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Kurzer Abriss der Psychologie,
Psychiatrie, und gerichtlichen ...
Max Dost
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Kleint
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Kurzer Abriss
der
Psychologie, Psychiatrie
und gerichtlichen Psychiatrie
nebst einer ausführlichen Zusammenstellung
der gebräuchlichsten Methoden der Intelligenz- und
Kenntnisprttfung
Für Juristen und Mediziner, besonders
jüngere Psychiater
Von Anstaltsarzt Dr. Max Dost
Hnbertusbui^
Mit 1 Tafel und 21 Abbildungen im Text
LEIPZIG
VERLAG VON F. 0. W.VOGEL
1908
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Alle Rechte vorbehalten
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147030
OCT 1 191G
Inhaltsangabe.
Seite
Einleitung . . . . , 1
Anatomische und physiologische Vorbemerkungen 2 — 18
Psychologie 18— 20
Allgemeine Psychopathologie • . . 21—33
I. Störungen des Wahrnehmungsvermögens 21 — 24
IL „ der Verstandestätigkeit 24— 28
III. „ des Gefühls 28— 30
IV. „ des Handelns 30— 33
Die Ätiologie der Geisteskrankheiten 33 — 35
Die wichtigsten Formen der Psychosen 35— 51
Die Diagnose der psychischen Erkrankung aus den Ausdrucksbe-
wegungen und Handlungen der Kranken 51—69
Methodik der Intelligenz- und Eenntnisprüfung 69 — 111
Die Therapie der Geisteskrankheiten 112 — 114
Die Geistesstörungen in ihren Beziehungen zum Zivil- und Strafrecht 114—132
Literaturverzeichnis 189—148
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Einleitung.
Im Einklang mit den modernen Bestrebungen einer Anzahl von
Vertretern der Jurisprudenz und Medizin, Fragen, in denen sieb beide
Teile im praktiscben Leben berühren, gemeinsam zu besprechen,
gegenseitiges Verständnis für den Standpunkt des anderen zu er-
streben und zum Nutzen der Allgemeinheit Hand in Hand zu arbeiten,
versucht die nachfolgende kurze Arbeit, diejenigen Juristen, welche
zum erstenmale beruflich mit Geisteskranken in Berührung kommen,
in gedrängter Form über die Lehren der Psychologie, Psychiatrie,
gerichtlichen Psychiatrie sowie die gebräuchlichsten Methoden der
Intelligenz- und Kenntnisprüfung zu orientieren. Es ist anzunehmen;
daß der Besitz dieser Kenntnisse es dem Juristen erleichtern wird
zeitig psychische Krankheit zu erkennen und sachverständige Hilfe
herbeizuziehen, ein möglichst exaktes Protokoll zu verfassen, sowie
die Sachverständigengutachten entsprechend zu würdigen und mit
ihrer Hilfe die nötige Entscheidung zu fällen. Verfasser befindet sich
hierbei im Einklang mit Staatsanwalt Wulffen'* i), der darauf hinweist,
„daß der künftige Kriminalist vielleicht neben Physiologie und Psychologie
noch Psychiatrie auf der Hochschule intensiv betreiben wird.** Zugleich
aber wendet sich Verfasser auch an die Mediziner, denen er eine
kurze Übersicht ihres Arbeitsfeldes, eine gedrängte Zusammenfassung
der Lehren der Autoren geben will. Allerdings ist er genötigt, um
den Eahmen des Buches nicht zu überschreiten, anatomische und
physiologische Fragen sowie Ätiologie und Therapie nur flüchtig zu
berühren. Dagegen bringt er eine ausführlichere Zusammenstellung
der in allen möglichen Zeitschriften verstreuten Publikationen über
Intelligenz- und Kenntnisprüfungen. Nach alledem will die Arbeit
nur in das große Gebiet einführen. Für weitergehende Bedürfnisse
ist das angefügte Literaturverzeichnis bestimmt.
1) Die angefahrten Zahlen beziehen sich auf das am Schlüsse befindliche
Literaturverzeichnis.
Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc.
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AnatomiBche und physiologische Vorbemerkangen.
Das Nervensystem setzt sich aus den Nerven- oder Ganglien-
zellen (Leib von rundlicher, ovaler oder pyramidenförmiger Gestalt
mit eiweißhaltigem Protoplasma und festerem Kern), sowie den Fort-
sätzen derselben zusammen. Durch gewisse Färbemethoden erhalten
wir genaueren Aufschluß über den feineren Bau der Zelle, z. B.
werden durch Nißls Methylenblaumethode die später näher charakteri.
sierten Nißlschollen dargestellt. (Fig. 1.) Die meisten Zellen besitzen
Dendrit
llkern
enzylinder-
rtsetzung
Eernkörperchen
Fig. 1. Ganglienzelle nach Nißls Methylenblaufärbung.
eine Anzahl kürzerer, sich baumartig verästelnder Ausläufer (Den-
driten) und den längeren, glatten Achsenzylinderfortsatz, welcher zur
Nervenfaser wird. Letztere enthält den innen gelegenen Achsen-
zylinder, weiter nach außen die myelinhaltige Markscheide, welche
bei den peripheren Nerven von der häutigen Schwannschen Scheide
bedeckt wird. (Fig. 2.) Jede Nervenzelle bildet mit ihren Ausläufern
eine selbständige Einheit, das Neuron, dessen wichtigster Teil die Zelle
ist. Aus unzähligen derartigen Neuronen, welche sich nur be-
rühren, nicht miteinander verwachsen, dachte man sich bisher unser
Nervensystem zusammengesetzt. (Fig. 3.) Seit der Entdeckung der
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neuerdings als leitende Elemente der nervösen Erregung geltenden
Neurofibrillen, welche in der Form feinster Fasern die Zellen und
ihre Fortsätze durchziehen, oft eine
größere Anzahl von Neuronen ohne
Unterbrechung durchlaufen, also deren
Grenzen nicht einhalten, sich mit
Fibrille, welche aus anderen Neu-
ronen kommen, außerhalb der Zellen
zu einem feinen Geflecht, dem ner-
vösen Grau Nißls verbinden und
schließlich nach Ansicht verschiedener
Autoren als Auerbach sehe Endknöpf- ^
eben an das jede Ganglienzelle um-
gebende, als Schutz dienende gliöse
Golginetz herantreten, wurde die
Ganglienzelie ihrer bevorzugten Stel-
Banvier'sche
Einschnürang >ide
Spitzenfortsatz
Ganglienzelle
Tendriten
Achsenzylinder-
.fortsatz
Endbaumchen
Fig. 2. Längsschnitt einer mark-
haltigen Nervenfaser mit gefärbten
Fibrillen. Nach Bethe.
Fig. 3. Schematische Zeichnung
zweier angrenzender Neurone.
lung entkleidet, und dieNeuronenlehre lebhaft von Apathy, Bethe undNißl
angegriffen ^ '»• ^^' Die Entscheidung des Kampfes steht noch aus. (Fig. 4.)
Die Nervenfasern teilen wir in motorische Nerven» welche zentri-
fugal leiten und sich hirschgeweihähnlich im Muskel verzweigen,
sowie sensible, welche die Erregung zentripetal fortpflanzen und von
den Tastscheiben, Meißnerschen Körperchen usw. der Peripherie aus
die verschiedensten Reize dem Zentralorgan übermitteln. Ob es be-
1*
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sondere trophische Nerven gibt, von denen die Ernährung des Ge-
webes abhängt, ist noch nicht erwiesen *^).
Das von bindegewebigen Häuten umgebene und von der als
Sttitzgewebe dienenden Glia durchsetzte Zentralnervensystem bildet
sich bei dem Embryo aus dem äußerstem Keimblatt (Ektoderra) in
der Weise, daß zwei in der Körperachse verlaufende Leisten, die
Medullarplatten entstehen, welche zusammenwachsen und das Medullar-
rohr bilden. Nach außen von denselben entwickeln sich die SpinaU
ganglien, etwas weiter entfernt das aus Rücken marksästen sich for-
mierende, von Ganglien (Nerven-Zellenanhäufungen) unterbrochene, sym-
finetz
sehe Endknöpfchen
zylindor-
tsatz
hoide
die Zelle sofort Dendnt
wieder verläßt
Fig. 4. Schematische Zeichnung einer Ganglienzelle nach einem
Bethe sehen Fibrillenpräparat
pathische Nervensystem, welches zu beiden Seiten der Wirbelsäule je
einen dünnen Strang und von diesem ausgehende Geflechte bildet.
Der untere Teil des Medullarrohrs wird zum Rückenmark, der obere
zum Gehirn. Letzteres geschieht, indem sich durch quere Furchen-
bildung erst 3, dann 5 Bläschen abschnüren, das Vorderhirn (Groß-
hirnhemisphären), Zwischenhim (Sehhügel), Mittelhirn (Vierhügel),
Hinterhim (Kleinhirn) und Nachhirn (Verlängertes Mark). Dem-
entsprechend wölben sich aus dem in dem MeduUarrohr verlaufenden
Zentralkanal die verschiedenen Höhlen oder Ventrikel vor. Je höher ein
Tier steht, desto stärker entwickeln sich seine Großhirnhemisphären (Sitz
der höheren geistigen Funktionen), desto kleiner wird aber auch sein
Riechlappen, der beim Menschen bis zum kleinen Riechkolben herabsinkt
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Das Rückenmark besteht aus der äußeren weißen Substanz
(Vorder-, Seiten- und Hinterstränge), in welcher vorwiegend lange
Leitungsbahnen verlaufen, und der inneren grauen Masse, welche
Zellen und kurze Bahnen aufweist, sowie in die Vorder- und Hinter-
hörner zerfällt. In letzteren befinden sich sensible, in ersteren
motorische Ganglienzellen. Beide Zellarten sind miteinander direkt
verknüpft. Jeder von der Peripherie (Haut, Sehnen usw.) kommende
Verbindg. d.
Pyramidensei-
tenstrangbahn
mit ein. motor.
Voideihoinzelle
Verbindung d>
EleinliirDseiten-
strftngbahn (4]
mit der Clarkei
Saale
ndung der Pyra-
istrangbahn mit
Vorderhornzelle
and. Seite.
Reflexbann
iblerNerv. motor.
irdorhornzelle)
Sensible Wurzel
Spinalnerv*
V. Vorderhom. H. Hinterhorn. C. Clarkesche Säule.
I Pyramidenvorderstrangbahn. 2 Uelwegsches Bündel, 3 Gowerssches Bündel, 4 Kleinhirn-
scitenstrangbahn, 6 seitliche Grenzschicht. 6 Pyramidenseitenstrangbahn, 7 Lissauer sehe Randzone,
8 hinteres äußeres Feld, 9 Schalzsches Komma, 10 (roll scher Strang, 11 Bardaoh scher Strang,
12 geroiscnte Seitenstrangzone, 13 Vorderstranggrandbündel, 14 ventrales Hinterstrangfeld. ]
' Fig. 5. Schematische Darstellung des Rückenmarkes.
Empfindungsnerv tritt nun in eines der neben dem Rückenmark
liegenden Spinalganglien ein, welche je einen Fortsatz in dem Hinter-
strang des Rückenmarks nach oben senden, einen kürzeren sich um
eine Hinterhornzelle aufsplittern lassen. (Fig. 5.) Da nun von den
Vordcrhornzellen Bewegungsnerven nach den Muskeln gesandt werden,
so ermöglicht die schon erwähnte Verbindung der Vorderhorn- und
Hinterhornzellen den Vorgang des Reflexes, d. h. einer gesetz- und
zweckmäßig auf einen Reiz eintretenden Reaktion, welche meist als
Schutzmaßregel dient (Reflexbahn: Peripherer sensibler Nerv —
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Hinterhornzelle — Vorderbornzeile — motorischer Nerv — Muskel). Ein
von außen kommender Reiz, z. B. ein Insektenstich, ruft eine Be-
wegung des Muskels hervor, z. B. das Wegziehen des geschädigten
Gliedes, Eratzen der Stelle usw. Zu den im Rückenmark, welches
keine eigentliche Seele besitzt, sondern nur als Reflexapparat fungiert,
vor sich gehenden Reflexen gehört z. B. der Plantarreflex (Dorsal-
flexion des Fußes bei Kitzeln der Fußsohle), der Patellarreflex (Zu-
sammenziehung des an der Kniescheibe ansetzenden Oberschenkel-
muskels und Vorscbleudem des Unterschenkels bei Klopfen auf die
Kniescheibensehne, die Bauchdecken- und Armreflexe.
Von dem sympathischen Nervensystem, welches die uns nicht
zum Bewußtsein kommende Tätigkeit der glatten Muskeln, des quer-
gestreiften Herzmuskels und der Drüsen veranlaßt, werden, zum Teil
in Verbindung mit dem vom Gehirn ausgehenden Lungen-Magennervj
folgende Reflexe vermittelt: die Erektion des Penis und die Samener-
gießung, die Mastdarm- und Blasenentleerung, die Peristaltik (Bewegung
von Magen und Darm), die Herztätigkeit, die Erweiterung und Verengung
der Blutgefäße, die Atmung und die Erweiterung der Pupillen. Alle diese
Reflexe werden gleichzeitig durch Vorstellungen und Affekte beeinflußt.
An seinem oberen Ende bildet das Rückenmark, welches in
seinem Verlaufe die Nerven für die Glieder und den Stamm ab-
gegeben hat, eine Anschwellung, das verlängerte Mark, in welchem
die Kerne der 12 Himnerven eingebettet liegen: Seh- (nervus opticus
kreuzt sich partiell), Riech- (nervus olfactorius), gemeinsamer Augen-
muskel- (nervus oculomotorius), oberer Augenmuskel- (nervus troch-
learis), äußerer Augenmuskel- (nervus abducens), dreigeteilter Ge-
sichts- (sensibel und motorisch, nervus trigeminus), Gesichtsbewegungs-
(nervus facialis, mimische Bewegungen), Hör- (nervus acusticus, mit
dem der Erhaltung des Gleichgewichts dienenden Labyrinthnerv),
Zungenschlundkopf- (sensibel, nervus glossopharyngeus), Lungen-
Magen- (nervus vagus), Bei- (nervus accessorius, Nackenmuskulatur)
und Zungenmuskelnerv (nervus hypoglossus). Mit Hilfe dieser Nerven
kommen folgende Reflexe zustande: der Pupillenreflex (Verengung
der Pupille bei Lichteinfall, vorübergehend aufgehoben im epileptischen
Anfall, oft dauernd bei progressiver Paralyse), der Lidscbluß bei
greller Beleuchtung, der Cornealreflex (Lidschluß bei Berührung der
Hornhaut, fehlt mitunter ebenso wie der Würgreflex, der durch Be-
rührung des Rachens eintritt, bei Hysterie), das Saugen des Neu-
geborenen, das Kauen, Schlucken, die Regulierung der Atmung durch
den Reiz von kohlensäureüberfüUtera Blute auf das Atemzentrum
(im verlängerten Mark), Niesen, Husten, Schreien.
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Die Verbindung zwischen Großhirn und dem verlängerten Mark
wird durch die Hirnschenkel hergestellt (unterer Teil = Himschenkel-
fuß-, oberer = Haube). Sie werden von der aus Zellen und Fasern be-
stehenden Brücke, welche das Vorderhirn mit dem Kleinhirn ver-
bindet, von unten her umfaßt»' Auf den Hirnschenkeln und dem ver-
Claustn]
s septi pellacidi
benkel
Im
Innere Kaps
dnhügel
imissura media
8. Ventrikels
lehhügel
ipiphyse
linsenkem ''
Äofiere Kapsel
VierhOgel
Nervös
troohleaiis
•or vitae
rn
j\M% ciuei«»
Bückenmark
Fig. 6. Horizontalöchnitt durch das Gehirn, links tiefer als rechts angelegt.
längerten Mark reitet das Kleingehim. Weiter nach oben folgen die
Vierhügel, in der Mitte des Großhirns die beiden Sehhtigel, nach vorn
zu die Streifenhügel. Nach außen von Sehhügeln und Streifenhügeln
liegen die Linsenkerne (dazwischen die innere Kapsel). (Fig. 6.) Die
bereits erwähnte sensible Bahn führt von den Hintersträngen bis zu
den an deren Ende befindlichen Hinterstrangskernen, geht dann die
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SchleifenkrenzuDg ein, bildet einen Teil des Haubengebietes und ge-
langt weiter zum Sebbügel. Außerdem gibt es noch einen zweiten
Weg: Vom Spinalganglion nacb der im Seitenstrang aufwärts führenden
Eleinhimseitenstrangbahn, der Eleinhirnrinde und dem Sebbügel.
Die Seitenstränge können bezüglich der sensiblen Leitung für
die Hinterstränge eintreten. Die Schmerzempfindung, für welche wir
jetzt besondere Bahnen annehmen, und die Temperaturempfindung
werden im Seitenstrang der entgegengesetzten Seite nach oben ge-
leitet, die Berührungsempfindung pflanzt sich im Hinterstrang der-
selben Seite und im Seitenstrang der entgegengesetzten Seite nach
oben fort. Bemerkenswert ist noch^ daß die Berührungsempfindung
erhalten sein kann, wenn Schmerz- und Temperaturempfindung auf-
gehoben sind. Die Bahn des Muskelsinns verläuft in dem Hinter-
strang der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte. Die Folge dieser
Kreuzung der Bahnen ist, daß bei einem Herd in der rechten Him-
hälfte eine ünempfindlichkeit der linken Körperhälfte eintritt und um-
gekehrt. Der Sehhügel bildet die Umschaltestation für alle diese
sensiblen Bahnen und sendet sie durch die innere Kapsel hindurch
nach der Rinde des Parietal- (Scheitel-) Hirns. Während uns die
Vierhügel als Zentralorgane des Sehvermögens (stehen durch die
Sehstrahlung mit der Sehrinde im Hinterhauptslappen in Verbindung)
bekannt sind, wissen wir von den Streifenhügeln nur, daß durch
Stichverletzung derselben Temperaturerhöhung entsteht. Ob sie etwas
mit den Körperbewegungen zu tun haben, ist noch nicht klar. Das
Kleinhirn, welches mit dem Rückenmark, dem Endgebiet des Seh-
nerven im Mittelhirn, sowie dem Großhirn in Verbindung steht, hat
die Aufgabe, die Orientierung im Räume und die Gleichgewichts-
bewegungen mit Hilfe der ihm zugeleiteten Sinneseindrücke zu regu-
lieren. Bei Verletzung desselben treten Schwindel, Zwangsbewegungen
und Ataxie (Störung der einheitlichen Bewegung) auf. Die motorische
oder Pyramidenbahn führt von den großen Pyramidenzellen der
vorderen Zentralwindung des Gehirns nach der inneren Kapsel, ge-
langt durch den Fuß des Himschenkels in das verlängerte Mark und
kreuzt sich direkt unter der Schleifenkreuzung zum größten Teil.
Die ungekreuzte Partie verläuft in den Vordersträngen, die ge-
kreuzte in den Seitensträngen herab. Sie tritt dann an die Ganglien-
zellen der Vorderhörner heran, welche die zu den Muskeln führenden
Bewegungsnerven absenden. Ein Krankheitsherd, eine Blutung in
der rechten Hirnregion muß daher eine halbseitige Lähmung der
linken Körperhälfte hervorrufen. Besonders sind die häufigen Blutungen
der inneren Kapsel (Schlaganfall) gefürchtet, weil die Bahn dort eng
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zusammengedrängt ist, und die Lähmung infolgedessen leicht große
Ausdehnung gewinnt.
Erwähnenswert ist noch, daß die sensible Haubenbahn ihr Mark
bereits im 8. Embryonalmonat, die motorische Pyramidenbahn dagegen
erst nach der Geburt erhält Die Reifung des Marks ist ungefähr im
20. Jahre vollendet.
Wir kommen nun zu dem für die psychische Tätigkeit wichtigsten
Hirnteil, den durch die schon genannten Bahnen mit dem Rücken-
mark (Projektionsfasern), durch den Balken (Kommissurenfasern) mit-
einander verbundenen Großhirnhemisphären (Hirnmantel). Sie sind
aus der graurötlichen Hirnrinde und dem weißlichen Mark zusammen-
gesetzt. Die einzelnen Punkte jeder Hirnhälfte werden durch ein
reiches System von Assoziationsfasern mit einander verknüpft.
In der Rinde bilden sich während des Embryonalebens zahl-
reiche Furchen. Die zwischen denselben stehenbleibenden Rinden-
teile werden Windungen genannt. Wir unterscheiden die zeitig auf-
tretenden, tiefen, typisch verlaufenden Hauptfurchen (fissura Öylvii,
fissura centralis, fissura parietooccipitalis, fissura calcarina) und die
weniger wichtigen, häufig atypischen flachen Nebenfurchen. Zur
Zeit der Geburt sind die Hauptfurchen bereits ausgebildet, während
die Nebenfurchen noch undeutlich ausgeprägt sind. Die Windungen
sind im allgemeinen desto reicher entwickelt, je höher das Individuum
in geistiger Beziehung steht. Bei der Paralyse beobachtet man eine
auffällige Verschmälerung sowie partielle Einsenkungen der Windungen,
besonders im Stirnhirn, infolge Zugrundegehens der Zellen und Fasern,
vor allem des nervösen Grau Nißls. Die Windungen des Idioten
sind oft auf einer frühen Stufe stehen geblieben und nur wenig
ausgebildet. (Fig. 7.)
Um uns leichter zurechtzufinden, teilen wir das Großhirn in
Stirn, Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptslappen ein. Während
man gewöhnlich glaubt, daß das Wachstum des Gehirns sich nach
dem des Schädels richte, hängt im Gegenteil die Größe des Schädels
meist von der Ausbildung des Gehirns ab. Nicht aber zeigt der
Schädel, wie Gall meinte, durch Vorbuchtung seiner Wand die an
den verschiedenen Stellen des Gehirns lokalisierten seelischen Eigen-
schaften, z. B. Gutmütigkeit usw. an. Die Lehre von der Phreno-
logie ist abgetan. Dagegen hat man gefunden, daß einzelne Bezirke
der Himsubstanz bestimmten Zwecken dienen, Zentralstellen dar-
stellen. Doch muß man nach Nißl berücksichtigen, daß sich die
einzelnen Bezirke auf der Oberfläche nicht genau so verhalten wie
in der Tiefe, sondern daß sie sich mehr wie die geologischen Schichten
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10 —
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ineinander schieben. Man hat z. B. festgestellt, daß das Zentrum
für die Sprachbewegung sehr wahrscheinlich in der dritten linken
Stirnwindung (bei Zerstörung motorische Aphasie), das Gehörszentrum
in der linken obersten Schläfenwindung (bei Schädigung sensorische
Aphasie), das Sehzentrum in der Gegend der fissura calcarina im
Hinterhim (bei krankhaftem Herd Seelenblindheit), das Zentrum für
die Erinnerungsbilder der gelesenen Worte im linken gyrus angularis
im Scheitelhim (bei Zerstörung Wortblindheit), das Zentrum für die
•Erinnerungsbilder der Schreibbewegung vielleicht in der zweiten
linken Stirnwindung, die Zentralstelle für die absichtlichen Glieder-
bewegungen in der vorderen Zentralwindung, die zentrale Sammel-
stelle für die Empfindungen in der Kinde des Scheitelhirns liegen,
während man über die Zentren des Geschmacks und Geruchs (viel-
leicht Rinde des Ammonshorns) noch nicht genau orientiert ist. In
den genannten Zentralstätten kommen uns die vom Hirn ausgehenden
absichtlichen Bewegungen und die zum Zentralorgan strömenden
Empfindungen zum Bewußtsein. Hier werden die sogenannten Er-
innerungsbilder abgelagert, von denen in der Psychologie die Rede
sein wird. Hier ist der Entstehungsort der Sinnestäuschungen. Die
Ansicht Flechsigs, daß es außer den obengenannten Sinneszentren
noch bestimmt lokalisierte Assoziationszentren gäbe, welche die bisher
unbekannten Denkorgane darstellen sollten, hat sich nach Meinung
der meisten Autoren nicht zu behaupten vermocht Vielmehr glaubt
man jetzt, daß die ganze Rinde ein Assoziationssystem darstellt, in
welches die Projektionsbahnen eingelagert sind. Die auffällige Tat-
sache, daß die linke Hemisphäre mehr tätig ist als die rechte und
Handlungen auslöst, welche von beiden Körperhälften ausgeführt
werden, z. B. die Sprachtätigkeit und die koordinierten Bewegungen
der Glieder (nach Liepmann tritt z. B. bei Zerstörung der linken
Hemisphäre nicht nur Lähmung des rechten Armes, sondern auch Unfähig-
keit des linken Armes auf, kompliziertere Handlungen auszuführen
wie Geld zu zählen. Fliegen zu fangen usw.), hängt nach Lewan-
dowsky^i) vielleicht mit der uns seit alter Zeit vererbten Rechts-
händigkeit zusammen, welche sich vielleicht dadurch entwickelt hat,
daß von jeher die rechte Seite dem Angriffe entgegengesetzt wurde,
um das Herz zu schützen. Daß der rechten Hirnhälfte die Anlage
der Sprache und Bewegung nicht fehlt, beweisen einige Fälle von
Erkrankung der linken Hemisphäre in der Jugendzeit, welche keine
oder geringe Sprachstörung aufwiesen.
Bezüglich des Hirngewichts findet man im allgemeinen bei
intelligenten Personen schwerere Gehirne, doch gibt es auch Aus-
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nahmen. Ein sehr niedriges Hirngewicht beobachten wir oft bei
progressiver Paralyse und chronischem Alkoholismus.
Die Hirnrinde enthält in Reihen geschichtete Ganglienzellen, welche
verschiedene Formen aufweisen. Sie sind zum Teil Ausgangspunkte
von motorischen, Endpunkte von sensiblen Bahnen oder Schaltstellen.
Je nach ihrer Funktion zeigen die verschiedenen Stellen der Kinde
abweichenden Bau. An den Sinneszentren überwiegen z. B. die viel-
gestaltigen Zellen und kleinen Pyramiden, an den motorischen Zentral-
stellen die großen Pyramidenzellen. Die Veränderungen, welche durch
die Psychosen in der Rinde hervorgerufen werden, sind sehr mannig-
faltig. Die progressive Paralyse ruft z. B. Schrumpfung des Rinden-
gewebes mit Verzerrung der Zellreihen, Degeneration der Ganglien-
zellen, Untergang der Nervenfasern (besonders Tangentialfasern),
Wucherung des Gliagewebes und Veränderungen an den Blutgefäßen
(Sprossung neuer Gefäße, Ansammlung von Plasmazellen) hervor.
Wie war es nun möglich, die verschiedenen Zentren festzustellen
und den Verlauf der einzelnen Bahnen in dem Fasergewirr zu ver-
folgen? (57°- »3).
1. erhalten die einzelnen Bahnen ihr Mark zu ganz verschiedenen
Zeiten, und zwar bekommen der Funktion nach zusammengehörige
Systeme ihr Mark gleichzeitig (Myelo- genetisches Grundgesetz Flech-
siges); durch Markscheidenfärbung der nacheinander erscheinenden
Bahnen lassen sich dieselben auseinanderhalten.
2 . weiß man, daß jede Nervenfaser von ihrer Zelle ernährt wird.
Wird die Bahn durchschnitten, so degeneriert nach kurzer Zeit der
größere Teil derselben, während die dem trophischen Zentrum näher
gelegene Partie erhalten bleibt oder langsam zugrunde geht (Waller-
sches Gesetz). Bei der Sektion findet man z. B., falls ein Herd in
der vorderen Zentralwindung vorliegt, Degeneration der ganzen Pyra-
midenbahn, welche sich so deutlich von der Umgebung abhebt
3. fügt man neugeborenen Tieren experimentelle Verletzungen
an verschiedenen Teilen des zentralen oder peripheren Nervensystems
zu, tötet die'T^iere nach einiger Zeit und beobachtet die eingetretenen
Degenerationen.
4. untersucht man Tiere mit einfachem Nervensystem und ge-
langt durch Vergleichung zur Einsicht in komplizierte Verhältnisse.
5. reizt man bestimmte Stellen der Hirnrinde des lebenden Tieres
und beobachtet die erfolgenden Bewegungen.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die im lebenden
Nervon vor sich gehenden Prozesse. Über das Zustandekommen der
Nervenleitung sind die Autoren noch nicht einig. Man faßt sie teils
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als rein elektrischen Vorgang, teils als vorwiegend chemischen Prozeß
auf, welcher in einer Assimilation (Aufbau) und Dissimilation (Zerfall)
der chemischen Bestandteile (Lecithine, Myeline usw.) des hoch zu-
sammengesetzten Zellprotoplasmas besteht und erst sekundär elektrische
Ströme hervorruft. Die durch die Nißlfärbung sichtbar werdenden
Nißlschollen der Ganglienzellen stellen offenbar die Reservestoffe der
Zelle dar und sind äußeren Einflüssen, z. B. Hunger, Fieber, Gift
gegenüber sehr vergänglich.
Psychologie.
In den nachfolgenden Ausführungen folgen wir vornehmlich der
voluntaristischen Psychologie Wilhelm Wundts und seiner Schüler,
welche unter den psychologischen Strömungen der Gegenwart die
Führung übernommen hat. Sie lehrt uns, daß die von der Außen-
welt und unserem Körper ausgehenden Reize von den Sinnesorganen
aufgenommen, daselbst transformiert und vermittelst der Sinnesnerven
den Sinneszentren der Großhirnrinde zugeleitet werden. Hier rufen
sie das erste Glied der psychischen Reihe, die Empfindung, hervor,
welcher stets eine bestimmte Qualität (z. B. Tonhöhe), Stärke und ein
besonderer Gefühlston zukommt. Die Empfindung kann bei einer
gewissen Stärke den Reiz überdauern, im Hirn eine Spur, ein soge-
nanntes Erinnerungsbild hinterlassen und wieder reproduziert werden
(Gedächtnis). Und zwar geschieht letzteres, wenn durch einen Reiz
eine der früher hervorgerufenen ähnliche Empfindung erzeugt wird;
es kann aber ein Erinnerungsbild auch durch eine andere Vorstellung,
einen Gedanken wachgerufen werden. Die meisten Objekte der Außen-
welt verursachen nun gewöhnlich eine ganze Anzahl von Empfin-
dungen in den verschiedenen Sinnesgebieten, welche infolge ihrer
gleichzeitigen Entstehung assoziativ mit einander verbunden sind, d. h.,
taucht die eine auf, so ruft sie zugleich die andere wach. Die Ge-
samtsumme dieser Erinnerungsbilder verbindet sich zu dem Bilde
des betreffenden Gegenstandes. Erleichtert wird diese Tätigkeit durch
die Eigenschaft der Sprache, zusammengefaßte Erinnerungsbilder zu
einer Einheit, dem Begriff zu verbinden. Die einzelnen Teilbilder
sind mit dem Sprachzentrum, durch welches die von der Kehlkopf-,
Gaumen-, Zungen- und Lippenmuskulatur ausgeführten Sprachbewe-
gungen veranlaßt werden, assoziativ verbunden und rufen bei ihrem
Auftauchen das betreffende Wort in Erinnerung. Dazu kommt noch
das akustische Erinnerungsbild des gehörten, das optische Bild des
gelesenen Wortes, sowie das Erinnerungsbild der Schreibbewegung
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des geschriebenen Wortes, um den betreffenden konkreten oder sinn-
lichen Begriff noch vollständiger zu machen, z. B. setzt sich der Be>
griff „Honig" aus den Erinnerungsbildern der Geruchs-, Gesichts- und
Gefühlsempfindungen zusammen, welche wir bei dem Anriechen, Be-
trachten und Betasten des Honigs gewinnen, ferner aus den Erinne-
rungsbildern der Sprachmuskelbewegung beim Aussprechen, der
Schreibbewegung beim Niederschreiben, der Gehörserapfindung beim
Lesen des Wortes „Honig". Völlig klar und deutlich wird dieses
Bild aber nur, wenn unsere Aufmerksamkeit auf dasselbe gelenkt wird,
d. h. wenn die Wahrnehmung der Gegenstand einer stärkeren Ge-
fühlsbetonung und das Ziel unserer Willensrichtung wird. Wir drängen
dadurch andere Wahrnehmungen zurück, lassen dafür die eine desto
klarer erscheinen und erheben sie so zur Vorstellung (Apperzeption).
Bei mangelnder Aufmerksamkeit werden die Smneseindrücke von uns
überhaupt nicht aufgefaßt oder uns nur dunkel bewußt (Perzeption).
Die sich aus den in den Hirnzellen deponierten Empfindungen zu-
sammensetzenden Vorstellungen sind nun in fortwährender Bewegung,
indem sie sowohl durch andere Vorstellungen als auch durch äußere
Sinneseindrücke wachgerufen werden und Verbindungen mannigfachster
Art eingehen. Dieser Vorgang wird, wenn er ohne logische Ge-
dankentätigkeit und bei nur passiver Aufmerksamkeit vor sich geht,
Ideenassoziation genannt Als Bewußtsein bezeichnet man nach
Mendel die Summe der gleichzeitig vorhandenen und wieder erweck-
baren sinnlichen Wahrnehmungen und Denkvorgänge. Beim er-
wachsenen wachen Menschen ist dasselbe immer mit Selbstbewußtsein
verbunden, welches bei dem Einde allmählich entsteht, indem sich
mit den sinnlichen Empfindungen der Leibesorgane und den Vorstel-
lungen von diesem Leibe im Gegensatz zur Umgebung das Tätigkeits-
gefühl des Willens zu einer Einheit verbindet.
Die besonders von David Hume ausgebildete Assoziationspsycho-
logie nimmt an, daß die Gesetze der Ideenassoziation zur Erklärung
des psychischen Geschehens ausreichen. Sie läßt die Assoziationen
nach den Gesetzen der Ähnlichkeit oder des Kontrastes, nach der
assoziativen Verwandtschaft (räumliche oder zeitliche Berührung), der
ursächlichen Folge (Kausalnexus), wozu nach Ziehen noch die Ge-
fühlsbetonung und die Konstellation, d. b. die wechselseitige Beein-
flussung der Erinnerungszellen bald im Sinne der Erregung, bald im
Sinne der Hemmung kommt, vor sich gehen. Die Willenshand-
lung entsteht nach Ansicht dieser Autoren dadurch, daß eine gefühls-
betonte Vorstellung eine Bewegungsvorstellung auslöst, welche von
Spannungen und Innervationsempfindungen begleitet wird. Wundt
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ist ein Gegner der Assoziationspsychologie. Nach ihm C^'^) „gibt
es Verbindungen zwischen fertigen und nach ihrer Vereinigung im
wesentlichen unverändert beharrenden Vorstellungen, wie sie die Theorie
der Ideenassoziation annimmt, überhaupt nicht, sondern die einzig
wirklichen A ssoziationsphänomene sind die Assoziationen der psychischen
Elemente (Empfindungen), und die Produkte dieser Assoziation be-
stehen niemals in einer bloßen Additon dieser Elemente". Wir folgen
weiter Wunds Ansichten, wenn wir der Assoziation nur die Aufgabe
zuerkennen, das Material für das Denken bereit zu halten, sie aber
nicht für genügend halten, die Einheit des Ich und die höhere geistige
Tätigkeit zu erklären. Diese Aufgabe bleibt vielmehr der später zu
besprechenden Apperzeption vorbehalten. Zunächst unterscheiden wir
mit Wundt die simuhanen Assoziationen von den sukzessiven. Die
ersteren sind nach ihm „Verbindungen, bei denen die zuerst vor-
handene und die durch Assoziation hinzugetretene Vorstellung ein
gleichzeitig dem Bewußtsein gegebenes Ganze bilden". (^^) Zu
ihnen gehören die Verschmelzung, Assimilation und Komplikation.
Die festeste Form der simultanen Assoziation ist die assoziative Ver-
schmelzung der Empfindungen, z. B. die aus Tönen* entstandenen
Klänge. Bei der Assimilation werden durch eine neue Vorstellung
alte Erinnerungsbilder geweckt, welche auf jene bestimmend einwirken.
Erscheint die von einem Sinneseindruck hervorgerufene und sich mit
demselben verbindende Vorstellung ihm gleich, so sprechen wir von
Wiedererkennen, ist sie nur ähnlich, so von Erkennen. Der letzte
schwierigere Vorgang wird dadurch erleichtert, daß die erweckte Vor-
stellung auf die erweckende einen schöpferischen Einfluß ausübt. So
glaubt z. B. der einsame Wanderer während der Nacht in einem
Baumstumpf einen Eäuber zu erkennen, so lesen wir anstelle eines
Druckfehlers unbewußt die richtigen Buchstaben. Die loseste Form
der simultanen Assoziation ist die Komplikation, welche nach Herbart
eine Verbindung der Vorstellungen und Gefühle disparater Sinnesge-
biete bedeutet, z. B. die tönende Glocke. Nach Wundt wird die Kom-
plikation bei der Reproduktion daran erkannt, daß, wenn einer der
Sinneseindrücke, welche die komplexe Vorstellung zusammensetzen^
wegbleibt, der andere assoziiert wird. Die pantomimischen und
mimischen Bewegungen, die Sprache und Schrift, welche früher
sinnlich deutliche Bilder der von ihnen bezeichneten Gegen-
stände gaben, sind später zu „konventionellen Vorstellungssymbolen"^
geworden, und die Assimilation ist so zur Komplikation herab-
gesunken.
„Die Assoziation als ein rein sukzessiver Vorgang entwickelt
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sich ans der Assimilation und gelegentlich auch aus einer simultanen
Komplikation, wenn die unmittelbare Verbindung der Elemente der
aufeinander wirkenden Vorstellungen Hemmnissen begegnet, die eine
vollständige Verdrängung des induzierenden Eindrucks und so eine
Sonderung des Verbindungsvorgangs in zwei Akte bewirken" '^*).
Bei diesem Vorgang können sich nun einmal gleiche Elemente
(Gleichheitsverbindung) oder sich raumzeitlich berührende Elemente
{Berührungsverbindung) zur Vorstellung vereinigen. Die sukzessiven
Assoziationen sind am leichtesten zu beobachten und wurden darum
von der Assoziationspsychologie ausschließlich berücksichtigt. Letztere
ist nach Wundt aber nicht imstande, die fortwährende Veränderung
ufid gegenseitige Beeinflussung, „das Zerflattern" der Elemente des
Erinnerungsbildes, welche bei der sukzessiven Assoziation zu be-
obachten sind, zu erklären. Hat sie es ja nur mit unveränderlichen
selbständigen Vorstellungen zu tun, von denen jede nur auf ein ver-
schwundenes Erinnerungsbild einwirkt und in der ursprünglichen
Form, nur etwas abgeblaßt, wiederkehrt. Zusammenfassend definieren
wir die Assoziationen nach Wundt folgendermaßen: „Die sämtlichen
Assoziationen sind demnach Vorgänge, die im Bewußtsein lediglich
durch die Wirkung äußerer Erregungen aufeinander und auf vor-
handene Vorstellungsdispositionen sowie aus den Wechselwirkungen
dieser entspringen" '^^).
Die mit dem Vorgang des Wiedererkennens, Erkennens und Er-
innerns verbundenen Gefühle, welche jederzeit in das Aktivitätsgefühl
der später zu besprechenden Apperzeption übergehen können, führen
uns zu der Lehre von den Gefühlen hinüber. Wie schon erwähnt, ^
sind alle Empfindungen von Gefühlen begleitet und bilden mit ihnen
eine feste Verbindung. Während aber die Vorstellungen sich immer
auf äußere Objekte beziehen, richten sich die Gefühle auf „einen Zu-
stand des fühlenden Wesens selber, auf ein Leiden oder Tätigsein
des Ich" 1^). Sie sind ein zentraler Vorgang, „die Reaktion des Be-
wußtseins auf die in dasselbe eintretenden Vorstellungen" i^). Die
Gefühle und die aus ihnen entstehenden Gemütsbewegungen bilden
demnach die subjektiven Bewußtseinselemente, gewissermaßen Resonanz-
erscheinungen. Während mit den Empfindungen Erregungsvorgänge
in den peripheren und zentralen Sinnesgebieten einhergehen, beeinflussen
die Gefühle die motorischen Apparate des Körpers. Ferner ist unser
Gefühlszustand stets einheitlich, während in unserem Bewußtsein
mehrere nebeneinander bestehende Empfindungen in einem Gegen-
satz zueinander stehen können. Nach Ziehen ^2^ erhält jedes Er-
innerungsbild die Gefühlsbetonung der dasselbe verursachenden Emp-
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findung, und zwei assoziativ miteinander verwandte Vorstellungen
tfeilen sich ihre Gefühlsbetonung mit Weiter können die Gefühle
von gefühlsstarken Vorstellungen auf gefühlsärmere übergehen
(Irradiation) und von diesen wieder auf die ursprüngliche Empfindung
reflektiert werden, sie sind demnach übertragbar, eine Eigenschaft,
welche den Empfindungen und Vorstellungen nicht zukommt. Wichtig
ist ferner, daß die Gefühle weniger von den äußeren Beizen, als dem
Zustande des Bewußtseins abhängig sind, sowie daß ihnen eine räum-
liche Bestimmtheit fehlt (Lipps). Wundt unterscheidet die Gefühle
nach ihrer Qualität, Intensität und Zeitdauer. Er teilt sie demnach
in Gefühle der Lust und Unlust, Erregung und Beruhigung, Spannung
und Lösung ein. Selten ist im Bewußtsein ein einfaches sinnliches
Gefühl vorhanden, meist besteht nach Wundt ein zusammenhängendes,
aus verschiedenen Gefühlen zu einem Totalgefühl verschmelzendes
Gefühlskontinuum. Zu den zusammengesetzten Gefühlen gehören die
ethischen, religiösen und logischen oder intellektuellen Gefühle. Diese
höheren Gefühle zu entwickeln, ist die Aufgabe der Erziehung, welche
darnach strebt, Lust- und ünlustgefühle, welche anfangs nur an rein
sinnliche Empfindungen gebunden sind, mit höheren, besonders ab-
strakten Vorstellungen, z. B. Ehre, Gerechtigkeit usw. zu verknüpfen.
Allmählich gewinnen bei dem gesunden Kinde diese höheren Gefühle
die Oberhand über die einfachen sinnlichen Gefühle und verbinden
sich so fest mit dem Ichgefühl, daß bei Handlungen gegen das Ge-
biet des Rechts, der Moral, des gesellschaftlichen Anstands sich ün-
lustgefühle als warnende Wächter geltend machen. Affekt nennt
Wundt einen psychischen Prozeß, bei dem sich „eine zeitliche Folge
von Gefühlen zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet, der
sich gegenüber den vorausgegangenen und den nachfolgenden Vor-
gängen als ein eigenartiges Ganzes aussondert, das im allgemeinen
zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt als ein
einzelnes Gefühl" ^8). Demnach zeichnet sich der Affekt dadurch
aus, daß er ein einheitiicher Vorgang ist, einen bestimmten zeitlichen
Verlauf besitzt, eine starke Wirkung auf den Zusammenhang der
psychischen Ereignisse ausübt und mit körperlichen Begleiterscheinungen
(Zittern der Hände, Zucken des Körpers, Störung der Atmung, Er-
röten, Erblassen) verbunden ist. Er beginnt mit einem Anfangsgefühl^
in der Mitte steht der mit starker Gefühlsbetonung verbundene Vor-
stellungsablauf, am Schlüsse folgt das Endgefühl. Führen die den
Affekt begleitenden, auf ihn rückwirkenden* Ausdrucksbewegungen
zu einer Tätigkeit, so schließt der Affekt mit einer äußeren Willens-
handlung ab.
Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 2
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Während nämlich eine Beflexhandlnng eine gesetz- und zwanga-
mäßig ohne Mitwirkjing der Tätigkeit der Hirnrinde erfolgende Aktion
darstellt, sprechen wir von Triebhandlung, wenn als Motiv derselben
ein Gefühl der Lust oder Unlust wirksam ist, von Willkürhandlung,
sobald mehrere mit Vorstellungen verbundene Gefühle als Motiv wirk-
sam sind, von Wahlhandlung dann, wenn der Kampf dieser Motive
dem Betreffenden zum Bewußtsein kommt. Wird die früher bewußt
ausgeübte Tätigkeit durch häufige Wiederholung, infolge von Ge-
wohnheit mechanisiert, so können auch bei gestörtem Bewußtsein
komplizierte Handlungen ausgeführt werden, mögen sie nun durch
nur perzipierte Reize oder durch reproduzierte Vorstellungen hervor-
gerufen werden (Automatische Handlungen). Die Instinktbewegungen,
z. B. Greifen, Saugen, Kauen, sind nach Eisler i^) „automatisch ge-
wordene^ ursprünglich psychische Leistungen und damit zugleich
(wie Darwin sagt) vererbte Gewohnheiten, stehen aber auch jetzt noch
unter dem teilweisen Einfluß von Motiven. Die Instinkte sind mit-
hin das Resultat der Arbeit zahlloser Generationen, sie sind nichts
Starres, sondern der Vervollkommnung fähig." Wie wir bereits oben
erfuhren, ist der Affekt zusammen mit der aus ihm hervorgehenden
Handlung ein Willensvorgang. Auch die aktive Apperzeption, das
Klarwerden einer Vorstellung, ist eine derartige Willenstätigkeit und
zum Unterschiede von den Assoziationen mit Muskelempfindungen
und dem Gefühl der Tätigkeit verbunden. Passiv nennt Wundt die
Apperzeption, wenn sich eine Vorstellung plötzlich ohne vorbereitende
Gefühlswirkung aufdrängt, wenn demnach die Richtung der Auf-
merksamkeit nur durch die zufällig vorhandenen Reize angegeben
wird. „Der Apperzeptionsvorgang ist hier erst von einem psychischen
Gefühl des Erleidens begleitet, das erst nach Klarwerdung der Apper-
zeption in das Apperzeptionsgefühl übergeht Bei der aktiven Apper-
zeption wird die Vorstellung schon durch Erwartungsgefühle vor-
bereitet, die Aufmerksamkeit ist schon auf den neuen Inhalt gespannt,
bevor er auftritt. Von Anfang an wird hier der Apperzeptions-
vorgang von einem Gefühl der Tätigkeit begleitet, dessen wir uns
als Willenstätigkeit bewußt werden*' ^^). Die Aufmerksamkeit, welche
mit der Apperzeption verbunden ist, stellt die subjektive Seite des
Vorgangs, die Klarwerdung die objektive dar. Demnach bezeichnen
beide Ausdrücke denselben Vorgang, betrachten ihn aber von ver-
schiedenen Standpunkten aus. „Der Gesamtprozeß der Aufmerksam-
keit und Apperzeption* besteht demnach 1. in einer Klarheitszunahme,
verbunden mit Tätigkeitsgefühl, 2. einer Hemmung anderer dispo-
niblen Eindrücke, 3. einer Spannungsempfindung mit verstärkenden
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sinnlichen Gefühlen, 4. einer verstärkenden Wirkung der Spannnngs-
empfindnngen anf den Vorstellnngsablauf durch assoziative Mit-
erregung" Iß). Die intellektuellen (apperzeptiven) Prozesse beginnen
femer nach Wundt immer mit einer Gesamtvorstellung, während sich
bei der sukzessiven Assoziation eine Vorstellung an die andere reibt
Die einfachste Form der apperzeptiven Verbindung ist die Beziehung
zweier psychischer Erlebnisse auf einander. Psychische Größen lassen
sich allerdings nur nach ihrem relativen Werte vergleichen (Gesetz
der psychischen Relationen). Ferner herrscht dabei das Bestreben vor,
größte Unterschiede als Gegensätze anzusehen (Gesetz des psychischen
Kontrastes). Von der einfachen Vergleichung gelangen wir zur
Synthese und Analyse, aus deren Anwendung sich ein Gedanken-
ablauf entwickelt. Die Synthese zweier psychischer Elemente geht
nach dem Gesetz der psychischen Resultanten vor sich, nach welchem
der neue Komplex außer den Eigenschaften der Bestandteile noch
neue selbständige besitzt (Wertwachstum im Gegensatz zur physischen
Konstanz). Die seelischen Vorgänge sind demnach einer besonderen,
psychologischen Kausalität unterworfen.
Während weiter die Phantasietätigkeit „in der Nacherzeugung
wirklicher oder der Wirklichkeit analoger zusammengesetzter Erleb-
nisse" (*^^) besteht und in freier, willkürhcher Synthese und Analyse
mit den Vorstellungen schaltet und waltet, verstehen wir unter Ver-
standstätigkeit die Auffassung der Übereinstimmungen und Unter-
schiede, sowie die aus diesen sich entwickelnden sonstigen logischen
Verhältnisse der Erfahrungsinhalte" {^^). Durch die analytische
Gliederung eines Gedankens in seine Bestandteile, welche in eine
neue Beziehung zu einander gebracht werden, entsteht ein Urteil
welches sprachlich durch den Satz dargestellt wird. Aus mehreren
Urteilen geht als Endresultat der Schluß hervor. Die durch ein Urteil
gebildeten Zerlegungsprodukte einer Gesamtvorstellung, eines Ge-
dankens nennt man Begriffsvorstellungen, und zwar unterscheidet
man Begriffe von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen. Sie sind
von dem Begriffsgefühl begleitet und entstehen, indem das Wesent-
liche, das mehrere Vorstellungen gemeinsam haben, von dem Un-
wichtigen getrennt wird. Von dem einfachen konkreten Begriffe
steigt die Begriffsbildung zu dem allgemeinen konkreten, aus zahl-
reichen Partialvorstellungen zusammengesetzten Begriffe, dessen loses
Gebäude nur durch das gemeinsame Bindeglied der Sprachvorstellung
zusammengehalten wird. Auch die Beziehungsbegriffe, z. B. Vor-
stellungen der Gleichheit, Ähnlichkeit, entwickeln sich aus zuerst ein-
fachen, dann immer komplizierter werdenden Vorstellungsgruppen.
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Während der konkrete Begriff anf Empfindungen und deren Er-
innerungsbilder zurückgeht, fehlt diese Beziehung dem abstrakten Be-
griffe (z. B. Treue). Er entsteht, wenn unsere Phantasietätigkeit die
niedergelegten Erinnerungsbilder schöpferisch zu neuen Verbindungen
zusammenfügt, denen kein entsprechendes Objekt in der Außenwelt
entspricht Wir verbinden daher mit diesen Begriffen keine sinnlich
anschauliche Vorstellung und vermögen dieselben nur mit Hilfe der
sprachlichen Symbole festzuhalten.
Was das vielumstrittene, im letzten Kapitel der Arbeit genauer
besprochene Problem der Willensfreiheit anbetrifft, welches durch die
Psychologie nicht gelöst werden kann, sondern vielmehr ein Gegen-
stand der Metaphysik sein muß, so hält Wundt nur den psycho-
logischen Determinismus für gerechtfertigt Nach ihm zeigt uns unser
unzweifelhaft vorhandenes Freiheitsbewußtsein, daß wir ohne äußeren
oder inneren Zwang zu handeln vermögen. Die sozialen Verhältnisse
haben auf unser Handeln zwar Einfluß, sind aber nicht allein für
dasselbe maßgebend. „Indem die Motive zunächst auf die Persön-
lichkeit wirken, welche sich dann wollend entscheidet, entspringen die
Handlungen im Charakter des Menschen. Dieser ist nur teilweise
ein Erzeugnis der Lebensschicksale, sein Kern ist etwas Ursprüng-
liches, das ins Leben als Erbteil der Ahnen mitgebracht wird, als
ein Totaleffekt vorangegangener geistiger Kausalität, der selbst zur
Ursache wird*«). Die Entstehung des Charakters beginnt daher nicht
mit dem Leben des einzelnen, sondern wurzelt in der „Unendlichkeit
der geistigen Entwickelung". Durch die Lebenserfahrung wird er
geläutert und befestigt „So erhält der Wille, je reifer er wird und
je mehr er sich von seiner ursprünglichen Naturbestimmtheit ent-
fernt, immer mehr eine Richtung, die schon in der äußeren Er-
scheinung einer kausalen geistigen Notwendigkeit nahe kommt" ('^).
Um zum Schlüsse zu gelangen, wollen wir die Anschauung
Wundts von der Auffassung der Seele als der Gesamtheit der in
uns stattfindenden psychischen Prozesse, als eines Vorgangs, nicht
einer Substanz nur kurz berühren (Aktualitätslehre).
Desgleichen wollen wir nur im Vorbeigehen erwähnen, daß
Wundt den psychophysischen Parallelismus, den kausalen Zusammen-
hang zwischen Leib und Seele, nur für die Glieder „physiologischer
Nervenreiz-Empfindung" anerkennt, dagegen für die höhere psychische
Tätigkeit, soweit sie ihres sinnlichen Inhalts entkleidet wird, in Ab-
rede stellt und den Vorgängen der voneinander wesensverschiedenen
Außen- und Innenwelt, insofern sie über die erwähnte Grenze hinaus-
gehen, je eine besondere Kausalität zuschreibt
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Allgemeine Psychopathologie.
I. Störungen des Wahrnehmungsvermögens.
Die Sinnesempfindung wird alteriert, wenn die Empfindlichkeit
der nervösen Apparate gegenüber Siiinesreizen abnorm herabgesetzt
oder gesteigert wird (Anästhesie = Aufhebung der Tastempfindlichkeit
— Hjrperästhesie« gesteigerte Tastempfindlichkeit, Analgesie «Mangel
an Schmerzempfindung — Hyperalgesie ■== gesteigerte Schmerz-
empfindung). Die inhaltlichen Störungen der Empfindungen zerlegen
wir in Halluzinationen und Illusionen. Erstere sind Sinneswahf-
nehmungen, denen kein äußerer Sinneseindruck, sondern ein im
Nervensystem oder im Gehirn selbst enstandener Reiz entspricht.
Sie können z. B. durch krankhafte, zentripetal nach dem Gehirn
weiter gemeldete Störungen (Blutstauung) in den äußeren Sinnes-
organen oder der peripheren Sinnesbahn entstehen und werden dann
elementare Sinnestäuschungen genannt fLichtblitze, Ohrensausen).
Oder sie werden durch pathologische Veränderungen (z. B. Ent-
zündungsreize) in den Endstationen der Sinnesbahn in der Rinde,
den zentralen Sinnesflächen (Gesichts-, Gehörszentrum usw.) verursacht
(Perzeptionstäuschungen). Wegen ihres einförmigen Charakters be-
zeichnet man letztere als stabile Halluzinationen. Deutlicher werden
alle diese Täuschungen, wenn der Kranke seine Aufmerksamkeit auf
dieselben richtet oder wenn er gemütlich erregt ist. Halluzinationen
ganz anderer Art entstehen, wenn durch Vorstellungen von besonders
plastischer Deutlichkeit und großer Energie zentrifugal verlaufende,
rückläufige Erregung der zentralen Sinnesflächen hervorgerufen wird
(Psychische Halluzinationen). Wir wissen nun, „daß die Erregungs-
zustände dieser letzteren die Form sinnlicher Wahrnehmung annehmen
müssen, weil ja alle Sinneseindrücke eben durch Vermittlung jener
Erregungen in unser Bewußtsein eintreten können. Wenn es dem-
nach diese Himabschnitte sind, durch deren Erregung die Wahr-
nehmung ihre sinnliche Eigenart erhält, so liegt es nahe, eine größere
oder geringere Beteiligung derselben an dem Vorgang der lebhaften
Wiederemeuerung früherer Eindrücke zu vermuten. Eine derartige
Anschauung würde namentlich gut die Tatsache erklären, daß zwischen
der Sinnestäuschung von vollkommenster sinnlicher Deutlichkeit und
der abgeblaßtesten Erinnerung eine ununterbrochene Reihe von Über-
gangsstufen liegt, ein Verhalten, das sich durch die Annahme einer
stärkeren oder schwächeren Miterregung der Sinnesstätten am un-
gezwungensten erklärt. Möglich, daß sogar beim gewöhnlichen
Denken die rückläufige Reizung, die „Reperzeption", wie Kahlbaum
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sie genannt hat, in sehr geringer Stärke immer stattfindet und daß
erst dann, wenn^ dieser Vorgang eine krankhafte Ausdehnung gewinnt
oder wenn die Sinnesstätten sich in einem Zustande erhöhter Erreg-
barkeit befinden, die Lebhaftigkeit der Erinnerungsbilder derjenigen
der sinnlichen Wahrnehmung sich annähert^ ^% Das Zustande-
kommen der Halluzinationen wird dadurch befördert, daß wir ge-
wöhnt sind, Sinneseindrücke auf dem Wege über die Sinneswerk-
zenge von außen her zu erhalten. Wir verlegen daher jeden Reiz,
der z. B. das Gehörszentrum im Gehirn trifft, in die Außenwelt
(Gesetz der exzentrischen Projektion), ohne zu fragen ob er auch aus
derselben kommt oder vielleicht durch krankhafte Prozesse im Zentral-
nervensystem selbst entsteht. Durch die räumliche Lokalisation der
Halluziationen wird das Gefühl für ihre Wirklichkeit verstärkt.
Schon bei dem Gesunden können vorübergehend Sinnestäuschungen
auftreten, wenn er lebhaft erregt ist, vor allem bei dem Künstler und
Dichter. Er bleibt sich aber stets der Irrealität der Erscheinung be-
wußt, obwohl er gewöhnt ist, im allgemeinen sich auf seine Sinnes-
wahmehmungen zu verlassen. Der Geisteskranke dagegen, dessen
Selbstbewußtsein verändert, dessen Urteil geschwächt, dessen Auf-
merksamkeit herabgesetzt ist, glaubt sehr leicht an die Wirklichkeit
dieser plastisch gewordenen Gedanken.
Was die Verbreitung der Halluzinationen anbelangt so beobachten
wir Gesichts-, Gehörs-, Geschmacks-, Geruchs-, Berührungs- (haptische)
Halluzinationen, sowie solche der Organempfindungen und des Muskel-
sinnes (kinästhetische Halluzinationen).
Besonders deutlich zeigen die Gehörstäuschungen bei der dementia
praecox ihre Entstehung aus der erhöhten Beizbarkeit der Vorstellungs-
und Sinneszentren, insofern als diese Kranken darüber klagen, daß
ihre Gedanken sowie die Worte, welche sie lesen, laut werden, sodaß
fremde Personen in ihrer Seele lesen könnten (Doppeldenken). Sie
hören sogar mitunter mehrere Personen sprechen, die miteinander
streitenden Motive werden personifiziert.
Bei längerer Dauer gewinnen besonders die Halluzinationen,
welche in den krankhaft veränderten Denkvorgängen ihren Ursprung
haben, infolge ihrer Übereinstimmung mit den pathologischen Ver-
mutungen, Stimmungen und Wünschen einen mächtigen Einfluß auf
den Kranken. Ein Halluzinant ist daher, solange die gemütliche Er-
regbarkeit noch nicht abgestumpft ist, stets ein gefährlicher Mensch,
der leicht geneigt ist, sich gegen die vermeintlichen Gestalten seiner
Verfolger, gegen die gehörten Schimpfworte, die deutlich gefühlten
Schläge und Stiche seiner unsichtbaren Feinde zu wehren. Oder er
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gehorcht vermeintlichen Befehlen Gottes und mordet seine Kinder.
Aber auch hemmend können die Halluzinationen auf den Willen
wirken, wie die öfters auf imperativen Halluzinationen beruhende
Nahrungsverweigerung beweist
Im Gegensatze zu den Halluzinationen werden die Illusionen
durch äußere Sinneseindrücke veranlaßt und zwar entstehen sie da-
durch, daß bei krankhafter zentraler Erregung affektbetonte Er-
innerungsbilder in phantastischer und regelloser Weise sich assoziativ
mit Sinneseindrücken verbinden und dieselben nach Art der Assimi-
lation in ihrem Sinne umgestalten. Ein derartiger Kranker hört aus
dem Husten des Nachbarn Schimpfworte, erblickt in den Gesichtern
der Umgebung Teufelsfratzen und faßt krankhafte Beizung seiner
Sexualorgane als Notzuchtsattentat auf (vgl. incubi der Hexen).
Häufig sind Halluzinationen und Illusionen nicht zu trennen, da nicht
immer festgestellt werden kann, ob ein äußerer Beiz vorhanden war
oder nicht
Die Fähigkeit der Auffassung und Verwertung der Sinneseindrüoke
wird Besonnenheit genannt Sie ist in hohem Grade von dem Zu-
stande des Bewußtseins abhängig. Je nach dem verschiedenen
Helligkeitsgrade desselben beobachten wir einfache Auffassungs-
störung schon bei der Ermüdung und Erschöpfung, Dämmerzustände
bei Hysterischen urd Epileptischen usw., welche durch zeitliche und
räumliche Unorientiertheit, Störung der Ideenassoziation, Vorbeireden
und völligen oder teilweisen Erinnerungsdefekt charakterisiert sind,
endlich Delirien (tiefe Bewußtseinsstörung^ Halluzinationen, lebhafter
Bewegungstrieb) und völlige Bewußtlosigkeit (coma). Verwandt mit
der Bewußtseinsstörung ist der Schlaf, bei welchem äußere Beize
nicht mehr zum Bewußtsein gelangen und die Willensvorgänge ge-
lähmt sind. Dem Dämmerzustand nahe steht der Traum, dessen
Vorstellungswelt besonders- durch illusionistisch aufgefaßte Körper-
reize, seltener durch Halluzinationen angeregt wird, und welcher die
Apperzeption gegenüber der Assoziation in den Hintergrund treten
läßt Kommen bei Nervösen Willenshandlungen im Traume vor, so
nennt man diesen Zustand Noctambulismus oder Somnambulismus.
Ähnliche Kennzeichen bietet die Hypnose dar, welche eine durch
Suggestion, d. h. Einwirkung von gefühlsbetonten Vorstellungen
veranlaßte einseitige Bichtung der Aufmerksamkeit und des Willens,
sowie Erregung der Sinneszentren bedeutet Ein wesentliches Hindernis
für den Wahrnehmungsgang ist endlich die Störung der Aufmerk-
samkeit Während wir bei dem tief Verblödeten Erloschensein der-
selben, bei dem Katatoniker krankhafte Unterdrückung oder Sperrung,
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bei dem manisch-depressiven Irrresein Hemmung der Aufmerk-
samkeit beobachten (die Sinneseindrücke rufeu keine Besonanz-
erscheinungen hervor), lassen andere Kranke eine abnorme Be-
einflußbarkeit der Aufmerksameit und vermehrte Abienkbarkeit
(Aufmersamkeitsstörung mit Erregung der Sinneszentren) erkennen,
welche ebenfalls einesr klaren Auffassung der äußeren Eindrücke im
Wege stehen.
IL Störungen der Verstandestätigkeit.
Die Denktätigkeit wird naturgemäß beeinträchtigt, wenn die Er-
werbung des Denkmaterials, welches bei Neubildung von Begriffen
zum Vergleich dienen soll,' geschädigt ist, wenn z. B. die Merk-
fähigkeit, d. h. die Fähigkeit, neue Vorstellungen zu erwerben, oder
die Erinnerungsfestigkeit früher erworbener Vorstellungen (Gedächtnis)
herabgesetzt ist. Oft sind mit diesen Gedächtnisstörungen Parammesien,
Erinnerungsentstellungen (unrichtige Darstellung wirklicher Vorgänge),
Erinnerungsfälschungen oder Halluzinationen der Erinnerung (völlig
freie Erfindung nicht existierender Vorgänge) verbunden. Außer der
Gedächtnisstörung steht der Mangel an Aufmerksamkeit und Interesse
der Begriffsbildung bei Geisteskranken und Geistesschwachen oft
hindernd im Wege. Er veranlaßt, daß die sinnlichen Eindrücke
nicht lange genug einwirken können, um ein wirklich scharfes all-
seitiges Bild des betreffenden Gegenstandes zu hinterlassen. Es wird
dann nicht zu den so wichtigen Assoziationen des Grundes und
Zweckes kommen, welche in der mit dem Gefühl der Spannung
verbundenen und nach Herbeiführung eines Urteils drängenden
Neugier und Wißbegierde ihre Quelle haben. Infolge des mangelnden
Interesses werden die Erfahrungstatsachen von den Kranken nicht
genau mit Rücksicht auf ihre Ursache, ihren Zusammenhang und
etwaige Folgen erforscht, sie werden nicht nach ihrem Werte in die
alten Vorstellungsreihen eingeordnet, alle Erlebnisse bleiben Einzel-
erfahrungen, welche bald vergessen werden, kurz, es kommt nicht
zur Erkennung des inneren Zusammenhanges der Dinge und zur
Bildung einer Lebenserfahrung (besonders bei angeborener Geistes-
schwäche). Infolge seines geringen Erfahrungsschatzes ist der
Geistesschwache zeitlebens äußeren Beeinflussungen leicht zugänglich.
Besonders wird er sich leicht vom äußeren Schein blenden lassen, da
ihm Zweifel und Kritik mangeln. Durch die unvollkommene Auf-
fassung der Sinneseindrücke, das Fehlen einer genauen Erinnerung,
das Übermaß an Phantasie, den Mangel an Verantwortlichkeitsgefühl,
nicht zuletzt durch Eitelkeit wird er oft zur Lüge veranlaßt, welche
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teils bewußt, teils unbewußt zu den abenteuerlichsten Fälschungen
führen kann (Pseudologia phantastica).
Zu den formalen Störungen des Gedankenganges gehört die
Denklähmung (Erschlaffung der Apperzeption) verblödeter Kranker,
welche mit Ausfall der Erinnerungsbilder und Stillstand der Gedanken-
tätigkeit einhergeht. Die Hemmung der Melancholiker ist dagegen
als eine unter dem Einfluße gemütlicher Verstimmung hervorgerufen^
übermäßige Ausbreitung der apperzeptiven Hemmungserscheinungen
aufzufassen. Sie ist oft mit Erschwerung der motorischen Bewegungen
verbunden und kann bis zu allgemeiner Hemmung (Stupor) führen.
Als Gegenstück finden wir bei den Manischen die Beschleunigung
und Erleichterung des Gedankenablaufs, welche sich bis zur Ideen-
flucht steigern kann. Während das Denken des Gesunden durch
richtunggebende Obervorstellungen dirigiert wird, ist die Ideenflucht
nach Liepmann „dadurch charakterisiert, daß diese Wirksamkeit der
Obervorstellungen fortfällt oder exzessiv abgeschwächt ist, daß nicht
ein Vorausgedachtes sich in einer Reihe von Gliedern expliziert,
sondern daß immer ein dem letzten oder einem der letzten assoziativ
innigst verknüpftes oder durch einen Sinneseindruck erwecktes Glied
folgt, sodaß auf Schritt und Tritt jenes Abspringen erfolgt, das der
Gesunde im alltäglichen Leben nur abschnittweise auf gewichtige
Anlässe zeigt Wir sehen ferner, daß dasjenige, was den Vorstellungen
in jedem Gedankengange den Wertigkeitsunterschied gibt, was ge-
wisse Vorstellungen zu Obervorstellungen macht, zusammenfällt mit
dem, was man Aufmerksamkeit nennt. Der Ideenflücbtige zeigt den
höchsten Grad von Unbeständigkeit. Jedes Auftauchende — sum-
marisch ausgedrückt — bemächtigt sich der Aufmerksamkeit! Brüder-
lichkeit und Gleichheit herrscht unter den Vorstellungen — quoad
Aufmerksamkeit, und zwar erhält nicht jede gleich wenig Auf-
merksamkeit, sondern jeder wird eine erhebliche psychische Energie
zugewendet, die, welche im gesunden Denken nur dem „Wellen-
gipfel" zuteil wird." ^^) Weiter haben wir noch Gelegenheit, Ein-
förmigkeit, Weitschweifigkeit, Umständlichkeit (epileptischer Schwach-
sinn), sowie Zerfahrenheit (Verlust des äußeren und inneren Zusammen^
hangs) des Gedankengangs zu beobachten.
Sind die Kranken außerstande, das Ichbewußtsein mit den
Sinn^eindrücken der Umgebung oder mit Zeitbegriffen in Beziehung
zu bringen, so spricht man von räumlicher und zeitlicher Desorientiert-
heit, welche nach Wemicke das wichtigste Kennzeichen der Psychose
darstellt. Der Fehler kann nach Kräpelin entweder in einer krank-
haften Änderung der Auffassung infolge mangelnder geistiger Reg-
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samkeit (apathische Desorientierung bei dementia praecox}, einer
Störung des Gedächtnisses (amnestische Desorientierung bei Eorsa-
kowscher Psychose) od^ des Urteils (wahnhafte Desorientierung bei
dementia paranoides) liegen. Wahrscheinlich beruht die Überschätzung
von Zeitabschnitten bei geistig geschwächten Kranken oft auf der ge-
steigerten Ablenkbarkeit derselben, welche bewirkt, daß während eines
Zeitraums eine große Menge von nicht weiter verwendeten Sinnesein-
drücken aufgenommen und so eine lange Zeitdauer vorgetäuscht wird.
Tritt zu der Unorientiertheit Zusammenhangslosigkeit des Gedankengangs
und Planlosigkeit in den mimischen und pantomimischen Ausdrucks-
bewegungen, so spricht man von Verwirrtheit, welche uns als hallu-
zinatorische, stuporöse, ideenflfichtige, zerfahrene und kombinatorische
(durch das Eindringen von Wahnideen wird die Ordnung des Ge-
dankenganges gestört) Verwirrtheit entgegentritt
Unterbrechung erleidet der Gedankenzusammenhang auch durch
Zwangsvorstellungen, d. h. sich gewaltsam aufdrängende, als krank-
haft erkannte, peinliche Vorstellungen, welche oft bei Entarteten vor-
kommen (Zahlen-, Namenzwang, Grübet- und Fragesucht). Störend
wirkt auch die infolge Fehlens gefühlsbetonter Ziel-Vorstellungen auf-
tretende Perseveration, das Kleben einzelner Vorstellungen.
Den mächtigsten Einfluß auf die Denkvorgänge gewinnen ab^r
die Wahnideen, d. h. „krankhaft verfälschte Vorstellungen, die der
Berichtigung durch Beweisgründe nicht zugänglich sind^(^^). Frei-
lich sind auch die Glaubensvorstellungen des Gesunden, welche die
Lücken seiner Erfahrung zu schließen bestimmt sind, sobald sie ein-
mal festgewurzelt sind (Aberglaube, Vorurteil), nicht durch Gründe
widerlegbar. Es muß daher noch mehr hinzukommen, ehe wir von
Wahn sprechen dürfen. Nach Kräpelin „liegt der Ausbildung von
Wahnideen eine allgemeine Störung des psychischen Gesamtzustandes
zugrunde. Angeregt wird die Wahnbildung wohl immer durch Ge-
fühlsschwankungen, welche schlummernde Hoffnungen und Be-
fürchtungen in Einbildungsvorstellungen umsetzen. Daß aber diese
Vorstellungen zum Wahne werden, eine Macht gewinnen, gegen die
am Ende selbst der Augenschein ohnmächtig ist, kann nur durch
das Versagen unserer Urteilsfähigkeit zustande kommen, wie es in
einem Falle durch leidenschaftliche gemütliche Erregbarkeit, im anderen
durch Trübung des Bewußtseins, im dritten durch die Verstandes-
schwäche bedingt ist''(3s). Bei den heilbaren Krankheiten blassen
nach Ablauf der Krankheit die Wahnideen ab, verlieren ihren Ein-
fluß auf das Handeln des Betreffenden und verschwinden meist ganz.
Endet die Krankheit mit Verfall in geistige Schwäche, so nehmen die
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Wahnideen immer mehr den Charakter des Abenteuerlichen und Un-
sinnigen an (progressive Paralyse, dementia paranoides).
Einen anderen Verlauf nimmt die Wahnbildung bei der Paranoia
(Verrücktheit). Hier entsteht der Wahn meist infolge einer Affekt-
störung (Specht, Bleuler), aus der Entwickelung krankhafter Organ-
gefühle und einer pathologischen Betonuiig des Persönlichkeitsbewußt-
seins. „Wenn Einbildungsvorstellungen durch gemütliche Er-
schütterungen erzeugt werden, so werden sie sich naturgemäß in
erster Linie auf die Lage der eigenen Persönlichkeit und deren
nächste Beziehungen erstrecken. Sie wurzeln rascher, fester und mit
größerer Überzeugungskraft in unserem Innern als fernliegende,
gleichgültige Erfahrungen. Zudem sind diese Vorstellungen einer
Berichtigung bei weitem am schwersten zugänglich, schon im ge-
sunden Leben" 39). Die weitere Folge ist daher, daß sich allmählich
falsche Beziehungsvorstellungen zwischen dem Ich und der Außen-
welt bilden. Aus dem anfänglichen Mißtrauen, den Ahnungen und
Vermutungen wird schließlich die Beziehungs- und Verfolgungsidee
geboren, zu welcher sich Größenwahn gesellen kann (viel Verfolgung
— viel Ehre). Die mitunter auftretenden Halluzinationen bilden in
diesem Falle nicht die Ursache des Wahns, sondern sie fassen ihn
nur in Worte und befestigen ihn. Während bei dieser Krankheit die
formalen Leistungen der gedanklichen Verknüpfung, wie Erkennen,
Wiedererkennen, Gedächtnis, gewöhnlich völlig unberührt sind und
der Kranke in Fragen, welche sein gemütliches Interesse nicht be-
rühren, hohe Intelligenz aufweist, zeigt sich die Urteilsbildung als
geschädigt, sobald es sich um Dinge handelt, welche die Persönlich-
keit der Person und ihr Gefühlsleben betreffen. Ist es erst zum
logischen Ausbau eines Systems von Wahnideen, zu völliger Ver-
rückung des Standpunktes gekommen, von welchem aus der Kranke
die Welt betrachtet, so ist Heilung gewöhnlich nicht mehr zu er-
warten.
Diejenige Gruppe von Vorstellungen, welche die Eindrücke
jeden Augenblicks zu einem einheitlichen Ganzen vereinigt und einen
konstanten Zusammenhang der Erfahrungsweise gewährleistet, das
Selbstbewußtsein, kann Störungen erleiden, wenn der Zusammenhang
der geistigen Erlebnisse durch Ohnmächten, Dämmerzustände oder
Delirien unterbrochen wird. Bei der Hysterie kommen z. B. Zu-
stände vor, in denen das Selbstbewußtsein gespalten ist, und der
Kranke gewissermaßen in mehrere, nach einander auftretende Persön-
lichkeiten zerfällt. Eine Veränderung erleidet das Selbstbewußtsein
femer durch Stimmungsanomalien, besonders bei dem manisch-
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depressiven Irresein und der Paralyse. Bei letzterer geht schließlich
mit zunehmender Verblödung der Zusammenhang der geistigen Per-
sönlichkeit völlig zugrunde.
III. Störungen der Gefühl e»^
Während wir unseren Vorstellungen, welche teilweise in einer
loseren Verbindung zu dem Ich stehen, kritisch gegenüber zu treten
vermögen, sind wir unseren Gefühlszuständen gegenüber dazu nicht
in der Lage, weil sie stets ein einheitliches Gesamtgefühl darstellen und
den eigentlichen Inhalt der geistigen Persönlichkeit bilden. Die
Störungen des Gefühlslebens unterscheiden sich auch dadurch von
denen der Verstandesfunktion, daß erstere von dem I^aien meist lange
Zeit nicht als krankhaft erkannt werden, daß hingegen Denk-
schädigungen meist bald richtig eingeschätzt werden. Der Grund dafür
ist wohl in der großen Verschiedenheit der gemütlichen Reaktion auf
Reize zu suchen, wie sie bei dem Gesunden mit Rücksicht auf Alter,
Geschlecht, Rasse^ sowie unter dem Einflüsse des Milieus und be-
sonderer Verhältnisse zu beachten ist. Macht der krankhafte Prozeß
weitere Fortschritte, so fällt schließlich auch der Umgebung eine
deutliche Herabsetzung der gemütlichen Erregbarkeit und auffällige
Teilnah mlosigkeit gegenüber den Angehörigen und den Erscheinungen
der Außenwelt bei manchen Kranken auf. Vor allem gehen die
höheren, an abstrakte Begriffe geknüpften, zusammengesetzten Ge-
fühle, welche uns durch das ganze Leben begleiten, die niederen
sinnlichen Gefühle bändigen und die Geschlossenheit des Charakters
bedingen, zugrunde. Die Folge ist, daß der Kranke nur noch
Interesse für seine Person und die Befriedigung seiner sinnlichen
Bedürfnisse hat, allen höheren geistigen Bestrebungen, Kunstgenüssen,
den Geboten der Religion, Sittlichkeit, der Gesellschaft, der Nächsten-
und Vaterlandsliebe aber gleichgültig gegenübersteht (Paralyse, Alters-
blödsinn, Jugendirresinn). Während diese gemütliche Abstumpfung
sich meist langsam entwickelt, kann die Steigerung der gemütlichen
Erregbarkeit sehr plötzlich auftreten (Manie, Paralyse, Katatonie,
Epilepsie). Häufig geht damit auffällige Veränderlichkeit der Stimmung
und gesteigerte Beeinflußbarkeit Hand in Hand (Hysterie).
Vorwiegende ünlustbetonung der Empfindungen und Vorstellungen
kommt noch in der Breite der geistigen Gesundheit, bei Pessimisten
und Sonderlingen vor. In ausgesprochenem Maße tritt sie uns aber
als einfache oder gereizte Verstimmung bei der Melancholie, dem
manisch-depressiven Irresein, der Epilepsie sowie im Anfang der
Paralyse und Katatonie entgegen. Verbunden ist die gemütliche
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Depression oft mit einer Hemmung der Denk- und Willensvorgänge
(manisch-depressives Irresein). Infolge der Gefühle der inneren
Hemmung und Öde tauchen in dem Kranken allerhand quälende
Vermutungen auf, welche schließlich in Versündigungs- und Elein-
heitsideen übergehen können. Ist die Unlust mit Spannungsgefühlen
verbunden, so entwickelt sich der Affekt der Angst, welcher mit den
verschiedensten körperlichen Begleiterscheinungen, z. B. Herzklopfen,
beschleunigter Atmung, Blässe der Haut, Zittern der Glieder, Schweiß-
bildung, Harn- und Darmabsonderung verknüpft ist und sich in leb-
haften mimischen und pantomimischen Bewegungen oder energischen
Handlungen, bisweilen sogar Mord- und Selbstmordversuchen entladen
kann (Melancholie, epileptischer Dämmerzustand, Paralyse, Beginn
der B^atatonie). Zwangsbefürchtungen, Phobien nennen wir die Zu-
stände, in denen sich Angstgefühle an bestimmte Vorstellungen an-
schließen und Überlegung sowie Willenstätigkeit vollständig be-
herrschen. Die Platzangst und die Furcht, Verbrechen begehen zu
müssen, sind Beispiele dafür.
Das Gegenstück des depressiven Affekts, die übertriebene Lust-
betonung der Eindrücke, welche in schwächerem Maße schon der
Sanguiniker darbietet, steigert sich beim Manischen zu einem uner-
meßlichen Glücksgefühl. Auch beim Paralytiker findet sich oft eine
ausgesprochene Lustempfindung, während das läppische Lachen des
Hebephrenikers (Jugendirresinn) meist der Stimmung und dem Vor-
stellungsinhalt nicht entspricht. Ferner finden wir die religiöse und sinn-
liche Überschwenglichkeit des Schwärmers in erhöhtem Maße bei dem
Hysterischen, die gemütliche Oberflächlichkeit des Leichtsinnigen bei dem
schwachsinnigen gefühlsstumpfenVerbrecher in verstärktem Grade wieder.
Häufig beobachten wir bei dem Geisteskranken auch eine deut-
liche Störung der Gemeingefühle, welche uns an die Bedürfnisse
unseres Leibes erinnern und zu deren Befriedigung mahnen. Bei
manchen Kranken ist z. B. das Hungergefühl geschwunden, sodaß
sie künstlich gefüttert werden müssen, andere wieder zeigen ge-
fräßigen Heißhunger. Verblödete Kranke verzehren oft ihren eigenen
Kot, ohne Ekel zu empfinden. Dem Hebephreniker fehlt das Lust-
gefühl, welches mit der Arbeit verbunden ist und das peinliche Ge-
fühl der Langeweile nicht aufkommen läßt Der Manische kennt
dagegen kein Ermüdungsgefühl und gebraucht seine Muskeln bis zur
Erschöpfung. Weiter fügen sich manche Kranke. infolge von Herab-
setzung des Schmerzgefühls die gräßlichsten Verletzungen zu (reißen
z. B. die Därme aus dem Leibe). Wesentliche Störungen erleiden
auch öfter die sexuellen Gefühle. Wir finden z. B. Steigerung der
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geschlechtlichen Erregbarkeit bei dementia praecox, Idiotie, Alters-
blödsinn und manischer Erregung, dagegen Herabsetzung derselben
oft bei Hysterie. Hereditär Belastete weisen oft als alleiniges Merk-
mal der Entwickelungsstörung oder verbunden mit anderen Krank-
heitserscheinungen Störungen des Sexualgefühls auf, welche zu
perversen geschlechtlichen Handlungen führen.
IV. Störungen des Handelns.
Da die Willenstätigkeit kein isoliert dastehendes Seelenvermögen
ist, sondern in engstem Zusammenhang mit unserer gesamten seelischen
Tätigkeit steht und aus derselben als Ergebnis hervorgeht, so ist es
klar, daß alle Störungen, welche einzelne Gebiete unserer geistigen
Funktionen treffen, auch das Handeln berühren müssen. Besprochen
wurden bereits die krankhaften Veränderungen der Motive des
Handelns, welche sich in Sinnestäuschungen, Gedächtnisdefekten^
Störungen der Ideenverknüpfungen, ürteilsschwäche und Bildung von
Wahnideen kundgeben können. Desgleichen kommen die früher
ausgeführten pathologischen Veränderungen der Triebfedern des
Handelns, der Gefühlsvorgänge, in Frage. Leider sind wir nicht
immer imstande, die einzelnen Faktoren einer Willenshandlung klar
zu tibersehen, sondern wir vermögen nur das Endresultat, die Tat
zu beobachten. Höchstens können wir aus den begleitenden mimi-
schen und pantomimischen Bewegungen uns ein ungefähres Bild
von den in der Psyche sich abspielenden Prozessen machen.
Tritt eine Abstumpfung des Gefühlslebens ein (Jugendirresinn,
Paralyse, Altersblödsinn), so leidet zugleich die Initiative, es bildet
sich zunehmende Willensschwäche aus, welche nur noch Handlungen
zuläßt, die zur Befriedigung sinnlicher Triebe dienen (Willens-
verblödung). Ganz anders zu beurteilen ist die Hemmung und Ver-
langsamung der Willenstätigkeit während der depressiven Phase des
manisch-depressiven Irreseins. Nach Hellpach ist es nicht eine
Störung der Motive oder der als Triebfeder dienenden Gefühle, welche
diesen Vorgang veranlaßt, sondern eine Beeinträchtigung der Inner-
vation der Bewegung. Daher das Gefühl des Unvermögens, der Schwere
in den Gliedern. Dafür spricht auch, daß der Patient, solange er nur
deprimiert ist, diese Veränderung meist nicht als krankhaft empfindet,,
sondern als Folge von Sorgen usw. hinstellt, während er den Eintritt dieser
Innervationshemmung deutlich als pathologischen Vorgang auffaßt.
Bei anderen Kranken beobachten wir das Gegenteil, nämlich
übermäßige Steigerung der Antriebe zum Handeln, z. B. bei Manie
und Katatonie. Während aber der Manische bei seiner Vielgeschäftig-
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keit Ziel und Zweck erkennen läßt, erfüllt den Eatatoniker ein sinn-
loser, oft die eigene Person schädigender Bewegungsdrang. Die er-
leichterte Ausführung von Bewegungen, wie wir sie bei dem Be-
trunkenen, dem Manischen und Schwachsinnigen vorfinden, beruht
offenbar auf einem Mangel an Hemmungen und auf pathologischer
Gefühlsbetonung der Vorstellungen, welche die Einwirkung sittlicher
Grundsätze, die ruhige Abwägung der Motive unmöglich macht.
Häufig beobachtet man auch bei diesen Kranken, wie schon normaler
Weise bei dem Kind und der Frau eine erhöhte Beeinflulibarkeit,
welche sie von zufälligen äußeren Einwirkungen abhängig werden
läßt. Infolgedessen gewinnt die Willenstätigkeit der Betreffenden den
Charakter des Wechselvollen und Planlosen. Besonders tritt diese
gesteigerte Suggestibilität, hier Befehlsautomatie genannt, bei dem
B^atatoniker hervor, welcher seine Glieder in die unbequemsten
Stellungen bringen läßt und in diesen lange Zeit festhält (Katalepsie,
flexibilitas cerea (beim Bewegen der Glieder zäher Widerstand, als
ob die Muskulatur aus Wachs wäre), welcher häufig die Bewegungen
oder Reden anderer genau nachahmt (Echopraxie, Echolalie) und so-
gar Befehlen folgt, auch wenn ihm dadurch Nachteil droht, z. B. die
Zunge herausstreckt, auch wenn sie anscheinend durchbohrt werden
soll. Neben dieser Erscheinung beobachten wir oft bei denselben
Kranken den nach Hellpach in gewissen Fällen auf Autosuggestion
beruhenden Negativismus, das Widerstreben gegen äußere Einflüsse.
Je nachdem nun Auto- oder Fremdsuggestion überwiegt, entsteht
nach Hellpach die Erscheinung des Negativismus oder der Befehls-
automatie. Der Negativismus kann sich auf einen rein passiven
Widerstand beschränken oder er kann soweit gehen, daß der Kranke
die der erwarteten entgegengesetzte Bewegung ausführt. Der
Katatoniker setzt daher zeitweise Fragen hartnäckiges Stillschweigen
entgegen (Mutismus), weigert sich, zu essen, sich an- und auskleiden
zu lassen, bewahrt Speichel und Speisen im Munde auf, hält Kot
und Urin zurück, dreht sich um, wenn er angesprochen wird, zieht
die Hand zurück, wenn er begrüßt wird usw. Auch die oft halb-
richtigen Antworten, welche von ruhigen und klaren Kranken ge-
geben werden (Paralogie, Danebenreden) gehören hierher. Werden
die Willensantriebe fortwährend durch andere durchkreuzt, wie es bei
der Katatonie ebenfalls oft vorkommt, so entsteht eine „Entgleisung
des Willens" (Schule), eine Verschrobenheit des Handelns. Besonders
häufig wird die Sprache und die Ausführung der alltäglichen Hand-
lungen durch derartige störende Willensbeeinflussungen verändert.
Die Kranken sprechen z. B. in gezierter Weise, in sonderbarem
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Bbytbmus, mit Fistelstimme, gebrauchen sonderbare Redewendungen,
zeigen ein eigenartiges Benebmen beim Grüßen, Laufen und Essen
(Manieren, Schrullen); alles dies bedeutet eine Betätigung des Willens
auf Umwegen, eine gesuchte, verschnörkelte Ausführung der be-
treffenden Handlung. Wird der Fortgang der Willenstätigkeit immer
durch dieselben Willensvorstellungen unterbrochen, so entsteht die
Stereotypie, die stundenlange Festhaltung derselben Stellung (krampf-
hafter Gesichtsausdruck, starre Haltung) oder Wiederholung derselben
Bewegung (Zupfen an Bart oder Kleidern, Schnalzen der Zunge,
häufiges Ausstoßen derselben Worte). Wichtig ist, daß bei der
Katatonie die normalen Beziehungen, welche sich zwischen Gemüt
(„Thymopsyche") und Intellekt („Noopsyche") bilden, aufgehoben
werden, sodaß die Ausdrucks- und Zweckbewegungen derartiger
Kranker deren Vorstellungsinhalt und der gemütlichen Stimmung
häufig nicht entsprechen«').
Bei verblödeten Katatonikem und Idioten treffen wir außerdem
rhythmische Bewegungen einförmiger Art (Nicken des Kopfes, Hände-
klatschen), welche wohl dadurch zu erklären sind, daß bei diesen
Kranken die durch chemische Reize hervorgerufene Tendenz der
niederen Hirnzentren, Bewegungen periodisch in rhythmischer Weise
zu wiederholen, nicht wie beim Gesunden durch gefühlsbetonte Ziel-
vorstellungen gehemmt wird (Automatische Bewegung).
Reflexoid nennen wir eine Handlung, wenn ein plötzlich von
außen kommender Reiz eine Bewegung auslöst, welche nur undeut-
lich zum Bewußtsein kommt Wir können uns den Vorgang so er-
klären, daß in gewissen Zuständen (Erregung, Ermüdung) die sonst
unser Tun regulierenden, vom Großhirn ausgehenden Hemmungen,
versagen, und infolgedessen der Vorgang nach außen wie ein ge-
wöhnlicher Reflex erscheint.
Bei erblich Belasteten begegnen wir öfter sogenannten Zwangs-
handlungen, gegen welche dieselben als etwas Fremdartiges — aller-
dings meist vergeblich — ankämpfen. Wird der Kranke in der Aus-
führung der Tat gehemmt, so gerät er in die höchste Aufregung,
verübt wohl gar Selbstmord.
Zu den Triebhandlungen, welche unter der Herrschaft heftiger
sinnlicher Gefühle stehen, das Spiel der Motive vermissen lassen und
dem Kranken im Gegensatze zu den Zwangshandlungen nicht als
etwas Fremdartiges erscheinen, gehören der Sammel-, Stehl-, Brand-
stiftungstrieb (Hysterie, Epilepsie), endlich die sexuellen krankhaften
Triebe, wie wir sie oft bei Schwachsinnigen und psychopathischen
Persönlichkeiten finden. Bekanntlich unterscheiden wir auf diesem
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f ^ - J^ß.. U,../.. : j ./•
Gebiete die konträre Sexualempfindung (ßbmosexualität), d. h. den
sexuellen Trieb zum gleichen Geschleehte, Sadismus (Wollustempfin-
dung bei grausamen Handlungen), Masochismus (geschlechtliches Lust-
gefühl beim Ertragen von Demütigungen oder Schmerz), Fetischismus
(sexuelle Erregung durch Betasten von Körperteilen oder Kleidungs-
stücken des weiblichen Geschlechts)^ schließlich Exhibitionismus (ge-
schlechtliche Befriedigung durch Entblößen der Geschlechtsteile in
Gegenwart von Kindern oder Frauen), welch letzterer besonders bei
Ältersblödsinn und Epilepsie beobachtet wird.
Die Ätiologie der Geisteskrankheiten.
Während die PubertätssKeit besonders Hebephrenie zur Entwicke-
lung kommen läßt, beobachten wir vom 20.^40. Jahre beim Manne
Psychosen, welche durch den Daseinskampf, den Alkoholmißbrauch,
Syphilis verursacht werden, bei der Frau Geistesstörungen, welche
mit Schwangerschaft^ Wochenbett und Laktation in Verbindung stehen.
Nach der kürzlich veröffentlichten Ansicht von Bischoff sind aller-
dings „Geisteskrankheit und. vorübergehende abnorme Geisteszustände
-bei Entbindenden selten und kommen vorwiegend bei Disponierten
vor". Es handelt sich nach ihm meist um Affektverbrechen. „Eine
besondere Disposition zum Kindesmorde besitzen geistesschwache
ledige Erstgebärende" (4). Im höheren Alter finden wir senile De-
menz, Melancholie usw. Wir denken weiter an die verschiedene Dis-
position der einzelnen Bässen (Juden), die Tropen „und Malarianeu-
rästhenie mit ihren Erregungszuständen, die Psychosen nach Hitzschlag,
-Sonnenstich, Blitzschlag, die geistigen Erkrankungen bei lange fort-
gesetzter, mit Aufregungen und Verantwortung verbundener Arbeit
(Lehrer, Musiker, Bankier), die Gefahren der Vererbung (Geistes- und
Nervenkrankheit, Trunksucht, Selbstmord, Verbrechen bei den Vor-
fahren), indem wir uns bewußt bleiben, daß nicht jeder erblich Be-
lastete geistig erkranken muß. Femer wissen wir, daß in der Bluts-
verwandtschaft „gesunder nicht belasteter Eltern an sich keine Gefahr
liegt** (*^). Weiter denken wir an die geistigen Störungen, welche
sich auf dem Boden von Himgeschwülsten, Arteriosklerose derHirn-
gefäße, Nervenkrankheiten (Tabes, Chorea) entwickeln. Ebenso ist be-
kannt, daß akute und chronische Infektionskrankheiten, Stoffwechsel-
■störungen (Kretinismus, Myxödem), Erkrankungen der Körperorgane
(Herzfehler), der Blutgefäße, Vergiftungen aller Art (Alkohol, indischer
Hanf, Morphium) zu psychischen Störungen führen können* Ein viel
umstrittenes Gebiet war seit langem der Zusammenhang zwischen Ver-
DoBt, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 3
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-^ 34 —
letzungen und Psychosen. Man hat gefunden, ,,daß nicht nur schwere
Verletzungen und direkte Kopfverletzungen psychische und nery{>se
Störungen im Gefolge haben, sondern daß wir das gleiche auch bei
leichten Verletzungen, die den Kopf gar nicht treffen, sehen, ja, daß
Individuen psychisch resp. nervös erkranken, die bei dem Unfall, der
sich zugetragen, gar keine körperlichen Verletzungen erlitten" (*'').
Die Ursache der Erkrankung (besonders oft traumatische Neurose)
ist daher in den meisten Fällen nicht allein die oft leichte Verletzung,
sondern „vor allem die starke seelische Erschütterung mit den be-
unruhigenden, deprimierenden und hypochondrischen Ideen, den Be-
sorgnissen um das eigene Wohl, um die Störung des Berufs und die
Erhaltung der Familie**. Verschlimmernd wirkt oft der lange Renten-
streit Betreffs des Zusammenhangs von Paralyse und Verletzung
glaubt man zur Zeit, „daß es sich entweder um eine posttraumatische,
nur paralyseähnliche Erkrankung handelte, oder daß das Trauma
eine Invalidität des Gehirns hervorrief, auf deren Boden die frühere
syphilitische Infektion nun zu der Paralyse den Anstoß gibt, oder
endlich, daß eine latente Paralyse durch das Trauma zur Entfaltung
gebracht ist**. Im allgemeinen nimmt man jetzt an, daß die Paralyse
meist durch Syphilis veranlaßt wird, daß aber der Boden durch Here-
didät, angeborene oder erworbene Invalidität des Gehirns vorbereitet
sein muß (Näcke, Obersteiner). „Bei den weniger zivilisierten Völkern
ist die allgemeine disponierende Grundlage nicht vorhanden, daher
die Seltenheit der Paralyse trotz noch so häufiger Syphilis . . . Einen
unanfechtbaren Beweis für die ursächliche Bedeutung der Syphilis
bei der Paralyse scheint uns die Bakteriologie kürzlich gebracht zu
haben. Wassermann und Plaut konnten zeigen, daß in der Zerebro-
Spinalflüssigkeit von Paralytikern in SO Proz. spezifisch luetische An-
tistoffe nachweisbar waren, die sich in Fällen von Hirnsyphilis nicht
fanden" (^^). Ist Syphilis nicht vorhergegangen und Alkoholismus
oder Trauma nur als Ursache der Krankheit anzusehen, so wird es
sich gewöhnlich um eine nur paralyseähnliche Krankheit, wie alko-
holische Pseudoparalyse oder posttraumatische Demenz handeln. Ob
nicht doch einzelne Fälle von echter Paralyse vorkommen, bei welchen
Syphilis sicher auszuschließen ist, ist noch nicht völlig entschieden.
Praktisch wird man folgendermaßen verfahren müssen: „Waren vor
dem Unfall keinerlei Zeichen von einer nervösen oder psychischen
Erkrankung vorhanden, war die Verletzung eine erhebliche, die den
Kopf direkt getroffen oder doch wenigstens zu einer allgemeinen Er-
schütterung geführt hat, und hat sich die Paralyse in einem nicht zu
langen Zeitraum** (10 — 20 J.) nach dem Unfall herausgebildet, so
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wird sich vom Standpunkt der Unfallyersicherungspraiis auoh eiti
ursächlicher Zusammenhang nicht ablehnen lassen^ (^7).
Betreffs der Gemütserschfitterungen als Ursache der Geistes^
Störungen ^herrscht jetzt die Anschauung vor, daß die psychischen
Ursachen vielfach früher überschätzt sind, daß es sich bei ihnen oft
mehr um das auslösende oder verschlimmernde Moment als um die
eigentliche Ursache handelt" (4^. Doch läßt sich nicht in Abrede
stellen, daß seelische Aufregungen, besonders lange anhaltender Kummer,
Reue, Angst vor Strafe bei zur Erkrankung disponierten, psychopa-
thischen Menschen Geistesstörung hervorrufen können.
Weiter sei noch auf die besonders durch die Einzelhaft hervor-
gerufenenen Gefängnispsychosen (vorwiegend halluzinatorische Ver-
wirrtheit) hingewiesen.
Sexuelle Abstinenz rechnet man jetzt nicht mehr zu den ätio-
logischen Faktoren der Geistesstörungen, während die Bedeutung der
sexuellen Überanstrengung zweifelhaft ist. Betont werden muß noch,
daß in den meisten Fällen eine Kombination von mehreren Ursachen
der seelischen Störung zugrunde liegt.
Die wichtigsten Formen der Psychosen.
Nach Kräpelins*) Lehrbuch der Psychiatrie 1904, IL Teil pag. 40 ff. mit teil-
weise wortlicher Anführung der Ausdrücke. Telegrammstil wurde angewendet,
um eine schnelle Übersicht zu ermöglichen. — Abbildungen der wichtigsten
Erankheitstypen befinden sich auf der Tafel am Schlüsse des Buches.
I. Die akute Verwirrtheit (Amentia).
Infolge von äußeren Schädlichkeiten plötzlich traumhafte Bewußt-
seinsstörung. Erschwerung der Auffassung trotz Aufmerksamkeit
ünorientiertheit, Verworrenheit des Gedankenganges. Massenhafte,
wechselnde Halluzinationen und Illusionen. Stimmungswechsel. Ge-
steigerter Bewegungsdrang. Dauer Monate bis Jahre. Ungefähr V»
der Fälle geheilt
II. Alkoholische Geistesstörung.
a) Akute Alkoholvergiftung,
a) einfacher Bausch.
Erschwerung der Auffassung. Verflachung des Gedankenganges.
Verlust des Urteils und Überblicks. Gemütliche Reizbarkeit. Zurück-
treten der höheren sittlichen Gefühle. Wegfall der Hemmungen.
1) Erapelins Lehrbuch wurde gewählt, weil es zur Zeit das am meisten
gelesene Lehrbuch in Deutschland ist Zu erwähnen ist hierbei, daß eine Anzahl
Autoren Kräpelins Standpunkt nicht teilen.
8*
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Stönitg der feineren Herrschaft fiber die Bewegungen. Steigerang der
motorischen Erregbarkeit Zuletzt körperliche und geistige Lähmung*
Verlauf durch die persönliche Veranlagung beeinflußt
ß) Pathologischer Rausch.
Bei angeborener Intoleranz gegen Alkohol, Hysterie, Epilepsie,
nach Kopfverletzung. Nach geringen Dosen Alkohol starke Bewußt-
deinstrübung ohne stärkere körperliche Lähmung, Halluzinationen,
Angst, große Reizbarkeit, sinnlose Erregung, triebartige Gewalttätigkeit
b) Chronischer Alkoholismus.
a) Entartung des Trinkers.
Gesteigerte Ermüdbarkeit. Erinnerungsstörung. Verarmung des
Vorstellungsschatzes. Urteilsschwäche. Wahnbildung. Einzelne Hallu-
zinationen und Illusionen. Reizbarkeit Gemütliche Stumpfheit Sitt-
liche Verrohung. Erhöhtes Selbstgefühl. Trinkerhumor. Ünstetigkeit
Willensschwäche. Anfangs Fettleibigkeit, später Abmagerung, Blässe,
bläuliche Verfärbung der Haut (Zirkulationsstörung). Zittern der
Glieder. Unsicherheit der Bewegungen. NervenentztLndung (Neuritis):
Reißen in den Gliedern, Druckempfindlichkeit der Nervenstämme und
Muskeln. Reflexstörungen.
ß) Delirium tremens.
Geringe Beeinträchtigung der Besonnenheit (Auffassung und Ver-
wertung von Sinneseindrücken). Ausgesprochene Desorientiertheit
Leichte Bewußtseinstrübung, welche durch Anrufen vorübergehend
aufgehellt werden kann. Störung der Merkfähigkeit Gedächtnis
leidlich. Erinnerungsfälschungen. Zahlreiche Täuschungen, besonders
des Gesichts, mit dem Charakter sinnlich deutlicher Erlebnisse (Be-
schäftigungsdelirium), welche sich leicht suggerieren lassen. Stim-
mung ist Gemisch von Angst und Humor. Unruhige Geschäftigkeit.
GUederzittem. Oft Fieber, Appetitlosigkeit, Störung des Stuhlgangs,
starker Schweiß, Eiweiß im Urin. Dauer einige Tage. Verlauf meist
günstig. Bisweilen Tod durch Herzschwäche, Lungenentzündung.
Y) Mitunter geht das Delirium tremens in chronisches
Delirium (Korssakowsche Psychose) über.
Starke Störung der Merkfähigkeit Völliger Verlust der Orien-
tierung. Verlangsamung der Auffassung. Erinnerungsfälschungen.
Wahnideen, welche ohne Einfluß auf das Handeln sind. Urteil sonst
meist gut. Stimmung abwechselnd ängstlich^ humoristisch, gleich*
gültig. Mangel an Initiative. Benehmen nach Ablauf der anfäng-
lichen Unruhe gewöhnlich geordnet Meist allgemeine Nervenent-
zündung (Polyneuritis).
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. S) Hallazinatorischer Wahnsinn der Trinker,
Schnelle Ausbildung eines zusammenhängenden Verfolgungswahng,
besonders infolge von Gebörstäuschungan, dabei fast völlige Klarheit
des Bewußtseins. Die Stimmen sprechen meist nicht direkt zu dem
Kranken, sondern unterhalten sich über ihn. Meist Wahnideen, be-
sonders Eifersuchtswahn (auch selbständig als Eifersuehtswahn der
Trinker auftretend, der sich bei Alkoholentziehung verliert). Mischung
von Angst und Humor. Benehmen meist lange geordnet Schließlich
aber als Folge der Täuschungen und Wahnideen gewalttätige Hand^
lungen. Dauer tage- bis monatelang. Meist Heilung. Leicht Rückfälle.
III. Dementia praecox (Vorzeitige Verblödung, Jugendirresein).
(8. Tafel Fig. 18, 19, 20.)
Auffassung, Orientierung, Gedächtnis ungestört (alle Beobachtungen
nur passiv registriert). Urteilsschwäche und Zerfahrenheit des Ge-
dankengangs, Verlust der Persönlichkeit und Initiative «=» apperzeptive
Verblödung (Weygandt). Verlust der inneren Einheitlichkeit der Ver-
standes-, Gefühls- und Willenstätigkeit, daher Paramimie (Mißverhält-
nis zwischen Stimmung und Gesichtsausdruck) sowie Verschrobenheit
der Handlungen, Gemütliche Abstumpfung. Negativismus (Willens-
sperrung durch Autosuggestion) mit Paralogie (Vorbeireden). Befehls-
automatie (erhöhte Fremdsuggestion), z. B. Katalepsie (Erhalten der
Glieder für lange Zeit in der ihnen erteilten Lage), Echolalie (Nach-
sprechen), Echopraxie (Nachahmen vorgemachterBewegungen). Willens-
entgleisungen (Durchkreuzung der Willenshandlung durch neue
Willensantriebe), Bewegungs- und Haltungsstereotypien (Wiederholung
derselben Willensantriebe), Verbigerieren (Wiederholung derselben
Worte). Grimmassieren. Manieren („erstarrte krankhafte Abänderung
geläufiger Handlungen"). Kann auf allen Stufen der Verblödung stehen
bleiben. Verblödung gewöhnlich nicht universal, sondern nur partiell.
Ohnmächten. Epileptiforme Krämpfe. Krampfhafte Bewegungen der
mimischen und Sprachmuskulatur (Grimassieren). Blitzartige unwill-
kürliche Zuckungen der Muskeln. Veitstanzähnliche Bewegungen
Steigerung der Sehnenreflexe. Erhöhte Erregbarkeit der Muskeln und
Nerven beim Beklopfen derselben. Weite, Differenz der Pupillen.
Fehlen der normalen, durch psychische Vorgänge bedingten Pupillen-
unruhe. Öfter Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit Kreislauf-
störung (Bläuliche Verfärbung, wassersüchtige Anschwellungen, Der-
matographie, d. h. Bötung und Anschwellung von Hautstellen, welche
mit dem Finger oder einem härteren Gegenstand beschrieben wurden).
Starke Schweißbildung. Vermehrung der Speichelabsonderung. Schwan-
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kung der Herztätigkeit Herabsetzung der Körpertemperatur. Unregel-
mäßigkeiten der Periode. Blntarmat, Schlafstörung. Schwankungen
des Körpergewichts, Zunahme besonders bei Abnahme des Affekts und
eingetretener Verblödung.
a) Hebephrenische Form.
Tritt gewöhnlich während der Pubertät auf. Meist allmählich stille
Verblödung* Seltener Beginn mit trauriger Verstimmung, hypochon-
drischen Klagen. Zerfahrenheit des Gedankengangs. Unsinnige Wahn-
ideen, Urteilsschwäche. Geschraubte, gezierte Sprache, alberne Witze
und Reime. Läppisches Benehmen. Unsinnige, clownmäßige Handlungen«
b) Katatonische Form.
Oft plötzlich ineinander übergehende Perioden von starrer
Spannung oder sinnloser Erregung. Beginnt oft mit schwerer De-
pression. Sprachverwirrtheit im Gegensatz zur ungestörten Auffassung}
Orientierung, Merkfähigkeit, zum wohlerhaltenen Gedächtnis. Zeit-
weise Erinnerungsfälschungen. Wechselnde Helligkeit des Bewußt-
seins. Halluzinationen. Herrschaft der gemütlich betonten Zielvor-
stellung über den Willen verloren, sodaß das Handeln ein Spielball
der sich durchkreuzenden Willensantriebe wird. Muskelspannungen,
bildsäulenartige Stellungen. Negativismus, Befehlsautomatie, Kata-
lepsie, Verbigeration, Manieren. Sonderbare Ausdrucksbewegungen
(Grinsen, Schnauzkrampf, Gesichterschneiden, sinnloses Kopfschütteln).
Bewegungsstereotypen* Impulsive Triebhandlungen.
c) Paranoide Form.
Zahlreiche konfuse, nur kurze Zeit festgehaltene Verfolgungs und
Größenideeu. Wahn der physikalischen Beeinflussung des Körpers
und Geistes. Keine Erklärung für die unsinnigen Wahnideen gesucht.
Kein Ausbau des Wahns. Wahnhafte Personenverkennung. Wort-
neubildung, Sprachverwirrtheit, Wortsalat. Einzelne katatonische
Zeichen. Zuletzt schwachsinnige Verwirrtheit mit unsinnigem Gefasel.
Arbeitsfähigkeit innerhalb der Anstalt oft erhalten. Tritt meist
in späteren Jahren auf.
Die Prognose der dementia praecox desto ungünstiger, jamehr die kata-
tonischen Symptome von Anfang an oder später in den Vordergrund treten.
IV. Progressive Paralyse (Fortschreitende Hirnlähmung)
(s. Tafel Fig. 21).
Erkrankung des ganzen Zentralnervensystems mit fortschreitendem
geistigen und körperlichen Verfall. Tod meist nach 2—3 Jahren.
Doch mitunter jahrelange Besserungen und Stillstände.
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Am Anfang Verlust des Gefühls für Anstand und Sitte. Ermüd-
barkeit gesteigert, Auffassung und Reproduktion herabgesetzt. Ver-
geßlichkeit zuerst für neue, -später auch für frühere Eindrücke. Ver-
armung des Vorstellungsschatzes. Regellosigkeit des Denkens, Urteils-
^ch wache. Später Bewußtseinsstörungen, Desorientiertheit, besonders
zeitig Störung der zeitlichen Orientierung, unsinnige hypochondrische
oder Größenideen. Halluzinationen und Illusionen. Reizbarkeit. Vor-
übergehen(i heftige Erregung oder Depression. Nachlaß der höheren
geistigen Interessen. Willensschwäche. Gesteigerte Suggestibilität.
Delirien. Anfangs starke Kopfschmerzen. Blutandrang nach dem
Kopfe. Sebstörungen, welche sich bis zur Erblindung steigern können
(Retinitis, Atrophie der Sehnerven). Herabsetzung des Geruchs und
Geschmacks. Unangenehme nervöse Beschwerden aller Art. Später
Herabsetzung der Hautempfindlichkeit, besonders Analgesie. Vorüber-
gehende Anästhesien,* Parästhesien (Kriebelgefühl). Vorübergehende
Zuckungen der Muskeln. Wiederverschwindende Lähmung, Sprach-
störung, Schlaffheit der mimischen Muskeln. Ungeschickte Bewe-
gungen. Rhythmisches Zähneknirschen. Erschwerung des Schluckens.
Zwangsmäßiges Lachen. Apoplektiforme Anfälle (Schlaganfall ähnlich)
mit plötzlicher Bewußtlosigkeit, schnarchender Atmung, Aphasie (Sprach-
losigkeit), Lähmung. Paralytische Anfälle in Form von vorübergehendem
Schwindel mit Sprachstörung und leichter Lähmung. Oder als epi-
leptiforme Anfälle mit Bewußtlosigkeit, Krämpfen, vorübergehender
Lähmung, Fiebersteigerung. Nierenstörung. Tod öfters durch Schluck-
Pneumonie (Lungenentzündung durch in die Lunge gelangende Speise-
reste usw.). Allmählich vollständiger Zerfall der Persönlichkeit; unter
Muskelschwund und Ernährungsstörungen der Gewebe (Dekubitalge-
schwüre), körperlicher Rückgang bis zu völliger Lähmung und Hilf-
losigkeit.
V. Irresein des Bückbildungsalters.
a) Melancholie (s. Tafel Fig. 22).
Orientierung und Besonnenheit erhalten. Gedankengang zusammen-
hängend, klar einförmig. Einzelne Sinnestäuschungen. Gleichmäßige
traurige Verstimmung. Starke innere Angst. Versündigungs-, Ver-
armungs-, Kleinheits-, hypochondrischer Wahn. Selbstmordneigung.
Keine Hemmung. In höherem Alter unsinnige hypochondrische und
Verfolgungsideen, gemütliche Abstumpfung, triebartige Unruhe, raptus-
artige Gewalttaten. Schlafstörung. Gefühl der Abspannung und körper-
lichen Schwäche. Unangenehme Empfindungen. Appetitlosigkeit. Ver-
stopfung. Belegte Zunge, foetor ex ore. Gewichtsabnahme. Blut-
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armnt Herabsetzung der Körperwärme. Puls klein. Haut kühl, trocken,
spröde. Unterschenkel bläulich. Anschwellungen der Knöchel.
Allmähliche Lösung. Lange Dauer« Heilung noch nach 4 — 5
Jahren. Prognose zweifelhaft, in höherem Alter ungünstig.
Nach den neuesten Veröffentlichungen rechnet Kräpelin in Über-
einstimmung mit Hübner die Bfickgangsmelancholie jetzt ebenfalls
zum manisch-depressiven Irresein.
b) Präseniler Beeinträchtigungswahm
In den 50er Jahren. Allmähliche Ausbildung deutlicher Urteils^
schwäche.
Systemloser Beeinträchtigangswahn. Erhöhte gemütliche Beiz-
barkeit. Unsinnige Handlungen.
c) Altersblödsinn (Senile Demenz).
Auffassung und Merkfähigkeit herabgesetzt« Gedächtnis schlecht.
Zunehmende Schwäche des Urteils, Verödung des Vorstellungsinhalts!
Vorübergehende Bewußtseinsstörungen. Sinnestäuschungen. Hypo-
chondrische oder Beeinträchtigungsideen. Herabsetzung der höheren
Gefühle. Rührseligkeit. Egoismus. Eigensinn. Rücksichtslosigkeit,
Sexuelle Erregung. Unsittliche Handlungen. Willensschwäche. In
höherem Grade schwere Merk- und Orientierungsstörung, Fabulieren,
unsinnige Ideen, große motorische Unruhe. Schlafstörung. Abnahme
der Kräfte. Appetitlosigkeit. Fahle Hautfarbe. Geringer Haarwuchs-
Trübungen der Linse. Schwerhörigkeit. Gliederzittem. Empfindungs
Störungen. Schwindel. Kopfschmerz. Pupillen meist eng. Lichtreaktion
derselben träge. Reflexe erhöht oder herabgesetzt. Verwaschene
Sprache. Verkalkung der Arterien (hart, geschlängelt).
Als Unterabteilung Presbyophrenie.
Illusionistische und halluzinatorische Verfälschung der Wahr-
nehmung. Verlust der Orientierung und Merkfähigkeit. Die großen
Lücken des Vorstellungsscbatzes durch Fabulieren ausgefüllt Auf-
merksamkeit und Gedankengang normal. Urteil in bezug auf früher
erworbene Begriffe ziemlieh gut. Interesse für die Umgebung erhalten
Gemütsstimmung leicht gehöben oder gereizt. Verhalten meist geordnet
Seniler Verfolgungswahn.
Dürftige verworrene Wahnideen mit einzelnen Sinnestäuschungen.
Benehmen meist geordnet
VI. Manisch-depressiyes Irresein (s. Tafel Fig. 23, 24).
Einheitliche Krankheit, deren manisches und depressives Zur
Standsbild einander folgen, für einander eintreten und sich vermischen
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kann. Mitunter periodisch auftretende manische Anfälle ohne Ver-
bindung mit Depression. Oft erbliche Belastung nachweisbar,
a) Manische Phase.
Auffassung ungenügend und flüchtig. Beschleunigung des Ge-
dankengangs bis zur Ideenflucht Rededrang. Ablenkbarkeit erhöht.
Einzelne Sinnestäuschungen. Unangenehme Körperempfindungen. Wech-
selnde, mitunter unsinnige Wahnideen. Gehobene oder zornige Stim-
mung. Erhöhtes Selbstgefühl. Steigerung der Erregbarkeit. Herab-
setzung des Ermüdungsgefühls. Beschäftigungsdrang bis Tobsucht.
Auf der Höhe der Erregung Trübung des Bewußtseins, Herabsetzung
der Orientierung. In leichten Fällen frische Farbe der Haut, leb-
hafter Blick. Elastische Bewegungen. Gesteigerter Appetit. Bei Tob-
sucht Abnahme des Gewichts, Beschleunigung der Atmung, Steigerung
der Herztätigkeit, Erhöhung der Temperatur, Blutandrang nach dem
Kopfe.
Dauer einige Wochen bis 2—3 Jahre. Fälle mit Wahnbildung
und mäßiger Erregung dauern gewöhnlich lange.
b) Depressive Phase.
Besonnenheit und Orientierung erhalten. Hemmung des Denkens.
Mitunter Bewußtseinstrübung. Seltener Halluzinationen , Illusionen
und Wahnideen. Zwangsvorstellungen. Gemütiiche Verödung. Dumpfe,
hoffnungslose Niedergeschlagenheit, vorübergehender Stimmungswechel.
Krankheitsgefühl. Willenshemmung, Mangel an Initiative. Mitunter
tiefe stuporöse Trübung des Bewußtseins (Äußere Sinneseindrücke
wenig aufgefaßt, zusammenhanglose Delirien und Sinnestäuschungen).
Herabsetzung des Appetits. Schlafstörung. Körperliche Mißempfin-
dungen. Schlaffe Haltung. Matter Blick. Blutarmut. Mangel an
Elastizität der Haut. Verlangsamung der Atmung und Herzaktion.
Puls klein. Zusammenziehung der Gefäße.
Prognose gut für den einzelnen Anfall, dagegen leicht Rückfälle.
Freie Zwischenräume allmählich kürzer,
c) Mischzustände.
1. Depressive Erregung. 2. Gedankenarme Manie. 3. Manischer
Stupor (Mischung von Unzugänglichkeit mit heiterer Stimmung).
4. Ideenflucht bei Depression. 5. Manische Hemmung (Ideenflucht,
heitere Stimmung und psychomotorische Hemmung).
VII •Paranoia (Yerrücktheit).
Allmähliche Bildung eines unerschütterlichen Wahnsystems bei
völliger geistiger Klarheit und geordnetem Denken, Wollen ^ und
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Handeln. Verrückong des Standpunktes, welchen Patient gegeü
Personen und Ereignisse der Umgebung einnimmt Krankhaft ver-
fälschte Weltanschauung. Beginn oft mit unangenehmen Organ-
empfindungen, Ahnungen, Vermutungen, Mißtrauen, Beeinträchtigungs-
ideen. Erinnerungsfälschungen. Später Steigerung des Selbstgefühls.
Größenideen. Urteil, soweit es nicht den Wahn betrifft, ungestört.
Geordnete Haltung. Das Verhalten ist aus dem Wahn heraus ver-
ständlich. Erst später gefährliche Handlungen als Abwehr. All-
mählich doch Nachlaß der geistigen Kräfte in vielen Fällen.
Besondere Form stellt der Querulantenwahnsinn dar.
Knttpft meist an ein tatsächlich erlittenes Unrecht an. Auf-
fassung und Gedächtnis oft gut. Eintönigkeit des Gedankengangs
Unbelehrbarkeit Leichtgläubigkeit bezüglich des Belastungsmaterials
Kritiklosigkeit gegenüber allem, was auf den Wahn Bezug hat
Gehobenes Selbstgefühl. Erhöhte gemütliche Reizbarkeit Unsinnige
Hartnäckigkeit in der Erstrebung des Ziels. Allmähliche Ausdehnung
der Verfolgungsideen auf immer zahlreichere Personen. Schließlich
zunehmende geistige Schwäche.
VIII. Epileptisches Irresein.
Wahrscheinlich durch Stoff Wechselstörung, Selbstvergiftung. Auf
der Grundlage angeborener Entartung. Mitunter Mikrokephalie,
Hydrokephalie (Wasserkopf), „epileptische Physiognomie, welche
durch die breite Stirn, die eingedrückte breite Nase, durch vor-
springende Backenknochen, wulstige Lippen und glänzende Augen
mit auffallend weiten Pupillen gekennzeichnet wird^ (Kräpelin).
Von äußeren Ursachen unabhängige, periodisch auftretende
epileptische Krampfanfäile mit vorhergehender Aura (VorempfindungX
während und nach dem Anfall bestehender Veränderung des Be-
wußtseins und darauf folgender partieller oder totaler Amnesie. An
Stelle der ausgebildeten Anfälle können auch epileptoide Zustände
(petit mal) auftreten:
Ohnmächten, Absencen (kurze Bewußtseinslücken), Schwindel-
und Schlafanfälle, nächtliches Aufschrecken (pavor nocturnus), grund-
lose Angst.
Der Epileptiker wird zum Geisteskranken, wenn sich: 1. die
epileptische fortschreitende Entartung oder Schwachsinn einstellt
2. Bewußtseinsstörungen, z. B. Dämmerzustände. 3. Psychosen, z. B.
das Bild der Paranoia hinzugesellen.
ad 1 . Einengung des Gesichtskreises. Umständlichkeit. Neigung
zu süßlichen Bedenarten, frommen Sprüchen, lügenhaften Aussagen.
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Beizbarkeit. Rechthaberei. Unstetigkeit. Krankhaftes Mißtrauen.
Sinnlose Wutanfälle. Zeitweise gemütliche Schwankungen und Be-
ängstigungen ohne äußere Ursache, . welche zu starkem Alkoholmiß-
brauch führen können: Dipsomanie (bei schwer Belasteten periodisch
'zwangsmäßiger Trieb zum Genuß alkoholischer. Getränfee, infolge
innerer Angst und Unruhe. Vielleicht auch durch periodische
Melancholie und Manie (Ziehen) erzeugt. Nach Ablauf Nieder-
geschlagenheit, Reue. In der Zwischenzeit Patient fleißig und
nüchtern* Heilung selten, nur bei strenger Abstinenz).
ad 2. Die Dämmerzustände können Krampfanfällen vorher-
gehen, nachfolgen oder selbständig auftreten (dann Äquivalente ge-
nannt). Das epileptisch veränderte Bewußtsein während dieser
Zustände kennzeichnet sich durch ein schnelles Aufeinanderfolgen
von scheinbar geordnetem Verhalten und von befremdlichen, nicht
vermuteten, gewalttätigen Handlungen. Während der Dämmerzustände
Mord, Brandstiftung, sexuelle Exzesse, Exhibitionismus, Fahnenflucht,
große Reisen, Nachtwandeln. Die Handlungen in den verschiedenen
Dämmerzuständen oft in ganz gleicher Weise wiederholt. Die Er-
innerungen aus dem Dämmerzustand werden nach Bonhöffer nicht
weiter verarbeitet und gewinnen keine nähere Beziehung zur Per-
sönlichkeit. Patient erzählt z. B. von der von ihm in diesem Zustand
vorgenommenen Brandstiftung wie voii der Tat eines anderen. Mit-
unter nur noch Erinnerung für nebensächliche Erlebnisse, während
die Erinnerung an die Tat zwar anfangs vorhanden war, aber bald
versinkt (cf. Erinnerung an Traumvorstellungen). Infolgedessen
natürlich leicht Verdacht auf Simulation. Mitunter körperliche Be-
gleitsymptome, z. B. träge Pupillenreaktion, Steigerung der Sehnen -
reflexe, Störung der Hautempfindlichkeit, des Geruchs und Geschmacks,
schwerfällige, verwaschene Sprache.
1 Bewußtseinstrübung bei plötzlichem Erwachen aus dem Schlafe
mit illusionistischer Auffassung der Wahrnehmung und dadurch er-
zeugten Ge waltaten.
Durch geringe Dosen Alkohol Bewußtseinstrübung mit sinnlosen
.Wutanfällen.
Plötzlich entstehende ängstiiche Delirien (Auffassung und Orien-
tierung gestört, ängstiiche oder zornige Erregung, schreckliche Hallu-
zinationen, unsinniger Bewegungsdrang, schwere Gewalttat. Dauer
einige Stunden bis Wochen).
Epileptischer Stupor (länger dauernde, oft schwere Bewußtseins-
trübung, verworrene teils grauenvolle, teils beglückende Wahnideen
aus den Ausdrucksbewegungen herauszulesen. Patienten handeln wie
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im Traum oder liegen steif im Bett, widerstreben )edem äußeren
Eingriff. Dauer 8—14 Tage.
IX. Hysterisches Irresein.
Gekennzeichnet wird die Hysterie nach Kräpelin durch die
außerordentliche Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit welcher sich
psychische Zustände in mannigfaltigen körperlichen Störungen wirk-
sam zeigen, oder nach Binswanger ^) durch eine krankhafte Ver-
schiebung zwischen materiellen Himrindenerregungen und psychischer
Parallelreihe.
Auffassung, Gedächtnis, Denken ungestört Neben zahlreichen
körperlichen Erankheitszeichen (Stigmata 2. B. Anästhesie, welche
nicht dem anatomischen Verlauf der Nerven entspricht (psychisch
bedingt, psychogen) geistige Stigmata: Pathologisch gesteigerte Affekt-
erregbarkeit mit pathologischer Verstärkung und Ausdehnung der
körperlichen Begleit- und Folgeerscheinungen. Gesteigerte Phantasie-
tätigkeit Fehlende Reproduktionstreue. Stimmungswechsel. Erhöhtes
Selbstgefühl. Einschränkung des Ideenkreises auf das eigene Be-
finden. Erhöhte Suggestibilität TJnstetigkeit Neigung zur Intrigue.
Widerspruchsneigung. Nörgelsucht Theatralische Übertreibung der
Ausdrucksbewegungen (Hysterischer Charakter). Bei degenerativ
veranlagten Kranken Verzerrung und Verschärfung der hysterischen
Charaktereigentüralichkeiten.
Bei der Hysterie vorkommende körperliche Störungen:
Anästhesien und Analgesien, welche meist dem anatomischen
Verlaufe der Nerven nicht entsprechen, a) halbseitige, b) fleckweise
auftretende, c) geometrische in Schwimmhosen-, Keulen-, Manschetten-
form. Entgegen den anatomischen Verhältnissen oft auch Lähmungen
aller Sinnesempfindungen derselben Seite (Gesicht, Gehör usw.). Ge-
sichtsfeldeinschränkung, Hyperästhesien, Hyperalgesien, Globusgefühl
(Gefühl einer beweglichen Kugel im Halse), Clavus (quälender Schmerz
in der Scheitelgegend). Spinalirritation (Schmerz der Wirbelsäule bei
Betastung). Druckempfindlichkeit bei Berührung bestimmter Punkte,
z. B. Ovarie (Druck auf den nervus sympathicus im Unterleib).
Topalgien (festsitzende Schmerzen durch peripher projizierte zentrale
Erregung). Spontane wechselnde Schmerzen in allen möglichen
Körpergegenden, welche die verschiedensten Krankheiten vortäuschen
können. Headsche Zonen (Umschriebene Hyperalgesien der Haut bei
Erkrankung innerer Organe). Störung des Muskelsinns. Pseudotabes.
Anomalien der Herztätigkeit und der Blutzirkulation. Trophische
Störungen. Spontane Blutungen (z. B. Stigmatisation). Hautgangrän.
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HaatauBScbläge. Ödeme (weißes und blauesX Haarausfall. Schweiß-
Störung, Appetitlosigkeit. (Anorexie). Hochgradige Abmagerung
oder Fettleibigkeit Menstrnationsstörung. Hysterisches Fieber
(zweifelhaft). Reflexstörungen. Schwindel. Zittern. Krämpfe.
Muskelspannungen. Kontrakturen. Zwangsweise Gliederbewegungen
(Tics) Husten. Räuspern. Rülpsen. Erbrechen. Gesteigerte Peri-
staltik. Kotbrechen (an Darmverschluß erinnernd). Meteorismus
(Luftauftreibung der Därme, wodurch schon Schwangerschaft vor-
getäuscht worden ist). Vaginismus (Krampfhafte Zusammenziehung
der Scheide, welche den Coitus verhindert). Stottern, Lach- und
Weinkrämpfe. Psychisch bedingte Lähmung der Glieder und der Sprache.
In der Sitzung der Soci6t6 de Neurologie in Paris am 9. April
1908 wurde von Babinski und anderen betont, daß eine Anzahl der
hysterischen Stigmata z. B. Hemianästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung,
hysterische Zonen, Rachen- und Comealreflexstörung (nicht aber die
trophischen, vasomotorischen Störungen oder die der Sehnen- und
Pupillenreflexe) auf Suggestion beruhe. ^^)
Die Hysterische wird zur Geisteskranken, wenn sich
' 1. Bewußtseinsstörungen,
% ausgesprochene Psychosen
entwickeln.
ad 1. Wachträume (Versunkensein in traumhafte Vorstellungen
bei offenen Augen, Hetzen von Vorstellungen und unangenehmen
Erinnerungen); Schlafanfälle (Lethargie). Synkopale Anfälle (Übel-
keit, Zusammensinken). Apoplektiforme Anfälle (einem Schlag-
anfall ähnlich). Kataleptische Zustände (Gliederstarre). Große
Krampfanfälle mit arc de cercle, Glownismus, attitudes passionelles.
Dämmerzustände (Bewußtseinstrübung mit Verwirrtheit, Visionen und
Halluzinationen von dramatischer Lebendigkeit, läppischem Be-
nehmen, Gansers Vorbeireden «= Assoziationsstörung). Mit den-
selben verwandt ist der Somnambulismus (Traumhafte Be-
wußtseinsänderung durch tiefgehende Störung der Ideenassoziation).
Unter dem Einflüsse derartiger traumhafter Vorstellungen triebartiges
Umherschweifen, gefährliche Handlungen. Die Kranken fallen oft
nur durch ihr einsilbiges, unzugänghches Wesen auf). Indem Er-
scheinungen des Dämmerzustandes nicht in den folgenden Zustand
hinübergenommen werden, entsteht mitunter eine anscheinende Ver-
vielfältigung der Persönlichkeit.
ad 2. Auf degenerativer Basis können sich ausgesprochene
Psychosen entwickeln, welche aus kettenartig aneinandergereihten
Dämmerzuständen oder Wachträumen, Halluzinationen, Verstim-
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muDgen, Lethargie, Delirien, raptos hystericuB (maßloße Aügstanfällej;
teilweise mit HalluzinatioDen und lilasionen, triebartige Unruhe),
furor fajstericuB (höchste hysterische Reizbarkeit) und moria (läppische
heitere Verstimmung) in beliebiger Anordnung sich zusammensetzen
können. Die Psychose kann den Charakter der Melancholie an-
nehmen, häufiger treten paranoische Bilder auf. Nach Räcke werden
bei jugendlichen Imbecillen abwechselnde Zustände von furor, moria
und Stupor beobachtet Die hysterische Grundlage verleiht allen
diesen Psychosen den Charakter des Theatralischen, Sprunghaften«
Die hysterische Paranoia zeichnet sich durch starke Affekterreg-;
barkeit, lebhafte Verfolgungsideen, ethischen Defekt, erotische £r-
r^ung, krankhaftes Bedürfnis, sich in den Vordergrund zu drängen,
verläumderische Lügenhaftigkeit und strafbare Handlungen aller Art
aus. Kindliche und juvenile Hysterie ist heilbar, dagegen die des
späteren Alters, besonders bei degenerativer Grundlage, nicht. Nach
langem Kranksein mitunter Verarmung des Vorstellungsschatzes und
Urteilsschwäche (besonders bei zahlreichen Krampfanfällen und hallu*
zinatorischen Dämmerzuständen). Nach Freud sind in der Kindheit
erlittene sexuelle Traumen die Ursache der Hysterie. Sie rufen einen
affektbetonten Komplex hervor, der infolge seiner Unverträglichkeit
mit dem normalen Bewußtseinszustand nicht abreagiert, sondern ins
Unterbewußtsein verdrängt (eingeklemmt) wird und durch Konversion
(Umsetzung) der Erregung in abnorme körperliche Innervation und
durch Transposition des Affekts auf indifferente Vorstellungskomplexe
die hysterischen Symptome erzeugt Nach einer neueren Veröffent-
lichung Jungs ^^) beruht die Hysterie darauf, daß zur Zeit der Pubertät
die konstitutionell gesteigerte Phantasie durch die infantile Sexual-
betätigung eine konsteliierte Richtung erhält, daß sich dadurch Vor-
stellungskomplexe bilden, welche mit dem übrigen Bewußtseinsinhalt
unvereinbar sind und darum der Verdrängung unterliegen, besonders
durch starke Scham- und Ekelgefühle. In diese Verdrängung wird
nun die Übertragung der libibido (sexuelle Komponente des Seelen-
lebens und Leidenschaftlichkeit im Begehren überhaupt) auf eine
geliebte Person mit hineingezogen und die Scham- und Ekelgefühle
werden auf dieselbe übertragen. Durch diese Hemmung der Über*
tragung der libido entsteht ein Gefühlskonflikt, welchei die bystmschen
Krankheitssymptome hervorruft Die treibenden Kräfte der hyste-
rischen Psychose liegen demnach mehr in der Gegenwart als in der
Vergangenheit Zu bemerken ist, daß die Anschauungen von Freud,
Bleuler und Jung bis jetzt noch nicht allgemein anerkannt sind,
wenngleich sie in vielen Fällen das Richtige treffen mögen«
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X. Entartnngsirreselii.
Dauernd krankhafte Verarbeitung der Lebensreize infolge Yon
erblicher Veranlagung.
a) Angeborene Nervosität. (Im Gegensatz zur erworbenen
Neurasthenie, welche durch Erschöpfung, Überanstrengung beim 6er
Sunden entsteht, sich besonders durch reizbare Schwäche charakterisiert
und bei Wegfall der Ursache in Heilung übergeht ^j.
Angeborene Widerstandunfähigkeit. Mangelnde Harmonie der
geistigen Kräfte. Erhöhte Ermüdbarkeit, Ablenkbarkeit, Einbildungs-
kraft. Selbstüberschätzung. Störung des Wirklichkeitsbewußtseins.
Stimmungswechsel. Lügenhaftigkeit. Leichte Erregbarkeit. Betonung
des Ich. Dauernde Unfreiheit des Handelns. Gesteigertes Triebleben
(besonders in sexueller Beziehung, sexuelle Abnormitäten). Empfind-
lichkeit gegen Alkohol, Witterung, Hitze. Nervöse Beschwerden aller
Art. Schlafstörung. Körperliche Degenerationszeichen, z. B. Zwerg-,
Riesenwuchs. Mangelnde Symmetrie des Köperbaus. Angeboren^
Luxation. Abweichungen im Schädelbau, z. B. mikrokephaler,
hydrokephaJischer (Wasserkopf), progeneer (Oberkiefer durch Untere
kiefer überragt), schiefer Schädel, Sattelkopf (Einsenkung in der
Gegend der Kranznaht), mongolischer Kopftypus (Kopf rund, Gesicht
platt, Backenknochen vorspringend, Nasenrücken breit, Augen schief
geschlitzt), fliehende Stirn. Darwinsches Spitzohr, ev. mit Knötchen
am äußeren Ohrrand, Stahlsches Ohr (Ohrgruben durch den Helix
verdeckt), Wildermuthsches Ohr (der Helix nach hinten umgeschlagen),
Henkelohr, Ohrläppchen nicht ausgebildet. Fehlen der Regenbogenhaut
des Auges, verschiedene Färbung und Fleckung derselben, exzentrische
Ijage der Pupille, mehrere Öffnungen der Regenbogenhaut, angeborener
Staar. Hasenscharte, Wolfsrachen (Gaumen gespalten), Gaumen steil,
starke Entwickeiung des Gaumenwulstes (torus palatinus). Anomalien
der Form, Größe und Stellung der Zähne. Polydaktylie (Vermehrung)
und Syndaktylie (Verwachsung) der Zehen und Finger, Schwimmhaut-
bildung, Klumpfuß. Vorlagerung der Harnröhrenmündung (Epispadie,
Hypospadie), Kryptorchismus (Hoden nicht in den Hodensack herab-
getreten), Verdoppelung des Genitalkanals, Verschluß der Vagina.
Abnormer Haarwuchs.
Angeborenes Stammeln, Stottern, Schielen, Nystagmus (unwillkür-
liche Bewegungen der Augäpfel), Neigung zu Krämpfen in der
Kindheit. Bei angeborener homosexueller Anlage mitunter breites
weibliches Becken, starke Entwickeiung der Brüste, geringer Bart-
wuchs^ gerundete Formen, weibliche Stimme. Die Degeneratipns-
zeichen weisen nur dann auf erbliche Belastung hin, wenn sie bei
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einem Individuum gehäuft, sowie in den verschiedensten Systemen
und wichtigen Formen auftreten (Näcke).
Die Nervosität ist verwandt mit der Hysterie, dem manisch-
depresdiven Irresein. Auf dem Boden derselben können folgende
Zustände erwachsen.
b) Konstitutionelle Verstimmung.
Dauernd pessimistische Gefühlsbetonung aller Vorstellungen.
Gesteigerte Ablenkbarkeit. Schuldgefühl. Empfindsamkeit. Ängst-
lichkeit. Nervöse Beschwerden. Tics z. B. Grimmassieren, Schnalzen
mit der Zunge, Zucken mit dem Kopfe (unbewußte Ausgleichung
innerer Spannung).
c) Konstitutionelle Erregung.
Stimmung dauernd gehoben. Selbstbewußtsein gesteigert. Ab-
lenkbarkeit vermehrt, ünstetigkeit, welche eine zielbewußte Tätigkeit
vereitelt.
Fließende Übergänge von b) und o) zum manisch-depressiven
Irresein.
d) Zwangsirresein.
Zwangsgedanken und Zwangsbefürchtungen, welche gemütlicher
Depression ihr Dasein verdanken. Bewußtsein klar. Dauernde Einsicht
für die Krankhaftigkeit des Zustandes.
„Psychisches Wiederkäuen^ derselben Gedanken. Zahlenzwang
Grübelsucht' Zweifelsucht Unentschlossenheü« Peinlichkeit Scheu,
aufzufallen. Furcht vor dem Erröten. Kleiderangst Hypochondrische
Befürchtungen. Phobien (plötzliche heftige Angst vor etwas Un-.
angenehmen, verbunden mit zahlreichen nervösen Störungen) z. B.
Platz-, Höhenangst, Furcht vor Schmutz, Berührungsfurcht Werden
die Kranken in ihren sie beruhigenden Schutzmaßregeln und oft ab-
sonderlichen Ausdrucksbewegungen gehindert, so heftige Aufregungs-
zustände. Mitunter Willensantrieb zu verbrecherischen Handlungen,
welche aber nicht ausgeführt werden. Prognose meist ungünstig.
e) Impulsives Irresein.
Das Handeln durch pathologische Triebe, nicht durch klare
Motive bestimmt Keine Bewußtseinstrübung. Die Antriebe erscheinen
dem Kranken nicht fremdartig, sondern natürlich und und zwingend.
Wandertrieb, Trieb zur Brandstiftung, Diebstahl, Mord. Krankhafter
sexueller Trieb. Charakteristisch die Stärke der Triebe, ihre peri-
odische Wiederkehr und die Befriedigung nach der Tat. Meist
höherer oder geringerer Grad von Schwachsinn, gemüüiohe Störung,
Willensschwäche.
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Die Diagnose des impulsiven Irreseins nur stellen, wenn der trieb-
artige, zwangsmäßige Charakter des Handelns, der Mangel an zweck-
mäßigen Zielvorstellungen deutlich ist; und auch sonstige Krankheits-
zeichen vorhanden sind.
XI. Psychopathische Persönlichkeiten.
(Krankhafte Spielarten des menschlichen Geschlechts.)
a) Der geborene Verbrecher.
Es gibt Menschen, bei denen im Gegensatz zur Verstandsbildung
von Jugend auf die sittlichen Gefühle zurückgeblieben sind, welche
trotz guter Erziehung und guten Beispiels Verbrecher werden. Nach
Lombroso gehören 25 Proz. der Verbrecher zu der Klasse des deli-
quente nato.
Bei schwerer verbrecherischer Veranlagung (viele Berufsver-
brecher): Auffassung, Gedächtnis, Denken leidlich. Es fehlt aber die
Fähigkeit der weit blickenden Voraussicht. Die geborenen Ver-
brecher lernen nicht aus der Erfahrung, leben nur für den Augen-
blick. Daher Planlosigkeit der Lebensführung. Kopflosigkeit neben
Schlauheit Angeborene sittliche Gleichgültigkeit Mangel an Mit-
gefühl. Neigung zu Hetzerei. Selbstsucht. Reizbarkeit. Bachsucht
Krankhaftes Mißtrauen. Widerstandsunfähigkeit gegen Verführung
und Triebe. Empfindlichkeit gegen Alkohol, Schmerz* Stolz auf
verbrecherische Leistungen. Oft zahlreiche körperliche Entartungs-
zeichen (Stigmata). Schwere erbliche Belastung. Zur Diagnose vor-
sichtige Berücksichtigung sämtlicher Faktoren nötig. Bisher wurde
der Begriff des geborenen Verbrechers von den meisten Autoren
abgelehnt
b) Der Haltlose.
Unklare Begriffsbildung. Beeinflußbarkeit gesteigert Urteils-
schwäche. Stimmungswechsel. Außerordentliche Willensschwäche.
Verbummeln trotz guter Erziehung.
Gewohnheitsverbrecher, Landstreicher, Bettler, Prostituierte.
c) Der krankhafte Lügner.
Mangelhafte Erinnerungstreue. Übererregbarkeit der Phantasie.
UnStetigkeit der Gefühle und des Willens. Von Jugend auf Lust
am Fabulieren und Schwindeln, oft ohne Erstrebung eines Vorteils.
Abenteurer, Hochstapler.
d) Pseudoquerulanten.
Erhöhte gemütliche Erregbarkeit Gesteigertes Selbstgefühl.
Streitsucht, welche an alle möglichen Gelegenheiten anknüpft und
Dost , Kurzer Abriß der Psychologie, Psycluatrie etc. 4
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bei Gericht ihr Recht sucht. Es fehlt aber das subjektive Band, das
bei dem echten Querulauten die einzelnen Ereignisse zu einer zu-
sammenhängenden Kette verarbeitet, die zusammenhängende Wahn-
bildung. Geben auch den Kampf auf, wenn die Möglichkeit des
Erfolgs fehlt, während der rechte Querulant unentwegt weiterkämpft.
XII. Psychische Entwickelnngshemmuiig.
Durch Störungen im Mutterleib oder während der ersten Lebens-
zeit. Idioten erreichen höchstens die Stufe eines 7— 8jährigen Kindes,
Imbecille entwickeln sich darüber hinaus, ohne die Vollreife zu er-
reichen.
1. Imbecillität (Angeborener Schwachsinn).
Während die erworbene Demenz gewöhnlich mehr Einzeldefekte
darbietet, beobachten wir bei der geistigen Entwickelungshemmung
meist eine Abschwächung auf allen Gebieten. Wahrnehmung infolge
geringer Aufmerksamkeit und mangelnden Interesses oft ungenau.
Diese oft falschen Beobachtungen werden infolge ungenügender Ver-
knüpfung nicht an richtiger Stelle in den bisherigen Erfahrungen
eingestellt und führen daher zu mangelhafter Begriffs- und ürteils-
bildung. Alles bleibt Einzelerfahrung, es werden keine Gesetz-
mäßigkeiten erkannt. Mechanisches Gedächtnis. Fähigkeit fehlt, das
früher Erlebte in veränderter Darstellung, in neuer Gruppierung
wiederzugeben, komplizierte Vorgänge frei zu schildern. Lücken des
Gedächtnisses gern mit phantastischen Angaben ausgefüllt Trotz
gewisser Listigkeit in der Erreichung ihrer Ziele sind Imbecille oft
kritiklos, urteilsschwach, daher auch leichtgläubig und fremden Ein-
flüssen unterworfen. Mit Lust- und Unlustgefühlen nur die Vor-
stellungen betont, die sich auf materielle Interessen beziehen. Die
religiösen und ethischen^ Begriffe daher nur mechanisch auswendig
gelernt. Deshalb auch keine sittlichen Grundsätze, welche beim Spiel
der Motive gegen die Versuchungen des Lebens als Hemmung dienen
könnten. Selbstüberschätzung.
a) Stumpfe Form.
Können oft eng begrenzten Wirkungskreis ausfüllen, versagen
aber, wenn plötzlich größere Anforderungen an sie gestellt werden.
Werden dann mitunter von ängstlicher Verwirrtheit mit Halluzinationen
und Wahnideen befallen. Durch Verführung und Alkoholmißbrauch
kriminell. Prostituierte, Landstreicher.
b) Erregte Form.
Die Urteilsschwäche oft lange Zeit durch gutes mechanisches
Gedächtnis und lebhafte Phantasie verdeckt. Renommiersucht, Ein-
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— 51 —
sichtslosigkeit gegen die eigenen Mängel. Können Erinnerungs-
fälschungen oft selbst nicht von beabsichtigter Lüge unterscheiden.
Infolge der fortwährenden Gefühls- und Willensschwankungea
häufiger Berufswechsel, gewagte planlose Unternehmungen. Be-
trüger, Hochstapler.
c) Moralisches Irresein.
Diese Diagnose nur selten und zwar dann zu stellen, wenn trotz
guten Herkommens und guter Erziehung eine zu Verbrechen führende
mangelhafte Entwickelung der höheren, besonders sittlichen Gefühle
zu beobachten ist, wenn femer intellektuelle Defekte und sonstige
körperliche und geistige Zeichen von krankhafter Minderwertigkeit
nachweisbar sind. Die übrigen Fälle gehören zur Epilepsie, zur
dementia praecox, oder sind als nicht geistesgestörte Verbrecher an-
zusehen.
2. Idiotie (s. Tafel Fig. 25).
Störung der Auffassung und Aufmerksamkeit Mangelhafte Be-
griffsbildung, ürteilsschwäche. Ungenügende Entwickelung der
Sprache. Gedächtnis nur mechanisch. Fehlen der höheren Gefühle.
Leichte Erregbarkeit. Starkes Triebleben, da Hemmungen fehlen.
Infolgedessen auch fortwährende Unruhe und automatische Be-
wegungen. Ungeschicklichkeit Unreinlichkeit Körperliche Störungen
und Degenerationszeichen wie bei den Entarteten. Häufig mit epi-
leptischen Krämpfen verbunden. Auftreten derselben zu früher Zeit
spricht für ungünstigen Verlauf. Stumpfe und erregte Form. Schul-
bildung unmöglich.
Die Diagnose der psychischen Erkrankung ans den Ans-
drncksbewegnngen nnd Handlungen der Kranken.
Nach Binswanger 4<^) kann „die Diagnose einer Geistesstörung
nicht aus der Feststellung irgend eines Zustandsbildes^ sondern nur
aus der genauesten Kenntnis ihres Entwickelungsganges und des ge-
samten Verlaufs mit Sicherheit gestellt werden." Aus diesem Grunde
darf nicht eine einmalige Beobachtung des Krankheitsbildes, sondern
muß eine genaue Kenntnis des ganzen Krankheitsverlaufs die Grund-
lage der Beurteilung bilden. Wie wenig entspricht z. B. das Ver-
halten des Kranken während des Entmündigungstermins oft seinem
sonstigen Wesen, sei es nun, daß er befangen erscheint, daß er ab-
sichtlich seine krankhaften Ideen verdeckt, um entlassen zu werden
4*
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— 52 —
(Paranoiker), daß er vorübergehend aus seiner Gleichgültigkeit durch
die neue Umgebung herausgerissen wird und so einen günstigeren
Eindruck macht als gewöhnlich (Katatonie), daß er mit allen Künsten
der Dialektik den Richter für sich zu gewinnen sucht (Hysterie) oder
daß er sich gerade in einem freien Intervall befindet (manisch-
depressives Irresein, Paralyse). Daß ein Gesunder Geistesstörung
simuliert, läßt sich in vielen Fällen auch nicht durch eine einmalige
Beobachtung, wohl aber meist durch eine länger dauernde Prüfung
erkennen. Die Simulierung von Psychosen ist außerordentlich
schwierig und könnte höchstens bei der Darstellung von Blödsinn
vorübergehend Erfolg haben. Doch wird die Verstellung bald au
der gesuchten ünsinnigkeit der Antworten, der Übertreibung, dem
lauernden und gespannten Gesichtsausdruck, welcher zu der leeren
Miene des Blödsinnigen im Gegensatz steht, und der Unfähigkeit, die
Maske des Stumpfsinns dauernd festzuhalten, scheitern. Mitunter
simulieren auch Geisteskranke krankhafte Symptome hinzu, welche
sie bei anderen Kranken gesehen haben (Imbecille). Nur eine
Würdigung aller Symptome und die Berücksichtigung der ganzen
Lebens- und Krankheitsgeschichte des Patienten kann bei der Stellung
einer psychiatrischen Diagnose vor Irrtum schützen.
Um über die Störungen des Wahrnehmungsvorgangs, der Ge-
fühls- und Willenszustände ins Klare zu kommen, empfiehlt es sich,
die mimischen und pantomimischen Ausdrucksbewegungen der Kranken,
ihre Sprech- und Schreibweise sowie die spontanen und veranlaßten
Handlungen derselben zu studieren. „Da jedem Affekt und jeder
Affektstörung eine ganz bestimmte Gestikulation, ein bestimmter Ge-
sichtsausdruck und eine bestimmte Sprechweise zukommen, so ge-
währt das Studium der Ausdrucksbewegungen dem Erfahrenen einen
ungemein tiefen Einblick in die psychischen Vorgänge des Kranken
und gibt die besten Fingerzeige, in welcher Richtung Fragen an den
Kranken zu stellen sind" ^2).
Wir werden z. B. auf Gehörstäuschungen schließen, wenn der
Kranke gespannt nach einem Punkte hinhorcht, wenn er plötzlich
aufspringt, heftig nach einer bestimmten Richtung hin antwortet,
wenn er Scheingespräche per Telephon führt, plötzlich unmotiviert
lacht oder erregt ist, den schweigenden Beobachter anfährt und sich
seine Beleidigungen verbittet, wenn er sich unter den Zeichen des
Schreckens unter die Bettdecke verkriecht, sich die Ohren zuhält oder
mit Watte verstopft. Gesichtstäuschungen vermuten wir, wenn der
Patient angestrengt nach einem Orte hinstarrt, die Augen hin- und
herwendet, ohne daß ein Fixationsobjekt zu erblicken ist, über un-
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— 53 —
sichtbare Gegenstände hinwegsteigt, vor etwas Unsichtbarem plötzlich
zurückschreckt, Abwehrbewegungen macht, sich die Augen zuhält
oder den Kopf abwendet. Nimmt er längere Zeit keine Nahrung zu
sich, spuckt er die Speisen unter Zeichen des Absehens aus, so denken
wir an Geschmackstäuschungen, hält er sich die Nase zu, schlägt er
plötzlich ein Fenster ein, um den angeblichen Schwefelgestank abzu-
lassen, an Geruchstäuschung. Kranke mit Gefühlstäuschungen suchen
an ihrem Körper nach Schlangen, schlagen nach unsichtbarem Un-
geziefer, beschweren sich über nächtliche Einspritzungen, magnetische
und elektrische Fernwirkungen, sexuelle Attentate. Andere gehen
mit auffälliger Vorsicht, weil sie das Gefühl haben, als ob ihre Beine
aus Glas wären. Bei der Annahme einer Halluzination muß natür-
lich ausgeschlossen werden können, daß aus Träumen stammende
Eindrücke mit wirklichen Erlebnissen verwechselt werden, oder daß
wirkliche Sinneseindrücke vorliegen, welche nur abnorm empfunden-
(lUusion) oder wahnhaft (Urteilstäuschung) ausgelegt werden. Ver-
bergen die Patienten, um nicht für krank gehalten zu werden, ihre
Täuschungen, so können wir oft aus den Schriftstücken derselben,
in denen sie sich erfahrungsgemäß häufig offen aussprechen, die
Diagnose stellen oder wir sind auf die Angaben der Mitkranken an-
gewiesen oder müssen darauf warten, daß sich der Kranke in der
Erregung einmal selbst verrät.
Auch auf die selbständig oder sekundär als Folge der Sinnes-
täuschungen auftretenden Wahnideen können wir aus den Ausdrucks-
bewegungen und Handlungen schließen. Größenwahn verrät sich
z. B. durch die hochmütige Kopfhaltung, die überlegene Miene, den
stolzen Schritt, die protzige Absonderung von den Mitkranken, das
Anlegen von imitierten Orden und Achselstücken, das Tragen eines
Christusbartes, die Bevorzugung wallender Gewänder, die Nach-
ahmung des Äußeren hochgestellter Personen, femer durch die
Prinzessinnen gemachten Heiratsanträge, sinnlosen Bestellungen und
phantastischen Millionenunternehmungen. Der an Versündigungswahn
leidende Melancholiker schleicht gebeugt einher, ringt die Hände,
kniet nieder, fleht um Gnade, betet häufig, klammert sich wehklagend
an den Besucher an, verweigert die Nahrungeaufnahme, verstümmelt
seine Glieder oder begeht Selbstmord. Die Verfolgungsideen des
Paranoikers verraten sich durch das scheue, mißtrauische Wesen, die
reizbare Stimmung, sowie die Neigung desselben, harmlose Äuße-
rungen auf sich zu beziehen, durch oft sonderbare Schutzhandlungen
und symbolische Ausdrucksbewegungen (trägt Amulette, bringt Schutz-
vorrichtungen an Türen und Fenstern an, gibt den Gegenständen im
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— 54 —
Zimmer eine besondere eigentümliche Lage, wechselt häufig die
Wohnung, verfaßt Verteidigungsschriften und verübt schließlich Atten-
tate). Der hypochondrische Wahn kennzeichnet sich durch die ver-
mehrte Aufmerksamkeit des Kranken auf die Funktionen seines
Leibes, die genaue Betrachtung von Stuhl und Urin, die häufige
Selbstbeobachtung im Spiegel, die vorsichtige Benutzung und Schonung
der Glieder (ohne daß eine objektive Ursache dafür vorliegt), die un-
«innigen Kurierversuche am eigenen Körper, die Nahrungsverweigerung,
welche sich auf die Ansicht von Verwachsung des Schlundes, der
Schrumpfung des Magens, der Durchlöcherung des Darmes usw.
gründet Mitunter liegen den hypochondrischen Klagen tatsächliche,
während des Lebens nicht erkannte organische Veränderungen, z. B.
chronische Geschwüre im Darm, entzündliche Verwachsungen der
Unterleibsorgane, einer Diagnose schwer zugängliche krebsige Wuche-
rungen zugrunde. Hysterische verschlucken Nadeln, verweigern die
Nahrung, machen theatralische Selbstmordversuche, um aufzufallen
und Mitleid zu erregen (Weder Halluzinationen noch Wahnideen die
Ursache des Handelns). Mitunter beruhen die Wahnideen auf wirk-
lichen Tatsachen. Häufig freilich sind letztere nicht geeignet, die weit-
gehenden, durch gemütiiche Erregung, Mißtrauen, Hochmut, Ober-
flächlichkeit des Urteils entstandenen Behauptungen (Irrtümer) des
Betreffenden zu stützen (Ziehen). Bei Eifersuchtswahn und den Ideen
rechtlicher Benachteiligung besonders ist indessen stets eine genaue
Prüfung der Verhältnisse nötig, ehe ein Urteil über die eventuelle
Krankhaftigkeit der geäußerten Ansichten abgegeben werden kann.
Bei der Erschließung des Gefühlslebens aus den Ausdrucks-
bewegungen müssen wir uns bewußt bleiben, daß. ebenso wie wir
aus den Gesten des Neugeborenen nicht etwa bestimmte Gefühls-
äußerungen diagnostizieren dürfen, wir einen Fehler begehen würden,
wenn wir bei dem Katatoniker und Hysterischen eine völlige Kongruenz
der Ausdrucksbewegungen und des Affektzustandes annehmen würden.
Vielmehr bedeutet beim Katatoniker die mimische Bewegung nicht
mehr das Mittel, um die inneren Vorgänge nach außen zu projizieren,
sondern sie ist bei ihm meist eine reine Zwangsbewegung geworden
(z. B. das sinnlose Lachen). Auch treten die beim Gesunden mit ge-
wissen Vorstellungen verbundenen Gefühle bei ihm nicht sofort mit
letzteren auf, sind oft zu schwach oder in ihr Gegenteil verkehrt
Daher ist der Katatonische gleichgültig bei den wichtigsten An-
gelegenheiten, aufgeregt über Nichtigkeiten usw. Der Mangel an
innerer Einheitlichkeit und Harmonie ist auch die Ursache, daß die
Bewegungen dieser Kranken der Anmut entbehren, daß sie nicht in
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abgerundeter Form ausgeführt werden, sondern hölzern, eckig, schlaff
und ungeschickt erscheinen. Ebenso entspricht bei Hysterischen die
Affektäußerung nicht dem psychischen Zustand, da die körperlichen
Jiegleit- und Folgeerscheinungen über abnorm weite Gebiete hin sich
ausdehnen und den Affekt oft lange überdauern. Die Folge ist, daß
die hysterischen Ausdrucksbewegungen etwas Übertriebenes, Ge-
machtes und Theatralisches an sich haben. Dagegen sind wir be-
rechtigt, auf Depression zu schließen, wenn ein Kranker, welcher
nicht den erwähnten beiden Kategorien angehört, schlaff in sich zu-
sammengesunken, mit bekümmertem Gesichtsausdruck (nach abwärts
gesenktem trüben Blick, nach unten gezogenen Mundwinkeln, senk-
rechten Falten über der Nasenwurzel, quer verlaufenden Furchen auf
der Stirn, Senkung der äußeren, Hebung der medialen Enden der
Augenbrauen) dasitzt, die Gestikulation auf das geringste Maß be-
schränkt, nur leise, zögernd spricht oder nur die Lippen bewegt.
Während eines Angstzustandes ist die Körpermuskulatur gespannt,
der Unterleib eingezogen, der Kranke ist in lebhafter Bewegung,
ringt die Hände, nagt an den Fingern und fügt sich rücksichtslos
Kratzwunden zu. Die Augen sind weit offen, die Stirn ist wagerecht
gefurcht, Mundwinkel und Augenbrauen zeigen das Aussehen wie
bei der Depression, die Nasenflügel sind gehoben. Schnelle ober-
flächliche Atmung wechselt mit Atempausen oder vereinzelten tiefen
Atemzügen. Der Kranke ist völlig unfähig, zusammenhängend zu
sprechen, stößt nur abgerissene Worte hervor oder jammert monoton
vor sich hin. Verschlimmert sich der Zustand, so ist der Kranke in
unaufhörlicher Bewegung, führt allerlei zwecklose Handlungen aus
und wird schließlich zu Gewalttätigkeiten gegen die Umgebung oder
sich selbst getrieben. Bei der heiteren Erregung finden wir dagegen
glatte Stirn, glänzende, lebhafte Augen, Hebung der Oberlippe und
der Mundwinkel, lebhafte Gesten, fortwährendes geschäftiges Umher-
laufen, Lachen, Singen, Anulken der Umgebung, Verübung ruhe-
störenden Lärms und Unfugs. Der Zornige zeigt blasse Gesichts-
farbe, Aufeinanderpressen der Lippen, Zähneknirschen, Rollen der
Augen, senkrechte Faltenbildung der Stirn, gespannte Muskulatur,
Angriffsstellung mit zurück- oder vorwärtsgebeugtem Kopfe, geballten
Fäusten, gebeugten Ellbogengelenken, schließlich heftige, rücksichts-
lose Affekthandlungen. Die Erinnerung ist nachträglich oft mangel-
haft. Bei apathischen, verblödeten Kranken sind sämtliche Muskeln
erschlafft, der Rumpf ist zusammengesunken, der Unterkiefer hängt
herab, die Augen sind oft geschlossen. Während aber bei dem
Schlafenden die Pupillen eng sind und sich beim Erwachen erweitern.
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— 56 —
sind bei dem nicht schlafenden apatischen Kranken die Pupillen meist
mittelweit und verengen sieh beim Einfallen von Licht (Ziehen). Tief
Verblödete lassen den Speichel aus dem Munde herausfließen.
Um uns über das Gefühlsleben wortkarger, stumpf vor sich hin-
brütender Kranker zu unterrichten, fragen wir sie nach ihrem Be-
finden, nach ihren Angehörigen, nach der Heimat oder den Zuständen
der Anstalt Erreichen wir dadurch keine Reaktion, so richten wir
nach Liepmann29) an den Kranken eine Anzahl teils sinnvoller, teils
-^ «t^z^ ,;2^^^/«.^WW, ^..v-^ -„^^-y: /j±.J:^
■/^~^~
Fig. 8. Schriftprobe: Religiöse Paranoia. Von der Kranken, welche in der Unter-
haltung klar und liebenswürdig im Verkehr ist, werden mündlich nie Wahnideen
geäußert, während sie täglich Schriftstücke verfaßt, die zahlreiche Wahnideen
enthalten (Unterstreichungen).
sinnwidriger Fragen und schließen aus dem auftretenden Affekt, ob
sie verstanden sind. Wir fragen z. B.: „Hat der Adler Flügel? Hat
die Taube Flügel? Hat das Pferd Flügel? — Hat der Hund Haare?
Hat das Radieschen Haare? — Kann ein Vogel fliegen? Kann ein
Nachtwächter fliegen?'' Mit Hilfe des erzielten Affekts wird mit-
unter eine deutliche sprachliche und pantomimische Reaktion erreicht^
welche über das Gefühlsleben des Kranken, besonders über dessen
Sinn für Humor Aufschluß gibt und zeigt, daß der Patient nicht so
stumpf ist als er scheint.
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— 57 --
Sehr deutlich prägt sich auch die seelische Veränderung in den
Störungen der Sprache aus ^2). Die Angstzustände des Melancholikers
veranlassen den Kranken zu monotonem lauten Jammern, die De-
\l£dt^ddüdtkt^
Fig. 9a. Schriftprobe eines Paranoikers, weicher sich periodisch, veranlaßt durch
Sinnestäuschungen, für Gott hält und in diesem Zustande sich einer anderen
Schreibweise bedient, als gewöhnlich (größere Buchstaben, Verzierungen).
pression des manisch-depressiven Irreseins hemmt den Patienten am
Beden^ sodaß er leise, zögernd spricht oder nur die Lippen bewegt.
Im Gegensatz dazu besitzt der Manische Neigung zu lebhaftem,
ideenflüchtigem Schwatzen mit Vorliebe für spaßige Reime und
witzige Wortspiele. Die Sprache des Katatonikers zeigt vielfach sinn-
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~ 58 —
lose Eeimerei, ödes Phrasendresehen, die Nebeneinanderstellung von
geordneten Sätzen und unsinnigen Einschiebseln, häufige Wieder-
holung derselben Worte und Sätze (Verbigeration), sonderbare rhyth-
mische Betonung und Neubildung von merkwürdigen Worten, sodaß
ein völlig unverständliches Kauderwelsch, ein „Wortsalat" (Forel)
entsteht, der in auffälligem Gegensatz zu der Besonnenheit und klaren
Orientierung des Kranken steht. Nach Kräpelin ist die Ursache in
einem „Verlust der Fähigkeit, Vorstellungen und deren sprachliche
Zeichen in richtiger Weise miteinander zu verknüpfen" zu suchen. Viel-
Flg. 9b. Schriftprobe desselben Paranoikers, welche der von Sinnestäuschungen
freien Zeit entstammt.
leicht spielt auch die Paralogie, das absichtliche Danebensprechen
dabei eine Rolle. Der Paralytiker spricht langsam, stockend, mit
monotonem Tonfall, läßt Buchstaben und Silben aus oder verstellt
dieselben (Silbenstolpern), wendet sinnlose Worte an, vernachlässigt
den Satzbau und spricht nach Kinderart in Infinitiven.
Die schriftlichen Auslassungen der Geisteskranken ^s) sind uns
schon deshalb für die Diagnose sehr willkommen, weil viele Kranke
ihre Ideen lieber dem Papier als der Umgebung anvertrauen (Fig. 8).
Deprimierte Kranke sind allerdings schwer zum Schreiben zu be-
wegen. Meist bringen sie es nur zu wenig Worten, welche gewöhnlich
kleine, dicht aneinander gedrängte Buchstaben aufweisen. Im
Gegensatz dazu kann der Manische nicht genug Papier für seine Ab-
handlungen erhalten. Seine Schrift ist überaus schwungvoll, sehr flüchtig,
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59
C.^
Ä-
Fig. 10. Schriftprobe bei Melancholie. Der mit zitteriger Hand, offenbar eilig
geschriebene, sehr karz gehaltene Brief zeigt die ängstliche Erregung an, welche
die Kranke zum Schreiben trieb.
(ßjt^L^iM/^A (L^ilhuM }6.
^^-^^=3^
E*ig. IIa. Schriftprobe. Manisch-depressiTesIiTeseiii. Im ruhigen Zustand geschrieben.
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-^ GO —
oft unleserlich, zeigt große Buchstaben, viele Ausdruckszeichen. Der
Kranke springt kühn von einem Gedanken zum andern, produziert form-
gewandte Reime und ermüdet den Leser durch die häufigen Wieder-
holungen und die Weitschweifigkeit seiner Ergüsse (Fig. 1 1 a, ll b, lic).
Der Paralytiker läßt Buchstaben und Silben aus, stellt sie um, zeigt
zitterige Schriftzüge, verbessert sich häufig, fällt fortwährend aus dem
C^J^.<^ K.^y^<^^^^^^!^^
Fi«:. IIb. Schriftprobe. Manisch-depressives Irresein. Von demselben Kranken
im manischen Erregungszustand geschrieben.
Zusammenhang und hat vollkommen das Gefühl für Form und Anstand
verloren, indem er an die höchsten Behörden schmutzige, mit Tinte be-
fleckte, zerrissene Wische absenden will (Fig. 12a, 12b). D^ Querulant
zeigtnachEräpelin „eine unheimliche Leistungsfähigkeit in der Erzeu-
gung von Schriftstücken, die in endlosen Wiederholungen seine Klagen^
Beschwerden, Schimpfereien enthalten und meist von dicken Unter-
streichungen, Ausrufungs- und Fragezeichen, Anmerkungen und Band-
bemerkungen wimmeln, auch wohl in verschiedenfarbiger Tinte aus-
geführt werden. Überreichliche Anwendung der schriftlichen Be-
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^
Fig. llc^ Schriftprobe. Während emes lebhaften manischen Erregungs-
zustandes geschrieben.
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tonungsmittel pflegt auch von den Hysterischen geübt zu werden."
In den Schriftstücken der Katatonischen fällt die häufige Wieder-
Fig. 12a. Schriftprobe bei progressiver Paralyse: Schriftzüge unregelmäßig, un-
sicher (Ataxie), zitterig, Auslassung, Wiederholung, Umstellung von Buchstaben
und Silben. Durchstreichungen, Yerbesserungsversuche.
holung von Buchstaben und sonderbaren Zeichen, die regellose An-
wendung großer, kleiner, einfacher und verschnörkelter Buchstaben
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— 63 —
sowie das Nebeneinander von sinnlosen Wortreihen und klaren, gutes
Wissen verratenden Sätzen auf (Fig. 13, 14, 15).
Auch die Zeichnungen der Kranken vermögen uns einen Finger-
zeig für unser Urteil zu geben. Nach Mohr ^9) läßt sich aus den von
Paranoikem gefertigten Bildern öfters der Inhalt der Halluzinationen
und Verfolgungsideen herauslesen (Fig. 16). Die Erzeugnisse des schwach-
sinnigen Epileptikers lassen gewöhnlich die pedantische Grfindlich-
keit, die des Paralytikers den schwachsinnigen Größenwahn erkennen.
Der Katatoniker erfreut uns durch ganz absonderliche, symbolische,
Fig. 12 b. Schriftprobe bei progressiver Paralyse im vorgeschrittenen Stadium.
Starke Ataxie, deutliches Zittern.
oft ganz unverständliche Zeichnungen, welche durch ihre häufige
gleichartige Wiederholung, die gesuchte Art der Ausführung, die ün-
sinnigkeit des Inhalts auf Stereotypien, Manieren, Zerfahrenheit des
Denkens und Urteilsschwäche schließen lassen (Fig. 1 7). Es empfiehlt
sich, die Kranken nach Vorlagen, nach der Natur oder aus dem Kopfe
zeichnen zu lassen. Die Prüfung kann noch dadurch variiert werden,
daß die Tätigkeit spontan oder auf Aufforderung hin geschieht.
Der Prüfung der Arbeitsleistung und alltäglichen Hantierung des
Kranken, weiche eine sehr notwendige Ergänzung zur Intelligenz-
prüfung darstellt, sind naturgemäß bei einer flüchtigen Betrachtung
enge Schranken gesetzt. Auch längere Beobachtung in der Anstalt
vermag oft nicht ein vollständiges Bild zu liefern, was der Kranke
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~ 64 —
eigentlich zu leisten vermag, da die Gelegenheiten zur Arbeit daselbst
beschränkter sind als in der Außenwelt, die Wiedererweckung und
Neubildung von Gedankenkomplexen sowie das Auftauchen von
Fig. 13. Schriftprobe einer Katatonischen. Die Buchstaben in verschiedener
Ausführung und Größe. Die Worte kreuz und quer durcheinander geschrieben.
Sonderbare Schnörkel, eigenartige Interpunktion. Zahlreiche Wiederholungen.
Fortwährend wechselnde sinnlose Einfälle, Fehlen des Zusammenhangs.
Willensimpulsen durch die monotone Regelmäßigkeit des Daseins so-
^ie die mangelnde Anregung seitens der oft blöden Umgebung ver-
hindert, und der Kranke abgestumpft wird. Es fehlen eben natur-
gemäß in der Anstalt die die Intelligenz konservierenden, vielseitigen
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— 65 —
Lebensreize der Außenwelt, besonders die Anregung durch — Be-
friedigung in ideeller und materieller Beziehung gewährende — Arbeit.
Fig. 14. Schriftprobe: Wortwioderholungen und ünsinnigkeit des Inhalts bei
dementia praecox.
Fig. 15. Dichtung einer an dementia paranoides leidenden Kranken, welche sich
für einen Professor der Philosophie hält und glücklich ist, wenn sie ihr sinnloses
Phrasengeklingel jemandem vorlesen kann.
Oft leistet daher ein anscheinend völlig stumpfer Kranker nach seiner
Beurlaubung infolge der vermehrten Anregung draußen weit mehr
als von ihm erwartet wurde.
Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 5
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Fig. 16. Zeichnung einer an dementia praecox leidenden Kranken. Darstellung
(|er die* Patientin quälenden Sinnestäuschungen.
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— 67 —
Um nun, wenn es sich um eine Beurlaubung usw. bandelt, über
die gemütliche Tiefe, Anpassungsfähigkeit, Beständigkeit, Initiative
und Fähigkeit der produktiven Verwendung der Intelligenz eines
Kranken ins Klare zu kommen, kurz, um außer der Intelligenzprüfung
eine Willensprüfung, welche von ihr eigentlich nicht getrennt werden
kann, vornehmen zu können, ist es nötig, den Kranken, soweit sie
dazu imstande sind, Gelegenheit zur Betätigung zu geben. Wir lassen
sie z. B. möglichst selbständig berufliche oder häusliche Arbeiten aus-
führen, geben ihnen Geld in die Hand, um ihre Dispositionsfähigkeit
zu prüfen, lassen sie Spaziergänge und kleine Reisen unternehmen.
Fig. 17. Phantastische Zeichnung eines an dementia praecox leidenden Kranken
(früher Offizier). ^ Dieselben Zeichnungen immer wiederholt.
vermitteln schriftlichen und persönlichen Verkehr mit den Angehörigen,
beobachten sie bei dem Umgang mit Personal und Mitkranken, studieren
ihr Verhalten in der Kirche, ihr Interesse für die Leiden und Freuden
des Anstaltslebens, für die durch die Zeitungen übermittelten aktuellen
Fragen der Gegenwart usw.
Aber auch schon die alltäglichen spontanen Verrichtungen geben
uns einen Begriff davon, ob der Kranke imstande ist, einen geordneten
5*
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GedankengaDg durcbzuführeD, Zielvorstellungen festzuhalten; klar zu
urteilen, ob er ferner aufmerksam oder leicht ablenkbar, gemütlich
anregbar oder stumpf ist. Wir beachten z. B., ob der Kranke seine
Kleider in Ordnung halten kann, sauber einhergeht, ob er imstande
ist^ seinen Rock zuzuknöpfen, die Türe zu verschließen, ein Streich-
holz anzubrennen, sich ein Glas Wasser einzugießen, wie er sich
beim Grüßen, Essen, Ankleiden verhält. Doch müssen wir bei unseren
Beobachtungen uns hüten, auf Blödsinn zu schließen, solange der
Kranke gemütlich erregt und verwirrt ist, ängstliche Spannung, kata-
tonische Sperrung oder depressive Hemmung zeigt.
Fordern wir dann den Kranken auf, verschiedene Bewegungen aus-
zuführen, so müssen wir berücksichtigen, daß der Patient möglicher-
weise an Taubheit, Sprachtaubheit (mangelndes Verständnis für die
gehörten Worte), motorischer Sprachstörung, Apraxie (Unfähigkeit,
Gewolltes in Bewegung umzusetzen) leidet und dadurch unberechtigter-
weise in den Verdacht der mangelnden Intelligenz kommen kann.
Beachtet ein Kranker sprachliche Aufforderungen nicht, so ist es
daher ratsam, um Bewußtseinsstörung, tiefe Demenz mit nicht erweck-
barer Aufmerksamkeit, Mangel an gutem Willen, Sprachtaubheit oder
gewöhnliche Taubheit als Ursache seines Verhaltens festzustellen, den
Patienten durch Gesten zur Nachahmung vorgemachter Bewegungen
zu bestimmen, oder man legt ihm eine Sammlung von Gegenständen
z. B. Kuvert, Kerze, Siegellack, Petschaft, Streichhölzer, vor und ver-
sucht, ihn durch Gesten zur zweckmäßigen Benutzung der Dinge
aufzufordern. Ist dies von Erfolg begleitet, so kann nur Sprach-
taubheit oder gewöhnliche Taubheit vorliegen. Wird die Handlung
aber falsch oder ungenau ausgeführt, so kann die nach Liepmann^i)
weit verbreitete Apraxie die Ursache des Mißerfolges sein. Da die-
selbe auf einzelne Muskeln beschränkt sein kann, so muß bei der
Aufforderung zur Ausführung von Körperbewegungen die gesamte
Muskulatur durchgeprüft werden. Es gelingt so mitunter, ein nicht
apraktisches Muskelgebiet aufzufinden und durch die prompte Reaktion
desselben das Verständnis des Betreffenden für die Aufforderung zu be-
weisen und ihn von dem Verdacht des Blödsinns zu befreien. Nicht
worttaube Kranke prüft man nach Liepmann auf Apraxie, indem
man folgendes ausführen lässt:
a) einfache Bewegungen, z. B. in die Hände klatschen, die
Zunge zeigen;
b) Ausdrucksbewegungen (drohen, winken, lange Nase machen,
Gruß, Schwur);
c) Markieren von Zweckbewegungen (an die Türe klopfen,
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Fliegen fangen, Klavier spielen, klingeln, Geld aufzählen, Schwimm-
bewegung);
d) Zweckbewegungen (Zigarre rauchen, Licht anzünden, Wasser
eingießen, Marke aufkleben, quirlen, Knoten machen);
e) Nachahmen einfacher und komplizierter Bewegungen, und
zwar optisch und kinästhtetisch gegebener (dem Patient Arm und
Hand geführt). Mit Hilfe dieser Methode läßt sich der Agnostische
(Seelenblinde), der die Gegenstände nicht erkennt, von dem Aprak-
tischen unterscheiden. Ersterer wird nämlich die Handlungen unter
a) und b) (intransitive Bewegungen, bei denen das Erkennen des Ob-
jekts unwesentlich ist, und der Kranke nur auf seine Erinnerung an-
gewiesen ist) richtig ausführen, diejenigen unter c) und d) (transitive
Bewegungen, welche ein Erkennen des Objekts voraussetzen) aber
verfehlen. Der nur leicht Apraktische dagegen wird wohl die Zweck-
bewegung unter d) richtig ausführen können, weil ihm die Gegen-
stände einen Anhalt für seine Aufgaben geben, aber bei den übrigen
Bewegungen versagen. In schweren Fällen wird er keine der ver-
langten Handlungen zur Ausführung bringen können.
Zu Irrtümern kann bei der Prüfung auch die Erscheinung der
Perseveration führen, d. h. das Haftenbleiben einmal aufgetretener
Vorstellungen oder Willensimpulse. Der Kranke, der sich eben eine
Zigarre angebrannt hat, benennt jeden weiteren Gegenstand ebenfalls
als Zigarre oder steckt ihn gleichfalls in den Mund. Es kann da-
durch Seelenblindheit, Sprachtaubheit, Apraxie oder Blödsinn vor-
getäuscht werden. Der Fehler kann bei der Untersuchung nur da-
durch vermieden werden, daß immer nur die erste Reaktion als maß-
gebend angesehen, und nach jeder Bewegung oder sprachlichen
Reaktion eine größere Pause gemacht wird.
Methodik der Intelligenz- und Kenntnisprüfung.
Es ist zwar dem Erfahrenen möglich, durch eine einfache Unter-
haltung den Schwachsinn eines Menschen zu erkennen, doch gehört
zu einem exakten und gründlichen Nachweis von Intelligenzdefekten
die Benutzung bestimmter Prüfungsmethoden. Eine Intelligenz-
prüfung darf sich nun nicht auf rein gedächtnismäßige Leistungen,
z. B. Schulwissen, Rechnen, beschränken, sondern muß sich auch
auf die Kontrolle der Auffassung von Sinneseindrücken, des Gedächt-
nisses (Erinnerungen an frühere Vorgänge), der Merkfähigkeit (Er-
innerung an Erlebnisse der jüngsten Zeit), der Aufmerksamkeit, der
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— 70 —
Ordnung des Vorsteliungsablaufs, des Urteilens uud Schließens sowie
des Selbstbewußtseins erstrecken. Leider sind gerade die höheren
psychischen Prozesse, wie Initiative, Geschmack, Verständnis für
feineren Witz, schöpferische Gestaltungskraft einer genaueren Be-
obachtung sehr wenig zugänglich. Wir müssen uns daher bewußt
bleiben, daß die Wissens- und Intelligenzprüfung uns nicht ein all-
seitiges Bild der höheren Geistestätigkeit des zu Prüfenden geben
können, sondern daß die Beobachtung des ganzen Verhaltens, der
Lebensführung des Kranken, die Kritik der produktiven Verwertung
seiner Fähigkeit, die Würdigung seiner Arbeitstätigkeit — alles immer
im Vergleich zu den früheren Leistungen — hinzukommen muß.
Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß durch gemütliche Erregung,
halluzinatorische Verwirrtheit, Bewußtseinstrübung, ängstliche Spannung,
katatonische Sperrung, depressive Hemmung, geistige Erschöpfung,
schwere körperliche Indisposition, Intelligenzmangel vorgetäuscht
werden kann. Technische Schwierigkeiten erwachsen dem Prüfenden
mitunter durch den Mangel an gutem Willen seitens des Kranken.
Um nun einen Maßstab dessen zu finden, was man bei einer Intelli-
genzprüfung verlangen kann, muß man über die früheren Leistungen
des Prüflings orientiert sein, sowie Alter, Geschlecht, Herkunft, Er-
ziehung, Bildungsgelegenheit und Beruf berücksichtigen.
L
Rodenwaldt (60) hat sich bemüht, durch Untersuchung Gesunder
einen derartigen Maßstab für Wissens- und Intelligenzprüfungen
Geisteskranker an die Hand zu geben. Er nahm z. B. eine Kennt-
nisprüfung bei 174 Kavallerierekruten (Arbeiter und Landbewohner
einiger Provinzen Preußens) in der Weise vor, daß er Stichproben
aus allen Wissensgebieten entnahm, deren Kenntnis man beim Volke
voraussetzen kann. Verfasser sagt am Schlüsse seiner Arbeit: Das
Resultat der Untersuchung, im allgemeinen betrachtet, ergibt einen
derartigen Tiefstand des geistigen Inventars, eine solche Fülle nicht
erwarteter Defekte in großem Prozentsatze, wie sie bisher in der
psychiatrischen Literatur niemals angenommen wurde. So weit man
Defektstörungen zur Diagnose der Imbecillität, Dementia praecox,
Paralyse usw. angestellt findet, werden Defekte schon als charakte-
ristisch für krankhafte Zustände angenommen, die die Mehrzahl der
von mir untersuchten Leute als hochgradig geisteskrank erscheinen
lassen würden. ... In der Psychiatrie kann jedenfalls eine reine
Prüfung der Wissensdefekte nicht verwendbare Defekte ergeben, denn
jeden Defekt des Wissens kann man auch beim Gesunden erwarten.^ '^
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— Ti-
ll.
Ähnliche ungünstige Erfahrungen wie Eodenwaldt machten Pasta
Lombroso — Carrara und Mario Carrara — Turin bei einer psychi-
schen Untersuchung niederer italienischer Volkskreise (^s). Das Er-
gebnis der Umfrage, welche sich auf die Erklärung einer Anzahl von
das Gebiet der reinen Vernunft sowohl als das ethische Empfinden
betreffenden Begriffen, wie Astronomie, Mikroskop, Kolonie, Aus-
wanderung, Universität, Missionar, Gerichtshof, Handel, Sparsamkeit,
eingeboren, ungerecht usw., bezog, war folgendes: „Aus einer zu-
sammenfassenden Beurteilung aller dieser Äußerungen ergibt sich
demnach als eigentlicher und wesentlicher Bestandteil der niederen
Volksseele eine außerordentliche Trägheit des Gedankens, eine unab-
änderliche Teilnahmlosigkeit gegen die umgebende Welt, was Politik,
Religion, Kultur im allgemeinen anbelangt. Kein Kritikvermögen,
keine Auflehnung gegen das Hergebrachte. Nirgends ein Anzeichen,
daß im Verlaufe des besten Mannesalters, von den zwanziger zu den
sechziger Jahren, die Ideen dieser Volksschicht sich etwa ausgestalten,
erweitem und klären, sondern sie bleiben im Geiste des Erwachsenen
dieselben wie in der Jugend.
Die Ursachen dieses schwerwiegenden Umstandes sind nicht in
einem Mangel an geistiger Begabung zu suchen — denn viele unter den
Befragten müssen als sehr intelligent bezeichnet werden — , sondern
vielmehr in der stets sich gleichbleibenden Umgebung, in der Junge
und Alte ihr Leben hinbringen, der sie ihre Eindrücke entnehmen,
in der dieselben Arbeiten, derselbe Umgang, die gleichen Gespräche
und Ereignisse im grellen Gegensatz zum raschen Wechsel der Ein-
drücke im Leben höherer Stände ihrem Dasein das Gepräge unfrucht-
barster Eintönigkeit verleihen."
Während also das Ergebnis der Kenntnisprüfung im allgemeinen
nicht als Maßstab zur Unterscheidung von geistig gesund und krank
angenommen werden kann, glaubt Rodenwaldt aus der Art der Re-
aktion auf die Begabung schließen zu dürfen. Begabte werden z. B.
besser über ihren Besitzstand orientiert sein als Unbegabte, werden
nicht ins Blaue hineinreden, sondern lieber sagen: „das weiß ich
nicht". Ferner ist für die Beurteilung der Begabung wichtig, ob der
Betreffende vermag, sich aus seiner gewohnten Denkweise in
eine andere hineinzudenken, z. B. beim Rückwärtsaufzählen des
Alphabets. Endlich ist es wesentlich, ob er imstande ist, charakte-
ristische Definitionen zu geben und sich bei ungewohnten Fragen mit
seinem Wissen behelfen kann. Leute mit auffälligen Defekten und
sehr langer Reaktionszeit gelten auch im praktischen Dienst für
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— 72 —
dumm. Nach Berze (2) hätte Eodenwaldt außer den allgemeinen
Kenntnissen nach die ^speziellen Berufskenntnisse und die Kenntnisse,
die im speziellen Falle nach dem Bildungsgrad derjenigen Personen,
die auf das Individuum bildend eingewirkt haben, zu erwarten waren,
prüfen müssen . . . Eine Art verminderte Maturitätsprüfung, wie man
die Inventaraufnahmen nach Art der Eodenwaldt'schen nennen möchte
kann da nicht zum Ziele führen".
III.
An anderer Stelle (^0 gibt Eodenwaldt ein Schema für eine
Intelligenzprüfung. Intelligenz ist nach ihm „die Fähigkeit der Psyche^
ihren Vorstellungen in möglichst kurzer Zeit, auf kürzestem Wege
und mit geringster Behinderung diejenige Bereitstellung zu geben,
die zur zweckmäßigen Reaktion nötig ist, kürzer: Die Anpassung der
Psyche an den Zweck. Die Prüfung dieser Fähigkeit muß also darauf
hinauslaufen, festzustellen, wie weit der untersuchte imstande ist
1. in seinem Besitze befindliche Vorstellungen aus alten festen,
lange bestehenden, gewohnten Verbindungen zu lösen und in andere
überzuführen, und
2) wieweit er imstande ist, gar nicht oder nur locker verknüpfte
aus ferneren Komplexen herbeizuholen und neu einzuordnen, dies also
seine Assoziationsbreite. Jn der Lösung mehr als in der Schließung
der Assoziationen liegt die Intelligenzleistung. ... Es handelt sich
nur darum, daß bewußt die einfache sich aufdrängende Assoziation
ausgeschaltet wird und eine stärkere Willensbetonung auf eine schwä-
chere gelegt wird. . . . Hier fällt also die Leistung der IntelUgenz
ganz und gar mit dem Willen zusammen, dem Willen, der das Alte
vernichtet und das Neue, Zweckmäßigere sucht, dem Willen, den wir
überhaupt wirkend in dem ganzen Leben unserer Natur erkennen.
. . . Und größeren, weitsichtigen Aufgaben gegenüber wird derjenige
am besten bestehen, der neben jener Eigenschaft, zu lösen und den
kürzesten Weg zu finden, die größte Assoziationsbreite besitzt. . . .
Nietzsches Zauber auf die Gemüter junger Menschen beruht gewiß
zum großen Teile auf seinen verblüffenden Gedankensprüngen, also
seiner enormen Assoziationsbreite.
Prüfungs-Schema.
A) Prüfung des Vermögens, Vorstellungen zu erwerben.
I) der Bedingungen des Erkennens,
a) körperliche Untersuchung der Sinnesorgane,
b) Aufmerksamkeit,
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— 73 —
1) abgelenkte, auf Nebendinge gerichtete Aufmerksamkeit
(während intensiver Befragung gleichgültige Handlungen
vornehmen),
2) spontane (unwillkürliche) Aufmerksamkeit (Prüfung un-
auffällig abbrechen, den Prüfling sich selbst überlassen,
nach 5 Minuten die Augen schließen und angeben lassen,
was sich in der Stube befindet),
3) angespannte Aufmerksamkeit. (Nach Stern'scher Methode
geprüft, nach welcher die Reproduktion von durch ange-
spannte Aufmerksamkeit erworbenen Vorstellungen nach
einiger Zeit wiederverlangt wird),
c) Merkfähigkeit (Geprüft nach Ebbinghaus, Über eine neue
Methode zur Prüfung geistiger Fähigkeiten. Hamburg,
Leipzig 1897, Seite 16),
II) der reinen Erkenntnis selbst (geprüft durch Lachen nach ver-
standenem Witz, vom feinem Witz zum gröberen herabgehen,
bis Reaktion des Lachens eintritt),
B) Prüfung des Vorstellungsschatzes (Kenntnisprüfung) und Prüfung
der Erkenntnis des Sinnes und Grundes der Vorstellungen.
la) lineare Prüfung durch Aufzählenlassen (Prüfung, wieweit
jemand aneinandergefügte Begriffsreihen besitzt)
1) A B C,
2) Wochentage,
3) Monate,
4) Jahreszeiten,
5) Zahlenreihen (höhere über 300, gerade und ungerade),
6) militärische Vorgesetzte,
b) planimetrische Prüfungen
1) Horizont der örtlichen Orientierung(Himmelsrichtungen z.B.)
2. Horizont der religiösen Orientierung,
3. ,, „ sozialen „ ,
4. „ „ geographischen,, ,
5. „ „ historischen „ ,
c. stereometrische Prüfung (der geistigen Kapazität),
1. Gedächtnisprüfung nach Stern (Patient über ein vor eini-
gen Wochen gezeigtes Bild befragen),
2. Schulkinder: Pensum einer Klasse vor und nach Absol-
vierung eines neuen Pensums (prüfen, welche neuen Vor-
stellungen die alten verdrängt haben),
3. Einschränkung der Kapazität bei
a) Gefangenen,
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— 74 —
b) lange bettlägerigen Kranken,
c) Reservisten,
4. Erweiterung der Kapazität bei Soldaten. Prüfung am
Anfang und Ende der Dienstzeit.
5. Notwendige Inkubationsdauer und Intensität aktueller Ge-
schehnisse.
II. Die Erkenntnis des Sinnes der Vorstellungen,
a) Definition 1 1 ^) konkreter Begriffe
b) Unterscheidungen ) | b) einfacher abstrakter Begriffe (z. B.
Bescheidenheit, Frömmigkeit, Gans-
Ente, Pferd-Esel, Berg- Gebirge).
III. Erkenntnis des Grundes der Vorstellungea Einfache Fragen
(und Weiterfragen), z. B.: Warum läuft ein Wagen besser auf
glattem Boden? Warum erlischt ein Licht, wenn ich es mit
Glas bedecke? Was schwimmt oben, was geht unter, Kork
oder Eisen? Warum?
C) Prüfung der Wirksamkeit des Intellekts mit Hilfe der vorhandenen
Begriffe (Kombinationsfähigkeit = Fähigkeit, mit seinen Begriffen
zweckmäßig zu arbeiten).
Die Kenntnisprüfung muß als sichere Grundlage vorliegen,
ehe man Leistungen verlangt. Geistiges Unvermögen liegt mit-
unter am Fehlen der Begriffe.
1. Rückwärtsherzählungen.
a) Wochentage,
b) Monate,
c) militärische Vorgesetzte,
d) A B C (sehr schwer).
2. eingekleidete Rechenaufgaben (nach vorherigem Feststellen des
Rechenvermögens), a) Addition, b) Subtraktion, c) Multiplikation
d) Division.
3. Aufsuchen von Gleichklängen (reimen).^
IV. Intelligenzprüfung nach Ernst Schulze und Karl Rühs {^^).
Anknüpfend an eine von der Medizinalabteilung des Königlich
Preußischen Kriegsministeriums herausgegebene Arbeit: „Über die
Feststellung regelwidriger Geisteszustände bei Heerespflichtigen und
Heeresangehörigen ^^ im 30. Heft der „Veröffentlichungen aus dem
Gebiete des Militärsanitätswesens" 1905 haben Ernst Schulze und
Karl Rühs {^^) folgendes Schema zur Intelligenzprüfung zusammen-
gestellt:
1. Wie heißen Sie? 2. Was sind Sie von Beruf? 3. Konfession?
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— 75 —
4. Wann sind Sie geboren? 5. Wo geboren? 6. Wie alt sind Sie?
7. Wieviel Einwohner bat Ihr Wohnort? 8. An welchem Flusse liegt
Jhr Wohnort? 9. Bei welchem Gebirge? 10. Bei welcher größeren
Stadt? 11. Seit wann sind Sie Soldat? 12. Wie heißt Ihr Regiment?
13. Farbenproben? 14. Wieviel kostet eine Semmel? 15. Ein Stadt-
bahnbillet? 16. Ein Morgen Land? 17. Wieviel Klassen gibt es
auf der Eisenbahn? 18. Welche ist die billigste? 19. Wie reist man
nach Amerika? 20. Woraus wird Brot gemacht? 21. Woher kommt
Most? 22. Wann werden die Blätter welk? 23. Wann ist die Ernte?
24. Wann ist Weihnachten? 25. Wieviel Tage hat die Woche?
26. Wieviel Tage hat der Monat? 27. das Jahr? 28. das Schalt-
jahr? 29. Wie heißen die Wochentage? 30. die Monate? 31. Wieviel
Beine hat der Maikäfer? 32. Wieviel Pfennige hat ein Taler?
33. Wieviel Pfennige hat ein halber Taler? 34. Wenn Sie beim
Kaufmann für 1,67 M Waren kaufen und geben einen Taler hin,
wieviel bekommen Sie zurück? 35. Farbe einer Zehnpfennigmarke?
36. einer Fünf pfennigmarke? 37. Wenn ich eine Zahl, die ich mir
denke, mit 3 multipliziere, kommt heraus, welche Zahl habe ich
mir gedacht? 38. Unterschied zwischen Zehnpfennigstück und Mark-
stück? 39. Zwischen Baum und Strauch? 40. Zwischen Fluß und
Teich? 41. Zwischen Korb und Kiste? 42. Zwischen Irrtum und
Lüge? 43. Nennen Sie mir ein Beispiel von Dankbarkeit, 44. von
Neid. 45. Was ist das Gegenteil von Tapferkeit? 46. Kurze und
einfache Geschichte, die ein undankbares Betragen schildern soll ?
47. Die Zahlenreihen 9, 7, 6, 8, 5, 3 soll der Untersuchte in derselben
Reihenfolge nachsprechen. 48. Man stelle fest, ob der Untersuchte
die unter No. 34 vor etwa 5 Minuten getane Frage noch anzugeben
weiß. 49. Namen der Vorgesetzten? 50. Wochentage rückwärts?
51. Monatsnamen rükwärts? 52. Ein Bild beschreiben und erklären
lassen. 53. Man erzähle eine kurze, einfache Geschichte, lasse sie
wiedererzählen und stelle fest, ob das Wesentliche erfaßt ist. 54.
Ebbinghaussche Methode. Beispiel : Es war — mal ein Sold — , der
hat — dem Kön — lange J. — treu ged — ; als ab — der Kr —
zu Ende war, und der S — , der vielen Wun — wegen, die — empf —
h — , — weiter dienen kon — , sprach der K — zu ihm .... 55.
Masselonsche Methode: Der Untersuchte soll aus drei ihm genannten
Wörtern einen Satz bilden.
Beispiele: Jäger, Hase, Feld; Soldat, Gewehr, Hand; Wasser,
Berg, Tal; Sonne, Fenster, Stube; Vogel, Baum, Nest; Frau, Milch
Butter; Richter, Dieb, Gefängnis.
Den Prüflingen wurde verboten, über die Prüfung mit anderen
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— 76 —
zu sprechen, um Beeinflussung zu vermeiden. Eine neue Frage wurde
erst dann gestellt, wenn der Prüfende die Überzeugung gewann,
weiteres Warten sei zwecklos. Der von Bleuler betonte Emotions-
stupor wurde dadurch möglichst ausgeschaltet, daß der Prüfende ein
Zivilarzt war.
Nach Berze(2) ist es ^nötig, daß die Fragen des Schemas möglichst
geringe Anforderungen an den zu Prüfenden stellen, vor allem nicht
etwa Gegenstände, deren Kenntnis „Bildung" voraussetzt, sondern nur
solche, die das Leben dem Individuum aufzudrängen pflegt, betrief fen;
dieser Bedingung entspricht das von Schulze und Rühs untersuchte
Schema wohl unter allen bisher bekannt gewordenen Fragenzusammen-
stellungen noch am besten. Und wesentlich erhöht wird die Brauch-
barkeit des Schemas für den bezeichneten Zweck noch, wenn die
Fragen nicht nur dem Zweck der Inventarprüfung, sondern auch dem
der direkten Intelligenzprüfung entsprechen, was für das in Rede
stehende Schema gleich zutrifft, zumal sich, wie Schulze und Rühs
betonen, aus der Fragensammlung ganz gut „15 Wissensfragen 15
Urteilsfragen gegenüberstellen" ließen. — Über die Erkennung des
schon ziemlich hochgradigen Schwachsinns hinaus reicht aber die
Brauchbarkeit des untersuchten Schemas und wahrscheinlich jedes
anderen denkbaren Schemas nicht."
Sommers ^.Schema zur Untersuchung von Geisteskranken" (^*).
Professor Sommer, welcher für psychologische Laboratoriums-
versuche zahlreiche, komplizierte, exakt arbeitende Instrumente erdacht
hat, hebt in seinem Lehrbuch (37) hervor, daß sich für die gewöhn-
liche klinische Untersuchung Geisteskranker möglichst einfache, immer
mit denselben Reizen arbeitende Methoden empfehlen, damit durch
Anstellung gleichartiger Versuche an einem großen Material vergleich-
bare Resultate beschafft werden können. Er hat daher ein Schema
entworfen, welches folgende Fragen behandelt: (die Fragen über den
körperlichen Zustand (A) und die Entwickelung der Krankheit (B)
sollen hier unberücksichtigt bleiben.)
C. Psychologischer Zustand.
I. Sprache: Nach Prüfung des motorischen Gebietes (Stottern,
Stammeln, Paresen, Zuckungen, Mitbewegungen etc.) Feststellung der
Erscheinungen im sensorischen Gebiete (Wortgedächtnis, Paraphasie,
Iterativerscheinungen etc.).
IL Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Orientiertheit.
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— 77 —
Genaue Darstellung der Keaktionen in sprachlicher und physio-
gnomischer Beziehung auf folgende Fragen:
1. Wie heißen Sie?
2. Was sind Sie?
3. Wie alt sind Sie ?
4. Wo sind Sie zu Hause?
5. Welches Jahr haben wir jetzt?
6. Welchen Monat haben wir jetzt?
7. Welchen Tag im Monat haben wir heute?
8. Welchen Wochentag haben wir heute?
9. Wie lange sind Sie hier?
10. In welcher Stadt sind Sie?
11. In was für einem Hause sind Sie?
12. Wer hat Sie hierher gebracht?
13. Was sind die Leute in diesem Hause?
14. Wer bin ich?
15. Wo waren Sie vor acht Tagen?
16. Wo waren Sie vor einem Monat?
17. Wo waren Sie vorige Weihnachten?
18. Sind Sie traurig?
19. Sind Sie krank?
20. Werden Sie verfolgt?
21. Werden Sie verspottet?
22. Hören Sie schimpfende Stimmen?
23. Sehen Sie schreckhafte Gestalten?
24. Warum frage ich Sie dies alles?
III. Gedächtnis: Fähigkeit der Reproduktion a) für längst Er-
lebtes, b) für jüngst Vergangenes. Gedächtnislücken, Fähigkeit, neue
Eindrücke zu wecken.
IV. Schulkenntnisse, besonders betreffend folgende Fragen:
1. Alphabet,
2. Zahlenreihe,
3. Monatsnamen,
5. Wochentage,
5. Vater unser,
6. Zehn Gebote,
7. Deutschland, Deutschland über alles,
8. Wie heißen die größten Flüsse Deutschlands?
9. Wie heißen die Hauptgebirge in Deutschland?
10. Wie heißen die deutschen Bundesstaaten?
11. Wie heißt die Hauptstadt von:
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— 78 —
a) Deutschland?
b) Preußen?
c) Sachsen?
(1) Bayern?
e) Württemberg?
f) Hessen?
12. Zu welchem Staate gehören Sie?
13. Wer führte 1870 Krieg?
16. Wer führte 1866 Krieg?
15. Wie heißt der jetzige deutsche Kaiser?
16. Wann starb Kaiser Wilhelm L?
V. Rechenvermögen: Genaue Darstellung der Reaktionen in
rechnerischer und sonstiger Beziehung auf folgende Fragen (Siebe
nebenstehende Tabelle).
VI. Untersuchung der Schrift: Schriftprobe (womöglich Name,
Heimat, Geburtstag, Stand). Auffallende Merkmale der Schrift, u. a.
Beschaffenheit der einzelnen Buchstaben (z. B. Zittererschemungen),
Verbindung derselben zu Worten, z. B. Auslassung von Buchstaben;
Verbindung zu Sätzen, z. B. Fehlen des grammatikalischen Zusammen-
hanges, Umstellungen.
VII. Sinnestäuschungen. Verursachung durch äußere Eindrücke
oder Reizzustände im Nervensystem. Bezeichnung des oder der
Sinnesgebiete. Konstanter oder wechselnder Charakter der Sinnes-
täuschungen. Beziehung zur Vorstellungsbildung. Elementare Sinnes-
täuschungen, Gedankenlautwerden.
VIII. Wahnideen. Vorsichtige Prüfung, ob Wahnbildung über-
haupt vorliegt, besonders bei Klagen über Zurücksetzung, Eifersuchts-
ideen, u. a. Qualität der Wahnbildung, Verfolgungs- und Größen-
wahn, konstanter oder wechselnder Charakter der Wahnbildung, Art
der Verknüpfung der Ideen, Beeinflussung durch Stimmungen.
IX. Beeinflußbarkeit, Einfluß von psychischen Momenten, beson-
ders Beeinflussung durch Vorstellungen. Suggestibilität im Gebiet der
Muskelzustände.
X. Assoziationen. Assoziative Verknüpfung in den spontanen
Äußerungen des Kranken. Prüfung der Reaktionen auf zugerufene
Reizworte.
XI. Urteilsvermögen. Mangelhafte Beurteilung der Umgebung,
Mangel an Selbstkritik, Mangel an Urteil in geschäftlichen Angelegen-
heiten, Zeichen von Schwachsinn.
XII. Stimmungsanomalien. Qualität der Stimmung, innere oder
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Aufgabe
Antwort
Zeit
Bemerkungen
1.
ix 3«
?
2x 4
3x 5
4x 6
bx 7
6X 8
Ix 9
8x10
9xU
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1
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-44
111.
3- 1«
?
8- 3
13— 5
18-7
29- 10
40-13
51 — 16
62 — 19
73i- 22
84—15
IV.
2: 1 =
?
8: 2
18: 3
32: 4
50: 5
18: 6
35: 7
56: 8
81: 9
101:10
(X - 3 = 14)
X-?
(X -1-5-11)
x = ?
UX7 = 35)
x==?
(X : <
^« 5)
X-?
äußere Ursachen derselben, Konstanz oder Wechsel der Stimmung,
physiognomischer Ausdruck der Stimmung, sonstige körperliche Be-
gleiterscheinungen, z. B. bei Angst. Einfluß auf den Vorstellungsablauf.
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— 80 —
XIII. Störungen des Willens. Unterscheidung der psycho-
motorischen von den unwillküriichen Muskelspannungen. Erreglich-
keit der motorischen Sphäre, Ausdauer der Innervationen, Katalepsie,
Negativismus, Stereotypie an Haltungen und Bewegungen. Beziehung
auf bestimmte Vorstellungskomplexe. Abnorme Richtungen des Wollens;.
Perversitäten.
XIV. Zwangsvorstellungen. Art der zwangsmäßig auftretenden
Antriebe. Einfache Antriebe bei Tic convulsif, Zwangsbewegungen.
Zwangshandlungen besonders im sprachlichen Gebiet, zwangsmäßig
auftretende Ideen. Reaktion des Bewußtseins auf die Zwangsimpulse,
subjektives Gefühl des Zwanges bei „Zwangsvorstellungen" im engeren
Sinne, Beziehung derselben zur sozialen Umgebung.
XV. Soziales Verhalten. Unreinlich keit, Störung der Umgebung
durch Schreien u. s. f., aggressives Verhalten. Gemeingefährlichkeit
D. Besondere Wahrnehmungen.
E. Wesentliche Symptome.
(Unter Hinweis auf obigen Befund) Diagnose mit bestimmter
Äußerung, ob Geisteskrankheit vorliegt.
usw.
Dem Einwurfe, die Fragen seien zu einfach und plump, begegnet
Sommer mit folgender Bemerkung: „Nichtsdestoweniger sind bei der
Prüfung einer größeren Reihe von Fällen mit dieser Reihe einfacher
Fragen nicht bloß die Grundzüge einer Anzahl von Erankheits-
zuständen in sehr deutlicher Weise herausgestellt worden, sondern es
haben sich mehrfach durch die leichtere Vergleichbarkeit der Resultate
wichtige dififerenzialdiagnostische Gesichtspunkte ergeben. Ferner hat
sich die Methode als brauchbar erwiesen, um die Art des Ablaufes
von Geisteskrankheiten in übersichtlicher Weise darzustellen." Wesent-
lich ist noch, daß durch die als Reize wirkenden Fragen nicht nur
Schulkenntnisse etc. ermittelt, sondern durch die Art der Reaktion
und die mimischen sowie pantomimischen Begleiterscheinungen die
Grundeigentümlichkeiten des betreffenden Zustandes klargestellt wer-
den. Bei den einzelnen Psychosen haben sich folgende Besonder-
heiten herausgestellt:
ad II) Paralyse: Zeitliche und räumliche Orientierung Le-
rächtlich gestört, persönliche Orientiertheit öfters erhalten. Hervor-
tretende körperliche Beschwerden. Sprachliche Iterativerscheinungeu
(auch bei Katatonie, Epilepsie). Mangel an traurigem Affekt, oft
Euphorie. Isolierte Gedächtnisstörungen mit periodischen Schwan-
kungen. Erinnerungstäuschungen. Partielle Defekte im Gebiete der
Sprache und des Schriftverständnisses.
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— 81 —
Katatonie. Stereotypische Wiederkehr bestimmter Phrasen.
Maniriertheit einzelner Antworten. Großer Reichtum des verwendeten
Wort- und Vorsteliungsmaterials. Interkurrentes Ausbleiben einer
Antwort infolge momentaner Hemmung. Überraschende Verbindung
von Orientiertheit mit scheinbarer Verwirrtheit und Erinnerungs-
täuschungen, wobei es sich in Wahrheit offenbar um willkürliche Zu-
taten, Verdrehungen und Abschweifungen handelt (Paralogie). An-
scheinende Wahnideen sind oft bloße Spielereien mit hochtönenden
Worten. Es fehlt die assoziative Weiterbildung der Elemente d^
Frage in der Antwort.
Melancholie: Völlige Orientiertheit. Ängstlichkeit. Ratlosig-
keit. Krankheitsgefühl. Hemmung.
Paranoia: Orientiertheit. Wahnideen selbständig, entspringen
nicht Stimmungsanomalien. Mitunter sonderbare, unverständliche
Sätze, assoziative Weitschweifigkeit, partielle ünorientiertheit = Be-
ginn der sprachlichen Verfallserscheinungen des späteren Verlaufs der
Paranoia. Zuletzt verworrenes Konfabulieren.
A m e n t i a : ünorientiertheit
Manie: Orientiertheit. Störung der Assoziationen (Ideenflucht)
ad III) Erinnerung an Vorgänge bei der Aufnahme. Fähigkeit,
sich an Umgebung, Namen des Pflegers etc. zu erinnern. Ereignisse
rückwärts bis zum Ausbruch der Krankheit, Zeitdauer des Aufent-
halts in der Anstalt und die während desselben fortlaufende Kette
von Ereignissen. Erinnerung an optische (bunte Blätter, Wolle,
Lichter, Bilder, Selbstbetrachtung des Kranken im Spiegel, eventuell
mit verschiedenen Kopfbedeckungen) und akustische Reize (Geräusche,
ungewöhnliche sprachliche Ausdrücke).
ad IV).
a) Bei nicht paralytischem Schwachsinn oft Schulkenntnisse gut
erhalten. Das Erhaltensein der Schulkenntnisse bildet daher keinen
Maßstab für geistige Gesundheit
b) Bei angeborenem Schwachsinn oft gutes mechanisches, aber
mangelndes logisches Gedächtnis.
o) Bei paralytischem und epileptischem Schwachsinn periodische
Schwankungen in den Kenntnissen.
d) Bei katatonischem Schwachsinn oft nicht Unwissenheit, sondern
bewußtes Danebenreden.
e) Bei Paralyse früh Defekt in den Schulkenntnissen, besonders
in gedächtnismäßigen Reihen.
f) Bei Melancholie oft Schein der Unwissenheit infolge der Be-
hauptung des Nicht-Könnens.
Dost, Kürzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 6
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— 82 —
g) „Psychische Erkrankungen verschiedenster Art zeigen sich
bei der Prüfung der Schulkenntnisse oft nicht durch Unwissenheit,
sondern durch Anknüpfung lose zusammenhängender Beden an die
Fragen oder durch Reaktionen, die mit pathologischen Ideen zu-
sammenhängen.^
ad V. Zu beachten sind die Art der Lösung, Zeitdauer der-
selben, physiognomische und sprachliche Nebenerscheinungen, peri-
odische Schwankungen, fortschreitender intellektueller Zerfall,
Hemmung, Stereotypien, innere Ablenkung. Am leichtesten ist
Multiplikation, am schwersten Division.
Katatonie: Oft auffälliges Danebenrechnen neben guter Leistung.
Oft lange Reaktionszeit, besonders bei den verkehrtesten Lösungen.
Negativismus (Erfassen und Wegwerten des Bleistifts). Benehmen
(Herumrutschen auf dem Stuhl). Unvermögen durch Stereotypie,
Hemmung, Negativismus, Paralogie vorgetäuscht. Physiognomische
Sonderbarkeiten.
Iterativ- (Wiederholungs-)Er8cheinungen. Nachwirkung von Ele-
menten vorher perzipierter Zahlworte.
Epilepsie: Periodische Störungen.
Paralyse: Fortschreitender Verfall der Rechenfähigkeit.
Angeborner Schwachsinn. Rechnen gelernt, so werden
die Lösungen, die nichts sind als Wortassoziationen, mit großer Ge-
schwindigkeit vorgebracht. Fehler sind meist Verwechselungen, in-
dem Gheder der gelernten Reihe übersprungen werden. Lernen oft
Multiplikation und Addition.
Paranoia. Mitunter lange Pausen, in denen Patient Wahn-
ideen vorbringt, also Ablenkung durch innere Vorgänge. Rechen-
leistung sonst gut
ad X. Angeborener Schwachsinn: Ärmlichkeit der Vor-
stellungskreise. Zum Teil Mangel an Assoziationen, besonders in der
begrifflichen Sphäre. Reden umständlich. Vertrautheit mit gewissen
Tätigkeiten und Handgriffen in der beschränkten Sphäre der engeren
Umgebung. An ganz unpassender Stelle Freude an Putz etc.
Epileptischer Schwachsinn: Große Dürftigkeit des Vor-
stellungsschatzes, der sich meist nur auf die Gegenstände der un-
mittelbaren Umgebung bezieht. Wiederkehren oft Worte, die Gegenstände
der gegenwärtigen Umgebung bezeichnen. Reaktionszeiten sehr lang.
Epilepsie ohne deutlichen Schwachsinn: Betonung von
egozentrischen und religiösen Vorstellungen (Patient steht zu Gott in
besonders enger Beziehung). Unterwürfigkeit, süßliche Höflichkeit
Stereotype Wiederkehr derselben Vorstellungen auf die verschiedensten
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Eeizworte. Stehende Redensarten, Gemeinplätze. Überwiegen der
Tätigkeitsvorstellungen (entspricht dem vielgeschäftigen Wesen des
Epileptikers).
Katatonischer Schwachsinn: Unter normalen Asso-
ziationen plötzlich sonderbare Phrasen, Witze, gar keine Antworten
oder ganz verkehrte. Wiederholung früherer Antworten an un-
passender Stelle. Wechsel von kurzer Reaktion und langen Wort-
folgen. Viel Negationen. Die längeren inkohärenten Wortreihen
leicht mit manischer Ideenflucht verwechselt. An Stelle der eigent-
lichen Reaktion auf die Reizworte treten Vorstellungsreihen aus seinem
allgemeinen Gedankenkreis ins Bewußtsein. Das Innere tiberwiegt
demnach über den äußeren Reiz.
Manie: Besonders Klangassoziationen, Bildung von Wortreihen
Ideenflucht, Zurücktreten der Stereotypie. Klangassoziation bedeutet
den Übergang einer Vorstellung zu einer benachbarten, Wiederholung
dös Reizwortes dagegen eine Art Hemmung und Einschränkung auf
den Reiz, welche dem raschen Übergang von einer Vorstellung auf
die andere entgegenwirkt. Das Ansteigen der Wiederholungs-
erscheinungen bei Verminderung der Klangassoziation bedeutet daher
nach Sommer, daß das zernbrale Gleichgewicht beginnt, sich wieder
einzustellen.
„Die Methode gewährt demnach die Möglichkeit, nicht bloß be-
stimmte psychopathische Symptome als vorhanden zu konstatieren,
sondern sie auch zahlenmäßig festzulegen und in gewissem Sinne
meßbar zu machen, was das nächste Ziel einer exakten Symptomen-
lehre sein muß. Femer bietet sie überraschende Einblicke in das
gegenseitige Verhältnis bestimmter Grundphänomene und in die
phsycho- physiologische Bedeutung gewisser Symptom Verbindungen,
deren Studium notwendig ist, wenn aus einer bloßen Symptomen-
lehre eine wahrhaft physiologische Psychopathologie hervor-
gehen soll."
VI. Intelligenzprüfung nach Ziehen — Redepenning ^^j.
Die aus dem Riegerschen Schema ^^) hervorgegangene, von
Redepenning modifizierte Ziehensche Prüfungsmethode hat den Vor-
teil, von einfachen bis zu schwierigen, psychologisch geordneten
Fragen schrittweise aufzusteigen. Redepenning betont allerdings in
seinem Aufsatze, daß gerade die Faktoren, welche den Maßstab ab-
geben für die produktive Anwendung des Urteils und die Fähigkeit
des Kranken, sich in der Außenwelt in einer entsprechenden Lebens-
stellung zu behaupten (die höheren Gefühls- und Willensvorgänge),
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durch die Methode sich nicht scharf herausstellen lassen, sondern der
einfachen Beobachtung überlassen bleiben müssen, welche nach
Gramer ^den individuellen Unterschieden der Kranken in ihren be-
sonderen Beziehungs- und Standesverhältnissen eher Rechnung tragen
und persönliche Eigentümlichkeiten leichter berücksichtigen kann."
Schema:
A) Besitz von Vorstellungen.
1. Individuelle,
Erkennt der Kranke optisch wieder Personen seiner Umgebung,
sein Wohnhaus, Wohnzimmer, Bett, die Straße seines Wohnhauses,
erkennt er bildliche Darstellungen derselben Objekte wieder, erkennt
er Personen an der Stimme wieder? Die Bekanntheitsqualität ist
festzustellen dadurch, daß man nicht nur fragt: was ist das? sondern
auch: kennen Sie das und wann haben Sie das gesehen?
2. Allgemeine Vorstellungen 1. Grades.
a) Einfache:
1. Optische Vorstellungen: erkennt der Kranke die einzelnen
Farben wieder, bezeichnet er sie richtig, wählt er benannte Farben
unter verschiedenen farbigen Täfelchen richtig aus, vermag er andere
Gegenstände von derselben Farbe zu nennen?
2. Akustische Vorstellungen: erkennt der Kranke bei Augen-
schluß das Hasseln von Schlüsseln, den Klang der Glocke, das Ticken
der Uhr?
3. Taktile, thermische, kinästhetische Vorstellungen bei Augen-
schluß: weich, hart, spitz, stumpf, warm, kalt, leicht, schwer.
4. Olfaktorische und gustatorische: Geruch von Blumen, Geruch
und Geschmack von Speisen.
b) Zusammengesetzte:
1. Qualitativ und räumlich zusammengesetzte: benennt und er-
kennt der Kranke folgende Objekte in natura oder als Bilder: Tiere,
Pflanzen, Steine und ihre Teile, Blatt, Stengel, Körperteile, Sonne,
Mond, Sterne, Berg, Tal, Fluß, Meer, Stadt, Straße, Haus, Kirche,
Möbel, Geräte, Waren, Geldstücke?
2. Zeitlich zusammengesetzte: Gewitter, Krieg, laufen, gehen
steigen.
3. Allgemeine Vorstellungen 2. Grades.
a) Schall, Farbe, Geschmack; Dreieck, Meter; Jahr, Monat, Stunde.
b) Stein, Metall, Pflanze, Mensch. Was versteht man unter
Schall? Was ist ein Dreieck? Was ist eine Pflanze? Nennen Sie
mir Pflanzen.
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4. Beziehungsvorstellungen.
a) Zahlenvorstellungen: Abzählen von Gegenständen durch Hin-
deuten oder Berühren. Was ist V2, V4 u. s. f.
b) Vorstellungen der Gleichheit, Ähnlichkeit.
c) Räumliche Vorstellungen: oben, unten, vorn, hinten, rechts,
links.
d) Zeitliche Vorstellungen: heute, morgen, kurz, lang.
e) Kausale Vorstellungen: warum, weil, obgleich.
f) Familiale und soziale Vorstellungen, bei denen besonders auf
den Gefühlston zu achten ist: Vater, Mutter, Vaterland, Familie, Ge-
setz, Eigentum, Pflichten.
B) Besitz von Vorstellungs Verknüpfungen.
a) Individuelle.
a) Des Ichs, Geburtstag, Alter, Wohnung, Wohnort, Stellung,
Lebensgang, Zukunftspläne, Einwohnerzahl des Heimatsortes,
Straßen, Vorsteher, Regent usw.]
ß) Geographische: wo geht die Sonne auf und unter, Himmels-
gegenden, Bewegung der Gestirne, Mondphasen, Gestalt und
Größe der Erde, Flüsse, Gebirge, Städte.
y) Geschichtliche Ereignisse, besonders miterlebte.
d) Sprachlich bestimmt oder unbestimmt fixierte Vorstellungs-
verknüpfungen, Gedichte, Melodien, Gebete, Wiedererkennen
und Reproduzieren. Kann der Kranke den Inhalt seiner
Lektüre reproduzieren?
b) Allgemeine:
a) Messende Verknüpfungen, rechnerische Aufgaben, Zeitmaße,
Längen-, Flächen- und Raummaße.
ß) Naturbeobachtung, Wechsel von Tag und Nacht, Jahreszeiten.
y) Aus dem menschlichen Verkehr: Hergang der Berufstätig-
keiten des Landmanns, Kaufmanns u. a. Preise der Lebens-
mittel, Geldstücke, Zinsen, Mieten, Reisen; wie reist man
nach Amerika? Gottesdienstliche, geistliche, Verwaltungs Ver-
hältnisse, ObUegenheiten des Reichstags.
C) Erwerb von neuen Vorstellungen und Vorstellungsverknüpfungen.
a) Neuerworbene individuelle Vorstellungen: wie rasch findet
sich der Kranke in seinem Zimmer zurecht?
b) Wie oft und wie lange muß man dem Kranken Gegenstände
zeigen, bis er sie wiedererkennt, findet der Kranke aus einfachen
geometrischen Figuren einige bezeichnete in anderer Anordnung
wieder, merkt er sich Aussehen und Namen vorgelegter Porträts
(Eauschburg, Studien über die Merkfähigkeit des Normalen, Nerven-
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schwachen und Geisteskranken, Monatsschrift für Psychologie und
Neurologie Band IX Seite 241).
c) Neuerwerb bestimmt fixierter Vorstellungen und Vorstellungs-
verknüpfungen, Auswendiglernen von Silben- und Zahlenreihen, Me-
thode der Paarworte.
d) Neuerwerb sprachlich unbestimmt fixierter Vorstellungen und
Vorstellungsverknüpfungen: man erzählt eine Geschichte oder läßt sie
lesen und wieder erzählen.
e — h) Neuerwerb auf das Ich bezüglicher, geschichtlicher,
geographischer, naturwissenschaftlicher Vorstellungen: behält der
Kranke seine eigenen Erlebnisse, erinnert er sich der Fragen, die
kürzlich an ihn gestellt sind?
D) Assoziative Verwertung des Vorstellungsbesitzes
a) Ebbinghaussche Kombinationsmethode.
b) Assoziationsscheraa in Anlehnung an Sommer.
c) Lösung von Gleichungen derart, daß dem Kranken z. B. ge-
sagt wird: ich denke mir eine Zahl, die ich durch 25 teilen muß
um 4 zu erhalten, welches ist die Zahl?
d) Was würden Sie tun, wenn Sie 1000 Mk. bekämen, wenn Sie
50 Mk. zu einer Reise geschenkt erhielten? Oder was würden Sie
tun müssen, um aus der Anstalt entlassen zu werden?
e) Wie denken Sie über die Unterhaltungen, die wir in der
letzten Zeit miteinander geführt haben?
Fragestellung je nach dem Kranken individuell geändert, je nach
Stand und Erziehung gefragt.
Ziehen hat femer eine „schematische Anweisung zur psychischen
Untersuchung bei geisteskranken Kindern" angegeben. Da zur Aus-
führung derselben ein genaueres Studium der kindlichen Psychosen
gehört, sei hier nur auf Ziehens Arbeit verwiesen ö^). Femer fällt
hieranter: Sommer, Ein Schema zur Untersuchung von Idioten
und Imbecillen für Idioten- und Epileptikeranstalten, Hilfsschulen,
Zwangserziehungsanstalten und verwandte Einrichtungen. Sommers
Klinik für psych, und nervöse Krankheiten 2. B. 4. H.
VII. Die Assoziationsprfifung.
Ferner sei es gestattet, die Assoziationsmethode zu beschreiben,
obwohl sie die Prüfung der Intelligenz nur als Teilaufgabe betrachtet
und vielmehr die Erforschung des gesamten seelischen Lebens sich
zum Ziel gesetzt hat. Dieser Ansicht ist auch Bleuler'), wenn er
sagt : „In jeder Assoziation des wirklichen Denkens spielen eine fast
unendliche Zahl von mehr oder weniger deutlich anklingenden Vor-
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Stellungen mit, zunächst die der ganzen Persönlichkeit mit ihrer inneren
und äußeren Vergangenheit, soweit sie in Betracht kommen kann;
ferner eine nicht kompliziert genug zu denkende Hierarchie von Ziel-
vorstellungen; zu oberst das allgemeine Ziel unseres Strebens, dann
das des Denkens im speziellen Falle, dann alle Ziele, welche den
Details des Denkens und Handelns die Richtung geben, bis herab zu
dem Ziel des momentanen Gedankenausdrucks, der momentan auszu-
führenden Bewegung, Mitbestimmend wirken auch frühere Erleb-
nisse insofern, als Dinge, die vor kurzem für unsere Psyche aktuell
gewesen sind, ceteris paribus leichter hinzuassoziiert werden als andere.
Man bezeichnet diesen Faktor als Konstellation. Von großer Wich-
tigkeit sind auch die Gemütsstimmungen, die ,ihnen adäquate Asso-
ziationen fördern, entgegengesetzte hemmen, und noch vieles andere,
dessen Aufzählung zu ermüdend und doch nicht erschöpfend wäre. . . .
So spiegelt sich in der Assoziationstätigkeit das ganze psychische Sein
der Vergangenheit und der Gegenwart mit allen seinen Erfahrungen
und Strebungen. Sie wird dadurch zu einem Index für alle psychi-
schen Vorgänge, den wir nur zu entziffern brauchen, um den ganzen
Menschen zu kennen."
Stellen wir nun praktische Assoziationsversuche in der Weise an,
daß wir der Versuchsperson ein Wort zurufen mit der Aufforderung,
den ersten Gedanken auszusprechen, der ihr bein) Anhören des Reiz-
wortes einfällt, so müssen wir uns bewußt bleiben, daß die erfolgende
Reaktion in Wirklichkeit keine Assoziation, sondern nur eine sprach-
liche Reaktion auf den Reiz bedeutet, daß wir nicht Vorstellungen,
sondern sprachliche Symbole derselben vor uns haben. „Der äußer-
liche Zusammenhang von Reizwort und Reaktion ist ein viel zu grober,
als daß er ein absolut genaues Bild von den außerordentlich kompli-
zierten psychischen Vorgängen, den eigentlichen Assoziationen geben
könnte. Reizwortreaktionen versinnlichen nur in entfernter und un-
vollkommener Weise den psychischen Zusammenhang" ^i). Wundt'^)
spricht sich über den Wert der Assoziationsexperimente folgendermaßen
aus: „So belohnend nun aber solche Versuche auch in praktischer
Beziehung sind, und obgleich sie vielleicht noch einmal als dia-
gnostisches Hilfsmittel für die Kennzeichnung der individuellen Bewußt-
seinsrichtungen und der pathologischen Abweichungen dieser eine
große Rolle spielen werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß sie
sich ihrer ganzen Anlage und Ausführung nach nicht dazu eignen,
über die tieferen psychologischen Eigenschaften der Assoziationen
Aufschlüsse zu geben".
Nach Bolte ^) wird derjenige, welcher ohne vorgefaßte Meinung
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in der Assoziationsmethode die nötige Erfahrung erwirbt, finden,
daß sie
1. ein sehr einfaches Mittel ist, auf objektive Weise viele Sym-
ptome, vor allem das ganze Gebahren des Kranken zu fixieren, wo
die sonst übliche Beschreibung sehr umständlieh, zeitraubend und der
Gefahr der subjektiven Färbung ausgesetzt ist
2. Im klargeordneten Denken überwiegt eine Richtung gebende
Zielvorstellüng, Obervorstellung alle dunkelbewußten psychophysischen
Tendenzen. Im ziellosen assoziativen Denken hingegen kommen die
unbestimmten und dunklen Mächte des Seelenlebens zu starker Geltung.
Die teilweise Ausschaltung der Willkür, die Entfesselung unwillkürlicher
Antriebe bewirkt, daß Symptome, die sonst erst bei fortschreitender
Krankheit oder überhaupt nicht gefunden werden, schon sehr früh zu-
tage treten.
3. Femer lassen sich so neue Erkennungszeichen der Krankheit
finden.
4. Auch die bisher ungelöste Frage der Intelligenzprüfung wird
vielleicht eine Förderung finden. Neben der Prüfung der Schulkennt-
nisse, der Ebbinghausschen Kombinationsprüfung, der Fabelmethode,
der Hennebergschen Bildmethode wird man zweckmäßig auch die
Assoziationsprüfung verwenden.
5. Das Assoziationsexperiment ist ein gutes Mittel, um den Ver-
lauf einer Krankheit darzustellen, wenn natürlich auch keine strenge
Proportionalität zwischen den Störungen der Assoziationen und den
übrigen Symptomen besteht".
Auch Jung und Riklin erkennen den Wert der Assoziationsmethode
für die Intelligenzprüfung an, indem sie ausführen: „Bei unserem Ex-
periment untersuchen wir die Resultanten einer ganzen Reihe von
psychischen Prozessen, der Perzeption, Apperzeption, der intrapsy-
chischen Assoziationen, der sprachlichen Fassung und motorischen
Entäußerung 5» 1). Die Störung der Aufmerksamkeit läßt sich an der
Verflachung des Reaktionstypus erkennen, (Ermüdung, Alkoholintoxi-
kation, Manie). Betreffs der technischen Ausführung der Methode
empfiehlt Isserlin ^% darauf zu achten, „daß die Versuchsperson nur
mit vollem Verständnis der Aufgabe und möglichst frei und ohne
Zwang nach irgend einer Richtung hin reagiert Es wurden deshalb
der Versuchsperson stets verschiedene Reaktionsweisen an Beispielen
erörtert, insbesondere wurde es vermieden, ihr nahe zu legen, immer
nur mit einem Worte zu reagieren". Als Zeitmesser wurde eine
Fünftelsekundenuhr verwendet. Die Antworten wurden wörtlich fixiert,
das mimische Verhalten notiert.
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Das Schema der Reizworte soll nach Bolte^) nicht, wie es
Sommer tut, nach Kategorien geordnet sein. „Es entstehen dabei
Störungen — besonders bei Normalen — die durch die Scheu vor
dem Perseverieren bedingt sind und die diagnostisch nicht verwertet
werden können. Wenn z. B. die Versuchsperson soeben auf „weiß"
^^schwarz" geantwortet hat, so wird sie, wenn das folgende Reizwort
wieder „schwarz" ist, meistens eine unangenehme Störung dabei
empfinden und im Zweifel sein, was sie antworten soll. Wir haben
daher vorgezogen, ein Schema zu verwenden . . . , in welchem Reihen-
bildung nach Möglichkeit vermieden ist und immer neue grammatische
Formen auftreten".
Jung und Riklin wandten 400 1 -2 silbige Reizworte an, darunter
231 Substantiva, 69 Adjektiva, 82 Verba und 18 Adverbia und Zahl-
wörter. Es wurde ebenfalls vermieden, dieselben in bestimmten Kate-
gorien zu ordnen und in der Form oder im Sinn ähnliche Reizworte
sich folgen zu lassen. Endlich wurden möglichst einfache, alltägliche
Worte ausgesucht. Es wird weiter vorgeschlagen, immer dasselbe
Schema anzuwenden. Um eine Fixierung der Assoziationen zu ver-
meiden, dürfen die Versuche nicht zu oft (höchstens aller 4 Wochen)
vorgenommen werden.
Die erhaltenen Reaktionen werden am besten in das von Jung
modifizierte Kräpelin-Aschaffenburgsche Assoziationsschema eingereiht,
welches teils nach logischen Grundsätzen, teils mit Rücksicht auf den
Einfluß des sprachlich-akustischen Hirnmechanismus nach dem Prinzip
der sprachlichen Geläufigkeit aufgebaut ist:
A. Innere Assoziation,
a) Koordination.
a) Beiordnung 1. durch gemeinsamen Oberbegriff, z. B. Obst,
Kirsche — Apfel.
2. durch Ähnlichkeit, z. B. Schonen — Nachsicht.
3. durch innere Verwandtschaft Vater — [be-
sorgt] — Sorge.
4. durch äußere Verwandtschaft, z. B. Himmel
— [blau] — Farbe.
5. als Beispiel, z. B. Kummer — alte Frau (z. B.
eine alte Frau hat KummerJ.
ß) Unterordnung: 1. eigentliche Unterordnung, z.B. Baum —
Buche.
2. Spezifizierung, z. B. Haus: das Haus an
der X- Straße.
y) Überordnung, z. B. Katze — Tier.
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d) Kontrast, z. B. Leid — Freude.
e) Koordination zweifelhafter Qualität, z. B. Hoch — Seide
(der Besitzer eines Seidengeschäfts ist hoch gewachsen).
b) Prädikative Beziehung.
I. Substantiv und Adjektiv.
a) Inneres Prädikat.
1. Sprachliches urteil, z. B. Schlange — giftig.
2. Werturteil, z. B. Vater — gut.
ß) Äußeres Prädikat, z. B. Zahn — vorstehend.
IL Substantiv und Verbum.
a) Subjektverhältnis, z. B. Harz — klebt.
ß) Objektsverhältnis, z. B. Tür — öffnen.
IIL Bestimmungen von Ort, Zeit, Mittel und Zweck, z. B. Zeit :
essen — 12 Uhr.
IV. Definition oder Erklärung, z. B. Türe — Hauptwort
c) Kausalabhängigkeit, z. B. schneiden — weh.
B. Äußere Assoziation.
a) Koexistenz, z. B. Tinte — Feder.
b) Identität, z. B. großartig — prächtig.
c) Sprachlich-motorische Form.
a) Eingeübte sprachliche Verbindung.
L Einfache Kontraste, z. B. dunkel — hell.
2. Geläufige Phrasen, z. B, Hunger — leiden.
ß) Sprichwörter und Zitate, z. B. Auge — Zahn ; Glück — Glas,
y) Wortzusammensetzung und -Veränderung z. B. Tisch — bein,
sterben — gestorben.
d) Vorzeitige Reaktion, z. B. langsam — kurz.
€) Interjektion, z. B. großartig — ah!
C) Klangreaktion.
a) Wortergänzung, z. B. Wunder — bar.
b) Klang, z. B. Absicht — Apfel.
c) Reim, z. B. Herz — Schmerz.
D) Restgruppe.
a) Mittelbare Assoziation.
a) Verbindung durch gemeinsamen Mittelbegriff, z. B. Schnee-
feld, weiß — weit.
ß) Klangverschiebung.
1. Zentrifugale, z. B. Entschluß — schießen (entschließen);
2. Zentripetale, z. B. reiten — arm (reich).
y) Verschiebung über Wortergänzung oder sprachlich motorische
Form, z. B. Ratten — giftig (Gift).
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d) Verschiebung über mehrere Mittelglieder, z. B. Vogel — Maus
(flattert — Fleder).
b) Sinnlose Eeaktion.
c) Fehler.
d) Wiederholung des Reizwortes.
E) Egozentrische Reaktion.
a) Direkte Ichbeziehung, z. B. Tanzen — mag ich nicht.
b) Subjektive Worturteile, z. B. faulenzen — angenehm.
F) Perseveration.
a) Zusammenhang mit dem Reizwort, z. B. Wasser — fall ; tanzen
— fallen.
b) Kein Zusammenhang mit dem Reizworte, z. B. Deckel — Kiste;
Ratten — Korb.
6) Wiederholung der Reaktion.
H) Sprachliche Bindung.
a) Gleiche grammatikalische Form.
b) Gleiche Silbenzahl.
c) Alliteration.
d) Konsonanz.
e) Gleiche Endung.
Die Untersuchungen Gesunder durch Jung und Riklin^*) ergaben,
daß der Ungebildete sich vielmehr als der Gebildete bemüht, dem
Sinn des Reizwortes gerecht zu werden, daß er mehr innere Asso-
ziationen, weniger Klangassoziationen liefert, mehr Koexistenzen zeigt,
d. h. sich den Gegenstand deutlich klarzumachen sucht, weniger ego-
zentrische Reaktionen aufweist, also sachlicher vorgeht und viel weniger
sinnlose Reaktionen zutage fördert als der Gebildete. Offenbar liegt
dieses Ergebnis daran, daß der Ungebildete während des Versuchs
aufmerksamer ist als der Gebildete, „weil ihn die Bedeutung des
Reizwortes mehr beeinflußt als den Gebildeten".
Es finden sich vor allem subjektive Typen mit egozentrischer
Einstellung, welche in die Konstellationstypen (persönliche gefühls-
betonte Vorstellungen kommen zum Vorschein) sowie in Prädikattypen
(die Vorstellungen sind sehr lebhaft, plastisch wirkend, die Reaktion
enthält daher meist ein Prädikat des vom Reizworte angegebenen
Gegenstandes) unterschieden werden. Andererseits kommt auch der
sachliche Typus zur Beobachtung, bei welchem das Reizwort rein
sachlich aufgefaßt wird und das Persönliche ganz zurücktritt. „Von
der Reaktionszeit der Normalen ist es bekannt, daß sie je nach Alter,
Bildungsgrad und Individualität innerhalb weiter Grenzen schwankt,
durchschnittlich beträgt sie bei Gebildeten 1,5." Im allgemeinen
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weiß man, daß die torpiden, intellektuell schwächeren Individuen die
längeren Reaktionszeiten haben. Außerdem ist aber auch die Quali-
tät der Assoziation von ausschlaggebender Bedeutung für ihre Dauer.
In vielfachen Untersuchungen ist festgestellt, daß die Assoziation um
so länger dauert, je komplizierter sie psychologisch ist Für unsere
praktischen Zwecke ist es wichtig, festzuhalten, daß die eingeübtesten
Assoziationen die von kürzerer Dauer sind, und daß demgemäß die
„inneren'' Assoziationen die „äußeren" an Dauer übertreffen" ^')-
Wesentlich ist ferner die von Jung betonte Verlängerung der
Reaktionszeit durch gefühlsbetonte Vorstellungen (Komplexe), welche
besonders für leicht erregbare Personen Bedeutung gewinnen. Bei Ver-
suchen ergab sich die wichtige Beobachtung, daß, sobald ein gefühls-
betonter Vorstellungskomplex (vgl. die Arbeiten Sigm. Freuds: Bruch-
stücke einer Hysterie-Analyse, Monatsschrift für Psychologiij und
Neurologie Band XVIII, Traumdeutung, Franz Deuticke, Wien 1900,
Breuer und Freud, Studien über Hysterie Leipzig, Deuticke 1905,
usw.) berührt wird, 1. die Reaktionszeit verlängert wird, 2) die Ver-
suchsperson hinterher nicht angeben kann, was sie geantwortet hat,
3) einzelne Vorstellungen aus dem Komplex sich an oft unpassender Stelle
mit Gewalt an die Oberfläche drängen, 4) an Stelle der eigentlichen
Reaktion Deckreaktionen eintreten, z.B. Zitate, Klangassoziationen, Sätze.
Auf diese Erfahrung ist von Kriminalisten (Wertheimer und
Klein) die allerdings von mancher Seite (Kraus) als unzuverlässig
und irreführend bezeichnete Methode der psychologischen Tatbestands-
diagnostik aufgebaut worden, welche bei einem seiner Schuld bewußten,
jedoch leugnenden Verbrecher, nachzuweisen versucht, daß die Er-
innerung an die Tat noch lebendig ist und als gefühlsbetonter Kom-
plex fortbesteht"^«). „Jeder Mensch hat einen oder mehrere Kom-
plexe, die sich in den Assoziationen auf irgend eine Weise mani-
festieren. Der Hintergrund unseres Bewußtseins (oder des Un-
bewußten) besteht aus derartigen Komplexen. Das ganze Erinnerungs-
material ist um sie gruppiert. Sie bilden geradezu höhere psychische
Einheiten analog dem Ichkomplex. Sie konstellieren unser ganzes
Denken und Handeln, darum auch die Assoziation. Mit dem Asso-
ziationsexperiment verbinden wir jeweils einen zweiten Versuch, die
sogenannte Reproduktion. Der Versuch besteht darin, daß wir die
Versuchsperson noch einmal angeben lassen, wie sie auf die einzelnen
Reizworte beim ersten Versuch reagiert hat. Da, wo die Erinnerung
versagt, handelt es sich meist um Konstellation durch einem Kom-
plex. Das Reproduktionsverfahren dient also zur näheren Um-
schreibung der Komplexstörungen" 3i).
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Wie schon erwähnt, führt Freud die Hysterie auf ein in der
Kindheit erlittenes Trauma zurück. Wird der erzeugte Affekt nicht
durch die entsprechende Reaktion, z. B. Weinen, motorische Ent-
ladung usw. abreagiert, so bleibt die Erinnerung an den unangeneh-
men Vorfall im Unterbewußtsein bestehen, es bildet sich ein verdrängter
unlustbetonter Komplex, welcher — obwohl anscheinend längst ver-
gessen — die hysterischen, psychischen und körperlichen Sympt-
ome als symbolische Abbilder seiner selbst hervorruft Durch die
sehr schwierige und zeitraubende Psychoanalyse versucht Freud, an
den Komplex heranzukommen, ihn wieder bewußt zu machen und
so durch Abreagieren auch die psychischen Folgen desselben zu be-
seitigen. Bei dem Assoziationsversuch reagiert der Betreffende, wenn
das Reizwort den Komplex anstößt, mit einer der indifferenten, un-
verdächtigen Schutzvorstellungen (z. B. Koexistenzen, wie Schmerz,
der mit dem Erlebnis zufällig zeitlich verbunden war, Ähnlichkeits-
assoziation usw.), welche den Komplex wie eine Schutzmauer um-
geben und das Bewußtsein vor dem Emportauchen der unangenehmen
Vorstellung schützen ^^).
Schließlich verhilft uns der Assoziationsversuch dazu, schwierig
zu beurteilende Krankheitsformen klarzustellen, z. B. gewisse Fälle
von manisch-depressivem Irresein und dementia praecox von einander
zu scheiden. „Finden wir regelmäßig trotz langer Reaktionszeit ein
Bemühen, dem Sinn des Reizwortes gerecht zu werden, so werden
wir auch bei mäßigem Vorstellungswechsel und nicht sehr tiefem
Affekt nicht zweifeln, die Diagnose „Depression des manisch-depres-
siven Irreseins" zu stellen; die dementia praecox pflegt sich fast stets
durch die Reaktionszeit — die gewöhnlich nicht so gleichmäßig ver-
längert ist wie bei der Hemmung, sondern, wenn sie nicht leidlich
normal ist, mehr regellos sprunghaft erscheint — und durch das gleich-
gültige und verkehrte Verhalten gegenüber der Aufgabe von der De-
pression zu unterscheiden" '^^). „Wir diagnostizieren jetzt schon in vielen
Fällen aus den Assoziationen dementia praecox, Epilepsie, verschie-
dene Typen der Imbecillität, gewisse Formen der Hysterie, von der
manischen Verstimmung mit ihrer längst bekannten Ideenflucht und
ähnlichem nicht zu sprechen. Wir haben auch begründete Hoffnung,
mit Hilfe der Assoziation bis jetzt nicht faßbare Gruppen, wie einige
paranoide Formen, dann namentlich die unter dem Namen Hysterie,
Neurasthenie, Psychasthenie unklar zusammengefaßten oder abge-
grenzten „Krankheiten" in natürlicher Weise zusammenzufassen und
einzuteilen" 7). Nach Wehrlin «s) zeigen Schwachsinnige häufig
Definitionstendenz, d. h. das Bestreben, „den Reizwortsinn zu er-
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klären oder doch wenigstens etwas für denselben Charakteristisches
auszusagen. Die Reaktion erfolgt nicht mehr unmittelbar, nicht mehr
aus dem Unbewußtsein automatisch hervortretend, sondern sie ist hier
gesucht, sie ist Konstruktion nach einem bestimmten Schema/ Bei
der Assoziationsprüfung eines Epileptikers fand Jung ^3) Schwer-
fälligkeit, Umständlichkeit der Reaktion, Tendenz zur Vervollständi-
gung, egozentrische und gefühlvolle Betonung, endlich abnorm lange
Reaktionszeiten, „nicht bei besonders schwierigen Worten, sondern an
Stellen, die durch einen perseverierenden Gefühlston bestimmt sind.
Daraus ist zu schließen, daß bei Versuchsperson der Gefühlston wahr-
scheinlich später einsetzt und länger anhält als beim Normalen.^ Jung
betont schließlich noch, daß er aus dem Falle, besonders da er durch einen
Schädelbruch kompliziert ist, keine allgemeinen Folgerangenziehen wolle.
Nach dem Vorhergehenden ist demnach das Assoziationsexperi-
ment geeignet, die Kenntnis der Intelligenz-, Gefühls- und Willenstätig-
keit, sowie ihrer krankhaften Störungen zu fördern, die Diagnose ein-
zelner Krankheitsbilder klarzustellen und über die unbewußten
Mechanismen unserer Seele Licht zu verbreiten. Doch muß betont
wedem, daß der Assoziationsversuch infolge seines Mangels an wissen-
schaftlicher Genauigkeit stets der Vervollständigung durch andere
üntersuchungsmethoden bedarf.
VIIL Untersuchung der Merkfahigkeit bei Geisteskranken nach
Bernstein ^j.
Bernstein stellt sich ein hölzernes, quadratisches Brett her, dessen
Seiten 28 cm lang sind und auf welches 9 gleichgroße, mit geome-
trischen Figuren bemalte Kartonblätter befestigt werden. Diese Tafel,
wird dem Kranken 30 Sekunden vorgehalten. Nach 1, 6, 24 Stun-
den, 1 Woche wird ihm eine größere quadratische Tafel von 40 cm
Seitenlänge gezeigt, welche eine größere Anzahl Bilder, darunter die
bereits gezeigten, aufweist. Der Patient wird nun gefragt, welche
Zeichen schon auf der ersten Tafel zu sehen waren, und das Resultat
wird mit folgender Bezeichnung gebucht: -^ -f. f (r = richtige, f ««
falsche Angaben, n = Gesamtzahl der zuerst gezeigten Figuren).
Die Methode stellt eine reine Merkfähigkeitsprüfung dar, da weder
die Geschwindigkeit der Auffassung, noch die Reproduktionsfähig-
keit geprüft wird, sondern die Bilder nur wiedererkannt zu werden
brauchen. — Weiter wird noch hingewiesen auf die Arbeit Dr. Paul
Rauschburgs „Über Art und Wert klinischer Gedächtnismessungen bei
nervösen und psychischen Erkrankungen". Sommers Klinik f. psych,
und nervöse Krankheiten. 2. Band.
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IX. Die Ebbinghaussche Ergänzungsmethode ^^).
Die wenig Zeit erfordernde, sehr praktische Ebbinghaussche
Methode besteht darin, daß dem Prüfling kleine Erzählungen, in
welchen einzelne, durch Striche bezeichnete Buchstaben, Silben oder
Worte ausgelassen sind, mit der Aufforderung vorgelegt werden, die
vorhandenen Lücken schriftlich möglichst schnell und sinngemäß aus-
auszufüllen. Nach Henneberg (Allgemeine Zeitschrift für Psychologie
Band 4 pagina 402) sind die Ebfoinghausschen Beispiele allerdings
wenig geeignet, weil sie zu hohe Anforderungen an das Können der
Betreffenden stellen. Femer hält er es für nötig, den ersten Satz
möglichst lückenlos zu lassen, um die Prüfung nicht zu schwierig zu
gestalten. Damit die Prüfung sich in den Vorstellungskreisen der Un-
gebildeten bewegt, schlägt Henneberg vor, als Text Briefe von unge-
bildeten Patienten zu benutzen und diese derart zu bearbeiten, daß
anfangs die Ergänzungen leicht zu finden, später aber schwerer zu
erraten sind. Es darf bei dem Versuche nicht außer acht gelassen
werden, daß bei solchen Personen, welche infolge von ungenügender
Schulbildung und mangelnder Gelegenheit zur Übung im Schreiben
und Lesen ungeschickt sind, das Examen leicht zu ungünstig aus-
fällt und ein unrichtiges Bild geben kann. „Was aber noch wesent-
licher ist, viele Patienten entledigen sich der Aufgabe ohne Interesse,
die Aufgabe erinnert etwas an eine lästige Schulaufgabe".
X. Die Masselonsche Methode.
Die Kombinationsfähigkeit der Kranken wird bei dieser sehr
wenig Zeit in Anspruch nehmenden Methode dadurch geprüft, daß
die Betreffenden aufgefordert werden, aus 3 ihnen genannten Worten
einen Satz zu bilden, z. B. Vogel, Baum Nest
XL Möllers Fabelmethode.
Die Fabelmethode wird in der Weise angewendet, daß dem
Kranken an verschiedenen Tagen je eine kurze, ihm unbekannte
Fabel ohne Angabe der Überschrift vorgetragen wird, welche eine
nicht offen ausgesprochene Pointe enthält Kann der Patient die
Fabel nicht sofort wiedererzählen, so wird ihr Inhalt abgefragt.
Findet der Betreffende die Pointe heraus und kann er eine passende
Überschrift geben, so hat er eine Kombinationstätigkeit geleistet,
ebenso, wenn er ein Sprichwort von ähnlichem Sinne angeben kann.
Ist er zu letzterem nicht imstande, so kann mangelnde Kenntnis von
passenden Sprichwörtern daran schuld sein. Die Wiedererzählung
stellt zugleich eine Prüfung der Auffassungstätigkeit und Merkfähig-
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keit dar. Die Fabeln werden der Schwierigkeit der zu findenden
Pointe entsprechend in eine Reihenfolge gebracht, welche von der Zahl
der nötigen Einzelurteile und der Zahl und Art der angewendeten
konkreten und abstrakten Begriffe abhängig ist. Die Verwendbarkeit
der Fabeln als Prüfungsobjekt wird nach Verfasser besonders bedingt
durch ,,die Einfachheit des allgemein bekannten Vorstellungsmaterials,
die zur Kombination drängende Eigenart der scharf ausgeprägten Tier-
charaktere und die leicht auffindbaren Beziehungen zu ähnlichen Ver-
hältnissen im Menschenleben". Aus den Fabeln des Aesop, Bobrius
und Phaedrus hat er eine derartige Reihe zusammengestellt Fragen
und Antworten werden wörtlich niedergeschrieben.
Die Methode ist oft recht brauchbar, begegnet aber bei Ungebil-
deten mitunter Schwierigkeiten insofern, als diese der von ihrer Denk-
weise ganz abweichenden Aufgabe gegenüber oft völlig versagen, ob-
wohl sie sonst nicht unintelligent sind, andererseits scheitert sie bei
Gebildeten oft daran, daß dieselben die meisten Fabeln bereits kennen.
Henneberg schlägt daher vor, an Stelle der Fabeln gut ausgewählte
Zeitungsanekdoten zu verwenden.
XII. Die Einekhsche Sprichwörtermethode ^o).
Finckh arbeitete seine Sprichwörtermethode aus, weil nach seiner
Ansicht unschwer zu konstatieren war, daß die bisher üblichen
Methoden ihrem Zweck in sehr unvollkommener Weise dienten, indem
die Feststellung von Schulkenntnissen, die Orientierung über die all-
täglichen Verhältnisse und die Fähigkeit des Rechnens doch zu sehr
an die Fertigkeiten errinnerten, die durch langjährige Übung in der
Schule erworben unb vorzugsweise reines Gedächtnismaterial geworden
waren. Ähnliche Bedenken ergaben sich bei der Prüfung, die sich
auf Beruf und Berufsbildung erstreckte. Dazu kam noch das vielfach
Mechanische und Gewohnheitsmäßige der einfacheren Berufsarten
niederstehender Leute, das zu einer Prüfung der Auffassung des Urteils
kaum ausreichend schien, indem das positive Ergebnis doch keine
zu weit gehenden Schlüsse erlaubte. Andererseits aber mußte die
Fachkenntnis und das Urteil des Explorierenden doch in den aller-
meisten Fällen für eine eingehende Prüfung der Berufsbildung kaum
ausreichen. Politische und religiöse Stellung als Maßstab der Intelli-
genz heranzuziehen, verbot sich aber wegen der hier gerade so
mächtigen Momente des Gefühlslebens und des Autoritätsglaubens,
wozu wiederum die gedächtnismäßige Beherrschung des Stoffes als
hindernder Umstand hinzutrat. Endlich aber war namentlich bei
allen diesen Prüfungen zu vermeiden, daß der Explorant sich selbst
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als Maßstab für die Abschätzung der Intelligenzhöhe des Prüflings
ansah." Die Sprichwörter wählte Finckh als Prüfungsmaterial, weil
„sie einen Niederschlag der Beobachtungen und Erfahrungen des
Volkes darstellen und wegen ihrer Vielgebräuchlichkeit auch bei sehr
geringem Kenntnisstand anwendbar schienen Die Notwendigkeit»
auf Grund der persönlichen Erfahrung und des eigenen Urteils zu
operieren schloß dUbei die Gefahr gedächtnismäßiger Repreduktionen
aus. Es sollte also das alltägliche Erleben die Grundlage für die
Prüfung bilden; demgemäß mußten möglichst bekannte und den Leuten
geläufige Sprichwörter als Aufgabe vorgelegt werden, von denen ich
eine größere Anzahl durch Umfrage bei Leuten desselben Bildungs-
standes sammelte und die ich ihrer Schwere nach ordnete. Eine
weitere Prüfungsmethode bot sich in der Gegenüberstellung zweier
ähnlicher, oder ganz, teilweise oder scheinbar einander ausschließender
bezw. widersprechender Sprichwörter, zu deren Inhalt der Prüfling
kritisch Stellung zu nehmen hatte. Das endgültige Resultat ergab
sich indes erst aus einer Reihe von Prüfungen, da eine einmalige
Prüfung den Umfang der Intelligenz kaum abschätzen ließ.
Für die Bewertung der ganzen Methode wies ich aber darauf
hin, daß sie lediglich eine Ergänzung sein kann und der Hauptnach-
druck, wie bei jeder Prüfung der Intelligenz, immer auf die praktische
Betätigung des Verstandes und Gemüts, auf die bisherigen Leistungen
und den Lebensgang des Prüflings zu legen ist. . . .
Die Prüfung beginnt mit der Aufforderung, auseinanderzusetzen,
was unter dem Sprichwort, dessen Wahl dem Prüfling überlassen
werden kann, verstanden wird. Daran knüpft sich die Begründung,
die Stellungnahme zu der Frage seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit,
eventuell die Anführung eines sinnverwandten Sprichworts und endlich
eines Beispiels aus dem Schatz der eigenen Erfahrung. Damit ist
die Grundlage erreicht, auf der die eigentliche Exploration sich ent-
wickeln kann. Der Kranke steht nunmehr auf dem Boden, auf dem
sein alltägliches Denken sich bewegt, und er hat sozusagen ein
plastisches Anschauungsmittel gewonnen, an der Hand dessen er seine
Schlüsse ziehen und auf ihre Richtigkeit prüfen kann. Die Frage-
stellung nun hat der doppelten Aufgabe gerecht zu werden, sich einmal
an die Vorstellungskreise der zu Prüfenden anzulehnen, wobei Geschlecht,
Alter, Stand und Bildungsniveau besondere Berücksichtigung ver-
langen, um möglichst einfach und verständlich zu sein. Sodann aber
muß sie einem festen, für jedes Sprichwort auszuarbeitenden Programm
folgen, das die Erklärung, Begründung, Beurteilung, Nutzanwendung
des Sprichwortes und die Grenzen seiner Richtigkeit in einzelnen,
Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie eto. *?
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logisch auf einander folgenden Urteilen, als Etappen des Prüfungs-
weges, enthalten soll. Dieses Schema soll ein sprunghaftes Vor-
schreiten vermeiden, das Übergehen wichtiger Mittelglieder verhindern
und dem Prüfenden selbst als Anhaltspunkt dafür dienen, welche
Erkenntnisse und Urteile der endlichen Losung des Rätsels, der Auf-
findung der Pointe vorangehen müssen. Es ist bei der Prüfung meist
nicht zu vermeiden, daß die Fragen dem Prüfling 'eine gewisse Hilfe
gewähren, indem sie der Neigung zum Abschweifen vorbeugen und
den Fortschritt im Gang der Übertragungen und Urteile nach dem
Schlußresultat hin ermöglichen müssen. Die Notwendigkeit dieser
Hilfe ergibt sich aus der mangelnden Übung der Leute aus dem
Volke, eine Gedankenreihe konsequent durch alle Teile hindurch bis
zu ihrem Abschluß zu verfolgen und namentlich ihre Überlegungen
in die Form der fortlaufenden Rede zu bringen, die einem Gedanken
exakten und erschöpfenden Ausdruck verleiht.*' Um Fehler zu ver-
meiden, goll der Prüfling in gleichmäßiger Stimmung, bei körperlichem
Wohlbefinden sein und sich nicht gegen die Prüfung sträuben. Damit
die oft bilderreiche Sprache nicht störend wirkt, sollen bekannte Bei-
spiele gewährt werden. Die Prüfung soll ferner nicht zu lang dauern,
die Fragen sollen aber auch nicht zu kurz und abstrakt sein, müssen
sich dem Sinne nach aneinander anschließen, die Antworten mit
verwerten und nicht suggerierend wirken.
Stellt die zu Beginn der Prüfung abgegebene spontane Erklärung
und Begründung des Sprichwortes dessen Sinn in den wichtigsten
Punkten klar, so sind wesentliche Störungen der Auffassungs- und
Urteilskraft nicht vorhanden.
„Das endgültige Fazit aus allen diesen Prüfungen wird gezogen,
indem man die Ergebnisse aus Kontrollversuchen an geistig Normalen
desselben Milieus und Bildungsstandes als Parallele heranzieht. Da
der Gang der Prüfung und das Maß der zu leistenden Arbeit für
jeden bei demselben Sprichwort gleich ist, ermöglicht sich ein der-
artiger Vergleich und die Heranziehung Gesunder als Maßstab der
Urteilskraft sehr wohl, ebenso wie eine Prüfung in verschiedenen
Phasen der Krankheit bei ein und derselben Person sich durch-
führen läßt"
Beispiel:
„Patient B. Hunger ist der beste Koch. Spontane Erklärung:
Wenn man Hunger hat, ißt man alles, was mau im Augenblick essen
kann. Da schmeckt alles gut. — Warum schmeckt alles gut? Weil
der Hunger sozusagen darnach strebt. — Nach was? Nach dei>
Speisen. — Warum? Weil man sie braucht — Wozu? Um den
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Hunger zu stillen. — Wie ist einem im Hunger? Schwach, nicht
sehr gut, lahm, müde, Kopfweh. — Und nach dem Essen? Gut, be-
friedigt, satt. — Also vollständige Erklärung des Sprichwortes? Wenn
man Hunger hat, so hat man kein besonderes Bedürfnis nach Lieb-
habereien, man ißt gern alles, um den Hunger zu stillen. — Was
bedeutet nun „der beste Koch"? Daß im Hunger die Speisen den
Menschen am schnellsten dienen können. — Nein, etwas anderes
Daß man im Hunger den besten Koch braucht, um ihn zu stillen. —
Warum braucht man dazu den besten Koch? Um die vielen und
guten Speisen zu bereiten. — Braucht man diese im Hunger? Nicht
gerade, vieles genügt. — Warum braucht man denn den besten Koch
beim Hunger? Um alles schnell und schmackhaft zu bereiten. —
Ist der Hunger ein Koch? Ja. — Wieso? Weil man alles essen
kann und alles am besten schmeckt im Hunger. — Was tut ein Koch?
Er kocht. — Tut das der Hunger auch? Er ißt das Gekochte. —
Ist denn der Hunger auch ein Koch? Ja. — Inwiefern? Weil ihm
alles gut genug ist. — Ist dem besten Koch auch alles gut genug?
Nein. — Was denn? Er mag nur das Allerbeste. — Woran erkennt
man denn den besten Koch? An den besten Speisen. — Wieso?
Weil er nur das Beste zubereitet. — Wie beurteilt man das? Es
schmeckt am besten, man ißt es am liebsten und recht viel. — Was
ist denn der eigentlliche Sinn des Sprichwortes: „Hunger ist der beste
Koch"? Daß, wenn man Hunger hat, am schnellsten gekocht ist. —
Wieso? Weil man Hunger hat, begnügt man sich mit allem. —
Noch nicht erklärt, was das Wort „der beste Koch" zu bedeuten hat!
Weil man das Beste mag, wenn man Hunger hat. —
Patient B. definiert . . . einen Teil des Sprichworts zwar aus-
reichend, gerät zum Schluß aber immer weiter vom Ziel ab und
kommt zuletzt zu falschen und dem Sinn des Sprichworts direkt zu-
widerlaufenden Urteilen. Dabei beweisen die teilweise ganz sinn-
widrigen Antworten ein mangelndes Verständnis der sehr einfachen
Fragen und des Ganges der Prüfung. ... Es handelt sich um einen
mittelmäßig begabten, 17jährigen Hebephrenen (ßealschulbildung),
bei dem schon eine deutiiche geistige Schwäche ausgebildet ist/'
Die Versuche an Kranken zeigen häufig die Unfähigkeit der-
selben, den Sinn des Sprichworts zu erfassen, sinnliche Einzeler-
fahrungen zu verallgemeinern, selbständig richtige Urteile zu fällen,
die Absicht der Frage zu merken und das Gefundene weiter zu be-
nutzen. Mitunter beobachtet man auch Abschweifen auf Nebendinge,
Haften an einzelnen persönlichen Erlebnissen und Mangel an Interesse.
„Wie schon in der ersten Mitteilung über die Sprichwörtermethode
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betont wurde, soll diese lediglich als Ergänzung dienen. Der Haupt-
nacbdruck ist immer auf die Heranziehung der sämtlichen Leistungen
im alltäglichen Leben, auf die ganze Vorgeschichte der Person, die
Gestaltung ihres Lebensganges, die Äußerungen des Gemtitslebens
u. s. w. zu legen. In dieser ihr zugeteilten Stellung kann aber die
Methode dazu dienen, einen Einblick in Art und Weise des Vorstellungs-
lebens zu tun, dessen Erschließung bei Leuten einfachen Bildungs-
grades nicht selten erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Was aber die
Methode nicht leisten kann und will, das ist eine gesonderte und
exakte Untersuchung der Qualität der einzelnen psyschischen Funktionen
und ihres Verhältnisses zu einander." Nach Ziehen verlangt die
Finckhsche Methode vom Prüfling besonders Ergänzung des Textes
und Verständnis für Vergleiche.
XIII. Ganters Witzmethode 2^).
Die Intelligenz ist nach Ganter „ein zusammengesetztes Gebilde",
dem man von verschiedenen Seiten aus beizukommen bestrebt sein
muß. „Entscheidend bei der Wahl der Methode ist einmal diese
selbst, dann die Art der Kranken, die man untersuchen will, endlich
das Ziel, das man im Auge hat." Fragen und Antworten müssen
kurz und leicht verständlich sein. „Je weniger gefragt zu werden
braucht, desto weniger wird suggeriert." Diesen Forderungen kommt
nach Ganter die Witzmethode am nächsten. „Durch den Witz
werden Vorstellungen wachgerufen, die entweder nur eine entfernte
Ähnlichkeit miteinander haben oder solche, die in einem scheinbaren
Gegensatze zueinander stehen. Die versteckte Ähnlichkeit, den ent-
fernten Gegensatz aus der Summe der angeregten Assoziationen
herauszufinden, ist Sache des kritischen Verstandes. Es handelt sich
hier also um eine kompliziertere geistige Tätigkeit, um die Auf-
fassungsgabe. Da diese Fähigkeit im geistigen Leben des Menschen
eine ausschlaggebende Rolle spielt und zur Beurteilung seiner psy-
chischen Kräfte überhaupt verwendet wird, so dürfen wir ruhig be-
haupten, daß es sich bei unseren Untersuchungen um die Prüfung
der Intelligenz handelt, obgleich nicht alle Komponenten geprüft
worden sind."
Der Prüfling wird aufgefordert, den Witz durchzulesen und zu
erklären, was daran witzig und auffallend sei. Fragen werden mög-
lichst nicht gestellt. Alle Antworten werden wörtlich fixiert.
Es wurden folgende Witze vorgelegt: I. Im Eifer. Richter: „Es
wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie bei der Rauferei dem Kläger
das linke Ohr zur Hälfte abgebissen haben." Angeklagter: ,,Das
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dürfen S' ja nicht glanben, Herr Richter! Der Hias ist ein schlechter
Mensch — das hat er sich g'wiß selber ab'bissen!"
IL Ein Muster. (Bild: ein Student liegt, eine lange Pfeife
rauchend, zu Bette. Unter das Kopfkissen hat er, zur bequemeren
Lagerung, eine Anzahl Bücher gesteckt). Onkel: „Studiert denn mein
Neffe fleißig?" Wirtin: „0, das will ich glauben. Sogar ins Bett
nimmt er die Bücher mit!''
IIL Die schmutzige Stiege. (Bild: Ein Herr geht die Treppe
hinauf. Eine Frau unten ruft ihm nach. Im Hintergrund einige
Kinder). Hausmeisterin: „Schuh' abputzen!" Fremder: „Warten Sie
nur, bis ich wieder herunter komme!"
IV. Süffels Klage. (Bild: Ein Student sitzt am Tisch und trinkt
Bier). „Jetzt soll gar eine Bierverteuerung kommen! Schrecklich!
Das Bier wird noch so teuer werden, daß schließlich kein Mensch
mehr studieren kann!"
V. Im Zorn. Schneider: „Jetzt ist der Kerl über alle Berge,
ohne mir den Anzug bezahlt zu haben. Wenn ich das gewußt hätte,
hätte ich 20 Mark mehr gerechnet!" Reaktionen: Die Pointe wurde
nicht ganz getroffen, falsch lokalisiert, ganz verfehlt; Assoziation mit
persönlicher Erfahrung oder auffälligen Merkmalen im Bilde; Ab-
schweifen in die Breite; ungenaue Auffassung. Schwachsinnige
reagierten mit bloßen Umschreibungen, Assoziation ohne Sinn und
Zusammenhang, zeigten leichte Bestimmbarkeit, Unachtsamkeit,
Echolalie, Kleben am Worte und Fabulieren. Paranoiker bezogen die
Worte und Bilder auf sich, deuteten sie um und knüpften an die Be-
trachtung allerlei Wahnideen. Es zeigte sich so, daß diese „Kranken
nicht mehr imstande sind, selbst fernab liegende Dinge objektiv zu
würdigen, sondern alles in die Enge ihres pathologischen Gesichts-
kreises hineinzwängen. Ihre geistige Störung ist darum auch viel
größer als es die gewöhnliche Untersuchung erweisen könnte." Be-
züglich der Befragung der leicht erregbaren Epileptiker ist es wesent-
lich, Affekte auszuschalten, weil durch diese die Wirksamkeit der
Intelligenz stark beeinträchtigt wird. Von den Gesunden lösten mit
einigen Ausnahmen die im praktischen Leben brauchbarsten auph
die meisten Witze. Die Methode hat den Vorzug, keine großen An-
sprüche an Bildung und Kenntnisse zu stellen, sowie einfach und
nicht zeitraubend zu sein,
XIV. Die Bilder-Benennungsmethode nach Heilbronner*^*^).
Diese Methode verwendet an Stelle der sonst meist üblichen
akustischen Reize optische, indem Reihen von einfachsten Zeich-
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nungen hergestellt werden, welche den Werdegang eines Bildes von
wenigen Strichen bis zur deutlichen Darstellung des betreffenden
Gegenstandes, z. B. einer Kanone, Windmühle, Lampe, eines Baumes,
Schiffes veranschaulichen. Charakteristisch für die Bildchen einer
Keihe ist der Umstand, daß sie anfangs vieldeutig sind und erst nach
Zufügung bestimmter Einzelheiten eindeutig werden. Diese Bilder
werden dem Kranken der Reihe nach vorgelegt mit der Frage:
„Was ist das?" und der Frage nach dem Unterschied zweier Bilder.
Die Antworten werden wörtlich notiert. Versagt der Kranke, so kann
die Ursache daran liegen, daß nicht genügend viel Einzeleindrücke
aufgenommen wurden, um die Entstehung eines GesamtbegriflFs oder
die Erkennung von Differenzen zu ermöglichen. Oder es wurden
zwar alle einzelnen Eindrücke aufgenommen, konnten aber nicht zu
einem Gesamtbild kombiniert werden. Abgesehen von der Möglich-
keit, die Auffassungsfähigkeit (bei akuter Verwirrtheit oft wenig ge-
stört), Kombinationsfähigkeit und Ermüdbarkeit (mitunter durch
Übung überkompensiert) zu prüfen, sowie Unterschiede zwischen den
einzelnen Geisteskrankheiten herauszufinden, gibt die Methode einen
kurzen Überblick über die Symptome der betreffenden Psychose,
z. B. über:
1. Haftenbleiben (senile Demenz z. B.).
2. Ideenflucht Manische stellen oft mehrere Lösungen zur Wahl.
Die Bildchenmethode hat gegenüber der Assoziationsmethode den
Vorteil, nicht zu Klangassoziationon anzuregen sowie infolge An-
wendung optischer Reize einfachster Art eine bestimmte Reaktion als
richtig vorauszusehen, während aus der Einzelreaktion im Assoziations-
versuch ein Schluß nicht gezogen werden kann.
3. Umständlichkeit (Epilepsie).
4. Ablenkbarkeit.
5. Merkfähigkeit. Dieselbe kommt schon bei der Aufforderung,
Unterschiede zwischen zwei Bildern festzustellen, in Frage. Ferner
wird sie geprüft, indem nach einiger Zeit dem Patienten die Bilder-
reihe von neuem vorgelegt, und er gefragt wird, ob er sich ihrer er-
innere, indem ferner beobachtet wird, inwieweit die Erinnerung an
die frühere Betrachtung das neue Resultat verbessert (dazu kompli-
ziertere Bilder geeignet, wie Spielkarten, Postmarken, Tiere, Land-
karten).
6. Die Reaktionszeit. Wird mit Fünftelsekundenuhr gemessen.
Bei sehr alten Fällen von Jugendirresinn möchte Heilbronner glauben,
„daß die Benennungsmethode — allerdings mit Aufwand von viel
Geduld — besser als andere geeignet ist, die sonst nur zufällig fest-
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zustellenden Reste von Leistungsfähigkeit einer einigermaßen syste-
matischen Untersuchung zugänglich zu machen." Die Methode hat
ferner den Vorzug, daß sie einfach ist, keine Vorbereitung erfordert,
direkt im Krankenzimmer vorgenommen werden kann und infolge
gleicher Reize vergleichbare Resultate gibt. Als Hilfsmittel zur Her-
stellung der Zeichnungen wird empfohlen : „Wie lerne ich Zeichnen",
Leipzig, Verlag von K. F. Köhler. Ferner wurden von Heilbronner
zum Benennenlassen von Bildern das Meggendorfersche Bilderbuch:
„Für die ganz Kleinen", Verlag von W. Nitschke, Stuttgart, und die
im Verlag von Schreiber erschienenen Bilder für den ersten An-
schauungsunterricht benutzt.
XV. Hennebergs Bilderprüfung 2^).
Henneberg prüft die Intelligenz, indem er die Kranken ver-
anlaßt, „komplizierte bildliche Darstellungen, die sich auf eine
Situation oder eine Phase einer Handlung beziehen", zu deuten.
„Von den zahlreichen wahrgenommenen Einzelheiten müssen die
wesentlichen von den nebensächlichen unterschieden werden. Die
wesentlichen Emzelheiten müssen unter einem oder wenigen Gesichts-
punkten zusammengefaßt werden." Er verwendet zu diesem Zwecke
„Die Überfahrt am Schreckenstein" von L. Richter (es muß ange-
geben werden, wie sich die Personen im Boote betätigen), „Ein
Mädchen trauert über den Tod ihres Vogels" von Grenze („aus Ge-
sichtsausdruck und Haltung muß die Traurigkeit und ferner in dem
toten Vogel die Ursache derselben erkannt werden"), „Schäfer vom
Blitz getroffen" von Jakob Becker („hier muß die Todesursache aus
der Gewitterstimmung und dem brennenden Räume erschlossen
werden"), „Ermordung Cäsars" von Piloty („hier müssen die Rollen
des Casca und des Cimber erfaßt werden, eine bereits schwierige
Aufgabe").
Ferner hat Henneberg aus Münchener Bilderbogen Serien von
zusammenhängenden Bildern zusammengestellt^ z. B. als leichte Auf-
gabe „Die Geschichte vom hinterlistigen Heinrich" von W. Busch,
als schwierigere „Die bösen Buben" von Korinth.
Während intelligente Ungebildete die Bilder meist richtig erklären,
beobachten Imbecille oft nur wenige Einzelheiten und gehen auf den
Zusammenhang nicht ein. Debile bemerken meist viele, oft unwich-
tige Einzelheiten, sind aber außerstande, den Zusammenhang völlig
zu verstehen. Paralytiker zeigen oft wenig Interesse. Hebephreniker
bleiben oft an nebensächlichen Dingen hängen, knüpfen an die Beob-
achtung mitunter neben ganz richtigen völlig unsinnige Antworten.
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Ferner gibt die brauchbare Prüfung auch einen Einblick in die Denk-
störungen akuter Psychosen.
Im Anschlüsse an die Bildprüfung erwähnt Henneberg noch eine
andere, wohl weniger eindeutige Methode der Intelligenzprüfung
welche darin besteht, Fremdwörter, deren Kenntnis bei Ungebildeten
nicht als Schulwissen gelten kann, sondern erst im späteren Leben
gewonnen wird, umschreiben zu lassen. Die benutzte Wortreihe ist
folgende: Gratulieren, sich amüsieren, sich genieren, exerzieren, bla-
mieren, Instrument, Institut, Annonce, Profit, kolossal, illustriert, schi-
kanieren, renovieren, sortieren, Qualität^ Kapital, Konzession, normal,
modern, eventuell, humoristisch.
In der auf den Vortrag folgenden Diskussion beschrieb Reich
2 Methoden der Auffassungsprüfung. Er legt einmal dem Kranken
ein Teilbilderbuch vor, in welchem nur Teile von Gegenständen ab-
gebildet sind, aus denen der Patient auf das Ganze schließen muß«
Andererseits prüft er die Fähigkeit, sich in schwierigen Lagen zu-
rechtzufinden durch die Methode der Szenenbilder. Er braucht dazu
ein von der freien Lehrervereinigung für Kunstpflege herausgegebenes
Bilderbuch: Spiel mit! Verlag von Job. Raede, Berlin W. 15. „Es
zeigt sich, daß zahlreiche Kranke, welche Einzelbilder ohne Schwierig-
keit erkennen, vor den Szenenbildern in ganz überraschender Weise
versagen und nicht nur die Bedeutung der Szenen nicht erkennen,
sondern sogar Gegenstände, die sie im Einzelbilde richtig auffassen?
im Szenenbilde nicht zu erkennen vermögen. Auch hier wird Frage
und Antwort protokollarisch aufgenommen". Die Methode hat den
Vorzug, daß sie ganz einfache Bilder verwendet, welche nur geringe
Anforderungen an die Bildung des Prüflings stellen. Um die Ord-
nung des Vorstellungsablaufs zu prüfen, wendet Reich die von Ziehen
vorgeschlagene Methode der rückläufigen Assoziation an oder er läßt
die Kranken eine einfache, aus mehreren einfachen Akten zusammen-
gesetzte, eingeübte Tätigkeit ausführen, z. B. das Putzen und Anzünden
einer Lampe. Kranke, bei welchen der Ablauf der Ideenassoziation
in Unordnung geraten ist, sind außerstande, die einzelnen Teilhand-
lungen in der richtigen Reihenfolge vorzunehmen. Oder er legt dem
Kranken 9X6 gleiche Gegenstände untereinander gemischt vor und
fordert ihn auf, immer je 6 gleiche Gegenstände zusammen zu legen.
Da bei dieser Prüfung an Merkfähigkeit und Auffassung sehr geringe
Anforderungen gestellt werden, da ferner nur die Wahrnehmung der
Form der Gegenstände, dagegen nicht die begriffliche Erkennung der-
selben nötig ist, gibt der Versuch ein ziemlich reines Bild der Ord-
nung des Gedankenablaufs und ist daher zu empfehlen.
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Den Schluß des Kapitels mögen einige Gedanken aus einem eben
erschienenen, sehr lesenswerten Buche von Beize 2) bilden:
^Eine gleichmäßige Ausbildung aller Teile des geistigen Inven-
tars ist durchaus nicht gewöhnlich". . . Der fertig übernommene Teil
des Inventars, z. B. das Schulwissen, darf bei weitem nicht so hoch
eingeschätzt werden, wie der durch eigene Aktivität des Individuums
erworbene Bestandteil, der die Lebensklugheit ausmacht. Letzterer
gewährt ^uns einen Einblick in den individuellen geistigen Mechanis-
mus", läßt uns erkennen, „wie es um das Schluß vermögen, um die
Kombinationsfähigkeit, um die Fähigkeit zur Aufbringung des eine
so wichtige Grundlage der Intelligenz bildenden Affekts, um das
Phantasieleben steht". Im einzelnen ist zu prüfen einmal der sprach-
liche Ausdruck (zu unterscheiden die mangelhafte Geübtheit in letz-
terem von der Unfähigkeit zur Bildung klarer Begriffe), die Lebens-
anschauungen, Gesinnungen und Grundsätze, die Phantasietätigkeit,
„welche eine große Bedeutung für das praktische Leben" hat, nament-
lich in Fällen, in denen die Zurechnungsfähigkeit oder die Geschäfts-
fähigkeit in Frage kommt". „Ein Mittel, die Phantasie direkt zu
messen, haben wir allerdings nicht", wir können uns nur eine unge-
naue Vorstellung machen. Wichtig ist ferner die Schärfe und Klar-
heit der Begriffsbildung, die Fähigkeit, Gedankenkomplexe schnell zu
verlegen und neu zusammenzufügen (Analyse, Synthese). Ferner muß
untersucht werden „die Fähigkeit der lebenden Nervensubstanz, sich
beständig neue Dinge anzueignen" (Plastizität), das Geordnetsein des
psychischen Inhalts, die Befähigung, das richtige Wertverhältnis der
einzelnen Begriffe zueinander herzustellen (nötig zur Urteils- und
Schlußbildung), „die Ausbildung der gefühlsmäßigen Bestandteile der
Vorstellungen" (Erregungsfähigkeit der Gefühle, Sensationsfähigkeit)
und die geistige Regsamkeit, welche zu letzterer in Beziehung steht.
„Zur Sensationsfähigkeit müssen selbstverständlich auch entsprechende
motorische Kräfte hinzutreten, soll es tatsächlich zu entsprechenden
intellektuellen Leistungen kommen (Energie des WoUens). Wichtig
ist femer der Charakter, welcher „das Bleibende im Wechsel ist,
solange nicht eine psychische Krankheit störend auf ihn einwirkt".
Ein bestimmtes Mindestmaß des geistigen Besitztums gibt es nicht.
Jedes Untersuchungsschema ist subjektiv. Bei der Untersuchung ist
„auch auf Störungen des Empfindungs-, Gefühls- und Affektlebens
zumindestens ebenso zu fahnden wie auf Störungen der Intelligenz".
Zwischen dem Gedächtnis und den intellektuellen Fähigkeiten be-
steht „kein durchgehender Parallel ismus, aber in der überwiegenden
Mehrheit der Fälle entsprechen sich „die Höhengrade beider Fähig-
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keiten". Das gilt aber nur für die assoziative Gedächtnisleistung (das
Individuum sucht den Inhalt zu verstehen, ehe es ihn sich aneignet),
nicht aber für die impressive Gedächtnisarbeit (wörtlich auswendig
gelernt).
Wichtig ist, daß das geistige Inventar sich aus dem allgemeinen
Wissen und dem Spezialwissen (z. B. Berufskenntnisse) des Individu-
ums zusammensetzt. Letzteres ist sorgfältig zu erforschen. Grobe
Mängel auf diesem Gebiete sind sehr schwerwiegend. Der ünter-
sucher muß daher sich über das Durchschnittswissen der einzelnen
Stände, Berufe, Geschlechter und Altersklassen informieren und sehr
lebenserfahren sein. „Man müßte z. B. wissen, welche geistigen
Leistungen von einem erwachsenen deutschen Weibe des Bauern,
Standes zu verlangen sind, inwieweit ein solches von dem zugehörigen
Manne, von einer gleichaltrigen Stadtdame usw. verschieden sei''
(Möbius).
Jedes einzelne Gebiet muß für sich aufgenommen werden. Von
unrichtigem Wissen ist das sehr verbreitete falsche (unrichtig gelernt
und nicht korrigiert) zu unterscheiden, das auf Leichtgläubigkeit, ab-
norme Beeinflußbarkeit, Intelligenzmangel hindeuten kann. Wird es
„festgehalten, trotzdem die Möglichkeit der Korrektur durch neue Er-
fahrungen geboten* war", so kann man auch Mangel an Plastizität
vermuten. „Besonders gering muß aber die Sensationsfähigkeit der
untersuchten Person angenommen werden, wenn sich in ihrem Inventar
einander widersprechende, einander ausschließende Vorstellungen, An-
schauungen, nebeneinander finden lassen". „Ein großer Gehalt des
geistigen Inventars an unrichtigen Vorstellungen und Begriffen wird
auf eine weitgehende Insuffizienz des Urteilsvermögens, auf Kritik-
losigkeit weisen''. „Das Ausbleiben von naheliegenden Schlüssen trotz
Verfügbarkeit der Prämissen, das Vorhandensein von Lücken in Ge-
dankenreihen trotz Nachweisbarkeit des zur Ausfüllung derselben zu-
reichenden Vorstellungsraaterials wird uns die geistige Regsamkeit des
Individuums insuffizient erscheinen lassen". Die häufige Wiederholung
desselben Gedankenganges spricht für geringen Umfang des geistigen
Inhalts. ;;Die Fähigkeit, fremder Auffassung Verständnis entgegen-
zubringen ... ist ein Zeichen von Stärke des Intellekts. Und auch
das Gegenteil trifft zu". . . .
„Die Feststellung des Besitzes von sittiichen Begriffen, insofern
derselbe sozusagen das Inventar des Gewissens darstellt", ist sehr
schwierig. Schwierig ist es besonders, „herauszufinden, bis zu welchem
Grade die vorhandenen Begriffe wirksam zu werden vermögen. Man
bemühe sich, dem zu Prüfenden Situationen von sittlicher Beziehung
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möglichst genau auszumalen, und beobachte, ob er diese Beziehung
zu erkennen vermag und welche Gedankengänge bei ihm etwa durch
diese Erkenntnis angeregt werden".
Da die Fragestellung ein zu derbes Reaktionsmittel darstellt und
nicht erkennen läßt, wielange das Individuum selbständig eine Ziel-
vorstellung festzuhalten vermag, ist es ratsam, auch die spontanen
Äußerungen, besonders schriftlich niedergelegte Autobiographien, noch
besser ganz freiwillige Äußerungen, sowie die Handlungen der Person
2u studieren. Es ist daher eine genaue Anamnese erforderlich, welche
bereits in früher Kindheit einsetzen muß (Näcke). Nach Schäfer ist
ein „längeres Studium der ganzen Persönlichkeit'' und eine möglichst
eingehende Erforschung des Lebenlaufs, des „Verhaltens im re^en
Betriebe des alitäglichen Lebens draußen mit seinen mannigfaltigen
Verführungen und Zwischenfällen nötig". Endlich betont Berze, daß
an Stelle der unwissenschaftlichen Bezeichnungen, wie Blödsinn,
Schwachsinn usw. lieber von Störungen des Gedächtnisses, welche
wieder genauer zu analysieren wären, von Störungen der Merkfähig-
keit, der Sensationsfähigkeit, der assoziativen Tätigkeit, der Apper-
zeptionsfunktionen" gesprochen werden sollte.
Kurz vor Abschluß vorstehender Arbeit erschien eine für das
Studium der Intelligenzprüfungsmethoden sehr wichtige Abhandlung
von Ziehen (^ß), auf deren Inhalt hier noch in Kürze eingegangen
werden soll. Verfasser betont die Wichtigkeit des Wissens aus der
täglichen Lebenserfahrung gegenüber dem viel weniger bedeutsamen
Schulwissen, hebt die störende Beeinflussung der Intelligenzprüfung
durch „formale Assoziationsstörungen einschließlich der funktionellen
Inkohärenz und der Affekte" hervor, betont, daß fortlaufende Methoden
möglichst zu vermeiden sind, „um dem Ermüden der Aufmerksamkeit
vorzubeugen", und daß den „Schlußstein" jeder Intelligenzprüfung
eine spezifische Untersuchung der Aufmerksamkeit bilden müsse. Es
eignet sich hierzu besonders die Bourdonsche Probe (Revue philos.
1895, S. 153), welche darin besteht, daß man dem Kranken einen
sinnlosen, später einen sinnvollen Text vorlegt und ihn auffordert,
allen und e anzustreichen. „Fällt die Bourdonsche Probe sehr schlecht
aus, so wird man die Ergebnisse der Intelligenzprüfung nur mit
großer Vorsicht verwenden dürfen, Wir werden uns immer die Frage
vorlegen müssen, ob ein schlechtes Ergebnis nicht von funktionellen
Aufmerksamkeitsstörungen, z. B. hysterischer Zerstreutheit, neurasthe-
nischer Ermüdbarkeit u. s. f. abhängt, der Defekt also nur vorgetäuscht
wird".
Die Grundlage der Intelligenzprüfung muß eine genaue Er-
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— 108 —
forschung der Eetention oder Deposition, d. h. des erstea Vorgangs,
welcher der Empfindung folgt, bilden. Dabei ist hervorzuheben, daß
eine individuelle Anpassung der Fragen an das Bildungsniveau des
einzelnen nötig ist, und daß große Erfahrung dazu gehört, aus dem
Gefundenen Schlüsse zu ziehen. Geeignet sind Fragen nach der Farbe
einer Fiinfpfennigmarke, dem Aussehen einer Kose, nach den Neben-
flüssen eines Flusses, nach dem Zeitpunkte der Kartoffelernte (Wein-
lese, Messe, Vogelschießen). Oder man fragt, wieviel eine Semmel,
ein Liter Milch kostet, wieviel Pfennige eine Mark hat u. s. f.
Wichtiger noch als Fragen nach längstvergangenen Erlebnissen sind
die nach jüngst vergangenen (Wo waren Sie gestern? Wie lange sind
Sie hier?). Besonders hat sich folgende Aufgabe bewährt, welche die
Wirkung der Aufmerksamkeit möglichst ausschaltet: „Man gibt dem
Kranken eine Aufgabe aus dem kleinen Einmaleins. Nachdem er
das Resultat angegeben hat, spricht man ihm 6 einstellige Zahlen vor
und läßt sie ihn sofort nachsprechen. Darauf spricht man ihm eine
zweite Reihe 6 einstelliger Zahlen vor. Nachdem der Kranke auch
diese nachgesprochen hat, fragt man ihn nach dem Exempel, welches
ihm zu Anfang aufgegeben worden ist. Hierbei muß dem Kranken
ausreichende Zeit zum Besinnen gewährt werden. Die Unversehrt-
heit der Merkfähigkeit zeigt sich darin, daß die Zahlenreihen richtig
nachgesprochen und das Exempel am Schluß richtig angegeben wird.
Auf das richtige Ausrechnen des Exempels kommt es dabei nicht an. . .
Wenn man die Probe öfters bei demselben Kranken wiederholt, so
empfiehlt es sich, gelegentlich auch ein Exempel aus dem großen
Einmaleins zu wählen. Die Zahlen müssen deutlich und laut vor-
gesprochen werden. Das Tempo soll weder zu rasch, noch zu lang-
sam sein. Ich rechne auf die Reihe von 6 Zahlen in der Regel
4 — 5 Sekunden . . . Sehr wichtig ist es, daß man einen gewissen
Rhythmus bei dem Vorsprechen der 6 Zahlen einhält**. Für gewöhn-
lich klärt man die Person nicht darüber auf, weshalb sie geprüft
wird. Bei schweren Defekten, z. B. Korsakoffscher Psychose, teilt
man besser „der zu untersuchenden Person vorhet ausdrücklich" mit,
„worauf es ankommt**, beauftragt sie also, „das F.xempel zu behalten".
Der vollsinnige Ungebildete spricht gewöhnlich mindestens 6 Zahlen
richtig nach. „Selbst vorgeschrittene Paralytiker scheitern, solange
sie überhaupt die Aufgabe noch verstehen, in der Regel erst bei vier
Zahlen. Dasselbe gilt von der senilen Demenz. Selbst bei dem
Korsakoff sehen Symptomenkomplex werden 3 Zahlen meist noch richtig
wiederholt. Man kann daher geradezu sagen, daß ein Nichtnach-
sprechen von 3 Zahlen stets aggravations- oder simulationsverdächtig ist,
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— 109 —
wofern nicht gerade ein sehr weit vorgerücktes Stadium einer Defekt-
psychose oder ein schwerer Zustand der Denkhemmung oder Disso-
ziation vorliegt". Statt der Zahlen kann man bei besonders guter Aus-
bildung des Zahlengedächtnisses (Kellner) Buchstaben wählen.
Zur Prüfung des optischen Gedächtnisses kann man einfache
Figuren kurze Zeit vorzeigen und dann aufzeichnen lassen (vgl. p. 18).
Sehr geeignet zur Feststellung der Retention sind auch Nacherzählungen
von einfachen Märchen oder Lokalnachrichten oder die Ausführung
von Aufträgen nach einer gewissen Zeit. Endlich empfiehlt Ziehen noch
die Methode der Paarwerte (Psychiatrie 3. Aufl. S. 229), sowie die
Rauschburgsche Adressenmethode.
Für die Erforschung der Vorstellungsentwickelung und Vor-
stellungsdifferenzierung, welche die sich mannigfach durchkreuzenden
Prozesse der Isolation (Herauslösung von Vorstellungen), der Kom-
plexion (Verschmelzung) und Generalisation in sich begreifen, eignen
sich folgende Fragen: „Welche Eigenschaften kommen allen Vögeln
zu?" und invers: wie nennt man alle die Tiere, die Flügel und Federn
und einen Schnabel haben und Eier legen ?'' Weiter sind empfehlens-
wert Definitionsfragen (Was ist ein Vogel? Was ist Neid?), vor allem
aber die ünterschiedsfragen, z. B.:
„Hand und Fuß?
Ochs oder Pferd?
Vogel und Schmetterling?
Tisch und Stuhl?
Wasser und Eis?
Tür und Fenster?
Baum und Strauch?
Korb und Kiste?
Treppe und Leiter?
Teich und Bach?
Wolle und Leinen?
Kind und Zwerg?
Borgen und Schenken?
Geiz und Sparsamkeit?
Irrtum und Lüge?''
Wichtig ist, daß dem Befragten genügend Zeit gegönnt wird, die
Antworten wörtlich niederzuschreiben und mindestens 5 — 6 Fragen
gestellt werden.
Bei der Prüfung der Reproduktion wird die Verarmung an
„liquiden, zu sofortigem Gebrauch zur Verfügung stehenden** Vor-
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— HO —
stelluDgen am besten durch Assoziationsversuche festgestellt. Z. emp-
fiehlt, am Anfang folgende Beispiele zu geben:
Geld — Hosentasche
Bett — warm
hoch — niedrig
faul — Kind,
darauf folgende Reizworte zuzurufen: Wald, rot, Haus, Krankheit,
Klein, Stadt, Schuld, Vater, Neid, süß, Gift, Fisch, Hochzeit, laufen,
Tod, 3 davon am Schluß zu wiederholen und die Prüfung nach 24
Stunden und 8 Tagen nochmals vorzunehmen. Nötig ist es, hierbei
auf etwaige Perseveration zu achten.
Endlich wird der wichtigste Bestandteil der Intelligenz, die Kom-
bination geprüft. Die Erforschung der orientierenden Auffassung
wird zur Kombinationsprüfung, wenn der Kranke bei der Frage nach
seinem Aufenthaltsorte „auf die bettlägerigen Mitkranken oder auf die
Kleidung der Krankenschwester" hingewiesen wird usw. „Man muß
sich nur bei dieser wie bei allen folgenden Kombinationsprüfungen
gegenwärtig halten, daß Kombinationsstörungen nicht nur durch De-
fekt, sondern sehr oft durch funktionelle Assoziationsstörungen, z. B.
Inkohärenz in Dämmerzuständen, bei Amentia u. s. f. zustande kom-
men. Nur wenn letztere auszuschließen sind, ist der Rückschluß auf
Kombinationsdefekt zulässig.
Äußerst gering ist der Anteil der Kombination bei der rück-
läufigen Umkehrung bekannter Assoziationsreihen. . . . Etwas höhere
Ansprüche stellen bereits die Legespielmethoden. . . Geradezu para-
digmatisch für die Kombinationsprüfung sind auch die Gleichungs-
methoden. Man sagt dem Kranken: „ich denke mir eine Zahl, die
sollen Sie einmal raten, wenn ich 5 hinzuzähle, kommt 12 heraus,
welche Zahl habe ich mir gedacht?" Natürlich muß man sich vorher,
z. B. bei der Retentionsprüfung vergewissert haben, daß der Kranke
die Addition und Subtraktion innerhalb des Bereiches der Gleichungs-
aufgaben, die man stellen will, beherrscht. Geeignet sind auch Regel-
de tri- Aufgaben, z. B.: „2 Eier kosten 10 Pf., wieviel kosten 3?*
„Äußerst zweckmäßig zur Prüfung auf Kombinationsdefekte ist
die Ebbinghaussche Methode", für welche Ziehen besonders folgenden
Text verwendet: „Nach langer Wand in dem fremden Lande
fühlte ich mich so schwach, daß ich — — Ohn — nahe war.
Bis — Tode —mattet, f— ich ins Gras nieder und — bald fest ein.
Alsicherw , war es längst T—. Die S strahlen schienen —
ganz unerträglich ins , da ich auf — Rücken — . Ich wollte auf —
aber sonderbarerweise konnte ich — Glied rühren, ich f — —
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— 111 —
mich wie — lähmt. Verwundert s— ich um mich, da entdeckte — ,
daß Arme und ß , ja selbst meine damals sehr 1— und
dicken Haare mit Schnüren und B — — an Pflöcken — — stigt
waren, welche fest in der Erde *'. „Man muß sich, wie bei an-
deren Proben, durch Kontrolluntersuchungen orientieren, welche
Fehler noch bei dem vollsinnigen Ungebildeten vorkommen. . . Ent-
scheidend ist immer nur, ob der Kranke sich in die ganze Situation
und den ganzen Zusammenhang der Erzählung richtig hineingedacht
hat. Alles andere ist demgegenülber als nebensächlich zu betrachten/
Das Verfahren kann auch dahin geändert werden, daß dem Patienten
Sätze mit „obgleich** oder „weil** vorgesagt werden, welche er ver-
vollständigen muß. Es ist ratsam, dem Kranken genug Zeit zu lassen
und ihn mitunter zur Aufmerksamkeit zu mahnen. „An dieEbbing-
haussche Methode schließt sich unmittelbar die Prüfungsmethode der
Auffassung kleinerer Erzählungen au. Die Methode besteht darin,
daß dem Kranken eine kleine Erzählung ohne Lücken vorgelesen
oder auch zum Selbstlesen vorgelegt wird. Der Kranke muß sie
dann im Zusammenhang mündlich oder schriftlich wiedererzählen und
die Pointe angeben." Er wird dadurch genötigt, die zwischen
den einzelnen Sätzen immer vorhandenen Zusammenhangslücken zu
ergänzen und „Dominant- oder Leitvorstellungen (Klammervorstel-
lungen) zu bilden, d. h. die einzelnen Vorstellungen nach ihrer
Wichtigkeit abzustufen und die Hauptklammervorstellung oder das
Leitmotiv herauszulösen.
Man kann auch bei einzelnen Bildern die „Haupttatsache" oder
den „Hauptkausalzusammenhang^ heraussuchen lassen oder eine An-
zahl in Zusammenhang stehender Bilder {Münchener Bilderbogen) vor-
legen und dabei Lücken lassen, welche durch Kombination ausgefüllt
werden müssen.
„Die freischaffende oder erfindende Kombination . . .^ läßt sich
leider nur sehr unvollkommen prüfen, da es uns an einem allgemein
gültigen Maßstab für diese höchsten Leistungen fehlt. Höchstens
können wir uns einen Begriff des Defektes machen, wenn wir frühere
und jetzige Leistungen des Kranken vergleichen oder den zunehmen-
den Verfall direkt beobachten können. Man würde, „um diese Funk-
tionen zu prüfen, z. B. vom Dichter das Verfassen eines Gedichts,
vom Maler das Malen eines Bildes (nicht eine Kopie!) verlangen
müssen. Den gewöhnlichen, nicht künstlerisch veranlagten Menschen
läßt man einen Brief oder Aufsatz schreiben".
Soviel aus den^ reichhaltigen Inhalt der zu genauerem Studium
auffordernden Arbeit Ziehens.
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— 112 —
Die Therapie der GeisteskrankheiteD.
über die Behandlung der Geisteskranken soll hier nur das Alier-
nötigste erwähnt werden. An erster Stelle steht die Psychotherapie,
welche besonders suggestiv erziehlich (Pelmann) wirken soll. Ein
ausgezeichnetes Mittel, Kranke durch Femhalten aller Reize zu be-
ruhigen, sie zu beobachten, vor Selbstmord zu bewahren und ihnen
die Meinung beizubringen, daß sie wegen Krankheit in die Anstalt
gekommen sind, ist die Bettbehandlung im Wachsaal. Außer erregten
legt man auch blutarme, ängstlich widerstrebende, die Nahrungsauf-
nahme verweigernde Kranke ins Bett. Doch kann eine zu lange
fortgesetzte Betthehandlung zu Ernährungsstörungen und schnellerer
Verblödung führen. Sie muß daher rechtzeitig von Bewegung im
Freien unterbrochen und mit Massage sowie gymnastischen Übungen
verbunden werden. Zeitweise macht es sich nötig, aufgeregte Kranke in
das Dauerbad (35 ^ C) zu verbringen; in welchem sie mit günstigem
Erfolge häufig Tag und Nacht verbleiben (Vorsicht bei Herzfehler und
Lungenblutungen, Aussetzen bei Entwickelung von Furunkulose und
übertragbaren Hautkrankheiten, Verschlimmerung alter Ohrenleiden!)
Besonders bei manischer, paralytischer und katatonischer Erregung,
weniger bei der ängstlichen Aufregung der Melancholiker und Epilep-
tiker, tut das Bad gute Dienste. Hinfällige werden auf übergespannte
Tücher oder besondere Tragvorrichtungen gelegt. Meist sind die Bade-
einrichtungen direkt neben dem Wachsaal gelegen, damit Bett- und
Badebehandlung miteinander kombiniert werden können. Lassen sich
die Kranken nicht im Bad erhalten, so erreicht man oft Beruhigung
durch lauwarme feuchte Ganzeinwickelungen (nicht bei Angst oder
schweren Herzkrankheiten), welche höchstens zwei Stunden lang
angewendet werden sollen. Die Isolierung aufgeregter Kranker soll
nur vorübergehend erfolgen, da sie das Zerreißen, Schmieren und
Onanieren begünstigt und muß bei Selbstmordverdächtigen aus-
geschlossen sein. Besonders empfindliche Kranke werden im offen-
stehenden Einzelzimmer separiert. Mechanische Beschränkung durch
feste Jacken darf nur noch vorübergehend bei chirurgischen Ver-
letzungen, juckenden Hautkrankheiten usw. angewendet werden, um
die Kranken vom Abreißen der Verbände oder Kratzen abzuhalten.
Ein wichtiges Mittel für Rekonvaleszenten und chronische Kranke
ist die Arbeit, welche ablenkend und anregend wirkt, sowie geeignet
ist, den Verfall in Verblödung und Abstumpfung aufzuhalten. Die
Anstalt bietet z. B. Arbeitsgelegenheit im Garten, Feld, in der Werk-
statt, der Schreib- und Flickstube, im Waschhaus, in der Zuputze usw.
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— 113 —
Aber auch Unterhaltungen aller Art, Spaziergänge usw. werden den
dafür geeigneten Kranken geboten.
Zur Ergänzung der vorerwähnten, an erster Stelle stehenden Behand-
lungsmethoden dient die zeitweise Anwendung von chemischen Mitteln:
1. Opium in der Form der tr. op. (3x15 Tropfen täglich in
steigender Dosis), des extr. op. aquos. oder pulv. op. bei der ängst-
lichen Erregung der Melancholiker.
2. Morphium hydrochloricum, innerlich oder subkutan, setzt die
zentrale Schmerzempfindlichkeit herab und wird besonders bei mit
Schmerzen verbundener Angst gegeben. Es wirkt nicht direkt schlaf-
bringend, sondern beruhigend. Vorsicht vor Morphinismus!
3. Hyoscinum oder Scopolaminum hydrobromicum i|2 — 1 Milli-
gramm subkutan oder innerlich bei schwer Tobsüchtigen (Manie,
Paralyse, Epilepsie, Katatonie). Am besten mit Morphium gemischt.
(3/4 Milligramm + 1 Zentigramm Morphium), um die unangenehmen,
mit seiner Anwendung verbundenen Sensationen zu mildern. Nicht
bei Herzleiden, Herzschwäche*
4. Duboisiuum sulfuricum in gleicher Dosis und Anwendung.
Etwas weniger gefährlich.
5. Chloralhydrat 1 — 3 Gramm pro dos., erzeugt tiefen, ruhigen
Schlaf. Vorsicht bei Erkrankung der Gefäße und des Herzens!
6. Paraldehyd 5—15 Gramm pro dos. Ruhiger Schlaf nach ca.
10 Minuten, der aber bei Geräuschen leicht gestört wird. Unange-
nehmer Geruch und Geschmack. Am besten in kaltem, gesüßtem Tee.
7. Sulfonal, geruch- und geschmacklos. Schlaf nach einigen
Stunden, lange Nachwirkung, da das Mittel schwer löslich ist. Darf
wegen Vergiftungsgefahr nicht zu lange hintereinander gegeben wer-
den (bei Rotwerden des Urins, Taumeln usw. aussetzen). Sorge für
guten Stuhlgang, in mehrtägigen Zwischenräumen Darreichung von
Sodawasser, um die Ausscheidung anzuregen.
8. Trional wirkt schneller (nach 10 — 15 Minuten) schlaf bringend
und zeigt nicht so lange Nachwirkungen, da es leichter löslich, daher
auch nicht so gefährlich ist. Abends 1 — 2 Gramm in heißer Milch.
9. Veroual, 0,25 — 1,0 in heißer Flüssigkeit.
10. Alkohol, z. B. starkes Bier oder Schlummerpunsch bei Schlaf-
losigkeit infolge von Überreizung, Übermüdung des Gehirns, innerer
Spannung (Kräpelin).
11. Brom (Natrium bromatum, Kalium bromatum, Erlenmeyersches
Bromwasser) täglich 3 — 6 Gramm in einmaliger oder steigender und
fallender Dosis, beseitigt besonders innere Spannungen. Bei Neu-
rasthenie, Krampfanfällen und Reizbarkeit der Epileptiker. Wirkt
Dost, EoTzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. ^
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— 114 —
erst nach längerem Gebrauch. Aufhören bei Entstehung von Akne,
Verdauungsstörung, Unsicherheit der Bewegungen, Gedächtnisschwäche !
Alle diese Mittel sollen nur vorübergehend und unter genauer
Berücksichtigung des Zustandes der Kranken angewendet werden.
Die Erregung paranoischer Kranker wird oft durch Aufenthalts-
wechsel vorübergehend günstig beeinflußt
Zur Beseitigung der Schlaflosigkeit versucht man vor Benutzung
der genannten chemischen Mittel abendliche warme Vollbäder, warme
Sitzbäder, Prießnitzumschläge auf den Leib usw.
Erwähnt sei noch die Wichtigkeit der Diät, die Anwendung von
Sondenfütterung ^^), Nährklystieren, Kochsalzinfusionen und subkutanen
Öeleinspritzung.
Dauernd unsaubere Kranke werden in Kastenbetten mit Moos-,
Holzwoll-, Moorerdefüllung gelegt. Aufliegen der Kranken (decubitus)
wird durch häufiges Trockenlegen, Sorge für faJtenlose Unterlagen,
häufigen Lagewechsel, Luftkissen usw. verhütet Fiebersteigerungen
bei blöden Kranken ohne nachweisbaren Befund werden mitunter
durch Klystiere beseitigt (Obstipation).
Endlich sei noch hervorgehoben, daß in der Irrenanstalt auch
das ganze übrige Arsenal der Behandlungsmethoden, wie es bei an-
deren Kranken üblich ist, angewendet wird, z. B. die verschiedenen
hydriatischen Prozeduren, Massage, Elektrizität, Gymnastik usw.
Ergänzt wird die Anstaltsbehandlung noch durch die familiale Ver-
pflegung gebesserter, harmloser, sozialer Geisteskranker. Sie hat den
Vorzug, billiger zu sein als die Anstaltsbehandlung und dem Kranken
das Gefühl größerer Freiheit und Behaglichkeit zu gewähren.
Die Geisteskrankheiten in ihren Beziehungen zum
Straf- nnd Zivilrecht.
A) strafrecht.
Nach Wulffen'^2) igt die aktive Apperzeption, der Wille gemäß
dem Gesetz der psychischen Resultanten befähigt, „gegenüber den
Motiven für und wider eine Handlung, ja gegenüber dem bisher ge-
zeigten Charakter und allen seinen Bestandteilen sehr wohl solche
neue Ursachen zu setzen, wie sie nach der ganzen bisherigen physio-
logischen und psychologischen Abhängigkeit nicht zu erwarten ge-
wesen wären. Diese Befähigung, Motive, Charakter, Intellekt und
Gewissen in ein neues gegenseitiges Verhältnis zu rücken, wohnt der
aktiven Apperzeption sehr wohl aus einer eigenen, an sich selb-
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— 115 —
ständigen, wenn auch im übrigen bedingten Kraft inne. Diese Be-
fähigung zu üben, heißt seine Willenskraft gegenüber bösen An-
fechtungen stärken.^ Dazu kommt, daß dem Charakter ^häufig im
gegebenen Augenblick ein zwischen Minimum und Maximum sich
bewegendes Maß von Willenskraft tatsächlich zur Verfügung steht.
Bei Annäherung an das Minimum wird die Willenskraft schwach
und unterliegt dem unsittlichen Motiv, bei Annäherung an das
Maximum wächst die Willenskraft und tiberwindet dieselben An-
triebe .... So kann man es denn erleben, daß ein Gewohnheits-
verbrecher doch in gewissen Augenblicken, ohne daß er schon seinen
Charakter geändert hätte oder ^durch äußere Umstände gehindert
worden wäre, aus einer gewissen eigenen Willenskraft heraus den
schlechten Motiven Widerstand leisten kann, bloß weil er sich im
Augenblick einmal „zusammennimmt^ .... Er könnte seine Willens-
kraft, wenn er „sich zusammennähme**, öfters an das Maximum,
welches ihm nach seinem Charakter zur Verfügung steht, heran-
bringen. Durch solche „Übung" könnte er dann seinen Charakter
verändern .... Das bekannte Freiheitsgeftthl und das Freiheits-
bewußtsein des Menschen, welches von Indeterministen zur Stütze
ihrer Lehren herangezogen zu werden pflegt, haben doch ganz be-
stimmt ihren Ausgangspunkt in dieser eben erörterten zutreffenden
Erkenntnis, daß auch der Wille in nicht seltenen Fällen befähigt sei,
trotz aller seiner Abhängigkeit und Bedingtheit aus sich heraus neue
Ursachen zu setzen, welche in die Kausalität von Charakter, Ge-
wissen, Erkenntnis und Motiven mit einzugreifen vermögen. Nur die
Verallgemeinerung und absolute Gültigkeit eines solchen Eingreifens,
sowie die Behauptung, dieses Eingreifen müsse unter allen Um-
ständen die Entscheidung bringen, ist irrig.
Soweit über diese Grenze hinaus ebenfalls ein ja nun verständ-
liches, weil aus einer sicheren Erkenntnis hervorgegangenes Gefühl
und Bewußtsein der Willensfreiheit besteht, beruhen sie auf einem,
ja im Bewußtsein der Menschen . . auch auf anderen Gebieten nicht
seltenen Trugschlüsse, werden sie zur Illusion. Es gibt aber zahl-
reiche Fälle, wo die Motive und der Charakter so nachdrücklich zu-
sammenwirken, daß die Befähigung des Willens als mitwirkende
Instanz völlig übersprungen oder nur schwach angerufen wird, daß
eine wesentliche Mitwirkung gar nicht ausgelöst wird . . ♦ . Unsere
Annahme einer sittlichen Zurechnung und ^Verantwortlichkeit steht
dem Determinismus keineswegs, wie man vielfach meint, entgegen
Man kann vielmehr sagen, daß der Determinismus insofern veredelnd
und züchtend wirkt, als er an den Menschen, der in die Kausalität
8*
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— 116 —
seiner Handlangen einen klaren, wenn auch zunächst deprimierenden
Eindruck erhält, höhere Anforderungen stellt als der Indeterminismusi
der bei beliebig vorhandenem Charakter der Willenskraft die be-
dingungslose Fähigkeit zum „Auchanderskönnen'^ zuschrieb. Wer an
diese Fähigkeit nicht glaubt, wird, um zu seinem Besten eine Ver-
änderung in der Kausalität seiner Handlungen herbeizuführen, an der
Veränderung der hauptsächlichsten Ursache, an der Verbesserung
seines Charakters zu arbeiten haben. Eine solche Verbesserung ist
an und für sich möglich, weil der Charakter keineswegs etwas Ge-
gebenes, Feststehendes ist, sie ist außer beim Geisteskranken und beim
geborenen Verbrecher auch subjektiv möglich, sofern nicht das
Individuum als Gewohnheitsverbrecher auch durch eigenes sittliches
Verschulden zufolge fortgesetzter Übung verbrecherischer Handlungen
die Befähigung zur Arbeit an seinem Charakter völlig oder so gut
wie völlig verloren hat ... . Alle Zwecke der Strafe können zur
Geltung gelangen. Die Strafe kann abschreckend wirken, sie kann
zur Besserung, zur Arbeit am eigenen Charakter anhalten, sie kann
geschehene Übeltat vergelten, sie kann zum Schutze der Gesellschaft
erkannt werden!"
In der Psychopathologie ist schon seit längerer Zeit das Gesetz
der psychischen Kausalität zu unumschränkter Herrschaft gelangt und
hat zur Ausnahmestellung der Geisteskranken in rechtlicher Beziehung
geführt. Und zwar geschah das trotz der Tatsache, daß auch bei
Geisteskranken Freiheitsbewußtsein, Verantwortlichkeitsgefühl und Ge-
wissensregung nicht stets vermißt werden. Doch lehrt die genauere
Beobachtung, daß diese psychischen Vorgänge den wirklichen Tat-
sachen nicht entsprechen. Wir finden z. B. während der Depression
des manisch-depressiven Irreseins ein ausgesprochenes Gefühl der
Unfreiheit, welches in der oft brüsk einsetzenden manischen Phase
bei demselben Individuum plötzlich in deutliches Freiheitsbewußtsein
umschlagen kann. Dabei sind die Kranken in beiden Zuständen
völlig unfrei, und das Gefühl der Freiheit ist nur eine Illusion.
Ebenso widerspricht das Freiheitsgefühl des Paranoikers seiner tat-
sächlichen Unfreiheit Weiter läßt sich als Beweis dafür, daß es ein
„intelligibles", der Kausalität nicht unterworfenes Gewissen im Sinne
Kants nicht gibt, anführen, daß während der depressiven Phase das
Gewissen außerordentlich rege, während der manischen Phase aber
abgestumpft erscheint, und daß die Gewissensregungen bei Paralyse
entsprechend der Zerstörung des Gehirns verloren gehen. Diese
Beobachtungen, die leicht vermehrt werden könnten, sind nach Hoche
wohl geeignet, für Determinismus zu sprechen.
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— 117 —
Während nun, wie bereits erwähnt, ausgesprochene Geistes-
krankheit von Strafe befreit (§ 51 des Str. 6. B), haben die Grenz-
zustände noch keine genügende Berücksichtigung gefunden. Zu
diesen rechnen wir die Degenerierten von den Leichtsinnigen und 6e-
wohnheitslügnem an bis zu den Hochstaplern, Anarchisten und der
Hauptmasse der sexuell Perversen. Obwohl diese Menschen nach
Aschaffenburg nicht ohne weiteres für straffrei erklärt werden dürfen,
kann doch bei ihnen „das Zusammentreffen schädigender Ursachen
oder das Vorwiegen bestimmter Vorstellungen die ohnedies verminderte
Zurechnungsfähigkeit ausschließen." Femer gehört zu dieser Klasse
der hysterische, epileptische Charakter, die Hypochondrie, Neurasthenie,
der angeborene Schwachsinn, Taubstummheit sowie durch Kopf-
verletzung, Hirnerschütterung, Alkohol, Morphium, Schlaganfall ent-
standene Minderwertigkeit. Hierunter fallen auch die krankhaften
Zustände, welche durch Menstruation, Schwangerschaft, Entbindung
(Kindestötung), Klimakterium hervorgerufen werden. Die bisher be-
willigten mildernden Umstände werden diesen Formen nicht gerecht,
da für manche Verbrechen keine mildernden Umstände vorgesehen
sind. Auch hat die Bewilligung letzterer nur den Erfolg, daß die
zum Teil sehr gefährlichen Menschen desto eher auf ihre Mitmenschen
wieder losgelassen werden. Die von verschiedenen Seiten (v. Liszt,
Aschaffenburg, Kahl) bisher vergebens erstrebte Einführung des Be-
griffs der verminderten Zurechnungsfähigkeit, welcher sich darauf
stützt, daß es zwischen Gesunden und Geisteskranken zahlreiche
Übergangsstufen gibt, deren Widerstandsfähigkeit gegen Verbrechen
in verschiedenem Grade beeinträchtigt ist, wird hoffentlich das neue
Strafgesetzbuch bringen.
Für die Verwahrung der dauernd geisteskranken Verbrecher
oder derjenigen, welche nur zur Zeit der Tat geisteskrank waren,
aber gefährlich bleiben, wurden von Näcke^^) besonders Adnexe an
Strafanstalten, von anderer Seite solche an Irrenanstalten oder be-
sondere Kriminalanstalten empfohlen. Letztere eignen sich nach
Dannemannii) nur für größere Staaten, welche eine „größere Menge
psychisch defekter Sträflinge ins Auge fassen müssen." Nach den
auf dem deutschen Juristentage in Innsbruck 1905 aufgestellten
Thesen sind alle geistig Minderwertigen milder zu bestrafen, und
zwar sollen Gemeingefährliche, wenn sie strafvollzugsfähig sind, ihre
Strafe in der Strafanstalt abbüßen und darauf in besonderen An-
stalten bis zur Entlassungsfähigkeit verwahrt werden, während die
nicht Strafvollzugsfähigen sogleich in diese Anstalten übergeführt
werden sollen. Die Nichtgemeingefährlichen werden mild oder nicht
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bestraft und sollen einer staatlichen Gesundheitsaufsicht unterliegen.
Zur Verwahrung werden Kriminal-Irrenanstalten, Trinkeranstalten und
besondere Spezialanstalten (Näcke) für geistig Minderwertige vor-
geschlagen.
1. Geisteskranke als Zeugen und Ankläger.
Bekanntlich hängt die wichtige Aussage eines Zeugen von der
Beschaffenheit der Sinnesoi^ne, der Aufmerksamkeit, Gefühls-
betonung, Urteilskraft, Merkfahigkeit, Erinnerungsfestigkeit sowie der
Fähigkeit, das Reproduzierte wiederzugeben, ab. Ferner sind die
Details des Erinnerungsbildes je nach Charakter, Geschlecht, Alter,
Bildung, Neigung verschieden. Oft entstehen noch nachträglich Er-
innerungsfälschungen durch Träume, Lektüre oder Erzählungen,
welche öfters wiederholt werden. So findet häufig eine Um-
gestaltung der Erinnerungen statt, ohne daß es der Betreffende merkt
(Vergl. Sterns Beiträge zur Psychologie der Aussage.) Wieviel mehr
muß noch die Aussage des Geisteskranken infolge der häufigen
Trübung des Bewußtseins, der Halluzinationen, Wahnideen usw.
Mißtrauen erwecken! „Welche Gefahr liegt" nach Kötscher „darin
für das Publikum, wenn der Richtende nicht ungefähr orientiert ist
wenigstens über die hauptsächlichsten und relativ häufigsten Fehler-
quellen, die uns die Psychopathologie liefert!" Sommer unterscheidet
einen paranoischen, halluzinatorischen, schwachsinnigen (mit morali-
schem Defekt), hysterischen (Autosuggestion) paramnestischen (Be-
wußtseinstrübung) Typus der falschen Aussagen bei Geisteskranken.
Bekannt ist die Neigung der Melancholischen^ sich aller möglichen
Verbrechen zu beschuldigen, sich gering zu achten und andere zu
überschätzen, während der Manische von sich eingenommen ist und
auf andere herabblickt Ebenso steht der Verfolgungswahn des
Paranoikers, die geistige Abstumpfung und gesteigerte Suggestibilität
des Imbecillen, die Lügenhaftigkeit des psychopathisch Minderwertigen
(Pseudologia phantastica)^ die Neigung des Hysterischen zur phan-
tastischen Ausschmückung, das Bestreben Epileptischer, Gedächtnis-
lücken infolge vorübergehender Bewußtlosigkeit mit Erfundenem
auszufüllen, die Aufmerksamkeit und Gedächtnis schädigende Schlaff-
heit des Neurasthenikers, die degenerative Charakterveränderung des
Trinkers und Morphinisten einer objektiven Würdigung und exakten
Darstellung beobachteter Tatsachen hindernd im Wege. Ebenso sind
die Anklagen des Alkoholikers wegen ehelicher Untreue, die endlosen
Beschwerden des Querulanten, die sexuellen Beschuldigungen des
Hysterischen, die Denunziationssucht des Epileptikers, sowie die
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— 119 —
Selbstbeschuldigungen, welche von verschiedenen Geisteskranken vor-
gebracht werden, mit Vorsicht zu beurteilen.
Nach Fritsch^i) kann die Aussage eines Verrückten vertrauen-
erweckend sein, wenn durch die betreffende Tatsache der Ideenkreis
und die Persönlichkeit des Kranken nicht berührt wird, was sich ge-
wöhnlich an der Leidenschaftslosigkeit der Aussage zeigt. Auch
Imbecille können wahrheitsgetreue Angaben machen, wenn es sich
um einfache Verhältnisse, Hysterische desgleichen, wenn es sich um
Dinge handelt, die nicht affekterregend wirken, und wenn keine
degenerative Cbarakterentartung vorliegt Es wird immer darauf an-
kommen, in welcher Art und Weise die Aussagen gemacht werden,
ob der Zeuge konstant bei seiner Aussage bleibt, und ob sich letztere
widerspruchslos den übrigen Tatsachen einordnet. Während dem-
nach Geisteskranke unter Umständen zeugnisfähig sein können, wird
vou Aschaffenburg vorgeschlagen, Geisteskranke und Geistesschwache
nicht zu vereidigen, da durch die Eidesleistung schon der Gesunde
leicht in Erregung und Verwirrung geraten kann, umsomehr der
Geisteskranke, dessen Affektleben labiler ist.
2. Verbrechen von Geisteskranken.
Krafft-Ebing schlägt vor, eine psychiatrische Untersuchung eines
Verbrechers zu veranlassen bei Mordtaten, welche mit auffälliger
Grausamkeit begangen werden (Epileptiker, Degenerierte), bei Sittlich-
keitsvergehen von Greisen, sexuell perversen Akten (Epilepsie, senile
Demenz, beginnende Paralyse, Degeneration), bei Tötung eines
Kindes gleich nach der Entbindung, bei Trunksucht, Epilepsie,
Hysterie, bei Personen, die schon früher geisteskrank waren, bei Ge-
wohnheitsverbrechern, welche sich trotz guter Erziehung zu Ver
brechern entwickelt haben, bei Erinnerungslücken nach der Tat,
Fehlen jeden äußeren Motivs. Während planmäßige Vorbereitung
und kaltblütige Ausführung nicht gegen Psychose sprechen, kann
man Geisteskrankheit vermuten, wenn kein äußeres Motiv vorliegt,
die Tat unvorbereitet und ohne Affekt ausgeführt wird. „Aus der
Handlungsweise des Täters nach der Tat läßt sich nur selten ein
sicherer Schluß auf den Geisteszustand des Täters ziehen. Es kann
nicht genug hervorgehoben werden, daß ein der Situation en^
sprechendes Verhalten nach der Tat nicht ohne weiteres gegen
Geisteskrankheit spricht .... Ebensowenig kann ferner aus dem
Streben, die Tat zu verbergen und ihre Spuren zu verwischen, aus
Äußerungen der Reue und Verzweiflung, aus dem Streben, den
Schaden wieder gut zu machen, z. B. dem Verletzten Hilfe zu leisten.
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auf geistige Gesundheit, andererseits aus dem ostentativen Hinweis
auf die begangene Tat, «absichtlichem Hervorheben gravierender Tat-
umstände" oder aus der gemütsrohen Gleichgültigkeit gegenüber
dem Opfer auf Geisteskrankheit mit Sicherheit geschlossen werden 3).
Eine Häufung von verdächtigen Momenten kann all^dings den Ver-
dacht auf Geisteskrankheit zur Gewißheit machen. Empfehlenswert
ist es auch nach Kasper, ^in jedem Falle zu erwägen^ ob man sich
von dem betreffenden Individuum einer solchen Tat versehen konnte
oder nicht"
Nach Erafft-Ebing^^) weisen auf einen krankhaften Geisteszustand
während der Tat hin: „Warnung der Umgebung vor der zu be-
gehenden Tat; Versuche, sich der zur Begehung des Verbrechens
gebotenen Mittel selbst zu berauben; [auffallende Änderung des Cha-
rakters, dumpfes Hinbrüten, Vernachlässigung des Berufs, Klagen
über vage körperliche, speziell nervöse Beschwerden, Unruhe, Schlaf-
losigkeit, ausgesprochene Befürchtung, irre zu werden, vage An-
deutung in der Zeit vor der Begehung der Tat, daß etwas Schreck-
liches passieren werde, auffallende Gleichgültigkeit bei Verhaftung
und Verhör, Spuren von Gereiztheit, von intellektueller Schwäche,
abspringender profuser Geschwätzigkeit, beharrlichem Leugnen bei
Ergreifung auf frischer Tat, transitorische Irreseinszustände und durch
Fieber bedingte Erinnerungslosigkeit/'
Bei den einzelnen Phychosen überwiegen folgende kriminelle
Handlungen :
Manie: Vagabondage. Ruhestörender Lärm. Alkoholexzesse.
Infolge des erhöhten Geschlechtstriebes Notzuchtversuche, Prostitution.
Diebstahl aus Begehrlichkeit, Bosheit, Mutwillen. Zweikampf. Gottes-
leugnung. Nötigung. Infolge der Reizbarkeit Beleidigung. Der
Größenwahn führt zu Betrug. Bei Tobsucht schwere Gewalttaten.
Melancholie: Um aus der qualvollen Spannung und Angst
herauszukommen, Selbstmord, Kindesmord, Brandstiftung. Seltener
Verbrechen, um auf dem Schafott zu büßen. Fälschliche Selbst-
denunziation.
Akute halluzinatorische Verwirrtheit: Notzucht, Sach-
beschädigung, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Mord als Abwehr gegen die zahlreichen Sinnestäuschungen.
Dementia praecox, Jugendirresein: Infolge des zornigen
Affekts Körperverletzung, Totschlag. Als impulsive Handlung Brand-
stiftung. Infolge der gemütlichen Abstumpfung, der Urteils- und
Willensschwäche Disziplinarvergehen, Fahrlässigkeit.
Paranoia: Die Verfolgungsideen veranlassen Beleidigung, Ver-
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leumdung, Meineid, Nötigung, Hausfriedensbruch, Brandstiftung, Mord.
Bei Wahn der ehelichen Untreue Mord der Gattin und des vermeint-
lichen Liebhabers. Bei religiösem Wahn oft Mord einer geliebten
Person als Opfer.
Epileptischer Dämmerzustand: Desertion, Vagabondage,
Diebstahl, Exhibition, Totschlag harmloser Passanten. Besonders
schreckliche Gewalttaten ohne äußeres Motiv, ohne Beachtung even-
tueller Zeugen.
Hysterischer Dämmerzustand: Diebstahl. Brandstiftung,
Körperverletzung, Mord.
Epileptischer Blödsinn: Beleidigung, Körperverletzung,
Totschlag, Sachbeschädigung infolge pathologischer Reizbarkeit ohne
genügenden äußeren Anlaß. Majestätsbeleidigung, Verleumdung, grober
Unfug, Betrug, Diebstahl, Päderastie, Exhibition, Notzucht.
Hysterischer degenerativer Charakter: Durch krank-
hafte Reizbarkeit Beleidigung, Verleumdung, Vergiftung, Mord^ Wider-
stand gegen Staatsgewalt. Sexuelle Beschuldigung infolge von krank-
haft gesteigerter Phantasietätigkeit Meineid. Ladendiebstahl (krank-
hafter Zwangstrieb), Betrug.
Geistesstörungen durch Zwangsvorstellungen: Fahr-
lässigkeit. Diebstahl. Mord.
Neurasthenie: Infolge Erschöpfung Fahrlässigkeit, Versäumen,
von Terminen, mangelhafte Buchführung. Infolge von Reizbarkeit
Beleidigung, Disziplinarvergehen, Widerstand gegen Staatsgewalt,
Körperverletzung, Freiheitsberaubung.
Traumatische Seelenstörung: Durch Reizbarkeit Körper-
verletzung, Sachbeschädigung, Brandstiftung. Sittiichkeitsverbrechen,
Mord.
Paralyse: Plumper Diebstahl, unvorsichtig begangeoe Sittlich-
keitsverbrechen, schwachsinnige Betrügerei, Alkoholexzesse, Unfug.
Widerstand gegen Staatsgewalt. Später Meineid, Brandstiftung, Mord.
Altersblödsinn: Sittlichkeitsverbrechen i^an kleinen Kindern.
Fahrlässige Brandstiftung (durch nächüiches Umherwandern). Betrug.
Urkundenfälschung. Meineid. Mord. Durch Reizbarkeit Beleidigung.
Alkoholismus: Diebstahl, Betrug, Zechprellerei, Majestätsbe-
leidigung, Widerstand gegen Staatsgewalt, Sachbeschädigung, Haus-
friedensbruch, Brandstiftung, Mord.
Akuter Rausch: Grober Unfug, Beleidigung, Sachbeschädigung,
Widerstand gegen Staatsgewalt, Bestechung, Majestätsbeleidigung,
Unzucht, Notzucht, Raub, Totschlag.
Imbezillität: Desertion, Disziplinarvergehen, Brandstiftung
(mitunter aus ^Heimweh), Raub, Gewohnheitsdiebstahl, Betrug, be-
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trügerischer Bankerott, Hochstapelei, Meineid, Päderastie, Sodomie,
Notzucht, Lustmord, Totschlag.
Der von männlichen Geisteskranken ausgeführte Familienmord
kommt nach Näcke(^^) besonders bei Alkoholismus, Paranoia und
Epilepsie vor, während bei Frauen mehr Melancholie, Paranoia und
Dementia praecox in Betracht kommen.
3. Verbrechen an Geisteskranken.
Vorwiegend wird es sich hier um sexuellen Mißbrauch geistes-
kranker oder geistesschwacher Frauenspersonen handeln, wie folgende
Paragraphen des Strafgesetzbuches besagen:
§ 176, 2. „Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer
eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand befindliche oder
eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischaf miß-
braucht. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe
nicht unter 6 Monaten ein. Verfolgung nur auf Antragt.
§ 178. „Ist durch eine der in § 176 und 177 bezeichneten
Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht worden, so
tritt Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliche Zucht-
hausstrafe ein**.
Zu berücksichtigen ist hierbei, daß der Täter mitunter durch
manische Frauen, deren Sexualität gesteigert ist, oder paralytische und
schwachsinnige mit moralischem Defekt erst zum Coitus veranlaßt
wird. Außer dauernder Geistesstörung sind vom Gesetz noch vorüber-
gehende Zustände von Bewußtlosigkeit und Willenlosigkeit gemeint,
z. B. Scheintod, Somnambulismus, Ohnmacht, Volltrunkenheit, Über-
müdung, Fieberdelirium^ schwere Vergiftung, epileptischer und hyste-
rischer Dämmerzustand. Besonders werden bei Entarteten leicht der-
artige Zustände ausgelöst durch lebhafte Affekte, sexuelle Erregung
oder äußere Einwirkungen von abnormen Temperaturen, Überanstren,
gungen, ungenügenden Schlaf, Alkohol, Pubertät, Menstruation,
Schwangerschaft. Unwahrscheinlich ist die Angabe der Frauensperson,
wenn der Angriff während völliger Bewußtlosigkeit erfolgt sein soll,
und trotzdem von derselben alle Einzelheiten genau beschrieben werden
(Berze). Femer ist den Angaben Hysterischer gegenüber Mißtrauen
angebracht, da die sexuellen Attentate oft nur in der Phantasie dieser
Personen existieren. Andererseits ist es oft nicht möglich, den Täter
der Strafe zuzuführen, wenn die Geisteskrankheit nicht einen derartigen
Grad erreicht hat^ daß sie auch dem Laien deutlich erkennbar sein
mußte. Besonders schwierig ist die Beurteilung bei sexuellem Miß-
brauch während eines Rauschzustandes (Berze).
Auf eine absichtliche Herbeiführung eines Willenlosen Zustandes
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(z. B. durch Alkohol) zum Zwecke sexuellen Mißbrauchs bezieht sich
§ 177: ^Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt oder durch
Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine Frauens-
person zur Duldung des außerehelichen Beischlafes nötigt, oder wer
eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf braucht, nachdem
er sie zu diesem Zwecke in einen willen- oder bewußtlosen Zustand
versetzt hat."
In selteneren Fällen wird die Suggestibilität Schwachsinniger
benutzt, um dieselben zur Ausführung von Betrugshandlungen und
sonstigen Verbrechen zu verleiten.
4. Psychiatrische Begutachtung.
Deutsches Strafgesetzbuch § 81: „Zur Vorbereitung eines Gut-
achtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten kann das Gericht
auf Antrag eines Sachverständigen nach Anhörung des Verteidigers
anordnen, daß der Angeschuldigte in eine öffentliche Irrenanstalt
gebracht und dort beobachtet werde. Dem Angeschuldigten, welcher
einen Verteidiger nicht hat, ist ein solcher zu bestellen.
Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt Dieselbe
hat aufschiebende Wirkung. Die Verwahrung in der Anstalt darf die
Dauer von 6 Wochen nicht überschreiten."
§ 73. „Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und
die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch den Richter. Sind für
gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so
sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere
Umstände es erfordern".
§ 74. „Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche
zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein
Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß
der Sachverständige als Zeuge vernommen ist ... ".
§ 75. „ Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung
Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erfor-
derten Art öffentlich bestellt ist „oder wenn er die Wissenschaft,
die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Be-
gutachtung ist, öffentlich zum Erwerben ausübt, oder wenn er zur
Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist . . .".
§ 76. „Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das
Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Ver-
weigerung des Gutachtens. Auch aus anderen Gründen kann ein
Sachverständiger von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens
entbunden warden."
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„Die Vernehmung eines öffentlichen Beamten als Sachverstän-
digen findet nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde erklärt^ daß
die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde^.
§ 77. ^Im Falle des Nichterscheinens oder der Weigerung eines
zur Erstattung des Gutachtens verpflichteten Sachverständigen wird
dieser zum Ersätze der Kosten und zu einer Geldstrafe bis zu 300 M.
verurteilt. Im Falle wiederholten Ungehorsams kann noch einmal eine
Geldstrafe bis zu 600 M. erkannt werden''.
S 78. ^Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich scheint, die
Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten''.
§ 79. „Der Sachverständige hat vor Erstattung des Gutachtens
einen Eid dahin zu leisten:
daß er das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und
nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde.
Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der be-
treffenden 'Art im allgemeinen beeidigt, so genügt die Berufung auf
den geleisteten Eid".
§ 80. „Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur
Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des
Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden. Zu demselben
Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, der Ver-
nehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an
dieselben unmittelbare Fragen zu stellen".
§ 82. „Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters
ab, ob die Sachverständigen ihr Gutachten schriftlich oder mündlich
zu erstatten haben".
§ 83. „Der Richter kann eine neue Begutachtung durch [die-
selben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gut-
achten für ungenügend erachtet
Der Richter kann die Begutachtung durch einen anderen Sach-
verständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des
Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
In wichtigeren Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde
eingeholt werden".
§ 247. „Die vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen
sich nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von
der Gerichtsstelle entfernen . . .".
Sommer rät dringend^ in [allen Fällen neben dem Aktenstudium
und der genauen Erforschung des Vorlebens eine exakte persönliche
Untersuchung des Angeschuldigten mit allen Mitteln der Diagnostik
vorzunehmen.
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„Ebenso empfiehlt es sich" nach Krämer^) „stets, wenn man nach
Kenntnis der Akten und nach Untersuchung des Angeschuldigten die
Überzeugung hat, daß die Vernehmung bestimmter Zeugen eine wesent-
liche Aufklärung bringen könnte, um Ladung derselben zum Termin
zu ersuchen. . . . Während der Verhandlung scheue man sich nicht,
sich so zu steilen oder zu setzen, daß man den Angeschuldigten ge-
nau im Auge behalten kann. Hält man es für erforderlich, Fragen
an Zeugen oder den Angeschuldigten zu richten, so holt man bei dem
Vorsitzenden die Erlaubnis dazu ein. . . . Man unterlasse es, ein
schriftliches Gutachten zu verfassen, wenn ein solches in der Requi-
sition von Seiten des Gerichts nicht ausdrücklich verlangt ist''.
Der Wert der Gerichtsverhandlung besteht nach Sommer darin,
daß der Gutachter die Möglichkeit hat, Fragen an die Zeugen zu
richten, daß mißverstandene Auffassung seines Gutachtens aufgeklärt
werden kann, und durch Zeugenaussagen, Beobachtung des Ange-
klagten usw. während der Verhandlung neues Material herbeigebracht
werden kann, welches das Gutachten bestätigt oder modifiziert. Es
wird sich bei der Abfassung des Gutachtens immer darum handeln,
„die Chronologie der Vorgänge, in welche die Straftat sich einreiht,
möglichst genau festzustellen, weil nur unter dieser Voraussetzung ein
richtiger Schluß auf den Kausalzusammenhang der Handlung mit
einem bestimmten Geisteszustand gemacht werden kann. . . . Man
muß also versuchen, aus den Zeugenaussagen den Gang der Ereig-
nisse, deren einen Punkt die Handlung bildet, ganz klar herauszu-
stellen und dann prüfen, wie sich die Erinnerungen und Auffassungen
des Angeschuldigten zu diesem wirklichen Gang der Ereignisse
stellen 6^)". Dann muß die Handlung nach Sommer in objektiver
{Nebenumstände) und subjektiver Beziehung (Motiv) geprüft werden»
Es muß weiter nach demselben Autor versucht werden, den Zustand
unter die anerkannten Formen der Geisteskrankheiten einzureihen oder^
wenn dies unmöglich ist, die Symptome zusammenzustellen und zu
prüfen, ob der Zustand ein krankhafter ist, d. h., ob . . . durch die
beobachteten geistigen Erscheinungen das Individuum in seinem Fort-
kommen in der sozialen Gemeinschaft geschädigt ist^^)".
Nach Berze2) sind „die aus dem Mangel hochwertiger Vor-
stellungskomplexe hervorgehende Haltlosigkeit, die defekte, durch
Affekte und Triebe zu sehr beeinflußbare und zu leicht im vollen
Umfange kaptivierbare Phantasietätigkeit und der mit dieser Störung
der Phantasietätigkeit im intimsten Zusammenhange stehende Defekt
der Anlage zu zweifeln, soweit die aus dem geistigen Besitz sich er-
gebenden positiven Grundlagen der Moral in Betracht kommen, der
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— 126 —
sicherste Ausdruck der Unfähigkeit, sittlich zu wollen und damit die
sichersten Indizien für die Annahme einer Verminderung der Zurech-
nungsfähigkeit bezw., wenn der nach dem Gesetz strafauschließend
wirkende Grad erreicht ist, für die [Annahme der Unzurechnungs-
fähigkeit . . . Wo aber durch die Untersuchung des Inventars anti-
moralische Antriebe in der Form abnorm gesteigerter Triebe, durch
abnorme Hoch Wertigkeit unwiderstehlich gewordener Begierden oder
durch in abnormer Stärke gefühlsbetonter Strebungen aufgedeckt
werden, da muß nicht immer eine allgemeine moralische Insuffizienz
angenommen werden, da kann unter Umständen der sittliche Defekt
und somit auch die Verminderung bezw. Aufhebung der Zurechnungs-
fähigkeit auf die Gebiete beschränkt sein, die durch die betreffenden
Triebe und Begierden beschränkt sind. Mit Becht kann in der-
artigen Fällen von „partieller Unzurechnungsfähigkeit gesprochen
werden**.
Der in § 51 angeführte Belativsatz: „ Zustand . . . durch welchen
die freie Willensbestimmung ausgeschlossen war**, ist nach Sommer
konditionell aufzufassen, bedeutet demnach : ^falls dadurch. . . .^ und
soll die Tätigkeit des Psychiaters einschränken. Da die Frage nach
der freien Willensbestimmung, streng genommen, nicht in den Bereich
des ärztlichen Sachverständigen fällt, tut er gut, diese Frage spontan
nicht zu berühren und sich auf den Nachweis der Geisteskrankheit
zu beschränken, doch ist er verpflichtet, bei Befragung seine private
Ansicht über diesen Gegenstand zu äußern (Sommer).
Unter dem in § 51 angeführten Worte „Bewußtlosigkeit" ist nach
Sommer eine krankhafte starke Einschränkung der psychischen Vor-
gänge mit Störung des Selbstbewußtseins zu verstehen.
Bezüglich des schriftlichen Gutachtens (in der Gerichtsverhand-
lung ist das Gutachten mündlich zu erstatten) kommt es nach Hoche ^^)
auf folgende Punkte an:
Beschränkung auf das medizinische Gebiet. Kenntnis der pro-
zessualen Bestimmungen und Paragraphen. Knappe Fassung, logischer,
übersichtlicher Aufbau. Scheidung von tatsächlichem Material und
Schlußfolgerungen. Vollständigkeit des Materials ohne Breite. Absätze
und Überschriften. Guter Stil.
Einleitung: Nennung der Behörde, welche das Gutachten ein-
gefordert hat, wörtliche Angabe der an den Sachverständigen ge-
stellten Fragen. Kurze Darstellung der Rechtsverhältnisse, die zur
Begutachtung den Anlaß geben (Delikt), um das Verständnis der
Situation zu erweisen. Umstände anführen, die Anlaß gegeben haben,
den Geisteszustand zu bezweifeln. Mitteilung der getroffenen Anord-
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nnngen (z. B. Anstaltsbeobachtung). Darauf Anamnese (Kindheit, Puber-
tätszeit, 'späteres Leben) nach den Akten und Aussagen von Zeugen.
(Aussagen des Beschuldigten als solche kenntlich machen). Erblich-
keit bedeutungslos, wenn das Individuum keine kr^tnkhaften Spuren
aufweist. Vorsicht auch bei Würdigung von anderen Schädlichkeiten,
welche früher eingewirkt haben. Bedeutsam sind Syphilis, Kopfver-
letzung oder Krankheiten, welche das Gehirn in der ersten Entwicke-
lung aufgehalten haben.
Eingehende Darstellung des früheren geistigen Wesens nach Be-
gabung, Neigung, Gewohnheit, Gefühlsleben, Affekten, geistigen Eigen-
tümlichkeiten. Schriftliche Belegstücke aus Jugend beibringen (Schul-
hefte, Zeugnisse), besonders bei angeborenem Schwachsinn. Frühere
Strafen, Entmündigung usw. anführen. Bei allen Daten Quellen und
Glaubwürdigkeit derselben angeben.
Art der Ausführung der Handlung, Zeugenaussagen über das
Benehmen vor und nach der Tat. Ärztliche Untersuchung mit
allen Hilfsmitteln der Diagnostik. Symptome nach der Wichtigkeit
gruppieren. Bei Beschreibung der Symptome, z. B. Sinnestäuschungen,
angeben, auf welche Beobachtungen sich die Angabe stützt Besonders
geistige Schwäche durch reichliches Tatsachenmaterial stützen. Simu-
lation^ Dissimulation berühren. Zuletzt Feststellung, ob geistige
Anomalie vorliegt. Psychiatrische Diagnose, wenn es sich um wohl
charakterisiertes Krankheitsbild handelt, dessen Feststellung Schlüsse
auf Tragweite der Symptome, Verlauf, Heilbarkeit, Einfluß auf das
Handeln erlaubt Diagnose nicht möglich, so Analyse der Einzel-
symptome und ihrer Tragweite. Am Schluß Beantwortung der am An-
fanggestellten Fragen. Nicht zu beantworten, so Unmöglichkeit begründen
und Vorbehalte machen. Möglichst den Wortlaut des entscheidenden
Paragraphen in der Antwort wiederholen. Die Antwort muß jedem
Gebildeten verständlich sein, Fachkenntnisse dürfen nicht vorausgesetzt
werden. Allgemeine Ergebnisse der Erfahrung von persönlichen Schluß-
folgerungen trennen. Einwände im voraus entkräften. „Wenn das
Gesetz eine verminderte Zurechnungsfähigkeit anerkennte, würde der
Zustand des N. N. unter den Begriff derselben fallen". Auch Fach-
äußerungeu anschließen, die nicht gefragt, z. B. über Gemeingefähr-
lichkeit Letztere von dem Übrigen trennen mit der Bemerkung, daß man
sich bewußt ist, daß sie über die vom Richter gestellten Fragen hinausgehen.
' B. Zivilrecht.
1. Pflegschaft
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch § 1910. „. . . Vermag ein
Volljähriger, der nicht unter Vormundschaft steht, infolge geistiger
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oder körperlicher Gebrechen einzelne seiner Angelegenheiten oder
einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine
Vermögensangelegenheiten, nicht zu besorgen, so kann er für diese
Angelegenheiten einen Pfleger erhalten.
Die Pflegschaft darf nur mit Einwilligung des Gebrechlichen an-
geordnet werden, es sei denn, daß eine Verständigung mit ihm nicht
möglich ist".
Die bei dem Vormundschaftsgericht zu beantragende Pflegschaft,
welche einfacher und billiger ist, sowie schneller bewirkt werden
kann, als die Vormundschaft, kann bei einem schon Bevormundeten
eingereicht werden für bestimmte Angelegenheiten, wenn der Vormund
an seiner Pflicht verhindert ist, oder sie kann selbständig sein. Sach-
verständige werden nicht immer zugezogen.
Die geistigen Gebrechen bestehen öfters in beginnender oder in
der Heilung begriffener leichter Geisteskrankheit,. z. B. Vorboten der
Paralyse, leichter Depression, Neurasthenie. Zur „Verständigung" ge-
hört, daß der Betreffende den Sinn der Pflegschaft erfaßt hat und
seine Ansicht darüber mitzuteilen vermag (verhindert durch Aphasie,
Verkennung der Situation durch Wahnideen, ürteilsschwäche usw.)
Der Gebrechliche bleibt geschäftsfähig, darf aber nicht als Vormund,
Mitglied eines Familienrates, Testamentsvollstrecker fungieren.
Die Pflegschaft erlischt, wenn der Betreffende die Aufhebung der-
selben beantragt, oder wenn die betreffende Angelegenheit ihre Er-
ledigung gefunden hat.
2. Vorläufige Vormundschaft
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch § 1906: „Ein Volljähriger,
dessen Entmündigung beantragt ist, kann unter vorläufige Vormund-
schaft gestellt werden, wenn das Vormundschaftsgericht es zur Ab-
wendung einer erheblichen Gefährdung der Person oder des Ver-
mögens des Volljährigen für erforderlich erachtet"*
Nach § 1908 endigt die vorläufige Vormundschaft, wenn der An-
trag zurückgezogen oder abgewiesen, wenn die Entmündigung aus-
gesprochen wird oder der vormundschaftliche Schutz nicht mehr nötig
ist. Die vorläufige Vormundschaft bedingt die Geschäftsfähigkeit eines
Minderjährigen.
3. Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche.
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §2. „Die Volljährigkeit tritt
mit der Vollendung des 21. Lebensjahres ein''.
§ 104. Geschäftsunfähig ist:
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1. wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat;
2. wer sich in einem die freie Willensbestimraung ausschließen-
den Znstande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, in-
sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist;
3. „wer wegen Geisteskrankheit entmündigt ist**.
§ 105. „Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig.
Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewußt-
losigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben
wird".
§ 106. „Ein Minderjährigsr, der da« 7. Lebensjahr vollendet
hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit
beschränkt*^.
§ 114. „Wer wegen Geistesschwäche, wegen Verschwendung
oder wegen Trunksucht entmündigt, oder wer nach § 1906 unter
vorläufige Vormundschaft gestellt ist, steht in Ansehung der Geschäfts«
fähigkeit einem Minderjährige gleich, der das 7. Lebensyahr voll
endet hat".
Die Entmündigung wird ausgesprochen von dem zuständigen
Amtsgericht oder dem, in dessen Bezirk sich der zu Entmündigende
aufhält.
Zivilprozeßordnung § 646, „Der Antrag kann von dem Ehe-
gatten, einem Verwandten oder demjenigen gesetzlichen Vertreter des
zu Entmündigenden gestellt werden, welchem die Sorge für die Person
zusteht. Gegen eine Person, die unter elterlicher Gewalt oder unter
Vormundschaft steht, kann der Antrag von einem Verwandten nicht
gestellt werden. Gegen eine Ehefrau kann der Antrag von einem
Verwandten nur gestellt werden, wenn auf Aufhebung der ehelichen
Gemeinschaft erkannt ist, oder wenn der Ehemann die Ehefrau ver-
lassen hat oder wenn der Ehemann zur Stellung des Antrags dauernd
außerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist
In allen Fällen ist auch der Staatsanwalt bei dem vorgesetzten
Landgerichte zur Stellung des Antrags befugt".
§ 647. „Der Antrag kann bei dem Gericht schriftlich eingereicht
oder zum Protokoll des Geriohtsschreibers angebracht werden. Er
soll eine Angabe der ihn begründenden Tatsachen und die Bezeich-
nung der Beweismittel enthalten".
Das Gericht kann nach § 649 ein ärztliches Zeugnis fordern,
welches die Geisteskrankheit bescheinigt und die Notwendigkeit der
Entmündigung aus den Handlungen des Betreffenden begründet. Der
zu Entmündigende ist persönlich unter Zuziehung eines oder mehrerer
Sachverständigen zu vernehmen. Zu diesem Zwecke kann die Vor»
Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie eto. 9
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— 130 —
führung angeordnet werden (§ 654 Zivilprozeßordnung). Ferner kann
der zu Entmündigende mit Zustimmung des Antragstellers auf An-
ordnung des Gerichts auf höchstens 6 Wochen in einer Heilanstalt
untergebracht werden, wenn es nach ärztlichem Gutachten zur Fest-
stellung des Geisteszustandes nötig und für den Betreffenden unschäd-
Uch ist (§ 656). Nach § 653 kann auch der zu Entmündigende Be-
weismittel beibringen. Der die Entmündigung aussprechende Beschluß
ist nach § 660 der Vormundschaftsbehörde und dem ' gesetzlichen
Vertreter mitzuteilen, bei Entmündigung wegen Geistesschwäche auch
dem Kranken selbst (obwohl letzteres oft auf den Zustand desselben
ungünstig einwirkt). Der Entmündigungsbeschluß kann im Wege der
Klage binnen der Frist eines Monats angefochten werden (§ 664). Die
Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt nach § 675 auf Antrag
des Entmündigten oder desjenigen gesetzlichen Vertreters des Ent-^
mündigten, welchem die Sorge für die Person zusteht oder des Staats-
anwalts durch Beschluß des Amtsgerichts (§ 675). Wird der Antrag
abgelehnt, so steht der Weg der Klage frei (§ 679). Bei der Auf-
hebung der Entmündigung werden wieder Beweismittel eingefordert
und Sachverständige gehört.
§ 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches „Entmündigt kann werden:
1. Wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche
seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag.
3. Wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu
besorgen vermag oder sich oder seine Familie der Gefahr des Not-
standes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet".
Gemeingefährlichkeit allein rechtfertigt die Entmündigung nicht.
Unter den „Angelegenheiten** ist nach C. Schnitze „die Gesamt-
heit aller Beziehungen des einzelnen zu seiner Familie, seinem Ver-
mögen und zu seiner Umgebung" zu verstehen.
Die Entmündigung tritt demnach nur ein, wenn die geistige Er-
krankung die ganze Persönlichkeit in allen Lebensverhältnissen völlig
beherrscht, sodaß sie außerstande ist, ihre Angelegenheiten, besonders
Vermögensangelegenheiten, selbständig zu besorgen. „Die ganze
Lebensführung ist zu berücksichtigen, nicht die Möglichkeit, eine
Anzahl selbst nicht einfacher Verrichtungen sachgemäß zu voll-
ziehen" (52).
Die Ausdrücke „Geisteskrankheit" und „Geistesschwäche" werden
hier nicht im psychiatrischen, sondern im juristischen Sinne gebraucht
und bedeuten verschiedene Grade der Störung der Geschäftsfähigkeit
(Geisteskrankheit der stärkere Grad). Und zwar nimmt der wegen
Gdsteskrankheit Entmündigte die Stellung eines Geschäftsunfähigen,
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eines Kindes unter 7 Jahren ein, der wegen Geistesschwäche Ent-
mündigte diejenige eines beschränkt Geschäftsfähigen, eines Minder-
jährigen (7 — 21 Jahre). Letzterer muß „imstande sein, unter der
schützenden Aufsicht eines Vormundes oder des Vormundschafts-
gerichts bei Besorgung gewisser Angelegenheiten mitzuwirken'*
(Moeli). Der wegen Geistesschwäche Entmündigte ist allerdings nicht
fähig, als Vormund, Pfleger zu fungieren, ein Testament zu errichten,
einen Erbvertrag mit anderen als mit seiner Ehefrau zu schließen und
besitzt keine elterliche Gewalt. Die Ehefrau kann auf Aufhebung der
Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens durch den Gatten klagen.
Der wegen Geistesschwäche Entmündigte kann aber ohneGenehmigung
des Vormundes alle Rechtsgeschäfte besorgen, die ihm rechtlichen Vor-
teil bringen. Im übrigen bedarf er stets der Zustimmung des Vormundes
z. B. zur Verlöbniserklärung, Eingehung der Ehe. In Ehesachen ist
er prozeßfähig. Femer kann er die Ehelichkeit eines Kindes ohne
Vormund anfechten sowie ein vor der Entmündigung errichtetes Testa-
ment selbständig widerrufen. Zum selbständigen Betrieb eines Er-
werbsgeschäftes gehört dagegen die Einwilligung des Vormundes und
Vormundschaftsgerichts. Der Betreffende wird dann aber unbeschränkt
geschäftsfähig für Rechtsgeschäfte, die der Geschäftsbetrieb in sich
schließt. Dasselbe gilt bei Eingehung eines Arbeitsverhältnisses. Jeder
wegen Geistesschwäche Entmündigte kann nach Gutdünken des Ge-
richts vereidigt werden. (Moeli)/ Endlich kann derselbe gegen den
Willen des Vormundes einen Wohnsitz weder begründen noch auf-
heben.
Zu erwähnen ist noch, daß nicht entmündigte Geisteskranke unter
Umständen an der Börse spekulieren, ein Testament errichten können,
aber unfähig sind, eine rechtsgültige Ehe einzugehen.
Schwachsinn: Wichtiger als theoretische Kenntnisse ist die
Fähigkeit zu richtiger Lebensführung. Daher genaue Erforschung des
Vorlebens. Geordnetes Verhalten in der Anstalt nicht maßgeblich.
Degenerierte mit guter Intelligenz sind nicht geschäftsfähig, wenn sie
ein unstetes, haltloses Wesen zeigen und äußerer Beeinfussung willen-
los unterliegen (Moeli). Die leicht Imbecillen und Degenerierten geben
im Termin oft infolge ihres guten mechanischen Gedächtnisses und ihrer
Formengewandheit ein zu günstiges Bild. „Abzuraten ist von der
Annahme der „Geistesschwäche'^ in den Fällen, wo die Neigung zum
Phantasieren, zur pathologischen Lüge und zu Schwindeleien besonders
hervortritt" {^^).
Altersblödsinn und Geistesschwäche nach Schlaganfall: Starke
Vergeßhchkeit, Reizbarkeit, geringe Willensenergie, gemütliche Ver-
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ödung, so Entmündigung wegen Geisteskrankheit. Prognose meist
ungünstig.
Paranoia: Sind oft geordnet und ruhig, erfüllen ihre Aufgaben
im sozialen Leben gut, solange der krankhafte Ideenkreis nicht berührt
wird. Wahnideen und Sinnestäuschungen beeinträchtigen an sich das
Handeln des Kranken nicht Entmündigung daher oft lange Zeit
nicht nötig. Mitunter zeitweise Verschlechterung des Zustandes, z. 6.
durch gehäufte Halluzinationen. Im späterem Verlauf macht bis-
weilen allgemeine geistige Abschwächung die Entmündigung nötig,
Entmündigung dann, wenn Vernachlässigung des Erwerbs, Schä-
digung des Vermögens, mangelnde Sorge für die soziale Stellung,
für die Lebenshaltung, Pflege der körperlichen und geistigen Gesund-
heit, für die Familie. Der Richter entscheidet, ob eine Störung der
Besorgung der Angelegenheiten im allgemeinen vorliegt.
Dementia praecox: Wegen der gemütlichen Abstumpfung
und des Mangels an Initiative meist an der Besorgung der Angelegen-
heiten gehindert. Selten Pflegschaft möglich.
Depression: Patient so gehemmt und passiv, daß Angelegen-
heiten vernachlässigt, soEntmündigung, nach längerer Erankheitsdauer.
Exaltation des man. depress. Irresein: Handeln ohne genügende
Überlegung. Mangel an Kritik. Entmündigung nur bei langen An-
fällen und kurzen Zwischenpausen. Nicht zu zeitig wieder auf-
heben. Nach dem bisherigen Verlauf bald Bückfälle zu erwarten,
so Entmündigung wegen Geistseskrankheit.
Paralyse: Zeitig Entmündigung, da sonst das Vermögen ver-
schleudert wird. Im Anfang wegen Geistesschwäche, später wegen
Geisteskrankheit.
Hirnsypbilis: Meist genügt Entmündigung wegen Geistes-
schwäche. Mitunter Pflegschaft mit Einwilligung des Kranken möglich.
Epilepsie: Nur Entmündigung bei geistiger Schwäche oder ge-
häuften Anfällen resp. transitorischen geistigen Störungen, wenn die
Angelegenheiten nicht besorgt werden.
Hysterie: Entmündigung nur bei der schwersten Form, wenn
durch hysterischen Affekt und Assoziationsstörung das Handeln we-
sentlich gestört wird. Die Dauer der einzelnen hysterischen Sym-
ptome ist schwer zu beurteilen.
Hypochondrie: Entmündigung, wenn der Kranke sich zu ge-
schwächt glaubt, um Geschäfte zu besorgen, oder wenn er für un-
sinnige Kuren das Vermögen verschwendet ohne Bücksicht auf die Familie.
Bei akuter Geistesstörung, z. 6. Amentia, ist meist von Entmün-
digung abzusehen.
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Wiederaufhebung der Entmündigung:
Bei länger dauernder Besserung (Remission) der Paralyse Auf-
hebung der Entmündigung, wenn fast kein Anzeichen der Krankheit
mehr nachweisbar ist. Doch Vorsicht, da jeden Augenblick folgen-
schwerer Rückfall möglich ist.
Bei dementia praecox oder angeborenem Schwachsinn Besse-
rung oft durch den Nachlaß der Erregung vorgetäuscht.
Umgekehrt werden mitunter Sinnestäuschungen bei geringem
Schwachsinn und Wahnideen Degenerierter zu ungünstig beurteilt, sie
schwinden öfters wieder.
Bei manisch-depressivem Irresein Aufhebung nur, wenn
das Intervall lange dauert, und keine Intelligenzstörung vorliegt.
Paranoia. Große Vorsicht nötig, da die Kranken ihre Wahn-
ideen usw. oft sehr geschickt verbergen.
Alkoholismus. Nur nach langer Abstinenz und nach Rück-
gang der Symptome des Alkoholismus Aufhebung. Prüfen, wie weit
die Abstinenz aus eigener Kraft durchgeführt wird, wie weit sie auf
den Einfluß der augenblicklichen Umgebung zurückzuführen ist (Moeli).
Die Tätigkeit des Sachverständigen besteht in der Einreichung
eines kurzen ärztlichen Zeugnisses bei Einleitung der Entmündigung,
in der Untersuchung und Beobachtung des zu Entmündigenden, in
dem Bemühen, im Gerichtstermin durch Fragen möglichst schnell und
umfassend ein Bild des Geisteszustandes des zu Entmündigenden zur
Anschauung zu bringen, und schließlich ein Gutachten zu Protokoll
zu diktieren oder schriftlich abzugeben. Die Fragen und Antworten
sollen wörtlich protokolliert, und vom Sachverständigen auch das
Benehmen, die Ausdrucksbewegungen des zu Entmündigenden fixiert
werden (Moeli).
Das schriftliche Gutachten enthält die Anamnese, den genauen
Krankheitsbefund in psychischer und körperlicher Beziehung während
der Untersuchung, sowie während des Anstaltsaufenthaltes, die Zu-
sammenfassung der Symptome zu einer psychiatrischen Diagnose, die
Beziehung der nachgewiesenen psychischen Störung auf die juristischen
Begriffe der Geisteskrankheit und Geistesschwäche und den Beweis,
daß der Betreffende wegen Geistesschwäche oder Geisteskrankeit un-
fähig ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Es ist empfehlens-
wert, im Verlaufe des Gutachtens nur von Psychose, Irresein, geistiger
Störung usw. zu sprechen und die Ausdrücke Geisteskrankheit und
Geistesschwäche nur für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit am
Schlüsse zu reservieren.
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4. Entmündigung wegen Trunksucht.
Die Entmündigung wegen Trunksucht erfolgt durch Beschluß
des Amtsgerichts (Zivilprozeßordnung § 680). Die Wiederaufhebung
erfolgt auf Antrag des Entmündigten oder seines gesetzlichen Ver-
treters (§ 685). Die Entmündigung wie die Aufhebung derselben
müssen vom Amtsgericht öffentlich bekannt gemacht werden (§ 687).
Der Entmündigte besitzt die Geschäftsfähigkeit eines Minderjährigen.
Die Vernehmung ärztlicher Sachverständiger ist nicht erforderlich.
5. Testierfähigkeit und Anfechtung eines Testaments.
§ 2229 Abs. 3. «... Wer wegen Geistesschwäche, Verschwen-
dung oder Trunksucht entmündigt ist, kann ein Testament nicht er-
richten. Die Unfähigkeit tritt schon mit der Stellung des Antrags ein,
auf Grund dessen die Entmündigung erfolgt".
§ 2230. „Hat ein Entmündigter ein Testament errichtet, bevor
der die Entmündigung aussprechende Beschluß unanfechtbar geworden
ist, so steht die Entmündigung der Gültigkeit des Testaments nicht
entgegen, wenn der Entmündigte noch vor dem Eintritt der ünan.
fechtbarkeit stirbt.
Das Gleiche gilt, wenn der Entmündigte nach der Stellung des
Antrags auf Wiederaufhebung der Entmündigung ein Testament er-
richtet und die Entmündigung dem Antrage gemäß wieder aufge-
hoben wird".
Die Anfechtung eines Testaments kann binnen Jahresfrist durch
denjenigen erfolgen, dem die Aufhebung der testamentarischen Be-
stimmung Nutzen bringen würde (§§ 2080 u. 2082).
Ist der Testator verstorben, so kann für den Sachverständigen
außer den Zeugenaussagen das Studium des Testaments nach Inhalt
und Stil, der Ausführung der Schriftzeichen (nicht nur Namens-
unterschrift prüfen) sowie das Sektionsprotokoll, falls es vorhanden
ist, von Nutzen sein.
6. Deliktsfähigkeit.
Nach V. Liszt ist Delikt jede schuldhafte rechtswidrige Verletzung
fremder rechtlich geschützter Interessen, z. B. Verletzung des Lebens,
Körpers, der Gesundheit, Freiheit, des Eigentums usw. (§ 823),
Gefährdung des Kredits, Erwerbs, Fortkommens (§ 824), Verietzung
der Geschlechtsehre durch außereheliche Beiwohnung (§ 825), Verstoß
gegen die guten Sitten (§ 826). Deliktsfähigkeit kann demnach mit
Schadenersatzpflicht bezeichnet werden (Hoche).
§ 827. „Wer im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem
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die freie Willensbestimmnng ausschließenden Zustande krankhafter
Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den
Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke
oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art
versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande wider-
rechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm
Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein,
wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist***
§ 832. „Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine
Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres
geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist
zum Ersätze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten
widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner
Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger
Auf Sichtsführung entstanden sein würde". Intoleranz eines Nicht-
Geisteskranken gegen Alkohol entschuldigt nur, wenn sie dem Be-
treffenden unbekannt ist Ebenso exkulpiert ein unwiderstehlicher
Trieb zum Trinken nur, wenn er auf eine Psychose zurückgeführt
werden kann, welche mit chronischer Intoleranz gegen Alkohol ver-
bunden ist, z. B. Epilepsie (Dipsomanie), Paralyse, traumatische Psy-
chose, degenerative Entartung, chronischer Alkoholismus, Morphinis-
mus usw.
Beziehungen der Geisteskrankheiten
zum Eherecht.
§ 1325 Abs. 1. „Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten
zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig war oder sich im Zu-
stande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Geistesstörung befand.
Die Ehe ist als von Anfang an gültig anzusehen^ wenn der
Ehegatte sie nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit, der Bewußt-
losigkeit oder der Störung der Geistestätigkeit bestätigt, bevor sie für
nichtig erklärt oder aufgelöst worden ist. Die Bestätigung bedarf
nicht der für die Eheschließung vorgeschriebenen Form".
Unter „Bewußtlosigkeit" wird meist ein epileptischer, hysterischer
Dämmerzustand oder schwerer Kausch zu verstehen sein. Betreffs
der „Geistesstörung" wird es sich meist um Schwachsinn, beginnende
Paralyse, Manie handeln, öfter werden auch schwer Kranke oder
Sterbende infolge der Störung des Bewußtseins, der Trübung des Ur-
teils, der Abstumpfung der Gemüts- und Willenstätgkeit zur Ehe-
schließung veranlaßt.
§ 1331. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden
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der zur Zeit der Eheschließung oder ira Falle des § 1325 zur Zeit
der Betätigung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, wenn die
Eheschließung oder die Betätigung ohne Einwilligung des gesetzlichen
Vertreters erfolgt ist''.
Verweigert in diesem Falle der Vormund seine Einwilligung, so
kann das Vormundschaftsgericht die Ehe genehmigen.
Bei jahrelang bestehender Trunksucht, deren Heilung vergebens
versucht worden ist, Epilepsie, Imbezillität, Irresein aus Zwangsvor-
stellungen usw. ist von Eheschließung abzuraten.
§ 1333. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden,
der sich bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten
oder über solche persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten
geirrt hat, die ihm bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger
Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abge-
halten haben würden".
Zu „persönlichen Eigenschaften" können Psychosen dann nicht
gehören, wenn sie vorübergehend infolge äußerer Einwirkungen ent-
standen sind und keine bleibenden Folgen hinterlassen haben (Er-
schöpfungsirresein im Gegensatze zu dem endogenen manisch-depres-
siven Irresein) (Moeli).
§ 1334 Abs. 1. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten
werden, der zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über
solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei der Kenntnis der
Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe
von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden" . . . Längere
Zeit unentdeckt bleibt mitunter Epilepsie, wenn keine ausgesprochenen
Krämpfe auftreten, oder periodische Trunksucht (Dipsomanie).
Ehescheidung wegen Geisteskrankheit.
§ 1569 B.G.B.: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn
der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit
während der Ehe mindestens 3 Jahre gedauert und einen solchen
Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehe-
gatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser
Gemeinschaft ausgeschlossen ist."
§ 623 Z.P.O. : „Auf Scheidung wegen Geisteskrankheit darf nicht
erkannt werden, bevor das Gericht einen oder mehrere Sach-
verständige über den Geisteszustand des Beklagten gehört hat"
Ist der geisteskranke Ehegatte entmündigt, so ist der Vormund
der gesetzliche Vertreter in der Ehescheidungsklage. Ist der gesunde
Gatte selbst Vormund, so ist für die Ehescheidungssache ein Pfleger
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zu bestellen, desgleichen, wenn der Kranke nicht entmündigt ist.
Zur Abgabe des Gutachtens ist Anstaltsbeobachtung nicht nötig. Der
Richter braucht den geisteskranken Ehegatten nicht persönlich zu
vernehmen. Der geschiedene geisteskranke Ehegattö erhält nach
§ 1478 Abs. 3 das zurück, was er in die Ehe eingebracht hat und
muß vom gesunden Ehegatten nach § 15S3 unterhalten werden.
1. Muß dieselbe Geisteskrankheit während der Ehe ununter-
brochen 3 Jahre angehalten haben. „Lichte Zwischenräume, während
deren zwar die Geisteskrankheit fortdauert, dem kranken Ehegatten
aber doch dafr bestehende eheliche Band zum Bewußtsein kommt,
schließen die Scheidung nicht aus^O-"
Ist die Krankheit in Anfällen aufgetreten, so dürfen diese nach
Hoche nicht durch neue äußere Einwirkungen veranlaßt worden sein,
wenn der Zustand als eine Krankheit gerechnet werden soll.
2. Muß die geistige Gemeinschaft aufgehoben sein. Lenel defi-
niert die geistige Gemeinschaft als das Familieninteresse, das über-
einstimmende Bewußtsein, daß man an dem Wohl des anderen Ehe-
gatten und der Kinder interessiert sei, und den übereinstimmenden
Willen, diesem Wohle nach Kräften zu dienen.
Die eheliche Gemeinschaft wird demnach bei ausgesprochenem
Blödsinn, aber auch bei Verrücktheit aufgehoben sein, wenn sich das
Wahnsystem in feindseligem Sinne gegen die ehelichen Beziehungen
richtet.
Beschränkt sich die Teilnahme nur noch auf die Kinder, er-
streckt sie sich nicht auf den Mann, so kann man nach Moeli von
ehelicher geistiger Gemeinschaft nicht mehr sprechen.
3. Muß jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft
ausgeschlossen sein.
Es ist daher große Vorsicht bei der Beurteilung nötig. Unheil-
barkeit einer Geistesstörung kann man nach Gramer ^o) annehmen,
„wenn die Seelenstörung 1. angeboren oder im ersten Kindesalter
oder in der Pubertät entstanden ist und auf einer Entwickelungs-
hemmung des Gehirns beruht (also angeborener Schwachsinn, Idiotie^
Imbezillität); 2. wenn sie nach einem mehr oder weniger gut aus-
geprägten akuten Stadium zu einer bleibenden geistigen Schwäche,
zu sekundärem Blödsinn oder sekundärer Verwirrtheit geführt hat;
3. wenn sich mehrere Jahre hindurch gleichbleibend ein feststehendes
System von Verfolgungs- und Größenideen nachweisen läßt; 4. wenn
sich eine sukzessive, zunehmende, ausgeprägte Abnahme der Intelli-
genz mit körperlichem Verfall und ausgesprochenen Lähmungs-
erscheinungen, welche auf eine schwere organische Erkrankung des
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Gebirns hinweisen, verbindet und auch bei geeigneter Behandlung
weiter entwickelt (besondere Vorsicht ist hier am Platze bei dem
Alkoholismus). Ich will auch hier betonen, daß man gut tut, bei
ganz akuten »Verblödungszuständen zwei bis drei Jahre und länger
zu warten, bevor man die ünheilbarkeit ausspricht."
Paralyse: Vorsicht, da mitunter viele Jahre anhaltende wesent-
liche Besserungen (Remissionen) vorkommen, die oft einer Heilung
gleichen. Die Aussicht ist ungünstiger, wenn viele paralytische An-
fälle mit folgenden Störungen beobachtet wurden oder zahlreiche
nicht im Anschluß an die Anfälle entstandene körperliche Symptome
vorhanden sind.
Alkoholismus: Ehescheidung nur, wenn trotz jahrelanger
Behandlung deutliche geistige Abschwächung bestehen bleibt.
Altersblödsinn: Hochgradig, so Besserung unwahrscheinlich.
Epileptischer Blödsinn desgleichen.
Bei Arteriosklerose der Hirngefäße und Schlaganfall
Ehescheidung nur, wenn dauernde geistige Schwäche zurückbleibt
Manisch-depressives Irresein: Ehescheidung nur bei
jahrzehntelangem Bestehen, wenn Blödsinn eingetreten ist. Besonders
schwere Melancholie geht nach vieljähriger Dauer oft noch in
Heilung über.
Hysterie: Ehescheidung selten möglich, da das Verständnis
für die ehelichen Pflichten gewöhnlich erhalten bleibt, und der Zu-
stand meist Schwankungen unterliegt, sowie die Dauer der Symptome
sich schwer bestimmen läßt
Paranoia: Ehescheidung nur, wenn sich im Verlaufe von
Jahren ein festes Wahnsystem entwickelt hat, besonders wenn das-
selbe sich gegen die ehelichen Beziehungen im feindlichen Sinne
richtet.
Dementia praecox: Hier besondere Vorsicht geboten, da oft
•trotz schwerer Symptome, z. B. Erregung, Hemmung, Abstumpfung,
katatonischer Zeichen und lange Zeit anhaltenden Stupors eine
wesentliche Besserung möglich ist, welche die Wiederherstellung der
ehelichen Beziehungen gestattet Die Aussichten werden allerdings
um so ungünstiger, je länger die Krankheit anhält, je mehr kata-
tonische Symptome in den Vordergrund treten und je mehr das von
der Krankheit betroffene Gehirn schon vorher abnorm war, z. B.
bei dementia praecox auf imbeziller Grundlage (Bleuler und Jahr-
märker).
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Literatur.
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Fig. 18. Katatonische Hebephrenische
Form der dementia praecox (Katalepsie).
Fig. 19. Katatonie (Spannungszustände der Gesichtsmuskulatur). Fig. 20. Endzustand einer Hebephrenie mit
völliger Verblödung.
Dost, Kurzer Abriss. Digiti^^^ ^^^ CjOOgk von F. C. V
Fig. 25. Idiotie.
Voge\ in Leipzig.
ch-
Irrseins (Lebhafter Bewegungsdrang),
Druck von
"'«^b^rtiÄal^ (öa-ö^gte^ig.
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Verlag von P. C. W. Vogel in Leipzig.
Die Vorschule
der
gerichtlichen Medizin
dargestellt für Juristen
von
Dr. Hermann Pfeiffer
Frivatdozent der Universität Q-raz.
Mit 62 Abbildungen im Text.
Preis JL 8. — broschiert, JL 9,25 gebunden.
Die
Bedeutung der Handschrift
Im Civil- und Strafrecht.
Beiträge zur Beform der geriehtliehen Sehriftexpertise
von
Dr. iur« Hans Schneickert,
Eriminalkommissar am EsrI. Polizei-Prasidiiim in Berlin.
gr. 80. 1906. Preis Jk 4.—.
Die ärztliche Begutachtung
in Inyaliden- und
Erankenyersicherungssachen.
Zum praktischen Gebrauch für Ärzte,
Krankenkassen und Verwaltungsbehörden
von
Assessor Seelmann.
gr. 8. 1908. Preis Jk 2.50.
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Verlag von F. C. W. Vogel in Leipaig.
Gesaramelte
Kriminalistische Aufsätze
von
Dr. Hans Gross,
a. 0. Professor des Straf rechts an der Deutschen Universität Prag.
I. Band. gr. 8». 1902. Preis JL 14.—.
II. Band, gr: 8«. 1908. Preis JL 14.—.
Kriminal- Psychologie
von
Dr. Hans Gross,
Professor des Strafreohts an der üniTorsittt Oraz.
Zweite Auflage.
gr. 6. 720 Seiten. Preis brosch. M. 13.50, gebunden J(l 15.->.
Die cerebrale
Sekandärfuuktiou
von
Dr. Otto Gross.
gr. 80. 1902. Preis Jd 3.—.
Die Orientierung.
Die Physiologie, Psychologie und Pathologie derselben
auf biologischen und anatomischen Grundlagen
von
Dn Fritz Hartmann
Assistent der Univerdtätsldinllc für Neurologie und Bsyohiatrie Prof. Anton's in Graz.
gr. 8«. 1902. Preis UK 7.—.
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