Skip to main content

Full text of "Leben des Grafen Kaspar von Sternberg"

See other formats


Er £) AER x 
P . 
FH 
“ L 
r $ 
hr 
“ 
LOS96Z10 I9LL E W 
il IM! IN 
Kovepatit 


Purchased for the 


LIBRARY of the 
UNIVERSITY OF TORONTO 
from the 


KATHLEEN MADILL BEQUEST 


LEBEN 


DES 


GRAFEN KASPAR STERNBERG, 


VON IHM SELBST BESCHRIEBEN, 


NEBST EINEM AKADEMISCHEN VORTRAG 


ÜBER DER 
GRAFEN KASPAR UND FRANZ STERNBERG 


LEBEN UND WIRKEN 


FÜR WISSENSCHAFT UND KUNST IN BÖHMEN, 


ZUR FÜNFZIGJÄHRIGEN FEIER DER GRÜNDUNG DES BÖHMISCHEN MUSEUMS 


HERAUSGEGEBEN 
VON 


Dr. FRANZ PALACKY. 


ERMONDER ERDRERFAD, vruwwwYLUULYGRRNn nn ae EN EEE EPDP LETTER 


PRAG 1868 


IN COMMISSION BEI FRIEDRICH TEMPSKY. 


j 
N 


7 P ! 5 2 £ r) . 
ES ” ALTER ”i2 MI MO 


‚ ; 7 - RE ; 
' RE N } Fe iR 
x E a N I Br 


ee 


Be 
er 


SHRRIME Pd ET SH 


\BRARyY 


(iraf Kaspar Sternberg, der Hauptgründer und erste 
Präsident des böhmischen Museums, war frühzeitig be- 
dacht, die Erinnerungen aus seinem reich bewegten 
Leben aufzuzeichnen. Schon im J. 1812 entwarf er eine 
ziemlich umständliche „Skizze zu meiner Biographie,” 
die freilich mit dem Jahre 1810 schloss; dann in einem 
der letzten zwanziger Jahre fing er an, seine Biographie 
„für die Gesellschaft der Wissenschaften -in Prag” zu 
schreiben: da ihn jedoch beide Entwürfe unbefriedigt 
liessen, so machte er sich in der unfreiwilligen Musse 
des Jahres 1831 an eine dritte (hier folgende) Be- 
arbeitung des Gegenstandes. Als ich im Jahre 1837 
von meiner ersten italienischen Reise zurückgekehrt war, 
übergab er mir diese Aufzeichnungen zu einer correcten 
Mundirung; seine Meinung war, dass dieses Werk einige 
Jahre nach seinem Tode im Auslande (nämlich censur- 
frei) gedruckt werden sollte. Da es mir aber unmög- 


lich gewesen, das Ganze zu copiren, bevor ich zum 


zweitenmal gezwungen wurde, mit meiner Familie für 
den Winter 1838—39 nach Rom zu ziehen: so übergab 
er mir, als ich von ihm Abschied nahm, nicht nur den 
Rest seines Manuscripts, sondern auch andere autobio- 
graphische Aufzeichnungen mehr; er schien zu ahnen, 
dass er mich nicht wiedersehen würde. Nach seinem 
während meines Aufenthalts in Rom erfolgten Tode be- 
wahrte ich diesen seinen Nachlass als einen meinen ge- 
treuen Händen anvertrauten Schatz mit dem Vorsatze, 
ihn der Absicht des Verewigten gemäss zu behandeln 
und seiner Zeit im böhmischen Museum zu deponiren. 
Seitdem in Oesterreich die Censur beseitigt worden ist, 
entfiel die Nothwendigkeit, das Werk im Auslande 
drucken zu lassen: meine vielen anderweitigen Geschäfte 
machten es mir jedoch unmöglich, an. dessen weitere 
Bearbeitung .Hand anzulegen, und ich fasste deshalb 
schon vor Jahren den Entschluss, die Publication zur 
50jährigen Jubelfeier des böhmischen Museums zu ver- 
schieben. Der gegenwärtige Präsident der Anstalt, Se. Ex- 
cellenz Graf Heinrich Jaroslaw Clam-Martinitz, dem ich 
dies Vorhaben mittheilte, erbot sich die Kosten der Heraus- 
gabe, zu Gunsten des Museums, aus Eigenem zu bestrei- 
ten; auch das thätige Museumsmitglied, Herr Friedrich 
Tempsky, übernahm in gleicher Absicht die Besorgung 
des Vertriebes im Buchhandel; und da auch ich meine 
Arbeit dabei als einen Tribut alter Dankbarkeit ansehe, 


so fällt der ganze Erlös aus diesem Werke jener vater- 
ländischen Anstalt zu, welche leider eines solchen ma- 


teriellen Zuflusses noch immer bedürftig ist. 


Da es nothwenig wurde, der Selbstbiographie des 
Grafen Nachrichten über seine letzten Tage und sein 
Ende beizufügen, und da bei einer Jubelfeier des böh- 
mischen Museums auch die Verdienste des Grafen 
Franz Sternberg um dasselbe nicht mit Stillschweigen 
übergangen werden durften: so entschloss ich mich 
meinen am 15 Dec. 1842 in der böhmischen Gesellschaft 
der Wissenschaften über beide Grafen gehaltenen Vor- 
trag dieser Publication beizufügen, und in Letzterem 
nur Dasjenige wegzulassen, was durch des Grafen Kaspar 


eigenen Bericht überflüssig geworden war. 


Bei der Abfassung der Lebensgeschichte des Grafen 
Franz Sternberg, welche zuerst als Nekrolog in den 
„Jahrbüchern des böhmischen Museums” 1830 (S. 479 
bis 487) erschien, waren mir dessen Tochter, Gräfin 
‚Christiane, und auch Graf Kaspar selbst behilflich ge- 
wesen. Wenn ich nun den biographischen Aufsätzen 
hier auch noch die aus den Reden des Grafen Franz 
Sternberg geschöpften „Aphorismen über Kunst und 
Künstlerberuf” (aus den Jahrbüchern 8. 488—497) folgen 
lasse, so gebe ich zwar zunächst dem Drange meiner 


Pietät gegen zwei Wohlthäter nach, welche mich in 


Feuta? A 
EN N | n 
IN BERER 
v nl] : \ j 5 N 5 
er 5 + ’ . ’r Ben 
+93 i a7 (73 
r f } 4 Eu v 
Bungee Ye wir FF 
f 
? FW 
4 a E [. 
HERR UIU SHELL 
u r } 
Een ja ALTE En 4 f IHHBNN 
wer r s 
a yayı i 4 2 
ir er! ne hi REN BF@ER: 
# 
ö } 
r y 
De Re #5 
ER s Pe. nid } H i 
Her IRA AS: nn a 3 “ 


PRAG, den 1 


5 Apnil 1008. 


ie. d a 


a 
-. 
4 
> 
- 
m. 
Fi 
un, 
un 


LEBEN 


DES 


GRAFEN KASPAR STERNBERG, 


VON IHM SELBST BESCHRIEBEN. 


4 


TR 


x 


Plurimum interest, in quae quis tempora ineiderit. 


Die Einwirkungen von Zeit und Raum, in denen man lebt, 
die Begebenheiten, an denen man, thätig oder leidend, Theil 
nimmt, sind die eigentlichen Erzieher und Bildner des Menschen; 
Lehrer und sogenannte Erzieher sind nur Einleiter in diese Bahn; 
der Umgang mit Eltern gibt Beispiele und Richtschnur. 

Ich ward den 6 Januar 1761 in Prag geboren und in der 
Kirche zu S. Galli als Kaspar getauft. Meine Taufpathen waren 
nach der damaligen Sitte des böhmischen Adels zwei Bettler des 
Kirchspiels. Ich war das jüngste von acht Kindern, welche meine 
Eltern erzeugten, von denen jedoch nur drei Söhne und eine 
Tochter am Leben blieben. 

Mein Vater, Graf Johann Sternberg, k. k. geheimer Rath 
und Kämmerer, war in seiner Jugend den kais. Fahnen vor Bel- 
srad gefolgt, erbeutete in der Affaire bei Pisek 1742 im Suc- 
cessionskrieg die Cond@’sche Bagage (wovon ein paar Pistolen 
mit dem Cond@’schen Wappen noch in meiner Gewehrkammer 
sich befinden), machte den ersten preussischen Krieg mit, erhielt 
in den Schlachten bei Mollwitz und Torgau vier tiefe Kopf- 
wunden, hielt die Trepane glücklich aus, musste aber doch wegen 
wiederkehrender heftiger Kopfschmerzen die militärische Laufbahn 
verlassen. Er vermählte sich mit der Gräfin Anna Josepha Kra- 
kowsky von Kolowrat, Tochter Philipps, des nachmaligen Oberst- 
burggrafen. Und obgleich er dann in Civildienste überging, so 
behielt er doch sein ganzes Leben hindurch eine besondere 

1 


Vorliebe für den Militärstand, und war nie glücklicher, als wenn 


ein ehemaliger Kriegscamerad ihn besuchte, wo er von den leider 


oft verlorenen Schlachten sprechen konnte. 


Meine Mutter war eine sehr gebildete Frau, sie sprach und E 
schrieb mit Fertigkeit deutsch, französisch, italienisch, und lernte 


noch in späteren Jahren die englische Sprache. Sie liebte vor- 


züglich die französische Literatur; in späterer Zeit befreundete 


sie sich jedoch auch mit Wieland, Göthe und Shakspeare. 
In meinem vierten Jahre wurde ich durch die Blattern dem 
Tode nahe gebracht und ziemlich entstellt. Meine Mutter be- 


stimmte, dass ich der weiblichen Wartung nicht eher entzogen 


werden sollte, als bis ich alle Kinderkrankheiten überstanden 


hätte, was erst im siebenten Jahre meines Lebens eintraf. Ich E 
hatte indessen die böhmische Sprache durch Uebung von den 


mich umgebenden Dienstboten, deutsch lesen und schreiben von 
einem Hauslehrer, französisch von meinen Eltern und lateinische 
Worte vor dem Hofmeister meiner Brüder erlernt. 

Mein erster Hofmeister war nach damaliger Sitte ein fran- 
zösischer Abbe, Namens Lambin. Die französische Bilderbibel, 
die wir zusammen lasen, ergötzte mich gar sehr; den wunder- 
barsten Eindruck auf mich machten die vom Trompetenschall 


einstürzenden Mauern von Jericho. Nach zwei Jahren, als ich 


geläufig französisch sprechen gelernt, aber wenig von den Regeln 


der Grammatik behalten hatte, trat ich in die lateinische Schule 3 
bei dem Hofmeister meiner Brüder, einem mährischen Jesuiten, u 


Namens Johann Spalek. Mein ältester Bruder Johann, beinahe 
um neun Jahre älter als ich, hatte bereits die philosophischen 


Studien absolvirt, und mein zweiter um sieben Jahre älterer 


Bruder Joachim sollte in selbe übergehen. 
Da ältere Geschwister auf die jüngeren, schon durch ihren 


Umgang selbst, jedesmal einen bildenden Einfluss ausüben, und 
ich durch die meinigen etwas über meine Sphäre hinaus ge- 


fördert wurde, so muss ich sie etwas näher bezeichnen. 
Mein Bruder Johann war von frühester Jugend auf ein 


“ 


3 


tüchtiger und fleissiger Student gewesen, der bei allen Prüfungen 
Vorzugsclassen erhielt. In freien Stunden beschäftigte er sich 
vorzüglich mit der böhmischen Geschichte, wozu ihn sein erster 
Hofmeister, der später durch seine Schriften rühmlich bekannt 
gewordene Franz Martin Pelzel, angeleitet hatte. Obgleich in 
Jahren weit verschieden, behandelte er mich mit besonderer 
Vorliebe, und ich habe ihm viel zu danken. Er hatte sich bereits 
für den Militärstand erklärt: allein meine Eltern forderten, dass 
er die Rechte hören sollte, um für den Fall, dass ihm die mili- 
tärische Laufbahn in der Folge nicht zusagen sollte, auch im 
Civildienste dem Vaterlande nützlich sein zu können. 

Mein zweiter Bruder Joachim war ein durchaus genialer 
Mensch, der sich in keinen Schulzwang einengen liess. Er brachte 
alle seine Meister und Lehrer in Verzweiflung, indem er während 
der Lehrstunden immer etwas anderes trieb, als was gelehrt 
wurde: sie liebten ihn aber dennoch, wegen seines hervor- 
stechenden Witzes und eines eisernen Fleisses für dasjenige, was, 
ausser der Studierstunde, ihm zusagte. Für sich und ohne An- 
leitung studirte er Mineralogie und Chemie, die, aus alten Büchern 
gezogen, welche er bei den Juden von seinem Spielgeld zusam- 
menkaufte, in Alchemie ausartete. Er brauchte mich als seinen 
-Famulus, um die Steine, die er zusammenschleppte, ordnen zu 
helfen, und, wenn der Hofmeister nicht zu Hause war, ihm das 
Feuer unter dem Schmelztiegel anzublasen; was mir alles vielen 
Spass machte, ob ich gleich, wenn ich ungeschickterweise einen 
Schmelztiegel umwarf, in welchem sich Silber oder Gold bilden 
sollte, ganz ordentlich durchgeprügelt wurde. 

Dieses Leben dauerte drei Jahre, bis mein ältester Bruder, 
nach vollendeten Rechtsstudien, in die Armee als Lieutenant 
eintrat. Ihm folgte im folgenden Jahre auch mein zweiter Bruder, 
und ich sah mit nassen Augen die vielen Steinchen abziehen, 
mit denen ich mich befreundet hatte, und die ich nach äusseren 
Kennzeichen ziemlich gut zu unterscheiden wusste. 

Nun war ich allein mit meinen Eltern, die viel auf dem 

1* 


4 


Lande lebten, und mit dem Hofmeister Pater Spalek. Dieser war 
ein ruhiger gesetzter Mann, besonders in den Classikern wohl 
'bewandert. Ich hatte ein sehr gutes Gedächtniss und machte 
schnelle Fortschritte, ausser in der Poesie; denn obgleich ich den 
Virgil und Ovid beinahe ganz aus dem Gedächtnisse abzuspinnen 
wusste, so wollte es mir doch nie gelingen, einen leidlichen Vers 
selbst zu gestalten. 

Es lag in den Grundsätzen meines Vaters, den Körper hart 
zu erziehen; wie er denn auch selbst nie an Bequemlichkeit 
dachte, und, ausser zu Pferd, weil es Sitte war, nie einen Hand- 
schuh über seine Hand brachte. Es wurde mir gestattet bei 
jeder Witterung die freien Stunden in Gottes freier Luft zuzu- 
bringen, wozu die Jagd die beste Veranlassung bot. Meine 
physischen Kräfte wurden hiedurch vorzüglich entwickelt und 
mein Körper so abgehärtet, dass ich mein ganzes Leben hindurch 
die beschwerlichsten Reisen in jeder Witterung ohne alles Un- 
gemach ertrug. Die Abendstunden brachte ich bei meinen Eltern 
zu. Um mich in der französischen Sprache zu üben, las ich ihnen, 
nächst geistlichen Büchern, Rollins allgemeine und römische Ge- 
schichte vor. 

Meine erste Entwicklung fiel in die letzten Jahre der wahr- 
haft glorreichen Regierung der Kaiserin Maria Theresia, wo sich 
eine freudige Regung aller Zweige der Wissenschaften bemächtigt 
hatte. Ihr hoher durchdringender Geist hatte die Ueberlegenheit 
der geistigen Kräfte durchschaut; um ihnen ein freieres Walten 
zu verschaffen, war sie besorgt, vor allem die wichtigsten Hin- 
dernisse auf eine mässige und ruhige Weise zu entfernen. Nach 
der Aufhebung des Jesuitenordens, welcher das Monopol der 
Erziehung in ganz Europa besessen hatte, wurde dem Studienplan 
eine andere Richtung gegeben. Die Menge der Feiertage, welche 
dem Aufschwung der Industrie im Wege standen, wurden ver- 
mindert, die beinahe auf einer jeden Besitzung in einem andern 
Verhältniss stehenden Frohndienste auf ein gleiches Verhältniss 
redueirt, Agrieulturgesellschaften eingeführt, neue Forstgesetze 


vorgeschrieben, Verbesserungen in allen Zweigen versucht, die 
Tortur aufgehoben. Dass unter den vielen gemachten, zum Theil 
auch ausgeführten, Projecten, auch manche misslangen, wie z. B. 
die Emphyteutisirung der Gründe in zu kleine Parcellen, ist nicht 
zu läugnen: im Ganzen aber wurde Grosses ohne Geräusch aus- 
geführt, und wer sich die Mühe nehmen wird, alle Verordnungen, 
welche unter Maria Theresia erschienen sind, durchzulesen, wird 
sich überzeugen, dass sie eine allgemeine Reformation in allen 
Zweigen, aber keine Revolution bezweckte. Denn schonend gegen 
die Menschen, selbst gegen eingewurzelte Vorurtheile, änderte 
sie wenig in den Formen, aber viel in der Wesenheit auf eine 
wenig auffallende Art; und da sie persönlich allgemein beliebt 
war, so setzte sie, ohne die geringste Unruhe in ihren weiten 
Staaten zu veranlassen, mehr durch als ihre Nachfolger. Sonnen- 
fels hatte indessen die Fesseln des Geistes gelöst, und es gab 
geistvolle Männer in der Monarchie, welche seinem Beispiele 
folgten. In allen Fächern der Wissenschaft wurde ein edles 
Streben bemerkbar, welches einen sich entwickelnden jungen 
Geist, der manches davon zu lesen bekam und noch mehr dar- 
über für und wider sprechen hörte, nicht unberührt lassen konnte. 

Ich war indessen bis zum Studium der Physik vorgerückt, 
die ein irländischer Franeiscaner oder sogenannter Hiberner, 
O Kelly, nachmaliger Bischof in Dresden, mich lehrte. Es fehlte 
ihm nicht an Kenntnissen, aber an der Methode, sie mitzuthei- 
len; ich machte geringe Fortschritte, und versäumte auch, was 
ich später oft bedauert habe, bei ihm die englische Sprache or- 
dentlich zu lernen. Die Jugend ist leichtsinnig. 

Da meine beiden Brüder sich dem Kriegsdienste gewidmet 
hatten, so bestimmten meine Eltern mich zum geistlichen Stande. 
- Durch Empfehlung der Kaiserin Maria Theresia wurde mir schon 
in meinem eilften Jahre eine Domherrnpräbende in Freising von 
dem Papst Clemens XIV ertheilt, und durch Resignation eines 
Grafen Khevenhüller erhielt ich eine zweite, die von Re- 
gensburg; ich selbst hatte kaum Kenntniss davon genommen. 


Als im Jahr 1778 der unbedeutende Krieg mit Preussen aus- 
brach, regte auch bei mir sich der Militärgeist. Mein ältester 
Bruder hatte sich ausgezeichnet und wurde im Armeebulletin 
ehrenvoll erwähnt, bald darauf mein zweiter Bruder als Adjutant 
vom Feldmarschall Laudon, von dem ehrwürdigen Veteran, 
öffentlich belobt: dadurch aufgeregt versuchte ich meine Eltern 
zu bewegen, meinen schwarzen Rock gegen den weissen vertau- 
schen zu dürfen. Mit Klugheit und Freundlichkeit verwiesen 
diese mich zur Ruhe, bis sich die politischen Umstände deut- 
licher entwickelt haben würden. Der Teschner Friedensschluss 
erfolgte, meine beiden Brüder kamen zurück, ohne einen Schritt 
vorwärts gerückt zu sein, die militärische Aufwallung wurde be- 
schwichtigt. Mein Bruder Jobann, in dessen Einsichten ich 
grosses Vertrauen setzte, machte mir begreiflich, dass wenn ich 
meine Anlagen gehörig benützen wolle, es mir leicht werden 
dürfte, mich in den Domcapiteln zu höheren Würden aufzu- 
schwingen und mir einen nützlichen und anständigen Wirkungs- 
kreis zu verschaffen, den ein Officier, in Friedenszeiten auf das 
Exereiren von Recruten beschränkt und in ein ungrisches Dorf 
ohne menschlichen Umgang gebannt, oft lange entbehren müsse. 

Dies bestimmte mich, den Wunsch meiner Eltern zu erfül- 
len, die Theologie in Rom, im dortigen Collegium germanicum 
zu hören. Ich bereitete mich zu der öffentlichen Prüfung an 
der Universität in Prag vor, bei welcher ich gut bestand, er- 
hielt die Firmung und die kleinen Weihen, und reiste zu mei- 
nem Oheim nach Wien, dem Minister Grafen Leopold Kolowrat, 
Bruder meiner Mutter, der es übernommen hatte, mich nach 
Rom zu befördern. Mein Oheim hatte beschlossen, mich mit 
dem neu ernannten Auditor Rotae, Grafen Salm, einem Dom- 
herrn von Salzburg, nach Rom zu schicken. Die Abreise ver- 
zögerte sich und liess mir Zeit, Wien näher kennen zu lernen. 
Ich erkundigte mich nach der Verschiedenheit der theologischen 
Lehre in Wien und in Rom, und verschaffte mir die an der 
Wiener Universität vorgeschriebenen Lehrbücher, um die Ab- 


weichungen bestimmter zu erkennen. Vor meiner Abreise hielt 
es mein Oheim für schicklich, mich zu einer Audienz bei der 
Kaiserin zu führen. Sie empfing mich gnädig und sagte: „Er 
reist jetzt nach Rom ins deutsche Collegium, um sich für den 
geistlichen Stand vorzubereiten, Er muss aber nicht glauben, dass 
Er dieserwegen geistlich werden muss, wenn Er keine Vocation hat. 
‘ Wenn Er etwas gelernt hat, so kann Er auch in einem andern 
Stand sein Fortkommen finden.“ Diese allergnädigste Aeusserung 
war mir sehr angenehm, denn ich hatte eigentlich noch gar 
keinen klaren Begriff, woran man seinen Beruf prüfen soll. 

Zu Anfang December 1779 verliessen wir Wien. Die schö- 
nen Städte Italiens, wo wir einige Tage verweilten, machten 
einen tiefen Eindruck auf mich; Mangel an Menschenkenntniss, 
die ich im engen Kreise des väterlichen Hauses nicht erwerben 
konnte, machte mich schüchtern und verlegen in der Gesell- 
schaft. Am 23 December kamen wir in Rom an. Ein geistlicher 
Vorsteher aus dem Collegium erwartete mich an der Porta del 
Popolo, und brachte mich in das Collegium, wo ich dem Präsi- 
denten vorgestellt und dann in die Kammer geführt wurde, wo 
alle in diesem Jahre neu Angenommenen zusammen wohnten. 

Am nächsten Morgen wurde mir eine Eidesformel vorge- 
legt, nach welcher ich schwören musste, geistlich zu werden, 
und gerades Weges aus dem Collegium wieder zurückzureisen, 
ohne eine Nacht ausserhalb desselben in Rom zuzubringen, auch 
nicht über Neapel zu reisen. Das kam mir seltsam und unbe- 
.quem vor: doch dachte ich, so nahe dem Papst, dürfte es wohl 
nicht schwer halten, eine Dispens zu bekommen. Ich schwur 
den Eid, in der innern Ueberzeugung, ihn nicht halten zu müssen; 
wie es auch wirklich erfolgte. 

- Ich hatte Mühe, mich in die neue Lebensweise einzuge- 
wöhnen; doch in grosser Gesellschaft junger Leute erträgt man 
alles leichter. Wir waren 70 junge Theologen, zu 10 bis 12 in 
geräumigen Sälen; die Fenster standen so hoch, dass man mehrere 
Treppen hinaufsteigen musste, um sie zu erreichen, und dann 


8 


nichts weiter zu sehen, als die Dächer der Häuser, und die 
Piazza Navona, wo alle Sonntage zu gleicher Zeit an der einen 
Ecke ein Capuciner predigte, und auf der andern Pulcinella in 
einer Marionettenbude die Gaffer belustigte. Unsere Professoren 
waren Dominicaner aus dem Kloster della Minerva; derjenige, 
der das Jus canonicum vorlas, ein wahrhaft gelehrter Professor, 
dessen Vortrag im besten ciceronschen Latein uns alle erfreute, 
die drei übrigen höchst subalterne Menschen. Alle Tage gingen 
wir Abends durch die Strassen und Kirchen spazieren, immer 
die ganze Kammer mit dem Geistlichen, der bei uns schlief, an 
Sonn- und Feiertagen in die Paläste, um Galerien oder Alter- 
thümer zu besehen, an Donnerstagen bei gutem Wetter in unsere 
Vinea nächst der Villa Borghese. 

Alle acht Tage mussten zwei Zöglinge unter Vorsitz des 
Professors disputiren. Als mich nun zum ersten Male die Reihe 
traf, zu opponiren,, verleitete mich die Eigenliebe, glänzen zu 
wollen. Ich legte die Schriften des Professors bei Seite, schöpfte 
meine Argumente aus den Büchern, die ich von Wien mitge- 
bracht hatte, und freute mich schon zum Voraus, wie”-ich den 
Defendenten in Verlegenheit bringen würde. Dies geschah auch 
wirklich, allein meine Siegesfreude dauerte nicht lange: denn 
nun fiel der Professor in sehr erbostem Tone über mich selbst 
her, und es fehlte nicht viel, dass er mich nicht für einen Ketzer 
erklärte. Er liess mich auch seinen Groll bei der ersten Prü- 
{ung empfinden; denn obgleich ich sehr richtig geantwortet hatte, 
so gab er mir doch die zweite Classe, indess ich von den übri- 
gen drei Professoren die Vorzugsclassen erhalten hatte. Von 
diesem Augenblicke an bemächtigte ich mich des Platzes hinter 
der Katheder, wo mich der Professor nicht sehen konnte, und, 
mich einzig auf mein Gedächtniss verlassend, schrieb ich keine 
Zeile mehr, ausser was der Professor des Kirchenrechts, Chri- 
stianopulo, dictirte. 

Die Zeit auf eine andere Art würdig zu benützen, suchte 
ich nun Mittel und Gelegenheit. Unter meinen Mitschülern in 


9 


der Kammer befand sich ein Junker von Balthasar aus Luzern, 
dessen älterer Bruder in der Stadt wohnte, und alle Sonntage 
in das Sprachzimmer kam, den Bruder zu besuchen. Durch die- 
sen verschaffte ich mir Bücher, die mir als Leitfaden für das 
Studium von Kunst und Alterthum dienen konnten. Er brachte 
mir nach und nach sämmtliche Werke von Winkelmann, die ich 
-in freien Stunden fleissig studirte; und während der Professor 
den Tractat de gratia langweilig abspann, blätterte ich hinter 
der Kanzel im Pausanias und andern von Winkelmann eitirten 
Autoren, die sich in der Bibliothek des Collegiums befanden. 
Ich wurde zwar belauscht, verrathen und von unserm Vorsteher 
vorgenommen: da ich aber durch mein glückliches Gedächtniss 
binnen vier Wochen alles aus fremden Heften so aufzufassen 
und zu behalten vermochte, dass ich in der Prüfung der vierte 
Beste war, so liess man mich in der Folge gewähren. 

Das Zusammenleben mit vielen Menschen gleiches Alters 
aus allen Gauen Deutschlands und der Schweiz, aus den ungri- 
schen Ländern und Siebenbürgen, nebst den Italienern, die uns 
umgaben, liess mich die Menschen näher und nicht immer von 
der besten Seite kennen lernen. Ich zog mich zurück, und ge- 
wann dadurch Zeit, mich mehr mit den Wissenschaften zu 
- befassen, wie ich es bei meiner isolirten Erziehung im väterlichen 
Hause gewohnt war. Unter den vielen Büchern, die Junker von 
Balthasar in das Collegium einschwärzte, — denn deutsche 
Bücher waren Contrebande — befanden sich auch Werthers 
Leiden von Göthe; ich konnte sie bloss am Donnerstag, wo wir 
in unserer Vinea speisten und uns nach Willkühr in dem weiten 
Raume zerstreuen durften, mit Sicherheit lesen. Um nicht ver- 
rathen zu werden, kroch ich auf eine dicht bebuschte Cypresse, 
und schwamm in Thränen, indess die Cicaden neben mir die 
heissesten Stunden des Tages verkündeten. 

Wir vernahmen zwar sehr wenig von Allem, was in der 
Aussenwelt vorging, da wir ausser dem Diario di Roma keine 
Zeitung zu lesen bekamen: doch erhielten wir Briefe, sprachen 


10 


an Sonntagen mit Bekannten aus der Stadt, und Begebenheiten, 
wie der Tod der Kaiserin Maria Theresia, das rasche Eingreifen 
und Aendern Kaiser Josephs, die Reise Pius VI nach Wien, 
konnten kein Geheimniss bleiben. Es herrschte viele Unzufrie- 
denheit im Collegium, besonders gegen den, zweiten Vorsteher, 
den man Minister nannte, einen Korsikanischen Exjesuiten, 
der sich in jeder Kammer unter den Studirenden einen Spion 
erzog, um jede Contrebande von eingeschleppten Esswaaren u. dgl. 
zu erkunden, und damit viele Chicanen veranlasste; selbst die 
Geistlichen, die mit uns wohnten, — Präfecten genannt, — wie- 
gelten uns gegen ihn auf. Die österreichischen Unterthanen bil- 
deten die Mehrzahl im Collegium; sie schlossen sich näher an 
einander, um eine Opposition zu bilden. Als es nun inRom ruch- 
bar wurde, dass der Papst unverrichteter Dinge zurückgekehrt 
sei, fing es an in den heissesten Köpfen, besonders unter den 
Ungarn und Siebenbürgern, zu spucken, und die innere Disci- 
plin löste sich allmählig auf. Unser Präsident, ein gelehrter 
Canonicus von Fano und heller Kopf, schlug den klügsten Weg 
ein, um die Ordnung wieder herzustellen: er missbilligte das 
Betragen des Ministers, suchte die besten Köpfe an sich zu ‚zie- 
hen, ihre Ansichten zu mildern, und stellte dem Cardinal Cassali 
die Nothwendigkeit vor, ein anderes Benehmen gegen uns ein- 
zuleiten; allein der Minister hatte ihn bereits bei dem Cardinal 
als Haupt der Widerspänstigen denunciirt. Man wollte die Sache 
mit Gewalt bekämpfen: ein gefährliches Mittel, welches die Ju- 
gend gewöhnlich nur aufreizt und grössere Thorheiten veranlasst. 
Der Cardinal erschien persönlich im Collegium, um uns eine 
Strafpredigt zu halten und mit einer päpstlichen Poenitenz zu 
bedrohen: er wurde ausgezischt, die Meisten zogen sich zurück, 
und er blieb am Ende mit den blossen Creaturen des Ministers 
allein im Saale. Man versuchte nun durch den kaiserlichen Bot- 
schafter, Cardinal HerZan, auf uns zu wirken: allein dieser wusste 
in seiner Doppelgestalt als Botschafter und Cardinal sich aus der 
Sache zu ziehen, ohne einen directen Schritt zu thun. Aus dieser 


11 


Verlegenheit zog man sich endlich dadurch, dass in einer Nacht 
Präsident und Minister aus dem Collegium entfernt wurden, am 
Morgen aber ein päpstlicher Prälat als neuer Präsident nebst einem 
neuen Minister vor uns standen, und eine väterliche Ermahnung 
des Papstes zu Ruhe und Eintracht vorlasen. 

Ich benützte diese Art von Waffenstillstand, um mir ein 
eigenes Wohnzimmer auszubitten, was, ausser in Krankheitsfällen, 
nie gestattet wurde; jetzt aber erhielt ich es, weil man die Ca- 
meradschaften, die sich gebildet hatten, gerne trennen wollte, 
und ich in der Opposition zu den Gemässigten gezählt wurde. 
Nun fand ich mehr Musse, für mich zu studiren, und bildete mit 
fünf der fleissigsten meiner Mitschüler eine literarische Gesell- 
‚schaft, die sich jede Woche einmal bei mir versammelte, um 
kleine Aufsätze über wissenschaftliche, nicht theologische Gegen- 
stände vorzulesen und zu besprechen. Es waren allerdings keine 
sehr sublimen Arbeiten; doch lieferten sie den Beweis. dass wir 
uns auszubilden strebten. 

Während dieser Ereignisse war mein Vetter, Graf Adam 
Sternberg, in Rom gewesen, und hatte mich von allem, was in 
der Heimath vorfiel, in genaue Kenntniss gesetzt. Er stellte mir 
vor, dass bei den von Kaiser Joseph aufgestellten Grundsätzen 
die kaiserlichen Unterthanen wohl nicht lange würden in Rom 
verbleiben können, und ermahnte mich zur Ruhe und zur Be- 
nützung der letzten Zeit meines Aufenthaltes in Rom, um die 
Merkwürdigkeiten dieser Stadt genau zu beobachten. Dieselbe 
Lehre enthielten auch die Briefe meines ältesten Bruders Johann : 
ich befolgte sie treu. 

Im Frühling 1782 erschien K. Josephs Ediet, wodurch dem 
deutschen Collegium in Rom alle Güter, welche es im mailändi- 
schen Gebiete besass, entzogen wurden; zugleich wurden alle 
österreichischen Unterthanen abgerufen und angewiesen, sich in 
das neu errichtete Collegium nach Pavia zu verfügen, um dort 
ihre Studien zu vollenden. Ich hatte nur noch ein Jahr lang zu 
studiren: allein ich begriff sehr wohl, dass mir meine römische 


12 


Theologie in Pavia, wo ganz andere Grundsätze mit Leidenschaft 
verfochten wurden, wenig frommen würde, hatte auch keine son- 
derliche Lust, von einem Extrem zum andern überzugehen, da 
die Wahrheit gewöhnlich mitten inne liegt: ich entschloss mich 
daher, aus dem Jus canonicum, welches ich allein mit Fleiss und 
Lust studirt hatte, Öffentlich zu disputiren, und mir ein Attestat 
als Theologus absolutus zu verschaffen. Dies geschah im Monat 
Juni 1782 mit glänzendem Erfolg; das Attestat wurde ausgefer- 
tigt, in Wien angenommen, und ich erhielt von meinen Eltern 
die Erlaubniss, noch ein ganzes Jahr in Italien zu bleiben. Ich 
hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als mir die päpstliche Dispens 
von meinem Eidschwur zu verschaffen (welche mir auch ohne 
alle Schwierigkeiten ertheilt wurde), und nach Neapel zu reisen, 
wo meine Eltern mich dem Beichtvater der Königin, Bischof 
Gürtler, empfohlen hatten. 

Im Juli 1782 langte ich in Neapel an, und verlebte dort, 
als imberbis juvenis, tandem custode remoto, drei Monate, die 
glücklichsten Tage meines Lebens. Die milde Luft und der 
erste Anblick des Meeres, der heitere Himmel und die hellen 
Mondnächte auf der Strada di Chiaja oder dem Posilippus am 
Meeresstrande, die grossen Naturscenen am dampfenden und 
leuchtenden Vesuv, die erhabenen Reste des Alterthums im 
Herculanum, Paestum, Bajä u. s. w. erhielten mich in einem 
fortwährenden Entzückungsfieber. Der gütige Himmel hatte mir 
einen offenen Sinn für Natur- und Kunstschönheiten ertheilt, 
meine jugendliche Einbildung erfasste sie mit solcher Wärme 
und Lebhaftigkeit, dass noch heute nach fünfzig Jahren diese 
Bilder anschaulich meinen Sinnen vorschweben. Das perenni- 
rende Gewühl in der Strasse Toledo oder Abends auf dem Molo, 
das wundersame Völkchen der lärmenden Lazzaroni, die Oper 
von San Carlo und der.Policinell in S. Carlino, die musicalischen 
Akademien der Conservatorien der Strada di Chiaja an jedem 
Abend, — vier und zwanzig Stunden reichten nicht hin, um alles 
zu geniessen, was jeder Tag einem jungen Mann darbot, der die 


13 


Welt noch wenig kannte und 30 Monate in einem Collegium 
ziemlich klösterlich verlebt hatte. Durch die Bekanntschaft mit 
einem jungen Marchese Gonzaga kam ich in musicalische Ver- 
eine, wo ich die berühmtesten Sänger und Sängerinnen jener 
Zeit, und zwei ausgezeichnete Künstlerinnen auf der Pedalharfe, 
 Sgra. Matilda Perrini und Donna Brigida Ognibene zu hören 
bekam, die mich über alle Massen entzückten. Zu allen Stunden 
des Tages und der Nacht, wo kein Neapolitaner unbewaffinet 
ausgeht, zog ich im jugendlichen Leicht- und Frohsinn in den 
Strassen mitten durch die Lazzaroni einher, die bis an den Stufen 
des königlichen Palastes, in welchem ich wohnte, unter freiem Him- 
mel ihrer Nachtruhe pflegten, ohne dass mir jemals der geringste 
Unfall begegnet wäre. Ich hatte ihre Volkssprache sehr bald 
“erlernt, schenkte ihnen manchmal eine Kleinigkeit; so standen 
wir in gutem Einvernehmen. Dieses Völkchen, welches durch 
die Revolution beinahe ganz vertilgt wurde, hatte vieles Eigen- 
'thümliche. Es liebte den heiligen Jamuarius und seinen König 
Ferdinand, nahm aber von keinem Gesetz, am wenigsten einem 
polizeilichen, Kenntniss. Arm und roh, hielt es das Stehlen der- 
jenigen Gegenstände, die es für seine beschränkten Bedürfnisse 
brauchte, nicht für unerlaubt. Jedes anvertraute Gut von noch 
so grossem Werthe überbrachte es treu und unversehrt, wohin 
man sie damit schickte; sie waren die Famuli der ganzen Stadt, 
und lebten von diesem Verdienste. Ein Dominicanermönch, ge- 
wöhnlich padre Peppo genannnt, war der Einzige, dessen Be- 
fehlen sie gehorchten; er ging stets mit einem ziemlich grossen 
mit Messing beschlagenen Crucifix unter ihnen herum, und ge- 
brauchte es auch als Waffe, wenn sie ihm nicht gehorchen 
wollten. Als der König eine Strassenbeleuchtung einführen 
wollte, die Lazzaroni aber alle Laternen einschlugen , wendete 
sich die Polizei an padre Peppo. Dieser kaufte eine Menge 
Bilder des heil. Januarius und der heil. Jungfrau , nagelte sie 
mit seinem Crucifix an die Strassenecken an, kam dann Abends 
wieder und brachte eine Laterne, die er unter das Bild befe- 


14 


stigen liess; diese wurde respectirt, und so nach und nach die 
Strassen beleuchtet. 

Bei allem jugendlichen Schwelgen am Busen der Natur und 
in der freien Bewegung des Weltlebens, versäumte ich doch nicht 
alles Sehens- und Wissenswerthe zu beachten. Ich machte die 
Bekanntschaft des englischen Gesandten Hamilton, den die 
Neapolitaner die Hebamme des Vesuvs nannten, weil er die Erup- 
tionen desselben mit ziemlicher Genauigkeit einige Tage vorher 
zu verkünden wusste; und bestieg nachher diesen merkwürdigen 
Vulcan, doch ohne hier noch sonst auf Naturgeschichte Rücksicht 
zu nehmen, von der ich noch keine eigentliche Kenntniss hatte. 
Auch die königlichen Schlösser Caserta und Portici besuchte ich; 
im letzteren bewohnte ich ein Zimmer, wo ich am Morgen auf 
dem Bette sitzend aus einem Fenster den dampfenden Vesuv, 
aus dem andern das mit unzähligen weissen Segeln der Fischer- 
boote bedeckte Meer sah; der Drang nach dem Genusse dieses 
Anblicks weckte mich gewöhnlich schon im ersten Zwielicht auf. 
In die Gesellschaften der grossen Welt ging ich selten, da ich 
überhaupt im Gewühle vieler unbekannten Menschen wenig Ver- 
gnügen fand, und noch wenig Gewandtheit besass, mich dort 
geltend zu machen. In kleineren Familienkreisen, wo ich Zutritt 
fand, fühlte ich mich behaglicher; und da ich ein froher und 
munterer Gesellschafter war, so wurde ich auch gerne gesehen. 
Zu Ende September 1782 reiste ich über Monte Cassino nach 
Rom zurück, wo ich im Hause des Auditor Rotae Grafen Salm 
gastfreie Aufnahme fand. 

Eine Menge Fremde, zumal Engländer, lebten damals wie 
immer in Rom; ich gesellte mich zu ihnen, um die Merkwürdig- 
keiten jenes classischen Bodens noch einmal zu besichtigen. 
Durch sie kam ich in Verbindung mit Künstlern und Kunst- 
freunden, Reifstein, Angelica Kaufmann, Battoni, Maron, Trippel, 
Cunego, Piranesi und Schwendimann, deren einige ich schon 
früher gekannt hatte. Unter der Anleitung solcher Männer lernte 
ich in drei Monaten besser sehen, als es mir früher bei viel 


ET 2m 


15 


grösserer Anstrengung gelungen war. Man kann durch Selbst- 
studium wohl manches erlernen: aber eine gute Anleitung er- 
spart viel Mühe und Zeit, und dadurch wird viel gewonnen. In 
den Gesellschaften bei Cardinal Bernis erschien ich zuweilen, um 
die grosse Welt, die da ein- und ausging, zu schauen; die meisten 
Abende krachte ich jedoch bei der Marchesa Sparapagna Boceca- 
paduli, mit dem Marchese Veri (Verfasser des Lebens der Sappho) 
und einigen Fremden, oder bei der Gräfin Albany, geb. Fürstin 
Stollberg, mit dem Grafen Alfıeri und dem berühmten Violinisten 
Pugnani zu. Bei der ersten war immer ein Abendessen auf 
8 Couverts gedeckt, es mochten der Gäste mehr oder weniger vor- 
handen sein; sie war weder jung noch hübsch, aber äusserst 
geistreich, sprach mit Lebhaftigkeit und richtigem Urtheil, so 
‘dass man gerne bei ihr verweilte: wenn es aber 1 Uhr schlug, 
zündete Graf Veri, ihr Cavaliere servente, einen Wachsstock an 
und sie ging zu Bette, ohne das in Gang gebrachte Gespräch 
zu unterbrechen. 

Die Trauerspiele des Grafen Alfıeri, der für das italienische 
Theater eine neue Bahn gebrochen hatte, erregten damals grosses 
Aufsehen. Seine Antigone wurde zum erstenmal von einer Pri- 
vatgesellschaft bei dem Fürsten Zagarola aufgeführt; Alfieri selbst 
spielte mit; das Stück wurde vorzüglich durch das Spiel der 
Fürstin Zagarola und Ceri gehoben, und erfreute sich des lau- 
testen Beifalls. Zu derselben Zeit trat auch Marchesi zum 
erstenmal im Paulo Emilio auf die Bühne. Seine Stimme wollte 
Anfangs dem classischen Ohr der Römer nicht ganz gefallen, 
doch erzwang seine Kunst den lautesten Beifall, der schon bei 
der dritten Vorstellung in einen unbändigen Enthusiasmus 
überging. 

Ich wollte bis zum Monate März 1783 in Rom bleiben und 
dann über Genua, Turin und die Schweiz gemächlich nach Hause 
reisen: allein zu meinem grossen Verdruss erhielt ich am Weih- 
nachtstage einen Brief von dem Agenten meiner Eltern in Re- 
gensburg, mit der Nachricht, es sei daselbst ein Domherr ge- 


16 


storben, die Reihe, um in das Capitel einzutreten, stehe an mir; 
ich sollte also schleunig dahin reisen. So angenehm mir auch eine 
selbstständige Existenz erscheinen mochte, so war sie mir doch 
in diesem Augenblicke unbequem und setzte mich in grosse Ver- 
legenheit. Ich war noch nie allein gereist, besass keinen Wagen, 
in den Weihnachtstagen war es ungewöhnlich, etwas zu kaufen 
u. s. w. Die Folge war, dass ich für theures Geld eine, zwar 
neu scheinende, zweirädrige Sedia erhandelte, worauf ich am 
dritten Feiertage von Rom abreiste, mit nicht mehr Geld, als 
nöthig war, um gerade bis Regensburg zu reichen. Das Wetter 
war schlecht, die Wasser sehr angeschwollen; als der Postillion 
am Fusse des Radicofani etwas rasch und ungeschickt in einen 
Torrente hineinfuhr, ging der herrliche Wagen in Trümmer. 
Es kamen gleich Leute aus einer nahen Kneipe zu Hilfe, die 
mit vielem Geschrei und Geschäftigkeit den Wagen aus dem 
Wasser und in die Kneipe zogen, wo man ihn wieder in so weit 
zusammenflickte, dass er noch bis Florenz gehen konnte, und 
sich dafür schmählich bezahlen liessen. In Florenz musste 
schlechterdings ein neuer Wagen angeschafft werden; es wurde 
also auf der Post ein Tausch getroffen und abermals 15 Ducaten 
aufgezahlt, wodurch meine Finanzen in Zerrüttung kamen. Doch 
ich fuhr Tag und Nacht darauf los, zahlte gute Trinkgelder, um 
schneller fortzukommen, und gelangte bis nach Mantua. Als ich - 
hier meine Börse untersuchte, fanden sich noch drei Ducaten 
und einige Scheidemünze, und ich kannte keine Seele in der 
Stadt. Der Fall war bedenklich: aber die Jugend ist selten ver- 
legen und ziemlich dreist; ich nahm einen Lohnbedienten, besah 
die Merkwürdigkeiten der Stadt, und fragte nach einem Banquier, 
der mit Wien Geschäfte mache. Man nannte mir einen Juden, 
Herrn Moses Kuhn — sein ehrlicher Name verdient ein Anden- 
ken. Ich liess mich zu ihm führen, fragte ob er mit dem Hause 
Fries in Geschäftsverbindung stehe, und da er es bejahte, so 
trug ich ihm mein Anliegen vor und verlangte Geld zur Fort- 
setzung meiner Reise, welches ich ihm bei Fries in Wien wieder 


17 


erstatten wollte. Er sah mir in ‘die Augen und sagte: So viel 
Sie wollen, wenn Sie mir nur nachweisen, dass Sie derselbe 
sind, für den Sie sich ausgeben. Als ich ihm nun unter andern 
Empfehlungsschreiben in meiner Brieftasche dasjenige zu lesen 
gab, welches der ‚kaiserliche Botschafter Cardinal Graf Herzan 
mir an den Bischof von Regensburg offen mitgegeben hatte, 
machte Moses einen tiefen Bückling, eröffnete die Kassa, ich 
schrieb den Wechsel, und alle Verlegenheit war gehoben. Ich 
speiste mit Appetit, die Postpferde erschienen, und am 5 Januar 
1783 Nachts traf ich in Regensburg ein. 

Am 6 Januar früh meldete ich mich bei dem Domdechant 
Grafen Thurn zum Capitel. Er fragte mich, wie alt ich wäre? 
— „Eben heute 22 Jahre“. — „„Ach da hätten Sie noch füglich 
das halbe Jahr in dem schönen Italien bleiben können, denn vor 
vollendeten 24 Jahren und der ersten sogenannten rigorosen 
Residenz kann Niemand in das Capitel eintreten, wenn auch 
nach der Aufnahme die Reihe an ihm wäre; sein nächster Nach- 
folger, der die Jahre hat, tritt an seine Stelle’’” — Ich war 
vernichtet; es fehlte nicht viel, dass ich in Thränen ausgebrochen 
wäre. Graf Thurn, ein feiner Weltmann, bemerkte den Kampf 
meiner Gefühle und sagte: „Da Sie nun einmal bei uns sind, so 
können Sie nichts besseres thun als hier bleiben und die erste 
Residenz von 9 Monaten verrichten, um wenigstens für den 
nächsten Fall, der nicht lange ausbleiben wird, da es mehrere 
alte und gebrechliche Mitglieder unter uns gibt, mit allem Er- 
forderlichen versehen zu sein; ich werde für alles sorgen, und 
Sie heute Abends der hiesigen Gesellschaft vorstellen.” Ich 
kehrte voll Verzweiflung in den Gasthof zurück, tausend Empfin- 
dungen. kreuzten sich in meiner Seele: allein der physische 
Mensch hilft dem moralischen oft zur Ruhe; der bei meiner 
thörichten Reise lang entbehrte Schlaf übermannte alle meine 
Empfindungen, ich warf mich aufs Bette und das Bewusstsein 
entschwand. Abends um 7 Uhr holte mich Graf Thurn ab und 
brachte mich zu dem Prineipal-Commissär Fürsten von Thurn 

2 


18 


und Taxis, wo die ganze Reichstagsgesellschaft versammelt war. 
Ich sah eine Menge mit Stern und Ordensbändern behangene 
Männer sonder Ausdruck herumwandeln, bis sie sich allmählig 
an die Spieltische vertheilten. Nachdem ich meine hundert 
Bücklinge bei der Aufführung gemacht hatte, zog ich mich zu- 
rück und fuhr nach Hause, mit dem Eindruck, nie ein traurigeres 
Wiegenfest begangen zu haben. 

Meine Eltern billigten den Plan des Domdechants; die 
Residenz wurde begonnen, und damit die zweite Epoche meines 
Lebens. Bisher war dieses zwischen Studien und Genuss ge- 
theilt gewesen; nun sollte ich in Verhältnisse treten und unter 
einem Heer von Gesandten auf einem politischen Tummelplatze 
erscheinen. Dies machte mich schüchtern. Ich bestrebte mich 
vor allem meine neue Lage und Umgebungen genauer kennen 
zu lernen. Das Domcapitel, in welches ich einst aufgenom- 
men werden sollte, war aus ungleichen Bestandtheilen zu- 
sammengesetzt, und wie ich sehr bald erfuhr, in zwei ein- 
ander ziemlich schroff entgegenstehende Parteien getheilt. Der 
Reichstag , in seinen steifen Formen, wie ihn der west- 
phälische Friede gestaltet hatte, doch mit bereits ausgebil- 
deten Souverainitätsrechten absoluter Monarchien , war eigent- 
lich geschäftlos und bestand gleichfalls aus zwei Parteien, 
dem Corpus Evangelicorum et Catholicorum , oder eigentlicher 
Preussen und Oesterreich, als den Häuptern beider Religions- 
parteien. Dass in einer so schroff getrennten Gesellschaft, und. 
bei dem Umstande, dass ob Mangel an wahren und eigentlichen 
Geschäften ein jedes Geklatsch zu einem Geschäft gewandelt, 
mit Eifer verfolgt und ausgesponnen wurde, — ut aliquid feeisse 
videamur, — sich gar manche Gelegenheiten zu Reibungen und 
Missverständnissen darbieten würden, war mir zwar leicht be- 
sreiflich, doch schien mir die Unbedeutenheit meiner Stellung 
als Domicellar eine sichere Aegide, wenigstens für diese erste Zeit, 
und ein utraquistisches Benehmen das sicherste Mittel, um jedem 
Argwohn einer Neigung für diese oder jene Ansicht zu entgehen; 


19 


darin irrte ich mich aber sehr. Das Haus des böhmischen Ge- 
sandten, ‘Grafen Trautmannsdorf, und jenes des sächsischen, Gra- 
fen Hohenthal, waren damals diejenigen, wo sich die angenehmste 
Gesellschaft versammelte und die ich auch am meisten besuchte. 
Gewohnt, irgend ein Geschäft zu treiben, versuchte ich es auch 
‚ hier; und da auf der Kanzlei des Domcapitels, wo ich zuerst 
‚mich brauchen liess, nur höchstalltägliche Dinge vorkamen, und 
mein Wunsch, in das Archiv eingelassen zu werden, um mich in 
die ältere Geschichte des Capitels einzuweihen, mir als Domi- 
cellar nicht gestattet wurde, so verfiel ich auf den Gedanken, 
mich in die Reichspraxis einzuüben, indem ich auch einige Dom- 
herren die Stimmen ihrer Bischöfe als Gesandte vertreten sah. 
Man rieth mir diese bei dem oldenburgischen Kanzleirath Göhler 
zu nehmen, dessen Gelehrsamkeit anerkannt war. Allein auch 
diese trockene Arbeit wollte mir nicht recht zu Gemüthe, so 
sehr ich auch Pütter, Moser und Compagnie verehrte; und da 
ich in der Bibliothek des Kanzleiraths mehrere Werke über 
Kunst und Alterthum , wie über Naturgeschichte bemerkte, so 
suchte ich in jeder Stunde ein Gespräch darüber anzuknüpfen. 
Dies hatte immer zur Folge, dass er irgend eines dieser Werke 
hervorholte, welches ich dann nach Hause nahm und benützte; 
und diese Stunden verschafften mir, wenn auch keine Reichs- 
praxis, doch manche andere Belehrung. Unter allen Menschen, 
die ich bei diesem ersten Aufenthalt in Regensburg kennen lernte, 
z0g Baron @leichen mich durch sein ausgebreitetes Wissen und 
‚seine Originalität am meisten an. Er hatte ganz Europa durch- 
reist, war als dänischer Gesandter in Neapel, Madrid und Paris 
angestellt gewesen, und privatisirte nun in Regensburg im eige- 
nen Hause, das er sein Canapee nannte; er führte eine gastro- 
nomische Küche und Keller, wobei er die wissenschaftlichsten 
Männer aus allen Ständen und Fremde häufig bewirthete, 
Nichts hat für einen jungen wissbegierigen Mann mehr 
Reiz, als ein Geheimniss! In Regensburg bestand eine Frei- 
maurerloge, ich kam mit mehreren Mitgliedern derselben in Be- 
9* 


20 


rührung; die philanthropischen Gesinnungen, die sie äusserten, 
und das Geheimniss, das sie über den Orden beobachteten, liessen 
mir keine Ruhe, ich verlangte aufgenommen zu werden.. Dies 
fand keinen Anstand. Als man mir aber die Eidesformel zu 
beschwören vorlegte, fand ich sie so erniedrigend, dass ich mich 
weigerte, diesen Schwur auszusprechen. Ich wurde von dem 
furchtbaren Bruder wieder in die dunkle Kammer zurückgeführt. 
Man debattirte und negociirte ziemlich lange; als ich aber er- 
klärte, dass ich mit einer Gesellschaft, welche Ehrenwort 
und Handschlag für keine hinreichende Bürgschaft hält, keine 
weitere Verbindung wünsche, so wurde ich am Ende von dem 
Eid dispensirt und die Ceremonie vollzogen. Die Regensburger 
Loge, altschottischer Constitution, war unschuldig und wohlthä- 
tig, und die Geheimnisse, welche sie anzuvertrauen hatte, 
brauchten in der That durch keinen schweren Eid besiegelt 
zu werden. 

Im October 1783 kehrte ich endlich zu meinen Eltern zu- 
rück, die ich durch vier Jahre nicht gesehen hatte.» Wir be- 
gannen wieder die gewohnte Lebensart, nur mit dem Unter- 
schiede, dass andere Bücher an die Stelle der früheren traten, 
und mir mehr Stunden zur Selbstbeschäftigung frei blieben. 
Wenn nun gleich viele französische Werke jener Zeit in dem 
väterlichen Hause verpönt waren, so hatten doch Voltaire’s Thea- 
ter, Montesquieu’s Esprit des Loix, die Lettres persannes, und 
einige neuere deutsche Werke sich in die Bibliothek meiner 
Mutter eingeschlichen, und wurden abwechselnd mit den älteren 
Racine, Moliere, Boileau u. s. w. gelesen. 

Im Carneval 1784 reiste ich nach Prag. Hier fand ich meine 
Jugendgespielen wieder, die nun gleich mir in die Welt getreten 
waren; meine Cousine Louise Sternberg, die ich bei der Gou- 
vernante verlassen hatte, begegnete mir in der Gesellschaft als 
ein geistreiches Mädchen, die mich sehr ansprach. Vieles hatte 
sich seit meiner Abwesenheit geändert. Man sprach viel von 
der neuen Regierung Kaiser Josephs, welche eine allgemeine 


21 
Umwälzung der Denkweise veranlasste; mich aber zog der Car- 
neval zu sehr an, als dass ich mich mit politischen Gesprächen 
viel abgegeben hätte. In der Fastenzeit kehrte ich zu meinen 
Eltern auf das Land zurück. 

‘Inzwischen war ein alter Graf Dietrichstein in Gräz ge- 
“ storben. Sein grosses Vermögen fiel ab intestato auf den Grafen 
Adam Sternberg und seine beiden Schwestern, Gräfin Salm und 
Gräfin Louise Sternberg, Stiftsdame in Prag. Graf Salm machte mir 
den Vorschlag, mit ihm und seiner Frau nach Wien, und von da 
mit dem Grafen Adam Sternberg auf die ererbten ungrischen Güter 
zu reisen. Da ich ganz unbeschäftigt war, nahm ich es an, fuhr 
nach Prag und von da im Monate März nach Wien. Ich hoffte 
auf der Durchreise meinen Bruder, der in einem ungrischen 
Dorfe, einige Meilen von Raab, in Garnison lag, zu sehen: allein 
zufällige Umstände hinderten die Vereinigung, welche später in 
Pressburg Statt fand. Nach dem, was ich in Italien gesehen, 
kam mir der Aufenthalt in diesem wenig bevölkerten, in der 
Cültur, besonders auf dem flachen Lande, gegen andere Nationen 
weit zurückstehenden Lande, sehr sonderbar vor. Der Weg von 
Ofen und Pesth bis Hoszszüpäl, unfern der siebenbürgischen 
Gränze, durch unabsehbare Pusten und Niederungen im Gebiete 
der Theiss, wo man den Kirchthurm der nächsten Station bei 
nassen Wegen 6 Stunden lang vor sich sieht, wollte mir nicht 
gefallen; noch weniger die Bewirthung im Gemeinhause mit an- 
genagelten Tischen und Bänken, wo man zwar Feuer und Was- 
ser zum Kochen, aber nichts zu essen, und Stroh, aber keine 
Bettstelle fand. Doch in der Jugend und in guter Gesellschaft 
gewinnt man einem jeden Umstand eine lustige Seite ab; wir 
lachten einander wechselseitig aus und waren gutes Muths bei 
hungrigen Magen. Unter die Lustbarkeiten unseres Landlebens 
gehörte eine Wolfsjagd, zu welcher an 300 Treiber aus der gan- 
zen Umgegend und fünf nobiles Hungariae als des Magnaten 
Vasallen zu Pferde erschienen, die Treiber in schwarze kurze Pelze 
(Guba) gekleidet und mit Knitteln bewafinet. Das Wetter war 


22 


ungünstig und die Zündhütchen noch nicht erfunden: so schossen 
wir bloss 1 Wolf, 12 Füchse, 1 Uhu und 1 Hasen. 

Bei meiner Rückreise über Wien, wo wir uns eine Zeit 
aufhielten, kam mir wieder die Idee, mir in Regensburg Be- 
schäftigung zu verschaffen und mich zu einem künftigen Reichs- 
tagsgesandten zu befähigen. Ich sprach hierüber mit dem Grafen 
Philipp Kobenzl und äusserte den Wunsch, bei der böhmischen 
Gesandtschaft prakticiren zu dürfen: er rieth mir aber davon 
ab, da es ganz ausser der Denkweise des Kaisers liege, Geist- 
liche zu weltlichen Stellen zuzulassen. Ich kehrte also nach 
Prag und von da zu meinen Eltern zurück, wo ich, mit Ausnahme 
einer kurzen Reise nach Regensburg zum Peremptorium Petri 
und Pauli, das ganze übrige Jahr zubrachte. Um mir eine Be- 
schäftigung im Freien zu verschaffen, nahm ich mich der Wald- 
eultur an. Meine Eltern liessen die Wälder der Herrschaft 
durch die beiden Ingenieure Brüder Jirasek vermessen, von 
denen der ältere sich mit Botanik und Mineralogie nebenher be- 
schäftigte. Ich beschränkte mich jedoch dabei auf die inländi- 
schen Forstgewächse und ihre Cultur. 

Zu Anfang des Winters kamen meine beiden Brüder anf 
Urlaub, die Eltern zu besuchen, und Ende Januar 1785 reisten 
wir alle drei nach Prag, wo wir vier Wochen zum letzten Male 
zusammen zubrachten. Mein ältester Bruder, der den Militär- 
stand liebte und in diesem sich emporzuschwingen hoffte, klagte 
zwar über die Abgeschiedenheit seines Standquartiers in einem 
ungrischen Dorfe, aber er trug sie mit Geduld. Mein zweiter 
Bruder, dem der militärische Schulzwang in Friedenszeiten eben 
wie jener in den Studien unerträglich schien, war schon ent- 
schlossen zu quittiren, was er auch in demselben Jahre that. 
Die Zeit des Genusses verstrich sehr bald, und als ich Abschied 
nahm, ahnte ich nicht, dass ich den ältesten Bruder nicht 
wiedersehen würde. 

Zu meinen Eltern zurückgekehrt, erhielt ich die Nachricht, 
dass derselbe Domherr, der vor zwei Jahren an meiner Stelle in 


23 


das Capitel eingerückt war, mir jetzt durch seinen Tod, da ich 
mein 24°“ Jahr erreicht, den Platz wieder eröffnet hatte. Es 
freute mich zwar, zu einer selbständigen Existenz zu gelangen : 
doch schien der Schritt, mich. durch die Nothwendigkeit einer 
höheren Weihe für immer zu fesseln, mir nicht gleichgiltig. 
Ich schrieb darüber an meinen ältesten Bruder, der mich auf ge- 
wohnte Weise an seine früheren Aeusserungen darüber erinnerte. 
Ich reiste also im Juni 1785 nach Regensburg, nahm das Sub- 
diaconat und wurde am Peremptorium in das Capitel eingeführt. 
Meine Eltern unterstützten mich, um einen Capitularhof über- 
nehmen zu können, der sehr angenehm am Ufer der Donau ge- 
legen war; mein kleines Hauswesen wurde eingerichtet, und ich 
war, wie man zu sagen pflegt, mein eigener Herr. In der Ge- 
sellschaft war eine kleine Veränderung vorgegangen: Graf Traut- 
mannsdorf war nach Brüssel berufen-worden und an seine Stelle 
kam Graf Seilern, dessen Frau, eine geborene Fürstin Auersberg, 
äusserst liebenswürdig war; unter den jungen Leuten bei der 
österreichischen Gesandtschaft war Graf Ludolf zugewachsen, ein 
geistreicher origineller Mann, in Constantinopel, wo sein Vater 
neapolitanischer Gesandter gewesen war, geboren und erzogen. 
Auch die Familie Diede lernte ich hier zuerst kennen. 

Von einer nach Böhmen gemachten Reise zurückgekehrt, 
trat ich zu Anfange 1786, um mir eine bestimmte Beschäftigung 
zu verschaffen, als unbesoldeter Hof- und Kammerrath in die 
. Dienste des Bischofs von Regensburg und übernahm das Referat 
in Forstsachen, bis ich mich in die übrigen Administrationszweige 
eingearbeitet haben würde. Im gesellschaftlichen Leben verfolgte 
ich mein utraquistisches Wesen zwischen den Häusern Seilern 
und Hohenthal, wo sich die angenehmste Gesellschaft versam- 
melte, und trieb mich in der besseren Jahreszeit bei Bekannten 
auf dem Lande herum, ohne von den wichtig behandelten Reichs- 
tagsklatschereien viel Notiz zu nehmen. 

In diesem Sommer ereignete sich ein Zufall, der wichtige 
Folgen nach sich zog. Ein reisender Priester aus München, 


24 


Namens Lanz, wurde auf einem Spaziergange unter den Linden 
von einem Blitzstrahl erschlagen, und in den Gasthof zum 
schwarzen Bären, wo er wohnte, gebracht. Da er ein Priester 
war, so legte das Consistorium die Sperre an; bald darauf er- 
schien aber auch die bayrische Gesandtschaft, welche mit dem 
Bisthum, dem Domcapitel und der Stadt in ewigem Jurisdictions- 
streit lag, und drückte ihr Siegel daneben. Nach vielem Zanken 
wurde endlich eine cumulirte Eröffnung beliebt, und siehe da! 
— Priester Lanz war ein Abgesandter der Münchner Illuminaten, 
man fand unter seinen Papieren die Liste sämmtlicher Ilumi- 
natenlogen in ganz Deutschland, es eilten Stafetten nach allen 
Weltgegenden, und die Verfolgung der Illuminaten in Bayern, 
bei welcher Pater Frank eine so grosse Rolle spielte, begann. 
Weishaupt flüchtete sich von Landshut nach Regensburg. 

Ich hatte mit Grafen‘Thurn und Grafen Seilern eine Reise 
nach der Schweiz verabredet; mein Bruder Joachim, der bei dem 
Militär seine mineralogischen und chemischen Studien fortgesetzt 
und nun nichts zu thun hatte, gesellte sich dazu. Am 3 Juli 1786 
reisten wir über München, Memmingen, Lindau und Bregenz ab. 
Ich habe über diese Reise ein genaues Journal geführt, woraus 
ich hier eine Anekdote anführen will. In Zürich, wo ich die Be- 
kanntschaft der beiden Brüder Lavater gemacht, beschäftigte sich 
Dr. Kaspar Lavater besonders mit Magnetismus. Er hatte eben 
eine Somnambule in der Behandlung (Cleophaea Scharfenberger), 
welche sich alle Arzneien selbst vorschrieb, während des Schlafs 
Briefe, die man ihr auf den Körper legte, ablas u. dgl. m. Ich 
äusserte den Wunsch, bei einem ähnlichen Experimente gegen- 
wärtig zu sein. Dr. Lavater brachte mich zu der Kranken, und 
ich war in der grössten Spannung, sie einen böhmischen Brief, 
den ich in der Tasche hatte, ablesen zu hören. Allein so oft 
ich hinkam, war die Kranke immer unruhig und schwach, dass 
man ihr, wie der Arzt behauptete, keine Anstrengung zumuthen 
durfte; der böhmische Brief blieb ungelesen. — Auf dieser 
Reise hatte mich zwar mein Bruder wieder in die Mineralogie 


25 


eingeleitet, allein es haftete nicht, meine Stunde war noch nicht 
gekommen. | 

In Wardek am Bodensee erfuhr ich bei der ehrwürdigen 
Mutter des Grafen Thurn, dass ihr Sohn, der früher bei ihr an- 
gelangt war, in Folge einer Estafette von der schweren Krankheit 
des alten Bischofs, Grafen Fugger, schnell nach Regensburg ab- 
gereist war; ich folgte ihm daher am folgenden Tage. Wir 
fanden zwar den Bischof noch am Leben, doch starb er bald in 
folgendem Jahre (1787, 15 Febr.) 

In Regensburg herrschte eine grosse Aufregung unter den 
Parteien und bei allen Ständen. Die Verfolgung der Illuminaten 
machte grosses Aufsehen; Weishaupt, als ein Verfolgter, dessen 
Schuld noch nicht belkannt war, erregte Interesse, selbst unter 
den Gesandtschaften. Man kam in unserer Abwesenheit auf den 
unglücklichen Gedanken, einen Leseclubb zu errichten, in welchen 
auch Weishaupt aufgenommen wurde, und ballotirte Mitglieder, 
ohne sie zu fragen, ob sie Lüst hatten, hinzuzutreten. Diese 
Ehre wurde auch mir und dem Grafen Thurn erwiesen. Als wir 
bei unserer Zurückkunft es erfuhren, war dieser Leseclubb durch 
den kaiserl. Commissär Grafen Lehrbach und den bayrischen 
Gesandten Grafen Lerchenfeld bereits gesprengt. 

Die Vorbereitungen zur Bischofswahl sezten mich in poli- 
tischen Händeln Unerfahrenen in Erstaunen. Die Stimme eines 
Reichsfürsten schien damals noch von grosser Wichtigkeit; die 
‘beiden gegenfüsselnden Corpora drängten sich gewaltsam in das 
eigentliche geistliche Geschäft. Zwei Candidaten, Domdechant 
Graf Thurn und Graf Stubenberg standen mit gleicher Stimmen- 
zahl einander gegenüber. Ich war ein persönlicher Freund des 
Grafen Thurn, der seinem Gegner, einem übrigens guten und 
untadelhaften Manne, an Geistesgaben und Fähigkeiten weit 
überlegen war; ich bestimmte mich daher aus innerer Ueber- 
zeugung und unabhängig von allem fremden Einflusse für Grafen 
Thurn, und liess mich durch alle selbst weit ausgeholten Mittel, 
mich als österreichischen Unterthan für Grafen Stubenberg zu 


26 


stimmen, nicht irre machen. Zu grosse Zudringlichkeit, welche 
einer Gewaltsamkeit nahe kommt, verfehlt fast immer ihren Zweck, 
zumal bei der Jugend, die sich wohl gerne leiten, aber nicht 
führen lässt, und wo der versuchte Geisteszwang das erregte 
Gefühl leicht bis zur Begeisterung steigern kann. Die Auflösung. 
dieses hartnäckigen Kampfes, an welchem ganz Regensburg Theil 
nahm, war die gewöhnliche: fra due litiganti il terzo gode. Es 
bildete sich eine dritte, bayrische Partei, die einen neuen Can- 
didaten aufstellte:-es war ein betagter Domherr von. gutem Rufe, 
der bei seinem abgeschiedenen Privatleben, von wenigen genau 
gekannt, keiner vorgefassten Meinung unterlag. Beide Parteien 
schmolzen nun zusammen, und Graf Törring wurde einhellig zum 
Bischof gewählt (20 Apr. 1787). 

Die Erfahrungen, die ich bei dieser Wahl zu a Ge- 
legenheit hatte, zeigten mir die leidenschaftlich handelnden 
Menschen abermals in nicht erbaulichem Lichte; ich sah vorher, 
dass die nun vollends ausgebildeten Parteien im Domcapitel sich 
auch in allen übrigen Geschäften entgegenstehen würden, wo- 
durch im täglichen Leben viele Unannehmlichkeiten entstehen 
mussten. Die Vervollkommnung des Menschengeschlechts, welche 
Weishaupt lehrte, schien mir sehr wünschenswerth, ich bedauerte 
nur, dass sie nicht 50 Jahre früher an die Tagesordnung: ge- 
kommen war. Die Reibungen wegen Weishaupt dauerten fort, 
ganz Regensburg war von bayrischer Polizei und Militär umgarnt, 
um seiner Person habhaft zu werden: dessenungeachtet wurde 
er später, durch eines Gesandten Gunst, unbemerkt aus der 
Stadt geführt, und nach Gotha in Sicherheit gebracht. Unter 
solchen Umständen zog ich mich etwas zurück, und fand in der 
Familie des ehemaligen dänischen Gesandten in England, Baron 
Diede, wo täglich eine gewählte Gesellschaft sich versammelte, 
angenehme Zerstreuung. 

Im Monat Juni 1787 machte mir Graf Thurn den Vorschlag, 
den ich auch freudig annahm, ihn nach dem Peremptorium nach 
Paris zu begleiten; Baron Diede, der dort ein Geschäft hatte, 


24 
21 


schloss sich uns an. Wir reisten zu Anfange Juli über Frank- 
furt nach Ziegenberg in der Wetterau, einem Landgute des Baron 
Diede, und nach einigen Tagen von dort über Strassburg nach 
Paris, wo wir am 15 August ankamen, — drei Tage nachdem 
das Parlament, wegen Nichteinregistrirung der Territorialsteuer, 
exilirt worden war. Der Augenblick war interessant; es herrschte 
viele Aufregung in der Hauptstadt, man sprach viel vom Deficit, 
von Zusammenberufung der Notablen: allein die, obgleich ziem- 
lich allgemein organisirte, Opposition hatte die Volksmassen 
noch nicht in die Interessen der Parteien gezogen. Es bildeten 
sich wohl Zusammenrottungen im Palais Royal, aber eine Pa- 
trouille von 24 Schweizern reichte hin, sie zu zerstreuen; die 
damalige Unruhe würde jetzt für ein calme parfait gelten. Man 
hörte bloss von der durch die Notablen im Einverständnisse mit 
dem Souverain zu bewirkenden Abstellung von Missbräuchen, 
und von der Einführung eines besseren Finanzsystems sprechen. 
Die ersten Zeichen der Revolution trugen das Aushängeschild 
wahrer Verbesserungen, die in der That nöthig schienen, und 
auch vielleicht erfolgt wären, wenn Eigennutz und leidenschaft- 
liche Parteisucht nieht dazwischen traten. Ich ahnte in allem, 
was ich dort sah und hörte, nichts Böses, freute mich vielmehr 
der Fortschritte des menschlichen Geistes, kam den Kopf voll 
von Verbesserungsideen zurück, und brachte sie mit nach Böh- 
men, wo sie jedoch keinen Eingang fanden. 

Es herrschte hier grosses Missvergnügen, besonders unter 
dem Adel und der Geistlichkeit, und Verwirrung in allen Stän- 
den. Kaiser Joseph II hatte auf seiner Reise nach Paris bei 
den Physiokraten viele neue Ideen aufgefasst und in seine 
Schreibtafel eingezeichnet: da er aber, bei vielem natürlichen 
Verstande und bei hoher Liebenswürdigkeit in gesellschaftlichem 
Umgange, keine Geschäftskenntnisse besass, und, misstrauisch 
gegen Jedermann, alles selbst in unmöglich kurzer Zeit, ohne 
Rücksicht auf Sitte und Herkommen, wie z. B. ein allgemeines 
Kataster aller Erbstaaten in zwei Jahren ausführen, und vier 


28 


Nationen in eine einzige zusammenschmelzen wollte, so erregte 
er allgemeine Unzufriedenheit, ohne seine Zwecke zu erreichen. 
Es wurden nicht allein viele Abteien und Klöster von ihm auf- 
gehoben und die Bettelmönche abgeschafft, sondern auch eine 
Menge Pensionen eingezogen; und da er für Künste und Wis- 
senschaften keinen Sinn hatte, so wurde bei Aufhebung der Ab- 
teien derselbe Vandalismus begangen, wie bei dem Verkauf der 
alten rudolphinischen Kunstsammlung in Prag durch einen Hof- 
fourier, der die Statue des Ilioneus, jetzt die Zierde der Münch- 
ner Glyptothek, einem Steinnietz um 18 fl. verkaufte. Die Ein- 
räumung der kön. Burg in Prag zu einer Artillerie-Caserne, 
gleichsam um zu verkünden, dass kein König von Böhmen mehr 
dort wohnen sollte, empörte das ganze Land; die gewaltsame 
Uebersiedelung aus dem adelichen Familienstift auf der Neu- 
stadt in das kaiserliche Damenstift auf dem Hradschin, um das 
erstere, welches Privateigenthum war, in ein Gebärhaus zu ver- 
wandeln, reizte den Adel. So verbreitete sich allenthalben Miss- 
vergnügen gegen einen Souverain, der das Gute wollend, dieses 
mit gesteigertem Absolutism in. unruhiger Eile durchzusetzen 
suchte. Die Wissenschaften, obgleich wenig unterstützt, ent- 
wickelten sich von selbst, da man ihnen kein Hinderniss in den 
Weg legte und viele wissenschaftliche Männer vorhanden waren. 
Der Arzt Johann Mayer und Abbe Dobrowsky, beide durch ihre 
Schriften bekannt, trugen, unterstützt von Born in Wien, vieles 
dazu bei. Es entstand erst die Privatgesellschaft, später, unter 
der Aegide des gewesenen Oberstburggrafen Fürsten von Für- 
stenberg, die böhmische Gesellschaft der Wissenschaften. Wenn 
ich in Prag war, so lebte ich viel mit Johann Mayer, wo sich 
jeden Abend von 8 bis 10 Uhr die ‚wissenschaftlichen Männer 
aller Stände zusammenfanden; "er übte besonders einen nützli- 
chen Einfluss auf die studirende Jugend aus. 
Während im’ Innern der österreichischen Monarchie, be- 
sonders in Ungarn, die Unzufriedenheit zunahm, hatten den 
Kaiser Joseph erst die Zumuthungen wegen der Schifffahrt auf 


29 


der Schelde mit Holland, dann, nach seiner Reise mit der grossen 
Katharina nach Cherson, mit den Türken in Verhältnisse ge- 
bracht, welche den nahen Ausbruch eines Krieges erwarten 
liessen. Was ich nun hier hörte und in Paris gesehen hatte, 
machte mich zum ersten Mal aufmerksam auf die politische Lage 
von Europa, von welcher ich bis dahin keine Kenntniss genom- 
men hatte. Eine so allgemeine Gährung konnte wohl nicht ohne 
Folgen bleiben; doch war ich damals noch weit entfernt, die 
später erfolgten Fortschritte und Wirkungen des Zeitgeistes 
vorauszusehen. 

„Im November (1787) kam ich nach Regensburg zurück; 
eben dahin kam auch mein Vetter, Graf Johann Sternberg, Dom- 
herr zu Passau und Regensburg, und wohnte in meinem Hause. 
Baron Reinhard Werneck, der mit meinem zweiten Bruder in 
einem Regiment gedient hatte, und sein Bruder Alexander, Graf 
Breuner von Wien und Baron Fraunberg, Domicellar in Re- 
gensburg, nahmen daselbst ihren Wohnsitz; wir befreundeten 
uns sehr bald, und der Winter wurde wie gewöhnlich und viel 
in Bar. Diede’schem Hause zugebracht. 


1788. 


- Inzwischen starb in Freising, wo ich noch Domicellar war, 
. der Bischof; wurde sein Nachfolger aus dem Gremium gewählt, 
so traf mich die Reihe zum Eintritt in das Capitel. Die Wahl, 
bei der ich gegenwärtig war, fiel ohne Schwierigkeit auf den 
Grafen Törring, Bischof von Regensburg und zugleich Domherrn 
in Freising. Ich trat nun in das Capitel und zugleich in die 
erste Residenz, welches bei diesem Stifte gestattet war. Frei- 
sing, ein kleines Städtchen, hat eine sehr schöne Lage und ist 
nur 4 Meilen von München entfernt, gewährte aber kein gesel- 
liges Vergnügen, da ausser den Domcapitularen, dem Hofstaat 
des Bischofs und den Dikasterien niemand da wohnte. Es war 
mir daher sehr angenehm, dass mich der Bischof sogleich zum 


30 


Hof- und Kammerrath ernannte, wodurch ich einige Beschäfti- 
gung erhielt. Das Bisthum und das Capitel waren sehr ver- 
schuldet und seit 20 Jahren in beständigem Zwiespalt. Ich gab 
mir Mühe, eine bessere Administration herbeizuführen: da die- 
ses aber ohne Reformen nicht möglich war und diese eine starke 
Opposition erregten, die ich bei dem Mangel an kräftiger Un- 
terstützung nicht überwinden konnte, so zog ich mich zurück, 
und erwirkte mir den Zutritt in die bestaubte, jedoch an alten 
Schätzen reiche Bibliothek des Domcapitels, die ich dann mit 
Hofrath Hoheneicher, von niemanden gestört, häufig besuchte. 
Ich gewöhnte mich bald an diese neue Lebensart; da mir jedoch 
ein ganzes Jahr für die erste Residenz, wodurch ich mein Ein- 
kommen in Regensburg verloren hätte, zu lang schien, so machte 
ich den Versuch, 6 Monate dieser Zeit abzukaufen. Er gelang, 
und so kehrte ich dann nach Regensburg zurück. 

Der Krieg mit den Türken hatte indessen begonnen. Mein 
Bruder Johann stand Anfangs im Lager bei Semlin, das alle 
Spitäler anfüllte. Mehrere seiner besten Freunde starben; er 
selbst war unwohl und missmuthig über die Unthätigkeit, in 
welcher die Armee sich entvölkerte. Später wurde er auf Vor- 
posten commandirt, wo jedoch auch nichts Bedeutendes vorfiel, 
und kam dann, zum Oberstlieutenant befördert, nach Mühlenbach 
in Siebenbürgen ins Winterquartier. Ich war sehr besorgt; doch 
hoffte ich, Siebenbürgens gesündere Luft werde ihn wieder her- 
stellen. 


1789. 


In der Regensburger Gesellschaft waren einige Verände- 
rungen vorgefallen. An die Stelle des verstorbenen preussischen 
Gesandten von Schwarzenau war der ehemalige Gesandte in Pe- 
tersburg, Graf von Görz, ein alter Freund des Grafen Thurn, 
mit seiner liebenswürdigen Familie gekommen; mein Freund 
Graf Breuner hatte die Tochter des Polizeiministers Grafen von 
Bergen in Wien geheirathet und brachte sie mit nach Regens- 


3 


burg; die Diedesche Familie brachte den Winter mit uns zu, der 
sich sehr angenehm gestaltete. Allein mein Genuss war von 
kurzer Dauer. Gegen das Ende des Monats Februar erhielt ich 
die Trauerbotschaft, dass mein ältester Bruder an den Folgen 
der Infection des Semliner Lagers zu Mühlenbach am 12 Febr. 
gestorben war. Unaussprechlich war meine Trauer; denn ob- 
gleich wir uns nur selten sahen, so standen wir doch in genauem 
Briefwechsel, ich unterwarf alle meine Gesinnungen und Hand- 
lungen seinem reiferen Urtheil, und folgte gerne seinem zurecht- 
weisenden Rath. Von seinem Tagebuch und andern Papieren, 
die wohl manches Interessante enthalten mochten, ist nichts in 
unsere Hände gekommen, so sehr wir uns auch darum bewarben. 
Ich eilte zu meinen Eltern nach Böhmen, um ihre tiefe Trauer 
zu theilen. Meine Ankunft war ihnen sehr angenehm: meine 
Mutter schien schon damals ihr nicht mehr fernes Ende zu 
ahnen, sie zeigte sich besonders zärtlich gegen mich; meine 
Cousine Louise Sternberg vereinigte sich mit mir, die trauernden 
Eltern zu unterstützen. Nach Regensburg zurückgekehrt, wurde 
ich wieder an eine Bahre gerufen. Die zweite Tochter des Herrn 
von Diede, ein zartes Mädchen von 15 Jahren, starb, nachdem 
sie viel gelitten, an einem Polyp am Herzen; mit vollem Be- 
wusstsein sprach sie gelassen von ihrem Ende, und entschlum- 
merte in unserer Gegenwart, ruhig und sanft, ohne einen Muskel 
zu verziehen. Als die Eltern Regensburg verliessen, begleitete 
-ich sie bis Nürnberg, wo ich meiner Cousine Louise begegnete, 
welche ihrer Gesundheit wegen nach Spaa reiste. Ich zog mich 
in die Einsamkeit nach Freising zurück, um mein stark erschüt- 
tertes Gemüth zu sammeln; kleine Aufsätze, die ich damals 
schrieb, zeugen noch von meiner Stimmung. Alle Briefe, die ich 
von meiner Cousine erhielt, sprachen von Revolutionen, von re- 
publikanischen Auftritten in Paris, Lüttich, Spaa; alle Wiener 
Briefe von dem elenden Gesundheits-Zustande Kaiser Josephs, 
und von der Aufregung in allen Provinzen, besonders in den 
Niederlanden. Ich wurde ernst und verfiel bald darauf, im Sep- 


32 


tember, in ein Nervenfieber, das mich des Bewusstseins beraubte. 
Mein junger Freund, Baron Fraunberg, nun Erzbischof in Bam- 
berg, kam von München, mir beizustehen. Meine starke Con- 
stitution und ein verständiger Arzt überwältigten das Uebel; 
nach 6 Wochen war ich im Stande, obgleich noch sehr schwach, 
München zu besuchen, von wo mein Arzt mich nach Regensburg 
begleitete. Ich liess mich zu Graf Hohenthal die Treppe hin- 
auftragen, wo meine versammelten Freunde mich mit Jubel be- 
grüssten. Meine Kräfte kehrten allmählig wieder; der physische 
Mensch wurde hergestellt, der moralische dagegen in neue Ver- 
wickelungen gebracht. 


17. 


Mit dem Schluss des Jahrs (30 Dee.) war der Bischof von 
Freising und Regensburg gestorben. Hier standen die beiden 
Parteien der letzten Wahl noch schroff und ungeändert gegen 
einander; dieselben Candidaten waren aufgetreten; die Scru- 
tinien waren vergeblich. Man verschob daher den WIR: und 
liess die Freisinger Wahl vorausgehen. 

In Freising standen die Verhältnisse ganz verschieden. Die 
lange dauernden Zwistigkeiten unter den Capitularen hatten die 
Gemüther so getrennt, dass keiner von ihnen im Stande war, 
sich eine absolute Majorität zu verschaffen. Der Kurfürst von 
Bayern, der mit dem Propst von Berchtesgaden wichtige Salzeon- 
tracte abgeschlossen hatte und diese noch zu erweitern wünschte, 
verschaffte diesem Propst, von Schroffenberg, eine bullam eligibi- 
litatis vom Papste, und negociirte nun bei den bayrischen Un- 
terthanen im Capitel, um die Stimmen für ihn zu gewinnen. 
Mir schien eine Wahl ausserhalb des Gremiums ein stilles Be- 
kenntniss, dass man innerhalb des Capitels niemanden für würdig 
erachte, die Bischofswürde zu tragen; ich versuchte daher die’ 
Wahl auf einen Capitularen zu lenken. Allein bevor man noch, 
nach altem Kirchengebrauch, den heiligen Geist um Erleuchtung 
angefleht hatte, war der Bischof in petto schon gewählt, und das 


33 


Scrutinium wurde eine blosse Formalität, eine Verkündigung der 
Wahl; auch harrte der Propst schon in München der Estaffete 
entgegen, um sogleich Besitz vom Bisthum zu ergreifen. Als er 
nun am: folgenden Morgen ankam, und nach der Formel des 
XVI Jahrhunderts das „Nolens volo, volens nolo, volo ut prosim, 
nolo ut praesim” ausgesprochen hatte, trat ich vor und sagte: 
es werde ihm bekannt sein, dass ich den Versuch unternommen, 
die Wahl innerhalb des Gremiums zu erhalten, nicht aus per- 
sönlichen Gründen, sondern, da es nach canonischen Gesetzen 
erlaubt sei, „eligere dignum excluso digniore“, um dem allge- 
meinen Vorwurf zu entgegnen, dass unter so vielen Capitularen 
auch nicht Einer des Bisthums würdig wäre: da er aber nun 
gewählt sei, so könne er versichert sein, dass ich mit gleichem 
Eifer, wie für das Beste des Domcapitels, so auch für das des 
Bisthums mich nach Kräften verwenden würde. Er nahm diese 
Aeusserung freundlich auf, und zeigte mir in der Folge voll- 
kommenes Vertrauen. 

Als ich nach Regensburg zurückkam, hatten sich die poli- 
tischen Verhältnisse anders gestaltet. Kaiser Joseph war gestorben, 
die Vollmachten der kaiserlichen Wahlgesandten waren erloschen, 
das Reichsvicariat trat an die Stelle. Bayern negociirte nun auch 
hier für den neuen Bischof von Freising, der seinen Kanzler 
Steigentesch, einen äusserst klugen und besonnenen Geschäfts- 
mann, dahin geschickt hatte. Für das Bisthum Freising war 
“diese Vereinigung von grosser Wichtigkeit, weil der Schulden- 
tilgungsplan ohne solche Beihilfe kaum ausgeführt werden konnte. 
‚Graf Thurn, dem ich treu geblieben war, sah selbst ein, dass er, 
wenn er gewählt würde, mit einer zurückbleibenden Opposition 
wahrscheinlich stets würde zu kämpfen haben. Als es daher am 
31 März zur Wahl kam, und zwei Mitglieder der Gegenpartei 
ihm ihre Stimmen antrugen, so dankte er dafür und bestimmte 
sie mit seiner ganzen Partei auf den Bischof von Freising über- 
zugehen. Als die Gegenpartei dieses erfuhr, :schloss auch sie 
sich an, und es erfolgte eine Wahl per unanimia, an welcher 

3 


34 


der heilige Geist ebenfalls einen geringen Antheil hatte. Was 
aber von Majoritäten zu halten sei, hat Göthe derb, aber nur 
zu oft wahr ausgesprochen. *) 

Die moralischen Einwirkungen, welche über mich ergangen 
waren, setzten mich in die Nothwendigkeit, zur Herstellung meiner 
Gesundheit im Sommer nach Karlsbad zu reisen. Ich zerstreute 
mich in dem bunten Gewirre des Badelebens, die Quellen be- 
kamen mir sehr wohl: allein noch ehe ich die Badecur vollendet 
hatte, erhielt ich die Estafette, dass meine Mutter in Prag ge- 
fährlich krank sei. Ich eilte dahin, fand sie noch am Leben, 
aber so schwach, dass sie kaum des Wiedersehens Freude zu 
äussern vermochte; mein Vater war in der äussersten Bestür- 
zung, und mein Bruder ebenfalls gegenwärtig. Dr. Johann 
Mayer verkündete uns, dass dieser Zustand noch höchstens zwei 
Tage dauern könne. Sie entschlief auch am folgenden Nach- 
mittage (10 Aug.) und wir brachten unsern Vater zu einem 
nahen Verwandten, indess wir mit der Leiche nach Radnitz fuh- 
ren, um sie in der Gruft beizusetzen. 

Es war eben ein unruhiger Zeitpunkt eingetreten. Die 
böhmischen Stände waren in einem ziemlich lauten Landtag ver- 
sammelt. Kaiser Leopold, der bei dem Antritt der Regierung 
der Erblande vor allem diese zu beschwichtigen suchte, hatte 
die letzten Verordnungen Kaiser Josephs zurückgenommen. Es 
wurde über manche noch umgangenen Privilegien unterhandelt 
und vieles abzustellen versprochen, das in der Folge durch Zeit 
und Umstände in Vergessenheit gerieth. | 

Da ich damals noch die Aussicht hatte, in der angetrete- 
nen Carriere mein weiteres Fortkommen zu finden und mein Le- 


*) „Nichts ist widerwärtiger als die Majorität: denn sie besteht aus we- 
nigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich accommodiren, aus 
Schwachen, die sich assimiliren, und der Masse, die nachtrollt, ohne 
nur im mindesten zu wissen, was sie will.” Göthe’s Betrachtungen 
im Sinne des Wanderers. Wanderjahre, II. 258. 


35 


ben ausserhalb Böhmens zu beschliessen, sö traf ich mit meinem 
Bruder die Abkunft, ihm die Güter um geringeren Werth, als 
sie in der Landtafel verzeichnet sind, gegen eine jährliche Apa- 
nage zu überlassen, und behielt mir bloss ein kleines Capital 
vor, welches mir meine Mutter als Prälegat vermacht hatte. 
Nachdem wir unsern Vater in einem andern Quartier eingerich- 
tet, und er sich ein wenig beruhigt hatte, reiste ich zu der Kai- 
serkrönung nach Frankfurt. 

Zum letzten Mal zeigte Deutschland sich hier in Glanz und 
Würde. Die Krönung wurde noch durch die Anwesenheit des 
neapolitanischen Hofs, und durch ein hessisches Lager bei Ber- 
gen, das ein revolutionairer Volksauflauf in Mainz veranlasst 
hatte, verherrlicht. Im deutschen Sinn war übrigens keine Ein- 
heit, und vom linken Rheinufer herüber spuckten Vorboten künftiger 
Ereignisse, die jedoch vorerst im Krönungstaumel untergingen. Die 
Kurfürsten und Gesandten führten grossen Staat und Prunk; 
‚die Ceremonie des Deutschherrn-Ritterschlags war sehr schön ; 
nur wollte Kaiser Leopold nicht recht in die Krone und den Man- 
tel Kaiser Karls des Grossen hineinpassen. Als ich den Römer 
besuchte, wo die Bildnisse der Kaiser in Nisehen gemalt sind, und 
nur eine einzige noch frei fand, schrieb ich in mein Reise-Jour- 
nal: Soll das eine böse Vorbedeutung sein? — Ich hatte mich 
wohl zerstreut, auch nach der Krönung einige Tage in grosser 
Gesellschaft ın Ziegenberg zugebracht. Doch mein Gemüth sehnte 
‘sich nach Ruhe, und ich reiste über Heidelberg und München 
nach Freising, wo ich sehr zurückgezogen lebte. Ein Canonical- 
hof auf dem Berge, den ich erhalten, bot mir eine herrliche 
Aussicht nach dem oberbayrischen Gebirge; hier richtete ich 
ein gemüthliches Arbeitscabinet ein, wo ich viele ruhige Stunden 
verlebte und über den Gang der politischen Welt nachdachte, 
wo bei bestimmt vorschreitendem Wissen doch keineswegs eine 
moralische Verbesserung des Menschengeschlechts sich nach- 
weisen liess. Mit dem Domcapitularen Baron Stengel arbeitete 
ich fortwährend an dem Schuldentilgungsplan für das Hochstift, 

3x 


36 


den der Bischof auszuführen versprochen hatte. Im Winter kam 
ich wieder nach Regensburg, wo die Gesellschaft inzwischen 
durch die junge Fürstin Taxis, geborne Herzogin von Meklen- 
burg, vermehrt worden war. 


1791. 


Nach meiner Zurückkunft ernannte mich der Fürstbischof 
zu seinem geheimen Rath, und erklärte mir, dass er mich nach 
Wien schicken würde, um die Reichslehen zu empfangen und den 
Schuldentilgungsplan für das Bisthum Freising vorzulegen. Ich 
reiste im Monat März nach Wien. Das Geschäft selbst konnte 
keinem Anstand unterliegen: verzögern lässt sich aber ein jedes, 
wenn man Nebenabsichten einmischt, und dies war hier der Fall. 
Als ich mich in Wien herumtrieb, machte ein Verwandter mich 
aufmerksam, dass ich von der neu eingeführten Polizei streng 
bewacht wurde; ich hatte es nicht bemerkt. Mein Oheim, der 
Minister Graf Leopold Kolowrat, mit welchem ich darüber ge- 
sprochen hatte, rieth mir geradezu bei dem Kaiser eine Audienz 
zu verlangen und mit ihm davon zu reden, weil er die geheime 
Polizei selbst leitete. Diesem Rath folgend kam ich den nächsten 
Tag zur Audienz, erzählte ganz treuherzig, was vorgefallen war, 
und setzte hinzu, da es ohne Vorwissen Sr. Majestät nicht hätte 
geschehen können, so bäte ich mir die Ursache dieser Auszeich- 
nung zu sagen, um mich vertheidigen zu können, da ich mir 
keiner Schuld bewusst wäre. Der Kaiser antwortete ganz einfach: 
„Das geschieht, weil sie ein Illuminat sind, denen ich misstraue,“ 
Ich erwiderte, dass mich diese Vermuthung sehr befremde, da 
ich diesen Orden und seine Schriften erst durch die Verfolgung 
der Illuminaten in Bayern hätte kennen lernen; ich wäre zwar 
Freimaurer in Regensburg geworden, hätte aber, so. wie dieser 
Orden in Bayern und Oesterreich verboten worden, mich sogleich 
zurückgezogen und entsagt. Ich erzählte den Vorfall der Ballo- 
tage zum Leseclubb als ich in der Schweiz’ war, und bat, 
Se. Majestät möchte mich mit Demjenigen confrontiren, der mich 


37 


denuneirt hätte. „Das geht bei einer geheimen Denunciation 
nicht an,“ erwiderte der Kaiser; ich aber: Wenn eine geheime 
Denunciation hinreicht, einen ehrlichen Mann iu;den Augen seines 
"Souverains verdächtig zu machen, und ihn in einer Stadt wie 
"Wien in den Augen des ganzen Volks auf eine so herabwür- 
digende Art auszuzeichnen, so wäre es strenge Pflicht des Sou- 
verains, den unschuldig Verläumdeten Mittel und Wege zu ver- 
schaffen, sich rechtfertigen zu können; ich würde in Wien so 
lange mich als verhaftet betrachten und bleiben, bis Se. Majestät 
mir diese Gnade gewährt haben würde. Der Kaiser kam in Ver- 
legenheit und sprach: „Ich kann es Ihnen jetzt nicht sagen, 
woher ich es weiss, aber ich will in meinen Papieren nachsehen; 
kommen Sie in drei Tagen wieder.“ Die Mouche verschwand 
seit diesem Tage, und ich kam zur bestimmten Zeit wieder. 
Der Kaiser ging mir entgegen und äusserte, er habe schlechter- 
dings keine Zeit gehabt, nachzusehen, ich möchte abermals nach 
drei Tagen nachfragen. Das that ich denn auch pünktlich, und 
fand den Kaiser im Fenster mit einem Papier in der Hand (es 
war eine Illuminatenliste): „Es thut mir leid, ich habe Ihnen 
Unrecht gethan, habe die Namen verwechselt: da steht Graf 
Stahrenberg, Domherr von Eichstädt.* — Diese Sache war ab- 
gethan; jene der Lehen zu berichtigen, musste ich aber nach 
Regensburg zurückkehren, um den Fürsten in. Kenntniss zu 
setzen. 

Die liebenswürdige Gräfin Seilern war in ein Zehrfieber 
verfallen, und von den Aerzten, um der Winterkälte in Deutsch- 
land zu entgehen, nach Pisa in Italien geschickt worden. Jetzt, 
im Monat Juni, kehrte sie leider noch viel leidender von dort 
zurück. Als alter Hausfreund war ich viel bei ihr und las ihr 
Stunden lang vor. Das Uebel machte schnelle Fortschritte, die 
sie mit völliger Ergebung betrachtete. Die letzten Tage, da sie 
sich an meine Wartung gewöhnt hatte, verliess ich sie gar nicht 
_ mehr, und sie entschlummerte, während ich ihr die täglichen 
Gebete vorsagte. Ich reiste nun auf acht Tage zu der jungen 


38 


Fürstin Taxis nach Tischingen, wo auch ihre Schwester, die Her- 
zogin von Hildburghausen, sich befand, um mich bei diesen äusserst 
liebenswürdigen Frauen zu zerstreuen; von da zur Erholung 
meiner Gesundheit nach Karlsbad, und nach Prag zur böhmischen 
Krönung. Hier hatte der Druck, welchen Kaiser Joseph den 
Ständen empfinden liess, einen Nationalismus erweckt, der lange 
geschlummert hatte. K. Joseph, der alles centralisiren wollte, 
suchte auch die techische Zunge zu unterdrücken; dieses Pal- 
ladium der Nationalität lässt sich aber kein Volk rauben. Un- 
verabredet hörte man in den Vorsälen bei Hofe alle, die der 
Muttersprache mächtig waren, böhmisch sprechen. Kaiser 
Leopold, dessen Regierung in Toscana ein für ihn günstiges Vor- 
urtheil verbreitet hatte, bemerkte sehr wohl die Lage der Dinge, 
und zeigte sich bereitwillig die Rechte der Nation zu schützen; 
es wurden Unterhandlungen angeknüpft, und die Feste bei der 
Krönung erschöpften die Zeit. Die Lage der Dinge in Frankreich ' 
war für Deutschland bedenklich geworden, und veranlasste den 
unglückseligen Congress in Pilnitz. Ich reiste mit meiner Cou- 
sine Gräfin Zichy über Dresden nach Leipzig. Als ich nach 
Regensburg zurückkam, waren die Nebenumstände, welche die 
Belehnung verzögerten, durch den Fürst-Bischof bereits behoben; 
ich begab mich also (im December) nach Wien, empfing die 
Reichslehen, ertheilte die Belehnung der Grafschaft Ortenburg, 
welche dem Regensburger Bisthum lehenbar war, an Oesterreich, 
übergab den Schuldentilgungsplan für das Bisthum Freising dem 
k. Reichshofrathe, und kehrte wieder nach Regensburg zurück. 


1792. 


Das Leben in Regensburg und die Lage von ganz Deutsch- 
land fing an, sich allmählig umzustalten. Kaiser Leopold starb 
am 1 März; sein schneller Tod war auffallend; es erfolgten Ver- 
haftungen mehrer Verdächtigen in Wien. Kaiser Franz trat in 
die Regierung der Erblande ein, und Ende April erklärten die 
Franzosen dem Könige von Ungarn und Böhmen den Krieg. Die 


39 


Emigrirten, welche sich früher am Rhein und an der Mosel ge- 
halten, zerstreuten sich nun durch ganz Deutschland, viele 
sammeln sich in Regensburg und vermehren durch die Verschie- 
denbeit ihrer überspannten Ansichten die Verwirrung der Ideen. 
Alles war in Erwartung der Dinge, die geschehen sollten. Kaiser 
Franz wurde in Frankfurt gekrönt, besprach sich mit dem Könige 
von Preussen in Mainz, der unglückliche Feldzug in der Cham- 
pagne begann. Ich war zwar in der Nähe auf Besuch bei meinen 
Freunden Diede in Wiesbaden, hatte aber keine Lust, weder die 
Krönung in Frankfurt, noch die nachfolgende in Prag zu sehen. 
Ich war in einer traurigen Stimmung. Die älteste Tochter des 
Grafen Görz, Caroline, Braut meines Freundes Grafen Rechberg, 
nachmaligen k. bayrischen Staatsministers, war gestorben, und 
hatte diese mir sehr freundlich gesinnte Familie in den tiefsten 
Schmerz versetzt, den ich herzlich theilte. 

Nach meiner Rückkehr nach Regensburg vertraute mir mein 
Arzt, der Wallerstein’sche Hofrath Schäffer, ein ausgezeichneter 
Mann in jeder Hinsicht, dass er unter seinen Kranken eine natür- 
liche Somnambule habe, die ich wohl kannte, und erlaubte mir, 
sie täglich während des Paroxysmus zu besuchen. Ich hielt ein 
Journal über alles was vorging. Dass sie während des Schlafs 
mit vollkommen geschlossenen Augen sehr rein gearbeitete Sticke- 
reien verfertigte, manchmal aus dem Bette heraussprang, sich an 
das Clavier setzte, und ohne Noten z. B. das ganze zweite Finale 
von Mozart’s Don Juan mit einer Fertigkeit und einem Ausdruck 
spielte, wie ich sie in gesunden Tagen nie hatte spielen hören, 
dass sie, wenn wir von einem sehr geschickten Harfenisten Lieder 
spielen liessen, diese Lieder in Ton und Tact vollkommen richtig 
sang, kann ich in Wahrheit betheuern. Was sie aber während 
des Paroxysmus gleichsam wie Visionen zu sehen glaubte, waren 
blosse Reminiscenzen aus dem Wandsbecker Boten oder andern 
Büchern, welche sie gelesen hatte. Die Krankheit dauerte lange; 
‚sie wurde aber geheilt, heirathete, hatte Kinder, und der Anfall 
kam nie wieder zurück. 


40 


Mein Bruder Joachim, der sich auf dem Lande mit Geometrie, 
höherer Mathematik, Meteorologie und Astronomie beschäftigt 
hatte, kündigte mir an, dass er mit Abbe Dobrowsky eine Reise 
nach Dänemark, Schweden und Russland unternehmen wolle, und 
ersuchte mich, während seiner Abwesenheit die Güter manchmal 
zu besuchen, was ich auch versprach. 

Im September wurde ich in Geschäften nach Berchtesgaden 
zu dem Bischof von Freising berufen, der mich zu seinem Ca- 
nonicus a latere ernannt hatte, eine Stelle, die mir dadurch sehr 
angenehm wurde, weil sie mich von der jährlichen fünfmonatlichen 
Residenz in Freising befreite. Ich reiste über' München, Reichen- 
hall und Trauenstein, Salzburg, nach Berchtesgaden, um das 
ganze halurgische Revier mit einem Mal zu übersehen, was mich 
ganz besonders interessirte, obgleich ich noch nicht den gering- 
sten Begriff von Geognosie besass. ' In-Berchtesgaden erfuhren 
wir die Einnahme von Verdun, worauf wir grosse Hoffnungen 
bauten. Ich kletterte mit frohem Muth von dem Schloss im 
Bartholomäi-See, wo wir wohnten, auf die höchsten Gebirge, bis 
ich eine Gemse erlegte. Im Monat October besuchte ich meinen 
Vater in Prag, und warf einen Blick auf unsere Güter in Böhmen. 
Als ich nach Regensburg zurückgekehrt war, kamen die Hiobs- 
posten von der Canonade von Valmy und dem Rückzug der 
preussischen Armee, bis zu der Einnahme ‘von Mainz, Kassel 
und Frankfurt durch Custine im Monat November. ' Frankfurt 
wird im December durch die Preussen und Hessen wieder ge- 
wonnen, Kassel cernirt, und ein grosser Theil der österreichi- 
schen Armee marschirt durch Regensburg: Viele ‘alte Bekannte 
besuchen mich bei dieser Gelegenheit; es herrscht viel Bewegung 
in der Regensburger Gesellschaft, aber der ruhige Genuss ist 
entflohen. Die Lage von Deutschland wurde immer schwieriger, 
die Völker durch die vielen Durchmärsche. beunruhigt. : Man 
wünschte, dass die Geistlichkeit beschwichtigend dazwischentreten 
und das Volk zum Gehorsam gegen die Souveraine‘ aufrufen 
sollte. Der Fürstbischof entschloss sich ‚einen  Hirtenbrief 


41 


drucken zu lassen; ich erhielt den Auftrag, ihn zu verfassen: er 
wurde aber von dem löblichen Consistorium ziemlich beschnitten 
herausgegeben. | 


1793. 


Die Unzahl der Emigrirten, denen man in allen Gesell- 
schaften begegnete und denen es niemand recht machen konnte, 
wurde mir sehr lästig: denn bei der Parteiung, welche unter 
ihnen selbst herrschte und die sie durch ihr unbändiges Ge- 
schwätz allen Gesellschaften einimpften, war man stets in dem 
Fall, von : dem Einen als Ultraroyalist, von dem Andern 
als Jacobiner bezeichnet zu werden. Ich hielt mich’ still 
mit meinen besten Freunden, um mich aus diesem Dilemma zu 
ziehen. ‘Millionenweise wurden die österreichischen Kronenthaler, 
die noch allgemein in Deutschland eirculirten, den Armeen nach- 
geführt, die am linken Rheinufer standen. Doch ehe man noch 
etwas wichtiges unternahm, wurde der Gräuel in Paris aufs 
höchste gesteigert und König Ludwig XVI guillotmirt. Die 
Nachricht wurde in einer Gesellschaft bei Graf Hohenthal ver- 
breitet; alle Menschen waren empört; nur der Bischof von Bristol 
rief gleichsam im Ausdruck von Beifall aus: „Voila la premiere 
fois que les Francais ont ete consequents!* Darüber waren alle 
Herumstehenden entrüstet; die Frauen insbesondere sprachen 
ihren Unwillen so deutlich aus, dass er sich aus der Gesellschaft 
zurückzog und Regensburg verliess. 

Anfangs Mai besuchte mich mein ehrwürdiger Vater in 
seinem hohen Alter; meine Cousine Louise hatte ihn begleitet. 
Es gefiel ihm wohl in 'memem am Ufer‘ der Donau angenehm 
gelesenen Hause und meinem kleinen Rosengärtchen; alle meine 
Freunde bestrebten sich, ihm den Aufenthalt angenehm zu 
machen. Ungeachtet mancher Vortheile, welche die österreichi- 
schen Waffen in den Niederlanden erfochten hatten, war die 
Ansicht meines Vaters von den Folgen dieses Krieges noch trüber, 
als die meinige: 


Mein Vater kehrte wieder nach Prag zurück, und bald 
nachher mein Bruder aus Russland. Dieser hatte, als er von 
Lord Macartney’s Reise nach Peking hörte, die Idee gefasst, 
über Kiachta auch dahin zu reisen. Er verschaffte sich Empfeh- 
lungsschreiben von der englischen Gesandtschaft, konnte aber von 
der russischen Regierung keine Pässe erhalten, und musste von 
Moskau die Rückreise antreten. Seine meteorologischen und 
astronomischen Beobachtungen hatten ihm Unannehmlichkeiten 
zugezogen. 

In Regensburg war der dänische Gesandte Baron Eiben ge- 
storben. Baron Diede erhielt seine Stelle, welches mir besonders 
angenehm war, da ich viel in dessen Hause lebte. 

Im Juli wurde Mainz und im August Valenciennes erobert; 
die Durchmärsche österreichischer Truppen dauerten fort; man 
liess sich zu neuen Hoffuungen verleiten. 

Ich machte eine Geschäftsreise in Angelegenheiten des 
Bisthums Regensburg nach München, und von da näch Garmisch 
in die Grafschaft Werdenfels, welche dem Bisthum Freising ge- 
hörte; im October aber zu meinem Vater nach Prag und zu 
meinem Bruder aufs Land, um mir seine Reisebegebenheiten 
mittheilen zu lassen, die für mich grosses Interesse hatten. 

Vor Ende des Jahrs fiel auch noch das Haupt der Königin 
von Frankreich, um die kannibalischen Scenen in der entarteten 
Nation zu vervollständigen. 


1794. 


Schon im Januar hatte sich der Herzog von Braunschweig 
nach Mainz zurückgezogen, wodurch auch General Wurmser ge- 
zwungen wurde, nach Mannheim zurückzugehen. Die rheinischen 
Stände traten zusammen, um sich über die Vertheidigung des 
Rheinufers zu verständigen. Das Benehmen von Preussen bei 
dieser Gelegenheit erschien zweideutig. Erzherzog Karl reiset 
durch Regensburg nach den Niederlanden und wird bei der 
ersten Affaire wegen seiner Tapferkeit auf dem Schlachtfelde 


® 


43 


zum Feldmarschalllieutenant ernannt; ihm folgte bald Kaiser 
Franz. Das Waffenglück begünstigt Clairfayt und den Herzog 
von York in den Niederlanden; nach der Schlacht bei Tournay 
geht die österreichische Armee über den Rhein und Moellendorf 
siegt bei Maxlautern. Unter Robespierre’s Regierung in Paris 
werden die Rechte der Menschheit ausgerufen, die englischen 
und hannoverschen Gefangenen massacrirt, die Princessin Elisa- 
beth, Schwester des Königs, und viele hundert Aristokraten guil- 
lotinirt. Ich brachte die Monate Juli bis gegen Ende September 
in Karlsbad und Böhmen überhaupt zu, dem Wechsel des Waf- 
fenglücks folgend und beobachtend, der Zukunft misstrauend. 
Gegen das Ende der Campagne zogen sich die Preussen zurück; 
ein Theil ihrer Armee marschirte nach Hause, man sprach von 
eingeleiteten Negotiationen eines Separatfriedens, indess England 
alles Mögliche anwendete, um Oesterreich zur Fortsetzung des 
Krieges zu bestimmen. Die französischen Armeen erschienen 
von Neuem vor Mainz und der Rheinschanze von Mannheim. 
In Regensburg hatte die zweite Tochter des Grafen Görz einen 
Herrn von Lobes, genannt Schlitz, geheirathet. Ich führte mein 
gewohntes Leben, doch mit mir selbst uneins, ob ich, bei den so 
verschieden sich entwickelnden Verhältnissen, in meinem Plan 
verharren und in dem bereits gewählten Stande mein Fortkom- 
men suchen, oder einen anderen wählen sollte. Ueber 400 aus 
Frankreich vertriebene oder vor der Guillotine fliehende Priester 
waren in Regensburg; man sammelte und bettelte, wo man nur 
konnte, um ihr elendes Leben zu fristen. 


[2 


179. 


Die Negotiationen in Basel werden fortgesetzt und im Mo- 
nat April wird der preussische Separatfriede verkündet und Polen 
abermals getheilt. 

Dies war der Wendepunkt in der Tendenz meines Lebens. 
Bisher hatte ich den Plan verfolgt, mich in meinem Stande zu 


4 


der Würde eines Reichsfürsten und Bischofs  aufzuschwingen. 
Eine solche Würde zu bekleiden konnte in Deutschland wün- 
schenswerth und ehrenvoll erscheinen; sie würde auch, ohne die 
Folgen der Revolution, mir schwerlich entgangen sein. Nun 
aber, da die beiden mächtigsten Fürsten des Reichs, welche die 
beiden Religionsparteien und die verschiedenen politischen Ver- 
hältnisse zusammenhielten, sich trennten: und an einer. ganz 
schuldlosen Nation solchen Frevel begingen, war vorauszusehen, 
dass Deutschland ‘in der Collision der inneren Pärteiung und 
des Dranges von Aussen ohne’ Rettung verloren sei. Der Geist 
der Revolution, der nicht mehr auf Frankreich allein beschränkt, 
wohl‘auch in Italien, in Rom selbst und längs dem Rhein- sich 
verbreitete, hatte sich gegen den Adel und die: Geistlichkeit 
ausgesprochen; und letztere, die allein nicht kräftig genug war, 
solchem Andrange zu widerstehen, musste sich wohl als den hir- 
cus pro peccato ansehen. Alle Aussichten in meinem Stande er- 
schienen 'mir von nun an sehr zweideutig. Zwar konnte ich 
lang genährte Hoffnungen nicht sogleich abstreifen: doch nahm 
ich mir vor, weniger für das Aecussere zu leben und mich den 
Wissenschaften zu widmen, die einen jeden Stand‘ zieren und in 
jedem Lebensverhältnisse nützlich sind. Nur blieb ich noch. un- 
entschlossen, welchem Fach ich mich vorzüglich widmen: sollte. 

Ein: Zufall führte die Bestimmung herbei. Auf der Strasse 
begegnet mir Graf Bray, nun Präsident der ‚botanischen Gesell- 
schaft in Regensburg und königl:.bayrischer (Gesandter in Wien, 
damals in Regensburg (wo 'er bei der französischen Gesandtschaft 
angestellt gewesen war) zurückgeblieben, um die Entwickelung 
der Zeitumstände abzuwarten. Er kam von einer botanischen 
Excursion mit Professor Duval zurück, einen Busch Pflanzen in 
der Hand, und sprach mir zu, ich möchte mich'auch auf ‚Botanik 
legen, es sei die angenehmste der Naturwissenschaften. ' Profes- 
sor Duval trug sich an, mir Unterricht zu ertheilen, Ich‘ ‚sah 
es als einen Wink ‚der Vorsehung an, und am nächsten Sonntag 
nahm ‘ich meine erste Lehrstünde. Ich trieb dieses Studium 


45 


mit dem allergrössten Eifer, verband es mit der Forstwissenschaft, 
riehtete mir eine Pflanzschule von Forstgewächsen in dem nahe 
gelegenen sogenannten Weintinger Holze ein, wo ich alle im 
deutschen Klima gedeihenden Forstpflanzen mit meinem Jäger 
selbst eultivirte, machte häufige. Excursionen mit meinen neuen 
botanischen Freunden, und lebte wieder auf. 

Im Monat Juli reiste ich mit meinem Bruder über München 
nach der Grafschaft Werdenfels, wo verlassene Bergwerke wie- 
der erhoben werden sollten, wozu mir sein Rath wichtig war. 
Mit erweitertem Interesse erstieg ich nun die dortigen Gebirge, 
wo ich Alpenpflanzen kennen zu lernen Gelegenheit fand. Auch 
die Verschiedenheit der Granitgebirge von den Kalkwänden blieb 
nicht unbeachtet. Auf dem Rückwege besuchten wir die Abtei 
Ettal, das meteorologische Observatorium auf dem Peissenberge, 
Polling ete., wo wir allenthalten wissenschaftliche Männer an- 
trafen. Mein Bruder führte einen Theodoliten und einen Sex- 
tanten bei sich, es wurden Berge gemessen etc. Die Zeit ver- 
flog in einem mir neuen thätigen Leben. 

Am 17 September erfolgte die Vermählung der. ältesten 
Tochter des Baron Diede, Charlotte, eines besonders ausgezeich- 
neten: sehr hübschen Mädchens, mit einem Grafen Ranzow aus 
Holstein. 

Im Laufe, dieses Jahres war der kleine Ludwig XVH- im 
Kerker zu,.Paris gestorben. Die Campagne schloss mit der. Ein- 
nahme. der Weissenburger Linien durch General Clairfayt. 


1796. 


Welche veränderte Stimmung mein neuer Lebensplan in 
meinem Inneren hervorbrachte, beweisen am besten meine eige- 
nen- Briefe, welche ich in jener Zeit geschrieben habe. Sie wur- 
den mir nach dem Tode meiner Freunde ,. die sie aufbewahrt 
hatten, ‚zurückgeschickt; ich will ein paar Auszüge aus denselben 
hier einschalten. 


46 


Den 16 Januar 1796: „Ich prüfe mich alle Tage, um &8- 
nau zu wissen, wie ich mein Endurtheil ertragen werde, wenn 
es selbst schlimmer ausfallen sollte, als dermalen noch wahr- 
scheinlich ist, und sehe mit Vergnügen, dass mein Geist auf 
alles gefasst ist. Vorzüglich lächelt mir die Zukunft, wenn ich 
mir sie unter einem ruhigen ländlichen Obdach denke, wo mein 
geschäftiger Geist nach seinem innern Drang volle Nahrung fin- 
den würde, Mit einem gesunden Körper und geweckten Geist 
bleibt man auch unter ganz veränderten Umständen derselbe 
Mensch. Freiwillig verlasse ich meinen Stand nicht: der Macht 
der Umstände, die ich nicht bezwingen kann, weiche ich aber 
ohne Zaudern wie ohne Murren. Das Aergste, der Kampf mit 
sich selbst bis zur Unterwerfung, ist überstanden. Folge Du 
willig dem Schicksal: willst Du nicht folgen, Du musst.“ 

Den 6 Februar 1796: „Ich hoffe, dass Dich nichts aus 
Deinen vier Mauern vertreiben wird. Wenn ich aber einst, und 
dazu wird es gewiss noch kommen, mir eine Hütte baue und 
ein Gärtchen pflanze, dann kömmst Du doch gewiss zu mir, hilfst 
mir meine Blumen begiessen und theilst mein Glück in ländlicher 
Abgeschiedenheit? Du glaubst nicht, wie sehr das Studium der 
Botanik, das mich nun ganz besonders beschäftigt, reich an 
Quellen des Genusses ist, die selbst die für Zerstörung so in- 
dustriösen Menschen unserem Geiste nicht zu entreissen ver- 
mögen. Sieh! indem ich entbehren lerne, strömen mir neue 
Genüsse zu; ich habe das Vertrauen, noch glücklich zu werden, 
und scheue die Zukunft nicht.“ 

Meine Ahnungen rückten in diesem Jahre näher. Die öster- 
reichischen Waffen waren in Italien und Deutschland unglücklich, 
das Heer zog sich vom Rhein gegen die Gränzen von Oester- 
reich und Böhmen, die französischen Truppen folgten ihm auf 
dem Fusse nach. Nach der ungünstigen Affaire bei Geisenfeld 
wurde Regensburg mit Verwundeten erfüllt; die Emigrirten zo- 
gen in das Innere von Oesterreich oder Norddeutschland. Ich 
schickte meine besten Habseligkeiten zu meinem Bruder und 


47 


ging selbst nach Karlsbad, von dort aber nach Eger, wo sich die 
Diedesche Familie befand. Nach wenigen Tagen strömten eine 
Menge deutscher Familien mit Sack und Pack nach Böhmen herein, 
und brachten die Nachricht, dass die französische Armee von 
Nürnberg nach Böhmen marschire. Alle Badegäste gerathen in 
Unruhe; ich besorge Pferde für die Diedesche Familie und fahre 
mit den meinigen nach Karlsbad, wo wenige Minuten später der 
Courier mit der Nachricht von zwei glänzenden Siegen eintrifft, 
welche Erzherzog Karl bei Teining und Amberg erfochten. Man 
beruhigt sich, und wir verfolgen unseren Weg nach Prag. Die 
Franzosen werden bis über den Rhein zurückgedrängt. Die 
Diedesche Familie besucht meinen Bruder auf ihrer Rückreise 
nach der Wetteräu; ich bleibe bei ihm. Seine Mineraliensamm- 
lung wird nun mit Musse durchgangen, galvanische und chemische 
Versuche gemacht, ein wissenschaftlicher Briefwechsel, der noch 
vorhanden ist, wird verabredet. 

Erzherzog Karl verfolgt die Wintercampagne bis in den 
Januarmonat, wo endlich Kehl erobert wird. Regensburg ist mit 
Blessirten erfüllt, worunter mehrere Bekannte, Major Steigen- 
tesch und andere. 


1797. 


Lord Malmesbury, der schon in Italien Friedensvorschläge 
gemacht, entwickelt in einer Conversation mit De la Croix die 
Grundsätze der Secularisation, welche später in Rastadt ausge- 
führt worden sind; ich mache darauf aufmerksam, jedoch ohne 
Erfolg. Doch nahm ich es mir zu Gemüthe und verfolgte meine 
wissenschaftlichen Arbeiten. Das Linneische System hatte ich 
ziemlich durchgearbeitet, war mit den europäischen Pflanzen 
bekannt, wurde auch von der botanischen Gesellschaft als Mit- 
glied aufgenommen. Der Galvanismus hatte Aufsehen erregt, 
ich beschäftigte mich auch mit diesem, selbst mit Curen unter 
der Leitung Dr. Schäffers. Bei tauben Personen waren die Wir- 
kungen am erfreulichsten: doch erhielt sich die Besserung nicht 


48 


lange und erregte das Nervensystem bedeutend. Eine kleine 
Schrift, mit einer Vorrede von Dr. Schäffer , wurde darüber 
gedruckt. 2 
Die Campagne in Italien ‚ist ungünstig. Die Franzosen 
nehmen Mantua, Erzherzog Karl wird: nach Italien versetzt; 
Preussen besetzt die Markgrafthümer Anspach und Baireut. Im 
April erfolgt der Friede von Leoben und im Herbst: der von 
Campoformio, dem der Congress in Rastadt nachfolgte. 

Ich machte in der Zwischenzeit eine. Excursion durch das 
bayrische Gebirge in die Kaisersklause, worüber ein Bericht in 
Hoppe’s botanischem Taschenbuch (1802) abgedruckt wurde. Spä- 
ter reiste ich nach Böhmen zu meinem Vater. und zum Bruder, 
bei dem ich wieder Collegia hörte. 


1798. 


Im Januar zog die ganze österreichische Armee durch Bayern, 
das Hauptquartier durch Regensburg, wo ein Regiment (Kerpen) als 
Besatzung zurückblieb ; die Freicorps der französischen Emigrirten 
lagen in der Umgegend. Der Congress in Rastadt, welcher zur 
Negotiation eines Reichsfriedens und angeblich zur Erhaltung 
der Integrität des Reichs zusammen berufen wurde, drehte sich 
eigentlich um zwei Punkte: 'Frankreich, wollte ‚das linke Rhein- 
ufer als Gränze behalten, die weltlichen deutschen Fürsten soll- 
ten für den. Verlust ihres Eigenthums durch die Secularisation 
der Geistlichen und Mediatisirung der freien Reichsstände ent- 
schädigt werden. Im Anfang dieses Congresses' versuchten zwar 
einige Abgesandte deutscher Fürsten. etwas für ‚eine verbesserte 
kirchliche. Anstalt in Deutschland zu wirken... Ich. ‚hatte‘ mich 
zu diesem Zweck mit. dem:.bayrischen Gesandten’ Grafen: Mora- 
wicky, meinem alten Bekannten, in Briefwechsel eingelassen, ‚und 
der Coadjutor von Mainz, Karl: Dalberg, war zu. demselben Zweck 
dahin gekommen: allein: es war gar bald: zu. entnehmen, dass 
hier der einzige Sinn vorherrschte., ‚die Löwenhaut zu. theilen‘; 


49 


daher aüch Oesterreich, nachdem es einige sehr wohlgemeinte 
Noten ohne Erfolg mitgetheilt, seine Armeen. allmählig vorschob. 
Während der Zeit, als man in Rastadt Noten wechselte und 
Bonaparte stets erwartet wurde, war die Schweiz, Rom und Nea- 
pel revolutionirt worden und Bonaparte segelte nach Aegypten. 
Wie der Congress geendet, ist noch in Jedermanns Andenken. 

Ich war nach Prag gegangen, um. meinen kranken Vater 
zu besuchen, und von da nach Freising, wo ich in stiller Ein- 
samkeit das Ende der Tragödie abwarten wollte: allein mein Vater 
hatte am 2 August seine redlich durchlaufene Bahn im 86 Jahre 
seines Alters vollendet; ich musste zu meinem Bruder nach 
Böhmen, um unsere Erbschaftsgeschäfte zu ordnen. Er theilte 
sanz meine Ansichten über die verhängnissvollen Begebenheiten, 
die uns bevorstanden, und bestärkte mich in meinem Plane. Ich 
kehrte nach Regensburg zurück, und er folgte mir im Monat 
November dahin. Meine Freunde, besonders Baron Gleichen, 
Graf Görz und Baron Diede bewarben sich sehr um ihn, und 
die Damen ergötzten sich an seiner ausgezeichneten Behand- 
lung der Harmonika. 

- Im Monat, December erwirkte der Kurfürst in Bayern eine 
päpstliche Bulle, durch welche ihm gestattet wurde 1,500,000 fi. 
Kriegssteuer auf die geistlichen Stände auszuschreiben; wogegen 
jedoch die damals noch bestandenen bayrischen Stände sich 
sträubten und grosse Reibung entstand. 


1799. 


Der Kurfürst in Bayern, Karl Theodor, stirbt. So sehr er 
in der Rheinpfalz sich beliebt gemacht und als ein aufgeklärter, 
die Wissenschaften fördernder Souverain gegolten hatte, so 
wenig konnte er, bei einer ganz verschiedenen Lebensweise, sich 
der Anhänglichkeit seiner bayrischen Unterthanen aller Stände 
erfreuen. Als nun, wie gewöhnlich bei dem Tode des Souve- 
rains, die Stadtthore gesperrt wurden, und ein Bauer, der eben 

+ 


50 


zur Stadt hinausfahren wollte, die Ursache von der Wache er- 
fuhr, so sagte er: „hättet ihr lieber die Thore gesperrt, als er 
hier ankam, jetzt ist es zu spät!“ 

Am 20 April erklärten die Franzosen den Krieg, griffen 
gleichzeitig den Fürsten Schwarzenberg bei Stockach an, und 
drängten ihn in der Ueberraschung zurück; er sammelte aber 
seine Leute wieder und eroberte seine frühere Stellung. Am 21 
greift Erzherzog Karl sie an und schlägt sie aufs Haupt. ' Der 
Feldzug nimmt eine günstige Wendung, Erzherzog Karl gelangt 
bis an den Rhein. Die Russen unter Suwarow hielten die Schweiz 
besetzt: aber General Korsakow wurde geschlagen, und die Russen 
zogen sich über Augsburg und Regensburg nach Böhmen ins 
Winterquartier. Ueber die Anwesenheit Suwarow’s in Regensburg 
habe ich (12 Dec. 1799) folgenden Brief geschrieben: „Gestern 
erschien Suwarow in der Gesellschaft bei dem Fürsten Taxis. 
Zwei langbärtige Kosaken traten vor ihm in den Saal, sein Ge- 
neralstab folgte ihm auf dem Fusse nach, und man schloss einen 
Kreis um ihn, wie die Trabanten des Saturnus. Er gleicht einem 
ehrwürdigen kleinen Invaliden mit kahlem Scheitel, seine unru- 
higen Bewegungen aber jenen eines Affen. Er trug die kaiserl. 
österreichische Feldmarschallsuniform; Sterne, Kreuze und 
Ordensbänder deckten den ganzen Körper, und ein grosses Mi- 
niaturportrait von Kaiser Joseph, in Brillanten eingefasst, bau- 
melte auf seiner Brust; sein Degen hatte einen Griff und Knopf 
von Diamanten. Er ging gerade auf den Fürsten Taxis los und 
küsste zuerst das goldene Vliess, das er am Halse trug, dann die 
Hand des Dompropstes und Domdechants. Er blieb nicht eine 
Minute ruhig, sprach mit einigen Männern, die sich vorstellen 
liessen, und fuhr nach einer halben Stunde wieder in sein Haupt- 
quartier, das er in der Abtei Prüfening aufgeschlagen hatte. Am 
folgenden Tage kam er zum Fürsten zum Speisen; da er Fasten 
hatte, so wurden ihm Fastenspeisen servirt. Er ‚versuchte sie 
aus der Schüssel, und was ihm nicht schmeckte, warf er in die 
Schüssel zurück, wo er sie dann den andern Officieren präsen- 


51 


tiren liess, mit denen er überhaupt nicht viel Ceremonien machte. 
Nachmittag gab er uns die Musik seiner Capelle zum Besten. 
Ausser der sixtinischen Capelle in Rom habe ich nie etwas 
Aehnliches gehört: es ist ein Wunder der Knute. Eine solche 
Präeision, einen so leisen Uebergang vom piano zum forte aus 
dem Munde ganz roher, erst bei dem Militair gebildeter, Men- 
schen hervorgehen zu hören, ist einzig in seiner Art.“ 

In und mit mir abgeschlossen, nahm ich an den wechseln- 
den Kriegsbegebenheiten nur einen geringen Antheil, und wünschte 
vielmehr das Ende näher gebracht zu sehen, um aus diesem un- 
ruhigen Hin- und Herschwanken herauszukommen, da ich kein 
beruhigendes Ende mehr erwartete. Ich reiste im August nach 
Böhmen, und blieb daselbst bis Ende October, theils auf kleinen 
Reisen im Lande, theils bei meinem Bruder in wissenschaftlicher 
Beschäftigung. Den Winter brachte ich immer in Regensburg 
mit meinen Freunden zu: allein es war ein viel bewegtes Leben, 


die Ruhe, ohne welche kein Genuss vollkommen befriedigt, war 
entflohen. 


1800. 


Erzherzog Karl musste seiner schwächlichen Gesundheit 
wegen die Armee verlassen, mit ihm verliess sie auch das Waffen- 
glück. Nach vielen Kämpfen wurde der Kriegsschauplatz von 
dem Lech an die Donau übertragen. Die Armee von Moreau 
erstreckte sich bis gegen Regensburg, welches mit österreichi- 
schen Verwundeten, Kranken, Flüchtlingen und Kanzleien über- 
füllt war, die man fortzuschaffen Mühe hatte. Regensburg ver- 
theidigte General Klenau mit einem schwachen Corps: am 14 Juli 
griff er die anrückenden Franzosen an und drängte sie über 
Abbach zurück. Am 17 trat der Waffenstillstand von Parsdorf 
ein, vermöge dessen Graf Klenau sich nach Stadt am Hof zurück- 
ziehen musste, die Mitte der steinernen Brücke zum Scheide- 
punkt der beiden Armeen erklärt und das nicht eroberte Regens- 
burg, der Schlüssel des Uebergangs über die Donau, dem Feinde 


4* 


52 


überliefert wurde. Ich erinnere mich keines so allgemeinen 
Trauergefühls einer ganzen Bevölkerung, als in der Stunde, wo 
der Vortrab des Corps von General Grenier in Regensburg ein- 
rückte. Sehr bald empfanden wir die drückende Last feindlicher 
Einquartierung und ausgeschriebener Kriegssteuern. Diese zu 
mildern, wurde die Absendung einer Deputation in das Haupt- 
quartier des Marschalls Moreau nach Augsburg beschlossen, und 
ich als Vertreter sämmtlicher geistlichen Stände von dem Fürst- 
bischof bestimmt. Den 29 Juli reisten wir nach Augsburg ab 
und wurden am 3 August mit einem Nachlass von 250,000 Frances 
entlassen. In diesem Hauptquartier lernte ich Frankreichs Geist, 
Deutschlands Gefahr und das nahe Schicksal der geistlichen 
Stände genau kennen, welches ich auch in meinem besonderen 
Bericht an den Fürstbischof genau so, wie es hernach in dem 
Reichsdeputations-Abschied ausgeführt worden, geschildert habe. 
Consequent mit meiner Ueberzeugung und meinem Plan, lehnte 
ich die mir von meinen Miteapitularen angebotenen Stimmen bei 
der Wahl eines Domdechants, nachdem Graf Thurn Dompropst 
geworden war, ab, dankte für das mir bewiesene Zutrauen und 
reiste nach Böhmen zu meinem Bruder. Erzherzog Karl war in 
Prag, um die böhmische Legion zu übernehmen und gegen den 
Feind zu führen. Wir warteten ihm auf: er sagte uns, wenn 
Moreau nicht früher die Salza überschreitet, so würde man ihn 
wohl noch abhalten können weiter vorzudringen, und ertheilte 
meinem Bruder den Auftrag, einige Positionen, die er bezeichnete, 
an der Gränze zwischen Böhmen und Bayern aufzunehmen. Wir 
reisten zusammen nach Kamb, mein Bruder verfolgte sein Ge- 
schäft, und ich blieb bei meinem Freund Baron Fraunberg, da- 
mals Dechant in Kamb. Da ich Einquartierung in meinem Hause 
in Regensburg hatte, der Waffenstillstand zu Ende und Regens- 
burg gesperrt war, so wünschte ich etwas nähere Nachrichten 
von dort zu erhalten. Ich reiste daher nach Stadt am Hof zu 
(reneral Klenau, den ich wohl kannte, und versuchte von da auf 
ein paar Stunden nach Regensburg zu kommen. Dies gelang 


53 


mir auch wohl, mit dem. Brodschiffe, welches alle Morgen von 
der Insel Oberwerd nach der Stadt fuhr. Ich versorgte meine 
Dienerschaft mit dem nöthigen Gelde für den weiteren Haushalt, 
sah Grafen Thurn und wollte wieder zurückfahren: das Schiff 
war aber, ich weiss nicht aus welchem Grunde, in Beschlag ge- 
nommen. Dies setzte mich in einige Verlegenheit. Glücklicher 
Weise hatte General Grenier dem Accoucheur erlaubt, jeden 
Abend nach Stadt am Hof zu fahren, weil die Generalin Klenau 
ihrer Entbindung nahe war; zu diesem gesellte ich mich als Ge- 
hilfe, und kam glücklich über die Brücke, von da aber wieder 
nach Kamb, wohin auch mein Bruder zurückgekommen war. 
Abermaliger Waffenstillstand. 


1801. 


Neue Kriegssteuern wurden in Regensburg ausgeschrieben ; 
man versuchte abermals, durch eine Deputation in das Haupt- 
quartier Salzburg Erleichterung zu erhalten, und mich traf wieder 
das Loos, die geistlichen Stände zu vertreten. Am 18 Januar, 
bei strenger Kälte, reisten wir ab; ich besuchte meinen Vetter 
Johann Sternberg in Passau. Die Armee von Moreau war zwar 
mehr diseiplinirt, als die übrigen, aber darum nicht minder 
drückend und durchaus jakobinisch-republikanischen Grundsätzen 
ergeben, die Moreau, um sich dem Despotismus Bonaparte’s ent- 
gegenzustellen, selbst begünstigte. Allein seine natürliche In- 
dolenz in Allem, was nicht Kriegsdienste oder Jagd betraf, sein 
Abscheu gegen jede andere Arbeit, machten ihn unfähig eine 
Rolle zu spielen, die ihm seine militärischen Talente vorzeich- 
neten. Ich werde mich ewig seiner charakteristischen Gesichts- 
züge erinnern, als ich ihm in Salzburg vorgestellt wurde. Er 
war eben im Begriff, mit dem Gewehr in der Hand nach Helle- 
brunn zu fahren, um: den letzten Steinbock deutscher Gebirge 
zu ‚erlegen, als ich ihm mit mehreren Papieren in der Hand 
-entgegentrat und den Grund unserer Sendung eröffnete. Mit 
ketrübtem Blick sah er nach den Papieren, und sagte: Faudra-t-il 


54 


que je lise tout cela? Ich versicherte ihn, dass er gar nichts 
zu lesen brauchte, wenn er nur streichen oder Ziffern ändern 
wollte. Da verwies er mich an den General-Quartiermeister 
Lahorie. Dieser war ein gebildeter Geschäftsmann, der mit Ge- 
wandtheit auszuweichen und ernste Geschäfte mit Scherz, ohne 
zu beleidigen, zu beseitigen wusste. Nach mehrtägiger Bespre- 
chung und vielem Hin- und Hergehen zwischen Lahorie und 
dem payeur general, erhielten wir zwar einen beträchtlichen 
Nachlass: doch war, was zu bezahlen übrig blieb, noch immer 
lästig genug. Ich besuchte den Bischof in Berchtesgaden, um 
ihm einen mündlichen Bericht abzustatten, und kehrte bei Thau- 
wetter wieder zurück nach Regensburg. Auf der kaum wieder 
zusammengeflickten Brücke bei Vilsbiburg wäre ich da bei- 
nahe ertrunken. 

Alles, was ich auf dieser Reise gesehen und gehört hatte, 
bestärkte mich in meinen Ansichten, wie man aus einem am 
11 Februar 1801 an eine Freundin geschriebenen Brief ersehen 
kann. „Je suis charme, que Vous entrez dans ma maniere de 
voir sur la secularisation. Malheur & T’homme, qui n’a pas le 
courage de s’elever au dessus des ev@nements, s’il tombe dans 
un siecle comme le nötre. J’en vois tous les jours, qui suc- 
combent sous le poids des chagrins, parcequ’ils n’ont ni la force 
ni la volonte de marcher avec l’esprit du siecle, qu’ils n’ont pas 
compris. J’ai eu la force de faire ma revolution personnelle 
avant que la revolution generale ait pu m’atteindre; elle me 
trouve maintenant prepare A tout &venement. Mon etat, mes 
perspectives, mes esperances n’etaient plus de ce monde ren- 
verse! On me refoule dans la nature; elle et les sciences na- 
turelles m’offrent un tresor inepuisable, la vie de ’homme n’est 
pas assez longue pour se T’approprier; il est independant des 
hommes, qui quoiqwils fassent ne sauraient enlever la surface 
du globe. Mais je ne veux quitter mon poste qu’avec honneur, 
non V’abandonner lächement. On me trouvera parmi les derniers 
combattants sur le champ de bataille. En cedant & une neces- 


55 


site imperieuse je quitterai mon etat sans reproches et sans re- 
grets. Voila ma confession!* 

Der Friede zu Luneville wird geschlossen, Regensburg 
wird frei. von Besatzung, Moreau zieht sich sehr langsam zurück, 
die Reichstagsgesandten treten wieder zusammen. Auch mir 
hatte der Fürstbischof die Stimme für das Bisthum Freising zu- 
getheilt, die ich aunahm, um mit den Geschäften unseres End- 
urtheils in Verbindung zu bleiben. Mein redlicher Diener Xaver 
Richter, der mir 20 Jahre gedient, starb (26 März); ich liess 
ihm ein Monument auf dem Domfriedhof setzen. So bald nur 
einige. Ruhe eintrat, wurden Botanik, Galvanismus wieder vor- 
genommen, und mit Major Helwig, der einen Gall’schen wohl- 
bezeichneten Schädel mitgebracht hatte, die verschiedenen Sinne 
studirt. Ich reiste nach Freising und München, machte eine 
Excursion in das oberbayrische Gebirge, ging dann nach Böhmen, 
und im Monat December besuchte mich (in Regensburg) mein 
Bruder auf seiner Reise nach Paris und London. 


1802. 


Regensburg war zu der Versammlung einer Reichsdepu- 
tation bestimmt, die da unter Russlands und Frankreichs Ga- 
rantie, nach den zu Rastadt aufgestellten Grundsätzen, die Ent- 
. schädigungen derjenigen weltlichen Stände bestimmen sollte, 
welche in Folge der Abtretung des linken Rheinufers an Frank- 
reich als Opfer betrachtet wurden. Die Gesandten aller Höfe 
waren versammelt, die Stadt wimmelte von Fremden, die sich 
auf Kosten eines Dritten nicht bloss entschädigen, sondern viel- 
mehr bereichern wollten. Die französische Gesandtschaft hatte 
ein geheimes, doch jedermann bekanntes, bureau d’inscription 
unter Vorsitz von Matthieu errichtet, in welches die Anbote für 
die Entschädigungsobjecte eingetragen wurden, die gleichsam plus 
-offerenti vertheilt werden sollten. Indess einige Gesandten 
deutscher Fürsten, und besonders Oesterreich, billige Grundsätze 


56 

aufstellten, wurde von den Franken das Gesammtvermögen geist- 
licher Stände gleichsam als res nullius feilgeboten. Warum die 
geistlichen Stände, die doch eben so rechtliche Besitzer ihres 
Eigenthums und ihrer Reichswürden wie die weltlichen Fürsten 
gewesen, allein das Opfer werden sollten, dafür war freilich kein 
rechtlicher Grund nachzuweisen, er wurde aber auch nicht ge- 
sucht: die Fabel vom Wolf und vom Lamm war der Codex, dem 
man folgte. Die Formalitäten des deutschen Geschäftsganges 
dauerten den Franzosen und den Indemnitätslustigen viel zu lange; 
und Russland, das bei der ganzen Sache nichts zu gewinnen und 
nichts zu verlieren hatte, war gleichgiltig gegen den Ausgang 
der Sache. Matthieu hatte seine Indemnitätsvertheilung schon 
am 4 Juni projectirt: allein der Tod des Kurfürsten von Mainz 
und des Mainzischen Gesandten verursachten Verzögerungen; das 
Project wurde erst am 17 August von dem französischen und 
russischen Gesandten an Baron Hügel und Albini übergeben und 
dann zur Berathung gebracht. Die weltlichen Fürsten) um end- 
lich ihrer Entschädigungen habhaft zu werden, und die Fran- 
zosen, um die Inscriptionen bei ihrem Bureau bald einkassiren 
und theilen zu können, beschleunigten den Abschluss einer pro- 
visorischen Besitznahme der zur Entschädigung bestimmten 
geistlichen Länder und Güter, welche auf den 1 December fest- 
gesetzt wurde; und an demselben Tage wurde erst den versam- 
melten Gesandten auf dem Rathhause durch Baron Albini die 
französisch-russische Note dieses Inhalts vorgelesen. Ein scha- 
denfroher Ausdruck malte sich auf manchem Gesichte der an- 
wesenden Gesandten; ich wendete mich zu ihnen und sagte. 
„Ich wünsche, dass die Fürsten, die sich nun ihres Gewinnes 
freuen , diese Handlung nie bereuen mögen! Wer aber die 
Antastbarkeit rechtlich erworbenen Eigenthums factisch aner- 
kennt, hat auch seine eigene Amovibilität mit unterzeichnet!“ 
Mit diesen Worten verliess ich und alle Gesandten der geistli- 
chen Fürsten den Saal mit Indignation, um ihn nie wieder zu 
betreten. 


57 


Es war mir unmöglich die ganze Zeit, während dieser Markt 
der geistlichen Güter währte, in Regensburg auszuhalten. Ich 
machte im Sommer eine Excursion nach München, dem Stahren- 
berger See und Oberbayern, reiste. im Herbst mit meinem Bru- 
der, als er von Paris zurückkam, in Familiengeschäften nach 
Wien, hielt mich aber nirgends lange auf. 

Man hatte bei der allgemeinen Vertheilung und Pensioni- 
rung der Secularisirten auf die Stifter jenseits des Rheins 
ganz vergessen. Als sich nun die Domherrn von Lüttich, Strass- 
burg etc. bei der Deputation um Pensionirung meldeten, so ge- 
rieth man in Verlegenheit. Frankreich war nur an das Nehmen, 
nicht ans Geben gewöhnt; die entschädigten Fürsten hatten 
alle nach ihrer Versicherung viel zu wenig erhalten. Da nun 
Diejenigen, die genommen hatten, nichts geben wollten, so blieb 
nur noch die Crispinusmethode übrig, um auszuhelfen. Man zog 
den pensionirten Domherren des rechten Rheinufers, welche dop- 
pelt präbendirt waren, 10°/, von ihren Pensionen ab, und machte 
daraus Pensionen für jene des linken Rheinufers. Eine Susten- 
tations-Subdelegation und Kasse wurde errichtet und mir das 
Präsidium davon übertragen. 


1803. 


Der Reichsdeputations-Abschied wurde sh am 12 Febr. 
1803 in Regensburg publieirt. Regensburg war mittelst zu rech- 
ter Zeit ausgetheilter Ohrgehänge und Halsbänder in Brillanten 
ein besseres Loos gefallen, als man erwartet hatte: das Dom- 
eapitel und Bisthum wurde dem Kurfürsten-Erzkanzler von 
Mainz, Karl Dalberg, sammt der Stadt zugetheilt. Dalberg hatte 
sich als Statthalter in Erfurt durch seine Herzensgüte und Liebe 
zu den Wissenschaften ausgezeichnet; er war auch in der That 

- ein Mann von vielem Verstand und mannigfachen Kenntnissen, 
ohne gerade in irgend einem Fache gründlich ausgebildet zu 
sein. Sein Temperament war sanguinisch , er fasste schnell, 


58 


glaubte leicht und hoffte was er wünschte: aber wenn man ihn 
von Seite des Gefühls packte, war er unschwer zu einer andern 
Meinung zu bringen. Er wollte stets das Gute, war wohlthätig 
über seine Kräfte, treu seinen Freunden, uneigennützig und li- 
beral in seinen Handlungen, kraftvoll im Unglück, liebenswürdig 
und zerstreut in der Gesellschaft. Ich hatte ihn vor vielen Jah- 
ren in Wien, später in Frankfurt gesehen, nun erst lernte ich 
ihn näher kennen. Er näherte sich mir, und als Graf Thurn 
seine Präsidentenstelle resignirte, so nahm er zwar die Resigna- 
tion, in der Hoffnung, dass seine Gesundheit sich wieder her- 
stellen werde, nicht an, dispensirte ihn aber von allen Geschäf- 
ten, und ernannte mich zum Vicepräsidenten einer zur Organi- 
sirung des neuen Staats unter dem Namen Landescommissariat 
neu geschaffenen provisorischen Stelle. Ich nahm zwar die Stelle 
an, musste aber sogleich Regensburg verlassen, weil mein Bru- 
der gefährlich krank geworden war. Mein Freund, der 'nun- 
mehrige Legationssecretär Felix, den ich von der Zeit an, wo 
ich mich den Wissenschaften gewidmet, zu mir genommen, um 
meine Bibliothek in Ordnung zu halten und meine wissenschaft- 
lichen Arbeiten und Correspondenzen mir besorgen zu helfen, 
begleitete mich nach Böhmen, wo ich in grosser Angst und Be- 
trübniss verweilte, bis mein Bruder, der Gefahr entrissen, sich 
wieder in etwas beschäftigen konnte. 

Nach meiner Zurückkunft suchte ich mich in den neuen 
Geschäftskreis einzuweihen, die eigentliche Organisation wurde 
einstweilen vorbereitet. Die Bar. Diedesche Familie, dem Für- 
sten Primas freundschaftlich zugethan , lebte wie sonst in Re- 
gensburg: allein Frau von Diede, schon viele Jahre leidend, war 
jetzt ernstlich erkrankt und äusserst schwach. Die Aerzte ver- 
fielen auf den Gedanken, sie nach Italien zu schicken. Von dem 
Senator Rezzonico in seine Villa nach Bassano geladen, ent- 
schloss sich die Familie vorerst dahin zu gehen. In dem Zu- 
stand, in welchem sie war, hielt ich es für Pflicht, die Familie 
dahin zu begleiten; auch 'hatte es keinen geringen Reiz für mich, 


ee ae ms 


Eee nn 


59 


eine südlichere Flora zu seien. Der Fürst Primas ertheilte mir 
die Erlaubniss dazu. 

Wir verliessen Regensburg am 22 Juli, und kamen glück- 
lich in die Villa Rezzonico. Als ich hier die Familie wohl ge- 
borgen sah, und Frau von Diede sich etwas besser befand, so 
machte ich eine Fussreise in die rhätischen Alpen und die Sette 
communi. wo ich viele herrliche Pflanzen sammelte. Bei meiner 
Rückkehr vom Gebirge am 11 August fand ich Frau von Diede, 
in Folge einer Erkältung, schon wieder im Bette; das Uebel 
machte rasche Fortschritte, die Kräfte sanken immer mehr, und 
am 28 August wurde sie ihren namenlosen Leiden wie ihren 
Freunden entrissen. Ich gerieth nun in eine missliche Lage; 
Baron Diede und seine Tochter Louise waren trostlos und mei- 
nes Beistandes bedürftig. Aber in Bassano war kein Begräb- 
nissort für Nichtkatholiken, das Volk und die Geistlichkeit be- 
standen darauf, der Körper solle nach Padua zu den Eremita- 
nern gebracht werden, wo der Prinz von Oranien bestattet wor- 
den war. Es blieb nichts übrig, als eilig nach Padua zu reisen, 
dort Anstalten zu dem Begräbniss zu treffen und die Leiche 
nachfolgen zu lassen. In Padua angelangt, wandte ich mich an 
den Professor der Botanik Bonato, der mich freundlich aufnahm 
und zu dem Prior der Eremitaner begleitete. Hier fand es sich 
aber, dass das halbe Kloster provisorisch dem Militär eingeräumt 
worden, und in den Kreuzgängen, wo der Prinz von Oranien 
begraben war, ein Mehlmagazin sich befand; daher wurde dieser 
Raum unzugänglich , und keine Möglichkeit war vorhanden, die 
Leiche dort einzusenken. Der Prior, ein ehrwürdiger theilneh- 
mender Greis, bot mir einen kleinen unbenützten Raum neben 
der Kirche an, wo eine Cypresse und ein alter Feigenbaum 
stand, wofern der Bischof, dem das Kloster neuerlich unterge- 
ordnet war, dagegen nichts einwende, und gab mir einen Geist- 
lichen mit, um den Bischof aufzusuchen. Wir begegneten ihm auf 
der Strasse, wo ich sogleich meine Werbung anbrachte. Vielleicht 
bloss um einen bischöflichen Jurisdictionsaet geltend zu machen, 


60 


wurde mir mein Begehren abgeschlagen. , Es entstand nun ein 
Streit, wie jener zwischen dem Engel und dem Teufel um den 
Körper Mosis. Die tiefste Empörung verlieh mir eine laute und 
dreiste Beredsamkeit, so dass sich vieles Volk um uns versam- 
melte, welches ganz über meine Erwartung sich gegen den Bi- 
schof aussprach und mir den Sieg erleichterte. Die Leiche war 
indessen angelangt, das Grab wurde zwischen der Cypresse und 
dem Feigenbaum gegraben, und Abends bei Fackelschein, in An- 
wesenheit Prof. Bonato’s und eines Notars, um über die Hand- 
lung ein gerichtliches Instrument zu erlangen, die Leiche von 
mir und dem Kammerdiener der Verstorbenen in das Grab ge- 
senkt und mit Erde gedeckt. Ich sprach über dem Grabe eine 
Rede; in der Folge wurde dort ein Monument errichtet. 

Es war dies der bitterste Tag meines Lebens. 

Nach Bassano zurückgekehrt, blieb ich noch drei Tage mit 
den Trauernden. Sie reisten dann auf ihre Güter in der 
Wetterau, ich nach Regensburg zurück, wo ich.den 12 Sept. ankam. 

Der Fürst Primas, um mich durch Geschäfte zu zerstreuen, 
gab mir den Auftrag, eine neue Steuerregulirung für die Stadt 
zu bearbeiten. Den 28 November wurde die neue Organisation 
eingeführt, das Landescommissariat aufgelöst und in eine Landes- 
direction für die politischen und administrativen Geschäfte und 
ein Oberlandgericht als Justizstelle getheilt. Ich behielt das 
Präsidium der ersteren und installirte alle übrigen Behörden. 
Graf Benzel Sternau erhielt das Referat im Kabinet, und Baron 
Albini das Ministerium der auswärtigen Geschäfte. Auch im 
Lyceum wurden einige Veränderungen vorgenommen, eine Lehr- 
kanzel für die Botanik errichtet und durch Dr. Hoppe besetzt; 
dieses Studium war für die Seminaristen obligat, sonst freiwillig. 
Zu Donaustauf wurde eine Forstschule und in den Revieren 
Pflanzschulen eingerichtet, unter der Oberaufsicht des wackeren 
Forstcommissärs Oelschläger. Der Fürst Primas glaubte in der 
That an die der Stadt Regensburg im Reichsabschiede verspro- 
chene permanente Neutralität, und handelte dem gemäss, als 


61 


wenn es ewig so dauern könnte. Diesen Glauben theilte ich 
nicht; ich konnte mich nicht “überzeugen, dass Bayern den 
Wunsch, Regensburg zu besitzen, der gleichsam ein Volkswunsch 
geworden war, aufgeben würde, da Regensburg wirklich einen 
Staat im Staate bildete; auch zweifelte ich, dass Oesterreich in 
einem künftigen Kriege diesen Schlüssel von Deutschland (wegen 
seiner festen Donaubrücke) respectiren würde. Ich gerieth also 
mit mir selbst in Widerspruch, wie weit ich mich in diesen 
neuen Zustand der Dinge einlassen sollte, trieb jedoch meine 
Geschäfte und Studien nebeneinander fort. Eine galvanische 
Gesellschaft in Paris hatte mich zu einem correspondirenden 
Mitglied gewählt; ich machte jedoch keinen Gebrauch von dieser 
Auszeichnung. 


1804. 


Der Primas fuhr fort, auch für die Verschönerung Regens- 
burgs zu sorgen. Der botanischen Gesellschaft liess er einen 
Garten in der Stadt einräumen, und übertrug mir, ihn zu einem 
botanischen Garten umzuschaffen. Die Aussenwerke von Regens- 
burg wurden geschleift und die Räume zu Gärten verkauft. Der 
Hofgärtner Bode von Aschaffenburg kam nach Regensburg, um 
Pläne zu Promenaden zu entwerfen, auch für den Garten der 
Abtei Prüfening, die Baron Vrints erkauft hatte. Ein solches 
Treiben ist ansteckend: trotz allen meinen Gefühlen und innerer 
Ueberzeugung von dem Nichtbestande Regensburgs, trotz dem 
Aufsehen, welches die Arrestation von Moreau und Pichegru und 
die barbarische Ermordung des Herzogs von Enghien in ganz 
Europa machte, liess ich mich doch dahinreissen, mir ein ge- 
schleiftes Hornwerk vor dem Thor anzukaufen, um dort einen 
Garten anzulegen. Ich bin überzeugt, dass Socrates, als er sein 
homo sum, humani nihil a me alienum puto aussprach, zunächst 
an des Menschen Leichtsinn gedacht hat. 

Am 23 April erfolgte die Huldigung der Stadt Regensburg; 
sie wurde- mit einer Herzlichkeit, einer Ordnung und Sittlich- 


62 


keit im allgemeinen Jubel begangen, wie ich wenig Volksfeste 
gesehen habe. Am 27 April wohnte ich der Vermählung des 
Fräuleins Louise Diede mit dem hannoverschen Obersten Freiherrn 
von Löw bei. Am 1 Mai reiste der Fürst Primas nach Aschaf- 
fenburg, und erlaubte mir ebenfalls, mich nach Italien ‘zu bege- 
ben, wo ich Einiges wegen des zu Padua zu errichtenden Mo- 
numents zu bestellen hatte. Von dieser und der vorjährigen 
Reise habe ich in botanischer Hinsicht in den „Ausflügen in die 
rhätischen Alpen“ in Hoppe’s Taschenbuch, und später in meiner 
„Reise durch das südliche Tyrol in das nördliche Italien“ Re- 
chenschaft gegeben. Bei meiner Rückkehr traf ich den Grafen 
Bray in Botzen, wo wir sogleich eine botanische Excursion auf 
die Alpe Akerboden machten, die uns grosses Vergnügen ge- 
währte. Nach Regensburg zurückgekehrt, beschäftigte ich mich 
mit der Anlage meines Gartens; ich hatte mir von dem Bau- 
meister Sylva in Venedig eine Zeichnung sammt Grundriss für 
eine Villeggiatura fertigen lassen. Die Gründe zu diesem Gebäude 
wurden gegraben, und im Monat October der Grundstein in An- 
wesenheit des Fürst Primas, vieler meiner Freunde, auch meiner 
Cousine Louise Sternberg aus Prag, gelegt. 

Der Fürst Primas war von Aschaffenburg aus zum Kaiser 
Napoleon nach Mainz gereist, um die Ergänzung seiner Dotation 
von dem Rhein-Octroi zu. erhalten, die ihm versprochen war. 
Bei dieser Gelegenheit brachte er auch seine Ideen über die 
Vereinigung der Domcapitel Mainz und Regensburg zu einem 
Metropolitan-Capitel und eine kirchliche Einrichtung für Deutsch- 
land zur Sprache. Napoleon vertröstete ihn mit dem für Deutsch- 
land zu schliessenden Concordat, und lud ihn zu seiner Krönung 
in Paris ein, wo. er unter des Kaisers Einfluss würde mit dem 
Papste und den Cardinälen ‚selbst negociiren können. Der Pri- 
ınas, der viel Zutrauen zu Bonaparte’s Glück und Macht gefasst 
hatte, war darüber sehr erfreut und machte Anstalten zu seiner 
Reise. Als Negociateur in geistlichen Sachen: bestimmte er den 
Weihbischof Kolborn, als geistliche Begleitung den Domherrn 


63 


von Mainz Grafen Hatzfeld, mich von Regensburg, als weltliche 
Begleitung den Hofmarschall Baron Frankenberg und Kammer- 
herrn Grafen Boschi; am 12 November reisten wir ab. 

Consul Bonaparte, der Revolution Meister, Intestaterbe der 
Republik, die er begrub, seiner Uebermacht bewusst, war dahin 
gelangt, den Papst nach Paris zu bescheiden, um gleichsam als 
Ceremonienmeister mitzuwirken, während er sich die Krone selbst 
aufsetzte. Die Krönungsceremonie wurde mit grosser Pracht und 
militärischer Ordnung vollzogen. Die Feste liessen Anfangs 
wenig Zeit zu den Negotiationen, und die Cardinäle waren nichts 
weniger als eilig, um sie zu beginnen, denn ein deutsches Pri- 
mat war ihnen von jeher ein Dorn im Auge. 


1805. 


Die Vereinigung der Capitel von Mainz und Regensburg zu 
einem Metropolitancapitel, und die Präconisation des Erzkanzlers 
als Erzbischof von Regensburg, da der Bischof Schroffenberg 
gestorben war, wurde von Caprara mit Unterstützung von Bo- 
naparte negocürt. Der Papst fühlte sich selbst in einer unbe- 
quemen Lage, und die Cardinäle, am meisten darauf bedacht, s6 
wenig als möglich abzuschliessen, zögerten so viel sie konnten, 
zur grössten Verzweiflung des stets eiligen Erzkanzlers. Endlich 
am 30 Januar wurde eine Art Consistorium gehalten, dem Fürsten 
Erzkanzler das Pallium vom Papst ertheilt, und am 4 Februar 
die Vereinigungsbulle für die beiden Domeapitel ausgefertigt, 
welche jedoch nicht ganz nach Wunsch ausgefallen war; von 
allem Uebrigen war weiter keine Rede. Cardinal Caprara hatte 
den Erzkanzler schon früher von diesen Umständen prävenirt, 
und dieser noch am 23 Januar dem Kaiser Napoleon eine Note 
über die Nothwendigkeit der Ernennung eines Coadjutors ein- 
gereicht und mir von dieser Note eine von ihm eigenhändig 
unterschriebene Abschrift gegeben. Da ich jedoch hinreichende 
Gelegenheit gehabt, den Geist in welchem diese Negotiation ge- 


64 


führt wurde zu beobachten, bei: welcher Niemanden Ernst war 
als dem gläubigen Kurfürst Erzkanzler: so schloss ich diese 
Abschrift in mein Schreibpult, ohne dass sie Jemand gelesen, bis 
nach 18 Jahren, wo ich sie als ein Actenstück der deutschen 
Kirchengeschichte, nebst dem lateinischen Aufsatz des Erzkanzlers 
und der päpstlichen Bulle, in Joh. Sever. Vater’s Anbau der 
neuesten Kirchengeschichte abdrucken liess (Band II, 1822 8. 5). 

Die mir gewordene Gelegenheit, Paris wieder zu sehen, 
liess ich nicht unbenützt vorübergehen. Durch Alexander von 
Humboldt und General Rumford fand ich Gelegenheit, mit 'La- 
place, Bertholet, Lac&pede, Cuvier und den meisten Akademikern 
bekannt zu werden; die Botaniker Ventenat, Desfontaines, De 
Candolle, Du Petit-Thouars, Thouin besuchte ich öfter und er- 
hielt, nach dem liberalen wissenschaftlichen Sinn der französi- 
schen Naturforscher, auch wenn sie nicht zu Hause waren, den 
Zutritt zu ihren Sammlungen und Bibliotheken. Bei Thouin 
machte ich die Bekanntschaft von Faujas de St. Fond, der mich 
in seine eigene Sammlung führte, um mir Pflanzenabdrücke be- 
sonders aus England zu zeigen. Ich erinnerte mich bei dieser 
(Gelegenheit ähnliche in meines Bruders Sammlung aus seinen 
Kohlenwerken gesehen zu haben; wir sprachen darüber. Da 
brachte Faujas zwei deutsche Aufsätze über fossile Pflanzen mit 
dem Ersuchen, sie ihm zu übersetzen: es war: die Flora der Vor- 
welt, I Heft, von Schlotheim, und ein Aufsatz ‘von’ mir aus 
Hoppe’s Taschenbuch über die fossilen Blätter von Rochesauve. 
Als er dieses vernahm, da wurden wir Freunde, als hätten wir 
auf einem andern Planeten schon zusammengelebt. Er drang 
nun in mich, in den Pariser Herbarien nachzusehen, ob ich 
keine analogen Farrenkräuter zu Schlotheims fossilen Farren 
finden könnte. Dies unternahm ich mit Vergnügen; und als ich 
meine Arbeit vollendet hatte, schrieb ich an Faujas, der meinen 
Brief in die Annales du Museum einrücken liess. Diese kleine 
Arbeit, und der Aufruf von Faujas, mich dem Studium fossiler 
Pflanzen zu widmen, war eigentlich die erste Veranlassung zu 


65 


ineinen nachmaligen Forschungen in diesem Fache, welche jedoch 
erst durch künftige Ereignisse bedingt werden mussten. Bei 
Dupont beschäftigte ich mich viel mit der schwierigen Gattung 
der Rosen. ‘In Malmaison lernte ich die Kaiserin Josephine 
kennen, welche die Botanik leidenschaftlich liebte und in Mirbel 
einen sehr wissenschaftlichen Vorsteher ihres Gartens besass. 
Sie erlaubte mir Setzlinge neuholländischer Pflanzen in ihrem 
Garten zu wählen: dagegen verehrte ich ihr eine Centurie von 
mir gesammelter deutscher Alpenpflanzen. Ich brachte von dieser 
Reise mehr Ausbeute mit, als der gute Erzkanzler, dessen letzte 
Note unbeantwortet blieb. 

Ganz andere Gedanken beschäftigten schon damals Kaiser 
Bonaparte’s Geist. Eine Aeusserung über den Cordon gegen 
das gelbe Fieber an den kaiserl. Botschafter Grafen Kobenzl, 
die im Cercle im den Tuilerien so laut ausgesprochen wurde, 
dass wir sie alle vernehmen konnten, machte das ganze diplo- 
matische Corps aufmerksam. Beide Theile waren gerüstet, der 
Krieg brach aus und endete mit der schmählichen Uebergabe 
von Ulm. ‘Für den Erzkanzler blieb er indessen nicht ohne 
Folgen. Dieser hatte in einer Anwandlung von deutschem Pa- 
triotismus *eine gegen Bonaparte gerichtete Note, gegen den 
Rath seines Ministers Albini, zur Reichsdictatur bringen lassen, 
welche auf Oesterreich einen sehr geringen Eindruck machte, 
der guten Sache nichts nützte, ihn aber bei dem Kaiser Napo- 
leon in Verdacht brachte. 

Die päpstlichen Bullen wurden beiden Capiteln mitgetheilt. 
Der Erzkanzler bearbeitete selbst, im Einverständniss mit den 
Capiteln, den Amalgamationsplan und schickte ihn nach Rom, 
wo er vermuthlich lange sanft ruhen wird. Am 1 Mai reiste 
er nach Aschaffenburg, und am 27 Mai wurde mit den gewöhn- 
lichen Ceremonien und im Beisein vieler Freunde und guten 
Bekannten meinem Gartenhause das Dach aufgesetzt. Im Monat 
September reiste ich nach Böhmen zu meinem Bruder. Wir 
machten zusammen eine Excursion durch den Böhmerwald, 


5 


66 


welche in Hoppe’s Taschenbuch und Flora angezeigt ist. Den 
26 October war ich in Regensburg wieder zurück. 

Der zweite Theil der Campagne war nicht glücklicher als 
der erste. Nach. der Schlacht. von. Austerlitz :wurde Kaiser 
Alexander mit seinen Russen wieder nach Hause geschickt, erst 
Waffenstillstand, dann der Friede zu Pressburg geschlossen, der 
den Bonaparte zu einer Fabrik von Königen und zu neuen Spo- 
liationen in. den Reichslanden und österreichischen Provinzen 
verleitete. Hätte Preussen nach dem Durchmarsch der franzö- 
sischen Heere durch die Markgrafthümer statt der Feder das 
Schwert ergriffen, da es bei der Besetzung von Norddeutschland 
durch die Franzosen sein künftiges Schicksal hätte ahnen kön- 
nen, so würde es. sich, Oesterreich und dem deutschen Reich 
viel Blut und Geld erspart. haben: aber dann wäre Bonaparte 
wahrscheinlich nicht nach. Moskau gekommen und auf der Insel 
Helena gestorben; und diese Lection scheint in dem Plan der 
Vorsehung gelegen zu, haben. 

Bonaparte ‚hatte während dieser ‚Zeit auch eine Heirath für 
seinen angeheiratheten Sohn Eugen Beauharnais negociürt; der 
König von Bayern musste seine Königswürde und die Vergrös- 
serung seines Staats mit einer Tochter aufwiegen. Die Königin, 
welche Bonaparte herzlich hasste, setzte sich zwar entgegen: 
allein sie. war nur die Stiefmutter des Kindes, und musste den 
politischen Gründen des Ministeriums. weichen. Kaiser Napo- 
leon reiste mit Eugen Napoleon von Wien gerade nach München, 
und der Kurfürst Erzkanzler wurde dahin berufen, um das 
Brautpaar einzusegnen;, er reiste alsogleich ab. Bei dem ersten 
Zusammentreffen zeigte sich der Kaiser sehr heftig wegen der 
erwähnten Note; der Erzkanzler bestand. darauf, dass seine 
Würde als Erzkanzler und Bewahrer der Gesetze ihm solches 
Benehmen zur Pflicht gemacht habe. Bonaparte, der ihn noch 
ferner zu gebrauchen und zu missbrauchen im Sinne hatte, gab 
dem Streit eine scherzhafte Wendung und schloss mit den Worten: 
„Allons, il n’y a rien & faire avec Vous, Vous &tes un id6ologue,“ 


67 


1806. 


Zu der Einsegnung am 14 Januar liess der Primas zwei 
Domherren von Regensburg nach München kommen, Baron 
Fraunberg und mich. Die Trauung wurde in der Hofcapelle 
vorgenommen, der Primas hielt eine für Napoleon ziemlich 
schmeichelhafte Rede: ich stand dem Kaiser gerade gegenüber, 
fasste ihn scharf ins Auge und sah in seinen sich aufklärenden 
Gesichtszügen sehr deutlich, wie sehr ihm dieser Weihrauch be- 
hagte. Am folgenden Tag musste der ganze bayrische Adel 
nach einem von Bonaparte vorgeschriebenen Ceremoniell dem 
Brautpaar und ihm aufgeführt werden. Unter emem Thronhim- 
mel stand ein Tisch, an welchem der Kaiser in der Mitte zwi- 
schen der Königin und der Braut, der König neben der Kö- 
nigin, der Bräutigam neben der Braut sassen. Vor diesem Tische 
mussten nun zuerst die Damen, dann die Herren vorbeidefiliren 
und fünf Krickse machen: es war eine der lächerlichsten Hof- 
scenen, der ich je (dem Himmel sei Dank! bloss als Zuseher) 
beigewohnt habe; ich dachte in China zu sein. Der König, da- 
mals noch Kurfürst, der alles Ceremoniell in den Tod hasste, 
wäre dabei beinahe eingeschlafen, hätten nicht ein paar Damen 
einander auf die Schleppe getreten, wodurch sie so aus dem Gleich- 
gewicht kamen, dass sie beinahe unter den Tisch gerollt wären. 

Nach dieser Episode eriolgte die Publication des Pressbur- 
ger Friedens, der abermals einen Theil der Ruinen des deutschen 
Reichs niederstürzte, welche der Deputations-Abschied noch zur 
Erinnerung zurückgelassen hatte. Einem jeden unbefangenen 
Beobachter musste es klar erscheinen, dass so lange das Waf- 
fenglück sich nicht anders gestaltet, Deutschlands Constitution 
und hierarchische Einrichtung ganz in die Hände des Kaisers 
von Frankreich gegeben sei, der wohl kein anderes Interesse 
dafür hatte, als soferne es gerade seinen Plänen zusagte. Der 
Kurfürst Erzkanzler baute aber gerade auf dieses Alleinvermögen. 
die Hoffnung, seine Ideen durchzusetzen. 

5* 


68 


Die Verhandlungen mit dem Nuntius della Genga (nach- 
maligen Papst Leo XI) über ein Concordat für Deutschland 
hatten sich zwar zerschlagen, aber der Erzkanzler hatte dem 
Nuntius wiederholt seinen Plan für die Combination des Metro- 
politaneapitels und die Wahl: eines Coadjutors übergeben, um 
sie nach Rom zu schicken und ‚die Entscheidung zu urgiren; 
was er auch dem ‚österreichischen und französischen Hofe: an- 
zeigte. In den letzten Tagen: des Monats Januar liess mich der 
Erzkanzler zu sich rufen und erzählte, was er mit dem Nuntius 
Genga verhandelt, und dass er aus dem Domcapitel Mainz Gra- 
fen Friedrich Stadion, aus dem Domcapitel von Regensburg mich, 
zur Auswahl als Coadjutor vorgeschlagen habe. Ohne mich in 
eine Discussion einzulassen, erbat ich mir Bedenkzeit und Er- 
laubniss, schriftlich antworten ‘zu ‚dürfen. Ich besprach ‚mich 
mit dem Grafen Stadion, der mit, meinen Ansichten ganz ein- 
verstanden: war, dass die Ausführung dieses Plans dermalen ganz 
unmöglich wäre, und. gleich mir wünschte, ‚den. Erzkanzler ‘von 
dieser Idee abzubringen. ' Ich verfasste num eine: Schrift, in wel- 
cher ich. meine Ansichten über ‚die (damalige Lage ‚der. Dinge 
deutlich entwickelte, und ‚schloss mit folgenden Worten: „Der 
Glaube an die Erhaltung ‚der höheren Geistlichkeit im Sinne ‚der 
älteren Reichsverfassung hat in meiner.Seele keine tiefe Wurzel 
gefasst , der Glaube, an. Erhaltung ‚einer deutschen, ‚Constitu- 
tion wird mit ‚jedem Tage stärker. erschüttert. Ich habe Ew. 
Kurf. Gnaden nach Paris zu. begleiten die Ehre, gehabt, und be- 
merkte, dort, wie wenig Unterstützung. der deutsche: Erzkanzler 
und Metropolitan von Rom zu erwarten; habe. Ich ‚hatte das 
Vergnügen, E: K. Gn. nach München. zu: folgen, und überzeugte 
mich dort, , dass die Erhaltung des Kurfürsten Erzkanzlers, auf 
dessen Vernichtung von mehreren Seiten gedrungen wird, bloss 
auf ‚der, Persönlichkeit E. K. Gn. und Ihrem. Verhältnisse zum 
Kaiser von Frankreich. beruhe. Regensburg; nach seiner geo- 
graphischen Lage, wird stets, ein Gegenstand des ‚Strebens für 
Bayern bleiben, wenn man auch diesen geheimen Wunsch der- 


69 


malen nicht laut werden: lässt. Der. Kurfürst Erzkanzler, als 
Bewahrer der Gesetze, ist in einem anarchischen Zeitraum, wo 
alles sich den Gesetzen ‚zu ‚entziehen sucht, ein unbequemer 
Ueberrest ‚einer nicht ‚mehr; vorhandenen Verfassung. Unter 
diesen Umständen, und gerade in dem Zeitpunkte, wo ein lücken- 
voller Friede für Süddeutschland ‚und eine noch unvollendete 
Negotiation ‘für Norddeutschland ‘sehr nahe‘ und sehr grosse 
Veränderungen in. der deutschen Constitution erwarten lassen, 
da soll das Metropolitancapitel organisirt und: ein Coadjutor er- 
nannt : werden, ‚um die. Möglichkeit zur, Erhaltung: einer Art 
Reichsconstitution anzubahnen?* etc. etc. Für den Fall, dass 
es dessen: ungeachtet zur Ernennung eines Coadjutors kommen 
sollte, setzte ich, noch''als Bedingung hinzu, dass Bayern auf 
alle Ansprüche auf Regensburg für immer verzichte. Den2 Februar 
übergab ich diesen Aufsatz; am 6 erhielt ich ihn wieder zurück 
mit einem 'Inseript, welches den Glauben und das Zutrauen des 
Erzkanzlers in alle seine, Ideen. hinreichend beurkundete. Ich 
liess es dabei bewenden,, in der vollkommenen Ueberzeugung, 
dass keine. weitere Rede mehr davon sein werde. 

‘ Während dieser Verhandlungen zogen die aus Oesterreich 
zurückkehrenden französischen Heeresmassen an Regensburg 
vorbei, aber, nicht gegen den. Rhein,,, sondern ‘um den preussi- 
schen Staat'von allen Seiten zu umgeben ‘und ‚sich. den Mark- 
grafthümern .zu nähern, welche ‚Bonaparte Bayern bestimmt 
hatte. _ Dessenungeachtet behandelte der Kurfürst die Geschäfte 
des Fürstenthums ‚Regensburg, mit dem; gleichen ‘Vertrauen :in 
die Zukunft. Nicht fern ; von dem Orte, wo Kepler begraben 
war, meinem: Gartenhause gegenüber, sollte. auf Subscription 
diesem grossen Astronomen ‚ein. Monument errichtet werden. 
Der Aufruf, zu der. Subscription, von dem Minister von Baden 
Baron Plessen, Landesdirector Rath Bösner und von mir unter- 
schrieben, wurde am 1 Februar gedruckt, die Subscriptionssumme 
in kurzer Zeit ausgefüllt, ‚am 2. April der. Bauplan vorgelegt, 
genehmigt,.der Bau des kleinen Tempels angefangen, die. Büste 


70 


von Kepler bei Döll in Gotha, das Basrelief bei Dannecker in 
Stuttgart bestellt und die Pflanzung nach dem Plan angelegt. 
Schon im entwichenen Herbste hatte der Erzkanzler mir einen 
Vorschlag zur Errichtung einer naturwissenschaftlichen Akademie 
in Regensburg abgefordert, den ich ilım auch vorgelegt habe; 
am 5 April erfolgte das Decret zu wirklicher Errichtung der- 
selben. Da sich kein schicklicheres Local vorfand, als mein 
Gartenhaus, so äusserte er den Wunsch, es anzukaufen , wozu 
ich mich willig erklärte, jedoch unter der Bedingung, dass mir, 
so lange ich lebe, eine freie Wohnung darin vorbehalten bliebe. 

Darüber schrieb ich am 19 März an meine Cousine Gräfin 
Louise Sternberg: „Depuis la capitulation d’Ulm les affaires ont 
rapidement chang6 de face; la paix malheureuse de Presbourg 
et les conventions de Vienne et de Paris avec la Prusse ont 
entierement bouleverse notre situation. Toute Allemagne touche 
au moment d’une crise, qui changera toutes ses relations politi- 
ques; le Corps germanigque doit necessairement cesser de former 
une corporation et ne peut tout au plus rester qu’un tat fede- 
ratif jusqu’ & nouvel ordre; l’archichancelier de ’Empire par la 
möme devient un hors-d’oeuvre d’une existence precaire,, ainsi 
que la prineipaut6 de Ratisbonne. Charles Dalberg, par ses re- 
lations personnelles, la conservera peutetre intacte pour les 
jours de sa vie, mais rien ne promet une existence prolongee. Sous 
ces nouveaux rapports la fantaisie de mon 6tablissement, & 1a- 
quelle je me suis laisse aller trop legerement, devient une folie; 
jai donc pese les circonstances et ralenti le travail. L’electeur 
aussi delicat que bon a juge ma position, et convaincu, qu’en 
partie j’ai et€ entraine par l’impulsion qu’il avait donne & toute 
Ratisbonne, calculant que je ne pouvais laisser l’entreprise non 
achevee, et voulant m’en procurer les moyens d’une maniere 
loyale, sans pour cela aller audelä de ses facultes, me fit la 
proposition d’acheter cet etablissement pour !’Academie des Scien- 
ces qu’il voulait &tablir et dont j’etais destine A devenir presi- 
dent. Nous convinmes prealablement, que les payemens seraient 


71 


faits & termes de 8 anndes par la caisse de reserve, que je 
m’oblige ä terminer le bätiment qui sera destind aux sdances, 
et qu’apres V’avoir fini je produirai les comptes, que je conser- 
verai la jouissance du jardin et le logement dans la maison ä 
ma vie durante, et qu’apres ma mort mes collections et ma bi- 
bliotheque deviendraient propriete de P’Acad&mie. Sur ces ba- 
ses I’Electeur dressera lui-möme le contrat, et dans Pincertitude 
de Yavenir j’ai cru devoir m’y preter” etc. 

Während wir so an Regensburgs Verherrlichung arbeiteten, 
hatten die Unterhandlungen mit Norddeutschland eine schiefe 
Wendung genommen, und Kaiser Napoleon hatte neue Pläne 
ersonnen, zu welchen er den Erzkanzler missbrauchen wollte. 
Um diesen nun ganz in seine Hände zu bekommen, war es nöthig, 
ihn vorerst zu’einer Handlung zu verleiten, welche seine Freunde 
von ihm entfernen und seinen deutschthümlichen Charakter ver- 
dächtig machen musste. Zu diesem Zwecke wurde eine eigene 
Intrigue eingeleitet. Gerüchte über die Zudringlichkeit von 
Seite Bayerns, seine Ansprüche auf Regensburg bei Kaiser Na- 
poleon geltend zu machen, wurden ausgesprengt, um den Kur- 
fürsten zu ängstigen. Er verwendete sich an den französischen 
Minister Hedouville, welcher mit dem Chevalier de Varicourt 
(Hofcavalier des Erzkanzlers, der seine französische Correspon- 
denz besorgte) eigentlich die Intrigue führte. Dieser versicherte 
"Ihn zwar der Protection des Kaisers, machte ihn jedoch auf- 
merksam, dass er wegen der Capitelvereinigung und Coadjutors- 
wahl weder von Rom noch von Wien eine Antwort erhalten 
habe. Als man nun die Imagination des Kurfürsten hinreichend 
erregt glaubte, trat Hedouville mit einem Vorschlag auf, der, 
wie er vorstellte, ganz ausschliesslich geeignet war, das Fürsten- 
thum Regensburg für immer sicherzustellen. Formalia: pour 
dejouer toutes les intrigues de la Baviere et donner ä& l’empe- 
reur des Francais un interöt plus direct pour conserver Ratis- 
bonne ä Parchichancelier de l’empire, — nämlich, den Cardinal 
Fesch zum Coadjutor vorzuschlagen. Mit unbegreiflichem Leicht- 


72 


sinn ‚erfasste. der sanguinische Charakter ‚Dalberg’s.. diesen. Vor- 
schlag; in. aller. Stille wurde. der französische. Legationssecretär 
Fenelon als Courier nach Paris geschickt, die Benennung; wurde 
angenommen und, dem. Erzkanzler ‚ein Sicherstellungsdiplom mit 
sewaltigem Siegel von Napoleon zugeschickt. 

Als diese abenteuerliche , Handlung, in. Regensburg kanıl 
wurde, ‚zogen sich ‚alle. deutschgesinnten ‚Männer von: dem Erz- 
kanzler zurück; die beiden Capitel, denen. diese Benennung. mit- 
getheilt wurde , legten. sie ad acta,, ‚da. sie. der erforderlichen 
Zustimmung, von. Rom, ermangelte. Als ‚ich. in Geschäften zu 
dem Kurfürsten ‚kam, ‚so ‚trat er. mir ziemlich ‚verlegen entgegen 
und: rief: „wir. haben ‚einen Coadjutor, den Cardinal Fesch!” 
„Ich wünsche, dass es wohlbekommen möge!” , antwortete ich; 
„auf, jeden. Fall, ist es mir, lieb ‚ dass nicht ‚ich ‚es. bin!’ . Der 
Primas fühlte sich unbehaglich in Regensburg, und zog sich auf 
das ‚Schloss Wörth an’ der Donau: zurück. 

Meine ‚Cousine Louise. Sternberg besuchte ‚mich in Regen 
burg, um meine neue Anlage; die ihrer ‚Vollendung, nahte,, ‚an 
zusehen. Wir reisten. dann. Anfangs Juli zusammen. mit Freund 
Felix auf der Donau. nach Wien, wo ich mich mit meinen Freun- 
den Breuner, Graf,Mercy, Franz ‘Waldstein. und,’den ‚übrigen 
Botanikern Wiens zerstreute. - Am 7 August: war ‚ich ‚wieder 
zurück. 

In. dieser Zwischenzeit. wurde der ‚bonapartische Plan des 
Rheinbundes betrieben. ‚ Hedouville ‚hatte, abermals. den ‚Auftrag, 
den ‚Erzkanzler zu bearbeiten;,,was er. denn, auch ‚mündlich 'und 
schriftlich ‚mit vieler  Thätigkeit . besorgte,;', Der, Erzkanzler war 
unschlüssig. und. lebte in. einem beständigen Fieberzustand :; denn 
die Stimmen. waren gleich. getheilt und. .die.‚seine bestimmte die 
Majorität, „Allein in Wörth, ‚von seinen: Freunden. getrennt, ‚von 
der, französischen Partei, ‚bestürmt, -—, unterzeichnete, er, wie 
Dr. Faust, und. war, verloren. | | 

Ich schrieb , darüber ‚am,.7; August. ‚an. ‚meine; Cousine 
Louise Sternberg: „Le 14 Juillet, .si-je ne..me,trompe ,.Na- 


75 


poleon a fait convoquer) tous; les ministres du sud de l’Alle- 
magne, et leur ‚presenta’ une pancarte de :40 articles, arran- 
gee prealablement avec quelques-uns entre eux, avec 'ordre 
de signer. Les ministres firent quelques difficultes, leurs pleins 
pouvoirs ne leur donnant. pas autant de-latitude. On leur 
donna ordre de signer sauve ratification: ce qu’ils firent ä l’ex- 
ception de celui de Wurtemberg, qui s’excusa en disant que 
cela-pourrait' lui-coüter la töte..'Toute la pacotille fut envoyde 
& l’Electeur , qui ‚pendant 48 heures en. avait presque perdu 
l’esprit, ä. ce que son valet: de chambre m’assura. Il refusa donc 
a. Hedouville designer. On le prit par son faible, en lui. disant 
qu’il pourrait soulager le sort d’un millier ‚de malheureux, de- 
places| par cet arrangement;..on- fit pleuvoir sur Jui.des lettres 
de.la chambre de Wetzlar, qui sollieitait son entremise. Il ceda, 
dans l’exaltation chimerique.. du bien qu'il pourrait faire & tant 
de malheureux, et dans l’espoir que ce serait lui, comme Primas, 
qui redigerait la nouvelle constitution de la federation” etc. 

Bei meiner Rückreise von Wien erfuhr ich in Straubing, 
was vorgefallen war... Ich’ ging nach Wörth, um meine Ankunft 
anzuzeigen, fand den Kurfürsten mit verweinten Augen, unruhig 
und: verstört; er vermied mit mir allein zu bleiben; ich kehrte 
nach Regensburg zurück. 

; Nach den Truppenmärschen und den politischen Verhält- 
nissen zu urtheilen war ein Krieg mit Preussen unvermeidlich, 
und wenn dieser gelingen sollte, ein weiterer mit Russland wahr- 
scheinlich. Der Erzkanzler reiste nach Frankfurt; ihm folgten 
der Minister. Albini und Graf. Benzel. ‚Graf Thurn war immer 
kränklich ; ich musste daher .die' Statthalterschaft übernehmen. 
Dies. war mir, nach allem was ‚vorgefallen war, und dem bedroh- 
lichen. Augenblick dem. wir entgegen gingen, zu viel; ich hielt 
mich vielmehr nach meiner Denkweise und meiner Ehre ver- 
pflichtet, ‚aus den politischen Geschäftsverhältnissen mit dem 
Erzkanzler zu. scheiden, .der durch‘ seine letzten Handlungen das 
Zutrauen seiner ältesten Freunde verletzt hatte. Gewohnt, ihm 


14 


meine Ansichten stets frei und offen mitzutheilen, resignirte ich 
meine Vicepräsidentenstelle am 17 September mit nee 
Zuschrift: 
„Hochwürdigster Erzbischof und Primas! 
Souverainer Fürst und Herr!“ 

„In vollem Vertrauen auf die ausgezeichnete Gnade, die 
mir Ew. Hoheit in jeder Gelegenheit angedeihen liessen, auf 
die hohe Freundschaft, mit der Sie mich auszeichneten, wage 
ich es zum erstenmal eine Bitte zu stellen, die mir die Gewalt 
der Umstände abnöthigt und deren Gewährung, so sehnlich 
ich sie wünsche , so zuversichtlich ich sie erwarte, mir sehr 
schmerzlich sein wird.“ 

„Ew. Hoheit ist aus meinen biographischen Bekennt- 
nissen, die ich bei einer anderen Gelegenheit mit Freimüthig- 
keit vorzulegen die Erlaubniss hatte, bekannt, welchen Weg 
die Vorsehung mit mir genommen hat, unter welchen Ver- 
hältnissen und zu welchem Zweck ich auf das Stillleben und 
die ausschliessliche Beschäftigung mit den Wissenschaften Ver- 
zicht geleistet habe, um unter der Firma Karl Dalberg mich 
den Geschäften des kleinen aber darum nicht minder inter- 
essanten Regensburger Staates zu widmen, der unter dem 
Fittig einer fortwährenden Neutralität, unter der Leitung eines 
sich nach gerechten und uneigennützigen Regierungsgrund- 
sätzen dem Wohl des Staates hingebenden Fürsten, den mög- 
lichsten Grad von Wohlstand und Glückseligkeit zu erreichen 
versprach.“ 

„Mit Eifer und Thätigkeit bestrebte ich mich mein 'Schärf- 
lein zu diesem edlen Zweck beizutragen, dessen Erreichbar- 
keit und Dauer in dem Reste einer wieder erstandenen müh- 
sam errungenen Verfassung selbst gegründet und gesichert 
schien.“ 

„Ein unglücklicher Zusammenklang von widrigen 'Um- 
ständen hat diese schönen Blüthen vor ihrer Reife abgestreift. 
Regensburg ist mit der Reichsconstitution und dem deutschen 


75 


Namen in die Kategorie eines überwundenen Volkes überge- 
gangen, das von dem Ueberwinder unbedingt Gesetze anneh- 
men muss; es trägt mit seinen nachbarlichen Provinzen ein 
gleiches Joch, ohne nur den geringen Vorzug zu geniessen, 
an eine Dynastie oder irgend eine bestimmte Regierungsfolge 
gekettet zu sein. Aus dem glücklichsten Völkchen ist es ein 
Spiel künftiger Ereignisse, des Zufalls, oder der Laune eines 
einzigen . ...., geworden.“ | 

„In dem Augenblick, wo vielleicht Deutsche gegen 
Deutsche kämpfen müssen, um ihre eigenen Fesseln desto 
unauflöslicher zu knüpfen, empört sich das Gefühl eines jeden 
rechtschaffenen Mannes, und der durch so viele widrige Schick- 
sale gebeugte Geist sehnt sich nach Ruhe und Erholung in 
dem Gebiete der Wissenschaften und der Natur. Nur in der 
Abstraction von den Menschen, an dem wärmenden Busen 
der unbezwinglichen immer gleichen Natur, in dem weiten 
Felde bestimmter Wissenschaften, kann in solchen Zeiten der 
gelähmte Geist sich erheitern, die erstarrten oder verdrängten 
Gefühle sich wieder beleben.“ 

„Mehr als ein Anderer fühle ich vielleicht dieses Bedürf- 
niss, das mich beinahe für alle Geschäfte unbrauchbar macht.“ 

„Unter diesem Drang von Umständen, ohne meine Fa- 
milienverhältnisse noch besonders in Anschlag zu bringen, 
werden mir es Ew. Hoheit nicht zur Ungnade aufnehmen, 
wenn ich um Enthebung von der L. D. Vicepräsidentenstelle 
die gehorsamste Bitte wage.“ 

„Das Präsidium bei der geistlichen Sustentationscommis- 
sion, als ein Geschäft wohlthätiger Fürsorge, bei welchem das 
Herz doch einige Befriedigung findet, werde ich, wenn es 
Ew. Hoheit gefallen sollte, mit Vergnügen beibehalten, so wie 
ich auf den Fall, dass in Rücksicht der Wissenschaften noch 
etwas Gedeihliches in Regensburg zu Stande kommen sollte, 
auf jeden Wink bereit sein werde, meine Dienste den Musen 
und dem Vaterlande zu weihen.“ 


76 


„In Anhofinung einer huldreichsten Erhörung: meiner 
Bitte geharre ich in tiefschuldigster Hochachtung 
Ew. Hoheit unterthänigst treugehorsamster 


C. Gr. v. Sternberg. 
Regensburg den 17 September 1806. 


Der Kurfürst antwortete durch eigenhändiges Inscript: 

„Hochgeborner - Graf, werthester Freund ! „Wird es 
besser gehen, wenn ich in diesen grausenvollen Zeiten meinem 
Abscheu vor Geschäften nachgebe und meiner Stelle entsage?” 
So fragte sich selbst der grosse Philosoph und treffliche wür- 
tembergsche Minister , Zilfinger, und blieb. Wenn es sein 
kann, so entziehen Sie der guten Stadt Regensburg nicht die 
wohlthätige Wirksamkeit Ihres hohen und edlen Geistes. Kann 
es aber nicht sein: so muss ich freilich sagen „Herr! Dein 
Wille geschehe!” und mit Dank annehmen, dass Sie das Su- 
stentations-System und die wissenschaftlichen Anstalten (die 
eigentlich beide Ihr Werk sind) fortsetzen wollen. Doch muss 
ich inständig bitten, dass Sie das Vicepräsidium nicht sogleich 
verlassen. Unser verehrungswürdiger Freund Graf Thurn ist 
leider öfters krank, Albini abwesend, Hr. y. Eberstein, der 
sich nach 3 Monaten entschlossen hat, die Stelle des Grafen 
Benzel anzunehmen, ist in unsere jetzige Verfassung noch 
nicht eingeweiht. Ich hoffe vor Ende October in Regensburg 
zu sein. Ich bin mit grosser Hochachtung” 

„Ihr Freund Karl.” 


Ich erkannte die Verlegenheit, in: welcher sich (der Fürst 
befand, hielt es daher für Pflicht gegen meine Mitbürger, sie in 
einem der schwierigsten Momente nicht 'zu verlassen. ‚Die fran- 
zösischen: Armeen waren wieder in Bayern, und wälzten sich. wie 
Schneelavinen. gegen Regensburg heran. Marschall. Soult mit 
einem Corps von 27000 Mann; welche in drei Tagen durch, Re- 
sensburg marschiren sollten, hatte.-sein Hauptquartier dort auf- 
geschlagen. Ich hatte allerdings in. diesen‘ drei Tagen, die ich 


77 


auf dem Rathhause zubrachte, keinen Augenblick Ruhe: doch es 
ging schnell und ohne Unordnung‘ vorüber. Als ich, aus Mangel 
an Raum, die Artistes:eordönniers (Schuhflicker) in dem Re- und 
Correlationssaal' auf dem’ Rathhause einquartierte, wo beinahe 
zwei Jahrhunderte lang: die Reichsabschiede geflickt zu werden 
pflegten, sprangen mir die vicissitudines hujus mundi sehr ko- 
misch in die Augen. | 

Meiner Cousine Louise Sternberg schrieb ich von Regens- 
burg am 4 October: „Vous 'croyez que je ne me detacherai ja- 
mais, ni de mon souverain, ni des affaires, et pour cela Vous 
voulez que je reste en place! Je ne me detacherai pas de sa 
personne, puisque malgre ses torts politiques je ne connais pas 
de meilleur mortel: mais je me detacherai bien de lui dans les 
affaires, puisque sa maniere de voir vet d’agir, diametralement 
opposee A.la mienne, ne me convient pas, et que je ne vois 
plus le-moyen de faire le bien dans ce contraste d’opinions. 
J’ai termine honorablement ma carriere dans un moment diffi- 
cile, ol j’etais abandonne a moi meme; j’ai’la convietion d’avoir 
fait mon devoir consciencieusement; je ne regrette pas d’ötre 
reste jusqu’ iei, et m’ applaudis d’avoir pris mon parti pr&ecisement 
dans ce moment.: Vous finirez, je me flatte, de Vous ranger de 
mon cöte, quand l’experience Vous aura ‚prouve, qu'un homme 
tranquille, qui ne sert pas par ambition et qui ne manque pas 
absolument de moyens, trouvera moyen. de:passer son temps 
tout aussi utilement (dans l’&tude de la nature et avec les enfans 
de Flore dans une douce retraite, qu’avec les actes de son 'bu- 
reau, et peut-&tre,plus agreablement. '.On..n’est presque jamais 
juge avec &equitd par ses. contemporains; celui qui  voudra. se 
donner la peine d’ecrire ma biographie, quand je ne serai plus, 
trouvera dans mes papiers de quoi @clairer et justifier ma con- 
duite,. Je, quitte, puisque je. condamne la maniere d’agir poli- 
tique de mon maitre et.que je ne;vois plus..de salut pour Ra- 
tisbonne telle qu’elle..est  plac&e' aujourd’hui: mais l’homme bon, 
bienfaisant, sayant,,actif; ' voulant le bien de l’humanite et tou- 


78 


jours dispose & la secourir, je l’aime et l’aimerai toujours. C’est 
pourquoi en rompant mes liens formels, j’ai menag6 les relations 
personnelles. J’ai rempli ce devoir de P’amiti& en homme d’hon- 
neur. Je lui laisse le temps de pourvoir aux besoins de V’etat 
et de prendre ses mesures, pour qu’il ne resulte pas de lacunes 
dans les affaires. Ma conscience est tranquille, et je me retire.“ 

Durch die Schlacht von Jena (14 Oct.) war das Schicksal 
von Norddeutschland entschieden. Der Erzkanzler kam nicht 
nach Regensburg zurück, schickte aber aus Frankfurt einen Be- 
fehl, dass in der Domkirche ein Tedeum wegen der gewonnenen 
Schlacht bei Jena abgesungen werden sollte. An demselben 
Tag, den 15 November, schrieb ich zum zweitenmal um meine 
Entlassung: 

„Die Hoffnung Ew. Hoheit zu Ende des Monats October 
in Regensburg wieder zu sehen, ist nicht in Erfüllung gegan- 
gen, und wird für die nahe Zukunft durch nichts verbürgt: 
dagegen sind die traurigen Besorgnisse, die ich in meinem 
Schreiben vom 17 September geäussert hatte, alle eingetroffen ; 
deren Folgen haben sie heute schon übertroffen.” 

„Unter diesen Umständen werden Ew. Hoheit die Wie- 
derholung meiner Bitte um gnädigste Enthebung von der 
Vicepräsidentenstelle bei der Landesdirection selbst als con- 
sequent erkennen.” 

„Für das Gebiet der Wissenschaften etwas leisten zu 
können fühle ich noch Kraft in mir: allein ich muss hiezu 
die Zeit benützen, wo die physischen Kräfte noch im Gleich- 
gewicht mit dem moralischen Vermögen stehen. Naturhisto- 
rische Reisen von grösserem Umfang, die ich zu unternehmen 
gedenke, wenn mir nicht alle Mittel dazu benommen werden, 
fordern Musse und gehörige Vorbereitung.” 

„Wodurch dieser Drang nach entfernten Alpen in mir 
entwickelt worden, wie er nun zu einem kategorischen Im- 
perativ gediehen ist, dem ich kaum mehr widerstehen kann, 
ist Ew. Hoheit schon bekannt. Es bleibt mir demnach nichts 


79 


weiter übrig, als um die gnädigste Gewährung meiner Bitte 
das wiederholt dringlichste Ansuchen zu stellen, und mich 
ferneren hohen Hulden und Gnaden anzuempfehlen.“ 

Darauf antwortete der Kurfürst durch ein eigenhändiges 
Inseript von Frankfurt am 19 November: „Sie sind ein edler 
fürtrefflieher Mann, und sind sich selbst schuldig, Ihrer eige- 
nen Ueberzeugung zu folgen. In Ihrem nun einzigen Beruf, 
als warmer Freund der Wahrheit und lichtvoller Beförderer 
der Wissenschaften, werden Sie der Menschheit nützen. Un- 
erschütterlich fest besteht und bestehe unser Vertrag in Be- 
ziehung auf Wissenschaftsanstalten in Regensburg. Ich bin 
erfreut und stolz, mit einem so edlen Freund hierin gemeinsam 
zu wirken. Ich bin’ und bleibe, so lange ich lebe, der Ihrige 
von ‚Herzen, Karl.” 

Die edle Art, wie mich der Kurfürst entliess, machte ihm 
Ehre und mir. Freude. Am 26 November erschien ‚ich zum 
letztenmal in dem Rath, und beurlaubte mich in einer kurzen 
Rede, die den Sprecher so wie die Zuhörer in grosse Rührung 
versetzte. Mein Zurücktreten aus den Geschäften erregte Sen- 
sation in- Regensburg, wo ich auch als Geschäftsmann das Ver- 
trauen der Einwohner genoss. 

(Abschieds-Rede.) „Meine hochzuverehrenden Herren ! 
Se. Hoheit der Herr Fürst Primas haben auf mein wiederhol- 
- tes Bitten gnädigst geruht, mich der Vicepräsidentenstelle bei 
der Landes-Direetion zu entheben, wie meine hochzuverehren- 
den Herren L. D. Räthe aus dem abzulesenden Gubernial- 
Inscript vernehmen werden.” 

„Mit Rührung blicke ich zurück auf die so manchen 
erfüllten Hoffnungen, deren ich bei Einweihung des Landes- 
Directoriums an dieser Stelle: mit Begeisterung erwähnt habe.” 

„Dem festen Willen des Regenten, der thätigen Mitwir- 
kung der Landesstellen verdankt 'sie der Staat und der Bür- 
ger, und ich freue mich, Genosse dieser Blüthen eines wieder 
auflebenden Gemeingeistes gewesen zu sein.” 


80 


„Nie werde ich den schönen Bund vergessen, ‘der uns 
vier Jahre lang zu dem gemeinsamen Zweck, für das me. 
meine Beste zu wirken, verband.” 

„Mit tief gefühlter Erkemntlichkeit danke ‘ich Tri; 
meine Herren, für die thätige Unterstützung in allen Geschäf- 
ten, vorzüglich aber für das persönliche Zutrauen und die 
Anhänglichkeit, die Sie mir bei vom Gelegenheit bewiesen 
haben.” 

„Diese Gefühle, stets von mir in vollem Masse erwiedert, 
werden auch ausser den Schranken des Collegiums nie ver- 
löschen !” 

„In dem thätigen Stillleben meiner künftigen Laufbahn, 
wozu mich angeborne Neigung und der Geist der. Zeit mächtig 
zurückdrängt, werde ich nicht aufhören, den Zweck im Auge 
zu behalten, der mich einst an diese Stelle leitete; mit ver- 
schiedenen Mitteln unter veränderten Verhältnissen. werde ich 
für das Beste Regensburgs, meines: zweiten Vaterlandes, wo 
ich die glücklichsten Tage meines Jünglingsalters und 24 Jahre 
einer an Thaten überdrängten Zeit ‘verlebte, so viel meine 
Kräfte vermögen, zu wirken trachten. Auch "unter meinem 
Weinstock und unter meinem Feigenbaum werde ich die un- 
veränderlichen Gesinnungen von. Hochachtung und Freund- 
schaft für Sie, meine Herren Directions-Räthe, bewahren, und 


jeden Tag segnen, der mir Mittel darbieten wird, Ihnen thä- 


tige Beweise meiner innigen Gefühle darzulegen. Möge auch 


mein Andenken nie in ‚Ihren Herzen verlöschen !’” 


180%. 


Während der Wintermonate beschäftigte ich mich vorzüg- 


lich mit dem Professor Plaeidus Heinrich 'von St. Emmeran mit 
salvanischen Versuchen zu Herstellung des Kalimetalls, worüber, 


so 


wie über den Galvanismus-überhaupt, ich mit den Akademi- 


kern Ritter und Gehlen in: München und mit meinem Bruder in 


8 


Correspondenz getreten war. So wie das Frühjahr herantrat, 
beschäftigte ich mich mit meinem ‚Garten ; die Zahl der Pflanzen 
war so herangewachsen und vermehrt, dass ich noch ein eigenes 
Haus für die Cappflanzen erbauen musste. Herr von Löw, der 
mit seiner Frau und dem: Schwiegervater Baron Diede den 
Winter in Regensburg zubrachte, unterstützte mich mit Rath 
und That bei meinen botanischen Arbeiten. Frau von Löw war 
mit einer Tochter entbunden worden, die ich aus der Taufe 
hob; ihre Wiege war mit Blumen aus meinem Garten geziert. 
Baron Diede wurde immer kränklicher, hatte sich aber dennoch 
vorgenommen, seine älteste Tochter Gräfin Ranzau in Kiel zu 
besuchen. 

Im Monat April erlitt ich und ganz Regensburg einen gros- 
sen Verlust durch den Tod des Baron Gleichen. Im Monat Mai 
reiste ich nach Prag, wo ich Dr. Johann Mayer, der für das 
Aufblühen der Wissenschaften in Böhmen so viel geleistet hatte, 
in einem sehr zerrütteten Gesundheitszustand fand, dem er auch 
im Monat Juni unterlag, Nach einem kurzen Aufenthalt reiste 
ich mit meinem Freunde Grafen Clam-Martinitz nach Teplitz 
und Karlsbad, und kam über Franzensbad wieder nach Hause. 

Im Monat Juli wurde der Friede in Tilsit geschlossen, der 
Preussen auf eine Art einengte, dass man wohl vorhersehen 
konnte, dieser gewaltsame Zustand werde sich nicht lange er- 
halten können. Die Völker, besonders in Hessen und im Norden 
überhaupt, des gewaltsamen Druckes müde, fingen an daran zu 
denken, in einzelnen Gelegenheiten sich mit Gewalt demselben 
zu entziehen. 

Kepler’s Büste von Döll war angekommen; man erwartete 
nur noch das Basrelief, um das Monument aufzustellen und ein- 
zuweihen. Die Sitzungen der botanischen Gesellschaft wurden 
während des Sommers in meinem Garten abgehalten, wo ich 
bereits eine kleine botanische Handbibliothek aufgestellt hatte. 

Im Monat September reiste ich mit Professor Duval nach 
München, und von dort mit Grafen Bray und Baron Fraunberg 

6 


82 


in die Grafschaft Werdenfels, um die Temperaturveränderungen 
eines Alpenbaches von seinem Ursprung bis zu seiner Ausmün- 
dung auszumitteln. Wir wählten die Partnach, die bei Garmisch 
in die Loisach fällt und am Zugspitz unter einem Schneeferner 
entspringt. Um 4 Uhr früh war die Temperatur des Wassers 
der Partnach an ihrer Ausmündung + 8, und um 8 Uhr Abends 
fanden wir das Wasser in der Quelle unter dem mit Eiszapfen 
behängten Gewölbe des Schneeferners + 3. Wir übernachteten 
im Freien unfern der Quelle am 14 September, bei einer Luft- 
temperatur von + 13, und verfolgten unsern Weg am andern 
Morgen über den Zugspitz nach der Loitasch in Tyrol, auf einem 
Pascherweg, der an Abgründen vorüberführte, die unsern 
Freund Fraunberg, der kein Botaniker und dem Schwindel un- 
terworfen war, in einige Verlegenheit brachten. Wir kamen in- 
dessen, mit Alpenpflanzen reichlich versehen, über die Scharnitz 
wieder nach Garmisch zurück. Graf Bray hat von dieser Ex- 
carsion in einer Reisebeschreibung Nachricht gegeben. Mein 
Bruder war in diesem Jahre in den Karpathen und den unga- 
rischen Bergstädten gewesen; seine Reise ist ebenfalls in Druck 
erschienen. Für das künftige Jahr hatten wir uns in den Kärntner 
Alpen ein Rendez-vous gegeben; er wollte von Wien nach der 
adriatischen Küste und von dort über Bleiberg, ich aber über 
Salzburg dahin kommen. Ich hatte angefangen, eine Monographie 
der Saxifragen (Steinbreche) zu bearbeiten. Um diese zu voll- 
enden, war es mir unerlässlich, diejenigen Arten, welche Wulfen 
in Jaquins Collectaneen und Miscellaneen beschrieben hatte, an 
Ort und Stelle aufzusuchen. 

Nach meiner Zurückkunft besuchte mich meine Cousine, und 
erfreute sich des nun fertig gewordenen und meublirten Hauses. 
Der Comet, der in diesem Herbste besonders gut zu sehen war, 
wurde durch einen Reichenbach’schen Achromaten von der Platt- 
form meines Daches an jedem heiteren Abend beobachtet. 

Den 30 November war mein alter Freund Baron Diede auf 
seiner Rückreise von seiner Tochter in Hannover gestorben. So 


83 


raubte mir dieses Jahr drei der bewährtesten Freunde: Gleichen, 
Mayer und Diede. 


1808. 


Als ich erfuhr, dass beide Familien, Ranzau und Löw, auf 
ihrem Gut Ziegenberg in der Wetterau angekommen waren, 
reiste ich’ im Monat Januar dahin, um den beiden Schwestern 
tröstlichen Beistand zu leisten. Charlotte hatte ich seit ihrer 
Vermählung mit Graf Ranzau nicht wieder gesehen. Die Bilder 
unserer jugendlichen Vorzeit gingen an uns vorüber, die Gegen- 
wart mildernd; und 8 Kinder beider Familien, die, immer froh, 
Jedermann mit unwiderstehlicher Gewalt in ihre Spiele zogen, 
halfen die traurigen Wintertage erheitern. Näch kurzem Aufent- 
balt kehrte ich zu meinen Penaten zurück, besuchte jedoch auf 
der Rückreise den würdigen Professor Schreber in Erlangen, 
welcher das Wulfische Herbarium besass, um mich vorläufig mit 
den kärntnischen Alpenpflanzen, vorzüglich den Saxifragen, be- 
kannt zu machen. 

Diesen Vorsommer genoss ich recht eigentlich das Ernte- 
fest meiner glücklichsten Tage in Regensburg. Ich wohnte mit 
Freund Felix in meinem Garten, der nun vollendet, ganz meublirt 
und mit Pflanzen aller Zonen reichlich versehen war. Die meisten 
durchreisenden Fremden kamen ihn zu besehen; das allerkür- 
.zeste Lob desselben hat mich am meisten erfreut. Es kam ein 
Reisender zur Mittagszeit: der Gärtner beim Essen, Felix nicht 
zu Hause, ich allein im Flausrock im Garten beschäftigt. Er 
wünschte ihn zu sehen, ich führte ihn herum; er besah alles mit 
grosser Aufmerksamkeit, machte verständige Fragen, äusserte 
aber gar nichts bis ans Ende, wo er mit den Worten, die er 
gleichsam nur für sich aussprach: „Alles so sinnig!“ von mir Ab- 
schied nahm. 

Der grösste Theil der ehemaligen Reichstagsgesandten 
waren bereits von ihren Höfen zurückberufen, mehrere auch schon 
abgereist; von imeinen Freunden waren noch einige zurückge- 

6* 


84 


blieben, Graf Görz, seine Tochter Gräfin Schlitz, Herr und Frau 
von Löw und Andere. Mein Garten, der nahe an der Promenade 
lag, war nur durch eine Rollbrücke von ihr getrennt, die mittels 
einer zu tretenden Feder von selbst über den Graben rollte, um 
die Kommenden herein zu lassen. Botaniker kamen, sich Pflanzen 
zu holen, gingen in die Bibliothek, sie zu bestimmen, wo Freund 
Felix ihnen die Bücher schaffte; Baron von Löw zeichnete mit 
Meisterhand Blumen, seine Frau sass daneben und schrieb, 
die Kinder tobten im Garten, und mein kleines Pathehen wurde 
zum Dessert gebracht und mit Erdbeeren gefüttert. Dreimal 
die Woche hielt ich in meinem Gartensaal Vorlesungen über die 
Physiognomie der Pflanzen nach Alexander von Humboldt, die 
zahlreich besucht wurden. Am Abend nach der: Promenade 
kamen die Freunde zum Thee, um den Abend im Kühlen zuzu- 
bringen, und wenn ein klarer Himmel die Gestirne in voller 
Pracht erscheinen liess, sie mit dem Reichenbachschen Sehrohr 
zu betrachten. Der Genuss eines wissenschaftlichen Treibens 
war mit jenem des geselligen Lebens im Kreise bewährter 
Freunde verbunden; er erfüllte ganz das Ideal, welches mir bei 
der Anlage dieses Gartens vorgeschwebt hatte. Die Aussichten 
für die Zukunft waren zwar nicht günstiger geworden. Die fran- 
zösische Armee hatte Besitz von Rom genommen und den Papst, 
der sich sehr standhaft zeigte, im Quirinalpalaste gleichsam ge- 
fangen gehalten; von einer Negotiation mit Rom konnte daher 
keine Rede mehr sein. Doch der Mensch, für die Gegenwart 
geschaffen, baut sich sein Haus auf die Lava des Vesuvs, die 
Herculanum überdeckte, und lebt ruhig zwischen den Trümmern 
der Vorzeit und der bedrohlichen Zukunft. 

Dieses herrliche Leben währte bis zum 8 Juli, wo ich einen 
Brief von meinem Bruder erhielt, der mich auf den 15 nach 
Klagenfurt bestellte. Mit schwerem Herzen entriss ich mich 
meinen Freunden, die ich kaum hoffen konnte hier je wieder 
beisammen zu sehen. Ich reiste schnell über Salzburg und den 
Radstadter Tauern nach Klagenfurt, wo ich den 15 Juli ankam. 


85 


Da ich meinen Bruder nicht vorfand und keine Zeit versäumen 
wollte, so machte ich eine Excursion mit dem nachmaligen 
Bischof von Linz, von Hohenwart, damals Generalvicar in Kla- 
genfurt, und Professor Host auf die Alpe Baba, und fuhr dann 
meinem Bruder nach Villach entgegen, wo wir uns trafen und 
die Villacher Alpen bestiegen. Wir schlugen dann unser Haupt- 
quartier in Klagenfurt auf, und machten von dort bald allein, 
bald mit von Hohenwart, Excursionen in die verschiedenen Alpen. 
Mein: Bruder schleppte Steine zusammen, welche die Boten kaum 
fortbringen konnten, ich trug meine leichtere Ausbeute selbst. 
Aus Kärnten‘ wandten wir uns nach Steiermark und Oberöster- 
reich, wo wir noch einige Abteien besuchten und Alpen bestiegen, 
und reisten endlich über Linz und Prag nach Bfezina, wo wir 
den 10 September ankamen. 

Mein Bruder hatte diese ziemlich anstrengende Reise ohne 
alle Beschwerde überstanden; er erlitt nicht einen einzigen An- 
fall von dem ephemeren Fieber, das ihn seit 10 Jahren öfter 
überfiel, so dass ich ihn ganz getrost am 15 Sept. verliess und 
in meinen Garten nach Regensburg zurückkehrte. Die Gesell- 
schaft hatte sich sehr vermindert; ich lebte jedoch in meinem 
Garten ganz vergnügt bis ans Ende des Monats, wo mir mein 
Bruder schrieb, dass ihn ein rheumatischer Schmerz an beiden 
Armen sehr quälte. Da ich wohl wusste, dass er, von ärztlicher 
‚Hilfe entblösst, sich selbst nach Büchern zu heilen pflegte, so 
schlug ich ihm vor, zu mir nach Regensburg zu kommen und 
sich von Dr. Schäffer behandeln zu lassen. Ich mochte nicht 
gern Regensburg so bald wieder verlassen, und war sehr neu- 
gierig auf die Zusammenkunft der Kaiser Alexander und Na- 
poleon in Erfurt, zu welcher auch die Könige Deutschlands und 
der Fürst Primas berufen waren. Mein Bruder hatte sich in- 
dessen an Dr. Cermak in Prag gewendet, und von diesem erfuhr 
ich durch meine Cousine, dass sich das Fieber wieder eingestellt 
habe und alltäglich geworden sei, welches er für ein Zehrfieber 
hielt. Ich.machte nun Anstalten abzureisen: doch ehe ich ab- 


86 


fuhr, kam eine Estafette, dass er an einem Nervenschlag den 
18 October plötzlich gestorben sei. | 

In Bfezina angekommen, fand ich meine Cousine und einen 
Geschäftsmann, Inspector Donhammer, der meinem Bruder sehr 
anhänglich gewesen. In die tiefste Trauer versetzt, fand ich 
mich zugleich in einer höchst unbehaglichen Lage. Mein Bruder 
hatte die letzten Jahre seines Lebens, den Sommer grösstentheils 
auf Reisen, den Winter in Wien zugebracht; alles war in seiner 
Wohnung, da ihn die Krankheit so bald nach seiner Ankunft 
überfallen, in der grössten Unordnung. Die Nothwendigkeit, die 
Güter zu übernehmen, mich in ein Meer mir fremder Geschäfte 
einzulassen, welche meine Gegenwart erheischten, und der mir 
geschaffenen behaglichen Existenz zu entsagen, erweckte einen 
inneren Kampf. Ich hatte das Entsagen des Wandererliedes von 
Göthe noch nicht gelesen; die nachgefolgten Begebenheiten haben 
mich, wenn auch etwas unsanft, diese grosse Kunst gelehrt, und 
ich habe mich sehr wohl dabei befunden. 

Mein Bruder hatte gleich, als er die Herrschaft übernahm, 
den schönsten Platz gewählt, wo man eine treffliche Aussicht 
geniesst, um nahe an einem gemischten Laub- und Nadelholz- 
wald sich ein Wohnhaus zu bauen, und den Wald in einen Thier- 
garten zu verwandeln. Um geschwind zu diesem Genuss zu ge- 
langen, erbaute er vorerst ein kleines Haus von Holz, in welchem 
er wohnte, und fing dann erst an, eines von Stein anzulegen, 
welches bei seinen häufigen Abwesenheiten erst im letzten Jahre 
fertig wurde und noch nicht meublirt war, indessen das hölzerne 
Haus sich schon im schlechten Zustande befand. Meine erste 
Sorge richtete sich daher darauf, mir eine bequeme Wohnung 
zu verschaffen, einen Garten anzulegen und Pflanzenhäuser zu 
errichten. Indem ich mich nun in die Verwaltung eines Oeko- 
nomie-Gutes, welches auch Manufacturen besitzt, ein wenig ein- 
arbeitete, wurden auch Pläne gemacht, welche im nächsten Früh- 
jahr zur Ausführung gelangen sollten. Mit diesen Vorbereitun- 
gen wurden zwei Monate zugebracht. 


87 


Der Fürst Primas war indessen nach Regensburg zurück- 
gekommen, und die Einweihung des Kepler’schen Monuments, 
welche bis auf diesen Zeitpunkt verschoben war, sollte nun 
Statt finden. Ich reiste daher nach Regensburg zurück, wo am 
21 December, in Anwesenheit des Primas und vieler Anderer in 
meinem Gartensaal eine Cantate abgesungen, und dann die Büste 
Kepler’s in dem Tempel aufgestellt wurde. 


1809. 


Die allgemeine Volksstimmung in Wien und die Bewegun- 
gen der französischen und Bundestruppen, besonders der bayri- 
schen, liessen einen baldigen Friedensbruch voraussehen. Ich 
musste in meinen Erbschaftsgeschäften nach Wien reisen; eilte 
daher sie abzuthun, um noch so viel Zeit zu gewinnen, auch in 
Regensburg Vorkehrungen zu treffen, ehe die Campagne eröffnet 
wurde. Den: 16 Januar traf ich in Wien ein, sah die grosse 
militärische Kraftentwicklung, mit welcher man sich dort vor- 
bereitete; und fest überzeugt, dass die perennirende Neutralität 
Regensburgs von keiner Seite respectirt werden würde, beendete 
ich meine Geschäfte so gut ich konnte, und war den 20 Februar 
wieder in Regensburg. 

Der Fürst Primas, der nun auch den Krieg als unvermeid- 
lich erkannte und es redlich mit mir meinte, hatte indessen das 
Geschäft in Betreff des Gartenkaufs in Ordnung gebracht. Ich 
übergab ihm die Rechnungen und er mir den Kaufbrief; die 
verfallenen Fristen wurden bezahlt, die übrigen in Termine ein- 
getheilt; was freilich in der Lage, in welcher sich Regensburg 
befand, etwas bedenklich erschien. Ich packte nun meine besten 
Habseligkeiten zusammen, hinterlegte Einiges bei einem Hand- 
lungshause, übergab meine zahlreiche Bibliothek und den Garten 
meinem Freund Legationsrath Felix; und als ich vernahm, dass 
die französische Armee die Festung Würzburg besetzte und die 
bayrischen: Truppen zur Armee gestossen waren, reiste ich am 


88 


24 März nach Böhmen, wo sich ebenfalls Kriegstruppen be- 
wegten. 
Am 11 April schritten diese Truppen über die Gränze, um 
von dieser Seite gerade nach Regensburg zu marschiren, welches, 
ehe sie davor kamen, bereits von französischen Truppen besetzt 
war; auch war von diesem Augenblicke an aller Verkehr und 
Postenlauf unterbrochen. Durch zurückkehrende Verwundete, 
später durch einen Theil der durch Böhmen über Pilsen und 
Budweis gegen Oberösterreich ziehenden Truppen, vernahm man 
wohl im Allgemeinen, dass Regensburg erst durch Capitulation 
von den österreichischen, dann mittels Sturm von den franzö- 
sischen Truppen genommen, geplündert und zum Theil verbrannt 
worden war: aber etwas Besonderes und Bestimmtes zu ver- 
nehmen war durchaus unmöglich. Da es mir bekannt war, dass 
die französische Armee, welche Regensburg stürmte, von der 
Seite von Abbach gekommen, und Napoleon sein Hauptquartier 
in der ehemaligen Karthause Brühl genommen hatte, so konnte 
ich wohl berechnen, dass der grösste Andrang durch meinen 
Garten gekommen sein werde, gab ihn daher für verloren: was 
aber aus meinem Hause in der Stadt geworden sei, welches der 
österreichischen Batterie auf dem Dreifaltigkeitsberge gegenüber 
stand, und wo ich noch meinen ganzen Keller und alle Möbeln, 
die ich nicht hatte mitnehmen können, zurückgelassen, konnte 
ich schlechterdings nicht erfahren. Und in dieser höchst pein- 
lichen Ungewissheit blieb ich durch volle 5 Wochen bis zum 
1 Juni, wo die zurückgehaltenen Briefe von Freund Felix und 
Anderen mir die detaillirte Beschreibung dieser grausen Tage 
brachten. Meine Imagination war durch die Unwissenheit so ge- 
spannt gewesen, dass die Wirklichkeit unter meiner Besorgniss 
zurückblieb. Ich dachte an die Beschreibung der Feuersbrunst 
in Schillers Lied von der Glocke: „er zählt die Häupter seiner 
Lieben, und sieh! es fehlt kein theures Haupt.“ Meine Pflanzen- 
sammlung, meine Bibliothek in der Stadt war ganz, jene im 
Garten zum Theil durch die Sorgfalt von Freund Felix gerettet; 


89 


ich athmete leichter. Mein Haus in der Stadt wurde von einer 
einzigen Kugel getroffen und nur mässig geplündert, da der ge- 
spendete Wein die Liebhaber zur Ruhe brachte. Mein Garten 
war aber gleichsam vernichtet: denn das Feuer der Batterien, 
welche die Bresche schossen, strich durch meinen Garten zwi- 
schen meinem Gartenhause und dem Kepler’schen Monument, 
und alle Bäume wurden auf Manneshöhe abgeschossen. Die 
österreichischen Jäger, welche sich Anfangs im selben hielten, 
wurden von den Franzosen angegriffen, zogen sich in die Stadt 
auf den Thurm nächst dem Petersthor, schleppten eine kleine 
Kanone hinauf, und beschossen nun mein Haus, welches die 
Franzosen besetzt hatten. Drei Regimenter Cavallerie und zwei 
Batterien marschirten durch den Garten; die Zäune wurden ein- 
gebrochen, die Gräben geebnet und alles niedergetreten. Auf 
dem Bivouac wurden alle Thüren, Jalousien, die Mahagonikästen 
und alles Holzwerk verbrannt; das Caphaus gerieth in Flammen, 
brannte ganz ab, und als die Stadt eingenommen war und das 
Militär in selbe einrückte, so plünderte der Pöbel dasjenige, was 
in dem leeren Hause noch verblieben war (14 April). 

Dies war allerdings ein harter Schlag für mich; wenn ich 
es aber mit dem Verlust anderer Freunde und Bekannten ver- 
glich, die diese Gräuelscenen von Plünderung persönlich aus- 
halten mussten, während ein Dritttheil der Stadt in Flammen 
stand und Niemand ans Löschen dachte, indessen jenseits der 
Stadt auch Stadt am Hof und Rheinhausen in Feuer aufgingen: 
so war meine Lage ohne Zweifel viel glücklicher. 

Die feindlichen Armeen zogen am rechten Donauufer jen- 
seits des Böhmerwaldes gegen Wien: wir hatten im Lande 
(Böhmen), wenn auch schwere Lasten zu tragen, doch persönlich 
nichts zu besorgen; ich ergab mich in mein Schicksal, und wandte 
alle meine Sorge darauf, mein neues Domicil (in Bfezina) so 
dankbar als möglich zu machen. Das Haus wurde eingerichtet, 
die Hutweide vor demselben rigolt, um sie in einen Garten 
umzuschaffen,, die Landwirthschaft nahm mich in Anspruch. 


90 


Ich machte Bekanntschaft mit zwei 'Naturforschern, die in 
meiner Nähe wohnten, dem Bergmeister Lindacker und Mark- 
scheider Preissler; der erste war Mineralog und Botaniker, der 
zweite Entomolog. Mit diesen beiden: befuhr ich meine Eisen- 
und Kohlenbergwerke, suchte diese in einen geregelten Abbau 
zu setzen, und wurde bei dieser Gelegenheit aufmerksam auf 
die Pflanzenversteinerungen, die ich zum ersten Mal auf ihrem 
natürlichen Fundort zu sehen bekam. Beide halfen mir. die 
Mineraliensammlung meines Bruders in dem neueingerichteten 
Bibliothekzimmer aufstellen, wo sich ebenfalls mehrere Pflanzen- 
abdrücke von Lepidodendron und Farrenkräutern vorfanden. 

An dem Ufer der Donau wurde indessen mit wechselndem 
Glück fortgekämpft, die Schlacht bei Aspern von Erzherzog Karl 
gewonnen, Napoleon auf der Lobau in eine zweideutige Lage 
gebracht: doch verliess ihn seine Besonnenheit und sein Glück 
nicht, und seine gigantischen Träume, ein oceidentalisches Kai- 
serthum zu bilden, wurden durch den Frieden und dessen Fol- 
gen nur noch bestärkt. Was ich und Andere damals darüber 
dachten, habe ich in einem Briefe vom 12 September aus Bre- 
zina ausgedrückt: 

„I n’est pas aise a repondre a Vos questions sur la lettre 
pastorale de Napoleon. Depuis Charles-Quint 'on attribuait & la 
maison d’Autriche le projet d’une monarchie universelle, et quoi- 
qu’il soit douteux, si cette idee est parvenue jusqu’& Ferdinand 
III, et que tres-certainement elle ne pouvait plus exister depuis 
la paix d’Utrecht, base de tous nos malheurs, ainsi que le prince 
Eugene en vrai prophete l’avait @nonce dans ses lettres: le ca- 
binet de la Prusse s’est prevalu de cette chimere, pour amener 
la scission du nord et du sud de l’Allemagne, et les faibles prin- 
ces de l’empire, toujours craintifs, ont donne dans le panneau. 
C’est cette desorganisation de l’empire, tel qu’il avait &te insti- 
tue par la paix de Westphalie, et la faiblesse morale du cabinet 
- de Vienne, qui a donn& la preponderance politique A la France, 
et a fait passer les anciens projets de Charles-Quint dans le 


9 


cabinet de Louis XIV. Le luxe et la mollesse des Bourbons en 
rendait les effets moins ä craindre: mais la revolution ayant 
deploy6ee les forces de la nation Francaise, l’aventurier coura- 
geux, qui a su subjuguer la revolution et la nation, a saisi avec 
avidit& les projets du cabinet de Versailles, pour les amalgamer 
par son Machiavellisme habituel avec les id&ees preexistantes de 
Charlemagne et de Cesar. On peut retracer la tendance & l'idee 
d’un empire d’occeident depuis 1800; elle n’a &te contrebalancde 
que par la seule idee egalement gigantesque de detruire la pre- 
ponderance de l’Angleterre dans les Indes, qui avait pr&dominde 
dans l’expedition en Egypte. La creation de nouvelles dynasties 
est une imitation de Charlemagne, et la lettre apostolique, qui 
voudrait pr&parer les peuples & la r&union du titre de pontifex 
maximus avec celui de Cesar, tient & l’histoire Romaine; des 
articles du Moniteur trop longs & copier pourraient servir d’ap- 
pui & ce que j’avance. La lettre pastorale n’est autre chose 
qu’un coup d’essai, pour sonder l’esprit de la nation Francaise, 
la seule qu’il redoute. Si le nouveau clerge plie sans murmu- 
res, nous verrons bientöt s’elever un patriarche en France et 
un autre en Allemagne. Cette idee, qui n’est pas neuve pour 
les gens de lettres, trouvera de l’appui mäme dans les nouvelles 
dynasties des satrapes, dont elle &tendra la puissance. On 
pretera la main au schisme qui se prepare et qui pourrait nous 
ramener tous les malheurs du XV et XVI siecles et de la guerre 
de 30 ans, dont celle que nous faisons depuis 15 ans n’est 
qu’une nouvelle edition, basde sur la difference des lumieres 
du siecle dans lequel nous vivons. Les effets d’une nouvelle 
revolution de cette nature sont incalculables: l’histoire en four- 
nit des exemples, les modifications tiennent & l’esprit du siöcle, 
les malheurs de I’humanite foulde restent les mä&mes. Voilä 
comme on peut envisager l’etat present des circonstances, sans 
S’arröter ä ce qui se negocie A Altenburg, qui ne sera probable- 
ment pas bien concluant pour la marche generale des affaires. 
La nation Francaise sous Bonaparte est devenue ce qu’etait la 


92 


nation Boheme sous Zizka; elle finira de meme, apres la mort 
de ce commandant, par la scission des differens partis qui nai- 
tront; jusque lA point de salut. Oh la belle perspective!” 

Am 11 December reiste ich endlich nach Regensburg, um 
mit eigenen Augen zu schauen, und meinen letzten Abschied 
von dort vorzubereiten. Ich kann nicht leugnen, dass der An- 
blick der noch in Schutt liegenden Gebäude von Rheinhausen 
bis an die steinerne Brücke, und die Ansicht meines Gartens 
und des von vielen tausend Kugeln durchbohrten leeren Garten- 
hauses ohne Thüren und Fenster, in welchem ich im vorjähri- 
gen Sommer so glückliche Tage durchlebt hatte, einen tief be- 
trübenden Eindruck auf mich gemacht habe. Als ich aber das 
persönliche Leiden so vieler Freunde und Bekannten erfuhr und 
mich z. B. mit der Situation des Grafen Rechberg verglich, des- 
sen Frau während des Bombardements in die Wehen verfiel und 
im Keller entbunden werden musste, indess das Feuer sich be- 
reits der Gesandten-Gasse, wo er wohnte, näherte: so musste 
ich mich glücklich schätzen, diesen Scenen entgangen zu sein. 
Dem Grafen Rechberg, Directorialrath Bösner und einigen Bür- 
gern, welche ihre Häuser während der Plünderung zu verlassen 
den Muth hatten, verdankt der nicht verbrannte Theil Regens- 
burgs seine Rettung. Graf Rechberg in seiner Verzweiflung bat 
einen französischen General um einige Mannschaft zur Löschung, 
welche auch bewilligt wurde; er setzte einen bayrischen Gene- 
ralshut auf, den ihm ein bayrischer General anbot, der in sei- 
nem Hause war und vor Ermattung sich gelegt hatte, zog seine 
Uniform des St. Georgsordens an, auf der mehrere Ordenssterne 
gestickt waren, stellte sich an die Spitze der französischen Trup- 
pen, die ihn für den Kronprinzen von Bayern hielten, und führte 
sie zum Feuer, wo er DR. Bösner mit den Spritzen, aber ohne 
Menschen zur Bedienung, fand. Der Wind hatte glücklicher- 
weise sich etwas gewendet, mit vieler Anstrengung. wurde das 
Feuer bezwungen, indess die meisten Generale und Officiere 
sich vor Erschöpfung mit der Ordre zu Bette gelegt hatten, sie 


a 


93 


zu wecken, wenn das Nachbarhaus in Brand gerathen würde, 
die gemeine Mannschaft aber betrunken auf den Strassen lag, 
oder im Innern der Häuser plünderte und tobte. 

Der Fürst Primas war in Regensburg gegen mich persön- 
lich äusserst freundschaftlich; er wurde aber bald mit den neuen 
Königen nach Paris berufen. 


1810. 


Wenngleich das Schicksal von Regensburg so, wie ich es 
lange vorhergesagt hatte, schon entschieden war, so fehlte in- 
dessen noch die formelle Uebergabe an Bayern, und bis dahin 
konnte ich meine Forderungen an das Fürstenthum Regensburg 
nicht geltend machen. Ich war zwar bei Gelegenheit der Durch- 
reise der kaiserlichen Braut Marie Louise in München anwesend, 
hatte auch eine Audienz bei dem Könige, der mir stets gnädig 
und gewogen war, der Minister Montgelas war jedoch noch in 
Paris und in Geschäften nichts zu thun. Auch rief mich ein 
ganz anderes Geschäft nach Böhmen, indem auf meine Herrschaft 
das Sequester wegen meiner Abwesenheit gelegt worden war, 
ob ich gleich im Jahre 1809 dort gewohnt und einen Pass auf 
5 Monate erhalten hatte, der noch nicht abgelaufen war. Se. Ma- 
jestät der Kaiser war in Prag anwesend; ich erhielt Audienz und 
augenblickliche Zurücknahme dieser Massregel, liess mich in die 
ständische Versammlung einführen, und kehrte nach Regensburg 
zurück, wo ich mich mit der Herausgabe der Revisio Saxifra- 
garum, die in Regensburg gedruckt wurde, beschäftigte. 

Das Hauptquartier des Armeecorps des General Davoust, 
welches noch zu guter letzt Regensburg ausgesogen, setzte sich 
endlich in Bewegung, und General Campan übergab Regensburg, 
Stadt und Fürstenthum, an die kön. bayrischen zum Empfang ab- 
geschickten Commissäre, mit allen darauf lastenden Forderungen. 
Nun war es Zeit, nach München zurückzukehren. Der Fürst 
Primas hatte gleich nach dem Unglück von Regensburg den 


94 


rechtlichen Grundsatz „casum fert dominus“ aufgestellt, und 
Se. Maj. der König von Bayern hatte ihn auch in Rücksicht 
meiner Forderung gebilligt: die Formalitäten der. Ausgleichung 
bei den Dikasterien haben mich aber noch zwei Monate in 
München aufgehalten. Ich benützte sie zu einer Alpenreise mit 
Prof. Schrank und Oberbergrath Voith in die Gebirge nächst 
Tegernsee. 

Nach Regensburg zurückgekehrt, resignirte ich das Präsi- 
dium der Sustentationskasse der überrheinischen Geistlichkeit, 
‚schickte dem Fürsten Primas meine Monographie der Saxifragen, 
und nahm von ihm Abschied. Er antwortete mit folgenden 
Worten: „Auch für mich ist dieses Jahr das schwerste meines 
Lebens. Wir können Beide sagen: dulcia linquimus arva. .Bil- 
dung neuer Schöpfung in alten Tagen: gewisser Verlust, un- 
gewisse Zukunft! Plurimum interest, in qua quis tempora 
inciderit!“ x 

Diese Worte möchte ich auf seinen Grabstein schreiben! 
Er wäre in friedlichen und ruhigen Zeiten, wo er für ein kleines 
Land und für die Wissenschaften hätte ausschliesslich leben 
können, ein guter Fürst gewesen, der den Segen seiner Unter- 
thanen und den lauten Beifall aller wissenschaftlichen Männer 
seiner Zeit in die Nachwelt hinüber genommen. hätte: den Be- 
gebenheiten seiner letzten Zeit war er nicht gewachsen. 

Als ich nun mit der Gegenwart gebrochen, alle früheren 
Lebensträume aufgegeben, von allen mir werthen Menschen und 
meinen geliebten Pflanzen, die in meinem Garten schon wieder 
neue Sprossen trieben, Abschied genommen: so schied ich von 
dem Orte, wo ich die schönsten und glücklichsten Jahre meiner 
Jugend, und, wie ich damals glaubte, auch die stürmischsten 
Tage durchlebt hatte, und folgte, im. 50 Jahre meines Lebens, 
willig dem Schicksal, welches mich in meine Heimath zurück- 
führte, um dort jene unabhängige Existenz zu finden, nach wel- 
cher ich seit dem Ausbruch der Revolution gestrebt hatte. 

Meine Bibliothek und sämmtliche Habseligkeiten waren mir 


95 


bereits vorangegangen. Ich folgte ihnen im Herbste nach, und 
verwendete die Wintermonate dazu, mich in meiner neuen 
Wohnung gemüthlich einzurichten. | 


1811. 1812. 


Von diesen zwei Jahren brachte ich die halbe Zeit in Wien 
zu, um ein Erbschaftsgeschäft meiner Cousine Gräfin Louise Stern- 
berg zu betreiben. Die Naturwissenschaften wurden indessen 
nicht vernachlässigt, und der Umgang mit Grafen Franz Wald- 
stein, Jaquin, Host etc. gewährte mir manche Erholung. Im 
Herbst 1811 besuchte mich Freund Felix, um meine Bibliothek 
in Bfezina, wie ehemals in Regensburg, aufzustellen; und im 
Juli 1812 zwangen mich eigene Geschäfte nach München zu 
reisen. Als ich diese beendet, besuchte ich meine alten Freunde, 
Grafen Rechberg auf seinem Gute Donzdorf im Königreich Wür- 
temberg, die Familie Löw und. Günderode in der Wetterau, 
Frankfurt, Heidelberg, die Fürstin Taxis in Tischingen, und das 
geliebte Regensburg, wo Graf  Görz und Freund Thurn 
noch wohnten, und mein verödeter Garten sich wieder zu ge- 
stalten anfıng. 

Im September 1812 begleitete mich Freund Felix wieder 
nach Brezina, und ihm folgte bald Professor Hoppe, der mit 
seiner Botanisirbüchse auf dem Rücken vom Untersberg die 
Fussreise bis dahin fortsetzte. Wir führten hier ein stilles glück- 
liches Leben, indess im Norden Ströme von Blut flossen und 
Kaiser Napoleon seinem Wendepunkte entgegenging. Bis zum 
4 December blieb Felix bei mir; dann reiste auch ich nach 
Prag, um den Winter mit meiner Familie in der Stadt zuzu- 
bringen. 


1813. 


Der in den Büchern der Weltgeschichte ewig merkwürdige 
Rückzug der französischen Heere aus Moskau hatte neue Com- 
binationen veranlasst. Die bis zur Verzweiflung gedrückten 
deutschen Völker liessen sich nun laut vernehmen, zumal im 
Norden; der Austritt der russischen Armee über ihre Gränze 
war das erste Signal für Preussen; was weiter erfolgen würde, 
war noch unbestimmt. Mir wurde es unbehaglich in der Stadt, 
wo diese Begebenheiten, die den Krieg nothwendiger Weise 
nahe an Böhmens Gränzen führen mussten, das tägliche Gespräch 
ausmachten; ich verliess sie in der Hälfte März, und beschäftigte 
mich, mit Bergmeister Lindacker, vorweltliche Pflanzen in den 
Steinkohlenbergwerken, sowohi in meinen eigenen als jenen der 
Umgegend, zusammenzubringen und in einem besonderen Raum 
aufzustellen. 

In den ersten Tagen des Monats Mai, als ich mich im 
Garten beschäftigte, vernahm ich aus der Ferne den nur zu be- 
kannten Kanonendonner, der mich höchst unsanft berührte: es 
war die erste Schlacht bei Leipzig. Von nun an folgten die 
schon so oft erlebten unruhigen Tage: erst Vorbereitungen, dann 
Lieferungen, Einquartierungen und Durchmärsche von Truppen, 
Rekrutenstellungen, Ankunft des Königs von Sachsen mit ein 
paar sächsischen Regimentern, endlich ein Congress in Prag, 
den ich nicht die geringste Lust hatte zu schauen, so lebhaft 
auch die Stadt wurde. Der Unmuth, dass die Hütte, die ich 


97 


mir in dieser abgeschiedenen Gegend erbaut hatte, um still und 
ruhig den Wissenschaften zu leben, auch zerstört werden könnte, 
hatte mich ganz aus meiner Fassung gebracht. Der Congress 
ging unverrichteter Dinge auseinander; die Russen überschritten 
die Elbe, Kosaken zogen hier durch, Brod und Fourage mussten 
täglich bis an die sächsische Gränze geliefert werden, und furcht- 
bare Regengüsse machten sie ungeniessbar, ehe sie an Ort und 
Stelle gebracht werden konnten. Die Ernte lag im Wasser, und 
wenn ein Tag erschien, wo man sie hätte einbringen können, 
waren keine Pferde zu Hause. Und in diesen Tagen liess sich 
abermals der Kanonendonner aus einer anderen Gegend verneh- 
men, aus der Richtung nach dem Mileschauer Berge hin, den 
ich von meinem Berge Hradit sehen kann. Ich sass da oben, 
und horchte mit der allergrössten Unruhe, bis er endlich schwä- 
cher werdend, zu meinem Trost verhallte; es war die Schlacht 
bei Kulm (30 August), deren glücklichen Ausgang wir am zweiten 
Tag vernahmen. 

So sehr wir uns darüber freuten, so war die Unruhe da- 
durch nicht geringer geworden: die Sorge für die Verwundeten 
und Spitäler, die Durchmärsche der Gefangenen, welche eine 
böse Seuche mitbrachten und alle Dörfer ansteckten, wo sie 
übernachteten, vermehrten die Sorgen, bis endlich am 17 und 
‚18 October sich der Kanonendonner abermals, doch schwächer 
als im Monat Mai und von mehreren Punkten her vernehmen 
liess und immer schwächer werdend verhallte. Daraus schloss 
ich, dass unsere Waffen vorrückten und den Sieg errungen 
hatten, und da am selben Tage die Post nach Prag abging, so 
verkündete ich die frohe Botschaft nach meinem Gehör, und ge- 
noss das Vergnügen am 21 October durch Estafette deren Be- 
stätigung von Prag zu erhalten. Im ersten Ausbruch der Freude 
bereitete ich ein kleines Fest mit Illumination und Feuerwerk 
und gab einen Ball in der Ruine von Alt-Brezina, wozu ich meine 
Nachbarn und den Kreishauptmann gebeten. 

Die drei gekrönten Sieger folgten ihren Armeen nach 


2 


[ 


98 


Frankfurt, wo nach und nach die neuen Könige und königl. Ho- 
heiten, deren Truppen sich mit oder ohne ihren Willen an die 
siegreichen Armeen angeschlossen hatten, sich einfanden, um bei 
dem allgemeinen Ablasstag ihr pater peccavi! zu sprechen, und 
mit einem „surge et noli peccare!*. getröstet zu werden. Der 
einzige Fürst Primas blieb ausgeschlossen, weil er in seiner Ver- 
blendung sich kurz zuvor noch einmal von dem Minister He- 
douville hatte verführen lassen, sein Fürstenthum Aschaffenburg 
und Frankfurt an den Vicekönig Eugen Napoleon zu cediren. 
Bei der Annäherung der Armeen zog er sich zurück in das Bis- 
thum Constanz, ohne im geringsten für seine Subsistenz zu sor- 
gen, und lebte dort im bischöflichen Seminar. 


1814. 


Der drückendsten Besorgnisse des nahen Krieges. entle- 
digt, kehrte ich mit neuem Muth zu dem gewohnten geschäftigen 
Leben wieder zurück, wozu mich mein immer sich erweiterndes 
kleines Museum anzog. Indessen waren unsere Waffen bis nach 
Paris gedrungen und ich nach Prag gereist, um das allgemeine 
Vergnügen über die günstigen Begebenheiten, die uns eine 
dauerhafte Ruhe vorzubereiten schienen, zu theilen. Im Monat 
April machte ich eine Excursion nach Irlbach zu meinem Freunde 
Grafen Bray, der dieses Gut in Bayern angekauft hatte, und 
gleich mir beschäftigt war, sein Haus und seinen Garten zu 
einer bequemen und angenehmen Ruhestätte für einen Natur- 
forscher einzurichten. 

Als ich nach meiner Zurückkunft erfuhr, dass Kaiser Franz 
nach Verbannung Bonaparte’s nach der Insel Elba, Wiederein- 
setzung der Bourbone und geschlossenem Frieden, einen Öffent- 
lichen Einzug in Wien zu halten gedenke, eilte ich mit meinem 
Vetter Grafen Klebelsberg dahin. Wer das gutmüthige, lebens- 
frohe, der Person des Kaisers aufrichtig zugethane Wiener Volk 
kennt, wird leicht die frohe Stimmung zu würdigen vermögen, 


99 


welche alle Stände durchdrang. Mehr als 20,000 Menschen 
waren schon am Vorabend in Schönbrunn versammelt, um den 
Monarchen ankommen: zu sehen und mit Jubel zu begrüssen. 
Am 16 Juni endlich, als der Kaiser und der Kronprinz zu Pferde, 
von allen Garden begleitet, sich in solennem Zuge nach der 
Stadt bewegten, da wogte die Menge auf allen Wegen und Stras- 
sen in froher Betäubung, doch ohne die geringste Störung im 
Zuge zu verursachen, bis zu der St. Stephanskirche, wo ein feier- 
liches Tedeum abgesungen wurde. Es war ein rührendes Schau- 
spiel, das alle Anwesenden ergriff. 

Nachdem alle Feste vorüber und einige Geschäfte geordnet 
waren, setzte ich meinen Wanderstab weiter nach Gratz in 
Steiermark fort, vorzüglich um die Einrichtung des Johanneums 
genauer kennen zu lernen. Die Erfahrung, dass die wichtigsten 
Sammlungen, welche man in einem Menschenleben zusammen- 
zubringen vermag, oft von den Erben verwahrlost und zerstreut, 
manchmal vollends in fremde Länder gelangen, wie die Samm- 
lungen von Linn und Pallas nach England, hatte mich schon 
oft besorgt gemacht, dass auch meinen Sammlungen einst ein 
ähnliches Schicksal drohen könnte. Aus diesem Grunde war ich 
Willens gewesen, sie der Akademie in Regensburg zu überlassen, 
wenn sie nach dem Wunsche des Fürsten Primas zu Stande ge- 
_ kommen wäre: bej nun veränderten Umständen war ich aber 
entschlossen, sie meinem Vaterlande zu widmen, und sprach dar- 
. über vorläufig auch mit dem Oberstburggrafen Grafen Kolowrat 
Liebsteinsky, der diesen Vorsatz mit patriotischem Eifer auf- 
fasste und bekräftigte. Das Johanneum, welchem Erzherzog 
Johann seine Naturaliensammlung einverleibte, war damals noch 
nicht ganz ausgebildet, doch schon bestimmt, mehrere Zwecke 
zu vereinigen, welche in Prag, wo eine Universität und ein 
polytechnisches Institut bestehen, schon erreicht sind. Es gab mir 
jedoch Anleitung, welche Modalitäten bei Errichtung ähnlicher 
Institute zu beobachten wären, worüber ich einen Bericht an 
den Oberstburggrafen erstattete. 

7+ 


100 


Einmal in die Alpen gedrungen, verfolgte ich meinen Weg 
in das Salzkammergut, bestieg von Hall die Schladminger Alpe, 
wo ich übernachtete, und wollte über das ausgedehnte Schnee- 
feld die jenseits desselben damals noch unbestiegenen Kuppen 
des Torsteins erreichen: ich war aber kaum 300 Schritte vor- 
gedrungen, als ein starker Wind mit Schneegestöber sich erhob, 
der ein weiteres Vorschreiten unmöglich machte. Ischl war da- 
mals noch kein Kurort, und die herrliche Gegend am Gmundner 
See, welche jetzt von so vielen Fremden besucht wird, nur dem 
Inland bekannt. Auch in naturhistorischer Hinsicht hatte man 
von den Formationen und Versteinerungen der Gosau und Um- 
gegend keine Notiz genommen, über welche dermalen in London 
und Paris eifrig discutirt wird. Ich verfolgte meinen Weg über 
Salzburg, wo Dr. Hoppe, der jedes Jahr einen Theil des Som- 
mers auf dem Untersberge zubringt, mich besuchte, nach Gastein. 
Die Kraft dieser Quellen zu entmüden, habe ich mehrmals er- 
probt, indem ich nach Alpenexcursionen von 12 Stunden durch 
ein genommenes Bad mich wieder so hergestellt fühlte, dass ich 
gleich wieder hätte Berge besteigen können. Meine Rückreise 
nahm ich über München und Regensburg, von wo mich Freund 
Felix nach Bfezina begleitete. 

Im Monat October kam Prof. Dr. Hoppe und Hofgärtner 
Illing von Regensburg, dann der Fürst Lobkowitz’sche Gärtner 
Skalnik aus Prag zu mir nach Brfezina, um über die Fortsetzung 
der Pflanzungen in meinem Garten Rath zu pflegen. Da sowohl 
Dr. Hoppe als ich manches Seltene, wohl auch Neue, mitgebracht, 
und vier Mitglieder der Regensburger botanischen Gesellschaft 
sich hier zusammenfanden, so verfielen wir auf den Gedanken, 
das vorhandene Material zu verarbeiten und eine Sitzung abzu- 
halten; dies erfolgte am 31 October. Es wurde beschlossen, 
Denkschriften der Regensburger Gesellschaft herauszugeben, eine 
von Dr. Hoppe in der Gamsgrube am Heiligenbluter Tauern 
gefundene Pflanze als neue Gattung bestimmt, beschrieben und 
ihr, zu Ehren des Präsidenten der Gesellschaft Grafen Bray, der 


101 


Name Braya beigelegt, ferner viele seltene Pflanzen vorgezeigt 
und mehrere zweifelhafte berichtigt. Das Protokoll wurde in 
der Folge der Gesellschaft nach Regensburg zugeschickt, und 
von dieser in der nächsten Sitzung daselbst bestätigt. Dieses 
angenehme Zusammenleben gleiche Zwecke verfolgender Natur- 
forscher wurde zu mehreren botanischen Erörterungen in den 
Gewächshäusern sowie im Freien benützt, bis der Schnee den 
Excursionen ein Ziel setzte, und meine Gäste ihrer Heimat 
wieder zueilten. 

Ich war nun bedacht, für das erste Heft der Denkschriften 
einige Abhandlungen zu liefern: die erste, über den gegenwär- 
tigen Zustand der botanischen Wissenschaft und die Nothwen- 
digkeit, das Studium derselben zu erleichtern, vollendete ich den 
letzten December 1814, und schloss mit folgenden Worten 
(dl, p- 38): 

„Auf welchem Wege, wird man fragen, ist eine allgemeine 
Uebereinstimmung der Botaniker zu erzwecken? Ich antworte: 
auf dem nämlichen, auf welchem alle Gegenstände, über die kein 
Einzelner zu entscheiden das Recht hat, geschlichtet werden: durch 
einen Congress. Wir haben in öffentlichen Blättern gelesen, dass eben 
zu jener Zeit, wo die Mächtigen der Erde, die Befreier Deutsch- 
lands, die Befriediger Europa’s, sich in Wien versammelten, um 

den Nationen eine dauerhafte Ruhe zu sichern, die Astronomen 
in Italien sich vereinigten, um verschiedene Gegenstände dieser 
so wichtigen Wissenschaft zu berichtigen: warum sollte ein ähn- 
liches Unternehmen unter den Botanikern nicht möglich sein? 
Es ist vorauszusetzen, dass die Souveraine, die den ersten und 
grössten Zweck ihres grossmüthigen und einmüthigen Bestrebens 
so glorreich erreicht haben, nunmehr ihre ganze Aufmerksamkeit 
den Früchten des Friedens, den Künsten und Wissenschaften, 
der inneren Cultur, dem Ackerbau u. s. w. zuwenden, folglich 
‚auch ähnliche Unternehmungen unterstützen werden. Zum Orte 
der Versammlung müsste nothwendiger Weise ein solcher gewählt 
werden, wo grosse Botaniker , reichhaltige Gärten, zahlreiche 


102 


Bibliotheken und Herbarien vorhanden sind, z. B. Wien, Berlin, 
Göttingen, München ete. Die Zeit wäre der Monat September, 
wo die Botaniker, welche zugleich Vorsteher botanischer Gärten 
oder Professoren sind, leichter abkommen können.” 


1815. 


Bevor diese Abhandlung in Regensburg gedruckt erschien, 
war leider Bonaparte schon aus Elba entflohen, in Frankreich 
gelandet, bei Waterloo geschlagen, die Alliirten zum zweitenmal 
in Paris, Napoleon nach St. Helena verwiesen, und alle Menschen 
mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Meine Stimme verhallte 
im Sturme der bewegten Zeit: doch der Gedanke ging, wie keiner, 
der laut ausgesprochen worden, nicht verloren. Er wurde von 
Steudel im zweiten Hefte eben dieser Zeitschrift wieder auf- 
genommen und besprochen ‚ endlich von, Oken durch: die Isis 
verbreitet und in einer grossartigen Form, durch die Versamm- 
lungen deutscher Naturforscher, verwirklicht. 

Die hunderttägige Episode der Wiedererscheinung Bona- 
parte’s in Frankreich und ihre Folgen haben mehr Unglück über 
Europa herbeigeführt, als die früheren langen Kriege. Man war 
bei dem Congress, nachdem die Beute getheilt und für die Her- 
stellung des Gleichgewichts nach Möglichkeit gesorgt worden 
war, ernstlich beschäftigt, auch die treuen Völker zu belohnen, 
welche mit ihrem Gut und Blut zu dem Siege so wesentlich 
beigetragen hatten. Es wurde bereits über die Grundsätze der 
zu entwerfenden Constitutionen, der freien ‚Schifffahrt auf den 
Flüssen, Einigung der Mautsysteme u. dgl. unterhandelt; — als 
die Flucht von Bonaparte, alle Gedanken zu schnellem Wider- 
stande drängend, ein vorschnelles Abschliessen nur halberörterter 
wichtiger Fragen herbeiführte, und das Protokoll eilig von den 
abreisenden 'Gesandten unterfertigt wurde. Wie ich sowohl, als 
viele meines gleichen ; ‘die wahrlich weder Grund ‘noch Lust 
hatten, den Monarchieen zu nahe zu treten, über die damalige 


r 103 


Zeit urtheilten, finde ich in einem meiner Briefe vom 2 Januar 
verzeichnet: 

„Brezina ce 2 Janvier 1815. I n’y a pas de doute, qu’il 
existe un parti pour introduire des gouvernemens representatifs 
en Allemagne; c’est cette idee, qui a fait marcher la moitie des» 
armees l’annde 1813. Le gouvernement Anglais a &t& le premier 
ä la presenter dans le pays de Hannovre. Si les souverains et 
les ministres avaient le temps de reflechir sur le passe et lave- 
nir, ils saisiraient cette idee, qui deja est generalement repandue 
en Allemagne, et lui donneraient l’&tendue mesur6e (proportionn6e), 
qu’elle doit recevoir, pour devenir salutaire A l’&tat, et n’atten- 
draient pas, qu’elle leur füt octroyde par une reaction dangereuse, 
qui pourrait bien d@passer les bornes primitivement fixees dans 
les monarchies limitdes par des Etats, cet ancien ideal d’un gou- 
vernement solide, &galement satisfaisant pour les souverains comme 
pour les peuples. Comme ce sont les souverains, qui doivent 
prendre l’initiative de la nouvelle organisation, il ne leur sera 
pas difficile, de l’arranger de maniere, quelle devienne une sau- 
vegarde pour le tröne et une garantie pour les nations. Mais 
si ’on n’y met pas la main soi-möme, les faiseurs s’empareront 
de lidee devenue populaire, et il peut en resulter un tres grand 
mal. Malheureusement il parait, qu’on est encore & cent: lieues 
de s’entendre sur les bases mömes. On veut tout finir simulta- 
nement, et c’est la raison, pourquoi rien n’avance.* 

Dieses Jahr (1815), mit so grossen Hoffnungen begonnen 
und durch noch grössere Verwirrung getrübt, zeigte in seinem 
raschen Wechsel den auffallenden Typus der Antithesen des 
XIX Jahrhunderts. Bonaparte in sichere Gewahrsame der Eng- 
länder auf St. Helena und die Bourbone auf den unsicheren 
Thron von Frankreich gestellt, zogen die Heere mit grünen 
Reisern geschmückt, mit Kling und Klang nach Hause, und es 
war keine Rede mehr von Alle dem, was im vorigen Jahre so 
vielseitige Interessen erweckt hatte. 

Ich benützte die wieder eingetretene Ruhe, im Laufe des 


104 


Sommers, zu einer Reise in das Riesengebirge, zu dem: doppel- 
ten Zwecke der Botanik der Jetzt- wie der Vorwelt, mit wel- 
cher letzteren ich mich bereits ernstlich. beschäftigte. Ich war 
nicht wenig überrascht, auf einem Gebirge, welches die Schnee- 
linie noch lange nicht erreicht und. nur ‚wenige Alpenpflanzen 
beherbergt, die Saxifraga nivalis und den Rubus chamaemorus, 
Bewohner des äussersten Nordens, in der kleinen Schneegrube 
zu finden. Die Isothermenlinien der Temperaturen sind so vielen 
Inflexionen unterworfen, durch so mannigfaltige Nebenursachen 
bedingt, dass dadurch die unerwartetsten Erscheinungen  her- 
vorgerufen werden können. Das Steinkohlengebirge bei Schaz- 
lar bot mir mehrere Pflanzenabdrücke, welche in meinen Koh- 
lenwerken nicht vorkommen, und die. grotesken: Formen des 
verwitternden Greensands in der bekannten romantischen Ge- 
gend von Adersbach beschlossen diesen Ausflug. 


1816. 


Nur zu sehr ist der Mensch geneigt, zw glauben, was er 
wünscht. Die allgemeine Stille, einer Ruhe ähnlich, welche nach 
den Stürmen der letzten Jahre eingetreten war, gab selbst mir 
die Hoffnung, dass jetzt eine neue Aera begonnen habe, welche 
lange Dauer verbürge. Nach gewöhnlich verlebtem Winter im 
Schooss meiner Familie nahm ich mir vor, meine alten Freunde 
und Bekannten, welche ich: seit Jahren nicht mehr gesehen, der 
Reihe nach zu besuchen. Ich nahm meinen. Weg über Frank- 
furt nach Ziegenberg zu der Frau von Löw, bereits Witwe, sah 
die Familie Günderode, reiste dann mit Frau von Löw längs 
dem Ufer der Lahn zu dem Minister von Stein nach Nassau und 
in das nahe Ems, dann über. Heidelberg, Stuttgart nach Donz- 
dorf zum Grafen Rechberg, endlich über München nach Regens- 
burg, wo der ehemalige Fürst Primas privatisirte. Der König 
von Bayern, dem Aschaffenburg zugefallen war, und. der dort 
alles in grösster Ordnung vorgefunden, hatte den Fürst Primas 


105 


unterstützt, bis die Arreragen, welche er noch von den Rhein- 
zöllen zu fordern hatte, flüssig wurden und ihm seine Lage er- 
leichterten. Er trug sein Schicksal mit Gleichmuth, ohne sich 
eine Klage zu erlauben, noch auch von der Vergangenheit zu 
sprechen. Als er meine Ankunft vernahm, liess er mich mit 
mehreren Mitgliedern der botanischen Gesellschaft zu Tische 
bitten, und erklärte uns, dass er der Gesellschaft, welche durch 
die letzten Ereignisse ihren botanischen Garten verloren hatte, 
einen andern Raum zu einem Garten erkaufen wolle; was auch 
noch vor seinem Tode erfolgte. Die Erbauung des Glashauses, 
die Dotirung und Einrichtung des Gartens hat er nicht mehr 
erlebt. Er wohnte allen Sitzungen der Gesellschaft bei; die 
letzte, vier Tage vor seinem Tode (5 Febr. 1817) wurde, da er 
schon unwohl war, in seiner Wohnung gehalten. Das Glück 
hatte ihm den Rücken zugekehrt, das Schicksal hat ihn ver- 
nichtet, die Natur ist ihm, wie er ihr, treu geblieben. 

Freund Felix begleitete mich nach Brezina; ihm folgten 
bald Dr. Hoppe und Prof. Hornschuch, beide botanisirend von 
Triest zu Fusse nach Bfezina gelangt. Es wurden abermals 
viele seltene Pflanzen vorgelegt und bearbeitet, Materialien für 
die zweite Abtheilung der Denkschriften gesammelt. Die Ge- 
sellschaft wurde durch die Ankunft eines Sohnes meines ver- 
ewigten Freundes Grafen Breuner und Aloys Mayer’s, nunmeh- 
rigen Bergraths in Pfibram, vermehrt. Wir unternahmen noch 
eine Excursion nach Marienbad. Diese Quellen , seit Jahrhun- 
derten bekannt, aber in einer ziemlich rauhen Gegend gelegen, 
wo ausser einem Jägerhause kein Unterkommen zu finden war, 
blieben lange unbenützt; dem Prälaten Reitenberger und dem 
bekannten Dr. Reuss verdanken sie ihren gegenwärtigen Ruf. 
Als wir sie besuchten, war noch alles in der ersten Entwicklung 
begriffen. Wir kamen mit Steinen beladen zurück, und alle 
meine Gäste zerstreuten sich, ihrem Berufe folgend. 

Bergmeister Lindacker, sonst ein thätiger Theilnehmer an 
meinen Arbeiten, kränkelte schon lange an einer Luftröhren- 


106 


schwindsucht. Er besass eine von ihm selbst gesammelte Mi- 
neraliensammlung,, welche vieles Schätzenswerthe enthielt; da 
er aber die Gefahr seines Zustandes nicht ahnend, sich in kei- 
nem Falle lebend von seiner Sammlung getrennt hätte, so machte 
ich ihm den Vorschlag, sich pensioniren zu lassen, zu mir zu 
ziehen, seine Sammlung mit der meinigen zu vereinigen, und 
mir mit der Bedingung zu verkaufen, dass sie nach unserem 
Tode als „Sternberg-Lindacker’sche Sammlung” einem öffentlichen 
Institute in Böhmen gewidmet werden sollte; so lange er lebte, 
sollte er ihr Vorsteher bleiben. Diesem Vorschlag trat er bei, der 
Contract wurde ausgefertigt, der Kaufschilling bezahlt; doch ehe 
die Vereinigung bewerkstelligt werden konnte, war er schon, zu 
meinem grossen Leid, von uns geschieden. Die Sammlung war 
aber dem Vaterlande gerettet. 

Dieses Jahr (1816) war überhaupt verhängnissvoll. Die Ernte 
hatte durch die anhaltende Nässe und Kälte fehlgeschlagen, die 
Kartoffen waren ganz missrathen,, alle Vorräthe im Lande 
waren durch die Lieferungen im Jahre 1813 und die Truppen- 
märsche 1815 erschöpft, und gerade in diesem Jahre wurde 
das Steuerbudget bedeutend erhöht. Ich hatte schon frühzeitig 
die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Mangels vorhergesehen 
und meinem Wirthschaftsamt am 1 October den Auftrag ertheilt, 
in dem Erntebericht an das Kreisamt die Wahrscheinlich- 
keit einer Hungersnoth im Gebirge darzustellen. Die Herren 
Stände hielten über diesen Gegenstand einen Landtag und 
baten um einen Vorschuss zum Ankauf von Getreide: allein 
bevor in dem gewöhnlichen Zug der Geschäfte eine Antwort er- 
folgte, war im Gebirge bereits der Hunger ausgebrochen und 
das Land mit Schnee bedeckt. Se. Maj. der Kaiser stellte sich 
nun mit einer Summe von 200,000 Gulden in Conv. Münze an 
die Spitze eines Vereins, der in kurzer Zeit nahe an eine Mil- 
lion zusammenschoss und Getreide in Hamburg kaufte, welches 
freilich, bei schon hohem Schnee, theuer und mühsam herbei 
geschafft werden musste. Da man jedoch durch diesen Ankauf 


107 


die Sommersaat gedeckt hatte, so konnte einstweilen Gerste und 
Haber vermahlen werden, und die Vorräthe wurden durch Etap- 
pentransporte schnell in die am meisten bedrängten Gegenden ge- 
schafft. Der Genuss von Surrogaten führte wie immer im Früh- 
jahr Nervenfieber herbei. Durch eine reichliche Ansaat von 
Rübensamen in die Brache, welche bei günstiger Witterung 
schnell gedieh, verschaffte man sich noch eine gesunde Nahrung 
für die Erntezeit, so dass das bedenkliche Uebel zum grossen 
Theil gemindert wurde. Ich hatte frühzeitig mir mehrere Fässer 
Reis angeschafft; diese leichte und gesunde Nahrung schützte 
die Reconvalescenten vom Nervenfieber gegen Rückfall, der ge- 
wöhnlich tödtlich' ist. 


1817. 


+ Auf meiner Reise durch Deutschland im verflossenen Jahre 
hatte ich Gelegenheit zu bemerken, dass zwar die Völker, müde 
von den langen Kriegsbeschwerlichkeiten, sieh des Friedens er- 
freuten, aber doch nicht befriedigt waren, da von Alledem, was 
sie hofften und erwarteten,’ noch nichts in Erfüllung gegangen 
war, ob man'gleich in manchen kleineren Staaten sich mit der 
Idee einer Constitution beschäftigte. In Böhmen hatte eine ge- 
segnete Ernte den Cyklus trüber Jahre geschlossen, das Volk 
wieder ermuthigt. 

Biezina war zu einem gauz artigen Museum erwachsen, es 
wurde auch von manchem Reisenden besucht: es lag jedoch zu 
abseits, um an dieser Stelle gemeinnützig zu werden. Diese Be- 
trachtung führte die Idee der Errichtung eines National- Museums 
in mein Gedächtniss zurück. Meine Bibliothek und Naturalien- 
sammlungen waren hinreichend, um einen Kern zu bilden, um 
welchen sich, wie bei den Agaten und ägyptischen Kieseln die 
concentrischen Ringe herumbilden konnten. Der Oberstburggraf 
bemerkte aber mit Recht, dass nach der aussergewöhnlichen An- 
strengung des':vorigen Jahrs man noch ein Jahr mit dieser Idee 
zurückhalten müsse. Ich liess indess die Sternberg-Lindackersche 


108 


Sammlung durch meinen Secretär Dr. Zelenka, einen jungen 
Mineralogen, in neuen Kästen aufstellen. 

Für die Schriften der Gesellschaft der Wissenschaften in 
Prag, welche mich zu ihrem Ehrenmitgliede gewählt hatte, schrieb 
ich eine Abhandlung über die Pflanzenkunde in Böhmen, welche 
in dem sechsten Bande ihrer Schriften abgedruckt wurde. Zu 
gleicher Zeit bearbeitete ich auch die Commentare Matthiols 
über den Dioscorides, nach sieben verschiedenen Auflagen, auf 
die Benennungen des Linneischen Systems zurückgeführt, welche 
in Leipzig gedruckt wurden. 

Im Laufe des Sommers machte ich zwei Excursionen im 
Inneren des Landes: die erste in das Mittelgebirge, durch die 
Reihe der Klingstein-, Porphyr- und Basaltkuppen, welche der 
Umgebung von Teplitz einen so grossen Reiz verleihen; die 
zweite in die nördlichen Granite am Ufer der Moldau bei Worlik 
und in die merkwürdigen Ruinen von Klingenberg. 

Am Schlusse des Jahres kehrte ich nach Prag zurück, wo 
mich mein Vetter Graf Franz Sternberg in sein kleineres Haus 
aufnahm, in welchem ich bis zu seinem Tode (1830) wohnte, und 
im Schooss dieser würdigen Familie, als ein angehöriges Mitglied 
derselben, viele angenehme Stunden verlebte. 


1818. 


Die exspectatio casuum similium, dieser reinpraktische 
Hausverstand, den wir verachtend den Hunden und anderen 
Thieren zugestehen, bei dem ich jedoch in vielen Fällen viel ge- 
schwinder als in der transcendentalen Philosophie Rath und Hilfe 
gefunden habe, liess mir keine Ruhe, meine Sammlungen gegen 
mögliche Zerstreuung zu schützen und dem Vaterlande zu sichern. 
Der lang vertagte Plan, ein böhmisches Nationalmuseum zu er- 
richten, wurde wieder zur Sprache gebracht. Er konnte in einem 
Lande, wo die Industrie sich rasch entwickelte, nur vortheilbrin- 
gend sein, da das Studium der sogenannten bestimmten Wissen- 


109 


schaften (sciences exactes) die Grundlage industrieller Bildung 
ausmacht, diese aber in dem polytechnischen Institute ohne zahl- 
reiche Sammlungen und eine reich dotirte Bibliothek in allen 
Fächern der Naturwissenschaften nicht mit Erfolg gelehrt werden 
können. Nur ein Nationalmuseum, wo nebst zahlreichen Samm- 
lungen aller Art auch die Bücher zu finden sind, die, dem Geist 
der Zeit folgend, alles Neue, was in diesen Fächern in Europa 
erscheint, sowohl Professoren als Schülern alle mögliche Aus- 
hilfe darbieten, ist zu einem solchen Zweck geeignet. Der Oberst- 
burggraf, Graf Kolowrat, stimmte dieser Ansicht bei, und erliess 
am 15 April 1818 einen Aufruf „An die vaterländischen Freunde 
der Wissenschaften,“ in welchem der Plan kurz entwickelt und 
zu Beiträgen eingeladen wurde: 

„Die angenehme Ueberzeugung, dass in dem, von Sr. Maje- 
stät-dem Kaiser meiner Leitung huldreichst anvertrauten König- 
reiche Böhmen alles gemeinnützige Schöne und Grosse gedeihet, 
und der mir von einigen Freunden des Vaterlandes und der 
Wissenschaften mitgetheilte Plan zur Gründung eines vaterländi- 
schen Museums für Böhmen, sind die Veranlassung dieses Aufrufs.” 

„Die Geschichte aller Völker bezeichnet Epochen, in wel- 
chen die, durch lange Stürme aufgeregte, nach aussen wirkende 
Kraft der Nationen bei wieder eingetretener Ruhe auf sich selbst 
zurückgeführt, die in dem Sturm der Zeiten verwahrlosten Musen 
wieder versöhnt, und Künste und Wissenschaften zur hohen 
Blüthe emporgehoben hat.” 

„Unsere vaterländische Geschichte zeigt uns, was Kaiser 
Karl der Vierte, Stifter der Prager Universität, und ihr erster 
Kanzler der fromme und gelehrte Erzbischof Arnestus für die 
Wissenschaften im Vaterlande geleistet haben, welche hohe Stufe 
von Ausbildung nach den Stürmen des XV und halben XVI Jahr- 
hunderts unter der Regierung Rudolphs des Zweiten, an dessen 
Hofe sich die ausgezeichnetsten Gelehrten dieser Zeit aufhielten, 
Böhmen erreicht hatte, und wie für Künste und Wissenschaften 
das wahre goldene Zeitalter eingetreten war.” | 


110 


„Wem ist nicht im regen Andenken, wie nach geendetem 
Tjährigen Kriege unter der Regierung Marien Theresiens und 
Josephs des Zweiten ein erneuertes wissenschaftliches Streben 
seine Blüthen entfaltete, in welcher Epoche die Gesellschaft der 
Wissenschaften in Prag unter dem Oberstburggrafen Karl Egon 
Fürsten von Fürstenberg, und später die patriotisch-ökonomische 
Gesellschaft gestiftet wurde.” 


„Aber auch unter der jetzigen glorreichen Regierung Sr. 
Majestät des Kaisers Franz blieb das aufgeregte Streben der 
Nation selbst unter minder wohlthätigen Einflüssen der Zeit noch 
wirksam. Die böhmischen Stände begründeten ein polytechnisches 
Institut, das erste dieser Art in der österreichischen: Monarchie, 
welches dem Staate bereits nützliche wissenschaftliche Zöglinge 
gebildet hat; durch Privatvereine wurde eine Akademie bildender 
Künste geschaffen, die mit einer bedeutenden Galerie und den 
nöthigsten Modellen zur Bildung junger Künstler ausgestattet ist, 
und ein Conservatorium der Musik errichtet, dessen Zöglinge 
schon mehrmal die Zufriedenheit des Publicums eingeerntet 
haben; Institute, welche auch des Beifalls und der Anerkennung 
höchsten Orts gewürdigt wurden.” 


„Alle diese Anstalten waren in ihrem Kreise so wirksam, 
als es die Zeitumstände gestatteten: allein noch so manches bleibt 


zu wünschen übrig.” 


„Noch besteht keine vollständige allgemeine böhmische 
Literatur-Geschichte, keine vollständigen böhmischen Denkmäler 
(Monumenta, Bohemica), die doch zur Erläuterung der vaterlän- 
dischen Geschichte so wichtig wären, keine vollständige Natur- 
geschichte Böhmens weder im Ganzen, noch über einzelne Zweige 
des Naturreichs, kein geognostischer Gesammtüberblick dieses, 
für die Geognosie so äusserst wichtigen Landes.” j 

„Viele Materialien hiezu befinden sich in Böhmen verbrei- 


tet, aber zerstreut wie sie dermal sind, bleibt ihre Benützung 
äusserst schwer, beinahe unmöglich, und nur die Errichtung eines 


ill 


vaterländischen Museums. kann diese einzelnen Materialien ver- 
einen, und den Weg bahnen, jene Lücken auszufüllen.” 

„So lange alle Kräfte, nur auf eigene Erhaltung und Ret-. 
tung des Staates vor fremder Bedrückung beschränkt, nach aussen 
wirken mussten, war die Gründung einer solchen Anstalt un- 
möglich: nun aber, da eine bleibende Ruhe errungen, und Hoff- 
nung für. eine bessere Zukunft vorhanden ist, scheint es an der 
Zeit zu sein, ein Werk auszuführen, welches in den österrei- 
chischen Staaten bereits in Grätz unter dem Namen Johanneum, 
in Pest mit. der ‚Benennung: National-Museum, und in Brünn 
als mährisch-schlesisches Landes-Museum wirklich besteht, und. 
wozu in unserem Vaterlande schon beträchtliche Anerbietungen 
sowohl an ganzen Sammlungen, als einzelnen Beiträgen von meh- 
reren patriotisch denkenden Männern gemacht wurden.” 

„Da jedoch eine solche Anstalt auf einer sichern Grundlage 
beruhen, und ein Jeder, welcher hiezu mitwirken will, den Um- 
fang derselben kennen muss: so theile ich hier die Hauptskizze 
von dem mir vorgelegten Plane zur Begründung des vaterlän- 
dischen Museums für Böhmen mit.” 

„Das vaterländische Museum soll alle, in das Gebiet der 
National-Literatur und National-Production gehörigen Gegen- 
stände in sich begreifen, und die Uebersicht alles dessen ver- 
einen, was die Natur und der menschliche Fleiss im Vaterlande 
hervorgebracht haben.” 

„Insbesondere soll es bestehen: 

1. Aus einer vaterländischen Urkunden-Sammlung. 

2. Aus einer Sammlung von Abschriften oder Zeichnungen 
aller im Lande ‘befindlichen ‚Denkmäler, Grabsteine, In- 
schriften, Statuen, Basreliefs etc. 

3..Aus einer möglichst vollständigen Wappen-, Siegel- und 
Münzsammlung des Vaterlandes oder deren Abdrücken. 

4. Aus einer Sammlung von Landkarten und Plänen sowohl 
in geographisch-statistischer Hinsicht, als in Hinsicht des 

‚ältern Bergbaues in Böhmen. 


112 


5. Aus einem vollständigen Naturalien-Cabinet aller drei Na- 


turreiche mit besonderer Hinsicht auf das Vaterland, so 
dass nebst der allgemeinen Mineralien- und Petrifikaten- 
Sammlung eine besondere topographisch-geognostische Samm- 
lung der 16 Kreise Böhmens aufzustellen, und ausser dem 
allgemeinen Herbarium, auch ein besonderes der Flora Böh- 
mens, mit Beisetzung der böhmischen Benennungen zu sam- 
meln wäre, welches sich von den Vierfüssern, Vögeln, Fi- 
schen, Insecten etc, etc. ebenfalls versteht. 


. Aus einer Bibliothek, welche sich auf Bohemica im ausge- 


dehntesten Sinne, und auf die sogenannten bestimmten Wis- 
senschaften (Sciences ewactes) beschränkt. Zu den ersten 
gehören alle Bücher und Manuscripte, welche in böhmischer 
Sprache geschrieben, von einem Böhmen verfasst, oder in 
Böhmen aufgelegt sind, so wie jene, welche ihrem Inhalte 
nach über Böhmen handeln; zu den letztern alle jene, 
welche in das Gebiet der Mathematik und Physik einschla- 
gen, und zwar: nebst den Hauptwerken auch alle, auf diese 
Fächer Bezug nehmende Hilfsbücher und Zeitschriften des 
In- und Auslandes. Endlich 


. Aus einem Producten-Saal, in welchem alle vaterländischen 


Manufactur-Erzeugnisse, Kunstwerke und Erfindungen oder 
deren Modelle aufgenommen werden.” 
„Die Aufstellung aller dieser Sammlungen erheischt ein ge- 


räumiges Gebäude, dessen innere Einrichtung bedeutende Aus- 


lagen verursacht.” 


„Die Erhaltung des Ganzen macht die Anstellung eines, in 


der Folge auch mehrerer Aufseher (Custoden) und eines Dieners 


unbedingt nothwendig.” 


„Die Erweiterung der Sammlungen, und die Anschaffung der 


nöthigsten Hilfsbücher und fortlaufenden Zeitschriften erfordern 
nicht nur einen beträchtlichen Fond zur Gründung dieses Insti- 
tuts, sondern auch jährliche Zuflüsse zu dessen Erhaltung.” 


„Auch hiezu haben mehrere einzelne Vaterlands - Freunde 


113 


schon bedeutende Anträge gemacht, und es lässt sich mit Zuver- 
sicht erwarten, dass bei dem Patriotismus der Böhmen, welche 
durch thätige Mitwirkung für jedes gemeinnützige Unternehmen 
stets ihren hohen Sinn beurkundeten, eine Anstalt kräftig unter- 
stützt werden wird, deren vorzüglicher Zweck es ist, die wich- 
tigsten Kenntnisse für das praktische Leben zu erweitern, Ver- 
besserungen in allen Zweigen der Industrie hervor zu rufen, und 
die inneren Schätze des Vaterlandes zur zweckmässigern Ver- 
wendung zu leiten.” 

„Es erübrigt daher nur noch anzudeuten, auf welche Art 
ein jeder Einzelne zur Begründung und Erhaltung dieses Insti- 
tuts mitwirken kann.” 

„Entweder durch Entrichtung einer Geldsumme ein für alle- 
mal, oder durch Erklärung zu einer bestimmten jährlichen Gabe, 
endlich durch Beiträge der oben genannten Materialien, als: 
Bücher, Urkunden, Naturalien etc. ete. in Sammlungen oder 
einzeln.” 

„Alle, welche auf eine oder die andere Art zur Errichtung 
und Erhaltung dieses Instituts beitragen, werden als Stifter des 
vaterländischen Museums angesehen, und ihre Namen in das 
Errichtungsbuch zur Verewigung eingetragen.” 

Prag am 15 April 1818. 

Franz Graf von Kolowrat, 
Oberstburggraf. 

Zu gleicher Zeit wurde ein provisorischer Ausschuss ge- 
bildet, welcher unter Vorsitz des Oberstburggrafen die Geschäfte 
führen sollte, bis die Sr. Majestät vorzulegenden Statuten ihre 
Sanction erhalten haben würden, Die Mitglieder dieses Aus- 
schusses, Fürst Anton Isidor Lobkowitz, Graf Prokop Hartmann, 
Graf Franz Klebelsberg, Graf Franz Sternberg und ich, verwen- 
deten sich zugleich in einem Schreiben an die Mitglieder des 
Vereins vom Jahre 1816/17, um sie zur Theilnahme einzuladen. 
Es zeigte sich sehr bald eine echtpatriotische Mitwirkung in 
allen Ständen, so dass nur noch eine Schwierigkeit übrig blieb, 

8 


114 


nämlich ein schickliches ‘Local auszumitteln, und dieses ‘dem 
Zweck gemäss einzurichten. 

Mitten in einer ansehnlichen Steinkohlenformation woh- 
nend, wo ich Gelegenheit hatte Pflanzenabdrücke zu studiren und 
zu vergleichen, wurde ich immer mehr und mehr mit der Flora 
der Vorwelt bekannt. Markscheider Preissler und ein junger 
Zeichner, den ich in der Zeichenschule unterhielt, zeichneten die 
Abdrücke für das erste Heft, welches ich zu bearbeiten begann. 
Graf Bray, der mich in Bfezina mit seiner Familie besuchte, fand 
mich mitten unter meinen Steinen und Pflanzen, und erfreute 
sich meines thätigen Wirkens. 

Das Leberübel, welches mich seit langen Jahren zwingt, 
die Karlsbader Quellen öfter zu besuchen, nöthigte mich auch 
dieses Jahr dahin zu reisen. Man findet dort fast immer Natur- 
forscher, 'was zu Exeursionen in die nahen Bergwerke von Schlag- 
genwald und Joachimsthal oder zu den Basaltgebilden leitet, und 
dadurch wird die Bedeutungslosigkeit des gewöhnlichen Bade- 
lebens auf eine angenehme Weise unterbrochen. Um mir auch 
im Franzensbade eine gemüthliche Unterhaltung zu verschaffen, 
nahm ich einen Bergknappen mit mir, um mir von dem proble- 
matischen Kammerbühl und dem sogenannten Egran bei Haslach 
eine ansehnliche Suite für die Sammlungen zu verschaffen. Als 
Nachkur machte ich eine Reise nach Donzdorf zu meinem Freunde 
Grafen Rechberg, trieb mich eine Weile auf der schwäbischen 
Alp herum, um Petrefacten aus der Juraformation 'zu sammeln, 
und kehrte über München und Regensburg wieder zurück. 


1819. 


Im Monat Mai kam Erzherzog ‘Johann in militärischen Ge- 
schäften nach Pilsen. Ich besuchte ihn daselbst, als meinen stets 
snädigsten Gönner; er bezeigte seinen Beifall dem wissenschaft- 
lichen Wirken in Böhmen, und beschenkte mich mit einer in 
Steiermark neu entdeckten Pflanze. Bald nachher kam Oberst- 


115 


burggraf Kolowrat-Libsteinsky 'zu mir nach Brezina, die Natu- 
ralien und Bibliothek zu besehen, welche ich dem Museum be- 
stimmt hatte).Ich geleitete ihn zu der alten Burg Libstein am 
Ufer der Mies, dem Stammschloss dieses Zweiges der Kolo- 
wrat’schen Familie, und weiter über Pilsen, Marienbad, Fran- 
zensbrunn, Karlsbad, Elbogen und’ Schlaggenwald, auf welcher 
Reise wir manches Seltene für ‘das Museum erwarben. Dann 
wendete ich mich nach Ir)bach zu Graf Bray, und reiste mit 
ihm nach Regensburg zu einer botanischen Sitzung, bei welcher 
ich meine für das erste Heft der Flora der. Vorwelt vorbereite- 
ten Zeichnungen vorlegte und Ritter von Martius' seine Ansich- 
ten über Analoge der fossilen Pflanzen mittheilte. Mein ehe- 
maliger Garten in Regensburg 'war jetzt in den Händen der 
Fürstin Taxis, gebornen Herzogin von Meklenburg, wieder in 
Stand gesetzt, und, ausser der Hinwegnahme meines Wappens 
‚und der Inschrift, welche sich auf seine frühere Bestimmung 
bezog, ganz in der ursprünglichen Form erhalten; auch war 
die Vegetation, ungeachtet der im J. 1809 bestandenen Feuer- 
probe der Kanonen, ausgezeichnet üppig. 

Nach meiner Rückkehr nach Biezina hielt ich mich nur 
kurze Zeit'da auf, und reiste über Teplitz und Kulm nach Tet- 
schen, um die Bildung der Braunkohle zwischen den Basalten 
und die Verhältnisse des auf dem säulenförmigen Basalt eben- 
falls säulenförmig aufsitzenden Sandsteins am Kulmer Berg nächst 
Tetschen genauer zu erforschen. Nach wenigen Tagen Aufent- 
halt in dem herrlich am Ufer der Elbe auf einem Felsen thro- 
nenden Schloss, bei der gastfreundlichen Familie des Grafen 
Thun, unternahm ich eine Fussreise durch die sonderbar ge- 
stalteten Gruppen des Greensands auf der Herrschaft Kamnitz 
in die mit Basaltkuppen gekrönten Granitgebirge der Herrschaft 
Hainspach, und von dort durch die Lausitz zum Grafen Brühl 
nach Pfördten, Dresden, in die Kohlenwerke des plauischen 
Grundes, und über Freiberg und Dux wieder zurück. 

‘Die Herbstmonate bis December wurden nun zur Verar- 

8* 


116 


beitung des Zurückgebrachten verwendet; ein Tag jeder Woche 
blieb jedoch dem Jagdvergnügen vorbehalten, um den Körper 
in Uebung zu erhalten und den Reiz des geselligen Lebens zu 
geniessen, Die ökonomischen Geschäfte im Einzelnen überliess 
ich meinen Beamten: doch den Bestellungsplan und die Schaf- 
zucht hielt ich unter Controle; eben so überliess ich den Forst- 
 männern den Wald, den Holzausweis machte ich aber selbst und 
controlirte die Culturen. Den Bergbau und den Betrieb der 
Eisenmanufactur, wo durch einen Fehlgriff ein wesentlicher Nach- 
theil erfolgen kann, hielt ich unter beständiger Aufsicht, und 
liess nichts unternehmen, ohne wenigstens die Pläne  beurtheilt 
zu haben. Um aber auch meinen Beamten Gelegenheit zu ver- 
schaffen, sich auszubilden, legte ich den Grund zu einer Berg- 
amts- und Wirthschaftsamts-Bibliothek, welche jährlich vermehrt 
wurde und nicht ohne Nutzen blieb. 


> 


1820. 


Vom Monat Januar an lebte ich, bis die Eis- und Schnee- 
kruste abschmolz, in. der Stadt, wo das wissenschaftliche mit 


dem geselligen Leben im Hause meines Vetters Grafen Franz 


Sternberg von selbst ineinanderfloss. 

Im Frühling kam der kaiserliche Hof nach Böhmen, ad 
beide Majestäten reisten nach Pilsen, wohin ich eilte, um mei- 
nen botanischen Freund, Leibmedicus Host, auf kurze Zeit nach 
Brezina zu führen. Er musterte hier meine Pflanzen und die 
einbeimischen Weiden, und ich brachte ihn wieder zurück zu 
der weiteren Reisebegleitung. 

Im Monat Juli erschien das erste Heft meiner Flora a 
Vorwelt, gleichzeitig mit der ersten Bearbeitung desselben Ge- 
genstandes von Adolph Brongniart. Nichts von einander wissend 
bei diesem Beginnen, waren wir jeder mit einem verschiedenen 
System aufgetreten. Ich eilte, vielleicht über Gebühr ,  vorzüg- 
lich aus dem Grunde , ‚um: auf. diesen seit einem Jahrhundert 


Ka] 


117 


ganz vernachlässigt gebliebenen Zweig der Naturwissenschaft 
aufmerksam zu machen und ein fleissigeres Sammeln der Mate- 
rialien zu veranlassen, ohne welches es ganz vergeblich wäre, 
jemals etwas Genügendes zusammenzustellen. In dieser Hinsicht 
waren die beiden an und für sich noch höchst dürftigen Dar- 
stellungen doch nicht ohne Folgen; denn seit jener Zeit ist man 
in Europa wie in Nordamerika auf die Pflanzenabdrücke wirklich 
aufmerksam geworden, und wir haben gegründete Hoffnung, 
diesen äusserst schwierigen Zweig der Naturwissenschaft in geo- 
gnostischer und botanischer Hinsicht, so weit der Blick aus der 
Jetztwelt in die Vorwelt zu reichen vermag, aufgeklärt zu sehen. 

Unwillkührlich musste ich dieses Jahr meist auf dem Lande 
zubringen. Durch einen Sturz mit dem Pferde verursachte ich 
mir eine sehr schmerzliche Spaltung des Knöchels am rechten 
Fuss, die mich auf das Lager heftete. Ich lernte zwar sehr 
bald auf Krücken gehen, um mir ohne fremde Beihilfe das 
Nöthige zu holen: es währte aber doch beinahe drei Monate, 
ehe ich längere Zeit fertig gehen konnte, und es blieb mir eine 
Geschwulst zurück, die ich nicht sonderlich beachtete, die mir 
aber jetzt bei höherem Alter beschwerlich wird. 


1821. 


Um mir Erleichterung in der Bewegung zu verschaffen, 
reiste ich in das Teplitzer Bad, wo ich den vielseitig gebildeten 
alten Grossherzog von Weimar antraf, der sich meiner bemäch- 
tigte, mich nach Weimar einlud, um die Bekanntschaft mit Göthe 
zu vermitteln, welche durch Zufälligkeiten in Karlsbad mehre- 
mal verfehlt worden. Es wurden mit Dr. Stolz, der eine aus- 
erlesene mineralogische Sammlung besass und das Vorkommen 
der Mineralien im Leitmeritzer Kreise genau kannte, Excursio- 
nen in die Pyropformation u. dgl. unternommen, zu denen sich 
der Grossherzog gesellte. Die Kurzeit ging angenehm vorüber; 
und da die Bäder die Bewegung des Fusses erleichtert hatten, 


es hy ÖL 


118 


so machte ich sogleich ‚einen Versuch, reiste zu: Wasser: von 
Aussig, wo ich eine schöne Suite von Schabasiten erhielt, nach 
Tetschen, und von dort bald zu: Wasser ‚ bald zu Fuss, durch 
die bekannte sogenannte Schweiz nach Dresden. ‚Graf ‚Bray 
wohnte damals mit seiner Familie bei seinen ‚Schwiegereltern 
in Laubegast, nicht ferne von Pillnitz. ‚Wir ‚versuchten : einige 
Excursionen in die angenehmen Elbegegenden: aber das äusserst 
unfreundliche Wetter liess sie nicht ausführen , und: so «kehrte 
ich wieder zurück. | r 

Der seit ein paar: Jahren nicht vertilgte aber niedergehal- 
tene Geist der Unzufriedenheit der Völker erhielt jetzt, durch 
die von Don Pedro freiwillig ertheilten Constitutionen: in Por- 
tugal und Brasilien und durch: den‘ begonnenen Freiheitskampf 
der Griechen, an welchem damals, freilich nur mit Worten, die 
europäischen Völker mehr oder weniger Theil: nahmen, wieder 
neue Anregung. Nur ‘Wenige wussten damals noch’, was sie 
eigentlich wollten, aber Viele wollten nicht mehr, was: sie hatten. 
Ich hatte meine Ansicht «darüber schon in einem Brief vom 
27 Mai ausgesprochen: 

„Il y avait un moyen de preserver le’monde des &vene- 
ments, qui vont devenir son fleau et notre ruine. On a n£- 
glige une cure radicale et s’est borne A des palliatifs; la gan- 
grene a gagne& les extremites, et presentement l’auteur se trouve 
embarrasse, Si l’annde quinze on avait ajoute au prineipe de la 
legitimite des bases ‘solides et uniformes pour‘ des monarchies 
limitees pour toutes les nations, les deux: mondes seraient tran- 
quilles. Maintenant ce sont les revolutionnaires anarchiques, qui 
ont pris le dessus, qui presentent des constitutions qui nous 
feront passer encore üne fois par toutes les horreurs r&volution- 
naires, avant d’arriver & un terme:moyen de» concessions reci- 
proques, qui seules'peuvent mener & une nouvelle epoque.de 
tranquillite*, cr 

Das Interesse der Gegenwart verschlingt gewöhnlich jenes 
der Vergangenheit. Der Tod von Bonaparte auf ‘der Insel 


119 


St. Helena machte in diesem Augenblick in Deutschland keinen 
grösseren Eindruck, als vor Jahren jener der grossen Katharina 
in Russland, deren Namen, so lange sie regierte, ganz Europa er- 
füllt hatte. Mi 

Das Domcapitel von Regensburg. bestand bisher gleichsam 
in. Vergessenheit, bis durch das kön. bayrische Concordat mit 
Rom ein eigentlich, bayrisches Capitel an dessen Stelle gesetzt 
wurde; die Auflösung des alten wurde auf den 3, die Einführung 
des neuen auf den 4 November festgesetzt. Aus alter Verbind- 
lichkeit mit dieser Corporation wurde ich eingeladen, bei dieser 
letzten Trennung zu erscheinen. Ob ich nun gleich seit dem 
Jahre 1810 nicht mehr in Regensburg residirte, so hielt ich es 
doch für schicklich, da ich ‚alle Schicksale mit meinen Collegen 
getheilt hatte, mich auch diesem letzten nicht zu entziehen. 
‚Der: 3 November war seit jeher der Tag gewesen, wo man ein 
Requiem für alle gestorkenen Domherren zu halten pflegte; man 
hätte keinen angemesseneren wählen können, um auch den noch 
lebenden ein Requiescant in pace! zu verkünden. Nach dem 
Gottesdienst versammelte man sich in der Sacristei. Die betref- 
fende Stelle des päpstlichen Concordats und das königl. Reseript 
wurden vorgelesen: worauf der 75jährige Dompropst Graf Thurn 
und .der ' 80jährige Domdechant Wolf Abschiedsreden hielten. 

Da sonst Niemand von den Anwesenden das Wort nahm, so 
sprach ‘ich ‚einige Worte des Dankes an unsere ehemaligen Vor- 
steher; und. es trennte sich nicht ohne Rührung eine Corpora- 
tion, welche sich unter mannigfaltigen Ereignissen neun Jahr- 
hunderte hindurch erhalten hatte. 

Am. folgenden Tage reiste ich mit Grafen Bray nach Irl- 
bach, und kam nach ‘drei Tagen mit ihm wieder zurück nach 
‚Regensburg, um einer. botanischen Sitzung beizuwohnen, zu 
‘welcher ‚unser botanischer Senior Ritter von Schrank, Ritter von 
-Martius, Dr. Zuecarini' von München, Dr. Schultes aus Landshut, 
Apotheker Martius der Vater aus Erlangen und Oberbergrath 
Voith aus Amberg bereits angekommen waren. Ritter von Mar- 


120 


tius zeigte bei dieser Gelegenheit sein Prachtwerk über die bra- 
silianischen Palmen, Dr. Hoppe die gesammelten Alpenpflanzen, 
Dr. Schultes seinen Reisebericht durch Deutschland, ich die 
Abbildungen für das zweite Heft der Flora der Vorwelt etc. 
Nach der Sitzung versammelten sich alle Mitglieder bei dem 
Präsidenten Grafen Bray zu einem Gastmahl, wo der Champagner 
reichlich floss und die Gäste ermunterte. So rasch wechseln bei 
dem Menschen Veranlassungen zu Trauer und zu Frohsinn! 


1822. 


Schon lange sehnte ich mich, G@öthe’s persönliche Bekannt- 
schaft zu machen, den ich so oft in Karlsbad verfehlt, in Marien- 
bad um einige Stunden versäumt hatte. Er war in späterer 
Zeit von dem Parnass, wohin ich, der ich nie einen leidlichen 
Reim ersonnen, mich nie wagte, zu der prosaischen Naturge- 
schichte, die keine Dichtung dulden darf, herabgestiegen und 
hatte sich mir dadurch genähert; wir waren nur um 11 Jahre 
im Alter verschieden, hatten dieselben wichtigen Weltbegeben- 
heiten durchlebt und nicht unbeachtet gelassen, waren mit vielen 
ausgezeichneten Männern unserer Zeit in Verbindung gekommen: 
sämmtlich Berührungspunkte, welche Menschen schneller anein- 
ander schliessen, die, wenn auch nicht persönlich bekannt, ein- 
ander nicht mehr fremd waren. Marienbad bot hiezu die Gele- 
genheit, wo wir zusammen unter einem Dache wohnend, uns - 
sehr bald näherten. Die Steine der Umgegend, welche sein 
Zimmer erfüllten, waren die ersten Vermittler; bald aber wurden 
die wiehtigeren Momente unserer beiderseitigen Lebensfahrt 
durchgesprochen, die Gegenwart überblickt, und wir fühlten, dass 
wir uns näher angehörten. Wir speisten Mittags und Abends 
an demselben Tische, fuhren öfter zusammen spazieren, und 
blieben nach dem Nachtessen noch stundenlang auf seinem Zim- 
mer. Als Frau von Lewezow ihn über diese neue Bekanntschaft 
befragte, antwortete er: Wir haben beide den Donnersberg (Mi- 


121 


leschauer Berg bei Teplitz) bestiegen, ein jeder von einer andern 
Seite, auf verschiedenen Wegen, sind aber beide glücklich auf 
der Zinne angekommen. In den letzten Tagen kamen auch noch 
Ritter von Berzelius und Dr. Pohl hinzu, der unlängst aus Bra- 
silien zurückgekommen war. Göthe reiste voraus nach Eger, 
ich machte noch eine Excursion mit Berzelius und Pohl nach 
Königswart zu den dortigen Quellen, wir gaben uns aber em 
Rendez-vous auf dem Kammerbühl, wo wir auch am folgenden 
Tage zusammen trafen. Berzelius, welcher die vuleanischen Ge- 
bilde der Auvergne bereist hatte, war erstaunt über die Aehn- 
lichkeit des Kammerbühls mit jenen Gebirgen, und erklärte ihn 
für vuleanischen Ursprungs. Den andern Tag speisten wir zu- 
sammen bei Göthe im Gasthof zu Eger, wo Berzelius mehrere 
chemische Untersuchungen mit Erstaunen erregender Gewandt- 
heit vollführte. Ein Bund gegenseitiger Anhänglichkeit war ge- 
schlossen. 

Als die Abschiedsstunde schlug, reiste ich mit Dr. Pohl 
über Regensburg, wo sich Freund Felix zu uns gesellte, nach 
München. Der Zweck dieser Reise war, ein Einverständniss 
zwischen Dr. Pohl, Martius und Spix zu Stande zu bringen, da- 
mit die brasilianischen Naturseltenheiten nicht als Doubletten 
unter verschiedenen Namen erscheinend, die Wissenschaft noch 
mehr erschweren. Eine gemeinschaftliche Herausgabe wäre wohl 
noch wünschenswerther gewesen, aber diese war nicht zu er- 
zielen. Dr. Pohl reiste nun zurück nach Wien, das brasilianische 
Cabinet aufzustellen, und ich mit Felix in die Braunkohlen- 
werke von Hering in Tyrol, wo ausgezeichnete Abdrücke von 
Fächer-Palmen vorkommen. Furchtbare Gewitter, welche die 
Wege überschwemmten und Brücken wegrissen, zwangen mich 
umzukehren und mein ruhiges Bfezina aufzusuchen. 

Bald nach meiner Heimkunft besuchte mich mein Vetter 
Graf Franz Sternberg auf seiner Rückreise aus der Eifel, und 
brachte mir Versteinerungen und Laven aus der Eifel für meine 
Sammlung mit. Ein Lavastück wollte nicht in das Format passen, 


122 


ich suchte es zu verkleinern: die Laven sind aber gewöhnlich 
sehr zähe; ich wendete in der Ungeduld grössere Gewalt mit 
weniger Besonnenheit .an, verfehlte den Hieb, und zerschmetterte 
mir das obere Glied des Daumens an der linken. Hand. Mögen 
andere Mineralogen sich hieran ein Beispiel nehmen. Als. mich 
drei Wochen später Dr. Buckland aus Oxford, der mit Grafen 
Breuner auf den Continent gekommen: war, in Brezina besuchte, 
war ich bereits. wieder bei der Hand. Wir: machten mehrere 
kleine Exceursionen in die nahen Kohlenbergwerke; er brachte 
mir Zeichnungen : von Pflanzenabdrücken , und nahm von hier 
einen Molch mit, den er glücklich lebend nach Oxford brachte. 

Ich war bereits mit dem Verpacken meiner Bibliothek und 
meiner Sammlungen beschäftigt, um sie nach Prag zu versenden: 
denn die Statuten waren von Sr. Majestät dem Kaiser bestätigt. 
Und da das gesammelte Geld nicht hinreichte, um ein eigenes 
Haus für das Museum zu erkaufen: so miethete die Gesellschaft 
unaufkündlich das untere Geschoss eines ehemals Graf Stern- 
berg’schen Hauses auf dem Hradschin, welches der Privatgesell- 
schaft patriotischer Kunstfreunde eigenthümlich angehört, und 
liess es zu ihren Zwecken vorrichten. Als sich so nach und 
nach meine raumbeschränkten Zimmer lichteten und die geleerten 
Schränke mich angähnten, wurde mir unheimlich zu Muthe, als 
wäre ich bei gesundem Körper beerbt worden. Doch so ungern 
ich mich von diesen treuen Lebensgefährten trennte, die mir in 
den trübesten Augenblicken des Lebens Trost und Zerstreuung 
gewährt hatten, so reute mich mein wohl überdachter Vorsatz 
dennoch nicht, da er dem Vaterlande nützlich werden musste, 
— aber ich folgte den Kisten nach Prag. 

Hier, in einer allgemeinen Versammlung säinintlicher Mit- 
glieder des Museums im Gubernialgebäude am 23 December 1822, 
legten der provisorische Ausschuss sammt seinem Präsidenten 
ihre Stellen nieder, und wurden ein neuer Präsident in meiner 
Person und acht neue: Ausschussmitglieder gewählt, welche dann 
ıınter sich den Fürsten August‘ Longin Lobkowitz, Sohn des in 


123 


‚der Zwischenzeit‘ verstorbenen Fürsten Anton Isidor, zum Ge- 
schäftsleiter, und Grafen Franz ‚Sternberg zum: Kassier er-. 
‚nannten. Inder ersten »Ausschusssitzung übergab ich sodann 
‘eine: förmliche: ‘Donatio inter vivos meiner sämmtlichen natur- 
historischen 'Sammlungen‘und aus meiner Bibliothek sämmtliche 
Fächer der sogenannten bestimmten‘ Wissenschaften (sciences 
exactes) und: die‘ Bohemica. Ich ‚schmeichle mir, durch’ diese 
Entäusserung meinem Vaterlande einen Dienst geleistet zu haben, 
-dessen Erfolge ich ‘nicht erleben werde. Denn nur durch 'ein 
solches Institut war es möglich, die Bruchstücke unserer Ge- 
schichte zu sammeln und aufzubewahren, und ein neues Leben 
in-den‘ Naturwissenschaften zu erwecken. Möge die kraftvolle 
Jugend, die’nunemporstrebt, auch den Gedanken auffassen, dass 
der Werth und das Glück der Nationen auf der Grundlage ihrer 
Intelligenz und Moralität beruht! 


1823. 


Die Umsiedlung meiner Bücher und Sammlungen veränderte 
insoferne meine Lebensweise, dass ich nun länger in Prag ver- 
weilte, um die Gestaltung des Museums zu überwachen und über 
die Fortschritte desselben in den allgemeinen Jahresversamm- 
lungen Rechenschaft zu geben. 

Die Fortsetzung der Flora der Vorwelt nöthigte mich einige 
Jahre‘ nach einander grössere Reisen zu unternehmen, um jene 
Formationsverhältnisse genauer kennen zu lernen, in welchen die 
‚Floren verschiedener Vegetationsperioden auftreten. Ich begann 
in’ diesem Jahre mit’ der Steinkohlen- und der Salzformation und 
was eben auf dieser Bahn’ sich darbot, wie die Steinkohlenlager 
bei:Rosic in Mähren, die Kalkformation, in welcher sich die 
Slauper und Macocha-Höhlen auszeichnen, dann wieder die Kohle 
-bei Polnisch-Ostrau, die berühmte Salzformation von Bochnia und 
' Wieliczka, die Karpathen-Sandsteine mit Abdrücken von Fucoideen 
‚und die verschiedenen Kalksteine in der Umgegend von Krakau, 


124 


welche verwickelte Verhältnisse darbieten, über die sich die 
Geognosten damals noch nicht gleichmässig aussprachen. Von 
einer Bergkuppe bei Krakau, wo viele Menschen damals be- 
schäftigt waren Kosciuszko ein Monument zu errichten, konnte 
ich die hervorstossenden Kuppen des Jurakalksteins in der 
Umgegend gut übersehen, und da mehrere Steinbrüche er- 
öffnet waren, auch Petrefacten sammeln. Von da wendete: ich 
mich über Dziekowitz und Myslowic, wo schöne Marmorblöcke 
gebrochen werden, in die Zink- und Steinkohlenformation Ober- 
schlesiens, welche von Kalk begleitet wird und in dieser Hin- 
sicht von jener in Niederschlesien abweicht. Ich besah die 
Gruben und Manufacturen von Königshütten, Gleiwitz, Zabrzeg, 
Rybnik, die Bleibergwerke bei Tarnowic ete., welche ihre gegen- 
wärtige Vervollkommnung den Einsichten des Ministers Baron 
von Redern verdanken. In Bresslau besuchte ich Professor 
Rhode, welcher zwei Hefte mit Abbildungen fossiler Pflanzen 
herausgegeben hatte. Ich fand den guten Mann von der Gicht 
befallen, in seinem Lehnstuhl unbeweglich, dabei aber sehr leb- 
haft, und eben darum ganz in Verzweiflung, dass er nichts her- 
beiholen und vorzeigen konnte; ich musste ihm versprechen, am 
folgenden Tage wieder zu kommen. Da fand ich ihn dann an 
derselben Stelle, aber etwas beweglicher; auf Tischen und Stühlen 
waren die Abdrücke ausgelegt, worunter sich'ausgezeichnete und 
seltene befanden. Die lebhafte Einbildung hatte ihn jedoch ver- 
führt, Dinge zu sehen und abzubilden, welche gar nicht vor- 
handen waren, zumal Blumen auf den Kohlen und dem Todt- 
liegenden, welche er im zweiten Hefte abgebildet hatte, die er 
aber, als er sie mir vorzeigen wollte, selbst nicht mehr finden 
konnte; er vergass bei dieser Beschäftigung seine Leiden. Ich 
vermochte nicht, ihm seinen Trost zu rauben: als ich aber selbst 
von Waldenburg nach Neurode reiste, liess ich mich durch seinen 
Bruder, der dort Schichtmeister war, an: dieselben ‚Stellen be- 
gleiten, woher er seine Blumenstücke erhalten. Doch wir suchten 
vergebens, es liess sich im Todtliegenden nichts Aehnliches 


125 


finden, und die Blumen auf der Kohle, die wir fanden, waren 
nichts als Formen, durch Schwefelkies auf Kalk hervorgebracht, 
und gar keine Abdrücke. 

Diese Scene bei Professor Rhode erinnert mich an eine 
ähnliche, die ich in Karlsbad erlebte. Goethe hatte dem Stein- 
schneider Miller daselbst, mit welchem ich in früherer Zeit 
mehrere Exeursionen in die Umgegend gemacht, einen Katalog 
zu seiner Sammlung der Gesteine der Karlsbader Umgegend ge- 
schrieben, mit welchen Miller Handel trieb. Als er schon nahe 
an 80 Jahre gränzte, wurde er von einem Schlagfluss gelähmt 
und konnte das Bett nicht mehr verlassen. Ich besuchte ihn in 
diesem Zustande; er sass in seinem Bette, zwei Bretter mit 
Steinen lagen quer über dasselbe, auf dem Stuhl neben dem 
Bette Göthe’s gedruckter Katalog, kleine Zettelchen mit Ziffern 
und eine Schaale mit Pappe. Er hielt den Hammer und schlug 
wohlgemuth und getrost die Steine in das Format der Sammlung, 
und klebte die Zettelchen darauf, ohne sich weiter über seinen 
Zustand zu beklagen, als dass seine Tochter nicht alle Steine zu 
finden wusste, deren er bedurfte. Diese beiden Männer sind 
bald nachher, mitten in ihrer Lieblingsbeschäftigung und treu 
ihrem Berufe, heimgegangen. 

Ich verfolgte meinen Weg längs der schlesischen Kohlen- 
formation, welche sich mit ihren Porphyren und. dem Todtlie- 
genden über Nachod tief nach Böhmen herein erstreckt. Da ich 
aber noch gar nichts von einer Herausgabe der Brasilianer 
Naturalien vernommen hatte, so reiste ich über Chrudim nach 
Wien, erwartete die Zurückkunft des Kaisers Franz und übergab 
ihm ein Promemoria, um diese Herausgabe zu motiviren. 
Se. Majestät schienen zwar mit dem Vorschlag ganz einverstanden 
zu sein: da aber keine bestimmte Entscheidung erfolgte, so 
kehrte ich wieder:nach Böhmen zurück. 

Mein Freund Graf Franz Waldstein war zu meiner grossen 
Betrübniss in diesem Jahre gestorben: doch kamen nach seinem 
Wunsche die Plantae rariores Hungariae, welche er herausgegeben 


126 


und wir so’ oft zusammen durchgesehen hatten } als’ein'elassisches 
Herbarium in ‘das Museum. -— Moriar,' sed non omnis. — 1“ 
1824. Fe 

Im Monat April dieses ‘Jahres. kam‘ der‘Hof‘ nach Prag. 
Wie gewöhnlich, besahen' die höchsten Herrschaften alle Insti- 
tute, Ihre Maj.' die Kaiserin auch das 'böhmische ‘Museum. Eine 
besondere Aufmerksamkeit widmete: sie der ‘Sammlung fossiler 
Pflanzen, welche mit den Abbildungen in meiner Flora der Vor- 
welt genau verglichen wurden. Bald nach dem Johannisfeste 
verliess der allerhöchste Hof wieder Böhmen, und'S. Maj. ai 
Kaiser ertheilte mir die Geheimen-Rathswürde. | 
Die Bekanntschaft mit Göthe, der von’ ihm und dem’ Gt 
herzog geäusserte Wunsch, nach Weimar zu kommen, bestimmten 
mich meine zweite naturhistorische Reise mit Weimar: zu‘'be- 
ginnen. Ich nahm den Weg’ über: Jena, wo ich’ vam ‘den Pro- 
fessoren sehr freundlich aufgenommen wurde. Der Grossherzog 
lebte in Eisenach, die Grossherzogin war auf einem Sommerauf- 
enthalt, ich meldete mich daher gleich bei’ meiner Ankunft’ bei 
Göthe. Seine Wohnung war im Inneren gleich: italienischen 
Villen‘ ausgestattet, vom Fuss der Treppe‘ herauf mit Gegen- 
ständen der Kunst geziert, die Zimmer mit Zeichnungen und: Ge- 
mälden; nach dem Geschmack der erwarteten Gäste wurde auch 
Ein oder das Andere hinzugefügt, für mich z.B. "waren: meteo- 
rologische Tabellen, die neuesten geognostischen Karten ete. vor- 
bereitet. Ueberhaupt fand man’ bei diesem 'so vielseitig gebil- 
deten allgemein: verehrten Veteran: stets. das‘ Neueste und 
Wichtigste aus allen Fächern der Literatur, was in Europa er- 
schien, gleichwie' Sammlungen aller Art aus dem ‚Gebiete der 
Naturwissenschaften , so wie der Künste und des: Alterthums: 
das Bedeutendste aber war der Besitzer selbst. Ich: lernte in 
diesem Hause bei Tische oder in der Abendgesellschaft die in- 
teressantesten Männer und Frauen Weimars kennen. Die Gärten 


127 


des Grossherzogs bei dem Lustschlosse Belvedere gehörten unter 
die pflanzenreichsten in Deutschland, einzelne Pflanzen-Exemplare 
von Casuarinen, Araucaria etc. von besonderer Grösse. Die 
Frau Erbgrossherzogin, welche meine Familie von Prag aus 
kannte, wo sie im J. 1813 einige Zeit mit ihrer Schwester sich 
aufgehalten hatte, behandelte mich besonders als einen Freund 
von Göthe mit zuvorkommender Freundlichkeit. Der Grossher- 
zogin Mutter aufzuwarten hielt ich für Pflicht; ich besuchte sie 
auf ihrem Lustschloss an der Saale zu Dornberg, und wurde auf 
das Leutseligste aufgenommen. Im Vorbeigehen machte ich 
noch einen Besuch bei der Familie Ziegeser in Drakenburg und 
kehrte wieder nach Weimar zurück, um noch die letzten Tage 
bei dem verehrten Freunde zuzubringen. 

Ich eilte nun über Erfurt, wo ich den Botaniker Bernhardi 
in seinem reich ausgestatteten botanischen Garten aufsuchte, 
nach Gotha, die ausgezeichnete Petrefactensammlung des Präsi- 
denten von Schlotheim genau durchzusehen; er war der Erste 
in der neueren Zeit, der die Naturforscher auf die Pflanzenab- 
drücke aufmerksam machte. Zwei Tage brachte ich in der reich- 
haltigen Sammlung zu, welche einen grösseren Raum verdiente, 
auch hier hatte ich Gelegenheit, sämmtliche Naturforscher kennen 
zu lernen. Da mein Reiseplan ziemlich ausgedehnt war, und ich 
fast überall alte Bekannte hatte, die ich nicht umgehen konnte, 
so musste ich eilen. Ich nahm meinen Weg über Völkershausen, 
wo B. von Stein wohnte, dessen Gemählin ich als Kind gekannt 
hatte; mit ihm machte ich eine Exeursion auf das Rhöngebirge. 
Die Hochebene besteht aus einem schwankenden Moorgrund, auf 
Basalten ruhend und von Basaltkuppen umgeben; die wenigen 
nassen Ränder bestehen aus Wiesen, welche an die Bewohner 
der Thäler verpachtet sind, und nach alter Sitte zu gleicher 
Zeit gemäht werden. Wir trafen gerade in diese heitere Zeit. 
Schon von Weitem, wie auf den Alpen, wurden wir mit Jauchzen 
empfangen’; die Männer mähten das Gras, die Jungen zerwarfen 
die Schwaden, die Mädchen bildeten Scheiben, grössere sammel- 


128 


ten sie in Schober; Frauen und Kinder sassen um die angezün- 
deten Feuer und bereiteten das Mittagsmahl; allenthalben in 
diesem rührigen Treiben herrschte Munterkeit und Frohsinn, und 
der herrlichste Sonnenschein belebte das freundlich ländliche 
Gemälde. Ich sammelte einige Moorpflanzen, und wir zogen 
herab in ein enges Thal, wo unlängst ein Bergsturz ein Braun- 
kohlenlager entblösst hatte. Die Lage war in etwas unheimlich. 
Der Basalttuff war über den plastischen Thon herabgerutscht, 
und hatte das enge Thal beinahe ausgefüllt, so dass kein anderer 
Raum übrig blieb, als derjenige, den sich der Waldbach neuer- 
lich durch den Schutt gebahnt hatte. In der Höhe standen aber 
noch Basaltsäulen, von denen schon mehrere herabgerollt waren. 
Ich begnügte mich mit wenigen Exemplaren der Kohle. und 
suchte das Weite, bevor eine solche Säule in Bewegung gerieth, 
der man nicht leicht hätte ausweichen können. Nach einem 
kurzen Aufenthalt bei meinen Freunden begleitete mich B. von 
Stein in das Bad Lieberstein, wo der Herzog von Meiningen an- 
wesend war, und mich in die auserlesene Grotte führte, welche 
durch Zufall entdeckt und in welcher vorweltliche Knochen ge- 
funden worden waren. Sie ist nun bequem zugänglich, zu grossem 
Genuss der Badegäste; auch sind alle Anlagen in reinem Ge- 
schmack der englischen Gartenkunst gestaltet. 

Nun zog ich über Wilhelmsthal nach Eisenach, wo ich den 
Grossherzog von Weimar noch zu treffen hoffte: er aber war 
zu dem Fürsten Metternich nach dem Johannisberg abgereist. 
Ich beschränkte mich daher auf die Untersuchung der blauen 
Kuppe, wo man unlängst bei dem Chaussdebau Basaltgänge im 
bunten Sandstein entdeckt hatte. Zwei solche Gänge streichen 
wagerecht;; der dritte erhebt sich gerad aufwärts, wie ein Schorn- 
stein; er war nun ‚ganz entblösst, hatte aber die ganze Höhe 
der Kuppe nicht erreicht, noch auch, wie man mir sagte, die 
wagerechte Lage des Sandsteins über derselben gestört; auch 
war der Sandstein nächst den Basaltgängen nicht merklich ge- 
ändert. 


129 


‘Von da wendete ich mich zu dem Meissner, der wegen 
seiner herrlichen Aussicht und des Vorkommens der Braunkohle 
zwischen den Basalten sehenswürdig ist. Um den Sonnenunter- 
gang eines heitern Sommertages nicht zu versäumen, ersuchte 
ich im Gasthofe mir einen Wegweiser zu der höchsten Kuppe 
zu verschaffen. Ein munterer Knabe, Enkel des Gastwirths, bot 
sich'an und nannte mich bei meinem Namen. Ueberrascht, hier 
einen Bekannten zu treffen, erfuhr ich, dass der Vater des 
Knaben mehrere Jahre als Steiger bei meinem Nachbar Grafen 
Wurmbrand gedient hatte und alle Sonntage in die Kirche nach 
Radnitz gekommen war, wo er mich oft gesehen. Wir wallten 
nun freundlich zusammen zu der Kuppe, wo wir noch zu rechter 
Zeit anlangten, um das herrliche Panorama, das man von hier 
überblickt, in der schönsten Beleuchtung zu sehen. Bei meiner 
Rückkehr meldete ich mich noch bei den Bergamtsvorstehern, 
wo ich die freundlichste Förderung meiner Zwecke gefunden 
hatte. Das Gebirge besteht aus buntem Sandstein; über dem- 
selben, an der Sohle der Kohle, ein weisser etwas veränderter 
Sandstein in losen Blöcken, gleich jenen in der Gegend von 
Karlsbad und jenseits Elbogen. Die Braunkohle ist bald erdig, 
bald fester; nur da, wo sie mit den Basalten in nähere Berüh- 
rung tritt, ist dieselbe in eine Art Stangenkohle umgeändert, 
der englischen Cannelkohle sehr ähnlich; Basaltkuppen und 
ziemlich verwitterte Diorite steigen an der Rückseite’ des Berges 
hervor. 

Göttingen, welches ich von der Kuppe so deutlich erblickt 
hatte, zog mich nun vorzüglich an; ich erreichte es in wenigen 
Stunden. Es war natürlich, ‘dass ich vor Allen dem würdigen 
Veteran der Naturgeschichte, Blumenbach, meine Huldigung er- 
wies. Seine Sammlungen wie seine Worte waren gleich lehr- 
reich: was mich aber am meisten freute, war, dass er mich in 
seinen abendlichen Familienzirkel aufnahm, in welchen auch seine 
ausgezeichneteren Schüler den Zutritt genossen; eine hier allge- 
meine, das Studium sehr fördernde Sitte. P. Hofmann öffnete 

9 


150 


mir sein reichhaltiges grösstentheils selbst gesammeltes Minera- 
lienkabinet ; allenthalben erfuhr ich die IE ee 
meiner: Belehrung; 

Den Kohlenformationen folgend, befahr ich iäie Kohlenlager 
von Almende, wo ebenfalls: Basaltgänge durch: die Kohle durch- 
brechen und einige, Veränderungen ;hervorbringen , ‘besah. den 
Tagabbau der Braunkohle an der Ringkehle und sammelte Bruch- 
stücke der dort versteinerten: Baumstämme. In Kassel nahm 
sich meiner der damalige Bergeleve Schwarzenberg an; er ge- 
leitete mich freundschaftlich durch das Ahnenthal, um: mir die 
Basaltgänge in dem Kalkgebirge nachzuweisen, ‚eine damals noch 
weniger gekannte Erscheinung, welche: ‚die vulcanische Theorie 
von dem Hervortreten aus dem Schiefer bestätigte ‚ auf' welcher 
nun die viel höher ausgebildete Theorie der Erhebung’ der: Ge- 
birge durch die ungeschichteten Urgebirgsmassen sich: festgestellt 
hat. Die Braunkohle am Habichtswald hat wenig Auszeichnen- 
des; doch bieten sich auf dem Wege bis auf die Wilhelmshöhe 
beobachtungswürdige Erscheinungen und viele Versteinerungen 
dar. ‚Das alte Ritterschloss, von dem verstorbenen Kurfürsten 
erbaut, ahmt die Bauart‘ des XVI Jahrhunderts ziemlich. getreu 
nach, und enthält im Innern auch Manches. aus irüheneu Jahr- 
hunderten. A 

Um nach so viel Anstrengung mir einige Ruhe zu gönnen, 
reiste ich nun über Marburg, Giessen und Butzbach nach Staaden 
zu Frau von Löw, wo ich einige Tage ausruhte. ‘Der zweite 
Theil’meiner Reise ging über Montabaur, Koblenz, Ehrenbreit- 
stein, nach Köln und: Bonn, Hier wurde ich von dem Präsidenten 
der Karolinisch-Leopoldinischen Gesellschaft, Nees von Esenbeck, 
mit dem ich schon früher in Briefwechsel gestanden, gar: freund- 
lich aufgenommen. In dieser neu aufkeimenden Universität war 
alles in geistiger Aufregung.lebendig und thätig, die Sammlungen 
über Erwarten reich und ‚geordnet. Durch die, Bekanntschaft 
mit Grafen Beust und Bergrath Nöggerath erhielt ich'allen er- 
wünschten Vorschub zu meiner weiteren ‚Reise in: die Kohlenge- 


131 


‚birge um Saarbrück; einstweilen machte ich Exeursionen nach 
'Esehweiler, Aachen und der Umgegend. ' Nach Köln zurückge- 
kehrt, widmete ich der alten: Stadt, dem ehrwürdigen Dom und 
allem Sehenswerthen in der Nähe einige Tage, und machte einen 
Absprung nach Neuwied, um die Sammlung zu sehen, welche 
der Fürst von seiner Reise aus Brasilien mitgebracht hatte; sie 
ist vorzüglich im ornithologischen Fache sehr interessant. Die 
-Mühlsteinbrüche in den trachitischen Gebilden um Andernach 
und Niedermennich, und der durch Leopold von Buch berühmt 
gewordene Laacher See mit seiner Umgebung, fesselten meine 
- Aufmerksamkeit und verschafften mir schöne Exemplare Hauyne; 
‘und da mich der Weg nach Trier nahe an der Eifel vorüber- 
_ führte, so konnte’ ich mir eine kleine Abweichung nicht versagen, 
-auch ein paar Maare (mit Wasser ausgefüllte runde oder ellip- 
tische Vertiefungen, die für Krater gehalten werden) zu besuchen. 
In Trier fand ich bei H. Steininger freundliche Aufnahme; 
er geleitete'mich zu den meisten Ausgrabungen römischer Bau- 
ten, worunter ein zwar nicht grosses aber sehenswürdiges 
Amphitheater. Seine Sammlung bot vieles Merkwürdige der 
Umgegend dar. Nun verliess ich die Mosel, um der Saar ent- 
gegen zu reisen. Die Gegend um Saarburg ist reizend; die 
grosse Steinkohlenablagerung, die ich eigentlich suchte, findet 
sich aber erst in der Nähe von Saarbrück. Ich. meldete mich 
‚bei dem Bergamt und wurde sehr angenehm überrascht, bei 
diesem eine ausgezeichnete Sammlung von 'Pflanzenabdrücken 
der Umgegend zu finden. Der erste Vorsteher des Bergamts 
von Sello veranstaltete sogleich eine Bergreise nach Welleswei- 
‘ler, um mir die beiden aufrecht stehenden Siryngodendron zu 
zeigen, welche Nöggerath beschrieben. Seit jener Zeit sind in 
den Kohlenwerken von Bu$töhrad in Böhmen ebenfalls zwei 
ähnliche aufrechte Stämme entdeckt worden, von denen der eine 
‚höher 'und ‘von grösserem Durchmesser ist als jene. Ich be- 
suchte mehrere‘ Baue dieser ausgedehnten Ablagerung, aus wel- 
cher jährlich an zwei Millionen Centner Kohle auf der Saar in 
9 


132 


die Mosel verschifft werden. Besonders reich an ausgezeich- 
neten Pflanzenabdrücken sind aber die kön. bayrischen Gruben 
von St. Imbert, von denen Nau mehrere beschrieben hat. In einer 
Privatsammlung bei H. Stum fanden sich: ebenfalls mehrere noch 
nicht bekannt gewordene Abdrücke; überhaupt liesse sich aus 
jener Gegend noch eine reichliche Nachlese erwarten. 

Der wissenschaftliche Zweck meiner Reise war nun er- 
reicht; die gesammelten Gegenstände wurden verpackt und ab- 
geschickt. Dankbar für die liberale Unterstützung meiner Zwecke, 
reiste ich ohne ferneren Aufenthalt zu Grafen Bray nach Irl- 
bach, und mit ihm nach Regensburg zu einer botanischen Sitzung, 
welche am 20 September abgehalten wurde. Ich las in dersel- 
ben einen Aufsatz über die Verschiedenheit der Pflanzenabdrücke 
in aufeinander folgenden Formationen, welche mehrere Vegeta- 
tionsperioden darstellen; er wurde in der Flora Nr. 44 (28 Nov. 
1824) abgedruckt. Am 24 Sept. war ich in ‚Brfezina zurück, 
emsig beschäftigt die gesammelten Erfahrungen für».das vierte 
Heft meiner Flora der Vorwelt zu benützen. Der Winter blieb, 
wie immer, den gewöhnlichen Beschäftigungen gewidmet: 


1825. 


Die Sammlungen des Museums erweiterten sich zusehends, 
besonders jene der fossilen Pflanzen. Sie wurden zugleich rück- 
wirkend, indem sie zu neuen Entdeckungen Veranlassung gaben, 
welche in den’ Verhandlungen des Museums angezeigt ‚wurden. 
Die böhmische Gesellschaft der Wissenschaften verlor ihren Prä- 
sidenten, Minister Grafen Chotek; an seine Stelle‘; wurde ‚der 
Oberstburggraf Graf Kolowrat gewählt, und seine Einführung in 
einer Öffentlichen feierlichen. Sitzung (am 14 Mai) gab den an- 
wesenden Mitgliedern Gelegenheit, kleine Vorträge abzulesen. 
Der meinige, über einige Eigenthümlichkeiten ‚der Flora Böh- 
mens und die klimatische Verbreitung der Pflanzen der Vorwelt 
und Jetztwelt, wurde gleich den übrigen im ersten Bande einer 


133 


neuen Folge der Gesellschaftsschriften, und später mit einigen 
Vermehrungen in Run auf Pflanzengeographie in der Flora 
abgedruckt. yo) 

Im Monat Juni reiste ich nach Gratz in Geschäften und 
verband damit eine naturhistorische Reise in das mir noch un- 
bekannte Littorale. Der Weg über Idria in die bekannten 
Adelsberger Höhlen, das Vaterland des Proteus anguineus, über 
den rauhen Karst in den anmuthigen Hafen von Triest, gewährte 
manche interessante Ausbeute. In Triest beschäftigte mich 
hauptsächlich die Botanik, zumal der Algen, deren Kenntniss für 
die Botanik der Vorwelt unerlässlich ist, da eine lange Periode 
von den Juraschiefern aufwärts, bis zu dem Greensand in Deutsch- 
land, Italien und England, sehr viele Abdrücke von Fucoideen 
darbietet. Von Triest nahm ich einen selten betretenen Weg 
über Görz an dem Ufer des Isonzo herauf, und über den Predil 
in die Bergwerke von Raibel und Bleiberg, wo Leopold von 
Buch unlängst auf das Vorkommen der Dolomiten aufmerksam 
gemacht hatte; dadurch wurden viele Naturforscher in jene Ge- 
gend angezogen, die noch jetzt in den geognostischen Verhand- 
lungen in London und Paris darüber Vorträge halten. Ueber 
Klagenfurt wandte ich mich nach Wien, um die Herausgabe der 
Brasilianer Naturalien in Erinnerung zu bringen , worüber am 
30 November die allerhöchste genehmigende Entschliessung er- 
folgte. | 

In der Zwischenzeit hatte meine Cousine, Gräfin Franeisca 
Sternberg (geb. Gräfin von Schönborn , Gemahlin des Grafen 
Franz Sternberg), die ich bei meiner Zurückkunft von Wien 
noch lebend fand, ihre Leidenstage geendet (20 Oct.). Es war 
eine hochgebildete Frau, liebende Mutter und Gattin, biedere 
Freundin. Ich verblieb bei der trauernden Familie. 


1826. 
‘Mehr als ich ‘wünschte, wurde ich in Geschäfte verwickelt, 
welche mich in der Stadt zurückhielten, oder in die Ferne trie- 


134 


ben, so dass ich in der besseren Jahreszeit nur in kurzen. Zwi- 
schenräumen das Landleben geniessen konnte. Nach dem Tode 
des Grafen Malabaila Canal, welcher bis zu seinem 84 Lebens- 
jahr die Stelle eines Präsidenten der ökonomischen: Gesellschaft 
im Königreiche Böhmen mit gleichem Eifer. bekleidet ‚hatte, 
wurde ich zum Präsidenten dieser Gesellschaft gewählt, und 
liess es mir angelegen sein, durch Herbeiziehung ‚neuer und 
thätiger Mitglieder ihren Wirkungskreis auszudehnen. 

Der Ausschuss des Museums beschloss, an: der. Stelle: der 
Verhandlungen, eine Monatschrift der Gesellschaft des Museums 
herauszugeben, und stellte zu diesem Zweck den. durch. seine 
geschichtlichen Arbeiten rühmlich ‘bekannten H. ‚Palacky als 
deren Redacteur auf; ich nahm auch daran Antheil, und lieferte 
für das erste Heft einen Aufsatz über die Einführung der Kar- 
toffel nach Europa. 

Die Herausgabe der Brasilianer Naturalien erforderte meine 
Anwesenheit in Wien, um mich mit Dr. Pohl, .Custos,am  Brasi+ 
lianer Museum, ins Einverständniss zu setzen und alles einzu- 
leiten, was zu der Herausgabe der neuen oder seltenen Pflanzen 
Brasiliens nöthig war. Kaum war ich zurückgekehrt , so kam 
der Grossherzog von Weimar nach Prag und lud mich: wieder 
nach Weimar: dies war aber in diesem Jahre nicht auszuführen, 
da ich meines Leberübels wegen schlechterdings nach. Karlsbad 
reisen musste und später einen andern Plan vorhatte. 

Es waren nämlich seit: mehreren Jahren in Leipzig, Frank- 
{urt am Main und Würzburg Versammlungen: deutscher Natur- 
forscher abgehalten und deren: Verhandlungen in.der: Zeitschrift 
Isis (von Oken) abgedruckt worden. Die Nützlichkeit dieses 
Instituts zu schneller ‚Verbreitung: neuer ' Entdeckungen und 
Beobachtungen, zur Vermittlung ‘persönlicher Bekanntschaften 
unter den Aerzten und Naturforschern und zur Beseitigung un- 
freundlicher Reibungen bei Verschiedenheit der Ansichten war 
einleuchtend; es liess. sich ‘erwarten, wenn ‚die Regierungen, 
welche sich bis dahin nur. tolerirend gezeigt "hatten, wirklich 


135 


schützend und fördernd eintreten wollten, dass diese Vereini- 
gungen in sehr vielen Beziehungen dem Studium der Naturge- 
schichte in hohem Grade förderlich werden mussten. Dies zu 
vermitteln, schien mir ein zeitgemässes Unternehmen: doch be- 
vor ich mich darüber aussprach, hielt ich es für zweckmässig, 
einer solchen Versammlung selbst beizuwohnen; wozu sich die 
schicklichste Gelegenheit ‘darbot, indem in diesem Jahre die 
Versammlung in dem nahen Dresden Statt fand. Am 17 Sep- 
tember traf ich dort ein: in der ersten Sitzung begegnete ich 
sogleich vielen’ Bekannten, durch deren freundliches Benehmen 
ich sehr bald viele neue mir sehr werthe Bekanntschaften machte. 
Es wurden mehrere Vorträge von entschiedenem Werth gehal- 
ten; die beiden Prinzen Friedrich und Johann besuchten die 
Sitzungen, die Regierung nahm Antheil an diesem geistigen 
Wirken, es wurde der Gesellschaft ein ländliches Fest, mit einer 
Schiffahrt auf der Elbe in einem Badeorte gegeben, welchem der 
würdige Minister Graf Nostiz vorstand. Alle Anwesenden fühl- 
ten sich begeistert, es sprach sich ein Gemeingeist in den rein- 
sten Absichten für das Naturstudium aus, der mich hoch erfreute. 
Der erste Schritt zur Erfüllung meiner geheimen Wünsche war 
gethan: doch schien es mir nothwendig, um ganz Deutschland 
zu vereinen, dass auch Berlin und Wien zu dem Verein herbei- 
geführt werden müssten. Ich beschränkte mich jedoch vorerst, 
was ich in Dresden beobachtet, nach Wien mitzutheilen, und 
schloss das Jahr in Bfezina, wo ich heuer nur sehr kurze Zeit 
zugebracht hatte. h 


1827. 


Es hatte sich in Prag eine Actiengesellschaft gebildet, um 
eine Eisenbahn von Prag nach Pilsen zu erbauen. Der Zweck 
war gewiss sehr gut: denn es vereinigen sich in Pilsen mehrere 
Hauptstrassen aus Deutschland, die dortigen Märkte geben an- 
sehnliche Frachten,, welche ‘bei wohlfeileren Frachtkosten sich 
noch bedeutend mehren’ würden, längs der Bahn befinden sich 


136 


viele Steinkohlen. und viele Wälder, welche ihr Holz ‘nach der 
Hauptstadt bringen können, dann Eisen- und  Vitriolöl-Fabriken 
etc. Ein langer Friede und ungestörte Ruhe der Völker, deren 
lange Fortdauer man sich versprach, hatte viele Theilnehmer 
verleitet, die Zusammenbringung der nöthigen Fonds als sehr 
leicht anzusehen. Sie wählten mich zum Präsidenten dieser Ge- 
sellschaft. Da ich das Unternehmen als dem Lande und der 
Hauptstadt insbesondere für wahrhaft nützlich anerkannte, so 
hielt ich es auch bei minder sanguinischer Hoffnung dennoch 
für meine Pflicht, die Stelle anzunehmen, und verwickelte mich 
dadurch in einen neuen Geschäftskreis, dessen Ausdehnung ich 
nicht richtig geschätzt hatte. | | 

Da ich nun weniger in Brezina lebte, so wollte ich mir 
dort. wenigstens eine künftige Ruhestätte. bereiten. Ich. liess 
auf einem Hügel, den ich aus 'meinen. Fenstern sehen. kann, 
nächst dem Friedhof der Pfarre Stupno , wohin Bfezina einge- 
pfarrt. ist, eine Gruft und eine Kapelle darüber. mit einem Peri- 
styl in jonischer Ordnung. erbauen und mit allen Pinusarten, 
welche unter dieser Breite gedeihen, Thuja und Juniperus, von 
denen ich die meisten vom Saamen erzogen, umpflanzen, und in 
die Nische über meinem Grabgewölbe ein vorweltliches Lepido- 
dendron aufstellen. Daran werden die Naturforscher mein Grab 
erkennen: | 

Um meinen im: vorigen Jahre ‚gefassten Plan durchzu- 
setzen, die Gesellschaft der. Naturforscher von’ München, wo 
sie sich diesmal versammeln sollte, nach Berlin zu führen, 
unternahm ich schon im Monat Mai eine Reise, mit welcher 
ich, wie gewöhnlich, mehrere Zwecke verband. Ich begann 
mit Baireuth , wo ‘die, Petrefactensammlung des Grafen Mün- 
ster mich besonders ansprach. Sie gehört unter die ausgezeich- 
netsten, welche dermalen bekannt sind, und ist nach den For- 
mationen in Suiten gereiht, wodurch allerdings die Uebersicht 
der Gattungen gestört, in‘ geognostischer Hinsicht jedoch der 
Vortheil erreicht wird, dass: man die Versteinerungen einer je- 


137 


den Formation genauer kennen lernt. Der Besitzer, mit seiner 
Sammlung und der Petrefactenkunde wohl vertraut, weiss über 
ein jedes Exemplar Rechenschaft zu geben, wobei die Ansicht 
derselben in ein lehrreiches Gespräch übergeht. Ich fand hier 
mehrere alte Bekannte aus der früheren Zeit, wo ich noch in 
Regensburg gelebt; Erinnerungen lange vorhergegangener Be- 
gebenheiten, welche den Menschen in seine Jugendjahre zurück- 
führen, machen mehr oder weniger Jedermann zu einem laudator 
temporis acti, weil man die Jugendjahre gewöhnlich fröhlicher 
verlebt, als das Alter; und wir möchten vielleicht noch einige 
Gründe mehr dafür anzuführen haben. 

In Bamberg genoss ich das Vergnügen, bei meinem 36jäh- 
rigen Freund Baron Fraunberg, dermalen Erzbischof von Bam- 
berg, zu wohnen; Frau von Löw, unfern bei einer Freundin auf 
Besuch, gesellte sich auch zu uns. Wir bestiegen die Altenburg, 
wo nach Raumer Otto von Wittelsbach Kaiser Philipp ermordete. 
Man geniesst von dieser Höhe eine ganz vorzügliche Aussicht 
in die Flussgebiete des Mains und der Regnitz; die alte Burg 
Giech auf dem fernen Gebirge verschönert das Naturgemälde. 
Die ehrwürde Domkirche von Bamberg , von K. Heinrich 
und Kunigunde 1004—1010 erbaut, deren Grabmal hier noch 
erhalten ist, wurde durch den Vandalismus der Secularisation 
ganz verunstaltet: der gegenwärtige König, der Kunst und Al- 
terthum zu schätzen weiss, lässt sie wieder in den früheren 
Zustand zurückführen. : Ueber die ältesten Einwanderungen der 
Slawen oder Wenden in die Diöcesen von Würzburg und Bam- 
berg konnte ich in dem hiesigen Archiv keine Auskunft 'erhal- 
ten. Das Verzeichniss der windischen Pfarreien in der Würz- 
burger Chronik scheint die Namen nicht richtig angesetzt zu 
haben; in einigen Dörfern findet man noch eine von der Lan- 
dessitte abweichende Tracht bei dem Frauenvolk, die sich jener 
der Slawen in Kärnten und Illyrien nähert. Der Director der 
hiesigen Naturaliensammlung H. Lindner, ehemals Mönch in 
Banz, der diese Sammlung auf eigene Kosten aufgestellt, ver- 


138 


mehrt und erhalten hat, verdient allgemeine’ Anerkennung tnd 
Dank. Wenn sie auch nicht streng wissenschaftlich geordnet 
ist, so ist doch viel Seltenes vorhanden, und was man begehrt, 
wird leicht gefunden, worauf es doch hauptsächlich ankömmt. 
Wer sich mit der Liasformation und ihren wundersamen Ver- 
steinerungen bekannt machen will, darf Banz und dessen Um- 
gebungen nicht übergehen. Eine solche monographische Samm- 
lung‘ einer Formation, wie jene des Prinzen von Birkenfeld, 
wird schwerlich anderswo gefunden werden. Sie ist dermalen 
schon so allgemein bekannt und berühmt, dass ich nichts weiter 
darüber zu sagen brauche. i 

In Koburg hielt ich mich nur kurz auf, um einige Freunde. 
und Bekannte zu sprechen, und eilte, von Regen verfolgt, über 
Gotha nach Weimar. Als ich dahin gelangte, ‘war der Gross- 
herzög, der mich dahin eingeladen hatte, bereits nach Teplitz 
abgereist; er hatte aber der Grossherzogin aufgetragen, mich 
bei’ Hofe zu bewirthen. So angenehm nun auch mein® Wohnung 
am Eingange des Parks war, so war mir diese Auszeichnung 
doch nicht ganz willkommen, weil. sie mir den Umgang mit 
Göthe in etwas erschwerte. Gleichwohl musste ich die gast- 
freundliche Aufnahme sowohl: von der Grossherzogin als der 
Erbgrossherzogin dankbar erkennen: es fand sich denn doch 
Gelegenheit, täglich mit dem verehrten Freunde einige Stunden 
zuzubringen und Spazierfahrten vorzunehmen. Ich theilte ihm 
meinen Plan wegen der Versammlung der Naturforscher mit: er 
billigte meine Ansicht, und ermuthigte mich recht'sehr,, eine 
nähere geistige Verbindung zwischen Süd- und Norddeutschland 
im ausgedehntesten Sinne zu vermitteln. ‘Wir fuhren eines Ta- 
ges zusammen nach Tiefurt, dem Lustschloss und Garten der 
Herzogin Amalie, Mutter ‘des Grossherzogs, wo Göthe seine 
Jugendjahre in Gesellschaft von Wieland, Herder, später auch 
Schiller etc. verlebt hatte. Herr von Knebel, sein ältester Freund, 
hatte diese nun 50jährigen Bäume gepflanzt; die Bilder der 
Vorzeit zogen ‘an seinem Geist vorüber: "hier ‘hatte Wieland 


139 


gesessen, dort Herder einen Aufsatz gelesen, da wurde ein Stück 
von .Göthe aufgeführt; es verjüngte sich die Zeit um ihn her, 
er sprach. mit Wärme herrliche Worte; ich werde diese Stunden 
nie vergessen. Am folgenden Morgen schickte er mir das neueste 
Heft von Kunst und Alterthum mit folgender Aufschrift: 

„Wenn mit jugendlichen Schaaren 

Wir beblümte Wege gehn, 

Ist die Welt doch gar zu schön: 

Aber wenn bei hohen Jahren 

Sich ein Edler uns gesellt, 

O wie herrlich: ist die Welt!” 

‚Makthisson war nach Weimar gekommen. Nachdem wir zu- 
sammen im Belvedere gespeist hatten, kam man Abends bei 
Göthe in Gesellschaft zusammen, wo. mehrere Damen, Madame 
Schopenhauer, Kanzler Müller, Medicinalrath Froriep etc. bei- 
sammen waren, und die geistreiche Schwiegertochter Göthe’s als 
Frau von Hause das Gespräch in stets lebhaftem Gang zu er- 
halten wusste; Göthe ging ab und zu, ohne sich einkreisen zu 
lassen. Bei Gelegenheit, als ich die Bibliothek besuchte, über- 
raschte mich Göthe daselbst, um mir die Schatzkammer zu 
zeigen, und führte mich dann in sein Haus im Park, welches 
ihm: der Grossherzog geschenkt. Es liegt in einer anmuthigen 
Gegend, ist im Inneren einfach aber bequem eingerichtet und 
von aussen ganz mit Rosa turbinata bepflanzt, welche bis unter 
das Dach 'heraufgezogen wird, so dass er eigentlich mitten in 
einem Rosenbusche wohnt. Hieher zieht er sich manchmal ganz 
allein zurück, um ungestört seinen Studien nachzuhängen. 

Die Zeit drängte, : ich musste scheiden. Noch einmal be-+ 
suchte ich die Grossherzogin, welche‘ nach Dornberg gereist war; 
dort sah. ich ‚ die Hofdame Gräfin Amalie Eglofstein wieder, die 
ich schon früher mit ihrer‘ Tante in Karlsbad gekannt, eine sehr 
gebildete liebenswürdige ‚Dame‘ und ausgezeichnete Künstlerin; 
ich sah mehrere Gemälde von ihr in ihrem Atelier, und das 
Portrait der: Grossherzogin , welches sie aus dem’ Gedächtniss 


140 


geistreich und gelungen dargestellt hatte. Im Vorbeireisen 'be- 
suchte ich meine guten Bekannten in Jena, und fuhr nach 
Köstritz, wo viele fossile Knochen gefunden worden, von denen 
Baron von Schlotheim mehrere beschrieben hat. Dr. Schottin, 
Bezirksarzt daselbst, zeigte mir ‘seine merkwürdige Sammlung 
derselben, und geleitete mich zu den Gypsbrüchen, wo die 
meisten entdeckt worden waren. Die hier friedlich nebenein- 
ander oder übereinander liegenden Knochen von vorweltlichen 
Hyänen, Elephanten, unzähligen Geweihen einer kleinen Renn- 
thierart, von jetztweltlichen Füchsen, Mäusen, Maulwürfen ete. 
und Menschenknochen, sind hier offenbar nicht auf ihrer ur- 
sprünglichen Lagerstätte, sondern eingeschwemmt, sind aber zum 
Theil in röthliche mit Gyps und Kalk gemengte Breccie einge- 
hüllt, und kleben an der Zunge. Es ist Schade‘, dass diese 
Brüche grösstentheils eingestürzt sind, so dass es schwer mög- 
lich ist, etwas Ganzes aus denselben zu erhalten. 

In Leipzig besuchte ich vor Allem Tilesius, der die Reise 
um ‘die Welt mit Admiral Krusenstern gemacht hat, und Prof. 
Schwägrichen im botanischen Garten, der reich an Pflanzen und 
gut gepflegt ist. Die Anlagen um die Stadt, die ich im Jahr 
1793 vom Bürgermeister Miller anlegen sah, haben sich wunder- 
voll erhalten, wie man es nach einer Völkerschlacht wie jene 
vom Jahre 1813 kaum hätte erwarten sollen. Dies Beispiel 
allein wäre hinreichend, um unser Jahrhundert auf vortheil- 
hafte Art zu charakterisiren. In dem ehemals Reichenbach’schen, 
nun Gerhard’schen Garten steht ein kleines Monument dem 
Fürsten Poniatowsky zu Ehren, der hier ertrunken; seine Leiche 
ist provisorisch in der Domkirche zu Krakau im Grabe Johann 
Sobiesky’s deponirt. Wenn ich an die Zeit mich erinnere, wo 
ich ihn in der Blüthe ‚seiner Jugend unter Kaiser Joseph in 
österreichischer Uniform gesehen hatte, — welche Reihe von 
Begebenheiten liegt hier nicht dazwischen, die alle in meine 
Lebenszeit fallen! 

In Halle wurde ich von Prof. Germar und v. Keferstein 


141 


freundlich aufgenommen und gleich am ersten Abend in einen 
Piknick von 20 Professoren eingeführt, dem der hochwürdige 
Niemeyer präsidirte, — eine erwünschte Gelegenheit , schnell 
bekannt zu werden. In der mineralogischen Abtheilung der 
Universitätssammlungen, unter Aufsicht des Prof. Germar, fand 
ich mehrere seltene Abdrücke aus der Gegend von Wettin und 
Lebegin, unter Anderem ein Lepidodendron aus dem Todtliegen- 
den, wodurch mir jene ohnehin eigene Kohlenformation noch 
interessanter wurde. Mit Herrn von Keferstein, dessen zahl- 
reiche selbst eroberte Petrefactensammlung vorzügliche Erwäh- 
nung verdient, machte ich eine kleine Excursion in das Thal 
der Saale, am folgenden Morgen aber eine grössere mit Prof. 
Germar längs der Porphyrformation an der Saale nach Wettin in 
.das Steinkohlengebirge. Die Kohle scheint hier ganz bestimmt 
dem rothen Sandstein untergeordnet und von den Porphyren 
begleitet zu werden, wie die Kohle im westlichen Böhmen, nur 
dass sie hier viel reicher ist. In der Bergamtskanzlei fanden 
sich auch hier zahlreiche und wohlerhaltene Abdrücke, zumal 
von Farrenkräutern. Auf der Rückreise besuchten wir die Por- 
phyrkuppe Petersberg und die Ruine der im J. 1025 erbauten 
Abtei St. Cyriak. Diese Kuppe ist ein wahres Panorama: der 
Brocken gewinnt in dieser unübersehbaren Fläche die Gestalt 
‚eines hohen Berges; in Westen ‚allein ist der Sehkreis, durch 
das Harzgebirge begränzt. Bei dem Berghauptmann von Feld- 
‚heim, wo ich auch die Bekanntschaft des Oberberghauptmanns 
‚Gerhard zu machen Gelegenheit fand, ergaben sich mir in den 
‚geognostischen Karten und der mineralogischen Sammlung die 
besten Aufschlüsse, um die. bereiste Formation in ihren Ver- 
‚hältnissen genauer kennen zu. lernen, Die Sammlung der Far- 
renkräuter bei Prof. Kaulfuss, der leider viel zu früh den Wis- 
senschaften entrissen wurde, gewährte mir viel Vergnügen. Prof. 
‚Sprengel fand ich nicht im Garten, hatte aber Gelegenheit, seine 
Bekanntschaft bei einer Abendgesellschaft zu machen. 

An dem eigentlichen‘ Ziel meiner Reise, in Berlin, ange- 


142 


‚langt, ‘suchte ich sogleich mein Anliegen zu"betreiben. ' Tch'be- 
sprach mich vor Allem mit Baron Alexander ‘von Humboldt; den 
‚ich. schon vörlängst in Paris gekannt, mit Bar. Leopold von Buch, 
Prof. Lichtenstein ete. und ‘da ich 'allenthalben” eine günstige 
‚Stimmung gewahr wurde, ‚so trug ich dem Minister von’ Alten- 
‚stein: den ‘Wunsch vor, einige ‘Naturforscher aus den’kön. 'preus- 
sischen Staaten zu der heurigen' Versammlung nach München zu 
‚senden, um die: Vereinigung ‘der ‘Naturforscher von Süd- und 
Norddeutschland zu beschleunigen, und mir den Weg zu bahnen, 
auch den Osten hinzuzuführen: es würde in diesem Falle gewiss, 
‘wenn Se. Maj. der König es genehm hielten, Berlin zum künfti- 
.gen Versammlungsort' gewählt werden. Der Minister übersah mit 
gewohntem Scharfblick augenblicklich die wesentlichen Vortheile, 
‚welche den :Naturwissenschaften aus einem so: allgemeinen Zu- 
‚sammenwirken entspringen könnten, und übernahm es, Sr. Maj. 
‘dem König, der diese Wissenschaften ohnehin seiner besonderen 
‚Aufmerksamkeit würdigt, darüber einen Vortrag zu machen. Ich 
‚war nun ganz beruhigt, und widmete die noch übrige Zeit, um 
Berlin, das ich zum erstenmale besucht "hatte, ’näher kennen’ zu 
lernen. : Zu einer: Sitzung der königl. Akademie geladen, in 
welcher ‘der: Geschichtschreiber 'Raumer und der: unlängst aus 
Aegypten zurückgekehrte Prof. Ehrenberg als Mitglieder 'einge- 
führt wurden, vernahm ich mehrere wichtige: Vorlesungen, gleich- 
wie auch wenige Tage später in der Jahressitzung des Garten- 
vereins in Schönfeld. Ein reger: Sinn für Künste und Wissen- 
schaften 'waltet in Berlin; er findet sich nicht bloss’ in den öffent- 
lichen Anstalten, 'er ist allgemein verbreitet. Die Garten- und 
Blumeneultur wird, trotz einem wenig 'lohnenden Boden; aufs 
höchste getrieben. 'S. M. der König selbst auf seiner Pfaueninsel 
bei Potsdam besitzt eine der zahlreichsten Rosen- und "Georgi- 
nen-Sammlungen und 'eine’ lebende zoologische Sammlung in den 
verschiedenen Abtheilungen der Menagerie. Die Sammlungen ‘der 
Akademie sind: sehr reich; 'sie verdanken einen grossen‘ Theil 
ihres Zuwachses der Industrie der dabei angestellten Mitglieder, 


143 


vorzüglich ‚Dr. Lichtenstein, der durch den ‚eingeleiteten Tausch 
und Verkauf der. ‚Doubletten. ohne grossen Aufwand ‚eine sehr 
‚grosse - Vermehrung der ‚Sammlungen erzielt hat. Der 'botanische 
Garten 'ist ebenfalls sehr reichlich ‚ausgestattet, und scheint es 
noch. viel'mehr. zu sein; weil ‘alle. Pflanzen in einem einzigen ge- 
räumigen Local zusammengehalten werden. Garteninspector Otto 
hat: durch seine wiederholten Reisen nach London ‚und Paris 
vieles Neue herbeigeschafft. Unter‘ den Ausflügen in die Um- 
gegend hat‘ mich! jener. ‚nach ' Sans-souei, dem Lustschlosse 
Friedrichs H, besonders ergötzt; es. wird selbes ungeändert in 
jenem Zustand ‚erhalten, wie man es bei Friedrich’s Tode vor- 
fand... Ich hatte in meiner. frühesten Jugend .so ‘viel: von dem 
alten Fritz gehört, dass mich. eine jede Kleinigkeit interessirte. 
In der Bibliothek findet man: mehrere. seiner gedruckten franzö- 
sischen Poesieen mit ziemlich insolenten Randglossen von Vol- 
taire’s Hand. Friedrich und. Maria Theresia lebten in einer Zeit, 
über welche erhaben, sie. Grosses ohne Geräusch zu. gestalten 
vermochten. Plurimum interest, in qua, quis tempora inciderit. 

Auf meiner Rückreise ‚fand: ich in Dresden, einen Brief, der 
mir die Nachricht brachte, dass die jüngste Tochter meines Vetters 
Grafen Franz Sternberg tödtlich krank darniederlag. Ich reiste 
sogleich ab, kam des Nachts durch Teplitz, und da ich dort 
keinen.-Brief vorfand, eilte ich nach Prag.. Der Grossherzog von 
Weimar, der in Teplitz war, nahm es mir übel, in.dem Wahne, 
ich hätte mich dort nicht aufhalten. ‚wollen, ‚weil. er., mich in 
Weimar nicht abgewartet hatte. . Wir. haben uns. ‚zwar durch 
Briefe wieder verständigt: doch thut es mir leid, dass ich ihn 
vor seinem. Ende nicht mehr wiedergesehen habe. Meine Cousine 
Franeisca genas wieder. 

Ich hielt mich nur kurze Zeit in Biezina auf, ee a 
Minister Grafen Kolowrat in'Meierhöfen, Fürsten Metternich und 
Grafen Mercy in Königswart, und reiste über Regensburg nach 
Irlbach zum Grafen Bray, um mit ihm nach München zu der Ver- 
sammlung der Naturforscher zu gehen. Mir folgten Freund Felix 


144 


und Prof. Hornschuch aus Greifswalde, der mir die Nachricht 
brachte, dass wirklich Naturforscher von mehreren kön. preussi- 
schen Universitäten nach München geschickt worden waren. Mit 
gutem Muthe reiste ich ab, und als ich bei Eröffnung der Ver- 
sammlung in den Saal trat und B. Leopold von Buch, Lichten- 
stein, Heyne, Nees von Esenbeck und mehrere andere Bekannte 
von Berlin und Breslau erblickte, war ich vollkommen getrost. 
In der dritten Sitzung wurde auch wirklich per unanimia Berlin 
zum Versammlungsort, Bar. Alexander von Humboldt zum Prä- 
sidenten, Prof. Lichtenstein zum Secretär für das nächste Jahr 
gewählt. In den Sitzungen wurden viele Vorträge gehalten, auch 
von mir einer über die fossilen Knochen Köstritz, der mit allen 
übrigen in der Isis abgedruckt wurde. Die Minister Armanns- 
berg und Lentner besuchten die Sitzungen. Am 23 Sept. liess 
der König die noch anwesenden Mitglieder zu einer Marschalls- 
tafel einladen, 114 an der Zahl waren noch da, der Hofmarschall 
Baron Gumpenberg führte den Vorsitz. Nach Tische kam der 
König herab in den Saal, und sprach mit der grössten Leutselig- 
keit mit den meisten fremden Naturforschern. 

Mit Hornschuch und Felix kam ich nach Regensburg zurück, 
und machte mit ihnen eine Excursion in die Juraschiefer bei 
Kelheim, um Fischabdrücke zu holen, und nach Neu-Kelheim, 
in die grossen Steinbrüche, woher der König die grossen Stein- 
ımassen zu seinen Bauten bezieht; eine zweite in die Gegend 
- von Stauf, wo die Juraformation endet und das Urgebirge an- 
fängt, von einem einzigen Porphyr durchbrochen, auf dessen 
Rücken der König sein Walhalla aufzubauen beschlossen. Prof. 
‘Hornschuch begleitete mich nach Biezina und Prag, wo wir 
endlich schieden. Die Vereinigung von Nord- und Süddeutsch- 
land war gelungen; jene mit dem Osten sollte, wie ich hofite, 
im künftigen Jahre vermittelt werden. 


145 


1828. 


Stets mit meinem Plane beschäftigt, reiste ich schon im 
April nach Wien, wo ich ohnehin einiges wegen Herausgabe der 
brasilianischen Pflanzen zu besorgen hatte, und benützte diese Ge- 
legenheit, um vorbereitend einzuwirken, damit einige Natur- 
forscher aus den österreichischen Staaten nach Berlin geschickt 
würden, wodurch die Wahl des Ortes für das künftige Jahr un- 
fehlbar auf Wien gefallen wäre, Alexander von Humboldt kam 
später nach Prag, auf seiner Reise nach Obristwy, um die Samm- 
lung hetrurischer Vasen in der Verlassenschaft General Koller’s 
zu besehen, welche der König von Preussen dann auch wirklich 
erkauft hat. Ich folgte Humboldt nach Teplitz, um mit ihm das 
Nöthige über die Versammlung in Berlin und den wahrschein- 
lichen “Antheil, den die österreichischen Naturforscher daran 
nehmen würden, zu besprechen. Dann eilte ich nach Biezina, 
wo ich Grafen Bray, Frau von Löw mit ihrer Tochter und Freund 
Felix erwartete. Sie kamen auch ‚alle am bestimmten Tage zu 
meiner grossen Freude: wir hatten aber kaum einige frohe Tage 
zusammen’ zugebracht, als mich ein Rothlauf an beiden Beinen 
überfiel. Sehr gestört durch diesen unangenehmen Zufall, bat 
ich' meine Gäste nach Prag zu gehen, wohin sie ohnehin auf 
einige Tage reisen wollten, und hoffte sie in Kurzem wieder ab- 
holen zu können. Geschwind genesen wollend, liess ich mich 
verleiten, ein Mittel anzuwenden, den Rothlauf zu vertreiben: er 
verging auch wirklich in 48 Stunden. Es trat aber an dessen 
Stelle ein sehr heftiges Fieber, welches nur gerade so viel Be- 
sinnung zurückliess, mich mit Felix, der zurückgeblieben war, 
in’ den Wagen zu werfen und nach Prag zu reisen, um ärztliche 
Hilfe zu suchen. Drei Monate lang wechselten alle möglichen 
Formen des Fiebers, welches aus einem gastrischen in ein 
Tertian-, Quartan- und alltägliches Fieber überging. Alle speci- 
fischen  Fiebermittel, China in allen Formen, Chinin, Quassia, 
brachten keine andere Wirkung hervor, als dass sie die Form, 

10 


146 


und diese meistens in eine schlechtere veränderten; am Ende 
siegte meine nicht leicht zu verwüstende Natur. Die Versamm- 
lung der Naturforscher hatte mir die Ehre erwiesen, von meiner 
Krankheit Notiz zu nehmen: aber was ich. vorbereitet hatte, 
blieb unerfüllt. Frau von Löw hatte lange gezögert, konnte aber 
das Ende der Krankheit nicht abwarten. Meine Familie, die mir 
viel Liebe erzeigte, musste mich ebenfalls verlassen, da die 
zweite Tochter Erwine sich mit dem Grafen Wallis vermählte. 
Meine Cousine Louise, welche wie eine Schwester für mich ge- 
sorgt, und der treue Freund Felix blieben zurück; und nun, da 
meine geistigen Kräfte den physischen voraneilten, lieh er mir 
die seinigen, um mir vorzulesen, meine Correspondenzen wieder 
anzuknüpfen, und mir nachzuhelfen, wo mein Gedächtniss nicht 
ausreichte. Erst bei Eintritt des harten Winters reiste er nach 
Regensburg zurück, als ich schon im Stande war, einige Ge- 
schäfte zu treiben. Diese Treue werde ich ihm ewig. danken. 


- 


1829. 


Von den ersten Tagen meiner Krankheit blieb mir keine 
deutliche Besinnung zurück, von den späteren eine höchst unan- 
genehme, indem zahllose Ideen ohne Zusammenhang mir durch 
den Kopf strömten, von denen ich keine festzuhalten vermochte, 
bis sie endlich zwischen Wachen und Schlummer gleichsam in 
Phantasmagorien ausarteten. Später wurde ich so schwach, dass 
als ich wieder zu gesunden Ideen gelangte und diese nur in kur- 
zem Briefe in Zusammenhang bringen wollte, ich schwindelig 
wurde und mich wieder hinlegen musste. 

Mit dem Anbruch des Frühjahrs stellten sich die physischen 
Kräfte wieder her und der verfehlte Plan behauptete wieder seine 
Rechte: allein er war in diesem Jahre nicht mehr auszuführen, 
da Heidelberg zum Versammlungsort der Naturforscher gewählt 
worden war, und ich den Sommer zur Herstellung meiner Ge- 
sundheit verwenden musste, Zu Ende März, bei der allgemeinen: 


147 


Versammlung des Museums, da die sechs Jahre meines Präsidi- 
ums vorüber waren, legte ich diese Stelle nieder, wurde aber 
auf neue sechs Jahre wieder gewählt. Ich fühlte zwar die 
Schwäche, welche mir zurückgeblieben war, und jene des höhe- 
ren Alters, die ihr folgen musste: doch hielt ich es für Pflicht, 
dem ehrenvollen Vertrauen der Gesellschaft zu entsprechen, so 
lange mir die Kräfte nicht ganz versagen würden, und dankte 
mit gerührtem Herzen. 

Ende April reiste ich nach Bfezina, das ich seit 8 Monaten 
nicht gesehen hatte. Meine Unterthanen bezeigten mir beim Wie- 
dersehen freudige Theilnahme, die Landluft und mässige Bewe- 
gung thaten mir wohl: doch war mir streng geboten, Karlsbad 
zu gebrauchen, wohin ich im halben Juni reiste. Ich wohnte 
unter einem Dach mit meinem Freunde Grafen Rechberg, was 
mich sehr erfreute: allein, sei es dass er bei grosser Hitze die 
Kur ohne Beirath eines Arztes im Trinken und Baden zu rasch 
betrieben, dieser Genuss bekam ihm so übel, dass er das Bad 
verlassen musste; mir aber that er unendlich wohl, so dass ich 
am Ende der Kur schon wieder Berge ersteigen konnte. Nach 
Brezina zurückgekehrt, fühlte ich die wohlthätigen Folgen täg- 
lich mehr. 

So vermochte ich nun im Monat September die Reise nach 
Heidelberg anzutreten, wohin die Versammlung der Naturforscher 
für dieses Jahr verlegt worden war. Ich gesellte mir den Custos 
der mineralogischen Abtheilung des Museums, Herrn Zippe bei, 
und reiste nach Regensburg, wo ich mit der Familie Bray und 
Budberg ein paar angenehme Tage verlebte. Meinen Weg nahm 
ich dann über Monheim, um Dr. Schnitzler’s Sammlung aus den 
Juraschiefern von Solenhofen zu besehen, welche insbesondere 
durch ihre vielen Fucoideen mir überaus merkwürdig wurde. 
In Donzdorf fand ich Grafen Rechberg noch sehr leidend. Wir 
besuchten einen Doctor in Göppingen, um dessen merkwürdige 
Sammlung aus dem Lias bei Boll und dem Jurakalk zu sehen, 
und machten eine Excursion auf den Staufenberg, wo wir bei 

10* 


148 


dem Pfarrer eine recht artige Localsammlung der Versteinerun- 
gen jener Gegend vorfanden. In Stuttgart machte uns Dr, Jäger 
mit den Versteinerungen des Keupersandsteins der Umgegend 
bekannt, über welche er schon in München bei der Versammlung 
und später in Heidelberg Vorlesungen hielt. In der Sammlung 
von Karlsruhe befinden sich vorzüglich viele Pflanzenabdrücke 
aus Oeningen, welche unserer gegenwärtigen Flora angehören. 

Die Versammlung in Heidelberg wurde dadurch besonders 
merkwürdig, dass auch.mehrere Fremde aus England, Frankreich, 
Holland, aus der Schweiz, aus Polen und Russland dazu kamen; 
sie wurde, wie gewöhnlich, am 18 September eröffnet. Dr. Lich- 
tenstein war über Wien nach Heidelberg gekommen, und er- 
zählte viel von den zahlreichen Sammlungen und Anstalten jener 
Hauptstadt; allgemein wurde der Wunsch ausgesprochen, sich 
auch einmal in Wien versammeln zu dürfen. Von den persönli- 
chen grossartigen Gesinnungen meines Souverains : überzeugt, 
getraute ich mir die Erfüllung dieses Wunsches voraus zu. ver- 
künden. Ein anhaltendes Regenwetter entzog uns zwar den Ge- 
nuss eines heiteren Sonnenblicks auf dem alten Schlosse, wo die 
Botaniker eines Tages, bei frohem Mahl versammelt, den Ent- 
decker der Pflanzenmetamorphose, Göthe, hoch leben. liessen: 
doch störte dieses Wetter unsere muntere Laune nicht, und der 
Tag, wo wir den Schwezinger Garten besuchten und bei dem 
Gartendirector Zeyher speisten, war. wenigstens stundenweise 
erträglich. 

Den Tag, nach geschlossenen Sitzungen traf Graf Franz 
Sternberg mit seinen zwei Töchtern, Christiane und Francisca, 
letztere nun Braut des. Fürsten Joseph Lobkowitz, in Heidelberg 
ein: wir verlebten da noch einen Tag unter dem Parapluie zu- 
sammen. Dann. nahm ich den Weg über Darmstadt nach Frank- 
furt,; um, die: dortigen. durch Rüppel’s Reise in. Aegypten ansehn- 
lich: vermehrten Sammlungen zu: sehen. Die Suite von Antilopen, 
Gazellen, Füchsen. etc. ist besonders merkwürdig, und die männ- 
liche und weibliche: Giraffe wahre Zierden des Saals. Unerwartet 


149 


fand ich hier die Fürstin Taxis mit ihrer Tochter Fürstin Ester- 
hazy ; ich blieb ein paar Tage, während mein Gefährte Custos 
Zippe sich in Mainz aufs Dampfschiff begab, um eine Rheinfahrt 
zu machen. Zu Staden bei Frau von Löw trafen wir wieder zu- 
sammen und verfolgten unsern Weg im schrecklichsten Koth, 
fanden am 8 October schon Schnee im Spessart, und kamen über 
Würzburg nach Bamberg, wo wir ein paar Tage bei dem Erz- 
bischof rasteten. Hier fand ich einen alten Bekannten, den ehe- 
maligen würtembergischen Minister am Reichstag, Freiherrn von 
Seckendorf, in seinem 82 Jahre noch so munter und geistreich, 
wie ich ihn vor 40 Jahren gekannt. Meinem Reisegefährten zu 
Liebe reiste ich über Banz und Baireuth, um ihn die beiden vor- 
züglichen Sammlungen sehen zu lassen; beide hatten sich seit 
zwei Jahren bedeutend vermehrt. 

Bei meiner Zurückkunft nach Bfezina säumte ich nicht 
den in Heidelberg ausgesprochenen Wunsch nach Wien zu berich- 
ten, und S. M. der Kaiser ertheilte alsobald die Erlaubniss, dass 
sich die Gesellschaft der Naturforscher in Wien versammeln 
konnte. 

Im Monat November reiste ich nach Prag, um der Vermäh- 
lung meiner Cousine Francisca Sternberg mit dem Fürsten Joseph 
Lobkowitz beizuwohnen. 


1830. 


Dieses für ganz Europa verhängnissvolle Jahr wurde es 
auch ganz besonders für mich. Gleich jedem Winter seit vielen 
Jahren wurde mein Vetter Graf Franz Sternberg von einem trocke- 
nen Husten befallen, dem er nie ernste ärztliche Hilfe entgegen- 
setzte, da er gewöhnlich im Frühjahr von selbst verging. Getäuscht 
durch die jährliche Erscheinung dieses Uebels, ahnte auch ich 
keine nahe Gefahr. Er hatte eben dem böhmischen Museum seine 
reiche und auserlesene Sammlung böhmischer Münzen geschenkt, 
wir ordneten zusammen dieses Geschäft, und ich reiste auf we- 
nige Tage nach Bfezina. Als ich zurückkam, war er verblichen 


150 


(8 April), — der treue, Freund, der liebevolle ‚Vater, hochge- 
schätzt von allen Ständen, eine Zierde des Vaterlandes, — seine 
Kinder und Freunde in tiefste Trauer versetzt; ich theilte sie 
mit verwundetem Herzen, auch mit einem Rückblick. auf mich 
selbst, dessen angenehmes Familienleben mit dem seinen beendet 
war. Er hatte keinen männlichen Erben, die Majoratsgüter 
gingen an einen andern Familienzweig über, die verheiratheten 
Töchter folgten ihren Männern, das Haus wurde geschlossen. 

Ich reiste nach Wien, um über Absendung einiger Natur- 
forscher zur Versammlung nach Hamburg Rücksprache zu neh- 
men und Verhaltungsbefehle zu erhalten. Bei meiner Zurück- 
kunft fand ich auch meine Cousine. Gräfin Louise Sternberg sehr 
leidend und beinahe erblindet. Ich musste, meiner Gesundheit 
wegen, welche durch alle diese Trauerfälle sehr erschüttert war, 
nach Karlsbad. Dort fand ich Leopold von Buch und Prof. See- 
ström, mit denen ich einige Excursionen machte, welche mich 
erheiterten. Nach vollendeter Kurzeit reiste ich auf einige Tage 
nach Weimar, den verehrten Freund Göthe zu besuchen, mit dem 
ich die meiste Zeit in häuslichem Kreise seiner geistreichen 
Schwiegertochter und seiner Enkel verlebte. Auf meiner Rück- 
reise erfuhr ich die Ankunft des Fürsten Metternich und Grafen 
Kolowrat in Prag, und reiste dahin. 

Indessen hatten die Julitage in Paris den äusseren und 
inneren Frieden Europa’s erschüttert, die Course herabgedrückt 
‚und ‚alle grösseren Unternehmungen, darunter auch unsere 
(Pilsner) Eisenbahn, in Verlegenheit gesetzt. In Erwartung des 
Erzbischofs von Bamberg, der von Marienbad aus mich in Biezina 
besuchen wollte, kehrte ich dahin zurück, um ihn zu empfangen. 
Die Revolution in den Niederlanden trat nun hinzu, um die Ver- 
wirrung zu vergrössern und den Geist der Völker zu erregen. 

Für mich war die Reise nach Hamburg heuer unerlässlich, 
Indem ich mich aber dazu vorbereitete, erhielt ich ‘von dem 
Arzte meiner Cousine Nachricht, ihr Zustand sei bedenklich ge- 
worden. Ich eilte nach Prag, fand sie sehr schwach; nach acht 


151 


Tagen war auch diese Gespielin meiner Jugend und letzte Ver- 
wandte aus meiner Zeit zur Ruhe gegangen und liess sich in 
meiner neuen Gruft begraben. 

Mit diesem Stachel im Herzen, reiste ich mit dem Custos 
Dr. Presl nach Hamburg ab. Ich nahm meinen Weg über Leip- 
zig, wo ich gerade ankam, als die Affen der Brüssler Revolu- 
tion mit der Demolirung des letzten Hauses fertig worden wa- 
ren, Bürger und Studenten die Thore bewachten. In Berlin 
konnte ich mich ebenfalls nur kurz aufhalten, um zu rechter 
Zeit anzulangen. Baron Jaquin, Astronom Littrow etc. aus Wien 
waren (in Hamburg) bereits angekommen, und wurden in der 
dritten Sitzung zu Vorstehern bei der im künftigen Jahr in 
Wien abzuhaltenden Versammlung der Naturforscher gewählt. 
Die Stadt Hamburg, um der Gesellschaft ein Vergnügen zu be- 
reiten, hatte das holländische Dampfschiff Wilhelm I gemiethet, 
die Naturforscher nach Helgoland bringen zu lassen. Ich machte 
die Fahrt mit, und obgleich uns bei der Rückfahrt ein ziemlich 
starker Sturm viel Unbequemlichkeit verursachte, so werde ich 
mich doch stets mit Vergnügen daran- erinnern. Die Gräfin 
Ranzau, Schwester der Frau von Löw, die ich seit 20 Jahren 
nicht wieder gesehen, gab mir ein Rendez-vous bei ihrer Toch- 
ter, ebenfalls an einen Grafen Ranzau verheirathet, in Itzehoe: 
ich eilte dahin, fand aber bloss die Tochter mit Mann und drei 
Kindern von demjenigen Alter, in welchem sie mit ihren Schwe- 
- stern gewesen, als ich sie in Regensburg gesehen hatte: so 
wachsen die Generationen ineinander! Zwei Tage später kam 
Gräfin Ranzau Mutter, und führte mich nach Seeburg nächst 
Kiel, ein ihr gehörendes Haus und Garten nächst dem Hafen. 
Zwar gönnte uns der Himmel nicht einen reinen Sonnenblick, 
um die anmuthige Gegend in ihrer Klarheit zu überschauen: 
doch war es hell in unserm Innern, und die Tage der Vergan- 
genheit, welche in der Erinnerung an uns vorübergingen, ver- 
schönerten alles um uns her. Freunde aus der Stadt, Bekannte 
‚aus der Versammlung brachten die Abende mit uns zu, welche 


152 


im geistreichen Gespräch nur zu schnell, vorüberflossen.; Die Rück- 
reise am Ufer des Plöner Sees, über Eutin, Lübeck, Ratzeburg, 
wurde uns durch das widerlichste Regenwetter sehr . verküm- 
mert: doch blieb uns von Holstein, ‚die ‚abscheulichen Wege 
‘ abgerechnet, ein: angenehmer Eindruck: zurück. ‚In: Berlin be- 
suchten wir das neuerbaute Palmenhaus,. das ‚durch neue An- 
käufe in Paris bedeutend vermehrt worden war; doch noch. viel 
herrlicher wird jenes auf der Pfaueninsel werden, welches der 
König zu bauen begonnen. Auch, die Vermehrung. an' höchst in- 
teressanten Gegenständen, welche die Mineraliensammlung. durch 
die letzte, Reise nach. Sibirien von Alexander ‚von Humboldt, 
Ehrenberg und Gustav Rose erhalten, wurden nicht übergangen ; 
doch die Zeit drängte. In Dresden bielt ich mich. nicht. auf; 
das abgebrannte Rathhaus machte mir. einen : widerlichen Ein- 
druck. Die französische Juli-Revolution. hatte ‚einen politischen 
Zweck, die Menschen, die sie an- ‚und ausführten, wussten was 
sie wollten; aber das imitatorum servum.peeus: in Deutschland, 
von Fremden besoldet, kannte keinen andern, ‚als: die Lust. an 
Ausschweifungen und Aufregungen, denen auch Privatrache' sich 
zugesellte. Noch nie hatte sich selbst der. deutsche Pöbel so 
sehr herabgewürdigt, als in dieser letzten Zeit. 

Geist und Körper sehnten sich nach Ruhe; ich fand sie in 
meinem einsamen Biezina, wo ich, unter gewohnten Geschäften 
im Stillleben mich wieder erholte.| Die Rückkehr nach Prag, 
zu ganz veränderten Lebensverhältnissen , wurde mir. schwer, 
doch erheischten sie die vermehrten Familiengeschäfte und die 
Gesellschaften, denen ich vorstand. Die. ökonomische Gesell- 
schaft hatte ihren Wirkungskreis dadurch ‚erweitert „dass sie 
auch einen Schafzüchterverein, bildete und für den pomologischen 
Verein nahe an der Stadt ein Gartenland: erkaufte, um‘ eine 
Baumschule und 'Weinschule anzulegen. Für die 'erstere wurde 
die Röslerische Baumschule in Podiebrad erkauft. Im zweiten 
Bande der neueren Schriften dieser Gesellschaft habe ich einen 
Aufsatz über die Einführung des Mais in Europa eingerückt. 


153 


1831. 


Der Winter verging unter mancherlei unangenehmen Ge- 
schäften. Die Revolution in Polen und der.daraus entstandene 
Krieg, das Umsichgreifen der Cholera-Krankheit und die Auf- 
stellung von Cordonen, die gespannte politische Lage von ganz 
Europa, wirkten unwillkommen 'auf alle Geschäfte ein. Ich eilte 
die persönlichen zu enden, imd reiste Anfangs Aprilnach Wien. Ich 
fand bereits alles zum Empfang.der Versammlung der Naturforscher 
vorbereitet, und freute mich zum voraus dieser Verschmelzung 
des Osten mit Nord-' und Süddeutschland; aber nachdem diese 
Versammlung bereits angekündigt ‘war, rückte der Krieg in Po- 
len näher an Oesterreichs Gränzen, die Cholera nach Ungarn, 
und ein Land nach dem andern wurde durch Cordone abge- 
schlossen. Ich erwartete besorgt in meinem Bfezina die Dinge, 
‚die da kommen sollten: da überfiel mich ebenfalls die damals 
herrschende Influenza auf sehr unsanfte Weise mit einem Krampf- 
husten , der meine Reisepläne störte. Allmählig wurden alle 
Communicationen durch Contumazanstalten so abgeschnitten, 
dass die auswärtigen Naturforscher selbst den Wunsch äusserten, 
es möchte die Versammlung auf das künftige Jahr verschoben 
werden. Dieses erfolgte auch wirklich, da die Cholera, in ihrem 
Zug von Osten nach Westen fortschreitend , Wien immer mehr 
bedrohte. So sehr es mir leid that, meine Wünsche zum zwei- 
tenmal vereitelt zu sehen: so musste ich doch die Gründe an- 
erkennen; und in der That ist die Cholera am 14 September, 
vier Tage vor dem gewöhnlichen ersten Sitzungstag, mit grosser 
Heftigkeit in Wien ausgebrochen. Alles war nun mit Voran- 
stalten gegen diese Seuche beschäftigt, und ich entschloss mich 
ruhig zu Hause zu bleiben, um solche auch auf meiner Herr- 
schaft zu besorgen. 

Adolph Brongniart war indessen mit seiner Geschichte der 
fossilen Pflanzen bis zum fünften Hefte vorgerückt, ich aber 
hatte vieles gesammelt, was ihm unbekannt geblieben war, und 


154 


stimmte mit seinen Ansichten nicht immer überein. Ich benützte 
daher die ländliche Abgeschiedenheit, um mit Musse ein Supple- 
mentheft zu meiner Flora der Vorwelt vorzubereiten, welches 
besonders reich an Fucoideen aus den Formationen zwischen 
dem Jurakalk und den untersten Greensandlagern, einige nähere 
Aufschlüsse über diese Formationen darbieten dürfte. Doch auch 
darin wurde ich durch die strengen Massregeln der bayrischen 
Desinfections-Anstalten gehindert, welche sich zwischen mir und 
meinem Kupferstecher Sturm in Nürnberg befanden. Indessen 
verfolgte die Cholera ihren Weg, und erreichte endlich Prag 
selbst. Das vollendete zweite und letzte Supplement meiner 
Revisio saxifragarum konnte bei so viel störenden Einflüssen 
nicht versendet werden. Ich blieb ruhig auf meiner Hochebene; 
und da ich mich mit meinen gewöhnlichen naturhistorischen 
Studien wegen der noch vorwaltenden Hindernisse nicht hin- 
reichend beschäftigen konnte*), so wählte ich mir einen andern 
einheimischen Gegenstand: die ‚Geschichte des Bergbaues und 
der Berggesetzgebung in Böhmen, welche noch niemals im Zu- 
sammenhange bearbeitet worden war. 


1832. 


Es ist wohl etwas spät, an seinem 72 Geburtstage eine 
neue Arbeit in einem andern Fach zu‘beginnen: doch da sich 
mir Materialien und Zeit darboten, so fasste ich Muth und nährte 
die Hoffnung, dass wenn ich auch nicht dazu gelangen sollte, 
mein Werk ganz auszuführen, diese Vorarbeit wenigstens einen 
Anderen wecken könnte, dasselbe zu vollenden. 


*) Anmerkung des Herausgebers. Eben in dieser Musse des Jahres 
1831 hat der Graf auch an die letzte (dritte) Bearbeitung seiner Auto- 
biographie Hand angelegt und dieselbe auch bis hieher vollendet. Die 
noch weiter folgenden Aufzeichnungen zu den Jahren 1832 bis 1837 
scheinen mit den Begebenheiten fast gleichzeitig in das Originalma- 
nuscript eingetragen worden zu sein. 


155 


Vier Monate, vom. November an, habe ich ununterbrochen 
hier auf meinem Waldschloss in Brezina allein zugebracht (vier 
Jagdtage ausgenommen, wo ich einige Gäste geladen hatte): und 
kann es ehrlich sagen, ohne eine Viertelstunde Langeweile em- 
pfunden zu haben. Die Sonntage ausgenommen, wo ich nach 
Radnitz in die Kirche fahre und mit meinen dort wohnenden 
Beamten die ökonomischen Geschäfte abthue, dann eine Fahrt 
in der Woche zu meinem Bergmeister, um die Bergbaugeschäfte 
zu. ordnen, bin ich stets zu Hause, besuche Morgens die War- 
menhäuser im Garten, der übrige Tag ist dem Lesen und Schrei- 
ben gewidmet; doch mit Auswahl verschiedener Materien, um den 
Geist nicht zu ermüden. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, 
dass ein zu langes Beharren bei einerlei Gegenstand den Kopf 
weit mehr angreift, die Nerven erregt und den Schlaf benimmt, 
als wenn man Gegenstände wechselt. Diese Methode habe ich 
befolgt und mich wohl dabei befunden. 

Die Cholera in ihrem ungeregelten Gang sprang ganz un- 
erwartet schon im Monat December (1831) in: meine Nähe: drei 
‚Ortschaften, eine Stunde von meiner Gränze entfernt, wurden 
davon heimgesucht; zwei Aerzte, darunter einer von Radnitz, 
wurden zur Besorgung der Kranken dahin beordert. Ich zählte 
auf die Luftreinigung durch die vielen ‚brennenden Steinkohlen- 
halden, vielen Vitriolölfabriken und viele Feueressen, und blieb 
ruhig, zu Hause. Eine. junge Frau aus einem meiner Dörfer, 
nur eine Viertelstunde von meinem Brezina, gebürtig aus einem 
der ‚drei infiecirten Dörfer, ging zu dem Begräbniss ihres Vaters 
und ihrer Muhme, die an der Choiera gestorben waren, dahin, 
ihre Schwester begleitete sie zurück: beide verfielen der Cholera 
am folgenden Tag; es wurde schnell ärztliche Hilfe gebracht, 
und behandelte sie derselbe Arzt; beide genasen. Nach sechs 
Wochen war die Krankheit in allen drei Dörfern erloschen, im 
Ganzen waren 31 Personen gestorben und. die Gegend wurde 
wieder frei: Im:Monat Mai war Prag und ‚das ganze östliche 
Böhmen: ziemlich frei von der Seuche; im ‚südlichen und nörd- 


F 


156 


lichen Böhmen zog sie von Dorf zu Dorf. Ich reiste nach Prag 
und im halben Juni nach Karlsbad. 'Im halben Juli‘ brach die 
Cholera im Pilsner Kreis ziemlich heftig aus; ich reiste über 
Eger und Marienbad nach Bfezina zurück. Von Süden über 
Westen bis Norden war meine Herrschaft von Cholerakranken 
in 10 Dörfern und zwei Städten (Pilsen und Rokycan) umgeben. 
Es starb eine durchreisende Frau in Radnitz an der Cholera 
und wurde da begraben: Niemand wurde angesteckt. Täglich 
kamen Fuhrleute aus den angesteckten Ortschaften auf mein 
Kohlenbergwerk, um Kohle zu laden: Niemand wurde angesteckt. 
In fünf. Wochen war die Krankheit in der Gegend vorüber. Die 
Aerzte und Nichtärzte haben viel unnütze Worte über das Con- 
tagiose und nicht Contagiose dieser Krankheit verschwendet und 
nichts erwiesen, weil sich merkwürdige Beispiele für und wider 
beide Meinungen anführen lassen, wie dies wohl auch bei Ma- 
sern und Scharlachfieber oft der Fall ist. So viel habe ich mir 
aus Erfahrungen abstrahirt: die Empfänglichkeit für Ansteckung 
ist individuell verschieden; ich kann den Fall anführen, dass 
von drei Kindern, die in einem Bette schliefen,, eines an der 
Cholera starb, die beiden andern gesund blieben; aber auch den 
Fall, dass ein Knabe aus einem fremden Dorfe, der in ein Dorf 
in die Schule kam, wo die Cholera herrschte, diese Krankheit 
nach Hause brachte und daran starb, aber sonst Niemanden 
ansteckte. In geschlossenen Räumen, engen Strassen, niederen 
Wohngebäuden , wo mehrere Menschen zusammenwohnen, hat 


sich die Krankheit am schnellsten verbreitet, doch auch nicht 


ohne Ausnahme. Menschen, die viel im Wasser arbeiten, Wä- 


scherinnen, Kattunfärber, sind verhältnissmässig mehr gestorben, 
als von anderen 'Gewerben. ‘Arme, schlecht wohnende und ge- 
nährte Menschen‘ mehr als solche, die von Fleischkost leben, 
Schweinefleisch ‘ausgenommen. Von einer Ansteckung durch 
blossen Umgang in freier Luft ist mir kein Beispiel bekannt. 
Furcht und Besorgniss hat aber manche Menschen umgebracht. 

Da in Wien die Cholera beinahe erloschen war, so wurde 


e 157 


die Versammlung der Naturforscher angesagt. Die Krankheit zeigte 
sich zwar Ende August wieder, zumal in den Vorstädten: wir wa- 
ren aber mit ihr schon ziemlich bekannt und achteten sie nicht 
mehr so besonders gefährlich; ich reiste dahin. Die Süddeutschen, 
zu welchen sie noch nicht gelangt war, liessen sich. sowohl durch 
Besorgnisse vor der Krankheit, als wegen der Unbequemlichkeit 
der Contumazanstalten abhalten; Norddeutsche und Aerzte aus 
allen vier Welttheilen kamen da zusammen. Wir waren 400 an 
der Zahl; der grosse Zweck der Annäherung des Nordens mit 
dem Osten wurde vollkommen, mit dem Süden nur zum Theil 
erreicht. Die Fremden sahen und erfuhren, was sie früher 
nicht hatten wissen können, dass in der österreichischen Mon- 
archie wohl so viel in den Naturwissenschaften gearbeitet wird, 
als irgendwo, wenn man gleich niehts davon im Auslande ver- 
nimmt, weil die Oesterreicher schweigsame Menschen sind. Es 
wurden der Gesellschaft viele Ehren erwiesen, worüber der Se- 
cretär der Versammlung, Astronom Littrow, einen recht schick- 
lichen Bericht erstattet hat. Das wissenschaftliche Band ist ge- 
schlossen und wird. hoffentlich gute Früchte bringen: aber der 
verehrte Freund, mit welchem ich diesen Zweck mehrmals be- 
sprochen, der einen so lebhaften Antheil an dieser Vereinigung 
genommen, Göthe, war nicht mehr unter uns.  Ehrenvoll wurde 
auch sein Name, mit Cuvier vereinigt, von den Naturforschern 
ausgesprochen, als sie den ausgezeichneten Vorangegangenen 
ein Lebehoch: in die unbekannte Natur nachriefen. Hoch. wird. 
er im Andenken Aller leben, die mit ihm lebten und nach ihm 
leben werden: die Lücke wird aber so bald nicht ausgefüllt sein; 
für mich bleibt sie unausfüllbar. 

Auf meiner Rückreise beschäftigte ich mich in Iglau, Deutsch- 
brod und der ganzen Umgegend mit den stummen Zeugen des 
ungeheuern Bergbaues, welcher im XII und XIV Jahrhunderte 
daselbst getrieben worden. Ich sammelte auch später in Archi- 
ven, und wo ich sonst Gelegenheit fand, Nachrichten zu meiner 
Geschichte der Bergwerke, um sie in den Wintermonaten. bis 


158 


halben Januar, die ich in Bfezina zubrachte, zu ordnen; es ist 
aber das Material noch immer nicht hinreichend, um die Re- 
daction beginnen zu können. 

Bald nach meiner Zurückkunft ertheilte mir S. Maj. der 
Kaiser das Commandeurkreuz des Leopoldordens, als ein Merk- 
mal, wie ich glaube, der allerhöchsten Zufriedenheit mit der so 
heiter und anständig ausgefallenen Versammlung der Naturfor- 
scher; in welcher Rücksicht mich diese Auszeichnung ganz be- 
sonders erfreute. 


1833. 


Meinen 73 Geburtstag verlebte ich abermals ganz still in mei- 
nem Bfezina. Ich hatte im verflossenen Jahre einen herben 
Verlust durch den Tod des Grafen Bray erlitten, der auf seinem 
Landgute in Irlbach gestorben war. Vierzig Jahre waren wir im 
wissenschäftlichen Briefwechsel gestanden , viele frohe Stunden 
hatten wir zusammen verlebt und die fata utriusque fortunae, 
die in unserer bewegten Zeit sich so häufig einfanden, mit ein- 
ander getheilt. Sit sibi terra levis! Das ist das traurigste Loos 
des Alters, dass man am Ende unter einer Generation verein- 
samt, die unsere frühere Zeit nicht gekannt hat, unsere Erinne- 
rungen nicht theilen kann! 

Graf Bray hatte die Uebersetzung des 5 Heftes der Flora 
der Vorwelt gleich den früheren übernommen, konnte sie aber 
nicht mehr vollenden; das Manuscript kam zurück. Indessen war 
viel Neues in diesem Fach erschienen, das Bisherige muss überar- 
beitet werden. Die deutsche Auflage wurde in Prag gedruckt, 
das 5 und 6 Heft mit 26 Kupfertafeln, grösstentheils Fucoideen 
und Calamiten, erschien zur Ostermesse; es enthält zugleich 
eine Revision der bisher in diesem Fache erschienenen Schriften. 
Die Pflanzen werden in botanischer Form nach Familien, Gat- 
tungen und Arten aufgestellt: doch sind dieses Alles nur Ver- 
suche, die noch manche Umwandlungen erleiden werden, wenn 
wir nur erst mehrere und bessere Exemplare besitzen werden. 


159 


Der Ausbildung dieses wissenschaftlichen Zweiges steht vorzüg- 
lich entgegen, dass die Sammlungen theuer und schwerfällig 
sind; unbemittelte Botaniker können sich kaum daran wagen. 
Tausend getrocknete noch so seltene Pflanzen wiegen nicht mehr, 
als ein grosser gut ausgesprochener Abdruck: will man solche 
erhalten, braucht man mehrere Menschen zur Arbeit; indess der 
Botaniker hundert Pflanzen mit der Wurzel auszieht und in 
seiner Büchse nach Hause trägt, bedarf man hier einer Kiste 
oder mehrerer Menschen, um die Steine nach Hause zu schleppen, 
und kleine Bruchstücke geben selten genügenden Aufschluss. 
Will man welche aus entfernten Gegenden beziehen, so kosten 
die Transporte ein schmähliches Geld. Andere Botaniker von 
Ruf hält der Ehrgeiz zurück, sich an die Bestimmung zu wagen, 
weil es noch nicht möglich ist mit vollkommener Beruhigung 
ein Urtheil auszusprechen. Ich habe Letzteres gewagt, und 
denke, wenn nur Diejenigen Steine gegen mich aufheben, die 
bei Bestimmung von Naturalien sich nie geirrt'haben, dass mein 
Körper ziemlich unversehrt bleiben wird. Mehreres und in bes- 
seren Exemplaren als Andere kann ich mir aber verschaffen, 
weil ich mehr darauf verwenden kann. 

Im Monat Mai unternahm ich eine ökonomische Reise über 
Wien nach Altenburg in Ungarn, auf die Herrschaften Sr. kais. 
Hoheit des Erzherzogs Karl, dessen Oberbeamter (in Ungarn 
Regent genannt) eine ganz vortreffliche Wechselwirtlischaft ein- 
geführt hat. Der Bericht über diese Reise wurde in die Schrif- 
ten der k. k. ökonomischen Gesellschaft in Böhmen eingerückt. 

Im Juli hielt ich mich wie gewöhnlich in Karlsbad auf, wo 
mich Freiherr Leopold von Buch besuchte. Von dort machte 
ich eine kleine Reise durch den Leitmeritzer Kreis, besonders 
den Schaalthier- und Fischversteinerungen zu Liebe, ohne be- 
sonderen Erfolg. 

Da Se. Maj. der Kaiser und die Kaiserin Prag und Böhmen 
mit ihrem Besuch beglückten, so kehrte ich nach Prag zurück, 
und verweilte daselbst bis zu höchstderen Abreise. Es war diese 


160 


Erscheinung eine doppelt erfreuliche, da es sich sehr: deutlich 
zeigte, dass unser Volk die Segnungen des Friedens, das ruhige 
Wohnen unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum 
zu würdigen versteht. Die Ankunft des Kaiserpaares war ein 
herrlicher Triumphzug, von 20000 Menschen begleitet, die ohne 
militärische Zucht und ohne polizeiliche Mitwirkung die natür- 
liche Polizei gut gesitteter Menschen selbst ausübten, und stets 
den langsam fortschreitenden Wagen begleitend, voreilend, nach- 
laufend, nirgends ein Hinderniss erregten, so mit dem Wagen 
auf dem Schlossplatze ankamen, sich aufstellten, dann als Ihre 
Majestäten auf den Balcon heraustraten zu danken, ihr Vivat er- 
tönen liessen und ruhig wieder abzogen. 

Ich hatte nun nur wenig Zeit übrig, mich in Brfezina um- 
zusehen und meine Reise nach- Breslau zur Versammlung der 
Naturforscher anzutreten. Die acht Tage der Versammlung 
gingen schnell vorüber: unter vielen alten Bekannten fand ich 
hier auch Alexander von Humboldt. und Robert: Brown. | Die 
zoologische Sammlung und die der vergleichenden: Anatomie, 
unter Aufsicht des Medicinalraths Otto, verdienen  vorzügliche 
Aufmerksamkeit. Da am vorletzten Tage das Wetter heiter ge- 
worden, so wurde eine kleine Reise indie Bäder und Steinkoh- 
lenwerke in Vorschlag gebracht; der: Secretär: der Gesellschaft, 
MR. Otto, stellte sich an die Spitze, und es folgten am ersten 
Tage mehr als 30 Naturforscher. : Wir schlugen unser Haupt- 
quartier im (Salzbrunn)bade auf, wo uns ‚der Localbadearzt 
(Zemplin *) und mehrere der Angesteliten von Waldenburg mit 
ihren Frauen gar freundlich aufnahmen und bewirtheten. Am 
folgenden Morgen fuhren wir bei Altwasser in den: schiffbaren 
Fuchsstollen ‚auf vorbereiteten Schiffen‘ mit Musik ein, ‘bis zu 
einer in der Kohle ausgehauenen sehr 'zierlichen Grotte, 'wo wir 
abstiegen und mit einem reichlichen Gabelfrühstück bewirthet 


weine 


*) Die Namen „Salzbrunn” und „Zemplin” sind im Original in bianeo 
gelassen. 


161 


wurden. Mangel an reiner Luft (Wetter in bergmännischer 
Sprache) gestattete uns keinen langen Aufenthalt. Wir besahen 
Altwasser, die dortige technische Anstalt und Naturalienhand- 
lung von Hrn. Vieweg, die manches Interessante an Conchilien, 
Pflanzenversteinerungen und Abdrücken etc. darbot, dann die 
Kobhlenformation mit ihren Begleitern, die sich über Tag sehr 
gut ausnimmt, und fuhren zu dem ganz herrlich gelegenen Schloss 
des Baron von Hochberg, Reichenstein, wo wir im Gasthof, ZU- 
sammen speisten und den ganzen Nachmittag in, den herrlichsten 
Spaziergängen zubrachten. In der Ruine fanden, wir Gesellschaft 
und verweilten, bis der volle Mond die Schlucht beleuchtete, wo 
wir dann in unser Hauptquartier zurückkehrten. Am dritten Tag 
fuhren wir schon in etwas verminderter Gesellschaft nach. Wal- 
denburg, um die Sammlungen von Pflanzenabdrücken ‚des Berg- 
amts und jene des Markscheiders Boksch zu 'besehen. Hier war 
ich in meinem Element, und sah mitunter manches Neue, oder 
bessere Exemplare als ich bisher gekannt; es ergab sich daraus 
ein Stichhandel gegen meine Flora der Vorwelt, der beiden 
Theilen nützlich sein wird. Nachmittag fuhren wir nach Char- 
lottenbrunn:: die Gesellschaft begab sich noch weiter, um eine 
schöne Gegend zu beschauen, ich blieb bei dem dortigen Apo- 
theker, der mich schon in Breslau eingeladen | hatte, seine Samm- 

lung anzusehen; ich fand auch ‚hier einiges Seltene, und erhielt 
auch durch gütige Mittheilung einige mir angenehme Exemplare. 

In Waldenburg nahmen wir Abschied von der Familie des Berg- 
hauptmanns, der uns so viel Freundschaft ‚erwiesen, und kehrten 
in unser Hauptquartier zurück. Am vierten Morgen trennte sich 
die Gesellschaft nach allen Seiten; es blieben blos MR. ‚Otto, 
Prof. Agassiz aus Neufchatel, Hofrath Hermann und Sohn aus 
Magdeburg, Custos Zippe und: ich. Wir. nahmen ‚Abschied von 
dem wackeren Badearzt in Salzbrumn, und machten einen Ab- 
stecher in: das romantische Gebirge bei Adersbach in Böhmen. 

Ein wonnevoller Tag machte diese Excursion ‚höchst angenehm, 
und so auch unsere Rückreise nach Landshut, ‚Hier, trennte 

11 


162 


auch ich mich von der Gesellschaft, die am folgenden Morgen: 
die mir bekannte Schneekoppe besteigen und nach Warmbrunn 
herabgehen wollte, während ich über Trautenau und Jiöin meine 
Rückreise nach Prag antrat. Diese Fahrt durch die schlesischen 
Porphyre, die mit dem rothen Sandstein nach Böhmen herein- 
streichen, in die Sand- und Basaltgebilde um Jitin, ist ausneh- 
mend interessant. Prof. Agassiz hat sich acht Tage in: Prag auf- 
gehalten und während dieser Zeit die versteinerten Fische des 
Museums : bestimmt, — ein  liebenswürdiger geistvoller junger: 
Mann, der noch vieles leisten wird. | 
In Prag erwarteten mich vielerlei Geschäfte, worunter jenes 
der Eisenbahn von Prag nach Pilsen nicht unter die erfreulichen 
gehörte. Wir hatten im Jahre 1823 den Bau angefangen, wo 
allenthalben die Souveraine die Interessen herabsetzten und 
selbst befiissen waren, das Geld von dem Börsenspiel wieder in 
den innera Verkehr zu wenden. Wir zweifelten keinen’ Augen- 
blick, dass die 1200 Actien, die wir bedurften, leicht>einzubrin- 
ger sein würden: die Julirevolution 1830 hat es anders ge- 
wendet, es ist nicht die Hälfte der Actien: abgegangen, daher 
auch nicht die Hälfte.der Bahn vollendet worden. Der Verbrauch 
des Geldes hat andere, schneller und besser zum Ziel führende 
Auswege gefunden; verschiedene Schwierigkeiten, ‘die sich im 
Bau selbst ergaben, haben die Theilnahme geschwächt; die ganze 
Idee der Ausführung derselben ist gleichsam demoralisirt worden, 
alle Vorschläge, sie fortzusetzen, sind verschollen. : Es wurde - 
eine: Generalversammlung gehalten und Vorschläge zu einem 
neuen ‚Arrosement: gemacht, von. denen ich jedoch wenig erwarte, 
Durch alle diese Geschäfte wurde ich bis zum: 20 November in 
Prag festgehalten, ride | | 
; Ich hatte mir: Manches vorbehalten, wozu ich a ee 
Jahr keine Zeit gefunden: unter Anderem die Fortsetzung meiner 
schon mehrmaligen Versuche, unsere trockene Schieferkohle zum‘ 
Backen zu bringen: allein das ungestüme Wetter liess es. 
schlechterdings nicht zu, das Haus zu verlassen. Darum wendete 


163 


ich mich zur Redaction der Geschichte der böhmischen Berg- 
werke und der Berggesetzgebung, wofür ich bereits einen Wust 
von Acten gesammelt hatte: bei der Arbeit zeigte es sich jedoch, 
dass die Acten der Bergwerke viel zu mangelhaft sind, um etwas 
Vollständiges zu Stande zu bringen; die Geschichte der Gesetz- 
gebung dürfte dennoch manches Neue und Schätzbare darbieten. 
Ich hatte auch eine ordentliche Abdeckarbeit vom Tag herab 
veranstaltet, um mir schöne Exemplare von Pflanzenabdrücken 
zu verschaffen, und war bis auf die Lage gekommen, wo sie sich 
befinden, als die furchtbaren Stürme und Regengüsse des Monats 
December eintraten, die mir Dächer abwarfen, Wälder nieder- 
legten und mich von den Bäumen der Vorwelt zu denen der 
Jetztwelt herüberdrängten. Ich baute also ein Dach über 
meinen verborgenen Schätzen, um im Frühjahr mein Glück weiter 
zu versuchen. 


1834. 


Meinen 74jährigen Geburtstag habe ich wie gewöhnlich zu 
Hause allein zugebracht, die lange Bahn, die ich bereits durch- 
“ gewandert, zu betrachten und dankbar zu erkennen, wie ich noch 
in diesen hohen Jahren körperlich und geistig rüstig meinen ge- 
wohnten Lebenslauf fortzuführen vermag. Der Winter wurde auf 
gewöhnliche Weise in Prag zugebracht, und nach der General- 
versammlung des Museums, wo ich noch immer erfreuliche Be- 
richte über die Vermehrung der Sammlungen und das wissen- 
‚schaftliche Fortschreiten der Anstalt abzustatten hatte, Bfezina 
wieder besucht. 

Alle Vorkehrungen bei der Abdeckarbeit auf dem Kohlen- 
bergwerk hatten das gewünschte Ziel nicht erreicht: die Nässe 
des Winters hatte trotz dem Bretterdach den Schieferthon durch- 
weicht und der späte Frost ihn zerrissen; ich konnte keine gu- 
ten Exemplare erhalten. Die gütige Natur verlässt jedoch ihre 
Getreuen nicht: was ich suchte, konnte ich nicht erreichen, wo 
ich nichts erwartete, wurde ich reichlich belohnt. In einem Stein- 

3 


164 

bruch nächst einem alten Kohlenbau aus dem XVI Jahrhundert, 
wo ich. oft vergebens herumgewühlt, wurden ‚ganz unerwartet 
vier aufrecht stehende fossile Bäume entblösst. ‚Ich fuhr zufällig 
vorüber, stieg herab und wurde durch ihren Anblick freudig 
überrascht. Indem ich nun Anstalten traf, sie zu gewinnen, ver- 
suchte ich auch das Nebengestein, und es zeigte sich ‚eine. man- 
delartige Frucht, unter welcher noch etwas. verborgen zu ‘sein 
schien, was ich nicht entziffern konnte. Ich. brachte das Stück 
nach Hause, und versuchte mit dem Meissel das Verborgene, zu 
entblössen; und siehe da! es erscheint zu meiner 'grossen. 'Ver- 
wunderung eine Versteinerung aus dem Thierreich, wie wir. bei 
‚der Porphyrkohle noch nie eine gesehen haben: ob Krebs, Scor- 
pion, oder keines von beiden, mag die Versammlung. der Natur- 
forscher entscheiden. Zwei der Stämme wurden glücklich heraus- 
gelöst und für das Museum gewonnen. Nach diesem glücklichen 
Ereignisse besuchte ich wohlgemuth Karlsbad, um für mich wie- 
der ein Lebensjahr zu gewinnen; wäre es auch nur; um meine 
Geschichte der Bergwerke zu fördern, die mir weit grössere 
Schwierigkeiten bietet, als ich erwartet hatte, 

Nach meiner Rückkehr aus Karlsbad hielt ich mich 'nur.eine 
kurze Zeit, in Biezina auf, um eine grössere Reise anzutreten. 
Ich hatte mir nämlich vorgenommen, da mich die Versammlung 
‚der N aturforscher nach Stuttgart führte, Süddeutschland geogno- 
stisch zu durchwandern, und die Pflanzenversteinerungen der Keu- 
persandsteinformation näher kennen zu lernen; bei dieser Gele- 
genheit wollte ich auch meine alten Freunde und Bekannten wie- 
der sehen. 

‚Den 13 August verliess ich Bfezina und begab mich nach 
Eger, um den vor. vielen Jahren unternommenen Versuch, die 
Streitfrage zu lösen, ob der Kammerbühl bei Franzensbad ein 
wahrer. oder. ein Pseudo-Vulcan sei, noch einmal zu wiederholen. 
Göthe hatte in. seinen nachgelassenen Schriften die Hoffnung aus- 
gesprochen, dass ich es thun würde; Berzelius hatte mich mehr 
als. einmal dazu aufgerufen: ich war daher schon von Karlsbad 


165 
aus mit Grafen Joseph Breuner und Gubernialrath Aloys Mayer 
dahin gereist, um den Punkt zu wählen, wo ein Schacht abzu- 
teufen wäre. Dieser wurde in Arbeit genommen, und ich ver- 
folgte meinen Weg nach Regensburg, wo ich mich an alten Be- 
kannten und vielen noch älteren Erinnerungen erfreute. Bei die- 
ser Gelegenheit besichtigte ich auch den Bau der Walhalla nächst 
Donaustauf, ein wahrhaft gigantisches Unternehmen des jetzigen 
Königs von Bayern. Ist man gleich noch nicht im Stande, das 
Ganze zu beurtheilen, so ergibt sich doch schon aus dem bisher 
Aufgeführten, dass die erhabene Idee des Königs mit einer Kunst- 
fertigkeit, die man kaum zu erwarten sich berechtigt hielt, gross- 
artig ausgeführt wird. Es sollte mich hoch erfreuen, wenn ich 
die Einweihung dieses Tempels erleben sollte. 

Von Regensburg eilte ich nach Heidelberg, eine alte Freun- 
din von mir, die Frau von Löw, geb. Diede, noch zu sehen, be- 
vor sie zu ihrer Tochter nach Holstein abreiste. In dieser anmu- 
thigen Gegend, die zu den interessantesten Excursionen einladet, 
wurden zehn Tage des heurigen herrlichen Sommers still und 
angenehm zugebracht, mit Prof. Ritter von Leonhard und anderen 
alten Bekannten lehrreiche Gespräche geführt, der Schwezinger 
Garten und das reiche Herbarium von Hrn. Zeyher besucht. Als 
. Frau von Löw abgereist war, begann auch ich meine Wanderung. 
In Sinsheim, wo die Keuperformation anfängt, war der bekannte 
Alterthumsforscher Pfarrer Wilhelmi mein Geleiter. Schon in sei- 
ner und der dortigen Gesellschaft hatte ich Gelegenheit, Pflan- 
zenversteinerungen und Abdrücke zu sehen: in den Steinbrüchen 
waren deren noch mehrere zu erhalten, so dass ich, durch die 
Liberalität des würdigen Pfarrers unterstützt, schon ein hübsches 
Kistehen auf meinem Wagen mitnehmen konnte. Ich verfolgte 
diese Formation nach Heilbronn, wo sie sich mächtig ausbreitet, 
doch weniger reich an Abdrücken ist; sie geht nun fort bis 
Stuttgart, wo sie sehr viele Abdrücke enthält. | 

In Stuttgart fand ich die Beschreibung einer neu entdeck- 
ten Berghöhle im Jurakalk zu Erpersdorf zwischen Reutlingen 


‚166 


‚und: Urach; ich eilte dahin, um sie näher zu untersuchen. Der 
Weg von Reutlingen über Lichtenstein auf die Alp hinauf: ist 
steil und beschwerlich, doch durch eine sehr schöne Aussicht von 
dem Schlosse Lichtenstein und der. Nebelhöhle lohnend. Die 
‚Höhle bei. Erpersdorf muss: im XVI Jahrhunderte, wohl schon 
bekannt gewesen sein, weil der Berg, in welchem sie sich. befin- 
det, in dem ältesten Urbarium des Dorfes, wohin er gehört, der 
Höhlenberg genannt wird. Sie mag in späteren Kriegszeiten viel- 
‚leicht Räubern zum Versteck gedient haben, und darum ver- 
schlossen worden sein; das Loch, durch welches man in diesem 
Jahr eingedrungen ist, war mit drei grossen Steinen verrammelt. 
Die Stalaktitenverzierungen dieser ziemlich: langen aber nicht 
sehr breiten Höhle sind von ausgezeichnet. schönen Formen, wie 
ich sie ausser der Adelsberger Höhle nirgends schöner gesehen 
habe. An den Wänden zu beiden Seiten liegen am Grunde un- 
zählige. Köpfe und Knochen von den Höhlenbären; vorne. unter 
der verkeilten Oeffnung ein Schutthaufen mit Mensehenknochen, 
Schädeln und Bruchstücken von römischen: Urnen, die wohl erst 
in. späterer Zeit hineingeworfen worden sind. Sie gehört dem 
Dorfe, und ist an zwei Gemeindegenossen verpachtet, die nicht 
viel daran wenden können, um sie weiter zu untersuchen. 

Da mir noch Zeit vor der Versammlung übrig war, so reiste 
‚ich von Reutlingen nach Donzdorf zu meinem alten Freund Gra- 
fen Rechberg und seiner Familie, wo ich acht Tage verweilte 
und mich in der Juraformation herumtrieb. Bilder der Vorzeit 
wurden hervorgerufen, und die alten Knaben erfreuten sich in 
der Erinnerung, auch jemals jung gewesen zu sein. Endlich rückte 
die Zeit der Versammluug heran und ich verfügte mich nach 
Stuttgart. 

Man hatte Vorkehrungen getroffen, um den Naturforschern 
das Leben geistig und körperlich erfreulich zu gestalten. Die 
vermehrten königl. Sammlungen waren mit besonderer Rücksicht 
auf die Vorkommen im Königreich Würtemberg geordnet; sie 
sind, besonders in Bezug auf Vorwelt, sowohl in Thier- als 


- 


167 


Pflanzenversteinerungen sehr reich: aber nebst diesen waren auch 
‚noch in dem Gebäude, wo die Sectionen ihre Sitzungen abhiel- 
ten, in anstossenden Zimmern verschiedene Sammlungen einzel- 
ner Naturforscher aufgestellt, aus welchen auch liberale Mitthei- 
lungen erfolgten. Ein sehr angenehmes Weinlesefest wurde uns 
in einem nahen, Weinberge geboten, wo wir auch alle Trachten 
des weiblichen Geschlechts des Königreichs Würtemberg auf sehr 
‚lieblichen Gestalten von Frauen und Mädchen kennen lernten. 
‘Der König liess uns in Hohenheim, wo eine ökonomische Aka- 
demie sich befindet, ein Fest geben; bei welcher Gelegenheit 
wir die königl. Gestütte, besonders von arabischer Abkunft, so 
wie Heerden von Rind- und Schafvieh verschiedener Racen zur 
Ansicht erhielten. In freundlicher Gegend und herrlichem Wetter 
war dieser Ausflug sehr angenehm. In Hohenheim selbst ist 
alles Material vorhanden, um rationelle Oekonomen zu bilden. 
Die Sectionen haben fleissig gearbeitet; ich habe in der botani- 
schen und geognostischen, wo ich zum Präsidenten gewählt wor- 
den war, kleine Vorlesungen gehalten. Den Scorpion, den ich 
bei meinen versteinerten Bäumen gefunden, übergab ich der zoo- 
logischen Section zu näherer Untersuchung: sie ernannte vier 
Mitglieder zu diesem Zweck, und das Urtheil fiel dahin aus, dass 
es eine Scorpionart: sei, die man, da die Augen nicht zu er- 
kennen sind, nicht genau bestimmen könne, die aber sonder 
Zweifel eine neue Art bilde. Am letzten Tage waren wir in das 
königl. Schloss Rosenstein zum Mittagessen geladen: der König 
erschien vor dem Essen und liess sich sämmtliche Mitglieder 
sectionsweise vorstellen. Ich blieb noch einige Tage länger, um 
meine alten Regensburger Bekannten, Frau von Beroldingen und 
Fr. von Seckendorf zu besuchen, auch das Volksfest in Kann- 
stadt abzuwarten, wo die Preisaustheilung für die Viehzucht er- 
folgte. Die aufgestellten ökonomischen Trophäen in dem breiten 
Wiesenthal, die’Menge von Menschen, die im selben wogte, ge- 
währten einen angenehmen Anblick. Pferde und Hornvieh ver- 
dienten alles Lob, die Schafzucht ist noch auf keinem hohen 


168 


Grad von Ausgleichung; die schönste Heerde besitzt der König 
auf dem Achalım'bei Reutlingen, sie stammt von Lohmain Sachsen. 

‘Nun mächte ich mich an die Rückreise, besah eine zahl- 
reiche Sammlung von Versteinerungen in Geislingen, hielt mich 
noch einen Tag in Donzdorf auf, und fuhr von ‘dort über die 
Alp nach. Wasseralfingen, die dortigen ‘Hochöfen: zu 'besehen, 
die mit heisser Luft blasen: eine ausgezeichnete Manufactur, die 
aus zwei Oefen wöchentlich. 800 Centner Eisengusswaren er- 
zeugt; auch besuchte ich die Eisenbergwerke im Lias, in wel- 
chen häufig Fischzähne in Kugeln eingeschlossen gefunden 
werden. | 

Von da reiste ich über Augsburg nach München, wo ich 
seit dem Jahre 1827 nicht mehr gewesen war. ‘Was sich in 
München seit sechs Jahren einzig aus dem Willen und der Be- 
harrlichkeit des Königs gestaltet hat, wie sich die Baukunst 
gehoben ünd alle schönen Künste hier centralisirt haben, ver- 
dient aufmerksam erwogen zu werden. Unser Zeitalter war 
bisher in diesen Fächern nicht sonderlich productiv: man sieht 
aber hier, dass der Genius der Künste nur eines 'erhabenen 
Mäcens bedurfte, um aus dem Schlaf geweckt zu werden. Es ist 
aber nicht minder bemerkenswerth, wie sich das Genie des Kö- 
nigs, aus welchem diese Gestaltungen hervorgingen , zu diesen 
verschiedenen Anordnungen hervorgebildet habe, von denen eine 
jede einen bestimmten Cyclus umfasst. 

Von Natur begabt, in Deutschlands ältere Geschichte ein- 
geweiht, der neuen abhold, reifte König Ludwig in der deutsch- 
thümlichen Epoche zum Manne. Seine erste grossartige ‘Idee,’ 
die er schon als Kronprinz ausgebildet hatte, war die Walhalla, 
die er nun ausführen lässt. Die grossartigen Baue des Mittel- 
alters vom XI bis XVI Jahrhunderte, dessen Kirchen und Dome, 
hinterliessen ihm einen tiefen Eindruck. Durch das Lesen’ der 
griechischen Classiker , durch die vielen Reisen’ nach Italien, 
wurde er mit dem Kunstsinn der Griechen und soviel davon an 
die Römer überging, vertraut, und mit vielen jungen Künstlern 


169 


bekannt; auch schon damals fing er an, alte Kunstwerke zu 
sammeln, die ihn später auf die Idee der Glyptothek führten. 
In ihm selbst erwachte ein poetischer Geist, der ihn den älteren 
und neueren Dichtern näher brachte. Sein reges Gemüth, sein 
empfänglicher Geist nahm diese Eindrücke nicht einzeln als ge- 
schichtliche Erinnerungen auf: ihre verwandte Tendenz schmolz 
allmählig zu einem eigenen Geschmack zusammen, dem das 
grossartige Walten der deutschen Kunstepoche zu Grunde lag 
und kein Unternehmen zu gross scheint, das mit beharrlichem 
Sinn durchgeführt werden kann. Zu gleicher Zeit wurde aber 
mit den Bildwerken auch der griechische Kunstsinn nach Deutsch- 
land übergeführt und gleich Allem in einen geschichtlichen Cy- 
clus gereiht, Künstler wurden angezogen, es bildete sich eine 
neue Kunstschule eigener Art, und wenn der Himmel dem Kö- 
nig die Lebensjahre fristet, so wird die Nachwelt erstaunen, was 
der Einfluss eines einzigen genialisch gehaltvollen Königs für 
sein Zeitalter hervorzubringen vermochte. — 

Von München wandte ich mich nach Eichstädt, dessen in- 
teressante geognostische Verhältnisse jeden Naturforscher an- 
sprechen, und von da nach Nürnberg, welches ich seit vielen 
Jahren nicht mehr gesehen hatte. Obgleich mir alles bekannt 
war, so erfreute ich mich doch wieder an den ganz herrlichen 
Kirchengebäuden und Alterthümern. Die in der Morizkapelle 
zusammengestellten Gemälde sowohl , als jene im alten Schloss, 
enthalten gar Manches von bedeutendem Kunstwerth aus Albrecht 
Dürer’s Zeit. Das Monument ist noch nicht aufgestellt. 

Von Nürnberg reiste ich über Erlangen, wo ich die Uni- 
versitätssammlungen und den botanischen Garten besuchte, nach 
Bamberg zu meinem alten Freund Erzbischof Baron von Fraun- 
berg, wo ich wieder in Erinnerungen aus der früheren Zeit mich 
erfreute. Hier fand ich mich wieder in der Formation des Keu- 
persandsteins, und konnte meine: Studien über die vorweltlichen 
Pflanzen fortsetzen. Die Bamberger Naturforscher hatten im 
Locale der öffentlichen Sammlungen ein Zimmer dieser Samm- 


170 


lung gewidmet, und Dr. Kirchner, der das Meiste gefunden, be- 
sitzt noch eine 'eigene in seinem Hause; beide Sammlungen ent- 
halten vieles Neue und Interessante, welches wohl verdiente, 
in die Wissenschaft eingeführt zu werden. So lange das nicht 
geschieht, sind in Schränke eingeschlossene Naturalien so gut 
‘wie gar nicht vorhanden , und vieles ist auf diese Art für die 
Wissenschaft für immer verloren gegangen. 

Die bis dahin den Reisenden günstiger als den Oekonomen 
gebliebene beständige Witterung wurde im halben October end- 
lich durch ein starkes Gewitter mit Sturm’ gebrochen. 'Ein paar 
Excursionen, die ich noch versuchte, wurden beschwerlich und 
wenig lohnend. Ich trat meine Rückreise an, konnte aber die. 
vor zwei Jahren entdeckte Rabensteiner Höhle doch nicht un- 
besucht lassen; auch gönnte mir der Himmel noch diesen letzten 
regenlosen Tag. Diese Höhle ist in naturhistorischer Hinsicht 
wohl eine der interessantesten. Sie gehört zu dem fränkischen 
Juragebirgszug, der halb Europa mit Bärenköpfen versehen hat: 
aber so vergesellschaftet, wie hier, sind die fossilen Thiere sel- 
ten. Nicht sehr fern vom Eingang kömmt man in einen abwärts 
geneigten Raum, von der Grösse: eines Speisesaales: ein statt- 
liches Rennthiergeweih erhebt sich aus der Mitte der Stalagmi- 
ten, die in der Mitte des Saals aufgehäuft sind; neben diesem 
ein gigantisches Becken von einem Mammuth , und tiefer zur 
Seite starren drei aufgerichtete Bärenköpfe hervor; Löwen- und 
Hyänenkinnladen und unzählige Knochen sind noch in der Höhle, 
deren Stalagmitengrund nirgends durchbrochen wurde. Meh- 
rere Kisten kamen auch in das Schloss, wo sie im nächsten Jahr 
der Besitzer Graf Schönborn in einem eigens dazu vorgerich- 
teten Saal aufstellen zu lassen gedenkt. 

Regen und Sturm überfielen mich, bevor ich noch Baireuth 
erreichte. In dieser Stadt sind die beiden Sammlungen, die des 
Kreises, welche der Präsident Baron Aretin aufstellen liess, und 
jene des Grafen Münster, besonders merkwürdig; in beiden wa- 
ren aus dem Muschelkalk mehrere ganz neu entdeckte Thiere 


171 


aus der Familie der Saurier, Schildkröten, Fische und Pflanzen 
aus dem Liaskalk. Zwei Tage ‚lang trieb ich. mich in diesen 
herum, wo. man mich mit dem grössten Zuvorkommen  behan- 
delte. Es war nun Zeit, die Heimath zu suchen; Schnee hatte 
bereits das Fichtelgebirge bedeckt. 


In Eger musste ich trotz dem Sturme Notiz von dem Berg- 
bau (am Kammerbühl) nehmen: er war nicht ganz nach Wunsch 
gelungen; unerwartet war man in der zehnten Klafter, ohne in 
ein festes Gebirg zu gelangen, vom Wasser verdrängt worden, 
welches nicht bewältigt werden konnte. Die Arbeit wurde ein- 
gestellt, aber nicht aufgehoben; im Frühjahr wollen wir sehen, 
was etwa zu thun sein möchte. 


Zu meinen Hausgöttern heimgekehrt, wendete ich mich an 
die gewohnte Lebensweise. So bald die Materialien, die ich mit- 
gebracht, durchgesehen und geordnet - waren, nahm ich meine 
Bergwerksgeschichte vor, mit dem festen Entschlusse, das Land 
nicht eher zu verlassen, bis ich den ersten Theil würde durch- 
gearbeitet haben. Der Silvesterabend überraschte mich noch 
bei dieser. Arbeit, ohne meinen Vorsatz wanken zu machen. 


1835. 


= ‚Gegen meine sonstige Gewohnheit reiste ich am 5 Januar 
zu meinen drei Cousinen, die wenige Meilen von mir auf dem 
Lande zusammen wohnten, um meinen 75jährigen Geburtstag bei 
ihnen zuzubringen. Es sind die einzigen meines Namens, die 
noch. in Böhmen wohnen,. Töchter meines unvergesslichen 
Freundes, denen ich herzlich zugethan bin, die auch mir in 
meinen alten Tagen Freundschaft und Anhänglichkeit er- 
weisen. Drei schöne Wintertage brachten wir zusammen zu; 
nun sitze ich wieder an meinem Schreibtisch, und vollende mein 
Pensum. 


172 


Wie gewöhnlich, habe ich die Wintermonate in Prag zuge- 
bracht. Meine Zeit war den Gesellschaften, deren Präses ich 
bin, meine freien Stunden meinen Lieblingsarbeiten, der 'Ge- 
schichte der böhmischen Bergwerke und der Flora der Vorwelt, 
gewidmet. a 

Vor Ostern (14 April) wurde die alljährliche öffentliche 
Sitzung der Gesellschaft des Museums abgehalten. Am Schluss 
meiner Rede, da der zweite Cyclus von sechs Jahren meiner 
Präsidentschaft abgelaufen war, dankte ich für -das mir durch 
so viele Jahre geschenkte Vertrauen, und legte meine Stelle 
nieder. Se. Excellenz der Oberstburggraf, Graf Chotek, ergriff 
das Wort aus dem Stegreif in allzu schmeichelnden Worten, um 
mich wieder zur Wahl vorzuschlagen, die auch erfolgte. Ich 
habe sie im Bewusstsein meiner Alterschwäche auf so lange an- 
genommen, als mir meine Kräfte gestatten werden, meine Pflichten 
zu erfüllen. In den Verhandlungen des Museums für das Jahr 
1835 findet man die Reden abgedruckt. i 

Im Frühjahr reiste ich nach Wien, um den zweiten Band 
der Reise nach Brasilien von Dr. Pohl, der in’s Stocken gerathen 
war, flott zu machen. Bei diesem Geschäfte hatte ich, wie auch 
sonst noch, in Rücksicht auf wissenschaftliche Anstalten günstig 
einzuwirken. Da ich in meiner vollkommen unabhängigen Stellung 
Niemanden im Wege stehe, und für mich selbst nichts zu suchen 
noch zu erhalten habe, so gewinnt meine Rede, als vollkommen 
absichtslos und unverfänglich , das Vertrauen Derjenigen, die 
einwirken können. Professor Mohs wurde aus seiner zweideu- 
tigen Stellung von dem Naturalienkabinet zu der k. k. Hofkammer 
als Lehrer der Mineralogie und Geognosie übersetzt, wo er einen 
würdigen Wirkungskreis finden wird. Auch in dem Naturalien- 
kabinet wurden einige vorbereitende Anstalten getroffen; indessen 
bleibt da noch viel zu wünschen übrig. Bei der Blumenaus- 
stellung in Wien wurde ich an die Stelle des verstorbenen 
Grafen Bray für dieses Jahr zum Präsidenten bei der Preisaus- 
theilung gewählt: eine Stelle, die, ohne den Geist besonders an- 


173 


zustrengen, bei gutem Wetter viel Vergnügen gewährt und die 
Gelegenheit bietet, die Majestäten und höchsten Herrschaften 
da zu sehen. 

Nach meiner Zurückkunft nach Böhmen im Mai wurde die 
Schafausstellung und allgemeine Sitzung des Schafzüchtervereins 
abgehalten.. Es blieben mir dann einige Wochen, um meine 
eigenen Geschäfte hier (in Bfezina) zu betreiben. Sie waren nicht 
besonders erfreulich, da die aussergewöhnliche Trockenheit so- 
wohl eine schlechte Heu- und Getreideernte, als auch das Er- 
löschen des hohen Ofens aus Mangel an Wasser vorhersehen 
liess, was auch später wirklich eintrat. 

Im halben Juni reiste ich, wie alljährlich, nach Karlsbad, 
und besuchte im Vorüberreisen die beiden Gräfinnen Rechberg 
und Frau von Plessen, die ich da ‘zum letzten Male sah. Sie 
starb einige Monate nach ihrer Heimkunft; eine würdige Gattin, 
Mutter und Freundin, die von allen, die sie kannten, betrauert 
wird. Merkwürdige Naturforscher waren heuer keine in Karls- 
bad; meine Gesundheit erhielt sich gut, nur mein linker Fuss 
war sehr angeschwollen und es bildete sich eine Wunde. Ich 
machte einen Abstecher nach Eger, um meine Arbeiten am 
Kammerbühl in Augenschein zu nehmen, wo mir Vulcan und 
Neptun viele Schwierigkeiten in den Weg legten. Dann reiste 
ich nach Teplitz, um mein Bein wieder zu heilen, was auch 
gelang. Der Aufenthalt war mir zusagend; ich traf da Alexander 
von Humboldt, in dessen Gesellschaft ich jeden Tag reichliche 
Nahrung für den Geist fand; im Fürst-Clary’schen Hause war 
ich freundlich aufgenommen, machte Excursionen in die Um- 
gegend, sammelte Pflanzenabdrücke in dem gebrannten plasti- 
schen Thon der Braunkohle, und gelangte auch 'nach Tetschen 
zu der Thun’schen Familie. Da fand ich die Gräfin Bray mit 
ihrer Tochter Gabriele auf ibrer Rückreise nach Deutschland 
wieder: eine Episode, wo traurige Rückerinnerungen mit der 
‚Freude. des. Wiedersehens: verschmolzen. Ich besuchte dann 
noch die Granatformation in der Umgegend von Triblitz und 


174 


Dlaschkowitz,, bestieg einige der niederen (Pseudo)-Vulcane 
(unweit Laun) *) und kam über Prag nach Brezina zurück. 

Die Wunde am Fuss war wieder aufgegangen und wurde 
mir hinderlich : ich achtete es aber nicht sonderlich , und als 
Ihre Majestäten, der Kaiser und die Kaiserin, nach Böhmen 
kamen, verfügte ich mich am 6 September nach Pilsen, um den 
Majestäten aufzuwarten, reiste voraus nach Marienbad, wo ich 
Freund Martius:traf, und endlich nach Franzensbad, wo die Ma- 
jestäten die Arbeiten am Kammerbühl in Augenschein nahmen. 
Sie sind noch nicht vollendet, die Eruptionsspalte ‘zwar: mit 
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, aber noch nicht zur Gänze um- 
gränzt, — woran jedoch gearbeitet wird. Nachdem meine Freunde, 
Minister Graf Kolowrat und Generaladjutant Graf Clam-Martinitz 
abgereist waren, zog auch ich mich wieder zurück, bestichte 
Fürsten Metternich in Plass, wo ich mich nur ein paar Tage 
aufbielt, und kam wieder hieher (nach Bfezina), um auszurasten.. 
Denn es stand mir ein beschwerliches Hofleben bevdr, da eine - 
grosse Vereinigung der gekrönten und gefürsteten Häupter in 
Prag Statt finden sollte. 

Bevor dieses eintrat, ‚liess sich Professor Göppert aus 
Breslau in Prag ansagen, um mit mir die Pflanzen der Vorwelt 
in den Sammlungen unseres Museums durchzugehen und. mit 
seinen Arbeiten in demselben Gebiete zu vergleichen. Ich eilte 
dahin. Wir waren unermüdet im Untersuchen und Vergleichen; 
manche Schwierigkeiten wurden gehoben, neue boten sich dar. 
Wir waren noch nicht zu Ende, als, die höchsten und hohen 
Herrschaften von Teplitz nach der Hauptstadt herein kamen. 
Vielen bekannt, wurde ich vielseitig in Anspruch genommen; es 
war, wie Alexander Humboldt zu sagen pflegt, die aufgeregte 
Fiber, die mich durch 14 Tage von früh 7 Uhr bis nach Mit- 
ternacht in ununterbrochener Thätigkeit erhielt. Ich habe aber 


*) Die eingeschlossenen Worte zugeschrieben. Die Pseudo-Vulcane sind 
ausgebrannte Braunkohlenlager bei Koschow. (Anmerk. d. Herausgebers.) 


175 


auch dabei manchen Genuss gehabt, wenn unsere Anstalten ge- 
würdigt wurden; besonders dankbar war es Erzherzog Johann 
zu begleiten, der Alles mit tiefem Kennerblick auffasste. Noch 
am. vorletzten Tage hatten ‚wir eine Ausstellung sämmtlicher 
Obstsorten aus ganz Böhmen in dem ‚Garten des pomologischen 
Vereins veranstaltet, welche vollen Beifall erhielt und auch von 
Sr. Majestät in Augenschein genommen ‚wurde. Als aber: alle 
Herrschaften abgefahren waren , fühlte ich mich erschöpft, der 
Fuss‘ ‚war ganz lahm. Ich liess einen Chirurgen kommen, mir 
ein Fontanell darauf pfropfen, setzte mich in den Wagen und fuhr 
nach Brezina, um auszuruhen. Dieser Entschluss hat günstig 
gewirkt, der kranke: Fuss hat sich wieder ziemlich hergestellt; 
ich kann wieder viele Stunden ohne besondere Schwierigkeit 
gehen, ‚fühle ‚mich‘ auch: ‚sonst, verwunderlich kräftig. Dessen 
ungeachtet bleibt es aber wahr: Senectus ipsa morbus est. Mein 
rechtes Auge, welches freilich mit der Lupe und dem Mikroskop 
öfter hergenommen worden, hat sich in der Mitte der Pupille' ver- 
dunkelt, ohne. dass von Aussen die geringste Makel zu beobach-. 
ten: wäre: durch den Rand der ‘Pupille sehe ich aber noch gut. 
So.z. B. wenn ich am gestirnten Himmel einen ausgezeichneten 
Fixstern' ansehe und das linke Auge schliesse, so ist der Stern 
verschwunden, ich sehe aber: viele andere kleinere, die von ihm 
entfernt im Kreise stehen; oder, sehe ich.nach einem Kupfer- 
stich an. der Wand, so erscheint mir der Rahmen und die weissen 
Papierstreifen umher ganz deutlich, die Zeichnung ist: aber ganz 
verwischt, als sähe ich durch eine angeschmauchte Fenstertafel. 
Nun, ‚das Auge hat mir 75 Jahre ehrlich gedient; bleibt mir das’ 
linke, wie es ist, so kann ich mich immer noch behelfen. Gott 
befoblen ! 

„Im Monat November reiste ich wie gewöhnlich ‘zu den: 
Prüfungen der ökonomischen: Gesellschaft :nach Prag, wo.ich: 
dann auch meine übrigen Geschäfte abgethan habe, Nun bin 
ich wieder in Bfezina, und bleibe hier bis nach Schluss’des Jah- 
res, um den ersten Band der Geschichte der Bergwerke zu re- 


176 


digiren, der im Lauf des Winters gedruckt werden soll: eine 
mühselige undankbare Arbeit, aus manken Acten, die aber viel- 
leicht doch nicht unnütz sein wird; sie lehrt wenigstens, wie 
man es nicht machen soll. Die Urkunden sind schon gedruckt, die 
Mehrzahl gehört zur Geschichte der Berggesetzgebung: wolle der 
Himmel, dass ich sie vollenden könne! sie wird ein grösseres 
und allgemeineres Interesse darbieten. Nebst diesen beiden Wer- 
ken habe ich auch noch das VII und VII Heft der Flora der 
Vorwelt zu vollenden. Vieles ist dazu bereits vorbereitet: 
vielleicht gelingt es mir, auch diese im künftigen Jahr zu 
vollenden. 

31 December 1835. In diesem Monat ist die Organisation 
des Personals an den Wiener Kabineten nach einem Vorschlag 
des Directors Schreibers vollendet worden. Es sind nun junge 
und tüchtige Männer bei den meisten Fächern angestellt, die 
Vieles zu leisten im Stande sind; es kömmt nur noch darauf 
an, durch eine Abänderung des Geschäftsganges "ihnen mehr 
Zeit für das Studium der Wissenschaften und mehr Raum für 
die Sammlungen zu verschaffen. Auch dieses wird, wie ich hoffe, 
noch zu Stande kommen, und dann wird Wien mit Paris auf 
gleicher Stufe den ersten Rang in Europa ‘behaupten. In Eng- 
land ist vielleicht mehr Material in hundert Sammlungen des 
Staats, der Gesellschaften und der Privaten, aber Niemand weiss, 
was da ist; und wenn es nicht von auswärtigen Gelehrten auf- 
gesucht würde, dürfte es wohl schwerlich jemals bekannt wer- 
den, so viel auch immer die Engländer gelehrte Naturforscher 
besitzen. Agassiz hat in einem Jahre 200 neue versteinerte 
Fische in den englischen Sammlungen vorgefunden, gezeichnet 
und beschrieben, die seit vielen Jahren da ruhten; sie haben 
ihn bei dieser Arbeit auf das kräftigste unterstützt, das macht 
ihnen Ehre. Wäre ich 20 Jahre jünger, so möchte ich wohl 
auch ein paar hundert neue vorweltliche Pflanzen dort auffinden. 
Pium. desiderium! ars TER IE 

Der erste Band der Geschichte ei Bergwerke ist vorbe- 


177 


reitet, mein Pensum für das Jahr 1835 abgethan; somit kann 
ich AAN 


1836. 


"Nachdem ich, wie gewöhnlich , meinen 76 Geburtstag und 
Namenstag am 6 Januar in stiller Betrachtung zu Bfezina zu- 
gebracht, die fata utriusque fortunae eines langen Lebens er- 
wogen, und für das viele Gute, was mir geworden, meinen Dank 
ausgesprochen hatte, bin ich den 9 Januar zu der gewohnten 
Winterruhe nach Prag gereist. 

Den Verlust, den ich im verflossenen Jahre durch den Tod 
meines Neffen und präsumtiven Erben Aloys Sternberg erlitten, 
ersetzte ich durch Uebertragung meines letzten Willens auf 
seinen älteren Bruder Zdenko Sternberg; und da dieser in frü- 
hester Jugend in das Militär getreten war, ohne ausstudirt zu 
haben, so nahm ich ihn nach Prag in mein Quartier, und hielt 
ihm Lehrer, um so viel als es in späterer Zeit möglich ist, das 
Versäumte wieder zu gewinnen. Er zeigt gute Sitten, ein sanf- 
tes Gemüth und guten Willen: dem Himmel sei das Gedeihen 
heimgestellt, ich habe meine Pflicht erfüllt. 

Zwischen der Erfüllung meiner Pflichten bei den verschie- 
_ denen Gesellschaften, zwischen meinen Lieblingsstudien und 
meinen Verwandten, verging der Winter in gewöhnlicher Weise. 
Mittwoch den 6 April wurde die Generalsitzung des Vereins des 
böhmischen Museums abgehalten, wo ich wie gewöhnlich eine 
Rede hielt und abermals Einiges über die Flora der Vorwelt 
mittheilte. Zu gleicher Zeit arbeitete ich am VII und VIII Heft 
meiner Flora der Vorwelt. 

Die Vollendung des zweiten Bandes der Brasilianer Reise 
von Dr. Pohl, dessen baldiges Erscheinen ich von hier aus per 
actionem in distans nicht beschleunigen konnte, zwang mich 
wieder nach Wien zu reisen, wo ich auch wegen der Einrich- 
tung der Wiener Naturalienkabinette meine Meinung abzugeben 
hatte. Diese Nebensache, die mich eigentlich nichts angeht, hat 

12 


178 


mir mehr Zeit genommen, als mein eigenes Geschäft.‘ Die Or- 
ganisation des Personals war zum Theil nach meinem im vori- 
gen Jahr übergebenen Plan vor sich gegangen. Nun handelte 
es sich um die materielle Organisation der Sammlungen selbst, 
und dabei ergaben sich bedeutende Schwierigkeiten, wegen Man- 
gels an Raum und wegen Misshelligkeiten zwischen dem Direc- 
tor und den Custoden. Es glückte mir, den Fürsten Metter- 
nich und den Grafen Kolowrat zu.bewegen, mit mir in das Lo- 
cal der Sammlungen zu gehen und sich von ‚der Unmöglichkeit 
zu überzeugen, in diesen engen Räumen eine würdige Aufstel- 
lung zu Stande zu bringen; worauf endlich die quaestio an da- 
hin entschieden wurde, dass den Sammlungen ein hinreichendes 
Local verschafft, einstweilen aber die Brasilianer Sammlung mit 
den: Hofsammlungen, so gut es sein komnte, wenigstens unter 
ein Dach gebracht werden sollten. Ueber die Möglichkeit einer 
solchen provisorischen Aufstellung auf kurze Zeit habe ich Vor- 
schläge zurückgelassen; und nachdem ich auch mein Geschäft ge- 
hörig eingeleitet hatte, kehrte ich Anfangs Mai wieder nach Prag, 
und nach einigen Vorkehrungen wegen der böhmischen Krönung, 
nach Bfezina zurück, wohin ich auch meinen Neffen mir folgen 
liess, um ihn in die Geschäfte der Oekonomie und der Berg- 
werke einzuleiten, die einst sein Eigenthum werden sollen. 

Den 13 Juni reiste ich wie gewöhnlich meiner Gesundheit 
wegen nach Karlsbad. ‘Während meines dortigen Aufenthaltes 
besuchte ich öfter Herrn Fischer, Director und Theilnehmer der 
Porzellanfabrik in Pirkenhammer , der sich mit Untersuchung 
der Kieselguhr von Franzensbad unter einem sehr guten 
Mikroskop beschäftigte, und hatte Gelegenheit, der Entdeckung 
beizuwohnen, dass diese sehr viele ganze oder gebrochene Schaa- 
len von kleinen Infusionsthieren enthält. Er theilte diese Un- 
tersuchung Herrn von Ehrenberg mit, und wurde dadurch Ver- 
anlassung von unzähligen neuen Entdeckungen, auf welche ich 
später zurückkommen ‘werde. Der Wahrheit zur Steuer muss 
ich aber noch beifügen, dass ich sogleich, als ich dieser Ent- 


179 


deckung beiwohnte , dem Custos Zippe den Auftrag gab, dem 
Custos Corda eine Portion Kieselguhr von Eger zu mikroskopi- 
scher Untersuchung zu übergeben, ohne ihm jedoch etwas von 
der: neuen Entdeckung mitzutheilen. Mit umgehender Post er- 
hielt ich die Antwort, dass Hr. Corda schon im verflossenen 
Jahre diese Kieselguhr untersucht, und dieselben Schaalen gefun- 
den habe. Herr Corda legte einen Zettel bei, den ich verwahre, 
auf welchem er sie gezeichnet und beschrieben hat.*) Er ist 
also wohl der erste Entdecker: da er aber von dieser Ent- 
deckung keinen Gebrauch gemacht hat, so bleibt die Ehre Hrn. 
Fischer, durch den sie gemeinnützig geworden. Ich besuchte. 
dann den Kammerbühl bei Franzensbad, wo meine Bergarbeiten 
ihrer Vollendung nahten, und eilte über Marienbad zum Minister 
Grafen Kolowrat nach Maierhöfen. 

Meine innere Gesundheit war hergestellt: aber meine schon 
so lange abgemüdeten Füsse liessen mich besorgen, den Hof- 
dienst bei der bevorstehenden böhmischen Krönung nicht ge- 
hörig besorgen zu können. Ich entschloss mich daher, die ge- 
heimen Kräfte der @asteiner Quelle zur Hilfe anzurufen. Ich 
nahm meinen Weg durch Bayern, um bei dieser Gelegenheit das 
Grab meines verewigten Freundes Grafen Bray und seine Fa- 
milie in Irlbach zu besuchen, und beschied meinen Freund Felix 
dahin. Vier Tage verlebte ich dort in Erinnerungen der Vor- 
zeit. In Bayern wie in Böhmen herrschte eine alles versen- 
gende Trockenheit; kein grünes Fleckchen war selbst an den 
Ufern der tiefgesunkenen Donau zu bemerken; der Himmel war 
zwar stets bedeckt, aber die wasserleeren Wolken gingen an- und 
nebeneinander vorüber, ohne sich anzuziehen, es bildete sich 
kein Cumulus, sie wurden auch nur schwach von den Donauge- 
birgen angezogen, und häuften sich erst an den höheren Ge- 
birgen. Als ich auf meiner weiteren Reise nach Alt-Oettingen 


'*) Dieser Zettel ist noch vorhanden und liegt dem Originalmanuscript 
bei. (Anmerk. d. Herausgebers.) 


12* 


180 


gelangte, fing es an zu regnen; der Regen begleitete mich bis 
Salzburg, wo sich schon die schönsten grünen Matten zeigten: 
so wie ich aber im Gebirge weiter vorrückte, wandelte sich der 
Regen in Schnee, die herrlichsten Gegenden waren vom Nebel 
gedeckt, der Schnee war bis in das Gasteiner Thal herabge- 
drungen. Ich blieb in Hof-Gastein, einst einem ansehnlichen 
Orte, wo die reichsten Gewerken des Salzburger Landes wohnten 
und grosser Luxus geherrscht hatte, der aber im Bauernkriege 
verheert wurde. 

Seit vielen Jahren hatte ich die Alpenluft nicht mehr ein- 
gesogen. Sie war mir sehr behaglich, die alte Liebe zur Alpen- 
flora erwachte lebhaft; die Bäder stärkten mich; ich machte 
Versuche an den Wänden der Vorberge herauf zu klimmen, be- 
suchte Se. kais. Hoheit den Erzherzog Johann und den König 
von Würtemberg im Wildbade. Endlich, als Professor Mohs nach 
Beckstein kam, versuchte ich eine Excursion in das Nassfeld und 
sammelte viele Alpenpflanzen. Nun gewann ich auch Zutrauen, 
dass ich hinreichende Kräfte gesammelt, um die bevorstehende 
Krönung, bei welcher ich die Vertretung des Oberstkämmerers 
Grafen Cernin übernommen hatte, auszuhalten, und so wie das 
21 Bad vorüber war, verliess ich Gastein und reiste bei dem 
herrlichsten Sonnenschein durch die wundervollen Gegenden des 
Passlugs nach Golling zu dem schönen Wasserfall. Es war aber 
auch der letzte heitere Tag: in Salzburg und auf meiner ganzen 
Reise über Linz bis an die böhmische Gränze reiste ich zwar in 
der lieblichsten Grünung, aber beständigem Regen. Leider fand 
ich hier den Staub wieder, wie ich ihn vor fünf Wochen ver- 
lassen hatte und sah auch keinen grünen Halm mehr. 

Die Ceremonien und Feste der Krönung habe ich glücklich 
überstanden. Das gute Gelingen aller Anordnungen, das Erhabene 
der Ceremonien, der edle Geist, der sich bei der Huldigung 
aussprach, hatten mich aufgeregt: der Geist wirkte thätig und 
der Körper folgte willig. Das Volksfest machte den Schluss und 
setzte dem Ganzen, in Anordnung und Ausführung, die Krone 


181 


auf: denn 40,000 Menschen in einem freien Raum, ohne Militär 
und ohne Polizei, vier Stunden lang in einer beweglichen Feier- 
lichkeit, bei einem Einzuge ruhig im Ausbruch der Freude, in 
Ordnung zu halten, dazu gehört ein gemüthliches Volk und ge- 
wandte Anführer. f 

Ich hatte der Grossherzogin von Weimar und den Vor- 
stehern der Versammlung der Naturforscher versprochen , wo 
möglich am ersten Tag der Versammlung in Jena einzutreffen, — 
und hielt Wort. Am 18 September früh war ich angekommen und 
wurde ob diesem treuen Worthalten gleichsam mit Jubel empfangen. 
Die Vorbereitungen zur Versammlung waren sinnig und schick- 
lich, besser als man es in einem so kleinen Ort hätte erwarten 
sollen, wozu die Frau Grossfürstin und der geheime Hofrath Kieser 
das Meiste beigetragen haben. Die Versammlung war reich an 
ausgezeichneten Männern; einige Engländer, Russen und Omalius 
d’Halloy aus Lüttich hatten sich angeschlossen. Schon im Früh- 
jahr in Wien, und bei der Krönung in Prag, hatte ich darauf 
aufmerksam gemacht, dass die Naturforscher wahrscheinlich den 
Wunsch hegen würden, im nächsten Jahre sich in Prag zu ver- 
sammeln; man war hiezu sehr geneigt; ich sondirte die mir be- 
kanntesten Mitglieder: und da ich diese auch vorbereitet fand, so 
erfolgte in der dritten Sitzung die Wahl des Orts und der Vor- 
steher, ohne die geringste Debatte, zu allgemeiner Zufriedenheit 
der Anwesenden. In den Sectionen wurde fleissig gearbeitet, 
das Fest in Weimar ist sehr erfreulich ausgefallen , Alexander 
von Humboldt hat zweimal in den öffentlichen Sitzungen sehr 
interessante Abhandlungen gelesen; die acht Tage verflogen sehr 
schnell, es gestaltete sich alles sehr ordentlich, und der Abschied, 
mit einem frohen Wiedersehen in Prag! verbunden, war sehr 
herzlich. Ich hatte mich noch besonders der freundlichen Be- 
handlung meiner älteren Bekannten, der Familie von Ziegeser, zu 
beloben. In Weimar habe ich mich zwei Tage, grösstentheils 
bei Hof, aber auch bei meinen früheren Bekannten, Kanzler 
Müller, Froriep etc. aufgehalten, und mit Ersterem die Wohnung 


182 


Göthe’s besucht, wo seine Sammlungen noch aufbewahrt werden. 
Es that mir in der‘ Seele wehe, dieses sonst so reinliche Haus 
jetzt voll Staub und Schmutz zu finden. Die Wohnung soll ver- 
miethet werden — vielleicht wird sie dadurch reinlicher. 

Ich wollte nun, wie gewöhnlich, eine kleine wissenschaft- 
liche Nachlese in den verschiedenen Sammlungen ‘und Stein- 
brüchen des Keupersandsteins halten. Ich begann mit Gotha, 
wo Präsident von Stein und seine Gemahlin zu meinen älteren 
Bekannten gehören : diese kam aber in den Fall, gerade in dem 
Augenblick, wo ich ankam, ihr zehntes ‚Kind zur Welt ‘zu 
bringen. Ich besuchte Reinhardsbrunn, einst die älteste Abtei 
in Franken, im Bauernkrieg zerstört, nun ein Jagdschloss des 
Herzogs von Gotha, in ganz herrlicher Gegend, am: Fusse des 
Thüringer Waldes. Das Schloss ist in sehr: gutem Stil am Ende 
des XVI Jahrhunderts neu erbaut, die Fagade geschmackvoll ge- 
ziert; vom alten Kloster ist nichts übrig, als unter einem alten 
Baum ein eben so alter steinerner Tisch, von den: herunterfal- 
lenden Tropfen durchlöchert: gutta cavat lapidem, non vi,'sed 
saepe cadendo. Ich bin durch alle Steinbrüche um Gotha durch- 
gekrochen, habe die Sammlungen und einiges Neue darin ge- 
sehen, aber nichts erobert. Von da reiste ich nach Hildburg- 
hausen, um dort an Ort und Stelle die versteinten Fusstritte zu 
sehen, über welche sowohl in Bonn als in Jena viel ‚gesprochen 
aber nichts entschieden wurde; so lange ich nur einzelne Exem- 
plare gesehen, neigte ich mich dahin, sie für echt zu halten, 
nun aber ist mir die Sache ‚problematisch geworden. . Ein ge- 
hendes Thier muss im Koth einen Hohlabdruck zurücklassen: es 
ist aber weder im Steinbruch, noch bei dem Maurermeister, noch 
sonst in einer Sammlung einer zu finden, sondern blosse convexe 
Abdrücke auf der oberen darüber liegenden Platte. Es war 
Wasser im Steinbruch, ich konnte keine Platten ‚heben lassen, 
habe aber eine doppelte uneröffnete bestellt, um sie künftiges 
Jahr in einer Sectionssitzung eröffnen zu lassen; da muss‘ die 
Wahrheit an den Tag kommen. ‚Die Natur hatte ‚durch. die 


183 


Herbstregen und warmen Tage ein Frühlingsgrün angenommen; 
meine Reise und mein Aufenthalt in der angenehmen Gegend 
von Koburg, wo alle Punkte schöner Aussichten, die Festung, 
der Kahlenberg, leicht zugänglich gemacht sind, wurden dadurch 
sehr begünstigt. In den Sammlungen des Dr. Berger und in 
einer Excursion mit Demselben in verschiedene Steinbrüche, 
habe ich die Verhältnisse des Keupersandsteins gegen den Mu- 
schelkalk einerseits und die Juragebilde anderseits genau wahr- 
nehmen können, auch einiges erbeutet und erhalten. Dr. Berger 
ist in seiner Umgegend wohl bewandert, und besitzt eine reich- 
liche Sammlung von Versteinerungen. 

In Baireuth fand ich nebst dem Grafen Münster, dessen 
Sammlungen mich anzogen, von den Mitgliedern der Versamm- 
lung Leopold von Buch, Prof. Göppert (Otto war bereits abge- 
reist), und Elie de Beaumont, aus der Schweiz zurückkehrend. 
Wir blieben vier Tage beisammen, von Morgen bis Abends in 
dieser oder in der Kreissammlung, nicht um anzuschauen, son- 
dern um zu studiren: denn hier ist ein Reichthum an Verstei- 
nerungen aus allen Gegenden, wie man ihn nicht leicht anderswo 
finden wird. Da ich im Begriff stehe, im künftigen Frühjahr 
mein VII und VII Heft der Flora der Vorwelt herauszugeben, 
so waren mir die Untersuchungen in den verschiedenen Samm- 
lungen auf dieser Reise von grossem Werth. Den 13 October 
schlug ich endlich den Weg nach Eger ein, besuchte den Kam- 
merbühl, ordnete zum Schlusse meiner Unternehmung noch eine 
kleine Nachgrabung an, und traf endlich, nach viermonatlicher 
Abwesenheit, in meinem ganz vertrockneten Bfezina an, wo 
ziemlich ‚viele Retardate meiner harrten. 

Den 31 Dee. 1836. Wie gewöhnlich habe ich die letzten 
Monate dieses Jahres in Bfezina still und einsam zugebracht, 
ausser einem achttägigen Abstecher nach Prag, zu den Prüfun- 
gen der jungen Oekonomen bei der Gesellschaft. Die Retardate 
sind aufgearbeitet, die Einleitung zu den zwei Heften der Flora 
der Vorwelt vorbereitet, der letzte Bogen der Geschichte der 


184 


Bergwerke corrigirt, 26 Bogen ‚der Geschichte der Berggesetz- 
gebung redigirt, meine häuslichen und ländlichen Geschäfte so 
weit geordnet, dass ich beruhigt abreisen kann. 

Im Monat November hatte sich die Cholera auf der. Herr- 
schaft entwickelt. Sie begann im Dorfe Priwetie sporadisch, wo 
sie. nur kurz weilte und wenige Opfer. forderte, kam von da in 
N.W. Richtung in die Stadt Radnitz, wo sie zwar. länger anhielt, 
aber auch nur wenig Leute, meist arme und gebrechliche Men- ( 
schen, mitnahm, richtete sich von da nach. W., übersprang, das 
grosse Dorf Wranowic und die Kohlenbergwerke, und fiel in das 
kleinere Dorf Darowa, wo sich meine Eisenmanufactur befindet; 
hier erkrankten mehr als 30 Menschen von jedem Alter und 
starben nahe die Hälfte. Dann wendete sie sich südlich in. das 
Dorf Kfi$: auch hier erkrankten in 8 Häusern 30 Personen und 
starben 13. In dem nächsten Dorfe östlich, Stupno, erkrankte 
und starb Einer binnen 12 Stunden; sein Sohn kam aus einem 
andern Dorfe ihn zu besuchen, wurde krank, aber gerettet, und 
damit war der Anfall beendigt. Auf der nördlich angränzenden 
Herrschaft Liblin dauerte die Krankheit länger, ist aber bereits. 
allenthalben erloschen. Kein äusserer meteorischer Umstand hat 
auch nur den geringsten Einfluss darauf gezeigt. Erkältung 
nach vorangegangener Erhitzung und Indigestionen scheinen sie 
zu entwickeln. Die erste Person, die. daran starb, hatte sich 
durch Uebergenuss von Schwämmen. mit gebackenen ‚Kuchen 
von Gerstenmehl eine Indigestion zugezogen, und starb in 15 
Stunden. Ein Schaffer von mir. hatte bei einer Feuersbrunst 
sich sehr erhitzt und blieb die Nacht als Wächter bei der Brand- 
stelle, kam dann nach Hause, bekam Abweichen und that nichts 
dagegen; des Nachts um 11 Uhr überfielen ihn: die Krämpfe, 
um 8 Uhr Morgens war. er todt. Im Inneren der Häuser und 
Zimmer wird sie ansteckend, zumal bei hinzutretender Gemüths- 
bewegung. Im Dorfe Kris erkrankte ein starker Mann in. den 
besten Jahren; sein Vater und Bruder arbeiteten in einer Oleum- 
fabrik, es wurde ihnen. von den Hausbewohnern ‚die Nachricht: 


185 


mitgetheilt:- sie eilten nach Hause und fanden den Kranken in 
den letzten Convulsionen mit dem Tode ringend; sie erschraken, 
blieben bei ihm, wurden am folgenden Tage von der Krankheit 
überfallen und starben beide. Von Krankenwärtern, die eigens 
bestellt waren, starb Niemand. Kinder starben, die Eltern blie- 
ben gesund; Eltern starben, die Kinder blieben gesund. Es 
lässt sich dieser Krankheit kein sicheres Prognostikon abgewin- 
nen; die Aerzte wissen nicht viel mehr davon, als wir Laien. 
Dankend schliesse ich das scheidende Jahr; zwar fühle ich 
manche Spuren des wahren Wortes, Senectus ipsa morbus est: 
die Sinne, das Gedächtniss nehmen ab, die viel benützten Füsse 
werden steif und ungeschickt: doch habe ich in gewohnter Weise 
die Jagden bei mir mitgemacht, wenn auch mehr mit dem Stock 
als dem Gewehr in der Hand. Meine Geisteskräfte gestatten 
mir noch umunterbrochen zu arbeiten; es geht wohl langsamer 
vom Fleck als ehemals, es geht aber doch. Dafür danke ich 
dem lieben Gott recht herzlich. ‘So gehe ich meinem 77 Ge- 
burtstag entgegen, den ich hier noch still und allein zuzubrin- 
gen gedenke. Es ist meine Sitte, an diesem Tage meine Gruft 
zu. besehen. Am Tage unserer Geburt haben wir unbewusst 
den Revers unterschrieben, dass wir, als Sterblinge geboren, 
auch sterben müssen: es ist in der Ordnung, uns an diesem 
Tage der übernommenen Pflicht zu erinnern und das ad utrum- 
que paratus auszusprechen; es erfolgt darum nicht um eine 
Stunde früher oder später, als es in der Natur der Dinge liegt, 
es ist aber gut, dass man sich dessen erinnere. Wenige von 
denen, die mit mir zugleich unterschrieben haben, sind noch 
vorhanden; ich lebe grösstentheils mit der dritten Generation. 
Die erste Abtheilung meiner Erinnerungen, die lebhafteste von 
allen, ist für mich verschollen; ich kann zu Niemanden sagen: 
„erinnerst Du Dich, als wir zusammen“ u. s. w. Die Jugendge- 
spielen sind nicht mehr vorhanden, Niemaud erinnert sich mehr 
des ‚jugendlichen Aufstrebens jener Zeit. Man hat Geduld mit 
meinen Altersschwächen, ‘und ich danke es der jugendlichen 


186 


Welt: es ist aber immer ein niederschlagender Gedanke, dass 
man der Geduld bedarf. Darum lebe ich auch am liebsten allein, 
wo ich Niemanden zur Last falle, und doch noch manches Nütz- 
liche zu gestalten vermag. Amen. 


1837, 


Die Wintermonate, der Fasching, gehören der Jugend an; 
ich gehe meinen gewohnten Weg. Die beiden Abtheilungen des 
ersten Bandes meiner Geschichte der böhmischen Bergwerke 
waren vollendet und wurden ausgetheilt. Ob sie ihren Zweck 
erreichen werden, eine vollständige Berggesetzgebung zu ver- 
mitteln und zum Bergbau aufzumuntern, damit die täglich zu- 
nehmende Menge armer Menschen Verdienst und Brod finde, 
muss ich erwarten. Geschwind wird der Erfolg nicht eintreten, 
wir brauchen zu Allem lange Bedenkzeit; ganz verloren wird 
sie auch nicht sein, wenn keine widrigen Umstände eintreten; 
sie hat bei Einzelnen Eingang gefunden. 

Im Monat April war, wie gewöhnlich, allgemeine Sitzung 
des Museums. Ich habe auch hier in meiner Rede Gelegenheit 
gefunden, einige Worte über die geometrische Proportion der 
steigenden Population auszusprechen. Es ist hohe Zeit, dass 
die Ministerien aufmerksam gemacht werden. Ein Ehrenmann 
in Berlin hat viele vortreffliche Worte darüber gesprochen, lei- 
der nur zu viele: vier Bände werden heutzutage, ausser bei 
einem Roman, nicht gelesen. | 

Nach der Versammlung ging ich nach Wien. Früher war 
schon Palacky nach Rom geschickt worden, um im Archiv und 
der Bibliothek des Vaticans Materialien für die Geschichte Böh- 
mens zu sammeln, woran ich auch Theil nahm. In Wien glückt 
es mir manchmal etwas Nützliches durchzusetzen; meine freie 
unbedeutende Stellung, die Niemanden im Wege steht, und das 
Vertrauen, welches ich mir erworben habe, begünstigen mein 
Wirken, Für mich habe ich nie etwas verlangt, Manches für 


187 


Andere, hauptsächlich für die Pflege der Wissenschaften: es 
sind aber nur Einzelnheiten zu erlangen. Das Hauptübel, die 
Concurse, hat Niemand den Muth’ anzugreifen, und diese drän- 
gen uns ein halbes Jahrhundert zurück hinter unsere Nachbarn ; 
denn wer nicht vorwärts geht, der geht zurück. 

Im Monat Juni war ich in Karlsbad, mit Erzherzog Johann 
zugleich; ich begleitete ihn bei vielen Excursionen, und unsere 
Klagelieder gingen über dasselbe Thema: wir sind aber beide 
Prediger in der Wüste, unsere Worte verhallen in den Lüften! 

Nun ‚war es an der Zeit, die Voranstalten für die Ver- 
sammlung der Naturforscher und Aerzte zu machen. Dies ge- 
schah in Prag nicht ohne einige Anstrengung, da man hierlands 
mit der Anstalt selbst nicht vertraut ist. Als das meiste geord- 
net war, kam ich nach Brezina zurück, um meine Rede zu schrei- 
ben. Sie soll ein Bohemicum werden: wir wollen sehen, wie es 
geräth. Ich habe die Gesellschaft hierher geführt, so ist es 
auch meine Pflicht, für sie zu sorgen. Es wird mir aber schwe- 
rer, als ich erwartet hatte: mein Gesicht hat sehr abgenommen; 
ich lese mit grosser Mühe, doch hoffe ich diesmal noch durch- 
zukommen. 

Die mir vor zehn Jahren für das Museum versprochenen 
Doubletten ‚der Brasilianer Sammlungen haben wir endlich im 
heurigen Jahr erhalten: vaut mieux tard, que jamais! Auch bin 
ich endlich mit der Herausgabe des zweiten Bandes von Pohl’s 
Reise nach Brasilien fertig geworden: ein monstros dicker Band 
von mässigem Inhalt und schönen Kupfern, von denen man jedoch 
nicht recht weiss, wohin sie passen. Ein anderes Geschäft hat 
sich mir aufgethan, an welchem ich warmen Theil nehme. Baron 
Karl Hügel hatte seine weite Reise durch Asien, den fünften 
Welttheil und einen Theil von Afrika glücklich vollendet, und 
seine Mutter, eine mehr als 40jährige Bekannte von mir aus 
Regensburg, wo ihr Gemahl kaiserl. Commissär am Reichstag 
gewesen, zwar noch lebend, aber kränklich und schwächlich wie- 
dergefunden. Sie hatte beinahe ihr ganzes eigenthümliche Ver- 


188 


mögen zu dieser Reise verwendet, und freute sich gar sehr über 
die mitgebrachten Seltenheiten: als sie aber ihr Ende anrücken 
sah, so wurde ihr doch bange, wie sie ihr Vermögen, welches 
durch diese Sammlung repräsentirt wurde, unter ihre Kinder 
vertheilen sollte. Am Tage vor meiner Abreise berief sie mich 
zu ihrem Ruhebette und ersuchte mich, das Mögliche zu veran- 
lassen, damit die ganze Sammlung vom Staat erkauft werden 
möchte. Dies gelobte ich ihr mit Hand und Mund, weil ich aus 
demjenigen, was ich davon bereits gesehen, mich überzeugt hielt, 
dass durch diese Acquisition das Wiener Museum zu dem reich- 
sten und vollständigsten erhoben würde. Da ich jedoch nur einen 
indirecten Einfluss auf dieses Geschäft ausüben konnte, die Samm- 
lungen ob Mangel an Raum noch nicht aufgestellt, die Gegen- 
stände nicht bestimmt, die Kataloge nicht geschrieben waren, 
so konnte die Negotiation vor ihrem Ende nicht eingeleitet wer- 
den. Ich hoffe sie jedoch durchzuführen, und dem Staat so wie 
der Familie einen guten Dienst zu leisten. Durch den Tod der 
Mutter ist mir ein Haus in Wien abgestorben, wo ich gerne 
meine Abende zuzubringen pflegte; sie blieb stets zu Hause; 
am Theetische versammelten sich Menschen aus allen Ständen, 
Einheimische und Fremde, die Conversation war gewöhnlich in- 
teressant. Solcher gesellschaftlicher Cirkel gibt es jetzt wenige; 
ein solcher Verlust wird nicht ersetzt, wie eigentlich keiner in 
späteren Jahren; von Surrogaten bin ich kein Liebhaber. 

25 October 1837. Was ich vor drei Monaten geschrieben 
kann ich wegen Schwäche meines Gesichtes nicht mehr lesen: 
ich weiss daher nicht, wie sich Dasjenige, was ich nun schreiben 
werde, an das Vorhergehende anschliessen wird. 

Am 29 August reiste ich nach Prag, um dort zu bleiben 
und die Vollendung der Herstellung und Meublirung (mit Stühlen 
und Bänken) in dem Universitätsgebäude zu beschleunigen, und 
zahllose kleine Anstände, die sich täglich ergaben, zu beseiti- 
gen. Als der Einzige in Prag, der zehn Versammlungen besucht 
hatte, daher Gebräuche und Missbräuche am genauesten kannte, 


189 


musste ich dafür sorgen, dass die fremden Gäste, so weit es möglich 

ist, alles zu einem bequemen und angenehmen Aufenthalt Erfor- 
derliche vorbereitet finden. Ich wurde hierin von allen Vor- 
ständen, von den Personen der Bureaux, vom Stadtmagistrat und 
der Bürgerschaft, so wie von dem Rector Magnificus auf das 
Kräftigste unterstützt. Alles verkündete eine zahlreiche Ver- 
sammlung: nur aus Norddeutschland war ein Ausfall zu besorgen, 
weil das Jubiläum der Göttinger Universität mit der Versamm- 
lung in Prag zusammenfiel. Als aber in Berlin die Cholera ziem- 
lich verheerend ausbrach, und ein von dort zurückkehrender 
Schauspieler, Herr Costenoble, in Prag im Gasthof an den Fol- 
gen derselben starb, was die Imagination hysterischer Weibleins 
so erschreckte, dass sie die Flucht ergriffen und die Schreckens- 
posaune ertönen liessen, die von deutschen Zeitungen schnell 
aufgenommen und durch ganz Deutschland bis Paris verbreitet 
wurde: da erfuhren wir durch Absagebriefe von verschiedenen 
Seiten endlich die alberne Mähre von der Cholera in unserer 
Stadt, wo nichts davon bekannt war. Glücklicherweise waren 
nicht alle Reisenden gleich furchtsam. Wir traten am 12 Sept. 
in dem Bureau zusammen, und zwischen dem 14 und 18 Sept. 
füllten sich die bestellten Quartiere und Gasthöfe. Die Vorgänge 
bei der Versammlung sind durch die Zeitungen bekannt gewor- 
den, die näheren Umstände wird unser Bericht enthalten. 

Mir war sehr bange, dass ich die Eröffnungsrede nicht 
würde lesen können; denn meine Augen waren durch andauernde 
Anstrengung und Aufregung sehr schwach geworden und die 
Tage sehr nebelhaft und trübe. Aber es steht geschrieben: 
wenn ihr vorgerufen werdet, was ihr sprechen sollt, es wird euch 
eingegeben werden: so trat ich denn vor und las deutlich und 
vernehmlich, was ich heute nicht mehr vermöchte. Es bildete 
sich Alles schicksam und erfreulich. 

Am Tage des königlichen Gastmahls (auf dem Prager 
Schlosse) trank ich die Gesundheit des Kaisers in folgenden Worten: 

„Der heutige Tag erweckt in unsern dankbaren Gemüthern 


190 


die Erinnerung an den 25 September 1832, wo die Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Aerzte auf Anordnung des allgemein 
verehrten unvergesslichen Kaisers Franz I in Lachsenburg auf 
das Gastfreundlichste aufgenommen und bewirthet wurde. Jener- 
25 September, an welchem mir die Ehre geworden war, dem 
Naturforscher auf dem Throne, unter dessen mildem Scepter die 
Völker ruhig unter ihrem Weinstock und ihrem Feigenbaum 
wohnen, die Huldigung der Anwesenden auszusprechen, und der 
heutige, der uns in dieser Königsburg versammelt, sind zwei 
wichtige Epochen in der Geschichte der deutschen Naturforscher 
und Aerzte. Kaiser Franz hat das vereinende Band um Deutsch- 
lands Naturforscher in Wien geschlungen, Kaiser Ferdinand hat 
es in Prag fester geknüpft. Die kalte polarische Theilung: ist 
verschwunden, Nord und Süd, Ost und West sind ineinander 
verschmolzen: es gibt nur ein Deutschland wie nur eine Natur- 
forschung, wenngleich sie den ganzen Erdball umfängt, — und 
mir ist gegönnt, noch vor meinem Ende die Erfüllung eines lang 
gehegten Wunsches zu schauen, und dem Sohne, der den Fuss- 
stapfen seines Vaters folgend, das grosse Vereinigungswerk voll- 
endet hat, im Namen der deutschen Naturforscher und Aerzte 
den tief gefühlten und richtig erkannten Dank zu bringen. Kasten 
Ferdinand I von Oesterreich lebe hoch!” 

Die älteren Mitglieder, die seit Dresden 1826 fast allen 
Versammlungen gefolgt waren, verstanden den eigentlichen Sinn, 
und sagten mir freundlich: „Oken hat die Versammlungen ge- 
schaffen, Sternberg hat sie erhalten.” Ich bin belohnt. Wir schie- 
den wechselseitig. zufrieden. | 

Einige Naturforscher hatten gewünscht, einen aufrecht ste- 
henden versteinten’Baum (Cycadites columna) in meinem Stein- 
bruche oberhalb der Steinkohle zu sehen. Ich lud sie ein, mich 
in Bfezina zu besuchen, und reiste den 29 Sept. dahin. Es folg- 
ten mir Mr. Bentham aus London mit seiner Frau, Prof. Göppert 
aus Breslau, Baron Leopold von Buch aus Berlin, Elie de Beau- 
mont aus Paris und Oberbergrath Nöggerath aus Bonn. Wir 


191 


brachten ein paar Tage in grosser Thätigkeit über und unter 
der Erde in meinen Steinkohlengruben vergnügt zu. Baron von 
Buch schrieb mir am folgenden Tage. ein paar Worte des ver- 
bindlichsten Dankes. *) Ich bin belohnt. Das Museum in Prag 
wurde fleissig besucht, die Einrichtung wie Aufstellung gelobt. 
Was konnten wir mehr wünschen ? 

Unter allen diesen erfreulichen Ereignissen habe ich das 
Geschäft wegen der Sammlungen Baron Hügel’s nicht vergessen. 
Wie schwer es mir auch ankam, so habe ich doch meinen Be- 
richt an das Ministerium des Innern über diese Sammlungen 
und die Wichtigkeit ihres Ankaufs für Wien aufgesetzt, mit dem 
Baron Hügel, als er nach Prag kam, besprochen und adjustirt; 
und als mich meine Freunde verliessen, reiste ich über Prag 
zum Minister Grafen Kolowrat aufs Land, um ihm sowohl Kata- 
loge der Sammlungen als meine Ansichten darüber mitzutheilen. 
Er hat sie untersucht und meine Absicht gebilligt; das Uebrige 
muss nun Baron Hügel selbst in Wien fördern. 

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich einige Pläne der Finanz- 
stelle, welche unsere alte Verfassung ganz umändern würden. 
Weit entfernt zu glauben, dass man dem Geist der Zeit gar nicht 
nachgeben soll, halte ich doch für nothwendig, dass man bei 
einer jeden Umänderung die Geschichte des Landes zu Rathe 
ziehen und den Charakter des Volkes beachten soll: beide sind 
aber dem Finanzminister fremd, er ist ganz unbekannt. Ich 


*) „E. E. werden mir verzeihen, dass ich die erste Ruhe ergreife, Ihnen 
meinen tiefgefühltesten Dank zu sagen, und so auch mein Begleiter 
Elie de Beaumont, für die reiche Belehrung, welche uns in Ihrer Uu- 
gebung zu Theil geworden ist: dass ich Ihnen meine Freude bezeugen 
darf, den Weisen inmitten seiner Schöpfungen gesehen zu haben; 
dass ich es habe sehen mögen, wie man das gründliche Studium der 
Wissenschaften mit Vaterlandsliebe und Vaterlandsnutzen vereinigen 
kann. Erhalten Sie sich! Es wirkt nicht allein die unmittelbare 'Thä- 
tigkeit Jahrhunderte fort, man wirkt auch durch Beispiel und erregt 

' andere, sich auch zu erheben, so weit sie es vermögen.” (Libkowitz 
den 4 Oct. 1837.) 


192 


reiste daher sogleich wieder zu mir auf’s Land zurück, und die- 
tirte meinem Wirthschaftsconsulenten Pauk ein Promemoria über 
die Verhältnisse unseres Landes, über dasjenige, was unschädlich 
eingeführt, was vermieden werden sollte, und warnte vor Neue- 
rungen und deren rascher Einführung, wenn sie unpopulär und 
geschichtwidrig sind. Dieses überschickte ich dem Minister 
Grafen Kolowrat. Man muss nicht vergessen, dass der öster- 
reichische Staat aus Nationen und Königreichen zusammengesetzt 
ist, die alle ihre eigene Geschichte, ihre eigene Verfassung ge- 
habt haben und zum Theil noch haben; da kann man nicht 
Alles über einen Kamm scheeren; Geschichte, Zunge und tausend- 
jähriges Herkommen muss berücksichtigt werden, wenn man nicht 
bei allen Ständen unpopulär werden will. 

Den 16 December 1837. Noch einmal, bevor das Licht 
meiner Augen ganz verlischt, wollte ich mein liebes altes Regens- 
burg besuchen, wo ich 25 Jahre verlebt habe. Den 21 Novem- 
ber reiste ich dahin. Die meisten der alten Bekannten fand ich 
freilich nur auf den beiden Kirchhöfen, wo sie friedlich ruhen; 
die wenigen noch Lebenden schaarten sich freundlich um den 
alten Bekannten. Ich habe in den 14 Tagen, die ich dort ver- 
weilte, nichts als Liebes und Freundliches erfahren. Die Fürstin 
Taxis, die Familie Bray, Freund Felix, die botanische Gesell- 
schaft, der historische Verein haben sich um mich beworben. 
Ich hätte manchen Eindruck zu bezeichnen: aber ich sehe nicht 
mehr, was ich schreibe. Viele Eindrücke habe ich von dort 
mitgenommen; sie müssen in meinem ‚Inneren verwahrt bleiben. 
Dank sei Allen gesagt, die ihren alten Lebensgesellen so treu 
in ihrem Gedächtniss bewahrt haben. 

Am St. Silvester Abend (31 Dec. 1837.) Das klimakterische 
Jahr (77) ist geschlossen, das Ende meines Altersjahres ist nahe. 
Vieles hat der Herr gegeben, Vieles hat er genommen: der Name 
des Herrn sei gebenedeiet! 


Grafen Kaspar und Franz Sternberg, 


und ihr Wirken für 


Wissenschaft und Kunst in Böhmen. 


VORTRAG, 


gehalten in der Versammlung der königl. böhmischen Gesellschaft der 
Wissenschaften am 15 December 1842 


von 


Franz Palacky. 


13 


Meine Herren! Indem ich es versuche, Ihnen zwei unse- 
rer. verdientesten Ehrenmitglieder, die Grafen Kaspar und Franz 
Sternberg, ins Andenken zurückzurufen, und. deren vieljährige 
Wirksamkeit für Weckung und Verbreitung von Wissenschaft 
und Kunst in unserem Vaterlande zu schildern, erfülle ich eine 
doppelte Pflicht: erstens, die statutenmässige ‚Ptlicht unserer 
Gesellschaft, ihren Mitgliedern in ihren Acten biographische 
Denkmale zu setzen; und zweitens, eine persönliche ‚Pflicht der 
Dankbarkeit gegen zwei Wohlthäter, welche nicht nur auf den 
ganzen Gang meines Lebens und auf die Richtung meiner Stu- 
dien entscheidenden Einfluss geübt, sondern mich auch in den 
Stand gesetzt haben, über ihre eigenen Erlebnisse und. Bestre- 
bungen manche willkommenen und, wie ich hoffe, mitunter nicht 
unerheblichen Aufschlüsse zu geben. 


Fürchten Sie indessen nicht, dass ich, von der Gewohnheit 
aller akademischen Lobredner hingerissen und von persönlicher 
Neigung bestochen, Ihnen ein, wie man sagt, „geschmeicheltes” 
und einseitiges, darum nur halbwahres Lebensbild vorführen 
werde. Selten sind allerdings die Männer, deren Gesinnung und 
Charakter in allen Beziehungen so edel, deren Thätigkeit so 
wohlthätig und einflussreich, und deren ganze Erscheinung so 
glänzend sich darstellte, dass das Licht nicht auch von einer 
Schattenseite umgränzt wäre, die lebendigen Züge nicht hie und 
da noch etwas zu wünschen übrig liessen. Da jedoch alle Ge- 
schichte, das Gemeine verschmähend, nur an die Erscheinungen 
höherer Geistesthätigkeit, als ihren eigentlichen Gegenstand, an- 
gewiesen ist: so habe auch ich in dem Leben dieser zwei blut- 

13* 


196 


und geistverwandten Grafen, an deren Namen eine ganze Bil- 
dungsepoche in Böhmen sich knüpft, zunächst nur dasjenige 
nachzuweisen, was auf ihre uns allen wohlbekannte Thätigkeit 
für Wissenschaft und Kunst, fördernd oder hindernd, Einfluss 
nahm und sie charakterisirte.e Wenn es mir gelänge, nur die 
für sich selbst sprechenden Thatsachen in ihrem ganzen Um- 
fange zusammenzufassen und sie einfach und treu hinzustellen, 
so könnte ich mir schon schmeicheln, die keineswegs leichte Auf- 
gabe nicht nur richtig, sondern auch ganz im Sinne der Ver- 
storbenen selbst gelöst zu haben. Denn auch sie wollten und 
suchten in Allem nur die Wahrheit; Schmeichelei war ihnen 
unter jeder Form 'widerwärtig und verhasst, und ich kenne 
meine Pflicht zu gut, als dass ich es wagte, mich auch nur 
durch den Schein derselben gegen ihre verehrten Manen zu 
versündigen. 

Dass seit der Regierungsepoche der unvergesslichen Maria 
Theresia der böhmische Adel sich um die Wiederbelebung der 
Wissenschaften und Künste in unserm Vaterlande "grosse Ver- 
dienste erworben hat, ist zu allgemein bekannt und anerkannt, 
als dass es nöthig wäre, in eine Beweisführung darüber einzu- 
gehen. Noch ist das Andenken der Grafen Franz Kinsky, Ema- 
nuel Waldstein und Franz Anton Nostitz, so wie des Fürsten 
Karl Egon von Fürstenberg, des Stifters unserer Gesellschaft, 
bei unseren Zeitgenossen nicht erloschen; und was in unseren 
Tagen die Chotek, Kolowrat, Lobkowitz, Nostitz, Thun, Cernin 
und Andere geleistet haben oder noch leisten, bedarf kei- 
nes 'Lobes von meiner Seite. Dass aber der Name Sternberg 
in dieser Beziehung allen anderen vorangehe, und: dass ins- 
besondere die Grafen Kaspar und Franz Sternberg ein Menschen- 
alter hindurch. an’ der Spitze alles dessen zu stehen: pflegten, 
was nur immer zur Förderung der Wissenschaft und Kunst in 
Böhmen unternommen werden mochte: das ist, noch allgemein 
in der Erinnerung unserer Zeitgenossen verbreitet, und wird 
von Niemanden in Zweifel gezogen. Und. da ihre Thätigkeit 
dem zufolge, wenn sie gleich nicht aus dem Priyatstande: traten, 
eine öffentliche genannt , werden muss, und eine. der schönsten 
Seiten unserer neuesten Landesgeschichte bildet: so erfülle ich, 


197 


indem’ich in deren Schilderung eingehe, zugleich die Pflichten 
des mir eigentlich zugewiesenen Berufes. 


Der Name Sternberg wird schon seit den Mongolen- 
tagen unter den Ersten des Landes Böhmen und Mähren ge- 
nannt; die böhmischen Landesämter weisen in den letzten sechs 
Jahrhunderten nicht weniger als 4 Oberstburggrafen, 1 Oberst- 
kanzler, 6 Oberstkämmerer, 4 Oberstlandrichter und eine Menge 
hoher Hofbeamten dieses Namens nach, — der noch zahl- 
reicheren Aemter in Mähren nicht zu gedenken. Wie Stern- 
berge in den wichtigsten Epochen, z. B. in den Hussitenun- 
ruhen, bei Ausbruch des 30jährigen Krieges, an der Spitze der 
Regierung standen, ist bekannt. Doch ist der Ruhm dieses Ge- 
schlechtes noch älter, als sein Name, da diese Familie schon um 
hundert Jahre früher in Ansehen stand, ‘bevor sie die beiden 
Burgen Sternberg in Böhmen und ‘in Mähren erbaute und 
sich nach ihnen benannte; der erste Erbauer dieser Burgen seit 
1242, Zdislaw, war ein Sohn jenes Herrn Diwis von Diwisow, 
der als oberster Hofmarschall des kräftigen Königs Premysl 
Otakar I seit 1220 viel im Staatsdienste gebraucht worden war. 
Das Geschlecht ist daher, trotz dem deutschen Namen, ein ur- 
sprünglich böhmisches, und keineswegs aus Deutschland einge- 
wandert. 

Nachdem seine sämmtlichen alten mährischen Linien schon 
im X VI Jahrhunderte, und auch die böhmische der Herren 
Holicky von Sternberg seit 1712 erloschen waren, theilte sich 
das Haus durch zwei Söhne des im J. 1703 verstorbenen Oberst- 
burggrafen Adolf Wratislaw von Sternberg, namentlich Franz 
Damian  ( 1723) und Franz Leopold (f 1745) neuerdings in 
zwei Linien: die damianische und die leopoldinische. Unser Graf 
Kaspar Sternberg war ein Enkel Franz Leopolds; Graf Franz 
Sternberg dagegen ein Urenkel Franz Damians. Sie gehörten 
daher zwei verschiedenen: Linien ihres Hauses an; obgleich sie 
wegen ihres Beisammenlebens in Prag seit 1810, und wegen der 
innigen Harmonie, welche sie wechselseitig umschlang, im 
Publicum irrigerweise häufig als Brüder angesehen wurden. 
Aber nicht allein ihre Geburt, sondern auch ihre ganze Jugend- 


198 


bildung und Bestimmung, so wie ihre äussere Stellung im Leben, 
waren bis 1810 so verschieden von einander, dass wir ihrer Bei- 
der Leben erst einzeln betrachten müssen, bis zu jener Epoche, 
wo sie sich für immer zusammenfanden, und in gemeinsamer 
Thätigkeit, einander gleichsam ergänzend, für das allgemeine 
Beste zu wirken begannen. 

Ich fange zuerst mit dem lieben des Grafen Franz Stern- 
berg an: denn war er gleich an Jahren der jüngere, so galt er 
doch, als Erstgeborner der älteren Linie und als Besitzer ‚der 
Familien-Fideicommisse, für den Chef des gesammten Hauses, 
das er auch, seit dem Tode seines Vaters, nach allen Beziehun- 
gen hin glänzend repräsentirte. 


Des Grafen Franz Sternberg Vater war Franz Christian 
Graf von Sternberg (ein Sohn Franz Philipps, t 1786, und Enkel 
des obengenannten Grafen Franz Damian, des Gründers dieser 
Linie); er war k. k. wirklicher geheimer Rath und Kämmerer, 
Ritter des goldenen Vliesses, Herr der Herrschaften Zasmuk 
und Öastolowie u. s. w. Seine Mutter war Auguste, des Grafen 
Johann Wilhelm von Manderscheid-Blankenheim älteste Tochter, 
welche ihrem Gemahl am 7:November 1762 angetraut worden 
war. Graf Franz war das erste Kind dieser Ehe, und kam in 
Prag am 4 September 1763 zur Welt; ihm wurden später noch 
sechs Brüder und drei Schwestern geboren, worunter jedoch nur 
ein Bruder, der (in Paris) noch (1842) lebende Graf Johann 
Wilhelm, und zwei Schwestern, Auguste, Salesianerin in Wien, 
und Marie, vermählte Fürstin Salm-Salm, ein reiferes Alter 
erreichten. 

Den ersten Unterricht erhielt Graf Franz im väterlichen 
Hause, nach der Sitte der damaligen Zeit, von französischen 
Erziehern. Als aber nach dem Tode seines Grossoheims Franz 
Joseph Georg, des letzten regierenden Grafen von Manderscheid- 
Blankenheim (f 1780, 6 Decemb.), seine Mutter Erbin der Man- 
derscheid’schen reichsunmittelbaren und anderer Besitzungen 
über dem Rheine geworden war, und seine Eltern ‘ihren bis- 
herigen Wohnsitz mit Köln am Rhein im’ Winter, und dem 
Schlosse Blankenheim im Sommer vertauschten , genoss der 


199 


junge Graf dort den Unterricht des den Kölnern durch sein 
herrliches Museum unvergesslichen CGanonieus, Ferdinand Franz 
Wallraf. Da lernte er nicht nur erst deutsch (denn bis dahin 
war er eigentlich nur des Französischen mächtig gewesen), son- 
dern bildete sich auch, unter der Leitung dieses durch Geist 
und Gemüth ausgezeichneten Mannes, in den Wissenschaften 
sowie im Studium der Natur und der Kunst aus. Wallrafs 
Lehre und Beispiel machte einen tiefen Eindruck auf sein jugend- 
liehes Gemüth; er bildete zuerst seinen Sinn für Denkmäler des 
Alterthums und der schönen Kunst, und erweckte in ihm jene 
Lust zu sammeln, welche ihn dann bis zu seinem Ende nicht 
mehr verliess. Im ersten Eifer wnrde dieser Trieb nach allen 
Richtungen thätig: Bücher, Handschriften, Urkunden, Gemälde, 
Kupferstiche, Zeichnungen, Münzen, Alterthümer, Mineralien 
und andere Natur- und Kunstproducte mehr, wurden mit Eifer 
aufgekauft und zusammengetragen ; und das böhmische Museum 
besitzt gegenwärtig noch Versteinerungen und vulcanische Ge- 
bilde aus der Eifel, welche er in diesen Jahren gesammelt hat. 

Bis zum Jahre 1787 lebte der Graf in «len Rheingegenden 
mit seinen Eltern, unternahm von dorther Reisen nach Frank- 
reich und den Niederlanden, und liess sich eine kurze Zeit auch 
als Praktikant bei der Regierung in Bonn gebrauchen. Aber 
seit seiner Vermählung mit der Gräfin Franeisca von: Schön- 
born am 23 September 1787 nahm er seinen bleibenden Wohn- 
sitz wieder in Prag, um so mehr, als seine mütterlichen Be- 
sitzungen am Rheine durch den französischen Revolutionskrieg 
bald verloren gingen, und sein Haus, nach dem Frieden von 
Amiens, in dem Reichs-Deputations-Recess von 1803, für die 
erlittenen Verluste durch die secularisirten Abteien Schussen- 
ried und Weissenau nur zum Theil entschädigt wurde. Seine 
Eltern aber lebten später entweder in Wien, oder abwechselnd, 
auf ihren Besitzungen in Böhmen. 

Die geistige Aufregung, in welche, wie alle Völker der 
österreichischen Monarchie, so auch die Böhmen, durch die 
Regierungsmassregeln und den Tod Kaiser Josephs II geriethen, 
ist dem Gedächtnisse unserer‘ Zeitgenossen noch nicht ent- 
schwunden. - Als Kaiser Leopold II am 1 Mai 1790 die böh- 


200 


mischen Stände wieder zu einem Landtage zu berufen befahl, 
um sich alle ihre Beschwerden und Wünsche, insbesondere hin- 
sichtlich der Wiedereinführung der ständischen Verfassung und 
ihrer Wirksamkeit, vortragen zu lassen, nahm auch Graf Franz 
Sternberg an den vom 12 Juli bis 6 September, dann vom 
27 October bis 27 November 1790, und endlich am 17 Januar 
1791 fg. fortgesetzten Landtagsverhandlungen den thätigsten 
Antheil. Bekanntlich sind diesen Versammlungen in gleichzei- 
tigen Flugschriften die grössten Vorwürfe darüber gemacht 
worden, dass namentlich die tongebenden Stände, Geistlichkeit 
und ‘Adel, nur auf: ihren besonderen Vortheil, auf die Her- 
stellung des Feudalsystems mit allem Druck, bedacht, die Ge- 
legenheit versäumt hätten, von einem zum Bewilligen geneigten 
Monarchen mehr Erspriessliches für das Gemeinwohl zu be- 
gehren. Wenn ich mir aber über den Grund oder Ungrund 
dieses Tadels kein Urtheil anmassen will, so kann ich doch, 
nach den mir zu Gebote stehenden Quellen, "bestimmt  ver- 
sichern, dass Graf Sternberg zu der Zahl der damals durch 
Geist und Bildung hervorragendsten jüngeren Mitglieder des 
höchsten böhmischen Adels gehörte, deren herzliche Bereit- 
willigkeit zu Opfern jeder Art über alles Lob erhaben war. 
Die Erfolglosigkeit vieler edlen Bemühungen, und die alles ver- 
schlingende Fluth ‘der französischen Revolutionskriege, zogen 
jedoch bald auch seinen Geist von dieser Sphäre ab, und er 
wendete sich je länger je inniger denjenigen Gegenständen zu, 
deren stille, thätige Pflege einem durch Vermögen, Geist und 
Geschmack hochstehenden Manne eben so viel Genuss als Ehre 
zu bringen pflegt. 

Es hatte sich in Böhmen seit den letzten Jahren der Re- 
gierung Maria Theresia’s ein geistiger Aufschwung gebildet, 
welcher nicht ohne Einwirkung auf die damals ins Leben ein- 
getretene Generation bleiben konnte. Fast gleichzeitig erwach- 
ten die Studien der vaterländischen Geschichte und der Natur- 
wissenschaften: jene vorzüglich durch Gelasius Dobner, dessen 
Verdienst kaum hoch genug angeschlagen werden kann, und 
später durch Pelzel und Dobrowsky; diese ‘durch den Edlen 
von Born und diejenigen Männer, welche mit ihm seit 1769 zu 


201 


einer Privatgesellschaft zur Aufnahme der Mathematik und der 
Naturgeschichte sich vereinigt hatten; woraus durch Zuthun des 
‘ürsten Karl Egon von Fürstenberg im Jahre 1784 eben unsere 
Gesellschaft der Wissenschaften sich gebildet hat. Der erste 
Secretär dieser Gesellschaft, Dr. Johann Mayer, ein Freund von 
Born und als Arzt sehr geschätzt, nahm lange Zeit einen be- 
deutenden Einfluss auf die Entwickelung des wissenschaftlichen 
Geistes und auf Verbreitung einer höheren Bildung in Böhmen. 
Sein Haus war gleichsam der Vereinigungspunkt alles Strebens 
dieser Art; viele Jahre lang versammelten sich bei ihm fast 
täglich zu bestimmten Stunden alte und junge Männer jedes 
Standes, die nach wissenschaftlicher Bildung strebten. Graf 
Kaspar Sternberg pflegte noch im hohen Alter es dankbar an- 
zuerkennen, dass er in Mayer’s Gesellschaft einst die erfolg- 
reichste Anregung zu wissenschaftlicher Thätigkeit gefunden; 
auch Graf Franz Sternberg, dessen Durst nach Wissen sich 
jeden Tag höher äusserte, besuchte vorzugsweise diesen Kreis, 
der ihn in vielseitige Berührung mit gelehrten Männern brachte, 
und auch das erste Mittel bildete, das unsere beiden Grafen 
später zu gleicher Wirksamkeit vereinigte. 

Näher mit dem Umfange der Wissenschaften vertraut, 
bemerkte der Graf von selbst, dass ein allgemeines Sammeln 
die Kräfte eines Einzelnen übersteige. Er überliess daher das 
Naturreich andern jungen Männern, welche aus Johann Mayer’s 
Kreise hervorgingen, einem Thaddäus Hänke (dem nachmaligen 
Weltumsegler mit Malaspina) einem Jirasek, Lindacker, Preiss- 
ler, Hoser u. s. w., und beschränkte sich auf Geschichte und 
Kunst. Insbesondere wurde eine Münz- und Kupferstichsamm- 
lung von ihm angelegt; Anfangs, wie gewöhnlich, nach einem 
breiteren Massstabe und vielleicht noch ohne bestimmten Plan: 
als er sich aber in beide Fächer mit unsäglichem Fleiss und 
mit Beharrlichkeit eingearbeitet hatte, entwickelte sein richtiger 
Verstand von selbst ein eigenes System, um seine Kupferstich- 
sammlung zu einer chronologischen Uebersicht der Kunst selbst 
zu gestalten, und eine specielle böhmische Münzsammlung als 
Beleg zur Geschichte aufzustellen. 

Als vorzüglicher Münzkenner wurde er schon im J. 1796 


202 


von unserer Gesellschaft der Wissenschaften mit einem Diplom 
als Ehrenmitglied beehrt, nachdem er der Gesellschaft über zwei 
strittige alte Münzen eine befriedigende Aeusserung übergeben 
hatte. Er pflegte jedoch ihre Sitzungen wie ein ordentliches 
Mitglied der historischen Classe zu besuchen, führte später 
viele Jahre hindurch ihre Kassa mit der pünktlichsten Sorgfalt, 
und wirkte auch sonst thätig in allen ihren Berathungen und 
Unternehmungen mit. 

Seinen Bemühungen und: seinem Eifer für "vaterlahdische 
Kunst ist es grösstentheils zu danken, dass sich aus der Mitte 
des böhmischen Adels im J. 1796 eine Privatgesellschaft pa- 
triotischer Kunstfreunde bildete, welche seit 1800 eine Akade- 
mie der bildenden Künste, und noch früher eine Bildergalerie, 
zum Besten der Kunstzöglinge, aus ihren Mitteln stiftete, und 
bis auf den heutigen Tag erhält. Gleich“Anfangs war er selbst 
im Lande herum gereist, um viele noch verborgenen und ver- 
nachlässigten Kunstschätze der Dunkelheit zu entreissen , "und 
für die Galerie, deren Aufstellung er selbst besorgte, zu ge- 
winnen. Bei den Lebzeiten des älteren eifrigen Kunstfreundes, 
Grafen Franz Anton Nowohradsky von Kolowrat, führte er als 
Referent die Geschäfte dieses Vereins; nach dessen Tode im 
J. 1802 wurde er an seine Stelle als Präsident der Gesellschaft 
gewählt. Was er in solcher Stellung bis zu seinem Tode wirkte, 
wie er die Anstalt unter den schwierigsten Zeitumständen, selbst. 
mit Vorschüssen aus seinem Vermögen, nicht allein erhielt, son- 
dern auch hob und erweiterte, wie dadurch manches bedeutende 
Kunsttalent geweckt und gebildet, und 'veredelter Kunstsinn 
im Vaterlande erweitert wurde, — das ist noch im frischen 
Andenken, und wir werden darauf auch zurückkommen, indem 
wir fortan die vereinigte Thätigkeit beider Grafen, Franz und 
Kaspar 'Sternberg, unter Einem betrachten werden. *) 


*) Der „Rückblick auf die Jugendbildung und die erste, ‚Lebensperiode des 
Grafen Kaspar Sternberg“ entfällt hier aus dem ‚Vortrage vom 15 Dee. 
1842, da er zumeist nur ein Auszug ist aus der oben bereits SONDER 
mitgetheilten Autobiographie des Grafen. 


203 


Die für Böhmens Culturgeschichte nicht unwichtige innige 
Verbindung der Grafen Franz und Kaspar Sternberg wurde 
seit des Letzteren Uebersiedlung erst nach und nach fester ge- 
knüpft. Graf Franz gerieth im Jahre 1811, nach dem Tode 
seiner beiden Eltern, selbst an den Rand des Grabes, und es 
bedurfte langer Zeit und der sorgfältigsten Pflege von Seite des 
kunstsinnigen und ihm von ganzem Herzen zugethanen Dr. 
Ambrosi, um den durch schwere Krankheit geschwächten Geist 
durch angemessene Beschäftigung zu wecken, und ihm seine 
frühere Schwungkraft wieder zu geben. In derselben Zeit trat 
er in den vollen Genuss der Familien-Fideicommisse ein. Sein 
Haus, dem überdies die edle Sitte, Bildung und unvergleichliche 
Herzensgüte seiner Gemahlin und seiner fünf Töchter seltene 
Anziehungskraft verliehen, gestaltete sich frühzeitig zum Ver- 
einigungspunkte aller durch Geist und Kenntnisse sich Aus- 
zeichnenden aus allen Ständen, da der Umgang mit wissen- 
schaftlich gebildeten Männern dem Grafen ein Bedürfniss war. 
Ausser dem Fürsten Anton Isidor von Lobkowie und dem 
Grafen Karl Clam-Martinie, welche seine innigsten Freunde 
waren, zog er insbesondere den auch durch Liebenswürdigkeit 
im Umgange unvergleichlichen Dobrowsky, den grossen Münz- 
kenner Mader, den Landesbaudirector und vieljährigen Secretär 
unserer Gesellschaft Abbe Tobias Gruber, und den Akademie- 
direetor Bergler, an sich. Ein solcher Kreis hatte zu viele Reize 
für einen Mann wie Graf Kaspar, und Dieser, ein Muster urbaner 
Sitte und edlen Benehmens, war hinwieder dem Kreise zu will- 
kommen und erwünscht, als dass eine innigere Verbindung 
zwischen ihnen lange hätte ausbleiben können. 

So führten fortan beide Grafen in der Zurückgezogenheit 
des Privatstandes ein zwischen wissenschaftliche Forschungen, 
die Verwaltung ihrer Besitzungen und gesellschaftlichen Verkehr 
getheiltes ruhiges, nur durch die Theilnahme an den grossen 
Ereignissen von 1812 bis 1815 bewegtes, gleichförmiges Leben, 
im Winter gewöhnlich in Prag, im Sommer auf dem Lande, in 
Bädern, oder auf kurzen Ausflügen in die Nachbarländer; der 
Eine, vorzüglich um seine Herrschaften Schussenried und Weis- 
senau zu besehen; der Andere, um die alten Freunde in Regens- 


204 


burg oder den Grafen de Bray in Irlbach u. s. w. aufzusuchen. 
Bei stets wachsender gegenseitiger Zuneigung vereinigten sie, im 
Herbste 1817, sich sogar häuslich ‚mit einander, indem ' Graf 
Kaspar von da an seine Wohnung in Prag unmittelbar neben 
der des Grafen Franz (am Kleinseitner Ringe, im Eckhause zur 
Thomasgasse) aufschlug, und sein: fast täglicher Tischgenosse 
wurde. Ihre stille Wirksamkeit gewann aber dadurch an Be- 
deutung, dass sie beide, in ächt humaner und patriotischer Ge- 
sinnung, die Schätze ihres Geistes, ihre Kenntnisse und Samm- 
lungen, nicht in und für sich zu verschliessen, sondern in’s 
praktische Leben einzuführen und gemeinnützig zu machen sich 
bestrebten. 

Einer der höchsten Glanzpunkte auf der thatenreichen 
Bahn unserer beiden Grafen Sternberg ist die, vorzüglich durch 
sie, jedoch in enger Verbindung mit ihren Freunden, dem da- 
maligen Landeschef in Böhmen, Grafen Kolowrat, und dem 
Grafen Franz Klebelsberg, zu Stande gekommene Gründung 
und Dotirung des böhmischen National-Museums im\Jahre 1818. 
Die Erfahrung, dass die wichtigsten Sammlungen, welche man 
in einem Menschenleben zusammenzubringen vermag, oft von 
den Erben verwahrlost und zerstreut, manchmal vollends in fremde 
Länder gelangen, hatte sie beide oft besorgt gemacht, dass auch 
ihren mit so viel Liebe und Aufopferung gepflegten Sammlungen 
ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte. Graf Kaspar hatte aus 
diesem Grunde Anfangs die Absicht gehabt, die seinigen der Re- 
gensburger Akademie der Wissenschaften, wenn diese nach dem 
Plan des Fürsten Primas zu Stande gekommen wäre, zu 
widmen: bei veränderten Umständen entschloss er sich aber, sie 
seinem Vaterlande zu erhalten, und sprach diesen Entschluss 
schon seit 1810 häufig aus. Graf Kolowrat nahm ein so patrio- 
tisches Anerbieten eifrig auf, und die Errichtung eines vater- 
ländischen Instituts dieser Art wurde oft besprochen, wegen der 
damals so sturmbewegten Zeit jedoch immer wieder verschoben ; 
zuletzt noch wegen der Hungersnoth, welche das Land von 1816 
auf 1817 heimsuchte. Als sie endlich durch den vom Oberst- 
burggrafen Kolowrat am 15 April 1818, erlassenen „Aufruf an 
die vaterländischen Freunde der Wissenschaften“ in’s Werk ge- 


205 


setzt wurde, entschloss sich Graf Kaspar unter den Ersten, in 
der darüber gehaltenen Conferenz die Erklärung von sich zu 
geben, dass er alle seine wissenschaftlichen Sammlungen, na- 
mentlich sowol die von seinem Bruder Grafen Joachim und ihm 
selbst gesammelte, als auch die von dem Bergmeister Lindacker 
erkaufte Mineralien- und Petrefacten-Sammlung, dann sein be- 
sonders in europäischen Pflanzen reich ausgestattetes Herbarium, 
endlich seine kostbare naturwissenschaftliche Bibliothek, der 
werdenden Anstalt widme. Dieselbe Absicht äusserte auch Graf 
Franz Sternberg hinsichtlich seiner Münz- und Kunstsamm- 
lungen, vorerst jedoch ohne eine legale Erklärung darüber 
abzugeben. 

Von nun an widmeten beide Grafen diesem Nationalinstitut 
ihre vorzüglichste Aufmerksamkeit und Thätigkeit. Graf Kaspar 
übernahm zunächst die Sorge für die Sammlungen, Graf Franz 
die Kassageschäfte. Beide wurden gleichsam die Seele des In- 
stituts, indem die Grafen Kolowrat und Klebelsberg, anderm 
Berufe folgend, ihnen die Führung desselben vorzugsweise über- 
liessen. Es war daher natürlich, dass, als nach erhaltener kai- 
serlicher Bestätigung der Grundgesetze der zur Pflege dieses 
Instituts in Böhmen gebildeten Gesellschaft, am 23 December 
1822 ihre definitive Organisirung erfolgte, Graf Kaspar Stern- 
berg mit lautem Zuruf als der erste Präsident des böhmischen 
Museums begrüsst, und Graf Franz ihm als ältestes Mitglied 
des Verwaltungsausschusses und als Kassier zur Seite gestellt 
wurde. Am 5 Januar 1823 stellte Graf Kaspar die förmliche 
Schenkungsurkunde über seine Sammlungen an das Museum 
aus, und fuhr dann, seinem Versprechen gemäss, fort, dieselben 
durch neue Ankäufe aus seinen Mitteln jedes Jahr ansehnlich 
zu vermehren. 

Die Thätigkeit des böhmischen Museums richtete sich, 
unter dem Präsidium der Grafen Sternberg, vorzugsweise auf 
die Pflege der Naturwissenschaften, und auf Einsammlung von 
Denkmälern und Quellen der vaterländischen Geschichte. Beide 
Grafen Sternberg standen, als thätige Forscher, auf der Höhe 
dieser Wissenschaften ihrer Zeit: Kaspar in der Naturkunde, 
Franz in der Geschichte; unterstützt wurden sie nicht nur von 


206 


Mitgliedern wie Dobrowsky, Gerstner und: Steinmann, ‚sondern 
auch von ausgezeichneten Beamten, wie Hanka, Presl und Zippe; 
und in späteren Jahren auch Corda. Die Reden, welche Graf 
Kaspar in den Generalversammlungen der Gesellschaft jähr- 
lich (von 1823 bis 1838) zu halten pflegte, boten ‚gewöhnlich 
eine interessante Uebersicht der neuesten Fortschritte in den 
von ihm vorzugsweise gepflegten Wissenschaften und der vater- 
ländischen Geschichte. Da er mit allen. namhaften Naturfor- 
schern aller Länder (auch ausserhalb Europa) in persönlicher 
Verbindung stand, und die Förderung der Naturkunde. ihm, 
wenn ich so sagen darf, eine Angelegenheit des. Herzens ge- 
worden war: so wird man es begreiflich finden , wie ‚es kam, 
dass seine Vorträge, die eben so zum Herzen sprachen, als sie 
den Geist erleuchteten, in sehr ausgebreiteten Kreisen stets die 
wärmste Theilnahme erregten. Die häufigen ‚und. treffenden 
Bemerkungen über böhmische Denkmäler und Geschichte boten 
sich ihm bei dem innigen Verkehr mit Kennern, wie Dobrowsky 
und Graf Franz. Sternberg, von selbst dar; und er hatte, bei 
Abfassung seiner werthvollen Abhandlung über ‚die ‚Pflanzen- 
kunde in Böhmen (Prag 1817, 1818) sich auch schon frühe in 
dieses Fach einzuarbeiten gewusst. ‘Letztere Abhandlung war 
für die Actenbände unserer. Gesellschaft bestimmt, da Graf 
Kaspar im dieselbe bereits am .17 Januar. 1813 als Ehrenmit- 
glied aufgenommen worden war, und sich als solcher fortan in 
der naturwissenschaftlichen Classe eben so thätig erwies, wie 
sein: Vetter, Graf Franz Sternberg, in der. historischen. 

Es sei‘ mir gestattet, der. historischen ‚Forschungen des 
Grafen Franz Sternberg hier etwas näher zu 'gedenken.. Die 
ungewöhnlichen Kenntnisse und Einsichten dieses seltenen Man- 
nes haben freilich in diesem Fache keine angemessenen Früchte 
getragen; zu hohe Anforderungen an sich selbst, und eine, ich 
möchte fast sagen, beklagenswerthe ‚Bescheidenheit, hielten ihn 
selbst von dem. Versuche zurück, sich zugleich als Schriftsteller 
geltend zu machen. Und dennoch 'besass ‚er eine.tiefere und 
gründlichere Kenntniss der  gesammten', Geschichte  Böhmens, 
als irgend einer‘ seiner Zeitgenossen ohne Ausnahme. Er ‚hatte 
sie nicht bloss aus den. so mangelhaften in Druck vorhandenen 


207 


Werken geschöpft, sondern sich in: ein umfassendes. Studium 
der grösstentheils noch unedirten. und. schwer zugänglichen 
Quellen eingelassen. Er forschte in allen ihren: Gebieten mit 
der Gründlichkeit eines Gelehrten und dem praktischen Sinn 
eines erfahrenen Welt- und Geschäftsmannes.. Darum: war sein 
Urtheil über die Vorzeit Böhmens in allem selbstbegründet, 
klar, geistreich und gewöhnlich treffend. Die Familiengeschichte 
des Grafen, die freilich in die wichtigsten Partieen der Landes- 
geschichte eingreift, war der Ausgangspunkt seiner Studien ge- 
wesen. Da kann ich nun nicht den charakteristischen Zug ver- 
schweigen, dass noch kein böhmischer Historiker jemals ein so 
strenges Urtheil über einige Ahnen des Grafen gefällt hat, als 
er selbst zu thun pflegte, wenn sein, in dieser Hinsicht sehr 
scharfes Auge, es bemerkte, wie dieselben ihrem Ehrgeiz ‚oder 
ihrer Selbstsucht zum Nachtheil des Landes und Volkes die 
Zügel schiessen liessen. Da; ich seit dem Jahre 1823 das Glück 
seines für mich höchst lehrreichen Umgangs fast täglich genoss, 
so war ich auch Zeuge: des, Kummers, den z. B. die Betrach- 
tung des von dem eiteln Zdenek von; Sternberg, seit 1465 ge- 
leiteten : grossen Herrenaufstands ihm zu, verursachen pflegte; 
dagegen hatten. die. vielen trefflichen: Männer dieses. Hauses, 
seinen Worten gemäss, jedesmal nur ihre Schuldigkeit gethan. 
Obgleich ich aber mit Ihnen, meine Herren, und, mit allen 
Freunden der Wissenschaft es innig beklagen muss, dass der 
Graf ‚seinen unvergleichlichen Schatz von Kenntnissen, nament- 
lich auch in der böhmischen Numismatik und Archäologie, mit 
ins Grab genommen hat: so werden Sie es mir gewiss zu Gute 
halten, wenn ich mich selbst als einen Beleg dazu anführe, dass 
die Pflege, welche er der vaterländischen. Geschichte widmete, 
dennoch nicht ganz ohne Folgen geblieben ist, — deren Be- 
deutung zu würdigen, mir; übrigens am. wenigsten zukömmt. 
Mein Leben hätte wahrscheinlich einen ganz anderen Gang ge- 
nommen, und mir wäre die Auszeichnung, Böhmens Historio- 
graph und Secretär Ihrer: Gesellschaft zu sein, gewiss nicht zu 
Theil geworden, wenn nicht er, aus blossem Interesse für die 
böhmische Geschichte, mich einst an sich gezogen und ‚den. nur 
flüchtig, Verweilenden bleibend ‚festgehalten hätte, ‚Nehmen Sie 


208 


diese Bemerkung nur für Das auf, was sie sein will: ein Tribut 
der Dankbarkeit gegen den edlen Mann, der in seiner hohen 
Stellung es nicht verschmähte, dem namenlosen Fremdling einst 
fast ein zweiter Vater zu werden. 

Welchen Einfluss die beiden Grafen Sternberg auf jede 
in Böhmen sich regende geistige Thätigkeit zu nehmen pfleg- 
ten, mag schon z. B. ihre Theilnahme an der Wiederbelebung 
der böhmischen Sprache und Literatur beweisen. Dass dieser 
Gegenstand ihren Sympathieen von jeher nicht fremd gewesen, 
erhellt aus dem Umstande, dass sie die bedeutendsten Träger 
dieses neu erwachenden Strebens, Pelzel, Dobrowsky und Puch- 
mayer, an ihr Haus zu fesseln bemüht waren; auch war die 
erste einigermassen bedeutende Erscheinung auf diesem Felde, 
die von Puchmayer (1795—1814) in fünf Bänden gesammelten 
neuen Poesien, nach einander den Grafen Joachim (1798), Franz 
(1802) und Kaspar Sternberg (1814) zugewidmet worden. 
Lange Zeit blieben freilich auch sie der trostlosen Ansicht, dass 
an ein neues Aufblühen der seit zwei Jahrhundertön erlosche- 
nen Nationalliteratur in Böhmen nicht mehr zu denken sei. Sie 
studirten und pflegten ihre verkümmerten Denkmäler dennoch, 
wie Dobrowsky, mit Liebe, wenn gleich ohne Hoffnung. Erst 
als seit 1818, durch Fügung mehrerer Umstände, ein thätigerer 
Geist im Volke sich zu regen begann, kehrte auch bei ihnen 
nach und nach das Vertrauen wieder zurück, dass doch noch 
nicht Alles in dieser Hinsicht verloren zu geben sei. Unter 
den wirksamsten Massregeln, welche sie seitdem, mit Zustim- 
mung ihrer Freunde, der beiden auf einander folgenden Landes- 
chefs, Grafen Kolowrat und Chotek, ins Leben einführten, wa- 
ren die Zeitschriften des böhmischen Museums im Jahre 1827, 
und noch mehr das am 11 Januar 1830, zur wissenschaftlichen 
Pflege der böhmischen Sprache und Literatur, gegründete be- 
sondere Comite der Gesellschaft des vaterländischen Museums. 
Es gelang ihnen, den für alles Gute und Edle begeisterten 
Fürsten Rudolf Kinsky dahin zu gewinnen, dass er sich an die 
Spitze dieses Comite stellte und dessen Angelegenheiten, so wie 
fortan die Interessen der böhmischen Literatur überhaupt, wie 
durch sein Ansehen, so auch durch grossmüthige Opfer för- 


209 


derte. Wenn daher der Aufschwung, den in neuerer Zeit die 
böhmische Literatur genommen, auch ausserhalb des Vaterlan- 
des die Aufmerksamkeit auf sich zieht: so sollen es die Nach- 
kommen nicht vergessen, welches wesentliche Verdienst diesen 
drei Edlen dabei zu verdanken ist. Leider umschliesst sie alle 
drei, so wie auch den ihnen gleich gesinnten Grafen Karl Clam- 
Martinic (Sohn), schon seit Jahren ein zu frühes Grab. 

Am 10 Februar 1830 übergab Graf Franz Sternberg, aus 
Anlass seines fünfzigjährigen Sammlerjubiläums, sein unver- 
gleichliches Münzkabinet dem vaterländischen Museum. Er hatte 
in den fünfzig Jahren seiner Thätigkeit keine Mühe und Ko- 
sten gescheut, um seinen Schatz durch jede die Wissenschaft 
fördernde Erwerbung zu bereichern; und ein seltenes Glück 
hatte den eben so seltenen Eifer unterstützt. Erbe der ansehn- 
lichen gräflich Manderscheid’schen Sammlung auf dem Schlosse 
Blankenheim, erlangte er schon in früher Zeit interessante Bei- 
träge dazu aus dem Nachlasse des Fürsten Karl Egon von 
Fürstenberg, kaufte die ganze an Seltenheiten reiche Samm- 
lung des ehemaligen Secretärs des Cistercienserstiftes Osek, 
Leopold Zeidler; ferner die von dem Gubernialrath von Bie- 
nenberg und von Herrn Itz von Mildenstein hinterlas- 
senen Sammlungen; endlich im Jahre 1805 auch diejenige, 
welche ehemals dem hochherzigen Bischof von Leitmeritz, 
Grafen Waldstein, angehört, und grösstentheils die Urbilder zu 
Voigts noch immer unentbehrlicher Beschreibung der böhmi- 
schen Münzen geliefert hatte; auch der mit dem grossen Münz- 
kenner Mader eingeleitete Tausch ausländischer Münzen gegen 
böhmische, vermehrte diese Sammlung mit äusgezeichneten 
Exemplaren, — anderer kleinen, aber durch 50 Jahre eifrig 
fortgesetzten Erwerbungen nicht zu gedenken. So kam ein 
Schatz zusammen, dessen Werth schon darum nicht bestimmt 
werden kann, weil er einzig in seiner Art ist. Die Metallmasse 
allein wies 261 Münzen und Medaillen in Gold (im Gewichte 
von 950), Ducaten), 3079 in Silber (die oft sehr zahlreichen 
Doubletten nicht mitgerechnet) und 420 in anderem Metall, zu- 
sammen also 3760 Stück vaterländische Münzen nach. Den 


Werth der Schenkung erhöhte der ihr beigefügte sehr reiche 
14 


210 


literarische Apparat *), der gleichwohl keinen Ersatz bietet für 
die lebendige Fülle von Kenntnissen und Erfahrungen in die- 
sem Fache, welche mit dem. Grafen begraben worden ‚sind. 
Doch war das. böhmische Münzeabinet nicht .der einzige 
wissenschaftliche Schatz, den Graf Franz Sternberg hinterliess. 
Seine griechische und römische Münzsammlung hatte einst 
Eckhel selbst für sein classisches Werk mit. Vortheil und Dank 
benützt. Die von ihm angelegte Bibliothek von: mehr. als 10,000 
Bänden enthielt, nebst seltenen Handschriften und Incunabeln 
in verschiedenen Sprachen, die wichtigsten numismatischen und 
artistischen Werke des Auslandes. Unter vielen Kunstwerken 
von: hohem Werth, die er an sich gebracht, erwähne, ich nur 
die antike sitzende Statue von Sokrates mit dem Giftbecher in 
der-Hand (einst in der Villa Giustiniani), und die Originalskizze 
der in der Münchner, Galerie befindlichen heil. Familie von 
Raphael, eine Reliquie aus Kaiser- Rudolfs 11 Kunstkammer. 
Den Werth der von ihm angelegten Sammlung von. 72,000 
Kupferstichen, — in einer lehrreichen. Reihenfolge, von den 
ersten Versuchen der Holzschnitte bis auf unsere Zeit herab, 
— hat die Kunstwelt seitdem in der in Dresden damit, vorge- 
nommenen Auction kennen gelernt **), und ich will mich dar- 
über nicht verbreiten. Es ist allen Denen, welche des Grafen 
Vertrauen ‚besassen, wohl bekannt, dass er auch diese Samm- 
lung dem Vaterlande bestimmt hatte, und nur noch über, die 
Form nicht mit sich einig war, in ‚welche er die Schenkung 
einkleiden, und über die Gränzlinie, welche er zwischen den 
beiden Donataren, dem patriotischen Kunstverein, dessen Prä- 
sident er war, und dem. vaterländischen Museum festsetzen 
sollte. Denn bei dem Umstande, dass seine fünf Töchter und 
deren Kinder ihm nicht im Genusse der Familien-Fideicommisse 
folgen durften, konnte auch das Wegschenken so werthvoller 


*) Vgl. Jahrbücher des böhmischen Museums vom J. 1830, $, 212 fg. und 
222 fg. 

**), Sammlung der Kupferstiche und Handzeichnungen Sr. Hxcelleiz des Herm 
Grafen Franz Sternberg-Manderscheid, — verfasst von I. @. A. Frenzel. 


Dresden, 1836—1842, vier Bände in gr. 8. (Ein fünfter Band sollte noch 
nachfolgen.) 


\F 


211 


Sammlungen einem gewissenhaften nnd zärtlichen. Vater um so 
weniger gleichgiltig erscheinen, je. grössere ‚Scheu: sein edles 
Herz trug, das von seinem Rechtsfreund: ihm vergeblich ange- 
rathene Mittel der Einschuldung der ‚Fideicommisse bis zur 
gesetzlichen Höhe, in Anwendung zu bringen. Bei der nicht 
minder edlen und patriotischen Gesinnung aller seiner lebenden 
Töchter (nur eine, Auguste, vermählte Gräfin Brühl, war mit 
Hinterlassung unmündiger Kinder bereits gestorben,) wäre jene 
Schenkung gleichwol zu Stande gekommen, wenn der Tod den 
Grafen nicht vor der Ausführung seiner Entwürfe überrascht 
hätte. 

Von der Natur mit einem gesunden Körper ausgestattet, 
den er durch angemessene Uebungen und durch die Liebha- 
berei der Jagd noch abzuhärten gewusst, durfte er bei seiner 
ruhigen und mässigen Lebensweise wohl einem hohen Alter 
entgegensehen: aber er starb, gegen alle Erwartung, schon in 
seinem 67 Lebensjahre. Seit vielen Jahren war er fast jeden 
Winter von einem trockenen Husten befallen worden, dem er 
jedoch nie eine ärztliche Hilfe entgegensetzte, da derselbe ge- 
wöhnlich, gegen den Frühling zu, von selbst verging.. Als da- 
her im März 1830 dieselbe Erscheinung bei ihm. sich wieder- 
holte, ahnete Niemand, dass sie diesmal eine traurige, Wendung 
nehmen würde. Aerztliche Mittel wurden auch jetzt nicht eher 
angewendet, als bis es wohl schon zu spät war, Der spre- 
chendste Beweis, wie wenig man an einen schlimmen Ausgang 
dachte, lag schon in dem Umstande, dass sein innigster Freund, 
Graf Kaspar, sich ahnungslos während der Krankheit auf seine 
Herrschaft nach Brezina begab. So unerwartet endigte eine 
Lungenlähmung am 8 April 1830 das theuere Leben, zum un- 
nennbaren Schmerz aller Angehörigen, und zu allgemeiner tiefer 
Trauer der Gebildeten im In- und Auslande. 

Seine Leiche wurde am 10 April Abends unter grosser 
Theilnahme‘ der Bevölkerung: Prags aus dem gräflichen Fidei- 
commisshause abgeführt, und in der, Familiengruft zu Zasmuk, 
an der Seite ‘seiner ihm seit 1825 vorgestorbenen Gemahlin, 
beigesetzt. Da er über seinen Nachlass keine letztwillige Ver- 


fügung getroffen hatte, so ordneten die Behörden den Verkauf 
14* 


212 


aller seiner noch übrigen Sammlungen zum Besten der zum 
Theil unmündigen Erben an. 

Graf Franz Sternberg war von mittlerer, jedoch eher 
etwas kleiner als hoher Gestalt, von durchaus regelmässigem 
Gliederbau und eben so regelmässigen Gesichtszügen, die sich 
durch nichts als ihre Feinheit und Beweglichkeit auszeichneten; 
es war ein männlich schöner Kopf, mit antikem Profil, kahlem 
Vorderhaupt, blonden Haaren, lebhaften blauen Augen und 
feinem Munde; seine Haltung war stets gerade und edel, seine 
Bewegungen lebhaft. Eine sich immer ‘gleich bleibende heitere 
Stimmung, unerschöpfliche Fülle geistreicher Gedanken ‚und 
scherzhaften Humors, von unendlicher Gutmüthigkeit und Hin- 
gebung getragen, machten ihn zu einem der liebenswürdigsten 
Menschen, die jemals gelebt haben. Ueberhaupt bot seine ganze 
Erscheinung ein Bild von Harmonie in Geist, Körper und Seele 
dar, von Milde ohne Schwäche, und von angebornem Adel, der 
sich frei bewegte, und jede Ziererei eben so verschmähte, wie 
ihm jede Gemeinheit ferne lag. Eben der zarte, seelenvolle Aus- 
druck einer in sich vollendeten harmenischen ‚Gestalt mag Ur- 
sache sein, warum es keinem der vielen: Künstler, die. sich an 
die Aufgabe machten, gelingen wollte, ein. ganz entsprechendes 
treues Bild von ihm zu liefern; denn in der That ist mir kein 
Portrait des Grafen bekannt, das nur einigermassen befriedigen 
könnte. Allerdings muss auch eingestanden werden, dass er 
selbst allen Malern ungerne sass und leicht ungeduldig wurde; 
die Anfertigung seines Bildes hielt er, der Bilderfreund und 
Präsident einer Akademie bildender Künste, dennoch -für ein 
unnützes, überflüssiges Geschäft! Seine Lieben um ihn besassen 
ja das Original; dass es ihnen so bald entrissen werden würde, 
daran wurde vorerst nicht gedacht. 

Nicht minder edel, als die äussere Erscheinung, war auch 
seine Gesinnung und sein Charakter. Alle’ egoistischen Zwecke 
ünd materiellen Triebfedern' waren ihm: fremd; eben. so. jeder 
Ehrgeiz, jedes Haschen nach Ruhm, Macht oder Einfluss in der 
Gesellschaft. Dennoch war er stets thätig, der Drang nach 

. Veredlung seiner selbst und seiner Nebenmenschen, durch 
Weckung des Geistes, durch Verbreitung‘ von Wissenschaft, 


213 


Kunst, Industrie, Sitte und Religion, liess ihn niemals ermüden. 
Er war ein Patriot im höchsten Sinne des Wortes; bei allen 
gemeinnützigen Anstalten und Unternehmungen stellte er sich 
entweder an die Spitze, oder wirkte thätig mit; jeder Osten- 
tation und allen hochfahrenden Entwürfen feind, bot er gleich- 
wohl überall die Hand, wo eine gute Idee in’s Werk zu setzen 
war; am liebsten that er Gutes im Stillen. Kaum brauche ich 
es hervorzuheben, dass er, neben seinem edlen Freunde, Grafen 
Clam-Martinie, einst ein Hauptgründer und eifrigster Förderer 
des noch bestehenden und durch seine segensreiche Wirksamkeit 
bekannten Prager allgemeinen Armeninstituts gewesen ist. Die 
höchsten und strengsten Anforderungen pflegte er an sich selbst 
zu stellen; gegen Andere war er mild und nachsichtig, ohne in 
Schwäche zu verfallen. Bescheidenheit bewies er nicht allein an 
sich, sie galt ihm auch bei Andern als Zeichen nicht bloss des 
guten Herzens, sondern auch eines hellen Kopfes; unvergesslich 
bleibt mir sein Wort, das er im Jahre 1829 bei der lauten 
Klage über Dobrowsky’s „unersetzlichen“ Verlust, (der ihm als 
Freund selbst sehr zu Herzen ging), dennoch mit Wärme 
sprach: „nein, der unentbehrliche, unersetzliche Mensch ist noch 
nicht geboren.“ 

In seinem Privatleben war er anspruchlos, gastfreundlich, 
wegen seiner Redlichkeit und Herzensgüte von allen Ständen 
geehrt und geliebt. Als treuer Gatte und liebevoller Vater 
entfernte er sich stets nur ungern und auf so kurze Zeit als 
möglich vom Kreise seiner Familie. Obgleich er aber aus 
Liebe zur Häuslichkeit und zu wissenschaftlicher Beschäftigung 
den Hof- und Staatsdienst mied, und sich nur ausserordentlich 
und zeitweilig zu besonderen Sendungen gebrauchen liess, so 
wurde seine patriotische Wirksamkeit von seinen Monarchen 
dennoch huldvoll anerkannt und mit Auszeichnungen belohnt. 
Unter Kaiser Joseph II, der während seiner ganzen Regierung 
nicht mehr als vier Kammerherren ernannte, war er eben einer 
dieser vier Ausgezeichneten. Von Kaiser Franz I erhielt er das 
Commandeurkreuz des Leopoldordens und die Geheimenraths- 
Würde; im Jahre 1824 wurde er auch zum Oberstlandkämmerer 
des Königreichs Böhmen ernannt, Auch genoss er das vollste 


214 


Vertrauen sämmtlicher Behörden im Lande, welche ihm nach 
und nach 17 Curatelen übergeben hatten. Ueberhaupt gehörte 
er zu den in aller Welt höchst seltenen glücklichen Männern, 
die ungeachtet ihrer vielseitigsten Wirksamkeit unter ihren Mit- 
bürgern dennoch weder offen, noch insgeheim angefeindet wur- 
den. Dagegen war sein Verhältniss als Besitzer von Schussen- 
ried und Weissenau, durch Zeit und Umstände, die Quelle 
mannigfacher Unannehmlichkeiten für ihn, selbst noch kurz vor 
seinem Tode. 

Als vorzüglicher Gründer und vieljähriger Präsident des 
patriotischen Kunstvereins und der mit ihm verbundenen Aka- 
demie, hat er um die Verbreitung des Kunstsinnes und die Er- 
haltung eines besseren Geschmacks in Böhmen sich ein bleiben- 
des Verdienst erworben. Er war kein blosser Liebhaber und 
Beschützer, sondern auch ein tiefer und gründlicher Kenner der 
Kunst; sein Urtheil, durch umfassendes Studium und viele An- 
schauung gereift, war dennoch so bescheiden als richtig und 
treffend; ünbestochen durch. falschen Schimmer jeder Art, er- 
kannte er das wahre Schöne in allen Formen, und erfreute sich 
daran noch in seinen. letzten Jahren mit der ganzen Innigkeit 
und Glut eines begeisterten Jünglings. Einen Schatz von Lehren 
zur Bildung, Warnung und Selbstverständigung des Künstlers 
enthält die Sammlung von Reden, welche er an die akademischen 
Zöglinge bei Gelegenheit der Preisvertheilung seit 1804 jährlich 
zu halten pflegte; sie sind Zeugen, nicht allein seiner gründ- 
lichen Einsicht in das praktische Kunststudium, sondern auch 
der hohen Meinung, die er von der Würde der Kunst und dem 
Berufe des Künstlers hegte. Eine planlose Auswahl daraus 
geschöpfter Aphorismen „über "Kunst und Künstlerberuf” habe 
ich im Jahre 1830 in die Jahrbücher des böhmischen Museums 
eingerückt (siehe weiter unten), Man hat von einer ‚Seite 
her die Bemerkung machen wollen, dass er sich von dem sehr 
thätigen 'und productiven, aber mitunter etwas einseitigen ersten 
Akademiedirector Bergler und dessen Nachfolger Waldherr zu 
viel habe in seinem Urtheil bestimmen lassen. Ich kann jedoch, 
mit voller. Kenntniss der Thatsachen, behaupten, . dass: solches 
durchaus nicht der Fall war, und dass er die Mängel des In- 


215 


stituts und seiner Vorsteher eben so gut wie ihre Verdienste zu 
würdigen wusste, aber auch überzeugt war, dass bei den be- 
schränkten Mitteln der Gesellschaft, durch das Setzen einer Ein- 
seitigkeit an die Stelle der anderen den Gebrechen nicht abge- 
holfen werde. Seit Bergler’s Tode (im Juni 1829) galt ihm der 
Zustand der Akademie nur als ein provisorischer; er beschäf- 
tigte sich eben mit Plänen einer totalen Reorganisation des In- 
stituts auf grösserem Fuss, als auch ihn ein höherer Wille von 
aller Thätigkeit hienieden "abrief. 

Wie ich bereits gesagt, hat der stets eitle Wunsch, nur 
Vollendetes zu leisten, und eine zu grosse Bescheidenheit, den 
Grafen abgehalten, auch als Schriftsteller aufzutreten. In Druck 
besitzen wir von ihm, ausser den so eben erwähnten Reden von 
1804 bis 1811 und 1813 bis 1829, nur noch zwei Aufsätze in 
den Verhandlungen unserer Gesellschaft der Wissenschaften vom 
Jahre 1796 und 1825; und einen in der Monatschrift des vater- 
ländischen Museums vom Jahre 1828 (September S. 228); alle 
drei numismatischen Inhalts. Um so grösser ist sein schon be- 
rührter Nachlass an historischen und kritischen Bemerkungen 
"über die gesammte Geschichte des Münzwesens und der schönen 
Kunst in Böhmen. Es ist dies ein in seiner Art einziger Schatz, 
der im vaterländischen Museum, neben dem Münzkabinet, als 
literarisches Denkmal eines grossen Patrioten stets mit Achtung 
bewahrt werden wird. 


Der Tod des Grafen Franz Sternberg war für Viele ein 
harter Schlag: doch für Niemanden härter, als für den Grafen 
Kaspar. Der Kreis, der sich um ihn her gebildet hatte, löste 
sich auf, die Glieder der Familie zerstreuten sich, und der nun- 
mehr einzig übrige Greis, die Zierde und der Stolz des Stern- 
berg’schen Geschlechts, sah sich gleichfalls veranlasst, das Haus 
seiner Ahnen zu verlassen. Nicht minder schmerzlich berührte 
ihn auch der bald darauf (am 4 September 1830) erlittene Ver- 
lust seiner Cousine, Gräfin Louise von Sternberg, der von jeher 
vorzugsweise geliebten Gespielin seiner Jugend. Er trug jedoch 
sein Geschick mit dem Muth eines christlichen Weisen, und 


216 


liess kaum jemals den Kummer sehen, der ‚sich seiner oft zu 
bemächtigen suchte. 

So thätig er auch von jeher ‚gewesen, so schien er doch 
jetzt, seitdem er einsam stand, seine wissenschaftliche Thätigkeit 
noch verdoppeln zu wollen; auch. dehnte er dieselbe auf grössere 
und weitere Kreise aus, als je vorher. Schon am 9 März 1826 
war er, nach dem Tode des alten Grafen Canal, auch zum Prä- 
sidenten der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft ge- 
wählt worden. In seiner am 15. Mai 1826 gehaltenen Antritts- 
rede stellte er sogleich. das Ziel fest, welches diese Gesellschaft, 
gemäss ihren Verhältnissen zum Volke und zur. Regierung, 
unter seiner Leitung zu erstreben suchen. sollte. ; Dieses, eine 
erweiterte Wirksamkeit der Gesellschaft in Beziehung auf Ver- 
breitung von. Kenntnissen unter dem: Volke, verfolgte er, unab- 
lässig, und neue, den Anforderungen der Zeit, entsprechende 
Statuten, deren Sanctionirung er erlangte, so wie die Stftung 
neuer mit der, Gesellschaft verbundener. Vereine. zur Empor- 
bringung der Schafzucht und der Obstbaumzucht, sind die blei- 
benden Denkmale seiner auch in diesem .ausgebreiteten Wir- 
kungskreise regen Thätigkeit. Die wissenschaftlichen Aufsätze 
in diesem Fache, die er grösstentheils in die gesammelten Schrif- 
ten dieser ‘Gesellschaft niederlegte, so wie die kurzen Anreden, 
welche, er bei Einführung ‘neuer Mitglieder in, die Gesellschaft 
zu halten pflegte, sind ebenfalls Zeugen sowohl seiner ausgebrei- 
teten Kenntnisse in der Oekonomie, die er auf seiner Herrschaft 
selbst mit Eifer und Liebe pflegte, als auch des wissenschaft- 
lichen Geistes, mit welchem er dieses Gebiet (der menschlichen 
Thätigkeit, betrachtete. — Auch bei dem Bau der von Prag nach 
Pilsen projectirten Eisenbahn stand Graf Sternberg mit an. der 
Spitze der ganzen Unternehmung, und es lag eben nicht: an 
seinem Zuthun, dass dieselbe nicht ein günstigeres Resultat: ge- 
währte. — 

Zum :Behufe seines Lieblingsstudiums, der Flora der Vor- 
welt, pflegte der Graf seit 1823, fast alljährlich grössere wissen- 
schaftliche Excursionen zu unternehmen, um namentlich die ver- 
schiedenen Formationen, in welchen , Pflanzenversteinerungen 
vorkommen, aus: eigener Ansicht‘ genayer ‚kennen zu lernen. So 


217 


besuchte er insbesondere zu wiederholten Malen alle Gegenden 
in Nord- und Süddeutschland, und dehnte seine Aufmerksam- 
keit gleichmässig 'auch auf die Naturalienkabinete und deren 
Pfleger aus, erneuerte überall die alten Bekanntschaften, und 
knüpfte neue an. So erlangte er in diesem Fache eine Kennt- 
niss der Zustände und Personen, welche im Verein mit seiner 
unabhängigen Stellung ihn. vor Anderen in den Stand setzte, 
zwischen den getrennten Gliedern einer wissenschaftlichen Re- 
publik zu vermitteln, und die Vereinigung derselben zum Besten 
der Wissenschaft zu fördern und zu festigen. Dies bewährte 
sich vorzüglich in der Angelegenheit‘ der von Oken ins Leben 
gerufenen Idee von jährlichen Versammlungen deutscher Natur- 
forscher und Aerzte. Seit'1826 nahm der Graf jedesmal den 
thätigsten Antheil an denselben, und man wird die Bemerkung 
wohl nicht unbescheiden finden, — da sie von vielen Theil- 
nehmern bereits oft und laut ausgesprochen worden ist, — dass 
ein grosser Theil der Bedeutung, welche diese Versammlungen 
seitdem erlangt 'haben, seiner persönlichen Vermittlung zuzu- 
schreiben ist. | Wenigstens war er es, der für sie in den höch- 
sten Kreisen, und namentlich auch bei den Höfen von Berlin 
und Wien, zuerst jene auszeichnende Theilnahme und den 
Schutz erlangte, welche so mächtig beitrugen, sie in allgemeine 
Aufnahme zu bringen. Er hatte, unterstützt von Baron Alexan- 
der von Humboldt, zuerst den Minister Altenstein bewogen, 
dass er 1827 preussische Gelehrte an ihnen Theil nehmen liess, 
‚und 'bahnte damit für das folgende Jahr der Gesellschaft selbst 
den Weg nach Berlin. Bald darauf wiederholte sich ein glei- 
cher Fall in. Wien, wo die auf 1831 bestimmte Versammlung 
jedoch, wegen des Einbruchs der Cholera, auf das folgende 
Jahr verschoben. werden musste. . Der günstige Eindruck, den 
‚damals die Anwesenheit so vieler ausgezeichneten Gelehrten in 
Wien auf Inland und Ausland machte, ist bekannt. . Als gleich 
‘darauf Se. Majestät Kaiser Franz I den ‚Grafen. mit dem 
Commandeur-Kreuz das kaiserl. österr. Leopoldordens beehrte, 
freute diesen die Auszeichnung vorzüglich desshalb , weil sie 
zugleich ein Zeichen der allerhöchsten Zufriedenheit mit der 
Versammlung ‚selbst gewesen war. Der Kaiser, selbst ein Ken- 


218 


ner der Naturwissenschaften, setzte überhaupt hohes Vertrauen 
in die gründliche Einsicht und den patriotischen Sinn des Grafen, 
und liess sich, insbesondere in den letzten Jahren, dessen Votum 
in allen wissenschaftlichen Unternehmungen vortragen, bei wel- 
chen die Regierung betheiligt war. Da der Graf, wie er zu 
sagen pflegte, Niemanden im Wege stand, und auch nie etwas 
für sich selbst nachsuchte, so gelang es ihm auch leichter als 
Anderen, manches schwierige Geschäft einer erwünschten Erle- 
digung zuzuführen. 

Den sprechendsten Beweis für die seltene Vielseitigkeit 
und Productivität seines Geistes liefert der Umstand, dass er 
bei gleichzeitiger Fortsetzung seiner wichtigsten Leistungen in 
der Petrefactenkunde, noch im J. 1832, im 72 Jahre seines 
Alters, sich auch ein ganz neues wissenschaftliches Feld zu 
wählen und mit glänzendem Erfolg zu bearbeiten im Stande 
war: ich meine die Geschichte des ganzen Bergwesens und ins- 
besondere der Berggesetzgebung Böhmens von den ältesten 
Zeiten an. Diese Thatsache würde allein hinreichen, seine 
Genialität zu beurkunden. Er wünschte den Bergbau, auch 
als Mittel gegen den Pauperismus bei fortwährend sich meh- 
render Bevölkerung, wieder mehr in Aufnahme zu bringen, 
und führte zu diesem Zwecke die Beweise durch, dass die einst 
durch ihre Ergiebigkeit so "berühmten böhmischen Bergwerke 
meistentheils nicht wegen Erschöpfung, sondern wegen unzu- 
‚länglicher Mittel zur Bewältigung der Wässer, und noch mehr 
durch die vieljährigen Kriege, welche dieses Land im XV und 
XVII Jahrhunderte entvölkerten, verlassen worden sind; daher 
sie, bei der ausserordentlich gesteigerten Vollkommenheit des 
gesammten Maschinenwesens unserer Zeit, wohl mit Vortheil 
wieder angegriffen werden könnten. Zugleich wünschte er einer, 
dem gegenwärtigen Stande der Naturwissenschaften entsprechen- 
den Reform der Gesetzgebung in Bergsachen die Bahn zu ebnen. 
Unterstützt wurde er bei diesem schwierigen Werke, so wie bei 
vielen anderen wissenschaftlichen Arbeiten, vorzüglich von dem 
gelehrten, ihm von Jugend auf dienenden Wirthschafts-Consu- 
lenten Wenzel Pauk. Doch waren die Ideen und der Geist, 
der das ihm dargebotene Material durchdrang und formte, stets 


219 


sein Eigen. Der erste Band des besagten, durch eine Fülle 
neuer Mittheilungen und geistiger Ueberblicke sich auszeich- 
nenden Werkes erschien 1836; der dritte und letzte 1838. 
Eine Angelegenheit, die dem Grafen in den letzten Jahren 
auch noch sehr am Herzen lag, war die geognostische Unter- 
suchung des interessanten Kammerbühls bei Eger; er widmete 
sich ihr nicht allein aus Eifer für wissenschaftliche Forschung, 
sondern auch aus Pietät für Göthe, der in den letzten zehn 
. Jahren seines Lebens ihm ein inniger Freund geworden war. 
Im Jahre 1822 hatten Graf Sternberg, Göthe und Berzelius in 
Marienbad unter einem Dache gewohnt, und eimander lieb ge- 
wonnen; die Natur und ihre Wunder waren das Mittel, das sie 
zuerst zu einander führte; man weiss, welche genialen Licht- 
blicke Göthe in ihre geheimnissvolle Werkstätte damals geworfen 
hatte. Unter den Gegenständen, welehe die Aufmerksamkeit 
dieser drei ausgezeichneten Männer vorzüglich fesselten, war 
auch der genannte Kammerbühl, welchen Berzelius, seiner 
Aehnlichkeit mit den vuleanischen Gebilden der Auvergne we- 
gen, ohne weiteres für vuleanischen Ursprungs erklärte. Von 
jener Zeit an war insbesondere zwischen Göthe und Sternberg 
der herzlichste Bund geschlossen, ein lebhafter Austausch gegen- 
seitiger Erfahrungen und Ansichten wurde bis zu des Einen 
Tode fortgesetzt, und der Graf huldigte bei jeder sich ergeben- 
den Gelegenheit gerne einem Genius, dessen Grösse er zu wür- 
digen verstand. Nun war die genannte Untersuchung des 
Kammerbühls bekanntlich ein von Göthe dem Grafen öffentlich 
gegebener Auftrag und gleichsam ein Vermächtniss, (as er 
nicht unerfüllt lassen wollte. Ueber den Gang und die Resultate 
der durch mehrere Jahre mit nicht geringem Aufwande geführ- 
ten Nachgrabungen gab der Graf selbst in den von ihm bei den 
Generalversammlungen der böhmischen Museumsgesellschaft von 
1835 bis 1837 gehaltenen Reden die befriedigendsten Berichte. 
Bei den Ceremonien und Festen, welche Kaiser Ferdi- 
nands I Krönung als König in Böhmen zu Anfang Septembers 
1836 begleiteten, hatte Graf Sternberg die Ehre, die Stelle des 
Obersten Kämmerers bei Sr. Majestät zu vertreten. Den Sommer 
zuvor hatte er die Bäder von Gastein gebraucht, deren ent- 


220 


müdende Wirkung sich auch an ihm bewährte, so dass er an 
allen Vorfällen und herzerhebenden Scenen jenes Nationalfestes 
mit frischer Jugendkraft Theil nehmen konnte; auch belohnte 
Se. Majestät seine Verdienste jetzt mit dem Grosskreuz des 
Leopoldordens. Bald jedoch fing er an, über die abnehmende 
Kraft seiner Sinnenorgane, zumal der Augen, zu klagen, und 
äusserte sich auch ‘mit seinem Gedächtnisse oft unzufrieden, 
obgleich übrigens sein Geist nichts an Frische und lebhafter 
Auffassung verloren hatte. Die Naturforscher ‘und Aerzte. 
Deutschlands hatten, zunächst ihm zu Ehren, sich im J. 1837 
in Prag zu versammeln beschlossen, und ihn bei dieser ihrer 
fünfzehnten Versammlung zum Präsidenten, den verdienstvollen 
Prof. von Krombholz aber zum Secretär gewählt. ‘Wenn es 
ihm nun grosse Freude gewährte, jene grosse Gesellschaft, die 
er von jeher verehrte, und zu deren Erhaltung und Förderung. 
er so redlich beigetragen hatte, endlich auch in seinem Vater- 
lande und gleichsam bei sich zu sehen und zu bewirthen‘, so 
flösste die in der That rasch abniehmende Sehkraft ihm auch 
nicht geringe Besorgnisse ein, es möchte ihm unmöglich wer- 
den, allen seinen Pflichten dabei gehörig nachzukommen. Da 
jedoch der um’ Böhmen hochverdiente Oberstburggraf, Karl 
Graf Chotek, und mit ihm alle Behörden des Landes und der 
Stadt, ihn’ aufs thätigste unterstützten, und der freudige Ein- 
druck der in Prag ungewohnten Scenen seinen Geist noch mehr 
erhob: so ging Alles trefflich von Statten, und ‘der Graf eröff- 
nete die Sitzung am 18 September. mit einer wohlgestellten 
Rede über ‘die Bestrebungen und Leistungen der Böhmen im 
naturwissenschaftlichen Fache, vom XIV bis zum XVII Jahr- 
hunderte herab. Diese Versammlung bildete überhaupt einen 
für ihn höchst erfreulichen hellen Moment am Abend seines 
Lebens: Insbesondere that ihm auch der Beifall wohl, den die 
naturhistorischen Sammlungen des böhmischen Museums bei so 
vielen Kennern damals gefunden; und eben so freute ihn der 
mehrtägige Besuch , den einige der. vorzüglichsten Mitglieder 
der Versammlung, darunter ‘Leopold von Buch, Bentham aus 
London, Blie de Beaumont aus Paris, Göppert, Nöggerath u, 
A., ihm in seinem Schlosse zu Brezina machten, 


221 


Die ungewohnte Nothwendigkeit, sich in den wissenschaft- 
lichen Arbeiten, so wie in. seinem ausgebreiteten Briefwechsel 
fortan eines Secretärs zu bedienen, war zwar für den Grafen 
Anfangs sehr peinlich, minderte aber keineswegs seine Thätig- 
keit, auch nicht die Lebhaftigkeit und Schärfe seines Geistes. 
In der That gehören diejenigen Werke, welche er erst im Laufe 
des Jahres 1838 vollendete, namentlich das letzte Heft seiner 
Flora der Vorwelt und: die Geschichte der Berggesetzgebung 
in Böhmen, unter seine besten Leistungen überhaupt. Als Be- 
weis seines ungeschwächten Muthes und der stets regen Theil- 
nahme an allen Interessen des Vaterlandes und der Wissen- 
schaft, erlauben Sie mir, meine Herren! noch eine Thatsache 
anzuführen, bei welcher ich selbst betheiligt war. Als der Druck 
seiner Geschichte des böhmischen Bergwesens (bei welcher ich 
ihm ähnliche Dienste, wie Prof. Karl Presl bei den.. letzten 
Heften der Flora der Vorwelt leistete), zu Ende ging, entdeckte 
ich zufällig in einem alten Formelbuche vom J. 1344 zwei und 
zwanzig noch unbekannte und durch ihren Inhalt interessante 
Urkunden, welche den Grafen so. freuten, dass er sogar den 
Entschluss fasste, eine neue Bearbeitung seines letzten Bandes 
zu beginnen, da er jetzt über viele bis dahin dunkle Punkte der 
Wenceslaischen : Constitutionen neues Licht gewonnen. habe. 
Der verwahrloste Zustand, in welchem sich das’ böhmische Ge- 
schichtstudium seit Pelzel’s Tode, ungeachtet einiger glänzenden 
Leistungen Dobrowsky’s und der zeitherigen Thätigkeit des 
Museums, noch immer befand, war ihm bei Bearbeitung seines 
historischen Werkes oft fühlbar geworden; jetzt aber zeigte er 
sich so tief von der Nothwendigkeit überzeugt und durchdrun- 
gen, mit mehr als individuellen Kräften an die Beseitigung die- 
ses so oft beklagten Uebelstandes zu gehen, ‘dass er, als ich 
am 20 Sept. 1838, kurz vor Antritt meiner zweiten italienischen 
Reise, von ihm. Abschied nahm, mir den. Auftrag ertheilte, ihm 
bei meiner Rückkehr eine Denkschrift über diesen Gegenstand 
mitzubringen; denn er ısei Willens, als Präsident des vaterlän- 
dischen Museums, die Hilfe der, Herren Stände des Königreichs 
zu einer Unternehmung ‚anzusprechen, zu welcher die Kräfte 
jener. Anstalt allein noch nicht hinreichten, und: Massregeln. in 


222 


Vorschlag zu bringen, die hoffentlich in nicht zw weiter Ferne 
zu dem gewünschten Ziele führen würden. So. von ihm selbst 
an eine nahe noch’ thätigere Zukunft gewiesen , wie hätte ich 
damals ahnen sollen, dass ich den trotz seiner Augenschwäche 
noch immer rüstigen verehrten Greis nimmer mehr sehen würde? 

Mitte December 1838 lud der Graf, 'wie gewöhnlich, seine 
Gutsnachbarn zu Jagden auf seiner. Herrschaft ein. Er konnte 
selbst zwar keinen Theil daran nehmen ‚ sondern setzte seine 
literarischen Beschäftigungen mit Hilfe seines Secretärs, Prof. 
Kaubek, fort. Am dritten Tage der Jagd, den 18 December 
früh, hiess er auch diesen sich der Jagdgesellschaft anschliessen, 
und ging dann, mit dem Stocke in der Hand, selbst in den 
nahen Thiergarten, um als freundlicher Hausherr seinen‘ Gästen 
Aufmerksamkeit zu erzeugen und sich nach dem Fortgange der 
Jagd zu erkundigen. Plötzlich sah ihn sein treuer Kammer- 
diener an einen nahen Baum sich anlehnen; er sprach ihn an, 
und erhielt eine ungewöhnlich lautende, verworrene Antwort; 
als er ihn beim Arme fasst, um ihn weiter zu führen, bemerkt 
er, dass dessen linker Fuss steif geworden. Er ahnet gleich 
die Grösse des Unglücks und ruft nach Hilfe ; mit Mühe bringt 
man den Kranken in das Schloss zurück und ins Bette. Es 
war gerade kein Arzt in der Nähe; Boten eilen nach allen Sei- 
ten, um solche herbeizurufen ; der Neffe und Erbe des Grafen, 
Zdenko Sternberg, begibt sich unmittelbar bis nach Prag, um den 
Ordinarius, Dr. Cermak , aufs schleunigste zu holen; indessen 
übernimmt einer der Jagdgäste, Graf Wilhelm Wurmbrand, die 
Leitung des Hauses und die Pflege des Kranken. Der zuerst 
herbeigekommene Chirurg erklärt, ohne Anordnung eines Doc- 
tors keinen Aderlass wagen zu dürfen, zumal sich der Zustand 
des Kranken zu bessern schien, und er wieder mit Bewusstsein 
deutlich zu sprechen anfing. Am Spätabend wiederholten sich 
jedoch die Schlaganfälle, das Bewusstsein trat von ‘da an immer 
mehr zurück, und die Aerzte, die inzwischen eingetroffen, ga- 
ben bald alle Hoffnung auf. Am 20 December um 10 Uhr 
Abends entwand sich der edle Geist seiner körperlichen Hülle. 

Welch schmerzlichen tiefen Eindruck die Trauerkunde in 
der Nähe wie in der Ferne machte, brauche ich Ihnen, meine 


225 


Herren! nicht zu schildern. Sie haben ihn ja alle bemerkt und 
mitempfunden; und die Klage um den Dahingeschiedenen , die 
noch heutzutage fast allenthalben laut wird, beweist , dass die 
durch ihn geschlagene Wunde noch lange nicht vernarbt ist. 
Erwägt man die Grösse des Verlustes, den insbesondere die 
wissenschaftlichen Vereine unseres Vaterlandes durch ihn erlitten 
haben, so wird es in der That schwer, an das strenge Wort 
des Grafen Franz Sternberg zu glauben, dass es überhaupt 
keine unentbehrlichen und unersetzlichen Menschen gebe. Die 
Lücke, die sich hier öffnete, ist und bleibt unausgefüllt, — des 
Verlustes, den die Wissenschaften selbst, so wie auch die zahl- 
reichen Freunde und Verehrer des Verblichenen in allen Län- 
dern erlitten, nicht zu gedenken. 

Seine Ruhestätte hatte sich Graf Kaspar -Sternberg schon 
seit;1827 selbst bereitet. Auf einem Hügel, den man aus den 
Fenstern seines Schlosses sehen kann, nächst dem Friedhofe 
der Pfarre Stupno, wohin Brezina eingepfarrt ist, liess er eine 
Gruft mit einer Kapelle darüber und einem Peristyl in jonischer 
Ordnung erbauen, sie mit allen Pinusarten, welche in unserm 
Lande gedeihen, mit Thuja und Juniperus, von welchen er: die 
meisten vom Samen erzogen, umpflanzen, und in die Nische 
über dem Grabgewölbe ein vorweltliches Lepidodendron auf- 
stellen: daran sollten die künftigen Naturforscher sein Grab 
erkennen. Da wurde denn der Leichnam am 23 December 
1838 unter grossem Zudrang seiner betrübten Freunde, Ver- 
ehrer, Unterthanen und Nachbarn beigesetzt. Rührend war 
insbesondere die Trauer, welche die Bewohner der benachbarten 
königl. Stadt Rokycan dabei an den Tag legten. In Prag wur- 
den zuerst am 27 December fast in allen Kirchen, unter allge- 
meiner Theilnahme, ‚die Trauerceremonien abgehalten. Später 
vereinigten sich beide Gesellschaften, deren Präsident er gewe- 
sen war, die des böhm. Museums und die k. k. patriotisch- 
ökonomische, zu Veranstaltung feierliceber Exequien in der Pra- 
ger S. Salvatorskirche am 6 Februar 1839, bei welcher Gele- 
genheit ein vom Akademiedirector Kadlik entworfener, von den 
Gebrüdern Max aufgeführter fARniger Katafalk aufgestellt war 
mit; folgender Inschrift: 


224 


„Praesidi suo, Casparo comiti de Sternberg, 
nato MDCCLXT, VII id. Jan. def. MDCCCXXXVII, XII Kal. Jan. 
sideri, virtutis, patriae ac naturae studio rutilanti 
geminae societates, agraria et Musei, moerentes posuere.“ 

Ueber den Geist und Charakter des Verewigten getraue 
ich mir nur wenig zu sagen. Sprechen sein ganzes Leben, seine 
gesammten Werke, welche auf die Nachwelt übergehen, und 
selbst die noch nicht gestillte allgemeine Trauer um ihn, nicht 
weit deutlicher und beredter als ich zu sprechen vermöchte ? 
Vollends, um den ganzen Umfang und die Grösse seines Gei- 
stes gehörig würdigen zu können, müsste man ihm darin eben- 
bürtig gewesen sein. Darum erlauben Sie mir, nur einige Züge 
hervorzuheben, welche unsere Nachkommen, zu Vervollständi- 
gung seines Bildes, nicht aus den genannten Quellen würden 
schöpfen können, weil sie der flüchtigen persönlichen Erschei- 
nung angehörten. 

Graf Kaspar Sternberg war von hoher, kräftiger, impo- 
santer Gestalt, dabei von edler Haltung, und noch im hohen 
Alter immer gerade und fest auftretend. Seine ganze Persön- 
lichkeit offenbarte sich nicht minder edel, als die des Grafen 
Franz Sternberg: nur unterschied sie sich, jener harmonischen 
milden Erscheinung gegenüber, durch vorherrschenden Ernst, 
durch Kraft und Würde, welche sein ganzes Wesen beherrsch- 
ten. Sein kahler Kopf mit den stark ausgesprochenen und doch 
regelmässigen Zügen, erinnerte an die antiken Büsten so man- 
cher Philosophen alter Zeit. Sein Mienenspiel war weniger be- 
weglich, aber in Verbindung mit dem feurig strahlenden Auge 
und scharf markirten Munde sehr ausdrucksvoll. Ein von einem 
Wiener Künstler im J. 1837 auf Stein gezeichnetes Portrait 
gibt die Züge jener Zeit mit ziemlicher Treue wieder, ohne 
übrigens auf hohen Kunstwerth Ansprüche zu machen; dasselbe 
gilt von dem um zehn Jahre älteren, von Biman in Glas gra- 
virten Medaillon. Andere Portraite, die in ziemlicher Menge 
vorhanden sind, scheinen (mir wenigstens) insgesammt minder 
befriedigend. i 

Als Zeichen, wie die Bedeutung des Grafen in Deutsch- 
land aufgefasst wurde, glaube ich nachstehende Worte aus dem 


225 


in die Beilagen zur Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 7 und 
8 Januar 1839 eingerückten Nekrolog hier anführen zu sollen. 
„Eine ausgedehnte Correspondenz (sagt dort sein ungenannter 
deutscher Biograph) mit den grössten Naturforschern Deutsch- 
lands, Frankreichs, Englands und Nordamerika’s, machte ihn 
zum allgemeinen Träger der literarischen Entwickelungen, und 
wo es galt, durch Rath, durch Eröffnung von neuen Hilfsmitteln, 
durch Geldunterstützung, durch Empfehlung zu wirken, war Graf 
Sternberg immer der Mann, an den sich das Vertrauen des 
Gelehrten mit Erfolg wenden durfte. Er bildete eines der 
Centren in der grossen deutschen Gelehrtenrepublik, und wo er 
unter den Aerzten und Naturforschern des gemeinsamen Vater- 
landes erschien, wendeten sich Aller Blicke mit Ehrfurcht und 
Vertrauen auf den ehrwürdigen Greis, der mit so viel Milde 
und Delicatesse half, mit so anspruchloser Weisheit rieth und 
leitete.“ — „Da Alles, was er sprach und that, Gutmüthigkeit, 
Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit athmete, und er vor dem 
Throne eben so offen redete, als vor einem wissenschaftlichen 
Tribunale, so ist seine Wirksamkeit in allen Kreisen erspriess- 
lich und heilsam gewesen. In der That, er war ein vollendeter 
deutscher Edelmann! Alle Züge von Besonnenheit, von rich- 
tiger Urtheilskraft, von allgemeinem Wohlwollen, von Freimü- 
thigkeit, die wir in historischen Charakteren unseres Adels ver- 
ehren, waren bei ihm vereinigt. Daher auch das unbegränzte 
Vertrauen, womit ihm mehrere der ausgezeichnetsten Monarchen 
entgegenkamen. Wir nennen unter ihnen den verewigten Gross- 
herzog von Weimar, König Maximilian Joseph von Bayern und 
Kaiser Franz von Oesterreich, welcher Letztere ihn in allen 
wissenschaftlichen Dingen um Rath fragte, und als Zeichen sei- 
nes Vertrauens 1825 zum wirklichen geheimen Rath ernannte. 
Mit dem geistreichen Dalberg lebte er auf dem Fusse brüder- 
lichen Vertrauens. In seiner Erscheinung war jene feine Sitte, 
jene Würde des selbstbewussten Mannes, der die ziemliche 
Unterordnung unter den Monarchen ein Leichtes ist. Und 
darum machte er auf jede Art von Gesellschaft, in welcher er 
sich bewegte, jenen stillen, aber um so mächtigeren Einfluss gel- 
tend, der ihn gleichsam von selbst zu ihrem Centrum erhob.* — 
15 


226 


Zu dieser wahren und treffenden Charakterschilderung er- 
laube ich mir nur eine Bemerkung. Wer die darin gerühmte 
und allerdings in Wahrheit gegründete Gutmüthigkeit und An- 
spruchlosigkeit des Grafen auf eine weiche und energielose 
Natur deuten wollte, würde sich sehr irren. Welche innige 
Theilnahme und Hingebung er auch seinen Freunden erwies, 
wie warmfühlend, geistreich und heiter er auch war, so verliess 
ihn doch nie sein Ernst, sein Wille war stets entschieden, er 
wusste, wo es Noth that, zu befehlen und seinen Worten Nach- 
druck zu geben, sein Benehmen gränzte in solchen Fällen oft 
an Härte, und er pflegte mit gemeinen Naturen jedes Standes, 
die ihm nahten und die er schnell durchblickte, immer sehr 
wenig Umstände zu machen. Weichheit und Sentimentalität 
waren ihm fremd; eben so vertrug sich der ihm angeborne 
Adel nicht mit Witzemachen, so geistreich und ungezwungen 
er auch in Gespräche und Unterhaltungen jeder Art einzugehen 
wusste. ‘Dass einem solchen Manne jede Selbstsucht und jede 
gemeine Triebfeder ferne lag, brauche ich nicht erst zu sagen. 
Auch stand ihm kein Stand und kein gesitteter Mensch zu 
hoch oder zu niedrig, dass er nicht mit Offenheit und wahrer 
Theilnahme sich dem Umgang mit ihm hingegeben hätte, Gleich- 
wohl war er in seinem Herzen und in seinen Ansichten ein 
entschiedener Edelmann, der seinen Stand als ein wesentliches 
Glied im modernen Staatsorganismus ansah, so unhold er: auch 
dem gewöhnlichen Politisiren war und blieb. Aber er sah auch 
die Bedeutung und Bestimmung des Adels da, wo sie sein soll, 
und wo er sich 'selbst und seine innigsten Freunde erblickte: in 
der Pflege der höchsten Interessen des Vaterlandes und der Mensch- 
heit, im Voranleuchten durch Humanität und edle Sitte, in der 
Förderung aller gemeinnützigen Unternehmungen im Staate, wozu 
der Adel durch sein Vermögen und seine freie Stellung vor- 
zugsweise vor den mehr mit Erwerb‘ und Nahrungssorgen be- 
schäftigten unteren Ständen berufen sei. Die davon abweichen- 
den Erscheinungen betrachtete er nur als Ausnahmen von der 
Regel. 2 
Die von ihm seit dem Jahre 1802 in Druck. herausgege- 
benen Schriften, theils selbstständige Werke, theils Aufsätze und 


er ee Bd En u 


227 


Reden in verschiedenen Sammlungen, sind zahlreich, wie man 
sich aus dem (unten folgenden) Verzeichnisse überzeugen wird. 
Seine bedeutendste Leistung ist ohne Zweifel der in den Jahren 
1820—38 in acht Heften in Folio herausgegebene „Versuch einer 
geognostisch-botanischen Darstellung der Flora der Vorwelt.“ 
Diese Schrift hat das Verdienst, die botanische Untersuchung von 
den Bildungen vorweltlicher Gewächse mit den geognostischen 
Ergebnissen zusammenzuhalten, und ist das erste Werk, welches 
in neuerer Zeit den Anstoss zum Studium eines eben so in- 
teressanten, als früher vernachlässigten Gegenstandes gegeben 
hat. Sein oben oft erwähnter Freund, Graf von Bray, der ihn 
seit 1795 für das Naturstudium gewonnen hatte, lieferte eine 
französische Uebersetzung davon. Die frühere Vernachlässigung 
dieses Zweigs der Wissenschaften leitete Graf Sternberg zu- 
nächst von der ungemeinen Kostspieligkeit solcher Forschungen 
her, da die betreffenden Sammlungen theuer und schwerfällig sind, 
so dass unbemittelte Botaniker sich kaum daran wagen konnten. 

Anderer wichtigen wissenschaftlichen Leistungen des Grafen 
ist bereits in seiner Lebensgeschichte gedacht worden. 


Ich habe nun, meine Herren! das Bild des Lebens und 
der wissenschaftlichen Thätigkeit zweier unserer vorzüglichsten 
Ehrenmitglieder vor Ihren Augen, so gut ich vermochte, vor- 
übergeführt, und der mir gewordenen Aufgabe, so wie meiner 
Pflicht, nach Kräften entsprochen. Ich kann es nicht läugnen, 
dass eben nur die Schwierigkeit dieser Aufgabe und das Gefühl, 
wie wenig ich ihr gewachsen bin, mich dies Werk immer län- 
ger aufschieben liessen, bis endlich die kategorische Nothwen- 
digkeit mich zwang, mit welchem Erfolge immer daran zu ge- 
hen. Ich war erst 1823 in die Nähe der beiden Edlen gekom- 
men, und Das, was mir seitdem Beide über ihr früheres Leben 
mitgetheilt, erwies sich nicht genügend, alle Lücken auszufüllen, 
so viel Schätzbares Sie auch darin bemerken dürften. Ich habe 
wenigstens nach meinem besten Wissen und Gewissen berichtet; 
Ihr eigenes Gedächtniss möge die Lücken ergänzen, die meine 
Darstellung gelassen haben wird; eine Unwahrheit werden Sie, 
und die. ordnungsmässig von Ihnen zu bestellenden Richter 

15* 


228 er 


meines Vortrags, ohnehin nicht durchschlüpfen lassen. Mir aber 
gestatten Sie am Schlusse meiner Rede noch in die innigsten 
Wünsche der beiden hochverehrten Hingeschiedenen miteinzu- 
stimmen: dass unser Vaterland, unser Volk, unsere Gesellschaft 
niemals in Zukunft solcher Zierden, wie diese Zwei, entbehren 
müsse! und dass der altberühmte Stamm: der Sternberge bald 
wieder Sprossen treibe, die sich ihrer Ahnen eben so würdig 
machen, wie die Grafen Kaspar und Franz Sternberg! 


Verzeichniss der in Druck vorhandenen Werke und Aufsätze 
des Grafen Kaspar von Sternberg. 


1) Botanische Excursion nach der Kaisersklause in Oberbayern, — abge- 
druckt in Dr. Dav. Heinr. Hoppe’s botanischem Taschenbuch, Jahr 1802, 
S. 209 fg. 

2) Ueber eine ästige Varietät der Heritieria antherieoides Schrankii, — in 
der von der botanischen Gesellschaft in Regensburg herausgegebenen Botaiechiu 
Zeitung, 1 Jahrgang, 1802, Seite 83—96. 

3) Galvanische Versuche in manchen Krankheiten, herausgegeben und mit 
einer Einleitung „über Galvanismus in Bezug auf Erregungstheorie“ begleitet 
von Dr. Joh. Ulr. Gottl. Schäffer. Regensburg (in. fine: Sulzbach) 1803, 
134 Seiten in 8. 

4) Bemerkungen über die von Faujas de St. Fond beschriebenen fossilen 
Pflanzen, im 3 Jahrgang der botanischen Zeitung, 1804, Seite 49 fg. 

5) Zwei Schreiben aus Bassano in Öberitalien, dd. 8 und 30 Mai 1804, 
ebendaselbst S. 161, 202, 225, 363, 368. 

* 6) Reise durch Tyrol in die Oesterreichischen Provinzen Italiens im 
Frühjahr 1804, mit 4 Kupfertafeln. Regensburg 1806, Seiten XI und 166 
in klein Fol. 

7) Reise in die Rhätischen Alpen, vorzüglich in botanischer Hinsicht, im 
Sommer 1804. Eine Beilage zum botanischen Taschenbuche. Nürnberg (in fine: 
Regensburg), 1806, 64 Seiten in 8. 

8) Notice sur les analogues des plantes fossiles. Par M. le comte de 
Sternberg. (In den Annales du Museum national d’histoire naturelle, tome V, 
Paris 1804, pag, 462—470 in 4.) 

9) Botanische Ausflüge in die Rhätischen Alpen — in Hoppe’s Toästhecheog 
Taschenbuche, Jahr 1804, $. 65 fg. — und daraus besonders abgedruckt, ohne 
Ort und Jahr, 65 Seiten in 8. 

10) Bemerkungen über die von den Mitgliedern der botanischen Gesell- 
schaft aus Tranquebar erhaltenen Pflanzen — in Hoppe’s botan. Taschenbuche, 
Jahr 1804, S. 192 fg. 

11) Schreiben an Prof. Duval, dd. Winterberg, 18 September 1805. 


229 


12) Schreiben an Prof. Duval, dd. Prag. 18 October 1805 (beide in der 
botanischen Zeitung, 4 Jahrgang, 1805, $. 289 und 321 fg.) 

13) Bemerkungen über Ranunculus aconitifolius, und Ranunc. platanifolius. 
(Daselbst, 5 Jahrgang, 1806, $. 33 fg.) 

14 und 15) Schreiben an Prof. Duval, dd. Wien, den 24 Juli 1806, und 
ein zweites vom 30 Juli (beide daselbst, SS. 230 und 241 fg.) 

16) Botanische Wanderung in den Böhmer-Wald, mit beigefügten Ta- 
bellen. Nürnberg 1806. 14 Seiten in 8vo. und 4 Tabellen. 

17) Zwei Schreiben an Prof. Duval, über eine Reise nach Böhmen, dd. 
Prag, den 23 Mai 1807 fg. (in der 'botanischen Zeitung, 6 Jahrgang, 1807, 
S. 145 fg. 177 fg. 

18) Schreiben an Prof. Hoppe. München, den 13 August, (Ebendaselbst. 
S. 269 fg.) 

19) Systematische Bestimmung derjenigen Pflanzen, welche in Tourne- 
forts Reisen nach dem Oriente abgebildet sind. (Ebendaselbst, S. 314 fg.) 

20) Botanische Beobachtungen im Jahre 1807 (ebendaselbst $, 337 
und 368 fg.) 

21) Botanische Bemerkungen auf einer Reise über Salzburg nach Kärnthen, 
Steiermark und Oberösterreich im Sommer 1808 (in Hoppe’s Neuem botanischen 
Taschenbuche. Jahr 1809 S. 18 fg.) 

* 22) Revisio Saxifragarum iconibus illustrata. Ratisbonae 1810. p. XVI 
und 60 Seiten mit XXV (eigentlich 31) illum. Tafeln in gross Fol. — Das 1. 
Supplement (Decas I.) VI und 16 Seiten stark, erschien Ratisbonae 1822, das 
2, VI und 104 Seiten mit XXVI grossentheils illum. Tafeln, Pragae 1831. 

ad 23) Schreiben an Seine Excellenz Grafen von Sternberg zu Bfezina in 
Böhmen. Von dem Herausgeber. 

23) Antwortschreiben an Dr. Hoppe, dd. Biezina in Böhmen, den 
18 Dec. 1810 (beide in Hoppe’s neuem botanischen Taschenbuche, Jahr 1811, 
$. 179 und 195 fg.) 

24) Anfragen, Vorschläge, Wünsche, Naturkunde Böhmens (in dem von 
Christian Carl Andr@ herausgegebenen Hesperus, einem Nationalblatte für ge- 
bildete Leser, Jahrgang 1813, S. 100.) 

: 25) Ueber die Natur des Waids, gegen D. Heinrichs Behauptung. (Eben- 
daselbst, S. 400.) 

26) Schreiben an den Herausgeber zur Berichtigung eines Artikels tiber 
Waid, N. 50. Biezina 15 September 1813. (Ebendaselbst, S. 564.) 

27) Erklärung in Bezug auf den Gegenwunsch, N. 46, $. 399 (nämlich 
die Naturkunde Böhmens betreffend. Ebendaselbst, S. 604.) 

* 28) Ueber den gegenwärtigen Standpunkt der botanischen Wissenschaft, 
und die Nothwendigkeit, das Studium derselben zu erleichtern. (In den Denk- 
schriften der königlich - bayerischen botanischen Gesellschaft in Regensburg, 
1 Abtheilung, 1815, $. 1 fg.) 

29) Braya, eine neue Pflanzengattung. Aufgestellt von dem Grafen 
Kaspar von Sternberg und Professor Dr. Hoppe. (Hiezu Tab. I.). — Ebenda- 
selbst, S. 65 fg. 

30) Einige neue Pflanzen Deutschlands, nebst eingestreuten Bemerkungen 
über die verwandten Arten. Von dem Grafen Kaspar von Sternberg und Pro- 
fessor Dr. Hoppe. (Hiezu Tab. H, II, IV.) — Ebendaselbst, S, 148 fg. 


230 


31) Ucber die Kultur der. Alpen-Pflanzen. (Ebendaselbst 8. 173 fg.) 

32) Beschreibung; und Untersuchung einer merkwürdigen, Eisengeode (Haus- 
manns dichter thoniger Sphärosiderit), welehe auf der gräflich Kaspar Sternberg- 
schen Herrschaft Radnitz im Pilsner Kreise in Böhmen ‚gefunden wurde. Ver- 
anlasst und mitgetheilt von dem Grafen Kaspar von Sternberg. Mit 4 Kupfern. 
Für die Abhandlungen: der k. Gesellschaft der: Wissenschaften. ‚Prag 1816, 
26 Seiten in 8vo. (Besonderer Abdruck aus den Abhandlungen der königlichen 
böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. 5 Band, 1814—1817. Physikalisch- 
mathematischer Theil.) 

* 33) Abhandlung über‘.die Pflanzenkunde in Böhmen.‘ Prag 1817, . 168 
Seiten in 8vo; 2 Abtheilung, Prag 1818, 128 und XLVI Seiten stark. - (Beide 
besonders abgedruckt aus den Abhandlungen der königl. böhm. Gesellschaft der 
Wissenschaften. 6 Band 1818, 1819, Physikalisch-mathematischer Theil.) 

34) Aufstellung drei‘ neuer Pflanzen-Arten mit Abbildungen. (In den 
Denkschriften der ‚k: bayerischen: botanischen ‘Gesellschaft. in > Regommburg; 2 Ab- 
theilung, 1818, 8.55 fg.) 

35) Botanische Bemerkungen und Berichtigungen, mit vorzüglicher Rück- 
sicht ‚auf: Deutschlands Flora. ‘Von dem. Grafen Kaspar Biormheg und Prof. 
Dr. Hoppe. (Ebendaselbst 8. 84 fg.) 

36) Botanische Bemerkungen. (In der von der königl: botanischen Ge- 
sellschaft: in Regensburg herausgegebenen Flora oder. Botanischen "Zeitung, 
1 Jahrgang, 1818, $. 388 fg.) 

37) Geschichte, und. Beschreibung ‚der , Schmidtia utrieuloda Seidel, einer 
neuen böhmischen Pflanze. (Ebendaselbst, 2 Jahrgang, 1819, 8..1 fg.) 

38) Bemerkungen über einige Arten aus der: Gattung Scorzonera, Er 
daselbst $. 431 fg.) 

39) Botanische Notizen (Trifolium uniflorum, T. hen —_ Kbenda- 
selbst 3 Jahrgang, 1820, S. 599.) 

’** 40) Versuch einer geognostisch-botanischen Darstellung ‚der Flora der 
Vorwelt. Leipzig und Prag 1820 fg. 8 Hefte in ‚gross Folio, 1: Heft 24 Seiten, 
2 Heft 33 Seiten, 3 Heft (Regensburg) 39 Seiten, 4 Heft (Regensburg) 48 Seiten 
und Tentamen Florae primordialis XL Seiten, alle 4 zusanımen mit LIX. 
A- E. illum. Tafeln;, 5 und 6 Heft (Prag 1833) IV und 80. Seiten, .7 und 8 
Heft (Prag 1838) von Seite 81 bis 220, alle 4 Hefte mit XLV illum, Kupfer- 
tafeln, (Angezeigt in der Isis von Oken, Jahrgang 1820, S. 618 fs. dann Jahr- 
gang 1827, S. ‚833.) 

41) Ueber die österreichische. Schwarzkiefer (in der Flora der botanischen 
Zeitung, 4 Jahrgang, 1821, S. 381 fg.) 

42) Ucber die Wichtigkeit eines Einverständnisses zwischen den Botanikern 
bei Bearbeitung, neuer Herbarien. (Vorgetragen in der Sitzung der botanischen 
Gesellschaft am. 10 November, 1821). -—— In der ‚Flora, 5 ‚Jahrgang, 1822, 
8.23 IE: 

43) Ueber die Gattung Zanonia Plumieri. (Ebendaselbst, S. 161 fg.) 

* 44) Rede des Präsidenten des böhm. Museums bei der ersten ordentlichen 
allgemeinen Versammlung, den 26 Hornung 1823. (In den Verhandlungen der 
Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen, 1 Heft, 1823, S. 41 fg. 
und in allen folgenden Heften bis zum Jahre 1838 inclusive). 

45) Ueber Geognosie (in der Isis, Jahrgang 1823, 8. 283). . 


231 


46) Botanische Winter -'Excursionen, (In: der Flora, 6 Jahrgang, 
1823, S. 281.) 

47) Carex argyroglochin Hornemann; eine 'neue deutsche Pflanze. (Eben- 
daselbst S. 284.) 

:48) Cuphaea procumbens Cav. non: proeumbens -— ist das: auch Folge 
der Cultur?. (Ebendaselbst S.:381.) 

49) Die Brasilianischen Herbarien in Wien, (Ebendaselbst 8. 609.) - 

50) Ueber die verschiedenen Pflanzenabdrücke führenden-Formationen und 
die. Unterschiede der Vegetationen in denselben. Vorgelesen in der Sitzung der 
botanischen Gesellschaft in Regensburg..den. 20 September 1824. _(Ebendaselbst 
7 Jahrgang, 1824, $. 689 fg.) 

51) ‚Nachlese zu Hofr. Schultes Nachrichten über die deutschen botanischen 
Gärten, (Vorgelesen in der feierlichen Sitzung der königl. bayerischen botanischen 
Gesellschaft. am 20 September 1824.) — Ebendaselbst S. 737 fg. 

52) Uebersicht der in Böhmen dermalen bekannten Trilobiten.. (In den 
Verhandlungen der, Gesellschaft, des vaterländ, Museums in Böhmen,, 3 Heft, 
1825, S. 69 fg.) 

53) Ueber .einige Eigenthümlichkeiten .der böhmischen Flora, a die kli- 
‚matische Verbreitung der Pflanzen ‚der Vorwelt und. Jetztwelt, — in den Ab- 

 handlungen der k. böhmischen Gesellschaft. der, Wissenschaften, Neuer Folge 
1 Band, .1824—26.. Vorträge, gehalten in der öffentl. Sitzung der k. böhmischen 
Gesellschaft der Wissenschaften am 14 Mai 1825. 20 Seiten stark. . Daraus 
zwei verschiedene Abdrücke (Prag 1825), der eine ohne Seitenzahl, der andere 
22 Seiten haltend. — 2 Ausgabe, Zum Drucke befördert von. der k. bayerischen 
botanischen Gesellschaft zu Regensburg,‘ Regensburg 1829. 25 Seiten in 8vo. 
(Auch ia der Flora, 12, Jahrgang, 1829. Ergänzungsblätter S. 65 fg.) 

54) Bruchstücke aus dem Tagebuche einer naturhistorischen Reise von 
Prag nach Istrien. (In der Flora, 9 Jahrgang, 1826. 1. Beilage — und daraus 
besonders abgedruckt. Regensburg 1826, 92 Seiten in 8vo.) 

‚55) Ueber das Vaterland, der Erdäpfel und ihre Verbreitung in ‚Europa 
— in der Monatschrift der ‚Gesellschaft des. vater. Museums in Böhmen 1827, 
Februar S. 19 31. 

56) Ueber die Benützung der Steinkohlen, besonders in, Böhmen. — Eben- 
"daselbst 1827 Juli S. 63 — 72. 

57) Geschichte der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft i in Böhmen. 

-- Ebendaselbst 1827 Februar S. 44 — 50, 

58) Ueber die fossilen Knochen zu Köstritz. (In der Isis, ‚Jahrgang 1828, 
S. 481). 

59) Antherieum comosum, eine neue Pflanzenspecies. — In der Monats- 
schrift des b. Museums, 1828, October S. 336—339 und in der Flora, _ u Jahr- 
gang, 1828, S. 609. 

60) Erfrorene Bäume im Bieziner Garten im Winter 1829—30. (In der 
Flora, 13 Jahrgang. 1830, S. 562.) 

61) Ueber den Borkenkäfer. (In der Isis, Jahrgang 1830, S. 313.) 

62) Ueber den Höhenrauch. (Ebendaselbst $. 349.) 

63) Ueber die böhmischen Trilobiten. (Ebendaselbst S. 516.) 

64) Ueber den Mais und dessen Verbreitung in Europa (in den Neuen 
Schriften der k. k, patriotisch-ökonomischen Gesellschaft im Königreiche Böhmen, 


232 


2 Bandes 1 Heft, S. 32 fg, — und daraus besonders abgedruckt. Prag 1830 
in 8vo.) 

65) Ansichten über die vorweltliche Flora (in der Isis, Jahrgang 1831, 
S. 870). 

66) Der Abdruck von Crotalus? reliquus oder Arundo? Crotaloides (in 
den von Ludwig Friedrich von Froriep gesammelten und mitgetheilten „Notizen 
aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde,“ 32 Band, 1832, S. 280). 

67) Bruchstück aus einem Vortrage des Grafen Kaspar von Sternberg, in 
der allgemeinen Versammlung des böhmischen Museums am 14 April 1835. 
(Ebendaselbst, 45 Band, 1835, S. 225.) 

68) Insektengänge im Blatte der Flabellaria borassifolia C. Sternberg (in 
den Verhandlungen der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen, 
1836. $. 483 fg.) 

ad 68) Insektengänge auf Pflanzen der Vorwelt (in Froriep’s Notizen, 
49 Band, 1836, $. 312). 

** 69) Umrisse einer Geschichte der böhmischen Bergwerke: 1 Band, 


1 und 2 Abtheilung. Prag. 1836. 2 Bände in gross 8vo,, 128 und 251 Seiten 


stark, mit 1 Titelkupfer. Der 2 Band führt den Titel: „Umrisse der Geschichte 
des Bergbaues und der Berggesetzgebung des Königreichs Böhmen.“ Prag 1838. 
X und 351 Seiten mit 1 Titelkupfer. 

70) Vortrag über einige neue Entdeckungen im Steinkohlen-Gebirge (in 
der Isis, Jahrgang 1836, $. 219). 

71) Vortrag über die Keimung einiger aus ägyptischen Münien-Gräbern 
erhaltener Weizenkörner. (Ebendaselbst S. 231.) 

72) Ausmasse des bei Lissa gefundenen Schenkelknochens vom vorweltli- 
chen Elephanten (in den Verhandlungen der Gesellschaft des vaterländischen 
Museums in Böhmen, 1837, S. 68). 

73) Huttonia spieata. (Ebendaselbst S. 69.) 

74) Bericht über die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Prag im September 1837 von Grafen Kaspar Sternberg und Professor Jul. Vince. 
Edl. v. Krombholz. Prag 1838 (VT) und 235 Seiten stark, dann 26 Seiten 
facsimiles, in 4, (auch in der Isis, Jahrgang 1838, S. 478 fg.) 

Auf Befehl des Grafen erschien: 

Enumeratio plantarum horti et agri Brezinensis, secundum Steudelii nomen- 
clatorem botanicum et Decandolii systema vegetabilium, jussu domini Caspari 
comitis Sternberg concinnata ab Antonio Franz, horti Brezinensis praefecto. 
(Pragae MDCCCXXIV.) 37 Seiten in gross 8vo. 

Nach des Grafen Tode erschien: 

Briefwechsel zwischen Göthe und Kaspar Graf von Sternberg. Herausge- 
geben von F. Th. Bratranek. Wien, 1866 ($. VIII und 309 in gr. 8.) 


>INIITLITINITIININT 


a 


Aphorismen über Kunst und Künstlerberuf. 


Aus den Reden des Grafen Franz von Sternberg- Manderscheid 
gesammelt. *) 


1. 


Von den ersten helleren Eindrücken des Schönen auf die 
Seele, bis zur wärmsten Anbetung der Wahrheit, bis zum Hoch- 
gefühle der Grösse, gibt es keinen Sprung mehr; eine Folge 
verwandter Empfindungen, die aus immer lichtvolleren Ansich- 
ten hervorgehen, führen, den Geist allmählig veredelnd, mit 
sichern Schritten zu dem erhabenen Ziele. (1810, 13 Jan.) 


2. 


Bei dem geistigen Eigenthum finden wir in dem Errunge- 
‚nen einen gesicherten Besitz, während das Angeborne für einen 
erst zu rechtfertigenden Anspruch gilt. Ja, das stille, feste, 
stete Fortschreiten erhebt uns zu grösseren Erwartungen, als der 
glänzendste Schimmer einer genialischen Erscheinung; denn 
selbst im hohen Fluge bedarf es zur Ausdauer nicht der Kraft 
allein, sondern des. geübten 'Fittigs, und des erlernten, ange- 
wohnten Schwungs.. (1813, 14 Jan.) 


*) Da eine vollständige Sammlung der im Nekrolog vom J. 1830 erwähn- 
ten Reden des Grafen an die akademischen Schüler jetzt schon selten, und 
ihr Inhalt auch für ein grösseres Publicum anziehend sein dürfte, so lassen 
wir hier eine planlose Auswahl von Stellen aus derselben folgen, die den 
Werth des Ganzen von selbst bestimmen werden. 


254 


3. 


Die Kunst verlangt, dass, was die Seele richtig empfun- 
den, in sichtlich schöner Form erscheine. Sie duldet kein langes 
Verweilen bei der Betrachtung und dem Worte. Sie fordert 
die rege Hand, das überlegt unternommene, mit Muth und Liebe 
vollendete Werk. Sie will, unter Mühe und Genuss, ein rast- 
loses Streben nach der nie zu erreichenden Vollkommenheit; 
alle Zwecke, die sich mit einer unrühmlichen Genügsamkeit 
vertragen, bleiben ihr ewig fremd. Dies ist ihr DE dies ist 
zugleich ihr Lohn. (Das.) 


4. 


Die Künste hat man, noch in der neuesten Zeit, den Luxus 
einer glücklichen Civilisation genannt. So wohlklingend dieser 
Satz ist, so passend der Ausdruck gefunden werden mag, wenn 
von dem so selten erreichten Stande ihrer glänzendsten ‚Blüthe 
die Rede ist, so gefährlich ist auch der Missverstand, zu dem 
damit Anlass gegeben werden kann, besonders für jene, denen 
die zarte Pflege der Kunst empfohlen, oder ihr. Dienst zum 
Bedürfniss, wie zur Pflicht, geworden ist.. Aus Begriffen dieser 
Art entsteht gar bald der Wahn, dass es entbehrlich, ja sogar 
nichtswürdig sei, jenes Treiben, das vermeintlich nur dem schwel- 
genden Ueberfluss und der weichlichen Ueppigkeit fröhnt. Dann 
tritt eine kalte, haushälterische Klugheit auf, bekleidet mit dem 
Ansehen der Moral, und warnt, und mahnt ab von dem Streben 
nach eitlem, erträumten Ruhme, weil sie doch jede Mühe tadeln 
muss, deren Nutzen nicht fühlbar, nicht einmal erwiesen, deren 
Lohn nicht zu berechnen ist. (1818, 18 Febr.) 


5. 


Die im Menschen erwachende Liebe zur Kunst halten wir 
für das untrügliche Merkmal seiner innern Veredlung. In der 
Reife des, mit Fertigkeit, Kenntniss, Geschmack, Kraft und 
Würde ‚begabten Talents, bewundern wir eine wahre Grösse, 
verehren wir eine göttliche Weihe. Wie wohlthuend ein warmes 
Kunstgefühl den Geist erhebt, wie es das schönere Leben bildet 
und dessen Werth erhöht, darüber befriedigt uns eine, Ueber- 


235 


zeugung, die Sie schon mit uns theilen, meine Herren, die sich 
Ihnen aber mit jeglichem Gedeihen noch kräftiger aufdringen 
wird.  (Das.) 


6. 


In der Menschenwelt, diesem weiten Reiche der verworre- 
nen Begriffe, in dem sich Jedermann umhertreibt, in dem folg- 
lich auch der Künstler seinen Standort zu suchen bestimmt ist, 
masst sich bekanntlich, immer Gestalt wechselnd, doch stets mit 
offener oder verlarvter Tyrannei, ein conyentionelles Ding 
Einfluss in Sitte und Geschmack an. Im Kleinen wirkend, nennt 
es sich Mode, mit Grösserem sich befassend, tritt es stolz als 
Zeitgeist auf. Lassen Sie sich davor warnen; es ist die Herr- 
schaft des Leichtsinns und der Laune. Der wahre Kunstmann, 
dem neben Tugend und Weisheit, auch Schönheit: ein hohes 
Wesen ist, ewig: wie die Seele, unveränderlich wie die Natur, 
der es angehört, erträgt nicht ihr Joch. Es ist unter seiner 
Würde, ihrem: unsteten Willen zu fröhnen, und ihre flüchtige 
Gunst zu erschleichen; es ist ihr lautester Beifall ihm unge- 
nügend. (1819, 10 März.) 


(£ 


So wie der Kunst jede Form angehört, so kann sie, der 
Natur getreu, auch jedes Gefühl zu ihren Zwecken sich an- 
eignen, nur unedle Regungen dürfen sie nicht herabwürdigen, 
- und träger Unmuth darf nie Denjenigen fesseln, der sich in ihre 
Schule aufnehmen lassen, die hell sehen, wahr auffassen und 
würdig darstellen lehrt. Wo Auge, Hand und Sinn sich ver- 
einigen müssen, um Schönes zu schaffen, da muss der Entwick- 
lung der Fähigkeit, der geistigen Ausbildung, die nöthige Zeit 
gegönnt werden, da gilt voreilige Anmassung so wenig, als vor- 
eilige Forderung, da führt allein der unverdrossene Fleiss, bei 
Beharrlichkeit und Geduld, zur Befriedigung — selbst des be- 
schränktesten Ehrgeizes. Ä 

Den man vor. Abwegen warnen will, den weist man auf 
den betretenen Weg; eben so wird Ihnen das Bekannte, das 
Erprobte ‘empfohlen. Sehen Sie mit unverwandtem Blicke auf 


236 


den nächsten Zweck hin, ‘wenn Sie einen höheren erreichen 
wollen. Es sind keine Ruheplätze, die man Ihnen behaglich 
einzunehmen anräth; es sind Standpunkte, nicht zum Stillstande 
bequem, wohl aber zur Umsicht nothwendig, um sicherer und 
kürzer hinanzusteigen. 


So, meine Herren, verhält es sich in jeder Kunde mit dem 
Fortschreiten des Unbefangenen, des aufrichtig Beflissenen. Im 
wachen Leben werden nicht die Wunder des Traumes ver- 
wirklicht, in dem man auf Flügeln über Klüfte setzt, mit leich - 
tem Sprunge sich auf den Gipfel schwingt, ohne Schwindel von 
Zinne auf Zinne hüpft. (1824, 17 April.) 


8. 


Erfahrung, däucht uns, ist es, lang bewährte Erfahrung, 
die in unserer Kunst den Gang des Unterrichts eingeführt hat, 
und wesentliche Abweichungen davon nur als seltene Ausnahme 
zulässt. Und in der That, die einfache Vorbereitung, die Folge 
der Uebungen, die Wahl der Muster, was nach und nach zum 
geläufigen Griffe werden soll, welche Fertigkeiten zu erlangen 
sind, ehe es rathsam wird, sich der Eingebung eigener Phantasie 
zu überlassen, — ist schärfer und gründlicher überdacht worden, 
als es Jene wissen mögen, die über die Fessel trauern, in die 
man in altväterisch angelegten, steif geregelten Anstalten das 
Genie einengt. (1822, 17 April.) 


2. 


Die Zeiten, die man die Epochen des Flors der Künste 
zu ‚nennen pflegt, werden, selbst wenn man sie mit Eifer und 
Nachdruck herbeizuführen wähnt, nicht aller Orten oft erlebt. 
Vergebens ist hier die Forderung, dass das, was mit Einsicht 
getrieben, vollkommen gelingen, was nach der Regel angebaut, 
zur bestimmten Erntezeit reifen müsse. Unser Himmel, meine 
Herren, hat seine eigenen Launen, und auch unsre Sonne ihre 
Flecken. 

Sollte man aber darum sich scheuen, Herrliches zu pflegen, 


237 


weil 'es seltener und ohne Geräusch lohnt? Nein! Es bleibt 
mächtiges Gesetz für jeden Stamm, der auf Bildung Anspruch 
macht,‘ die Künste zu ehren. Wie Gewerbe der Nahrung, nütz- 
liche Kenntnisse und Wissenschaften dem Wohlstand: und dem 
Ruhme, so gehören vorzüglich Tugend und Kunst dem Adel 
eines Volkes an: aber diese gründen nicht auf Fülle und Glanz, 
sondern auf Würde ihren Stolz; sie behaupten ihn auch da, wo 
sie nicht Bewunderung erregt, manchmal nur Trost statt Lob, 
Balsam statt Palmen gewonnen haben. (1823, 14 April.) 


10. 


Eines können wir nicht umhin, Ihnen, meine Herren, mit 
Nachdruck zu wiederholen: dass die, gleichwohl hoch zu ach- 
tenden Auszeichnungen, die Sie hier erringen, Ihnen nicht als 
Lohn, noch als Lob gelten; dass der eigentliche Werth, den 
Sie darin finden sollen, in dem Winke liegt, in der Hindeutung 
auf das Gute, das von Ihnen, es sei auf verschiedenen Wegen, 
es sei mit ungleichem Streben gesucht, durch die Billigung Ihrer 
gelungenern Versuche anschaulicher wird; — und wie wäre es, 
wenn auch aufregender Trost in dem Ersatze läge, den ein mit 
Wohlwollen und Ruhe, nach Grund und Regel gefällter Spruch 
gewährt, für so viele Urtheile, die verworren und sich wider- 
sprechend um Sie ertönen, aus denen sogar manchmal Vorliebe 
und Abneigung, nicht selten Befangenheit oder Unkenntniss und 
‚Schiefheit hervorleuchten ? 


Lassen wir jedoch hier keinem Missverstand Raum. Wir 
wollen uneigennützig für Sie vorbauen, meine Herren, wir 
bescheiden uns gern, dass Ihren Leistungen nicht allzeit unser 
Massstab angelegt werde. So lange Sie vorzüglich uns ange- 
hören, weichen wir nicht von der Pflicht, in allem, was von uns 
über Sie ergeht, den Ernst des Richters mit Wahrheit und 
Schonung zu vereinen. Nach und nach überliefern wir Sie aber 
dem weitern Kreise, der Ihre Welt wird. Gesetz und Noth er- 
heischen, dass Sie dieser gefallen, — doch nie auf Kosten Ihres 
gereiften Verstandes, Ihres bessern Gefühls. Lernen Sie bei 
Zeiten Recht und Unrecht ertragen. Dann erst, wenn Sie auf 


398 


noch so hoher Stufe stehen, ist es Ihr unausweichliches Loos 
selbst den Uebertreibungen von Bewunderung und Tadel zu 
begegnen; erleuchten Sie daher Ihr Künstlergewissen, werden 
Sie gerecht in Ihrem Schaffen und Treiben, fest in Ihrem 
Glauben, um den Extremen von Uebermuth und Entsinken der 
Kraft, dem gleich schädlichen Mittelding von Zweifel, sicherer 
zu entgehen. (1824, 5 Mai.) 


1; 


Die Kunst, in jeder Forderung über das Gemeine erhaben, 
verlangt vor Allem einen reinen Beruf, einen ungetheilten Sinn. 
So frei die Wahl des Kunstbeflissenen war, so rastlos muss sein 
Hinanstreben sein, so unverrückt sein Blick an dem Ziele hän- 
gen. Es bieten sich ihm äussere Mittel sattsam dar: Rath und 
Lehre, Muster und Beispiel. Auch innere Hilfen müssen mit- 
wirken: Empfänglichkeit und Vertrauen, Liebe und Fleiss. 
Treibt ihn noch ein bescheidener Ehrgeiz, ein alles besiegender 
Wille an, so entwickelt sich die Kraft in ihm; er erreicht die 
lichtvollen Höhen, er lebt im Gebiete des Schönen. 

So mögen daher Talent mit Bemühung, natürliches Ver- 
mögen mit erlerntem Wissen, angeborene mit angeübter Fertig- 
keit sich vereinen, um den Künstler zu vollenden. Einen sol- 
chen Weg muss der Geist gehen, der sich zum Herrn des 
Werks bilden will; man glaube ja nicht, dass er ihn im Zwang 
der Ketten zurücklegt, weil eine ernste Leitung ihn zur Er- 
kenntniss zu bringen strebt, dass das Band des Gesetzes ihm 
Wohlthat ist. Gar bald, und zu seiner vollen Beruhigung, ge- 
langt er zu dieser Erfahrung; er wird dann frei, ohne regellos 
zu sein. 

Der eitle Streit über die Frage: Was das Genie hebt, was 
es fesselt, — mag immerhin diejenigen beschäftigen, die die 
Kunst nur lieben, oder zu lieben wähnen; die arbeitende, die 
wirkende Kunstwelt soll er nicht entzweien. Am allerwenigsten 
darf Sie, meine Herren, wenn sie auch um Sie her mit: Wich- 
tigkeit besprochen würde, eine so müssige Controvers in Ihrem 
Fortgang stören; sie würde Ihnen, ohne Nutzen, unwiderbring- 


239 


liche Stunden rauben. Gleichviel nach welchem Erziehungsplane 
das Kind zum tüchtigen Manne, der Lehrling zum wackern 
Meister heranwächst. Der sich willig zum Guten anleiten lässt, 
wird am sichersten Gutes leisten. (1825, 31 Mai.) 


12. 


Bei der öffentlichen Aufnahme: in der Kunstwelt, wo es 
Noth und-Drang wird, im Gebrauche des in den Lehrjahren er- 
worbenen ‚Vermögens, die ersten freien Versuche zu wagen, 
müssen unumgänglich im Innern des, obgleich vorsichtig, den- 
noch mit warmer Empfindung auf den Schauplatz Auftretenden, 
verschiedene Gefühle streiten; und es ist kein Glück für ihn, 
wenn dieser Kampf leicht entschieden ist, wenn die schnell er- 
fasste, obsiegende Idee ihm eine Richtung gibt, die zum festen 
Charakter wird, ehe es ihm möglich war, in der grossen Schule 
der Erfahrung sich üumzusehen, und in derselben Winke wahr- 
zunehmen und Rath zu benützen. Wir gestehen es, dem An- 
fänger in der Meisterschaft — denn als solchen begrüssen wir 
den Ausgezeichneten in der Lehre, — möge in dem verhäng- 
nissvollen Augenblicke schwer fallen, das wahre Mass der Be- 
scheidenheit zu treffen, und wir finden um so wichtiger, ihm 
ernstlich zu empfehlen, den Eindruck, den in ihm eigenes und 
fremdes Urtheil über seine jugendlichen Leistungen hervorbrin- 
‚gen, zu prüfen, um Täuschungen zu entgehen, und bei Zeiten 
Störungen zu beseitigen, die seine Fortschritte hemmen könnten. 
Vielleicht hängt nur von dieser Erforschung, vielmehr von der 
Aufrichtigkeit, mit der er sie anstellt, seine künftige Ruhe ab, 
und jene Unbefangenheit, ohne welche man wohl hie und da 
Wohlgefallen erregen, aber zuletzt sich selbst nicht genü- 
gen kann. 


Wie gemein ist nicht, bei denjenigen, die Eigendünkel zum 
Haschen nach Beifallsbezeigungen antreibt, der Missgriff, ein 
ermunterndes Wort für Billigung, ein Zeichen der Zufriedenheit 
für unbedingtes Lob, sogar die Anerkennung einzelner Vorzüge 
für hohe Bewunderung zu halten! — Dem wir wohl wollen, den 
warnen wir vor so falschem Genusse, und der Kunst, die wir 


240 


verehren, wollten wir nicht Anhänger zugeführt haben, die ihr 
mit so getheilter Treue huldigten. Lieben Sie sie denn, meine 
Herren, ihrer Schönheit, ihrer Würde wegen. Erfreuen Sie 
sich in dem Glanze, der von ihr auf Sie herabstrahlt. (1826, 
20 Maı.) 


13. 


Soll sich der Künstler dem Einflusse seiner Zeit hingeben, 
oder soll er gegen ihre Forderungen ankämpfen, sie zu bemei- 
stern streben? — Wenn das Erste unbedingt geschieht, und mit 
Entsagung auf eigene Einsicht, so ist es unwürdig. Wenn man 
das Zweite wagt mit stolzem Vertrauen auf eigene Kraft, so 
dürfte man es eitle Vermessenheit nennen. | 

Das bereits bis zur Erbitterung gesteigerte Interesse für 
diese Streitfrage, die auch Ihnen, meine Herren, nicht mehr 
fremd sein kann, scheint uns aus falschen Voraussetzungen zu 
entspringen; denn die Zeit ist wirklich nicht so despotisch, als 
sie zu sein beschuldigt wird, wenn auch manchmal gegen Nach- 
giebige anmassend; hingegen kann auch nicht das einzelne 
Genie, eben so wenig der Bund von Einigen, sie nach Wohl- 
gefallen bilden. Ihr Strom wälzt sich unaufhaltsam fort; der 
Gewandte, der sich in die Wellen wirft, hemmt keineswegs 
seinen Lauf, die Fluth treibt ihn aber auch nicht wider seinen 
Willen, er versteht es als guter Schwimmer, in allen Richtungen 
kühn durchzudringen. 

Indessen, wenn man den Gang der höheren Kunst ur- 
kundlich verfolgt, so lässt sich eine Art von Abhängigkeit der- 
selben vom Charakter der Zeit im Allgemeinen nicht durchaus 
verkennen. Gleich bei ihrer Wiedergeburt zeigt sich die Kunst 
steif, dürftig und kindisch. Hernach wird sie fromm und fest, 
doch noch unbeholfen. Es währt nicht gar lang, und wir wer- 
den überrascht durch deu erfreulichsten Uebergang in das Ein- 
fache, Gemüthliche und Schöne. Das Alter der männlichsten 
Kraft tritt ein. Die Grösse verirrt sich aber nur zu bald in 
Prunk und geräuschvolle Pracht. Diese führen das Gezierte 
herbei. Endlich wird die Manier so platt und bedeutungslos, 
dass die demüthigende Entartung Eckel erregt, und die tief 


241 


Gefallenen zu dem Wunsche zwingt, einen älteren Zustand 
wieder hervor zu rufen. 

Da offenbart sich denn bei Manchen die Verlegenheit in 
der Wahl der erreichbaren Musterepoche, während Andere 
wähnen, ihre Weisheit habe alles durchforscht und erwogen, 
den Grund des Uebels aufgedeckt, die Jahrhunderte gerichtet, 
und sie seien, einmal damit im Reinen, jetzt erst im Stande 
jeden Vorzug sich anzueignen, und mit allen zugleich ge- 
schmückt, imponirend aufzutreten. (1827, 2 Juni.) 


14. 


Geborene Talente haben sich zu allen Zeiten durch treues 
Wollen, Fleiss und Geschmack zu ehrenvollem Rang erhoben; 
selbst die minder Glücklichen unter ihnen haben der Kunstwelt 
noch Genuss, nie Aerger bereitet. Durch beharrlichen Fleiss 
wird Fertigkeit erworben, die Fähigkeit erhöht, Tüchtigkeit er- 
reicht. Der echte Geschmack ist Sache des Gemüths; denn die 
unerlässlichen Bedingungen der Schönheit in einem Kunst- 
werke, — Wahrheit, Schicklichkeit, Harmonie, Anmuth und 
Würde, erfordern die Wirkungen des geraden Sinnes und des 
reinen Gefühls einer schönen Seele. Auf diesem Wege sind 
vor uns und neben uns Männer gross geworden, ohne mit ihrem 
Zeitalter zu rechten. Sie brauchten nicht dessen Herrschaft an- 
zuerkennen, nicht dessen Macht zu läugnen. (Das.) 


15. 


Unter der zahllosen Menge, die sich an Kunst ergötzt, 
und mit Musse darüber denkt und spricht, herrschen die ver- 
schiedensten Meinungen, manche sich widersprechende Begriffe, 
über das Wirken der Kunst, ihren Nutzen, ihre Wichtigkeit, 
ihr Wesen. Ihnen, meine Herren, ziemt in solcher Angelegen- 
heit kein Zweifel; est ist Ihnen nicht mehr erlaubt, ja nicht 
mehr möglich, die Würde der Kunst zu verkennen. Ihnen 
wäre es gleich unverzeihlich, sie, entweder als eitlen Zeitver- 
treib, oder als gemeines Gewerbe ausüben zu wollen. Indem 


Sie sich ihr mit Bewusstsein weihten, haben Sie sich ohne Rück- 
16 


242 


# 


hal Ar Rainer hingegeben; wie gross aach.die, 
seien, Sie haben versprochen, sie zu erfüllen. . 
keine Gewährleistung für die Vergeltung, die 
gestrengte Mühe werden soll: allein Sie, n ‚Herr 
ein schöner Ehrgeiz an; ohne alle Bürgschaft harren S 
edlen Anstrengung aus, die Höhen zu erreichen, wor 
reinen Himmel und heitere Fernen gewinnt, und verla 
immer den beschränkten Standpunkt, den selten ein I 
Schein erhellt, und nie eine lachende Aussicht entre, | 

1828.) 


if IT 
118 \ 
Er 
[Re 
et oh, ra 
Ya. abliikeae 
solch, 
IE0Nn 
{ “RR 
t Tom 
x % 
! j TIER: LI 
2 z , 4 f 
A ER 
RR | 
Ar; 
kant: 


Sternberg, Kaspar Maria, 
Graf von 

Leben des Grafen 
Kaspar von Sternberg 


PLEASE DO NOT REMOVE 
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET 


UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY 


DR,