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Full text of "Leben und Abenteuer des Escudero, Marcos von Obregon"

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PRESENTED TO 


IHE-EIBRARY 


BY 


PROFESSOR MILTON A. BUCHANAN 
OF THE 
DEPARTMENT OF ITALIAN AND SPANISH 


1906-1946 


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Digitized by the Internet Archive 
in 2011 with funding from 
University of Toronto 


http://www.archive.org/details/lebenundabenteue00espi 


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Die Spaniſchen Schelmenromane 
Herausgegeben von Hanns Floerke, 
Friedrich Frekſa und 
Karl Theodor 
Senger 

IN 
Vicente de Espinel 


Marcos von Obregon 


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Vicente de Espinel 
Leben und Abenteuer 


des Escudero 
Marcos von Obregon 


Muͤnchen und Leipzig 
Bayeriſche Verlagsanſtalt 
Karl Theodor Senger 
-M-C-M-X-111- 


Copyright 1913 byBayerifche 
Verlagsanſtalt München 
Karl Theodor Senger. 


Überſetzt von Ludwig Tieck 
ö 1827. 


Bearbeitet und ergänzt von Hanns Floerke 
mit Einleitung von Friedrich Frekſa 
und 10 Abbildungen nach 
Originalholzſchnitten 
von Max Unold. 


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Einleitung 


as Geſtalten von Erlebniſſen, Geſchehniſſen und Tatſachen 
D iſt der Nerv der epiſchen Dichtung. Die großen Epen ſtam— 
men darum zumeiſt aus dem Jugendalter der Völker, aus 
den Tagen, wo eine Fülle von Erlebniſſen die Gemüter er: 
ſchütterte. In den Zeiten, da der Lebensſtrom der Menſchen 
ruhiger dahinfloß, begann ſich die Epik mit lyriſchen Stim— 
mungen, mit innerlichen ſeeliſchen Erlebniſſen zu ſättigen, und 
naturgemäß entſtand eine Erzählungskunſt für das Volk, das 
auf einer primitiveren Stufe zurückblieb und eine Erzählungs⸗ 
kunſt für die Menſchen, deren geiftiges Leben ſich mit om 
plizierteren Vorſtellungen geſättigt hatte. 

In unſeren Tagen, in denen die Spezialiſierung der Berufe 
und Kaſten die Menſchen ſtark voneinander ſondert, macht 
ſich die Scheidung im Erzählertum beſonders bemerkbar. Es 
gilt für den Epiker faſt als Schande, wenn er auf größere 
Volksmaſſen rechnen kann. Es wird ihm als Zeichen eigener 
Roheit und Primitivität ausgelegt. 

So kommt es, daß das Volk, das noch immer die naive 
und ungebrochene Freude am bunten Wechſel von Erlebniſſen 
und Geſchehniſſen hat, ſich eine beſondere Art von Schrift— 
ſtellerei herausbildete, die als Detektivs und Schauerroman 
jetzt offiziell unterdrückt werden foll. 

Aber iſt dies nicht vielmehr ein Zeichen für die Tatſache, 
daß in dem gebildeten Menſchen, der in ſeinem geſonderten 
engen Kreiſe lebt, das epiſche Gefühl als ſolches kraftlos ge⸗ 
worden iſt? Die Dichter erleben keine Abenteuer mehr und 
darum verwenden ſie ihre Kraft darauf, ſeeliſche Regungen 
in der Verfeinerung bis in die letzte Veräſtelung darzuſtellen, 
ſtatt die großen Energien, die großen Gefühle, die ſie nicht 

XI 


kennen, zu beſingen. Neuromantiſche Richtungen wurden in 
unſerer Zeit nachgewieſen, aber wir kamen zur Romantik zu⸗ 
rück aus einem anderen Grunde als unſere Großväter zu 
ihr gelangten. 

Unſere Großväter beſannen ſich vor hundert Jahren, nach⸗ 
dem auch die letzten Reſte der geiſtigen franzöſiſchen Invaſion 
aus Deutſchland getilgt wurden, darauf, was die geiſtige Art 
ihrer Väter war. Durch das Rückblicken in die deutſche Vor⸗ 
zeit ward der Sinn auf die Zeiten des Rittertums gerichtet, 
dieſes Rittertums, deſſen Bräuche und Sitten in ganz Europa 
Geltung hatten und ſo in einer idealeren Form das vorweg⸗ 
nahmen, was die nachrevolutionäre Zeit von ihrem Ideal eines 
Weltbürgertums heiſchte. 

In dieſen Zeiten der Jahre 1815 —40, da die Gemüter 
unter politiſchem Druck ſtanden und die Polizeibüttel als erſte 
Bürgerpflicht Ruhe forderten, ſehnte ſich die Jugend nach 
Taten, nach bewegtem Leben, nach Buntheit und nach Aben⸗ 
teuern. 

All das zeigte ſich dem ſehnſüchtig in die Vorzeit ſchweifenden 
Blick in jenen Jahrhunderten, die vor dem Unglücksjahre 1618 
lagen, und nicht ohne Grund war es gerade die ſpaniſche Lite⸗ 
ratur, aus der die Romantiker die reichſte Nahrung zogen, 
war doch das alles, was ſie vom Leben forderten, in den 
Schätzen jener Literatur verborgen. 


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Unter all den neueren europäiſchen Völkern hat keines ein 
ſo gewaltſames eruptives Leben geführt wie das ſpaniſche 
zwiſchen den Jahren 1350 bis 1650. In dieſen drei Jahr⸗ 
hunderten geſchah es, daß ſich ein Volk aus den Ketten einer 
Fremdherrſchaft freimachte und einen Feind aus einem Land 
vertrieb, deſſen Glauben es nicht teilte, geſchah es, daß dieſes 
XII 


Volk das erſte Seefahrer- und Entdeckervolk der Erde ward 
und die größten Reichtümer durch die Eroberung einer neuen 
Welt gewann, geſchah es, daß dieſes Volk, das zum mäch— 
tigſten Volke der Erde ward, an dem Aufſtand einer kleinen 
Nation ſich langſam verblutete und durch ſeine größeren Gegner 
binnen fünfzig Jahren ſeines Glanzes entkleidet ward. 

So ſchnell wohl hat ſich kaum noch eines anderen Volkes 
Schickſal entfaltet und erfüllt. Dieſe drei Jahrhunderte ſpani⸗ 
ſchen Heroentums führten zu gleicher Zeit eine ungeahnte 
Blüte geiſtigen Lebens herauf. Das geiſtige Leben Spaniens 
erhielt ſeinen größten Glanz, als der Zauber ſpaniſcher Macht 
ſchon zu verbleichen begann. Den Stolz, der dieſes Volk er— 
füllte, und ſeinen Hunger nach Ruhm und Macht hat der 
größte Dichter Spaniens, der größte epiſche Dichter der neuen 
Zeit, den wir kennen, Cervantes, in feinen unſterblichen Ge: 
ſtalten Don Quixote und Sancho Panſa verſpottet. 

Aber neben dieſer großen Sonne der ſpaniſchen epiſchen 

Literatur gab es eine Fülle von kleineren Epikern, die alle 
als Kinder ihrer Zeit Erzählungen ſchufen, die von Erleb— 
niſſen ſtrotzten. Dieſe ſpaniſchen Erzählungen, Lebensbefchrei= 
bungen und Romane wurden die Quelle für die franzöſiſchen 
Romanciers des 17. und 18. Jahrhunderts, die unbekümmert 
ihre ſpaniſchen Vorbilder benutzten, nach Belieben Partien 
überſetzten, aufnahmen und kombinierten. 
Beſonders zeichnete ſich darin der große franzöſiſche Dichter 
Le Sage aus, der in ſeinen beiden epiſchen Werken dem „Hin— 
kenden Teufel“ und dem „Gil Blas“ ungeheure Maſſen ſpani⸗ 
ſchen Novellen und Romangutes und ſpaniſcher Dramenſtoffe 
zuſammenfließen ließ. 

Am Ende des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1787, über: 
ſetzte der Spanier Isla den franzöſiſchen Gil Blas ins Spaniſche, 
und in einer Vorrede behauptete er, das Buch ſei den Spaniern 
XIII 


geftohlen worden und Wort für Wort aus dem Spanifchen 
überfeßt. Es entbrannte darum eine heftige Fehde, die bis 
in die Romantikerzeit nachwährte, und erſt Ludwig Tieck hat 
den eigentlichen Sachverhalt feſtgeſtellt. 

Einer der viel geplünderten ſpaniſchen Autoren war Vicente 
Espinel, der das epiſche Buch hinterlaſſen hat „Leben und 
Begebenheiten des Escudero Marcos de Obregon“. 

Espinel war (ich folge hier Tieck) im Königreich Granada 
zu Ronda geboren. Er ſtudierte in Salamanca und erhielt die 
Stelle eines Almoſeniers in ſeiner Geburtsſtadt Ronda. Nach⸗ 
her trieb er in der Welt herum. Er lebte eine geraume Zeit 
in Madrid, doch brachte er es nicht zu einem bedeutenden Poſten 
oder einem anſtändigen Auskommen, was beweiſt, daß er 
kein ſehr lebensgewandter Menſch geweſen ſein kann. Be⸗ 
rühmt wurde ſein Name in Spanien dadurch, daß er die 
Dezimen verbeſſerte und eine neue Stellung der Reime ein⸗ 
führte; dieſe Verſe wurden auch nach ihm Espinellen genannt. 

In ſeiner Heimat hatte er einen großen Ruf als Muſiker, 
und er ſang nach der Sitte der Renaiſſance ſeine Gedichte bei 
Feſtmahlen ſelbſt zur Gitarre, auf der er ein Virtuoſe war 
und der er die fünfte Saite beifügte. 

Als beſondere Werke wurden von ihm gedruckt nur die 
Gedichte, die im Jahre 1591 herauskamen und die Geſchichte 
des Marcos de Obregon, die am 12. Dezember 1617 in 
Madrid taxiert und im Januar des folgenden Jahres von dem 
Biſchof von Barcelona, dem Regens des Jeſuitenkollegiums, 
dem Abte von S. Bernardo und dem Bruder Hortenſio Felix 
Paraveſin approbiert wurde. 

Bekannt von ihm iſt ſonſt noch eine Überſetzung der Ars 
poetica des Horaz, mit der der Parnasso Espagnol beginnt, 
eine Arbeit, die heute als ſchlecht gilt. 

Der Marcos de Obregon, das Hauptwerk des Dichters, iſt 
XIV 


dem Kardinal-Erzbifchof von Toledo, Don Bernardo de San- 
doval y Royas, amparo de la virtud y padre de los pobres 
(Hort der Tugend und Vater der Armen) gewidmet, und er 
zeichnet: Maestro Vicente Espinel, Capellan del Rey nue- 
stro señor en el Hospital Real de la ciudad de 
Ronda. 

Der Marcos de Obregon enthält den Lebensroman Espinels. 
Wahrheit und Dichtung vermiſchen ſich, aber Espinel geht 
durchaus nicht darauf aus, ſich als einen tollen Abenteurer 
zu ſchildern — im Gegenteil, mit Humor weiß er von manchem 
Mißgeſchick und manchem Reinfall zu berichten. 

Eingewebt und eingeſtreut ſind Lebensläufe und Abenteuer 
anderer Menſchen, die des Helden Lebensweg kreuzten. Manche 
dieſer Erzählungen erhalten ihre Färbung durch die Beleſen— 
heit Espinels, der als Kenner der Alten auf Reminiſzenzen 
aus der Odyſſee und Lukian nicht verzichtet und gewiſſe antike 
Liebes⸗ und Abenteuerromane mit der Naivität des Renaiſſance⸗ 
ſchriftſtellers mit benutzt zu haben ſcheint. 

Aber die Färbung des Romans bleibt eine echt ſpaniſche. 
Fühlbar wird in den Abenteuern des Dr. Sagredo der Druck, 
den noch immer von Afrika die Mauren auf das einſt von 
ihnen eroberte Land ausüben, fühlbar aber wird auch der un: 
erhörte ſpaniſche Hochmut, der ſich mit einer manchmal voll⸗ 
endeten Unverfrorenheit äußert. 

Auch ſonſt zeigt der Roman die Merkmale des damaligen 
ſpaniſchen Lebens, das Unterducken unter den Willen der 
Geeiſtlichkeit, vor der ſich Espinel befliſſen verbeugt, und der 
er ſtändig Weihrauch ſtreut. 

Aber in den Einzelzügen iſt das Buch reich an feinen Beob: 
achtungen von Menſchen und der Natur. Ich weiſe beſonders 
auf das venezianiſche Abenteuer hin. Kaum in einem Buch 
iſt das Courtiſanentum der Lagunenſtadt in ſeiner ſpekulativen 

XV 


und verfchlagenen Art fo gut gezeichnet worden, wie von dem 
erfahrenen Espinel; aber ebenſo reich iſt das Buch an feinen 
Naturbeobachtungen. Ich ſetze hier nur den Anfang des 16. Ka⸗ 
pitels her, der eine faſt moderne Impreſſion zeigt: „Am 
folgenden Tage ging die Sonne mit einem Lichte auf, das 
zwiſchen grün und gelb ſpielte, ein Zeichen, daß Regen kommen 
würde, und ich war immer noch ohne meinen Mauleſel.“ 

Dieſes unbekümmerte Sehen, das ſich nicht an die tradi: 
tionelle Auffaſſung und Beſchreibung von Naturereigniſſen 
und Menſchenweſen hält, bildet für den Kenner einen der 
feinſten Reize dieſes Dichters. 

Die vorliegende Bearbeitung iſt etwa ein Sechſtel ſtärker 
als die Tieckſche Überſetzung. Manches, was Tieck übergangen 
hatte, ſchien dem Herausgeber der Beachtung wohl wert. Im 
übrigen hat er eine größere Genauigkeit der Überſetzung zu 
geben geſtrebt und dabei eine nicht ganz kleine Summe von 
Mißverſtändniſſen, die manchmal auf eine franzöſiſche Über⸗ 
ſetzung zurückzuführen ſcheinen, berichtigen können. 

München 1912. 
Friedrich Frekſa. 


Vorrede des Verfaſſers. 


Seit vielen Tagen und einigen Monden und Jahren war 
ich zweifelhaft, ob ich dieſen armen, elternloſen und ge— 
plagten Escudero ins Publikum ſchicken ſollte. In dieſem 
innerlichen Kriege von Vertrauen und Mißtrauen teilte ich meine 
Zweifel dem Lizentiaten Tribaldos von Toledo mit !, einem 
ſehr großen lateiniſchen und ſpaniſchen Poeten, gelehrt in der 
griechiſchen und lateiniſchen Sprache und im Leben die Wahr: 
haftigkeit ſelbſt; ebenfo dem Bruder Hortenſio Felix Para: 
vieino ?, in göttlichen wie in weltlichen Wiſſenſchaften hoch— 
gelehrt, der ein gar großer Dichter und Redner iſt. Ich fragte 
um Rat den Pater Juan Luis de la Cerda;, deſſen Wiſſen— 
ſchaften, Tugenden und Wahrheitsliebe gleich ſehr berühmt 
find; den göttlichen Lope de Vega !, deſſen Urteil ich mich in 
meinem Alter unterwerfe, ſo wie er mir in ſeiner Jugend 
Verſe zu verbeſſern anvertraute; den Domingo Ortiz, Sekretär 
des höchſten Rates von Aragon, einen Mann von hervorragen— 
dem Geiſte und bewährtem Urteil; den Pedro Mantuano?, 
einen vortrefflichen jungen Mann von vieler Beleſenheit in den 
Schriften ernſter Autoren, welche Männer insgeſamt meinen 
Mut zu ſtärken ſuchten. Meine Abſicht war, zu verſuchen, 
ob ich in Proſa etwas ſchreiben könne, was meinem Vaterlande 
nützlich ſei, und was, nach dem bekannten Rate meines Lehrers 
Horaz, ſowohl ergötzte als belehrte. Denn es ſind einige Bücher 
von höchſtverdienten Gelehrten erſchienen, die ſo mit bloßer 
Belehrung erdrücken, daß ſie dem Geiſte keinen Spielraum, 
ſich zu erheitern, übrig laſſen; andere ſind wieder ſo ſehr von 
ihren eingebildeten Ergötzlichkeiten hingeriſſen, daß ſie nichts als 
Poſſen und luſtige Geſchichtchen vortragen, die ſich, wenn man 
ſie geleſen, wiederholt, geprüft und geſichtet hat, als ſo eitel 
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und nichtig zeigen, daß fie dem Leſer keine Art von Nutzen 
und ihren Verfaſſern nur geringen Ruhm einbringen s. 

Der Pater Fonfeca ſchrieb erhaben über die Liebe Gottes 7; 
aber ſo groß auch ſein Gegenſtand war, weiß er ihn doch ſo 
zu behandeln, daß auf die Erheiterung des Gemütes Rück⸗ 
ſicht genommen wird. 

In der Zeit, in welcher ich noch keinen Entſchluß faſſen 
konnte (ebenſowohl wegen der Gicht, die mich plagte, als 
auch wegen Mangel an Selbſtvertrauen), meinen Escudero öffent— 
lich bekannt zu machen, erbat ſich ein befreundeter Ritter 
einige Bogen des Buches, und da ein gewiſſer Edelmann (den 
ich nicht kenne) von jener Novelle des Grabes des Sankt 
Gines Kenntnis erhielt, und er glaubte, daß ſie nie gedruckt 
werden würde, ſo erzählte er ſie als ſeine eigene und ver— 
ſicherte, daß ſie ihm einſt begegnet ſei. 

Es kann nicht auffallen, daß ich von lebenden Männern 
ſpreche und mich auf Dinge beziehe, die in unſern Tagen 
geſchehen ſind; denn die Monarchie Spanien beſitzt ſo aus⸗ 
gezeichnete Geiſter in Waffen und Wiſſenſchaften, daß Rom, 
wie ich glaube, niemals größere und, wie ich zu wünſchen wage, 
nicht ſo viele und ſo große hervorgebracht hat. Ich über— 
gehe die Taten, die die Spanier in Flandern vollbracht haben, 
die ſo hoch über denen des Altertums ſtehen, wie Luis de 
Cabrera in ſeinen „vollkommenen Fürſten“ ſchriebs; ich will nur 
an das erinnern, was unſere Augen täglich geſehen und unſere 
Hände gegriffen haben, wie das, was mit unerhörtem Mut Don 
Pedro Enriquez, Conde de Fuentes? ausgerichtet. Die Ein- 
nahme und Plünderung von Amiens, welche Don Diego de 
Villalobes 10 in feinen Kommentaren beſchrieben hat: denn mit 
einem Wagen Heu und einem Sack mit Nüſſen haben ſechs 
Hauptleute dieſe große Stadt, die Stütze von ganz Frankreich, 
erobert 11. Wie leicht und mit welchem Heldenmut wagen die 


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Spanier ihr Leben für ihren König, wie wir jetzt bei La 
Marmora geſehen haben, wo ſo viele Tapfere die ganze 
Nacht durch ſchwammen, ohne Schiffe oder Land anzutreffen, 
Taten, denen Rom nichts an die Seite zu ſtellen hat 12. Welche 
alten Autoren übertreffen wohl diejenigen, welche Spanien in 
den wenigen Jahren hervorgebracht hat, in denen es frei von 
Kriegen war? Welche Redner waren wohl größer als Don Fer— 
nando Carillo 1s, Don Francisco de la Cueva , der Lizentiat 
Berrio und andere? Weil man die geſtorbenen Schriftſteller 
nicht lieſt und bei den Lebenden die Geheimniſſe nicht beachtet, 
welche ſie in ſich verſchließen, gibt man ihnen den Beifall 
nicht, den ſie verdienen; denn man muß nicht nur die äußere 
Rinde betrachten, ſondern das Auge des Geiſtes muß tiefer 
ſchauen können. Die Alten ſind nicht deswegen beſſere Schrift— 
ſteller, weil ſie alt ſind, die Neuern ſind aber nicht deswegen 
weniger hoch zu achten, weil ſie jünger ſind. Wer ſich mit 
der Rinde allein begnügt, erhält keine Frucht von der Bemühung 
des Autors; wer aber mit dem Auge des Geiſtes tiefer forſcht, 
entdeckt die köſtlichſte. Zwei Studenten wanderten von Sala— 
manka nach Antequera, der eine ſehr gleichgültig, der andere 
ein Forſcher; der eine ein Feind aller Arbeit und Wiſſenſchaft, 
der andere auf alles achtend und ein eifriger Ergründer der 
lateiniſchen Sprache. Doch waren ſie ſich beide, ſo unähnlich 
ſie ſich ſonſt ſein mochten, darin ähnlich, daß ſie beide arm 
waren. Als ſie an einem Sommerabend durch jene flachen 
Gegenden gingen, erhitzt und durſtig, gelangten ſie zu einem 
Brunnen, bei welchem ſie, nachdem ſie ſich erfriſcht hatten, einen 
kleinen Stein gewahrten, mit gotiſchen Lettern bedeckt, welche 
durch die Zeit und durch die Fußtritte des Viehes, das dort 
vorbeikam und trank, halb verlöſcht waren; zweimal war wieder— 
holt: conditor unio, conditor unio. Der Unwiſſende ſagte: 
Warum hat der Narr doch zweimal dasſelbe eingehauen? Der 
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andere ſchwieg; denn er begnügte fich nicht mit der Rinde 
und ſagte: Ich bin müde und fürchte den Durſt, ich will 
mich dieſen Abend nicht von neuem ermüden. — Nun, ſo bleibt 
hier, Ihr fauler Menſch, ſagte der erſte. Jener blieb, reinigte 
den Stein, betrachtete dann die Buchſtaben und ſagte, den 
Sinn enträtſelnd: Unio heißt Vereinigung, und wieder heißt 
unio eine ſehr koſtbare Perle, ich will ſehen, welch Geheim⸗ 
nis hier verborgen liegt. Er hob mit Aufbietung aller Kraft den 
Stein weg und fand unter ihm die Vereinigung der Liebe 
der beiden Liebenden von Antequera, und an ihrem Halſe 
eine Perle, die größer als eine Nuß, und einen Halsſchmuck, 
der viertaufend Escudos wert war. Er legte den Stein wieder 
hin und ſchlug einen andern Weg ein 15. Die Geſchichte iſt 
zwar ein wenig lang, aber bedeutungsvoll; denn ſie lehrt, wie 
man die Autoren leſen müſſe, find doch die Zeiten weder ein: 
ander gleich, noch bleibt das Leben ſtehen. Ich wünſchte, 
daß niemand ſich mit der Rinde deſſen, was ich ſchreibe, ge— 
nügen laſſe; denn in meinem ganzen Eseudero iſt nicht ein 
Blatt, das außer dem Wortlaut nicht noch etwas Beſonderes 
enthielte. 


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Einleitung. 


wärtigkeiten und Unglücksfälle darftellt, ſetze ich zum 

Teil auf, mich in meinen Leiden zu erheitern, zum Teil 
auch, um zu zeigen, wie notwendig es für die armen oder wenig 
begüterten Escuderos iſt, ſich durch die Drangſale der Welt 
zu arbeiten, um mit Ehre ihr Leben zu erhalten. Obgleich ich 
dieſen Vorſatz in den letzten Jahren meines Lebens auszuführen 
ſuche, als ein Greis, dem man ſeiner Schwäche wegen einen ſo 
ehrenvollen Platz, wie den der heiligen Katharina von den Laien— 
brüdern in dieſer Reſidenz Madrid (wo ich beſtehe, ſo gut ich 
kann) verliehen hat 16, ſo will ich mich doch beſtreben, in den 
Zwiſchenräumen, welche mir die Gicht geſtatten wird, meine 
Erzählung in einer kurzen und anſtändigen Schreibart fortzu— 
führen. Ich werde mich bemühen, den Leſer zugleich zu unter— 
richten und zu unterhalten, die Natur nachahmend, die, ehe ſie 
die Frucht erzeugt, die ſie zur Erhaltung des Individuums 
hervorbringt, ſie vorher als freundliches Grün und Blume ſehen 
läßt. Oder ich werde es den großen Arzten nachtun, die nicht 
gleich den Kranken mit ſtarken Heilmitteln beſtürmen, ſondern 
ihn auf dieſe durch ſanfte und leichte Mittel vorbereiten, um 
dann die Purganz anzuwenden, die ihn reinigen und von den 
ſchlechten Stoffen befreien ſoll, die ihn quälen. Mit den 
Arzten kann ich mich um ſo billiger vergleichen, da ich ein 
Geheimnis beſitze, durch gewiſſe Beſchwörungen zu kurieren, 
durch welche Geſchicklichkeit ſowie durch meinen großen Roſen— 
kranz, durch Handſchuhe von Seehund und ſo große Brillen, 
die mehr die eines Pferdes als eines Menſchen ſcheinen, ich 
mich ſo in Anſehen geſetzt habe, daß die gemeinen Leute hier 
in der Stadt ſowie von den benachbarten Dörfern die 
kleinen Kinder zu mir bringen, welche an kranken Augen leiden, 


7 


Do Erzählung meines Lebens, die vielfältige Wider— 


Mädchen, deren Regel ausſetzt oder die Wunden am Kopf 
und an andern Teilen des Körpers und tauſend andre Lei— 
den haben, welche ich alle wieder herſtellen ſoll. Ich bin in 
meinen Kuren ſo glücklich, daß von denjenigen, welche ich be— 
handle, nur die Hälfte ſterben, wodurch ſich eben mein Ruhm 
aufrecht erhält: denn die Geſtorbenen ſagen kein Wort, und 
die Geheilten ſprechen nur in Lobeserhebungen von mir, ob— 
gleich ſie nicht ſicher ſind, in ihr voriges Übel zurückzufallen. 
Diejenigen aber, welche mich am meiſten ſegnen, ſind die, 
denen ich ihr Augenlicht wegkuriere, denn die meiſten von 
dieſen ſind arm und bedürftig, und mit einer gewiſſen Miſchung, 
die ich aus Ofenbruch und Grünſpan und anderen einfachen 
Mitteln zu bereiten weiß, verſchaffe ich ihnen nach fünf oder 
ſechs Beſuchen ein Einkommen, von welchem ſie anſtändig 
leben, Gott und alle Heiligen mit vielen frommen Gebeten 
lobend, die ſie auswendig lernen, ohne leſen zu können. 


Erftes Kapitel, 

Als ich vor einigen Tagen die Augen fromm gen Himmel 
gerichtet, mit ernſtem und heiterem Antlitz, die Hände auf ein 
ſchlohweißes Tuch gelegt, die Ohren eines Kranken berührte und 
feierlich die Worte der Beſchwörung ſprach, ging ein gewiſſer 
Hofmann vorbei und ſagte: Ich kann die Heuchelei dieſer Be— 
trüger nicht ſehen. Ich ſchwieg und ſetzte mit meiner gewohn— 
ten Ruhe mein hilfreiches Gebet fort, und als ich geendigt 
hatte, ſagte mein Gefährte zu mir: Habt Ihr es nicht ge— 
hört, wie jener Edelmann Euch einen Betrüger nannte? — Er 
ſprach nicht mit mir, antwortete ich, und was man mir nicht 
gradezu ſagt, darauf zu antworten oder darauf zu achten 
bin ich nicht verpflichtet. Man ſoll keine Beleidigungen auf 
ſich deuten, wenn ſie nicht ganz offenbar geſchehn, und auch 
dieſen ſoll man ausweichen, wenn es geſchehen kann, indem 
man ſich von Leidenſchaftlichkeit frei zu erhalten ſucht und 
das Für und Wider ruhig überlegt, ſo wie es Don Gabriel 
Zapata machte, ein Ritter und feiner Hofmann von hervorragen— 
dem Geſchmack, dem des Morgens früh um ſechs ein andrer 
Ritter, mit welchem er am Abend vorher einen Wortwechſel 
gehabt hatte, eine Herausforderung ſchickte. Seine Bedienten, 
die da glaubten, es könne ein wichtiges Geſchäft betreffen, 
weckten ihn, und als er das Blatt geleſen hatte, ſagte er zu dem 
Überbringer: Meldet Euerm Herrn nur, daß ich ſelbſt um 
Dinge, die mir das größte Vergnügen machen, niemals vor 
zwölf Uhr aufzuſtehen pflege, und er verlangt, daß ich ſo früh 
aufſtehen ſoll, um mich umbringen zu laſſen? Mit dieſen 
Worten legte er ſich auf die andere Seite und ſchlief wieder 
ein, und obgleich er nachher als Edelmann ſeinem Worte nach— 
kam, war dieſe Rede doch für ſehr verſtändig zu achten 17. 

Als Don Fernando von Toledo, der Oheim (den man wegen 
ſehr witziger Streiche, die er geſpielt hatte, den Schelm 

y 


nannte) 18, von Flandern kam, wo er als tapferer Soldat und 
Feldmarſchall gefochten hatte, und zu Barcelona, von ſeinen 
Hauptleuten umgeben, aus einer Feluke an das Land ſtieg, 
ſagte einer von zwei Schelmen, die am Strande waren, ſo 
laut, daß er es hören konnte: Dies iſt Don Fernando, der 
Schelm. Don Fernando kehrte ſich zu ihm und fragte: Woran 
ſiehſt du das? Der Schelm antwortete: Bis jetzt habe ich 
es nur ſagen hören, jetzt ſehe ich es daran, daß Ihr nicht böſe 
geworden ſeid. Don Fernando antwortete unter lautem Ge— 
lächter: Du erzeigſt mir große Ehre, da du mich für das Haupt 
eines ſo ehrenvollen Standes, wie der deinige, hältſt. 

Dies führt mich darauf, zu erzählen, was mir begegnete, 
als ich dem unvernünftigſten Choleriker von der Welt diente; 
denn nach ſo vielen Unglücksfällen, die ich in meinem Leben 
erduldet hatte, kam das Leid hinzu, daß ich mich in meinem 
Alter ohne Verſorgung ſah; um alſo nicht für einen Vaga- 
bunden zu gelten, empfahl ich mich in meiner Not einem meiner 
Freunde, einem Sänger an der Kapelle des Biſchofs (den ſie 
alle kennen, wie nur ſich ſelbſt), und dieſer brachte mich unter 
als Escudero und Aufſeher bei einem Arzte und ſeiner Frau, 
welche ſich beide in der Eitelkeit auf Vortrefflichkeit und Schön⸗ 
heit ſo ähnlich waren, daß ſie ihren Überfluß den Nachbarn 
umher hätten mitteilen können, und mit dieſen beiden begeg⸗ 
neten mir Dinge, die wohl würdig ſind, erzählt zu werden. 


Zweites Kapitel. 


Dieſer Arzt hieß der Doktor Sagredo; er war jung, von guter 
Geſtalt, etwas geſchwätzig, und obgleich einfältig, höchſt 
choleriſch und leicht zu reizen wie ein Bäckerhund, anmaßend 
und auf ſich eingebildet. Dieſer (damit nicht zwei Häuſer, 
ſondern nur eins zugrunde gerichtet würden) war mit einer 
10 


Frau gleicher Gemütsart verheiratet, die ebenfalls jung war, 
ziemlich ſchön, groß, ſchlank, aber nicht mager, gerade, die ſich 
mit vieler Anmut bewegte, ſchwarze, große Augen und lange 
Augenwimpern hatte und kaſtanienbraunes Haar, welches etwas 
ins Rötliche fiel; dabei war ſie nicht wenig eitel, anmaßend 
und auffahrend. Der gute Doktor führte mich in ſein Haus, 
und das erſte, was ich da ſah, war ein höchſt dürres Maul- 
tier in einem Stalle, der es ſo knapp umſchloß, daß ich ſelbſt 
nicht mit Flügeln hätte hinein fliegen können. Wir ſtiegen ein 
kleines Treppchen hinauf, und gleich war ich in dem Saal, 
wo ſich mir die Donna Mergelina von Aybar zeigte (denn 
dieſes war ihr Name), die ich, obgleich ich ſchon ein alter 
Mann war, mit gar großem Wohlgefallen betrachtete, denn 
obſchon ein alter Knabe und durch Vernunft wie durch meine 
Jahre nicht imſtande, lüſterne Gedanken zu haben, ſchaute ich 
ſie an wie einen ſchönen Gegenſtand, — iſt doch die Schönheit 
allen Augen angenehm. 

Der Doktor ſagte zu mir: Seht da diejenige, die Ihr be— 
dienen ſollt, dies iſt meine Frau. Ich erwiderte: Gewiß, ein 
ſo ſchöner Mann verdient eine ſo ſchöne Frau. — Und was 
geht Euch das an? führ fie mich an; ich kann es nicht aus: 
ſtehen, wenn man mir Artigkeiten ſagen will. — Sie iſt die 
Tugend ſelbſt, fuhr der Doktor fort, bedient fie mit Aufmerk- 
ſamkeit, und ich werde es Euch vergelten. 

Ich betrachtete mir nun die Wohnung genauer (die man 
bald überſehen konnte), und fand nichts als einen großen 
Spiegel über einem kleinen Tiſchchen am Fenſter, auf welchem 
einige Flaſchen nebſt einem Käſtchen ſtanden; in einem Winkel 
ſah ich ein großes Schwert, Rapiere, kurze Degen ſowie 
geſchärfte Stoßklingen, einen größeren und einen kleineren 
Schild. Der Doktor fragte mich: Nun, wie gefällt Euch meine 
Möblierung? Betrachtet dieſen Degen genau, denn der hat 

11 


fich in Alcala Achtung erworben. — Ich ſah nicht darauf, ant 
wortete ich, ſondern wo die Bücher wohl ſtehen möchten, die 
ich ſehr hoch halte. — Dieſe Waffen da, rief er aus, ſind 
mein Galenus und mein Avicenna: denn in der geſtumpften 
und ſcharfen Klinge kam mir kein Menſch in Alcala gleich; 
in der Nacht durfte ſich keiner vor mir ſehen laſſen, der nicht 
wäre gezeichnet worden. — So ſeid Ihr wohl, erwiderte ich, ge⸗ 
ſchickter geworden im Umbringen als im Erhalten des Lebens? — 
Ich habe alles gelernt, fuhr er fort, was die übrigen Arzte 
lernen, und weil ich erſt kürzlich von der Akademie gekommen 
bin, habe ich mich noch nicht auf Bücher eingelaſſen, die ſchicken 
ſich für die Profeſſoren, von denen jeder die von ſeiner Fakul— 
tät beſitzen muß. Doch laſſen wir das jetzt, und führt Eure 
Gebieterin in die Meſſe, denn es iſt ſchon ſpät. 

Donna Mergelina legte ihren Mantel um, und ich beglei⸗ 
tete ſie nach St. Andreas, denn ſie wohnte in dem alten Mauren⸗ 
viertel. Wie es Sitte iſt, ſagten ihr die Vorübergehenden manche 
Artigkeit über ihr ſchönes Geſicht oder ihren Wuchs, worauf 
fie immer irgendeine Grobheit in Bereitſchaft hatte, die jeg- 
lichen beleidigte. Ich ſagte zu ihr: Ei, Sennora, wenn Ihr 
auch auf dergleichen keine freundliche Antwort geben wollt, ſo 
iſt es doch für eine Frau von Stande wenigſtens ſchicklich, ſtill⸗ 
zuſchweigen. — Man ſoll nicht, antwortete ſie, die Achtung 
gegen mich aus den Augen ſetzen. — Sagte einer, ſie ſei reizend, 
ſo antwortete ſie: er ſei ein reizender Pinſel, und dergleichen 
Unanſtändigkeiten mehr. Ich erinnerte fie, daß fie ihre Schön: 
heit auf das ſchlimmſte gebrauche, denn ſie beſtrebe ſich, von 
allen gehaßt und verachtet zu werden, während ſie doch durch 
dieſe das Lob und die Verehrung aller Menſchen genießen 
könnte. Verhüte der Himmel, ſo ſchloß ich, daß ſich dieſer 
Übermut nicht ſelber beſtraft, da Ihr auf Eure Perſon gar 
zu eingebildet ſeid. Dieſe und ähnliche Dinge ſagte ich ihr 
12 


jeden Tag, aber fie beharrte immer auf ihrem Sinne; und da 
ſie durchaus nicht Rat annehmen wollte, ſo folgte ihr die 
ſonderbarſte Strafe auch auf dem Fuße nach. 

Des Abends kam gewöhnlich ein junger Barbierburſche, mit 
dem ich bekannt war, zu mir, der eine recht hübſche, geübte 
Stimme hatte; dieſer brachte ſeine Gitarre mit und ſetzte 
ſich auf die Türſchwelle, um Liederchen zu ſingen, die ich 
ihm, ſo gut ich konnte, akkompagnierte; dieſe Singübung zog 
uns immer die Aufmerkſamkeit und den Beifall der Nach— 
barſchaft zu. Der Burſche klimperte immer auf der Gitarre, 
nicht ſowohl um ſeine Geſchicklichkeit zu zeigen, als um durch 
die fortwährende Bewegung die Handgelenke etwas zu reiben, 
weil er an einer trockenen Krätze litt. 

Meine Gebieterin ſtellte ſich jedesmal auf den kleinen Korri— 
dor, um die Muſik zu hören, und der Doktor, wenn er von 
ſeinen Beſuchen (deren er freilich nur wenige hatte) ermüdet 
nach Hauſe kam, achtete weder auf den Geſang noch auf 
die Aufmerkſamkeit, die ſeine Frau dieſen Übungen ſchenkte. 
Da der Burſche nun jeden Abend kam, ſo vermißte ihn die 
Dame, wenn er einmal ausblieb, und fragte nach ihm, indem 
ſie zeigte, daß ſie an ſeiner Stimme Gefallen fand. Seine 
Stimme gefiel ihr, wie es ſchien, ſo ſehr, daß ſie von der 
Treppe bis zur Schwelle herunterkam, um ihn mehr in der 
Nähe zu hören. 

Jetzt blieb der Burſche etwa fünf oder ſechs Abende aus, 
weil er wohl eine Kur brauchte; da aber das Alltägliche, 
wenn es uns fehlt, grade am meiſten auffällt, ſo fragte meine 
Dame auch gleich, wo er bliebe. Ich antwortete: Sennora, 
dieſer Burſche iſt bei einem Barbier in Dienſten, kann alſo nicht 
immer müßig ſein; außerdem braucht er auch jetzt eine Kur 


gegen ein wenig trockene Krätze, an der er leidet. — Wie 
kommt Ihr dazu, rief ſie aus, ihn ſo herabzuſetzen und ihn 
13 


Burfche zu nennen und von Krätze zu ſprechen? Ich verſichere 
Euch, es gibt Menſchen, die ihn, ſo ſehr Ihr ihn auch gering 
machen wollt, gern ſehen. 

Das kann wohl ſein, erwiderte ich, denn der arme Junge 
iſt ſehr demütig und nimmt gern Befehle an; oft hebe ich 
ihm vom Meinigen einen Biſſen zum Abendbrot auf, denn 
er hat nicht allemal zu Nacht gegeſſen. 

Wahrhaftig! Zu ſolch gutem Werke, erwiderte ſie, will ich 
Euch auch meine Beiſteuer geben. Seitdem hob ſie ihm immer 
irgendeinen guten Biſſen auf. 

Eines Abends trat er klagend herein, denn man hatte ihm 
aus einem Fenſter etwas Übelriechendes auf den Kopf ge⸗ 
worfen; ſogleich kam meine Gebieterin aus ihrem Zimmer 
und ſtieg zu uns herab, um mir, während ich den Burſchen 
abtrocknete, voll Mitleid dabei zu helfen, worauf ſie Räucher⸗ 
werk verbrannte und die tauſendmal verwünſchte, die ihn ſo 
übel behandelt hatten. | 

Der junge Burſche entfernte ſich wieder, und der Zorn 
der Donna Mergelina war ebenſo groß als ihr Mitleid, was 
fie beides deutlicher zu erkennen gab, als mir lieb war, in⸗ 
dem ſie die Geduld des Jünglings übertrieben lobte und die 
Beleidiger ebenſo ſchalt, ſo daß ich ſie endlich fragen mußte, 
warum fie die Sache fo wichtig nähme, da es doch unvor— 
ſätzlich und ohne Bosheit geſchehen ſei. Sie antwortete: Die 
Beleidigung ſoll ich nicht wichtig nehmen, die einem ſolchen 
Lämmchen geſchieht? Einer ſolchen Taube ohne Galle, einem zar⸗ 
ten Jünglinge, der ſo ſanftmütig und friedlich iſt, daß er ſich 
über ſolche Kränkung nicht einmal beklagt? Wahrlich, auf 
einen Augenblick möcht' ich ein Mann ſein, um ihn zu rächen, 
und dann wieder Frau, um ihn zu belohnen und zu liebkoſen. 

Sennora, ſagte ich, was bedeutet das? Wie ſeid Ihr ſo aus 
Härte in Mitleid verwandelt? Seit wann ſeid Ihr denn ſo 
14 


ſehr mitleidig, fo ſehr zärtlich und liebreich? — Seitdem Ihr, 
erwiderte ſie, in das Haus gekommen ſeid und dieſes Gift 
in der Gitarre mitgebracht habt, ſeitdem Ihr mir meinen 
ſpröden Stolz vorgeworfen habt, ſeitdem habe ich mich beſ— 
ſern wollen und bin nun von einem Außerſten auf das andere 
geraten: ſtatt der Hoffärtigen, Unfreundlichen, bin ich jetzt 
zu einer Zärtlichen, Demütigen geworden. 

O ich Armer! rief ich aus, mir ſoll alſo jetzt die Laſt davon 
aufgelegt werden? Welche Schuld könnte ich wohl an Euren 
Neigungen haben? Ach! wer iſt Herr über unziemliche Wünſche? 
Ach! wer vermag vorauszuſagen, was auf die Neigung und 
die Begierde folgen wird? Wenn daher die Verſchuldung wirk— 
lich von mir anhebt, ſo ſoll auch der Schaden durch mich 
aufhören, ehe er größer geworden iſt, denn ich will machen, 
daß er nicht mehr in dieſes Haus komme, das ich ſonſt ver— 
laſſen muß: denn wenn die Gelegenheit das verurſachte, was 
ich nicht vermuten konnte, ſo wird dadurch, daß ich dieſe ab— 
ſchneide, alles wieder in feinen alten Zuſtand zurückkehren. 

Ich ſage es ja nicht darum, rief ſie, mein liebes Väterchen, 
nein, ich habe die Schuld, wenn von einer Schuld bei den 
Außerungen der Zuneigung die Rede ſein kann: ſeid über meine 
Unbedachtſamkeiten nicht böſe, denn ich bin in der Stim— 
mung, ihrer viele zu ſagen und zu tun. Wundert Euch viel— 
mehr darüber, daß ſie nicht häufiger ſind, und tut ja nicht, 
was Ihr geſagt habt, wenn Ihr mein Leben wie meine Ehre 
erhalten wollt: denn ich bin ſo geſtimmt, daß ich durch ein 
wenig mehr Widerſpruch meinem Rufe einen Flecken anhängen 
könnte, der ebenſo ſchwarz als mein Schickſal ſein würde. 
Ihr dürft mich nicht verlaſſen, Ihr dürft mich nicht ſchelten, 
nein, Ihr müßt mir Rat und Hilfe geben. Ja, wohl hattet 
Ihr Recht, daß mein Übermut und meine Anmaßung von ihrer 
Höhe herabſtürzen würden, ich gebe Euch alles zu, was Ihr 

15 


mir wiederholen könntet, nur verlaßt mich nicht in dieſer 
Lage und bringt mich nicht dadurch in Verzweiflung, daß Ihr 
ſagt, Ihr wollet dieſes Haus verlaſſen. Sie fing hierauf ſo 
kläglich an zu weinen, indem ſie mit dem Tuche die Augen 
verdeckte, daß nur wenig fehlte, ſo hätte uns allen beiden ein 
Tröſter not getan. Schalt ich ſie vormals ihres Stolzes wegen, 
ſo tröſtete ich ſie jetzt noch mehr über ihre Bekümmernis. 
Nachdem ich mich aber wieder zur Vernunft ermannt und 
mich meiner Pflicht erinnert hatte, ſagte ich ihr ſo ernſthaft, 
als ich nur konnte: Iſt es denn möglich, daß eine ſo außer⸗ 
ordentliche Verwandlung hat vorgehen können? Konnten dieſe 
ſonſt ſo ſtolzen Augen dieſe Tränen der Zärtlichkeit vergießen, 
konnte über dieſe ſo züchtigen Wangen ein ſo koſtbares Naß 
rinnen, daß es Gottes Herz zu rühren vermocht hätte, und 
das um einen ſo armſeligen Menſchen? Wolltet Ihr Euch von 
Eurer Höhe herabſtürzen, warum geſchah es nicht wenigſtens 
für einen Gegenſtand, der es durch ſeine Vorzüge verdienen 
mochte? Aber die Schönheit ſoll ſich der Häßlichkeit, die 
Sauberkeit dem Schmutz ergeben? Ich weiß nicht, was ich 
von ſolcher Wahl und ſolchem beklagenswerten Geſchmack 
ſagen ſoll. 

Wie irren doch die Männer, rief ſie aus, wenn ſie glauben, 
daß ſich die Frauen aus Wahl verlieben, daß Anmut des Kör⸗ 
pers, Schönheit des Geſichtes, Vorzüge, Geburt, hoher Stand 
oder Reichtum ſie bezaubern: nein, bei den Weibern iſt die Liebe 
ein fortgeſetztes Wohlwollen, das durch den Anblick wächſt und 
durch Umgang ſich erzeugt und erhält, und diejenige, die ſich 
davor nicht bewahren kann, wird ohne Zweifel fallen. Aus dieſer 
Wiederholung iſt meine Flamme entſtanden, durch dieſe hat ſie 
ſich vergrößert, bis ſie nun ſo mächtig angewachſen iſt, daß 
meine Augen nichts anderes ſehen können, daß mein Ohr jedem 
Tadel verſchloſſen und mein Wille unfähig iſt, eine andere 
16 


Richtung zu nehmen. Je mehr Ihr ihn herabſetzen wollt, um 
ſo mehr wird meine Zuneigung und Begier entzündet. Sind 
denn vielleicht die Barbiere aus anderem Stoff als die übrigen 
Männer geſchaffen, daß Ihr ein Gewerbe ſo verächtlich machen 
wollt, dem die Männer ſo zu Dank verpflichtet ſind, indem 
es die alten verjüngt? Ihr nennt ihn krätzig, wegen einiger 
durch Reibung entſtandener kleiner Flecken, die ſo zart ausſehen 
wie die Blumenblätter einer Nelke? Seht Ihr denn nicht die 
Sittſamkeit in ſeinem Geſicht? die Demut in ſeinen Augen? 
Fühlt Ihr nicht die Lieblichkeit ſeiner Stimme und ſeines Tre— 
molo? Darum ſagt nur kein Wort mehr, meinen Geſchmack 
zu ſchelten! 

Da es ſo weit gekommen iſt, antwortete ich, ſo muß ich es 
mit Euch ſo machen, wie ich es mit meinen Freunden zu machen 
pflege: wenn ſie wählen, ſo gebe ich ihnen den beſten Rat, 
den ich kann, und wenn ſie gewählt haben, ſo helfe ich ihnen, 
ſo viel als in meinen Kräften ſteht. Dieſes ſagte ich nur, um 
ſie nicht zur Verzweiflung zu bringen, damit ſie nach und nach 
ihre Leidenſchaft verlöre. 


Drittes Kapitel. 


Am folgenden Tage kam der Burſche früher als gesähnti, 
angetan mit einer Halskrauſe nach der Mode, wie ein Mann, 
der ſich von einer ſo ſchönen Frau begünſtigt ſieht. Nach drei 
oder vier Tagen geſchah es, daß man den Doktor Sagredo zu 
einem auswärtigen Ritter berief, der in Caravanchel krank lag, 
indem man ihm eine anſehnliche Summe für die Kur bot, 
worüber beide Eheleute erfreut waren: er über den Gewinn, und 
ſie noch viel mehr ihrer Leidenſchaft wegen. Er machte ſich auf 
mit ſeinem Maultiere, einem Lakaien und einem Jagdhunde, 
welcher ihn immer begleitete, und um vier Uhr nachmittag 
begab er ſich auf den Weg nach Caravanchel. 

y 47 


Als fie dieſe gute Gelegenheit ſah, hieß fie mich, das Beſte 
zum Abendeſſen zurichten, was nur möglich war, indem ſie 
mich mit Worten und Verſprechungen beſchwichtigen wollte, 
damit ich ſie in ihrem ſchlimmen Vorhaben nicht ſtören möchte. 
Der Burſche kam mit der Dämmerung und fing, wie gewöhn— 
lich, an zu ſingen, ſie aber ſagte, es ſchicke ſich der Nachbarſchaft 
wegen nicht (da ihr Mann nicht zu Hauſe ſei), daß vor der 
Türe geſungen würde, und deshalb ließ ſie ihn hereintreten. Sie 
ließ den Jungen ſich an den Tiſch ſetzen und wünſchte nur die 
Mahlzeit bald beendigt; aber kaum hatte man angefangen zu 
eſſen, als der Jagdhund hereinkam und ſeiner Gebieterin tau— 
ſend Liebkoſungen machte. Der Doktor kommt! rief ſie aus, 
o ich Unglückliche! Was fangen wir an? Er muß ganz nahe 
fein, da der Hund ſchon hier iſt. Ich nahm den Burſchen und 
packte ihn in einen Winkel des Saales, worauf ich ihn mit 
einem kleinen Schrank verdeckte, auf dem man wohl Bücher 
hatte aufſtellen wollen, ſo daß er nicht geſehen werden konnte, 
als der Doktor in das Haustor einritt. Gibt es eine größere 
Schelmerei? rief dieſer aus, da ſchicken ſie nach einem Manne 
wie ich bin, und zugleich laſſen fie einen anderen Doktor kom— 
men! Beim Himmel, ich will ihnen zeigen, daß man mich 
nicht zum beſten haben darf! — Darüber, lieber Mann, ſagte 
ſie, biſt du ſo verdrießlich? Iſt es denn nicht beſſer, ruhig in 
deinem Bett zu ſchlafen, als einer Krankenwache wegen auf— 
zubleiben? Haſt du denn Kinder, die dich ſo ſehr ums Brot 
anſchreien? Du kommſt gerade recht, denn obgleich ich die 
Nacht anders zuzubringen dachte, ſo hat mir doch eine innere 
Stimme geſagt, wie es kommen würde, und darum habe ich 
auch auf jeden Fall das Abendeſſen zurecht gemacht. — Das iſt 
eine Frau, rief der Doktor, du haſt mir ſchon allen Arger be— 
nommen. Hol' ſie der Teufel mit ihrem Gelde! Dich ver— 
gnügt zu ſehen, gilt mir mehr als alle Schätze der Welt. 

18 


Der Doktor ftieg von feinem Tiere, welches der Lakai ein— 
ſtallte, und begab ſich zu ſeiner Frau in die Wohnung, wo 
ihm Koſt und Lohn winkte. Er ſetzte ſich fröhlich mit ihr 
zu Tiſche, indem er ihre Aufmerkſamkeit ſehr lobte. Der ver— 
dammte Hund aber tat nichts anderes, als den Schrank be— 
riechen, welcher den jungen Burſchen verdeckte, wobei er ſo 
ſehr kratzte und knurrte, daß der Doktor es bemerkte und 
fragte: Was gibt es denn hinter dem Schranke? Ich ant— 
wortete ſchnell: Ich glaube, daß ein Stück Fleiſch dahinter 
liegen wird. Der Hund kratzte und knurrte von neuem und 
ſchlug laut an, und mein Herr ſah aufmerkſamer hin als vor— 
her; ich ſah das Unheil, welches ſogleich eintreten müſſe, 
wenn man kein Mittel entdeckte, und da ich den Charakter des 
Doktors kannte, verfiel ich auf einen guten Ausweg; ich ſagte 
nämlich, daß ich einige Sevillianiſche Oliven (welche beide ſehr 
liebten) herauf holen wolle, und ſo ſtand ich unten an der kleinen 
Treppe ſtill. Der Hund kratzte, bellte und lärmte indes fort, 
ſo daß mein Herr nachſehen wollte, was das Tier ſo unruhig 
mache. In demſelben Augenblicke ſtellte ich mich in die Tür 
und ſchrie laut: Herr! Sie nehmen mir den Mantel! Herr 
Doktor Sagredo! Spitzbuben reißen mir den Mantel weg!?! 
Er, nach ſeiner gewöhnlichen choleriſchen Art, ſprang auf, faßte 
im Vorüberlaufen einen Degen, war mit zwei Sätzen an der 
Tür und fragte nach den Dieben; ich antwortete, daß, ſowie 
ſie den Namen des Doktors Sagredo gehört hätten, ſie wie 
ein Blitz die Gaſſe hinunter geſtürzt wären. Er lief ihnen 
ſogleich nach, und ſie ſchaffte ohne Mantel und Hut den 
jungen Menſchen aus dem Hauſe, worauf ſie ein Stück Fleiſch 
hinter den Schrank warf, ſo wie ich ihr den Wink gegeben 
hatte. 

Bis ſo weit ging alles gut. Der Burſche aber war von Furcht 
und Schrecken ſo verwirrt, daß er nicht ſo ſchnell auf die Gaſſe 
or 19 


kommen konnte, daher ſtieß mein Herr auf ihn, als er zurück 
kehrte. Hier mußte nun die ſchnellſte Hilfe geſchafft und dieſer 
zweite Schaden beſeitigt werden, der noch auffälliger war als 
der erſte; ehe er alſo noch eine Frage tun konnte, ſagte ich zu 
ihm: Auch dem armen Jungen hier haben fie den Mantel ges 
nommen und ihn noch dazu umbringen wollen, deswegen iſt 
er hier herein geflüchtet und hat nun nicht den Mut, nach 
Hauſe zu gehen. Da die Choleriſchen meiſt mitleidig ſind, ſo 
ward mein Herr auch gerührt und ſagte: Fürchte dich nicht, 
denn du biſt im Hauſe des Doktors Sagredo, wo dir kein 
Menſch etwas tun wird. — Gewiß nicht, antwortete ich; denn 
ſowie ſie nur den Doktor Sagredo nennen hörten, wuchſen 
ihnen Flügel an die Füße. 

Ich verſichere euch, antwortete der Doktor, hätte ich ſie 
nur eingeholt, fo hätte ich dich und meinen Stallmeiſter fo ges 
rächt, daß ſie zeitlebens keine Mäntel mehr hätten rauben ſollen. 
Als meine Gebieterin, die bis jetzt auf dem Gange zitternd 
geſtanden hatte, ſah, daß das Unglück ſo ſchnell verhütet wor⸗ 
den war und der nahe Zorn des Mannes ſich in Mitleid vers 
wandelt hatte, ſuchte ſie dieſe Teilnahme noch zu vergrößern und 
ſagte: Laßt den armen Burſchen nicht gehen, die Angſt, die 
er ausgeſtanden hat, iſt ſchon genug, dieſe Spitzbuben dürfen 
ihn nicht noch umbringen. — Ich laſſe ihn nicht anders fort, 
ſagte der Doktor, als daß ich ihn begleite. Wie trug es ſich 
denn aber zu, mein guter Freund? 

Ich wollte, antwortete der Burſche, für meinen Herrn, 
Juan de Vergara, ein Geſchäft verrichten, nämlich eine ge: 
wiſſe Dame am Fuß zur Ader laſſen, da aber der Böſe immer 
Unglück ſchickt, ſo begegnete mir das, was Ihr geſehen habt. — 
Geht nur hinauf, ſagte der Doktor, denn wenn ich gegeſſen 
habe, will ich Euch nach Hauſe bringen. Der Hund war auch 
den eingebildeten Dieben nachgelaufen, kehrte aber jetzt mit 
20 


demſelben Eifer zu feinem Schranke zurück und kratzte und 
bellte jetzt noch mehr, da er nunmehr wirklich das Fleiſch wit— 
terte. Als mein Herr ſah, daß der Hund bei ſeinem Verhalten 
beharrte, ging er hinter den Schrank und fand dort das Stück, 
womit er ſich beruhigte und die Witterung ſeines Hundes ſehr 
lobte. Sie, obgleich ſie nun aus der Verlegenheit gerettet war, 
gab doch darum ihren erſten Vorſatz nicht auf, gab mir viel— 
mehr zu verſtehen, ich ſollte den Burſchen nicht fortlaſſen, 
und das war gerade das, was mir am unangenehmſten war. 
Sie aßen, und der, der vorher am Tiſch die Hauptperſon ge— 
weſen war, mußte nun ſtehend aus der Hand verzehren, was 
man ihm gab. Als ſie abgegeſſen hatten, wollte ihn mein Herr 
nach Hauſe führen, aber meine Gebieterin ſagte, obgleich ich 
ihm beiſtimmte, daß er ſich nicht in die Gefahr begeben ſolle, 
wieder auf die Mantelräuber zu ſtoßen, beſonders da er durch 
die enge Gaſſe St. Andreas müſſe, wo ſie ſich gern verborgen 
halten; und obgleich dieſes, fuhr ſie fort, bei Eurem Mute 
wenig zu bedeuten hat, ſo könnte es mir doch zum größten 
Nachteil gereichen, denn ich habe die Vermutung, daß ich mich 
in anderen Umſtänden befinde, und ſo könnte ich einen Schrecken 
haben, der mein Leben in Gefahr ſetzte; der Junge kann hier 
beim Escudero ſchlafen, der ſein Bekannter iſt, und morgen 
früh nach Hauſe gehen. 

Gut denn, ſagte der Doktor, da Ihr es ſo wünſcht, mag es 
geſchehen; ich will mich niederlegen, denn ich fühle mich etwas 
ermüdet. Hierauf ging er zu Bette, ſie aber blieb wach, um 
etwas auszuführen, das ihr Schmerzen eintrug und ſehr ge— 
fährlich für ſie hätte endigen können. Der Saal war ſo klein, 
daß von meiner Schlafftelle zur ihrigen nur vier Schritte waren; 
alles was man in dem einen Zimmer tat, konnte man im 
anderen hören, und daher war es ſchwer, hier etwas zu unter— 
nehmen. Das Maultier war von ſo unruhigem Weſen, daß, 

21 


wenn es einmal frei wurde, die ganze Nachbarſchaft in Auf: 
ruhr geriet, ehe man es wieder fangen konnte. Es ſchien nun 
der Donna Mergelina möglich, daß ſie es losbinden und wie— 
der in das Bett kommen könne, ehe ihr Mann erwache und 
aufſtände, um es wieder in den Stall zu bringen, und dieſe 
Zwiſchenzeit könne ſie zu ihrem Vorhaben benützen. Als ſie da— 
her ſah, daß ihr Mann ſchlief, ſtand ſie, ſchnell entſchloſſen wie 
die Weiber ſind, leiſe aus dem Bette auf, ging nach dem Stalle, 
band das Maultier los und wollte ſich ſchnell zurück begeben, 
bevor der Mann aufgewacht ſei. Das Maultier ſchien aber mit 
ihm einverſtanden, denn gleich ſprang es, mit den Füßen tram⸗ 
pelnd, aus dem Stalle, und alsbald hörte er es auch und ſprang 
in demſelben Augenblicke vom Bette auf, das Tier und den, 
der es ihm verkauft, zum Teufel wünſchend; die Frau mußte 
daher in den Stall hineinfchlüpfen, um nur nicht ihrem Manne 
zu begegnen. Er ergriff eine tüchtige Gerte von Quittenholz 
und ſchlug damit auf das Maultier los, das nach ſeinem engen 
Stalle flüchtete und kaum Raum genug für fich antraf, weil 
ſeine Gebieterin ſich ſchon darin befand. Sie konnte ſich wegen 
der Engigkeit nirgends anders hin verbergen als unter das 
Maultier ſelbſt, ſo daß ſie alſo notwendig, da die Gerte ſehr 
geſchmeidig war, einen Teil der Schläge zugleich mit ihrem 
weißen, zarten Körper auffing. Ich ſtand oben auf der Treppe 
und ſah alles, was geſchah, in der größten Angſt, ohne irgend 
Rat und Hilfe zu wiſſen. Als der Jagdhund den Lärm hörte 
und in meinem Bette einen Fremden witterte, fing er an zu 
bellen und dem Burſchen mit ſeinen Zähnen zuzuſetzen, ſo 
daß die Frau unter den Händen des Mannes und der junge 
Menſch unter den Zähnen des Hundes die Strafe für das er— 
litten, was ſie noch nicht begangen hatten. Als ich den Mann 
ſo in der Wut ſah, der nicht wußte, was er tat, rief ich ihm 
zu: Seht, mein Herr, was Ihr tut: denn alle die Schläge, 
22 


die Ihr dem Tier verabreicht, gebt Ihr meiner Gebieterin ins 
Geſicht, die es ſo außerordentlich liebt, weil Ihr es reitet, 
daß ſie es ſelbſt gern vor der Sonne beſchützen möchte. — Bedank 
dich, du Beſtie, ſprach er, für das, was man mir ſoeben von 
meiner Frau geſagt hat, ſonſt wollte ich dich bis morgen früh 
geprügelt haben. Iſt denn nichts da, das Vieh anzubinden? 
Ich antwortete: In dem kleinen Hofe werdet Ihr einen Strick 
finden, ich habe Seitenſtechen und kann nicht hinausgehen. So— 
wie er danach ging, ſtellte ich mich in die Tür, um die Frau 
zu verdecken, und ſie ging ſchweigend und betrübt in ihr Bett. 
Ich nahm dem Doktor das Seil ab und ſchickte ihn hinauf, 
band das Maultier an und ging wieder zu Bett. Dort fand ich 
den Burſchen über den Hund klagend und ſie in ihrem Zimmer 
weinend; der Mann fragte ſie um die Urſache, und ſie antwortete 
erzürnt: Eure Heftigkeit iſt ſchuld daran, denn ich war eben 
im beſten Schlaf, als Ihr fo auffubrt; erſchreckt darüber, fiel 
ich aus dem Bette und ſchlug mit dem Geſicht auf tauſenderlei 
Krempel auf, der am Boden lag, wodurch ich mich ſehr verletzt 
habe. Der Mann beruhigte und tröſtete ſie, ſo gut er konnte, 
und es gelang ihm gut; denn wenn die ehrbaren Frauen 
ſtraucheln und vor dem Fallen bewahrt bleiben, kommen ſie 
wieder zur Vernunft. Als ſie ſah, daß es ihr dreimal miß— 
glückt war, wollte ſie es nicht noch ein viertes Mal verſuchen. 
Dem Burſchen war indes die Liebe und Einbildung durch die 
Gefahr und die Biſſe des Jagdhundes gänzlich vertrieben 
worden 20, 


Viertes Kapitel. 


Da die ganze Nacht durch Sorge, Unruhe und Verdruß ge— 
ſtört und zugebracht worden war, ſo ſchlief ich gegen meine Ge— 
wohnheit bis tief in den Morgen hinein, und ich erwachte nicht 
eher, als bis man ſtark an die Tür klopfte, um den Doktor 

29 


zu einem dringenden Krankenbeſuche abzuholen. Als ich auf: 
ſtand, ſah ich die Sonne ſchon in meinem Zimmer. Ich rief 
den jungen Menſchen an, der noch wie betäubt ſchlief, und da 
ich ihn geſtimmt fand, nie wieder zu ſeinen Torheiten zurück— 
zukehren, ſo ſagte ich ihm: Befeſtige dich in deinen guten 
Vorſätzen, und hüte dich, von dieſer Sache jemals zu ſprechen, 
wozu du vielleicht, als ein Burſche ohne Erfahrung, ein Ge— 
lüſt empfinden könnteſt. Das meiſte Unglück in der Welt ent⸗ 
ſteht aus der Ungezähmtheit der Zunge; willſt du alſo auch 
nicht aus Vernunft ſchweigen, ſo wirſt du es wenigſtens aus 
Furcht vor der Gefahr tun müſſen, da es hier die Ehre eines 
ſo tapferen und jähzornigen Mannes, wie der Doktor iſt, be— 
trifft. So ſchickte ich ihn nach ſeinem Hauſe, indem er vor 
Angſt zitterte und jeden Gedanken an Liebe vergeſſen hatte. 

Der Doktor kleidete ſich ſo eilig an, daß er nicht Zeit fand, 
das blutrünſtige Geſicht ſeiner Frau zu bemerken; das erſte 
aber, was ſie tat, noch ehe ſie ſich ankleideie oder die Füße 
in die Pantoffel ſetzte, war, in den Spiegel zu ſehen, und da 
ſie ſo viele Schmarren bemerkte, ging ſie viele Tage nicht ohne 
Schleier, was aber, da ſie ſo anmutig und lieblich war, 
ihr mehr den Anſchein gab, daß ſie es aus Eitelkeit, als aus 
Not tue. Als ſie angekleidet war, ging ich zu ihr und ſagte 
mit ſo freundlicher Stimme, als ich nur immer konnte: Wie 
ſcheint Euch nun dieſe Begebenheit ausgegangen zu ſein? Freut 
es Euch nicht, daß bei aller Gefahr und allen ſchlimmen Vor— 
ſätzen Eure Ehre ſich unbeſcholten erhalten hat? Wenn Ihr 
in einen tiefen Strom ſtürztet und gerettet würdet, ſelbſt ohne 
nur die Kleider naß zu machen, würdet Ihr es nicht für ein 
Wunder halten? Stürztet Ihr Euch zwiſchen tauſend ent— 
blößte Schwerter und würdet nicht verwundet, müßtet Ihr 
da nicht denken, daß Gott Euch geholfen hätte? Dieſen Bei— 
ſtand habt Ihr auch jetzt, wie ich ſicher glaube, auf wunder: 
24 


bare Weiſe erfahren, und Ihr ſeid nun fo glücklich, daß Ihr 
durch echte Reue Euch wieder mit Euch ſelbſt verſöhnen und 
alles gut machen könnt. 

Bei dieſen und andern Ermahnungen, die ich ihr gab, zer— 
floß ſie in Tränen, die den härteſten Henker gerührt hätten, 
und nachdem ſie dieſe getrocknet hatte, antwortete ſie: Wenn 
ich Euch mein Herz zeigen könnte, ſo würdet Ihr ſehen, 
welchen Eindruck Eure Reden ſowie mein Vergehen auf mich 
gemacht haben, welch gute Vorſätze mich jetzt beleben. Ich 
fühle, daß ich jetzt den, der die Urſache meiner Schwäche war, 
ebenſo haſſe, wie ich ihn vorher übertrieben und ohne Ver— 
nunft liebte. Außer dieſen Gefühlen hat mich ein Traum dieſe 
Nacht erſchüttert, der mich in der kurzen Zeit ängſtigte, in 
welcher ich ſchlafen konnte. Mir dünkte nämlich, daß ich 
einen ſchönen und duftenden Apfel vom Baume pflückte; indem 
ich ihn aber aufbrach, ſtieg ein dicker Dampf und alsbald 
eine große Schlange heraus, die ſich mit ihren Ringen zwei— 
mal um meinen Körper ſchlang und mir das Herz ſo ſchmerz— 
haft drückte, daß ich zu ſterben dachte. Von den Umſtehenden 
hatte keiner den Mut, mich zu befreien; nur ein alter Mann 
trat herzu und rettete mich, indem er nichts tat, als ſeinen 
Speichel der Schlange auf den Kopf werfen, wovon ſie als— 
bald tot niederfiel und mich losließ; worauf ich aus dem 
Traume erwachte. So habt Ihr mich durch Euern Beiſtand 
und guten Rat vom tödlichſten Übel gerettet, und wie Ihr 
bisher mein Escudero waret, ſollt Ihr jetzt mein Vater und 
Ratgeber ſein; und wenn Ihr irgend etwas an mir bemerkt 
habt, was Euch angenehm iſt, ſo verlaßt mich niemals wieder, 
ſolange Ihr oder ich leben, denn ich liebe Euch mit derſelben 
Liebe, die Ihr zu meiner Tugend und Ehre mir bewieſen habt. 

Sie wollte noch weiter ſprechen, als der Mann ſich an der 
Türe hören ließ. Der Doktor trat herein, und ſie ſtellte ſich 

25 


böfe, indem fie ihr ſchönes Geſicht verdeckte; er ſchmeichelte 
ihr zärtlich und ſuchte ſie über ihre Verletzung zu tröſten. 
Er betrachtete das Geſicht mit vieler Rührung und entſchul— 
digte ſich wieder; endlich ſagte er: Liebes Kind, laß dich 
ein wenig zur Ader. — Warum das? fragte ich. — Wegen des 
Falles, erwiderte er. — Iſt ſie denn etwa, verſetzte ich, vom 
Sankt⸗Salvator⸗Turm heruntergefallen, daß ſie ſich des— 
wegen brauchte zur Ader zu laſſen? — Ihr verſteht das nicht, 
fuhr der Doktor fort, dieſe Kontuſion vom Lapsus, indem ſie 
die hypochondriſchen Teile zurückgedrückt hat, könnte ein ſo 
unheilbares prokluvium sanguinis veranlaſſen, daß durch den 
Livor des Geſichtes eine beſtändige Cicatrix zurückbleiben könnte. 

Und alsbald, ſagte ich, wird dann der Arcturus meridionalis 
zur metaphyſiſchen Circumferenz des korporiſchen Vegetativs 
ſchlagen, und das Blut wird ſich aus dem Hepar evakuieren. 

Wie? Was? rief der Doktor, ich verſtehe Euch nicht. 

Nicht? erwiderte ich; dann verſteht Eure Frau Euch noch 
weniger; denn ſtatt ihr zu ſagen, daß von dem Falle ein Zu: 
fluß des Blutes entſtehen kann, welcher eine Narbe zurück— 
laſſen könnte, ſprecht Ihr mit ihr in unverſtändlichen Yatei- 
niſchen Ausdrücken. Legt etwas lindernde Salbe oder Balſam 
oder Saft von Rettichblättern auf, und laßt alles übrige 
fahren. 

Ich glaube auch, ſagte ſie lachend, daß dies das Beſte ſein 
wird. Schlimmer aber iſt, daß ich den Appetit verloren habe. 

Lege, ſagte der Doktor, etwas Wermut auf die Magen⸗ 
grube und nimm ein Kliſtier. Damit und mit einer Maſſage 
der unteren Teile, verbunden mit dem gehörigen Stuhlgang, 
wird alles wieder in Ordnung ſein. 

Das laſſe ich mir gefallen, rief ich, aber wenn die jungen 
Arzte in ihrem Jargon reden, ſo könnte man ſterben, bevor 
man ſie verſtünde. 

26 


Sollen denn, fragte der Doktor, die gelehrten Leute wie 
Ignoranten ſprechen? 

Was den Inhalt betrifft, antwortete ich, gewiß nicht; aber 
warum ſollen ſie übrigens nicht ſo reden, daß man ſie ver— 
ſteht? Als der Graf von Lemos, Don Pedro de Caſtro, ſeine 
Herrſchaft in Galizien aufſuchen wollte, bekam der große, 
ſchwere Mann, der ein ſtarker Waſſertrinker war, unterwegs 
infolge der Ermüdung eine Krankheit, welche die Arzte 
Hämorrhoiden nennen, und da er ſeinen Arzt nicht bei ſich 
hatte, ſagte Diego de Osma zu ihm: Es iſt hier einer, der 
Euer Gnaden den Puls zu fühlen wünſcht. — So ruft ihn! er— 
widerte der Graf. Er wurde gerufen, und der gute Mann, der 
erfahren hatte, um welche Krankheit es ſich handelte, gedachte 
ſich ſeines mediziniſchen Wortſchatzes ausgiebig zu bedienen, 
weil er ſich dadurch der Gunſt des Grafen zu verſichern meinte. 
Er zog ſich ein ſehr abgeſchabtes, zwiſchen Blau und Schwarz 
ſpielendes Gewand und einen altmodiſchen Überrock an, trat 
in den Saal, wo der Graf ſich befand und ſagte: Ich küſſe 
Eurer Herrlichkeit die Hand. — Willkommen, Doktor! begrüßte 
ihn der Graf. Ich höre, fuhr der Arzt fort, daß Eure Herr— 
lichkeit am Orificium leiden. Der Graf, der ausnehmend 
viel Vergnügen am Scherzen fand und ihn ſogleich durch— 
ſchaute, fragte: Doktor, was bedeutet das, Orificium? Gold— 
ſchmied? Oder was? — Herr, erwiderte der Arzt, Orificium iſt 
jener Teil, durch den ſich die interioren Unreinigkeiten inundieren, 
exonerieren und expellieren, die von der Dekoktion der Nah— 
rung zurückbleiben. — Erklärt Euch deutlicher, Doktor! ſagte 
der Graf; denn ich verſtehe Euch nicht. — Herr, erwiderte der 
Arzt, Orificium kommt von os oris und facio facis, bedeutet 
alſo ſozuſagen os kaciens; denn wie wir einen Hauptmund haben, 
durch den die Nahrung eintritt, ſo haben wir auch einen andern, 
durch den die Rückſtände hinausgehen. Der Graf, obwohl krank, 

27 


wollte fich ausſchütten vor Lachen und fagte zu ihm: Von dieſer 
Eigenſchaft heißt es auf kaſtilianiſch alſo (und er nannte es 
bei ſeinem Namen). Geht, Ihr ſeid kein guter Arzt; denn 
Ihr ergeht Euch in leerem Wortgeklingel. Der Doktor machte 
ſich beſchämt davon, und der Graf lachte dermaßen, daß 
Bett und Saal davon erzitterten. — Und ich bin überzeugt, 
daß es für die Kranken eine Erleichterung iſt, wenn der Arzt 
in einer Sprache redet, die ſie verſtehen; dazu müſſen die 
Arzte auch freundlich und geſprächig ſein; es ſchadet nicht, 
wenn ſie einige Schwänke und Märchen mit Heiterkeit vortragen, 
wodurch der Kranke zerſtreut wird. Manche ſind aber ſo 
unwiſſend, daß ſie, um ihre Kur nur wichtig zu machen, das 
Übel jedesmal übertreiben und gefährlicher darſtellen. Der 
Nachläſſigkeiten im Erkennen der Krankheit und der Anwen 
dung der falſchen Medikamente nicht zu erwähnen. 

Das iſt die Manier der alten Arzte, antwortete mein Herr, 
ſo umſtändlich zu ſein und auf Nebenſachen zu achten; wir 
jüngeren machen es anders: wir laſſen zur Ader und purgieren 
und brauchen dann einige empiriſche Mittel 21. 

Darum, ſagte ich, hüte ich mich auch, mich jungen Arzten 
anzuvertrauen. Ein Freund von mir, jung und ohne Erfab: 
rung, aber fleißig in ſeinen Studien, der ſich bei mir mit 
einigen Aphorismen des Hippokrates in Kredit geſetzt hatte, 
die er auswendig und bei Gelegenheit paſſend anzubringen 
wußte, bekam mich in ſeine Hände, als mich das erſtemal die 
Gicht befiel. Er ließ mich zweiundzwanzigmal ſchwitzen, und 
würde noch länger fortgefahren ſein, wenn ich nicht ſelbſt 
bemerkt hätte, daß mein Puls intermittierend ſei, worauf 
er denn ſagte, wir hätten uns in der Kur geirrt (als wenn 
ich auch damit zu tun gehabt hätte), und mich verlegen und 
beſchämt verließ. Dank der Konſtitution, die ich habe, und 
durch ſtrenge Diät wurde ich beſſer, und ſo begegnete ich ihm 
2 


unvermutet auf der Gaſſe, er rot vor Verdruß, und ich gelb 
von Krankheit, wo meine Zunge ihn dann noch übler zurichtete, 
als ſeine Kunſt mich behandelt hatte. Die großen Arzte, die 
ich genannt habe und kenne, ſuchen den Urſprung, die Ur— 
ſache und den Zuſtand der Krankheit zu erkennen, ebenſo 
das vorherrſchende Temperament des Kranken, auf daß ſie den 
Choleriſchen nicht wie den Phlegmatiſchen, oder den Sangui— 
niſchen wie den Melancholiſchen behandelten. 

In meinem Leben, ſagte der Doktor, habe ich keinen ſo 
gelehrten Escudero geſehen. Was wißt Ihr vom intermittie— 
renden Puls, und welche Zeichen habt Ihr von der Gicht, 
da ich kein Symptom an Euch wahrnehme, daß Ihr an einem 
von beiden leiden könntet? 

Den intermittierenden Puls, antwortete ich, habe ich ſchon 
öfter in ſchweren Krankheiten gehabt; ein junger Arzt in 
Malaga, der mich in einem hitzigen Fieber behandelte, erſchrak 
darüber ſo, daß ich, der Kranke, dem Geſunden Mut einſprechen 
mußte. Von dieſem Fieber befreite ich mich, indem ich eine 
große Flaſche kaltes Waſſer hinuntertrank. Dieſer Arzt wollte 
meiner nachgebliebenen Schwäche damit helfen, daß er mir 
verbot, in meinem Leben je einen Tropfen Waſſer zu trinken, 
was mir, einem Choleriſchen und in einem heißen Lande Ge— 
bornen, ſchlecht bekommen würde. Gegen die Gicht hilft mir 
ein guter Rat des Cicero: daß die wahre Geſundheit nämlich 
darin beſteht, zu genießen, was uns bekommt, und die Nahrung 
zu vermeiden, die uns ſchadet. Ich genieße keine wäßrigen 
Speiſen, ich trinke nicht zwiſchen den Mahlzeiten, ich eſſe nicht 
zu Abend, ich trinke Waſſer und keinen Wein; alle Morgen, 
ehe ich aufſtehe, reibe ich mir den ganzen Körper vom Kopfe 
bis zu den Füßen und nehme ein Brechmittel, wenn ich mich 
überladen fühle; hiermit und mit Mäßigkeit in allen Dingen 
bewahre ich mich vor der Gicht. 

29 


Um des Himmels willen, rief der Doktor aus: fagt mir 
doch, habt Ihr ftudiert? Und wo? Eure Ausdrücke und Euer 
ganzes Weſen gefallen mir ſo ſehr, daß, wenn ich ein großer 
Fürſt wäre, ich Euch niemals von meiner Seite laſſen würde. 
Sie ſagte dasſelbe und fügte hinzu: Ich bitte Euch, liebſtes 
Väterchen, erzählt uns die Geſchichte Eures Lebens; dadurch 
würdet Ihr mir und dem Doktor das allergrößte Vergnügen 
verurſachen. 

Unglücksfälle, antwortete ich, indem man ſie erzählt, be— 
trüben nur von neuem; darum erzählt nur der Glückliche gern 
ſeine Geſchichte; meine Schickſale ſind nicht von der Art, daß 
ich ſie meinem Gedächtniſſe gern wiederholte. 


Fünftes Kapitel. 


Seit dieſem Vorfalle war mir die Frau ſehr gewogen und 
ſuchte mir dies, da ſie von großmütiger Geſinnung war, bei 
jeder Gelegenheit zu beweiſen. Ich wurde dadurch um ſo mehr 
in Verlegenheit geſetzt, weil mich das Bewußtſein drückte, daß 
ich um ein Geheimnis wiſſe, das ſie beſchämen müſſe, und daß 
ich ihr bei dieſer Gelegenheit nützlich geweſen; auch fürchtete 
ich, ſie könnte auf den Argwohn geraten, daß ich dieſes Ge— 
heimnis vielleicht nicht immer verſchweigen würde. Sie wieder: 
holte ſehr oft, daß ſie darauf denke, mich als ihren Vater be⸗ 
ſtändig im Hauſe zu behalten, und deshalb wollte ſie mich 
endlich mit einer Verwandten, die reizend und noch jung 
war, verheiraten. Als ſie mir im Verein mit ihrem Manne 
dieſen Vorſchlag machte und ſie das Mädchen ſehr lobten und 
mir ſagten, wie ſehr ſie mich in meinem Alter pflegen könne, 
antwortete ich: Sennora, dieſen Schritt werde ich um nichts 
in der Welt tun; denn als ein alter Mann heiraten, heißt 
nur, ſich ſelbſt ſein Grab graben. Als ſie hierüber lachte, 
fuhr ich fort: In Italien haben ſie ein artiges Sprichwort, 
30 


daß, wer ſich alt verheiratet, die Krankheit des Böckleins 
hat: er ſtirbt entweder bald, oder er wird zum Bock. 

Iſt es möglich, rief ſie aus, daß ein ſo achtbarer Mann, 
wie Ihr, auf dergleichen fallen kann? — Sennora, antwortete 
ich, ich habe noch immer bemerkt, daß, wenn ein alter Mann 
ſich mit einem jungen Mädchen verheiratet, ihm alle andern 
Glieder des Körpers wegſchwinden, außer der Stirn, welche 
immer größer wird. Die jungen Mädchen ſind fröhlich, tanzen 
und ſpringen wie die Hirſchkühe, und die Männer, wenn ſie 
alt ſind, ſtehen neben ihnen wie die Hirſche. Kein Haſe wird 
von den Hunden ſo verfolgt, wie die junge Frau eines alten 
Mannes von allen Müßiggängern; jeder junge Burſche iſt ihr 
Verwandter, jede alte Botenfrau ihre Bekannte, in allen Kirchen 
hält ſie Andachten, entweder um ihrem Gatten zu entfliehen, 
oder um die Gevatterinnen zu beſuchen, uſw. Ich habe in 
meiner Jugend dieſe Laſt nicht auf meinen Schultern tragen 
wollen, und ſollte ſie jetzt auf meinen Kopf nehmen? 

Der Doktor lachte gewaltig, und ſie ſann auf eine Antwort, 
die mich überreden könnte; ſie führte mir manche glückliche 
Ehe an, daß alles Geſellſchaft ſuche und finde, daß die Einſam— 
keit zur Melancholie und Verzweiflung führen könne, und 
daß mein Entſchluß ihr zur Freude und mir zum großen Troſte 
gereichen würde. Da ſie mich aber auf keine Weiſe bewegen 
konnte, fragte ſie endlich: So ſeid Ihr alſo niemals verliebt 
geweſen? — Und zwar ſo ſehr, antwortete ich, daß ich Verſe 
gemacht und Händel gehabt habe, denn die Jugend iſt voll 
von tauſend Unvorſichtigkeiten und Torheiten. — Das wird mit 
Euch nicht der Fall geweſen ſein, erwiderte ſie, denn die 
verſtändigen Menſchen treiben alle Dinge auf eine andere Weiſe 
als diejenigen, die es nicht ſind. 

Das iſt mit mir nicht der Fall geweſen, fuhr ich fort, denn 
wer Kälte, Furcht und alle Unbequemlichkeiten der Nacht aus— 

31 


ſteht, zu einer Zeit, wo kleine Schrecken als große, und un⸗ 
bedeutende Kleinigkeiten als wichtige Dinge erſcheinen, der iſt 
nicht weiſe zu nennen. Was das letzte betrifft, ſo erinnere ich 
mich einer lächerlichen Geſchichte, die mir in meiner Jugend 
begegnet iſt. Im Viertel San Gines hatte ich eine Liebſchaft, 
und am Faſtnachtsdienstag trug mir meine Dame auf, ihr 
etwas Gutes zu bringen, um von den Fleiſchſpeiſen Abſchied 
zu nehmen; denn an dieſem Tage iſt es gebräuchlich, dergleichen 
zu fordern, aber auch erlaubt, es abzuſchlagen. Ich aber, um 
mich hervorzutun, weil es der erſte Dienſt war, den meine 
Dame von mir forderte, verkaufte einige Kleinigkeiten, die 
ich nachher ſehr entbehrte; und nachdem alles Geſchrei und 
Toben ſowie das Martern der Hunde vorüber war (denen 
man Töpfe und andere Dinge an den Schweif bindet, womit 
ſie wie toll herumlaufen), begab ich mich in eine Garküche, 
band in ein ſauberes Tuch eine Paſtete, zwei Rebhühner 
und ein Kaninchen und machte mich um elf Uhr in der Nacht 
auf den Weg, um es nach elf Uhr durch ein Fenſter hinein— 
zureichen. Da am folgenden Tage Aſchermittwoch war, ſo 
war, nachdem die Jungen ihr Geſchrei und ihre Späße mit den 
Hunden getrieben hatten, die Nacht ſehr ruhig; es konnte 
mich daher niemand ſehen, weil alle ſchon in den Häuſern 
waren. Als ich auf dem kleinen Platz San Gines ankam, 
hörte ich die Scharwache; ſchnell zog ich mich dort unter das 
Vordach zurück, wo gewöhnlich für das Totengedächtnis und 
die Exequien ein leerer Sarg zu ſtehen pflegt. Noch ehe die 
Scharwache zu mir kommen konnte, ſteckte ich das zuſammen⸗ 
geknüpfte Tuch durch ein großes Loch, das ſich unten in 
der Totenbahre befand, worauf ich einen Roſenkranz nahm, 
den ich immer bei mir trug, und ſo tat, als wenn ich betete. 
Die Wache kam, und da ſie mich für einen Flüchtling hielt, 
ſo nahm ſie mich feſt und fragte mich, was ich dort mache. 
32 


Der Alkalde trat auf mich zu, und als er meinen Roſenkranz 
und meine Ruhe ſah, befahl er, daß man mich loslaſſen und 
ich nach Hauſe gehen ſolle. Ich tat, als wenn ich fortginge, 
und als die Wache vorüber war, kehrte ich nach meinem Tuch 
und Abendeſſen zu dem unſeligen Sarge zurück; und obwohl 
ich wegen der nächtlichen Stunde und der Einſamkeit einige 
Furcht hatte, ſo ſtreckte ich doch, ſo weit ich nur reichen konnte, 
Hand und Arm aus, traf aber nirgend auf mein Tuch und 
deſſen Inhalt. Darüber überfiel mich Zittern und Froſt, und 
eine ſo ſchreckliche Begebenheit mußte mir wohl auf einem 
Kirchhofe, neben einem Sarg, zwiſchen elf und zwölf Uhr 
in der Nacht, bei einer ſolchen Ruhe, als wenn die Welt unter— 
gehen ſollte, tödliche Angſt verurſachen. Außerdem aber hörte 
ich noch in dem Sarg ein ſolches Klirren von Eiſen, daß es 
mir vorkam wie tauſend Ketten, die wohl von tauſend Seelen 
geſchüttelt würden, die hier ihre Qual des Fegefeuers er— 
duldeten. Ich erſchrak ſo heftig, daß ich Liebe und Abend— 
eſſen vergaß und mich tauſend Meilen weit wegwünſchte; ſo 
gut meine ſchreckgelähmten Glieder es zuließen, retirierte ich 
und entfernte mich, Schritt vor Schritt dicht an die Mauer 
gedrängt: denn mir war, als wenn ein Heer Verſtorbener hinter 
mir drein zöge. Indem mich dieſe Angſt gepackt hielt, wurde 
ich hinten am Mantel geriſſen, und dies entſetzte mich ſo, 
daß ich, wie vom Blitze gerührt, auf die Erde ſtürzte. Doch 
drehte ich den Kopf, um zu ſehen, ob mich ein Gerippe er— 
griffen hätte; ich fand aber nichts weiter, als daß mein Mantel 
ſich an einem Nagel der Kreuzigung, die dort iſt, verfangen hatte: 
darüber ermunterte ich mich etwas und faßte ein Herz, indem 
ich nun wohl wegen des Mantels und des Nagels beruhigt 
war, aber noch nicht wegen des Sarges. Ich ſetzte mich 
nieder, um auszuruhen, denn ich war ſo matt, als wenn ich 
hundert Meilen in der Sierra Morena auf- und niedergegangen 
3 33 


wäre. Ich dachte über den Vorgang nach, und wie ich am 
folgenden Tage beſtehen würde, wenn ich erzählen ſollte, was 
mir begegnet ſei, ohne etwas Bedeutendes geſehen zu haben. 
Denn wenn ich von einem Dinge, das mich ſo außerordentlich 
erſchreckt hatte, nicht den Grund entdeckte, ſo ſetzte ich mich 
in die Gefahr, für einen Feigling oder Lügner gehalten zu 
werden; wollte ich aber den ganzen Vorfall verſchweigen, fo 
erſchien ich in den Augen der Sennora Daifa als ein Geiziger, 
da ich nicht ſagen konnte was aus meinem Einkauf geworden 
war. Auf der andern Seite bedachte ich, daß eine unglückliche 
Seele meines armen Abendeſſens nicht bedurfte; ein Menſch 
konnte aber ſich unmöglich ſo klein machen, daß ich ihn nicht er— 
reicht hätte, als ich den Arm ausſtreckte. Endlich ſtellte ich folgende 
Betrachtung an: Iſt es ein Teufel, ſo wird er vor dem Zeichen 
des Kreuzes entfliehen, iſt es eine Seele, ſo werde ich von 
ihr erfahren, ob ſie Hilfe bedarf; und iſt es ein Menſch, ſo 
habe ich ebenſogut Hände und einen Degen wie er. Nun 
machte ich mich entſchloſſen an den Sarg, ich zog den Degen, 
wickelte den Mantel um meinen Arm und ſprach mit feſter 
Stimme: Ich beſchwöre dich und gebiete dir im Namen des 
Pfarrers dieſer Kirche, daß, wenn du ein böſes Weſen biſt, 
du dich von dieſem geheiligten Orte entferneſt; biſt du aber 
eine gequälte Seele, daß du mir ſagſt, was du wünſcheſt oder 
bedarfſt. Bei meiner Beſchwörung wurde das Geraſſel noch 
ärger, und je öfter ich dieſe Worte wiederholte, um ſo lauter 
erſchollen die Eiſenſchläge in dem Sarge, ſo daß ich zu zittern 
begann. Da ich merkte, daß meine Beſchwörung ohne Wirkung 
blieb, und daß, wenn ich meinen Eifer erkalten ließe, ich ohne 
Zweifel in meine vorige Angſt verfallen würde, ſo nahm ich denn 
den Degen zwiſchen die Zähne, faßte mit beiden Händen in die 
Offnung des Sarges hinein und hob ihn auf, worauf alsbald 
ein großer, ſchwarzer Hund mit einer Schelle am Schwanze 
34 


mir zwiſchen den Beinen hindurchlief, der, vor den Jungen flüch— 
tend, an dieſem heiligen Orte ſeine Sicherheit geſucht, und wie 
er hier die Fleiſchſpeiſen gerochen, ſich darüber hergemacht und 
ſie verſchlungen hatte. Das laute und unerwartete Geräuſch 
aber, das er im Hervorſpringen machte, entſetzte mich ſo, daß, 
ſowie er auf der einen Seite fortlief, ich mich auf der andern 
davongemacht haben würde, wenn er mir nicht mit der Schelle 
einen Schlag an das Schienbein gegeben hätte, daß ich mich 
nicht ſogleich fortbewegen konnte. Als ſich aber der Schmerz 
verloren hatte, mußte ich in das heftigſte Gelächter ausbrechen, 
und ſeitdem, ſo oft ich daran denke, ob ich mich nun allein 
oder auf der Straße befinde, wird es mir ſchwer, das Lachen 
zu unterdrücken. 

Der Doktor und ſeine Frau mußten ebenfalls lachen, und 
ich fuhr dann fort: Es war mir ſehr lieb, dieſem Vorfalle auf 
den Grund gekommen zu ſein, weil ich ſonſt wahrſcheinlich jene 
Stelle übel berüchtigt gemacht hätte, wie es ſo manche andere 
getan haben, die dieſen und jenen Ort in den Ruf eines ver— 
dächtigen bringen, weil ſie nicht unterſuchen, was ſie dort zu— 
fällig erſchreckte, und lieber tauſend Tollheiten und Narren— 
poſſen davon erzählen. So erzählte einer einmal, er habe ein 
Pferd voller Ketten und ohne Kopf geſehen, und es war nichts, 
als ein Tier, das von der Weide nach Hauſe ging, mit der 
Sperrkette an den Beinen. Unendlich iſt die Zahl der Albern— 
heiten, die in dieſer Beziehung erzählt werden, und es gibt 
kein Dorf, das nicht einen Ort hätte, der als nicht geheuer ver— 
ſchrieen wäre. — In Ronda wird eine Stelle für geſpenſtiſch 
gehalten, ſeitdem einmal eines Nachts ein Affe auf das Dach 
geklettert iſt und Ziegel auf die Vorübergehenden herunter— 
geworfen hat. Ich kenne nur zweierlei, was nächtlicherweile 
zu fürchten iſt: die Menſchen und der Nachttau; die erſteren 
können einem das Leben und der andere die Sehkraft rauben. 


3* 35 


Sechſtes Kapitel. 


Wie ich nun eben am beſten mit dem Doktor Sagredo und 
der Donna Mergelina de Aybar ſtand, bekam er einen Ruf 
nach einem Orte in Alt-Kaſtilien, wo ihm ein großes Gehalt an⸗ 
geboten wurde. Dieſen konnte er nicht ausſchlagen, teils weil 
er in ſeiner Lage dieſer Verbeſſerung bedurfte, teils weil er nun 
auch Gelegenheit hatte, ſein Talent mehr zu üben und die 
unentbehrlichen Erfahrungen, die ihm noch mangelten, ſeinen 
Kenntniſſen hinzuzufügen. Das Angebot ward alſo ange— 
nommen, und beide baten mich aufs dringendſte, ſie zu 
begleiten, was ich auch getan haben würde, wenn ich mich 
nicht vor dem kalten Klima von Alt-Kaſtilien gefürchtet hätte, 
da ich ſchon zu alt war, um mich noch daran gewöhnen zu 
können. Sie reiſten alſo ab, und ich blieb allein und ohne Unter— 
ſtützung. 

In dieſen Umſtänden wurde ich mit einem Hidalgo bekannt, 
der auf einem Dorfe in der Einſamkeit lebte, und der jetzt ge— 
kommen war, um einen Hofmeiſter oder Aufſeher für ſeine 
beiden jungen Knaben zu ſuchen. Er fragte mich, ob ich fie auf- 
ziehen wollte. Kinder aufzuziehen, antwortete ich, iſt das Amt 
einer Amme, und nicht eines Escudero. Er lachte und ſagte: 
Ihr ſeid ſpaßhaft; auf meine Ritterehre, Ihr ſollt mit mir 
gehen; werdet Ihr Euch in meinem Hauſe nicht gut befinden? — 
Ich antwortete: Jetzt wohl; wie es in Zukunft ſein wird, weiß 
ich nicht. — Warum? fragte der Hidalgo. — Weil man, ſagte ich, 
auf dergleichen keine beſtimmte Antwort geben kann, bis man 
es verſucht hat; man ſollte Diener niemals fragen, ob ſie 
dienen wollten, ſondern ob ſie dienen könnten; denn daß ſie 
dienen wollen, beweiſt nur ihre Not; aber daß ſie dienen können, 
Geſchicklichkeit und Erfahrung in bad Rn dem fie ſich 
unterziehen. 

36 


Ich glaube, fagte der Hidalgo, daß Ihr die nötige Geſchick— 
lichkeit beſitzt, und mein älteſter Sohn wird in der Lage ſein, 
Euch einmal viel Gutes zu tun; denn er hat die Ausſicht, 
von ſeiten ſeiner Mutter ein großes Vermögen zu erben, welches 
jetzt noch die Großmutter verwaltet; von dem älteren Sohne 
von dieſer, an welchen es fällt, ſind nur zwei ſchwächliche 
Enkelchen vorhanden; wenn dieſe und der Vater ſterben, ſo 
bleibt mein Sohn der Erbe. 

Das iſt ſo wie mit jenem, antwortete ich, der Luſt hatte, 
ſich einmal an Datteln recht ſatt zu eſſen; dieſer ging nach 
der Berberei, kaufte dort ein Stückchen Landes, pflanzte einen 
Dattelbaum darauf und wartet nun noch immer, daß er 
Früchte tragen ſoll. So ſoll ich auch auf drei Todesfälle 
warten, wo ich doch wahrſcheinlich von allen dem Tode am 
nächſten bin. Zur Hoffnung gehört ein langes Leben; eine 
zu weit geſteckte Hoffnung verkürzt es, und darum bin ich 
von jeher lieber arm geblieben, als daß ich ſolchen Träumen 
huldigen wollte. 

So ſprechen die Verzweifelnden, ſagte der Hidalgo, die lieber, 
anſtatt zu hoffen und zu dulden, ihr ganzes Leben hindurch 
arm bleiben. | 

Und gibt es eine größere Armut, rief ich aus, als fid) bes 
ſtändig nur vom Winde zu nähren? Sein Leben ſelbſt zu ver— 
lieren und immerdar von jenem unerſättlichen Durſte nach 
Reichtümern gequält zu werden? 


Siebentes Kapitel. 


Wir haben aber, fuhr der Hidalgo fort, wie mir ſcheint, 
den erſten Gegenſtand unſerer Unterhaltung aus den Augen 
verloren, nämlich die Erziehung und den Unterricht meiner 
Kinder. 

97 


Was die Erziehung betrifft, erwiderte ich, fo find dabei un— 
zählig viele Dinge zu beachten. Am ſchwierigſten iſt es in 
vielen Fällen, böſe Sitten und Gewohnheiten auszurotten, die 
ſich in der Familie ſchon vererbt haben und oft ſchon auf 
Großvater und Vater und von dieſem auf den Sohn ge— 
kommen ſind. So wie es auch im Gegenteil Familientugen— 
den gibt, ſo daß in den Kindern ſich vortreffliche Eigenſchaften 
ohne Nachhilfe entwickeln können. Was den erſten Fall be— 
trifft, ſo wäre es dann am dienlichſten, daß die Kinder ihre 
Eltern gar nicht kennen lernten und entfernt von dieſen 
erzogen würden. Umgang und Umgebung wirken überhaupt 
auch an ſich ſelbſt auf junge Gemüter, und die Gewohn— 
heit, die hieraus entſteht, wird zur zweiten Natur; der Lehr— 
meiſter ſelbſt aber muß von der Art ſein, daß ſein Beiſpiel 
mehr als ſein Unterricht belehren kann. 

Wenn es Euch gefiele, ſagte der Hidalgo, ſo ſollten wir 
dieſen Gegenſtand noch weitläufiger beſprechen. | 

Wenn ſich ein anderes Mal die Gelegenheit findet, antwor— 
tete ich; denn dieſe Materie iſt gar zu weitläuftig, um ſie 
ſo kurz abzuhandeln, wie uns die Zeit und der Ort, wo wir 
uns befinden, doch zwingen würden. 


Achtes Kapitel. 


Dieſes ganze Geſpräch fiel vor, während dieſer Hidalgo 
und ich uns über das Geländer der Segovianiſchen Brücke 
lehnten und in das Feld hinausſahen. Es kam eine anſehnliche 
Herde von Rindern, worauf ich zu ihm ſagte: Dieſe Rinder 
werden in großer Eile und dicht gedrängt über die Brücke ge— 
trieben; wir wollen ihren Ungeſtüm nicht abwarten. — Fürch— 
tet nichts, ſagte der Hidalgo, denn ich werde Euch und mich 
beſchützen. — Beſchützt Euch nur ſelbſt, ſagte ich, denn mich 
ſoll dieſe Mauer ſicherſtellen, die von der Brücke bis zum 
38 


Fluß hinabgeht; ich laſſe mich nicht gerne mit Volk ein, das 
nicht ſpricht, auch kämpfe ich nicht mit ſolchen, die doppelte 
Waffen auf der Stirne führen. 

Er aber blieb feſt ſtehen, und ich verbarg mich hinter der 
Bruſtwehr. Vorher trabte ein Maultier über die Brücke mit 
zwei Weinſchläuchen, und zwiſchen beiden ein Neger reitend. 
Die Ochſen aber, die ſchnell liefen und von ihren Führern 
noch mehr angetrieben wurden, holten bald das Maultier ein, 
und als dieſes ſich von allen Seiten von den gehörnten Tieren 
umgeben ſah, wurde es ſcheu und ſchlug ſo heftig von 
hinten aus, daß es den Neger und die beiden Weinſchläuche 
zwiſchen die Hörner eines jungen, muntern Bullen warf. Der 
Stier ſprang umher und ſchleuderte den einen Schlauch über 
die Brücke in den Fluß, zwiſchen viele Wäſcherinnen hinein. Der 
Hidalgo, um den Neger zu befreien und ſich ſelbſt zu ver— 
teidigen, zog den Degen, und indem er dem Stiere einen Stoß 
beibringen wollte, durchſtach er den andern Schlauch an zwei 
Stellen, worüber ſich das Volk der Lakaien außerordentlich 
freute. Er ſelbſt aber empfing von dem Stiere einige Stöße, ſo 
daß er ſich mit verſchiedenen Beulen am Kopfe nach dem Ge— 
länder der Brücke zurückziehen mußte. In einem Augenblicke 
war die Herde vorüber, und eilig machten ſich die berittenen 
Führer an den Schlauch, der auch ſchnell verſchied, ohne einen 
Tropfen Bluts in ſich zu behalten. Die Wäſcherinnen machten 
ſich indes an den andern, welcher in den Fluß gefallen war, 
und jede kam mit ihrem Töpfchen herbei, ſo daß auch dieſer 
in wenig Augenblicken ausgeleert war. Den zerſtoßenen Neger 
ſetzten ſie auf ſein Maultier, und ich weiß nicht, was aus 
ihm geworden iſt. 

Ich ging zu meinem Hidalgo, nicht um ihm vorzuwerfen, 
daß er meinem Rate nicht gefolgt ſei, ſondern um ihn abzu— 
wiſchen und ihn zu tröſten, indem ich ihm ſagte, daß er ganz 

89 


wie ein mutiger Hidalgo gehandelt habe. Er war über meinen 
Zuſpruch ſehr aufgeblaſen, obgleich die Verwirrung in ſeinem 
Geſichte nicht zu verkennen war. Um ihn aufzuheitern, machte 
ich ihn darauf aufmerkſam, wie das Geſindel den Schlauch 
zurichtete, und wie vergnügt die Wäſcherinnen wären, die dem 
jungen Stiere tauſend Segenswünſche nachriefen und zum 
Himmel flehten, daß alle Tage dasſelbe geſchehen möchte. 
Und nachdem die beiden Gruppen den Schläuchen die Seele 
ausgetrieben hatten, kehrten ſie zu ihren alten Gepflogenheiten 
zurück: die Lakaien ſchlecht von ihren Herren und der Re— 
gierung zu ſprechen, und die Wäſcherinnen Jungfrauen und 
Mönchen Übles nachzuſagen. 

Der Hidalgo, obwohl er über dieſen Vorfall etwas verſtimmt 
war, fuhr doch fort, mir ſehr ernſthaft zuzureden und in mich 
zu dringen, mit ihm zu gehen. Ich konnte mit mir ſelbſt nicht 
einig werden. Auf der einen Seite ſchien es mir unanſtändig, 
mich als Müßiggänger umherzutreiben; auf der andern aber 
überlegte ich auch, ob es klug getan ſei, Madrid zu verlaſſen, 
wo man alles im Überfluß hat, um nach einem Dorfe zu 
gehen, wo es an allem fehlt. Drittens ſah ich, wie geneigt 
und freundſchaftlich ſich mir dieſer Hidalgo bezeigte; aber ich 
wußte auch, daß er nicht ſehr reich ſein konnte, und ſein 
Weſen zeigte deutlich, daß er nichts weniger als freigebig, 
ſondern im Gegenteil geizig ſei. Demungeachtet aber wollte 
ich ihm ſeine Bitte nicht geradezu abſchlagen. Ich ging mit 
ihm in ein vornehmes Haus, mit deſſen Beſitzer er verwandt 
oder befreundet war; denn es tat ihm not, ſich nach dem 
überſtandenen Kampfe etwas zu erfriſchen. Indem wir hinein— 
gingen, ſagte er dem Haushofmeiſter, daß er mich bewirten 
möge, und dieſer verſtand es ohne Zweifel ſo, daß er mir 
nichts geben ſolle, was auch geſchah, ſo daß ſich mir infolge 
des langen Faſtens beinahe die Bruft mit dem Rückgrat ver: 
40 


máblte. Es war fchon fpát, und ich ward in einen Speiſe— 
ſaal gewieſen, wo die vornehmſten Diener des Hauſes, die 
Edelleute und die Pagen aßen. Es war ſchon die Zeit des 
Abendeſſens, aber das Speiſezimmer war noch ſo finſter wie 
der unterſte Schiffsraum. Da trat ein Herrchen herein, zwar 
nicht groß, aber doch ziemlich gut gewachſen, mit bräunlichem 
Geſicht und hochgewölbten Augenbrauen, äußerlich beinahe 
einem Seidenſchmetterling gleich, reich an Worten und arm 
an Gedanken, und ebenſo hungrig als aufgeblaſen eitel; dieſer 
rief, als er das Gemach ſo finſter fand: Holla! Licht! Es 
kam ein Junge, mehr voller Lumpen als eine Papiermühle, 
und ſteckte eine Kerze in ein Loch, welches im Tiſche war. 
Man deckte ein Tiſchtuch auf, das ſo abgeſchabt ausſah wie 
das Schurzfell eines Gerbers. Der galante Herr zog eine kleine 
Serviette aus der Taſche, die zwar nicht ſonderlich rein war, 
aber doch weit mehr Löcher als Flecken hatte, und ſagte mit 
wichtiger Miene: Seit mehr als zwanzig Jahren trage ich ſie 
bei mir, teils damit ich mich nicht am Tiſchtuche beſchmutze, 
teils auch, weil ſie mir eine gewiſſe Dame gegeben hat, die 
ich nicht nennen will. 

Man ſetzte jedem einen Rettich vor, deſſen Blätter den 
Salat darſtellten, während er ſelbſt den Magenſchluß bildete. 
Ich konnte mich nicht enthalten zu ſagen, ſie ſeien vor dem 
ſchmerzhaften Harnleiden ſicher, ſowohl infolge des Genuſſes 
der Rettichblätter wie dank ihrer Mäßigkeit im Eſſen; denn 
man ſetzte ihnen nichts weiter vor als eine Ochſenlunge und 
Salz und Pfeffer. Da antwortete jener junge Menſch im hohen 
Ton: Im Hauſe meiner Eltern rühmte man immer die Tugend 
der Mäßigkeit, und weil man mich dazu erzogen hat, bin ich 
auch in allen meinen Handlungen mäßig. — Außer im Sprechen, 
bemerkte ein anderer Edelmann. Mein Vater, fuhr jener fort, 
hat nie mehr als einmal am Tage gegeſſen, und alsdann mit 


41 


der größten Mäßigkeit, außer wenn ihn der Herzog von Alba, 
ſein vertrauter Freund, zu ſich einlud; denn alsdann aß er 
mehr als alle die andern am Tiſche; er war der größte Hof— 
mann, ſo verſtändig und beredt, daß er allein einen ganzen 
Saal voll Leute unterhalten konnte; aber ungeachtet ſeiner 
Gaben hat er uns doch kein Vermögen zurückgelaſſen. Darüber 
verwundere ich mich nicht, antwortete ich, Worte waren das 
Kapital, ſo mußten die Zinſen wohl Wind ſein. 

Ich wartete indeſſen noch immer auf mein Abendeſſen. Ein 
Gericht Hammelkaldaunen aber beſchloß nun die Tafel, die 
zerriſſen wurden, weil nichts da war, ſie zu zerlegen. Mir 
ſchienen ſie dem Geruche nach unſauber, aber der Schwätzer 
machte ſich mit dem größten Heißhunger darüber her. Ich 
ſchickte ihm deshalb meine Portion auch noch, indem ich ſagte, 
daß ich ſchon gegeſſen hätte, und er verzehrte ſie ebenfalls unter 
Lobſprüchen auf ihre Vortrefflichkeit. Indeſſen war auch die 
Kerze herabgebrannt, und er rief: Du, Junge, bringe Licht! — 
Was denn für Licht? fragte dieſer; geht jetzt in Gottes Namen, 
fo habt Ihr keins nötig. — Auf meine Ehre, rief jener hier- 
auf, ich werde machen, daß man dir deinen Lohn nimmt. — 
Das ginge wohl an, ſagte der Junge, wenn man mir welchen 
gäbe; aber was man nicht bekommt, kann einem nicht genommen 
werden, und es iſt ja bekannt, daß man ſchon ſeit mehr als vier 
Monaten in dieſem Hauſe nichts erhalten hat. — O Schurke! 
ſagte der andere, mußt du mit ſolchen Reden vornehme Leute 
zu verunehren ſuchen? Fehlt es ſolchem Geſindel nur einen 
einzigen Tag, ſo fehlt ihnen auch die Geduld; ſie verlieren die 
Achtung und begnügen ſich nicht mit dem Anſehen, das fie ger 
nießen, indem fie einem fo hohen Herrn dienen; ſolche ver- 
ſtehen es nicht, bei vorfallenden Gelegenheiten zu lügen, wie 
ich gelogen habe, und das zu dulden, was ich erduldet habe; 
und doch weiß man, daß, wenn die großen Herren heute nichts 
42 


geben können oder wollen, ihre Gaben morgen um fo reich 
licher ausfallen. 

Ich habe auch Eure Kenntniſſe nicht, ſagte der Junge, und 
kann deswegen nicht in die Spielhäuſer gehen. Der Edel— 
mann wollte ihn nicht weiterreden laſſen, ſondern unterbrach 
ihn mit den Worten: Es iſt wahr, daß ich gewöhnlich ſpiele; 
denn ich habe noch heute abend Geld, einige Kleinode und ein 
goldenes Kettchen gewonnen. — Und habt doch nichts, um Licht 
zu beſchaffen? ſagte der Junge. Weil ich, antwortete jener, 
alles Geld denen gebe, die zuſehen. Das iſt nichts Beſonderes, 
ſagte der Junge, wenn es richtig iſt, daß der auch einmal gibt, 
der gewöhnlich immer bekommt. — Ich? fuhr der Aufgeblaſene 
auf. Grade wie es Euer Vater machte, fuhr der Küchen— 
junge fort. Mein Vater, ſagte der galante Herr, nahm es, 
weil man es ihm gab und er es verdiente. — Und Ihr, ſagte 
der Junge, weil Ihr darum bittet und es nicht verdient??, 

Während dieſer Zänkerei blieb das trübſelige Zimmer immer 
finſter, und ich ſagte zu dem Burſchen, er möchte ſchweigen und 
ſich nicht ſo ſehr gegen einen Vornehmen vergeſſen. Laßt es gut 
ſein, ſagte ein anderer Edelmann; denn wenn der Küchenjunge 
ſpricht, ſo ſpricht er nur für alle. Denn der Menſch verſchwärzt 
uns alle bei unſerm Herrn; er belacht und bewundert jedes 
Wort, was dieſer ſagt, trägt ihm zu und klatſcht über die ganze 
Welt. Alles dies und noch mehr habe ich ihm ſchon einmal 
ins Geſicht geſagt und ihn auf Degen gefordert. — Ich er— 
wartete nun einen heftigen Zank, als der Schwätzer eine laute 
Lache aufſchlug, worüber der andere ſich heftig erzürnte und 
fragte: Iſt denn nicht alles wahr, was ich geſagt habe? 
Jener aber ſagte mit erzwungenem Lachen: Das und noch 
weit mehr iſt die Wahrheit, und Ihr verſteht es nur nicht, daß 
Doppelzüngigkeit und Lüge im Palaſt notwendig und recht ſind; 
alles iſt hier Schmeichelei und Unwahrheit, und wer damit 

43 


nicht umzugehen weiß, wird es nie zu etwas bringen. Schon 
von meinem Vater habe ich es gelernt und geſehen; er war 
nur geliebt, wenn er von Abweſenden übel ſprach, und da er 
ſeine Verleumdungen auf eine anmutige Art vorzubringen wußte, 
ſo war er ungemein beliebt. 

Verdammt ſei, rief ich aus, wer ſie ſagt und wer ſie anhört 
und wer zu ihnen Aufmunterung gibt! 

Ei wie altfränkiſch! ſagte der Schwätzer. Und wie neu— 
fränkiſch Ihr! erwiderte ich ihm. Und ſchon wollte ich meinem 
zornigen Eifer in Worten die Zügel ſchießen laſſen, als ein 
heller Fackelſchein durch einige Offnungen fiel und den Tiſch 
der zwölf Pagen erleuchtete; alle wurden zu ihren verſchiedenen 
Dienſtgeſchäften abgerufen, und ich blieb ſo allein, daß ich die 
meinigen in dem Speiſeſaal verlaſſen und mich davonſchleichen 
konnte, was ich ſo heimlich wie möglich tat, ohne mich von 
irgendjemand zu verabſchieden oder mit jemand zu reden. Von 
Zeit zu Zeit blickte ich mich um, um zu ſehen, ob man mir 
folge wegen der Koſten, die ich durch die herrliche Kaldaunen⸗ 
mahlzeit, die ich nicht verzehrt, verurſacht hatte. Und als ich 
mich aus dieſer Grube der abgenagten Knochen befreit ſah, 
hatte ich das Gefühl, einem der unterirdiſchen algeriſchen Ge— 
fängniſſe entronnen zu ſein. Ich flüchtete mich in mein kleines 
Zimmer, wo ich von einem Dutzend Freunden meine Heiterkeit 
und Freiheit wieder erhielt, denn die Bücher machen den frei, 
der ſie liebt. Bei ihnen tröſtete ich mich und ſtillte meinen 
Hunger mit einem Stückchen Brot, das ich mir aufbewahrt 
hatte. 

Ich ſchlief in der Nacht nur wenig, weil ich den Tag über 
faſt nüchtern geblieben war, und um ſechs Uhr morgens war 
ich ſchon angekleidet. Ich machte mich auf den Weg nach 
einer kleinen Kapelle des Schutzengels, die jenſeits der Sego— 
vianiſchen Brücke liegt. 

44 


Der Tag war hell heraufgekommen, und die Sonne ftand 
groß und von gelber Farbe am Himmel. Außerdem ſah ich, 
daß in einer Schafherde, welche mir in der Nähe der Brücke 
begegnete, die Hämmel ſich aneinander drängten und von Zeit 
zu Zeit nach dem Himmel ſahen, woraus ich ſchloß, daß ein 
Ungewitter herannahe, und mich daher beeilte, zurückzukehren. 
Ich betete, und als ich vollendet hatte, trat der Eremit zu mir, 
der ein verſtändiger Mann zu ſein ſchien, und ſagte: Heute 
werden wir nicht einen ſo ſchönen Tag haben wie den des 
heiligen Iſidor, wenn Ihr damals vielleicht hier geweſen ſeid. 
— Wohl war ich hier, antwortete ich, und habe auch ſchon aus 
verſchiedenen Anzeichen abgenommen, daß wir heute bei weitem 
ſchlechteres Wetter haben werden. 

Mich erinnerten, ſagte der Eremit, an dieſem Tage die vielen 
Kutſchen und Wagen an große Flotten, die ich ſonſt wohl in 
Spanien und außerhalb geſehen habe. 

Derſelbe Gedanke fiel mir bei, antwortete ich, als ich mit 
einigen Gichtſchmerzen langſam hierher ſpazierte; ich erinnerte 
mich der Flotte von Santander, die ſo prächtig ausſah und der 
es ſo übel erging. Als ich auf die Mitte der Brücke gekommen 
war, nahmen mich zwei Edelleute in geiſtlichem Gewande in 
ihre Kutſche, ebenſo verſtändige wie verehrungswürdige Männer. 
Kaum war ich eingeſtiegen, ſo wurden die Pferde durch einen 
Streich wild, welchen ein Mann zu Pferde einem Hidalgo zu 
Fuß ſpielte, weil dieſer ihm hinderlich geweſen war, nach aller 
Bequemlichkeit mit einer Verſammlung von hundert Weibern 
ſprechen zu können, die in einer Mietkutſche fuhren, in welcher 
ſich immer gern eine ganze Verwandtſchaft nebſt ihrer Nachbar— 
ſchaft einzupacken pflegt. Als nun die Wagen in Unordnung 
gerieten, kam der Urheber dieſer Verwirrung, ſehr eitel auf das, 
was er ausgerichtet hatte, zu uns. Bernardo von Oviedo, einer 
der beiden Ritter, ſagte zu ihm: Wäre den Menſchen erlaubt, 

45 


alles zu tun, was fie könnten, fo würdet Ihr über das Unrecht, 
das Ihr begangen habt, nicht lachen. Der andere antwortete: 
Ihr müßt wohl nicht wiſſen, was das heißt, verliebt zu ſein. 
— Wenigſtens, ſagte Bernardo, weiß ich ſo viel, daß die Liebe 
uns nicht ungeziemende Dinge lehrt. Magiſter Franco ritt eben 
auf ſeinem Maultiere vorüber und ſagte zu dem Angreifenden: 
Grämt Euch nicht, mein Herr, denn wenigſtens habt Ihr durch 
den Streich, namentlich wenn Ihr noch ein Dutzend Biskuits 
dranwendet, die gute Meinung von zwölf Weibern gewonnen, die 
Euch für einen Alexander und Scipio halten werden. — Scherzt 
man über mich? fragte der tapfere Mann; beim Himmel, wenn 
die Herren nicht Geiſtliche wären, ſollte die Geſchichte wohl 
andere Folgen haben. — Darum hat es Gott eben beſſer ge— 
fügt, ſagte Magiſter Franco, denn ohne daß Ihr in den 
Bann zu geraten braucht, habt Ihr uns etwas zu lachen gegeben. 
Über alles dieſes war ein Edelmann, der ſich in der Nähe be— 
fand, ſehr erzürnt und ſagte: Wie konnte jener Hidalgo nur 
ſo viel Geduld haben, ſich nicht zu rächen, und wenn ſie ihn 
auch in Stücke geriſſen hätten? — Er tat vernünftiger, ſagte 
Bernardo, die Sache fallen zu laſſen, da ſeine Ehre nicht 
dadurch gekränkt wurde. 

Während ich alſo mit dem Eremiten ſprach, hatte ſich der 
Himmel ſchon verfinſtert, und die ſchwarzen Wolken jagten 
ſich untereinander. Ich nahm ſchnell Abſchied von ihm; er 
aber hielt mich zurück und ſagte, daß das Ungewitter mich 
überfallen würde, ehe ich noch die Brücke verlaſſen hätte. 
Alsbald praſſelte unter Donner und Blitz ein ſo heftiger Ge— 
witterregen hernieder, daß in weniger als einer halben Stunde 
die Flut faſt die Gewölbe der Brücke anfüllte. Wir wurden 
gezwungen, uns in der Einſiedelei zu verſchließen, gegen welche 
die Winde ſo ſtürmten, daß es ſchien, als wenn ſie das Ge— 
bäude umwerfen wollten. Hier ſeid Ihr beſſer dran, ſagte 
46 


der Eremit, als unterwegs. — Freilich, antwortete ich; kann 
man irgendwo ſich beſſer befinden, als im Hauſe des Beſchützers 
unſerer Leiber und Seelen? Aber Himmel, welche ſchrecklichen 
und ununterbrochenen Donnerſchläge! Welcher Platzregen! Wel— 
cher Sturm und Hagel! Seit ich nach Kaſtilien kam, habe ich 
es nicht geſehen, daß dieſes Land dergleichen Unwettern aus— 
geſetzt ſei, wie ſie wohl bei mir nichts Seltenes ſind, wo ſich 
hohe und ſteile Gebirge befinden, die uns oft Sturm, Regen und 
Wirbelwinde ſchicken. 

Aus welcher Gegend ſeid Ihr denn, fragte der Eremit. 

Ich, mein Herr, antwortete ich, bin aus Ronda, einer Stadt, 
die auf hohen und ſteilen Felſen liegt, und die ſehr den ſtürmi— 
ſchen Oft: und Weſtwinden ausgeſetzt iſt, fo daß, wenn die Ge— 
bäude nicht ſtärker als dieſes wären, die Sturmwinde ſie fort— 
führen würden. 

Ich habe bisher nie gewußt, ſagte der Eremit, aus welchem 
Lande Ihr gebürtig ſeid, obgleich ich Euch in Sevilla ge— 
kannt und in Flandern und in Italien Umgang mit Euch 
gehabt habe. 

Ich betrachtete ihn genauer und erkannte ihn wieder (er 
hatte nämlich in jenen Ländern als Soldat gedient). Ich 
umarmte ihn daher ſehr erfreut und erfuhr, daß er ſich, 
um Gott zu dienen, in die Einſamkeit eines Gebirges zurück— 
gezogen hatte; da er aber erkrankte, hatte er ſich wieder 
in die Nähe einer Stadt begeben, um hier als Eremit den 
Reſt ſeines Lebens zuzubringen. 

Die Wut des Ungewitters dauerte zwar nicht länger als eine 
Stunde, aber der Regen goß noch ununterbrochen bis zum 
folgenden Tage. Der gute Eremit hatte Kohlen; er zündete 
ein Feuerbecken an und lud mich ein, mit ihm von dem zu 
eſſen, was Gott ihm durch fromme Menſchen zugeſendet, deren 
es in Madrid gar viele gibt. 

47 


Neuntes Kapitel. 


Nachdem wir die Türen der Einfiedelei gegen den An: 
drang des Windes verſchloſſen und das Feuerbecken gegen die 
Kälte angezündet hatten, war uns, während draußen der 
Sturm und die Waſſer unaufhörlich rauſchten, der Aufenthalt 
darin ſehr angenehm. Wir aßen, und bei dem verſchloſſenen 
Hauſe war der Tag uns ſo finſter wie die Nacht. Der 
Eremit wiederholte ſeine vorige Frage, und da wir Muße 
hatten, eingeſchloſſen waren und uns mit nichts anderem be— 
ſchäftigen konnten, verweilten wir bei dem, was ſich uns dar— 
bot. Er fragte mich, wo ich ſtudiert habe, und wie ich ſo 
weit in der Welt herumgekommen, da ich doch an einem ſo 
einſamen und entlegenen Orte geboren ſei. 

Ich antwortete: So ſehr auch jene hohen und (reifen Felſen 
abgelegen ſind, und ihre Bewohner von den übrigen Menſchen 
abſondern, ſo leben demungeachtet Gelehrte dort, die mit 
manchen auf den Univerſitäten wetteifern können. Wir hatten 
dort einen Lehrer in der Grammatik, mit Namen Juan Can⸗ 
ſino, der nicht zu jenen gehörte, die man nur gewöhnlich 
Präzeptoren nennt, ſondern zu denen, welche das Altertum 
mit dem Namen der Grammatiker beehrte. Er war erfahren 
in allen Wiſſenſchaften, gelehrt in den humanen Kenntniſſen, 
von muſterhaften Sitten; und dieſer Mann, der uns in der 
lateiniſchen Sprache unterrichtete, machte ſelbſt ſehr elegante 
lateiniſche Verſe. Ihm fehlten von Geburt beide Hände; ſein 
muſtergültiger Wandel bewirkte aber, daß man die größte 
Ehrfurcht und Scheu vor ihm hatte. Er lehrte, man ſolle 
viel ſchweigen und wenig reden; denn, ſo ſagte er oftmals, 
das Reden iſt für die dringenden Fälle, das Schweigen für 
immer. Ich war in ſeinem lateiniſchen Unterrichte, wenn auch 
nicht der beſte, ſo doch keiner von ſeinen ſchlechteſten Schülern. 
Ich hatte auch ſchon in der römiſchen Sprache ziemliche Fort— 
48 


fchritte gemacht, fo daß ich nicht nur ein Epigramm verftand, 
ſondern wohl felbft eins dichten konnte, und hiermit und mit 
einiger Kenntnis der Muſik, die immer mit der Poeſie eine 
gewiſſe Verwandtſchaft gehabt hat, von meiner mich immer 
verfolgenden Unruhe angetrieben, faßte ich den Wunſch, mich 
irgend wohin zu begeben, wo ich meine Kenntniſſe wie meine 
Talente vervollkommnen möchte. Mein Vater, der meine 
Begier ſah, legte mir nichts in den Weg, vielmehr ſagte er 
zu mir mit der in jener Provinz gewöhnlichen Aufrichtigkeit: 
Mein Sohn, mein Vermögen erlaubt mir nicht, mehr für 
dich zu tun, als ich getan habe; gehe nun ſelbſt, dein Glück 
zu ſuchen. Hiermit gab er mir ſeinen Segen, überreichte mir 
ſo viel er mir geben konnte, und zugleich ein Schwert von 
Bilbao, das mehr wog als ich ſelbſt und mir auf der ganzen 
Reiſe nur zur Laſt fiel. 

Ich begab mich nach Cordoba. Dorthin kommt der Maul: 
tiertreiber von Salamanka, und alle aus den dortigen Gegen— 
den, die nach dieſer Univerſität reiſen wollen, verſammeln 
fic) in dieſer Stadt. Ich kehrte im Gaſthofe zum Potro? 
ein, wo der Eſeltreiber auch anhielt, und war, als ein junger 
Menſch, der zum erſten Male reiſt, ſehr erfreut, die Ebene 
von Cordoba zu ſehen. Ich ging ſogleich aus, die Haupt— 
kirche zu betrachten und um die Muſik zu hören. Hier 
ſprach ich mit verſchiedenen Menſchen, denen ich mich zu er— 
kennen gab, teils in der Abſicht, mir in der Fremde eine 
Zerſtreuung zu machen, als auch, um etwas zu hören und 
zu lernen, das mir nützlich ſein könnte. 

Ich begab mich hierauf in meine Herberge zurück und ließ 
mir zu eſſen auftragen, was es eben gab, denn es war ein 
Faſttag. Indem ich mich niederſetzte, machte ſich ein Gauner 
an mich, deren es in Cordoba ſehr abgefeimte gibt, und der 
wohl meinen Geſprächen in der Hauptkirche mußte zugehört 
4 49 


haben. Er fagte zu mir: Der Herr Soldat meint vielleicht, 
daß er hier ſo ganz unbekannt ſei; aber wißt nur, daß Euer 
Ruf ſich ſchon vor geraumer Zeit hier verbreitet hat. — 
Ich bin ein wenig eitel, ja etwas mehr als ein wenig, glaubte 
ihm ſogleich und ſagte: Wie? Ihr ſolltet mich kennen? Er 
antwortete: Dem Namen und dem Rufe nach ſchon ſeit lange. 
Er ſetzte ſich zu mir nieder und ſagte: Ihr heißt N. N., ſeid 
ein großer Lateiner, ein Poet und Muſiker. Darüber blies 
ich mich nicht wenig auf, und fragte ihn, ob er nicht mit 
mir eſſen wolle. Er ließ ſich nicht lange bitten, langte zu 
und verzehrte etliche Eier und einige Fiſche. Ich ließ mehr 
auftragen, und er rief: Frau Wirtin, Ihr wißt nicht, wen 
Ihr in Eurem Hauſe beherbergt: dieſer junge Herr iſt der 
geſchickteſte Mann, den wir in ganz Andaluſien haben! Dieſe 
Worte gaben mir mehr Eitelkeit und ich ihm mehr Speiſen; 
er fuhr fort: Da hier in der Stadt ſelbſt immer viele talent: 
volle Männer leben, ſo haben ſie auch Kenntnis von allen 
denen, die ſich in den benachbarten Gegenden aufhalten; aber 
trinkt Ihr keinen Wein? — Nein, mein Herr, antwortete ich. 
— Daran tut Ihr nicht gut, erwiderte er, denn Ihr ſeid ja 
ſchon ein erwachſener Mann; und auf Reifen und in den 
Schenken, wo man meiſt nur ſchlechtes Waſſer findet, iſt 
es notwendig, Wein zu trinken: überdies begebt Ihr Euch 
nach Salamanka, einer ſehr kalten Gegend, wo ein Trunk 
Waſſer den Menſchen auf ſehr lange krank machen kann. 
Wein, mit Waſſer gemiſcht, gibt dem Herzen Mut, dem Ges 
ſichte Farbe, vertreibt die Melancholie, ſtärkt auf dem Wege, 
macht den Feigen tapfer und mäßigt die Hitzigen; zugleich 
vergeſſen wir durch ihn alle Verdrießlichkeiten. Er ſprach ſo 
viel über den Wein, daß ich ein halbes Maß vom beſten 
bringen ließ, das er austrank, weil ich nicht den Mut hatte, 
mitzutrinken. Der gute Mann trank und fing von neuem 


50 


meine Lobeserhebungen an; ich hörte ihm ſehr gern zu, und mein 
Wohlgefallen daran ließ wieder mehr Speiſen auftragen. Er 
fuhr fort zu trinken und andere Dabeiſtehende auch einzu— 
laden, indem er ſagte, ich ſei ein Alexander. Ich kann mich 
nicht ſättigen, Euch anzuſehen, rief er, indem er mich ſcharf 
betrachtete, denn Ihr ſeid ja der N. N.; hier lebt ein Hidalgo, 
der die Männer von Talent ſo ſehr liebt, daß er gern zwei— 
hundert Dukaten darum geben würde, wenn er Euch in ſeinem 
Hauſe ſehen könnte. Auch dieſe großen Worte ließ ich mir 
glatt eingehen, und als die Mahlzeit beendet war, fragte ich 
ihn, wer denn dieſer Ritter ſei. Er ſagte: Begleitet mich in 
ſein Haus, denn ich will Euch dieſem Herrn vorſtellen. Wir 
gingen; jene, ſeine und des Weines Freunde begleiteten uns, 
und als wir nach dem St.-Peters-Viertel gekommen waren, 
trafen wir in einem großen Hauſe einen blinden Mann, der 
von Stande zu ſein ſchien. Der Schelm fing nun an zu 
lachen und ſagte zu mir: Dieſer iſt der Hidalgo, der gern 
zweihundert Dukaten geben würde, wenn er Euch ſehen könnte. 
Ich war über den Spaß ſehr böſe und ſagte: Ich würde ſie 
auch ſehr gern geben, um Euch am Galgen zu ſehen?“. 

Sie gingen fort, und ich fühlte mich ſehr beleidigt, ob— 
gleich das, was er vom Blinden geſagt hatte, wohl nicht die 
Unwahrheit ſein mochte. Ich dachte aber nach, ob ich nicht 
etwas erſinnen könne, um dem Schelm ſeinen Streich mit 
einem anderen zu vergelten. Noch andere Studenten warteten 
in der Stadt auf den Maultiertreiber; ich machte Bekannt— 
ſchaft mit ihnen, und wir gingen in Geſellſchaft ſpazieren. 
Ich legte meine Reiſekleider ab und zog ein Studentenkleid 
an und darüber einen ſchwarzen Mantel von ſehr gutem Zeuge 
aus Segovia, den ich ſo trug, daß die Studenten ihn genau 
unterſcheiden konnten. Am Abend kam der Schelm wieder 
zu uns; er lachte noch, ich aber noch mehr, damit er nicht 
qe ; 51 


glauben follte, daß ich erzürnt ſei; ich ſagte ihm im Gegenteil, 
daß ich mir einen Mann von ſo feinem Verſtande zu meinem 
Freunde wünſche, worauf wir mit ſeinen Freunden von neuem 
darüber lachten, was er alles geſprochen und gegeſſen hatte. 

Er war in einem Hauſe bekannt, wo man um einen billigen 
Preis ziemlich gut aß; er forderte mich auf, für immer dort 
zu ſpeiſen, weil man mich dort höflich behandeln würde. Ich 
antwortete: Ich tue es gern, aber nur unter der Bedingung, 
daß ich in Eurer Geſellſchaft eſſen kann; ich muß nämlich 
einen Kaufmann erwarten, der auf den Jahrmarkt nach Ronda 
reiſt und mir einen Wechſel von hundert Dukaten auszahlen 
ſoll, und bis dieſer angekommen iſt, kann ich es nicht tun. 
— Seid darüber unbeſorgt, antwortete er, der ſchon gewonnen 
zu haben glaubte, ich will es ſchon machen, daß fie Euch fo 
lange borgen. — Nein, ſagte ich, ſchon der bloße Name des 
Borgens und Schuldenmachens verſetzt mich in die größte 
Angſt; ich will Euch auf ſo lange, bis der Kaufmann kommt, 
ein gutes Pfand geben, damit mir die Leute vertrauen können. 
— Tut wie Ihr wollt, ſagte der Biedermann. 

Ich ging nach meiner Herberge, und nachdem ich meinen 
guten Mantel wohl zuſammengefaltet hatte, rief ich ihn bet: 
ſeite, worüber er ſehr vergnügt war, und ſagte ihm, daß er 
dieſen als Pfand nehmen möge. Ich ging mit ihm und ſah, 
wie er ihn ablieferte, worauf wir auf ihn zu zehren anfingen, 
der Gauner ſowohl wie die beiden Studenten. Ich war aber 
immer ſehr aufmerkſam, daß er nicht ohne mich in dies 
Speiſehaus gehen könne, damit er mir nicht einen Streich 
ſpiele. Jetzt kam der Eſeltreiber von Salamanka an, und 
wir beredeten mit ihm unſere Reiſe. Da der Betrüger fab, 
daß meine Wachſamkeit es ihm unmöglich machte, mir einen 
Streich zu ſpielen, ſo ließ er ſich wenigſtens von der Wirtin 
ein Dutzend Realen auf den Mantel geben, weil er raſch nach 
52 


auswärts müſſe. Ich hörte dieſen Handel und fagte: Wenn 
Ihr fortgeht, mein Herr, ſo ſagt auch noch dieſer Frau, 
daß, wenn ich mit dem Gelde komme, um den Mantel ab— 
zuholen, ſie mir ihn auch ausliefert. Dies tat er, denn 
ſeine Abſicht war, ſich ſo lange verborgen zu halten, bis der 
Eſeltreiber abgegangen ſei, um ſo das Pfand zu erbeuten. 

Er machte ſich unſichtbar, und ich ging zu einem Richter 
und ſagte zu dieſem, der ſelber ſtudiert hatte, mit großer 
Betrübnis: Mein Herr, ich bin ein Student und auf dem 
Wege nach Salamanka; während ich hier vierzehn Tage auf 
die Reiſegelegenheit gewartet habe, hat man mir einen Mantel 
geſtohlen, der mich zwanzig Dukaten gekoſtet hat; ich weiß 
aber, daß dieſer ſich in einem gewiſſen Hauſe befindet, und 
nun erſuche ich Euch, mein verehrter Herr, weil ich die Reiſe— 
gelegenheit nicht verlieren darf, daß Ihr mir, da Ihr ſelbſt 
ein Studierter und großer Gelehrter ſeid, beiſtehen möget, 
damit ich durch Hilfe der Juſtiz meinen Mantel wieder be— 
komme; denn der ihn mir geſtohlen hat, will nur den Augen— 
blick der Abreiſe abwarten, damit ich ihn ds nicht mebr 
belangen könne. 

Das ſoll ihm nichts nützen, antwortete der Richter, denn 
die Juſtiz ſoll Euch ſchleunig zu Hilfe kommen. Seht doch die 
Bosheit, einen armen Studenten, der vielleicht nichts anderes 
hat, um ſich in Salamanka mit Anſtand zu zeigen, ſo be— 
trügen zu wollen! Er gab ſogleich einem Alguazil und 
Schreiber Befehl, mir Recht zu ſchaffen. Ich teilte acht Realen 
zwiſchen dieſe beiden, um ſie in ihrem Geſchäft noch eifriger 
zu machen. So ging ich mit den beiden Studenten zu der 
Frau (was mir Gott verzeihen möge!), ließ den Schreiber 
und den Alguazil vor der Tür, und ſagte, daß ſie mir den 
Mantel herausgeben möge. Sie holte ihn, die Studenten be— 
trachteten ihn und erkannten ihn für den meinigen. Der Algua— 


53 


zil und der Schreiber kamen herein, und als man die Zeugen 
vernommen hatte, ſagte die Frau: ſie wolle den Mantel nur 
demjenigen geben, der ihn ihr als Pfand gebracht habe, 
welcher ein ehrlicher und ihr wohlbekannter Mann ſei. Der 
Schreiber brachte dies zu Papier und trug es dem Richter 
vor, der aber den Befehl gab, mir ſogleich meinen Mantel 
auszuliefern und jenen Schurken in das Gefängnis zu werfen. 
Hatte ſich dieſer aber erſt verſteckt, wegen deſſen, was er 
tun wollte, ſo tat er es nun um ſo mehr wegen deſſen, was 
man mit ihm vorzunehmen wünſchte. 

Wir reiſten mit dem Maultiertreiber ab und lachten unter: 
wegs darüber, wie wir auf ſeine Koſten gezehrt hatten. Ich 
billige dieſen Streich aber nicht, der ungeziemend und unedel 
war, und zu dem mich freilich in meinen jetzigen Jahren nichts 
würde bewegen können. 


Zehntes Kapitel. 


Der Maultiertreiber ließ uns ſo oft zu Fuße gehen, als es 
ihm nur einfiel. Er war ein roher, junger Kerl und hatte 
überhaupt nicht die mindeſte Achtung für angehende Studenten. 
In einem kleinen Orte fiel er daher darauf, uns einen Streich 
zu ſpielen, zum Teil, um uns zu zwingen, noch mehr zu Fuß 
zu laufen, hauptſächlich aber, um bei einem Frauenzimmer, 
das ziemlich hübſch war, ſein Glück zu verſuchen und uns ſo 
lange aus ihrer Geſellſchaft zu entfernen. Sie war auf der 
Reiſe, um ſich mit einem gewiſſen Beamten zu verheiraten. 
Er ſtellte ſich daher, als wenn ihm ein Beutel mit Geld 
geſtohlen worden wäre, und als wenn die Häſcher ſchon kämen, 
uns ins Gefängnis zu führen und zu foltern, bis es heraus— 
gebracht wäre, wer ihn hätte; dabei ſchwur er, uns im Ge— 
fängnis zu laſſen und ſich mit ſeinen Tieren ſo ſchnell als 
54 


möglich davonzumachen. Für junge Leute ohne Erfahrung waren 
dieſe Drohungen mehr als hinreichend; er verſetzte uns in ſolche 
Angſt, daß wir, die wir ſchon am Tage viel gewandert waren, 
noch die ganze Nacht hindurch liefen, fünf oder ſechs Meilen, 
und zwar in keinem gemäßigten Schritte, ſondern in eiliger 
Flucht über Wieſen und Hügel, fern von der Landſtraße hinweg, 
ohne einen Führer, der uns hätte zurechtweiſen können. 

Er lachte hinter uns drein und machte ſich nun mit ſeiner 
Zärtlichkeit und ſeinen plumpen Liebkoſungen an das Frauen— 
zimmer, das jetzt allein und ohne Hilfe war. Es geriet ihm 
aber nicht ſo, wie er gedacht hatte. Mit Hilfe eines arm— 
ſeligen Alguazils, der ſein Freund war, hatte er vorher die 
Komödie geſpielt, die uns alle vertrieben hatte; das Frauen— 
zimmer aber, das Mut und Kräfte hatte, verteidigte ſich gegen 
ſeine Gewalttätigkeiten ſo gut, daß ſie Mittel fand, ſich von 
ihm loszumachen, worauf ſie ſich ſogleich zum Alkalden ſelber 
begab. Dieſem erzählte ſie in der höchſten Erregung die ſchänd— 
liche Liſt, deren ſich der Maultiertreiber bedient hatte, um 
allen Beiſtand von ihr zu entfernen und ſich ihrer zu bemächtigen. 
Der wackere Mann, der des Eſeltreibers Unverſchämtheit und 
Sittenloſigkeit ſchon kannte, die arme Frau auch vor jedem 
künftigen Unheil beſchützen wollte, nahm die Sache ſehr ernſt 
und nannte es Unmenſchlichkeit, arme Studenten ſo zu behandeln. 
Er befahl ihm daher, eine Summe als Bürgſchaft nieder— 
zulegen, das Frauenzimmer unterwegs gut zu behandeln und 
ſie nicht im mindeſten zu beleidigen: nur unter dieſen Be— 
dingungen wolle er ihm die ſchwere Strafe erlaſſen, die er 
dafür verdient habe, daß er den Studenten auf ihrer Reiſe 
hinderlich geweſen ſei. Er drohte ihm dabei, ſich ja in acht 
zu nehmen, denn er wolle ihn, ohne alle Rückſicht, auf das 
ſchwerſte beſtrafen, wenn er ſich unterwegs Unverſchämtheiten 
zuſchulden kommen laſſe. Zugleich befahl er ihm, ſehr früh 

55 


aufzubrechen, um die ermüdeten und ausgehungerten Stu: 
denten bald wieder einzuholen 25. 

Wir flohen in der größten Eile davon und trennten uns, 
damit man uns um ſo weniger hören ſollte. Ich verfolgte 
einen Nebenweg, der von Bäumen verdeckt war, und ſtrengte 
mich an, ſo viel ich nur konnte, um hinter den andern nicht 
zurückzubleiben; aber meine Ermüdung war ſo groß, daß ich 
nach kurzer Zeit von keinem mehr etwas hörte. Ich legte das 
Ohr auf die Erde, aber ich konnte nichts ſpüren. Ich ruhte 
mich einen Augenblick aus und fing dann von neuem an zu 
laufen, aber rückwärts, während ich vorwärts zu kommen dachte; 
je weiter ich daher lief und je mehr ich vorwärts ſtrebte, je 
weiter entfernte ich mich von meinen Kameraden. Nun war 
mir, als wenn ich hinter mir in ziemlicher Entfernung Hunde 
bellen hörte, welche von meinen Gefährten im Vorbeilaufen 
wohl mochten unruhig gemacht worden ſein. Da ich dieſe 
Anſtrengung nicht gewohnt war, auch am Tage ſchon viel hatte 
wandern müſſen, fing der Schlaf ſich um die Zeit an zu 
melden, die ihm gehörte, und da ich durchaus nicht weiter 
konnte, ſo war ich gezwungen, ihm nachzugeben. Ich ent— 
deckte einen Korkbaum mit breitem Stamme, deſſen Rinde 
auf der einen Seite etwas ausgehöhlt war, ſo daß er eine 
Art von Lehne bildete. Dort ſetzte ich mich ermüdet nieder. 
Ich ſchlief ein; da man aber im Sitzen ſchlecht ſchläft, ſo 
fiel ich nach einer Seite wie ein Toter um. Endlich wachte 
ich auf; denn es kam mir vor, als liefen mir Ameiſen übers 
Geſicht. Ich wiſchte mit der Hand darüber und wandte mich 
auf die andere Seite. Dann wachte ich aus derſelben Urſache 
abermals auf; da aber die Müdigkeit ſo groß war, und 
der Schlaf ſo drückend, ſo ließ ich mich bald, obgleich mich 
an dieſer einſamen Stelle eine kleine Furcht anwandelte, wieder 
hinfallen. Nicht lange nachher, ſo wenig ich auch ſchon ausge— 
56 


fchlafen hatte, erweckte mich der Ton und das Seufzen einer 
höchſt kläglichen Stimme, welche aus der Erde zu kommen 
ſchien und die mich ſo entſetzte, daß ich faſt Atem und Leben 
verlor. Ich ſammelte mich, um den Klageton deutlicher zu hören, 
der mir jetzt näher zu ſein ſchien; da aber hohe Gebüſche 
um mich herum ſtanden, konnte ich den Urheber nicht ent— 
decken. Meine Angſt nahm zu, als zum dritten Male die 
Stimme in noch größerer Nähe erſchallte und ich auch das 
Weſen jetzt in der Finſternis gewahr ward. Wehe mir! ſo klagte 
es, die ich unglücklicher bin als die Sklaven in den unter— 
irdiſchen Kerkern der grauſamen Mauren! Wehe mir, die ich 
elender bin als diejenigen, die ihre Kinder vor ihren Augen 
zerfleiſchen ſehen! Jammervoller bin ich als alle, über die ein 
ſtrenger Richter das Todesurteil ſpricht! O du heilloſe Stelle! 
O du fluchwürdiger Baum! Ihr, die Zeugen von zwei Morden, 
die ich mit tauſend Leben zurückkaufen möchte! O warum 
flieht der Tod vor mir, da ich ihn ſuche? 

Ich ſtand auf, und ſie blieb in meiner Nähe ſtehn, ohne ſich 
zu bewegen; ſagte aber, während ich heftig zitterte, zu mir: 
Du biſt vielleicht ein Schatten, aus dem Totenreiche herauf— 
geſandt, um mich in die Geſellſchaft meines Gatten und meines 
Freundes einzuführen? Biſt du von dort, ſo weißt du es 
wohl, wie hier an dieſer Stelle mein Geliebter, ohne meinen 
Willen, meinen Gatten ermordete, um mich ungehindert zu 
beſitzen, und daß hier an dieſem nämlichen Baume der Lie— 
bende, welcher mir noch zu meinem Troſte geblieben war, 
die Strafe ſeines Verbrechens erlitt. Sieh ihn dort über dir 

hängen, ein Raub der Vögel! 

Da der Tag ſchon dämmerte, blickte ich auf und ent— 
deckte das ſchreckliche Schauſpiel: den Gerichteten, deſſen Würmer 
über mein Geſicht gekrochen waren und die ich für Ameiſen 
gehalten hatte, und ſowohl davon, als von dem Anblick des 
f 57 


verzweifelnden Weibes durch und durch erſchüttert, wäre ich 
faſt ohne Bewußtſein niedergeſtürzt. Aber tröſtlich drang jetzt 
der Ton von den Schellen und Glocken der Tiere des Eſel— 
treibers in mein Ohr, der ſchon aus dem Orte kam, und 
dem ich in der Nacht, ohne es zu wiſſen, entgegen gelaufen 
war; er hatte früher aufbrechen müſſen, um die Studenten 
wieder einzuholen. Die Unglückliche fuhr indeſſen in ihren 
Reden fort: Biſt du aber von dieſer Welt, ſo fliehe dieſen 
abſcheulichen Ort, ſtöre nicht meine Klage, die Nahrung 
meiner Verzweiflung, die ich jeden Morgen genieße. — Die 
Unſelige durfte mich wohl für ein Geſpenſt oder eine Er— 
ſcheinung aus dem Grabe halten; denn aus Furcht waren 
meine Wangen eingefallen, das Geſicht war verlängert und 
die Farbe bleich; der Mangel an Schlaf hatte die Augen 
tief in den Kopf geſenkt, der Hunger den Hals lang gemacht, 
und die Ermüdung Arm und Beine erſchlafft; den Mantel 
hatte ich wie einen Turban um den Kopf geſchlagen, ſo daß 
ich in der Tat einen ſcheußlichen Anblick gewähren mußte. Ich 
war nicht imſtande, ihr ein Wort des Troſtes zu ſagen, weil 
ich deſſen ſelber bedurfte. Wie eingewurzelt, blieb ich vor dem 
Bilde des entſetzlichen Weibes ſtehen, immer betrachtete ich 
die großen roten Augen, die lange Naſe, das eingefallene 
Geſicht, die gelben Zähne, die blauen Lippen, den ausgemergelten 
Hals; ihre dürren Arme ſchienen mir gewundene Schlangen, 
und alles an ihr war furchtbar. Alle meine Glieder waren 
ohne Bewegung, doch ſchleppte ich mich endlich langſam wie ein 
Stier, dem man die Kniekehlen zerſchnitten, aus ihrer Nähe, die 
dunkle Nacht und Einſamkeit verwünſchend. 


Elftes Kapitel. 


So geriet ich auf den Weg, wo der Maultiertreiber mich 
fand und mit höflichen Worten ſeine Tiere anhielt, mit artigen 
58 


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777. 


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Redensarten mich zum Aufſteigen einlud, und es ſehr be— 
dauerte, daß wir die Nacht ſo übel hätten zubringen 
müſſen. Ich fragte nach der Urſache dieſer Verwandlung, 
und die Frau erzählte mir, wie es zuſammenhing. Wir 
fanden bald die andern, und obgleich man mich fragte, wie 
es mir ergangen ſei, ſo ſagte ich doch nichts weiter, als daß 
ich mich verirrt habe. Ich verſchwieg aber mein Abenteuer, 
um nicht, weil es ſo ſeltſam war, ausgelacht zu werden, 
weil die übrigen hätten glauben können, ich wolle ihnen eine 
Lüge aufheften; darum bezwang ich meine Neigung, die ſehr 
ſtark war, ihnen die ſonderbare Begebenheit zu erzählen. 

Wir ſetzten unſere Reiſe fort, ohne daß uns etwas Be— 
merkenswertes begegnete; ich war immer ſtill, und wenn man 
mich um die Urſache fragte, ſo antwortete ich, daß meine 
Art und Weiſe ſo ſei. Aber immer ſah ich noch das gräßliche 
Weib, den fürchterlichen Baum, die Frucht, die daran hing und 
das Lager voller Würmer vor mir, bis wir nach Salamanka 
kamen, wo die Größe dieſer Univerſitätsſtadt mich alles übrige 
vergeſſen ließ. Ich ſah nun jene berühmten Gelehrten, deren 
Ruf ſich über ganz Europa verbreitet hat. So lernte ich 
den Pater Mancio kennen, deſſen Name überall genannt wird. 
Ich ſah den Abt Salinas, den Blinden, den größten Gelehrten 
in der Theorie der Muſik, der jemals gelebt hat, nicht allein 
im diatoniſchen und chromatifchen, ſondern auch im harmo— 
niſchen Fache 28; dieſem folgte nachher in feiner Stelle Ber: 
nardo Clavijo, ein ebenſo großer Theoretiker als Praktiker, 
der jetzt Organiſt Philipps des Dritten iſt. 

Vom Genuß des ſehr kalten Waſſers des Tormes und des 
dortigen köſtlichen Brotes befiel mich die Krätze, was allen 
ſtarken Eſſern begegnet; denn die ungewohnte Nahrung macht, 
unvorſichtig genoſſen, krank, namentlich in Salamanka; ſo 
wirkt die große Kälte und Leichtigkeit des Waſſers. Ich 

59 


hatte mich mit diefem und dem Brote fo überfüllt, daß ich 
am Weihnachtstage in ein heftiges Fieber verfiel. Ich 
ließ den berühmten Doktor und Profeſſor Medina rufen, und 
das erſte, was er verordnete, war, daß er mir das Waſſer ver— 
bot. Ich wandte ihm ein, daß er auf mein choleriſches Tem— 
perament und mein entzündetes Blut Rückſicht nehmen möchte, 
und er antwortete mir, als wenn er einen überaus weiſen 
Spruch von ſich gegeben hätte: Man weiß es ſchon, daß der 
Doktor Medina den Kranken das Waſſer verbietet. Das Fieber 
nahm zu; er gab mir einige ſtärkende Arzneien, die gar nichts 
halfen; denn den Choleriſchen muß man im Fieber mit Waſſer, 
zur rechten Zeit getrunken, und mäßigen Aderläſſen zu Hilfe 
kommen: mir aber war das Waſſer ſo unterſagt, daß ich 
keinen Tropfen in meinem Zimmer haben durfte. Man ver: 
ordnete mir Bäder mit zwanzig verſchiedenen Sachen darin, 
und ſtellte zu dieſem Behufe eine Wanne in meine Stube. 
Ich war ſo ungeduldig und vom Durſte ſo gequält, daß ich 
aufftand, fo gut ich konnte, um Waſſer zu ſuchen, und da 
ich nirgends etwas fand, ſtieß ich auf die Wanne, die voll 
Waſſer war, ſo kalt wie Eis; ich tat einige ſtarke Züge, die mir 
den Leib ſo wie ein lateiniſches Segel bei rückwärtigem Winde 
aufblieſen. Bald aber ſtellte ſich eine ſolche Unruhe und ſolches 
Úbelbefinden ein, daß ich in ein heftiges Erbrechen verfiel, 
wodurch mir der Unterleib wieder ſo leer wurde, daß ich den 
Bauch übereinander falten konnte. Am Morgen kam der Doktor 
und ſah die Wanne voller als er ſie verlaſſen hatte; denn ich 
hatte in ſie das Donnerwetter entladen. Er erkundigte ſich 
nach meinem Befinden, und ich ſagte ihm, daß ich vor Hunger 
umkomme. Er unterſuchte den Puls und fand ihn ohne Fieber; 
ſehr verwundert über dieſe plötzliche Veränderung, rief er aus: 
O wundertätiges Bad! Nie iſt in der Welt ein beſſeres Mittel 
erfunden worden; ich habe es noch niemand gegeben, dem es nicht 
60 


äußerſt heilſam geweſen wäre. — So werden fie es wohl, 
ſagte ich, ſo wie ich genommen haben? — Dieſes Bad, ſagte 
der Doktor, belebt und erfriſcht, indem es die inneren und 
äußeren Teile ſtärkt. — Und wie verordnet Ihr es denn 
andern? fragte ich. — Lau, antwortete er, und den ganzen 
Körper von außen gebadet. — So gebt es ihnen lieber kalt 
und zum Trinken, antwortete ich; denn ſo habe ich es ge— 
nommen, und es wird ihnen weit heilſamer ſein; worauf 
ich ihm den Fall erzählte. Er ſagte: Rectum ab errore! 
welchen Satz er fünf- oder ſechsmal wiederholte, vor Ver— 
wunderung ein Kreuz ſchlug und von mir ging, während ich 
geſund zurückblieb. 


Zwölftes Kapitel. 


Die Studenten könnten unmöglich all die Leiden und Drang— 
ſale überſtehen, welche ſie zu überwinden haben, wenn dieſe 
nicht in jene Zeit der Jugend fielen, in welcher man ſelbſt 
über das Unangenehmſte ſcherzen kann, ſo daß man gern 
erduldet, während der Geiſt ſich mit Kenntniſſen anfüllt, und 
mit der Ausſicht auf künftige Belohnung alle Übel erträglich 
ſcheinen. Aber dennoch muß ich geſtehen, daß meine natür— 
liche Ungeduld, zugleich mit der geringen Unterſtützung, die 
ich fand, oft die Kräfte meines Willens brachen, mich ſo 
anzuſtrengen, wie es wohl nötig geweſen wäre. Da die Jugend 
ſo viele Nahrung zum Wachstum und zur Erhaltung braucht, 
ſo iſt man in jenen Jahren nie geſättigt. Ich erinnere mich, 
daß, nachdem ich meine Portion verzehrt hatte, die ich am 
Freitiſch erhielt, ich noch ſechs Paſtetchen, deren jedes vier 
Maravedis koſtete, ohne Anſtand genießen konnte. 

Einmal war ich und drei Freunde im Viertel von San 
Vincente in der größten Not; doch war ich derjenige, der 
noch am erſten einiges Geld hatte, weil ich Stunden im 

61 


Singen gab, die mir freilich ſchlecht genug bezahlt wurden. 
Wir tröſteten uns gegenſeitig in unſerer Bedrängnis, und ich 
kann nicht umhin, einen Vorfall zu erzählen, der, wenn er 
auch zu geringfügig und unbedeutend ſcheinen ſollte, doch die 
Lage ſchildert, in welcher wir uns befanden. Eines Abends 
waren wir ſo ſehr ohne Geld und Geduld, daß wir halb 
verzweifelt aus dem Hauſe liefen; denn wir hatten kein Abend— 
eſſen, um den Hunger zu ſtillen, kein Licht, um uns zu 
leuchten, kein Feuer, um uns zu erwärmen, und es war eine 
Kälte, daß das Waſſer, welches auf die Straße geſchüttet 
wurde, gleich zu Kriſtall gefror. Ich war bei einem meiner 
Schüler, der mir ein paar Eier und ein kleines Brot gab; hiermit 
begab ich mich ſehr zufrieden nach Hauſe und fand meine 
Kameraden vor Froſt zitternd und halbtot vor Hunger, fo 
daß ſie gar nicht den Mut hatten, die Aſche umzurühren und 
einen Funken zu ſuchen. Ich ſagte ihnen, was ich mitbrächte, 
und ſie gingen, um einige Späne zu finden und die Glut 
wieder anzufachen. Sie kamen bald und ſehr vergnügt zurück, 
denn ſie hatten ein großes Stück Holz gefunden; dies legten 
ſie auf die wenigen Funken, die noch übrig waren, und nun 
blieſen wir alle drein, was wir nur vermochten, aber vergeblich, 
denn das Holz wollte nie in Brand geraten. Wir blieſen 
einer um den andern von neuem, aber das Stück entzündete 
ſich nicht, ſondern erfüllte das Zimmer mit einem ſtinkenden 
Dampf. Ich zündete an der geringen Glut ein Papier an, 
um das Gemach zu erhellen, und nun zeigte ſich's, daß 
das vermeintliche Holz das abgenagte Bein eines Maultiers 
war, welche Entdeckung uns alle mit würgendem Ekel erfüllte, 
ſo daß, hatten wir vorher nicht eſſen können, weil wir nichts 
beſaßen, wir jetzt, wo wir etwas hatten, vor Widerwillen nicht 
eſſen mochten. Damit war aber an jenem Abende unſer Un— 
glück noch nicht zu Ende; denn während wir vor der Tür 
62 


ftanden, weil wir den abſcheulichen Geſtank des Maultierholzes 
nicht ertragen konnten, ging der Corregidor Don Enrique de 
Bolaños, ein gar großer Herr, der für einen Spaß ſehr wohl 
zu haben war, mit der Wache vorüber. Dieſer fragte: Wer da? 
Ich zog ſogleich den Hut ab, machte eine tiefe Verbeugung 
und ſagte: Wir ſind Studenten, die von unſerm eignen Hauſe 
auf die Gaſſe geworfen ſind. Meine Freunde behielten die 
Hüte auf, ohne dieſem vornehmen Manne eine Höflichkeit zu 
erzeigen. Der Corregidor wurde unwillig und ſagte: Führt 
einmal dieſe groben Menſchen ins Gefängnis. Sie wollten 
ſich verantworten, ich aber ſagte mit der größten Höflichkeit: 
Ich bitte, gnädiger Herr, dieſe Armen nicht ins Gefängnis 
zu werfen, denn wenn Ihr ihren Zuſtand kenntet, würdet Ihr 
ſie nicht ſchuldig finden. — Ich will doch ſehen, ſagte der 
Corregidor, ob ich ſolche Studenten nicht Höflichkeit lehren 
kann. — Wenn man dieſen, antwortete ich, zu eſſen geben 
und den Froſt nehmen wollte, ſo würdet Ihr ſie höflicher 
machen als einen mexikaniſchen Indianer. Da er mir gern 
zuzuhören ſchien, ſo erzählte ich ihm unſer Abenteuer mit den 
Eiern und der Eſelfeuerung. Er lachte, und auf Unkoſten 
einiger Degen, die er vagabundierenden Scheinſtudenten ab— 
genommen hatte, füllte er ihnen den Magen mit Paſteten, 
Schweinefleiſch und Wein, und mir war er von dieſer Zeit an 
ſehr gnädig. 

In dieſem Leben brachte ich drei bis vier Jahre zu, bis 
man mir eine Stellung am Collegio de San Pelayo gab. Damals 
waren dort Don Juan da Llanos de Valdes, der jetzt Mitglied 
des höchſten Rates der Ingquiſition tft, mit feinen gelehrten 
Brüdern, und der Herr Vigil de Quinnones, der durch ſeine 
Verdienſte das Bistum von Valladolid erhalten hat. Alle 
Sonnabend unterwies er uns im Disputieren, und ich war 
auf dem Wege, viel zu lernen, als die Not meiner Eltern und 

63 


8 


das Verlangen, ihnen hilfreich zu fein, mich abriefen; denn 
man ſchrieb mir, ich ſollte ein kleines Vermögen erben, das 
mir ein Verwandter vermachen wolle, oder die Stelle eines 
Kaplans erhalten. 


Dreizehntes Kapitel. 


Ich verließ Salamanka mit ſo wenig Geld, daß ich nicht 
anders als zu Fuß reifen konnte; da ich aber an die Eins 
ſamkeit der Sierra Morena dachte, auf welche man trifft, 
wenn man den Weg nach Hinojoſa nimmt, wo man fünfzehn 
Meilen machen muß, ohne je über einen Ort zu kommen, 
und zugleich auch, um Madrid und Toledo zu ſehen, ging ich 
über die erſtgenannte große Stadt, dann über Toledo und 
Ciudad Real, wo eine tugendhafte und vornehme Nonne, Donna 
Anna Carillo, für meine Aufnahme ſorgte und mir zur Fort— 
ſetzung der Reiſe half. 

Als ich Ciudad Real verließ, ſtieß ich auf einen hübſchen 
jungen Menſchen, der ein Fremder zu ſein ſchien. Wir man: 
derten miteinander bis Almodovar del Campo, wo wir zwei 
feine Männer auf dem Wege einholten, die gemeinſchaftlich 
ein gutes Maultier hatten, und abwechſelnd darauf ritten. 
Wir fingen ein Geſpräch mit ihnen an, und es ſchien, daß 
ſie gern in unſerer Geſellſchaft bleiben wollten. Aus einzelnen 
Reden wurde mir deutlich, daß ſie es auf zwei Kaufleute 
anlegten, die mit einer ziemlichen Summe den Jahrmarkt 
von Ronda beſuchen wollten, was mir große Freude machte, 
weil mein Weg auch dahin gerichtet war. Gegen dieſe beiden 
Herren aber faßte ich Mißtrauen und ſah ihnen beſtändig auf 
die Finger und den Mund. 

Wir kehrten in dasſelbe Wirtshaus ein, und da ich ſchon 
Argwohn gefaßt hatte, ſo verlor ich kein Wort von ihrem 
Geſpräche, indem ich mich ſchlafend ſtellte. Der eine von ihnen 
64 


ging unaufhörlich in der Schenke ein und aus, bis endlich die 
Kaufleute angekommen waren. Beim Anbruche des Tages 
mietete der eine von ihnen ein Tier zum Reiten und machte 
ſich voran, indem er zu einer gewiſſen Abſicht einen ſehr 
ſchönen Ring mit ſich nahm. Dieſer ging als Diener vorauf, 
und der zweite blieb als Herr zurück. Früh am Morgen 
ſattelte letzterer ſein Maultier und wartete ſorgſam, bis die 
Kaufleute aufbrachen. Als dies geſchah, machte er ſich mit 
großer Höflichkeit an ſie und fragte, wohin ſie reiſten? Und 
da ſie antworteten, daß ſie nach dem Jahrmarkt von Ronda 
gingen, ſtellte er ſich ſehr erfreut und ſagte: So habe ich denn 
mehr Glück, als ich mir vorſtellen konnte, da ich ſolche vor— 
nehme Geſellſchaft antreffe; denn ich reiſe zu demſelben Jahr— 
markte, um eine Herde von zwei- oder dreihundert Kühen 
zu kaufen, und da ich dieſen Weg noch nie gemacht habe, 
wenigſtens nicht weiter als bis Ventasnuevas, ſo habe ich 
ſchon Angſt wegen der Gefahren ausgeſtanden, die denen wohl 
zu begegnen pflegen, welche Geld bei ſich haben; da ich nun 
aber euch, meine Herren, angetroffen habe, werde ich ſehr wohl— 
gemut reiſen, ſowohl wegen der angenehmen Geſellſchaft, als 
auch wegen des guten Rates, den ihr mir dort werdet geben 
können, weil ihr in Kaufmannsgeſchäften geübter ſeid als ich. 
— Sie verſprachen ihm alle Hilfe und Freundſchaft auf dem 
Jahrmarkte, weil ſie in der Stadt viele Bekannte hätten. 

Dieſe beiden Schelme, die, wie ich ſah, der beiden Kauf— 
leute wegen auf der Lauer gelegen hatten, waren falſche 
Spieler ?7. Auf dem Wege wurde viel gelacht, denn der Spieler 
war ein großer Schwätzer und erzählte Geſchichtchen, mit 
welchen er ſeine Begleiter ſehr angenehm unterhielt. Um nicht 
den Ausgang der Sache zu verſäumen, lief ich ſo ſchnell 
mit, als mir möglich war, indem ich mich von Zeit zu Zeit 
am Steigbügel hielt; denn da ich erzählt hatte, daß ich auch 
5 65 


nach Ronda wolle und von dort gebürtig fet, fo warteten Die 
Kaufleute zuweilen auf mich, bis ich nachkam. 

Als wir an eine gewiſſe Schenke gelangten, die das halbe 
Jahr über leer ſteht, auf der rechten Seite eines Abhanges, 
nahm der Spieler, während wir hinaufſtiegen, eine Art Zucker— 
werk aus ſeiner Taſche, welches, da es ſehr viel Gewürz ent— 
hält, den Durſt auf Büchſenſchußweite herbeiruft. Er gab 
jedem Kaufmanne etwas davon. Wir waren im Mai, und als 
wir an die Schenke kamen, die verfallen und ohne Menſchen 
war, wurden fie ſchon vom Durſt ſehr gequält, worauf der 
Spieler ſagte: Hier drin iſt eine ſehr friſche Quelle; wir 
wollen hineingehen, das Gebackene anzufeuchten, und wenn 
es euch gefällt, ſo habe ich hier einen Schlauch mit ſehr gutem 
Wein von Ciudad Real, womit wir unſern Durſt ſtillen können. 

Sie ſtiegen ab, und der Spieler ging voran in die Schenke; 
er machte ſich an die Quelle, und während ihm die Kaufleute 
folgten, bückte er ſich, um zu trinken, und rief plötzlich mit 
großer Verwunderung aus: Ei, was find ich hier? Mit dieſen 
Worten hob er den Ring auf, den der Schelm, ſein Begleiter, 
bei dieſer Quelle hingelegt hatte. Ein allerliebſter Ring, ſagten 
die Kaufleute; gewiß muß er irgendeinem Ritter gehört haben, 
der ſich hier die Hände wuſch und ihn dann vergaß; jedermann 
würde ſich freuen, ihn gefunden zu haben. — Wir alle drei, 
ſagte der Beutelſchneider, haben ihn gefunden, und er ſoll auch 
allen dreien gehören. — Wie fangen wir das an? fragte der eine 
Kaufmann. — Ihn auf ein Quinolaſpiel ſetzen, ſagte der Bes 
trüger, wenn wir nach der Schenke kommen; und wem ihn 
Gott dann gönnt, dem möge ihn Sankt Peter ſegnen. — Vor: 
trefflich! ſagten die Kaufleute. Der Ring war anſehnlich ge— 
nug, die Habſucht zu erregen, denn er war rundum mit zwölf 
Diamanten beſetzt, die, wenn ſie auch nicht groß, doch von 
reinem Waſſer waren, und in der Mitte war ein Rubin, in 
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Form eines Herzens gejchnitten, und die Arbeit am Ringe 
überhaupt vortrefflich. Alle wünſchten ſich den Ring, indem 
die Kaufleute unterwegs viel über die Nachläſſigkeit desjenigen 
ſprachen, der ihn verloren hatte; und während der Schelm 
dieſen verſpottete, machte er tauſend Späſſe mit dem Ringe, 
um ihre Habſucht noch mehr zu erwecken. 

Sie kamen in Ventasnuevas an, kehrten aber nicht in die 
erſte dieſer Schenken ein, ſondern begaben ſich zur zweiten, 
um dem Paſſe näher zu ſein. Sie ſtiegen ab, und der Beutel— 
ſchneider brachte ſeinen kleinen Schlauch mit dem alten feurigen 
Ciudad Real, dem ſie ſehr wohlgemut zuſprachen. In Eile 
aßen ſie nur eine Kleinigkeit, ſo gierig waren ſie alle auf den 
Ring, und noch mit dem Biſſen im Munde fragten ſie den 
Wirt, ob er ein Spiel Karten habe? Dieſer ſagte nein, der 
andere Spitzbube aber, der ſich dumm ſtellte, ſagte: Ich habe 
hier wohl etliche Spiele, die man mir in meinem Dorfe mit— 
gab; wenn man mir die bezahlt, will ich ſie wohl hergeben. 

Zeigt her, ſagte der Beutelſchneider; ich und dieſe Herren 
werden ſie Euch gern bezahlen. Er gab ihnen ein ſchon zu— 
gerichtetes Spiel, und da der Saft des Ciudad Real ſich ſchon 
des Herzens bemeiſtert und den Kopf mit Dunſt angefüllt 
hatte, ſo waren ſie ſehr fröhlich und ſetzten ſich wohlgemut 
zum Spiele nieder. Der Spieler ließ ihnen erſt die Wahr— 
ſcheinlichkeit zu gewinnen, aber plötzlich hatte er die ent— 
ſcheidenden Karten, bemächtigte ſich des Ringes und ſtimmte 
ein lautes Freudengeſchrei an. Die andern waren hierüber 
empfindlich und ſagten: Laßt uns um Geld ſpielen! Der 
Spieler weigerte ſich anfangs liſtig und ſagte, er wolle ſein 
Geld oder die Rinder, die dafür gekauft werden ſollten, nicht 
in Gefahr bringen; endlich aber ließ er ſich überreden und 
ſpielte dennoch. Er verlangte, man ſolle ihnen von dem er— 
quickenden Schlauche zu trinken geben, der an einen kühlen 
se 67 


Ort geftellt war, und nachdem fie ſich die Ohren erhitzt hatten, 
ſtreuten ſie die Geldſtücke wie Hagel umher, ſo daß ſie den 
ganzen Abend mit Spielen zubrachten. Einmal gewann der 
Schelm, ein andermal ließ er wieder die Kaufleute gewinnen, 
um ſein falſches Spiel zu verbergen; dann beklagte er ſich 
und ſagte: Ihr werdet mir heute abend noch vier- oder fünf— 
tauſend Taler abgewinnen, ſo ſehr bin ich auf das Spiel ver— 
ſeſſen! 

Als ich und der junge Burſche in die Schenke traten, ſagte 
man uns, daß Leute zu Fuß dort kein Nachtquartier finden 
könnten. Mit Demut nahmen wir dieſe Nachricht auf und 
blieben, um nur ein wenig auszuruhen. Mein Gefährte fragte 
mich traurig: Was ſollen wir nun anfangen? Ich antwortete: 
Laßt mich nur machen; ich will die Wirtin ſo beſchwören, 
daß ſie uns nicht aus der Schenke werfen werden. — Iſt 
ſie denn etwa beſeſſen oder eine Hexe? fragte er. — Sie 
ſieht faſt ſo aus, war meine Antwort; meine Meinung iſt aber 
nur, die allgemeine Beſchwörung für Weiber bei ihr anzu⸗ 
wenden. — Und welche iſt das? fragte er. — Gleich werdet 
Ihr es ſehen, erwiderte ich. 

Ich ging zur Wirtin, welche ein hinkendes und ſchlecht— 
gebautes Weib war; ihre Naſe war ſo klein, daß, wenn ſie 
lachte, man nichts davon gewahr wurde; die Augen waren. 
trübe und ſchmal, die Zähne lückenhaft und ſchwarz, ein An⸗ 
blick, abſchreckend genug, alle Vipern der Sierra Morena zu 
verjagen, ihr Atem roch nach Knoblauch und Wein; die Hände 
waren knotig, und ihre Kleidung war außerdem ſchmutzig 
genug. Trotz alledem ſagte ich zu ihr: Das muß doch 
ein böſes Schickſal geweſen ſein, welches eine ſo hübſche 
Frau, wie Ihr ſeid, hierher in dieſe Einſamkeit geführt hat. 
— Ihr beliebt zu ſpaßen, Herr Student, ſagte ſie. — Nein, 
wahrlich, antwortete ich, ſowie ich nur hereintrat, heftete ſich 
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mein Auge auf Euch, um nach der Ermüdung der Reife einen 
Troft zu ſuchen. — Es iſt nicht recht, fagte fie, ſchlechten 
Anzug zu verſpotten. — Das tu' ich auch gar nicht, ſondern 
Ihr kommt mir ſehr hübſch vor. — Hübſch? ſagte ſie, daß 
Gott erbarm'! — Da ich ſah, daß ſie anfing, mir zu glauben, 
fuhr ich fort: Was das für eine allerliebſte Art zu antworten 
iſt; alles paßt zu dem lieben Geſicht, und es iſt dieſelbe 
Luſt, zu hören wie zu ſehen. — Wenn Ihr meine Schweſter 
kenntet, fagte fie, die in der Schenke von Arcolea Wirtin iſt, 
ſo ſprächet Ihr die Wahrheit; denn alle Reiſenden kehren da 
auf einen Trunk ein, bloß um ihre luſtigen Einfälle zu 
hören. — Aber warum wohnt Ihr nicht näher an Cordoba? 
fragte ich. — Mein Herr, antwortete ſie, ein Menſch hat Brot, 
der andere Not. — Iſt es aber möglich, ſprach ich weiter, daß 
ſich noch niemand ſollte gefunden haben, der Euch aus dieſer 
traurigen Lage hätte helfen wollen? — Sie antwortete: Jeder 
Menſch hat an ſeiner eigenen Naſe zu putzen. — Wäre ich in 
der Lage, fuhr ich fort, ſo würde ich mir wahrſcheinlich eine 
Freude daraus machen, es zu tun; denn es tut mir weh, 
eine Frau von ſo ſchönen Gaben hier zwiſchen dieſen Bergen 
und Felſen zu ſehen. — Nur ſtill, erwiderte ſie, mein Mann 
und ich nehmen denen Geld ab, die welches haben, und dann 
wird ſich bei Gelegenheit alles finden. Wenn mein Mann 
Euch heut abend vielleicht noch einmal ſagt, daß Ihr aus der 
Schenke ſollt, ſo geht nur nach der Hintertür des Hofes, 
die ich offen laſſen werde. 

Sie ging weg, und mein Gefährte fragte: Nun, und die 
Beſchwörung? — Was wollt Ihr denn noch für eine größere, 
erwiderte ich, als daß man ein ſolches Scheuſal, das ausſieht 
wie das Eingeweide einer Kuh, ſchön nennt? 

Indem war die Nacht herbeigekommen, und die Kaufleute 
waren in Verzweiflung; denn durch die Kunſt des falſchen 

69 


po 


Spielers und durch die wiederholten Züge vom Ciudad Neal 
hatten fie alles Gold und Silber und auch die Geldkatzen, 
in welchen es aufbewahrt war, eingebüßt. Die Kaufleute 
wünſchten ſich zum Teufel und verwünſchten die Schenke und 
denjenigen, der ſie hineingeführt hatte, worauf ſie ſich nach 
der Schenke zurückbegaben, an der ſie erſt vorbeigegangen 
waren, um dort zu ſchlafen und dann nach Toledo zurückzu⸗ 
kehren. Der Wirt, der von den Ausgelernten war, hatte die 
Schelmerei wohl durchſchaut; ich aber konnte vor Unruhe nicht 
bleiben, wegen deſſen, was ich in der vorigen Nacht gehört 
und was ich jetzt geſehen hatte. Ich war entſchloſſen, die 
Spitzbüberei zu entdecken; denn wenn die Kaufleute umkehrten, 
ſo entging mir die Unterſtützung, die ſie mir auf der Reiſe 
verſprochen hatten; ich bedachte aber wieder, daß ich mich großer 
Gefahr ausſetzte, wenn ich den Spieler anklagte, da ich ihm 
ſeine Schelmerei doch eigentlich nicht ausdrücklich beweiſen konnte. 

So ſchwieg ich gegen meinen Willen, und der Wirt, der 
ein ausgemachter Schelm war, verſtellte ſich und ſchwieg ebenſo, 
wie ich und der andere. Die Herren Spieler aber waren ſehr 
vergnügt, jedoch ſo geizig, daß ſie keinem für das Zuſchauen 
etwas gaben ?s, was beim Wirt das Verlangen vermehrte, 
ihnen ihren Gewinſt zu ſtehlen, und bei mir die Luſt, das 
Geld ſeinem rechtmäßigen Herren wieder zuzuſtellen. Der 
Wirt bezeigte, wie es auch ſein Ernſt war, eine große Freude 
darüber, daß die Kaufleute ſo geplündert worden waren, und 
indem er ihnen vielfältig Glück wünſchte, gab er den Spielern 
ein Gemach, das er fchon für die Kaufleute zurecht gemacht 
hatte, in welchem ſich ein großer, mit drei Schlüſſeln verſchließß⸗ 
barer Schrank befand. Dieſe Schlüſſel gab er ihnen, um ihr 
Geld und ihre Sachen zu verwahren. Der Schrank war von 
ſehr maſſivem Holz und von dicken Brettern; er war in die Wand 
des Stalles eingebaut, ſo daß ich nicht begriff, wie das Geld 
70 


aus einem Schranke könne geftohlen werden, der mit drei 
Schlüſſeln verſchloſſen ſei, und der auch auf keine Weiſe von 
ſeiner Stelle gerückt werden könne. Er ſprach heimlich mit 
ſeiner Frau und gab ſehr acht, ob man ihn auch nicht mit 
ihr ſprechen ſähe. Als die falſchen Spieler eine reichliche 
Mahlzeit von Rebhühnern gehalten und vielen Wein von Ciudad 
Real dazu getrunken hatten, begaben ſie ſich in ihr Gemach 
und riegelten ſich ſo ein, daß nicht einmal Hexen zu ihnen 
hätten kommen können. 

Als nun ungefähr eine Stunde von der Nacht verfloſſen 
war, ſagte der Wirt: Diejenigen, die zu Fuß gekommen ſind, 
müſſen jetzt die Schenke verlaſſen, denn wir wollen in Ruhe 
ſchlafen. Der junge Menſch und ich gingen fort, und als wir 
um die Schenke herumgingen, fanden wir die Tür des Hofes 
offen und begaben uns in den Stall. Ich dachte nach, auf 
welche Weiſe jene jetzt den Spielern wohl einen Streich ſpielen 
könnten; denn in das Zimmer konnten ſie nicht hinein, weil es 
ſo gut verſchloſſen war; der Wandſchrank aber war ebenſo 
gut verwahrt; andere Räuber heranzuziehen und ſo mit Ge— 
walt einzubrechen, war ein gefährlicher Handel; ſie ſelber konnten 
jene aber nicht umbringen, weil die Fremden ſtärker waren 
als ſie; gar das Gemach zu unterminieren und in die Luft zu 
ſprengen war das Gefährlichſte von allem. 

Ich konnte durchaus keine Möglichkeit entdecken; aber zwi— 
ſchen elf und zwölf, als die Fremden eben im tiefſten Schlafe 
lagen, kamen der Wirt und die Wirtin ganz leiſe herbeigeſchlichen, 
ſie mit einem Lichtſtümpfchen in der Hand; ohne alles Geräuſch 
fing der Mann an, einen Haufen Dünger wegzuräumen, der 
im Stalle an der Wand lag, wo die Spieler ſchliefen. Bald 
zeigten ſich nun die Bretter des Schrankes, die dem Zimmer 
zugleich zur Wand dienten. Ich ließ nichts außer acht und 
ſah, daß die Bretter des Schrankes oben in einigen Fugen 

71 


liefen und unten mit Schrauben feftgemacht waren, Die 
genau in ihre Löcher paßten. Der Wirt entfernte dieſe Schrauben, 
und indem er ſie wegnahm, befahl er der Frau, das Licht 
zu beſeitigen, damit kein Schein in das Zimmer hineinfiele. 
Sie ging mit dem Lichte fort, und ich ſchlich mich ſacht 
an den Wirt heran, als er eben das Brett aufgehoben und 
die Geldkatzen ſchon in der Hand hatte, und ſagte ganz leiſe, 
nur zwiſchen den Zähnen hervor, zu ihm: Gebt mir nur 
die Geldkatzen her und ſetzt die Schrauben wieder ein. Er 
gab ſie mir, weil er mich für ſeine Frau hielt, und ich ging 
mit ihnen und meinem Gefährten aus der Hoftür, wozu wir 
Zeit genug hatten, weil er den Düngerhaufen wieder an ſeine 
vorige Stelle bringen mußte. Eine kleine Weile liefen wir, 
jeder mit ſeinem Geldbeutel, in der größten Eile zurück, nicht 
auf der großen Straße, ſondern auf einem Seitenwege, und 
mit ſo wenig Geräuſch, als nur möglich. Wir waren der 
andern Schenke beinahe ſchon gegenüber, nach welcher die Kauf— 
leute zur Nachtherberge zurückgegangen waren, als wir uns 
niederſetzten, um ein wenig auszuruhen; denn Furcht und Angſt 
vermehren die Ermüdung. Darauf ſagte ich zu meinem Ge— 
fährten: In dieſem erbeuteten Gelde ſchleppten wir die aller⸗ 
größte Lebensgefahr mit uns, wenn wir es behalten wollten; 
denn wir können nirgends hinkommen, wo man uns nicht 
weitläufig ausfragen würde, wie wir zu dem Gelde gekommen 
wären; und aus Habſucht und um etwas davon zum Lohne 
zu bekommen, würde jedermann den Gerichten Nachricht da— 
von geben, daß zwei junge Leute zu Fuß, ermüdet und hungrig, 
zwei große Geldbeutel beſäßen; und man würde uns mit 
der Folter zum Geſtändnis zwingen. Das Geld aber ver— 
graben wollen und etwa nachher abholen, iſt ebenſo ge— 
fährlich; denn wenn wir uns viel hier herumtreiben, iſt 
das Wahrſcheinlichſte, daß wir den Spitzbuben in die Hände 
72 


fallen, die uns Geld und Leben nehmen. Wie töricht wäre es 
alſo, um dieſes Metall Ehre und Leben auf das Spiel zu 
ſetzen? Vom erſten Augenblicke an war meine Abſicht, dieſe 
Summe ihren rechtmäßigen Beſitzern wiederzubringen, um nur 
den Anteil davon zu haben, den dieſe uns vielleicht, ohne 
Nachteil für unſer Gewiſſen, gönnen wollen. Alles dieſes ſagte 
ich, weil ich glaubte, bemerkt zu haben, daß ſich in dem jungen 
Menſchen eine leidenſchaftliche Begierde erzeugt hatte, dieſe 
Summe zu behalten. Er ſtimmte mir aber ſchließlich bei. 

Wir begaben uns an die Schenke, und ſo früh es auch noch 
war, pochten wir doch heftig an das Tor, indem wir riefen, wir 
brächten den Herren Kaufleuten von Toledo, die hier wohnten, 
eine äußerſt wichtige Nachricht. Sie hörten uns und ver— 
mochten den Wirt dahin, daß er uns aufmachte. Man zündete 
Licht an, und wir traten mit unſerer Laſt in das Zimmer, 
wo wir, ohne ein Wort zu ſprechen, die Geldkatzen auf den 
Tiſch warfen, deren Klang die Kaufleute in ein ſtaunendes 
Entzücken verſetzte. Was iſt das? riefen ſie aus. — Euer Geld, 
antwortete ich; denn man ſoll dem Kaiſer geben, was des 
Kaiſers iſt. Ich erzählte ihnen die Sache und riet ihnen, durch 
den Paß zu eilen, ehe die in der andern Schenke aufgeſtanden 
wären. Zu meinem Glücke kamen Maultiere an, die nach 
Sevilla zurückgingen. Die Kaufleute, erfreut und dankbar, 
mieteten für mich und den jungen Menſchen zwei Maultiere, 
und ſo kamen wir durch den Paß, ohne daß die in der 
Schenke uns bemerkt hätten. 

Wir ſtiegen zur Höhe des Paſſes hinauf und begaben uns 
dann in die Schenke, die unten in der Tiefe liegt, wo wir 
alle Bequemlichkeit fanden und den ganzen Tag mit Ausruhen 
und Schlafen zubrachten. 

Am Abend erfuhren wir, daß der Wirt, der von unſerm 
Diebſtahl nichts wiſſen konnte, ſeine Frau gemißhandelt habe, 

73 


die es nicht fagen durfte, daß wir im Haufe geblieben waren; 
er geriet hierauf auf den Argwohn, daß die falſchen Spieler 
ihn auf irgendeine Weiſe überliſtet hätten, die er nicht ein— 
ſehen könne, und deshalb gab er der Hermandad von der 
Lebensweiſe dieſer Menſchen Nachricht, und daß ſie durch 
falſches Spiel zwei Geldkatzen gewonnen hätten. Die Her— 
mandad kam, fand aber weder das Geld noch die Beutel, von 
denen der Wirt geſprochen hatte, im Schranke; worauf ſie ihn 
für aberwitzig hielt, die Spieler aber für verdächtige Leute, weil 
ſie ſich noch ſo ſpät in der Schenke aufhielten, und das Weib 
für boshaft, weil es nicht Red' und Antwort geben wolle, 
und verurteilte ſie alle in die Gerichtskoſten, ohne dem Ge— 
heimnis auf die Spur zu kommen. 

Wir freuten uns ſo ſehr über den glücklichen Erfolg, daß 
die Kaufleute alle Augenblicke die Erzählung hören wollten, 
um ſo mehr, da ſie mehr Geld in den Beuteln fanden, als ſie 
hinein getan hatten, und einer von ihnen ſagte im Scherz: 
das wolle Gott nicht, daß ich fremdes Geld mit mir nehmen 
ſollte; das muß unterwegs für Rebhühner und Kaninchen aus: 
gegeben werden! Das geſchah auch zum allgemeinen Ver— 
gnügen, und ſo ſetzten wir unſere Reiſe mit der größten 
Heiterkeit fort. 


Vierzehntes Kapitel. 


Wenn eine Reiſe auch noch ſo angenehm iſt, ſo verurſacht 
ſie doch oft eine gewiſſe Langeweile, die wir auf alle Weiſe 
zu zerſtreuen und uns zu unterhalten ſuchten. Die Maultier⸗ 
burſchen folgten ihrer Gewohnheit, und der eine machte Späße, 
der andere verſpottete die Reiſenden, ein anderer ſang alte Ro— 
manzen; wir ſuchten uns mit allem zu unterhalten, was ſich 
unſern Blicken darbot. Ein Schäfer begegnete uns, der ſeine 
Herde aus ſeinem Diſtrikt in einen andern trieb, und er ſowohl 
74 


wie feine Hunde ſchienen vor Durſt verſchmachtet; denn in 
der Sierra Morena ſind im Mai und den ganzen Sommer 
hindurch die Nächte zwar kühl, aber am Tage verbrennen die 
Bäume vor Hitze. Der gute Mann war ſo unwiſſend, daß, 
obgleich er Durſt hatte, er doch die Hunde angebunden hielt, 
damit ſie ſich nicht verliefen. Er fragte uns, ob wir nicht 
irgendwo Waſſer wüßten. Ich antwortete ihm: Ihr habt Hunde 
bei Euch und fragt noch nach Waſſer? Laßt ſie nur los, ſie 
werden bald welches finden. — Iſt dem ſo? fragte ein 
Kaufmann. Es iſt eine bekannte und oft erprobte Sache, ant— 
wortete ich. Ich wendete mich zum Schäfer und ſagte: Bindet 
die Hunde oder einen von ihnen los und laßt ihn an einem 
langen Seile laufen, ſo daß Ihr ihm folgen könnt, und er wird 
bald eine Quelle, einen Bach, oder ein ſtehendes Waſſer finden. 
Der Schäfer tat es, er ließ ihm die Leine nach, und der Hund 
lief eine Anhöhe hinab, indem er die Schnauze aufreckte, und 
ſprang grade auf ein dichtes Gebüſch zu, das unten an einem 
Felſen war, wo er Waſſer fand, welches den Schäfer erfriſchte 
und der Herde gut zuſtatten kam. 

Bei dieſer Gelegenheit, fing ich wieder an, will ich euch, 
meine Herren, eine Geſchichte mitteilen, die mir in Ronda 
ein ſehr verſtändiger und gebildeter Ritter erzählte, der Juan 
de Luzon hieß. Außer vielen andern liegen zwei kleine Ortchen 
in dem Gebirge von Ronda, von denen der eine Balaſtar, 
und der andere, wenn ich mich nicht irre, Chucar heißt. Zwiſchen 
dieſen beiden weidete ein mauriſcher Ziegenhirt ſeine Herde, 
und da ihn der Durſt ſehr peinigte, er aber kein Waſſer fand, 
auch keine Spur, wo er etwas antreffen möchte, ließ er einen 
Hund los, der nach einiger Zeit ganz durchnäßt und ſehr ver— 
gnügt zurückkam, an ſeinem Herrn hinaufſprang und ihn voller 
Freude liebkoſte. Der Ziegenhirt, hierüber verwundert, gab 
ihm reichlich zu eſſen und band ihn wieder an, um 

75 


die Zeit abzuwarten, bis er wieder vom Durſte leiden 
würde. Nun nahm ihn ſein Herr an einer langen Leine und 
ließ ihn gehen, indem er ihm folgte; er mußte über Büſche und 
Steine ſpringen und ſich die Hände und das Geſicht zerkratzen 
laſſen; er folgte ihm aber durch alle ſchwierigen Stellen, 
bis er endlich zwiſchen dichtem Geſträuch in eine tiefe Höhle 
gelangte, die die Natur unterhalb hoher Klippen gebildet hatte, 
in welche durch einige Löcher ein ſchwacher Schimmer des 
Tages von oben fiel. In der Mitte der Höhle entſprang ein 
klarer Bach, welcher ſich in zwei Arme teilte. Der Maure 
trank und füllte ſeinen Schlauch an. Über die neue Entdeckung 
verwundert, verfiel er auf einen Gedanken, der ihm ſehr 
gut ſchien, ihn aber nachher das Leben koſtete: er verbaute 
nämlich mit Steinen den einen der beiden Bäche, wodurch 
er alles Waſſer auf die eine Seite trieb, um am folgenden 
Tage zu ſehen, was daraus werden würde. Er ging wieder 
zu ſeiner Herde, und am folgenden Tage zeigte ſich's, daß das 
Waſſer in Chucar ausblieb. Der Maure, der das Geheimnis 
wußte, begab ſich nach dieſem Ort und ſagte, daß, wenn man 
ihn gut bezahle, er das Waſſer, ja mehr als vorher, wieder: 
ſchaffen wolle; wobei er alles erzählte, wie es ſich zugetragen 
hatte. Die kurze Zeit, in der ihnen das Waſſer gemangelt 
hatte, bedrängte ſie ſo ſehr, daß ſie ihm zweihundert Dukaten 
gaben, wofür er ihnen nicht nur ihr Waſſer, ſondern auch das 
des nächſten Ortes verſchaffen ſollte. Er nahm ſein Geld und 
begab ſich in die Höhle, wo er das Waſſer frei ließ und alles 
nach dieſer Seite leitete. Da die Leute ihr Waſſer ſo reichlich 
ſtrömen ſahen und den Wankelmut und die Habgier des Ziegen⸗ 
hirten in Erwägung zogen, verfielen ſie darauf, damit die 
von Balaſtar ihn nicht mit einer noch größeren Summe be: 
ſtechen könnten, ihn zu erdroſſeln, wodurch ſie alles Waſſer 
behielten und der Maure ſein Leben verlor, ohne daß man bis 
76 


jetzt noch den geheimen Urſprung jener Quellen hat entdecken 
können. Es iſt aber noch heutzutage die Spur an Kieſeln 
und Steinen, daß ehemals dort ein Waſſerſtrom gelaufen ſei. 
Dieſe verborgene Höhle alſo fand die Naſe des Hundes. 

Dieſe Spürkraft iſt außerordentlich, ſagte ein Kaufmann, 
da das Waſſer doch keinen Geruch von ſich gibt, und der Hund 
es demungeachtet ohne weiteres mit der Naſe, dem Organ 
des Geruches, entdeckt. Die Eigenſchaften und Talente des 
Hundes ſind überhaupt zu bewundern, denn ohne mich auf die 
vielen albernen Märchen von ihm berufen zu wollen, welche 
Treue, welche Anhänglichkeit, welche Gabe, wieder zu erkennen, 
zeichnet ihn aus! 

Wenigſtens, ſagte ich, hat er zwei bewundernswürdige Tu— 
genden (wenn man ihnen anders dieſen Namen geben will), 
die, wenn die Menſchen ſie eben ſo feſt in der Seele, wie jene 
im Inſtinkt hätten, machen würden, daß ſie im beſtändigen 
Frieden lebten; und dieſe ſind die Demut und die Dankbarkeit. 

Sehr richtig bemerkt, ſagte der Kaufmann. — Da wir, 
fuhr ich fort, auf eine ſo edle Tugend, wie die Dankbarkeit 
iſt, gekommen find, fo will ich, bis wir nach Adamuz kommens, 
eine denkwürdige Sache vortragen, die dem Verfaſſer dieſes 
Buches begegnete, als er einmal von Salamanka kam. Die 
Studenten in Salamanka hatten ſich zerſtreut, wegen gewiſſer 
Händel, die der Corregidor D. Enrique de Bolanos mit der 
Univerſität oder vielmehr mit den Studenten, einem lebhaften, 
leicht erregbaren Völkchen, bekommen hatte, und da alle Stu⸗ 
denten die Stadt verließen, ſo entfernte ſich der Autor auch 
mit den übrigen, um ſich nach ſeiner Vaterſtadt zu begeben, 
da die Vakanzen überdies ſehr nahe waren. Seine Dürftigkeit 
war aber ſo groß, daß er auf apoſtoliſche Weiſe die Reiſe zu 
Fuß machen mußte. Eines Tages kam er, als es ſchon Abend 
werden wollte, an die Schenken von Murga, und da man ihn 

77 


nicht aufnehmen wollte, weil man fich von ihm keinen Vorteil 
verſprechen konnte, ging er einſam weiter, und ſang, um ge— 
wiſſermaßen in Geſellſchaft zu ſein. Es kamen vier Menſchen 
mit Armbrüſten auf ihn zu und fragten ihn, woher er komme. 
Er antwortete: Von Salamanka. — Bleibt Ihr denn nicht 
in den Schenken? fragten ſie. Er antwortete: Da ich 
kein Geld und kein Reittier habe, man ſich alſo keinen Vorteil 
von mir verſpricht, ſo hieß man mich aus der Schenke gehen. 
Der kleinſte von den Schützen ſagte hierauf: Wir fragen 
Euch nur, Herr Student, um zu erfahren, ob nicht jemand 
hinter Euch kommt, der uns Wild abkaufen möchte? Denn 
deſſen haben wir im Überfluß, aber wenige Käufer. Er wendete 
ſich zu ſeinen Begleitern und ſagte: Großes Mitleid hat mir 
die grauſame Behandlung erregt, die ſich die Schenkwirte 
gegen Fußgänger erlauben, und noch mehr, da ich die Not dieſes 
Studenten geſehen habe; laßt ihn uns in unſere Behauſung 
führen; Gott wird uns wohl einmal dieſes Werk der Barm⸗ 
herzigkeit vergelten. Beſſer wäre es, ſagte der eine (was der 
Autor aber erſt nachher erfuhr), ihn umzubringen, damit er 
nicht ſagen könne, daß er auf uns geſtoßen ſei, und dadurch 
die Reiſenden verſcheuche. Das Bürſchchen überredete ſie aber 
doch endlich, daß ſie ihn mit ſich nahmen; denn dies ſchien ihnen 
für ihren Handel das ſicherſte. Er ging mit ihnen, oder vielmehr 
ſie ſchleppten ihn durch dichte Geſträuche, Finſterniſſe und 
verwickelte Steige, voller Hinderniſſe und Schlangengänge. Es 
war Nacht; Waſſerfälle, die ſehr hoch herabſtürzten, rauſchten 
gewaltig, ein heftiger Sturm ſchüttelte brauſend die Bäume, 
und der Student fürchtete bei jedem Schritte, von dieſen wilden, 
bewaffneten Menſchen in die ſchreckliche Tiefe hinabgeſchleudert 
zu werden. Drum heftete er andächtig ſeine Augen an den 
Himmel, während er auf der Erde ſtolperte; aber dennoch 
war er mutig und zeigte in ſeinem Geſpräche keine Spuren 
78 


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von Furcht. Endlich gelangten fie in ihre Wohnung, die mehr 
der Aufenthalt wilder Tiere, als eine menſchliche Behauſung 
zu ſein ſchien; und indem ſie einen Haufen Kohlen umrühr— 
ten, die von gutem Eichenholze waren, zündeten ſie einige 
Kienſpäne an, die ihnen die Nacht über hinlängliches Licht ver— 
liehen. Das Abendeſſen war ſehr gut und beſtand aus Wild— 
bret. Er gab ſich alle Mühe, ſich bei ihnen beliebt zu machen: 
bald erzählte er ihnen Märchen, dann unterhielt er ſie wieder 
mit Geſchichten, oder er lobte ihre Lebensweiſe in dieſer Ein— 
ſamkeit, vom Getümmel der Menſchen entfernt. Er ſagte ihnen, 
die Jagd ſei eine Beſchäftigung für Ritter und große 
Herren, und ſie müßten wohl, nach ihrer Vorliebe dafür zu 
ſchließen, von guter Familie abſtammen. Wenn irgendeiner 
eine Dummheit ſagte, ſo pries er ſie außerordentlich als einen 
vorzüglichen Einfall. Dem einen ſagte er, daß er ein gutes 
Geſicht habe, den zweiten lobte er ſeiner Füße wegen, am 
dritten rühmte er den Verſtand, und den vierten wegen ſeiner 
klugen Art, ſich auszudrücken. Nach dem Abendeſſen gaben 
ihm dieſe Geldkatzenjäger zwei Felle, um darauf zu ſchlafen; 
und vor Tagesanbruch, damit er nicht bei der Helle von 
ihnen ginge, gaben ſie ihm Frühſtück, und während der junge 
Menſch, der kleinſte von den vieren, ihn auf den Weg brachte, 
ſagte er ihm, in welcher Gefahr er ſich ohne ſeinen Beiſtand be— 
funden haben würde; zugleich bat er ihn, zur Vergeltung nieman— 
dem zu ſagen, was ihm begegnet ſei. Der Student dankte 
ihm und ging ſeine Straße, indem er ſich oft umſah, weil er 
ſich noch nicht ganz ſicher vor ihnen glaubte. Wenn ihm ein 
Reiſender begegnete, ſagte er ihm, daß er jenen Weg nicht 
gehen möchte, denn ihn habe eine ſehr große Schlange ver— 
folgt; etwas anderes wagte er nicht zu ſagen, weil es ihm 
war, als wenn ſie ihn hören könnten. Nachdem dieſer Mann 
— um die Erzählung abzukürzen — durch Spanien und außer— 

75 


halb Landes länger als zwanzig Jahre gewandert war, kam 
er in den Beruf, den Gott für ihn beſtimmt hatte: er begab 
ſich in ſein Vaterland, Ronda, wurde Prieſter, indem er die 
Stelle eines Kaplans bekleidete, mit welcher ihn der hochweiſe 
König Philipp der Zweite begnadigte. Zwei- oder dreiund— 
zwanzig Jahre nach jener Begebenheit mit den Straßenräubern 
war man im Aufſuchen von drei berüchtigten Spitzbuben bez 
griffen, von denen man erfuhr, daß ſie ſich in Ronda auf— 
hielten. Sie bedienten ſich, um zu ſtehlen, der Liſt, daß ihre 
Weiber (denn fie waren alle verheiratet) Kleinigkeiten verkauf: 
ten; dieſe liefen mit ihren Waren in die Häuſer, betrachteten 
alle Gelegenheiten genau, und beſchrieben nachher den Män— 
nern das ganze Haus, welches dann am Morgen ausgeraubt 
war. Dieſe geheime Bezeichnung der Diebe kam nach Ronda; 
man bemächtigte ſich ihrer, und ſie wurden in das Gefängnis 
geführt, auf Befehl des Lizentiaten Morquecho de Miranda, 
welcher damals die Stelle des Corregidors vertrat, weil er 
oberſter Alkalde war. Dieſer ließ ihnen die Tortur geben, 
worauf ſie alles bekannten; er bat den Autor, ihre Beichte 
zu hören, und indem dieſer ſich dem einen von ihnen näherte, 
fühlte er eine beſondere Ahnung in ſeinem Innern, und ſo— 
wie er ihn näher betrachtete, fand er, daß es derſelbe ſei, der 
ihm in der Sierra Morena das Leben gerettet hatte. Er dachte 
über die Möglichkeit nach, wie er ihm ſeine Wohltat vergelten 
könne; und da es ihm ſchien, daß der Handel ſchon zu weit 
gediehen ſei, um für einen Menſchen zu bitten, der durch 
ſein eigenes Geſtändnis überführt war, ging er zum Richter 
und ſagte ihm, daß, wenn er dieſen hinrichten ließe, er das 
Mittel, große Geheimniſſe zu erfahren, verlieren würde. Der 
Richter übergab die beiden andern dem Tode, ließ dieſen aber 
noch leben, damit er jene Geheimniſſe entdecken ſollte, von 
denen ihm der Beichtvater geſagt hatte, und als er dieſen 
80 


drängte, daß er den Miſſetäter dazu bewegen folle, ſprach der 
Beichtiger: Gnädiger Herr, erſchüttert von Mitleid, und von 
Dankbarkeit bewogen, erſann ich das, was ich Euch geſagt 
habe. Dieſer Menſch hat mich vom Tode errettet, und nun 
möchte ich ihm dieſe Wohltat vergelten. Da den Richter das 
Mitleid ebenſo ſchön ziert, als die Gerechtigkeit, ſo bitte ich 
Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, Euch das Schickſal 
eines ſo mitleidigen Menſchen, wie dieſer iſt, erbarmen zu 
laſſen. Er antwortete: Ich denke nach, wie ich Eurer Bitte und 
meinem Amte Genüge leiſten, und zugleich gegen dieſen Men— 
ſchen gütig ſein kann, der es ſeines Mitleids wegen wohl ver— 
dient. Nach den Geſetzen des Königreichs iſt uns nämlich er— 
laubt, in Kriminalfällen die Todesſtrafe in Galeerenſtrafe zu 
mildern; da ich nun ſehe, wie viel Euch daran liegt, ihm, 
der Euch Gutes tat, Eure Dankbarkeit zu beweiſen, ſo will 
ich mich dieſes Geſetzes bedienen und ihn auf die Galeeren 
ſchicken, wo er ſeine Sünden büßen mag. Der Prieſter dankte 
fußfällig Gott und dem mitleidigen Richter. Er brachte hier— 
auf dem ſchon faſt Geſtorbenen dieſe Nachricht, wodurch er 
vom Tode wieder zum Leben kam, und der Autor war ſehr zufrieden 
daß er auf dieſe Weiſe ſeine Dankbarkeit hatte zeigen können. 
Eine höchſt ſonderbare Begebenheit, ſagten die Kaufleute. 

Indem zeigte ſich uns Adamuz, ein anmutiger Ort am 
Ende der Sierra Morena, unter der Gerichtsbarkeit des Mar— 
quis del Carpio; zugleich zeigten ſich auch die fruchtbaren 
Gefilde von Andaluſien, im Altertume ſo hoch wie die elyſäi— 
ſchen Felder, der Ruheplatz der Seligen, gefeiert. Wir kehrten 
ein und ruhten dieſe Nacht in Adamuz. 


Fünfzehntes Kapitel. 


Am folgenden Tage mußte ich mich (da mich gewiſſe Rück— 
ſichten zwangen, den Umweg über Malaga nach Ronda zu 
6 81 


machen) von den Kaufleuten trennen, indem ich über Carpio 
ging. Sie waren gegen mich ſo gütig, daß ſie mir Geld gaben 
und mir einen von ihren Maultierhengſten überließen, indem 
fie feſt darauf vertrauten, daß ich ihn zur rechten Zeit zum Jahr— 
markt wieder brächte; ſie aber reiſten mit jenen zurückkehrenden 
weiter, von denen ich bis jetzt auch eins gebraucht hatte. Mein 
jetziges Maultier war ſo wild, daß es ſich weder beſchlagen, 
noch ſatteln ließ, und zuweilen warf es ſich auf den Boden. 
In der Geſellſchaft hatte es ſeine Bosheit weniger merken 
laſſen; jetzt aber, als ich aus dem Orte ritt, und es ſich allein 
ſah, zeigte es ſeine Tücken und warf ſich mit mir in die erſte 
Pfütze, ſo daß eins meiner Beine unter ihm zu liegen kam. 
Hätte ich mich nicht im Fall plötzlich auf die andere Seite 
geworfen, ſo hätte ich großen Schaden nehmen können; ſo 
aber konnte ich mich erheben, und indem ich das Tier gegen 
ſeinen Willen ein Weilchen am Zügel führte, verlor ſich der 
Schmerz, wodurch ich zugleich die Erkältung vermied, die mir 
drohte, wenn ich mich nicht bewegte. Jetzt ſah ich ein, welch 
verwünſchtes Tier ich zu meinem Fortkommen hatte; ich nahm 
daher einen Knüttel, um mir mit einem Mittel zu helfen, welches 
ich von alten Reitern hatte empfehlen hören. Ich gab ſehr 
genau auf den Augenblick acht, da es ſich wieder hinwerfen 
wollte, und indem es ſtürzte, ſchlug ich ihm mit ſolcher Ger 
walt auf die Stirn zwiſchen den Augen, daß es das Weiße 
hervordrehte, als es dalag; ich erſchrak, denn ich glaubte wirk- 
lich, daß ich es totgeſchlagen hätte; ich nahm aber ſchnell etwas 
Brot, das ich ihn Wein tauchte und gab es ihm, worauf es 
ſich wieder erholte und von nun an ſo gebeſſert zeigte, daß es 
ſich auf meiner übrigen Reiſe niemals wieder niederwarf, wenn 
es auch einladende Stellen fand. | 

Ich ſetzte meinen Weg fort, und als ich an ein kleines 
Gebüſch vor Carpio kam, welches am Ufer des Guadalquivir 
82 


liegt und voller Kaninchen und andern Wildes iſt, ftieg ich, 
eines dringenden, natürlichen Bedürfniſſes wegen, ab. In dem: 
ſelben Augenblicke aber ſcheute das Maultier und lief davon, 
von dem Geräuſche erſchreckt, welches eine große Schlange und 
ein Fuchs erregten, die aus einem dichten Gebüſche ſchoſſen, 
welches hart am Wege war. Wahrſcheinlich kamen beide aus 
einer Höhle, denn die Schlange verträgt ſich mit keinem andern 
Tiere, außer mit dem Fuchs. Der Fuchs lief nach einer Seite 
fort, und die Schlange auf der andern dem Mauleſel nach, den 
ſie, wie ich nachher von Vorübergehenden erfuhr, verfolgte, 
weil man ihr die Gefährtin getötet hatte. Ich warf mit einem 
Steine nach ihr und glaubte nicht, daß dieſer Wurf, der ihr 
Rückgrat traf, die Folge haben könne, die er hatte; denn die 
Schlange wandte ſich nun mit ſolcher Wut nach mir um, 
daß wenn ich nicht auf die andere Seite des Weges hinüber 
geſprungen wäre, ſo daß dadurch eine große Strecke Sandes 
zwiſchen uns war, es mir übel ergangen wäre. Im Sande aber 
konnte ſie ſich mit ihren Schuppen, die ihr als Füße dienen, 
nicht ſo ſchnell fortwälzen als auf dem harten oder glatten 
Boden, und darum wagte ſie es nicht, über den Weg zu gehen. 
Nun aber liefen wir beide, ich auf der einen, ſie auf der andern 
Seite der Landſtraße, indem ſie den Kopf höher als eine Elle 
über der Erde erhob, und die Zunge hin und wieder ſchnellte. 
Ich hatte das Maultier ganz vergeſſen und ängſtigte mich nun 
wegen der Schlange, ſo daß ich den Atem verlor, matt und in 
Schweiß gebadet war. Die Schlange ziſchte nicht in hohen 
ſpitzen Tönen, ſondern es war ein fortwährendes, tiefes und 
heiſeres Gurgeln, wie wir Spanier das X ausſprechen. Jetzt 
kam ich zu einer Stelle, wo viele Steine auf dem Wege lagen. 
Ich ſtand ſtill, ſowohl um auszuruhen, als auch mich mit 
Steinen zum Wurf zu verſorgen. Als ſie aber meine Furcht 
ſah, wollte ſie über den Sand gehen, um mich anzugreifen, 

6* 83 


wodurch ich Hoffnung faßte, mich von ihr zu befreien: denn 
fie konnte ſich jetzt nur langſam bewegen, und ich ſammelte 
meinen Mut und warf ſo viele Steine nach ihr, daß ich ſie faſt 
darunter begrub. Mit einem Wurf gelang es mir, ſie an der 
Stelle oberhalb des Schwanzes zu treffen, wo die hauptſäch— 
lichſte Bewegung iſt, ſo daß ſie ſich nicht mehr rühren konnte; 
hierauf ging ich näher und zerſchmetterte ihr mit andern Steinen 
den Kopf. Dann ſetzte ich mich nieder, um auszuruhen. 
Es kamen zwei Männer vorüber, die nach Adamuz gingen; 
dieſe erzählten mir, was ich oben ſagte; ſie maßen die Schlange 
und fanden, daß ſie länger als zehn Fuß und dicker als eine 
gewöhnliche Fauſt war. Sie öffneten ſie und fanden zwei 
recht ſtattliche junge Kaninchen in ihr. 

Jetzt machte ich mich eilig auf, um mein Maultier wieder 
zu ſuchen, nachdem ich mich ein wenig erholt und mir den 
Schweiß vom Geſicht gewiſcht hatte. Ich lief am Ufer des 
Guadalquivir hinauf, aber niemand konnte mir Nachricht Daz 
von geben. Ich trug meinen Mantel, den Degen, ein kleines 
Felleiſen und den Vorratsbeutel; denn alles, außer dem Sat: 
tel, den es unter dem Bauche trug, hatte das Tier abgeworfen. 
So, mit allem bepackt, was das Maultier hatte tragen ſollen, 
mußte ich noch die Neckereien aller derer ertragen, die mich ſo 
in ein Poſtpferd verwandelt ſahen. Ehe ich über den Fluß 
ging, ruhte ich ein wenig aus und ſah dort am Ufer eine ungez 
heure Anzahl von Kaninchen, welche ſcharenweiſe kamen, um 
zu trinken. Ich ging über den Fluß und trat, um mich zu 
erholen, in ein Haus ein, welches außerhalb des Ortes liegt, 
wo man mir auch von dem Unglückstier keine Nachricht geben 
konnte, obgleich ich dem Finder eine Belohnung verſprach. 

Ich erquickte mich, ſo gut ich konnte, durch Speiſe, Trank 
und Ruhe. Dann ſtellte ich mich in die Haustür, um viel⸗ 
leicht meinen Mauleſel oder einen Menſchen zu ſehen, der mir 
84 


fagen könnte, was aus ihm geworden ſei. Ich betrachtete 
jenes Gefilde, das bezüglich der Fruchtbarkeit, des milden 
Himmels, der Schönheit der Erde und des Waſſers das lieb— 
lichſte iſt, welches ich in ganz Europa geſehen habe. 

Ich erfuhr an dieſem Tage von dem Maultiere nichts, und 
blieb dieſe Nacht in dem Hauſe dort, ohne Hoffnung, es je— 
mals wieder zu finden. 


Sechzehntes Kapitel. 


Am folgenden Tage ging die Sonne mit einem Lichte auf, 
das zwiſchen Grün und Gelb ſpielte, ein Zeichen, daß Regen 
kommen würde, und ich war immer noch ohne meinen Maul— 
eſel. Um neun oder zehn Uhr ging ich in den Ort und ſah, 
daß ein Zigeuner ein Maultier verkaufte, das Schwanz und 
Mähne mit Bändern durchflochten und ſehr aufgeputzt trug, 
mit Saumſattel und dem übrigen Zubehör, indem er ſehr 
die Ruhe und Sanftmut des Tieres mit tauſend betrügeriſchen 
Worten herausſtrich. Der Zigeuner pries das Tier in ſeinem 
Kauderwelſch fo ſehr, daß einige ſchon Luft bezeigten, es zu 
kaufen. Ich ging näher und ſah, daß es die Farbe des meinigen 
hatte; aber ich konnte es unmöglich für dasſelbe halten, da es 
ſo ſanft und ruhig war, und an Mähne und Schweif um ſo 
vieles jünger. Ich ſah, daß es ſich allenthalben anfaſſen ließ, 
ohne zu ſcheuen, ſo daß ich es mir nicht durfte einfallen laſſen, 
daß es das meinige ſein könne. Ich ging aber heimlich auf 
der einen Seite herum und ſtellte mich, während der Zigeuner 
hinten war, gerade vor den Mauleſel, und ſowie er mich ſah, 
ſpitzte er die Ohren, entweder weil er mich wieder erkannte, oder 
aus Furcht, die er vor mir hatte. Ich erſtaunte über dieſe plötz— 
liche Verwandlung und war nun überzeugt, daß es wirk— 
lich mein Maultier ſei. Ich wußte nicht, wie ich es wieder— 
bekommen ſollte, da ich keine Zeugen oder Beweiſe herbeibringen 


85 


konnte; daher wagte ich nicht, es laut zu jagen, daß es ges 
ſtohlen ſei. Iſt es möglich, ſagte ich zu mir ſelber, daß die 
Zigeuner ſo große Schelme ſein können, daß ſie in weniger als 
vierundzwanzig Stunden dieſen Mauleſel ſo verändert haben, 
daß ich ihn ſelbſt nicht gleich erkannte; daß ſie ihn ſanfter 
machen konnten als ein Lamm, da er doch böſer als ein Tiger 
iſt, und daß ich jetzt durchaus nicht weiß, wie ich meine ge— 
rechte Sache durchführen ſoll? Ich beſann mich ein wenig 
und ging dann mit den übrigen heran, das Tier zu beſehen; 
ich lobte es ſehr und fragte, ob es ein galiziſches ſei. Der 
Zigeuner antwortete: Mein Herr verſteht ſich ſehr gut auf die 
Tiere und hat gleich geſehen, daß dies das beſte iſt, das in ganz 
Andaluſien auf vier Beinen läuft; aber es tft nicht aus Ga: 
lizien, ſondern von Illescas, wo ich es gegen ein kardoveſiſches 
Pferd vertauſchte: ich habe auch das Zeugnis darüber. Das 
wird ein falſches ſein, ſagte ich zu mir ſelber, während er 
den Schein vorwies. | 

Jetzt fiel mir ein Mittel ein, das Tier leicht wieder zu 
erhalten. Ich näherte mich einem Hidalgo, den ich von allen 
umher mit Hochachtung behandeln ſah, und ſagte zu ihm: 
Mein Herr, dieſes Maultier hat mir dieſer Zigeuner ge— 
ſtohlen, und obgleich es jetzt anders aufgezäumt iſt, ſo iſt es 
doch zum Sattel gewöhnt; das Zeugnis, welches der Menſch 
vorzeigt, iſt falſch. 

Worauf der Hidalgo zu mir ſagte: Beſinnt Euch, Herr 
Student, denn wir kennen hier dieſen Zigeuner ſchon lange, 
und wir haben ihn immer wahrhaft befunden. — Diesmal 
aber, antwortete ich, hat er ſich nicht ſo betragen; wollt Ihr 
mir ſo gefällig ſein und die Mittel anwenden, um welche ich 
Euch bitte, ſo wird ſich die Wahrheit meiner Ausſage bald 
beſtätigen. Ihr wollt das Tier kaufen, weil es ſo ſanft heit 
aber es iſt ſchlimmer als ein Teufel. 

86 


Diefe Sanftmut und Frommheit, fragte der Hidalgo, wäre 
ihm alſo nicht natürlich? — Nein, mein Herr, antwortete ich, 
denn ſie haben das Tier betrunken gemacht! Es gibt kein 
ſo wildes und ſcheues Vieh, das nicht wie ein Schaf würde, 
wenn man ihm in Güte eine Kanne Wein beibringt oder 
ihm dieſe mit Gewalt in den Leib gießt; darum tut, mein Herr, 
worum ich Euch bitten will, und Ihr werdet Euren Irrtum 
aufgeben und einſehen, daß das Tier böſe und das meinige 
iſt. Seid ſo gefällig und ſtellt Euch, als wenn Ihr es kaufen 
wollt, und ſagt dabei das und das, worauf ich ihm in das 
Ohr ſprach und ihm vorſchlug, wie er ſich zu verhalten habe. 
Nachdem der Hidalgo von allem unterrichtet war, ging er zum 
Zigeuner, betrachtete das Maultier noch einmal und ſagte: 
Das Tier gefällt mir ſehr, und ich möchte es wohl kaufen, 
wenn es nur Sattel und Zaum hätte, denn ich muß eine 
weite Reiſe machen. Der Zigeuner war hierüber ſehr erfreut und 
brachte den Reitſattel und den Zaum herbei, ſagte, das Tier ſei 
der ſtärkſte Läufer der Welt, und daß man ihm nur den Saum— 
ſattel aufgelegt habe, weil man geglaubt, daß es ſich ſo 
auf dem Lande ſchneller verkaufen würde. Als der Hidalgo 
den Sattel und Zaum ſah, fand er, daß es dieſelben Stücke 
ſeien, die ich ihm beſchrieben hatte, und da er dem noch 
weiter folgte, was ich ihm heimlich geſagt hatte, nahm er 
das Tier mit nach Hauſe, indem er dem Zigeuner ſagte, 
daß er es verſuchen wolle. Er hielt es in ſeinem Hauſe ein— 
geſchloſſen, bis die Dünſte des Weines verraucht waren. Dann 
ließ er den Zigeuner kommen und befahl ihm, das Maultier 
zu beſteigen und eine Viertelmeile vor den Ort hinauszureiten. 
Dieſem wurde es, ſo behende er war, ſehr ſchwer, hinauf— 
zukommen, weil ſich das Tier ſo unbändig bezeigte, welches 
nun, da es die Sanftmut verloren, die ihm der Wein gegeben 
hatte, wieder zu ſeiner natürlichen Wildheit zurückgekehrt war. 

87 


Als man es aus dem Haufe ließ, flog es wie der Wind dahin 
und ſtürzte gleich in dieſer Furie mit dem Zigeuner zur Erde, 
deſſen Bein unter ihm zu liegen kam, und warf ſich ſo umher, 
daß die ganze Geſchicklichkeit des Zigeuners nötig war, damit 
ihm ſein Bein nicht zerbrochen wurde. Der Hidalgo, der nun 
ſchon von der ganzen Schelmerei überzeugt war, kam mit 
Lachen hinzu und ſagte: Was iſt das, Freund Maldonado? — 
Herr, ſagte der Zigeuner, da es zu leicht bepackt und ſchlecht 
beſchlagen iſt, iſt es gefallen. Der Hidalgo lachte noch mehr 
und ſagte: So hebt ihm die Füße auf; wir wollen ſehen, ob 
es neue Eiſen nötig hat. Er hob ihm das eine Bein auf, 
und das Tier gab ihm einen ſolchen Schlag auf die linke 
Backe, daß Huf und Nägel darauf abgeprägt wurden. Da 
ſagte der Hidalgo: Ein Tier, das man noch nicht lange hat, 
kennt man auch noch nicht genug, Freund Maldonado; hättet 
Ihr es länger beſeſſen, würdet Ihr weder Euch noch uns 
getäuſcht haben. Aber ungerechtes und fremdes Gut kommt 
dem Beſitzer niemals zuſtatten. Ihr wollt das Tier beſchlagen, 
aber es hat Euch beſchlagen; geſtern habt Ihr es auf: 
gefangen, und heute wollt Ihr es uns verkaufen. Ich ſehe, 
daß Ihr auch ein Zauberer ſeid, weil Ihr ſeit geſtern habt 
von Illescas kommen können. 

Gnädiger Herr, ſagte der Zigeuner, ich habe wie ein Zi— 
geuner gehandelt, und Ihr müßt mir wie ein Ritter ver— 
geben: es zeigt fic) nun wohl, daß der Herr da ſich auf Maul⸗ 
tiere verſteht. 

Da nun der Diebſtahl ganz offenbar entdeckt war, gab man 
mir mein Maultier, und ſo machte ich mich auf den Weg 
nach Malaga, indem ich über Lucena ging. Hier kam ich 
ziemlich fpát an, ruhte aus und aß ein Weniges. Ich hatte mir 
vorgenommen, dieſen Abend noch nach Benamexi zu kommen; 
ich kannte aber den Weg nicht und mußte mich nach der Be— 
88 


fchreibung richten, die man mir gemacht hatte. Die Meilen 
waren länger, als ich mir vorgeftellt hatte, die Wege kotig, 
weil es die Nacht vorher ſehr ſtark geregnet hatte. So ſehr 
ich auch mein Maultier antrieb, ſo überfiel mich doch die 
Nacht, als ich noch eine Meile von einem kleinen Fluſſe ent— 
fernt war, der zwiſchen Lucena und Benamexi fließt. Ich 
war in Verlegenheit, weil die Nacht ſehr finſter war, ich keinen 
Boten hatte, mir auch kein Menſch begegnete, den ich nach dem 
Wege fragen konnte, denn es war Sonntag, und alle Bauern 
blieben in ihren Häuſern. Endlich aber, im langſamen Schritt, 
indem ich oft ſtolperte und manchmal fiel, kam ich an den 
Fluß. Als ich hinüber geritten war, fand ich auf der andern 
Seite keinen Weg; denn die Bauern dort haben die Gewohn— 
heit, um die Reiſenden abzuhalten, ihnen über die Saat zu 
gehen, daß ſie da zu graben pflegen, wo die Reiſenden ſich 
gewöhnlich ihre Fußſteige machen. So gut es anging, arbeitete 
ſich mein Maultier aus dem Fluſſe heraus und kletterte dann 
zur rechten Hand einen Hügel hinauf, wo Steige für Schafe 
oder Ziegen waren. Es ging ſo hoch hinauf als möglich, 
doch der Hügel war ſo ſteil, daß, wo der Steig aufhörte, es 
weder vor- noch rückwärts konnte. Ich ſah mich in großer 
Gefahr; denn wenn ich mit dem rechten Fuß abſteigen wollte, 
ſo ſtürzte ich wahrſcheinlich den ganzen Berg hinab, bis in 
einen ſalzigen Bach, wo ich noch von Glück ſagen konnte, 
wenn ich mit einem Kopfe voll Beulen davonkam. Ich gab 
daher dem Maultier die beſten Worte, ſich ruhig zu halten, 
bis ich verkehrt abgeſtiegen wäre; indem ich mich aber anſchickte, 
es den Pfad hinunterzuleiten, den wir heraufgeklommen waren, 
fiel es vor Müdigkeit nieder, und weil der Berg ſo ſteil war, 
rollte es bis zu dem Salzbache hinunter. Ich ging auf dem 
Steige bis zum Bache hinab zu meinem armen Maultiere und 
half ihm auf, ſo gut ich konnte; es war ſo zerſchlagen, daß ich 

89 


ihm mit einem Biſſen Brot, in Wein getunkt, zu Hilfe kommen 
mußte, und indem ich es dann am Zügel langſam führte, 
überlegte ich, daß alles dies mir nur begegne, weil ich die 
Feier des Sonntags nicht beobachtet hatte, ſondern an dieſem 
Tage gereiſt war, was ich auch an einem andern hätte tun 
können. Es wurde mir nun doch möglich, langſam und vor— 
ſichtig wieder hinaufzuklettern, bis ich oben auf dem Hügel eine 
Meierei entdeckte, der ich mich mit der größten Demut näherte. 
Ich pochte an, aber man hörte mich nicht, weil, als an einem 
Sonntage, viele Menſchen drinnen verſammelt waren. End⸗ 
lich klopfte ich ſo heftig, daß mich ein junger Burſche ver— 
nahm, dem ich meine Not vortrug, der mir aber antwortete, 
ich ſolle nur in Gottes Namen weitergehen. Da ich indes 
von neuem rief, kam der Meier ſelber herbei, der in ſeinem 
ganzen Weſen den Anſchein eines rechtlichen Mannes hatte. 
Dieſer machte auf und ſtand mir und meinem Maultier bei, 
indem er ſagte: Verzeiht, mein Herr, denn da ich eben wegen 
eines Korbes mit Feigen zankte, den dieſe Burſchen mir ge— 
ſtohlen haben, konnte ich Euch nicht gleich antworten. 

Wenn es weiter nichts iſt, antwortete ich, ſo ſeid ohne 
Sorgen, denn ich will Euch den Dieb anzeigen. — So wäret 
Ihr ja ein Engel und kein Menſch, rief er aus, wenn Ihr 
das herausbringen könntet. — Laßt mich nur erſt ausruhen, 
ſagte ich, und es ſoll geſchehen. 

Ich ſetzte mich nieder, und mein Maultier ſättigte ſich, ſo 
gut es konnte; ich aß eine köſtliche kalte Sauerſuppe, die 
mir fo, wie fonft nichts in meinem Leben, ſchmeckte, fo herr⸗ 
lich würzten ſie mir Hunger und Ermüdung. Außerdem aber 
ſind das Ol, der Wein und Weineſſig dieſes Landes die beſten 
in Europa. 

Nachdem ich gegeſſen hatte und alle die jungen Burſchen 
um uns herſtanden, ſagte ich zum Meier: Dieſe hölzerne 
90 


Schüffel, aus welcher wir gegeſſen haben, ſoll den Feigen: 
dieb entdecken. Einer von ihnen ſagte halb leiſe: So wäre 
ja wohl der Teufel in dieſem Studenten gekommen. Ich ließ 
mir von dem wackern Manne etwas Ol und Ocker geben, 
und ohne daß die Burſchen es gewahr wurden, beſchmierte 
ich die untere Seite der Schüſſel mit einer Miſchung, die ich 
aus dem Ole und Ocker gemacht hatte; dann ließ ich mir eine 
Glocke geben, wie ſie die Kühe tragen, ſtellte dieſe unter 
die Schüſſel und ſagte dann, daß alle es hören konnten, 
nachdem ich die Schüſſel weiter hinein, nämlich in die Stroh— 
kammer getragen hatte: Einer nach dem andern gehe nun 
vorbei und ſchlage unten an die Schüſſel; wenn der, der die 
Feigen geſtohlen hat, dies tut, ſo wird die Glocke klingen. 
Einer nach dem andern ging vorbei und jeder ſchlug mit der 
Hand in den Ocker; die Glocke aber, die jeder zu hören 
fürchtete, ließ ſich nicht vernehmen. Nun rief ich ſie zu 
mir, ließ mir ihre Hände zeigen, die bei allen bis auf einen be— 
ſchmutzt waren, worauf ich zu allen ſagte: Dieſer feine Herr 
hat die Feigen gemauſt; denn um die Glocke nicht zum Läuten 
zu bringen, hat er es nicht gewagt, die Schüſſel anzurühren. 
Der Burſche wurde rot wie eine Hagebutte, und die übrigen 
verſpotteten und verlachten ihn die ganze Nacht hindurch. Der 
Meier aber war mir ſehr dankbar, daß ich ihm ſeine Feigen 
aufgefunden hatte, und ich war wegen meiner guten Beher— 
bergung ſehr zufrieden. Für die gute Bewirtung ließ ich ihm 
zwei damaſzierte Meſſer, um damit dem Feigendiebe die Ohren 
abzuſchneiden. 


Siebzehntes Kapitel. 


Nachdem wir dieſe Nacht ſo viel geruht hatten, als mir 
für die erlittenen Beſchwerden meines Maultiers hinlänglich 
ſchien, begab ich mich zu ihm und bat es, daß es ſich er— 

91 


7 


muntern möchte. Grunzend ſchlug es mit dem Hufe aus, 
und zugleich traf ich es ſo mit einem Prügel, daß es ſich 
ſeiner vorigen Leiden erinnerte. Sogleich wurde es ruhig, und 
ich legte ihm den Sattel auf. Ich kam nach Benamexi, das 
ganz in der Nähe lag, und obwohl ich vorbeireiten wollte, ohne 
daß ich von dem Herrn von Benamexi geſehen würde, ſtürzte 
ſich das ſchurkiſche Maultier auf fein Haus, und ich war ges 
zwungen, dort eine Zeitlang zu verweilen. Endlich, um es 
kurz zu machen, kam ich nach Malaga, oder, genauer geſagt, 
ich hielt an einem Orte an, wo die Stadt mir vor Augen lag 
und den man die Anhöhe von Zambara nennt. Ich war über 
den Anblick ſo entzückt und über den Duft, den der Wind 
mit ſich führte, der durch die wundervollen Gärten weht, die 
mit allen Arten von Orangen und Limonen angefüllt ſind, 
die das ganze Jahr hindurch in Blüte ſtehen, daß es mir war, 
als wenn ich ein Stück des Paradieſes ſähe; denn in dem ganzen 
Umfange jenes Horizonts gibt es nichts, was nicht alle fünf 
Sinne zugleich ergötzte. Die Augen erfreuen ſich an dem An— 
blicke des Meeres und der Erde, die mit den anmutigſten und 
mannigfaltigſten Bäumen und Gewächſen bekleidet iſt; an 
dem Anblicke der Stadt und ihrer Gebäude, ſowohl ihrer Häuſer, 
als ihrer herrlichen Tempel, vorzüglich der Hauptkirche, welche 
wohl der anziehendſte Tempel auf Erden iſt. Das ſtaunende 
Ohr wird von der Menge der Vögel ergötzt, die, einer den 
anderen nachahmend, weder bei Tage noch in der Nacht ihre 
liebliche Harmonie unterbrechen, ihre kunſtloſe Kunſt, die, ohne 
Konſonanzen oder Diſſonanzen hervorzubringen, ein entzückendes 
Tongewirr verurſacht, das zur Beſchauung des höchſten Schöp— 
fers aller Weſen leitet. Der Überfluß und die Trefflichkeit der 
Nahrungsmittel erfreut den Geſchmack und befördert die Ge— 
ſundheit. Die Sitten der Einwohner ſind ſanft, leutſelig und 
höflich, und alles iſt von der Art, daß man ein großes Buch 
92 


8 


über die Vorzüge von Malaga ſchreiben könnte; aber es iſt 
nicht meine Abſicht, mich länger hierbei aufzuhalten. Ich 
handelte mit jener heiligen Kirche das ab, weshalb ich ge— 
kommen war, und lernte viele Männer kennen, die von ebenſo 
gründlicher Gelehrſamkeit als von ehrwürdigem Charakter 
waren. 


Achtzehntes Kapitel. 


Als ich Malaga verließ, hielt ich unter jenen Orangen und 
Limonen an, deren Duft mit ſeiner durchdringenden Lieblichkeit 
das Herz erfriſcht. Ich erwog die herrliche Lage dieſer Stadt, 
und als ich noch in dieſen Betrachtungen vertieft war, ſah ich 
etwas auf mich zukommen, das einem Menſchen glich, auf 
einem Maultiere mit ſich ſelbſt redend, die Arme und das 
Geſicht bewegend, und die Stimme verändernd, als wenn es 
mit zwölf Reiſenden ſpräche. Ich lenkte ſchnell um und trieb 
mein Maultier ſo ſehr als möglich an, damit jener mich nicht 
einholen ſolle, weil ich die Schwäche an mir kannte, daß, um 
nur einem ſolchen Schwätzer zu entfliehen, ich mir nicht bloß 
die Schnelligkeit eines Windhundes, ſondern die Flügel einer 
Taube wünſchte; ja, wenn dieſe Schwätzer ſelber wüßten, wie 
verhaßt ſie allen Menſchen ſind, ſie würden vor ſich ſelber ent— 
fliehen. Kein wilder Stier kann mich ſo ſehr jagen als ein 
Schwätzer; man hat vor ihnen keine Ruhe, außer wenn ſie 
ſchlafen, und ſo ging es mir auch mit dieſem. Denn ſo viele 
Mühe ich mir auch gab, ihm zu entfliehen, ſo holte er mich 
doch ein und begrüßte mich ſchon von hinten, und kaum hatte 
ich ihm ſeinen Gruß zurückgegeben, als er auch ſchon fragte, 
wohin ich reiſe und woher ich ſei. Das erſte ſagte ich ihm, aber 
er ließ mir keine Zeit, ihm das zweite zu beantworten, ſondern 
fuhr ſogleich fort: Ich frage Euch, mein Herr, woher Ihr 
ſeid, und ich will Euch dienen, woher ich gebürtig bin; ich bin 

93 


nämlich aus dem Königreich Murcia, obgleich meine Vorfahren 


aus den Gebirgen waren. Hier nannte er mir den Namen 
feiner Familie, und ich beobachtete, während er nach Herzens⸗ 


luſt ſchwatzte, daß er ziemlich gut gebaut ſei, obgleich er den 
groben Fehler hatte, daß er linkiſch war, es aber verbergen 
wollte, und alles rechts zu tun ſich beſtrebte. Dieſer liebe Mann, 
mit einer Hand um die andere auffabrend, die großen Augen- 
brauen emporziehend, zwiſchen denen er zwei tiefe Furchen hatte, 
die Augen, die nicht klein waren, immer geſchloſſen haltend, 
wenn er ſprach, als wenn er mit den Augen hörte, und den 
Ausdruck der Frechheit und eines unverſchämten Weſens im 
Geſichte, ſagte tauſend Albernheiten, auf welche ich nicht im 
mindeſten Achtung gab. Er erzählte von ſeinen tapferen Taten, 
die ich ebenſo gern überhörte, ſo daß er mir durchaus keine Zeit 
ließ, auf ſeine zweite Frage zu antworten, bis wir zwei Meilen 
gemacht hatten, und ihm vom vielen Sprechen Gehirn, Lippen 
und Zunge trocken waren, ſo daß er ſich in einer Schenke, die 
zum kleinen Pfeiler genannt wird, einen Krug Waſſer geben 
ließ, und indem er eben zu trinken anfangen wollte, ſagte ich 
nun endlich in Beantwortung ſeiner Frage: Von Ronda. Er 
ſetzte den Krug ab und ſagte: So freue ich mich, ſo gute Geſell⸗ 
ſchaft getroffen zu haben, denn gerade dahin geht mein Weg. 
Er nahm den Krug wieder an den Mund, und während er 
trank, ſagte ich zu ihm: Es iſt vielmehr die ſchlechteſte Geſell⸗ 
ſchaft von der Welt, denn ich werde auf dem ganzen Wege 
kein Wort ſprechen. Alſo, rief er aus, beſitzt Ihr ſo ſehr dieſe 
Tugend des Schweigens? Dies wird Euch Achtung und Liebe 
in der ganzen Welt einbringen, denn am wenigen Sprechen 
erkennt man den weiſen und verſtändigen Mann; nur mit dieſer 
Tugend geht der Menſch allen jenen Unglücksfällen aus dem 
Wege, die die Unvorſichtigkeit herbeizuführen pflegt. Ich bin 
ein Feind alles Geſchwätzes. Wenn auf der Folter einer nicht 
94 


ſpricht und nicht bekennt, gilt er als ſtandhaft, weil er das ver— 
ſchweigen konnte, was ihn in Unglück geſtürzt hätte. Bei einem 
Gaſtmahl eſſen die Schweigenden mehr und beſſer als die 
übrigen und ſprechen weniger; denn das Schaf, welches blökt, 
kann unterdeſſen kein Gras rupfen. Darum bin ich ein Feind 
alles Geſchwätzes. Der Schlaf, der für Geſundheit und Leben 
ſo wichtig iſt, muß ſtillſchweigend vor ſich gehen. Wenn ſich 
jemand verborgen hält (wie der Fall doch vorkommt), in irgend— 
einem fremden Hauſe, ſo ſichert er ſich durch Schweigen, es 
müßte ihn denn ein Nieſen ankommen. Das Schweigen iſt 
eine Tugend ohne Anſtrengung, denn es iſt nicht nötig, ſich 
mit Büchern zu plagen, um zu ſchweigen. Der Schweigſame 
bemerkt alles, was die anderen reden, um es ihnen nachher 
vorzurücken. Ich bin ein Feind alles Geſchwätzes. 

Mit dieſen und ähnlichen Abgeſchmacktheiten fuhr er fort, 
das Schweigen zu loben, und indem er mich quälte und ſeine 
Materie fortſetzte, ſagte er: Ich bin ein Feind alles Geſchwätzes; 
ich rede nur, um einen ſo würdigen Herrn, wie Ihr mir ſcheint, 
auf dem Wege zu unterhalten und Euch die Langeweile hin— 
wegzuplaudern. Ich verſuchte allerhand Liſten, um mich von 
ihm zu befreien und meinen Weg allein fortzuſetzen; aber alles 
war umſonſt; endlich ſagte ich: Mein Herr, hier links muß 
ich durchaus mich trennen und über den Fluß gehen, denn 
ich habe in Coyn zu tun. — Ei, traut Ihr mir denn ſo wenig 
Lebensart zu, antwortete er, daß ich Euch nicht begleiten werde? 
— So trieb er ſein Weſen fort, und da mir meine Abſicht fehl— 
geſchlagen war, ſo ergötzte ich mich an den Nachtigallen, die 
ihre Muſik uns auf dem Wege vorſangen, mich darüber ver— 
wundernd, wie gern ſie ſich in die Nähe der Menſchen machen, 
damit dieſe ihre Geſchicklichkeit hören können. Am Ufer des 
Fluſſes hin und überall ſonſt ſangen ſie um ſo lauter und 
lieber, als ſie ſich den Menſchen näher befanden. Dies machte 

95 


mir den immer laufenden Ausfluß dieſes Schwätzers etwas er— 
träglicher, bis wir zu einer Schenke kamen, wo wir eſſen 
mußten. 

Nach Tiſch ſtellte ich mich krank, um ihn loszuwerden; aber 
er ſagte: Wir ſind miteinander von Malaga ausgereiſt, und 
miteinander müſſen wir in Ronda ankommen. Denn da ich 
ſchwieg, und er ſprach, ſo viel er nur wollte, ſo war ihm 
meine Geſellſchaft ſehr angenehm. Ich war müde, matt und 
außer mir; denn, ich geſtehe, ſo viele Geduld ich auch in 
anderen Dingen haben mag, ſo habe ich doch keine, unnützes 
und weitläufiges Geſchwätz mit anzuhören, und alſo entſchloß 
ich mich, das rechte Mittel gegen Schwätzer zu gebrauchen, 
nämlich noch mehr als er zu ſchwatzen. Als der wackere Mann 
gegeſſen hatte, ſtreckte er nach einem lauten Gähnen die Arme 
aus und ſagte: Durch dieſe Gegend kam der König Don Fer— 
nando mit ſeinen Truppen, als er Ronda erobert hatte und 
nach Malaga zogs“, und da ihm der Proviant fehlte, weil 
alle benachbarten Orte von Durchzügen und Gefechten ſo ſehr 
mitgenommen worden waren, als man Ronda belagert hatte, 
ſo waren ſeine Soldaten wohl zwei oder drei Tage hindurch 
ohne alle Nahrung, ſo daß ſie glaubten, Hungers zu ſterben. 

Hier fiel ich ihm mit großem Eifer in die Rede und ſagte: 
Ich erinnere mich auch, daß ich dies von einem Urgroßvater 
von mir habe erzählen hören, der aus den benachbarten chriſt— 
lichen Ortſchaften um Ronda her eine große Herde von 
Schweinen, die auch jetzt hier häufiger ſind, als irgendwo in 
Spanien, in das Lager geführt hatte, damit ſie zum Unterhalt 
der Truppen dienten. Wie nun alles aufgezehrt und nur noch 
einige von dieſen Schweinen übrig geblieben waren, befahl der 
katholiſche König, daß man ein Dutzend von dieſen aufbewahren 
und auf keine Weiſe verletzen ſolle, weil ſie, da ſie ſo groß 
und breit waren, zur Zucht dienen ſollten. Wie die Soldaten, 
96 


ungeduldiges Volk, nun fo vom Hunger gequält wurden und 
ſahen, daß der Proviant, den ſie erwarteten, ausblieb, ſo ſehr 
ſie auch von Feinden aus dem ganzen Tale von Malaga um— 
lagert waren, und ſich alſo ſehr vorſichtig aufführen mußten, 
ſo geſchah es, daß zwei oder drei Kameraden ſahen, wie dieſe 
Schweine ſich in das Dickicht dieſer Bäume begaben, nach dem 
Waſſer zu (denn da ſie Freiheit und Sicherheit hatten, ſo tat 
ihnen keiner etwas zuleide), und ein Arquebuſierer ſchoß zwiſchen 
dieſen Zweigen einem von dieſen Schweinen zwei Kugeln in 
den Leib. Zu den Waffen! ſchrie alles; zu den Waffen! Feinde! 
zu den Waffen! Die ganze Armee trat unters Gewehr. Die 
Soldaten ſchleiften das Schwein in ihr Zelt und verſteckten es 
in einem Mantelſack unter ihren Sachen. Man ſuchte überall 
Vorkehrungen zu treffen, wo man Schwäche oder Gefahr 
befürchtete, denn niemand als die Schildwachen dürfen unter 
ſolchen Umſtänden ſchießen; da man alles ſicher fand, wurde 
ein Oberſergeant beordert, nachzuforſchen, wo und weshalb man 
das Gewehr abgeſchoſſen habe. Nun mußte es herauskommen: 
es ſei geſchehen, um ein Schwein umzubringen. Die drei Sol— 
daten beſeitigten mit ihren Füßen die Spuren des Blutes, 
und indem ſie das Tier mit Kleidern und Wäſche zudeckten, 
begruben ſie es unten in den Mantelſack, der ihm als Gruft 
diente. Der Oberſergeant ging nun von Zelt zu Zelt; ſo kam 
er auch zu dem der Soldaten; dieſe leugneten, etwas von dem 
Schweine zu wiſſen; der Sergeant unterſuchte den Mantelſack, 
und indem er herumfühlte, ſtieß das Schwein aus ſeinem 
Innern einen tiefen, grunzenden Seufzer aus, denn es war 
noch nicht tot. Der Oberſergeant, den nicht weniger hungerte 
als fie, blickte fie an, ohne ein Wort zu ſprechen. Ihnen 
richteten ſich die Haare auf, ſie zitterten an Händen und Füßen, 
ihre Geſichter waren bleich, und als ſie nun den Ausſpruch er— 
warteten, daß ſie hängen oder eine andere, ſehr ſchwere Strafe 
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erleiden follten, fagte der Oberfergeant, indem er den Finger 
auf den Mund legte: Schickt mir mein Teil und effen wir 
alle. Mit der größten Verſtellung ſetzte er von Zelt zu Zelt 
ſeine Unterſuchung fort, und als er in das ſeinige zurückkam, 
fand er unter alten Sachen ſein Stück vom Schwein, das 
ihm wie vom Himmel gefallen erſchien. 

Hierauf, ſagte der Schwätzer, will ich eine andere Ge— 
ſchichte erzählen, die zu dieſer ſo paſſend — Aber ich unterbrach 
ihn gleich wieder: Damit iſt es noch nicht aus, ich habe kaum 
die Hälfte der Geſchichte erzählt! und fügte noch tauſend 
Albernheiten, ſo wie die vorigen, hinzu, ſo daß ich ihn ſo 
gründlich beſiegte, daß er ſein Maultier beſtieg und ſich auf 
den Weg nach Alora machte, ohne Abſchied zu nehmen. Ich 
aber blieb in der Schenke des Don Sancho, ermüdet nicht 
weniger von dem, was ich hatte ſprechen, als was ich hatte 
hören müſſen. 


Neunzehntesst und zwanzigſtes Kapitel. 


Dieſe Nacht blieb ich in einem Orte, welcher nahe am 
Wege liegt und Cazarabonela heißt, wo es einen Überfluß 
von Orangen und Zitronen gibt. Die Gegend hat viel Waſſer 
und Kühlung und liegt unter hohen Felſen. 

Am Morgen machte ich mich auf, um mich in jene rauhen 
Felſen und dichten Wälder zu begeben, wo ich eine Sonder: 
barkeit unter vielen anderen, die ſich dort finden, bemerkte. 
Von einem hohen Felſen ſchießt ein ſtarker Waſſerſtrahl mit 
der größten Gewalt herunter nach Oſten hin, und das Waſſer 
iſt mehr heiß als kalt. Als ich um den Felſen bog, ſtürzte 
von derſelben Höhe ein Waſſerſtrahl, der ganz kalt war. Hier 
auf der öſtlichen Seite ſteht der Rosmarin in Blüte, und zwei 
Schritte davon hat er noch nicht einmal Blätter, und auf dieſe | 
Weiſe iſt alles dort verfchieden. Hier find wilde Maul | 
98 | 


beerbäume ohne Laub, dort iſt die Frucht ſchon grün, weiterhin 
ſchon ſchwarz. Alles nach Malaga zu iſt Frühling, und alles nach 
Ronda zu iſt Winter. Unter den Bäumen dort iſt der Weg 
voller Quellen und Gewäſſer, die von himmelhohen Felſen 
herabſtürzen und durch dicht verflochtene Steineichen, Maſtix— 
bäume und Sommereichen fließen. Indem ich mich ſo in 
dieſe Naturwunder vertiefte, geriet ich plötzlich unter einen 
Zug von Zigeunern bei einem Bach, welcher der Jungfrauenbach 
heißt, ſo daß ich gern umgekehrt wäre, wenn ſie mich nicht 
ſchon geſehen hätten, denn mir fielen die häufigen Ermordungen 
ein, die damals an dieſen Orten von Morisken und Zigeunern 
verübt wurden. Da dieſer Weg wenig beſucht wird, ich mich 
allein ſah und ohne Hoffnung, noch auf Menſchen zu treffen, 
die mich begleiten könnten, faßte ich mir ein Herz, ſo gut ich 
konnte und ſagte zu ihnen, indem ſie mich ſchon bettelnd 
umringten: Willkommen, liebe Leute! Sie tranken Waſſer, 
und ich gab ihnen einen kleinen Schlauch mit Pedro Limenez 
von Malaga preis ſowie das Brot, das ich bei mir hatte, 
worüber ſie ſehr vergnügt waren, aber deſſenungeachtet, hörten 
ſie nicht auf, zu ſprechen und immer mehr und mehr zu 
fordern. Ich habe die Gewohnheit (wie ſie jeder haben ſollte, 
der allein reiſt), im letzten Orte ſo viel Gold oder Silber 
umzuwechſeln, als ich bis zur nächſten Stadt nötig zu haben 
glaube; denn es iſt ſehr gefährlich, Gold oder Silber in den 
Schenken oder unterwegs ſehen zu laſſen. Ich zog alſo eine 
Hand voll Scheidemünze aus der Taſche und teilte ihnen 
Almoſen aus, das ich in meinem Leben nicht ſo gern gegeben 
habe, jedem ſo viel, als mir gut dünkte. Die Zigeunerinnen 
waren je zwei und zwei auf Stuten oder ſehr mageren Pfer— 
den, die Burſchen je drei und drei oder auch je vier und vier 
auf hinkenden und kranken kleinen Eſeln. Die Spitzbuben 
von Zigeunern zu Fuß, leicht wie der Wind und, wie ſie mir 
7 | 99 


ä 


in dieſem Augenblicke ſchienen, ſehr groß und ſtark, denn Die 
Furcht vergrößert alles. Der Weg iſt eng und gefährlich, 
voller Baumwurzeln, und das Maultier ſtolperte bei jedem 
Schritte; die Zigeuner gaben ihm Schläge auf die Hüften, 
die mir durch das Herz gingen, denn ich ritt im tiefen Hohl— 
wege unten, und die Zigeuner waren über mir auf den Seiten; 
fo durch dichte Maftirgebüfche und Bäume zieht ſich die ſchmale 
Straße hin. In dieſer Angſt, indem ich mich ſorgfältig auf 
beiden Seiten umſah, aber nur die Augen und nicht den Kopf 
bewegte, faßte der eine Zigeuner das Maultier plötzlich beim 
Zügel, und indem ich vor Schreck faſt heruntergefallen wäre, 
ſagte der Schelm: Geſperrt, mein Herr! — Mögen die Pfor— 
ten des Himmels dir verſperrt ſein, ſagte ich bei mir, du 
Schelm, daß du mir einen ſolchen Schrecken eingejagt haſt! 
Man fragte mich, ob ich es vertauſchen wolle. Ich ſah aber 
ihre Abſicht, zu ſtehlen, immer deutlicher ein, und daß ich 
ſie auf keine andere Art, als durch Hoffnung auf einen 
größeren Gewinn, los werden könne. Mit der unbefangen⸗ 
ſten Miene, die mir zu Gebote ſtand, verteilte ich alſo noch 
mehr Scheidemünze unter ſie und ſagte: Gewiß, Freunde, 
ich täte es recht gern, aber hinter mir kommt mein Freund, 
ein Kaufmann, deſſen Maultier müde geworden iſt; und da 
er eine Laſt Geld bei ſich hat, geh' ich voraus nach dem Orte, 
ihm ein Tier zu ſchaffen, das es tragen könne. 

Sowie ſie die Worte: Kaufmann, müde, Maultier, Geld! 
hörten, ſagten ſie: Glückliche Reiſe, mein Herr! in Ronda 
wollen wir Euch Euer Almoſen vergelten! Ich ſpornte das 
Maultier und ließ es zwiſchen den Schluchten ſtärker laufen, 
als es ihm lieb ſein mochte. Sie blieben zurück und unter⸗ 
redeten ſich in ihrer kauderwelſchen Sprache, weil ſie wohl 
den Kaufmann erwarten wollten, um nach ihrer Art Almoſen 
von ihm zu begehren; hätte ich mich aber dieſer Liſt nicht be⸗ 
100 


dient, fo wäre es mir wahrſcheinlich übel ergangen. Weiß Gott, 
wie oft es mir leid tat, die Geſellſchaft des Schwätzers ver— 
laſſen zu haben; wenn er auch noch ſo viel geſchwatzt und 
mich gelangweilt hätte, ſo wäre ich dieſer Gefahr wenigſtens 
ausgewichen. 

Ich ſah noch oft zurück, ob mir auch die Zigeuner nicht 
folgten, denn da ihrer viele waren, konnten einige mir nach— 
gehen und die übrigen bleiben; aber ſie ſchienen alle von 
gleicher Begierde getrieben. Ich kam in dem Dorfe ſo er— 
müdet an, wie ich nicht geweſen wäre, wenn die Zigeuner mir 
nicht die Furcht verurſacht hätten. 

Späterhin ſah ich einen von dieſen Zigeunern zu Sevilla 
als Räuber abſtrafen und eines der Weiber in Madrid als 
Zauberin. Als ich erſt ruhiger geworden war, ſtellten mir 
dieſe Zigeuner das Bild der Flucht der Kinder Sfrael aus 
Agypten dar. Einige Knaben waren nackt, andere trugen zer— 
fetzte Jacken oder ein zerriſſenes Wams unmittelbar auf 
der Haut. Von den Weibern waren manche gut gekleidet und 
mit ſilbernen Schauſtücken behängt, andere waren halb nackt 
und hatten vorne abgeſtutzte Röcke ??. Sie hatten ein Dutzend 
lahmer und blinder Eſel bei ſich, die aber ſo leicht und be— 
hende wie der Wind waren, und die ſie außerordentlich ſchnell 
laufen ließen. Der Himmel ſchickte mir damals dieſen liſtigen 
Einfall, um mich zu retten, denn ihrer waren ſo viel, daß 
ſie einen Ort von hundert Häuſern hätten plündern können. 

Ich ruhte aus und aß in jenem Dorfe, und am Abend 
kam ich in Ronda an, wo ich meine Kaufleute fand, die in 
ihren Geſchäften ſchon ſehr vorgeſchritten waren, und mich 
begierig erwartet hatten. Was mir dort begegnete, iſt nicht 
von Bedeutung, denn auf einer ſo beſuchten Meſſe fallen 
ſo viele Schelmereien und Arten von Betrug vor, daß man 
hierüber allein ein weitläufiges Buch abfaſſen könnte. Ich 

101 


hatte aber nichts zu verhandeln, außer dasjenige, was meine 
Studien betraf, und zunächſt meine Eltern zu beſuchen. Den 
Kaufleuten diente ich als Führer, um ihnen die Merkwürdig⸗ 
keiten zu zeigen, deren es hier ſowohl in der Natur als Kunft 
gibt. Zu dieſen gehört der berühmte Gang, durch welchen 
die Stadt mit Waſſer verſehen wurde, ſo oft Feinde ſie be— 
lagert hielten. Dieſe Stadt iſt aus den Ruinen von Munda 
auferbaut, welche jetzt das Alte Ronda heißen, bei welcher letztern 
Stadt ſich Cäſar von den Söhnen des Pompejus ſo bedrängt 
ſah, daß er ſelbſt geſteht, er habe ſonſt immer geſtritten, um 
zu ſiegen, hier aber um nicht beſiegt zu werden. Die Stadt 
liegt auf einem ſo hohen Felſen, daß ich beteuern kann, daß 
in der Stadt einmal die Sonne ſchien, während es in der 
Tiefe, die auch noch zur Stadt gehört, zwiſchen zwei ſchroffen 
Klippen bei einigen Walkmühlen regnete, von woher Menſchen 
durchnäßt zur obern Stadt hinaufkamen, und als man ſie 
fragte, wodurch ſie in dieſen Zuſtand verſetzt wären, ant⸗ 
worteten ſie, daß es ſtark zwiſchen den Felſen regne, welche 
die Stadt von der Vorſtadt trennen. Als man dieſe Stadt ge⸗ 
baut hatte, und es oben an Quellen mangelte, war man ge⸗ 
zwungen, einen Stollen zu machen, indem man durch den Stein 
ſelber bis zum Fluſſe durchbrach, was alles durch Felſen 
von derſelben Härte geſchehen mußte, ſo daß ſich in dieſer 
Felſenbucht bis hinunter ungefähr vierhundert Stufen befinden, 
die die armen Sklaven hinunterſteigen mußten, bei welcher 
Arbeit manche ſtarben. Es iſt eine alte Tradition, daß ein 
Kreuz, welches ich auf der Mitte dieſer Treppe geſehen habe, 
von einem Chriſten verfertigt worden ſei, den dieſe Anſtrengung 
umgebracht habe, und zwar mit dem Nagel des Daumens, 
das aber ſo tief iſt, daß man glauben möchte, ſelbſt die Spitze 
eines Dolches ſei dazu nicht hinreichend geweſen. Es iſt von 
derſelben Größe, wie ein Chriſtus, den man in der alten 
102 


Kirche von Cordoba findet, den auch auf dieſelbe Weiſe ein 
anderer frommer Sklave ausgearbeitet hat. Einige haben be— 
hauptet, ein ſo erſtaunliches Werk, wie dieſer Steinbruch, müſſe 
von den Römern herrühren. Im Gegenteil aber findet ſich 
ein ſehr großer Stein, der in das Fundament des ſogenannten 
Huldigungsturmes eingebaut iſt, auf welchem ſich lateiniſche 
Buchſtaben befinden; dieſen hat man aber verkehrt aufgeſtellt, 
was gewiß nicht geſchehen wäre, wenn man die Schrift zu leſen 
verſtanden hätte. Außerdem aber ſind alle Gaſſen eng, und die 
Häuſer, welche aus dem Altertum ſtammen, niedrig, ſehr 
der Gewohnheit der Römer, wie der Spanier, entgegen. Wie 
dem aber auch ſein mag, dieſe Aushöhlung des Felſenganges 
iſt mit wunderbarer Anſtrengung und Sorgfalt gemacht, und er 
gehört zu den merkwürdigſten Dingen, die wir in Spanien 
aus dem Altertum beſitzen. Daß dieſe Stadt aber wirklich 
aus den Trümmern von Munda aufgebaut ſei, kann man 
aus ſehr vielen Steinen dort ſehen, und auch aus einigen Götzen— 
bildern, die meiſt verſtümmelt ſind, von denen ſich aber zwei 
aus Alabaſter durch ihre Trefflichkeit auszeichnen, welche ſich 
in dem Hauſe des Don Rodrigo de Ovalle befinden, der ſie 
von ſeinen Eltern und Voreltern geerbt hat, und den ich kenne. 
So wenig ich mich auch für einen Geſchichtſchreiber ausgebe, 
ſo kann ich doch nicht umhin, es im Vorbeigehen zu bemerken, 
daß Ambroſio de Morales?s ſich von der Ahnlichkeit der Namen 
habe hintergehen laſſen, wenn er behauptet, daß Munda an Stelle 
eines kleinen Städtchens, namens Monda, unten an der Sierra 
Bermeja gelegen habe: denn wenn er dieſes Land geſehen hätte, 
würde er dies nie haben glauben können. Denn aus der Länge, 
die Paulus Hircius zwiſchen Oſſuna und Munda annimmt, 
geht die Wahrheit deutlich hervor, auch daraus, daß noch 
heute jenes große Koloſſeum ſteht, welches beweiſt, daß die 
Stadt eine römiſche Kolonie geweſen iſt, und das ich in dem 

103 


Jahre fechsundachtzig geſehen habe. Auch erinnere ich mich, 
von Juan Luzan gehört zu haben, einem verſtändigen und ge— 
lehrten Ritter, ſowie von einem Hidalgo, einem Nachkommen 
der Eroberer, mit Namen Cardenas, daß auf einer Meierei 
von ihm, die ſich auf dem Platze des alten Munda ſelbſt 
befindet, Tagelöhner beim Pflügen einen Stein gefunden haben, 
auf welchem zu leſen ſtand: Munda Imperatore Sabino. 
Überdies aber hörte ich es noch meine Großväter ſagen, welche 
Söhne der Eroberer waren, und bei der Austeilung von den 
katholiſchen Majeſtäten Land erhielten. Dieſes führe ich nur 
darum an, damit, da diejenigen, welche es wiſſen, nach und 
ausſterben, dieſe Wahrheit für die Nachkommenſchaft aufbehalten 
werde. E ; 

Dieſe Stadt beſitzt ſolche Naturmerkwürdigkeiten durch ihre 
außerordentliche Lage auf den hohen und ſteilen Felſen, daß 
ſie es wohl wert iſt, daß man viele Meilen reiſe, um ſie zu 
ſehn. Sie hat alles im größten Überfluß, was zur Notdurft 
des Lebens gehört; daher geſchieht es nur ſelten, daß Menſchen 
ſie verlaſſen, um die Welt zu ſehen; diejenigen aber, welche es 
tun, pflegen ſich ſowohl als Soldaten, wie in jedem andern 
Berufe, auszuzeichnen. Weil ich aber kein Geſchichtſchreiber ſein 
will, übergehe ich alle dieſe Dinge. Als ich den Kaufleuten 
alles, was ich konnte, gezeigt hatte, nahm ich Abſchied von 
ihnen, und ſie nahmen ſich vor, nach Weſtindien zu reiſen. 


Einundzwanzigſtes Kapitel. 


Ich erledigte das, weshalb ich gekommen war, und ging dann 
nach Salamanka zurück, wo ich mich aufhielt, bis eine Flotte 
in Santander ausgerüſtet wurde. Dieſe kommandierte Pedro 
Melendez de Aviles, Adelantado von Florida, ein ſehr großer 
Seemann. Ich verließ, um die Welt zu ſehen, die Studien und 
begab mich in die Kompagnie eines Hauptmannes, der mein 
104 


Freund war, und welcher Leute zu dieſer großen Rüſtung warb. 
Dieſe war ſo ſtark, daß, wer alles das Volk geſehen hätte, 
welches ſich dazu aus Andaluſien und Kaſtilien ſammelte, 
meinen mußte, daß damit die ganze Welt zu erobern ſei; 
aber durch die Schickung des Himmels nahm dieſes große 
Heer das traurigſte Ende; nicht in einer Schlacht, denn 
zu dieſer kam es nicht, ſondern durch eine Krankheit, welche 
ſich unter den Soldaten verbreitete, und an der faſt alle 
ſtarben, ohne nur den Hafen verlaſſen zu haben. Die geſundeſten 
und ſtärkſten jungen Leute ſchifften ſich ein; jeder hatte die 
größten Hoffnungen. Ich ſetzte mich mit der Kompagnie, zu 
der ich gehörte, auf ein leichtes Fahrzeug, aber mit einem 
andern Hauptmann, weil man eine Anderung getroffen hatte, 
und bei dieſem neuen war ich Schiffsfähnrich! Unglücklich, ſagt 
das Sprichwort, iſt die Mutter, die keinen Fähnrich zum Sohn 
hatte. Ich hatte die Gunſt des Admirals Don Diego Maldonado, 
eines Ritters vom feinſten Geſchmacke gewonnen, und um 

ſeinetwillen gab mir der zweite Hauptmann dieſe Stelle. 
Mich überfiel ein doppeltes dreitägiges Fieber, welches da— 
mals auf der Flotte wie auf dem Lande ſehr allgemein 
war; und da ſelbſt das kleinſte Glück niemals ohne Neid 
beſeſſen wird, ſo kam auch ein Junkerchen aus der nämlichen 
Kompagnie darauf, mich zu beneiden, der mit acht oder zehn 
ſeiner Kameraden die ernſtlichſten Mittel verſuchte, mich um 
meine Fähnrichsſtelle zu bringen. Je mehr fie aber Ver: 
anlaſſungen zu Händeln ſuchten und mir gaben, um ſo mehr 
vermied ich dieſe alle, denn einmal verwickelt, iſt es ſchwer, zu 
widerſtehen, darum iſt es am beſten, allem Unheil auszuweichen, 
namentlich in der friſchen Jugend, in welcher ich mich damals 
befand; denn wenn ich auch nicht mehr ganz jung war, ſo war 
ich doch ſehr choleriſch, und die Krankheit gab mir überdies 
eine verdrießliche Stimmung. Um mich von dieſem Junker 
105 


zu entfernen, hielt ich mich einige Tage auf dem Lande auf, 
damit ich auf dem Schiffe in keine Verdrießlichkeiten geriet. 
Eine Wirtin gab mir gegen das Fieber Wein von Ribadabia mit 
Mäuſekot zu trinken, denn wenn man krank iſt, glaubt man 
alles; aber mein Fieber wurde noch heftiger. Der Neidiſche 
hatte es durchzuſetzen gewußt, daß man mich wieder auf das 
Schiff kommandierte, und ich begab mich im Fieber zurück. 
Er hatte mit ſeinen Kameraden, die oft auf ſeine Unkoſten 
zechten, die Abrede getroffen, daß ich den Händeln durchaus 
nicht ſollte ausweichen können. Ich konnte ſchwimmen, er aber 
nicht; man ſuchte Zwiſt, und ich mußte antworten, denn als 
er mit ſeinen Kameraden ſich auf dem Verdecke befand, ſtrafte 
er mich geradezu Lügen. Ich überlegte ſchnell, daß, wenn ich 
ihm ins Geſicht ſchlüge, ich mich der Gefahr ausſetzte, daß 
ſeine Freunde mit Dolchen über mich herfielen; daher umſchlang 
ich ihn, ohne ein Wort zu ſagen, und warf mich mit ihm in 
die See. Hier, wo ſeine Gefährten ihm nicht zu Hilfe kommen 
konnten, gab ich ihm einige Fußtritte und ſtieß ihn auf den 
Grund, worauf ich einigemal mit den Armen ruderte und mich 
dann am Bord der Schaluppe feſthielt. Der Arme, nachdem 
er einige Kannen Waſſer verſchluckt hatte, kam wieder empor, 
und das erſte, was er antraf, um ſich feſtzuhalten, war eins 
meiner Beine, welches er ſo ſtark umklammerte, daß ich ihn 
nicht davon losmachen konnte, ſo viele Stöße ich ihm auch 
auch mit dem andern gab. Die Schelme, auf deren Beiſtand 
er ſich verlaſſen hatte, ſtanden, anſtatt ihm und mir zu Hilfe 
zu kommen, auf dem Verdecke des Schiffes, faſt vor Lachen 
ſterbend, daß ſie ihn ſo an meinem Beine, und mich ſelbſt an 
der Schaluppe hängen ſahen. Ich rief den Matroſen, denn er 
konnte nicht ſprechen, uns ein Tau zuzuwerfen; ſie taten 
es, und zwei von ihnen ſtiegen herab und zogen uns, als wenn 
wir zwei Tunfiſche geweſen wären, in die Schaluppe, obgleich 
106 


ich ſtark und imſtande war, ſelbſt hineinzuſteigen, wenn er nur 
mein Bein hätte loslaſſen wollen; er aber wurde betäubt und 
halb ertrunken an Bord gebracht. Als wir oben waren, gab 
man ihm noch einige Stöße auf den Magen, wodurch er das 
Seewaſſer von ſich gab, und ich zog meine Kleider aus, um 
ſie zu trocknen. So zeigte es ſich, daß, um ſein Leben zu 
retten, dem Armen ein Bein ſeines Feindes mehr wert geweſen 
war, als zwölf Arme ſeiner Freunde. Ich aber rächte auf dieſe 
Art die Beleidigungen, verlor mein Fieber, und gab der ganzen 
Flotte etwas zu lachen. Auch der Adelantado, als er dieſen 
Vorfall erfuhr, belachte ihn ſehr. Der Admiral kam, uns 
zu ſehen und zu erfahren, was man mir zuleide getan hatte, 
und ſagte ſcherzend: Dieſe Freundſchaften, im Waſſer und mit 
Hilfe Neptuns geſchloſſen, beſtätige ich als Admiral; im üb— 
rigen aber mögen die Herren Soldaten wiſſen, daß im Dienſt 
keine ſolchen Beleidigungen vorfallen ſollen; derjenige, der 
ſie zufügt, wird dreimal gewippt werden, und wer ſie ruhig 
erduldet, den wird man für einen verſtändigen und ehrenvollen 
Soldaten halten. Er ließ den vom Schreck halb Toten ver: 
pflegen, und mich nahm er mit ſich, um mit ihm zu eſſen, 
indem er meinen tollen Einfall allen ſeinen Bekannten erzählte. 
Dieſer Flotte aber erging es ſo unglücklich, daß von den 
beinahe zwanzigtauſend Soldaten, welche ſich einſchifften, nur 
dreihundert zum Dienſte taugliche übrig blieben, die der Kapitän 
Vanegas dahin führte, wohin man ſie beorderte. Dieſes Un: 
glück konnte die Klugheit des weiſen Miniſters, des Grafen 
Olivares 54, nicht abwenden, der fähig war, eine ganze Welt 
zu regieren. Dort ſtarb auch der Adelantado, nebſt andern 
ausgezeichneten Dienern Seiner Majeſtät, und auf dieſe Weiſe 

vernichtete dieſe große Zurüſtung ſich ſelbſt. 
Ich entfernte mich mit den übrigen, die am Leben geblieben 
waren, um meine Geſundheit wieder zu erlangen; denn in 
107 


der Tat verfielen alle diejenigen, welche nicht ftarben, in Krank⸗ 
heit, wozu auch, wie man ſagte, die ſchlechten Lebensmittel 
einige Veranlaſſung gaben. Ich verließ Santander und reiſte 
über Laredo und Portugaleto nach Bilbao. Obgleich ich noch 
nicht ganz hergeſtellt war, ſo legte ich doch einige militäriſche 
Abzeichen an, denn jedermann ſah gern Soldaten von jener 
Flotte, die ein ſo außerordentliches Gerede veranlaßt hatte. 
Die Weiber vor allem, die immer am meiſten auf Neuigkeiten 
aus ſind, liefen zuſammen, wo ſich nur irgendein Soldat ſehen 
ließ. Während ich in einer Kirche von Bilbao war, heftete 
eine ſehr ſchöne Biskayerin (welche ſich in der Schönheit, 
beſonders durch die lieblichſten Geſichter, auszeichnen) die Augen 
auf mich; ich beantwortete ihre Blicke, und beim Herausgehen, 
unter mancherlei Geſprächen, nachdem ſie mir erzählt hatte, 
wie gern ſie einmal nach Kaſtilien reiſen möchte, ſagte ſie 
mir, ich möchte dieſen Abend vor ihre Wohnung kommen, 
und ihr ein Zeichen geben. Ich antwortete ihr, daß die ge⸗ 
wöhnlichen Zeichen leicht Verdacht erregen; wenn ſie aber das 
Geſchrei einer Katze hören würde, ſo möchte ſie an das Fenſter 
treten, weil ich es wäre. Um zwölf Uhr in der Nacht, als es 
mir einſam genug ſchien, ſchlich ich mich an einer beſchatteten 
Mauer entlang und drängte mich ſacht in ein Winkelchen unter 
ihr Fenſter hin, wo ich des Schattens wegen nicht geſehen 
werden konnte, und gab das Zeichen. Bei dieſem Miauen kamen 
alle Hunde in Aufruhr, und ein Eſel ließ ſeine Stimme dazu 
ertönen. Auf der andern Seite war ein Mann, der auch zu 
ſeinem Stelldichein ſchlich, und wie er das Geſchrei der Katze 
und das Gebell der Hunde hörte, nahm er, während ich meine 
Blicke auf das Fenſter richtete, um zu ſehen, ob ſich jemand 
zeige, einen Stein und ſagte in ſeiner baskiſchen Sprache: 
Hol' der Teufel die Katzen, die hier die Hunde aufrühreriſch 
machen! und warf aufs Geratewohl den Stein dahin, wo 
108 


er die Katze gehört hatte, und mir heftig in die Rippen, indem 
er nach der Katze zu zielen glaubte. Ich ſchwieg und verbiß, 
ſo gut ich konnte, den Schmerz, verlor aber darüber das Fenſter 
und die Liebe des Mädchens aus den Augen. Es ſchien mir 
eine gerechte Strafe dafür, daß ich in der Kirche dieſe Bekannt— 
ſchaft hatte anknüpfen wollen, wo es doch außerdem Orte 

genug gibt, um die Weiber zu ſehen und zu ſprechenss. 
Dieſer Unfall bewirkte, daß ich mich zurückzog, und das 
Opfer koſtete mich nicht viel, da unſere Bekanntſchaft erſt 
ganz neu war; da ſie aber große Luſt hatte, nach Kaſtilien 
zu kommen, ſo fand ſie Gelegenheit, mir durch eine Freundin, 
die im Kaſtilianiſchen ebenſo erfahren war wie ich im Biskayi— 
ſchen, ſagen zu laſſen, daß, wenn ich ſie nicht vor ihrem Hauſe 
ſprechen wolle, ich mich vor der Stadt auf dem Wege nach 
Vitoria einfinden ſolle, weil ſie mich dort zu ſehen wünſche. 
Ich kam etwas ſpät zu der verabredeten Stelle und fand meine 
biskayiſche Dame mit einer Freundin ſchon dort. Wir gingen, 
indem wir beide allein ſprachen; fie ſang zuweilen ein biskayi— 
ſches Lied, weil die zweite kein Wort kaſtilianiſch verſtand; wir 
kamen wieder auf den Gegenſtand, daß ſie Kaſtilien zu ſehen 
wünſche, und ſo unterhielten wir uns, bis es finſter wurde, 
wobei wir uns ziemlich weit von der Stadt entfernt hatten. 
Wir kehrten um, und als wir an eine Mühle gelangten, trafen 
wir auf vier Männer, die aus einer Taverne traten, und nicht 
in Zyder, ſondern in ſtarkem Wein berauſcht waren, welchen 
man in jenen Mühlen ausſchenkt. Als ſie einen Kaſtilianer 
mit zwei biskayiſchen Frauen ſahen, ſtellten ſich zwei von ihnen, 
da ihnen der Kopf voller Dünſte war, auf die eine, und die 
andern beiden auf die andere Seite, zogen die Degen und ſtießen 
wacker auf mich zu. Ich konnte mich ſo nicht recht verteidigen, 
denn auf der einen Seite war ein hoher Hügel, und gegen— 
über eine ziemlich hohe Mauer, die nach einem Mühlgraben 
109 


hinunterging. Jetzt flohen die Weiber, und ich ftrengte mich 
an, ſie einzuholen; aber die Schelme, welche abgefeimt waren, 
wußten wohl, wie ſie ihren ſchlechten Streich ausführen muß— 
ten. Da ich mich alſo zum Kampf gezwungen ſah, indem ich 
ihnen weder vorkommen, noch den Berg beſteigen, noch die 
Seiten erreichen konnte, griff ich zwei von ihnen an, um ihnen 
den Vorſprung abzugewinnen. Aber in demſelben Augenblick 
faßten mich alle zugleich und warfen mich in den Kanal der 
Mühle dort, und zwar den Rädern ſo nahe, daß der Sturz 
des Waſſers mich zu zerſchmettern drohte. Ich hielt mich 
indes an einer Stange, die dort befeſtigt, aber freilich nicht 
ſonderlich ſtark war; ſie befand ſich nahe an der Schleuſe, 
welche das Waſſer ſo leitete, daß es auf die Räder ſtürzte. 
Dieſe Stange war dem Waſſerſturze ſo nahe und ſo ſchwach, 
daß ſie ſich unter der Laſt bog und ich mich dem Verderben 
ganz nahe ſah. Die Schelme liefen indes fort und den Met: 
bern nach, ſobald ſie mich hinuntergeworfen hatten. So war 
ich ohne Rat und Hilfe, die Stange gab nach, und ich ſchwebte 
ganz nahe über den Rädern. Ich wandte meine Blicke nach 
der linken Seite und entdeckte ein kleines Bäumchen, welches 
aus dem Waſſer wuchs, und von dem ich hoffte, daß es mehr 
Stärke haben würde, als die Stange, worin ich aber irrte. 
Damit mich der Mühlſtrom nicht hinunterriſſe, ſammelte ich 
jetzt neue Kraft, ließ die rechte Hand an der Stange und reckte 
die linke bis zu dem Bäumchen aus, ſo daß ich einen Zweig 
erfaßte. Da die Laſt nun zwiſchen den beiden geteilt war, ob: 
gleich ich noch nicht dem Sturze des Waſſers widerſtehen 
konnte, weil ich mit den Füßen faſt die Räder berührte, ſo 
konnte ich mich doch etwas beſſer erhalten. Ich konnte aber 
immer noch nicht hinaufſteigen, bis ich mit dem linken Fuße, 
der ſich auf ſeiner Seite etwas mehr aufſtützte als der rechte, 
in der kleinen Mauer einen Stein erreichte, auf welchen ich 
110 


mich ſtemmen konnte. Auf dieſen feſtgeſtützt, half ich mir mit 
den Armen und verbeſſerte meine Lage, bis ich das Holz faſſen 
konnte, in welchem die Schleuſentür feſtgemacht war. Indem 
ich dies mit der linken Hand griff, faßte ich mit der rechten 
den Dolch, ſtreckte den Arm unter das Waſſer und ſtieß den 
Dolch hinein, ſo daß ich das Wehr ſoviel aufheben konnte, 
daß die Hälfte des Waſſers ablief, und indem ich mit der 
rechten Hand nachhalf, ſoviel ich konnte, hob ich es ſo, daß 
das Waſſer mit derſelben Wucht, mit welcher es ſich auf die 
Räder ſtürzte, ſeinem natürlichen Laufe folgte, worauf ich 
mich meiner Füße bedienen und den ganzen Kanal hinaufgehen 
konnte, indem ich mich an den Stangen feſthielt. Ich ſchien 
mir vom Tode erſtanden zu ſein, und ohne Mantel, Degen und 
Hut ſah ich jetzt in die Gefahr hinab, in welcher ich geſchwebt 
hatte. Ich lief bei den Mühlen vorbei, wie einer, der dem 
Gefängniſſe entſprungen iſt, um nur ſchnell nach Hauſe zu 
kommen, mich zu erholen und die Kleider zu wechſeln, da— 
mit die Näſſe mir nicht in den Körper ſchlüge. Die mir be— 
gegneten, redeten mich auf biskayiſch an, wahrſcheinlich um 
mich zu fragen, ob ich den Verſtand verloren hätte; ich er— 
widerte aber keine Silbe, um mir nicht eine Erkältung zuzu— 
ziehen. Als ich in meiner Wohnung angekommen war, fand 
ich das Gelenk der rechten Hand infolge des Aufpralles beim 
Sturze außerordentlich angeſchwollen. Ich mußte mich acht 
bis zehn Tage zu Bette halten. Dies war die größte Gefahr, 
die ich bis dahin zu beſtehen gehabt hatte. 


Zweiundzwanzigſtes Kapitel. 


Ich verließ Biskaya, ſo ſchnell ich nur konnte, um nach 
Vitoria zu kommen, wo ich einen meiner liebſten Freunde, 
Don Felixe Lezcano, fand, der mich fo gut bewirtete und ver— 
pflegte, daß ich meine überſtandenen Leiden vergeſſen konnte. 


111 


Ich begab mich darauf nach Navarra, wo ein Sohn des großen 
Herzogs von Alba, Don Fernando von Toledo, Condeſtable war. 
Ich gab ſehr auf mich acht, nicht wieder irgend etwas 
zu begehen, was mir zum Nachteil gereichen könnte; denn da 
jede Stadt und Provinz verſchiedene Sitten und Gebräuche 
hat, ſo iſt es die Pflicht eines jeden Fremden, ſich mit dieſen 
bekannt zu machen; ich war um ſo aufmerkſamer, da meine 
Jugend nur zu leicht in jene Fehler verfiel, welche man erſt 
durch ein reiferes Alter ganz zu vermeiden pflegt. Es gelang 
mir auch ſo ſehr, daß ich mir in Navarra und Aragon viele 
Freunde erwarb. Als ich nach Saragoſſa, der Hauptſtadt des 
alten Königreichs Aragon, kam, fand ich ſo viele und ſo gütige 
Freunde, daß ich mir durch ihre Liebe mehr wie ein Ein— 
geborener, als wie ein Fremder, vorkam. Ich nahm mich aber 
ſehr in acht, nach keinem Fenſter hinaufzuſehen, denn man iſt 
in dieſem Lande ſehr eiferſüchtig; auch hütete ich mich über— 
haupt vor allen Händeln. In ſeinem Palaſte erzeigte mir 
ein großer Fürſt dort viele Ehre, der die Muſik und alle 
Manifeſtationen des Geiſtes außerordentlich liebte und der 
durch ſeine Großmut mich in den Bedürfniſſen des Lebens 
unterſtützte. Die Gunſt, die er mir erwies, war ſo groß, daß 
ich mich mehr als billig dem Zeitvertreibe des Spieles ergab, 
wodurch ich ſehr zerſtreut ward, obgleich ich bis dahin mit 
dieſem zeitverderbenden Laſter unbekannt geblieben war. Da 
in den Paläſten die Muße ſo groß iſt, und man Gelehrſamkeit 
und Wiſſenſchaften nur ſelten treibt, ſo verfiel ich auf das, 
womit ich alle beſchäftigt ſah. 

Doch ſah ich recht gut das Unnütze und Verderbliche des 
Spieles ein und ſprach auch oft darüber mit meinen Freunden, 
die ſich ebenfalls von dieſem Laſter hinreißen ließen, das die 
Quelle ſo vieler Übel iſt und die, ſo ſich ihm ergeben haben, 
ſelten wieder losläßt. Mit einem von dieſen begegnete mir 
112 


| 


eine Sache, die mir die größte Beſchämung, ſowie denen, Die 
davon hörten, das lauteſte Gelächter verurſachte. Der eine 
von ihnen bat mich nämlich, ihn eines Nachts zu begleiten, 
weil er mit einer gewiſſen Perſon ſprechen müſſe, und er 
wünſche, mich mit ſich zu nehmen, damit ich ihn im Fall der 
Not beſchütze. Ich rüſtete mich, eben da es Nacht war, mit 
einem Degen und einem kleinen Schilde, zog leinene Bein— 
kleider an, warf einen weiten Rockelor über und entſtellte mich 
noch auf andere Weiſe. So gingen wir aus, und ich 
folgte jenem bis zu einem Hauſe, vor deſſen Tür ſich eine 
Bank befand. Die Uhr ſchlug elf und nachher zwölf, welches 
ſeine beſtimmte Stunde war. Er ſagte mir nun, ich möchte 
mich nur auf die Bank ſetzen und ihn dort erwarten, weil 
er ſogleich wieder herauskommen würde. Ich ſetzte mich mit 
recht vollem Magen hin, ſummte heimlich ein Lied zwiſchen 
den Zähnen und fing an, mir den Schlaf abzuwehren, ſo gut 
es gehen wollte, denn es war ſchon ſeine Zeit. Am folgenden 
Tage war ein großes Apoſtelfeſt. Ich hörte es zwei und nach— 
her auch drei ſchlagen, und der gute Freund konnte immer 
noch nicht wiederkommen, weil er geſtört worden war. Ich fing 
an, einzuſchlafen, ſpazierte hierauf hin und her, um mich da⸗ 
durch des Schlafes zu erwehren und ſetzte mich dann wieder 
nieder, weil ich vom Gehen müde geworden war. Da ich das 
Abendeſſen ſchon lange verdaut hatte, ſo geſchah es, ſo oft ich 
mir auch die Augen mit Speichel rieb, daß ich, ohne zu mer— 
ken wie, einſchlief, und ſo ſchlafend auf der Bank ſitzen blieb, 
und zwar immer noch, als man ſchon am folgenden Tage das 
Hochamt einläutete. Vom Getöne der Glocken und dem Ge— 
räuſch der vielen Menſchen, die zur Kirche gingen, wurde ich 
etwas munter und hörte, wie eine von den vorübergehenden 
Damen ſagte: Wie das Vieh noch ſchnarcht! worauf ſie einem 
Escudero befahl, mich aufzuwecken. Ich ermunterte mich völlig, 
8 113 


und indem ich mit einem lauten Gähnen die Augen auffchlug, 
ſah ich die Sonne in der Mitte der Gaſſe und hörte das 
Glockengeläute. Erſchreckt warf ich den Rockelor über das 
Geſicht und fing an, zu laufen, nicht nach meiner Wohnung, 
ſondern nach dem kleinen Medicisplatze, wobei mich mehr 
als dreihundert Hunde verfolgten. Beim Umbiegen um eine 
Ecke rannte ich gegen einen Blinden, der ein Dutzend Eier im 
Buſen trug. In demſelben Augenblicke, da ich ihn anrannte, 
ſchwang er ſeinen Stock und traf mich auf die linke Schulter. 
Als ihm der gelbe Eierbrei herunterlief, ſchrie man mir nach, 
ich hätte ihm die Galle im Körper geſprengt. Jetzt war ich dem 
Hauſe ſchon nahe, wo ich meine Zuflucht hatte ſuchen wollen; 
aber in der Eile und Angſt vor den Hunden, die mir nachliefen, 
ſtolperte ich und lag vor der Tür einer Dame ausgeſtreckt, 
die von ſo guter Familie war, daß ſie einſt zwei Rebhühner, 
die ich ihr als Geſchenk geſendet hatte, in einen Abtritt warf, 
weil fie geſpickt waren 6. Ich war traurig über meinen Fall, 
und alle, welche mich fallen ſahen, erhoben ein lautes Ge: 
lächter. Ich ging in das Haus zu jenem guten Frauenzimmer 
hinein, und von dort nach meiner Wohnung, und nach wenigen 
Tagen begab ich mich nach Valladolid, nachdem ich vorher 
Burgos und die ganze Provinz Riora geſehen hatte, welche 
ſehr fruchtbar iſt, ein angenehmes Klima und eine gewwiſſe 1 
Ahnlichkeit mit Andaluſien hat. | 


Dreiundzwanzigſtes Kapitel. 


In Valladolid diente ich dem Grafen von Lemos Don 
Pedro de Caſtro, dem von der großen Stärke, einem Ritter 


vom feinſten Geſchmack wie vom größten Edelmut, der ihn 
ſowohl ſelber ſchmückt, als auch ihm angeſtammt iſt, indem 


er ein Nachkomme jener Richter von Kaſtilien, des Nuño | 
Raſura und des Lain Calvo, ſowie der Könige von Portugal 
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iſt. Ich erwarb mir feine Gunſt, obgleich ich wenig dazu 
tat, denn der Graf war ſo die Liebe und Freundlichkeit ſelbſt, 
daß er jedem Diener wohlwollte, von dem er nur wußte, daß 
er ihn liebe. Bei alledem aber befand ich mich anfangs nicht 
wohl, denn mir fehlte das, was im Palaſt zum Dienfte not: 
wendig iſt, nämlich eine Schmeichelei mit Anmut ſagen, eine 
Lüge würzen zu können, eine Verleumdung künſtlich herbei— 
zuführen, Freundſchaft zu erheucheln, den Haß zu verbergen; 
alles Dinge, wozu ſich freie Gemüter und edle Menſchen 
nur ſchwer verſtehen mögen. Noch erwähnte ich nicht einmal 
die Strenge und Majeſtät der Türſteher, die meiſtenteils eine 
Steifheit haben, noch trockner als ihre Perſon, die ebenſo 
widerwärtig iſt, als ihre Art ſich auszudrücken. 

Die Hauptſache iſt, daß der Diener in Gegenwart des 
Herrn immer ein fröhliches Geſicht zeige und in allen be— 
fohlenen und unbefohlenen Dingen die größte Sorgfalt an— 
wende, um auch das Kleinſte ganz genau auszurichten. Was 
das betrifft, immer fröhlich auszuſehen, ſo kann es ein Me— 
lancholiſcher ſchwerlich leiſten; doch hat ein ſolcher Diener den 
Ausweg, daß er ſich dem Herrn zu keiner andern Stunde 
zeigt, als wenn er fröhlich iſt; denn dieſe Heiterkeit des Dieners 
erfreut auch den Herrn, und dieſer muß glauben, wenn 
ſie vermißt wird, daß der Diener mit feiner Stelle unzu⸗ 
frieden ſei. Dieſer Fürſt war aber gegen ſeine Diener faſt 
immer ſo gütig, daß ſie ohne Zwang und Verſtellung ihm 
mit Freude und Heiterkeit aufwarteten. Immer haben Groß— 
mut und Wohlwollen in dieſer vornehmen alten Familie ge— 
herrſcht, wie ſie ſich jetzt auch wieder an Don Pedro de 
Caſtro zeigten, den von den früheſten Jahren Talente und 
Tugend ſchmückten, ſo daß er, von ſeinem Könige in den 
höchſten Amtern und Würden der Monarchie angeſtellt, ſeinen 
Ruhm auf wunderbare Weiſe verbreitet hat, indem ſein 
ge 115 


e 


Monarch ihn ehrte, feine Untergebenen ihn liebten und fremde 
Nationen ihn bewunderten. 

Als ich zu Valladolid in dieſem Palaſt lebte, zeigte ſich 
jener große Komet, den die Aſtrologen ſo viele Jahre vor— 
hergeſagt hatten, welcher dem Haupte von Portugal drohte”. 
Außer den bedeutenden Auslegungen über ihn gab es auch 
ſo unkluge, daß man genug zu lachen hatte. So wurde 
unter anderm behauptet, er zeige an, daß die großen Dinge 
ab⸗ und die kleinen zunehmen würden. Dieſe Deutung kam 
einem kleinen Menſchen zu Ohren, der ſich alle Mühe gab, 
nicht als ein ſolcher zu erſcheinen und daher immer fünf— 
bis ſechsfache Sohlen von Kork trug, obgleich er ſich auch 
dadurch noch nicht bedeutend erheben konnte. Er zeigte ſich 
immer zierlich gekleidet, ſpielte den Verliebten und war in 
Ausdruck und Rede verſchroben. Doch war ſein Beſtreben 
in Geſellſchaften weit mehr, ſeine Schultern mit denen der 
übrigen in gleiche Höhe zu bringen als ihnen im Witz und 
Verſtande gleich zu kommen. Als dieſer von der Auslegung 
hörte, daß kleine Dinge wachſen würden, ließ er ſich bei— 
kommen, daß er damit gemeint ſei, ſind wir doch ſo leicht 
geneigt zu glauben, was wir wünſchen, mag es auch noch ſo 
widerſinnig ſein. Man ſagte ihm, ich ſei ein Nekromant, 
und daß, wenn ich es nur wolle, ich ihn einige Zoll länger 
machen könne; dies müſſe aber ſehr geheim betrieben werden, 
damit man nicht erführe, daß ich eine fo hölliſche Kunſt be= 
ſäße. Als ich mich mit den andern vornehmen Dienern des 
Hauſes auf dem Platze befand und Dienſt tat, bezeichnete 
man mich ihm heimlich, damit er mich kennen möchte. Ohne 
daß man mir einen Wink darüber gegeben hatte, wie man 
ihn zum Narren mache, kam dieſer Menſch zu mir, und in 
einer geſuchten Rede bot er mir Freundſchaft, Vermögen und 
Liebe für das ganze Leben an und ſchloß dann mit dieſen 
116 


Worten: Ihr febt wohl, mein Herr, wie geringſchätzig die 
Natur einen Mann von meinen Talenten behandelt hat, in— 
dem ſie einer ſo großen Seele einen ſo kleinen Körper gegeben 
hat; ich weiß, daß Ihr, wenn Ihr nur wollt, dieſem Mangel 
abhelfen könnt, wodurch Ihr mich auf immer zu Eurem 
Sklaven machen werdet. 

Dies, antwortete ich, kann Gott allein zuſtande bringen, 
denn es iſt über die Natur; wollt Ihr aber noch an den 
Füßen wachſen, ſo müßt Ihr noch mehr Korkſohlen unterlegen; 
wollt Ihr aber oberhalb der Bruſt länger werden, ſo müßt 
Ihr Euch hängen, was Euch gewiß um einige Zoll aus— 
dehnen wird. 

Mein beſter Herr, ſagte er, man hatte mir freilich ſchon 
geſagt, daß Ihr mir die Gunſt verweigern würdet; aber ich 
bitte, daß Ihr aus Liebe zu mir nachgiebiger werdet; mögt 
Ihr Euch doch gegen alle andern Menſchen ſo ſtreng verhalten, 
als Ihr nur immer wollt. 

Da ich ihn ſo feſt auf ſeiner Tollheit verſeſſen ſah, be— 
mühte ich mich, ihn zur Vernunft zurückzubringen und ſuchte 
ihm deutlich zu machen, wie er etwas verlange, das jenſeits 
aller Möglichkeit liege, und wie ſehr ihn zugleich alle Menſchen 
verlachen würden, die irgend von ſeinem unvernünftigen Be— 
gehren hörten. Er erwiderte auf alle meine Belehrungen: 
Iſt es denn nicht noch weit ſchwerer, einen Menſchen un— 
ſichtbar zu machen? Und dies geſchieht doch. — Dies iſt 
im Gegenteil ſehr leicht, antwortete ich; denn man braucht 
nur jemand hinter einem Teppich zu verbergen, ſo wird er un— 
ſichtbar, oder wenn eine Wolke ihn einhüllt, und Ihr könnt 
ſogar unſichtbar werden, indem Ihr eine Mücke vor Euch ſtellt. 

Herrlichen Troſt, rief er aus, habe ich bei dem gefunden, 
von dem ich das zu erlangen hoffte, was ich mir mein ganzes 
Leben hindurch gewünſcht habe! — Welchen Troſt will jemand 

117 


finden, antwortete ich, der etwas Unvernünftiges und Unz 
mögliches begehrt? Ihr könntet klagen, wenn Ihr mißgeſtaltet 
wäret und beſäßet die Arme eines Rieſen und die Beine eines 
Hundes, oder wenn die Natur in Euer Alraungeſichtchen eine 
Faſchingsnaſe gepflanzt hätte, und verbeſſern ließe ſich ein 
ſolcher Übelftand doch nicht; wenn Ihr aber auch nur klein. 
ſeid, ſo ſeid Ihr doch ſo gut und ebenmäßig gebildet, daß 
Eure Ohren größer find als die Füße; und warum ſoll der⸗ 
jenige, der ſchon auf dem halben Wege iſt, eine der wichtigſten 
Tugenden auszuüben, durch welche der Menſch irgend glänzen 
kann, noch zu wachſen wünſchen? — Welche Tugend wäre das? 
fragte er. Die Demut, antwortete ich, und zu dieſer himm⸗ 
liſchen Tugend zu gelangen, ſeid Ihr ſchon auf dem halben. 
Wege mit dem Körper, denn es ſieht immer aus, als wenn 
Ihr auf den Knien läget; demütiget nun Eure Seele eben⸗ 
ſoſehr, ſo habt Ihr dieſe Tugend ganz erreicht. 

Zu allem, was ich nur ſagen konnte, ſchwieg er ſtill; 
endlich aber fing er wieder an: Ich halte mich an die Bez 
deutung des Kometen, welcher vorherſagt, daß die Kleinen 
wachſen und die Großen ſich vermindern ſollen; da Ihr Euch 
aber die Luſt gemacht habt, mich zu verhöhnen, ſo iſt es auch 
Eure Pflicht, mich in einen Zuſtand zu verſetzen, der dieſen 
Spott andern unmöglich macht; denn, wem es gegeben iſt, 
das eine zu ſagen, dem wird es auch leicht ſein, das andere 
ins Werk zu ſetzen. Was aber die Demut betrifft, ſo mögt 
Ihr dieſe nur für Euch ſelber anwenden, denn ich darf mich 
ſchon achten, da ich aus einer angeſehenen Familie entſproſſen 
bin, von ſeiten meiner Großmutter, die vorher, ehe ſie meinen 
Großvater bekam, mit einem ſehr angeſehenen Hidalgo ver⸗ 
heiratet war. — Daher alſo, ſagte ich, kommt Euch die Eitel⸗ 
keit, daß Ihr nichts von der Demut wiſſen wollt? — Ich 
bin nicht gekommen, ſchloß er endlich, um Predigten über 
118 


Tugenden zu hören, ſondern um Zaubereien oder übernatürliche 
Dinge zu verſuchen, durch welche ich meine Abſicht erreiche. 

So entfernte ſich der wackere Mann, und in demſelben 
Augenblicke kamen vier luſtige und mutwillige Freunde zu 
mir, die mich fragten, ob ſich jener Menſch mit ſeiner Forde— 
rung an mich gemacht habe. Ich antwortete mit Ja und daß 
ich mir alle Mühe gegeben hätte, ihn von ſeinem aberwitzigen 
Verlangen abzubringen. Das tut doch beileibe nicht, ſagten 
ſie; denn wir haben, da er ſo gar närriſch iſt, einen Poſſen 
mit ihm vor, der ihn zugleich um ein gutes Frühſtück bringen 
ſoll, ſo daß wir recht auf ſeine Koſten lachen können. f 

Dies würde ich um alles in der Welt nicht tun, war meine 
Antwort, denn dergleichen Poſſen, die zum allgemeinen Arger— 
nis und zum Nachteil des Einzelnen ausſchlagen können, darf 
man ſich keineswegs erlauben. 

Wißt nur, fuhren ſie fort, daß er der Geiz und die Knickerei 
ſelber iſt, und wir haben den Plan nur gemacht, um ihn zu 
Ausgaben zu verleiten, was ihn in der Seele ſchmerzen wird. 

Wenn er die Leidenſchaft hat, erwiderte ich, ſo werdet Ihr 
nichts aus ihm herauspreſſen, und wenn Ihr ihn ſo hoch 
wie den Turm des Domes von Sevilla machen könntet, denn 
Geizige und Trunkenbolde haben nie genug und fühlen nie 
ihren Durſt geſtillt. 

Sie blieben aber dabei, daß wir ihm einen Poſſen ſpielen 
müßten, der den Anſchein einer Bezauberung habe. Wenn es 
geſchähe, fragte ich, wer würde dann am meiſten beſchämt ſein, 
wenn die Wahrheit entdeckt wird; er, daß er ſich hat täuſchen 
laſſen, oder ich, daß ich der Urheber einer ſolchen Täuſchung 
geweſen bin? 

Sie entfernten ſich und ſpielten ihm nachher einen ſehr 
argen Streich, von welchem ſie mich für den Urheber aus— 
gaben. Sie legten ihm nämlich für drei Tage ein ſehr ſtrenges 

119 


Faſten auf, in welchem fie ihm nur vier Unzen Brot und 
zwei Unzen Roſinen und Mandeln, nebſt zwei Schluck Waſſer, 
bewilligten; vorher aber nahmen ſie an einer ganz weißen 
Wand das Maß von ſeinem Körper, in der ſie zum Zeichen 
ſeiner Höhe einen kleinen Nagel einſchlugen. Er beobachtete 
ſeine Diät, ein Paar Schweſtern von ihm rieben ihm, nach 
dem Rat der Spötter, abends und morgens Arme und Beine, 
und wenn die Armen müde waren, ſo fragten ſie ihn: Bruder, 
wozu geſchieht das? Er antwortete ihnen aber: Dummköpfe, 
mengt euch nicht in Männerſachen! Alle drei Faſt- und Reibe⸗ 
tage ſtieg er beim Anbruch des Morgens auf das Dach des 
Hauſes und kehrte ſich gegen den Aufgang der Sonne, indem 
er gewiſſe Gebärden gegen die Wolken von Valladolid machte, 
die man ihm vorgeſchrieben hatte, und die er ſo gewiſſenhaft 
wie alles übrige verrichtete. Als die drei Tage verfloſſen waren, 
kam er zu den Schelmen mit einem Geſicht, das ſo dürr wie 
ein Totenkopf ausſah; und ſo eingefallen und mager, wie er 
jetzt war, ſchien er wirklich etwas länger zu ſein. Einer von 
ihnen ging zu der weißen Wand, wo er gemeſſen worden war, 
ſteckte das Nägelchen einige Zoll tiefer und verſtopfte das 
obere Loch wieder geſchickt mit etwas ganz reinem und friſchem 
Wachs. Nun führten ſie ihn hin, ſich zu meſſen, und da er 
ſich mit dem Hinterkopfe an den Nagel ſtieß, ſo war er außer 
ſich vor Vergnügen, indem er ſich einbildete, er ſei wirklich 
um ſo viel gewachſen, als der Nagel jetzt niedriger ſtand. Ent⸗ 
zückt warf er ſich zu den Füßen ſeiner Betrüger; ſie aber 
ſagten ihm, er möge ja ſchweigen, weil ſonſt ſein Wachstum 
wieder zurückgehen könne, auch fet noch das Schwerſte aus: 
zurichten übrig. Er verſicherte, er wolle alles tun, ſelbſt zur 
Hölle hinunterſteigen, um nur nicht wieder kleiner zu werden. 
Weniger iſt es auch nicht, antworteten ſie. Sie befahlen ihm 
hierauf, in derſelben Nacht zwiſchen elf und zwölf in ein ges 
120 


wiſſes Gemach durch einen ſehr engen Gang zu gehen, der 
unter einigen dunkeln Häuſern hinführte, aber es müſſe allein 
und ohne Licht geſchehen, und dort würde er erfahren, was 
noch geſchehen müſſe. Dieſe vorgeſpiegelten Schrecken ängſtig— 
ten ihn zwar, aber am Ende ſagte er zitternd vor Furcht: 
Ich werde es tun! ich werde es tun! In der Nacht trat er 
ſeine Reiſe durch den engen Gang mit emporgeſträubten Haaren 
und die Angſt in allen Gliedern an, ohne Hund noch Katze 
zu hören, die ihm hätten Geſellſchaft leiſten können, und in— 
dem er in das Gemach eintrat, ſprangen aus den vier Winkeln 
unter dem Bette vier Teufelslarven mit vier kleinen Kerzen 
im Munde hervor, ſo daß er in der Angſt ſogleich die ganze 
Hölle vor ſich zu ſehen glaubte. Er ſtürzte bewußtlos nieder 
und entleerte ſich derart, daß es ſo ausſah, als habe er gar 
nicht gefaſtet; die Teufel entfernten ſich wieder, und er blieb 
liegen. Sie waren erſchrocken und bereuten den ſchlechten Spaß, 
wußten aber nicht, was ſie anfangen ſollten. Nach geraumer 
Zeit kam er endlich wieder zu ſich und fand, daß er ſich 
in etwas gewälzt hatte, was freilich nicht ſein Blut war. 
Ergrimmt verließ er den Ort, wurde dann aber ſo gefährlich 
krank, daß er nun im Ernſte die Diät der Mandeln und Ro— 
ſinen gebrauchen mußte. Die Anſtifter des Spaßes aber 
hielten ſich verborgen. 

Ich ſtellte mich weislich in Sicherheit, indem ich dem 
Grafen die Begebenheit erzählte, der ſich ſehr daran ergötzte 
und die Verſöhnung der Parteien auf ſich nahm. Durch das 
Anſehen eines ſo vornehmen Mannes wurde dieſer Handel 
beigelegt, obgleich die Urheber einige unruhige Tage darüber 
verlebten, denn der kleine Mann beklagte ſich gegen alle Welt, 
vorzüglich gegen diejenigen, die die Urheber wohl hätten be— 
ſtrafen können. Ich verwies ihnen, als ich Gelegenheit dazu 
fand, ihr unbeſonnenes und törichtes Unternehmen. 

121 


Vierundzwanzigſtes Kapitel. 


Der Graf war überhaupt ein Feind aller Verleumdungen 
und Klatſchereien und duldete dergleichen in ſeinem Palaſte 
nicht, und weil ich ſonſt dazu weiter keine Veranlaſſungen 
finden werde, ſo will ich hier ein kleines Beiſpiel davon er⸗ 
zählen, das ſich in meiner Gegenwart zutrug. Einer von 
jenen Liebedienern kam einmal zu ihm und erzählte, wie ein 
Hidalgo in Valladolid vom Grafen ſehr ſchlecht geſprochen 
habe, und da er dieſen Handel recht ſchlimm darzuſtellen ſuchte, 
fragte ihn der Graf endlich: Und Ihr? Was habt Ihr 
dabei getan? — Ich? ſagte der gute Mann, ich machte mich 
ſogleich auf, Eure Exzellenz davon zu benachrichtigen, damit 
Ihr alsbald jenem die Strafe zukommen laſſen könntet, die 
ſich für die Beleidigung eines ſo großen Herrn geziemt. — 
Ihr habt recht, ſagte der Graf; holla! zählt doch einmal 
dieſem guten Manne gleich eine Anweiſung von einem halben 
Dutzend tüchtiger Hiebe auf! — Wie denn, mir? Warum 
das? rief der Treffliche. — Sie find nicht für Euch, ante 
wortete der Graf; Ihr ſollt ſie nur dem überbringen, der ſo 
ſchlecht von mir geſprochen hat; denn ſo, wie Ihr mir brachtet, 
was ich nicht wußte, ſo ſollt Ihr zu jenem tragen, wovon er 
nichts weiß. Zugleich ſagte er zu einem Pagen: Bermudez, 
lauf' und ſage dem und dem, daß, wenn er von mir ſchlecht 
ſprechen will, er es nicht in Gegenwart ſo erbärmlicher Men⸗ 
ſchen tun ſoll, die es mir gleich wieder ſagen; zu ſeiner Strafe 
genügt es aber, daß er erfährt, daß ich es weiß. Sie wurden 
beide ſo bezahlt, wie ſie es verdienten, denn obwohl ihm die 
Anweiſung nicht gereicht wurde, ſo mußte der Klatſcher doch 
die Furcht ausſtehen. | 

Der Eremit fing feit einer Weile an, öfter den Kopf ſinken 
zu laſſen und häufig zu gähnen, wie ein Mann, der ſich un- 
gern in einem Nonnenſprechzimmer aufhält; denn ſeit dem 
122 


Eſſen hatten wir nichts getan, als zu dem allmählich ſchwächer 
werdenden Geräuſch des Regens und Waſſers geſprochen, wäh: 
rend der Wind noch zu brauſen fortfuhr und zu erkennen 
gab, daß auch die Nacht über dieſes Getöſe nicht aufhören 
würde. Wir aßen zu Abend von dem, was der gute Mann 
hatte, was zwar wenig war, aber doch hinreichend, um ſchlafen 
zu können, und auch zur Entſtehung von Träumen Veran— 
laſſung zu geben, die von der Nahrung und von dem Toben 
des Sturmes draußen Farbe und Inhalt annahmen. Denn 
aus der Umgebung, aus der Nahrung und der Stimmung des 
Menſchen entſtehen die meiſten Träume, ſo ſehr ſich auch viele 
Unwiſſende haben bemühen wollen, ſie prophetiſch zu deuten. 


123 


Einleitung. 


bwohl mit dem Anbruch des Tages die Regengüſſe, die die 
Oc hindurch auf die Einſiedlerhütte herabgerauſcht 
waren, etwas nachließen, ſo war doch der Fluß ſo an— 
geſchwollen, daß er überall über die Brücke ſpülte, ſo daß man 
nicht hinübergehen konnte, bis ſich am folgenden Tage das Waſſer 
verlaufen hatte. Ich wollte Abſchied nehmen, weil es mir vorkam, 
als wenn es der Eremit ſchon überdrüſſig wäre, Erzählungen 
aus meinem Leben anzuhören, und da ich weder ſelber gern 
ſchwatze, noch ſchwatzen höre, ſo ſchien es mir, daß die große 
Müdigkeit des Einſiedlers von der Langeweile meiner Erzäh— 
lungen herrühre. Um alſo nicht in das verdrießliche Weſen eines 
läſtigen Schwätzers zu verfallen, wollte ich nach Hauſe gehen, 
obgleich das Wetter es noch nicht erlaubte. Er aber drang in 
mich, ihn nicht allein zu laſſen, denn ein Traum in dieſer 
Nacht habe ihn in eine ſo tiefe Melancholie verſetzt, daß er feſt 
überzeugt ſei, er habe zu einer Zeit, da er ſchon mehr wach 
als ſchlafend geweſen, mit einem Toten geſprochen, bei deſſen 
Sterben er in Italien zugegen geweſen ſei. Ich lachte und ſuchte 
ihm, ſo gut ich konnte, dieſe Einbildung auszureden. Er fragte, 
worüber ich lache. Darüber, antwortete ich, daß die Furcht 
vor Träumen bei einigen Menſchen ſo groß ſein kann, daß ſie 
das für Wahrheit halten, was ſie doch nur in der Einbildung 
ſehen. Denn alles ſind nur Dünſte des Gehirns, die jetzt durch 
die Melancholie, die das ſchlechte Wetter verurſacht hat, dieſe 
Geſtalt angenommen haben, noch mehr befördert durch die 
wenige und minderwertige Nahrung, die wir genoſſen, 
was zuſammen wohl noch viel lächerlichere Wirkungen hervor— 
bringen könnte. Wirklich, antwortete der Eremit, ſcheint der 
Tote noch immer vor mir zu ſtehen. Ich lachte noch ſtärker, 
und er verſetzte: Kommen alſo die Toten nie zurück, um mit 
127 


den Lebendigen zu ſprechen? — Gewiß nicht, antwortete ich, außer 
wenn ſie wegen ſehr erheblicher Urſachen von Gott die Erlaubnis 
dazu erhalten, ſo wie in jenem höchſt verwunderlichen und 
wiſſenswürdigen Falle, der ſich mit dem Marques de las 
Navas zutrug, welcher mit einem Toten ſprach, dem er das 
Leben genommen hatte: dieſer kam aber wegen wichtiger Dinge 
zurück, von denen die Ruhe feiner Seele abhing. Dieſe Be— 
gebenheit iſt eine ausgemachtere Wahrheit, als alle diejenigen, 
die wir in alten Büchern leſen, das ausgenommen, was die 
heilige Schrift erwähnt; denn jener Fall trug ſich in unſern 
Tagen zu mit einem ſo vornehmen Ritter, einem ſo großen 
Freunde der Wahrheit und in Gegenwart von Zeugen, von 
denen noch einige leben, und die ſo wenig, als er ſelber, irgend— 
einen Nutzen davon hatten, wenn ſie es erzählten, mochte es 
Wahrheit ſein oder nicht. — Welcher Marques iſt das? fragte 
der Eremit. Der, welcher noch lebt, antwortete ich, Don Pedro de 
Avila. Wenn es Euch nicht ermüdet, ſagte der gute Mann, ja 
wenn es Euch ſelbſt Mühe machen ſollte, bitte ich Euch, mir 
die Geſchichte zu erzählen; denn eine ſo wunderbare Begeben- 
heit, und die ſich noch dazu in unſern Tagen zugetragen hat, 
ſollte allgemein bekannt ſein. — Sie iſt ſehr verbreitet, ſagte 
ich; damit ſie aber nicht mit dem Toten begraben bleibe, iſt 
es gut, ſie zu erzählen, da ſie ſo vollkommen den Anſchein der 
Wahrheit hat. Doch würde ich ſie noch bezweifeln, wenn ich 
fie nicht aus dem Munde eines fo großen Ritters, wie der Mar— 
ques ſelbſt iſt, gehört hätte, und von ſeinem Bruder, Don 
Enrique de Guzman, Marques de Pobar, Kammerherr des 
großmächtigſten Königs von Spanien, Philipps des Dritten, 
in deſſen Palaſte weder für die Schmeichelei, noch für die Lüge 
Raum iſt. Die Geſchichte ſelbſt iſt aber folgende. 

Als der Marques in Madrid auf Befehl ſeines Königs 
in San Martin, dem Benediktinerkloſter, Arreſt hatte, und 
128 


ibn feine Freunde und vornehme Ritter vielfach befuchten, 
blieben ſie oft oder meiſtenteils bei ihm und begleiteten ihn 
in der Nacht, namentlich Don Enrique, Marques von Pobar, 
ſein Bruder und Don Felipe von Cordoba, Sohn des Don 
Diego von Cordoba, Oberſtallmeiſters Philipps des Zweiten. 
In einer Nacht bekamen der Marques und Don Felipe Luſt, 
ſpazieren zu gehen; fie gingen bis zum Viertel der Fuß: 
waſchung, und als ſie vor einem Fenſter ſtehen blieben und 
miteinander ſprachen, ſagte der Marques: Erwartet mich hier, 
denn eines gewiſſen Bedürfniſſes wegen will ich in jenes Gäßchen 
hineingehen. Er fand aber dort an den beiden Ecken der kleinen 
Straße zwei Menſchen, die ihn nicht vorüber laſſen wollten. 
Der Marques bat ſie erſt höflich, ihn vorbei zu laſſen, dann 
aber wollte er mit Gewalt vordringen. Einer von ihnen gab 
dem Marques einen Stoß mit dem Degen, den dieſer ſogleich 
erwiderte, ſo daß jeder dachte, er habe den andern umgebracht. 
Mit derſelben Bewegung, mit welcher der Marques ſich gegen 
den erſten verteidigte, brachte er auch dem zweiten eine tiefe 
Wunde am Kopfe bei. Beide Gegner waren in einem Zuſtande, 
daß ſie ſich nicht bewegen konnten: der den Stich bekommen 
hatte, war tot, aber nicht gefallen, und der Verwundete ohn— 
mächtig. Der Marques ging, rief Don Felipe, und ſie kehrten 
nach San Martin zurück. Als man dort war, ſchien es ihm 
unrecht, ſich niederzulegen, ohne genauer zu wiſſen, wie es 
geworden; er erzählte daher ſeinem Bruder und Don Felipe 
den Vorfall, und beide entſchloſſen ſich, zu gehen. Der Marques 
ging mit ihnen, weil er ſie nicht allein laſſen wollte; ſie fanden 
das Stadtviertel in Aufruhr, und es hieß, daß man dort zwei 
Menſchen umgebracht habe. Sie gingen wieder zurück, ohne 
an der Stelle ſelbſt etwas mehr geſehen zu haben, als zwei 
blutige Tücher. Derjenige, der die Wunde bekommen hatte, 
begab ſich nach Toledo und ſandte von dort jemand, um zu 
9 129 


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erfahren, ob der Marques geftorben fei, denn er hatte ihn 
erkannt, während er ibm den Stoß beibrachte; er felber bez 
forgte die Heilung feiner Wunde fo gut es gehen wollte, ftarb 
aber doch nach einiger Zeit. Vorher machte er fein Teſtament, 
und da er erfuhr, daß der Marques nicht beſchädigt worden 
ſei, denn der Stoß hatte ihn nur geſtreift, ſetzte er ihn zum 
Vollſtrecker ſeines Teſtamentes ein. Dieſe Nachricht wurde dem 
Marques von einem Mönch mitgeteilt. Fünf oder ſechs Tage, 
nachdem dieſer Mann geſtorben war, als der Marques in ſeinem 
Bette lag, und Don Enrique, ſein Bruder, und Don Felipe von 
Cordoba in demſelben Zimmer in andern Betten ruhten und die 
Tür des Schlafgemachs verſchloſſen war, kam jemand und zog 
ihm die Bettdecke herunter. Der Marques rief: Fort, Don 
Enrique! Der Fremde antwortete mit einer rauhen, gräßlichen 
Stimme: Es iſt nicht Don Enrique. Zornig ſprang der Marques 
auf und nahm den Degen, der auf ſeinem Kopfkiſſen lag, und 
ſtach und hieb heftig um ſich, ſo daß Don Felipe fragte: 
Was gibt es denn? Mein Bruder, der Marques, antwortete 
Don Enrique, ſchlägt ſich mit einem Toten herum. Der Mar⸗ 
ques wurde endlich von der Anſtrengung müde und traf mit 
dem Degen auf nichts, als auf die Wände des Zimmers. Er 
öffnete die Tür, um draußen nachzuſehen, und hieb hier mit 
demſelben Eifer um ſich, bis er endlich in einen ganz finſtern 
Winkel kam, wo der Schatten ſagte: Genug! Herr Marques, 
genug! kommt mit mir, denn ich habe Euch etwas zu ſagen. 
Der Marques folgte ihm, und dieſem die beiden Ritter, ſein 
Bruder und Don Felipe. Jener führte ihn abwärts, und als 
der Marques fragte, was er von ihm verlange, antwortete er, 
daß man ſie beide allein laſſen müſſe, denn er könne nicht 
vor Zeugen ſprechen. So ungern er es auch tat, ſo bat der Mar⸗ 
ques jene doch, zurückzubleiben; das wollten ſie aber nicht. 
Zuletzt ging das Geſpenſt in ein Gewölbe, wo ſich Totengebeine 
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befanden; der Marques folgte ihm und fühlte einen Schauer 
in feinen eigenen Gebeinen, als er auf die der Verftorbenen 
trat, fo daß er gezwungen wurde, wieder herauszugehen und 
Atem zu ſchöpfen, was er dreimal tat. Was der Geiſt von ihm 
verlangte und was der Marques in ſeiner Verwirrung ver— 
ſtehen konnte, war, daß, zur Vergeltung des Todes, den er ihm 
gegeben hatte, er ihm die Wohltat erzeigen möchte, das zu 
erfüllen, was er in ſeinem Teſtamente verlange, nämlich eine 
Zurückzahlung und die Ausſtattung ſeiner Tochter zu beſorgen. 
Hierüber fand ein Sprechen und Antworten zwiſchen dem Mar— 
ques und dem Geſpenſte ſtatt, wie die Zeugen ausſagten. Der 
Marques aber beteuerte, daß, während er vorher eben ſo weiß 
und rot im Angeſicht wie ſeine Brüder geweſen ſei, er ſeit 
dieſer Nacht die bleiche Farbe und die eingefallenen Wangen 
bekommen habe. Er erzählte ferner, daß der Geiſt noch öfter 
gekommen ſei, mit ihm zu ſprechen, und daß er jedesmal 
zuvor ein Schaudern und Zittern empfunden habe, daß er ſich 
nicht habe aufrecht erhalten können. Er erfüllte endlich das, 
worum er gebeten worden war, und ſeitdem iſt jener ihm niemals 
wieder erſchienen. 

Dieſe Geſchichte hat mich entſetzt, ſagte der Einſiedler, und 
ich bin entſchloſſen, die Einſamkeit wieder zu verlaſſen. Ich habe 
zwar ſelbſt nichts geſehen, was mich beunruhigt hätte in der Zeit, 
die ich in ihr zugebracht habe; ich habe mich aber doch wegen 
der Schrecken, die mir die hohen Felſen der Sierra Morena 
erregten, den Menſchen wieder genähert. Aber laſſen wir dieſes 
Geſpräch jetzt fallen und ſetzen wir das fort, das wir angefangen 
haben, denn durch die Anmut Eurer Erzählung werde ich den 
melancholiſchen Traum und dieſe ſchreckliche Geſchichte vergeſſen. 

Der Eremit begab ſich auch bald darauf nach Sevilla, wo 
er noch jetzt ſehr eingezogen lebt. 


9 131 


Erſtes Kapitel. 

Wir ſetzten uns, um die unterbrochene Unterhaltung wieder 
anzuknüpfen, an das Kohlenbecken, denn der Eremit, der eine 
große Überredungsgabe beſaß, bat mich fo dringend, weiter zu 
erzählen, daß ich wohl ſah, wie ſehr es ihn intereſſiere, die 
verſchiedenen Begebenheiten meines Lebens zu hören; auch zeigte 
er die größte Aufmerkſamkeit, durch welche der Erzählende 
immer neue Anregung empfängt, und ſo fing ich wohlgemut 
da wieder an, wo mich den Abend vorher die Schläfrigkeit 
des Eremiten unterbrochen hatte. Ich dachte, als ich die Ge⸗ 
ſchichte begann, nicht an die Möglichkeit, daß ich meinem Zu⸗ 
hörer Langeweile machen könne, und ich hatte auch in der Tat 
nicht Urſache zu klagen; denn nicht nur wurde er nicht müde, 
meiner langen Erzählung zuzuhören, ſondern drang wiederholt 
in mich, fortzufahren und zeigte die lebendigſte ine 
Ich fuhr daher auf folgende Weiſe fort. | 


Zweites Kapitel. 

Bald zeigte ſich durch den Untergang des Königs Don 
Sebaſtian von Portugal, in jener merkwürdigen Schlacht, in 
welcher drei Könige zugegen waren, welche alle ſtarben, die 
Bedeutung des Kometen ss: der Kardinal Don Enrique, Oheim 
Philipps des Zweiten, war der Thronerbe und berief dieſen 
zum Nachfolger in der Regierung, worauf ſich alles in Kaſtilien 
und Andaluſien aufmachte, um ſeinem Könige mit der Treue 
und Ergebenheit zu dienen, welche Spanien immer gegen ſeine 
rechtmäßigen Monarchen bewieſen hat. Ich ging von Valla⸗ 
dolid nach Madrid, den allgemeinen Enthuſiasmus teilend, 
und begab mich hierauf nach Sevilla, in der Abſicht, nach Italien 
überzuſetzen, wenn ich etwa nicht früh genug käme, um mich 
nach Afrika einzuſchiffen. Ich freute mich über die Größe 
dieſer berühmten Stadt, die mit allen Herrlichkeiten erfüllt 
132 


ift und die unermeßlichen Schätze, die der Ozean ihr zufendet, 
in ihrem Schoß aufnimmt und nachher wieder verbreitet. 
Als alles in Portugal beruhigt, oder richtiger zu reden, zu 
beſſerer Geſtalt zurückgeführt war, blieb ich für einige Zeit 
in Sevilla, wo es ſich mit mir zutrug, unter vielen andern 
Dingen, die mir dort begegneten, daß ich ein tapferes Stückchen 
lieferte. Es gab nämlich damals, und gibt ſie vielleicht auch 
noch, eine Art von Leuten, die weder Chriſten, noch Mauren, 
noch Heiden ſcheinen, ſondern ihre Religion beſteht darin, die 
Göttin Tapferkeit zu verehren, und ſie ſind der Meinung, daß, 
wenn ſie nur in dieſe Brüderſchaft aufgenommen ſind, man 
ſie für tapfer halten und als brav ehren wird, nicht weil 
ſie es ſind, ſondern weil ſie den Schein davon angenommen 
haben. Als ich durch die Genueſiſche Gaſſe ging, traf es ſich, 
daß ich auf einen dieſer Herren ſtieß, und wir begegneten uns 
ſo nahe, daß ich ihn durch den Schmutz gehen laſſen mußte, 
um die trockene Stelle zu behalten. Er kehrte ſich zu mir 
und ſagte mit großer Majeſtät: Mein Herr von Hoffart! 
könnt Ihr nicht ſehen, wohin Ihr tretet? Ich antwortete: Ver— 
zeiht mir, mein Herr, denn ich tat es nicht mit Vorſatz. 
Er erwiderte: Wär' es mit Vorſatz geſchehen, wäret Ihr dann 
nicht ſchon eine Leiche? Ich trug keinen Degen, weil ich 
in der Studentenkleidung ging, und daher war mein Betragen 
von der größten Demut, während er allen den Übermut zeigte, 
den Leute ſeiner Art zu haben pflegen. Ich ſagte zu ihm: 
Die Beleidigung war doch nicht ſo groß, daß ſie eine ſo 
ſchwere Strafe verdiente. Worauf er ausrief: Der Morlacke 
muß wohl nicht wiſſen, wem er begegnet iſt! Aber nur Geduld, 
ich will ihn weiter nicht züchtigen, als daß ich ihm vierzig 
Finger ins Geſicht werfe! Nach meiner Rechnung betrug dies 
acht Ohrfeigen. Ich wartete es ab und während er die Hand 
aufhob, um ſeine Drohung zu erfüllen, bediente ich mich 
133 


eines Handgriffes, der mir mehr als einmal gelungen ift: 
indem er nämlich ausholte, nahm ich meine Zeit in acht, 
faßte ſeinen Degen am Griff und zog ihn mit der größten 
Schnelligkeit aus der Scheide; mit derſelben Bewegung warf ich 
ihm auch meine fünf Finger ſchon ins Geſicht und verwundete 
mit dem Griffe des Schwertes ſeine linke Wange. Als er 
ſich entwaffnet ſah, lief er eilig davon, und einige Arbeiter 
riefen: Der Student hat den Sieg! Sie fügten aber hinzu: 
Entfernt Euch von hier, denn er ruft nun ſeine Helfershelfer 
und wird mit dieſen gleich wiederkommen. 

Ich ging nach S. Franziskus, und der Narr trat bleich und 
ohne Degen in den Hof der Orangen ein, den Mantel nach= 
ſchleppend, das Geſicht voller Blut; und als man ihn fragte, 
was es gegeben habe, ſagte er, daß ihn dreißig Menſchen 
umringt und mit ihm gerungen, ihm den Degen genommen 
und ihn verwundet hätten, er habe ſich durch Umſichbeißen von 
ihnen befreit, und dem einen von ihnen auch wirklich die 
Naſe abgebiſſen, jetzt wolle er nur Degen und Schild holen, um 
ſie alle in Stücke zu hauen. Man ging hin, wo der Streit 
vorgefallen war, und alle Arbeiter ſprachen zu meinen Gunſten, 
worauf einer von der Brüderſchaft, ein kleiner, linkiſcher, unter⸗ 
ſetzter, dicker Kerl, den alle ſehr hochzuachten ſchienen, ſagte: 
Das Kerlchen muß Kourage haben; man muß die beiden alſo zu 
Freunden machen, denn der Verwundete wird von allen Braven 
der Brüderſchaft geliebt; in zwei Stunden hätte der Student es 
mit uns allen zu tun; weiß jemand, wo er ſteckt, ſo hole man 
das arme Würmchen. Einige Handwerker riefen mich, man 
führte auch den andern herbei, und um Freund mit ihm 
zu werden, war es nötig, die ganze Geſellſchaft nach einer 
Taverne zu führen und fie mit gutem Weine zu traktieren, 
worauf alle einſtimmig riefen: Er iſt ein braver Junge, er 
verdient, zu uns zu gehören! 

184 


Drittes Kapitel, 

Der fchlechte Menſch war aber über diefen Ausgang des 
Handels ſehr wenig zufrieden und ſuchte nur Gelegenheit, 
ſich durch einen Streich zu rächen, welche er auch bald fand. 
Da ich ein Neuling war und nur wenig von den Verhältniſſen 
in Sevilla wußte, ſo nahm ich mich auch nicht ſonderlich in 
acht. Wer aber in ſo großen Städten leben will, muß ſehr 
vorſichtig auftreten, und wer ſelbſt keine Erfahrung hat, muß 
ſich durch die eines andern unterſtützen laſſen, um nicht in 
große Verlegenheiten zu geraten. Ich ſchnallte einen Degen 
um und nahm damit alle diejenigen Verpflichtungen auf mich, 
denen ſich derjenige unterzieht, welcher ihn trägt; denn verführt 
durch die Eitelkeit über meine Bravour, und daß ich zugleich 
den Poeten und Muſiker ſpielte (von welchen dreien Eimbil: 
dungen eine ſchon hingereicht hätte, einen beſſeren Verſtand, 
als den meinigen, ſchwindeln zu machen), fing ich an, mich 
mehr zu ſpreizen, als ich bisher getan hatte, mich für einen 
Glücksritter bei den Weibern zu halten und der Meinung zu 
ſein, daß ſich alle, die mich nur auf meinen Spaziergängen 
ſähen, in mich verlieben müßten. Kein Portugieſe ſpielte mehr 
den ſüßen, hübſchen Herrn als ich, und dieſe Schwachheit benutzte 
mein Feind, um mit einem Frauenzimmer von nicht geringer 
Schönheit, in deſſen Hauſe er als unumſchränkter Herr aus⸗ 
und einging, einen Plan abzukarten. Indem ich alſo unter den 
Bäumen der Pappelallee wandelte, hörte ich mich von einer 
Dame rufen, welche, als ich nähergetreten war, zu mir ſagte: 
Iſt es möglich, mein ſchöner Herr, daß Ihr ſo ganz, ohne 
etwas zu bemerken leben könnt, daß Ihr es nicht ſeht, mit 
welch ungewöhnlicher Aufmerkſamkeit ſo viele Euch betrach⸗ 
ten? Ich ſah ſie an; ſie war ſchön gewachſen und von reizen⸗ 
der Bildung. Ich glaubte ihr alles, denn meine Eitelkeit war 
ſo groß, daß ich kein Entgegenkommen und keine noch ſo 

135 


4 


große Gunſt für unmöglich gehalten haben würde. Sie fuhr 
mit dieſen Worten fort: O wehe mir, daß es ſo weit mit 
mir gekommen iſt, daß ich meine Pflicht und die Ehre meines 
Mannes vergeſſen konnte! Wehe den Augen, die ſich nicht 
verſchließen, wehe dem Fuß, der über die Schwelle ſeines 
Hauſes tritt, um ſein Unglück aufzuſuchen! Und daß ich meine 
Freiheit dem geopfert habe, von dem ich nicht weiß, ob er 
dies Opfer zu ſchätzen vermag! Warum mußte mein Auge ſich 
zu dem verirren, der mich nicht kennt und den ich nicht kenne? 
Den ſoll ich bitten, der niemals noch jemandes Bitten angehört 
hat? Nein, ich will lieber ſterben, als mich dem ergeben, 
der vielleicht meine Liebe nur verlacht und verſpottet! 

Nach dieſer Rede vergoß ſie einige ſo rührende Tränen, 
daß es um meinen Verſtand völlig geſchehen war. Sowie ſie 
ihre Rolle ausgeſpielt hatte, verließ ſie mich mit vieler Würde. 
Ich war verwirrt und außer mir über ihre plötzliche Entfer: 
nung und entzückt über ihre bewegliche Liebeserklärung. Ihre 
Dienerin ſagte zu mir: Ja, ja, mein Herr, Ihr habt meine 
Dame gefangen, ſo melancholiſch iſt ſie immer, ſo daß kein 
Menſch im Hauſe mit ihr auskommen kann; geht ihr nach, 
doch nehmt Euch nur in acht, daß ihr Mann Euch nicht ge⸗ 
wahr wird, der iſt ein vornehmer Ritter und nicht wenig 
eiferſüchtig, obwohl ich noch niemals an meiner gnädigen Frau 
etwas geſehen habe, was ihm dazu hätte Veranlaſſung geben 
können. 

Ganz außer mir folgte ich ihr nach, höchlichſt mit mir ſelbſt 
und meinen großen Verdienſten zufrieden und mich bei weitem 
höher ſchätzend, als ich Urſache dazu in mir finden konnte. 
Sie ging in ihr Haus, das in einer engen Gaſſe lag, und ſo 
wie ſie drinnen war, erzeigte ſie mir die Gunſt, an das Fenſter 
zu treten, und benachrichtigte mich, daß ſie mich nicht lange 
ohne beſtimmtere Nachricht laſſen werde. So trieb ich mich 
136 


einige Tage herum und glaubte, daß fie meinen Sieg ver: 
zögere, damit ich fie um fo höher achten folle. 

Endlich ſchickte fie mir ein Briefchen, in dem fie mich 
auf dieſelbe Nacht mit den verliebteſten Ausdrücken zu ſich 
beſtellte. Ich putzte mich auf das beſte, nahm meinen Degen 
und eine Laterne, die ſo groß war, daß ſie mir zum Schilde 
dienen konnte, und ſo ging ich geradeswegs nach ihrem Hauſe, 
ohne an etwas anderes, als an meine Luft zu denken. Ich 
fand die Tür und ihre Arme offen; ſie empfing mich mit 
allen erdenklichen Liebkoſungen und mit den zärtlichſten Mor: 
ten. Die Tür wurde verſchloſſen, aber unmittelbar darauf 
daran gepocht. Sie, ohne erſt zu fragen, wer da ſei, ſagte: 
Liebſter, das iſt mein Mann, ſteigt eiligſt in dieſen kleinen 
Keller; denn er wird ſogleich wieder fortgehen. Ich ging mit 
meiner brennenden Laterne hinein, die Tür des Kellers ward 
verriegelt; und ſo war ich nun gut eingeſchloſſen. 

Das Gemach war faſt ganz mit dürrem Reiſig und ge— 
trocknetem Rohr angefüllt, auch war ein Brunnen darin, der 
nach oben ging mit ſeinem Eimer. Ich horchte, was man 
ſprechen würde; denn ſeit ich geſehen, daß man mich einriegelte, 
hatte ich Argwohn geſchöpft. Die Dame ſagte zu dem, 
welcher ihren Mann vorſtellte: Ich habe den Menſchen ſchon 
eingeſchloſſen, was ſoll nun mit ihm geſchehen? Er ant— 
wortete mit leiſer Stimme, die ich aber doch als die meines 
Feindes erkannte: Ihn verbrennen oder in dieſem Brunnen 
erſäufen, denn das iſt der, der mir den Degen aus der Scheide 
gezogen hat. Denſelben Augenblick aber verfiel ich auf ein 
Mittel zu meiner Rettung; denn Gefahr und Todesfurcht er— 
heben die Phantaſie zu Erfindungen, auf welche der Menſch 
ſonſt nie geriete. Mit einem Brette deckte ich die Offnung 
des Brunnens zu, von dem Rohr und Reiſig legte ich einen 
Haufen an die Tür des Kellers und zündete ihn mit dem 

137 


Lichte an, das ich noch nicht ausgelöſcht hatte. Die kleine Tür 
war ſo trocken, daß ſie mit Hilfe des angelegten Holzes gleich 
zu brennen anfing, ſo daß viele Flammen aus dem Rohre 
unter der Tür hervorſchlugen. Ich aber ſetzte mich in den 
Eimer des Brunnens und hielt mich am Seile feſt, und da 
ich das Brett auf den Brunnen gelegt hatte, ſo war ich ſicher. 
Alles fing an zu rufen: Feuer! Feuer! Waſſer! ſchöpft 
Waſſer aus dem Brunnen! Sie zogen das Seil, um Waſſer 
zu bekommen, und da der Eimer durch meine Laſt ſehr ſchwer 
war, ſo kamen viele Nachbarn herbei, das Seil zu ziehen, 
die ſich auch ſo anſtrengten, daß ſie mich endlich heraufbe⸗ 
förderten. Mein Geſicht war ohne Zweifel bleich von der 
Angſt, und da ich noch eine entſetzliche Teufelsgebärde machte, 
ſo erſchraken ſie alle und riefen: ſie hätten einen Teufel aus 
dem Brunnen heraufgezogen. Ich ſprang heraus und ſchlüpfte 
unbemerkt unter die Leute, was auch möglich war; da keiner 
vor Entſetzen ſich um mich bekümmerte, und ſo machte ich 
mich, froh über meine Rettung, eiligſt davon, während das 
Haus noch brannte. 


Viertes Kapitel. 


So hatte ich mich zwar aus der unmittelbar drohenden 
Gefahr gerettet, aber ich geriet in die Hände eines Alguazils, 
den der Lärm herbeigezogen hatte. Dieſer hielt mich feſt, als 
er mich laufen ſah; ich ſagte aber mit der größten Haſt zu 
ihm: Was wollt Ihr? Sollten wir beide von dem Teufel zer⸗ 
riſſen werden, der dort im Hauſe iſt? Flieht und bringt Euch 
in Sicherheit, denn er mordet alles, was ihm vorkommt. Er 
ließ mich los und rannte davon, denn da er ſchon von dem 
Brunnenteufel hatte reden hören, ſo glaubte er jetzt die Sache, 
da ich ſie ihm noch beſtätigte. 

138 


Ich eilte fort, ohne ftill zu ſtehen, bis ich unter den beiden 
Freunden, Herkules und Cäſar, ausruhen konnte, die auf den 
beiden hohen Säulen beim Eintritte der Pappelallee ſtehen, 
und welche der edle Ritter Don Franzisco Zapata, Graf von 
Barajas, errichtet hats. Als ich ausgeruht hatte und meiter- 
ging, hörte ich hinter mir nach der Garbanceragaſſe zu, an 
einem Platz, wo ſehr hohe Malven wuchſen, ein ſtarkes Ge— 
räuſch, welches mich einigermaßen erſchreckte, da es Nacht 
und die Gegend ganz einſam war, und ich ſah, daß die Malven 
ſich bewegten, konnte aber die Urſache nicht erkennen. Mit 
gezogenem Degen ging ich näher und entdeckte endlich eine 
Schlange mit einer Katze im Kampf. Die Schlange wollte 
den Leib der Katze umſchlingen, aber dieſe ſtand aufgerichtet 
und brachte ihr mit den Krallen manche Wunde bei. Dies 
dauerte einige Zeit; da aber die Schlange ſah, daß ſie den 
Kürzern zog, ſo wollte ſie ſich nach ihrem Schlupfwinkel 
in den Malven zurückbegeben, aber die Katze ſchnitt ihr durch 
einen geſchickten Sprung den Rückzug ab; mit einem Sprunge 
zerbiß ſie ihr den Kopf, und war ſchon wieder davongeeilt, 
ehe die Schlange ſie mit ihrem ganzen Körper treffen konnte, 
denn dieſe holte weit aus, traf aber mit dem Teile des Rückens, 
wo ſie die meiſten Kräfte hatte, nur einige Steine, worauf 
ſie ſich nicht mehr rühren konnte, und die Katze ſich über fie 
hermachte, um ſie vollends zu töten. Ich bewunderte die 
Geſchicklichkeit der Katze, wie ſie mit mehr Sicherheit als 
alle anderen Tiere Wunden verſetzen kann, und dadurch wurde 
ich ſeit dieſer Nacht mit dieſen Tieren befreundet, da ich 
ſie vorher niemals hatte leiden können. 


Fünftes Kapitel. 
Ich ſchätzte mich aber des Vorgefallenen wegen doch nicht 
für ſicher genug, daß ich es nicht für notwendig gehalten 
139 


hätte, wegen jenes Braven fehr auf meiner Hut zu fein. 
Zu meiner größeren Sicherheit hielt ich mich viel in dem Hauſe 
eines vornehmen Ritters auf, welches neben der Kirche Aller 
Heiligen ſteht, und das in allen meinen Streichen mein Zu— 
fluchtsort war. Durch einen ſeiner Freunde ſchickte mir der 
Brave eine Herausforderung zu, während ich mich in dieſem 
Palaſt des Marques del Algaba, Don Luis de Guzman, be: 
fand; ſeine Diener, deren er viele und ſehr anſehnliche hatte 
und die meine Freunde waren, ſprachen mich aber von der 
Verpflichtung los, weil man die Hochachtung gegen den Palaſt 
aus den Augen geſetzt hatte, und ſo ſchickten ſie jenen mit 
zerſchlagener Naſe zurück und behielten ſeinen Degen, Schild 
und Dolch, damit ſich die Küchenburſchen ein Frühſtück dafür 
kaufen könnten. Mein boshafter Gegner wußte es aber ſo 
einzurichten, daß einem Alcalden der Juſtiz, der mein großer 
Feind war, hinterbracht wurde, daß ich Feuer im Hauſe ſeiner 
Konkubine angelegt hätte. Ich hatte mich immer bemüht, 
dieſen Mann durch Höflichkeit zu meinem Freunde zu machen, 
aber es war mir niemals gelungen, ſondern ihm war es im 
Gegenteil ſehr erwünſcht, eine Gelegenheit zur Rache zu 
finden. Er maß alſo der Verleumdung meines Feindes gleich 
Glauben bei und ſtellte mir auf allen Schritten nach, was 
ich von einigen ſeiner Freunde erfuhr, die zugleich die meinigen 
waren. Er nahm auch durchaus keinen Rat und keine Ein⸗ 
rede an, ſondern wollte nur die eine Partei hören und die 
Sache als ausgemachte Mordbrennerei behandeln. Er be⸗ 
hauptete, daß er mich aus jeder Kirche, in welcher er mich 
fände, fortnehmen würde, weil das Verbrechen der Brands 
ſtiftung ein allzu großes ſei. 

Da ich erfuhr, daß dieſer Richter mich ſo ohne Barm⸗ 
herzigkeit verfolgte, ſo vertauſchte ich meine Kleidung gegen 
einen alten und ſchlechten Anzug, um unkenntlich zu ſein. 
140 


Ganz in feiner Nähe aber hatte ich einen Spion, der mir 
von allem Nachricht gab, und ich entfernte mich nicht von 
der Kirche Aller Heiligen, wo der Sakriſtan mein Freund 
war, mit dem ich ſchon verabredet hatte, was zu tun ſei, wenn 
man käme, mich mit Gewalt davonzuführen. Eines Tages 
erfuhr ich von dieſem Manne, daß man in dieſer Abſicht ſchon 
unterwegs ſei, und daß er einen recht eingeteufelten Häſcher, 
den ſogenannten Toledaner, zu dieſer Unternehmung bei ſich 
habe. Als man mir dies ſagte, tat ich den Schwur, ihn ſo 
anzuführen, daß mich dieſer nämliche Häſcher auf ſeinem Rücken 
nach meinem Hauſe tragen müſſe. Sie kamen auch alsbald 
mit ſolcher Schnelligkeit an, daß es mir beinahe an Zeit ges 
fehlt hätte, meinen Plan auszuführen. Ich gab dem Sakriſtan 
Mantel, Wams und Degen, zog eine alte und ſchmutzige Jacke 
an und verband mir den Kopf mit einem zerriſſenen und 
blutbefleckten Tuche; ſo warf ich mich unter einige ſehr wider— 
wärtige Bettler hin, die an der Tür um Almoſen baten. Er 
kam ſehr zornig an, mich in der Kirche aufzuſuchen. Der 
Sakriſtan verſchloß die Kirche, ehe er vor der Tür erſchien, 
und ſchwur, und das mit Wahrheit, es ſei in der ganzen Kirche 
kein Flüchtling, überhaupt kein anderer Menſch, als jene Bettler, 
und wenn er einen Flüchtling haben wolle, ſo ſolle er dieſe 
Bettler forttreiben, unter welchen er ſeinen Gefangenen ſuchen 
möge. Zugleich fing mein Verfolger auch an, ſie fortzutreiben, 
indem er rief: Ihr ſeid gewiß rechte Galgenvögel! Was mich 
betraf, ſo befahl er, weil der Sakriſtan ihm geſagt hatte, 
daß ich kontrakt ſei und mich nicht rühren könne, dem Tole: 
daner, mich von dort fortzutragen, denn der Sakriſtan hatte 
auch hinzugefügt, daß ich viel Geld bei mir habe, an dem 
er ſich ſchadlos halten könne. Auf dieſes wurde der Häſcher 
ſo begierig, daß er mich auf den Rücken nahm. Während 
ſein Herr die Altäre und den Chor unterſuchte und die Decken 

141 


der Sakriſtei aufhob, fagte ich zu ihm: Gewiß, mein Herr, 
es iſt mir ſehr lieb, daß Ihr nicht mit da hinein gegangen 
ſeid, denn jener Menſch, den ſie aufſuchen, hat geſchworen, 
Euch umzubringen. Ihr ſeid nun zwar ein ſtarker Mann, 
aber er iſt es ſo ſehr, daß er ſchon zwei Häſcher gepfeffert hat, 
und ebenſo wird er es auch machen, wenn er Euch zu packen 
kriegt. — Ich gehe hier recht gern mit Euch, erwiderte jener. 
— Ich ſagte: Beeilt Euch nur, ehe der Teniente vielleicht 
nach Euch ſchickt. Er tat dies auch ſehr willig; denn dieſe 
Leute, teils weil ſie die Händel nichts angehen, teils weil 
ſie gern ihr Leben ſicher ſtellen, gehen dergleichen Gefahren 
gern aus dem Wege. Sein Herr, da er die Beute nicht fand, 
die er ſuchte, und da der Sakriſtan ihm ſagte, daß ich mich 
ihm freiwillig übergeben würde, rief den Toledaner nicht. 
Dieſer trug mich langſamen Schrittes über die ganze Pappel⸗ 
allee und durch das Viertel des Herzogs bis zur San Aloyſius⸗ 
ſtraße, wo meine Wohnung war. Ich munterte ihn unter⸗ 
wegs immer damit auf, daß er, außer dem Gelde, welches er 
ſich verdiene, ein Werk der Barmherzigkeit ausübe. Zwei 
meiner Bekannten gingen ihm mit lautem Gelächter nach; er 
aber wagte nicht, zu fragen, weshalb ſie lachten, bis er dahin 
gekommen war, wo er außer aller Gefahr zu ſein glaubte, 
und nun tat er die Frage: Worüber lachen denn meine Herren? 
Sie antworten lächelnd: Über die Laſt, die Ihr Euch aufge⸗ 
laden habt, denn er iſt ja derſelbe, den Ihr in der Kirche 
ſuchtet. Er ließ mich voller Schrecken ſchnell auf den Boden 
nieder; ich aber ſtand gleich aufrecht, ſah ihn ſcharf an und 
ſagte: Wie? Dachte der Spitzbube denn, daß er Geld von 
mir bekommen würde? Er iſt mir ja Dank ſchuldig, daß ich 
ihm nicht durch den Hals in die Eingeweide fuhr, als er 
mich, wie ein Sankt Chriſtoffel auf den Schultern trug. 

Während dieſer ganzen Zeit ſtritt ſich der Herr Richter 
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mit dem Sakriſtan herum, daß er ihm den Flüchtling aus: 
liefere. Dieſer aber ſagte: Ich habe mein Verſprechen ſchon 
erfüllt, denn ich habe ihn dem Toledaner übergeben, der ihn 
auf dem Rücken fortgetragen hat. Alle Umſtehenden lachten 
über den Streich, der dem Toledaner, als einem ſo tüchtigen 
Häſcher, geſpielt worden war, ſo ſehr, daß der Richter über 
dieſe Lächerlichkeit ſeinen Zorn vergaß und den Arger verbarg, 
den er doch vielleicht auch darüber empfinden mochte. 

Um mich aber völlig ſicher zu ſtellen, nahm ich mir vor, 
irgendeinen ſicheren Schutz aufzuſuchen. Damals lebte in Se⸗ 
villa ein edler Fürſt, ſchlank und fein gebaut, von ſchönem 
Angeſicht, von ſanftem Temperament und der gütigſten Ge⸗ 
ſinnung, wohltätig und von jedermann geliebt, der Neffe des 
damaligen Erzbiſchofs von Sevilla, der Marques von Denia. 
Ich dachte darüber nach, mir die Gnade dieſes Herrn zu er— 
werben und ſagte zu einem Freunde, dem ich meinen Wunſch 
mitteilte: Es kann nicht anders ſein, der Fürſt muß mir 
günſtig und gnädig werden. Und woher wißt Ihr das? fragte 
mein Freund. — Weil ich ihn ſo leidenſchaftlich liebe, ant— 
wortete ich, und die lebendige Chronik ſeiner hohen Tugenden 
bin; dieſelbe Konſtellation, die mich zu dieſer heftigen Liebe 
treibt, muß ihm eine freundſchaftliche Erwiderung dieſes Ge: 
fühls einflößen. Es gelang mir auch ſo, wie ich es mir ge— 
dacht hatte; denn als ich einmal im Hofe der Orangen war, 
und dieſer Fürſt durchfuhr, entſchloß ich mich, ihn, ſo 
höflich ich es vermochte, anzureden. Er ließ die Kutſche halten, 
hörte mich mit der größten Güte an, erzeigte mir die Gnade, 
um die ich bat, und befahl mir, ihn zu beſuchen. Nachdem 
ich ſeine Gunſt erlangt hatte, begegnete mir keine Unannehm⸗ 
lichkeit in Sevilla mehr, und meine Feinde hatten nun nicht 
mehr den Mut, etwas gegen mich zu unternehmen. 


143 


4 


Sechſtes Kapitel. 

Ich lebte einige Zeit in Sevilla Tag und Nacht in be— 
ſtändiger Unruhe, weil ich beſtändig in Händel verwickelt war, 
eine Folge des Müßigganges, der Wurzel aller Laſter und des 
Grabes aller Tugenden. Ich ging endlich in mich und fand 
mich in allen Dingen, die ich betrieben hatte, weit zurückge⸗ 
kommen. Ich faßte den ſchnellen Entſchluß, mich ganz von 
dieſem nichtsnutzigen Laſter loszumachen, mit welchem ich meine 
Zeit in Sevilla verloren hatte, und fand ein Mittel dazu, 
nämlich im Dienſte des Herzogs von Medina Sidonia nach 
Italien zu gehen, der viele ſeiner Diener auf einer Galeone 
nach Mailand ſchickte. Als mir dieſe Gnade bewilligt war, 
hielt ich mich bis zur Zeit der Abreiſe noch in Sevilla auf. 
In dieſer Zwiſchenzeit kamen einige Portugieſen, von denen, 
die ſich in der unglücklichen Schlacht mit ihrem Könige Sez 
baſtian in Afrika befunden hatten, nach Sevilla, von denen 
Philipp der Zweite viele auslöſte. Ich machte mit etlichen 
Bekanntſchaft, und da ſie im Sprechen ſcharf und ſinnreich 
ſind, brachte ich ſehr vergnügte Stunden mit ihnen zu. Einer 
von dieſen Portugieſen, ein Ritter, ließ ſich von einem unges 
ſchickten Barbier den Bart ſcheren, der mit einer ſchweren 
Hand und einem ſtumpfen Meſſer ihn derart kratzte, daß er 
ihm faſt die Haut vom Geſichte zog. Der Portugieſe hob den 
Kopf auf und ſagte zu ihm: Herr Barbier, ſchindet Ihr, ſo 
ſchindet Ihr recht zart, barbiert Ihr aber, ſo barbiert Ihr 
ſehr ſchlecht. Ich ſtand einmal mit meinem Freunde vor der 
Tür der Allerheiligenkirche, als ein portugieſiſcher Ritter 
mit ſechs Pagen und zwei auf ſpaniſch gut gekleideten Lakaien 
vorüberging, und ſo wie er vor der Kirche das Barett abnahm, 
nahmen wir aus Höflichkeit das unſrige vor ihm ab. Wie be⸗ 
leidigt, wandte er ſich zu mir um und ſagte: Herr Kaſtilianer, 
nicht vor Euch, ſondern vor dem heiligen Sakrament habe 
144 


ich die Mütze abgezogen. Ich antwortete: Ich habe fie aber 
vor Euch abgezogen. Über dieſe Antwort beſchämt, erwiderte 
der Portugieſe: So habe ich ſie auch vor Euch abgezogen, 
Herr Kaſtilianer. Durch die Trommelgaſſe gingen einmal ein 
Portugieſe und ein Kaſtilianer, und als der Portugieſe ver— 
liebte Blicke zu den Fenſtern hinaufwarf, überſah er eine 
Vertiefung im Wege, geriet mit den Füßen hinein und fiel 
der Länge nach hin. Gott helfe Euch! rief der Spanier. 
— Er käme zu ſpät! erwiderte der Portugieſe. 

Als drei Kaſtilianer mit einem Portugieſen Karten ſpielten, 
betrog dieſer ſie ſehr fein; denn da er fünfundfünfzig Augen 
in die Hand bekommen hatte, ſagte er halb für ſich, wie im 
Verdruß über ſeine Karten, doch ſo, daß es die andern hörten: 
Die Jahre des Mahomet. Jene, die ein gutes Spiel zu 
haben glaubten, nahmen es mit ihm auf; einer zeigte fünfzig 
Augen auf, die andern beiden ſoviel ſie hatten, worauf der 
Portugieſe ſeine fünfundfünfzig hinwarf, mit welchen er ge— 
wann. Einer von ihnen ſagte: Wie ſprecht Ihr denn, Ihr 
hättet die Jahre des Mahomet, welches doch nur achtundvierzig 
ſind, da Ihr doch fünfundfünfzig habt? — Der Portugieſe 
antwortete: Ich dachte wirklich, Mahomet ſei älter geworden. 
Ich könnte noch andere ausgezeichnete Schwänke und Witze 
berichten, unterlaſſe es aber, um nicht zu weitſchweifig zu werden. 

Damals brach eine heftige Peſt in Sevilla aus, und von 
ſeiten der Obrigkeit ward befohlen, alle Hunde und Katzen, 
damit ſie die Krankheit nicht von einem Hauſe zum andern 
trügen, umzubringen. Um mein Leben zu ſichern, begab ich 
mich nach San Lucar, in das Haus des Herzogs von Medina 
Sidonia, und als ich den Fluß hinabſchiffte, war er auf eine 
Strecke von fünfzehn Meilen ſo mit Hunden und Katzen an— 
gefüllt, die man in jenen Gegenden erſäuft hatte, daß man 
mehr als einmal die Barke anzuhalten gezwungen war. 

10 145 


Siebentes Kapitel. 

Wir ſchifften uns in San Lucar ein und gingen durch die 
Meerenge von Gibraltar, die an einigen Stellen wirklich ſo 
ſchmal iſt, daß man glaubt, die Ufer mit den Händen er⸗ 
reichen zu können. Wir ſahen Calpe, ſo merkwürdig durch ſein 
Altertum und noch merkwürdiger durch ſeinen Wächter auf 
dem Feuerturme, den es damals und noch viele Jahr nachher 
hatte, deſſen Auge ſo unglaublich ſcharf war, daß in der 
ganzen Zeit, in welcher er im Amte war, die Küſte von 
Andaluſien keinen Schaden von den Ufern von Tetuan er⸗ 
litten hat. Denn wenn ſie die Kaperſchiffe in Afrika aus⸗ 
rüſteten, ſah er es oben von ſeinem Felſen und zeigte es 
durch Fackeln oder Rauch an. Ich bin Zeuge davon, daß, 
als einmal einige Ritter von Ronda und Gibraltar oben auf 
dem Wachtfelſen ſtanden, Martin Lopez (ſo hieß dieſer Wächter) 
ſagte: Morgen am Abend wird es etwas zu tun geben, denn 
im Fluſſe von Tetuan rüſten ſie Kaperſchiffe aus. Die Entfer⸗ 
nung beträgt aber mehr als zwanzig Meilen. Die Korſaren 
fürchteten das ſcharfe Geſicht dieſes Mannes faſt mehr als 
die Fahrzeuge, die man gegen ſie ſchickte. 

Wir fuhren nahe bei Marbella, Malaga, Cartagena und 
Alicante vorüber, worauf wir auf die hohe See kamen und 
uns den baleariſchen Inſeln näherten. Hier wurden wir aber 
wegen des böſen Gerüchtes, das uns ſchon vorangegangen war, 
daß nämlich die Peſt in den weſtlichen Ländern ſei, nicht gut 
aufgenommen, ſo daß ſie uns von Mallorka mit drei oder 
vier Stücken beſchoſſen. Wir hatten keinen Wind und mußten 
daher ganz nahe um jene Küſten ſegeln, bis wir fünfzehn 
Fackeln aufleuchten ſahen, die uns einen großen Schreck ein⸗ 
jagten, denn da ſich in Algier das Gerücht von den Schätzen 
verbreitet hatte, die ſich auf der Galeone eines ſo großen 
Fürſten befänden, ſo machten ſich fünfzehn Kaperſchiffe auf, 
146 


um uns zu fuchen, welche der Küfte dort den größten Schaden 
zufügten, und uns auch hätten verderben können, wenn der 
Wind ſie begünſtigt hätte. Als wir dieſes Zeichen durch die 
Wächter empfingen, begaben wir uns wieder auf die hohe 
See, mit Wollſäcken und auf andere Weiſe die Überwaſſer— 
teile des Schiffes befeſtigend und die ſchwachen Stellen ver— 
ſtärkend. Jeder wurde auf ſeinen Poſten geſtellt und alle 
ſo verteilt, wie es den Schiffskapitänen und den alten Soldaten 
vorteilhaft ſchien. So vorbereitet erwarteten wir die Korſaren, 
auf deren Schiffen man fchon den halben Mond erkennen 
konnte; denn da die Galeone keinen Wind hatte, ſie aber 
mit Macht auf uns zuruderten, kamen wir uns ſo nahe, 
daß wir uns mit den Kanonen beſchießen konnten. Wir waren 
entſchloſſen, zu ſterben oder ſie in den Grund zu bohren; 
auch ſchoß unſere Galeone zwei Stücke ſo glücklich ab, daß 
fie eins von den fünfzehn Kaperſchiffen verſenkte; in dem⸗ 
ſelben Augenblicke bekamen wir einen ſo ſtarken Wind in den 
Rücken, daß wir die Korſaren in wenigen Minuten aus dem 
Geſichte verloren. Der Wind war aber ſo übermäßig und un— 
geſtüm, daß er uns den Beſahnmaſt zerbrach; auch zerriß er 
uns an den übrigen Schiffen Segel und Tauwerk mit ſolcher 
Wut, daß er uns in weniger als zwölf Stunden vor die 
franzöſiſche Stadt Frejus trieb. Ebenſo plötzlich aber kam 
ein entgegengeſetzter Wind von vorn, der uns mit derſelben 
Schnelligkeit dahin zurücktrieb, woher wir gekommen waren. 
Die Galeone war ein ſehr guter Segler und dabei ſtark, 
wodurch wir nicht leicht untergehen konnten; denn nur mit 
unſerem Fockſegel und dank dem ſtarken Bau des Schiffes 
konnten wir hoffen, uns zu retten. Am dritten Tage des 
Sturmes ſchien das Hinterteil auseinandergehen zu wollen, 
denn es knarrte und ſeufzte wie jemand, der ſich ſchwer bes 
klagt. Dadurch verloren die Matroſen den Mut und ent⸗ 
10* 147 


fchloffen fich, uns zu verlaffen und heimlich in die Schaluppe 
zu ſteigen, die am Hinterteil befeftigt war. Diejenigen Sol⸗ 
daten, welche nicht ſeekrank waren, merkten es und verhin⸗ 
derten ſie daran. Da wir die große Gefahr ſahen, waren 
wir alle entſchloſſen, zu beichten und uns Gott zu ergeben. 
Als aber zwei Mönche, die mit auf dem Schiff waren, kamen, 
um uns Beichte zu hören, waren ſie ſo ſeekrank, daß ſie 
uns auf Bart und Bruſt ſpien, und infolge des heftigen 
Schwankens des Schiffes auf den hohen Wogen fielen alle 
Menſchen über⸗ und durcheinander. Ein Affe ſprang im Tau⸗ 
werk umher, in ſeiner Sprache ſchwatzend, bis eine gewaltige 
Woge, die über das Schiff ſchlug, ihn mit ſich nahm und 
uns alle gehörig durchnäßte. Der arme Affe ſchrie um Hilfe 
und hielt ſich lange oben auf dem Waſſer, mußte aber doch 
endlich untergehen. In einem Käfig hatten die Matroſen 
einen Papagei auf einem Maſtkorbe; dieſer rief immer: Pap⸗ 
chen, wie geht's? Jämmerlich! jämmerlich! In ſeinem Leben 
hatte er noch nie ſo die Wahrheit geſagt. 

Endlich wurden wir noch einmal in die Nähe von Mallorka 
getrieben, zu einer kleinen Inſel, welche Cabrera heißt; doch 
als wir ſchon wieder ein wenig Mut gefaßt hatten, warfen 
uns hohe Waſſergebirge von neuem in das offene Meer hinaus, 
wo wir alle die nämlichen Leiden wieder zu erdulden hatten. 
Einige von den Matroſen, die zu viel getrunken hatten und 
ſehr ermüdet waren, warfen ſich bei der Feuerſtelle nieder, 
um etwas auszuruhen; aber der Wind wurde plötzlich wieder 
ſo ungeſtüm, daß er das Feuer umherwarf und ihnen die 
Körper, Bärte und Geſichter verbrannte, fo daß fie ſchnell 
aus dem Schlafe und Weinrauſche aufgeweckt wurden. Ich 
ſah mich in Lebensgefahr; denn damals, als der Beſahnmaſt 
zerbrochen wurde, hatten meine Kameraden und ich aus 
Furcht vor dem Winde, die Hängematte an den Maſt gez 
148 


bunden; als diefer nun zerbrach, wurde die Hängematte in Die 
Höhe geſchleudert, und jeder nach einer andern Seite hin. 
Ich blieb auf dem Bord des Schiffes liegen, die Arme nach 
außen, und hätte man mich nicht ſchnell zurückgezogen, ſo 
wäre ich in das Waſſer geſtürzt; wäre der Maſt aber nur 
um einige Zoll niedriger abgebrochen, ſo wären wir durch 
den Stoß bis gegen die Wolken geflogen. Alle oder doch die 
meiſten Matroſen wurden ſeekrank. So waren wir ohne Füh— 
rung; doch nahm ſich ein Hochbootsmann des Kommandos 


an, ein Mann mit einem langen Barte, der ihm bis zum 


Gürtel reichte und auf den er ſich viel einbildete. Dieſer 
ſtieg auf dem Tauwerke bis zum Maſtkorbe hinauf, um ſeinen 
Papagei in Sicherheit zu bringen; der ſtarke Wind riß das 
Band vom Barte, den er hinaufgebunden hatte, und indem 
ſich dieſer in den Seilen verwickelte, blieb der Mann am Barte 
aufgehängt, wie Abſalon an ſeinen Haaren. Er hielt ſich 
als guter Seemann an einer Stange; infolge des Schwankens 
des Schiffes wurde er dreimal in die See getaucht und wäre 
umgekommen, wenn ein anderer ihm nicht in das Tauwerk 
nachgeklettert wäre und ihm den Bart abgefchnitten hätte. 
So wurde er lebendig wieder heruntergebracht, aber er war 
ſehr aufgebracht darüber, ſeinen Bart verloren zu haben, wel— 
cher in den Stricken ſitzen blieb. 

Wir beſtrebten uns wieder, ſo gut wir konnten, gegen den 
Wind zu ſteuern, während das Hinterteil des Schiffes be— 


ſtändig ächzte, und endlich gelang es, in den Hafen von 


Cabrera einzulaufen. Dieſes tft eine wüſte Inſel, ohne Ein⸗ 


wohner und ohne Verbindung mit der übrigen Welt, außer 
mit Mallorka, von wo man die Lebensmittel für vier oder 


fünf Perſonen herüberbringt, welche das ſtarke, hohe Kaſtell 

dort bewachen, mehr deshalb, damit die Türken nicht die Inſel in Beſitz 

nehmen, als daß man ſie an ſich ſelbſt für notwendig hielte. 
149 


7 


Die ganze Zeit über war der Haushofmeiſter, unter welchem 
die Dienerſchaft des Herzogs ſtand, ſeekrank geweſen; ſowie 
er beſſer war, war ſein erſtes, nach allem zu ſehen, was er 
zu bewahren hatte, und da er einige Zuckerhüte vermißte, ſagte 
er: Ich werde gewiß erfahren, wer dieſen Zucker gegeſſen 
hat. So geſchah es auch; denn diejenigen, die ihn ſo über⸗ 
mäßig genoſſen hatten, hatten ſich den Magen fo ſehr ver= 
dorben, daß ſie in vierzehn Tagen ſich nicht erholen konnten. 
Von dem Hochbootsmann ſahen wir viele Tage das Geſicht 
nicht, ſo ſehr war er beſchämt, ſeinen Bart verloren zu haben. 

Die auf der kleinen Inſel nahmen uns auf, denn da ſie 
mit der Welt nicht in Verbindung ſtanden, ſo wußten ſie 
nicht, daß wir aus einer verpeſteten Gegend kamen, und hätten 
ſie dies ſelber gewußt, ſo würden ſie uns doch bewirtet haben, 
um nur wieder Menſchen zu ſehen, mit denen ſie ſprechen 
konnten; denn ſie hören dort nichts als die dumpfbrauſenden 
Wogen, die beſtändig gegen die Klippen ſchlagen, auf denen 
das Kaſtell erbaut iſt. 

Wir hielten uns hier wohl zwanzig Tage oder noch etwas 
länger auf, um die Maſten wieder zu zimmern, das Tauwerk 
herzuſtellen und die Segel auszubeſſern. Wir litten hier Ende 
Mai und Anfang Juni ſehr unter der großen Hitze, ohne auf 
der ganzen Inſel einen Ort zu finden, wo wir uns dagegen 
ſchützen konnten; auch hatten wir keine Quelle, um uns zu 
erfriſchen, außer der Ziſterne, aus welcher die armen Vers 
laſſenen tranken. Dieſe kleine Inſel hat ſechs oder ſieben 
Meilen im Umfange, beſteht ganz aus Steinen und hat nur 
wenige Erde; Bäume ſieht man gar nicht, nur Sträucher, 
die nicht über den Gürtel reichen. Es gibt hier eine Art großer, 
ſchwarzer Eidechſen, die vor dem Menſchen nicht fliehen, und 
nur wenige Vögel, weil ſie kein Waſſer finden, um ſich zu 
erquicken. 

150 


Achtes Kapitel, 

Da die Hitze fo drückend war, und ich felber immer heißer 
Natur geweſen bin, ſo ging ich mit einem Freunde aus, und 
wir ſprangen von Klippe zu Klippe, um einen Ort aufzuſuchen, 
der nur irgend grün oder feucht wäre, damit wir uns erfriſchen 
könnten, um nach den Leiden der Schiffahrt, die uns ſehr 
mitgenommen hatten, uns nun wieder einigermaßen zu er— 
quicken. Indem wir ſo von einer Klippe zur andern ſprangen, 
betrübt über die dürre, ausgeſtorbene Natur um uns her, 
bekam ich plötzlich einen Mundvoll fo himmliſche Luft, mit 
den Düften von Geißblatt geſchwängert, daß es mir war, 
als würde uns dieſe Erquickung durch beſondere Schickung 
zugeſendet. Ich wandte den Kopf nach der Morgenſeite, von 
wo dieſer Duft herſtrömte, und ſah dort inmitten jenes Klipz 
pengewirrs ein wunderbar friſches Plätzchen, grün und blühend, 
denn ſchon von weitem ſah man die Blüten des Geißblatts, 
ſo groß, anmutig und duftend, wie man ſie nur irgend in 
ganz Andaluſien findet. Wie die Ziegen, von Stein zu Stein 
ſpringend, machten wir uns näher und fanden eine Höhle, in 
deren Mündung jene erfriſchenden Sträucher mit ihrem lieb— 
lichen Dufte wuchſen. Der Eingang war oben nur eng, aber 
unten erweiterte ſich die Höhle, von deren Wänden an vielen 
Stellen ein ſo angenehmes und friſches Waſſer niederſickerte, 
daß wir vor Freude über dieſe Entdeckung aus dem Schiffe 
Seile holten, um hinabſteigen zu können und uns zu erfriſchen. 
Wir ließen uns mit einiger Schwierigkeit hinunter und fanden 
unten einen angenehmen und friſchen Raum; denn aus dem 
niederträufelnden Waſſer bildeten ſich mannigfache ſonderbare 
Figuren, wovon einige Orgeln, Patriarchengeſtalten, Kaninchen 
und andern Dingen ähnlich waren, die ſich nach und nach 
durch das immer niederfallende Waſſer ausgebildet hatten. Aus 
dieſen immerwährenden Tropfen entſtand auch ein kleiner Bach, 

151 


der fo klar über feinen, roten Sand lief, daß er zum Trinken 
einlud, was wir auch mit dem größten Behagen taten. Dieſer 
Platz war von der größten Anmut, denn wenn wir hinauf— 
blickten, ſahen wir die Mündung der Höhle, mit den Blumen 
des Geißblatts bedeckt, welche ſich tief herunter neigten und 
einen überirdiſchen Duft durch die ganze Grotte verbreiteten; 
betrachteten wir unten den Raum, in welchem wir uns be— 
fanden, ſo ſahen wir das friſche, kalte Waſſer und den Boden 
mit Ruheplätzen, auf welchen wir uns zur Zeit der drückendſten 
Hitze erholen konnten; auch war der Ort geräumig genug, 
um ſich hier der Muße hinzugeben. Wir ließen uns unſer Eſſen 
und eine Gitarre bringen, und unterhielten uns ſo, ſingend 
und ſpielend, in großer Freude, wie die Kinder Iſrael in der 
Verbannung. 

In der Nacht begaben wir uns, um zu ſchlafen, nach dem 
Kaſtell, obgleich das Schiff immer bewacht wurde. Dem 
Kaſtellan erzählten wir von der gefundenen Höhle. Dieſer war 
ein Mann von ſchrecklichem Außeren; ſeine Augen waren feuer⸗ 
rot, die Lippen, welche niemals lächelten, eingekniffen. Man 
ſagte von ihm, er ſei der Anführer einer Räuberbande geweſen, 
und deshalb habe man ihn in dieſes kleine Kaſtell verſetzt, um 
es zu bewachen. Dieſer ſagte zu uns in ſeiner kataloniſchen 
Mundart: Seht euch nur vor, denn die Türken wiſſen dieſe 
Höhle auch. Dieſe Warnung hinderte uns aber nicht, täglich 
dieſen herrlichen Aufenthalt zu beſuchen, um dort zu eſſen 
und die Sieſte zu halten. Dieſes taten wir wohl zehn oder 
zwölf Tage hintereinander. 

Als wir eines Tages gegeſſen hatten und eben Nachmittags⸗ 
ruhe hielten, ſahen wir an der Mündung der Höhle rote 
Mützen mit weißen Binden erſcheinen; wir ſprangen auf, und 
ſowie uns jene ſo unverhoffterweiſe erblickten, rief einer 
deutlich und in gutem Spaniſch: Ergebt euch, ihr Hunde! 
152 


Meine Gefährten waren in Verwirrung darüber, Turbane zu 
ſehen und ſpaniſche Laute zu hören, und einer von ihnen ſagte: 
Das müſſen Leute aus unſerem Schiffe ſein, die uns einen 
Poſſen fpielen wollen. Da ſagte ein anderer Türke: Raſch er— 
geben, Türken ſein! Die drei Gefährten griffen zu den Degen, 
um ſich zu verteidigen; ich aber ſagte: Was ſoll die Ver— 
teidigung nützen; wenn ſie uns von oben mit Steinen tot— 
werfen können, wie viel mehr können ſie uns da mit den Mus— 
Feten totſchießen, die wir in ihren Händen ſehen! Ich ſagte 
hierauf zu denen oben: Ich ergebe mich dem, welcher 
ſpaniſch ſprach, und wir alle ergeben uns allen; ſteigt 
alſo herab, um euch zu erfriſchen, wo nicht, ſo wollen 
wir euch Waſſer hinauf bringen, denn wir ſind eure Sklaven. 
Der ſpaniſche Türke ſagte: Es iſt nicht nötig, denn wir kommen 
ſchon hinunter 0. 

Wir flehten innerlich zu Gott, daß die im Schiffe von der 
Sache Kunde haben möchten, und fügten uns in unſer Schick— 
ſal. Meine Gefährten ſahen betrübt aus, und ich nicht 
weniger; doch habe ich immer eingeſehen, daß in allen Unglücks— 
fällen die Geduld das beſte Hilfsmittel iſt. Ich zwang mich 
daher, heiter zu ſcheinen, fühlte aber tief, was jeder emp— 
finden muß, der aus der Freiheit in die Sklaverei gerät. Ich 
tröſtete auch meine Gefährten und ſagte ihnen: um das Leid 
zu vermindern, müſſe man es in Geduld ertragen. So ging 
ich mit dem Anſchein der Heiterkeit den Türken entgegen, 
welche herunterkletterten. Ich näherte mich dem, welcher ſpa— 
niſch redete, mit der größten Unterwürfigkeit und Demut, 
und indem ich ihn einen vornehmen Ritter nannte, gab ich 


zu verſtehen, daß ich ihn ſchon ehemals gekannt habe. Er war 


hierüber ſehr erfreut und ſagte zu den Türken, ſeinen Beglei— 
tern, daß ich ihn kenne und wiſſe, aus welchem vornehmen 
und edlen Geſchlecht er ſtamme. Ich erfuhr nachher, daß er 

153 


einer der angeſehenſten Morisken aus dem Königreiche Vaz 
lencia geweſen war, welcher abgefallen war und ein großes 
Vermögen in Gold und Silber mit ſich genommen hatte. Da 
ich ſah, wie gut es ihm gefiel, daß ich ihn einen edlen Ritter 
genannt hatte, fo fagte ich ihm noch mehr Schmeicheleien, 
denn er war der Herr von zwei Kaperſchiffen, die zu jenen 
fünfzehn gehörten: dieſe hatten ſich infolge der ungünſtigen 
Witterung in einer Bucht verborgen gehalten. Zu dieſen Schiffen 
führte man uns ſogleich gefeſſelt fort. Mein Herr nahm mich 
beiſeite und ſagte heimlich zu mir: Fahre nur fort in dem, 
was du angefangen haſt, denn ich bin Herr dieſer Schiffe; 
mir wird es Anſehen geben und dir eine gute Behandlung 
zuziehen. Ich tat dies auch ſogleich und erzählte, als wenn 
er es nicht hörte, daß er von ſehr vornehmen und hochgeſtellten 
Eltern abſtamme. 

Wir waren ſo unglücklich, daß ſogleich ein günſtiger Wind 
ſich zeigte; wir richteten alſo unſeren Lauf nach Algier, und 
der Wind blies luſtig in unſere Segel, ſo daß die Ruder nicht 
angerührt wurden. Man zog uns unſere ſpaniſche Kleidung 
aus und gab uns die von elenden Sklaven; meine Gefährten 
wurden auch an die Ruder geworfen, mich behielt aber mein 
Herr zu ſeiner Bedienung. Bei dem ſanften Winde, der uns 
forttrieb, fragte mich mein Herr, um etwas zu ſprechen: 
wie ich heiße, wer ich ſei und welches Handwerk oder welche 
Arbeit ich verrichten könne? Auf das erſte erwiderte ich, daß 
ich mich Marcos von Obregon nenne, und der Sohn von Ger | 
birgsbewohnern aus dem Tale von Cayon ſei. Die übrigen 
weil ſie einem kleinen Türken zuhörten, der recht artig ſang, 
konnten nicht vernehmen, was wir miteinander ſprachen, 
und daher fragte ich ihn, bevor ich ihm noch alles beantwortet 
hatte, ob er ein Chriſt oder der Sohn von Chriſten ſei; denn 
ſein Weſen ſowie die Schönheit eines jungen Sohnes, der 
154 


mit ihm war, zeigten deutlich, daß fie von Spanien herkommen 
müßten. Er antwortete mir ganz offen, weil die übrigen dem 
kleinen Muſikanten zuhörten, und ſagte mir, daß er getauft 
und der Sohn chriſtlicher Eltern ſei, daß er nach Algier ge— 
gangen, nicht weil er ſeine Religion gehaßt habe, die er wohl 
für die wahrhaftige erkenne, ſondern weil ich, fuhr er fort, 
mit einem ſpaniſchen Geiſte geboren ward und alle die Er— 
niedrigungen nicht ertragen konnte, die mir täglich von Men⸗ 
ſchen widerfuhren, die von gemeinerem Stande waren als ich; 
ebenſowenig die Betrügereien, die man ſich meines Vermögens 
wegen erlaubte, denn ich bin reich und ſtamme aus einer 
alten chriſtlichen Familie, und darum habe ich mein Vaterland 
verlaſſen, wie es ſo viele tun, die ſchon herübergekommen ſind 
und noch täglich herüberkommen, nicht allein aus dem König: 
reiche Valencia, wo ich geboren bin, ſondern auch aus Granada 
und aus allen ſpaniſchen Provinzen. Mich ſowohl, wie die 
übrigen, kränkte es tief, daß man uns nicht zu den obrigkeit⸗ 
lichen, noch zu den höheren Ehrenſtellen ließ, und daß dieſe 
Beſchimpfung niemals aufhören würde, und daß es nichts 
fruchtete, äußerlich wie innerlich ein guter Chriſt zu ſein. Und 
ein Elender, der weder durch Geburt noch Talent ſich nur 
zwei Zoll breit vom Boden erhoben hat, darf mit ſchändlichen 
Namen einen Chriſten und einen Edelmann beſchimpfen! Und 
noch dazu gab es keine Hilfe gegen dieſe Schändlichkeiten! Was 
kannſt du hierzu ſagen? | 
Nur das, antwortete ich, daß die Kirche ſchon auf Mittel 
gegen dieſe Ungerechtigkeiten geſonnen hat, und dann, daß der= 
jenige, welcher die Taufe einmal empfangen hat, ſich durch 
nichts ſoll mutlos machen laſſen, um dieſes hohe Gut wieder 
verloren zu geben. 
Das gebe ich alles zu, ſagte der Türke, aber welche menſch— 
liche Geduld kann es ertragen, daß ein niedriger Menſch, ohne 
155 


Vorzüge und ohne Geburt, deffen Stamm und Abkunft ſich 
in verächtlicher Dunkelheit verloren hat, daß dieſer ſich auf— 
blähen darf und ſich über Menſchen erheben, die beſſer ſind 
als er, ſowohl durch ihre Familie als durch ihre Verdienſte? 

Darüber, ſagte ich, kann nur Gott richten, der, wenn er 
hier nach ſeiner Weisheit dergleichen Unrecht zuläßt, auch dort 
demjenigen, welcher gelitten hat, ſeine Leiden wird zu ver— 
gelten wiſſen. 

Wir wollten unſer Geſpräch noch fortſetzen, aber da der 
kleine Türke jetzt zu ſingen aufhörte, gebot mir mein Herr, 
zu ſchweigen und kam auf ſeine erſte Frage zurück. Ich ant⸗ 
wortete ihm auf alles mit Kürze und ſagte: Ich ſtamme aus 
den Gebirgen bei Santander, aus dem Tale von Cayon, vb: 
gleich ich in Andaluſien geboren bin; ich heiße Marcos von 
Obregon und verſtehe keine Arbeit, denn die Hidalgos in 
Spanien erlernen dergleichen nicht, indem ſie lieber Not oder 
Dienſtbarkeit ertragen mögen, als daß ſie Handwerker ſein 
wollten. Der Adel der Gebirge wurde nämlich durch die Waf— 
fen erlangt und in Dienſten für die Könige bewährt und 
darf alſo nicht durch niedrige Arbeiten entehrt werden; denn 
dort lebt man mit dem wenigen, was man hat, und behilft 
ſich ſo armſelig, als es nur immer möglich iſt, bewahrt aber 
ſtets die Geſetze des Adels, nämlich zerriſſen und zerlumpt 
einherzugehen, mit Strumpfhoſen und Handſchuhen. 

Ich werde Euch ſchon das Arbeiten zu lehren wiſſen, ſagte 
mein Herr. 

Einer meiner Gefährten, der am Ruder war, antwortete: 
Ich wenigſtens werde mich nicht dazu bequemen, denn man 
ſoll in Spanien nicht ſagen können, daß ein Hidalgo aus 
dem Hauſe Mantillo in Algier eine Arbeit übernommen 
habe. | 

Wie, du Hund, fagte mein Herr, du ſtehſt am Ruder und 
156 | 


führſt noch Eitelkeiten im Munde? Gebt dieſem Hidalgo doch 
gleich einmal fünfzig Streiche! 

Ich bitte Euch, mein Herr, rief ich aus, ihm ſeine Un— 
wiſſenheit zu vergeben; denn er hat von einem Hidalgo nichts 
als den Namen, ohne die Vorzüge, die mit dieſem verknüpft 
ſein ſollen, er will nur ſein Recht geltend machen, zu eſſen 
ohne zu arbeiten. Er iſt nicht der erſte Vagabund, den dieſes 
Haus aufzuweiſen hat, wenn er wirklich daraus ſtammt. Ich 
wandte mich hierauf zu ihm ſelbſt und ſagte: Einfältiger! 
Iſt jetzt wohl die Zeit dazu, oder ſind wir in der Lage, um uns 
dem zu entziehen, was man uns befiehlt? Demut und Ge— 
horſam ſind jetzt unſere Pflichten. 

Du ſprichſt gut, ſagte mein Herr, und es freut mich, dich 
gefunden zu haben, denn du ſollſt der Lehrer meines Sohnes 
werden, dem ich bis jetzt noch keinen habe halten können, weil 
man bei uns niemand findet, der die Dinge wüßte, welche 
die Chriſten ſchon in früher Jugend lernen. 

Wahrlich, erwiderte ich, es iſt ein ſo ſchönes Kind, daß 
ich wünſchte, Wiſſenſchaft genug zu haben, um ihn zum großen 
Manne su erziehen. Doch wird ihm, fo ſchön und adelig er 
auch iſt, immer etwas fehlen. 

Alle die übrigen Mauren wurden hierauf aufmerkſam, und 
der Vater fragte: Und was fehlt ihm denn? Ich antwortete: 
Das, was Ihr übrig habt. — Und was habe ich übrig? fragte 
der Vater. Die Taufe, ſagte ich, der Ihr nicht mehr bedürft. 

Er griff nach einem Prügel, um mich zu ſchlagen, in dem⸗ 
ſelben Augenblick aber faßte ich das Kind, um ihn damit 
abzuwehren. Der Stock entfiel feinen Händen, worüber alle 
lachten, und der Zorn des Vaters wurde wieder beſänftigt. 
Er ſtellte ſich aber doch noch böſe, um ſich bei ſeinen Begleitern 
oder Soldaten in Anſehen zu erhalten, die von ihm glaubten, daß 
er ein ſehr eifriger Anhänger der hündiſchen oder türkiſchen Re— 

157 


ligion feit!; doch merkte ich, fo wenig ich ihn auch noch 
kannte, daß er nicht abgeneigt ſei, zur katholiſchen Wahrheit 
zurückzukehren. Weshalb, rief er aus, denkt ihr wohl, daß 
ich von Spanien nach Algier ging? Nun, um alle jene Küſten 
zu verheeren, wie ich es immer getan habe, ſo viel nur in meiner 
Gewalt ſtand, und ich werde ihnen noch weit mehr Böſes 
zufügen, als bisher geſchehen iſt. 

Da ſie ihn ſo erzürnt ſahen, wollten ſie mich an das Ruder 
ſchließen, er ſagte aber: Laßt ihn nur, denn es iſt die Pflicht eines 
jeden, für ſeine Religion eifrig zu ſein, und wenn dieſer 
Türke wird, ſo tut er für die unſrige dasſelbe. Er befahl mir 
hierauf, um ſeinen Verdruß noch mehr zu vergeſſen, die Gitarre 
zu nehmen, die wir aus der Höhle mitgebracht hatten. Wäh⸗ 
rend ich zur Gitarre ſang, waren alle, bei günſtigem Winde 
und ſtillem Meere, ſehr vergnügt, auch ſtießen wir auf keinen 
Feind, und ſo entdeckten wir die Türme der algeriſchen Küſte, 
und alsbald auch die Stadt. Da man dort die Mannſchaft für 
verloren gehalten hatte, ſo bezeigten die Einwohner große Freude, 
als ſie ſahen, daß es die Schiffe des Renegaten waren. Sie 
kamen zum Hafen, und die Freude, ihn wiederkommen zu 
ſehen, und ſelbſt mit Beute, war ſtürmiſch und lärmend; 
ſie blieſen Trompeten, Pfeifen und andere Inſtrumente, die 
fie mehr brauchen, um ein verwirrtes Getöſe als einen Ohren⸗ 
ſchmaus hervorzubringen. Seine Frau und eine Tochter gingen 
ihm auch entgegen, welche letztere in ihrem ganzen Weſen 
ſpaniſch war. Sie war weiß und rot, hatte ſchöne graue 
Augen, ſo daß ſie mehr ausſah, als wäre ſie in Frankreich 
als in Algier geboren; die Naſe war gekrümmt, der Ausdruck 
ihres Geſichts heiter und anmutig, und alle Teile ihres Kör⸗ 
pers ſtanden in einem ſchönen Verhältnis. 

Der Renegat, welcher ein verſtändiger Mann war, lehrte 
alle ſeine Kinder die ſpaniſche Sprache, in welcher ihn 
158 


die Tochter unter rührenden Tränen anredete, die ihr über 
die roſenroten Wangen rollten; denn da ſie die unglücklichen 
Nachrichten gehört hatte, ſo war es jetzt die Freude, die ihr 
dieſe Tränen aus den Augen preßte. Ich machte ihnen eine 
ſehr tiefe Verbeugung, der Tochter früher als der Mutter, 
denn zu jener zog mich gewaltſam ein Trieb der Natur; 
dann ſagte ich zu meinem Herrn: Ich halte, mein Herr, 
meine Gefangenſchaft für ein großes Glück, denn abgeſehen 
davon, daß ich in die Gewalt eines ſo vornehmen Mannes 
geraten bin, werde ich jetzt der Sklave dieſer Tochter und 
dieſer Gemahlin, die mir viel mehr Engel als irdiſche Weſen 
zu ſein ſcheinen. 

Ach, mein Vater, rief die Jungfrau aus, wie höflich ſind 
doch die Spanier! — Sie könnten, ſagte der Vater, alle Na⸗ 
tionen der Welt die Höflichkeit lehren, und dieſer Sklave ganz 
beſonders, denn er iſt edel, ein Hidalgo aus den Gebirgen, 
und ſehr verſtändig. 

Man ſieht es ihm an, ſagte die Tochter; aber warum iſt 
er ſo ſchlecht gekleidet? Laßt ihn doch ſpaniſch gehen. 

Alles wird ſich finden, meine Tochter, antwortete der Vater; 
wir wollen jetzt von den Beſchwerden der Seereiſe ausruhen, 
da wir frei und wohlbehalten wieder zurückgekommen ſind. 


Neuntes Kapitel. 


Durch die Tochter und die Mutter wurde mir mein Dienſt 
ſehr angenehm, ganz beſonders aber durch die Tochter; denn 
da dieſe ſchon ſo viel Gutes über Spanien und deſſen Ein— 
wohner von ihrem Vater gehört hatte und die Natur ſie auch 
zu dieſer Vorliebe führte, ſo ſorgte ſie weit mehr für mich 
als für die übrigen Sklaven. Ich diente überhaupt nicht ſo 
ungern wie jene, denn abgeſehen von dem Anblick meiner 
ſchönen Herrin war es mir gewiſſermaßen lieb, nach Algier 

159 


gekommen zu fein, weil ein Bruder von mir ſich auch hier 
in der Sklaverei befand. Ich war ſo glücklich, noch ehe ich 
mich nach ihm erkundigt hatte, zu erfahren, daß er andere 
Sklaven angereizt hatte, eine Barke zu nehmen, und nachdem 
ſie ihre Herren umgebracht, ſich dem Glücke oder vielmehr 
dem Willen des Himmels zu vertrauen. Obwohl nun die 
übrigen nicht den Mut dazu gehabt hatten, ſo hatte er doch 
ſeine Abſicht durchgeſetzt, die ihm auch ſo gut gelang, daß 
er nach Spanien kam, wo er ſpäter vor Jatelet ſtarb. Hätte 
man es erfahren, daß ich der Bruder von dieſem ſei, ſo wäre 
es mir wahrſcheinlich übel ergangen. 

Ich diente meinen Herren mit der größtmöglichen Luſt und 
allem Eifer, deſſen ich fähig war; ſie nahmen meine Dienſte 
auch gefälliger auf als die der übrigen Gefangenen. Da 
ich mir gleich anfangs ihr Wohlwollen erworben hatte, ſo 
war es mir auch nachher leicht, es zu bewahren; ich behandelte 
ſie mit großer Hochachtung und Höflichkeit und tat mir 
die größte Gewalt, da es mir im Anfange ſehr ſchwer ankam, 
zu dienen. Doch Zeit und Not lehren den Menſchen alle Dinge. 

So ſehr ich mich auch von meiner Herrſchaft vorgezogen 
ſah, ſo unterließ ich es doch nicht, mit den übrigen Ge— 
fangenen meine Gunſt ſowie ihre Beſchwerden zu teilen, und 
eine ſolche Aufmerkſamkeit iſt notwendig, um den Neid zum 
Schweigen zu bringen. So oft ich die Jungfrau, meine Herrin, 
ſah, bemerkte ich, daß ſie die Farbe veränderte und unwill⸗ 
kürlich ihre Hände und Finger bewegte, ſodaß es ausſah, 
als griffe ſie Taſten. Anfangs ſchrieb ich das ihrer großen 
Sittſamkeit zu; aber da dieſe Anzeichen immer häufiger wurden, 
und ich von dergleichen Zufällen eine ziemliche Erfahrung hatte, 
ſo erkannte ich ihre Krankheit bald. Sie trug mir täglich 
tauſend Sachen auf, die weder zu meinem Dienſte gehörten 
noch ihr irgend wichtig fein konnten; ich aber war um fo | 
160 


fröhlicher, je mehr fie mir auftrug. Jede Spielerei, die ich 
gemacht oder nur berührt hatte, nahm ſie in ihre Hände und 
freute ſich daran, daß dieſe Sachen aus Spanien kamen. 
Einmal ſagte ſie mir mit einem Geſicht ſo rot wie eine 
Klatſchroſe, daß, wenn auch nichts weiter aus Spanien ge— 
kommen wäre als derjenige, der ihr dieſe Dinge gäbe, ihr 
dies ſchon genug ſei. Nach dieſen Worten lief ſie ſchnell fort 
und verſteckte ſich. 

Dieſe Gunſtbezeigungen entzückten mich; doch bedachte ich 
die Lage, in der ich mich befand, und daß, wenn ich die 
Freiheit des Leibes ſuchte, ich die der Seele verlieren könne, 
und daß der geringſte Nachteil, der mir erwachſen möchte, der 
wäre, als Eidam im Hauſe zu bleiben. Ich machte mir, 
wenn ich allein war, harte Vorwürfe und ſuchte die Reize des 
Mädchens zu vergeſſen und die Eindrücke, die ſie auf mein 
Herz gemacht hatte, wieder zu vernichten. Ich fühlte, daß 
im Augenblicke, da dieſe Leidenſchaft den Menſchen ergreift, 
er zu allen Dingen unfähig wird. Ich wollte mich überreden, 
ich könne vielleicht nur zu meiner Unterhaltung dieſe angenehme 

Laſt auf mich nehmen; aber die Erfahrung hatte mich ſchon 
gelehrt, daß die Liebe als umumſchränkter Tyrann herrſchen 
will. Dann wieder ſagte ich zu mir ſelbſt, daß es doch un— 
möglich ſei, mich gegen eine ſo große Liebe undankbar zu 
bezeigen. Doch ſtellte ich mir wieder vor, daß die Eltern auf 
irgendeine Weiſe unſer Einverſtändnis erfahren könnten; daß 
es unrecht ſei, die Liebe und das Vertrauen des Vaters ſo zu 
vergelten, der mir ſeinen Sohn zum Unterricht übergeben habe; 
wichtiger aber als alles war mir, daß ſie noch nicht getauft 
ſei. Ich faßte endlich den Entſchluß, ihre zärtlichen Blicke nicht 
zu erwidern, und wenn die Liebe mich auch innerlich verzehren 
ſollte. 

Das arme Mädchen, das dieſe Veränderung in mir bemerkte, 
1 161 


nahm fich dies zu Herzen und wurde melancholiſch; fie verlor 
die Farbe und den Glanz ihrer Augen. Man fragte ſie, was 
ihr fehle; ſie antwortete, ſie fühle eine Krankheit, die ſie 
nicht zu nennen wiſſe. Man fragte ſie weiter, ob ſie ſich 
etwas wünſche. Sie ſagte, das, was ſie wünſche, ſei etwas 
Unmögliches, denn ſie möchte nur ein einziges Mal Spanien 
ſehen. So zwiſchen Lachen und Traurigkeit überwältigte ſie 
die Schwermut ſo ſehr, daß ſie ſich wider ihren Willen zu Bett 
legen mußte; denn nun konnte ſie den nicht ſehen, den ſie 
wünſchte, ſondern ſie wurde nur von den Weibern beſucht und 
von den ſcharf aufpaſſenden Verſchnittenen. In dieſer traurigen 
Lage war das Mädchen, welches ich mehr liebte, als ich wußte 
oder dachte. 


Zehntes Kapitel. 


Man fing endlich an, die Melancholie dieſes jungen Mäd⸗ 
chens heilen zu wollen, indem man vielerlei Mittel verſuchte, 
die ſie erſt wirklich krank machten; denn da ſie wegen ihrer 
Schönheit und Güte ſehr beliebt war, ſo nahmen alle in Algier 
an ihrer Krankheit teil. Da ich aber die Urſache ihrer Traurig⸗ 
keit am beſten kannte, ſo ſann ich darauf, wie ich ſie ſehen 
und tröſten könne, mit dem Vorſatz, ihr in Gegenwart des 
Vaters und der Mutter von meiner Liebe zu ſprechen, ohne 
daß dieſe es hörten, und daß dieſe ſelbſt mich zu dieſem Zwecke 
zu ihr führen ſollten. Ich ſagte daher meinem Herrn, daß 
ich in Spanien von einem weiſen Manne einige Worte gelernt 
hätte, welche, dem Kranken leiſe in das Ohr geſagt, die 
Kraft hätten, die tiefſte Melancholie zu heilen: der Leidende 
müßte ſie aber mit dem vollkommenſten Glauben anhören, 
und ſie müßten ſo heimlich geſprochen werden, daß niemand 
anders ſie vernehmen könnte. Der Vater ſagte: Mache meine 
162 


Tochter geſund, auf welche Weiſe es auch ſei. Die Mutter trieb 
mich ebenſoſehr an, ihr dieſe Worte zu ſagen. 

So ſauber gekleidet, als es mir nur möglich war, ging ich 
dahin, wo die Kranke ſich unter Weibern befand, und indem 
der Vater und die Mutter hineintraten, ſagten ſie zu ihr: 
Mein Kind, faſſe Mut und feſten Glauben an die Worte, die 
dir Obregon jetzt ſagen wird, um dich von deiner Melancholie 
zu heilen. Alle mußten ſich zurückziehen, und mit der größten 
Demut und Höflichkeit näherte ich mich dem Ohr der Kranken 
und ſagte ihr folgende Beſchwörungsformel: Gebieterin, die 
Verſtellung in dieſen Tagen rührte nicht von Vergeſſen oder 
Gleichgültigkeit her, ſondern geſchah nur aus Rückſicht und 
Achtung für Eure Ehre, denn ich liebe Euch mehr als mein 
Leben. — Hiermit entfernte ich mich, und zugleich ſchlug ſie mit 
himmliſchem Lächeln ihre glänzenden Augen auf, worüber alle 
Anweſenden ſich erfreuten, und ſie ſagte: Wie können nur 
ſpaniſche Worte ſo kräftig ſein? — So viel hatte ſie ſeit 
ſechs Tagen nicht geſprochen. 

Dieſer Vorfall gereichte mir aber nachher zum Verdruß; 
denn der Ruf dieſer Kur verbreitete ſich, und andere, die 
aus mancherlei Urſachen melancholiſch waren, wollten ſich auch 
von mir heilen laſſen, ohne daß ich wußte, wie ich es an— 
fangen ſollte, oder daß ich mehr als vom Hörenſagen den 
Urſprung ihres Übels kannte. 

Alle Anweſenden freuten ſich und rühmten die Kraft der 
Worte und den höflichen Anſtand wie die Demut, mit welchen 
ich ſie geſagt hatte. Das junge Mädchen wollte, durch die 
Beſchwörung geſtärkt, ſogleich aufſtehen; ich aber ſagte zu ihr: 
Da Ihr nun, meine Gebieterin, zur Geneſung den Anfang 
gemacht habt, ſo iſt es nicht gut, Euch ſogleich als eine Geſunde 
zu betrachten; haltet Euch noch ruhig, denn ich will öfter 
wiederkommen, um Euch dieſe Worte zu ſagen und andere, 
11˙ 163 


die noch vortrefflicher find, wenn Ihr es nämlich und mein 
Herr erlaubt. — So geſchah es auch. Sie ſtand endlich auf, 
und ich kam in den Ruf, daß ich die Gabe beſitze, Melancholiſche 
zu heilen. Alle freuten ſich, ſie wieder geſund zu ſehen; ich 
aber vor allen am meiſten, weil ich ſie mit der größten 
Zärtlichkeit liebte. 

Zu derſelben Zeit litt eine junge, ſchöne und vornehme 
Dame, die an einen der Angeſehenſten in der Stadt verheiratet 
war, an der Melancholie; ſie wurde immer kränker, und ihre 
Schwermut erreichte einen ſo hohen Grad, daß ſie niemand 
mehr ſehen oder ſprechen wollte. Als ihr Mann nun davon 
hörte, daß die Tochter meines Herrn wieder durch mich ge— 
ſund geworden ſei, ließ er dieſem ſagen, er möge doch den 
Sklaven zu ihm ſchicken, der ſich auf die Heilung der Me— 
lancholiſchen verſtehe. Mein Herr, der ſich ihm gefällig be— 
zeigen wollte, ſagte zu mir: Du haſt Glück, denn der und 
der läßt dich holen, ein ſehr vornehmer Mann, der nicht nur 
hier in Algier, ſondern ſelbſt beim Großherrn viel gilt, damit 
du ſeine Frau, die ſo ſchön iſt, daß du dich freuen wirſt, 
ſie zu ſehen, von der Melancholie heileſt. | 

O mein Herr, antwortete ich, gebt mir nicht einen ſolchen 
Auftrag; denn wenn ich es einmal getan habe, ſo geſchah es, 
weil ich Eure Gnaden über die Krankheit Eurer Tochter nieder⸗ 
geſchlagen ſah; Ihr wißt ja ſelbſt ſehr gut, wie übel man 
hier alles aufnimmt, was durch die Kraft der wahrhaften 
Religion geſprochen oder getan wird. | 

Es muß durchaus geſchehen, erwiderte er, denn ich darf mir 
dieſen Mann nicht zum Feinde machen. 

Mein Herr, antwortete ich, entſchuldigt mich bei ihm; denn nicht 
auf alle Perſonen machen dieſe Worte den nämlichen Eindruck; 
auch iſt es nötig, daß der Kranke denſelben Glauben daran 
hat wie Eure Tochter, was mit jener Dame nicht der Fall 
164 


fein wird. Ich brachte noch manche andere Entſchuldigungen 
vor, in der Hoffnung, dieſer Kur enthoben zu werden. Er 
ging auch wirklich zu jenem Herrn, um mich zu entſchuldigen; 
aber je mehr er mich davon befreien wollte, deſto mehr beſtand 
jener darauf und ſagte endlich ſogar, wenn ich nicht freiwillig 
käme, würde er mich unter Prügeln herbeiſchleppen laſſen. 
Weh mir Armen! ſagte ich zu mir ſelbſt, wer hat mich doch 
zum Chirurgus oder Doktor der Melancholiſchen gemacht? Was 
weiß ich denn von Rezepten oder Beſchwörungen? Wie werde 
ich mich nur aus dieſer ſchlimmen Lage herauswickeln können? 
Sie muß aufhören, ſchwermütig zu ſein, oder ich muß es 
mein ganzes Leben hindurch bleiben; ich kann ihr nicht, wie 
der andern, meine Liebe erklären; ſie würde mich weder ver— 
ſtehen, noch iſt ihre Krankheit von dieſer Art; ihr aber heimlich 
etwas von unſerer wahrhaften Religion und heilige Dinge 
ſagen, würde nur ihre Krankheit und meine Schläge ver— 
doppeln, obgleich es wohl in Gottes Gewalt ſteht, aus Steinen 
Brot und aus Heiden Chriſten zu machen. 

Endlich faßte ich mir Herz und Mut und nahm meinen 
Herrn als Dolmetſcher mit, der mich als einen Wunderbalſam 
hinbrachte. Um meiner Kur zu Hilfe zu kommen, nahm ich 
eine Gitarre unter den Kittel, weil ich gern alle möglichen 
Mittel anwenden wollte, um meiner Doktorwürde keine Schande 
zu machen. Mit Dreiſtigkeit trat ich ein und ſagte keck: 
Gewiß werdet Ihr, Sennora, geneſen, denn die Worte, welche 
ich ſage, können nur denen helfen, die ſehr ſchön ſind, und 
Ihr ſeid die ſchönſte aller Frauen: ich hoffe darum, daß 
Euer Wohlbefinden nicht ausbleiben und meiner Heilart keine 
Schande machen wird. 

Dieſe Beſchwörungsformel, die ſich bei den Weibern immer 
von großer Wirkſamkeit zeigt, nahm ſie ſehr gut auf. Und 
alsbald fuhr ich fort: Ihr müßt nur den größten Glauben in 

165 


die Worte ſetzen und Euch feft einbilden, daß Euer Übel 
Euch ſchon verlaſſen hat. Hierauf ſtrengte ſie ihren Glauben an, 
während die Umſtehenden ſehr geſpannt waren. Ich näherte mich 
ihr, die ſchon ihre Phantaſie angeſpannt hatte, und ſagte 
ihr eine mächtige Albernheit ins Ohr, die ich in meinem 
logiſchen Kurſus in Salamanka gelernt hatte, nämlich: 

Barbara caelarent Darii ferio Baralipton. 

Caelantes dabitis fapesmo frise somor um. 

Unmittelbar darauf nahm ich die Gitarre und ſang tauſend 
Torheiten, die ſie ebenſo wenig verſtand, als ich ſie ihr erklärte. 

Die Stärke ihrer Imagination war aber ſo groß, daß ſie, 
ehe ich mich entfernt hatte, in ein lautes Gelächter verfiel, 
worauf ſie mich bat, daß ich doch oft wiederkommen und ihr 
jene Worte in ihrer Sprache geſchrieben geben möchte. Ich 
dankte Gott, daß ich dieſen Handel ſo gut losgeworden war, 
und traf Anſtalten, zu keiner Kur mehr berufen zu werden. 
Da aber mein Ruf ſchon ausgebreitet war, ſo wurde ich ge— 
zwungen, mich krank zu ſtellen, wenn man zuweilen meine 
Hilfe begehrte. 

Zum Unglück wurde meine junge Gebieterin eiferſüchtig, 
weil ſie glaubte, ich hätte der ſchönen Frau die nämlichen Worte 
wie ihr geſagt, und weinte bitterlich. Ich beruhigte ſie aber, 
da es mir nicht an Gelegenheit fehlte, ſie zu ſprechen, und 
da ſie noch ein junges, unerfahrenes Mädchen war, glaubte 


ſie mir alles. Eines Tages, da ihre Eltern nicht zu Hauſe 


waren und ich bei ihr war, dank dem Vertrauen, das ihr Vater 
zu mir hatte, fagte fie mir, daß ich in Gegenwart der Dienez 
rinnen mit ihr ſprechen könnte, weil dieſe die Sprache nicht 
verſtänden, worauf ich anfing: Meine Gebieterin, welches Un— 
glück für uns und welches Glück für mich hat es denn ſo 
gefügt, daß Ihr, ein Engel an Schönheit, von zarter Jugend, 
mit Verſtand und Scharfſinn begabt, Euer Wohlwollen einem 
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Manne zugewendet habt, der fic) dem Alter nähert und ohne 
Verdienſte und Talente iſt? Ihr, die Ihr des Glänzendſten in 
der ganzen Welt würdig ſeid, wollt zu Eurem Diener einen 
Armen, Unbedeutenden, Unglücklichen annehmen? 

Ihr Antlitz übergoß ſich hierauf mit dem feinſten Karmin, 
die Hände fingen ihr an zu zittern, und mit beſchämtem Weſen 
antwortete ſie mir folgendes: 

Auf Eure erſte Frage, mein Herr, weiß ich Euch nichts zu 
antworten, denn es geſchah, ohne daß ich wollte und wählte; 
ich wußte weder das Wie noch Warum. Auf die zweite Frage 
aber antworte ich, daß, ſeitdem ich erfuhr, daß mein Vater 
getauft geweſen iſt, ich auch das höchſte Glück verabſcheut 
habe, wenn es ſich hier mir darbieten wollte. Wäre ich ſo 
glücklich, Chriſtin zu werden, ſo wollte ich mir nichts weiter 
wünſchen als dies und den Mann, dem ich dieſes ſage. Sie 
nahm ein Tuch, als wollte ſie ihr Geſicht trocknen, welches ſie 
ganz damit verdeckte, wie ſich ſelber tadelnd, daß ſie ſo frei 
geſprochen hatte. Ich verſtummte vor ihrer Schönheit, Sitt— 
ſamkeit und dieſer Erklärung. Doch ſammelte ich mich wieder, 
weil ich ihre Eltern auf der Gaſſe kommen hörte; ich nahm 
meine Gitarre und ſpielte und ſang ein ſpaniſches Lied. Meine 
Gebieter waren erfreut, mich muſizierend anzutreffen, beſon— 
ders mein Herr, der aus Vorliebe für alles Spaniſche die 
ſpaniſchen Geſänge außerordentlich ſchätzte. 

Ich fuhr fort, dem Sohne Unterricht zu geben, und brachte 
ihm, ſo viel ich konnte, chriſtliche Geſinnungen bei, was der 
Vater auch nicht verhinderte, obgleich er gegen die Chriſten 
kämpfte und an den Küſten von Spanien und den baleari— 
ſchen Inſeln großen Schaden tat. In ſeiner Abweſenheit bot 
ſich mir oft die Gelegenheit dar, viel und lange mit der Tochter 
zu ſprechen, bei welchen Zuſammenkünften ich ihr meine Er— 
gebenheit zeigte, aber ohne daß auch nur der kleinſte Anſchein 

167 


von Unziemlichkeit mir vorgeworfen werden konnte. Wie aber 
dergleichen Verhältniſſe niemals ohne Verdruß und Störungen 
bleiben, ſo fuhr auch der böſe Geiſt in das Herz eines alten, 
überaus häßlichen, zahnlückigen Weibes, die mit ihrer böſen 
Zunge beſtändig die Herrſchaft verleumdete und allenthalben 
klagte, daß man ſie verhungern ließe. Dieſe warf, weil ich 
ihr nichts ſchenkte, auf mich einen Haß und ſuchte dem guten 
Rufe des Kindes zu ſchaden; denn fie ſtellte meine Ergeben: 
heit in ein ſchlimmes Licht, wodurch die Eltern bewogen tur: 
den, ihrer Tochter den Umgang mit mir zu unterſagen. Die 
verwünſchte Alte bildete ſich ein, daß, wenn ſie bei der Herr— 
ſchaft durch dieſe Klatſcherei eine Art von Vertrauen gewänne, 
ſie ein beſſeres Leben als vorher führen würde; aber es fiel 
anders aus, als ſie es dachte; denn die Liebe, welche ſcharf— 
ſichtig iſt, ließ die Tochter auch bald die Verleumdung und 
ihre Urheberin entdecken, und die Eltern, welche ſie über die 
Maßen liebten, glaubten ihr alles, was ſie gegen die Alte 
ausfagte, fo daß dieſe niemals mehr in die Wohnung dern 
Frauen kommen durfte und, ſolange ich im Hauſe war, noch 
ſchlechtere Speiſen als vorher erhielt. 

Der Renegat war ein Mann von Verſtand, und obwohl 
er gegen ſeine Tochter ſo ſtreng verfuhr, ſo ſagte er mir doch 
nichts von feinem Zorne gegen mich, bis er nach feiner Metz 
nung die Wahrheit entdeckt haben würde; er ließ mich aber 
ſeitdem niedrige Dienſte tun, wie Waſſer holen und andere 
ähnliche Dinge, mehr um zu ſehen, wie ich mich dabei be— 
tragen würde, als daß er mich in dieſem Zuſtande verharren 
laſſen wollte. Ich, der ich ſeine Abſicht wohl verſtand, tat 
alles, was er mir nur auftragen mochte, mit Luſt und ohne 
Widerrede, um ihn von dem Argwohn, den er gefaßt hatte, 
wieder zu entwöhnen. Darum tat ich nicht zu viel noch zu 
wenig, ich war nicht trauriger und nicht fröhlicher als ſonſt. 
168 


Mit großer Demut ging ich, um Waſſer zu holen, nach einer 
Quelle, die die Quelle von Babaſon genannt wird, die ein 
ſehr weiches Waſſer hat, welches man in der Stadt ſehr ſchätzt. 
Von dieſem Orte ſieht man in eine große Menge ertragreicher 
Gärten, Weinberge und Olivengehölze. Ein Türke erzählte 
mir einmal von dieſer Stelle, daß man nicht wiſſe, wo dieſes 
Waſſer entſpringe, noch woher es komme; denn nachdem es 
zwei Türken und zwei Sklaven von der Höhe jener Gebirge 
mit unendlicher Gefahr herabgeleitet hätten, habe ihnen der 
König oder Vizekönig jener Zeit ihre Bemühung dadurch ver— 
golten, daß er ſie habe erdroſſeln laſſen, damit ſie niemals 
das Geheimnis verrieten, wodurch man wohl der Stadt dieſes 
nützliche Waſſer entziehen könnte, was beſonders bei einer 
Belagerung von großem Nachteil ſein würde. Dieſe Beſorgnis 
iſt ſo groß, daß jeder Vizekönig eine neue Erfindung verſucht, 
um die Sicherheit der Stadt zu vermehren; ſie gehen in der 
Furcht ſo weit, daß an jedem Freitag, wenn die Männer die 
Moſcheen beſuchen, Weiber und Sklaven eingeſchloſſen wer— 
den, damit keine Verräterei möglich ſei. Es iſt aber nicht 
möglich, wie man nach dieſer Erzählung faſt glauben ſollte, 
daß ein Sklave ein Mädchen oder Weib ſprechen könne, wenn 
ſie auch mit ihm in demſelben Hauſe eingeſchloſſen werden; 
denn die Häuſer ſind ſo gut bewahrt, daß es wohl leichter 
ſein möchte, die ganze Stadt zu plündern, als eine Verräterei 
in einem einzelnen Hauſe anzuſtiften. Denn ſie laſſen ihre 
Wohnungen unter der Obhut jener Verſchnittenen, die mit ſolcher 
Aufmerkſamkeit alles bewachen, daß kein Betrug und keine 
Überliſtung möglich werden. Da ich dieſes wußte, fiel es 
mir nicht ein, einen Verſuch dieſer Art zu machen, oder dieſe 
Geſchöpfe von ihrer Pünktlichkeit und Treue abwendig zu 
machen; vielmehr, als mir der Verſchnittene ſelbſt einen Vor— 
wurf darüber machte, daß ich niemals nach der Wohnung 

169 


der Weiber ginge, da ich doch ein vertrauter Diener des Hauſes 
ſei, antwortete ich ihm: daß ich das nicht tun würde, was 
in meinem Lande nicht gebräuchlich ſei, und es ſei nicht er— 
laubt, daß die Männer mit den Frauen zuſammenkämen. Kurz, 
ich betrug mich gegen dieſen Spion mit ſolcher Feinheit, daß 
man mir durchaus nichts vorwerfen konnte, was gerade das 
war, was mein Herr gewünſcht hatte, und der Eunuch war mir 
(fo ſehr feine mürriſche Gemütsart es eben zuließ) immer ges 
wogen. Dieſe Leute ſind zwar ſtark als bösartig verrufen, 
aber mit Unrecht. Ich glaube vielmehr, daß der Umſtand, 
daß ſie keine Liebesleidenſchaft empfinden, die ſie verheimlichen 
müßten, ſie eher zeitlebens Kinder bleiben als tückiſch ſein 
läßt. Dies gilt von denen, die nicht Muſik treiben, denn 
unter den letzteren habe ich viele kluge und hervorragende Leute 
gefunden, wie weiland Primo Racionero von Toledo, und 
in unſeren Tagen Luys Onguero, Kaplan Seiner Majeftát, 
und andere. | 


Elftes Kapitel, 


Mein Herr war ſehr erfreut darüber, feine Tochter fo tugend— 
haft und mich ſo treu zu finden, und ſo trat ich auch in 
mein altes Verhältnis zurück. Das junge Mädchen war in 
der Tat ein wenig melancholiſch, weshalb die Mutter bereute, 
daß ſie ſie verſtimmt hatte; ja die Tochter zog ſich einiger— 
maßen von ihr zurück, als wenn ſie ihr etwas böſe wäre. 
Die Mutter ſann auf Mittel, ſie zu erheitern und fröhlich zu 
machen, denn ſie wurde ſo tiefſinnig, daß alle befürchteten, 
ſie möchte in ihre vorige Krankheit zurückfallen. Endlich, 
nachdem man verſchiedene Mittel vergeblich verſucht hatte, riet 
die Mutter meinem Herrn, er möchte mir noch einmal be— 
fehlen, ihr jene Worte gegen die Melancholie vorzuſagen, da 
jedes andere Heilmittel ohne Wirkung geblieben ſei. Als ich 
170 


dieſen Auftrag erhielt, fagte ich zu meinem Herrn: Diefe 
Traurigkeit rührt ohne Zweifel von einem Verdruſſe her, 
darum wird man ihr die Worte oft vorſagen müſſen, um das 
Übel mit der Wurzel auszurotten; deshalb werde ich auch einige 
Fragen an ſie richten, damit ſie durch Antworten ihr Herz er— 
leichtern könne. So geſchah es auch; denn man ließ mich eine 
lange Zeit mit ihr ſprechen und ihr die Formel etlichemal vor— 
ſagen, worauf ſie mir verſtändige Antworten gab und ich 
mich freute, ihr endlich ausſprechen zu können, daß ihr wahres 
Heil und die Freude ihrer Seele nur von jenem Waſſer der 
Taufe kommen könne, welches ihr Vater ſo gering geachtet 
habe. Nachdem ich ihr dieſe Vorſtellung gemacht hatte, ent— 
fernte ich mich von ihr, indem wir eine halbe Stunde mit— 
einander geſprochen hatten. Die Mutter war über die glück— 
liche Wirkung ſehr erfreut und bat mich, daß ich ſie dieſe Be— 
ſchwörung lehren möchte. Ich antwortete ihr: Sennora, dieſe 
Worte kann kein anderer ausſprechen, als wer in der Meer— 
enge von Gibraltar, auf den Inſeln von Riaran, bei den 
Säulen des Herkules, auf dem Mongibel*2 von Sizilien, in 
dem Abgrunde von Cabra, in dem Steinbruche von Ronda und 
auf dem Hofe der Pacheca geweſen iſt; jedem andern würden 
hölliſche Geſpenſter erſcheinen, die alle Welt entſetzten. Dieſe 
und andere Albernheiten ſagte ich ihr, wodurch ſie die Luſt 
verlor, die Beſchwörungsformel zu lernen. 

Obgleich ich auf dieſe Weiſe nicht ganz ohne Unterhaltung 
lebte, ſo fühlte ich doch den Verluſt der Freiheit und daß 
ich mich als ein armſeliger Sklave unter den Feinden der wahr— 
haftigen Religion befand, ohne Hoffnung, je wieder frei zu 
werden. Dadurch ward die Liebe in der Bruſt des Mädchens 
vermehrt und bei mir vermindert; denn dieſe Leidenſchaft 
wirkt nur auf Gemüter, die müßig und ohne Sorgen 
ſind. 

174 


So traurig ich war, fo tat ich doch alles, was mein Herr 
mir befahl, mit der größten Pünktlichkeit, fo daß meine Gez 
bieter mich mit jedem Tage mehr liebten und es ihnen ſehr 
leid tat, mich ſo melancholiſch zu ſehen. Als im Juni der Tag 
des heiligen Johannes erſchien, an welchem die Mauren ente 
weder aus Nachahmung der Chriſten, oder ich weiß nicht 
aus welchem von den tauſend Irrtümern ihrer Sekte dazu ver— 
anlaßt, viele Luſtbarkeiten und Aufzüge zu Pferde und zu 
Fuß anſtellen, ſagte der Renegat zu mir: Begleite mich, nicht 
als mein Sklave, ſondern als mein Freund, denn in aller 
Freiheit ſollſt du das Feſt genießen, welches heute dem Pro— 
pheten Ali gefeiert wird, den ihr Johannes den Täufer nennt; 
heute ſollſt du dich an den vielen Reitern, den prächtigen 
Livreen, den ſeidenen und goldgewirkten Decken, den Tur— 
banen, Säbeln und braven nacktarmigen Lanzenſchleuderern er— 
götzen; betrachte dann die Schönheit, die Pracht und den 
Schmuck der Damen, wie ſie mit Anſtand vom Fenſter herab 
ihren Verehrern Zeichen ihrer Gunſt ſchenken; betrachte die 
Scharen vornehmer Ritter, die von ihrem Vizekönige ange— 
führt, das Ufer des Meeres wie der Flüſſe zieren, wie aus— 
gezeichnet ſie im Lanzenſpiele ſind, und mit welcher Leichtig— 
keit ſie die hingeworfene Lanze vom Pferde herab wieder vom 
Boden aufnehmen. 

Auf alles dieſes antwortete ich nur mit einem Ausbruch 
von Tränen, ohne daß ich mich zwingen oder die Rührung 
und Erſchütterung verbergen konnte, die jenes Feſt mir ver— 
urſachte. Worauf mein Herr ſich zu mir wandte und, da er 
den Strom meiner Tränen ſah, zu mir alſo redete: Wie, 
zu einer Zeit, da die ganze Welt fröhlich iſt, nicht nur bierz 
zulande, ſondern auch in der ganzen Chriſtenheit, an einem 
ſolchen Tage, an welchem alle Menſchen aus übergroßer Luſt 
faſt töricht erſcheinen, gehen dir die Augen über? Eine Zeit, 
172 


die der Himmel felbft gleichſam mit Freudenzeichen feiert, 
die begehſt du mit Wehklagen? Was ſiehſt du hier, das dich 
verſtimmen oder nicht zu deinem Vergnügen gereichen könnte? 
Das Feſt ſelbſt, antwortete ich, iſt wundervoll, und zwar 
ſo ſehr, daß ſeine ausgezeichnete Pracht mich an viele Feier— 
lichkeiten erinnert, die ich in der Reſidenz des größten Mon— 
archen der Erde, des Königs von Spanien, geſehen habe. Ich 
gedenke bei dem Glanze, der Kleiderpracht und den Juwelen, 
die hier vor mir leuchten, mancher edlen Fürſten und Ritter. 
Ich gedenke, wie an einem ſolchen Morgen der Herzog von 
Paſtrana ſich zu Pferde zeigte, mehr einem Engel als einem 
Menſchen gleich, im Sattel ſo feſt, daß er einem Kentauren 
glich, indem er ſich in vielfachen Sprüngen bewegte und alle 
Zuſchauer bezauberte. Ich erinnere mich jenes edlen Don Juan 
de Gaviria, der im reichen Schmuck die Roſſe ermüdete und 
ſich durchaus als herrlicher Ritter zeigte. Eines Don Luis de 
Guzman, Marques de Algava, vor dem die Schranken er— 
zitterten, wenn er mit der wilden Kraft der losgelaſſenen 
brüllenden Stiere zuſammentraf. Seines Oheims, des Marques 
de Ardales, Don Juan de Guzman, des Muſters aller Tapfer— 
keit und Kühnheit. Jenes großen Fürſten, Don Pedros de 
Medicis, der mit einem kleinen Speer in der Hand einen 
Stier bezwang. Des Grafen von Villamediana, Don Juan 
de Taſſis, des Vaters und des Sohnes, welche beide gemeinſam 
einen Stier mit dem Degen in Stücke hieben. Ja, ich erinnere 
mich zugleich unzähliger junger Ritter, deren Kühnheit hin— 
reißt, deren Behendigkeit beſiegt, deren Artigkeit bezaubert. 
Ich muß dieſer Feſte gedenken, welche keine andere Nation 
als nur die ſpaniſche jemals gefeiert hat; denn alle halten es 
für die äußerſte Verwegenheit, ein ſo ungebändigtes Tier an— 
zugreifen, welches, gereizt, ſich auf tauſend Menſchen ſtürzt, 
auf tauſend Pferde und Lanzen, und deſſen Wut mit ſeinen 
173 


Schmerzen nur zunimmt. Das ganze Altertum kannte kein 
Feſt, welches ſo gefahrvoll als dieſes war, und nur die Spanier 
ſind ſo kühn und unverzagt, daß ſie, ſelbſt vom Stiere ver— 
wundet, der augenſcheinlichſten Gefahr ſich wieder zuwenden, 
beide, ſowohl die Reiter wie die zu Fuß. Sollte ich alle die 
Taten erzählen, von denen ich bei dieſen Feſten Augenzeuge 
war, ſollte ich alle jene hochgeſinnten Ritter in mein Ge— 
dächtnis zurückrufen, die in der Tapferkeit wie in allen Gaben 
den vorerwähnten gleichen, ſo hieße das nicht nur dieſes Feſt, 
ſondern zugleich alle Feſte, die es nur auf der Welt geben 
mag, verdunkeln. 

Hierauf ſagte der Eremit zu mir: Wie kommt es nur, 
mein Herr, daß Ihr nicht das Feſt erwähntet, welches Don 
Philipp der Vielgeliebte in Valladolid bei der Geburt unſeres 
Gebieters gab “3? 

Ich antwortete: Weil ich unmöglich das als eine Prophe— 
zeiung erzählen konnte, was ſich dazumal noch nicht zuge⸗ 
tragen hatte; aber freilich war dieſe die fröhlichſte und glän— 
zendſte Feierlichkeit, die die Sterblichen jemals geſehen haben, 
und bei der ſich die Größe und der Reichtum der ſpaniſchen 
Monarchie zeigen konnten. Denn wenn jener üppige Kaiſer 
den Boden, den er beim Verlaſſen ſeines Palaſtes betrat, mit 
Goldfeilſpänen bedecken ließ, ſo konnte man mit dem Golde, 
das an dieſem Tage auf dem Feſtplatze zu ſehen war, dieſen 
vollſtändig wie mit Sandfuhren bedecken. Aber um auf das 
Feſt der Türken und Mauren zurückzukommen, ſo war es 
im höchſten Grade vergnügt; denn da dieſes Volk keine andere 
Freude hat, als die ihnen die Gegenwart darbietet, ſo ge— 
nießen ſie dieſe mit ungezügelter Luſt. Zuletzt erblickte ich 
auch meine Damen, als das Feſt ſchon beinah zu Ende ging: 
das junge Mädchen ließ immer die Augen wandern, nicht 
nach dem Feſte, ſondern nach ihrem Vater, denn indem ſie 
174 


ihn anſah, blickte fie auch zugleich auf mich. Ich fpielte den 
Unachtſamen und ſagte zu meinem Herrn, daß wir nun gehen 
möchten, weil ich wußte, was er mir antworten würde, was 
auch zutraf, indem er ſagte: Wir wollen nur auf meine Frau 
und Tochter warten, um ſie zu begleiten. Sie kamen von dem 
Balkon herunter, wo ſie waren; die Tochter zitterte an den 
Händen und wechſelte die Farbe des Geſichts, indem ſie nur 
mit Unterbrechungen reden konnte. Der Vater ſagte zu ihr: 
Hier iſt dein Arzt, ſprich mit ihm und danke ihm für die 
Geſundheit, die er dir geſchenkt hat. Die Mutter fragte mich, 
wie mir das Feſt gefallen habe. Bis ich meine Gebieterinnen 
erblickte, war meine Antwort, ſah ich nichts, was mir ſchön 
erſchien, wenn es auch ſo ſein mochte; denn was Anmut, 
Schönheit und Wuchs betrifft, ſo gibt es nichts in Algier, 
was ſich darin mit meiner Herrin und ihrer Tochter ver— 
gleichen dürfte. 

Der Vater lachte, und die Damen waren ſehr zufrieden, 
und da die Mutter durch dieſe Rede aufgeheitert war, ſo er— 
laubte ſie mir auch gern, mit ihrer Tochter zu ſprechen. Das 
Mädchen bat mich um einen Roſenkranz, den ich abbetete; ich 
gab ihn ihr, und da ich ſie zu ſprechen Gelegenheit hatte, be— 

deutete ich ihr, zu welchem Gebrauche er ſei, und daß, wenn 
ſie wahrhaft ihr Herz der heiligen Jungfrau widmete, dieſe 
ihr einen leichten und bequemen Weg bereiten würde, um zu 
dem Glücke und der Gnade der heiligen Taufe zu gelangen, 
was das Mädchen mit der größten Inbrunſt wünſchte. Ich 
ſagte ihr zugleich, daß ich ſie nach dem Roſenkranz wieder 
fragen würde, daß ſie ihn wohl bewahren und ihn jeden Tag 
beten möge, was ſie mir auch verſprach. 

Zwölftes Kapitel. 

In jener Zeit geſchah ein merkwürdiger und nicht gewöhn— 

licher Diebſtahl, ein Verbrechen, welches bei jenem Volke am 
175 


Ao 
AY 
l 10 


meiften geftraft wird, an welchem die ganze Stadt Anſtoß 
nahm und der große Beſtürzung erregte; denn er war an 
dem Könige oder Vizekönige verübt worden, und zwar betraf 
es Geld, welches dieſer aufbewahrt hatte, um es dem Groß— 
herrn zu überſenden. Trotzdem große Unterſuchungen ange— 
ſtellt waren, konnte man durch keine Vermutung oder keinen 
Argwohn auf den Urheber verfallen, obgleich ein großer Günſt— 
ling des Königs eine gewaltige Summe ausbot, nebſt Privi⸗ 
legien und Befreiungen für den, der die Sache entdecken könnte. 
Man traf die Anſtalt, daß im geheimen und ohne Aufſehen 
alle Häuſer bewacht wurden, ſo daß niemand aus der Stadt 
durfte, und da alles dieſes nichts fruchtete, ſagte mein Herr 
zu mir: Wenn du irgendein geheimes Mittel wüßteſt, um 
dieſen Diebſtahl zu entdecken, wenn ich dir den nenne, der 
ihn verübt hat, doch ſo, daß niemand darein verwickelt würde, 
ſo wollte ich dir Geld und die Freiheit ſchenken. 

Kann man wohl, antwortete ich, um ein Mittel verlegen 
ſein, da man ja nur ein Blatt mit oder ohne Unterſchrift ab— 
ſenden darf? 

Dies iſt gerade ganz unmöglich, ſagte mein Herr, denn 
iſt der Brief unterzeichnet, ſo würde man den umbringen, der 
ihn abgibt und der ihn unterſchreibt; iſt er aber ohne Namen, 
ſo würde man alle Einwohner auf die Folter bringen, um 
zu entdecken, von wem das Schreiben herrührt, denn jede 
Nachweiſung muß durchaus früher in die Hände des Diebes 
als eines anderen fallen, dieſer aber iſt kein anderer, als der 
Günſtling ſelbſt. Zeigt dieſen nun ein freier Mann an, ſo 
erdroſſelt man diefen, tut es aber ein Sklave, fo wird er vers | 
brannt. Zu dieſer Überzeugung habe ich ſehr gegründete Ur⸗ 
ſachen, und den Charakter des Mannes ſowie ſeine Grauſam⸗ 
keit kenne ich ſchon ſeit vielen Jahren, denn hier zittern alle 
mehr vor Hazen, dem Günſtlinge, als vor dem Könige ſelbſt. 
176 


Daher würde jeder Verſuch, ihn auf dem gewöhnlichen Wege 
zu entlarven, nur das größte Unheil nach ſich ziehen. Da 
dieſer nun der größte Feind iſt, den ich habe, ja, den ſelbſt 
der ganze Staat hat, ſo zeige ich ihn nicht an und will auch 
nicht, daß du es tuſt, denn dies Unternehmen würde von 
den ſchrecklichſten Folgen ſein. 

So erlaubt mir aber, mein gnädiger Herr, antwortete ich, 
daß ich eine Weiſe finde, um Euch Rache zu verſchaffen und 
den Diebſtahl anzuzeigen, ohne daß irgendjemand darunter 
leide; vergönnt mir aber, es ſo zu tun, wie ich will, indem 
Ihr mir bewilligt, die Sache auf meine Weiſe einzurich, 
ten. 

Dieſes tat er, und ich nahm einen ausgeprobten Star, der 
alle Eigenſchaften beſaß, um gut ſprechen zu lernen; den ver— 
ſchloß ich in einem Zimmer in ſeinen Käfig, wo er keine 
anderen Vögel hören konnte, die ihn ſtören möchten, und 
eine ganze Nacht und den darauffolgenden Tag nahm ich ihn 
in die Schule, daß er mußte ſagen lernen: Der und der hat 
das Geld geſtohlen! der und der hat das Geld geſtohlen! 
Ich gab mir ſo viel Mühe, und er hatte ſo viel natürliche 
Anlage, daß er innerhalb von vierzehn Tagen, wenn er hungrig 
war und ſein Futter fordern wollte, rief: Der und der hat 
das Geld geſtohlen! So bediente er ſich ſeines eingelernten 
Spruches jedesmal, wenn ihn hungerte oder dürſtete, weil 
er ſchon gänzlich ſeinen natürlichen Geſang vergeſſen hatte. 
Ich verſicherte mich noch eine Woche hindurch, daß der Star 
in ſeiner Wiſſenſchaft feſt werden möchte, und auch ich des 
Kunſtgriffs gewiß würde, den ich erſonnen hatte; denn das 
Gelingen war von der höchſten Wichtigkeit, um mehr als 
hundert Menſchen frei zu machen, die man dieſes Diebſtahls 
wegen gefangen geſetzt hatte, unter welchen Unſchuldigen ſich 
viele ſpaniſche und italieniſche Sklaven, ſowie von anderen 
12 177 


Nationen, befanden. Da ich nun hoffen konnte, daß mein 
Star der Befreier ſo vieler gefangener Chriſten ſein würde, 
ließ ich ihn an einem Freitage, an welchem der König die 
Moſchee beſuchen wollte, fliegen und gab ihm die Freiheit, 
damit er die anderen Gefangenen auch erlöſen ſollte. Er 
flog mit vielen anderen Staren auf den Turm, und zwiſchen 
dem Geſchwätz der übrigen fing er an eifrig zu rufen: Hazen 
hat das Geld geſtohlen! Er unterließ den ganzen Tag nicht, 
dies zu rufen, als er ſich in der erwünſchten Freiheit ſah. 
Dem Könige wurde hinterbracht, was der Star auf dem 
Turme ſagte. Er erſtaunte, und als die Stunde kam, die 
Moſchee zu beſuchen, war das, was er zuerſt vernahm, der 
neue Geſang meines Stares, der oftmals ſagte: Hazen hat 
das Geld geſtohlen! Er faßte ſogleich den Gedanken, daß, 
weil die Sache ſo unergründlich geweſen ſei, dieſe Ausſage 
wohl Wahrheit enthalten könne, und ſo wie ſie alle dort auf 
Wunderzeichen halten, ſo ſetzte er ſich auch ſogleich in den 
Kopf, der große Mohammed habe einen feiner ihn begleiten: 
den Geiſter geſandt, um dieſe Sache zu entdecken, damit nicht 
ſo viele Unſchuldige leiden möchten. Um aber die Unterſuchung 
nicht unbedachtſam anzufangen, rief er gewiſſe Wahrſager 
oder Aſtrologen, welche ſchon wußten, was der Star ausgeſagt 
hatte, und beſchwor ſie, ihm ihre Meinung zu entdecken. Sie 
entwarfen ihre Rechnung, welche ſo gut mit der des Stares 
übereintraf, daß er den Günſtling gefangennehmen ließ, und 
nachdem dieſer auf der Folter alles bekannt und man das 
Geld gefunden hatte, entzog er ihm ſeine Gunſt, was in der 
ganzen Stadt große Freude erregte, weil er jedermann ver— 
haßt war, nicht ſowohl deswegen, weil man beſtimmt von 
ihm ſagen konnte, daß er jemandem etwas Übles zugefügt 
hätte (denn bis er ſich auf dieſe Weiſe verging, kannte man 
ſeine Bosheit nicht), ſondern weil man meinte, daß alle Grau⸗ 
178 


ſamkeiten, welche der Vizekönig ausübte, nur auf den Rat 
dieſes ſeines Günſtlings geſchähen. 


Dreizehntes Kapitel. 


Nachdem ich das glücklich erreicht hatte, was ich mit meinem 
ſprechenden Stare ausrichten wollte, erfüllte mein Herr ſein 
Verſprechen gegen mich, nachdem der Vizekönig das ſeinige 
erfüllt hatte; denn dieſer bewunderte die Heimlichkeit und 
Vorſicht des Renegaten, durch welche er das Unglück ſo vieler 
Gefangenen verhütet hatte. Der Renegat ſchenkte mir gern 
die Freiheit, was ſeine Tochter nicht gern ſah, die ſich 
ſchon auf dem Wege zur chriſtlichen Religion befand, ebenſo 
wie ihr Bruder, den ich von der chriſtlichen Wahrheit über— 
zeugt hatte, ſo daß ſich beide ſchon die Taufe von Herzen 
wünſchten. Der Vater ſtellte ſich zwar, als wenn er nicht 
darum wiſſe, doch hatte er gewiß die Vermutung, ja es war 
ſogar ſein Wunſch, obgleich er kein Wort darüber verlor. Der 
junge Menſch hieß Muſtapha und die Schweſter Alima. Mit 
dieſer hatte ich Gelegenheit, ganz nach ihrem Wunſche, allein 
zu ſprechen, aber nicht über verliebte Gegenſtände, denn ich 
wollte ſie auf keine Weiſe kränken. Ich verſicherte ihr endlich, 
daß, wenn ich nach Spanien gekommen ſein würde, ich auf 
alle nur mögliche Weiſe ihr von mir Nachricht geben und ihr 
zugleich melden würde, was ſie tun müſſe, um, wie ſie wünſche, 
Chriſtin zu werden. Dieſe Verſicherung preßte ihr Tränen aus, 
und da dies das letztemal ſein konnte, daß ich ſie ſprach, 
ſo nahm ich Abſchied von ihr. Sie küßte den Roſenkranz, 
den ich ihr gegeben hatte, vielmals, und ſagte, daß ſie ihn 
für immer bewahren würde. 

Hierauf ſagte mein Herr unter vielen Bezeigungen der 
Freundſchaft zu mir: Obregon, ich muß jetzt mein Wort er: 
füllen, welches ich dir gegeben habe, weil du es verdient haſt, 
12* 179 


und wegen der Verpflichtung, die ich fühle, indem ich ein 
Spanier bin, ſowie wegen deſſen, was mir von der Taufe blieb 
(wobei er ſich umſah, ob ihn auch niemand höre); denn kein 
anderer Einwohner von Algier — ich ſpreche von den Mauren 
— würde dir Treue und Glauben halten, noch dir für deine 
Erfindung dankbar ſein. Wenn der König von Algier mir 
gedankt und ſein Verſprechen, wenn man den Diebſtahl ent— 
deckte, gehalten hat, ſo iſt dies nur, weil er von Chriſten ab— 
ſtammt, bei denen Wahrheit und ein gegebenes Wort für 
unverletzlich geachtet werden. Dieſe barbariſche Nation hier 
aber ſagt, daß das Worthalten nur Kaufleuten, nicht aber 
Rittern gezieme. Ich erfülle dir nun zwar mein Verſprechen, 
doch ſehr ungern; denn ſolange du hier lebteſt, hatte ich 
doch jemand, mit dem ich mich in Geſprächen erfreuen konnte, 
die Vertrauen erfordern. Da es aber die Notwendigkeit ge— 
bietet und du nicht in Algier bleiben kannſt, ſo will ich dich 
auf meinen Schiffen auf die Weiſe, die ich erdacht habe, 
nach Spanien bringen. Jetzt iſt eine günſtige Zeit, da alle 
auf die Kaperei auslaufen; ich werde mich von den übrigen 
abſondern, um dich an eine der Inſeln auszuſetzen, die Spanien 
nahe liegen; denn weſtlicher wage ich mich nicht, weil ſie auf 
der ganzen Küſte mich immer ſehr im Auge haben, wo ich 
ihnen vielfachen und großen Schaden zugefügt habe. 

Mein Herr ſchickte ſich an, ſeine Reiſe anzutreten. Er nahm 
einige tapfere Türken mit ſich, die ſchon ſehr geübte Piraten 
waren, und gutes Wetter wählend, hielt er auf die baleariſchen 
Inſeln. An dem Ufer ſtanden laut weinend ſeine Gattin und 
Tochter, die erſtere ſich dem großen Propheten Mohammed 
empfehlend, die letztere aber laut und troſtlos die Jungfrau 
Maria anrufend; denn da niemand in der Nähe war, der ihr 
Vorwürfe machen konnte, überließ fie ſich ganz ihren Emp: 
findungen. 

180 


Ich wandte die Augen zur Stadt zurück, Gott bittend, 
daß ich ſie doch einmal wiederſehen möchte, wenn ſie chriſtlich 
wäre. Denn da ich den beſten Teil meines Selbſt in ihr 
zurückließ, war ich, obgleich in Freiheit, darüber traurig, unter 
dem Geſindel dort ein Weſen zu wiſſen, das ich zärtlich liebte, 
und das mit Inbrunſt an den Lehren des Chriſtentums hing. 

Wir hatten den günſtigſten Wind, und als mein Herr ſah, 
daß ich das Geſicht zur Stadt wandte, ſagte er zu mir: 
Obregon, es ſcheint mir, daß du nach Algier zurückſiehſt und 
die Stadt wohl tauſendmal verwünſcheſt, weil ſie voller Chriſten— 
ſklaven iſt, und daß du ſie darum eine Räuberhöhle nennſt. 
Sei aber verſichert, daß das Unheil, welches die Korſaren 
anrichten, nicht das größte iſt; denn ſie laufen doch ſelbſt dabei 
Gefahr, gehen auch zuweilen nach Wolle und finden nichts 
zu ſcheren. Am meiſten geſchieht dadurch Unheil, daß, weil 
alle in Algier ſo gut aufgenommen werden, von allen Grenzen 
Afrikas viele mit ihren Musketen freiwillig ankommen, ent— 
weder aus Liebe zur Freiheit, oder aus Armut, oder weil ſie 
ſchlecht geſinnt, und aus allen dieſen Urſachen iſt die Stadt 
voller Chriſten aus Weſten und aus Oſten. Iſt es gleich 
gegen meinen Vorteil, ſo kann ich doch den Schmerz darüber, 
daß ſo viele Getaufte ſich unglücklich machen, nicht unter— 
drücken. 

Schon ſonſt, antwortete ich, habe ich gemerkt, wie Ihr als 
frommer Mann, der aus edlem Blute ſtammt, von dieſem 
Gegenſtande gerührt werdet; aber ich nehme bei alledem nicht 
den Vorſatz in Euch wahr, wieder in den Schoß der Kirche 
zurückzukehren, der Eure Vorfahren anhingen. 

Ich mag dir nicht ſagen, antwortete mein Herr, daß die 
Liebe zu meinem Vermögen, meinem Stande und meiner Frei— 
heit, zu Weib und Kindern, oder der vielfache Schaden, den 
ich meinem eigenen Vaterlande zugefügt habe, mich davon zu— 

181 


rückhalten; ſondern ich will dich nur fragen, ob du mich ein 
einziges Mal haſt nachforſchen ſehen, welche Lehren du meinen 
Kindern vortrugſt, woraus du abnehmen kannſt, welcher Glaube 
in meinem Buſen herrſcht. Ich verſichere dich, daß von allen 
Renegaten, die du in ſo großem Anſehen und ſo reich an 
Gut und Sklaven gekannt haſt, kein einziger iſt, der nicht weiß, 
daß er ſich im Irrtum befindet; ihre ſo große Macht, Ehre 
und Vermögen, worin ſie allen Türken und Mauren vor⸗ 
gezogen ſind, halten ſie zurück; aber ſie kennen die Wahrheit. 
Zum Beweiſe deſſen will ich dir eine Geſchichte erzählen, die 
ſich vor kurzem in Algier zutrug. 

Es lebt dort ein Türke von großem Vermögen, der viel 
Glück zur See gehabt hat und auch in den Unternehmungen 
auf dem Lande erfahren iſt und Mami Reis heißt; er iſt ein 
liebenswürdiger Mann von ſchönem Wuchſe und von jeder— 
mann geliebt. Dieſer befand ſich ſeit einigen Tagen auf einem 
Zuge an der Küſte von Valencia, ohne daß ihm ein Fang auf 
der See begegnete, ſo daß ihm die Lebensmittel ausgingen. 
Notgedrungen gingen er und ſeine Begleiter mit der größten 
Lebensgefahr an Land; denn an der ganzen Küſte waren 
Fackeln angezündet, und ſie wurden ſo beunruhigt, daß ſie 
ſich wieder auf das Meer begeben mußten, wobei ſie einige 
Stücke gegen ihre Verfolger abfeuerten. In dieſer Eile, mit 
welcher ſie flüchteten, ließen ſie den Herrn des Fahrzeuges 
auf dem Lande, nebſt einem braven Soldaten, ſeinem Freunde. 
Dieſe, die ſich verloren ſahen, gingen in eine Mühle, wo ſie 
niemanden als ein außerordentlich ſchönes Mädchen fanden, 
die in der Verwirrung mit den übrigen Leuten nicht hatte entz | 
fliehen können. Durch Drohungen verhinderten fie ihr Ge- 
ſchrei, und als ſie die Küſte beruhigt ſahen, machten ſie ihrem 
Fahrzeuge ein bekanntes Zeichen. Dieſes legte gleich in der 
Nacht an, das Gefolge kam zur Mühle, und ehe noch die 
182 | 


Leute des Hauſes zurückkehrten, nahmen fie ihren Kapitän 
und ſeinen Gefährten, zugleich aber auch das Mädchen als 
Gefangene mit. Deren Schönheit war ſo groß, daß ſie alle 
darin übereinkamen, ihresgleichen ſei noch niemals in Algier 
geſehen worden. Der Kapitän ſagte, daß er dieſen Fang für 
glücklicher halte, als wenn er ganz Valencia geplündert habe. 
Sie weinte und klagte; er tröſtete ſie aber, daß ſie über ſein 
gutes Glück nicht trauern möchte, denn ſie ſolle Herrin über 
ihn und ſein ganzes Vermögen und keine Sklavin ſein, wie 
ſie ſich einbilde. So tröſtete er ſie auf der ganzen Fahrt, denn 
dieſer Türke kann etwas ſpaniſch ſprechen. Um nicht zu meit- 
läufig zu werden, ſo landete er nicht an der Stadt, ſondern 
bei einem Gute, das angenehme Weinberge und liebliche Gärten 
hatte, und das ihm gehörte. 

Sie, die ſich ſo von allen Sklaven und auch Freunden 
des Türken als Herrin bedient ſah, erheiterte ſich nach und 
nach und fand ſich in die Gefangenſchaft, die ihr anfangs ſo 
große Schmerzen verurſacht hatte. Mit der Zeit kam ſie dahin, 
daß ſie ihren Herrn liebte und ſich mit ihm verheiratete, ihre 
wahre Religion gegen die ihres Gatten vertauſchend, mit welchem 
ſie ſechs oder ſieben Jahre in der größten Zufriedenheit lebte, 
geliebt und bedient, Gebieterin über Perlen und Juwelen und 
ganz vergeſſend, daß ſie Chriſtin geweſen ſei. Ihr zuliebe 
wurden täglich die fröhlichſten Ritterſpiele und andere Feſte ge— 
feiert, damit ihr Geſicht in Zufriedenheit erſtrahlte; und der Glanz 
ihres Antlitzes übertraf alle anderen in Algier ſo ſehr, daß, 
wenn der Türke ſich nicht ſchnell mit ihr verheiratet hätte, 
ſie ihm geraubt und dem Großherrn geſchickt worden wäre. 
Faſt vergöttert führte ſie ihr Leben; denn ihr Wille war allen, 
die ſie umgaben, Geſetz und Vorſchrift. Unter andern hatte 
ſie auch einen Sklaven aus Menorka, mit dem ſie wie mit 
den übrigen umging. Deſſen Löſegeld langte an, und dieſer 

183 


wackere Mann kam, um von ihr Abſchied zu nehmen. Sie 
fragte ihn, an welchem Orte er ſich aufhalten würde, und als 
er ihr dieſen nannte, befahl ſie ihm, ja aufmerkſam auf alles 
zu ſein, weil man nicht wiſſe, was ſich zutragen könne. Er, 
der nicht einfältig war, verſtand ſie, ging nach Menorka und 
blieb dort, bis ſie eine Gelegenheit fand, ihm dorthin einen 
Brief zu ſchicken, worin ſie ihm ſchrieb, daß er an dem und 
dem Tage um Mitternacht mit einer guten Brigantine vor 
das Landgut ihres Gemahls kommen möchte. 

Als die Zeit herbeikam, in der alle in Algier auf die 
Kaperei auslaufen, rüſtete ihr Mann feine Schiffe mit Dret 
hundert Sklaven aus, alles treffliche Leute, die er in ſpaniſche 
Kleider ſteckte. So fuhr er mit günſtigem Winde auf gut Glück 
aus, während ſeine Frau ihm nachſah, die ihm von einem 
Turme ſeines Hauſes tauſend freundliche Grüße nachwinkte. 
Das Wetter war ſehr heiß und der Tag nun herbeigekommen, 
den ſie in ihrem Briefe beſtimmt hatte. Sie ſtellte ſich wegen 
der Trennung ſehr niedergeſchlagen und vor Hitze ermattet 
und ſagte zu ihren Sklaven und Leuten: ſie wolle, um ſich 
zu tröſten, nach dem Landgute und in die Gärten gehen. 
Sie nahm, als wenn ſie ſich dort lange aufhalten würde, 
einige Kiſten mit, in denen ſich Kleider, Juwelen und Geld 
befanden, und allen Reichtum von Gold und Silber, der nur 
im Hauſe war. Sie erlaubte hier ihren Sklaven und Frauen 
einige Tage, ſich die Zeit zu vertreiben, die, wenn ſie ſie 
vorher ſchon liebten, ſie nun anbeteten. 

Die Nacht kam, die ſie verabredet hatte, ohne daß ſonſt 
jemand um ihr Geheimnis wußte; alles war ſo vorſichtig 
und verſchwiegen eingerichtet, daß ſich niemand von ihrem 
Entſchluſſe auch nur konnte träumen laſſen. In ein Fenſter 
gelehnt, wartete ſie bis um zwölf Uhr in der Nacht, ohne 
zu ſchlafen oder auch nur ein Auge zu ſchließen, als ſie 
184 


einen Schatten vom Meere her fich nähern ſah; ſie gab das 
Zeichen, welches im Briefe verabredet war. Der Spanier 
kam auf dasſelbe herbei und ſagte: Wohlan, die Brigantine 
iſt da! Die entſchloſſene Frau ſprach nun in aller möglichen 
Kürze zu ihren Sklaven alſo: Brüder und Freunde, durch 
Jeſu Chriſti Blut erkauft! Wer von euch die Freiheit liebt 
und als Chriſt zu leben wünſcht, der folge mir nun nach 
Spanien. 

Im Namen aller antwortete ein braver Soldat, aus Malaga 
gebürtig: Sennora, wir ſind alle entſchloſſen, Eurem Befehle 
zu gehorchen; aber bedenkt die Gefahr, in welche Ihr Euch 
und uns verſetzt! Denn von den Türmen wird man ſogleich 
das Zeichen geben, und mit der Frühe werden Fahrzeuge 
das Meer durchkreuzen und auf uns Jagd machen. 

Worauf ſie antwortete: Wer mir dies ins Herz gegeben 
hat, wird mich auch zur Errettung führen; geſchähe dies aber 
auch nicht, ſo will ich mich lieber von den greulichen Unge— 
heuern in den tiefen Abgründen des Meeres verzehren laſſen 
und als Chriſtin ſterben, als ohne die Religion meiner Vor— 
eltern Königin von Algier ſein. 

Die ſchöne Frau, die jetzt einen tapfern Kapitän vorſtellte, 
ermutigte ihre Sklaven ſo, daß ſie in einem Augenblicke Kiſten 
und Schätze nach der Brigantine trugen, nachdem ſie mit 
Dolchen eine Negerin und zwei junge Türken erſtochen hatten, 
welche zu ſchreien anfingen. Die Männer in der Brigantine, 
alles entſchloſſene Menſchen, ſowie die Sklaven, die jetzt keine 
mehr waren, ſtärkten und tröſteten ſich miteinander, ſo daß 
die Brigantine durch die Anſtrengung der Ruder ſowie mit 
Hilfe des Windes dahinflog. 

Als man den Vorfall in Algier erfuhr, was alsbald ge— 
ſchah, ſchickten ſie vierzig oder fünfzig Fahrzeuge nach, jedes 
mit Spähern im Maſtkorb, die die Brigantine bald zu er— 

185 


reichen dachten. Es war aber, als wenn der Himmel dieſe 
führte oder unſichtbar machte; denn außer jenen Verfolgern 
ſtreifte ja ihr Mann, Mami Reis, bei den Inſeln, und weder 
dieſer noch jene trafen auf die Brigantine, bis dieſe ſich end⸗ 
lich mit Anbruch des Tages zwiſchen den beiden Fahrzeugen 
des Mannes befand, der, um landen zu können, ſeine Leute 
in ſpaniſcher Tracht mit ſich führte. Sie befahl ſogleich, eben⸗ 
ſo ſchnell wie ſcharfſinnig, daß die andern, die auf der Bri⸗ 
gantine waren, ſich ebenſo, wie die Sklaven, türkiſch kleiden 
ſollten, damit ſie unter dem Anſcheine fliehen könnten, als 
wenn ſie ſich vor dieſen Spaniern fürchteten. Dieſer Rat 
war ſehr verſtändig. Denn als Mami Reis ſah, daß ſie 
vor ihm flohen, war er ſehr erfreut und ſagte: Ohne Zweifel 
ſehen wir wie Spanier aus, denn jene türkiſche Brigantine 
flieht vor uns! Worauf ſie ein großes Gelächter über die 
Flucht der Brigantine erhoben, die durch dieſe Liſt ſich befreite 
und in Spanien landete, wo die Frau, die nun ſehr reich 
war, große Almoſen von dem Vermögen ihres Mannes ſpendete. 

Du weißt, aus welcher Abſicht ich dir dieſe Begebenheit 
erzählt habe, die ſich vor nicht langer Zeit zugetragen hat. 


Ich glaube, daß es keinen Menſchen gibt, in deſſen Herzen 


nicht die Religion, die er zuerſt bekannte, feſt eingeprägt ſei, 
— ich rede von den Getauften; mehr aber, als alle, bewies 
dieſe Frau ein männliches Herz und eine chriſtliche Ent: 
ſchloſſenheit. 


Vierzehntes Kapitel. 


Da die Sklaven und Gefährten ſchlummerten, ſo hatten 
mein Herr und ich Zeit und Gelegenheit, über dieſe Sachen 
zu ſprechen, wodurch wir den Schlaf von uns abhielten. 
Nachdem wir ein wenig geruht hatten, entdeckten wir nach zwei 


Stunden die baleariſchen Inſeln, Mallorka und Menorka, Ibiza 


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und andere kleine Inſeln. Wir näherten uns aber nicht Mal- 
lorka, wegen der großen Wachſamkeit, die man dort beob— 
achtete, bis es Nacht geworden war; doch ſelbſt dieſe Vor— 
ſicht half uns nichts. Denn als wir uns näher hinzumachten 
und um einen Felſen bogen, entdeckte uns eine Schildwache, 
welche oben ſtand; und dieſe gab ſogleich den genuefifchen 
Galeeren Nachricht, welche ausgeſegelt waren, um meinen Herrn 
zu fangen. Die Galeeren, obgleich es ſchon Nacht wurde, 
fingen auch ſogleich an, die Ruder zu bewegen und mit aller 
Macht auf uns loszukommen. Als mein Herr ſich verloren 
ſah, begab er ſich auf das zweite Fahrzeug, indem er die beſten 
Leute von beiden Schiffen mit ſich nahm; mir aber trug er 
auf, für mich, das Schiff und die wenigen Mannſchaften zu 
ſorgen. Er rechnete darauf, daß ich ſpaniſch reden und alſo 
die nötigen Antworten geben könnte. So ließ er mich alſo zurück, 
um ſeine Feinde aufzuhalten, und damit ſie mich gefangen 
nehmen ſollten, während er ſich davonmachte. Es geſchah ſo, 
wie er es ſich vorgeſtellt hatte. Denn als ein ſchlauer Mann, 
der die ganze Küſte dort kannte, ging er nun nicht auf das 
hohe Meer, ſondern nach der Inſel, und da es nunmehr faſt 
Nacht war, fuhr er, ſich verbergend, von einer Bucht nach 
der andern, bis er, als es ganz finſter war, ſich auf die 
hohe See begeben und ſo entſchlüpfen konnte. 

Da das Fahrzeug, in welchem ich zurückgeblieben war, keine 
Ruderer, ſondern nur wenige und die ſchlechteſten Leute hatte, 
blieb es ſo zurück, daß die Galeeren uns bald eine Kugel 
ſenden konnten, damit wir uns ergeben ſollten. Wir hielten 
an, und als ſie nahe genug herangekommen waren, ſagte ich 
laut auf ſpaniſch: Wir ergeben uns! — Euch ſuchten wir eben! 
riefen die von der Galeere, indem ſie mir die ſchändlichſten 
Namen beilegten; denn, da das Fahrzeug wirklich dasjenige 
war, mit welchem mein Herr immer kreuzte, und ich ſo deutlich 

187 


Spaniſch ſprach, hielten fie mich für den Renegaten. Die Türken 
warfen ſie alle an die Ruder; mir aber, da fie mich für den 
hielten, den fie ſuchten, gaben fie Handfeſſeln und wollten 
mich nach Genua führen, um mich dort exemplariſch zu be— 
ſtrafen. Der Kapitän der Hauptgaleere ſagte zu mir auf 
italieniſch: So oft nun, Hund von einem Renegaten, ſeid 
Ihr mit dem Leben davongekommen, aber diesmal werdet Ihr 
uns nicht entkommen, außer am Galgen. 

Gnädiger Herr, antwortete ich, wißt, daß ich nicht der 
Renegat bin, für welchen Ihr mich haltet, ſondern ein armer, 
ſpaniſcher Sklave, der ihm gehört. Da ich mich ſo verteidigte, 
regneten ſo viele Stöcke auf meinen Rücken, daß ich mich 
nicht enthalten konnte, zu rufen: Es heißt, Genua ſei ein 
Berg ohne Holz; aber für mich iſt jetzt genug dort gewachſen. 
Zwei ſpaniſche Muſiker, die der General auf ſeiner Galeere 
hatte, lachten über meine Antwort und noch mehr über meine 
Ruhe; den einen von dieſen kannte ich ſehr gut; die übrigen, 
denen der Muſiker meine Antwort erklärte, erhoben ebenfalls 
ein Gelächter. Ich ſetzte mich ſo gefeſſelt in einen Winkel 
nieder und dankte Gott dafür, daß ich ſo häufig in Leiden 
und Elend geübt wurde; denn das Unglück erinnert uns an 
die Barmherzigkeit Gottes. 

Indem kam ein Schurke von Bootsmann zu mir, gab mir 
einen Hieb mit der Peitſche und ſagte: Was murmelt der 
Hund da zwiſchen den Zähnen? Schweig, um nicht noch eins 
zu kriegen! Der General Marcello Doria ward zum Mitleid 
bewogen und ſagte, daß man mich nicht mißhandeln ſolle, ehe 
die Sache ausgemacht ſei. Da ich die Tür der Güte ges 
öffnet ſah, ſagte ich: Ich flehe Eure Exzellenz an, da die Selbſt⸗ 
verteidigung allen erlaubt iſt, daß ſie mir ebenfalls vergönnt 
werde; denn ich weiß, mein gnädiger Herr, wenn Ihr er: 
fahrt, wer ich bin, daß ich nichts von den Händen eines 
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fo großen Fürſten leiden werde, ja ich hoffe zu Gott, daß 
Ihr mir dann ſogar mehr Ehre erweiſt, als ich verdiene. 
In Genua, ja ſelbſt auf dieſer Galeere, kann ich Zeugen ſtellen, 
welche mich in der Reſidenz Seiner katholiſchen Majeſtät ge— 
kannt haben, zu einer Zeit, in welcher dieſer Renegat alle 
dieſe Küſten plünderte, und einer von dieſen ſoll der Geſandte, 
der Sennor Giulio Spinola, ſein. 

Er ließ mir die Feſſeln abnehmen und ſprach mit mir, 
indem er nach allem fragte, was er vom Renegaten zu erfahren 
wünſchte. Ich erzählte ihm die Liſt, mit welcher er entſchlüpft 
war, wodurch ich einigermaßen meine Perſon rechtfertigte und 
eine große Schuld auf die wälzte, die die Verfolgung nicht 
fortgeſetzt hatten. Ich ging in meinen Winkel, aber nicht 
mehr gefeſſelt, zurück und ſetzte mich mit untergeſchlagenen Beinen 
nieder, das Geſicht mit beiden Händen bedeckt und die Ellen— 
bogen auf die Knie geſtützt, damit mich der Muſikus nicht erkennen 
ſollte, und in dieſer Stellung ſann ich über tauſend Dinge nach. 

Wir richteten unſre Fahrt nach Genua, da wir wußten, 
daß man in Algier nun ſchon erfahren hatte, daß genueſiſche 
Galeeren an den Küſten ſtreiften. Wir ſegelten bei einigem 
Sturme über den Löwengolf, und nachdem wir ihn paſſiert 
hatten, befahl der General den Muſikern, zu ſingen. Dieſe 
nahmen ihre Gitarren, und das erſte, was ſie ſangen, waren 
einige Stanzen von mir, die ſie variierten: 

„Unſichres Glück, gewiſſes Mißgeſchick“. 
Der Diskant, welcher Franzisco de la Penna hieß, fing an, 
außerordentliche Paſſagen zu machen; denn da die Kompo— 
ſition feierlich war, hatte er Gelegenheit dazu; ich aber ſtieß 
bei jeder Kadenz einen Seufzer aus. Sie ſangen alle Stanzen, 
| und als fie nun zum Schluß des Ganzen gelangten, welcher 
wieder heißt: 
„Unſichres Glück, gewiſſes Mißgeſchick“ — 


189 


da konnte ich mich nicht länger halten, fondern ftieß aus 
natürlicher Bewegung unbedacht heraus: Dieſes Mißgeſchick 
verfolgt mich noch immer! Da ich laut ſprach, ſah der Penna 
auf, der mich, weil ich im Geſicht und den Kleidern fo ent— 
ſtellt war, er auch kurzſichtig war, nicht ſogleich erkannt 
hatte. Wie er mich aber jetzt anſah, umarmte er mich, ohne 
daß er ein Wort ſprechen konnte, mit tränenden Augen, ging 
zum General und ſagte: Wen glaubt Eure Exzellenz, daß 
wir hier haben? — Nun, wen? fragte der General. — Den Ver⸗ 
faſſer, ſagte Penna, dieſes Gedichtes und dieſer Kompoſition 
und ſo mancher Muſik, die wir Euch geſungen haben. — 
Was erzählt Ihr? Ruft ihn hierher! 

Ich ging ſehr beſchämt zu ihm, und der General fragte mich: 
Wie heißt Ihr? — Marcos von Obregon, antwortete ich. — 
Penna, welcher immer Wahrheit und Tugend liebte, näherte 
ſich dem General und ſagte zu ihm: So und ſo iſt ſein 
Name; da er ſich aber in ſo ſchlechten Umſtänden befindet, 
wird er ihn wohl verhüllt haben *. — Der General war erz 
ſtaunt, einen Mann, der ihm ſo bekannt war, in einem ſo 
ärmlichen Aufzuge zu ſehen, einen Mann, der ſo viel er⸗ 
litten und mit ſo großem Unrecht Ketten getragen hatte. 
Er fragte mich nach der Urſache, und mit großer Geduld und 
Demut erzählte ich ihm meine Erlebniſſe. Er erzeigte mir viele 
Gnade, beſonders dadurch, daß er mich mit Kleidern verſorgte. 

Als ich nach Genua kam, beſuchte ich den Geſandten, Giulio 
Spinola, deſſen Freundſchaft ich ſchon in Madrid genoſſen 
hatte; dieſer beſtätigte dem Marcello Doria die Wahrheit, 
und beide waren ſo gütig, mich mit Geld und einem Pferde 
zu meiner Reiſe nach Mailand zu verſehen. Vorher aber 
wollte ich dieſe Republik kennen lernen, die ſo große Schätze 
beſitzt und ſich durch uralte edle Familien auszeichnet, welche 
von Kaiſern, großen Fürſten und dem vornehmſten Adel in 
190 


Italien herſtammen, wie die Dorias, Spinolas, Adornos, von 
deren Familie ſich ein Zweig in Xerez de la Frontera befindet, 
der mit hohen ſpaniſchen Adeligen verwandt und durch die 
Gewänder des Calatravaordens und der übrigen ausgezeichnet 
iſt, wie Don Aguſtin Adorno, ein ebenſo tugendhafter wie 
hervorragender Ritter. — Weil ich aber entſchloſſen war, nicht 
dort zu bleiben, ſo ſchickte ich mich an, meine Reiſe nach 
Mailand fortzuſetzen, um welcher Stadt willen ich ehemals 
aus Spanien abgegangen war. 


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Einleitung. 


handelten in einen wohlgekleideten und mit Geld verſorgten 

Mann verwandelt ſah, fühlte den herzlichſten Wunſch, mich 
da zu befinden, wo meine Freunde mich in Freiheit ſähen und 
die Leiden ſowohl, wie die Gunſtbezeigungen erführen, die For— 
tuna mir geſandt und erwieſen hatte. Als ich daher die Größe 
jener Republik kennen gelernt und die Ruhe genoſſen hatte, 
welche eine ſo große Anſtrengung nötig machte, beſtieg ich 
mein Reittier und mietete mir einen Vetturin oder Maultier— 
jungen, und indem ich mich auf den Weg nach Mailand 
machte, überſtieg ich jene Gebirge von Genua, die eben ſo 
rauh und beſchwerlich ſind, wie die von Ronda. Nachdem 
ich Sampierdarena paſſiert hatte und es ſchon Nacht wurde, 
erhob ſich ein ſolches Hagelwetter und ein ſolcher Regenguß, 
daß wir den Weg völlig verloren, und zwar in einer ſolchen 
Gegend, daß wir ſehr leicht in die tiefen Waſſerläufe hätten 
hinunterfallen können, die infolge des herabſtürzenden Regens 
und Hagels außerordentlich angeſchwollen waren. Wir ſahen 
nur durch die Augen des Pferdes, welches uns führte, und 
das Pferd iſt das ſchlimmſte Vieh auf der Welt, um Reiſen 
zu machen, und man reiſt in Italien nur damit. Das Pferd 
war aber ſehr unwillig und lehnte ſich an jeden Baum, der 
auf unſerem Wege war, oder fiel an jeder Stelle nieder, wo 
es Luſt hatte, ſo daß ich abſtieg und wir unter einigen 
Bäumen, die große, dichte und ineinander gewachſene Zweige 
hatten, uns ſchirmen wollten, um zu warten, bis entweder 
das Ungewitter aufhören, oder wir den Schein eines Lichtes 
entdecken würden, durch welches wir unſere Rettung fänden. 
Der Vetturin, obgleich er in der Gegend bekannt war, war 
ſo verwirrt, daß er ſein Gedächtnis ganz verloren hatte, und 
13 ˙ 195 


Ir der ich mich plötzlich aus einem Sklaven und Gemiß— 


ich gab ſchon alle Hoffnung auf, diefen Ort bis zum Anbruche 
des Tages verlaſſen zu können. Das Waſſer ſtrömte uns in- 
des über den Leib herab; die Bäume konnten uns auch keinen 
Schutz gewähren, weil von ihnen der Regen noch ſtärker lief; 
das Wetter war unleidlich, und wir ſehr verdrießlich. Während 
wir noch in dieſer Verfaſſung waren, hörten wir nahe bei uns 
rufen: Gebt acht auf euer Leben! Da es ſo nahe tönte, blickte 
ich zwiſchen den Zweigen hindurch und bemerkte hinter den 
Bäumen einen Lichtſchimmer, welcher aus drei Häuſern Teuch- 
tete, wo das Pferd bei anderen Gelegenheiten übernachtet haben 
mußte. Der Weg dahin war nur kurz; wir rannten zu den 
Häuſern und begaben uns gleich unter Dach und Fach, denn 
aus den drei Wohnungen kam man ſogleich heraus, um uns 
bereitwilligſt ein Nachtlager anzubieten; und da, wo wir nur 
Waſſer zu finden glaubten, fanden wir ſehr wohlſchmeckende 
Kapaunen, denn alle fremden Länder haben hinſichtlich der 
Wirtshäuſer und der Verpflegung der Reiſenden große Vor— 
züge vor Spanien. 

Wir aßen ſehr gut zu Abend. Ich verlangte einen Krug 
mit Waſſer. Man holte es mir aus einer Quelle, welche dort 
in der Nähe der Häuſer entſprang; da es aber laulich war, 
ließ ich es in ein Fenſter ſtellen, wo es, obgleich die Jahres— 
zeit nicht kalt war, durch die vom Sturme und Hagel ver— 
änderte Temperatur in einem Augenblicke ſo kalt wurde, daß 
es ſogar gefror. Ich trank es, und der Wirt holte aus den 
andern Häuſern zwei Zeugen herbei, und da er mich noch einen 
Krug kaltes Waſſer trinken ſah, ſagte er zu dieſen: Meine 
Herren, ich habe euch deswegen hergeführt, damit, wenn dieſer 
Spanier vom Trinken dieſes kalten Waſſers ſtirbt, man nicht 
ſagen möge, ich habe ihn umgebracht. Ich lachte, in der 
Meinung, er ſage dieſes nur, weil er das Waſſer haſſe oder 
den Wein liebe; es geſchah aber aus einem Grunde, den der 
196 


Wirt erſt nachher erklärte. Ich fragte, als ein Neuling in 
Italien: Warum er nicht wolle, daß ich dieſes Waſſer trinke, 
der ich doch zeitlebens gewohnt ſei, es zu genießen? Er ant: 
wortete mir: Das Waſſer in Spanien ſei weicher und leichter 
verdaulich als das in Italien, welches mehr Feuchtigkeit hat. 
Es iſt glaublich, da ein ſo verſtändiges Volk wie das italieniſche 
es niemals rein zu trinken wagt, daß es wohl eine ſchädliche 
Wirkung davon ſpüren muß. Ich kannte einen italieniſchen 
Kavalier, der, als er nach Spanien kam, noch nie einen Tropfen 
Waſſer getrunken hatte, und der, ſolange er in Spanien war, 
keinen Tropfen Wein trank. Denn die Waſſer, ſeien ſie nun 
Fluß⸗ oder Quellwaſſer, nehmen die gute oder böſe Eigenſchaft 
der Erde oder der Mineralien an, durch welche ſie laufen. Die 
ſpaniſchen, da dieſes Land von der Sonne vorzüglich begünſtigt 
iſt und in allen Waſſern die Feuchtigkeit ſehr ſchnell verzehrt 
wird, ſind ſehr vorzüglich, da ſie außerdem noch häufig durch 
Golderze gehen, wie bei denen der roten Sierra ſich zeigt, 
wo das Gebirge dieſe Farbe hat und das Waſſer unvergleichlich 
iſt: oder ſie gehen durch Silbererze, wie die der Sierra Morena, 
wie ſich bei denen von Guadalkanal zeigt: oder durch eiſen— 
haltiges Geſtein, wie in Biskaya, welche ſehr geſund ſind. 
Kurz, es gibt kein ſchädliches Waſſer in Spanien, ſei es nun 
Quelle oder Fluß, außer etwa das in Seen, Sümpfen oder 
Lachen, welches nicht getrunken wird. Sogar neben einer Lagune, 
die mehr als eine Meile lang iſt und ſich bei Antequerra be— 
findet, in welcher beſtändig Salz bereitet wird, findet man 
das beſte und geſundeſte Waſſer, welches der Steinquell heißt, 
weil es den Blaſenſtein zerſtört. In Ronda gibt es einen andern, 
kleinern Quell, der Quell der Nonnen genannt, der gegen Oſten 
in einem Hügel entſpringt, und welcher, wenn man ihn trinkt, 
ſogleich den Stein zerſtört, ſo daß er am nämlichen Tage als Sand 
abgeht. Über dieſen Gegenſtand ließe ſich ein großes Buch ſchreiben. 

197 


Was mir aber der Wirt gefagt hatte, war fo ſehr die 
Wahrheit, daß ich in der ganzen Zeit, die ich in der Lom⸗ 
bardei zubrachte, nämlich mehr als drei Jahre, von dem ge— 
trunkenen Waſſer beſtändig Kopfſchmerz empfand. Ich beob⸗ 
achtete auch am folgenden Tage, daß in allen den Pfützen, 
die ſich infolge des großen Waſſerguſſes gebildet hatten, ſich 
kleine Tiere, wie: kleine Kröten, Fröſche und anderes Un- 
geziefer, ſehen ließen, die in ſo kurzer Zeit entſtanden waren, 
was eine Folge der bösartigen Feuchtigkeit des Bodens iſt. 
In den Gräben von Mailand ſieht man häufig zuſammen⸗ 
geringelte Maſſen von Schlangen, die ſich aus der Unreinigkeit 
und Zerſetzung des Waſſers, ſowie aus der ſchweren Feuchtigkeit 
des Erdbodens erzeugen. 


198 


w. 


Erftes Kapitel. 


Wir reiften alfo, um dieſen Gegenſtand zu verlaffen, ich 
und mein Pferdeburſche durch das Gebiet von Genua. Wir 
trafen auf einige Bauern und fragten ſie, welchen Weg wir 
nehmen müßten, da wir uns die Nacht vorher verirrt hatten. 
Diefe gaben uns eine falſche Auskunft, um uns zu täufchen, 
damit wir noch mehr Zeit mit Irregehn verlieren ſollten. Der 
Vetturin verſtand den Spaß und ſagte, daß ſie uns zum Beſten 
hätten. Ich aber hielt es nicht für Spaß, ſondern ſchimpfte 
ſie derb in ſchlechtem Italieniſch, und ſie, deren viele waren, 
warfen uns mit Steinen. Ich ſtieg ab und verſetzte dem einen 
einen Stoß mit dem Degen. Der junge Menſch nahm ſein 
Pferd und ließ mich zwiſchen ihnen zurück; denn er, als ihr 
Landsmann wollte kein Zeuge von der Sache ſein. Nun machten 
ſich alle, da ich ausgeglitten und auf den Boden gefallen war, 
über mich her, banden mich und führten mich nach dem nächſten 
Orte, der ſehr groß und volkreich war. Man zeigte das Blut 
des Verwundeten, und ſchwere Ketten wurden mir an Hände 
und Füße gelegt. Diesmal konnte ich mich nicht über mein Un⸗ 
glück beklagen, ſondern nur über meinen Mangel an Über— 
legung, da ich in einem fremden Lande das tun wollte, was ich 
in dem meinigen nicht getan hätte. Die Spanier aber, wenn 
ſie außerhalb ihres Landes ſind, bilden ſich ein, unumſchränkte 
Herren zu ſein. Da ich mich nun über niemand und gegen 
niemand beklagen konnte, ſo machte ich mir ſelbſt ſo viele 
Vorwürfe, als meine Gegner nur hätten tun können, da 
ich jetzt Ketten tragen mußte, was ſelbſt in Algier nicht 
geſchehen war, ohne irgendeinen in der Nähe zu haben, 
der mich freundlich anblicken mochte. Denn aus dem— 
ſelben Grunde, aus dem wir uns für Herren der Welt halten, 
machen wir uns bei allen Menſchen verhaßt. 

199 


So war ich alſo fehr traurig, ohne daß ich jemand wußte, 
dem ich von meiner Trübſal hätte Nachricht geben können. In 
meiner Nähe hörte ich von mir, als einem Verfluchten ſprechen, 
und das gelindeſte Urteil, das ſie über mich ausſprachen, war, 
daß ich im geheimen erdroſſelt werden ſollte. Der Kerker— 
meiſter ſchien ein umgänglicher Mann; aber ich hatte noch 
keinen Weg gefunden, ihm näher zu kommen, um mich durch 
ihn zu tröſten. Als ich über die Art und Weiſe nachdachte, fiel 
mir ein, daß dieſe Nation außerordentlich habſüchtig ſei, und 
daß ich dadurch wohl etwas zu meiner Hilfe ausſpüren könne. 
In der Taſche hatte ich einige Taler, die ich von Genua mit⸗ 
gebracht hatte. Zwei hübſche Kinder des Kerkermeiſters ſpielten 
in meiner Nähe, und ich dachte daran, welches freundliche Ge— 
ſicht die Eltern denen machen, die ihren Kindern Gutes tun; 
ich gab alſo jedem Kinde einen Taler. Nun ſperrte der Vater 
die Augen auf und dankte mit ſolcher Lebhaftigkeit, daß ich 
ſogleich daraus Hoffnung ſchöpfte, daß mir das wohl ges 
lingen könne, was ich erſonnen hatte. Er ſagte zu mir: Mein 
Herr, Ihr müßt wohl ſehr reich ſein? — Und woraus ſchließt 
Ihr das? fragte ich. Aus der Freigebigkeit, antwortete er, mit 
der Ihr dieſen Kindern Geldſtücke ſchenkt, die ſelbſt Männer 
in hieſiger Gegend nur ſelten zu ſehen bekommen. 

Da Ihr nun dieſe Kleinigkeit ſchon ſo hoch ſchätzt, was 
werdet Ihr tun, wenn Ihr erſt das übrige wißt? Bei dieſen 
Worten nahm ich Geld, gab es ihm und fuhr ſo fort: Weil 
Ihr mir ein verſtändiger Mann zu ſein ſcheint, ſo will ich 
Euch ſagen, wer ich bin; denn aus dieſer Kinderei ſollt Ihr 
nichts machen. Ich beſitze nämlich das, was alle Philoſophen 
ſuchen und niemals finden können. Doch vorher müßt Ihr 
mir ſchwören, zu keiner Zeit zu entdecken, wer ich bin. 

Er tat dies auf die feierlichſte Weiſe, und fragte mich 
dann begierig, was das ſei, was ich ihm eröffnen wolle. Ich 
200 | 


antwortete ihm: Ich beſitze den Stein der Weiſen, durch welchen 
man Eiſen in Gold verwandelt, und daher kann es mir nie 
an dem fehlen, was ich brauche. Ich habe es aber nicht ge— 
wagt, mich in Genua jemand zu entdecken, damit die Repu— 
blik mich nicht an meiner Reiſe hinderte, wie gewiß geſchehen 
wäre. Denn da dieſe göttliche Erfindung von allen ſo ſehr 
geſucht und gewünſcht wird, ſo iſt jeder König oder jeder Staat, 
wenn er einen weiß, der ſie beſitzt, ſehr darauf bedacht, ihn 
gegen ſeinen Willen feſtzuhalten, damit er zu ſeinem eigenen 
Nachteil für ſie die Kunſt ausübe, um nicht durch eine zu 
große Verbreitung des Goldes in der Welt den Wert dieſes Me— 
talles herabzuſetzen. — Mein Herr, antwortete der Kerker— 
meiſter, ich habe von dieſer Sache oft ſprechen hören, aber ich 
habe noch nirgends ſagen hören, daß in unſern Zeiten jemand die 
Kunſt beſitze. Denn obgleich Ihr mich, gnädiger Herr, in dieſem 
Amte ſeht, welches ich ausübe, um ruhig mit meinen Kindern 
leben zu können, ſo diente ich doch ſonſt in Spanien einem 
genueſiſchen Geſandten, und aus obigem Grunde zog ich mich 
in dieſen Ort zurück, wo ich geboren bin. 

Ich freue mich darüber, antwortete ich: denn da Ihr alſo 
erfahren und verſtändig ſeid, und ſchon von dieſer Sache gehört 
habt, ſo werdet Ihr auch dem Glauben beimeſſen, was Ihr 
mit Euren Augen ſehen ſollt. 

Könnt' ich die Kunſt lernen, antwortete er, ſo wär' ich ein 
gemachter Mann; denn ich würde hier dem ganzen Orte be— 
fehlen, und Euch, mein gnädiger Herr, hingehen laſſen, wohin 
ihr nur wolltet. 
Was das erſte betrifft, erwiderte ich, ſo iſt die Sache ſo 

äußerſt ſchwierig, daß dazu die allergrößte und ſeltenſte Ge— 
ſchicklichkeit gehört, um es zu treffen, und daher kann ich 
ſo dreiſt nicht ſein, es Euch zu lehren; aber ich werde Euch ſo 
viel Gold laſſen, daß ihr und Eure Kinder daran Genüge haben 
201 


follt. Und was das zweite anlangt, fo will ich nicht, daß Ihr 
für mich etwas tut, was Euch nachher zum Schaden gereichen 
könnte; denn dieſelbe Kunſt der Chemie gibt mir Mittel, mich 
zu befreien, und dieſes kann ich Euch ſehr leicht lehren. Denn 
Ihr ſollt es ſehen, wenn Ihr auch blind wäret, wie ich ohne 
Eure Mitwirkung und Einwilligung mich frei mache, ſo daß 
Ihr ohne allen Vorwurf bleibt und reich und glücklich werdet. 

Er warf ſich mit großen Zeremonien zu meinen Füßen und 
nahm mir die Ketten ab, obgleich ich dem ſehr ernſthaft wider⸗ 
ſprach, und um ihn noch ſicherer zu machen, damit mir gewiß 
meine Abſicht gelänge, ſagte ich zu ihm: Wißt, daß der Grund, 
weshalb noch niemand die Verwandlung der Metalle fertigs 
gebracht hat, darin liegt, daß keiner die großen Philoſophen, 
welche ſo äußerſt ſpitzfindig über dieſe Materie ſchrieben, 
verſtanden hat, als da ſind: Arnold von Villanuova, Rai⸗ 
mund Lullius und Gebor, ein geborner Maure, nebſt vielen 


andern Autoren, die die Kunſt in geheimen Ziffern niedergelegt | 


haben, um fie den Unwiſſenden nicht gemein zu machen. Ich 
aber, um die Wahrheit der Sache zu ergründen, bin nach Fez 
in Afrika gereiſt, nach Konſtantinopel und durch Deutſchland, 
und durch den Umgang mit großen Philoſophen bin ich dahin 


gekommen, die Wahrheit zu entdecken, welche darin beſteht, 


ein Metall, das hart und widerſpenſtig iſt, nämlich das Eiſen, 
zu ſeiner erſten Materie zurückzuführen; iſt dies in ſeinen ur⸗ 
ſprünglichen Zuſtand zurückgeführt und in das Element, aus 
welchem es gebildet wurde, und man wendet nun darauf Dies 
ſelben Sachen und Simpla an, welche die Natur bei dem Golde 


gebraucht, wenn dieſes hervorgebracht wird, ſo kann es ſich eben- 
falls auf dieſem Wege in Gold verwandeln. Denn wie es die Art 


aller Kreaturen iſt, daß ſie aus ihrer eigenen Weiſe, ſo viel 
als möglich iſt, zum Vollkommenſten ihres Geſchlechtes hin⸗ 
ſtreben, ſo ſtreben auch das Eiſen und die übrigen Metalle zu 
202 | 


ihrem Vollkommenſten, nämlich zum Golde, hin; gibt man 
ihm nun die Eigenſchaften, welche die Sonne, die Mutter 
des Univerſums, mit der Natur erzeugt, ſo verwandelt es 
ſeine Natur in die des Goldes; und dieſes geſchieht durch 
gewiſſe ſtarke und ätzende Salze, indem man den Stand der 
Planeten beachtet, worin ich ſehr geſchickt und erfahren bin. 
Damit Ihr aber ſchon etwas Ähnliches ſeht, was Euch von 
dieſer Wahrheit überzeugen kann, ſo nehmt heut nacht ein Stück 
von einem alten Hufeiſen, das ſchon lange herumgelegen und 
im Schutte ganz von Roſt überzogen worden iſt: dies brecht 
oder zerfeilt in ganz kleine Stücke, tut es in einen Topf 
und ſetzt es in ſtarkem Weineſſig auf ein gelindes Feuer, und 
Ihr werdet ſehen, was daraus wird. 

Er tat dies pünktlich ſo und gab mir die Gelegenheit, daß 
ich dieſe Nacht ganz nach meiner Bequemlichkeit ruhen konnte, 
in welcher ich die Liſt genau überlegte, mit welcher ich mich 
aus dem Gefängniſſe befreien wollte. 


Zweites Kapitel. 


Am Morgen kam der Kerkermeiſter ſehr zufrieden zu mir und 
ſagte mir, er entdecke, daß ſich das Eiſen in eine rötliche 
Farbe, wie Gold, verwandle. Nun werdet Ihr einſehen, ant⸗ 
wortete ich, daß ich Euch die Wahrheit geſagt habe. Ich gab 
ihm Geld, um eine gewiſſe ätzende und giftige Droge einzu— 
kaufen, die ich hier nicht nenne, weil es nicht meine Abſicht 
iſt, zu lehren, das Böſe auszuüben. Mit andern Dingen, die ich 
hinzufügte, machte ich einige Pulver, die ich oft mit Scheide- 
waſſer benetzte; ich trocknete und benetzte ſie wieder, bis ſie 
eine angenehme rote Farbe bekamen. Als dieſe Pulver ſo 
bereitet waren, wie ich fie nötig hatte, ſagte ich zu zwei Schel- 
men, die auf die Galeeren verurteilt waren: Die Galeeren 
find in Genua, alſo iſt Eure Marter ſchon angekommen; 

203 


unternehmt Ihr es aber, mich in einer Nacht auf das Gebiet 
des Königs zu bringen, will ich euch ganz ſtill von hier fort: 
ſchaffen, ohne daß es drinnen oder draußen Lärm erregt. 

Sie antworteten ſehr entſchloſſen: Selbſt auf den Schultern, 
gnädiger Herr, wollten wir Euch tragen, und vor Tage ſolltet 
Ihr Euch gewiß unter ſpaniſchen Soldaten befinden. 

So ſeid denn, ſagte ich zu ihnen, mit dem Anbruche der 
Nacht aufmerkſam, und ſowie ihr mich mit den Schlüſſeln ſeht, 
eilt zu eurer und meiner Rettung herbei. 

Die armen Kerle waren ſehr erfreut und wünſchten heiß, 
daß nur die Stunde ſchon gekommen ſein möchte. Dem Kerker⸗ 
meiſter fagte ich am Morgen, daß er einige Schmelztiegel brinz 
gen möchte und ſo viel altes Eiſen, als er nur finden könne, 
welches alles in Gold verwandelt werden ſolle, und daß er 
in der Nacht, wenn im Gefängnis alles ſtill ſei, ein Kohlen⸗ 
becken anzünden ſolle; daß aber kein Zeuge die Sache ſehen 
dürfe, der uns angeben könne. Er wendete ſolchen Eifer auf, 
daß er keinen Schutthaufen unbeſucht ließ, und als die Nacht 
angebrochen war, zeigte er mir eine ſo große Maſſe alter 
Eiſenſtücke, daß ſie, nach Pfunden verkauft, ein ziemliches 
Geld eingebracht hätte. Er ſchloß alle ſeine Leute ein, ſowie die 
übrigen Gefangenen, und diejenigen, welche mir helfen ſollten, 
ſtellten ſich ſchlafend. Er zündete ſein Kohlenbecken an, und 
als alles ſtill um uns war, nahm ich meine Pulver und zeigte 
ſie ihm; dieſe ſchienen ihm ſchon wirkliches Gold zu ſein. Riecht 
nur, ſagte ich, welchen herzſtärkenden Geruch ſie haben, und 


gab fie ihm in die Hand. Er führte fie ſich nahe, um zu 


riechen, und ich gab ihm mit großer Schnelligkeit einen Schlag 
gegen den untern Teil der Hand, ſo daß ihm das Pulver in 
die Augen ſprang, und er ſogleich laut: und beſinnungslos 
rückwärts hinſtürzte. Ich nahm die Schlüſſel, und die beiden 
Schelme kamen ſogleich, wie ſie mich gewahr wurden. Ich 
204 


öffnete die Türen, während der Arme ohne Beſinnung liegen 
blieb, und wir, ohne geſehen zu werden, verließen das Ge— 
fängnis und den Ort, und am Morgen, nachdem wir durch 
Wald und Berg und beſchwerliche Schluchten gewandert waren, 
befand ich mich in Aleſſandria della Palla unter ſpaniſchen 
Soldaten, welche die Wache des Gouverneurs Don Rodrigo 
de Toledo bildeten. 

Den guten Galeerenſklaven ſchien es, als wenn ihnen die 
Freiheit vom Himmel gekommen wäre, und ſie entfernten ſich, 
um ihren Lebensunterhalt zu ſuchen. Ich freute mich herzlich, 
daß mir mein Anſchlag ſo gut gelungen war. Zwar es geſchah 
auf Unkoſten des armen Kerkermeiſters, der ſein Haus voll 
Gold zu ſehen erwartete, aber der Augen, es zu ſehen, verluſtig 
ging, — doch, für die Freiheit iſt alles erlaubt. 


Drittes Kapitel. 


Ich reiſte nach Mailand ab, und da ich ſo außerordentliche 
Begier hatte, dort hinzukommen, ſo fürchtete ich irgendein 
Unglück; denn die Unglücklichen müſſen beſtändig in der Sorge 
leben, daß ihnen irgend etwas zuſtoßen könne. Es geht ein 
Fluß durch die Stadt Aleſſandria, welcher Tanaro heißt, wo 
ich bewegliche hölzerne Schiffsmühlen ſah, die wohl im Grunde 
Räder haben müſſen, die ſich bewegen; denn ich hielt mich 
nicht auf, mich danach zu erkundigen, weil es mich nicht 
intereſſierte. Ich hatte das Fahrzeug erwartet, um über den 
Po zu ſetzen, der ein ſehr waſſerreicher Strom iſt, nachdem 
er den Tanaro aufgenommen hat, und ich beſtieg es jetzt mit 
etlichen armen Pilgerinnen; in der Mitte des Stromes geſchah 
es, daß infolge der Strömung des Tanaro eine von jenen 
Schiffsmühlen auf uns zukam, die ſich vom Grunde losgeriſſen 
haben mußte, und ſo mit unſerer Barke zuſammenſtieß, daß 
dieſe kenterte. Das Pferd, da dieſe Tiere es gewohnt ſind, 
205 


durch das Waſſer zu ſchwimmen, ſtürzte fich ſogleich hinein; ich 
faßte ſeinen Schweif, die Pilgerinnen hielten ſich an mir feſt, 
und der Vetturin an dieſen, und ſo, fallend und aufſtehend 
und manchmal mit den Füßen den Sand fühlend, gelangten 
wir an das Ufer, wo das Pferd uns durch die Hintertür taufte, 
da es ſich offenbar mit Gerſte überfreſſen hatte; doch ließ ich 
darum doch nicht eher los, als bis ich den Uferboden unter 
den Füßen fühlte. Wir fanden dort Leute von verſchiedenen 
Nationen, die mit einer anderen Barke übergeſetzt waren, 
Franzoſen, Deutſche, Italiener und Spanier, und um uns 
gegenſeitig zu verſtehen, ſprachen wir alle Latein; da wir aber 
alle eine verſchiedene Ausſprache hatten, obgleich wir ein gutes 
Latein redeten, ſo verſtand doch keiner den anderen, was mir 
viel zu denken gab, daß ſogar in einer und derſelben Sprache, 


welche ſich über ganz Europa erſtreckt, die Strafe des baby⸗ 


loniſchen Turmes fortdauert. 
Wir kamen nach Pavia, einer ara Univerfität, 
wo mich der damalige Rektor ſehr gütig aufnahm, obgleich 


ich mich nicht aufhielt, da mein Verlangen mich nach Mailand 
trieb, um mich nur in jenen merkwürdigen Mauern zu ſehen, 
die immer ſo große Heilige beſeſſen haben, und wo auch jetzt 
die Prälaten jenes wundervollen Tempels einen erbaulichen | 
Wandel führten. Derjenige, welcher ihn damals verwaltete, 
war der hochheilige Kardinal Carlo Borromeo, der jetzt San | 
Carlo heißt, welcher ein ſolches Leben führte, daß er wenige 


Jahre nach feinem Tode heilig geſprochen wurde. 


Ich kam gerade zu der Zeit an, als die Exequien der übers | 


aus frommen Königin Donna Anna von Hfterreich gefeiert 
werden ſollten, und da man jemand ſuchte, dem man die 
Erzählung von dem Leben und Verſe auf den exemplariſchen 


Wandel dieſer hohen Frau übertragen könne, ſo fand der 


Magiſtrat von Mailand es für gut, dieſe Arbeit dem Ver⸗ 
206 


| 


| 


un — 


AS A 


faſſer dieſes Buches anzuvertrauen, nicht weil er der befte 
war (denn es gab wohl große Geiſter, die dieſes Werk aus— 
führen konnten), ſondern vielmehr als einem, der den heftig— 
ſten Wunſch hatte, ſeinem Könige zu dienen, und in ſo er— 
habenen Sachen von ſo großen Geiſtern zu lernen, indem ich 
ihnen ſelbſt den Annibale da Tolentino nannte, einen außer— 
ordentlichen Mann, der dies beſſer als ſonſt jemand in Europa 
gemacht haben würde; allein, da der Autor ihnen einmal am 
nächſten war, fo wurde die Arbeit von ihm gefordert, Bei 
dieſer Totenfeier hörte ich eine Predigt aus dem Munde des 
heiligen Carlo, die ſo war wie ſein Leben. 

Meine Freunde waren ebenſo erfreut als verwundert über 
die ſchnelle Art, mit der ich mir meine Freiheit verſchafft hatte, 
und ich mußte ihnen die Art und Weiſe mehr als einmal er— 
zählen. Die überſtandenen Leiden im Glück zu erzählen, vers 
urſacht eine eigene Art des Vergnügens; die Leiden ſind wie 
die Arlesbeeren oder die Miſpeln, die in ihrer Vollreife der 
Zunge herb und widerwärtig ſind, wenn ſie aber ihre Zeit 
überſtanden haben, dieſe Herbigkeit in Süße verwandeln. Man 
kann ſie ſich auch unter dem Bilde vorſtellen, wie ein Menſch, 
der im Fluſſe ertrinken will, immer den Kopf hoch hebt und 
alle Anſtrengung anwendet, den Wellen zu entgehen, der aber, 
wenn ihm dies gelungen iſt, von demſelben Waſſer trinkt, 
welches ihn erſt verderben wollte. 

Es war mir ſehr erfreulich, die Größe, Fruchtbarkeit und 
den Überfluß von Mailand kennen zu lernen; denn ich glaube, 
daß ihr darin nur wenige Städte von Europa gleichkommen. 
Sei es nun aber vom vielen Waſſer, oder weil die Lage des 

Ortes an ſich ſelber feucht iſt, ich litt unaufhörlich an den 
heftigſten Kopfſchmerzen, und obgleich ich ihnen von früheſter 
Kindheit an unterworfen bin, ſo waren ſie doch in dieſem Lande 
unleidlicher als je. Von jeher haben mich drei Dinge verfolgt: 

207 


Unwiſſenheit, Neid und Flüſſe; die Rheumatismen, die mich 
aber hier quälten, hielten an, bis ich nach Spanien zurückkehrte. 
Drei Jahre brachte ich in Mailand zu; aber faſt nur als ein 
bettlägeriger Menſch, der die Balken der Decke tauſendmal 
überzählt. Ich konnte auch nichts Bedeutendes vornehmen, 
teils weil ich niemals aufgelegt war, andernteils aber auch, 
weil die Übungen des Geiſtes unter Soldaten nur wenig ſtatt— 
finden. 

Ich bekam Luſt Turin zu ſehen, und zur Strafe für meine 
Sünden war dies im Dezember, einer Zeit, wo es keine Wege, 
ſondern an ihrer Stelle nur Flüſſe gibt; da es aber bei 
meiner Ausreiſe ſchönes Wetter war, ſo ließ ich mich täuſchen 
und glaubte, daß es ſo dauern würde. Als ich aber nach 
Bufalores kam, fing es ſo an vom Himmel zu gießen, daß 
nicht Regen, ſondern Waſſerſtröme niederſtürzten, die in kurzer 
Zeit alle Spuren der Wege vertilgten. Ich kam nach Turin, 
und weil ich bei meiner Ankunft ſo widriges Wetter erlebt 
hatte, blieb ich mit einem anderen Spanier zwei Monate dort. 
Die Nebel waren ſo dicht, daß die Menſchen auf der Gaſſe 
einander ſtießen, ohne ſich zu ſehen. Sie entſtanden, wie man 
dort behauptete, durch die Nähe des Po, der nahe bei der 
Stadt vorbeifließt, abgeſehen davon, daß noch durch die Stadt 
viele Waſſerbäche rinnen. Ich ſehe aber, daß in Spanien der 
Guadalquivir durch Sevilla fließt, der waſſerreicher iſt als 
der Po, und manchmal ſo anwächſt, daß er den größten Teil 
der Stadt überſchwemmt und das ganze Feld von Tablada 
zu einem ſchiffbaren See macht, und doch habe ich niemals 
dergleichen Nebel geſehen. Granada wird ſogar von zwei 
Strömen bemáffert und viel mehr Bäche rinnen durch die 
Straßen als in Turin, aber dennoch ſieht man niemals der⸗ 
gleichen Finſternis oder Nebel. 1 

Ich und der andere Spanier wohnten in einem Wirtshauſe, 
208 


wo ich mich in der größten Gefahr und zugleich in der beften 
Gelegenheit befand, ein ſeliger Märtyrer zu werden, die mir 
je im Leben aufgeſtoßen iſt. Es aßen viele Menſchen dort 
zu Mittag, und ich und mein Kamerad ſtanden und warteten 
darauf, daß ſie fertig würden, damit wir uns niederſetzen 
könnten, als ein alter Mann von ungefähr fünfzig Jahren 
mit Vorſatz anfing, von der neuen Religion zu ſprechen, von 
der reformierten Religion, welches Wort er oft wiederholte. 
Obgleich er von Genf gebürtig war, ſo ſprach er doch ſehr gut 
italieniſch, und da er Spanier ſah, ſchien es ihm gut, die 
Stimme lauter zu erheben als nötig war. Und zwiſchen einem 
Zutrinken und dem anderen ſagten ſie Ketzereien, die zu der 
Weinſeligkeit der Leute gut paßten. Mein Kamerad riet mir, 
daß ich ſchweigen möchte; und indem ſie auf das Wohl ihrer 
Bekenner Geſundheiten tranken, fingen ſie wieder an, von der 
neuen Religion und von der reformierten Religion zu ſprechen, 
ſo daß ſie mich zwangen, zu fragen, welche Religion dies 
denn ſei und wer ſie reformiert habe. Sie antworteten mir, 
daß es die Religion Jeſu Chriſti ſei und daß Martin Luther 
und Johann Calvin dieſe reformiert hätten. Bevor ich noch 
mehr Worte anhörte, ſagte ich zu ihnen: eine feine Religion, 
die von zwei ſo großen Ketzern reformiert iſt. Das ganze 
Haus kam in Aufruhr, und es fielen ſo viele Degenklingen 
auf mich und den zweiten Spanier, daß, wenn wir nicht eine 
Treppe erreicht hätten, man uns in Stücke gehauen hätte. Die 
Wirtin beſchwichtigte endlich die Sachen, indem ſie ihnen ſagte, 
daß ſie wohl zuſehen möchten, was ſie täten, denn wir wären 
vom Herzoge hierher geſetzt. Der Lärm hörte auf, denn bis 
jetzt hatten ſie dem Herzoge von Savoyen den Gehorſam 
noch nicht verweigert, obgleich ſie ihn der römiſchen Kirche 
verſagten. 


209 


Viertes Kapitel. 

Ich ging von Turin nach Mailand zurück. Ich hatte erſt 
die Abſicht nach Flandern zu gehen, fand aber keine Gelegenheit 
dazu, abgeſehen davon, daß ich hörte, die Truppen von Flan⸗ 
dern ſeien ſchon auf dem Marſche nach der Lombardei be— 
griffen, und daß ich mit den nämlichen Truppen bereits in 
Flandern bei dem Hauptſturm auf Maaftricht!? geweſen war. 
Daſelbſt war mir etwas ſehr Spaßhaftes begegnet, was ſehr 
ſchlimm hätte ablaufen können. Bei der Plünderung der Stadt 
nämlich erwiſchte ich das erleſenſte Reitpferd unter allen, die 
ſich in einem der erſten Paläſte befanden. Als ich mich auf 
ſeinen Rücken geſchwungen hatte und die Stadt verlaſſen wollte, 
galoppierten mehr als dreihundert Hengſte hinter mir her; 
denn das Pferd, das ich in Beſitz genommen hatte, war eine 
läufige Stute, und wäre ich nicht eilends von ihr herunter— 
geſprungen, ſo hätte ich die Vorderhufe der ſie verfolgenden 
Liebhaber gründlich zu ſpüren bekommen. Mein Gefährte 
reiſte nach Flandern, und ich, um nach Mailand zurück⸗ 
zukommen, fand einen Wagen, auf welchem ich in Geſell— 
ſchaft von vier Genfern reiſen mußte, die ebenſo große Ketzer 
waren, wie die anderen. Ich war feſt entſchloſſen, zu allem 
zu ſchweigen, was ſie auch ſagen möchten, wodurch ich ſo ſehr 
ihr Herz gewann, daß ſie, ſo ſehr ſie auch ſonſt die Spanier 
haſſen, auf der ganzen Reiſe ſehr freundlich gegen mich waren 
und mir tauſendmal ſagten, daß ich ein liebenswürdiger Ge— 
ſellſchafter ſei. Dieſe Leute ſind ſonſt, wenn es ſich nur nicht 
um ihre Religion handelt, wirklich aufrichtig, umgänglich und 
machen gern anderen Vergnügen. 

Sie liebkoſten mich auf der Reiſe, und plötzlich zwiſchen 
zwei Armen des Ticino wandten fie ſich abſeits, auf einen 
Wald und eine Bergkette zu, wo ſie, wie ſie ſagten, einen großen 
Nekromanten beſuchen wollten, um ihn über einige ſehr wich— 
210 


tige Geheimniſſe zu befragen. Jung, wie ich war, und ein 
Freund von Neuigkeiten, freute es mich ſehr, hier etwas zu 
ſehen, was mir noch niemals vorgekommen war. Wir gingen 
eine Weile durch den Wald, bis wir an den Fuß des Gebirges 
gelangten, wo ſich die Mündung einer Höhle zeigte, mit einer 
Tür aus rohbehauenem Holz, die von innen verſchloſſen war. 
Sie klopften an, und es wurde von innen mit einer rauhen, 
tiefen Stimme, die etwas Feierliches hatte, geantwortet. Die 
Tür ward aufgemacht, und die Geſtalt des Zauberers zeigte 
ſich in einem braunen Gewande voller Flecken, das mit Linien, 
Schlangen und Himmelszeichen bemalt war. Auf dem Kopfe 
trug er eine große Mütze mit Wolfsfell gefüttert, nebſt anderen 
Dingen, die ſeine Geſtalt furchtbar machten, ſo wie es auch 
der Ort war, welchen er bewohnte. Jene Edelleute aus Genf 
ſprachen mit ihm und machten ihn mit der Urſache ihres 
Kommens bekannt, und wie ſie, von ſeinem großen Rufe an— 
gezogen, ſich ſeines Rates in einer wichtigen Sache bedienen 
wollten. Anfänglich wollte er ſeine Kunſt verleugnen; endlich 
aber brachten ſie es doch durch Bitten und Geſchenke dahin, 
daß er ſich herbeilaſſen wollte, ihre Bitte zu erfüllen. Während 
ſie mit ihm ſprachen, betrachtete ich das Innere der Höhle, 
welche voller Dinge war, die Furcht und Schrecken erregen 
konnten; denn man ſah Teufelsgeſichter, Löwen, Tiger, Faune, 
Kentauren und andere ähnliche Dinge, beſtimmt, allen, die 
hereintreten möchten, Grauen zu erregen; manches war ge— 
malt, anderes plaſtiſch, durch welche Dinge er zu verſtehen 
geben wollte, daß er mit einem Geiſte Umgang und Freund— 
ſchaft pflege. Er ſprach lange mit den Fremden, erzählte 
ihnen von ſeiner großen Macht und zeigte ihnen viele Juwelen 
von verſchiedenen Leuten und großen Herren, die er von dieſen 
für die vielen Geheimniſſe bekommen, welche er ihnen ent— 
deckt hatte. Da er bemerkte, daß ich mehr die Kunſt beob— 
14% 211 


achtete, mit welcher er feine Höhle ausgeſchmückt hatte, fo 
fragte er ſie nach mir, weil ich an ihrer Unterhaltung keinen 
Teil nahm. Sie antworteten ihm, daß ich ein Spanier ſei. 
Der Nekromant ſagte hierauf: Ich mag meine Geheimniſſe 
vor Spaniern nicht zeigen, denn fie find ungläubig und ſcharf⸗ 
ſinnigen Geiftests, | 

Worauf fie antworteten: Ihr könnt alles in feiner Gegen: 
wart vornehmen; denn obwohl er ein Spanier iſt, fo iſt er 
doch ein braver Mann und ein guter Kamerad. — Er ent⸗ 
ſchloß ſich alſo, es zu tun und rief einem Gehilfen, der ſo 
fürchterlich ausſah, daß er mir wirklich ein Teufel zu ſein 
ſchien. Wir gingen in das Innere, wo er ſeinen Spiritus 
familiaris hatte. Dies zweite Gemach war ein kleiner Ab— 
ſchlag, noch finſterer als die vordere Höhle, mit einem Gatter 
umgeben, innerhalb deſſen ein pultähnliches Geſtell war, und 
auf dieſem ein großer Globus von Glas mit einem Alphabet 
rund umher, das mit großen Buchſtaben geſchrieben war; 
in der Mitte des Globus war der Geiſt, ein Männlein von 
der Farbe des Eiſens, deſſen rechter Arm gerade auf die Buch⸗ 
ſtaben zu ausgeſtreckt war. Ein Anblick, der in der Tat 
Schrecken erregte. Er ſprach zu dem Geiſte in einer langen 
Rede und erinnerte ihn an die alte Freundfchaft, die fie feit 
ſo vielen Jahren miteinander gepflogen hatten, um ihn dahin 
zu bringen, auf alle vorgelegten Fragen willig zu antworten. 
Hierauf zog er einen großen Handſchuh an, und nachdem die 
Frage vorgelegt war, erhob er die Rechte und rief ihm zu: 
Auf, ſchnell dann! Der Geiſt drehte ſich um und wies auf 
einen Buchſtaben. Der Zauberer zog den Handſchuh aus und 
ſchrieb den Buchſtaben auf, welchen der Geiſt bezeichnet hatte. 
Hierauf zog er den Handſchuh wieder an und erhob abermals 
die Hand, indem er ihm zurief: Weiter! Der Geiſt drehte 
ſich und bezeichnete einen zweiten Buchſtaben, und auf dieſe 
212 


Weiſe fuhr er mit Fragen fort, bis er zehn oder zwölf Buch— 
ſtaben aufgeſchrieben hatte, in welchen auf die Frage der 
Genfer ſchon eine Antwort enthalten war, die ihnen große 
Freude machte. Da ich ſah, daß er, um jeden einzelnen Buch— 
ſtaben aufzuſchreiben, den Handſchuh ablegte, fiel ich auf einen 
Verdacht, und als er wieder mit dem Handſchuh auf den 
Globus deutete, riß ich ihm denſelben ſchnell am Zeigefinger 
weg und fühlte im Finger einen ziemlich großen harten Gegen— 
ſtand, worauf ich den Nekromanten fragte: Iſt hier nicht 
ein Magnetſtein drinnen? Erſchrocken und verdrießlich wandte 
er ſich zu den anderen und ſagte: Ich ſagte es ja, daß die 
Spanier ſcharfſinnig ſind, und daß ich in ihrer Gegenwart 
nichts vornehmen wollte. Das Geheimnis beſtand nun darin, 
daß dieſes kleine Geiſtchen aus einer ſehr leichten Materie 
gebildet war; ſein rechtes Armchen war von Eiſen und wurde 
von jenem Magneten angezogen, mit welchem der Zauberer 
nach dem Buchſtaben wies, den er brauchte, ſo daß der an— 
gezogene Geiſt ſich bald hierhin, bald dorthin drehte, um 
ihn zu bezeichnen. 

Die Genfer waren verwundert, ſowohl über die Feinheit, 
mit welcher dieſer Menſch die Leute hinterging, als auch über 
die meinige, mit der ich ſeine Schelmerei erkannt hatte. An— 
fangs waren ſie verdrießlich, daß ihnen die glückliche Weis— 
ſagung des Geiſtes nun nicht in Erfüllung gehen könne, den 
ſie für einen Teufel gehalten hatten; aber nachher freute ſie 
die Enttäuſchung. Der Zauberer bat ſie, mich zu bereden, daß 
ich ihm den Markt nicht verdürbe; denn er erhielte dadurch 


ſein Leben, ohne jemand Schaden zu tun; denn er hatte den 


Ruf eines außerordentlichen Mannes. Die Erfindung war 
wirklich ſehr ſinnreich und der Naturlehre entſprechend und 
konnte als eine Taſchenſpielerei wohl hingehen: wenn aber 
dergleichen als Ernſt gebraucht wird, um grobe Irrtümer zu 
213 


verbreiten, fo iſt es unerlaubt, die Täuſchung zu befór: 
dern®?, 

Wir gingen fort und ließen den Betrüger ſehr niedergefchlagen 
zurück. Die Genfer mißbilligten es aber und machten mir 
Vorwürfe, daß ich ihn ſo gekränkt und ihm allen Mut be⸗ 
nommen hatte, ſeine Schelmerei fortzuſetzen. Ich fragte ſie: 
Waret ihr denn nicht erfreut, als euch dieſes Geheimnis klar 
wurde? Sie ſagten: Ja. Ich fuhr fort: Ebenſo werden ſich 
alle anderen freuen, die es erfahren, und es liegt weniger 
daran, daß dieſer Menſch feinen Ruf und fein Einkommen ver: 
liert, als daß man einen fo verbreiteten und verderblichen Irr— 
tum wie dieſen fördert. 

In dieſen und andern ähnlichen Geſprächen kamen wir 
nach Bufalora, einem Orte im Staate von Mailand, wo die 
Genfer mich verließen und ich meine Reiſe fortſetzte. 


Fünftes Kapitel. 


Ich kam nach Mailand zurück, und ſo wie dieſe Stadt an 
allen Dingen Überfluß hat, ſo beſitzt ſie auch viele gelehrte 
Männer, die ebenſowohl in den Wiſſenſchaften wie in der 
Muſik erfahren find, in welcher Don Antonio Londoſta, der 
Präſident des dortigen Magiſtrats, ſich vorzüglich auszeichnete. 
In ſeinem Hauſe war faſt immer eine Verſammlung der 
vortrefflichſten Muſiker, ſowohl Sänger als andere Virtuoſen, 
unter denen oft von allen, die in der Kunſt einen Namen 
haben, die Rede war. Es ward dort die Geige 50 mit der 
größten Vortrefflichkeit, das Clavichord, die Harfe und die 
Laute geſpielt, und alles von Künſtlern, die auf dieſen In⸗ 
ſtrumenten die vorzüglichſten waren. 

An einem Tage, als man geſungen und geſpielt hatte und 
alle noch im Entzücken waren, warf einer die Frage auf, 
wie es komme, daß heutzutage die Muſik nicht die nämlichen 
214 


Wirkungen mehr hervorbringe, wie fie im Altertum getan 
habe, die Gemüter zu entzücken und ſie ganz in das, was im 
Geſange vorgetragen wird, zu verſenken und zu verwandeln, 
wie man von Alexander dem Großen lieſt, daß er, als der 
trojaniſche Krieg geſungen wurde, mit Ungeſtüm aufſprang, 
das Schwert zog und in die Lüfte hieb, als wenn er ſelbſt 
vor Troja wäre. 

Ich ſagte hierauf: Dasſelbe iſt jetzt noch möglich und 
geſchieht auch wohl wirklich. — Man antwortete mir, daß, 
ſeit die enharmoniſche Muſik verloren ſei, dieſe Wirkung nicht 
mehr möglich wäre. — Ich erwiderte: Gerade mit der en— 
harmoniſchen Kunſt ſcheint es mir nicht möglich, ſo viel zu 
erreichen; denn da die Vortrefflichkeit dieſer Muſik in der 
Teilung der Semitone und Dieſis beſteht, ſo kann die menſch— 
liche Stimme ſich niemals in die vielfachen Semitonen und 
Dieſis fügen, welche dieſe Gattung fordert. Jener Monarch 
der Muſik, der Abt Salinas, der dieſe Gattung erweckt hat, 
überließ ſie daher auch gänzlich dem Clavichord, da er meinte, 
daß die menſchliche Stimme nur mit großer Mühe und Beſchwer 
nachfolgen könne. Ich ſah ihn das Clavichord ſpielen, welches 
er in Salamanka zurückließ, auf welchem er mit den Händen 
Wunder tat; aber niemals wollte er die Menſchenſtimme das— 
ſelbe tun laſſen, obgleich es damals im Chore von Salamanka 
große Sänger von trefflichen Stimmen und vieler Wiſſen— 
ſchaft gab, und der Direktor desſelben, Juan Navarro, jener 
große Komponiſt, war. Was ſich aber mit der diatoniſchen 
und chromatiſchen Tonart ausrichten läßt, da ſie alles das 
beſitzen, was erforderlich iſt, ſo wird es ſich täglich zeigen. 
Bei den ſpaniſchen Sonaten, die ſo außerordentlich ausdrucks— 
voll ſind, ſieht man faſt täglich dieſes Wunder. Notwendig 
dabei aber iſt, daß das Gedicht außerordentliche und ſcharf— 
ſinnige Gedanken habe, und daß die Sprache von derſelben 

215 


Art ſei; zweitens, daß die Muſik fo ſehr die Tochter dieſer 
Gedanken ſei, daß ſie, wie aus dem Innerſten derſelben, her— 
vorgehe; das Dritte iſt, daß der Sänger Geiſt und Gefühl 
beſitze, um würdig Gedicht und Muſik auszudrücken; und 
viertens, daß der Zuhörer mit Empfindung und Geſchmack 
entgegenkomme. Unter dieſen Bedingungen wird die Muſik 
immer noch Wunder tun. Ich bin ein Zeuge davon geweſen, 
daß, als zwei Muſiker auf treffliche Weiſe in einer Nacht 
die Canzone ſangen: 
„Reiß auf die Adern meiner heißen Bruſt“ 51, 

die Leidenſchaft, die dies einem Ritter erregte, der ſie zum 
Singen veranlaßt hatte, während die Dame heimlich am Fen— 
ſter ſtand, ſo groß war, daß er einen Dolch nahm und ſagte: 
Hier iſt das Inſtrument, reißt mir die Bruſt und die Ein⸗ 
geweide auf! Die Sänger ſowohl, wie der Verfaſſer des 
Gedichts und der Muſik waren voll Erſtaunen; hier aber 
trafen alle jene Bedingungen zuſammen, welche erforderlich 
ſind, um dieſe Wirkung hervorzubringen. 

Allen Gegenwärtigen gefiel dieſes; denn ſie waren alle in 
der Wiſſenſchaft der Muſik ſehr erfahren. — Unter dieſen 
und ähnlichen Beſchäftigungen verfloß das Leben unter Poeten, 
die die Poeſie, und unter Soldaten, die die Waffen liebten. 
Damals übten wir uns nicht nur mit dem Spieß und der 
Muskete, ſondern zugleich mit Degen und Dolch, großem 
und kleinem Schilde; denn es gab dort tapfere und ebenſo 
geſchickte Männer, unter denen oft Carranza? genannt wurde, 
obgleich viele dem Don Luis Pacheco de Narvaez den Vorzug 
gaben. Denn in der wahrhaften Philoſophie und Mathematik 
dieſer Kunſt und in der Anweiſung, die Wunden beizubringen, 
übertrifft er alle Früher- und Jetztlebende. 

So verfloß das Leben in der Lombardei. Meine Geſund⸗ 
heit aber war von der feuchten Luft beſtändig geſtört, ſo 
216 


eye 


daß ich mich entſchloß, nach Spanien zurückzukehren, wenn 
ich zuvor Venedig geſehen haben würde; und es ergab ſich 
dazu eine gute Gelegenheit. Denn damals brach die Infanterie, 
wie die Reiterei aus dem Mailändiſchen auf, welche die Kai— 
ſerin auf venezianiſchem Gebiete empfangen wollte, um ſie 
dann zu begleiten und in Genua einzuſchiffen. Dieſe vor— 
trefflichen Truppen gingen bis Crema, wo ſie die kaiſerliche 
Majeſtät fo empfingen, wie es einer fo großen Dame zukamss. 
Von dort ging ich mit einem Pferde, das ich bis hierher 
umſonſt gehabt hatte, über den Fluß, indem ich dem Pferde— 
jungen erklärte, daß ich ihm den Reſt des Weges bis Venedig 
bezahlen würde. Dieſer richtete ſich aber ſo gut ein, daß er, 
ohne ein Wort zu ſagen, mich in der erſten Schenke ſitzen 
ließ. Dies Ortchen war ſo klein, daß ich kein Pferd finden 
konnte, ja ich fand kaum jemand, der mir nur ein freundliches 
Wort geſagt hätte, weil ich ein Spanier und in der Tracht 
eines Soldaten war, ſo daß weder Höflichkeit, Freundlichkeit 
noch auch Geduld mir etwas helfen oder es hindern konnten, 
daß ich zu Fuß und ohne Begleitung durch ein unbekanntes 
Land, welches den Spaniern höchſt aufſäſſig iſt, wandern mußte. 
Ich ging über eine Ebene, und die Leute ſagten mir ſogar nur 
ungern Beſcheid, ob ich auch auf dem rechten Wege ſei. Nach— 
dem ich alſo den ganzen Tag mit Verdruß gewandert war und 
nicht wußte, wo ich einkehren ſollte, indem die Sonne ſchon 
unterging, ſah ich einen Edelmann kommen mit einem Falken 
auf der Hand, der den Weg kreuzte, den ich ging. Sowie 
er mich ſah, hielt er an, bis ich ihn erreichen konnte, was 
eine geraume Zeit währte, da ich ebenſo melancholiſch als 
ermüdet einherhinkte. Als ich zu ihm kam, fragte er mich mit 
Zeichen von Mitleid, ob ich ein ſpaniſcher Soldat ſei? Ich 
antwortete: Ja; worauf er erwiderte, daß erſt in großer 
Entfernung von hier ein Haus liege, in welchem ich die Nacht 
217 


zubringen könne; ich möchte ihm darum nach feiner Land— 
wohnung folgen und dort bis zum Morgen ausruhen. Ich 
folgte ihm, obwohl mit einigem Argwohn. Da ich aber über— 
legte, daß Leute vornehmen Standes faſt immer wohlerzogen, 
wahrhaftig und mitleidig find, fo entfernte ich jenes Miß⸗ 
trauen von mir, welches ich in einer andern Geſellſchaft wohl 
hätte haben können. 


Sechſtes Kapitel. 


Durch große Gärten, die nahe bei dem Landhauſe waren 
und ſchlecht bebaut und voller Unkraut ſchienen, gelangten 
wir zum Hauſe ſelbſt, von wo uns verſchiedene Diener, alle 
ſtillſchweigend und melancholiſch, entgegenkamen, uns zu emp⸗ 
fangen. Das Haus, in das wir traten, war zwar ein großes 
Gebäude, aber es war von allem entblößt, was Vergnügen 
gewähren konnte; denn die Tapeten waren alt und ſchwarz, 
die Diener verdrießlich und ſtumm, und das ganze Haus voll 
Leid und Trauer. Ich war ſehr betreten darüber, unter Men⸗ 
ſchen geraten zu ſein, die mir Schauer einflößten; zugleich 
befiel mich der Argwohn, daß ich hier nicht ſicher ſein dürfte. 

Der Ritter hatte das Weſen eines Mannes, dem das Herz 
gebrochen war; er befahl ſeinen Bedienten nichts mit Worten, 
ſondern nur mit Zeichen; ſein Ausſehen aber war blaß und voll 
Ingrimm. Er rief mich zum Abendeſſen, zu welchem ich, 
wie geſagt, das größte Verlangen trug; nur fürchtete ich, 
weil ich ſchon viel Unglück erlebt hatte, daß mir von neuem 
etwas Widerwärtiges begegnen möchte. Ich ſpeiſte ebenſo 
ſtumm wie der Ritter, welcher mir gegenüber ſaß; auch 
wagte ich es nicht, ihn zu fragen, denn der wahre gute um⸗ 
gang beſteht darin, ſich der Laune derer gleichzuſtellen, mit 
denen wir in Geſellſchaft ſind. 
218 


Als die Abendmahlzeit beendet war und er die Diener 
fortgeſchickt hatte, ſprach er mit tiefer Stimme, die aus der 
innerſten Bruſt zu kommen ſchien, zu mir auf folgende Weiſe: 

Glückſelig ſind diejenigen, die ohne Verpflichtungen geboren 
werden; denn ſie werden ihr ſchlimmes oder gutes Glück 
überſtehen, ohne daß es ihnen Sorge macht, was fremde 
Menſchen von ihrem Leben ſagen werden. Der arme Soldat, 
wenn er ſeine Pflicht erfüllt hat, geht in ſein Bett, um 
auszuruhen. Der Beamte und alle Arbeiter dieſer Art finden, 
wenn ſie ihre Geſchäfte vollendet haben, in der Muße ihre 
Ruhe. Aber wehe dem, auf welchen viele Augen ſehen, der 
von vielen geehrt wird, der von dem Urteile vieler abhängt, 
der der Verleumdung vieler unterworfen iſt! Ich, Herr Sol— 
dat, will mich dadurch erquicken, Euch mein Unglück zu er 
zählen; nicht deshalb, als fehlten mir Menſchen, denen ich 
es mitteilen könnte, ſondern darum, weil ich nicht mit Be— 
kannten und nahen Zeugen desſelben darüber ſprechen will. 
Ich verſichere Euch, daß keiner von dieſen Dienern die Ur— 
ſache meines Elends kennt; denn obgleich Ihr ſie verſchüchtert 
ſeht, ſo wiſſen ſie doch nicht mehr, als was ſie auf meinem 
Antlitz geſchrieben leſen. 

Ich bin ein Ritter, welcher mehrere Vaſallen hat und Ver⸗ 
mögen genug beſitzt, daß er ruhig leben könnte, wenn Reich— 
tümer die Ruhe gewährten. Von Jugend auf fühlte ich keine 
Neigung für den Hof oder das Gelärme des Volks, durch 
welche man das Leben leicht befleckt und die Zeit verſchwendet, 
ſondern ich liebte die Einſamkeit und ländliche Unterhaltungen, 

ſowie den Ackerbau, die Pflege des Obſtes und der Gärten, 
die Fiſcherei, die Jagd des Wildes und des Geflügels, unter 
welchen Ergötzungen ich einige Jahre hingebracht und mein 
ganzes Einkommen mit dem größten Vergnügen verzehrt habe, 
indem ich zugleich Reiſenden manche Wohltat erwies. Einen 
219 


großen Teil meiner Jugend brachte ich unverheiratet zu, denn 
ich hielt die Ehe für eine große Laſt, die mich in allen meinen 
Vergnügungen nur hindern könne. Da aber der Wechſel in 
der Welt notwendig iſt und der Himmel unferm Leben mancher- 
lei Begebenheiten zuſchickt, vom Guten zum Böſen und vom 
Böſen zum Schlimmeren, oder umgekehrt, ſo geſchah es eines 
Tages, daß, als ich mit einem Falken auf der einen 
Fauſt und einem Herz, um ihn zu füttern, in der andern, 
zur Jagd ausgeritten war, mir plötzlich mein Herz ſo er— 
ſchüttert und ein Bild meinem Gemüte ſo eingeprägt wurde, 
daß es ſeitdem nicht erloſchen iſt und niemals verlöſcht werden 
kann. Und zwar geſchah dies auf folgende Weiſe. Als ich im 
Angeſichte von Crema vorüberritt, kam auf dem engen Wege 
zwiſchen zwei Gärten ein Mädchen zum Vorſchein, mit dem 
ſchönſten Antlitze und dem edelſten Anſtande, wie ich ſie nie 
an einem ſterblichen Weſen geſehen hatte. Ich wollte ihr 
folgen, aber in demſelben Augenblick kehrte fie um und ver: 
ſchloß ſich in den Gärten. Ich, in Erſtaunen verſetzt über dieſe 
ganz außerordentliche Schönheit, forſchte ſehr eifrig nach ihrem 
Stande und Charakter und erfuhr, daß ſie ein tugendhaftes 
Mädchen ſei, nur von armen, niedrigen Eltern geboren. Es 
ſchien mir alſo nichts Schweres, ſie durch Geſchenke und Ver— 
ſprechungen zu beſiegen. Durch die Vermittlung einiger Damen, 
die ſich oft nicht weigern, dergleichen Dienſte dem zu leiſten, 
der ſie mit Geſchenken verpflichtet, beſuchte ich ſie. Man 
fuhr in einer Karoſſe hin, unter dem Vorwande, die Gärten 
zu beſehen; aber ſo ſehr auch alle ſie beſtürmten, ſo konnten 
ſie doch durch keinen Angriff ihre edle Keuſchheit erſchüttern. 
Ich verſuchte ein Außerſtes, weil ich die Heftigkeit meiner 
Leidenſchaft nicht mehr ertragen konnte. Ich fuhr nämlich 
mit den Damen in der Tracht eines Frauenzimmers hin, 
was dadurch ermöglicht wurde, daß ich jung und ohne Bart war, 

220 


und diefer Umſtand war Urſache, daß meine Liebe den höchſten 
Grad erreichte. Denn da ich mich nun in weiblicher Ge— 
ſellſchaft ihr ſo nahe befand, wurde ich noch weit mehr von 
dem Zauber ihrer ſüßen Rede entzündet. Indem ich nun in 
ſo ärmlicher Tracht die edle Geſinnung, dieſen Glanz der 
Schönheit, von der Würde der Scham begleitet, nebſt dem 
tugendhaften Widerſtande ſah, ſowie tauſend andere Dinge, 
die an ihr leuchteten, ſo wurde ich gezwungen, zum letzten 
Mittel zu ſchreiten und um ſie anzuhalten. Ich nahm ſie, 
um dieſe klägliche Erzählung abzukürzen, zur Ehe und zog 
mich hierher auf dieſes Landgut mit ihr zurück, wo ich mit 
ihr in ſolcher Liebe und Freude, von ihrer Seite wie von 
der meinigen, lebte, daß keins eine Stunde Abweſenheit des 
andern ertragen konnte. Wenn ich auf die Jagd ging, ſo fand 
ich ſie bei meiner Rückkehr in Tränen und ſo ängſtlich, daß 
meine Seele entzückt ward und ich ſie von neuem wie ein 
göttliches Weſen lieben mußte. Sechs Jahre vergingen in 
dieſer Wonne, die beneidenswürdigſten, die ich je gelebt hatte 
oder noch leben kann. 

In der Nähe von hier wohnte ein unbedeutender Menſch, der 
nicht von Adel war, aber einige Talente beſaß, die zwar nicht 
ausgebildet, ſondern nur im Naturzuſtand vorhanden waren; 
denn er wußte ein Weniges von Muſik und leiſtete auch ein 
Geringes in der Poeſie. Er ſelber hielt ſich für einen Mann 
von Bedeutung; in dem Orte ſelbſt aber, wo er lebte, war er 
nicht geachtet, und man nahm keine ſonderliche Rückſicht auf 
ihn. Dieſen nahm ich als Geſellſchafter zu mir, damit er 

mir manche Stunden, in denen ich müßig war, vertreiben helfe. 
Ich zierte ihn mit Kleidern, ich gab ihm meinen Tiſch, er war 
der zweite Eigentümer meines Vermögens, und kurz, ich zog 
ihn aus dem Staube, damit er einen Mann von Stande vor— 
ſtelle, der mir ſelber ganz gleich ſein ſollte. Vorher und 
221 


auch nach meiner Verheiratung ging er immer zu Pferde mit 
mir auf die Jagd, und wenn er müde war, kehrte er nach 
dem Landhauſe zurück. Dieſes war, ſeit ich mich verheiratet 
hatte, die Zeit, in welcher er mit meiner Gattin ſprechen konnte; 
auch konnte ich nie einen Argwohn ſeinetwegen faſſen, denn 
er war ein Mann von kleiner Geſtalt, ohne Manieren; ſeine 
Zähne waren groß, ſeine Hände breit; er war ohne eine 
moraliſche Tugend und zum Verleumden und Klatſchen geneigt; 
doch verhinderte ich es meiſtenteils, daß er ohne mich von 
der Jagd nach Hauſe ging, mehr den Reden der Leute zu 
Gefallen, als daß ich irgendeine üble Folge daraus hätte ver— 
muten können. 

Seit dieſer Einſchränkung erſchien jede Nacht, in welcher 
ich nach Hauſe kam, ein Geſpenſt im Garten, welches die 
Hunde in Aufruhr brachte und die Diener erſchreckte. Ich, 
ſo müde ich auch war, ſtand dann auf, um alle Winkel des 
Gartens zu durchſuchen, ehe ich mich zu Bett legte, ob ich 
nicht irgendwo auf das Geſpenſt treffen möchte. Sowie ich 
mein Bett verließ, verriegelte ſich meine Frau von innen und 
machte nicht wieder auf, bis ſie ſich überzeugt hatte, ich ſei es, 
der anklopfe; denn ſie ſagte, daß ihr Entſetzen vor dem Ge— 
ſpenſte ſie zu dieſer Vorſicht zwinge. Die Geſchichte mit 
dieſem Geſpenſte dauerte Wochen und Monate; ich bemerkte 
aber, daß die wenigen Nächte, wenn ich draußen auf der Jagd 
blieb, ſich kein Geſpenſt zeigte. Ich konnte durchaus nicht 
darauf kommen, wo es ſich verberge; daher befahl ich in einer 
Nacht, als ich von der Jagd gekommen war, einem Diener, 
daß er ſich an die Gartentür ſtellen und ſcharf auf dieſe Er— 
ſcheinung aufpaſſen ſolle. Ich verſchloß mich mit meiner Frau 
in meinem Zimmer und wartete, ob es in dieſer Nacht wieder 
wie in der vorigen erſcheinen würde, als die Hunde wieder 
aus Leibeskräften zu bellen anfingen; denn das Geſpenſt war 


222 


fo groß, daß es zu den Fenftern und zum Dache reichte. 
Ich ſtand auf, ſo eilig ich nur konnte, und als ich den Be— 
dienten traf, welchen ich an die Gartentür geſtellt hatte, ſagte 
dieſer zu mir: Gebt Euch keine Mühe, gnädiger Herr, denn 
das Geſpenſt iſt Cornelio, Euer vertrauter Freund, der dieſe 
Schelmerei anſtellt, weil er, ſowie Ihr herausgeht, ſich bei der 
gnädigen Frau befindet und Verrat an Euch übt. Wie und 
durch welchen Eingang er zu ihr kommt, das weiß ich nicht, 
wenn ihm nicht irgendein Teufel Hilfe leiſtet; aber das weiß 
ich, daß ich die Wahrheit ſage und daß dieſes ſchon ſeit vielen 
Tagen geſchieht. 

Die Wut, die ſich mir brennend durch alle Eingeweide 
verbreitete, war ſo groß, daß ich, ihn bei dem Kragen des 
Wamſes packend, ihm Dolchſtöße verſetzte und rief: Nimm 
dies, damit du es keinem andern ſagſt, und weil du es mir 
erſt ſagſt, nachdem die Tat geſchehen iſt. Ich warf ihn in 
einen kleinen Keller und verſchloß die Tür mit dem Haupt- 
ſchlüſſel des Hauſes und des Gartens, und äußerlich ruhig, 
ſo ſehr mein Buſen auch brannte und mein Innerſtes 
von Eiferſucht und dem Gefühl meiner Entehrung zerriſſen 
wurde, ging ich langſamen Schrittes, um unterwegs noch mehr 
Faſſung zu gewinnen. Ich klopfte an die Tür meiner Frau, 
die ſich ſehr furchtſam ſtellte und mich fragte, ob ich das 
Geſpenſt ſei; endlich, als ſie mich erkannte, öffnete ſie die 
Tür, und da ſie meine Farbe verwandelt ſah, was ſie be— 
merkte, ſo ſehr ich mich auch verſtellte, ſagte ſie: Lieber 
Mann, wie iſt dein Geſicht ſo verändert? Verwünſcht ſei das 

Geſpenſt und wer es erfunden hat, das dich und mich in ſolche 
Unruhe verſetzt. Ich verſtellte mich ſo gut ich konnte, und ſagte, 
daß mir nichts fehle. Ich legte mich nieder; ſie ſuchte mich 

mit ihren gewöhnlichen Liebkoſungen zu beruhigen, und ich 
hinterging ſie, indem ich ſo tat, als ob nichts geſchehen wäre. 

| 223 


Ich ſchlief wenig und ſchlecht. Mit Anbruch des Tages ftand 
ich auf und rief die Diener der Jagd und Cornelio mit ſo 
heiterer Miene, als mir nur möglich war. Wir gingen in 
das Feld und trafen den ganzen Weg weder auf Flugwild 
für die Jagdvögel noch auf anderes Wild für die Hunde. 
Dies nahm ich für eine üble Vorbedeutung, und als ſich gegen 
Abend der Verräter Cornelio krank ſtellte, um nur nach dem 
Landhauſe zurückzukehren, ſo ſchickte ich ihn fort und trug 
ihm auf, meiner Frau zu ſagen, ich hätte drei Meilen von dort 
einen Reiher, der ſich dort aufhalte und könne dieſe Nacht 
nicht bei ihr ſein, da ich mich bei Tagesanbruch ſeiner be— 
mächtigen wolle. Er ging ſehr vergnügt mit dieſem Auftrage 
fort, und ich blieb mit tauſend Gedanken allein, den Ent: 
ſchluß erwägend, den ich zu faſſen hatte. 


Siebentes Kapitel. 


Da es ſpät war, denn es fing ſchon an dunkel zu werden, 
ſo ſchickte ich die Diener fort, um auf den Reiher zu lauern; 
und als es Nacht geworden, begab ich mich ſo ſtill als möglich 
nach dem Landhauſe, und nachdem ich vermittelſt des Haupt⸗ 
ſchlüſſels eine Hintertür des Gartens geöffnet hatte, ging ich 
geradeswegs nach dem Zimmer des Cornelio. Ich öffnete 
es, fand ihn ſelbſt nicht, aber im Zimmer eine brennende Kerze. 
Ich nahm das Licht und ging in einen Saal, der an ſein 
Gemach ſtieß, um zu ſehen, ob er ſich dort vielleicht befände. 
Ich wandelte durch den Saal, und am Ausgang desſelben, 
welcher in einen anderen, unteren Saal führte, über dem 
mein und meiner Frau Zimmer lag, ſah ich eine Leiter an | 
die Wand gelehnt, welche bis in mein Gemach hinaufreichte, 
und am Ende der Leiter eine Offnung in der Wand, ſo groß, 
daß ſie wohl einen Menſchen faßte, welche von innen mit 
einem auf Leinwand gemalten Bilde von Tizian, die Liebe 
224 


des Mars und der Venus, verhängt war. Bis zu dieſem 
Augenblicke hatte ich mein Unglück nicht geglaubt. Ich nahm 
die Leiter fort, damit man auf ihr nicht wieder herabſteigen 
könne, und wie ein Blitz eilte ich zu meinem Zimmer hinauf, 
wo ich gleich anpochte, um ſie unvorbereitet zu überfallen. 
Meine Frau kam, um die Tür zu öffnen; er aber eilte ſchnell 
hin, um den Fuß auf die Leiter zu ſetzen; da er ihn aber 
in die Luft ſtellte, ſtürzte er von oben herunter und brach 
beide Beine an den Knien. Ich verſchloß die Tür meines 
Zimmers wieder und ging hinab, um den Geſtürzten zu finden, 
der ſich wie ein ſpaniſcher Stier, dem man die Sehnen der 
Hinterbeine zerſchnitten, auf den Händen fortſchleppte, und 
ſagte zu ihm: Ha, Verräter! Undankbarer! Dieſes iſt der 
Lohn, den die Ungetreuen empfangen! Ich gab ihm viele Dolch— 
ſtiche, dann, ihn gegen die Leiter ſtützend, erdroſſelte ich ihn. 
Mit derſelben Wut ſtieg ich dann wieder hinauf, um auch 
meine Gattin mit dem Dolche zu töten; aber der Dolch fiel 
mir aus den Händen, und ſo oft ich es auch von neuem ver— 
ſuchte, war ich doch immer unfähig, den Arm zu erheben und 
den ſchönen Leib zu verwunden, der ſtets meinen Kräften ſo 
überlegen geweſen war. Endlich trug ich ſie hinunter, legte 
ſie dicht neben ihren Geliebten und band ihr, da ich ihr keinen 
größeren Schaden zufügen konnte, Hände und Füße; ihm 
aber riß ich das Herz aus dem Leibe und legte es zwiſchen 
die beiden hin, damit ſie immerdar das Herz vor ſich ſähe, 
für das ſie mit ſo viel Wonne gelebt hatte. Den anderen 
getöteten Diener ſchleppte ich zu ihr und ſagte: Der hier iſt 
der Zeuge eures Verbrechens. Ich wollte ſie wieder umbringen, 
und wiederum fielen mir die Arme gelähmt herab; doch ent— 
ſchloß ich mich nun, ſie durch Hunger und Durſt zu töten, 
und reichte ihr täglich nur ein halbes Pfund Brot und ſehr 
wenig Waſſer. Heute ſind es nun vierzehn Tage, daß ſie 
15 225 


kein Licht geſehen, noch ein Wort aus meinem Munde gehört 
hat; auch hat ſie nicht zu mir geſprochen, ungeachtet ich ihr 
dieſes Elend mit meinen eigenen Händen bereitete. Es ſcheinen 
mir aber nicht vierzehn Tage, ſondern vierzehntauſend Jahre, 
und an jedem Tage habe ich tauſend tödliche Martern erlebt. 
Dieſes iſt der unglückliche Zuſtand, in welchem ich mich be— 
finde, von allem entblößt, was mir Troſt geben könnte, und 
ſo hoffnungslos, daß ich wünſche, daß Gott mich als niedrigen, 
unbekannten Menſchen geſchaffen hätte, der keine Verpflich⸗ 
tungen auf ſich hätte, damit ich in eine Einöde gehen könnte, 
die niemals Menſchen bewohnten. Da ich Euch nun das mit⸗ 
geteilt habe, was niemals jemand aus meinem Munde erfahren 
ſoll, ſo will ich auch, daß Ihr das mit Euren eigenen Augen 
ſeht, was die meinigen verfinſtert, ohne Hoffnung, daß mir 
jemals ein Licht wieder leuchten werde. 

Er nahm eine Kerze mit dem Leuchter und rief mir zu, 
ihm zu folgen. Nachdem wir durch einen Teil des Gartens 
gegangen waren, öffnete er eine Tür, hinter welcher ſein 
ganzes Elend eingeſchloſſen war. Sogleich zeigte ſich mir 
einer der gräßlichſten Anblicke, den menſchliche Augen nur 
jemals geſehen haben. Ein Menſch, daliegend mit vielen 
Dolchſtichen im Körper, ein anderer erwürgt, die Seite auf— 
geriſſen, und das Herz auf einer Stufe der Leiter, ganz 
nahe dem ſchönſten Angeſichte, das die Natur je hervorgebracht 
hatte. Um aber den Schmerz noch eindringlicher zu machen, 
trug es ſich zu, daß, als die Tür ſich öffnete, einige Hunde 
mit uns hineinliefen, die, ſowie ſie dieſe ſeine unglückſelige 
Gattin erblickten, zu ihr ſprangen, um ihr Hände und Ant⸗ 
litz zu lecken und ihr ſo viele Liebkoſungen zu erzeigen, daß 
ſich mir die Augen und dem Manne Herz und Seele er— 


weichten. Als ich den Anlaß ſeiner Rührung wahrnahm, ſagte 
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ich zu ihm: Mein Herr, ich habe bis jetzt kein Wort zu 
226 


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62 


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Euch geſprochen, weil es mir angefichts Eures Seelenſchmerzes 
unziemlich vorkam und Ihr mir auch keine Erlaubnis dazu 
gegeben hattet. 

Jetzt aber, ſagte der Ritter, gebe ich Euch dieſe, damit Ihr 
alles ſagen könnt, was Euch nur gut dünkt. 

Da ich nun wegen ſeiner Rührung alle Furcht verloren 
hatte, ſprach ich folgendermaßen zu ihm: Ihr, mein Herr, 
habt mir geſtanden, daß das erſte Bild, welches durch die 
Liebe Eurer Gemahlin in Eure Seele drang, niemals erloſchen 
iſt und auch niemals wird erlöſchen können. Ihr habt mir 
ferner geſagt, daß dieſe Sache, ſei ſie nun wahr oder falſch, 
niemand gewußt hat, außer den beiden, die ſie nun nicht 
mehr bekannt machen können. Die Ehre und Schande der 
Menſchen beſteht aber nicht in dem, was dieſe von ſich ſelber 
wiſſen, ſondern in dem, was die Menge von ihnen weiß und 
ſagt; denn wenn die Menſchen glaubten, daß die Welt das, 
was ſie von ſich ſelber wiſſen, ebenſo kennte, wie ſie es kennen, 
ſo würden viele oder alle dahin gehen, wo kein Menſch ſie 
jemals erblickte. Mit dem Tode dieſer beiden habt Ihr alle 
möglichen Geſpräche darüber erſtickt. Eure Gattin lebt noch 
und iſt vielleicht ohne Schuld; denn ſo oft Ihr ſie habt töten 
wollen, haben Euch die Kräfte dazu verſagt. Ich füge nichts 
weiter hinzu, als daß Ihr über die Rührung nachdenken mögt, 
welche die Liebkoſungen und Schmeicheleien, die dieſe Hunde 
ihr erweiſen, in Euch erregt haben. 

Bevor noch der Gatte ein Wort ſagen konnte, ſtrengte ſie 
ſich an, und mit einer matten Stimme, die aus der tiefen 

Bruſt wie aus einem Grabmale ertönte, ſagte ſie: Herr 
Soldat! Verſchwendet nicht Worte vergeblich; denn ich ſoll 
weder leben, noch möchte ich um alles, was die Sonne be— 
ſcheint, ihr Licht jemals wieder anſchauen. Doch wenn Ihr 
einmal, entſetzt von dieſer gräßlichen Begebenheit, auf den 
15° 227 


Gedanken kämt, fie zu erzählen, follt Ihr die Wahrheit 
erfahren, damit Ihr nicht die Grauſamkeit meines Gatten 
verdammt, noch die Schande verbreitet, die ich nicht verdiene. 
Dieſe beiden Menſchen haben mit Recht den Tod verdient, 
welchen ſie empfingen. Jener auf dem Boden, weil er etwas 
ſagte, was er nicht geſehen hatte, noch ſehen konnte. Dieſer 
Gehenkte nicht für das, was er getan hat, ſondern für das, 
was er als ein Verräter tun wollte, undankbar gegen die un⸗ 
zähligen Wohltaten, die mein Herr und Gemahl ihm erzeigt 
hatte; wobei er mit ſolcher Liſt zu Werke ging, daß ich 
glaubte, er ſei im Bunde mit einem böſen Geiſte; denn ich 
fand ihn in meinem Zimmer, ohne zu begreifen, wie er 
hineingekommen ſei, außer daß ich ihn hinter einem Gemälde 
vortreten ſah, und als ich ihn fragte, was er wolle, ant— 
wortete er mir: mich während der Abweſenheit meines Ge— 
mahls unterhalten. Ich ſagte ihm über ſeine Anmaßung kein 
böſes Wort, teils weil ich es nie gegen irgendjemand habe 
tun können, teils weil er, ſowie er meine Feſtigkeit ſah, 
mich mit jeder unanſtändigen Rede verſchonte. Wenn mein 
Herr und Gemahl mich aber deshalb anklagt, daß ich ihn 
nicht davon benachrichtigt habe, ſo antworte ich, daß, ſobald 
ich ihn nur in der kleinſten Anwandlung des Zornes ſah, 
ich immer allen Mut verlor, bis ſie vorüber gegangen war, 
wieviel mehr nun, ihm etwas zu hinterbringen, was ihm 
fo tief in die Seele ſchneiden mußte? Aber für kein König⸗ 
reich der Welt wäre ich imſtande geweſen, meine Ehre und 
das Bett meines Herrn und Gemahls zu beflecken. Um des 
Erbarmens willen, das ich an Euch wahrgenommen, und um 
der Wahrheit willen, die ich Euch geſagt habe, flehe ich Euch 
an, daß Ihr ihn nicht bitten mögt, mir das Leben zu ver— 
längern, ſondern daß er meinen Tod abkürze, damit ich ſo— 
gleich gehen könne, dies mein Martyrium Gott zu klagen. 
228 


Von dem Augenblicke, in welchem die Unglückſelige zu 
ſprechen anfing (die ebenſo ſchön als elend war), vergoß der 
Mann einen Strom von Tränen, und als ich dies wahrnahm, 
fragte ich: Was denkt Ihr nun, Herr Ritter? 

Worauf er mir ſchluchzend antwortete: Daß ebenſo, wie ich 
Euch Erlaubnis gab, zu ſprechen, ich Euch jetzt die gebe, das zu 
tun, was Ihr für das Beſte für mich haltet. 

Alsbald nahm ich meinen Dolch und durchſchnitt die Bande 
der ſchönen, aber geſchwächten Glieder, die ſo entkräftet waren, 
daß die Frau ſich nicht aufrecht halten konnte, ſondern auf 
meine Bruſt ſank, worauf ſie ſich auf den Boden ſetzte, um 
ſich gleichſam von der großen Marter zu erholen, die ſie er— 
duldet hatte. Der Mann ließ ſich kniend vor ihr nieder, 
und ihr die Hände und Füße küſſend, ſagte er: O du meine 
Gemahlin und Gebieterin, da ich dir nichts zu vergeben habe, 
ſo flehe ich von dir Vergebung mit der unterwürfigſten Demut. 

Sie konnte nichts antworten, denn ſie wurde vor Ermattung 
ohnmächtig, ſo daß ich glaubte, ſie würde ſterben. Der Mann 
ſprang auf und brachte viele ſtärkende Sachen herbei, durch 
welche ſie, die eben bleich wie eine Lilie geweſen war, wieder 
wie eine Roſe aufblühte, und indem ſie zwei unendlich ſanfte 
graue und helle Augen aufſchlug, ſagte ſie zu ihrem Manne: 
Warum, mein Herr, wollt Ihr mich wieder in dies elende 
Leben zurückbringen? — Damit das meinige nicht zugrunde 
gehe! antwortete er; und wir beide nahmen und trugen ſie 
in ihr Zimmer, wo ſie ſo viel Stärkungen und Mittel brauchen 
mußte, daß endlich ihr Leben wieder geſichert war. Von 
allem, was in dieſer Nacht vorging, war kein einziger von 
den Dienern Zeuge. 

Am Morgen bat ich ihn um die Erlaubnis, gehen zu dürfen, 
um meine Reiſe fortzuſetzen; aber er ließ mich zwanzig Tage 
nicht von ſich, was ich wohl nötig hatte, ſo ermüdet wie ich 

229 


von der Reiſe war, noch mehr aber von dem Entſetzen, das 
mir dieſe traurige Erzählung und der gräßliche Anblick er— 
regt hattens !. 

Ich war übrigens durch das, was ich gehört und geſehen 
hatte, ſo wenig zur Freude aufgelegt, der Vorfall erſchien 
mir ſo abſcheulich, daß ich, ſo ſehr mich auch beide baten, mein 
ganzes Leben hindurch oder wenigſtens eine geraume Zeit bei 
ihnen zuzubringen, mich doch unmöglich dazu entſchließen 
konnte. Indem ich aber ihre Einladung abſchlug, ſagte ich, 
daß ich mit der größten Dankbarkeit für ihre Güte abreiſte, 
wobei ich den Ritter ſehr wegen der Feſtigkeit lobte, mit 
welcher er ſeiner Ehre hatte genug tun wollen; ſie aber wegen 
ihrer Tugend und der Erhaltung ihres guten Namens. Wäh⸗ 
rend meines Aufenthalts dort ſah ich auch, warum der Mann 
in jenes holdſelige und himmliſche Weſen ſo verliebt war; 
denn ihr ſittſamer Anſtand, vereinigt mit der Schönheit des 
Geſichts, mit dem edelſten Wuchſe, mit dem fanften Cba: 
rakter und der Lieblichkeit der Gebärden, formten das herr— 
lichſte Bildnis der weiblichen Vollkommenheitss. 

Um jedem Argwohne zuvorzukommen, den ſie vielleicht 
gegen mich faſſen könnten, und ſie in guter Stimmung zu 
verlaſſen, gab ich ihnen mein Wort, zu ihren Dienſten und 
zu ihrer Freundſchaft zurückzukehren, ſowie ich nur meine 
Geſchäfte in Venedig beendigt hätte, und unter dieſer Be⸗ 
dingung ließen ſie mich reiſen. Denn ſo wie ich die Furcht 
hatte, daß mir von ihnen irgend etwas Böſes geſchehen könne, 
ſo fürchteten ſie wieder von mir, daß ich vielleicht erzählen 
möchte, was ich dort geſehen hätte. Endlich beurlaubte ich 
mich von ihnen, wobei ſie mir viele Freundlichkeit und großes 
Wohlwollen bezeigten. Ich trat meinen Weg an, indem ich 
mich Gott empfahl, noch voll Grauen über dieſe Geſchichte, 
und ich war froh, daß ich mich wieder in Freiheit ſah. Ich 
230 


hatte mich ungefähr eine Meile vom Garten entfernt, indem 
ich noch oft den Kopf umdrehte, bis ich ihn aus dem Ge: 
ſichte verlor, in welchem Augenblicke ich mich ſchon hundert 
Meilen weit entfernt dünkte, als ich zwei Menſchen zu Pferde 
entdeckte, die mir mit der größten Eile nachritten. Ich ſah 
umher, ob ſich in der ganzen Ebene dort nicht ein Dorf oder 
Haus zeige, wo ich Schutz ſuchen könne, aber ich entdeckte 
nichts, wohin ich fliehen konnte; denn ich war nun über— 
zeugt, daß jene es doch noch bereut hätten, mich fortgehen 
zu laſſen, da ich ein Zeuge des ganzen Vorfalls geweſen war. 
Ich bat Gott um ſeinen Beiſtand, denn je näher die Reiter 
mir kamen, deſto größer wurde meine Furcht. Als ſie ſchon 
ziemlich nahe waren, ſchien es mir gut, ſtehen zu bleiben, 
um zu ſehen, was ſie wollten. Mit der widerwärtigſten Art 
kamen ſie nun heran und riefen: Haltet, Herr Soldat! Ich 
antwortete: Ich ſtehe ſchon, um zu erfahren, was Euch ge— 
fällig iſt! Es waren zwei Männer, die zwei Musketen und 
große Jagdmeſſer trugen; ihre Geſichter waren verbrannt, ihre 
Reden ſo unfreundlich, daß man ſie in dieſem Lande nur 
einem Spanier, noch dazu wenn er allein und zu Fuß war, 
bieten konnte. Auf meine Frage antworteten ſie mir in höchſt 
unangenehmem Tone: Uns beliebt nichts! Hinter uns kommt 
einer, der ſagen wird, was beliebt. Durch welche Worte ſie 

meinen Argwohn beſtätigten und mich erzittern machten. 
Aber, meine Herren, fragte ich wieder, worin habe ich 
mich gegen den Herrn Aurelio vergangen, daß Ihr mich auf dieſe 
Weiſe behandelt? — Er wird's ſagen, antworteten ſie. Ich ſagte 
wieder: Laßt mich meinen Weg fortſetzen, meine Herren. Wor— 
auf der eine rief: Bleibt ſtehen, wenn Ihr nicht ein paar 
Kugeln in den Leib haben wollt! Nun ſah ich, daß mit 
Höflichkeit nichts auszurichten war, worauf ich bei mir ſelber 
folgende Rechnung machte: Wenn dieſe gekommen ſind, mich 
231 


umzubringen, fo wird meine Höflichkeit wenig fruchten; wollen 
ſie mich aber nicht töten, ſo ſollen ſie mich auch nicht für 
feige halten. Sowie ich alſo von den Kugeln gehört hatte, 
zog ich den Degen und ſagte: Wenn ihr ſchießt, ſo trefft 
auch gut, ſonſt, beim Leben des Königs von Spanien! werde 
ich den Pferden die Sehnen ER und euch in Stücke 
hauen! 

Spaniſche Großſprecherei! ſagte einer von ihnen. Indem 
kam der Ritter in ſchönem Paßgang herangeritten, und als er 
den Degen ſah, fragte er, was es gebe. Worauf ich antwortete: 
Ich weiß nicht, worauf ſich eine ſo ungerechte Abſicht gründen 
kann, daß man dem den Tod geben will, der das Leben zu 
geben geſucht hat. 

Ich verſtehe dieſe Sprache nicht, ſagte der Ritter. Die 
Diener antworteten: Gnädiger Herr, Ihr ſchicktet uns nach, 
ihn aufzuhalten; als er aber doch fortgehen wollte, drohten 
wir ihm mit einer Piſtole, worauf er uns und unſere Pferde, wie 
er ſagte, in Stücke hauen wollte. 

Worauf der Ritter antwortete: Ich ſandte euch nach, ihn 
aufzuhalten, aber nicht, um ihm Übles zu tun, ſondern um 
ihm Gutes zu erweiſen; und ich wundere mich nicht, daß, 
wenn zwei zu Pferde und mit Waffen einen Wanderer zu 
Fuß ſchlecht behandeln wollen, der allein und ein Mann von 
Ehre iſt, er ſich zu dergleichen und zu noch mehr erkühnt. 
Steigt vom Pferde und gebt dieſe Muskete dem ſpaniſchen 
Soldaten und begleitet ihn bis Venedig; ſchickt er euch von 
dort zurück, ſo kommt, behält er euch, ſo bedient ihn. Und 
zu mir gewandt fuhr er fort: Herr Soldat, die Verwirrung, 
die meine Leiden mir verurſachten, hat mich verhindert, meine 
Schuldigkeit gegen Euch zu erfüllen; meine Gattin aber, mit 
ihrem weichen Herzen Euer Mitleid verehrend, welches meine 
Härte vergeſſen hatte, ſchickt Euch in dieſer Börſe hundert Taler 
232 


Reiſegeld und dieſes Juwel, das fie felber getragen hat, ein 
Kreuz von Gold, Smaragden und Rubinen; ſie hegt aber 
dabei die Hoffnung, den wiederzuſehen, der ſo großes Blut— 
vergießen verhindert hat. 

Ich warf mich ihm zu Füßen und dankte ihm für ſo 
viele Güte und Ehre, ſtieg dann auf mein Pferd und nahm 
den als Bedienten mit mir, der mich hatte umbringen wollen. 

Ich kam nun nach Venedig, in meinen Gedanken ſo reich, 
daß ich die ganze Stadt kaufen konnte. Ich befahl meinem 
Pferdeknecht, daß er mich in ein ſehr gutes Wirtshaus führen 
ſolle, da er in der Stadt bekannt war. Als ich in dem Hauſe 
abgeſtiegen war, konnte ich es noch immer nicht über mich 
gewinnen, ihn fortzuſchicken; denn ich behielt ihn ebenſo gern, 
wie er aus Neigung bei mir blieb. Ich ruhte dieſe Nacht 
aus, und am Morgen ſchickte ich ihn zurück. 


Achtes Kapitel. 


Ich betrachtete mit Verwunderung die Größe dieſer Repu— 
blik. Da fie fo reich und berühmt iſt, glauben die Menſchen 
dort ſich über jede andere Nation erheben zu können; doch 
äußert ſich dies nicht in der Art, wie ſie ſich tragen; denn 
dieſe iſt ſo wenig imponierend, daß, wer die Menſchen nicht 
kennt, ſie nicht für das halten würde, was ſie ſind. Was 
ihre Eitelkeit betrifft, ſo trug ſich eine lächerliche Begeben— 
heit zwiſchen einem Venezianer und Portugieſen zu. Letzteres 
Volk vergöttert gleichſam ſich ſelbſt und achtet den ganzen 
Reſt der Welt für nichts. Als ich nämlich eines Tages über 
eine kleine Brücke ging, die ſie die Bragadin-Brücke nennen, 
hörte ich hinter mir einen Magnifiko kommen und trat zur 
Seite, um ihm meine Achtung zu bezeigen, wie dieſe Herren 
es verlangen. Von der anderen Seite der Brücke kam ein 
Portugieſe von großer Geſtalt, der nach dem Horizonte blickte. 

233 


Er trug Handſchuhe von Fiſchotterfell und ſehr dicke, faltige 
Stiefel. Als ſie auf die Mitte der Brücke kamen, erwartete 
der Magnifiko mit Recht, daß der Portugieſe ihm ausweichen 
ſollte, da er hier zu Hauſe war; der Portugieſe aber verlangte 
dasſelbe, weil er hier der Fremde war. Auf der Mitte der 
Brücke ſtießen beide mit majeſtätiſchem Anſtande aneinander; 
um nicht in das Waſſer zu fallen, drängte der Portugieſe, 
und der Magnifiko durfte aus demſelben Grunde nicht zur 
Seite weichen. Beide fielen hin; der Magnifiko, der ſchwach 
auf den Beinen war, auf den Rücken, der Portugieſe auf den 
Bauch, und es fehlte nicht viel, ſo wären beide ins Meer ge— 
ſtürzt. Der Portugieſe ſtand auf und wiſchte ſich den Staub 
mit den Handſchuhen von Otterfell ab, der Magnifiko die roten 
Beinkleider und den Rücken. Nachdem ſich beide abgeſtaubt 
hatten, blieben ſie ſtehen, um einander anzuſehen, und als ſie 
ſich eine Weile ſtaunend betrachtet hatten, ſagte der Magnifiko 
zum Portugieſen: Weiß man nicht, che sono Veneziano und 
Edelmann patrizio? Der Portugieſe antwortete mit demſelben 
Tone: Und Ihr nicht wiſſen, daß ich ſein Portugues und 
Fidalgs vom Degen? Der Venezianer ſagte mit großer 
Verachtung: Verzieh er ſich ins Bordell, er Bock, er Hahn⸗ 
rei! Und der Portugieſe ſtampfte mit dem Fuße und 
antwortete: Und wackelt Ihr zum Galgen! — Jeder ging 
nun ſeines Weges und wandte den Kopf zurück, der 
Magnifiko deutete mit dem Finger nach dem Portugieſen 
und ſprach laut lachend: Nicht tu' ich's, Dummkopf! Der 
Portugieſe ſagte auf dieſelbe Art: Ich auch nicht, Schafs⸗ 
kopf! — So daß ich nicht entſcheiden konnte, welcher von den 
beiden der Törichtſte und Hochmütigſte war. Anmaßender war 
wohl der Portugieſe, da er ſich in einem fremden Lande be— 
fand, und wo die Spanier ſo wenig geliebt werden, daß die 


Venezianer, wenn ſie ihre Stadt loben, zu ſagen pflegen, 


234 


daß es darin weder Hitze noch Kälte gebe, weder Kot noch 
Staub, keine Fliegen, nicht einmal Mücken, weder Läuſe noch 
Flöhe, ja auch nicht einmal Spanier. Sie ſind ſo erfinderiſch, 
daß für die Dinge, welche ſie lieben und bedürfen, es keine 
Lobeserhebung gibt, deren ſie ſich nicht bedienten; für das 
hingegen, was ihnen zuwider iſt, finden ſie keinen Ausdruck 
zu unanſtändig, um ihn zu gebrauchen. Einſt wollte ein Edel: 
mann einen Fiſch kaufen und fragte den Fiſcher, den er nicht 
kannte, in den zärtlichſten und liebevollſten Ausdrücken nach 
ſeiner Frau und ſeinen Kindern; er ſagte ihm dabei, er ſei ein 
ganz vortrefflicher Mann. Da ihm dieſer aber den Fiſch nicht 
für den Preis, den er ihm bot, überlaſſen wollte, nannte er 
ihn einen Hahnrei, ſein Weib eine Metze und ſeine Kinder 
Baſtarde. Ich hatte noch oft Gelegenheit, zu bemerken, wie 
ſich die Venezianer wegen ihres Alters und ihrer Macht für 
die erſte Nation in der Welt halten. 

Ich ging zur Mittagszeit in meine Herberge, und kaum 
hatte ich angefangen zu eſſen, als man mir fagte, daß eine vor= 
nehme Dame in einer Sänfte komme, die wahrſcheinlich mich 
aufſuche; denn ſie frage, ob der ſpaniſche Soldat hier wohne? 
Da ich der einzige Spanier im Hauſe war, ſtand ich auf, um 
zu ſehen, was ſie mir zu befehlen habe. Die Dame ſtieg aus 
der Sänfte; ſie war reizend, ſchön gewachſen und nicht weniger 
gut gekleidet. Mit vielen ſüßen und freundlichen Worten hieß 
ſie mich willkommen, wodurch ich in Verwirrung geriet; denn 
ich war der Meinung, ſie halte mich für einen anderen. Des— 
halb ſagte ich: Signora, ich halte mich eines ſo edlen und 
vornehmen Beſuches für unwürdig und bitte Euch, daß Ihr 
wohl überlegen möget, ob ich derjenige bin, den Ihr ſucht. 
Sie antwortete, indem ſie mich umarmte, mit großer Freund— 
lichkeit: Herr Soldat, ich weiß ſehr wohl, wen ich ſuche und 
wen ich gefunden. Ich bin die Signora Camilla, die Schwer 

235 


fter des Signor Aurelio, von dem ich geftern abend einen 
Brief erhielt, in welchem er mir anbefiehlt, Euch zu beher— 
bergen und zu bewirten, nicht als einen Fremden, ſondern als 
ob er es ſelbſt wäre; ſolange, als es Euch gefällt, in Venedig 
zu verweilen. — Ich antwortete: Wohl glaube ich, daß ein 
ſo edler Ritter mir nur Gutes erzeigen kann; und alles, was 
mir durch eine ſo ſchöne und verſtändige Dame zukommt, kann 
nur zu meinem Glück gereichen. — Nun wohl, ſprach ſie, ſo 
folgt mir denn; obwohl ich den ganzen Morgen vergeblich 
Eure Wohnung geſucht habe, ließ ich doch in der meinigen 
den Befehl zurück, daß man ein Mittagsmahl bereiten ſolle, 
wie es ſich für einen ſolchen Mann geziemt. Als ich mich ent⸗ 
ſchuldigen wollte, weil das Eſſen für mich hier ſchon bereitet 
war, ſagte ſie, ich müſſe durchaus der Anordnung ihres Bru— 
ders folgen. Nachdem ich im Wirtshauſe bezahlt hatte, was 
ich ſchuldig war, ging ich mit ihr, ohne länger an der Wahr— 
heit ihrer Worte zu zweifeln; doch fürchtete ich, es könne ein 
liſtiger Streich ihres Bruders fein, um in Venedig das auszu— 
führen, was ihm auf ſeinem Landhauſe nicht gelungen war. 
Sie führte mich aber mit ſo vielen Bezeigungen der Freude 
und des Wohlwollens nach ihrem Hauſe, daß jeder Argwohn 
mir entwich. Wir traten in einen wohl eingerichteten Saal, 
wo die Tafel bereitet und mit auserleſenen Gerichten beſetzt 
war, denen ich wohl zuſprach, weil ich wahrlich Bedürfnis 
danach hatte. Auch waren die Speiſen ſehr gut zubereitet, 
und die Signora Camilla legte mir alles ſelbſt mit ihren 
weißen Händen vor, indem ſie nicht aufhörte, zu erzählen, 
mit welchem Nachdruck ihr Bruder, der Signor Aurelio, ihr 
anbefohlen habe, mein zu pflegen. Nach dem Eſſen zog ſie 
einen Brief hervor, der von Aurelio unterzeichnet war und 
folgendermaßen lautete: Ich bin beſorgt wegen eines fpa= 
niſchen Soldaten, meines Gaſtes, deſſen Waffentaten es be⸗ 
236 


wieſen haben, daß er ein ausgezeichneter Mann iſt; ich konnte 
ihn nicht beſchenken, wie ich es gewünſcht hätte, obgleich ihm 
deine Schweſter, meine Gemahlin, einen mit Ambra durch— 
räucherten Beutel mit hundert Talern und ein goldenes Kreuz, 
mit Rubinen und Smaragden beſetzt, auf dem Wege nachge— 
ſchickt hat. Ich vermochte für jetzt nicht mehr. Suche ihn auf, 
beherberge und bewirte ihn, als wenn ich ſelbſt es wäre; laß 
ihn während der Zeit, die er in Venedig zubringt, nichts aus— 
geben, und wenn er zurückkehren will, ſo gib ihm das Nötige 
für den Weg. Die Unterſchrift des Briefes überzeugte mich 
völlig von der Wahrheit deſſen, was die Signora Camilla mir 
geſagt hatte, und daß alles, was ich ſchon empfangen hatte 
und noch empfangen ſollte, von dem großen Ritter Aurelio 
komme. Sie ſagte, mein Gepäck oder Mantelſack ſolle in 
ihr Haus gebracht werden; denn ſolange ich in Venedig ſei, 
ſolle ich nie anderswo ſchlafen und eſſen, und ganz auf ihre 
Koſten leben. Ich dankte ihr verbindlich und verſicherte, daß 
ich kein Gepäck mit mir habe, und nichts anderes bringen 
könne, als meine liebenswürdige Perſon, und ſie befahl einer 
Dienerin, einen kleinen Koffer für mich zu holen. Dieſe brachte 
einen, der auf die zierlichſte Art gearbeitet war. Die Dame 
gab mir den Schlüſſel und ſagte, ich ſolle meine Papiere 
darin verwahren, weil es in Venedig viele Diebe gäbe. Ich 
freute mich über den kleinen Koffer und verſchloß meine Pa— 
piere, mein Geld und das Kleinod darin, das ſie mit großem 
Vergnügen betrachtete und tauſendmal küßte, weil es von ihrem 
Schwager war, den ſie, wie ſie ſagte, unbeſchreiblich liebte. 
Ich zog den Schlüſſel ab und bat fie, mir das Käſtchen aufzu: 
heben. Sie ſagte, ich möge es behalten, für den Fall, daß 
ich Geld brauchte, obwohl ich deſſen, ſolange ich in Venedig ſei, 
nicht bedürfe. Ich antwortete, ich möge es bedürfen oder 
nicht, ſo ſei es bei ihr beſſer aufgehoben als bei mir. Da ich 

237 


in fie drang, brachte ich ſie endlich, obwohl mit Mühe dahin, 
es an ſich zu nehmen. Am Abend erhielt ich wieder ein köſt— 
liches Mahl, das ſie mit ihrer lieblichen Gegenwart ſchmückte, 
denn ſie war in der Tat ſehr ſchön. Ich war in der Nacht ſehr 
vergnügt, weil ich auf die Koſten einer ſo edlen Dame ſo gut 
geſpeiſt hatte. | 


Neuntes Kapitel. 


Am anderen Morgen befuchte fie mich, erkundigte ſich nach 


meinem Befinden und bat mich, wenn ich irgend etwas be— 
dürfe, es frei zu begehren; ſie gehe nur, um einer vornehmen 
Dame ihre Aufwartung zu machen, und wenn ſie zum Mittag⸗ 
eſſen nicht zurückkehre, ſo würden ihre Diener und Diene⸗ 
rinnen mir aufwarten. Sie kam nicht zum Eſſen, und ich 
ſah ſie den ganzen Tag nicht wieder. Ich wartete bis zum 
Abend; ſie kam nicht. Ich konnte einige Beſorgnis nicht 
unterdrücken und überlegte hin und her, ob dies wohl ein 
Betrug oder Fallſtrick ſein könne; denn ſie ſelbſt hatte mich 
gewarnt, ich möchte in Venedig keiner Frau vertrauen, ſo vor⸗ 
nehm ſie auch ſcheine, denn ſie würden mich hintergehen. Wenn 
ich dann wieder überlegte, wie ſie doch die Kennzeichen in 
jenem Briefe auf keinem anderen Wege erhalten konnte, als 
durch Aurelio ſelbſt, beruhigte ich mich wieder. Am anderen 
Tage, als ſie mich zu der Stunde wie den Tag vorher 
nicht beſuchte und auch lange nachher nicht kam, fragte ich 
eine Dienerin des Hauſes, ob die Signora Camilla aufgeſtanden 
ſei; und dieſe antwortete mir, daß es eine ſolche Frau im 
Hauſe nicht gäbe. Ich tat dieſelbe Frage noch einmal, und 
ein anderer Diener, der es hörte, trat hinzu und fragte mich, 
was ich bei ihr wolle; ſie ſei ausgegangen, um eine kranke 
Freundin zu beſuchen. Ich tat, als wenn ich mich beruhigte 
238 


und fragte einen anderen Diener, ob dies Haus ihr gehöre; 
der antwortete mir aber, er wiſſe nichts weiter, als daß ſie 
dieſen Saal für einen vornehmen ſpaniſchen Herrn gemietet 
habe. Ich ſchwieg und ging in mein erſtes Wirtshaus, um 
mich zu erkundigen, ob ſie dort die Dame kannten, welche ge— 
kommen war, mich aufzuſuchen, oder ob ſie wüßten, wo ſie 
ſich aufhalte; und einer antwortete mir ſogleich: Niemand 
kann Euch ihre Wohnung beſſer ſagen, als der, mit welchem 
Ihr hierher kamt und durch welchen Ihr das Pferd fortſchicktet; 
denn er war bei ihr und zeigte ihr Eure Wohnung. Auch 
iſt die, welche Ihr für eine vornehme Dame haltet, eine ge— 
meine Perſon, die von Betrug und Spitzbübereien lebt. Ohne 
ein Wort zu erwidern, ging ich fort, in Verzweiflung, mich 
ſo meines Geldes, meiner Kleinodien und Papiere beraubt 
zu ſehen, durch die Schelmerei meines Begleiters, der ihr die 
Beſchreibung deſſen, was ich bei mir hatte, gab, woraus ſie 
den Brief ſchmieden konnte, den fie mir zeigte 56. Da ich aber 
bedachte, wie ſie ſelbſt mich vor dem Streich, den ſie mir ſpielte, 
gewarnt hatte, mäßigte ich mich und wollte verſuchen, ob ich 
das Meinige in dem Gaſthauſe, in das ſie mich gebracht hatte, 
wieder erhalten könne. Als ich den Burſchen, der es mit ihr 
hielt, fragte, ob die Signora Camilla noch nicht zurückgekehrt 
ſei, antwortete er mir: Herr, ſie war ſoeben hier, und da ſie 
Euch nicht fand, kehrte ſie zu der Kranken zurück; aber wenn 
Ihr ſie ſprechen wollt, ſo ſagt es, und ich gehe gleich, ſie zu 
rufen. Ich wünſchte, antwortete ich, daß ſie mir einige 
meiner Papiere geben möge, aus denen ich beweiſen kann, 
wer ich bin; denn ich habe hier einen Wechſel auf zweihundert 
Taler, die ich von einem Bankier bekommen ſoll, und ohne 
jene Papiere kann ich das Geld nicht abheben. Der Diener 
ſagte: So will ich gleich gehen, ſie davon zu benachrichtigen. 
Während er fort war, fälſchte ich den Wechſel mit Hilfe des 

239 


Signalements des Paſſes, den ich mir in Mailand hatte aus: 
ſtellen laſſen. 

Kaum hatte ich den falſchen Wechſel geſchrieben, als meine 
gnädige Dame Camilla außer Atem gelaufen kam; denn ſie 
hoffte die zweihundert Taler mit dem übrigen zu erhaſchen. 
Ich trug ihr mein Anliegen vor und zog den Wechſel aus dem 
Buſen. Als ſie ihn ſah, ſchickte ſie ein Mädchen nach dem 
Käſtchen. Ich kehrte vom Tode zum Leben zurück und bat 
die Signora, einen Ritter kommen zu laſſen, dem ich die Vol: 
macht geben könne, jenen Wechſel zu heben; denn ich wolle 
nicht gern, daß der ſpaniſche Geſandte ihn ſähe, weil er mich 
kennte. Sie führte einen ihrer Schelme zu mir, der ſehr gut 
gekleidet war, und von dem ſie ſagte, er ſei ein vornehmer 
Herr. Ich wollte nach einem Schreiber ſchicken, um die Voll— 
macht aufſetzen zu laſſen; die Signora Camilla aber, um ſich 
mir gefällig zu zeigen, wollte dies ſelbſt beſorgen. Sie gingen 
aus, einen ſolchen zu holen; ich aber nahm mein Käſtchen, 
beſtellte mir einen Platz auf einer Barke und ging dann in 
das Wirtshaus zurück, wo ich die Signora und den Spitz⸗ 
buben ſchon mit dem Schreiber traf. Ich gab ihnen den Wechſel, 
die Vollmacht und das Papier mit den Kennzeichen, worüber 
ſie ſehr erfreut waren. Ich war es aber noch weit mehr, und 
weil es ſchon ſpät war, bat ich ſie dringend, die zweihundert 
Taler den anderen Morgen bei guter Zeit abzuholen, weil ich 
der Signora Camilla ein großes Geſchenk zu machen dächte. 
Ich wollte den Schreiber bezahlen; ſie ließ es aber nicht zu. 
Sie gingen, und ich bat ſie noch einmal, das Geld recht früh 
zu heben. Als ſie auf der Gaſſe waren, ſah ich zum Fenſter 
hinaus; denn ſowie ſie aus dem Geſichte waren, wollte ich 
ebenfalls das Haus verlaſſen. Der Schelm wandte den Kopf | 
um und lachte über den Streich, den ſie mir ſpielten. Als ſie 
mich ſahen, befahl ich ihnen noch einmal Eile an, worüber beide 
240 


lachten; denn da ich ihnen früher das Käſtchen einfältiger— 
weiſe gegeben hatte, glaubten ſie, daß es ihnen immer ſo 
gelingen würde. Als ich ſie nicht mehr ſehen konnte, nahm 
ich mein Käſtchen unter den Mantel und ging, um mich einzu— 
ſchiffen. Kaum war ich dreißig Schritte gegangen, als mir 
jener Diener der Signora Camilla begegnete und mich fragte, 
wohin ich ſo eilig ginge. Ich antwortete ihm, ich wollte ſeiner 
Gebieterin dies Käſtchen bringen; ſie habe ſich eben von mir 
getrennt und ſei jene Gaſſe hinuntergegangen; wobei ich 
ihm eine Richtung angab, in welcher er ſie, wenn er auch die 
ganze Nacht ſuchte, nicht treffen konnte. Er ſagte: So will 
ich es ihr zu wiſſen tun, kehrt nur in das Wirtshaus zurück. 
Er verfolgte jene Gaſſe, und ich ging nach dem Fahrzeuge, 
das mich erwartete und ſo guten Wind hatte, daß wir bei 
Anbruch des Tages ſchon dreißig Meilen von Venedig entfernt 
waren. Ich erzählte den Paſſagieren einiges von dem, was 
mir begegnet war, und ſie errieten aus den Umſtänden und 
der Art und Weiſe des Betruges, wer jene Dame ſein könnte. 
Als ſie aber hörten, wieviel Geld ſie ausgegeben hatte, um 
mich zu bewirten, freuten ſie ſich ſehr, und nahmen ſich vor, 
es in Venedig zu erzählen. 


Zehntes Kapitel. 


Ich begab mich in ſo großer Eile auf dieſe Reiſe, nicht 
ſowohl, um ein beſtimmtes Ziel zu erreichen, als um der 
Betrügerin und ihrer Verfolgung zu entrinnen. Deshalb mußte 
ich meinen Weg auch mehr, als mir lieb war, verlängern, um 

dahin zu gelangen, wohin ich wollte. Unter den Mitreifen: 
den war einer, der mir ſagte, er ſei entflohen, weil ſich eine 
ſchwere Klage gegen ihn erhoben habe, und er wolle das 
Waſſer dazwiſchen laſſen, bis entweder die Wahrheit an den 
Tag komme, oder das Böſe, das man ihm ſchuld gebe, ver— 
16 f 241 


geſſen ſei. Ich fagte ihm: Ich halte es für einen großen Irr⸗ 
tum, das Angeſicht abzuwenden und den Rücken darzubieten, 
damit er die Streiche empfange, welche blutige und unheilbare 
Spuren zurücklaſſen werden. Denn ſolange der Angeklagte 
gegenwärtig iſt, wird jeder eher an ſeiner Schuld zweifeln, 
als ſeinen guten Namen zu beflecken wagen; nichts kann im 
Gegenteil das Vergehen mehr bekräftigen, als die Flucht. Wenig 
achtet der ſeiner Ehre, welcher nicht die Wunden ſcheut, die 
ihm die Zunge des Abweſenden ſchlägt. Niemand iſt fo recht— 
ſchaffen, daß er nicht dennoch einen Feind haben ſollte, und 
um dieſem nicht Gelegenheit zu geben, daß er Raum gewinnen 
kann, ſoll er ſich nicht von ihm entfernen; denn die Übel— 
geſinnten nehmen aus jedem Sonnenſtäubchen Anlaß, die Mei⸗ 
nung der Welt zu vergiften gegen den, den ſie haſſen. Mit 
dieſen und andern Gründen beredete ich ihn, nach Venedig 
zurückzukehren, was mir ſehr wichtig war; denn da wir nur 
an der Küſte hinfuhren, ſtiegen wir bei dem erſten Orte, den 
wir ſahen, ans Land. Wir waren der Lombardei nahe, von 
wo ich meinen Weg nach Genua nahm, und er nach Venedig. 
Für den guten Rat, den ich ihm gegeben hatte, erſparte ich mir 
mehr als zweihundert Meilen; denn ſo weit iſt es zu Waſſer 
von Venedig nach Genua. Hier hoffte ich Don Fernando 
von Toledo, den Oheim, zu finden. Ich reiſte aber in der 
Nacht, obgleich ſie ſehr ſtürmiſch war, ſo ſchnell, daß ich ihn 
ſchon in Savona erreichte, als er eben abreiſen wollte. Ich 
wurde ſehr freundlich empfangen, was mir bei der Melan— 
cholie, die mich beherrſchte, wohltat; dieſe entſtand haupt⸗ 
ſächlich durch die Flüſſe und Rheumatismen, die mich immer 
verfolgt und hypochondriſch gemacht haben. Wir richteten unſern 
Lauf nach Spanien und ließen die Küſten von Piemont und 
Frankreich zur Rechten, die damals unſicher waren, wegen 
der umherſtreifenden Rotten, die nicht durch das Geheiß ihres 
242 f 


Königs, fondern nur durch eignen Mutwillen beherrſcht wurden. 
Wir legten nur unſerer Bedürfniſſe wegen an den Küſten an, 
die uns die bequemſten zum Landen ſchienen, und ließen die 
elf Fahrzeuge, auf denen wir reiſten, in Sicherheit und gutem 
Schutze zurück. Wir aßen und holten Waſſer und Holz. Ich 
hatte aus Genua einen Schlauch von zehn Maß, mit feinem 
griechiſchen Weine angefüllt, mitgenommen, der mir ſehr 
freundlich Geſellſchaft leiſtete, bis wir die Kuppen von Mar— 
ſeille erreichten. Dies ſind einige ſehr hohe und kahle Hügel, 
unfruchtbar, ohne Bäume, Gras und ohne irgend etwas Grünes, 
was das Auge erfreuen könnte. Als wir in dieſe Gegend kamen 
und die Reiſe nicht ohne Beſchwerden war, mein Fahrzeug 
aber das letzte, blieben wir in der Nähe eines dieſer Berge auf 
einer Sandbank ſitzen, die vom Schlage der Wellen ſehr groß 
geworden war. Sowie wir feſtſaßen, rief der Schiffshaupt⸗ 
mann aus: Wir ſind verloren! Da ich ſchwimmen konnte und 
das Ufer ſehr nahe war, zog ich mich zurück, warf mein Ober— 
kleid von mir, hing mir den Schlauch, der noch wenig Inhalt 
beſaß, wie ein Bandelier um, und nachdem ich vier bis ſechs 
Klafter geſchwommen war, erreichte ich den Fuß des Berges. 
Unterdeſſen hatte das Fahrzeug ſich losgemacht, und die Schiffer 
ſegelten weiter und bekümmerten ſich ſo wenig um mich, als 
ob ich ein Thunfiſch geweſen wäre. Zwar rief ich laut; doch 
entweder ließ das Geräuſch der Wellen meine Stimme nicht 
zu ihnen dringen, oder ſie wollten mich nicht hören, um ihrem 
Charakter treu zu bleiben, der gottlos und lieblos iſt und die 
menſchlichen Empfindungen ſo wenig kennt, als die Ungeheuer 


des Meeres ſie empfinden. Ich war verlaſſen und hatte keinen 


Tröſter als Gott und meinen heiligen Schutzengel. Was ſollte 
aus mir werden, wenn nicht zufällig ein Schiff vorbeikam, das 


mich aus meiner großen Not erlöſte. Ich harrte von acht Uhr 


morgens bis zwei Uhr nachmittags und hoffte immer noch auf 
16* 243 


Hilfe, weil ich darauf vertraute, daß jener große Ritter fich 
meines Jammers erbarmen würde; aber die Matroſen waren 
ſo grauſame Beſtien, daß ſie ihm ſagten, ich ſei ertrunken. Ich 
erquickte mich von Zeit zu Zeit aus meinem Schlauch, bis ich 
endlich mit mir einig wurde, was ich tun wollte. Ich faßte 
den Entſchluß, mich der Gewalt des Meeres zu überlaſſen, 
dieſem wilden, grauſamen und unerſättlichen Ungeheuer. Des⸗ 
halb zog ich mein Kollett von feinem Korduan aus, und mit 
Hilfe meines Dolches und zwei Dutzend ledernen Riemen, die 
ich auf Reiſen immer bei mir führte, nähte ich den vorderen 
Teil, die Armel und den Kragen ſo feſt zuſammen, daß ich 
ihn aufblaſen konnte, und die Luft darin blieb. Ich leerte den 
Schlauch von dem heiligen Safte, der noch darin war, und 
nachdem ich ihn auch mit Luft gefüllt hatte, benutzte ich ihn 
als Gegengewicht für das Kollett. Ebenſo machte ich es mit 


den Stiefeln, die, feſt mit den Kniebändern zuſammengeſchnürt, 


ebenfalls tragen halfen. Ich zog die Beinkleider aus, weil das 


Waſſer in die Taſchen eindringen konnte, und blieb im Hemde 
und Wams, das, da es von Gemſenleder war, die Feuchtigkeit 


nicht ſo leicht annahm. Nachdem ich mich ſo ausgerüſtet hatte, 


überlegte ich, daß die Wege die beſten ſind, auf welchen Gott 
uns leitet, und betete alſo zu ihm: Unendlicher Gott, Anfang, 
Mittel und Ende aller ſichtbaren und unſichtbaren Dinge, durch 
deſſen Allmacht Engel und Menſchen leben und erhalten werden, 
du weiſer Schöpfer der Elemente, der du ſo große Wunder 


gewirkt haſt mit deinen Geſchöpfen; der du den ſeligen Raimund, 


der ſich nur an ſeinem Mantel feſthielt, viele Meilen weit ficher | 
durch das Waſſer geführt haſt, und an dieſer nämlichen Stelle 
die empörten Wellen, die das ganze Fahrzeug faſt ſchon ver⸗ 
ſchlungen, auf die Bitte deines Dieners Franziskus von Paula 


beruhigteſt und die Menſchen vom Tode befreiteſt: durch die 


Geburt, den Tod und die Auferſtehung deines allerheiligſten 


244 


I 
I 


| 


Sohnes, unſers Erlöſers, bitte ich dich, daß du nicht zulaſſen 
mögeſt, daß ich in einem andern Elemente als meinem mir 
angewieſenen, ſterbe. Dann ſprach ich zu meinem heiligen 
Schutzengel, dem Gott die Sorge für dieſen Körper und dieſe 
Seele anvertraute: Ich bitte dich um des willen, der dich und 
mich erſchaffen hat, leite mich und ſtehe mir bei in dieſer Not. 
Nachdem ich dieſe Worte geſprochen hatte, breitete ich die 
Arme aus, ſtürzte mich guten Mutes in die Flut, auf das 
Kollett und den Schlauch geſtützt, und fing an, meine vier Ruder 
tapfer zu gebrauchen, doch nicht ſo, daß ich bald müde werden 
konnte; denn da die Schläuche mich trugen, ruderte ich ge— 
linde, damit nicht meine Kräfte der Ermattung weichen möchten. 
Ich wagte nicht, an die Tiefe des Meeres zu denken, die unter 
mir war, noch einen Augenblick auszuruhen; denn ich wußte, daß 
die gefräßigen Seetiere meinem Körper nicht nahen würden, 
ſolange er ſich bewegte. Und wenn meine Ruder ermüdeten, ließ 
ich ſie über dem Waſſer und vertraute das Schiff dem Himmel; 
auch ſtärkte ich mich einigemal mit dem Wohlgeruche, der aus 
dem Schlauche hervordrang, der meiner Naſe nahe war. Ich 
fing an zu beten, unterließ es aber wieder, weil mir der Atem 
fehlte, mit dem man bei ſolchen Gelegenheiten ſehr ſparſam 
umgehen muß. So ſchwamm ich eine Stunde, bald ausruhend, 
bald rudernd, als ſich ein friſcher Wind von Afrika her erhob, 
der mich nach der Küſte trieb und dem ich Widerſtand leiſten 
mußte, damit er mich nicht an einem jener vorher erwähnten 
Felſen zerſchmetterte. Als ich in dieſer äußerſten Gefahr ſchwebte, 
bemerkte ich eine kleine Bucht. Ich ſchöpfte nun wieder Atem, 


ſteuerte darauf zu, und der Südwind half mir, ſie zu erreichen. 


Als ich ſchon ſo nahe war, daß ich die Bucht ganz überſehen 
konnte, erblickte ich am Ufer einen Menſchen, welcher früh— 
ſtückte. Dieſer Anblick gab mir neue Kräfte, zumal da ich ihn 
eſſen ſah. So ſehr ich mich freute und meine Anſtrengung ver— 

245 


doppelte, indem ich feiner gewahr ward, ebenfo entſetzt war 
er bei meinem Anblick; denn er hielt mich für einen Walfiſch 
oder ein Meerungeheuer. Es kam eine große Welle, die mich 
der Bucht ſo nahe brachte, daß ich das Ufer erreichen konnte, 
und in demſelben Augenblicke floh der erſchreckte Menſch land— 
einwärts. Ein Jagdhund, den er bei ſich hatte, fiel mich an, 
und ohne meinen Dolch, den ich immer bei mir führte, wäre 
es mir ſchlimm ergangen. Als ich ihm aber einen Stich 
verſetzt hatte, ſprang er ans Land und lief ſeinem Herrn nach. 
In ſolchen Buchten iſt das Waſſer immer ruhig, und da ich ſchon 
Fuß gefaßt hatte, ſtieg ich ans Land, kniete nieder und dankte 
dem Himmel. Jener hatte ſeine Speiſen liegen laſſen, und als 
ich mich betrachtete, mit dem Kollett und Schlauch, die an das 
Hemd genäht waren, und die aufgequollenen Stiefel, welche 
ebenfalls ihre Figur machten, wunderte ich mich nicht mehr, 
daß er mich für etwas Böſes gehalten hatte. Ich nahm ein 
Stück Brot und Käſe, das er dagelaſſen hatte, und einen 
Becher Wein, und indem ich ſo meinen Magen aus ſeinen 
Angſten erlöſte, kann ich verſichern, daß ich nie in meinem Leben 
etwas aß, was mir ſo gut geſchmeckt hätte. Als ich den Becher 
eben an die Lippen ſetzte, kamen zehn oder zwölf Menſchen mit 
Stangen, welche der Entflohene herbeiführte, um den Walfiſch 
zu töten; und als ſie ihn nicht fanden, fragten ſie den guten 
Mann, wo er ſei, und mich, ob ich ihn nicht geſehen hätte. 
Jener geriet in Verlegenheit, und ich antwortete auf italieniſch, 
denn ich wagte es nicht, ſpaniſch zu ſprechen, daß kein Walfiſch 
hierhergekommen ſei, noch etwas dem ähnliches, ſondern ich, 
auf die Weiſe, wie ſie mich ſähen, und daß jener Mann ent— 
flohen ſei, um mir ſein Frühſtück zurückzulaſſen. Er wurde 
verlacht und verſpottet, ſie ſchalten ihn einen Trunkenbold und 
dergleichen mehr auf franzöſiſch und lachten viel. Mit mir 
aber hatten ſie Mitleid, da ſie mich ſo entblößt und naß ſahen. 
246 


Jetzt kam auch ein Fahrzeug mit zwölf Ruderern, auf Befehl 
des Generals, um mich zu ſuchen. Er hatte ausgeſprochen, daß 
er den Schiffskapitän werde hängen laſſen, wenn ſie mich nicht 
lebendig oder tot mitbrächten. Ich gab ihnen ein Zeichen 
mit dem Schlauch, der mich am leichteſten kenntlich machen 
konnte, und ſie wendeten ſich ſogleich nach der Bucht, wo 
ſie mich in der Sonne fanden, trauriger als einen geprellten 
Hund, zitternd und erfroren. Sie brachten mich in das Fahr— 
zeug, ganz erſtaunt, da ich bei ſo vorgerücktem Alter ſo viel 
ausgeſtanden hatte; ich war nämlich nah an fünfzig sd. Sie 
brachten mich nach Marſeille, wo jener große Herr, den alle 
Welt kannte und liebte, mich aufnahm und verpflegte. Da 
aber jener Unfall mich in ziemlich hohem Alter traf, ſo ſind 
mir die Folgen davon geblieben, und jeden Winter fühle ich 
die Erkältung wieder. Ich war wie jener Käfer, der ſich in 
Geſellſchaft einer Schnecke befand, die ſich aus Furcht vor 
dem Waſſer zurückgezogen hatte. Der Käfer, auf ſeine Flügel 
vertrauend, entſchloß ſich, das Trockene zu ſuchen; aber in— 
dem er ſich erhob, ſprach die Schnecke: Schon gut, du wirſt 
es ſehen! und beſpritzte ihn mit einem großen Tropfen, der 
ihn ſogleich in das Waſſer niederzog. Ich verließ mich darauf, 
daß ich ſchwimmen konnte und die anderen nicht; ſo warf ich 
mich in den Tümpel der Thunfiſche, wie Don Luys de Gon— 
gora ſagt, wo es mir ergehen konnte wie dem Käfer, wenn 
Gott mich nicht errettet hätte; denn bei einem ſo grauſamen, 
boshaften Tiere wie das Meer hilft das Schwimmen wenig, 
und wenn ein Menſch ſich in das Meer ſtürzt, fo tft es, als 
fiele eine Mücke in die Lagune Urbion 5s. Die Geſchöpfe der 
Erde ſind gewohnt, mit einem lieblichen, ſanften und freund— 
lichen Elemente umzugehen, das überall den Ermüdeten trägt 
und erquickt; das treuloſe Meer hingegen, dieſer Verſchlinger 
der Reichtümer, das ewige Grab desjenigen, was ſich darin 

247 


verbirgt, es ſteigt an das Land, und verfucht das, was am 
Ufer iſt, an ſich zu reißen; es iſt ein hungriges Tier, das alles 
verzehrt, was ihm naht; es greift die Städte, Inſeln und 
Berge an. Dieſer neidiſche Feind der Ruhe, dieſe Geißel der 
Lebenden und Entſteller der Toten iſt ſo geizig, daß, während 
es voll Waſſer und voller Fiſche iſt, die Menſchen auf ihm vor 
Hunger und Durſt verſchmachten. Was kann es alſo tun, 
als die zerſtören, welche ſich ihm vertrauen? Deshalb ſcheint 
es mir, daß nur durch die Hand Gottes das geſchehen kann, 
was vor einiger Zeit bei der Einnahme von Mamora dem 
Don Lorenzo und dem Hauptmann Juan Gutierrez begeg⸗ 
nete: dieſer nahm ſchwimmend, ohne Beiſtand und von hohem 
Alter beſchwert, fünf Mauren ein Boot, in dem ſie ruderten. 
Und Don Lorenzo hatte die ganze Nacht geſchwommen, um⸗ 
hergetrieben von den empörten Wellen. Als er ſich nun einem 
Fahrzeuge näherte, auf welchem er von dieſer ungeheuren Ar— 
beit hätte ausruhen können, ermutigte er ſich mit übernatür— 
licher Anſtrengung und ſagte, er wolle nicht in das Boot ſteigen, 
damit ſie andere aufnehmen könnten, die ihm nachkämen und 
es mehr bedürften als er; und ſo ſchwamm er weiter. Ein 
Fall, der gewiß ſelten oder nie erhört iſt. Ich hatte meine 
Not gehabt und ward nun noch für die Verwegenheit ge— 
ſcholten; denn die Vermeſſenheit hätte mir bald das Leben 
gekoſtet. Um zu zeigen, daß ich ſchwimmen könne und Kühn: 
heit genug beſitze, um etwas zu wagen, ſtürzte ich mich ohne 
überlegung in die Gefahr. Aber klüger wäre es geweſen, 
das Schickſal der übrigen zu erwarten, als mir das meinige 
voraus zu nehmen, das mir bisher immer ſo ungünſtig ge— 
weſen war. Denn wenn die Eitelkeit die Verwegenheit er— 
zeugt, ſo ſollte dies nur bei denjenigen der Fall ſein, die 
ihr gutes Glück aus der Erfahrung kennen. Was konnte es 
mir aber nützen, den Ruhm eines guten Schwimmers zu 
248 


erlangen, da ich weder ein Froſch noch ein Delphin war, 
auch nicht Matroſe werden wollte? So war es nichts als 
Eitelkeit, Verwegenheit und Wahnſinn. 


Elftes Kapitel. 


Wir kamen nach Spanien und landeten in Barcelona. Dies 
iſt von der Land- und Meerſeite eine ſchöne Stadt, reich an 
Lebensmitteln und Vergnügen; und mir ſchien ſie noch lieb— 
licher und ſchöner, da ich wieder Spaniſch ſprechen hörte. Ob— 
wohl die Einwohner den Ruf einiger Rauheit haben, ſo ſah 
ich doch, daß ſie gegen die, welche ihnen gut begegnen, freund— 
lich und freigebig ſind, ſowie gaſtfrei gegen die Fremden. 
In allen Städten der Welt muß der Fremde durch ſein gutes 
Betragen die Freundſchaft der Einheimiſchen erwerben. Wenn 
der, welcher nicht einheimiſch in einem Orte iſt, ſich demütig 
zeigt und ruhig lebt, ohne die Einwohner zu beleidigen, ſo 
gewinnt er leicht das Wohlwollen aller; denn ſein gutes Be— 
tragen, vereinigt mit der Einſamkeit, die er dulden muß, 
erzeugt Mitleid und Liebe in allen Gemütern. Alle Tiere 
von der nämlichen Gattung vertragen ſich gut miteinander, 
wenn ſie ſich auch nicht kennen, ausgenommen die Menſchen 
und die Hunde, die, obwohl ſie ſo viel gute und bewunderungs— 
würdige Eigenſchaften beſitzen, doch darin zu tadeln ſind, daß 
alle den armen Fremdling beißen und ihn töten, wenn ſie 
können. Ebenſo iſt es mit den Menſchen, wenn der Hinzu— 
kommende nicht iſt, wie er ſein ſollte, indem er ein fremdes 
Gebiet betritt. Was die Einheimiſchen am meiſten beleidigt, 
iſt, wenn man ſich um die Frauen bewirbt; deshalb ſoll der 
Gaſt ſich damit begnügen, wenn alle ihm mit Wohlwollen 
begegnen. Viele beklagen ſich über die Orte, die fie in frem— 
den Ländern beſuchten; aber ſie verſchweigen die Urſache, die 
ſie ſelbſt dazu gaben. Sie loben das Betragen ihrer Lands— 

249 


leute gegen die Fremden und bedenken nicht, wodurch dieſe 
ſich eine gute Aufnahme erworben haben. Ich kann ſagen, 
daß ich im ganzen Königreiche Aragonien Vater und Mutter 
fand, und werte Freunde in Andaluſien; freilich nicht unter 
den Menſchen von ſchlechten Sitten, denn dieſe ſind in der 
ganzen Welt Feinde der Ruhe, der Liebe und des Friedens; 
an allen Orten find dieſe hochmütig und ſtolz. | 

Ich war ſehr erfreut, nach Madrid zu kommen, was ich 
ſo ſehr wünſchte. Ich kam an und fand viele Freunde, die 
danach verlangt hatten, mich wieder zu ſehen. Ich nahm 
Dienſte bei einem Fürſten, der ein großer Freund der Poeſie 
und Muſik war; und obwohl ich das Dienen gern vermied, 
mußte ich doch jetzt meine Zuflucht dazu nehmen. Ich er: 
langte ſeine Gnade ganz unverſehens und ward bald ſein 
Günſtling und Vertrauter. Da ich viel ausgeſtanden hatte 
und mich nun in einer bequemen Lage ſah, ergab ich mich 
ganz der Trägheit und ward ſo fett, daß das Podagra an— 
fing, mich ſehr zu quälen. Ich verfiel darauf, mir Vögel 
zu halten, und unter ihnen liebte ich einen wegen ſeines 
ſchönen Geſanges ganz beſonders. Dieſer ſchlief in meinem 
Zimmer, und ich hörte ihn einmal die ganze Nacht Hanfkörner 
aufbeißen, was die Vögel ſonſt nicht tun. Am Morgen, als 
ich nach meinem Vogel ſehen wollte, fand ich eine Maus 
in ſeiner Geſellſchaft, die ſich an den Hanfkörnern ſo dick 
gefreſſen hatte, daß ſie nicht wieder aus dem Käfig kommen 
konnte. Da ſagte ich zu mir ſelbſt: Dieſe Maus findet ihren 
Tod, weil ſie ſo viel gefreſſen hat. Ich bin auf demſelben 
Wege. Denn wenn eine Maus ſich in einer Nacht ſo dick 
freſſen kann, was ſoll wohl mit mir werden, der ich alle 
Tage zu Mittag und Abend eſſe, ſo viel und ſo gut? Wird 
die Krankheit, die ich ſchon habe, nicht immer ſchlimmer wer— 
den, und kann der Schlag nicht plötzlich ein Ende mit mir 
250 


machen? Ich entzog mir von jetzt an die Abendmahlzeit. Da— 
durch und durch die Bewegung, die ich mir täglich machte, 
habe ich mich erhalten. Denn wahrlich, wenn man auf fremde 
Koſten ſpeiſt, wird man ſehr dick, weil man ohne Furcht ißt 
und ſich nicht zurückhält; und darin liegt große Gefahr, krank 
zu werden. Der Menſch ſoll nur ſo viel genießen, als ſein 
Magen faſſen kann; er wird ſonſt genötigt ſein, das Ge— 
noſſene wieder von ſich zu geben, oder ſein Leben gerät in 
Gefahr, wie es jenem Mäuschen geſchah. Die übrigen Glie— 
der des Körpers beneiden ſchon immer den Magen; denn 
alle müſſen arbeiten, damit er allein genießen könne; wird 
er nun ſo ſchwer, daß ſie ihn nicht mehr tragen können, ſo 
laſſen ſie ihn fallen und ſtürzen mit ihm in das Grab. Ich 
ſah, daß ich auf dieſem Wege war und beſchränkte mich da— 
her darauf, zu Mittag wenig und zu Abend gar nichts zu 
eſſen; und obgleich es mir im Anfange ſchwer ward, ſah ich 
doch, daß man durch die Gewohnheit alles erlernen kann. 
Die, welche dick werden, ſollten doch bedenken, in welche Ge— 
fahr ſie ſich begeben; denn weder bleibt das Alter dasſelbe, 
noch ſind die Nahrungsmittel immer von einer Art, noch haben 
die, welche ſie uns geben, immer dieſelbe Abſicht, noch iſt 
eine Zeit der anderen gleich. Wer dick geboren ward, bei dem 
hat es nichts zu ſagen, wenn er dick bleibt, denn ſeine Glie— 
der find ſchon daran gewöhnt, es zu dulden und ihn zu tragen; 
wer aber mager und zart geboren ward, und in kurzer Zeit 
dick wird, der bringt ſein Leben in große Gefahr. Da ich mein 
Eſſen und Trinken am Abend einſtellte, verlor ſich die Dicke 
auch etwas, und ich fühlte mich leichter zu allen Dingen; 
denn fürwahr, die Trägheit ſchadet dem Menſchen. Noch 
etwas anderes machte mir Sorge. Der Fürſt nämlich, dem 
ich diente, durch Schmeichler gegen mich eingenommen, ward 
in ſeinen Gunſtbezeigungen immer lauer, und ich folglich auch 

251 


in meinem Dienfteifer. Denn die großen Herren find nicht 
nur den Sternen unterworfen, ſondern ebenſowohl ihren Lei— 
denſchaften und Neigungen, und je höher ſie ſtehen, um ſo 
weniger pflegt ihnen die Ergebenheit ihrer Diener zu genügen; 
denn dieſe müſſen ganz ihrem eigenen Willen entſagen und ihn 
dem des Fürſten unterwerfen. Es iſt auch nicht anders möglich. 
Der, welcher dient, muß ſeine Vergnügen demjenigen opfern, 
der für ihn ſorgt; denn dieſer verlangt gut bedient zu ſein, 
obwohl ich viele Herren geſehen habe, die von ſo ſanfter Ge— 
mütsart waren, daß ſie die Nachläſſigkeit ihrer Diener mit 
großer Geduld ertrugen. Doch das Gegenteil iſt das Ge— 
wöhnliche. 


Z3wölftes Kapitel. 


Da mein Herr ſich wenig aus mir machte, hatte ich Freiheit, 
die Nächte auszugehen, und ich tat es, nicht unerlaubter Dinge 
wegen, denn ich war weder in einem ſolchen Alter, noch hatten 
die erduldeten Beſchwerden mir ſo viel jugendlichen Mut gelaſſen, 
daß ich an dergleichen Dingen ein Vergnügen gefunden hätte, die 
in jedem Alter ſündlich ſind. Ich ging nur aus, um friſche 
Luft zu ſchöpfen, da die Sommernächte in Madrid ſehr an— 
genehm ſind. Wir gingen alle Nächte mit Freunden umher und 
beteten unſern Roſenkranz, nicht nach dem Prado, weil der 
Zuſammenfluß der Menſchen dort zu groß iſt, ſondern in die 
einſameren Straßen, wo man doch immer noch Leute genug 
ſieht. Wir entfernten uns in einer Nacht ſo weit, daß wir 
nach Leganitos kamen, und mein Freund ſagte zu mir: Ruhet 
hier aus; Ihr müßt müde ſein, denn Ihr ſeid doch ſchon alt. 
Mich kränkte das, und ich antwortete: Wenn es Euch gefällt, 
ſo wollen wir um die Wette laufen, und da wird es ſich zeigen, 
wer der ältere iſt. Er lachte und nahm es an. Wir ſtellten 
uns zum Anlauf, und ſelbſt in dieſer Kinderei fand der Teufel 
252 


Gelegenheit, mich zu verfolgen. Es ftand ein Diener vor der 
Tür feines Haufes, — dafür hielten wir es wenigſtens; dieſem 
gaben wir unſere Mäntel und Degen und baten ihn, ſie zu 
halten, indes wir unſre Schnelligkeit verſuchten. Kaum fingen 
wir unſern Lauf an, als eine Frau ausrief: Gott, ich bin er— 
ſchlagen! Es hatte ihr nämlich jemand einen Degenhieb über 
das Geſicht gegeben. Auf ihren Schrei kamen alsbald zwei 
oder drei Gerichtsdiener herbei; und da ſie uns laufen ſahen, 
ergriffen ſie mich, als den vorderſten, zuerſt, und den andern 
gleich nachher. Denn es gibt viel Gerichtshöfe in Madrid, und 
jeder hat mehr Gerichtsdienerſtellen als Tage im Jahre ſind, 
und zu jedem Diener geſellen ſich als Helfer fünf oder ſechs Vaga— 
bunden, die ſich von dieſer Hilfeleiſtung nähren und kleiden. 
Sie ergriffen uns als Menſchen, die wegen eines Verbrechens 
entflohen. Sie forderten uns die Degen ab, und wir bezeichneten 
das Haus, wo wir ſie gelaſſen hatten; der Burſche war aber, 
weil er dort nicht wohnte, mit Degen und Mänteln fort— 
gegangen. Als ſie uns auf dieſer vermeintlichen Lüge er— 
tappten, führten ſie uns zu der verwundeten Frau; dieſe war 
wegen des widerfahrenen Unfalls erbittert und ſagte, daß 
der, welcher ſie verwundet habe, entflohen ſei. Da ſie uns 
nun laufend, obwohl nicht fliehend, ergriffen hatten, waren 
die Gerichtshelfer von unſer Schuld vollkommen überzeugt. 
Sie brachten uns in das Stadtgefängnis, ohne Degen und 
Mantel, worüber ich eine große Scham empfand, die mich 
vorher nicht abhielt, gegen meinen Gefährten mit meiner 
Jugend zu prahlen, jetzt aber mich überfiel, weil ich ohne 
Mantel in das Gefängnis gehen mußte. Der Lärm war groß, 
und das Vergehen erſchien im ſchlimmſten Lichte, da zwei 
Männer, die keine Kinder und nicht mehr in der erſten Jugend 
waren, eine Tat wie dieſe an einer ſchwachen Frau verübt 
hatten. Der aber, welcher es getan hatte, kam hinter uns 

253 


her, wie fich hernach aus deutlichen Zeichen erwies; und wären 
die Gerichtsdiener, wie ſie ſein ſollten, ſo hätten ſie uns durch 
ihre Übereilung dieſen Schimpf nicht angetan. Und hätten 
ſie das Auge auf die Gerechtigkeit und nicht auf ihren Vor— 
teil gerichtet, ſo hätten ſie die Sache unterſucht, wie es ihre 
Pflicht war, und mich nicht in ſo ſchlechten Ruf gebracht. 
Hätten ſie Überlegung gehabt, ſo hätten Sie einſehen müſſen, 
daß zwei Männer, ohne Mäntel, Degen, Hüte, Dolche und 
Meſſer, kurz, die durchaus keine Waffe bei ſich führten und 
um die Wette liefen, nicht ausgegangen ſein konnten, um 
plötzlich dergleichen Frevel zu begehen, zumal in der ganzen 
Gaſſe kein Werkzeug zu finden war, womit es hätte ge— 
ſchehen können. Sie fragten in der ganzen Straße keinen 
Menſchen, um die Wahrheit herauszubringen, wie es doch 
ſonſt immer geſchieht. Geſetzt aber auch, die Gerichtsdiener 
hätten die Sache unterſuchen wollen, fo ließen die Herbei— 
laufenden und Hilfeleiſtenden ihnen nicht die Zeit, zu einem 
guten Entſchluß zu kommen, und ſo blieben ſie denn freilich 
ihrer Art getreu. Mit einem Wort, ſie legten uns auf Be— 
fehl des Teniente Ketten an. Dieſer, von den Gerichtsdienern 
nach ihrer Weiſe berichtet, kam in das Gefängnis, mit der 
Abſicht, uns die Tortur geben zu laſſen; als er aber die 
Umſtände hörte, die ich eben erzählt habe, und, nachdem er 
uns getrennt hatte, unſere Ausſagen verglich, wurde er irre 
und konnte zu keinem Entſchluß kommen. Sie legten uns 
in Feſſeln, in denen wir zwei oder drei Tage bleiben mußten. 
Die Sache wurde unterſucht, und da man den Verbrecher 
nicht fand und wir gelaufen waren, als der Degenhieb ge— 
fallen war, vergaßen ſie uns dort drei Monate. Sie war⸗ 
fen uns in einen dunklen Kerker, wo noch ein alter Ge— 
fangener ſaß. Dieſer war von verdrießlicher Laune und trug 
einen Schnurrbart, der ihm bis an die Ohren reichte, auf den 
254 


1 


er ſich ſehr viel einbildete. Der Bart war aber auch ſo ſtark 
und dick, daß er zwei Stangen gelben Wachslichts ähnlich 
ſah. Dieſer Menſch hatte ſich eine ſolche Gewalt über die 
andern Gefangenen angemaßt, daß keiner etwas gegen ſeine 
Befehle tun durfte. Die geringen Leute zitterten vor ihm 
und bedienten ihn mit der größten Pünktlichkeit; ſie wagten 
auch nicht, einem andern einen Dienſt zu leiſten, weil er es 
nicht leiden konnte, und wenn es dennoch geſchah, ſo ſtrich 
er ſich den Bart und ſagte: Beim Leben des Königs! Wenn 
ich in Wut gerate, ſo werd' ich dem Spitzbuben und allen 
übrigen tauſend Prügel aufzählen. Solange er außerhalb ſeines 
Kerkers bei den übrigen war, konnte man nicht leben; denn 
er war in der Tat ſo bärbeißig und händelſüchtig, daß alle ſich 
mit ihm entzweiten. Er war zwei oder drei Tage krank und 
erſchien nicht unter uns; da genoſſen wir einer ſolchen Ruhe, 
daß alle ſich darüber freuten; aber als er wieder geſund 
war, kehrte auch ſeine böſe Gewohnheit mit ihm zurück. Mich 
verdroß dies ſo ſehr, daß ich beſchloß, etwas anzuſtellen, was 
ihn für viele Tage abhalten ſollte, das gemeinſchaftliche Ge— 
fängnis zu beſuchen. Ich teilte meinem Gefährten meinen Plan 
mit und ſagte ihm: Wir wollen es ſo machen, daß die Ge— 
fangenſchaft uns ſanfter dünke als jetzt. Er fragte mich, 
wie ich es anſtellen wolle, daß jener nicht unter uns erſchiene; 
und ich antwortete: Ich will ihm die eine Hälfte ſeines Schnurr— 
bartes abſchneiden. — Begebt Euch nicht in eine ſolche Gefahr, 
um Gottes willen! ſagte er; ich aber ſprach: Ich fordre von 
Euch keinen Rat, ſondern Hilfe. — Der Menſch hatte die Ge— 
wohnheit, wenn er ſchlief, immer mit dem Munde nach oben 


zu liegen und zu blaſen, um ſeinen großen Bart nicht in 


Unordnung zu bringen. Ich ließ nun eine große Schere ſehr 
ſcharf ſchleifen, und mein Freund und ich warteten ab, bis 


er und alle die übrigen im Gefängniſſe ſich zur Ruhe begeben 


255 


hatten; denn er hielt uns fo in Reſpekt, daß keiner ſich 
rühren durfte, wenn er ſich zu Bette legte. Sowie ich ſah, 
daß er eingeſchlafen war, nahm ich die Schere, mein Gefährte 
leuchtete mir, und ich tat einen feinen Schnitt mit ſo großer 
Geſchicklichkeit, daß ich ihm den Bart auf der einen Seite 
ganz abſchnitt, ohne daß er erwachte oder ein andrer der Ge— 
fangenen etwas davon merkte, außer meinem Freunde, der 
große Luſt hatte, zu lachen, und jenen beinahe dadurch erweckt 
hätte. Denn da ihm der Bart an einer Seite ſtehen geblieben 
war, ſah er aus wie der Stier des Herkules, dem ein Horn 
abgebrochen war. Wir ſchliefen die Nacht, und ich ſtellte mich 
krank und klagte über das ſchlechte Bett. Ich ſtand aber 
doch faſt zu gleicher Zeit mit ihm auf und betete meinen 
Roſenkranz, um zu ſehen, wie die Sache ablaufen würde. Als 
er aufſtand, betrachteten ihn alle voll Erſtaunen, ohne ein 
Wort zu ihm zu ſagen; er aber rief: Heda! Spitzbuben, 
gebt mir Waſſer! Ein Burſche brachte ihm ein Handbecken, 
goß ihm Waſſer ein, und er wuſch ſich die Hände. Darauf 
fuhr er nach dem Geſichte und faßte den noch ſtehenden 
Bart mit der rechten Hand; dann nahm er Waſſer mit der 
linken Hand, um die andere Hälfte zu waſchen. Fünf- oder 
ſechsmal griff er an die Stelle, und da er nichts fand, 
war ſein Zorn ſo groß, daß er den noch übrigen Bart ganz 
in den Mund ſteckte, als wenn er ihn aufeſſen wollte, und 
ohne ein Wort zu ſprechen, das Gemach verließ. Ich ſagte, 
damit er es hören ſollte: Dies iſt die größte Schelmerei von der 
Welt, einen ſo ehrenwerten Mann zu beleidigen, und zwar an 
dem, was er am meiſten achtet und hochſchätzt. Dieſe und 
ähnliche Worte ſagte ich, um ihm den Argwohn, den er 
gegen mich haben konnte, zu benehmen. Er nahm ſich den 
gelben Bart nun vollends ab; und da ein Unglück immer 
dem andern zu folgen pflegt, wurde er an dieſem leidens⸗ 
256 


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1519) 


vollen Tage zum Verhör gerufen, weil man feinen Prozeß 
unterſuchen wollte. Ein Anwalt ſagte: Der muß im Noviziat 
ſein, denn er erſcheint als geſchorner Bruder. — Man führe ihn 
her, ſprach der Teniente, und er mußte nun hinaufgehen, 
und zwar mit der größten Demut und Scham von der 
Welt; denn ſein Mut hatte im Bart geſeſſen, wie der des 
Simſon im Haar. Sowie er in den Saal trat, war das 
Gelächter ſo groß, daß der Teniente ſagte: Es iſt recht, daß 
Ihr alſo erſcheint, und Ihr habt wohl daran getan und braucht 
Euch nun auf den Galeeren nicht zu raſieren. Worauf er 
erwiderte: Euer Gnaden ſprechen als Richter; denn kein andrer 
dürfte es ſich erkühnen, mir ſo etwas zu ſagen. Seine An— 
klage wurde ihm vorgeleſen, welche darin beſtand, daß er 
einer armen Kreatur in einem öffentlichen Hauſe einen Dolch— 
ſtich gegeben hatte, vor zehn oder zwölf Zeugen. Da ihm 
dieſe genannt wurden, ſagte der Angeklagte: Sehen nun Euer 
Gnaden, was dies für Zeugen ſind, die gegen einen ſo vor— 
nehmen Mann, wie ich bin, auftreten: vier Büttel und vier 
öffentliche Mädchen. Der Teniente erwiderte: Wen verlangt 
Ihr denn als Zeugen in einem ſolchen Hauſe? Etwa den 
Prior von Atocha, oder einen Barfüßermönch? Ihr verteidigt 
Euch ſehr ſchlecht. Er wurde wieder in das Gefängnis gebracht 
und von der Zeit nun der raſierte Pater genannt. Uns ſetzten 
ſie in Freiheit, aber ganz ausgeplündert. 


Dreizehntes Kapitel. 


Nach drei Monaten kamen wir aus dem Gefängniſſe, weil 
wir uns ſehr gut gerechtfertigt hatten; wir waren aber ſo von 
Geld entblößt, daß wir uns keinen Rat wußten. Um den 
folgenden Tag eſſen zu können, verkaufte ich ein Paar Reit— 
ſtiefel, und mein Gefährte einen von Mäuſen zernagten Mantel: 
ſack, wie die Escuderos ihn gewöhnlich beſitzen, weil ſie keinen 
17 257 


Koffer mit ſich führen können, und der, da fie gewöhnlich 
das übriggebliebene Stück Brot darin verwahren, ein Sammel⸗ 
platz der Mäuſe iſt. Während wir unſre Habſeligkeiten ver: 
kauften, ſchickte uns Gott einen ſehr wohl gekleideten Mann 
zu, der unſer Unglück ſehr beklagte und uns ſagte, daß 
ein gewiſſer großer Herr, der davon gehört habe, ihn ſchicke, 
um zu fragen, was wir während unſerer Gefangenſchaft aus⸗ 
gegeben hätten, und daß er uns, von Mitleid bewegt, durch 
ihn ſo viele Dublonen wieder erſtatten wolle, als unſer Schaden 
betrage. Ich erkannte ihn; aber ehe ich mich erklärte, ſagte 
ich: Herr, dies kommt wahrlich von Gott, der unſre Not 
kennt, die ſo groß iſt, daß wir, um eſſen zu können, unſre 
Kleidungsſtücke verkaufen. Das, was wir ausgegeben haben, 
wird annähernd hundert Taler betragen. Darauf zog er fünfzig 
Dublonen heraus und gab ſie uns. Als ich ſie in der Hand 
hielt, ſagte ich: Dies iſt für die Koſten; aber für das Ver: 
gnügen, das die Rache Euer Gnaden verurſacht hat, und 
das Mißvergnügen, das wir erlitten haben, welche Ent: 
ſchädigung könnt Ihr uns dafür geben? Denn ich erkannte 
ihn gleich wieder, da er uns in jener Nacht bis zum Ge⸗ 
fängnis gefolgt war. Er erwiderte mit Verſtand: Daß ihr 
ergriffen wurdet, war euer Unglück, und daß ich bezahle, 
iſt meine Schuldigkeit. Da ich euer Unglück nicht verurſachte, 
kann ich auch keine Genugtuung dafür geben, und wenn alle 
Unglücklichen Entſchädigung verlangten, ſo würde es gar keine 
Unglücklichen mehr geben. Obwohl ich ſo viel Glück hatte, 
nicht zu leiden, ſo habe ich doch auch Gefühl, um Mitleid 
zu empfinden; ein anderer würde ſich vielleicht weder mit 
dem einen noch mit dem anderen befaſſen. Viele Unfälle 
treffen den Menſchen nach den geheimen Ratſchlüſſen Gottes, 
für welche wir keine Rechenſchaft von ihm verlangen können. 
Das Unglück liegt nicht in unſerer Hand, noch lag es in der 
258 


a 


meinigen, zu bewirken, daß ihr in jener Nacht um die Wette 
liefet; denn dies war euer freier Wille. Ich kann euch ver— 
ſichern, daß mich die Tat in der Seele gereute, nicht wegen 
des Hiebes, ſondern wegen eures Leidens. Das Unglück war, 
daß das Rennen eurer Beine und das Aufſchlitzen jenes Ge— 
ſichts in ein und dieſelbe Stunde fiel. Ihr habt euch in dieſem 
Unfalle ſo verſtändig betragen, daß ich euch darum beneide; 
denn wer die Widerwärtigkeiten mit Geduld erträgt, der iſt 
der Gebieter ſeiner Taten, und das Unglück naht ihm nur 
mit Furcht. Und wenn ich, ſo wie ich euch den Schaden er— 
ſetzt habe, das Glück unter eure Füße beugen könnte, ſo 
würde ich euch zu den glücklichſten Menſchen machen; da ihr 
es aber hierin nicht geweſen ſeid, ſo wart ihr es doch darin, 
daß es euch gelungen iſt, jenem den Bart abzuſchneiden. Denn 
ſo wie ihr mit Verſtand meinen Betrug durchſchaut habt, ſo 
durchſchaute ich auch eure Verſtellung. — Obwohl der Herr 
alſo redete, war ich doch ſo glücklich und überraſcht, jenes Metall 
in meinen Händen zu ſehen, das dem Glanz der Sonne gleicht, 
daß ich ihm nichts zu erwidern wußte, ſondern ihm dankte 
und ſeinen Scharfſinn ſeiner Milde gleichſchätzte. Ich war 
der Beſchwerden und Leiden ſo ſatt, daß ich beſchloß, den 
Hof zu verlaſſen, nachdem ich im Stallmeiſterdienſt, der mir 
aufgedrungen ward und den ich gleich einer giftigen Schlange 
haßte, ſo viel Pech hatte. Ich beurlaubte mich bei einem 
Kavalier, der mein Freund war, und den ich ſeit langer Zeit 
nicht geſehen hatte. Da ich ihn ſehr niedergeſchlagen und 
ſchwermütig fand, fragte ich ihn, was ihm begegnet ſei; und 
er antwortete mir, daß er weder ſchlafen noch eſſen könne, 
noch jemals Ruhe finde. Wenn Ihr tun wollt, was ich Euch 
rate, ſprach ich, ſo werdet Ihr bald von dieſen drei Krank— 


heiten geneſen. — Gern will ich es tun, antwortete er, und 
ſollte es mich auch mein ganzes Vermögen koſten. — So ſteht 
17° 259 


morgen früh auf, ſowie der Tag anbricht; ich will Euch bin: 
führen, wo ein Kraut wächſt, das Euch von allen dieſen 
Übeln heilen wird. Er ſtand auf, oder vielmehr ich zwang ihn, 
am anderen Morgen früh aufzuſtehen. Er beſtellte ſeine Kutſche; 
ich ſagte aber, das Kraut könne nicht ſeine Wirkung tun, 
wenn er nicht zu Fuße ginge. Wir ließen die Kutſche zurück, 
und ich führte ihn nach Sankt Bernhardin, dem Franzis⸗ 
kaner⸗Rekollektenkloſter, indem ich ihm ſagte, das Kraut 
wachſe dort, und er müſſe es mit eigener Hand pflücken. 
Er mußte ſo lange gehen, daß er vor Durſt wie ein Jagdhund 
keuchte und ſich aus Ermüdung am Wege niederſetzte. Ich 
fragte ihn, ob er ausruhe, und er antwortete mit Ja. Wißt 
Ihr auch, warum Ihr ausruht? Weil Ihr Euch ermüdet 
habt; in den Seſſeln in Eurem Hauſe ruht Ihr nicht aus, 
weil Ihr Euch nicht ermüdet. Ich führte ihn bis nach Sankt 
Bernhardin, und als er zu Fuße wieder nach Hauſe kam, 
hatte er ſehr große Luſt, etwas zu eſſen. Er aß und trank 
mit gutem Appetit, und dann legte er ſich nieder und ſchlief. 
Ich ſagte zu ihm: Wer ſich nicht ermüdet, kann nicht aus: 
ruhen, und wer keinen Hunger hat, der kann nicht eſſen; 
wer nie ſchläfrig wird, der kann nicht ſchlafen. Wer ſich 
keine Bewegung macht, der möge ſich nicht über Krankheiten 
und Übelbefinden beklagen; denn die Trägheit iſt der größte 
Feind des menſchlichen Körpers. Das regelmäßige Wandern 
macht die Schäden wieder gut, die der Müßiggang verurſacht 
hat. Die trainierteſten Pferde ſind die ausdauerndſten und 
feurigſten. Die Fiſche des atlantiſchen Ozeans ſind beſſer als 
die des mittelländiſchen Meeres, weil ſie von der beſtändigeren 
und größeren Wucht der tiefausgehöhlten Wogen ſtärker ge— 
peitſcht werden, — und ſo iſt es mit allen Dingen auf der 
Welt. Er war ſehr erfreut, und von dem Tage an machte er 
ſich täglich Bewegung, am Morgen und am Abend. Au 

260 Re, 


befand er ſich von nun an ſehr wohl und war mir dankbar 
dafür, daß ich dieſe Liſt gebraucht hatte, um ihn aus ſeiner 
Trägheit zu erwecken, die ihn der Geſundheit und Heiterkeit 
beraubt hatte. Darauf machte er mir ein anſehnliches Ge— 
ſchenk, und ich begab mich nach Madrid, wo ich Gehilfe und 
Stallmeiſter des Doktors Sagredo und ſeiner Gemahlin, der 
Donna Mergelina von Aybar, ward, bis ich ſie verließ oder 
vielmehr ſie ſich von mir beurlaubten. 


Vierzehntes Kapitel. 


Ich beſchloß, das Geräuſch des Hofes zu verlaſſen und in 
einem gemäßigteren Erdſtriche, als Kaſtilien iſt, die Ruhe 
zu ſuchen. Deshalb wollte ich nach Andaluſien gehen, wohin 
die Heiden den Aufenthalt der glücklichen Seelen verlegten. 
Sie ſagten, wenn man über den Fluß Lethe geſetzt ſei, wo— 
her noch der Name Guadalete ſtammt, ſo vergeſſe man die 
Welt und die ganze Vergangenheit; denn die Reinheit der Luft, 
der Überfluß an allen Lebensmitteln, die Lieblichkeit des Him— 
mels und der Erde verleiteten ſie zu dieſem Irrtum. 

Da ich mit Geld verſehen war, kaufte ich mir ein Maul— 
tier, mit dem ich betrogen ward; denn es hatte die Knieſucht 
und war auf einem Auge blind; es lief aber leidlich, und ſo 
reiſte ich mit mäßiger Geſchwindigkeit, indem ich mich Gott 
und meinem heiligen Schutzengel empfahl. Ich machte meinen 
Weg allein; denn wenn man ſich nur nicht nach dem Willen 
eines anderen zu richten braucht, kann man ſelbſt zu Fuße 
reiſen; beſchwerlich iſt es aber, wenn man anhalten muß, 
wenn der andere es will, und nicht, wenn man ſelbſt müde 
iſt, oder einen die Luft ankommt. Kurz, da ich Geld hatte, 
wollte ich auch nach meiner Bequemlichkeit leben. Es war 
ſehr heiß, und da ich früh ausgeritten war, wollte ich in der 
Schenke von Darazutan Mittag machen; doch die Hitze nahm 

261 


mit dem Tage ſehr zu, und es ftieg aus den Gebüſchen eine 
ſo hitzige Ausdünſtung, daß mein Geſicht faſt davon ver⸗ 
ſengt ward, und ich gern früher eingekehrt wäre, wenn ſich 
ein Ort dazu gefunden hätte. Ich ſah die Schenke endlich von 
weitem, die halb unter kleinem Gehölz und Steineichen ver— 
ſteckt liegt; doch mir ſchien, als wenn ſie ſich mit jedem 
Schritte, den ich machte, um hinzukommen, immer mehr ent⸗ 
fernte, und mein Durſt ward immer größer. Ich glaubte, ich 
würde nie hingelangen; da hörte ich Muſik von Gitarren und 
Geſang aus der Schenke herüber ſchallen. Jetzt, ſprach ich, 
merke ich, daß ich auf dem richtigen Wege bin. Als ich hin⸗ 
kam, fand ich viele Menſchen, die aus- und eingingen; denn 
es war eben Mittag. Ich ſchöpfte wieder Atem, da ich einen 
großen Krug voll Waſſer erblickte, das ich immer ſehr gern ge: 
trunken habe. Ich erfriſchte mich und hörte der Muſik zu. 
Die Sänger fangen mit vieler Anmut, und nachdem ich ger 
geſſen hatte, brachte ich die Zeit der Sieſte ſehr fröhlich zu. 
Einer von den Sängern zog einen Zeitweiſer hervor, um zu 
ſehen, wieviel Uhr es ſei und pries gar ſehr die Erfindung der 
Uhren. Ich entgegnete ihm, dasſelbe, was er mit dem Zeit⸗ 
weiſer getan, könne man erreichen, wenn man einen Stroh: 
halm oder einen Zahnſtocher in den Boden ſtecke und den 
wandernden Schatten meſſe, und — wenn die Sonne nicht 
ſcheine — mit einem Waſſerbehälter, indem man ein ganz 
feines Loch hineinmache und die Stunden an der Verminde⸗ 
rung des Waſſers meſſe uſw. Wir unterhielten uns die übrigen 
Stunden, die wir noch in der Schenke zubrachten, ſehr gut, 
indem jeder ſeine Profeſſion und die Erfindungen, wozu er 
die meiſte Neigung hatte, lobte. Man ſprach über Aſtro⸗ 
logie, Muſik und über die Kunſt, dem Gedächtnis durch Er— 
leichterungsmittel zu Hilfe zu kommen; denn es befand ſich 
ein Kavalier in der Geſellſchaft, ein Auditor aus Sevilla, 
262 


der Wunder darin tat. Ein alter Escudero, der in einem 
Winkel ſaß und mit der Flohjagd befchäftigt war, miſchte 
ſich in das Geſpräch und ſagte: All' die Erfindungen, von 
denen Eure Gnaden geſprochen haben, ſind nichts im Vergleich 
zu der Erfindung der Nadel. Als alles lachte, ſagte er zornig: 
Wenn Ihr daran zweifelt, ſo habt doch die Güte, mit einem 
Stück Aſtrologie einen Flicken aufzuſetzen. Ihm antwortete 
der Lizentiat Villafeñior: Jeder lobt das, wozu er ſich am 
befähigtſten findet, — dieſer Herr Escudero kann über dieſe 
Materie reden, weil er hauptſächlich mit der Nadel umgeht. 
— Ich bin kein Schneider, erwiderte er, ich bin ein ebenſo 
bewährter und alter Escudero wie alle meine Vorfahren, die 
bei den Grafen von Lemos gedient haben. Und wenn ich jetzt 
zu Fuß gehe, ſo kommt es daher, weil ich meine Pferde zur 
Grünfütterung an den Furten von Eume habe. Mit dieſen 
Worten zog er eine alte Hoſe in die Höhe, befeſtigte ſie auf 
der Schulter und nahm den Weg zwiſchen die Beine. 

Es iſt ganz recht, ſagte ich, daß jeder ſeine Profeſſion lobt. 
In Madrid gab es einen Scharfrichter, der zeigte einmal ſeinem 
kleinen Sohn an einem Galgen, den er in ſeinem Hauſe hatte, 
wie er einen Menſchen mild und ſchmerzlos aufhängen könnte. 
Als der Knabe ſich aber für dieſe Profeſſion nicht erwärmen 
konnte, ſie vielmehr verabſcheute, ſagte der Henker zu ihm: 
So hol' dich der Teufel, da du keinen Sinn für etwas Gutes 
haſt, ich werde dich zu einem Schuhmacher geben, da kannſt 
du Sumach kauen. 

Als wir im Begriffe waren, aufzubrechen, ſagte der Auditor: 
Ich hörte geſtern, daß Marcos von Obregon ſich ein Pferd 
gekauft habe, um dieſe Straße zu reiſen; dies iſt ein Mann 
von großem Verſtande und ſehr guten Eigenſchaften, und ich 
würde mich ſehr freuen, feine Bekanntſchaft zu machen. — So 
iſt es, ſagte ich; ich ſah es, wie er eine Gelegenheit zur Reiſe 

263 


ſuchte. — Kennt Ihr ihn, mein Herr? fragte der Auditor, Don 
Hernando de Villafeñtor. Ja, Herr, antwortete ich, und es 
iſt mein ſehr werter Freund. Wir ſetzten uns auf unſre Pferde 
und Maultiere, und er fragte mich, ob ich etwas von dem 
Herrn Marcos von Obregon wiſſe. Ich rezitierte ihm einige 
neue Redondillen, die ich noch niemand mitgeteilt hatte, 
und nachdem er ſie aufmerkſam angehört hatte, wiederholte er 
ſie mir ſogleich Wort für Wort; er bewunderte die Verſe, 
und ich noch weit mehr ſein gutes Gedächtnis. Er kehrte 
wieder zum Lobe des Marcos von Obregon zurück und ſagte, 
wie ſehr er wünſchte, dieſen Mann kennen zu lernen, teils 
wegen der großen Dinge, die er von ſeinem Geiſte gehört habe, 
teils weil er mit ihm Nachbar ſei, denn er ſei aus Cañete la 
Real und Obregon aus Ronda gebürtig. Er fragte mich, wie 
ſein Benehmen, fein Geſpräch und feine Denkungsart fet, 
und ich antwortete, daß er mir in allem ſehr gleiche; denn 
da wir ſo gute Freunde ſeien, habe ich vieles von ihm und 
er vieles von mir angenommen. Wahrlich, ſprach der Hörer, 
wenn ſeine Liebenswürdigkeit derjenigen gleichkommt, die Ihr 
gezeigt habt, ſo hat er den Ruhm mit Recht, den die Welt 
ihm gibt. Der Auditor erwies mir auf dem ganzen Wege viel 
Artigkeiten, ſo daß er auf dieſer Reiſe den ſowohl angeborenen 
als erworbenen Adel ſeiner Seele kund tat. Wir durchreiſten 
die ganze Sierra Morena und ſahen viel außerordentliche Dinge, 
denn da ſie ſo groß, breit und ausgedehnt iſt, daß ſie ganz 
Spanien, Frankreich und Italien durchzieht — allerdings 
unter verſchiedenen Namen — bis ſie im Kanal von Kon— 
ſtantinopel ins Meer fällt, gab es in ihr viel Bemerkenswertes 
zu ſehen. Wir ſtießen auf einem Stück Sandboden auf eine 
Schlange mit zwei Köpfen. Der Auditor verwunderte ſich 
darüber ſehr und fagte, er habe es wohl ſchon ſagen hören, 
bis jetzt aber nie geglaubt. Und ich glaube es auch jetzt noch 
264 


nicht, bemerkte ich, daß ein Körper zwei Köpfe haben könne. 
Es fiel uns auf, daß ſie ſich ſchwerfällig bewegte und vor unſeren 
Tieren nicht floh. Der Auditor befahl dem Maultiertreiber, ihr 
einen Schlag mit der Gerte zu geben. Dieſer tat es, und im gleichen 
Augenblick gab die Schlange einen Seidenwurm von ſich, den ſie 
bereits bis zum Kopf verſchluckt hatte und eben ganz verſchlingen 
wollte. Dadurch wurde die Täuſchung offenbar. 


Fünfzehntes Kapitel. 


Da der Menſch von Natur ein geſelliges Weſen iſt und 
den Umgang mit ſeinesgleichen liebt, ſo behagte der meinige 
auch dem Auditor ſo wohl, daß er auf der ganzen Reiſe ſich 
keinen Augenblick von mir entfernte. Er hatte einen ſcharf— 
ſinnigen Geiſt und tat über alles, was ſich unſeren Blicken 
darbot, ſehr artige Fragen, die ich beantwortete, ſo gut ich 
konnte und wußte. Bald darauf geſellte ſich ein Geiſtlicher 
zu uns, der aus einem kleinen Ort in der Gegend war, dieſer 
betete auf dem Wege ſeine Horen ſo laut, daß die Korkbäume 
und Eichen es hören konnten; unſer Geſpräch ward dadurch 
geſtört, und er erfüllte feine Pflicht ſehr ſchlecht. Der Audi: 
tor fragte ihn, ob er dies nicht bis zur Nacht verſchieben wolle, 
wo er es mit der gehörigen Ruhe und Andacht verrichten 
könne. O Herr, antwortete der Prieſter, die Kirche legte uns 
die Pflicht auf, daß wir auch während der Reiſe beten müſſen. 
Warum ſollte es nun nicht erlaubt ſein, daß ein Geiſtlicher, 
der am Abend ermüdet iſt und über ſein Geſchäft und den 
Zweck ſeiner Reiſe nachdenken muß, auch während des Weges 
ſein Gebet verrichtet? Der Auditor antwortete: Weil die 
Kirche ihre Prieſter nicht des Umherſtreifens, ſondern des 
Betens halber erhält. — Das iſt eine gute Antwort, ſprach der 
Geiſtliche, und war auf dieſe Weiſe ſehr treffend zur Ruhe 
verwieſen. Wir trafen auf einen Burſchen, eine Art von Land— 

265 


ftreicher, den wir einholten, da er nicht fo ſchnell als die Pferde 
gehen konnte, und den der Auditor fragte, wohin er gehe. Er 
antwortete: Zum Alter. — Auditor: Das meine ich nicht, 
ſondern: Welchen Weg nimmſt du? — Junge: Der Weg 
nimmt mich, ich nicht ihn. — Auditor: Aus welchem Lande 
biſt du? — Junge: Aus dem der heiligen Maria von der 
ganzen Welt. — Auditor: Ich will ſagen: in welcher Land— 
ſchaft biſt du geboren? — Junge: Ich wurde in Feiner Land: 
ſchaft geboren, ſondern auf dem Stroh. — Auditor: Du 
ſpielſt gut mit den Worten. — Junge: So gut ich auch 
ſpielen mag, ich verliere doch immer. — Auditor: Der Burſche 
muß nicht wie andere entbunden worden ſein. Junge: Ge⸗ 
wiß nicht, weil ich niemals ſchwanger war. — Auditor: Ich 
meine, weil du nicht ſagen willſt, wo du geboren biſt, ſo 
mußt du wohl nirgends entſprungen ſein. — Junge: Warum 
ſoll ich denn entſprungen ſein, da ich doch kein Fluß bin? 
— Auditor: Fürwahr, du haſt eine ſcharfe Zunge. — Junge: 
Wenn ſie ſcharf wäre, würde ich ſie nicht in den Mund 
nehmen. — Auditor: Haſt du einen Vater? — Junge: Um 
nicht viele auf einmal zu haben, laufe ich eben davon, denn 
ſie wollten mich zum Mönch ſcheren, und da hatte ich ſo viele Väter, 
daß ich es nicht aushalten konnte. — Auditor: Iſt es denn alſo 
beſſer als Kurier herumzulaufen? — Junge: Um jenen dort aus 
der Kur zu kommen, laufe ich doch lieber ſo als Kurier. 

Wir lachten viel über den Jungen, und als wir zu einer 
Schenke kamen, die an einem ziemlich tiefen Bach zwiſchen 
zwei Hügeln lag, ſagte der Maultiertreiber: Hier müſſen wir 
anhalten, denn ſie werden uns gute Herberge geben, und 
die Wirtin iſt eine ſchöne ſtattliche Frau; gehen wir aber 
weiter, ſo müſſen wir wenigſtens noch drei Stunden in der 
Nacht reiſen. Er nötigte uns und verſprach uns Betten. Wie 
es ſchien, war die Wirtin feine gute Bekannte, mehr alg | 
266 


recht war. Wir traten in das Haus, und die Wirtin kam 
uns entgegen; ſie hatte ein ſehr widerwärtiges Weſen und 
trug einen dunkelroten Anzug mit einem weißen Überkleide, 
das viele Löcher hatte. Der Maultiertreiber fragte mich: Nun, 
was ſagen Euer Gnaden? Ich antwortete ihm: Es ſcheint 
mir ein ſchäbiger Putzsꝰ. Der Auditor bemerkte, fie fet als 
Jungfrau und Märtyrerin gekleidet. Ihr habt recht, antwortete 
ich, aber die Keuſchheit trägt ſie nach außen und das Mär— 
tyrertum nach innen, und ſo wie dies viele Flecken hat, ſcheint 
jene mir ziemlich zerriſſen. — An den Redensarten kann man 
erkennen, wie die Leute ſind, ſagte die Wirtin. Ich änderte 
mein Benehmen, da ich ſah, daß ſie den Scherz übelgenommen 
hatte, und der Maultiertreiber, der ſehr erzürnt war, tröſtete 
ſie mit den Worten: Die Wahrheit iſt, daß Ihr ſehr reizend 
und ſchön ſeid und ein Angeſicht habt, das an einen beſſeren 
Ort als in dieſe Schenke hingehörte. Dadurch ward ſie be— 
ſänftigt; denn ſie war von leichter Gemütsart und trug uns 
ſehr gute Rebhühner zum Abendeſſen auf. Sie war hernach 
ſehr vergnügt, weil ich ihr ſagte, wir wären bedient worden 
wie bei Hofe und ſprach: Betten ſind da für Euer Gnaden, 
doch was die Wäſche betrifft, die gerade vorhanden iſt, ſo habe 
ich nur wenig Laken. Da ſagte der Mönchsjunge: Daran 
wird's nicht fehlen, denn mit denen, die der Maultiertreiber 
angekündigt hat, könnte man Burgos und Segovia zudecken. 
— Mach' dich nicht über mich luſtig, knurrte der Maultier⸗ 
treiber, ſonſt mache ich, daß du am hellen Mittag Sterne ſiehſt. 
— Dann ſeid Ihr wohl der Dreikönigstag, ſagte der Junge. 
— Ich bin die Hure, die dich gebar, antwortete der Treiber. 
Dadurch bin ich alſo zugleich einem ſo kapitalen Schelm ent— 

ſchlüpft, gab der Junge zurück. 
Der Burſche und der Maultiertreiber ſagten ſich noch recht 
viel artige Sachen, die uns die Zeit vertrieben. Der Auditor 
267 


fragte den Knaben: Sage mir, bei deinem Leben, wo du her 
biſt? — Herr, antwortete er, ich bin ein Andaluſier, in der Nähe 
von Ubeda aus einem Flecken, welcher Torreperogil heißt. Ich 
bin von lebhaftem Geiſte, und da ich an dem kleinen Orte 
meine Talente nicht ausbilden konnte, ſtahl ich meinem Vater vier 
Realen und lief nach Übeda, wo ich ſah, wie bei den Häuſern 
von Kobos um Kuchen geſpielt ward. Ich bekam Luſt, davon 
zu eſſen, und ſpielte mit; doch ich verlor meine vier Realen, 
ohne den Kuchen gekoſtet zu haben. Ich lehnte mich an die 
Säule einer Vorhalle, die in der Nähe war, und ſtand dort in 
Schmerz verſunken, bis es Abend ward. Da kam ein alter 
Mann, der mich fragte: Was macht Ihr hier, mein feiner 
Herr? Ich antwortete: Ich halte dieſen Pfeiler, damit er 
nicht einſtürze. Weshalb fragt Ihr mich? — Wenn Ihr 
nicht wißt, wo Ihr ſchlafen ſollt, ſprach er, ſo iſt hier die 
Bank eines Tuchſcherers, und Ihr könnt Euch auf die Wolle 
niederlegen. — Und dieſe Scherersbank, antwortete ich, kann viel⸗ 
leicht alle meine Scherereien und Unfälle von mir abſcheren. 
— Beklagt Ihr Euch ſchon ſo früh darüber? ſagte der gute 
Mann. Soll ich nicht klagen, antwortete ich, da, ſeit ich 
das Haus meines Vaters verließ, nur Unglück mich betroffen 
hat. — Woher ſeid Ihr, fragte er. Viele Meilen von hier, war 
meine Antwort. Seht, mein Sohn, für den Menſchen ſind 
die Leiden erſchaffen, und wer nicht Mut hat, ihnen zu wider⸗ 
ſtehn, der kommt darin um; da Ihr ſie aber ſchon ſo früh 
erdulden müßt, ſo werden ſie Euch um ſo leichter zu tragen 
ſein, wenn Ihr ein Mann ſeid. Ein feiger, nachläſſiger Menſch 
macht gar keine Erfahrungen und weiß das Gute nicht zu 
ſchätzen, denn die Beſchwerden machen den Menſchen geſchickt 
und fähig zu allen Dingen. Ich verließ das Haus meiner 
Eltern in Eurem Alter, und durch meine Geſchicklichkeit bin 
ich dazu gelangt, jetzt das ehrenvolle Amt eines Polizeioffi⸗ 
268 


zianten in dieſer Stadt zu bekleiden. — Ihr habt es weit ges 
bracht, ſagte ich, und es möge Euch bleiben. Aber wer keinen 
Heller im Beutel führt, wie kann der zu etwas kommen? 
— Wenn Ihr ſo weit hergekommen ſeid, wie Ihr vorgebt, ent— 
gegnete er, ſo iſt es kein Wunder, daß Ihr alles ausgegeben 
und viel erduldet habt. Wo iſt Eure Heimat? — In Torreperogil, 
ſprach ich. Er lachte, und ich ſagte zu ihm: Scheint Euch das 
ein zu kurzer Weg, um viel zu erleben? Da es Nacht war, 
als ich fortging, ſo ſchlüpfte ich in einen Weinberg, wo ich 
ſo viele betaute Trauben aß, daß ich hätte platzen müſſen, 
wenn ich keinen Ausgang gefunden hätte, und alſo niemals 
nach Ubeda gekommen wäre. Nachdem ich dies Leiden kaum 
überſtanden hatte, begegnete es mir, vier Realen zu verſpielen, 
die ich bei mir führte, und da bin ich nun ohne Geld, hungrig 
und durſtig, ohne Wohnung und Bett. — So geht dorthin, 
ſprach er, und Ihr werdet es finden. Ich ging, und nachdem 
ich mir die Wolle etwas zurechtgelegt hatte, ſtreckte ich mich 
darauf aus. Ich ruhte etwas, aber um Mitternacht verwan- 
delte ſich die Heiterkeit des Himmels in Ungewitter und Sturm, 
ſo daß ich glaubte, ich würde den Morgen nicht erleben, denn 
der brauſende Wind fuhr in die Bank, fegte den Staub 
aus der Wolle und bedeckte meine Augen damit und meinen 
ganzen Körper mit Regenwaſſer. Um mein Elend vollſtändig 
zu machen, kamen auch noch die Schweine, die in den Gaſſen 
nach Nahrung umherlaufen, zu den Bänken der Tuchſcherer, um 
ſich vor dem Unwetter zu ſchützen. Und in der Meinung, daß die 
Bank, die ich zu meinem Aufenthalt erwählt hatte, unbewohnt 
ſei, begaben ſich ungefähr zwölfe von ihnen grunzend hinein; und 
obwohl ſie mir mit ihren Schnauzen über das Geſicht fuhren, 
duldete ich ſie gern, wegen des Schutzes, den ſie mir gewähr— 
ten. Indes meine Naſe viel zu leiden hatte, kam der Morgen 
heran, der mich weder ſehr reinlich noch wohlriechend fand, 

269 


aber ſogleich mit einigen Stockſchlägen begrüßte; denn der 
Lehrjunge des Tuchſcherers kam, ſowie der Tag anbrach, und 
jagte mit einem drei Finger dicken Stock von Eichenholz die 
Schweine hinaus; in der Abſicht, dieſe zu treffen, verirrten 
ſich mehrere Schläge auf meinen Rücken, die mir ſogleich 
Schlaf und Müdigkeit vertrieben. Dies Leiden hatte ich über: 
ſtanden, doch andere Unglücksfälle hörten nicht auf, mich zu 
verfolgen; im Gegenteil, ich kam vom Regen in die Traufe, 
denn wohin ich auch gehen mochte, entweder ſuchte das Un: 
glück mich auf, oder ich das Unglück. Ich begab mich von 
Ubeda nach Cordoba, wo ich einen jungen Laienbruder antraf, 
der nach Alcala ging, um dort zu ſtudieren. Ich nahm ſein 
Anerbieten, ihn zu begleiten, mit Vergnügen an, denn er aß 
und trank ſehr gut, von den Almoſen, die ihm in den Dör⸗ 
fern und einſamen Schenken gereicht wurden. Mein Geſchwätz 
gefiel ihm ſo wohl, daß er mich in einem Kloſter ſeines 
Ordens ſehr lobte, weshalb ſie mir das Ordenskleid mit 
Freuden gaben. Oft hatte ich davon gehört, wie großen Hunger 
die Novizen leiden müſſen; ich wollte es aber nie glauben, 
bis ich es nun ſelbſt erfuhr. Als wir fertig geſpeiſt hatten, 
nahm ich dem Pater Küchenmeiſter ein kleines Brot, um mich 
untertags daran zu erquicken; als ich dies aber zum zweiten⸗ 
mal verſuchte, ertappten ſie mich dabei, und ich wurde hart 
beſtraft. Ich bediente mich nun einer ſehr guten Erfindung: 
ich ſchlug nämlich fünf oder ſechs Nägel nach unten zu in 
die Bretter meines Bettes, und ſowie ich das Brot genommen 
hatte, lief ich ſchnell dahin und befeſtigte es an dieſe Nägel; 
ſie kamen mir nach, und als ſie es nicht bei mir fanden, ward 
die Schuld auf einen andern geſchoben. So vergingen einige 
Tage, in denen ich mein Frühſtück und Veſperbrot nach 
meinem Sinn verzehrte und andere die Strafe dafür leiden 
ließ. Dies wäre bis auf dieſen Tag ein Geheimnis geblieben, 
270 


hätte mich nicht ein Streich verraten, den ich dem Aufſeher 
der Novizen ſpielte. Dieſem wurde eines Tages ein Körbchen 
mit ſehr gut ausſehenden Biskuittorten zugeſchickt, von dieſen 
ſtahl ich ihm zwei, während er eben den Kopf umwendete, 
und, mich ſtellend als habe ich ſonſt etwas zu tun, befeſtigte 
ich fie an die ſchon erwähnten Nägel, kehrte dann gemeſſenen 
Schrittes zurück und ſetzte mich zum Leſen nieder. Jener 
vermißte die Kuchen und kam zu meinem Bette, wo ich ſaß, 
er durchſuchte meine Kleider und das Geſchirr, und da er hier 
nichts fand, wollte er ſehen, ob das Entwendete vielleicht 
unter dem Bette ſei, und kroch mit dem halben Leibe hinunter. 
Hier iſt auch nichts, ſprach er, laßt uns weiter ſuchen. Ich 
war ſchon ganz ſicher und ruhig, als er aber wieder unter dem 
Bette hervorkroch, blieb er mit dem Hinterkopf an einem 
meiner Nägel hängen. Da es ihm weh tat, ſah er nach, was 
es ſei, und fand an den Nägeln ſeine Kuchen und meine 
Brote. Sie richteten mich ſo zu, daß mein Körper ausſah 
wie die Palette eines Malers. Sie ließen mich liegen, denn 
ſie dachten, ich würde die Nacht mich noch nicht wieder regen 
können, aber ich ſchnürte mein Bündel, und da ſie bemerkten, 
daß ich mich auf den Weg gemacht hatte, ſchickten ſie mir 
zwei dienende Brüder nach, die, da ſie die Wege beſſer als 
ich kannten, mir den Vorſprung abgewannen, und ich ſah ſie, 
als ich das Kloſtergebiet verließ, ſchon von weitem ſtehen, 
an einem Orte, wo ich ihnen durchaus nicht entwiſchen konnte. 
Da die Not aber die ſinnreichſte Erfinderin von Hilfsmitteln 
iſt, fand ich das meinige in einem Bienenhauſe, das dicht 
am Wege ſtand. Sowie ich dieſes erblickte, ſprang ich hinein, 
ſtieß wohl zwanzig Bienenkörbe um und ſtellte mich hinter 
dieſe, ohne mich im mindeſten zu bewegen, denn die Bienen 
ſtechen nur den, der ſie angreift. Als jene ſich nun dem Hauſe 
nahten, ſetzten die Bienen ſich zur Wehr, um den Platz zu 

271 


behaupten, und als die Brüder ſtürmen wollten, griff die 
Beſatzung zu den Waffen. Jene wehrten ſich mit den Hän— 
den, aber je mehr ſie mit dieſen um ſich ſchlugen, um ſo viel 
größer ward die herbeieilende Schar der Bienen. Da das Heer 
auf dieſe Weiſe zur Schlacht gerufen ward, verließ die Arrier⸗ 
garde ihre Zelte und kam der Avantgarde zu Hilfe, und die 
Schar ward endlich ſo groß, daß ſie den armen Henkern 
die Sonne verdunkelte. Nachdem ich der Schlacht, die meinet- 
wegen geſchlagen wurde, einige Zeit zugeſehen hatte und be— 
merkte, daß ich jetzt mit Sicherheit entwiſchen konnte, verließ 
ich mit Katzenſchritten und mit der größten Vorſicht das 
Schlachtfeld und begab mich in ein Gebüſch, von dem ich 
noch dichter verhüllt ward als meine Gegner von den Bienen, 
die ihnen in die Arme und Kragen krochen und ihnen alle 
Mittel der Verteidigung abſchnitten. Gleich zu Anfang ſetzte 
ſich eine ſo große Anzahl davon an ihre Stirn und Augen, 
daß ſie in einem Augenblick ſo geblendet wurden, daß ſie nicht 
ſahen, wohin ſie gingen, und ſich alſo nicht retten konnten. 
Der Herr des Bienenhauſes kam endlich herzu, um ſeine 
Völker zur Ruhe zu verweiſen, mit feinen Verteidigungswaf—⸗ 
fen gerüſtet. Er fand die armen Burſchen ſo zerſtochen und 
voller Beulen, daß er, anſtatt einen Schadenerſatz zu vers 
langen, für die Verwüſtung, die ſie in ſeinem Lager angerich— 
tet hatten, fie aus dem Angeſicht des empörten Volkes ent: 
fernte, das ſie vollends getötet haben würde. Sechs Tage 
ſind es nun, daß ich den Streichen entflohen bin, die ſie 
mir zugezählt hätten, wäre ich ergriffen worden. Ä 

So unterhielt der Junge uns mit feinen Erlebniſſen und 
brachte alle Leute, die in der Schenke waren, zum Lachen. 
Ich ſagte zu ihm: Die Bienen haben ſich deiner angenom⸗ 
men, und wäre dies ohne Nachteil eines dritten geſchehen, 
ſo könnte man es den glücklichſten Zufall von der Welt 
272 


nennen. Da wir aber von Natur geneigt find, uns felbft mehr 
zu lieben als andere Menſchen, ſo ſuchen wir oft unſerer 
Not dadurch abzuhelfen, daß wir einen anderen darein ver— 
wickeln; allein der Menſch ſoll ſein Beſtes ohne den Schaden 
ſeines Nebenmenſchen ſuchen, denn das Gegenteil ſtreitet 
gegen die chriſtliche Liebe. Der Junge antwortete: Es mag 
ſein, wie es will, ſo habe ich doch immer ſagen hören, jeder 
Menſch habe die Verpflichtung, für ſich ſelbſt Sorge zu tragen. 
So tötete einſt ein Lamm einen Wolf, indem es ihn, um 
ihm zu entgehen, zu einer Falle lockte, die der Schäfer mit 
Gras bedeckt und eine tote Schlange darauf gelegt hatte. 
Es ſah den Wolf auf ſich zukommen, um es zu ergreifen, 
er verfolgte es, als es dahin floh, wo der Schäfer war, und 
als er zu der Falle kam, ſah er die Schlange und erſchrak ſo 
ſehr, daß er in die Falle geriet und die Beine zerbrach. Wenn 
nun ein Lamm ſich durch den Schaden eines anderen zu retten 
ſucht, warum ſoll es ein Menſch nicht tun? Darauf ſuchte 
ein jeder ſein Bett auf, verwundert über die Erzählung des Knaben. 


Sechzehntes Kapitel. 


Wir reiſten weiter, und obwohl wir den Jungen gern mit— 
genommen hätten, war dies doch nicht möglich, weil er zu 
langſam ging, daher gab ihm der Auditor Geld, damit er nach 
ſeiner Bequemlichkeit reiſen könne. Der Auditor befragte mich 
auf dem ganzen Wege ſehr eingehend über Marcos von Obregon. 
Wir kamen nach Cordoba, wo wir uns trennen mußten, und 
er bat mich beim Abſchiede, daß ich dem Marcos ſagen möchte, 
wie groß ſein Verlangen ſei, ihn kennen zu lernen, und daß 
er, wenn er nach Sevilla käme, ſein Haus ganz als das ſeinige 
anſehen möchte. Unter dieſen Geſprächen erreichten wir die 
Brücke des Guadalquivir, ein jeder ritt ſeines Weges, und 
als wir ungefähr hundert Schritte voneinander getrennt 
18 273 


waren, rief ich ihm zu, und zwar fo laut, daß er es verfteben 
konnte: Herr Auditor, ich bin Marcos von Obregon! Dar— 
auf ſpornte ich mein Tier, ſo ſchnell ich konnte, und ſchlug 
die Straße nach Malaga oder Gibraltar ein, denn nach einem 
dieſer beiden Orte wollte ich gehen. Der Auditor wollte um: 
kehren und mich zurückrufen, da ich aber zu ſchnell ritt, 
ſagte er zu ſeinen Leuten: Jetzt weiß ich, weshalb ich mich 
in der Geſellſchaft dieſes Mannes ſo wohl befand. Ich habe 
ihn in der Tat ſo lieb gewonnen, ohne zu wiſſen, wer er iſt, 
daß ich alles für ihn tun könnte. Ich richtete meinen Weg 
nach einer der genannten Städte, die ſich eines lieblichen und 
meinem Alter günſtigen Klimas erfreuen; denn die Kälte wird 
dort nie heftig, die verſchiedenen Seehäfen ſowie die Nähe 
von Afrika geben eine angenehme Abwechſlung, und man 
findet viele Orte, die zur Einſamkeit und Betrachtung ein⸗ 
laden. Ich kam nach Malaga, denſelben Tag als die Fregatte 
del Pennon dort eingelaufen war, die Juan de Lora komman⸗ 
dierte, ein ſehr tapfrer Krieger, der von den Mauren und 
Türken viele Wunden empfangen, ſie aber auch tüchtig wieder 
gegeben hatte und jetzt eine ſehr friedlich errungene Beute 
heimbrachte. Da er mein Freund war, beſuchte ich ihn, und 
wir wünſchten uns gegenſeitig Glück wegen unſerer Ankunft. 
Er erzählte mir, wie er unterwegs ein vom Sturm beſchä⸗ 
digtes Schiff getroffen habe und darin ein türkiſches Mädchen 
und einen jungen Menſchen gefunden, die vermutlich Ces 
ſchwiſter wären. Das Mädchen ſei ſehr ſchön und der Jüngling 
von edlem Anſtand und habe ſo viel von den ſpaniſchen Sitten 
an ſich, daß er ſich darüber wundern müſſe, da ſie in Afrika 
und von ungläubigen Eltern geboren wären. Ich bat ihn, 
ſie mir zu zeigen, denn er hielt ſie ſehr ſtreng verwahrt, weil 
er ſie verſchenken wollte. Er antwortete mir: Es wäre mir 
lieb, wenn Ihr ſie ſprechen hörtet, ohne ſie zu ſehen; denn 
274 


da Ihr in Algier geweſen ſeid, könnte ich auf dieſe Weiſe 
erfahren, ob ſie die Wahrheit reden. Er ging in das Zimmer, 
in dem ſie waren, ich blieb an der Tür, und er ſprach zu 
ihnen: Erzählt mir eure Geſchichte nun nach der Wahrheit, 
damit ich, da ihr nun einmal in meiner Gewalt ſeid, euch 
behandle, wie es euer Stand verdient. Der junge Menſch 
war ſehr niedergeſchlagen, und das Mädchen brach in Tränen 
aus. Ihr Herr ſprach ihnen Mut ein, und der Jüngling 
begann ſeine Erzählung folgendermaßen: Daß die Beraubung 
der Freiheit, dieſes höchſten Gutes, uns tief betrübt, iſt wohl 
ſehr natürlich, daß wir von unſeren Eltern, unſerem Vater— 
lande und allem, was uns lieb und teuer iſt, getrennt ſind, 
müſſen wir ſchmerzlich empfinden; daß wir Vermögen, Skla— 
ven, Größe und Unabhängigkeit verließen, das verurſacht uns 
Kummer; aber daß wir die Abſicht, wegen der wir kamen, 
nicht erreicht haben, das muß uns das Herz zerreißen. Meine 
Schweſter und ich, denn wir ſind Geſchwiſter, wurden in 
Algier geboren, unſer Vater iſt ein Spanier, der aus dem 
Königreich Valencia nach Algier hinüberging. Er verheiratete 
ſich mit meiner Mutter, die eine Türkin iſt. Unſer Vater iſt 
Korſar und beſitzt zwei Galeeren, mit denen er den Chriſten 
ſchon viel Schaden getan hat. Unter den Gefangenen, die er 
in Spanien raubte, war einer, den er uns zum Lehrer in der 
ſpaniſchen Sprache gab; denn da er ſein Vaterland ſehr liebte, 
erweckte er auch in uns Liebe und das Verlangen nach dem, 
was von ihm ſo hoch gehalten ward. Dieſer ſpaniſche Sklave 
war ſo eifrig, uns ſeine Lehre beizubringen, daß ich nach 
kurzer Zeit diejenige verabſcheute, die ich mit der Muttermilch 
eingeſogen hatte, und mein Herz ganz der chriſtlichen ergab. 
Ich betete zu Jeſus, meine Schweſter zu Maria, deſſen Mutter; 
wir unterhielten uns nur von dieſem Gegenſtand und taten 
ein feierliches Gelübde, in dem chriſtlichen Glauben zu leben 
18 · 275 


und zu fterben. Jener Sklave verfprach uns, ein Mittel aus: 
zufinden, daß wir die heilige Taufe empfangen könnten. Vor 
acht Jahren kehrte er nach ſeinem Vaterlande zurück, und jetzt 
erfuhren wir, daß ihn, als er Algier verließ, die genueſiſchen 
Galeeren gefangen nahmen, und daß er getötet ward, weil 
man ihn für unſeren Vater hielt. So ſeines Rates und ſeiner 
Hilfe beraubt, entſchloſſen wir uns, ein anderes Mittel zu 
erſinnen. Da meine Schweſter nun in dem Alter war, ſich 
vermählen zu können, und ich der einzige Erbe unſeres großen 
Vermögens, ſchloß mein Vater einen Vergleich mit einem 
reichen Türken, der auch einen Sohn und eine Tochter unſeres 
Alters hatte, die Töchter gegeneinander auszutauſchen und 
ſie mit den Söhnen zu verheiraten. Alle unſere Freunde in 
Algier traten dieſem Wunſche bei, denn obwohl meine Schweſter 
und ich Freiheit und Reichtum beſaßen, ſo ſtanden wir doch in 
dem Rufe, dieſe nie mißbraucht zu haben; und obwohl wir 
ſehr geachtet wurden, ſie wegen ihrer Schönheit und ich wegen 
meines Vermögens, ſo achteten wir dies alles doch nie ſo hoch, 
daß wir darüber die chriſtliche Freiheit des Herzens verloren 
hätten, die unſer Lehrer uns ſo hoch geprieſen hatte. Da das 
Unglück uns ſo plötzlich bedrohte und die Zeit nahe war, in 
der wir uns vermählen und alle die ſehnſüchtigen Wünſche, die 
unſere Bruſt erfüllten, aus dem Herzen reißen ſollten, ſo 
benutzten meine Schweſter und ich den günſtigen Augenblick, 
während unſer Vater eine Reiſe nach dem Oſten machte, um 
durch die erworbene Beute uns für unſeren neuen Stand noch 
mehr zu bereichern. Nachdem unſer Vater die Anker gelichtet 
hatte, begaben wir uns nach einem Landgute und teilten unſere 
Abſicht vier ſpaniſchen, zwei türkiſchen und ſechs italieniſchen 
Sklaven mit, die an der ſpaniſchen Küſte ſehr gut Beſcheid 
wußten. Da meine Mutter unbeſorgt war, weil ſie die Schweſter 
unter meinem Schutze wußte, bemächtigten wir uns bei An⸗ 
276 


bruch der Nacht eines Schiffes. Mit der größten Vorficht 
ſchifften wir uns ein und ruderten ſo ſchnell, daß wir am 
andern Morgen ſchon die Küſte von Valencia erblickten. Als 
wir uns ſchon in Sicherheit glaubten, erhob ſich aus Oſten 
ein ſtarker Wind, der uns zwang, die Segel einzuziehen und 
uns mit ſolcher Gewalt nach Weſten trieb, daß wir das Fahr— 
zeug nicht regieren konnten. In hohen Bergen ſtiegen die 
Wellen empor und riſſen ſchreckliche Abgründe auf, in welche 
wir hineingeſchleudert wurden. Da ich und meine Diener mehr 
auf die Rettung meiner Schweſter als auf die eigene be— 
dacht waren, mußte ſie ſich mit dem Geſicht auf den Boden 
des Schiffes legen, und vier meiner Leute ſtellten ſich vor ſie, 
um die Gewalt eines Waſſergebirges abzuhalten, das auf uns 
zukam; doch die Welle verſchlang ſie alle vier, und wir ſahen 
ſie nie wieder. Wir ergaben uns in den Willen des Himmels 
und banden meine Schweſter feſt, damit die Fluten ſie uns 
nicht entriſſen, wenn wir Schiffbruch leiden ſollten. Der un— 
geſtüme Wind riß denen, die noch arbeiteten, die Ruder aus 
den Händen. Da ich ſah, daß nur Gott uns raten konnte, 
befahl ich ihnen, keinen Verſuch mehr zu machen, denn das 
Schiff ward von den ungeheuren Wogen wie eine Nußſchale 
umhergeſchleudert und erhielt ſich durch ſeine Leichtigkeit oben. 
Einmal, als ich fürchtete, daß es umſchlagen möchte, umfaßte 
ich meine Schweſter, und dadurch rettete ich mein Leben; 
denn alle unſere Gefährten, die frei im Schiffe ſaßen, wurden 
von den Wellen hinweggeriſſen, ausgenommen zwei, welche 
ſich an dem Rand des Schiffes anhielten. Der Wind be— 
ruhigte ſich ein wenig, aber das Meer, durch die Stürme 
aufgeregt, blieb noch zwei Tage in gewaltiger Bewegung; ſo 
wurden wir fünf oder ſechs Tage umhergetrieben, ohne daß 
wir das Wenige, das uns noch geblieben war, genießen konnten. 
Da ich weder Ruder hatte, noch Leute, die ſie führen konnten, 

277 


erinnerte ich mich daran, daß jener unſer Lehrer oder Sklave uns 
einſt geſagt hatte, wie diejenigen, welche ſich dem Schutze 
Gottes empföhlen und die heilige Taufe empfingen, alle Leiden 
mit Geduld und Hoffnung ertragen könnten; dies gewährte 
mir Troſt. Meine Schweſter kam wieder zu ſich und fing mit 
großer Andacht an, einen Roſenkranz zu beten, den Marcos 
von Obregon ihr geſchenkt hatte, ſo nannte ſich nämlich unſer 
Lehrer. Da entdeckten wir Euer Schiff, und es war nicht unſere 
Abſicht, uns zu verteidigen, denn jene beiden Türken, die 
Euer tapfrer Arm erſchlug, hatten wir mit uns genommen, 
weil ſie ſich auch zum chriſtlichen Glauben bekehren wollten. 
So kamen wir in ein chriſtliches Land, und wir bitten den 
Himmel, daß er uns Geduld verleihe und unſer Verlangen er— 
fülle. — Hier hörte der Jüngling auf zu erzählen, ſeine Schweſter 
aber nicht, fortwährend Tränen zu vergießen, was ſie getan 
hatte, ſolange er ſprach. Der Kapitän war gerührt und ſagte 
zu ihnen: Wenn das, was ihr mit ſo vieler Anmut erzählt 
habt, wahr iſt, ſo will ich euch die Freiheit geben, und ihr 
ſollt alle eure Koſtbarkeiten wieder erhalten. Aber, fügte er 
hinzu, würdet ihr wohl Marcos von Obregon wiedererkennen, 
wenn ihr ihn ſähet? — Wie können wir ihn denn ſehen, da 
er tot iſt? fragte das Mädchen. Der Kapitän ſprach: Kommt 
heraus und ſehet, ob er unter dieſen Männern iſt. Furcht 
und Hoffnung kämpften in ihrem Gemüt, und das Mädchen 
war noch ſtärker erſchüttert als ihr Bruder; denn die Liebe 
erinnerte ſie an die Vergangenheit, und die Religion belebte 
den Wunſch in ihr, denjenigen wieder zu ſehen, der ſie darin 
unterwieſen hatte. Sie traten aus dem Gemach, und als 
ſie mich erblickten, fielen ſie mir zu Füßen und nannten mich 
Vater, Lehrer und Herr. Ich konnte mich nicht faſſen, und 
das Staunen beraubte mich der Sprache. Endlich beſtätigte ich 
die Wahrheit ihrer Erzählung, und als ich mich etwas ge⸗ 
278 


ſammelt hatte, weinte ich mit ihnen; denn auch die Freude 
hat ihre Tränen, und ſie ſind ebenſo ſüß, als die bitter ſind, 
welche der Schmerz auspreßt. Der Kapitän war erſtaunt über 
dieſe Begebenheit, und nachdem ſeine Worte und meine Gegen— 
wart die jungen Leute getröſtet hatten, ſprach er zu ihnen: 
Gott verhüte, daß ich Chriſten gefangen halte. Habt eure 
Freiheit, und hier nehmt auch eure Kleinodien zurück, von 
denen ich nicht Beſitzer, ſondern bloß Aufbewahrer geweſen 
bin. Ich ſah ſie und unter ihnen auch den Roſenkranz, den 
ich meiner Schülerin geſchenkt hatte. Gebraucht eure chriſtliche 
Freiheit, fuhr der Kapitän fort, da ihr ſo glücklich waret, dazu 
zu gelangen, eure erhabene Abſicht auszuführen. Die Freude, 
dieſe beiden geliebten Kinder wieder zu ſehen, die mir mein 
Leben und meine Gefangenſchaft erleichterten und verſüßten, 
machte mich, wenn ich ſo ſagen darf, wieder jung. Ich ſprach 
lange mit ihnen von meinen Leiden und ihrem Glück, und die 
lieblichen Geſchwiſter hielten es für ein ſo Großes, mich wieder 
gefunden zu haben, daß jede Spur der überſtandenen Be— 
ſchwerden aus ihren Angeſichtern verſchwand. Ihr neues Leben 
begann damit, daß ihnen das ward, wonach ſie ſich ſo lange ſchon 
geſehnt hatten, und die Veränderung ihres Wandels war ſo 
auffallend, daß ſie uns allen als Beiſpiel dienen konnte. 
Sie begaben ſich nach Valencia, um die Verwandten ihres 
Vaters aufzuſuchen. Dort lebten ſie zur größten Zufrieden— 
heit ihrer Seele, und ich erfuhr nachher, daß ſie dort als 
Muſter der chriſtlichen Vollkommenheit leuchteten. 


Siebzehntes Kapitel. 

Es ſchien mir, daß ich in dem unruhigen Treiben in Malaga, 
das durch den Zuſammenfluß der Menſchen zu Land und Meer 
verurſacht wird, bei der geſelligen Freundlichkeit des Volkes, da 
ich noch dazu ſehr bekannt an dieſem Orte war, die Zurück⸗ 

279 


gezogenheit, welche ich mir wünſchte, nie nach dem Maße meines 
Verlangens finden, noch meinen höchſten Zweck erreichen würde. 
Ich ſuchte daher das Weidendickicht von Ronda auf, wo es ſo 
einſame und verſteckte Plätze gibt, daß ein Menſch viele Jahre 
dort leben kann, ohne geſehen zu werden, wenn er dies nicht 
ſelbſt veranlaßt. Ich begab mich als ein ſchlichter einfacher 
Mann auf den Weg; damit ich ihn aber nicht ganz ungeſtört 
zurücklegen ſollte, mußte es ſich treffen, daß, als ich nach Sa⸗ 
binilla kam, zwei türkiſche Brigantinen landeten. Die Türken 
kamen an das Ufer und bemächtigten ſich aller der Fiſcher und 
Hirten, die in der Gegend zerſtreut waren. Obwohl man 
Signale gegeben hatte, ſo wurden wir ſie doch nicht eher gewahr, 
als bis wir in die Gewalt der Mauren gerieten und ſie uns 
mit gebundenen Händen in die Schiffe ſchleppten. Da ſie 
glaubten, das Meer wie das Land ganz in ihrer Gewalt zu 
haben, wurden ſie ſorglos und füllten ſich den Ranzen mit 
Wein, den ſie in einer Fiſcherwohnung gefunden hatten, ſo 
daß alle, oder doch die meiſten von ihnen, ſich betranken. 
In dieſem Zuſtande wurden ſie von den Einwohnern von 
Eſtepona und Caſares überfallen, denen andre aus der Nach— 
barſchaft, die den Lärm gehört hatten, zu Hilfe kamen. Viele 
Türken kamen um, andre wurden zu Gefangenen gemacht, 
und nur wenige entrannen. Wir, die wir in den Brigantinen 
waren, baten unſre Wachen, daß ſie uns losbinden möchten, 
wenn ſie ihr eignes Leben retten wollten. Sie taten es und 
zwar zu ihrem eigenen Beſten. Denn ein Ochſenhirt, der ſich 
mit den Zähnen losgemacht hatte, ergriff ein Ruder und 
handhabte es ſo behende, als wenn es eine Elle geweſen 
wäre, wodurch er ſie zwang, uns alle an das Land zu ſetzen. 
Ich war ſehr betrübt, indem ich mich der vielen Gefahren er— 
innerte, die ich zu Land und Meer überſtanden hatte. Bei 
allen dieſen Unfällen meines Lebens hatte ich jedoch immer 
280 


Troſt und Unterſtützung gefunden, und fo ging es mir auch 
jetzt; denn ich erblickte in der Nähe des Landhauſes von Caſares 
einen zwar bejahrten, aber rüſtigen und ſtets hilfsbereiten Mann, 
der als ein wahrer Abraham an Gaſtfreiheit und Milde be— 
kannt war; denn ſein Haus und Vermögen ſtand den 
Pilgern und Reiſenden immer zu Gebote. Dieſer Mann 
kam auch jetzt auf mich zu und ſagte: Obwohl mein Gefühl 
mich immer zu den Werken der Barmherzigkeit treibt, ſo 
mahnt es mich doch jetzt noch mehr, als gewöhnlich, da ich 
bemerke, daß Ihr alt und niedergeſchlagen ſeid. Kommt mit 
mir in mein Haus, denn, obwohl arm an Gut, iſt es doch 
reich an gutem Willen, und niemand befindet ſich darin, der 
nicht ebenſo bereit wäre, wie ich, die Werke der Liebe zu 
vollziehen. Nicht allein meine Frau und meine Kinder, ſondern 
auch meine Diener und Sklaven; und die Gaſtfreundſchaft 
iſt um ſo angenehmer, je größer die Eintracht und Liebe iſt, 
mit der ſie dargeboten wird. Wie iſt der Name desjenigen, 
der mir ſo viele Güte erzeigt? fragte ich; denn von der Freund— 
lichkeit, die in Eurem Angeſicht leuchtet, abgeſehen, zwingt 
mich noch eine andre höhere Macht, Euch zu lieben, noch ehe 
ich Euch kenne. Ich bin ein Mann, antwortete er, der ſich 
nicht durch glänzende Eigenſchaften berühmt gemacht hat; ich 
lebe zufrieden mit der Lage, in welche Gott mich ſetzte; ich 
bin arm, aber mein Wille iſt gut, und ich beneide andre weder 
um ihren Reichtum noch um ihren hohen Stand, der ihnen 
die Verehrung der Menſchen erwirbt. Gegen die, welche höher 
ſtehen als ich, iſt mein Betragen einfach und demütig, für 
meinesgleichen bin ich ein Bruder und für meine Untergebenen 
ein Vater. Ich freue mich, wenn meine Herden in gutem Stande 
ſind, ich zeidle meine Bienenſtöcke und ſpreche mit den Bienen, 
als könnten ſie mich verſtehen. Ich beurteile das nicht, was 
andre tun, weil alles mir gut ſcheint; wenn ich ſchlecht von 

281 


jemand reden höre, fo ſuche ich das Geſpräch auf einen unter⸗ 
haltenderen Gegenſtand zu lenken. Ich tue ſo viel gutes, als 
ich kann mit dem wenigen, was ich beſitze, und was mehr 
iſt, als ich verdiene: ſo führe ich ein ruhiges Leben, ohne 
Feindſchaft, die das Leben zerſtört. Ihr ſeid glücklich, ſprach 
ich, denn ohne nach dem Glanz und Stolz dieſer Welt zu 
ſtreben, beſitzt Ihr das, was jeder ſich wünſcht. Wie ſeid Ihr 
aber zu einem ſo ruhigen Leben gekommen? Er antwortete: 
Dadurch, daß ich, was ich beſitze, nicht verachte und fremdes 
Eigentum nicht beneide, dem Zweifelhaften nicht vertraue und 
das gern genieße, was ich ohne Beunruhigung meines Ge: 
mütes erlangen kann. Wer ein ſolches Leben führt, ſagte 
ich, der darf ſeinen Namen nicht verſchweigen. Er antwortete: 
Mein Name iſt, wie ich ſelbſt, unbekannt in der Welt, ich 
heiße Pedro Kimenez Espinel. Mein Herz ſchlug heftig, als 
ich dies hörte, aber ich verbarg meine Bewegung, um die 
Unterhaltung fortſetzen zu können, bis wir den Weg zurück⸗ 
gelegt hatten. Ich fragte ihn weiter: Und in dieſem ruhigen 
Leben gibt es nichts, was Euch Kummer oder Beſorgnis ver= 
urſacht? Bei Gott, Herr, war ſeine Antwort, nur, wenn die 
Arbeit nicht gut gemacht oder das Eſſen nicht zu rechter Zeit 
fertig iſt; außerdem habe ich keinen Verdruß, und auch dieſer 
iſt wie weggeblaſen, wenn ich das chriſtliche Leben vom Pater 
Luis von Granada leſe. Wieviele Philoſophen, ſprach ich, haben 
nach dieſer Einfalt des Lebens geſtrebt und ſie doch durch alle 
Beobachtung der Lehren der moraliſchen und natürlichen Philo⸗ 
ſophie nicht erlangen können! Darüber kann ich mich nicht 
wundern, ſagte der gute Mann, denn da in den Menſchen die 
große Gelehrſamkeit Stolz anſtatt der Demut erzeugt, können ſie 
zu dieſer Lebensweiſe nicht kommen; ich aber übte mich, da ich 
unwiſſend bin, von Kindheit auf in der Geduld und Demut, die 
ich von meinen Eltern lernte, und wobei ich mich ſehr wohl be⸗ 
282 


finde. Da Ihr aber in der Welt weit umhergekommen ſeid, habt 
Ihr vielleicht etwas von meinem Neffen erfahren? Denn ſeit 
vielen Jahren hörten wir nichts von ihm, und, wie man uns 
ſagte, iſt er jetzt in Italien. Der Grund, warum ich ſoviele 
Fremde in meinem Hauſe bewirte, iſt, ein gutes Werk zu tun, 
zum Teil aber auch, Nachricht von meinem Neffen zu erhalten. 
Wie heißt er? fragte ich, und er nannte mir meinen eigenen 
Namen. Ich kenne ihn wohl, ſetzte ich hinzu, und er iſt der 
beſte Freund, den ich auf der Welt habe. Er lebt, iſt jetzt in 
Spanien und Euch ſo nahe, daß Ihr ihn ſehen und ſprechen könnt, 
ohne weit zu gehen. Ich freute mich in der Seele, meinen 
Verwandten gefunden zu haben und zu ſehen, wie weit er es 
in den chriſtlichen und moraliſchen Tugenden gebracht hatte, ſo 
daß er mir wohl zum Muſter dienen konnte, wäre mein Gemüt 
ſo geläutert geweſen, wie es wohl ſein ſollte. Er war über die 
Nachrichten, die ich ihm brachte, ſehr erfreut, ich wollte mich 
aber nicht eher zu erkennen geben, als bis ich meinen Stand 
verändert hätte. 


Achtzehntes Kapitel. 


Um mich kurz zu faſſen: Ich kam nach dem Weidendickicht, 
wo das erſte, was mir begegnete, drei Rinderhirten waren, mit 


ſehr langen Flinten, die mir zuriefen: Steigt von Eurem Tier 


ab! Ich erwiderte: Ich befinde mich beritten beſſer als zu 
Fuß. Wenn Ihr Euch ſo wohl befindet, ſagten ſie, ſo verkauft 
es uns. Ich ſprach: das Ende davon würde dann ſein, daß 
ich ohne Tier und ohne Geld weiter gehen müßte. Aber wer 
ſind die Herren, die mir das Maultier abkaufen wollen, das ich 
in Madrid erſtand? Ihr ſollt es erfahren, antworteten ſie, jetzt 
ſteigt nur fürs erſte ab. Fürwahr ſagte ich, das iſt mir ſehr 
lieb; denn in meinem ganzen Leben habe ich kein ſchlechteres 
Tier geſehn: es iſt boshaft, blind und voller Krankheiten, und 

283 


hat mehr Jahre auf dem Buckel als ein alter Palmbaum, 
es ſtolpert alle Augenblicke und wirft ſich auf die Erde, ohne um 
Erlaubnis zu bitten. Nur eine gute Eigenſchaft beſitzt es: wenn 
ihr es in ein ganzes Magazin voll Korn bringt, wird es ſich 
nicht eher daraus entfernen, als bis der Durſt es dazu zwingt. 
Mit allen dieſen Fehlern wollen wir es doch haben, antworteten 
ſie. Ich ſtieg nun ab und überließ ihnen meine Taſchen zum 
Durchſuchen; da ſie aber nichts darin fanden, ſagten ſie, ſie 
wollten das Maultier ſchinden und mich in deſſen Haut ein— 
nähen, wenn ich ihnen kein Geld gäbe. Bin ich denn ein 
Koffer, fragte ich, daß ihr mich mit dem Fell eines Maultieres 
überziehen wollt, oder wollt ihr mir einen warmen Pelz geben, 
wegen der Kälte, die mich aus Furcht vor euren langen Feuer: 
röhren überläuft? Durch meine fröhliche Laune milderte ich 
ein wenig ihre Wut. Jetzt kamen noch fünf oder ſechs andere, 
die einen Menſchen verfolgten, der ſich ſehr mutig gegen ſie 
verteidigte und viele Wunden austeilte und empfing. Ihre 
Vorſicht gebot ihnen, ihn nicht zu töten, weil ein ſo tapferer 
Mann gut zu ihrer Geſellſchaft paſſen würde. Er aber wollte 
davon nichts wiſſen und rief ihnen mit edlem Zorn zu, 
ſie möchten ihn nur töten, wenn ſie könnten. Warum? fragte 
ihr Anführer, indem er den andern gebot, ſich ruhig zu halten. 
Weil ein Menſch, dem ein ſo großes Unglück begegnet iſt, nicht 
mehr leben mag. Ich betrachtete den Mann genauer und glaubte 
den Doktor Sagredo zu erkennen, den ich in Madrid geſehen 
hatte, obwohl in anderer Tracht, denn damals trug er ſich wie 
ein Arzt, und jetzt war er wie ein Soldat gekleidet, in ſehr ab: 
getragener Tracht, aber doch wie ein Mann von Stande; daher 
konnte ich nicht mit mir einig werden, ob er es war oder nicht. 
Sie hielten ſich ruhig, und er begann jetzt mit großer Leiden⸗ 
ſchaft das Mitleid der Räuber, das ſein Leben geſchont hatte, 
zu verwünſchen. Er ſtieß tiefe Seufzer aus und rief zum Him⸗ 
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mel: O ihr grauſamen Sterne! Für mich bewahrtet ihr den 
allerbitterſten Schmerz! O veränderliches Geſchick! Ihr Pla— 
neten, die ihr mein Glück, meine Seligkeit zerſtört habt! 
Nur darum befreitet ihr mich aus ſo vielen Gefahren der See 
und unbekannter nie geſehener Länder, damit ich es ſehen 
ſollte, wie die Wut des Meeres meine holde Gefährtin, meine 
geliebte Gattin verſchlang, die mich nie verließ und unter ſo 
unausſprechlichen Beſchwerden mir folgte. Welch ein Nichts— 
würdiger war ich, daß ich mich nicht in die ſchäumenden Fluten 
ſtürzte, um die im Tode zu begleiten, die mich im Leben 
begleitet hatte! Er ſprach ſo rührend, daß auch die verwor— 
fenſten Menſchen, die es damals auf der Welt gab, ſich zum 
Mitleid bewegt fühlten: dieſe aus dreihundert Böſewichten be— 
ſtehende Bande, welche als Hirten verkleidet die Wehrloſen 
überfiel und beraubte und alle tötete, die ſich verteidigten. 
Jetzt verſammelten ſich ungefähr hundert; denn ſo viele waren 
indeſſen dazugekommen, um mit ihrem Anführer zu berat— 
ſchlagen, was zu tun ſei. Denn ſie hatten erfahren, daß der 
König Maßregeln gegen die Frevel ergreifen würde, die täglich 
in ganz Andaluſien von ihnen verübt wurden, zugleich wollten 
ſie überlegen, was ſie mit den vielen Gefangenen vornehmen 
wollten, die ſie hier und dort in Höhlen verſteckt hielten. Unter— 
deſſen brachten ſie den Doktor Sagredo und mich mit noch 
zwei andern in eine Höhle, wo das Hineinkommen ſehr leicht, 
das Herauskommen aber unmöglich war. Dunkel war die Grotte 
eben nicht, denn durch die dichten Bäume, die ſie umgaben, 
drang Licht genug in unſern Aufenthalt. In dieſer betrübten 
Lage wollte ich mich durch Reden erleichtern und ſagte: Herr, 
da ein Leiden uns verbunden hat und wir eine Kränkung er— 
dulden müſſen, ſo ſagt mir, ich bitte Euch, ob ihr wirklich 
der Doktor Sagredo ſeid? Er erſchrak und erwiderte: Wer 
ſeid Ihr, der dieſe Frage an mich richtet, und woher kennt Ihr 

285 


mich? Ich bin, gab ich zur Antwort, Marcos von Obregon. 
Kaum hatte ich diefe Worte ausgeſprochen, als er mich in feine 
Arme ſchloß und ausrief: O Freund meiner Seele! Die, welche 
Ihr ſo ſehr liebtet und verehrtet, iſt tot, meine geliebte Gattin 
iſt tot, Donna Mergelina de Aybar iſt tot, mein Heil und 
meine Glückſeligkeit iſt tot! Ich bin nicht Sagredo, ich bin 
der Schatten deſſen, der ich war, bis auch dieſer elende Körper 
in Staub zerfallen wird! Doch wie und wann, fragte ich, 
ſtarb jenes geliebte Weſen, die wegen ihrer Schönheit von aller 
Welt Geprieſene? Er ſagte: Nichts als die Liebe zu Euch könnte 
mich dazu bringen, Leiden zu erzählen, die mein Gedächtnis 
martern; doch da wir nicht wiſſen, welch ein Schickſal uns in 
dieſem engen Kerker erwartet, und da ich überzeugt bin, daß 
derjenige, der auf dieſe Weiſe das Gefühl meines Schmerzes 
erneuert, ihn auch mit mir empfinden und ihn nicht ver— 
ſpotten wird, ſo will ich durch Mitteilung die Laſt meines 
Herzens erleichtern und bei dem anfangen, was auch der 
Anfang meines Elendes war. 


Neunzehntes Kapitel. 


Als ich, zu meinem Unglück, die Königin der Welt, Madrid, 
unſer aller Mutter, verließ, hörte ich, in dem erſten Orte 
wohin ich kam, die Trommeln rühren und erfuhr, daß auf Des 
fehl Philipps des Zweiten Soldaten geworben wurden, welche 
die Enge von Magalhaes durchforfchen ſollten; und da ich 
von Natur mehr Neigung zu den Waffen als zu den Wiſſen⸗ 
ſchaften habe, warf ich dieſe auf die Seite und wandte mich 
mit ganz umgewandeltem Entſchluß an einen Hauptmann, der 
mein Freund war. Mein Geld verwandte ich auf die Waffen 
und die Uniform, in der ich der Donna Mergelina nicht übel | 
gefiel; und da ich fah, daß fie damit zufrieden war, fühlte ich 
mich noch mehr zu diefer neuen Lebensweiſe hingezogen. Ich 
286 


nahm fie mit mir, weil fie es wünſchte, was mir felbft ſehr 
lieb war. Auch befanden fich viele Männer mit ihren Frauen 
bei dieſem Zuge, denn der König wünſchte den Landſtrich mit 
ſeinen Vaſallen zu bevölkern. Hätte es doch Gott gefallen, daß 
ſie meiner Abſicht widerſtrebt hätte, denn mein Wille war 
dem ihrigen ſo ganz unterworfen, daß ich ohne ihre Bei— 
ſtimmung nie ſo unvorſichtig und übereilt einen Stand er— 
wählt hätte, der mit ſo viel Gefahr und Not verbunden iſt. 
Wir ſchifften uns in San Lucar ein, und als wir an den Golfo 
de las Deguas kamen, überfiel uns ein fo heftiger Sturm, daß 
uns faſt kein Brett geblieben wäre, uns darauf zu retten. 
Aber durch die Vorſicht des Admirals der Flotte, Diego Flores 
de Valdes, der dem Sturm auswich, kamen wir nach Cadix, 
wo wir zuerſt überwinterten. Von hier ſchifften wir aus und 
kamen mit großen Beſchwerden nach der Küſte von Braſilien. 
In San Sebaſtian überwinterten wir zum zweitenmal, beim 
Ausfluß des Janeiro, der einen ſehr großen und bequemen 
Hafen bildet. Wir blieben hier einige Zeit und konnten uns 
nicht genug über die große Menge der nackten Indianer wun— 
dern, deren Anzahl ſo groß war, daß ſie eine neue Welt hätten 
bevölkern können. Zuweilen verſchwanden einige von ihnen, 
ohne daß jemand wußte, was aus ihnen geworden war, und ein 
junger Meſtize von portugieſiſcher und indianiſcher Abkunft 
entſchloß ſich, dem Schickſal derer, die vermißt wurden, nach— 
zuſpüren. Er nahm einen kleinen runden Schild mit ſtählerner 
Spitze, ein gar treffliches Schwert, und ging an das Ufer 
des weiten Meeres. Da erblickte er von weitem ein See— 
ungeheuer, das darauf wartete, daß ein Indianer an das Ufer 
kommen ſollte, um ihn zu verſchlingen. Als er näher kam, 
richtete das Ungeheuer ſich auf, denn vorher hatte es auf den 
Knien gelegen, und nun reichte der Portugieſe ihm kaum bis 
an den halben Körper. Als das Ungeheuer ihn in der Nähe 

287 


ſah, griff es ihn an und wollte ihn mit fich nehmen, wie 
es mit den andern verfahren war. Doch der tapfre Jüng⸗ 
ling hielt den Schild vor und verteidigte ſich mit ſeinem 
Schwert ſo gut er konnte, aber die Schuppen des Meertieres 
waren ſo hart, daß er es an keiner Stelle verwunden konnte. 
Die Schläge, welche das Ungeheuer ihm gab, waren ſo wuchtig, 
daß er es nicht wagte, ſie abzuwehren, ſondern immer mit großer 
Geſchicklichkeit auswich. Endlich verfiel er darauf, den kleinen 
Schild vorzuhalten, und zielte mit der ſtählernen Spitze ſo 
lange nach den Armgelenken des Tieres, bis das Ungeheuer 
ſo ſtark verwundet wurde, daß es ſich verblutete. Nachdem 
der Kampf einige Zeit gedauert hatte, fielen beide tot zu 
Boden. Der tapfere Jüngling ward geſucht, und ſie fanden ihn 
und das Tier an verſchiedenen Stellen entſeelt liegen. Der 
Kapitän Juan Gutierrez de Sama und ich gingen, von vielen 
Spaniern begleitet, hinaus, den Körper des ſchrecklichen Un: 
geheuers zu ſehen, den wir mit großem Staunen betrachteten. 
Im Meere ſind dort viele Sandbänke und Inſeln; auf einer 
der letzteren ſahen wir einſt eine Schlange, ſo wie ſie uns 
zuweilen, um uns zu erſchrecken, auf Bildern gezeigt werden. 
Ihr Rachen war wie der eines Hundes, ſehr groß und mit 
ſpitzigen Zähnen verſehen, ſie hatte Flügel von Fleiſch wie 
die Fledermaus, Körper und Bruſt waren ſehr groß, der 
Schweif wie ein kleiner gebogener Balken, und zwei Füße 
oder Hände mit Klauen vollendeten den ſchrecklichen Anblick. 
Wir richteten vier Flinten auf ſie, denn ſie lag in einem Bache, 
aus dem wir Trinkwaſſer ſchöpfen wollten. Ich war aber 
der Meinung, daß ſie, wenn ſie verwundet würde, wenigſtens 
einen von uns töten würde. Deshalb ließen wir von ihr 
ab, und als ſie uns ſah, entfloh ſie in das Dickicht, indem 
ſie eine breite Spur hinter ſich ließ, wie wenn ein Balken 
geſchleift worden wäre. Weil es aber mich und meine Erzählung 
288 


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A . 


nichts angeht, fo fage ich weiter nichts von vielen Wunder: 
dingen, die wir noch ſahen. Wir ſetzten die Reiſe nach dem 
Ort unfrer Beſtimmung im Januar und Februar fort, wenn 
dort der Winter anfängt mit vielen ungeſtümen Winden. Wir 
mußten gegen neue entſtandene Strömungen der Flut kämpfen, 
die entweder von den hohen Bergen, von Vertiefungen unter 
dem Waſſer oder von den wütenden Stürmen herrührten und 
die uns in ſo große Gefahr brachten, daß viele unſrer Schiffe 
beſchädigt wurden und einige untergingen, ohne daß die andern 
ihnen zu Hilfe kommen konnten. Unter denen, welche Schiff— 
bruch litten, war auch das, worauf ich mich mit meiner 
Gemahlin befand. Wir gaben Notſchüſſe ab, die andern hörten 
uns aber nicht, oder konnten uns doch nicht zu Hilfe kommen, 
ein Schiff ausgenommen, das dem unſrigen am nächſten war. 
Die Matroſen waren gegen ihre Gewohnheit mitleidig und 
kamen ſo ſchnell herbei, daß die Ladung und die Menſchen 
gerettet werden konnten, ehe das Schiff verſank. Nachdem 
die Soldaten und Matroſen das Fahrzeug verſenkt und uns 
zu dem ihrigen hinübergebracht hatten, ſtanden ſie meiner Frau 
bei, die ſich ſehr übel befand; denn obwohl ſie einen männ⸗ 
lichen Mut beſaß, hatten doch die Beſchwerden und die über— 
ſtandene Angſt ihre Kräfte ganz erſchöpft. So ſtimmten denn 
alle darin überein, daß wir der Flotte erſt folgen wollten, wenn 
die Leute ſich etwas von der ausgeſtandenen Not erholt hätten. 
Wir entdeckten endlich eine menſchenleere Inſel, die wir mit 
einiger Mühe erreichten. Hier ruhten wir von der Angſt und 
Erſchöpfung aus, nahmen friſches Waſſer ein, das wir ſehr 
gut fanden und erquickten uns an einigen Früchten. Nach 
vierzehn Tagen ſchifften wir uns wieder ein und ſegelten der 
Flotte nach, die wir aber nicht erreichen konnten. Wir ent⸗ 
deckten die Meerenge, nachdem wir lange umhergeſchifft waren. 
Es zeigten ſich uns hohe Gebirge mit vielen fruchtbaren Bäumen 
19 289 


und zahlloſem Wild, wie wir von den Anſiedlern erfuhren, 
welche die Flotte dort gelaſſen hatte. Wir ſtiegen aber nicht 
an das Ufer, und unſer Hauptmann hätte es uns auch nicht 
geſtattet, weil wir umkehren mußten, um der Flotte zu folgen. 


Zwanzigſtes Kapitel. 


Während wir auf günſtigen Wind warteten, um die Schiffe 
zu wenden, ſahen wir eine Menge Vögel herankommen. Die 
Menſchen, obwohl ſie weiter nördlich groß und ſtark, ſind in 
dieſem Landſtrich ſo klein, daß die Vögel faſt das Land be⸗ 
ſitzen und die kleinen Menſchen vor ihnen entfliehen. Es kam 
ein ſo ſtarker Wind, daß wir ihm nicht widerſtehen konnten 
und durch die Meerenge ſegeln mußten, zum großen Nachteil 
der Schiffe. Denn da das Ufer ſeicht und voller Sandbänke 
iſt, ſo ſchleiften die Anker faſt im Sande, auch iſt der Boden 
der Meerenge nicht eben wie bei Gibraltar, ſondern bildet 
Krümmungen und Vertiefungen, und wir ſtießen auf die 
Anker auf, welche das Geſchwader dort zurückgelaſſen hatte. Die 
Gewalt des Windes war ſo unglaublich, daß die Schiffer kein 
Mittel fanden, das Schiff zu ſchützen. Wir fuhren nach der 
anderen Seite unter all' den Gefahren, mit denen uns die 
Stöße des Schiffes bedrohten, und die böſe Fahrt dauerte ſo 
lange, daß die größten Segel zerriſſen, und obwohl die an⸗ 
deren eingezogen wurden, ließen wir doch das Fockſegel an 
ſeiner Stelle, damit die ungeheure Wucht des Sturmes uns 
hinführe, wohin ſie wollte, konnten wir doch weder lavieren, 
noch erblickten wir ein Ufer, das uns Rettung gewährt hätte. 
Sechs Monate wurden wir ſo umhergetrieben, und es fehlte 
ſchon an allem, was zur Erhaltung des Lebens notwendig iſt. 
Die Wellen ſchleuderten uns umher, auf ungeheuren Meeren, 
die weder bekannt noch je beſucht waren, und wir verloren 
alle Hoffnung; denn wir wußten nicht mehr, wo wir waren, 
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noch wohin wir uns wenden follten, und jeden Tag mußten 
wir darauf gefaßt ſein, von den furchtbaren Seeungetümen 


verſchlungen zu werden. Die Lebensmittel waren ſo völlig ver— 


zehrt, daß das Leder eines Mantelſacks ſeinem Beſitzer eine 
wohlſchmeckende Speiſe geweſen wäre, wenn er es hätte allein 
verzehren können. Immer ſchwebte der furchtbare Gedanke 
uns vor, welch ein Grab unſer warte, entweder in den tiefen 
Abgründen des Meeres, oder in den hungrigen Eingeweiden 
ſeiner ſchrecklichen Bewohner. Als wir nun ſchon glaubten, 
die ganze Welt ſei, wie zur Zeit der Sintflut mit Waſſer 
bedeckt, riefen plötzlich alle, wie mit einer Stimme: Land, 
Land, und wir ſahen eine Inſel, von ſo hohen Felſen um— 
geben, und dieſe mit ſo mächtigen Bäumen gekrönt, daß es 
uns eine zauberhafte Erſcheinung dünkte. Kaum hatten wir 
ſie geſehen, als ſie in demſelben Augenblick wieder verſchwand, 
und zwar nicht durch Zauberei, ſondern durch die Gewalt 
eines Stromes, der das Schiff, ohne daß wir ihm wider— 
ſtehen konnten, zurücktrieb und es in einen ſo gewaltigen 
Waſſerſtrudel ſtürzte, daß wir überzeugt waren, dieſer würde 
das Schiff und uns verſchlingen. Nachdem die Matroſen 
aber wieder zu ſich ſelbſt kamen und die Richtung, in welcher 
die Inſel lag, nicht verloren hatten, ſchien es ihnen, daß 
ſie mit Hilfe des Fockſegels eine Wendung nehmen könnten, 
bei der ſie den Strom im Auge behielten, ohne hinein zu ge— 
raten, und ſie hofften, ſich ſo der Inſel wieder zu nahen; 
ich aber war der Meinung, daß wir das Fockſegel einziehen 
und mit den beiden Booten, die am Hinterſchiff vertäut waren, 
das Schiff bugſieren ſollten. Denn wenn der Strom eines 
der Boote ergriff, konnten wir das Schiff immer noch um⸗ 
wenden, ergriff er aber das Schiff, ſo würden wir die Rich— 
tung und das Leben dazu verlieren. Wir empfahlen uns alle 
unſeren heiligen Schutzengeln mit den andächtigſten Gebeten 
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und befeßten die Bänke mit denen, die noch die Stärkſten 
waren und am wenigſten von dem Mangel an Lebensmittel 
gelitten hatten. Sie ruderten abwechſelnd, und alle ſtärkte 
die Hoffnung, bald Land zu gewinnen. Auf der höchſten 
Spitze des Maſtes ward ein Menſch feſt gebunden, der mit 
der größten Wachſamkeit beobachtete und uns jede Entdeckung 
mitteilte. Nach zwei Tagen, als wir ſchon glaubten, den Weg 
zu unſerer Rettung verloren zu haben, ſahen wir jene ſchroffen, 
geſpaltenen Felſen wieder, die höher als die Klippen von 
Gibraltar und mit ſchönen Bäumen bedeckt waren. Bei die⸗ 
ſem Anblick ſtieg der Mut unſerer Gefährten ſo ſehr, daß 
wir ihnen die Ruder aus den Händen nehmen mußten; denn 
ihr heftiges Verlangen, das Ufer zu erreichen, machte ſie ſo 
unvorſichtig, daß wir beinahe zum zweitenmal in den Strom 
geraten wären, und demzufolge in Elend und gänzliche Ver⸗ 
zweiflung. Ich rief ihnen aber mit lauter Stimme zu: 
Freunde, da uns Gott nach ſo vielem Unheil, Hunger und 
Beſchwerden, Gelegenheit gibt, zu zeigen, wie viel die Vorz 
ſicht vermag, verbunden mit einem mutigen Herzen, das ſo 
lange unerſchüttert geblieben iſt, obwohl es die Zielſcheibe war, 
gegen welche das Geſchick den ganzen Köcher feines Zornes 
ausleerte: ſo laßt jetzt nicht Klugheit und Geduld fehlen, 
um zu bedenken, daß wir jetzt dem Tode näher ſtehen, als 
die ganze Zeit, in der das Schickſal mit unſerem Leben ſpielte. 
Sonſt können wir nur uns allein die Schuld beimeſſen, wenn 
wir uns in dieſe augenſcheinliche Lebensgefahr ſtürzen, die 
wir gleichſam ſchon mit den Händen gegriffen und mit den 
Augen geſehen haben. Sie folgten in dieſer wichtigen Sache 
meinem Rate, und wir näherten uns der Inſel mit ſo großer 
Vorſicht, daß, obwohl das eine der Boote etwas in den Strom 
geriet, wir doch durch die Aufmerkſamkeit der Seeleute nur 
geringen Schaden erlitten, der leicht wieder gut zu machen 
292 ; 


war. Wir ruderten fo lange und fo vorfichtig, daß wir kaum 
eine halbe Meile weit von der Inſel entfernt waren, und dem 
Strome ſehr nahe, der nach der Meinung der Erfahrenſten, 
ganz nahe bei der Inſel entſprang und ſich nach beiden Seiten 
fo ausbreitete, daß die Landung unmöglich und die Inſel uns 
zugänglich war, wie wir ſie auch die Unzugängliche benann— 
ten. Zwar war der Strom hier nicht ſo breit, wie wir ihn 
in der weiten Entfernung zu unſerem Schaden gefunden hat— 
ten, aber er war dafür wegen des geringen Umfanges weit 
heftiger. Endlich, da wir zweifelhaft waren, und uns wegen 
deſſen, was zu tun war, nicht zu raten wußten, ſprach ich 
mit Entſchloſſenheit: Dort iſt Land und Felſen, alſo muß 
auch hier beides ſein. Ich ließ daher reſolut die Anker aus— 
werfen, und bald faßte dieſer wirklich ſo feſt, daß alle er— 
freut waren und auf Rettung hofften. Als dies geſchehen war, 
ließ ich mir alle Seile und Stricke geben, an denen ein 
großer Überfluß war, ſowie an Pulver; denn wir hatten nicht 
Gelegenheit gehabt, dieſe Dinge zu verbrauchen. Ich verband 
ein Seil feſt mit dem anderen, und es waren deren ſo viele, 
daß das Boot, an ihnen befeſtigt, bis zur Inſel kommen 
konnte. Ich ließ fünfzig meiner Gefährten, die Stärkſten, 
die unter uns waren, hineinſteigen, mit ihren geladenen Flin— 
ten und wohlgefüllten Pulverflaſchen. Ich folgte ihnen, nach- 
dem ich die im Schiffe Zurückbleibenden unterwieſen hatte, 
daß fie, auch wenn der Strom uns fortriſſe, das Seil nach⸗ 
laſſen ſollten, um zu ſehen, wohin der Strom uns führen 
würde. Er riß uns gewaltſam fort, doch unter dem Schutze 
unſeres heiligen Schutzengels traf das Boot kein anderer 
Unfall, als daß es mit großer Schnelligkeit hinweggeführt 
ward. Nach kurzer Zeit befanden wir uns in einer Bucht, 
an dem Ufer der Inſel, wo es ſehr ſteil war, ſo daß, wenn 
der Strom uns mit großem Ungeſtüm hingebracht hatte, wir 

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nun um fo größere Nube tn dem Hafen fanden, in den er 
uns fchleuderte. Dies war eine ebenſo glückliche, wie unerz 
wartete Begebenheit, und wir ruderten nun dicht an die hohe 
Felswand heran, um einen Platz zum Anlanden zu ſuchen. 
Alsbald erblickten wir an der Spitze, die der geſchützte Hafen. 
bildete, ein Götzenbild von ungeheurer Größe und wunder⸗ 
barer Arbeit, und ſo ſeltſam, wie ich nie etwas geſehen oder 
mir gedacht hatte. Es war fo groß wie ein Turm und ftand: 
auf zwei Füßen, wie ſie für die Größe des Körpers paſſend 
waren. Es hatte nur einen Arm, der von beiden Schultern 
ausging und ſo lang war, daß er weit über die Kniee hinab⸗ 
reichte. In der Hand hielt er eine Sonne oder die Strahlen 
einer ſolchen; der Kopf ſtand im richtigen Verhältnis 
zum übrigen, doch hatte er nur ein Auge, und vom 
unteren Augenlide an ſenkte die Naſe ſich hinab, an welcher 
nur ein Naſenloch war. Auch zeigte er nur ein Ohr und das 
am Hinterkopf. Der Mund war offen und ſchien mit den 
ſpitzen Zähnen zu drohen; der Bart war kurz und von ſehr 
dicken Haaren, auf dem Kopfe hatte er aber wenig und 
wirre Haare. Obwohl dieſer Anblick uns hätte abſchrecken 
können, uns zu nähern, ſo richteten wir doch, da es hier auf 
die Erhaltung unſeres Lebens ankam, unſeren Lauf nach dem 
Götzenbilde, wo der kleine Landungsplatz der Inſel war, die 
noch nie von Menſchen beſucht worden war. In dem Augen 
blick, da wir das Boot auf Strand laufen ließen, erſchienen 
zwei ungeheure Rieſen, ganz ſo geſtaltet, wie ich das Bild 
beſchrieben habe; jeder ergriff unſer Boot an einer Seite, 
und unſer Schreck, ſowie ihre Kraft waren ſo groß, daß ſie 
uns, ohne daß wir uns verteidigen konnten, in eine Höhle 
warfen, die ſich am Fuße des Götzenbildes befand. Einen 
unſerer armen Gefährten, der ſo kühn war, ſein Gewehr 
loszudrücken, ergriff der eine dieſer Rieſen, umfaßte mit der 
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Hand die Mitte feines Körpers und ſchleuderte ihn fo weit 
hinweg, daß wir ihn in großer Entfernung in das Meer 
ſtürzen ſahen. Ich war ſo vorſichtig geweſen, daß ich, ehe 
wir landeten, das Boot an einen Baum band, der am Eins 
gang der Höhle ſtand; denn es wäre ein großes Unglück 
für uns geweſen, wäre ich der Gefahr, daß unſer Boot vom 
Waſſer hinweggetrieben wurde, nicht zuvorgekommen. 


Einundzwanzigſtes Kapitel. 


Nachdem die Rieſen uns in die Höhle geworfen hatten, 
verſchloſſen ſie den Eingang derſelben mittelſt eines Baum: 
ſtammes, der über der Offnung hing, und den ſie, nach Art 
einer Falltüre, niederfallen ließen, und bei deſſen Fall nicht 
nur die Höhle und das Götzenbild erbebte, ſondern durch 
den Luftzug, der infolgedeſſen aus einer Offnung der Höhle 
herausdrang, ward auch das Meer bewegt und ſtieg in großer 
Wallung empor, und wir hörten, wie unſer Boot heftig gegen 
das Ufer geſchlagen wurde. Ich glaube, ich irre mich nicht, 
wenn ich ſage, daß der Stamm dreißig Ellen im Umfang 
hatte und mehr als ſechzig lang war, auch beſtand er aus 
einer ſo feſten Maſſe wie der härteſte Stein. Nachdem die 
Rieſen ihren Götzen dieſen Dienſt getan hatten, fingen ſie an zu 
ſpringen und zu tanzen, indem ſie mit kleinen Handpauken ſo 
wilde unharmoniſche Töne hervorbrachten, daß man eher ges 
glaubt hätte, dieſes Getöſe komme aus einem unterirdiſchen 
Gewölbe, als daß es eine Tanzmuſik ſei. Während ſie mit 
ihren Spielen beſchäftigt waren und ſich auf unſere Unkoſten 
beluſtigten, beweinten wir unſer Unglück und unſer böſes Ge⸗ 
ſchick, das uns ſo gewaltſam in dieſen Hafen geführt hatte. 
Denn obgleich wir einer ſcheinbaren Erleichterung nach unſerer 
ſchweren ununterbrochenen Arbeit genoſſen, mußten wir doch 
nun hier vor Hunger und Durſt ſterben, von den Leichnamen 

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derer umringt, die früher dem unerſättlichen Götzen geopfert 
worden waren. Da wir aber in keiner Widerwärtigkeit den 
Mut verlieren ſollen, und da das Leiden der Prüfſtein des 
Mutes und Verſtandes iſt, ſo ſann ich ſogleich auf ein Mittel, 
durch welches wir uns aus dieſer Bedrängnis retten könnten, 
und zu welchem Entſchloſſenheit, Liſt und Geſchwindigkeit ſich 
vereinigen mußten. Während jene fic) mit ihren Tänzen be: 
luſtigten; denn im Grunde waren es einfältige Menſchen, 
und ſie glaubten, dadurch, daß ſie uns in die dunkle Höhle 
geſperrt, ſei alles zu Ende, konnten wir, obwohl mit Mühe, 
unſern Plan ausführen und zwar auf folgende Weiſe: Ich 
nahm ſo viel Stricke als ich für nötig hielt, und machte aus 
den weißen Knochen der Toten, die ſie geopfert hatten, in⸗ 
dem ich die kleinſten erwählte und die, welche ſchon am 
meiſten vom Fleiſch entblößt waren, eine Leiter, auf welcher 
wir zu der obenerwähnten Offnung hinaufſteigen wollten. 
Dies konnte nicht ohne Schwierigkeit geſchehen, denn da die 
ganze Höhle harter Fels war, konnten keine Löcher ange⸗ 
bracht werden, um hinauf zu ſteigen und die Leiter feſt zu 
machen. Aber die Not iſt eine geſchickte Lehrmeiſterin, und 
hier galt es nicht weniger, als das Leben, wenn wir kein 
Mittel fanden, die Leiter zu befeſtigen. So nahm ich denn 
einen Wirbelknochen, der ſchon ganz getrocknet war, zog durch 
die Mitte einen Strick und hielt die beiden Enden feſt in der 
Hand. Nun verſuchten wir alle mit der größten Kraft, den 
Knochen oben durch die Offnung zu werfen, und ein junger 
Burſche, der in den Bergen von Ronda aufgewachſen war, 
hatte ſo viel Geſchicklichkeit und Kraft, daß es ihm gelang, 
die ſpitz zulaufende Offnung mit dem Knochen zu treffen, 
ſo daß er quer darin eingeklemmt blieb. Nun band ich 
die Leiter an das eine Ende des durchgezogenen Strickes, 
zog das andere Ende herunter und ſo die Leiter hinauf. 
296 


Indem meine Gefährten den Strick hielten, flieg ich die 
Leiter vorſichtig hinauf und befeſtigte ſie ſo gut, daß alle 
die Offnung erreichen, und von da aus zu unſerm Boot ge— 
langen konnten. Nachdem ich dieſe ſinnreiche Erfindung ge— 
macht hatte, kletterte ich wieder hinab, nahm alles Pulver 
aus den Pulverflaſchen, und während meine Gefährten hinauf 
und hinunter zum Boote ſtiegen, legte ich unter dem Götzen— 
bilde, wo ſich viele dazu geeignete Offnungen befanden, eine 
Mine an; ich bedeckte ſie gehörig und legte einen angezündeten 
Strick, eine knappe Spanne lang, daran. Nun ſtieg ich 
die Leiter hinan, ſprang in das Schiff, und wir ruderten 
ſchnell ſo weit, daß wir ſicher waren. Kaum hatten wir uns 
umgeſehen, um zu beobachten, was geſchehen würde, als die 
Mine losging und zwar mit ſo ungeheurem Krachen, daß 
das Meer davon erſchüttert ward, und man den Donner auf 
der ganzen Inſel hören konnte. Der Götze fiel mit furcht: 
barem Gepolter auf die Tanzenden und zerſchmetterte andert— 
halb Dutzend derſelben. Die andern, als ſie ſahen, daß der— 
jenige, auf den ſie ihr Vertrauen ſetzten, ihre Gefährten ge— 
tötet hatte, ergriffen die Flucht und liefen landeinwärts. 
Da ſie den Ort, von dem wir uns nicht entfernen durften, 
verlaſſen hatten, ſtiegen wir ans Land, banden das Schiff 
feſt und warfen uns alle zugleich nieder, um die Erde zu 
küſſen und dem Schöpfer dafür zu danken, daß wir nur end— 
lich wieder auf unſerm Elemente uns befanden. Obwohl 
die Niederlage, welche der Götze angerichtet hatte, uns er— 
ſchreckte, und der Anblick, welcher ſich jetzt unſern Augen 
darbot, uns hätte zurücktreiben können; denn der ganze Boden 
war mit den Leichen dieſer Ungeheuer bedeckt, ſo ermutigte 
uns doch die Überzeugung, daß wir an dieſem Ufer nichts 
mehr von ihnen zu fürchten hätten. Hunger und Durſt fanden 
hier Befriedigung, denn wir entdeckten Bäume mit den wohl⸗ 

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ſchmeckendſten Früchten und einen ſchönen Quell, der am Fuße 
eines Felſens entſprang und noch klarer war als die Augen, 
welche ihn ſuchten. Ich ermahnte meine Gefährten, Früchte 
und Waſſer mit Mäßigkeit zu genießen, damit die Gaben, 
welche unſer Leben erhalten ſollten, uns nicht den Tod brächten. 
Indem wir uns umſchauten, ſahen wir, daß einer von den 
Rieſen, auf die der Götze gefallen, noch am Leben war, 
zugleich aber bemerkten wir, daß er ganz zerſchmettert 
und ihm die Beine gebrochen waren, ſo daß er ſich nicht 
bewegen konnte. Wir gaben ihm zu verſtehen, er ſolle uns 
anzeigen, wo Lebensmittel zu finden wären, und er deutete 
mit der Naſe, denn er konnte kein Glied bewegen, nach 
einer Höhle, deren Eingang von dichten grünen Bäumen 
verdeckt war, ſo daß es für die Eingeborenen freilich ſchwer 
ſein mußte, hineinzukommen, aber nicht ſo für uns. Wir 
erfuhren hernach, daß nur dann jemand hineingehen durfte, 
wenn die Lebensmittel zum allgemeinen Gebrauch herausge⸗ 
holt werden ſollten, wenn er nicht eine Zeitlang zum Faſten 
verurteilt ſein wollte. Wir fanden die Höhle geräumig, hell 
und in viele Gemächer abgeteilt. Hier lagen getrocknete Fiſche 
und Fleiſch in großer Menge, ſehr gutes geſalzenes Fleiſch, 
dazu Früchte, größer und wohlſchmeckender als die Haſel⸗ 
nuß, deren ſie ſich ſtatt des Brotes bedienten, und noch viele 
andere Lebensmittel, mit denen wir das Boot beluden. Dann 
füllten wir zwölf Schläuche mit ſüßem, friſchem Waſſer und 
kehrten zu unſern Gefährten zurück, die ſchon glaubten, wir 
ſeien nicht mehr am Leben. Alle ſtärkten ſich nun durch 
Speiſe und Trank, und nachdem wir dafür geſorgt hatten, 
daß einige von denen, welche ſchon auf der Inſel geweſen 
waren, zum Schutz der Frauen zurückblieben, ruderten die 
anderen in den Booten hinüber, indem ſie ſich, wie wir vorher, 
der Seile bedienten, denn auf andere Weiſe war es nicht mög⸗ 
298 


lich, zu landen. Mit gefülltem Magen und wohlverſehenen 
Pulverflaſchen kehrten ſie zu uns zurück. 


Zweiundzwanzigſtes Kapitel. 


Die Erzählung des Doktor Sagredo ward durch einige 
Portugieſen unterbrochen, welche mit vier Ladungen Leinwand 
von Vendeja kamen, auf einem Fußwege, auf welchem ſie 
nach ihrer Meinung von den Räubern nichts zu fürchten hatten, 
weil er erſt ſeit kurzem gangbar war. Dieſe kannten ihn 
aber beſſer als die Portugieſen und ergriffen ſie vor dem 
Eingang unſerer Höhle, fo daß die Armen, von dem uner— 
warteten Angriff erſchreckt, auf die Knie fielen und riefen: 
O um Gottes willen nicht umbringen uns Arme, wir ſchlechte 
Kerle, kein Rache nehmen an uns, denn ſein, wahrlich beim 
Himmel, echte Kaſtilianer. 

Seid ruhig, Dummköpfe, ſagte der Anführer; denn wir 
wollen nichts von euch, als daß ihr uns eure Leinwand für 
den Preis verkauft, den ihr dafür gegeben habt. Mit gar 
zu gerner Freiwilligkeit 61, antworteten jene und zogen ihre 
Bücher heraus, wo der Preis der Leinwand eingeſchrieben war. 
Jeder von den Räubern forderte nun ſo viel, als er brauchte, 
und der Hauptmann befahl ihnen, zu bezahlen, ehe ſie die 
Leinwand in Empfang nahmen. Ich mußte mich im ſtillen ver⸗ 
wundern, daß ſie mit den Portugieſen ſo glimpflich verfuhren. 
Dieſe nahmen das Geld und machten ihre Ballen auf, um 
die Leinwand zu meſſen; als ſie aber eben die Elle ergriffen, 
ſagte der Hauptmann: da wir eine freie Republik bilden, 
haben wir unſer eignes Maß und Gewicht und gebrauchen 
die Ellen nicht, die bei euch Mode ſind; er forderte nun eine 
Elle, um die Leinwand zu meſſen, und es ward ihm eine Pike 
gebracht, welche die Länge von fünfundzwanzig Palmen hatte. 
Mit dieſer mußten ſie meſſen, und ſie gaben jedem ſo viel 

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Ellen als er verlangt hatte. Die Räuber lachten und die 
Portugieſen ſchwiegen und gingen, von ihrer Bürde befreit, 
weiter. Wir lachten auch, nur der Doktor Sagredo nicht, 
der ſeine Erzählung folgendermaßen fortſetzte: Ehe das Rad 
unſres Glückes ſich wieder drehte, benutzten wir die Zeit ſo gut, 
daß wir faſt die ganze Höhle ausleerten, unſer Schiff aber 
mit friſchen und getrockneten Früchten, gedörrten Fiſchen, ge— 
ſalzenem Fleiſch, Waſſer und anderen ſehr wohlſchmeckenden 
Getränken, die jene Rieſen bereiteten, verſorgten. Unſere Lage 
war aber nicht ſo ſicher, daß uns nicht endlich die Rieſen 
doch noch überfallen hätten. Da wir das Land ſo ungeſtört 
betraten, und die gehabte Not und Arbeit auf dem Meere 
uns die Ruhe auf der Erde doppelt lieblich erſcheinen ließ, 
ſo genoſſen wir ſie ſo unvorſichtig, daß wir in den friſchen 
Räumen jener Höhle einſchliefen; denn ſie war ſo angenehm 
durch die vielen Säle, die alle mit Lebensmitteln erfüllt waren, 
durch die rinnenden Quellen, welche hin und wieder ſich er— 
goſſen, wodurch dieſer Ort ſo einladend wurde, daß wir hier 
unſere Hütten aufgeſchlagen hätten, wäre uns die Erholung 
auch nicht ſo nötig geweſen. Zwei Tage verlebten wir an 
dieſem kühlen erfriſchenden Aufenthalt; am dritten, ungefähr 
in der Mittagsſtunde, hörten wir ein ſtarkes Geräuſch von 
Trommeln und herannahenden Menſchen. Wir verſammelten 
uns ſchnell und riefen: Zu den Waffen! Denn alle Rieſen, 
die auf der Inſel waren, kamen über uns. Wir ergriffen 
unſere Gewehre, aber wir hatten weder eine brennende Lunte, 
noch Feuer, woran wir ſie hätten anzünden können, und es 
war niemand da, der uns aus dem Schiffe Feuerſtein, Stahl 
und Zunder geholt hätte. Einige unter uns riefen ſchon: Wir 
ſind verloren! Aber ehe die Furcht ſich noch ganz der Gemüter 
bemeiſtern konnte, da die Verteidigung unmöglich ſchien, in⸗ 
dem wir uns eingeſchloſſen ſahen und unſere Feuergewehre 
300 


nicht benutzen konnten, gab ich Befehl, daß die Gefährten 
die Stämme, welche die Wände zwiſchen den Gemächern bildeten, 
losriſſen und ſie quer an den Eingang der Höhle hinlegten, 
damit die Feinde darüber fallen möchten, wenn ſie das Hindernis 
der Bäume überwunden hätten, welche, wie ich ſchon früher 
bemerkte, den Zugang für die Rieſen erſchwerten. Während 
dieſes geſchah, nahmen die übrigen von uns je zwei ſehr trockene 
Hölzer von Maulbeerbäumen, Efeu, Gertenkraut, oder was wir 
eben fanden, und indem wir ſie ſtark gegeneinander rieben, 
fingen ſie endlich an zu rauchen und dann zu brennen, ſo 
daß wir unſere Lunten anzünden und die Feuergewehre be— 
nutzen konnten. Zu allen dieſen Vorkehrungen hatten wir Zeit 
genug; denn die Abſicht der Rieſen war nicht, uns ſogleich 
anzugreifen, da ſie uns ſchon für mehr als tot hielten. Sie 
kamen, um die Verheerung zu betrachten, die ihr Götze an— 
gerichtet hatte; denn diejenigen, welche mit dem Leben ent: 
kommen waren, hatten dem Anführer Nachricht davon gegeben, 
den ſie Hazmur nannten, und der jetzt mit großer Feierlich— 
keit herbeigebracht wurde. Sie trugen ihn auf vier großen 
Balken in einem Seſſel, der, wie ein Korb, aus Weidenruten 
geflochten war, und zeigten ihm, wie der, den ſie anbeteten, 
in Stücke geſchlagen war, und wieviele er durch ſeinen Fall 
getötet und zerſchmettert hatte. Unſer Aufenthalt wäre ihm, 
bei alledem, verborgen geblieben, wenn derſelbe gelähmte Rieſe, 
der uns die Höhle zeigte, ihm jetzt nicht auch von uns Kunde 
gegeben hätte. Nun beſtürmten ſie ſogleich den Eingang der 
Höhle, indem ſie Steine hineinſchleuderten, und die Bäume, 
welche den Durchgang verwahrten, ausrauften, obwohl jeder, 
der ſich näher wagte, entweder in die Balkenfalle fiel, oder 
von unſern Flinten getroffen ward. Viele waren der Meinung, 
man ſollte nur immer nach dem Auge zielen, das ſie auf der 
Stirne trugen, weil ſie hernach, ohne den Beiſtand desſelben, 

301 


den Eingang der Höhle nicht finden könnten; ich riet aber, 
die Flinte mit zwei Kugeln zu laden und nach ihren Beinen 
zu ſchießen, weil das Zielen nach dem Auge nicht ſo ſicher war. 
Alle fielen, indem die Balken, die wir aufgeſchichtet, und die 
eng beiſammen ſtehenden Bäume am Eingang uns zu Schieß⸗ 
ſcharten und Bollwerken dienten. Die Steine oder Felſen⸗ 
ſtücke, die ſie in die Höhle ſchleuderten, hätten uns vielen 
Schaden zufügen können, da aber ihre Gewalt durch die Bäume 
und das Bollwerk gebrochen ward, taten ſie uns wenig oder 
nichts. Es gelang ihnen ſo ſchlecht, daß der Anführer, der 
über das, was ihm ein ganz neues Schauſpiel war, ſtaunte, 
ihnen befahl, ſich von der Höhle, die ſie beſtürmten, oder viel⸗ 
mehr, von der ſie beſtürmt wurden, zurückzuziehen; denn es 
ſchien ihm, da der Götze einen ſo furchtbaren Fall getan habe, 
und nun die, welche fie für tot hielten, die Lebenden ver— 
wundeten, es müſſe eine höhere Macht ſein, die ihnen ſo 
großes Unheil zufüge. Sie gehorchten ſogleich und zogen ſich 
zurück. Auf ihrer Seite waren einige gefallen, und auf unſrer 
Seite hatten wir keinen Verluſt. Durch Zeichen machten ſie 
uns Beteuerungen des Friedens und der Freundſchaft; der Ans 
führer erhob die Hand und blickte zum Himmel, wodurch er 
zu verſtehen geben wollte, wir könnten uns frei und ohne Furcht 
zeigen, ihm ſagen, wer wir wären und warum wir dies Ufer 
betreten hätten. Für uns geſchah dies zur rechten Zeit, denn es 
hätte uns bald an Munition gefehlt. Wir rückten nun mutig 
heraus, in drei Reihen geteilt und beim übereinſtimmenden 
Klange der Trommeln. Das Vergnügen dieſes einfältigen 
Volkes, wenigſtens derer, die nicht verwundet waren, war ſo 
groß, indem ſie unſre geordnete Schar ſahen und die Trommeln 
hörten, daß die harten Waffen ihnen aus den Händen fielen, 
und ſie mit großer Freude und Verwunderung ihren Herrn 
anſahen, der in ſeinem Seſſel, auf den Schultern derer, die 
302 


ihn trugen, geblieben war. Auch dieſem vergingen faft die 
Sinne, als er dieſe kleinen Menſchen erblickte, die zwei Arme 
und Beine und ſo viele Glieder des Körpers doppelt hatten; 
noch mehr ſtaunte er aber über den Mut und die Ordnung, 
in welcher wir ausrückten. Wir machten am Eingang der 
Höhle Halt und betrachteten dieſe furchtbaren Menſchen, welche 
mit Tierhäuten und bunten Federn bedeckt waren. Ihr An: 
führer hatte eine ernſte Haltung, und alle ſchienen ihn zu 
ehren, zu fürchten und ſeinen Befehlen zu gehorchen. Wir 
überlegten, auf welche Art wir uns ihnen deutlich machen, 
uns durch die einfachſten und verſtändlichſten Zeichen recht— 
fertigen und unſere Meinung zu erkennen geben könnten. Alle 


Weitläufigkeiten, Zeichen und andere Schwierigkeiten der Ver- 


ſtändigung übergehend, ſage ich nur kurz, daß der Anführer an 
uns drei Fragen richtete. Ob wir Kinder des Meeres wären? 
Wenn wir es wären, weshalb wir ſo klein erſchienen? und da 
wir ſo klein wären, wie wir es hätten wagen können, uns unter 
ein ſo großes Volk, wie das ſeinige, zu begeben? Auf die 
erſte Frage antworteten wir, wir wären nicht Kinder des 
Meeres, ſondern Kinder des wahren Gottes, der auch ein Herr 
des ihrigen ſei, und als ein ſolcher ſie geſtraft habe, weil ſie 
uns töten wollten, als wir, vom Meere ausgeworfen, uns in 
ihren Schutz begeben hätten. Im übrigen antworteten wir, 
die Größe beſtehe nicht in der Höhe des Körpers, ſondern in 
der Kraft und dem Mute der Seele; mit ihr ausgerüſtet, 
dürften wir es wagen, jedes Land zu betreten und über die 
Wellen des wütenden Meeres zu ſegeln. Die Kinder des wahren 
Gottes, der Himmel und Erde erſchaffen habe, fürchteten die 
Leiden nicht, welche ihnen von Menſchen zugefügt werden 
könnten, namentlich wenn dieſe nicht an den wahren Gott 
glaubten, den höchſten Herrn über alle Mächte des Himmels 
und der Erde, und den Schöpfer der Sonne, die ſie anbeteten. 


303 


Als fie hörten, daß die Sonne felbft noch einen Herrn über 
ſich habe, ward das Geſpräch abgebrochen, und er fragte, zu 
welchem Zweck wir hieher gekommen wären? Wir ſagten die 
Wahrheit, erzählten von unſren Leiden, und führten ihnen zu 
Gemüte, wie die Geſchöpfe als Kinder eines Gottes verpflichtet 
ſeien, ſich in ihren Leiden und Bedrängniſſen gegenſeitig bei⸗ 
zuſtehen und zu helfen, und daß wir ihn darum bäten, als 
einen Mann, der die andern beherrſche und von Gott eingeſetzt 
ſei zu richten und Lohn und Strafe zu beſtimmen. Er gab 
uns durch Zeichen zu verſtehen, daß er ſich über unſre Antwort 
wundere, und daß alles, was wir geſagt hätten, ihm ſehr gut 
ſchiene, daß er aber, ohne dem König der Inſel zuvor von dieſem 
ſeltſamen Ereignis Nachricht zu geben, uns weder aufnehmen, 
noch unterſtützen dürfe, denn es würde ihn das Leben koſten, 
wenn er es täte. Wir baten ihn, er möge uns erlauben, vier 
von unſern Gefährten zum Schiffe zu ſchicken, indem wir ihm 
ſagten, wir müßten den Unſrigen Lebensmittel ſenden. So 
ſchnell ſie konnten, eilten die vier nach dem Boot und gaben 
denen im Schiff das Zeichen, die Seile anzuziehen 60. Unterdes 
ſchickte der Befehlshaber einen Boten an den König, ihm 
Nachricht von dem Vorfall zu geben. Dieſer Bote war ein 
Hund, deſſen ſie ſich bei eiligen Beſtellungen bedienen. Sie 
gaben ihm ein ausgehöhltes Rohr in den Mund, in welches 
ſie einige große Baumblätter legten, auf dieſe ſchrieben ſie mit 
wenigen Zeichen das, was ſie ihrem Herrn mitteilen wollten, 
dann rollten ſie die Blätter eng zuſammen und ſteckten ſie in 
das Rohr. Dem Hunde banden ſie dann einen Riemen um 
die Schnauze, den ſie ſo feſt anzogen, daß er das Rohr nicht 
herausfallen laſſen, ebenſowenig freſſen oder ſaufen, und nur 
Atem ſchöpfen oder ſchnaufen konnte. Als er ſo ausgerüſtet 
war, beurlaubten ſie ihn mit vier Schlägen, damit er zu 
ſeiner Beſtimmung, die vier Meilen weit entfernt war, ſchneller 
304 


gelangen ſollte. Wenn die Leute dort ihn ankommen faben, 
gingen ſie ihm entgegen, gaben ihm zu freſſen und zu ſaufen 
und ſchickten dann einen andern Hund weiter. Dieſe Poſt 
konnte in einem Tage hundert Meilen zurücklegen; dem Götzen 
wurde jeder geopfert, der einen ſolchen Hund auf ſeiner Reiſe 
ſtörte oder ihn aufhielt, daß er die Wohnung oder den Nube: 
ort nicht erreichen konnte, wo immer Hunde gehalten wurden, 
die man hungern ließ, damit ſie mit größerer Eile zu der 
nächſten Station laufen möchten. Während meine Gefährten 
ſich nach dem Schiffe begaben, erteilte der Anführer den 
Befehl, man ſolle ſie nicht, ohne zu unterſuchen, was ſie 
mit ſich brächten, in die Höhle und ebenſowenig uns hinaus⸗ 
gehen laſſen, mit der Drohung, daß, wenn irgendeiner dies 
Gebot überträte, ſie ihn töten würden. Wir hofften auf die 
Rückkehr unſerer Gefährten, weil ſie Pulver und Kugeln mit⸗ 
bringen ſollten, denn von beiden war uns nur noch wenig 
geblieben. Der Anführer befahl, daß während der Nacht ſechs 
Wächter am Eingang der Höhle bleiben ſollten, denn am 
Tage konnten ſie uns alle beobachten. Es blieb uns kein 
anderes Mittel, als den Gefährten, die zurückkamen, zuzu⸗ 
rufen, ſie möchten bei dem Boote verweilen, bis wir eine 
Liſt erſonnen hätten, durch welche wir ihnen den Durchgang 
zu uns frei machen könnten. Ich überlegte, wie ich bei der 
Nacht die Wachen täuſchen könnte, und befahl den Freunden, 
daß ſie, ſobald ſie ein Geräuſch vernähmen, ſo ſchnell als 
möglich in die Höhle laufen möchten. Am Tage, als die 
Wachen ihren Poſten verlaſſen hatten und die übrigen ſich 
wenig um uns kümmerten, beſtreute ich den Boden, an den 
Stellen, an denen ſie geſeſſen hatten, mit Pulver, welches mit 
zerſtoßenen Kieſelſteinen gemiſcht war, und machte ſo von ihren 
bis zu unſern Poſten eine ſchmale Straße von dieſem Pulver. 
Als die Nacht kam, begaben ſich die ſechs Wachen auf ihre 
20 305 


Plätze; einige ſetzten fic) nieder, andre ſtreckten ſich mit ihren 
bloßen Beinen, denn ſie trugen keine Beinkleider, auf den 
Boden hin. Nun zündeten wir die Straße an einem Ende an, 
infolgedeſſen flammte das Pulver, auf dem ſie lagen, auf, 
und das Pulver ſowie die Steine verletzten ihnen jene Teile 
ſo, daß ſie mehrere Tage nicht mehr ſitzen konnten. Sie und 
die übrigen glaubten in ihrer Dummheit, das Feuer ſei aus 
der Erde gekommen, und liefen voll Furcht und Verwun⸗ 
derung zu ihrem Anführer, um es ihm zu erzählen. Die 
Gefährten, mit zwei andern, die im Schiff geblieben waren, 
kamen nun eilig in die Höhle und brachten ſechs Beutel mit 
Kugeln und Pulver mit, die uns neuen Mut gaben und uns 
für jeden Fall, der ſich ereignen konnte, zur Verteidigung 
tüchtig machten. Wir brachten die Nacht nicht ohne Sorgen 
zu, wir ſtellten Schildwachen aus und verſchanzten uns von 
neuem mit den Balken; da jene aber nicht dachten, daß die 
Schädigung von uns veranlaßt ſei, ſo kümmerten ſie ſich 
nicht um uns. Am Morgen, als die Sonne aufging, ſahen 
fte alle zu ihr hinauf, begrüßten fie mit Geheul und Rohrflöten⸗ 
muſik und mit ganz wenigen Worten, die ſie oft wiederholten. 


Dreiundzwanzigſtes Kapitel. 


Der Hund oder Eilbote kam mit ſeinem Rohr im Munde 
zurück, in welchem in ihrer Schrift geſchrieben ſtand: ſie ſollten 
nicht leiden, daß wir auf der Inſel blieben; denn Menſchen, 
welche doppelte Gliedmaßen hätten, hätten ebenſogut doppelte 
und zweideutige Abſichten. Auch wegen Erhaltung des Friedens, 
den ſie immer geliebt hätten, könnten ſie es nicht dulden, 
daß Fremde ſich des Landes bemächtigten; denn wenn in 
ihrem Staate jemals eine Empörung entſtände, ſo hätten die 
Unzufriedenen alsdann eine Unterſtützung, und das Unglück 
würde weit größer werden. Alſo befahl man, ſie ſollten uns 
306 


nicht geftatten, länger auf der Inſel zu verweilen, fondern 
uns in Frieden ziehen laſſen. Nach dieſem Befehl bewilligten 
ſie uns ſichern Abmarſch, verlangten dieſen aber ſogleich, und 
daß wir keinen halben Tag mehr auf der Inſel bleiben ſollten. 
Wir gingen ſchneller, als ſie es verlangten, da wir uns wohl 
denken konnten, was erfolgen würde; denn kaum waren wir 
in unſerm Boot, als ſie die Höhle unterſuchten, und als 
ſie dieſe ganz ausgeleert fanden, kamen ſie an das Ufer 
und ſchleuderten uns Steine und Felſenſtücke in ſolcher Menge 
nach, daß, wenn das Boot nicht von denen im Schiff ſchnell 
herangezogen worden wäre, ſie uns hundertmal in die Tiefe 
verſenkt hätten. Wir kamen an, und meine Gemahlin ſowie 
die übrigen Frauen im Schiff waren ſo erfreut, uns wieder 
zu ſehen, als wenn wir viele Jahre entfernt geweſen wären. 
Da die Matroſen, welche ruhig im Schiff zurückgeblieben, 
ſich erholt hatten und nicht müßig geweſen waren, ſo fanden 
wir die Segel ausgebeſſert, die Gerätſchaften und den äußern 


Bau des Schiffes in beſſeren Stand geſetzt, und alles nötige 


wieder hergeſtellt. Mit dem erſten günſtigen Winde verließen 
wir dieſe unzugängliche Inſel, ſo mit Lebensmitteln verſehen, 
daß wir eine Reiſe um die Welt hätten machen können. Da 
die unſrige nicht ſchnell vonſtatten ging, kamen wir erſt 
nach Verlauf eines Jahres und nach vielen überſtandenen 
Beſchwerden in die Nähe der Meerenge von Gibraltar, wo mich 
mein allerbitterſtes Leiden traf; denn als unſer Schiff von der 
langen Reiſe und den vielen Stürmen übel zugerichtet war, 
kam ein Schiff der Ungläubigen, das uns im Angeſicht von 
Gibraltar ſo beſchoß, daß wir uns ergeben mußten. Nachdem ſie 
einige unſrer Gefährten getötet hatten, kamen fie an Bord und 
führten meine Gemahlin, einen Pagen, der uns bediente, und 
die Frauen meiner Gefährten gefangen hinweg. Da wir Gib— 
raltar nahe waren und die Einwohner Mut und Menſchenliebe 
232 307 


beſitzen, kamen fie uns mit der möglichſten Schnelligkeit in 
zehn oder zwölf Fahrzeugen zu Hilfe, von Don Juan Serrano 
und ſeinem Bruder Don Francisco angeführt, welcher einem 
tapfern Hauptmann der Ungläubigen einen ſolchen Schwert- 
ſtreich verſetzte, daß er den eiſernen Helm zerhieb und ihm den 
Kopf ſpaltete, ſo daß er entſeelt ins Meer ſtürzte, was uns 
das Leben, meiner Gattin aber den Tod brachte. Denn die 
Feinde zogen ſich zurück und begaben ſich mit den Frauen in 
ihr Schiff. Der, welcher Donna Mergelina geraubt hatte, 
wollte, von ihrer Schönheit entzündet, ihr Gewalt antun; 
ſie floh vor ihm und ſtürzte ſich vor meinen Augen in die 
Flut, ohne daß jene Ketzer ihr zu Hilfe kamen. Die 
Nacht kam, und die Leute von Gibraltar brachten uns voll Liebe 
und Mitleid an das Land und verſchafften uns eine vor— 
treffliche Unterkunft in dem Hauſe des Don Francisco 
Ahumada y Mendoza. Dann kehrten ſie zurück, um noch 
einen Verſuch zu machen, jene Feinde des wahren Glaubens 
und der ſpaniſchen Krone zu vernichten. Geſtern reiſte ich 
von Gibraltar ab und wünſchte mir mehr den Tod als das 
Leben, und zwar den ſchnellſten. 

So beendigte der Doktor Sagredo ſeine Erzählung und 
brachte ſeiner Gattin neue Totenopfer in ſeinen Tränen dar. 
Die beiden, welche mit uns eingeſperrt waren, wollten ihn 
tröſten, und da ſie ſeinen ſchweren Kummer ihm tragen halfen, 
verlangten ſie durchaus, daß er fröhlich ſein ſollte. 


Vierundzwanzigſtes Kapitel. 

Da die Räuber, wie ich ſchon geſagt habe, ſich nicht ficher 
glaubten, wollten ſie weder den Gefangenen, die ſie in den 
Höhlen bewahrten, die Freiheit ſchenken, noch die Vorüber⸗ 
gehenden ihren Weg fortſetzen laſſen, um keine glaubwür⸗ 
digen Zeugen gegen ſich zu haben, da es ihnen ſchien, daß 
308 


ihre Verbrechen noch nicht völlig bewieſen wären. Sie griffen 
einen ſehr ſchönen Pagen, der ganz allein des Weges kam, 
an; und da ſie ihn in der Nähe unſrer Höhle gefunden 
hatten, wollten ſie ihn foltern, damit er geſtehen ſollte, wem 
er angehöre und warum er ſeiner Geſellſchaft vorausgegangen 
ſei; denn ſie glaubten, er ſei ausgeſchickt, um den Weg zu 
unterſuchen, und daß ſeine Gebieter entweder reiche Leute 
wären, oder daß ſie kämen, um ihnen ein Unheil zu bereiten, 


aus dem ſie ſich hernach nicht wieder befreien könnten. Da 


der Page das, was ſie wiſſen wollten, leugnete, befahlen 
ſie ihm, er ſollte ſich entkleiden, um ihn zum Bekenntnis 
der Wahrheit zu zwingen. Er fragte mit der größten Ruhe 
und Anmut nach dem Hauptmann oder Anführer ihrer Ge— 
ſellſchaft. Roque Amador, ſo hieß er, ſagte: Ich bin es. 
Warum fragſt du nach mir? Ich fragte nach Euch, ant⸗ 
wortete der Page, weil der Ruf fo viel von Eurer Gerechtig⸗ 
keit und Güte erzählt, und daß Ihr den noch nie hart be— 
handelt habt, der Euch aufrichtig entgegen kommt. In dieſem 
Vertrauen will ich Euch ſagen, wer ich bin. 

Da die Straßenräuber dieſes Weidendickicht für einen Ver— 
teidigungsort oder Heiligtum hielten, lebten ſie daſelbſt wie 
Menſchen, die keinen Tod zu erwarten haben, allen Laſtern 
ergeben, dem Raube, dem Morde, dem Diebſtahl, der Schwel— 
gerei, dem Spiel und den ſchändlichſten Sünden. Der Raum 
iſt groß, denn er hat wohl ſechzehn Meilen im Durchſchnitt, 
die Bäume und Geſträuche ſtehen an vielen Stellen ſo dicht, 
daß die Tiere ſich darin verirren und ihre Höhlen nicht wieder 
finden können, deshalb leben dieſe unglücklichen Menſchen in 
der größten Sicherheit, da ſie weder Gott noch die Juſtiz 
fürchten, ohne Beſinnung und Vernunft, und jeder folgt 
ſeinen Gelüſten. Sie verſammeln ſich nur, um die Beute 
von den armen Reiſenden zu teilen, und eben jetzt war eine 


309 


Zeit, in der fie vieles unter ſich berechneten und ſchlichteten. 
Da kam ein Schelm im Hemde und weiten Hoſen, denn 
alles übrige hatte er verſpielt, und indem er nach ſeiner Art 
fluchte, unterbrach er lärmend das Verhör des Pagen, indem 
er rief: Verdamme Gott doch den, der das Spielen erfand, 
wie den, der es mich zuerſt lehrte! Daß es dieſen Händen, 
die einen Stier umreißen können, nicht möglich iſt, dem Zu⸗ 
fall zu gebieten! Aber verwünſcht ſollen ſie ſein, da ſie die 
Fünfe werfen, mir zum Schaden, zum Vorteil einer Memme 
und eines Haſen. Iſt hier einer, der ſich mit mir umbringen 
will? Iſt kein Teufel mit ſeinen Adlerfüßen da, der, da er 
mir beim Spiel nicht geholfen hat, mir doch hilft, mich zu 
morden? Kam mir etwa eine einzige Karte in die Hand, die 
ſie mir nicht weggenommen hätten? Iſt es nicht genug, daß 
ich alle mögliche Spitzbüberei und Betrug anwende, um nicht 
ganz zum Teufel zu gehen? Ich ſchwöre, daß ich mich noch auf 
die Galeeren oder zum Teufel ſpielen werde, wenn ich kein 
beſſeres Glück habe! Aber er hob immer mit der Linken ab, 
wenn ich die Karte nahm, und ich habe tauſend Schwüre 
getan, mich an keine Fratzen zu kehren, und nun ſtellt der 
Teufel ſie mir immer in den Weg. Für das Spielgeld, das 
ich dem Kerl gab, will er den Handel mit mir eingehen, 
mich lebendig zu ſchinden; und es ſtellte ſich ein andrer Hunds⸗ 
fott neben ihn, ſo groß wie er ſelbſt, der immer macht, 
daß ich verliere. Worüber lacht ihr? Bin ich ein Hahnrei? 
Ihr lügt, wenn ihr über mich lacht. Sie lachen, ſagte der 
Hauptmann, über den Unſinn, den du ſprichſt. Schweig, und 
da du weißt, daß du kein Glück haſt, ſo meide das Spiel 
und läſtre nicht, oder ich laſſe dich dreimal wippen. Beſſer 
wäre es, du gäbeſt mir drei Taler, ſagte er, damit ich meine 
Hand üben und meinem Mädchen zu eſſen geben könnte; 
denn ich habe ihr alles verſpielt, was ſie mir mitgebracht 
310 


hat. Er hörte ſchließlich auf zu klagen, und da es fchon 
ſpät war, ward das Verhör des Pagen verſchoben, den ſie 
in einen Verſchlag in unſrer Höhle ſperrten, damit er denen, 
zu deren Gefolge er nach ihrer Meinung gehörte, keinen Wink 
geben könne. Uns befahlen ſie, bei Lebensſtrafe kein Wort 
mit ihm zu reden und ihm keinen Rat zu geben. Der Page 
ſeufzte die ganze Nacht, und wenn er etwas einſchlief, ſo 
wachte er immer mit großer Beängſtigung wieder auf; wir 
wagten aber nicht, ihn zu fragen, worüber er klage, und was 
ihm fehle. Da die Räuber einen Überfall fürchteten, der 
ihnen nicht weniger als das Leben gekoſtet hätte, zogen ſie 
ſich in Schlupfwinkel zurück, wo es unmöglich war, ſie zu 
finden; doch gerieten ſie bei jedem Geräuſch und Pferde— 
getrappel in Angſt. Als der Tag anbrach, unterſuchten ſie 
die Höhlen, in denen ſie die Gefangenen bewahrten, und 
als ſie zu der unſrigen kamen, fanden ſie uns ſo wieder, 
wie ſie uns am Abend ließen, ohne daß wir ein Wort mit 
dem Pagen geredet hatten. Dieſem riefen ſie zuerſt und 
drangen in ihn, daß er ihre Fragen beantworten ſollte. Der 
Page ſagte mit vieler Höflichkeit und Anmut: Herr Roque 
Amador, geſtern fragte ich nach dem Hauptmann und An: 
führer dieſer Geſellſchaft, und da Ihr es ſeid, halte ich mich, 
wegen des ſchönen Namens, den Ihr führt, für geſichert; 
denn es iſt nicht Eure Sache, ein armes verlaſſenes Geſchöpf 
wie ich bin, zu quälen, noch Euren Ruf zu beflecken, indem 
Ihr Euren Mut da anwendet, wo er Euch wohl entehren, 
aber keinen Ruhm bringen kann. Da Ihr in der Führung und 
Regierung dieſes rohen Haufens den guten Namen erworben 
habt, den Ihr in ganz Andaluſien beſitzt, was würde es Euch 
helfen, wenn Ihr dieſe Achtung verlöret, dadurch, daß Ihr 
als ein ſo mächtiger Adler Euch auf eine ſo unwürdige Beute 
ſtürztet? Es bringt mehr Ruhm, den ſchon erworbenen durch 

311 


inneren Wert zu bewahren, als ihn zu vermindern und das, 
was Ihr ſchon als Eigentum beſitzt, zu gefährden. Ihr habt 
Euch immer der Gerechtigkeit, Wahrheit und Barmherzigkeit 
gerühmt, deshalb wäre es ungerecht, wenn Ihr nur gegen 
mich dieſe Tugenden verleugnen wolltet. Wir alle in der 
Höhle waren ſehr aufmerkſam und bewunderten die Bered- 
ſamkeit des Pagen. Roque Amador, von ſeinen lieblichen 
Worten gerührt, verſicherte ihn, daß ihm kein Leid wider⸗ 
fahren ſolle, wenn er die Wahrheit ſagte. Ich war erſtaunt, 
denn die Stimme des Pagen ſchien mir bekannt, doch konnte 
ich mich nicht beſinnen, wer es ſein könnte. Da Roque ihm 
mit dieſer Sanftmut zuſprach, fuhr der Page fort: Wenn 
einiges Mitleid mit meiner traurigen und hilfloſen Lage in 
Euer frommes Herz gedrungen iſt, ſo gebt mir für Euch 
und Eure Gefährten, wie es ſich ziemt, Euer Wort, daß mir 
weder öffentlich noch im Geheimen irgendeine Kränkung zuge⸗ 
fügt werden ſoll. Darauf ſagte jener Oberſchelm, der am 
Abend vorher das Verhör unterbrochen hatte: Mach' fort, 
Junge; zieh' dich nackt aus, denn hier verſtehen wir keine 
rhetoriſchen Redensarten, und wo wir kein Geld finden, da 
tun wir etwas Blei in den Körper, damit er die gehörige 
Schwere bekommt. Der Page ſagte ſcherzend: Das möchte 
ſchwer zu verdauen ſein; ich erinnere mich, Euch oder einen, 
der Euch ähnlich iſt, ſchon geſehen zu haben, der in Sierra 
Morena mit Pfeilen totgeſchoſſen worden war. 

Roque lachte und ſprach: Hörſt du, Beſtie, der Page ſpricht 
gut; und Euch, junger Menſch, gebe ich mein Wort für mich 
und meine Gefährten, Euch nicht allein kein Leid zu tun, 
ſondern auch Euch zu ſchützen und beizuſtehen, ſo viel es uns 
möglich ſein wird. Nach dieſer Verſicherung, antwortete der 
Page, will ich offen ſprechen, als zu einem Manne, der ein 
edles, mitleidiges und wahrhaftes Gemüt hat. Wir alle waren 
312 


ſehr aufmerkſam, und der Page fuhr folgendermaßen fort: 
Wenn mich auch der Gedanke nicht tröſtete, daß ich nicht der 
erſte bin, der Unglück, Leid und Mißgeſchick ertragen hat, und 
Unheil, ohne auf beſſeres Glück hoffen zu dürfen, ſo würde 
mich doch der Edelmut, den ich aus Euren Augen blicken ſehe, 
ermutigen, meine Leiden zu erzählen. Immer war es die 
Laune des Schickſals, Gefallene zu erheben und Erhöhte nieder— 
zuwerfen, und da ich nicht der erſte bin, welcher dieſe Wechſel 
und Widerwärtigkeiten ertragen hat, ſo faſſe ich Mut, frei zu 
ſprechen. Vernehmt alſo, daß ich kein Mann bin, ſondern eine 
unglückſelige Frau. Nachdem ich meinen Mann zu Land und 
Meer begleitet hatte, zum großen Schaden für mein Ver: 
mögen und meine Geſundheit, und nachdem wir die ganze 
entdeckte Welt und noch weit mehr umſchifft und in unbe⸗ 
kannten Weltgegenden Schiffbruch gelitten hatten, kamen wir 
endlich durch die Barmherzigkeit Gottes bis zur Meerenge von 
Gibraltar, wo in dem Augenblick, als wir die langerſehnte 
Rettung beim Anblick des Landes ſchon zu genießen glaubten, 
die Ungläubigen unſer beſchädigtes, faſt menſchenleeres Schiff 
anfielen. Sie ergriffen die Frauen, mich zuerſt und einen 
Pagen, der mir diente, und töteten alle, die ſich verteidigten, 
und unter dieſen meinen Mann. Der Kapitän des Schiffes 
verliebte ſich in mich und verſuchte durch gute Worte meine 
Neigung zu gewinnen und mich zu verleiten, daß ich die Treue 
und Reinheit verletzte, die meinem erſchlagenen Gatten gehörte. 
Ich antwortete ihm mit guten Worten, damit er ſich nicht 
der Gewalt bedienen möchte, gegen die ich keine Verteidigung 
gehabt hätte; dann rief ich heimlich meinen Pagen zu mir, 
gab ihm meine Kleider und kleidete mich in die ſeinigen, 
die ich noch trage. Der Junge hatte ein ſehr hübſches Geſicht, 
und als er aus der Kajüte trat, wollte der Kapitän auf ihn 
zugehen, in der Meinung, daß ich es ſei. Aber der Page 

313 


entfloh, und da er fic) mit den Kleidern in die Taue des 
Schiffes verwickelte, ſtürzte er in das Meer, ertrank und 
ward nicht mehr geſehen. Da ich ſo unglücklich geweſen war, 
meinen Mann und den Pagen zu verlieren, färbte ich mir das 
Geſicht, damit der Kapitän das, was er geſehen, für Wahrheit 
halten und mich nicht wieder erkennen möchte. Die mitleidigen 
Bewohner von Gibraltar kamen uns mit dem Mute, der ihnen 
immer eigen iſt, zu Hilfe. Schon waren zwei Tage und Nächte 
im Kampfe verſtrichen, doch ließen ſie nicht nach, bis ſie den 
Sieg errungen und die Gefangenen befreit hatten. Nachdem 
ſie uns in ihre Fahrzeuge gebracht, forderten ſie die Barbaren 
auf, ſich zu ergeben und zur Stadt bringen zu laſſen; da dieſe 
es aber nicht annehmen wollten, ward Feuer an das Schiff 
gelegt, und alle fuhren in den Flammen zur Hölle. In Gibraltar 
erkundigte ich mich nach dem Wege nach Madrid, und ſie 
ſagten mir, ich müſſe den großen Buſch durchqueren 152 
wenn ich nach Ronda käme, weiter fragen. 

Wir vier, beſonders der Doktor Sagredo und ich, waren 
kaum unſrer Sinne mächtig, es dünkte uns ein Traum oder 
ein Zauber zu ſein, und wir konnten uns weder entſchließen, 
es zu glauben, noch an der Wirklichkeit zu zweifeln. Roque 
Amador zeigte großes Mitleid bei den Tränen, welche die ſchöne 
Frau jetzt vergoß; er tröſtete ſie und erbot ſich, ſie ſicher 
zu geleiten und ihr Geld zur Reiſe zu geben. Er fragte ſie 
nach ihrem Namen, um dieſe denkwürdige Geſchichte der Vers 
geſſenheit zu entreißen, und ſie beantwortete dieſe, wie alle 
anderen Fragen, wahrheitsgemäß und ſprach: Ich heiße Donna 
Mergelina de Aybar, und mein unglücklicher Mann, der nicht 
Soldat, ſondern Gelehrter war, hieß der Doktor Sagredo. 
Der Doktor Sagredo, der ſeinen Namen von ſeiner Frau 
ausſprechen hörte, rief, halb erſtickt von dem Gefühl des 
unerwarteten Glückes: Er lebt! und dieſe Nacht ruhteſt du 


314 


LN E IE Ze 


in feiner Nähe! Roque Amador, erftaunt über diefe neue Be— 
gebenheit, ließ uns aus der Höhle führen und fragte, welcher 
unter uns es ſei, der geſprochen habe. Die Frau zog ſich, 
wie erſchreckt, zurück und antwortete: Wenn es nicht geſpenſtiſche 
Schatten von Weſen höh'rer Art ſind, ſo iſt dieſer mein Mann 
und jener Marcos von Obregon, der in Madrid mein Vater 
und Ratgeber war. — So geht alle drei, und Gott ſei mit 
euch, ſprach der Hauptmann, und obwohl das Geld in keinem 
guten Kriege erbeutet iſt, ſo nehmt doch etwas von dem, was 
einſt andre beſaßen; denn wir hielten alle dieſe Gefangenen 


zurück, nicht, um ihnen böſes zu tun, ſondern nur, damit 


unſre Gegner ſie nicht treffen ſollten. Mit dieſen Worten ließ 
er uns alle in Freiheit ſetzen und bat uns, nicht zu verraten, 
wo wir ihn geſehen hätten. Donna Mergelina ſprach mit dem 
Ausdruck der tiefſten Rührung zum Hauptmann: Das einzige, 
womit ich die Wohltat, die ich von Euch empfangen habe, 
lohnen kann, iſt, daß ich Euch ſage, was ich in Gibraltar, 
wo man Euch übrigens wohl will, hörte: Der Lizentiat Val- 
ladares hat den Befehl erhalten, demjenigen große Belohnung 
zu verſprechen ſowie die Verzeihung jedes Verbrechens, der 
Euch in ſeine Hände liefern wird. Der Hauptmann berief alle 
ſeine Gefährten auf einen Verſammlungsort und hielt ihnen eine 
lange Rede, denn er hatte wohl den Verſtand dazu, deren Schluß 
war, daß in dieſer Nacht alle darauf denken möchten, wie 
man ſich am beſten verteidigen könne, und jeder das tue, 
was ihm für ſeine Sicherheit das rätlichſte ſchiene. Sie gingen 
zu ihren Ruheplätzen, und während ſie die Nacht überlegten, 
was Roque ihnen anbefohlen hatte, begab dieſer ſich vorſichtig 
und ganz im geheimen nach Gibraltar und ging auf dem 
Marktboot nach Afrika hinüber, während alle ſeine Anhänger 
erſtaunt und getäuſcht zurückblieben. 


315 


Fünfundzwanzigſtes Kapitel. 


Da ſie ohne Anführer waren, zerſtreuten ſie ſich, entflohen 
nach verſchiedenen Seiten und gaben ihr gottloſes Handwerk 
auf; doch wurden durch die Liſt des Richters wohl zweihundert 
von ihnen gegriffen und exemplariſch beſtraft. Wir kamen 
glücklich ohne irgendeinen Unfall nach Madrid, und es ſcheint 
mir, wie es auch in der Tat iſt, daß es unter dieſen Räubern 
Männer gibt, die ſich einer ſo hohen Tugend befleißigen, daß 
andre viel zu tun hätten, wenn ſie es ihnen nachtun wollten. 

Als ich meine letzte Erzählung geendigt hatte, ſagte der 
Eremit, der über das Gehörte ſtaunte, man könne nun über 
die Brücke gehen, vielleicht ermüdet, daß er ſo lange hatte zu⸗ 
hören müſſen. Ich nahm Abſchied von ihm; und als ich über 
die Brücke kam, ſah ich viele mit der Wurzel ausgeriſſene 
Bäume, die der Manzanares mit ſich geführt hatte; auch mehrere 
aufgeſchlitzte große Fiſche, von denen, die mit Speeren 
getötet werden; ertrunkene Tiere, und viele Menſchen, die alles 
dies betrachteten und über die heftige und plötzliche Über: 
ſchwemmung ſtaunten. Alle Gärten waren überflutet, die 
Inſeln mit Geſträuch bedeckt; denn das Waſſer war faſt bis 
zur Einſiedelei des heiligen Iſidor geſtiegen und hatte aus 
Sand und Bäumen mehrere Dämme gebildet, die den Fluß 
noch an vielen Stellen teilten. 


Letztes Kapitel und Epilog. 


Die unzähligen Veränderungen des Geſchickes zu Meer und 
Land hatten mich ermüdet, und da ich einſah, daß meine Jugend 
entſchwunden war, entſchloß ich mich, die übrige Zeit meines 
Lebens in Ruhe und Sicherheit zuzubringen, um mich auf den 
Tod vorzubereiten, der der Beendiger aller Dinge iſt, und der, 
wenn er uns wohl vorbereitet findet, alle Verirrungen der 
316 


Jugend fühnt. Ich beſchrieb mein Leben in einer einfachen, 
verſtändlichen Sprache, damit der Leſer es ohne Mühe ver— 
ſtehen kann. Der Meiſter Valdivieſo, dieſer tiefe und erleuchtete 
Geiſt, ſagte einſt ſehr paſſend einem Poeten, der ſich einer 
dunkeln Schreibart rühmte: Da es der Zweck der Erzählung 
und Dichtung iſt, ergötzend zu belehren und belehrend zu er— 
götzen, ſo kann das, was der Leſer gar nicht ergründet, oder 
was ihm wenigſtens große Mühe macht, es zu verſtehen, ihn 
weder ergötzen noch belehren. Findet ſich etwas Ungereimtes in 
dieſem Buche, ſo bitte ich, es meinem geringen Verſtand und 
nicht dem Mangel an gutem Willen zuzuſchreiben; denn wenn 
ich darüber belehrt werde, ſo will ich den Tadel von jedem, 
der die gute Abſicht hat, mich zu beſſern, mit der größten 
Demut anhören; denn wer Geduld hat predigen wollen, der 
würde gegen ſeine eigene Lehre ſündigen, wenn ſie ihm fehlte, 
indem er die brüderliche Zurechtweiſung erfährt. Was bewirkt 
nicht alles dieſe ſchöne Tugend, die Geduld? Welche Furien 
bändigt ſie nicht? Welchen Lohn erringt ſie nicht? Und wenn 
ein Menſch von phlegmatiſchem Temperament zornig werden 
und ſich den Ausbrüchen der Heftigkeit überlaſſen kann, warum 
ſoll nicht ebenſogut ein Cholerifcher ſich mäßigen und in der 
Geduld üben können? Wir haben viele lebende Beiſpiele dieſer 
Wahrheit in unſeren Tagen, die wohl der Nachahmung würdig 
ſind, und ſchon ein einziges reicht hin, zu zeigen, wieweit 
man es in der herrlichen Tugend der Geduld bringen kann. 
Wer hätte es gedacht, daß aus dem zornigen Temperament, 
das den Herzog von Oſſuna, Don Pedro Giron, in ſeinen 
erſten Lebensperioden beherrſchte, und das noch von Reichtum 
und Jugend gepflegt ward, ſo herrliche Tugenden erblühen 
würden, die die ganze Welt in Erſtaunen ſetzen? In ſeiner 
Jugend war er ein wilder Blitzſtrahl des Zornes, ungeduldig 
im höchſten Grade in feinem zarten Alter, und hernach unters 

317 


warf er feinen ftarren Sinn, um mit der größten Geduld 
in Flandern Dienfte zu tun, wo es ihm gelang, die Wut der 
Meuterer zu ſtillen, als er ſeine tapfere Bruſt den Musketen 
entgegenſtellte, womit ſie ſein Haus ſtürmen und plündern 
wollten. Wieviel Geduld, Mäßigung und Gerechtigkeit zeigte 
er nicht als Gouverneur von Sizilien? Ohne dieſe Tugend 
hätte auch der größte Heldenmut nicht ausgereicht, ſeine hohen 
Pläne in Ausführung zu bringen, da er ſo große Heere zu 
Meer und Land in Bewegung ſetzte, daß er die Macht der 
Türken zügelte und alle übrigen Feinde zittern machte, wodurch 
er ſich die Liebe und Achtung der Völker erwarb, die er be— 
herrſchte und noch beherrſcht. Als Don Franzisko von Quevedo, 
ein ſehr verſtändiger Ritter, dieſen großen Fürſten fragte, 
wie er es anfange, ſich bei ſo großer Sanftmut ſo große Achtung 
zu erwerben, antwortete er: Durch die Geduld, die, wenn ſie 
auch von den gemeinen Leuten gering geachtet wird, doch in 
den Herzen der Fürſten und Befehlshaber Furcht, Liebe und 
Achtung erzeugt. Doch dies möge für eine größere Geſchichte 
bleiben, denn zu dieſer kleinen Erzählung paßt es nicht. Jorge 
de Tobar, den ich in ſeiner Jugend als einen Mann kannte, 
der Feuer und Heftigkeit genug hatte, um bei einem ehren— 
vollen Anlaß die Geduld zu verlieren, erwarb nachher durch dieſe 
Tugend ſo große Verdienſte, daß er an Stellen gebraucht wurde, 
die eines ſo großen Mannes, wie er, würdig waren, da er 
Wahrheit, Feſtigkeit und unerſchütterliche Redlichkeit in Aus⸗ 
übung der Gerechtigkeit bewies. Doch, welche Vorzüge ſchlöſſe 
die göttliche Tugend der Geduld nicht in ſich? O du vom Himmel 
ſtammende Tugend! Gott möge fie uns durch feine Gnade ges 
währen, beſonders mir, damit ich in dieſer Tugend dem Bei⸗ 
ſpiel meiner Vorbilder in dieſer Zurückgezogenheit nachfolge, 
und dadurch mein Leben ſicher und mein Tod ruhig werde. Um 
mir die Ausführung dieſes Vorhabens zu erleichtern, ſtellte Gott 
318 


mir, wenn ich es zu benutzen weiß, in einer edlen Frau 
ein großes Muſter vor Augen, ich meine Donna Johanna von 
Cordova, Aragon und Cardona, Herzogin von Seſa, deren 
chriſtliche Tugenden ſowie ihre angebornen und erworbenen 
Vorzüge jedem, der zur chriſtlichen Vollkommenheit ſtrebt, als 
ein Vorbild dienen können. Nur unter ihrer Leitung konnten 
Söhne gebildet werden, wie Don Luis Fernandez de Cordova, 
Herzog von Seſa, der, mit den edelſten Gaben geſchmückt, ein 
Freund der ſchönen Wiſſenſchaften und ein Beſchützer derſelben 
und aller derer iſt, die ſich ihnen widmen. 


Ende. 


Anmerfungen 


1 Luis Tribaldos de Toledo ſchrieb lateiniſche Gedichte und kom— 
mentierte die Geographie des Pomponius Mela. Er ſtarb 1634. 

2 F. Hortenſio Felix Paravicino y Artiega wurde in Madrid ges 
boren. Er war ein angeſehener geiſtlicher Redner und hat auch Predigten 
drucken laſſen. Trauergedichte über den Tod Philipps III. hat er 
1625 herausgegeben. Er ſtarb 1633, 51 Jahre alt. Eine der Appro⸗ 
bationen des Marcos von Obregon ſtammt von ihm. 

3 Juan Luis de la Cerda lebte noch unter Philipp IV. und wurde 
als Gelehrter und Geiſtlicher in ſeinem Vaterlande ſehr hoch geſchätzt. 
Er hat viel über Tertullian geſchrieben, ſo wie er ein Kommentator des 
Virgil iſt, deſſen Werke, die einzelnen, wie die geſamten, er 1608, 
1612, 1617 und 1619 herausgegeben hat. 

4 Lope de Vega ward 1562 geboren und ſtarb 1635. Dieſer 
große Dichter war zugleich der Meiſtſchreibende, der bis jetzt in irgend— 
einer Literatur aufgetreten iſt. 

5 P. Mantuanus, damals jung, ſtarb 1656; hat ſich vorzüglich 
durch ſeine Bemerkungen über den ſpaniſchen Geſchichtſchreiber Mariana 
bekannt gemacht. Schon 1611 gab er ein hiſtoriſches Werk heraus. 
In demſelben Jahre, in welchem dieſer Marcos Obregon zuerſt er 
ſchien, 1618, kam von ihm zu Madrid heraus: Casamientos de Españ a 
y Francia, y Viaje del Duque de Lerma. Das Gedicht bezieht 
fid auf die Doppelheirat im Jahre 1615, 

6 Offenbar eine bittere Anfpielung auf Cervantes und deſſen uns 
vergleichlichen Don Quixote, von welchem die letzte Hälfte wohl erft 
kurz vor dem Entwurfe des M. Obregon erſchienen war. Es iſt ſelbſt 
nicht unwahrſcheinlich, daß der große Beifall, den dieſes Werk ſich 
ſogleich faſt in ganz Europa erwarb, unſern Autor bewogen habe, gegen⸗ 
wärtige Autobiographie zu verfaſſen, in welcher er Scherz mit Ernſt 
und Laune mit Moral will abwechſeln laſſen, um nicht in den Fehler 
zu fallen, welchen er hier mit armer Verblendung an feinem fo uns 
endlich größern Zeitgenoſſen rügen will. Es war damals (was jenen 
Schriftſtellern, zu denen ſelbſt einige berühmtere gehören, nicht zur 
Ehre gereicht) der Ton einer gewiſſen Schule, den Don Quixote, 
dieſes Buch, einzig in Erfindung und Ausführung, herabzuſetzen. Viele 
Schüler und Freunde des großen Lope de Vega glaubten, dies dem 
Meiſter ſchuldig zu ſein, über welchen Cervantes durch den Mund 


21 321 


des Canonicus (ſ. T. 1) eine merkwürdige Kritik hatte verlauten 
laſſen. 


7 Chriſtophorus de Fonſeca gab 1594 ſein Buch: del Amor de 
Dios, in zwei Teilen heraus. Es wurde ins Italieniſche und Lateiniſche 
überſetzt. Man weiß nicht, ob der e 1612 oder 1616 ge: 
ftorben fet. 

8 Luis Cabrera gab 1619 eine Geſchichte des Königs Philipp II. 
heraus. 

9 Dieſer kam im J. 1592 nach Brüſſel, und 1594 folgte er dem 
geſtorbenen Erzherzoge Ernſt in der Würde eines Statthalters von 
Flandern. 

10 Gab 1612 eine Geſchichte der Kriegsbegebenheiten, die ſich in 
den Niederlanden von 1594 bis 1593 zugetragen hatten. Er war 
ſelbſt ein ausgezeichneter Soldat. 

11 Geſchah im Jahr 1597. 

12 Der Seekampf, welcher im Jahr 1614 unter Don Farardo zu 
Mamora, an der Küſte von Afrika, vorfiel, und in welchem dieſer 
General Mamora eroberte. 

13 Es gibt viele Schriftſteller mit dieſem Beinamen, doch finde ich 
keinen Fernando. 

14 Ein berühmter Advokat jener Tage, ließ 1625 in Folio drucken: 
Informacion de derecho divino y humano pór la purisima 
Conception de la Virgen Nuestra Señora. 

15 Siehe die zweite Vorrede zum Gil Blas, in welcher der Abenteurer 
ſelber ſpricht. Ich zweifle, ob die Nachahmung dort das Original 
übertreffe. | 

16 Ein Kollegium und fromme Stiftung, in welcher zwölf Arme, 
die alt und gebrechlich und zugleich von guter Familie und Verdienſten 
waren, unterhalten wurden. Dieſe Stiftung (um 1400) rührte von 
Fernandez de Lorea her, der Schatzmeiſter Johanns II. und Hein⸗ 
richs IV. von Kaſtilien war. Dieſe Stelle des Autors iſt wohl nicht 
ohne Bitterkeit, da der König, die Kirche und die Großen ſo wenig 
für ihn getan hatten, obgleich er zu den berühmteren Dichtern ge⸗ 
zählt wurde. — Der Verfaſſer war eigentlich Almoſenier dieſer geiſt⸗ 
lichen Anſtalt und genoß auch noch eine andere kleine Pfründe in 
ſeiner Vaterſtadt; beides aber reichte nicht hin, ſo unbedeutend war 
das Einkommen, ihn vor Not und Mangel zu ſchützen. 


322 


17 Scheint eine Anekdote zu fein, die ſich wirklich zugetragen hat. 
Man findet ſie im Gil Blas wieder (B. III. Kap. 8), wo ſie 
aber weniger unſchuldig und heiter wirkt, da die Umſtände ganz anders 
ſind, und der Charakter des Ritters widerwärtig und gehäſſig erſcheint. 

18 El Picaro. Dieſer Ausdruck, den keine andere Sprache über⸗ 
ſetzen kann, bedeutet im Spaniſchen vielerlei. Einen, der zum Ge— 
ſindel gehört, loſe Streiche ausführt, mehr oder minder betrügt, aber 
mit einer gewiſſen Subtilität. Ebenſo werden die unterſten Küchen⸗ 
jungen picaros genannt, oft alle niedrigen, ſchmutzigen Aufwärter. In 
der Kunſt des Picaro gibt es verſchiedene Stufen. Ein grober Schelm, 
ohne Liſt und Feinheit, kann niemals ein picaro genannt werden. 
Wie jede Nation, um ihrer Würde ein gewiſſes Gegengewicht zu 
geben, irgendeine Maske oder Art des Spaſſes oft mit zu großer 
Vorliebe hegt, z. B. der Italiener ſeinen herben, oft großartigen und 
faſt ebenſo oft ärgernden Witz in ſeinen ausgelaſſenen Novellen; 
der Franzoſe von früheſter Zeit die üppige Sinnlichkeit; der Eng⸗ 
länder den Humor, Tollheit und Laune: ſo hat der ernſte Spanier, 
vielleicht auch eine Folge der Verarmung, ſchon früh, wenn man es 
ſo nennen will, eine Zärtlichkeit für Charaktere und deren Schilderung, 
die ſich oft das Unerlaubte erlauben. Die Schelmenromane der Spanier 
ſind berühmt; Romanzen behandeln oft mit Laune dieſen Gegenſtand, 
und der edle Scherz des Cervantes ergeht ſich mit beſonderer Luſt 
in einigen Novellen, die er ausſchließlich dieſer Vorliebe widmet. Ge— 
wiſſe Studentenſpäße und Geſinnungen figurierten einmal ſehr in unſern 
Romanen. Was Mendoza, Aleman, Cervantes, Quevedo und andere in 
Spanien für den Geſchmack ihrer Landsleute taten, das erweiterte 
ſpäterhin Beaumarchais, und ſchenkte den Picaro, feinen Figaro, mit 
geringer Namensänderung dem ganzen Europa. Auch unſer moraliſierender 
Obregon iſt mehr als einmal auf Streiche eitel, die das Gepräge des 
picaresco haben. Gil Blas kopiert dies auch, aber nur ſelten und 
ſchwach. | 

19 Das Stehlen des Mantels war damals etwas ſehr Gewöhnliches 
in Madrid. Eine gewiſſe Art der Diebe legte ſich vorzüglich auf dieſe 
Räuberei, zu welcher Schnelligkeit und Geſchicklichkeit erforderlich war. 

20 S. dieſelbe Geſchichte im Gil Blas (Buch II. Kap. 7). — Der 
junge Barbier erzählt ſie dort ſelbſt, mit wenig veränderten Umſtänden, 
die den Reiz der Novelle nicht erhöhen. Daß der Eseudero, der alte 
Erfahrene, ſpricht, iſt viel ſchicklicher. Uebrigens wird dort im Gil 


21? 323 


Blas der Escudero felbft Marcos Obregon genannt, fo daß den Freunden 
des Le Sage, Die ihm die Originalität durchaus erkämpfen wollen, 
der Faden in die Hand gegeben war. 

21 Aus dieſen Außerungen, ſowie aus vorübergehenden Moden in 
Paris, ſchuf Le Sage ſeinen berühmt gewordenen Dr. Sangrado. 

22 Dieſe Sitte, daß ein Bedürftiger, welcher dem Spiele zufah, 
um als Edelmann bei entſtehendem Streit einen Zeugen abzugeben, 
für dieſe mäßige Bemühung von den Spielenden einen Tribut (barato) 
empfing, wird von den ſpaniſchen Schriftſtellern oft erwähnt. Die 
Dienſtleiſtungen dieſer Armſeligen waren auch oft, wie wir aus den 
komiſchen Romanen ſehen, von ſeltſamer Art. 

23 Im Original: meson del potro. Der Potro de Cordoba 
iſt ein Platz mit einem Pranger und einem Springbrunnen daneben, 
wo das Waſſer aus dem Maule eines Pferdes (potro = Füllen) läuft. 

24 S. Gil Blas, zweites Kapitel des erſten Buchs. Die Geſchichte 
iſt hier beſſer vorgetragen, als von Le Sage, und der Schluß viel 
anmutiger. 

25 S. Gil Blas (Buch 1. Kap. 3). — Auf dieſer Flucht ließ 
Le Sage ſeinen Helden ſogleich in die Hände der Räuber fallen, weil 
ihm die Fortſetzung dieſes Abenteuers, wie es Espinel hier erzählt, un⸗ 
brauchbar ſchien. 

26 Franciscus de Salinas war einer der berühmteſten Männer ſeiner 
Zeit. De Thou ſpricht am Schluſſe ſeines neunzigſten Buches von 
ihm mit großem Lobe. Salinas war zu Burgos im J. 1513 geboren. 
Als Knabe ſchon erblindete er, als er kaum zehn Jahre alt war. Bei 
ſeinen außerordentlichen Talenten vermehrte dieſes Unglück nur ſeinen 
Fleiß. Er bemächtigte ſich der alten Sprachen und ſtudierte zugleich 
die Mathematik, vorzüglich aber die Muſik. Ueber dieſe Kunſt ſchrieb 
er ein Buch, das die Bewunderung ſeiner Zeitgenoſſen war. Er war 
auch Dichter und überſetzte den Martial ins Spaniſche. Papſt Paul IV. 
und der Herzog von Alba ſchätzten ihn ſehr: Letzterer gab ihm, als der 
Herzog Vizekönig von Neapel war, die reiche Abtei Sankt Pankraz. 
Er ſtand mit vielen vornehmen und angeſehenen Leuten in freund⸗ 
ſchaftlicher Verbindung; im vertrauteſten Verhältnis aber ſtand er mit 
dem berühmten Dichter und Theologen, Pater Luis de Leon, der 
theologiſcher Profeſſor in Salamanka war. Salinas war hier Profeſſor 
der Muſik, wo er 1577 in Folio ſeine ſieben Bücher von der Muſik 
herausgab. Er ſtarb 1590 im Februar, 77 Jahre alt. 


324 


27 Im Original: eran de un genero de fulleros, que entre 
ellos llaman donilleros. 

28 Barato. Anſpielung auf die Sitte, von der ſchon oben die 
Rede war. 

29 Der ſonderbarſte Widerſpruch im Buche, indem der Autor hier 
ganz und gar die Form ſeiner Erzählung vergißt und fallen läßt. 
An ſehr vielen Orten und gerade in dieſer Reiſebeſchreibung ſehen wir 
deutlich, daß er Begebenheiten aus ſeinem Leben vorträgt, und wir 
können nicht zweifeln, daß die folgende Geſchichte mit den Wilddieben 
ihm ebenfalls begegnet ſei. Dieſe hat ſich auf einer früheren Reiſe 
zugetragen, aber er verknüpft ſie im Verlauf der Erzählung mit ſeinem 
ſpäteren Alter, ja nennt ſelbſt den Verfaſſer dieſes Buches, in welchem 
er immerdar in der erſten Perſon ſpricht. Er ſtarb 1634, und iſt 
alſo um 1545 geboren; die jetzige Reiſe fällt dann ungefähr um 
1574 und das Wiedererkennen des Räubers um 1596. Es iſt um ſo 
auffallender, daß Espinel hier ſo ganz die Form vernachläſſigt, da er 
ſich in andern Stellen die Miene gibt, ſie faſt ängſtlich feſt zu halten 
und chronologiſch zu erzählen. — 

Dieſe Begebenheit hat Le Sage im 3ten und Aten Kapitel B. l. 
ſeines Gil Blas nachgeahmt, fie aber ganz anders benutzt und fort: 
geführt. 

30 Ronda wurde im Jahre 1485 erobert. Die Art, wie es geſchah, 
wird von den ſpaniſchen Geſchichtſchreibern ſehr verſchieden erzählt, fo: 
wie ſie auch hinſichtlich des Tages abweichen. Nach einigen wurde 
es den 20. Mai, nach andern den 24. übergeben. 

31 Das neunzehnte Kapitel beſteht bis auf die vier letzten Zeilen 
ganz aus moraliſchen Betrachtungen und iſt deshalb hier ganz über— 
gangen worden. 

32 Das Abſtutzen des Vorderteils der Röcke war eine Strafe, die 
an liederlichen Weibsbildern vollzogen wurde. (A. d. H.) 

33 Starb im hohen Alter 1590. Seine Verdienſte um die Ge: 
ſchichte und die Altertümer ſeines Vaterlandes ſind bekannt genug. 

34 Unmöglich der ſoviel fpäter berühmt gewordene Conde D. de 
Olivarez, der unter Philipp III. durch den Sturz des Lemos und die 
Zurückſetzung des bis dahin allmächtigen Lerma zuerſt im Jahre 1618 
(als dieſes Buch herauskam) größeren Einfluß gewann, indem Lermas 
Sohn, der Herzog von Uzeda, dirigierender Miniſter wurde. — Da 

325 


aber Olivarez damals immer noch, foviel als möglich, zurückgeſetzt 
wurde, ſo bleibt dieſe Stelle in einer gewiſſen Dunkelheit. Wäre der 
erſte Band des Obregon nicht ſchon 1613 ins Franzöſiſche überſetzt 
worden, ſo könnte man vermuten, die Stelle ſei ſpäter hinzugefügt. 
Sie findet ſich aber in der franzöſiſchen Überſetzung ebenfalls. Hier 
hat ſich wahrſcheinlich ein Druckfehler eingeſchlichen, und es hat viel⸗ 
leicht geheißen: Die Weisheit eines Olivarez würde ſelbſt nicht ver⸗ 
hindert haben uſw. — um dieſem Manne eine Schmeichelei zu ſagen. 
Dann müßte im Original: no bastara — ſtatt no bastó la diligencia 
del Conde Olivarez, wie wir jetzt leſen, geſtanden haben. 

35 S. Gil Blas B. VI. Kap. 7. Le Sage läßt hier den Barbier⸗ 
geſellen durch den Steinwurf von ſeiner Liebe zu Mergelina, der Frau 
des alten Arztes, geheilt werden. 

36 D. h. ſie war eine Jüdin. 

37 Im Jahr 1572. 

38 Im Jahr 1578. 

39 Die Alameda (Pappelplatz oder Pappelallee), einer der an⸗ 
mutigſten Plätze in Sevilla, der mit Bäumen, Springbrunnen und 
Ruheplätzen verſehen iſt, ſo daß er zum Spaziergange dient. Es iſt 
eine alte Sage, Herkules ſei der Gründer von Sevilla geweſen, und 
viele Antiquare haben geglaubt, daß die beiden korinthiſchen Säulen, 
die ſich auf dieſem Platze befinden, Überrefte von einem Tempel des 
Herkules, aus der Römerzeit, ſeien. Auf dieſe Säulen hat man die 
Bilder des Julius Cäſar und Herkules geſtellt. N 

40 Im Gil Blas (B. V. Kap. 1) legt Le Sage in der Er⸗ 
zählung ſeines Lebens dem ganz verwilderten Don Raphael dieſe Be⸗ 
gebenheit in den Mund. Nach der Gefangennehmung ſind die Be⸗ 
gebenheiten in Algier freilich ganz von denen verſchieden, die der be⸗ 
ſcheidenere Obregon hier vorträgt; ob Le Sage in ſeinen afrikaniſchen 
Abenteuern Zeit und Ort, Möglichkeit und Schicklichkeit beobachtet habe, 
mögen unterrichtete und kritiſche Leſer entſcheiden. Ich zweifle und 
finde beim Spanier mehr Wahrheit und Anmut, wenn auch manches 
verſchönert oder erfunden ſein mag. Das hauptſächlichſte ſcheint auf 
erlebten Begebenheiten zu ruhen. | 

41 Neben dem allgemeinen ſpaniſchen Fanatismus in Glaubensſachen 
iſt bei Beurteilung dieſer Stelle in Rechnung zu ſetzen, daß Espinel 
Almoſenier war und vor allem, daß er ſein Buch dem Kardinal⸗ 
erzbiſchof von Toledo widmete, bei dem er ſich einſchmeicheln wollte. 


326 


Das gleiche gilt von vielen und ausgedehnten Stellen feiner Erzählung, 
die die Kirche feiern und den „wahren Glauben“ preifen. Um die 
Geduld des Leſers nicht zu mißbrauchen, ſind die meiſten derartigen 
Exkurſe der wohlverdienten Vergeſſenheit, der Tieck ſie überliefert hatte, 
nicht entriſſen worden. (A. d. H.). 

42 Gemeint iſt der Atna, den die Sizilianer Mongibello nennen (von 
monte und djebel, d. i. arabiſch Berg. A. d. H.). 

43 Philipp III. wurde 1578 geboren. Es iſt ſonderbar, wie ängſt⸗ 
lich der Verfaſſer hier der chronologiſchen Ordnung folgen will, da er 
ſie oben mehr als gewaltſam verletzt. (S. das vorige Buch.) Hier 
ſieht man wohl (wie man aus dem Verlauf des Berichtes ſieht, den 
der Überſetzer abgekürzt hat, weil er nur Schmeicheleien damals noch 
lebender Männer enthält), daß wohl jene Feſte gemeint ſind, die in 
allen Städten gefeiert wurden, als Philipp III., als Mitregent ange⸗ 
nommen und erkannt wurde. 

44 Ein deutlicher Beweis, daß der Verfaſſer verlangt, man foll 
ihn ſelbſt, Vie. Espinel, unter Obregon verſtehen. Wenn auch vieles 
mag erſonnen ſein, ſo ſind die Hauptumſtände, die gut erzählten, nahe⸗ 
liegenden und möglichen gewiß aus dem Leben dieſes Dichters und 
Muſikers, und uns um ſo werter und merkwürdiger, weil wir außer 
den Erzählungen dieſes Buches faſt nichts von dem Leben dieſes Schrift— 
ſtellers wiſſen. 

45 Dieſer berühmte Mann wurde im Jahre 1559 von Papſt Pius IV. 
zum Kardinal erwählt; 1565 kam er als Legat für Italien nach Mai⸗ 
land und ſtarb hier, von jedermann verehrt 1583. 

46 Anna von Oeſterreich, die Gemahlin Philipps VI. ſtarb, als ſie 
faft einunddreißig Jahr vollendet hatte, 1580 zu Badajoz. Sie ſtarb 
den 21. Oktober. Kurz vorher war Philipp ſelbſt tödlich krank geweſen. 
Ob noch in dieſem Jahre oder im folgenden 1581 die Exequien der 
Königin gefeiert wurden, bleibt zweifelhaft. Unter den Gedichten des 
Espinel findet ſich eins, welches er wahrſcheinlich bei dieſer Gelegenheit 
verfaßte. (S. Parnasso Español. T. VIII, p. 363.) 

47 Maaſtricht wurde nach viermonatiger Belagerung von den Spaniern 
unter Alexander Farneſe am 29. Juni 1579 erobert. Die Spanier 
hauſten in der Stadt wie die Wilden, plünderten ſie drei Tage lang 
und metzelten alle Bürger nieder. (A. d. H.) 

48 Hier erweiſt ſich Espinel nicht „agudo de ingenio“, ſonſt würde 
es das den Nekromanten nicht zu den Genfern ſagen laſſen. (A. d. H.) 


827 


49 Dieſe Geſchichte, die hier recht angenehm vorgetragen ift, habe 
ich in mehr als einem Romane, als neu erfunden, wieder angetroffen. 
Der Titel der Bücher kann ich mich jetzt nicht wieder erinnern. In 
einer Lebensgeſchichte des Prinzen Eugen, angeblich von einem Offizier 
herausgegeben, der viele verliebte und andere Abenteuer beſtanden haben 
will, fand ich zu meinem Erſtaunen dieſe Begebenheit mit denſelben 
Umſtänden erzählt, als eine ſelbſt erlebte, ebenfalls wieder. So daß 
Espinel nicht Unrecht hat, zu ſagen, daß ſeine Erfindungen oder 
erlebten Begebenheiten oft von andern benutzt worden ſind, ſogar von 
ſpätern, von deren Exiſtenz er damals noch nicht wiſſen konnte. 

50 Die Geige nennt Espinel hier noch vihuela de arco, die 
Laute, Gitarre mit dem Bogen. 

51 So fängt eine Canzone an, die, wie man ſieht, dem Dichter ſelbſt 
als eines der vorzüglichſten ſeiner Gedichte, wo nicht gar als ſein 
beſtes erſcheint. Sie macht einen Teil einer langen Ekloge aus, die 
der Dichter wohl in der Jugend in ſeinem Vaterlande ſchrieb, denn 
ſie iſt einem Don Hernando gewidmet, der kein anderer als der 
berühmte und berüchtigte Herzog von Alba ſein kann, welcher damals 
Gouverneur in den Niederlanden war. Dieſer liebte die Poeſie und 
viele der damaligen Dichter ſprechen von ihm als von ihrem Mäcen. 
Dieſe Ekloge findet ſich im dritten Bande des Parnasso español, p. 280. 

52 Hieronymus Carranza gab im Jahre 1569 in 4% ein Buch her⸗ 
aus: De la Filosofia de las Armas, y de la Agnesion y defension 
Christiana. Dies Werk, und zugleich eine Fechtſchule, die er ſtiftete, 
machten ihn im ganzen damaligen gebildeten Europa berühmt. Nicht 
leicht hat ein einzelner Mann durch eine Sache, die beim erſten 
Anblick unbedeutend erſcheint, auf die Stimmung und die Sitte ſeines 
Zeitalters einen ſo großen und durchgreifenden Einfluß gewonnen. Bis 
dahin war in den Duellen das Schwert auf Hieb und Schlag zu⸗ 
gleich mit einem großen oder kleinen Schilde gebräuchlich geweſen. In 
Italien, Spanien und England wird dieſer Art, den Zweikampf zu 
führen oder ſich zu bewaffnen, noch oft erwähnt, auch Shakeſpeare 
(ſ. Kondor Prodigal) ſpricht von dieſer Weiſe. Durch den Spanier 
Carranza aber kaum hauptſächlich der ſpitze kleine Degen in die Mode, 
mit welchem geſtoßen wurde, und wobei der große, wie der kleine 
Schild ganz überflüſſig war. Dieſe Veränderung, die Regeln, die vor⸗ 
geſchrieben wurden, die Förmlichkeiten, die beobachtet werden mußten, 
die Geſchicklichkeit, die der freie Fechter entwickeln konnte, erregte unter 


328 


den höheren Ständen, dem Adel und den Weltleuten, plötzlich einen 
ſolchen Fanatismus, daß man von unzähligen Duellen hörte, und die 
Regierungen nicht genug Verbote und Geſetze gegen ſie in Tätigkeit 
ſetzen konnten. Ein wunderliches, bis dahin unerhörtes point d'honneur 
verbreitete ſich zugleich mit dieſer neuen Art, die Waffen zu führen; 
Unterſuchungen von alten geprüften Edelleuten, Meiſtern der Ehre, 
wurden angeſtellt, Bücher wurden geſchrieben, wann und wie man be: 
leidigt, verletzt oder gekränkt ſei; wann es unumgänglich ſei, zu fordern 
und zum Degen zu greifen und in welchen Fällen man ausweichen 
könne und dürfe. Die Pflichten der Sekundanten, ihre weitläufigen 
Obliegenheiten wurden ebenſo umſtändlich auseinandergeſetzt, und ſo 
entſtand ein künſtlich verwickeltes Syſtem von Ehre und Ehrenpunkten, 
welches in kurzer Zeit den ältern Rittergeiſt mehr als irgendeine andere 
Sache in Vergeſſenheit brachte, und als eine altfränkiſche Einrichtung 
der Vergeſſenheit und Verachtung übergab. So wenig noch die Ge— 
ſchichtſchreiber von dieſer Umwälzung der Sitte mögen Notiz genom- 
men haben, ſo muß man ſie doch immer im Auge behalten, um 
manche Begebenheiten und ihre Motive und Folgen in jener Zeit ganz 
zu verſtehen. Eine gewiſſe poetiſche Begeiſterung nimmt die verſchie⸗ 
denſten und oft ſeltſamſten Formen an, und ſo ſättigt ſich der Übermut 
der Jugend oder das unruhige Blut wilder Temperamente damals in 
dieſer neuen Einrichtung. 

In Frankreich wurde dieſer Unfug wohl am ſchlimmſten getrieben, 
nächſtdem in Italien und nicht weniger in England, das damals alle 
italieniſchen Moden annahm und oft noch übertrieb. Alle Schrift— 
ſteller ſpielen mehr oder weniger auf dieſen Enthuſiasmus an, manche 
ſind ſelbſt von ihm durchdrungen. Cervantes hat im Don Quixote dieſer 
Fechtkunſt ein eigenes Kapitel geweiht, B. Jonſon und Fletcher machen 
ſie ſehr häufig zum Gegenſtande ihrer Satire, und ſelbſt um die Ent⸗ 
wickelung des Hamlet ganz ſo zu verſtehen, wie ſie vom Dichter ge— 
meint iſt, muß man ſich dieſe Stimmung der Zeit, die uns jetzt 
wunderlich erſcheint, nahe vor das Auge rücken. — Später ſchrieb 
L. Pacheco de Narvang noch umſtändlicher über die Fechtkunſt und 
vermehrte und verbeſſerte das Buch des Carranza. 

53 In ſeinen Annalen erzählt Muratori vom Jahre 1581: Im 
September dieſes Jahres reiſte durch Italien die Kaiſerin⸗Witwe, 
Mutter Rudolfs II. und Schweſter Philipps II., die, um ihren glor⸗ 
reichen Vater, Karl V., nachzuahmen, in einem Kloſter in Spanien ihre 


329 


Tage zu beſchließen wünſchte. Sie ward von ihrem Sohn, dem Erzherzog 
Maximilian und einem glänzenden Hofſtaat begleitet. Die Venezianer, wie 
es ihre Sitte iſt, gaben ihr in ihrem Gebiete einen prächtigen Empfang, 
denn ſie kam zuerſt nach Treviſo, dann nach Padua und endlich nach Brescia, 
In Mailand wurde ſie mit unglaublichem Pomp aufgenommen, dann 
ging ſie nach Genua, wo ſie ſich einſchiffte und hernach in Spanien 
ankam. 0 

Genau ſtimmt übrigens die Zeitrechnung des Erzählers nicht, denn 
1580 war die Königin Anna geſtorben, für welche er ein Gedicht und die 
Muſik komponiert hatte, das geſchah gleich nach ſeiner Ankunft, und 
doch will er drei Jahre in Mailand zugebracht haben. — Auch oben 
bei Gelegenheit des Königs von Portugal, ſeines Unterganges und der 
Beſitznahme des Landes durch Philipp finden ſich Unrichtigkeiten in 
Angabe der Zeit. — Es kam dem Autor nicht darauf an, in dieſen 
Nebenſachen genau zu ſein. 

54 Dieſe Begebenheit, die Espinel hier als eine erlebte erzählt, iſt 
nach ihm oft und auf verſchiedene Weiſe in Novellen vorgetragen 
worden. Dort endigt ſie immer tragiſch, ſo wie auch in dem engliſchen 
bürgerlichen Trauerſpiel „A woman kill’d with kindness“; welches T. 
Heywood bald nach Shakeſpeares Tode in London mit großem en 
oft wiederholtem Beifall ſpielen ließ. 

55 Im Original: era un retrato de doña Antonia Calatayud, 
womit der Autor eine Verbeugung vor einer damals offenbar ſehr 
bekannten Schönen macht. (A. d. H.) 

56 Dieſes Abenteuer findet ſich in Buch II. Kap. 16, des Gil Blas. 

57 Lope ſagt, und andere Zeitgenoſſen, Espinel ſei 1634, faſt neun⸗ 
zig Jahre vollendend, geſtorben. Er iſt alſo, wie auch einige Schrift⸗ 
ſteller beſtätigen, 1545 (andere ſagen, gewiß unrichtig, 1540) ge⸗ 
boren. In dieſem, ſeinem ſeltſamſten Abenteuer, das aber nicht unwahr 
ſein kann, da er ſich auf den bekannten Toledo el tio bezieht, iſt er 
plötzlich nahe an 50 Jahr, es muß alſo ums Jahr 1595 fallen, — 
Wo ſind nun ſeit 1582—83 die Jahre geblieben? Mit der Chrono⸗ 
logie muß man dieſe Lebensbeſchreibung nicht vereinigen wollen. 

58 Urbion, oder die Sierra von Urbion, iſt eine Reihe von Bergen 
in Alt⸗Kaſtilien. In der Nähe dieſer muß ſich eine große Lagune be⸗ 
finden. s b 
59 pareceme assadura con redaño, wörtlich: ſie kommt mir vor 
wie Geſchlinge mit Netz (wie man es beim Metzger hängen ſieht). (A. d. H.) 


330 


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60 An denen fie fich felbft viel beſſer hinziehen konnten. Überhaupt 
ift die ganze Erzählung voll ſchwacher Punkte. (A. d. H.) 

61 Hier wie an andern Stellen macht ſich der Autor über die Art 
der Portugieſen, ſich auf ſpaniſch auszudrücken, luſtig. (A. d. H.) 


Gedruckt für die Bayeriſche Verlagsanſtalt 
(Karl Theodor Senger) in München durch 
M. Müller £ Sohn in München. 


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