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Full text of "Kurzer Abriss der Psychologie, Psychiatrie, und gerichtlichen Psychiatrie, nebst einer ausführlichen Zusammenstellung der gebräuchlichsten Methoden der Intelligenz- und Kenntnisprüfung. Für Juristen und Mediziner, besonders jüngere Psychiater"

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Kurzer Abriss der Psychologie, 
Psychiatrie, und gerichtlichen ... 

Max Dost 



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Kurzer Abriss 

der 

Psychologie, Psychiatrie 

und gerichtlichen Psychiatrie 



nebst einer ausführlichen Zusammenstellung 

der gebräuchlichsten Methoden der Intelligenz- und 

Kenntnisprttfung 



Für Juristen und Mediziner, besonders 
jüngere Psychiater 



Von Anstaltsarzt Dr. Max Dost 

Hnbertusbui^ 



Mit 1 Tafel und 21 Abbildungen im Text 




LEIPZIG 

VERLAG VON F. 0. W.VOGEL 

1908 



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Alle Rechte vorbehalten 



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147030 

OCT 1 191G 



Inhaltsangabe. 

Seite 

Einleitung . . . . , 1 

Anatomische und physiologische Vorbemerkungen 2 — 18 

Psychologie 18— 20 

Allgemeine Psychopathologie • . . 21—33 

I. Störungen des Wahrnehmungsvermögens 21 — 24 

IL „ der Verstandestätigkeit 24— 28 

III. „ des Gefühls 28— 30 

IV. „ des Handelns 30— 33 

Die Ätiologie der Geisteskrankheiten 33 — 35 

Die wichtigsten Formen der Psychosen 35— 51 

Die Diagnose der psychischen Erkrankung aus den Ausdrucksbe- 
wegungen und Handlungen der Kranken 51—69 

Methodik der Intelligenz- und Eenntnisprüfung 69 — 111 

Die Therapie der Geisteskrankheiten 112 — 114 

Die Geistesstörungen in ihren Beziehungen zum Zivil- und Strafrecht 114—132 

Literaturverzeichnis 189—148 



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Einleitung. 

Im Einklang mit den modernen Bestrebungen einer Anzahl von 
Vertretern der Jurisprudenz und Medizin, Fragen, in denen sieb beide 
Teile im praktiscben Leben berühren, gemeinsam zu besprechen, 
gegenseitiges Verständnis für den Standpunkt des anderen zu er- 
streben und zum Nutzen der Allgemeinheit Hand in Hand zu arbeiten, 
versucht die nachfolgende kurze Arbeit, diejenigen Juristen, welche 
zum erstenmale beruflich mit Geisteskranken in Berührung kommen, 
in gedrängter Form über die Lehren der Psychologie, Psychiatrie, 
gerichtlichen Psychiatrie sowie die gebräuchlichsten Methoden der 
Intelligenz- und Kenntnisprüfung zu orientieren. Es ist anzunehmen; 
daß der Besitz dieser Kenntnisse es dem Juristen erleichtern wird 
zeitig psychische Krankheit zu erkennen und sachverständige Hilfe 
herbeizuziehen, ein möglichst exaktes Protokoll zu verfassen, sowie 
die Sachverständigengutachten entsprechend zu würdigen und mit 
ihrer Hilfe die nötige Entscheidung zu fällen. Verfasser befindet sich 
hierbei im Einklang mit Staatsanwalt Wulffen'* i), der darauf hinweist, 
„daß der künftige Kriminalist vielleicht neben Physiologie und Psychologie 
noch Psychiatrie auf der Hochschule intensiv betreiben wird.** Zugleich 
aber wendet sich Verfasser auch an die Mediziner, denen er eine 
kurze Übersicht ihres Arbeitsfeldes, eine gedrängte Zusammenfassung 
der Lehren der Autoren geben will. Allerdings ist er genötigt, um 
den Eahmen des Buches nicht zu überschreiten, anatomische und 
physiologische Fragen sowie Ätiologie und Therapie nur flüchtig zu 
berühren. Dagegen bringt er eine ausführlichere Zusammenstellung 
der in allen möglichen Zeitschriften verstreuten Publikationen über 
Intelligenz- und Kenntnisprüfungen. Nach alledem will die Arbeit 
nur in das große Gebiet einführen. Für weitergehende Bedürfnisse 
ist das angefügte Literaturverzeichnis bestimmt. 



1) Die angefahrten Zahlen beziehen sich auf das am Schlüsse befindliche 
Literaturverzeichnis. 



Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 



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AnatomiBche und physiologische Vorbemerkangen. 

Das Nervensystem setzt sich aus den Nerven- oder Ganglien- 
zellen (Leib von rundlicher, ovaler oder pyramidenförmiger Gestalt 
mit eiweißhaltigem Protoplasma und festerem Kern), sowie den Fort- 
sätzen derselben zusammen. Durch gewisse Färbemethoden erhalten 
wir genaueren Aufschluß über den feineren Bau der Zelle, z. B. 
werden durch Nißls Methylenblaumethode die später näher charakteri. 
sierten Nißlschollen dargestellt. (Fig. 1.) Die meisten Zellen besitzen 



Dendrit 



llkern 



enzylinder- 
rtsetzung 
Eernkörperchen 



Fig. 1. Ganglienzelle nach Nißls Methylenblaufärbung. 

eine Anzahl kürzerer, sich baumartig verästelnder Ausläufer (Den- 
driten) und den längeren, glatten Achsenzylinderfortsatz, welcher zur 
Nervenfaser wird. Letztere enthält den innen gelegenen Achsen- 
zylinder, weiter nach außen die myelinhaltige Markscheide, welche 
bei den peripheren Nerven von der häutigen Schwannschen Scheide 
bedeckt wird. (Fig. 2.) Jede Nervenzelle bildet mit ihren Ausläufern 
eine selbständige Einheit, das Neuron, dessen wichtigster Teil die Zelle 
ist. Aus unzähligen derartigen Neuronen, welche sich nur be- 
rühren, nicht miteinander verwachsen, dachte man sich bisher unser 
Nervensystem zusammengesetzt. (Fig. 3.) Seit der Entdeckung der 



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— 3 — 



neuerdings als leitende Elemente der nervösen Erregung geltenden 
Neurofibrillen, welche in der Form feinster Fasern die Zellen und 
ihre Fortsätze durchziehen, oft eine 
größere Anzahl von Neuronen ohne 
Unterbrechung durchlaufen, also deren 
Grenzen nicht einhalten, sich mit 
Fibrille, welche aus anderen Neu- 
ronen kommen, außerhalb der Zellen 
zu einem feinen Geflecht, dem ner- 
vösen Grau Nißls verbinden und 
schließlich nach Ansicht verschiedener 
Autoren als Auerbach sehe Endknöpf- ^ 
eben an das jede Ganglienzelle um- 
gebende, als Schutz dienende gliöse 
Golginetz herantreten, wurde die 
Ganglienzelie ihrer bevorzugten Stel- 




Banvier'sche 

Einschnürang >ide 




Spitzenfortsatz 



Ganglienzelle 



Tendriten 



Achsenzylinder- 
.fortsatz 



Endbaumchen 



Fig. 2. Längsschnitt einer mark- 

haltigen Nervenfaser mit gefärbten 

Fibrillen. Nach Bethe. 



Fig. 3. Schematische Zeichnung 
zweier angrenzender Neurone. 



lung entkleidet, und dieNeuronenlehre lebhaft von Apathy, Bethe undNißl 
angegriffen ^ '»• ^^' Die Entscheidung des Kampfes steht noch aus. (Fig. 4.) 
Die Nervenfasern teilen wir in motorische Nerven» welche zentri- 
fugal leiten und sich hirschgeweihähnlich im Muskel verzweigen, 
sowie sensible, welche die Erregung zentripetal fortpflanzen und von 
den Tastscheiben, Meißnerschen Körperchen usw. der Peripherie aus 
die verschiedensten Reize dem Zentralorgan übermitteln. Ob es be- 

1* 



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— 4 — 

sondere trophische Nerven gibt, von denen die Ernährung des Ge- 
webes abhängt, ist noch nicht erwiesen *^). 

Das von bindegewebigen Häuten umgebene und von der als 
Sttitzgewebe dienenden Glia durchsetzte Zentralnervensystem bildet 
sich bei dem Embryo aus dem äußerstem Keimblatt (Ektoderra) in 
der Weise, daß zwei in der Körperachse verlaufende Leisten, die 
Medullarplatten entstehen, welche zusammenwachsen und das Medullar- 
rohr bilden. Nach außen von denselben entwickeln sich die SpinaU 
ganglien, etwas weiter entfernt das aus Rücken marksästen sich for- 
mierende, von Ganglien (Nerven-Zellenanhäufungen) unterbrochene, sym- 



finetz 

sehe Endknöpfchen 



zylindor- 
tsatz 



hoide 



die Zelle sofort Dendnt 

wieder verläßt 

Fig. 4. Schematische Zeichnung einer Ganglienzelle nach einem 
Bethe sehen Fibrillenpräparat 

pathische Nervensystem, welches zu beiden Seiten der Wirbelsäule je 
einen dünnen Strang und von diesem ausgehende Geflechte bildet. 
Der untere Teil des Medullarrohrs wird zum Rückenmark, der obere 
zum Gehirn. Letzteres geschieht, indem sich durch quere Furchen- 
bildung erst 3, dann 5 Bläschen abschnüren, das Vorderhirn (Groß- 
hirnhemisphären), Zwischenhim (Sehhügel), Mittelhirn (Vierhügel), 
Hinterhim (Kleinhirn) und Nachhirn (Verlängertes Mark). Dem- 
entsprechend wölben sich aus dem in dem MeduUarrohr verlaufenden 
Zentralkanal die verschiedenen Höhlen oder Ventrikel vor. Je höher ein 
Tier steht, desto stärker entwickeln sich seine Großhirnhemisphären (Sitz 
der höheren geistigen Funktionen), desto kleiner wird aber auch sein 
Riechlappen, der beim Menschen bis zum kleinen Riechkolben herabsinkt 



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— 5 — 

Das Rückenmark besteht aus der äußeren weißen Substanz 
(Vorder-, Seiten- und Hinterstränge), in welcher vorwiegend lange 
Leitungsbahnen verlaufen, und der inneren grauen Masse, welche 
Zellen und kurze Bahnen aufweist, sowie in die Vorder- und Hinter- 
hörner zerfällt. In letzteren befinden sich sensible, in ersteren 
motorische Ganglienzellen. Beide Zellarten sind miteinander direkt 
verknüpft. Jeder von der Peripherie (Haut, Sehnen usw.) kommende 



Verbindg. d. 
Pyramidensei- 
tenstrangbahn 
mit ein. motor. 
Voideihoinzelle 

Verbindung d> 

EleinliirDseiten- 

strftngbahn (4] 

mit der Clarkei 

Saale 



ndung der Pyra- 
istrangbahn mit 
Vorderhornzelle 
and. Seite. 

Reflexbann 
iblerNerv. motor. 
irdorhornzelle) 



Sensible Wurzel 



Spinalnerv* 



V. Vorderhom. H. Hinterhorn. C. Clarkesche Säule. 

I Pyramidenvorderstrangbahn. 2 Uelwegsches Bündel, 3 Gowerssches Bündel, 4 Kleinhirn- 

scitenstrangbahn, 6 seitliche Grenzschicht. 6 Pyramidenseitenstrangbahn, 7 Lissauer sehe Randzone, 

8 hinteres äußeres Feld, 9 Schalzsches Komma, 10 (roll scher Strang, 11 Bardaoh scher Strang, 

12 geroiscnte Seitenstrangzone, 13 Vorderstranggrandbündel, 14 ventrales Hinterstrangfeld. ] 

' Fig. 5. Schematische Darstellung des Rückenmarkes. 

Empfindungsnerv tritt nun in eines der neben dem Rückenmark 
liegenden Spinalganglien ein, welche je einen Fortsatz in dem Hinter- 
strang des Rückenmarks nach oben senden, einen kürzeren sich um 
eine Hinterhornzelle aufsplittern lassen. (Fig. 5.) Da nun von den 
Vordcrhornzellen Bewegungsnerven nach den Muskeln gesandt werden, 
so ermöglicht die schon erwähnte Verbindung der Vorderhorn- und 
Hinterhornzellen den Vorgang des Reflexes, d. h. einer gesetz- und 
zweckmäßig auf einen Reiz eintretenden Reaktion, welche meist als 
Schutzmaßregel dient (Reflexbahn: Peripherer sensibler Nerv — 



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Hinterhornzelle — Vorderbornzeile — motorischer Nerv — Muskel). Ein 
von außen kommender Reiz, z. B. ein Insektenstich, ruft eine Be- 
wegung des Muskels hervor, z. B. das Wegziehen des geschädigten 
Gliedes, Eratzen der Stelle usw. Zu den im Rückenmark, welches 
keine eigentliche Seele besitzt, sondern nur als Reflexapparat fungiert, 
vor sich gehenden Reflexen gehört z. B. der Plantarreflex (Dorsal- 
flexion des Fußes bei Kitzeln der Fußsohle), der Patellarreflex (Zu- 
sammenziehung des an der Kniescheibe ansetzenden Oberschenkel- 
muskels und Vorscbleudem des Unterschenkels bei Klopfen auf die 
Kniescheibensehne, die Bauchdecken- und Armreflexe. 

Von dem sympathischen Nervensystem, welches die uns nicht 
zum Bewußtsein kommende Tätigkeit der glatten Muskeln, des quer- 
gestreiften Herzmuskels und der Drüsen veranlaßt, werden, zum Teil 
in Verbindung mit dem vom Gehirn ausgehenden Lungen-Magennervj 
folgende Reflexe vermittelt: die Erektion des Penis und die Samener- 
gießung, die Mastdarm- und Blasenentleerung, die Peristaltik (Bewegung 
von Magen und Darm), die Herztätigkeit, die Erweiterung und Verengung 
der Blutgefäße, die Atmung und die Erweiterung der Pupillen. Alle diese 
Reflexe werden gleichzeitig durch Vorstellungen und Affekte beeinflußt. 

An seinem oberen Ende bildet das Rückenmark, welches in 
seinem Verlaufe die Nerven für die Glieder und den Stamm ab- 
gegeben hat, eine Anschwellung, das verlängerte Mark, in welchem 
die Kerne der 12 Himnerven eingebettet liegen: Seh- (nervus opticus 
kreuzt sich partiell), Riech- (nervus olfactorius), gemeinsamer Augen- 
muskel- (nervus oculomotorius), oberer Augenmuskel- (nervus troch- 
learis), äußerer Augenmuskel- (nervus abducens), dreigeteilter Ge- 
sichts- (sensibel und motorisch, nervus trigeminus), Gesichtsbewegungs- 
(nervus facialis, mimische Bewegungen), Hör- (nervus acusticus, mit 
dem der Erhaltung des Gleichgewichts dienenden Labyrinthnerv), 
Zungenschlundkopf- (sensibel, nervus glossopharyngeus), Lungen- 
Magen- (nervus vagus), Bei- (nervus accessorius, Nackenmuskulatur) 
und Zungenmuskelnerv (nervus hypoglossus). Mit Hilfe dieser Nerven 
kommen folgende Reflexe zustande: der Pupillenreflex (Verengung 
der Pupille bei Lichteinfall, vorübergehend aufgehoben im epileptischen 
Anfall, oft dauernd bei progressiver Paralyse), der Lidscbluß bei 
greller Beleuchtung, der Cornealreflex (Lidschluß bei Berührung der 
Hornhaut, fehlt mitunter ebenso wie der Würgreflex, der durch Be- 
rührung des Rachens eintritt, bei Hysterie), das Saugen des Neu- 
geborenen, das Kauen, Schlucken, die Regulierung der Atmung durch 
den Reiz von kohlensäureüberfüUtera Blute auf das Atemzentrum 
(im verlängerten Mark), Niesen, Husten, Schreien. 



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— 7 — 

Die Verbindung zwischen Großhirn und dem verlängerten Mark 
wird durch die Hirnschenkel hergestellt (unterer Teil = Himschenkel- 
fuß-, oberer = Haube). Sie werden von der aus Zellen und Fasern be- 
stehenden Brücke, welche das Vorderhirn mit dem Kleinhirn ver- 
bindet, von unten her umfaßt»' Auf den Hirnschenkeln und dem ver- 



Claustn] 



s septi pellacidi 
benkel 



Im 



Innere Kaps 



dnhügel 



imissura media 
8. Ventrikels 



lehhügel 
ipiphyse 



linsenkem '' 
Äofiere Kapsel 



VierhOgel 



Nervös 
troohleaiis 



•or vitae 
rn 



j\M% ciuei«» 



Bückenmark 
Fig. 6. Horizontalöchnitt durch das Gehirn, links tiefer als rechts angelegt. 

längerten Mark reitet das Kleingehim. Weiter nach oben folgen die 
Vierhügel, in der Mitte des Großhirns die beiden Sehhtigel, nach vorn 
zu die Streifenhügel. Nach außen von Sehhügeln und Streifenhügeln 
liegen die Linsenkerne (dazwischen die innere Kapsel). (Fig. 6.) Die 
bereits erwähnte sensible Bahn führt von den Hintersträngen bis zu 
den an deren Ende befindlichen Hinterstrangskernen, geht dann die 



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— 8 — 

SchleifenkrenzuDg ein, bildet einen Teil des Haubengebietes und ge- 
langt weiter zum Sebbügel. Außerdem gibt es noch einen zweiten 
Weg: Vom Spinalganglion nacb der im Seitenstrang aufwärts führenden 
Eleinhimseitenstrangbahn, der Eleinhirnrinde und dem Sebbügel. 

Die Seitenstränge können bezüglich der sensiblen Leitung für 
die Hinterstränge eintreten. Die Schmerzempfindung, für welche wir 
jetzt besondere Bahnen annehmen, und die Temperaturempfindung 
werden im Seitenstrang der entgegengesetzten Seite nach oben ge- 
leitet, die Berührungsempfindung pflanzt sich im Hinterstrang der- 
selben Seite und im Seitenstrang der entgegengesetzten Seite nach 
oben fort. Bemerkenswert ist noch^ daß die Berührungsempfindung 
erhalten sein kann, wenn Schmerz- und Temperaturempfindung auf- 
gehoben sind. Die Bahn des Muskelsinns verläuft in dem Hinter- 
strang der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte. Die Folge dieser 
Kreuzung der Bahnen ist, daß bei einem Herd in der rechten Him- 
hälfte eine ünempfindlichkeit der linken Körperhälfte eintritt und um- 
gekehrt. Der Sehhügel bildet die Umschaltestation für alle diese 
sensiblen Bahnen und sendet sie durch die innere Kapsel hindurch 
nach der Rinde des Parietal- (Scheitel-) Hirns. Während uns die 
Vierhügel als Zentralorgane des Sehvermögens (stehen durch die 
Sehstrahlung mit der Sehrinde im Hinterhauptslappen in Verbindung) 
bekannt sind, wissen wir von den Streifenhügeln nur, daß durch 
Stichverletzung derselben Temperaturerhöhung entsteht. Ob sie etwas 
mit den Körperbewegungen zu tun haben, ist noch nicht klar. Das 
Kleinhirn, welches mit dem Rückenmark, dem Endgebiet des Seh- 
nerven im Mittelhirn, sowie dem Großhirn in Verbindung steht, hat 
die Aufgabe, die Orientierung im Räume und die Gleichgewichts- 
bewegungen mit Hilfe der ihm zugeleiteten Sinneseindrücke zu regu- 
lieren. Bei Verletzung desselben treten Schwindel, Zwangsbewegungen 
und Ataxie (Störung der einheitlichen Bewegung) auf. Die motorische 
oder Pyramidenbahn führt von den großen Pyramidenzellen der 
vorderen Zentralwindung des Gehirns nach der inneren Kapsel, ge- 
langt durch den Fuß des Himschenkels in das verlängerte Mark und 
kreuzt sich direkt unter der Schleifenkreuzung zum größten Teil. 
Die ungekreuzte Partie verläuft in den Vordersträngen, die ge- 
kreuzte in den Seitensträngen herab. Sie tritt dann an die Ganglien- 
zellen der Vorderhörner heran, welche die zu den Muskeln führenden 
Bewegungsnerven absenden. Ein Krankheitsherd, eine Blutung in 
der rechten Hirnregion muß daher eine halbseitige Lähmung der 
linken Körperhälfte hervorrufen. Besonders sind die häufigen Blutungen 
der inneren Kapsel (Schlaganfall) gefürchtet, weil die Bahn dort eng 



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zusammengedrängt ist, und die Lähmung infolgedessen leicht große 
Ausdehnung gewinnt. 

Erwähnenswert ist noch, daß die sensible Haubenbahn ihr Mark 
bereits im 8. Embryonalmonat, die motorische Pyramidenbahn dagegen 
erst nach der Geburt erhält Die Reifung des Marks ist ungefähr im 
20. Jahre vollendet. 

Wir kommen nun zu dem für die psychische Tätigkeit wichtigsten 
Hirnteil, den durch die schon genannten Bahnen mit dem Rücken- 
mark (Projektionsfasern), durch den Balken (Kommissurenfasern) mit- 
einander verbundenen Großhirnhemisphären (Hirnmantel). Sie sind 
aus der graurötlichen Hirnrinde und dem weißlichen Mark zusammen- 
gesetzt. Die einzelnen Punkte jeder Hirnhälfte werden durch ein 
reiches System von Assoziationsfasern mit einander verknüpft. 

In der Rinde bilden sich während des Embryonalebens zahl- 
reiche Furchen. Die zwischen denselben stehenbleibenden Rinden- 
teile werden Windungen genannt. Wir unterscheiden die zeitig auf- 
tretenden, tiefen, typisch verlaufenden Hauptfurchen (fissura Öylvii, 
fissura centralis, fissura parietooccipitalis, fissura calcarina) und die 
weniger wichtigen, häufig atypischen flachen Nebenfurchen. Zur 
Zeit der Geburt sind die Hauptfurchen bereits ausgebildet, während 
die Nebenfurchen noch undeutlich ausgeprägt sind. Die Windungen 
sind im allgemeinen desto reicher entwickelt, je höher das Individuum 
in geistiger Beziehung steht. Bei der Paralyse beobachtet man eine 
auffällige Verschmälerung sowie partielle Einsenkungen der Windungen, 
besonders im Stirnhirn, infolge Zugrundegehens der Zellen und Fasern, 
vor allem des nervösen Grau Nißls. Die Windungen des Idioten 
sind oft auf einer frühen Stufe stehen geblieben und nur wenig 
ausgebildet. (Fig. 7.) 

Um uns leichter zurechtzufinden, teilen wir das Großhirn in 
Stirn, Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptslappen ein. Während 
man gewöhnlich glaubt, daß das Wachstum des Gehirns sich nach 
dem des Schädels richte, hängt im Gegenteil die Größe des Schädels 
meist von der Ausbildung des Gehirns ab. Nicht aber zeigt der 
Schädel, wie Gall meinte, durch Vorbuchtung seiner Wand die an 
den verschiedenen Stellen des Gehirns lokalisierten seelischen Eigen- 
schaften, z. B. Gutmütigkeit usw. an. Die Lehre von der Phreno- 
logie ist abgetan. Dagegen hat man gefunden, daß einzelne Bezirke 
der Himsubstanz bestimmten Zwecken dienen, Zentralstellen dar- 
stellen. Doch muß man nach Nißl berücksichtigen, daß sich die 
einzelnen Bezirke auf der Oberfläche nicht genau so verhalten wie 
in der Tiefe, sondern daß sie sich mehr wie die geologischen Schichten 



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10 — 




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— 11 — 

ineinander schieben. Man hat z. B. festgestellt, daß das Zentrum 
für die Sprachbewegung sehr wahrscheinlich in der dritten linken 
Stirnwindung (bei Zerstörung motorische Aphasie), das Gehörszentrum 
in der linken obersten Schläfenwindung (bei Schädigung sensorische 
Aphasie), das Sehzentrum in der Gegend der fissura calcarina im 
Hinterhim (bei krankhaftem Herd Seelenblindheit), das Zentrum für 
die Erinnerungsbilder der gelesenen Worte im linken gyrus angularis 
im Scheitelhim (bei Zerstörung Wortblindheit), das Zentrum für die 
•Erinnerungsbilder der Schreibbewegung vielleicht in der zweiten 
linken Stirnwindung, die Zentralstelle für die absichtlichen Glieder- 
bewegungen in der vorderen Zentralwindung, die zentrale Sammel- 
stelle für die Empfindungen in der Kinde des Scheitelhirns liegen, 
während man über die Zentren des Geschmacks und Geruchs (viel- 
leicht Rinde des Ammonshorns) noch nicht genau orientiert ist. In 
den genannten Zentralstätten kommen uns die vom Hirn ausgehenden 
absichtlichen Bewegungen und die zum Zentralorgan strömenden 
Empfindungen zum Bewußtsein. Hier werden die sogenannten Er- 
innerungsbilder abgelagert, von denen in der Psychologie die Rede 
sein wird. Hier ist der Entstehungsort der Sinnestäuschungen. Die 
Ansicht Flechsigs, daß es außer den obengenannten Sinneszentren 
noch bestimmt lokalisierte Assoziationszentren gäbe, welche die bisher 
unbekannten Denkorgane darstellen sollten, hat sich nach Meinung 
der meisten Autoren nicht zu behaupten vermocht Vielmehr glaubt 
man jetzt, daß die ganze Rinde ein Assoziationssystem darstellt, in 
welches die Projektionsbahnen eingelagert sind. Die auffällige Tat- 
sache, daß die linke Hemisphäre mehr tätig ist als die rechte und 
Handlungen auslöst, welche von beiden Körperhälften ausgeführt 
werden, z. B. die Sprachtätigkeit und die koordinierten Bewegungen 
der Glieder (nach Liepmann tritt z. B. bei Zerstörung der linken 
Hemisphäre nicht nur Lähmung des rechten Armes, sondern auch Unfähig- 
keit des linken Armes auf, kompliziertere Handlungen auszuführen 
wie Geld zu zählen. Fliegen zu fangen usw.), hängt nach Lewan- 
dowsky^i) vielleicht mit der uns seit alter Zeit vererbten Rechts- 
händigkeit zusammen, welche sich vielleicht dadurch entwickelt hat, 
daß von jeher die rechte Seite dem Angriffe entgegengesetzt wurde, 
um das Herz zu schützen. Daß der rechten Hirnhälfte die Anlage 
der Sprache und Bewegung nicht fehlt, beweisen einige Fälle von 
Erkrankung der linken Hemisphäre in der Jugendzeit, welche keine 
oder geringe Sprachstörung aufwiesen. 

Bezüglich des Hirngewichts findet man im allgemeinen bei 
intelligenten Personen schwerere Gehirne, doch gibt es auch Aus- 



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nahmen. Ein sehr niedriges Hirngewicht beobachten wir oft bei 
progressiver Paralyse und chronischem Alkoholismus. 

Die Hirnrinde enthält in Reihen geschichtete Ganglienzellen, welche 
verschiedene Formen aufweisen. Sie sind zum Teil Ausgangspunkte 
von motorischen, Endpunkte von sensiblen Bahnen oder Schaltstellen. 
Je nach ihrer Funktion zeigen die verschiedenen Stellen der Kinde 
abweichenden Bau. An den Sinneszentren überwiegen z. B. die viel- 
gestaltigen Zellen und kleinen Pyramiden, an den motorischen Zentral- 
stellen die großen Pyramidenzellen. Die Veränderungen, welche durch 
die Psychosen in der Rinde hervorgerufen werden, sind sehr mannig- 
faltig. Die progressive Paralyse ruft z. B. Schrumpfung des Rinden- 
gewebes mit Verzerrung der Zellreihen, Degeneration der Ganglien- 
zellen, Untergang der Nervenfasern (besonders Tangentialfasern), 
Wucherung des Gliagewebes und Veränderungen an den Blutgefäßen 
(Sprossung neuer Gefäße, Ansammlung von Plasmazellen) hervor. 

Wie war es nun möglich, die verschiedenen Zentren festzustellen 
und den Verlauf der einzelnen Bahnen in dem Fasergewirr zu ver- 
folgen? (57°- »3). 

1. erhalten die einzelnen Bahnen ihr Mark zu ganz verschiedenen 
Zeiten, und zwar bekommen der Funktion nach zusammengehörige 
Systeme ihr Mark gleichzeitig (Myelo- genetisches Grundgesetz Flech- 
siges); durch Markscheidenfärbung der nacheinander erscheinenden 
Bahnen lassen sich dieselben auseinanderhalten. 

2 . weiß man, daß jede Nervenfaser von ihrer Zelle ernährt wird. 
Wird die Bahn durchschnitten, so degeneriert nach kurzer Zeit der 
größere Teil derselben, während die dem trophischen Zentrum näher 
gelegene Partie erhalten bleibt oder langsam zugrunde geht (Waller- 
sches Gesetz). Bei der Sektion findet man z. B., falls ein Herd in 
der vorderen Zentralwindung vorliegt, Degeneration der ganzen Pyra- 
midenbahn, welche sich so deutlich von der Umgebung abhebt 

3. fügt man neugeborenen Tieren experimentelle Verletzungen 
an verschiedenen Teilen des zentralen oder peripheren Nervensystems 
zu, tötet die'T^iere nach einiger Zeit und beobachtet die eingetretenen 
Degenerationen. 

4. untersucht man Tiere mit einfachem Nervensystem und ge- 
langt durch Vergleichung zur Einsicht in komplizierte Verhältnisse. 

5. reizt man bestimmte Stellen der Hirnrinde des lebenden Tieres 
und beobachtet die erfolgenden Bewegungen. 

Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die im lebenden 
Nervon vor sich gehenden Prozesse. Über das Zustandekommen der 
Nervenleitung sind die Autoren noch nicht einig. Man faßt sie teils 



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als rein elektrischen Vorgang, teils als vorwiegend chemischen Prozeß 
auf, welcher in einer Assimilation (Aufbau) und Dissimilation (Zerfall) 
der chemischen Bestandteile (Lecithine, Myeline usw.) des hoch zu- 
sammengesetzten Zellprotoplasmas besteht und erst sekundär elektrische 
Ströme hervorruft. Die durch die Nißlfärbung sichtbar werdenden 
Nißlschollen der Ganglienzellen stellen offenbar die Reservestoffe der 
Zelle dar und sind äußeren Einflüssen, z. B. Hunger, Fieber, Gift 
gegenüber sehr vergänglich. 



Psychologie. 

In den nachfolgenden Ausführungen folgen wir vornehmlich der 
voluntaristischen Psychologie Wilhelm Wundts und seiner Schüler, 
welche unter den psychologischen Strömungen der Gegenwart die 
Führung übernommen hat. Sie lehrt uns, daß die von der Außen- 
welt und unserem Körper ausgehenden Reize von den Sinnesorganen 
aufgenommen, daselbst transformiert und vermittelst der Sinnesnerven 
den Sinneszentren der Großhirnrinde zugeleitet werden. Hier rufen 
sie das erste Glied der psychischen Reihe, die Empfindung, hervor, 
welcher stets eine bestimmte Qualität (z. B. Tonhöhe), Stärke und ein 
besonderer Gefühlston zukommt. Die Empfindung kann bei einer 
gewissen Stärke den Reiz überdauern, im Hirn eine Spur, ein soge- 
nanntes Erinnerungsbild hinterlassen und wieder reproduziert werden 
(Gedächtnis). Und zwar geschieht letzteres, wenn durch einen Reiz 
eine der früher hervorgerufenen ähnliche Empfindung erzeugt wird; 
es kann aber ein Erinnerungsbild auch durch eine andere Vorstellung, 
einen Gedanken wachgerufen werden. Die meisten Objekte der Außen- 
welt verursachen nun gewöhnlich eine ganze Anzahl von Empfin- 
dungen in den verschiedenen Sinnesgebieten, welche infolge ihrer 
gleichzeitigen Entstehung assoziativ mit einander verbunden sind, d. h., 
taucht die eine auf, so ruft sie zugleich die andere wach. Die Ge- 
samtsumme dieser Erinnerungsbilder verbindet sich zu dem Bilde 
des betreffenden Gegenstandes. Erleichtert wird diese Tätigkeit durch 
die Eigenschaft der Sprache, zusammengefaßte Erinnerungsbilder zu 
einer Einheit, dem Begriff zu verbinden. Die einzelnen Teilbilder 
sind mit dem Sprachzentrum, durch welches die von der Kehlkopf-, 
Gaumen-, Zungen- und Lippenmuskulatur ausgeführten Sprachbewe- 
gungen veranlaßt werden, assoziativ verbunden und rufen bei ihrem 
Auftauchen das betreffende Wort in Erinnerung. Dazu kommt noch 
das akustische Erinnerungsbild des gehörten, das optische Bild des 
gelesenen Wortes, sowie das Erinnerungsbild der Schreibbewegung 



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des geschriebenen Wortes, um den betreffenden konkreten oder sinn- 
lichen Begriff noch vollständiger zu machen, z. B. setzt sich der Be> 
griff „Honig" aus den Erinnerungsbildern der Geruchs-, Gesichts- und 
Gefühlsempfindungen zusammen, welche wir bei dem Anriechen, Be- 
trachten und Betasten des Honigs gewinnen, ferner aus den Erinne- 
rungsbildern der Sprachmuskelbewegung beim Aussprechen, der 
Schreibbewegung beim Niederschreiben, der Gehörserapfindung beim 
Lesen des Wortes „Honig". Völlig klar und deutlich wird dieses 
Bild aber nur, wenn unsere Aufmerksamkeit auf dasselbe gelenkt wird, 
d. h. wenn die Wahrnehmung der Gegenstand einer stärkeren Ge- 
fühlsbetonung und das Ziel unserer Willensrichtung wird. Wir drängen 
dadurch andere Wahrnehmungen zurück, lassen dafür die eine desto 
klarer erscheinen und erheben sie so zur Vorstellung (Apperzeption). 
Bei mangelnder Aufmerksamkeit werden die Smneseindrücke von uns 
überhaupt nicht aufgefaßt oder uns nur dunkel bewußt (Perzeption). 
Die sich aus den in den Hirnzellen deponierten Empfindungen zu- 
sammensetzenden Vorstellungen sind nun in fortwährender Bewegung, 
indem sie sowohl durch andere Vorstellungen als auch durch äußere 
Sinneseindrücke wachgerufen werden und Verbindungen mannigfachster 
Art eingehen. Dieser Vorgang wird, wenn er ohne logische Ge- 
dankentätigkeit und bei nur passiver Aufmerksamkeit vor sich geht, 
Ideenassoziation genannt Als Bewußtsein bezeichnet man nach 
Mendel die Summe der gleichzeitig vorhandenen und wieder erweck- 
baren sinnlichen Wahrnehmungen und Denkvorgänge. Beim er- 
wachsenen wachen Menschen ist dasselbe immer mit Selbstbewußtsein 
verbunden, welches bei dem Einde allmählich entsteht, indem sich 
mit den sinnlichen Empfindungen der Leibesorgane und den Vorstel- 
lungen von diesem Leibe im Gegensatz zur Umgebung das Tätigkeits- 
gefühl des Willens zu einer Einheit verbindet. 

Die besonders von David Hume ausgebildete Assoziationspsycho- 
logie nimmt an, daß die Gesetze der Ideenassoziation zur Erklärung 
des psychischen Geschehens ausreichen. Sie läßt die Assoziationen 
nach den Gesetzen der Ähnlichkeit oder des Kontrastes, nach der 
assoziativen Verwandtschaft (räumliche oder zeitliche Berührung), der 
ursächlichen Folge (Kausalnexus), wozu nach Ziehen noch die Ge- 
fühlsbetonung und die Konstellation, d. b. die wechselseitige Beein- 
flussung der Erinnerungszellen bald im Sinne der Erregung, bald im 
Sinne der Hemmung kommt, vor sich gehen. Die Willenshand- 
lung entsteht nach Ansicht dieser Autoren dadurch, daß eine gefühls- 
betonte Vorstellung eine Bewegungsvorstellung auslöst, welche von 
Spannungen und Innervationsempfindungen begleitet wird. Wundt 



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ist ein Gegner der Assoziationspsychologie. Nach ihm C^'^) „gibt 
es Verbindungen zwischen fertigen und nach ihrer Vereinigung im 
wesentlichen unverändert beharrenden Vorstellungen, wie sie die Theorie 
der Ideenassoziation annimmt, überhaupt nicht, sondern die einzig 
wirklichen A ssoziationsphänomene sind die Assoziationen der psychischen 
Elemente (Empfindungen), und die Produkte dieser Assoziation be- 
stehen niemals in einer bloßen Additon dieser Elemente". Wir folgen 
weiter Wunds Ansichten, wenn wir der Assoziation nur die Aufgabe 
zuerkennen, das Material für das Denken bereit zu halten, sie aber 
nicht für genügend halten, die Einheit des Ich und die höhere geistige 
Tätigkeit zu erklären. Diese Aufgabe bleibt vielmehr der später zu 
besprechenden Apperzeption vorbehalten. Zunächst unterscheiden wir 
mit Wundt die simuhanen Assoziationen von den sukzessiven. Die 
ersteren sind nach ihm „Verbindungen, bei denen die zuerst vor- 
handene und die durch Assoziation hinzugetretene Vorstellung ein 
gleichzeitig dem Bewußtsein gegebenes Ganze bilden". (^^) Zu 
ihnen gehören die Verschmelzung, Assimilation und Komplikation. 
Die festeste Form der simultanen Assoziation ist die assoziative Ver- 
schmelzung der Empfindungen, z. B. die aus Tönen* entstandenen 
Klänge. Bei der Assimilation werden durch eine neue Vorstellung 
alte Erinnerungsbilder geweckt, welche auf jene bestimmend einwirken. 
Erscheint die von einem Sinneseindruck hervorgerufene und sich mit 
demselben verbindende Vorstellung ihm gleich, so sprechen wir von 
Wiedererkennen, ist sie nur ähnlich, so von Erkennen. Der letzte 
schwierigere Vorgang wird dadurch erleichtert, daß die erweckte Vor- 
stellung auf die erweckende einen schöpferischen Einfluß ausübt. So 
glaubt z. B. der einsame Wanderer während der Nacht in einem 
Baumstumpf einen Eäuber zu erkennen, so lesen wir anstelle eines 
Druckfehlers unbewußt die richtigen Buchstaben. Die loseste Form 
der simultanen Assoziation ist die Komplikation, welche nach Herbart 
eine Verbindung der Vorstellungen und Gefühle disparater Sinnesge- 
biete bedeutet, z. B. die tönende Glocke. Nach Wundt wird die Kom- 
plikation bei der Reproduktion daran erkannt, daß, wenn einer der 
Sinneseindrücke, welche die komplexe Vorstellung zusammensetzen^ 
wegbleibt, der andere assoziiert wird. Die pantomimischen und 
mimischen Bewegungen, die Sprache und Schrift, welche früher 
sinnlich deutliche Bilder der von ihnen bezeichneten Gegen- 
stände gaben, sind später zu „konventionellen Vorstellungssymbolen"^ 
geworden, und die Assimilation ist so zur Komplikation herab- 
gesunken. 

„Die Assoziation als ein rein sukzessiver Vorgang entwickelt 



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— 16 — 

sich ans der Assimilation und gelegentlich auch aus einer simultanen 
Komplikation, wenn die unmittelbare Verbindung der Elemente der 
aufeinander wirkenden Vorstellungen Hemmnissen begegnet, die eine 
vollständige Verdrängung des induzierenden Eindrucks und so eine 
Sonderung des Verbindungsvorgangs in zwei Akte bewirken" '^*). 
Bei diesem Vorgang können sich nun einmal gleiche Elemente 
(Gleichheitsverbindung) oder sich raumzeitlich berührende Elemente 
{Berührungsverbindung) zur Vorstellung vereinigen. Die sukzessiven 
Assoziationen sind am leichtesten zu beobachten und wurden darum 
von der Assoziationspsychologie ausschließlich berücksichtigt. Letztere 
ist nach Wundt aber nicht imstande, die fortwährende Veränderung 
ufid gegenseitige Beeinflussung, „das Zerflattern" der Elemente des 
Erinnerungsbildes, welche bei der sukzessiven Assoziation zu be- 
obachten sind, zu erklären. Hat sie es ja nur mit unveränderlichen 
selbständigen Vorstellungen zu tun, von denen jede nur auf ein ver- 
schwundenes Erinnerungsbild einwirkt und in der ursprünglichen 
Form, nur etwas abgeblaßt, wiederkehrt. Zusammenfassend definieren 
wir die Assoziationen nach Wundt folgendermaßen: „Die sämtlichen 
Assoziationen sind demnach Vorgänge, die im Bewußtsein lediglich 
durch die Wirkung äußerer Erregungen aufeinander und auf vor- 
handene Vorstellungsdispositionen sowie aus den Wechselwirkungen 
dieser entspringen" '^^). 

Die mit dem Vorgang des Wiedererkennens, Erkennens und Er- 
innerns verbundenen Gefühle, welche jederzeit in das Aktivitätsgefühl 
der später zu besprechenden Apperzeption übergehen können, führen 
uns zu der Lehre von den Gefühlen hinüber. Wie schon erwähnt, ^ 
sind alle Empfindungen von Gefühlen begleitet und bilden mit ihnen 
eine feste Verbindung. Während aber die Vorstellungen sich immer 
auf äußere Objekte beziehen, richten sich die Gefühle auf „einen Zu- 
stand des fühlenden Wesens selber, auf ein Leiden oder Tätigsein 
des Ich" 1^). Sie sind ein zentraler Vorgang, „die Reaktion des Be- 
wußtseins auf die in dasselbe eintretenden Vorstellungen" i^). Die 
Gefühle und die aus ihnen entstehenden Gemütsbewegungen bilden 
demnach die subjektiven Bewußtseinselemente, gewissermaßen Resonanz- 
erscheinungen. Während mit den Empfindungen Erregungsvorgänge 
in den peripheren und zentralen Sinnesgebieten einhergehen, beeinflussen 
die Gefühle die motorischen Apparate des Körpers. Ferner ist unser 
Gefühlszustand stets einheitlich, während in unserem Bewußtsein 
mehrere nebeneinander bestehende Empfindungen in einem Gegen- 
satz zueinander stehen können. Nach Ziehen ^2^ erhält jedes Er- 
innerungsbild die Gefühlsbetonung der dasselbe verursachenden Emp- 



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findung, und zwei assoziativ miteinander verwandte Vorstellungen 
tfeilen sich ihre Gefühlsbetonung mit Weiter können die Gefühle 
von gefühlsstarken Vorstellungen auf gefühlsärmere übergehen 
(Irradiation) und von diesen wieder auf die ursprüngliche Empfindung 
reflektiert werden, sie sind demnach übertragbar, eine Eigenschaft, 
welche den Empfindungen und Vorstellungen nicht zukommt. Wichtig 
ist ferner, daß die Gefühle weniger von den äußeren Beizen, als dem 
Zustande des Bewußtseins abhängig sind, sowie daß ihnen eine räum- 
liche Bestimmtheit fehlt (Lipps). Wundt unterscheidet die Gefühle 
nach ihrer Qualität, Intensität und Zeitdauer. Er teilt sie demnach 
in Gefühle der Lust und Unlust, Erregung und Beruhigung, Spannung 
und Lösung ein. Selten ist im Bewußtsein ein einfaches sinnliches 
Gefühl vorhanden, meist besteht nach Wundt ein zusammenhängendes, 
aus verschiedenen Gefühlen zu einem Totalgefühl verschmelzendes 
Gefühlskontinuum. Zu den zusammengesetzten Gefühlen gehören die 
ethischen, religiösen und logischen oder intellektuellen Gefühle. Diese 
höheren Gefühle zu entwickeln, ist die Aufgabe der Erziehung, welche 
darnach strebt, Lust- und ünlustgefühle, welche anfangs nur an rein 
sinnliche Empfindungen gebunden sind, mit höheren, besonders ab- 
strakten Vorstellungen, z. B. Ehre, Gerechtigkeit usw. zu verknüpfen. 
Allmählich gewinnen bei dem gesunden Kinde diese höheren Gefühle 
die Oberhand über die einfachen sinnlichen Gefühle und verbinden 
sich so fest mit dem Ichgefühl, daß bei Handlungen gegen das Ge- 
biet des Rechts, der Moral, des gesellschaftlichen Anstands sich ün- 
lustgefühle als warnende Wächter geltend machen. Affekt nennt 
Wundt einen psychischen Prozeß, bei dem sich „eine zeitliche Folge 
von Gefühlen zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet, der 
sich gegenüber den vorausgegangenen und den nachfolgenden Vor- 
gängen als ein eigenartiges Ganzes aussondert, das im allgemeinen 
zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt als ein 
einzelnes Gefühl" ^8). Demnach zeichnet sich der Affekt dadurch 
aus, daß er ein einheitiicher Vorgang ist, einen bestimmten zeitlichen 
Verlauf besitzt, eine starke Wirkung auf den Zusammenhang der 
psychischen Ereignisse ausübt und mit körperlichen Begleiterscheinungen 
(Zittern der Hände, Zucken des Körpers, Störung der Atmung, Er- 
röten, Erblassen) verbunden ist. Er beginnt mit einem Anfangsgefühl^ 
in der Mitte steht der mit starker Gefühlsbetonung verbundene Vor- 
stellungsablauf, am Schlüsse folgt das Endgefühl. Führen die den 
Affekt begleitenden, auf ihn rückwirkenden* Ausdrucksbewegungen 
zu einer Tätigkeit, so schließt der Affekt mit einer äußeren Willens- 
handlung ab. 

Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 2 



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Während nämlich eine Beflexhandlnng eine gesetz- und zwanga- 
mäßig ohne Mitwirkjing der Tätigkeit der Hirnrinde erfolgende Aktion 
darstellt, sprechen wir von Triebhandlung, wenn als Motiv derselben 
ein Gefühl der Lust oder Unlust wirksam ist, von Willkürhandlung, 
sobald mehrere mit Vorstellungen verbundene Gefühle als Motiv wirk- 
sam sind, von Wahlhandlung dann, wenn der Kampf dieser Motive 
dem Betreffenden zum Bewußtsein kommt. Wird die früher bewußt 
ausgeübte Tätigkeit durch häufige Wiederholung, infolge von Ge- 
wohnheit mechanisiert, so können auch bei gestörtem Bewußtsein 
komplizierte Handlungen ausgeführt werden, mögen sie nun durch 
nur perzipierte Reize oder durch reproduzierte Vorstellungen hervor- 
gerufen werden (Automatische Handlungen). Die Instinktbewegungen, 
z. B. Greifen, Saugen, Kauen, sind nach Eisler i^) „automatisch ge- 
wordene^ ursprünglich psychische Leistungen und damit zugleich 
(wie Darwin sagt) vererbte Gewohnheiten, stehen aber auch jetzt noch 
unter dem teilweisen Einfluß von Motiven. Die Instinkte sind mit- 
hin das Resultat der Arbeit zahlloser Generationen, sie sind nichts 
Starres, sondern der Vervollkommnung fähig." Wie wir bereits oben 
erfuhren, ist der Affekt zusammen mit der aus ihm hervorgehenden 
Handlung ein Willensvorgang. Auch die aktive Apperzeption, das 
Klarwerden einer Vorstellung, ist eine derartige Willenstätigkeit und 
zum Unterschiede von den Assoziationen mit Muskelempfindungen 
und dem Gefühl der Tätigkeit verbunden. Passiv nennt Wundt die 
Apperzeption, wenn sich eine Vorstellung plötzlich ohne vorbereitende 
Gefühlswirkung aufdrängt, wenn demnach die Richtung der Auf- 
merksamkeit nur durch die zufällig vorhandenen Reize angegeben 
wird. „Der Apperzeptionsvorgang ist hier erst von einem psychischen 
Gefühl des Erleidens begleitet, das erst nach Klarwerdung der Apper- 
zeption in das Apperzeptionsgefühl übergeht Bei der aktiven Apper- 
zeption wird die Vorstellung schon durch Erwartungsgefühle vor- 
bereitet, die Aufmerksamkeit ist schon auf den neuen Inhalt gespannt, 
bevor er auftritt. Von Anfang an wird hier der Apperzeptions- 
vorgang von einem Gefühl der Tätigkeit begleitet, dessen wir uns 
als Willenstätigkeit bewußt werden*' ^^). Die Aufmerksamkeit, welche 
mit der Apperzeption verbunden ist, stellt die subjektive Seite des 
Vorgangs, die Klarwerdung die objektive dar. Demnach bezeichnen 
beide Ausdrücke denselben Vorgang, betrachten ihn aber von ver- 
schiedenen Standpunkten aus. „Der Gesamtprozeß der Aufmerksam- 
keit und Apperzeption* besteht demnach 1. in einer Klarheitszunahme, 
verbunden mit Tätigkeitsgefühl, 2. einer Hemmung anderer dispo- 
niblen Eindrücke, 3. einer Spannungsempfindung mit verstärkenden 



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sinnlichen Gefühlen, 4. einer verstärkenden Wirkung der Spannnngs- 
empfindnngen anf den Vorstellnngsablauf durch assoziative Mit- 
erregung" Iß). Die intellektuellen (apperzeptiven) Prozesse beginnen 
femer nach Wundt immer mit einer Gesamtvorstellung, während sich 
bei der sukzessiven Assoziation eine Vorstellung an die andere reibt 
Die einfachste Form der apperzeptiven Verbindung ist die Beziehung 
zweier psychischer Erlebnisse auf einander. Psychische Größen lassen 
sich allerdings nur nach ihrem relativen Werte vergleichen (Gesetz 
der psychischen Relationen). Ferner herrscht dabei das Bestreben vor, 
größte Unterschiede als Gegensätze anzusehen (Gesetz des psychischen 
Kontrastes). Von der einfachen Vergleichung gelangen wir zur 
Synthese und Analyse, aus deren Anwendung sich ein Gedanken- 
ablauf entwickelt. Die Synthese zweier psychischer Elemente geht 
nach dem Gesetz der psychischen Resultanten vor sich, nach welchem 
der neue Komplex außer den Eigenschaften der Bestandteile noch 
neue selbständige besitzt (Wertwachstum im Gegensatz zur physischen 
Konstanz). Die seelischen Vorgänge sind demnach einer besonderen, 
psychologischen Kausalität unterworfen. 

Während weiter die Phantasietätigkeit „in der Nacherzeugung 
wirklicher oder der Wirklichkeit analoger zusammengesetzter Erleb- 
nisse" (*^^) besteht und in freier, willkürhcher Synthese und Analyse 
mit den Vorstellungen schaltet und waltet, verstehen wir unter Ver- 
standstätigkeit die Auffassung der Übereinstimmungen und Unter- 
schiede, sowie die aus diesen sich entwickelnden sonstigen logischen 
Verhältnisse der Erfahrungsinhalte" {^^). Durch die analytische 
Gliederung eines Gedankens in seine Bestandteile, welche in eine 
neue Beziehung zu einander gebracht werden, entsteht ein Urteil 
welches sprachlich durch den Satz dargestellt wird. Aus mehreren 
Urteilen geht als Endresultat der Schluß hervor. Die durch ein Urteil 
gebildeten Zerlegungsprodukte einer Gesamtvorstellung, eines Ge- 
dankens nennt man Begriffsvorstellungen, und zwar unterscheidet 
man Begriffe von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen. Sie sind 
von dem Begriffsgefühl begleitet und entstehen, indem das Wesent- 
liche, das mehrere Vorstellungen gemeinsam haben, von dem Un- 
wichtigen getrennt wird. Von dem einfachen konkreten Begriffe 
steigt die Begriffsbildung zu dem allgemeinen konkreten, aus zahl- 
reichen Partialvorstellungen zusammengesetzten Begriffe, dessen loses 
Gebäude nur durch das gemeinsame Bindeglied der Sprachvorstellung 
zusammengehalten wird. Auch die Beziehungsbegriffe, z. B. Vor- 
stellungen der Gleichheit, Ähnlichkeit, entwickeln sich aus zuerst ein- 
fachen, dann immer komplizierter werdenden Vorstellungsgruppen. 



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Während der konkrete Begriff anf Empfindungen und deren Er- 
innerungsbilder zurückgeht, fehlt diese Beziehung dem abstrakten Be- 
griffe (z. B. Treue). Er entsteht, wenn unsere Phantasietätigkeit die 
niedergelegten Erinnerungsbilder schöpferisch zu neuen Verbindungen 
zusammenfügt, denen kein entsprechendes Objekt in der Außenwelt 
entspricht Wir verbinden daher mit diesen Begriffen keine sinnlich 
anschauliche Vorstellung und vermögen dieselben nur mit Hilfe der 
sprachlichen Symbole festzuhalten. 

Was das vielumstrittene, im letzten Kapitel der Arbeit genauer 
besprochene Problem der Willensfreiheit anbetrifft, welches durch die 
Psychologie nicht gelöst werden kann, sondern vielmehr ein Gegen- 
stand der Metaphysik sein muß, so hält Wundt nur den psycho- 
logischen Determinismus für gerechtfertigt Nach ihm zeigt uns unser 
unzweifelhaft vorhandenes Freiheitsbewußtsein, daß wir ohne äußeren 
oder inneren Zwang zu handeln vermögen. Die sozialen Verhältnisse 
haben auf unser Handeln zwar Einfluß, sind aber nicht allein für 
dasselbe maßgebend. „Indem die Motive zunächst auf die Persön- 
lichkeit wirken, welche sich dann wollend entscheidet, entspringen die 
Handlungen im Charakter des Menschen. Dieser ist nur teilweise 
ein Erzeugnis der Lebensschicksale, sein Kern ist etwas Ursprüng- 
liches, das ins Leben als Erbteil der Ahnen mitgebracht wird, als 
ein Totaleffekt vorangegangener geistiger Kausalität, der selbst zur 
Ursache wird*«). Die Entstehung des Charakters beginnt daher nicht 
mit dem Leben des einzelnen, sondern wurzelt in der „Unendlichkeit 
der geistigen Entwickelung". Durch die Lebenserfahrung wird er 
geläutert und befestigt „So erhält der Wille, je reifer er wird und 
je mehr er sich von seiner ursprünglichen Naturbestimmtheit ent- 
fernt, immer mehr eine Richtung, die schon in der äußeren Er- 
scheinung einer kausalen geistigen Notwendigkeit nahe kommt" ('^). 

Um zum Schlüsse zu gelangen, wollen wir die Anschauung 
Wundts von der Auffassung der Seele als der Gesamtheit der in 
uns stattfindenden psychischen Prozesse, als eines Vorgangs, nicht 
einer Substanz nur kurz berühren (Aktualitätslehre). 

Desgleichen wollen wir nur im Vorbeigehen erwähnen, daß 
Wundt den psychophysischen Parallelismus, den kausalen Zusammen- 
hang zwischen Leib und Seele, nur für die Glieder „physiologischer 
Nervenreiz-Empfindung" anerkennt, dagegen für die höhere psychische 
Tätigkeit, soweit sie ihres sinnlichen Inhalts entkleidet wird, in Ab- 
rede stellt und den Vorgängen der voneinander wesensverschiedenen 
Außen- und Innenwelt, insofern sie über die erwähnte Grenze hinaus- 
gehen, je eine besondere Kausalität zuschreibt 



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— 21 — 

Allgemeine Psychopathologie. 

I. Störungen des Wahrnehmungsvermögens. 
Die Sinnesempfindung wird alteriert, wenn die Empfindlichkeit 
der nervösen Apparate gegenüber Siiinesreizen abnorm herabgesetzt 
oder gesteigert wird (Anästhesie = Aufhebung der Tastempfindlichkeit 
— Hjrperästhesie« gesteigerte Tastempfindlichkeit, Analgesie «Mangel 
an Schmerzempfindung — Hyperalgesie ■== gesteigerte Schmerz- 
empfindung). Die inhaltlichen Störungen der Empfindungen zerlegen 
wir in Halluzinationen und Illusionen. Erstere sind Sinneswahf- 
nehmungen, denen kein äußerer Sinneseindruck, sondern ein im 
Nervensystem oder im Gehirn selbst enstandener Reiz entspricht. 
Sie können z. B. durch krankhafte, zentripetal nach dem Gehirn 
weiter gemeldete Störungen (Blutstauung) in den äußeren Sinnes- 
organen oder der peripheren Sinnesbahn entstehen und werden dann 
elementare Sinnestäuschungen genannt fLichtblitze, Ohrensausen). 
Oder sie werden durch pathologische Veränderungen (z. B. Ent- 
zündungsreize) in den Endstationen der Sinnesbahn in der Rinde, 
den zentralen Sinnesflächen (Gesichts-, Gehörszentrum usw.) verursacht 
(Perzeptionstäuschungen). Wegen ihres einförmigen Charakters be- 
zeichnet man letztere als stabile Halluzinationen. Deutlicher werden 
alle diese Täuschungen, wenn der Kranke seine Aufmerksamkeit auf 
dieselben richtet oder wenn er gemütlich erregt ist. Halluzinationen 
ganz anderer Art entstehen, wenn durch Vorstellungen von besonders 
plastischer Deutlichkeit und großer Energie zentrifugal verlaufende, 
rückläufige Erregung der zentralen Sinnesflächen hervorgerufen wird 
(Psychische Halluzinationen). Wir wissen nun, „daß die Erregungs- 
zustände dieser letzteren die Form sinnlicher Wahrnehmung annehmen 
müssen, weil ja alle Sinneseindrücke eben durch Vermittlung jener 
Erregungen in unser Bewußtsein eintreten können. Wenn es dem- 
nach diese Himabschnitte sind, durch deren Erregung die Wahr- 
nehmung ihre sinnliche Eigenart erhält, so liegt es nahe, eine größere 
oder geringere Beteiligung derselben an dem Vorgang der lebhaften 
Wiederemeuerung früherer Eindrücke zu vermuten. Eine derartige 
Anschauung würde namentlich gut die Tatsache erklären, daß zwischen 
der Sinnestäuschung von vollkommenster sinnlicher Deutlichkeit und 
der abgeblaßtesten Erinnerung eine ununterbrochene Reihe von Über- 
gangsstufen liegt, ein Verhalten, das sich durch die Annahme einer 
stärkeren oder schwächeren Miterregung der Sinnesstätten am un- 
gezwungensten erklärt. Möglich, daß sogar beim gewöhnlichen 
Denken die rückläufige Reizung, die „Reperzeption", wie Kahlbaum 



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— 22 — 

sie genannt hat, in sehr geringer Stärke immer stattfindet und daß 
erst dann, wenn^ dieser Vorgang eine krankhafte Ausdehnung gewinnt 
oder wenn die Sinnesstätten sich in einem Zustande erhöhter Erreg- 
barkeit befinden, die Lebhaftigkeit der Erinnerungsbilder derjenigen 
der sinnlichen Wahrnehmung sich annähert^ ^% Das Zustande- 
kommen der Halluzinationen wird dadurch befördert, daß wir ge- 
wöhnt sind, Sinneseindrücke auf dem Wege über die Sinneswerk- 
zenge von außen her zu erhalten. Wir verlegen daher jeden Reiz, 
der z. B. das Gehörszentrum im Gehirn trifft, in die Außenwelt 
(Gesetz der exzentrischen Projektion), ohne zu fragen ob er auch aus 
derselben kommt oder vielleicht durch krankhafte Prozesse im Zentral- 
nervensystem selbst entsteht. Durch die räumliche Lokalisation der 
Halluziationen wird das Gefühl für ihre Wirklichkeit verstärkt. 

Schon bei dem Gesunden können vorübergehend Sinnestäuschungen 
auftreten, wenn er lebhaft erregt ist, vor allem bei dem Künstler und 
Dichter. Er bleibt sich aber stets der Irrealität der Erscheinung be- 
wußt, obwohl er gewöhnt ist, im allgemeinen sich auf seine Sinnes- 
wahmehmungen zu verlassen. Der Geisteskranke dagegen, dessen 
Selbstbewußtsein verändert, dessen Urteil geschwächt, dessen Auf- 
merksamkeit herabgesetzt ist, glaubt sehr leicht an die Wirklichkeit 
dieser plastisch gewordenen Gedanken. 

Was die Verbreitung der Halluzinationen anbelangt so beobachten 
wir Gesichts-, Gehörs-, Geschmacks-, Geruchs-, Berührungs- (haptische) 
Halluzinationen, sowie solche der Organempfindungen und des Muskel- 
sinnes (kinästhetische Halluzinationen). 

Besonders deutlich zeigen die Gehörstäuschungen bei der dementia 
praecox ihre Entstehung aus der erhöhten Beizbarkeit der Vorstellungs- 
und Sinneszentren, insofern als diese Kranken darüber klagen, daß 
ihre Gedanken sowie die Worte, welche sie lesen, laut werden, sodaß 
fremde Personen in ihrer Seele lesen könnten (Doppeldenken). Sie 
hören sogar mitunter mehrere Personen sprechen, die miteinander 
streitenden Motive werden personifiziert. 

Bei längerer Dauer gewinnen besonders die Halluzinationen, 
welche in den krankhaft veränderten Denkvorgängen ihren Ursprung 
haben, infolge ihrer Übereinstimmung mit den pathologischen Ver- 
mutungen, Stimmungen und Wünschen einen mächtigen Einfluß auf 
den Kranken. Ein Halluzinant ist daher, solange die gemütliche Er- 
regbarkeit noch nicht abgestumpft ist, stets ein gefährlicher Mensch, 
der leicht geneigt ist, sich gegen die vermeintlichen Gestalten seiner 
Verfolger, gegen die gehörten Schimpfworte, die deutlich gefühlten 
Schläge und Stiche seiner unsichtbaren Feinde zu wehren. Oder er 



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— 23 — 

gehorcht vermeintlichen Befehlen Gottes und mordet seine Kinder. 
Aber auch hemmend können die Halluzinationen auf den Willen 
wirken, wie die öfters auf imperativen Halluzinationen beruhende 
Nahrungsverweigerung beweist 

Im Gegensatze zu den Halluzinationen werden die Illusionen 
durch äußere Sinneseindrücke veranlaßt und zwar entstehen sie da- 
durch, daß bei krankhafter zentraler Erregung affektbetonte Er- 
innerungsbilder in phantastischer und regelloser Weise sich assoziativ 
mit Sinneseindrücken verbinden und dieselben nach Art der Assimi- 
lation in ihrem Sinne umgestalten. Ein derartiger Kranker hört aus 
dem Husten des Nachbarn Schimpfworte, erblickt in den Gesichtern 
der Umgebung Teufelsfratzen und faßt krankhafte Beizung seiner 
Sexualorgane als Notzuchtsattentat auf (vgl. incubi der Hexen). 
Häufig sind Halluzinationen und Illusionen nicht zu trennen, da nicht 
immer festgestellt werden kann, ob ein äußerer Beiz vorhanden war 
oder nicht 

Die Fähigkeit der Auffassung und Verwertung der Sinneseindrüoke 
wird Besonnenheit genannt Sie ist in hohem Grade von dem Zu- 
stande des Bewußtseins abhängig. Je nach dem verschiedenen 
Helligkeitsgrade desselben beobachten wir einfache Auffassungs- 
störung schon bei der Ermüdung und Erschöpfung, Dämmerzustände 
bei Hysterischen urd Epileptischen usw., welche durch zeitliche und 
räumliche Unorientiertheit, Störung der Ideenassoziation, Vorbeireden 
und völligen oder teilweisen Erinnerungsdefekt charakterisiert sind, 
endlich Delirien (tiefe Bewußtseinsstörung^ Halluzinationen, lebhafter 
Bewegungstrieb) und völlige Bewußtlosigkeit (coma). Verwandt mit 
der Bewußtseinsstörung ist der Schlaf, bei welchem äußere Beize 
nicht mehr zum Bewußtsein gelangen und die Willensvorgänge ge- 
lähmt sind. Dem Dämmerzustand nahe steht der Traum, dessen 
Vorstellungswelt besonders- durch illusionistisch aufgefaßte Körper- 
reize, seltener durch Halluzinationen angeregt wird, und welcher die 
Apperzeption gegenüber der Assoziation in den Hintergrund treten 
läßt Kommen bei Nervösen Willenshandlungen im Traume vor, so 
nennt man diesen Zustand Noctambulismus oder Somnambulismus. 
Ähnliche Kennzeichen bietet die Hypnose dar, welche eine durch 
Suggestion, d. h. Einwirkung von gefühlsbetonten Vorstellungen 
veranlaßte einseitige Bichtung der Aufmerksamkeit und des Willens, 
sowie Erregung der Sinneszentren bedeutet Ein wesentliches Hindernis 
für den Wahrnehmungsgang ist endlich die Störung der Aufmerk- 
samkeit Während wir bei dem tief Verblödeten Erloschensein der- 
selben, bei dem Katatoniker krankhafte Unterdrückung oder Sperrung, 



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— 24 — 

bei dem manisch-depressiven Irrresein Hemmung der Aufmerk- 
samkeit beobachten (die Sinneseindrücke rufeu keine Besonanz- 
erscheinungen hervor), lassen andere Kranke eine abnorme Be- 
einflußbarkeit der Aufmerksameit und vermehrte Abienkbarkeit 
(Aufmersamkeitsstörung mit Erregung der Sinneszentren) erkennen, 
welche ebenfalls einesr klaren Auffassung der äußeren Eindrücke im 
Wege stehen. 

IL Störungen der Verstandestätigkeit. 

Die Denktätigkeit wird naturgemäß beeinträchtigt, wenn die Er- 
werbung des Denkmaterials, welches bei Neubildung von Begriffen 
zum Vergleich dienen soll,' geschädigt ist, wenn z. B. die Merk- 
fähigkeit, d. h. die Fähigkeit, neue Vorstellungen zu erwerben, oder 
die Erinnerungsfestigkeit früher erworbener Vorstellungen (Gedächtnis) 
herabgesetzt ist. Oft sind mit diesen Gedächtnisstörungen Parammesien, 
Erinnerungsentstellungen (unrichtige Darstellung wirklicher Vorgänge), 
Erinnerungsfälschungen oder Halluzinationen der Erinnerung (völlig 
freie Erfindung nicht existierender Vorgänge) verbunden. Außer der 
Gedächtnisstörung steht der Mangel an Aufmerksamkeit und Interesse 
der Begriffsbildung bei Geisteskranken und Geistesschwachen oft 
hindernd im Wege. Er veranlaßt, daß die sinnlichen Eindrücke 
nicht lange genug einwirken können, um ein wirklich scharfes all- 
seitiges Bild des betreffenden Gegenstandes zu hinterlassen. Es wird 
dann nicht zu den so wichtigen Assoziationen des Grundes und 
Zweckes kommen, welche in der mit dem Gefühl der Spannung 
verbundenen und nach Herbeiführung eines Urteils drängenden 
Neugier und Wißbegierde ihre Quelle haben. Infolge des mangelnden 
Interesses werden die Erfahrungstatsachen von den Kranken nicht 
genau mit Rücksicht auf ihre Ursache, ihren Zusammenhang und 
etwaige Folgen erforscht, sie werden nicht nach ihrem Werte in die 
alten Vorstellungsreihen eingeordnet, alle Erlebnisse bleiben Einzel- 
erfahrungen, welche bald vergessen werden, kurz, es kommt nicht 
zur Erkennung des inneren Zusammenhanges der Dinge und zur 
Bildung einer Lebenserfahrung (besonders bei angeborener Geistes- 
schwäche). Infolge seines geringen Erfahrungsschatzes ist der 
Geistesschwache zeitlebens äußeren Beeinflussungen leicht zugänglich. 
Besonders wird er sich leicht vom äußeren Schein blenden lassen, da 
ihm Zweifel und Kritik mangeln. Durch die unvollkommene Auf- 
fassung der Sinneseindrücke, das Fehlen einer genauen Erinnerung, 
das Übermaß an Phantasie, den Mangel an Verantwortlichkeitsgefühl, 
nicht zuletzt durch Eitelkeit wird er oft zur Lüge veranlaßt, welche 



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— 25 — 

teils bewußt, teils unbewußt zu den abenteuerlichsten Fälschungen 
führen kann (Pseudologia phantastica). 

Zu den formalen Störungen des Gedankenganges gehört die 
Denklähmung (Erschlaffung der Apperzeption) verblödeter Kranker, 
welche mit Ausfall der Erinnerungsbilder und Stillstand der Gedanken- 
tätigkeit einhergeht. Die Hemmung der Melancholiker ist dagegen 
als eine unter dem Einfluße gemütlicher Verstimmung hervorgerufen^ 
übermäßige Ausbreitung der apperzeptiven Hemmungserscheinungen 
aufzufassen. Sie ist oft mit Erschwerung der motorischen Bewegungen 
verbunden und kann bis zu allgemeiner Hemmung (Stupor) führen. 
Als Gegenstück finden wir bei den Manischen die Beschleunigung 
und Erleichterung des Gedankenablaufs, welche sich bis zur Ideen- 
flucht steigern kann. Während das Denken des Gesunden durch 
richtunggebende Obervorstellungen dirigiert wird, ist die Ideenflucht 
nach Liepmann „dadurch charakterisiert, daß diese Wirksamkeit der 
Obervorstellungen fortfällt oder exzessiv abgeschwächt ist, daß nicht 
ein Vorausgedachtes sich in einer Reihe von Gliedern expliziert, 
sondern daß immer ein dem letzten oder einem der letzten assoziativ 
innigst verknüpftes oder durch einen Sinneseindruck erwecktes Glied 
folgt, sodaß auf Schritt und Tritt jenes Abspringen erfolgt, das der 
Gesunde im alltäglichen Leben nur abschnittweise auf gewichtige 
Anlässe zeigt Wir sehen ferner, daß dasjenige, was den Vorstellungen 
in jedem Gedankengange den Wertigkeitsunterschied gibt, was ge- 
wisse Vorstellungen zu Obervorstellungen macht, zusammenfällt mit 
dem, was man Aufmerksamkeit nennt. Der Ideenflücbtige zeigt den 
höchsten Grad von Unbeständigkeit. Jedes Auftauchende — sum- 
marisch ausgedrückt — bemächtigt sich der Aufmerksamkeit! Brüder- 
lichkeit und Gleichheit herrscht unter den Vorstellungen — quoad 
Aufmerksamkeit, und zwar erhält nicht jede gleich wenig Auf- 
merksamkeit, sondern jeder wird eine erhebliche psychische Energie 
zugewendet, die, welche im gesunden Denken nur dem „Wellen- 
gipfel" zuteil wird." ^^) Weiter haben wir noch Gelegenheit, Ein- 
förmigkeit, Weitschweifigkeit, Umständlichkeit (epileptischer Schwach- 
sinn), sowie Zerfahrenheit (Verlust des äußeren und inneren Zusammen^ 
hangs) des Gedankengangs zu beobachten. 

Sind die Kranken außerstande, das Ichbewußtsein mit den 
Sinn^eindrücken der Umgebung oder mit Zeitbegriffen in Beziehung 
zu bringen, so spricht man von räumlicher und zeitlicher Desorientiert- 
heit, welche nach Wemicke das wichtigste Kennzeichen der Psychose 
darstellt. Der Fehler kann nach Kräpelin entweder in einer krank- 
haften Änderung der Auffassung infolge mangelnder geistiger Reg- 



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— 26 — 

samkeit (apathische Desorientierung bei dementia praecox}, einer 
Störung des Gedächtnisses (amnestische Desorientierung bei Eorsa- 
kowscher Psychose) od^ des Urteils (wahnhafte Desorientierung bei 
dementia paranoides) liegen. Wahrscheinlich beruht die Überschätzung 
von Zeitabschnitten bei geistig geschwächten Kranken oft auf der ge- 
steigerten Ablenkbarkeit derselben, welche bewirkt, daß während eines 
Zeitraums eine große Menge von nicht weiter verwendeten Sinnesein- 
drücken aufgenommen und so eine lange Zeitdauer vorgetäuscht wird. 
Tritt zu der Unorientiertheit Zusammenhangslosigkeit des Gedankengangs 
und Planlosigkeit in den mimischen und pantomimischen Ausdrucks- 
bewegungen, so spricht man von Verwirrtheit, welche uns als hallu- 
zinatorische, stuporöse, ideenflfichtige, zerfahrene und kombinatorische 
(durch das Eindringen von Wahnideen wird die Ordnung des Ge- 
dankenganges gestört) Verwirrtheit entgegentritt 

Unterbrechung erleidet der Gedankenzusammenhang auch durch 
Zwangsvorstellungen, d. h. sich gewaltsam aufdrängende, als krank- 
haft erkannte, peinliche Vorstellungen, welche oft bei Entarteten vor- 
kommen (Zahlen-, Namenzwang, Grübet- und Fragesucht). Störend 
wirkt auch die infolge Fehlens gefühlsbetonter Ziel-Vorstellungen auf- 
tretende Perseveration, das Kleben einzelner Vorstellungen. 

Den mächtigsten Einfluß auf die Denkvorgänge gewinnen ab^r 
die Wahnideen, d. h. „krankhaft verfälschte Vorstellungen, die der 
Berichtigung durch Beweisgründe nicht zugänglich sind^(^^). Frei- 
lich sind auch die Glaubensvorstellungen des Gesunden, welche die 
Lücken seiner Erfahrung zu schließen bestimmt sind, sobald sie ein- 
mal festgewurzelt sind (Aberglaube, Vorurteil), nicht durch Gründe 
widerlegbar. Es muß daher noch mehr hinzukommen, ehe wir von 
Wahn sprechen dürfen. Nach Kräpelin „liegt der Ausbildung von 
Wahnideen eine allgemeine Störung des psychischen Gesamtzustandes 
zugrunde. Angeregt wird die Wahnbildung wohl immer durch Ge- 
fühlsschwankungen, welche schlummernde Hoffnungen und Be- 
fürchtungen in Einbildungsvorstellungen umsetzen. Daß aber diese 
Vorstellungen zum Wahne werden, eine Macht gewinnen, gegen die 
am Ende selbst der Augenschein ohnmächtig ist, kann nur durch 
das Versagen unserer Urteilsfähigkeit zustande kommen, wie es in 
einem Falle durch leidenschaftliche gemütliche Erregbarkeit, im anderen 
durch Trübung des Bewußtseins, im dritten durch die Verstandes- 
schwäche bedingt ist''(3s). Bei den heilbaren Krankheiten blassen 
nach Ablauf der Krankheit die Wahnideen ab, verlieren ihren Ein- 
fluß auf das Handeln des Betreffenden und verschwinden meist ganz. 
Endet die Krankheit mit Verfall in geistige Schwäche, so nehmen die 



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— 27 — 

Wahnideen immer mehr den Charakter des Abenteuerlichen und Un- 
sinnigen an (progressive Paralyse, dementia paranoides). 

Einen anderen Verlauf nimmt die Wahnbildung bei der Paranoia 
(Verrücktheit). Hier entsteht der Wahn meist infolge einer Affekt- 
störung (Specht, Bleuler), aus der Entwickelung krankhafter Organ- 
gefühle und einer pathologischen Betonuiig des Persönlichkeitsbewußt- 
seins. „Wenn Einbildungsvorstellungen durch gemütliche Er- 
schütterungen erzeugt werden, so werden sie sich naturgemäß in 
erster Linie auf die Lage der eigenen Persönlichkeit und deren 
nächste Beziehungen erstrecken. Sie wurzeln rascher, fester und mit 
größerer Überzeugungskraft in unserem Innern als fernliegende, 
gleichgültige Erfahrungen. Zudem sind diese Vorstellungen einer 
Berichtigung bei weitem am schwersten zugänglich, schon im ge- 
sunden Leben" 39). Die weitere Folge ist daher, daß sich allmählich 
falsche Beziehungsvorstellungen zwischen dem Ich und der Außen- 
welt bilden. Aus dem anfänglichen Mißtrauen, den Ahnungen und 
Vermutungen wird schließlich die Beziehungs- und Verfolgungsidee 
geboren, zu welcher sich Größenwahn gesellen kann (viel Verfolgung 
— viel Ehre). Die mitunter auftretenden Halluzinationen bilden in 
diesem Falle nicht die Ursache des Wahns, sondern sie fassen ihn 
nur in Worte und befestigen ihn. Während bei dieser Krankheit die 
formalen Leistungen der gedanklichen Verknüpfung, wie Erkennen, 
Wiedererkennen, Gedächtnis, gewöhnlich völlig unberührt sind und 
der Kranke in Fragen, welche sein gemütliches Interesse nicht be- 
rühren, hohe Intelligenz aufweist, zeigt sich die Urteilsbildung als 
geschädigt, sobald es sich um Dinge handelt, welche die Persönlich- 
keit der Person und ihr Gefühlsleben betreffen. Ist es erst zum 
logischen Ausbau eines Systems von Wahnideen, zu völliger Ver- 
rückung des Standpunktes gekommen, von welchem aus der Kranke 
die Welt betrachtet, so ist Heilung gewöhnlich nicht mehr zu er- 
warten. 

Diejenige Gruppe von Vorstellungen, welche die Eindrücke 
jeden Augenblicks zu einem einheitlichen Ganzen vereinigt und einen 
konstanten Zusammenhang der Erfahrungsweise gewährleistet, das 
Selbstbewußtsein, kann Störungen erleiden, wenn der Zusammenhang 
der geistigen Erlebnisse durch Ohnmächten, Dämmerzustände oder 
Delirien unterbrochen wird. Bei der Hysterie kommen z. B. Zu- 
stände vor, in denen das Selbstbewußtsein gespalten ist, und der 
Kranke gewissermaßen in mehrere, nach einander auftretende Persön- 
lichkeiten zerfällt. Eine Veränderung erleidet das Selbstbewußtsein 
femer durch Stimmungsanomalien, besonders bei dem manisch- 



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— 28 — 

depressiven Irresein und der Paralyse. Bei letzterer geht schließlich 
mit zunehmender Verblödung der Zusammenhang der geistigen Per- 
sönlichkeit völlig zugrunde. 

III. Störungen der Gefühl e»^ 

Während wir unseren Vorstellungen, welche teilweise in einer 
loseren Verbindung zu dem Ich stehen, kritisch gegenüber zu treten 
vermögen, sind wir unseren Gefühlszuständen gegenüber dazu nicht 
in der Lage, weil sie stets ein einheitliches Gesamtgefühl darstellen und 
den eigentlichen Inhalt der geistigen Persönlichkeit bilden. Die 
Störungen des Gefühlslebens unterscheiden sich auch dadurch von 
denen der Verstandesfunktion, daß erstere von dem I^aien meist lange 
Zeit nicht als krankhaft erkannt werden, daß hingegen Denk- 
schädigungen meist bald richtig eingeschätzt werden. Der Grund dafür 
ist wohl in der großen Verschiedenheit der gemütlichen Reaktion auf 
Reize zu suchen, wie sie bei dem Gesunden mit Rücksicht auf Alter, 
Geschlecht, Rasse^ sowie unter dem Einflüsse des Milieus und be- 
sonderer Verhältnisse zu beachten ist. Macht der krankhafte Prozeß 
weitere Fortschritte, so fällt schließlich auch der Umgebung eine 
deutliche Herabsetzung der gemütlichen Erregbarkeit und auffällige 
Teilnah mlosigkeit gegenüber den Angehörigen und den Erscheinungen 
der Außenwelt bei manchen Kranken auf. Vor allem gehen die 
höheren, an abstrakte Begriffe geknüpften, zusammengesetzten Ge- 
fühle, welche uns durch das ganze Leben begleiten, die niederen 
sinnlichen Gefühle bändigen und die Geschlossenheit des Charakters 
bedingen, zugrunde. Die Folge ist, daß der Kranke nur noch 
Interesse für seine Person und die Befriedigung seiner sinnlichen 
Bedürfnisse hat, allen höheren geistigen Bestrebungen, Kunstgenüssen, 
den Geboten der Religion, Sittlichkeit, der Gesellschaft, der Nächsten- 
und Vaterlandsliebe aber gleichgültig gegenübersteht (Paralyse, Alters- 
blödsinn, Jugendirresinn). Während diese gemütliche Abstumpfung 
sich meist langsam entwickelt, kann die Steigerung der gemütlichen 
Erregbarkeit sehr plötzlich auftreten (Manie, Paralyse, Katatonie, 
Epilepsie). Häufig geht damit auffällige Veränderlichkeit der Stimmung 
und gesteigerte Beeinflußbarkeit Hand in Hand (Hysterie). 

Vorwiegende ünlustbetonung der Empfindungen und Vorstellungen 
kommt noch in der Breite der geistigen Gesundheit, bei Pessimisten 
und Sonderlingen vor. In ausgesprochenem Maße tritt sie uns aber 
als einfache oder gereizte Verstimmung bei der Melancholie, dem 
manisch-depressiven Irresein, der Epilepsie sowie im Anfang der 
Paralyse und Katatonie entgegen. Verbunden ist die gemütliche 



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— 29 — 

Depression oft mit einer Hemmung der Denk- und Willensvorgänge 
(manisch-depressives Irresein). Infolge der Gefühle der inneren 
Hemmung und Öde tauchen in dem Kranken allerhand quälende 
Vermutungen auf, welche schließlich in Versündigungs- und Elein- 
heitsideen übergehen können. Ist die Unlust mit Spannungsgefühlen 
verbunden, so entwickelt sich der Affekt der Angst, welcher mit den 
verschiedensten körperlichen Begleiterscheinungen, z. B. Herzklopfen, 
beschleunigter Atmung, Blässe der Haut, Zittern der Glieder, Schweiß- 
bildung, Harn- und Darmabsonderung verknüpft ist und sich in leb- 
haften mimischen und pantomimischen Bewegungen oder energischen 
Handlungen, bisweilen sogar Mord- und Selbstmordversuchen entladen 
kann (Melancholie, epileptischer Dämmerzustand, Paralyse, Beginn 
der B^atatonie). Zwangsbefürchtungen, Phobien nennen wir die Zu- 
stände, in denen sich Angstgefühle an bestimmte Vorstellungen an- 
schließen und Überlegung sowie Willenstätigkeit vollständig be- 
herrschen. Die Platzangst und die Furcht, Verbrechen begehen zu 
müssen, sind Beispiele dafür. 

Das Gegenstück des depressiven Affekts, die übertriebene Lust- 
betonung der Eindrücke, welche in schwächerem Maße schon der 
Sanguiniker darbietet, steigert sich beim Manischen zu einem uner- 
meßlichen Glücksgefühl. Auch beim Paralytiker findet sich oft eine 
ausgesprochene Lustempfindung, während das läppische Lachen des 
Hebephrenikers (Jugendirresinn) meist der Stimmung und dem Vor- 
stellungsinhalt nicht entspricht. Ferner finden wir die religiöse und sinn- 
liche Überschwenglichkeit des Schwärmers in erhöhtem Maße bei dem 
Hysterischen, die gemütliche Oberflächlichkeit des Leichtsinnigen bei dem 
schwachsinnigen gefühlsstumpfenVerbrecher in verstärktem Grade wieder. 

Häufig beobachten wir bei dem Geisteskranken auch eine deut- 
liche Störung der Gemeingefühle, welche uns an die Bedürfnisse 
unseres Leibes erinnern und zu deren Befriedigung mahnen. Bei 
manchen Kranken ist z. B. das Hungergefühl geschwunden, sodaß 
sie künstlich gefüttert werden müssen, andere wieder zeigen ge- 
fräßigen Heißhunger. Verblödete Kranke verzehren oft ihren eigenen 
Kot, ohne Ekel zu empfinden. Dem Hebephreniker fehlt das Lust- 
gefühl, welches mit der Arbeit verbunden ist und das peinliche Ge- 
fühl der Langeweile nicht aufkommen läßt Der Manische kennt 
dagegen kein Ermüdungsgefühl und gebraucht seine Muskeln bis zur 
Erschöpfung. Weiter fügen sich manche Kranke. infolge von Herab- 
setzung des Schmerzgefühls die gräßlichsten Verletzungen zu (reißen 
z. B. die Därme aus dem Leibe). Wesentliche Störungen erleiden 
auch öfter die sexuellen Gefühle. Wir finden z. B. Steigerung der 



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— 30 — 

geschlechtlichen Erregbarkeit bei dementia praecox, Idiotie, Alters- 
blödsinn und manischer Erregung, dagegen Herabsetzung derselben 
oft bei Hysterie. Hereditär Belastete weisen oft als alleiniges Merk- 
mal der Entwickelungsstörung oder verbunden mit anderen Krank- 
heitserscheinungen Störungen des Sexualgefühls auf, welche zu 
perversen geschlechtlichen Handlungen führen. 

IV. Störungen des Handelns. 

Da die Willenstätigkeit kein isoliert dastehendes Seelenvermögen 
ist, sondern in engstem Zusammenhang mit unserer gesamten seelischen 
Tätigkeit steht und aus derselben als Ergebnis hervorgeht, so ist es 
klar, daß alle Störungen, welche einzelne Gebiete unserer geistigen 
Funktionen treffen, auch das Handeln berühren müssen. Besprochen 
wurden bereits die krankhaften Veränderungen der Motive des 
Handelns, welche sich in Sinnestäuschungen, Gedächtnisdefekten^ 
Störungen der Ideenverknüpfungen, ürteilsschwäche und Bildung von 
Wahnideen kundgeben können. Desgleichen kommen die früher 
ausgeführten pathologischen Veränderungen der Triebfedern des 
Handelns, der Gefühlsvorgänge, in Frage. Leider sind wir nicht 
immer imstande, die einzelnen Faktoren einer Willenshandlung klar 
zu tibersehen, sondern wir vermögen nur das Endresultat, die Tat 
zu beobachten. Höchstens können wir aus den begleitenden mimi- 
schen und pantomimischen Bewegungen uns ein ungefähres Bild 
von den in der Psyche sich abspielenden Prozessen machen. 

Tritt eine Abstumpfung des Gefühlslebens ein (Jugendirresinn, 
Paralyse, Altersblödsinn), so leidet zugleich die Initiative, es bildet 
sich zunehmende Willensschwäche aus, welche nur noch Handlungen 
zuläßt, die zur Befriedigung sinnlicher Triebe dienen (Willens- 
verblödung). Ganz anders zu beurteilen ist die Hemmung und Ver- 
langsamung der Willenstätigkeit während der depressiven Phase des 
manisch-depressiven Irreseins. Nach Hellpach ist es nicht eine 
Störung der Motive oder der als Triebfeder dienenden Gefühle, welche 
diesen Vorgang veranlaßt, sondern eine Beeinträchtigung der Inner- 
vation der Bewegung. Daher das Gefühl des Unvermögens, der Schwere 
in den Gliedern. Dafür spricht auch, daß der Patient, solange er nur 
deprimiert ist, diese Veränderung meist nicht als krankhaft empfindet,, 
sondern als Folge von Sorgen usw. hinstellt, während er den Eintritt dieser 
Innervationshemmung deutlich als pathologischen Vorgang auffaßt. 

Bei anderen Kranken beobachten wir das Gegenteil, nämlich 
übermäßige Steigerung der Antriebe zum Handeln, z. B. bei Manie 
und Katatonie. Während aber der Manische bei seiner Vielgeschäftig- 



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- 31 — 

keit Ziel und Zweck erkennen läßt, erfüllt den Eatatoniker ein sinn- 
loser, oft die eigene Person schädigender Bewegungsdrang. Die er- 
leichterte Ausführung von Bewegungen, wie wir sie bei dem Be- 
trunkenen, dem Manischen und Schwachsinnigen vorfinden, beruht 
offenbar auf einem Mangel an Hemmungen und auf pathologischer 
Gefühlsbetonung der Vorstellungen, welche die Einwirkung sittlicher 
Grundsätze, die ruhige Abwägung der Motive unmöglich macht. 
Häufig beobachtet man auch bei diesen Kranken, wie schon normaler 
Weise bei dem Kind und der Frau eine erhöhte Beeinflulibarkeit, 
welche sie von zufälligen äußeren Einwirkungen abhängig werden 
läßt. Infolgedessen gewinnt die Willenstätigkeit der Betreffenden den 
Charakter des Wechselvollen und Planlosen. Besonders tritt diese 
gesteigerte Suggestibilität, hier Befehlsautomatie genannt, bei dem 
B^atatoniker hervor, welcher seine Glieder in die unbequemsten 
Stellungen bringen läßt und in diesen lange Zeit festhält (Katalepsie, 
flexibilitas cerea (beim Bewegen der Glieder zäher Widerstand, als 
ob die Muskulatur aus Wachs wäre), welcher häufig die Bewegungen 
oder Reden anderer genau nachahmt (Echopraxie, Echolalie) und so- 
gar Befehlen folgt, auch wenn ihm dadurch Nachteil droht, z. B. die 
Zunge herausstreckt, auch wenn sie anscheinend durchbohrt werden 
soll. Neben dieser Erscheinung beobachten wir oft bei denselben 
Kranken den nach Hellpach in gewissen Fällen auf Autosuggestion 
beruhenden Negativismus, das Widerstreben gegen äußere Einflüsse. 
Je nachdem nun Auto- oder Fremdsuggestion überwiegt, entsteht 
nach Hellpach die Erscheinung des Negativismus oder der Befehls- 
automatie. Der Negativismus kann sich auf einen rein passiven 
Widerstand beschränken oder er kann soweit gehen, daß der Kranke 
die der erwarteten entgegengesetzte Bewegung ausführt. Der 
Katatoniker setzt daher zeitweise Fragen hartnäckiges Stillschweigen 
entgegen (Mutismus), weigert sich, zu essen, sich an- und auskleiden 
zu lassen, bewahrt Speichel und Speisen im Munde auf, hält Kot 
und Urin zurück, dreht sich um, wenn er angesprochen wird, zieht 
die Hand zurück, wenn er begrüßt wird usw. Auch die oft halb- 
richtigen Antworten, welche von ruhigen und klaren Kranken ge- 
geben werden (Paralogie, Danebenreden) gehören hierher. Werden 
die Willensantriebe fortwährend durch andere durchkreuzt, wie es bei 
der Katatonie ebenfalls oft vorkommt, so entsteht eine „Entgleisung 
des Willens" (Schule), eine Verschrobenheit des Handelns. Besonders 
häufig wird die Sprache und die Ausführung der alltäglichen Hand- 
lungen durch derartige störende Willensbeeinflussungen verändert. 
Die Kranken sprechen z. B. in gezierter Weise, in sonderbarem 



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- 32 — 

Bbytbmus, mit Fistelstimme, gebrauchen sonderbare Redewendungen, 
zeigen ein eigenartiges Benebmen beim Grüßen, Laufen und Essen 
(Manieren, Schrullen); alles dies bedeutet eine Betätigung des Willens 
auf Umwegen, eine gesuchte, verschnörkelte Ausführung der be- 
treffenden Handlung. Wird der Fortgang der Willenstätigkeit immer 
durch dieselben Willensvorstellungen unterbrochen, so entsteht die 
Stereotypie, die stundenlange Festhaltung derselben Stellung (krampf- 
hafter Gesichtsausdruck, starre Haltung) oder Wiederholung derselben 
Bewegung (Zupfen an Bart oder Kleidern, Schnalzen der Zunge, 
häufiges Ausstoßen derselben Worte). Wichtig ist, daß bei der 
Katatonie die normalen Beziehungen, welche sich zwischen Gemüt 
(„Thymopsyche") und Intellekt („Noopsyche") bilden, aufgehoben 
werden, sodaß die Ausdrucks- und Zweckbewegungen derartiger 
Kranker deren Vorstellungsinhalt und der gemütlichen Stimmung 
häufig nicht entsprechen«'). 

Bei verblödeten Katatonikem und Idioten treffen wir außerdem 
rhythmische Bewegungen einförmiger Art (Nicken des Kopfes, Hände- 
klatschen), welche wohl dadurch zu erklären sind, daß bei diesen 
Kranken die durch chemische Reize hervorgerufene Tendenz der 
niederen Hirnzentren, Bewegungen periodisch in rhythmischer Weise 
zu wiederholen, nicht wie beim Gesunden durch gefühlsbetonte Ziel- 
vorstellungen gehemmt wird (Automatische Bewegung). 

Reflexoid nennen wir eine Handlung, wenn ein plötzlich von 
außen kommender Reiz eine Bewegung auslöst, welche nur undeut- 
lich zum Bewußtsein kommt Wir können uns den Vorgang so er- 
klären, daß in gewissen Zuständen (Erregung, Ermüdung) die sonst 
unser Tun regulierenden, vom Großhirn ausgehenden Hemmungen, 
versagen, und infolgedessen der Vorgang nach außen wie ein ge- 
wöhnlicher Reflex erscheint. 

Bei erblich Belasteten begegnen wir öfter sogenannten Zwangs- 
handlungen, gegen welche dieselben als etwas Fremdartiges — aller- 
dings meist vergeblich — ankämpfen. Wird der Kranke in der Aus- 
führung der Tat gehemmt, so gerät er in die höchste Aufregung, 
verübt wohl gar Selbstmord. 

Zu den Triebhandlungen, welche unter der Herrschaft heftiger 
sinnlicher Gefühle stehen, das Spiel der Motive vermissen lassen und 
dem Kranken im Gegensatze zu den Zwangshandlungen nicht als 
etwas Fremdartiges erscheinen, gehören der Sammel-, Stehl-, Brand- 
stiftungstrieb (Hysterie, Epilepsie), endlich die sexuellen krankhaften 
Triebe, wie wir sie oft bei Schwachsinnigen und psychopathischen 
Persönlichkeiten finden. Bekanntlich unterscheiden wir auf diesem 



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f ^ - J^ß.. U,../.. : j ./• 

Gebiete die konträre Sexualempfindung (ßbmosexualität), d. h. den 
sexuellen Trieb zum gleichen Geschleehte, Sadismus (Wollustempfin- 
dung bei grausamen Handlungen), Masochismus (geschlechtliches Lust- 
gefühl beim Ertragen von Demütigungen oder Schmerz), Fetischismus 
(sexuelle Erregung durch Betasten von Körperteilen oder Kleidungs- 
stücken des weiblichen Geschlechts)^ schließlich Exhibitionismus (ge- 
schlechtliche Befriedigung durch Entblößen der Geschlechtsteile in 
Gegenwart von Kindern oder Frauen), welch letzterer besonders bei 
Ältersblödsinn und Epilepsie beobachtet wird. 



Die Ätiologie der Geisteskrankheiten. 

Während die PubertätssKeit besonders Hebephrenie zur Entwicke- 
lung kommen läßt, beobachten wir vom 20.^40. Jahre beim Manne 
Psychosen, welche durch den Daseinskampf, den Alkoholmißbrauch, 
Syphilis verursacht werden, bei der Frau Geistesstörungen, welche 
mit Schwangerschaft^ Wochenbett und Laktation in Verbindung stehen. 
Nach der kürzlich veröffentlichten Ansicht von Bischoff sind aller- 
dings „Geisteskrankheit und. vorübergehende abnorme Geisteszustände 
-bei Entbindenden selten und kommen vorwiegend bei Disponierten 
vor". Es handelt sich nach ihm meist um Affektverbrechen. „Eine 
besondere Disposition zum Kindesmorde besitzen geistesschwache 
ledige Erstgebärende" (4). Im höheren Alter finden wir senile De- 
menz, Melancholie usw. Wir denken weiter an die verschiedene Dis- 
position der einzelnen Bässen (Juden), die Tropen „und Malarianeu- 
rästhenie mit ihren Erregungszuständen, die Psychosen nach Hitzschlag, 
-Sonnenstich, Blitzschlag, die geistigen Erkrankungen bei lange fort- 
gesetzter, mit Aufregungen und Verantwortung verbundener Arbeit 
(Lehrer, Musiker, Bankier), die Gefahren der Vererbung (Geistes- und 
Nervenkrankheit, Trunksucht, Selbstmord, Verbrechen bei den Vor- 
fahren), indem wir uns bewußt bleiben, daß nicht jeder erblich Be- 
lastete geistig erkranken muß. Femer wissen wir, daß in der Bluts- 
verwandtschaft „gesunder nicht belasteter Eltern an sich keine Gefahr 
liegt** (*^). Weiter denken wir an die geistigen Störungen, welche 
sich auf dem Boden von Himgeschwülsten, Arteriosklerose derHirn- 
gefäße, Nervenkrankheiten (Tabes, Chorea) entwickeln. Ebenso ist be- 
kannt, daß akute und chronische Infektionskrankheiten, Stoffwechsel- 
■störungen (Kretinismus, Myxödem), Erkrankungen der Körperorgane 
(Herzfehler), der Blutgefäße, Vergiftungen aller Art (Alkohol, indischer 
Hanf, Morphium) zu psychischen Störungen führen können* Ein viel 
umstrittenes Gebiet war seit langem der Zusammenhang zwischen Ver- 

DoBt, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 3 



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-^ 34 — 

letzungen und Psychosen. Man hat gefunden, ,,daß nicht nur schwere 
Verletzungen und direkte Kopfverletzungen psychische und nery{>se 
Störungen im Gefolge haben, sondern daß wir das gleiche auch bei 
leichten Verletzungen, die den Kopf gar nicht treffen, sehen, ja, daß 
Individuen psychisch resp. nervös erkranken, die bei dem Unfall, der 
sich zugetragen, gar keine körperlichen Verletzungen erlitten" (*''). 
Die Ursache der Erkrankung (besonders oft traumatische Neurose) 
ist daher in den meisten Fällen nicht allein die oft leichte Verletzung, 
sondern „vor allem die starke seelische Erschütterung mit den be- 
unruhigenden, deprimierenden und hypochondrischen Ideen, den Be- 
sorgnissen um das eigene Wohl, um die Störung des Berufs und die 
Erhaltung der Familie**. Verschlimmernd wirkt oft der lange Renten- 
streit Betreffs des Zusammenhangs von Paralyse und Verletzung 
glaubt man zur Zeit, „daß es sich entweder um eine posttraumatische, 
nur paralyseähnliche Erkrankung handelte, oder daß das Trauma 
eine Invalidität des Gehirns hervorrief, auf deren Boden die frühere 
syphilitische Infektion nun zu der Paralyse den Anstoß gibt, oder 
endlich, daß eine latente Paralyse durch das Trauma zur Entfaltung 
gebracht ist**. Im allgemeinen nimmt man jetzt an, daß die Paralyse 
meist durch Syphilis veranlaßt wird, daß aber der Boden durch Here- 
didät, angeborene oder erworbene Invalidität des Gehirns vorbereitet 
sein muß (Näcke, Obersteiner). „Bei den weniger zivilisierten Völkern 
ist die allgemeine disponierende Grundlage nicht vorhanden, daher 
die Seltenheit der Paralyse trotz noch so häufiger Syphilis . . . Einen 
unanfechtbaren Beweis für die ursächliche Bedeutung der Syphilis 
bei der Paralyse scheint uns die Bakteriologie kürzlich gebracht zu 
haben. Wassermann und Plaut konnten zeigen, daß in der Zerebro- 
Spinalflüssigkeit von Paralytikern in SO Proz. spezifisch luetische An- 
tistoffe nachweisbar waren, die sich in Fällen von Hirnsyphilis nicht 
fanden" (^^). Ist Syphilis nicht vorhergegangen und Alkoholismus 
oder Trauma nur als Ursache der Krankheit anzusehen, so wird es 
sich gewöhnlich um eine nur paralyseähnliche Krankheit, wie alko- 
holische Pseudoparalyse oder posttraumatische Demenz handeln. Ob 
nicht doch einzelne Fälle von echter Paralyse vorkommen, bei welchen 
Syphilis sicher auszuschließen ist, ist noch nicht völlig entschieden. 
Praktisch wird man folgendermaßen verfahren müssen: „Waren vor 
dem Unfall keinerlei Zeichen von einer nervösen oder psychischen 
Erkrankung vorhanden, war die Verletzung eine erhebliche, die den 
Kopf direkt getroffen oder doch wenigstens zu einer allgemeinen Er- 
schütterung geführt hat, und hat sich die Paralyse in einem nicht zu 
langen Zeitraum** (10 — 20 J.) nach dem Unfall herausgebildet, so 



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— 35 — 

wird sich vom Standpunkt der Unfallyersicherungspraiis auoh eiti 
ursächlicher Zusammenhang nicht ablehnen lassen^ (^7). 

Betreffs der Gemütserschfitterungen als Ursache der Geistes^ 
Störungen ^herrscht jetzt die Anschauung vor, daß die psychischen 
Ursachen vielfach früher überschätzt sind, daß es sich bei ihnen oft 
mehr um das auslösende oder verschlimmernde Moment als um die 
eigentliche Ursache handelt" (4^. Doch läßt sich nicht in Abrede 
stellen, daß seelische Aufregungen, besonders lange anhaltender Kummer, 
Reue, Angst vor Strafe bei zur Erkrankung disponierten, psychopa- 
thischen Menschen Geistesstörung hervorrufen können. 

Weiter sei noch auf die besonders durch die Einzelhaft hervor- 
gerufenenen Gefängnispsychosen (vorwiegend halluzinatorische Ver- 
wirrtheit) hingewiesen. 

Sexuelle Abstinenz rechnet man jetzt nicht mehr zu den ätio- 
logischen Faktoren der Geistesstörungen, während die Bedeutung der 
sexuellen Überanstrengung zweifelhaft ist. Betont werden muß noch, 
daß in den meisten Fällen eine Kombination von mehreren Ursachen 
der seelischen Störung zugrunde liegt. 



Die wichtigsten Formen der Psychosen. 

Nach Kräpelins*) Lehrbuch der Psychiatrie 1904, IL Teil pag. 40 ff. mit teil- 
weise wortlicher Anführung der Ausdrücke. Telegrammstil wurde angewendet, 
um eine schnelle Übersicht zu ermöglichen. — Abbildungen der wichtigsten 
Erankheitstypen befinden sich auf der Tafel am Schlüsse des Buches. 

I. Die akute Verwirrtheit (Amentia). 
Infolge von äußeren Schädlichkeiten plötzlich traumhafte Bewußt- 
seinsstörung. Erschwerung der Auffassung trotz Aufmerksamkeit 
ünorientiertheit, Verworrenheit des Gedankenganges. Massenhafte, 
wechselnde Halluzinationen und Illusionen. Stimmungswechsel. Ge- 
steigerter Bewegungsdrang. Dauer Monate bis Jahre. Ungefähr V» 
der Fälle geheilt 

II. Alkoholische Geistesstörung. 
a) Akute Alkoholvergiftung, 
a) einfacher Bausch. 
Erschwerung der Auffassung. Verflachung des Gedankenganges. 
Verlust des Urteils und Überblicks. Gemütliche Reizbarkeit. Zurück- 
treten der höheren sittlichen Gefühle. Wegfall der Hemmungen. 

1) Erapelins Lehrbuch wurde gewählt, weil es zur Zeit das am meisten 
gelesene Lehrbuch in Deutschland ist Zu erwähnen ist hierbei, daß eine Anzahl 
Autoren Kräpelins Standpunkt nicht teilen. 

8* 



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— 36 — 

Stönitg der feineren Herrschaft fiber die Bewegungen. Steigerang der 
motorischen Erregbarkeit Zuletzt körperliche und geistige Lähmung* 
Verlauf durch die persönliche Veranlagung beeinflußt 
ß) Pathologischer Rausch. 
Bei angeborener Intoleranz gegen Alkohol, Hysterie, Epilepsie, 
nach Kopfverletzung. Nach geringen Dosen Alkohol starke Bewußt- 
deinstrübung ohne stärkere körperliche Lähmung, Halluzinationen, 
Angst, große Reizbarkeit, sinnlose Erregung, triebartige Gewalttätigkeit 

b) Chronischer Alkoholismus. 
a) Entartung des Trinkers. 

Gesteigerte Ermüdbarkeit. Erinnerungsstörung. Verarmung des 
Vorstellungsschatzes. Urteilsschwäche. Wahnbildung. Einzelne Hallu- 
zinationen und Illusionen. Reizbarkeit Gemütliche Stumpfheit Sitt- 
liche Verrohung. Erhöhtes Selbstgefühl. Trinkerhumor. Ünstetigkeit 
Willensschwäche. Anfangs Fettleibigkeit, später Abmagerung, Blässe, 
bläuliche Verfärbung der Haut (Zirkulationsstörung). Zittern der 
Glieder. Unsicherheit der Bewegungen. NervenentztLndung (Neuritis): 
Reißen in den Gliedern, Druckempfindlichkeit der Nervenstämme und 
Muskeln. Reflexstörungen. 

ß) Delirium tremens. 

Geringe Beeinträchtigung der Besonnenheit (Auffassung und Ver- 
wertung von Sinneseindrücken). Ausgesprochene Desorientiertheit 
Leichte Bewußtseinstrübung, welche durch Anrufen vorübergehend 
aufgehellt werden kann. Störung der Merkfähigkeit Gedächtnis 
leidlich. Erinnerungsfälschungen. Zahlreiche Täuschungen, besonders 
des Gesichts, mit dem Charakter sinnlich deutlicher Erlebnisse (Be- 
schäftigungsdelirium), welche sich leicht suggerieren lassen. Stim- 
mung ist Gemisch von Angst und Humor. Unruhige Geschäftigkeit. 
GUederzittem. Oft Fieber, Appetitlosigkeit, Störung des Stuhlgangs, 
starker Schweiß, Eiweiß im Urin. Dauer einige Tage. Verlauf meist 
günstig. Bisweilen Tod durch Herzschwäche, Lungenentzündung. 

Y) Mitunter geht das Delirium tremens in chronisches 
Delirium (Korssakowsche Psychose) über. 

Starke Störung der Merkfähigkeit Völliger Verlust der Orien- 
tierung. Verlangsamung der Auffassung. Erinnerungsfälschungen. 
Wahnideen, welche ohne Einfluß auf das Handeln sind. Urteil sonst 
meist gut. Stimmung abwechselnd ängstlich^ humoristisch, gleich* 
gültig. Mangel an Initiative. Benehmen nach Ablauf der anfäng- 
lichen Unruhe gewöhnlich geordnet Meist allgemeine Nervenent- 
zündung (Polyneuritis). 



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— 37 — 

. S) Hallazinatorischer Wahnsinn der Trinker, 
Schnelle Ausbildung eines zusammenhängenden Verfolgungswahng, 
besonders infolge von Gebörstäuschungan, dabei fast völlige Klarheit 
des Bewußtseins. Die Stimmen sprechen meist nicht direkt zu dem 
Kranken, sondern unterhalten sich über ihn. Meist Wahnideen, be- 
sonders Eifersuchtswahn (auch selbständig als Eifersuehtswahn der 
Trinker auftretend, der sich bei Alkoholentziehung verliert). Mischung 
von Angst und Humor. Benehmen meist lange geordnet Schließlich 
aber als Folge der Täuschungen und Wahnideen gewalttätige Hand^ 
lungen. Dauer tage- bis monatelang. Meist Heilung. Leicht Rückfälle. 

III. Dementia praecox (Vorzeitige Verblödung, Jugendirresein). 
(8. Tafel Fig. 18, 19, 20.) 
Auffassung, Orientierung, Gedächtnis ungestört (alle Beobachtungen 
nur passiv registriert). Urteilsschwäche und Zerfahrenheit des Ge- 
dankengangs, Verlust der Persönlichkeit und Initiative «=» apperzeptive 
Verblödung (Weygandt). Verlust der inneren Einheitlichkeit der Ver- 
standes-, Gefühls- und Willenstätigkeit, daher Paramimie (Mißverhält- 
nis zwischen Stimmung und Gesichtsausdruck) sowie Verschrobenheit 
der Handlungen, Gemütliche Abstumpfung. Negativismus (Willens- 
sperrung durch Autosuggestion) mit Paralogie (Vorbeireden). Befehls- 
automatie (erhöhte Fremdsuggestion), z. B. Katalepsie (Erhalten der 
Glieder für lange Zeit in der ihnen erteilten Lage), Echolalie (Nach- 
sprechen), Echopraxie (Nachahmen vorgemachterBewegungen). Willens- 
entgleisungen (Durchkreuzung der Willenshandlung durch neue 
Willensantriebe), Bewegungs- und Haltungsstereotypien (Wiederholung 
derselben Willensantriebe), Verbigerieren (Wiederholung derselben 
Worte). Grimmassieren. Manieren („erstarrte krankhafte Abänderung 
geläufiger Handlungen"). Kann auf allen Stufen der Verblödung stehen 
bleiben. Verblödung gewöhnlich nicht universal, sondern nur partiell. 
Ohnmächten. Epileptiforme Krämpfe. Krampfhafte Bewegungen der 
mimischen und Sprachmuskulatur (Grimassieren). Blitzartige unwill- 
kürliche Zuckungen der Muskeln. Veitstanzähnliche Bewegungen 
Steigerung der Sehnenreflexe. Erhöhte Erregbarkeit der Muskeln und 
Nerven beim Beklopfen derselben. Weite, Differenz der Pupillen. 
Fehlen der normalen, durch psychische Vorgänge bedingten Pupillen- 
unruhe. Öfter Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit Kreislauf- 
störung (Bläuliche Verfärbung, wassersüchtige Anschwellungen, Der- 
matographie, d. h. Bötung und Anschwellung von Hautstellen, welche 
mit dem Finger oder einem härteren Gegenstand beschrieben wurden). 
Starke Schweißbildung. Vermehrung der Speichelabsonderung. Schwan- 



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— 38 — 

kung der Herztätigkeit Herabsetzung der Körpertemperatur. Unregel- 
mäßigkeiten der Periode. Blntarmat, Schlafstörung. Schwankungen 
des Körpergewichts, Zunahme besonders bei Abnahme des Affekts und 
eingetretener Verblödung. 

a) Hebephrenische Form. 
Tritt gewöhnlich während der Pubertät auf. Meist allmählich stille 
Verblödung* Seltener Beginn mit trauriger Verstimmung, hypochon- 
drischen Klagen. Zerfahrenheit des Gedankengangs. Unsinnige Wahn- 
ideen, Urteilsschwäche. Geschraubte, gezierte Sprache, alberne Witze 
und Reime. Läppisches Benehmen. Unsinnige, clownmäßige Handlungen« 

b) Katatonische Form. 
Oft plötzlich ineinander übergehende Perioden von starrer 
Spannung oder sinnloser Erregung. Beginnt oft mit schwerer De- 
pression. Sprachverwirrtheit im Gegensatz zur ungestörten Auffassung} 
Orientierung, Merkfähigkeit, zum wohlerhaltenen Gedächtnis. Zeit- 
weise Erinnerungsfälschungen. Wechselnde Helligkeit des Bewußt- 
seins. Halluzinationen. Herrschaft der gemütlich betonten Zielvor- 
stellung über den Willen verloren, sodaß das Handeln ein Spielball 
der sich durchkreuzenden Willensantriebe wird. Muskelspannungen, 
bildsäulenartige Stellungen. Negativismus, Befehlsautomatie, Kata- 
lepsie, Verbigeration, Manieren. Sonderbare Ausdrucksbewegungen 
(Grinsen, Schnauzkrampf, Gesichterschneiden, sinnloses Kopfschütteln). 
Bewegungsstereotypen* Impulsive Triebhandlungen. 

c) Paranoide Form. 

Zahlreiche konfuse, nur kurze Zeit festgehaltene Verfolgungs und 
Größenideeu. Wahn der physikalischen Beeinflussung des Körpers 
und Geistes. Keine Erklärung für die unsinnigen Wahnideen gesucht. 
Kein Ausbau des Wahns. Wahnhafte Personenverkennung. Wort- 
neubildung, Sprachverwirrtheit, Wortsalat. Einzelne katatonische 
Zeichen. Zuletzt schwachsinnige Verwirrtheit mit unsinnigem Gefasel. 

Arbeitsfähigkeit innerhalb der Anstalt oft erhalten. Tritt meist 
in späteren Jahren auf. 

Die Prognose der dementia praecox desto ungünstiger, jamehr die kata- 
tonischen Symptome von Anfang an oder später in den Vordergrund treten. 

IV. Progressive Paralyse (Fortschreitende Hirnlähmung) 

(s. Tafel Fig. 21). 
Erkrankung des ganzen Zentralnervensystems mit fortschreitendem 
geistigen und körperlichen Verfall. Tod meist nach 2—3 Jahren. 
Doch mitunter jahrelange Besserungen und Stillstände. 



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— 39 — 

Am Anfang Verlust des Gefühls für Anstand und Sitte. Ermüd- 
barkeit gesteigert, Auffassung und Reproduktion herabgesetzt. Ver- 
geßlichkeit zuerst für neue, -später auch für frühere Eindrücke. Ver- 
armung des Vorstellungsschatzes. Regellosigkeit des Denkens, Urteils- 
^ch wache. Später Bewußtseinsstörungen, Desorientiertheit, besonders 
zeitig Störung der zeitlichen Orientierung, unsinnige hypochondrische 
oder Größenideen. Halluzinationen und Illusionen. Reizbarkeit. Vor- 
übergehen(i heftige Erregung oder Depression. Nachlaß der höheren 
geistigen Interessen. Willensschwäche. Gesteigerte Suggestibilität. 
Delirien. Anfangs starke Kopfschmerzen. Blutandrang nach dem 
Kopfe. Sebstörungen, welche sich bis zur Erblindung steigern können 
(Retinitis, Atrophie der Sehnerven). Herabsetzung des Geruchs und 
Geschmacks. Unangenehme nervöse Beschwerden aller Art. Später 
Herabsetzung der Hautempfindlichkeit, besonders Analgesie. Vorüber- 
gehende Anästhesien,* Parästhesien (Kriebelgefühl). Vorübergehende 
Zuckungen der Muskeln. Wiederverschwindende Lähmung, Sprach- 
störung, Schlaffheit der mimischen Muskeln. Ungeschickte Bewe- 
gungen. Rhythmisches Zähneknirschen. Erschwerung des Schluckens. 
Zwangsmäßiges Lachen. Apoplektiforme Anfälle (Schlaganfall ähnlich) 
mit plötzlicher Bewußtlosigkeit, schnarchender Atmung, Aphasie (Sprach- 
losigkeit), Lähmung. Paralytische Anfälle in Form von vorübergehendem 
Schwindel mit Sprachstörung und leichter Lähmung. Oder als epi- 
leptiforme Anfälle mit Bewußtlosigkeit, Krämpfen, vorübergehender 
Lähmung, Fiebersteigerung. Nierenstörung. Tod öfters durch Schluck- 
Pneumonie (Lungenentzündung durch in die Lunge gelangende Speise- 
reste usw.). Allmählich vollständiger Zerfall der Persönlichkeit; unter 
Muskelschwund und Ernährungsstörungen der Gewebe (Dekubitalge- 
schwüre), körperlicher Rückgang bis zu völliger Lähmung und Hilf- 
losigkeit. 

V. Irresein des Bückbildungsalters. 

a) Melancholie (s. Tafel Fig. 22). 
Orientierung und Besonnenheit erhalten. Gedankengang zusammen- 
hängend, klar einförmig. Einzelne Sinnestäuschungen. Gleichmäßige 
traurige Verstimmung. Starke innere Angst. Versündigungs-, Ver- 
armungs-, Kleinheits-, hypochondrischer Wahn. Selbstmordneigung. 
Keine Hemmung. In höherem Alter unsinnige hypochondrische und 
Verfolgungsideen, gemütliche Abstumpfung, triebartige Unruhe, raptus- 
artige Gewalttaten. Schlafstörung. Gefühl der Abspannung und körper- 
lichen Schwäche. Unangenehme Empfindungen. Appetitlosigkeit. Ver- 
stopfung. Belegte Zunge, foetor ex ore. Gewichtsabnahme. Blut- 



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— 40 — 

armnt Herabsetzung der Körperwärme. Puls klein. Haut kühl, trocken, 
spröde. Unterschenkel bläulich. Anschwellungen der Knöchel. 

Allmähliche Lösung. Lange Dauer« Heilung noch nach 4 — 5 
Jahren. Prognose zweifelhaft, in höherem Alter ungünstig. 

Nach den neuesten Veröffentlichungen rechnet Kräpelin in Über- 
einstimmung mit Hübner die Bfickgangsmelancholie jetzt ebenfalls 
zum manisch-depressiven Irresein. 

b) Präseniler Beeinträchtigungswahm 
In den 50er Jahren. Allmähliche Ausbildung deutlicher Urteils^ 

schwäche. 

Systemloser Beeinträchtigangswahn. Erhöhte gemütliche Beiz- 

barkeit. Unsinnige Handlungen. 

c) Altersblödsinn (Senile Demenz). 
Auffassung und Merkfähigkeit herabgesetzt« Gedächtnis schlecht. 
Zunehmende Schwäche des Urteils, Verödung des Vorstellungsinhalts! 
Vorübergehende Bewußtseinsstörungen. Sinnestäuschungen. Hypo- 
chondrische oder Beeinträchtigungsideen. Herabsetzung der höheren 
Gefühle. Rührseligkeit. Egoismus. Eigensinn. Rücksichtslosigkeit, 
Sexuelle Erregung. Unsittliche Handlungen. Willensschwäche. In 
höherem Grade schwere Merk- und Orientierungsstörung, Fabulieren, 
unsinnige Ideen, große motorische Unruhe. Schlafstörung. Abnahme 
der Kräfte. Appetitlosigkeit. Fahle Hautfarbe. Geringer Haarwuchs- 
Trübungen der Linse. Schwerhörigkeit. Gliederzittem. Empfindungs 
Störungen. Schwindel. Kopfschmerz. Pupillen meist eng. Lichtreaktion 
derselben träge. Reflexe erhöht oder herabgesetzt. Verwaschene 
Sprache. Verkalkung der Arterien (hart, geschlängelt). 

Als Unterabteilung Presbyophrenie. 
Illusionistische und halluzinatorische Verfälschung der Wahr- 
nehmung. Verlust der Orientierung und Merkfähigkeit. Die großen 
Lücken des Vorstellungsscbatzes durch Fabulieren ausgefüllt Auf- 
merksamkeit und Gedankengang normal. Urteil in bezug auf früher 
erworbene Begriffe ziemlieh gut. Interesse für die Umgebung erhalten 
Gemütsstimmung leicht gehöben oder gereizt. Verhalten meist geordnet 

Seniler Verfolgungswahn. 
Dürftige verworrene Wahnideen mit einzelnen Sinnestäuschungen. 
Benehmen meist geordnet 

VI. Manisch-depressiyes Irresein (s. Tafel Fig. 23, 24). 
Einheitliche Krankheit, deren manisches und depressives Zur 
Standsbild einander folgen, für einander eintreten und sich vermischen 



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— 41 — 

kann. Mitunter periodisch auftretende manische Anfälle ohne Ver- 
bindung mit Depression. Oft erbliche Belastung nachweisbar, 

a) Manische Phase. 

Auffassung ungenügend und flüchtig. Beschleunigung des Ge- 
dankengangs bis zur Ideenflucht Rededrang. Ablenkbarkeit erhöht. 
Einzelne Sinnestäuschungen. Unangenehme Körperempfindungen. Wech- 
selnde, mitunter unsinnige Wahnideen. Gehobene oder zornige Stim- 
mung. Erhöhtes Selbstgefühl. Steigerung der Erregbarkeit. Herab- 
setzung des Ermüdungsgefühls. Beschäftigungsdrang bis Tobsucht. 
Auf der Höhe der Erregung Trübung des Bewußtseins, Herabsetzung 
der Orientierung. In leichten Fällen frische Farbe der Haut, leb- 
hafter Blick. Elastische Bewegungen. Gesteigerter Appetit. Bei Tob- 
sucht Abnahme des Gewichts, Beschleunigung der Atmung, Steigerung 
der Herztätigkeit, Erhöhung der Temperatur, Blutandrang nach dem 
Kopfe. 

Dauer einige Wochen bis 2—3 Jahre. Fälle mit Wahnbildung 
und mäßiger Erregung dauern gewöhnlich lange. 

b) Depressive Phase. 

Besonnenheit und Orientierung erhalten. Hemmung des Denkens. 
Mitunter Bewußtseinstrübung. Seltener Halluzinationen , Illusionen 
und Wahnideen. Zwangsvorstellungen. Gemütiiche Verödung. Dumpfe, 
hoffnungslose Niedergeschlagenheit, vorübergehender Stimmungswechel. 
Krankheitsgefühl. Willenshemmung, Mangel an Initiative. Mitunter 
tiefe stuporöse Trübung des Bewußtseins (Äußere Sinneseindrücke 
wenig aufgefaßt, zusammenhanglose Delirien und Sinnestäuschungen). 
Herabsetzung des Appetits. Schlafstörung. Körperliche Mißempfin- 
dungen. Schlaffe Haltung. Matter Blick. Blutarmut. Mangel an 
Elastizität der Haut. Verlangsamung der Atmung und Herzaktion. 
Puls klein. Zusammenziehung der Gefäße. 

Prognose gut für den einzelnen Anfall, dagegen leicht Rückfälle. 
Freie Zwischenräume allmählich kürzer, 

c) Mischzustände. 
1. Depressive Erregung. 2. Gedankenarme Manie. 3. Manischer 
Stupor (Mischung von Unzugänglichkeit mit heiterer Stimmung). 
4. Ideenflucht bei Depression. 5. Manische Hemmung (Ideenflucht, 
heitere Stimmung und psychomotorische Hemmung). 

VII •Paranoia (Yerrücktheit). 

Allmähliche Bildung eines unerschütterlichen Wahnsystems bei 
völliger geistiger Klarheit und geordnetem Denken, Wollen ^ und 



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— 42 — 

Handeln. Verrückong des Standpunktes, welchen Patient gegeü 
Personen und Ereignisse der Umgebung einnimmt Krankhaft ver- 
fälschte Weltanschauung. Beginn oft mit unangenehmen Organ- 
empfindungen, Ahnungen, Vermutungen, Mißtrauen, Beeinträchtigungs- 
ideen. Erinnerungsfälschungen. Später Steigerung des Selbstgefühls. 
Größenideen. Urteil, soweit es nicht den Wahn betrifft, ungestört. 
Geordnete Haltung. Das Verhalten ist aus dem Wahn heraus ver- 
ständlich. Erst später gefährliche Handlungen als Abwehr. All- 
mählich doch Nachlaß der geistigen Kräfte in vielen Fällen. 

Besondere Form stellt der Querulantenwahnsinn dar. 

Knttpft meist an ein tatsächlich erlittenes Unrecht an. Auf- 
fassung und Gedächtnis oft gut. Eintönigkeit des Gedankengangs 
Unbelehrbarkeit Leichtgläubigkeit bezüglich des Belastungsmaterials 
Kritiklosigkeit gegenüber allem, was auf den Wahn Bezug hat 
Gehobenes Selbstgefühl. Erhöhte gemütliche Reizbarkeit Unsinnige 
Hartnäckigkeit in der Erstrebung des Ziels. Allmähliche Ausdehnung 
der Verfolgungsideen auf immer zahlreichere Personen. Schließlich 
zunehmende geistige Schwäche. 

VIII. Epileptisches Irresein. 

Wahrscheinlich durch Stoff Wechselstörung, Selbstvergiftung. Auf 
der Grundlage angeborener Entartung. Mitunter Mikrokephalie, 
Hydrokephalie (Wasserkopf), „epileptische Physiognomie, welche 
durch die breite Stirn, die eingedrückte breite Nase, durch vor- 
springende Backenknochen, wulstige Lippen und glänzende Augen 
mit auffallend weiten Pupillen gekennzeichnet wird^ (Kräpelin). 

Von äußeren Ursachen unabhängige, periodisch auftretende 
epileptische Krampfanfäile mit vorhergehender Aura (VorempfindungX 
während und nach dem Anfall bestehender Veränderung des Be- 
wußtseins und darauf folgender partieller oder totaler Amnesie. An 
Stelle der ausgebildeten Anfälle können auch epileptoide Zustände 
(petit mal) auftreten: 

Ohnmächten, Absencen (kurze Bewußtseinslücken), Schwindel- 
und Schlafanfälle, nächtliches Aufschrecken (pavor nocturnus), grund- 
lose Angst. 

Der Epileptiker wird zum Geisteskranken, wenn sich: 1. die 
epileptische fortschreitende Entartung oder Schwachsinn einstellt 
2. Bewußtseinsstörungen, z. B. Dämmerzustände. 3. Psychosen, z. B. 
das Bild der Paranoia hinzugesellen. 

ad 1 . Einengung des Gesichtskreises. Umständlichkeit. Neigung 
zu süßlichen Bedenarten, frommen Sprüchen, lügenhaften Aussagen. 



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— 43 — 

Beizbarkeit. Rechthaberei. Unstetigkeit. Krankhaftes Mißtrauen. 
Sinnlose Wutanfälle. Zeitweise gemütliche Schwankungen und Be- 
ängstigungen ohne äußere Ursache, . welche zu starkem Alkoholmiß- 
brauch führen können: Dipsomanie (bei schwer Belasteten periodisch 
'zwangsmäßiger Trieb zum Genuß alkoholischer. Getränfee, infolge 
innerer Angst und Unruhe. Vielleicht auch durch periodische 
Melancholie und Manie (Ziehen) erzeugt. Nach Ablauf Nieder- 
geschlagenheit, Reue. In der Zwischenzeit Patient fleißig und 
nüchtern* Heilung selten, nur bei strenger Abstinenz). 

ad 2. Die Dämmerzustände können Krampfanfällen vorher- 
gehen, nachfolgen oder selbständig auftreten (dann Äquivalente ge- 
nannt). Das epileptisch veränderte Bewußtsein während dieser 
Zustände kennzeichnet sich durch ein schnelles Aufeinanderfolgen 
von scheinbar geordnetem Verhalten und von befremdlichen, nicht 
vermuteten, gewalttätigen Handlungen. Während der Dämmerzustände 
Mord, Brandstiftung, sexuelle Exzesse, Exhibitionismus, Fahnenflucht, 
große Reisen, Nachtwandeln. Die Handlungen in den verschiedenen 
Dämmerzuständen oft in ganz gleicher Weise wiederholt. Die Er- 
innerungen aus dem Dämmerzustand werden nach Bonhöffer nicht 
weiter verarbeitet und gewinnen keine nähere Beziehung zur Per- 
sönlichkeit. Patient erzählt z. B. von der von ihm in diesem Zustand 
vorgenommenen Brandstiftung wie voii der Tat eines anderen. Mit- 
unter nur noch Erinnerung für nebensächliche Erlebnisse, während 
die Erinnerung an die Tat zwar anfangs vorhanden war, aber bald 
versinkt (cf. Erinnerung an Traumvorstellungen). Infolgedessen 
natürlich leicht Verdacht auf Simulation. Mitunter körperliche Be- 
gleitsymptome, z. B. träge Pupillenreaktion, Steigerung der Sehnen - 
reflexe, Störung der Hautempfindlichkeit, des Geruchs und Geschmacks, 
schwerfällige, verwaschene Sprache. 

1 Bewußtseinstrübung bei plötzlichem Erwachen aus dem Schlafe 
mit illusionistischer Auffassung der Wahrnehmung und dadurch er- 
zeugten Ge waltaten. 

Durch geringe Dosen Alkohol Bewußtseinstrübung mit sinnlosen 
.Wutanfällen. 

Plötzlich entstehende ängstiiche Delirien (Auffassung und Orien- 
tierung gestört, ängstiiche oder zornige Erregung, schreckliche Hallu- 
zinationen, unsinniger Bewegungsdrang, schwere Gewalttat. Dauer 
einige Stunden bis Wochen). 

Epileptischer Stupor (länger dauernde, oft schwere Bewußtseins- 
trübung, verworrene teils grauenvolle, teils beglückende Wahnideen 
aus den Ausdrucksbewegungen herauszulesen. Patienten handeln wie 



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— 44 — 

im Traum oder liegen steif im Bett, widerstreben )edem äußeren 
Eingriff. Dauer 8—14 Tage. 

IX. Hysterisches Irresein. 

Gekennzeichnet wird die Hysterie nach Kräpelin durch die 
außerordentliche Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit welcher sich 
psychische Zustände in mannigfaltigen körperlichen Störungen wirk- 
sam zeigen, oder nach Binswanger ^) durch eine krankhafte Ver- 
schiebung zwischen materiellen Himrindenerregungen und psychischer 
Parallelreihe. 

Auffassung, Gedächtnis, Denken ungestört Neben zahlreichen 
körperlichen Erankheitszeichen (Stigmata 2. B. Anästhesie, welche 
nicht dem anatomischen Verlauf der Nerven entspricht (psychisch 
bedingt, psychogen) geistige Stigmata: Pathologisch gesteigerte Affekt- 
erregbarkeit mit pathologischer Verstärkung und Ausdehnung der 
körperlichen Begleit- und Folgeerscheinungen. Gesteigerte Phantasie- 
tätigkeit Fehlende Reproduktionstreue. Stimmungswechsel. Erhöhtes 
Selbstgefühl. Einschränkung des Ideenkreises auf das eigene Be- 
finden. Erhöhte Suggestibilität TJnstetigkeit Neigung zur Intrigue. 
Widerspruchsneigung. Nörgelsucht Theatralische Übertreibung der 
Ausdrucksbewegungen (Hysterischer Charakter). Bei degenerativ 
veranlagten Kranken Verzerrung und Verschärfung der hysterischen 
Charaktereigentüralichkeiten. 

Bei der Hysterie vorkommende körperliche Störungen: 
Anästhesien und Analgesien, welche meist dem anatomischen 
Verlaufe der Nerven nicht entsprechen, a) halbseitige, b) fleckweise 
auftretende, c) geometrische in Schwimmhosen-, Keulen-, Manschetten- 
form. Entgegen den anatomischen Verhältnissen oft auch Lähmungen 
aller Sinnesempfindungen derselben Seite (Gesicht, Gehör usw.). Ge- 
sichtsfeldeinschränkung, Hyperästhesien, Hyperalgesien, Globusgefühl 
(Gefühl einer beweglichen Kugel im Halse), Clavus (quälender Schmerz 
in der Scheitelgegend). Spinalirritation (Schmerz der Wirbelsäule bei 
Betastung). Druckempfindlichkeit bei Berührung bestimmter Punkte, 
z. B. Ovarie (Druck auf den nervus sympathicus im Unterleib). 
Topalgien (festsitzende Schmerzen durch peripher projizierte zentrale 
Erregung). Spontane wechselnde Schmerzen in allen möglichen 
Körpergegenden, welche die verschiedensten Krankheiten vortäuschen 
können. Headsche Zonen (Umschriebene Hyperalgesien der Haut bei 
Erkrankung innerer Organe). Störung des Muskelsinns. Pseudotabes. 
Anomalien der Herztätigkeit und der Blutzirkulation. Trophische 
Störungen. Spontane Blutungen (z. B. Stigmatisation). Hautgangrän. 



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— 45 — 

HaatauBScbläge. Ödeme (weißes und blauesX Haarausfall. Schweiß- 
Störung, Appetitlosigkeit. (Anorexie). Hochgradige Abmagerung 
oder Fettleibigkeit Menstrnationsstörung. Hysterisches Fieber 
(zweifelhaft). Reflexstörungen. Schwindel. Zittern. Krämpfe. 
Muskelspannungen. Kontrakturen. Zwangsweise Gliederbewegungen 
(Tics) Husten. Räuspern. Rülpsen. Erbrechen. Gesteigerte Peri- 
staltik. Kotbrechen (an Darmverschluß erinnernd). Meteorismus 
(Luftauftreibung der Därme, wodurch schon Schwangerschaft vor- 
getäuscht worden ist). Vaginismus (Krampfhafte Zusammenziehung 
der Scheide, welche den Coitus verhindert). Stottern, Lach- und 
Weinkrämpfe. Psychisch bedingte Lähmung der Glieder und der Sprache. 

In der Sitzung der Soci6t6 de Neurologie in Paris am 9. April 
1908 wurde von Babinski und anderen betont, daß eine Anzahl der 
hysterischen Stigmata z. B. Hemianästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung, 
hysterische Zonen, Rachen- und Comealreflexstörung (nicht aber die 
trophischen, vasomotorischen Störungen oder die der Sehnen- und 
Pupillenreflexe) auf Suggestion beruhe. ^^) 

Die Hysterische wird zur Geisteskranken, wenn sich 
' 1. Bewußtseinsstörungen, 

% ausgesprochene Psychosen 
entwickeln. 

ad 1. Wachträume (Versunkensein in traumhafte Vorstellungen 
bei offenen Augen, Hetzen von Vorstellungen und unangenehmen 
Erinnerungen); Schlafanfälle (Lethargie). Synkopale Anfälle (Übel- 
keit, Zusammensinken). Apoplektiforme Anfälle (einem Schlag- 
anfall ähnlich). Kataleptische Zustände (Gliederstarre). Große 
Krampfanfälle mit arc de cercle, Glownismus, attitudes passionelles. 
Dämmerzustände (Bewußtseinstrübung mit Verwirrtheit, Visionen und 
Halluzinationen von dramatischer Lebendigkeit, läppischem Be- 
nehmen, Gansers Vorbeireden «= Assoziationsstörung). Mit den- 
selben verwandt ist der Somnambulismus (Traumhafte Be- 
wußtseinsänderung durch tiefgehende Störung der Ideenassoziation). 
Unter dem Einflüsse derartiger traumhafter Vorstellungen triebartiges 
Umherschweifen, gefährliche Handlungen. Die Kranken fallen oft 
nur durch ihr einsilbiges, unzugänghches Wesen auf). Indem Er- 
scheinungen des Dämmerzustandes nicht in den folgenden Zustand 
hinübergenommen werden, entsteht mitunter eine anscheinende Ver- 
vielfältigung der Persönlichkeit. 

ad 2. Auf degenerativer Basis können sich ausgesprochene 
Psychosen entwickeln, welche aus kettenartig aneinandergereihten 
Dämmerzuständen oder Wachträumen, Halluzinationen, Verstim- 



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— 46 — 

muDgen, Lethargie, Delirien, raptos hystericuB (maßloße Aügstanfällej; 
teilweise mit HalluzinatioDen und lilasionen, triebartige Unruhe), 
furor fajstericuB (höchste hysterische Reizbarkeit) und moria (läppische 
heitere Verstimmung) in beliebiger Anordnung sich zusammensetzen 
können. Die Psychose kann den Charakter der Melancholie an- 
nehmen, häufiger treten paranoische Bilder auf. Nach Räcke werden 
bei jugendlichen Imbecillen abwechselnde Zustände von furor, moria 
und Stupor beobachtet Die hysterische Grundlage verleiht allen 
diesen Psychosen den Charakter des Theatralischen, Sprunghaften« 
Die hysterische Paranoia zeichnet sich durch starke Affekterreg-; 
barkeit, lebhafte Verfolgungsideen, ethischen Defekt, erotische £r- 
r^ung, krankhaftes Bedürfnis, sich in den Vordergrund zu drängen, 
verläumderische Lügenhaftigkeit und strafbare Handlungen aller Art 
aus. Kindliche und juvenile Hysterie ist heilbar, dagegen die des 
späteren Alters, besonders bei degenerativer Grundlage, nicht. Nach 
langem Kranksein mitunter Verarmung des Vorstellungsschatzes und 
Urteilsschwäche (besonders bei zahlreichen Krampfanfällen und hallu* 
zinatorischen Dämmerzuständen). Nach Freud sind in der Kindheit 
erlittene sexuelle Traumen die Ursache der Hysterie. Sie rufen einen 
affektbetonten Komplex hervor, der infolge seiner Unverträglichkeit 
mit dem normalen Bewußtseinszustand nicht abreagiert, sondern ins 
Unterbewußtsein verdrängt (eingeklemmt) wird und durch Konversion 
(Umsetzung) der Erregung in abnorme körperliche Innervation und 
durch Transposition des Affekts auf indifferente Vorstellungskomplexe 
die hysterischen Symptome erzeugt Nach einer neueren Veröffent- 
lichung Jungs ^^) beruht die Hysterie darauf, daß zur Zeit der Pubertät 
die konstitutionell gesteigerte Phantasie durch die infantile Sexual- 
betätigung eine konsteliierte Richtung erhält, daß sich dadurch Vor- 
stellungskomplexe bilden, welche mit dem übrigen Bewußtseinsinhalt 
unvereinbar sind und darum der Verdrängung unterliegen, besonders 
durch starke Scham- und Ekelgefühle. In diese Verdrängung wird 
nun die Übertragung der libibido (sexuelle Komponente des Seelen- 
lebens und Leidenschaftlichkeit im Begehren überhaupt) auf eine 
geliebte Person mit hineingezogen und die Scham- und Ekelgefühle 
werden auf dieselbe übertragen. Durch diese Hemmung der Über* 
tragung der libido entsteht ein Gefühlskonflikt, welchei die bystmschen 
Krankheitssymptome hervorruft Die treibenden Kräfte der hyste- 
rischen Psychose liegen demnach mehr in der Gegenwart als in der 
Vergangenheit Zu bemerken ist, daß die Anschauungen von Freud, 
Bleuler und Jung bis jetzt noch nicht allgemein anerkannt sind, 
wenngleich sie in vielen Fällen das Richtige treffen mögen« 



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— 47 — 

X. Entartnngsirreselii. 

Dauernd krankhafte Verarbeitung der Lebensreize infolge Yon 
erblicher Veranlagung. 

a) Angeborene Nervosität. (Im Gegensatz zur erworbenen 
Neurasthenie, welche durch Erschöpfung, Überanstrengung beim 6er 
Sunden entsteht, sich besonders durch reizbare Schwäche charakterisiert 
und bei Wegfall der Ursache in Heilung übergeht ^j. 

Angeborene Widerstandunfähigkeit. Mangelnde Harmonie der 
geistigen Kräfte. Erhöhte Ermüdbarkeit, Ablenkbarkeit, Einbildungs- 
kraft. Selbstüberschätzung. Störung des Wirklichkeitsbewußtseins. 
Stimmungswechsel. Lügenhaftigkeit. Leichte Erregbarkeit. Betonung 
des Ich. Dauernde Unfreiheit des Handelns. Gesteigertes Triebleben 
(besonders in sexueller Beziehung, sexuelle Abnormitäten). Empfind- 
lichkeit gegen Alkohol, Witterung, Hitze. Nervöse Beschwerden aller 
Art. Schlafstörung. Körperliche Degenerationszeichen, z. B. Zwerg-, 
Riesenwuchs. Mangelnde Symmetrie des Köperbaus. Angeboren^ 
Luxation. Abweichungen im Schädelbau, z. B. mikrokephaler, 
hydrokephaJischer (Wasserkopf), progeneer (Oberkiefer durch Untere 
kiefer überragt), schiefer Schädel, Sattelkopf (Einsenkung in der 
Gegend der Kranznaht), mongolischer Kopftypus (Kopf rund, Gesicht 
platt, Backenknochen vorspringend, Nasenrücken breit, Augen schief 
geschlitzt), fliehende Stirn. Darwinsches Spitzohr, ev. mit Knötchen 
am äußeren Ohrrand, Stahlsches Ohr (Ohrgruben durch den Helix 
verdeckt), Wildermuthsches Ohr (der Helix nach hinten umgeschlagen), 
Henkelohr, Ohrläppchen nicht ausgebildet. Fehlen der Regenbogenhaut 
des Auges, verschiedene Färbung und Fleckung derselben, exzentrische 
Ijage der Pupille, mehrere Öffnungen der Regenbogenhaut, angeborener 
Staar. Hasenscharte, Wolfsrachen (Gaumen gespalten), Gaumen steil, 
starke Entwickeiung des Gaumenwulstes (torus palatinus). Anomalien 
der Form, Größe und Stellung der Zähne. Polydaktylie (Vermehrung) 
und Syndaktylie (Verwachsung) der Zehen und Finger, Schwimmhaut- 
bildung, Klumpfuß. Vorlagerung der Harnröhrenmündung (Epispadie, 
Hypospadie), Kryptorchismus (Hoden nicht in den Hodensack herab- 
getreten), Verdoppelung des Genitalkanals, Verschluß der Vagina. 
Abnormer Haarwuchs. 

Angeborenes Stammeln, Stottern, Schielen, Nystagmus (unwillkür- 
liche Bewegungen der Augäpfel), Neigung zu Krämpfen in der 
Kindheit. Bei angeborener homosexueller Anlage mitunter breites 
weibliches Becken, starke Entwickeiung der Brüste, geringer Bart- 
wuchs^ gerundete Formen, weibliche Stimme. Die Degeneratipns- 
zeichen weisen nur dann auf erbliche Belastung hin, wenn sie bei 



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— 48 - 

einem Individuum gehäuft, sowie in den verschiedensten Systemen 
und wichtigen Formen auftreten (Näcke). 

Die Nervosität ist verwandt mit der Hysterie, dem manisch- 
depresdiven Irresein. Auf dem Boden derselben können folgende 
Zustände erwachsen. 

b) Konstitutionelle Verstimmung. 
Dauernd pessimistische Gefühlsbetonung aller Vorstellungen. 
Gesteigerte Ablenkbarkeit. Schuldgefühl. Empfindsamkeit. Ängst- 
lichkeit. Nervöse Beschwerden. Tics z. B. Grimmassieren, Schnalzen 
mit der Zunge, Zucken mit dem Kopfe (unbewußte Ausgleichung 
innerer Spannung). 

c) Konstitutionelle Erregung. 

Stimmung dauernd gehoben. Selbstbewußtsein gesteigert. Ab- 
lenkbarkeit vermehrt, ünstetigkeit, welche eine zielbewußte Tätigkeit 
vereitelt. 

Fließende Übergänge von b) und o) zum manisch-depressiven 
Irresein. 

d) Zwangsirresein. 

Zwangsgedanken und Zwangsbefürchtungen, welche gemütlicher 
Depression ihr Dasein verdanken. Bewußtsein klar. Dauernde Einsicht 
für die Krankhaftigkeit des Zustandes. 

„Psychisches Wiederkäuen^ derselben Gedanken. Zahlenzwang 
Grübelsucht' Zweifelsucht Unentschlossenheü« Peinlichkeit Scheu, 
aufzufallen. Furcht vor dem Erröten. Kleiderangst Hypochondrische 
Befürchtungen. Phobien (plötzliche heftige Angst vor etwas Un-. 
angenehmen, verbunden mit zahlreichen nervösen Störungen) z. B. 
Platz-, Höhenangst, Furcht vor Schmutz, Berührungsfurcht Werden 
die Kranken in ihren sie beruhigenden Schutzmaßregeln und oft ab- 
sonderlichen Ausdrucksbewegungen gehindert, so heftige Aufregungs- 
zustände. Mitunter Willensantrieb zu verbrecherischen Handlungen, 
welche aber nicht ausgeführt werden. Prognose meist ungünstig. 

e) Impulsives Irresein. 
Das Handeln durch pathologische Triebe, nicht durch klare 
Motive bestimmt Keine Bewußtseinstrübung. Die Antriebe erscheinen 
dem Kranken nicht fremdartig, sondern natürlich und und zwingend. 
Wandertrieb, Trieb zur Brandstiftung, Diebstahl, Mord. Krankhafter 
sexueller Trieb. Charakteristisch die Stärke der Triebe, ihre peri- 
odische Wiederkehr und die Befriedigung nach der Tat. Meist 
höherer oder geringerer Grad von Schwachsinn, gemüüiohe Störung, 
Willensschwäche. 



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— 49 — 

Die Diagnose des impulsiven Irreseins nur stellen, wenn der trieb- 
artige, zwangsmäßige Charakter des Handelns, der Mangel an zweck- 
mäßigen Zielvorstellungen deutlich ist; und auch sonstige Krankheits- 
zeichen vorhanden sind. 

XI. Psychopathische Persönlichkeiten. 

(Krankhafte Spielarten des menschlichen Geschlechts.) 

a) Der geborene Verbrecher. 

Es gibt Menschen, bei denen im Gegensatz zur Verstandsbildung 
von Jugend auf die sittlichen Gefühle zurückgeblieben sind, welche 
trotz guter Erziehung und guten Beispiels Verbrecher werden. Nach 
Lombroso gehören 25 Proz. der Verbrecher zu der Klasse des deli- 
quente nato. 

Bei schwerer verbrecherischer Veranlagung (viele Berufsver- 
brecher): Auffassung, Gedächtnis, Denken leidlich. Es fehlt aber die 
Fähigkeit der weit blickenden Voraussicht. Die geborenen Ver- 
brecher lernen nicht aus der Erfahrung, leben nur für den Augen- 
blick. Daher Planlosigkeit der Lebensführung. Kopflosigkeit neben 
Schlauheit Angeborene sittliche Gleichgültigkeit Mangel an Mit- 
gefühl. Neigung zu Hetzerei. Selbstsucht. Reizbarkeit. Bachsucht 
Krankhaftes Mißtrauen. Widerstandsunfähigkeit gegen Verführung 
und Triebe. Empfindlichkeit gegen Alkohol, Schmerz* Stolz auf 
verbrecherische Leistungen. Oft zahlreiche körperliche Entartungs- 
zeichen (Stigmata). Schwere erbliche Belastung. Zur Diagnose vor- 
sichtige Berücksichtigung sämtlicher Faktoren nötig. Bisher wurde 
der Begriff des geborenen Verbrechers von den meisten Autoren 
abgelehnt 

b) Der Haltlose. 

Unklare Begriffsbildung. Beeinflußbarkeit gesteigert Urteils- 
schwäche. Stimmungswechsel. Außerordentliche Willensschwäche. 
Verbummeln trotz guter Erziehung. 

Gewohnheitsverbrecher, Landstreicher, Bettler, Prostituierte. 

c) Der krankhafte Lügner. 

Mangelhafte Erinnerungstreue. Übererregbarkeit der Phantasie. 
UnStetigkeit der Gefühle und des Willens. Von Jugend auf Lust 
am Fabulieren und Schwindeln, oft ohne Erstrebung eines Vorteils. 

Abenteurer, Hochstapler. 

d) Pseudoquerulanten. 
Erhöhte gemütliche Erregbarkeit Gesteigertes Selbstgefühl. 
Streitsucht, welche an alle möglichen Gelegenheiten anknüpft und 

Dost , Kurzer Abriß der Psychologie, Psycluatrie etc. 4 



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— 50 — 

bei Gericht ihr Recht sucht. Es fehlt aber das subjektive Band, das 
bei dem echten Querulauten die einzelnen Ereignisse zu einer zu- 
sammenhängenden Kette verarbeitet, die zusammenhängende Wahn- 
bildung. Geben auch den Kampf auf, wenn die Möglichkeit des 
Erfolgs fehlt, während der rechte Querulant unentwegt weiterkämpft. 

XII. Psychische Entwickelnngshemmuiig. 

Durch Störungen im Mutterleib oder während der ersten Lebens- 
zeit. Idioten erreichen höchstens die Stufe eines 7— 8jährigen Kindes, 
Imbecille entwickeln sich darüber hinaus, ohne die Vollreife zu er- 
reichen. 

1. Imbecillität (Angeborener Schwachsinn). 

Während die erworbene Demenz gewöhnlich mehr Einzeldefekte 
darbietet, beobachten wir bei der geistigen Entwickelungshemmung 
meist eine Abschwächung auf allen Gebieten. Wahrnehmung infolge 
geringer Aufmerksamkeit und mangelnden Interesses oft ungenau. 
Diese oft falschen Beobachtungen werden infolge ungenügender Ver- 
knüpfung nicht an richtiger Stelle in den bisherigen Erfahrungen 
eingestellt und führen daher zu mangelhafter Begriffs- und ürteils- 
bildung. Alles bleibt Einzelerfahrung, es werden keine Gesetz- 
mäßigkeiten erkannt. Mechanisches Gedächtnis. Fähigkeit fehlt, das 
früher Erlebte in veränderter Darstellung, in neuer Gruppierung 
wiederzugeben, komplizierte Vorgänge frei zu schildern. Lücken des 
Gedächtnisses gern mit phantastischen Angaben ausgefüllt Trotz 
gewisser Listigkeit in der Erreichung ihrer Ziele sind Imbecille oft 
kritiklos, urteilsschwach, daher auch leichtgläubig und fremden Ein- 
flüssen unterworfen. Mit Lust- und Unlustgefühlen nur die Vor- 
stellungen betont, die sich auf materielle Interessen beziehen. Die 
religiösen und ethischen^ Begriffe daher nur mechanisch auswendig 
gelernt. Deshalb auch keine sittlichen Grundsätze, welche beim Spiel 
der Motive gegen die Versuchungen des Lebens als Hemmung dienen 
könnten. Selbstüberschätzung. 

a) Stumpfe Form. 

Können oft eng begrenzten Wirkungskreis ausfüllen, versagen 
aber, wenn plötzlich größere Anforderungen an sie gestellt werden. 
Werden dann mitunter von ängstlicher Verwirrtheit mit Halluzinationen 
und Wahnideen befallen. Durch Verführung und Alkoholmißbrauch 
kriminell. Prostituierte, Landstreicher. 

b) Erregte Form. 
Die Urteilsschwäche oft lange Zeit durch gutes mechanisches 
Gedächtnis und lebhafte Phantasie verdeckt. Renommiersucht, Ein- 



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— 51 — 

sichtslosigkeit gegen die eigenen Mängel. Können Erinnerungs- 
fälschungen oft selbst nicht von beabsichtigter Lüge unterscheiden. 
Infolge der fortwährenden Gefühls- und Willensschwankungea 
häufiger Berufswechsel, gewagte planlose Unternehmungen. Be- 
trüger, Hochstapler. 

c) Moralisches Irresein. 
Diese Diagnose nur selten und zwar dann zu stellen, wenn trotz 
guten Herkommens und guter Erziehung eine zu Verbrechen führende 
mangelhafte Entwickelung der höheren, besonders sittlichen Gefühle 
zu beobachten ist, wenn femer intellektuelle Defekte und sonstige 
körperliche und geistige Zeichen von krankhafter Minderwertigkeit 
nachweisbar sind. Die übrigen Fälle gehören zur Epilepsie, zur 
dementia praecox, oder sind als nicht geistesgestörte Verbrecher an- 
zusehen. 

2. Idiotie (s. Tafel Fig. 25). 
Störung der Auffassung und Aufmerksamkeit Mangelhafte Be- 
griffsbildung, ürteilsschwäche. Ungenügende Entwickelung der 
Sprache. Gedächtnis nur mechanisch. Fehlen der höheren Gefühle. 
Leichte Erregbarkeit. Starkes Triebleben, da Hemmungen fehlen. 
Infolgedessen auch fortwährende Unruhe und automatische Be- 
wegungen. Ungeschicklichkeit Unreinlichkeit Körperliche Störungen 
und Degenerationszeichen wie bei den Entarteten. Häufig mit epi- 
leptischen Krämpfen verbunden. Auftreten derselben zu früher Zeit 
spricht für ungünstigen Verlauf. Stumpfe und erregte Form. Schul- 
bildung unmöglich. 



Die Diagnose der psychischen Erkrankung ans den Ans- 
drncksbewegnngen nnd Handlungen der Kranken. 

Nach Binswanger 4<^) kann „die Diagnose einer Geistesstörung 
nicht aus der Feststellung irgend eines Zustandsbildes^ sondern nur 
aus der genauesten Kenntnis ihres Entwickelungsganges und des ge- 
samten Verlaufs mit Sicherheit gestellt werden." Aus diesem Grunde 
darf nicht eine einmalige Beobachtung des Krankheitsbildes, sondern 
muß eine genaue Kenntnis des ganzen Krankheitsverlaufs die Grund- 
lage der Beurteilung bilden. Wie wenig entspricht z. B. das Ver- 
halten des Kranken während des Entmündigungstermins oft seinem 
sonstigen Wesen, sei es nun, daß er befangen erscheint, daß er ab- 
sichtlich seine krankhaften Ideen verdeckt, um entlassen zu werden 

4* 



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— 52 — 

(Paranoiker), daß er vorübergehend aus seiner Gleichgültigkeit durch 
die neue Umgebung herausgerissen wird und so einen günstigeren 
Eindruck macht als gewöhnlich (Katatonie), daß er mit allen Künsten 
der Dialektik den Richter für sich zu gewinnen sucht (Hysterie) oder 
daß er sich gerade in einem freien Intervall befindet (manisch- 
depressives Irresein, Paralyse). Daß ein Gesunder Geistesstörung 
simuliert, läßt sich in vielen Fällen auch nicht durch eine einmalige 
Beobachtung, wohl aber meist durch eine länger dauernde Prüfung 
erkennen. Die Simulierung von Psychosen ist außerordentlich 
schwierig und könnte höchstens bei der Darstellung von Blödsinn 
vorübergehend Erfolg haben. Doch wird die Verstellung bald au 
der gesuchten ünsinnigkeit der Antworten, der Übertreibung, dem 
lauernden und gespannten Gesichtsausdruck, welcher zu der leeren 
Miene des Blödsinnigen im Gegensatz steht, und der Unfähigkeit, die 
Maske des Stumpfsinns dauernd festzuhalten, scheitern. Mitunter 
simulieren auch Geisteskranke krankhafte Symptome hinzu, welche 
sie bei anderen Kranken gesehen haben (Imbecille). Nur eine 
Würdigung aller Symptome und die Berücksichtigung der ganzen 
Lebens- und Krankheitsgeschichte des Patienten kann bei der Stellung 
einer psychiatrischen Diagnose vor Irrtum schützen. 

Um über die Störungen des Wahrnehmungsvorgangs, der Ge- 
fühls- und Willenszustände ins Klare zu kommen, empfiehlt es sich, 
die mimischen und pantomimischen Ausdrucksbewegungen der Kranken, 
ihre Sprech- und Schreibweise sowie die spontanen und veranlaßten 
Handlungen derselben zu studieren. „Da jedem Affekt und jeder 
Affektstörung eine ganz bestimmte Gestikulation, ein bestimmter Ge- 
sichtsausdruck und eine bestimmte Sprechweise zukommen, so ge- 
währt das Studium der Ausdrucksbewegungen dem Erfahrenen einen 
ungemein tiefen Einblick in die psychischen Vorgänge des Kranken 
und gibt die besten Fingerzeige, in welcher Richtung Fragen an den 
Kranken zu stellen sind" ^2). 

Wir werden z. B. auf Gehörstäuschungen schließen, wenn der 
Kranke gespannt nach einem Punkte hinhorcht, wenn er plötzlich 
aufspringt, heftig nach einer bestimmten Richtung hin antwortet, 
wenn er Scheingespräche per Telephon führt, plötzlich unmotiviert 
lacht oder erregt ist, den schweigenden Beobachter anfährt und sich 
seine Beleidigungen verbittet, wenn er sich unter den Zeichen des 
Schreckens unter die Bettdecke verkriecht, sich die Ohren zuhält oder 
mit Watte verstopft. Gesichtstäuschungen vermuten wir, wenn der 
Patient angestrengt nach einem Orte hinstarrt, die Augen hin- und 
herwendet, ohne daß ein Fixationsobjekt zu erblicken ist, über un- 



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— 53 — 

sichtbare Gegenstände hinwegsteigt, vor etwas Unsichtbarem plötzlich 
zurückschreckt, Abwehrbewegungen macht, sich die Augen zuhält 
oder den Kopf abwendet. Nimmt er längere Zeit keine Nahrung zu 
sich, spuckt er die Speisen unter Zeichen des Absehens aus, so denken 
wir an Geschmackstäuschungen, hält er sich die Nase zu, schlägt er 
plötzlich ein Fenster ein, um den angeblichen Schwefelgestank abzu- 
lassen, an Geruchstäuschung. Kranke mit Gefühlstäuschungen suchen 
an ihrem Körper nach Schlangen, schlagen nach unsichtbarem Un- 
geziefer, beschweren sich über nächtliche Einspritzungen, magnetische 
und elektrische Fernwirkungen, sexuelle Attentate. Andere gehen 
mit auffälliger Vorsicht, weil sie das Gefühl haben, als ob ihre Beine 
aus Glas wären. Bei der Annahme einer Halluzination muß natür- 
lich ausgeschlossen werden können, daß aus Träumen stammende 
Eindrücke mit wirklichen Erlebnissen verwechselt werden, oder daß 
wirkliche Sinneseindrücke vorliegen, welche nur abnorm empfunden- 
(lUusion) oder wahnhaft (Urteilstäuschung) ausgelegt werden. Ver- 
bergen die Patienten, um nicht für krank gehalten zu werden, ihre 
Täuschungen, so können wir oft aus den Schriftstücken derselben, 
in denen sie sich erfahrungsgemäß häufig offen aussprechen, die 
Diagnose stellen oder wir sind auf die Angaben der Mitkranken an- 
gewiesen oder müssen darauf warten, daß sich der Kranke in der 
Erregung einmal selbst verrät. 

Auch auf die selbständig oder sekundär als Folge der Sinnes- 
täuschungen auftretenden Wahnideen können wir aus den Ausdrucks- 
bewegungen und Handlungen schließen. Größenwahn verrät sich 
z. B. durch die hochmütige Kopfhaltung, die überlegene Miene, den 
stolzen Schritt, die protzige Absonderung von den Mitkranken, das 
Anlegen von imitierten Orden und Achselstücken, das Tragen eines 
Christusbartes, die Bevorzugung wallender Gewänder, die Nach- 
ahmung des Äußeren hochgestellter Personen, femer durch die 
Prinzessinnen gemachten Heiratsanträge, sinnlosen Bestellungen und 
phantastischen Millionenunternehmungen. Der an Versündigungswahn 
leidende Melancholiker schleicht gebeugt einher, ringt die Hände, 
kniet nieder, fleht um Gnade, betet häufig, klammert sich wehklagend 
an den Besucher an, verweigert die Nahrungeaufnahme, verstümmelt 
seine Glieder oder begeht Selbstmord. Die Verfolgungsideen des 
Paranoikers verraten sich durch das scheue, mißtrauische Wesen, die 
reizbare Stimmung, sowie die Neigung desselben, harmlose Äuße- 
rungen auf sich zu beziehen, durch oft sonderbare Schutzhandlungen 
und symbolische Ausdrucksbewegungen (trägt Amulette, bringt Schutz- 
vorrichtungen an Türen und Fenstern an, gibt den Gegenständen im 



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— 54 — 

Zimmer eine besondere eigentümliche Lage, wechselt häufig die 
Wohnung, verfaßt Verteidigungsschriften und verübt schließlich Atten- 
tate). Der hypochondrische Wahn kennzeichnet sich durch die ver- 
mehrte Aufmerksamkeit des Kranken auf die Funktionen seines 
Leibes, die genaue Betrachtung von Stuhl und Urin, die häufige 
Selbstbeobachtung im Spiegel, die vorsichtige Benutzung und Schonung 
der Glieder (ohne daß eine objektive Ursache dafür vorliegt), die un- 
«innigen Kurierversuche am eigenen Körper, die Nahrungsverweigerung, 
welche sich auf die Ansicht von Verwachsung des Schlundes, der 
Schrumpfung des Magens, der Durchlöcherung des Darmes usw. 
gründet Mitunter liegen den hypochondrischen Klagen tatsächliche, 
während des Lebens nicht erkannte organische Veränderungen, z. B. 
chronische Geschwüre im Darm, entzündliche Verwachsungen der 
Unterleibsorgane, einer Diagnose schwer zugängliche krebsige Wuche- 
rungen zugrunde. Hysterische verschlucken Nadeln, verweigern die 
Nahrung, machen theatralische Selbstmordversuche, um aufzufallen 
und Mitleid zu erregen (Weder Halluzinationen noch Wahnideen die 
Ursache des Handelns). Mitunter beruhen die Wahnideen auf wirk- 
lichen Tatsachen. Häufig freilich sind letztere nicht geeignet, die weit- 
gehenden, durch gemütiiche Erregung, Mißtrauen, Hochmut, Ober- 
flächlichkeit des Urteils entstandenen Behauptungen (Irrtümer) des 
Betreffenden zu stützen (Ziehen). Bei Eifersuchtswahn und den Ideen 
rechtlicher Benachteiligung besonders ist indessen stets eine genaue 
Prüfung der Verhältnisse nötig, ehe ein Urteil über die eventuelle 
Krankhaftigkeit der geäußerten Ansichten abgegeben werden kann. 
Bei der Erschließung des Gefühlslebens aus den Ausdrucks- 
bewegungen müssen wir uns bewußt bleiben, daß. ebenso wie wir 
aus den Gesten des Neugeborenen nicht etwa bestimmte Gefühls- 
äußerungen diagnostizieren dürfen, wir einen Fehler begehen würden, 
wenn wir bei dem Katatoniker und Hysterischen eine völlige Kongruenz 
der Ausdrucksbewegungen und des Affektzustandes annehmen würden. 
Vielmehr bedeutet beim Katatoniker die mimische Bewegung nicht 
mehr das Mittel, um die inneren Vorgänge nach außen zu projizieren, 
sondern sie ist bei ihm meist eine reine Zwangsbewegung geworden 
(z. B. das sinnlose Lachen). Auch treten die beim Gesunden mit ge- 
wissen Vorstellungen verbundenen Gefühle bei ihm nicht sofort mit 
letzteren auf, sind oft zu schwach oder in ihr Gegenteil verkehrt 
Daher ist der Katatonische gleichgültig bei den wichtigsten An- 
gelegenheiten, aufgeregt über Nichtigkeiten usw. Der Mangel an 
innerer Einheitlichkeit und Harmonie ist auch die Ursache, daß die 
Bewegungen dieser Kranken der Anmut entbehren, daß sie nicht in 



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— 55 — 

abgerundeter Form ausgeführt werden, sondern hölzern, eckig, schlaff 
und ungeschickt erscheinen. Ebenso entspricht bei Hysterischen die 
Affektäußerung nicht dem psychischen Zustand, da die körperlichen 
Jiegleit- und Folgeerscheinungen über abnorm weite Gebiete hin sich 
ausdehnen und den Affekt oft lange überdauern. Die Folge ist, daß 
die hysterischen Ausdrucksbewegungen etwas Übertriebenes, Ge- 
machtes und Theatralisches an sich haben. Dagegen sind wir be- 
rechtigt, auf Depression zu schließen, wenn ein Kranker, welcher 
nicht den erwähnten beiden Kategorien angehört, schlaff in sich zu- 
sammengesunken, mit bekümmertem Gesichtsausdruck (nach abwärts 
gesenktem trüben Blick, nach unten gezogenen Mundwinkeln, senk- 
rechten Falten über der Nasenwurzel, quer verlaufenden Furchen auf 
der Stirn, Senkung der äußeren, Hebung der medialen Enden der 
Augenbrauen) dasitzt, die Gestikulation auf das geringste Maß be- 
schränkt, nur leise, zögernd spricht oder nur die Lippen bewegt. 
Während eines Angstzustandes ist die Körpermuskulatur gespannt, 
der Unterleib eingezogen, der Kranke ist in lebhafter Bewegung, 
ringt die Hände, nagt an den Fingern und fügt sich rücksichtslos 
Kratzwunden zu. Die Augen sind weit offen, die Stirn ist wagerecht 
gefurcht, Mundwinkel und Augenbrauen zeigen das Aussehen wie 
bei der Depression, die Nasenflügel sind gehoben. Schnelle ober- 
flächliche Atmung wechselt mit Atempausen oder vereinzelten tiefen 
Atemzügen. Der Kranke ist völlig unfähig, zusammenhängend zu 
sprechen, stößt nur abgerissene Worte hervor oder jammert monoton 
vor sich hin. Verschlimmert sich der Zustand, so ist der Kranke in 
unaufhörlicher Bewegung, führt allerlei zwecklose Handlungen aus 
und wird schließlich zu Gewalttätigkeiten gegen die Umgebung oder 
sich selbst getrieben. Bei der heiteren Erregung finden wir dagegen 
glatte Stirn, glänzende, lebhafte Augen, Hebung der Oberlippe und 
der Mundwinkel, lebhafte Gesten, fortwährendes geschäftiges Umher- 
laufen, Lachen, Singen, Anulken der Umgebung, Verübung ruhe- 
störenden Lärms und Unfugs. Der Zornige zeigt blasse Gesichts- 
farbe, Aufeinanderpressen der Lippen, Zähneknirschen, Rollen der 
Augen, senkrechte Faltenbildung der Stirn, gespannte Muskulatur, 
Angriffsstellung mit zurück- oder vorwärtsgebeugtem Kopfe, geballten 
Fäusten, gebeugten Ellbogengelenken, schließlich heftige, rücksichts- 
lose Affekthandlungen. Die Erinnerung ist nachträglich oft mangel- 
haft. Bei apathischen, verblödeten Kranken sind sämtliche Muskeln 
erschlafft, der Rumpf ist zusammengesunken, der Unterkiefer hängt 
herab, die Augen sind oft geschlossen. Während aber bei dem 
Schlafenden die Pupillen eng sind und sich beim Erwachen erweitern. 



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— 56 — 

sind bei dem nicht schlafenden apatischen Kranken die Pupillen meist 
mittelweit und verengen sieh beim Einfallen von Licht (Ziehen). Tief 
Verblödete lassen den Speichel aus dem Munde herausfließen. 

Um uns über das Gefühlsleben wortkarger, stumpf vor sich hin- 
brütender Kranker zu unterrichten, fragen wir sie nach ihrem Be- 
finden, nach ihren Angehörigen, nach der Heimat oder den Zuständen 
der Anstalt Erreichen wir dadurch keine Reaktion, so richten wir 
nach Liepmann29) an den Kranken eine Anzahl teils sinnvoller, teils 

-^ «t^z^ ,;2^^^/«.^WW, ^..v-^ -„^^-y: /j±.J:^ 










■/^~^~ 











Fig. 8. Schriftprobe: Religiöse Paranoia. Von der Kranken, welche in der Unter- 
haltung klar und liebenswürdig im Verkehr ist, werden mündlich nie Wahnideen 
geäußert, während sie täglich Schriftstücke verfaßt, die zahlreiche Wahnideen 
enthalten (Unterstreichungen). 

sinnwidriger Fragen und schließen aus dem auftretenden Affekt, ob 
sie verstanden sind. Wir fragen z. B.: „Hat der Adler Flügel? Hat 
die Taube Flügel? Hat das Pferd Flügel? — Hat der Hund Haare? 
Hat das Radieschen Haare? — Kann ein Vogel fliegen? Kann ein 
Nachtwächter fliegen?'' Mit Hilfe des erzielten Affekts wird mit- 
unter eine deutliche sprachliche und pantomimische Reaktion erreicht^ 
welche über das Gefühlsleben des Kranken, besonders über dessen 
Sinn für Humor Aufschluß gibt und zeigt, daß der Patient nicht so 
stumpf ist als er scheint. 



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— 57 -- 

Sehr deutlich prägt sich auch die seelische Veränderung in den 
Störungen der Sprache aus ^2). Die Angstzustände des Melancholikers 
veranlassen den Kranken zu monotonem lauten Jammern, die De- 



\l£dt^ddüdtkt^ 




Fig. 9a. Schriftprobe eines Paranoikers, weicher sich periodisch, veranlaßt durch 

Sinnestäuschungen, für Gott hält und in diesem Zustande sich einer anderen 

Schreibweise bedient, als gewöhnlich (größere Buchstaben, Verzierungen). 

pression des manisch-depressiven Irreseins hemmt den Patienten am 
Beden^ sodaß er leise, zögernd spricht oder nur die Lippen bewegt. 
Im Gegensatz dazu besitzt der Manische Neigung zu lebhaftem, 
ideenflüchtigem Schwatzen mit Vorliebe für spaßige Reime und 
witzige Wortspiele. Die Sprache des Katatonikers zeigt vielfach sinn- 



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~ 58 — 

lose Eeimerei, ödes Phrasendresehen, die Nebeneinanderstellung von 
geordneten Sätzen und unsinnigen Einschiebseln, häufige Wieder- 
holung derselben Worte und Sätze (Verbigeration), sonderbare rhyth- 
mische Betonung und Neubildung von merkwürdigen Worten, sodaß 
ein völlig unverständliches Kauderwelsch, ein „Wortsalat" (Forel) 
entsteht, der in auffälligem Gegensatz zu der Besonnenheit und klaren 
Orientierung des Kranken steht. Nach Kräpelin ist die Ursache in 
einem „Verlust der Fähigkeit, Vorstellungen und deren sprachliche 
Zeichen in richtiger Weise miteinander zu verknüpfen" zu suchen. Viel- 

Flg. 9b. Schriftprobe desselben Paranoikers, welche der von Sinnestäuschungen 

freien Zeit entstammt. 

leicht spielt auch die Paralogie, das absichtliche Danebensprechen 
dabei eine Rolle. Der Paralytiker spricht langsam, stockend, mit 
monotonem Tonfall, läßt Buchstaben und Silben aus oder verstellt 
dieselben (Silbenstolpern), wendet sinnlose Worte an, vernachlässigt 
den Satzbau und spricht nach Kinderart in Infinitiven. 

Die schriftlichen Auslassungen der Geisteskranken ^s) sind uns 
schon deshalb für die Diagnose sehr willkommen, weil viele Kranke 
ihre Ideen lieber dem Papier als der Umgebung anvertrauen (Fig. 8). 
Deprimierte Kranke sind allerdings schwer zum Schreiben zu be- 
wegen. Meist bringen sie es nur zu wenig Worten, welche gewöhnlich 
kleine, dicht aneinander gedrängte Buchstaben aufweisen. Im 
Gegensatz dazu kann der Manische nicht genug Papier für seine Ab- 
handlungen erhalten. Seine Schrift ist überaus schwungvoll, sehr flüchtig, 



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59 



C.^ 




Ä- 






Fig. 10. Schriftprobe bei Melancholie. Der mit zitteriger Hand, offenbar eilig 

geschriebene, sehr karz gehaltene Brief zeigt die ängstliche Erregung an, welche 

die Kranke zum Schreiben trieb. 



(ßjt^L^iM/^A (L^ilhuM }6. 













^^-^^=3^ 







E*ig. IIa. Schriftprobe. Manisch-depressiTesIiTeseiii. Im ruhigen Zustand geschrieben. 



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-^ GO — 

oft unleserlich, zeigt große Buchstaben, viele Ausdruckszeichen. Der 
Kranke springt kühn von einem Gedanken zum andern, produziert form- 
gewandte Reime und ermüdet den Leser durch die häufigen Wieder- 
holungen und die Weitschweifigkeit seiner Ergüsse (Fig. 1 1 a, ll b, lic). 
Der Paralytiker läßt Buchstaben und Silben aus, stellt sie um, zeigt 
zitterige Schriftzüge, verbessert sich häufig, fällt fortwährend aus dem 




C^J^.<^ K.^y^<^^^^^^!^^ 




Fi«:. IIb. Schriftprobe. Manisch-depressives Irresein. Von demselben Kranken 
im manischen Erregungszustand geschrieben. 

Zusammenhang und hat vollkommen das Gefühl für Form und Anstand 
verloren, indem er an die höchsten Behörden schmutzige, mit Tinte be- 
fleckte, zerrissene Wische absenden will (Fig. 12a, 12b). D^ Querulant 
zeigtnachEräpelin „eine unheimliche Leistungsfähigkeit in der Erzeu- 
gung von Schriftstücken, die in endlosen Wiederholungen seine Klagen^ 
Beschwerden, Schimpfereien enthalten und meist von dicken Unter- 
streichungen, Ausrufungs- und Fragezeichen, Anmerkungen und Band- 
bemerkungen wimmeln, auch wohl in verschiedenfarbiger Tinte aus- 
geführt werden. Überreichliche Anwendung der schriftlichen Be- 



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— 61 — 



^ 




Fig. llc^ Schriftprobe. Während emes lebhaften manischen Erregungs- 
zustandes geschrieben. 



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— 62 — 



tonungsmittel pflegt auch von den Hysterischen geübt zu werden." 
In den Schriftstücken der Katatonischen fällt die häufige Wieder- 







Fig. 12a. Schriftprobe bei progressiver Paralyse: Schriftzüge unregelmäßig, un- 
sicher (Ataxie), zitterig, Auslassung, Wiederholung, Umstellung von Buchstaben 
und Silben. Durchstreichungen, Yerbesserungsversuche. 

holung von Buchstaben und sonderbaren Zeichen, die regellose An- 
wendung großer, kleiner, einfacher und verschnörkelter Buchstaben 



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— 63 — 

sowie das Nebeneinander von sinnlosen Wortreihen und klaren, gutes 
Wissen verratenden Sätzen auf (Fig. 13, 14, 15). 

Auch die Zeichnungen der Kranken vermögen uns einen Finger- 
zeig für unser Urteil zu geben. Nach Mohr ^9) läßt sich aus den von 
Paranoikem gefertigten Bildern öfters der Inhalt der Halluzinationen 
und Verfolgungsideen herauslesen (Fig. 16). Die Erzeugnisse des schwach- 
sinnigen Epileptikers lassen gewöhnlich die pedantische Grfindlich- 
keit, die des Paralytikers den schwachsinnigen Größenwahn erkennen. 
Der Katatoniker erfreut uns durch ganz absonderliche, symbolische, 




Fig. 12 b. Schriftprobe bei progressiver Paralyse im vorgeschrittenen Stadium. 
Starke Ataxie, deutliches Zittern. 

oft ganz unverständliche Zeichnungen, welche durch ihre häufige 
gleichartige Wiederholung, die gesuchte Art der Ausführung, die ün- 
sinnigkeit des Inhalts auf Stereotypien, Manieren, Zerfahrenheit des 
Denkens und Urteilsschwäche schließen lassen (Fig. 1 7). Es empfiehlt 
sich, die Kranken nach Vorlagen, nach der Natur oder aus dem Kopfe 
zeichnen zu lassen. Die Prüfung kann noch dadurch variiert werden, 
daß die Tätigkeit spontan oder auf Aufforderung hin geschieht. 

Der Prüfung der Arbeitsleistung und alltäglichen Hantierung des 
Kranken, weiche eine sehr notwendige Ergänzung zur Intelligenz- 
prüfung darstellt, sind naturgemäß bei einer flüchtigen Betrachtung 
enge Schranken gesetzt. Auch längere Beobachtung in der Anstalt 
vermag oft nicht ein vollständiges Bild zu liefern, was der Kranke 



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~ 64 — 

eigentlich zu leisten vermag, da die Gelegenheiten zur Arbeit daselbst 
beschränkter sind als in der Außenwelt, die Wiedererweckung und 
Neubildung von Gedankenkomplexen sowie das Auftauchen von 



Fig. 13. Schriftprobe einer Katatonischen. Die Buchstaben in verschiedener 

Ausführung und Größe. Die Worte kreuz und quer durcheinander geschrieben. 

Sonderbare Schnörkel, eigenartige Interpunktion. Zahlreiche Wiederholungen. 

Fortwährend wechselnde sinnlose Einfälle, Fehlen des Zusammenhangs. 

Willensimpulsen durch die monotone Regelmäßigkeit des Daseins so- 
^ie die mangelnde Anregung seitens der oft blöden Umgebung ver- 
hindert, und der Kranke abgestumpft wird. Es fehlen eben natur- 
gemäß in der Anstalt die die Intelligenz konservierenden, vielseitigen 



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— 65 — 

Lebensreize der Außenwelt, besonders die Anregung durch — Be- 
friedigung in ideeller und materieller Beziehung gewährende — Arbeit. 

Fig. 14. Schriftprobe: Wortwioderholungen und ünsinnigkeit des Inhalts bei 

dementia praecox. 

Fig. 15. Dichtung einer an dementia paranoides leidenden Kranken, welche sich 

für einen Professor der Philosophie hält und glücklich ist, wenn sie ihr sinnloses 

Phrasengeklingel jemandem vorlesen kann. 

Oft leistet daher ein anscheinend völlig stumpfer Kranker nach seiner 
Beurlaubung infolge der vermehrten Anregung draußen weit mehr 
als von ihm erwartet wurde. 

Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 5 



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— 66 





Fig. 16. Zeichnung einer an dementia praecox leidenden Kranken. Darstellung 
(|er die* Patientin quälenden Sinnestäuschungen. 



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— 67 — 

Um nun, wenn es sich um eine Beurlaubung usw. bandelt, über 
die gemütliche Tiefe, Anpassungsfähigkeit, Beständigkeit, Initiative 
und Fähigkeit der produktiven Verwendung der Intelligenz eines 
Kranken ins Klare zu kommen, kurz, um außer der Intelligenzprüfung 
eine Willensprüfung, welche von ihr eigentlich nicht getrennt werden 
kann, vornehmen zu können, ist es nötig, den Kranken, soweit sie 
dazu imstande sind, Gelegenheit zur Betätigung zu geben. Wir lassen 
sie z. B. möglichst selbständig berufliche oder häusliche Arbeiten aus- 
führen, geben ihnen Geld in die Hand, um ihre Dispositionsfähigkeit 
zu prüfen, lassen sie Spaziergänge und kleine Reisen unternehmen. 



Fig. 17. Phantastische Zeichnung eines an dementia praecox leidenden Kranken 
(früher Offizier). ^ Dieselben Zeichnungen immer wiederholt. 

vermitteln schriftlichen und persönlichen Verkehr mit den Angehörigen, 
beobachten sie bei dem Umgang mit Personal und Mitkranken, studieren 
ihr Verhalten in der Kirche, ihr Interesse für die Leiden und Freuden 
des Anstaltslebens, für die durch die Zeitungen übermittelten aktuellen 
Fragen der Gegenwart usw. 

Aber auch schon die alltäglichen spontanen Verrichtungen geben 
uns einen Begriff davon, ob der Kranke imstande ist, einen geordneten 

5* 



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— 68 — 

GedankengaDg durcbzuführeD, Zielvorstellungen festzuhalten; klar zu 
urteilen, ob er ferner aufmerksam oder leicht ablenkbar, gemütlich 
anregbar oder stumpf ist. Wir beachten z. B., ob der Kranke seine 
Kleider in Ordnung halten kann, sauber einhergeht, ob er imstande 
ist^ seinen Rock zuzuknöpfen, die Türe zu verschließen, ein Streich- 
holz anzubrennen, sich ein Glas Wasser einzugießen, wie er sich 
beim Grüßen, Essen, Ankleiden verhält. Doch müssen wir bei unseren 
Beobachtungen uns hüten, auf Blödsinn zu schließen, solange der 
Kranke gemütlich erregt und verwirrt ist, ängstliche Spannung, kata- 
tonische Sperrung oder depressive Hemmung zeigt. 

Fordern wir dann den Kranken auf, verschiedene Bewegungen aus- 
zuführen, so müssen wir berücksichtigen, daß der Patient möglicher- 
weise an Taubheit, Sprachtaubheit (mangelndes Verständnis für die 
gehörten Worte), motorischer Sprachstörung, Apraxie (Unfähigkeit, 
Gewolltes in Bewegung umzusetzen) leidet und dadurch unberechtigter- 
weise in den Verdacht der mangelnden Intelligenz kommen kann. 
Beachtet ein Kranker sprachliche Aufforderungen nicht, so ist es 
daher ratsam, um Bewußtseinsstörung, tiefe Demenz mit nicht erweck- 
barer Aufmerksamkeit, Mangel an gutem Willen, Sprachtaubheit oder 
gewöhnliche Taubheit als Ursache seines Verhaltens festzustellen, den 
Patienten durch Gesten zur Nachahmung vorgemachter Bewegungen 
zu bestimmen, oder man legt ihm eine Sammlung von Gegenständen 
z. B. Kuvert, Kerze, Siegellack, Petschaft, Streichhölzer, vor und ver- 
sucht, ihn durch Gesten zur zweckmäßigen Benutzung der Dinge 
aufzufordern. Ist dies von Erfolg begleitet, so kann nur Sprach- 
taubheit oder gewöhnliche Taubheit vorliegen. Wird die Handlung 
aber falsch oder ungenau ausgeführt, so kann die nach Liepmann^i) 
weit verbreitete Apraxie die Ursache des Mißerfolges sein. Da die- 
selbe auf einzelne Muskeln beschränkt sein kann, so muß bei der 
Aufforderung zur Ausführung von Körperbewegungen die gesamte 
Muskulatur durchgeprüft werden. Es gelingt so mitunter, ein nicht 
apraktisches Muskelgebiet aufzufinden und durch die prompte Reaktion 
desselben das Verständnis des Betreffenden für die Aufforderung zu be- 
weisen und ihn von dem Verdacht des Blödsinns zu befreien. Nicht 
worttaube Kranke prüft man nach Liepmann auf Apraxie, indem 
man folgendes ausführen lässt: 

a) einfache Bewegungen, z. B. in die Hände klatschen, die 
Zunge zeigen; 

b) Ausdrucksbewegungen (drohen, winken, lange Nase machen, 
Gruß, Schwur); 

c) Markieren von Zweckbewegungen (an die Türe klopfen, 



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— 69 — 

Fliegen fangen, Klavier spielen, klingeln, Geld aufzählen, Schwimm- 
bewegung); 

d) Zweckbewegungen (Zigarre rauchen, Licht anzünden, Wasser 
eingießen, Marke aufkleben, quirlen, Knoten machen); 

e) Nachahmen einfacher und komplizierter Bewegungen, und 
zwar optisch und kinästhtetisch gegebener (dem Patient Arm und 
Hand geführt). Mit Hilfe dieser Methode läßt sich der Agnostische 
(Seelenblinde), der die Gegenstände nicht erkennt, von dem Aprak- 
tischen unterscheiden. Ersterer wird nämlich die Handlungen unter 
a) und b) (intransitive Bewegungen, bei denen das Erkennen des Ob- 
jekts unwesentlich ist, und der Kranke nur auf seine Erinnerung an- 
gewiesen ist) richtig ausführen, diejenigen unter c) und d) (transitive 
Bewegungen, welche ein Erkennen des Objekts voraussetzen) aber 
verfehlen. Der nur leicht Apraktische dagegen wird wohl die Zweck- 
bewegung unter d) richtig ausführen können, weil ihm die Gegen- 
stände einen Anhalt für seine Aufgaben geben, aber bei den übrigen 
Bewegungen versagen. In schweren Fällen wird er keine der ver- 
langten Handlungen zur Ausführung bringen können. 

Zu Irrtümern kann bei der Prüfung auch die Erscheinung der 
Perseveration führen, d. h. das Haftenbleiben einmal aufgetretener 
Vorstellungen oder Willensimpulse. Der Kranke, der sich eben eine 
Zigarre angebrannt hat, benennt jeden weiteren Gegenstand ebenfalls 
als Zigarre oder steckt ihn gleichfalls in den Mund. Es kann da- 
durch Seelenblindheit, Sprachtaubheit, Apraxie oder Blödsinn vor- 
getäuscht werden. Der Fehler kann bei der Untersuchung nur da- 
durch vermieden werden, daß immer nur die erste Reaktion als maß- 
gebend angesehen, und nach jeder Bewegung oder sprachlichen 
Reaktion eine größere Pause gemacht wird. 



Methodik der Intelligenz- und Kenntnisprüfung. 

Es ist zwar dem Erfahrenen möglich, durch eine einfache Unter- 
haltung den Schwachsinn eines Menschen zu erkennen, doch gehört 
zu einem exakten und gründlichen Nachweis von Intelligenzdefekten 
die Benutzung bestimmter Prüfungsmethoden. Eine Intelligenz- 
prüfung darf sich nun nicht auf rein gedächtnismäßige Leistungen, 
z. B. Schulwissen, Rechnen, beschränken, sondern muß sich auch 
auf die Kontrolle der Auffassung von Sinneseindrücken, des Gedächt- 
nisses (Erinnerungen an frühere Vorgänge), der Merkfähigkeit (Er- 
innerung an Erlebnisse der jüngsten Zeit), der Aufmerksamkeit, der 



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— 70 — 

Ordnung des Vorsteliungsablaufs, des Urteilens uud Schließens sowie 
des Selbstbewußtseins erstrecken. Leider sind gerade die höheren 
psychischen Prozesse, wie Initiative, Geschmack, Verständnis für 
feineren Witz, schöpferische Gestaltungskraft einer genaueren Be- 
obachtung sehr wenig zugänglich. Wir müssen uns daher bewußt 
bleiben, daß die Wissens- und Intelligenzprüfung uns nicht ein all- 
seitiges Bild der höheren Geistestätigkeit des zu Prüfenden geben 
können, sondern daß die Beobachtung des ganzen Verhaltens, der 
Lebensführung des Kranken, die Kritik der produktiven Verwertung 
seiner Fähigkeit, die Würdigung seiner Arbeitstätigkeit — alles immer 
im Vergleich zu den früheren Leistungen — hinzukommen muß. 
Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß durch gemütliche Erregung, 
halluzinatorische Verwirrtheit, Bewußtseinstrübung, ängstliche Spannung, 
katatonische Sperrung, depressive Hemmung, geistige Erschöpfung, 
schwere körperliche Indisposition, Intelligenzmangel vorgetäuscht 
werden kann. Technische Schwierigkeiten erwachsen dem Prüfenden 
mitunter durch den Mangel an gutem Willen seitens des Kranken. 
Um nun einen Maßstab dessen zu finden, was man bei einer Intelli- 
genzprüfung verlangen kann, muß man über die früheren Leistungen 
des Prüflings orientiert sein, sowie Alter, Geschlecht, Herkunft, Er- 
ziehung, Bildungsgelegenheit und Beruf berücksichtigen. 

L 

Rodenwaldt (60) hat sich bemüht, durch Untersuchung Gesunder 
einen derartigen Maßstab für Wissens- und Intelligenzprüfungen 
Geisteskranker an die Hand zu geben. Er nahm z. B. eine Kennt- 
nisprüfung bei 174 Kavallerierekruten (Arbeiter und Landbewohner 
einiger Provinzen Preußens) in der Weise vor, daß er Stichproben 
aus allen Wissensgebieten entnahm, deren Kenntnis man beim Volke 
voraussetzen kann. Verfasser sagt am Schlüsse seiner Arbeit: Das 
Resultat der Untersuchung, im allgemeinen betrachtet, ergibt einen 
derartigen Tiefstand des geistigen Inventars, eine solche Fülle nicht 
erwarteter Defekte in großem Prozentsatze, wie sie bisher in der 
psychiatrischen Literatur niemals angenommen wurde. So weit man 
Defektstörungen zur Diagnose der Imbecillität, Dementia praecox, 
Paralyse usw. angestellt findet, werden Defekte schon als charakte- 
ristisch für krankhafte Zustände angenommen, die die Mehrzahl der 
von mir untersuchten Leute als hochgradig geisteskrank erscheinen 
lassen würden. ... In der Psychiatrie kann jedenfalls eine reine 
Prüfung der Wissensdefekte nicht verwendbare Defekte ergeben, denn 
jeden Defekt des Wissens kann man auch beim Gesunden erwarten.^ '^ 



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— Ti- 
ll. 

Ähnliche ungünstige Erfahrungen wie Eodenwaldt machten Pasta 
Lombroso — Carrara und Mario Carrara — Turin bei einer psychi- 
schen Untersuchung niederer italienischer Volkskreise (^s). Das Er- 
gebnis der Umfrage, welche sich auf die Erklärung einer Anzahl von 
das Gebiet der reinen Vernunft sowohl als das ethische Empfinden 
betreffenden Begriffen, wie Astronomie, Mikroskop, Kolonie, Aus- 
wanderung, Universität, Missionar, Gerichtshof, Handel, Sparsamkeit, 
eingeboren, ungerecht usw., bezog, war folgendes: „Aus einer zu- 
sammenfassenden Beurteilung aller dieser Äußerungen ergibt sich 
demnach als eigentlicher und wesentlicher Bestandteil der niederen 
Volksseele eine außerordentliche Trägheit des Gedankens, eine unab- 
änderliche Teilnahmlosigkeit gegen die umgebende Welt, was Politik, 
Religion, Kultur im allgemeinen anbelangt. Kein Kritikvermögen, 
keine Auflehnung gegen das Hergebrachte. Nirgends ein Anzeichen, 
daß im Verlaufe des besten Mannesalters, von den zwanziger zu den 
sechziger Jahren, die Ideen dieser Volksschicht sich etwa ausgestalten, 
erweitem und klären, sondern sie bleiben im Geiste des Erwachsenen 
dieselben wie in der Jugend. 

Die Ursachen dieses schwerwiegenden Umstandes sind nicht in 
einem Mangel an geistiger Begabung zu suchen — denn viele unter den 
Befragten müssen als sehr intelligent bezeichnet werden — , sondern 
vielmehr in der stets sich gleichbleibenden Umgebung, in der Junge 
und Alte ihr Leben hinbringen, der sie ihre Eindrücke entnehmen, 
in der dieselben Arbeiten, derselbe Umgang, die gleichen Gespräche 
und Ereignisse im grellen Gegensatz zum raschen Wechsel der Ein- 
drücke im Leben höherer Stände ihrem Dasein das Gepräge unfrucht- 
barster Eintönigkeit verleihen." 

Während also das Ergebnis der Kenntnisprüfung im allgemeinen 
nicht als Maßstab zur Unterscheidung von geistig gesund und krank 
angenommen werden kann, glaubt Rodenwaldt aus der Art der Re- 
aktion auf die Begabung schließen zu dürfen. Begabte werden z. B. 
besser über ihren Besitzstand orientiert sein als Unbegabte, werden 
nicht ins Blaue hineinreden, sondern lieber sagen: „das weiß ich 
nicht". Ferner ist für die Beurteilung der Begabung wichtig, ob der 
Betreffende vermag, sich aus seiner gewohnten Denkweise in 
eine andere hineinzudenken, z. B. beim Rückwärtsaufzählen des 
Alphabets. Endlich ist es wesentlich, ob er imstande ist, charakte- 
ristische Definitionen zu geben und sich bei ungewohnten Fragen mit 
seinem Wissen behelfen kann. Leute mit auffälligen Defekten und 
sehr langer Reaktionszeit gelten auch im praktischen Dienst für 



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— 72 — 

dumm. Nach Berze (2) hätte Eodenwaldt außer den allgemeinen 
Kenntnissen nach die ^speziellen Berufskenntnisse und die Kenntnisse, 
die im speziellen Falle nach dem Bildungsgrad derjenigen Personen, 
die auf das Individuum bildend eingewirkt haben, zu erwarten waren, 
prüfen müssen . . . Eine Art verminderte Maturitätsprüfung, wie man 
die Inventaraufnahmen nach Art der Eodenwaldt'schen nennen möchte 
kann da nicht zum Ziele führen". 

III. 

An anderer Stelle (^0 gibt Eodenwaldt ein Schema für eine 
Intelligenzprüfung. Intelligenz ist nach ihm „die Fähigkeit der Psyche^ 
ihren Vorstellungen in möglichst kurzer Zeit, auf kürzestem Wege 
und mit geringster Behinderung diejenige Bereitstellung zu geben, 
die zur zweckmäßigen Reaktion nötig ist, kürzer: Die Anpassung der 
Psyche an den Zweck. Die Prüfung dieser Fähigkeit muß also darauf 
hinauslaufen, festzustellen, wie weit der untersuchte imstande ist 

1. in seinem Besitze befindliche Vorstellungen aus alten festen, 
lange bestehenden, gewohnten Verbindungen zu lösen und in andere 
überzuführen, und 

2) wieweit er imstande ist, gar nicht oder nur locker verknüpfte 
aus ferneren Komplexen herbeizuholen und neu einzuordnen, dies also 
seine Assoziationsbreite. Jn der Lösung mehr als in der Schließung 
der Assoziationen liegt die Intelligenzleistung. ... Es handelt sich 
nur darum, daß bewußt die einfache sich aufdrängende Assoziation 
ausgeschaltet wird und eine stärkere Willensbetonung auf eine schwä- 
chere gelegt wird. . . . Hier fällt also die Leistung der IntelUgenz 
ganz und gar mit dem Willen zusammen, dem Willen, der das Alte 
vernichtet und das Neue, Zweckmäßigere sucht, dem Willen, den wir 
überhaupt wirkend in dem ganzen Leben unserer Natur erkennen. 
. . . Und größeren, weitsichtigen Aufgaben gegenüber wird derjenige 
am besten bestehen, der neben jener Eigenschaft, zu lösen und den 
kürzesten Weg zu finden, die größte Assoziationsbreite besitzt. . . . 
Nietzsches Zauber auf die Gemüter junger Menschen beruht gewiß 
zum großen Teile auf seinen verblüffenden Gedankensprüngen, also 
seiner enormen Assoziationsbreite. 

Prüfungs-Schema. 
A) Prüfung des Vermögens, Vorstellungen zu erwerben. 
I) der Bedingungen des Erkennens, 

a) körperliche Untersuchung der Sinnesorgane, 

b) Aufmerksamkeit, 



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— 73 — 

1) abgelenkte, auf Nebendinge gerichtete Aufmerksamkeit 
(während intensiver Befragung gleichgültige Handlungen 
vornehmen), 

2) spontane (unwillkürliche) Aufmerksamkeit (Prüfung un- 
auffällig abbrechen, den Prüfling sich selbst überlassen, 
nach 5 Minuten die Augen schließen und angeben lassen, 
was sich in der Stube befindet), 

3) angespannte Aufmerksamkeit. (Nach Stern'scher Methode 
geprüft, nach welcher die Reproduktion von durch ange- 
spannte Aufmerksamkeit erworbenen Vorstellungen nach 
einiger Zeit wiederverlangt wird), 

c) Merkfähigkeit (Geprüft nach Ebbinghaus, Über eine neue 
Methode zur Prüfung geistiger Fähigkeiten. Hamburg, 
Leipzig 1897, Seite 16), 
II) der reinen Erkenntnis selbst (geprüft durch Lachen nach ver- 
standenem Witz, vom feinem Witz zum gröberen herabgehen, 
bis Reaktion des Lachens eintritt), 
B) Prüfung des Vorstellungsschatzes (Kenntnisprüfung) und Prüfung 
der Erkenntnis des Sinnes und Grundes der Vorstellungen. 
la) lineare Prüfung durch Aufzählenlassen (Prüfung, wieweit 
jemand aneinandergefügte Begriffsreihen besitzt) 

1) A B C, 

2) Wochentage, 

3) Monate, 

4) Jahreszeiten, 

5) Zahlenreihen (höhere über 300, gerade und ungerade), 

6) militärische Vorgesetzte, 
b) planimetrische Prüfungen 

1) Horizont der örtlichen Orientierung(Himmelsrichtungen z.B.) 

2. Horizont der religiösen Orientierung, 

3. ,, „ sozialen „ , 

4. „ „ geographischen,, , 

5. „ „ historischen „ , 

c. stereometrische Prüfung (der geistigen Kapazität), 

1. Gedächtnisprüfung nach Stern (Patient über ein vor eini- 
gen Wochen gezeigtes Bild befragen), 

2. Schulkinder: Pensum einer Klasse vor und nach Absol- 
vierung eines neuen Pensums (prüfen, welche neuen Vor- 
stellungen die alten verdrängt haben), 

3. Einschränkung der Kapazität bei 

a) Gefangenen, 



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— 74 — 

b) lange bettlägerigen Kranken, 

c) Reservisten, 

4. Erweiterung der Kapazität bei Soldaten. Prüfung am 
Anfang und Ende der Dienstzeit. 

5. Notwendige Inkubationsdauer und Intensität aktueller Ge- 
schehnisse. 

II. Die Erkenntnis des Sinnes der Vorstellungen, 

a) Definition 1 1 ^) konkreter Begriffe 

b) Unterscheidungen ) | b) einfacher abstrakter Begriffe (z. B. 

Bescheidenheit, Frömmigkeit, Gans- 
Ente, Pferd-Esel, Berg- Gebirge). 

III. Erkenntnis des Grundes der Vorstellungea Einfache Fragen 
(und Weiterfragen), z. B.: Warum läuft ein Wagen besser auf 
glattem Boden? Warum erlischt ein Licht, wenn ich es mit 
Glas bedecke? Was schwimmt oben, was geht unter, Kork 
oder Eisen? Warum? 

C) Prüfung der Wirksamkeit des Intellekts mit Hilfe der vorhandenen 
Begriffe (Kombinationsfähigkeit = Fähigkeit, mit seinen Begriffen 
zweckmäßig zu arbeiten). 

Die Kenntnisprüfung muß als sichere Grundlage vorliegen, 
ehe man Leistungen verlangt. Geistiges Unvermögen liegt mit- 
unter am Fehlen der Begriffe. 

1. Rückwärtsherzählungen. 

a) Wochentage, 

b) Monate, 

c) militärische Vorgesetzte, 

d) A B C (sehr schwer). 

2. eingekleidete Rechenaufgaben (nach vorherigem Feststellen des 
Rechenvermögens), a) Addition, b) Subtraktion, c) Multiplikation 

d) Division. 

3. Aufsuchen von Gleichklängen (reimen).^ 

IV. Intelligenzprüfung nach Ernst Schulze und Karl Rühs {^^). 

Anknüpfend an eine von der Medizinalabteilung des Königlich 
Preußischen Kriegsministeriums herausgegebene Arbeit: „Über die 
Feststellung regelwidriger Geisteszustände bei Heerespflichtigen und 
Heeresangehörigen ^^ im 30. Heft der „Veröffentlichungen aus dem 
Gebiete des Militärsanitätswesens" 1905 haben Ernst Schulze und 
Karl Rühs {^^) folgendes Schema zur Intelligenzprüfung zusammen- 
gestellt: 

1. Wie heißen Sie? 2. Was sind Sie von Beruf? 3. Konfession? 



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— 75 — 

4. Wann sind Sie geboren? 5. Wo geboren? 6. Wie alt sind Sie? 
7. Wieviel Einwohner bat Ihr Wohnort? 8. An welchem Flusse liegt 
Jhr Wohnort? 9. Bei welchem Gebirge? 10. Bei welcher größeren 
Stadt? 11. Seit wann sind Sie Soldat? 12. Wie heißt Ihr Regiment? 
13. Farbenproben? 14. Wieviel kostet eine Semmel? 15. Ein Stadt- 
bahnbillet? 16. Ein Morgen Land? 17. Wieviel Klassen gibt es 
auf der Eisenbahn? 18. Welche ist die billigste? 19. Wie reist man 
nach Amerika? 20. Woraus wird Brot gemacht? 21. Woher kommt 
Most? 22. Wann werden die Blätter welk? 23. Wann ist die Ernte? 
24. Wann ist Weihnachten? 25. Wieviel Tage hat die Woche? 
26. Wieviel Tage hat der Monat? 27. das Jahr? 28. das Schalt- 
jahr? 29. Wie heißen die Wochentage? 30. die Monate? 31. Wieviel 
Beine hat der Maikäfer? 32. Wieviel Pfennige hat ein Taler? 
33. Wieviel Pfennige hat ein halber Taler? 34. Wenn Sie beim 
Kaufmann für 1,67 M Waren kaufen und geben einen Taler hin, 
wieviel bekommen Sie zurück? 35. Farbe einer Zehnpfennigmarke? 
36. einer Fünf pfennigmarke? 37. Wenn ich eine Zahl, die ich mir 
denke, mit 3 multipliziere, kommt heraus, welche Zahl habe ich 
mir gedacht? 38. Unterschied zwischen Zehnpfennigstück und Mark- 
stück? 39. Zwischen Baum und Strauch? 40. Zwischen Fluß und 
Teich? 41. Zwischen Korb und Kiste? 42. Zwischen Irrtum und 
Lüge? 43. Nennen Sie mir ein Beispiel von Dankbarkeit, 44. von 
Neid. 45. Was ist das Gegenteil von Tapferkeit? 46. Kurze und 
einfache Geschichte, die ein undankbares Betragen schildern soll ? 
47. Die Zahlenreihen 9, 7, 6, 8, 5, 3 soll der Untersuchte in derselben 
Reihenfolge nachsprechen. 48. Man stelle fest, ob der Untersuchte 
die unter No. 34 vor etwa 5 Minuten getane Frage noch anzugeben 
weiß. 49. Namen der Vorgesetzten? 50. Wochentage rückwärts? 
51. Monatsnamen rükwärts? 52. Ein Bild beschreiben und erklären 
lassen. 53. Man erzähle eine kurze, einfache Geschichte, lasse sie 
wiedererzählen und stelle fest, ob das Wesentliche erfaßt ist. 54. 
Ebbinghaussche Methode. Beispiel : Es war — mal ein Sold — , der 
hat — dem Kön — lange J. — treu ged — ; als ab — der Kr — 
zu Ende war, und der S — , der vielen Wun — wegen, die — empf — 
h — , — weiter dienen kon — , sprach der K — zu ihm .... 55. 
Masselonsche Methode: Der Untersuchte soll aus drei ihm genannten 
Wörtern einen Satz bilden. 

Beispiele: Jäger, Hase, Feld; Soldat, Gewehr, Hand; Wasser, 
Berg, Tal; Sonne, Fenster, Stube; Vogel, Baum, Nest; Frau, Milch 
Butter; Richter, Dieb, Gefängnis. 

Den Prüflingen wurde verboten, über die Prüfung mit anderen 



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— 76 — 

zu sprechen, um Beeinflussung zu vermeiden. Eine neue Frage wurde 
erst dann gestellt, wenn der Prüfende die Überzeugung gewann, 
weiteres Warten sei zwecklos. Der von Bleuler betonte Emotions- 
stupor wurde dadurch möglichst ausgeschaltet, daß der Prüfende ein 
Zivilarzt war. 

Nach Berze(2) ist es ^nötig, daß die Fragen des Schemas möglichst 
geringe Anforderungen an den zu Prüfenden stellen, vor allem nicht 
etwa Gegenstände, deren Kenntnis „Bildung" voraussetzt, sondern nur 
solche, die das Leben dem Individuum aufzudrängen pflegt, betrief fen; 
dieser Bedingung entspricht das von Schulze und Rühs untersuchte 
Schema wohl unter allen bisher bekannt gewordenen Fragenzusammen- 
stellungen noch am besten. Und wesentlich erhöht wird die Brauch- 
barkeit des Schemas für den bezeichneten Zweck noch, wenn die 
Fragen nicht nur dem Zweck der Inventarprüfung, sondern auch dem 
der direkten Intelligenzprüfung entsprechen, was für das in Rede 
stehende Schema gleich zutrifft, zumal sich, wie Schulze und Rühs 
betonen, aus der Fragensammlung ganz gut „15 Wissensfragen 15 
Urteilsfragen gegenüberstellen" ließen. — Über die Erkennung des 
schon ziemlich hochgradigen Schwachsinns hinaus reicht aber die 
Brauchbarkeit des untersuchten Schemas und wahrscheinlich jedes 
anderen denkbaren Schemas nicht." 



Sommers ^.Schema zur Untersuchung von Geisteskranken" (^*). 

Professor Sommer, welcher für psychologische Laboratoriums- 
versuche zahlreiche, komplizierte, exakt arbeitende Instrumente erdacht 
hat, hebt in seinem Lehrbuch (37) hervor, daß sich für die gewöhn- 
liche klinische Untersuchung Geisteskranker möglichst einfache, immer 
mit denselben Reizen arbeitende Methoden empfehlen, damit durch 
Anstellung gleichartiger Versuche an einem großen Material vergleich- 
bare Resultate beschafft werden können. Er hat daher ein Schema 
entworfen, welches folgende Fragen behandelt: (die Fragen über den 
körperlichen Zustand (A) und die Entwickelung der Krankheit (B) 
sollen hier unberücksichtigt bleiben.) 

C. Psychologischer Zustand. 

I. Sprache: Nach Prüfung des motorischen Gebietes (Stottern, 
Stammeln, Paresen, Zuckungen, Mitbewegungen etc.) Feststellung der 
Erscheinungen im sensorischen Gebiete (Wortgedächtnis, Paraphasie, 
Iterativerscheinungen etc.). 

IL Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Orientiertheit. 



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— 77 — 

Genaue Darstellung der Keaktionen in sprachlicher und physio- 
gnomischer Beziehung auf folgende Fragen: 

1. Wie heißen Sie? 

2. Was sind Sie? 

3. Wie alt sind Sie ? 

4. Wo sind Sie zu Hause? 

5. Welches Jahr haben wir jetzt? 

6. Welchen Monat haben wir jetzt? 

7. Welchen Tag im Monat haben wir heute? 

8. Welchen Wochentag haben wir heute? 

9. Wie lange sind Sie hier? 

10. In welcher Stadt sind Sie? 

11. In was für einem Hause sind Sie? 

12. Wer hat Sie hierher gebracht? 

13. Was sind die Leute in diesem Hause? 

14. Wer bin ich? 

15. Wo waren Sie vor acht Tagen? 

16. Wo waren Sie vor einem Monat? 

17. Wo waren Sie vorige Weihnachten? 

18. Sind Sie traurig? 

19. Sind Sie krank? 

20. Werden Sie verfolgt? 

21. Werden Sie verspottet? 

22. Hören Sie schimpfende Stimmen? 

23. Sehen Sie schreckhafte Gestalten? 

24. Warum frage ich Sie dies alles? 

III. Gedächtnis: Fähigkeit der Reproduktion a) für längst Er- 
lebtes, b) für jüngst Vergangenes. Gedächtnislücken, Fähigkeit, neue 
Eindrücke zu wecken. 

IV. Schulkenntnisse, besonders betreffend folgende Fragen: 

1. Alphabet, 

2. Zahlenreihe, 

3. Monatsnamen, 
5. Wochentage, 

5. Vater unser, 

6. Zehn Gebote, 

7. Deutschland, Deutschland über alles, 

8. Wie heißen die größten Flüsse Deutschlands? 

9. Wie heißen die Hauptgebirge in Deutschland? 

10. Wie heißen die deutschen Bundesstaaten? 

11. Wie heißt die Hauptstadt von: 



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— 78 — 

a) Deutschland? 

b) Preußen? 

c) Sachsen? 
(1) Bayern? 

e) Württemberg? 

f) Hessen? 

12. Zu welchem Staate gehören Sie? 

13. Wer führte 1870 Krieg? 
16. Wer führte 1866 Krieg? 

15. Wie heißt der jetzige deutsche Kaiser? 

16. Wann starb Kaiser Wilhelm L? 

V. Rechenvermögen: Genaue Darstellung der Reaktionen in 
rechnerischer und sonstiger Beziehung auf folgende Fragen (Siebe 
nebenstehende Tabelle). 

VI. Untersuchung der Schrift: Schriftprobe (womöglich Name, 
Heimat, Geburtstag, Stand). Auffallende Merkmale der Schrift, u. a. 
Beschaffenheit der einzelnen Buchstaben (z. B. Zittererschemungen), 
Verbindung derselben zu Worten, z. B. Auslassung von Buchstaben; 
Verbindung zu Sätzen, z. B. Fehlen des grammatikalischen Zusammen- 
hanges, Umstellungen. 

VII. Sinnestäuschungen. Verursachung durch äußere Eindrücke 
oder Reizzustände im Nervensystem. Bezeichnung des oder der 
Sinnesgebiete. Konstanter oder wechselnder Charakter der Sinnes- 
täuschungen. Beziehung zur Vorstellungsbildung. Elementare Sinnes- 
täuschungen, Gedankenlautwerden. 

VIII. Wahnideen. Vorsichtige Prüfung, ob Wahnbildung über- 
haupt vorliegt, besonders bei Klagen über Zurücksetzung, Eifersuchts- 
ideen, u. a. Qualität der Wahnbildung, Verfolgungs- und Größen- 
wahn, konstanter oder wechselnder Charakter der Wahnbildung, Art 
der Verknüpfung der Ideen, Beeinflussung durch Stimmungen. 

IX. Beeinflußbarkeit, Einfluß von psychischen Momenten, beson- 
ders Beeinflussung durch Vorstellungen. Suggestibilität im Gebiet der 
Muskelzustände. 

X. Assoziationen. Assoziative Verknüpfung in den spontanen 
Äußerungen des Kranken. Prüfung der Reaktionen auf zugerufene 
Reizworte. 

XI. Urteilsvermögen. Mangelhafte Beurteilung der Umgebung, 
Mangel an Selbstkritik, Mangel an Urteil in geschäftlichen Angelegen- 
heiten, Zeichen von Schwachsinn. 

XII. Stimmungsanomalien. Qualität der Stimmung, innere oder 



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— 79 — 



Aufgabe 


Antwort 


Zeit 


Bemerkungen 


1. 








ix 3« 


? 






2x 4 








3x 5 








4x 6 








bx 7 








6X 8 








Ix 9 








8x10 








9xU 








12x13 








IL 








2-i 


h 2- 


? 


1 


3- 


- 4 








4- 


- 6 








5- 


- 8 








8- 


-14 








11- 


-20 








14- 


-26 








17- 


-32 








20- 


-38 








23- 


-44 








111. 








3- 1« 


? 






8- 3 








13— 5 








18-7 








29- 10 








40-13 








51 — 16 








62 — 19 








73i- 22 








84—15 








IV. 








2: 1 = 


? 






8: 2 








18: 3 








32: 4 








50: 5 








18: 6 








35: 7 








56: 8 








81: 9 








101:10 








(X - 3 = 14) 


X-? 






(X -1-5-11) 


x = ? 






UX7 = 35) 


x==? 






(X : < 


^« 5) 


X-? 







äußere Ursachen derselben, Konstanz oder Wechsel der Stimmung, 
physiognomischer Ausdruck der Stimmung, sonstige körperliche Be- 
gleiterscheinungen, z. B. bei Angst. Einfluß auf den Vorstellungsablauf. 



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— 80 — 

XIII. Störungen des Willens. Unterscheidung der psycho- 
motorischen von den unwillküriichen Muskelspannungen. Erreglich- 
keit der motorischen Sphäre, Ausdauer der Innervationen, Katalepsie, 
Negativismus, Stereotypie an Haltungen und Bewegungen. Beziehung 
auf bestimmte Vorstellungskomplexe. Abnorme Richtungen des Wollens;. 
Perversitäten. 

XIV. Zwangsvorstellungen. Art der zwangsmäßig auftretenden 
Antriebe. Einfache Antriebe bei Tic convulsif, Zwangsbewegungen. 
Zwangshandlungen besonders im sprachlichen Gebiet, zwangsmäßig 
auftretende Ideen. Reaktion des Bewußtseins auf die Zwangsimpulse, 
subjektives Gefühl des Zwanges bei „Zwangsvorstellungen" im engeren 
Sinne, Beziehung derselben zur sozialen Umgebung. 

XV. Soziales Verhalten. Unreinlich keit, Störung der Umgebung 
durch Schreien u. s. f., aggressives Verhalten. Gemeingefährlichkeit 

D. Besondere Wahrnehmungen. 

E. Wesentliche Symptome. 

(Unter Hinweis auf obigen Befund) Diagnose mit bestimmter 
Äußerung, ob Geisteskrankheit vorliegt. 

usw. 

Dem Einwurfe, die Fragen seien zu einfach und plump, begegnet 
Sommer mit folgender Bemerkung: „Nichtsdestoweniger sind bei der 
Prüfung einer größeren Reihe von Fällen mit dieser Reihe einfacher 
Fragen nicht bloß die Grundzüge einer Anzahl von Erankheits- 
zuständen in sehr deutlicher Weise herausgestellt worden, sondern es 
haben sich mehrfach durch die leichtere Vergleichbarkeit der Resultate 
wichtige dififerenzialdiagnostische Gesichtspunkte ergeben. Ferner hat 
sich die Methode als brauchbar erwiesen, um die Art des Ablaufes 
von Geisteskrankheiten in übersichtlicher Weise darzustellen." Wesent- 
lich ist noch, daß durch die als Reize wirkenden Fragen nicht nur 
Schulkenntnisse etc. ermittelt, sondern durch die Art der Reaktion 
und die mimischen sowie pantomimischen Begleiterscheinungen die 
Grundeigentümlichkeiten des betreffenden Zustandes klargestellt wer- 
den. Bei den einzelnen Psychosen haben sich folgende Besonder- 
heiten herausgestellt: 

ad II) Paralyse: Zeitliche und räumliche Orientierung Le- 
rächtlich gestört, persönliche Orientiertheit öfters erhalten. Hervor- 
tretende körperliche Beschwerden. Sprachliche Iterativerscheinungeu 
(auch bei Katatonie, Epilepsie). Mangel an traurigem Affekt, oft 
Euphorie. Isolierte Gedächtnisstörungen mit periodischen Schwan- 
kungen. Erinnerungstäuschungen. Partielle Defekte im Gebiete der 
Sprache und des Schriftverständnisses. 



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— 81 — 

Katatonie. Stereotypische Wiederkehr bestimmter Phrasen. 
Maniriertheit einzelner Antworten. Großer Reichtum des verwendeten 
Wort- und Vorsteliungsmaterials. Interkurrentes Ausbleiben einer 
Antwort infolge momentaner Hemmung. Überraschende Verbindung 
von Orientiertheit mit scheinbarer Verwirrtheit und Erinnerungs- 
täuschungen, wobei es sich in Wahrheit offenbar um willkürliche Zu- 
taten, Verdrehungen und Abschweifungen handelt (Paralogie). An- 
scheinende Wahnideen sind oft bloße Spielereien mit hochtönenden 
Worten. Es fehlt die assoziative Weiterbildung der Elemente d^ 
Frage in der Antwort. 

Melancholie: Völlige Orientiertheit. Ängstlichkeit. Ratlosig- 
keit. Krankheitsgefühl. Hemmung. 

Paranoia: Orientiertheit. Wahnideen selbständig, entspringen 
nicht Stimmungsanomalien. Mitunter sonderbare, unverständliche 
Sätze, assoziative Weitschweifigkeit, partielle ünorientiertheit = Be- 
ginn der sprachlichen Verfallserscheinungen des späteren Verlaufs der 
Paranoia. Zuletzt verworrenes Konfabulieren. 

A m e n t i a : ünorientiertheit 

Manie: Orientiertheit. Störung der Assoziationen (Ideenflucht) 

ad III) Erinnerung an Vorgänge bei der Aufnahme. Fähigkeit, 
sich an Umgebung, Namen des Pflegers etc. zu erinnern. Ereignisse 
rückwärts bis zum Ausbruch der Krankheit, Zeitdauer des Aufent- 
halts in der Anstalt und die während desselben fortlaufende Kette 
von Ereignissen. Erinnerung an optische (bunte Blätter, Wolle, 
Lichter, Bilder, Selbstbetrachtung des Kranken im Spiegel, eventuell 
mit verschiedenen Kopfbedeckungen) und akustische Reize (Geräusche, 
ungewöhnliche sprachliche Ausdrücke). 

ad IV). 

a) Bei nicht paralytischem Schwachsinn oft Schulkenntnisse gut 
erhalten. Das Erhaltensein der Schulkenntnisse bildet daher keinen 
Maßstab für geistige Gesundheit 

b) Bei angeborenem Schwachsinn oft gutes mechanisches, aber 
mangelndes logisches Gedächtnis. 

o) Bei paralytischem und epileptischem Schwachsinn periodische 
Schwankungen in den Kenntnissen. 

d) Bei katatonischem Schwachsinn oft nicht Unwissenheit, sondern 
bewußtes Danebenreden. 

e) Bei Paralyse früh Defekt in den Schulkenntnissen, besonders 
in gedächtnismäßigen Reihen. 

f) Bei Melancholie oft Schein der Unwissenheit infolge der Be- 
hauptung des Nicht-Könnens. 

Dost, Kürzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. 6 



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— 82 — 

g) „Psychische Erkrankungen verschiedenster Art zeigen sich 
bei der Prüfung der Schulkenntnisse oft nicht durch Unwissenheit, 
sondern durch Anknüpfung lose zusammenhängender Beden an die 
Fragen oder durch Reaktionen, die mit pathologischen Ideen zu- 
sammenhängen.^ 

ad V. Zu beachten sind die Art der Lösung, Zeitdauer der- 
selben, physiognomische und sprachliche Nebenerscheinungen, peri- 
odische Schwankungen, fortschreitender intellektueller Zerfall, 
Hemmung, Stereotypien, innere Ablenkung. Am leichtesten ist 
Multiplikation, am schwersten Division. 

Katatonie: Oft auffälliges Danebenrechnen neben guter Leistung. 
Oft lange Reaktionszeit, besonders bei den verkehrtesten Lösungen. 
Negativismus (Erfassen und Wegwerten des Bleistifts). Benehmen 
(Herumrutschen auf dem Stuhl). Unvermögen durch Stereotypie, 
Hemmung, Negativismus, Paralogie vorgetäuscht. Physiognomische 
Sonderbarkeiten. 

Iterativ- (Wiederholungs-)Er8cheinungen. Nachwirkung von Ele- 
menten vorher perzipierter Zahlworte. 

Epilepsie: Periodische Störungen. 

Paralyse: Fortschreitender Verfall der Rechenfähigkeit. 

Angeborner Schwachsinn. Rechnen gelernt, so werden 
die Lösungen, die nichts sind als Wortassoziationen, mit großer Ge- 
schwindigkeit vorgebracht. Fehler sind meist Verwechselungen, in- 
dem Gheder der gelernten Reihe übersprungen werden. Lernen oft 
Multiplikation und Addition. 

Paranoia. Mitunter lange Pausen, in denen Patient Wahn- 
ideen vorbringt, also Ablenkung durch innere Vorgänge. Rechen- 
leistung sonst gut 

ad X. Angeborener Schwachsinn: Ärmlichkeit der Vor- 
stellungskreise. Zum Teil Mangel an Assoziationen, besonders in der 
begrifflichen Sphäre. Reden umständlich. Vertrautheit mit gewissen 
Tätigkeiten und Handgriffen in der beschränkten Sphäre der engeren 
Umgebung. An ganz unpassender Stelle Freude an Putz etc. 

Epileptischer Schwachsinn: Große Dürftigkeit des Vor- 
stellungsschatzes, der sich meist nur auf die Gegenstände der un- 
mittelbaren Umgebung bezieht. Wiederkehren oft Worte, die Gegenstände 
der gegenwärtigen Umgebung bezeichnen. Reaktionszeiten sehr lang. 

Epilepsie ohne deutlichen Schwachsinn: Betonung von 
egozentrischen und religiösen Vorstellungen (Patient steht zu Gott in 
besonders enger Beziehung). Unterwürfigkeit, süßliche Höflichkeit 
Stereotype Wiederkehr derselben Vorstellungen auf die verschiedensten 



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— 83 — 

Eeizworte. Stehende Redensarten, Gemeinplätze. Überwiegen der 
Tätigkeitsvorstellungen (entspricht dem vielgeschäftigen Wesen des 
Epileptikers). 

Katatonischer Schwachsinn: Unter normalen Asso- 
ziationen plötzlich sonderbare Phrasen, Witze, gar keine Antworten 
oder ganz verkehrte. Wiederholung früherer Antworten an un- 
passender Stelle. Wechsel von kurzer Reaktion und langen Wort- 
folgen. Viel Negationen. Die längeren inkohärenten Wortreihen 
leicht mit manischer Ideenflucht verwechselt. An Stelle der eigent- 
lichen Reaktion auf die Reizworte treten Vorstellungsreihen aus seinem 
allgemeinen Gedankenkreis ins Bewußtsein. Das Innere tiberwiegt 
demnach über den äußeren Reiz. 

Manie: Besonders Klangassoziationen, Bildung von Wortreihen 
Ideenflucht, Zurücktreten der Stereotypie. Klangassoziation bedeutet 
den Übergang einer Vorstellung zu einer benachbarten, Wiederholung 
dös Reizwortes dagegen eine Art Hemmung und Einschränkung auf 
den Reiz, welche dem raschen Übergang von einer Vorstellung auf 
die andere entgegenwirkt. Das Ansteigen der Wiederholungs- 
erscheinungen bei Verminderung der Klangassoziation bedeutet daher 
nach Sommer, daß das zernbrale Gleichgewicht beginnt, sich wieder 
einzustellen. 

„Die Methode gewährt demnach die Möglichkeit, nicht bloß be- 
stimmte psychopathische Symptome als vorhanden zu konstatieren, 
sondern sie auch zahlenmäßig festzulegen und in gewissem Sinne 
meßbar zu machen, was das nächste Ziel einer exakten Symptomen- 
lehre sein muß. Femer bietet sie überraschende Einblicke in das 
gegenseitige Verhältnis bestimmter Grundphänomene und in die 
phsycho- physiologische Bedeutung gewisser Symptom Verbindungen, 
deren Studium notwendig ist, wenn aus einer bloßen Symptomen- 
lehre eine wahrhaft physiologische Psychopathologie hervor- 
gehen soll." 

VI. Intelligenzprüfung nach Ziehen — Redepenning ^^j. 

Die aus dem Riegerschen Schema ^^) hervorgegangene, von 
Redepenning modifizierte Ziehensche Prüfungsmethode hat den Vor- 
teil, von einfachen bis zu schwierigen, psychologisch geordneten 
Fragen schrittweise aufzusteigen. Redepenning betont allerdings in 
seinem Aufsatze, daß gerade die Faktoren, welche den Maßstab ab- 
geben für die produktive Anwendung des Urteils und die Fähigkeit 
des Kranken, sich in der Außenwelt in einer entsprechenden Lebens- 
stellung zu behaupten (die höheren Gefühls- und Willensvorgänge), 

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— 84 ■ — 

durch die Methode sich nicht scharf herausstellen lassen, sondern der 
einfachen Beobachtung überlassen bleiben müssen, welche nach 
Gramer ^den individuellen Unterschieden der Kranken in ihren be- 
sonderen Beziehungs- und Standesverhältnissen eher Rechnung tragen 
und persönliche Eigentümlichkeiten leichter berücksichtigen kann." 

Schema: 
A) Besitz von Vorstellungen. 

1. Individuelle, 
Erkennt der Kranke optisch wieder Personen seiner Umgebung, 
sein Wohnhaus, Wohnzimmer, Bett, die Straße seines Wohnhauses, 
erkennt er bildliche Darstellungen derselben Objekte wieder, erkennt 
er Personen an der Stimme wieder? Die Bekanntheitsqualität ist 
festzustellen dadurch, daß man nicht nur fragt: was ist das? sondern 
auch: kennen Sie das und wann haben Sie das gesehen? 
2. Allgemeine Vorstellungen 1. Grades. 

a) Einfache: 

1. Optische Vorstellungen: erkennt der Kranke die einzelnen 
Farben wieder, bezeichnet er sie richtig, wählt er benannte Farben 
unter verschiedenen farbigen Täfelchen richtig aus, vermag er andere 
Gegenstände von derselben Farbe zu nennen? 

2. Akustische Vorstellungen: erkennt der Kranke bei Augen- 
schluß das Hasseln von Schlüsseln, den Klang der Glocke, das Ticken 
der Uhr? 

3. Taktile, thermische, kinästhetische Vorstellungen bei Augen- 
schluß: weich, hart, spitz, stumpf, warm, kalt, leicht, schwer. 

4. Olfaktorische und gustatorische: Geruch von Blumen, Geruch 
und Geschmack von Speisen. 

b) Zusammengesetzte: 

1. Qualitativ und räumlich zusammengesetzte: benennt und er- 
kennt der Kranke folgende Objekte in natura oder als Bilder: Tiere, 
Pflanzen, Steine und ihre Teile, Blatt, Stengel, Körperteile, Sonne, 
Mond, Sterne, Berg, Tal, Fluß, Meer, Stadt, Straße, Haus, Kirche, 
Möbel, Geräte, Waren, Geldstücke? 

2. Zeitlich zusammengesetzte: Gewitter, Krieg, laufen, gehen 
steigen. 

3. Allgemeine Vorstellungen 2. Grades. 

a) Schall, Farbe, Geschmack; Dreieck, Meter; Jahr, Monat, Stunde. 

b) Stein, Metall, Pflanze, Mensch. Was versteht man unter 
Schall? Was ist ein Dreieck? Was ist eine Pflanze? Nennen Sie 
mir Pflanzen. 



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— ■ 85 — 

4. Beziehungsvorstellungen. 

a) Zahlenvorstellungen: Abzählen von Gegenständen durch Hin- 
deuten oder Berühren. Was ist V2, V4 u. s. f. 

b) Vorstellungen der Gleichheit, Ähnlichkeit. 

c) Räumliche Vorstellungen: oben, unten, vorn, hinten, rechts, 
links. 

d) Zeitliche Vorstellungen: heute, morgen, kurz, lang. 

e) Kausale Vorstellungen: warum, weil, obgleich. 

f) Familiale und soziale Vorstellungen, bei denen besonders auf 
den Gefühlston zu achten ist: Vater, Mutter, Vaterland, Familie, Ge- 
setz, Eigentum, Pflichten. 

B) Besitz von Vorstellungs Verknüpfungen. 

a) Individuelle. 

a) Des Ichs, Geburtstag, Alter, Wohnung, Wohnort, Stellung, 
Lebensgang, Zukunftspläne, Einwohnerzahl des Heimatsortes, 
Straßen, Vorsteher, Regent usw.] 

ß) Geographische: wo geht die Sonne auf und unter, Himmels- 
gegenden, Bewegung der Gestirne, Mondphasen, Gestalt und 
Größe der Erde, Flüsse, Gebirge, Städte. 

y) Geschichtliche Ereignisse, besonders miterlebte. 

d) Sprachlich bestimmt oder unbestimmt fixierte Vorstellungs- 
verknüpfungen, Gedichte, Melodien, Gebete, Wiedererkennen 
und Reproduzieren. Kann der Kranke den Inhalt seiner 
Lektüre reproduzieren? 

b) Allgemeine: 

a) Messende Verknüpfungen, rechnerische Aufgaben, Zeitmaße, 

Längen-, Flächen- und Raummaße. 
ß) Naturbeobachtung, Wechsel von Tag und Nacht, Jahreszeiten. 
y) Aus dem menschlichen Verkehr: Hergang der Berufstätig- 
keiten des Landmanns, Kaufmanns u. a. Preise der Lebens- 
mittel, Geldstücke, Zinsen, Mieten, Reisen; wie reist man 
nach Amerika? Gottesdienstliche, geistliche, Verwaltungs Ver- 
hältnisse, ObUegenheiten des Reichstags. 
C) Erwerb von neuen Vorstellungen und Vorstellungsverknüpfungen. 

a) Neuerworbene individuelle Vorstellungen: wie rasch findet 
sich der Kranke in seinem Zimmer zurecht? 

b) Wie oft und wie lange muß man dem Kranken Gegenstände 
zeigen, bis er sie wiedererkennt, findet der Kranke aus einfachen 
geometrischen Figuren einige bezeichnete in anderer Anordnung 
wieder, merkt er sich Aussehen und Namen vorgelegter Porträts 
(Eauschburg, Studien über die Merkfähigkeit des Normalen, Nerven- 



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— 86 — 

schwachen und Geisteskranken, Monatsschrift für Psychologie und 
Neurologie Band IX Seite 241). 

c) Neuerwerb bestimmt fixierter Vorstellungen und Vorstellungs- 
verknüpfungen, Auswendiglernen von Silben- und Zahlenreihen, Me- 
thode der Paarworte. 

d) Neuerwerb sprachlich unbestimmt fixierter Vorstellungen und 
Vorstellungsverknüpfungen: man erzählt eine Geschichte oder läßt sie 
lesen und wieder erzählen. 

e — h) Neuerwerb auf das Ich bezüglicher, geschichtlicher, 
geographischer, naturwissenschaftlicher Vorstellungen: behält der 
Kranke seine eigenen Erlebnisse, erinnert er sich der Fragen, die 
kürzlich an ihn gestellt sind? 

D) Assoziative Verwertung des Vorstellungsbesitzes 

a) Ebbinghaussche Kombinationsmethode. 

b) Assoziationsscheraa in Anlehnung an Sommer. 

c) Lösung von Gleichungen derart, daß dem Kranken z. B. ge- 
sagt wird: ich denke mir eine Zahl, die ich durch 25 teilen muß 
um 4 zu erhalten, welches ist die Zahl? 

d) Was würden Sie tun, wenn Sie 1000 Mk. bekämen, wenn Sie 
50 Mk. zu einer Reise geschenkt erhielten? Oder was würden Sie 
tun müssen, um aus der Anstalt entlassen zu werden? 

e) Wie denken Sie über die Unterhaltungen, die wir in der 
letzten Zeit miteinander geführt haben? 

Fragestellung je nach dem Kranken individuell geändert, je nach 
Stand und Erziehung gefragt. 

Ziehen hat femer eine „schematische Anweisung zur psychischen 
Untersuchung bei geisteskranken Kindern" angegeben. Da zur Aus- 
führung derselben ein genaueres Studium der kindlichen Psychosen 
gehört, sei hier nur auf Ziehens Arbeit verwiesen ö^). Femer fällt 
hieranter: Sommer, Ein Schema zur Untersuchung von Idioten 
und Imbecillen für Idioten- und Epileptikeranstalten, Hilfsschulen, 
Zwangserziehungsanstalten und verwandte Einrichtungen. Sommers 
Klinik für psych, und nervöse Krankheiten 2. B. 4. H. 

VII. Die Assoziationsprfifung. 

Ferner sei es gestattet, die Assoziationsmethode zu beschreiben, 
obwohl sie die Prüfung der Intelligenz nur als Teilaufgabe betrachtet 
und vielmehr die Erforschung des gesamten seelischen Lebens sich 
zum Ziel gesetzt hat. Dieser Ansicht ist auch Bleuler'), wenn er 
sagt : „In jeder Assoziation des wirklichen Denkens spielen eine fast 
unendliche Zahl von mehr oder weniger deutlich anklingenden Vor- 



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~ 87 — 

Stellungen mit, zunächst die der ganzen Persönlichkeit mit ihrer inneren 
und äußeren Vergangenheit, soweit sie in Betracht kommen kann; 
ferner eine nicht kompliziert genug zu denkende Hierarchie von Ziel- 
vorstellungen; zu oberst das allgemeine Ziel unseres Strebens, dann 
das des Denkens im speziellen Falle, dann alle Ziele, welche den 
Details des Denkens und Handelns die Richtung geben, bis herab zu 
dem Ziel des momentanen Gedankenausdrucks, der momentan auszu- 
führenden Bewegung, Mitbestimmend wirken auch frühere Erleb- 
nisse insofern, als Dinge, die vor kurzem für unsere Psyche aktuell 
gewesen sind, ceteris paribus leichter hinzuassoziiert werden als andere. 
Man bezeichnet diesen Faktor als Konstellation. Von großer Wich- 
tigkeit sind auch die Gemütsstimmungen, die ,ihnen adäquate Asso- 
ziationen fördern, entgegengesetzte hemmen, und noch vieles andere, 
dessen Aufzählung zu ermüdend und doch nicht erschöpfend wäre. . . . 
So spiegelt sich in der Assoziationstätigkeit das ganze psychische Sein 
der Vergangenheit und der Gegenwart mit allen seinen Erfahrungen 
und Strebungen. Sie wird dadurch zu einem Index für alle psychi- 
schen Vorgänge, den wir nur zu entziffern brauchen, um den ganzen 
Menschen zu kennen." 

Stellen wir nun praktische Assoziationsversuche in der Weise an, 
daß wir der Versuchsperson ein Wort zurufen mit der Aufforderung, 
den ersten Gedanken auszusprechen, der ihr bein) Anhören des Reiz- 
wortes einfällt, so müssen wir uns bewußt bleiben, daß die erfolgende 
Reaktion in Wirklichkeit keine Assoziation, sondern nur eine sprach- 
liche Reaktion auf den Reiz bedeutet, daß wir nicht Vorstellungen, 
sondern sprachliche Symbole derselben vor uns haben. „Der äußer- 
liche Zusammenhang von Reizwort und Reaktion ist ein viel zu grober, 
als daß er ein absolut genaues Bild von den außerordentlich kompli- 
zierten psychischen Vorgängen, den eigentlichen Assoziationen geben 
könnte. Reizwortreaktionen versinnlichen nur in entfernter und un- 
vollkommener Weise den psychischen Zusammenhang" ^i). Wundt'^) 
spricht sich über den Wert der Assoziationsexperimente folgendermaßen 
aus: „So belohnend nun aber solche Versuche auch in praktischer 
Beziehung sind, und obgleich sie vielleicht noch einmal als dia- 
gnostisches Hilfsmittel für die Kennzeichnung der individuellen Bewußt- 
seinsrichtungen und der pathologischen Abweichungen dieser eine 
große Rolle spielen werden, so ist doch nicht zu übersehen, daß sie 
sich ihrer ganzen Anlage und Ausführung nach nicht dazu eignen, 
über die tieferen psychologischen Eigenschaften der Assoziationen 
Aufschlüsse zu geben". 

Nach Bolte ^) wird derjenige, welcher ohne vorgefaßte Meinung 



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— 88 — 

in der Assoziationsmethode die nötige Erfahrung erwirbt, finden, 
daß sie 

1. ein sehr einfaches Mittel ist, auf objektive Weise viele Sym- 
ptome, vor allem das ganze Gebahren des Kranken zu fixieren, wo 
die sonst übliche Beschreibung sehr umständlieh, zeitraubend und der 
Gefahr der subjektiven Färbung ausgesetzt ist 

2. Im klargeordneten Denken überwiegt eine Richtung gebende 
Zielvorstellüng, Obervorstellung alle dunkelbewußten psychophysischen 
Tendenzen. Im ziellosen assoziativen Denken hingegen kommen die 
unbestimmten und dunklen Mächte des Seelenlebens zu starker Geltung. 
Die teilweise Ausschaltung der Willkür, die Entfesselung unwillkürlicher 
Antriebe bewirkt, daß Symptome, die sonst erst bei fortschreitender 
Krankheit oder überhaupt nicht gefunden werden, schon sehr früh zu- 
tage treten. 

3. Femer lassen sich so neue Erkennungszeichen der Krankheit 
finden. 

4. Auch die bisher ungelöste Frage der Intelligenzprüfung wird 
vielleicht eine Förderung finden. Neben der Prüfung der Schulkennt- 
nisse, der Ebbinghausschen Kombinationsprüfung, der Fabelmethode, 
der Hennebergschen Bildmethode wird man zweckmäßig auch die 
Assoziationsprüfung verwenden. 

5. Das Assoziationsexperiment ist ein gutes Mittel, um den Ver- 
lauf einer Krankheit darzustellen, wenn natürlich auch keine strenge 
Proportionalität zwischen den Störungen der Assoziationen und den 
übrigen Symptomen besteht". 

Auch Jung und Riklin erkennen den Wert der Assoziationsmethode 
für die Intelligenzprüfung an, indem sie ausführen: „Bei unserem Ex- 
periment untersuchen wir die Resultanten einer ganzen Reihe von 
psychischen Prozessen, der Perzeption, Apperzeption, der intrapsy- 
chischen Assoziationen, der sprachlichen Fassung und motorischen 
Entäußerung 5» 1). Die Störung der Aufmerksamkeit läßt sich an der 
Verflachung des Reaktionstypus erkennen, (Ermüdung, Alkoholintoxi- 
kation, Manie). Betreffs der technischen Ausführung der Methode 
empfiehlt Isserlin ^% darauf zu achten, „daß die Versuchsperson nur 
mit vollem Verständnis der Aufgabe und möglichst frei und ohne 
Zwang nach irgend einer Richtung hin reagiert Es wurden deshalb 
der Versuchsperson stets verschiedene Reaktionsweisen an Beispielen 
erörtert, insbesondere wurde es vermieden, ihr nahe zu legen, immer 
nur mit einem Worte zu reagieren". Als Zeitmesser wurde eine 
Fünftelsekundenuhr verwendet. Die Antworten wurden wörtlich fixiert, 
das mimische Verhalten notiert. 



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— 89 — 

Das Schema der Reizworte soll nach Bolte^) nicht, wie es 
Sommer tut, nach Kategorien geordnet sein. „Es entstehen dabei 
Störungen — besonders bei Normalen — die durch die Scheu vor 
dem Perseverieren bedingt sind und die diagnostisch nicht verwertet 
werden können. Wenn z. B. die Versuchsperson soeben auf „weiß" 
^^schwarz" geantwortet hat, so wird sie, wenn das folgende Reizwort 
wieder „schwarz" ist, meistens eine unangenehme Störung dabei 
empfinden und im Zweifel sein, was sie antworten soll. Wir haben 
daher vorgezogen, ein Schema zu verwenden . . . , in welchem Reihen- 
bildung nach Möglichkeit vermieden ist und immer neue grammatische 
Formen auftreten". 

Jung und Riklin wandten 400 1 -2 silbige Reizworte an, darunter 
231 Substantiva, 69 Adjektiva, 82 Verba und 18 Adverbia und Zahl- 
wörter. Es wurde ebenfalls vermieden, dieselben in bestimmten Kate- 
gorien zu ordnen und in der Form oder im Sinn ähnliche Reizworte 
sich folgen zu lassen. Endlich wurden möglichst einfache, alltägliche 
Worte ausgesucht. Es wird weiter vorgeschlagen, immer dasselbe 
Schema anzuwenden. Um eine Fixierung der Assoziationen zu ver- 
meiden, dürfen die Versuche nicht zu oft (höchstens aller 4 Wochen) 
vorgenommen werden. 

Die erhaltenen Reaktionen werden am besten in das von Jung 
modifizierte Kräpelin-Aschaffenburgsche Assoziationsschema eingereiht, 
welches teils nach logischen Grundsätzen, teils mit Rücksicht auf den 
Einfluß des sprachlich-akustischen Hirnmechanismus nach dem Prinzip 
der sprachlichen Geläufigkeit aufgebaut ist: 
A. Innere Assoziation, 
a) Koordination. 

a) Beiordnung 1. durch gemeinsamen Oberbegriff, z. B. Obst, 
Kirsche — Apfel. 

2. durch Ähnlichkeit, z. B. Schonen — Nachsicht. 

3. durch innere Verwandtschaft Vater — [be- 
sorgt] — Sorge. 

4. durch äußere Verwandtschaft, z. B. Himmel 
— [blau] — Farbe. 

5. als Beispiel, z. B. Kummer — alte Frau (z. B. 
eine alte Frau hat KummerJ. 

ß) Unterordnung: 1. eigentliche Unterordnung, z.B. Baum — 

Buche. 
2. Spezifizierung, z. B. Haus: das Haus an 

der X- Straße. 
y) Überordnung, z. B. Katze — Tier. 



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— 90 — 

d) Kontrast, z. B. Leid — Freude. 

e) Koordination zweifelhafter Qualität, z. B. Hoch — Seide 
(der Besitzer eines Seidengeschäfts ist hoch gewachsen). 

b) Prädikative Beziehung. 

I. Substantiv und Adjektiv. 
a) Inneres Prädikat. 

1. Sprachliches urteil, z. B. Schlange — giftig. 

2. Werturteil, z. B. Vater — gut. 

ß) Äußeres Prädikat, z. B. Zahn — vorstehend. 
IL Substantiv und Verbum. 

a) Subjektverhältnis, z. B. Harz — klebt. 

ß) Objektsverhältnis, z. B. Tür — öffnen. 
IIL Bestimmungen von Ort, Zeit, Mittel und Zweck, z. B. Zeit : 

essen — 12 Uhr. 
IV. Definition oder Erklärung, z. B. Türe — Hauptwort 

c) Kausalabhängigkeit, z. B. schneiden — weh. 
B. Äußere Assoziation. 

a) Koexistenz, z. B. Tinte — Feder. 

b) Identität, z. B. großartig — prächtig. 

c) Sprachlich-motorische Form. 

a) Eingeübte sprachliche Verbindung. 

L Einfache Kontraste, z. B. dunkel — hell. 

2. Geläufige Phrasen, z. B, Hunger — leiden. 
ß) Sprichwörter und Zitate, z. B. Auge — Zahn ; Glück — Glas, 
y) Wortzusammensetzung und -Veränderung z. B. Tisch — bein, 

sterben — gestorben. 
d) Vorzeitige Reaktion, z. B. langsam — kurz. 
€) Interjektion, z. B. großartig — ah! 

C) Klangreaktion. 

a) Wortergänzung, z. B. Wunder — bar. 

b) Klang, z. B. Absicht — Apfel. 

c) Reim, z. B. Herz — Schmerz. 

D) Restgruppe. 

a) Mittelbare Assoziation. 

a) Verbindung durch gemeinsamen Mittelbegriff, z. B. Schnee- 
feld, weiß — weit. 
ß) Klangverschiebung. 

1. Zentrifugale, z. B. Entschluß — schießen (entschließen); 

2. Zentripetale, z. B. reiten — arm (reich). 

y) Verschiebung über Wortergänzung oder sprachlich motorische 
Form, z. B. Ratten — giftig (Gift). 



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— 91 — 

d) Verschiebung über mehrere Mittelglieder, z. B. Vogel — Maus 
(flattert — Fleder). 

b) Sinnlose Eeaktion. 

c) Fehler. 

d) Wiederholung des Reizwortes. 

E) Egozentrische Reaktion. 

a) Direkte Ichbeziehung, z. B. Tanzen — mag ich nicht. 

b) Subjektive Worturteile, z. B. faulenzen — angenehm. 

F) Perseveration. 

a) Zusammenhang mit dem Reizwort, z. B. Wasser — fall ; tanzen 
— fallen. 

b) Kein Zusammenhang mit dem Reizworte, z. B. Deckel — Kiste; 
Ratten — Korb. 

6) Wiederholung der Reaktion. 
H) Sprachliche Bindung. 

a) Gleiche grammatikalische Form. 

b) Gleiche Silbenzahl. 

c) Alliteration. 

d) Konsonanz. 

e) Gleiche Endung. 

Die Untersuchungen Gesunder durch Jung und Riklin^*) ergaben, 
daß der Ungebildete sich vielmehr als der Gebildete bemüht, dem 
Sinn des Reizwortes gerecht zu werden, daß er mehr innere Asso- 
ziationen, weniger Klangassoziationen liefert, mehr Koexistenzen zeigt, 
d. h. sich den Gegenstand deutlich klarzumachen sucht, weniger ego- 
zentrische Reaktionen aufweist, also sachlicher vorgeht und viel weniger 
sinnlose Reaktionen zutage fördert als der Gebildete. Offenbar liegt 
dieses Ergebnis daran, daß der Ungebildete während des Versuchs 
aufmerksamer ist als der Gebildete, „weil ihn die Bedeutung des 
Reizwortes mehr beeinflußt als den Gebildeten". 

Es finden sich vor allem subjektive Typen mit egozentrischer 
Einstellung, welche in die Konstellationstypen (persönliche gefühls- 
betonte Vorstellungen kommen zum Vorschein) sowie in Prädikattypen 
(die Vorstellungen sind sehr lebhaft, plastisch wirkend, die Reaktion 
enthält daher meist ein Prädikat des vom Reizworte angegebenen 
Gegenstandes) unterschieden werden. Andererseits kommt auch der 
sachliche Typus zur Beobachtung, bei welchem das Reizwort rein 
sachlich aufgefaßt wird und das Persönliche ganz zurücktritt. „Von 
der Reaktionszeit der Normalen ist es bekannt, daß sie je nach Alter, 
Bildungsgrad und Individualität innerhalb weiter Grenzen schwankt, 
durchschnittlich beträgt sie bei Gebildeten 1,5." Im allgemeinen 



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— 92 — 

weiß man, daß die torpiden, intellektuell schwächeren Individuen die 
längeren Reaktionszeiten haben. Außerdem ist aber auch die Quali- 
tät der Assoziation von ausschlaggebender Bedeutung für ihre Dauer. 
In vielfachen Untersuchungen ist festgestellt, daß die Assoziation um 
so länger dauert, je komplizierter sie psychologisch ist Für unsere 
praktischen Zwecke ist es wichtig, festzuhalten, daß die eingeübtesten 
Assoziationen die von kürzerer Dauer sind, und daß demgemäß die 
„inneren'' Assoziationen die „äußeren" an Dauer übertreffen" ^')- 

Wesentlich ist ferner die von Jung betonte Verlängerung der 
Reaktionszeit durch gefühlsbetonte Vorstellungen (Komplexe), welche 
besonders für leicht erregbare Personen Bedeutung gewinnen. Bei Ver- 
suchen ergab sich die wichtige Beobachtung, daß, sobald ein gefühls- 
betonter Vorstellungskomplex (vgl. die Arbeiten Sigm. Freuds: Bruch- 
stücke einer Hysterie-Analyse, Monatsschrift für Psychologiij und 
Neurologie Band XVIII, Traumdeutung, Franz Deuticke, Wien 1900, 
Breuer und Freud, Studien über Hysterie Leipzig, Deuticke 1905, 
usw.) berührt wird, 1. die Reaktionszeit verlängert wird, 2) die Ver- 
suchsperson hinterher nicht angeben kann, was sie geantwortet hat, 
3) einzelne Vorstellungen aus dem Komplex sich an oft unpassender Stelle 
mit Gewalt an die Oberfläche drängen, 4) an Stelle der eigentlichen 
Reaktion Deckreaktionen eintreten, z.B. Zitate, Klangassoziationen, Sätze. 

Auf diese Erfahrung ist von Kriminalisten (Wertheimer und 
Klein) die allerdings von mancher Seite (Kraus) als unzuverlässig 
und irreführend bezeichnete Methode der psychologischen Tatbestands- 
diagnostik aufgebaut worden, welche bei einem seiner Schuld bewußten, 
jedoch leugnenden Verbrecher, nachzuweisen versucht, daß die Er- 
innerung an die Tat noch lebendig ist und als gefühlsbetonter Kom- 
plex fortbesteht"^«). „Jeder Mensch hat einen oder mehrere Kom- 
plexe, die sich in den Assoziationen auf irgend eine Weise mani- 
festieren. Der Hintergrund unseres Bewußtseins (oder des Un- 
bewußten) besteht aus derartigen Komplexen. Das ganze Erinnerungs- 
material ist um sie gruppiert. Sie bilden geradezu höhere psychische 
Einheiten analog dem Ichkomplex. Sie konstellieren unser ganzes 
Denken und Handeln, darum auch die Assoziation. Mit dem Asso- 
ziationsexperiment verbinden wir jeweils einen zweiten Versuch, die 
sogenannte Reproduktion. Der Versuch besteht darin, daß wir die 
Versuchsperson noch einmal angeben lassen, wie sie auf die einzelnen 
Reizworte beim ersten Versuch reagiert hat. Da, wo die Erinnerung 
versagt, handelt es sich meist um Konstellation durch einem Kom- 
plex. Das Reproduktionsverfahren dient also zur näheren Um- 
schreibung der Komplexstörungen" 3i). 



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— 93 — 

Wie schon erwähnt, führt Freud die Hysterie auf ein in der 
Kindheit erlittenes Trauma zurück. Wird der erzeugte Affekt nicht 
durch die entsprechende Reaktion, z. B. Weinen, motorische Ent- 
ladung usw. abreagiert, so bleibt die Erinnerung an den unangeneh- 
men Vorfall im Unterbewußtsein bestehen, es bildet sich ein verdrängter 
unlustbetonter Komplex, welcher — obwohl anscheinend längst ver- 
gessen — die hysterischen, psychischen und körperlichen Sympt- 
ome als symbolische Abbilder seiner selbst hervorruft Durch die 
sehr schwierige und zeitraubende Psychoanalyse versucht Freud, an 
den Komplex heranzukommen, ihn wieder bewußt zu machen und 
so durch Abreagieren auch die psychischen Folgen desselben zu be- 
seitigen. Bei dem Assoziationsversuch reagiert der Betreffende, wenn 
das Reizwort den Komplex anstößt, mit einer der indifferenten, un- 
verdächtigen Schutzvorstellungen (z. B. Koexistenzen, wie Schmerz, 
der mit dem Erlebnis zufällig zeitlich verbunden war, Ähnlichkeits- 
assoziation usw.), welche den Komplex wie eine Schutzmauer um- 
geben und das Bewußtsein vor dem Emportauchen der unangenehmen 
Vorstellung schützen ^^). 

Schließlich verhilft uns der Assoziationsversuch dazu, schwierig 
zu beurteilende Krankheitsformen klarzustellen, z. B. gewisse Fälle 
von manisch-depressivem Irresein und dementia praecox von einander 
zu scheiden. „Finden wir regelmäßig trotz langer Reaktionszeit ein 
Bemühen, dem Sinn des Reizwortes gerecht zu werden, so werden 
wir auch bei mäßigem Vorstellungswechsel und nicht sehr tiefem 
Affekt nicht zweifeln, die Diagnose „Depression des manisch-depres- 
siven Irreseins" zu stellen; die dementia praecox pflegt sich fast stets 
durch die Reaktionszeit — die gewöhnlich nicht so gleichmäßig ver- 
längert ist wie bei der Hemmung, sondern, wenn sie nicht leidlich 
normal ist, mehr regellos sprunghaft erscheint — und durch das gleich- 
gültige und verkehrte Verhalten gegenüber der Aufgabe von der De- 
pression zu unterscheiden" '^^). „Wir diagnostizieren jetzt schon in vielen 
Fällen aus den Assoziationen dementia praecox, Epilepsie, verschie- 
dene Typen der Imbecillität, gewisse Formen der Hysterie, von der 
manischen Verstimmung mit ihrer längst bekannten Ideenflucht und 
ähnlichem nicht zu sprechen. Wir haben auch begründete Hoffnung, 
mit Hilfe der Assoziation bis jetzt nicht faßbare Gruppen, wie einige 
paranoide Formen, dann namentlich die unter dem Namen Hysterie, 
Neurasthenie, Psychasthenie unklar zusammengefaßten oder abge- 
grenzten „Krankheiten" in natürlicher Weise zusammenzufassen und 
einzuteilen" 7). Nach Wehrlin «s) zeigen Schwachsinnige häufig 
Definitionstendenz, d. h. das Bestreben, „den Reizwortsinn zu er- 



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— 94 — 

klären oder doch wenigstens etwas für denselben Charakteristisches 
auszusagen. Die Reaktion erfolgt nicht mehr unmittelbar, nicht mehr 
aus dem Unbewußtsein automatisch hervortretend, sondern sie ist hier 
gesucht, sie ist Konstruktion nach einem bestimmten Schema/ Bei 
der Assoziationsprüfung eines Epileptikers fand Jung ^3) Schwer- 
fälligkeit, Umständlichkeit der Reaktion, Tendenz zur Vervollständi- 
gung, egozentrische und gefühlvolle Betonung, endlich abnorm lange 
Reaktionszeiten, „nicht bei besonders schwierigen Worten, sondern an 
Stellen, die durch einen perseverierenden Gefühlston bestimmt sind. 
Daraus ist zu schließen, daß bei Versuchsperson der Gefühlston wahr- 
scheinlich später einsetzt und länger anhält als beim Normalen.^ Jung 
betont schließlich noch, daß er aus dem Falle, besonders da er durch einen 
Schädelbruch kompliziert ist, keine allgemeinen Folgerangenziehen wolle. 
Nach dem Vorhergehenden ist demnach das Assoziationsexperi- 
ment geeignet, die Kenntnis der Intelligenz-, Gefühls- und Willenstätig- 
keit, sowie ihrer krankhaften Störungen zu fördern, die Diagnose ein- 
zelner Krankheitsbilder klarzustellen und über die unbewußten 
Mechanismen unserer Seele Licht zu verbreiten. Doch muß betont 
wedem, daß der Assoziationsversuch infolge seines Mangels an wissen- 
schaftlicher Genauigkeit stets der Vervollständigung durch andere 
üntersuchungsmethoden bedarf. 

VIIL Untersuchung der Merkfahigkeit bei Geisteskranken nach 

Bernstein ^j. 
Bernstein stellt sich ein hölzernes, quadratisches Brett her, dessen 
Seiten 28 cm lang sind und auf welches 9 gleichgroße, mit geome- 
trischen Figuren bemalte Kartonblätter befestigt werden. Diese Tafel, 
wird dem Kranken 30 Sekunden vorgehalten. Nach 1, 6, 24 Stun- 
den, 1 Woche wird ihm eine größere quadratische Tafel von 40 cm 
Seitenlänge gezeigt, welche eine größere Anzahl Bilder, darunter die 
bereits gezeigten, aufweist. Der Patient wird nun gefragt, welche 
Zeichen schon auf der ersten Tafel zu sehen waren, und das Resultat 
wird mit folgender Bezeichnung gebucht: -^ -f. f (r = richtige, f «« 
falsche Angaben, n = Gesamtzahl der zuerst gezeigten Figuren). 
Die Methode stellt eine reine Merkfähigkeitsprüfung dar, da weder 
die Geschwindigkeit der Auffassung, noch die Reproduktionsfähig- 
keit geprüft wird, sondern die Bilder nur wiedererkannt zu werden 
brauchen. — Weiter wird noch hingewiesen auf die Arbeit Dr. Paul 
Rauschburgs „Über Art und Wert klinischer Gedächtnismessungen bei 
nervösen und psychischen Erkrankungen". Sommers Klinik f. psych, 
und nervöse Krankheiten. 2. Band. 



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— 95 — 

IX. Die Ebbinghaussche Ergänzungsmethode ^^). 

Die wenig Zeit erfordernde, sehr praktische Ebbinghaussche 
Methode besteht darin, daß dem Prüfling kleine Erzählungen, in 
welchen einzelne, durch Striche bezeichnete Buchstaben, Silben oder 
Worte ausgelassen sind, mit der Aufforderung vorgelegt werden, die 
vorhandenen Lücken schriftlich möglichst schnell und sinngemäß aus- 
auszufüllen. Nach Henneberg (Allgemeine Zeitschrift für Psychologie 
Band 4 pagina 402) sind die Ebfoinghausschen Beispiele allerdings 
wenig geeignet, weil sie zu hohe Anforderungen an das Können der 
Betreffenden stellen. Femer hält er es für nötig, den ersten Satz 
möglichst lückenlos zu lassen, um die Prüfung nicht zu schwierig zu 
gestalten. Damit die Prüfung sich in den Vorstellungskreisen der Un- 
gebildeten bewegt, schlägt Henneberg vor, als Text Briefe von unge- 
bildeten Patienten zu benutzen und diese derart zu bearbeiten, daß 
anfangs die Ergänzungen leicht zu finden, später aber schwerer zu 
erraten sind. Es darf bei dem Versuche nicht außer acht gelassen 
werden, daß bei solchen Personen, welche infolge von ungenügender 
Schulbildung und mangelnder Gelegenheit zur Übung im Schreiben 
und Lesen ungeschickt sind, das Examen leicht zu ungünstig aus- 
fällt und ein unrichtiges Bild geben kann. „Was aber noch wesent- 
licher ist, viele Patienten entledigen sich der Aufgabe ohne Interesse, 
die Aufgabe erinnert etwas an eine lästige Schulaufgabe". 

X. Die Masselonsche Methode. 

Die Kombinationsfähigkeit der Kranken wird bei dieser sehr 
wenig Zeit in Anspruch nehmenden Methode dadurch geprüft, daß 
die Betreffenden aufgefordert werden, aus 3 ihnen genannten Worten 
einen Satz zu bilden, z. B. Vogel, Baum Nest 

XL Möllers Fabelmethode. 

Die Fabelmethode wird in der Weise angewendet, daß dem 
Kranken an verschiedenen Tagen je eine kurze, ihm unbekannte 
Fabel ohne Angabe der Überschrift vorgetragen wird, welche eine 
nicht offen ausgesprochene Pointe enthält Kann der Patient die 
Fabel nicht sofort wiedererzählen, so wird ihr Inhalt abgefragt. 
Findet der Betreffende die Pointe heraus und kann er eine passende 
Überschrift geben, so hat er eine Kombinationstätigkeit geleistet, 
ebenso, wenn er ein Sprichwort von ähnlichem Sinne angeben kann. 
Ist er zu letzterem nicht imstande, so kann mangelnde Kenntnis von 
passenden Sprichwörtern daran schuld sein. Die Wiedererzählung 
stellt zugleich eine Prüfung der Auffassungstätigkeit und Merkfähig- 



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— 96 — 

keit dar. Die Fabeln werden der Schwierigkeit der zu findenden 
Pointe entsprechend in eine Reihenfolge gebracht, welche von der Zahl 
der nötigen Einzelurteile und der Zahl und Art der angewendeten 
konkreten und abstrakten Begriffe abhängig ist. Die Verwendbarkeit 
der Fabeln als Prüfungsobjekt wird nach Verfasser besonders bedingt 
durch ,,die Einfachheit des allgemein bekannten Vorstellungsmaterials, 
die zur Kombination drängende Eigenart der scharf ausgeprägten Tier- 
charaktere und die leicht auffindbaren Beziehungen zu ähnlichen Ver- 
hältnissen im Menschenleben". Aus den Fabeln des Aesop, Bobrius 
und Phaedrus hat er eine derartige Reihe zusammengestellt Fragen 
und Antworten werden wörtlich niedergeschrieben. 

Die Methode ist oft recht brauchbar, begegnet aber bei Ungebil- 
deten mitunter Schwierigkeiten insofern, als diese der von ihrer Denk- 
weise ganz abweichenden Aufgabe gegenüber oft völlig versagen, ob- 
wohl sie sonst nicht unintelligent sind, andererseits scheitert sie bei 
Gebildeten oft daran, daß dieselben die meisten Fabeln bereits kennen. 
Henneberg schlägt daher vor, an Stelle der Fabeln gut ausgewählte 
Zeitungsanekdoten zu verwenden. 

XII. Die Einekhsche Sprichwörtermethode ^o). 

Finckh arbeitete seine Sprichwörtermethode aus, weil nach seiner 
Ansicht unschwer zu konstatieren war, daß die bisher üblichen 
Methoden ihrem Zweck in sehr unvollkommener Weise dienten, indem 
die Feststellung von Schulkenntnissen, die Orientierung über die all- 
täglichen Verhältnisse und die Fähigkeit des Rechnens doch zu sehr 
an die Fertigkeiten errinnerten, die durch langjährige Übung in der 
Schule erworben unb vorzugsweise reines Gedächtnismaterial geworden 
waren. Ähnliche Bedenken ergaben sich bei der Prüfung, die sich 
auf Beruf und Berufsbildung erstreckte. Dazu kam noch das vielfach 
Mechanische und Gewohnheitsmäßige der einfacheren Berufsarten 
niederstehender Leute, das zu einer Prüfung der Auffassung des Urteils 
kaum ausreichend schien, indem das positive Ergebnis doch keine 
zu weit gehenden Schlüsse erlaubte. Andererseits aber mußte die 
Fachkenntnis und das Urteil des Explorierenden doch in den aller- 
meisten Fällen für eine eingehende Prüfung der Berufsbildung kaum 
ausreichen. Politische und religiöse Stellung als Maßstab der Intelli- 
genz heranzuziehen, verbot sich aber wegen der hier gerade so 
mächtigen Momente des Gefühlslebens und des Autoritätsglaubens, 
wozu wiederum die gedächtnismäßige Beherrschung des Stoffes als 
hindernder Umstand hinzutrat. Endlich aber war namentlich bei 
allen diesen Prüfungen zu vermeiden, daß der Explorant sich selbst 



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— 97 ~ 

als Maßstab für die Abschätzung der Intelligenzhöhe des Prüflings 
ansah." Die Sprichwörter wählte Finckh als Prüfungsmaterial, weil 
„sie einen Niederschlag der Beobachtungen und Erfahrungen des 
Volkes darstellen und wegen ihrer Vielgebräuchlichkeit auch bei sehr 
geringem Kenntnisstand anwendbar schienen Die Notwendigkeit» 
auf Grund der persönlichen Erfahrung und des eigenen Urteils zu 
operieren schloß dUbei die Gefahr gedächtnismäßiger Repreduktionen 
aus. Es sollte also das alltägliche Erleben die Grundlage für die 
Prüfung bilden; demgemäß mußten möglichst bekannte und den Leuten 
geläufige Sprichwörter als Aufgabe vorgelegt werden, von denen ich 
eine größere Anzahl durch Umfrage bei Leuten desselben Bildungs- 
standes sammelte und die ich ihrer Schwere nach ordnete. Eine 
weitere Prüfungsmethode bot sich in der Gegenüberstellung zweier 
ähnlicher, oder ganz, teilweise oder scheinbar einander ausschließender 
bezw. widersprechender Sprichwörter, zu deren Inhalt der Prüfling 
kritisch Stellung zu nehmen hatte. Das endgültige Resultat ergab 
sich indes erst aus einer Reihe von Prüfungen, da eine einmalige 
Prüfung den Umfang der Intelligenz kaum abschätzen ließ. 

Für die Bewertung der ganzen Methode wies ich aber darauf 
hin, daß sie lediglich eine Ergänzung sein kann und der Hauptnach- 
druck, wie bei jeder Prüfung der Intelligenz, immer auf die praktische 
Betätigung des Verstandes und Gemüts, auf die bisherigen Leistungen 
und den Lebensgang des Prüflings zu legen ist. . . . 

Die Prüfung beginnt mit der Aufforderung, auseinanderzusetzen, 
was unter dem Sprichwort, dessen Wahl dem Prüfling überlassen 
werden kann, verstanden wird. Daran knüpft sich die Begründung, 
die Stellungnahme zu der Frage seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit, 
eventuell die Anführung eines sinnverwandten Sprichworts und endlich 
eines Beispiels aus dem Schatz der eigenen Erfahrung. Damit ist 
die Grundlage erreicht, auf der die eigentliche Exploration sich ent- 
wickeln kann. Der Kranke steht nunmehr auf dem Boden, auf dem 
sein alltägliches Denken sich bewegt, und er hat sozusagen ein 
plastisches Anschauungsmittel gewonnen, an der Hand dessen er seine 
Schlüsse ziehen und auf ihre Richtigkeit prüfen kann. Die Frage- 
stellung nun hat der doppelten Aufgabe gerecht zu werden, sich einmal 
an die Vorstellungskreise der zu Prüfenden anzulehnen, wobei Geschlecht, 
Alter, Stand und Bildungsniveau besondere Berücksichtigung ver- 
langen, um möglichst einfach und verständlich zu sein. Sodann aber 
muß sie einem festen, für jedes Sprichwort auszuarbeitenden Programm 
folgen, das die Erklärung, Begründung, Beurteilung, Nutzanwendung 
des Sprichwortes und die Grenzen seiner Richtigkeit in einzelnen, 

Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie eto. *? 



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— 98 — 

logisch auf einander folgenden Urteilen, als Etappen des Prüfungs- 
weges, enthalten soll. Dieses Schema soll ein sprunghaftes Vor- 
schreiten vermeiden, das Übergehen wichtiger Mittelglieder verhindern 
und dem Prüfenden selbst als Anhaltspunkt dafür dienen, welche 
Erkenntnisse und Urteile der endlichen Losung des Rätsels, der Auf- 
findung der Pointe vorangehen müssen. Es ist bei der Prüfung meist 
nicht zu vermeiden, daß die Fragen dem Prüfling 'eine gewisse Hilfe 
gewähren, indem sie der Neigung zum Abschweifen vorbeugen und 
den Fortschritt im Gang der Übertragungen und Urteile nach dem 
Schlußresultat hin ermöglichen müssen. Die Notwendigkeit dieser 
Hilfe ergibt sich aus der mangelnden Übung der Leute aus dem 
Volke, eine Gedankenreihe konsequent durch alle Teile hindurch bis 
zu ihrem Abschluß zu verfolgen und namentlich ihre Überlegungen 
in die Form der fortlaufenden Rede zu bringen, die einem Gedanken 
exakten und erschöpfenden Ausdruck verleiht.*' Um Fehler zu ver- 
meiden, goll der Prüfling in gleichmäßiger Stimmung, bei körperlichem 
Wohlbefinden sein und sich nicht gegen die Prüfung sträuben. Damit 
die oft bilderreiche Sprache nicht störend wirkt, sollen bekannte Bei- 
spiele gewährt werden. Die Prüfung soll ferner nicht zu lang dauern, 
die Fragen sollen aber auch nicht zu kurz und abstrakt sein, müssen 
sich dem Sinne nach aneinander anschließen, die Antworten mit 
verwerten und nicht suggerierend wirken. 

Stellt die zu Beginn der Prüfung abgegebene spontane Erklärung 
und Begründung des Sprichwortes dessen Sinn in den wichtigsten 
Punkten klar, so sind wesentliche Störungen der Auffassungs- und 
Urteilskraft nicht vorhanden. 

„Das endgültige Fazit aus allen diesen Prüfungen wird gezogen, 
indem man die Ergebnisse aus Kontrollversuchen an geistig Normalen 
desselben Milieus und Bildungsstandes als Parallele heranzieht. Da 
der Gang der Prüfung und das Maß der zu leistenden Arbeit für 
jeden bei demselben Sprichwort gleich ist, ermöglicht sich ein der- 
artiger Vergleich und die Heranziehung Gesunder als Maßstab der 
Urteilskraft sehr wohl, ebenso wie eine Prüfung in verschiedenen 
Phasen der Krankheit bei ein und derselben Person sich durch- 
führen läßt" 

Beispiel: 

„Patient B. Hunger ist der beste Koch. Spontane Erklärung: 
Wenn man Hunger hat, ißt man alles, was mau im Augenblick essen 
kann. Da schmeckt alles gut. — Warum schmeckt alles gut? Weil 
der Hunger sozusagen darnach strebt. — Nach was? Nach dei> 
Speisen. — Warum? Weil man sie braucht — Wozu? Um den 



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— 99 — 

Hunger zu stillen. — Wie ist einem im Hunger? Schwach, nicht 
sehr gut, lahm, müde, Kopfweh. — Und nach dem Essen? Gut, be- 
friedigt, satt. — Also vollständige Erklärung des Sprichwortes? Wenn 
man Hunger hat, so hat man kein besonderes Bedürfnis nach Lieb- 
habereien, man ißt gern alles, um den Hunger zu stillen. — Was 
bedeutet nun „der beste Koch"? Daß im Hunger die Speisen den 
Menschen am schnellsten dienen können. — Nein, etwas anderes 
Daß man im Hunger den besten Koch braucht, um ihn zu stillen. — 
Warum braucht man dazu den besten Koch? Um die vielen und 
guten Speisen zu bereiten. — Braucht man diese im Hunger? Nicht 
gerade, vieles genügt. — Warum braucht man denn den besten Koch 
beim Hunger? Um alles schnell und schmackhaft zu bereiten. — 
Ist der Hunger ein Koch? Ja. — Wieso? Weil man alles essen 
kann und alles am besten schmeckt im Hunger. — Was tut ein Koch? 
Er kocht. — Tut das der Hunger auch? Er ißt das Gekochte. — 
Ist denn der Hunger auch ein Koch? Ja. — Inwiefern? Weil ihm 
alles gut genug ist. — Ist dem besten Koch auch alles gut genug? 
Nein. — Was denn? Er mag nur das Allerbeste. — Woran erkennt 
man denn den besten Koch? An den besten Speisen. — Wieso? 
Weil er nur das Beste zubereitet. — Wie beurteilt man das? Es 
schmeckt am besten, man ißt es am liebsten und recht viel. — Was 
ist denn der eigentlliche Sinn des Sprichwortes: „Hunger ist der beste 
Koch"? Daß, wenn man Hunger hat, am schnellsten gekocht ist. — 
Wieso? Weil man Hunger hat, begnügt man sich mit allem. — 
Noch nicht erklärt, was das Wort „der beste Koch" zu bedeuten hat! 
Weil man das Beste mag, wenn man Hunger hat. — 

Patient B. definiert . . . einen Teil des Sprichworts zwar aus- 
reichend, gerät zum Schluß aber immer weiter vom Ziel ab und 
kommt zuletzt zu falschen und dem Sinn des Sprichworts direkt zu- 
widerlaufenden Urteilen. Dabei beweisen die teilweise ganz sinn- 
widrigen Antworten ein mangelndes Verständnis der sehr einfachen 
Fragen und des Ganges der Prüfung. ... Es handelt sich um einen 
mittelmäßig begabten, 17jährigen Hebephrenen (ßealschulbildung), 
bei dem schon eine deutiiche geistige Schwäche ausgebildet ist/' 

Die Versuche an Kranken zeigen häufig die Unfähigkeit der- 
selben, den Sinn des Sprichworts zu erfassen, sinnliche Einzeler- 
fahrungen zu verallgemeinern, selbständig richtige Urteile zu fällen, 
die Absicht der Frage zu merken und das Gefundene weiter zu be- 
nutzen. Mitunter beobachtet man auch Abschweifen auf Nebendinge, 
Haften an einzelnen persönlichen Erlebnissen und Mangel an Interesse. 
„Wie schon in der ersten Mitteilung über die Sprichwörtermethode 

7» 



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— 100 — 

betont wurde, soll diese lediglich als Ergänzung dienen. Der Haupt- 
nacbdruck ist immer auf die Heranziehung der sämtlichen Leistungen 
im alltäglichen Leben, auf die ganze Vorgeschichte der Person, die 
Gestaltung ihres Lebensganges, die Äußerungen des Gemtitslebens 
u. s. w. zu legen. In dieser ihr zugeteilten Stellung kann aber die 
Methode dazu dienen, einen Einblick in Art und Weise des Vorstellungs- 
lebens zu tun, dessen Erschließung bei Leuten einfachen Bildungs- 
grades nicht selten erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Was aber die 
Methode nicht leisten kann und will, das ist eine gesonderte und 
exakte Untersuchung der Qualität der einzelnen psyschischen Funktionen 
und ihres Verhältnisses zu einander." Nach Ziehen verlangt die 
Finckhsche Methode vom Prüfling besonders Ergänzung des Textes 
und Verständnis für Vergleiche. 

XIII. Ganters Witzmethode 2^). 

Die Intelligenz ist nach Ganter „ein zusammengesetztes Gebilde", 
dem man von verschiedenen Seiten aus beizukommen bestrebt sein 
muß. „Entscheidend bei der Wahl der Methode ist einmal diese 
selbst, dann die Art der Kranken, die man untersuchen will, endlich 
das Ziel, das man im Auge hat." Fragen und Antworten müssen 
kurz und leicht verständlich sein. „Je weniger gefragt zu werden 
braucht, desto weniger wird suggeriert." Diesen Forderungen kommt 
nach Ganter die Witzmethode am nächsten. „Durch den Witz 
werden Vorstellungen wachgerufen, die entweder nur eine entfernte 
Ähnlichkeit miteinander haben oder solche, die in einem scheinbaren 
Gegensatze zueinander stehen. Die versteckte Ähnlichkeit, den ent- 
fernten Gegensatz aus der Summe der angeregten Assoziationen 
herauszufinden, ist Sache des kritischen Verstandes. Es handelt sich 
hier also um eine kompliziertere geistige Tätigkeit, um die Auf- 
fassungsgabe. Da diese Fähigkeit im geistigen Leben des Menschen 
eine ausschlaggebende Rolle spielt und zur Beurteilung seiner psy- 
chischen Kräfte überhaupt verwendet wird, so dürfen wir ruhig be- 
haupten, daß es sich bei unseren Untersuchungen um die Prüfung 
der Intelligenz handelt, obgleich nicht alle Komponenten geprüft 
worden sind." 

Der Prüfling wird aufgefordert, den Witz durchzulesen und zu 
erklären, was daran witzig und auffallend sei. Fragen werden mög- 
lichst nicht gestellt. Alle Antworten werden wörtlich fixiert. 

Es wurden folgende Witze vorgelegt: I. Im Eifer. Richter: „Es 
wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie bei der Rauferei dem Kläger 
das linke Ohr zur Hälfte abgebissen haben." Angeklagter: ,,Das 



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— 101 ~ 

dürfen S' ja nicht glanben, Herr Richter! Der Hias ist ein schlechter 
Mensch — das hat er sich g'wiß selber ab'bissen!" 

IL Ein Muster. (Bild: ein Student liegt, eine lange Pfeife 
rauchend, zu Bette. Unter das Kopfkissen hat er, zur bequemeren 
Lagerung, eine Anzahl Bücher gesteckt). Onkel: „Studiert denn mein 
Neffe fleißig?" Wirtin: „0, das will ich glauben. Sogar ins Bett 
nimmt er die Bücher mit!'' 

IIL Die schmutzige Stiege. (Bild: Ein Herr geht die Treppe 
hinauf. Eine Frau unten ruft ihm nach. Im Hintergrund einige 
Kinder). Hausmeisterin: „Schuh' abputzen!" Fremder: „Warten Sie 
nur, bis ich wieder herunter komme!" 

IV. Süffels Klage. (Bild: Ein Student sitzt am Tisch und trinkt 
Bier). „Jetzt soll gar eine Bierverteuerung kommen! Schrecklich! 
Das Bier wird noch so teuer werden, daß schließlich kein Mensch 
mehr studieren kann!" 

V. Im Zorn. Schneider: „Jetzt ist der Kerl über alle Berge, 
ohne mir den Anzug bezahlt zu haben. Wenn ich das gewußt hätte, 
hätte ich 20 Mark mehr gerechnet!" Reaktionen: Die Pointe wurde 
nicht ganz getroffen, falsch lokalisiert, ganz verfehlt; Assoziation mit 
persönlicher Erfahrung oder auffälligen Merkmalen im Bilde; Ab- 
schweifen in die Breite; ungenaue Auffassung. Schwachsinnige 
reagierten mit bloßen Umschreibungen, Assoziation ohne Sinn und 
Zusammenhang, zeigten leichte Bestimmbarkeit, Unachtsamkeit, 
Echolalie, Kleben am Worte und Fabulieren. Paranoiker bezogen die 
Worte und Bilder auf sich, deuteten sie um und knüpften an die Be- 
trachtung allerlei Wahnideen. Es zeigte sich so, daß diese „Kranken 
nicht mehr imstande sind, selbst fernab liegende Dinge objektiv zu 
würdigen, sondern alles in die Enge ihres pathologischen Gesichts- 
kreises hineinzwängen. Ihre geistige Störung ist darum auch viel 
größer als es die gewöhnliche Untersuchung erweisen könnte." Be- 
züglich der Befragung der leicht erregbaren Epileptiker ist es wesent- 
lich, Affekte auszuschalten, weil durch diese die Wirksamkeit der 
Intelligenz stark beeinträchtigt wird. Von den Gesunden lösten mit 
einigen Ausnahmen die im praktischen Leben brauchbarsten auph 
die meisten Witze. Die Methode hat den Vorzug, keine großen An- 
sprüche an Bildung und Kenntnisse zu stellen, sowie einfach und 
nicht zeitraubend zu sein, 

XIV. Die Bilder-Benennungsmethode nach Heilbronner*^*^). 

Diese Methode verwendet an Stelle der sonst meist üblichen 
akustischen Reize optische, indem Reihen von einfachsten Zeich- 



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— 102 — 

nungen hergestellt werden, welche den Werdegang eines Bildes von 
wenigen Strichen bis zur deutlichen Darstellung des betreffenden 
Gegenstandes, z. B. einer Kanone, Windmühle, Lampe, eines Baumes, 
Schiffes veranschaulichen. Charakteristisch für die Bildchen einer 
Keihe ist der Umstand, daß sie anfangs vieldeutig sind und erst nach 
Zufügung bestimmter Einzelheiten eindeutig werden. Diese Bilder 
werden dem Kranken der Reihe nach vorgelegt mit der Frage: 
„Was ist das?" und der Frage nach dem Unterschied zweier Bilder. 
Die Antworten werden wörtlich notiert. Versagt der Kranke, so kann 
die Ursache daran liegen, daß nicht genügend viel Einzeleindrücke 
aufgenommen wurden, um die Entstehung eines GesamtbegriflFs oder 
die Erkennung von Differenzen zu ermöglichen. Oder es wurden 
zwar alle einzelnen Eindrücke aufgenommen, konnten aber nicht zu 
einem Gesamtbild kombiniert werden. Abgesehen von der Möglich- 
keit, die Auffassungsfähigkeit (bei akuter Verwirrtheit oft wenig ge- 
stört), Kombinationsfähigkeit und Ermüdbarkeit (mitunter durch 
Übung überkompensiert) zu prüfen, sowie Unterschiede zwischen den 
einzelnen Geisteskrankheiten herauszufinden, gibt die Methode einen 
kurzen Überblick über die Symptome der betreffenden Psychose, 
z. B. über: 

1. Haftenbleiben (senile Demenz z. B.). 

2. Ideenflucht Manische stellen oft mehrere Lösungen zur Wahl. 
Die Bildchenmethode hat gegenüber der Assoziationsmethode den 
Vorteil, nicht zu Klangassoziationon anzuregen sowie infolge An- 
wendung optischer Reize einfachster Art eine bestimmte Reaktion als 
richtig vorauszusehen, während aus der Einzelreaktion im Assoziations- 
versuch ein Schluß nicht gezogen werden kann. 

3. Umständlichkeit (Epilepsie). 

4. Ablenkbarkeit. 

5. Merkfähigkeit. Dieselbe kommt schon bei der Aufforderung, 
Unterschiede zwischen zwei Bildern festzustellen, in Frage. Ferner 
wird sie geprüft, indem nach einiger Zeit dem Patienten die Bilder- 
reihe von neuem vorgelegt, und er gefragt wird, ob er sich ihrer er- 
innere, indem ferner beobachtet wird, inwieweit die Erinnerung an 
die frühere Betrachtung das neue Resultat verbessert (dazu kompli- 
ziertere Bilder geeignet, wie Spielkarten, Postmarken, Tiere, Land- 
karten). 

6. Die Reaktionszeit. Wird mit Fünftelsekundenuhr gemessen. 
Bei sehr alten Fällen von Jugendirresinn möchte Heilbronner glauben, 
„daß die Benennungsmethode — allerdings mit Aufwand von viel 
Geduld — besser als andere geeignet ist, die sonst nur zufällig fest- 



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— 103 — 

zustellenden Reste von Leistungsfähigkeit einer einigermaßen syste- 
matischen Untersuchung zugänglich zu machen." Die Methode hat 
ferner den Vorzug, daß sie einfach ist, keine Vorbereitung erfordert, 
direkt im Krankenzimmer vorgenommen werden kann und infolge 
gleicher Reize vergleichbare Resultate gibt. Als Hilfsmittel zur Her- 
stellung der Zeichnungen wird empfohlen : „Wie lerne ich Zeichnen", 
Leipzig, Verlag von K. F. Köhler. Ferner wurden von Heilbronner 
zum Benennenlassen von Bildern das Meggendorfersche Bilderbuch: 
„Für die ganz Kleinen", Verlag von W. Nitschke, Stuttgart, und die 
im Verlag von Schreiber erschienenen Bilder für den ersten An- 
schauungsunterricht benutzt. 

XV. Hennebergs Bilderprüfung 2^). 

Henneberg prüft die Intelligenz, indem er die Kranken ver- 
anlaßt, „komplizierte bildliche Darstellungen, die sich auf eine 
Situation oder eine Phase einer Handlung beziehen", zu deuten. 
„Von den zahlreichen wahrgenommenen Einzelheiten müssen die 
wesentlichen von den nebensächlichen unterschieden werden. Die 
wesentlichen Emzelheiten müssen unter einem oder wenigen Gesichts- 
punkten zusammengefaßt werden." Er verwendet zu diesem Zwecke 
„Die Überfahrt am Schreckenstein" von L. Richter (es muß ange- 
geben werden, wie sich die Personen im Boote betätigen), „Ein 
Mädchen trauert über den Tod ihres Vogels" von Grenze („aus Ge- 
sichtsausdruck und Haltung muß die Traurigkeit und ferner in dem 
toten Vogel die Ursache derselben erkannt werden"), „Schäfer vom 
Blitz getroffen" von Jakob Becker („hier muß die Todesursache aus 
der Gewitterstimmung und dem brennenden Räume erschlossen 
werden"), „Ermordung Cäsars" von Piloty („hier müssen die Rollen 
des Casca und des Cimber erfaßt werden, eine bereits schwierige 
Aufgabe"). 

Ferner hat Henneberg aus Münchener Bilderbogen Serien von 
zusammenhängenden Bildern zusammengestellt^ z. B. als leichte Auf- 
gabe „Die Geschichte vom hinterlistigen Heinrich" von W. Busch, 
als schwierigere „Die bösen Buben" von Korinth. 

Während intelligente Ungebildete die Bilder meist richtig erklären, 
beobachten Imbecille oft nur wenige Einzelheiten und gehen auf den 
Zusammenhang nicht ein. Debile bemerken meist viele, oft unwich- 
tige Einzelheiten, sind aber außerstande, den Zusammenhang völlig 
zu verstehen. Paralytiker zeigen oft wenig Interesse. Hebephreniker 
bleiben oft an nebensächlichen Dingen hängen, knüpfen an die Beob- 
achtung mitunter neben ganz richtigen völlig unsinnige Antworten. 



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— 104 — 

Ferner gibt die brauchbare Prüfung auch einen Einblick in die Denk- 
störungen akuter Psychosen. 

Im Anschlüsse an die Bildprüfung erwähnt Henneberg noch eine 
andere, wohl weniger eindeutige Methode der Intelligenzprüfung 
welche darin besteht, Fremdwörter, deren Kenntnis bei Ungebildeten 
nicht als Schulwissen gelten kann, sondern erst im späteren Leben 
gewonnen wird, umschreiben zu lassen. Die benutzte Wortreihe ist 
folgende: Gratulieren, sich amüsieren, sich genieren, exerzieren, bla- 
mieren, Instrument, Institut, Annonce, Profit, kolossal, illustriert, schi- 
kanieren, renovieren, sortieren, Qualität^ Kapital, Konzession, normal, 
modern, eventuell, humoristisch. 

In der auf den Vortrag folgenden Diskussion beschrieb Reich 
2 Methoden der Auffassungsprüfung. Er legt einmal dem Kranken 
ein Teilbilderbuch vor, in welchem nur Teile von Gegenständen ab- 
gebildet sind, aus denen der Patient auf das Ganze schließen muß« 
Andererseits prüft er die Fähigkeit, sich in schwierigen Lagen zu- 
rechtzufinden durch die Methode der Szenenbilder. Er braucht dazu 
ein von der freien Lehrervereinigung für Kunstpflege herausgegebenes 
Bilderbuch: Spiel mit! Verlag von Job. Raede, Berlin W. 15. „Es 
zeigt sich, daß zahlreiche Kranke, welche Einzelbilder ohne Schwierig- 
keit erkennen, vor den Szenenbildern in ganz überraschender Weise 
versagen und nicht nur die Bedeutung der Szenen nicht erkennen, 
sondern sogar Gegenstände, die sie im Einzelbilde richtig auffassen? 
im Szenenbilde nicht zu erkennen vermögen. Auch hier wird Frage 
und Antwort protokollarisch aufgenommen". Die Methode hat den 
Vorzug, daß sie ganz einfache Bilder verwendet, welche nur geringe 
Anforderungen an die Bildung des Prüflings stellen. Um die Ord- 
nung des Vorstellungsablaufs zu prüfen, wendet Reich die von Ziehen 
vorgeschlagene Methode der rückläufigen Assoziation an oder er läßt 
die Kranken eine einfache, aus mehreren einfachen Akten zusammen- 
gesetzte, eingeübte Tätigkeit ausführen, z. B. das Putzen und Anzünden 
einer Lampe. Kranke, bei welchen der Ablauf der Ideenassoziation 
in Unordnung geraten ist, sind außerstande, die einzelnen Teilhand- 
lungen in der richtigen Reihenfolge vorzunehmen. Oder er legt dem 
Kranken 9X6 gleiche Gegenstände untereinander gemischt vor und 
fordert ihn auf, immer je 6 gleiche Gegenstände zusammen zu legen. 
Da bei dieser Prüfung an Merkfähigkeit und Auffassung sehr geringe 
Anforderungen gestellt werden, da ferner nur die Wahrnehmung der 
Form der Gegenstände, dagegen nicht die begriffliche Erkennung der- 
selben nötig ist, gibt der Versuch ein ziemlich reines Bild der Ord- 
nung des Gedankenablaufs und ist daher zu empfehlen. 



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— 105 — 

Den Schluß des Kapitels mögen einige Gedanken aus einem eben 
erschienenen, sehr lesenswerten Buche von Beize 2) bilden: 

^Eine gleichmäßige Ausbildung aller Teile des geistigen Inven- 
tars ist durchaus nicht gewöhnlich". . . Der fertig übernommene Teil 
des Inventars, z. B. das Schulwissen, darf bei weitem nicht so hoch 
eingeschätzt werden, wie der durch eigene Aktivität des Individuums 
erworbene Bestandteil, der die Lebensklugheit ausmacht. Letzterer 
gewährt ^uns einen Einblick in den individuellen geistigen Mechanis- 
mus", läßt uns erkennen, „wie es um das Schluß vermögen, um die 
Kombinationsfähigkeit, um die Fähigkeit zur Aufbringung des eine 
so wichtige Grundlage der Intelligenz bildenden Affekts, um das 
Phantasieleben steht". Im einzelnen ist zu prüfen einmal der sprach- 
liche Ausdruck (zu unterscheiden die mangelhafte Geübtheit in letz- 
terem von der Unfähigkeit zur Bildung klarer Begriffe), die Lebens- 
anschauungen, Gesinnungen und Grundsätze, die Phantasietätigkeit, 
„welche eine große Bedeutung für das praktische Leben" hat, nament- 
lich in Fällen, in denen die Zurechnungsfähigkeit oder die Geschäfts- 
fähigkeit in Frage kommt". „Ein Mittel, die Phantasie direkt zu 
messen, haben wir allerdings nicht", wir können uns nur eine unge- 
naue Vorstellung machen. Wichtig ist ferner die Schärfe und Klar- 
heit der Begriffsbildung, die Fähigkeit, Gedankenkomplexe schnell zu 
verlegen und neu zusammenzufügen (Analyse, Synthese). Ferner muß 
untersucht werden „die Fähigkeit der lebenden Nervensubstanz, sich 
beständig neue Dinge anzueignen" (Plastizität), das Geordnetsein des 
psychischen Inhalts, die Befähigung, das richtige Wertverhältnis der 
einzelnen Begriffe zueinander herzustellen (nötig zur Urteils- und 
Schlußbildung), „die Ausbildung der gefühlsmäßigen Bestandteile der 
Vorstellungen" (Erregungsfähigkeit der Gefühle, Sensationsfähigkeit) 
und die geistige Regsamkeit, welche zu letzterer in Beziehung steht. 
„Zur Sensationsfähigkeit müssen selbstverständlich auch entsprechende 
motorische Kräfte hinzutreten, soll es tatsächlich zu entsprechenden 
intellektuellen Leistungen kommen (Energie des WoUens). Wichtig 
ist femer der Charakter, welcher „das Bleibende im Wechsel ist, 
solange nicht eine psychische Krankheit störend auf ihn einwirkt". 

Ein bestimmtes Mindestmaß des geistigen Besitztums gibt es nicht. 
Jedes Untersuchungsschema ist subjektiv. Bei der Untersuchung ist 
„auch auf Störungen des Empfindungs-, Gefühls- und Affektlebens 
zumindestens ebenso zu fahnden wie auf Störungen der Intelligenz". 

Zwischen dem Gedächtnis und den intellektuellen Fähigkeiten be- 
steht „kein durchgehender Parallel ismus, aber in der überwiegenden 
Mehrheit der Fälle entsprechen sich „die Höhengrade beider Fähig- 



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— 106 — 

keiten". Das gilt aber nur für die assoziative Gedächtnisleistung (das 
Individuum sucht den Inhalt zu verstehen, ehe es ihn sich aneignet), 
nicht aber für die impressive Gedächtnisarbeit (wörtlich auswendig 
gelernt). 

Wichtig ist, daß das geistige Inventar sich aus dem allgemeinen 
Wissen und dem Spezialwissen (z. B. Berufskenntnisse) des Individu- 
ums zusammensetzt. Letzteres ist sorgfältig zu erforschen. Grobe 
Mängel auf diesem Gebiete sind sehr schwerwiegend. Der ünter- 
sucher muß daher sich über das Durchschnittswissen der einzelnen 
Stände, Berufe, Geschlechter und Altersklassen informieren und sehr 
lebenserfahren sein. „Man müßte z. B. wissen, welche geistigen 
Leistungen von einem erwachsenen deutschen Weibe des Bauern, 
Standes zu verlangen sind, inwieweit ein solches von dem zugehörigen 
Manne, von einer gleichaltrigen Stadtdame usw. verschieden sei'' 
(Möbius). 

Jedes einzelne Gebiet muß für sich aufgenommen werden. Von 
unrichtigem Wissen ist das sehr verbreitete falsche (unrichtig gelernt 
und nicht korrigiert) zu unterscheiden, das auf Leichtgläubigkeit, ab- 
norme Beeinflußbarkeit, Intelligenzmangel hindeuten kann. Wird es 
„festgehalten, trotzdem die Möglichkeit der Korrektur durch neue Er- 
fahrungen geboten* war", so kann man auch Mangel an Plastizität 
vermuten. „Besonders gering muß aber die Sensationsfähigkeit der 
untersuchten Person angenommen werden, wenn sich in ihrem Inventar 
einander widersprechende, einander ausschließende Vorstellungen, An- 
schauungen, nebeneinander finden lassen". „Ein großer Gehalt des 
geistigen Inventars an unrichtigen Vorstellungen und Begriffen wird 
auf eine weitgehende Insuffizienz des Urteilsvermögens, auf Kritik- 
losigkeit weisen''. „Das Ausbleiben von naheliegenden Schlüssen trotz 
Verfügbarkeit der Prämissen, das Vorhandensein von Lücken in Ge- 
dankenreihen trotz Nachweisbarkeit des zur Ausfüllung derselben zu- 
reichenden Vorstellungsraaterials wird uns die geistige Regsamkeit des 
Individuums insuffizient erscheinen lassen". Die häufige Wiederholung 
desselben Gedankenganges spricht für geringen Umfang des geistigen 
Inhalts. ;;Die Fähigkeit, fremder Auffassung Verständnis entgegen- 
zubringen ... ist ein Zeichen von Stärke des Intellekts. Und auch 
das Gegenteil trifft zu". . . . 

„Die Feststellung des Besitzes von sittiichen Begriffen, insofern 
derselbe sozusagen das Inventar des Gewissens darstellt", ist sehr 
schwierig. Schwierig ist es besonders, „herauszufinden, bis zu welchem 
Grade die vorhandenen Begriffe wirksam zu werden vermögen. Man 
bemühe sich, dem zu Prüfenden Situationen von sittlicher Beziehung 



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— 107 — 

möglichst genau auszumalen, und beobachte, ob er diese Beziehung 
zu erkennen vermag und welche Gedankengänge bei ihm etwa durch 
diese Erkenntnis angeregt werden". 

Da die Fragestellung ein zu derbes Reaktionsmittel darstellt und 
nicht erkennen läßt, wielange das Individuum selbständig eine Ziel- 
vorstellung festzuhalten vermag, ist es ratsam, auch die spontanen 
Äußerungen, besonders schriftlich niedergelegte Autobiographien, noch 
besser ganz freiwillige Äußerungen, sowie die Handlungen der Person 
2u studieren. Es ist daher eine genaue Anamnese erforderlich, welche 
bereits in früher Kindheit einsetzen muß (Näcke). Nach Schäfer ist 
ein „längeres Studium der ganzen Persönlichkeit'' und eine möglichst 
eingehende Erforschung des Lebenlaufs, des „Verhaltens im re^en 
Betriebe des alitäglichen Lebens draußen mit seinen mannigfaltigen 
Verführungen und Zwischenfällen nötig". Endlich betont Berze, daß 
an Stelle der unwissenschaftlichen Bezeichnungen, wie Blödsinn, 
Schwachsinn usw. lieber von Störungen des Gedächtnisses, welche 
wieder genauer zu analysieren wären, von Störungen der Merkfähig- 
keit, der Sensationsfähigkeit, der assoziativen Tätigkeit, der Apper- 
zeptionsfunktionen" gesprochen werden sollte. 

Kurz vor Abschluß vorstehender Arbeit erschien eine für das 
Studium der Intelligenzprüfungsmethoden sehr wichtige Abhandlung 
von Ziehen (^ß), auf deren Inhalt hier noch in Kürze eingegangen 
werden soll. Verfasser betont die Wichtigkeit des Wissens aus der 
täglichen Lebenserfahrung gegenüber dem viel weniger bedeutsamen 
Schulwissen, hebt die störende Beeinflussung der Intelligenzprüfung 
durch „formale Assoziationsstörungen einschließlich der funktionellen 
Inkohärenz und der Affekte" hervor, betont, daß fortlaufende Methoden 
möglichst zu vermeiden sind, „um dem Ermüden der Aufmerksamkeit 
vorzubeugen", und daß den „Schlußstein" jeder Intelligenzprüfung 
eine spezifische Untersuchung der Aufmerksamkeit bilden müsse. Es 
eignet sich hierzu besonders die Bourdonsche Probe (Revue philos. 
1895, S. 153), welche darin besteht, daß man dem Kranken einen 
sinnlosen, später einen sinnvollen Text vorlegt und ihn auffordert, 
allen und e anzustreichen. „Fällt die Bourdonsche Probe sehr schlecht 
aus, so wird man die Ergebnisse der Intelligenzprüfung nur mit 
großer Vorsicht verwenden dürfen, Wir werden uns immer die Frage 
vorlegen müssen, ob ein schlechtes Ergebnis nicht von funktionellen 
Aufmerksamkeitsstörungen, z. B. hysterischer Zerstreutheit, neurasthe- 
nischer Ermüdbarkeit u. s. f. abhängt, der Defekt also nur vorgetäuscht 
wird". 

Die Grundlage der Intelligenzprüfung muß eine genaue Er- 



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— 108 — 

forschung der Eetention oder Deposition, d. h. des erstea Vorgangs, 
welcher der Empfindung folgt, bilden. Dabei ist hervorzuheben, daß 
eine individuelle Anpassung der Fragen an das Bildungsniveau des 
einzelnen nötig ist, und daß große Erfahrung dazu gehört, aus dem 
Gefundenen Schlüsse zu ziehen. Geeignet sind Fragen nach der Farbe 
einer Fiinfpfennigmarke, dem Aussehen einer Kose, nach den Neben- 
flüssen eines Flusses, nach dem Zeitpunkte der Kartoffelernte (Wein- 
lese, Messe, Vogelschießen). Oder man fragt, wieviel eine Semmel, 
ein Liter Milch kostet, wieviel Pfennige eine Mark hat u. s. f. 
Wichtiger noch als Fragen nach längstvergangenen Erlebnissen sind 
die nach jüngst vergangenen (Wo waren Sie gestern? Wie lange sind 
Sie hier?). Besonders hat sich folgende Aufgabe bewährt, welche die 
Wirkung der Aufmerksamkeit möglichst ausschaltet: „Man gibt dem 
Kranken eine Aufgabe aus dem kleinen Einmaleins. Nachdem er 
das Resultat angegeben hat, spricht man ihm 6 einstellige Zahlen vor 
und läßt sie ihn sofort nachsprechen. Darauf spricht man ihm eine 
zweite Reihe 6 einstelliger Zahlen vor. Nachdem der Kranke auch 
diese nachgesprochen hat, fragt man ihn nach dem Exempel, welches 
ihm zu Anfang aufgegeben worden ist. Hierbei muß dem Kranken 
ausreichende Zeit zum Besinnen gewährt werden. Die Unversehrt- 
heit der Merkfähigkeit zeigt sich darin, daß die Zahlenreihen richtig 
nachgesprochen und das Exempel am Schluß richtig angegeben wird. 
Auf das richtige Ausrechnen des Exempels kommt es dabei nicht an. . . 
Wenn man die Probe öfters bei demselben Kranken wiederholt, so 
empfiehlt es sich, gelegentlich auch ein Exempel aus dem großen 
Einmaleins zu wählen. Die Zahlen müssen deutlich und laut vor- 
gesprochen werden. Das Tempo soll weder zu rasch, noch zu lang- 
sam sein. Ich rechne auf die Reihe von 6 Zahlen in der Regel 
4 — 5 Sekunden . . . Sehr wichtig ist es, daß man einen gewissen 
Rhythmus bei dem Vorsprechen der 6 Zahlen einhält**. Für gewöhn- 
lich klärt man die Person nicht darüber auf, weshalb sie geprüft 
wird. Bei schweren Defekten, z. B. Korsakoffscher Psychose, teilt 
man besser „der zu untersuchenden Person vorhet ausdrücklich" mit, 
„worauf es ankommt**, beauftragt sie also, „das F.xempel zu behalten". 
Der vollsinnige Ungebildete spricht gewöhnlich mindestens 6 Zahlen 
richtig nach. „Selbst vorgeschrittene Paralytiker scheitern, solange 
sie überhaupt die Aufgabe noch verstehen, in der Regel erst bei vier 
Zahlen. Dasselbe gilt von der senilen Demenz. Selbst bei dem 
Korsakoff sehen Symptomenkomplex werden 3 Zahlen meist noch richtig 
wiederholt. Man kann daher geradezu sagen, daß ein Nichtnach- 
sprechen von 3 Zahlen stets aggravations- oder simulationsverdächtig ist, 



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— 109 — 

wofern nicht gerade ein sehr weit vorgerücktes Stadium einer Defekt- 
psychose oder ein schwerer Zustand der Denkhemmung oder Disso- 
ziation vorliegt". Statt der Zahlen kann man bei besonders guter Aus- 
bildung des Zahlengedächtnisses (Kellner) Buchstaben wählen. 

Zur Prüfung des optischen Gedächtnisses kann man einfache 
Figuren kurze Zeit vorzeigen und dann aufzeichnen lassen (vgl. p. 18). 
Sehr geeignet zur Feststellung der Retention sind auch Nacherzählungen 
von einfachen Märchen oder Lokalnachrichten oder die Ausführung 
von Aufträgen nach einer gewissen Zeit. Endlich empfiehlt Ziehen noch 
die Methode der Paarwerte (Psychiatrie 3. Aufl. S. 229), sowie die 
Rauschburgsche Adressenmethode. 

Für die Erforschung der Vorstellungsentwickelung und Vor- 
stellungsdifferenzierung, welche die sich mannigfach durchkreuzenden 
Prozesse der Isolation (Herauslösung von Vorstellungen), der Kom- 
plexion (Verschmelzung) und Generalisation in sich begreifen, eignen 
sich folgende Fragen: „Welche Eigenschaften kommen allen Vögeln 
zu?" und invers: wie nennt man alle die Tiere, die Flügel und Federn 
und einen Schnabel haben und Eier legen ?'' Weiter sind empfehlens- 
wert Definitionsfragen (Was ist ein Vogel? Was ist Neid?), vor allem 
aber die ünterschiedsfragen, z. B.: 

„Hand und Fuß? 

Ochs oder Pferd? 

Vogel und Schmetterling? 

Tisch und Stuhl? 

Wasser und Eis? 

Tür und Fenster? 

Baum und Strauch? 

Korb und Kiste? 

Treppe und Leiter? 

Teich und Bach? 

Wolle und Leinen? 

Kind und Zwerg? 

Borgen und Schenken? 

Geiz und Sparsamkeit? 

Irrtum und Lüge?'' 
Wichtig ist, daß dem Befragten genügend Zeit gegönnt wird, die 
Antworten wörtlich niederzuschreiben und mindestens 5 — 6 Fragen 
gestellt werden. 

Bei der Prüfung der Reproduktion wird die Verarmung an 
„liquiden, zu sofortigem Gebrauch zur Verfügung stehenden** Vor- 



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— HO — 

stelluDgen am besten durch Assoziationsversuche festgestellt. Z. emp- 
fiehlt, am Anfang folgende Beispiele zu geben: 

Geld — Hosentasche 

Bett — warm 

hoch — niedrig 

faul — Kind, 
darauf folgende Reizworte zuzurufen: Wald, rot, Haus, Krankheit, 
Klein, Stadt, Schuld, Vater, Neid, süß, Gift, Fisch, Hochzeit, laufen, 
Tod, 3 davon am Schluß zu wiederholen und die Prüfung nach 24 
Stunden und 8 Tagen nochmals vorzunehmen. Nötig ist es, hierbei 
auf etwaige Perseveration zu achten. 

Endlich wird der wichtigste Bestandteil der Intelligenz, die Kom- 
bination geprüft. Die Erforschung der orientierenden Auffassung 
wird zur Kombinationsprüfung, wenn der Kranke bei der Frage nach 
seinem Aufenthaltsorte „auf die bettlägerigen Mitkranken oder auf die 
Kleidung der Krankenschwester" hingewiesen wird usw. „Man muß 
sich nur bei dieser wie bei allen folgenden Kombinationsprüfungen 
gegenwärtig halten, daß Kombinationsstörungen nicht nur durch De- 
fekt, sondern sehr oft durch funktionelle Assoziationsstörungen, z. B. 
Inkohärenz in Dämmerzuständen, bei Amentia u. s. f. zustande kom- 
men. Nur wenn letztere auszuschließen sind, ist der Rückschluß auf 
Kombinationsdefekt zulässig. 

Äußerst gering ist der Anteil der Kombination bei der rück- 
läufigen Umkehrung bekannter Assoziationsreihen. . . . Etwas höhere 
Ansprüche stellen bereits die Legespielmethoden. . . Geradezu para- 
digmatisch für die Kombinationsprüfung sind auch die Gleichungs- 
methoden. Man sagt dem Kranken: „ich denke mir eine Zahl, die 
sollen Sie einmal raten, wenn ich 5 hinzuzähle, kommt 12 heraus, 
welche Zahl habe ich mir gedacht?" Natürlich muß man sich vorher, 
z. B. bei der Retentionsprüfung vergewissert haben, daß der Kranke 
die Addition und Subtraktion innerhalb des Bereiches der Gleichungs- 
aufgaben, die man stellen will, beherrscht. Geeignet sind auch Regel- 
de tri- Aufgaben, z. B.: „2 Eier kosten 10 Pf., wieviel kosten 3?* 

„Äußerst zweckmäßig zur Prüfung auf Kombinationsdefekte ist 
die Ebbinghaussche Methode", für welche Ziehen besonders folgenden 

Text verwendet: „Nach langer Wand in dem fremden Lande 

fühlte ich mich so schwach, daß ich — — Ohn — nahe war. 
Bis — Tode —mattet, f— ich ins Gras nieder und — bald fest ein. 

Alsicherw , war es längst T—. Die S strahlen schienen — 

ganz unerträglich ins , da ich auf — Rücken — . Ich wollte auf — 

aber sonderbarerweise konnte ich — Glied rühren, ich f — — 



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— 111 — 

mich wie — lähmt. Verwundert s— ich um mich, da entdeckte — , 

daß Arme und ß , ja selbst meine damals sehr 1— und 

dicken Haare mit Schnüren und B — — an Pflöcken — — stigt 
waren, welche fest in der Erde *'. „Man muß sich, wie bei an- 
deren Proben, durch Kontrolluntersuchungen orientieren, welche 
Fehler noch bei dem vollsinnigen Ungebildeten vorkommen. . . Ent- 
scheidend ist immer nur, ob der Kranke sich in die ganze Situation 
und den ganzen Zusammenhang der Erzählung richtig hineingedacht 
hat. Alles andere ist demgegenülber als nebensächlich zu betrachten/ 
Das Verfahren kann auch dahin geändert werden, daß dem Patienten 
Sätze mit „obgleich** oder „weil** vorgesagt werden, welche er ver- 
vollständigen muß. Es ist ratsam, dem Kranken genug Zeit zu lassen 
und ihn mitunter zur Aufmerksamkeit zu mahnen. „An dieEbbing- 
haussche Methode schließt sich unmittelbar die Prüfungsmethode der 
Auffassung kleinerer Erzählungen au. Die Methode besteht darin, 
daß dem Kranken eine kleine Erzählung ohne Lücken vorgelesen 
oder auch zum Selbstlesen vorgelegt wird. Der Kranke muß sie 
dann im Zusammenhang mündlich oder schriftlich wiedererzählen und 
die Pointe angeben." Er wird dadurch genötigt, die zwischen 
den einzelnen Sätzen immer vorhandenen Zusammenhangslücken zu 
ergänzen und „Dominant- oder Leitvorstellungen (Klammervorstel- 
lungen) zu bilden, d. h. die einzelnen Vorstellungen nach ihrer 
Wichtigkeit abzustufen und die Hauptklammervorstellung oder das 
Leitmotiv herauszulösen. 

Man kann auch bei einzelnen Bildern die „Haupttatsache" oder 
den „Hauptkausalzusammenhang^ heraussuchen lassen oder eine An- 
zahl in Zusammenhang stehender Bilder {Münchener Bilderbogen) vor- 
legen und dabei Lücken lassen, welche durch Kombination ausgefüllt 
werden müssen. 

„Die freischaffende oder erfindende Kombination . . .^ läßt sich 
leider nur sehr unvollkommen prüfen, da es uns an einem allgemein 
gültigen Maßstab für diese höchsten Leistungen fehlt. Höchstens 
können wir uns einen Begriff des Defektes machen, wenn wir frühere 
und jetzige Leistungen des Kranken vergleichen oder den zunehmen- 
den Verfall direkt beobachten können. Man würde, „um diese Funk- 
tionen zu prüfen, z. B. vom Dichter das Verfassen eines Gedichts, 
vom Maler das Malen eines Bildes (nicht eine Kopie!) verlangen 
müssen. Den gewöhnlichen, nicht künstlerisch veranlagten Menschen 
läßt man einen Brief oder Aufsatz schreiben". 

Soviel aus den^ reichhaltigen Inhalt der zu genauerem Studium 
auffordernden Arbeit Ziehens. 



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— 112 — 

Die Therapie der GeisteskrankheiteD. 

über die Behandlung der Geisteskranken soll hier nur das Alier- 
nötigste erwähnt werden. An erster Stelle steht die Psychotherapie, 
welche besonders suggestiv erziehlich (Pelmann) wirken soll. Ein 
ausgezeichnetes Mittel, Kranke durch Femhalten aller Reize zu be- 
ruhigen, sie zu beobachten, vor Selbstmord zu bewahren und ihnen 
die Meinung beizubringen, daß sie wegen Krankheit in die Anstalt 
gekommen sind, ist die Bettbehandlung im Wachsaal. Außer erregten 
legt man auch blutarme, ängstlich widerstrebende, die Nahrungsauf- 
nahme verweigernde Kranke ins Bett. Doch kann eine zu lange 
fortgesetzte Betthehandlung zu Ernährungsstörungen und schnellerer 
Verblödung führen. Sie muß daher rechtzeitig von Bewegung im 
Freien unterbrochen und mit Massage sowie gymnastischen Übungen 
verbunden werden. Zeitweise macht es sich nötig, aufgeregte Kranke in 
das Dauerbad (35 ^ C) zu verbringen; in welchem sie mit günstigem 
Erfolge häufig Tag und Nacht verbleiben (Vorsicht bei Herzfehler und 
Lungenblutungen, Aussetzen bei Entwickelung von Furunkulose und 
übertragbaren Hautkrankheiten, Verschlimmerung alter Ohrenleiden!) 
Besonders bei manischer, paralytischer und katatonischer Erregung, 
weniger bei der ängstlichen Aufregung der Melancholiker und Epilep- 
tiker, tut das Bad gute Dienste. Hinfällige werden auf übergespannte 
Tücher oder besondere Tragvorrichtungen gelegt. Meist sind die Bade- 
einrichtungen direkt neben dem Wachsaal gelegen, damit Bett- und 
Badebehandlung miteinander kombiniert werden können. Lassen sich 
die Kranken nicht im Bad erhalten, so erreicht man oft Beruhigung 
durch lauwarme feuchte Ganzeinwickelungen (nicht bei Angst oder 
schweren Herzkrankheiten), welche höchstens zwei Stunden lang 
angewendet werden sollen. Die Isolierung aufgeregter Kranker soll 
nur vorübergehend erfolgen, da sie das Zerreißen, Schmieren und 
Onanieren begünstigt und muß bei Selbstmordverdächtigen aus- 
geschlossen sein. Besonders empfindliche Kranke werden im offen- 
stehenden Einzelzimmer separiert. Mechanische Beschränkung durch 
feste Jacken darf nur noch vorübergehend bei chirurgischen Ver- 
letzungen, juckenden Hautkrankheiten usw. angewendet werden, um 
die Kranken vom Abreißen der Verbände oder Kratzen abzuhalten. 

Ein wichtiges Mittel für Rekonvaleszenten und chronische Kranke 
ist die Arbeit, welche ablenkend und anregend wirkt, sowie geeignet 
ist, den Verfall in Verblödung und Abstumpfung aufzuhalten. Die 
Anstalt bietet z. B. Arbeitsgelegenheit im Garten, Feld, in der Werk- 
statt, der Schreib- und Flickstube, im Waschhaus, in der Zuputze usw. 



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— 113 — 

Aber auch Unterhaltungen aller Art, Spaziergänge usw. werden den 
dafür geeigneten Kranken geboten. 

Zur Ergänzung der vorerwähnten, an erster Stelle stehenden Behand- 
lungsmethoden dient die zeitweise Anwendung von chemischen Mitteln: 

1. Opium in der Form der tr. op. (3x15 Tropfen täglich in 
steigender Dosis), des extr. op. aquos. oder pulv. op. bei der ängst- 
lichen Erregung der Melancholiker. 

2. Morphium hydrochloricum, innerlich oder subkutan, setzt die 
zentrale Schmerzempfindlichkeit herab und wird besonders bei mit 
Schmerzen verbundener Angst gegeben. Es wirkt nicht direkt schlaf- 
bringend, sondern beruhigend. Vorsicht vor Morphinismus! 

3. Hyoscinum oder Scopolaminum hydrobromicum i|2 — 1 Milli- 
gramm subkutan oder innerlich bei schwer Tobsüchtigen (Manie, 
Paralyse, Epilepsie, Katatonie). Am besten mit Morphium gemischt. 
(3/4 Milligramm + 1 Zentigramm Morphium), um die unangenehmen, 
mit seiner Anwendung verbundenen Sensationen zu mildern. Nicht 
bei Herzleiden, Herzschwäche* 

4. Duboisiuum sulfuricum in gleicher Dosis und Anwendung. 
Etwas weniger gefährlich. 

5. Chloralhydrat 1 — 3 Gramm pro dos., erzeugt tiefen, ruhigen 
Schlaf. Vorsicht bei Erkrankung der Gefäße und des Herzens! 

6. Paraldehyd 5—15 Gramm pro dos. Ruhiger Schlaf nach ca. 
10 Minuten, der aber bei Geräuschen leicht gestört wird. Unange- 
nehmer Geruch und Geschmack. Am besten in kaltem, gesüßtem Tee. 

7. Sulfonal, geruch- und geschmacklos. Schlaf nach einigen 
Stunden, lange Nachwirkung, da das Mittel schwer löslich ist. Darf 
wegen Vergiftungsgefahr nicht zu lange hintereinander gegeben wer- 
den (bei Rotwerden des Urins, Taumeln usw. aussetzen). Sorge für 
guten Stuhlgang, in mehrtägigen Zwischenräumen Darreichung von 
Sodawasser, um die Ausscheidung anzuregen. 

8. Trional wirkt schneller (nach 10 — 15 Minuten) schlaf bringend 
und zeigt nicht so lange Nachwirkungen, da es leichter löslich, daher 
auch nicht so gefährlich ist. Abends 1 — 2 Gramm in heißer Milch. 

9. Veroual, 0,25 — 1,0 in heißer Flüssigkeit. 

10. Alkohol, z. B. starkes Bier oder Schlummerpunsch bei Schlaf- 
losigkeit infolge von Überreizung, Übermüdung des Gehirns, innerer 
Spannung (Kräpelin). 

11. Brom (Natrium bromatum, Kalium bromatum, Erlenmeyersches 
Bromwasser) täglich 3 — 6 Gramm in einmaliger oder steigender und 
fallender Dosis, beseitigt besonders innere Spannungen. Bei Neu- 
rasthenie, Krampfanfällen und Reizbarkeit der Epileptiker. Wirkt 

Dost, EoTzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie etc. ^ 



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— 114 — 

erst nach längerem Gebrauch. Aufhören bei Entstehung von Akne, 
Verdauungsstörung, Unsicherheit der Bewegungen, Gedächtnisschwäche ! 

Alle diese Mittel sollen nur vorübergehend und unter genauer 
Berücksichtigung des Zustandes der Kranken angewendet werden. 

Die Erregung paranoischer Kranker wird oft durch Aufenthalts- 
wechsel vorübergehend günstig beeinflußt 

Zur Beseitigung der Schlaflosigkeit versucht man vor Benutzung 
der genannten chemischen Mittel abendliche warme Vollbäder, warme 
Sitzbäder, Prießnitzumschläge auf den Leib usw. 

Erwähnt sei noch die Wichtigkeit der Diät, die Anwendung von 
Sondenfütterung ^^), Nährklystieren, Kochsalzinfusionen und subkutanen 
Öeleinspritzung. 

Dauernd unsaubere Kranke werden in Kastenbetten mit Moos-, 
Holzwoll-, Moorerdefüllung gelegt. Aufliegen der Kranken (decubitus) 
wird durch häufiges Trockenlegen, Sorge für faJtenlose Unterlagen, 
häufigen Lagewechsel, Luftkissen usw. verhütet Fiebersteigerungen 
bei blöden Kranken ohne nachweisbaren Befund werden mitunter 
durch Klystiere beseitigt (Obstipation). 

Endlich sei noch hervorgehoben, daß in der Irrenanstalt auch 
das ganze übrige Arsenal der Behandlungsmethoden, wie es bei an- 
deren Kranken üblich ist, angewendet wird, z. B. die verschiedenen 
hydriatischen Prozeduren, Massage, Elektrizität, Gymnastik usw. 

Ergänzt wird die Anstaltsbehandlung noch durch die familiale Ver- 
pflegung gebesserter, harmloser, sozialer Geisteskranker. Sie hat den 
Vorzug, billiger zu sein als die Anstaltsbehandlung und dem Kranken 
das Gefühl größerer Freiheit und Behaglichkeit zu gewähren. 



Die Geisteskrankheiten in ihren Beziehungen zum 
Straf- nnd Zivilrecht. 

A) strafrecht. 
Nach Wulffen'^2) igt die aktive Apperzeption, der Wille gemäß 
dem Gesetz der psychischen Resultanten befähigt, „gegenüber den 
Motiven für und wider eine Handlung, ja gegenüber dem bisher ge- 
zeigten Charakter und allen seinen Bestandteilen sehr wohl solche 
neue Ursachen zu setzen, wie sie nach der ganzen bisherigen physio- 
logischen und psychologischen Abhängigkeit nicht zu erwarten ge- 
wesen wären. Diese Befähigung, Motive, Charakter, Intellekt und 
Gewissen in ein neues gegenseitiges Verhältnis zu rücken, wohnt der 
aktiven Apperzeption sehr wohl aus einer eigenen, an sich selb- 



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— 115 — 

ständigen, wenn auch im übrigen bedingten Kraft inne. Diese Be- 
fähigung zu üben, heißt seine Willenskraft gegenüber bösen An- 
fechtungen stärken.^ Dazu kommt, daß dem Charakter ^häufig im 
gegebenen Augenblick ein zwischen Minimum und Maximum sich 
bewegendes Maß von Willenskraft tatsächlich zur Verfügung steht. 
Bei Annäherung an das Minimum wird die Willenskraft schwach 
und unterliegt dem unsittlichen Motiv, bei Annäherung an das 
Maximum wächst die Willenskraft und tiberwindet dieselben An- 
triebe .... So kann man es denn erleben, daß ein Gewohnheits- 
verbrecher doch in gewissen Augenblicken, ohne daß er schon seinen 
Charakter geändert hätte oder ^durch äußere Umstände gehindert 
worden wäre, aus einer gewissen eigenen Willenskraft heraus den 
schlechten Motiven Widerstand leisten kann, bloß weil er sich im 
Augenblick einmal „zusammennimmt^ .... Er könnte seine Willens- 
kraft, wenn er „sich zusammennähme**, öfters an das Maximum, 
welches ihm nach seinem Charakter zur Verfügung steht, heran- 
bringen. Durch solche „Übung" könnte er dann seinen Charakter 
verändern .... Das bekannte Freiheitsgeftthl und das Freiheits- 
bewußtsein des Menschen, welches von Indeterministen zur Stütze 
ihrer Lehren herangezogen zu werden pflegt, haben doch ganz be- 
stimmt ihren Ausgangspunkt in dieser eben erörterten zutreffenden 
Erkenntnis, daß auch der Wille in nicht seltenen Fällen befähigt sei, 
trotz aller seiner Abhängigkeit und Bedingtheit aus sich heraus neue 
Ursachen zu setzen, welche in die Kausalität von Charakter, Ge- 
wissen, Erkenntnis und Motiven mit einzugreifen vermögen. Nur die 
Verallgemeinerung und absolute Gültigkeit eines solchen Eingreifens, 
sowie die Behauptung, dieses Eingreifen müsse unter allen Um- 
ständen die Entscheidung bringen, ist irrig. 

Soweit über diese Grenze hinaus ebenfalls ein ja nun verständ- 
liches, weil aus einer sicheren Erkenntnis hervorgegangenes Gefühl 
und Bewußtsein der Willensfreiheit besteht, beruhen sie auf einem, 
ja im Bewußtsein der Menschen . . auch auf anderen Gebieten nicht 
seltenen Trugschlüsse, werden sie zur Illusion. Es gibt aber zahl- 
reiche Fälle, wo die Motive und der Charakter so nachdrücklich zu- 
sammenwirken, daß die Befähigung des Willens als mitwirkende 
Instanz völlig übersprungen oder nur schwach angerufen wird, daß 
eine wesentliche Mitwirkung gar nicht ausgelöst wird . . ♦ . Unsere 
Annahme einer sittlichen Zurechnung und ^Verantwortlichkeit steht 

dem Determinismus keineswegs, wie man vielfach meint, entgegen 

Man kann vielmehr sagen, daß der Determinismus insofern veredelnd 
und züchtend wirkt, als er an den Menschen, der in die Kausalität 

8* 



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— 116 — 

seiner Handlangen einen klaren, wenn auch zunächst deprimierenden 
Eindruck erhält, höhere Anforderungen stellt als der Indeterminismusi 
der bei beliebig vorhandenem Charakter der Willenskraft die be- 
dingungslose Fähigkeit zum „Auchanderskönnen'^ zuschrieb. Wer an 
diese Fähigkeit nicht glaubt, wird, um zu seinem Besten eine Ver- 
änderung in der Kausalität seiner Handlungen herbeizuführen, an der 
Veränderung der hauptsächlichsten Ursache, an der Verbesserung 
seines Charakters zu arbeiten haben. Eine solche Verbesserung ist 
an und für sich möglich, weil der Charakter keineswegs etwas Ge- 
gebenes, Feststehendes ist, sie ist außer beim Geisteskranken und beim 
geborenen Verbrecher auch subjektiv möglich, sofern nicht das 
Individuum als Gewohnheitsverbrecher auch durch eigenes sittliches 
Verschulden zufolge fortgesetzter Übung verbrecherischer Handlungen 
die Befähigung zur Arbeit an seinem Charakter völlig oder so gut 
wie völlig verloren hat ... . Alle Zwecke der Strafe können zur 
Geltung gelangen. Die Strafe kann abschreckend wirken, sie kann 
zur Besserung, zur Arbeit am eigenen Charakter anhalten, sie kann 
geschehene Übeltat vergelten, sie kann zum Schutze der Gesellschaft 
erkannt werden!" 

In der Psychopathologie ist schon seit längerer Zeit das Gesetz 
der psychischen Kausalität zu unumschränkter Herrschaft gelangt und 
hat zur Ausnahmestellung der Geisteskranken in rechtlicher Beziehung 
geführt. Und zwar geschah das trotz der Tatsache, daß auch bei 
Geisteskranken Freiheitsbewußtsein, Verantwortlichkeitsgefühl und Ge- 
wissensregung nicht stets vermißt werden. Doch lehrt die genauere 
Beobachtung, daß diese psychischen Vorgänge den wirklichen Tat- 
sachen nicht entsprechen. Wir finden z. B. während der Depression 
des manisch-depressiven Irreseins ein ausgesprochenes Gefühl der 
Unfreiheit, welches in der oft brüsk einsetzenden manischen Phase 
bei demselben Individuum plötzlich in deutliches Freiheitsbewußtsein 
umschlagen kann. Dabei sind die Kranken in beiden Zuständen 
völlig unfrei, und das Gefühl der Freiheit ist nur eine Illusion. 
Ebenso widerspricht das Freiheitsgefühl des Paranoikers seiner tat- 
sächlichen Unfreiheit Weiter läßt sich als Beweis dafür, daß es ein 
„intelligibles", der Kausalität nicht unterworfenes Gewissen im Sinne 
Kants nicht gibt, anführen, daß während der depressiven Phase das 
Gewissen außerordentlich rege, während der manischen Phase aber 
abgestumpft erscheint, und daß die Gewissensregungen bei Paralyse 
entsprechend der Zerstörung des Gehirns verloren gehen. Diese 
Beobachtungen, die leicht vermehrt werden könnten, sind nach Hoche 
wohl geeignet, für Determinismus zu sprechen. 



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— 117 — 

Während nun, wie bereits erwähnt, ausgesprochene Geistes- 
krankheit von Strafe befreit (§ 51 des Str. 6. B), haben die Grenz- 
zustände noch keine genügende Berücksichtigung gefunden. Zu 
diesen rechnen wir die Degenerierten von den Leichtsinnigen und 6e- 
wohnheitslügnem an bis zu den Hochstaplern, Anarchisten und der 
Hauptmasse der sexuell Perversen. Obwohl diese Menschen nach 
Aschaffenburg nicht ohne weiteres für straffrei erklärt werden dürfen, 
kann doch bei ihnen „das Zusammentreffen schädigender Ursachen 
oder das Vorwiegen bestimmter Vorstellungen die ohnedies verminderte 
Zurechnungsfähigkeit ausschließen." Femer gehört zu dieser Klasse 
der hysterische, epileptische Charakter, die Hypochondrie, Neurasthenie, 
der angeborene Schwachsinn, Taubstummheit sowie durch Kopf- 
verletzung, Hirnerschütterung, Alkohol, Morphium, Schlaganfall ent- 
standene Minderwertigkeit. Hierunter fallen auch die krankhaften 
Zustände, welche durch Menstruation, Schwangerschaft, Entbindung 
(Kindestötung), Klimakterium hervorgerufen werden. Die bisher be- 
willigten mildernden Umstände werden diesen Formen nicht gerecht, 
da für manche Verbrechen keine mildernden Umstände vorgesehen 
sind. Auch hat die Bewilligung letzterer nur den Erfolg, daß die 
zum Teil sehr gefährlichen Menschen desto eher auf ihre Mitmenschen 
wieder losgelassen werden. Die von verschiedenen Seiten (v. Liszt, 
Aschaffenburg, Kahl) bisher vergebens erstrebte Einführung des Be- 
griffs der verminderten Zurechnungsfähigkeit, welcher sich darauf 
stützt, daß es zwischen Gesunden und Geisteskranken zahlreiche 
Übergangsstufen gibt, deren Widerstandsfähigkeit gegen Verbrechen 
in verschiedenem Grade beeinträchtigt ist, wird hoffentlich das neue 
Strafgesetzbuch bringen. 

Für die Verwahrung der dauernd geisteskranken Verbrecher 
oder derjenigen, welche nur zur Zeit der Tat geisteskrank waren, 
aber gefährlich bleiben, wurden von Näcke^^) besonders Adnexe an 
Strafanstalten, von anderer Seite solche an Irrenanstalten oder be- 
sondere Kriminalanstalten empfohlen. Letztere eignen sich nach 
Dannemannii) nur für größere Staaten, welche eine „größere Menge 
psychisch defekter Sträflinge ins Auge fassen müssen." Nach den 
auf dem deutschen Juristentage in Innsbruck 1905 aufgestellten 
Thesen sind alle geistig Minderwertigen milder zu bestrafen, und 
zwar sollen Gemeingefährliche, wenn sie strafvollzugsfähig sind, ihre 
Strafe in der Strafanstalt abbüßen und darauf in besonderen An- 
stalten bis zur Entlassungsfähigkeit verwahrt werden, während die 
nicht Strafvollzugsfähigen sogleich in diese Anstalten übergeführt 
werden sollen. Die Nichtgemeingefährlichen werden mild oder nicht 



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— 118 — 

bestraft und sollen einer staatlichen Gesundheitsaufsicht unterliegen. 
Zur Verwahrung werden Kriminal-Irrenanstalten, Trinkeranstalten und 
besondere Spezialanstalten (Näcke) für geistig Minderwertige vor- 
geschlagen. 

1. Geisteskranke als Zeugen und Ankläger. 

Bekanntlich hängt die wichtige Aussage eines Zeugen von der 
Beschaffenheit der Sinnesoi^ne, der Aufmerksamkeit, Gefühls- 
betonung, Urteilskraft, Merkfahigkeit, Erinnerungsfestigkeit sowie der 
Fähigkeit, das Reproduzierte wiederzugeben, ab. Ferner sind die 
Details des Erinnerungsbildes je nach Charakter, Geschlecht, Alter, 
Bildung, Neigung verschieden. Oft entstehen noch nachträglich Er- 
innerungsfälschungen durch Träume, Lektüre oder Erzählungen, 
welche öfters wiederholt werden. So findet häufig eine Um- 
gestaltung der Erinnerungen statt, ohne daß es der Betreffende merkt 
(Vergl. Sterns Beiträge zur Psychologie der Aussage.) Wieviel mehr 
muß noch die Aussage des Geisteskranken infolge der häufigen 
Trübung des Bewußtseins, der Halluzinationen, Wahnideen usw. 
Mißtrauen erwecken! „Welche Gefahr liegt" nach Kötscher „darin 
für das Publikum, wenn der Richtende nicht ungefähr orientiert ist 
wenigstens über die hauptsächlichsten und relativ häufigsten Fehler- 
quellen, die uns die Psychopathologie liefert!" Sommer unterscheidet 
einen paranoischen, halluzinatorischen, schwachsinnigen (mit morali- 
schem Defekt), hysterischen (Autosuggestion) paramnestischen (Be- 
wußtseinstrübung) Typus der falschen Aussagen bei Geisteskranken. 
Bekannt ist die Neigung der Melancholischen^ sich aller möglichen 
Verbrechen zu beschuldigen, sich gering zu achten und andere zu 
überschätzen, während der Manische von sich eingenommen ist und 
auf andere herabblickt Ebenso steht der Verfolgungswahn des 
Paranoikers, die geistige Abstumpfung und gesteigerte Suggestibilität 
des Imbecillen, die Lügenhaftigkeit des psychopathisch Minderwertigen 
(Pseudologia phantastica)^ die Neigung des Hysterischen zur phan- 
tastischen Ausschmückung, das Bestreben Epileptischer, Gedächtnis- 
lücken infolge vorübergehender Bewußtlosigkeit mit Erfundenem 
auszufüllen, die Aufmerksamkeit und Gedächtnis schädigende Schlaff- 
heit des Neurasthenikers, die degenerative Charakterveränderung des 
Trinkers und Morphinisten einer objektiven Würdigung und exakten 
Darstellung beobachteter Tatsachen hindernd im Wege. Ebenso sind 
die Anklagen des Alkoholikers wegen ehelicher Untreue, die endlosen 
Beschwerden des Querulanten, die sexuellen Beschuldigungen des 
Hysterischen, die Denunziationssucht des Epileptikers, sowie die 



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— 119 — 

Selbstbeschuldigungen, welche von verschiedenen Geisteskranken vor- 
gebracht werden, mit Vorsicht zu beurteilen. 

Nach Fritsch^i) kann die Aussage eines Verrückten vertrauen- 
erweckend sein, wenn durch die betreffende Tatsache der Ideenkreis 
und die Persönlichkeit des Kranken nicht berührt wird, was sich ge- 
wöhnlich an der Leidenschaftslosigkeit der Aussage zeigt. Auch 
Imbecille können wahrheitsgetreue Angaben machen, wenn es sich 
um einfache Verhältnisse, Hysterische desgleichen, wenn es sich um 
Dinge handelt, die nicht affekterregend wirken, und wenn keine 
degenerative Cbarakterentartung vorliegt Es wird immer darauf an- 
kommen, in welcher Art und Weise die Aussagen gemacht werden, 
ob der Zeuge konstant bei seiner Aussage bleibt, und ob sich letztere 
widerspruchslos den übrigen Tatsachen einordnet. Während dem- 
nach Geisteskranke unter Umständen zeugnisfähig sein können, wird 
vou Aschaffenburg vorgeschlagen, Geisteskranke und Geistesschwache 
nicht zu vereidigen, da durch die Eidesleistung schon der Gesunde 
leicht in Erregung und Verwirrung geraten kann, umsomehr der 
Geisteskranke, dessen Affektleben labiler ist. 

2. Verbrechen von Geisteskranken. 

Krafft-Ebing schlägt vor, eine psychiatrische Untersuchung eines 
Verbrechers zu veranlassen bei Mordtaten, welche mit auffälliger 
Grausamkeit begangen werden (Epileptiker, Degenerierte), bei Sittlich- 
keitsvergehen von Greisen, sexuell perversen Akten (Epilepsie, senile 
Demenz, beginnende Paralyse, Degeneration), bei Tötung eines 
Kindes gleich nach der Entbindung, bei Trunksucht, Epilepsie, 
Hysterie, bei Personen, die schon früher geisteskrank waren, bei Ge- 
wohnheitsverbrechern, welche sich trotz guter Erziehung zu Ver 
brechern entwickelt haben, bei Erinnerungslücken nach der Tat, 
Fehlen jeden äußeren Motivs. Während planmäßige Vorbereitung 
und kaltblütige Ausführung nicht gegen Psychose sprechen, kann 
man Geisteskrankheit vermuten, wenn kein äußeres Motiv vorliegt, 
die Tat unvorbereitet und ohne Affekt ausgeführt wird. „Aus der 
Handlungsweise des Täters nach der Tat läßt sich nur selten ein 
sicherer Schluß auf den Geisteszustand des Täters ziehen. Es kann 
nicht genug hervorgehoben werden, daß ein der Situation en^ 
sprechendes Verhalten nach der Tat nicht ohne weiteres gegen 
Geisteskrankheit spricht .... Ebensowenig kann ferner aus dem 
Streben, die Tat zu verbergen und ihre Spuren zu verwischen, aus 
Äußerungen der Reue und Verzweiflung, aus dem Streben, den 
Schaden wieder gut zu machen, z. B. dem Verletzten Hilfe zu leisten. 



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— 120 — 

auf geistige Gesundheit, andererseits aus dem ostentativen Hinweis 
auf die begangene Tat, «absichtlichem Hervorheben gravierender Tat- 
umstände" oder aus der gemütsrohen Gleichgültigkeit gegenüber 
dem Opfer auf Geisteskrankheit mit Sicherheit geschlossen werden 3). 
Eine Häufung von verdächtigen Momenten kann all^dings den Ver- 
dacht auf Geisteskrankheit zur Gewißheit machen. Empfehlenswert 
ist es auch nach Kasper, ^in jedem Falle zu erwägen^ ob man sich 
von dem betreffenden Individuum einer solchen Tat versehen konnte 
oder nicht" 

Nach Erafft-Ebing^^) weisen auf einen krankhaften Geisteszustand 
während der Tat hin: „Warnung der Umgebung vor der zu be- 
gehenden Tat; Versuche, sich der zur Begehung des Verbrechens 
gebotenen Mittel selbst zu berauben; [auffallende Änderung des Cha- 
rakters, dumpfes Hinbrüten, Vernachlässigung des Berufs, Klagen 
über vage körperliche, speziell nervöse Beschwerden, Unruhe, Schlaf- 
losigkeit, ausgesprochene Befürchtung, irre zu werden, vage An- 
deutung in der Zeit vor der Begehung der Tat, daß etwas Schreck- 
liches passieren werde, auffallende Gleichgültigkeit bei Verhaftung 
und Verhör, Spuren von Gereiztheit, von intellektueller Schwäche, 
abspringender profuser Geschwätzigkeit, beharrlichem Leugnen bei 
Ergreifung auf frischer Tat, transitorische Irreseinszustände und durch 
Fieber bedingte Erinnerungslosigkeit/' 

Bei den einzelnen Phychosen überwiegen folgende kriminelle 
Handlungen : 

Manie: Vagabondage. Ruhestörender Lärm. Alkoholexzesse. 
Infolge des erhöhten Geschlechtstriebes Notzuchtversuche, Prostitution. 
Diebstahl aus Begehrlichkeit, Bosheit, Mutwillen. Zweikampf. Gottes- 
leugnung. Nötigung. Infolge der Reizbarkeit Beleidigung. Der 
Größenwahn führt zu Betrug. Bei Tobsucht schwere Gewalttaten. 

Melancholie: Um aus der qualvollen Spannung und Angst 
herauszukommen, Selbstmord, Kindesmord, Brandstiftung. Seltener 
Verbrechen, um auf dem Schafott zu büßen. Fälschliche Selbst- 
denunziation. 

Akute halluzinatorische Verwirrtheit: Notzucht, Sach- 
beschädigung, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, 
Mord als Abwehr gegen die zahlreichen Sinnestäuschungen. 

Dementia praecox, Jugendirresein: Infolge des zornigen 
Affekts Körperverletzung, Totschlag. Als impulsive Handlung Brand- 
stiftung. Infolge der gemütlichen Abstumpfung, der Urteils- und 
Willensschwäche Disziplinarvergehen, Fahrlässigkeit. 

Paranoia: Die Verfolgungsideen veranlassen Beleidigung, Ver- 



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— 121 — 

leumdung, Meineid, Nötigung, Hausfriedensbruch, Brandstiftung, Mord. 
Bei Wahn der ehelichen Untreue Mord der Gattin und des vermeint- 
lichen Liebhabers. Bei religiösem Wahn oft Mord einer geliebten 
Person als Opfer. 

Epileptischer Dämmerzustand: Desertion, Vagabondage, 
Diebstahl, Exhibition, Totschlag harmloser Passanten. Besonders 
schreckliche Gewalttaten ohne äußeres Motiv, ohne Beachtung even- 
tueller Zeugen. 

Hysterischer Dämmerzustand: Diebstahl. Brandstiftung, 
Körperverletzung, Mord. 

Epileptischer Blödsinn: Beleidigung, Körperverletzung, 
Totschlag, Sachbeschädigung infolge pathologischer Reizbarkeit ohne 
genügenden äußeren Anlaß. Majestätsbeleidigung, Verleumdung, grober 
Unfug, Betrug, Diebstahl, Päderastie, Exhibition, Notzucht. 

Hysterischer degenerativer Charakter: Durch krank- 
hafte Reizbarkeit Beleidigung, Verleumdung, Vergiftung, Mord^ Wider- 
stand gegen Staatsgewalt. Sexuelle Beschuldigung infolge von krank- 
haft gesteigerter Phantasietätigkeit Meineid. Ladendiebstahl (krank- 
hafter Zwangstrieb), Betrug. 

Geistesstörungen durch Zwangsvorstellungen: Fahr- 
lässigkeit. Diebstahl. Mord. 

Neurasthenie: Infolge Erschöpfung Fahrlässigkeit, Versäumen, 
von Terminen, mangelhafte Buchführung. Infolge von Reizbarkeit 
Beleidigung, Disziplinarvergehen, Widerstand gegen Staatsgewalt, 
Körperverletzung, Freiheitsberaubung. 

Traumatische Seelenstörung: Durch Reizbarkeit Körper- 
verletzung, Sachbeschädigung, Brandstiftung. Sittiichkeitsverbrechen, 
Mord. 

Paralyse: Plumper Diebstahl, unvorsichtig begangeoe Sittlich- 
keitsverbrechen, schwachsinnige Betrügerei, Alkoholexzesse, Unfug. 
Widerstand gegen Staatsgewalt. Später Meineid, Brandstiftung, Mord. 

Altersblödsinn: Sittlichkeitsverbrechen i^an kleinen Kindern. 
Fahrlässige Brandstiftung (durch nächüiches Umherwandern). Betrug. 
Urkundenfälschung. Meineid. Mord. Durch Reizbarkeit Beleidigung. 

Alkoholismus: Diebstahl, Betrug, Zechprellerei, Majestätsbe- 
leidigung, Widerstand gegen Staatsgewalt, Sachbeschädigung, Haus- 
friedensbruch, Brandstiftung, Mord. 

Akuter Rausch: Grober Unfug, Beleidigung, Sachbeschädigung, 
Widerstand gegen Staatsgewalt, Bestechung, Majestätsbeleidigung, 
Unzucht, Notzucht, Raub, Totschlag. 

Imbezillität: Desertion, Disziplinarvergehen, Brandstiftung 
(mitunter aus ^Heimweh), Raub, Gewohnheitsdiebstahl, Betrug, be- 



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— 122 — 

trügerischer Bankerott, Hochstapelei, Meineid, Päderastie, Sodomie, 
Notzucht, Lustmord, Totschlag. 

Der von männlichen Geisteskranken ausgeführte Familienmord 
kommt nach Näcke(^^) besonders bei Alkoholismus, Paranoia und 
Epilepsie vor, während bei Frauen mehr Melancholie, Paranoia und 
Dementia praecox in Betracht kommen. 

3. Verbrechen an Geisteskranken. 

Vorwiegend wird es sich hier um sexuellen Mißbrauch geistes- 
kranker oder geistesschwacher Frauenspersonen handeln, wie folgende 
Paragraphen des Strafgesetzbuches besagen: 

§ 176, 2. „Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer 
eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand befindliche oder 
eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischaf miß- 
braucht. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe 
nicht unter 6 Monaten ein. Verfolgung nur auf Antragt. 

§ 178. „Ist durch eine der in § 176 und 177 bezeichneten 
Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht worden, so 
tritt Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliche Zucht- 
hausstrafe ein**. 

Zu berücksichtigen ist hierbei, daß der Täter mitunter durch 
manische Frauen, deren Sexualität gesteigert ist, oder paralytische und 
schwachsinnige mit moralischem Defekt erst zum Coitus veranlaßt 
wird. Außer dauernder Geistesstörung sind vom Gesetz noch vorüber- 
gehende Zustände von Bewußtlosigkeit und Willenlosigkeit gemeint, 
z. B. Scheintod, Somnambulismus, Ohnmacht, Volltrunkenheit, Über- 
müdung, Fieberdelirium^ schwere Vergiftung, epileptischer und hyste- 
rischer Dämmerzustand. Besonders werden bei Entarteten leicht der- 
artige Zustände ausgelöst durch lebhafte Affekte, sexuelle Erregung 
oder äußere Einwirkungen von abnormen Temperaturen, Überanstren, 
gungen, ungenügenden Schlaf, Alkohol, Pubertät, Menstruation, 
Schwangerschaft. Unwahrscheinlich ist die Angabe der Frauensperson, 
wenn der Angriff während völliger Bewußtlosigkeit erfolgt sein soll, 
und trotzdem von derselben alle Einzelheiten genau beschrieben werden 
(Berze). Femer ist den Angaben Hysterischer gegenüber Mißtrauen 
angebracht, da die sexuellen Attentate oft nur in der Phantasie dieser 
Personen existieren. Andererseits ist es oft nicht möglich, den Täter 
der Strafe zuzuführen, wenn die Geisteskrankheit nicht einen derartigen 
Grad erreicht hat^ daß sie auch dem Laien deutlich erkennbar sein 
mußte. Besonders schwierig ist die Beurteilung bei sexuellem Miß- 
brauch während eines Rauschzustandes (Berze). 

Auf eine absichtliche Herbeiführung eines Willenlosen Zustandes 



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— 123 — 

(z. B. durch Alkohol) zum Zwecke sexuellen Mißbrauchs bezieht sich 
§ 177: ^Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt oder durch 
Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine Frauens- 
person zur Duldung des außerehelichen Beischlafes nötigt, oder wer 
eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf braucht, nachdem 
er sie zu diesem Zwecke in einen willen- oder bewußtlosen Zustand 
versetzt hat." 

In selteneren Fällen wird die Suggestibilität Schwachsinniger 
benutzt, um dieselben zur Ausführung von Betrugshandlungen und 
sonstigen Verbrechen zu verleiten. 

4. Psychiatrische Begutachtung. 

Deutsches Strafgesetzbuch § 81: „Zur Vorbereitung eines Gut- 
achtens über den Geisteszustand des Angeschuldigten kann das Gericht 
auf Antrag eines Sachverständigen nach Anhörung des Verteidigers 
anordnen, daß der Angeschuldigte in eine öffentliche Irrenanstalt 
gebracht und dort beobachtet werde. Dem Angeschuldigten, welcher 
einen Verteidiger nicht hat, ist ein solcher zu bestellen. 

Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt Dieselbe 
hat aufschiebende Wirkung. Die Verwahrung in der Anstalt darf die 
Dauer von 6 Wochen nicht überschreiten." 

§ 73. „Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und 
die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch den Richter. Sind für 
gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so 
sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere 
Umstände es erfordern". 

§ 74. „Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche 
zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein 
Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß 
der Sachverständige als Zeuge vernommen ist ... ". 

§ 75. „ Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung 
Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erfor- 
derten Art öffentlich bestellt ist „oder wenn er die Wissenschaft, 
die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Be- 
gutachtung ist, öffentlich zum Erwerben ausübt, oder wenn er zur 
Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist . . .". 

§ 76. „Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das 
Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Ver- 
weigerung des Gutachtens. Auch aus anderen Gründen kann ein 
Sachverständiger von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens 
entbunden warden." 



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— 124 — 

„Die Vernehmung eines öffentlichen Beamten als Sachverstän- 
digen findet nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde erklärt^ daß 
die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde^. 

§ 77. ^Im Falle des Nichterscheinens oder der Weigerung eines 
zur Erstattung des Gutachtens verpflichteten Sachverständigen wird 
dieser zum Ersätze der Kosten und zu einer Geldstrafe bis zu 300 M. 
verurteilt. Im Falle wiederholten Ungehorsams kann noch einmal eine 
Geldstrafe bis zu 600 M. erkannt werden''. 

S 78. ^Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich scheint, die 
Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten''. 

§ 79. „Der Sachverständige hat vor Erstattung des Gutachtens 
einen Eid dahin zu leisten: 

daß er das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und 
nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde. 

Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der be- 
treffenden 'Art im allgemeinen beeidigt, so genügt die Berufung auf 
den geleisteten Eid". 

§ 80. „Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur 
Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des 
Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden. Zu demselben 
Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, der Ver- 
nehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an 
dieselben unmittelbare Fragen zu stellen". 

§ 82. „Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters 
ab, ob die Sachverständigen ihr Gutachten schriftlich oder mündlich 
zu erstatten haben". 

§ 83. „Der Richter kann eine neue Begutachtung durch [die- 
selben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gut- 
achten für ungenügend erachtet 

Der Richter kann die Begutachtung durch einen anderen Sach- 
verständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des 
Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. 

In wichtigeren Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde 
eingeholt werden". 

§ 247. „Die vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen 
sich nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von 
der Gerichtsstelle entfernen . . .". 

Sommer rät dringend^ in [allen Fällen neben dem Aktenstudium 
und der genauen Erforschung des Vorlebens eine exakte persönliche 
Untersuchung des Angeschuldigten mit allen Mitteln der Diagnostik 
vorzunehmen. 



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— 125 — 

„Ebenso empfiehlt es sich" nach Krämer^) „stets, wenn man nach 
Kenntnis der Akten und nach Untersuchung des Angeschuldigten die 
Überzeugung hat, daß die Vernehmung bestimmter Zeugen eine wesent- 
liche Aufklärung bringen könnte, um Ladung derselben zum Termin 
zu ersuchen. . . . Während der Verhandlung scheue man sich nicht, 
sich so zu steilen oder zu setzen, daß man den Angeschuldigten ge- 
nau im Auge behalten kann. Hält man es für erforderlich, Fragen 
an Zeugen oder den Angeschuldigten zu richten, so holt man bei dem 
Vorsitzenden die Erlaubnis dazu ein. . . . Man unterlasse es, ein 
schriftliches Gutachten zu verfassen, wenn ein solches in der Requi- 
sition von Seiten des Gerichts nicht ausdrücklich verlangt ist''. 

Der Wert der Gerichtsverhandlung besteht nach Sommer darin, 
daß der Gutachter die Möglichkeit hat, Fragen an die Zeugen zu 
richten, daß mißverstandene Auffassung seines Gutachtens aufgeklärt 
werden kann, und durch Zeugenaussagen, Beobachtung des Ange- 
klagten usw. während der Verhandlung neues Material herbeigebracht 
werden kann, welches das Gutachten bestätigt oder modifiziert. Es 
wird sich bei der Abfassung des Gutachtens immer darum handeln, 
„die Chronologie der Vorgänge, in welche die Straftat sich einreiht, 
möglichst genau festzustellen, weil nur unter dieser Voraussetzung ein 
richtiger Schluß auf den Kausalzusammenhang der Handlung mit 
einem bestimmten Geisteszustand gemacht werden kann. . . . Man 
muß also versuchen, aus den Zeugenaussagen den Gang der Ereig- 
nisse, deren einen Punkt die Handlung bildet, ganz klar herauszu- 
stellen und dann prüfen, wie sich die Erinnerungen und Auffassungen 
des Angeschuldigten zu diesem wirklichen Gang der Ereignisse 
stellen 6^)". Dann muß die Handlung nach Sommer in objektiver 
{Nebenumstände) und subjektiver Beziehung (Motiv) geprüft werden» 
Es muß weiter nach demselben Autor versucht werden, den Zustand 
unter die anerkannten Formen der Geisteskrankheiten einzureihen oder^ 
wenn dies unmöglich ist, die Symptome zusammenzustellen und zu 
prüfen, ob der Zustand ein krankhafter ist, d. h., ob . . . durch die 
beobachteten geistigen Erscheinungen das Individuum in seinem Fort- 
kommen in der sozialen Gemeinschaft geschädigt ist^^)". 

Nach Berze2) sind „die aus dem Mangel hochwertiger Vor- 
stellungskomplexe hervorgehende Haltlosigkeit, die defekte, durch 
Affekte und Triebe zu sehr beeinflußbare und zu leicht im vollen 
Umfange kaptivierbare Phantasietätigkeit und der mit dieser Störung 
der Phantasietätigkeit im intimsten Zusammenhange stehende Defekt 
der Anlage zu zweifeln, soweit die aus dem geistigen Besitz sich er- 
gebenden positiven Grundlagen der Moral in Betracht kommen, der 



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— 126 — 

sicherste Ausdruck der Unfähigkeit, sittlich zu wollen und damit die 
sichersten Indizien für die Annahme einer Verminderung der Zurech- 
nungsfähigkeit bezw., wenn der nach dem Gesetz strafauschließend 
wirkende Grad erreicht ist, für die [Annahme der Unzurechnungs- 
fähigkeit . . . Wo aber durch die Untersuchung des Inventars anti- 
moralische Antriebe in der Form abnorm gesteigerter Triebe, durch 
abnorme Hoch Wertigkeit unwiderstehlich gewordener Begierden oder 
durch in abnormer Stärke gefühlsbetonter Strebungen aufgedeckt 
werden, da muß nicht immer eine allgemeine moralische Insuffizienz 
angenommen werden, da kann unter Umständen der sittliche Defekt 
und somit auch die Verminderung bezw. Aufhebung der Zurechnungs- 
fähigkeit auf die Gebiete beschränkt sein, die durch die betreffenden 
Triebe und Begierden beschränkt sind. Mit Becht kann in der- 
artigen Fällen von „partieller Unzurechnungsfähigkeit gesprochen 
werden**. 

Der in § 51 angeführte Belativsatz: „ Zustand . . . durch welchen 
die freie Willensbestimmung ausgeschlossen war**, ist nach Sommer 
konditionell aufzufassen, bedeutet demnach : ^falls dadurch. . . .^ und 
soll die Tätigkeit des Psychiaters einschränken. Da die Frage nach 
der freien Willensbestimmung, streng genommen, nicht in den Bereich 
des ärztlichen Sachverständigen fällt, tut er gut, diese Frage spontan 
nicht zu berühren und sich auf den Nachweis der Geisteskrankheit 
zu beschränken, doch ist er verpflichtet, bei Befragung seine private 
Ansicht über diesen Gegenstand zu äußern (Sommer). 

Unter dem in § 51 angeführten Worte „Bewußtlosigkeit" ist nach 
Sommer eine krankhafte starke Einschränkung der psychischen Vor- 
gänge mit Störung des Selbstbewußtseins zu verstehen. 

Bezüglich des schriftlichen Gutachtens (in der Gerichtsverhand- 
lung ist das Gutachten mündlich zu erstatten) kommt es nach Hoche ^^) 
auf folgende Punkte an: 

Beschränkung auf das medizinische Gebiet. Kenntnis der pro- 
zessualen Bestimmungen und Paragraphen. Knappe Fassung, logischer, 
übersichtlicher Aufbau. Scheidung von tatsächlichem Material und 
Schlußfolgerungen. Vollständigkeit des Materials ohne Breite. Absätze 
und Überschriften. Guter Stil. 

Einleitung: Nennung der Behörde, welche das Gutachten ein- 
gefordert hat, wörtliche Angabe der an den Sachverständigen ge- 
stellten Fragen. Kurze Darstellung der Rechtsverhältnisse, die zur 
Begutachtung den Anlaß geben (Delikt), um das Verständnis der 
Situation zu erweisen. Umstände anführen, die Anlaß gegeben haben, 
den Geisteszustand zu bezweifeln. Mitteilung der getroffenen Anord- 



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— 127 ~ 

nnngen (z. B. Anstaltsbeobachtung). Darauf Anamnese (Kindheit, Puber- 
tätszeit, 'späteres Leben) nach den Akten und Aussagen von Zeugen. 
(Aussagen des Beschuldigten als solche kenntlich machen). Erblich- 
keit bedeutungslos, wenn das Individuum keine kr^tnkhaften Spuren 
aufweist. Vorsicht auch bei Würdigung von anderen Schädlichkeiten, 
welche früher eingewirkt haben. Bedeutsam sind Syphilis, Kopfver- 
letzung oder Krankheiten, welche das Gehirn in der ersten Entwicke- 
lung aufgehalten haben. 

Eingehende Darstellung des früheren geistigen Wesens nach Be- 
gabung, Neigung, Gewohnheit, Gefühlsleben, Affekten, geistigen Eigen- 
tümlichkeiten. Schriftliche Belegstücke aus Jugend beibringen (Schul- 
hefte, Zeugnisse), besonders bei angeborenem Schwachsinn. Frühere 
Strafen, Entmündigung usw. anführen. Bei allen Daten Quellen und 
Glaubwürdigkeit derselben angeben. 

Art der Ausführung der Handlung, Zeugenaussagen über das 
Benehmen vor und nach der Tat. Ärztliche Untersuchung mit 
allen Hilfsmitteln der Diagnostik. Symptome nach der Wichtigkeit 
gruppieren. Bei Beschreibung der Symptome, z. B. Sinnestäuschungen, 
angeben, auf welche Beobachtungen sich die Angabe stützt Besonders 
geistige Schwäche durch reichliches Tatsachenmaterial stützen. Simu- 
lation^ Dissimulation berühren. Zuletzt Feststellung, ob geistige 
Anomalie vorliegt. Psychiatrische Diagnose, wenn es sich um wohl 
charakterisiertes Krankheitsbild handelt, dessen Feststellung Schlüsse 
auf Tragweite der Symptome, Verlauf, Heilbarkeit, Einfluß auf das 
Handeln erlaubt Diagnose nicht möglich, so Analyse der Einzel- 
symptome und ihrer Tragweite. Am Schluß Beantwortung der am An- 
fanggestellten Fragen. Nicht zu beantworten, so Unmöglichkeit begründen 
und Vorbehalte machen. Möglichst den Wortlaut des entscheidenden 
Paragraphen in der Antwort wiederholen. Die Antwort muß jedem 
Gebildeten verständlich sein, Fachkenntnisse dürfen nicht vorausgesetzt 
werden. Allgemeine Ergebnisse der Erfahrung von persönlichen Schluß- 
folgerungen trennen. Einwände im voraus entkräften. „Wenn das 
Gesetz eine verminderte Zurechnungsfähigkeit anerkennte, würde der 
Zustand des N. N. unter den Begriff derselben fallen". Auch Fach- 
äußerungeu anschließen, die nicht gefragt, z. B. über Gemeingefähr- 
lichkeit Letztere von dem Übrigen trennen mit der Bemerkung, daß man 
sich bewußt ist, daß sie über die vom Richter gestellten Fragen hinausgehen. 

' B. Zivilrecht. 

1. Pflegschaft 
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch § 1910. „. . . Vermag ein 
Volljähriger, der nicht unter Vormundschaft steht, infolge geistiger 



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— 128 — 

oder körperlicher Gebrechen einzelne seiner Angelegenheiten oder 
einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine 
Vermögensangelegenheiten, nicht zu besorgen, so kann er für diese 
Angelegenheiten einen Pfleger erhalten. 

Die Pflegschaft darf nur mit Einwilligung des Gebrechlichen an- 
geordnet werden, es sei denn, daß eine Verständigung mit ihm nicht 
möglich ist". 

Die bei dem Vormundschaftsgericht zu beantragende Pflegschaft, 
welche einfacher und billiger ist, sowie schneller bewirkt werden 
kann, als die Vormundschaft, kann bei einem schon Bevormundeten 
eingereicht werden für bestimmte Angelegenheiten, wenn der Vormund 
an seiner Pflicht verhindert ist, oder sie kann selbständig sein. Sach- 
verständige werden nicht immer zugezogen. 

Die geistigen Gebrechen bestehen öfters in beginnender oder in 
der Heilung begriffener leichter Geisteskrankheit,. z. B. Vorboten der 
Paralyse, leichter Depression, Neurasthenie. Zur „Verständigung" ge- 
hört, daß der Betreffende den Sinn der Pflegschaft erfaßt hat und 
seine Ansicht darüber mitzuteilen vermag (verhindert durch Aphasie, 
Verkennung der Situation durch Wahnideen, ürteilsschwäche usw.) 
Der Gebrechliche bleibt geschäftsfähig, darf aber nicht als Vormund, 
Mitglied eines Familienrates, Testamentsvollstrecker fungieren. 

Die Pflegschaft erlischt, wenn der Betreffende die Aufhebung der- 
selben beantragt, oder wenn die betreffende Angelegenheit ihre Er- 
ledigung gefunden hat. 

2. Vorläufige Vormundschaft 
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch § 1906: „Ein Volljähriger, 
dessen Entmündigung beantragt ist, kann unter vorläufige Vormund- 
schaft gestellt werden, wenn das Vormundschaftsgericht es zur Ab- 
wendung einer erheblichen Gefährdung der Person oder des Ver- 
mögens des Volljährigen für erforderlich erachtet"* 

Nach § 1908 endigt die vorläufige Vormundschaft, wenn der An- 
trag zurückgezogen oder abgewiesen, wenn die Entmündigung aus- 
gesprochen wird oder der vormundschaftliche Schutz nicht mehr nötig 
ist. Die vorläufige Vormundschaft bedingt die Geschäftsfähigkeit eines 
Minderjährigen. 

3. Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder 
Geistesschwäche. 
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §2. „Die Volljährigkeit tritt 
mit der Vollendung des 21. Lebensjahres ein''. 
§ 104. Geschäftsunfähig ist: 



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— 129 ~ 

1. wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat; 

2. wer sich in einem die freie Willensbestimraung ausschließen- 
den Znstande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, in- 
sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist; 

3. „wer wegen Geisteskrankheit entmündigt ist**. 

§ 105. „Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig. 
Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewußt- 
losigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben 
wird". 

§ 106. „Ein Minderjährigsr, der da« 7. Lebensjahr vollendet 
hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit 
beschränkt*^. 

§ 114. „Wer wegen Geistesschwäche, wegen Verschwendung 
oder wegen Trunksucht entmündigt, oder wer nach § 1906 unter 
vorläufige Vormundschaft gestellt ist, steht in Ansehung der Geschäfts« 
fähigkeit einem Minderjährige gleich, der das 7. Lebensyahr voll 
endet hat". 

Die Entmündigung wird ausgesprochen von dem zuständigen 
Amtsgericht oder dem, in dessen Bezirk sich der zu Entmündigende 
aufhält. 

Zivilprozeßordnung § 646, „Der Antrag kann von dem Ehe- 
gatten, einem Verwandten oder demjenigen gesetzlichen Vertreter des 
zu Entmündigenden gestellt werden, welchem die Sorge für die Person 
zusteht. Gegen eine Person, die unter elterlicher Gewalt oder unter 
Vormundschaft steht, kann der Antrag von einem Verwandten nicht 
gestellt werden. Gegen eine Ehefrau kann der Antrag von einem 
Verwandten nur gestellt werden, wenn auf Aufhebung der ehelichen 
Gemeinschaft erkannt ist, oder wenn der Ehemann die Ehefrau ver- 
lassen hat oder wenn der Ehemann zur Stellung des Antrags dauernd 
außerstande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist 

In allen Fällen ist auch der Staatsanwalt bei dem vorgesetzten 
Landgerichte zur Stellung des Antrags befugt". 

§ 647. „Der Antrag kann bei dem Gericht schriftlich eingereicht 
oder zum Protokoll des Geriohtsschreibers angebracht werden. Er 
soll eine Angabe der ihn begründenden Tatsachen und die Bezeich- 
nung der Beweismittel enthalten". 

Das Gericht kann nach § 649 ein ärztliches Zeugnis fordern, 
welches die Geisteskrankheit bescheinigt und die Notwendigkeit der 
Entmündigung aus den Handlungen des Betreffenden begründet. Der 
zu Entmündigende ist persönlich unter Zuziehung eines oder mehrerer 
Sachverständigen zu vernehmen. Zu diesem Zwecke kann die Vor» 

Dost, Kurzer Abriß der Psychologie, Psychiatrie eto. 9 



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— 130 — 

führung angeordnet werden (§ 654 Zivilprozeßordnung). Ferner kann 
der zu Entmündigende mit Zustimmung des Antragstellers auf An- 
ordnung des Gerichts auf höchstens 6 Wochen in einer Heilanstalt 
untergebracht werden, wenn es nach ärztlichem Gutachten zur Fest- 
stellung des Geisteszustandes nötig und für den Betreffenden unschäd- 
Uch ist (§ 656). Nach § 653 kann auch der zu Entmündigende Be- 
weismittel beibringen. Der die Entmündigung aussprechende Beschluß 
ist nach § 660 der Vormundschaftsbehörde und dem ' gesetzlichen 
Vertreter mitzuteilen, bei Entmündigung wegen Geistesschwäche auch 
dem Kranken selbst (obwohl letzteres oft auf den Zustand desselben 
ungünstig einwirkt). Der Entmündigungsbeschluß kann im Wege der 
Klage binnen der Frist eines Monats angefochten werden (§ 664). Die 
Wiederaufhebung der Entmündigung erfolgt nach § 675 auf Antrag 
des Entmündigten oder desjenigen gesetzlichen Vertreters des Ent-^ 
mündigten, welchem die Sorge für die Person zusteht oder des Staats- 
anwalts durch Beschluß des Amtsgerichts (§ 675). Wird der Antrag 
abgelehnt, so steht der Weg der Klage frei (§ 679). Bei der Auf- 
hebung der Entmündigung werden wieder Beweismittel eingefordert 
und Sachverständige gehört. 

§ 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches „Entmündigt kann werden: 

1. Wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche 
seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. 

3. Wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu 
besorgen vermag oder sich oder seine Familie der Gefahr des Not- 
standes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet". 

Gemeingefährlichkeit allein rechtfertigt die Entmündigung nicht. 

Unter den „Angelegenheiten** ist nach C. Schnitze „die Gesamt- 
heit aller Beziehungen des einzelnen zu seiner Familie, seinem Ver- 
mögen und zu seiner Umgebung" zu verstehen. 

Die Entmündigung tritt demnach nur ein, wenn die geistige Er- 
krankung die ganze Persönlichkeit in allen Lebensverhältnissen völlig 
beherrscht, sodaß sie außerstande ist, ihre Angelegenheiten, besonders 
Vermögensangelegenheiten, selbständig zu besorgen. „Die ganze 
Lebensführung ist zu berücksichtigen, nicht die Möglichkeit, eine 
Anzahl selbst nicht einfacher Verrichtungen sachgemäß zu voll- 
ziehen" (52). 

Die Ausdrücke „Geisteskrankheit" und „Geistesschwäche" werden 
hier nicht im psychiatrischen, sondern im juristischen Sinne gebraucht 
und bedeuten verschiedene Grade der Störung der Geschäftsfähigkeit 
(Geisteskrankheit der stärkere Grad). Und zwar nimmt der wegen 
Gdsteskrankheit Entmündigte die Stellung eines Geschäftsunfähigen, 



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— 131 — 

eines Kindes unter 7 Jahren ein, der wegen Geistesschwäche Ent- 
mündigte diejenige eines beschränkt Geschäftsfähigen, eines Minder- 
jährigen (7 — 21 Jahre). Letzterer muß „imstande sein, unter der 
schützenden Aufsicht eines Vormundes oder des Vormundschafts- 
gerichts bei Besorgung gewisser Angelegenheiten mitzuwirken'* 
(Moeli). Der wegen Geistesschwäche Entmündigte ist allerdings nicht 
fähig, als Vormund, Pfleger zu fungieren, ein Testament zu errichten, 
einen Erbvertrag mit anderen als mit seiner Ehefrau zu schließen und 
besitzt keine elterliche Gewalt. Die Ehefrau kann auf Aufhebung der 
Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens durch den Gatten klagen. 
Der wegen Geistesschwäche Entmündigte kann aber ohneGenehmigung 
des Vormundes alle Rechtsgeschäfte besorgen, die ihm rechtlichen Vor- 
teil bringen. Im übrigen bedarf er stets der Zustimmung des Vormundes 
z. B. zur Verlöbniserklärung, Eingehung der Ehe. In Ehesachen ist 
er prozeßfähig. Femer kann er die Ehelichkeit eines Kindes ohne 
Vormund anfechten sowie ein vor der Entmündigung errichtetes Testa- 
ment selbständig widerrufen. Zum selbständigen Betrieb eines Er- 
werbsgeschäftes gehört dagegen die Einwilligung des Vormundes und 
Vormundschaftsgerichts. Der Betreffende wird dann aber unbeschränkt 
geschäftsfähig für Rechtsgeschäfte, die der Geschäftsbetrieb in sich 
schließt. Dasselbe gilt bei Eingehung eines Arbeitsverhältnisses. Jeder 
wegen Geistesschwäche Entmündigte kann nach Gutdünken des Ge- 
richts vereidigt werden. (Moeli)/ Endlich kann derselbe gegen den 
Willen des Vormundes einen Wohnsitz weder begründen noch auf- 
heben. 

Zu erwähnen ist noch, daß nicht entmündigte Geisteskranke unter 
Umständen an der Börse spekulieren, ein Testament errichten können, 
aber unfähig sind, eine rechtsgültige Ehe einzugehen. 

Schwachsinn: Wichtiger als theoretische Kenntnisse ist die 
Fähigkeit zu richtiger Lebensführung. Daher genaue Erforschung des 
Vorlebens. Geordnetes Verhalten in der Anstalt nicht maßgeblich. 
Degenerierte mit guter Intelligenz sind nicht geschäftsfähig, wenn sie 
ein unstetes, haltloses Wesen zeigen und äußerer Beeinfussung willen- 
los unterliegen (Moeli). Die leicht Imbecillen und Degenerierten geben 
im Termin oft infolge ihres guten mechanischen Gedächtnisses und ihrer 
Formengewandheit ein zu günstiges Bild. „Abzuraten ist von der 
Annahme der „Geistesschwäche'^ in den Fällen, wo die Neigung zum 
Phantasieren, zur pathologischen Lüge und zu Schwindeleien besonders 
hervortritt" {^^). 

Altersblödsinn und Geistesschwäche nach Schlaganfall: Starke 
Vergeßhchkeit, Reizbarkeit, geringe Willensenergie, gemütliche Ver- 

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— 132 — 

ödung, so Entmündigung wegen Geisteskrankheit. Prognose meist 
ungünstig. 

Paranoia: Sind oft geordnet und ruhig, erfüllen ihre Aufgaben 
im sozialen Leben gut, solange der krankhafte Ideenkreis nicht berührt 
wird. Wahnideen und Sinnestäuschungen beeinträchtigen an sich das 
Handeln des Kranken nicht Entmündigung daher oft lange Zeit 
nicht nötig. Mitunter zeitweise Verschlechterung des Zustandes, z. 6. 
durch gehäufte Halluzinationen. Im späterem Verlauf macht bis- 
weilen allgemeine geistige Abschwächung die Entmündigung nötig, 

Entmündigung dann, wenn Vernachlässigung des Erwerbs, Schä- 
digung des Vermögens, mangelnde Sorge für die soziale Stellung, 
für die Lebenshaltung, Pflege der körperlichen und geistigen Gesund- 
heit, für die Familie. Der Richter entscheidet, ob eine Störung der 
Besorgung der Angelegenheiten im allgemeinen vorliegt. 

Dementia praecox: Wegen der gemütlichen Abstumpfung 
und des Mangels an Initiative meist an der Besorgung der Angelegen- 
heiten gehindert. Selten Pflegschaft möglich. 

Depression: Patient so gehemmt und passiv, daß Angelegen- 
heiten vernachlässigt, soEntmündigung, nach längerer Erankheitsdauer. 

Exaltation des man. depress. Irresein: Handeln ohne genügende 
Überlegung. Mangel an Kritik. Entmündigung nur bei langen An- 
fällen und kurzen Zwischenpausen. Nicht zu zeitig wieder auf- 
heben. Nach dem bisherigen Verlauf bald Bückfälle zu erwarten, 
so Entmündigung wegen Geistseskrankheit. 

Paralyse: Zeitig Entmündigung, da sonst das Vermögen ver- 
schleudert wird. Im Anfang wegen Geistesschwäche, später wegen 
Geisteskrankheit. 

Hirnsypbilis: Meist genügt Entmündigung wegen Geistes- 
schwäche. Mitunter Pflegschaft mit Einwilligung des Kranken möglich. 

Epilepsie: Nur Entmündigung bei geistiger Schwäche oder ge- 
häuften Anfällen resp. transitorischen geistigen Störungen, wenn die 
Angelegenheiten nicht besorgt werden. 

Hysterie: Entmündigung nur bei der schwersten Form, wenn 
durch hysterischen Affekt und Assoziationsstörung das Handeln we- 
sentlich gestört wird. Die Dauer der einzelnen hysterischen Sym- 
ptome ist schwer zu beurteilen. 

Hypochondrie: Entmündigung, wenn der Kranke sich zu ge- 
schwächt glaubt, um Geschäfte zu besorgen, oder wenn er für un- 
sinnige Kuren das Vermögen verschwendet ohne Bücksicht auf die Familie. 

Bei akuter Geistesstörung, z. 6. Amentia, ist meist von Entmün- 
digung abzusehen. 



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— 133 — 

Wiederaufhebung der Entmündigung: 

Bei länger dauernder Besserung (Remission) der Paralyse Auf- 
hebung der Entmündigung, wenn fast kein Anzeichen der Krankheit 
mehr nachweisbar ist. Doch Vorsicht, da jeden Augenblick folgen- 
schwerer Rückfall möglich ist. 

Bei dementia praecox oder angeborenem Schwachsinn Besse- 
rung oft durch den Nachlaß der Erregung vorgetäuscht. 

Umgekehrt werden mitunter Sinnestäuschungen bei geringem 
Schwachsinn und Wahnideen Degenerierter zu ungünstig beurteilt, sie 
schwinden öfters wieder. 

Bei manisch-depressivem Irresein Aufhebung nur, wenn 
das Intervall lange dauert, und keine Intelligenzstörung vorliegt. 

Paranoia. Große Vorsicht nötig, da die Kranken ihre Wahn- 
ideen usw. oft sehr geschickt verbergen. 

Alkoholismus. Nur nach langer Abstinenz und nach Rück- 
gang der Symptome des Alkoholismus Aufhebung. Prüfen, wie weit 
die Abstinenz aus eigener Kraft durchgeführt wird, wie weit sie auf 
den Einfluß der augenblicklichen Umgebung zurückzuführen ist (Moeli). 

Die Tätigkeit des Sachverständigen besteht in der Einreichung 
eines kurzen ärztlichen Zeugnisses bei Einleitung der Entmündigung, 
in der Untersuchung und Beobachtung des zu Entmündigenden, in 
dem Bemühen, im Gerichtstermin durch Fragen möglichst schnell und 
umfassend ein Bild des Geisteszustandes des zu Entmündigenden zur 
Anschauung zu bringen, und schließlich ein Gutachten zu Protokoll 
zu diktieren oder schriftlich abzugeben. Die Fragen und Antworten 
sollen wörtlich protokolliert, und vom Sachverständigen auch das 
Benehmen, die Ausdrucksbewegungen des zu Entmündigenden fixiert 
werden (Moeli). 

Das schriftliche Gutachten enthält die Anamnese, den genauen 
Krankheitsbefund in psychischer und körperlicher Beziehung während 
der Untersuchung, sowie während des Anstaltsaufenthaltes, die Zu- 
sammenfassung der Symptome zu einer psychiatrischen Diagnose, die 
Beziehung der nachgewiesenen psychischen Störung auf die juristischen 
Begriffe der Geisteskrankheit und Geistesschwäche und den Beweis, 
daß der Betreffende wegen Geistesschwäche oder Geisteskrankeit un- 
fähig ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Es ist empfehlens- 
wert, im Verlaufe des Gutachtens nur von Psychose, Irresein, geistiger 
Störung usw. zu sprechen und die Ausdrücke Geisteskrankheit und 
Geistesschwäche nur für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit am 
Schlüsse zu reservieren. 



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— 134 — 

4. Entmündigung wegen Trunksucht. 

Die Entmündigung wegen Trunksucht erfolgt durch Beschluß 
des Amtsgerichts (Zivilprozeßordnung § 680). Die Wiederaufhebung 
erfolgt auf Antrag des Entmündigten oder seines gesetzlichen Ver- 
treters (§ 685). Die Entmündigung wie die Aufhebung derselben 
müssen vom Amtsgericht öffentlich bekannt gemacht werden (§ 687). 

Der Entmündigte besitzt die Geschäftsfähigkeit eines Minderjährigen. 
Die Vernehmung ärztlicher Sachverständiger ist nicht erforderlich. 

5. Testierfähigkeit und Anfechtung eines Testaments. 

§ 2229 Abs. 3. «... Wer wegen Geistesschwäche, Verschwen- 
dung oder Trunksucht entmündigt ist, kann ein Testament nicht er- 
richten. Die Unfähigkeit tritt schon mit der Stellung des Antrags ein, 
auf Grund dessen die Entmündigung erfolgt". 

§ 2230. „Hat ein Entmündigter ein Testament errichtet, bevor 
der die Entmündigung aussprechende Beschluß unanfechtbar geworden 
ist, so steht die Entmündigung der Gültigkeit des Testaments nicht 
entgegen, wenn der Entmündigte noch vor dem Eintritt der ünan. 
fechtbarkeit stirbt. 

Das Gleiche gilt, wenn der Entmündigte nach der Stellung des 
Antrags auf Wiederaufhebung der Entmündigung ein Testament er- 
richtet und die Entmündigung dem Antrage gemäß wieder aufge- 
hoben wird". 

Die Anfechtung eines Testaments kann binnen Jahresfrist durch 
denjenigen erfolgen, dem die Aufhebung der testamentarischen Be- 
stimmung Nutzen bringen würde (§§ 2080 u. 2082). 

Ist der Testator verstorben, so kann für den Sachverständigen 
außer den Zeugenaussagen das Studium des Testaments nach Inhalt 
und Stil, der Ausführung der Schriftzeichen (nicht nur Namens- 
unterschrift prüfen) sowie das Sektionsprotokoll, falls es vorhanden 
ist, von Nutzen sein. 

6. Deliktsfähigkeit. 

Nach V. Liszt ist Delikt jede schuldhafte rechtswidrige Verletzung 
fremder rechtlich geschützter Interessen, z. B. Verletzung des Lebens, 
Körpers, der Gesundheit, Freiheit, des Eigentums usw. (§ 823), 
Gefährdung des Kredits, Erwerbs, Fortkommens (§ 824), Verietzung 
der Geschlechtsehre durch außereheliche Beiwohnung (§ 825), Verstoß 
gegen die guten Sitten (§ 826). Deliktsfähigkeit kann demnach mit 
Schadenersatzpflicht bezeichnet werden (Hoche). 

§ 827. „Wer im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem 



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— 135 — 

die freie Willensbestimmnng ausschließenden Zustande krankhafter 
Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den 
Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke 
oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art 
versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande wider- 
rechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm 
Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, 
wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist*** 

§ 832. „Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine 
Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres 
geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist 
zum Ersätze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten 
widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner 
Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger 
Auf Sichtsführung entstanden sein würde". Intoleranz eines Nicht- 
Geisteskranken gegen Alkohol entschuldigt nur, wenn sie dem Be- 
treffenden unbekannt ist Ebenso exkulpiert ein unwiderstehlicher 
Trieb zum Trinken nur, wenn er auf eine Psychose zurückgeführt 
werden kann, welche mit chronischer Intoleranz gegen Alkohol ver- 
bunden ist, z. B. Epilepsie (Dipsomanie), Paralyse, traumatische Psy- 
chose, degenerative Entartung, chronischer Alkoholismus, Morphinis- 
mus usw. 

Beziehungen der Geisteskrankheiten 
zum Eherecht. 

§ 1325 Abs. 1. „Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten 
zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig war oder sich im Zu- 
stande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Geistesstörung befand. 

Die Ehe ist als von Anfang an gültig anzusehen^ wenn der 
Ehegatte sie nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit, der Bewußt- 
losigkeit oder der Störung der Geistestätigkeit bestätigt, bevor sie für 
nichtig erklärt oder aufgelöst worden ist. Die Bestätigung bedarf 
nicht der für die Eheschließung vorgeschriebenen Form". 

Unter „Bewußtlosigkeit" wird meist ein epileptischer, hysterischer 
Dämmerzustand oder schwerer Kausch zu verstehen sein. Betreffs 
der „Geistesstörung" wird es sich meist um Schwachsinn, beginnende 
Paralyse, Manie handeln, öfter werden auch schwer Kranke oder 
Sterbende infolge der Störung des Bewußtseins, der Trübung des Ur- 
teils, der Abstumpfung der Gemüts- und Willenstätgkeit zur Ehe- 
schließung veranlaßt. 

§ 1331. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden 



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— 136 — 

der zur Zeit der Eheschließung oder ira Falle des § 1325 zur Zeit 
der Betätigung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, wenn die 
Eheschließung oder die Betätigung ohne Einwilligung des gesetzlichen 
Vertreters erfolgt ist''. 

Verweigert in diesem Falle der Vormund seine Einwilligung, so 
kann das Vormundschaftsgericht die Ehe genehmigen. 

Bei jahrelang bestehender Trunksucht, deren Heilung vergebens 
versucht worden ist, Epilepsie, Imbezillität, Irresein aus Zwangsvor- 
stellungen usw. ist von Eheschließung abzuraten. 

§ 1333. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, 
der sich bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten 
oder über solche persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten 
geirrt hat, die ihm bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger 
Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abge- 
halten haben würden". 

Zu „persönlichen Eigenschaften" können Psychosen dann nicht 
gehören, wenn sie vorübergehend infolge äußerer Einwirkungen ent- 
standen sind und keine bleibenden Folgen hinterlassen haben (Er- 
schöpfungsirresein im Gegensatze zu dem endogenen manisch-depres- 
siven Irresein) (Moeli). 

§ 1334 Abs. 1. „Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten 
werden, der zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über 
solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei der Kenntnis der 
Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe 
von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden" . . . Längere 
Zeit unentdeckt bleibt mitunter Epilepsie, wenn keine ausgesprochenen 
Krämpfe auftreten, oder periodische Trunksucht (Dipsomanie). 

Ehescheidung wegen Geisteskrankheit. 

§ 1569 B.G.B.: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn 
der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit 
während der Ehe mindestens 3 Jahre gedauert und einen solchen 
Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehe- 
gatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser 
Gemeinschaft ausgeschlossen ist." 

§ 623 Z.P.O. : „Auf Scheidung wegen Geisteskrankheit darf nicht 
erkannt werden, bevor das Gericht einen oder mehrere Sach- 
verständige über den Geisteszustand des Beklagten gehört hat" 

Ist der geisteskranke Ehegatte entmündigt, so ist der Vormund 
der gesetzliche Vertreter in der Ehescheidungsklage. Ist der gesunde 
Gatte selbst Vormund, so ist für die Ehescheidungssache ein Pfleger 



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— 137 — 

zu bestellen, desgleichen, wenn der Kranke nicht entmündigt ist. 
Zur Abgabe des Gutachtens ist Anstaltsbeobachtung nicht nötig. Der 
Richter braucht den geisteskranken Ehegatten nicht persönlich zu 
vernehmen. Der geschiedene geisteskranke Ehegattö erhält nach 
§ 1478 Abs. 3 das zurück, was er in die Ehe eingebracht hat und 
muß vom gesunden Ehegatten nach § 15S3 unterhalten werden. 

1. Muß dieselbe Geisteskrankheit während der Ehe ununter- 
brochen 3 Jahre angehalten haben. „Lichte Zwischenräume, während 
deren zwar die Geisteskrankheit fortdauert, dem kranken Ehegatten 
aber doch dafr bestehende eheliche Band zum Bewußtsein kommt, 
schließen die Scheidung nicht aus^O-" 

Ist die Krankheit in Anfällen aufgetreten, so dürfen diese nach 
Hoche nicht durch neue äußere Einwirkungen veranlaßt worden sein, 
wenn der Zustand als eine Krankheit gerechnet werden soll. 

2. Muß die geistige Gemeinschaft aufgehoben sein. Lenel defi- 
niert die geistige Gemeinschaft als das Familieninteresse, das über- 
einstimmende Bewußtsein, daß man an dem Wohl des anderen Ehe- 
gatten und der Kinder interessiert sei, und den übereinstimmenden 
Willen, diesem Wohle nach Kräften zu dienen. 

Die eheliche Gemeinschaft wird demnach bei ausgesprochenem 
Blödsinn, aber auch bei Verrücktheit aufgehoben sein, wenn sich das 
Wahnsystem in feindseligem Sinne gegen die ehelichen Beziehungen 
richtet. 

Beschränkt sich die Teilnahme nur noch auf die Kinder, er- 
streckt sie sich nicht auf den Mann, so kann man nach Moeli von 
ehelicher geistiger Gemeinschaft nicht mehr sprechen. 

3. Muß jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft 
ausgeschlossen sein. 

Es ist daher große Vorsicht bei der Beurteilung nötig. Unheil- 
barkeit einer Geistesstörung kann man nach Gramer ^o) annehmen, 
„wenn die Seelenstörung 1. angeboren oder im ersten Kindesalter 
oder in der Pubertät entstanden ist und auf einer Entwickelungs- 
hemmung des Gehirns beruht (also angeborener Schwachsinn, Idiotie^ 
Imbezillität); 2. wenn sie nach einem mehr oder weniger gut aus- 
geprägten akuten Stadium zu einer bleibenden geistigen Schwäche, 
zu sekundärem Blödsinn oder sekundärer Verwirrtheit geführt hat; 
3. wenn sich mehrere Jahre hindurch gleichbleibend ein feststehendes 
System von Verfolgungs- und Größenideen nachweisen läßt; 4. wenn 
sich eine sukzessive, zunehmende, ausgeprägte Abnahme der Intelli- 
genz mit körperlichem Verfall und ausgesprochenen Lähmungs- 
erscheinungen, welche auf eine schwere organische Erkrankung des 



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— 138 — 

Gebirns hinweisen, verbindet und auch bei geeigneter Behandlung 
weiter entwickelt (besondere Vorsicht ist hier am Platze bei dem 
Alkoholismus). Ich will auch hier betonen, daß man gut tut, bei 
ganz akuten »Verblödungszuständen zwei bis drei Jahre und länger 
zu warten, bevor man die ünheilbarkeit ausspricht." 

Paralyse: Vorsicht, da mitunter viele Jahre anhaltende wesent- 
liche Besserungen (Remissionen) vorkommen, die oft einer Heilung 
gleichen. Die Aussicht ist ungünstiger, wenn viele paralytische An- 
fälle mit folgenden Störungen beobachtet wurden oder zahlreiche 
nicht im Anschluß an die Anfälle entstandene körperliche Symptome 
vorhanden sind. 

Alkoholismus: Ehescheidung nur, wenn trotz jahrelanger 
Behandlung deutliche geistige Abschwächung bestehen bleibt. 

Altersblödsinn: Hochgradig, so Besserung unwahrscheinlich. 

Epileptischer Blödsinn desgleichen. 

Bei Arteriosklerose der Hirngefäße und Schlaganfall 
Ehescheidung nur, wenn dauernde geistige Schwäche zurückbleibt 

Manisch-depressives Irresein: Ehescheidung nur bei 
jahrzehntelangem Bestehen, wenn Blödsinn eingetreten ist. Besonders 
schwere Melancholie geht nach vieljähriger Dauer oft noch in 
Heilung über. 

Hysterie: Ehescheidung selten möglich, da das Verständnis 
für die ehelichen Pflichten gewöhnlich erhalten bleibt, und der Zu- 
stand meist Schwankungen unterliegt, sowie die Dauer der Symptome 
sich schwer bestimmen läßt 

Paranoia: Ehescheidung nur, wenn sich im Verlaufe von 
Jahren ein festes Wahnsystem entwickelt hat, besonders wenn das- 
selbe sich gegen die ehelichen Beziehungen im feindlichen Sinne 
richtet. 

Dementia praecox: Hier besondere Vorsicht geboten, da oft 
•trotz schwerer Symptome, z. B. Erregung, Hemmung, Abstumpfung, 
katatonischer Zeichen und lange Zeit anhaltenden Stupors eine 
wesentliche Besserung möglich ist, welche die Wiederherstellung der 
ehelichen Beziehungen gestattet Die Aussichten werden allerdings 
um so ungünstiger, je länger die Krankheit anhält, je mehr kata- 
tonische Symptome in den Vordergrund treten und je mehr das von 
der Krankheit betroffene Gehirn schon vorher abnorm war, z. B. 
bei dementia praecox auf imbeziller Grundlage (Bleuler und Jahr- 
märker). 



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Literatur. 

1. Bernstein, Untersuchung der Merkfähigkeit bei Geisteskranken, Zeitschrift für 
Psych, der Sinnesorgane. B. 32 H. 3 und 4. 

2. Berze, Über das Verhältnis des geistigen Inventars zur Zurechnungs- und 
Geschäftsfähigkeit, Karl Marhold, Halle 1908. 

3. Berze, Verbrechen und Vergehen an Geisteskranken im 1. Band der Foren- 
sischen Psychiatrie, Wilhelm Braumüller, Wien und Leipzig 1908. 

4. Bischoff, Der Geisteszustand der Schwangeren und Gebärenden. Archiv für 
Kriminal- Anthropologie und Kriminalistik, 29. B. 2 und 3 H. pag. 160. 

5. Binswanger, Hysterie» Wien 1904, 

6. Binswanger, Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie, Jena, Gustav 
Fischer. 

7. Bleuler, Über die Bedeutung von Assoziationsstudien. Diagnost. Assoz. Stu- 
dien. 1. Band, Leipzig, Joh. Ambros. Barth 1906. 

S.Bolte, Assoziationsversuche als diagnostisches Hilfsmittel, Allgem. Zeitschr. 

f. Psych. 64. B. 4. H. 
9. Gramer, Gerichtliche Psychiatrie, Gustav^Fischer 1900. 
10. cf. 9, pag. 121. 

il. Dannemann, Die verschiedenen Arten der Unterbringung geisteskranker Ver- 
brecher. Jurist, psychiatr. Grenzfragen VI. B. H. 7. Halle, Karl Marhold 
1908. pag. 31. 

12. Ebbinghaussche Ergänzungsmethode, Zeitschrift f. Psych, u. Phys. der Sinne. 
Bd. 13, pag. 401. 

13. Edinger, Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane. 

14. cf. 17, pag. 79. 

15. cf. 17, pag. 62. 

16. cf. 17, pag. 63. 

17. Eisler, W. Wundts Philosophie und Psychologie, Leipzig, Joh. Ambrosius 
Barth 1902. pag. 73. 

18. cf. 17, pag. 73. 

19. cf. 17, pag. 80. 

^.Finckh, Zur Frage der Intelligenzprüfung, Zentralblatt für Nervenheilkunde 
u. Psychiatrie, Neue Folge XXIX. Jahrg., XVII. Band. 

21. Fritsch, „Der Geisteskranke als Zeuge" im 1. Bd. der Forensischen Psychiatrie, 
Wilhelm Braumüller, Wien und Leipzig 1908. 

22 Ganter, Intelligenzprüfnng bei Epileptischen und Normalen mit der Witz- 
methode, Allgem. Zeitschrift für Psychiatrie, 64. Bd., 6. H. 

23. Grabowsky, Psychologische Tatbestandsdiagnostik 1905. 

24. Hans Groß, Zur psychologischen Tatbestandsdiagnostik. Arch. für Kriminal- 
anthropologie 1905. 

25. Hartmann, Die Neurofibrillenlehre usw., Wilhelm Baumüller, Wien und Leipzig 
1905. 



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— 140 — 

26« Karl Heilbronoer, Zur klioisch psychologischen UDtersuchimgstechnik. 
Monatsschrift f. Psychologie und Neurologie. Bd. 17, H. 2. 

27. Henneberg, Zur Methodik der Inteiligenzprüfung, Vortrag im psych. Verein 
zu Berlin, AUgem. Zeitschrift f, Psychiatrie. Bd. 64, pag. 400. 

28. Hoche, Handbuch der gerichtl. Psychiatrie, Berlin 1901, Aug. Hirschwaldt, 
pag. 545 ff. 

29. Max Isserlin, Psychologische Untersuchungen an Manisch - Depressiven. 
Monatsschr. f. Psychol. und Neurologie. Bd. XXH. H. 4—6. 

80. Jung, Die Freudsche Hysterietheorie, Monatschr. f. Psychol. und Neurologie 
Bd. XXIII. H. 4. 

31. C. G. Jung und Dr. Fr. Riklin, Experimentelle Untersuchung über Asso» 
ziationen Gesunder, Diagnost Assoz. Studien 1. Band, Leipzig 1906. Joh. 
Ambros. Barth. 

32. C. G. Jung, Die psychol. Diagnose des Tatbestandes, Jurist.-psychiatr. Grenz- 
fragen 1906. 

33. C. G. Jung. Analyse der Assoziationen eines Epileptikers. Diagnost Assoz. 
Studien B. I. 

34. Kötscher, Über das Bewußtsein, seine Anomalien etc.. Grenzfragen des 
Nerven- und Seelenlebens. 5. Bd., pag. 25. 

35. Köster, Die Schrift bei Geisteskrankheiten, 1903. 

36. Krapelin, Psychiatrie. 7. Aufl. I. Bd., pag. 135. 

37. cf. 36, pag. 212. 

38. e. l, pag. 217. 

39. e. 1., pag. 218. 

40. Lehrbuch der Psychiatrie, bearbeitet von Gramer, Hoche, Westphal, Wollen- 
berg, Binswanger, Siemerling; Gustav Fischer, Jena 1904, pag 74. 

41. Lewandowsky, Die Funktionen des zentralen Nervensystems, Jena, Gustav 
Fischer 1907, pag. 111. 

42. Liebmann und Edel, Die Sprache der Geisteskranken. 1903. 

43. Liepmann, Über Ideenflucht, Halle, Marhold 1904. pag. 81. 

44. Liepmann, Kleine Hilfsmittel bei der Untersuchung von Geisteskranken, 
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45. Pasta Lombroso-Carrara und Mario Carrara-Turin, „Aus der Vorstellungs- 
welt des niederen Volkes" im „Morgen", Wochenschrift für deutsche Kultur 
No. 13, 1908. 

46. Georg Lomer, Kurzgefaßter praktischer Ratgeber für Irrenärzte und solche 
die es werden wollen. J. F. Bergmann 1908, pag. 23. 

47. E. Meyer, „Die Ursachen der Geisteskrankheiten '^, Gust. Fischer, Jena 1907 

48. Möller, „Über Intelligenzprüfungen, ein Beitrag zur Diagnostik des Schwach- 
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der Intelligenzprüfung, gehalten in der Berliner Gesellsch. für Psych, und 
Nervenkrankheiten, Archiv f. Psych, und Nervenkrankheiten, 34. Bd. p. 284. 

49. Mohr, Über Zeichnungen von Geisteskranken und ihre diagnostische Ver- 
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50. Muthmann, Zur Psychologie und Therapie neurotischer Symptome. Halle, 
Marhold 1907. 

51. Matthaes-Hubertusburg, Material zu § 1569 des B. G. B. Psych. Wochenschrift 
1901/1902, pag. 112. 



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52. Moeli, Die Tätigkeit des Sachverständigen bei Feststellung des Geisteszustandes 
im Zivilverfahren, Forensische Psychiatrie, Wilh. Braumiiller. 

53. Näeke, Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher, Halle, 1902. 

51. Näcke, Adnexe oder ^ Zentralanstalten für geisteskranke Verbrecher? Psych. 

neurol. Wochenschrift 1904, pag. 515. 
55. Näcke, Über Familienmord durch Geisteskranke. Halle, Karl Marhold 1908, 

pag. 64. 
56.Nißl, Die Neuronenlehre und ihre Anhänger, Jena 1903. 

57. Obersteiner, Anleitung zum Studium des Baues der nervösen Zen tralorgane 
Fr. Deuticke, Wien. 

58. Revue de Psychiatrie et de Psychologie Exp6rimentale, Paris Octave Doin, 
Mai 1908, No. 5, pag. 216. 

59. Rieger, Beschreibung der Intelligenzstörungen infolge einer Himverietzung, 
nebst einem Entwürfe zu einer allgemein anwendbaren Methode der Intelligonz- 
prufung 1889. 

60. Ernst Rodenwaldt, Aufnahme des geistigen Inventars Gesunder als Maßstab 
für Defektprüfungen bei Kranken. Monatsschr. f. Psych, und Neurologie. 
Bd. 17. 1905. 

61. Ernst Rodenwaldt, Zur Methode der Intelligenzprüfung. Vortrag, gehalten 
auf der Naturforscherversammlung zu Breslau am 23. 9. 1904. Archiv für 
Kriminal- Anthropologie und Kriminalistik. 17. Bd., 3. und 4. H. 

62. Schlager, Untersuchungen in Fällen fraglicher Zurechnungsfähigkeit. Maschka, 
Handbuch der gerichti. Medizin. 

63. Ernst Schulze und Karl Rühs, Intelligenzprüfung von Rekruten und älteren 
Mannschaften. Deutsche mediz. Wochenschrift 1906, No. 31. 

64. Sommer, Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmethoden, Urban 
und Schwarzenberg, Berlin 1899. 

Verlag der Schematas: Brühische UniversitätsBuch- und Steindruckerei 
in Gießen. 

65. Sommer, Kriminalpsychologie, Leipzig, Joh. Ambros. Barth 1904, pag. 8. 

66. e. 1. pag. 11. 

67. Stransky, Erworbener Blödsinn, Jahrbücher f. Psych. 24. Bd. 1. H. 1903. 

68. K. Wehrlin, Über die Assoziationen von Imbecillen und Idioten, Diagnost. 
Assoz. Studien. Bd. I. 

69. Wertheimer, Experimentelle Untersuchung zur Tatbestandsdiagnostik. Disser- 
tation (Würzburg) 1905. 

70. Wertheimer und Klein, Psych. Tatbestandsdiagnostik, Archiv f. Kriminal- 
anthropologie. Bd. XV. 

7I.WuIffen, Psychologie des Verbrechers. Verlegt bei Dr. P. Langenscheidt, 
Groß-Lichterfelde-Ost 1908. pag. XIV. 

72. Wulff en, Psychologie des Verbrechers. 2. Bd., pag. 11 ff. 

73. Wundt, Grundzüge der phys. Psychologie. Bd. III, pag. 521. 

74. Wundt, Grundzüge usw., pag. 546. 

75. Wundt, Grundzüge der phys. Psych. Bd. III, pag. 557. 

76. e. 1., pag. 664. 

77. Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, pag. 307 

78. cf. 77, pag. 498. 

79. Wundt, Grundriß der Psychologie, 4. Aufl., Wilh. Engelmann, Leipzig, p. 204. 

80. cf. 79, pag. 324. 



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— 142 — 

81. cf. 79, pag.325. 

82. Ziehen, Leitfaden der phys. Psychologie, Jena, Gustav lascher, 1893. 
83 Ziehen, Psychiatrie, 2. Aufl., pag. 147. 

84. Ziehen, Neue Arbeiten zur allg. Pathologie des Intelligenzdefekts in Lubarsch 
und Ostertags Ergebnissen der allgem. Pathologie und pathologischen Ana- 
tomie. 4. Jahrgang 1897. 

und Dr. Budolph Bedepenning „Der geistige Besitzstand von sog. Dementen", 
Monatschr. f. Psych, und Neurol. Bd. XXIII 1908, Erganzungsheft, p 139. 

85. Ziehen, „Schematische Anweisung zur psych. Untersuchung bei geisteskranken 
Kindern" in: Die Geisteskrankheiten des Kindesalters. 3. H., p. 126, Berlin, 
Verlag von Beuther und Beichardt 1906. 

86. Ziehen, Die Prinzipien und Methoden der Intelligenzprüfung. Berlin 1908, 
8. Karger. 



Druck von J. B. Birschfeld. Leipzig. 



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Fig. 18. Katatonische Hebephrenische 

Form der dementia praecox (Katalepsie). 



Fig. 19. Katatonie (Spannungszustände der Gesichtsmuskulatur). Fig. 20. Endzustand einer Hebephrenie mit 

völliger Verblödung. 



Dost, Kurzer Abriss. Digiti^^^ ^^^ CjOOgk von F. C. V 



Fig. 25. Idiotie. 



Voge\ in Leipzig. 



ch- 



Irrseins (Lebhafter Bewegungsdrang), 



Druck von 



"'«^b^rtiÄal^ (öa-ö^gte^ig. 



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