;en des Ministers des öffentlichen
Unterrichts auf die gewissenloseste Weise „ res tau -
rirt", d. h. entstellt wurden, — geradeso wie es später
mit dem Wandgemälde RaffaeFs in Perugia, mit denen
Tizian's in der Scuola del Santo in Padua und nament-
lich mit denen Mantegna's im Palazzo ducale in Mantua,
unter den Auspicien des Generalinspectors G. B. Caval-
caselle, geschah.
DIE TOSOANER.
ach dieser dem Leser vielleicht allzu laiig schei-
nenden Einleitung gehen wir nun zur Musterung
der einzelnen Bilder der Borghese-Gnlerie über,
und da das mit Nr. 1 bezeichnete Rundbild dem
8aiidro Botticelli, also einem Florentiner, zugesi'hrio-
ben wird, so sehen wir uns vor allen andern die in
diesen Sälen enthaltenen Werke der Toscaner an.
ALESSANDRO BOTTICELLI.
Alessandro Botticelli (wir geben hier das Facsimile
der Form, d. h. der Grundform sowol der Hand als
Ohr and Hlad« M BottteeUI.
des Ohres bei Sandro Botticelli) ist ab Schüler toii
Fra Filippo Lippi zu betrachten und war in der zwei-
ten Ilältle des 15. Jahrhunderts gewiss einer der genial-
sten und charaktervollsten Künstler Italiens (1446 f 1510).
Das ihm hier zugeschriebene Rundbild stellt Maria
mit dem Jesuskinde dar; auf beiden Seiten Engel. Die
('om Position, ja vielleicht auch der Carton su diesem
106 Die Galerie Borghese.
Gemälde, gehören wahrscheinlich dem Meister selbst an,
allein die Ausführung des Bildes darf doch nur einem seiner
Gehülfen zugeschrieben werden. Ich vermisse nämlich in
diesem Tondo nicht nur die dem Meister eijrenthüm-
liehe Lebendigkeit der Aä'ecte, sondern auch jene Durch-
sichtigkeit der Farbe, die die Werke des Botticelli vor
denen seiner vielen Nachahmer kennzeichnet. Und in
der That, wir sehen hier wol die Form seiner Hand
mit den unschönen knöchernen Fingern und 'den vier-
eckigen, schwarzumrissenen Nägeln, allein dieser Hand
fehlt das Leben; auch ist das Haar ohne Geist behan-
delt. Ein Vergleich dieses Gemäldes mit den herrlichen
Rundbildern in den Uffizien in Florenz dürfte wol jeden,
der da sehen will, von der Wahrheit meiner Bemer-
kung sogleich überzeugen.! Es versteht sich von selbst,
dass, wie schon Mephistopheles dem Schüler bemerkte,
„ein jeder lernt nur das, was er lernen kann".
Mit Ausnahme der trefflichen Fresken in der Sixti-
nischen Kapelle und einem ganz vorzüglichen Madon-
nenbilde im Besitz des Fürsten Mario Chigi (Maria mit
dem Kind, welchem ein Engel einen Büschel Korn-
ähren darbringt) befindet sich in Rom, soviel wenig-
stens mir bekannt ist, kein anderes echtes Werk dieses
energischen Florentiners. Sowol das Bildchen (die Jung-
frau mit dem unbekleideten Christkind im Arm) im
letzten Saal der Colonna-Galerie^, als auch die „kleine
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 425) und Director
W. Bode (II, 580) halten dagegen auch dieses Gemälde für ein
Originalwerk.
2 Im letzten Saal der Galerie Colonna befindet sich ein Bild-
chen, worauf der heilige Jacobus dargestellt ist und das dort
svunderlicherweise demMelozzo daForli zugemuthetwird. Täusche
ich mich nicht sehr, so ist jenes Machwerk nichts anders als die
Copie eines schwachen nordischen Malers nach einer Heiligenfigur
aus der Schule des Botticelli. Man betrachte unter andern Merk-
malen auch die nordische hackenförmige Falte am Mantel, (f)
Die Toscaner: S. BotticelH. 107
Verkündigung*' der Barberinrschen Sammlung * sind ge-
wiss nur schwache Erzeugnisse der Schule, (f)
In Erwägung des Umstandes, dass so viele Atelier-
bilder und Arbeiten von mehr oder minder glücklichen
Nachahmern des grossen Meisters ihm selbst zuge-
schrieben werden, bitte ich meine lernbegierigen Freunde
es mir nicht verargen zu wollen, wenn ich zu ihrer Be-
lehrung bei dieser Gelegenheit ein paar Dutzend sol-
cher Zwitterwerke anführe, die selbst in Italien als
Originalbilder des Botticelli noch immer den Leuten prä-
sentirt und von in- und ausländischen, berufenen und
unberufenen Kunstschrif^stellem als solche angenommen
werden. Nur durch solche ins einzelne gehende Ver-
gleiche werden Anfänger in der Kunstwissenschaft mit der
Zeit in den Stand gesetzt, diesen so seelenvollen, so
energischen und doch so liebenswürdigen Künstler besser
kennen und somit auch würdigen zu lernen und seine
echten Werke von den ihm mit Unrecht zugeschriebenen
zu unterscheiden.
Meiner Ueberzeugimg nach w^erden folgend«^ "Rn.l.^r
tulschlich dem Botticelli selbst zugeschrieben:
In der Uffizien- Galerie:
1. Eine allegorische Figur, Nr. 1299 (Crowe und
Cavalcaselle, II, 417). (f)
2. Die „Verkündigung". Xr. mn. nach einer Skizze (?)
des Meisters, (f)
3. Die heilige Jungfrau, die dein Kiml iincn (fraii.it-
apfel darreicht, Nr. 1303. (f) (Herr Dr. W. Bode nennt es,
wie wir bereits gesehen, im „Cicerone" ein Jugend werk
des Botticelli (II, 579). Weder die Form der Hand
noch die des Ohres sind die de« Meisten, auch ist der
* Dies Bildohen wird von den Herrsn Crowe ond Cavaka-
selle (II, 860, Anmerkung) unbegreiflicherwet»« J«ni Maröo Zoppo
Eagcschrieben.
108 Die Galerie Borghesc.
Leib des Kindes viel zu schwach in der Modellirung,
ist der Ausdruck und die Bewegung der Madonna und
des Kindes viel zu wenig beseelt.
Im Pitti-Palast:
4. Die heilige Jungfrau von Engeln umgeben,Nr. 348 (t)
(Crowe und Cavalcaselle, II, 424); auch Director Bode
stimmt dem bei.
5. Das sogenannte Porträt der schönen (?) Simo-
netta (?), Nr. 353. (f) (Crowe und Cavalcaselle, II, 424,
und Dir. Bode a. a. O.) Herr Bode findet übrigens
mit Recht dieses Porträt „ohne grössern Keiz".
6. Die heilige Familie, Nr. 357 (Crowe und Caval-
caselle II, 424). (t)
In der Akademie der schönen Künste daselbst:
7. Die drei Erzengel mit dem Tobias (Vasari, V,
lll,2).i(t)
^ Dieses unbedeutende Kunstwerk kam unter dem Namen Bot-
ticelli's aus der Kirche S. Spirito in die Akademie und wurde dort
auf Antonio del Pollajuolo umgetauft, von den Herren Crowe
und Cavalcaselle aber (II, 424) als Werk der Gebrüder Pietro
und A. Pollajuolo uns präsentirt. Neuerdings jedoch trat Herr
Director W. Bode in Berlin gegen diese Taufen mit lebhafter
Entschiedenheit auf und erklärte das Bild für ein ganz vorzüg-
liches Werk seines Andrea del Verrocchio, ja er em-
pfahl es sogar unserer ganz besondern Bewunderung als eins
der „bedeutendsten Tafelbilder des Quattrocento". Ich werde
mich wohl hüten, gegen die ästhetische Würdigung des Bildes
seitens des berliner Gelehrten Einwendungen zu erheben und
dies um so mehr, als Herr Director W. Bode mir vorwirft, über
„die äussern Kennzeichen den Innern Gehalt der künstlerischen
Erscheinung der betreffenden Kunstwerke ganz und gar zu ver-
kennen". Es sei mir jedoch hier erlaubt, gegen diese Neutaufe
tu bemerken, dass in diesem Bilde die Formen keineswegs denen
entsprechen, die sowol in den Sculpturen als auch in der „Taufe
Chnsti", sowie selbst auch in den andern seinem Andrea del
Die Toscaaer: S. Bottioelli. 109
s. Die thronende Madonna mit den Ueiligen Cosmas
und Damianus (Vasari, V, 123). (f)
Im Oratorioxn 8. Jacopo di Bipoli:
(Seit einigen Jahren in einem Saal de« Mideh<>niii*tittitr« ..1» Uuirt«*"
ant«rg«br»olii.)
VI. Die ., Krönung der Jungfrau im lirij»viti \iiicr
Heiligen", (f) In der Ausgabe dea „Cicerone" vom Jahre
Verroccbio von ihm zuerkannten Gemälden ( iu Berlin und Lon-
don) uns entgegentreten. Was die Thatsache anbelangt, auf die
Herr Dr. Bode ein ganz besonderes Gewicht xu legen tcheint,
dass nämlich sowol in der „Taufe Christi** wie aooh in dieaem
Gemälde hier derselbe sogenannte Sandarakfimiss angewandt
wurde, so dürfte der berliner Kunstgelehrte, falls er Lust und
Müsse zu solchen Vergleichen hätte, die nämliche Farbe in manch
anderem Gemälde der gleichzeitigen Florentiner, z. B. in denen
ans der Werkstatt des S. Botticelli, der Pollajuoli und des C.
Rosselli antrefifen. Nicht zufrieden jedoch, dieses ganx unbedea-
tende Kunstproduct dem Verrocchio vindiciren xa wollen, glaubt
Herr Director Bode in der florentinischen Akademie noch ein an-
deres und zwar früheres eigenartiges Gemälde seines A. Verrocohio
entdeckt zu haben. Dieses „noch ganz m tempera^ ausgeführte
Stück trägt die Nummer 26 und stellt el>enfalls den Tobias mit
dem Erzengel auf der Reise dar. Jeder vorurtheilsfreie Kunst-
freund möge selbst entscheiden, üb es erlaubt ist, blo« dem darin
vermutheten „geistigen Gehalt" zu Liebe, einem Meister von der
Bedeutung des Verrocchio in allem Ernst dergleichen impotaotaa
Zeug zuzuschreiben. Mit derselben Sachkenntniss Uom das fkat
aus lauter Malern bestehende florentiner Comit^ xur „Erhaltung
der einheimischen Kunstwerke** aus dem Depot der Uffisien-
Galerie das schwache Machwerk eines toskaniaohen K&nttlers
aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts henrorholen und
unter Nr. 1335 als Werk des A. del Verrocchio dem Poblikum
vorstellen. Auch an dieser Taufe mögen wol die Annmatkeln,
die wie ein Bündel Rettiche anetehen, vielleicht auch der San*
«larakfimiss, die meiste Schuld gehabt haben. Viel klOfer wlre
es auch in diesem Falle gewesen, bei der Ansicht «Icr Vorgiagtr
zu verharren und Bilder, die für nnwOrdig gehalten wnrdao, MTant-
lich ausgestellt zu w- ' •• •-^»v" ••• '^♦•r Rumpelkammer itAhen
zu lassen.
HO I^ie Galerie Borghese.
1879 (Seite 545) nahm auch Herr Director Bode dies
Bild noch für ein Originalwerk des Botticelli an; in der
spätem Ausgabe jedoch folgt der berliner Gelehrte zu
meiner grossen Genugthuung dem Lermolieft' und stellt
es uns blos als Atelierarbeit vor (a. a. O. 580), während
die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 424) es sogar
eine ^^carefnl jproduction of BotticelWa fine time'-'- ge-
nannt wissen wollen.
10. In der Kirche S. Feiice, 1. Altar links: Tafel mit
den Heiligen Antonius, Rochus und Katharina; von einem
von Filippino beeinflussten Schüler des Botticelli, doch
gewiss nicht von Filippino Lippi selbst, wie Herr Di-
rector Bode meint (II, 581). (f)
Im Oratorium von S. Ansano:
(Bei Fiesole.)
11. Vier kleine Tafeln, von den florentinischen Heraus-
gebern des Vasari (V, 124) für „unzweifelhafte" Bilder
des S. Botticelli erklärt, (f)
In der Galerie Corsini in Florenz:
12. Tondo mit der von Engeln umgebenen Madonna
(Crowe und Cavalcaselle, II, 578) und ebenfiills von Di-
rector Bode für eigenhändiges Werk des Botticelli ge-
nommen (11,580). (f) In derselben Sammlung befindet sich
überdies ein zwar echtes, wiewol stark verputztes Werk
des Botticelli; es ist dies das Porträt eines Goldschmieds,
ähnlich dem höchst verunstalteten Medailleur (Nr. 1154)
in den Uffizien. (f)
In der Galerie von Turin:
13. Die drei Erzengel mit dem Tobias, Nr. 98. (f)
14. Die Jungfrau mit dem Christkind, dem kleinen
Johannes und einem Engel, Nr. 99. (f )
15. Allegorisches Bildchen, den Triumph der Keusch-,
heit darstellend, Nr. 369 (Crowe und Cavalcaselle, II,
426); der gebundene Amor erinnert an Filippino, die
Die Toscaner: S. Botticelli. 1 1 1
dem Triumphwagen folgende Mädchenschar mehr an
Botticelli. 1 (f)
In der Sammlung Poldi-Pezzuoli in Mailand:
16. Die „Beweinung Christi", (f)
Diese Sammlung besitzt übrigens in einem leider zu
stark geputzten Madonnenbilde ein echtes Werk von
Botticelli. Ueberdies finden wir in Mailand ein anderes
überaus köstliches Madonnenbild des Meisters in der
Ambrosiana, wie auch in der Sammlung des Herrn
Giovanni Morelli weitere drei echte Werke des Sandro:
die Geschichte der römischen Virginia^, einen „Salvator
mundi" und endlich das Original2)orträt des Giuliano
de' Medici, von dem der Fürst Strozzi in Florenz eine
Schulcopie besitzt.' Doch genug für heute von Botti-
celli's Nachahmern, deren Werke, gute und schlechte,
unter dem Namen des Meisters den Leuten von den
Katalogen und somit auch von den roth- und braun-
* Von demselben florentincr Meister, der wol Mitschüler des
Filippino gewesen sein mag, besitzt der Marquis Adorno in Genua
vier Bildchen ; ein sechstes, den „Kampf zwischen Amor und der
Keuschheit" darstellend, wurde vor kurzem von der National
Gallery in London erworben. Diese sechs Bildchen scheinen ein
und derselben Reihenfolge anzugehören und dereinst zur Zierde
eines Möbels gedient zu haben. Director Bode gibt diese Bilder
dem Botticelli (II, .579).
* Vielleicht dürfte dieses Bild eins von denen sein, welche,
wie Vasari berichtet, der Meister für Giovanni Vespucci malte:
„con moUe ßgure vivissime e fteü«". Die Längstafel zählt in der
That an 50 Figuren, von denen man nicht eine einzige ver-
missen möchte, mit solchem Feuer sind sie alle empfunden, mit
solcher Liebe ausgeführt. Wenige Werke legen, neben den
Unarten, so auch die hervorragenden küoatlerisohen Eigen-
schaften des Botticelli so klar an den Tag, wie diese meisterhaft
dargestellte Tragödie.
* Alle Kunstwerke der fürstlichen Familie Strozii wurden
von der Witwe verkauft. Das Porträt des Giuliano gelangte ins
berliner Museum.
112 Die Galerie Borghese.
bändigen „Führern" empfohlen werden. Hier möchte
ich meinen jungen Freunden noch einige Zeichnungen
des Meisters zum Studium der eigenthiimlichen Aus-
drucks- und Da rstelhmgs weise dieses grossen Künstlers
anempfehlen :
In der Uffizien- Sammlung :
Rahmen 41: der heilige Johann Baptist, Feder,
Tusche und Gips; Rahmen 43: der heilige Hieronymus,
Silberstift und Gips.
In der Sammlung des Herrn John Malcolm in London:
Eine allegorische weibliche Figur mit Putten (Braun,
B. arts, Nr. 21), Rötheizeichnung. Nach dieser Zeich-
nung malte ein Schüler Botticelli's das bekannte Bild,
das aus der Sammlung des Herrn Reiset in die des Her-
zogs von Aumale überging. Crowe und Cavalcaselle
(II, 429) geben auch dieses Bild dem Meister selbst.
LORENZO DI CREDI.
Unter der Nr. 2 ^ begegnen wir in der Galerie des
Fürsten Borghese einem Jüngern Zeitgenossen des San-
dro Botticelli, nämlich dem Lorenzo di Credi, den ich
den Carlin Dolce des 15. Jahrhunderts nennen möchte
(Lorenzo di Andrea di Credi wurde zu Florenz 1459
geboren und starb daselbst 1537). Er war als Künst-
ler der Antipode des Botticelli. Seit den Rundbildern
in Terracotta des Luca della Robbia scheint besonders in
Florenz diese Bildform in Aufnalime gekommen zu sein.
Es ist hier die Maria dargestellt, die das Christkind auf
ihren Knien hält. Der kleine Jesus sitzt auf einem Kissen
und ertheilt mit dem rechten Händchen dem kleinen
* Leider wurde neuerdiogs dieses vorzügliche Bild mit andern
Gemälden, welche die Hauptzierde der Galerie bildeten, in die
obern Räume des Palastes gebracht, doch, wie zu hoffen ist,
nur auf kurze Zeit.
Die Tosoaner: Lorenzo di Credi. 113
Johannes den Segen, während er mit der Linken eine
Frucht hält. Hintergrund Landschaft. Auf dem Ge^
sims, zur Rechten der Jungfrau, machte der gewissen-
hafte Lorenzo sich die Freude, 'mit miniaturartigem
Fleiss und grosser Kunst einige Bhimen in einem Trink-
glas nach der Natur zu malen, so treu und so niedlich, wie
nur ein Niederländer den Gegenst^md behandelt hätte. *
Dieses Bild, das nach meinem Dafiirhalten zu den voll-
kommensten Werken des Lorenzo zu zählen ist, ist a
tempera gemalt und mag wol noch in den letzten De-
cennien des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Die Far-
ben sind sehr klar, die Modellirung des Kindes erin-
nert an den putto des Verrocchio im Hofe des Palazzo
vecchio in Florenz, sowie ebenfalls an die Putten auf
einer echten Federzeichnung des Verrocchio im Louvre
(SaalX, im Fächer ausgestellt), (f) Lorenzo mag in seinen
jungem Jahren mehr mit der Sculptur. d. h. mit Modol-
' Nach Vasari soll auch Lionardo da Vinci iu einem Ma-
donnenbild aus seiner Frühzeit ein solches Glas mit Blumen an-
gebracht haben (Vasari, ed. Le Monnier, VII, 17) : „/ece poi Lio-
nardo una nostra Donna in un quadrOy che era appresso papa
demente VIT, molto eccellevte e fra V nitre cose, che v^eran fatte^
contraffece una caraffa pietrn d^ acqua con aicuni ßori dentro^
(lote nitre Ja meran'fjlia deUa vivtzza, arera imitato la rugiada
delV acqua sopra, 8i che parcva piü viva che la virezza.^' Vasari
beschreibt, wie man sieht, das Bild vom Hörensagen, und es wäre
daher nicht unmöglich, dass er damit dieses borghesische Bild ge-
meint hätte, welches also schon damals für die Arbeit Lionar-
do's angesehen und als solche gepriesen worden wäre. Deshalb
darf man sich auch nicht wundern, dass der gelehrte Bibliothekar
Amr)retti es als solche in seiner Monographie über Lionardo
{Metnorie storicJie un la rrto, gli studi e le opere äi JJonardo
du Vincij scritte da Carlo Amoretti, Milano 1804) citirte, noch
dass die florentinischen IlerauNgcber des Yatari (VII, 17) auch
in diesem Falle den FuHRHiaprca anderer willig gefolgt sind. Wie
oft wird man nicht in Büchern über Kun«t an jene Parabel er-
innert, die der trefTliche alte Bruogcl Buf meinem Bild im Museo
von Neapel so köstlich darstellte.
LBsaoLtBrv. g
J^J4 I^iß Galerie Borghese.
lireii, als mit der Malerei sich beftisst haben. Und so
durfte auch sein Lehrer Verrocchio in seinem letzt-
willigen Gesuch an die Signoria von Venedig die Bitte
richten, die Vollendung seines Colleoni-Monuments sei-
nem Gehülfen Lorenzo überlassen zu wollen.
In diesem nämlichen Saal sieht man an der Wand
gegenüber unter der Nr. 54 ein anderes, etwas kleineres
Rundbild, im Katalog ebenfalls als Werk des Lorenzo
di Credi aufgeführt, während Herr Jansen in seiner Mo-
nographie über den Sodoma es diesem letztern Maler
zuzuschreiben für gut erachtete. Dieses Bild stellt die
heilige Jungfrau und Joseph dar, kniend vor dem
Jesuskindchen, welches auf einem Kissen am Boden liegt;
Hintergrund Landschaft. Vergleicht man nun beide
Bilder miteinander, so wird man ohne viele Mühe
erkennen, dass, während Composition und Zeich-
nuno; allerdino^s an Lorenzo erinnern, die Far-
benscala in diesem Gemälde eine viel tiefere ist,
als die des Lorenzo di Credi und eher an die des
Botticelli und des Signorelli gemahnt. Weder
die Form des Ohres und der Hand, noch die
Falten entsprechen den Formen, die wir ge-
wohnt sind, auf den authentischen Bildern des Lo-
renzo di Credi zu sehen. Auch die scharfen Lichter
auf dem Nasenrücken, auf der Oberlippe und anderwärts
scheinen mir charakteristisch für diesen Meister zu sein.
Solche scharfe Lichter finden sich auf keinem Gemälde
des Lorenzo. Die Farbenaccorde und die Längsfalten
weisen vielleicht mehr auf Signorelli hin als auf Botti-
celli, die Faltenlage ist jedoch ungefähr die des Botticelli;
alles übrige, zumal die Landschaft, deuten auf Lorenzo
hin. Wir schreiben daher dieses vorzügliche Bild einem
tüchtigen florentiner Maler zu, der bei Botticelli wahr-
scheinlich in die Schule gegangen, später aber sich eng
an Lorenzo angeschlossen und möglicherweise auch in
dessen Werkstatt thätig war, und freuen uns, dass die
Die Toscaner: Lorenzo di Credi. 1 1.)
Herren Crowe und Cavalcaselle ein, wenn wir sie rich-
tig verstanden, ahnliches Urtheil (III, 412) darüber ab-
gegeben haben.* Von diesem letztern Meister, den wir
Tommaso nennen wollen, finden wir andere Werke,
bessere und mittelmässige, ebenfalls unter
dem Namen des Lorenzo di Credi in der
Pitti-Galerie Nr. 354 (f); im Palaste des
Cav. G. Giuritini in Florenz (f); in der
Galerie von Modena, unter dem Namen
des Lippo Fiorentino, Nr. 43 (f); im ohr bei Tomc-o.
Hause der Gebrüder Prinetti-Esengrini in
Mailand (f); in den Sammlungen der Herren Dr. Gustavo
Frizzoni und Giovanni Morelli, ebendaselbst.
Von Lorenzo di Credi ist in den übrigen Galerien
Roms, ausser einem Bild aus der späten Zeit des
Meisters in der capitolinischen Galerie, kein echtes Werk
mir zu Gesicht gekommen. Allerdings besitzt die Samm-
lung im Palast Colonna (1. Saal) ein Bildchen: mit
Maria, die das nackte Jesuskind auf dem Schos hat
und ihm Erdbeeren darreicht, welches dort schlechtweg
einem Lippo (?) zugeschrieben ist, von einem neuern
deutschen Kunstschriftsteller jedoch (Mündler, Beiträge
zu J. Burckhardt's Cicerone, 4) für eine reizende Arbeit
unsers Lorenzo di Credi erklärt wurde*. Meiner Ansicht
nach gehört dieses Bild doch wol eher einem frühen Nach-
ahmer des Lorenzo an, und zwar, wie ich vermuthe, einem
tlämischen (f), wahrscheinlich demselben oder wenig-
stens einem Zeitgenossen jenes Malers, dem in der Dres-
dener Galerie ebenso voreilig wie naiv der Name Lio-
iiardo's gegeben wurde. Die besten Bilder des Lorenzo di
Credi sieht man in den Galerien der Ufßzien und der
' iit-rr i'n'Mior \\ . 1. • ^lil^ .um iMJigheae-
Katalo(r recht, indem er •! r Färbung halber ihn
tliciK I ■ tlieils HU biguorclli erinnert, für dav
.!•• I. li erklärt.
8*
116 Die Galerie Borghese.
florentinischen Akademie, sowie auch in der Pinakothek
Ton Turin (Nr. 356 B) und im Louvre (Nr. 156). Auch
in der Kirche delP Olivella in Palermo befindet sich
unter dem Namen Raffael's ein Madonnenbildchen von
Lorenzo di Credi. (f)
Ich bitte meine jungen Freunde, in diesem schönen
Bilde der Galerie Borghese sowol die Landschaft als
auch die eigenthiimliche Form des Ohres und der Hand
mit der bei diesem Meister fast immer wiederkehren-
den etwas steifen Biegung der Finger sich ansehen zu
wollen, da beide Eigenthümlichkeiten sehr charakteri-
stisch für unsern Meister sind und daher in allen seinen
echten Werken sich wiederholen. In den Uffizien wer-
den sie dann sich überzeugen können, dass das dort
dem Lorenzo zugerechnete Madonnenbild (Nr. 1287)
nicht ihm selbst, sondern blos einem seiner Gehiilfen
oder Nachahmer, der den Carton des Meisters benutzte,
angehören muss.^ (f) Director Bode hebt jedoch gerade
dieses Bild hervor (II, 585). Die Farben der Landschaft
sind nicht die des Lorenzo di Credi, noch entsprechen die
Formen der Hand und des Ohres in diesem schwachen
* Ausser den Gemälden des Lorenzo empfehle ieli auch et-
liche seiner auf uns gekommenen Zeichnungen dem Studium der
Kunstbeflissenen, unter andern den Carton in der florentinischen
Akademie; in der Uffiziensammlung: Rahmen 125, Nr. 476;
die Rötheizeichnungen im Louvre (Katalog Reiset: Nr. 199,
200, 202; auf dem Blatt Nr. 200 ist die Ohrform des Meisters
besonders deutlich angegeben) ; die Federzeichnung im Briti-
schen Museum (Braun 26), sowie auch das Porträt eines alten
Mannes, das in der Sammlung von Chatsworth unter dem Namen
des Daniele da Volterra geht (Braun, Nr. 30); diese letztere ganz
vorzügliche Zeichnung, an der man auch die dem L. di Credi
charakteristische Form des Ohres sieht, stellt, täusche ich mich
nicht, den Kopf des Bildhauers Mino da Fiesole (gestorben
1486) vor. Man vergleiche dieses Porträt mit dem Conterfei des
Mino, welches der Biographie desselben im Werke des Vasari
vorgesetzt ist. (f)
Die Toscaner: Luca Signorelli. 117
Bilde denen des Lorenzo; auch mangelt den Gesichtern
Leben und Ausdruck.
LUCA SIGNORELLL
Vom grossen, edeln Luca Signorelli, diesem Vor-
läufer des Michelangelo, habe ich ausser seinem Wand-
gemälde in der Sixtinischen Kapelle, in den Samm-
lungen Roms nichts gefunden, mit alleiniger Ausnahme
zweier kleiner Bilder. Das eine davon, welches im Hause
Patrizi war, wurde inzwischen sammt allen übrigen
künstlerischen Habseligkeiten dieser Familie ins Aus-
land verkauft; das andere, eine heilige Familie, befindet
sich noch immer im Casino Rospigliosi. Das erstere
war ein Rundbild und stellte Maria Heimsuchung dar:
links steht der heilige Zacharias mit dem kleinen Jo-
hannes auf dem Arm, rechts hält der heilige Joseph
das kleine Christuskind auf den Knien; bezeichnet-:
LVCHAS SIGNORELLVS • DE • CORTONA. Ge-
hört wol zu den späten Werken des Meisters.* Jene
schmalen, länglichen Bilder aber mit Heiligen, welche
in der Lateranischen Sammlung zum Theil dem Signo-
relli, zum Theil der Schule von Murano zugeschrieben
werden, sind, w^ie ich glaube, von der Hand des Cola
delTAmatrice (f), eines verwilderten und rohen Ma-
lers aus der Ascolanischen Nachblüte der Schule des
Carlo Crivelli.
Denjenigen aber unter meinen jungen Freunden, die
da Lust hätten, den L. Signorelli, diesen wahrhaft
grossen Meister näher kennen zu lernen, würde ich
rathen, vor allem seine Frescocykltii im Dom von Or-
vieto zu Studiren. Nirgendwo sonst, will es mir scheinen,
hat es die Kunst im 15. Jahrhundert vermocht, der
menschlichen Gestalt so viel Leidenschaft, eine so über-
wältigende Willens- und Thatkrafl einzuhauchen, als
Diese« Bildchen wurde vom Berliner Museum erworben.
118 Die Galerie Borghese.
in einigen jener gewaltigen Figuren, welche Luca mit
seinem Pinsel dort in Orvieto auf die Wand gezaubert
hat. Gute 'Werke Signorelli's sind ferner die Fresken
im Klosterhof von Mont' Oliveto; seine grosse Altar-
tafel in der Domsakristei von Perugia; seine Proces-
sionsfahne im Municipalgebäude von Borgo S. Sepol-
cro. Auch in Cortona, in Urbino und Volterra trifft
man charakteristische Werke unsers Meisters an. In
der florentinischen Akademie sieht man eine grosse Altar-
tafel von ihm, sowie auch eine Predella, und in den
Uffizien einige vorzügliche Staffeleibilder und ebenfalls
eine Predella; die Pitti-Galerie besitzt desgleichen ein
Bildchen von Signorelli, und zwei sehr interessante
Jugendwerke des Meisters, die „Geiselung Christi" und
eine Madonna mit dem Christkind, hängen in der Brera
zu Mailand; ein männliches Porträt in der Sammlung
Torreggiani zu Florenz, und einige treffliche Madonnen-
bilder ebendaselbst in der Galerie Ginori und Corsini
diirfen ebenfalls nicht imerwähnt bleiben. Auch bei Signo-
relli sind, wie bei allen grossen Meistern,
sowol die Form der Hand und die des Ohres
als auch die Landschaft sehr charakteristisch. ^
Zeichnungen des Signorelli finden sich in
allen bedeutenden Sammlungen Europas:
mehrere in den Uffizien (Rahmen 459,
Nr. 1246—1250); der Louvre besitzt nicht
weniger als sieben Blätter von Luca (Nr.340 —
347, Br. 140, 141), w^ogegen die vom verstorbenen
Moris Moore geschenkte Zeichnung, Nr. 347 (Bravui 142)
daselbst augenscheinlich nichts anderes als eine plumpe
Copie oder auch Fälschung ist. (f ) Im Britischen Museum
in London sah ich ebenfiills drei gute Zeichnungen von
* Wer die dem Meister charakteristischen Formen der Hand
und des Ohres studiren will, beobachte sie z. B. im Bilde Nr. 1291
der Uffizien-Galerie.
Die Toscaner: Girolamo Genga. 119
ihm (Vol. 32) und in der Bibliothek von Windsor Castle
ein Blatt des Signorelli unter dem Namen des Ma-
saccio. (+)
Fast alle Zeichnungen des Signorelli sind mit der
Kohle flüchtig hingeworfen, zuweilen bedient er sich
sowol der schwarzen als der rothen Kreide. Aus all
denselben scheint mir hervorzuleuchten, dass Antonio
del Pollajuolo einen stärkern Einfluss auf ihn gehabt
haben dürfte, als man dies bisher hat annehmen wollen,
wovon auch in den Uffizien die zwei Zeichnungen Adam
und Eva des A. del Pollajuolo (f), die dort dem
Signorelli zugeschrieben werden, uns einen Beweis liefern.
GIROLAMO GENGA.
Dem Girolamo Genga, der das Unglück hatte,
Signorelli's Schüler und Gehülfe zu werden, erging es
ahnlich wie später allen Schülern oder vielmehr Nach-
ahmern des Michelangelo: er wurde die Caricatur seines
Vorbildes. Und was würde wol gar aus der schmieg-
samen, leicht empfänglichen Natur des jungen Raffael
geworden sein, falls auch er, wie viele seiner unbedacht-
samen Biographen uns glauben machen möchten, unter
die einseitige, eiserne Leitung des Signorelli, statt unter
die des sanften, anmuths vollen Timoteo Viti gerathen
wäre? Auf diese Frage gibt uns eine sehr lehrreiche
Antwort das Beispiel des Girolamo Genga. Auch er
war aus Urbino und auch er war gewiss ein vielbegabter
Schüler. Man vergegenwärtige sich aber bei der Be-
trachtung seiner Bilder und Zeichnungen, was unter
dem erdrückenden Einfluss seines grossen Lehrmeisters
Signorelli aus ihm geworden ist. In seinem Jugendwerk
.,die Marter des heiligen Sebastianus^^ (t) (Nr. 1182),
(las in der Ufßzien -Galerie als unbekannt ausgestellt
ist, von den Herren Crowe und Cavalcaselle (III, 370)
dem Domenico und Orazio Alfani zugeschrieben . wird,
mir jedoch als Jugendarbeit (etwa um 1498—99) des
120 I^ie Galerie Borghese.
G. Geuga erscheint, in diesem Bild, sage ich, ist die
Kachahmung oder besser die NachäflPung des Signorelli
noch kaum erkennbar. Um so greller tritt uns dieselbe
in seinen Gemiilden und Zeichnungen aus spätem Jahren
vor Augen. Ich will einige davon hier anführen :
1. Die z\v^ei Frescobilder in der Akademie von Siena,
welche aus dem Palazzo Petrucci stammen und die Mum-
mern 224 und 225 führen. Auf dem einen derselben
ist Aeneas mit seinem Vater Anchyses, auf dem andern
die Auslösung von Gefangenen dargestellt. Die Com-
position zu diesen Bildern muss allerdings auf Signo-
relli zurückgeführt werden, allein die Ausiührung ge-
hört unstreitig dem Schüler und Gehülfen Genga an.^
Eine kleine Tuschzeichnung des Genga zur „Auslösung
der Gefangenen" befindet sich, unter dem Namen des
Jacopo Francia, in der Liller Sammlung (f ) (Braun 102).
In derselben Sammlung, und zwar diesmal unter dem
Namen des Giulio Romano, begegnen wir einer andern
Zeichnung des Genga (f) (Braun 133), auf welcher mit
der Feder die „Enthaltsamkeit" Scipio's dargestellt ist.
2. Die Galerie von Siena besitzt überdies unter dem
Namen des Girolamo delPacchia (Nr. 31 ''^) ein Madonnen-
bild, das ich ebenfalls für Arbeit Genga's halte (f), ebenso
wie das andere Madonnenbild dort (Nr. 38*) (f), welches
* Director Bode nimmt sie dagegen für eigenhändige Werke
Signorelli's , II, 603. Auch die heilige Barbara der Sammhing
Poldi in Mailand gehört doch nur einem Schüler und nicht
dem Signorelli selbst an, ebenso wie die heilige Magdalena unter
dem Kreuz in felsiger Landschaft (Nr. 6) in der Akademie zu
Florenz, (f)
2 Dieser sienesische Maler muss allerdings zuerst von Genga,
sodann von M. Albertinelli und erst später ganz besonders vom
Sodoma Einflüsse in sich aufgenommen haben. Del Pacchia wird
seinerseits öfters auch mit Andrea delBrescianino verwech-
selt, so z. B. im Bilde dieses letztern, Nr. 115 der Turiner
Galerie, (f)
Die Toscaner: GiroUmo Genga. 121
vom Katalog in die florentinische Schule gesetzt wird.
Auch in der Bildersammlung von Lille finden wir, unter
der BezeicluHuig: ecole italienne primitive^ ein Werk
Genga's. (f) In demselben ist die Madonna kniend vor
dem Christkind dargestellt, das vom heiligen Joseph
gehaltene Kind anbetend. Der kleine Christus umarmt
den jungen Johannes; rechts zwei Hirten. In der Opera
del Duomo in Siena befindet sich eine grosse „Auf-
erstehung Christi" (ehemals Orgelflügel), die von Genga
im Jahre 1510 ausgeführt wurde. Einige Schriftsteller
verwechselten in diesem Bild den Genga mit dem So-
doma, ein gut pro quo^ das, wie mir scheint, dem Genga
auch in seinem männlichen Porträt in der Pitti-Galerie
(Nr. 382) (f) begegnet ist.* Neben diesen sei mir noch
gestattet, das berühmteste Werk des Girolamo Genga
hier zu erwähnen, das er um 1517 — 18 für den Haupt-
altar der Kirche von S. Agostino in Cesena malte und
das jetzt in der Brera-Galcrie aufgestellt ist Die Pre-
della dazu befindet sich in der städtischen Sammlung
von Bergamo und die Zeichnung in den Uffizien, unter
dem Namen KaffaeFs (Philpot, Nr. 2610) (f). Die grosse
liöthelzeichnung aber zum Bild in der Brera besitzt
die Louvre- Sammlung (Braun 223). Eine andere für
(ienga höchst charakteristische Zeichnung in schwarzer
Kreide fand ich vor Jahren, unter einem ebenfalls wohl-
klingendem Namen, in der interessanten Sammlung
des Herrn Ileseltine in London. Dieselbe stellt die
Madonna mit dem Kind und den kleinen Johannes dar.(f )
Und nun genug über diesen von seinem Freund Vasari
so hoch bewunderten Meister, der, dank seinem Lehrer,
vor allen andern Künstlern Italiens den beginnenden
Verfall der Kiuist niikündet.
' In jener Sammlung gibt man dafQr dem Genga di« heilige
I uiiilie, Nr. 349. die mir als eine alt« Copie nach Filippino Lippi
i-r>ihcint, jedenfalls aber mit Gcuga uichtt zu thun hat (f).
122 I^i® Galerie Borghese.
Nach dieser Abschweifung wollen wir wieder zur
Musterung der Florentiner zurückkehren.
Von jener Schule des 15. Jahrhunderts, welche von
Paolo Uccello und später von Domenico Veneziano be-
rührt, durch xVlesso Baldovinetti, Cosimo Rosselli, Do-
menico Ghirlandaio, Mainardi und Granacci vornehm-
lich repräsentirt ist, sind mir in den römischen Bilder-
sammlungen keine erheblichen Werke vorgekommen.^
Und nun kommen wir, der Nummerreihe folgend, auf
ein Bild zu sprechen, das die Nummer 3 führte und dem
Paris Alfani von Perugia zugeschrieben ward. Nach
meiner Ansicht ist dieses sehr verdorbene Gemälde mit
mehr Wahrscheinlichkeit dem Franciabigio zuzu-
theilen.2 (f)
Es gibt unter den florentiner Malern aus den ersten
Decennien des 16. Jahrhunderts etliche, wie Francia-
bigio, Giuliano Bugiardini, Francesco Granacci, Ridolfo
del Ghirlandaio und andere mehr, deren Werke in den
Galeriekatalogen und somit auch in andern Büchern
sehr oft miteinander verwechselt werden. Dies ist darum
wohl verzeihlich, weil jene Künstler keinen scharf aus-
geprägten Charakter (Stil) hatten, sondern, wie dies eben
bei Halbnaturen zu gehen pflegt, sich bald an diesen,
bald an jenen hervorragenden Meister anschlössen und
dessen Art und Weise nachzuahmen und zu der ihrigen
zu machen trachteten. Bei einem aufrichtigen Studium
ihrer angewöhnten und daher für sie bezeichnenden Ma-
nieren und Unarten dürfte man jedoch, scheint mir,
dazu kommen, selbst die Werke dieser Zwitterkünstler
mit einer gewissen Sicherheit voneinander zu unter-
* Die zwei Breittafeln in der Galerie Colonna, dort dem
Dom. Ghirlandaio gegeben, sind gewiss nicht von ihm, sondern
gehören nur der Schule an. Director W. Bode (II, 58G) schreibt
diese zwei Tafelbilder dem Pier di Cosimo zu. (!)
2 Auch dieses Bild wurde in neuerer Zeit in den obern Stock
des Palastes versetzt.
Die Toscaner: Giuliano Bugiardini. \'j:\
scheiden. Auch ein solches untergeordnetes Studium
hat seineu Reiz, indem es unser Auge schärft, und lohnt
daher die Muhe, die man darauf wendet. Wenn der
treuliche O. Mündler in diesem Bild (Nr. 3) die Hand
des Bugiardini sah, so verfuhr derselbe wenigstens mit
strenger Consequenz, da er als Werke desselben Malers
auch die „Verkündigung'' in der Turiner Galerie, sowie
die sogenannte „Madonna del pozzo'' in der Tribuna
der üffizien erklärte.* Nun gehören allerdings, wie ich
dafür halte, die ebengenannten zwei Bilder ein und dem-
selben Meister an, nur möchte ich dem Namen des Bu-
i/laidlnl den des Franciabiffio substitninn.
GIULIANO BUGIARDINI.
Von Giuliano Bugiardini haben, soviel ich weiss,
in den öffentlichen Sammlungen Roms nur drei Bil-
der sich noch erhalten. Das eine davon, bezeichnet mit
seinem Namen: IVLIANl • FLORENTINI . OPVS,
und durch die Restauration hart mitgenommen, im Pa-
last Colonna (I. Saal); das andere, mit der gefälschten
Aufschrift Andrea del Sarto, in der Galerie Corsini
(III. Saal, Nr. 9).^ Das dritte Werk Giuliano's (?) ist
im zweiten Saal dieser Borghese-Galerie unter der Be-
zeichnung: Schule RaffaePs und der Nr. 30 aufgestellt.
Dasselbe stellt die Madonna mit dem Jesuskind und
dem kleinen Johannes dar. Bugiardini, von dem in der
Pinakothek von Bologna drei gute Werke sich vni-
* Herr Director W. Bode (II, 682) gibt dagegen die ,, Ma-
donna del pozzo** dem Ridulfo del Gbirlandaio.
' In der Bibliothek desselben Palastes hat sich merkwür-
«ligerweise die flQchtige Skizse erhalten, die, wie ans Vasari er-
zäblt, Michelangelo, um seinem Freund Giuliano aus der V«r*
legenheit zu helfen, zn dessen Bild für die Kapelle Kuoellai (in
<li't' Kirche von S. Maria Novella), „die Marter der heiligen
Katharina", componirte (CoL 167, G. 7, Nr. 125514).
124 I^i® Galerie Borghese.
finden *, und in der Kirche von S. Maria delle Grazie
in Mailand ein mit dem Namen bezeichneter Johannes
der Täufer, ist unter anderm in seinem Farbenauftrag
flüssiger als Franciabigio, auch hat bei ihm das Incar-
nat weniger smalto, als dies in den Gemälden des letz-
tern der Fall ist. Eine Zeit lang war Bugiardini in
der Werkstatt und unter dem Einfluss des M. Alber-
tinelli luid ahmte diesen nach, wovon man deutlich an
einem Bilde mit der heiligen Familie, Nr. 106 der Turiner
Galerie, sich überzeugen kann.
FRANCIABIGIO.
Franciabigio, geboren 1482 und gestorben 1525,
soll, dem Vasari zufolge, sich zuerst an Mariotto Al-
bertinelli angeschlossen- haben, was auch bei Bugiardini
der Fall war. Meiner Ansicht nach dürfte derselbe aber
einen Theil seiner Lehrjahre auch in den Werkstätten
des Granacci und des Pier di Cosimo zugebracht haben.
Dafür spricht seine ganze Auffassungsweise, seine Art
die Falten zu legen, und dafür sprechen seine landschaft-
lichen Gründe, die an diejenigen des Pier di Cosimo
erinnern. Später lehnte er sich allerdings an A. del
Sarto, seinen ehemaligen Mitschüler unter Pier di Co-
simo, an und diese Berührung tritt namentlich in den
Werken seiner letzten Jahre zu Tage. Zu den frühern,
von Albertinelli beeinflussten Bildern des Franciabigio
gehören unter andern die soeben genannte „Verkün-
digung" in Turin; gehört die Altartäfel, die er für die
Kirche S. Giobbe in Florenz malte und die jetzt unter
Nr. 6 im zweiten Saal der Uffizien - Galerie hängt;
ferner die kleine „Calunnia d' Apelle" (Nr. 427) in der
Pitti-Galerie ; endlich das Bild in dieser unserer Borghese-
^ Madounenbild mit dem Namen bezeichnet; die Madonna
mit dem Kind und Heiligen, mit dem Namen bezeichnet; „Jo-
hannes der Täufer", ohne Namenbezeichnung.
Die Toscaner: Franciabi^'o. 125
Galerie (II. Saal, Nr. 16), welches die Vermählung
der heiligen Katharina darstellt.* (f) Zu den "Werken
seiner mittlem Zeit scheinen mir folgende zu gehören:
das Kundbild mit der heiligen Familie und dem kleinen
Johannes in der Uffizien-Galerie, Nr. 1224 (f ), dort dem
Kidolfo del Ghirlandaio zugeschrieben und, wie wir so-
eben gesehen, als solches auch von Herrn Director W.
Bode angenommen; ferner das Breitbild ebendaselbst
mit dem Herculestempel, Nr. 1223; ebenso im ersten
Gang jener Galerie das kleine Bild, Nr. 35, mit der
Madonna und dem Jesuskind, sowie das andere Nr. 37
und unter dem falschen Namen des Kafiaellinodel
(rarbo (f); sodann die zwei Bilder unter den Nrn. 1282
und 1249 (f) im zweiten Saal. Auf dem einen dieser zwei
letztern Breitbilder, die im Katalog dem Pontormo zu-
geschrieben werden, sieht man, wie Joseph in den
Kerker geführt wird; auf der andern Tafel stellt Jo-
seph seine Brüder dem Pharao vor.* In seine mitt-
lere, von A. del Sarto stark beeinflusste Manier würde
ich ebenfalls das Frescogemälde im Hofe der heiligen
* In diesem Urtheil stimmt Director Bode (II, 680) mit Ler-
moliefif übercin, während es diesem letztem andererseits wieder
unmöglich ist, vor dem ganz übermalten weiblichen Bilduiss der
sogenannten Nonne des Lionardo da Vinci (Nr. 140) im Pitti-
Palast an Franciabigio zu denken. Man betrachte die Form der
Hand jener Nonne, und wer mit den Händen des Pietro Peru-
gino befreundet ist, wird nicht anstehen, jenes Porträt als sein
Werk zu erkennen, (f)
' Studien zum Bilde Nr. 1249, unter dem richtigen NameiT
des Franciabigio, befinden sich in der Uffixien-Sammlung (Phil-
pot, löOT)). Diese zwei Werke dem Pontormo jsu nehmen, um sie
dem Franciabigio zurückzuerstatten, bestimmte mich sowol der
landschaftliche Grund, die Form des Ohres und der Hand, welche
von der des Pontormo verschieden ist, sowie auch die Gesiohts-
typen. Auch finden wir auf diesen iwei Bildern nicht jene ein-
gesackten Augen, die dem Pontormo so eigenthümlich sind. Ich
1>itt<- in dieser Beziehung diese zwei Gemälde mit dem andern
Kk ithild des Franciabigio, Nr. 12S8, Tergleiohen zu wollen.
126 I^J6 Galerie Borgliese.
Anuunzinta in Florenz, die beiden Wandgemälde in
den ,,Scalzi", sowie die stark nachgedunkelten männ-
lichen Porträts, das eine im Pitti-Palast , Nr. 43, das
andere in Windsor Castle, das dritte bei den Erben des
Marchese Gino Capponi \ setzen. Und ungefähr in
dieselbe Epoche stelle ich auch das Madonnenbild
(Nr. 294), das wieder unter dem Namen des Pontormo,
in der Pinakothek von Bologna sich befindet, (f ) Zu
den Werken seiner letzten oder dritten Epoche endlich
rechne ich die sogenannte Madonna del pozzo in der
Tribuna; ein schönes Rundbild mit der Jungfrau und
dem Christkind im fürstlichen Palast Corsini (al Prato)
in Florenz; den „Uriasbrief" in der Dresdener Galerie
(Nr. 75) ; daS schöne männliche Porträt im Berliner Mu-
seum; das Frescobild in der „Calza" (Abendmahl) in
Florenz und das Wand<]cemälde in der Villa von Poofffio
a Caiano. Franciabigio starb 1525. Sein Leben er-
füllt dieselbe Zeitspanne wie das R^iffaePs. Er hiess
nicht, wie seit Baldinucci die Kataloge, sogar jener der
Pitti-Galerie, angeben, • Marcantonio, sondern Francesco
(im Dialekt Francia) Bigi; der Name seines Vaters war
Christoph, daher sein Monogramm mit einem F, einem
K, einem C und einem P, d. h. FRanciscus, Christo-
phori (Christoph's Sohn) Pinxit.^ Die fast gleichzei-
tigen Meister Granacci, Franciabigio und Pontormo
werden in ihren kleinen Predellenbildchen, wie wir ge-
sehen, selbst von Kennern gar oft miteinander verwech-
selt, da sie Familienähnlichkeit haben, d. h. man sieht,
dass zu einer gewissen Zeit der ältere Granacci (geb.
1477) auf die beiden Jüngern Zeitgenossen einen mehr
oder minder grössern Einfluss ausgeübt haben muss.
* Von den Erben neuerdings nach Deutschland verkauft.
' Eine gute Zeichnung von Franciabigio besitzt auch die
Louvre-Sammlung (Braun, 93); eine andere ist im Museum von
Lille, unter dem Namen RafFael's (Braun 91) (f).
Die Toscaner: Franciabigio. 127
Die sechs Predellenbilder des Granacci in der floren-
tinischen Akademie mit den Martyrien der heiligen Ka-
tharina, ApoUonia, Agnes u. s. w., gemahnen z. B. in
den Gesichtstypen etwas an Pontormo, während die
Landschaft sehr verschieden von denen des Pontormo
und des Franciabigio ist Anf dem grossen Tafelbilde
des Granacci ebendaselbst sind die Gesichtstypen der
fliegenden Engel fast dieselben, wie in den Breitbildern
des Franciabigio in der Uffizien -Galerie (1249 und
1282). Im Pitti- Palast wird dagegen, unglaublicher-
weise, Granacci (f ) in seinem Bild mit der heiligen Fa-
milie (Nr. 345) selbst von Director Bode, der auch in
diesem Urtheil den Herren Crowe und Cavalcaselle mehr
Vertrauen schenkte als seinen eigenen Augen, mit B.
Peruzzi verwechselt.^ Der Marchese Covoni in Flo-
renz besitzt vielleicht das beste Werk des Granacci:
die aufrecht stehende Madonna hält auf ihrem linken
Arm das unbekleidete Kind, in der rechten Hand ein
Bufh, zu ihren Füssen der kniende Thomas und die
Heiligen Zenobius und Franciscus, oben zwei Engel.
Dieses Bild wurde im Jahre 1505 auf Bestellung der
Maria Francesca di Zonobio de' Girolami für die Kirche
von S. Gallo ausgeführt.
Ehe wir nun zur Besprechung der Werke von Fran-
( i.iMi^io's bekanntestem Schüler, Francesco Ubertini,
iil"i gehen, wollen wir uns noch das kleine Porträt an-
sehen, welches unter der Nr. 4 ausgestellt ist. Es ist
dies die Copie des vorzüglichen Bildnisses, das im Ka-
talog der Galerie degli Uffizi (Nr. 1217) als das Con-
terfei des „Alessandro Braccesi", Sekretärs der Balia,
angegeben inid dem Lorenzo di Credi zugedacht ist,
' Die II« rreu Crowe und Cavalouelle bemerkten jedoch, um
klup^rweise Mich den Uüekzug zu ermöglicheu: „<Ai> is a Siennese
tcork icithout tht tiact stamp of Ptruztx'' (III, 401, 2). Eine
jrute l'hoto^aphie dieneff Bildes findet man bei «l« ?» T^ni-l..-..
Alinari in Florenz.
128 Die Galerie Borghese.
welcher ganz verfehlten Taufe, zu meiner nicht geringen
Verwunderung, auch die Herren Crowe und Cavalca-
selle ihre Zustimmung nicht versagen wollen ^ (III, 412).
Meiner Meinung nach ist jenes Porträt für Lorenzo di
Credi viel zu lebendig aufgeftxsst, auch zu warm in
der Farbe. Ich trage meinerseits kein Bedenken, das-
selbe für ein gutes Jugendwerk des Pietro Perugino (f )
(etwa um 1485 — 90), ungefähr aus derselben Epoche wie
die sogenannte Nonne des Lionardo im Pitti- Palast,
anzusehen und es meinen Freunden zum Studium anzu-
empfehlen. Messer Alessandro Braccesi ist schon 1474
als Notaro della Signoria verzeichnet, musste also da-
mals schon in den Zwanzigern seines Alters stehen.
Unser Porträt stellt aber einen Knaben von etwa 14 —
15 Jahren dar. Der Name des Dargestellten wie der
des Malers scheint also auch bei diesem Bild, wie bei
so vielen andern, ganz willkürlich und blos nach dem
sogenannten Total eindruck aufgestellt worden zu sein.
BACCHIACCA.
Die Nrn. 3, 5, 67, 12 und 19 gehören sämmtlich
demselben Meister an, nämlich dem im allgemeinen
sehr wenig bekannten Maler Francesco übertini,
Bacchiacca genannt.^ (f) Sie stellen Episoden aus dem
Leben Joseph's, des keuschen Hebräers, dar — ein wie
es scheint im dritten Decennium des 16. Jahrhunderts
in Florenz sehr beliebtes Sujet zur Ausschmückung des
Schlafgemachs der Neuvermählten. Werke dieses nicht
talentlosen Malers, dessen Vasari mehrere male, obwol
nur im Vorbeigehen Erwähnung thut, so unter andern
in den Biographien des Perugino, des Granacci, des
^ Auch Director W. Bode stimmt in das Urtheil seiner Ge-
währsmänner ein (II, 580).
2 Der neue Director dieser Galerie hat, zu meiner grossen
Genugthuung, meine Bestimmung dieser fünf Bilder als richtig
anerkannt, das Hauptgemälde auch in besseres Licht gebracht.
Die Toscaner: Bacchiacca. 129^
Franciabigio, des Aristotele da San Gallo, sind ziem-
lich selten. Deshalb vergönne man mir etwas länger,
als vielleicht die gute Sitte bei Durchmusterung einer
Bildergalerie es erlaubt, bei diesem nicht uninteressanten
Meister zu verweilen, der in der Kunstgeschichte weniger
bekannt ist, als er es, meiner Meinung nach, verdient,
und dessen Werke, wie ich Gelegenheit gehabt habe
zu beobachten, in den Sammlungen sogar mit den Namen
Dürer's, Lionardo's, RaftaeFs und Michelangelo's beehrt
werden.
Francesco Ubertini muss ums Jahr 1494 in Flo-
renz geboren sein. Auf dem grossen Bild des Angelo
Bronzino vom Jahre 1552, Nr. 1271 in den Uffizien,
das Christus in der Vorholle darstellt, befindet sich, laut
Vasari (XIII, 165), nebst den Porträts des Pontormo
und des Giovan Battista Gello auch das des Bacchiacca.
Derselbe scheint nun, seinem Gesicht nach zu scldiessen,
etwa ein Sechziger damals gewesen zu sein. Einige
Jahre später, d. h. im Jahre 1557, starb er in Florenz.
Er hatte zwei Brüder, von denen der eine, Baccio,
Schüler und Gehülfe des Perugino war, der andere, An-
tonio, zu seiner Zeit in der Teppichstickerei sich aus-
zeichnete.
Dass Bacchiacca eine Zeit lang mit seinem Bruder
Baccio auch bei Pietro Perugino, wahrscheinlich ums
Jahr 1505 — 1506, in die Lehre gegangen und sich dami
später an Franciabigio angeschlossen und bei diesem
Meister wol die letzte Zeit seiner Lehrjahre durch-
gemacht und vielleicht als Gehülfe bis zum Tod Francia-
bigio's (1525) in dessen Werkstatte gearbeitet habe,
wird von Vasari berichtet, der ihn personlich gut ge-
kannt und sowol als Menschen wie als Künstler schätzte.
Passavant lässt die Brüder Baccio und Francesco Uber-
tini von Florenz nach Perugia übersiedeln, um dort
von Pietro in der Malerkunst unterrichtet zu werden.
Mir erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass die bei-
Lbbmolibfp. 9
130 Die Galerie Borgbese.
den Florentiner in Florenz selbst die Werkstatt des
Perugino besucht haben mögen. Periigino hielt sich ja
im ersten Decennium des 16. Jahrhunderts mehr in
Florenz als in Perugia auf. Dass Bacchiacca aber später
auch sehr vieles von seinem Freunde Andrea del Sarto
und in seiner letzten Periode auch von Michelano-elo
angenommen, scheint mir ebenfalls einleuchtend zu sein.
Nach der Art, wie er in seinen Bildern den Körper zu be-
wegen pflegt, wie er die Hände zeichnet, die Falten legt
und namentlich wie er die meist sehr sorgfältig auso-e-
fuhrten landschaftlichen Griinde'darstellt, bin ich geneigt,
mehr den Einfluss von A. del Sarto zu sehen, als den des
Perugino oder des von Andrea selbst abhängigen Francia-
bigio, von welchem letztern er wol das geleckte Colorit
und die kalten Fleischtöne angenommen haben murr.
Bacchiacca scheint nach dem Tode Franciabigio's nach
Rom gegangen zu sein; wenigstens befand sich derselbe
um die Mitte der zwanziger Jahre in der Ewigen Stadt
und lebte dort auf freundschaftlichem Fusse mit Giulio
Romano, Francesco Penni und Benvenuto Cellini, der
im Anfang seiner Selbstbiographie uns von ihm be-
richtet. Vasari rühmt, und mit Recht, den grossen Fleiss
und die Sauberkeit, womit er seine meist nicht über
eine Spanne hohen Figürchen malte, lobt auch die Ara-
besken mit nach der Natur gemalten Thieren und Pflan-
zen, womit Bacchiacca das Cabinet des Herzogs Cosimo
de' Medici ausgeschmückt hatte, und fügt noch hinzu,
dass von diesem Meister gar mancher Carton zu den
herzoglichen Teppichen geliefert wurde. In der Samm-
lung der Arazzi in Florenz sieht man noch heute drei
grosse mit Gold gestickte Teppiche, worauf die zwölf
Monate dargestellt sind und in denen ich den Geist
des Bacchiacca und dessen Art und Weise zu formen
zu erkennen glaube, (f) Wahrscheinlich sind es jene
Teppiche, die der vlämische Teppichsticker Rost nach
Zeichnungen des Ubertini anfertigte (siehe Vasari dar-
Die Toscaner: Bacchiacca. 131
über). Bacchiacca soll auch ein vorzüglicher Thiermaler
gewesen sein {era ottimo pittore in ritrarre tutte le sot'ti
{Tanimali). Und in der That waren die Thiere, die
ich auf einigen seiner Bilder (z. B. auf dem in der
Sammlung Giovanelli in Venedig) zu sehen Gelegen-
heit hatte, musterhaft dargestellt Da ich nun diesem
so wenig gekannten Meister mit einigem Interesse nach-
gegangen bin, so sei mir gestattet, in chronologischer
Folge die Bilder des Bacchiacca, die ich auf meinen
Kunstfahrten entdeckte oder, um bescheidener zu reden,
entdeckt zu haben glaube, hier anzuführen. Mochten
diese fluchtigen Angaben seiner Werke irgendeinen
Kunsthistoriker veranlassen, diesem sonderbaren floren-
tinischen Künstler, der uns in manchem seiner Werjce
durch geistreiche Züge und ungesuchte Anmuth über-
rascht, scharfer ins Auge zu fassen und den Kunst-
freunden ein historisches Porträt desselben zu bieten.
Vorerst wollen meine gutwilligen Freunde mir erlauben^
ihnen einige charakteristische Merkmale hier anzugeben,
an denen man seine Werke von denen anderer seiner
ihm nahe kommenden Zeitgenossen leichter zu erkennen
vermag.
1. Im Vorgrund seiner Landschaften pflegt er fast
immer einen hellgrauen, mit Bäumchen und Strauchwerk
bewachsenen, keilförmigen Felsen anzubringen (wie wir
dies auch auf dem Bilde dieser Galerie, Nr. 67, ge-
wahren); im Mittelgnmd eine reichbethürmte Stadt.
2. Die Iland hat bei ihm lange, zugespitzte Finger.
3. Auch er, wie sein Lehrer Franciabigio, zeigt eine
Vorliebe für die blaue Farbe.
4. Die llaarmasse pflegt er bräunlich zu unternmlen
und dann die einzelnen Haarbüscliel gelblich darauf zu
lasiren, wovon wir uns auch hier in diesem Bilde, Nr. 67,
überzeugen können.
5. Wie alle Zwitterkünstler hat auch Bacchiacca
keine für ihn charakteristische Form de^ Ohres; bald
132 I^ie Galerie Borghese.
ist dasselbe rundlicher, bald länglicher geformt, je nach
dem Vorbilde, das er zufallig vor sich hatte.
6. Seine am Vorderarm mit dichten steifen Quer-
fältchen bedeckten enganliegenden Aermel der weib-
lichen Kleider pflegen bis i'iber den Knöchel hinauszu-
reichen; ein Brauch, den er wol dem Lukas von Lei-
den, dessen Kupferstichen er gar mancherlei entnahm,
abgesehen haben mag.
7. Auf seinen Gewändern erscheint sehr oft eine
Falte von der Form eines Q) ^ wie z. B. am rechten
Oberam der „Vierge au sein" des Professor Nicole in
Lausanne; an einigen Stellen des Bildes beim Priester
Bertoldi; ebenso im Bilde der Sammlung Giovanelli,
sowie auf den Zeichnungen bei Herrn Giovanni Mo-
relli, im Louvre und anderwärts.
In Bacchiacca's früheste oder Peruginische Epoche
setze ich:
a) Ein Bildchen, Nr. 55, auf dem das „Noli me
tangere" dargestellt ist, und das sich, wie auch das
folgende Bild, in dem Museum von Oxford (Christ-
Church College) befindet, (f)
b) Die „ Auferweckung des Lazarus" in Gegenwart
der zwei Schwestern Martha und Maria kniend vor
Christus; ebendaselbst, (f)
Beide Bildchen erinnern noch an die Schule des P.
Perugino.
c) Ein kleines Bild, das vor Jahren noch im Besitz
des Priesters Don Giacomo Bertoldi von Carpenedo,
bei Mestre, sich befand und von ihm, mit Zustimmung
einiger Kunstfreunde Venedigs, Kaö'ael Sanzio zuge-
muthet ward. In jenem Bild, auf dem die in einer
Landschaft zwischen der heiligen Elisabeth und dem
kleinen Johannes sitzende Maria dargestellt ist, wie
sie das unbekleidete Christkind auf ihren Knien hält,
ist die Composition noch die eines unerfahrenen Künst-
lers, auch erinnert die Haltung der Jungfrau noch an
IJl VIKRUS AV BUS.
Die Toscaner: Bacchiacca. 133
die Perugiuiscbe Schule, während die Landschaft und
die Farbenscala schon lebhaft an seinen zweiten Lehrer
Franciabigio gemahnen, (f)
d) Ein anderes kleines Bild (ganz und gar über-
malt), das in eine spätere Zeitperiode des Künstlers
fällt, schien mir die vielgewanderte „ Vierge au »ein,
ricemment dicouverte'-'' mit der Herr Professor Ni-
cole aus Lausanne in Europa herumzog, allenthalben
vergeblich nach einem gläubigen Käufer spähend. Die
Composition dieses Bildchens, das man in der Photo-
graphie, wie dies ja oft der Fall ist, besser als in seinem
durch Uebermalung verunstalteten Originaltext zu lesen
im Stande ist, hat Aehnlichkeit mit der des eben ge-
nannten Bildes; die Madonna hält das an ihrer Brust
säugende Christkind auf dem Schos, links von ihr der
kleine Johannes, Hintergrund Landschaft mit dem für
den Meister charakteristischen keilförmigen Felsen und
der reichbethiirmten Stadt im Mittelgrund. Die Com-
position sowie die Stellung der Jungfrau erinnern an
die sogenannte „Madonna del pozzo" des Franciabigio
in der Uffizien- Galerie. Es ist meinerseits vielleicht
allzu gewagt, in einem solchen durch Uebermalung so
sehr entstellten Gemälde noch die Hand des Meisters
erkennen zu wollen, allein ich trage in mir die Ueber-
zeugung, mich ebenso wenig in der Bestimmung die-
ses wie der obengenannten dn'i Bildclifti getauscht vw
haben, (f)
In die letzten Jahre dieser ersten Periode Bacchiacca ^i,
die etwa bis zum Jahre 1518 gedauert haben mag, setze
ich auch:
e) Das interessante Bildchen mit Adam und Eva
in der Sammlung des Herrn Doctor G. Frizzoni in Mai-
land. Dieses kleine Gemälde galt vor Zeiten als von der
Hand des Giulio Romano. Nach Rom verkatift, wurde
es dort auf B. Peruzzi umgetauft. Zu diesem höchst
merkwürdigen Bildchen, in welchem die Correctheit der
134 I^i® Galerie Borghese.
Zeichnung manches zu wünschen übrig lässt, benutzte
Bacchiacca augenscheinlich den kleinen Carton seines
Lehrers Pietro Perugino, welcher diesem zu seinem welt-
bekannten Bilde „Apollo und Marsyas" (gegenwärtig
unter dem ihm von seinem frühern Besitzer octroyirten
Namen Raffael im Salon carre des Louvre aufgestellt)
gedient hatte. Der Carton des Perugino (f), ganz in der
Art und Weise behandelt wie die Zeichnung in Oxford
(Sammlung der University) mit dem Erzengel Raftiel
und dem kleinen Tobias (Robinson's Katalog Nr. 16),
befindet sich in der venetianischen Akademie, wie sich
von selbst versteht auch dort als Werk IlafiaeFs be-
zeichnet. Bacchiacca machte nun aus dem Apoll eine
Eva und aus dem Marsyas einen Adam.
In die mittlere Epoche der künstlerischen Thätig-
keit des Bacchiacca, also ungefähr in die Jahre 1518 —
1536 würde ich setzen:
f ) Das niedliche, ansprechende Porträt eines Knaben^
der den Kopf auf die rechte Hand stützt und uns mit
jugendlicher Heiterkeit ansieht; ein Bildniss, das im
Louvre ebenfalls unter dem hochklingenden Namen
RaffaePs die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht
und so im voraus schon alle Herzen gewinnt. Das
Bildchen führt die Nummer 372 und wurde vielfach ge-
stochen. Bailly in seinem Inventarium vom Jahre 1709^
— 1710 bemerkt zu diesem Porträt: ^^tahleau estime de
Raphael representant son portrait''^. Schon vor vielen
Jahren erschien mir dieses anziehende Bildniss des sym-
pathischen Jünglings als Arbeit irgendeines florentiner
Malers aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, mit
der Zeit jedoch gestaltete sich in mir jene Yermuthung
zur Ueberzeugung, dass es nämlich nicht nur das Werk
eines Florentiners, sondern auch bestimmt des Bacchiacca
sei; und dies sowol wegen der Form der Hand, als auch
wegen der Technik, mit der die Haarmasse gemalt ist
(gelblich lasirt auf bräunlichem Grund), eine Technik^
ADAM tnro STA w DU SAiocLiTirQ FEinom nr Mailand.
( ARTOW TON P. PSRUOtVO HTM BILDI APOLU> UVD 1IAR8YAA,
IX VKXXOIO. g. m.
Die Toscaner: Bacchiacca. 135
die wir unter andern auf dem Bild bei Herrn G. Friz-
zoni ebenfalls zu beobachten die Gelegenheit hatten.
Das linke Auge in diesem Porträt ist fehlerhaft in der
Zeichnung. Die Tafel ist später vergrössert worden, (f)
g) In diese Jahre gehört auch das Breitbild in den
Uffizien (Nr. 1296), worauf Thaten aus dem Leben des
heiligen Ascanius dargestellt sind, und das als Predella
der Altai-tafel seines Lehrers Franciabigio in der Kirche
von S. Lorenzo diente. Zu diesem Bild entnahm augen-
scheinlich unser Bacchiacca mehrere Figuren den Stichen
von Lukas von Leiden: ein Brauch, der damals in Flo-
renz auch bei andern Künstlern statthatte, wie z. B.
auch bei Franciabigio und Pontormo, die beide sehr oft
sich der Stiche Dürer's zu ihren Compositionen bedien-
ten, wie uns dies auch Vasari berichtet.
h) Auch das fleissig ausgeführte, vielfach noch an
seinen Lehrer Franciabigio gemahnende Bild, Nr. 80,
in der Dresdener Galerie gehört wol in diese Mittel-
zeit, sowie ebenfalls:
i) Das Breitbild mit der Taufe Christi im Museum
zu Berlin; ferner:
k) Die Tafel in der k?aininlung dt's Herrn (Tiovauni
Morelli in Mailand, mit dem Tod Abel's, und
1) und m) Die zwei jüngst von der National Gallery
in London erworbenen Gemälde mit Darstellungen aus
dem Leben Joseph's.*
Zu den reifsten und treft'lichsten Werken dieser
Wirkungszeit des Bacchiacca gehört jedoch, meiner An-
sicht nach, das mit grosser Sorgfalt und Liebe ausge-
führte Bild im Palast Giovanelli in Venedig. Dieses noch
vor nicht langer Zeit fin' ein«' Arb«'lt Djipt's ir<'lt«'iHlo
* Stadien zu diesen zwei Bildern finden sich im Louvre,
Nr. 352 nnd 868 des Reiset'sohen Katalogs. Aach die Sammlung
des Christ-Charch College in Oxford besitzt das Fragment einor
Zeichnung zn dem einen dieser Bilder, (f)
136 I^ic Galerie Borghese.
Gemälde hatte der Schreiber dieser Zeilen das Gliick
zuerst als Werk imsers Bacchiacca zu erkennen (photo-
graphirt von Naya in Venedig), (f ) Es zählt ungefähr
vierzig grossere nebst einer Menge kleinerer Figuren
im Hintergrund*, ist auf Holz gemalt und misst un-
gefähr SVa Fuss in der Höhe und 273 in der Breite.
In der Mitte kniet Moses mit einem goldenen Stab in
der Hand vor einem hohen Felsen, aus dem eine Quelle
sprudelt. Von allen Seiten strömt das Volk herbei,
sich den Durst zu stillen. Doch nicht nur die Men-
schen kommen herbei, sondern auch vielerlei Gethier:
Luchse, Katzen, Rehe, Papagaien, Ziegen, Ochsen, Mar-
der, Esel u. s. w. Einzelne Köpfe, namentlich weib-
liche, hat Bacchiacca mit miniaturartigem Fleiss aus-
geführt. Die Costüme sind hier und da sehr phan-
tastisch und etliche darunter ofl'enbar wieder Stichen Von
Lukas von Leiden entlehnt, weshalb wol auch das Bild
früher für die Arbeit eines Deutschen gehalten wurde.
Der landschaftliche Grund mit dem charakteristischen
keilförmigen grauen Felsen ist kalt im Ton. Drei mit
schwarzer Kreide gezeichnete Studien zu verschiedenen
weiblichen Köpfen auf diesem Gemälde finden sich
auf einem Blatt in der Uffizien- Sammlung, unter dem
Namen des Michelangelo Buonarotti (Rahmen 183,
Nr. 599). (f ) Auch die Sammlung in Lille besitzt von
Bacchiacca eine Rötheizeichnung mit sieben Studien zu
Masken, wahrscheinlich zur Randverzierung von Ta-
peten bestimmt, die dort ebenfalls dem Michelangelo
zugeschrieben wird (Braun 35). (f)
Zu den Werken dieser mittlem Epoche würde ich
auch rechnen:
* Ich bitte auf der rechten Seite dieses Bildes unter an-
derm auch den Kopf eines Jünglings, dem eine alte Frau ein
Gefäss überreicht, sich genauer anzusehen und ihn sodann mit
dem Knabenporträt Nr. 372 im Louvre vergleichen zu wollen.
Die Toscaner: Baochiacca. 137
o) Die fünf zusammengehörigeQ Tafeln der Borghese-
Galerie. (f ) Eine gute Kötlielzeichnung zum Benjamin
auf zweien dieser Bilder besitzt Herr Giovanni Morelli.^
Der spätesten oder dritten £poche des Baochiacca
dürften, meiner Meinung nach, etwa die folgenden Ar-
beiten des Meisters angehören:
p) Die Predigt Johannes des Täufers im Hause des
Marchese Bacciocchi in Florenz. Johannes steht auf
einer Erderhohung und hat auf seiner rechten Seite die
männlichen, auf der linken die weiblichen Zuhörer um
sich versammelt.
q) Die leider etwas übermalte „Anbetung der Kö-
nige" in der an guten Bildern reichen Sammlung des
rühmlichst bekannten Kunstfreundes Herrn Edward
Ilabich zu Cassel.
r) Ein grosses Madonnenbild (unbenannt) in der
Sammlung von Sir Francis Cook in Kichmond. (f)
Vasari erzählt uns (Biographie des*Tribolo), dass
beim Einzug der Eleonore von Toledo in Florenz
Bacchiacca in Gesellschaft des Bronzino, des Pier Fran-
cesco di Sandro (Schüler des A. del Sarto), des Bat-
tista Franco und anderer, an den Malereien im Hofe des
Medicei'schen Palastes theilgenommen und sodann bei
der Feier der Hochzeit des Herzogs Cosimo zu einer
dramatischen Darstellung des Poeten Landi „die Reise
des Lorenzo il magnifico nach Neapel" und „die Kück-
kehr aus der Verbannung des alten Cosimo de' Me-
dici" gemalt habe (siehe die Biographie des Aristotele
da San Gallo). Ferner lässt Vasari den Bacchiacca
ebenfalls an der Bemalung von Triumphbögen für Fest-
lichkeiten thätig sein. Aus allem diesem erkennt man,
* Wurde pablicirt im Werke des Ilcrro Qustavo Frizzoui:
CoUmone di quaranta disegni scelti dalla liaccoUa del Senatore
Oiovanni MoreUif riprodotti in Eliotipia^ descritti '-'^ fii...t,:.t.
dal DoU. Ousiavo Friezoni (Milano, lloepli, 1884>
13g Die Galerie Borghese.
dass Francesco übertini im dritten und vierten Decen-
niiini des 16. Jahrhunderts ein Maler war, dessen Kunst
in Florenz vielfach in Anspruch genommen wurde.
Die Figuren in seinen Bildern messen, wie schon
bemerkt, in sehr seltenen Fällen, wie z. B. im Madon-
nenbild bei Sir Francis Cook und im Porträt im Louvre,
mehr als eine Spanne, gewöhnlich sind sie noch kleiner.
Es mögen noch gar viele andere Bilder dieses
Meisters in der Welt zerstreut sein und die meisten
wol unter fremdem Namen gehen. ^^Fece anco molti
altH quadH per diversi^ che furono mandati in Francia
e in Inghilterra'-^^ sagt Vasari.
Bacchiacca scheint übrigens grösstentheils Predellen,
d. h. Altaraufsätze und sogenannte Cassoni, die im 14.,
15. und 16. Jahrhundert in Italien unsere heutigen
Kommoden und Schränke ersetzten, bemalt zu haben.
Die Kunst hatte in jenen glücklichen Zeiten in jedem
Hause Italiens freien Zutritt und mischte sich so in
fast alle menschlichen Angelegenheiten, sie wollte in
allen Begebenheiten und Festlichkeiten des Lebens zu-
gegen sein und daran Antheil nehmen. Die vor-
nehmen und reichen Leute hatten nicht nur die Freude
und den rühmlichen Stolz, ihre Paläste in der Stadt,
ihre Villen auf dem Lande, ihre Kapellen in den Kir-
chen mit Bildern und Statuen ausgeschmückt zu sehen,
sie wollten auch, dass ihre Hausmöbel durch schöne,
dem Zweck entsprechende Verhältnisse, durch Zier-
rathen in Metall und Holz, durch Farbenpracht das
Auge anzögen und den Geist ergötzten. Und doch
existirten zu jenen Zeiten noch keine öffentlichen Bil-
dergalerien zur Belehrung des Publikums, gab es noch
keine öffentlichen Vorträge und Unterweisungen, waren
gute Anleitungen zur richtigen Kunstkenntniss, wie wir
sie heutzutage glücklicherweise in Hülle und Fülle be-
sitzen, noch nicht in Aufnahme gekommen. Auch waren
die jährlichen Kunstausstellungen jenen unmündigen Ge-
Die Toscaner: BUcchiacca. 139
schlechtem noch gänzlich unbekannt Wir müssen da-
her, der Ansicht eines norddeutschen Philosophen bei-
pflichtend, annehmen, dass in jenen Leuten die Freude
und der Genuss an den Erzeugnissen der Kunst „keine
bewusste positive, sondern blos eine unbegrenzte, in
ihrem Gemüth schlummernde, die Intelligenz wenig oder
gar nicht afficirende Sensation" war.
Sei dem nun wie ihm wolle, sicher ist es, dass in
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Baccio d'Agnolo,
ein in Florenz höchst beliebter Baumeister, oft von
vornehmen Herren um Ratli angegangen wurde, wenn
es sich darum handelte, schön geschnitzte Möbel zu
bekommen. So erzählt uns Vasari im Leben des
Pontormo, dass der reiche Florentiner Pier Francesco
Borgherini bei seiner Vermählung mit dem Gretchen
des Hauses Acciajuoli sich an den ebengenannten Baccio
gewandt habe, um reich verzierte Cassoni von ihm ge-
schnitzt zu haben, und diese sodann dem Andreii del
Sarto, dem Pontormo, Franciabigio, Bacchiacca und dem
Granacci zur Bemalung anvertraute. Allen diesen Ma-
lern wurde, wie es scheint, die Darstellung von Ge-
schichten aus dem Alten Testament aufgetragen. So
malte Pontormo, wahrscheinlich auch fin* den Borghe-
rini, Joseph mit seinen Brüdern und Verwandten (jetzt
in der National Gallery in London, Nr. 1131); Andrea
del Sarto stellte seinerseits ebenfalls zwei Episoden aus
dem Leben Joseph's dar und zwar auf die liebens-
würdigste Art. Diese letztern herrlichen Compositionen
befinden sich gegenwärtig im Pitti-Palast unter Nr. 87
und 88, während die von unserm Bacchiacca bemalten
Cassoni aller Wahrscheinlichkeit nach die zwei ebenfalls
n der National Gallery aufgestellten sein dürften.
Bei dieser Gelegenheit vergönne man mir, eine be-
herzigenswerthe Geschichte dem Vasari, diesem naivsten
und liebenswürdigsten aller Kunsthistoriker, dessen Bü-
cher noch immer die Hauptquelle aller neuern Kunst-
140 I^ie Galerie Borghese.
forschling sind, nachzuerzählen. Nachdem Vasari im
„Leben des Pontormo" in lebendigen Worten die Pracht
der Zimmer mit den eben beschriebenen Cassoni im
Hause Borgherini uns veranschaulicht hat, erzählt er
Folgendes: Als Pier Francesco Borgherini, der, wie es
scheint, zu den Medicis hielt, bei der Belagerung von
Florenz (1529) nach Lucca geflüchtet war, wusste der
florentinische Bilderspeculant Giovanni della Palla von
der florentiner Stadtbehörde die Erlaubniss sich zu ver-
schaften, die eben bezeichneten Bilder aus dem Hause
Borgherini gegen eine Entschädigungssumme an die
Familie wegzunehmen, unter dem Vorwand, dieselben
König Franz I. als ein Geschenk darzubringen, im
Grunde aber, um sie nach Frankreich zu schleppen und
dort ein gutes Geschäft damit zu machen. Als der-
selbe nun, von einigen Gemeindedienern begleitet, zu
diesem Zweck in den Palast Borgherini sich begab und
der Gemahlin des Pier Francesco, Margarita Acciaioli,
welche allein in Florenz zurückgeblieben war, seine Ab-
sicht kundgegeben, gerieth die naive Frau in Ent-
rüstung über eine so schamlose Zumuthung und brach
in folgende Worte aus: „Du, Giovanni, hättest also
die Unverschämtheit, Hand anzulegen an den edelsten
Schmuck, der die Häuser der Edelleute ziert? Schnöder
Mann, der du bist, über dein schmähliches Ansinnen
wundere ich mich keineswegs, denn du bist zu nichts
Besserem geboren und Ruhm und Ehre deines Vater-
landes können dich nicht kümmern; was mich empört,
ist nicht deine eigene, sondern die Niedrigkeit unserer
Stadtbehörde, einem solchen Menschen wie du bist willig
Gehör zu leihen! Dieses Bett, das deine Habgier zum
Vertrödeln fortschleppen möchte, ist mein Hochzeits-
bett, mir verehrt von meinem geschätzten Schwieger-
vater; diese durch die Kunst unserer besten Meister
geschmückten Truhen, auf die du deine gierigen Blicke
geworfen hast, sind das Brautgeschenk meines geliebten
Die Toscaner: Bacchiaoca. 141
Mannes. Wiese, dass ich aus Verehning und Liebe zu
ihnen mit meinem Blute diese Kleinodien vertheidigen
werde. Packet euch daher aus diesem Hause, du und
deine Helfershelfer; kehrt zurück zu denen, die euch
hergeschickt haben, und sage ihnen in meinem Namen,
dass ich niemals dulden werde, dass man den gering-
sten Gegenstand in. diesem Haus antaste. Mögen sie
doch ihre eigenen Häuser ausplündern, falls sie damit,
wie sie sagen, den König von Frankreich beschenken
wollen. Solltest du aber noch einmal dich vermessen,
die Schwelle dieses Hauses zu betreten, so soll es dir
wahrlich nicht zum Heile gereichen." Dieses etwas
barsche Benehmen der altmodischen Frau wird viel-
leicht manchem meiner Leser ein spöttisches Lächeln
ablocken; ich bitte jedoch zu bedenken, dass dazumal
die „Bildung" noch in der Wiege lag und dass daher
unsere heutigen Begriffe von einer vernünftigen Ilausöko-
nomie den Leuten noch abgingen. Später, als jene ein-
fachen Bürger zu Baronen, Grafen, Marquis und Her-
zögen erhoben wurden, da hatten die della Pallas so-
wol Italiens als anderer Länder keine so unkluge und
unfreundliche Aufnahme seitens der Besitzer von Kunst-
werken zu erwarten.
Wir haben bereits gesehen, wie mehrere Arbeiten
Bacchiacca's einerseits dem Raffael (Nr. c und d un-
serer chronologischen Folge), sowie das Knabenporträt
im Louvre und wie andererseits einige seiner Zeich-
nungen dem Michelangelo zugeschrieben wurden. Nun
bleibt mir noch übrig, meine vorurtheilsfreien Leser
mit einer Zeichnung bekannt zu machen, die zwar den
hohen Namen Lionardo's führt, in der ich jedoch alle
Kigenthümlichkeiten des Bacchiacca zu erkennen glaube.
Es ist dies die hübsche Rötheizeichnung in den Uf-
fizien mit dem Portrat einer schönen, noch jungen
Dame (Rahmen 103, Nr. 4U, Braun 434). Schon die
Tracht der Frau spricht für eine spätere Zeit als die
142 Die Galerie Borghese.
Lionardo's; die feine Ausführung des Kleides, die Form
der Hand und jene des Ohres (an die des Lehrers
Franciabigio erinnernd), die langen an den Knöchel
reichenden Aermel, sowie die charakteristische Falte V
auf dem Oberärmel, die harten Querfältchen auf dem
Unterärmel, bestimmen mich, dieses Frauenbildniss dem
Lionardo da Vinci zu nehmen, um es unserm Bacchiacca
zu geben, (f) Doch will ich nicht durchaus fiir diese
Taufe gutstehen.
Francesco Ubertini gehörte, wie wir gesehen, zu
jener Gruppe florentinischer Künstler der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, die wie Franciabigio, Ridolfo del
Ghirlandaio, Bugiardini, Pontormo sich unter der Lei-
tung Albertinelli's und Granacci's und später unter der
des Andrea del Sarto gebildet, manche Einflüsse von
Lionardo, von ivaffael und zuletzt auch von Michel-
angelo in sich aufnahmen.
PINTORICCHIO.
Bevor wir zu den andern florentinischen Bildern
übergehen, wollen wir in diesem ersten Saal noch zwei
andere solcher Breitbilder, welche ebenfalls zur Verzie-
rung von Truhen dienten, betrachten. Dieselben stellen
wiederum Geschichten aus dem Leben Joseph's dar und
werden im Katalog als Werke des Pintoricchio bezeich-
net, Nr. 49 und 57. Für diesen Meister ist die Aus-
führung jedoch viel zu roh und ungeschickt. Wir wer-
den daher besser thun, sie mit den Herren Crowe und
Cavalcaselle blos der Werkstatt des vielbeschäftigten
Malers zuzuschreiben.* Hier dürfte vielleicht mancher
^ Auf Tafel .57 liest man einigemal „sogno di Faragone^^.
Noch heutzutage pflegen die Bewohner der Abruzzen zwei auf-
einander folgende Vocale durch ein g zu trennen [idega für idea,
lagonde für Jaonde, Magometto für Maometto u. s. f.), woraus ich
schliessen möchte, dass dieser Gehülfe Pintoricchio's aus den
Die Toscaner: Pintoricohio. 143
Leser mit Erstaunen ausrufen: sollte denn wirklich in
einer so reichhaltigen romischen Bildersammlung wie
die Borghesische auch nicht ein einziges echtes Bild
des liebenswürdigen Pintoricchio sich befinden? Aller-
dings gibt es auch hier echte Werke dieses bisher so
allgemein verkannten, ja verleumdeten Meisters, und
beide befinden sich in diesem ersten SaaH; nur werden
dieselben auch an diesem Orte, wie dies dem armen
Pintoricchio fast überall ergeht, nicht ihm, sondern an-
dern gefeiertern Malern zugeschrieben. Das eine dieser
Bilder trägt die Nummer 44 und fuhrt unsinnigerweise
den Namen des Venetianers Carlo Crivelli. Es stellt
den Gekreuzigten dar, an dessen rechter Seite der hei-
lige Hieronymus kniend aufwärts blickt, an der linken
der heilige Christophorus mit dem Christkind auf der
Schulter. In diesem Bilde, dem ältesten mir bekann-
ten Werk des Meisters, steht Pintoricchio seinem Lehrer
Fiorenzo di Lorenz© noch sehr nahe, und zwar so sehr,
dass mancher Kunstjünger in Versuchung kommen könnte,
hier den Lehrer mit dem Schüler zu verwechseln.^ Bei
Beurtheilung dieses Gemäldes kann ich mir übrigens
das Zeugniss geben, in demselben sowol den Geist als
die Hand des Künstlers erkannt zu haben, ohne zu
wissen, dass es schon von Vermiglioli als Werk des Ber-
nardino Betti angeführt ist.' (f ) Das andere Bild, Nr. 37,
Abruzzen •tammte. Auch diese zwei Bilder wurden seit kurzem
aus der Galerie verbannt.
* Beide Bilder traf leider dasselbe Los wie die vorigen,
sie wurden nämlich ins obere Stockwerk des Palastes gebracht.
' Der zu lange Oberleib des Christkindes, der fliegende Mantel
de« heiligen Christophoms sind durchaus den Vorbildern des
Lehrera abgesehen, während der Kopftypus des Christophorus,
die Form seiner Hand mit dem gebogenen Zeigefinger, die Fal-
tenansätze im Mant«»l di« St(*11iing der langen Beine des Christo-
phorus den V 'lon.
•Oio. Bat M$mori€ di Bemardino Pintu-
riechiOf S. 109, llU. i>as Bild gehörte damals einem Dottore Monaco.
144 Die Galerie Borgheso.
aus einer etwas spätem Zeitepoche des Pintoricchio stellt
den heiligen Bartholomäus dar. Der Katalog schreibt
es dem Giovanni Spagna zu. Der Typus sowie die
Modellirung des Gesichtes verrathen jedoch sogleich den
Geist und die Technik des Pintoricchio. Die Schatten-
partien sind in derselben Weise schraffirt wie auf seinen
Federzeichnungen, (f)
Wenden wir uns nun nach der Fensterwand zu, so
fällt unser Blick auf das Porträt des Fra Savonarola
(Nr. 36), das unglaublicherweise hier dem Filippino
Lippi zugemuthet wird. Das ganz imbedeutende Mach-
werk ist gewiss nichts anderes als eine der vielen schwa-
chen Copien (von denen eine auch in der florentinischen
Akademie sich befindet) des vorzüglichen Bildnisses von
Savonarola, das sein Freund und Parteigenosse, der
junge Bartolommeo della Porta malte und das gegen-
wärtig im Besitz der Erben des Herrn Ermolao Ru-
bieri ist.^ In diesem Saal hängt aber noch ein zweites
Bild, das unrechtmässigerweise vom Katalog unserm
Filippino zugerechnet wird. Es trägt die Nummer 71, ist
über der Eingangsthiir aufgehängt und stellt „die Be-
weinung Christi" dar. Dieses Gemälde ist sehr beschä-
digt und gehört, soweit dasselbe noch beurtheilt werden
kann, eher derWerkstatt des Meisters als diesem selbst an.^
Von diesem sehr begabten und liebenswürdigen Maler,
von dem man in Florenz, Prato, Lucca so viele gute Werke
findet, hat sich ausser den Fresken, die er mit Hülfe
seines Schülers KafFaellino del Garbo in der Kapelle
Caraffa in S. Maria sopra Minerva ausgeführt und die,
beiläufig gesagt, nicht gerade zu seinen bessern Arbeiten
^ Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dass die Feder-
zeichnung des Lionardo da Vinci in der „Albertina" in Wien
(Braun 97), die dort als Porträt des Savonarola gilt, wol eher
einen andern Mönch darstellen dürfte, als den Fra Savonarola.
2 Wurde glücklicherweise aus der Galerie entfernt.
Die Tosoaner: Pintoricchio. 145
zu rechnen sind, in der Stadt Rom, soviel ich weiss,
nichts mehr erhalten. Wer jedoch den geist- und an-
muthsvollen Filippino näher kennen zu lernen wünscht,
dem rathe ich nach Florenz zu wallfahrten, woselbst er
in der Badia, in der Galerie degli üffizi, in der des
Fürsten Corsini, in der Kirche S. Spirito, im Carmine,
in S. Maria Novella, zur Genüge Gelegenheit haben
wird, diesen geistvollen Künstler zu studiren. Auch
die Sammlung im Pitti-Palast besitzt ein Werk des
Filippino, zwar nicht wie uns die Direction mit ihrem
Katalog glauben machen will in der Nr. 88 (der Tod
der Virginia, ein Bild, das augenscheinlich die Arbeit
eines andern, viel schwächern Schülers des Botticelli
ist) (f ) und noch viel weniger in der Nr. 347 (Heilige Fa-
milie mit Engeln), die wol eher von einem Nachahmer
des Ghirlandaio herrühren dürfte, sondern in der
Nr. 336. Dieses Bildchen, welches eine Allegorie dar-
stellt, ist dort als „unbekannt" bezeichnet; ich bitte'
meine gutwilligen jungen Freunde, in demselben die
längliche Ohrform, die Hand mit den langen, an der
Spitze breiten Fingern, den Gesichtstypus, sowie auch
die Landschaft sich genauer ansehen zu wollen, und ich
zweifle keinen Augenblick, dass sie meiner Bestimmung
beipflichten und in dem Bilde sowol den Geist als auch
die Hand unsers Filippino erkennen werden. *(f) Auch das
Städtchen Prato besitzt in einem Tabernakel eine gute
Arbeit des Filippino; ebenso die Kirche S. Domenico
in Bologna, sowie auch die Sammlung des Seminario
Vetjcovile in Venedig (dort unter dem sonderbaren Namen
des Crespi). Da die Zeichnungen des Filippino gar oft
von Anfängern mit denen seines Schülers, des soge-
nannten Raffaellino di Bartolommeo del Garbo
* Bei den Oebrfldem AUnari in Florenz findet man eine gute
Photographie diese« Bilde*.
LsaaoLiBrr. |q
146 Die Galerie Borghese.
verwechselt werden ^, so erachte ich es für Fcathsam, hier
einige charakteristische Blätter sowol des einen als des
andern Meisters anzuführen, damit der Kunstbeflissene
sich mit dem Genius auch die dem Meister eigenthüm-
liche Form sowol des Fusses als auch des Ohres und der
Hand scharf ins Gedächtniss präge:
FILIPPINO.
In der XJffizien-Sammlung:
(Rahmen 37, Nr. 171 und 172; Rahmen 460, Nr. 1253 und 1257).
1. Rahmen 32 (32), Nr. 139, Studie zum Kopf der
Maria im Bilde der Badia (Ohr).
2. Rahmen 40, Nr. 186, Skizze zu einem seiner Wand-
gemälde der Cappella Strozzi in S.Maria No vella in Florenz.
Ambrosiana-Sammlung in Mailand:
3. Studie zum Kopf des einen der drei Könige in
seiner „Anbetung" der Uffizien- Galerie (Ohr) (dem
Lionardö da Vinci zugeschrieben), (f)
In der Sammlung von Lille:
4. Braun Nr. 9, unter dem Namen des Masaccio. (f )
In der Dresdener Sammlung:
5. Studie zu einem heiligen Johannes (unter dem
Namen des Cosimo Rosselli), Braun 40. (f)
6. Sitzender Mann (unter dem Namen des Cosimo
Rosselli), Braun 41. (f)
In der Louvre-Sammlung :
7. Ein sitzender Mann, den Kopf auf seine linke
Hand gestützt (Katalog Reiset, Nr. 230, unter dem Na-
men des Fra Filippo Lippi). (f)
^ Das kleine Bild, die „Communion des heiligen Hieronymus"
darstellend, im Hause Balbi in Genua, das Director Bode (II, 581)
dem Filippino zuschreibt, ist wol nichts anderes, denke ich, als
eine alte Copie des Originalbildes von Botticelli bei den Erben
des Marchese Gino Capponi in Florenz.
Die ToBcaner: Raffaellino del Garbo. 147
RAFFAELLINO DEL GARBO.
In der Uffizien- Sammlung:
1. Rahmen 83, Nr. 350 und 352.
In der Sammlung von Chrlst-Church College in Oxford:
•2. Photograpbirt im Werke der Grosvenor-Galerie,
Nr. 44.
Im Britischen Museum:
3. Photograpbirt von Braun, Nr. 113 (Hand u. Fuss).
In der Sammlung von Lille:
4. Photographirt von Braun, Nr. 23 und 24, unter
dem Namen des Domenico del Ghirlandaio. (f)
Auf der rechten Wand dieses Saales hangt ein weib-
liches Porträt (Nr. 38), bei dessen Anblick jeder Kunst-
freund sogleich ausrufen wird: dies Gesicht kommt mir
wohlbekannt vor. Der Katalog sagt uns nichts weiter
darüber, als dass es im „Stil des Perugino" gemalt sei.
Gegenwärtig trägt es den der Wahrheit näher kommen-
den Namen des Ridolfo del Ghirlandaio, den ich in
meinen frühern Besprechungen der Bilder dieser Galerie
vorgeschlagen hatte. Weder die Modellirung, noch der
Farbenaccord und noch viel weniger der landschaftliche
Grund erinnern an die Schule des Perugino, wol aber
an die florentinisch(> aus dem ersten Deoennium des
16. Jahrhunderts.^
* Dm Auge desselben oder der Faltenansats ist nicht rund-
Hob, wie es die Schüler des Pemgino and Pintoricchio zu bilden
pflegen, sondern viereckig, wie wir ihn namentlich bei Oranaoci
und bei Ridolfo Ghirlandaio finden. Die Haarmasse ist mit
wenig Geschmack hingemslt; die Landschaft in ihrem kalten
r !) <len Bildern des Oranacci , als an
■ .■!.. ■ i - , , ..laio.
in*
148 I^iö Galerie Borghese.
Diese voUbackige, etwas nüchtern in die Welt hinein-
blickende junge Frau ist, wie mancher meiner verehrten
Leser wol errathen haben diirfte, niemand anders als
die Maddalena Strozzi, des reichen und, wie die bösen
Zungen meinten, etwas geizigen Florentiners Angelo
Doni Lebensgefährtin, dessen Bekanntschaft wir durch
die Vermittelung des jungen Raffael Santi schon im Pa-
last Pitti in Florenz gemacht haben. Die Raffaelische
Federzeichnung zu diesem Frauenbild befindet sich in
der „Salle aux boites" des Louvre. Ein tüchtiger, dem
Francesco Granacci sehr nahe stehender Künstler, wenn
nicht Granacci selbst, mag nun, wie mir scheint, die
RaffaeTsche Zeichnung^ benutzt haben, um ein
Heiligenbild daraus zu machen, wahrscheinlich für
irgendeinen Verwandten, vielleicht sogar für einen from-
men Anbeter der pausbackigen Maddalena, die durch
den Maler hier in eine heilige Katharina verwandelt
worden ist.^ (f) Dergleichen Kanonisationen hübscher
oder für hübsch gehaltenen Weiber durch die Maler,
ohne Zustimmung des Heiligen Vaters, kommen in der
Kunstgeschichte Italiens gar oft vor.
So schrieb, um ein Beispiel davon hier anzuführen,
im Jahre 1594 Arnolfini an seine geliebte Nonne Lu-
crezia Buonvisi von Lucca, sie möchte ihm ja eine „ge-
wisse Leinwand" schicken, worauf sie als heilige Ur-
sula abgebildet ist (in figura di S. Orsola)^ „ damit er
sich wenigstens am Anblick des Bildes erlaben könne"
(^perche possa almeno bearmi nella vista della immagine).^
^ Auf unserm Bilde hier sind nämlich wie auf der Feder-
zeichnung Raffael's im Louvre die zwei Säulen an den Seiten des
Fensters angebracht, welche auf dem Porträt im Pitti-Palast fehlen.
* Siehe Passavant, II, 278. Dieses Bild gehörte dem Mar-
chese Letizia von Neapel und galt für das Werk Raffael's.
^ Siehe das gut geschriebene Büchlein: Storia di Lucrezia
Buonvisi, raccontata da Salvatore Bongi (Lucca 1864), p. 114.
KATBAftlJIA tir On BOlOHSnOALnOL
8.1A
Die Toscaner: Pier di Cosimo. 149
PIER DI COSIMO.
Wenden wir uns nach der gegenüberliegenden Wand,
so begegnet unser Blick einem Rundbild (Nr. 16), auf
dem die Jungfrau das vor ihr liegende Kindlein mit
gefalteten Händen verehrt, während daneben zwei Engel
an der mütterlichen Andacht der Maria theilnehmen.
Der Katalog weist dieses sehr verdorbene Gemälde der
Schule RaffaePs zu, ja, derselbe drückt sich eigentlich
viel bestimmter aus: ^^abbozzo di RafaellOy fatto nei
primi anni sulla maniera del Petntgino'''', Quante parole^
tafiti apropositi (jedes Wort ein Unsinn) sagen die Ita-
liener. Gegenwärtig trägt sowol dieses Bild (Nr. 16) als
das andere kleinere (Nr. 60) den Namen des Pier di
Cosimo. Das Colorit des höchst interessanten Bildes
gemahnt uns, namentlich das Hochroth des Kleides der
Maria, wieder an Filippino's herrliches Bild in der Badia
in Florenz, während die zwei Putti uns eher an die
Putti des Sodoma und des Cesare da Sesto erinnern.
Nun waren sowol Sodoma als Cesare da Sesto im An-
fang des Jahres 1500 in Florenz.^ Geht man nun näher
auf die Form der einzelnen Körpertheile ein, wie z. B.
der unschönen, hölzernen Hand, der Gesichtsbildung,
betrachtet man sich namentlich noch die Landschaft und
die Faltenlage genauer, so dürfte man bald und mit
Sicherheit den wahren Meister dieses Bildes finden.
Dieser ist nämlich kein anderer als Pier di Cosimo (f),
* Nach einem Rundbild des Cesare da Sesto (von dem
in diesem Saale eine Copie, Nr. 26^ hängt und eine andere unter
dem Namen des B. Lnini in der Uffizien-Galerie, Nr. 1018), im
Besitze der herzoglichen Familie Melzi d'Eril in Mailand, sowie
besonders nach einem Bild mit der „Anbetung der Könige"
in der Galerie Borromeo in Mailand (f) zu schliessen, muss
Cesare da Sesto in den 'ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in
Florenz sich aufgehalten und manchen Einfluss von dortigen
Künstlern, namentlich auch von Lorenzo di Credi und Alber-
tinelli, in sich anfgenommen haben.
150 I^iß Galerie Borghese.
von dem uns Vasari eine sehr knappe, ungenügende
Biographie hinterlassen hat. Pietro di Lorenzo, Pier di
Cosimo genannt, wurde ums Jahr 1462 in Florenz ge-
boren und starb daselbst 1521. Dass derselbe Schüler
des Cosimo Rosselli gewesen, von welchem letztern
sein Beiname herrührt, ist festgestellt; dass er folg-
lich in näherer Berührung mit dem jungen Barto-
lommeo della Porta (geboren 1475) und mit Mariotto
Albertinelli (geboren 1474) gestanden, auf die er als
alterer und somit geübterer Ateliergenosse auch einen
Einfluss gehabt haben mag, namentlich im Landschafts-
fache, ist ebenfaUs sehr wahrscheinlich; dass er ferner
in seiner trefflichen Altartafel (Stanza del Commissario
degli Innocenti in Florenz) ein nahes Verhältniss so-
wol in den Gesichtstypen seiner Figuren wie auch in
Nebendingen mit Filippino Lippi verräth, wird man,
wie ich hoffe, nicht in Abrede stellen wollen. Unter den
Malern des 15. Jahrhunderts hat, wenn wir Benozzo
Gozzoli, Pintoricchio und Lorenzo Costa ausnehmen,
vielleicht keiner mit solcher Liebe der Landschaft
sich hingegeben wie Pier di Cosimo, und in der That
liefern uns vollen Beweis davon auf gar manchem
seiner Bilder jene oft etwas phantastischen landschaft-
lichen Hintergründe, die jedoch immer geistreich ge-
dacht und mit Fleiss ausgeführt sind, wovon man in
den Uffizien reichliche Gelegenheit hat sich zu über-
zeugen. ^ Auch mag Andrea del Sarto diese Vorliebe
^ Die Landschaft auf dem Bilde von Pier di Cosimo, Nr. 124G,
worauf die Befreiung Andromeda's dargestellt ist, ist durchaus
identisch mit derjenigen auf diesem Rundbild der Galerie Bor-
ghese. Im Inventarium der Galerie degli Uffizi, vom Jahre 1580,
heisst es, dass das Bild von Lionardo da Vinci gezeichnet und
von Pier di Cosimo nur gemalt sei (Vasari, VII, 119, 2). Ich
halte gewöhnlich sehr wenig auf dergleichen „Traditionen", dies-
mal jedoch scheint mir dieselbe doch einiger Beachtung werth.
Denn in jenem Bilde des Pier di Cosimo haben allerdings meh-
Die Tosoaner: Pier di Cosirao. 151
für schöne landschaftliche Grunde von seinem Lehrer
Pier di Cosimo ererbt haben. Bei dieser Gelegenheit
gestatte man mir, zumal die Werke dieses Meisters so
selten sind, noch zwei Werke Piero's zu erwähnen,
von denen das eine in Rom, das andere im Louvre sich
befindet. Das erstere stellt in halber Figur eine hei-
lige Magdalena dar, ist gut erhalten und erinnert in
der Gesichtsbildung an Filippino Lippi. Das Kleid ist
dunkelgrün, der Mantel hochroth mit schwarz schraffir-
ten Schatten, die bräunlichen Haare sind, wie immer
bei Piero, glatt über die Schläfe gezogen und mit einer
Perlenschnur geschmückt, der Ausdruck der schonen
Büsserin ist von einer milden, liebenswürdigen Melan-
cholie, Hintergrund dunkel. Dieses herrliche Gemälde
gehört dem ehrenwerthen Baron Giovanni Barracco aus
Neapel, Mitglied des italienischen Senats, einem der
gebildetsten Kunstfreunde, die ich in Italien kennen zu
lernen Gelegenheit hatte. Das Bild wurde von ihm
vom romischen Monte di Pieta erworben, woselbst es
thörichterweise für ein Werk des Mantegna galt. Das
andere Bild stellt die Madonna mit dem Kind dar und
befindet sich in der Louvre-Galerie, Nr. 497, unter den
y, Unbekannten". Der verstorbene Galeriedirector V.
Both de Tanzia wurde bei Betrachtung des Bildes an
L. Signorelli erinnert. Herr Doctor Gustavo Frizzoni
erkannte jedoch darin sogleich die Hand des Pier di
Cosimo.* Noch ein anderes Werk unsers Pier di Co-
rere Köpfe nicht nur da« ^^sfumato** des Lionardo, londem auch
einen an die f,Oioconda** gemahnenden Ausdruck. Pier di Co-
simo dürfte folglich jenes sein Bild etwa um 1506 gemalt haben,
als nämlich Lionardo das Portr&t der Mona Lisa vollendete. Dass
aber auch die Composition dem Pier di Cosimo und nicht Lio-
nardo gehöre, versteht sich von selbst.
> Die Herren Crowe und Cavaloasellc (III, 421) wollen die
Mitwirkung des Pier di Cosimo in all jenen Altarlafeln in der
Kirche von S. Spirito in Florens erblicken, die dort bald dem
152 I^i« Galerie Borghese.
simo haben wir hier zu verzeichnen. Dasselbe ist zwar
nicht dem jugendlichen Rafi'ael, sondern einem Schüler
oder Nachahmer seines eigenen Schülers Andrea del
Sarto zugeschrieben, nämlich dem Franciabigio, der uns
schon als Lehrer des Bacchiacca bekannt ist und der,
wie gesagt, vielleicht auch in der Werkstatt des Pier
di Cosimo gelernt haben mag. Dies Bildchen stellt das
„Urtheil Salomonis" vor und ist im Katalog unter Nr. 60
aufgeführt, (t) Auch diese hübsche kleine Tafel hier dürfte
von Piero zum Schmuck irgendeines Möbels gemalt wor-
den sein. Man ersieht daraus, dass die reichen Floren-
tiner im zweiten und dritten Jahrzehnt des 16. Jahr-
hmiderts derlei Arbeiten mit Vorliebe jener Gruppe
gfistreicher Maler übertrugen, die direct oder indirect
sicli in der Werkstätte unsers Pier di Cosimo gebildet
hatten, wie Andrea del Sarto, Franciabigio, Pontormo,
Bacchiacc« u. a. m.
Die älteren Werke des Piero, wie z. B. Nr. 1250
in der Galerie degli Uffizi; das grosse Bild in der Stanza
del Commissario degli Innocenti daselbst; die heilige
Ghirlaudaio, bald dem P'ilippino Lippi oder, mit grösserer Sach-
keuntniss, dem Cosimo Rosselli zugeschrieben werden. Ich will
dies Urlheil dahingestellt sein lassen, kann aber einige Zweifel
au der Richtigkeit desselben kaum unterdrücken, und dies um
80 weniger, als jene Herren auch von diesem Meister keinen
klaren Begriff sich gebildet zu haben scheinen, da sie sonst die
Werke des Pier di Cosimo nicht nur in dieser Borghese-Galerie,
sondern auch jene im Museum von Berlin und in der Dresdener
Gfilerie sogleich würden erkannt haben, wogegen sie über alle
diese Bilder das tiefste Stillschweigen beobachten. Was die drei
Bilder in der Kirche S. Spirito anbelangt, so kommen mir die-
selben als Atelierwerke des Cosimo Rosselli vor, und himmel-
weit entfernt von denen des Pier di Cosimo. Auch die Kohle-
zeichnung mit dem nackten, liegenden Kind in der Sammlung
in Weimar (Braun, 19) ist gewiss nicht von der Hand des Pier
die Cosimo und ebenso wenig das Porträt im ersten Gange der
Uffizien (Nr. 32), jetzt unbegreiflicherweise Pietro Rosselli ge-
tauft — augenscheinlich ein Werk des Ridolfo del Ghirlandaio. (f)
Die Toscaner: Pier di Cosimo. 153
Magdalena des Senators Barracco; das „tondo" der
Dresdener Galerie; die Bilder unter den Nrn. 107
und 204 im Berliner Museum; das trefiliche Bild iu
der National Gallery (Tod des Procris); das Madonnen-
hildchen im Louvre: alle diese Bilder deuten auf einen
Einfluss Filippino's und gehören wahrscheinlich den letz-
ten Jahren des 15. Jahrhunderts oder den ersten Jahren
des 16. an. Das Bild des Pier di Cosimo dagegen,
welches in der üffizien -Galerie unter Nr. 1246 aufge-
stellt ist und worin am deutlichsten ein leiser Einfluss
Lionardo's zu Tage tritt, hat jene hellere Farbengamme,
wie sie später zum Theil Andrea del Sarto und viel
mehr noch Bacchiacca zu den ihrigen gemacht haben.
Auch jene dem Piero eigenthümliche rundliche, fast ge-
quetschte Schädelform zeigt sich erst in seinen spätem
Bildern, wie z. B. in den Nrn. 28, 38, 1246 der Ufßzien-
Galerie und in Nr. 60 unserer Borghese-Sammlung. Es
sind dies lauter kleine, zur Verzierung von Möbeln oder
Zimmerwänden bestimmte Bilder. Die freigewordene
Kunst fing dazumal schon an, die Wände der Gottes-
liäuser zu verlassen und, ihre volle Freiheit benutzend,
in die Wohnungen der Menschen einzukehren.
MARIOTTO ALBERTINELLI.
Um nun den übrigen Bildern florentiner Meister
innerhalb dieser Galerie uns zuzuwenden, müssen wir
uns ins zweite Zimmer begeben und da finden wir an
der linken Wand unter der Nr. 40 eine heilige Familie
mit der vergoldeten Jahreszahl 1511 bezeichnet. Die
Composition dieses Bildes scheint von Fru Bartolommeo
dclla Porta herzustammen, indess die flüchtige Aus-
führung derselben gehört unbedingt dem Mariotto
Albertinelli an. (f) Das Bild stellt die Madonna mit
dem Jesuskind und dem kleinen Joiiaunes dar. Ausser
der goldenen Jahreszahl ist noch das bekannte rothe
Kreuz mit den zwei ineinander verschhuigenen Ringen
154 Die Galerie Borghese.
darauf angebracht. Das Kreuz soll das Kloster von S.
Marco in Florenz bedeuten, die zwei Hinge die beiden
Freunde und Mitarbeiter Fra Bartolommeo und Ma-
riotto. Solcher schwachen Erzeugnisse aus den Jahren
1510, 1511 und 1512 bekam ich mehrere zu Gesicht,
sowol in Privatliäusern (in Florenz im Hause des Mar-
chese Bartolommei, in Rom im Hause Guerrini-Antinori)
als auch in öffentlichen Sammlungen, wie z. B. in der
des Belvedere in Wien mit der Jahreszahl 1510, in
der des Fürsten Corsini in Florenz vom Jahre 1511. (f)
Das Kloster von S. Marco, behauptet man, lieferte das
Material zu solchen Fabrikbildern, deren Erlös sodann
in zwei Hälften getheilt wurde, wovon die eine dem
Fra Bartolommeo und somit dem Kloster, die andere
dem Albertinelli anheimfiel. Ein dem oben beschrie-
benen Bilde der Borghese-Galerie ähnliches Werk mit
der gleichen Jahreszahl sah man früher auch in der
jetzt unzugänglichen Galerie Sciarra-Colonna in Rom,
woselbst es, wie sich dies von selbst versteht, ebenfalls
dem Fra Bartolommeo zur Last gelegt wurde, (f ) Die
Herren Crowe und Cavalcaselle möchten dagegen diese
so bezeichneten Bilder (III, 478 und 482) dem Fra
Paolino da Pistoia vindiciren. Ich kann beim besten
Willen auch diesmal ihre Ansicht nicht theilen. Fra
Paolino erscheint in seinem Wandgemälde vom Jahre
1516, „den Gekreuzigten nebst mehrern Heiligen zur
Seite" darstellend, im Hof von S. Spirito in Siena^,
als ein höchst ungelenker, schwacher Maler 2; ja selbst
* Die Zeichnung zu diesem Wandgemälde in den Uffizien:
Rahmen 484, Nr. 1402.
2 Man besehe sich doch in jenem Wandgemälde, wie dick
und ohne alle Anmuth die Köpfe der Magdalene und des Jo-
hannes, wie hart die Hände mit den kurzen klobigen Daumen,
wie schlecht modellirt der Körper des Christus ist, wie roh die
Aermelfalten sind. Kurz man sieht, dass im Jahre 1516 Fra
Paolino noch Anfänger war, während die Gemälde des Albertinelli
Die Toscaner: Mariotto AlbertinellL 155
in seinem grossen Bild vom Jahre 1519 in der Aka-
demie von Florenz ist er noch klotzig und steif und
nur in seinen spätem Werken (1528) in S. Domenico
und in S. Paolo zu Pistoia ahmt er mit grösserer Ge-
schicklichkeit den Fra Bartolommeo nach. Fra Paolino
war, wie uns Vasari berichtet, der Sohn eines schwa-
chen Schülers des Domenico Ghirlandaio, nämlich des
Bernardo del Signoraccio und hatte aller Wahrschein-
lichkeit nach seine Lehrjahre in der Werkstatt seines
Vaters durchgemacht, ehe er mit Fra Bartolommeo in
Berührung kam. Man vergleiche aber diese soeben an-
geführten Madonnenbilder aus den Jahren 1510, 1511
und 1512 mit dem höchst sorgfältig ausgeführten Ge-
mälde der „Verkündigung", aus der nändichen Zeit von
der Hand des Mariotto Albertinelli, gleichfalls in der
florentinischen Akademie aufgestellt, und selbst mit der
1503 ausgeführten Predella, Nr. 1259, in der Uffizien-
Galerie mit demselben Madonnentypus, und man wird
in allen diesen Werken die nämliche Modellirung des
Auges mit den scharf beleuchteten Rändern der Augen-
lider, dieselbe Form der Hand mit dem kurzen eigen-
thümlich geformten Daumen und den graugefärbten
Nägeln, ja sogar denselben Nimbus wahrnehmen, nur
mit dem Unterschied, dass diese in der Klosterfabrik
ausgeführten und wahrscheinlich für wenig bemittelte
Besteller gefertigten Malereien höchst fahrlässig behan-
delt sind. Um aber in dieser Streitfrage zwischen den
aoB den Jahren 1510—1512 die Hand eines Praktikers verrathen.
Ausser den bekannten Werken des Fra Paolino in Pistoia be-
sitzt auch die dortige Spitalkirche eine „thronende Madonna" mit
den Heiligen Hieronymus, Sebastianus, Maria Magdalena, dem klei-
nen Johannes und einer andern Heiligen. In demselben Kirch-
lein befindet sich noch ein trefiliches grosses Tafelbild von Lo-
renzo di Credi: thronende Madonna mit dem Christkind, welches
der vor ihm knienden Magdalena den Segen ertheilt, dabei die
Heiligen Katharina, Johannes der Täufer und Hieronymus.
156 I)ie Galerie Borghese.
Herren Crowe und Cavalcaselle und mir mit einem
Schlage ein Ende zu machen, sei hier noch das grosse
Bild mit der „Verkündigung" im Genfer Museum er-
wähnt. Jenes Tafelbild trägt folgende Aufschrift:
1511. FRIS. BARTHO. OR. P.
ET MARIOTTI FLORENTINOR
OPVS.
Wäre dieses Bild in Genf dem Herrn Director W.
Bode bekannt gewesen, so würde er, denke ich, doch
Anstand genommen haben, auch in diesem Urtheil seinen
Lehrern zu folgen (II, 675). Sowol Bartolommeo della
Porta als auch sein um wenige Monate älterer Schul-
und Arbeitsgenosse Mariotto machten in der in den
achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts vielfach besuch-
ten Werkstätte des Cosimo Rosselli ihre Lehrzeit durch.
Gegen das Jahr 1485 dürfte, neben dem Meister selbst,
Pier di Cosimo in jener Werkstatt thätig gewesen sein,
sodass es, wie gesagt, sehr wahrscheinlich erscheint, dass
die Aufsicht und die Leitung der Schüler diesem letz-
tern vom Meister Rosselli überlassen wurde. Und in
der That, wenn wir die Federzeichnungen des Fra Bar-
tolommeo und des Mariotto in den Uffizien mit der
Federzeichnung des Pier di Cosimo „die Anbetimg des
Christkindes" (Nr. 343, Rahmen 80, Braun 211) ver-
gleichen, so stellt sich deutlich heraus, dass dieser letz-
tere in der Technik einen starken Einfluss auf die bei-
den ersten ausgeübt haben muss. In der Folge jedoch
wurde das Vorbild des Albertinelli der begabtere und
auch gediegenere Fra Bartolommeo, und dieses sein Stre-
ben ist ihm auch so gut gelungen, dass noch heutzu-
tage mehrere Werke aus der Frühzeit des Albertinelli
unter dem Namen des Fra Bartolommeo gehen, wie
z. B. das schöne kleine Triptychon aus dem Jahre 1500
in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand (f); das Ma-
Die Toscaner: Mariotto Albertinelli. 157
donnenbild iü der Sammlung des Serainario Vescovile zu
Venedig (f); die zwei Tafeln mit den Heiligen Katha-
rina und Magdalena (Nr. 91 und 99) in der Akademie
von Siena * (f) ; während andererseits eine Jugendarbeit
von Bnrtolommeo della Porta, das „Noli me tangere'**
im Louvre (Nr. 17) (f) fTw .In Werk des Mariotto Al^
bertinelli gilt.^
In den letzten Jahren den 15. Jahrhunderts, als
Albertinelli in Gesellschaft seines Freundes Bartolommeo
della Porta im Kloster von S. Maria Nuova thätig war,
muss das grosse Triptychon mit den Porträts der Por-
tinari-Familie von Hugo van der Goes, das sich in jener
Kirche befand, einen starken Eindruck auf ihn aus-
geübt haben. Offenbar trachtete er in etlichen Bil-
dern aus jener Zeit jenen YJamländer, schwerlich den
Memling wie Herr Director Bode (II, 676) meint,
nachzuahmen und zwar nicht nur in der Farbenharmonie
und in der Kleidertracht, wie im Triptychon des Museo
Poldi, sondern auch in der sorgfältigen Ausfuhrung
seiner landschaftlichen Gründe, wie in der „Verbannung
aus dem Paradies" bei Basseggio in Rom.^ Mario tto's
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle (III, 473) schreiben
dieae zwei Tafeln ihrem Fra Paolino zu.
' Die Herren Crowe und Cavalcaselle, die das Bild als Ar-
beit des Albertinelli ansehen, setzen es ins Jahr 1494 (!). In
diesem Bild ist die Form der Hand sehr bezeichnend für Bar-
tolommeo; die Landschaft erinnert an die auf dem Bilde des Fra
Bartolommeo in der florentinischen Akademie, vom Jahre 150(j(?):
der heilige Bernhard, welchem die Maria mit dem Christkind er-
scheint. Die schöne Kreidezeichnung zum heiligen Bernhard ist im
Besitze Sr. Ko it des Grossherzogs von Weimar (Braun 25).
' Dieses I des Albertinelli, welches neuerdings nach
England verkauft wurde, wird von den Herren Crowe und Ca-
valcaselle als Jugendwerk Raffael*s angenommen. (!) Passavant (II,
814) sagt von diesem Bilde, in welchem er richtig die Hand AI-
bertinelli's erkannte: „L9 pap$age eH riche, mais froid de ton^'^
(d. h. niederländisch).
158 I^ie Galerie Borghese.
Bilder aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts, wie
die treft'liche „Heimsuchung" vom Jahre 1503 in den
UfTfizien, die zwei Heiligen Johannes der Evangelist und
Magdalene (Bruchstücke in der Sammlung des Herrn
Giovanni Morelli), kommen der Art und Weise des
Fra Bartolommeo sehr nahe, mit dem Unterschied je-
doch, dass die Figuren weniger schlank und edel sind
als die des Frate und dass das Laubwerk der Bäume
mit der sorgfältigen Feinheit des Miniators ausgefiihrt
ist, was in den Landschaften Fra Bartolommeo's nie
statthat. Kurz vor dem Tode des Filippino Lippi (1504)
und als sein Freund Bartolommeo schon seit Jahren
sich in die StiUe des Klosters zurückgezogen hatte, muss
Mariotto in ein innigeres Verhältniss zu Filippino ge-
treten sein. Einige seiner Bilder aus jenen Jahren, wie
das schöne Tondo (Nr. 365) im Pitti-Palast, sowie auch
sein Bild im Dom von Volterra, tragen den Einfluss
Filippino's an der Stirn. Auch war es Albertinelli und
kein anderer, dem beim Tode Filippino's der Auftrag
wurde, die grosse Altartafel (Nr. 16 im Louvre), welche
Filippino kaum begonnen hinterlassen hatte, zu voll-
enden. Die Figur des heiligen Hieronymus auf diesem
letztern Bild wurde augenscheinlich noch von Filippino
selbst auf die Tafel gezeichnet. ^ Aus der spätem Zeit
Albertinelli's besitzt die florentinische Akademie einige
gute Bilder.
Die besten Werke des Fra Bartolommeo befinden
sich wol in Lucca; die grössere Zahl derselben ist jedoch
leider durch abscheuliche Uebermalung entstellt. In Rom
selbst ist mir, ausser dem Bilde in der Corsini-Galerie,
kein anderes Werk dieses grossen Meisters bekannt.
In Florenz dagegen sieht man sowol in der Uffizien-
' Der Typus des Heiligen sowol als die Form der Hand und
die des Ohres sind ohne grosse Mühe als Arbeit des Filippino
zu erkennen.
Die Toscaner: Andrea del Sarto. 159
Galerie, wie auch in der Akademie und im Palazzo
Pitti mehrere charakteristische Bilder von ihm. Eins
der vorzüglichsten aus des Meisters Frühzeit gelangte
jüngst aus dem Hause der verstorbenen Grafen Baldelli
in Florenz in die schone Sammlung des bekannten
Staatsmannes Marchese £milio Visconti-Venosta in Mai-
land. Es ist dies ein Tondo mit der heiligen Familie,
die das am Boden liegende Kind anbetet; der Carton
zu diesem Bilde befindet si«}» in il.r florentinischen
Akademie.*
Ausserhalb Italiens sind die W erko des Fra Barto-
loniiiR'o und des Albertinelli von grosser Seltenh<Mt.
ANDREA DEL SARTO.
Von Fra Bartolommeo werden wir unwillkürlich
auf Andrea del Sarto geführt, dessen vermeintliche
Werke im folgenden, dritten Saal aufgestellt sind.
Unter Nr. 39 sehen wir eine heilige Familie (lebens-
grosse Figuren), mit dem echten Monogramm des
Malers versehen, d. h. mit den zwei verschlungenen A.
Ehe die florentinischen Commentatoren des Vasari aus-
findig gemacht, dass der wahre Name des Malers An-
drea del Sarto nicht, wie Baldinucci angab, Vannucchi,
sondern Andrea d'Agnolo war (heutzutage würde man
' Die Zeichnaogen aus der Frübzeit des Bartolommeo della
Porta sind meist mit feiner Feder ausgeführt, wie man deren
gar manche in den Uffixien (Rahmen 457, Nr. 1233—1239) und
auch in der Sammlung de« British Museum findet (Braun 1, 2,
3 und 4) ; jene aus seiner sp&tem Zeit dagegen sind fast alle mit
der Kohle oder auch mit der schwanen Kreide ausgeführt. Nicht
seilen werden Fedeneichnungen seines Nachahmers Andrea del
Brescianino ihm selbft sngeachrieben , so z.B. in der Uffizien-
Sammlung, Rahmen 468, Kr. 1244. (f) Andrea del Brescianino
copirte nicht nur die Zeichnangen, sondern auch die Bilder des
Fra Bartolommeo, so i. B ••• .i— r-'-'-^r Akadon ■ 1 ■ heilige
Familie**, Nr. 138. (t)
160 I^ie Galerie Borghese.
also Angeli oder de Angelis sagen), fand man gewöhn-
lich auf den Bildern, die in den Sammlungen dem An-
drea zugeschrieben wurden, ein A und ein V ineinander
verschlungen, welche Buchstaben eben als Monogramm
des Andrea Vannucchi oralten. Nach der Entdeckuno-
des echten Namens des Malers aber wurde jenes Mono-
gramm meist corrigirt, d. h. es ward dem V ein Quer-
strich hinzugefügt und dieser Buchstabe
\^^ W^ damit in ein A verwandelt, sodass auf
^^^A^ yv\^ diese bequenie Art wieder das echte Mo-
nogramm des Andrea del Sarto, aus zwei
verschlungenen A, hergestellt wurde. Solche verbes-
serte Monogramme sehen jedoch alle sehr aufgefrischt
und neu aus, wie z. B. dasjenige, das wir hier vor
Augen haben. ^ Die Composition dieses Bildes ge-
hört allerdings dem Andrea, die Ausführung desselben
ist indess zu hart und viel zu geistlos für den Meister.
Ich halte es daher für eine der vielen Copien, die
man von diesem trefflich componirten Bild zu sehen
bekommt. Von den andern ebenfalls dem Andrea
del Sarto zugemutheten Bildern lässt sich ungefähr
dasselbe sagen und es möge sowol mir als nament-
lich meinen verehrlichen Lesern die Mühe erspart blei-
ben, uns bei denselben aufzuhalten. Eine Ausnahme
davon macht jedoch die in der Nähe des Fensters auf-
gestellte heilige Magdalene^, ein Bild, welches vielfach
^ Auch in der Doria-Galerie sieht man im Braccio I, unter
Nr. 37, ein Madonnenbild mit dem Täufer, auf dem das Mono-
gramm des Andrea del Sarto gezeichnet ist. Nach meiner An-
sicht ist jenes Bild das Werk eines deutschen Malers, der die
Madonna mit dem Kind dem Andrea del Sarto, den Täufer mit
seinem mit Pelzwerk verbrämten Rock jedoch wahrscheinlich
dem A. Dürer entnahm. Die Form der Hand, sowie der Kopf
jenes Täufers kommen mir sehr Dürerartig vor. (f)
' Aus derselben Wirkungszeit des Puligo besitzt Marchese
Covoni in Florenz das Porträt einer jungen Frau.
Die Tosoancr: Jaoopo da Pontormo. 161
copirt wird.* Meinem Dafürhalten nach gehört das
reizende Gemälde zwar nicht dem Andrea, jedoch einem
seiner fleissigsten Nachahmer, ich meine dem Domenico
Puligo an (f), von dem ein paar andere Werke in
diesem nämlichen Zimmer aufgestellt sind, sowie auch
eines in der Galciic (^t»l<nina. Nr. 17.
JALui^j DA i^uNiOKMU.
Ein anderer von Andrea vielfach beeinflusster flo-
rentiner Maler war Jacopo da Pontormo (1494 — 1556).
Ihm und nicht seinem Schüler Angelo Bronzino, wie
der Katalog angibt, gehört das gute Porträt Nr. 44 im
dritten Saal an.^ (f) Es stellt einen altern Mann dar in
rothsiimmtenem Unterkleid und mit einem Buch in der
Ilnnd, Kniestück in Lebensgrosse.
Lassen wir jedoch all dieses Mittelgut florentinischer
Kunst beiseite und richten wir dafür unser Auge auf
ein Werk aus jener Schule, das unsere ganze Aufmerksam-
keit verdient. Ich sage florentinischer Schule, obwol
der Katalog das lebensgrosse Bildniss eines Cardinnls
keinem andern Meister zuschreibt, als dem „göttlichen^^
Kaffael selbst, und als solches wird es natürlicherweise
auch vom kunstliebenden Publikum angesehen und be-
wundert.' Heilige Macht des Namens! Dies schone
* Eine alte Copie dieses Bildes sieht man auch in der Tu-
riner Akademie. Nr. 148.
* Dasselbe wurde vom neuen Director der Galerie in meinem
Sinne kürxlioh neu benannt.
* Passavant (U, 3.58) glaubt, der Kopf und die Hände (!)•
hätten das Raffaersohe Gepräge, alles übrige wäre von einem
Scliöler ausgeführt, und weist dabei namentlich auf den Teppich
hin^ der die Hand desselben Malers verrathe, welcher den Tep-
pich auf dem Porträt dos CardinaU Inghirami in der Pitti-Galerio
gemalt Wir sahen jedoch, dass dieses letztere sogenannte Raffaer-
sche Bildniss von andern Kunstforschern als vlämische Copie
angesehen wird.
L««oM.rr. II
162 Die Galerie Borgbese.
Bildniss hängt im zweiten Zimmer der Galerie und ft'ihrt
die Nummer 21. Der Cardinal, ein Mann in mittlem Jah-
ren, sitzt an einem mit türkischem Teppich bedeckten
Tisch, auf welchem eine kostbar ciselirte Klingel steht,
ähnlich derjenigen, die wir im classischen Porträt Leo'sX.
von Raffael im Pitti-Palast finden. Der hohe Herr sitzt
mit vornehmem, jedoch sehr natürlichem Anstand da
und blickt uns mit grosser Sicherheit an. Die Farben
des Gemäldes sind harmonisch, allein weder umbrisch
noch römisch -Raffaelisch, sondern durchaus florenti-
nisch. Betrachte ich nun den Cardinal genauer, so
will es mir scheinen, als ob aus dieser Gestalt der Ge-
nius des Pontormo herausschaue, da doch niemand leug-
Die Hände auf dem Porträt des Cosimo Medici von Pontormo.
nen wird, dass in allen echten Kunstwerken etwas vom
Wesen des Künstlers selbst steckt. ^ Die Modellirung
der tiefliegenden, eingesackten Augen ist durchaus
die des Pontormo, auch die Zeichnung der Hände mit
der diesem Meister ganz eigenthümlichen verfehl-
ten Modellirung der ersten Phalanx des Zeige-
fingers^, sowie das schwammige Incarnat und eben-
^ üeber die Persönlichkeit, die wir in diesem Bilde vor
Augen haben, weiss ich nichts Positives mitzutheilen ; Passavant
(II, 358) meint, es könnte vielleicht den Cardinal Borgia vorstellen.
^ Diesen Fehler scheint Pontormo von seinem Vorbild An-
drea del Sarto überkommen zu haben , nur dass er, wie dies bei
Die Toscaner: Jacopo da Pontormo. 163
falls der florentinische, an A. del Santo erinnernde Hinter-
grund, lassen mir wenigstens keinen Zweifel mehr übrig,
dass der Rafiael dieses trefflichen Porträts kein anderer
sei, als unser Jacopo Carucci da Pontormo. (f) Wer
aber den Wunsch hätte, sich davon gründlicher zu über-
zeugen, der möge dieses Porträt mit dem Bildniss des
alten Cosimo de"* Medici vergleichen, welch letzteres ein
unbestrittenes Werk des Pontormo und in den Uffizien
unter Nr. 1266 aufgestellt ist, sowie auch mit den an-
dern zwei Bildnissen daselbst, Nr. 1270 und 1267.
Ein anderes Werk des Pontormo, welches in Rom
unter dem Namen des Peruzzi geht, ist der Pygmalion
in der Barberini- Galerie (II. Saal, Nr.. 64). (f) — Die
besten Werke dieses Meisters sind in Florenz: im Pitti-
Palast und in der Uffizien-Galerie; im Palast des Mar-
chese Farinola; in den Kirchen von S. Michelino und
S. Felicita ; in der Villa Poggio a Cajano. Gute Zeich-
nungen: in der Ufßzien-Sammlung, Rahmen 224, Nr. 671
und 672; Rahmen 226, Nr. 675, und ebendaselbst: Rah-
men 147, Nr. 526, die Federzeichnung mit Gottvater
der dem Noah die Arche zu bauen befiehlt, wahrschein-
lich eine vom Pontormo gefertigte Copie nach der
Originalzeichiumg R;ifl'uers; die Bibliothek Corsini in
Rom besitzt an 27 Zeichnungen des Pontormo, darunter
einige sehr gute, besonders die Nummern: 124173,
124182, 124183, 124187, 1241228, 1241254.
allen Nachahmern der Fall ist, den Fehler des Lehrers über-
treibt Jacopo mag allerdings, wie Yasari berichtet , in seinen
Knabenjahren die Werkstatten des Lionardo, des Albertinelli
und des Pier di Cosimo eine Zeit lang, etwa als Fattorino, be-
sucht haben, sein eigentlicher Lehrer war jedoch .\udrea del
Sarto; daffir spricht, ausser seinem Frescobild im Yorhof der
Kirche der ,fheiligen Annnnziata" zu Florens, gar manchog Tor-
trit aus «cinpr frühem Zeit, wie x. B. das männliche Profilbild-
niss im Pitti-Palast (249), sowie auch jenen cinrH iuiiLnn Künst-
lers in der Sammlung Morelli in Mailand.
164 I^i^ Galerie Borgliese.
In der Sammlung in Chatswortli treffen wir auch,
unter dem Namen des Michelangelo, zwei Zeichnungen
Jacopo's an: die eine in schwarzer Kreide stellt die
Madonna mit dem Kinde (Braun 47), die andere (eine
Rötheizeichnung) eine Figur in der Decke der Sixti-
nischen Kapelle dar (Braun 25). (f)
In der Nähe dieses berühmten Cardinalporträts
begegnen wir einem sehr fraglichen, unbedeutenden
weiblichen Bildniss des Angelo Bronzino(?) (Nr. 28),
des eminenten Schülers des Pontormo, welcher, wie
Vasari uns erzählt, die ersten Schritte in der Kunst
unter der Leitung des Raffaelino del Garbo gethan,
ehe er sich an Jacopo Carucci da Pontormo anschloss.
Angelo Bronzino (1502, f 1572) hat eine grosse An-
zahl Schüler und Nachahmer in seiner Vaterstadt
Florenz gehabt, von denen ich nur einige hier in Er-
innerung bringen will, da es gar zu oft zu geschehen
pflegt, dass namentlich Bildnisse von diesen Leuten
verfertigt, dem Bronzino selbst zugemuthet werden,
der jedoch, sowol was Geist und Eleganz in der Zeich-
nung, als Gediegenheit in der Ausführung anbelangt,
sehr erhaben ist über alle seine Nachahmer, die da
heissen: Cristoftino delP Altissimo, Lorenzo dello Scio-
rina, Stefano Pieri, Alessandro Allori, Bronzino's
Neffe, u. a. m.
Von Angelo Bronzino selbst, den ich seiner Eleganz
halber den florentinischen Parmeggianino nennen möchte,
sehen wir schon im ersten Saal dieser Galerie eine vor-
zügliche „Lucrezia" (Nr. 50), ein Bild, das ich ebenso
wie die noch vorzüglichere Cleopatra (Nr. 2) in diesem
zweiten Saal, der Jugendzeit des Künstlers zuschreibe.
Diese seine frühen Werke sind alle streng: in der Zeich-
nung, allein sehr schwarz in den Schatten. Zu den
besten Bildnissen dieses Künstlers rechne ich auch das
des Giannettino Doria in der Galerie Doria-Panfili
in Rom; das des Bildhauers (Nr. 1263) und der Ehe-
Die Tosoaner: Jacopo da Pontormo. 165
galten Panciatichi in der Uffizien-Sammlung, und vor
allen jenes im Salon carre des Louvre.
PORTRÄT DES CESARE BORGU.
\\ .1 alter hat das stattliche, etwas elegani -i. liu ou-
genannte Porträt des Cesare Borgia in der Nähe ge-*
fertigt (Nr. 26)? Diese Frage wird vielleicht einigen
meiner Leser dreist, ja vorwitzig erscheinen, da ja dad
vielbewiinderte Porträt im Publikum nicht nur als das
Conterfei des Duca Valentino gilt, sondern gemein-
hin auch als Werk Raftaers angestaunt wird.* Meh-
rere neuere Kritiker haben zwar diese letztere Attri-
bution belächelt und der Einsichtsvollste unter ihnen,,
der zu früh verstorbene O. Mündler 2, schrieb dies Por-
trat ohne Bedenken dem Parmeggianino zu. Der geist-
volle J. Burckhardt' hält es dagegen für ein treff-
liches deutsches Bild, vielleicht von Georg Pencz.
Solchen eminenten Kennern gegenüber ist es für mich
sehr gewagt, meine schwache Stimme* hören zu lassen.
Wenn jedoch das italienische Sprichwort wahr ist, dass
nämlich y^fra due liticanti il terzo gode^ so darf ich
mich der Hoffnung überlassen, bei solchem Zwiespalt
der Grossen auch vernommen zu werden. Sollte auch
ich fehlschiessen , nun so geschieht es wenigstens in
guter Gesellschaft.
Sehen wir uns also diesen weltberühmten, durch
Stich und Photographie vervielfältigten Duca Valen*
tino genauer an.^ Dass das Gemälde nicht das Werk
Raffaers sein kann, das, meine ich, dürfte selbst der
> Herr Geheimrath Carl von Ruland lohreibt es jedoch blot
der Sohule RaffaePs eu (a. a. 0.).
* Siehe a. a. 0., 8. 80.
* Siehe „Cicerone", 1. Aufl., S. 910.
* Ceaare Borgia wurde im Jahre 1499 vom Kunig Ludwig \il.
zum HenOg von Valentinois eroannt, and heirathete in jenem
Jahr Charlotte d'Albret, Schwester de« Jean d' Albret, Königs
von Navarra.
IQQ Die Galerie Borghese.
kurzsichtigste Galeriebesucher erkennen, braucht er doch
bloö die Mühe sich zu geben, dieses Bild mit der in der
Nähe aufgestellten „Grablegung" des Urbinaten zu ver-
gleichen, was freilich gegen die herkömmliche Sitte der
Steeple-chase in den Bildergalerien Verstössen möchte.
Auch darf man solche Pedanterien einem genuss- und
lernbegierigen Touristen, bei der Eile und Kostbarkeit
seiner Zeit, nicht wohl zumuthen. Untersuchen wir
zuerst, ob dieser junge Mann wirklich das Ebenbild des
Cesare Borgia sei oder auch nur sein könne. Die süffi-
sante Pose und der ihr entsprechende etwas gemeine,
ja sinnlich rohe und wenig sagende Ausdruck des regel-
mässigen Gesichts geben dem jungen Cavalier etwas,
*fur mich wenigstens, eher Abstossendes als Anziehendes.
"Würde dieser Cesare lebendig, so wäre es eben nicht
der Mann, dessen nähere Bekanntschaft ich zu machen
wünschte, und in diesem Sinne lasse ich die Taufe gern
gelten. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es ein „bild-
schöner" Cavalier ist, der auch in einem modernen Salon
sein Glück in der Damenwelt machen dürfte. Die Sage
geht nun allerdings, dass der berüchtigte Herzog von
Valentinois ein schöner, ja geradezu der schönste Mann
seiner Zeit, wie sich dies bei Prinzen von selbst ver-
steht, gewesen sei, und dies mag auch ein Grund, viel-
leicht der Hauptgrund für die Direction der Galerie
gewesen sein, in diesem Porträt das Ebenbild des Ce-
sare Borgia zu erkennen. Es ist nur schade, dass man
dabei nicht bedacht hat, dass die politische Laufbahn
jenes Helden in Italien schon im Jahre 1508 abgeschlossen
war. Wie bekannt starb Cesare Borgia vier Jahre
später vor der Stadt Viana im Navarresischen. Wären
nun seine Züge durch die Hand KaffaeFs auf diese
Tafel hier festgebannt, so müssten sowol Zeichnung als
Malweise, ganz abgesehen von der Auffassung, die peru-
ginische Manier des Urbinaten verrathen, wovon in die-
sem Bild auch nicht eine Spur wahrzunehmen ist. Man
Die Toscaner: Portrat des Cesare Borgia. 167
konnte zwar dagegen einwenden, dass Raffnel das Por-
trat nicht nach dem Leben, sondern später, frei nach
irgendeiner vorhandenen Zeichnung oder nach einem
altern Bildniss gemalt habe. Die Einwendung wäre an-
nehmbar, wenn sie die historische Wahrscheinlichkeit ftir
sich hätte und wenn, was doch die Hauptsache dabei ist,
das Gemälde selbst für die Hand R^ifiaePs spräche.
Hat sich der „Duca Valentino" je abconterfeien
lassen, so möchte er diese Ehre wol am ehesten dem
Hofmaler seines Vaters, dem Pintoricchio, zugedacht
haben, welcher, nachdem er vom Jahre 1492 — 97 fiir
Papst Alexander VI. in Rom gearbeitet, 1501 in die
Dienste des Sohnes Cesiire Borgia getreten war.'
Auch Lionardo da Vinci, der wie bekannt ebenfalls
in den Jahren 1501 und 1502 als oberster Kriegsingenieur
beim Borgia angestellt war, möchte eher als andere
Maler den Auftrag erhalten, allein schwerlich ausgeführt
haben, seinen Herrn und Gönner durch den Pinsel zu
verewigen.
Sehen wir uns dtis Porträt noch «genauer an. Der
* Yasari erzählt im Leben des Pintoricchio, dass dieser in
der That in einem Gemach des Castel S. Angelo auch die Por-
träts Isabella der Katholischen, des Niocolo Orsini, des Gian-Gia-
como Trivalzio, des Cesare und der Lucrezia Borgia al fresco
gemalt habe. Femer sagt uns derselbe Schriftsteller (VII, 113),
dass auch Pier di Cosimo das Bildniss des Duca Valentine ge-
macht: ,,ritra88e <mcora poi ü duca ValentittOf figliuolo di papa
Aleisandro FJ, la qttal pitiura oggi cKio sappia non st trova,
wta bene ü eartone di 8ua nuntOf ed b appresso il revtrendo di.
Ootimo Bartoli propo$to di S. Oiocanni**. Was ist wol ans
diesem Carton geworden? Der bekannte italienische Kunst-
forscher Dr. Gustavo Frixzoni behauptet, vier Porträts von Pier
di Cosimo^s Hand aufgefunden lu haben: zwei davon in der
Bildersammlung vom Haag (Braun 816**^, 816^"***^, ein drittes
in der Kational-Gallery in London, und endlich das von Vaaari be-
schriebene Bildniss der „bella Simonetta" in der Gestalt einer
Kleopatra, in der Sammlung Sr. Hoheit des Herzogs von Aumale.
Ißg Die Galerie Borghese.
Cavalier trägt ein schwarzbefiedertes Baret und ein
ebenfalls schwarzes Wams mit Schlitzärmeln, aus denen
die Manschetten hervorschauen. Die Rechte hält er auf
den Degengriff gestützt, die Linke an der Hüfte. Der
Tracht nach muss dieser „Pseudo-Cesare" irgendeinen
florentinischen Junker aus dem vierten Decennium des
16. Jahrhunderts vorstellen. Und Avürde der dichte
gelbgewordene Firnis von der Oberfläche entfernt, so
glaube ich nicht zu irren, wenn ich vermuthe, dass ein
den Bronz in o 'sehen sehr nahe kommendes Porträt
sich unsern Blicken zeigen würde, mit jenem, den Ge-
mälden des Angelo Bronzino eigenthümlichen „Smalto",
mit den kalten Fleischtönen und mit den scharf und
etwas hart eingesackten Augen. ^ (f) Die steif elegante
Pose weist mehr auf den Bronzino hin als auf irgend-
einen andern gleichzeitigen Florentiner und erinnert an
jene der Panciatichi in den Uffizien. Die Modellirung
und Stellung der Hand ist fast die der rechten Hand
auf jenem kleinen hübschen Porträt in der National-
Gallery in London, Nr. 649, das zwar dort den Namen
des Pontormo führt, mir jedoch ebenfalls als ein treff-
liches Werk unsers Angelo Bronzino erschienen ist. (f )
Man findet in mehrern andern Bildersammlungen Ita-
liens sogenannte Porträts des Cesare Borgia, so z. B. in
jener von Forli, Nr.151, dort dem Giorgione zugeschrieben ;
dasselbe hat jedoch weder mit Cesare Borgia noch mit
Giorgione irgendetwas zu thun, sondern ist wahrschein-
lich irgendein Bildniss von der Hand des Palmezzano da
Forli. (f ) Jener vom verstorbenen General Pepe im Jahre
1849 der Stadt Venedig geschenkte „Cesare Borgia" von
Lionardo da Vinci, der gegenwärtig im Museo Correr
aufgestellt ist, scheint eher den Don Ferdinando Avalos
von Aquino vorzustellen; übrigens ist das schwache
^ Es ist zuweilen äusserst schwer, Bildnisse des A. Bronzino
von denen des Fr. Salviati zu unterscheiden.
Die Toscaner: Baldassare Pernzzi. 169
Profil porträt so stark überaialt, dass es keine nähere
Beachtung verdient.
Ein dritter „Cesare Borgia" ist in der Communal-
sammlung von Bergamo (Abtheilung Lochis, Nr. 36) zu
sehen, wo das Bild als Werk des Giorgione gilt, während
die Herren Crowe und Cavalcaselle es demCalisto daLodi
zuschreiben. ^ Meiner Ansicht nach dürfte jenes höchst
lebendige Porträt der ferraresisch-bolognesischen Maler-
schule angehören und wahrscheinlich dem Giacomo
Francia' (f), auf keinen Fall jedoch weder dem Calisto
da Lodi noch dem Romanino, wie die Herren Crowe und
Cavalcaselle meinen. Bei den nach der Natur gemalten
Bildnissen in dieser Epoche der sinkenden Kunst in Ita-
lien ist es übrigens eine sehr heikle und gewagte Sache,
jedesmal den Urheber desselben feststellen zu wollen.
Ein viertes Porträt des sogenannten „Cesare Borgia"
besass vormals die Bildersammlung des Grafen Castel-
barco in Mailand. Das Bild wurde dort ebenfalls dem
Kaifael zugemuthet. Meiner Meinung nach gehörte das
stark übermalte Porträt flom AikIppm Solnrio. (f)
BALDASSARE PERUZZI.
In der Nähe dieses selbstzufriedenen florentinischen
Salonhelden jener Tage fallt unser nach Edlerem sich
sehnender Blick auf die unbekleidete Gestalt eines jungen
Weibes, das unwillkürlich das Auge fesselt durch das
echt künstlerische Gefühl, das sowol in der Bewegung
als auch im Ausdruck dieser weiblichen Gestalt sich
auaspricht Der Katalog nennt sie „eine aus dem Bade
steigende Venus '^ und gibt als Maler derselben den
Giulio Romano au. Doctor G. Frizzoni vindicirte dieses
» VoL II, 168.
' Man vergleiohe dieses Porträt mit deu zwei geharnischten
Heiligen im grossen Bilde Nr 17'> des Giaoomo Franoia der
Breni-Oalerie.
170 Die Galerie Borghese.
Bild jedoch schon, und wie mir dünkt mit voller
Sachkenutniss, in seinem Aufsatz über Baldassare
Peruzzi diesem letztern Meister. Dieser höchst fein-
sinnige sienesische Künstler und Freund des Agostino
Chigi hat, wie bekannt, mehr als Baumeister denn als
Maler gewirkt und sich ausgezeichnet, ja in dieser letz-
tern Kunst darf er nur jenen grossen Decoratoren bei-
gezahlt werden, deren glänzende Reihe mit Bramante
und Melozzo da Forli anhebt.
Auf den Maler Peruzzi (geboren 1481) haben nun
besonders, wie mir scheint, drei Künstler einen sehr
leicht erkennbaren Einfluss ausgeübt: Pintoricchio zu-
erst, sodann vornehmlich Sodoma und zuletzt Ratfael.
Von den decorativen Malereien Peruzzi's in Rom, wo
er den grössten Theil seiner künstlerischen Laufbahn
durchmachte, sind uns, besser oder schlechter erhalten,
noch manche Proben aufbewahrt. Wandgemälde von
ihm finden wir in der Chornische der Klosterkirche von
S. Onofrio, ganz in der Weise, ja wahrscheinlich nach
Skizzen des Pintoricchio ausgeführt; die drei Grazien
im Palast Chigi ; die Darstellungen aus der römischen Ge-
schichte in den Sälen des Conservatoren-Palastes auf dem
C'apitol (Einfluss des Sodoma), dort auf einem Denkstein,
um die romische Unwissenheit in der Kunstkenntniss zu
verewigen, dem B. Bonfigli von Perugia zugeschrieben;
die Fresken in der ersten Kapelle links in S. Maria della
Pace, worin die Art und Weise des Sodoma am deutlich-
sten zu Tage tritt, sowol in der Farbenharmonie und in den
Gesichtstypen, als auch selbst in dem dem Sodoma eigen-
thümlichen geschlängelten Gefälte. Unter seine Staffelei-
bildcr der Pintoricchio'schen Epoche rechne ich ebenfalls
zwei Breitbilder im Madrider Museum (Nr. 573 und 574),
von denen das eine den Raub der Sabinnerinnen \ das an-
» Director W. Bode (II, 733, 1884) gibt, wie schon bemerkt,
mit Unrecht das Bild im Palast Chigi, den Raub der Sabinerinnen
Die Toscaner: Baldassare Peruzzi. 171
dere die Enthaltsamkeit des Scipio Africanus darstellt, (f)
Zu den Werken seiner zweiten oder Sodoma'schen Periode
scheinen mir unter andern, ausser dem oben angeführten
Frescobild in S. Maria della Pace, auch die zwei ganz
vorzuglichen Federzeichnungen im Louvre zu gehören:
Triumph deö Vespasianus, Nr. 437 im Reisetaschen Kata-
log, Braun 363 *, und eine andere Episode aus der römi-
schen Geschichte (Fächer, im X. Saal), unter dem Namen
des Sodoma aufgestellt (Katalog Tauzia Nr. 1967). (f)
In den Deckengemälden der Farnesina, 1511 vollendet,
ist Peruzzi sehr antikisirend. Man wird beim Anblick
jener weiblichen Gestalten unwillkürlich an griechische
oder romische Gemmen erinnert. Unter dem Einfluss des
Raftaerschen Genius aber scheint diese dem Bade ent-
steigende Venus entstanden zu sein. Das anmuthige
Weib, wahrscheinlich nach der Natur gezeichnet, sitzt
unbekleidet auf einem Stein; ein hellblau schillerndes
Tuch fällt ihr vom rechten Arm herab, ursprünglich
nur die Hüfte erreichend. Das verletzte Schamgefühl
darstellend, dem Peruzzi, es gehört dem Sodoma an; in jenem
Palast befindet sich indessen, wie eben bemerkt, ein Frescobild
von Peruzzi. Auch J. C. Robinson in seinem Katalog der Malcolm -
Sammlung in London verwechselt in einer Zeichnung (Nr. 31G),
auf welcher Sibyllen dargestellt sind, den Peruzzi mit Sodoma. (f)
( Descriptive Catalogtu of Drawinga etc.^ hy J. C. Bobinson, p. 113.)
* Herr Reiset weiss nicht, ob er diese Zeichnung dem Francia
oder dem L. Costa oder aber dem Pellegrino da S. Daniele zu-
schreiben soll. Passavant gibt sie mit grösserer Sachkenntniss
dem Sodoma. Andererseits wird dieser letztere in einer guten
getuschten Zeichnung zu einer Deckendecoration in den Uffizieu,
Nr. 1644, den Sturz des Phaeton darstellend, mit Peruzzi ver-
wechselt. Auf diese treffliche Zeichnung des Sodoma wurde ich
zuerst durch Herrn Dr. Frizzoni aufmerksam gemacht. Den Pe-
ruzzi erkennt man leicht an der übergrossen L&nge seiner Beine,
einem Fehler, den er von seinem ersten Lehrer Pintoricchio
erbte, welcher letrtere teineneits ihn von Fiorenzo di Lorenzo
überkommen hatte.
172 I^ie Galerie Borghese.
irgendeines spätem Besitzers dieser ganz im classischen
Geist des römischen Hofes zur Zeit Leo's X. gedachten
Venus Hess jedoch durch einen willigen Restaurator das
Tüchlein um einige Spannen verlängern und verdeckte
damit, im Interesse der Moral, auch die linke Hüfte. ^
RAFFAEL SANZIO.
Baldassare Peruzzi fiihrt uns zu Raffael Sanzio, von
dem das berühmteste Werk aus seiner florentinischen
Epoche in diesem zweiten Saal aufgestellt ist, ich meine
die weltbekannte „Grablegung" vom Jahre 1507. Raffael
führte den Carton zu diesem seinem ersten dramatischen
Bild wahrscheinlich in Florenz aus und zwar nach viel-
fachen sehr mühsamen und gewissenhaften Studien. Das
Bild selbst, von Atalanta Baglioni aus Perugia wahr-
scheinlich schon im Jahre 1503 bestellt, muss er im
Sommer 1507 mit Beihülfe einiger Gehülfen in Perugia
vollendet haben. Dass Raffael schon damals Gehülfen
hatte, ersehen wir, so scheint es mir, nicht nur aus dem
Gemälde selbst, sondern auch aus mehrern Federzeich-
nungen zu dieser Grablegung, Zeichnungen, die aller-
dings von seiner eigenen Hand mit dem Silberstift ent-
worfen, von seinen Gehülfen aber, zur Sicherung der
Zeichnung, mit der Feder übergangen wurden. Dies
können wir deutlich erkennen, unter vielen andern, auch
an der grossen „Grablegung" oder „Beweinung Christi"
in der „Salle aux boites" des Louvre, ferner in der qua-
dratirten Zeichnung in den Uffizien und in mancher
andern Federzeichnung mit demselben Gegenstand in
den Sammlungen von Oxford, des Britischen Museums,
des Herrn John Malcolm ^ in London, des Herzogs
^ In der Gemäldesammlung des Seminario Vescovile in Ve-
nedig schreibt man ein Bild mit der Penelope des Beccafumi
von Siena dem B. Peruzzi zu. (f)
* Die aus der Sammlung Antaldi zuletzt in die Sammlung
des HeiTu John Malcolm gelangte Skeletzeichnung (Nr. 179 im
1^
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5§
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Die Toscaner: Raffael Sauzio. 173
von Aumale, der „Albertina" in Wien und anderwärts
mehr. ^
Wie gesagt, auch mir fallt in diesem „akademischen"
Gemälde gar manches auf, worin ich die Hand sowol
als auch das feine Liniengefuhl I{aft*aers durchaus ver-
misse, sodass ich nicht umhin kann, dem Urtheil Ku-
mohr's beizustimmen, welcher in der Ausfuhrung dieses
mit zu grossem Studium zusammencomponirten Bildes
eine fremde Hand gewahr ward. Sei jedoch dem wie
ihm wolle, gewiss ist es, dass diese „Grablegung" nicht
nur mich, sondern auch manch andern Kunstfreund
stets viel kälter lassen wollte, als viele andere gleich-
zeitige Werke RaffaeFs. Dieses Bild, vom Papst Paul V.
(Borghese) im Jahre 1607 von den Franciskanern in
Perugia erworben, gehört zu den ältesten Bildern dieser
Sanunlung. Winckelmann betrachtete es als eins der
vollkommensten Werke des Ürbinaten und hebt nament-
lich die Kraft und Wahrheit der Bewegungen und des
Ausdrucks und das Dramatische der Composition her-
vor. Die Kälte, die für mich und manchen meiner Be-
kannten aus diesem sogenannten classischen Werke
herausweht, rührt vielleicht gerade von dem allzu grossen
Studium her, das der junge Künstler an die Compo-
sition dieses Bildes gewendet hat. Auch in andern
Werken liaffaePs, die aus dieser Epoche stammen, wie
Robimon'schen Katalog) scheint mir nichts anderes als eine der
Fälschungen za sein, an denen die Antaldi- Sammlung so reich
war (t); die andere sogenannte Raffaelzeichnung, Kr. 14, zu diesem
Bilde, ebendaselbst, dürfte blos Copie sein. Man vergleiche da-
gegen, mit all den soeben citirten Zeichnungen und Skizzen
KafTaers zu diesem seinem Bilde, die herrliche Federzeichnung,
die der bekannte Kunstfreund und Sammler Herr Edward Habich
aus Cassel aus der Klinkosch^sohen Sammlung in Wien
werben das Glück hatte.
* Siehe darüber den mit Saohkenntniss verfassten AufsaU
des Herrn Doctor W. Koopmann in von Lützow^s „Zeitschrift
für bildende Kunst".
174 Die Galerie Borghese.
z. B. in der sogenannten Madonna di casa Colonna im
Berliner Museum und in der der Casa Niccolini bei
Lord Cowper in Panshanger, haben feinere Kenner die
Hand von Gehiilfen zu entdecken geglaubt, und wie
ich meine mit vollem Recht.
In diesem Zimmer, und zwar neuerdings nahe am
Fenster aufgestellt, befindet sich ein anderes Eafftieli-
sches Werk, falls ich mich nicht sehr täusche. Dasselbe
führt die Nr. 53 und trug früher den Namen Hol-
bein, wurde aber vom neuen Director nach meiner Be-
stimmung, freilich nur dubitativ, dem Sanzio zuge-
schrieben. Das Bild stellt einen Mann mit langen
braunschwarzen Haaren vor, der ein angehender Fünf-
ziger zu sein scheint; er hat ein schwarzes Baret auf
dem Kopfe und trägt ein schwarzes Kleid mit Pelz-
werk. Das Kleid scheint blos untermalt zu sein. Die
Züge des Mannes erinnern an die des Pintoricchio auf
dem Wandgemälde der sienesischen Dombibliothek. Es
gehört allerdings ein gewisser Muth oder wenn man
lieber will eine ungewöhnliche Dreistigkeit dazu, in
einer der besuchtesten Bildersammlungen der Welt heut-
zutage noch ein unbekannt gebliebenes Werk RaffaeFs
entdecken zu wollen, und doch stehe ich nicht an, oö'en
zu erklären, dass mir dieses Bild gleich beim ersten An-
blick den Eindruck einer RafiaePschen Arbeit aus seiner
Frühzeit, etwa um 1502, machte. Ich kann daher nicht
mit dem verstorbenen Mündler dieses Porträt für ein
Selbstporträt des Pietro Perugino halten. Die Haar-
masse ist durchaus mit Raffaelischem Gefühl, mit seiner
ihm eigenthümlichen Grazie geordnet, die Augen haben
eine Lebendigkeit, einen Glanz, den wir in den Köpfen
des Perugino meistens vermissen, auch sind Nase und
Mund schärfer modellirt, als dies in den Bildnissen Pie-
tro's der Fall zu sein pflegt. Und dazu noch diese dem
Urbinaten ganz eigene Leuchtkraft des Incarnats. Ich
bitte meine Freunde, dieses Porträt mit dem einen oder
Die Toscaner: Perino del Vaga. 175
andern Apostelkopf auf der „Krönung Maria*' K^ifiaePs
in der vaticanischen Pinakothek zu vergleichen, (f)
Das Bild hat übrigens gelitten, die Oberhaut des-
selben ist verrieben. Die Stellung der Mütze wurde
vom Meister selbst geändert, wie dies noch deutlich
wahrzunehmen ist. Ueberhaupt scheint dies Bildniss
nicht ganz vollendet zu sein.*
Ueber das kleine Bildniss eines Knaben, das am
Fenster des ersten Saales, unter Nr. 35, aufgestellt ist
und im Katalog ebenfalls fiir Arbeit, ja als Selbstpor-
trat (!) Kafi'aers ausgegeben wird, ist wenig zu sagen,
so sehr ist dasselbe durch Uebermalung entstellt. Die
Herren Crowe und Cavalcaselle sehen es als die Arbeit
etwa des Ridolfo del Ghirlandaio an. Sollte ich einen
Namen für dieses ganz unbedeutende Machwerk vor-
schlagen, so würde es der des Domenico Alfani
sein, (t) Man vergleiche in diesem Betracht dies Bildniss
mit dem „Präsepium*** des Domenico, Nr. 24 in der
Communal-Galerie von Perugia.
PEKING DEL VAGA.
KaÖ'ael fuhrt uns jedoch zu einem andern seiner Zeit-
genossen und Nachahmer, welcher eine ganz andere
Bedeutung in der Kunstgeschichte hat als Donienico
Alfani, ich meine Perino del Vaga. Wie Giulio
Romano bald nach Itafi'aers Tod, so verwilderte, eben-
fiüls/TOQ Michelangelo verleitet, auch Perino.^ Wer
* Unter den neuem RafTaelisten sind, soviel ich weiss, nur
der verstorbene Maroo Minghetti und Prof. Karl von Lützow
meiner Ansicht beigetreten. Die berliner Raffaelkenuer fahren
iedocb zu meinem Leidwesen noch immer fort dagegen zu pro-
testiren, und mit ihnen protestirt auch Professor M. Müntz.
' Einen beweis davon liefern uns seine Wandmalereien im
Doria-Palast zu Genua. In einer ,,Anbetung der Hirten'' bei Lord
Dudley in London erkennt man anderenoits auch Einflüsse des
Venetianers 0. A. Pordenone auf Perino. Jenes Bild ist mit
dem Kamen und der Jahreszahl 1684 bezeichnet.
176 I^i« Galerie Borghese.
diesen höchst talentvollen, echt florentinischen Künstler
besser kennen zu lernen wünscht, der muss die Werke
seiner frühen Jugend aufsuchen, zumal diejenigen, die
er unter dem unmittelbaren Einfluss seines Lehrers und
vaterlichen Freundes Uaft'ael ausführte. Diese seine
Werke aus der Frühzeit bestehen sammt und sonders
aus Zeichnungen und aus den Wandgemälden im Va-
tican und gehen, wie ich darzuthun mich bemühen
werde, fast alle unter dem Namen des Urbinaten. Und
da die Biographen dieses letztern unsern Perino nur in
den Werken aus seiner zweiten römischen Epoche zu
beurtheilen gewohnt sind, so möge es mir erlaubt sein, bei
der hier sich bietenden Gelegenheit, diesem so interes-
Siinten frühreifen Künstler nachzugehen, die Werke aus
seiner Jugend, etwa vom Jahre 1514 bis zum Jahre 1527,
aufzusuchen und sie den Kunstfreunden vorzustellen.
So sehr nun alle selbständige, mit Liebe und Ausdauer
gepflogene Forschung, die uns zu überraschenden Re-
sultaten und, wie uns vorkommt, der Wahrheit näher
bringt, in der stillen Einsamkeit des Studirzimmers
unsern Geist erfreut und ermuntert, so schwer fällt es
uns andererseits, Thatsachen vor die Oeffentlichkeit zu
bringen, die gar manchen unter unsern hochgefeierten
Brüdern inRaffaello höchst unangenehm berühren müssen.
Und dies ist leider auch hier der Fall mit Perino del
Vaga, von dem ich im ersten Saal dieser Borghese-
Galerie ein Werk aus dessen erster römischer Epoche
entdeckt zu haben glaube, (f ) Das Bild führt die Nr. 40
und wird mit Recht im Katalog als aus der Schule
liaffaers bezeichnet. Es stellt das „Praesepium" dar.
Joseph stützt mit beiden Händen das auf dem Boden
liegende nackte Christkind, dem die Jungfrau den kleinen
Johannes vorstellt. Eine gute aquarellirte Zeichnung
dazu befindet sich in der Albertina und wurde von
Braun unter dem Namen des Luca Penni und der
Nr. 53 photographirt. (f)
Die Toscaner: Perino del Yaga. 177
Perino del Vaga ward um 1500 in Florenz ge-
boren und starb in Rom im Jahre 1547. Die Werke
seiner ersten romischen Epoche, d. h. von 1513 unge-
fähr bis 1527 sind kaum bekannt, da seine Biographen
nur seine Arbeiten in Genua und die aus seiner zweiten
romischen Epoche (1535 — 1547) in Betrachtung zu
ziehen und den Künstler nach derselben zu beurtheilen
gewohnt sind. Das gleiche Los traf ja auch den Hol-
länder Frans Hals, dessen Gemälde aus der Frühzeit,
d. h. bis zum Jahre 1616, bisher unbekannt geblieben
sind und höchst wahrscheinlich unter andern Namen
gehen. Vasari, der den Perino persönlich wohl kannte
und als Kfmstler schätzte, lässt ihn luigefahr in seinem
elften Jahr in die Werkstatt des Ridolfo del Ghirlan-
daio eintreten und sich dort vornehmlich im Zeichnen
üben, in welcher Kunst er alle andern Mitschüler weit
übertraf*, sodass der florentiner Maler Vaga, der gerade
einen tüchtigen Zeichner für die Wandgemälde brauchte,
welche er in Toscanella auszuführen hatte, den jungen
Perino zu seinem Gehülfen dahin mit sich nahm. Nach-
dem nun Vaga mit der Beihülfe des Perino dort seine
Arbeit erledigt hatte, führte er den strebsamen, wiss-
begierigen Jüngling nach Rom, wo derselbe mit un-
verwüstlichem Fleiss und unter den grossten Entbeh-
rungen Tag und Nacht, wie Vasari sagt, seinen Kunst-
studien oblag. Ferner erzählt uns der Aretiner, dass,
während Perino die Decke des Michelangelo in der
Sixtinischen Kapelle copirte, seine Naclibildungen und
Studien mehr die Art und Weise Raffael's, als die des
Buonarotti verriethen {^^seguitava piü gli andari e la
maniera di Raffaello che non quella del Buonarofti^^).
Und so geschah es denn, fügt der Ilistoriograpli hinzu,
dass Perino als der beste und anmuthigste Zeichner von
* it^ f^ A^ ^^^^^ * giovani suoi pari riieniUo il miglior di-
segnatore di quanti itudiaasero con tut nella bottega di RidoJfo.^'
hu»MOtitrr. 12
178 I^ie Galerie Borgliese.
Rom augeseben ward („?7 piü hello e miglior clisegnatore
che ci fo88€^'-). Mit Giulio Romano und namentlich mit
seinem Landsmann Francesco Penni, il Fattore genannt,
scheint Perino schon früh in ein freundschaftliches Ver-
hältniss getreten zu sein, und der eine oder der andere
von ihnen mag ihm, wie es damals unter den jungen
lernbegierigen Künstlern Sitte war, Skizzen und Zeich-
nungen ihres eigenen Vorbildes und Lehrers Raff'ael
zum Copiren verschafi't haben. ^
Mehrere solcher Copien Perino's nach RaffaePschen
Skizzen sind nun, meiner üeberzeugung nach, uns noch
erhalten geblieben und wir werden sie später hier an-
geben. Dieselben sind wie fast alle Zeichnungen Perino's
aquarellirt und erinnern in der Technik an den Rosso
Fiorentino, in dessen Gesellschaft Perino mit vielen
andern florentiner Künstlern die nackten Figuren des
berühmten Cartons (zur sogenannten Schlacht von Pisa)
des Michelangelo . studirt und nachgezeichnet und sich
unter allen seinen Mitschülern, wie der Aretiner be-
merkt, ausgezeichnet hatte. Es verging daher nicht
lange Zeit, dass der junge Florentiner seiner treflPlichen,
geistvollen Zeichnungen halber unter den Künstlern
Roms so bekannt wurde, dass Rafiael den etwa vierzehn-
^ Vasari erzählt uns im „Leben des Garofolo", den er eben-
falls persönlich kannte, Folgendes : „Benvenuto, in seinem 19. Jahre
in Rom angelangt (1499), trat dort in Verbindung mit dem flo-
rentiner Maler Giovanni Baldini, welcher viele schöne Hand-
zeichnungen verschiedener ausgezeichneter Meister besass. An
diesen Zeichnungen, die ihm Baldini lieh, trachtete nun Garofolo
sein Auge zu bilden und, indem er sie nachts copirte, seine
Hand zu üben" (Vasari XI, 223) — und im „Leben des Cristo-
fano Gherardi" (XI, 2): „capitb al Borgo il Eosso, col quäle avendo
il Gherardi fatto amicizia, ed avuto de' suoi disegni, studio
sopra quelli con molta diligenza^' etc. — Siehe auch im „Leben
des Michelangelo" (XII, 159): „amando il Granacci Michelangelo
e vedutolo violto atto al disegno, lo serviva giornalmente de'
disegni del Grillandaio^'- etc.
Die Toscaner: Perino del Vaga. 179
jährigen Wunderknaben kennen zu lernen wünschte und,
als er dessen Zeichnungen und Studien gesehen, ihn dem
Giovanni da Udine, welchem eben die Direction der Ma-
lereien und Verzierungen der Loggien anvertraut worden
war, empfahl und diesem auftrug, dem jungen, so viel-
versprechenden Perino unter seiner Leitung Arbeit zu
verschaffen. Vasari (X, 88) citirt uns auch folgende W and-
Mldor in den Loggien, die Perino del Vaga nach Skizzen
Katlaers auszufuhren beauftragt wurde*: Die Hebräer
ziehen mit der Arche über den Jordan; der Stunn auf
Jericho; der Kampf Josua^s; Josua hält die Sonne in
ihrem Laufe auf; die Geburt und die Taufe Christi;
das Abendmahl und viele andere noch. (Alle diese
Wandgemälde, und zumal das „Abendmahl", sind so
stark übermalt, dass sie blos noch als Compositionen
geniessbar sind.) Sodann berichtet uns Vasari, dass
die allegorischen Sockelbilder in der Stanza d' Eliodoro
ebenfalls dem Perino angehören.^ Und als später Papst
Paul IIL den Kamin aus der „Camera del fuoco"
(d. h. Ileliodor's, nicht zu verwechseln mit der „Camera
deir Incendio di Borgo" oder auch „Torre Borgia")
in die der Segnatura versetzen und hier das von Fra
Giovanni da Verona gearbeitete Holzgeländer wegneh-
men Hess, bekam Perino del Vaga den Auftrag, auch
die allegorischen Sockelbilder unter den Wandgemäl-
* Der Aretiner führt folgende Maler an, die in den Loggien
nach Skizzen Raffael's gearbeitet hätten: Giulio Romano, Penni,
Pellegrino da Modena (?), Bagnacavallo (?), Vinoenzo da S. Gimig-
nano, Polidoro dm Caravaggio (?) und Perino del Vaga. Titti fügte
im Jahre 1674 den Obengenannten noch den Gaudenzio Ferrari
hinzu, und Taja im Jahre 1754 wollte, dass auch Raffaele del
Colle an jenen Malereien theilgenommen hätte.
* Siebe die aquarellirte Skizze zu einem dieser Sockelbilder
„Die Argonautonfabrt'* im Werke des Herrn Dr. Gustavo Frizzoni :
(Quaranta ditegni scelti dalla Baccotta <kl Senatore G. MortUi
(.Milane 1886).
12*
180 I^ie Galerie Borghese.
den RaffaePs, gleich denen in der Stanza d'Eliodoro^
mit bronzefarbenen Geschichten zu verzieren. Vergleicht
man nun diese letzteren, während Perino's zweiten rö-
mischen Aufenthalts ausgeführten Arbeiten mit denen
im angrenzenden Zimmer, die er unter dem unmittel-
baren Einfluss seines Lehrers Raffiiel anfertigte, so ge-
wahrt man, scheint mir, wie die Schule des ürbi-
naten wenige Jahre nach des Meisters Tode ihrem Ver-
fall entgegenging. Auch meinem Gefühl nach hat
Vasari vollkommen recht, wenn er (a. a. O., S. 156) be-
hauptet, dass, wenngleich Giulio Romano und Francesco
Penni den Namen von Schülern Ratfaers führten und
auch die Erben von Raffael's Skizzen und Zeichnungen
wurden, dieselben doch nicht die Kunst und die An-
muth {V arte e la grazia) miterbten, die Perino seinen
Figuren zu verleihen wusste. Gewiss ist es allerdings,
dass die Technik Giulio's und auch die des Fattore
sDwol in den Zeichnungen wie auch in den Malereien
der Technik ihres Lehrers sehr nahe kommt, ja so nahe,
dass nicht nur gar manches Bild Giulio's, sondern auch
sehr viele Zeichnungen, welche beide nach Skizzen des
Meisters ausführten, noch immerfort dem Urbinaten
selbst zugemuthet werden^; allein den Geist und die
^ Man gestatte mir einige wenige dieser Bilder und Zeich-
nungen des Giulio Romano als Beispiele hier anzuführen:
Bilder.
1. Die „Vision Ezechiel's" im Palast Pitti zu Florenz.
2. Die „Fornarina" in der Galerie Barberini in Rom.
3. Die „Madonna del divino amore" im Museum von Neapel.
4. Die „Madonna della Perla" im Museum von Madrid.
5. Das Bild genannt „Lo spasimo di Sicilia" im Museum von
Madrid.
6. Die „Madonna della Rosa" im Museum von Madrid.
7. Die „Madonna di Francesco I." im Louvre zu Paris.
8. Der grosse „heilige Michael" ebendaselbst.
Zeichnungen,
welche allgemein Raflfael zugeschrieben sind, die mir jedoch als
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IN DKR rAK^BSIKA,
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Die Toscaner: Perino del Vaga. 181
Grazie Raflaers Laben, meiner Ansicht nach, weder Giulio
Romano noch Francesco Penni, noch irgendein anderer
von der Hand des GiulioRomano nach Skizzen des Meisters
ausgeführt erscheinen:
a) Za den Fresken in der Farnes ina:
In der Sammlung von Köln befindet sich ein höchst interes-
santer von Raffael mit der Feder leicht hingeworfener Entwurf
(den wir hier reproduciren) zu einer Lunette im ersten Saal der
Famesina. Diese Federskizze dürfte uns über den Antheil des
ürbinaten sowol an jenen Fresken, als auch an denen iu
der Stanza dell'Incendio di Borgo, in der Kirche della Pace u.s.f.,
Aufschluss geben. Raflfael entwarf nämlich, wie ich glaube, in
leichten Skizzen die Bilder. Diese Entwürfe des Meisters wur-
den sodann von seinen Schülern und Gehülfen an jenen Werken
in Zeichnungen ausgeführt, ehe sie auf die zum Durchpausen be-
stimmten Cartons in grössern Verhältnissen übertragen wurden.
Der Carton ward dann dem Meister zur Begutachtung unter-
«tellt, von ihm corrigirt und der Gehülfe machte sich sofort ans
Werk. So begreift man, wie Raffael, der in jener Zeit sowol als
Archäolog als auch als Baumeister der Sanct-Peterskirche in An-
spruch genommen war, in sechs Jahren eine solche Menge von
Gemälden und Zeichnungen anzufertigen im Stande war. Ya-
• ari bemerkt (VIII, 38): „weW« quali saJe del continuo teneca
(Baffael) deUe genti (d. h. Gehülfen) che con i disegni 8uoi
medesimi gli tiravano innanzi Topera (d.h. das Gemälde aus-
führten) ed egli, continuamente rivedendo ogni eosay suppUva con
tutti quegli aiuti migliori, che egU piu potevüy ad un peso cosi
fatto^^. Dies bemerkt der Aretiner bei Besprechung der Male-
reien in der Stanza dell' Incendio di Borgo; und bei Bespre-
chung der Wandgemälde der Farnesina sagt er dann wieder
(VIII, 54): „Parimenie non soddisfeciono affatto gli ignudi
(d. h. die nackten Figuren) che furono similmente (d. h. mit Hülfe
der Schüler) fatti da lui (Raffael) nella roUa del palazzo d'Ago-
siino Chigi in Trastecere (Famesina), perche mancauo di quella
grazia e dolcezza che fit propria di Baffaello, del chefü in gran
parte cagiont Vavergli fatti colorire ad altri col 8uo
disegno".
Die meisten dieser nach Raffaers Skizzen aoagpeführten Zeich-
nungen gehören, meiner Ansicht nach, dem Oiolio Romano an,
ao z. B.:
182 I^ie Galerie Borghese.
seiner vielen Schüler und Nachahmer so rein und so
frisch wiederzugeben verstanden, wie Perino del Vaga
1. „Venus und Psyche", Rötheizeichnung iniLouvre, Braun 257.
2. Die „drei Grazien", Rötheizeichnung in Windsor, Publi-
cation der Grosvenor Gallery, R. 14.
3. Nackter junger Mann, der mit beiden Händen einen Krug
hält, Rötheizeichnung. Ambrosiana, Mailand, Braun 129.
b) Zeichnungen Giulio's zu den Wandgemälden in der Stanza
dell' Incendio di Borgo im Vatican:
4. Die „Wasserträgerin", Rötheizeichnung in den Uffizien,
Braun 493. Prof. A. Springer hat zuerst an der Echt-
heit dieser sogenannten Rafifaelzeichnung gezweifelt. Die
Originalskizze zu dieser Figur, mit schwarzer Kreide
leicht auf blauem Papier hingeworfen, befindet sich in
der Sammlung Morelli in Mailand.
5. Zwei aufrechtstehende nackte Männer, Rötheizeichnung
in der Albertina, Braun 176. Die Aufschrift auf dieser
Zeichnung ist, meiner Ansicht nach, Fälschung. Die
Schriftzüge entsprechen erstens nicht denen Dürer's und
zweitens hätte der gebildete Maler aus Nürnberg schwer-
lich „Raffahel" geschrieben. Auch war ihm gewiss
bekannt, dass Raffael vom Papst Leo X. nicht weniger
geachtet wurde, als er es von seinem Vorgänger Julius II.
gewesen war. Die Hauptsache jedoch bleibt immer, dass
die Zeichnung selbst die Hand des Giulio Romano ver-
räth und nicht die RafTael's.
c) 6. Die Rötheizeichnung zum Bilde „lo spasimo di Sicilia"
(jetzt im Museum von Madrid), in den Uffizien, Braun 491.
d) 7. Die Rötheizeichnung zur sogenannten Madonna di Fran-
cesco I. (im Louvre), in den Uffizien, Braun 486.
8. Die Rötheizeichnung zum Christkind auf dem ebenge-
nannten Bilde, in den Uffizien, Braun 487.
Die drei Rötheizeichnungen zur „Transfiguration", von denen
die eine im Louvre (Braun 254), die andere in der „Albertina"
(Braun 139) , die dritte in der Ambrosiana (Braun 128) sich be-
findet, dürften vielleicht dem Francesco Penni, il Fattore
genannt, angehören. (?) Die Formen in diesen drei Zeichnungen
sind nämlich weder die des Giulio Romano und noch viel weniger
die Ra£fael's, dem sie zugeschrieben werden.
Welches, wird man mich fragen, sind denn aber die äussern
TKIIMI-M HKS SlI.K.v ^ON l-KKI-NO KKI. VACA. IN I>KK ALBEBTINA.
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■TtrmBN'BLArr rBRIXOfl KACH KXTWCRFBN KAFr\KLs ZI R IUHPfTA
IX WINMOR.OAtrUL
Die Tosoaner: Perino del Vaga. 183
in seiner ersten romischen Epoche. Und so darf es
uns nicht wundem, dass auch die Zeichnungen Perino's,
80 verschieden sie auch in den Formen und in der Tech-
nik von denen llafiaers sind, bis auf den heutigen Tag
fast ausnaiimslos ebenfalls dem Urbinaten selbst zuge-
niuthet werden, was ein fernerer Beweis ist, wie ober-
flächlich bisher die italienischen Kunstwerke angesehen
wurden.
Kommen wir jedoch zur Sache und betrachten wir
uns vor allem einige jener Zeichnungen aus der Mittel-
zeit Perino's, die als solche in den öffentlichen' Samm-
lungen anerkannt sind, und trachten wir das Charakteri-
stische in denselben festzustellen. In der Albertina:
Triumph des Silen, Braun 25; im Louvre (Salle aux
boites), Triumph des Bacchus, Braun 70. Diese zwei
trefflichen Blätter gehören beide beiläufig in dieselbe
Wirkungszeit des Meisters und sind, wie auch Herr
Reiset in seinem Katalog angibt, mit der Feder Muf
charakteristischen Merkmale, an denen man die Zeichnungen
Giuiio's von denen Raffael's erkennen kann?
Die jedem Auge sichtbaren sind unter andern folgende:
' a) Das Ohr ist bei ihm nie so fleischig und so rund wie bei
Raffael.
b) Die Oberlippe ist stets wulstig, wie angeschwollen.
c) Die Knochen des Ellenbogens und des Kniegelenkes sind
bei ihm stets überaus accentuirt.
d) Die Form der Hand ist verschieden von der der Hand
bei Raffael.
e) Die Kanten der Falten sind schärfer als bei Raffael.
Diese charakteristischen Merkmale finden sich vornehmlich
auf den Zeichnungen seiner römischen Periode. Man stndire
diesen Meister in seinem Madonnenbilde in der Kirche von S.
Maria deir Anima in Rom; in der „Madonna della Gatta** im
Museum von Neapel; in der „Co nstantins- Schlacht** im Vatican;
in seiner ihm richtig zugeschriebenen, fleissig ausgeführten Zeich-
nung in Chatsworth (Braun 66) zu seinem Bilde im Louvre (die
..Vorstellung im Tempel **, Nr. 309), welches dort den falschen
Namen des Bagnacavallo führt, (f)
184 I^ie Galerie Borghese.
graulich gruudirtem Papier gezeichnet, mit dem Bister
schattirt und weiss gehöht. Die Köpfe haben alle einen
iiboraus starken Schädel im Verhältniss zum Gesicht,
sodiiss sie ein Dreieck bilden, mehrere der Figuren im
Hintergrunde fallen uns durch das zu lange Oval ihres
Kopfes in die Augen; die Arme iiberaus lang und zu
fleischig, besonders der Oberarm am Schulteransatz;
der Zeigefinger oft hackenartig gebogen; die Augen^
höhle so tief beschattet, dass man das Auge darin kaum
gewahrt. Die nämlichen charakteristischen Merkmale
finden wir auch in einer andern Zeichnung im Louvre,
Braun 275, die sowol Herr Reiset in seinem Katalog
als der verstorbene Passavant (H, 180 und 465) dem
Rafiael zuschreiben, während sie schon von Vasari (X,
154) als eine Zeichnung des Perino, die er zum Bilde
für den Kaplan der Kirche von S. Lorenzo in Florenz
im Jahre 1522 anfertigte , angeführt wird. Dieselbe
stellt den Untergang Pharao's vor und Moses, der
durchs Rothe Meer zieht, (f ) Niemand wird hofi'entlich in
Abrede stellen, dass derselbe Künstler, welcher die zwei
ersten der drei ebengenannten Zeichnungen ausführte,
auch der Urheber der letztgenannten sein müsse.
Von diesen drei Zeichnungen des Perino kehren wir
nun zu jenen Zeichnungen und Skizzen zurück, die der
Florentiner in seinen frühern Jahren in Rom machte.
Unter diesen scheinen mir die friihesten zwei Blätter
zu sein, von denen das eine im ersten Bande der Rafiael-
zeichnungen in Windsor, das andere in der Sammlung
der University Galleries (Nr. 60, Robinson) in Oxford
sich befindet, (f ) Beide Blätter enthalten Skizzen und Stu-
dien zur „Disputa del Sacramento" und dürften, meiner
Ansicht nach, wahrscheinlich Nachbildungen sein, die
der junge Perino zur eigenen Belehrung, sei es nach
dem Wandgemälde selbst, sei es nach ihm geliehenen
Skizzen Raffiaers, gefertigt haben könnte. Ueber die
Zeichnung inWindsor-Castle ist selbst Passavant (II, 491)
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Die Toscaner: Perino del Vaga. 185
nicht recht im klaren, ob er sie Kaffael lassen oder
ihm nehmen solle, wahrend die Zeichnung in Oxford
sowol ihm als andern Kaflaelisten als echtes Werk des
Urbinaten erschien. Nun bitte ich meine Freunde z. B.
die rechte Hand der äussersten Figiu* links auf dem
Windsorblatt mit der linken Hand des äussersten obern
Weibes rechts auf dem Blatt der Albertina, Braun 25,
vergleichen zu wollen, und sie werden hoflfentlich schon
daran erkennen, dass beide Blätter demselben Meister
angehören, dass sie ausserdem vom nämlichen Geist be-
seelt sind und die nämliche Technik an den Tag legen.
Betrachten wir nun einige andere Blätter, die eben-
falls dem Urbinaten zugeschrieben werden, die jedoch
denselben Geist und dieselbe Technik aufweisen und
die folglich nach meiner Ansicht dem Perino angehören.
Unstreitig sind dieselben nach Skizzen Kaftaers aus-
geführt und durften vielleicht von Perino auch auf die
Wand in den sogenannten Loggien KaffaePs gemalt
worden sein.
In der Albertina: Abraham kniend vor den drei
Engeln, (f) Passavant (II, 176) gibt, der Tradition fol-
gend, das Gemälde dem F. Penni, die Zeichnung aber
Kafiael (II, 430).
Ebendaselbjsi; Jakob und Kahel. (f) Pa8>a\..iii
(II, 177) lässt das Gemälde von Pellegrino da Modena
ausgeführt sein, schreibt aber die Zeichnung eben-
falls llaffael zu (II, 430).
Ebendaselbst: Joseph seinen Brüdern den Traum
deutend, (f) Passavant (II, 178) weiss nicht, wem die
Ausführung dieses Bildes angehört, gibt jedoch die
Zeichnung dem Urbinaten (II, 430).
Im Louvrc: Gottvater übergibt dem Moses die
Gesetzestafeln, (f) (Pnssavnnf TT. 4nr> mul TT. 180,
Braun 270.)
Ebendaselbst: Die Apostel Petrus uiul l'aulus dem
Attila ersjcluMncnd. (+) (Stan/a (riCllddoro.^ TPassavant
186 Die Galerie Borghese.
II, 470, Braun 235.) Bereits im Jahre 1530 galt dieses
Blatt in Venedig als von der Hand RaffaePs, wie uns
der Anonymus des Morelli berichtet, was uns wieder
einen Beweis liefert, wie wenig der Tradition zu trauen ist.
Ebendaselbst: Die „Calunnia d'Apelle". (f)
(Passavant II, 469.)
Ebendaselbst: Die Schlacht Constantin's.
(Passavant II, 470, Braun 236.)
In der Sammlung der Uffizien werden vier Zeich-
nungen Perino's dem Urbinaten zugeschrieben : die An-
betung des goldenen Kalbes (Passavant II, 180), Rahmen
138, Nr. 510; der sogenannte Morbetto^ (Br.484), eine
Zeichnung, deren Erfindung nach meiner Ansicht durch-
aus dem Perino angehört und die er wahrscheinlich in
den zwanziger Jahren, nach dem Tode seines Meisters
Raffael, dem Marcanton zu dessen Stich geliefert haben
dürfte. Denn damals scheint Perino derjenige Künstler
gewesen zu sein, an den sich die Kupferstecher mit Vor-
liebe um Vorbilder wandten. ^ (•)•) So stach Caraglio oder
Bonasone das Blatt, die Hochzeit Alexander's des Grossen
mit der Roxane darstellend, nach einer Zeichnung, die
Perino ihm, nicht nach dem bekannten Wand-
gemälde des Sodoma in der Farnesina, sondern
nach der Rötheizeichnung (jetzt in der Albertina),
welche damals noch in Rom, ja vielleicht sogar selbst im
^ Die zwei andern Zeichnungen sind: Nr. 509 (Rahmen 138)
und Nr. 536 (Rahmen 152) ; eine fünfte Zeichnung aus derselben
ersten Epoche des Künstlers ist ihm richtig zugeschrieben und
trägt die Nr. 533 (Rahmen 150).
^ Ein geistreicher RafFaelist aus Berlin bemerkt zu diesem
Blatt: „Ich sehe das Blatt nie ohne eine Art Schauder an, aber
die Idealität der Auffassung erhebt mich über das Gefühl; man
fühlt, der Künstler stand über dem allen" (H. Grimm, Zehn aus-
gewählte Essays, S. 101). Würde dieses Blatt denselben Eindruck
auf den phantasiereichen Mann gemacht haben, hätte er ge-
wusst, dass es nicht von Raffael herrührt?
Die Toscaner: Perino del Vaga. 187
Besitze Perino's war. Von der O riginalzeichnung des Perino
zum Stiche des Caraglio sind uns leider nur noch zwei
schwache Copien erhalten geblieben, von denen die
bessere im Louvre, die andere in der Sammlung von
Windsor sich befindet (f) (siehe Braun Nr. 144—178).
Auch die Devonshire-Sammlung in Chats-
wort h besitzt mehrere schone und charakteristische
Zeichnungen unter dem richtigen Namen des Perino
(Nr. 12, 17, 21, Braun), dann aber auch einige andere,
die ihm ebenfalls angehören, allein dort den Namen
Kafiael's fuhren, so z. B. das Blatt mit der Auferstehung
des Lazarus, jenes mit Constantin's Ansprache an seine
Krieger (für den Constimtins-Saal im Vatican); ein
drittes mit einem bekränzten Fiirsten auf dem Thron,
vor dem zwei junge Männer flehen, rechts vier, links fünf
andere Figuren, (f) In derselben Sammlung schreibt
man dagegen ein interessantes Blatt aus der Friihzeit
des Giambellino (vier Figuren von Heiligen) dem Perino
zu und ein anderes Blatt desselben mit der heiligen
Familie, der Elisabeth und Joachim sogar dem Lionardo
da Vinci, (f)
Um aber meine Leser nicht allzusehr mit solchen
Aufzählungen zu ermüden, erlaube man mir zum Schluss
nur noch ein paar Federzeichnungen Perino's an-
zuführen, die ebenfalls unter dem Namen Raft'aers gehen:
die eine ist das bekannte Blatt in Dresden mit dem
Neptunszug, das, wie Passavant (II, 450) meint, Rafi'ael
dem Agostino Chigi zur Verzierung eines silbernen oder
bronzenen Tellers anfertigte. Die andere Zeichnung
befindet sich in der Oxford-Sammlung (Katalog Robin-
son Nr. 76) und stellt die Anbetung der Hirten dar
(Passavant II, 512, c. c); endlich befindet sich eine Feder-
zeichnung Perino's in Oxford in der Sammlung der
Tailor Institution. Diese stellt einen Zug von Tritonen
und Nymphen vor. (f) Weder Herr Robinson (Katalog
Nr. 83) noch Passavant haben dieses Blatt dem Ur-
188 I^ie Galerie Borghese.
binaten selbst zuschreiben wollen. Der letztere Raffue-
list (Passavant II, 507, Nr. 523) nimmt an, diese Zeich-
nung sei von Francesco Penni ausgeführt.
Kach diesen wonigen Fingerzeigen mögen meine
wissbegierigen Freunde in den verschiedenen Samm-
lungen Europas die vielen Blätter selbst herausfinden,
welche unsenn Perino angehören, die aber bisher ge-
wohnlich unter dem Namen seines Vorbildes Rafiael
angeführt werden.
Ehe ich diesen liebenswürdigen florentiner Meister
verlasse, der, was natürliche Anmutli und Leichtigkeit
anbelangt, seinen altern Landesgenossen Lionardo, Fra
Bartolommeo und Andrea del Sarto an die Seite gestellt
werden darf, möchte ich hier noch ein kürzlich von
Bertolotti veröfientlichtes Document aniühren, das wol
auf unsem Perino del Vaga Bezug haben könnte. Es
ist dies ein Bericht des Pandolfo di Pico della Miran-
dola, politischen Geschäftsträgers des Herzogs von Man-
tua in Rom, an seine Herrin, die wohlbekannte Mar-
chese Isabella Gonzaga. Der Bericht ist von Rom aus,
den 29. Januar 1520 datirt, also wenige Monate vor
dem Tode Raffaers:
^^lllustrissima Madama: In Roma evvi un giocane de
20 aniii^ fiorentinOy quäle in arte de pictura^ sotto V opera
de Michelangelo^, s'^ fatto grande che ognuno che se
intende de taVarte se meraviglia che in quell a etade sia
' Vasari berichtet (X, S. 139): „E Perino disegnando in com-
pagnia d* altri giovani , e ßorentini e forestieri, al cartone di
Michelangelo, vinse e tenne il jn'imo grado fra tutti gli altri;
di nianiera che si stava in quella aspcttazione di lui, etc. etc.^^ —
und S. 141 (wie schon oben bemerkt): „Perino comincib a di-
segnare nella cappella di papa Giulio (Sixtinische Kapelle), dove
lavolta di Michelangelo Bonarotti era äipinta da lui, segui-
tando gli andari e la nianiera di Raffaello da Urbino^^ ; d. h.
er copirte die Figuren des Michelangelo in der Art und Sinnes-
weise Raffael's.
Die Toscaner: Perino del Vaga. 189
tanta sufßcientia, et perM Raphaello cognosce quanto i
per revsir, lo tiene basso in modo che^ avendo pigliato io
sua amicitia^ V ho persuaso a voler andar fuor de Roma,
per farsi conoscere; esso mi ha promesso che^ ßnite alcune
cose (che) ha nelle mam\ che sarä a Kaiende de Giugno^
che ad ogni modo vole andar fori, donde che io ho pen-
sato che (se) V, Exe, volesse far dipingere di posto (d. h.
an die Stelle, auf die Wand?), come meriterehbe quel
loco, io lo invierö et sarä cosa da pocht giorni et da
poche spese, perchh se contenterä in pocha cosa. La pro-
fessione del ditto giovane k de dipingere a fresco sopra
mtiro ovvero a tempera, non havendosi usato a colonre
a olio. Nondimeno tanto h grande el disegno, ma che
tutto farä bene pur ch^el se exerciti. Io gli facio fare
un quadro colorito a olio per mandarlo a V, Blxtia,^
acciö quello indichi V arte sua quanto ^ grande in quella
etä de 20 anni^^
Auf deutsch dürfte der Brief ungefähr so lauten:
„Erlauchteste Herrin : In Rom gibt es einen jungen
Menschen von zwanzig Jahren, einen Florentiner, der in
der Malerkunst unter dem Einfluss des Michelangelo
sich sehr henrorgethan hat, sodass jeder Kunstkenner
sich wimdert, dass er in so jungen Jahren schon zu
solcher Meisterschaft gelangt ist; und weil Raffael wol
einsieht, welche Höhe in der Kunst dieser junge Mensch
erreichen dürfte, so gibt er ihm nur unbedeutende Ar-
beiten auszuführen; und da ich nun mit demselben in
ein freundschaftliches Verhältniss getreten bin, so habe
ich ihn beredet, ausserhalb Roms sein Glück zu ver-
suchen und sich bekannt zu maclien. Auch hat er mir
versprochen, dass, sobald er die Werke die er unter
den Händen hat, vollendet haben wird, was im Juni
geschehen soll, er auf jeden Fall Rom verlassen will.
Weshalb ich gedacht, dass falls Ew. Excellenz gedenken
sollte, ein Wandgemälde, wie jener Ort es wohl ver-
diente, ausfuhren zu lassen, so würde ich ihn hinschicken
190 I^iß Galerie Borghese.
und die Sache würde wenig Zeit und auch wenig Geld
kosten, da der junge Mann mit Wenigem sich begnügen
wird. Die Profession des genannten Jünglings ist die
Wand- oder Temperamalerei, da er im Oelmalen sich
noch nicht versucht hat. Nichtsdestoweniger wird er,
da er im Zeichnen so stark ist, alles zum Besten machen,
wenn er nur vorher sich darin etwas geübt hat. Ich
lasse ihn jetzt ein Oelgemälde ausführen, um es Ew.
Excellenz zu senden, damit er darin seine Kunst an den
Tag lege und zeige, wie weit er es schon in diesem
Alter von zwanzig Jahren darin gebracht liat."^
Wer die Zeichnungen des Francesco Mazzola, Par-
meggianino genannt, aus den zwanziger Jahren des
16. Jahrhunderts genau betrachtet, wird leicht ein-
sehen, welch grossen Einfluss Perino auf den ihm geistig
verwandten Parmensen ausgeübt liat.^
Wir haben der toscanischen Malerschule zu Liebe die
Nummerfolge der Bilder im ersten Saal für eine Zeit
lang verlassen müssen und kommen nun, nach einem
vielleicht viel zu langen, allein wie ich hoffe nicht ganz
werthlosen Excurse über Perino del Vaga, wieder zur
Betrachtung der Bilder im ersten Saal dieser Galerie
zurück.
GIOVAN ANTONIO BAZZI, IL SODOMA.
Und da unter Nr. 2 des Katalogs ein Gemälde
aufgestellt ist, das jetzt richtig seinem wahren Ur-
heber, dem Sodoma, zugeschrieben ist, so wollen wir
^ Siehe Bertolotti, Artisti in relazione coi Gonzaga (1885),
S. 155.
' Und hat nicht P. J. Mariette, gewiss einer der grössern,
wenn nicht der grösste Kenner von Handzeichnuugen und Stichen
in, Frankreich, die Louvre-Copie einer getuschten Zeichnung
Perino 's für eine Zeichnung des Parmeggianino genommen?
(Abecedario, I, 89.)
Die Toscaner: Giovan Antonio Bazzi, il Sodoma. 191
mit diesem bisher kaum nach seinem vollen Verdienst
gewürdigten Meister den Anfang machen und so der
Reihe nach die lombardischen Meister besprechen, von
denen sowol in dieser wie in andern Galerien Roms und
Italiens Werke sich vorfinden. Das Bild unter Nr. 2
ist ein schwarzes, sehr nachgedunkeltes Gemälde und
stellt eine sogenannte „Pietä" oder Beweinung Christi
dar. Die heilige Jungfrau halt den Leichnam ihres
göttlichen Sohnes auf dem Schos. Bis noch vor kur-
zer Zeit wurde dieses trotz seiner Schwärze noch immer
höchst werthvolle Bild blos der Schule Lionardo's zuge-
wiesen. (Der neue Galeriedirector erkannte es jedoch,
dem in meinem Zeitschriftaufsatze gemachten Vorschlag
folgend, als echtes Werk des Sodoma an.) Dass der
Meister dieses Bildes der lombardisch- mailändischen
Malerschule und zwar jener Richtung derselben ange-
höre, die unter dem unmittelbaren Einfluss Lionardo's
wirkte, habe ich nicht nur gern zugegeben, sondern
ich stimme auch ohne Bedenken dem sachkundigen
Urtheil des Herrn Doctor G. Frizzoni bei, welcher zuerst
dieses Gemälde dem Giovan Antonio Bazzi vindicirt
hatte. Sowol die Formengebung als auch die Gesichts-
typen und der Faltenwurf, sowie ganz besonders noch
die dem Sodoma so eigenthiimliche Landschafl lassen
auch mich keinen Augenblick im Zweifel über den Autor
dieser „Pieta". Und da in den Werken aus seiner
Frühzeit, d. h. vom Jahre 1501 bis etwa zum Jahre 1512,
wie unter andern in jenem schönen Rundbild mit der
„Geburt Christi" (Nr. 85 in der städtischen Galerie von
Siena) und in der trefflichen „Kreuzabnalune^ (Nr. 336
ebendaselbst), die Schatten klar und hell sind, so dürfen
wir schon aus diesem (irunde unser Bild hier zu den
Werken aus des Meisters reifster Wirkungszeit setzen.
Nachdem nun Bazzi durch seine Tafelbilder in Siena
und namentlich durch seine geistreichen Wandgemälde
im Klosterhof von Montoliveto (1505) sich einen Namen
192 I^io Galerie Borghese.
gemacht, wurde er gegen Ende des Jahres 1507, wie
bekannt, nach Rom berufen und beauftragt, die Decke
der Camera della Segnatura, wo Bramantino arbeitete,
mit Malereien auszuschmiicken. Bartolommeo Suardi,
Bramantino genannt, war von Mailand her schon mit
Sodoma wohlbekannt und es ist daher nicht unwahr-
scheinlich, dass auch er zu Bazzi's Berufung nach Rom
beigetragen hat. Aus einem schriftlichen -Document
wissen wir, dass im Sommer 1508, als Raffael nach Roni.
kam, Sodoma noch immer im Vatican beschäftigt war.:
Und seine wahrhaft herrliche Deckendecoration der Ca-
mera della Segnatura wurde ja von Raffael so trefflich
befunden, dass er sie nicht nur, soweit es ihm eben
möglich war, stehen Hess, sondern überdies seine Ach-
tung vor dem lombardischen Meister noch dadurch be-
zeugen wollte, dass er dessen Porträt neben dem eige-
nen in der Scuola d'Atene anbrachte.^ Im Jahre 1513
war Sodoma wieder in Rom, vielleicht zur selben
Zeit als auch Lionardo, sein Lehrmeister und sein Vor-
bild, in der>JEwigen Stadt sich befand. Aller Wahr-
* Der Mann im weissen Gewand und mit der weissen Mütze
neben Raffael stellt nämlich keineswegs, wie man allgemein an-
zunehmen beliebt, den Pietro Pemgino vor, der ja in diesem
Zimmer zum Glück nichts zu schaffen hatte, sondern den Bazzi,
dem die Deckendecoration angehört , und es . freut mich , dass
diesmal sogar Herr Director Bode (II, 707, 1884) diese meine An-
sicht zu theilen scheint. Aus derselben liebevollen Rücksicht
porträtirte Raffael im folgenden Zimmer, d. h. in der sogenannten
Camera d'Eliodoro, unter die Träger des Papstes nicht, wie die
Kunsthistoriker, von Vasari an, anzugeben pflegen, den im Jahre
U)14i kaum 22jährigen Giulio Romano, sondern vielmehr, wie
ich glaube, den Balthasar Peruzzi, dem ja ein grosser Theil der
Decoration jenes Zimmers angehört und der folglich hier eben-
falls als Mitarbeiter des Urbinaten angesehen werden muss. Will
man sich davon überzeugen, so vergleiche man den Kopf des
ersten Trägers links mit dem Porträt Peruzzi's auf seiner grossen
getuschten Zeichnung (Nr. 438) in der Uffizien-Sammlung.
•M \ IN I'l.K l;"l.',lll_'l. (.Al.lJ.U:,
Die Tosoaner: Giovan Antonio Bazzi, il Sodoma. 193
scheinllclikeit nach wurde er von seinem reichen Gönner,
dem Sienesen Agostino Chigi, dahin berufen, um in
dessen neu erbautem Villino, der Farnesina, diis Ge-
mach im obem Stockwerk mit Gemälden auszuschmücken.
Doch hierüber werde ich später Gelegenheit haben,
mich weitläufiger auszusprechen; vorderhand mögen
meine jungen Freunde mir erlauben, sie vor ein anderes
Werk des Sodoma zu fuhren, das in diesem nämlichen
Saal sich vorfindet und das mir ebenfalls als ein höchst
werthvolles Bild des Meisters erscheint. Das Gemälde
trägt die Nr. 19 und wurde vordem im Katalog gleich-
wie das vorige Bild blos der Schule Lionardo's zuge-
theilt.^ Es stellt die Leda mit ihren Zwillingen und dem
Schwane dar. Die Composition dieses treft'lichen Bil-
des ist zwar im Lionardo'schen Sinn 2, allein ganz und gar
im Geiste des Sodoma erfunden, (f ) Es mag wol sein,
wenn wir dem Lomazzo {^^Trattato della pittura''^) trauen
dürfen, dass Lionardo „/ßc« Leda tutta ignuda col cigno
in (jrembo che vergognosamente abbassa gli occhi'-^^ allein
bisher ist, wenigstens mir, keine einzige Zeichnung
Lionardo'^s zu Gesicht gekommen, die auf diesen Gegen-
stand irgendeinen Bezug hätte. Baron von Rumohr
glaubt allerdings in Cassel eine Leda von Lionardo ge-
funden zu haben, und in Hannover soll sich ebenfalls
ein solches Bild des grossen Florentiners befinden. Da-
her will ich durchaus nicht die Möglichkeit bestreiten,
dass auch Lionardo ein Ledabild gemalt haben könne.
Betrachten wir nun das schöne Bild der Borghese-
' Der neue Galeriedirector stimmte auch in diesem Urtbeil
mit mir überein und gegenwärtig führt das Bild den Namen des
Sodoma.
' Lionardo sagt nämlich in seinem ^^Trattato (Ulla Pi'
(Cap. liXIV): „L« donne ai devono ßgurar con atti reryi'
le gambe imieme riatreite^ le braccia iusieme raccolte, teste basse,
t piegate in traverao.^* BIbenso J. P. Richter, „ The Literary
\rork8 of Leonardo da Vinci", I, 291, Nr. 583.
LxmMouBrF. ^3
194 I^io Galerie Borghese.
Galerie genauer. Im Vorgrunde schauen, wie es in
jener Schule Brauch war, Veilchen und Gänseblümchen
aus dem Grase hervor, ein Distelfink, eine Turteltaube,
eine Drossel sitzen ganz vertraulich unter den kleinen
Halbgottern Castor und Pollux, welche da schon ganz
heiter und frischen Muthes in die Welt hinausschauen,
obwol sie kaum dem Ei entschli'ipft zu sein scheinen.
In der Mitte des Bildes steht die unbekleidete Leda,
an die der göttliche Schwan sich inbrünstig anschmiegt.
Sie schlägt halbverschämt lächelnd die Augen nieder.
Die Bewegung ihres schönen, wohlgebauten Leibes ist
fein sinnlich und voll höchsten Reizes; sie erinnert leb-
haft an die herrliche Eva auf dem Frescobild Sodoma's
(Nr. 334), „Christus in der Vorhölle" in der städtischen
Bildersammlung von Siena. Der Schwan könnte für-
wahr nicht geistreicher dargestellt sein, sowol in seiner
leidenschaftlich zudringlichen Bewegung als in der Mo-
dellirung. Man stelle diesen wahrhaft künstlerisch auf-
gefassten und geformten Schwan mit einem realistischen
zusammen, etwa eines Hondekoeter, ja selbst mit jenem
berühmten allegorischen Schwan des Asselijn im Amster-
damer Museum, und man wird sofort erkennen, welch
tiefe Kluft die grosse italienische Kunst von der rea-
listischen der Holländer trennt. Mögen die Manen
Thore's, jenes geistvollen und der holländischen Maler-
schulen so kundigen Mannes, mir diesen harmlosen
Seitenblick vergeben! Die reiche Landschaft im Hinter-
grund dieses Bildes ist ebenfalls ganz im Geiste So-
doma's gedacht und aufgebaut ^, und ebenso erinnern
* Wer die Landschaften auf den Bildern des Sodoma mit
denen aus der Frülizeit des Cesare da Sesto und Giampietrino's
vergleicht, der wird unschwer erkennen, dass auch in dieser Hin-
sicht eine enge Verwandtschaft zwischen den drei Künstlern be-
steht. Ihr gemeinschaftlicher Lehrer soll nämlich der tüchtige
Landschaftsmaler Bernazzano, wie uns Vasari berichtet, ge-
wesen sein.
Die Toscaner: Giovan Antonio Bazzi, il Sodoma. 195
uns die kleinen Halbgotter sowol an jene der Farne-
sina, wie auch an jene, die man im freilich sehr be-
schädigten Zustande an der Decke der Camera della
Segnatura im Vatican noch sieht*
So dachte und schrieb ich über dieses Ledabild des
Sodoma vor etwa fünfzehn Jahren, und auch später, als
ich wieder vor dieser anziehenden Leda stand, fand ich
nie an meiner ersten Auflfassung etwas zu ändern. Das
Bild hing nämlich, zu meiner Entschuldigung, bis noch
vor kurzem etwas weit ab vom Fenster, sodass man es
nur im Halblicht sehen konnte. Als es nun neuerdings
durch die Galeriedirection ganz in die Nähe des Fen-
sters gestellt wurde, sah es Herr Dr. J. P. Richter, und
dieser hatte die Güte, mich sogleich aufmerksam zu machen,
dass es wol blos eine alte gute Copie des Sodoma'-
schen Originalbildes sein dürfte. Und in der That,
als ich dann auf diesen Wink des Freundes hin diese
Leda mir wieder näher besah, da fielen auch mir
* Einige nordische Kunstgelchrte behaupten noch immer
nachdrücklich, dass, wie die Roxaue-Zeichnung in der Albertina
dem Raffael und nicht, wie ich bewies, dem Sodoma angehöre,
80 auch dass die Putten an der Decke der Camera della Segna-
tura nicht dem Lombarden, sondern dem Melozzo da Forli (!)
zugeschrieben werden müssen, und zwar hauptsächlich aus dem
Orunde, sagt Herr Director Bode (II, 596, Anmerkung), weil in
der Mitte auf blauem Himmel das Wappen der della Rovere,
welchem Hause Papst Sixtus IV. angehörte, angebracht sei. Allein
auch Julius II. war ja aus der Familie della Rovere! Es ist mir
wirklich unerklärlich, wie der berliner Gelehrte vor jenen Putten
des Sodoma an Melozzo nur denken konnte. Braun in Domach
hat nun sämmtliche Gemälde des Sodoma an der Decke der
Camera della Segnatura photographirt (Nr. 115, 114, 113, 112,
111). Meine Freunde wollen sich diese schönen Blätter ver-
schaffen und mögen dann vor Blatt 115 entscheiden, ob jene
Putten, so sehr sie auch durch ücberraalung entstellt sind, nicht
alle noch den Charakter der übrigen Putten des Sodoma haben,
braucht man sie doch blos mit d«- "-!•-• ?■.♦♦'" nuf den Blät-
tern 113 und 114 zu vergleichen
13»
196 I>ie Galerie Borghese.
plötzlich die Schuppen von den Augen und ich erkannte
sogleich die Richtigkeit des Richter'schen Ausspruchs.
Dieses eine Beispiel möge allen Kunstkritikern zur
"Warnung dienen, dass man nämlich nie ein Urtheil ab-
geben darf über Kunstwerke, die man nur im Halb-
dunkel sah. Ob das Originalbild sich noch immer ir-
gendwo vorfindet, ist eine Frage, auf die ich keine Ant-
wort habe. Dagegen bin ich in der Lage, meinen Freun-
den mehrere Zeichnungen anzufiihren, welche unserm
Sodoma zu diesem seinen Bilde gedient haben. Drei
derselben werden dem Lionardo, eine vierte dem Ur-
binaten und eine fünfte endlich richtig dem Bazzi selbst
zugeschrieben. Die eine der zwei ersten, dem Lionardo
zugemutheten Federzeichnungen befindet sich im gross-
herzoglichen Schloss zu Weimar. Sie stellt die Leda
dar mit nach links dem Schwane zugewendetem Ge-
sicht (Braun 148). (f)
Auf der zweiten, die in der Sammlung von Chats-
worth aufgestellt ist (Braun 51), ist die Leda ebenfalls
kniend dargestellt, wie sie mit ihrem linken Arm den
Hals des liebeerfüllten Schwans umfasst. (f)
Eine dritte Federzeichnung zu diesem Bilde befindet
sich in der Windsor-Sammlung im zweiten Bande der
Rafiaelzeichnungen (Grosvenor Gallery Publication, 50).
Dieses merkwürdige Blatt stellt die nackte Leda stehend
dar, wie sie mit beiden Armen den Schwan umarmt,
ungefähr in der nämlichen StelUmg wie hier auf un-
serm Bilde. Diese letztere Federzeichnung hat allerdings
einen Raffaerschen Anflug, sodass man es Dilettanten
nicht verargen darf, wenn sie dieselbe für die Arbeit des
Urbinaten ansehen. Wer jedoch mit dem Geist und der
Technik Sodoma's näher vertraut ist, dem, glaube ich,
muss auch dieses Blatt als ein untrügliches Werk des
Bazzi erscheinen, (f ) Wir sehen darin einen fernem Be-
weis, dass der Lombarde in jenem Jahre in Rom, als
er das Ledabild und die Hochzeit Alexander's mit
^^
SOIMtMA. IN WKIMAR.
VX wi)ioaoft*OA«i
Die Toscaner: Giovan Antonio Bazzi^ il Sodoma. 197
Hoxane malte, zu Raffael in näherer Beziehung gestan-
den haben muss. Das nackte Kind z. B. neben der
Leda auf dieser Windsorzeichnung ist sehr Raflfaelisch
oder besser Lionardisch-Raffaelisch.^ Prüfen wir
jedoch diese Federzeichnung genauer, so erkennen wir
ohne Mühe an der Form der Füsse, an den vollen dicken
Knien, an den mandelförmigen Augen, am durchaus
unrafFaelischen Kopfputz und an den spitzigen Feder-
strichen, die Hand und den Geist des Sodoma.* Die
nicht ganz fehlerfreie Modellirung des Korpers ist die-
selbe wie in den vorigen zwei Zeichnungen und ent-
spricht andern Federzeichnungen und Skizzen, die in
öffentlichen Sammlungen als unbezweifelte Arbeiten des
Sodoma angesehen werden. Die Federzeichnung der
aufrechtötehenden Roxane in der Esterhazy-Sammlung
zu Budapest, sowie die Zeichnung zum Ruhebett der
Roxane in der üniversitätssammlung von Oxford (Ka-
talog Robinson 177) mögen zur selben Zeit, d. h. im
Jahre 1514, entstanden sein, (f)
' Zuweilen geschieht es ja, dass auch Zeichnungen seines
Lehrers, d. h. Lionardo's , Raffael zugemuthet werden , wie z. B.
in der Sammlung His la Salle im Louvre (Katalog des V* Both
de Tanzia, Nr. 101), wo eine Federzeichnung Lionardo^s dem
Raffael zugeschrieben wird.
' Die jedem Auge sichtbaren charakteristischen Merkmale
in den Werken des Sodoma sind ungefähr die folgenden:
1) Die Hand hat bei ihm f""» "«mpr zugespitzte Finger '^1^*^
affusolaU).
2) Sehr oft sind die Wurzcm (ior Finger an der Hanu mu
Grübchen angedeutet.
3) Das Auge ist mandelförmig.
4) Das Knie voll und stark.
5) Seine Landschaft stellt cameist eine weite, von GewlMem
durchzogene Ebene mit niedern Baamgmppen vor, welche
auf der einen Seite durch einen Hügel mit reichbethürm-
ten Ortschaften, römischen Tempeln and Bogen einge-
rahmt wird.
198 ^iö Galerie Borghese.
Eine vierte Federzeichnung (Grosvenor-Gallery,
Nr. 50) zum Ledabild befindet sich ebenftills in Windsor-
Castle, allein nicht unter dem Namen IvafiaeFs, sondern
unter dem Lionardo's. Auf diesem Blatt ist der Kopf
der Leda viermal dargestellt, in der Vorder- und in der
Hinteransicht und zwar mit besonderer Rücksicht auf
ihre gekünstelte Haarfrisur, (f)
Eine fünfte und zwar überaus herrliche Zeichnunsr
zum Kopfe unserer Leda hier besitzt endlich das Museo
civico in Mailand. Diese fein ausgeführte Röthelzeich-
nung erinnert in der Mache durchaus an die Roxane-
zeichnung in der Albertina und wird an Ort und
Stelle richtig dem Sodoma zugeschrieben. Der Kopf
hat dieselbe Haarfrisur wie die auf dem Blatt in Windsor.
Von Sodoma sehen wir im zweiten Zimmer dieser
Borghese-Galerie unter Nr. 44 noch ein drittes Werk,
eine heilige Familie, ein immerhin gut gemaltes Bild,
aus dem jedoch die frische Lust seiner lombardischen
Jugendzeit nicht mehr herausschaut.
Ausser seinen herrlichen Wandgemälden in der Far-
nesina, einem übel zugerichteten heiligen Christoph im
Palast Spada und einem Bilde mit dem Raub der Sabi-
nerinnen im Palast Chigi sind mir von ihm in Rom keine
Werke bekannt.^ Will man diesen geistvollen, hoch-
begabten Künstler, der in seinen besten Werken den
Grössten an die Seite gestellt werden darf, näher kennen
lernen, so muss man ihn in Siena aufsuchen: in S. Spi-
rito, in S. Domenico, in S. Bernardino, in der städtischen
^ Ein stark ' übermaltes Madonnenbild (Nr. 54) in der Bar-
berini-Galerie wird dort allerdings dem Bazzi zugemuthet. Für
jene Kunstfreunde, die es gesehen, wird es kaum nöthig sein,
gegen eine so abgeschmackte Taufe zu protestiren. Jenes Bild
gehört wahrscheinlich demselben" Maler aus der Bolognesischen
Schule an, der in der Doria- Galerie (Nr. 79) den Namen Lodi
(soll wol Calisto da Lodi heissen?) erhielt, und der dem Inno-
cenzo da Imola und dem Bagnacavallo nahe steht.
Die ToBcaner: Giovan Antonio Bazzi, il Sodoma. 199
Akademie, im Palazzo publico, in Montoliveto. Auch
Florenz besitzt vorzügliche Werke von ihm, danmter
namentlich den herrlichen heiligen Sebastianus in den
Uffizien und das Wandgemälde in Montoliveto. Als
Frescomaler zumal ist Sodoma, wenn er nur will, un-
übertrefflich. Auch in Oberitalien befinden sich gute
Werke von ihm, doch fast ausschliesslich Tafelbilder:
drei davon in der Pinakothek von Turin; mehrere in
Privatsammluugen in Mailand: bei Herrn Cereda-Bo-
nomi, beim Grafen Borromeo, bei Herrn Ginoulhiac,
in der Sammlung des Herrn G. Frizzoni, und ein ganz
im Frans Hals'schem Sinne gemalter männlicher Kopf
in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli; femer
die grosse sogenannte Madonna (il Madonnone) des
„Lionardo da Vinci" im Hause Melzi in Vaprio, das ein-
zige Wandgemälde des Sodoma, das mir in Oberitalien
bekannt ist, vom verstorbenen Mündler noch immer als
Werk Lionardo's angesehen (M.'s Beiträge zu Jakob
Burckhardt's Cicerone, S. 32). Dieses ziemlich hudelig
behandelte, allein grossartig aufgefasste Frescobild ge-
hört meiner Ansicht nach keinem andern Meister an,
als unserm Sodoma, welcher es höchst wahrscheinlich
während seines Aufenthalts in der Lombardei (in (1«mi
Jahren 1518 — 21?) ausgeführt haben dürfte, (f)
Auch die städtische Galerie von Bergamo besitzt,
unter dem Namen Lionardo's, ein kleines, sehr nachge-
dunkeltes Madonnenbild des Sodoma Nr. 183. Im Vene-
zianischen bin ich keinem einzigen Werk unsers Meisters
begegnet, ausser einem Madonnenbild in der Sammlung
Scarpa in la Motta. Es ist dies ein Rundbild, auf dem
die Madonna kniend vor dem auf der Erde liegenden
Christkind darg(>stellt ist, der kleine Johannes, von
<inem Engel unterstützt, beugt sich vor dem Christ-
kind; hinter der heiligen Jungfrau Joseph. Dieses Bild,
das dort dem Cesare da Sesto zugeschrieben wird, ist
übrigens sehr verdorben.
200 I^ie Galerie Borghese.
Betrachtet man nun die Menge der doch so mannich-
fachen Werke dieses verschieden gestimmten Ki'instlers,
so, glaube ich, werden viele Kunstfreunde mit mir zur
Erkenntniss kommen, dass im grossen und ganzen So-
doma als der bedeutendste und geistvollste Maler der
Lionardo-Schule angesehen werden darf. Von keinem
andern der mehr oder weniger begabten Schüler und
Nachahmer des grossen Florentiners werden so viele
Werke dem Meister selbst zugeschrieben, als wie vom
Sodoma. Lebensfroh und eitel, sorglos lustig, ja oft
ausgelassen bis zur Liederlichkeit wie er war, fehlte es
ihm vor allem an Ernst und an Ehrgeiz. Auch war
ihm andererseits als echtem Künstler die Kunst fremd,
den Leuten zu imponiren und auf Stelzen in der Welt
einherzumarschiren, und wer diese Kunst nicht besitzt,
der wird hier unter der Sonne entweder niemals oder
wenigstens doch sehr spät zu seinem Verdienst gelangen.
In den guten Stunden, in denen Sodoma seine Kräfte
zusammennahm, brachte er Werke hervor, die unsere
ganze Bewunderung verdienen und die auch zum Schön-
sten gehören, was die italienische Kunst aufzuweisen
hat. Naturwüchsig wie er war, hat die Michelangeleske
Strömung seiner Zeit ihn nie aus seinem Fahrwasser
zu bringen vermocht. Seina weiblichen Köpfe sind, wie
schon Vasari, sein Widersacher, hervorzuheben sich ge-
zwungen sah, unübertrefi'lich. In einem gewissen Sinn
darf Sodoma in mehrern seiner Werke neben L. Lotto
und Correggio, d. h. in jene Schar hochbegabter Maler
gestellt werden, welche, gleich Lionardo, vornehmlich die
„Anmuth der Seele" darzustellen bemüht waren. Man
beobachte z.B. in der Ekstase der heiligen Katharina (S.
Domenico in Siena) selbst die Hände, zumal die linke,
der Heiligen. Sind sie nicht empfunden, wie sie etwa
Correggio empfunden und dargestellt hätte? Und jene
lieblichen Engelknaben über dem Bogen, gemahnen
sie nicht an die des L. Lotto und auch an die des Cor-
> /.IR il«K:M£eiT AI.RXANOKR'M MIT DKR ROXANX.
IN lir.U < Fl t/.IKN LALKKIK.
Die Toscaner: Giovan Antonio Bazzi, il Sodoma. 201
reggio ? Dem. von Viisari unwürdig behandelten Giovan
Antonio Bazzi erging es wie dem bescheidenen Lotto,
dem ebenso bescheidenen Moretto von Brescia, dem
Bonifazio Veronese und andern trefflichen Meistern der
ersten Hälfte des IG. Jahrhunderts — seine besten Werke
wurden nämlich berühmtem Zeitgenossen zugemuthet
und vom Publikum als solche angestaunt.* Von diesen
Verwechselungen sei es mir erlaubt, hier einige anzu-
fi'ihren. Wir haben schon oben gesehen, wie vier von
den Zeichnungen zu jenem Ledabild, ebenso wie das
grosse Wandgemälde in Vaprio dem Lionardo zuge-
schrieben werden. Andere Zeichnungen Sodoma's wur-
den dagegen auf Riiffael getauft, so alle diejenigen (in
Budapest, in der Albertina, in den Uffizien), die auf die
Hochzeit Alexander's mit der Roxane Bezug haben;
ebenso der schone männliche Kopf im Britischen Museum
(Braun 94) und der aiidon» m (\*^r Albertina, während
* Von den Zeichnungen Sodoroa's ist die Mehrzahl noch in
Italien, und die Uffizien-Sammlung allein besitzt über ein Dutzend
derselben, unter den Nrn. 105 (dem Lionardo zugeschrieben);
563, 565, 1506, 1507, 1644, 566, 1479, und in den Mappen des
Kupferstichcabinets: die Nrn. 1932, 1935, 1936, 1938, 1943, 1944,
1945. Auch die Sammlung der königl. Bibliothek in Turin hat zwei
Zeichnungen des Sodoma und zwei besitzt auch Herr Giovanni
Morelli in Mailand. Es wird kaum nöthig sein zu bemerken,
dass die Röthelzcichnung mit dem weiblichen Kopf, welche in
der Liller Sammlung dem Sodoma zugeschrieben wird (Braun 43)
blos Copie nach ihm sein kann.
In der Louvre- Sammlung fand ich drei echte Zeichnungen
des Bazzi, unter den Nrn. 87, 88 und 94 des Reisetaschen Kata-
logs, während die kleinlichen Blätter unter den Nrn. 89, 90, 91,
92 und 93 von Herrn Reiset mit grossem Unrecht dem Sodoma
zugemuthet werden und zwar blos deshalb, weil auf Blatt 93
der Name des (Miniaturmalers?) Antonius Vercellonsis gesetzt
ift. (t) Es ist dies ein anderes Beispiel, zu welch groben Irr-
thümem das Vertrauen auf sohriftlicho Dooumente selbst einen
ergrauten Kenner führen kann. Auch die Ambrosiana in Mailand
besitzt eine heilige M. Magdalena von Bazzi (Braun 191).
202 I^iß Galerie Borghese.
man in der Sammlung des Städel'schen Instituts noch
immer fortfährt, das herrliche Frauenporträt (f ) dem Se-
bastian del Piombo zu geben! ^ Bei solchem Zwiespalt
der Ansichten ist daher zu hoffen, dass recht bald ein
der italienischen Malerschulen kundiger Mann sich auch
des Sodoma erbarmen und, die Gesammtzahl seiner Werke
ins Auge fassend, uns ein treues Bild seiner wahrhaft
künstlerischen Personalität darbieten möge.
GIAMPIETRINO ODER GIAMPEDRINO.
Unter Nr. 15 hängt in diesem ersten Saal der Bor-
ghese-Galerie ein zwar stark beschmutztes, allein trotz-
dem noch immer wunderherrliches Madonnenbild, wel-
ches im Katalog ebenfalls namenlos blos als zur Schule
Lionardo's gehörig eingeschrieben ist. Und in der That
gemahnt uns das süsse Lächeln der Jungfrau an die
Fraueriköpfe Lionardo's und Sodoma's, mit welchem
letztern Giampietrino, dem unserer Ansicht nach die-
ses Werk angehört, nicht selten verwechselt wird.^ (f)
Spricht man von der mailändischen Malerschule vom
Ende des 15. und von den ersten Decennien des 16. Jahr-
hunderts , so wäre es wünschenswerth, dass man einen
Unterschied machte zwischen den eigentlichen Schülern
Lionardo's, d. h. jener wenigen, die unter seiner un-
mittelbaren Leitung standen, und jenen Malern, auf die
der grosse Florentiner einen nur allgemeinen, mehr ästhe-
tischen als technischen Einfluss ausgeübt hat. Wenn
zu den erstem unter andern Boltraffio, Marco d'Og-
giono, Salaino, Giovan Antonio Bazzi, Giam-
* Von Director W. Bode neuerdings sogar dem Jan Scorel
zugeschrieben (Repertorium für Kunstwissenschaft, XII, 1. Heft,
S. 72).
2 Im Jahre 1860 galt die Lucrezia, Nr. 376 , in der Pinako-
thek von Turin noch als Werk des Giampietrino, bis der Schrei-
ber dieser Zeilen das schöne Bild auch dem Sodoma vindicirte. (f)
Die Toscaner: Giampietrino oder Giampedrino. 203
pietrino, Cesare da Sesto und vielleicht auch Fran-
cesco Napoletano* zu zählen sind, so gehören zu
den letztem Andrea Solario, Ambrogio de Pro-
dis, Bernardino de'Conti, Bernardino Luini,
Gaudenzio Ferrari, der Miniaturmaler Antonio da
Monza und andere mehr, deren Werke man zwar kennt,
deren Namen aber bisjetzt aus Documenten noch nicht
ermittelt wurden.
Giampietrino wird von Lomazzo Pietro Rizzo Mi-
^ Von diesem: nicht talentlosen Nachahmer Lionardo's sind
in Italien nur wenige Arbeiten bekannt und auch diese, wie es
scheint, lauter Werke aus seiner Frühzeit, da Francesco schon
in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Valencia sich
niedergelassen hatte und wahrscheinlich Spanien nicht mehr ver-
liess. Von diesen seinen Jugendwerken besitzt Herr Bonomi-
Cereda ein mit dem Namen bezeichnetes Bildchen: die thro-
nende Madonna mit dem Kinde, an den Seiten die Heiligen S.
Sebastianus und Johannes der Täufer. Ein anderes Madonnen-
bildchen kam durch Tausch aus der Akademie von Venedig in
die Brera-Galerie und zwar unter dem Namen des Cesare da Sesto.
Nach gütiger Mittheilung des Herrn Prof. Carl Justi, des geistvollen
Kenners der Kunstgeschichte Spaniens, befinden sich in Valencia
mehrere Werke dieses Francesco Napoletano, das bedeutendste
darunter in der Kathedrale. Dieses letztere Werk besteht aas
zwölf Lionardesken Gemälden mit lebensgrossen Figuren, die so-
wol die innem als auch die äussern Seiten der Flügel des grossen
plastischen Retablo ausfüllen. Diese Bilder, Darstellungen aus
dem Leben der Maria, wurden von Francesco Neapoli (sie)
in Gemeinschaft mit Paolo von Arezso im Jahre 1506 voll-
endet. Die Farben in diesen Gemälden, fügt Professor Justi hin-
zu, sind sehr gesättigt; ein warmer brauner Ton herrscht im
Vordergrund, in den Gebäuden und im Incamat. Die Erzählung
ist voll Anmuth und Heiterkeit. Im Nackten jedoch crsohienen
ihm beide Meister schwach. Ein Madonnenbild mit der heiligen
Anna soll sich, nach Angabe desselben competenten Gewährs-
mannes, in der Kirche von S. Nicolas, ebendaselbst, vorfinden;
ein anderes Bild, die „Vermählung der Maria**, in der Kathe-
drale von Murcia, dürfte ebenfalls diesem Francesco Napoletano
zugeschrieben werden.
204 Die Galerie Borghese.
lanese genannt. Weder sein Geburtsjahr noch das semes
Todes sind bekannt, noch gibt es von ihm, soviel ich weiss,
mit dem Namen bezeichnete Werke. Dass er unmittelbar
von Lionardo herkommt, scheint mir am deutlichsten aus
einer dem Lionardo selbst zugemutheten Kohlezeichnung
in der Sammlung des Christ-Church College in Oxford her-
vorzugehen. Leider ist jene ganz vorzügliche Zeichnung,
die das nackte Christkind auf dem rechten Knie seiner
gottlichen Mutter ruhend darstellt, von der Stirn auf-
wärts durch Restauration verdorben, (f ) Giampietrino
malte zumeist Halbfigurenbilder, höchst selten grössere
Altarwerke. Die Mehrzahl der unter seinem Namen
gehenden Bilder gehört nur der Werkstatt an.^ In den
Werken seiner Frühzeit ist das Incarnat stets kalt im
Ton, die Hände sehr lebendig modellirt im Gegensatz
zu den stets steifen leblosen Händen bei Marco d' Og-
giono, mit dem er oft verwechselt wird.^ Auch möchte
ich meine Freunde noch auf das sehr gesättigte Orange-
gelb in den Gemälden des Meisters aufmerksam machen,
da diese Farbe für ihn sowie fiir seine Schule bezeich-
nend ist. Von diesem wahrhaft schönen Bilde hier gibt
es viele alte Copien: eine davon auch in Rom, im Pa-
last Rospigliosi; eine andere in der Münchener Pina-
kothek (Nr. 1047), dort friiher dem Luini zugeschrieben,
im neuern Katalog jedoch als Originalbild des Giovanni
P e d r i n i (sie) angeführt.
Zu den bessern Werken des Giampietrino rechne
ich neben diesem Madonnenbild der Borghese-Galerie
aoch ein anderes Bildchen mit demselben Gegenstande
^ So z. B. auch die heilige Katharina, Nr. 381 im Pitti-Palast,
wo sie dem Aurelio Luini zugeschrieben wird, und ein grosses
Bild in der Turiner Akademie „Ecce homo", Nr. 240. (f)
' So unter andern im kreuztragenden Christus (Nr. 107) der
Turiner Pinakothek, (f) Einen kreuztragenden Christus von Giam-
pietrino besitzt auch Sir Henry Layard in seiner ausgewählten
Sammlung zu Venedig.
LA CX>LOMBI.NA IM DER KAIMKU BftlllTAOI IN tT.-PBTBMBVBO. B, t».
Die Toscaner: Giampietrino oder Giampedrino. 205
in der Sammlung der Villa Albani in Rom (Nr. 9), wo
es dem Salaino zugeschrieben wird und auch als sol-
ches vom verstorbenen Professor Minardi besprochen
wurde.* Es stellt die Madonna mit dem Kinde auf den
Knien dar. Die heilige Jungfrau hält Veilchen in der
Rechten, das Kind eine Lilie, (f )
Die vorzüglichsten Werke Giampietrino^s befinden
sich in Mailand: ein heiliger Rochus im Besitz von
Donna Laura Visconti -Venosta; eine „Flora" in der
Sammlung Borromeo; eine herrliche Nymphe Egeria
beim Marchese Brivio; zwei heilige Magdalenen, die
eine in der Brera-Galerie, die andere im Museo civico;
die Madonna mit dem Christkinde und dann die Jung-
frau mit beiden Kindern (nach dem Lionardo'schen Car-
ton zum Bild der sogenannten heiligen Anna im Salon
carre des Louvre) in der Sammlung Poldi-Pezzoli, dort
dem Cesare da Sesto zugeschrieben.
Eins der allerbesten Werke unsers Meisters jedoch
besitzt der bekannte Verlagsbuchhändler John Murray in
London, (f ) In jenem Madonnenbildchen kommt Giam-
pietrino dem Sodoma sehr nahe. Auch Sir Francis
Cook zu Richmond hat in seiner interessanten Samm-
lung, unter dem Namen des Lionardo, ein Werk von
Giampietrino. (f) Die sogenannte Colombina in der
Ermitage zu St.-Petersburg, die früher Lionardo selbst
zugemuthet wurde, nun aber den Namen Luini fuhrt,
ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls ein untrügliches
Werk Giampietrino's (f), obwol die Herren Crowe und
> Minardi, „Scritti ddte quaiitä essentiaH deUa pittura*-*-
(Rom 1864). Minardi nennt das Bild „dt una esecuzione sten-
tata, povera dt sefitimento e di sapere, mediocre dd tutto". Da
derselbe Kunstprofessor den ^^MedusenkopP* in den Uffizien für
i'in „vorzügliches" Werk des Lionardo da Vinci erklärte, so habe
ich auch nichts gegen seine Würdigung nniers Giampietrino ein-
zuwenden. Es ist eben da« gewöhnliche Urtheil der meisten mo-
dernen Maler über alte Meister.
206 Die Galerie Borghese.
Cavalcaselle (II, 58) jenes Bild als eine der schönsten
„Productionen" von Andrea Solario, ja der ganzen Lio-
nardischen Schule erklären. In diesem Bilde \ das ich
nur in der Photographie kenne, lässt sich der Meister
hauptsächlich an der Form der linken Hand erkennen,
welche von der bei Luini und bei A. Solario abweicht.
Zu den grössern Altarbildern des Giampietrino ge-
hören die Tafel vom Jahre 1521 in der Kirche von S.
Marino in Pavia, dort Sala'ino getauft 2, (f) und das
„Präsepium" mit musicirenden Engeln in der Sakristei
der Kirche von S. Sepolcro in Mailand. Die Werk-
statt Giampietrino's mag vielfach besonders von nieder-
ländischen Malern, die nach dem Tode Lionardo's häufig
nach Italien pilgerten, besucht worden sein. Dies be-
weisen uns mehrere Bilder von einem vlämisch-ffiam-
o
pietrinischen Aussehen, wie z. B. das Porträt der Gio-
vanna von Aragon im Braccio II der Doria- Galerie;
eine ähnliche Giovanna finden wir in der Sammlung
Balbi zu Genua; sowie auch die vlämische heilige Cä-
cilie der Münchener Pinakothek.
BOLTRAFFIO.
Von Boltraffio finden wir, wenn wir das sehr ver-
dorbene Mauergemälde im Klostergang von S. Onofrio
in Rom ausnehmen, in ganz Mittel- und Süditalien, so-
viel mir bekannt ist, kein einziges Werk. Das Ma-
donnenbild in S. Onofrio, das zuerst von Doctor G.
Frizzoni und, wie ich glaube mit vollem Recht, als von
der Hand des Boltraffio und nicht des Lionardo erklärt
wurde, ist schon an dem hohen, für Boltraffio höchst
charakteristischen Oval des Kopfes der Jungfrau als
^ Braun Nr. 74, unter dem Namen des B. Luini.
^ Eine Eöthelzeichnung Giampietrino's , die als Skizze zu
diesem seinem Bild gedient haben dürfte, besitzt die Louvre-
Sammlung, unter dem falschen Namen des Lionardo da Vinci
(Braun 187). (f)
Die Toscaner: Boltraffio. 207
sein Werk erkennbar. In seinem gegenwärtigen Zu-
stand ist jedoch leider dieses Frescobild als fast ver-
loren zu betrachten. Wer den edeln Boltraffio näher
kennen zu lernen wünscht, trifft seine meist kleinen
Bilder in seiner Vaterstadt Mailand an: in der Samm-
lung Poldi-Pezzoli, im Hause del Maino, beim Grafen
Sola, in den Sammlungen der Herren Frizzoni und Mo-
relli,in der Ambrosiana (Zeichnungen); auf der Isola Bella;
in Bergamo sieht man in der städtischen Galerie ein
vorzügliches Madonnenbild des Meisters und ebendort bei
Herrn Federico Antonio Frizzoni einen kleinen heiligen
Sebastianus im Profil dargestellt. Auch die Halbfiguren
von Märtyrerinnen im hintern obern Gange der Kirche
von S. Maurizio zu Mailand mögen nach Cartons des
Boltraffio von seinen Schülern auf die Mauer gemalt
worden sein; einige von diesen Rundbildern sind von
grosser Schönheit.
Das beste Werk des Meisters ist jedoch, wie ich
glaube, das grosse Madonnenbild in der englischen Natio-
nalgalerie ', dem in der Esterhazy-Galerie zu Budapest
* Ausser den paar ganz vorzüglichen Pastellzeichnungen in
der Ambrosiana, dort dem Lionardo zugeschrieben, kenne ich
nur noch eine Zeichnung, welche man im Louvre ebenfalls dem
Lionardo zuschreibt, die mir jedoch von Boltraffio herzurühren
scheint. Es ist dies die Silberstiftzeichnung (Braun 17G), welche
einen mit Eichenlaub bekränzten Jünglingskopf im Profil vor-
stellt, und die dem Boltraffio zu dem obengenannten Sebastians-
bildchen im Besitz des Herrn Antonio Federico Frizzoni in Ber-
gamo gedient hat. Director Bode wolle es mir erlauben, ihm
bei dieser Gelegenheit zu bemerken, dass das männliche Bild-
nisg in der Ambrosiana, welches ihm als eine „tüchtige" Arbeit
unsers Boltraffio vorkam (II, 746), mir dagegen nicht einmal der
mailändischen, sondern vielmehr der Malersohule von Parma an-
zugehören scheint. In der Ambrosiana wird jenes Porträt aller-
dingt dem Boltraffio zugeschrieben, allein es ist das wieder eine
jener vielen willkürlichen Bilderattributionen aus dem vorigen
Jahrhundert, die aus Unkenntniss oder Indolenz der Galerie-
directionen in Italien noch immer fortdauern.
20B I^ie Galene Borghcse.
die Madoima (Nr. 175) sehr nahe kommt (von Director
Bode, wenn ich mich recht besinne, dem Bernurdino
de' Couti zugeschrieben).
MARCO D'OGGIONNO.
Von Salaino gibt es kein einziges beglaubigtes Werk,
und jene Gemälde, die man ihm in den öfientlichen Ga-
lerien zumuthet, sind alle sehr fraglich. Dagegen be-
sitzt unsere Borghese-Galerie unter Nummer 33 einen
„Salvator mundi" von der Hand des Marco d'Og-
g i o n n o ( 1470 [?] — 1 540 [?] ). Dieses fleissig ausgeführte
Bildchen ist in der Nähe des Fensters aufgestellt, wo-
durch die Direction zu verstehen gab, dass auch sie es
zu schätzen wisse. Und wie sollte sie es nicht, da ja
das Bild seit beinahe drei Jahrhunderten als ein Werk
Lionardo's gilt. Für ein solches hielt es schon Se.
Heiligkeit Papst Paul V., der es über seinem Bett hatte
aufhängen lassen und es nur mit schwerem Herzen end-
lich seinem Neffen, dem Cardinal Scipione Borghese,
dem Gründer dieser Sammlung, überliess, nachdem des
Cardinais langjährige Bemühungen, für seine damals be-
ginnende Bildersammlung ein Werk des grossen Floren-
tiners aufzutreiben, gescheitert waren. Das Bildchen
stellt den Heiland dar, welcher mit der Rechten den
Segen ertheilt und in der Linken die Weltkugel hält;
Halbfiguren. Das Pendant zu diesem Bildchen ist im
Besitze von Giovanni Morelli in Mailand; es stellt
einen ähnlichen „Salvator mundi" ungefähr von der-
selben Grosse dar und ist von der Hand Boltraffio's.
Wie es scheint wurden beide Bilder zur selben Zeit
von den zwei Schülern und Kostgängern Lionardo's
ausgeführt. Das Kleid auf unserm Bildchen hier ist
kirschroth, einer von Marco, Boltraffio und zuweilen
auch von Giampietrino mit Vorliebe angewandten Farbe,
der Mantel dunkelblau. Die Hand mit ihren steifen,
knochigen und leblosen Fingern ist, nebst den weit
Die Toscaner: Nicola Appiani. 209
auseinanderstehenden Zygomen, charakteristisch ftir die-
sen Meister. Die zackigen Aermelfalten sowie die
schwarzen Schatten und die scharfen Lichter finden
sich ebenfalls in allen Werken Marco's; der Grund ist
dunkel wie in fast allen Ilalbfigurenbildern und Por-
träts der lombardisch- mailändischen Malerschule. Die
grössere Zahl der Werke von Marco d'Oggionno be-
findet sich noch immer in Mailand und im Mailändi-
schen: in der Kirche von S. Eufemia, in der Ambro-
siana, in der Sammlung Bonomi-Cereda, in der Brera-
Galerie und anderwärts noch.
NICOLA APPIANLi
Zeitgenosse und Nachahmer des Marco d'Oggionno
war der wenig bekannte und allerdings auch wenig be-
achtungswerthe Nicola Appiani, von dem man ein
paar Bilder in der Brera-Galerie (eine „Anbetung der
Konige" und die „Taufe Christi", Nr. 84 und 85) sehen
kann. Auch das Altarbild in der Sakristei der Kirche
von S. Maria delle Grazie gehört dem Appiani an, wie
ich glaube, und nicht dem Marco d'Oggionno, wie dort
behauptet wird, (f)
Ebenso dürfte das Bild in der Turiner Pinakothek
mit der „Vermählung der heiligen Katharina", Nr. 104,
eher von Nicola Appiani als von Marco d** Oggionno her-
rühren, (f) Andere kleinere Bilder dieses untergeord-
neten Meisters findet man rmdi nocli in Privntsanim-
lungen in Mailand.
* Die zwei Bilder in der Brera sind schon im „Kitratto di
Milano" des Canonious Carlo Torro als Werke des Nicola Ap.
]>iani angeführt, ob mit Recht wüiste ich nicht zu sagen, da kein
mit dem Namen des Meisters bezeichnetes Bild bekannt ist.
Weder Vasari noch Lomauo erwähnen den Appiani, wol aber
Carlo Amoretti auf Seite 156 seiner „ Memorie storiche suHa vita,
gli studi e le opere di Lianardo da Ktitct".
LxBiioi.nnT. 14
210 I^i« Galerie Borghese.
CESARE DA SESTO.
Von Cesare da Sesto ist mir merkwürdigerweise kein
einziges Werk in Rom, wo er sich doch lange aufhielt,
vorgekommen. In der vaticanischen Bildersammlung
begegnet man allerdings einem grossen Madonnenbild
mit dem Namen des Meisters und der Jahreszahl 1521
versehen, das der in der Kirchengeschichte besser als
in der Kunstgeschichte bewanderte Herr Rio (^«^ Leonard
de Vinci et son ccoler>^ S. 216) für baare Münze an-
genommen, das jedoch jedem auch nur einigermassen
mit den Werken der oberitalienischen Malerschulen ver-
trauten Kunstfreund als ein höchst schwaches Mach-
werk aus der spätem lombardisch-mailändischen Schule
erscheinen wird. Die italienische Aufschrift Cesare
da Sesto sowie das Datum sind evident modernen
Ursprungs und von irgendeinem Fälscher darauf ange-
bracht worden. 2 (♦)•)
Dieses Tafelbild stellt die sitzende Madonna mit dem
Jesuskinde auf dem Schose dar, das Kind hält den
Gürtel der Mutter in den Händen, rechts ein heiliger
Bischof, links Johannes der Täufer.
Cesare da Sesto wurde wahrscheinlich um 1480
in Sesto Calende am Lago Maggiore geboren; wann
und wo er gestorben, ist unbekannt. Vasari erwähnt
seiner im Band IX, 25, und sagt: „Bernazzano, ausge-
zeichnet in der Landschaft, allein schwach als Figuren-
maler, verband sich mit Cesare da Sesto, der die
Figuren gut darzustellen wusste"; und in Band XI, 274,
bemerkt er noch, dass ausser Marco Uggioni (d'Oggionno)
noch viele andere den Lionardo da Vinci gut nachzu-
ahmen wussten, unter ihnen namentlich Cesare da Sesto,
und citirt bei dieser Gelegenheit von ihm die „Taufe
* Auch Herr Director W. Bode (II, 751) sieht dieses Rund-
bild als von der Hand des Cesare da Sesto an.
Die Toscaner: Cesare da Sesto. 211
Christi^*, eine „Herodias" und ein grosses Bild mit
dem heiligen Rochus. Das früheste Werk, das von Ce-
sare da Sesto mir bekannt ist, befindet sich in der Ge-
mäldesammlung der gräflichen Familie Borromeo in
Mailand : es stellt die „Anbetung der Könige" dar. In
diesem höchst interessanten Bilde, das der Meister in
den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts gemalt haben
dürfte, treten klar die Einflüsse hervor, die der junge
Lombarde in Florenz theils von Lorenzo di Credi, theils
von M. Albertinelli, sowie auch in Siena von Pinto-
ricchio in sich aufgenommen hatte. ^ Ein anderes Werk
aus seiner Frühzeit möchte ebenfalls das Tondo mit
der Madonna und den beiden Kindern sein, welches
sich im Hause des kürzlich verstorbenen Herzogs Lo-
dovico Melzi d'Eril in Mailand befindet, von welchem
Bilde eine Copie unter dem Namen des B. Luini in
den Uffizien, Nr. 1013, aufgestellt ist. Eine andere
Copie jenes Tondo sah man früher auch in der Bor-
ghese-Galerie. (f)
Jener „Cesare Milanese", der um 1506 wahrschein-
lich im Auftrag des kunstliebenden Castellans von Ostia,
Baldo Magini (Vasari X, 222), in Gemeinschaft mit B.
Peruzzi in der „Rocca" von Ostia al fresco malte (Va-
sari VIII, 221), dürfte wol kein anderer sein, als unser
Cesare da Sesto. Während der Jahre 1507 bis ungefähr
1512 wirkte Cesare, aller Wahrscheinlichkeit nach, in
Mailand und unter dem directen Einflüsse des Lionardo
da Vinci. Dafür zeugen, wie mir scheint, unter andern
^ Die t^Taofe Christi" befand sich 1595, nach Moriggia, im
Hanse des Senators Galeazzo Visconti und ist gegenwärtig im
Palast des Herzogs Scotti in Mailand.
' Ich bitte meine Freunde, in diesem Bilde, das ich dem
Cesare da Sesto vindiciren zu dürfen glaube, sich vornehmlich die
diesem Meister eigenthümlichen Stellungen und Bewegungen, so-
wie die Form der Hand und des Obres genau ansehen zu wollen, um
von der Richtigkeit meiner Bestimmung sich lo überzeugen, (f)
14 ♦
212 ^^6 Galerie Borgbese.
seine sogenannte „Vierge aux Balances", Nr. 465, in
der Louvre- Galerie (von Passavant, II, 345, dem Sa-
laino zugeschrieben); seine „Herodias" (jetzt im Bel-
vedere zu Wien) ; ein heiliger Hieronymus bei Sir Francis
Cook in Richmond^; das schöne Madonnenbild, Nr. 172,
der Esterhazy-Galerie in Budapest und auch die grosse
Tafel „Anbetung der Könige", jetzt im Museum von
Neapel, die Cesare für eine Kirche von Messina ausführte.
Alle diese hier angeführten Bilder stellen uns Cesare
da Sesto als Nachahmer Lionardo's dar, wogegen das
grosse Bild mit dem heiligen Rochus, das er für die
gleichnamige Kirche in Mailand malte, uns einen Be-
weis gibt, dass später RafFael, mit dem er in Rom, nach
Lomazzo, auf sehr freundschaftlichem Fusse gestanden
haben soll, sein Vorbild wurde. ^ Aus einer seiner Zeich-
nungen im Louvre dürfen wir fast schliessen, dass ums
Jahr 1520 Cesare sich noch immer in Rom befjind.
Jenes interessante Blatt findet sich im sogenannten
Lionardo-Buch des Vallardi und führt die Nr. 6782.
Auf demselben ist der von Lomazzo schon erwähnte
„Kampf mit dem Drachen" dargestellt. Auf der Rück-
seite des Blattes sieht man drei Figuren, und darunter
auch die Mutter des Besessenen aus der von Raffiiel
um 1519 — 20 ausgeführten „ Transfigurati on" nach-
gebildet, (t)
Zu den Werken aus der spätem Zeit unsers Künst-
lers glaube ich die drei Tafelbilder mit der Madonna,
das Christkind in den Armen haltend, und den zwei
Heiligen an den Seiten, rechnen zu dürfen. Von diesen
drei Bildern befindet sich eines in der Ermitage in
^ Im Jahre 1595, als Moriggia sein Buch „La Nobiltä di
Milano" herausgab, befand sich dieses Bild bei Herrn Guido
Mazenta.
* Dieses gi'osse Rochusbild befindet sich gegenwärtig im
Palast des verstorbenen Herzogs Lodovico Melzi zu Mailand.
AirtlA^t;!!.
Die Toscaner: Cesare da Sesto. 213
St.-Petersburg, unter dem Namen des Lionardo da Vinci *,
ein zweites in London bei Lord Monson, und das dritte
endlich, unter dem richtigen Namen des Cesare da Sesto,
in der Brera-Galerie. Auf diesem letztern Bilde sieht
man, ausser der Madonna mit dem Christkind und den
Heiligen Joseph und Joachim an den Seiten, noch den
kleinen Johannes darorestellt.
Ausser diesem besitzt die Brera-Sammlung noch ein
zweites, höchst elegantes Madonnenbildchen, Nr. 323,
aus einer frühern Zeit des Meisters.^
» Von P. Moriggia: „La Nobiltä dt Milano'' (1595, Libro
quinto, p. 277) als Werk des Cesare da Sesto im Besitze des
Senators Galeazzo Visconti citirt: „Una Madonna col figUuolo
in braccio con San Gitts^pe ed una Martire^^. Erst in einer
spätem Zeit wurde also das Bild auf den Namen des Lionardo
da Vinci umgetauft.
* Zur Belehrung der Anfänger seien hier einige Zeichnungen
des Cesare da Sesto angeführt, welche zum Theil wieder dem
Lionardo zugemuthet werden, so unter andern jüngst auch noch
in der „Gazette des beaux-arts^^ {Les demiers travaux de Lio-
nard da Vinci) die Rötheizeichnung in Windsor mit dem an
einen Baumstamm gebundenen heiligen Sebastianus mit den zwei
Schergen an der linken Seite (Grosvenor Society, Nr. 86). (f)
Diese Zeichnung diente dem Cesare da Sesto zu einem Wand-
gemälde, das, wie der oben citirte Moriggia uns berichtet, in
einer Villa der Grafen Resta in der Nähe von Mailand im Jahre
1595 noch sichtbar war. Eine alte Copie jenes jetzt zu Grunde
gegangenen Frescobildes befindet sich in der Galerie Malaspina
in Pavia. Der Einfluss Miohelangelo's ist in diesem Blatt des
Cesare nicht zu verkennen. Ausser dieser Rötheizeichnung des
Cesare will ich noch zweier anderer Rötheizeichnungen der
Windsor-Sammlung erwähnen, welche dort ebenfalls den Namen
Lionardo's führen: es sind dies zwei Kinderstudien auf einem
und demselben Blatt (Grosvenor Society, Nr. 66). (f) Auch in der
Sammlang des Britischen Museums sah ich unter dem Namen
des Lionardo eine treffliche Zeichnung des Cesare da Sesto: ein
Blatt im 16. Band mit der Bezeichnung 1862, 10, 11, 196; das-
selbe enthält twei Federzeichnungen nach der sogenannten Ma-
donna di Casa d'Alba und auf der Rückseite den Kopf eines alten
214 Die Galerie Borghese.
Aus dem eben Gesagten geht hervor, dass Cesare
zwar ein trefflicher Techniker, gleich allen Schülern
Lionardo's, allein kein naturwüchsiger, selbständiger
Künstler, wie etwa Sodoma, gewesen ist.^
Als Werke der Schule Lionardo's werden sodann in
diesem ersten Zimmer der Borghese -Galerie noch fol-
gende Bilder bezeichnet:
Eine allegorische Gestalt „die Eitelkeit" darstellend
(Nr. 8), Copie nach B. Luini.
Ein „Ecce homo" (Nr. 17), in der Auffassung und
Technik dem Andrea Solario verwandt.
Ein Halbfigurenbild, das die heilige Agatha darstellt
(Nr. 32), eine spätere und schwache Copie nach B. Luini.
BERNARDINO LUINI.
Von Bernardino Luini (ungefähr um 1475 geboren^
1533 noch am Leben) selbst besitzt also diese Galerie
kein Originalwerk. Ein herrliches, wenn auch von einem
dichten Firnis bedecktes Bild des Meisters sieht man da-
gegen in der Galerie Sciarra Colonna (Nr. 43). Ich meine
damit, wie man leicht errathen wird, die weltberühmte^
Mannes in rother Kreide. Ebenfalls unter dem Namen Lionar-
do's befindet sich im sogenannten Lionardo-Bucb des Vallardi
im Louvre ein Blatt mit Studien zu einem Madonnenbilde ; unter-
halb eine sitzende allegorische Figur (Nr. 6, 781, Braun 189). (f)
Zwei schöne Studien zum Christkinde besitzt mit richtiger Be-
nennung die Sammlung der königl. Bibliothek in Turin; auch die
venetianische Akademie hat mehrere gute Rötheizeichnungen des-
Cesare da Sesto und überdies die Federzeichnung zu dessen
grossem Bilde „die Anbetung der Könige" im Museum von Neapel
{Perini 196).
* Der geistreiche „Improvisator" Andrea Sabbatini von
Salemo dürfte statt des Rafifael, wie Dominici uns glauben machen
möchte, wol eher unsern Cesare da Sesto zum Lehrer gehabt
haben, (f) Die Werke des Andrea da Salemo muss man im Mu-
seum von Neapel und in einigen Kirchen daselbst aufsuchen.
Die Toscaner: Bemardino Luini. 215
unter dem Namen „Bescheidenheit und Eitelkeit" be-
kannte, dort dem Lionardo da Vinci zugeschriebene
Tafel. Vielleicht dürfte „Irdische und göttliche Liebe"
eine ebenso passende Benennung sein für dieses Ge-
mälde, welches, beiläufig bemerkt, um dieselbe Zeit wie
das ungefähr denselben Gegenstand behandelnde Bild
Tizian's im zehnten Saal der Borghese- Galerie ent-
standen sein dürfte. Auch andere Maler jener Epoche
haben dasselbe, wie es scheint, damals sehr beliebte Sujet
behandelt, was für die Culturgeschichte mir nicht ohne
Interesse zu sein scheint. Wie schon oben angedeutet
ist dieses Werk des Luini in dessen zweiter Manier,
der sogenannten maniera grigia gemalt (von 1508 — 1520
ungefähr), als derselbe nämlich, von Lionardo beein-
flusst, die Werke dieses Meisters studirte und sich be-
mühte, namentlich die Formen des Antlitzes plastischer
darzustellen, als dies in seinen frühern Werken der
Fall war.
Noch eines andern Bildes von Luini, das sich in
Rom befindet, sei mir erlaubt hier zu gedenken: es ist
dies die liebliche Madonna mit dem Jesuskind in den
Armen, das liebevoll sich herabneigend eben im Be-
griÖ' steht den kleinen Johannes zu küssen, ein Motiv,
das von diesem Meister öfters wiederholt wurde; hinter
dem Täufer die heilige Elisabeth. Dieses schön auf-
geftisste Bildchen hängt im letzten Saale des Palazzo
Colonna, ist jedoch so arg übermalt, dass es fast un-
geniessbar geworden. Auch die Corsinische Sammlung
in Rom hat ein weibliches Porträt (Nr. 31), dem der
Name des B. Luini angehängt wurde, was jedoch, wie
ich denke, wol nur aus Versehen geschah.
In Unter- und Mittelitalien finden wir, in den öffent-
lichen Sammlungen wenigstens, keine andern Bilder
Luini's, mit Ausnahme der stark restaurirten „Ilero-
dias" in der Tribuna der UfBzien-Galeric und des zwar
für den Meister charakteristischen, allein wenig an-
216 I>ie Galerie Borghese.
sprechenden Madonnenbildes im Museum von Neapel
(Nr. 15).
Diesen nicht gerade phantasiereichen, doch höchst
gewissenhaften und lieblichen Meister kann man nur in
Mailand und im Mailändischen (in den Kirchen der
Passione, von S. Giorgio in Palazzo, S. Maurizio, in
der Ambrosiana, der Brera-Galerie, in den Sammlungen
Poldi-Pezzoli und Borromeo; in Legnano, Saronno, im
Dom von Como, in Lugano und anderwärts) kennen
lernen. Seine Formen sind rund und etwas schwerfällig,
die Füsse meist zu lang und die Hände, wie bei Giovan
Bellini, zu stiirk und zu breit. Auch Luini steht als
schöpferischer Kimstler dem Sodoma weit nach.^ Er
hatte viele Schüler und Nachahmer, deren Arbeiten,
sogar in der Brera-Galerie, noch immer ihm selbst zu-
geschrieben werden, wie, unter manchen andern, z. B.
auch die Wandgemälde unter der Nr. 13 und die von
Nr. 23—42. (f)
ANDREA SOLARIO.
In der Borghesischen Galerie finden wir jedoch noch
ein Werk eines andern mailändischen Kiinstlers aus der
* Die auf uns gekommenen Zeichnungen dieses Meisters sind
selten, daher mögen einige davon hier bezeichnet werden:
a) Ein Blatt mit drei getuschten Kinderstudien in der Am-
brosiana (Braun 175).
b) Getuschte Zeichnung mit Gips gehöht, „den kleinen To-
bias vor seinem Vater" darstellend, ebendaselbst (Braun 179).
c) Rötheizeichnung einer Madonna, ebendaselbst.
d) Die „Vertreibung aus dem Paradies", Kreidezeichnung in
der venetianischen Akademie.
e) In der Uffizien-Sammlung (Küpferstichcabinet , Nr. 1940)
ein aquarellirtes Blatt.
f) Auch die von Herrn Reiset nur dubitativ dem Meister
selbst zugeschriebenen zwei Kinderköpfe in der Louvre-
Sammlung, Nr. 237 und 238, sind meiner Ansicht nach echt.
Die Toscaner: Andrea Solario. 217
„goldenen Zeit" und zwar ebenfalls in diesem ersten
Saiil, unter Nr. 42 und unter dem Namen des Andrea
Solario. Es stellt Christus mit dem Kreuz und zwei
grinsenden Schergen dar. Kalt in der Farbe, geleckt in
der Ausfuhrung, dunkel in den Schatten, ist es doch
mit grossem Fleisse ausgeführt. Die Häscher sind ca-
rikirt und haben ein sehr vlämisches Aussehen, sodass
ich keinen Augenblick anstehe, dieses Bild für die Ar-
beit eines Niederländers (f) zu erklären. Die Figur
des Christus ist allerdings dem Solario entlehnt, allein
die die Zähne zeigenden Häscher mit dem abscheu-
lichen Daumen na gel des einen sind die Zuthat eines
in Italien weilenden Malers der Antwerpener Schule,
wie mir scheint.*
Der nämliche Gegenstand wurde von Andrea Solario
oft behandelt, so unter anderm in einem Bildchen der
Communal - Galerie von Brescia und auf zwei Tafeln,
die einst der Maler Galgani in Siena besass. In all
diesen Werken ist Christus edler, würdiger aufgefasst, als
in diesem Bild der Borghese- Galerie, das Colorit ist
wärmer, die Farben sind pastöser aufgetragen, alles
Eigenschaften, die wir in seiner treÖ'lichen „Ruhe auf
der Flucht" vom Jahre 1515 in der Sammlung Poldi-
Pezzoli in Mailand bewundern.
Andrea Solario nimmt in der lombardisch -mailän-
dischen Schule eine ganz eigenthümliche Stellung ein
und ist, was Technik betriflft, vielleicht der vorzüglichste
Maler derselben. Da nun über diesen Maler unter den
' Andere vlämische Copien oder Nachbildungen derart nach
Solario finden wir in der Tariner Pinakothek ; in der städtischen
Galerie von Siena (Nr. 60); im Belvedere in Wien (Saall, Nr. 76).
Alle diese Bilder stellen die ^Uerodias*^ dar. Aach das Bild im
Lonvre mit dem Haupte des Täufers auf einem Prisen tirteller
(Nr. 397), ist, meiner Ansicht nach, (f) nichts anders als vlä-
mische Nacbl>>l<1'i><r ddch A. Solario.
218 Die Galerie Borghese.
Kunstschriftstellern noch immer nicht die erwi'inschte
Uebereinstimmiing herrscht, so sei mir erlaubt, bei
dieser Gelegenheit mich doch weiter über ihn auszu-
sprechen. Die Künstlerfamilie der Solari (Architekten
und Bildhauer) stammte, wie auch die Familie der Lom-
bard! in Venedig, aus dem Dorfe Solaro in der Pro-
vinz von Como, war aber schon in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts in Mailand ansässig; es erscheint
daher als sehr wahrscheinlich, dass der Maler Andreas,
der ums Jahr 1460 geboren sein dürfte, in Mailand
selbst das Licht der Welt erblickt habe. Sein älterer
Bruder hiess Christoph, war Bildhauer und Baumeister,
und da er etwas buckelig war, so bekam er den Zu-
namen il gobbo, d. h. der Buckelige.^
Andreas war diesem Bruder sehr zugethan, auch
scheint er ihm auf dessen Hin- und Herzügen gefolgt
zu sein. Daher dürfte es wol kommen, dass die Bilder
des Malers bald Andreas Mediolanensis bald Andreas
de Solario bezeichnet sind; die erstere Aufschrift steht
auf denjenigen Bildern, die er fern von Mailand ge-
malt, die zweite auf jenen, die er in Mailand selbst
ausführte. Andreas wird bei allen altern Schriftstellern
auch Andreas del Gobbo genannt, woraus zu schliessen
wäre, dass Christoph beim Jüngern Bruder Andreas
gleichsam Vaterstelle vertreten habe. Einige Kunst-
historiker verwechselten ihn mit Andrea Salaino, dem
Famulus Lionardo's. Der verstorbene Otto Mündler
hat in seiner trefflichen ^^ Analyse critique de la notice
des tableaiLv du Louvre'-'- das Verdienst gehabt, zuerst
über den Charakter auch dieses italienischen Künstlers
Licht zu verbreiten. Ihm sind sodann die Herren Crowe
^ Villot machte in seinem Louvre- Katalog dagegen den
Andrea selbst zum Buckeligen, was nicht artig von ihm war,
während im neuesten Katalog der Louvre-Galerie Christoph so-
gar zum Vater des Andreas erhoben wird.
Die Toscaner: Andrea Solario. 219
und Cavalcaselle gefolgt, haben jedoch in dem Kapitel,
das sie diesem Maler widmen, einiges Neue hinzugetugt,
das mir durchaus unhaltbar erscheint. Wer sein eigent-
licher Lehrer gewesen, ist noch nicht ermittelt. In der
ausgezeichnet feinen Modellirung seiner Köpfe darf man
wol die Schule sehen, die er bei seinem Bruder, dem
Bildhauer', durchgemacht hat. Kein lombardischer Maler
kommt dem Lionardo so nahe wie er in der Model-
lirung, keiner hat in dieser Beziehung so vollendete
Köpfe zu Stande gebracht, wie z. B. der des „Ecce
homo" der Poldi-Sammlung (Mailand); in der Darstel-
lung der Hand aber bleibt Solario weit hinter Lionardo
luid Sodoma und selbst Giampietrino zurück. Zwei
kleine Madonnenbilder, das eine in der Poldi-Samm-
lung, das andere in der Brera- Galerie, Nr. 310, sind
die ältesten mir bekannten Werke von ihm. Dieses
letztere dürfte uns auch auf den Einfluss des Barto-
lommeo Suardi, Bramantino genannt, schliessen lassen.^
Im Jahre 1490 begleitete er seinen Bruder Christoph
nach Venedig, und dort mag er das schöne Bildniss seines
venetianischen Senators (jetzt in der National Gallery in
^ Ausser dem Cristoforo gab es nooh einen andern Bild-
haaer in der Familie der Solari, nämlich einen Pietro Solari,
von dem in dem Seiteneingange zur Kirche di S. Angelo in Mai-
land ein mit seinem Namen bezeichnetes Hochrelief (Madonna
und Kind) sich vorfindet.
* Die Madonna auf dieeem Bilde , daa fraher die gefälschte
Aufschrift Johannes Bellinus trti^ und deshalb nooh von den
Commentatoren des Vasari (\ < Werk des Giambellino an-
fcefuhrt wird, hat eine alt« i > ue Haube in der Art der-
jenigen, die Bramantino seinen Frauen aufsetzte und mit wel-
cher auch Qaudenzio Ferrari seine weiblichen Köpfe tu schmücken
beliebte. In der Sammlung des Fürsten Qiangiacomo TrivuUio
in Mailand sieht man andererseits ein m&nnliches Porträt (Bas-
relief) von Christoforo Solan, das sehr an die gemalten Bild-
nisse seines Bruders Andreas erinnert
220 ^iß Galerie ßorghese.
London, Nr. 923) gemalt haben, etwa um 1492 — 93. In
diesem Gemälde ist der Einfluss des Giambellino und
mehr noch der des Antonello da Messina sichtbar; auch
galt dasselbe im Hause Gavotti zu Genua, wo dieses
Bild sich früher befand, als Werk des Giovanni Bel-
lini. Im Jahre 1493 scheinen beide Briider wieder nach
Mailand zuriickgekehrt zu sein. Ob nun Andreas das
Altarbildchen für die Kirche von S. Pietro Martire in
Murano (vom Jahre 1495), jetzt in der Brera-Galerie
(Nr. 103), in Venedig selbst oder anderswo ausgeführt,
bin ich nicht in der Lage anzugeben. Es ist jedoch
wahrscheinlich, dass er ein zweites mal die Lagunen-
stadt besucht und das Bild dort gemalt habe. Das
Madonnengesicht in diesem Gemälde ist durchaus Lio-
nardisch und erinnert in der Zeichnung an die Madonnen
Boltraffio's, was uns vermuthen lässt, dass Solario nach
seiner Rückkunft von Venedig, also in den Jahren 1493
und 1494, von dem grossen Florentiner stark beeinflusst
worden sein muss. Die Herren Crowe und Cavalca-
selle sehen jedoch in diesem Bilde, ausser den Lionar-
dischen Einflüssen, auch noch den von Andrea del Ver-
rocchio (!) und der venetianischen Schule; für sie ist
dieses Gemälde ein Conglomerat von florentinischen,
lombardischen und venetianischen Einflüssen; ja, der
landschaftliche Hintergrund erinnert sie ganz speciell
an die Landschaften des Bergamasken Previtali, der
1495 höchstens 15 Jahre gezählt haben dürfte.
Auf diesem schlüpfrigen Wege der Beeinflussungen
und Analogien will ich diesen Herren nicht folgen, denn
derselbe pflegt gewöhnlich entweder in ein Dorngestrüpp
oder in einen Morast zu führen.
Vom Jahre 1499 besitzt die Poldi-Sammlung zwei
Täfelchen mit dem Täufer und der heiligen Katharina,
(Fragmente eines Triptychons), bezeichnet: Andreas Me-
diolanensis, also nicht in Mailand gemalt. Auch kamen
die beiden Täfelchen von Venedig nach Mailand. Der
Die Toscaner: Andrea Solario. 221
Täufer ist ganz und gar Lionardiscb, die Katharina da-
gegen einheimisch lombardisch.*
Zeitlich folgt nun die kleine „Kreuzigung", Nr. 396^
in der Louvre- Galerie aus dem Jahre 1503, ebenfalls
Andreas Mediolanensis bezeichnet. Aus derselben Epoche
ungefähr, d. h. aus den Jahren 1503—1504 mag wol
auch das männliche Bilduiss, Nr. 395, in derselben Ga-
lerie stammen. In neuer Zeit wurde es als das Por-
trät von Charles d'Amboise, des französischen Statt-
halters in Mailand, erklärt und merkwürdigerweise dem
A. Solario blos attribuirt. Das Bild stellt einen Mann
hoch in den Dreissigen dar, auf dessen Baret der Or-
den des heiligen Michael angebracht ist; im Hintergrund
die Aussicht, die man von Mailand aus auf die beschneiten
Alpen hat. Die malerische Ausführung ist fein, aber ein
dichter, schmutziger Firnis lässt dieselbe kaum noch
erkennen. Auch dieses Porträt mag von Solario in den
ersten Jahren des 16. Jahrhunderts in Mailand ausge-
führt worden sein. Vom Jahre 1505 ist auch der kreuz-
tragende Christus beim Maler Galgani. Dieses Bild
wurde wahrscheinlich gleichfalls in Mailand ausgeitihrt
und keineswegs in Florenz, wie Calvi anzunehmen
scheint, um daraus seine weitern Schlüsse zu ziehen;
denn A. "Solario malte in demselben Jahre 1505 das
Porträt seines Freundes, des Mailänders Cr. Longoni
(gegenwärtig in der National Gallery in Jjondon,
Nr. 734). In dieselbe Zeit, d. h. in die mailändische
Epoche, die seiner Abreise nach Frankreich vorausging,
setze ich noch ein Frauen port rät im Besitze des Mar-
chese Emmanuele d'Adda in Mailand.
In der Mitte des Jahres 1507 reiste Solario von Mai-
land nach Frankreich mit Kinpfehlungen des französi-
' Eine heilige Katharina in einem Bilde des Maorino d^Alba
vom Jahre 1506 in der Tnriner Pinakothek gemahnt lebhaft an
diese Katharina des Andrea Solario.
222 I^i© Galerie Borghese.
sehen Statthalters im Mailändischen, Charles de Chau-
mont, in Italien Ciamonte genannt, an seinen Onkel,
den Cardinal Georg von Amboise, für welchen Solario
dann zwei Jahre lang in Gaillon beschäftigt war. Der
ehrsüchtige Cardinal, der nach dem Tode Pius' III. sich
einige Zeit lang mit der Hoffnung getragen hatte die
Papst würde zu erlangen, hatte nämlich seinem Neffen,
dem Stellvertreter Ludwig's XII., den Wunsch geäussert,
dem berühmten Lionardo da Vinci die Ausschmückung
seiner Schlosskapelle in Gaillon anzuvertrauen. Allein
Lionardo war in jener Zeit so sehr mit fortificatori-
schen und hydraulischen Arbeiten im Mailändischen in
Anspruch genommen, dass er nicht einmal die Zeit
finden konnte, für König Ludwig ein Madonnenbild-
chen auszuführen (siehe Gaye, ^^Carteggio^\ II, 94 — 96).
Chaumont sendete ihm daher statt den Lionardo den
Andreas Solario, den er nach dem grossen Florentiner
für den besten damals in Mailand lebenden Meister
zu halten berechtigt war. Andreas vollendete seine
Wandgemälde in der Schlosskapelle von Gaillon im Sep-
tember des Jahres 1509.
Vor seiner Abreise nach Frankreich oder gleich nach
seiner Ankunft in Gaillon mag die sogenannte „Vierge au
coussin vert", gegenwärtig in derLouvre-Galerie, Nr. 394,
entstanden sein. Bisjetzt ist es noch nicht ermittelt, ob So-
lario nach vollendeter Arbeit im Schlosse Gaillon längere
Zeit noch in Frankreich sich aufgehalten hat. Mir er-
scheint die Hypothese nicht unwahrscheinlich, dass er vor
der Rückkehr in die Heimat einige Zeit auch in Flandern,
wahrscheinlich in Antwerpen, dessen Malerschule da-
mals in hoher Blüte stand und mit deren Vertretern
er höchst wahrscheinlich schon in Italien nähere Bekannt-
schaft gemacht haben dürfte, verweilt habe. Denn gar
manches seiner Gemälde, wie unter andern auch ganz
besonders die „Ruhe auf der Flucht" vom Jahre 1515,
sowie auch der fein ausgeführte, allein kalte „Ecce homo"
Die Toscaner: Andrea Solario. 223
in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand, haben einen
so ausgesprochen flandrischen Charakter, erinnern selbst
in der violetten Farbe und auch in der Composition
so sehr an die Schule von Antwerpen und namentlich
an Patinir, dass sie beim ersten Anblick wie viamische
Arbeiten erscheinen.^ Im Jahre 1515 scheint Solario
wieder in Italien, wenn auch nicht in Mailand, gewesen
zu sein. Dies geht aus dem eben erwähnten Bild mit
der „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten" hervor, wel-
ches die Aufschrift hat: Andreas do Solario mediolanen:
f. 1515.
Von dieser Zeit an wissen wir niehts mehr von ihm.
Dass er das grosse Altarbild für die Kartäuserkirche bei
Pavia (jetzt in der neuen Sakristei daselbst aufgestellt)
nach dem Jahre 1515 gemalt, ist mehr als wahrschein-
lich, zumal da es heisst, dass der obere Theil des Bildes
von Solari unvollendet gelassen, durch Bernardino Campi,
etwa um 1576, zu Ende geführt worden sei. (Wahr-
scheinlich hat Bernardino Campi den obern Theil des
Bildes, der damals vielleicht gelitten hatte, blos restau-
rirt, da soviel mir bekannt, die Maler von oben und
nicht von unten ihre Bilder zu bemalen beginnen.*)
Durchaus unhaltbar erscheint mir auch die von G.
Calvi wiederholte Behauptung, dass Andrea Solari etwa
um 1513 den Andrea da Salemo nach Süditalien be-
gleitet (von wo aus?) und in Neapel, in Gesellschaft
desselben, eine Kapelle in der Kirche von S. Gaudioso
gemalt habe.' Hier mag vielleicht eine Verwechselung
mit Cesare da Sesto stattgefunden iiabon.
* Director W. Bode (II, 745) sieht dagegen in diesem Bilde
det Solario Einflüsse von Rom. (?)
* In der That sieht man noch die Uebermalungen Campi*s
besonders an den Gesichtern der Madonna und der xwei sie be-
krönenden Engel.
' G. Calvi, „Notisie suHa rita e sttüe opere dei prindpaU
architettij scuUori e pitiori cht fiorirono in MUano duranU il
224 I^ie Galerie Borghese.
Dreier männlicher Porträts des Solario möchte ich
hier noch Erwähnung thiin. Das eine derselben muss
nach 1515 entstanden sein. Es ist dies das Bild-
niss, das unter dem Namen Lionardo's in der Ge-
mäldesammlung des Herzogs Scotti in Mailand auf-
gestellt ist. Der dargestellte Herr hat ein feines
Gesicht, einen scharfen Blick und einen sehr entschie-
denen Mund. Im Hause Scotti gilt das Bild für das
Porträt des Kanzlers Morone.^ Dieser wurde aber
erst im Jahre 1518, wenn ich nicht irre, zum Gross-
kanzler erhoben.
Das zweite Porträt besitzt Graf Castelbarco in Mai-
land; es soll Cesare Borgia vorstellen und wird im
Haus Castelbarco dem Urbinaten zugeschrieben. Beide
Gemälde sind durch Uebermalung sehr entstellt.
Das dritte, ganz vorzügliche, obwol sehr verdorbene
Porträt eines vornehmen Cavaliers befindet sich im Hause
Perego zu Mailand.
Von Andrea Solario ist mir nur eine einzige Zeich-
nung bekannt. Sie befindet sich in der venetianischen
Akademie und ist die Federskizze zu seinem Bilde in
der Sakristei der Certosa von Pavia. An dieser Feder-
zeichnung sieht man, wie mir scheint, dass Andrea das
Zeichnen von seinem Bruder Cristoforo (von dem in
der Ambrosiana mehrere Federzeichnungen sind) er-
lernt hat.
regno dei Visconti e degli Sforza, raccoUe ed esposte da S. Calvi^^
(Milano 1865), p. 277. An diesem Büchlein sieht man , wie ein
aller Kunstkenntniss barer Documenten Jäger von seinen Induc-
tionen sich irreführen lassen kann.
' Hieronymus Morone, geboren 1470, starb 1529. Dieses Bild-
niss stellt aber einen Mann von annähernd fünfzig Jahren vor.
Solari müsste ihn also um 1518—20 gemalt haben. Danach
könnte allerdings hier der Kanzler Morone dargestellt sein. Der
Vergleich mit der Medaille scheint diese Bestimmung noch zu
bestätigen.
Lionardo da Vinci. 225
LIONARDO DA VINCI.
Vom grossen Lionardo selbst besitzt die vaticani-
sche Sammlung ein höchst interessantes, allein blos
untermaltes Bild, den knienden und sich kasteienden
heiligen Hieronymus darstellend; für Kunstforscher von
höchstem Interesse, den Laien meist ein Greuel. Ausser
diesem Bilde und der ebenfalls blos untermalten Tafel
mit der „Anbetung der Hirten" in der üffizien-Galerie,
und dem vielfach übermalten, weltberühmten „Abend-
mahl" in Mailand, kenne ich kein anderes Gemälde in
Italien, das man dem grossen Florentiner in allem Ernst
zuschreiben dürfte.
Da in der Auffassung der grossen sowol als der
weniger grossen italienischen Meister zwischen Herrn
Director Bode und mir, wie wir bereits gesehen, eine
«benso breite als tiefe Kluft besteht, so werden meine
Freunde auch diesmal sich nicht wundem, wenn ich
die vom berliner Gelehrten (II, 668) als Arbeit Lio-
nardo's, Nr. 73 im achten Saal dieser Borghese-Galerie,
angesehene Zeichnung (weiblicher Kopf) meinerseits
nur als das Machwerk eines untergeordneten Nach-
ahmers des Bernardino de' Conti betrachten kann.
Echte Zeichnungen des Lionardo gibt es, soviel mir
bekannt ist, weder in Rom noch in Neapel, und von
den siebenundzwanzig in der Uffizien- Sammlung ihm
zugeschriebenen gehören, nach meinem Dafürhalten,
kaum fünf ihm selbst an.^ Dagegen besitzt die vene-
* Da über diese meine dreiste Behauptong selbst unter meinen
Freunden and Gönnern gar mancher ungläubig den Kopf sohüt>
teln dürfte, sehe ich mich vor ihnen verpflichtet, hier die Zeich-
nungen anzugeben f die in der Uffixien- Sammlung nach meiner
Ueberzeugung mit Recht den Namen Lionardo^s tragen, sowie jene,
die dort mit Unrecht dem grossen Florentiner zugeschrieben
werden. Nach meiner Ansicht also sind echt: die Zeichnungen
unter den Nrn. 423, 436, 446, 449, und endlich die Federzeich-
LsBXOLisrr. 1 5
226 I^i® Galerie Borghese.
tianische Akademie etwa fünfundzwanzig, die königL
Bibliothek in Turin zwölf, die Ambrosiana, die vielen
im sogenannten Codex atlanticus enthaltenen nicht mit
eingerechnet, etwa zehn echte Zeichnungen des gros-
sen Florentiners. Auf allen diesen Zeichnungen Lio-
nardo's gehen die Strichzüge, wie schon bemerkt, von
links nach rechts, denn Lionardo pflegte mit der
linken Hand nicht nur zu schreiben, sondern auch zu
zeichnen und nur bei Darstellung runder Körper
bediente er sich zuweilen auch der rechten Hand.
Will man sich von der Richtigkeit dieser meiner Be-
merkung überzeugen, so beschaue man unter diesem
Gesichtspunkt alle Zeichnungen im sogenannten Codex
atlanticus-^ man prüfe daraufhin ferner die Zeichnungen
auf den verschiedenen Manuscripten Lionardo's in Paris,
in England, in Italien; man betrachte sich auch die von
Dr. J. P. Richter in seinem mustergültigen Werk über
Lionardo („ The literary works of Leonardo da Vinci'^^
nung mit der Landschaft vom Jahre 1473, im ganzen also fünf^
für unecht halte ich dagegen die Zeichnungen unter den Nrn. :
414 (gehört einem spätem Künstler an);
419 (Copie);
420 (viel zu schwach für Lionardo);
421 (Sodoma), Br. 448;
422 (Schülerarbeit);
424 (Copie);
425 (Schülerarbeit) ;
426 (Schülerarbeit);
427 (A. de Predi8[?]);
428 (niederländische Copie nach Verrocchio), Br. 429;
429 (Schülerarbeit);
430 (Schülerarbeit);
.431 (Schülerarbeit);
432 (Copie nach Lorenzo di Credi);
433, 434 (Nachahmungen);
435, 437 (Nachahmungen);
447 (Fälschung);
448, 450, 451 (Nachahmungen).
Lionardo da Vinci. 227
London 1883) mit grosser Sachkenntniss uns darge-
botenen Zeichnungen, und ich zweifle nicht, dass jeder
Unbefangene sich überzeugen wird, dass ich nicht un-
recht habe, gegen die Masse von entweder aufs gerathe-
wohl oder auf den sogenannten „geistigen Inhalt" hin,
ja nicht selten auch ganz willkürlich dem Lionardo
zugeschriebenen Zeichnungen und Getnälden zu pro-
testiren. Die bessern von diesen sogenannten Lionardo-
Zeichnungen gehören, wie wir bereits gesehen, seinen
Schülern an: dem Boltraffio, dem Sodoma, dem
Cesare da Sesto, dem Giampietrino, oder auch
seinen Nachahmern: dem Ambrogio de Predis (Ve-
nedig), dem Bernardino de' Conti (Ambrosiana,
Louvre u. a. m.); die geringern, wie z. B. dieser weib-
liche Kopf der Borghese-Galerie, sind Copien spaterer
Kiinstler oder auch Fälschungen und von dieser letz-
tern Sorte gibt es nicht wenige.*
^ Zar Belehrung für Neulinge in der Kunstwissenschaft will
ich hier ein halbes Dutzend solcher, nach meiner Ansicht* fal-
scher Lionardo-Zeichnungen anführen:
1) Windsor: Federzeichnung, eine Madonna in liegender
Stellung mit dem Kinde ; überdies vier Kinderstudien mit
einer Katze spielend (Grosvenor Gallery, Nr. 57).
2) Albertina: ein grosses Blatt, vormals in den Samm-
lungen Yasari und Mariette; die sechs Köpfe auf den
Seiten sind echt, während der weibliche Kopf und der
kleine Johannes in der Mitte des Blattes unecht sind
(Braun 102—109).
:\) Louvre: {Solle atus boHes)^ Federzeichnung mit dem
Profilkopfeines Jünglings, von recht« nach links gewandt;
daneben Caricaturen (Katalog Reiset, 882; F&bchong.
Braun 174). Man betraohte besonders die Zeichnung des
Auges und der Haare.
4) Albertina: Federzeichnung mit fünf Carioataren nnd
zwei Profilköpfen (Braun 98).
r>) Britisches Musenm: Fedcrsaiohniiiiir mit drei Carica-
turen, oben der Name des I.i la Vinci und das
Jahr 1476; von einem vl&miscl. r (Braun 49) und
lo*
228 I^io Galerie Borghese.
Es wäre wol eine unverzeihliche Anmassung meiner-
seits, wenn ich als Südländer einen Nordländer und jxar
einen Mann in der Stellung des Herrn Director W. Bode
der Oberflächlichkeit zeihen wollte; bedenke ich jedoch
andererseits, welch grosses Unrecht der berliner Kunst-
gelehrte einem Künstler von der Bedeutung des Lio-
■nardo da Vinci zuzufügen sich angelegen sein lässt durch
die von ihm mit der Zähigkeit der vollen üeberzeu-
gung demselben octroyirten Werke, sowol Zeichnungen
als Bilder, so kann ich nicht unterlassen (und als „un-
parteiischer" Mann wird er hoffentlich mir dies nicht
übel nehmen), bei dieser Gelegenheit öffentlich gegen
solche Profanationen Protest einzulescen. Stellte man
alle die von Herrn Director Bode dem grossen Floren-
tiner zugedachten Bilder, wie z. B. die „Verkündigung"
in den üffizien, den „auferstandenen Christus" im Ber-
liner Museum, den weiblichen Profilkopf und den un-
vollendeten männlichen Kopf in der Ambrosiana, die
ebendaselbst auch der Kopf eines alten, die Vorderzähne
zeigenden Mannes; ebenfalls die Arbeit eines Vlamlän-
ders (Braun 27).
6) Britisches Museum: Allegorische Darstellung, Tusch-
zeichnung; das Originalblatt in der Salle anx hohes im
Louvre (Braun 53).
Es ist merkwürdig , wie die grossen Personalitäten der ita-
lienischen Kunst, sowol im Lande selbst als auch anderwärts,
schon in der Mitte des IG. Jahrhunderts den Kunstfreunden so
nebelhaft vor den Augen schwebten, dass, wie wir soeben ge-
sehen, selbst ein Vasari seinen grossen Landsmann, dessen sämmt-
liche Werke, sogar die unbedeutendsten, allein schon durch ihren
geistigen Ausdruck fesseln, so sehr verkennen konnte, dass er
ihm die zwei Zeichnungen in der Mitte jenes Blattes in seinem
eigenen Besitz zuschrieb. Im Venetianischen traf dasselbe Los
den Giambellino, den Giorgione u. a. m. ; denn, wie in Mittelita-
lien Michelangelo alle seine Vorgänger in Schatten gestellt hatte?
BO wurden alle Augen in Venedig vom Glänze Tizian's, Tinto-
retto's und des Paolo Veronese geblendet.
Lionardo da Vinci. 229
„das Kind säugende Madonna" in der Ermitage in
St.-Petersburg u.a.m. neben die „Anbetung der Hirten"
in den Uffizien, den „heiligen Hieronymus" im Vatican,
die „Mona Lisa" im Louvre, die „Vierge aux rochers"
ebendaselbst, so bin ich schon im voraus überzeugt,
dass selbst die Freunde und Anhänger des Herrn Di-
rectors sich sträuben würden, alle diese Werke als vom
Geist und von der Hand ein und desselben Meisters
anzuerkennen. Herr Director Bode, dem es um die
Wahrheit gewiss ebenso ernst ist wie mir, möge mir
diese meine vielleicht zu heftigen Expectoration nicht
übel deuten, denn sie ist gut gemeint.
Von Gaudenzio Ferrari besitzt weder Florenz
noch Rom, weder Palermo noch Neapel irgendein
Gemälde; es ist dies, wie mir scheint, ein fernerer
Beweis, wenn auch nur ein negativer, dass dieser Künst-
ler niemals den Apennin überschritten hat und dass
somit seine behauptete Schülerschaft; unter Pietro Peru-
gino und die persönliche Freundschaft mit Raffael nur
eine leere Erfindung ist, wie ich später dies zu beweisen
versuchen will. Die grosse Altartafel, eine Apotheose
des heiligen Bcrnardinus von Siena im Palast Sciarra-
Colonna, dort lächerlicherweise dem Gaudenzio zu-
geschrieben, gehört ihm nicht nur nicht an, sondern
stammt nicht einmal aus einer Malerschule Oberitaliens.
Wie mir scheint, ist dies das Machwerk irgendeines
Sienesen vom Ende des 16. Jalirhunderts. Die kleine
Madonna mit dem Christkinde in der Capitolinischen
Sammlung (Saal 1, 44) verdankt, wie noch andere Bilder
dort, hüclist wahrscheinlich ihre sonderbare Taufe einem
ergötzlichen (juid pro quo. Man hatte nämlich, wie ich
vermuthe, auf der Rückseite der Tafel den Namen „Fer-
rara" angebracht, als das Bild von der Stadt Ferrara
nach Rom kam, und dieser Name wurde dann von dem
damaligen Galcriedirector für den des Malers Ferrari
genommen. Jedem auch nur oberflächlichen Kuustver-
230 I^i« Galerie Borghese.
staudigen stellt sich jenes Bildchen auf den ersten Blick
als ein Werk aus der Schule des Garofolo dar. So
wenigstens sollte man meinen; dem ist aber nicht so.
Der kürzlich verstorbene Professor Tommaso Minardi
uahm^ wie viele andere, so auch diese hergebrachte Be-
nennung für baare Münze an und schrieb darauf hin über
Gaudenzio Ferrari und die mailändische Schule. Ich würde
dieses Minardi nicht gedacht haben, hätte er nicht bei
seinen Lebzeiten in Rom sowol als auch im ganzen päpst-
lichen Staate für die grösste Autorität in der Kunst-
wissenschaft gegolten und gäbe es der Minard is nicht
so viele auch bei uns im heiligen Kussland, ja vielleicht
selbst im gelehrten Deutschland. Minardi war Pro-
fessor der Malerei und überdies „Fachmann" und nicht
etwa ein blosser Dilettant.
LOMBARDISCHE MEISTER.
Nun bleibt mir noch übrig, meinen Lesern das
wenige mitzutheilen , was ich über die zwei mailänder
Maler Ambrof^rio de Predis und Bernardino de' Conti
AMBROGIO DE PREDIS.
Vor ungefähr zehn Jahren hatte ich die Freude, den
Freunden italienischer Kunst den trefflichen, bisher
völlig unbekannt gebliebenen Porträtmaler aus der mai-
ländischen Schule namens Ambrogio Predi vorzu-
stellen. Ein mit dem Namen: Ambrosius de pdis
(predis) melanensis (mediolanensis) 1502 ^ bezeichnetes
Bildniss des Kaisers Maximilian in der Ambraser-
Sammlung zu Wien hatte mich im Jahre 1873 zuerst
auf diesen von den Kunstschriftstellern bisher ver-
* Siehe Nagler's Monogrammisten, I, 414.
roRTRlT DU KAIMM MAXIMILIAN VON A. DB rRBDIfl.
IN D«a AMBRA^P»« -»»«Ml I «wü »I u ii/v
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 231
kannten Maler aufmerksam gemacht. Die Herren Crowe
und Cavalcaselle (II, 50) erwähnen zwar auch dieses
Porträt des Kaisers, versetzen es aber in die Schönborn-
Sammhmg und schreiben es überdies zwar nicht dem
Ambrogio Bevilacqua wie Nagler, wol aber dem Am-
brogio Borgognone zu. Nachdem ich nun damals die
charakteristischen Merkmale in diesem etwas übennalten
Porträt des Ambrogio Preda oder Predi scharf ins Auge
gefasst hatte *, war ich in der Lage auch anderwärts
* Ich schrieb vor diesem Porträt folgende charakteristische
Merkzeichen in meinem Notizbuch nieder:
a) Der schwarze Rand des obem Augenlides läuft in gerader
Linie seiner äussern Spitze zu und wird da von der Spitze
des Bandes des untern Augenlides durch einen hellen
Lichtstreifen geschieden. (Diesen Lichtstreifen zwi-
schen der schwarzen Linie des obern Augenlides und dem
accentuirten Schlagschatten desselben fand ich sodann
in allen nicht übermalten Profilporträts des Ambrogio
de Predis. Es ist dies also ein höchst charakteristisches
Merkmal für den Meister.)
b) Die Augenwimpern sind einzeln angezeigt.
•c) Die Contour der Oberlippe ist steif, die Unterlippe voll
und wulstig. (In einigen gut erhaltenen Bildnissen sind
die kleinen Längsfaltchen darauf augegeben, so im weib-
lichen Profilporträt in der Ambrosiana, im Porträt eines
Pagen in der Sammlung Morelli, und auch im Bildnisse
des Kaisers Maximilian.)
d) Der Nasenrücken ist sehr scharf beleuchtet.
e) Auf die schwerfallig herabfallende Haarmasse sind die
Lichter mit einzelnen Strichen aufgesetzt.
f) Die Kette mit dem goldenen Vlies ist in der Weise eines
Miniaturmalers ausgeführt. Alle diese charakteristischen
Merkmale, die mir im Profilportr&t des Kaisers Maximilian
aufgefallen waren, fand ich dann wieder nicht nur auf
dem weiblichen Profilporträt in der Arabrosiana, sondern
auch auf dem Profilporträt in der Poldi-Pezzoli*SammIang
in Mailand, auf dem Profilporträt eines alten Herrn bei
Herrn Dr. Frizzoni, in den Porträts des Lodovico Sforza
und seines Sohnes Maximilian im „Libro del Jesus" der
Bibliothek des Fürsten Trivulzio , und in dem vorzüglichen
232 I^iö Galerie Borghese.
Werke dieses ganz vergessenen Meisters aufsuchen zu
können. Meine Nachforschungen blieben in der That
nicht ohne Erfolg, und ich hatte die Genugthuung, schon
im Jahre 1880, in meinem kritischen Versuch über „die
Werke der italienischen Meister in den Galerien von
München, Dresden und Berlin" (S. 456 — 458), ausser
dem Porträt des Kaisers Maximilian meinen jungen
Freunden noch drei andere Bildnisse sowie auch eine
Zeichnung anführen zu können, die zwar alle den
Namen Lionardo's führten, mir jedoch als Werke von
der Hand unsers Ambrogio de Predis erschienen.
In einer, ich gestehe es gern, vielleicht etwas über-
müthigen Stimmung wähnte ich damit der Kunstwissen-
schaft, wenn auch keinen erheblichen, immerhin doch
einen Dienst geleistet zu haben. Doch es sollte anders
kommen. Herr Director W. Bode schien auch diese
Freude mir durchaus nicht gönnen zu wollen und trat
— aus Liebe zur Wahrheit, ich will ihm dies gern zu-
geben — meiner Behauptung mit offenem Hohn ent-
gegen, indem er mir unter vielem andern vorwarf,
den grossen Lionardo da Vinci, den er ja so gründlich
studirt zu haben behauptet, mit dem trockenen lom-
bardischen Bildnissmaler Matteo de Pretis ver-
wechselt zu haben. Ich will gegen meinen verehr-
lichen Widersacher grossmüthiger sein, als er es gegen
mich zu sein pflegt, und ihm daher gern verzeihen,
wenn er in seiner wissenschaftlichen Kampflust den
mittelmässigen calabresischen Seicentisten Matteo Preti
für den Mailänder Ambrogio de Predis — derjasowol
ihm wie allen andern Kunstgelehrten unbe-
kannt war, bevor ich ihn wieder aus dem Grabe
auferweckte — genommen hat. Ich w^ill also anneh-
men, dass der von ihm begangene Fehltritt nicht aus
Profilporträt desselben Massimiliano Sforza, als Herzog
von Mailand dargestellt, in der Sammlung Morelli.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 233
Mangel an Kenntniss der italienischen Kunstgeschichte
herrühre, sondern blos ein lapsus calami war. Herr
Director Bode schloss die mir ertheilte Strafpredigt
mit folgenden mich überraschenden Worten: „Ein echtes
und köstliches Bildniss, der sogenannten «Belle Feron-
niere im Louvre» nahe, ist das angebliche Bildniss
der Isabella von Aragon (jetzt auch als Bianca Maria
Sforza, Gemahlin Kaiser Maximilian's angesprochen)
Gemahlin des Giovanni Galeazzo Sforza, welches sich
neben dem des Gatten in der Ambrosiana zu Mailand
befindet, um 1485.^ Dieses Profilporträt, von höchster
Einfachheit und Anspruchslosigkeit der Auffassung, ist
über alle Beschreibung schön und reizend und von
einer Vollendung in der Ausführung, welche, wie man
glauben sollte, gar keinen andern Gedanken als an
Lionardo aufkommen lässt, auch wenn es nicht alle
charakteristischen Züge (?) der frühern Werke
Lionardo's zeigte. ^ Dennoch hat man (d. h. Lermo-
^ Gian Galeazzo Maria Sforza starb 1494, fünfundzwanzig-
jährig, war also im Jahre 1485 kaum 16 Jahre alt, während der auf
diesem Porträt dargestellte Mann doch das Alter von ungefähr
30 Jahren zeigt. Ein bischen Weltgeschichte dürfte zuweilen
selbst den Kunsthistorikern nicht schaden.
* In der Ausgabe seines „Cicerone" vom Jahre 1879 schreibt
Herr Director Bode (626) „ein echtes, schönes Bildniss aus
Leonardo's früherer Zeit besitzt der Palast Pitti, den Gold-
schmied (Nr. 207)". In der Ausgabe von 18$4, also vier Jahre nach
dem Erscheinen meines „kritischen Versuchs", schrieb derselbe
Gelehrte (11,681): „Die schlagendste Uebereinstimmung mit diesem
beglaubigten Altarwerke des RidolfoGhirlandaio (dem Ler-
molieff zuerst den «Goldschmied» im Pitti-Palast vindicirt hatte),
lasst auch die Bestimmung des bekannten «Goldschmieds«, wel-
cher vielbewundert als Lionardo im Palast Pitti hängt (Nr. 207)
als ein Werk des Ridolfo kaum zweifelhaft erscheinen". „11 tempo
b gakmtuomo^f sagen die Italiener. Wenn also auch in der Be-
stimmung dieses von ihm früher für ein feines Jugendwerk
Lionardo^s gehaltenen and bewunderten Bildes Herr Direotor
Bode durch Lermoliefif sich anders belehren liess, so darf ich
234 Diö Galerie Borghese.
lieff) dies «Wunderwerk» neuerdings einem trockenen
lombardischen Bildnissmaler zugeschrieben." „Das Bild
des Herzogs Giovanni Galeazzo", fährt Herr Director
Bode fort, „welches sich neben dem der Gemahlin Isa-
bella befindet, ist gleichfalls echt aber leider unvoll-
endet, wodurch es jedoch für den Einblick indieTech-
nik des Lionardo ein ganz besonderes Interesse hat." ^
Verblüfft über diese derbe Zurechtweisung, die mir
der berliner Kunstgelehrte wieder zutheil werden liess,
wusste ich zuerst nicht recht, ob ich dem seiner Sache so
sichern nordischen Kunstkenner, der mit unerschütter-
lichem Selbstbewusstsein mich über meine Verblendung
so hart angelassen hatte, oder aber meinen eigenen
langjährigen und mit so grosser Liebe und Ausdauer
gepflogenen Studien eher trauen sollte? Mit gutem
Gewissen entschied ich mich für das letztere, und so
bin ich es nun mir selbst und meinen Glaubensgenossen
in der Kunstwissenschaft schuldig, die im Jahre 1880
von mir öffentlich ausgesprochene Ansicht über das
die Hofifnung nicht aufgeben, dass der unbefangene berliner Ge-
lehrte mit der Zeit und auf Grund ernsterer Studien auch das
Profilporträt in der Ambrosiana nicht mehr als „Wunderwerk"
des grossen Lionardo seinen Lesern vorstellen werde. Denn was
sollten sonst diese von seiner Auffassung der Lionardischen Kunst
denken, wenn er noch länger fortführe, auch dieses Bild eines
„trockenen, handwerksmässigen" lombardischen Bildniss-
malers durchaus dem grossen Florentiner zuschreiben zu wollen?
* Ist es auch einem Laien, wie ich bin, erlaubt, über die
Maltechnik in den Bildern der alten Meister Italiens ein Wort
zu sagen, so möchte ich meine verehrlichen Leser bitten, die
Technik auf diesem unvollendeten Porträt in der Ambrosiana
mit der Technik auf dem gleichfalls unvollendeten „heiligen
Hieronymus" in der vaticanischen Galerie, sowie mit der Technik
der „Anbetung der Hirten" in den Uffizien vergleichen zu wollen.
Ich glaube, dass sie dann bald mit mir zur Einsicht kommen
dürften, dass der Urheber des Porträts in der Ambrosiana un-
möglich auch der der andern unvollendeten zwei Bilder sein kann.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 235
ganz vorzügliche Profilporträt in der Ambrosiana, sei
es mm das der Isabella, der Bianca Maria oder das
einer andern Person, abermals und zwar mit Nachdruck
als das Werk des Ambrogio Predi aufrecht zu er-
halten.
Was das andere unvollendete Bildniss daselbst an-
belangt, 80 ist es, nach meinem Dafürhalten, das Por-
trät eines unbekannten Mannes luid hat weder mit
Ambrogio Predi und noch viel weniger mit Lionardo da
Vinci etwas zu schaffen, sondern dürfte, wie ich glaube,
demselben Schüler und Nachahmer Lionardo's ange-
hören, der die Copie der „Yierge aux rochers" in der
National Gallery und die zwei dazu gehörigen Engel
(im Besitze des Herzogs Giovanni Melzi in Mailand)
anfertigte. ^ Damit jecjoch mein verehrlicher Wider-
sacher in Berlin sofort einsehe, dass ich weit entfernt
bin, die mir von ihm, gewiss in der besten Absicht,
gegebene Lection übel zu nehmen, will ich hier
zu seiner Entschuldigung das Urtheil anfuhren, das
über die Bildnisse in der Ambrosiana ein anderer und
zwar ebenfalls berühmter Kenner der italienischen Kunst
aus Berlin, Baron von Rumohr, vor vielen Jahren
zu veröffentlichen beliebte: „Merkwürdig noch'', sagt
Kuiiiohr auf Seite 73 seines Büchleins: „Drei Reisen
in Italien", „merkwürdig in der Ambrosiana die Bildnisse
des Lodovico Sforza (nämlich des Giangaleazzo des
Herrn Director Bode) und seiner Gemahlin (der Isabella
^ Vielleicht könnte man diesem anbekannten hervorragenden
Nachahmer Lionardo's auch einige Zeiohnangen tasohreiben,
welche bisher unter dem Namen de« grossen Florentiners gingen,
wie unter andern die Silberstiftxeichnung mit dem weibliohen
Kopf in den UfBzien (Rahmen 107, Nr. 426) (»raun 436), und
eine andere SilberstifUeeichnung in der Ambrosiana (Fraaenkopf
mit Perlenschnur um den Hals, Dreiviertelansicht), sowie auch
deu jugendlichen Kopf im grotshersogUohen Schlosse xu Wei-
mar (Braun 149) (?).
236 I^ie Galerie Borghese.
des Herrn Director Bode); er in Dreiviertelansicht,
etwas violett im Tone, in den Schatten noch gedeckt,
überhaupt noch von alterthümelnder Kunstart, doch
fein und verstandvoll in den Formen. Seine Gemahlin
geringer. Diesen Bildern gegenüber drängte sich mir
die Vermuthung auf, dass Lionardo zu Mailand mit
niederdeutschen Malern sich berührt, von ihnen die
Oelmalerei gelernt habe, welche zu Florenz vor seiner
mailändischen Keise nicht üblich, ja kaum historisch
bekannt war. Hierin bestärkt mich ein allerliebstes
kleines Bild beim Grafen Alberto Litta, «Madonna mit
dem Kinde». (Gegenwärtig in der Ermitage zu St.-
Petersburg.) Das Motiv dieses Bildes zeigt sich in
einer stark retouchirten Zeichnung in der Uffizien-
Galerie (?). Auch das Bild selbst hat in einigen Theilen
gelitten, die Hand des Kindes die Lasuren eingebüsst,
doch sieht man um so deutlicher, dass Lionardo damals
die Schatten pastös unterlegte, wie überhaupt an der
fein abgeriebenen Farbe, der sorgfältigen und hellen
Unterlage, der Reinlichkeit und Behandlung, sehr viel
Altniederländisches." ^
Dass nun die beiden Porträts in der Ambrosiana
schon zu den Zeiten des Cardinais Federigo Borommeo
als Werke ein und desselben Meisters galten, darf uns
wahrlich nicht wundern, denn die Kunstkritik, wie
überhaupt jede Kritik, lag damals noch im tiefsten
Schlummer und jedes Bild und jede Zeichnung, die
den leisesten Anflug Lionardischer Art hatte, wurde
begreiflicherweise dem Meister selbst zugemuthet. Un-
begreiflich ist dagegen, dass man in Mailand in dem
einen dieser beiden Bildnisse die Züge des Moro, im
^ Nach meinem Dafürhalten gehört jenes niedliche Madon-
nenbildchen keineswegs Lionardo da Vinci an, sondern ebenfalls
einem „trockenen" lombardischen Maler, nämlich dem Ber-
nardino de' Conti.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 237
andern die seiner Gemahlin Beatrice d'Este erblicken
wollte, während doch die Porträts sowol des Moro als
seiner Ehehälfte zu Dutzenden sowol gemeisselt als ge-
malt in der Stadt und auf dem Lande, in Kirchen und
in Privathäusern zu sehen waren. Die liebe Tradition
brachte nun diese wunderlichen Taufen bis auf uns und
selbst die hervorragendsten Kunstkritiker dieses Jahr-
hunderts, sowol die einheimischen als die fremden,
nahmen dieselben mit geschlossenen Augen an. Nicht
nur die Patres Amoretti und Lanzi in Italien, sondern
auch Baron von Rumohr und Otto Mündler in Deutsch-
land, ja, 40 Jahre später, selbst Herr Director W. Bode
gingen, ohne sich dessen zu versehen, in die Falle, die
ihnen die perfide Tradition gestellt hatte; für sie alle
sind nicht nur die beiden Porträts in der Ambrosiana,
sondern auch das Madonnenbild in St.-Petersburg Werke
ein und desselben Meisters, nämlich des Lionardo da
Vinci. Baron von Rumohr stellt jedoch und, wie mir
scheint, mit vollem Recht das unvollendete männliche
Bildniss in der Ambrosiana hoher als das weibliche
Profilporträt, das „Wunderwerk" des Herrn Director
Bode. Ausser in diesem kommen jedoch die zwei ber-
liner Kunstkritiker noch in einem andern Punkte mit-
einander in Collision, nämlich in der Bestimmung der
Zeitepoche, in welcher die Oelmalerei in Toscana üblich
wurde. Director W. Bode mochte, mit Hinweis auf
seinen neuerdings entdeckten „auferstandenen Christus",
beweisen, dass man schon im Jahre 1478 zu Florenz
in Oel malte; Baron von Rumohr behauptet dem ent-
gegen, dass im 15. Jahrhundert die Oehnalerei in Tos-
cana nicht nur nicht üblich, sondern kaum historisch
bekannt war. Wer von beiden ist nun auch in dieser
letztern Streitfrage der Wahrheit näher gekommen?
Nach meiner Ansicht der verstorbene Baron von Rumohr.
Ich denke nun in aller Kürze von den Bildern zu
handeln, die ich mit Zustimmung meiner Freunde in
238 I^i® Galerie Bor{?hese.
Mailand: der Herren Giistavo Frizzoni, Mnrchese
E. Visconti -Venosta und des rühmlichst bekannten Bil-
derrestaurators Cav. Cavenaghi, als von der Hand des
Ambrogio de Predis anzusehen mich berechtigt erachte.
Vorher sei es mir nur noch vergönnt mitzutheilen, dass
Ambrogio schon im Jahre 1482 der begünstigte Por-
trätmaler des Lodovico Sforza war. Dies geht aus
folgendem vom verstorbenen Marchese Campori publi-
cirten Document hervor: A di 22 Mazo (Mai) 1482:
A Zoane Ambroso'di predj de Milano (depintore) de lo
lll. S. Lud. Sforza^ Braza 10 de razo alexandrino de
campione de la Ex. de Madama^ la quäle gie dona la
Ex. del nro. Sig. (Archivio di Stato in Modena ; Libro :
Ricordi de la Salvaroba de Castello^ ö. c. 65.) Auf
Deutsch heisst das: „Dem Johann Ambrosius di Predj
aus Mailand, Maler des Erlauchten Herrn Ludwig
Sforza, zehn Ellen vom alexandrinischen Atlas, von
derselben Sorte wie der Ihrer Excellenz der Madama
(d. h. der Herzogin), welche (nämlich das zehn Ellen
lange Stück) ihm S. Excellenz unser Herr zum Ge-
schenk macht."
Im Jahre 1482 war also An^brogio de Predis bereits
ein ausgelernt er Maler; er dürfte somit etwa zwi-
schen 1450 und 1460 geboren sein. Das älteste der mir
bekannten Bilder von ihm ist wol das Profilporträt des
Herzogs.
1. Giangaleazzo Maria Sforza, Graf von Pavia^
im Besitze des Grafen Porro in Mailand.^ (f)
2. In derselben Epoche ungefähr dürfte auch das
andere oben besprochene Profilporträt (sei es der Isa-
* Man vergleiche dieses Porträt mit der Medaille des unglück-
lichen jungen Fürsten. Der hier auf dem Bildnisse etwa wie
ein Zwanziger aussehende Jüngling trägt einen goldenen Ring
am Daumen. Wie bekannt starb Giangaleazzo 1494 in seinem
fünfundzwanzigsten Lebensjahre. Er heirathete 1489 Isabella
von Aragon. Unser Porträt dürfte also um jene Zeit gemalt sein.
PKOFILruRTKAT RINKR l'NBKKAKXTKN UAMK AI?« ÜKM
HAtritB HK«>RZA. VON *. f>K rRKM«!
IN DKR AMBKOKMN • t«
l-UuIILr"!ai:Al i'L !..!,.,\|,., -(..KZA IM ..I.Ilir.«» OKI. J|>«tM
IX l»KR tllBUoTIlRK DM kCkmTKN TIltVtLZIO IN MAILAND.
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 239
bella, wie Herr Bode meint, sei es einer andern Fürstin
aus dem Hause Sforza) in der Ambrosiana entstanden
sein. Der Schädel dieser hübschen höchst sympathischen
jungen Frau ist nicht ganz richtig in der Zeichnung^
auch fällt die Linie vom Nacken auf den Rücken zu
jäh herab. Lionardo hätte sich nie solche Fehler zu
Schulden kommen lassen.^ (f)
3. Das feine Porträt des Francesco di Bartolommeo
Archinto (geboren 1474, gestorben 1551), zur Zeit Lud-
wig's XII. Gouverneur von Chiavenna. Dieses Bild war
vordem im Besitze der gräflichen Familie Archinto
in Mailand und gehört gegenwärtig Herrn FuUer-Mait-
land in England, wie mir Dr. Frizzoni, der es dort
sah, mittheilte. Es ist mit der Jahreszahl 1494 und
mit der Chiffre M^ (Ambrogio Preda) F. bezeichnet.
4. Die Miniatur mit dem Profilporträt des Lodovico
il Moro im sogenannten „Libro del Jesus" in der Biblio-
thek des Fürsten Trivulzio in Mailand, (f)
5. Die Miniatur mit dem Profilporträt des etwa
fürifjährigen Massimiliano Sforza, ebendaselbst, (f) Alle
die Miniaturen in diesem weltbekannten Codex werden
dem Lionardo zugemuthet. Die oben von mir als
charakteristisch angeführten Merkmale für Ambrogio
de Predis dürften jedoch sogleich jeden Kunstver-
ständigen, und unter ihnen vielleicht sogar meinen
Gegner, Herrn Director W. Bode, überzeugen, dass
auch diese zwei Bildnisse im „Libro del Jesus", etwa im
Jahre 1497 gemalt, dem lombardischen Meister Am-
brogio angehören und keineswegs, wie man früher all-
* Wen dieses Porträt vorstelle will ich dabingestellt sein
lassen. Was icb behaupte und worauf ioh Nachdruck lege, ist:
ersten», dass es nicht die Beatrice d'Este, Gemahlin des Moro,
wie man sie in der Ambrosiana von alters her nennt, vorstellt,
und zweitens, dass dieses hübsche Bild nicht von der Hand des
Lionardo sein kann, wie man allgemein annimmt, sondern dass
e9 ein Werk des verkannten Ambrogio de Predis ist.
240 I>ie Galerie Borghese.
gemein behauptete, dem grossen Florentiner. In diesem
Codex wird nun unter andern Persönlichkeiten auch
ein Messer Bruno ro Preda erwähnt, welcher 1499
die herzogliche Familie auf ihrer Flucht von Mailand
nach Innsbruck begleitete. Ob dieser Brunoro ein Ver-
wandter des Malers Ambrogio war, wüsste ich nicht
zu sagen, dagegen erscheint es mir als sehr wahrschein-
lich, dass der in den folgenden Versen des Codex ge-
nannte Maestro Ambrosio kein anderer gewesen sein
dürfte als unser Maler. ^^Qui maatro Ambrosio dice:
Da de ughette al Conte^ E lui con lieta fronte Dimanda
del Cappone'-'- u. s. w.^ Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass Maestro Ambrogio de Predis, der die Söhne des
Moro im Zeichnen (damals ein Requisit der Erziehung
eines vollkommenen Edelmannes) unterrichtet haben
dürfte, die Prinzen im September des Jahres 1499 auf
ihrer Flucht nach Innsbruck begleitete und sodann meh-
rere Jahre am kaiserlichen Hof lager dort verblieben sei.
In Innsbruck wird er auch 1502 das Porträt des Kaisers
Maximilian und das seiner Gemahlin gemalt haben. ^
6. Das Porträt eines jungen blonden Mannes, Brust-
bild auf dunkelm Grunde, wie alle Bildnisse des Am-
brogio de Predis. Früher wurde auch dieses Bild Lio-
n?irdo zugeschrieben. Im Besitze der Familie Maggi in
Mailand, (f )
7. Das Porträt eines Jünglings mit langen blonden
Haaren, im Costüme eines Pagen. Vorderansicht. In
der Sammlung Morelli in Mailand. Auf der Rückseite
des Bildes liest man in alter Schrift: DI LEONARDO
PITOR Fiorentino. (f)
\,Da sagt Meister Ambrosius — Gib Rosinen dem Grafen t- Und
dieser mit heiterer Stirne — Verlangt Kapaunen." Die Verse be-
schreiben nämlich den jungen Massirailiano Sforza bei Tische.
2 Die hier reproducirte Zeichnung zu diesem Bildniss fand
ich später unter dem Namen Lionardo's in der Sammlung der
venetianischen Akademie. •
Lombardische Meister: Ambrogio de Predis. 241
8. Das Porträt eines jungen Mannes mit einem
Pfeile in der Hand (Sebastianus). Vorderansicht. Bei
Herrn Dr. Gustavo Frizzoni in Mailand. Dieses Bild
galt ehedem als von der Hand des Boltraffio.
Die eben erwähnten Werke, welche alle der frühern
Zeit des Ambrogio de Predis angehören, sind hell in der
Carnation und haben einen ganz eigenthümlicheu Smalto,
gleich dem im Profilporträt in der Ambrosiana, wogegen
die folgenden Bildnisse, die der spätem Wirkungszeit des
Malers (von etwa 1510 — 15) angehören, eine vollkom-
menere Modellirung und ein bräunlicheres Incarnat
aufweisen. Zu diesen letztern Bildern rechne ich:
9. Das männliche Profilporträt des Francesco Brivio,
Sohn des Jacopo Stefano, herzoglichen Raths und im
Jahre 1514 Herr von Melegnano. In der Saumilung
Poldi-Pezzoli in Mailand, wo das Bild dem V. Foppa
zugeschrieben wird.
10. Das Profilporträt eines alten vornehmen Herrn,
in der Sammlung des Herrn Dr. G. Frizzoni. Auch
dieses Bild galt als Werk Lionardo's und wurde im Jahre
1848 als solches von der florentinischen Akademie be-
stätigt, (t)
11. Das Profilporträt eines zwanzigjährigen Jüng-
lings mit der goldenen Fürstenkette um den Hals, in
der Sammlung Morelli. (f) Täusche ich mich nicht, so
stellt dieses treulich modellirte Bildniss den Massimiliano
Sforza vor, welcher den herzoglichen Thron in Mailand
vom Jahre 1512 bis zum Jahre 1515 innehatte.
12. Vielleicht dürfte auch das Profilporträt im Gange
der Uffizien-Galerie (Nr. 30 ''*•), dort dem Antonio del
Pullajuolo zugeschrieben, als das W^erk unsers Ambrogio
sich herausstellen, wenn es nämlich von der dichten
Maske, die das Gesicht bedeckt, befreit würde. Der
Mund scheint mir ganz in der Art des de Predis mo-
dellirt zu sein, ebenso werden wir durch die Weise, wie
die Lichter auf die schwerfällig herabfallende Haarmasse
LBBXot.iBrr. 16
242 ^i® Galerie Borghese.
aufgetragen und wie die einzelnen Wimi^ern angegeben
sind, an Ambrogio erinnert. Selbst die Augenpartie ist
durchaus so modellirt, wie wir dieselbe auf den eben
angeführten Bildnissen des Ambrogio de Predis ge-
wahren. Dieses letztere Porträt in Florenz ist jedoch so
stark übermalt, dass eine positive Bestimmung desselben
mir etwas gewagt erscheint.
Wie das Jahr der Geburt, so ist auch das des Todes
des Ambrogio Predi unbekannt. Er wurde wahrscheinlich
von dem berühmten »Miniaturmaler Christop ho rus de
Predis, wol einem Verwandten, zuerst im Zeichnen
unterrichtet. ^ Nach einigen seiner Miniaturen im „Libro
del Jesus" zu schliessen dürfte Ambrogio später von der
Schule des V. Foppa, im Anfange des 16. Jahrhunderts
jedoch von Lionardo da Vinci stark beeinflusst worden
sein. Ambrogio ist ?illerdings ein gewissenhafter, feiner
Maler, seine Zeichnung und Modellirung sind jedoch
gar oft mangelhaft, wie z. B. in der Auffassung und Dar-
stellung der Hand; in dem Bildnisse bei Herrn Friz-
zoni, in dem des Gian Galeazzo Sforza beim Grafen
Porro, in jenem des Archinto bei Herrn FuUer-Maitland
sind die Hände plump und leblos. ^
^ Von diesem modenesischen, iu Mailand ansässigen Miniatur-
maler besitzt die königliche Bibliothek in Turin eine vorzügliche
Miniatur, bezeichnet;
— n n_
GZ. MA
DUX MDL. QVINTVS
OPVS XOFORI DE PREDIS
MVT. DIE 3. APRILIS. 1474.
Andere seiner Miniaturen befinden sich im Hause der Erben des
Marchese Girolamo d'Adda in Mailand, in der Kirche Madonna
del Monte bei Varese und anderwärts noch.
* Dieser Excurs über den Bildnissmaler des Lodovico Sforza
war seit Wochen niedergeschrieben, als Herr Director W. Bode
die Gewogenheit hatte, mir einen Sonderabdruck des von ihm
im Heft II (1889) des „Jahrbuchs der königl. preussischen Kunst-
sammlungen" veröffentlichten Aufsatzes über ein im Privatbesitz
Lombardische Meister: Bernardino de' Conti. 243
BEUNAKDINO DE' CONTI.
Da mm die frühem Bilder des Ambrogio de Predis
eine grosse Verwandtschaft mit den spätem Porträts
(von 1505 an) des Bernardino de' Conti haben, so
zu Berlin befindliches weibliches Profilporträt zukommen zu
lassen. Indem ich es für meine Pflicht erachte, dem berliner
Kunstgelehrten meinen Dank auch für sttne Zuvorkommenheit
auszusprechen, möge der freundliche Herr mir gestatten, ihm
zugleich meine Glückwünsche hier darzubringen zu der von ihm
gemachten Entdeckung des wahren Conterfeis der Bianca Maria
Sforza, zweiten Gemahlin des Kaisers Maximilian. Und ich ent-
ledige mich dieser meiner Schuld gegen ihn mit um so grösserer
Bereitwilligkeit, als bei der Beurtheilung dieses von ihm als
Porträt der Bianca Maria bezeichneten Bildes ich diesmal die
höchst seltene Genugthuung habe, nicht nur über die Persön-
lichkeit der dargestellten Frau, sondern sogar auch in der ästhe-
tischen Werthschätzung des Kunstwerks mit ihm vollkommen
einverstanden zu sein. Zu meiner grossen Beruhigung finden
sich auch auf diesem Profilporträt der Bianca Maria in Berlin,
wie die Heliogravüre beweist, fast alle jene Merkmale vor, die
ich auf Seite 238 als charakteristisch für Ambrogio de Predis
angab. Denn abgesehen von der Zeichnung des Auges mit
den einzeln angezeigten Wimpern, abgesehen von der steifen
Gontour der Oberlippe, abgesehen von dem scharf beleuchteten
Nasenrücken und der trockenen, miniaturartigen Behandlung der
Nebendinge, der Juwelen, Schnürchen u. s. w., erblicke ich, zum
Glück, auf diesem Porträt der Bianca Maria auch jenen hellen
Lichtstreifen am äussern Augenwinkel, welcher sowol auf
dem mit dem Namen des Meisters bezeichneten Porträt des
Kaisers Maximilian als auch auf dem Profilporträt in der Am-
brosiana sich vorfindet — ein Lichtstreifen, tlen man vergebens
auf den Profilbildnissen anderer gleichzeitiger italienischer Maler
suchen wird. £s ist wahr, das auf dem Profilporträi der Am
brosiana dargestellte weibliche Antlitz ist viel anmuthiger und
geistreicher als das der Bianca Maria, wie dies Herr Director
Bode richtig bemerkt, dürfte aber das nicht wol eher das Ver-
dienst der Mutter Natur als der des Malers selbst sein? Der ber-
liner Kunstgelehrte ist keineswegs dieser Meinoog. „Der Abstand
16*
244 JDie Galerie Borghese.
erscheint es sehr wahrscheinlich, dass Bernardino ausser
von Lionardo auch von Ambrogio de Predis beeinflusst
•worden sei. Es sei mir nun erlaubt, auch über diesen
dieses Porträts der Bianca Maria", sagt er, „von dem Profilporträt
in der Ambrosiana ist so gross, wie er nur zwischen den Werken
eines der grössten Maler aller Zeiten und den Arbeiten
eines fleissigen, handwerksmässigen Nachfolgers sein kann". Ich
bin wahrlich ein zu warmer Freund der Gedankenfreiheit, als
dass ich mich durch ^en herben Vorwurf, den mir hier mein
verehrlicher Gegner macht, aus meiner Gemüthsruhe sollte brin-
gen lassen. Ich überlasse, wie immer, auch in diesem Falle die
ästhetische Würdigung der Kunstwerke den Kunstfreunden
selbst; ich kann jedoch nicht unterlassen, abermals den freund-
lichen Leser auf die ungeheure Kluft aufmerksam zu machen,
di3 selbst in der ästhetischen Beurtheilung der italienischen
Kunstwerke zwischen dem berliner Gelehrten und mir besteht. —
Einen fernem Grund, meine Freunde zu ersuchen die italienischen
Autorbestimmungen des Herrn Director Bode stets in jene Reihe
von Sentenzen stellen zu wollen, die Monsieur de Pourceaugnac
„sujettes ä caution'-'' nennen würde, liefert mir wieder der Herr
Director des Berliner Museums in dieser seiner Abhandlung
in welcher er mir über den Unterschied zwischen den Werken
des A. de Predis und denen des Lionardo da Yinci eine Lection
zu ertheilen die besondere Gefälligkeit hat, indem er mir zwei
andere Bildnisse als Originalwerke vorhält, die in meinen Augen
nur Copien sind. Das eine ist das Bild bei Herrn George Salting
in London, welches Director Bode auf Seite 9 erwähnt ; das an-
dere ist das weibliche Profilporträt im Palazzo Pitti (Nr. 371,
dort Pier della Francesca benannt). Zum Glück sah auch ich
jenes Bild bei Herrn Salting und zwar nicht allein, sondern im
Beisein mehrerer kunstverständiger Freunde, unter andern auch
des Herrn Dr. J. P. Richter, und wenn wir alle auf den ersten
Blick in jenem Bilde eine kümmerliche Copie des Profilpor-
träts in der Ambrosiana erkannten, so konnte wahrlich keinem
von uns in den Sinn fallen, dabei mit Herrn Director Bode an
Ambrogio de Predis zu denken ; sieht man doch ähnliche schlechte
Copien von Bildnissen des zu seiner Zeit gefeierten de Predis
auch im Museo civico zu Mailand und anderwärts noch. Auch
soll Herr Salting nach jenem unserm Besuch sich des vermeint-
lichen Juwels baldmöglichst entledigt haben.
Lombardische Meister: Bernardino de' Con _'45
Bernnrdino de** Conti, den kaum gekannten mailändischen
^Maler, dessen Bilder gar oft in den Augen der Laien
den Namen des Lionardo fuhren, einige Worte hier zu
Das andere weibliche Profilportrat, welches Director Bodo
aaf Seite 6 seiner Abhandlung bespricht, stellt die Beatrice
Sforza, Gemahlin des Moro, dar. In den Aagen des berliner
Directors ist auch jene langweilige Copie im Palazzo Pitti
ein „schönes ferraresisches'' Bild und zwar von der Hand des
Lorenzo Costa. Hätte Director Bode sich das ganz yorzög-
liche Porträt des Bentivoglio von Lorenzo Costa, das an der-
selben Wand hängt, sich angesehen, so würde er schwerlich za
dergleichen im Munde eines Kunstverständigen ganz unbegreif-
lichen Behauptuugen gelangt sein. In der Zaversicht nun, mich
für immer zu entwaffen und für die Zukunft unschädlich zu machen,
beruft sich der berliner Kunstgelehrte auf das Urtheil meines
verstorbenen Freundes Otto Mündler, den er mit vollem Recht
den ,,feinfühligen Kenner alter Kunst" nennt. Wenn jedoch
Mündler in Gegenwart des Ambrosianabildes feinfühlig war in
den Augen des Herrn Director Bode, weil er jenes Werk als
von der Hand des Lionardo erklärte, wie kommt es, frage ich,
(lass derselbe feinfühlige Kenner alter Kunst vor dem Porträt
•ler sogenannten „Donna velata" im Pitti-Palast für Herrn Di-
rector Bode auf einmal aufhört „feinfühlig" zu sein? Meine
freundlichen Leser müssen nämlich wissen, dass jenes herrliche
Hafi"aelbild im Palast Pitti vom berliner Director für eine Copie
und zwar für die eines spätem Bolog^nesen erklärt wird. (Cic. II,
704.) Mündler aber, der feinfühlige Kenner alter Kunst, dachte
ganz anders über jenes weibliche Bildniss. „Mir erneuerte sich",
sagt er (Beiträge zu J. Burckhardt's Cicerone, 41), „so oft ich
das Bild wiedersah, der erste Eindruck: «Raffael» ruft jeder
Pinselstrich, und welchem Autor als ihm gelang dieser aner-
reichbare Adel und dieser Zauber? Das linke Auge, unter an-
(lerm, ist ein wahres Wunder von Zeichnung, von Helldunkel
und von malerischer Behandlung." Und Otto Mündler war nicht
nur feinfühlig, weil die Natur ihn mit den Gaben einea Künst-
lers beschenkt hatte, sondern aach weil er eine allgemeine ftathe-
tische Bildung besass, eine Bildung, die leider so vielen Kaost-
kennem unserer Tage gans und gar abgeht Mir ward das
(ilü'k, den treffliehen, von mir bochgesohitzten , feinfQhligen
Kuiibtforscher aus Bayern gewiss ebenso gut, wenn nicht viel-
246 I^ie Galerie Borghese.
sagen. Kein Kunstschriftsteller, ausgenommen die wenig
zuverlässigen Lomazzo und Orlandi, bericliet uns über
diesen Meister. Derselbe soll ein Pavese gewesen sein
leicht besser als Herr Director Bode zu kennen, denn ich ver-
lebte zwei volle Jahre in Paris im vertrautesten Umgange mit
ihm und wir machten zusammen unsere Studien in der Louvre-
Galerie zu einer Zeit, als der berliner Director, der Glückliche,
wahrscheinlich noch in den Windeln lag und weder von Lio-
nardo noch von Kafifael träumte. Ich kann daher ihm mit gutem
(iewissen bezeugen, dass zu seiner Zeit, d. h. vor etwa 40 Jahren
kaum ein anderer Kunstfreund mit der italienischen Kunst so
vertraut war wie Mündler, was jedoch den braven Mann nicht
abhielt, mit bewunderungswürdiger Bescheidenheit auch von an-
dern, weniger competenten Kennern als er war, wenn der Enthu-
siasmus ihn zuweilen zu Fehltritten verleitet hatte, sich eines
Bessern belehren zu lassen. Denn, wie alle Menschen von feinerm
Schrot und Korn, so war auch Mündler ein abgesagter Feind
aller Stelzenlauferei. Stets lernbegierig kam es ihm nie in den
Sinn, andern das vordociren zu wollen, was er selbst nicht
wusste. Ich bin daher überzeugt, dass, weilte Mündler noch
unter den Lebenden, er es für seine heilige Pflicht gehalten
hätte, die von ihm begangenen und im damaligen Zustande, der
K urstwissenschaft sehr verzeihlichen Irrthümer durch ein offenes
Bekenntniss wieder gut zu machen, und dass er somit heutzu-
tage weder das Profilporträt in der Ambrosiana, noch das Wand-
gemälde in Vaprio (il Madonnone), noch die „Vierge aux rochers"
in der Londoner National Gallery immerfort noch als Werke Lio-
nardo's ansehen würde. Denn seit jener Mündler'schen Zeitepoche
hat ja doch die Kunstwissenschaft, und wenigstens dies wird Herr
Director Bode mir nicht bestreiten wollen, wenn auch nicht sehr
grosse, immerhin doch Fortschritte gemacht, und zwar nicht
nur in der Kenntniss der holländischen Malerschulen, in denen
ja, wie bekannt, der berliner Kunstgelehrte so manchen Lorber-
kranz sich gepflückt hat — nein, auch das Studium der Kunst-
schulen Italiens, mitErlaubniss meines verehrlichen Widersachers,
ist nicht zurückgeblieben und hat zu mancher Eroberung ge-
führt: Eroberungen, die zwar, wie dies in fast allen Wissen-
schaften zu geschehen pflegt, von vielen Seiten noch immer be-
stritten werden, welche aber in der Mehrzahl, wie ich denke,
die harte Prüfung siegi*eich bestehen dürften.
Lombardische Meister: Bernardino de* Conti. 247
und als solcher dürfte er wol seine erste künstlerische
Erziehung dem Vincenzo Foppa oder dem Civerchio
verdanken. Das rothlich -braune Incarnat sowie auch
das Faltensystem auf seinem Bilde vom Jahre 1496 in
der Brera- Galerie deuten wenigstens auf die Schule
Foppa's hin. Später jedoch muss Conti, in Mailand
ansässig, theils von Lionardo theils von Ambrogio
de Predis beeinflusst worden sein. Die Herren Crowe
und Cavalcaselle (II, 67) fertigen diesen lombardi-
schen Maler kurz ab, indem sie ihn ohne weiteres
als einen Schüler ihres Zenale uns vorstellen und so-
dann einige w^enige Werke von ihm anführen, nämlich
das mit dem Namen bezeichnete Porträt eines Prälaten
im Berliner Museum vom Jahre 1499; eine das Kind
säugende Madonna in der Münchener, ehemals Schleiss-
heimer Galerie; eine „Wiederholung" davon in der
städtischen Sammlung von Bergamo; eine „Vermählung
der heiligen Katharina" ebendaselbst, und endlich ein
Madonnenbild in der Sammlung Poldi-Pezzoli zu Mai-
land. Das Madonnenbild in München ist nach meiner
Ansicht eine alte Copie, und die beiden Bilder in
Bergamo können doch wol nur als Atelierwerke des
Meisters angesehen werden; die Aufschrift mit dem
Jahre 1501 auf dem einen derselben wurde schwerlich
vom Maler selbst darauf gesetzt. Dem Beispiele seiner
bewährten Führer, der Herren Crowe und Cavalcaselle,
folgte auch diesmal Herr Director Bode und schilderte
<laher mit einigen geringschätzigen Bemerkungen den
Conti als einen ganz untergeordneten Meister. Ueber
die ästhetische Werthschätzung von Kunstwerken Hesse
sich gar vieles sagen, denn, wie die Peripatetiker richtig
bemerkten : omne quod recipüur ad modum recipientie re-
cipitur. Stellen wir daher lieber, unserer materialistischen
Methode folgend, vorerst die charakteristischen Zeichen
fest, nach denen die Werke, sowol Gemälde als Zeich-
nungen, auch dieses Meisters sich von denen anderer
248 I^iö Galerie Borghese.
gleichzeitiger mailändischer Maler, und zumal Lionar-
do's da Vinci, mit dem Conti besonders in seinen Zeich-
nungen verwechselt wird, unterscheiden lassen.
1) In seinen Bildern aus dem 15. Jahrhundert, wie in
der grossen Altartafel der Brera- Galerie, ehedem dem
Zenale zugeschrieben, und auch im Prälatenporträt vom
Jahre 1499 im Berliner Museum, ist die Carnation röth-
lieh; in seinen spätem Werken, wie in dem Bildnisse
vom Jahre 1505 bei der Gräfin d'Anfrrogna in Turin^
in dem weiblichen Porträt bei Herrn A. Morrison in
London, in der das Kind säugenden Madonna in der
Ermitage in St.-Petersburg ist dagegen das Incarnat kalt
und hell und von einem Smalto, der an die Porträts au&
der ersten Wirkungszeit des Ambrogio de Predis erinnert-
2) Die Antihelix des Ohres ist bei ihm sehr breit,
sodass dadurch das Ohrloch schmal wird.
3) Der Schlagschatten des Auges an der Nasen-
wurzel ist scharf angezeigt.
4) Die Haarmasse an den weiblichen Köpfen ist
glatt über die Schläfe gezogen.
5) Die Finger sind unschön in ihrer Bewegung, ähn-
lich denen an den Händen des Antonio del Pollajuolo,
und die Nägel daran kurz und breit.
6) Seine Zeichnungen sind fast alle fleissig und zier-
lich mit dem Silberstift ausgeführt, die Striche gehen
nicht, wie bei Lionardo, von links nach rechts sondern
von rechts nach links.
7) Der Mund ist bei ihm weniger hart als in den
Porträts des Ambrogio de Predis.
Demnach dürften folgendeWerke, meiner Ansicht nach^
dem Bernardino de' Conti zugeschrieben werden:
1) Die grosse Altartafel (Nr. 499) in der Brera-
Galerie. Auf derselben ist die thronende Jungfrau mit
dem Kinde und den vier Kirchenvätern (Caricaturen
Lionardischer Köpfe) nebst der am Fusse des Thrones
knienden Familie des Lodovico Sforza dargestellt. Dieses
MADONXA VON liKI'.N U'.MI N-ijnr (tJjTTI , IJC KT i :i i -lUEO.
Lombardische Meister: Bemardino de' Conti. 249
Bild galt vor Zeiten in Mailand für ein Werk des Lio-
nardo da Vinci, wurde sodann, als es in die Brera-
Galerie versetzt ward, ohne allen Grund auf Bemar-
dino Zenale getauft, ungefähr auf dieselbe Weise, wie
in Berlin das Giovanni Santi-Bild des Herrn Rumohr
auf einmal in ein Hauptwerk des Timoteo Viti ver-
wandelt wurde. Gegenwärtig führt es seinen richtigen
Namen, d. h. den des Bemardino de' Conti, (f )
2) Das sogenannte Selbstbildniss des Lukas von Ley-
den in der Uffizien -Galerie, Nr. 444, scheint mir eher
eine alte Copie als Originalbild des Bemardino de'
Conti zu sein, (f )
3) Das grosse weibliche Porträt bei Herrn A. Mor-
rison in London. Dieses Bild war ehedem im Hause
Castelbarco in Mailand und galt dort für »in Werk
Lionardo's. (f)
4) Das mit dem Namen des Meisters und der Jahres-
zahl 1505 bezeichnete Porträt des Catcllanus Trivulcius
bei der Gräfin d'Angrogna in Turin.
5) Die niedliche, das Kind stillende Madonna, einst
im Hause Litta zu Mailand, jetzt in St.-Petersburg. Dieses
Bild ging und geht noch immer unter dem Namen
Lionardo's da Vinci. Charakteristisch auf diesem Ge-
mälde sind die kleinen breiten Nägel, sowie auch das
Incamat und das glatt über die Schläfe der Jungfrau
gestrichene Haar, (f)
6) Das Madonnenbild in der Poldi-Pezzoli-Sammlung.
Von den vielen Zeichnungen des Bemardino de'
Conti, die unter dem Namen Lionardo's in den öffent-
lichen Sammlungen uns vorgestellt werden, will ich eben-
falls hier etliche anführen, auf dass meine Freunde sich
von der Richtigkeit meiner Behauptungen überzeugen
mögen, gilt doch bei allen emsten Forschem der Grund-
satz, dass das was man behauptet in der Wissenschaft
keinen Werth haben kann, wenn man nicht in d^r Lage
ist, es durch triftige Grunde zu beweisen.
250 I^iö Galerie Borghese.
7) Die Profilzeiclmung des Kopfes des jungen Massi-
niilinno Sforza, eine Studie zu Conti's grossem Altar-
werk (Nr. 499) in der Brera-Galerie. Diese Zeichnung,
die wir hier reproduciren, damit der Leser auch die
charakteristische Form des Ohres mit der breiten Anti-
helix sich merken könne, befindet sich unter dem Namen
Lionardo's in der Ambrosiana. Braun hat dieselbe unter
Nr. 38 photographirt. (f )
8) Die grosse Silberstiftzeichnung im Britischen Mu-
seum, Braun 45, unter dem Namen Lionardo's. Es ist
dies ebenfalls eine Studie zum Madonnenbilde Conti's
in der Brera-Galerie. (f)
9) Der männliche Kopf, Dreiviertelansicht, Silber-
stiftzeichnung im Louvre, ebenfalls unter dem Namen
Lionardo's, Braun 169. (f)
10) Der Lionardeske Kopf eines alten Mannes im
Britischen Museum, Vol. 36, P. p. 1, 35. (f)
11) Der herrliche männliche Kopf, Silberstiftzeich-
nung, Nr. 39, unter den Lionardo-Zeichnungen im Kata-
loge der an guten Zeichnungen reichen Sammlung des
Herrn John Malcolm in London, (f )
12) Der weibliche Kopf mit aufgelösten Haaren in
der Sammlung des Christ Church College in Oxford,
dort ebenfalls Lionardo da Vinci zugeschrieben, (f)
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass, wie Ambrogio
de Predis, so auch Bernardino de' Conti in den ersten
Decennien des 16. Jahrhunderts ein in Mailand sehr be-
liebter Porträtmaler war. Man darf zwar auch ihn nicht
zu den grossen Meistern rechnen, allein zuweilen glückt
es auch ihm Werke zu schaffen, durch welche, wie dies
z. B. mit dem Madonnenbilde in St.-Petersburg der Fall
ist, selbst die sogenannten Kenner der mailändischen
Kunstschule und Lionardo's getäuscht werden können.
Ich habe leider bei diesen zwei alten „handwerks-
mässigen" lombardischen Meistern länger mich aufhalten
PBOPILPORTKAT DRM Jt'NORS MAHHIMII.IAXO HPDIIXA .
«ILBBRrrKTUK'II.VrXd IN' DER AMBROaUNA.
Lombardische Meister: Francesco Francia. 251
müssen, als es in meinem Wunsche lag, da mir der Vor-
wurfgemacht wurde („Deutsche Litteraturzeitung'', 1886,
Nr. 42), die Kenntniss sowol des Predi als des Conti
(die vor mir doch sozusagen ganz vuid gar unbekannt
waren) nur „durch den Widerspruch, den meine An-
sichten über dieselben hervorrufen müssen, gefördert zu
haben".
FRANCESCO FRANCIA.
Und nun muss ich noch des Francesco Francia ge-
denken, dem in diesen zwei ersten Zimmern der Galerie
mehrere Bilder zugedacht werden. Das eine darunter
ist, meinem Gefühle nach, eins der empfundensten
Werke des Meisters und gehört wol zu den Arbeiten
aus der Frühzeit (1490—96) dieses wahrhaft frommen
und liebenswürdigen Mannes; ich meine die mit Nr. 50
bezeichnete Tafel. ^ Auf derselben ist der heilige Ste-
phanus kniend und mit gefalteten Händen dargestellt.
Sein. Kopf blutet aus einer klaftenden, eben erhaltenen
AVunde, sein Auge blickt voll Gottvertrauen dem nahen
Tode entgegen. Hintergrund Landschaft. Auf oinem
unten angebrachten Zettel {cartellind) liest man:
VINCENTH . DESIDERII • VOTVM • FRANCIE •
EXPRESSVM . MANV.
W eilige Bilder hauchen so rein, so voll das Arom
jener goldenen Kunstblüte aus, wie dieser Stephanus
des Francia.
Die Madonna mit dem Kinde mitten unter Rosen*
dürfte dagegen, in der Ausfühnnig wenigstens, eher
einem der bessern Schüler und Nachahmer, deren ja
Francia so viele linttr. als ihm selbst angehören. Als
* Leider ist auch dieses Bild, eine der Perleu der Samm-
lung, ins obere Stockwerk des Palastes gewandert.
' Hängt jetst im ersten Saal.
252 ^*® Galerie Borghese.
von der Hand des Meisters selbst ausgeführt betrachte
ich dagegen das ganz vorzugliche Bild mit der „Lucrezia
romana^^ im ersten Saal der Galerie.^
Die übrigen Madonnen bilder sowie auch der heilige
Antonius, die gegenwärtig in diesem ersten Saale auf-
gestellt sind und zwar noch immer unter dem Namen des
Francesco Francia (Nr. 55, 56, 57), sind nach meiner
Ueberzeugung nur Werke der Schule, ebenso wie die
Madonnenbilder in der Galerie Doria und in der des
Vaticans. Ein echtes, obwol unvollendet gelassenes Werk
des Francesco Francia scheint mir dagegen das grosse
Tafelbild im ersten Saal der Capjtolinischen Galerie zu
sein. Eä ist dies vielleicht das letzte Werk des Mei-
sters und stammt wol aus demselben Jahr wie jenes in
der Kapelle Facci der Kirche von S. Stefano in Bo-
logna.^ Uebrigens wurde das Tafelbild in der Capito-
linischen Galerie von Francia blos untermalt (man er-
kennt darin sehr leicht die von ihm selbst gezeichneten
Figuren). Es dürfte wol im 17. Jahrhundert von einem
bolognesischen Maler mit Hinzufügung mehrerer an-
derer Figuren, des Hundes und anderer Zuthaten fertig
gemalt worden sein.
Im nämlichen Saale der Galerie hängt ein anderes
ebenfalls dem Francesco Francia zugemuthetes Bild,
auf welchem die thronende Jungfrau mit dem Kinde
dargestellt ist, zur rechten Seite des Throns die Hei-
ligen Petrus, Paulus und Johannes der Täufer, zur
* Auch die Lucrezia wurde in die obern Gemäclier des Pa-
lastes gebracht. Jenes Bild ist wol das von Vasari beschriebene
(VI, 11). „77 duca Guido Baldo parimente ha nella sua guar-
darobüj dt mano del Francia, in un quadro una Lucrezia ro-
niana, da lui molto stimata.^^ In der Sammlung von Lord North-
brook in London befindet sich eine alte und gute Copie der Bor-
ghesischen Lucrezia.
' Die Herren Crowe und Cavalcaselle (I, 574, 3) geben jenes
Bild der Kapelle Facci dem Giacomo Francia.
Lombardische Meister: Francesoo Francia. 253
linken Andreas, Johannes der Evangelist und Francis-
cus. Die mit Gold reich verzierte Architektur lässt
uns im Autor des Bildes einen vom Palmezzano be-
einflussten Maler vermuthen. Der Gesichtstypus der
Madonna, die Form der Hand und des Ohres des Christ-
kindes, sowie die Landschaft sind augenscheinlich dem
Francia entlehnt, wogegen der Typus des heiligen Fran-
ciscus sowie die carrikirten Gesichtstypen der übrigen
Heiligen an Palmezzano erinnern; die auf dem Thron-
sessel angebrachten Früchte lassen uns an die Schule
des Carlo Crivelli denken. Das Bild ist mit der Jahres-
zahl 1513 bezeichnet und dürfte einem Künstler aus
der Marca d' Ancona angehören.
Hatten wir soeben Gelegenheit, in diesem Saal der
Capitolinischen Gemäldesammlung eins der letzten Werke
des Francia zu sehen, so bietet uns dagegen, meiner
Ueberzeugung nach, die Galerie Corsini in Rom im
kleinen Tafelbilde mit dem heiligen Georg im Kampfe
mit dem Drachen einen der ersten Versuche in der
Malerei des Meisters dar. Jenes Bildchen wird all-
gemein für die Arbeit des Ercole Grandi di Giulio
Cesare gehalten und als solche wurde es vor Jahren
auch von mir angeführt. Bei einer nähern Besichti-
gung jedoch fielen mir auch vor diesem Bilde die
Schuppen von den Augen und ich erkannte es als Jugend-
werk des Francesco Francia, etwa aus derselben
Epoche, in der das Bildchen mit dem Gekreuzigten im
Arciginnasip von Bologna (f), das Madonnenbildchen
Nr. 1040 in der Münchener Pinakothek, die Bilder für
den Bianchini (im Museum von Berlin) und für den
Felicini (in der Pinakothek von Bologna) entstanden,
d. h. in den Jahren 1490—94. (f)
Florenz besitzt ein Porträt des Evangelbta Scappi,
in der Tribuna der Uffizien-Galerie aufgestellt, ein zwar
vorzügliches, allein stark restaurirtes Werk des Francia.
Die grossere Zahl der Bilder dieses Meisters, und dar-
254 I^io Galerie Borghese.
unter auch seine besten, müssen in seiner Vaterstadt
Bologna nufgesucbt werden : in der Pinakothek, in den
Kirchen S. Jacopo mnggiore, S. Martino, S. Vitale, in
der Kapelle der heiligen Cäcilia.
Francesco Francia verhält sich zu Lorenzo Costa un-
gefähr so wie Pietro Perugino zu Pintoricchio. So-
wol Costa als Bernardino Betti sind phantasiereichere,
lebendigere, dramatischere Künstler als Francia und Pe-
rugino. Diese letztern waren jedoch strengere Zeichner
und gewissenhaftere Maler als jene, wenigstens in den
Arbeiten aus ihrer Frühzeit. Die einzelnen Figuren in
ihren Bildern sind mit grösserer Sorgfalt ausgeführt,
allein alle diese Figuren stehen gleichsam fiir sich da,
der Lichtstrahl ein und derselben Idee erleuchtet und
erwärmt sie nicht, mit einem Wort, sie sind nicht bei
der Sache. Trotzdem erfreuen sie den Beschauer durch
ihren sanften, innigen Ausdruck.
SOFONISBA ANGUISSOLA.
Es erübrigt mir noch von einem zwar spätrem, allein
zu seiner Zeit weitberühmten lombardischen Bildniss-
maler, dem im dritten Saal dieser Borghese -Galerie
ein kleines weibliches Porträt zugeschrieben wird, mei-
nen freundlichen Leserinnen und Lesern einiges mit-
zutheilen. Das Bild führt die Nr. 14 und gehört keinem
männlichen, sondern einem weiblichen Porträtmaler
an. Der Katalog schreibt es der Sofonisba Anguis-^
sola, der mütterlichen Freundin von A. van Dyck, zu.
Sofonisba stammte aus der cremonesischen Patricier-
familie der Anguissola und wurde von ihrem Vater
Ilamilcar schon in ihrem siebenten Jahre dem cremo-
neser Maler Bernardino Campi anvertraut, damit der-
selbe sie im eigenen Hause zur Malerei ausbilde.
Welcher aristokratische Vater und zumal welche
adelige Frau Mama würde in unserer demokratisch sich
geberdenden Zeit ihrem vornehmen Töchterlein eine
Lombardisühe Meister: Sofonisba Anguissola. 255
solche ^^education^^ zuniuthenl Als aber nach einigen
Jahren (1550) Bernardino Campi nach Mailand berufen
ward, übernahm der in Cremona ansässige Bernardino
Gatti, il Sojaro genannt, ein Nachahmer des Correggio
und des Parmeggianino, die weitere künstlerische Er-
ziehung und Ausbildung der jungen Sofonisba, welche
1559 schon zu solchem Ruf gelangt war, dass Philipp II.
sie an seinen königlichen Hof nach Madrid berief.
Das älteste mir bekannte Gemälde der jungen vor-
nehmen Malerin ist das Porträt einer schwarzäugigen
Nonne bei Lord Yarborough in London, mit dem Namen
der Malerin und der Jahreszahl 1551 bezeichnet. So-
fonisba hätte also das wirklich hübsche Bild in ihrem
elften oder höchstens zwölften Jahre, wahrscheinlich mit
Beihülfe des Lehrers, gemalt. Denn auf ihrem Selbst-
porträt im Belvedere in Wien sieht das grossäugige
Mädchen etwa vierzehn- oder fünfzehnjährig aus. Jenes
Bild trägt die Aufschrift: SOPHONISBA • ANGVIS-.
SOLA . VIRGO . SE • IPSAM • FECIT • 1 554. Ausser
diesem sind mir noch' etwa ein halbes Dutzend anderer
Selbstporträts von ihr bekannt. Ein solches befindet
sich auch in der an guten Bildern reichen Sammlung
der Sienesischen Akademie. Die Malerin sieht darauf
etwa wie ein 18- oder 19 jähriges Mädchen aus, und das
Bild muss daher ums Jahr 1558 von ihr gemalt sein.
Sofonisba hat neben sich einen Mann mit dem Stift in
der Hand hingestellt, wahrscheinlich ihren ehemaligen
Lehrer Bernardino Campi, welcher, 1522 geboren, auf
dem Bilde auch wirklich wie ein naher Vierziger aus-
sieht. Die Figuren sind in Lebensgrosse. Auch der
verstorbene Herzog Melzi in Mailand besass ein frei-
lich sehr beschädigtes Selbstporträt der Anguissola;
ein späteres befindet sich in der florentinischen Künstler-
porträtsammlung der Uffizien. Dasselbe ist bezeichnet:
SOPHONISBA . ANGVISSOLA • CREM^s (Cremo-
nensis) AET • SVAE • ANN • XX, wurde demnach
256 ^i® Galerie Borghese.
wabrscbeinlich von ihr in Madrid gemalt, was auch die
Beifügung ihrer Heimat in der Inschrift andeuten dürfte.
Andere Porträts von ihrer Hand finden sich in Eng-
land beim Grafen Spencer, bei Herrn Danby Seymour,
bei Herrn William Stirling; in Deutschland unter an-
dern das schöne Bild mit den Porträts ihrer drei Schwe-
stern in der im Berliner Nationalmuseum aufgestellten
Sammlung des Grafen Raczynski in Berlin; ein anderes
in der Ermitage in St.-Petersburg, aus der Leuchtenberg'-
schen Sammlung erworben; ein anderes im Museum von
Neapel. Herr Giovanni Morelli in Mailand besitzt auch
ein sehr niedliches Bildchen von ihr, worauf die heilige
Familie dargestellt ist. Auf demselben liest man fol-
gende Aufschrift: SOPHONISBA • ANAGVSSOLA
(sie) . ADOLESCENS • P. 1559, also aus dem Jahre,
in dem die etwa 19- oder 20jährige Sofonisba an den
Hof Philipp's n. nach Madrid berufen wurde. ^
lieber das Geburts- und Todesjahr dieser höchst
interessanten, selbst von Michelangelo belobten und von
Vasari hochgepriesenen Malerin herrscht noch immer
unter den Kunstschriftstellern eine grosse Confusion.
Nach meinem Dafürhalten also wurde Sofonisba etwa
im Jahre 1539 in Cremona geboren. Ihr Selbstporträt
in Wien vom Jahre 1554 stellt, wie gesagt, ein etwa
14- bis 15 jähriges Mädchen vor.' Auch hätte sie im
Jahre 1559 schwerlich sich noch als adolescens qualifi-
cirt, wie dies auf dem Bilde bei Herrn Morelli der Fall
ist, wäre sie damals schon nahe an die Dreissig ge-
wesen und hätte sie daher das Tageslicht schon im
Jahre 1530 erblickt, wie die Mehrzahl ihrer Biographen
behauptet.
* Eine Replik dieses Bildchens sah icli vor Jahren in der
Sammlung des verstorbenen Grafen Varano in Ferrara. Andere
Madonnenbilder von der Hand dieser Malerin sind mir nicht zu
Geaicht gekommen.
Lombardische Meister: Sofonisba Anguissola. 257
Vom Jahre 1559 bis etwa 1570 scheint Sofonisba
Jim spanischen Hof verweilt zu haben. Sie heirathete
dort einen sicilianischen Edelmann, Namens Moncada,
dem sie später nach Palermo folgte, wo derselbe starb.
In zweiter Ehe an den genuesischen Patricier Lomellini
vermählt, liess sie sich sodann in Genua nieder. Im
Jahre 1624 machte der junge van Dyck, von Palermo in
Genua ankommend, die persönliche Bekanntschaft So-
fonisba's und soll dort im folgenden Jahre das Porträt
der damals schon erblindeten alten Dame gemalt haben,
-die ein Jahr später, also 1626, ungefähr 86 Jahre
alt starb.
Die Bildnisse der Sofonisba gehen meistens unter
fremden Namen. Sie sind alle sehr naiv und frisch
aufgefasst und solid gemalt. Im Museum von Ma-
drid ist mir kein einziges Gemälde ihrer Hand vor-
gekommen, wol aber fand ich dort das lebensgrosse Por-
trät des cremoneser Arztes Piermaria (Nr. 15) mit der
Aufschrift: LVCIA • ANGVISOLA . AMILCARIS •
F . ADOLESCENS. Diese Lucia, von der auch die
städtische Bildergalerie von Brescia das sehr naive Por-
trätchen einer dritten Schwester Anguissola, nämlich
der Europa besitzt, war, wenn ich nicht irre, die zweite
Schwester der Sofonisba und auch ihre Schülerin.
Von dieser Lucia nun und nicht von der Sofo-
nisba wurde, nach meiner Ansicht, das kleine weibliche
Bildniss der Borghese-Galerie gemalt, (f) Aber auch
Europa, die dritte Schwester, war Malerin, wie uns
Vasari berichtet, der dieselbe im Jahre 1568 in Cre-
mona besuchte (XI, 260). Die vierte und jüngste
Schwester^ hiess Anna Maria und gab sich ebenso
^ Ausser diesen gab es nooh zwei andere Schwestern der
Sofonisba, von denen die eine jong verstarb, die andere sich
ins Kloster zurückzog. Siehe darüber auch Gh^sselli's yjÄbeee-
dario biografico dei Pittori^ ScuUori ed Architetti OnmoneH",
hmuuovtnrr. i'j
258 ^i^ Galerie Borghese.
wie ihre drei altern Schwestern mit Malerei ab. Von
ihrer Hand sah ich vor Jahren im Hause des Vicars
von S. Pietro zu Cremona ein wenig erfreuliches Bild-
chen, worauf die heilige Familie dargestellt ist, nebst
dem heiligen Franciscus, welcher ein Körbchen voll
Trauben und Maulbeeren dem Christkinde darbringt.
Auf dem Bilde ist der Name der Künstlerin in Goldbuch-
staben folgendermassen bezeichnet: ANNAE • MARIAE
. AMILCARIS . ANGVSOLAE • FILIAE.
Italien ist wol das einzige Land Europas, in wel-
chem so viele Jungfrauen sich der Malerkunst wid-
meten und es darin auch zu einer gewissen Meister-
schaft gebracht haben. Ich nenne hier unter andern
die fromme Catharina Vigri* aus Bologna; die Irene
von Spilimbergo, Tizian's Schülerin; die Schwestern
Anguissola; die Marietta Robusti^; die Barbara
Longhi aus Ravenna; die Agnes Dolci aus Florenz;
die Lavinia Fontana aus Bologna; die Galizia Fede
aus Trient u. a. m.
DIE FEERAEESEK
Nachdem wir einen Blick den Werken der floren-
tinischen, sowie anderer Malerschulen Italiens, geschenkt
haben, wollen wir nun einige unter den vielen Bildern
aus der ferraresischen Malerschule betrachten.
BENVENUTO GAROFOLO.
Die Bilder von Benvenuto Garofolo und von
DossoDossi leuchten uns ja von allen Wänden dieser
^ Ein Bild von ihr befindet sich in der Akademie von Venedig,
* Das Museum von Madrid besitzt mehrere Bildnisse von
ihrer Hand.
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 259
Räume entgegen und unter denselben sind einige, die
zu den schönsten Stücken der Borghese-Galerie gerech-
net zu werden verdienen. Beginnen wir mit der Be-
sprechung der Werke des Garofolo und seiner Schule.
Benvenuto war zwar um einige Jahre jünger als sein
Landsmann Dosso, auch steht er diesem, wenigstens in
meinen Augen, als Künstler in mancher Hinsicht nach,
die Anzahl seiner Werke ist aber hier so überwiegend,
dass er schon deshalb den Vorrang verdient.
Wer diesen Meister kennen lernen will, der muss
nach Kom kommen. In keiner andern Stadt, selbst
Ferrara nicht ausgenommen, findet man ihn in allen
Tonarten, in allen seinen künstlerischen Entwickelungs-
stufen so reichlich vertreten, wie dies in den verschie-
denen Sammlungen der Ewigen Stadt der Fall ist. Die
meisten dieser ferraresischen Bilder mögen schon im
Anfang des 18. Jahrhunderts nach Kom gebracht wor-
den sein, als nämlich durch die Aldobrandini die Reihe
auch an Ferrara kam, dem päpstlichen Staate annectirt
zu werden. Wie über die Völkerwandeningen, so wal-
tet auch über die Bilder ein politisches Fatum.
Die Biographie des Garofolo, welche uns Vasari
mittheilt, der ihn personlich kennen zu lernen Gelegen-
heit hatte, leidet zwar sehr an Anachronismen, wie fast
alle Biographien im Werke des Aretiners, scheint mir
jedoch in der Hauptsache wahr zu sein. Sie enthält
beiläufig folgende Thatsachen: Benvenuto Tisi wurde in
Ferrara im Jahre 1481 geboren und starb daselbst 1559,
erreichte somit ein Alter von 78 Jahren. Obgleich er
ungefähr in seinem 50. Lebensjahre fast ganz die Seh-
kraft des einen Auges eingebüsst haben soll, so wurde
er dadurch keineswegs in der Ausühuni^ seines Berufs
gehindert, und Garofolo war ein Mann von grossem
Fleiss. Bei einer künstlerischen Thätigkeit von un-
gefähr 50 Jahren konnte er demnach sicherlich eine
grosse Anzahl Arbeiten ausführen und davon kann man,
17 •
260 I^ie Galerie Borghese.
wie gesagt, in den römischen Sammlungen zur Genüge
sich überzeugen. Sein Vater Pietro Tisi (seines Zei-
chens ein Schuhmacher, gleich dem Vater des Sodoma)
stammte aus dem kleinen Ort Garofolo, im paduani-
schen Gebiet liegend, weshalb sein Sohn gewöhnlich
Benvenuto da Garofolo zuweilen auch schlechtweg
Benvenuto Garofolo genannt wurde. Ums Jahr 1491,
also zehnjährig, ward Benvenuto vom Vater zu dem
ferraresischen Meister Domenico Panetti^ in die
Lehre gegeben. Dieser war, wenn auch ein trockener,
zuweilen selbst ein nicht sehr kurzweiliger, doch
immerhin ein ganz tüchtiger und gewissenhafter Maler,
wovon man sich besonders in der Pinakothek von Fer-
rara, wo mehrere Bilder von ihm aufgestellt sind, über-
zeugen kann. Er mag damals der beliebteste unter den
in der Stadt Ferrara lebenden Malern gewesen sein.
In der Geschichte der ferraresischen Malerschule neh-
men, wie mir scheint, Panetti, Francesco Bianchi und
Lorenzo Costa ungefähr denselben Platz ein, den in
der Schule von Perugia Fiorenzo di Lorenzo, Pinto-
ricchio und Pietro Perugino, in der von Verona etwa
Francesco Morone, Girolamo dai Libri und Bonsignori
behaupten.
Nach ungefähr sieben Jahren war die sogenannte
Lehrzeit vorüber, und um 1498 beginnen nun die Wan-
derjahre des jungen Garofolo. Zuerst begab er sich nach
Cremona, wo er an dem Maler Soriani einen Verwandten
oder Freund gehabt zu haben scheint und wo auch
Boccaccio Boccaccino, den er wahrscheinlich schon von
Ferrara her kannte, thätig war. Boccaccino, ein Schüler
mehr der venetianischen als der mailändischen Schule,
* Panetti (1512 gestorben) war, meiner Ansicht nach, in der
Schule des Cosimo Tura Mitschüler jenes Francesco Bianchi (1510
▼erstorben), der, wie die Geschichte berichtet, die Ehre hatte
den jungen Correggio in der Malerei zu unteiTichten.
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 261
wurde schon damals, und mit Recht, für den vorzüg-
lichsten Maler Cremonas gehalten. Von diesem letztern
mag nun Garofolo in dessen Werkstätte wol Bilder ge-
sehen haben, die ihm schon ihrer herrlichen Farbe halber
zusagten, allein auf keinen Fall jene, welche Vasari und
Baruffaldi, der den Vasari copirt, angeben, da ja die
Tribuna des Doms von Cremona erst 1505 und 1506
von Boccaccino al fresco bemalt wurde und seine Ge-
schichten aus dem Leben der Maria, ebenso wie die
Wandgemälde des Romanino und seines Schülers Alto-
bello Meloni in jener Kirche erst ungefähr zehn oder
zwölf Jahre später, d. h. in den Jahren 1513 — 18 ent-
standen sind. Benvenuto aber fand Arbeit bei Boccac-
cino, wie dies uns auch durch folgenden Brief bestä-
tigt wird, welchen Boccaccino an den Vater des Ben-
venuto geschrieben haben solH:
„Hochzuverehrender Herr Peter!
„Hätte Euer Sohn Benvegnü die guten Sitten eben-
sowohl erlernt als das Malen, so würde er mir gewiss
nicht einen so schlimmen Streich gespielt haben. Denn,
nachdem am 3. Januar sein Onkel und Euer Schwager (?)
Herr Niccolö (Soriani) starb, hat er keinen Pinsel mehr
angerührt, und doch wusste er gar wohl an was für
einem schönen Werke er arbeitete. Das ist aber noch
gar nichts. Er ist, ohne auch nur «hoP dich der Henker»
zu sagen, davongelaufen, ich weiss aber nicht in wel-
cher Richtung. Ich hatte ihm Arbeit verschafft, er hat
aber alles unvollendet im Stiche gelassen und ist auf
und davon, nachdem er alle seine eigenen Geräthschaflen
nebst denen des Herrn Niccolö bei mir hatte liegen
lassen. Das diene Euch zur Richtschnur um ihn auf-
> Von oinigt^n neuem Kritikern wird dieser Brief für apo-
kryph gehalten, jiMl«>ch, wie icli glaube, ohne hinreichenden Grund.
262 ^^^ Galerie Borghese.
zutreiben. Durfte man ihm Glauben schenken, so sagte
er, er wolle Rom sehen; möchte wol sein, dass er sich
nach jener Stadt begeben hat. Und nun sind es schon
zehn Tage her, dass er abgereist ist bei einer Kälte und
bei einem Schnee, dass es kaum zum Aushalten ist. Ich
küsse Euch die Hände und verbleibe Euer brüderlich
gesinnter Boccaccino."
Cremona, 29. Januar 1499.
Diesem Brief zufolge erscheint uns Benvenuto als
ein etwas unartiger, aber entschlossener Bursche. Am
19. Januar des Jahres 1499 also verliess der 18jährige
Garofolo die Werkstätte des Boccaccino und Cremona,
und begab sich im tiefsten Winter auf den Weg nach
Rom. Diese Reise scheint die Folge eines plötzlichen
Entschlusses gewesen zu sein. In Rom angekommen
miethete er sich, wie Vasari berichtet, in der Wohnung
des florentinischen Künstlers Giovanni Baldini (wol ein
Verwandter des berühmten Baccio Baldini) ein, bei
welchem er Gelegenheit hatte, viele Zeichnungen be-
rühmter Meister aus Florenz zu sehen und zu copiren.
Die Nachricht, dass sein Vater schwer krank danieder-
liege, rief ihn jedoch plötzlich von Rom wieder nach
Ferrara zurück. Dort angekommen scheint er dann
kürzere Zeit unter dem Einfluss der Brüder Dossi ge-
arbeitet zu haben. ^ Benvenuto schloss, wie es scheint,
innige Freundschaft mit den Brüdern Dossi (Giovanni
und Battista) und ward später in ihrer Gesellschaft viel-
fältig vom Herzog Alfonso und seiner anmutliigen Gattin
Lucrezia Borgia, die damals in ihrem 24. Jahre stand.
* Mancher Zug in seinem Bilde aus der Frühzeit „die An-
betung der Hirten", im ersten Saal der Borghese- Galerie, erin-
nert mehr an Battista wie an Giovanni Dosso. Leider ist auch
dieses Bildchen neuerdings ins obere Stockwerk des Palastes ge-
bracht worden.
Die Ferrareaen; Benvenuto Garofolo. 263
in Anspruch genommen. Der ältere Dossi, Giovanni,
zählte in jener Zeit auch 24 — 25 Jahre, Garofolo 22
oder 23, fürwahr die schönste, heiterste Zeit für einen
begabten Künstler! Standen Masaccio, Filippino Lippi,
Mantegna, Andrea del Sarto und selbst der göttliche
Rafl'ael nicht auch im Anfange ihrer zwanziger Jahre,
als sie herrliche Werke schufen! Und an Arbeit fehlte
es gewiss nicht zu Ferrara bei dem kunstliebenden
Luxus der regierenden Herrschaften!
Vergleichen wir nun die grosse „Kreuzabnahme''
im zweiten Saal (Nr. 9) dieser Borghese- Galerie mit
der sogenannten „Circe" und mit der „Calisto" des Dosso
im dritten Saal, so gewahren wir in diesen drei cha-
rakteristischen Gemälden eine nahe Verwandtschaft zwi-
schen dem einen und dem andern Künstler. Welcher
von beiden hat nun auf den andern eingewirkt, Garo-
folo auf den Dosso, oder dieser auf den jungem Ga-
rofolo? Meinem Gefi'ihle nach haben wol beide Maler
in einem ähnlichen Verhältnisse zueinander gestanden,
wie etwa Fraucia und Lorenzo Costa, d. b. ein jeder
von beiden mag etwas vom andern genommen, etwas
dem andern gegeben haben. In allen seinen Werken,
den guten wie den flüchtigen, erscheint uns Dosso als
ein höchst phantastischer, heutzutage würde man sagen
„romantischer" Künstler, der sich im grossen und ganzen
stets gleich bleibt, den gleichen künstlerischen Charak-
ter bewahrt, sei es in der würzigen Herbe seiner Jugend-
zeit, wie hier in der „Circe" und der „Calisto", sei es in
seinen spätem Jahren, als er durch einen längern Auf-
enthalt im nahen Venedig die Malweise des Giorgione
und des Tizian sich zu eigen gemacht hatte. Dasselbe
lässt sich aber vom nüchternen, roaass- und geschmack-
vollem, besonnenem Garofolo nicht sagen.
Auch dieser Künstler bleibt zwar in allen seinen
Werken stets Ferrarese, allein in den verschiedenen
Epochen seiner Wirksamkeit bemerkt man h\or i\rn
264 ^^® Galerie Borghese.
Einfluss seiner altern Vorbilder, des Panetti und de»
Boccaccino und den der Gebrüder Dossi, dort den de&
Lorenzo Costa und zuletzt selbst den des Urbinaten.
Betrachten wir uns vorerst diese seine grosse „Kreuz-
abnahme" im zweiten Saal.^ Wir haben hier etwa neun
fast lebensgrosse, innerlich bewegte Figuren vor uns»
Den Hintergrund bildet auch in diesem Bilde eine ganz^
im Sinne der Dossi gedachte phantastische Landschaft,.
in der man den heiligen Christoph gewahrt, wie er, mit
dem Jesuskind auf der Schulter, durch einen Fluss
watet. Der kalte Ton dieser Landschaft mit den kreide-
weiss beleuchteten Felsen und Landesstrecken hebt sehr
kräftig die braunen, warmen Fleischtöne der Figuren
im Yorgrunde ab: ein Kunstmittel, dessen unter den
Venetianern viele Maler sich bedienten. Garofolo's gelbe,.
sehr gesättigte Farbe, sowie das der gekochten Zucker^
rübe ähnliche Roth sind fast allen Gemälden aus dieser
^ Von diesem wahrhaft grossartigen Bilde des Garofolo gibt
es im Museum von Neapel eine modif icirte Copie aus dem
Jahre 1521 (?): eine Arbeit, die von einem höchst schwachmüthi-
gen Gesellen herrührt, die aber dort unglaublicherweise für
Originalwerk ausgegeben wird. Man betrachte doch in jenem
widerlichen Bilde unter anderm die vor Schmerz grinsende Mag-
dalena zu den Füssen des todten Christus und die plumpen
Waschweiber im Mittelgrund ! Selbst in der Linienperspective ist
jene Copie ganz und gar verfehlt ! Nichtsdestoweniger hat selbst
Director Bode (II, 737) zu meiner nicht geringen Verwunderung
keinen Anstand genommen, das Bild in Neapel für Originalwerk
Garofolo's hinzunehmen. Da jedoch derselbe Kunstschriftsteller
auch den „Reiterzug" des Bagnacavallo im Palast Colonna für
ein Werk des Garofolo seinen Lesern präsentirt, so muss ich an-
nehmen, dass er auch mit den Meistern der ferraresischen Schule
nicht so innig vertraut sein dürfte, wie er zu glauben scheint.
Das Leben ist eben zu kurz und die Kunst zu lang, als dass ein
einzelner Mensch, so begabt und dauerhaft er auch bei seinem
kritischen Bestreben immer sein mag, im Stande sein sollte, die-
selbe ganz zu umfassen und in allen ihren vielfältigen Erschei-
nungen und Wandlungen zu beherrschen.
Die Ferrareeen: Benvenato Garofolo. 265
seiner Frühzeit eigenthumlich, sein Blau und sein Weiss
sind dagegen klar und hell. Ein Glück für seine Kunst
wäre es, wie ich glaube, gewesen, wenn er stets in dieser
seiner echt ferraresischen Art hätte fortwirken können,
denn gewiss gehören den fünf oder sechs Jahren, in
denen er oft in Gemeinschaft der Brüder Dossi arbei-
tete, seine frischesten und kräftigsten Werke an. Sehen
wir uns nun in chronologischer Hinsicht, soweit dies
eben thunlich ist, mehrere seiner in Rom befindlichen
Bilder an.
Für das älteste der mir bekannten Werke des Ga-
rofolo halte ich die kleine „Anbetung der Hirten",
Nr. 67 im ersten Saal.* In diesem Bilde erscheint alles
noch sehr jugendlich; das gilt sowol von der Empfin-
dung als auch von der Technik. So sind z. B. die
schweren Knittelfalten am blauen Mantel der Jungfrau
noch durchaus quattrocentistisch, und wie überlang ist
nicht der Oberleib des heiligen Joseph! Die Carna-
tion ist bräunlich wie die der Figuren in der „Kreuz-
abnahme", die phantastische Landschaft ist ebendieselbe.
Ehe wir jedoch weiter schreiten in dieser Musterung,
trachten wir, unserer Methode getreu, die charakteri»
stischen Merkmale auf diesem Jugendwerk des Garo-
folo festzustellen, damit wir es dann mit grösserer Ein-
sicht mit den andern Werken aus spätem Zeiten des
Malers vergleichen können:
1) der heilige Joseph hat einen Kopftypus, der auf
den Bildern dieser seiner Frühzeit öfters wiederkehrt;
2) die Nasen sind geradlinig;
3) auf dem Vorderärmel sind steife Querfältchen
angebracht;
4) die Form der TTmiwI mit dem auswärts gekehrten
' Leider wurde inzwischeOi wie getagt, auch dieses in bisto-
risoher Hinrioht so interetsante Bildchen ins obere Stockwerk
des Palastes gebracht.
266 I^iö Galerie Borghese.
Daumen und dem gebogenen Zeigefinger ist ebenfalls
charakteristisch ;
5) das Ohr ist länglich und gleichförmig breit;
6) die Landschaft mit den geradlinigen, auf der einen
Seite schroff abfallenden Bergrücken, den kreidegelb
beleuchteten Strecken Landes im Mittelgrund, mit dem
röthlichen Horizont, mit der dunkelgrünen Baum-
gruppe, hinter welcher andere hellbraun belaubte Bäume
hervorschauen, mit den kleinen runden Steinchen auf
dem Boden des Vordergrundes; diese Landschaft ist
höchst bezeichnend für die Jugendwerke unsers
Meisters.
Nach diesem Bildchen, freilich mehrere Jahre später,
würde ich die jugendfrische, wahrhaft schöne „Anbe-
tung" oder „Geburt Christi", Nr. 61, in der Doria-
Galerie, setzen, (f) Sie wird dort dem Ortolano zu-
geschrieben. Auch hier finden wir, nebst demselben
Typus des Joseph wie im vorigen Bilde, all die an-
dern soeben als charakteristisch angeführten Merkmale,
nämlich die geradlinigen Nasen, dieselbe Ohr- und
Handform, dieselbe eigenthümlich beleuchtete Landschaft
mit dem röthlichen Horizont, dasselbe Faltensystem —
alles dies jedoch schon mit grösserer Gewandtheit ausge-
führt, als dies im vorigen Bilde des Garofolo der Fall ist.
Auch der oben in den Lüften singende Engelchor, wie
wir ihn gar oft auf den Gemälden des Garofolo antreffen,
scheint mir auf dem Bilde der Doria-Galerie charak-
teristisch für diesen Meister zu sein. Man vergleiche
z.B. dieses Bild, Nr. 61, mit dem einer viel spätem Zeit
des Garofolo angehörigen Gemälde im Braccio I (Nr. 2)
dieser Doria-Galerie und man wird auch dort denselben
röthlich-gelben Horizont, dieselbe Handform, dieselben
Gesichtstypen, dieselbe Behandlung finden, wie hier in
der „Anbetung des Christkindes" (Nr. 61). Ueberdies
steht in demselben Braccio I ein anderes und zwar grosses
Werk des Garofolo aus dem Jahre 1519, die „Heim-
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 267
suchuug", und auch auf diesem Bilde finden wir die-
selben runden Steinchen am Boden, dieselbe Land-
schaft, dasselbe Faltensystem mit den steifen Querfält-
chen auf dem Vorderärmel der Elisabeth, denselben Kopf-
putz u. s. w.
Der chronologischen Reihenfolge nach kämen, wie
mir scheint, nach der „Anbetung des Christkindes" der
Doria- Galerie die zwei Tafeln mit den Heiligen Se-
bastianus und Nicolaus von Bari, die in der Capitoli-
nischen Galerie die Nrn. 70 und 87 führen und dort un-
glaublicherweise auf Giovanni Bellini getauft wurden, (f)
Auch auf diesen zwei Bildern trefien wir die oben an-
geführten, für unsern Meister charakteristischen Merk-
male an.
Gegen das Jahr 1508 nun, also in seinem 27. Jahre
dürfte Garofolo seine grosse „Kreuzabnahme" in un-
serer Borghese-Galerie * und vielleicht ein Jahr später
das herrliche Bild in der englischen National Gallery,
dort dem Ortolano zugeschrieben (f ), ausgeführt haben.
Dieses letztere Gemälde stellt den heiligen Sebastianus
zwischen zwei andern Heiligen vor. Die Figur des
Sebastian erinnert an die desselben Heiligen des Dosso
Dossi in der Brera-Galerie. Auch in jenem Bilde in Lon-
don begegnen wir derselben Form der Hand, demselben
braunen Incamat, demselben Faltensystem, derselben
Landschaft, denselben Steinchen am Boden, wie in all den
soeben von uns betrachteten Werken des Garofolo. Auch
der andere kleine heilige Sebastianus von Garofolo, Nr.39,
in der Sala Veneziana des Museums von Neapel hat
noch ein sehr an Dosso erinnerndes Aussehen, ebenso
das herrliche kleine Madonnenbildchen in der stadti-
schen Galerie von Bergamo: die thronende Jungfrau mit
' Ans dieser nämlichen Epoche des Garofolo besitct auch
Marchese £. Visoonti-Venosta in Mailand das Brustbild des hei-
ligen Antonius.
268 ^^^ Galerie Borghese.
dem Christkind und den Heiligen Rochus und Se-
bastiauus.
Gleich nach diesen Bildern dürfte Garofolo das „Noli
me tangere" (Nr. 23) im zweiten Saal dieser Borghese-
Galerie und die einfältigerweise im zweiten Saal der
Doria-Galerie dem Basaiti zugeschriebene „Santa con-
versazione" (Nr. 18) gemalt haben. Auf diesem letzten
trefflichen Bilde finden wir ebenfalls dieselbe Handform,
wie auf der „Anbetung der Hirten" (Nr. 67) in der
Borghese-Galerie, dieselbe strohgelbe Farbe am Schuh-
werk des heiligen Zacharias, dasselbe Faltensystem, die-
selbe Landschaft, denselben Kopfputz bei der heiligen
Elisabeth, dieselben Steinchen am Boden, dieselben
steifen Längsfalten auf der Brust der Madonna und
denselben Gesichtstypus beim heiligen Zacharias. Dieses
letztere Bild und ebenso das „Noli me tangere" und
der „Christus mit der Samariterin am Brunnen" (Nr. 42)
in der Borghese-Galerie gehören, wie ich glaube, der
Uebergangsperiode an zwischen der Dossi'schen
Malweise und der dritten oder Costa'schen Manier
des Garofolo. Im selben zweiten Saal der Doria-Galerie
sehen wir unter Nr. 90 und unter dem Namen des Lo-
renzo Costa ein kleines Bild des Garofolo mit der hei-
ligen Familie. Dieses Gemälde erinnert allerdings,
namentlich im Kopf der Madonna, gar sehr an Lorenzo
Costa, und es ist daher wahrscheinlich, dass Garofolo,
der, wie wir wissen, im Jahre 1511 längere Zeit mit
Dosso Dossi, sich in Mantua aufhielt, daselbst von
den Bildern des Costa beeinflusst wurde. Bald nach
diesem Bildchen, d. h. im Jahre 1512, malte Benvenuto
das schöne Tafelbild der Dresdener Galerie „Poseidon
und Athene". ^ Sodann kommt die heilige Familie vom
^ Sowol dieses Bild als auch die heilige Familie aus dem
Jahre 1513 in der Pinakothek von Ferrara gemahnen gewiss
mehr an Lorenzo Costa als an Raffael. Braun in Dornach hat
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 269
Jahre 1513, Nr. 93 in der Pinakothek von Ferrara, dort
dem Ortolano zugeschrieben.* Von jener Zeit an bleibt
sich Garofolo fast immer gleich und schaflPt bis in die
dreissiger Jahre hinein meistentheils ganz vorzügliche
Werke. Ich würde jedoch meine Leser gar zu sehr
ermüden, wollte ich mir die unfruchtbare Mühe geben,
die mehrern Dutzende von kleinern und grössern Bil-
dern des Garofolo und seiner Nachahmer, welche in diesen
beiden Sälen und in den andern Galerien Roms und
Italiens sich vorfinden, eins nach dem andern zu be-
schreiben oder auch nur flüchtig zu erwähnen. Es dürfte
sich aber wol der Mühe lohnen für einen Kunstbeflis-
senen, der etwa Lust hätte diesem sehr gut gearteten
Maler in seinen Werken Schritt für Schritt nachzu-
gehen, sowol in dieser als in den andern Gemäldesamm-
lungen Roms und Italiens die Werke aus der Früh-,
der Mittel- und der Spätzeit des Meisters aufzusuchen.
sowol das Bild in Dresden (Nr. 156) als auch das in der National
Gallery in London dem Ortolano zugeschriebene Gemälde mit
dem heiligen Sebastianus in der Mitte und den zwei Heiligen
Kochus und Demetrius an den Seiten photographirt, Nr. 669.
Man halte nun die beiden photographischen Blätter nebeneinan-
der und man wird hoffentlich sowol an der Landschaft mit den
kreideweissen Lichtem, der grünen Baumgruppe im Mittelgrund
und den runden Steinchen am Boden des Vorgrundes, wie auch
an dem Faltensystem, an der Form der ü&nde und Füsse und
an den Gesichtstypen den Geist und die Hand ein und desselben
Meisters in beiden Bildern erkennen. Das Bild in London ge-
hört noch der Dossi'soben Wirkungszeit, das um etwa drei Jahre
später entstandene Gemälde der Cotta*sohen Uebergangsperiode
des Meisters an.
^ Auch auf diesem Bilde finden wir dieselben Steinohen am
Boden, dieselbe grüne Baumgmppe, hinter welcher hellbraun be-
laubte Bäumchen hervorschauen, dieselbe Ohr- und Handform;
bezeichnet M. DXIil, IVLL Die Beseichnang des Monats ist
ebenfalls charakteristisch für Garofolo. Neben dieeem hängt dort
ein anderes Bild des Oarofolo, Nr. 66, mit dem Jahre 1614 nnd
dem Monat December bezeichnet
270 I^ie Galerie Borghese.
Kehren wir wieder zur Biographie unsers Künst-
lers zurück, den wir, mit den Brüdern Dossi wetteifernd,
in Ferrara vollbeschäftigt verliessen. Gegen Ende des
Jahres 1509 ungefähr wurde Benvenuto von seinem
Landsmann, dem Ritter Hieronymus Sagrato, nach Rom
eingeladen. 1 In die Ewige Stadt zurückgekehrt sah
Garofolo die Decke der Sixtinischen Kapelle zum Theil
vollendet und, wenn auch nicht die Fresken selbst, so
mag er doch vielleicht die Zeichnungen und die Gar-
tens zu Gesicht bekommen haben, die Raffael für die
Stanza della Segnatura damals anfertigte. Es muss in
der That in jenen Jahren, als der 29jährige Benvenuto
nach Rom zurückkam, ein gewaltiges Kunstleben, ein
grosser Enthusiasmus und ein brennender Wettstreit
unter den Künstlern, die in Rom um den Thron des
greisen Julius II. versammelt waren, gewaltet haben.
Und man begreift gar wohl, dass der noch jugendliche
Garofolo, das Kunstleben Roms mit dem in Ferrara,
in Bologna oder gar Cremona vergleichend, dem Auf-
enthalt in der Weltstadt den Vorzug geben mochte.
In diesem Sinne, wenn man überhaupt den Vasari ent-
schuldigen will, möchten wol die „maledizioni" der
„maniere di Lombardia", die der Aretiner dem Ferra-
resen in den Mund legt, zu verstehen sein.^ Die flo-
rentinischen Herausgeber und Commentatoren des Va-
^ Vasari lässt, wahrscheinlich aus Versehen, den Garofolo
schon im Jahre 1505 nach Rom zurückkehren (XI, 224). Da-
mals hätte Benvenuto schwerlich die Werke Michelangelo's und
RafiFael's sehen können!
* Die Aesthetik Vasari's war derart, dass ihm alle Kunst
„wmMta, secca e di poco disegno^'- erschien, die sich nicht an
Michelangelo herangebildet hatte. So geht es auch einigen Kunst-
schreibern unserer Tage, die sich in irgendeinen Meister des
Quattrocento verlieben, die Spuren desselben überall wittern,
auch da wo sie nicht sind, und die dann die grossen Künstler
aus der Blütezeit unleidlich finden!
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 27l
sari suchen den Biographen* auch bei dieser Gelegen-
heit vom Vorwurf seiner Vorliebe, ja Parteilichkeit für
die Toscaner und namentlich für die sogenannte romi-
sche Schule rein zu waschen, aber sie fugen, wie das
bei gutgesinnten aber nicht eben sonderlich gut unter-
richteten Leuten zu geschehen pflegt, den lombardischen
und venetianischen Kunstschulen dabei ein viel grösseres
Unrecht zu, als Vasari selbst durch seinen unbedachten
ihm wol in der Flüchtigkeit des Schreibens entschlüpften
Ausdruck, indem sie naiv hinzufügen : ^^certamente il Vasari
intese di alludere alla grettezza delle scuole primitive (?) in-
nanzi che Leonardo ne fondasse una nuova''^. „Troppa
grazia, S. Antonio", dürften mit jenem Bauer, der den
Heiligen um Regen gebeten hatte, statt dessen aber
Hagel erhielt, wol die Lombarden und Venetianer da-
bei ausrufen und jenen Herren etwa antworten: Hatten
wir damals nicht etwa schon unsern Giovanni und Gen-
tile Bellino, unsern Alvise Vivarini, unsern Mantegna,
unsern Bartolommeo Montagna, unsern Domenico Mo-
rone, unsern Giorgione und Tizian, vieler anderer grosser
Künstler zu geschweigen? Vasari fügt sodann noch
hinzu: „joer lo che mutd (d. h. Garofolo) in tanto la
pratica cattiva in buona^ che rCera tenuto dagli artefici
conto'-^^ d. h. mit andern Worten: Er verlor durch seinen
zweiten Aufenthalt in Rom, wie dies manch anderm
Künstler von noch grosserer Fähigkeit «erging, seinen
localen ferraresischen Charakter zum Theil, seine wür-
zige und gesunde Herbe aber ganz und gar. Es ist
zwar nicht zu leugnen, dass er in mancher Hinsicht,
und namentlich was äussere Form und Geschmack be-
triff, gewann; andererseits kann man aber auch nicht
leugnen, dass er zugleich etwas flach, süsslich und hier
und da auch leer und conventioneil wurde. Dosso da-
gegen, der sich an Venedig hielt und dort in der prak-
Antgabe Le Monnier, XI, 225.
272 ^iö Galerie Borgliese.
tischeo Kunst des Malens sich umgesehen hatte, ent-
wickelt seinen eigenthiimlichen Charakter viel unge-
störter und erhält sich daher auch stets originell.
Während nun Garofolo in den eben bezeichneten
Werken seiner ersten Epoche als eine echte Künstler-
natur sich bewährt, kühn, entschlossen und zuweilen
selbst grossartig, ebenso entfernt von jenem philiströsen
prosaischen Realismus, der dem Kleinbürger in der
Kunst so absonderlich zu Herzen geht, als von jenem
nebelhaften Idealismus, der vornämlich die brillenbe-
schlagenen Philosophen und Aesthetiker in einem Werk
der Kunst anzieht und sie zu ihren Luftfahrten ein-
ladet, sehen wir dagegen denselben Mann in dem all-
gemein bewunderten Bild (Nr. G) im Saal II unserer
Borghese-Galerie, worauf die heilige Familie mit meh-
rern Heiligen dargestellt ist, in seinen Zügen schon
verändert. Garofolo ist zwar auch in diesem Bilde noch ein
liebreicher, gewissenhafter Maler, ja man gewahrt deut-
lich, dass seine Technik in mancher Beziehung Fort-
schritte gemacht hat, allein seine Zeichnung ist flauer ge-
worden, seine Pinselführung schwammiger, seine Auf-
fassung der menschlichen Charaktere kleinlicher, fader,
konventioneller. Die Farbenaccorde sind zwar in diesem
Bilde noch ähnlich denen in den Bildern aus der Frühzeit
des Meisters, allein sie sind doch schon viel realistischer als
jene, die wir z. B. in der „Anbetung des Kindes" der
Doria-Galerie, in der grossen „Kreuzabnahme" hier da-
neben, in der kleinen „Anbetung der Hirten" im ersten
Saal wahrgenommen. Hier finden wir auch die Schat-
ten, die in jenen Jugendbildern Garofolo's saftig braun
erscheinen, schwärzlich geworden.
Benvenuto Garofolo's Aufenthalt in Rom scheint
etwa ein und ein halbes Jahr gedauert zu haben, denn
1511 war er in Mantua und 1512 finden wir ihn in
seiner Vaterstadt Ferrara niedergelassen, und von da
an verliess er sie, wie ich glaube, nie wieder auf längere
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 273
Zeit. In der Pinakothek von Ferrara treffen wir Werke
von ihm vom Jahre 1513 bis zum Jahre 1549 an.^ Die
grossen Altarbilder, die derselbe nunmehr bis an sein
Lebensende dort zu malen Gelegenheit hatte und von
denen einige im zweiten und im dritten Decennium
gemalte ganz vorzüglich sind, tragen fast alle, wenn
auch nicht den Namen, so doch das Jahr und sogar
meist auch den Monat, in dem sie vollendet wurden.
Von dieser Zeit an entstand jene grosse Anzahl von
Werken, aus welchen man sich das gewöhnlich bekannte
Bild des Malers Garofolo abstrahirte.^
Garofolo wird von seinen Landsleuten der Ferra-
resische Raffael genannt, wie die Mailänder ihren Luini
den lombardischen Raffael genannt haben. Richtig ver-
standen haben beide Bezeichnungen einen guten Sinn,
insofern nämlich sowol Luini in der Mailändischen,
als Garofolo in der Ferraresischen Malerschule unge-
fähr denselben Platz einnehmen, wie Raffael Santi in
der Umbrischen, Francesco Carotto in der Veronesischen,
A. del Sarto in der Florentinischen u. s. f. Die indi-
viduelle Begabung war freilich in allen diesen Männern
* Als Maler bleibt, wie gesagt, Garofolo selbst nach seinem
zweiten römischen Aufenthalt immer ferraresisch , als Künstler
aber bringt er von Rom classische Eindrücke mit; er erscheint
zahmer, dafür hat sein Geschmack sich in Rom geläutert. Den
Einfluss, den Raffael auf ihn gehabt, wird man am klarsten ge-
wahr in jenen schönen grau in grau gemalten Fresken, womit
er zwei Gemächer im einstigen Palazzo Trotti und gegenwärtigen
Seminarium in Ferrara (im Jahre 1517) ausschmückte und worin
Geschichten aus der griechischen wie aus der christlichen My-
thologie dargestellt sind. Man wird in Italien nicht leicht Räume
finden, die mit mehr Verstand, Geschmack und Geist auBgeschmückt
sind wie diese.
' Garofolo zeichnet sich auf einigen seiner Bilder : BEN VEGNV;
auf andern: BENVEGNV DE GAROFOLO, MDXXXV; auf andern:
BENVEGNV GARüFALO, MDXXXIV; und wieder auf andern:
BENVENVTO GAROFALO.
274 I^^® Galerie Borgheae.
eine rerechiedenei Benvenuto Garofolo starb zu Fer-
rnra im Jahre 1559. Seine Mutter hiess nicht Giro-
lama Soriani, wie man bisher behauptete, sondern An-
tonia Barbiani; seine Frau war Caterina di Ambrogio
Scoperti, della Grana genannt, und Witwe des Niccolo
Besuzzi. Im Jahre 1536 wurde ihm Girolamo, sein
letzter Sohn, geboren, welcher den Wissenschaften sich
widmete, 1576 Kanzler der Universität von Ferrara
wurde und zu der Ausgabe des „Orlando furioso" von
1584 eine Biographie des Ariosto lieferte. ^
Habe ich nun, vielleicht allzulange, mich bei der Be-
schreibung der Bilder des Garofolo aufgehalten und
war ich dabei genöthigt, selbst die geringfügigsten Merk-
male in seinen Bildern anzugeben, an denen man den
Meister erkennen kann, so geschah dies unter anderm
auch aus Riicksicht darauf, dass Herr Director W. Bode
alle jene Bilder, die ich in die Frühzeit des Meisters
setzte, wie z. B. auch die grosse „Kreuzabnahme" der
Borghese-Galerie, nicht als Werke des Benvenuto Garo-
folo anerkennen will. Vor Zeiten schrieb der berliner
Gelehrte sie dem Giovanni Battista Benvenuti, FOrto-
lano genannt, zu (II, 737), später aber einem unbe-
kannten ferraresischen Maler, den er den „Meister der
Borghesischen Kreuzabnahme" genannt wissen möchte.
Freilich erwähnt Vasari mit keiner Silbe weder den
Ortolano, noch den Meister der Borghesischen Kreuz-
abnahme, dem Herr Director Bode das „grossartigste
Werk der Ferraresen jener Zeit" zuschreibt; auch spricht
kein anderer Zeitgenosse von diesem, also dem „bedeu-
tendsten, ferraresischen Meister im Anfang des 16. Jahr-
hunderts". Ja, der unlängst verstorbene Graf Laderchi,
einer der fleissigsten und intelligenteren Kunsthistoriker
der ferraresischen Schule, ging so weit, an der wirk-
hchen Existenz eines Malers Ortolano zu zweifeln, und
Siehe: „Memorie di L. Napoleone Cittadella" (Ferrara 1872).
Die Ferraresen: Benvenuto Garofolo. 275
war daher geneigt, sie für Mythus zu halten. Was
jedoch noch mehr in die Wagschale fällt als die
persönliche Meinung Laderchi's, ist der umstand,
dass der gewissenhafte, jungst verstorbene Bibliothekar
von Ferrara, Napoleone Cittadella, nicht im Stande
war, irgendein Document ausfindig zu machen, durch
welches die künstlerische Thätigkeit des G. B. Ben-
venuti, l'Ortolano genannt, bestätigt würde. Diesem
letztern Forscher zufolge fungirte allerdings als Zeuge
in Ferrara, im Jahre 1512, ein Maler Namens Giovan
Battista Benvenuti, dessen Bruder Schuster und dessen
Schwager Fruchthändler war. Aller Wahrscheinlich-
keit nach mag sein Vater die Fruchtjjärtnerei betrieben
haben und sein Sohn, der Maler, daher Giovan Bat-
tista deir Ortolano (d. h. Sohn des Fruchtgärtners) ge-
nannt worden sein. Die wenigen Bilder in der zweiten
Sakristei des Doms von Ferrara, die man ihm dort
zuschreibt, lassen ihn als einen stumpfen, geistlosen
Nachahmer Garofolo's erscheinen.* Hätten mich daher
nicht innere Gründe schon bewogen, dieses herrliche
Bild der „Kreuzabnahme", die „Anbetung des Christ-
kindes" im Palast Doria-Panfili, die zwei Heiligen
in der Capitolinischen Galerie, das grosse und ganz
vorzügliche Bild in der englischen National Gallery
dem Garofolo zuzuerkennen, so würden die eben an-
geführten äussern Gründe mehr als hinreichen, lun alle
diese Werke aus der Frühzeit des Meisters dem Orto-
lano abzusprechen. Allerdings ist manches Bild des
* Andere Bilder, die den Tafeln in der zweiten Domsakrisiei
•Dt sprechen and folglich dem Ortolano angehören dürften, schei-
n> n mir zu sein: das Frescobild mit Madonna und ChriHtkind
im Atrium des Palast Crispi (dort dem Gir". da Carpi zuge-
muthet); femer die Fresken mit den Halbfigurcn von Heiligen
beim Cavaliere Santini (cinnt im Kloster von S. Giorgip); andere
Fresken mit Heiligen im Palast Massari (einst in S. Francesco) ;
sowie die ,, Verkündigung" (Nr. 44) in der Pinakothek von Ferrara.
18»
276 I^ie Galerie Borghese.
Garofolo, zumal im vorigen Jahrhundert, dem Beneve-
nuti zugeschrieben worden, vielleicht aber nur deshalb,
weil darauf der Vorname des Garofolo „Benvegnü" für
den Familiennamen des Ortolano genommen wurde. ^
Mögen unparteiische Forscher nun entscheiden, wer
von uns beiden, Herr Director Bode oder ich, auch in
dieser Streitfrage recht oder unrecht hat.
In den öffentlichen Sammlungen Italiens, die von
Rom und Ferrara ausgenommen, ist Garofolo nicht gut
vertreten; im Pitti -Palast schreibt man ihm z. B. die
Copie eines Apostelkopfes des Dosso Dossi (Nr. 5),
und ein hübsches Bildchen, die „Zingarella" (Nr. 246)
des Boccaccio Boccaccino zu. Die Galerie von Modena
besitzt dagegen mehrere gute Stücke von ihm. Auch
in der Pinakothek von Mailand begegnet man einigen
lobenswerthen Bildern des Garofolo.
DOSSO DOSSI.
Merkwürdig ist es, dass sein grosser Landsmann
Lodovico Ariosto mit keiner Silbe des Garofolo ge-
denkt, während er doch, obwol erst in der 1532 ver-
anstalteten Auflage seines „Orlando" in jener bekannten
Octave die Dossi sogar über Verdienst erhebt, indem
er sie mit Lionardo, Mantegna, Giambellino, Michel-
angelo, Raffael und Tizian zusammenstellt. Doch da-
zu mag wol der etwas spiessbürgerliche Charakter
des Garofolo, welcher dem des Dichters wenig sym-
* Es wird wol kaum nöthig sein zu bemerken, dass das von
Baruffaldi {Vite de^ Fittori ecc. I, 168) angeführte „Skizzenbuch"
mit dem Titel: Studio di me Zoane Bapta d^. Benvegnii fatto
in Bologna Suxo le dipinture del Bagnacavallo et del Sanzio
da Urbino a li anni MD VII et MD VIII, nichts anderes sein
dürfte als eine der vielen, wahrscheinlich zu Bologna im 17. Jahr-
hundert erfundenen Fälschungen von sogenannten Documenten.
Wo hätte auch Ortolano in jenen Jahren Werke Raffael's in
Bologna finden können?!
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 277
pathisch sein mochte, der Anlass gewesen sein. Dosso
dagegen, wenngleich zuweilen etwas ungehobelt und
liederlich in seinen Werken, hat in seiner Natur
viele dem Ariosto verwandte Züge.^ Man betrachte
z. B. seine Circe im III. Saal dieser Borghese-Galerie.
Sieht dieses phantastische, geistvolle Bild nicht wie
eine in Farben gesetzte Ariostische Dichtung aus? Und
da, wie ich allen Grund habe zu vermuthen, dieses
Werk der Frühzeit Dosso's angehört und etwa im
Anfange des zweiten Decenniums des 16. Jahrhunderts
entstanden sein mag, so dürfte diese Circe des Dosso
etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen der ersten Aus-
gabe des „Orlando" (1516) gemalt worden sein. Später
hat Dosso wol bedeutendere und, was Glut der Farbe
betrifft, unübertroffene Werke hervorgebracht, ich er-
innere mich jedoch kaum, dass eines derselben, viel-
leicht jene herrliche Gestalt des heiligen Georg in der
Galerie von Modena ausgenommen, einen so frischen,
einen so poetischen Eindruck auf mich gemacht, meinen
Geist in so hohem Grade entzückt hätte, wie diese
Zauberin der Galerie Bor'ghese. An der Wand gegen-
über sehen wir, unter Nr. 45, die Nymphe Calisto eben-
falls durch den Pinsel Dosso's verewigt, obwöl der
Katalog dieses Bild dem Garofolo zumuthet.* (f ) Auch
hier ist der landschaftliche Hintergrund höchst poetisch
empfunden. So gehören nach meiner Ansicht dem Dosso
mehrere andere Werke in dieser Borghese-Galene an,
die im Katalog unter verschiedenen Namen verzeichnet
stehen. Im ersten Saale sehen wir Nr. 67 Apollo, liebes-
> Vasari sagt von ihm: „Fii t7 Dosso moUo amato dal duca
Alfonso di Fefrara^ prima per h sue qualiiä neW arte della pit-
turoj e poi per essere uomo affabiU moUo e piacevole^^ (IX, 22).
* Schon im 17. und 18. Jahrhundert gab man gar manches
Bild des Dosso dem .Garofolo ; so unter andern auch mehrere
von denen, die aus der Galerie von Modena nach Dresden kamen.
278 ^^^ Galerie Borghese.
truuken auf einer Felsenbank sitzend; er spielt auf einer
Violine in der HoflPnung durch seine schmachtenden
Tone die vor ihm fliehende Daphne zu bannen, (f) Mit
zu beherzigender Bescheidenheit begnügt sich der Kata-
log, dies zwar verdorbene allein hochpoetische Bild blos
der Schule von Ferrara zuzuweisen. ^ Der lebensgrosse
Apollo ist sehr energisch und lebendig gedacht, die
Landschaft auch hier phantastisch und sehr charakte-
ristisch für den Meister, ebenso wie die runden For-
men der Hand und des Ohres. Unter Nr. 20 sehen wir
eine grosse Tafel mit zwei niedergebeugten Kranken,
einem Mann und einem Weib, die sich an die Heiligen
und Doctoren Cosmas und Damianus um ärztliche Hülfe
wenden, (f) Im Katalog ist dieses flüchtig gemalte Bild
der Schule des Paolo Veronese zugeschrieben. ^ Dosso
scheint diesmal sogar seinen Namen auf einem unten
angebrachten medicinischen Gefäss in humoristischer
Weise angedeutet zu haben. Man liest nämlich darauf:
ONTÜ D , d. h. unto, Fett, D'[osso] Knochen, also
Knochenfett. Aller Wahrscheinlichkeit nach diente diese
Tafel als Apothekerschild. Die Figuren sind lebens-
gross.
Aus diesem ersten bitte ich die gewiss inzwischen
sehr gelichtete Reihe meiner freundlichen Begleiter mir
bis hinab in den Saal X der Galerie zu folgen. Da-
selbst finden wir nämlich, mit dem Namen des Gior-
gione bezeichnet, ein Bild, auf welchem David und
Saul mit dem Haupte seines plumpen Feindes in
der Hand dargestellt sein soll, (f) Wir sehen auf
dieser allerdings ganz im Giorgionischen Sinn colorirten
* Wurde jetzt vom neuen Director der Galerie, zu meiner
Genugthuung, als Werk Dosso's anerkannt, ebenso wie auch das
vorige Bild.
' Wurde neuerlich ebenfalls, meinem Vorschlage gemäss,
vom neuen Director dem Dosso zugeschrieben.
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 279
Tafel einen mannhaften Krieger, mit Schwert und Panzer
ausgerüstet, der den abgehauenen Kopf eines Riesen
vor sich hat; hinter demselben steht ein junger Knappe
mit rother, weissbefiederter Mütze auf dem Kopfe. Ob
dieses Bild gerade David, Saul und den Demokraten
Goliath oder nicht eher irgendeinen Helden des „Or-
lando furioso" vorstellen soll, lassen wir dahingestellt.
Jedenfalls gehört es zu den spätem und somit flauern
Werken des Dosso. ^ Nach den Mittheilungen des ver-
storbenen N. Cittadella {Notizie relative a Ferrara^
1864) scheint es, dass Giovanni (Sohn des Niccolö de
Lutero), der 1528 im, herzoglichen Schlosse von Fer-
rara seinen Wohnsitz au%eschlagen hatte, damals noch
nicht den Beinamen Dosso führte; wenigstens findet
man denselben noch nicht in öffentlichen Acten ver-
zeichnet. Erst im Jahre 1532 fand ihn Herr Cittadella
als Magister Dossus, J. Nicolai de Lutero, bezeichnet.
Jene Bilder des Dosso, auf denen als Monogramm ein
von einem Knochen durchbohrtes D steht, wie z. B.
* Jakob Burckhardt lässt dieses Werk als Giorfl^ione gelten.
Da derselbe geistvolle Schriftsteller aber den schönen heiligen
Sebastianus in der Brera-Galerie, der unstreitig dem Dosso und
nicht den Brüdern Dossi, wie die Herren Crowe und Caval-
caselle behaupten, angehört, ebenfalls als ein gutes Bild des
Giorgione bezeichnet, so bleibt er sich diesem Bilde der Boro
ghese-Galerie gegenüber wenigstens consequent. Schon der wenig
kritische Ridolfi hatte die beiden ebengenannten Bilder des Dosso
dem Giorgione zugeschrieben. (Ridolfi I, 130.) Die Herren
Crowe und Gavalcaselle (II, 164) wollen dagegen in diesem Bilde
den Pinsel des Pietro della Veochia, namentlich in der „Rüntung,
im* Kopfe des Goliath und in den Händen des Saul** wahrnehmen,
während dieselben Kunsthistoriker die sogenannte „Schiava'^ der
Galerie Barberini für ein Werk des Palma vecchio nehmen!!
Dieser unser „David und Goliath** wurde allerdings vom Pietro
della Veochia manches Mal oopirt und diese Copien befinden
«ich im Belvedere in Wien (Ital. Schulen, VII. Saal, Nr. 56; in
der städtischen Galerie von Padoa, Nr. 531, und anderwärts noch.
230 ^iö Galerie Borghese.
die kleine Tafel der Galerie Doria-Paniili (Braccio I,
Nr. 51), auf welcher Christus dargestellt ist, wie er die
Speculanten und Börsenmänner jener Zeiten aus dem
Tempel hinaustreibt, gehören somit der spätem Epoche
des Meisters an: 1525 — 1540.
Wie wir gesehen, ist auch dieser Meister in Rom
wenig gekannt und studirt, denn von den fünf Bildern,
welche diese Galerie von ihm besitzt, wurden vier an-
dern Meistern zugeschrieben.^ In den andern Galerien
Roms, Italiens, Deutschlands und Englands ergeht es
dem armen Dosso nicht besser als hier. So werden,
um nur einige Beispiele anzufülyen, in der Capitolini-
schen Galerie mehrere Bilder dem Dosso zugeschrieben,
die seiner durchaus unwürdig sind und auch keines-
wegs von ihm herrühren, wie das schwache männliche
Porträt (I. Saal, Nr. 85) und die „Vermählung der
Maria (I. Saal, Nr. 23), wogegen die grosse heilige
Familie (II. Saal, Nr. 145), welche jedenfalls nicht zu
den erfreulichsten Werken des Dosso gehört und über-
dies durch unverständiges Putzen verdorben worden ist,.
dem Giorgione zugemuthet wird, (f)
In der Galerie Doria-Panfili sieht man von Dosso,
ausser dem oben angeführten mit dem Monogramm be-
zeichneten Bildchen, ein ganz im Ariostischen Sinne
aufgefasstes Weib. Sie ist in einen rothen Mantel ge-
hüllt, hat die Stirn mit einem reichen Diadem ge-
schmückt und hält einen kolossalen Helm in den Händen.
Wahrscheinlich stellt diese schöne, junge und aggressive
Frau ebenfalls irgendeine Heldin aus dem „Orlando
furioso" vor. Im Katalog erhielt dieses Bild folgende
lächerliche Bezeichnung: Porträt der Katharina, Van-
nozza genannt, von Dosso. Nun war die Vannozza
^ Das sogenannte „Präsepium" (II. Saal, Nr. 27) gehört, meiner
Ansicht nach, nicht dem Giovanni an, wie der Katalog meint,
sondern doch wol eher dem Bruder Battista. (f)
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 281
nichts anders als das Kebsweib des später zur Papst-
würde erhobenen Cardinais Borgia und folglich die
Mutter des Cesare, der Lucrezia und der andern Kin-
der Alexander's VI. ; sie lebte also um 1470, als Dosso
noch nicht geboren war. Ich erinnere mich nicht, in
den Galerien Roms andern Bildern des Dosso, mit
Ausnahme eines bedeutenden grossen Altarwerkes mit
der Madonna und Heiligen im Palast Chigi, begegnet
zu sein.
In den Sammlungen der UfQzien und des Palast
Pitti in Florenz gibt es keine namhaften Bilder des
Dosso; der Johannes der Täufer, Nr. 380 daselbst,
gehört dem Dosso und nicht dem Giorgione an, dem
er dort zugeschrieben wird, und ebenso urtheile ich über
die Copie des Porträts des Herzogs Alfonso nach Tizian,
Nr. 311, das uns der Katalog als das Bildniss von
Karl V. und als das Werk Tizian's vorstellt.
In den einst zur llepublik Venedig gehörigen Län-
dern sind mir, ausser dem grossen, nicht gerade sehr
gelungenen Werke des Dosso in der Galerie von Rovigo*
und dem kleinen höchst poetischen Bildchen in der
städtischen Galerie von Bergamo', keine andern Werke
von diesem Meister zu Gesicht gekommen.
Auch in Mailand kenne ich von Dosso nur den
herrlichen, oben schon erwähnten heiligen Sebastianus
in der Brera-Galerie, ein Bild, das früher den Namen
des Giorgione führte. Die „Fusswaschung^' in der Am-
brosiana dagegen, welche Herr Director Bode (II, 736)
als ein Werk aus der romischen (?) Zeit des Dosso
> Dai Bild tr> die Nammer 185 and den Namen des öa-
rofolo. Es stellt eine thronende Madonna mit dem Kinde und
« '^^ Heiligen an den Seiten dar.
Abtheilang Lochia, Nr. 204. Es stellt die heilig^ Jung-
irau und das Kind dar, vor dem an den Seiten der heilige Georg
and ein heiliger Bischof knien.
282 ■ I^i® Galerie Borghese.
Dossi erwähnt, ist meiner Meinung nach sicher nicht
von ihm, sondern dürfte wahrscheinlich von einem
vlämischen Eklektiker herrühren, der in diesem lang-
weiligen Bilde auch dem Urbinaten mehreres ent-
lehnte, (t)
Selbst Dosso's Vaterstadt Ferrara hat nur wenige
Gemälde von ihm aufzuweisen: nämlich das grosse
leuchtende Altarwerk in der Pinakothek, das jetzt durch
eine heillose Restauration fast ungeniessbar geworden
ist, und vielleicht die durch Uebermalung ganz und gar
entstellten Wandgemälde in einem Cabinet des einst her-
zoglichen Schlosses. (?) Modena hingegen besitzt mehrere
und darunter ganz vorzügliche Bilder des Dosso.
Fast alle seine Fresken im Schlosse zu Ferrara, so-
wie diejenigen im fürstbischöflichen Schlosse zu Trient
haben entweder das Feuer oder der Zahn der Zeit zer-
stört oder aber der Stumpfsinn der Menschen hat sie
zu Grunde gehen lassen. Armer Dosso! So hat man,
viribus unitis^ allerorts, was noch von deinem grossen
Werk auf uns gekommen, zerbröckelt und zerstückelt,
und mit diesem Stück den einen, mit jenem den an-
dern Meister geschmückt. Hier den Giorgione, dort
den Parmeggianino, hier den Pordenone, dort den Fran-
cesco Penni oder den Garofolo. Er verdient es wohl,
dass man ihn wieder zu Ehren bringe und ihn in das
richtige Licht stelle. . Steht doch seinem vielbewun-
derten Landsmann und Freund Ariosto kein anderer
Künstler so nahe wie gerade dieser begabte Maler mit
seinem heitern, gesunden und oft so glänzenden Geiste.
Allerdings geberdet er sich zuweilen etwas ungebun-
den, zu Zeiten manchmal auch fahrlässig und leicht-
sinnig, doch niemand darf von ihm sagen, dass sein
Sinn roh und alltäglich gewesen sei.
Vasari hat den Dosso nicht persönlich gekannt. Wenn
also dieser sonst feinsinnige und . liebenswürdige Bio-
graph in der knappen Lebensgeschichte, die er dem
Die Ferraresen: Dosso Dossi. 283
Dosso widmet, nicht den ihm gewohnlichen Sinn für
Gerechtigkeit und Unparteilichkeit bewährt, so mag
dies vielleicht aus zwei Gründen herzuleiten sein:
erstens weil Dosso nicht für gut befunden hatte nach
Ivom zu pilgern, um dort seine heimatliche ^^maniera
^ecca^^ zu erweitern, und zweitens weil wahrscheinlich
Yasari's Freund Girolamo Genga ihn gegen Dosso, des-
sen Nebenbuhler er im Palazzo Imperiale bei Pesaro
gewesen war, ebenso sehr eingenommen haben mochte,
wie ein anderer seiner Berichterstatter, der neidische
Beccaftimi aus Siena, ihm über den Sodoma Uebles
berichtet hatte. Weder von den glänzenden und um-
fangreichen Wandgemälden, womit der Liebling Al-
fonso's von Este die Räume der Lustschlösser um Fer-
rara ausgeschmückt hatte, noch voui den Gemälden
Dosso's im Schlosse der Gonzaga in Mantua weiss
Vasari uns etwas zu sagen. Von den spätem Nach-
treten! des Aretiners durfte man auch nicht erwarten,
dass sie die Lücken im Werke des Meisters ergänzten
und -die von ihm begangenen Fehler wieder gut zu
machen gesucht hätten. Auch dürften wol wenige
Künstler der Sinnesweise der folgenden Jahrhunderte
so wenig zugesagt haben, so unverständlich geworden
sein, wie gerade Dosso. P>ging es etwa dem Ariosto
nicht ebenso nach dem Auftreten des Tasso?
Dosso starb nicht im Jahre 1560, wie allgemein be-
richtet wird, sondern schon um 1541, und daher un-
gefähr sieben Jahre vor seinem Bruder Battista. Er
hinterliess drei Töchter.*
Von Battista Dossi finden wir mehrere Bilder in
unserer Borghese-Galerie, zwei davon über den Thüren
des ersten Saales, und ein kleines Präsepium im
Saale III; ein viertes im ersten Saale der Doria-Galerie,
über der Thür aufgestellt
Siehe Cittadella, a. a. 0.
284 Die Galerie Borghese.
Ein Zeitgenosse, vielleicht auch Mitschüler Dosso's
bei Lorenzo Costa (?), war der Ferrarese Lodovico
Mazzolini, dieser Glühwurm unter den Malern. Sein
Vater war auch Maler und hiess Giovanni. Mehr für das
Genrefach als für die „historische" Kunst geschaffen, ob-
wol er in seiner Frühzeit auch viel al fresco gemalt haben
soll, wurde er schon seiner herrlich glänzenden Farben
halber ein Liebling aller kunstliebenden Prälaten der fol-
genden Jahrhunderte. Daher sind auch die römischen
Galerien mit seinen Bilderchen reichlich versehen. Die
Borghesische hat von seiner Hand, ausser den beiden im
ersten Saal hängenden, noch ein drittes Bildchen: eine
„Anbetung der Könige", mit prächtigem architektonischen
Hintergrund, Saal H, Nr. 58. Hier ist Mazzolini klar
und leuchtend in der Farbe und nicht so manierirt wie
gewöhnlich.
Wenn ich nun noch zwei Bilder des Scarsellino
erwähne, die im dritten Saal der Galerie (Diana im
Bade und Venus dem Bade entsteigend) aufgestellt
sind, so glaube ich ungefähr aller ferraresischen Maler
gedacht zu haben, von denen Werke in dieser Galerie
sich vorfinden. Es bleibt mir nur noch übrig, der be-
kannten, ja weltberühmten Danae des Correggio einige
Worte zu widmen.
Mit derselben Ungerechtigkeit und Oberflächlichkeit,
mit welcher man bisher den Dosso behandelt, ist man
überhaupt mit der ganzen Malerschule Ferraras ver-
fahren. Wer diese interessante, energische Schule mit
Liebe studirt, derselben ohne Vorurtheile in ihrer or-
ganischen Entwickelung nachgeht , der wird leicht er-
kennen, dass dieselbe in der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts eine weit grössere Bedeutung gehabt hat als
man ihr bisher einräumen wollte. Ihre drei Haupt-
träger sind der ernste, eckige vmd knochige Cosimo
Tura, Cosme genannt; der naive, energische und
trotz seiner Griesgrämigkeit liebenswürdige Francesco
Die Ferraresen. 285
Cossa oder del Cossa* und Ercole Roberti. Der
erstere lebte und wirkte stets in seiner Vaterstadt, und
seiner Schule mögen, unter vielen andern, auch die
Maler Francesco Bianchi (in Modena, wo er sich
niederliess, Frare, d. h. der Ferrarese, genannt)*, Do-
menico Panetti und Lorenzo Costa angehören.
Francesco Cossa dagegen verliess schon im Jahre
1470 den Hof seines Herrn Borso und setzte sich in
Bologna fest, woselbst er nicht erst gegen Ende des
Jahrhunderts, wie ich früher annahm, sondern schon
im Anfange der achtziger Jahre, also in seinem besten
Mannesalter, verstarb.' Diesem seinem Landsmann
und dessen Mitarbeiter in Bologna Ercole di Ro-
berto, hatte es wahrscheinlich Lorenzo Costa zu
verdanken, dass er in seinen Jugendjahren, d. h. um
1483, von Ferrara an den Hof des kunstliebenden Ben-
tivoglio kam, woselbst er dann später eine blühende
* Die meisten der auf uns gekommenen Werke des Cossa
gehen in Italien unter dem Namen des Lorenzo Costa, mit
welch letzterm Cossa schon von Vasari verwechselt wurde.
So z. B. der herrliche, in seinem Lehnstuhle sitzende heilige
Hieronymus in S. Petronio; die zwölf stehenden Apostelfiguren
in der Kapelle Marsilj, ebendaselbst, wahrscheinlich nach dem
Tode des Meisters von einem seiner Schüler nach Cartons des
Cossa gemalt; die zwei Glasfenster in S. Giovanni in Monte,
ebenfalls in Bologna. Im Ausland werden die wenigen sich dort
befindenden Bilder des Cossa bald dem Mantegna, bald dem
Marco Zoppo von Bologna zugeschrieben.
* Viele meinen, er hätte Bianohi-Ferrari geheissen; warum
denn zwei Familiennamen? üeberdies schrumpft, soviel ich
weiss, selbst im modei^sischen Dialekt der Familienname Fer-
rari niemals in Frare zusammen. Uebrigens hat die Frage,
ob Bianchi in Modena oder in Ferrara geboren sei, gar keinen
wissenschaftlichen Werth; als Künstler gehört Franoesoo
Bianchi der Malerschule Ferraris an.
* Cosimo Tura dagegen starb nicht im Jahre 1469, wie man
gewöhnlich annimmt, sondern, wie Cittadella uns beriobtet,
nach 1495.
286 I^ie Galerie Borghese.
Schule heranzubilden Gelegenheit hatte, nämlich jene,
als deren Haupt man den Francesco Francia anzu-
nehmen gewohnt ist. Ja, ich bin fest überzeugt, dass
ausser dem Chiodarolo, Cesare Tamarozzo^ und andern
mehr, selbst der um 1488 in der Goldschmiedekunst
zu höchster Blüte gelangte Francesco Raibolini,
il Francia genannt, das Malen von keinem andern als
von seinem Freunde Lorenzo Costa erlernt haben kann.
Man vergleiche die Werke dieses letztern vom Jahre
1488 (in der Kapelle Bentivoglio) mit seinen zwei Wand-
gemälden, vom Jahre 1506, in der Kapelle der heiligen
Cäcilie, und man wird darin nirgends eine Spur von
Francia's Einfluss, wol aber den des Ercole Roberti
entdecken können, während dem entgegen die frühesten
Werke des Francia, wie z. B. die kleine Kreuzifjunsc
' DO
(in der Bibliothek (f ) des Arciginnasio 2) und die Altar-
tafel vom Jahre 1494 (in der Pinakothek), so wol im
Tone als in gar manch anderm Zuge noch lebhaft an
L. Costa erinnern. Ich gebe zwar gern zu, dass Fran-
cia als eminenter Plastiker auch seinerseits einen vor-
theilhaften Einfluss auf den Ferraresen ausübte, verkenne
auch durchaus nicht, dass er ein feineres Liniengefühl,
ein grösseres Verständniss der menschlichen Formen
besass, ja dass er, namentlich in seinen Werken aus
der frühern Zeit, seinen Köpfen einen tiefern, edlern
Ausdruck zu verleihen im Stande war (man besehe sich
^ Von Cesare Tamarozzo sieht man zwei Wandgemälde in der
Kapelle der heiligen Cecilia (Kirche S. Jacopo Maggiore), von
einigen fälschlich dem Giacomo Francia zugeschrieben ; ferner ein
anderes Wandgemälde „S. Agostino mit. einigen Ordensbrüdern"
in der Kirche della Misericordia in Bologna (f); und ein mit
dem Namen bezeichnetes Tafelbild „Madonna mit dem Christ-
kind" in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand.
^ Dort früher dem L. Costa, von andern auch dem Ercole
Grandi di Giulio Cesare zugeschrieben. Director Bode hat jedoch
meine Bestimmung jenes Bildchens angenommen und es in die
Frühzeit des F. Francia gesetzt.
Die Ferraresen. 287
z. B. den zum Tode verwundeten Stephanus dieser
Galerie)* als Lorenzo Costa den seinigen; andererseits
bin ich jedoch derUeberzeugung, dass dieser letztere sei-
nen Pinsel mit viel grösserer Meisterschaft und Freiheit
handhabte, und auch bei einem feurigem, lebhaftem
Naturell in einem hohem Grade mit jenen Gaben aus-
gerüstet war, die den vollendeten Maler kennzeichnen,
als dies eben bei Francesco Francia der Fall war. Wie
nun Cossa, Ercole Roberti^ und hauptsächlich Lo-
renzo Costa als die eigentlichen Gründer jener Maler-
schule anzusehen sind, welche in den zwei letzten De-
cennien des 15. und im Anfange des 16. Jahrhunderts
in Bologna blühte, so ist auch der Einfluss Dosso's und
Garofolo's unverkennbar in den frühem Werken des
Bagnacavallo, des Niccolö Pisani', des Biagio
Puppini und in späterer Zeit sogar in dem des Gia-
como und Giulio Francia« Mit einem W^orte, die
Malerschule Ferraras war es, die während etwa
fünfzig Jahren, von 1470 bis etwa 1520, die ganae
Uoniagna mit ihrem Lichte erleuchtete und erwärmte.
Ich hätte den Lesern diese flüchtig hingeworfenen
kunstgeschichtlichen Vorbemerkungen erspart, wäre' ich
nicht durch die Gelegenheit, die uns die Betrachtung der
„Dauae" des Correggio darbietet, verlockt worden , in
aller Kürze meine Ansicht über einen Punkt in der
Kunstgeschichte Italiens auszusprechen, über den noch
eine grosse Unklarheit herrscht, nämlich über die
* Auch dieses herrliche Bild wurde leider in vo.-^^o,. /o;<
in den obern Stock des Palastes gebracht
' Als Schüler des Roberti dürfte dooh wol eher Amico uiui
nicht 6uidoAspertini,wie Vaaari berichtet, betrachtet werden.
* £in Bild aus seiner Frühxeit befindet sich in der Pinako-
thek von Bologna (Pieta) „Nicholo** bezeichnet, und dort fillsoh-
licli il* in Niccolö Soriani zugeschrieben; ein Gem&lde ans semer
Bpätcru Zeit ist in der Brera-Oalerie; in diesem letstem tritt
Niccolö uns als Nachahmer des Oarofolo entgegen«
288 I>ie Galerie Borghese.
Lehr- und Wanderjahre des Malers Antonio Allegri da
Correggio.i
* In einem der interessanten Aufsätze, die Herr Director Bode
in der „Gazette des beaux-arts" über die italienischen Bilder
des Berliner Museums publicirt, in der Absiebt seine neuen Ideen
über die italienische Kunstgeschichte sowie die eigenen, gewiss
nicht geringen Verdienste um die Sammlungen der Berliner
Museen auch einem französischen Publikum bekannt zu machen,
bemerkt er: „^. Venturi, dont les recherches ont poseles fonde-
ments de la connaissance des ecoles de Ferrare, de Bologne et
de Modene"' (V. Heft vom 1. Februar 1889, Seite 118).
Nun kann es mir gewiss nicht im Traum einfallen, die wirk-
lichen Verdienste des jungen und vielversprechenden modene-
fiischen Kunstforschers Herrn Venturi irgendwie schmälern zu
wollen ; Herr Director Bode wird mir aber erlauben, meinerseits
ihm zu bemerken, dass, als ich im Jahre 1875—76 diese nun
aufs neue erscheinenden Artikel über die Malerschule von Fer-
rara und Bologna veröffentlichte, noch ein dichter Nebel über
jenen beiden Malerschulen lag, wovon uns selbst noch die Aus-
gabe von 1879 des Bode'schen „Cicerone" (11,579—587) Zeugniss
ablegt. Es ist wahr, Herrn A. Venturi glückte es, den wahren Autor
des grossen Bildes, das in der Brera-Galerie bisher als von einem
sonst ganz unbekannten Stefano da Ferrara gegolten hatte, aus-
findig zu machen. Er fand nämlich in einer alten „Guida", dass
jenes Bild, ehe es nach Mailand kam, den Altar einer Kirche
in der Nähe von Ravenna zierte und dort als "Werk nicht des
Stefano, sondern des Ercole da Fen-ara galt, und bei näherer
Prüfung des Bildes hat sich auch wirklich bestätigt, dass es dem
Ercole di Roberto angehöre. — Ausserdem verdanken wir
Herrn Venturi die Entdeckung mancher wichtigen Documente,
die dazu dienen, uns mit den Malern von Ferrara, Bologna und
Modena vertrauter zu machen. Dies alles erkenne auch ich und
mit der grössten Freude an. Allein das eigentliche Verhältniss
■der alten Bologneser Schule zu der von Ferrara, die Bedeutung
des Fr. Cossa und des Lorenzo Costa in jener ehedem sogenannten
-,Schule des Marco Zoppo und des Francia", sowie die künstlerische
Entwickelungsgeschichte des Garofolo und des Dosso Dossi, und
ebenso die des Correggio, glaube ich doch etwas früher als die
Herren Bode und Venturi erkannt zu haben. — Mögen diese
wenigen Worte der Abwehr, die ich mir selbst schuldig war,
Die Ferraresen: Correggio. 289
Dem Vedriani folgend, lassen nämlich die Schrift-
steller über italienische Kunst den Correggio seine
■ersten Lehrjahre unter der Anleitung des Francesco
Bianchi in Modena zubringen und lassen ihn dann,
nach dem im Jahre 1510 erfolgten Tode des Bianchi,
nach Mantua übersiedeln, um sich dort beim grossen
Andrea Mantegna weiter auszubilden, bis er etwa zwan-
zigjährig 1514 von den Mönchen in Carpi den ehren-
vollen Auftrag erhielt, das grosse Altarbild auszuführen,
welches gegenwärtig die Dresdener Galerie ziert, und
worin, wie sich dies von selbst versteht, die meisten
Schriftsteller noch ganz deutlich die Art und Weise
seines Lehrers Mantegna zu erkennen behaupteten.
Freilich, als man später ausfindig machte, dass Man-
tegna schon im Jahre 1506 gestorben war, behalf man
sich damit, dem Vater einen seiner zwei Sohne, sei es
-den Lodovico sei es den Francesco, als Lehrer und
Kathgeber des jungen Correggio zu substituiren. Zum
Belege fiir diese Annahme und zum Beweise der per-
sönlichen Gegenwart des jungen AUegri in Mantua
führte man sogar einige Fresken an, die da und dort
an den Mauern jener Stadt noch sichtbar wären und
worin jeder Sachkundige di<' TTmiuI des Correggio er-
kennen müsste.
Diese ganze Entwickelungsgeschichte jedoch ist auf
Sand gebaut; sie wird weder durch irgendein Gemälde
■des Correggio, noch weniger durch schriftliche Docu-
mente begründet, sie ist nichts mehr und nichts weniger
als eine leere „supposition" des Vedriani, welche, da sie
dem Localpatriotismus der Mantuaner schmeichelte, bald
zu einer sogenannten „Tradition" wurde.
Betrachten wir uns dio Sache ohne vorgefasste Mei-
von meinen freundlichen Lesern mir dkIii uU Si l)>stüberhcbung
gedentet werden. Das italienische Sprichwort s.i^rt ''^ • : vora
si fa ü lupo lo mangia".
LBKMousrr. ^9
290 I^iß Galerie Borghese.
nungen. Das obengenannte Bild in Dresden mag also
vom jungen Correggio 1515 beendigt worden sein. Der-
selbe, in den letzten Monaten des Jahres 1493 oder in
den ersten des folgenden, wie man gewöhnlich annimmt,,
geboren, hätte also, als er jenes Bild den Mönchen
nicht von Carpi, sondern von Correggio vollendet über-
lieferte, etwa 21 Jahre gezählt. In jenen für die Kunst
glücklichen Zeiten hatte aber ein Maler gewöhnlich
schon in seinem 15. oder 16. Jahre die Lehrzeit durch-
gemacht und die technischen Handgriffe erlernt, und
von einer in so hohem Grade begabten Natur, wie die
des Corregio war, ist man um so mehr berechtigt eine
solche Frühreife zu erwarten. Es ist daher wol anzu-
nehmen, dass er schon vor 1514 Bilder gemalt habe,
die ihn als einen guten Maler bekannt gemacht und
ihm daher jenen so ehrenvollen Auftrag von den Mön-
chen von Correggio verschafft haben werden. Betrach-
ten wir nun dieses Bild mit kritischem Auge, so werden
wir durch den Ton und die Harmonie der Farben, durch
den Auftrag derselben, durch die architektonische Form
des Thrones und endlich auch durch das Medaillon, mit
dem der Thron verziert ist, eher an Costa und die Fer-
raresische Schule erinnert, als an die Weise des Man-
tegna. Für diese meine Ansicht spricht jedoch noch
deutlicher das schöne Bild bei Lord Ashburton in Lon-
don. Wer an der Echtheit desselben zweifelt, der bekun-
det, wie mir scheint, wenig Verständniss für das Eigen-
thümliche der künstlerischen Auffassung und Darstel-
lungsweise des Correggio. Ueberhaupt, sei mir erlaubt
im Vorbeigehen zu bemerken, pflegen gar viele, ja die
meisten Kunsthistoriker sich den Begriff vom Charakter
und der Ausdrucksweise eines Künstlers von den spä-
tem Werken desselben zu abstrahiren. Wer daher im
sogenannten Bilde des heiligen Georg oder in dem der
„Nacht" der Dresdener Galerie oder im sogenannten
Hieronymusbild in Parma den Inbegriff der Kunst des
Die Ferraresen: Correggio. 291
Antonio Allegri zu sehen gewohnt ist, der wird natür-
lich anstehen, im Bilde Ashburton die Hand desselben
Künstlers zu erkennen. Und doch sind in jenen Werken
aus der Frühzeit des Correggio, nämlich der Madonna
des heiligen Franciscus zu Dresden und dem Bilde bei
Lord Ashburton, im Keime schon dieselben Licht-
und Schattenseiten sichtbar, die in den spätem Ge-
mälden des Meisters uns theils anziehen, theils abstossen.
Dieselbe Form, dieselbe Empfindung in der Darstellung
der Hände, dieselbe dem Correggio eigenthümliche Form
des Ohres, dieselben ihm eigenen Faltenbrüche; nur die
Färbung ist in diesen Bildern aus der Frühzeit eine
andere, sowol im Tone als auch in der Harmonie, und
gemahnt uns an Lorenzo Costa und an dessen Schule.
Wie ich nun das Bild bei Ashburton für früher gemalt
halte, als das Bild vom Jahre 1515 in Dresden, so er-
scheint mir dagegen die sogenannte Flucht nach Aegyp-
ten (in der Tribüne der Üftizien-Galerie) als um mehrere
Jahre später ausgeführt, als die Madonna des heiligen
Franciscus, also ums Jahr 1517 — 18. Auch in diesem
letztern Bilde ist der Ton durchaus noch ferraresisch,
und zwar nicht so sehr an Costa und Ercole Grandi di
Giulio Cesare erinnernd, als vielmehr an Dosso und Garo-
folo. Das helle Strohgelb in der Bekleidung des hei-
ligen Joseph in jepem Bilde ist eine Farbe, deren sich
Dosso und Garofolo mit Vorliebe bedienten. Im klei-
nen, rechts an die Tribüne der Uftizien- Galerie an-
stossenden Zimmer hangt ein Bildchen, das man früher
der ferraresischen Schule, später aber geradezu dem
Tizian zuzuschreiben beliebte. Es führt die Nr. 1002
und stellt die Madonna mit dem Kind im Arme zwi-
schen zwei musicirenden Engeln vor. Wer nun den
Formen in diesem Bilde näher nachgeht, zumal der
Hände, des Ohres, der Falten, ganz abgesehen von der
dem Correggio ganz eigenthümlichen Leuchtkraft der
Farbe, der wird darin überall den Geist und die Hand
19 ♦
292 JÖie Galerie Borghese.
des Correggio erkennen; allein mehr noch als die äussere
Form spricht auch in diesem Gemälde für den Meister
der ihm ganz eigene Ausdruck der Madonna und des
Jesuskindes, und namentlich der des Engels auf der
rechten Seite der Jungfrau, während der Engel auf der
linken Seite mehr an Giorgione und an Tizian's Jugend-
werke erinnert.
Jenes höchst interessante, bisher wenig beachtete
Bildchen halte ich nun ebenfalls für die Arbeit aus der
Erühzeit des Correggio, und zwar als von ihm unter dem
Einfluss der Werke Giorgione's, Tizian's und Lotto's
gemalt, (f) Denn ich stehe nicht an anzunehmen, dass
der junge Antonio an Ort und Stelle, d. h. in Venedig,
gar manches Werk jener grossen venetianischen Colo-
risten sich angesehen und beherzigt habe, ehe er sich
in Parma niederliess. Um meine Thesis fester zu be-
gründen, als dies eben durch die angeführten Beispiele
geschehen konnte, hätte ich gewünscht, noch eines andern
Bildchens Erwähnung zu thun, das einst in der Galerie
Costabili in Ferrara sich befand, seit etlichen Jahren
aber in den Besitz des Herrn Dr. G. Frizzoni über-
gegangen ist. Da ich nun weiss, dass der glückliche
Inhaber dieses Kleinodes gesonnen ist, in naher Zeit
dem kunstwissenschaftlichen Publikum seinen kleinen
Juwel vorzustellen und die Gelegenheit benutzen wird,
mehrere andere Jugendarbeiten des Correggio mit ge-
wohnter Sachkenntniss zu erörtern, so unterlasse ich
es, an diesem Orte das liebliche Bildchen eingehender
zu beschreiben. Dasselbe stellt die „Vermählung der
heiligen Katharina" vor und hat eine so scharf ausge-
sprochene ferraresische Färbung, dass es mehrern nor-
dischen Dilettanten als ein Werk des Mezzolini
erschien.
Mag nun Correggio den in Modena ansässigen Maler
Francesco Bianchi zum Lehrer gehabt oder mag der-
selbe selbst die Technik des Malens in Mantua bei
Die Ferraresen: Correggio. 293
Lorenzo Costa oder in Ferrara selbst die Technik des
Malens erlernt und sich später an den Werken der
Venezianer ausgebildet haben, daran liegt nicht vieL
Woran es mir hauptsächlich lag, war, meinen P^reunden
zu beweisen, dass Correggio mit der Schule des An-
drea Mantegua nichts zu schaffen hat, sondern
durchaus und unbedingt der Malerschule Fer-
raras angehört.* Es ist hier nicht der Ort, diese
Ansicht eines weitem auszuführen und zu begründen;
ich hoffe aber, dass diejenigen meiner Leser, welche der
italienischen Kunst in ihrer Entwickelung nachgegangen
sind und dieselbe nicht im Sturmschritt, sondern mit
Liebe und ohne vorgefasste Meinung studiren, meine
Gedanken nicht höhnisch abweisen werden; ja, ich
schmeichle mir sogar, dass mancher unter ihnen, früher
oder später, seine Zustimmung mir nicht versagen wird.
Nach dieser Abschweifung betrachten wir nun das
herrliche Werk des Meisters, das die Galerie Borghese
besitzt, die „Danae". Es ist ein vielgewandertes Bild.
Von Italien kam es nach Spanien und sodann wieder
nach der Lombardei zurück. In den achtziger Jahren
des 15. Jahrhunderts beschrieb es Lomazzo als in Mai-
land befindlich und zwar im Hause des Bildhauers Leoni
Aretiuo: ^^Danae e Giove che gli piove in grembo in
forma dt pioggia d*oro^ con Cupido ed altri amori^ c6*
lumi talmente intesi^ che tengo sicuro^ che niun altro pit-
tore in colorire ed allurtiare possa agguagliargli; man"
dato di Spagna da Pompeo suo ßglio statuario,^' Von
Mailand aber gelangte es sodann an den Hof Kaiser
Rudolfs nach Prag, von wo aus es durch die Politik
nach Stockholm verschlagen ward, um vom hohen Nor-
den, wo die arme Danae sich fast zu Tode gefroren haben
' Dass Correggio in Mantna die eine oder die andere Figur
defi Mantegna copirt haben mag, thot wahrlich meiner Behanpinng
nicht den mindesten Abbruch.
294 Die Galerie Borghese.
mag, wieder nach Süden, und zwar nach Paris gebracht
"ZU werden. Von da später nach London verkauft,
iehrte das Bild bald wieder nach Paris zurück, wo es
im dritten Decennium unsers Jahrhunderts glücklicher-
■weise als Copie angesehen wurde und daher vom Für-
sten Borghese um einen Spottpreis angekauft werden
konnte. So bekam denn, nach zwei und einem halben
Jahrhundert, unsere D^nae abermals ihr sonniges Vater-
land wieder zu sehen. Nur die Götter mögen es wissen,
wo diese weitgereiste Freundin des alten Jupiter am Ende
unsers Jahrhunderts sich befinden werde!
Nach allen den Wanderungen ist es nicht zu ver-
wundern, dass dieses Wunderwerk der Malerei vielfach
gelitten hat. Jedenfalls ist es jedoch den heillosen so-
genannten Restaurationen entgangen, welche die Bilder
des Correggio in Dresden, den heiligen Franciscus etwa
ausgenommen, erfahren mussten und die, mir wenig-
stens, jene gepriesenen Correggio-Bilder fast ungeniess-
bar machen. Trotzdem, dass die Oberhaut dieses Bil-
des verloren gegangen, bleibt es doch immer vielleicht
das correggeskeste Werk des Antonio Allegri, und wie
Otto Mündler sehr richtig bemerkt, der Triumph der
Luftperspective und des Helldunkels. Die kindliche,
naive Geschäftigkeit der die Pfeile spitzenden Liebes-
götter, sowie das etwas verdutzte ängstliche Geschehen-
lassen und zugleich die echt weibliche, sinnliche Glück-
seligkeit, die den ganzen Körper der Danae durchzittert,
bis in die Fusszehen hinab, scheinen mir unübertreff-
lich. Es mag wol sein, dass die naive, natürliche Freude
dieses Mädchens den Superlativen Aesthetikern und
den principiell „Reinen" allzu sinnlich erscheint. Auch
gebe ich gern zu, dass die Kunst des Correggio in
diesem Bilde sich auf der Schneide eines Rasirmessers
bewegt. Diese Danae wurde für den Markgrafen von
Mantua gemalt, und schon Giulio Romano, nach dem
Zeugniss Vasari's, erklärte dieses Bild für so schön,
Die Ferraresen: Correggio. 295
dass er kein anderes kenne, das diesem gleichkomme.
Was die darin so meisterhaft veranschaulichte Empfin-
dung des Meisters betrifft, so finde ich sie so wahr,
so menschlich, ja so keusch im wahren Sinne des
Wortes, so fern von all der unsittlichen Prüderie un-
serer Tage, dass mir kein Werk modemer Kunst be-
kannt ist, welches in dieser Hinsicht mehr Recht hätte,
•den Kunstschöpfungen der Griechen an die Seite ge-
setzt zu werden. Freilich hat Corregio seine Danae
keineswegs für ein Mädcheninstitut gemalt. Jedenfalls
ist es eine der Perlen der Borghese-Galerie, und, meinem
Dafürhalten nach, das einzige Werk des Correggio,
das sich in Rom befindet *, da anerkanntermassen der
wüste' „Christus in der Glorie" der Vaticanischen Bil-
dersammlung wahrscheinlich einem schwachen Nach-
ahmer aus der spätem bologneser Schule zuzuschreiben
ist. Es ist wol kaum nöthig zu bemerken, dass die
Danae auf Leinwand und nicht wie die bewunderte und
vielbesungene „Magdalena" der Dresdener Galerie (f)
auf Kupfer gemalt ist, ein Gebrauch, der, wenn ich
nicht irre, erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts durch
die Niederländer in Italien eingeführt wurde, in diesem
Lande jedoch wenig Anklang fand.*
Von dieser „gemein sinnlichen" Gestalt des Correggio,
* Das Madonnenbild im Hanse des Fürsten Torlonia (Lun-
gara) ist, ebenso wie jenes in St.-Petersbarg, nichts anderes als
Copie des in der Esterhazy- Galerie in Budapest befindlichen
Oriprinals. (f)
' Soviel ich weiss, haben erst in der zweiten Hälfte des
!<;. Jahrhunderts Niederländer, wie Brill, Jan Bmeghel der Ael-
tere, Pourbus u. a. m., sich des Kapfers zu ihren Malereien be '
dient. Mir wenigstens ist kein italienisches Bild aus der
ersten Hälfte jenes Jahrhunderts bekannt, das auf Kupfer ge-
malt wäre; spätere Copien, die fClr Originale gelten« sah ich
allerdings mehrere.
296 Die Galerie Borghese.
wie die Danae von einem sonst hochsinnigen deutsche«
Kunsthistoriker genannt wurde, wenden wir uns alsa
schleunig weg und treten in die folgenden Säle ein,
wo wir die Ehehälfte Potiphar's von drei oder vier
keuschen Malern vom Ende des 16. und 17. Jahrhun-
derts, zur grossen Freude der Fastenprediger in der
Kunst, dargestellt sehen. Doch wir überlassen es dem
diese Art von Kunst liebenden Publikum, jene Bilder
sich selbst aufzusuchen und sich daran zu ergötzen. Für
unsere Studien ist nichts in denselben zu lernen. Auch
möge man es mir nicht verargen, wenn ich die im IV.,
y., VI., VII. und VIII. Saale ausgestellten- Gemälde
für diesmal ganz übergehe. Für die Geschichte der
Kunst und der Cultur haben dieselben allerdings das-
selbe und für das grössere Publikum ein noch viel stär-
keres Interesse und eine grössere Anziehungskraft, als
die von uns bisher betrachteten Werke, allein für un-
sere Studien sind, wie gesagt, die Eklektiker von sehr
untergeordneter Bedeutung.
Das weitaus schönste Gemälde in diesen Sälen ist
jedenfalls Domenichino's berühmte „Caccia di Diana "►
Aus diesem an schönen, ja reizenden Details so reichen
Bilde schaut noch eine so naive Lust und Freudigkeit
heraus, dass man sich in für die Kunst glücklichere
Zeiten versetzt glaubt. Kein Bild aus dem 17. Jahr-
hundert, die herrliche Aurora des Guido, die Fresken
des Annibale Caracci im Palast Farnese und jene de&
Guercino im. Casino Ludovisi etwa ausgenommen, ge-
niesst aber auch eines solchen Rufes, ist so allgemein
bekannt, wie diese wirklich anmuthige, mit Freude ge-
dachte und gemalte und daher auch Freude erweckende
weibliche Jagdpartie des liebenswürdigen Domenichino.
Im nämlichen Saal hängen noch Rundbilder des Fran-
cesco Albani, die Jahreszeiten darstellend, die als
Decorationsstücke werthvoll und beachtenswerth sind^
und überdies eine grosse Madonna mit dem Kinde vom
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane." 297
unerquicklichen, aber höchst talentvollen Michelangelo
da Caravaggio.
Im letzten untern Saale der Galerie befinden sich
Fragmente von Wandmalereien, welche drei verschie-
denen Meistern angehören. Diejenigen, in denen die
Geschichte des Apoll und Marsyas dargestellt ist, rühren
vom Domenichino her und zierten dereinst einen Saal
der Villa Borghese in Frascati. Die andern, welche
Legenden aus der römischen Geschichte zum Vorwurfe
haben und von neuern Schriftstellern dem Giulio Ro-
mano zugeschrieben wurden *, befanden sich ehemals in
der Villa Laute auf dem Janiculus. Dieselben haben
allerdings noch einen Anflug Kaffaerschen Geistes, denn
die Villa Lante wurde von Giulio Romano erbaut
und die malerische Ausschmückung derselben von den
Gehülfen und Schülern, Pappacello, Pagni u. A. aus-
geführt.
Die übrigen drei Fresken endlich wurden ehedem
dem Urbinaten selbst, von Passavant jedoch blos dem
Perino del Vaga zugeschrieben. ^ Sie zierten dereinst
das im Jahre 1849 zerstörte Casino di Rafiaello auf dem
Pincio und stellen das eine eine Gruppe von Schei-
benschützen, ein anderes „die Hochzeit Alexander^s
mit Roxane^^ dar. Meiner Ansicht nach sind es schwache
Copien eines spätem talentlosen Nachahmers Raffaers,
das „Bogenschi essen" nach einer Zeichnung in der
Sammlung von Windsor, die dort dem Michelangelo
zugeschrieben wird; die „Hochzeit Alcxauder's" nach
dem Stiche des Caraglio oder wie andere wollen des
> Passavant: Raffael d'UrbiD eto. I, 288: „Voriginalite
(jrandiose de Julet. Romain reuort auasi äatu les pUiUs fresques
de la Villa Lante; ce 8oni des tujtU tiris des legendes et de
Vhistoire rowMine, qui ae rapporte au Janicuie etc."
* Passavant a. a. 0. (II, 236): .^UexicuUim de cetU fresqut,
en bon H<U dt conservation t est traiUe avec toute la düicaiesse
particulihre (?) ^ Perino del Vaga,""
298 ^^® Galerie Borghese.
Bonasone^, den einer von diesen nach einer ihnen von
Perino delVaga angefertigten getuschten Zeichnung
ausführte, (f)
Meinen eigenen Studien zufolge dürfte der Hergang
der Sache sich ungefähr so herausstellen. Vasari er-
zählt (IX, 275) uns, dass unter den Schülern Marcan-
ton's sich besonders Marco da Eavenna und Agostino
Veneziano auszeichneten und dass beide Stecher Zeich-
nungen RaffaeFs als Vorlage zu ihren Blättern benutzten.
Unter derartigen von Agostino ausgeführten Stichen
führt Vasari nun mit seiner gewöhnlichen Leichtfertig-
keit auch den mit der Hochzeit Alexander's an, ^Jece
ancora Alessandro con Rosana ^ a cui gli presenta una
Corona reale ^ ecc. ecc.'"' Und dieses unbedachtsam hin-
geworfene Wort des Aretiners reichte hin, den groben
Irrthum herbeizuführen, der später in der Bestimmung
aller auf das Freskobild Sodoma's bezüglichen Zeich-
nungen und Skizzen sich einschlich und der noch immer
besteht. Raffael Santi und kein anderer musste sie alle
angefertigt haben, und dem armen Sodoma blieb an
seinem herrlichen Frescobilde kein anderes Verdienst
^ P. J. Mariette („Abecedario", I, 89) sagt, es gebe zwei Stiche
mit diesem Gegenstand, der eine sei von Caraglio, der andere
vom altern Beatricet. Die getuschte Zeichnung dazu befand sich
damals in der Sammlung Crozat und scheint jene gewesen zu
sein, die L. Dolce als von der Hand Rafifael's citirt (eine mit
Gips gehöhte Bisterzeichnung), mit der Bezeichnung: Baffaello
da Urbino. Diese Zeichnung befindet sich in den Mappen des
Louvre und ist, meiner Ansicht nach, nichts anderes als eine
Copie der Originalzeichnting Perino's, die jetzt verloren zusein
scheint. Mariette erklärte jene Zeichnung bei Crozat als von
der Hand des Parmeggianino, und Zanetti desgleichen; dem Abbe
Marolle dagegen schien das Blatt von keinem andern herzu-
rühren, als von Raifael selbst. Die Herren Montaiglon und Mar-
quis de Chennevieres endlich erklärten die Louvre-Zeiohnung als
von der „Schule des Urbinaten".
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane/' 299
iibrig, als dasselbe nach den Vorlagen RaffaePs aus-
geführt zu haben. An der ganzen Sache ist jedoch,
davon bin ich überzeugt, kein Wort wahr und auch
bei dieser Gelegenheit werden wir wieder an die tief-
sinnige Parabel erinnert, die der alte Brueghel in seinem
Bilde im Museum von Neapel so witzig darzustellen
wusste.
Dem Giovanni Antonio Bazzi kann man viele
Mängel vorwerfen, nur nicht Mangel an Erfindungs-
gabe, wovon sich ja jeder Unbefangene überzeugen
kann, der seine Wandgemälde im Klosterhof von Mont-
oliveto und in den Kirchen von S. Domenico und S.
Bernardino in Siena betrachtet. Uebrigens hat die be-
kannte Rötheizeichnung in der Albertina ausser den
für den Meister sehr charakteristischen Merkmalen in
der Technik ^ dieselben Mängel in der Composition, die
wir auch in dem Wandgemälde des Sodoma „die Fa-
milie des Darius vor Alexander" finden und über dessen
Erfindiuig, bisjetzt wenigstens, soviel ich weiss, die
kritischsten Kunstkritiker keinerlei Zweifel haben laut
werden lassen. Zum Frescobilde der „Hochzeit Alexan-
der's mit Roxane" sind vier Zeichnungen des Sodoma uns
erhalten geblieben, jiämlich:
1) Die treffliche „Rötheizeichnung" in der Alber-
tina in Wien.2 (f)
* Man beobachte als oharakteriatische Merkmale des Sodoma
z. B. am rechten Bein der Roxane das runde volle Knie ge-
rade wie auf den zwei Ledazeichnungen in Weimar und in Chats-
worth (Braun 51 und 14H, falschlich dem Lionardo da Vinci su-
gesohrieben); die zu stark acoentuirte grosse Zehe; die Form
der Hand und des Ohres; den dem Sodoma eigenthümliohen
Kindertypus; die dichte Strichführung, so verschieden von der
«uf den echten Zeichnungen Rafiiael's; die Behandlung der
Haare u. a. m.
* Ueber diese Röthelzelchnung bemerkt Mariette: ^^tTy re-
connais tout le faire de Baphael; Ut expremons en tont bien
300 I^ie Galerie Borghese.
2) Ein Entwurf zu dieser Composition in der Feder-
skizze in den Uffizien (Rahmen 495, Nr. 1479).
3) Eine Federzeichnung zur Roxane, dieselbe nackt
und stehend darstellend, in der Esterhazy- Sammlung
in Budapest (f), von Herrn von Pulszky als Raffael-
zeichnung besprochen in seinem Aufsatz iiber die „Un-
garische Reichsgalerie", Seite 41 — 47.
4) Eine Federskizze zum Ruhebett der Roxane (f),
in der Universitätssammlung von Oxford (Robinson's
Katalog, Nr. 177, S. 311).
Die Zeichnungen 1, 3 und 4 werden, wie gesagt,
alle drei Rafiael zugeschrieben, die Skizze in Florenz
wurde friiher einem Schüler Rafiael's gegeben, in
neuester Zeit jedoch als Zeichnung des Sodoma erkannt,
allein unbegreiflicherweise hat man dazu bemerkt, sie
stelle einen Theil des Frescobildes dar, das Sodoma in
der Farnesina nach einer Zeichnung RaffaePs aus-
führte. Letzteres ist in doppelter Hinsicht unwahr,
denn erstens führte Sodoma sein Wandgemälde mit
grossen Modificationen der Albertina- Zeichnung aus,
und zweitens würde diese Federskizze in Florenz, falls
sie Copie wäre, nicht dem Frescobild, sondern der
Albertina-Zeichnung entnommen sein.
plus fines (als in der andern Zeichnung, die er, wie wir soeben
gesehen, dem Parmeggianino zuschrieb) et le detail en est ex-
cellent. Baphael le dut faire pour lui servir d^etude et de pre-
paration au dessin drappe." Die Rötheizeichnung kam nun,
nachdem sie vorher durch mehrere andere Sammlungen gewandert
war, endlich in die Albertina und zwar, wie sich dies von selbst
versteht, unter dem Namen Raflfael's. Passavant (II, 441) be.
schreibt sie folgendermassen: „Ce dessin, que Buhens avait achete
ä Borne, passa depuis daris la possession du Cardinal BentivogliOy
qui en fit present au graveur en medailles Melan. Crozat Veut en-
suite au sortir de la colleciion Vanrose, et le duc Albert de Saxe-
Teschen Vacquit d'un amateur. 11 2'^'*'^^ aussi V estampille du
prince Charles de Ligne. Toutes les figures sont nues et de la
plus delicate execution u la sanguine."
„Die Hochzeit Alexander's mit Roxane." 301
Mehrere Jahre nun nach dem Tode des Urbiuaten
mag höchst wahrscheinlich der Stecher des Blattes der
„Hochzeit Alexanders mit Roxane" (sei es Caraglio
oder Bonasone) etwa den Perino del Vaga angegangen
haben, ihm als Vorlage zu einem Stiche die Zeichnung
anzufertigen. Zwei solcher Zeichnungen, die an Perino's
Technik erinnern, sind nun auf uns gekommen: die eine
bessere davon befindet sich im Louvre^ die andere
viel geringere in der Sammlung von Windsor.* Ob
und wo die Originalzeichnung Perino's sicli erhalten
hat, kann ich nicht sagen. Der Stich sowol als die
zwei Copien der Zeichnung des Perino, die als Vor-
lage dem Stecher diente, reproduciren die Composition,
wie wir dieselbe auf der Rötheizeichnung der Al-
bertina, nicht aber wie wir sie auf dem Wandgemälde
^ehen. Perino copirte folglich die Rötheizeichnung und
nicht das Frescobild, mit nur der einen Abänderung,
dass er die Hüften der Roxane mit einem Tuch be-
deckte und Alexander mit einem Kleide und einem
Helm 2 ausstattete, und überdies einige andere unbe-
deutende Modificationen noch in seine Copie einführte.
So viel scheint mir jedenfalls in dieser Frage ausser allem
Zweifel zu sein, dass nämlich all die vier oben von
mir bezeichneten Blätter, die zumWandgemälde
des Sodoma in Bezug stehen, diesem Meister und
keinem andern angehören, (f)
Man darf wol sagen, dass das Studium der Hand-
zeichnungen, wahrlich noch sehr in der Wiege liegt.
Erst in neuern Zeiten haben ernstere Forscher in Deutsch-
* Auch Passavant ist dieser Ansicht (II, 498): „Les noeu
d'Altxtmdre et de Roxane: figure$ vHue$, denin a la plmme et
tehaiMse de blanc. On connait plusieura etquisses de cetie bette
compoaitionf mais dont aucune est Voriginal**.
* Man vergleiche die Form dieses Helmes mit dem Helm
des änssersten Kriegers recht« auf Perino*! Zeichnung im Loavre
<Braun 71).
302 I^iö Galerie Borghese.
land, England und Italien vielfach mit Raffael sich be-
schäftigt und namentlich die Darstellung seiner Jugend-
erziehung einer kritischen Revision unterstellt. Dadurch
wurde gar manches bisher dem Meister zugemuthete
Werk ihm genommen und andern Meistern, den wahren.
Urhebern, zurückerstattet. Die Personalität des gött-
lichen Urbinaten ist durch solche Läuterungen uns näher
gebracht worden und konnte dabei nur gewinnen. Es-
ist selbstverständlich, dass die Resultate solcher kriti-
schen Studien im Anfange von den Orthodoxen mit
grossem Unmuth aufgenommen wurden, und zur Ver-
theidigung ihrer fossilen Vorurtheile wurde von den-
selben gar manche harmlose Bombe gegen die ketzeri-
schen Neuerer in die Luft geworfen. Ihre Nothschüsse-
verhallten indessen und die Göttin der Wahrheit schritt
auf ihrem Siegeswagen sicher und unbehindert vorwärts,
unbekümmert um die Zöpfe, die sie unterwegs mit ihrer
Fackel in Brand gesetzt hatte. Das Publikum lachte
laut auf, wie dies zu gehen pflegt, zu den langen Nasen>
der heisern Kathederhelden und Galeriedirectoren und
begann an ihrer „Berufenheit" und Unfehlbarkeit zu
zweifeln. Inzwischen haben sich jüngere Kräfte in die
Streitfragen gemischt und es ist zu hoffen, dass binnen
kurzer Zeit all diese offenen Fragen allgemein für ge-
schlossen gelten werden.
Zur Aufmunterung, vielleicht auch zur Belehrung
der Anfänger in der Kunstwissenschaft will ich jene
Zeichnungen in der Uffizien-Sammlung, die nach meiner
Ueberzeugung dem Urbinaten angehören, neben jenen,
die ihm, wie ich glaube, dort mit Unrecht zugeschrie-
ben werden, hier angeben:
Die Zeichnungen RaffaePs in Florenz, die mir als
echt erscheinen, sind die folgenden:
Nr. 496 Skizze.
„ 497 (Madonnenbild).
„ 505 (Madonna del Granduca).
Die Zeichnangen Raffaers.
3oa
Nr. 529) Der heilige Georg zu Pferd im Kampf mit
„ 530J dem Drachen.
„ 539 Madonna und Kind (zum unvollendeten
Bilde in Budapest).
„ 538 Beweinung Christi (Zeichnung zum Bor-
ghese-Bild), diese Zeichnung von einer an-
dern Hand ausgeführt, wurde von Raffael
selbst jedoch an mehrern Stellen mit der
Feder übergangen.
„ 541 Adam (zur Disputa).
In der Mappe befinden sich, als Zeichnungen der
umbris chen Schule bezeichnet, zwei der herrlichsten
Zeichnungen Raffaers (schwarze Kreide). Die eine der-
selben stellt einen Häscher (im bethlehemitischen Kinder-
mord), die andere den heiligen Stephan (in der Dis-
puta) dar.
In allem also zehn Zeichnungen.
Jene, die nach meiner üeberzeugung dort mit Un-
recht Raffael zugetheilt werden, sind folgende:
Nr. 531.
" FilOi ^^""^^ ^®^ Vaga.
„ 514 Giulio Romano.
Perino del Vaga.
525
521
545
544
543
534
535 j
143
54
540|
515(
Giulio Romano.
Der Reiterzug des Aeneas Sylvias, Pinto-
ricchio.
Timoteo Viti.
Copie nach Raffitel.
304 I^ie Galerie Borghese.
Nr.
516 von einem florentiner Meister.
9?
424 Copie.
498 Fälschung.
9?
11
-^^1 Nachahmungen.
501 Fälschung.
15
504 Schule des Perugino.
Zehntes, elftes und zwölftes Zimmer.
DIE YENETIANEE.
In den Sälen X und XI sind die Repräsentanten
<der venetianischen Schule versammelt. Da ich mir vor-
genommen habe, bei der Musterung der Doria-Galerie
denselben eine eingehendere Besprechung zu widmen,
so begnüge ich mich hier, nur bei jenen Bildern länger
zu verweilen, über deren Authenticität meine eigenen
Anschauungen mit der Bestimmung des Katalogs nicht
iibereinstimmen.
Im zehnten Saal ist unter Nr. 1 ein männliches Por-
trät als Arbeit des Giovanbattista Moroni von Al-
bino bezeichnet. Der bergamaskische Schüler des sil-
berfarbigen Moretto von Brescia war jedoch ein ganz
anderer Mann, als der Autor dieses ziemlich langweiligen
Bildnisses gewesen zu sein scheint; auch gehört das
Bild nicht einmal der venetianischen Schule an.
Gehen wir daher schnell zu dem ganz vorzüglichen
daneben hängenden Gemälde Tizian's über. Es trägt
die Nr. 2, ist auf Leinwand gemalt, misst ungefähr
4 Fuss in der Höhe und 6 Fuss in der Breite und hat
leider an vielen Stellen durch Retouchen gelitten. Dieses
Bild stellt, wie der Katalog besagt, die drei Grazien (?)
Die Venetianer. 305
vor und ist schon von Ridolfi als im Hause Borghese
befindlich angeführt. Es ist ein gar herrliches, farben-
reiches Bild und gehört wol der reifsten Zeit des Künst-
lers an. Modificirte Copien dieses Gemäldes sind mir
mehrere vorgekommen, eine sehr schöne unter andern
im Palast Balbi in Genua.
Unter Nr. 2 folgt ein Bildchen, das die heilige Ca-
cilie und ihren Gatten Valerianus darstellt. Anstatt
des Paolo Veronese, dem es der Katalog zumuthet,
dürfte dasselbe vielmehr dem Domenico Feti (f) an-
gehören. So wie hier den Paolo, so hat Feti, im zweiten
Saal der Galerie Sciarra-Colonna, den Schidone nach-
zuahmen getrachtet.
Mit Nr. 9 ist ein ganz vorzügliches, fesselndes Porträt
bezeichnet, Kniestück, lebensgross, auf Leinwand. Die
dargestellte Persönlichkeit hat zwar kein einnehmendes
Aeussere, jader Ausdruck des Gesichts ist geradezu alltäg-
lich, trotzdem hat es jedoch der Künstler verstiinden, den
Blick des Vorübergehenden auf diesen schwarzen Mann
festzubannen. Der noch junge Cavalier ist imTrauerkleid.
Sein feuriges Auge, durch Schwermuth getrübt, scheint
dem Verluste einer geliebten Person nachzusinnen. Er
hält die linke Hand auf einen Tisch gestützt, auf wel-
chem unter Rosen- und Jasminblättern ein elfenbeiner-
nes Todtenköpfchen liegt. In voller Unschuld und Liebe
hat sie also der Tod erreicht! Auf dem reizenden land-
schaftlichen Hintergrund sieht man den heiligen Georg
zu Pferde, im Begriff den Drachen zu erlegen. Im Ka-
talog wird dieses Bildniss als Werk des Giovan An-
tonio da Pordenono bezeichnet*, allein schon der ver-
storbene O. Mündler' schrieb dieses schöne Porträt
seinem wahren Urheber, d. h. dem Lorenzo Lotto
* Wurde neuerdings vom neuen Director dem L. Lotto rich-
tig zugeschrieben.
* Beiträge sn J. Burokhardt's „Cioerone**i S. 58.
Lbrmoubtf. 20
306 I^ie Galerie Borghese.
zu. Und in der That genügt es, wenn man auch nur
die Art und Weise wie die Hände geformt und eremalt
sind, sich näher betrachtet, sowie die dem Lotto ganz
eigene Bewegung und Stellung des Kopfes, das wun-
derbare Lichtspiel auf dem schwarzen Gewände und
überdem die Landschaft, um keinen Augenblick anzu-
stehen, nicht nur die Hand, sondern auch „/a tournure
de Pesprif-' dieses geistvollen und originellen Lands-
mannes und Zeitgenossen des Giorgione in dem Bilde
zu erkennen. Von demselben Meister befindet sich in
dieser Sammlung Borghese noch ein anderes Werk, und
zwar ein gar köstliches aus seiner Frühzeit; es hängt
im elften Saal, ist mit Nr. 1 bezeichnet und trägt die Auf-
schrift: LAVKEN . LOTVS • M • D • VIII. Es stellt
die Madonna dar, die, etwas griesgrämig gestimmt,
das Christkind auf dem Arme hält; rechts steht ein hei-
liger Bischof, an der linken Seite der heiligen Jung-
frau der alte ehrsame Onuphrius. Das Kind ist mit
einem Hemdchen bedeckt, ein Umstand der darauf deutet,
dass dieses Madonnenbildchen für irgendein Nonnen-
kloster, sei es Roms, sei es der Marca d'Ancona, wo
in jener Zeit Lotto längere Zeit sich aufhielt, gemalt
wurde. Das Kleid der etwas ältlichen und, wie schon be-
merkt, übelgelaunten Madonna ist scharlachroth, in einer
Farbe, die bei keinem seiner Zeitgenossen, wie Gior-
gione, Tizian, Palma u. s. w. vorkommt, wol aber bei
etwas altern venetianischen Malern, wie Boccaccio Boc-
caccino, Marco Marziale, Lattanzio da Rimini, Rondi-
nelli und andern mehr. Ueberhaupt ist der Farben-
accord auch in diesem Bilde des Lotto ganz originell
und ihm eigenthümlich, die Bewegung des Christkindes
ist sehr naiv; in spätem Werken hat Lotto oft diese
kindliche Unruhe und Hast ein wenig übertrieben und
dieselbe erscheint denn auch manchmal etwas affectirt.
Der Kopf und die Schultern der Madonna sind mit
einem graugelblichen Tuche (der Lieblingsfarbe Tizian's
t
Die Venetianer. 307
in seiner Fruhzeit und hier und da auch des Palma
vecchio) bedeckt. Sie schaut links hin auf den alten
OnuphriusS während das Kind beide Händchen aus-
streckt nach dem Herzen, das ihm mit andächtiger, wie-
wol etwas pfaffisch-mürrischer Miene und Geberde der
beilige Bischof darreicht. Das Gefälle ist hier noch
ziemlich eckig und hart, allein man bemerkt schon in
diesem Jugendwerk des liebenswürdigen Meisters die
Tendenz zum Bauschigen, die in seinen spätem Bildern
für ihn charakteristisch wird. Die rechte Hand der
^laria ist noch ganz Bellinisch geformt, die Lichter sind
scharf und kalt, das Colorit strahlend, die Zeichnung
höchst sorgfältig, die Ausführung fein und liebevoll.
Der Ausdruck der zwei Heiligen ist wahr und warm,
und dieselben sind ganz bei der Sache, unbekümmert
um das, was etwa die Zuschauer dazu sagen möchten.
Der verstorbene geistreiche Professor M. Thausing be-
merkt in seiner Biographie Dürers von diesem Bilde
ganz richtig, dass der heilige Onuphrius durchaus an
Dürer erinnert und es ist, wie gesagt, wol möglich,
dass L. Lotto im Jahre 1506 den grossen Nürnberger
in Venedig persönlich gekannt und die dort von dem-
selben gemalten Bilder genauer studirt hat. Werke
aus der nämlichen Kunstperiode des Lotto enthalten
die Galerien von Neapel und München, die Pfarrkirche
von Asolo, die Dominikanerkirche von Recanati und
die an vorzüglichen Bildern reiche Sammlung von Lord
Ellesmere in London. Wer jedoch diesen nicht nach
seinem vollen Werth gewürdigten, höchst phantasie-
reichen und feinen Künstler näher zu kennen wünscht,
der muss ihn in Venedig und im Bergamaskischen auf-
suchen. Das kleine Madonnenbild, das die UfBzien-
* Der Kopf dieses Heiligen erinnert an Darer*sohe Köpfe,
und es ist wol möglich, dass beiden Malern derselbe venetiani-
sehe Alte als Modell gedient hat.
308 I^ie Galerie Borghese.
Galerie von ihm besitzt, spricht nicht zum Vortheil des
Meisters; dagegen finden wir in der Brera in Mailand
drei ganz vorzügliche Porträts von L. Lotto.
Im nämlichen elften Saal hängt unter Nr. 19 ein
grösseres Bild, das sehr an unsern Lotto erinnert, und
das mir nichts anders als eine gleichzeitige gute Copie
nach einem jetzt verschollenen Werk des Meisters zu
sein scheint. Der Katalog wies es früher schlechtweg
der venetianischen Schule zu; neuerdings wurde es, nicht
eben sehr glücklich, auf Previtali getauft. Die Ma-
donna sitzt unter einem Orangenbaum auf einem stei-
nernen Thron, dessen Basis, nach Art des Correggio,
mit zwei in Grau gemalten Reliefs verziert ist. Maria
hält das nackte Kind auf ihren Knien, auf den Seiten
des Throns stehen die Heiligen Justina und Barbara,
die erstere eine kniende Matrone, die andere einen knien-
den Herrn dem göttlichen Kinde empfehlend; Hinter-
grund Landschaft. Ein Aveisses Tuch fällt, nach Art
des Giambellino, vom Haupte der Madonna auf ihre
Schultern herab, der Mantel ist von himmelblauer Farbe,
die Innenseite gelb, das Kleid malvenroth, was sehr an
Catena erinnert. Maria segnet mit der Linken, ihre
Rechte hält das ganz in Correggio's Sinne bewegte Kind
fest. Die Landschaft ist durch ein Schloss und durch
eine Mühle belebt und gleicht der Landschaft auf dem
Bilde Lotto's vom Jahre 1506 in Asolo. Auf dem
Boden zwischen den andächtigen Donatoren liegen
Rosenblätter, ganz in der Art Lotto's, neben einer vom
Baume gefallenen Apfelsine. Das meisterhaft gezeich-
nete Porträt der andächtigen Dame ist mit sehr viel
Geist gemalt. Das Original dieses schönen Bildes
muss meiner Ansicht nach, wie gesagt, dem Lotto an-
gehört haben; wer jedoch der Autor dieser trefflichen
Reproduction gewesen sein mag, bin ich nicht im Stande
mit Bestimmtheit zu sagen, „a genuine Car'iani''' je-
doch, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 553,
Die Venetianer. 309
Anm. 1) meinen, scheint mir das Bild auf keinen Fall
zu sein.
Kehren wir jedoch nach dieser Abschweifung wie-
der zurück in den zehnten SjuiI, wo wir, unter Nr. 14,
auf einer ziemlich grossen Leinwand die Predigt Jo-
hannes des Täufers in der Wüste dargestellt sehen. Die
Predigt lässt uns kalt, obwol die Malerei von einem
sehr tüchtigen, veronesischen Frescomaler herrührt, näm-
lich von Battista Zelotti, dem Landsmann und Mit-
arbeiter des Paolo Veronese, dem im Katalog dieses
Bild zugeschrieben wird.* (f) In der Nahe, unter Nr. 16,
ist ein heiliger Dominicus, gemalt vom alten Tizian,
aufgestellt. „F^ce", sagt Ridolfi, „i7 ritratto del 8U0
confessore, deW ordine dei Predicatori; era tra le cose
del Gamberato^' (d. h. das Bild war im Besitze des
Gamberato).
Mit Nr. 19 bezeichnet hängt ein anderes gutes
Porträt daneben, es stellt einen Alten mit weissem Bart
und schwarzem Barett auf dem Kopfe dar. Der gute
Mann ist in der angenehmen Beschäftigung begriffen,
Geld zu zählen. Der Katalog schreibt das Bild dem
Giacomo da Ponte zu; nach meiner Ansicht dürfte
es aber vielleicht eher ein vorzügliches Werk seines
Sohnes Francesco Bassano sein, (f)
Unweit dieses Geizhalses hängt unter Nr. 20 „Venus
' Es geschieht gar oft, dass die Werke des Zelotti mit denen
des Paolo Veronese von den Dilettanten verwechselt werden, so
unter vielen andern selbst in seiner Vaterstadt Verona, wo ein
allegorisches Wandgemälde auf die Mosik (Nr. 277, V. Saal) des
Zelotti dem Paolo Caliari cageschrieben wird; ebenso in der
Uffizien-Oalerie „die Verkündigung** (Nr. 578), ungefähr um die
Zeit entstanden wie dieser predigende Johannes in der Wüste
der Borghese- Galerie. Ueber diesen interessanten Maler aus
Verona, sowie über die fi^anse veronesitche Sohule wird jedoch
Herr Dr. J. P. Richter, als der weitaus oompetenteste Kenner
der veronesischen Kunstschule, hoffentlich uns alle recht bald
eines Bessern belehren, (f)
310 Die Galerie Borghese.
mit Amor", ein schwaches Bild, das der Katalog mit
grossem Unrecht dem Paolo Veronese selbst zuschreibt;
es ist, wie ich glaube, nichts anderes als eine Copie
nach Paolo. Und nun kommen wir endlich zu Nr. 21,
einem Hauptbilde dieser ganzen Sammlung, ein Bild, das
wol zu den berühmtesten Bildern der Welt gezählt
werden darf. Dieses Wunderwerk Tizian's ist unter
dem Titel „die himmlische und die irdische Liebe" all-
gemein bekannt, wurde von ihm, wie ich glaube, etwa
um 1510 — 12 gemalt und ist ganz und gar noch im
Giorgionischen Geist gedacht. Ein kostbares allegori-
sches Novellenbild mit dem poetischsten landschaftlichen
Hintergrund, den man sich nur träumen kann. Man
halte dagegen die berühmten Landschaften der gleich-
zeitigen Niederländer, etwa die des Civetta, des Mabuse,
des Patenir, welchen letztern Dürer den „guten" Land-
schaftsmaler nennt (siehe Dürer's „Tagebuch der Reise
nTdie Niederlande", S. 118), und sehe dann zu, was für
ein ganz anderer Mann, auch in diesem Fache, der Ita-
liener war. Derselben goldenen Zeit des Meisters dürfte
wol auch das Bild angehören mit den sogenannten drei
Lebensaltern des Menschen, von dem sowol in dieser,
wie in der Doria- Galerie Copien sich befinden. Die
rechte Seite des Antlitzes des die irdische Liebe dar-
stellenden Weibes wurde leider ungeschickt restaurirt.^
Im ganzen jedoch ist dieses köstliche, „traumhaft schöne"
Bild leidlich erhalten. Die dicht gedrängten Längs-
falten auf den Gewändern erinnern unwillkürlich an das
ganz ähnliche Gefälte auf dem Mantel der Salome in
einem zweiten nicht minder herrlichen Bild aus der Früh-
zeit Tizian's in der Doria-Galerie, früher dort dem Gior-
* Auch bei diesem Bilde Tizian's sei mir erlaubt, meine jungen
Freunde auf den zu stark accentuirten Daumenballen der rechten
Hand des die „reine Liebe" vorstellenden Weibes als charak-
teristisch für den Meister aufmerksam zu machen.
Die Venetianer. 311
gione zugemuthet, jetzt aber als „Herodias" des Por-
denone verzeichnet und allgemein unter diesem Namen
auch bekannt.* Auch die Haare sind auf diesem Tizian'-
schen Gemälde hier geradeso behandelt wie dort. Merk-
wiirdig, dass Vasari dieses Prachtbild mit keiner Silbe
erwähnt!
Ridolfi (1650), der das Bild nur vom Hörensagen
kannte, bemerkt blos: „Im Hause des Fürsten Borghese
befinden sich, von Tizian gemalt, zwei Weiber an einem
Brunnen, in dem sich ein Kind spiegelt".
Unter Nr. 36 hängt in der Nähe des Fensters ein
Bildchen, das die Maria mit dem Christkinde darstellt
und das auf einem Cartellino folgende Aufschrift hat:
^^ Joannes hellinua faciebat}^
Diese Aufschrift hat nicht den Charakter der echten
Namensbezeichnungen des Giambellino.^ Das unbedeu-
tende Bildchen kann nur von einem Schüler und Nach-
ahmer des Giambellino herstammen. Francesco Bis-
solo ist unter allen Schülern und Nachahmern des
grossen Meisters derjenige, dem ich am ehesten diese
kleine Madonna zuschreiben möchte, (f) Die Herren
Crowe und Cavalcaselle (I, 193) halten jedoch auch
dieses Bild für ein Werk des Giambellino.'
* In der BestimmuDg dieses letztem Bildes gibt Direotor
Bode (II, 758), zu meiner Verwunderung, mir recht und seinen
Gewährsmännern Crowe und Cavalcaselle unrecht.
* Dergleichen falsche Cartellini und Namensbezeichnungen
des Giambellino auf Bildern seiner Schüler und Nachahmer gibt
es mehrere, so z. B. auf einem Madonnenbilde in der städtischen
Galerie von Padua, Nr. 755, auf einer sogenannten Pieta oder
Beweinung Christi in jener von Bergamo (Abtheüung Loohis);
in der Sammlung Poldi-Pezzoli in Mailand und anderwärts noch.
Auch Director Bode sieht, seinen Führern Crowe und Cavalca-
selle folgend, alle diese sohwaohen Prodaotioncn für Werke des
grossen Bellini an (II, 684).
* Das Originalbild des Giambellino wurde auch von Roooo
Marconi, allein in grossem Verhältnissen als hier von Bis-
312 I^ie Galerie Borghese.
Die mit Nr. 30 bezeichnete „Dreifaltigkeit" ist ein
gutes, farbenreiches, durch die Namensbezeichnung des
Meisters bejjlaubijjtes Werk des Francesco Bassano.
Die sogenannte Geburt eines fürstlichen Kindes (Nr. 35)
gehört nicht in die venetianische Schule, der es der Ka-
talog einreiht, sondern ist nichts anders als die Copie
eines im Pitti-Palast befindlichen Bildes des Scarsel-
lino (394) von Ferrara. Es ist wol kaum nöthig zu
bemerken, dass die Bilder unter den Nrn. 4, 6, 23, 28, 33
und 38 falsche Bezeichnungen erhielten; das sind lauter
Findelkinder.
Im elften Saale begegnet unser Auge unter Nr. 2
dem heiligen Antonius von Padua, wie er den stummen
Fischen die Predigt hält, welche die Menschen von
Rimini nicht anhören wollten. Dieses Bild wird dem
Paolo Veronese selbst zugeschrieben, dürfte jedoch eher
Arbeit der Schule sein. Unter Nr. 5 sieht man die rö-
mische Lucrezia dargestellt. Das stark gebaute, volle
Mädchen hat seine blonden Haare aufgelöst und ist
eben im Begriffe, sich die Brust zu durchbohren. Ihr
Ausdruck ist gar zu sehr gelassen, ja indifferent für
einen so tragischen Augenblick. Das Weib scheint nach
dem Leben gemalt zu sein. Der Katalog schreibt es
mit Recht der Schule Tizian's zu.^ Diese Lucrezia
gehört, nach meiner Ueberzeugung, unstreitig dem
Palma vecchio an (f), und zwar jener Epoche des
Meisters, in der er sich eng an Lorenzo Lotto ange-
schlossen hatte (1510—14).
solo copirt. Der ehrlichere Marconi bezeichnete jedoch seine
Copie mit dem eigenen Namen. Das Bild des Rocco Marconi
befand sich noch im Jahre 1888 im Besitze des bekannten Anti-
quars Comm. M. Guggenheim in Venedig. Auch Giulio Cam-
pagnola aus Padua scheint gar manches Bild des Giambellino
copirt zu haben (siehe „Archivio storico dell' arte", Fase. V, 184).
^ Wurde neuerdings als Werk des Palma vecchio in den
Katalog eingetragen.
Die Venetianer. 313
In der üffizien- Galerie befindet sich vom Palma
vecchio eine zweite Lucrezia, die aber einer viel spä-
tem Zeit des Malers angehört und auch wol nichts an-
ders als das Porträt irgendeines dicken, fetten und ge-
rade nicht schönen venetianischen Weibes ist, das ihm
auch zu andern Bildern Modell gestanden. Ueberhaupt
war die Darstellung solch stürmischer Seelenzustände
nicht eben die Sache des trefflichen Bergamasken. Trotz-
dem hat er dreimal diesen Gegenstand behandelt, jedes-
mal jedoch ohne besonderes Glück. Ausser den eben
genannten beiden Gemälden findet sich auch in der
Galerie des Belvedere in Wien eine Darstellung der rö-
mischen Heldin von seiner Hand.
Das mit Nr. 11 bezeichnete schwache Bild mit Venus,
Amor und einem Satyr (Schule Tizian's) scheint mir
nichts anders als eine schlechte Copie nach Paris Bor-
don e zu sein. Die Nrn. 15, 16 und 18 bezeichnen drei
grosse Gemälde, die im Katalog ein und demselben
Maler, nämlich dem Bonifa zio Veneziano beigelegt
werden. Das erstere, Nr. 15, führt uns die Mutter der
Zebedäer vor, wie sie ihre Söhne Christo empfiehlt.
Dieses farbenreiche, obwol schmutzige Gemälde scheint
mir dem altern Bonifazio Veronese anzugehören.
Auf dem Bilde Nr. 16 sehen wir die „Heimkehr
des verlorenen Sohnes" dargestellt; dieses Werk würde
ich dem Bonifazio Veronese jun. zuweisen. Die „Ehe-
brecherin" (Nr. 18) aber erscheint mir als ein schwaches
Atelierwerk; vielleicht ist es auch nur eine ältere Copie.
Schon der verstorbene O. Mündler machte in seinem
oben angeführten kritischen Büchlein („Beiträge zu J.
Burckhardt's Cicerone", S. 62) darauf aufmerksam, dass
es in Venedig eine Malerfamilie Namens Bonifazio gab,
welche fast durch das ganze 16. Jahrhundert wirkte. Diese
Entdeckung verdanken wir jedoch nicht ihm, sondern
zwei italienischen Forschem. Der Venetianer Moschini
bemerkte nämlich schon in seiner 1815 erschienenen
314 I^ie Galerie Borghese.
y^Guida di Venezia^''^ dass es zwei Maler Namens Boni-
fazio gegeben haben müsse, und der vor mehrern Jahren
verstorbene Doctor Cesare Bernasconi aus Verona
wies in seiner löblichen „Geschichte der veronesischen
Malerschule" durch Documente nach, dass wenigstens
drei Maler Bonifazio existirt haben, wovon der älteste
aus Verona gebürtig, sich jedoch schon in seiner Jugend,
wie es scheint, in Venedig niedergelassen hatte, woselbst
er im Jahre 1540 verstarb. Der zweite, jüngere Boni-
fazio, ein Verwandter, vielleicht Bruder des altern, jeden-
falls dessen Schüler und Nachahmer, verschied im Jahre
1553, während ein dritter Bonifazio noch im Jahre 1579
malte. Diese zwei letztern Bonifazio hielten sich strencr
an die Mal- und Compositionsweise des erstem, so-
dass man, ohne das Auge geübt zu haben, sehr leicht,
wie dies ja auch bei den drei oder vier Bassano ge-
schieht, die Werke des einen Bonifazio mit denen des
andern verwechselt; was übrigens kein grosser Schaden
ist. Der zweite oder der dritte dieser Bonifazio mag
nun in Venedig das Licht der Welt erblickt haben, und
es wäre somit die Existenz eines Bonifazio Veneziano
ebenso berechtigt, als es die eines Bonifazio V er onese
ist, von welchem letztern schon der „Anonimo" des
Morelli spricht. Es ist hier noch zu bemerken, dass
der jüngste dieser drei Bonifazio in seinen spätem Wer-
ken sich auch als Nachahmer des damals allmächtigen
Tizian erweist, während der erste oder grosse Bonifazio
unstreitig als Schüler und Nachahmer des Palma vecchio
zu betrachten ist. Ich werde bei einer andern Gelegen-
heit länger bei dieser Malerfamilie verweilen. Betrach-
ten wir für jetzt nur noch das mit Nr. 32 bezeichnete
Bild. Dasselbe stellt die Madonna mit dem nackten
Kinde dar, welches einer andächtigen Frau den Segen
ertheilt; auf den Seiten der heilige Antonius, dessen
Ausdruck wahr und seelenvoll ist, und der heilige Hie-
ronymus, in der Art Lotto's beleuchtet. Die Maria aber
Die Venetianer. 315
sieht ganz wie ein bergamaskisches Bauermädchen aus.
Die Zeichnung ist noch ziemlich gebunden, der Falten-
wurf hart und etwas unbeholfen. Es ist dies wol ein Werk
des Palma vecchio aus seiner Mittelzeit (1514 — 18) S
einige Jahre früher entstanden als das vorzügliche Bild
des Palma im Pahist Colonna agli Apostoli.
Die heilige Familie, Nr. 30, gehört nicht, wie der
Katalog angibt, der venetianischen Schule an, sondern
ist wahrscheinlich die Arbeit des Ramenghi, Bagna-
cavallo genannt. Von einem andern Bergamasken und
sogenannten Schüler des Giorgione rührt das Madonnen-
bild unter Nr. 31 her, welches vom Katalog dem Gio-
vanni Bellini zugeschrieben wird.^ Es stellt dar in
Halbfiguren: rechts die Madonna, in der Mitte das auf
einem Gesimse stehende nackte Christkind, welches dem
heiligen Petrus nach links den Segen ertheilt. Ein
grauer Vorhang bildet den Hintergrund. Die Zeich-
nung ist schwach, die Charaktere sind trivial und bäue-
risch, das Kind plump und ohne alle Aumuth in der Be-
wegung, die Wolken baumwollenartig. Das Colorit
dagegen ist fein und glühend. Wie schon Mündler
(Beiträge zu Burckhardt's Cicerone, S. 64) richtig be-
merkte, gehört dieses Gemälde dem Bergamasken Gio-
vanni Cariani oder besser Giovanni de' Busi, Cariani
genannt, an, welcher nach meiner Ueberzeugung Schü-
ler seines Landsmannes Palma vecchio und Nachahmer
des Giorgione war. Derselbe muss zwischen 1480 und
1490 geboren sein, und zwar in Fuipiano, in der Valle
Brembana, bei Bergamo. Im Jahre 1541 war er noch
am Leben. Wer diesen trtft'liilicn Coloristcn kennen
* Diese Madonna des Palma vecchio erinnert an jene nut
dem bekannten Bilde beim Herzog d' Aumale, mit dem gef<oh-
ten Cartellino and der ebenfalls gefälschten Jahrestahl 1500:
einem Bilde , das, wie bekannt, dnreh seine falsche Aufschrift
eine grosse Yerwiming in die Knnstgesohiohte einzuführen drohte.
' Neuerdings richtig als Cariani bezeichnet.
316 ^^^ Galerie Borghese.
zu lernen wünscht, muss Bergamo besuchen, wo sowol
in der städtischen Gemäldesammhmg wie auch in Privat-
häusern gar manches gute Bild von ihm zu sehen ist.^
Unter Nr. 33 sehen wir ein grosses Familienbild,
auf dem die Porträts einer zahlreichen Künstlerfamilie,
wol die des Bernardino Licinio selbst, dargestellt
sind. In der Mitte die fette, blonde Mutter in einem
weisslichen Kleide mit ziegelrothen Aermeln; sie
hält auf ihrem linken Arm den jüngsten Sprössling,
noch ein Wickelkind, auf ihrem rechten das zweitjüngste
Kind; die andern fünf Knaben, von denen der eine ein
Bildhauer zu werden verspricht, sind alle gleich als wie
Küchlein um die Henne versammelt; im Hintergrund
steht der Vater, es ist der Maler des Bildes. Bernar-
dino Licinio von Pordenone stellt sich uns hier un-
gefähr als ein Fünfziger dar; der Grund, wie in fast
allen seinen Bildern, ist bräunlich-grau. Dieses ganz vor-
zügliche Familienbild ist mit dem Namen des Meisters be-
zeichnet: B. Lycinj opus. Demselben Bernardino, nicht
Bartolommeo, wie der Katalog behauptet, gehört auch
die „Santa conversazione", Nr. 42, an. In der Mitte
sitzt die Madonna in ziegelrothem Kleide, den Kopf
mit einem weissen Tuch bedeckt; sie hält das nackte,
jedoch nicht sehr anmuthige Christkind vor sich hin,
während der kleine Johannes, auf einem Lamm sitzend,
ihm ein Kreuz darreicht. Hinten sieht man noch den
heiligen Joseph und die heilige Anna, rechts den hei-
ligen Hieronymus und die kniende Katharina; Hinter-
grund Landschaft. Auch in diesem wie in allen Ge-
* Von Cariani finden sich auch in Mailand mehrere Bilder:
zwei in der Brera- Galerie, eins in der Ambrosiana, eins im
Museo civico, eins in der Sammlung Bonomi-Cereda, zwei in
der Sammlung Giovanni Morelli, ein männliches Porträt und
eine heilige Familie in freier Landschaft. Auch die Gemälde-
galerie in Vicenza besitzt ein Madonnenbild des Cariani (I. Saal,
Nr. 41). (t)
Die Venetianer. 317
mälden des Meisters finden wir die rosenrothen Lasuren
auf dem kalten Inciu-nat, sowie auch seine Lieblings-
farben Ziegelroth und Himmelblau. Das' Bild gehört
übrigens zu den rohem Arbeiten des Licinio.* Von Ber-
nardino besitzt auch die Galerie Sciarra-Colonna, unter
dem Namen Giorgione's, eine sogenannte Herodias, (t)
Endlich mag noch bemerkt werden, dass Bernardino
Licinio keineswegs, wie Mündler meinte, Bruder des
Giovan Antonio Regillo da Pordenone war; sein Schüler
und vielleicht auch ein Verwandter von ihm mag er
wol gewesen sein. Von einem seiner Schüler, dem
Francesco Beccaruzzi, befindet sich, meiner An-
sicht nach, ein männliches Porträt in der Galerie Sciarra-
Colonna unter dem Namen des Carletto Caliari.
Das hübsche Bildchen „Christus im Tempel predi-
gend", Nr. 26, gehört einem guten venetianischen Meister
aus der Schule des Paolo Veronese an, der hier mit
geringen Modificationen ein in der National Gallery zu
London befindliches Bild des Pedro Campaiia, eines
in Sevilla ansässigen Niederländers, copirte. (f)
Im zweiten Saal dieser Borghese- Galerie ist nahe
am Fenster noch ein Porträt aufgestellt, das wol auch
in die venetianische Schule gehört, obwol es von einem
Sicilianer herrührt. Es trägt die Nummer 54.* Wir
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle wagen nicht in ihrem
Urtheil so weit zu gehen und erkennen daher in diesem Gem&lde
blos „den Stil von Bemardino's Schule'* (II, 294); 0. Mündler
(a. a. 0., p. 75) hingegen ist meiner Ansicht. Wie jedoch der-
selbe feine Kunstforscher das herrliche Jugendwerk Tizian's
im Palast Balbi-Piovera in Genua diesem B. Licinio zuschreiben
konnte I ist mir ebenso unbegreiflich wie ebenfalls sein Urtheil
über das weibliche Profilportr&t in der Ambrosiana.
* Dieses Bild ging früher unter dem Namen des Giovanni
Bellini, ein fernerer Beweis, dass Antonello den Venetianem
mehr schuldet als diese ihm. Ein anderes Portr&t und swar ein
ganz vorzügliches der letzten 2^it (14S5— 1493) dcs,Antonello
befindet sich im Museum von Neapel, ebenfallt unter dem fialiohen
I
318
Die Galerie Borghese.
haben hier das Brustbild eines Mannes von einem, mir
wenigstens, sehr unangenehmen Ausdruck vor uns.
Derselbe trägt ein rothes Kleid und hat eine schwarze
Mütze auf dem Kopfe. Das Auge ist, wie in fast allen
Bildnissen desAntonello da Messina, dem diesesBild
unstreitig angehört, ausserordentlich lebendig, die Fleisch-
farbe röthlich- braun, die Augenbrauen mit der Sorg-
falt eines Miniaturmalers ausgeführt, der Mund scharf
in der Zeichnung. Im Katalog führte das Bild früher,
wie schon bemerkt, den Namen des Giovanni Bellini,
allein schon Mündler und nach ihm auch die Herren
Crowe und Cavalcaselle gaben es seinem wahren Autor
zurück. Dem Ausdruck des Mundes nach zu schliessen,
scheint dieser Yenetianer eben kein freundlicher und
angenehmer Ehegatte gewesen zu sein, doch war er
wol ein trefflicher Geschäftsmann. Ein anderes Por-
trät, das in demselben Jahre wie das eben genannte
entstanden sein mag, befindet sich im Palast Trivulzio
in Mailand und trägt ausser dem Namen des Meisters
auch die Jahreszahl 1476.
Namen des Giambellino (grosser Saal, Nr. IG), (f) Schon die
Ohrform, so verschieden von der bei Giambellino, würde hin-
reichen, den Meister zu erkennen. — Die Linienperspective des
Ohr bei Antonello.
Ohr bei Giambellino.
Auges ist in diesem Bildnisse nicht so sehr übertrieben wie in
den frühern Porträts des Sicilianers, sodass es vielleicht diesem
Umstände seine gegenwärtige Taufe verdanken dürfte.
Die Venetianer. 319
Kehren wir jedoch wieder in den elften Saal zurück,
wo noch ein anderes venetianisches Porträt sich vorfindet,
auf das ich meine Freunde aufinerksam machen möchte.
Es ist dies das Profilporträt eines jungen Mannes, das hier
die Nr. 9 fuhrt. Wie man dieses Bildniss demselben Maler
zuschreiben konnte, dem man im zehnten Saal das Porträt
unter Nr. 1 zumuthete, nämlich dem Giovan Battista
Moroni von Albino, ist wahrlich unbegreiflich. Sowie
aber jenes Porträt, wie wir bereits gesehen, nichts mit
dem trefllichen Bergamasken zu thun hat, so gehört
auch dieses Bild im elften Saal auf keinen Fall dem
Moroni an^, sondern ist augenscheinlich ein Werk des
Girolamo Savoldo von Brescia, eines Schülers, wie
es scheint, des Romanino und sodann Nachahmers des
alten Giambellino und später besonders des Tizian, (f )
Dieses schöne Porträt verdiente in ein besseres Licht
gestellt zu werden, zumal die Bilder dieses ausgezeich-
neten Dilettanten selten sind. Die Uffizien-Galerie be-
sitzt ein BildcheVi von ihm, die Turiner Pinakothek
zwei und die Brera- Galerie sein bedeutendstes Werk.*
Ausser diesem befindet sich in Rom noch ein anderes
Porträt des Savoldo. Es hängt im ersten Saal der Capi-
tolinischen Galerie unter dem Namen des Giorgione
imd stellt ein weibliches Bildniss mit den Emblemen
der heiligen Margarethe vor. (f)
Treten wir nun in das zwölfte und letzte Zimmer
dieser Borghese-Galerie.
* Wurde jetzt auf Savoldo umgetauft.
* Man vergleiche dieses Profilporträt der Borghete-Gtleri« mit
dem Profil eine« in der Luft schwebenden Elngels auf dem Brera-
bilde des Savoldo. Andere Bilder des Savoldo befinden sich in
der städtischen Sammlung von Brescia, in der Kirche S. Maria
in Organo zu Verona and in der von S. Oiobbe in Venedig.
320 I^ie Galerie Borghese.
N^ORDISOHE MEISTER.
In diesem eben nicht reichlich mit Licht versehenen
Räume finden wir einige kostbare Bilder der hollän-
dischen, der vlämischen und selbst der deutschen
Schule. Die Aufmerksamkeit und Bewunderung des
kunstsinnigen Publikums wird hier vor allem durch
ein Bild angezogen, auf welchem Wenzeslaus Peters
eine Henne mit ihren Küchlein darstellte, und besagtes
Meisterstück mag auch der Galeriedirection ganz char-
mant erschienen sein, da sie es nahe ans Fenster und
ins beste Licht zu stellen für gut befand. Lassen wir
dies Bild beiseite und betrachten wir uns vielmehr die
hier vorhandenen Werke hervorragender Meister.
Unter Nr. 44 leuchtet aus dem Dunkeln eine fast
lebensgrosse Venus mit Amor uns entgegen. Ausser
dem gewöhnlichen Monogramm des treflPlichen deutschen
Meisters Lukas Cranach des Aeltern trägt das Bild
die Jahreszahl 1531; es ist ganz vorzüglich in der
Farbe.
Das kleine Porträt des jugendlichen Karl V. (?)
führt die Nr. 26 und den Namen Holbein's. Mir
scheint es eher die Arbeit eines Flamländers zu sein.
Auf dem Bilde Nr. 22 erblicken wir das Atelier eines
vlämischen Malers, vielleicht dasjenige des altern Fr.
Franken selbst. Dieser etwas steifleinene Künstler,
dem Herr Director W. Bode die dresdener Copie der
Holbein'schen Madonna vindiciren möchte, hat mehrere
mal denselben Gegenstand dargestellt. Das Bild hier
trägt folgende Aufschrift: FRANS. FRANK INVEN-
TUR et fecit.
Wenden wir uns nun zu der gegenüberliegenden
besser beleuchteten Wand des Zimmers, so blicken
uns da vorerst einige hübsche Bildchen aus der hollän-
Nordische Meister. 321
dischen Schule entgegen. Auf Kr. 9 sehen wir einen
Quacksalber in voller Arbeit; es handelt sich darum, eine
chirurgische Operation am Oberarm eines unglücklichen
Patienten und zwar mit möglichster Bravour auszufüh-
ren. Der Bauer, welcher den Worten des Chirurgen
traute, sitzt auf einem Sessel im Freien und brüllt unter
dem Messer des Herrn Professors laut auf, während
eine alte Frau, als Gehülfin des Chirurgen, dem Mär-
tyrer Muth und Vertrauen in sein Geschick zuspricht.
Der Katalog schreibt dies joviale Bildchen dem A.Brower
mit grossem Unrecht zu, da ja der wahre Name des
Malers auf dem Bilde selbst zu lesen ist, nämlich: G.Lun-
ders 1648. In diesem Gemälde hat Gerrit Lunders
offenbar den Brower nachzuahmen getrachtet, während
er acht Jahre später in seinem Bilde der Dresdener
Galerie vom Jahre 1656 den Dusart oder, wenn man
lieber will, den A. Ostade selbst sich zum Muster ge-
nommen hatte und in einem guten Bildchen der einst
Ilausmann'schen Sammlung in Hannover (Nr. 283) (?),
ebenfalls eine chirurgische Operation vorstellend und
vom Jahre 1660, den Metsu und Mieris nachahmte.
Gehen wir zu Nr. 10 über: „Opera d** un Fiammingo"
meinte der frühere Katalog. Wenn ich aber den Herren
Galeriedirectoren in Italien sagen würde: „Meine Herren,
es ist nicht das Werk eines Fiammingo, wol aber eines
Holländers", so würden dieselben achs^lzuckend ant-
worten: „^ tutf uno''^^ d. h. es ist ein und dasselbe. Und
den italienischen Galeriekatalogen zufolge ist^s aller-
dings ganz dasselbe, denn in Italien scheint man aus
Holland blos die Heringe und den Stoccofisso zu ken-
nen. Was stellt aber diese y^Opera (Tun Fiammingo^^ vor?
Schwer zu sagen. Wir sehen hier sechs Kriegsmänner
in verschiedenen Attitüden, was sie aber eigentlich
wollen und treiben, das konnte ich wahrlich nicht er-
rathen. Es ist übrigens ein recht gutes Bildchen aus
der Harlemer Schule des Frans oder Dirk Hals und sieht
LBEXOLtsrr. 21
322 ^i® Galerie Borghese.
man genauer nach, so entdeckt man auch den Namen des
Malers, der kein anderer ist als Pieter Codde, über
dessen Werke Herr Director Bode in seinem Buch:
„Frans Hals und seine Schule" uns hinlänglich und
mit Sachkenntniss belehrt hat.^ Das andere Bildchen
daneben, Nr. 8, zeigt uns das Innere einer vlämischen
Dorfschenke mit einem Bauern, der gemüthlich vor
seinem Bierkruge sitzt, während die andern Schenk-
und Gesinnungsgenossen hinten am Herde sich wärmen.
Es ist, wie ich glaube, blos Atelierarbeit; eine Copie
dieses Bildchens besitzt unter Nr. 28 die Galerie Cor-
sini in Rom.
Oberhalb dieses Teniers'schen Bauern hängt unter
Nr. 1 ein gekreuzigter Christus, den der Katalog dem
A. van Dyck zuschreibt. Auch dieses Bild dürfte jeden-
falls blos Copie sein, wie auch die „Kreuzabnahme",
Nr. 7 , nur das Werk eines Nachahmers des steif ele-
ganten van Dyck ist. Die im Freien badenden nackten
Weibspersonen, Nr. 2, müssen, statt dem Poelenburg,
dessen Nachahmer A. Cuylenborch zugeschrieben wer-
den, (f) Die weidenden Kühe, die unter Nr. 22 dem
P. Potter zugedacht sind, werden jedem Sachkundigen
sogleich als moderne Copie erscheinen. Als echt dürfte
dagegen das dem Pieter Wouwerman zugeschriebene
Bildchen betrachtet werden; ich wenigstens finde es zu
fein im Tone, um Copie zu sein. Daneben hängt eines
der vielen, ziemlich langweiligen Seestücke von Ludolf
Backhuysen.
^ Werke von P. Codde sind nicht selten in italienischen
Sammlungen ; in Mailand allein sind deren drei : eines im Palast
Trivulzio, eines in der Sammlung des verstorbenen Grafen Lodo-
vico Belgiojoso, ein drittes in der Sammlung Bonomi-Cereda.
Giorgione. ^3
Die sonstigen mehr oder weniger unbedeutenden
Bilder, welche noch in diesem Zimmer aufgestellt sind,
will ich der Kürze halber übergehen imd will dafür
imsere Musterung mit der eingehendem Besprechung
eines Porträts schliessen, das unter Nr. 30 im zweiten
Saal der Galerie sich befindet und das seit langer Zeit
schon meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
Im Katalog wird dieses wunderbare Frauenbildniss
als von der Hand eines unbekannten Meisters dem Pub-
likum präsentirt. Das Bild stellt eine noch junge Frau
von etwa 28 Jahren vor. Ihre intelligente kurze Stirn
wölbt sich leicht über zwei schwarze Augen von leiden-
schaftlich feurigem Blick; das braunschwarze Haar ist
an den Schläfen ungefähr so geordnet wie das des
Malteserritters in der Uffizien- Galerie; das dunkle
Kleid hat an den Aermehi harte Längsfalten. Sie steht
vor einer steinernen Fensterbrüstung, hält mit beiden
Händen ein weisses Tüclilein und schaut dabei mit
sehnsuchtsvoll träumerischem Blick in die Ferne, gleich
als ob sie jemand, den sie erwartet, zu erspähen trachtete.
Die einfache Auffassung dieser mysteriösen Frau verräth
einen grossen Künstler; wer kann es sein? Bevor ich dies
80 sehr ansprechende Bild mit kritischen Auge mir an-
sah, vermuthete ich den Dosso Dossi darin zu erkennen,
allein der dunkle Grund, die steinerne Fensterbrüstung,
die Einfachheit der Darstellung selbst, schienen mir den
ferraresisch-venetianischen Maler auszuschliessen. So-
dann dachte ich an den jungen Sebastiano Luciani, jedoch
auch für diesen Meister erschien mir das Bild zu tief-
sinnig aufgefasst und auch die Form der Hand noch
zu quattrocentistisch. Eines Tages jedoch, als ich wieder
fragend und entzückt vor dem mysteriösen Bilde stand,
begegnete mein eigener Geist dem des Künstlers, welcher
aus diesen weiblichen Zügen heraussah, und siehe da,
in der gegenseitigen Berührung zündete es plötzlich
wie ein Funken und ich rief in meiner Freude aus:
21 •
324 I^ie Galerie Borghese.
Nur du, mein Freund, Giorgione kannst es sein, und das
Bild antwortete: Ja, ich bin's.
Dieses Auge mit den leicht geschwungenen Brauen,
mit -dem tiefen, sehnsuchtsvollen, mysteriösen Blick,
die geradlinige, niedere Stirn, der feine Mund, sie alle
sprechen für den Giorgione, sie sind gerade so model-
lirt wie die des Malteserritters in Florenz. Leider
sind einige Stellen am Hals und an der Brust des Bildes
retouchirt, im übrigen ist jedoch das Gemälde gut er-
halten. Das reizende Weib trägt auf dem Kopf eines
jener braun-gelblichen Häubchen, wie man solche nicht
selten auf den Madonnenbildern aus der Frühzeit Ti-
zian's gewahrt. Je öfter ich nun seitdem vor dieses
Frauenbild zu stehen kam, desto mehr hatte es jedes-
mal mir zu sagen. Was die Auffassung anbetrifft,
scheint es mir ein Wunderwerk der Kunst zu sein.
Nur ihm, dem Giorgione, gelang es, solche Porträts,
die uns so viel zu sinnen, so viel zu ahnen geben, mit
solcher Einfachheit auf die Leinwand zu zaubern! (f)
Mit diesem neuen Werk Giorgione's, das ich hier-
mit den Freunden italienischer Kunst vorzustellen die
Freude habe, seien nun unsere Besprechungen der Bilder
dieser Borghese-Galerie abgeschlossen.
n.
DIE GALERIE DORIA-PANFILI.
uf das lange Pontificat PauFs V., aus dem Hause
Borghese, folgte das um etliche Jahre längere
'Urban's VIII., aus dem Hause Barberini. Man
konnte demnach vermuthen, dass, wie die Galerie
Borghese nicht nur der Zeit sondern auch der Be-
deutung nach der erste Platz gebührt, der zweite
Ehrenplatz in der Rangordnung der römischen Gemälde-
sammlungen von derjenigen des Hauses Barberini ein-
genommen würde. Dem ist jedoch nicht so.
Urban YIIL hat bei der Besitznahme der Schlosser
der Herren von Montefeltro und della Rovere wol auch
manches Kunstwerk nach Rom in die Barberini'schen
Paläste bringen lassen, unter andern auch die neun
Tafelbilder mit dem Apoll und den acht Musen ^, so-
* Diese nenn Bilder wurden von Baldi (Vita e Fatti dt
FedericOy duca di ürbino) dem Timoteo-Viti zugesohrieben.
Sie hingen, als ich dieselben zum ersten mal sah, hoch in einem
überdies dunkeln Saal und kamen mir damals als Arbeiten des
mythischen Francesco Bianchi vor, den ich unbesonnenerweise
lange Zeit mit dem Ferraresen Cortellini Terweohselte. „Es irrt
der Mensch, so lang er strebt/* Nach dem vor wenigen Jahren
erfolgten Tode des Fürsten Barberini, Duca di Castelvecchio,
kamen, nebst andern, auch diese Bilder in die Galerie Corsini
zu Florenz. Dort bei Lichte besehen erschienen mir zwei jener
Tafeln wirklich als Werke des Timoteo: Apollo und eine Muse
(wie Vasari berichtet); die übrigen Mohs (eine Mose fehlt) rühren,
328 I^i® Galerie Doria-Panfili.
wie ebenfalls jene Reihenfolge „berühmter Männer des
Alterthums", die einst den grossen Bibliotheksaal im
Schlosse von Urbino zierten und deren eine Hälfte im
Palast Barberini, die andere im Louvre aufgestellt ist ^ ;
meiner jetzigen Ansicht nach, von mehrern und zwar viel
schwächern Malern aus der Schule des Giovanni Santi her.
Eine getuschte Zeichnung, welche als Vorlage zu einer dieser
Musen diente, befindet sich, unter dem Namen des Botticelli, in
der Sammlung von Windsor. (Grosvenor Gallery Nr. 17.) Ist
nun diese Zeichnung wirklich, wie ich anzunehmen geneigt bin,
von der Hand des Giovanni Santi, so dürfte man hieraus die
Folgerung ziehen, dass der Vater Eaffael's auch bei Fiorenzo
di Lorenzo in die Lehre gegangen ist. (f)
^ Bei der Theilung des Besitzthums der Familie Colonna-
Barberini kam die eine Hälfte der Bilder an das Haus Sciarra-
Colonna (14 an der Zahl), die später alle an den Herrn Campana
verkauft und sodann mit der ganzen Sammlung Campana vom
Kaiser Napoleon III. für den Louvre erworben wurden. Die
Barberinische Hälfte (15 Stück) ist bisjetzt noch immer in den
Wohnzimmern des fürstlichen Palastes aufgestellt. Auf diesen
letztern Tafelbildern sehen wir dargestellt : Homer, Scotus, Cicero,
Petrarca, Moses, Hippokrates, Salomo, Bartolus, Euklides, Alber-
tus Magnus und zwei andere, deren Namen ich mich nicht mehr
entsinne, endlich das Porträt Friedrich's von Montefeltro, im
Panzer und Herzogsmantel auf einem Throne sitzend. Der greise
Herr mit der übergrossen Adlernase hält mit beiden Händen
ein grosses Buch vor sich hin, während sein Söhnlein Guido-
baldo (geboren 24. Januar 1471; der Knabe sieht auf diesem
Bilde etwa vierjährig aus) auf ein Knie gestützt dem Vater den her-
zoglichen Scepter vorhält. Dieses letztere grössere Bild schien
mir besser als die andern erhalten, allein von derselben Hand
wie die übrigen gemalt zu sein, d. h. von der des Justus von
Gent. Dieser Justus (Josse Sneevoet) war vom Jahre 1464 bis
zum Jahre 1476 in Urbino ansässig und hinterliess dort, ausser
den angeführten Tafelbildern mit den Porträts berühmter Män-
ner, auch noch ein sehr mittelmässiges „Abendmahl", das nun
seit dem Jahre 1865 in der Akademiesammlung von Urbino sei-
nen Platz gefunden hat. Dass in einigen jener Tafelbilder auch
die Hand des Girolamo Genga wahrzunehmen sei, wie dies
die Herren Crowe und Cavalcaselle (II, 565) behaupten, kann
Justus von Gent. 329
im übrigen aber scheinen die Nepoten jenes Kirchen-
fiirsten sich nicht besonders um die schönen Künste
bekümmert zu haben.
Statt der Barberini'schen nimmt viehnehr die Doria-
Panfili'sche Bildersammlung den zweiten Platz unter
den römischen Galerien ein. Kurz nach dem Tode
Urban's VIII. (1644) gelangte der Cardinal Giovan
Battista Panfili, unter dem Namen Innocenz X.,
auf den päpstlichen Stuhl (29. September 1644). Die
Schwägerin dieses Papstes, Donna Olimpia, eine ge-
borene Maldachini aus Viterbo, war, wie man sagte,
eine prachtliebende und herrschsüchtige Frau, die also
wol schwerlich geduldet haben würde, dass das eigene
Haus irgendeinem andern Haus in Rom nachstehe.
Eher als dem Kunstsinn mag demnach, wie schon be-
merkt, auch diese Sammlung ihre Entstehung der Mode
sowie der Prunksucht jener sonst sehr habgierigen Frau
zu verdanken haben. Einige der bedeutendem Bilder
dieser Sammlung stammen jedoch aus der Zeit des
ich in keinem Fall zugeben, und zwar vor allem deshalb nicht,
weil ich in keinem einzigen jener 29 Gemälde Spuren von der
Art und Weise des Genga zu sehen im Stande war, und zwei-
tens weil ich vermuthen muss, dass die obengenannten Decora-
tionsstücke im Jahre 1476, dem Geburtsjahre Genga's, bereits
vollendet waren. Und da ich hier auf den Maler Justus von
Gent zu sprechen kam, so will ich diese Gelegenheit benutzen,
um einen weitem Irrthum zu berichtigen, der in unserm Jahrhun-
dert mit so vielen andern sich in die Kunstgeschichte einge-
schlichen hat. Mehrere neuere Kunstschriftsteller, unter andern
auch der federgewandte Monsieur Alfred Michiels {Histoirt
dt la pcinture flamande, III, 149), haben nämlich diesen Justus
von Gent mit jenem Justus deAlemania identificirt, der
im Klosterhof von S. Maria di Castello in Genua im Jahre
1451 die „Verkündigung** auf die Wand malte. Dieser letztere
Justus ist kein Flamländer, sondern ein Schwabe aoa Ravens-
burg, und hat daher mit dem Justus von Gent, der erst 1464
nach Italien kam, gar nichts zu sohafifen.
330 I^ie Galerie Doria-Panfili.
grossen Aduiirals Andrea Doria und wurden erst später
von Genua nach Rom gebracht. Wenn also die Galerie
Doria Panfili, was Zahl und Bedeutung der Gemälde
anbetrifft, sich auch nicht mit derjenigen des Fürsten Bor-
ghese messen darf, so hat sie doch wenigstens vor der
letztern das voraus, dass ihre Räume, wenn auch kein
besseres, so doch immer volleres Licht haben, als jene
Kellerräume, in denen die Borghesischen Bilder einge-
kerkert scheinen. Was Licht und verniinftige Auf-
stellung und Ordnung anbelangt, so kann man wol
von den meisten öffentlichen Bildersammlungen Italiens
sagen, dass keine Grund hat i'iber ihre Schwestern sich
zu erheben. Im ganzen können alle von sich selbst
sagen: Wir haben keine Ursache uns gegenseitig zu
beneiden, wir alle tragen ja dasselbe Los, das Un-
wissenheit und unverantwortliche Indifferenz uns be-
schieden haben.
Im dem grossen Vorsaal, der in die den Bildern
überlassenen Zimmer und Gänge des fürstlichen Palastes
führt, finden wir unter manchen andern unbedeutenden
Productionen der Kunst des 17. Jahrhunderts mehrere
trefflich componirte Landschaften desGasparo Dughet,
auch Poussin genannt; ein grosses, ziemlich triviales
„Opfer desNoah" vonPietro daCortona; eine „Sünd-
flut" von Scarsellino; eine Landschaft mit reicher
Staffage von Battista Dossi, dem Bruder des Gio-
vanni, sowie andere Decorationsstücke. Allein die ita-
lienische Kunst des 17. Jahrhunderts muss, für dies-
mal wenigstens, aus unserm Studienplan wegfallen.
Ehe wir aber diesen Saal verlassen, ist es mir un-
möglich, meine Begleiter nicht einzuladen, eine Weile
vor dem Velasquez'schen Porträt des Papstes Panfili
still zu halten. Es ist dies ein weltberühmtes Bildniss
des grossen spanischen Künstlers und wol auch des
originellsten aller Porträtmaler der Welt.
Karl Justi, der geistvolle und gediegene Kunst-
Diego Velasquez. 331
Historiker, bemerkt in seiner gelehrten und muster-
gültigen Monographie über „Diego Velasquez und sein
Jahrhundert" (II, 183), dass „wie zu Hause dem grossen
Maler wunderlicherweise der unheimlichste aller Minister-
köpfe, der uninteressanteste aller Fürstentypen beschie-
den war, ihm in Rom der abstossendste Kopf unter
den Nachfolgern des Menschenfischers zufiel". Und in
der That, in diesem Papstgesicht findet sich auch nicht
ein Zug weder jener gelehrten Feinheit, noch jener welt-
männischen Vornehmheit, die wir gewohnt sind in den
Köpfen der meisten Kirchenfürsten aus jener Zeit zu
sehen. Der Typus dieses Papstes ist unbedeutend, ja
vulgär; sein Blick ist der eines verschmitzten Advo-
caten. Man ist froh, wenn man diesen abstossenden
Blick vergessen hat. Und doch war Innocenz X. trotz
seines verschlossenen, mistrauischen Charakters der
Spielball seiner Schwägerin Olimpia. Wie lässt sich
dies erklären? Unter allen Bildnissen, mit Ausnahme
von einigen der vorzüglichsten Rembrandt's, düi-fte
diesem Papstporträt des Valasquez wol kein anderes
aus jenem Jahrhundert vortheilhaft an die Seite gestellt
werden. Hat man nun im ^^hlue hoy^^ des Gainsborough
ein blaues, in jenem männlichen Porträt von der Iland
des Paul Veronese im Palast Colonna ein grünes
Porträt, 80 gab uns hier Velasquez ein rothes. Dürfte
man einigen sachkundigen Kunstfreunden unbedingt ver-
trauen, so hätten wir in Rom noch ein anderes Bild-
niss des grossen Spaniers und zwar sein Selbstportrat.
Es hängt unter den Bildern der Capitolinischen Samm-
lung. Ich selbst bin mit den spanischen Malerschulen
zu wenig vertraut, um in dieser heikeligen Streitfrage
ein Urtheil mir erlauben zu dürfen, zumal der grosse
Kenner des Velasquez, Professor Karl Justi, selbst sich
scheute, mit Bestimmtheit darüber sich auszusprechen.
Dies letztere Bildniss müsste jedenfalls der ersten
Manier des Velasquez angehören.
Die Galerie Doria-Panfili.
Treten wir nun ein in den zweiten Saal der Galerie.
Und da in dieser Sammlung die Venetianer besonders
reichlich vertreten sind, so möchte ich diese Gelegen-
heit nicht voriibergehen lassen, ohne mich etwas länger
bei den Werken derselben aufzuhalten, in der ffuten
Absicht, das wenige, was ich über dieselben zu sagen
weiss, meinen wissbegierigen Freunden mitzutheilen ;
was mich übrigens keineswegs abhalten soll, auch dieses
oder jenes Werk aus andern Malerschulen mit ihnen zu
besprechen. Um diesem Vorsatz sogleich Genüge zu
thun, will ich hier zunächst von einigen florentinischen
Bildern reden, denn unter allen in diesem zweiten Zim-
mer aufgestellten Bildern leuchten uns besonders drei
in die Augen, die nicht venetianischen, sondern floren-
tinischen Ursprungs sind; ich meine die trefi'liche „Ver-
kündigung", ein Werk aus der Frühzeit des Fra Fi-
lippo Lippi, und an den Seiten derselben die beiden
Bildchen seines Schillers Pesellino.
FRANCESCO PESELLINO.
Francesco Pesello, il Pesellino genannt, so ge-
nannt um den Meister von seinem Onkel Giuliano
Pesello zu unterscheiden, wurde 1422 in Florenz ge-
boren und starb 1457 daselbst, also kaum 35 Jahre alt.
Gewiss müssen auf ihn, wie auf 'die meisten Florentiner
aus der guten Zeit, die Wandgemälde des Masaccio im
Carmine einen grossen und bleibenden Eindruck ge-
macht haben, und davon kann sich jedermann über-
zeugen im Hinblick sowol auf die Einfachheit der Dar-
stellung wie auf manch einzelne Figur in den Bildern
Pesellino's. Als sein wahrer Lehrer muss jedoch Fra
Filippo, wie Vasari uns berichtet, angesehen werden.
Dies schliesst aber nicht die Vermuthung aus, dass
Pesellino die Anfangsgründe seiner Kunst von seinem
Onkel Giuliano erhalten haben könnte. Und in der
That gewahrt man, scheint mir, in Pesellino's Längs-
Francesco Pesellino. 333
tafel in der Casa Buonarotti in Florenz, wol das älteste
mir bekannte Werk des Meisters*, eine Art und Weise,
die durchaus nicht die des Fra Filippo ist. Vasari
schreibt zwar mit Unrecht jenes Bild dem Giuliano
selbst zu, allein es könnte doch sein, dass Pesellino es
unter der Leitung seines Onkels ausgeführt hätte. Von
Giuliano Pesello ist, soviel ich weiss, kein beglaubigtes
Werk auf uns gekommen.^ Da nun Vasari uns von
einer „Anbetung der Könige", die Giuliano gemalt
haben soll, berichtet, so glaubte der gute Pater Lanzi
dieses Bild in einer denselben Gegenstand vorstellenden
Tafel der üffizien- Galerie entdeckt zu haben, und die
Herren Crowe und Cavalcaselle trugen sonderbarer-
weise kein Bedenken, dem Lanzi darin beizustimmen
und jenes Bild uns als Werk Giuliano's zu präsent i reu. ^
* Dieses Bild, welches früher in der Kapelle Cavaloanti in S.
Croce war, stellt Wunderthaten des heiligen Nikolaus von
Bari vor.
' Eine Längstafel, die aus dem Palast Ruocellai in die Samm-
lung von Giovanni Morelli gelangte und auf welcher die Ueber-
gabe einer befestigten Stadt an einen florentinischen Feldhaupt-
mann dargestellt ist, könnte vielleicht von Giuliano Pesello her-
stammen. Der landschaftliche und architektonische Hintergrund
auf jenem Gemälde erinnert sehr lebhaft an die Art und Weise
des Pesellino, während die jugendlichen und höchst unschuldigen
Gesichtstypen der Kriegsleute mehr an Fra G. Angelico gemah-
nen, die Gestalt der Rosse aber die Pferderasse des Paolo Ucoello
uns ins Gedächtniss ruft.
' Die neuere Direction der Galerie, besser berathen als die
ältere, hat nun jenes Bild (Nr. 26) nach meinem Vorschlag sei-
nem wahren Autor, d. h. Cosimo BosselH, zurückerstattet Herr
Direotor W.Bode fährt demungeacbtet fort, auch in diesem Punkt
seinen Gewährsmännern Crowe und Cavalcaselle recht und mir
unrecht zu geben, und ich habe natürlich nichts dagegen ein-
zuwenden. Was jedoch die neue Firnismalerei anbetrifft,
die der berliner Gelehrte auch in diesem Gem&lde wahrnimmt
und auf die er ein grosses Gewicht tu legen scheint, so dürfte
aller Wahrscheinlichkeit nach dieselbe — ebenso wie die ,,Oel:
I
334 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Betrachten wir uns nun etwas genauer die zwei
Bildchen, die von diesem bisher sehr verkannten und
doch, wie mir scheint, so überaus talentvollen florentiner
Meister in diesem Saale aufgestellt sind. Diese Bilder
haben die Nummern 29 und 39. Das eine davon stellt
Papst Sylvester in Gegenwart des Kaisers Maximilian
vor, das andere Papst Leo IV. im Begriff einem bösen
Drachen Fesseln anzulegen, um ihn unschädlich zu
machen. Beide Tafelbildchen erhielten hier den richti-
gen Namen des Autors und gehören, wie mir scheint^
der spätem Wirkungszeit des Meisters an.
In der unmittelbaren Nähe dieser zwei florentini-
schen hängen zwei andere kleine Bildchen, die wunder-
licherweise im Katalog dem grossen Yeronesen Vittor
Pisano, Pisanello genannt, zugeschrieben sind. Das
eine derselben stellt die „Geburt", das andere die „Ver-
mählung Maria" vor. Täusche ich mich nicht, so sind
beide Bilder Erzeugnisse der Schule von Siena und
dürften vielleicht dem Bartolo di Maestro Fredi an-
gehören, (f) Unerklärlich war es mir immer, wie das sonst
so feine Kennerauge des verstorbenen O. Mündler in
diesen schwachen Bildern nicht nur die Art und Weise^
sondern selbst den Farbenton des Pisanello zu sehen
vermeinte. (Siehe a. a. O., S. 6.)
Kehren wir jedoch zu Pesellino zurück. Seine Werke
sind von der grössten Seltenheit. Trotz meiner lang-
jährigen Nachforschungen ist es mir nicht geglückt,
ausser den zwei eben genannten Bildern, mehr als etwa
ein Dutzend Werke aufzufinden, die man mit Sicher-
heit ihm zuzuschreiben ein Recht hätte. Ich will die-
selben hier anführen.
mal er ei" auf der „Taufe Christi" des Verrocchio, die Herr Bode
dem jungen Lionardo da Vinci zuschreiben möchte — von kei-
nem andern Meister herrühren, als von dem Restaurator, der
durch seinen Firnis und durch sein Oel jene beiden Bilder in
später Zeit verunstaltet hat.
Francesco Pesellino. 335
Als das älteste unter diesen Werken Pesellino's sehe
ich, wie schon gesagt, die Längstafel im Hause Buo-
narotti an.
Ebenfalls aus seiner Frühzeit, indessen schon ganz
und gar in der Weise des Lehrers Fra Filippo Lippi,
scheint mir die kleine, von Vasari citirte Tafel in der
Sammlung Morelli in Mailand zu sein; ^^fece ai /an-
ciulli della Compagnia dt S. Giorgio un S, Girolamo e
nn S. Francesco'-'' (Vasari, IV, 183). Mitten in einer
Felsschlucht kniet der heilige Hieronymus vor einem
Todtenschädel, in der Rechten einen Stein, in der Linken
ein Crucifix haltend. Der obere Theil seines Korpers
ist entblösst, den untern bedeckt der rothe Cardinals-
mantel. Unten an der Felsschlucht sitzt ein anderer
Mönch im grauen Ordenskleide und spielt mit einem
Löwen, neben dem eine Löwin kauert, ihren Blick auf
den heiligen Hieronymus gerichtet. Hinter den Felsen
sieht man das rothe Dach des Klosters hervorschauen.
Alles in diesem Bilde ist noch sehr jugendlich und naiv,
sowol in der Darstellung als in der Ausfuhrung; der
Kopf des heiligen Hieronymus ist seinem Lehrer Fra
Filippo entlehnt.
In derselben Morelli'schen Bildersammlung befindet
sich ein anderes Tafelbild Pesellino's, worauf ein Floren-
tiner aus der sogenannten ^^borghesia grassa''^ (dem fetten
Burgerstand), d. h. ein Patricier, dargestellt ist, wie
er, von Demokraten angeklagt, vor den auf hohem
Thronsessel sitzenden Richter geführt wird. Auch dieses
durch Lebendigkeit der Darstellung und Schärfe der
Charakteristik ganz ausgezeichnete Bild trägt an der
Stirn noch immer den Stempel des Lehrmeisters Fra
Filippo.
In eine nicht viel spätere Wirkungszeit des Pesel-
lino dürften auch die drei Täfelchen im Palast Ales-
sandri in Florenz gesetzt werden.- Das eine davon
stellt Simon den Zauberer dar, das andere PauFs Be-
336
Die Galerie Doria-Panfili.
kehrung, das dritte den heiligen Zenobius, welcher den
todten Sohn einer Witwe wieder ins Leben ruft.
Von den zwei vorzüglichen^ Längstafeln, die, einst
vereint, den Altaraufsatz (Predella) eines grossen Bildes
des Fra Filippo bildeten, befindet sich die eine noch
im Besitz der florentinischen Akademie, die andere
wurde nach Frankreich entführt und ist jetzt unter
Nr. 287 im Louvre ausgestellt. Auf der erstem
dieser Tafeln sind das Präsepium, eine Wunderthat
des heiligen Antonius und der Märtyrertod der heiligen
Der heilige Antonius der Wnnderthäter (Akademie zu Florenz).
Cosmas und Damianus dargestellt; auf der letztern die-
selben zwei Heiligen Cosmas und Damianus, wie sie als
Aerzte einem Kranken beistehen, und endlich der hei-
lige Franciscus mit den Wundmalen.
Zu den Arbeiten der Spätzeit unsers Meisters würde
ich eine grössere Längstafel rechnen, auf welcher, nach der
bekannten Novelle des Boccaccio, die Vermählung der
^ Schon Pater Lanzi bemerkte mit Recht über diese Predella :
^,che Vistorico (d. h. Vasari) chiamb maravigliosissima, e forse non
la lodb per quel secolo oltre ü dovere" (I, 103).
Francesco Peselliüo. 337
Griseldis mit dem Marchese di Saluzzo dargestellt ist.
Dieses köstliche Bild gelangte aus dem Palast Gherardi
in Florenz in die Sammlung des Herrn Giovanni Mo-
relli. Es ist dies wol eine der charakteristischsten und
auch anziehendsten Darstellungen, die wir von dem
geistreichen, feinen und stets liebenswürdigen Erzähler
Pesellino besitzen. In diesem Werke ist der Meister
ganz er selbst und wir sehen hier kaum noch Spi»en
von Erinnerungen an seinen Lehrer Fra Filippo, ebenso
wenig wie in den zwei andern ebenfalls höchst feinen
Längstafeln mit dem Sieg und dem Triumph David's,
in der Sammlung der Familie Torrigiani in Florenz.
Die zwei letztern Tafelbilder werden zwar dort noch
immer dem Benozzo Gozzoli zugetheilt, dürften jedoch,
wie ich meine, jedem Kenner der florentinischen Maler-
schulen sogleich als Werke unsers Pesellino sich er-
weisen. * (f)
Ausser diesen dreizehn soeben angeführten Werken
Pesellino's befindet sich noch ein grosses Tafelbild in
der National Gallery zu London, das man dort mit
um 80 grÖsserm Recht unserm Meister glaubt zuschrei-
ben zu dürfen, als jenes Bild bereits von Vasari als
Werk des Pesellino citirt worden ist (IV, 182). Auf
demselben ist die Dreieinigkeit mit den heiligen Jacobus
und Zeno dargestellt. Das Bild war ehedem in einer
Kirche von Pistoja. Ich gestehe jedoch, dass es mir
unmöglich ist, in jenem Gemälde den Geist und noch
viel weniger die Art und Weise des Francesco Pesello
wahrzunehmen, und ich vermuthe daher, dass es wol
eher die Arbeit des Piero di Lorenzo Pratese, des
Gehülfen Pesellino's, sein dürfte. Auch hat, soviel mir
* Herr Direotor W. Bode (11, 575) steht vor diesen zwei
Bildern wie Heroales am Sobeidewege, er weiss nämlich nioht,
ob er sie dem Pesellino nehmen oder ob er sie ihm lassen soll.
LsBHouvnr. 22
338 I^ie Galerie Doria-Panfili.
bekannt ist, Francesco Pesello sich nie in der Dar-
stellung grosserer Figuren versucht.^
Von diesem seltenen, durch und durch florentinischen
Meister mögen wol noch andere Bildchen in den Privat-
sammlungen Europas sich vorfinden; doch da ich die-
selben nicht gesehen habe, bin ich nicht im Stande
darüber zu berichten.
In Erwägung nun, dass Neulinge in der italienischen
Kunstwissenschaft nicht selten Gefahr laufen, Werke
des Pesellino mit denen seines Lehrers Fra Filippo oder
gar mit denen seines Zeitgenossen Benozzo Gozzoli,
wie dies den Herren Crowe und Cavalcaselle erging
(III, 107), zu verwechseln, sei es mir erlaubt, in aUer
Kürze einige für unsern Meister höchst charakteristische
Merkmale hier anzuführen.
Die Figuren Pesellino's sind stets fein und schlank
und von grosser Anmuth, im Gegensatz zu den vollen,
nicht selten klotzigen Gestalten seines Lehrers Fra Fi-
lippo, mit dem man ihn zuweilen verwechselt.
Pesellino hat eine besondere Vorliebe für die graue,
blaue und violette Farbe.
Die Form der Hände bei ihm ähnelt der plumpen
Form der Hand bei Fra Filippo, sowie auch der Typus
mancher Köpfe in den Bildern aus seiner Frühzeit.
Das Ohr hat bei Pesellino eine zwar rundliche, allein
doch immer länglichere Form als bei Fra Filippo und
charakteristisch an demselben sind die sehr scharf mit
dunkelbrauner Farbe bezeichneten Contouren des äussern
Ohrrandes oder der sogenannten Helix.
^ Allerdings sieht man in der Uffizien-Galerie, unter Nr. 25,
eine „Verkündigung" ausgestellt, welches Bild früher den Namen
des Giuliano Pesello führte, neuerdings aber dem Neffen Pesellino
zugeschrieben wurde. Allein jenes Gemälde gehört untrüglicher-
weise dem Allesso Baldovinetti an, was selbst Herr Director
W. Bode zugibt (II, 576).
Die y«netiAner: GioTanai Belli dl 3S9
Bemerkenswertii sind bei ihm ebenfalls die zwei oft
wiederkehrenden (besondere am Ellenbogengeleiik) run-
den Falten.
Der Fussboden ist auf seinen
Bildern gewöhnlich ziegelroth-
lich, die Säulen an den Gebäuden
grünlich, die Dächer an den Iläu-
serB hochroth. Wie wir also ge- m
sehen, befinden sich die bekann- Im/- l^/ ///
ten, auf uns gekommenen Werke ^ y^S^X^^
dieses überaus anmuthigen Mei- ^^"''^
sters fast sämmtlich in Italien,
nämlich zwei in Rom, sieben in Florenz, drei in
der Sammlung Morelli in Mailand, eins im Louvre
und eins aus der Werkstatt Pesellino's in der National
Gallery in London.
DIE VEÜTETIANER
Kach dieser Abschweifung gehen wir nun, unserm
Vorhaben gemäss, an die Betrachtung der sowol in
dieser als auch in andern Galerien Roms ausgestellten
Werke der venetianischen Malerschulen. Dieselben sind
hier nicht zusammengestellt wie in der Borghese-Galerie,
sie hängen vielmehr zerstreut in den verschiedenen Sälen
und Gängen, welche in diesem fürstlichen Palast als
Bildergalerie dienen. Suchen wir also diesellMB auf in
Geduld und Triebe und beginnen wir unsere Mustemng
mit den Werken der Altmeister, deren Namen wir im
Katalog der Sammlung angefulirt finden, nämlich mit
denen des Giovanni Belli »li mm'I des Andrea
Mantegna.
GIOVANNI BELLINI.
Keine unter den hervomigeiideii Sammlungen Eu-
ropas mochte heutzutage den Naneo des Giambeüino
22*
340 Die Galerie Doria-Panfili.
in ihrem Katalog vermissen, und doch dachte man seit
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis etwa um
die Mitte des unserigen kaum noch an denselben, wenn
von den venetianischen Malern die Rede war, sondern
man hatte da nur Sinn für seine grossen Schüler und
Nachfolger: den Giorgione, den Tizian vor allen andern,
den Sebastiano del Piombo, den Palma vecchio, den
Paris Bordone, den Tintorretto, den Paolo Veronese.
Ueberdies war Giambellino in den letzten drei Pecennien
seines Lebens dermassen mit der Ausführung grosser
Werke, sei es für den Senat sei es für die Kirchen
seiner Vaterstadt in Anspruch genommen, dass selbst
die kunstliebende Markgräfin von Mantua, Isabella Gon-
zaga, trotz ihrer directen und indirecten Bitten und
Mahnungen, lange Jahre warten musste, bis sie endlich
das ihr vom Meister versprochene Bild erhielt.^ Diesem
Umstand ist es denn auch zuzuschreiben, dass damals
Werke des Meisters ausserhalb seiner Vaterstadt Venedig,
selbst in Italien, eine grosse Seltenheit waren. Denn mit
Ausnahme einer für Sigismondo Malatesta von Rimini
gemalten „Pieta", der grossen Altartafel für die Fran-
ciscaner von Pesaro, des Bacchanals für den Herzog von
Ferrara, des Altarbildes für die Kirche von Santa Co-
rona in Vicenza und eines reizenden Madonnenbildes für
ein Nonnenkloster in Alzano bei Bergamo 2, wüsste ich
^ Siehe darüber: Gaye, Carteggio d'artisti, II, 71 — 82. Die
Briefe datiren aus den Jahren 1505 und 1506.
" Das schöne Bild mit der „Beweinung Christi" ist gegen-
wärtig im Stadthause von Rimini, die Altartafel von Pesaro be-
findet sich in einer andern Kirche der Stadt, das Bacchanal soll
im Besitze des Herzogs von Northumberland sein, die Altartafel
von S. Corona ist noch immer an Ort und Stelle, das von Ri-
dolfi citirte Madonnenbild für Alzano befindet sich jetzt in der
Sammlung Morelli in Mailand. Es ist dies eins der bester-
haltenen Gemälde des Meisters (um 1496 — 98), auch wurde es
zweimal von Giovan Battista Moroni copirt. Von diesen Copien
Die Yenetianer: Giovanni Bellini. 341
kaum ein anderes Werk anzugeben, das der venetianische
Meister auf auswärtige Bestellung hin ausgeführt hätte.
Ausserhalb Venedig finden wir gegenwärtig in Ita-
lien beiläufig noch folgende Werke des Giambellino:
In der Uffizien- Galerie die „heilige Allegorie"
unter Nr. 631. Dieses wunderliebliche, geist- und an-
muthsvolle Bildchen kam nach Florenz unter seinem rich-
tigen Namen ; später wurde es auf Giorgione umgetauft
und bekam in neuester Zeit, zur Verwunderung aller
Kenner der venetianischen Meister, ich meine die von
der feinern Sorte, den Namen des Marco Basaiti. (Auch
Director W. Bode, II, 641, nahm es für ein Werk
des Basaiti.) Allein auch schon die Formen des Ohres
und die allzugrosse, für Giambellino so charakteri-
stische Hand verrathen sogleich den Meister. Der Typus
der Madonna, ihre Stellung, sowie auch die Felsenland-
schaft auf diesem Bilde erinnern an die „Anbetung der
Könige" seines Bruders Gentile in der Sammlung von
Sir Henry Layard in Venedig.
Der kleine Apostelkopf, Nr. 177, in den Uffizien
gcliört einem Schüler an, ebenso wie das sogenannte
tSeibstporträt des Giambellino, Nr. 354, mit der gefälsch-
ten Aufschrift; die blos untermalte „Beweinung Christi",
Nr. 581 ebendaselbst, ist durch die Restauration der-
massen entstellt, dass das Bild in seinem gegenwär-
tigen Zustande für jeden feinern Kunstfreund fast allen
Werth verloren hat.
Die Pinakothek von Turin besitzt ein durch Ueber-
malung zwar ganz und gar verdorbenes, allein echtes
Madonnenbild unsers Meisters, Nr. 779. Das andere
in jenem Galeriekatalog ebenfalls dem Giambellino zu-
geschriebene Madonnenbild, Nr. 105 B, ist Copie.
ist die eine im Besitze der griflichen Familie Agliardi in Ber-
gamo, die andere siert den Altar einer Kirche im Seriothal, in
der Nähe von Albino.
k
342 I>»e Galerie Doria-Panfili.
In Mailand findet man in der Brera-Galerie drei
Werke und zwar aus drei verschiedenen Epochen des
Gijinibellino. Das älteste davon, etwa um 1464 — 67,
ist die „Pieta", Nr. 220. Der Schmerz einer Mutter
über den Verlust ihres Sohnes hat wol in keinem an-
dern Werk der Kunst einen so tiefen, so tragischen
Ausdruck gefunden, als in diesem Bilde. Das für eine
griechische Kirche gemalte Madonnenbild, Nr. 293, dürfte
um ein Jahrzehnt später entstanden sein. Ich kenne
kein anderes Madonnenbild, das auf mich einen so tiefen
Eindruck gemacht hätte. Die sanfte Melancholie, die
sowol aus dem Antlitz des Christkindes wie aus dem
Auge der göttlichen Mutter spricht, ist wahrhaft er-
haben. Ein drittes Madonnenbild daselbst trägt die
Jahreszahl 1510 und die Nr. 297. Dasselbe hat viel-
fach gelitten. Ausser diesen drei Bildern in der Brera
besitzt Dr. G. Frizzoni in Mailand ein höchst interes-
santes an Alvise Vivarini erinnerndes Madonnenbildchen
aus der Frühzeit des Giambellino und Giovanni Morelli
hat, ausser der oben angeführten Madonna mit dem
Kinde, ein zweites Madonnenbild des Meisters, etwa
aus den Jahren 1475 — 78.
In der städtischen Bildersammlung von Bergamo
sieht man (Abtheilung Lochis) ein echtes, allein stark
restaurirtes Madonnenbildchen ebenfalls aus der Früh-
zeit Giambellino"' s, Nr. 47, und im Dom daselbst ein an-
deres Madonnenbild aus den letzten Jahren ties Meisters
(um 1512).
In Brescia ist, soviel ich weiss, kein Werk des
Bellini zu sehen. Die ihm in der Kirche von S. Gio-
vanni Ev. zugemuthete „Kreuzabnahme" gehört wahr-
scheinlich dem V. Civerchio aus Crema an, einem Schüler
des Foppa. (f) Dafür findet man unter den im Palast
Tosi aufgestellten Zeichnungen eine dem Mantegna
fälschlich zugeschriebene Federskizze (zu einer „Pieta")
von Giambellino's Hand, (f)
Die Yenetianer: GioTttnni Bellini. 343
In Verona befindet sich in der etädtischen Pina-
kothek (Abtheilung Bemasconi, Nr. 77) ein sehr ver-
dorbenes, allein echtes und herrlich gedachtes Madonnen-
bild (um 1477) des Giambellino, dort unsinnigerweise
in die florentinische Schule verwiesen, (f)
Vicenza besitzt in der Kirche von S. Corona noch
immer das grosse Altarbild des Meisters aus dem
Jahre 1510.
In Padua, Ferrara, Bologna, Treviso, sowie
auch in Friaul war es mir nicht vergönnt, irgendein
echtes Werk des Giambellino aufzufinden.
Dagegen besitzt die stadtische Sammlung von Ro-
vigo ein echtes, allein ganz und gar verunstaltetes Ma-
donnenbild unsers Meisters unter Nr. 109.
Die zahlreichen Werke, grössere und kleinere, die
seine Vaterstadt Venedig noch von ihm zu wahren das
Glück hat, sind jedoch leider zum grössten Theil durch
sogenannte Restauratoren so schändlich zugerichtet wor-
den, dass der Genuss an denselben dadurch sehr ver-
mindert wird. Zahlen wir nun dieselben auf:
Aus der Frühzeit des Meisters besitzt das neuer-
dings so unsinnig geordnete Museum Corr^r einige kost-
bare Werke: eine „Beweinung Christi'* (Saal IX, Nr. 27),
von Director W. Bode (II, 771) zwar noch immer dem
Pier Maria Pennacchi zugeschrieben, nach meiner
üeberzeugung jedoch ein echtes und zwar tief empfun-
denes Werk Giambellino's (f); ferner ein kleines Bild
mit dem gekreuzigten Christus, von der göttlichen Mutter
und dem treuen Johannes beweint (Saal IX, Nr. 4B),
noch ganz in der Art des Vaters Giacomo (f); drittens
die „Transfiguration" (Saal VII, Nr. 23).
Die Galerie der Akademie besitzt ihrerseits aus
der Frühzeit des Meisters eben&lls ein Madonnenbild
Nr. 372. In derselben Sammlung finden wir überdies
noch manches interessante Werk ans den versohiedenen
spatem £pocken des Giambellino, m» die grosse Altar-
344 ßie Galerie Doria-Panfili.
tafel, Nr. 38, aus dem zweitletzten Decennium des
15. Jahrhunderts; sodann mehrere Madonnenbilder im
Contarini-Saal V, unter den Nrn. 94 und 101 ; im Saal VI
die vier Tafelbildchen allegorischen Inhalts (Nr. 235 —
238). Das Madonnenbild (Saal IX) dürfte wol dem
letzten Decennium des 15. Jahrhunderts angehören,
ebenso wie die andern zwei Madonnenbilder, Nr. 424
und 436 (Saal XIII). Ein ganz vorzügliches Werk
unsers Meisters vom Jahre 1488 sieht man auch in der
Sakristei von S. Maria dei Frari ; ein anderes Madonnen-
bild aus der Frühzeit des Giambellino besitzt die Kirche
„Madonna delFOrto" (mit einem vom Bilderputzer ent-
stellten CarteUino); ein grosses und sehr berühmtes
Altarblatt, vom Jahre 1505, die Kirche von S. Zaccaria;
in S. Francesco della Vigna ist ein Längsbild mit der
Madonna, dem Christkinde und vier Heiligen, der Do-
nator wahrscheinlich erst im 17. Jahrhundert darauf ge-
setzt (vom Jahre 1507).
In S. Grisostomo endlich befindet sich eins der letz-
ten Werke des Meisters, vom Jahre 1513; Bellini malte
das grossartige Bild in seinem 85. Lebensjahre!
Es erübrigt mir noch ein anderes grosses Altar-
blatt vom Jahre 1488 zu erwähnen, das Giambellino
im Auftrag des Dogen Agostino Barbarigo für die
Kirche S. Pietro Martire in Murano malte.
Dass in Venedig noch gar manch anderes Werk dem
Giovanni Bellino zugemuthet wird, ist selbstverständ-
lich, ich glaube jedoch unter den meiner Ansicht nach
echten Bildern kaum eines in dem obigen Verzeich-
niss ausgelassen zu haben.
Was es mit dem Madonnenbildchen des Giovanni
Bellini in der Borghese- Galerie auf sich hat, darüber
habe ich mich bereits bei der Besprechung der Bilder
jener Sammlung ausgesprochen. Auch in der Capitoli-
nischen Bildersammlung werden mehrere Gemälde, nicht
weniger denn fünf, dem grossen Meister zugemuthet.
Die Venetianer: Niccolo Rondinelli. 345
Die zwei Figuren von Heiligen dort, Nr. 79 und 87,
gehören jedoch, wie wir gesehen, dem Garofolo an; das
hübsche Mädchenporträt (Nr. 207) ist, täusche ich mich
nicht, die Arbeit des Amico Aspertini (f), eines
Schülers des Ercole Roberti von FeF*rara, und die an-
dern zwei Bildnisse (Nr. 129 und 132) scheinen mir
ebenfalls nicht von der Meisterhand des Giambellino
zu stammen. Zu einem ähnlichen Resultat wird uns
auch die Betrachtung zweier in dieser Doria- Galerie
dem Giovanni Bellini zugeschriebenen Bilder führen.
Das eine davon hängt im zweiten Saal unter Nr. 47,
und hat die „Darstellung im Tempel" zum Gegenstand;
es ist nichts anderes als eine der unzähligen Copien
von dieser Composition mit dem widerlichen Gegen-
stand, denen man sowol in Italien als anderwärts be-
gegnet. Das Originalbild des Giambellino soll sich in
England befinden.^
NICCOLÖ RONDINELLI.
Um das andere sogenannte Bellinibild zu sehen,
müssen wir uns in den Braccio II der Galerie be-
geben; dort hängt es unter der Nr. 3. Das Bild hat
allerdings einen Anflug Bellini'scher Art, obwol ein auch
nur oberflächlich mit den venetianischen Malerschulen
vertrauter Kunstfreund kaum dabei an den grossen
Meister Giovanni selbst denken könnte, stünde nicht
unten auf der Tafel das verführerische schriftlicheDo-
cument, d.h. die Aufschrift: lOANNES • BELLINVS.
Auf demselben ist die Maria dargestellt, welche das
unbedeckte, auf ihrem Schos liegende Christkind an-
betet; der kleine Johannes steht zuschauend dabei. Man
vergleiche nun diese Madonna hier mit den zwei Bil-
dern des Niccolö Rondinelli, eines Schülers und Ge-
* Eine solche Copie, mit dem Namen des Marco BELLI be*
zeichnet, ist in der stadtischen Sammlung von T^^vi.r.v
346 Die Galerie Doria-Panfili.
hülfen des Giambelliiio , im zweiten Saal der Galerie
und mau wird ohne Mühe zu der üeberzeugung kommen,
dass alle diese drei Gemälde von ein und demselben
Meister herrühren. Das eine der zwei letztern Ma-
donnenbilder (Nr. 43) hat überdies die Aufschrift:
NICOLAVS • RONDINELO. Beide Bilder in diesem
zweiten Saal, sowol das mit der Nr. 43, als das andere
mit der Nr. 12, sind übrigens so verdorben, dass man
das Antlitz des Malers kaum noch darin zu erkennen
vermag. Die Hand auf allen diesen Bildern ist noch
immer sehr Bellinisch geformt, die Augenbrauen sind,
wie immer bei Rondinelli, voll und schwarz, die breite
goldene Borde am rothen Kleide der Madonna, sowie
die steifen senkrechten Brustfalten an demselben sind
in dieser seiner spätem Manier, ebenfalls bezeich-
nend für ihn. Wie wir nun in dieser Doria-Galerie
•ein Gemälde des Rondinelli mit der gefälschten Auf-
schrift des Giambellino gefunden haben, so könnte ich
noch andere Bilder angeben, welche, von Schülern oder
Nachahmern ausgeführt, die Namensaufschrift ihres
grossen Meisters haben. So befindet sich in der Louvre-
Galerie, unter Nr. 61, ein anderes Madonnenbild des
N. Rondinelli mit den Heiligen Petrus und Sebastia-
nus mit der gefälschten Namensbezeichnung des Gio-
vanni Bellini ; auch das sogenannte Selbstporträt, Nr. 354,
in den Uffizien, hat eine falsche Aufschrift; das andere
männliche Porträt in der Capitolinischen Galerie eben-
falls, und auch das Madonnenbild in der städtischen
Bildersammlung in Padua, Nr. 1273, gehört in diesen
Zusammenhang. Francesco Bissolo, ein anderer
Schiller und Nachahmer des Bellini, versah desgleichen
manches seiner Madonnenbilder mit der gefälschten
Aufschrift seines Meisters. Auf seinen Cartellini ist
jedoch der Name des Giambellino nicht wie auf jenen
des Rondinelli mit lateinischen Buchstaben, sondern
stets in Cursivschrift gezeichnet, Joannes bellinus^ wie
Die Venetianer : Niocolo RondinellL 347
2. B. auf dem Madonnenbildchen der Borghese-Galerie,
auf dem Bilde vom Jahre 1515 mit dem nackten Weibe,
das sich das Haar ordnet, Nr. 60, in der Belvedere-
Galerie in Wien und anderwärts mehr.
Wir dürfen daher annehmen, dass solche Fälschungen
wol erst nach dem Tode des Meisters Bellini stattfanden
und dass sie in der Absicht gemacht wurden, die eigene
Waare leichter und theurer an den Mann zu bringen.
Ich will hier nur an die mit dem Dürer-Zeichen bezeich-
neten Copien des Marcanton erinnern. Mehrere nor-
dische Kunstgelehrte, auf den hartnäckigen Widerstand
sich stützend, den solche gefälschte Aufschriften den
Reagentien entgegensetzen, möchten gern sich und an-
dern glauben machen, dass dieselben vom Meister
selbst auf die Bilder der Schüler und Gehülfen ge-
setzt worden seien! Wem Selbsttäuschung Freude
macht, dem will ich sie auch von Herzen gönnen. Was
wäre das Leben ohne sie? Auch schadet es am Ende
gar nichts, dass dergleichen Betrügereien von den Dilet-
tanten, denen ja ein falsches Kunstwerk denselben Spass
macht wie das echte, für baare Münze angenommen
werden. Im entgegengesetzten Falle wäre ja den Gau-
nern, die ja auch leben wollen, Thür und Thor zu ihrem
Handwerk fiir immer verschlossen.
Ein dem Doria-Bild, Nr. 3, ganz ähnliches Madonnen-
bildchen des Niccolö Rondinelli besitzt auch Senator
Giovanni Barraceo in Rom; ein anderes aus derselben
Wirkungszeit des Meisters kam aus dem Hause Buri
in Verona in die Sanunluiig des verstorbenen Fürsten
Giovanelli in Venedig. Andere Werke aus dieser Spät-
zeit des Rondinelli trifft man in Ravenna, sowol bei
Privaten als in den Kirchen an, wie z. B. das grosse
Altarblatt in der Kirche von S. Croce und den heiligen
Sebastianus im Dom von Forli. Die Brera-Galerie be-
sitzt hingegen ein sehr tüchtiges Werk aus der Früh-
zeit unsers Meisters, Nr. 177. Auf demselben sieht man
348 Die Galerie Doria-Panfili.
den heiligen Johannes, welcher in einem Tempel der
vor ihm knienden Galla Placidia erscheint. Ausser
diesem hat die Brera, nach meiner Ansicht, noch eine
zweite Altartafel des Rondinelli aufzuweisen; dieselbe
trägt die Nr. 176 und stellt die thronende Madonna mit
dem Christkind vor, im Beisein der Heiligen Nikolaus,
Augustinus, Petrus und Bartholomeus, nebst drei musi-
cirenden Engelknaben. Der Brera-Katalog schreibt das
Bild dem Baldassare Carrari aus Forli zu^; vom ver-
storbenen O. Mündler (a. a. O., S. 9) wurde es dagegen
dem Parmensen Cristoforo Caselli gegeben. Weder das
Jahr der Geburt noch das des Todes dieses Meisters
sind bekannt. Rondinelli gehört zu jener Schar von
Künstlern, welche, wie Cima da Conegliano, Cristoforo
Caselli, Jacopo da Montagnana, Lattanzio da Rimini,
Pier Maria Pennacchi, Francesco Bissolo u. a. m., in
den letzten zwei Decennien des 15. Jahrhunderts in der
Werkstätte des Giambellino arbeiteten. Aus der Schule
des Rondinelli gingen dann die Brüder Francesco und
Bernardino Zaganelli aus Cotignola hervor, Girolamo
Marchesi, ebenfalls aus Cotignola, sowie auch der
Ravennate Luca Longhi. Dass Rondinelli, wie Di-
rector W. Bode meint (II, 643), von Marco Palmezzano,
dem Schüler und Gehülfen des Melozzo von Forli, be-
einflusst worden sei, scheint mir kaum der Wahrheit
zu entsprechen. Ich halte dafür, dass das Gegentheil
wahrscheinlicher sei und dass wol eher der schwächere
Palmezzano gar manches von Rondinelli angenommen
haben dürfte.
Mit Ausnahme eines einzigen, durch Uebermalung
^ Schon Pater Lanzi gibt dieses Bild dem Baldassare Carrari
(IV, 35), allein es freut mich, dass ich in der Beurtheilung dieses
Gemäldes mit der Ansicht der Herren Crowe und Cavalcaselle
(I, 594, 2) übereinstimme, die schon vor mir dieses Bild dem N.
Rondinelli vindicirt haben.
Die Venetianer: Niccolo Rondinelli. 349
ganz und gar verunstalteten Madonnenbildes beim
Fürsten Torlonia ^, ist mir in Rom kein einziges Werk
des Giovanni Bellini zu Gesicht gekommen. Dagegen
besitzt das Museum von Neapel in der „Verklärung
Christi" ein kostbares Bild aus der Friihzeit des Mei-
sters. Dasselbe kam mit der farnesischen Erbschaft
von Parma dahin.
Vasari wurde von seinem venetianischen Bericht-
erstatter nicht nur sehr unvollständig, sondern auch un-
richtig über die Malerfamilie der Bellini berichtet. So
zählt er z. B. das Porträt der Catarina Cornaro, Königin
von Cypern, und die Darstellungen der Wunder des
heiligen Kreuzes zu den Werken aus der Frühzeit des
Vaters Ja CO po Bellini, während jene Bilder der spä-
tem Wirkungszeit des Sohnes Gentile angehören.^ Der
A retiner schreibt ferner die Werke des Gentile da Fab-
briano und des Pisanello im Dogenpalast den Brüdern
Bellini zu, während diese letztern mit Alvise Vivarini
im Jahre 1474 beauftragt wurden, dieselben blos zu
restauriren.
Vasari lässt ferner, auf die Einladung des Sultans
hin einen guten Maler von Venedig geschickt zu er-
halten, statt Giovanni Bellini, der seines „hohen Alters
wegen, schwerlich die Keisestrapazen von Venedig nach
Konstantinopel ohne Gefahr für seine Gesundheit er-
tragen hätte", den Gentile dahingehen. Nun war dieser
letztere um einige Jahre älter als Giovanni, welcher
übrigens 1479, als jene Reise stattfand, die fünfziger
* Da8 unbedeckte Christkind steht auf einem Gesims vor
der Madonna ; an den Seiten die Apostel Petrus und Paulus, be-
zeichnet : ,
JOANNES. BELLiNVS.
* Das iiiiiiniNH der bereits alternden Catamia Cornaro be-
findet sich in der Esterhazy* Galerie zu Budapest; die Bilder mit
den Wundem des heiligen Krauses aus dem letzten Decennium
des 15. Jahrhunderts sind in der venetianischen Akademie.
350 Die Galerie Doria-Panfili.
Jahre kaum überschritten hatte. Es ist dies, scheint
mir, ein klarer Beweis dafür, dass in der Mitte des
16. Jahrhunderts selbst bei den Venetianern das An-
denken an die Familie Bellini bereits im Erlöschen war.
Alles in allem ist in meinen Augen Giambellino im
15. Jahrhundert der grösste Künstler Oberitaliens. Vittor
Pisano war zwar für seine Zeit, d. h. in der ersten
Hälfte jenes Jahrhunderts, in gewisser Beziehung ebenso
bahnbrechend, wie jener in der zweiten es war; man
sehe sich sein ganz vorzügliches Wandgemälde in S.
Anastasia in Verona an, den heil. Georg vor dem Sieg
über den Drachen vorstellend; man betrachte ferner seine
höchst interessanten Federzeichnungen, welche, unter
vielen andern der alten veronesischen Schule, sich im
sogenannten Vallardi-Buch im Louvre befinden; seiner
herrlichen Medaillen ganz zu geschweigen.
Andrea Mantegna ist allerdings energischer, im-
ponirender, gelehrter als Giambellino, auch führt er den
Moment des Geschehens mit grösserer Evidenz und rea-
listischer Wahrheit uns vor die Augen. Während je-
doch sowol Pisanello als Mantegna eine gewisse Ein-
förmigkeit in Auffassung und Darstellung an den Tag
legen, entfaltet dagegen Giovanni Bellini als Künstler
die grösste Mannichfaltigkeit. Seine künstlerische Er-
ziehung verdankten sowol Giovanni als sein älterer
Bruder Gentile vor allen andern ihrem Vater Gia-
como, dessen ganze Bedeutung als Künstler uns erst
aus seinem kürzlich von der Direction der Louvre-
Galerie erworbenen Zeichnungsbuche vor die Augen
tritt. In jenen mannichfaltigen Federzeichnungen er-
scheint Giacomo Bellini als einer der bedeutendsten
venetianischen Künstler aus der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts. ^
* Seine Wandgemälde, deren Giaoomo Bellini gewiss meh-
rere ausgeführt haben muss, sind, soviel mir bekannt ist, alle
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli. 351
Von seinen zwanziger Jahren an, also etwa um
1450, bis zu seinen letzten uns bekannten Werken von
1513 und 1514 (S. Giovanni Grisostomo in Venedig
und dem Bachanal beim Herzog von Northumberland)
ist Giambellino in stetem Wachsen, in einer nie inne-
haltenden Evolution begriffen, und zwar so, dass Dürer
ganz recht hatte, als er im Jahre 1506 denselben fiir
den y,besten" Maler in Venedig erklärte.
Giambellino ist grossartig und ernst, anmuthig und
liebreich, naiv und einfach, und dies stets am rechten
Platze und wenn es der Gegenstand erheischt. Seine
Frauen und Kinder, seine Greise und Jünglinge sind nie
dieselben und haben nur selten den gleichen Typus oder
Ausdruck. Manchmal ist er sogar phantastisch wie sein
eminenter Schüler Giorgione; so z. B. in jenem herr-
lichen allegorischen Bildchen in den Uffizien (Nr. 631).
Dies alles sei jedoch bemerkt, ohne damit den grossen
Verdiensten des gewaltigen Mantegna den geringsten
Abbruch thun zu w^ollen; gehöre ich doch wahrlich
nicht zu jenen Kritikern, die in einer ausserordentlichen
Individualität alle Eigenschaften suchen und verlangen.
Ja, ich glaube sogar, dass gewisse Geistes- und Ge-
müthsgaben geradezu andere ausschliessen, und dass so-
entweder 2u Grunde gegangen oder vielleicht anoh nnr über-
tüncht worden. Von seinen Tafelbildern kann ioh nur den stark
übermalten Christus am Kreuz in der Pinakothek von Verona,
Nr. .344, das noch schlimmer restaurirte Madonnenbild, Nr. 443,
in der Akademie von Venedig, und endlich das ebenfalls rettau-
rirte Madonnenbild in der Galerie Tadini in Lovere in der Pro-
vinz von Bergamo anführen. Bilder, die an seine Art und Weise
lebhaft erinnern, sind nach meiner Ansicht die dem Fra b.
Angelico zugeschriebene „Verkündigung" in der Kiroh« von S.
AleaMUüdro in Bresoi» ond dM Madonnenbild, Hr. 160, in der
•iidtiaoken Bildersammlung von Bergano (Abiktihng Looki»),
dort dem Gentile da Fabriano lugeibeilt. (Sitk* Wkn aaden
Werke des Giacomo Bei Lisi die Mittheil«ng«n des Prof. Mol>
menti im ^rcAirto storico vmuto, 1888).
352 Die Galerie Doria-Panfili.
mit Mantegna sowol wie Michelangelo nicht jene Höhe
in ihrer Art erreicht hätten, wenn an ihrer Wiege die
Grazien gestanden haben würden. Um meine Gedanken
verständlicher zu machen, möchte ich sagen : besässe Bis-
marck alle jene Eigenschaften, die mancher seiner Wider-
sacher an ihm vermisst, so wäre schwerlich die Ein-
heit Deutschlands eine Wahrheit geworden.
Zu den allerfrühesten Werken, die ich von unserm
Meister kenne, rechne ich das höchst interessante Bild-
chen in der englischen National Gallery mit dem stehen-
den Christus, der das Kreuz mit dem linken Arme hält,
während rechts ein Engelknabe auf dem Knie in einer
Schale das aus der Brustwunde Christi spritzende Blut
auffängt; den Hintergrund bildet eine reiche Hügel-
landschaft mit zahlreichen Gebäuden und mit einer in
der Art des Gentile da Fabbriano beleuchteten Hügel-
kette. Bald nach diesem Bilde dürfte er die „Kreuzi-
gung" mit der Maria und dem Johannes im Museo
Correr^ gemalt haben.
In der Epoche, in der die Kunst vornehmlich den
Charakter darzustellen bemüht war, ist Giambellino,
nach Mantegna, der grösste Charakterzeichner in Ober-
italien; später, als zur Hauptaufgabe der Kunst die Dar-
stellung der menschlichen Seelenregungen gehörte, steht
er keinem andern nach in der Versinnlichung der Mutter-
liebe, der Frömmigkeit, des naiven kindlichen Frohsinns,
sowie der religiösen Demuth bei den heiligen Frauen,
eines gotterfüllten Ernstes bei den Männern. Drama-
tisch ist Bellini zwar nie, seine Heiligen sind jedoch
alle voll Lebenskraft, Energie und Würde. ^
1 Saal IX, Nr. 46.
^ Der verstorbene venetianische Archivar Cecchetti veröflfent-
lichte im Archivio veneto (XXXIV, 204) ein merkwürdiges Do-
cument, aus dem erhellt, dass Maria, die Witwe des Giambellino,
im Jahre 1554, also 38 Jahre nach dem Tode ihres 88jährigen
Gatten, ihr Testament gemacht hat.
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli.
353
Während nun einerseits gar manches von seinen Schü-
lern und Nachahmern ausgeführte Bild dem Meister selbst
zugewiesen wird, so werden andererseits noch heutzu-
tage, und dies selbst von berühmten Kunstgelehrten,
viele seiner Jugendwerke bald dem Mantegna oder dem
Ercole di Roberto, und dies noch im besten Fall, bald
aber auch viel geringern Meistern, wie F. Maria Pen-
nacchi, Zaganelli, Rondinelli, Lattanzio da Rimini, in
jüngster Zeit sogar dem Basaiti u. s. f. zugemuthet.'
Um den Unterschied der Werke des Giambellino
von denen des Mantegna, mit dem er in einer gewissen
Epoche seines Wirkens (1460—1480) am meisten ver-
wechselt wird, meinen jungen Freunden zu erleichtern,
will ich hier für Anfänger in der Kunstwissenschaft,
unserer Methode gemäss, einige materielle, jedem Auge
erkennbare Zeichen anführen, wie dieselben während
meiner Studien in Venedig mir eben in die Augen ge-
fallen sind. Wie gesagt, diese Fingerzeige sind nur
Neulingen gewidmet, wäre es doch lächerlich von mir,
dergleichen ABC-Uebungen dem grossen gebildeten
* Ich hatte schon bei Besprechung des Madonnenbildohens
in der Borghese-Galerie Gelegenheit, meine Leser auf die That-
Sache aufmerksam zu machen, dass erstens die Gartellini des
Giambellino in Cursivschrifl insgesammt gefälscht sind, und
zweitens, dass auf den echten, von ihm selbst auf seine Bilder
gesetzten Aufschriften das eine der zwei L stets höher als das
andere gebildet ist. In den aufgefrischten echten Gartellini
ist übrigens nicht selten durch den Restaurator das höhere L
verkürzt worden, sodass beide L schulgerecht dieselbe Höhe haben.
Facsimile eines echten Gartellino:
LsRMOLiBrr.
S8
354 I^ie Galerie Doria-Panfili.
Kunstpublikum des civilisirten Europa zu bieten. Hand-
und Ohrform also sind bei beiden Meistern sehr ver-
schieden. Während bei Giambellino das Ohr rundlich
und fleischig erscheint, ist es bei Mantegna länglich
und sehr knorpelig gebildet; die Hand und die Finger
dagegen sind bei Mantegna fleischiger und kürzer, bei
Giambellino (in seiner Frühzeit) knochiger, mehr zu-
gespitzt und mit stark accentuirten Gelenken versehen.
Auch ist die Hand bei Bellini fast immer allzu gross.
Der landschaftliche Hintergrund auf den Bildern dieses
letztern stellt bis ungefähr in die ersten Jahre de&
16. Jahrhunderts, wo seine Landschaft realistisch wird,
gewöhnlich eine Ebene vor, mit Gewässer, mit befestig-
ten Orten im Mittelgrund und Gebirgen in der Ferne;
zumeist zieht ein Weg in Schlangenwindung durch Vor-
und Mittelgrund. Ursprünglich waren die Farben dieser
Landschaften ftihlgrün im Vordergrund und dunkelgrün
im Mittelgrund, mit der Zeit jedoch oxydirten diese
Farben, sodass sie gegenwärtig gewöhnlich schwarz,
aussehen.
Mantegna hatte wenig Sinn weder für die Linien
noch für die Farben in der Landschaft. Meistens stellen
seine landschaftlichen Gründe einen befestigten Ort vor^
auf steilem Hügel, zu dem ein gewundener Weg führt ;
zuweilen auch blos zackige Felsen.
Da nun, wie schon bemerkt, die grössere Zahl der
Bilder des Giambellino leider stark übermalt oder ver-
putzt wurde, so sind durch solche Kestaurationen gar
oft gerade die charakteristisch accentuirten Formen des
Meisters nach den Vorschriften der Akademieschule ab-
geschwächt worden und springen deshalb nicht sogleich
in die Augen. Will man daher den Meister in der
Auffassung seiner Formen studiren, so suche man die
Werke aus seiner Jugendzeit auf, welche alle a tempera
gemalt und daher auch weniger entstellt wurden, al&
<liejenigen der spätem Epoche, die alle mit Oelfarbe
Die Venetianer: Niccolö Rondinelli. 355
laßirt waren und somit fast sämmtlich durch den Restau-
rator verputzt worden sind. Diese Bemerkung soll nicht
nur für die Werke des Giambellino gelten, sondern sie
gilt ebenfalls für die aller grossen venetianischen Maler
aus der goldenen Zeit. In den Jugendwerken treten
die Eigenthümlichkeiten des Künstlers, sowol die guten
als die schlimmen, scharf und unverblümt hervor. Wären
die „Pieta" in der Brera- Galerie (Nr. 284) und die
„Transfiguration" im Museum von Neapel nicht mit
dem Namen des Meisters bezeichnet, so würden aller
Wahrscheinlichkeit nach diese Bilder des Giambellino
dem Mantegna zugeschrieben worden sein, wie dies ja
so manch anderm Gemälde des Bellini aus derselben
Wirkungszeit ergangen ist; ich brauche hier nur auf
den „Christus am Oelberg" in der englischen National
Gallery (Nr. 726) und auf das Bild mit demselben
Gegenstand im Museo Correr in Venedig ^ als Beispiele
solcher Verwechselungen hinzuweisen.
Sind nun, wie wir gesehen, die Gemälde Giambel-
lino's noch in verhältnissmässig grosser Anzahl uns er-
halten geblieben, so ist dies keineswegs mit seinen Zeich-
nungen der Fall. Ich kann daher leider meinen Lesern
nur einige wenige derselben anführen.
In dem Sjiale der venetianischen Akademie,
wo die Zeichnungen ausgestellt sind, befinden sich unter
dem Namen des Mantegna eine Federskizze zu einer
„Beweinung Christi" und eine Federzeichnung mit einer
stehenden Apostelfigur, die mir dem Giovanni Bellini an-
zugehören scheinen; auch in der Sammlung des verstor-
benen Grafen Tosi in Brescia findet man eine Feder-
zeichnung Giambollino's zu einer „Grablegung", gleich-
falls unter dem Namen des A. Mantegna. Eine andere
Federzeichnung unsers Meisters mit der „Boweinung
Christi" sieht man im Louvre, Abtheilung Ilis de la
» Saal VU, Nr. 23.
23'
356 Die Galerie Doria-Panfili.
Salle, Nr. 20; in der reichen Sammlung von Zeich-
nungen italienischer Meister in Chatsworth schreibt man
sonderbarerweise eine Federzeichnung des Giambellino
dem Perino del Vaga zu. (f ) Dieselbe stellt vier stehende
Figuren vor.
ANDREA MANTEGNA.
Von Andrea Mantegna, der nach einem neuer-
dings aufgefundenen Document nicht in Padua, wie man
bisher geglaubt hat, sondern in Vicenza das Licht der
Welt erblickte, ist in den öffentlichen Sammlungen Roms
kein einziges Werk zu sehen. Der Katalog der Doria-
Galerie führt allerdings nicht weniger als vier Bilder
an, die man hier dem grossen Paduaner zuschreiben
möchte, wie ich jedoch glaube mit grossem Unrecht.
Sehen wir uns nun in aller Müsse dieselben an.
Eins dieser Bilder hängt hier im zweiten Saal
unter Nr. 55. Auf demselben ist eine der vielen „Ver-
suchungen" oder Plackereien dargestellt, mit denen der
böse Geist die Geduld des frommen Einsiedlers An-
tonius auf die Probe stellen wollte. Der alte weise
Klausner, der an nichts Böses dachte, sieht sich hier
plötzlich vom Teufel und seinen Helfershelfern umringt
und bedroht. Antonius verliert jedoch keineswegs seine
Fassung, sondern durchschaut sogleich die Tücken des
Erbfeindes und blickt ihm daher unverzagt, ja sieges-
bewusst ins Fratzengesicht. Ist er hier in seiner be-
drohlichen Lage nicht etwa dem scharfblickenden und
sachkundigen Kunstforscher vergleichbar, der mit Sicher-
heit den Fallen zu entgehen weiss, welche Gauner
und Betrüger auf allen Wegen und Stegen ihm, sei es
mit den falschen Cartellinos sei es mit vlämischen Co-
pien, zu legen trachten?
Zwei andere Bilder, die demselben Meister ange-
hören, wie das soeben besprochene, befinden sich im
Braccio III, unter den Nrn. 8 und 17. Auf dem einen
Die Venetianer: Andrea Mantegna. 357
derselben sehen wir den heiligen Lodovicus aus Tou-
louse, den Armen Almosen spendend; auf dem an-
dern begegnen wir wieder iinserm unverzagten Ein-
siedler Antonius, von seinem unermüdlichen Erbfeind,
dem Teufel, diesmal unter der Gestalt eines Raubers,
angefallen und bedroht. Allein auch in diesem Falle
weiss der weise Antonius sich glücklich aus der Schlinge
zu ziehen.
Die drei höchst charakteristischen und geistreichen
Darstellungen werden von den Herren Crowe und Ca-
valcaselle dem Maler Parentino zugeschrieben (I, 359),
in welchem Urtheil es mir unmöglich ist ihnen beizu-
stimmen. Diese drei Bildchen haben in meinen Augen
ein so ausgesprochenes veronesisches Aussehen, dass
Dr. G. Frizzoni mir recht zu haben scheint, in den-
selben sowol die Hand als den Geist eines dem Libe-
rale da Verona sehr nahe stehenden Künstlers zu
vermuthen. (?)
Das vierte Bild endlich, das in dieser Doria-Galerie
demMantegna zugeschrieben wird, findet sich imBraccio I
und stellt den kreuztragenden Christus dar, Nr. 5. Bei
Herrn Lombardi in Ferrara sah ich eine Replik dieses
Gemäldes auf feiner Leinwand und, wie mir schien, von
demselben Meister ausgeführt. Täusche ich mich nicht,
so rühren diese beiden Bilder von der Hand eines
vlämischen Meisters her (f), der dabei wahrschein-
lich sich an ein italienisches Original gehalten haben
dürfte. >
Die in der vaticanischen Sammlung dem Mantegna
zugeschriebene „Deposizione" gehört auf keinen Fall
diesem Meister an, sondern ist wahrscheinlich eine von
Gioyanni Bonconsigli (+) aus Vicenza angefertigte
* Die Herren Crowe und Cavaloaaelle sehen dagegen in diesem
Bilde die vom Palmezsano da Forli beeinflosste Hand des Bon-
signori (I, 478, 4).
358 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Copie nach einem verschollenen Bild seines Vorbildes
Bartolommeo Montagna.
Buonconsigli, von dem in seiner Vaterstadt mehrere
Werke zu sehen sind, wird auch in der Louvre-Zeich-
nung zu einer stehenden Christusfigur (Br. Nr. 409)
mit Mantegna verwechselt, obgleich er als Schüler des
Giambellino und als Nachahmer des Bartolommeo Mon-
tagna zu betrachten ist. Werke von diesem Vicentiner
befinden sich auch in Venedig in der Kirche S. Gia-
como dairOrio (die Heiligen Sebastianus, Lauren-
tius und Rochus); in jener von S. Spirito (Christus
zwischen den Heiligen Erasmus und Secundus) ; in der
Akademie: die Madonna zwischen den Heiligen Cos-
mas und Damianus; in der Sammlung von Sir Henry
Layard, ein Johannes der Täufer.
Dass Giovanni Bonconsigli im Jahre 1539 schon
längst nicht mehr unter den Lebenden weilte, geht aus
einem von dem jüngst verstorbenen Archivar Cecchetti
im Archivio veneto (XXXIV, S. 205) veröfi*entlichten
Document hervor.^
Allein nicht nur mit Giambellino und dessen Schüler
Bonconsigli wird Andrea Mantegna sehr oft von den
Dilettanten verwechselt, manchmal werden ihm sogar
Zeichnungen des Luca Signorelli zugeschrieben, wie
z. B. in dem berühmten Stich des Marcanton (f): Mars,
Venus und Amor (Bartsch, 345).^
Aus Mantegna's Mittelzeit besitzt die Uffizien-Galerie
^ „7o Vitruvio de honconsejo depentor q. miser Zuane de
Vicenza habüante qui in Venetia in contrada de S. S. ApostoU
in casa propria, 1539.
^ „Cette helle estampe, gravee d^ apres un dessin du Man-
tegna, porte la date de 1508"- sagt Passavant {„Peintre-Graveur^^
VI, 25). Schon die steife, eckige Bewegung der Venus, die Form
ihrer Hände, sowie die des Mars , die Kopftypen u. s. w., lassen
selbst im Stiche den Geist und die Ausdruoksweise des Luca
Signorelli leicht erkennen.
Die Venetianer: Andrea Mantegna. 359
zwei köstliche Bilder unter den Nrn. 1025 und 1111.
Das eine stellt die in einer Felsenlandschaft mit dem
Christkinde sitzende Madonna vor, das andere Bild ist
«in Triptychon, in der Mitte mit „Anbetung der
Konige" und auf den Seiten „Auferstehung" und
„Vorstellung im Tempel". Unter den Staffeleibil-
dern des Mantegna dürfte wol dieses Triptychon eins
der allervorzüglichsten sein. Das sehr verdorbene weib-
liche Bildniss, Nr. 1121, welches der Katalog jener
Galerie ebenfalls dem Paduaner zuschreibt, gehört da-
gegen ihm sicher nicht an, sondern möchte eher vom
Veronesen Giovanni Francesco Carotto her-
rühren.* (f)
Wer jedoch den vollen Werth dieses wahrhaft grossen
Künstlers erkennen und bemessen will, der muss ihn
in seinen Wandgemälden in den Eremitani in Padua^
und ganz besonders in denen der sogenannten Camera
degli sposi im herzoglichen Schlosse von Mantua be-
trachten.' Da sieht man den ganzen Mann in seiner
vollen Kraft!
Auch die Brera-Galerie besitzt drei höchst interes-
sante Werke des Mantegna, darunter insbesondere das
Triptychon mit dem heiligen Lucas, aus dem Jahre 1452.
Der obere Theil des mit grosser Sorgfalt und Liebe bis
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle schreiben dagegen jenes
Portrat, das sie für das der Isabella d'Este (I) halten, dem
Francesco Bonsignori, also doch auch einem Veronesen,
zu (I, 479). Man vergleiche dieses Frauenportrftt mit der herr-
lichen Zeichnung des Lionardo da Vinci im Louvre (Braun 162),
welche das Profilporträt der Isabella darstellt.
* Eins dieser Gemälde hat eine sinnlose „Reparation^* last
ganz zu Grunde gerichtet.
' Auch diese im Jahre 1474 bereits fast vollendeten Wand-
gemälde wurden im Jahre 1876 und 1877, unter der Direotion
des Herrn Generalinspectors Cavalcaselle , durch eine schmach-
volle „Restauration" vielfach verdorben, besonders die „Familie
Gonzaga** auf der grossen Wand.
360 Die Galerie Doria-Panfili.
ins feinste Detail ausgeführten Bildes muss, wie ich
glaube, um mehrere Monate früher als der untere Theil
entstanden sein. Kein Flamländer iibertrifft im Rea-
lismus den Mantegna in diesem seinem Jugendwerke
vom Jahre 1452!
Verona besitzt ebenfalls im Triptychon in S. Zeno eins
der besten Werke Mantegna's; ein anderes Madonnen-
bild mit Heiligen sieht man dort noch in der Pinako-
thek, Abtheilung Bernasconi. Ein diesem letztern ähn-
liches Madonnenbild befindet sich in der Galerie von
Turin. Die Akademie von Venedig hat einen köst-
lichen kleinen heiligen Georg; die Herren Scarpa in la
Motta (bei Treviso) einen überlebensgrossen unschönen
heiligen Sebastianus; die städtische Sammlung von Ber-
gamo ein überaus herrliches Madonnenbildchen i, und
zwei andere Werke des Mantegna befinden sich auch,
noch in Mailand. Das eine davon ist ein grosses Altar-
bild (aus dem Jahre 1497) im fürstlichen Palast Tri-
vulzio, das andere, ein kleines Madonnenbild, in der
Sammlung Poldi-Pezzoli. Diese vier letztern Bilder
sind auf Leinwand gemalt und gehören in das letzte
Decennium des 15. Jahrhunderts.
ANTONIO VIVARINI.
Sind wir nun in den öffentlichen Sammlungen der
Ewigen Stadt keinem einzigen echten Werk des grossen
Paduaners begegnet, so finden wir dafür sowol in der
Bildersammlung des Lateran, wie auch in der des Va-
tican einige gute Werke zweier venetianischen Zeit-
^ Das Porträt des Vespasiano Gonzaga in jener Galerie, da»
Director W. Bode (II, 618) seinen Lesern als von der Hand des
Mantegna präsentirt, ist meiner Ansicht nach ein vorzügliches
Werk des Veronesen F. Bonsignori. Die Zeichnung mit schwar-
zer Kohle zu diesem Porträt befindet sich im Kupferstichcabinet
unter Nr. 1702 der Uffizien-Sammlung (Venetianische Schule), (f)
Die Venetianer: Carlo Crivelli. 361
genossen des Mantegna: eins von Antonio Vivarini
ausMurano und zwei von Carlo Crivelli. Das erstere
ist ein Polytychon und hat in der Mitte die in Holz^
geschnitzte Figur des heiligen Antonius, an den Seiten
die Heiligen Christophorus, Sebastianus, Venantius und
Yitus, und darüber in Halbfiguren Gottvater und die
Heiligen Petrus und Paulus, Augustinus und einen from-
men Bischof; bezeichnet 1464: Antonius DE MVRÄO
(Murano) Pinxit. Es ist somit ein Werk aus der Spät-
zeit des Meisters. Um diesen alten Venetianer jedoch
kennen zu lernen, muss man ihn in der Marca d'An-
cona, z. B. in der Pfarrkirche von Pausola (Sakristei)^
vor allem aber in Venedig selbst aufsuchen: in der dor-
tigen Akademie, in den Kirchen von S. Zaccaria, von
S. Pantaleone, in S. Francesco della Vigna (Sakristei).
Die Bildersammlungen von Bologna, von Bergamo, der
Brera in Mailand besitzen ebenfalls einzelne Werke
von ihm. Das bischöfliche Seminarium in Brescia hat
ein Tafelbild mit der heiligen Ursula und ihren Ge-
fährtinnen, welches dort zwar, schon seit der Zeit des
Carlo Kidolfi, dem Lombarden V. Foppa zugeschrieben
wird, das mir jedoch ein untrügliches Werk unsers An-
tonio Vivarini zu sein scheint.* (f) Aleiner Ansicht nach
verdankt Antonio seine künstlerische Ausbildung haupt-
sächlich dem Gentile da Fabbriano und dem Pisanello
oder, wenn man lieber will, dem von diesem letztern
beeinflussten Giambono.
CARLO CRIVELLI.
Von Carlo Crivelli sind zwei Bilder im Lateran'
und eine ^Pietk^' im Vatican. Carlo und sein jüngerer
* Auch der verstorbene Passavant gab, in seinem lebr ober-
flächlichen Aufsatz über die lombardischen Maler im „Kunst-
blatt", diese« Werk dem Vincenzo Foppa.
' Das eine dieser Bilder ist ein Polyptychon, das aus fünf
Abtheilungen besteht In der einen sieht man die Madonna mit
362 I>i« Galerie Doria-Panfili.
Bruder (?) Vittore wirkten fast ihr ganzes Leben lang
in der Marca d'Ancona und brachten dort den grössten
Theil dieser Zeit im Ascolanischen zu. Auch befanden
sich ehedem in jenen Gegenden fast alle die hellglän-
zenden Tafelbilder des Carlo, von denen er viele mit
Beihülfe des Vittore ausführte. Obwol die bessern jener
Altarwerke theils nach Mailand, theils nach Rom, theils
nach London in die National Gallery gebracht wurden,
so verblieben doch noch immer mehrere derselben an
verschiedenen Orten der Marca d'Ancona; ein kleines
in Ancona selbst, ein Jugendwerk (1468) in Massa;
ein anderes in Penna di S. Martino; ein anderes in As-
coli und anderwärts noch. Das in geschichtlicher Be-
ziehung interessanteste Madonnenbild des Carlo Cri-
velli befindet sich jedoch in der Pinakothek von Verona.
Aus diesem Bildchen glauben die Herren Crowe und
Cavalcaselle schliessen zu dürfen, Carlo Crivelli habe
seine Lehrjahre unter den muraneser Malern Antonio
und Bartolommeo Vivarini (I, 82) durchgemacht. Dieser
Ansicht seiner Gewährsmänner schliesst sich auch Di-
rector W. Bode (II, 630) an, indem er überdies auch
noch den Einfluss des Niccolö da Foligno und selbst
den des Luca Signorelli in den Werken Carlo's ge-
wahren will. Ich kann auch diesmal, mit dem besten
Willen, den Ansichten des berliner Kunstgelehrten nicht
beistimmen. Ich meinerseits halte dafür, dass in dem
Madonnenbild der Pinakothek von Verona die Jugend-
erziehung Crivelli's hauptsächlich auf die Schule des
dem Christkind, das einen Distelfinken an einer Schnur festhält,
unter ihr ein andächtiger Mann; in den andern vier Abtheilungen
sind vier Heilige dargestellt. Sehr energisch in der Zeichnung.
Bezeichnet: 1481, VLTIMA IVLII.
Das andere ist aus dem Jahre 1482 datirt und stellt die
thronende Madonna mit dem Jesuskinde dar, das einen Apfel in
seiner Rechten hält; [am Fusse des Throns sieht man einen an-
dächtigen Franciscanermönch.
MAOOinmCBI LD AUS DBB rBOHKBIT OBS CABLO CBIVBLLI
tv nrn itTkVTtaCBMK OALBEIB VOH VBBOlfA.
Die Yenetianer: Cima da Conegliano. 363
Squarcione in Padua sich zurückführen lasse, glaubt
mau doch beim ersten Anblick jenes Bildes ein Werk
des Gregorio Schiavone, eines unbestrittenen Schülers
und Nachahmers des Squarcione, vor sich zu haben!
Die Engelkinder darauf sind ja ganz und gar dieselben,
wie wir sie auf den Bildern des Schiavone gedacht und
geformt antreffen! Dass später auch die Maler von
Murano auf Crivelli einigen £influss ausgeübt haben
mögen, will ich übrigens durchaus nicht bestreiten. Ein-
flüsse des Niccolö Alunno und gar die des Luca Signo-
relli in den Bildern Crivelli's zu sehen, muss ich aber
wieder als den Ausfluss einer ungeregelten hochnordi-
schen Phantasie betrachten. Von Carlo Crivelli stammt
auch Pietro Alemanni her, von dem in Ascoli
manches unbedeutende Werk zu sehen ist. Auch der
jüngere Lorenzo da Sanseverino, von dem die
National Gallery ein gutes Werk besitzt, dürfte Ein-
flüsse von Carlo Crivelli empfangen haben.
Kehren wir jedoch jetzt wieder zu den Schülern des
Giovanni Bellini zurück, von denen diese Doria-Galerie
mehrere ganz vorzügliche Werke uns darbietet. Dar-
unter zähle ich freilich weder das Bild mit der Nr. 95
in diesem zweiten Saal, noch jenes ohne Nummer im
Cabinet, am Ende des Braccio III.
CIMA DA CONEGLIANO.
Das erstere dieser zwei Bilder, mit Nr. 95, stellt
die Madonna mit dem Christkinde auf dem Arme dar
und ist nichts anderes als eine der vielen Copien nach
einem Bilde des Cima da Conegliano, denen man in
den Sammlungen Italiens begegnet.
Von diesem zwar etwas einförmigen, allein stets ge-
wissenhaften, ernsten und in manchem seiner Werke
selbst grossartigen Schüler und Ateliergenossen Giam-
bellino's finden sich weder in Mittel- noch in Süditalien
echte Werke vor. Die Uffizien-Galerie hat allerdings
364 Die Galerie Doria-Panfili.
in neuerer Zeit im ersten Saal der Venetianer ein Ma-
donnenbildchen unter dem Namen des Cima ausgestellt^
allein dasselbe ist, meiner Ansicht nach, nur das Werk
eines Nachahmers des Meisters von Conegliano, wahr-
scheinlich jenes Pietro da Messina, dem es ja so oft
gelingt, in seinen Nachbildungen hier für Antonello,
dort für Giambellino (Scalzi, in Venedig), anderwärts
wieder für Jacopo da Valenza (Pinakothek von Padua,
Nr. 181 und Nr. 23) genommen zu werden, (f)
Die Werke des Cima müssen aufgesucht werden ia
den Sammlungen von Bologna, von Modena, von
Parma (ganz vorzügliche), in der Brera-Galerie
(auf den Nrn. 191 [vielleicht sein grossartigstes Bild]^
300, 286, 289 und 302), in Vicenza (das älteste von
ihm bezeichnete Werk, 1489), in Conegliano, und
dann vor allem in den Kirchen Venedigs: S. Giovanni
in Bragora, S. Maria delP Orto, Carmine, und in der
Akademie daselbst. Auch die kleine Dorfkirche des
Bergdörfchens Olera bei Bergamo besitzt ein vorzüg-
liches Polyptychon aus der Frühzeit des Meisters.
Als Nachahmer des Cima erweisen sich Sebastiano
Luciani (siehe dessen „Pietä" aus seiner Frühzeit
in der Sammlung von Sir Henry Layard in Venedig) ;
Giovan Maria da Carpi, von welchem Herr An-
tonio Piccinelli in Bergamo ein mit dem Namen bezeich-
netes Madonnenbildchen besitzt;
Cristoforo Caselli aus Parma;
Pietro da Messina;
Girolamo da Santa Croce, Akademie von Ve-
nedig, Nr. 256, und städtische Galerie von Bergamo,
Nr. 66 (Abtheilung Lochis), mit der gefälschten Auf-
schrift:
BATT . CIMA . CONELIANENSIS • M. D. XV.
Der unbekannte Meister, der in der Dorfkirche
von Sanfiore (bei Conegliano) die gute Altartafel da-
selbst malte, und andere Zeitgenossen mehr.
Die Venetianer: Boccaccio Bocoaccino. 365
Cima da Conegliano ist gewiss ein ganz vorzüg-
licher, allein kein origineller Meister. Die meisten Typen
seiner Heiligen entnahm er seinem Lehrer Giovanni
Bellini. Auch ist er nicht dramatisch begabt gewesen.
Unter allen seinen Zeitgenossen ist er aber der beste
und sorgfaltigste Zeichner der Bellini'schen Malerschule.
Selbst in den Werken seiner Spätzeit, wie in dem köst-
lichen Bilde der venetianischen Akademie, Tobias mit
-dem Engel, bleibt er ein Quattrocentist im Gegensatz
zu seinem grossen Lehrer Bellini, der noch in seinen
achtziger Jahren immer fortschreitet.
Dieser etwas zu lange Excurs über den Meister von
Oonegliano, zu dem uns das Madonnenbild unter Nr. 95
<ien Anlass gab, Hess uns das andere Bild im letzten
Cabinet der Galerie fast übersehen. Dasselbe stellt die
Madonna mit dem Kinde vor, von den vier Heiligen
Petrus, Johannes dem Täufer, Nikolaus von Bari und
einer Märtyrerin umstanden. Der Katalog schreibt dieses
Werk dem Basaiti zu. Während man also hier im
zweiten Saal dem Basaiti ein Werk des Garofolo (Nr. 18)
zumuthet, gibt man ihm in diesem Madonnenbild im
letzten Cabinet der Galerie eins aus der Werkstätte
4e8 Boccaccio Boccaccino von Cremona. Wie sollte
nun vor diesen zwei Bildern ein Kunsthistoriker, wenn
er nicht zugleich Kunstkenner ist, den Charakter des
Basaiti feststellen? Wahrscheinlich würde er sein Heil
unter dem Deckmantel der Beeinnussungen suchen
müssen.
BOCCACCIO BOCCACCINO.
Auch von diesem lombardisch -venetianischen Mei-
ster Boccaccio Boccaccino trifft man, ausser der schon
besprochenen Zingarella, Nr. 246 im Pitti-Palast, weder
in Sud- noch in Mittelitalien Werke an. In Venedig
dagegen begegnet man ihm unter den verschiedensten
2^amen: in der Kirche S. Giuliano unter dem des
366 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Cordegliaghi; in der Sakristei von S. Stefano; in S.
Pietro Martire in Murano unter dem Namen des
Palma vecchio (jenes Bild ist freilich sehr über-
malt); (f) im Bibliotheksaal des Dogenpalastes unter
dem des Giambellino. (f) In der Akademie daselbst
nennt man ihn bald einen alten Ferraresen (Saal XIV,
Nr. 457), bald Schüler des Lionardo da Vinci (Saal
XIII, Nr. 432), bald Pietro Perugino (Saal VIII, Nr.
265). 1 In seinem Bilde „Christus in Emmaus", im Hause
des Herrn Sergianotto, wird Boccaccino uns sogar als
Lionardo da Vinci vorgestellt. Es erging also diesem
alten Cremonesen ungefähr so wie seinem Landsmann^
dem sogenannten Bartolommeo veneto, der auf einem
seiner Jugendwerke sich auch „Bartolommeo mezzo
cremonese e mezzo veneziano" bezeichnete und dessen
Bilder ebenfalls unter den verschiedensten Namen gehen,
Boccaccio Boccaccino ist übrigens ein ganz anderer,
viel charaktervollerer Meister als jener Protheus von
Bartolommeo veneto. Boccaccino dürfte seine Lehrjahre
theils in Ferrara theils in Venedig durchgemacht haben,
wo er gar manches, ja sein Bestes von der Schule der
Brüder Bellini, von der des Alvise Vivarini und zu-
* An diesem letztem Bilde mag übrigens wol auch sein
Bruder mitgearbeitet haben. Die Herren Crowe und Cavalca-
seile bemerken über dieses höchst mittelmässige Werk (II, 447):
„TFe are reminded in this picture of ihe schools of Lombardy^
and Leonardo, of Umhria and Pinturicchio, yet at ihe same tim&
of those of Ferrara and Ercole Roberti as illustrated hy Pa-
netti, Costa, Timoteo Viti, and the Zaganelli.'-'' j,E se potran con-
tar8i^\ sagt Ariosto, „anco fian pochi!^^ Um die Herren Crowe
und Cavalcaselle richtig zu verstehen, müssen meine Leser wissen,
dass B. Boccaccino in Rom und auch in Ferrara war, und das»
man überdies aus einem andern Documente erfahren hat, dass
er eine Zeit lang sich auch in Mailand aufhielt. An allen diesen
Orten erhielt also Boccaccino jene vielfältigen Eindrücke und
Beulen, die die obengenannten Kunsthistoriker in dieser „Fuss-
Waschung" der venetianischen Akademie bemerkt haben wollen.
Die Venetianer: Boccaccio Boccaccino. 367
letzt auch von Giorgione erhielt. Eines seiner vorzüg-
lichen Bilder besitzt die Akademie von Venedig (Saal 11^
Nr. 55). Die Madonna sitzt mit dem Jesuskinde in
einer reizenden Landschaft, neben ihr die Heiligen
Petrus, Katharina, Rosa und der Täufer, bezeichnet:
Bochazinus.^ Seine Vaterstadt Cremona hat, ausser den
guten Wandgemälden im Dome, von ihm auch eine
Altartafel vom Jahre 1518 aufzuweisen. Ein anderes,
viel vorzüglicheres, farbenglänzendes Werk des Boccac-
cino ist in Mailand bei Herrn Giulio Prinetti; es stellt
den „englischen Gniss" dar. Auch die städtische Bilder-
sammlung von Padua besitzt unter der Nr. 3 ein ech-
tes und treffliches Bild dieses Meisters. Auf demselben
ist die Madonna mit dem Kinde im Beisein der Hei-
ligen S. Lucia und Katharina dargestellt.
Sein Sohn Camillo war auch Maler und unter den
lombardischen Künstlern aus dem 3. Jahrzehnt des 1 6. Jahr-
hunderts gewiss nicht einer der geringsten, wie man sich
in seinem grossen Bilde der Brera-Galerie, Nr. 82, über-
zeugen kann. In diesem Werke gewahrt man deutlich
den starken Einfluss, welchen Giovan Antonio da Por-
denone während seines Aufenthalts in Cremona und in
Piacenza auch auf diesen Lombarden ausgeübt hat.
Wegen seiner Fresken in der Kuppel der Kirche von S.
Sigismondo bei Cremona wurde Camillo von seinen Lands-
leuten und somit auch von Pater Lanzi in den Himmel er-
hohen. Es war dagegen, meiner Ansicht nach, ein Glück
für ihn, dass er in seinem 31. Lebensjahre und bald nach-
Vollendung jener Arbeiten in eine bessere Welt hinüber-
ging! Die Boccaccini- Familie hat mich indessen ver-
leitet, von ihr in diesem Zusammenhange ausftihrlicher zu
handeln, als es hier wol am Platze gewesen wäre.
> Er zeichnet sich bald: Bochazinas, bald Boccaccinus de
Boccacciis. (S. Grasselli» Äbecedario hiografico^ etc. p. 64.) Auch
im Maseo Correr ündet man ein chtrmkteristtsches Bild des Boo-
oaccino (Saal VII, Nr. 22).
368 Die Galerie Doria-Panfili.
Ich wende mich nun zur Besprechung eines andern
venetianischen Meisters. Wenn jenes Madonnenbild im
Cabinet keineswegs, wie wir gesehen haben, dem Ba-
saiti angehört, so ist dagegen in diesem Saal II der
Oalerie das Tafelbild Nr. 96, mit dem heiligen Seba-
stianus, Perugino genannt, ein echtes Werk von diesem
Meister, ich meine den Marco Basaiti, und ihm ward
es zu meiner grossen Genugthuung auch von den Herren
Crowe und Cavalcaselle zuerkannt.
MARCO BASAiTI.
Ueber die Jugenderziehung dieses in manchem
Werke seiner Spätzeit nicht unbedeutenden venetiani-
schen Meisters haben wir leider fast gar keine Kunde.
Vasari hat ihn mit wenig Worten abgefertigt. Er wusste
so wenig von ihm, dass er aus der einen Person zwei
Maler gemacht hat, nämlich einen Basarini und einen
Bassiti (VI, 102); es ist dies ein Zeichen, dass in der
Mitte des 16. Jahrhunderts selbst im Venetianischen
auch dieser Meister schon fast ganz vergessen war.
Dass Marco Basaiti vornehmlich in der Werkstatt
des Alvise Vivarini sich zum Künstler ausbildete, geht
nicht nur aus seinen Bildern selbst, sondern auch aus
dem Umstände hervor, dass er nach dem im Jahre 1503
«rfolgten Tode des Vivarini die von diesem für die
Kirche S. Maria dei Frari begonnene Altartafel zu Ende
führte und folgende Aufschrift darauf setzte i^
i^uod Vivarine tua fatali nece nequisti, Marcus Baxitus
nobile promsit opus.
M. D. III.
^ Die Historiographen Crowe und Cavalcaselle (I, 261—263)
sehen in den Werken Basaiti's das eine mal Einflüsse des Peru-
gino, des Timoteo Viti, des Simon da Cusinghe, des Matteo und
Antonio Cesa, sogar die des Antonio da Tisoio, das andere mal
werden sie an die Vivarini, dann an Previtali und an Giorgione,
ja selbst an Lotto und Solario, ein anderes mal an Cima, an
Carpaccio, an die Bellini und an die Lombarden erinnert.
Die Yenetianer: Marco Basaiti. 369
War mm die Persönlichkeit dieses Meisters seinen
spätem Landes- und Zeitgenossen so wenig bekannt,
und machten selbst die gefeiertsten neuern Historio-
graphen eine Art Chamäleon aus ihm, so darf es uns
nicht wundernehmen, wenn im vorigen Jahrhundert
<ler Verfasser des Katalogs dieser Doria- Galerie den
Basaiti hier mit Garofolo (Saal II, Nr. 18), dort mit
Boccaccino (Cabinet) und endlich sogar mit Pietro
Perugino verwechselte. Ging es ihm doch ander-
wärts nicht besser. In der Uffizien-Galerie nahm man
ja den Basaiti noch in jüngster Zeit, wie wir gesehen,
für Giambellino; in Mailand und in London für Cima
da Conegliano,^ und anderswo sogar für den Vero-
nesen GianfrancescoCarotto. Auch die grosse „Him-
melfahrt Maria" in S. Pietro zu Murano dürfte wol
«her ein von Bissolo, unter der Leitung des Giambel-
lino, ausgeführtes Gemälde sein, als das Werk des Marco
Basaiti, wie Herr Director Bode (II, 641) behauptet, (f )
Dagegen besitzt sein eigenes Museum in Berlin ein gar
köstliches Bildchen unsers Basaiti (Nr. 40 des Meyer'-
schen Katalogs), welches indessen selbst von den Herren
Crowe und Cavalcaselle als Jugendwerk Carotto's be-
Htätigt wurde (I, 482). Plerr Director Julius Meyer
kam jedoch in der zweittn Auflage sein«vs K it'ili.tr^ «],.r
* Auch Herr Director lio.i.' ^i, 641) entging mein (iiescni
■qui pro quo, indem er den kleinen sich kasteienden heiligen
Hieronymus (Nr. 302) der Brera- Galerie als Werk des Basaiti
seinen Lesern vorstellt. Schon die Formen der Hand und des
Ohres sowie auch die für den Cima so charakteristische Land-
Hchaft in jenem Bildchen sagen jedem Kenner der renetianisohen
Meister, dass et das Werk des Malert von Conegliano und keines-
wegs des Basaiti ist. Auch hat es die neue Direction dem erstern
zurückerstattet. Ein ganz ähnliches Bildchen des Cima kam vor
Jahren aus der Sammlung Hamilton ebenfalls unter dem falschen
Namen des Basaiti in die National Oaliery, wo es jedoch von
Sir F. Burton, Director jener Galerie, sogleich als Arbeit des
Cima da Conegliano erkannt wnrde.
l.KBiioi.iBrr. 24
370 J^ie Galerie Doria-Panfili.
Wahrheit insofern näher, als er es aus der Schule von
Verona in dievenetianische des Alvise Vivarini versetzte.
Ich wage aber noch einen Schritt weiter zu gehen und er-
kläre, wie schon bemerkt, jenes ganz vorzügliche Ma-
donnenbildchen mit den zwei musicirenden Engelknaben
für ein untrügliches Werk des Marco Basaiti. (f)
Die Gemälde dieses nicht uninteressanten Meisters
sind in Italien nicht selten; die meisten davon befinden sich,
wie sich erwarten lässt, in Venedig: zwei in der Kirche
von S. Pietro in Castello, ein anderes in der Sakristei der
Salute. Das Museum Correr daselbst besitzt ein mit dem
Namen bezeichnetes Madonnenbild (Saal IX, Nr. 24),
Auch in der Akademie der schönen Kainste begegnen
wir zwei grössern Werken des Meisters aus den Jahren
1510 — 12: die Berufung des Jacobus und des Johannes
zum Apostelamt und das „ Gethsemane ", und überdies
noch andere kleinere Werke. Ausserhalb der Lagunen-
stadt finden wir Bilder des Marco Basaiti in der Com-
munal-Galerie von Padua^; in jener von Verona, in der
Ambrosiana in Mailand (Sala Pecis); in der Sammlung
des Herrn Giovanni Morelli in Mailand, ein männliches,
nicht weibliches Porträt wie Herr Director Bode sagt,
mit der Bezeichnung M. BAXITVS. F. M. D. XXI.
Die breitere Maltechnik auf diesem schönen Bilde er-
innert mehr an Cima da Conegliano und an Giambel-
lino, als an Alvise Vivarini.
Auch die städtische Galerie von Bergamo hat, ausser
einem zwar mit dem Namen des Meisters bezeichneten
allein stark übermalten männlichen Porträt, noch einen
„Ecce homo" vom Jahre 1515 und einen sich ka-
steienden heiligen Hieronymus, bezeichnet: MARCVS
BAXAITI. Dieses letztere übrigens sehr verdorbene
^ Dieses gute Bild aus der spätem Zeit (1515—20) des Meisters
stellt die Jungfrau mit dem Kinde zwischen den Heiligen Petrus
und Liberalis und drei Engeln dar; es ist bezeichnet: MARCHVS.
BAXAITI, und führt die Nr. 139.
Die Venetianer: Girolamo Romanino. 371
Gemälde erinnert an Cima da Conegliano. Ausserdem
finden wir dort auch noch im Hause Agliardi ein Ma-
donnenbild, bezeichnet MARCVS. BAXAITI, und bei
Herrn Antonio Piccinelli einen andern stark übermalten
sich kasteienden heiligen Hieronymus, ebenfalls mit dem
Namen des Meisters bezeichnet.
Allem nach zu schliessen, diirfte M. Basaiti um 1470
geboren und bald nach 1521 gestorben sein.
GIROLAMO ROMANINO.
Sehen wir uns nun in diesem zweiten Saal der
Doria- Galerie noch weiter um, so fällt unser Auge
auf ein grösseres Madonnenbild von ebenfalls ausge-
sprochen venetianischem Colorit. Das Bild hat zwar
die Nr. 50, allein wunderbarerweise keinen Namen
erhalten. Ein namenloses Bild hat aber, wie die
klügern Galeriedirectoren wol wissen, gar keinen Werth
in den Augen eines wissbegierigen Publikums, weshalb
ich mir die Freiheit nehmen will, dieser „Madonna^'
einen Namen zu geben, und ich glaube dies mit gutem
Gewissen thun zu dürfen, da mir der farbenprächtige
Girolamo Romanino von Brescia her schon ein alter
und lieber Bekannter ist. Auch würde, falls man dieses
Bild einer verständigen Reinigung unterzöge, die diesem
Meister eigenthümliche glänzende Originalfarbe zu Tage
treten. Von diesem kräftigen, originellen und nicht
selten selbst grossartigen, obwol hie und da auch sehr
fahrlässigen Künstler trifft man ausserhalb der Provinz
und der Stadt Brescia nur eine höchst geringe Anzahl
Bilder an. Um so reichlicher ist der Meister in den
Kirchen seiner Vaterstadt und in denen der ganzen
Provinz von Brescia vertreten.* In den Galerien des
* In den Kirchen von Monteohiari, Calvitano, Prealboino,
S. Feiice, SaI6, Capriolo (anter dem* Kamen Tizian's) and andere
wärU noch.
24»
372 I^e Galerie Doria-Panfili.
Auslandes, die englische National Gallery ausgenommen,
begegnet man ihm fast nie. Weder das Museum des
Prado in Madrid, noch der Louvre in Paris, noch die
Belvedere-Galerie in Wien, noch die Pinakotheken von
München und Dresden besitzen Werke von Romanino.
Und doch kommen nur wenige Maler im Glänze und
in der Pracht der Farben, in der geistreichen Lebendig-
keit der Auffassung und in der Schärfe der Charakte-
ristik dem Romanino gleich. Sein grosses Altarwerk
in S. Francesco von Brescia, das andere in S. Maria
Calchera daselbst sowie jenes in der städtischen Galerie
von Padua, gehören zum Glanzvollsten, was die vene-
tianische Malerkunst überhaupt aufzuweisen hat. Ueber-
aus geistvoll sind ebenMls die vier Orgelflügel vom
Jahre 1540 in S. Giorgio zu Verona, in welcher Kirche,
und zwar ganz in der Nähe der Bilder des Romanino,
sich auch ein höchst anmuthiges Altarwerk aus dem-
selben Jahre 1540 von der Hand seines Jüngern Lands-
mannes und Nebenbuhlers Alessandro Moretto be-
findet. Als tüchtigen Frescomaler lernen wir den
Romanino besonders im Dome von Cremona, in der
Unterkirche von S. Giulia und in der städtischen Ga-
lerie von Brescia sowie an mehrern Orten der heimat-
lichen Valle Camonica kennen. Girolamo Romanino
war eine wahrhaftige, höchst einfache, aller Affeetation
bare Natur; auch entspricht daher seine Kunstsprache
durchaus der Dialektsprache seiner Landsleute. Die
wenigen Bildnisse, die er uns hinterlassen hat, sind mit
einer Naturtreue und Naivetät aufgefasst und darge-
stellt, dass man es den Leuten ansieht, dass . der Maler
ihnen nicht geschmeichelt, sondern dass sie in ihrem
Thun und Lassen so und nicht anders gewesen sein
müssen, wie der Künstler sie eben dargestellt hat. Diese
Porträts des Romanino sind, meiner Meinung nach, in
der Auffassung noch einfacher als die des Tintoretto
und Tizian und die vorzüglichsten darunter, wie unter
Die Venetianer: Alessandro Moretto. 373
andern dasjenige eines reichgekleideten Cavaliers, wel-
ches aus dem Hause der verstorbenen Gräfin Fenaroli
von Brescia in den Besitz ihrer Erben gelangte, stehen
selbst im grossnrtigen Schwünge der Linien den besten
Porträts eines Tizian und eines Velasquez kaum nach.
Romanino verhält sich zu Alessandro Moretto ungefähr
so wie in der mailänder Schule Gaudenzio Ferrari zu
B. Luini sich verhält. Sind die erstem zwei phantasie-
vollere, dramatischere, energischere Künstler als Mo-
retto und Luini, so sind dafür diese letztern liebreicher
und anziehender als jene ihre Nebenbuhler.^
ALESSANDRO MORETTO.
Von Alessandro Moretto befindet sich in Rom,
soviel ich weiss, nur ein einziges Werk und auch dieses
so stark übermalt, dass man darin den sonst an seinen
feinen, silbertönigen Farbenaccorden so leicht erkenn-
baren Meister nicht mehr gewahren kann. Dieses Bild
ist in der Galerie des Vaticans und wurde, zu meiner
> Die Zeichnungen, die von Girolamo Romanino uns erhal-
ten geblieben, sind in höchst geringer Zahl vorhanden. Mir
wenigstens ist es nicht geglückt, mehr als vier oder fünf davon
aufzufinden. Dieselben sind alle mit der Feder sehr leicht und
sicher aufs Papier hingeworfen. Zwei dieser Ilandzeichnungen
befinden sich in der Uffizien-Sammlung, die eine davon, spielende
Putten darstellend, trägt die Nr. 1465; die andere, ein getuschtes
männliches Porträt, die Nr. 215. Eine andere ganz vorzügliche
Federzeichung, die „Ehebrecherin** darstellend, ist in der Am-
brosiana ausgestellt; (f) und eine vierte fand ich im Schlosse
von Cbatsworth unter dem Namen des Giolio Romano. Diese
letztere sehr charakteristisohe Federseichnung stellt „ChristoB
und die Samariterin" vor. (f) In allen diesen Zeichnungen
erweist sich Romauiuo als ein viel geistreicherer und gewandte-
rer Zeichner als Moretto in den seinigen, die swar sämmtlich
sehr sorgfältig ausgeführt sind, in denen jedoch der Zug der
Feder nicht jenen lebendigen und sichern Schwung hat, den wir
in den Federzeichnungen Romanino's wahrnehmen.
374 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Verwunderung, von den Herren Crowe und Cavalcaselle
seiner guten Erhaltung halber ganz überschweng-
lich gepriesen. Zwar trägt auch im Palast Colonna
das Porträt eines jungen Cavaliers mit einem Hund an
der Seite den Namen des Moretto, allein mit grossem
Unrecht. Mir scheint jenes Bild nicht einmal der Schule
von Brescia anzugehören.
Bildnisse des Moretto, mit Ausnahme der zwei
ganz vorzüglichen in der National Gallery zu London,
sind mir nur sehr wenige zu Gesicht gekommen. Die
zwei Porträts, welche von Herrn Director Bode (H,
779 und 780) als solche angeführt werden, nämlich der
sogenannte Arzt im Palast Brignole-Sale in Genua
(A. B. bezeichnet) und ein anderes in der stadtischen
Galerie von Brescia, sowie auch dort das grosse Reiter-
bild der Casa Martinengo, dürften sich blos als Ar-
beiten von Nachahmern des Moretto herausstellen, (f)
Das Museum von Neapel besitzt ein kleines, vor-
zügliches Bild von unserm Brescianer; die Uffizien-
Galerie hingegen hat nichts von Moretto aufzuweisen,
denn das grosse dort ihm zugemuthete Bild, den „Tod
des Adonis" darstellend, Nr. 590, gehört, wie schon
bemerkt, dem Sebastiano Luciani an, was auch die
Ansicht der Herren Crowe und Cavalcaselle ist (II, 416);
das männliche Porträt (Nr. 639) ebendaselbst dürfte
wol eher das Werk aus der Frühzeit des Cremonesen
Giulio Campi sein; (f) und das kleine Bildchen end-
lich, „Christus in der Vorhölle" darstellend, Nr. 1009,
erinnert, wie mir scheint, mehr an die Art des Vero-
nesen Feiice Brusasorci als an Moretto. (f) Die besten
Werke des Alessandro Bonvicino sind fast alle noch
immer in der Provinz und in der Stadt Brescia ver-
blieben. ^ Wer also diesen höchst anziehenden Meister
* In den Kirchen von Castenedolo, von Prealboino, Maguz-
zano, Orzinuovi, Paitone, Calvisano, Auro, Mazzano u. a. m.
Die Venetianer: Alessandro Moretto. 375
kennen zu lernen wünscht, muss ihn in der Stadt Bres-
cia und im Brescianischen aufsuchen. Dass Moretto
einen starken Einfluss von dem in Venedig lebenden
Palma vecchio erhalten habe, wie die Herren Crowe
und Cavalcaselle auf Grund ihrer Beeinflussunijstheorie
behaupten, wundert mich nicht;, was mir aber unerklär-
lich scheint, ist. dass Herr Director Bode, welcher doch
mit der Maltechnik der Venetianer ganz vertraut zu sein
glaubt , selbst in dieser, meiner Ueberzeugung nach, so
grundfalschen Anschauung seinen Gewährsmännern
Crowe und Cavalcaselle treu bleibt. Eine solche Be-
einflussung lässt sich, wie mir scheint, vor keinem ein-
zigen echten Gemälde Moretto's rechtfertigen. Meiner
Ansicht nach ist Moretto stets Brescianer geblieben.
Nach seinen bei Ferramola durchgemachten Lehrjahren
studirte er vornehmlich die Malweise seines Mitbürgers
Romanino und bildete dann dieselbe zur höchsten Voll-
kommenheit aus. Es kommt allerdings nicht selten vor,
dass fremde Kunstfreunde und Dilettanten, welche nur
einige Werke der grossen venetianischen Coloristen sich
in der Eile zwischen dem ersten und zweiten Früh-
stück ansahen, die Einflüsse derselben dann in allen
Werken der gleichzeitigen Maler aus andern stamm-
verwandten Schulen gewahren wollen. Ich kann auch
hier die Anfänger in der Kunstwissenschaft vor dieser
zwar sehr geistreich und gelehrt klingenden, allein un-
wahren und geistlähmenden Beeinflussungstheorie, mit
der man seit einiger Zeit so grossen Unfug treibt, nicht
genug warnen. Dieselbe gleicht dem glänzenden Strei-
fen, den die Schnecke hinter sich lässt und der den
Kurzsichtigen wie Silber vorkommt, während er für
die Sehenden nichts anders als Schleim ist.
Nicht weit vom Madonnenbilde des Romanino hängt,
unter Nr. 60, ein anderes Bild mit der Madonna, dem
Kinde, dem kleinen Johannes und dem heiligen Fran-
ciscus, welches im Katalog als Arbeit des Lodi ange-
376 Die Galerie Doria-Panfili.
fuhrt wird. Wahrscheinlich hat mau damit Calista
da Lodi, den bekannten und zu seiner Zeit auch be-
rühmten Schiller des Roman ino gemeint. Nach mei-
ner Ansicht dürfte dieses kümmerliche Bild eher einem
bolognesischen Nachahnier des Bagnocavallo oder de&
lunocenzo da Imola angehören.
CALISTO DA LODI.
Calisto Piazza, gewöhnlich unter dem Namen
Calisto da Lodi bekannt, gehörte der Malerfomilie
der Piazza, Toccagni zugenannt, von Lodi an.i Sein
Vater hiess Martino und sein Onkel Albertino. Calista
hatte zwei Brüder, Scipione^ und Cesare, die auch Maler
und gewöhnlich seine Mitarbeiter waren. Schon früh-
zeitig scheint sein Vater ihn dem Romanino in Brescia
in die Lehre gegeben zu haben. Ausserhalb Brescia
und jener Umgegend, dem Lodigianischen und dem
Mailändischen, ist dieser sehr talentvolle Maler kaum
bekannt. In jenen Gegenden jedoch trifi't man ihn sehr
oft an, zumal in der Valle Camonica: in Breno, in Esine,.
in Cividale und anderwärts noch. Einigen Werken au&
seiner Frühzeit nach zu schliessen scheint Calisto sich
vorerst an Alessandro Moretto, seinen Altersgenossen
(er wurde um 1500 geboren und starb im Jahre 1561)
und auch Schulgenossen bei Romanino, eng angeschlos-
sen zu haben, wie dies aus einem Längsbilde in der
Galerie Poldi-Pezzoli erhellt, das dort dem Moretto
selbst zugeschrieben wird.^ (f) Ein anderes etwas^
* Siehe darüber: Memorie originali italiane, risguardanti
le helle arti, von Michelangelo Gualandi (Bologna 1840), Serie
prima, p. 171.
2 Von Scipione Piazza sieht man auch in der Kirche von
S. Spirito in Bergamo ein mit dem Namen bezeichnetes Bild.
Scipione starb im Jahre 1551 in Lodi.
' HeiT Director Bode (II, 778) möchte dagegen jenes Bild
dem Romanino vindiciren, allein schon der Typus der Engel
Die Venetianer: Calisto da Lodi. 377
späteres Werk aus der Fruhzeit unsers Calisto scheint
mir ebenfalls das Altarbild in der städtischen Galerie von
Padua zu sein — ein Bild, das mit dem Namen des
Komauino und der Jahreszahl 1521 bezeichnet ist. (f)
Wahrscheinlich hat es Calisto in der Werkstätte und
unter der Leitung Komanino's ausgeführt. In der mit
dem Namen und dem Jahre 1524 bezeichneten „An-
betung der Hirten" der städtischen Galerie von Brescia
(ehedem in der Kirche S. Clemente daselbst) gewahrt
man sowol Einflüsse des Romanino als auch des Mo-
retto. In der „Heimsuchung" vom Jahre 1525 in S.
Maria Calchera dagegen ahmt Calisto ausschliesslich
seinen Meister Romanino nach, mit dem er denn auch
in den folgenden Jahren gar oft verwechselt wird.
Ja, in der Brera- Galerie geht man in dergleichen
Verwechselungen so weit, dass man sogar ein gutes
Bild Calisto's (die „Taufe Christi", Nr. 425) dem
schwächlichen Maler Carlo ürbino aus Crema zu-
schreibt, (f)
Nachdem nun unser Meister Calisto manches Werk
für die Kirchen der Valle Camonica angefertigt hatte,
kehrte er im Jahre 1529 wieder in seine Vaterstadt
Lodi zurück, wo ihm bald der ehrenvolle Auftrag
wurde, in Gemeinschaft mit seinen Brüdern Scipione und
Cesare das Octogon der Kirche S. Maria Incoronata,
oben, sowie die Landschaft hätten ihn belehren sollen, dass er
vor einem Werk des Calisto da Lodi stehe. Wenn man übrigens
nicht selbst im Lande des Künstlers weilt und mit Liebe und
Ausdauer der Jugenderziehung desselben nachgebt, so ist es be-
greiflicherweise selbst bei dem gl&nzendsten Talente gans un-
möglich, den Meister in seinen Jugendwerken zu erkennen. Herr
Staatsrath Paul Dclaroff in St. • Petersburg besitzt von Calisto
iMazza ein liebliches Madonnenbildchen in Temperafarben, das
sich als Copie nach einem Jugendwerk Moretto's im Besitze
von Sir Henrv Layard herausstellte und weluhes grosse Aehn-
lichkeit mit dem Längsbilde in der Poldi*Sammlung hat.
378 I^iß Galerie Doria-Panfili.
WO die Orgel zu stehen kam, auszumalen. Ein Jahr
später, d. h. 1530, führte Calisto die ganz vorzüglichen
Bilder mit den Darstellungen aus dem Leben des Täu-
fers für die gleichnamige Kapelle jener Kirche aus.
Diese letztern Gemälde, die zu den besten des Meisters
gezählt werden müssen, sind in der That so glänzend
in der Farbe, dass in Lodi später die Sage entstand,
Tizian hätte auf einer Durchreise in jenen Bildern
diesen und jenen Kopf gemalt. (Lanzi, a. a. O., III, 151.)
Und auf Grund dieser albernen Tradition wird vielleicht
irgendein zukünftiger Kunsthistoriker aus Finland den
Einfluss Tizian's auf Calisto da Lodi constatiren wollen.
Ein anderes vorzügliches Werk Calisto's aus dieser seiner
frühen Wirkungszeit besitzt auch die Brera-Galerie im
Bilde Nr. 450 (thronende Madonna mit dem Kinde,
den Heiligen Hieronymus und Johannes dem Täufer
und einem Engel). In jenen Sälen sieht man noch
zwei andere Werke von ihm, darunter das sehr be-
achtenswerthe Porträt des Lodovico Vistarini (Nr. 373).
Ein ebenfalls vorzügliches Werk unsers Meisters mit
den Bildnissen der Gatten Trivulzio befindet sich in
einer Kirche von Codogno. Vom Jahre 1535 an war
Calisto in Mailand ansässig, woselbst er in mehrern
Klosterkirchen (S. Maurizio, S. Francesco, S. Nazzaro
e Celso) Wandgemälde ausführte. —
Ich habe mich, meiner eben nicht sehr lobenswerthen,
einem alten Manne jedoch verzeihlichen Gewohnheit
gemäss, wieder viel zu lange in diesem Saal II auf-
gehalten und es ist somit hohe Zeit, dass wir unsere
Wanderung nach dem dritten Zimmer der Galerie fort-
setzen. Ich kann indessen nicht umhin, vorher noch in
aller Eile zu bemerken, dass ebenso wenig wie die zwei
nicht eben sehr anmuthigen Bildnisse mit den Nummern
42 und 45 dem grossen Ilolbein angehören, dem sie
hier zugeschrieben werden, so auch das Porträt einer
mit ihrem Los unzufriedenen Edeldame unmöglich
Die Venetianer: Paris Bordonc. 379
die Arbeit Tintoretto's sein kann^ (unter dessen Namen
noch mehrere andere Bildnisse in dieser Galerie mit
Unrecht aufgestellt sind); vielleicht rührt dieses weibliche
Porträt vom Scipione da Gaeta her.
PARIS BORDONE.
Ueber der Eintrittsthür des dritten Zimmers erglänzt,
von der in diesem Raum herrschenden Finstemiss kaum
behindert, eines jener herrlichen Decorationsstücke, deren
Paris Bordone gar manches geschafien hat. Das Bild
stellt Mars und Venus mit dem tückischen Liebesgott
dar. Das Leben des Paris umfasst ungefähr dieselbe
Zeitspanne, wie das des Moretto und des Calisto da Lodi ;
er wurde nämlich um 1495 in Treviso geboren und
starb bald nach 1570. Der Archivar Cecchetti theilt
uns folgende Unterschrift von ihm mit: „Jb. Paris Bor-
don de Treviso, hahitante in Venetia in contra de S,
Marcilian, 31 Agosto 1563 J-'- Er hatte vier Kinder:
Jobannes, Angelica, Cassandra und Ottavia, ,und war
wohlhabend. Sein Vorbild war, mehr noch als Gior-
gione, wie Vasari behauptet, Tizian, in dessen Werk-
statt der etwa 14jährige Paris ums Jahr 1509 eintrat
und an dessen Bildern aus jener Gorgionesken Epoche
des Cadoriners er vornehmlich seine Studien machte,
wovon uns unter andern auch das Jugendwerk Tizian^s
in der Capitolinischen Galerie (durch eine neue Ver-
putzung leider ganz verdorben) einen augenfälligen Be-
weis liefert. Jenes Bild stellt die „Taufe Christi" Tor
und galt stets und wie ich glaube mit dem vollsten
Recht für das Werk Tizian's, bis in neuerer Zeit die
Herren Crowe und Cavalcaselle es dem Paris Bordone
zuzuweisen für gut erachteten. Auch in diesem, nach
* Wer ganz vorzügliche Portrftta und Bilder des Tintoretto
in Rom zu sehen wünschtf findet sie in den Sälen der Galerie Co-
lonna. Dort lernt man diesen Meister auch noch als ausge-
zeichneten Landschaftsmaler kennen.
380 Die Galerie Doria-Panfili.
meiner Ueberzeugung , verfehlten Urtheil folgte gut-
willig Herr Director W. Bode seinen Gewährsmännern
(II, 764, Anmerkung).*
Ein anderes Bild, wo Paris ganz besonders Tizian
sich zum Vorbild nahm, befindet sich im fünften
Zimmer dieser Doria-Galerie. Dasselbe führt die Nr. 22
und stellt die heilige Familie mit der Märtyrerin Katha-
rina dar. Indess nach meinem Dafürhalten ist dieses
Bild nur eine alte Copie eines Jugendwerks von
Paris Bordone.^ Wünschen wir noch ein anderes Werk
unsers Trevisaners unter dem Namen Tizian's zu sehen,
so müssen wir uns in den Braccio II der Galerie be-
geben. Dort hängt ein zwar durch Restaurationen stark
verdorbenes männliches Bildniss, an dessen dem Paris
eigenthümlichen Hand mit den steifen Fingern sowie an
den ebenso charakteristischen rosenrothen Lasuren des
Incarnats man doch, wie ich glaube, den wahren Autor
des Gemäldes noch erkennen kann, ich meine den Paris
Bordone. Jenes Bild führt die Nr. 57 und ist offen-
bar das Conterfei eines Poeten, obwol der dargestellte
Mann trotz seines Lorberkranzes durchaus kein poe-
tisches Aussehen hat. Andere Werke dieses edeln, stets
vornehmen, allein nicht selten allzu wandelbaren und
oberflächlichen Künstlers finden sich in der Galerie
Colonna, von denen das eine (die heilige Familie im
Beisein der Heiligen Elisabeth, Hieronymus und Jo-
hannes des Täufers), wie bekannt, irrthümlich dem
Bonifazio Veneziano zugemuthet wird ; das andere, eine
sogenannte Santa conversazione, verdiente zu den
^ Man betrachte in diesem Gemälde besonders die dem Cado-
riner in seinen Jugendwerken ganz eigenthümlichen Formen des
Ohres und der Hand sowie auch das durchaus in seinem Sinne
aufgefasste Porträt des Donators und die Giorgionesk beleuchtete
Landschaft.
^ Herr Director Bode gibt dieses Bild dem Bernardino
Licinio, „mit Anklängen an Paris Bordone" (II, 775).
Die Venetianer: Paris Bordone. 381
besten Werken des Meisters gezahlt zu werden, wäre
das Bild nicht durch eine barbarische Uebermalung un-
geniessbar gemacht. Im Pitti- Palast kommt der ent-
entgegengesetzte Fall vor. Dort gibt man nämlich die
„Ruhe auf der Flucht nach Aegypten" (Nr. 89), sowie
die „Sibylle mit Augustus" (Nr. 257) dem Paris, wäh-
rend doch beide Bilder, wie schon der verstorbene
O. Mündler mit Sachkenntniss nachwies, den Boni-
fazios angehören. Vorziiglich sind dagegen die zwei
Porträts, die Florenz von der Hand des Bordone besitzt:
das eine ein Jünglingsporträt in den Uffizien, Nr. 607,
das andere, die sogenannte „Balia di casa Medici", im
Pitti-Palast, Nr. 109. Auch die Galerie im Palast
Brignole-Sale zu Genua hat ein sehr schönes Bildniss
unsers Meisters aufzuweisen.
Die Hauptwerke dieses liebenswürdigen und farben-
prächtigen Malers befinden sich jedoch noch immer im
Venetianischen und in Venedig. Die dortige Akademie
hat deren mehrere und darunter wol sein schönstes, ich
meine jenes mit „dem glücklichen Fischer des Ringes
vor dem Senat"; ein Gemälde, das schon seiner aus-
nahmslos guten Erhaltung halber einen unbeschreib-
lichen Reiz auf jeden feinfühligen Kunstfreund ausübt.
Ein zweites Prachtwerk des Bordone, in dem der Meister
von seinem Mitbürger Lorenzo Lotto inspirirt zu sein
scheint, befindet sich in der Gemäldesammlung Tadini
in Lovere, am L.'igo d'Iseo. Die« letztere Gemälde, von
einer ganz besondom Leuchtkraft, stellt die Jungfrau
mit dem Christkinde, umgeben von den Heiligen Christo-
phorus und Georg, vor. Vasari, welcher das Bild er-
wähnt (XIII, 50), berichtet, der Maler habe im heili-
gen Georg Giulio Manfroni von Crema, den Besteller
der Altartafel, dargestellt.* In s«»Inrr Vaterstadt Tre-
^ Siehe auch im Anonimo dea MorcUi {'J'^ editiotu rnimctt-
lata per cura di &uttato Fruttmij Bologna, 1884), p. 14:').
382 Die Galerie Doria-Panfili.
viso hat sich noch etwa ein halbes Dutzend seiner Werke
erhalten^; auch die Communal- Galerie von Padua be-
sitzt ein zwar sehr verputztes, allein nach meiner An-
sicht echtes Bild von Paris ^ (Christus der von seiner
göttlichen Mutter Abschied" nimmt, Nr. 93); im Kata-
log jener Sammlung wird das Bild blos in die Schule
des Meisters gesetzt. Ausser Venedig findet man auch
in Mailand eine grössere Anzahl von Werken des
Paris Bordone: in der Kirche von S. Celso, in der
Brera- Galerie, im erzbischöflichen Palast^ und einige
herrliche Porträts in Privatbesitz. Wir wissen durch
Vasari, dass die Fugger aus Augsburg, welche auch in
Venedig ansässig waren, den Paris nach ihrer Vater-
stadt kommen liessen und dort vielfach seine Kunst in
Anspruch nahmen. Im Jahre 1538, berichtet der Are-
tiner, wurde Paris von König Franz I. nach Frankreich
berufen und beauftragt, die schönsten Frauen am Hofe
des kunstliebenden Monarchen durch seinen Pinsel zu
verewigen. Jene Porträts scheinen jedoch verloren zu
sein, denn, so viel mir bekannt ist, sind in Frankreich
nicht nur die Bildnisse des Paris, sondern seine Werke
überhaupt von der grössten Seltenheit. Im Privatbesitz
ist mir dort kein einziges zu Gesicht gekommen und
von den drei in der Louvre-Galerie ihm zugeschriebenen
Bildern wurde das Porträt des Hieronymus Crofi't aus
Augsburg (Nr. 82) erst zur Zeit Ludwig's XIV. erwor-
ben; das Decorationsstück (Nr. 81) mit Vertumnus
und Pomona kam nicht früher als im Anfange dieses
Jahrhunderts nach Frankreich, und Nr. 83 endlich
^ Darunter eine „heilige Familie" in der Communal-Galerie,
welche dort dem Palma vecchio zugemuthet wird (Nr. 53).
2 Es ist merkwürdig, dass derselbe Gegenstand ungefähr
gleichzeitig von Correggio, von L. Lotto und dann auch von
Paris Bordone behandelt wurde.
3 Das schöne Bild des Paris stellt die heilige Familie mit
einem frommen Bischof und dem Donator dar.
Die Yenetianer: Bonifazio Yeronese. 383
(die Bildnisse eines Mannes und eines Kindes ent-
haltend) ist nach meiner Ueberzeugung die Arbeit
eines Niederländers und keineswegs das Werk des
Trevisaners. (f)
BONIFAZIO VERONESE.
Ein Zeit- und Gesinnungsgenosse des Paris Bordone
war der Veronese Bonifazio I.*, von dem im Saal V
ein durch unsinnige Verputzung allerdings sehr verdor-
benes allein dennoch höchst anziehendes Bild, unter
Nr. 52, aufgestellt ist (die heilige Familie im Bei-
sein von zwei Märtyrerinnen). Da Porträts von der
Hand dieses heitern, farbenreichen Künstlers eine Selten-
heit sind, so bitte ich meine Begleiter, mir in den Brac-
cio III dieser Galerie zu folgen, wo ich unter Nr. 27
eins derselben entdeckt zu haben glaube. Es ist dies
das Bild eines jungen Mannes mit schwarzer Mütze auf
dem Kopfe; im Katalog wird es als Arbeit des Giorgione
angegeben, (f) Leider wurde auch dieses Bild Boni-
fazio's gleich dem vorigen, und wahrscheinlich von der
Hand desselben Barbaren, durch Verputzung seiner Ober-
haut gänzlich beraubt. Trotzdem übt es noch immer eine
besondere AnziehungskraR auf den Beschauer aus, sowol
durch die Einfachheit der Auffassung als auch durch
die Anmuth der Darstellung. Von diesem glänzenden
Coloristen besitzt die Galerie Colonna ein ganz vor-
zügliches Madonnenbild mit den Heiligen Hieronymus
und Lucia unter dem Namen Tizian's (Saal I).' An
^ Aus einem vom yentorbenen Archivar Cecohetti veröffent-
lichten Docoment erhellt, dass die Familie Bonifazio sich de
Pittatis nannten: 1558, 26 luglio, De Pittatit BonifaeiOf
abitante neUa contra di San Mareuola^ m le case dtU monache
dt S. Alvise und Jo. Bonifaiio di PiUati da Verona pitorf fb
(fü) di Ser Marzio (d. h. Sohn des ventorbenen Herrn Marsio)
{Ärchivio veneio, T. 84, p. 207).
* Während also in der Doria - Galerie Bonifaxio mit Qior-
gione verwechselt wird, wird er in der Galerie Colonna einmal
384 Die Galerie Doria-Panfili.
diesem letztem Bilde mögen die Anfänger die diesem
Meister eigenthümliche Form der Hand und des Ohres
Studiren* Auch im Palast des Fürsten Mario Chisri
trifft man ein kleines farbenglänzendes Bildchen unsers
Bonifazio Veronese, jedoch nicht so glänzend und fein
wie die kleine, im Saturnussaal des Pitti-Palastes unter
Nr. 161 und dem Namen des Giorgione aufgestellte „Auf-
findung Mosis" ist. Wer jedoch diesen vielleicht farben-
prächtigsten aller venetianischen Maler ganz kennen und
schätzen will, der muss die Galerien von Venedig und
Mailand besuchen, wo die Hauptwerke dieses eminenten
Künstlers sich befinden.
PALMA VECCHIO.
Ein anderer grosser Colorist aus der Schule des
Giambellino und des Giorgione, dessen Werke nicht
selten dem Giorgione (Dresden und Braunschweig) oder
auch Tizian zugeschrieben werden, ist Jacopo Palma,
Palma vecchio genannt.^ Von ihm hatten wir bereits
in der Borghese- Galerie Gelegenheit zwei Werke zu
betrachten; in diesem Doria- Palast dagegen ist der treff-
liche Bergamaske gar nicht repräsentirt, weder durch
falsche noch durch echte Bilder. Dafür besitzt die
Galerie Sciarra-Colonna ein prachtvolles Frauenbildniss
des Palma, unter dem Namen der „Bella di Tiziano".
Diese berühmte venetianische Schöne, deren Zügen wir
öfters in andern Bildern des Palma, in denen Tizian's
und anderer gleichzeitiger Maler Venedigs begegnen,
wurde erst in neuerer Zeit auf Tizian umgetauft. Im
mit Tizian, ein anderes mal mit Paris Bordone verwechselt,
im Pitti-Palast aber mit Palma vecchio und auch wieder mit
Giorgione.
^ Ein neuerer Kunstschriftsteller, Herr Elia Fornoni aus
Bergamo {Notizie hiograßche su Palma vecchio, Bergamo 1886)
behauptet, der wahre Familienname des Palma sei Nigreti ge-
wesen, was ich dahingestellt lassen will.
t
Die Venetianer: Palma vecchio. 385
17. Jahrhundert befand sich das Bild in der Sammhmg
des Erzherzogs Leopold Wilhelm zu Brüssel. Bekannt-
lich hat der Conservator jener Sammlung, der Maler
David Teniers, im Auftrag seines Herrn und Gönners
die meisten bedeutendem Gemälde der ihm anvertrauten
Sammlung in kleinern Verhältnissen reproducirt, welche
Copien durch Vorsterman, J. van Kessel und andere
gestochen wurden fi'ir das grosse Werk, welches unter
dem Titel: ^^Theätre des peintvres de David Teniers,
didie au Prince Leopold-Guillaume^ archiduc etc.% 1660
in Brüssel erschien. Viele von jenen Bildern nun, in
welchen der trefl'liche Teniers die italienischen Origi-
nale ins Vlämische übersetzt hatte, wurden dereinst, wie
es scheint, dem Herzog von Marlborough zum Geschenk
gemacht und befanden sich noch vor Jahren in einem
obern Zimmer des herzoglichen Schlosses von Blenheim.
Unter diesen Teniers'schen Copien sah ich nun auch die
imserer „Bella di Tiziano'*. Dort trug dieselbe jedoch
noch immer den wahren Namen des Autors, denn sie war
auf der Rückseite bezeichnet als „Copie d'apres Palma
vecchio'S
In ihren jungen Jahren war dies stattliche Weib höchst-
wahrscheinlich nichts anders als eine jener berühmten ve-
netianischen Courtisauen, die Musen des Pietro Aretino,
welche den Malern gar ofl als Modell dienten. Und in
der That erinnert in den Bildern Tizian^s mancher weib-
liche Kopf an diese „Bella" der Galerie Sciarra-Colonna,
in welch letztorm schönen Gemälde jedoch jeder auch
nur oberflächliche Kenner der venetianischen Schule die
Hand des Palma vecchio erkennt und zwar aus jener
Epoche des Meisters, in der er sich an seinen altem
Nrlnil.r.ni wnen Lorenzo Lotto angeschlossen hatte. » T^:-«
* Die Herren Crowe and Cavaloaselle (II, 478) oitiren eben-
falls dieses Bild als Werk des Palma vecchio. Für die floren-
tinischen Commentatoren des Vasari ist et dagegen noch immer
LBBMOLtBrr. 25
38(5 Die Galerie Doria-Panfili.
sogenannte „Bella di Tiziano" gemahnt sowol in der
Heiterkeit der Farben, in den hellgrünen Schatten, als
auch in der Modellirung der Hand an Lotto. Ein ähn-
liches Frauenbildniss des Palma besitzt auch die Samm-
lung Poldi-Pezzoli in Mailand; dies letztere Gemälde
ist freilich durch den Restaurator so sehr modernisirt
worden, dass es fast wie eine Copie aussieht; früher war
es dem Giorgione zugeschrieben. Meinem Geschmack
sagt das reizende weibliche Porträt des Palma, Nr. 197,
im Berliner Museum viel mehr zu, als diese weltberühmte
„Schöne" im Palast Sciarra-Colonna. Ein für Palma
höchst charakteristisches Werk befindet sich auch im
Palast Colonna in S. S. Apostoli. Auf jenem Bilde sehen
wir die Madonna mit dem Christkinde, welchem der
Donator durch* den heiligen Petrus empfohlen wird.
Wer die dem Palma eigenthümlichen Formen des Ohres
und der Hand kennen lernen will, betrachte sie auf
diesem letztern Gemälde, in welchem die Landschaft
mit dem röthlichen Horizont für den Meister ebenfalls
bezeichnend ist.
Ein anderes Werk des Palma vecchio, das in Rom
unter dem Namen Tizian's geht, befindet sich in der
Capitolinischen Galerie und stellt die „Ehebrecherin"
dar, ein Bild, das der Anonymus des Morelli im Jahre
1528 in der Sammlung des Francesco Zio (Giglio) zu
Venedig sah.^ Ausser diesen vier sind mir in Rom
keine andern Werke von Palma vecchio zu Gesicht ge-
kommen. Die sogenannte „Schiava di Tiziano" in der
die Arbeit Tizian's (XIII, 45). Ueberbaupt sind die um so manche
wicbtige Frage in der italienischen Kunstgeschichte sonst so hoch
verdienten Herren Herausgeber des Vasari in der Bestimmung
von Kunstwerken und namentlich der aus den venetianischen
Malerschulen nicht gut berichtet und ihre Commentare sind daher
meistens nicht nur schwach, sondern gar oft auch irrig.
^ Siehe im Anonimo des Morelli (2* edizione, aumentata
per cura di Gustavo Frizzoni), p. 180.
Die Venetianer: Palma vecchio. 387
Galerie Barberini, von den Herren Crowe und Caval-
caselle dem Palma zugetheilt (II, 478), ist höchst wahr-
scheinlich nichts anderes als eine jener vielen Nach-
äffungen, mit denen Pietro Vecchia im Anfange des
17. Jahrhunderts die Verehrer des Giorgione zu be-
glücken pflegte. Das Museum von Neapel hat dagegen
in einer sogenannten „Santa conversazione" eines der
herrlichsten Staffelei bilder, die Palma je geschaffen, ein
Bild, das würdig ist neben Palma's Bild der Louvre-
Galerie gestellt zu werden. Von den vier dem Palma
im Pitti-Palast zugemutheten Bildern gehört kein ein-
ziges unserm Bergamasken an, und nicht viel besser
sieht es mit den fünf Palma vecchio-Bildern aus, welche
die Uffizien-Galerie zu besitzen sich rühmt. Unter den-
selben scheint mir blos die dicke Judith (Nr. 619), die dort
ehemals unter dem Namen des Pordenone aufgestellt
war, ec h t zu sein. Die heilige Familie mit derMagdalene
dagegen (Nr. 623) dürfte bei miherer Besichtigung blos
als eine alte Copie nach Palma sich herausstellen. Das
sogenannte Porträt eines Geometers (Nr. 650) ist ebeur
falls Copie, und zwar nicht einmal nach Palma vecchio.*
Das Madonnenbildchen (Nr. 1019) kann nur als das
Machwerk eines untergeordneten Nachahmers Tizian^s
betrachtet werden; das andere kleine Bild (Nr. 1037),
„Christus in Emmaus", gehört augenscheinlich der Werk-
statt des Bonifazio an, und was endlich das ganz ver-
dorbene Frauenporträt (Nr. 1087) anbelangt, so würde.
* Das Origmalbild diesei sogenanntea Geometers befindet
sich unter dem Namen des Giorgione in der Sammlung von
Sir Francis Cook in Richmond. Täusche ich mich nicht, so ge-
hört jedoch jenes Bild dem Bartolommeo Veneto an. (f) Es
ist augenscheinlich Portr&t. Der dargestellte Cavalier statzt auf
jenem Bilde in Richmond seine Iteohte aaf den Degengriff, wäh-
rend er in der Linken einen Kompass hält Im Musenm Corr^r
zu Venedig sieht man eine andere Copie des Bildes in der Uffizien-
Galerie, mit der Jahrestahl 1555. (t)
26'
388 I>ie Galerie Doria-Panfili.
glaube ich, der Uffizien-Galerie kein erheblicher Scha-
den geschehen, wenn man jenes Bildchen in die Rumpel-
kammer verwiese.
"Weder die öffentlichen Bildersammlungen von Bologna
und Ferrara noch die von Padua besitzen Gemälde des
Palma vecchio. In dieser letztern Sammlung trägt aller-
dings ein Madonnenbild die gefälschte Aufschrift:
lACOMO. PALMA. Jenes Bild verdient jedoch dem
trefflichen Bergamasken ebenso wenig zugetheilt zu
werden, als sein Zwillingsbruder (f) im Berliner Museum
(Nr. 31), auf dem ein Fälscher sich den Spass machte,
eine ähnliche Aufschrift anzubringen, wahrscheinlich um
damit künftige Kunstkritiker und Galeriedirectoren in
Verlegenheit zu bringen. Dagegen würde die städtische
Bildergalerie von Rovigo im Madonnenbild Nr. 39,
mit den Heiligen Hieronymus und Helena, ein Werk
aus der besten Epoche des Palma besitzen, wenn jenes
Gemälde nicht durch Uebermalung so grausam entstellt
wäre, dass man den Meister kaum noch darin zu er-
kennen vermag. Deshalb erwähnen klugerweise auch
die Herren Crowe und Cavalcaselle mit keiner Silbe
jenes Bildes, wogegen sie ein männliches Porträt (Nr. 123)
in derselben Galerie anführen, in dem sie noch die Hand
des Palma gewahren wollen (II, 484). Ich kann jedoch
beim besten Willen in jenem Porträt nicht mehr als
eine Copie erkennen, (f)
Zwei andere Copien nach Palma vecchio befinden
sich, meiner Ansicht nach, ebenfalls in der Bildersamm-
lung von Modena; die eine unter dem Namen des
Palma, Nr. 129, die andere, Nr. 123, unter dem Namen
Giorgione's. (f ) Auch die Pinakotheken von Parma und
von Turin besitzen keine Werke unsers Bergamasken;
die Brera- Galerie hingegen ein Triptychon (Nr. 79)
mit den Heiligen Helena, Constanstin, Rochus und
Sebastian, und ein grosses Altarbild „Die Anbetung
der drei Könige", welches, nach meiner üeberzeugung.
Die Venetianer: Palma vecchio. 389
wol die letzte Arbeit des damals (1526) schon kranken
Meisters gewesen sein dürfte, weshalb er auch die Aus-
führung des Bildes fast ganz einem seiner Gehülfen
überlassen musste. Die städtische Bildersammlung von
Bergamo hat nur ein einziges Werk des Bergamasken
aufzuweisen und auch dieses kam von auswärts in die
Galerie. Dafür birgt sein heimatliches Brembothal in
den grossen Polyptychons von Peghera, Dossena und
Serinaita drei werth volle Werke von seiner Hand.*
Unter den grössern Altarwerken unsers Meisters
sind jedoch jenes in der Kirche von S. Stefano in Vi-
ce nza und jenes in S. Maria Formosa in Venedig als die
vorzüglichsten des Meisters zu betrachten. Ich würde
auch noch das andere grosse Bild, Saal IX, Nr. 8, in
der Akademie von Venedig dazu rechnen, wäre jenes
Gemälde durch Rest;iuration nicht so abscheulich ent-
stellt. Bildnisse scheint Palma nur wenige gemalt zu
haben. Zwei davon befinden sich in der Sammlung
Querini-Stampalia (die Querini waren die Protectoren
Palma's); freilich hat eine neuere Restauration auch
jene zwei Porträts fast ganz zu Gnuide gerichtet.
Palma vecchio, der von seinem um einige Jahre
* Das Polyptychon in der Pfarrkirche von Serinalta, dem
Geburtsorte Palma's, besteht aus neun Tafelbildern : in der Mitte
die „Auferstehung Christi" und darüber die „Vorstellung im
Tempel*'; an tlen Seiten die Heiligen Joseph, Franciscus, Jo-
hannes, Jacobus, Albertus, Apollonia und ein anderer Heiliger.
Ausser diesem Altai*werk befinden sich dort noch zwei andere
Tafelbilder des Meisters mit den Figuren des Pietro martire und
des heiligen Adalbcrt.
Das Polyptychon in der Pfarrkirche von Peghera (im Seiten-
thal Taleggio) besteht aus sieben Abthoilungen; in der Mitte
die Heiligen Jacobus, Rochus und Sebastianus und darüber
eine sogenannte Pieta: der von einem Fogel beweinte todte
Christus, rechts der heilige Antonius, links der heilige Ambro-
sius und ganz oben Gottvater. Aehnlioh ist das Polyptychon in
der Pfarrkirche von Dossena.
390 I>ie Galerie Doria-Panfili.
altern Stiidiengeiiossen Lorenzo Lotto in einer ge-
wissen Epoche (etwa in den Jahren 1510 — 1515) be-
einflusst wurde \ fi'ihrt uns naturgemäss zu diesem letzt-
genannten, geist- und phantasiereichen Schüler des Giam-
bellino.
LORENZO LOTTO.
Lorenzo Lotto ward, wie ich glaube, nicht 1480,
sondern schon etwa um 1475 in Venedig geboren, Hess
sich jedoch schon in den ersten Jahren des 16. Jahr-
hunderts in der Stadt Treviso nieder und wurde bald,
wie es scheint, Bürger daselbst, sodass er von da an
sich fast immer „de Tarvisio" zu bezeichnen pflegte. ^
Von seiner Hand finden wir zwei Bilder in dieser
Doria-Galerie. Das eine derselben (Braccio II, Nr. 15)
stellt den heiligen Hieronymus in einer meisterhaft ge-
malten Landschaft dar und wird im Katalog als Werk
des Caracci (!) angeführt. Die Leidenschaftlichkeit
in der Bewegung des sich kasteienden alten Mannes
ist durchaus Lottisch. Ein diesem ganz ähnliches Bild,
doch in grösserm Format, besitzt auch das Museum von
Madrid, dort Tizian zugeschrieben. Doch schon Otto
Mündler (a. a. O.^ S. 58) und nach ihm auch die Herren
Crowe und Cavalcaselle haben beide Bilder als Werke
^ Dies gewahrt man am deutlichsten im Bilde des Palma
im Louvre, sowie auch im schönen Frauenporträl (Nr. 197A) im
Museum von Berlin.
2 Siehe: Gustavo Bampo, Spigolature dalV archivio nota-
rile di Treviso:
1504, 24. Febr. „Tarvisn in domo hdbitationis mag. Lau-
rentii LoH de Venetiis pictoris Tarvisii^^ etc.
1504, 25. Novb. „Tarvisii — inesentihus .... et m. Lau-
rentio Loto de Venetiis q. S. Thome, pictore hahitatore
Tarvisii.'^
1505, 7. Aprilis. „ Tarvisii in domo hahitationis m. Laurentii
Loti de Venetiis, q. S. Thome, pictoris celcherrimi"' etc.
Im Jahre 1505 war Lotto also schon ein berühmter Meister.
Die Venetiauer: Lorenzo Lotto. 391
Lotto's erkannt. Ich hatte vor zelten Gelegenheit in Paris
bei dem verstorbenen Otto Mündler ein anderes Bildchen
mit demselben Gegenstand zu sehen, worauf der Name
des Meisters und das Jahr 1515 mit Goldbuchstaben ge-
zeichnet standen. Jenes Bildchen mag wahrscheinlich
dasselbe gewesen sein, das der Anonymus des Morelli
als im Hause des Domenico dal Cornello (d. h. Tassi)
zu Bergamo befindlich erwähnt*: ^.el quadretto de S.
(rieronimo^\ Das andere Bild des Lotto in dieser Samm-
lung hängt in demselben Braccio II unter Nr. 34 und
ist im KatiUog als Porträt eines Richters (!) von L. Lotto
angeführt. Was der „Richter^' mit diesem Bilde zu
schaflen haben mag, mögen gelehrtere Männer als ich
bin erklären. Doch daran liegt ja nicht viel; besehen
wir uns das Bild selbst. Der noch im besten Alter
stehende Mann scheint von Gemüthsleiden niederge-
schlagen; sein Antlitz ist blass, er hält die Hand auf
dem Herzen, gleich als ob der Schmerz dort seinen Sitz
hätte; sein Auge scheint etwas zu suchen, was nicht
mehr in dieser Welt ist. Seine Figur ist zwar nicht
elegant in der heutigen Bedeutung des Wortes, allein die
ganze Haltung dieses noch jungen Mannes entspricht
dem tiefbetrübten Ausdruck seiner Gesichtszüge. Der
Mann zählt blos 37 Jahre und doch bedeckt schon der
Epheu den Stein, auf welchem seine Lebensjahre ein-
gegraben sind. Auf einem danebensteheuden Pilaster
sieht man ein Basrelief, auf dem der Gott der Liebe
dargestellt ist, wie er, gen Himmel blickend, mit
seinen Füssen die Schalen einer Wage im Gleichge-
wicht erhalt — vielleicht eine Andeutung, dass, wie
jene Wage nicht mehr vom Liebesgott auf- und nbg<*-
worfen wird, so auch das Herz des Mannes nun nicht
* Die Familie Tausi besä«« im Brcmbothal ein Schloss mit
Uem Namen Cornello , weshalb die MitgUeder jener Familie blos
„dal Cornello" genannt wurden.
392 Die Galerie Doria-Panfili.
mehr von der Liebe bewegt wird. Diese nämliche
Darstellung Amor's auf der Schale einer "Wage stehend
findet man auch auf einer jener schönen Tarsien des
Capodiferro in der Kirche S. Maria maggiore zu Ber-
gamo, wozu im Jahre 1523 L. Lotto die Zeichnung
lieferte.^ Unter jenem Amor dort liest man: „iVosce te
ipsum^'-. Der verstorbene Mündler mit seinem feinen
Kunstsinn konnte nicht umhin, auch diesem seelen-
vollen Bilde des Lotto der Doria- Galerie in warmen
Worten seine Bewunderung zu zollen (a. a. O., S. 58);
nur scheint er mir darin fehlgegriffen zu haben, dass er
dieses Porträt als das des Malers selbst ansah. L. Lotto
ist gewiss schon vor dem Jahre 1480 geboren ; er müsste
folglich das Bild, falls es Selbstporträt wäre, ungefähr
1512 gemalt haben. Jener Epoche seiner Wirksamkeit
aber entspricht weder die Malart in diesem Bildnisse,
noch die darauf gesetzte Bezeichnung L. LOTTO, da
auf allen Werken Lotto's in Bergamo, also vom Jahre
1515 bis zum Jahre 1524 der Name auf lateinisch
LAV. LOTVS gezeichnet steht. Erst später bezeich-
nete er seinen Namen auf italienisch. Die Werke dieses
Meisters, welche die Galerie des Fürsten Borghese be-
sitzt, haben wir bereits besprochen; es erübrigt uns nun,
einen Blick in die andern Sammlungen Roms zu thun,
woselbst wir noch mehrern Gemälden dieses stets interes-
santen und originellen Vorgängers des Correggio be-
gegnen werden. So finden wir in der Galerie Colonna
das Bildniss des Cardinais Pompeo Colonna, ein Ge-
mälde, das in seinem gegenwärtigen Zustande mir eher
als Copie denn als Original erscheint. Im Casino oder
Gartenhaus des Fürsten Rospigliosi, wo die Aurora des
Guido glänzt, sieht man ebenfalls ein Bildchen des Lotto,
welches uns Zeugniss gibt, wie dieser religiöse Mann
^ Siehe : Vite dei pittori, scultori e architetti Bergamaschi,
scritte dal Conte Fr. Maria Tassi, I, 64.
Die Venetianer: Lorenz© Lotto. 393
und Freund aller Dominicanerklöster die griechische
Mythologie aufgefasst und dargestellt wissen wollte.
Mündler hat auch dieses geistreich gedachte und mit
grosser Feinheit ausgeführte Gemälde des Lotto zu wür-
digen verstanden und es den „Sieg der Wollust über
die Keuschheit" genannt (a. a. O., 59). Vielleicht könnte
er ebensogut damit „die Rache dermitliecht eifersüchtigen
Juno an Venus" haben darstellen wollen. Wir sehen
hier nämlich die Juno in einen grünen Mantel gehüllt,
den Kopf mit einem weissen Tuch bedeckt, wie sie
den zerbrochenen Bogen Amors schwingend, zorn-
sprühend auf Venus losstürmt. Die Göttin der Liebe,
mit perlengeschmückten blonden Haaren, einen leuch-
tenden Stern auf der Stirn, mit goldenen Ketten am
Hals und violettem Mantel über den Schultern, sucht
den hinter ihr sich schirmenden buntbefiederten Amor
mit verweinten Augen vor dem Zorn der Himmels-
königin zu schützen. Auf einem Cartellino kann man
noch deutlich den Namen : Laurentius Lotus lesen. Der
Malweise nach gehört auch dieses Werk des Meisters
in seine bergamaskische Zeitepoche (1515 — 1524). Aus
der nämlichen Wirkungszeit des Lotto sah man vor
dem Jahre 1870 auch im Quirinal ein schönes Werk
Lotto's vom Jahre 1524. Dasselbe stellte die Jungfrau
Maria mit dem unbedeckten Christuskind auf dem Schos
dar, von den Heiligen Antonius, Katharina, Johannes
dem Täufer, Hieronymus und einem heiligen Bischof
umstanden; prachtvoll in der Farbe. Bei der grenzen-
losen Indifferenz in Sachen der Kunst^ die in den ober-
sten wie in den untersten Kegionen der constitutionellen
Regierung Italiens vorwaltet, würde es mich gar nicht
wundern, wenn auch jenes Bild auf die eine oder auf
die andere Art verschwunden wäre.
Auch in der CapitoKnischen Bildersammlung gibt es
ein Werk von L. Lotto, freilich unter einem fremden
Namen aufgestellt. £s ist dies ein Porträt im zweiten
394 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Saal, mit der Nr. 74. Das Bild stellt einen jungen vorneh-
men Mann in Lebensgrösse, mit schwarzer Mütze, schwar-
zemWamsundschwarzenBeinkleidern dar; derselbe stützt
sich leicht mit dem linken Ellenbogen auf einen mit grau-
bläulichem Teppich bedeckten Tisch und hält in den
Händen ein Feuergewehr. Dieses Bildniss, das einst
gewiss glänzend gewesen sein mag, ist gegenwärtig
leider nur noch eine Ruine. Die eigenthümliche Körper-
bewegung des Mannes ist auch auf diesem Porträt Lotto's
sehr fein empfunden und meisterhaft wiedergegeben, die
Zeichnung der Hände charakteristisch für den Meister,
das reich verzierte Feuerojewehr mit grosser Liebe aus-
geführt. Das Bild wird wunderlicherweise: ^^ritratto
di un Monaco^' (Porträt eines Mönchs) und als Werk
des Giorgione im Katalog aufgeführt, (f)
Die Galerie Spada endlich hat eine Copie des
Originalbildes mit der „Ehebrecherin" von L. Lotto,
das im Louvre sich befindet. Eine andere und zwar
vlä mische Copie desselben Bildes befindet sich in der
Dresdener Galerie. Während das Museum von Neapel
in einem Madonnenbildchen ein höchst interessantes
Jugendwerk (1507) des Lorenzo Lotto besitzt, gibt
uns dagegen das andere Madonnenbildchen vom Jahre
1534 in den Uffizien (Nr. 575) keinen besonders vor-
theilhaften Begriff von diesem Meister. Wer jedoch
wünschen sollte, den Lotto, diesen so feinsinnigen und
erfindungsreichen, vom verstorbenen Baron von Ilumohr
so ganz verkannten Künstler vollkommen kennen, ihn
nach seinem Verdienst würdigen und lieben zu lernen,
dem rathe ich, die Werke desselben in Recanati (1508),
in Jesi (1512), in Bergamo (1515—1524), in Mailand
und Venedig aufzusuchen. Dort wird er, zumal vor
seinen Bildern in Bergamo: in der Communalgalerie
daselbst, in den Kirchen von S. Bartolommeo, von S.
Spirito, von S. Bernardino, in der Pfarrkirche von
Alzano, in Trescorre, vollkommen einsehen, welch eine
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 395
lebendige, reiclibegabte, liebenswürdige Künstlernatur
dieser Meister ist; er wird aber auch darüber sich wun-
dern, dass bisher so wenige Kunsthistoriker ihn erkannt
und nach seinem wirklichen Verdienst darzustellen ver-
standen haben, üebrigens begreife ich wohl, dass so-
wol für angehende Kunstkenner als auch für systema-
tische Kunstästhetiker, deren beschränktem Geschmack
einzig und allein die charakteristische Herbe und Härte
der Formen, sowie die Schlichtheit der Darstellungs-
weise der Quattrocentisten zusagen, die Gemälde eines
Lorenzo Lotto nicht nur keinen Reiz haben können,
sondern dass dieselben sogar eher abstossend als an-
ziehend auf deren Auge und Sinn wirken müssen. Denn
wie alle nervös erregbaren, in sich gekehrten Naturen
von uns verlangen, dass wir ihnen freundlich und ohne
Vorbehalt entgegenkommen, sollen sie uns ihr Herz er-
schliessen, so wollen auch die Werke Lotto's mit liebe-
voller Nachsicht für seine, übrigens stets liebenswür-
digen Schwächen betrachtet sein. Wer ihm mit der
Brille und dem ästhetischen Katechismus der Akademiker
entgegentritt, dem wird der Keiz seiner Werke sicher
verschlossen bleiben. Lorenzo Lotto war melancholi-
schen Temperaments; den meisten seiner Bildnisse theilte
er den schwermüthigen Zug des eigenen Gemüths mit.
Bereits in seinen dreissiger Jahren scheint er, weltmüde,
die Einsamkeit und Stille der Klosterzelle aufgesucht
zu haben. Auch ist zu bedenken, dass ebenso wie Tizian
den Giorgione, so hat Correggio später auch seinen Vor-
läufer Lotto in Schatten gestellt.
GIOVAN ANTONIO DA PORDENONE.
Ein jüngerer, durch und durch weltlich gesinnter
Zeitgenosse und Antipode des Lotto, sowol in seiner
Empfindungs- als in seiner Darstelhingsweise, ist der
ritterlich vornehme, hochfahrende (iiovan Antonio
396 Die Galerie Doria-Paufili.
da Pordenone, geboren in der Stadt Pordenone 1483,
gestorben in Ferrara 1539. Otto Mimdler verglich diesen
Friulaner, und wie ich glaube mit Recht, in Rücksicht
auf die lebhafte Energie seines Naturells und auf seine
Vorliebe zum Schwülstigen und Kolossalen, mit P. P.
Rubens. Der Vlamländer war jedoch andererseits ein
diplomatisch berechnender, schmiegsamerWeltmann, wäh-
rend das ungestüme, leidenschaftlich erregbare, von Stolz
und Ehrgeiz stets aufgeregte Gemüth den Friulaner nie
zu jener behaglichen, fürstlich vornehmen Ruhe in seiner
künstlerischen Wirksamkeit kommen Hess, die der kluge
Rubens sich zu verschaffen wusste und welche er auch
in vollem Maasse bis an sein Lebensende genoss. Da-
her mag es denn vielleicht auch kommen, dass Porde-
none nie conventionell wurde. Dieser geniale, phan-
tasiereiche und nicht selten selbst grossartige Künstler,
welcher eine Zeit lang in Venedig, und zwar nicht ohne
Erfolg, mit Tizian um die Palme rang, nannte sich bald
Sacchiense, bald de Cuticellis oder auch Corticellis, bald
wieder Regillo, und lässt uns auch schon durch diesen
beständigen Wechsel seines Namens die Unruhe seines
stolzen, ehrgeizigen Charakters erkennen. Mehr für die
Wandmalerei als für kleine Staffeleibilder geschaffen,
hinterliess er uns jedoch auch eine grössere Anzahl
von Oelgemälden, von denen einige zum Erfreulichsten
gehören, was die venetianische Kunst erzeugte. Ich
brauche hier blos an die Bilder, welche die Stadt Porde-
none selbst von ihm besitzt, an die zwei grossen Altar-
werke (Saal VII, Nr. 22 und 25^) in der Akademie von Ve-
nedig, an das Madonnenbild in S. Giovanni Elimosinaro
und an den heiligen Martinus zu Pferde in S. Rocco eben-
^ Unter den Bildnissen der Familie Ottoboni von Pordenone,
für welche Giovan Antonio 1526 dieses schöne Bild ausführte, sind
etliche, die, meinem Gefühl nach, neben die besten Porträts aller
Zeiten gestellt werden können. Leider ist jenes Bild sehr schadhaft.
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 397
daselbst, an die herrliche Altartafel in der Pfarrkirche
von Sussigana, an die ebenso vorzügliche „Anbetung
der Hirten" in S. Maria de' miracoli von Motta (bei
Treviso), sowie auch an das glanzvolle Madonnenbild
am ersten Altar rechts im Dome von Cremona zu er-
iimern.
Von diesem seltenen Meister nun darf, wie ich glaube,
auch die Doria- Galerie sich rühmen, ein gutes Werk
zu besitzen. Es ist dies ein männliches Porträt, Nr. 11
im Braccio II. Der Katalog bezeichnet es als y^ritratto
di un giudice^^^ also wieder als das Conterfei eines Rich-
ters, und zwar wahrscheinlich nur darum, weil dei^
schöne junge Mann im rothen Kleide und dem schwarzen
Mäntelchen eine Papierrolle in der Iland hält. Wie aber,
wenn dieses Blatt statt eines Gerichtsactes ein Liebes-
brief wäre? Doch daran liegt nicht viel. Einer meiner
kunstsinnigen Freunde meinte dieses Bildniss durchaus
dem Pordenone absprechen zu müssen, um es dem Dosso
Dossi zu geben. In der That hat der eigenthümliche
Farbenglanz des Incarnats etwas, das uns an das so-
genannte Porträt der Vannozza von Dosso, Nr. 32 im
Braccio III, erinnert; allein die Carnation ist bei Por-
denone stets heller und die Zeichnung straffer als bei
Dosso, wie dies sich auch hier bestätigt, wenn wir dieses
sogenannte Porträt eines Richters mit dem der soge-
nannten Vannozza vergleichen, und ich kann daher nicht
umhin, diesmal mit voller Ueberzeugung der Ansicht
des Verfassers des Katalogs beizustimmen, welcher dieses
Bild dem Pordenone zuschreibt Ausser diesem Por-
trät in der Doria-Galerie sah man vor Jahren in Rom
noch ein anderes und zwar weit bedeutenderes W^erk
dieses eminentesten aller friulanischen Künstler. Jenes
Gemälde befand sich damals in einem Vorsaal des quiri-
nalischcn Palastes; es stellte den heiligen Georg vor,
der auf weissem Rosse mit gezücktem Schwert auf ein
wildes Ungethüm losstürmte. Im Mittelgrund des Bil-
398 I>ie Galerie Doria-Panfili.
des, welcher von einer reizvollen Landschaft gebildet
ist, sah man unter grünem Gebüsch die in einem orange-
gelben Kleid gehüllte Prinzessin mit geftilteten Händen
auf den Knien Gott für ihre Rettung danken. Zu den
Füssen des vor Wuth schnaubenden Drachen lag, umringt
von den Knochen der verschiedensten Thiere, die noch
frische Leiche eines jungen Ritters. Jenes phantastische,
glanzvolle Gemälde, aus dem das volle Arom der Blüte-
zeit der venetianischen Kunst uns entgegenwehte, war
leider durch Restaurationen etw^as getrübt; es trug den
Namen des Malers in folgender Fassung: I • A • REG •
PORD • F. (Joannes Antonius Regillus Pordenonensis
fecit).^ Wie man nun diesem, um mich eines stereo-
typen Ausdrucks zu bedienen, durchaus Giorgionesken
Maler so lange Zeit hindurch Werke des Brescianers
Alessandro Moretto, einem von ihm so durch und durch
vorschiedenen Künstler, hat zuschreiben können, wäre
fast unglaublich, würden uns nicht neueste Bilderbestim-
mungen belehren, dass wir, falls es so fort gehen sollte,
für die nächste Zukunft in dieser Beziehung uns aufs
Aeusserste gefasst machen dürfen. Nicht zufrieden da-
mit, das grosse Altarbild Moretto's, welches ehedem in
der Sammlung des Cardinais Fesch in Rom war und
gegenwärtig eine der Hauptzierden der Bildergalerie im
StädePschen Institut bildet, unserm Giovan Antonio da
Pordenone zugeschrieben zu haben, haben einige Kunst-
schreiber kürzlich auch noch ein anderes, viel vorzüg-
licheres Altarwerk des Brescianers in der Belvedere-
Galerie in Wien ebenfalls als Arbeit des Pordenone zu
* Gegenwärtig soll das Bild sich im Vorsaal des Privat-
gemachs Sr. Heiligkeit Papst Leo's XIII. befinden. Ich kann
nur wünschen, dass die kampflustigen Prälaten, die sich dort
versammeln, am Anblick des tapfern Ritters der Vorzeit ihren
Muth stählen mögen, um siegreicher, als dies bisher der Fall war,
den Kampf gegen den sie bedrohenden Drachen der Geistesfrei-
heit zu bestehen.
Die Venetianer: Giovan Antonio da Pordenone. 399
beschreiben und anzupreisen versucht.* Und ein sonst
achtungswürdiger italienischer Kunstforscher gefiel sich
vor wenigen Jahren noch, in der heiligen Justina das
Ebenbild der Signora Laura Eustocchia von Ferrara und
in dem vor ihr knienden bärtigen Donator das Conterfei
des in sie verliebten Herzogs Alfonso I. d'Este zu er-
blicken.- Ein anderer Kunstschriftsteller, Monsieur Viar-
dot, in der Voraussetzung, dass beide ebengenannte Ge-
mälde von der Hand des Pordenone seien, geht dann so
weit, zwischen dem Bilde des Moretto im Belvedere und
dem wirklichen Bilde des Pordenone (Saal VH, Nr. 25)
in der venetianischen Akademie eine „grosse Analogie"
wahrnehmen zu wollen. Was uns schwache Sterbliche
die Vorurtheile doch alles sehen lassen!
Unter den Wandgemälden unsers Meisters von Por-
denone erscheinen mir als die interessantesten jene in
der Kapelle des Schlosses S. Salvadore der Grafen Col-
lalto (bei Conegliano), jene in S. Maria di campagna
bei Piacenza und die im Dom von Treviso. Ich würde
ebenfalls noch die Fresken im Hofe von S. Stefano zu
Venedig hinzufügen, wären nicht auch jene Gemälde
in neuerer Zeit durch eine einfältige Restauration voll-
kommen ungeniessbar gemacht worden!
Da Pordenone in keiner einzigen der bedeutendem
Bildergalerien Europas vertreten ist, weder in der des
Leu vre, noch in der von Dresden, weder im Museum
* Die heilige Justina, Nr. 310. Der Gesichtstypus dieser Hei>
ligen kommt auf mohrem andern Bildern des Moretto vor, so
z. B. auf zwei Altarwerken in S. demente zu Brescia. Damit
wird die Annahme hinfallig, dass es das Ebenbild einer bestimm-
ten Person sei. Früher schrieb man in Wien jenes Bild dem
Tizian zu.
* Sogar der verdienstvolle und vorsichtige Graf Pompeo
Litta hat in seinem bekannten Werk: „Le famiglie iUmtri d'Ra*
7fa'S den Donator in diesem Bilde Moretto's für den Henog
Alfonso genommen und in seinem .Werk tlt solchen ihn auch re-
producirt.
400 Die Galerie Doria-Panfili.
von Madrid, noch im Belvedere zu Wien, noch in der
National Gallery in London, so erscheint es mir nicht
unpassend, einige seiner Handzeichnungen hier anzu-
geben, damit meine jungen Freunde sich wenigstens
nach Photographien einen, wenn auch nur oberfläch-
lichen Begriff von der Art dieses höchst interessanten
venetianischen Künstlers machen können:
1) Die Akademie zu Venedig besitzt von der Hand
des Pordenone eine aquarellirte Zeichnung mit der „Vor-
stellung im Tempel". Von Perini photographirt, Nr. 155.
2) Das Britische Museum hat eine ganz vorziigliche
Zeichnung in schwarzer Kreide, den „heiligen Christoph
mit dem Christkind auf der Schulter" vorstellend;
Braun Nr. 103.
3) Eine ebenüills gute RÖthelzeichnung des Porde-
none, „die heilige Jungfrau mit dem Kind auf ihrem
Arm" (f), kam vor Jahren aus dem Besitz des Mar-
quis de Chennevieres in Paris in den Handel ; sie wurde
von Braun unter dem Namen des Palma vecchio re-
producirt. Braun, Beaux-arts^ Nr. 212.
4) Eine andere charakteristische Tuschzeichnung,
wie ich glaube aus der Frühzeit des Meisters, wurde
von Braun photographirt und zwar unter dem Namen
des Giambellino. (f ) Dieselbe stellt den heiligen Mar-
cus (?) in einer Nische sitzend dar, wie er einer um ihn
versammelten Schar von Gläubigen guten Rath ertheilt.
Braun, Beaux-arts^ Nr. 144.
5) Auch die reiche Sammlung des Herzogs von De-
vonsliire in Chatsworth besitzt (f), unter dem Namen
des Giörgione, eine, wie mir scheint, ebenfalls echte
RÖthelzeichnung des Pordenone: „Petrus den Märtyrer"
vorstellend.
GIOVAN BATTISTA MORONI.
In der Nähe des schönen Porträts von Giovan An-
tonio da Pordenone in der Doria-Galerie blickt uns ein
Die Venetianer: Giovan Battista Moroni. 401
schielender Mann an, der ein Buch in der Hand hat.
Der Verfasser des Katalogs, dem, wie wir bereits ge-
sehen, der Name Tizian über alles geht, verlieh wie
so manchem andern Bilde dieser Sammlung so auch
•diesem Portrat den Namen Tizian's, und es war dies
gewiss nicht der gröbste Fehler, den er beging; findet
man ja in andern, noch viel berühmtem Galerien Eu-
ropas Bildnisse des Giovan Battista Moroni, welche
-den Namen des Cadoriners führen.
Ausser diesem hier besitzt Rom, soviel mir bekannt
ist, von dem berühmten bergamaskischen Porträtmaler
nur noch ein einziges Bild, ich meine jenes im ersten
Saal der Galerie des Fürsten Colonna. In den öffent-
lichen Sammlungen von Süditalien begegnet man kaum
diesem Meister. Dagegen hat Florenz eine ziemliche An-
zahl Bilder von der Hand des Moroni aufzuweisen, und
<larunter einige sehr gute. Zwei echte Porträts von
seiner Hand befinden sich unter den Nrn. 121 und 128
im Palast Pitti, dort unglaublicherweise noch immer dem
grossen Veronesen Domenico Morone zugeschrieben,
und fünf andere männliche Porträts, wenn ich recht ge-
zählt habe, besitzt die Uffizien-Galerie. Darunter gilt
jenes mit der Nr. 360 für das Selbstporträt des Malers.
Dasselbe wurde 1684 in Venedig von Matteo del Teglia,
Agenten des Herzogs von Toscana, für die Florentiner
Sammlung erworben.* Das Selbstporträt des Moroni,
welches in Bergamo dafür gilt, stimmt jedoch keines-
wegs mit jenem in der Portratsammlung von Florenz
überein. Wir müssen uns daher sei es an das eine,
sei es an das andere der zwei Selbstbildnisse des Ber-
gamasken halten, oder was vielleicht klüger sein dürfle,
nn keines von beiden.
In den Galerien von Bologna, Modena, Ferrara,
* Siehe Michelangelo Quaianai , n^'" ' / ' <i' Lfücre
^uUa Pittura, ScüUura e Arehiiettura'' (13 . i - • V. III, 192.
LsBMOusrv.
402 Die Galerie Doria-Panfili.
Padua, Vicenza, Verona, ja selbst in der von Venedig*
sieht man sich vergebens nach einem Werke des Giovan
Battista Moroni um. Wer übrigens diesen Meister in
allen Phasen seiner Wirksamkeit kennen lernen will,
der findet ihn in der Stadt und in der Provinz Ber-
gamo reichlich vertreten. Auch die National Gallery
in London besitzt ein paar seiner vorzüglichsten Bildnisse»
In keiner andern Sammlung der Welt machte man
vielleicht einen so freigebigen Gebrauch von den glän-
zenden Namen des Giorgione und des Tizian, wie in
dieser Doria- Galerie. Sollte man dem Katalog vollen
Glauben schenken, so müssten fast bei jedem Schritt
und Tritt und von jeder Wand herab, Werke entweder
des einen oder des andern der zwei grossen venetia-
nischen Meister uns entgegenwinken. Damit hat e&
jedoch keine Gefahr, und ich warne meine Freunde, bei
dergleichen Bilderattributionen die Sache nicht gar zu
ernstlich nehmen zu wollen. Sie müssen nämlich be-
denken, dass die verehrlichen Verfasser von Galerie-
katalogen, wenn auch nicht alle, so doch im Durch-
schnitt zwar sehr brave und respectable Leute sind, aber
meistens von sehr sanguinischem Temperament. Sind
diese Herren nun einmal in ihr Amt eingesetzt und
fühlen sie sich nach und nach da zu Hause, so scheint
in ihnen eine Art platonischer Liebe zu irgendeinem
der grossen Meister, von denen sie in ihrem Leben reden
gehört haben, zu erwachen. Von dieser Liebe nun be-
geistert, pflegen sie dann, der eine den Raffael, der an-
dere den Michelangelo, ein dritter den Lioi^rdo da
Vinci oder den Verrocchio zu seiner besondern Ver-
ehrung sich zu erkiesen. So gibt es wieder andere^
deren Losungswort Giorgione und Tiziano Vecellio ist.
* Die zwei ihm dort zugeschriebenen Bildnisse haben nichts
mit Moroni zu schaffen.
Tizian. 403
Die meisten dieser Herren erhitzen dann nach und nach
ilire Phantasie so sehr, dass sie in fast jedem der ihrer
Fürsorge anvertrauten Bilder oder Statuen die Gesichts-
züge ihrer Lieblinge zu erblicken wähnen.
Und ungefähr so mag es auch unserm Verfasser des
Katalogs der Doria-Galerie mit Giorgione und mit Ti-
zian ergangen sein. Ich darf daher, ohne befürchten zu
müssen auf Widerspruch zu stossen, meine freundlichen
Leser versichern, dass, wenn einerseits Giorgione auf
kein einziges der ihm hier zugedachten Bilder Anspruch
machen darf, andererseits von dem anderthtilb Dutzend
der auf Tizian getauften Bilder, nach meiner Ueber-
zeugung, nur eins mit voller Sicherheit dem grossen
Cadoriner zugeschrieben werden kann.
Dieses eine aber gehört zu den allerköstlichsten
Jugendwerken des Meisters; es ward ehedem dem Gior-
gione und wird in neuerer Zeit dem Pordenone zuge-
muthet. In meinen Augen ist dieses Gemälde eine der
reizendsten Schöpfungen Tizian's und wiegt allein reich-
lich die 15 oder 16 andern Bilder auf, die hier ganz
willkürlich dem Cadoriner zugetheilt werden. Das Bild,
das ich im Sinne habe, stellt die „Herodias" dar und
hängt unter Nr. 40 im Braccio H. (f) Meinem Ge-
fühl nach gibt es wenige Kunstwerke, die solch einen
Zauber ausüben, wie dieses vornehm feine Jugendbild
Tizian's. Und es ist mir kaum erklärlich, wie die
Herren Crowe und Cavalcaselle, die bekannten Biogra-
phen Tizian's, dieses holdselige junge Weib von einem
80 ausgesprochenen Tizianischen Gesichtstypus dem stets
viel derbem Pordenone haben zuschreiben können!
Aus diesem Grunde wurden sie wol auch vor diesem
Bilde selbst von Dircctor Bode im Stich gelassen. Der
berliner Kunstgelchrte ist nämlich, zu meiner nicht ge-
ringen Verwundening, diesmal mir nachgf'foljrt (II, 758).
Man beachte, wie gesagt, in dieser „Ilorodias" den
durchaus Tizianischen Gesichtstypus der Salome, dieses
26*
404 I^ie Galerie Doria-Panfili.
runde charakteristische Ohr der Magd, so verschieden
von der länglichen Ohrform bei Pordenone; man be-
achte ferner jene bei Tizian sehr oft wiederkehrende
scharfwinkelige Falte /\ (hier auf der Schulter der
Salome), sowie auch die dem Cadoriner eigenthümlichen
Farbenaccorde; ich darf daher wol hoffen, dass selbst An-
fänger in der Kunstwissenschaft nicht anstehen werden,
in diesem Gemälde mit mir den Geist und die Hand
desselben Meisters zu erkennen, der das Bild mit den
drei Lebensaltern bei Lord Ellesmere in London schuft
Wie nun Lord Northbrook in London von dieser He-
rodias eine alte und gute Copie besitzt, so vorzüglich,
dass der verstorbene Dr. Waagen dieselbe für ein Werk
des Giorgione glaubte erklären zu dürfen, so finden wir
in dieser Doria-Galerie eine ebenfalls gute alte Copie
(Braccio I, Nr. 20) vom Originalbilde bei Lord Elles-
mere. ^ Allein in diesem Braccio I hängt noch ein
anderes Bild, das allgemein für ein Werk Tizian's gilt.
Es trägt die Nr. 14 und stellt einen alten Herrn von
sehr leidenschaftlichen Gesichtszügen dar. Der weiss-
bärtige Mann hat ein schwarzes Kleid an und hält die
ausgestreckte rechte Hand auf einem Tische, zwischen
einer weissen Rose und einem kostbaren Frauen-
geschmeide, wahrscheinlich eine Anspielung auf den
Verlust einer jungen Tochter. Es ist ein interessantes,
lebendiges, geistreich gedachtes Bild. Wenn ich nun
gern zugebe, dass dieses Porträt nicht unwürdig wäre,
in die grosse Reihe der Tizian'schen Bildnisse gestellt
zu werden, so ist es mir doch andererseits unmöglich
die Hand des Cadoriners in diesem Gemälde mit voller
1 Siehe Vasari, XIII, 25.
^ Auch auf diesem Bilde Tizian's sehen wir dieselbe runde
Ohrform, ja im jungen Schäfer sogar denselben Gesichtstypus,
wie auf der „Taufe Christi" Tizian's in der Capitolinischen Ge-
mäldesammlung. Beide Bilder mögen daher etwa in derselben
Wirkungszeit des Meisters entstanden sein.
Tizian. 405
Klarheit zu erkennen.* Um nun diesem Bilde ein grös-
seres Interesse zu verleihen, taufte man den darauf dar-
gestellten Mann auf Marco Polo, ebenso wie man
im Braccio II ein anderes, dem Tizian sicher nicht an-
gehöriges Bildniss, auf Jansenius getauft hat. Alle
diese gar zu einfältigen Namen, die man der im Bilde
dargestellten Persönlichkeit gab, wurden erst im 17. Jahr-
hundert, als man diese Sammlungen zusammenbrachte,
erfunden, in der löblichen Absicht, den Bildern eine grös-
sere Bedeutung zu geben. Und in der That beküm-
mert sich ja das gewöhnliche Kunstpublikum stets viel-
mehr um das, was in einem Bilde, als um das, wie es
dargestellt ist. So gab man denn dem einen Porträt
den Namen des Marco Polo, einem andern den der
Vannozza, einem dritten den des Jansenius, einem vier-
ten den „Tizian's mit seiner Frau." Würde man wol
in der Barberini-Galerie das hübsche weibliche Modell-
studium, sei es nun des Guido, sei es des Guercino,
mit solcher Inbrunst in Augenschein nehmen, wie dies
wirklich geschieht, trüge jenes weltberühmte Bild nicht
den Namen der unglücklichen Beatrice Cenci? Mundus
vtUt decipi. Ein anderes und zwar sehr grosses Bild, das,
man weiss nicht wie, zum Namen Tizian's gelangte, ist
das „Opfer Abrahams", Nr. 26, im Braccio IL Wie
allgemein bekannt, gehört dieses Gemälde dem Jan
Livens an, von welchem Maler in der Sammlung von
Braunschweig ein diesem ähnliches Bild sich vorfindet.
Ausser den drei Bildern also in der Borghese-Galerie,
der „Taufe Christi" der Capitolinischen Sammlung, den
zwei allgemein bekannten Gemälden in der vaticani-
schen Pinakothek, dieser köstlichen „Herodias" hier
und einem durch die Einfachheit der Auflassung und
der Darstellung ganz vorzüglichen Porträt des bereits
^ Allerdings erinnert es an dM Portrit des sogenannten
Arztes Parma im Belvedere zo Wien (Saal II, Nr. 40), das ein
untrügliches Werk Tician*8 ist
406 Die Galerie Doria-Panfili.
sehr gealterten Pietro Aretino beim Fürsten Mario Chigi,
ist mir in Rom kein anderes Werk zu Gesicht gekommen,
das nach meiner Ueberzeugung mit voller Sicherheit
dem grossen Cadoriner zugeschrieben werden dürfte. Es
ist wahr, sowol in der Galerie Barberini als auch in
der des Fürsten Corsini befinden sich Bilder, die man
als Werke Tizian's in den Katalog eintrug, jedoch, wie
mir scheint, mit Unrecht.
In den unfreundlichen, kellerartigen Gemächern des
Palastes Barberini tragen zwei Bilder den Namen Ti-
zian's: das eine davon ist die hässliche sogenannte
Schiava di Tiziano, Nr. 72, von der schon oben die
Rede war; das andere ist das Porträt des Cardinais
Pietro Bembo, Nr. 35. Wie bekannt porträtirte Tizian
den eiteln Mann auch zweimal, bevor derselbe den Car-
dinalshut erhielt. Eins von jenen Bildnissen befand
sich noch am Ende des vorigen Jahrhunderts im Hause,
welches dereinst Pietro Gradenigo, der Schwiegersohn
Bembo's (er hatte dessen Tochter Helene geheirathet),
bewohnte. Ein anderes Tizianeskes Porträt Bembo's
in kleinem Format besass Paolo Ramusio" in Venedig.
Wenn wir dem Anonimo des Morelli trauen dürfen,
so hätte auch Raffael den Bembo in dessen Jugend ab-
conterfeit; „e/ retratto piccolo de esso M. Pietro Bemho^
allorche giovine stava in corte del duca d* ürbino, in ma-
tita^^ (das kleine Porträt des Messer P. Bembo mit der
Kreide gezeichnet, als derselbe noch jung am Hofe des
Herzogs von ürbino weilte).
Auch im Hause Bembo's in Padua befand sich sein
Bildniss im Profil von der Hand des Yenetianers Jaco-
metto; „e? retratto delV istesso (d. h. Pietro Bembo)
allora che Vera d^anni undici fic de mano de Jaco-
metto^ in proßlo'-''^ (das Profilporträt desselben, als er
* Siehe: Notizia d^opere di disegno etc., 2^ edizione, riveduta
ad aumentata per cura di Gustavo Frizzoni^', S. 46.
Tizian. 407
elf Jahre zählte, war von der Hand des Jacometto).
Yalerio de"* Belli und später Benvenuto Cellini mussten
ebenfalls den Prälaten in Silber und Erz verewigen. Es
geht daraus hervor, dass Bembo grossen Gefallen zu
haben schien, sein Antlitz der Nachwelt zu hinterlassen.
Das Porträt, welches im zweiten Zimmer der Galerie
hängt, erscheint mir in seiner harten Zeichnung und
in seiner geistlosen malerischen Behandlung nur als eine
schwache Copie.^ (f) Eine andere Copie nach einem
Tizian'schen Porträt Bembo's wurde im Jahre 1673 von
Marcantonio Foppa der Stadt Bergamo vermacht. Es be-
findet sich gegenwärtig in der dortigen Communalgalerie.
In der fürstlichen Galerie Corsini zu Rom sind ebenfalls
zwei Bilder unter dem Namen Tizian's aufgestellt: das eine
im achten Saal, Nr. 30, „die Ehebrecherin vor Christus"
ist augenscheinlich die Arbeit des llocco Marconi aus
Treviso (f), ein Gegenstand, den dieser phantasielose
aber farbenreiche Nachahmer des Paris Bordone öfters
behandelt hat; das andere ist das lebensgrosse Porträt
in ganzer Figur von Philipp II. und darf, wie mir
scheint, blos als Atelierwerk betrachtet werden. Tizian
liat mehrere male seinen hohen spanischen Gönner ge-
malt. Das weitaus vorzüglichste Bildniss desselben und
gewiss eines der herrlichsten Porträts der Welt be-
findet sich im Prado-Museum (Nr. 454) in Madrid. In
meinen Augen ist jenes Bild vielleicht noch kostbarer
als das etwas beschädigte grosse Keiterbild KarFs V.
in derselben Sammlung. Die Kunst, mit welcher der
Cadorincr aus der schwächlichen, unansehnlichen, ja
widerwärtigen Gestalt Philipp's ein Bild zu schaffen
wuHHte, das unser Auge und unsere Phantasie mit so
unwiderstehlicher Macht zu fesseln vermag, ist wahr-
haft wunderbar. Man kann sich an der geistreichen
* Die Herren Crowe und Cavalcaselle halten dagegen das
Bild für Original, und derselben Ansicht sohliestt sich aach Di-
roctor W. Bode an (II, 761).
408 I>ie Galerie Doria-Panfili.
Zeichnung und an der feinen kunstvollen Farbenharmonie
jenes Bildes nicht satt sehen. Alles lebt in jenem Porträt.
Die aristokratisch feinen Hände allein sind eine ganze
Biographie; die belebte Zeichnung der Beine, der glän-
zende Harnisch, dabei das bleiche, schweigsame Antlitz
mit dem düstern stummen Blicke, wahrlich ein Wunder-
werk der Kunst! Bilder Tizian's, wie jene Philipp's H,
und Karl's V. in Madrid, sind Shakespeare'sche Darstel-
lungen. Sie ergreifen unsere Phantasie mit solcher Ge-
walt, dass man alles übrige dabei vergisst. Sie geben
nicht blos den dargestellten Menschen, sie geben auch
seine ganze Umgebung, die moralische Atmosphäre, u\
der er lebte, kurz seine ganze Zeit.
Wir wollen uns jedoch nicht länger bei den Vene-
tianern aufhalten, sondern schliesslich noch ein paar
andere Werke dieser Doria-Galerie betrachten, welche
unter den Namen der grössten Meister Italiens auf-
gestellt sind. Im Braccio II hängt, unter Nr. 53, ein
Tafelbild, welches im Katalog als Werk des Lionardo
da Vinci angeführt wird. Es ist das Porträt einer
vornehmen Dame in rothsammtenem Kleide. Aus der
Ferne gesehen erinnert das schöne Gesichtsoval der
noch jungen Frau an das RafiaePsche Bildniss der Jo-
hanna von Aragon, Gemahlin des Ascanio Colonna, in
der Louvre- Galerie; die Farbenscala des Kleides ge-
mahnt jedoch mehr noch als an die Schule RaflPael's-
an die Lionardo's in Mailand und ganz besonders an
jene des Giampietrino. Treten wir aber ganz in die
Nähe des Bildes, so erkennen wir auf den ersten Blick,,
sowol an der leblosen, steifen, akademischen Zeichnung
der Hände und an der kleinlichen, handwerksmässigen Be-
handlung des blechernen Weisszeugs, als auch an dem
hölzernen Vorhang (ähnlich demjenigen auf dem so-
genannten Lionardo-Bildchen der Dresdener Galerie), so-
wie an dem geleckten, elfenbeinernen Incarnat und an
Lionardo da Vinci. 409
den hackenförmigen Falten, dass wir wieder vor einem
jener sogenannten ^^pasticci''^ stehen, die in den dreissiger
und vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts besonders in
Mailand entstanden zu sein scheinen und durch die so
mancher Kunstforscher sich verblenden lässt. Soviel ich
weiss, war Otto Mündler (a. a. O., S.41) der erste, welcher
dieses Bild, von dem man früher ebenso viel Aufsehens
machte als heutigentags von andern niederländischen
sogenannten Lionardo-Bildern, für eine geistlose nieder-
ländische Nachahmung erklärt hat; wogegen Passavant
(II, 269) es zwar nicht für das Werk des Lionardo selbst,
allein doch immer für die Arbeit eines seiner Schüler
hielt. In neuester Zeit jedoch getraut sich sogar ein
römischer Cicerone kaum noch, diese steife Giovanna II
der Doria-Galerie seinem Publikum als Werk Lionardo"»
anzupreisen.* Vielleicht werden in nicht allzu ferner
Zeit die Aufgeweckteren unter den Kunstbeflissenen end-
lich auch zur Einsicht gelangen, dass es in den öffent-
lichen Sammlungen Europas eine unendlich viel grössere
Anzahl solcher vlämischer „jocwftm" und Nachahmungen
von italienischen Vorbildern gibt, als man dies bisher
hat zugeben wollen.
Nach der flüchtigen Betrachtung dieses dereinst so
hochberühmten Lionardo-Bildes sei es mir gestattet, noch
ein nicht minder berühmtes Werk eines andern grossen
italienischen Meisters kurz zu bespreclien. Das Bild
befindet sich im selben Braccio II unter Nr. 69. Im
Katalog wird es folgendermassen beschrieben: Der
Ruhm der die Tugend krönt, Entwurf vom Correggio.
Als ich mich unlängst dem Bilde mit einigen jungen
Kunstfreunden näherte, warf eben ein glattgeschorener
Herr noch einen letzten Blick dem Gemälde zu. Eine
* Selbst chronologitoh wftre et unmöglich, daM Lionardo da
Vinci, welcher im Jahre 1616 Italien TerlieM, die Gemahlin des
Ascauio Colonna hätte malen können.
410 I>ie Galerie Doria-Panfili.
ältere Daine, die unweit von ihm stand und zum Fenster
hinaussah, sagte: „Ein charmantes Bild, nicht wahr?"
„Admirable", antwortete er, indem er sein Lorgnon vom
Auge entfernte, und fügte dann hinzu, der Dame den
Arm anbietend: „Nach dem «Moulin» von Claude ist
mir dies das liebste Bild der ganzen Galerie; Correggio
ist hier der Vorläufer von Prudhon." Nachdem sich
das französische Ehepaar entfernt hatte, stellte ich das
Werk dieses Correggio in günstigeres Licht und wir be-
gannen das zum Theil unvollendet gebliebene Tempera-
bild auf der noch ziemlich neu aussehenden Leinwand
mit dem Auge des Kritikers uns anzuschauen. Dem
einen von uns fiel nun sogleich die undurchsichtige
Farbe auf, dem andern die rohen, plumpen Falten,
einem dritten die geistlos behandelte schwerfällige
Haarmasse, besonders am Kopfe des unschönen Kna-
ben rechts im Vorgrunde, während ja Vasari an Cor-
reggio gerade die hohe Kunst hervorhebt, mit der er
die Haare warm und luftig hinzuzaubern verstand.^
„Und nun gar das Mädchen, das hier links im Vorgund
sitzt", sagte ich, „macht es nicht den , Eindruck einer
jener «Bergeres», die man auf Fächern und auf Por-
zellantassen aus der Zeit Ludwig's XIV. sieht? Und
doch", bemerkte ich, „gilt dies Bild in den Augen der
berühmtesten Kritiker sowol des vorigen als unsers Jahr-
hunderts für ein Wunderwerk der Malerei!" Mengs,
^ Vasari, VII, 99: „E oltra di cib, capegli si leggiadri di co-
lore e con wfinita pulitezza sfilati e condotti, che meglio di quegli
non si pub vedere" (und überdies Haare von so reizender Farbe
und mit solcher Sauberkeit geordnet und ausgeführt, dass man
nichts Schöneres sehen kann) ; und auf Seite 103 : „perche mostran-
doci i suoi capegli faiti con tanta facilitä nelle difficoltä del
fargli, ha insegnato come e* si ahhino a fare^' (denn, indem er
[d. h. Correggio] uns wies, mit welcher Leichtigkeit er seine
Haare, welche doch so schwer darzustellen sind, hinmalte,
lehrte er uns, wie man dieselben zu machen hat).
Correggio. 41 1
der zu seiner Zeit für den grössten Kenner der Werke
Correggio's gehalten wurde, bewunderte an diesem
Bilde, „wie sich schon in der blossen Anlage die An-
muth und das Verständniss des Meisters nicht minder
als in seinen vollendeten Werken bekundet, wie in an-
dern kaum angemalten Theilen schon die Wirkung der
Natur vollkommen erreicht sei". Es gibt viele Male-
reien Correggio's, fugt er noch hinzu, die schöner sind
als diese, aber in keiner tritt die Grösse des Meisters
deutlicher zu Tage. Selbst Otto Mündler fand, „dass
dies nicht vollendete Bild das ausgeführte im Louvrc
an Freiheit und Beseelung der Köpfe weit übertrifiV».
Herr Geheimer Regierungsrath Julius Meyer, Director
der Berliner Bilder-Galerie, endlich nennt es in seinem
in ganz Deutschland wohlbekannten Buch über den
Correggio: eine etwas veränderte Wiederholung des
Temperabildes im Louvre, zwar unvollendet geblieben,
aber unzweifelhaft echt.
Es gehört allerdings eine an Anmjissung grenzende
Dreistigkeit dazu, ein Kunstwerk, das von so vielen
ehrenwerthen und hochgestellten Kunstkennern nicht
nur als unzweifelhaft echt, sondern selbst als bewunde-
rungswürdig gehalten und beschrieben wurde, ohne
weiteres für Copie zu erklären. Damit soll jedoch
keineswegs gesagt sein, dass, wie in manch anderm
Falle, ich mich nicht auch diesmal getäuscht haben
könnte.
Wie allgemein bekannt, wurden die zwei Originalbilder
(L,^<'genwäi-tig im Louvre) von Correggio für die Herzogen
Isabella Gonzaga gemalt. Später kamen dieselben nel)8t
dem „Jupiter und der Antiope" (ebenfalls von Correggio)
und dem „Triumphzug Cäsnr's" von Mantegna (jetzt in
Ilamptoi^ Court), durch Vermittelung eines belgischen
Unterhändlers in die Sammlung KarFsI. von England. Bei
der 1650 abgehaltenen Vcrsteigonmg der Kunstwerke
jenes unglücklichen Königs en^'arb sie der kölner Bankier
412 I^ie Galerie Doria-Panfili.
Jabach in Paris, welcher seinerseits später die beiden Bilder
des Correggio, somit auch das Originalbild dieses soge-
nannten Entwurfs in der Doria-Galerie, an Ludwig XIV.
verkaufte. Nun berichtet P. J. Mariette, nach meiner
Ueberzeugung der feinste und sachverständigste Kunst-
kenner, den Frankreich je gehabt hat, in seinem „Abe-
cedario" i, Band III, S. 2, Jabach hätte in seinem Hause
unter andern auch die Brüder Johann Baptist und
Michael Corneille, Pesne, Masse, Rousseau und mehrere
andere Maler gehalten. Und im Artikel, den derselbe
Mariette im zweiten Bande, S. 7, dem Michael Cor-
neille widmet, erzählt er uns dann, dass Jabach den
jungen Maler und dessen Bruder Johann Baptist ebenso
wie andere junge Leute gebrauchte, um Copien nach
den Handzeichnungen berühmterMeister in seiner Samm-
lung zu machen, welche Copien Corneille sodann als
Originale an den Mann zu bringen pflegte. Dieser
Betrug, fügt der ehrliche Mariette hinzu, war gewiss
verwerflich und schimpflich, allein der junge Corneille
fand seine Rechnung dabei. ^
Wäre es nun nicht im Bereiche der Möglichkeit, dass
auch dieser „Entwurf^' des Correggio eine von den im
Hause Jabach's verfertigten Copien sei? Würde diese
meine Vermuthung sich bestätigen, so hätte unser Cor-
^ Ahecedario de P. J. Mariette, ouvrage public par Ph. de
Chennevieres et A. de Montaiglon (Paris 1854 — 56).
* „Mais une des choses qui aiderent davantage ä lui (d. h.
dem Michael Corneille) former le goüt, et ä lui faire accorder
la preference aux ouvrages des meilleurs maitres d'Italie et sur-
tout ä ceux des Carraches et de leurs eleves, fut Voccupation
que lui fournit dans sa premiere jeunesse le sieur Jabach, qui avait
la plus belle collection de dessins qui fut alors, et qui employait
le jeune Corneille et son frere Jean Baptiste ainsi qiw plusieurs
autres jeunes gens ä en faire des copies, qui souvent il vendait
pour des originaux. Cette supercherie etait veritablement blamable
et honteuse; mais le jeune Corneille y irouvait son proßt.'^
Correggio. 413
reggio-Bild in der Doria- Galerie ungefähr dasselbe
Schicksal gehabt wie die berühmte Holbein-Madoona
in Dresden. Die Originalbilder nämlich, sowol das
des Holbein als das des Correggio, gelangten um die
Mitte des 17. Jahrhunderts in die Hände von Specu-
lanten: das Bild Holbein's an den Bankier Cromhart
Losknrt in Amsterdam, das des Correggio an Jabach
in Paris. Beide Bilder hatten wahrscheinlich die Ehre,
im Hause ihrer neuen Besitzer verdoppelt zu werden.
Die Copien beider Bilder kamen später nach Italien:
<lie Holbein's nach Venedig ins Haus Dolfin, die des
Correggio nach Rom in den Palazzo Panfili. Beiden
Bildern endlich wurde dieselbe Auszeichnung zutheil,
bis in unsere Tage von gross und klein, von Klugen
und von Thoren, für wunderbar schöne Original-
bilder gehalten zu werden. Da nun aber, nachdem
«in verehrliches deutsches Schiedsgericht die Holbein-
Madonna zu Dresden für Copie erklärt hat, heutzutage
jeder Fachmann beim ersten Blick schon bereit ist,
in diesem letztem Gemälde nicht nur eine moderne,
sondern sogar eine vlämische Malweise zu erkennen,
so will auch ich mich nicht der Hoffnung verschliessen,
dass nach einigen 20 Jahren es keinen Sterblichen, der
auf den Namen eines Kunstkenners Anspruch macht,
geben wird, welcher im Doria -Bilde des Correggfio
nicht sogleich den Geist und die Hand eines franzo-
sischen Malers aus der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts wahrnehmen sollte! Jedesmal, wenn ich vor
diesem Bilde stehe, muthet es mich an, als ob etwas von
einem Vorläufer Watteau's oder I^ncret's darin steckte.
Uebrigens finde ich es ganz in der Ordnung, dass
üowol diese Correggio -Copie im Palast Doria -Panfili
wie auch jene Holbein-Madonna in Dresden unser Kunst-
puhlikum mehr anspricht, demselben, wenn ich so sagen
darf,^ familiärer vorkommt, als die Originalbilder selbst;
liegt es doch in der Natur der Dinge, dM8 je moderner
414 Die Galerie Doria-Panfili.
die Copie eines alten Bildes ist, je näher sie also dem
Geschmack und der Sinnesweise des Beschauers steht,
sie ihm auch um so besser zusagen müsse. Ja, selbst
berühmte Maler unserer Zeit bilden hier keine Aus-
nahme. Herr A. Teichlein aus München, der Schüler
und Reisegefährte Wilhelm von Kaulbach's, berichtet
uns in seinem Aufsatze: „Zur Charakteristik Wilhelms
von Kaulbach" (1876), dass dieser berühmte deutsche
Maler in der Pinakothek von Bologna an der heiligen
„Cäcilie" von Rafiael nur die Farbe zu loben hatte,
das Uebrige im Bilde scharf von ihm kritisirt wurde.
Dagegen hätten die Fresken von Overbeck in S. Maria
degli Angeli bei Assisi grosse Anerkennung bei ihm
gefunden. Nun wurde bekanntlich die heilige Cäcilie
RaffaeFs zur Zeit Napoleon's I. in Paris zuerst von der
Tafel auf Leinwand übertragen und sodann ganz über-
malt, d. h. restaurirt, und zwar so sehr, dass jedem
feinern Kunstfreund dadurch der reine Genuss an jenem
herrlichen Bilde verdorben wird. Die Arbeit Raffael's also,
d. h. die Composition und die Zeichnung, misfiel: die
Arbeit des modernen Bilderrestaurators dagegen fand
den vollen Beifall Wilhelms von Kaulbach.
Als wir von dem mysteriösen „Correggio-Entwurf"
Abschied genommen, begegnete uns das französische
Ehepaar, welches, wie dies auf ihren Gesichtern zu
lesen war, von dem Raffaelbilde, vor welchem sie so-
eben gestanden hatten, ebenso unbefriedigt sich ent-
fernte, als wir unsererseits den „Correggio- Entwurf"
verlassen hatten. Die braven Leute wollten nun sozu-
sagen „pour la bonne bouche" sich noch einmal am
Anblick dieses ihres Lieblingsbildes erlaben. Wir da-
gegen näherten uns mit nicht geringerer Befriedigung
dem Doppelporträt RaffaeFs, in meinen Augen das
interessanteste Prachtstück der Doria- Galerie. Es war
uns jedoch nicht möglich, sogleich an eine eingehende
Raffael. 415
Betrachtung des Gemäldes zu gehen, weil zwei deutsche
Herren, im lebhaftesten Zwiegespräch vertieft, davor
sich aufgestellt hatten.
„Ich wiederhole Ihnen", sagte der eine, der seinem
Accent nach ein Wiener zu sein schien, „ich wieder-
hole Ihnen: es ist durchaus venetianische Arbeit"
„Und ich", entgegnete der andere, seiner Aussprache
nach ein Norddeutscher, „ich sage Ihnen, dass diese Copie
von keiner andern Hand sein kann als von der des
Polidoro da Caravaggio."
Im selben Augenblick lief eilenden Schrittes ein
römischer „Cicerone", von vier hochblonden Amerika-
nern gefolgt, an dem Raffaelbilde vorbei, und indem
derselbe dann in einer gewissen Entfernung von uns still
stand, schrie er, mit der Rechten auf das Bild deutend:
„Ce«^ Bartolo et Baldo, chef-cTceuvre du Raffaello d^Ur-
hin^ peintre de Pape Leon dei Medici''^. Die Amerikaner
nickten mit rL-m Kopfe und zogen mit ihrem Fnbror
von dannen.
„Diese nichtswürdigen italienischen Cicerones!*' be-
merkte der Norddeutsche. „Diese Ignoranten scheinen
nur dafür da zu sein, um bei der grossen Menge der
Unwissenden die traditionellen Albernheiten von einer
Generation auf die andere fortzupflanzen."
„Was anders thun denn die nicht italienischen Cice-
rones?" meinte der Wiener. „Auch diese predigen
ja mit unerschütterlichem Selbstvertrauen all das al-
berne Zeug in die Welt hinaus, da« sie von andern
gehört haben."
„Das sagen Sie", entgegnete pikirt der andere. „Wie
es scheint haben die Herren in Wien keine Kunde von der
neuern Kunstkritik, wie sie bei uns in Berlin betrieben
wird. In Oesterreich ist man, scheint mir, viel zu ober-
flächlich oder, wenn Sie lieber wollen, zu lebenslustig,
als dass man sich da für den organischen innem Werde-
process eines Künstlers intercssiren könnte." •
416 Die Galerie Doria-Panfili.
„Gehen Sie mir doch mit Ihrem innern Werdepro-
cess! Was geht mich der an", entgegnete der Oester-
reicher. „Ich sage Ihnen blos, dass der verstorbene
Passavant der allergrösste Raffaelkenner war, den es je
gegeben hat, und dieser Gelehrte, der ja über zwölf
Jahre lang die Werke des Sanzio aufs allergründlichste
studirte und der also diesen Maler besser kennen musste
als irgendein anderer, hat dies Bild hier für eine vene-
tianische Copie erklärt."
„Der Standpunkt Passavanfs", antwortete trocken
der Norddeutsche, „ist in Berlin ein schon längst
überwundener. Heutzutage dürfte kein einigermassen
gebildeter Mensch bei uns in Preussen vor diesem
Bilde hier noch an einen venetianischen Pinsel denken.
Bitte, sehen Sie sich doch gefälligst dieses dunkel-
braune, russige Incarnat des Navagero an, betrach-
ten Sie ferner hier am Auge die Firnislasuren über
den Oellasuren und diese flotte, breite Pinselführung
da am Munde, ganz und gar wie sie Polidoro im
Brauche hat."
„Was wollen Sie doch von der Maltechnik des Cara-
vaggio zu sagen haben? Wir wissen ja davon so gut
wie gar nichts, mein lieber Herr", sagte der Wiener.
^,Die wenigen hässlichen Bilder, die man von Polidor im
Museo Borbonico zu sehen bekommt, lassen uns den-
selben als einen höchst geschmacklosen und rohen Maler
<irkennen, und seine jetzt ganz übermalten Hausfa9aden
hier in Rom können iins doch in ihrem gegenwärtigen
Zustande schwerlich noch interessiren, wenn sie auch
für seine Erfindungsgabe nicht unvortheilhaft sprechen.
Vasari hat auch diesen brutalen Lombarden sehr über-
schätzt und übermässig gelobt, wahrscheinlich aus keinem
andern Grunde, als weil in seinen letzten Jahren auch
Polidoro ins Fahrwasser des von dem Aretiner ver-
götterten Michelangelo einlenkte."
„Sie in Wien", versetzte mit verdrossener Stimme
RaffaeL 417
der andere, „mögen über den Caravaggio denken wie
Sie wollen; wir in Berlin werden, auch ohne vorher
uns die Erlaubniss dazu von Ihnen einzuholen, fort-
fahren, der neuern Kritik zu folgen und in Polidoro
einen grossen, vom Raflfaerschen Geist beseelten Künst-
ler zu erblicken."
„Ich wiederhole es Ihnen nochmals", entgegnete der
"Wiener, „Polidoro ist in meinen Augen halt gar nichts
anderes, als ein ganz gemeiner Stubenmaler."
„Und ich erlaube mir Ihnen zu bemerken", erwiderte
der Berliner, „dass die Kunstgelehrten an der Donau
von der wahren historischen Kunst gar V"»""»^ VlMren
Begriff sich gebildet zu haben scheinen.
„Was", rief der Wiener aus, „glauben Sie denn
etwa, weil Sie Directorialassistent an der Spree sind,
dass Sie das Recht hätten, alle andern Leute in der
Welt in die Schule zu nehmen?"
„Sie müssen doch gestehen, lieber Baron", sagte
lächelnd und mit herablassender Stimme der Nord-
deutsche, „dass Sie ja blos Dilettant und keineswegs
Mann des Fachs sind."
„Fach oder nicht Fach", rief jener mit Leb-
haftigkeit, „ich sage Ihnen, dass die Dilettanten bei
Ulis, denen die Kunst am Herzen liegt und die über-
dies wie ich das Glück haben, selber Bilder zu be-
sitzten, ebenso viel, wenn nicht noch mehr, Recht
haben, über Kunstwerke ihre eigene Meinung zu äus-
sern, als sogenannte Fachmänner, die an den Bildern
selbst nicht mehr Freude haben als etwa der Anatom
an dem Cadaver, den er secirt; Leute, die am Ende
mit der Kunst nur deshalb sich abgeben, um jedem
Bilde und jeder Statiif* in der Welt fiiifMi beliebigen
Namen zu geben. '^
.,Lieber Baron", erwiderte der Norddeutsehe, indem
er den Kopf in die Hohe hob, ^^gestatten Sie, das8 ich
Sie abermals daran erinnere, dass es in allen Fäc|iern
LiKxoLnnrr. 27
418 I>ie Galerie Doria-Panfili.
der AVissenschaft und folglich auch in der Kunstwissen-
schaft Berufene imd Unberufene gibt." Mit diesen
Worten knöpfte er den grauen U eberrock zu und schritt,
von seiner Würde getragen, von dannen.
Der Baron aber, der sich in der entgegengesetzten
Kichtung fortbewegte, rief ihm nach: „Ganz wohl, es
gibt gescheite und es gibt langweilige Leute."
Eine blonde, noch junge Dame von sehr intelligen-
tem Blicke, welche sehr aufmerksam der gelehrten Dis-
cussion der beiden Herren zugehört hatte, näherte sich
lächelnd, als jene fort waren, mit sichtlichem Interesse
dem Bilde und sagte dann, sich an mich wendend: „Ver-
zeihen Sie, wenn ich es wage, die Frage an Sie zu
richten, ob auch Sie die Ansicht der beiden Herren
theilen, dass nämlich dieser herrliche Kopf hier", in-
dem sie mit dem Finger auf dea Navagero hindeutete,
„nicht von der Hand RaffaePs gemalt sei? Ist es
nicht das Werk Raffael's", fügte sie sogleich hinzu,
ohne meine Antwort abzuwarten, „so kann es, scheint
es mir, doch nur von einem der allergrössten Maler
der Welt herrühren! Oder sage ich vielleicht eine
Albernheit?"
„Meine Dame, ich theile von ganzem Herzen Ihre
Meinung", rief ich freudig bewegt aus. „Vor solch
einem Meisterwerk, wie es ja in der Welt kaum ein
zweites gibt, an eine Copie zu denken kommt mir wie
eine Blasphemie vor. Diese zwei Männer da sind doch
so grossartig aufgefasst, sind mit einer solchen Meister-
schaft auf die Leinwand hingebannt, dass ich mich kaum-
erinnere, andere Bildnisse, weder von Tizian, noch von
Velasquez, noch von irgendeinem andern der berühm-
ten Bildnissmaler gesehen zu haben, die diesem Doppel-
porträt gleich kämen; die einzige «Gioconda« Lio-
nardo's im Louvre vielleicht ausgenommen. Auch ich
glaube, wie Sie, mein Fräulein, dass es nur einem Meister
wie Kaftael gegeben ist, solche zwei menschliche Exi-
BaffaeL 419
stenzen so wahr, so natürlich, so voller Lebenslust in
einem Guss alla prima auf die Leinwand hinzu-
malen!" (t)
„O ja", sagte sie, „es sind wirklich zwei leuchtende,
lebensvolle Gesichter. Je mehr man sie ansieht, desto
lebendiger werden sie."
„Und schauen Sie doch auch", fuhr ich fort, „mit
welcher Feinheit dieser Mund hier modellirt ist, be-
trachten Sie dieses wunderbare Lichtspiel des Auges,
«eben Sie doch, wie lebendig dieses fleischige, für
Kaffael so charakteristische Ohr hier mit dem Backen
verwachsen ist, wie frei und leicht diese Barthaare hin-
gemalt sind!"
„Es freut mich unendlich-, sagte die hübsche Dame,
., mein eigenes Urtheil, welches doch nur von der Em-
pfindung herrühren kann, von dem Ihrigen, mein Herr,
der Sie, wie ich sehe, sich ernstlich mit der Kunst be-
schäftigt zu haben scheinen, genehmigt, ja bekräftigt zu
hören. Wir Frauen beurtheilen ja die Werke der Kunst
doch meist nur nach unserm Gefühl."
„Und gerade deshalb", sagte ich, „dürfle das Ur-
theil gebildeter Frauen ofl viel richtiger sein, als das
der hölzenien Kunstgelehrten."
„Sie mögen vielleicht recht haben", erwiderte sie
nicht ohne einen leichten Anflug von Genugthuung.
„Zu viel Gelehrsamkeit verdirbt gar ofl den Kunst-
genuss, wie auch zu viel Salz die beste Brühe ungeniess-
bar macht. Bei uns im Norden studirt man gar zu viel
in den Büchern, zumal in Berlin."
„Berlin", sagte ich, „ist gei^^-iss die gelehrteste Stadt
der Welt, und ich bin daher um so mehr befriedigt,
meine Ansicht über dieses Doppelportrat RafBiers von
einer so feingebildeten Dame aus Berlin getheilt zu
sehen."
Bei diesen Worten schante sie mir etwas mis-
iranisch in die Augen.
27*
420 I>ie Galerie Doria-Panfili.
„Es ist dies nicht das erste mcal", fuhr ich fort,
.,dass mir die Gelegenheit geboten wird, die Bemer-
kung zu machen, dass begabte und gebildete Frauen,
wenn sie sich mit Liebe und Ernst Kunststudien hin-
geben, darin eine viel feinere Beobachtungsgabe an den
Tag legen, als dies in den meisten Fällen bei uns Män-
nern der Fall ist. Auch haben die Frauen gewöhnlich
den grossen, unberechenbaren Vortheil vor uns, keine
vorscefassten Meinuno:en und dünkelhafte Schulansichten
vor das Kunstwerk mitzubringen."
Die junge Dame fragte mich dann zuletzt:
„Sagen Sie mir doch gefälligst, wie hiess denn der
Kunstgelehrte, der zuerst den guten Einfall hatte, dieses
Prachtbild RafiaePs für eine Copie zu erklären?"
„Täusche ich mich nicht",, antwortete ich, „so
war es der berühmte frankfurter Biograph des ür-
binaten."
„Passavant?" sagte sie.
„Ja, mein Fräulein. Ihm folgten dann, wie dies in
der Welt zu gehen pflegt, die meisten Fachgenossen
nach, denen man ja stets einen grossen Gefallen erweist,
wenn man ihnen das Selbstdenken erspart. Der ver-
storbene Passavant, der sonst gewiss ein sehr gelehrter
und verdienstvoller Mann war, hatte nämlich in einem
alten italienischen Büchlein, das als aNotizie di urC
Anonimo)) allgemein bekannt ist, gelesen, dass dieses
Doppelporträt von Beazzano und Navagero auf Holz
gemalt sei, und mit dieser Notiz im Kopfe trat er dann
vor das Bild hin. Statt nun vor allem das Gemälde
von vorn sich anzusehen, wollte der brave Mann, um
sich zu vergewissern, ob es auf Holz gemalt sei, es von
hinten schauen. Und da er zu seinem Schrecken ge-
wahrte, dass dasselbe wirklich auf Leinwand gemalt ist,
so folgerte er sofort daraus, es müsse Copie sein, und
zwar eine venetianische."
„Warum denn gerade eine venetianische und nicht,
Raffael. 421
wie man in solchen Fällen gewohnlich annimmt, eine
bolognesische?" fragte die Dame.
,,Weil das Bild", antwortete ich, „dem Pietro Bembo
in Padua angehört hatte, der es dann im Jahre 1538
dem Beazzano selbst zum Geschenk machte. Daraus
glaubte nun Passavant berechtigt zu sein den Schluss
zu ziehen, dass ein Gemälde, welches so lange im Vene-
tianischen geblieben war, nur von einem Maler aus
Venedig konnte copirt worden sein."
„Wäre es aber nicht möglich", fragte das wissbegie-
rige Fräulein, „dass jener venetianische Kunstfreund,
von dem Sie mir sprachen, beim Niederschreiben jener
Notiz sich getäuscht und daher die Leinwand für eine
Holztafel genommen habe?"
„Gewiss", antwortete ich, „und es wäre mir ein
Leichtes, mehrere Verwechselungen der Art Ihnen an-
zuführen. Hat denn nicht z. B. selbst Vasari behauptet,
die a Madonna von S. Sisto» in Dresden wäre auf Holz
gemalt? Jedermann kann sich jedoch selbst überzeugen,
dass jenes berühmte Gemälde RaffaeFs auf Leinwand
gemalt ist."
„Nun ja", bemerkte die Dame, „dergleichen in der
Flüchtigkeit der Besichtigung von Bildersammlungen
begangene Irrthümer sind sehr verzeihlich."
„Allerdings", sagte ich. „Was mir jedoch durch-
aus keine Entschuldigung zu verdienen scheint, ist, ein
so vorzügliches Meisterwerk wie dieses Doppelporträt
für eine Copie genommen und es dann leichtfertig als
solche öffentlich erklärt zu haben. V ' ' u Begriff
sollen wir uns machen vom Kunstvi i i>s eines
Gelehrten, der zwölf Jahre lang die Werke eines Mei-
ster» studirt, um zuletzt zu solchen Ergebnissen zu
gelangen?"
„Ich glaube", sagte lächelnd die Dame, „dass solche
Fehlgriffe bei den gelehrten Kunsthistorikern und Kunst-
kennern nicht selten sind. Aber erlauben Sie mir noch
422 ^i^ Galerie Doria-Panfili.
eine andere Frage an Sie zu richten. Ist es denn wahr^
dass Raffael, wie man mir sagte, seine Bildnisse stets
auf Holz gemalt habe?"
„In seiner Frühzeit allerdings", antwortete ich. „Sa
ist das von ihm gemalte Porträt seines Lehrers und
altern Freundes Pintoricchio in der Borghese - Galerie
auf Holz. Die Porträts der sogenannten Donna gravida
und der Eheleute Doni im Pitti-Palast sind ebenfalls
auf Holz gemalt, desgleichen sein eigenes in Florenz
und jenes des Papstes Leo X. ebendaselbst; auch
das herrliche Bildniss des Cardinais Bibbiena in Ma-
drid ist auf eine Tafel gemalt. Vom Jahre 1516 an
scheint dagegen Raffael der Leinwand den Vorzug vor
dem Holz gegeben zu haben, und er bediente sich
der Leinwand nicht nur zu seinem grossen Bilde der
Madonna di S. Sisto in der Dresdener Galerie, son-
dern auch zu den in den letzten vier Jahren seines
Daseins von ihm gemalten Porträts der sogenannten
«Donna velata» im Pitti-Palast, zu jenen des Grafen
B. Castiglione und der Giovana II im Louvre, wie
auch zu diesem Doppelporträt des Beazzano und Na-
vagepo hier: ein Bild, das er im April 1516 gemalt
haben muss."
„Wie weiss man dies?" fragte die Dame.
„Aus einem Briefe, den Pietro Bembo an seinen
Freund, den Cardinal Divizio da Bibbiena, schrieb und
worin von der Anwesenheit dieser zwei Venetianer in
Rom die Rede ist", antwortete ich.
Sie dankte mir und überliess sich noch eine Weile
der ungestörten Betrachtung des Gemäldes.
„Wie langweilig", sagte sie dann, „erscheint mir jetzt
unser Porträt des Navagero in Berlin gegen diesen
prachtvollen Kopf da! Macht es nicht auch Ihnen den
Eindruck, als ob der stattliche Mann auf diesem Bilde
mit seinem durchdringenden Blicke auf unsern Gesich-
tern lesen wollte, ob wir wirklich würdig seien, ein
RaffaeL 423
solches Meisterwerk anzusehen? Was würden", fugte
sie mit feinem Lächehi hinzu und indem sie sich zum
Weggehen anschickte, „was würden diese zwei ge-
scheiten Venetianer denken, wenn sie all die verschie-
denen Urtheile und die gelehrten Bemerkungen anhören
könnten, die über ihre Bildnisse wöcli^ntli« li hier ge-
macht werden!"
Und leicht sich verneigend verschwand sie dann.
Orts- und Namens verzeichniss.
Die Malern amen sind unter den gebräuchlichen Benennungen nachzu-
sehen; also Francia (und nicht Raibolini), Tizian (und nicht Vecellio) u. s. f.
Die Parenthese bei Seitenzahlen deutet an, dass an der betreffenden Stelle der
Ktlnstler als Urheber der ihm dort zugeschriebenen Werke vom Verfasser nicht
anerkannt wird.
Die Sammlungen sind unter dem Namen der Städte aufgeftlhrt, in denen
sie sich befinden. Hier stehen an erster Stelle die öffentlichen Galerien; es
folgen die Kirchen, dann die Sammlungen von Privaten. Die Sammlungen in
London, Oxford und andere englische Sammlungen sind unter England
nachzusehen. (J. P. R.)
Agassi z, Louis 94.
Albertinelli, mit Fra Barto-
lommeo verwechselt 27. 46.
156 fg.; Einfluss auf Bugiar-
dini 124; beeinflusst von Pier
di Cosimo 150; Bild in Bor-
ghese-Gal. 153 fg.; Verbindung
mit Fra Bartolommeo 153 fg.
156. 158; mit Filippino Lippi
158; Uebersicht der Werke
154—159.
Alb an i, Franc, in Borghese-
Gal. 296.
Alemanni, Pietro, in Ascoli
363.
Alfani, Domenico, Bilder in
Rom und Perugia 175.
A n g e 1 i c o , Fra, da Fiesole, Ein-
fluss auf Fra Filippo 101.
Anguissola, Sofonisba, Cha-
rakteristik und Uebersicht der
Werke 254—257; Werke ihrer
Schwestern 257 fg.
Amoretti 113.
Antonello's Oelmalerei 21;
sein Stil 318; Bild in Bor-
ghese-Gal. 318.
Appiani, Nicola, Bilder in Mai-
land und Turin 209.
Aragonien, Johanna von, Por-
trät in Doria-Galerie 408 fg.
Arezzo, Paolo von, Bilder in
Spanien 203.
A s o 1 o , Pfarrkirche, Lotto 307 fg.
Aspertini, Amico 345.
Aumale, Herzog von, Samm-
lung in Chantilly:
Botticelli (112).
Palma vecchio 315.
Bacchiacca (Francesco Uber-
tini), seine künstlerische Ent-
wickelung 128 — 130; sein Por-
trät 129; sein Stil 131 fg.;
Uebersicht seiner Werke 132
—139.
Bagnacavallo 264; Bild in
Borghese-Gal. 315; mit Giulio
Romano verwechselt imLouvre
27; beeinflusst von Dosso und
Garofolo 287.
Baldeschi 102.
Bartolommeo, Fra, verwech-
selt mit Albertinelli 27. 46;
Verhältniss zu Rafi'ael 62. 63;
beeinflusst von Pier di Cosimo
150; Verbindung mit Alberti-
Orts- und Namensyerzeichniss.
425
nelli 153 fg. 156. 158; Werke
in Lucca, Florenz und Mai-
land 158. 159.
Bartolommeo, Veneto, 366.
Basaiti, verwechselt mit Giov.
Bellini 27. 311. 341; — mit
Garofolo 268 ; seine Entwicke-
lung 368.
Bassano, Franc., in Borghese-
Gal. 309.
Beccaruzzi 317.
B e 1 1 i n i , Gent., Ausbildang 24 fg.
349.
B e 1 1 i n i , Giov.(Gianbellino),Ver-
liältniss zu Antonello 21; Aus-
bildung. 24 fg.; Bilder unter
anderm Namen 27; im Louvre
mit Rondinelli verwechselt 33 ;
sein Stil 98. 99. 354; beeiu-
flusst Solario 220; copirt von
• Bissolo in Borghese- Galerie
311; verwechselt mit Cariani
ebenda 315; seine Bedeutung
339—341. 350; Uebersicht sei-
ner Werke 341—345. 348 fg.;
Schulcopien mit seiner Na-
mensbezeichnung 346 fg. 353;
verglichen mit Mant«gna 350
—355.
Bellini, Jac. (349). 350 fg.
Bergamo, Galerie:
Basaiti 370 fg.
Bellini, Giov. (311). 342;
Schule B.'s 33.
Bcrnardino de' Conti 247.
Boltraffio 207
1)0880 281.
Francia, Giac. l-.-.
Garofolo 267 fg.
Genga 121.
Gentile da Fabriano (351).
Lotto 394.
Mantegna 360.
Palma 389.
Raffael 63.
Sodoma 199.
Viv:iriiii, Ant. 361.
— San Hartolommeo: Lotto 394.
— San Bcrnardino: Lotto 394.
— Dom: Giov. Bellini 342.
Bergamo:
— S. Maria M;t"j:"4iorc: Intarsien
nach Lotto :ii«-2.
— S. Spirito: Lotto 394.
— Sammlung Agliardi: Basaiti
371; Moroni 341.
— Sammlung Frizzoni: Boltraf-
fio 207.
Bembo, Cardinal 422; sein Por-
trät 406 fg.
Berlin, Galerie:
Bacchiacca 135.
Bemardino de' Conti 247 fg.
Botticelli (111).
Francia 253.
Franciabigio 126.
Lionardo da Vinci (228).
Sebastian del Piombo 53. 55.
Signorelli 117.
Palma (388).
— Nationalmuseum:
Anguissola 256.
Bernasconi 314.
Hernazzano 194.
Bertolotti 35. 188.
Bianchi, Francesco 260. 285.
289. 292.
B i 8 s o 1 o , Francesco, copirt Giov.
Bellini 346 fg.
Blanc, Charles 87—95.
Boccaocino, Lehrer des Garo-
folo 261 fg.; Uebersicht der
Werke 365—367.
Bodc, Wilh. 55. 91. 103. 106.
107. 108. 109. 110. IM. 116.
122. 123. 125. 127. 128. 146.
156. 157. 170. 195. 202. 207
208. 210. 225. 228 fg. 232. 233.
234. 236. 236. 237. 239. 242.
243. 244. 245. 94G. 247. 2G4.
272. 276. 281. 286. 288. 311.
320. 834. 337. 338. 341. 343.
348. 862. 369. 870. 874. 376.
880. 403. 407.
Bologna, Arciginnasio : Franota
268. 286.
Galerie:
Bagiardini 123.
Cima 864.
Francia, Fr. 261 fg. 286.
426
Orts- und Namensverzeichniss.
Bologna, Galerie:
Franciabigio 126.
Pisani, Nie. 287.
Pontormo (126).
Raffael G7.
— S. Domenico : Filippino Lippi
145.
— S.Giov. inMonte: Fr.Cossa34.
— S. Jac. Maggiore: Francia
254; Tamarozzo 286.
— Misericordia: Tamarozzo 286.
— S. Stefano: Francia 252.
B o 1 1 r a f f i o , Verhältniss zu Lio-
nardo 202; Uebersicht seiner
Werke 206—208.
Bonifazio, Malerfamilie 313 —
315; Stil 99; Uebersicht der
Werke 383 fg.
Borgherini 139—141.
Borgia, Cesare 165—169.
Borgo San Sepolcro 118.
Bordone, Paris, Uebersicht
seiner Werke 379—382.
Borghese, Cardinal Scipione
84. 208.
B o 1 1 i c e 1 1 i , verwechselt mit Fi-
lippino 27 ; mit Fra Filippo 43 ;
sein Stil 27. 42. 98. 99. 103 fg.
105. 106; in Borghese -Gal.
(87. 105); in Sixt. Kapelle 106;
Schulbilder 107—111; Bilder
bei Giov. Morelli 111; Zeich-
nungen 112.
Braccesi, Aless. 128.
Braghirolli 35.
Bramantino, sein Stil 98. 99;
in Rom 192; Einfluss auf So-
lario 219.
Brembothal, Bilder von Palma
389.
Brescia, Galerie:
Bellini, Giov. 342. 355.
Calisto da Lodi 377. '
Moretto 374.
Raffael 63.
Romanino 372.
Savoldo 319.
Solario 217.
— S. Alessandro: Fra Angelico
(351).
Brescia, S. Francesco: Roma-
nino 372.
— S. Giov. Evang.: V. Civerchio
342.
— S. Giulia: Romanino 372.
— S. Maria Calchera:
Calisto da Lodi 377.
Romanino 372.
— Bischöfl. Seminar:
Ant. Vivarini 361.
— Sammlung Fenaroli:
Romanino 372.
— Sammlung Martinengo:
Moretto 374.
Breughel 113.
Bronzino, Schüler Pontormo's
161. 164; seine Nachahmer 164;
seine Werke 164 fg. 168.
Brunelleschi 2.
Bugiardini, Charakteristik u.
Uebersicht seiner Werke 123.
124.
Buonconsigli, seine Werke in
Venedig 357 fg.
Burckhardt, Jac. 165. 279.
Campana, Pedro (317).
Campi, Bernardino 223. 25.
Campi, Giulio 374,
Campori, Marchese 35. 239.
Capodiferro, Intarsien von398.
Caravaggio, in Borghese-Gal.
297.
Cariani 315 fg.
Carpi, Giov. Maria da 364.
Caselli, Crist. 364.
Castagno, Andrea 20.
Cavenaghi, Luigi 238.
Cecchetti 35.
Cenci, Beatrice 21.
Chigi, Agostino 170. 187. 193.
Chiodarolo 286.
Cima da Conegliano, seine
Werke und seine Schüler 363
—365.
Cinelli 66.
Cödogno: Calisto da Lodi 378.
Como, Dom: Luini 216.
Conegliano 364. 399.
Orts- und Namensverzeichniss.
427
Conti, Beroardiuo de\ sein
Stil 46. 98; beeinflusst von
Lionardo 203. 244; Schulbild
in Borghese-Gal. 214. 225;
verwechselt mit Lionardo 227.
245. 248. 240; Verwandtschaft
mit A. de Predis 243; künst-
lerische Entwickelung^ Ueber-
sicht der Bilder und Zeich-
nungen 243—251.
Correggio, Ausbildung 24. 25.
289—293; mit Tizian verwech-
selt 27. 291; — mit Francia
27 ; die „Danae" in Borghese-
Gal. 284. 287. 293-296 ; Jugend-
werke 290—293; Skizze (?) in
Doria-Gal. (409—411); sein Stil
410.
Cortona: Signorelli 118.
Cortona, Pietro da, in Doria-
Gal. 330.
Cossa, Fr. 285. 287; Glasfenster
in Bologna 34.
Costa, Lorenzo 285; mit Fr.
Cossa verwechselt 34; — mit
Tura34 ; Verhältniss zu Francia
287.
Cremona, Dom:
Boccaccino, B. 261. 367.
Meloni, Alt. 261.
Pordenone 397.
Romanino 261. 372.
— S. Pietro:
Anguissola. An. Maria 258.
— S. Sigismondo:
Boccacino, C. 367.
Crespi, G. M. 66.
Crivelli, C, Uebersicht seiner
Werke 361—363.
Crowe und Cavalcaselle 33.
34. 37. 44. 47. 48. 59. 91. 104.
106. 107. 108. 110. 112. 115.
119. 127. 128. 142. 151 fg. 164.
156 fg. 169. 205. 218 fg. 220.
231. 247. 252. 279. 308. 311.
317 fg. 328. 333. 338. 348. 357.
362. 366. 368. 374 fg. 379. 385.
387 fg.' 390. 403. 407.
Di am ante, Fra, Schüler des
Fra Filippo 37 fg.
Domenichino, in Borghese-
Galerie 296.
Donduzzi 66.
Doria, Andrea, Admirai 330.
D o 8 8 0 , Battista, Werke 280. 283.
Dosso Dossi, Einfiuss auf Gkt-
rofolo 262; Bilder in Borghese-
und Doria-Gal. 258. 277-281;
die „Circe" 263. 277 ; sein Cha-
rakter 276 fg. 282 fg.; Ueber-
sicht seiner Werke 281—283.
Dresden, Galerie:
Correggio 289. 291. 294. 295.
Filippino Lippi 146.
Franciabigio 126. 135.
Garofolo 268.
Holbein 83.
Lionardo (115. 408).
Lotto (394).
Lunders 321.
Raffael 66. 90. 421 fg.
Rosselli, Cos. (146).
Dyck, Ant. van, Beziehung zu
Sof. Anguissola 257.
England: London, National
Gallery:
Bacohiaooa 135. 139.
Bellini, Giov. 352. 355.
Boltraffio 207.
Botticelli 27.
Bronzino 168.
Campaäa, P. 317.
Garofolo 267. 269. 275.
Lionardo (235. 246).
Moretto 347.
Moroni 402.
Ortolano (267).
Petellino (337. 339).
Pier di Cosimo 153.
Piero di Lorenzo Pratese 337.
Pontormo 139. (168).
Romanino 372.
SanaeYerino, Lor. da 363.
SoUrio 319—221.
428
Orts- und Namens verzeicliniss.
England, London, British Mu-
seum Handzeichnungen:
Cesare da Sesto 213.
Conti, Bern, de' 250.
Credi, Loreuzo di 116.
Filippino 92.
Garbo, Raffaelino del 147.
Lionardo (227 fg. 250).
Masaccio (92).
Pordenone 400.
Raffael 63.
Signorelli 118. 119.
Sodoma 201.
— Ashburton, Lord: Correggio
290 fg.
— Chatsworth, Handzeichnungen:
Bellini, Giov. (187). 356.
Credi, Lorenzo di 116.
Lionardo (187).
Michelangelo (163).
Parmeggianino (47).
Pontormo 163.
Pordenone 400.
Romanino 373.
Romano, Giulio 183.
Sebastian del Piombo 54 fg.
Sodoma 196.
— Cowper, Lord, Sammlung in
Panshanger: Raffael 34. 101.
— London, Dudley House:
Perino del Vaga 175.
— — EUesmere, Lord:
Lotto 307.
Palma (58).
Raffael 64.
Tizian 58. 404.
Heseltine,J.P., Sammlung:
Genga 121.
Malcolm of P., Sammlung:
Botticelli 112.
Conti, Bern, de' 250.
Raffael 172 fg.
— — Monson, Lord, Sammlung:
Cesare da Sesto 213.
— — Morrison, A., Sammlung:
Conti, Bern, de' 248 fg.
Murray, John, Sammlung:
Giampietrino 203.
— F. Maitland Sammlung:
Ambrogio de Predis 239. 242.
England, London, Northbrook,
Lord :
Francia 252.
Tizian (404).
— Northumberland, Herzog von :
Bellini, Giov. 340. 351.
— Oxford, Universitäts-Galerie,
Handzeichnungen :
Perino del Vaga 184 fg.
Perugino 134.
Raffael (46. 184).
Sodoma 197. 300.
— — Christ Church Gallery:
Bacchiacca 132. 135.
Conti, Bernardino de' 250,
Giampietrino 204.
Lionardo (204).
Raffaellino del Garbo 147.
— Richmond, Sir Fr. Cook:
Bacchiacca 137.
Fra Filippo 101.
Giampietrino 205.
— Seymour, Danby, Sammlung:
Anguissola 256.
— Spencer, Lord, Sammlung-
Anguissola 256.
— Stirling, William:
Anguissola 256.
— Windsor-Castle , s.d.
— Yarborough, Lord:
Anguissola 255.
Ferrara. Galerie:
Dosso 282.
Garofolo 269. 273.
Ortolano (269). 275.
— Dom: Ortolano 275.
— Seminar: Garofolo 273.
— Varano, Sammlung:
Anguissola 256.
Feti, Dom.,inBorghese-Gal.305.
Florenz, Akademie der schönen
Künste :
Albertinelli 155.
Bartolommeo, Fra (144). 159.
Botticelli (108).
Castagno, Andrea del (92).
Credi, Lor. di 116.
Filippino 91 fg.
Orts- and Namensverzeichniss.
429
Florenz, Akademie:
Filippo, Fra 99.
Granacei 127.
Lionardo (334).
Masaccio (92).
Pesellino 336.
Signorelli 118.
Verrocchio 108. 109. 334.
— Pitti-Galerie, Gemälde:
Albertinelli 158.
Bartolommeo, Fra 159.
BoocacciDO, B. 365.
Bonifazio 381. 384.
Bordone, Paris 381.
Botticelli (108).
D088O 276. 281.
Filippino 145.
Franciabigio 124. 126.
Garofolo (276).
Genga 121.
Ghirlandajo, Schale 145.
Granaeci 127.
Lionardo (125).
Laini, A. (204).
Moroni 401.
Palma (387).
Perugino 125. 128.
Pontormo 163. 168.
Pordenone (387).
Raffael: Doni M. 57. 60 fg.
70.101. 148.422; Madonna
del Granduca 59 fg. 100 fg. ;
Donna gravida 60. 101.
422; Altarbild für Dei
61 fg.; Mad. d. Sedia 63.
101; Donna velata 64 —
68. 245. 422; Leo X. 60.
422: Julius 11.69.70; Vi-
ior8 70fg.;Car-
• i !. (72 fg. 161).
Ridolto dei Ghirlandigo 233.
Romano, Giulio 180.
Sarto, A. del 139.
Scarsellino 312.
Sebastian del Piombo 51.
Signorelli 118.
Sodoma (121).
Tizian: la Bella 70; Copie
des Porträts Alfonso's 281.
Tommaso 115.
Florenz, Üffizien-Gal., Bilder:
Albertinelli 155. 158.
Anguissola. Sof. 255.
Bacehiacca 135.
Baldovinetti 338.
Bartolommeo, Fra 158 fg.
Bellini, Giov. 27. 341. (346).
351. 369.
Bordone, P. 381.
Botticelli 43—45. 106.
(107 fg.).
Bronzino 129. 164 fg.
Brasasorci, Fei. 374.
Campi, Gialio 374.
Carotto 359.
Cima (364).
Conti, Bern, de' 249.
Correggio 27. 291 fg.
Credi, Lor. di 115. (116.
127 f^.).
Fra Filippo, (43—46).
Francia 253.
Franciabigio 47. 48. 124.
125—127.
Genga, Gir. 119.
Giorgione 323 fg.
Lionardo 225. (228. 229).
Lotto 307 fg. 394.
Lukas V. Leydcn (249).
Luini (149. 211). 215.
Mantegna 359.
Moretto (51. 374)
Moroni 401.
Palma veochio 31». w. . „.
Pier di Cosimo 150. 152 fj^.
Pietro di Messina 364.
Pollajuolo (241).
Pontormo (125). 163.
Predis, Ambr. de 241 fg.
Raffael: Madonna del Car-
dellino 45. 47. 57. 101 j
(Mad. del pnrro 47. 48.
123); (sog. 1 48-
61); (unbek , «'itr.
66); Julius 11. 70; bcibst-
porir. 422.
RafTa •• !. 1 Garbo (126).
Hi<i iirUndajo(126.
15.: I.
Romanino 37a.
430
Orts- und Namensverzeichniss.
Florenz, Üffizien-Gal., Bilder:
Rosselli, Cos. 333.
Savoldo 319.
Sebastian del Piombo 48 —
51. 55. 56. 374.
Sesto, Cesare da (149).
Signorelli 118.
Sodoma 199.
Tizian 58.
Verrocchio (109).
Zelotto 309.
— Uffizien, Handzeichnungen:
Baccliiacca 136. 141 fg.
Bartolommeo, Fra 154.
Botticelli 112.
Brescianino, A. del 159.
Credi, Lor. di 116. (226).
Filippino 146.
Filippo, Fra (44).
Franciabigio 125.
Genga 121.
Lionardo (141. 201). 225 fg.
Luini 216.
Michelangelo (136).
Paolino, Fra 154.
Perin del Vaga 186. 303.
Peruzzi 171. 192.
Pier di Cosimo 156.
Pollajuolo, A. del 119.
Pontorino (125). 163.
Predis, A. de 226. 235.
Raffael (121). 302 fg.
Raffaellino del Garbo 147.
Romano, Giul. 182. 303.
Signorelli 118.
Sodoma (171). 201. 226. 300.
Viti, Tim. 303.
— Galerie Corsini :
Albertinelli 154.
Botticelli 110.
Santi, Giov., Schule 328.
Signorelli 118.
Viti, Tim. 327 fg.
— Museo degli Arazzi:
Bacchiacca 130.
— Museo Buonarotti:
Pesellino 333. 335.
— Museo di S. Maria Nuova:
Fra Filippo, Schulbild 103.
Florenz, Kirchen:
SS. Annunciata: Franciabi-
gio 125 fg.; Pontormo 163.
La Calza: Franciabigio 125.
S. Felicita: Pontormo 163.
Fiesole, bei, Oratorium von
S.Ansano: Botticelli (HO).
S. Jacopo a Ripoli siehe : La
Quiete.
La Quiete: Botticelli (109).
S. Lorenzo : Fra Filippo 102.
S. Maria Novella : Bugiar-
dini 123.
S. Michelino: Pontormo 163.
S. Onofrio : G. N. Manni 36 fg.
Chiostro degli Scalzi: Fran-
ciabigio 126.
S. Spirito : C. Rosselli, Schule
152.
— Privatsammlungen:
Alessandri, Pal.: Pesellino
335 fg.
Bacciocchi, March.: Bac-
chiacca 137.
Bartolommei, March.: Al-
bertinelli 154.
Corsini, Pal. al Prato : Fran-
ciabigio 126.
Covoni , March. : Granacci
127; Puligo 160.
Farinola, March. : Pontormo
163.
Ginori, March.: Botticelli
146; Signorelli 118.
Giuntini, Pal. 115.
Innocenti, Stanza del Com-
raiss.: Pier di Cosimo 150.
152.
Torrigiani, March.: Signo-
relli 118; Pesellino 337.
— Pal.Vecchio: Verrocchio 113.
— Poggio a Cajano (bei Flo-
renz): Franciabigio 126;
Pontormo 163.
Forli, Dom: Rondinelli 347.
— Galerie: Palmezzano 168.
F r a n c i a , Franc.(Raibolini) : ver-
wechselt mit Correggio in Pa-
via 27; in Borghese-Gal. 87.
251 — 253: sein Künstlercha-
Orts- and Namensverzeichniss.
431
rakter 254; Verhältniss zu
L. Costa 286 fg.
Francis, Giacomo u. Giulio 287.
F r a n c i a b i g i o, mit Rafiael ver-
wechselt in Uffizien- Galerie
47 fg.; in Borghese-Gal. 122;
Charakteristik und Uebersicht
der Werke 124—128; copirt
Dürer - Stiche 135.
Frankfurts. M., Stadt. Galerie;
Moretto 398.
Sodoma 27. 202.
Franz I. von Frankreich 21.
Frizzoni, Gustavo 137. 151.
169 fg. 191. 206. 238. 292.
357. Dessen Gemäldesamm-
lung siehe unter Mailand.
Galgani, Sammig.: Solario 221.
Garofolo, Benvenuto, seine
Lehrzeit 260—263 ; Aufenthalt
in Rom 262 fg. 270 — 272;
Bilder in Borghese- u. Doria-
Gal. 263. 265 — 269; Einfluss
des Dosso 263; die Merkmale
seines Stils 265 fg.; Ueber-
sicht der Werke 276; seine
künstlerische Natur 272 fg.;
mit Ortolano verwechselt 274
fg.; seine Familie 274.
GaudenzioFerraribeeinflusst
von Lionardo 203; ihm zu-
geschr. Werke 229 fg.
Gaye 35.
Genf, Museum: A" llil56.
Genga, Gir., 1 r 51 ;
Charakteristik miu u< Mcrsicht
der Werke 119—123; Neben-
buhler Dosso's 283.
Genua, S. Maria di Castello:
Justus de Alemania 329.
— Adorno, March., Sammlung:
Botticelli (111).
Balbi Pal.: I (146);
vlimischci 206.
Balbi Piovera Pal.: Tixian
317.
Doria Pal.: Penn del Vagi
175.
Genua, Adorno, March., Samm-
lung:
— Bngnole Sale Pal.: Bordone
381; Moretto 374.
Ghiberti*8 Ausbildung 24 fg.
Giambono 361.
Giampietrino oder Oiampe-
drino, seine Landschaften
194; Bild in Boi-ghese - Gal
202; Charakteristik u. lieber
sieht der Werke 202 — 206
verwechselt mit Lionardo 227
Giorgione mit Dosso verwech
seit in Borghese-Gal. 278 fg.;
Original in Borghese • Gal.
323 fg.
Goethe 99.
Granacci, sein Stil 126; Bil-
der in Florenz 127; in Rom
(?) 147 fcr.
Gregor XVL, Papst 102.
Gualandi 33.
Guidobaldo von ürbino 69.
Habicb, Edw., Sammlung:
Baochiaoca 137.
Raffael 173.
Hals, Frans 177.
Hirt, Aloysius 90.
Innooenz X., Papst 329. 331.
Isola Bella: Boltraffio 207.
Jansen 114.
Jesi: Lotto 394.
Julius IL, Papst 69.
Jnsti, Karl S03. 330 fg.
Kaulbach, Willi, von 414.
Köln: Raffael 18L
La Motta, Gal. Scarpa: Man-
i%gaA 360; Pordenona 893:
Sodoma 199; Sebastian del
Piombo 53.
432
Orts- und Namensverzeichniss.
Lanzi 87. 333.
Largilliere 39.
Lausanne, Sammlung Nicole:
Bacchiacca 132 fg.
Legnano: Luini 216.
Leo X., Papst, von Raffael ge-
malt 69.
Lepel, Graf 88.
Liberale da Verona 357.
Licinio da Pordenone, Bild in
Mailand 50; in Borghese-Gal.
316 fg.
Lille, Galerie:
Bacchiacca 136.
Francia (120).
Franciabigio 126.
Filippino 146.
Genga 120. 121.
Ghirlandajo (147).
Masaccio (146).
Micbelangelo (136).
Raffael (126).
Raflfaellino del Garbo 147.
Romano, Giulio (120).
Sebastian del Piombo 52.
Lionardo daVinci 21; Citate
aus seinen Schriften 25. 91.
93. 95; mit Sodoma verwech-
selt 27; „Mona Lisa" 61;
St. Sebastian (87—88); Zeich-
nung in Sammlung Thiers
(89); Bild bei Clemens VII.
113; Zeichnung in Dresden
(146); mit Ges. Borgia 167;
Zeichnung im Louvre 197 ;
Verhältniss zur Mailänder
Schule 202 fg.; seine Zeich-
nungen und Bilder 225—229.
234; Bild in Doria - Galerie
(408 fg.); Bilder der Schule
L.'s in Borghese-Gal. 204.
Lippi, Fra Filippo, sein Stil
27. 42. 98. 99. 101 fg. 104;
erwähnt 91 ; Bilder in Rom,
München, Prato und Spoleto
102; in Turin und in den Uf-
fizien 103; in Doria-Gal. 332.
Lippi, Filippino, sein Stil
27. 98 fg. 103 fg.; verwechselt
mit Botticelli 27; erwähnt 91;
Bilder in Rom 104. 144; in
Florenz 145 ; Zeichnungen 146.
L o d i , S. Maria lucoronata :
Cal. da Lodi 377 fg.
iLodi, Calisto Piazza von,
' Charakteristik und Uebersicht
der Werke 376—378.
Longhi, L. 348.
Lorenzo di Credi, in Bor-
ghese-Gal. 87. 112—117.
Lotto, Lor., in Borghese-Gal.
305—308; Charakteristik und
Uebersicht der Werke 390 —
395.
Lovere, Gal. Tadini: Giacomo
Bellini 351; Bordone 381.
Lucca, Galerie: Fra Bartolom-
meo 158.
Lugano: Luini 216.
Luini, Bern., beeinflusst von
Lionardo 203; Aufzählung der
Gemälde und Zeichnungen
214—216.
Lützow, K. von 175.
Anguissola, Lucia 257.
Lotto 390.
Peruzzi 170.
Romano, Giulio 180.
Tizian 407 fg.
Macrino d'Alba, von A. Solario
beeinflusst 221.
Mailand, Galerie der Brera:
Appiani, Nie. 209.
Bellini, Giov. 343. 355.
Boccaccino, C. 367.
Bordone 381.
Cariani 316.
Cijna 364.
Conti, Bern, de' 248 fg.
Dosso 267. 279. 281.
Garofolo 276.
Genga 121.
Giampietrino 205.
Lotto 308,
Luini, Schule 216.
Mantegna 359 fg.
Marco d'Oggionno 209.
Orts- und KamensTerzeiohiiiss.
433
Mailand, Galerie der Brera: |
Palma 318 fg.
Pisani, Nie. 287,
Rondinelli 347 fg.
Savoldo 319.
Solario 219 fg.
Vivarini, Ant. 361.
— Museo Poldi-Pezzoli:
Albertinelli 156 fg.
Bellini, Giov., Schule 33. 31 1.
Boltraffio 207.
Botticelli 111.
Conti, Bern, de' 247. 249.
Giampietrino 205.
Lodi, C. da 376 fg. 378.
Luini 216.
Mantegna 360.
Predis, Ambr. de 231. 241.
Solario 217. 219. 220. 222.
Tamarozzo 286.
— Ambrosiana:
Basaiti 370.
Boltraffio 207.
Cariani 316.
Conti, Bern, de' 250.
D088O (281).
Filippino 146.
Lionardo 226. (228). (250).
Luini 216.
Predis, Ambr. de 233—235.
238 fg.
Raffael 101.
Romanino 373.
Sodoma 201.
Solano, Cristoforo 224.
— Museo Civico:
Giampietrino 205.
Sodoma 198.
— Kirchen:
S. Angele: Solario P. 219.
S. Eufemia: Marco d'Og-
gionno 208.
S.Giorgio in Palazzo: Luini
216.
S. Maria delle Grazie: Bu-
giardini 124; Appiani, M.
209.
S. Manrizio: Boltraffio 207;
Luini 216.
La Passione: Luini 210.
LBKMOLtBrr
Mailand, Kirchen:
S. Sepolcro: Giampietrino
206.
— Privatsammlongen :
d'Adda^March.: Solario 221.
Andreossi: Licinio 60.
Belgiojoso , Graf L. : P.
Codde 322.
Bonomi-Cereda: P. Codde
322.
Francesco Napoletano 203.
Marco d'Oggionno 209.
Sodoma 199.
Borromeo, Graf :
Giampietrino 205.
Luini 216.
Cesare da Sesto 149. )11.
Sodoma 199.
Prinetti-Esengrini:
Tommaso 115.
Brivio, Marob.:
Giampietrino 206.
Castelbaroo:
Solario 169. 2S4.
Erzbischöflicher Palast:
Bordone 882.
Frizzoni, Gustave :
Bacchiacca 133 — 186.
Bellini, Giov. 842.
Boltraffio 207.
Correggio 292.
Predis, Ambr. de S81. 241 fg.
Sodoma 199.
Tommaso 115.
— — Ginoulhiac:
Sodoma 199.
— — Maggi:
Ambr. de Predis 240.
— — del Maino:
Boltraffio 807.
— — MeUi, Henog:
Angoiasola S66.
Cetare d« Setio 149. 21 1 fg.
Lionardo, Schule 236.
Morelli, Giov.:
Albertinelli 168.
AngniMoU 266.
BnroliJarft« |82. 136. 137.
70.
<>iov. 340. 842.
28
434
Orts- und Namensverzeichniss.
Mailand, Privatsammlungen: 1
Boltraffio 207. 208. !
Botticelli 111. !
Cariani 3l(i.
Perin del Vaga 179.
Pesello, Giul. 333.
Pesellino 335. 337. 339.
Pontormo 163.
Predis, Ambr. de 231. 232.
240 fg.
Raffael 182.
Sodoma 199. 201.
Tommaso 115.
— — Perego:
Solario 224.
— — Porro, Graf:
Ambr. de Predis 238. 242.
— — Prinetti:
Boccaccino, B. 367.
— — Scotti, Herzog:
Cesare da Sesto 211.
Solario 224.
— — Sola, Graf:
Boltraffio 207.
Trivulzio, Princ:
Antonello 318.
Codde, P. 322.
Mantegna 360.
Predis, Ambr. de 231.
— — Visconti -Venosta:
Fra Bartolommeo 159.
Garofolo 267.
Giampietrino 267.
Manni, Giannicola, in S. Ono-
frio, Florenz 37.
Mantegna, verwechselt mit
Giov. Bellini 27; sein Stil 99.
354; Fresken in Mantua 104;
sein künstlerischer Charakter
350; Bilder unter seinem Na-
men in der Doria-Gal. 356 fg.;
mit Signorelli verwechselt 358 ;
Uebersicht der Werke 359 —
360.
Mantua, Fresken des Mantegna
104. 359.
Marchesi , Girol. 348.
Marconi, Rocco, coj^irt Bellini
311 fg. 407.
Mariette 190. 412.
Marsuppini, Carlo 102.
Masaccio 91; Lehrer des Fra
Filippo 101.
Masolino 91.
Mazzolino, Bild in Borghese-
Gal. 284.
Medici, Giuliano de' 111.
— Giulio de', Cardinal 69.
Mengs 410 fg.
Mestre, Carpenedo bei: Bac-
chiacca 132.
Meyer, Jul. 55. 3G9 fg.
Michelangelo, Einfluss auf
Seb. del Piombo 54; Zeichnung
in Windsor 297.
Milanesi, Gaet. 20. 35.
Minghetti,. Marco 175.
Mino da Fiesole 116.
Modena, Galerie:
Cima 364.
Dosso 282.
Garofolo 276.
Lippo, Fiorent. (115).
Palma 388.
Tommaso 115.
Montagna, Form der Hand 46
Mont'Oliveto (bei Siena):
Signorelli 118. 191.
Sodoma 199. 299.
Monza, Ant. da, beeinflusst vod
Lionardo 203.
Moreau 87.
Moretto, Charakteristik und
Uebersicht der Werke 373 —
375. 399.
Morone, Hieron. 224.
Moroni, Giov. Batt., in Bor-
ghese-Gal. 304; copirt Giov.
Bellini 340 fg. ; Charakteristik
und Uebersicht der Werke 400
—402.
Morris Moore 118.
Moschini 313 fg.
München, Galerie:
Conti, Bernard. de' 247.
Filippo, Fra 102.
Flämischer Meister 206.
Francia, Fr. 253.
Giampietrino 204.
Lotto 307.
Orts- and KamensTerzeichniss.
435
München, Galerie:
Kaffael 46.
Müudler,0tto47. 115. 123. 165.
174. 199. 218. 245. 294. 313.
318. 334. 381. 390 fg. 392. 396.
409.
Murano, S. Pietro Mariire:
Bellini, Giov. 344.
Bissolo 369.
Boccaccino, B. 366.
Neapel, Galerie:
Anguissola 25G.
Antonello 317.
Bellini, Giov. 349. 355.
Breughel 113.
Garofolo (264). 267.
Luini 215 fg.
Lotto 307. 394.
Moretto 374.
Palma 387.
Raflfael, Schule 73.
Romano, Giul. 180. 183.
Sesto, Cesare da 212. 214.
Napoletano, Francesco, Ver-
hältniss za Lionardo, Bilder
in Mailand und Valencia 203.
Keri dl Bicci (36).
Oggionno, Marco d', Verhält-
niss zu Lionardo 202. 210; Bil-
der in Rom und Mailand 208 fg.
Olera bei Bergamo: Ciraa 364.
Ortolano 274. 275.
Orvieto, Dom: SignorellillTfg
Padua, (iaierie:
Basal ti 370.
Belliui, Giov. 33.311.(946).
Boccaccino, B. 867.
Cal. da Lodi 377.
Palma (388).
Pietro da Messina 864.
Pietro della Vecchia «79.
Romaninu 372. (377).
•^ Scuolu del Santo: Tizian 104.
~ Eremitani: Mmntegn« 869.
Palermo, Kirche deir Olivella:
Lor. di Credi 116.
Palma vecchio, mit Tizian
verwechselt 49. 50; Werke in
Borghese-Gal. 312. 314 fg.
P a n e 1 1 i , Lehrer Garofolo's 260.
Pandolfo di Pico della Miran-
dola 188.
Paolino, Fra, Stil und Werke
154 fg.
Paris, Louvre, Gemäldegalerie:
Albertinelli (157). 168.
Bacchiacca 134. 135. 136.
Bartolommeo, Fra 27. 157.
Bellini, Giov. (346).
Bordone, P. 382.
Corregffio 411.
Credi, Lor. di 116.
Filippino 158.
Justus von Gent 328.
Lionardo 229.
Lotto 394.
Palma 387.
Perugino 134.
Pesellino 336. 339.
Pier di Cosimo 151.
Pontormo 165.
Raffael (54).
Romano, Giul. 27. 180. 182.
Rondinelli SS. 346.
Sebastian del Piombo 54.
Sesto, Cesare da 212.
Solano 221. 222.
— — Handzeiohnungeu:
Baochiaoca 135.
Bellini, Giov. 355 fg.
Conti, Bern, de' 250.
Boltraffio 207.
BaoDOonsigli 858.
Credi, Lor. di 116.
Filippino 146.
Füippo, Fra (146).
Franciabigio 12<v
Genga 121.
Lionardo(89). 197. (212.227).
359.
Luini 216.
MantagnA (358).
Penni 182.
Perin del Vaga 183— 187.301.
28»
436
Orts- und Namensverzeichniss.
Paris, Louvre, Handzeichuung.
Peinizzi 171.
Pordenone 400.
Raffael 148.
Sesto, Cesare da 212. 214.
Sebastian del Piombo 55.
Signorelli 118.
Sodoma (171). 201.
Verroc hio 113.
Parma, Galerie:
Cima 364.
Correggio 290.
Parmeggianino, beeinflusst
von Periuo del Vaga 190.
Passavant 37. 47. 57. 60. 72.
129. 161 fg. 184 fg. 297. 301.
361. 409.
Paul V., Papst 208. 327.
Pausola (Marca d'Ancona):
Vivarini, Ant. 361.
Pavia, Galerie:
Correggio 27.
Sesto, Cesare da (213).
— Kirche S. Marino:
Giampietrino 206.
— Certosa:
Solario 223.
Penni, Franc. 178. 180. 188.
Perino del Vaga, Werke der
Frühzeit und künstlerische
Entwickelung 175—188; wird
der Isab. Gonzaga empfohlen
188—190; beeinflusst den Par-
meggianino 190 ; Zeichnung für
Fresco in Borghese-Gal. 298.
301.
Perugia, Fresken Raffael's 104.
— Dom: Signorelli 118.
— Schule von 36.
P e r u g i n o , Lehrer Rafifael's 2 1 ;
sein Stil 100. 101 ; „Apollo und
Marsyas" im Louvre 134."
Peruzzi, seine Entwickelung
170; Bild in Borghese-Gal.
169—172; von Raflfael porträ-
tirt 192.
Pesellino, sein Stil 27. 104.
fg. 338; seine künstlerische
Entwickelung und Aufzählung
der Werke 332—337. 339.
Pesello, Giuliano 332 fg.
Pest, Galerie:
Bellini, Gent. 349.
Boltraffio 207.
Correggio 295.
Sesto, Cesare da 212.
Sodoma 27. 197. 201. 300.
Petersburg, Ermitage:
Giampietrino 205.
Lionardo (229).
Sesto, Cesare da 213.
— Staatsrath DelarofF, Samm-
lung:
Calisto da Lodi 377.
P h i 1 i p p IL, porträtirt von Tizian
407.
Piacenza, S. Maria d. Cam-
pagna :
Pordenone 399.
Pier di Cosimo, Bilder in
Borghese-Gal. 87. 149; Be-
deutung als Landschaftsmaler
150 fg.; beeinflusst von Lio-
nardo 150 fg.; Gemälde 151 —
153; bei C. Rosselli 156; Zeich-
nung 156.
Pinto ricchio, Verhältniss zu
Raffael 21; in Borghese-GaL
87. 142—144; Stil 100. 101;
Hofmaler Alexander's VL 167 ;
Zeichnung in Uffizien 303.
Pisani, Nie. 387.
Pisano, Vittore, Bilder und
Zeichnungen 350.
Pistoja, S. Domenico:
Fra Paolino 155.
— Spitalkirche:
Lor. di Credi 155.
Fra Paolino 155.
Pitti, Luca 3.
Pollajuolo, Ausbildung 24 fg.;
sein Stil 42. 98.
Pontormo, sein Stil 126. 162 fg.;
sein Porträt 129; copirt Dürer-
Stiche 135; Bild in National
Gallery 139; — in Borghese-
Gal. 161—163; Uebersicht sei-
ner Werke 163 fg.
Pordenone, Bilder des Giov.
Ant. da P. daselbst 396.
Orts- und NamensTeneiohniss.
437
P 0 r d e n o D e , Giov. Ant, Charak-
teristik und Uebersicht der
Werke 395—400.
Poussin (Dughet), Gaspar, in
Doria-Gal. 330.
r r e d i s , Ambrogio de, beeinflusst
von Lionardo 203 ; verwechselt
mit Lionardo 227. 232; Zeich-
nung in üffizien 226; Charak-
teristik und üebersicht der
Werke 230—242.
Predis, Cristoforo de 242.
Predis, Mateo de 232.
Puligo, Werke in Rom 161.
Puccini 48.
Pulsky, von 300.
Puppini, Biagio 287.
Raffael, Schüler Perugino's 21.
59; — Pintoricchio's 21. 59;
— des Tim. Viti 34. 59; Künst-
lerberuf 24 fg.; mit Sodoma
verwechselt 27. 196 fg. 198 fg.;
(in S. Onofrio, Florenz 36);
sein Stil 42. 45. 47. 100 fg.;
Bilder in Üffizien 40 fg.; „Ma-
donna del Cardellino" 45. 47.
61. 63; („Madonna del Pozzo"
47. 48. 60); (sogen. Fomarina
48 — 51); („Violinspieler'* in
Pal. Sciarra Colonna 49—51);
Einfluss auf Sebastian del
Piombo 53; sein Porträt 53;
mit Seb. del Piombo verwech-
selt im Louvre 54; Bilder in
Pitti-Gal. 59 fg.; „Madonna
del Granduca" 50 fg. 100;
Portr. Doni 61; Altarbild für
Dei 61 — 63; „Madonna della
Sedia" 63; „Donna Velata"
64 — 71. 245; „Leo X.'* 69;
«.Vision Ezeobiers" 70; Ein-
diMS Lionardo't 61; Verhält-
niss zu Fra Bartolommeo 62 fg. ;
Fresco in Perugia 104; Ver-
hältniss zu Giul. Romano und
Perino del Vag« 178—187;
copirt von Cetare da Sesto
212; Doppelporträt in Doria-
Gal. 414 fg.
Raffaellino del Garbo 91; sein
Stil 104; in S. Onofrio, Florenz
(37); mit Filippino verwech-
selt 145; Zeichnungen 147 fg.
Ravenna, S. Croce:
Rondinelli 347.
Recanati, Dominicanerkirche:
Lotto 307. 394.
Richter, J. F. 25. 193 fg. 226 fg.
309.
Reiset 112.
Ricci, Corrado 34.
Rio 210.
Robbia, Lnca della 113.
Roberti, Ercole 285. 287 fg.
Rom, Albani, Villa:
Giampietrino 205.
— Barracco, Giov., Baron, Samm-
lung:
Pier di Cosimo 151. 153.
Rondinelli 347.
— Barberini, Galerie: Entstehung
derselben 84. 86. 328.
Botticelli (107).
Cenci, Beatrice (?), Porträt
derselben 21. 404.
Fomarina, Porträt derselben
68.
Palma (387).
Peruzzi (163).
Pietro della Vecchia 387.
Pontormo 163.
Sodoma (198).
Tizian (406).
— Palazzo Barberini:
Justut von Qent 388 fg.
— Galerie Borghete, Entstehung
derselben 83 fg.
Albani 296.
AllxMtint-lIi 153.
Alf
.\i S. (354); Luoia
;io 317 fg.
Bacchiaooa 138. 131. 137.
BMSftoo 309. 313.
Bellini, Qiov. (33 n
347).
438
Orts- und KamensverzeichnisB.
Rom, Galerie Borghese:
Bissolo 311.
Bonifazio 313.
Bordone, Paris 313.
Botticelli (87. 105 fg.)
Bronzino 164.
Brower (3->l).
Bugiardini 123.
Caravaggio 297. •
Codde, P. 322.
Correggio 284.287.293—296.
Cranach, Lukas 320.
Crivelli (143).
Domenichino 296.
Dosso, B. 280. 283.
Dosso Dossi 258. 263. 277—
280.
Feti, Dom. 305.
Filippino (144).
Francia, Fr. (Raibolini) 87.
251 fg. 287.
Franciabigio 122. 124 fg.
Francken, Fr. 320.
Garofolo 258 fg. 263 — 265.
268. 272. 275. (277).
Genga, Girol. (119).
Giarapietrino 202.
Giorgione 323 fg.
Hals, D. 321.
Holbein (320).
Lionardo (113. 225. 227).
Lorenzo di Credi 87. 112 —
117. 155.
Lotto 305—309.
Lunders, G. 321.
Luini (214).
Mazzolino 284.
Moroni 304. (319).
Oggionno, Marco d' 208.
Palma vecchio 312. 314 fg.
PerindelVagal75.(287fg.).
Peruzzi 170.
Peters, W. 320.
Pier di Cosimo 87. 149 fg.
153.
Pintoricchio 87.(142). 143 fg.
Pontormo 161—163.
Puligo 161.
Raffael (161. 165). 172—175.
(297). 422.
Rom, Galerie Borghese:
Ridolfo del Ghirlandajo (147).
Sarto, Andrea del (33. 159—
161).
Savoldo 319.
Scarsellino 284. (312).
Sesto, Cesare da (211).
Signorelli (117).
Sodoma (Bazzi) 87. 190 fg.
193—198.
Solario, A. 216 fg.
Spagua, Giov. (144).
Tizian 215. 304. 310 fg. (312).
Tommaso 114 fg.
Veronese, Paolo (305. 309 fg.
312).
Zelotto 309.
— Galerie des Capitols:
Aspertini 345.
Bellini (267. 345 fg.).
Bordone, P.-(379).
Credi, Lor. di (115).
Dosso 280.
Ferrari, Gaud. (229).
Francia 252.
Garofolo 267. 275.
Giorgione (319. 394).
Lotto 393 fg.
Palma 386.
Savoldo 319.
Tizian 58. 379. (386). 404.
— Chigi, Entstehung der Ga-
lerie 84.
Bonifazio 384.
Botticelli 106.
Dosso 281.
Peruzzi 170 fg.
Sodoma 170 fg. 198.
Tizian 406.
— Doria, Galerie, Entstehung
derselben 83 fg. 327—330.
Bartolo di Maestro Fredi
334.
Basaiti (268. 365). 368.
Bellini, Giov. (33. 345).
Boccaccino, B. 365.
Bonifazio 383.
Bordone P. 379 fg.
Bronzino 164.
Caracci 390.
\
Orts- und XamensTerzeiohniss.
439
Kom, Doria, Galerie:
Cima (363).
Correggio 409 fg.
Cortona, P. da 330.
Costa, L. (268).
Dosso, B. 283. 330.
D088O Dossi 280.
Francia, Fr. 252.
Filippo, Fra 102. 332.
Garofolo 266. 267 fg. 275.
Giorgione (383).
Holbein (378).
Lionardo (206. 408).
Liberale 357.
Livens 405.
Lodi (?) 375 fg.
Lotto 390—392.
Idantegna (356).
Moroni, G. B. 401.
Ortolano (266. 275).
Pesellino 332. 334.
Pisanello (334).
Pordenone (58. 311). 397.
PouBsin (Dughet), G. 330.
Raffael 414 fg.
Romanino 371.
Bondinelli 33. 345 fg. 34:
Sarto, A. del (33. 160).
Scarsellino 330.
Scipione da Gaeta 379.
Tizian 58. 310. (401). 403-
405.
Velasquez 330 fg.
— Farnese Pal.:
Caracci, An. 20G.
— Famesina:
Peruzzi 171.
Raffael 101. 181.
Seb. del Piombo 51.
Sodotna 193. 299. 300.
— Haus Gucrrini-Antinon:
Albertinelli 154.
— Lateran-Galene:
Cola deir Amatrice 117.
Crivelli 361.
Filippo, Fra 102.
Signorelli 117.
Vivarini, Ant. 360 fg.
Rom, Ludovisi Casino:
Guercino 296.
— Patrizi Sammlung:
Signorelli 117.
— Quirinal (?):
Lotto 393.
— Rospigliosi Casino:
Giampietrino 204.
Lotto 392 fg.
Reni, Guido 296.
Signorelli 117.
— SciarraColonua-Galerie: Ent-
stehung derselben 84.
Albertinelli 154.
Beccaruzzi 317.
Feti 305.
Licinio, B. 317.
Luini 215.
Palma 384. •
„Violinspieler** von Se^ ^' '
Piombo 49—52.
— Spada Pal.:
Lotto (394).
Sodoma 198.
— - Torlonia :
Bellini, Giov. 349.
Correggio (295).
Filippo, Fra 44.
— Yatioan, Galerie:
BuoiinoiisiLrlio .'».ST
Co!
Cn.
Lionardo 225.. 329.
Maniegna (357).
Moretto 373.
Sesto, Cesare da SIC.
Tixian 405.
'■ Loggien:
Penn del Vaga 179.
Stanxen:
Perin del Vaga 179.
Raffael 181.
Gemiober det Papstes:
Pordenone 398.
Sixtinische Kai- :"
DUmante, Fra {■>■
Parugino 38.
SigDOKlU 117.
440
Orts- und Namensverzeichniss.
Rom, Kirchen:
S. Maria della Pace: Pe-
ruzzi 170 fg.
S. Maria sopra Minerva: Fi-
lippino 104.
S. Onofrio: Boltraffio 206;
Peruzzi 170.
Romanino, Charakteristik und
Uebersicht der Werke 371 —
373.
Romano, Giulio, mit Bagna-
cavallo verwechselt im Louvre
27. 183; »malt die Fornarina
68. 180; führt Raffaelische Bil-
der aus 71 fg.
Rondinelli, Bilder in Doria-
Gal. 345 fg.
Rosselli, Cos. 333.
Rossi, Luigi Car. 69.
Rovigo Galerie:
Bellini, Giov. 343.
Dosso 281.
Palma 388.
Rucciano, Villa, von Brunel-
leschi 2. 39.
Ruland 165.
Rumohr, von, Baron 49. 193.
235. 237.
Salaino, Verhältniss zu Lio-
nardo 202; seine Werke 208;
verwechselt mit Solario 218.
Salerno, Andrea da, Malereien
in Neapel 223.
Salviati, Fr., Porträts 168.
Santa Croce, Gir. da 364.
Santi, Giov., Lehrzeit bei Fio-
renzo di Lorenzo 328.
Sanseverino, Lorenzo da 363.
Saronno: Luini 216.
Sarto, Andrea del, sein Mono-
gramm 33. 160; Bilder in Pitti
139; Bilder in Borghese-Gal.
(160).
Scarsellino, Bilder in Bor-
ghese-Gal. 284. (312); Bilder
in Doria-Gal. 330.
Scorel, mit Sodoma verwech-
selt 27.
Sebastian del Piombo (Lu-
ciani), verschiedene Gemälde
49—56; 364.
Sesto, Cesare da, mit Lionardo
verwechselt 88. 227; sein Auf-
enthalt in Florenz 149; seine
Landschaften 194; Verhältniss
zu Lionardo 203; Charakte-
ristik u. Uebersicht der Werke
210—214.
Sforza, Gian. Gal. 233 fg. 238.
Siena, Galerie:
Anguissola, S. 255.
Albertinelli 157.
Genga 120.
Girol. del Pacchia (120).
Sodoma 191. 194. 199.
— Opera del Duomo :
Genga 120.
— Pal. Publice: Sodoma 199.
— S. Spirito:
Fra Paolino 154; Sodoma
198.
— Kirchen von S. Bernardino,
S. Domenico: Sodoma 299.
Signorelli, Stil 99; Ueber-
sicht der Werke 117 — 119;
Einfluss auf Genga 119. 120.
Sodoma, verwechselt mit Lio-
nardo 27; mit Sebastian del
Piombo 27. 202, und Scorel
27. 202; in Borghese-Gal. 87.
190 fg. 193-196. 198; Jugend-
werke 191, in Rom 192; von
Raffael porträtirt 192; Male-
reien im Vatican 192. 195;
die „Leda" und Studien dafür
193—198; die Merkmale sei-
nes Stils 197. 299; Uebersicht
der Werke 198 — 199; sein
künstlerisches Naturell 200.
299; seine Zeichnungen 196
—198. 201. 226. 298; Verhält-
niss zu Lionardo 202 ; Zeich-
nungen zur Hochzeit Alexan-
der's u. der Roxane 298—301.
Solario, Andrea, beeinflusst
von Lionardo 203; Schulbild
in Borghese-Gal. 214. 216 fg.;
Charakteristik und Uebersicht
der Werke 216—224.
Orts- and Namensverzeichniss.
441
Solario, Cristoforo 218.
— Pietro 219.
Springer, A. 60.
Tamarozzo, Bilder in Bologna
und Mailand 286 fg.
Teniers copirt Palma 385.
Thaussing 307.
Tizian, verwechselt mit Cor-
reggio in den Uffizien27 ; — mit
Palma 49; sein Stil 58; Fres-
ken in Padua 104; Bilder in
Borghese-Gal. 304 fg. 309 —
311; „Herodias" in Doria-Gal.
403 fg.
Tommaso, Schüler des Botti-
celli u. des Lorenz© di Credi
114. 115.
Treviso, Werke des Bordone
daselbst 382.
— Dom: Pordenonc 399.
Tura 34; sein Stil 98; seine
Bedeutung 284 fg.
l'urin, Galerie:
Appiani, N. 209.
Bellini, Giov. 341.
Botticelli HO fg.
Brescianino 159.
Credi, Lor. di 116.
PVanciabi^io 123 fg.
Giampietnno 202. 204.
Macrino d'Alba 221.
M -na 360.
o'g Schule 33.
SoU..iini ».».'.
Viti, Tim. (33).
— königl. Bibliothek, Uandxeich-
nun^en :
Lionardo 326.
Sesto, Cesare da 214.
Sodoma 201.
— Angrogna, Grafin, Sammlung:
Bemardino fle' Conti 248 fp.
ürban VÜl., l'apst h4. 327.
Urbino: Signorclli 138.
Talen oia: Bilder Yon Franc.
Napoletano and Paolo von
Arezzo 203.
Vaprio: Sodoma 199.
Vasari 21.34.64.70.89. 101 fg.
111. 113. 121. 129 fg. 137 fg.
177 fg. 210. 259. 270 fg. 349.
382.
Vecchia, Pietro della, copirt
Dosso 279.
Vecchietti, Bernardo 44.
Velasqnez, Doria-Gal. 330 fg.;
Capitol. Gal. 331.
Venedig, Gemäldegalerie:
Bacohiacca 134.
Basaiti 370.
Bellini, Gent. 349.
Bellini, Giov. 355.
Boccaccino, B. 366 fg.
Bordone, P. 381.
Buonoonsigli 358.
Cima 364.
Lionardo 226. (240).
Luini 216.
Moroni (402).
Pahna 389.
Pordenone 396. 400.
Predis, A. de 240.
Raffael (134).
Sesto, Cesare da 214.
Solano 224.
— Maseo Correr
Basaiti 370.
Bellini, Giov. .m3. a.i.>.
Portr. des Don F. Avalos
168.
— Dogenpalast:
Bocoaooino, 1.. ..i.^.
— Qaerini Stampalia • Galerie :
Palma 389.
— Seminario vesoonle-Qalerie:
AlbertioolU 157.
Beocafuroi 172.
Filippino 145.
Peruzii (172).
— Kirchen: S. Bartolommeo di
Iliilto:
^ ))astiaD dcl Piombo 52.
Carmioe:
Cima 364.
442
Orts- und Nameusverzeicbniss.
Venedig, Kirchen: S. Fran-
cesco della Vigna:
Bellini, Giov. 344.
Vivarini, Ant. 361.
S. Giacomo dell'Orio:
Buonconsigli 358.
S. Giobbe:
Savoldo 319.
— — S. Giovanni Grisostomo:
Bellini, Giov. 344.
Sebastian del Piombo 52.
— — S. Giov. Elemosinario :
Pord^none 396.
— — S. Giuliano:
Boccaccino, B. 365.
— — Madonna dell'Orto:
Bellini, Giov. 344.
Cima 364.
— — S. Maria Formosa:
Palma 389.
— — S. Maria di Frari:
Basaiti 368.
Bellini, Giov. 344.
— — S. Pantaleone:
Vivarini, Ant. 361.
— — S. Pietro in Castello:
Basaiti 370.
— — S. Rocco:
Pordenone 396.
— — Scalzi:
Pietro da Messina 3G4.
— — S. Spirito:
Buonconsigli 358.
— — S. Stefano:
Boccaccino, B. 366.
Pordenone 399.
— — S. Zaccaria:
Bellini, Giov. 344.
Vivarini, Ant. 361.
— l'rivatsammlungen:
-r- — Pal. Giovanelli:
Bacchiacca 131. 135 fg.
Rondinelli 347.
M. Guggenheim:
. K. Marconi 311 fg.
Sir H. A. Layard:
Bellini, Gent. 34.
Buonconsigli 358.
Giampietrino 204.
Moretto 377.
Venedig, Privatsammlungen:
Sir H. A. Layard:
Sebastian del Piombo 51. 364.
— — Sergianotto:
Boccaccino, B. 366.
Veneziano, Domenico 20.
Venturi, Adolfo 35. 288.
Verona, Galerie:
Basaiti 370.
Bellini, Giov. 27. 343.
Bellini, Jac. 351.
Crivelli 362.
Mantegna 360.
Zelotto 309.
— S. Giorgio:
Eomanino 372.
Moretto 372.
— S. Maria in Organo :
Savoldo 319.
— S. Zeno:
Mantegna 360.
Verrocchio 334; Bilder in
Florenz 108 fg.; Verhältniss
zu Lorenzo di Credi 113. 114.
Vicenza, Galerie:
Cariani 316.
Cima 364. 368.
— S. Corona:
Bellini, Giov. 340. 343.
— S. Stefano :
Palma 389.
Visconti-Venosta, Marchese
238.
Viti, Timoteo, in Gal. von Tu-
rin (33); Lehrer Kaffael's 34.
59. 63; sein Stil 101; Bilder
in Gal. Corsini, Florenz 327 fg.
Vivarini, Aut., Uebersicht sei-
ner Werke 361.
Vlämische Copisten in Ita-
lien: nachBaffael 72. 73. 282.
408 ; nach Lorenzo di Credi 115;
nach Giampietrino 206; nach
Solario 217; nach Verrocchio
226. 357; alsP. Bordone 383;
nach Lotto 394; nach Holbein
413.
Volterra, Dom:
Albertinelli 158.
Signorelli 118.
Orts- und Namensyerzeichniss.
443
Weimar, Schloss :
Albertinelli 157.
Lionardo (1%).
Pier di Cosimo 162.
Predis, Ambr. de 235.
Sodoma 196.
Wicar 48.
Wien, Belvedere-Galerie :
Albertinelli 154.
Anguissola 255 fg.
Bissolo 347.
Moretto 399.
Palma 313.
Pietro della Vecchia 279.
Sesto, Cesare da 212.
Tizian 405.
— Albertina, Handzeicbnüngen :
Lionardo. (227).
Penni (17G).
Wien, Albertina, Handzeich-
nuDgen:
Penn del Va^ 176. 183.
Romano, Ginlio 182.
Sodoma 27. 1«5 fg. 201.
299 fg.
WindsorCastle, Sammlangen:
Franciabigio 126.
Lionardo (198).
Perino del Vaga 184. 187.
Romano, Giulio 182.
Sesto, Cesare da 213.
Signorelli 119.
Sodoma lv^6. 198. 301.
Wornnm 83.
jZaganelli 348.
.Zelotti in Borghese-Gal. 309,
Berichtigungen:
Seite 46, Zeile 7 v. u., statt: auch in der Publication der Gros-
venor-Gallery reproducirt (Nr. 19), lies:
• auch von Braun (Nr. 19) photographirt
)) 147, » 7 V. u., st.: Das Auge desselben, 1.: Das Auge
der Falten
» 334, » 6 V. o., st.: Maximilian, 1.: Maximinian
» 36G, Anmerkung füge hinzu: Die hier angeführten Bilder
des Boccaccio Boccaccino hängen jetzt nach dem
neuen wenig befriedigenden Katalog im Saal V
unter Nr. 7 und in der Sala Paladiana VI unter
Nr. 36 und 149.
» 369, Zeile 10 v. o., st.: In der Üffizien-Galerie nahm man
ja den Basa'iti . . . für Giambellino, 1.:
In der Üffizien-Galerie wurde Giambel-
lino . . . für Basaiti genommen
» 370, » 7 V. u., St.: 1515, 1.: 1517
» 376, » 5 V. 0., St.: Bagnocavallo, 1.: Bagnacavallo
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
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UNIVERSITY OF TOROIMTO LIBRARY
N Morelli, Giovanni
2820 Kunstkritische Studien
K6 über italienische Malerei
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