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8AMMLUNG
THEOLOGISCHER LEHRBÜCHER
DOriMENftESCHICHTE
BEARBEITET
VON
Dr. ADOLF HARNACK
ORD. PROFESSOR DER KIRCHENGESCHICHTE UND MITGLIED DER K. AKADEMIE DER
WISSENSCHAFTEN IN BERLIN
DRITTER BAND
PREIBURG I. B. 1890
AKADEMLSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C B. MOHR
(PAUL siebeck)
LEHRBUCH
DER
DOGMENGESCHICHTE
VON
Dr. ADOLF HARNACK
ORD. PROFESSOR DER KIRCHENGESCHICHTE UND MITGLIED DER K. AKADEMIE DER
WISSENSCHAFTEN IN BERLIN
DRITTER BAND
DIE ENTWICKELUNG DES KIRCHLICHEN DOGMAS II III
REGISTER ZU DEN DREI BÄNDEN
ERSTE UND ZWEITE AUFLAGE
PREIBURG I. B. 1890
AKADEMISCHE VEKLAGSBUCIIHANDLUNG VON J. C. R. MOHR
(pAUL SIKHKCK)
IHF- iNSTiTiirr or wediafval siuojls
10 ELMSLEY PLACE
\ TORONTO 6» CANAOA,
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Das
W BecJd der IJehersetsung in fremde Sprachen
behält sich die Verlagshandlung vor.
I
Druck von C. A. Wagner in Freihurg i. B.
Der theologischen Facultät zu Giessen
und
dem evangelischen Predigerseminar zu Friedberg i. H.
in treuer Erinnerung
an die gemeinsame Arbeit.
I
Digitized by the Internet Archive
in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/lehrbuchderdogm03harn
Vorwort.
Eine anerkannte Methode für die Darstellung der Dogmen-
geschichte der mittleren und neueren Zeit giebt es noch nicht. Weder
über den Umfang noch über die Behandlung des Stoffs ist man einig,
und über das Ziel, welches zu erreichen ist, herrscht vollends die grösste
Unklarheit. Zweck und Ziel, Methode und Weg, welche dieses Lehr-
buch sich erwählt hat, sind in der Einleitung zum ersten Bande deut-
lich bezeichnet worden. Ich habe keinen Anlass gefunden, sie in der
Ausführung zu verändern. Aber so bestimmt man auch die Aufgabe
unserer Disciplin fassen mag — angesichts des ungeheuren theologischen
Stoffs, welchen das Mittelalter bietet, und der Unsicherheit über das,
was in jener Zeit Dogma gewesen ist, ist die Auswahl an vielen Stellen
ein Experiment. Ich darf nicht hoffen, dass das Experiment immer ge-
glückt ist.
Nach einer längeren Pause ist es in den letzten zwei Jahren auf
dem Gebiete unserer Disciplin sehr lebhaft geworden. Benrath,
Hauck, Bonwetsch und Seeberg haben ältere Lehrbücher in neuer
Bearbeitung herausgegeben; Loofs hat einen ausgezeichneten Leit-
faden der Dogmengeschichte veröffentlicht; Kaftan hat in seinem
Werke über die Wahrheit der christhchen Religion einen Abriss der
Disciplin geliefert ; M ö 1 1 e r und K o f f m an e haben in ihren Darstellungen
der alten Kirchengeschichte den dogmengeschichtlichcn Abschnitten
eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Bei dem Studium dieser
Bücher und mancher anderer, die ich mit Dank benutzt habe, habe ich
erkennen düffen, dass meine Bemülningen um den grossen Gegenstand
nicht isolirt geblieben sind und nicht fruchtlos waren. Diese Einsicht
hat manche Erfahrungen aufgewogen, über welche ich schweigend
hinweggehe.
Auf die Nachsicht sachkundiger Collegen rechnet dieser Schluss-
band in höherem Masse als die früheren Bände ; denn sein Verfasser
gehört weder in Bezug auf die Geschichte der mittelaltcrhclien Kirche
noch in Bezug auf das Ileformationszeitalter zu den „Spccialisten".
ftT
ZI
. H3
VIII Vorwort.
Allein der Vortheil, welchen der besitzt, der von einer gesicherten
Kenntniss des kirchlichen Alterthunis zum Mittelalter und zur Refor-
nuition fortschreitet, wiegt vielleicht die Mängel einer Darstellung auf,
die nicht überall auf einer vollkommenen Induction beruht. Die Quellen
zur Gesclüchte der alten Kirche vermag der Einzelne wirklich zu
übersehen ; aber in Bezug auf das Mittelalter und die Reformations-
geschichte wird auch ein besserer Kenner, als es der Verfasser dieses
Lehrbuchs ist, seine Umsicht nur durch die zutreffendste Auswahl des
Stoffs, den er selbständig durchstudirt, bewähren können. Was über
Augustin, Anselm, Thomas, das Tridentinum, den Socinianismus und
Luther ausgeführt ist, beruht durchweg auf selbständigen Studien.
Auch in anderen Partieen wird man solche nicht vermissen ; man wird
aber auch Abschnitte finden, in welchen die Forschung nicht gefördert,
sondern nur ihr gegenwärtiger Stand wiedergegeben ist.
Auf die Ausarbeitung eines genauen Registers habe ich sehr viel
Zeit verwendet. Möge es dem Gebrauche des Buches zu statten kom-
men! Diesem selbst aber wünsche ich, dass es an seinem Theile dazu
beitrage, die eigentHche Grossmacht in den theologischen Kämpfen
der Gegenwart brechen zu helfen — die Unwissenheit. Ueber die Be-
deutung der theologischen Wissenschaft für die christHche Frömmig-
keit kann man freilich nicht bescheiden genug denken; aber nicht hoch
genug kann man ihre Bedeutung veranschlagen in Bezug auf den Aus-
bau der evangelischen Kirche, die Auseinandersetzung mit der Ver-
gangenheit und die Anbahnung jener besseren Zukunft, in welcher, wie
einst im zweiten Jahrhundert, der christliche Glaube wieder der Trost
der Schwachen und die Stärke der Starken sein wird.
Berlin, den 24. Dec. 1889.
Adolf Harnack,
1
Inhalt.
ZWEITER THEIL:
Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas.
Zwreites Buch:
Die Erweiterung und Umprägung des Dogmas zu einer
Lehre von der Sünde, der Gnade und den &nadenmitteln
auf dem Grunde der Kirche.
(S. 3—562.)
Seite
Erstes Capitel: Geschichtliche Orieutirung . . 3 — 12
Augustin die massgebende Autorität bis zur Reforma-
tionszeit 8. 3. Augustin und das abendländische Christen-
thum S. 3. Augustin als Reformator der christlichen
Frömmigkeit S. 4. Augustin als Lehrer der Kirche
S. 4. Augustin und das Dogma S. 4. Das Dogma im
Mittelalter S. 5. Die germanischen und romanischen
Völker und das Dogma S. 6. Methode der mittelalter-
Hchen Dogmengeschichte 8.8. Periodeneintheilung 8. 11.
Zweites Capitel: Das abendländische Christenthum
und die abendländischen Theologen vor Augustin 12 — 54
Tertullian als Begründer des abendländischen Christen-
thums 8. 12. Die Elemente des tertullianischen Christen-
thums als Elemente des abendländischen Christenthums
überhaupt 8. 14 (die lex 8. 14, das juristische Element
8. 14, das syllogistisch-dialektischo 8. 15, das psycholo-
gische 8. 19, das biblisch-praktische 8. 20). Eschatologie und
Moral S. 21. Die Bedeutung Cyprian's 8. 22. Die rö-
mische Kirche 8. 23. Der Umschwung unter Konstantin ;
die origenistischc Theologie und das Mönchthum werden
in das Abendland iniportirt 8. 24. In Augustin mündet
die gräciairtc abendländische Theologie und die altlatei-
nischc S. 27. Die Bedeutung der Griechenscliüler Am-
brosiuH 8. 27 und Victorinus Rhctor für Augustin 8. 30.
Die Bedeutung der genuinen Lateiner für ihn 8. 33
X lulialt.
Seit«
(Cypriau S. 34, der donatistischo Streit S. 35, Optatus
S. 38, Ambrosius als Lateiner S. 43). Resultate der vor-
augustiiiischeu Eiitwickelung S. 46 (die Lehre des Sym-
bols S. 47, der Tod Cliristi S. 48, die Soteriologie S. 50,
die Kirche S. 53), Kom und das Heideuthum S. 53.
Drittes Capitel: Die woltgeschichtliche Stellung
Augustin's als Keformator der christlichen Fröm-
migkeit 54 — 84
Allgemeine Charakteristik S. 54. Die voraugustinische
Frömmigkeit S. 59. Sünde und Gnade die entscheiden-
den Factoreu bei Augustin S. 6L Die geschichtliche Be-
deutung seiner Frömmigkeit S. 64. Kritik dieser Fröm-
migkeit S. 66. Die vier Elemente, welche den katho-
lischen Charakter der Frömmigkeit constituiren S. 685
1) die Autorität der Kirche als religiöse Grösse S. 70,
2) die Gnadenmittel S. 74, 3) Glaube, Sündenvergebung
und Verdienst S. 77, 4) die pessimistische Betrachtung
des Diesseits S. 8L Schlussbetrachtung S. 83.
Viertes Capitel: Die weltgeschichtliche Stellung
Augustin's als Lehrer der Kirche 84—215
Das neue dogmatische Schema S. 84. Die Anknüpfung
an das Symbol S. 85. Die Spannung zwischen Symbol
und hl. Schrift S. 87. Die Spannung zwischen dem Schrift-
und dem Heilsprincip S. 88. Die Spannung zwischen der
Religion und der Philosophie S. 89. Die Spannung
zwischen der Gnadenlehre und der Ecclesiastik S. 90.
Die AVidersprüche innerhalb derselben Gedankenreihen
S. 90. L^nmöglichkeit eines augustinischen Systems S. 91.
Universelle Wirkung Augustin's S. 91. Methode für die Dar-
stellung des Augustinismus 5 das Dogma und Augustin S. 92.
1. Augustin's Lehren von den ersten und letzten Dingen 94-127
Die Theologie und Psychologie Augustin's („Aristoteles
alter") ist aus der Frömmigkeit geboren S. 94. Auflösung
der antiken Stimmung S. 97. Die psychologische und
neuplatonische Betrachtung Gottes und der Seele S. 98.
Die mit dieser verflochtene ethische Betrachtung (Gott,
Welt, Seele, Wille, Liebe) S. 103. Einfluss des Christ-
lich-Kirchlichen S. 111 [über Vernunft, Oßenbarung,
Glaube und Wissen S. 112]. Die Geltung Christi und die
Christologie S. 112. Die letzten Ziele im Jenseits und
Diesseits S. 121. Schlussbetrachtung S. 125.
2. Der donatistische Kampf. Das Werk de civitatc dei.
Die Lehre von der Kirche und den Gnadenmitteln 127 151
Einleitung S. 127. Die Kirche als Lehrautorität S. 129.
Die Einheit der Kirche S. 130, die Heiligkoit S. 132,
1
Inhalt. XI
Seite
die Katholicität S. 134, die Apostolicität und die übrigen
Eigenschaften S. 135. Kirche und Reich Gottes S. 136.
Wort und Sacrament S. 140. Die Sacramente S. 141.
Abendmahl S. 143. Taufe S. 144. Ordination S. 145.
Die Kirche als societas sacramentorum S. 146, als himm-
lische Gemeinschaft S. 148, als die uranfängliche S. 148,
als communio fidelium S. 149, als numerus electorum S. 149.
Schlussbetrachtung S. 151.
3. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der Gnade
und Sünde 151 — 199
Augustin's Lehre vor dem Kampf S. 151. Allgemeine
Charakteristik des Augustinismus und Pelagianismus, so-
wie des Pelagius, Cälestius und Julian S. 152. Ursprung
und "Wesen des Pelagianismus S. 155. I. Der äussere
Verlauf des Streits S. 157. Pelagius und Cälestius
in Rom und Karthago S. 157. Die Vorgänge in Pa-
lästina S. 159. Die Vorgänge in Nordafrika und Rom
S. 163. Die Verurtheilung in Rom, Julian von Eklanum
S. 166. Ausgänge S. 169. 11. Die pelagianische
Lehre S. 170. Uebereinstimmung und Differenzen zwischen
den Häuptern S. 170. Die Hauptlehren S. 173. Die ein-
zelnen Lehren in ihrer Anpassung an die Ueberlieferung
S. 177. ni. Die augustinische Lehre S. 183. Die
Lehre von der Gnade, der Prädestination, Erlösung und
Rechtfertigung S. 184. Die Lehre von der Sünde, der
Erbsünde und dem Urständ S. 190. Beurtheilung des
Augustinismus S. 196.
4. Augustin's Erklärung des Symbols (Enchiridion). Die
neue Religionslehre 200 — 215
Die Auslegung des 1. Artikels S. 200, des 2. Artikels
S. 203, des 3. Artikels S. 205. Beurtheilung dieser Aus-
legung, die alte und die neue Religionslehrc S. 210.
Fünftes Capitel: Geschichte des Dogmas im Abend-
land bis zum Beginn des ]\[ittelalters (von 430 bis 604) 215 244
Geschichtliche Orientirung S. 215.
1. Der Kampf des Semipelagianismus und Augustinismus 219 — 233
Die Mönche von Hadrumet und in Südgallien, Cassian
S. 220. Prospcr S. 223. Die Schrift de vocationc gentium
S. 224. Libcr Pracdcstinatus S. 225. Faustus von Reji
S. 225. Das Decrct de libris rccipicndis S. 227. Die
skythischen Mönche, Fulgcntius, Hormisdas S. 228. Cä-
sarius von Arles, die Synoden von Valcncc und Orange
S. 230. Ergebnisse S. 232.
2. Gregor der Grosse 233 — 244
Allgemeine Charakteristik S. 233. Superstition, Chri-
Btologic, Intercesbionen S. 235. Lehre von der Sünde
Xll Inhalt.
Seite
mal (iiiadc 8. 237. Verdienste, Satisfactioueu, Heilige,
Reliquien, Fegefeuer S. 238. Busse S. 240. Gregor's
Stellung zwischen Augustin und dem Mittelalter S. 241.
Sechstes Capitel: Geschichte des Dogmas in der Zeit
der ktirolingischen Renaissance 244—293
Die Bedeutung der karolingischen Epoche in der Dog-
men- und Kirchengeschichte S. 244.
la. Der adoptianische Streit 248 261
Die Entstehung des Problems S. 248. Spanische Zu-
stände und der Streit in Spanien. Elipaudus', Felix', Bca-
tus' Lehre die augustinische S. 250. Der Streit vor dem
tränkischen und römischen Forum S. 256. Alcuin's Lehre.
Der Einfluss der griechischen Auffassung S. 258. Der
Zusammenhang mit der Abendmahlslchrc S. 260. Aus-
gang S. 26L
Ib. Der Streit über die Prädestination 261—270
Der INIönch Gottschalk S. 262. Rabanus und Ratram-
uus seine Gegner S. 264. Der Streit unter den fränki-
schen und lothringischen Bischöfen. Die objective Unwahr-
haftigkeit der Gegner Gottschalk's. Synode zu Chiersey
S. 267. Synode zu Valcnce S. 268. Synoden zu Savonieres
und Toucy S. 268. Unter augustiuischen Formeln be-
hauptet die der Kirchenpraxis entsprechende Theorie das
Feld S. 269.
2. Der Streit über das filioque und über die Bilder . 270 — 274
Das filioque, die Franken und der Papst S. 270. Die
Stellung der Franken zu den Bildern S. 271. Die libri
Carolini und das Selbstbewusstsein der fränkischen Kirche,
Frankfurter Synode S. 272. Die spätere Geschichte der
Bilder S. 273.
3. Die Fortbildung der Praxis und Theorie der Messe (des
Abendmalilsdogmas) und der Busse 274 — 293
Die drei Ursachen der Fortbildung der Theorie vom
Abendmahl im Abendland S. 275 (die Controverse de
partu virginis S. 276). Die augustinische Auffassung (Beda)
durch Alcuin zurückgedrängt S. 277. Paschasius Radber-
tus S. 278. Rabanus und Ratramnus S. 283. Die Vorstel-
lungen von der Messe als eines Bestandtheils des Ent-
sühnungsinstituts S. 287. Die Beichtpraxis, 1) der zu Grunde
liegende Gottesbegriff S. 288. 2) Die Entwickelung des
Bussinstituts aus römisch-kirchlichen und germanischen
Prämissen, Einwirkung des Mönchthums S. 288. 3) Man-
gelnde Theorie S. 291. 4) Anwachsen der Satisfactionen
und Ablässe S. 291.
Inhalt. XTTI
Seite
Siebentes Capitel: Geschichte des Dogmas im Zeit-
alter Clugiiy's, Anselm's und Bernhard's . . . 294 — 363
Einleitung S. 294.
1. Der Aufschwung der Frömmigkeit 296 — 306
Clugny. Weltflucht und Weltherrschaft. Monachisirung
der GeistHchkeit S. 296. Die Kreuzzüge und ihre Folgen '
für die Frömmigkeit S. 299. Die Frömmigkeit des hl. Bern-
hard S. 301. Bedenkliches in seiner Mystik S. 804.
2. Die Entwickelung des kirchlichen Rechts . . . . 307—312
Die Entwickelung des Papstthums zur Autokratie, die
päpstlichen Decretalen S. 807. Die Ausbildung des neuen
Kirchenrechts und die Verbindung von Recht und Dogma
S. 309. Die Jurisprudenz als Grossmacht S. 811.
3. Der Aufschwung der Wissenschaft 312 — 332
Wesen der Scholastik S. 312. Scholastik und Mystik
S. 314. Vorgeschichte der mittelalterlichen Wissenschaft,
Verhältniss zur griechischen; das überlieferte Capital
S. 317. Das karolingische Zeitalter S.319. Die üebergangs-
zeit S. 820. Das 11. Jahrh., das Vorherrschen des Realis-
mus, die Universalienfrage, die Dialektiker S. 821. Der
„Aristotelismus" S. 324. Die negative und positive Be-
deutung der Wissenschaft Abälard's S. 826. Schüler und
Gegner Abälard's, die Versöhnung der Dogmatik mit Ari-
stoteles S. 880.
4. Arbeiten am Dogma 332 — 363
Einleitung S. 832. A. Der Berengar' sehe Streit S.383.
Die Ausprägung der Transsubstantiationslehre nach dem
Streit S. 888. Die Bedeutung des 4. Lateranconcils für
die Lehre von dem Abendmahl, der Taufe und Busse
S. 840. B. Anselm's Satisfactionslehrc S. 841. Be-
urtheilung dieser Lehre S. 351. Mangelnder Erfolg S. 358.
Lehre vom Verdienst Christi; Abälard's Versöhnungslehre
S. 858. Petrus Lombardus S. 861.
Achtes Capitel: Geschichte des Dogmas im Zeit-
alter der Bettelorden bis zum Anfang des 1 6. Jahr-
hunderts 363 — 562
Einleitung S. 368.
1. Zur Geschichte der Frömmigkeit 364 — 391
Der hl. Franciskus, das apostolische Leben, die francis-
kanische Fröminigkeit S. 364 (die Waldenser und die
lombardischen A)Tncn S. 867). Franciskus und die Kirche
S. 869. Die Armuthslchrc, die verschiedenen Richtungen,
die Fraticellen und Spiritualen S. 371. Conservativer Ein-
XIV Inhalt.
Seite
fluss der religiösen Erweckung auf das Dogma »S. 373. Die
Mystik uud die Bettelorden S.374. Die Mystik als die katho-
lische Frömmigkeit S. 375. Beschreibung der Mystik, der
Pantheismus, der Aufschwung des Individualismus S. 378.
Thomistische und scotistische Mystik S. 383. Der Auf-
schwung des thätigen Lebens S. 384. Die Erweckung der
Laien, die freien Vereine und Bussprediger S. 38H. Die
Stadien in der Entwiekelung der Frömmigkeit S. 387. Die
Frömmigkeit im 14. uud 15. Jahrb., ihre Oi)position gegen
die Kirche S. 388. Die Frömmigkeit, das Dogma (unange-
tastet) und die Kirche; Ausblick auf die Reformation
S. 390. Die Gothik als der der mittelalterlichen Frömmig-
keit entsprechende Baustil S. 391.
2. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts. Die Lehre
von der Kirche 392 — 419
Die Herrschaft des päpstlichen Systems, die Jurispru-
denz als Grossmacht S. 392. Die leitenden Gedanken des
päpstlichen Systems in Bezug auf denKirehenbegriff S.393.
Die Lehre vom Papst, die neuen Fälschungen, die Unfehl-
barkeit S. 395. Die Concordate, die Landeskirchen S. 399.
Der geringe Antheil der Theologie an der Feststellung
des hierarchischen Kirchenbegriffs S. 400. Die Verhand-
lungen mit den Griechen, Thomas' Kirchenbegriff S. 402.
Der AViderspruch gegen den hierarchischen und papalen
Kirchenbegriff ist vom Augustinismus abzuleiten S. 405.
Der Kirchenbegriff der Oppositionsparteien hat mit dem
Hierarchischen eine Wurzel gemeinsam und unterscheidet
sich nur in den Consequenzen S. 407, daher bringt er es
nicht zu einer kräftigen Kritik S. 408. Die Opposition
der AValdenser, Apokalyptiker, Franciskaner, Imperialisten
und Episkopalisten S. 410. Der Kirchenbegriff von Wiclif
und Hus und ihre Opposition gegen die Hierarchie S. 412.
Kritik dieser Bewegung; das Dogma im strengen Sinn
bleibt unangetastet S.416. Positive Bedeutung des wiclifiti-
schen und des hierarchischen Kirche nbegriffs S. 418.
3. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft . . . 419-439
Die Gründe für den Aufschwung der Wissenschaft im
Anfang des 13. Jahrh. S. 420 (Arr.ber, Juden S. 420).
Der Sieg des Aristoteles und der Bettelorden S. 420. Der
„oremilderte" Realismus S. 421. Wesen der Scholastik auf
ihrem Höhepunkt, Verhältniss zur Kirche und zur Ver-
nunft S. 422. Die Wissenschaft des hl. Thomas S. 424.
Die Summe des hl. Thomas S. 425. Uebergang zu Duns
Scotus S. 428. Neues Erstarken der A^eruunft und der
Autorität, der Nominalismus S. 430. Probabilismus, Casui-
stik und fides implicita S. 431. Ausmerzuug des Augusti-
nismus S. 434. Reaction des Augustinismus im 14. und
Inhalt. XV
Seite
15. Jahrb., Bradwardina, Wiclif, Hus, Wesel, "Wessel S.435.
Verfall des Nominalismus, der wiederentdeckte Plato, die
Renaissance S. 437.
4. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scholastik . 439 — 562
Die Voraussetzungen der Scholastik des 13. Jahrh. S.439.
Der finis theologiae (das Seligkeitsideal) und die Haupt-
elemente S. 440. Die alten articuli fidei und die Trans-
substantiationslehre S. 441. Die dreifache Aufgabe, welche
die Scholastik in Bezug auf das Dogma gelöst hat ; Span-
nung mit der Frömmigkeit S. 442. A. Die Bearbeitung
der überlieferten articuli fidei S.443. 1) DieGottes-
lehre S. 443. 2) Die Trinitätslehre S. 446. 3) Die Lehre
von der Schöpfung, Erhaltung und Gubernation S. 448.
4) Die Lehre von der Person Christi S. 451 (vom hl. Geist
S. 452). Die Lehre vom Werk Christi (Satisfaction und
Verdienst) S. 453. Die Lehre des Thomas S. 454, des
Duns Scotus S. 459. Zersetzung und Gegenwirkung S. 461.
ß. Die scholastische Sacramentslehre S. 462. Be-
deutung und Princip S. 462. Zahl der Sacramente S. 463.
Definition (Hugo und der Lombarde) S. 466. Wesen, Ver-
hältniss von Gnade und Sacrament S. 467. Einzelne Fragen
S. 469. Die thomistische Sacramentslehre S. 470 (Wir-
kungen der Sacramente, Charakter S. 471 ; Definition, ma-
teria, forma etc. S. 472; Nothwendigkeit S. 473; Effect
S. 474; causa S. 475). Der minister sacramenti S. 477.
Bedingungen des heilsamen Empfangs, die Disposition
S. 478, die attritio S. 482. Eigenthümlichkeiten der scoti-
stischen Sacramentslehre S.483. Die einzelnen Sacramente.
Die Taufe S. 484. Die Firmung S. 487. Die Eucharistie
S. 488. Das ßusssacrament S. 498 (die Reue S. 502.
Die Beichte S. 505. Die Absolution S. 507. Die Satis-
faction S. 508. Der Ablass S. 511. Der Widerspruch gegen
den Ablass; Wiclif, Hus, Wesel, Wessel S. 517). Die
letzte Oelung S. 520. Die Priesterweihe S. 520. Das Elie-
sacrament S. 522. Uebergang zur Gnadenlelire S. 524. C. D i e
Bearbeitung des Augustinismus in der Ri chtung
auf die Lehre vom Verdienst S.525. Der Lombarde
über Gnade, Freiheit und Verdienst S. 525. Thomas.
Princii)ielles zur scholastischen Gnadcnlchrc, der Begrifl"
Gottes, die Gnade als Antheil an der göttlichen Natur,
das Verdienst S.528. Die Gnadenlehre des Thomas (lumen
superadditum naturae, gratia opcrans et coopcrans, prae-
veniens et subsefjucns, Essenz der Gnade, Disposition für die
Gnade, Effecte derselben, Sündenverge])ung, Liebe, Ver-
dienste de condigno et de congnio) S. 530. Geschicht-
lioheWürdigunfrdfTthomiHtischenCJnadenlehrc, Zusammen-
hang mit Augustin (PrudestinatioiiHlchre) und Aristoteles
S. 542. Urständ, iustitia originalis, Sündcnfall, Sünde bei
XVI Inhalt.
Seite
Thomas S. 544. Consilia evangeUca S. 545. Doppeltes
Uesicht der thomistischen 8üntleii- und Gnadcjnlehre S.547.
Die Sünden- und Gnadenlehro der späteren, scotistischen
Scholastik S. 548, ihre Reciitfertigungs- und Verdieust-
lehre S. 554 (Bradwardina's Reaction S. 553 f.). Ardiang:
Die Lehre von der unbefleckten Empfängniss Maria's und
von ihrer Mitwirkung beim Erlösungswerk S. 558.
Drittes Buch:
Der dreifache Ausgang der Dogmengeschichte.
(S. 565—764.)
Erstes Capitel: Geschichtliche Orientirung . . . 565 — 588
Im Mittelalter haben sich die Elemente der augustini-
schen Theologie verstärkt, aber sind auch auseinander-
getreten, Thomas hat sie noch einmal zusammenzuhalten
versucht S. 565. Die curialistische und die oppositionelle
Richtung um das Jahr 1500 (1) der Curialismus S. 566.
Die Gewohnheiten der römischen Kirche sind die gött-
lichen Wahrheiten S. 567. Unbestimmtheit ihres Um-
fangs S. 568. Die nominalistische Scholastik und die
fides implicita sind dem Curialismus bequem S. 568.
Untergang des alten Dogmas bei dieser Haltung; es wird
lediglich Rechtsordnung im Dienst der Politik S. 569.
Das christliche Element im verweltlichten Kirchenbegriff
S. 570. (2) Die Opposition gegen den Curialis-
mus S. 570. Die Gewohnheiten der römischen Kirche
sind Tyrannei und haben das Zeugniss des kirchlichen
Alterthums gegen sich ; nur die hl. Schrift und das alte
Dogma sind die Grundlagen der Kirche S. 571. Un-
sicherheit und Unhaltbarkeit dieses Standpunkts um 1500
S. 572. Das allgemeine Misstrauen gegen die Theologie,
das „praktische Christenthum" als die Losung ; das Dogma
als Rechtsordnung S. 573. Die allgemeine innere Ent-
fremdung vom alten Dogma S. 574. Der versuchte Rück-
gang auf Augustin S. 576. Der Individualismus in seinen
mannigfaltigen Ausgestaltungen S. 577. — Verschiedene
Möglichkeiten in Bezug auf den Ausgang der kirchlichen
Krisis um 1500 S. 578. Der wirkliche Ausgang a) im
tridentinischen Katholicismus S. 580, b) im Socinianismus
S. 581, c) in der Reformation S. 582. In diesen Aus-
gängen stellen sich auch Ausgänge des Dogmas dar;
hiernach ist die Aufgabe dieses letzten Abschnitts zu be-
stimmen S. 585. Anhang: Nachweis, dass die Dogmen-
geschichte nicht bis zur Concordienformel vorschreiten
darf, sondern bei Luther stehen bleiben muss S. 585.
Inhalt. XVII
Seite
Zweites Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im römi-
schen Kathoiicismus 588 — 653
1. Die Codificirung der mittelalterlichen Lehren im
Gegensatz zum Protestantismus (das Tridentinum) . 588 — 617
Einleitung in die Decrete des Tridentinums, Einfluss
der Reformation, Einfluss des Augustinismus, die Stellung
der Curie, Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der De-
crete S. 588. Die Erkenntnissquellen und Autoritäten,
Schrift und Tradition S. 592. Die Sacramente S. 595
(Taufe S. 597, Eucharistie S. 597, Busse S. 600, Priester-
weihe und Ehe S. 602). Fegefeuer, Heilige, Ablässe
S. 603. Die Decrete über die Sünde, Gnade und Recht-
fertigung S. 605. Schlussausführung S. 616.
2. Die Grundzüge der dogmatischen Entwickelung im
Kathoiicismus zwischen 1563 und 1870 als Vorbe-
reitung des Vaticanums 617—647
la) Der Untergang des Episkopalismus und
Sieg des Curialismus S. 617. Die Professio fid.
Trid. und der Catechismus Romanus S. 618. Der Galli-
kanismus, die vier Propositionen S. 619. Ludwig XIV.
S. 620. Napoleon L, das Concordat v. 1801, de Maistre etc.,
der ültramontanismus in Frankreich S. 621. Febronius
und die Emser Punktation S. 622. Der Ultramontanis-
mus in Deutschland S. 623. Ib) Schrift und Tradi-
tionS. 623. Die hl. Schrift S. 624. Das neue gnostische
und enthusiastische Traditionsprincip S. 625. 2) Der
Untergang des Augustinismus S. 628. Bajus S. 628.
Lessius, Hamel, Molina S. 631. Die congregatio de auxiliis
S. 632. Jansen und der .Tansenismus S. 633. Quesnel
und die Constitution Unigenitus S. 636. Definitiver Sieg
über den Augustinismus, das Dogma von der unbefleck-
ten Emptängniss Maria's S. 639. 3) DerProbabilismus
und die Jesuiten S. 640. B. de Medina S. 642. Pascal,
der Kampf der Päpste gegen den Probabilismus S. 643.
Thyrsus Gonzalez S. 645. Alphons Liguori S. 646. Die
arbiträren Entscheidungen der Curie im 19. Jahrh. S. 647.
3. Das Vaticanum . G47 — 653
Die päpstliche Unfehlbarkeit S. 647. Aussichten für
die Zukunft; die Nothwendigkeit des Kirchenstaats eine
„untrügliche Wahrheit" S. 649. Das Dogma in der Hand
des Papstes S. 652.
Drittes Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im Anti-
trinitarismus und Socinianismus 653 — 691
1. Geschichtliche Einleitung 653-668
Charakter, Ursprung und Vorstufen des Socinianismus
S. 653. Die pantheistisch -mystische Richtung S. 656.
XVIII . luhalt.
Seite
Die wiedertäuferische Grruppe S. 658. Die ratioualistischeii
Reformer S. 659. Die paütheistisch-ratioualistischon Re-
former ; Servede S. 660. Die Stellung zur Tradition und
Schrift S. 661. Der Autitrinitarismus : Schwenkfeld,
Weigel, Bruno, Denck, Hätzer, Campanus, Joris, Hotfmann,
die italienischen Autitrinitarier in der Schweiz, Polen
und Siebenbürgen S. 662. Fausto Sozzini in Polen
S. 667.
2. Die socinianische Lehre 668-691
Die christliche Religion ist Religion des Buchs und
vernünftige Theologie des NT.'s; die Lehre von der Schrift
S. 669. Die Lehre vom Heilsweg S. 672. Die Gottes-
lehre (Verwerfung der Trinitätslehre) S. 673. Die Lehre
von der Person Christi S. 675. Die Lehre vom Werk
Christi (Sacramente, Kritik der Satisfactionslehre) S. 676.
Die Lehre vom Glauben S. 685. Die Lehre von der Kirche
S. 687. Beurtheilung des Socinianismus S. 689.
Viertes Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im Pro-
testantismus 691-764
1. Einleitung 691-700
Allgemeine Charakteristik Luther's, seine Stellung in
der Dogmengeschichte ein Problem : Luther als Restau-
rator des alten Dogmas und als Reformator S. 691.
2. Das Christenthum Luther's 700 — 719
Die religiöse Entwickelung Luther's S. 700. Der gnädige
Gott S. 702. Die Reduction des überlieferten Stoffs, der
Glaube als das persönliche Ergriffensein von Gott S. 702.
Die Freiheit S. 704. Die Kirche S. 704. Wort Gottes
und Kirche S. 705. Wort Gottes und Christus S. 705.
Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen die Mutter
S. 706. Das neue Lebensideal S. 706. Ausführungen über
Luther's Theologie S. 710. Gotteslehre, Trinität, der
erste Glaubensartikel S. 710. Jesus Christus S. 711. Die
Sünde (Urständ) S. 713. Prädestination, unfreier Wille
S. 714. Gesetz und Evangelium S. 715. Rechtfertigung
S. 716.
3. Die Kritik Luther's an der herrschenden kirchlichen
TJeberlieferung und am Dogma 719 — 733
1) Die Kritik an den dogmatischen Grundbegriffen S. 719.
2) Die Kritik am Lebensideal und an der Seligkeitsvorstel-
lung S. 720, an den Sacramenten S. 721, an dem hier-
archischen System S. 724, an dem herrschenden Kultur
S. 725, an den Autoritäten, Tradition und Schrift S. 727,
an der dogmatischen Terminologie S. 729. Schluss-
folgerung: Luther's Werk ist die Aufrichtung des
Glaubens und die Zertrümmerung des Dogmas S. 730.
Inhalt. XIX
Seite
4. Die von Luther neben und in seinem Christenthum
festgehaltenen katholischen Elemente 733 — 759
Schranken Luther's, aus seiner Haltung als Reformator
und aus dem geistigen Zustande des Zeitalters folgend
S. 734. Schranken, die seiner Eigenart als Reforaiator
entgegengesetzt sind S. 737. Verwirrungen und Probleme
in der „Dogmatik", die er der Folgezeit hinterlassen hat
S.739, 1) das EvangeHum und die doctrina evangelii S.740,
2) der evangelische Griaube und das alte Dogma S. 741,
3) das Wort Gottes und die hl. Schrift S. 744, 4) die
G-nade Gottes und das Sacrament S. 746, A. die Kinder-
taufe S.748, B. die Busse S.749, C. das Abendmahl S. 753.
Gefahr eines neuen kümmerlichen Katholicismus im Luther-
thum S. 759.
5. Schlussbetrachtuns: 759—764
Nachträge.
Zum 1. Band.
S. 35. Fr. Bonifas, Hist. des Dopmas 2 Edd. 1886. - S. 50 Vgl. die
merkwürdigen Stellen TertuU. de auima 47: „Maior paene v hominum e visi-
onibus deum discunt", und Orig. c. Geis. I, 46: lloXXcl ^aKEpel axovtec; TipoaeXYj-
Xüö-ao: )(pi'.aTiavio^u), TiVcUixatoc; xv^O(; xpe<l/avTo? . , . xal (f'avTaa'.a»aavTO(; 06x065
oTiap Y] ovap. — S. 68 Gunkel, Die Wirkungen d. hl. Geistes nach d. popul.
Anschauung d. apost. Zeit u. nach d. L. des Ap. Paulus 1888. — S. 101 Hier
sind vielleicht auch die fünf merkwürdigen Fragmente aus Psalmen (Oden) Salo-
mons herbeizuziehen, die sich in der „Pistis Sophia" (ed. Petermann S. 73.
75. 84. 96. 99) finden; sie sind nicht den 18 Psalmen Salomons entnommen
und vielleicht christlichen Ursprungs. — S. 103 Hirsch feld, Z. Gesch. d.
röm. Kaiserkultus (Sitz.-Berichte d. K. Akad. d. Wissensch. Berlin, 19. Juli 1888
S. 833 ff.), Büchner, De neocoria 1888, Neumann, D. röm. Staat u. die allg.
Kirche I. Bd. S. 8ft'. In Bezug auf die hohe Bedeutung von „xu&'.0(;" s. Iren.
I, 1, 3; er sagt von den Valentinianern: tov ocuT-rjpo'. Xeyoooiv, ohok -pp xupiov
6vo[xaCsiv aüTov 9-sXoügcv. — S- 119 n. 3 Justin (bei Euseb., h. e. IV, 17, 10)
nennt das Christenthum x6 otoaaxaXiov tyj? d-üoLc, apsxvji;. — S. 1*^5 Irenäus
(Fragm. 29, Harvey II p. 494) sagt, Christus sei das Samenkorn, die zwölf
Apostel die aus ihm entsprossenen, die Welt überschattenden Zweige. — S. 155
n. 2 Ignat. ad Smym. inscr. : 6 •r]Y«7r-r)|j.£vo(;. — S. 225 Man muss die Pistis
Sophia studiren, um einzusehen, wie das Fegefeuer, die Mysterien, die Fürbitten
für die Todten etc. der katholischen Kirche bei den Gnostikern v-Tgebildet
sind (z. B. S. 173 f.); S. 233 wird geradezu gesagt, dass die ganze Hinterlassen-
schaft Christi die Sacramente sind: „Dixit Jesus ad suos discipulos: Amen, dixi
vobis ; haud adduxi quidquam in mundum veniens nisi hunc ignem et ha \c aquam
et hoc vinum et hunc sangiiinem." — S. 304 Zahn, Gesch. d. NTlichen Kanons
1888 f. A. Harnack, Das NT. um d. J. 200. — S. 306 n. 4 die Vertrautheit
des Ig-natius mit NTlichen Schriften war doch eine recht umfangrq'che und
innige. — S. 331 Die Montanisten scheinen auch eine Succession der 1 , opheten
angenommen zu haben. — S. 347 Vielleicht ist Cyprian's Auffassung des Ver-
liältnisses von Gesammtkirche und Gesammtepiskopat aus der alten Vorstellung
des Verhältnisses von Einzelgemeinde und Bischof erwachsen. — S. 379 Doch
sü. die schweren Anklagen, welche Origenes gegen die Bischöfe (besonders
der grossen Städte) erhebt auf Ehrgeiz, Hochmuth, Streitsucht, Verachtung
der Armen u. s. w., s. Comm. in Matth. IV p. 23 sq. 62 sq. etc. (ed. Lomm.).
— S. 396 Hippolyt (Can. arab. 10) sieht die Taufe nicht als Initiationsact an;
auch ein Ungetaufter gehört unter Umständen zur Gemeinde. — S. 396 n. 3
Hippolyt (1. c. 38) : „Baptizatus et corpore Christi pastus." — S. 400 Zu diesem
Abschnitt vgl. meine Schrift über Pseudocyprian, De aleatoribus 1888 u. auch
die Acta Addaei (c. 400); s. Tixeront, Edesse p. 149. 152, — S. 468 In Bezug
auf das Verhältniss von TertuUian zu Irenäus ist es beachtenswerth, dass Jener,
obgleich er Diesen gelesen, in seiner Schrift de praescr. haer. peremptorisch for-
dern konnte, man solle sich mit den Häretikern nicht auf einen Streit über
die Schrift, überhaupt nicht auf den Schriftbeweis, einlassen. Das zeigt doch,
dass Tert. die Bemühungen des Irenäus für erfolglos gehalten haben muss. —
S. oll Tert. ad nat. II, 4: „Ut iure consistat collegium nominis communione
substantiae." — S. 616 Ueber die Aloger vgl. meine Schrift, „Das NT. um
d. J. 200 S. 58 tf. — S, 619 n. 1 Die zweite Hälfte des Citats ist zu tilgen. —
S. 739 Z. 10 V. u. lies 4. Jahrh.
Zum 2. Band.
S. 64 Gregor I. denkt ep. VI, 14 bei einem gegebenen Fall sofort an eine
Fälschung der Acten des Ephesinums. — S. 221 n. 2 ist der letzte Satz zu
tilgen. — S. 295 n. 1 Z. 20 „mitti" bezieht sich hier auf die Erscheinung des
Sohnes in der Welt. — S. 403 Z. 5 lies Zwei willenlehre. — S. 426 Jahn,
Dionysiaca 1889.
Zum 3. Band.
S. 10 n. 1 Die angfeführten Worte sind von Gilbert.
ii
Yergieichende Uebersicht
der
Seitenza^hlen
in der ersten und in der zv/eiten Auüage des Ersten Bandes.
1. Aufl. 2. Aufl.
1. Aufl. 2. Aufl.
1. Aufl. 2. Aufl..
1. Aufl. 2.
Aufl.
1. Aufl. 2. Aufl
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7(i 77 78
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147
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178 179
II a r n ü i; k , Doginongcschichtu. Bund III.
A.
Vergleichende Uebersicht der Seitenzahlen des I. Bandes 1. u. 2. Aufl.
1. Auf
l. 2.
Aufl.
1. Auf
l. a. AuM.
1. Auf
1. 2.
Aufl.
l. Aufl. 2.
Aufl.
1. Aufl. 2. Aufl.
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433
Vergleichende Uebersicht der Seitenzahlen des I. Bandes 1. u, 2. Aufl.
3
1. Aufl
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439
440
. 2. Aufl.
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2. Aufl.
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2. Aufl.
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Vertrlcicht'udü UebcrsichL der Scitenziihlcn clus I. Bandes 1. u. 2. Aufl.
1. Aufl. 2. Aufl. 1. Aufl. i. Auil. 1. Aufl. 2. Aufl. l. Aufl. 2. Aufl. l. Aufl. 2. Aufl
«33
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•)_
Auil.
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721 722
722 723^
723 724
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744 745
745 746
746 747
747 748
748 7^19
749 750
750 751
Zweiter Theil:
Die Entwickelung des kirchliclien Dogmas.
Zweites Bucli :
Die Erweiterung und Umprägung des Dogmas zu einer
Lehre von der Sünde, der Gnade und den Gnadenmitteln
auf dem Grunde der Kirche.
Jlainar.k, DofjmenKescliiclitL' Jll,
Domiiii mors potentior erat quam vita . . .
Lex Christianorum crux est sancta Christi.
Pseudocyprian.
Die Ehrfurcht vor dem, was unter uns
ist, ist ein Letztes, wozu die Menschheit
gelangen konnte und nmsste. Aber was
gehörte dazu, die Erde nicht allein unter
sich liegen zu lassen und sich auf einen
höheren (leburtsort zu berufen, sondern
auch Niedrigkeit und Armuth, Spott und
Verachtung, Schmach und Elend, Leiden
und Tod als göttlich anzuerkennen, ja
selbst Sünde und Verbrechen nicht als
Hindernisse, sondern als Fördernisse des
Heiligen zu verehren!
Goethe.
Erstes Capitel: GescMchtliclie Orieiitirung ^
1. Die Geschichte der Frömmigkeit und der Dogmen im Abend-
land ist vom Anfang des 5. Jahrhunderts bis zur Reformationszeit so
durchgreifend von Augustin beherrscht gewesen, dass man diese ganze
Zeit als eine Periode zusammenfassen muss. Ja nun kann zweifelhaft
sein, ob es nicht richtig ist, auch die Folgezeit mit hineinzuziehen, da
der Augustinismus im 16. Jahrhundert fortgewirkt hat. Allein die Ge-
sichtspunkte, nach denen der Reformation die Bedeutung eines neuen
Ansatzes zukommt, müssen den Ausschlag geben, und auch im nach-
tridentinischen Katholicismus sowie vollends im Socinianismus ist die
Abkehr von Augustin ausgeprägt ^. Wir betrachten daher in diesem
unserem zweiten Buche des zweiten Theiles die Dogmengeschichte des
Abendlandes von Augustin bis zur Reformation als eine einheitliche
Entwickelung und lassen dann — gemäss unserer Begriffsbestimmung
des Dogmas und der Dogmengeschichte ^ — die „Ausgänge des Dog-
mas" in ihrer dreifachen Gestalt (im tridentinischen Katholicismus, im
Socinianismus und im Protestantismus) folgen.
2. Um das Eintreten Augustin's richtig zu würdigen, ist zuerst
(Cap. 2) die Eigenart des abendländischen Christenthums und der
abendländischen Theologen vor Augustin zu schildern. Hier stellt
sich heraus, dass das Abendland zwar für den Augustinismus dis-
ponirt gewesen ist, dass aber andererseits gerade auch solche Ele-
nifnto, die das Cjharakteristische des abendländischen Christenthums
bildeten (das juristische, das moralistische) sich gegen die augustinische
Denkweise in Sachen des Glaubens sträubten. Die s])ätere Geschichte
•des Augustinismus in der Kirche ist hier somit schon vorgebildet.
'S, Bau r, Vorlos. iil). die cliristl. D.-Ci. 2. F'xl. 1800, P,nc]i, Die Dogmeu-
gfsdiichto (los Mittelalters, 2 Bde. 1873, 1875. Secberg, Die Dogmengescli. des
Mittr.jalters (Th ornasi us, Die eliristl. Dognieiioesel). 2. Aufl. 2. Bd, 1 . Abtli.) 1888.
Alle set/en in der Zeit nach Au<riisiin ein, ebendort auch S(;hvvane, T).-(ir. der
mittleren Zeit 1882,
'■^ Den vollen Bruch mit Augustin bezeichnet freilich weder Luther, nocli
Ignaz von Loyola, noch Socin, sondern erst Leibniz und Thomasius.
«S. Bd. T. i* 1.
1*
4 Geschichtliche Orieutiruug.
3. Aiigustin kommt zuerst als Reformator der christlichen
Frömmigkeit in Betracht, indem er viel vulgär Katholisches umge-
stimmt und vor Allem den Monotheismus streng durchge-
führt, die lebendige Beziehung der Seele zu Gott in den Mittel-
punkt gerückt, die Hehgion aus der Sphäre der Kosmologie und des
(Jultus herausgezogen und in dem Gebiet des innersten Seelenlebens
nachgewiesen und gepflegt hat. Andererseits muss hier gezeigt wer-
den, dass er, indem er die Souveränetät des Glaubens gegenüber
allem Naturhaften geltend machte, doch die altkatholische Grund-
lage der theologischen Denkweise nicht überwunden hat, ferner, dass
er die Ueberordnung des Religiösen über dem Moralischen, des
persönlichen Glaubensstandes über dem Kirchlichen, nicht sicher ge-
funden hat, endlich dass er — wie überhaupt, so auch in der reli-
giösen Stimmung — belastet geblieben ist von dem Schutt der kirch-
lichen Uebedieferung (Cap. 3).
4. Augustin kommt sodann als Lehrer der Kirche in Betracht.
Die Verbhidung dreier grosser Gedankenkreise, die er neu ausgebaut
und in die innigste Verbindung gesetzt hat, sicherte ihm neben dem
unvergleichlichen Eindruck seiner unerschöpflichen Persönlichkeit eine
dauernde Wirkung. Er hat erstens einen geschlossenen Kreis von
Gedanken ausgebaut, der durch die Begriffe „Gott, die Seele, die
Gottentfernung, die unwiderstehliche Gnade, der Gotteshunger, die
Unruhe in der Welt und die Ruhe in Gott, die Sehgkeit" bezeich-
net ist, einen Kreis, in welchem man mit leichter Mühe das Zu-
sammenwirken neuplatonischer und mönchisch- christlicher Elemente
nachweisen kann, der aber grösstentheils doch so rein und einfach ist,
dass er sich als die Grundform monotheistischer Frömmigkeit über-
haupt fassen lässt. Er hat zweitens einen Kreis von Gedanken aus-
geprägt, in welchem die Sünde, die Gnade durch Christum, die Gnade
überhaupt, der Glaube, die Liebe und die Hoffnung die Hauptpunkte
bilden: einen durch vulgär katholische Elemente modificirten Pauli-
nismus. Er hat drittens einen Kreis von Gedanken ausgebaut, in
welchem die katholische Kirche als Autorität, Gnadenanstalt, Sacra- .
mentsverwalterin , ferner als Mittel und Ziel aller Veranstaltungen
Gottes betrachtet wird. Ueberall hat er hier neben einer Fülle von
Gedanken eine Fülle von Schematen (nicht Formeln) ausgebildet,
die eigentliche Dogmatik neu gestaltet und überhaupt das zuerst an-
geregt, was als Propädeutik zur Dogmatik seit der Zeit der Schola-
stiker eine so unermessliche Bedeutung für die Theologie und die
Wissenschaft erlangt hat.
5. Dagegen hat sich Augustin in Bezug auf ihis Dogma
Die Bedeutung Augustin's in der Dogmengeschichte. 5
durchaus als Epigone gefühlt und sich ganz unter die kirchliche
Ueberheferung gestellt. Die energische Kraft kirchlichen Wirkens
(wie sie z. B. Athanasius aufweist) und der Trieb, das, was ihn be-
seelte, in fester Formulirung der Kirche aufzuzwingen, hat ihm
gefehlt. In Folge hiervon stellt sich das Ergebniss seines Lebens-
werkes für die Kirche also dar : er hat 1) die altkirchliche Ueber-
heferung als Autorität und Rechtsgesetz fester im Abendland ein-
gebürgert; er hat 2) die alte religiöse Stimmung vertieft, be-
ziehungsweise verchristlicht •, er hat 3) im kirchlichen Denken und
Leben an die Stelle des alten Dogmas^ und des Cultus eine Heils-
ordnung nebst zugehöriger Sacramentslehre gerückt und den Grrund-
gedanken seines Christenthums , dass die Gnade Gottes Anfang,
Mitte und Ende sei, in die Gemüther und Köpfe eingeführt; aber
er hat den Ausgleich dieses Gedankens mit dem vulgär Katholischen
selbst gesucht und in Formeln zum Ausdruck gebracht, die, weil
sie nicht fest und bestimmt waren, auch noch weitere Concessionen
an das Hergebrachte zuliessen. Er hat mit einem Wort den neuen
und höheren rehgiösen Stil, nach welchem er die Theologie auf-
erbaute, nicht rein durchgeführt. So konnte sich daneben sowohl das
alte griechische, auf die Vergottung abgezweckte Dogma als die alte
römische Auffassung der Religion als eines Rechtsverhältnisses be-
haupten. Augustin hat gerade in dem Besten, was er der
Kirche geschenkt hat, Anregungen und Aufgaben ge-
bracht, nicht aber ein festes Capital. Daneben hat er eine
Fülle von Ideen, Anschauungen und Erkenntnissen der Zukunft über-
geben, die, bei ihm selbst ungenügend vermittelt, grosse Spannungen,
lebendige Bewegungen, schhesshch heftige Kämpfe erzeugt haben.
6. Wie am Anfang der Geschichte der lateinischen Kirche Cy-
prian dem Tertullian gefolgt ist und den Charakter des antiken
lateinischen Christenthums ausgeprägt hat, so ist auf Augustin
Gregor der Grosse gefolgt und hat den mittelalterlichen Charak-
ter des lateinischen Christenthums zum Ausdruck gebracht, der unter
augustinischen Formeln doch im Grossen und im Einzelnen vielfach von
Augustin abweicht. Dogma bleibt im Mittelalter fast durchweg der
Complex trinitarischer und christologischer Lehren, der mit dem
* Das alte Dogma ist somit im Ab(3ndland seil Augustiu Baumaterial. Es
ist — wenigstens in der wichtigsten Hinsicht — seiner alten Abzwcckung entnom-
men und dient neuen Zwecken. Die für einen Tempel behauenen und einst zu einem
Torni)ol /usammengerügten Steine dienen j(!t/t dorn Bau eines Domes. Oder viel-
leicht ist das Hild /w(!ckniäsHig(!r, dass der alte Tem[)el, zum Dom erweitert und
wunderlich umgebaut, innerhalb des Domes noch immer erkennbar ist,
() Geschichtliche Orieiitirung.
Symbol überliefert wurde. Aber daneben besass bereits eine unüber-
sebbare Reihe von theologischen Gedanken, Kirchenordnungen und
kirchhchen Rechtssatzungen ein quasi- dogmatisches Ansehen. Dennoch
konnte in acuten Fällen nur der als Ketzer ausgewiesen werden,
dem man den Unglauben an einen der 12 Artikel des Symbols oder
die Uebereinstimmung mit den Lehren bereits abgewiesener Häretiker
(Pelagianer, Donatisten u. s. w.) nachzuweisen vermochte. So blieb
es bis zur Retbrmationszeit, wenn auch die Lehren von der Kirche
(dem Papste) und den Sacramenten (dem kirchlichen Busssacrament
und der Transsubstantiationslehre) ein fast dogmatisches Ansehen —
freilich nur durch künstliche Verbindung mit dem Symbol — bean-
spru eilten.
7. Die Verfestigung des Kirchen- und Dogmensystems zu einer
Rechtsordnung, dem Geiste des abendländischen Christenthums
entsprechend, wurde durch die politisclie Geschichte der Kirche in
der Zeit der Völkerwanderung nahezu perfect. Die Germanen, welche
in den Kreis der Kirche eintraten und sich tbeils mit den Lateinern
verschmolzen, theils selbständig — aber von Rom geleitet — blieben,
empfingen das Christentimm in kirchlicher Gestalt als ein völlig
Fertiges. Auf rein germanischem Boden — die chauvinistische Behaup-
tung einer Prädisposition der Deutschen für das Christenthum lasse
ich bei Seite ^ — hat daher Jahrhunderte hindurch eine selbständige
theologische Bewegung nicht stattgefunden. Es giebt im Mittelalter
kein germanisches Christenthum, wie es ein jüdisches, grie-
chisches und lateinisches gegeben hat '^. Mögen auch die Deutschen
versucht haben, sich inniger mit dem lateinischen Christenthum ver-
traut zu machen, als z. B. die Slaven mit dem griechischen — man
erinnere sich des Hehand's u. s. w. — ^, so fehlt doch jede Selb-
ständigkeit in der klaren Aneignung desselben bis zu der Zeit, da
sich die Bettelorden in Deutschland einbürgerten, ja eigentlich bis
zur Reformationszeit. Klagen über die Bedrückungen der Päpste oder
über das äussere Ceremonienwerk darf man hier nicht einmischen.
Auch die Klagenden waren römische Christen, und die nie fehlen-
den Sectirer huldigten nicht einem „deutschen" Christenthum, son-
* Noch Seeberg, Dogmeugesch. des Mittelalters S. 3 hat sie wiederholt.
'^ Auch die Einflüsse des Germanischen auf die (Testaltung einiger mittelalter-
licher Theologumena, die maninneuesterZcithat nachweisen wollen, sind mindestens
zweifelhaft (gegen Cremer, Die AVurzeln des Anselm'schen Satisfactiousbegrirts,
in den Theol. Stud. u. Kritik. 1880 S. 7ft". und Seeberg, a. a. 0. S. 123).
^ Der schlichten Frömmigkeit kam es hin und her zu statten, dass sie au dem
ßau der Kirche nicht mitgezimmert hatte.
Die germanischen und romanischen Völker. 7
dern einer ebenfalls importirten Kirchengestalt. Wenn es in Deutsch-
land bis zum 13. Jahrhundert keine selbständige Theologie und
Wissenschaft gegeben hat, so gab es noch viel weniger eine dogmen-
geschichtliche Bewegung ^ Sobald aber die Deutschen selb-
ständig — in Deutschland und in England — in die innere kirch-
liche Bewegung eingreifen, bereiten sie, freilich auf Augustin ge-
stützt, die Eeforination vor. Anders steht es auf romanischem
Boden. Auf Italien darf man allerdings nicht blicken; denn dieses
Land der Päpste hat seine alte Eigenart, die Indifferenz gegen alle
Theologie als Theologie, stets behauptet. Apokalyptische, socialistische
und revolutionäre Bewegungen haben dort nicht gefehlt; Hippokrates
und Justinian wurden studirt; aber die Ideale der Denker haben
Itahen niemals erregt, und um ein Dogma, wenn es sonst nichts
war als ein Dogma, hat man sich dort nie gekümmert. Auch Spanien
trat sehr bald aus der Bewegung der Geister heraus, in die es
übrigens niemals mit Kraft eingetreten war. Es hatte acht Jahr-
hunderte hindurch eine ungeheure praktische Aufgabe zu vollziehen,
die Christenheit vor dem Islam zu schützen: in diesem Kampf hat
es das Gesetz der katholischen Eehgion in eine militärische Disciplin
umgewandelt. Die spanische Dogmengeschichte ist seit den Tagen
des Bischofs Ehpandus ein leeres Blatt. So bleibt nur Frankreich.
Sofern das Mittelalter bis zum 1 3. Jahrhunder t über-
haupt eine Dogmenge schichte gehabt hat, ist siegröss-
tentheils fränkisch resp. französisch-. Gallien war schon
im 4. und 5. Jahrhundert unter den lateinischen Ländern das Land
der Bildung. Unter den Stürmen der Völkerwanderung hat sich die
Cultur in Südgallien am längsten erhalten und nach einer kurzen
Epoche der Barbarei, in welcher die Cultur überall auf dem Con-
tinent auszusterben und England die Führung zu erhalten schien,
trat Frankreich unter den Karolingern — allerdings das durch
Bonifatius mit Rom verbundene Frankreich — wieder an die Spitze.
An dieser ist es — seinen Schwerpunkt nun aber im Norden habend,
im Lande zwischen Seine und Rhein — geblieben. Sein Paris
stand Jahrhundertc lang neben Rom, wie einst Alexandrien und
' Nitzscb, Deutsche G(!sch. Jl, S. 15: „Der deutschen Kirche waren (bis zur
Mitte des 11. .Jahrh.) die Aufgaben der (lutsvcrwaltung wichtiger als die dogmati-
schen und politischen Debatten der benachbarten französischen Hierarchie." S. auch
Döllinger, Akad. Vorträge Bd. II, 1. Vortrag Anfang.
' S. die zutreffende Ansicht des Jordanu« von Osiial)riick (um 1285), die
Römer hätten das 8acerdf>tiuni, die Deutschen das imperium, die Franzosen das
Studium erhalten (Lorenz, Oeschichtsquellen 2. Aufl. 2. Bd. S. 29(5).
8 Geschichtliche Orieutirung.
Karthago neben Rom {gestanden haben K Die Krone des Imperators
ging auf die Deutschen über; der wahre Weltherrscher sass in Rom;
aber das „Studium" — in jedem Sinne des Worts — bUeb den
Franzosen. Streng genommen liat es freiHch auch in Frankreich im
Mittelalter keine Dogmengeschichte gegeben. Dächten wir uns, die
Reformation wäre nicht eingetreten, so würde man eine mittelalterliche
Dogmengeschichte im Abendland so wenig gcAvahren wie im Morgen-
land; denn die theologischen und kirchlichen Bewegungen
des Mittelalters, die sich selbst keineswegs als neue
dogmatische geben, sind nur desshalb in die Dogmen-
geschichte aufzunehmen, weil sie in die tri dentinischen
Dogmen einerseits, in die Symbole der Reformations-
kirchen und in den socinianischen Rationalismus anderer-
seits münden. Das ganze Mittelalter stellt sich innerhalb der
Dogmengeschichte lediglich als ein Uebergangszeitalter dar — die
Periode der Auseinandersetzung der Kirche mit Augustin und mit
allen den zahlreichen von ilmi gegebenen Impulsen. Diese Periode
h'cit so lange gedauert, weil 1) Jahrhunderte vergehen mussten, bis
Augustin ebenbürtige Schüler fand und man im Stande war, das aus
dem Alterthum überlieferte Gefüge der kirchlichen und theologischen
Ordnimgen auch nur zu verstehen, weil 2) der römische Genius
der abendländischen Kirche sich zu dem augustinischen z. Th. disparat
verhielt, die Yermittelung also eine ungeheuere Aufgabe war, und
weil 3) in dem Moment, in welchem man es vermochte, sich selbstän-
dig mit der Kirchenlehre und mit Augustin zu beschäftigen, eine
neue Autorität auftrat, die in vieler Hinsicht dem Geiste der Kirche
congenialer war, Augustin's gewaltiger Rivale'-^ — Aristoteles.
Der römische Genius, die aus der Endzeit der Antike stammende,
in den barbarischen Zeiten verstärkte Superstition, Augustin, Aristo-
teles — das sind die vier Mächte, die im Mittelalter in der „Dogmen-
geschichte" um das Verständniss des Evangeliums gerungen haben.
8. Das Mittelalter hat keine dogmatische Entscheidungen erlebt
wie die zu Nicäa oder Chalcedon. Nach der Verurtheilung der Pela-
gianer und Semipelagianer , Monotheleten und Adoptianer , ist der
dogmatische Kreis abgeschlossen. Die Actionen in dem karo-
* S. über die Bedeutung des uordöstlichen Frankreichs Sohm i. d. Ztscln-.
d. Savigny-Stiftung. Germanistische Abth. I. 1, S. 3 ff . und Schrürs, Hiukmar,
S, 3 f. Ueber Rom und Paris s. Reuter, Gesch. d. Aufkl. I, S. 181.
- Die höhnische Bezeichnung des Augustin als „Aristoteles Poenorum'* — so
hat ihn Julian von Eclanum, Aug. Op. imperf. III, 199, genannt — war eine Weis-
sagung auf ilie Zukunft,
Methode der mittelalterlichen Dogmengeschichte. 9
lingischen Zeitalter gegen die Bilder, gegen Ratramnus und Gottschalk
sind im Grunde von geringem Belang, und gegen alle späteren Ketzer,
welche die mittelalterliche Kirche so zahlreich beunruhigten, kämpfte
man mit alten Waffen und hatte in der That neue nicht nöthig. Die
Aufgabe des Dogmenhistorikers ist daher hier eine sehr schwierige.
Um zu wissen, was er darstellen soll, um dem alten Dogma, wie es
fortwirkte, ebenso gerecht zu werden, wie dem neuen quasi-dog-
matischen Christenthum , in dem man lebte, muss er seinen Blick
fest auf den Anfang (Augustin) und auf den Ausgang, das 16. Jahr-
hundert, richten. Nichts gehört in die Dogmengeschichte, was nicht
der Erklärung dieses Ausgangs — und zwar nur nach seiner dogma-
tischen Seite — dient, und auch dieses darf nur soweit dargelegt
werden, als es die Fassung neuer Lehren oder die officielle Neube-
arbeitung der alten Dogmen vorbereitet hat. Sehe ich recht, so sind es
drei Linien, denen die Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. Erstlich
ist die Geschichte der Frömmigkeit ins Auge zu fassen, sofern
in ihr auf dem Grunde des Augustinismus oder neben demselben
neue Stimmungen ausgeprägt worden sind; denn die anders ge-
stimmte Frömmigkeit hat schHesslich auch zu anderen dogmatischen
Formulirungen geführt. Die Geschichte der Frömmigkeit im Mittel-
alter aber ist die Geschichte des Mönchthums ^ Wir werden da-
her vermuthen dürfen, dass, wenn das Mönchthum im Abendland
wirklich eine Geschichte und nicht nur unendliche Wiederholungen
erlebt hat, diese für die Dogmengeschichte nicht gleichgiltig sein
können. In der That wird sich zeigen, dass Bernhard und Fran-
ciskus auch Väter der Lehre geworden sind. Man darf schon hier
darauf hinweisen, dass Augustin, mindestens scheinbar, eine Lücke
in seiner durcli seine Frömmigkeit beherrschten Theologie aufweist:
er hat über das Werk Christi im Zusammenhang seiner Glaubens-
lehre wenig auszusagen vermocht, und seine passionirte GottesHebe
ist mit dem Eindruck des Todes Christi und mit dem „AVcrke"
Christi in der Theorie nicht deutlich verbunden. Welch' eine üm-
stimmung und Erwärmung des Augustinismus musste sich ergeben,
wenn diese passionirte Liebe zum Ewigen und Heihgen ihr Object
nun in dem (Tckreuzigten fand, wenn sie alle Züge des Geschlage-
nen, Verwundeten und Sterbenden ins Himmlische verklärte und zu-
gleich auf die sündige Seele bezog, wenn sie nun über die unendhchen
..Verdienste" ihres Heilandes zu sinnen begann, weil ihr der tiefste
* H. Ritschi, (ircHch. de« Pietismus Bd. 1, S. 7 ii'. und meinen Vortrag über
das Mönchthum 3. Aufl.
lO Geschichtliche Orientirung.
Gedanke Mufgegangeii war, dass das Leiden des Unschuldigen das
Heil in der Geschichte ist! Was hier an dem „gekreuzigten" (Bern-
hard) und dem „armen" (Franziskus) Heiland neu geschaut und er-
leht wurde \ konnte nicht ohne Folge für das Dogma bleiben. Man
kann es kurz sagen — durch die mittelalterhchen Virtuosen der Re-
ligion und die mittelalterlichen Theologen ist schliesslich im triden-
tinischen und im altlutherischen Dogma auf neue Weise der strafte
Zusannnenhang zwischen Gott, dem „AVerke" Christi und dem Heils-
gut wiederhergestellt worden, den die griechische Kirche besessen
hat und besitzt, den aber Augustin gelockert hat, weil es seine
grosse Aufgabe gewesen ist, zu zeigen, wer Gott sei und welches
Heil die Seele bedarf. Zweitens wird die Sacramentslehre in
Betracht zu ziehen sein ; denn so grosse Anregungen Augustin hier
auch gegeben hat, so unfertig ist doch Alles gewesen, was er der
Kirche überliefert hat. Diese aber hat als Anstalt und Erziehungs-
schule vor Allem die Sacramente nöthig gehabt, und sofern sie sich
an Augustin anschloss, hat sie gerade seine Sacramentslehre und
die damit zusammenhängende Auft'assung von der stufenweisen Ge-
rech tmachung aufgegriften. Es wird zu zeigen sein, wie die Kirche
diese bis zum 16. Jahrhundert ausgebaut, sich selbst in den Sacra-
menten ideahsirt und sie zu ihren eigentlichen Machtmitteln ausgebildet
hat. Drittens wird eine Linie zu verfolgen sein, die durch die Namen
Augustin und Ari stoteles (lides und ratio, auctoritas und ratio,
intelhgentia und ratio) bezeichnet ist. Sie vollständig zu erforschen,
hiesse die Geschichte der mittelalterlichen Wissenschaft überhaupt
schreiben. Sie ist desshalb hier nur soweit ins Auge zu fassen, als
in ihr sich diejenige mannigfaltige Formgebung des theologischen
Denkens und die Grundansichten gebildet haben, welche in die
Formulirung und damit auch in den Gehalt der Lehrbildungen des
16. Jahrhunderts übergegangen sind und schliesslich dem Dogma im
ursprünglichen Sinn des Worts nahezu ein Ende bereitet haben.
Unter dem Titel „Augustin und Aristoteles" hat man aber auch den
Gegensatz der Lehre von dem unfreien Willen und der gratia gratis
data einerseits und der Lehre vom freien Willen und dem Verdienst
andererseits zu stellen. Die letztere hat innerhalb des Katholicismus
den Augustinismus zersetzt.
Ein Dogma von der Kirche lässt sich im Mittelalter bis zum
^ Bernhard hat den Grund dazu gelegt, das ueuplatonische Exercitiuiu der
Contemplation des Alls und der Gottheit in die methodische Betrachtung des
Leidens Christi umzusetzen : „Dilcctus meus, inquit sponsa, candidus et rubiouu-
dus. In hoc uübis et candct veritas et rubet Caritas.''
Methode der mittelalterlichen Dogmengeschichte. 1 1
Ende des 13. Jahrhunderts nicht verfolgen, aber dies nur desshalb
nicht, weil die Kirche die Grundlage und der stille Coefficient aller
geistigen und theologischen Bewegung gewesen ist ^ Die Darstellung
hat diese ihre Bedeutung zum Ausdruck zu bringen und dabei das
Wachsthum der päpstlichen Gewalt fest ins Auge zu fassen; denn
im 16. Jahrhundert wurde über das Recht des Papstes gekämpft.
An diesem Punkt spaltete sich die abendländische Kirche. Ferner
aber ist die mittelalterliche Bewegung, in dem Masse als die Kirche
und die Sacramente sich vordrängten und doch der Trieb nach selb-
ständigem Glauben fortwirkte'^, auch auf die Frage der persön-
lichen Glaubensgew issheit geführt worden, nachdem Augustin
die Frage des persönlichen Christenstandes in den Mittelpunkt
gerückt, aber durch unsichere Verweisungen auf die Kbche und auf
medicinisch wirkende Gnadenmittel verwkrt hatte. Auch an diesem
Punkt spaltete sich die abendländische Kirche (Rechtfertigung) ^.
Somit wird eine dogmengeschichtliche Darstellung für das Mittelalter
nur dann vollständig sein, wenn sie zu zeigen vermag, wie die Fragen
nach der Gewalt der Kirche (des Papstes, der Bedeutung der Messe
und der Sacramente) und nach der Rechtfertigung in den Vordergrund
rückten, und wie an diesen Fragen das alte Dogma zwar nicht äusserlich,
aber innerlich zu Grunde gegangen ist. Im tridentinischen Katholicis-
mus wurde es nun völhg mitsammt seinen neuen Bestandtheilen eine
Rechtsordnung; im Protestantismus wurde es nur noch beibehalten,
sofern es sich, verglichen mit dem göttlichen Wort, als Ausdruck des
EvangeHums selbst, als Band mit der geschichtlichen Vergangenheit,
resp. auch als Grundlage der persönlichen Heilsgewissheit darstellte,
lieber die Periodeneintheilung kann man nicht zweifelhaft sein.
* Die zu allen Zeiten vorhandene und bereits im 13. Jahrhundert starke Oppo-
sition gegen die Priesterkirche hat bis zum 14. Jahrhundert keine bleibenden
Spuren zurückgelassen. Erst in diesem Jahrhundert beginnen auf dem Boden des
Kathol ici smus Bewegungen, die zu Neubildungen des Kirchenbegriffs führten
und die Kirche nöthigten, ihren eigenen Begriff festzustellen.
^ Im Mittelalter ist jeder Fortschritt in der Entwicklung der Kirchenautorität
und -gewalt begleitet gewesen von dem sich steigernden Eindruck, die Kirche sei
verderbt. Dieser Eindruck hat dann zum Verdachte, sie sei Babel geworden, und
zur Verzweiflung an der Besserung der Kirche geführt.
* Die Spaltuijg führte an diesem wichtigsten Punkte über Augustin hinaus; denn
im Mittelalter ist— die Frage nach dem Glaubensgrunde und der Glaubensgewiss-
heit betreffend — der Augustin der Confessionen und der Prädestinationslehre gegen
Augustiii, den Apologeten der katholischen Kirche, ausgespielt worden. Luther
aber hat diesen wie jenen verlassen und ist einer Betrachtung gefolgt, die bei
Augustin und im Mittelalter höchstens in einer verborgenen Unterströnmng nach-
gewiesen werden kann.
1 2 Das abendläudische Christenthum vor Augustin.
Nach einer Einleitimg über das abendUinclische (Christenthum und die
abendländische Theologie vor Augustin ist der Augustinismus darzu-
stellen. Sodann sind die Epochen 1) der semipelagianischen Kämpfe
und (^regor's 1., 2) der karolingischen Renaissance, 3) der cluniacen-
sisch bernhardinischen Zeit (11. und 12. Jahrhundert), 4) der Zeit
der Bettelorden sowie der sog. Vorreformatoren, d. h. des erneuten
Augustinismus (13. — 15. , Jahrhundert), zu behandeln. Erst seit dem
Anfang des 13. Jahrhunderts ist das Mittelalter auf seinem Höhe-
punkte, ist nun dem Stoffe geistig gewachsen, den es aus der alten
Kirche erhalten hat, und entwickelt alle individuellen Kräfte und An-
schauungen. Damit beginnen aber sofort die Krisen, die zur Renais-
sance und dem Humanismus, zur Reformation, zum Socinianismus
und zum tridentinischen Katholicismus geführt haben. Daher ist es in
der Dogmengeschichte nicht möglich, innerhalb des 13. — 15. Jahr-
hunderts zwei Perioden abzugrenzen; denn Scholastik und Mystik, die
Ausbildung der autoritativen (nominalistischen) Dogmatik und die An-
sätze zu Neubildungen liegen in einander. Reformation und Contra-
reformation haben eine Wurzel gemeinsam.
Zweites Capitel: Das abendländische Christenthum und die
abendländischen Theologen vor Augustin.
Der Eigenart des abendländischen Christenthums ist in den früheren
Bänden schon mehrfach gedacht worden. Jetzt ist es angezeigt, bevor
wir auf A u g u s t i n und die durch ihn bestimmte Kirche eingehen, in
einem Ueberblick uns das Christenthum zu vergegenwärtigen, in welches
er eingetreten ist und dem er, indem er es eigenthümlich zusammen-
fasste und an ilrna bildete, eine erstaunliche Dauer und neue lebendige
Kräfte verliehen hat. Die Kirche, welche das Christenthum in das
Mittelalter übergeführt hat, war die römische. Sie könnte jedoch
fast mit demselben Rechte die augustinisch- gregorianische *
genannt werden, mit dem die Kirche der augsburgischen Confession
die lutherische heisst.
Steigt man aber von Augustin aufw^ärts in der Geschichte der
lateinischen Kirche bis zu den uns zugänglichen Anfängen, so sieht
man sich einem Manne gegenübergestellt, in welchem sich die Eigen-
art und die Zukunft dieser Kirche bereits ankündigt — Tertullian.
TertuUian und Augustin sind die Väter der lateinischen Kirche in
einem so eminenten Sinn, dass, gemessen an ihnen, das Morgenland
' Nach Gregor I.
Tertullian als Begründer des abendländischen Christenthums. 13
Kirchenväter überhaupt nicht besessen hat^ Der Einzige, der mit
ihnen rivaUsiren kann, Origenes, hat doch in einer beschränkteren
Sphäre gewirkt. Sein Christenthum war im Grunde nicht kirchlich,
sondern esoterisch, so eminent kirchhch sein Handeln gewesen ist.
Seine Entwickelung und der Inhalt seines persönlichen Lebens sind
für das Ganze fast bedeutungslos gewesen; er lebte in seinen Büchern
und in den Theologen fort. Allein Tertullian und Augustin — der
Erste freilich als gebrochene Grösse, erträglich der Folgezeit nur in
der Nivellirung Cyprian's, und auch der Andere in steigendem Masse
seiner Kirche unbequem und heimlich von ihr bekämpft — sind mit
ihrer Persönlichkeit, mit der Eigenart ihres christlichen Denkens und
Empfindens in die Geschichte der abendländisch-katholischen Kirche
übergegangen. Die Si^annungen und unaufgelösten Dissonanzen, in
denen sie sich abgearbeitet haben, haben sie der Zukunft ebenso über-
liefert wie die Accorde, die sie anschlugen, und die Probleme, die
sie in ihrem eigenen Innern nicht zu bezwingen vermochten, sind die
Themata weltgeschichtlicher Geisteskämpfe geworden ^. Man kann sich
die Ueberlegenheit des abendländischen Christenthums über das morgen-
ländische an vielen Stücken klar machen, man kann auch eine ganze
Reihe von Ursachen für diese Ueberlegenheit angeben *, aber eine der
vornehmsten ist in der Thatsache gegeben, dass die Morgenländer
nur durch eine einförmige Reihe von Theologen und Mönchen bestimmt
worden sind, die Abendländer durch Tertullian und Augustin.
Das römische Christenthum, wie es um 180 noch als ein wesent-
lich griechisches geformt war, aber sich doch schon in bedeutender
Eigenthümlichkeit ausgeprägt hatte ^, hatte den grossen Afrikaner für
sich gewonnen \ Es hat ihm auch schon lateinische Uebersetzungen
bibUscher Bücher überUefert; aber auf diesem Grunde hat Tertullian
mit gedanken- und sprachbildender Kraft gearbeitet, weil er es ver-
* Sehr richtig Möhler fPatrologie S. 737) vom Standpunkt des Katholiken:
„Oft vergisst man, überrascht für einen Augenblick, dass man in Tertullian einen
Schriftsteller vorn Eingang des 3. .Talirhunderts voi- sich ha])e; so heimisch klingt's,
was er oft in einer uns sehr geläufigen Ausdi-ucksweise über schwierige Fragen der
Dogmatik, Moral und selbst den kirchlichen Ritus vorträgt.
'^ Schliesslich hat man sich freilich Ix'i der (Jonservirung der Widersprüche
lif-nihigt, sie als Schulj)robl(!m(! behandelnd, ohne iiichi' einen Ausweg zu suchen;
denn die Zeit macht auch contradictorische Widcrspriicthe erträglich, ja heiligt sic^
gewissermassen.
* S. (Ifii T. Clemensbrief, auch den Tractat ü])er die Spieler und die Zeugnisse
des Iguatius, Dionysius von Korinth u. A. übfrdie alte römische Kirche.
* De praescr. 30: „Si italiac^ adiaces ha)j(rs Homani , unde nobis auctoritas
quoque praesto est."
14 I^fts abendländischo Cliristontlium vor Au^ustin.
stand, sich in den neuen rilauben einzulelnni und in ihm seine ganze
rndividualität zum Ausdruck zu bringen '.
Er knüpfte dabei an alle Elemente an, die ihm die üeberheferung
zutrug. Zunächst im (Christlichen sowohl an den alten enthusiastischen
und rigoristischen Glauben, wie an den neuen antihäretischen. Er
wollte beides vertreten und in seinem souveränen Hechte darthun,
die strenge lex der alten, auf den eschatologischen Hofl'nungen ge-
gründeten disciplina mit ihrer ungebundenen pneunuitischen Dogmatik
und die strenge lex der neuen regula fidei, die doch uralt schien,
weil die Häretiker unzweifelhaft Neuerer waren. Er wollte ein Jünger
der Propheten und ein gehorsamer Sohn der bischöflichen Lehrer sein.
Indem er sich fruchtlos abarbeitete, beides zu vereinigen-, hat er
beide Mächte der Kirche des Abendlands als Erbschaft zurückgelassen.
Wenn die Geschichte der abendländischen Kirche bis zum 16. Jahr-
hundert den AViderstreit orthodox-klerikaler und enthusiastischer, bibli-
cistischer und i)neumatischer Elemente aufweist, wenn das Mönchthum
hier immerfort in Gefahr gerathen ist, in die Apokalyptik und den
Enthusiasmus überzuspringen und der Bischofs- und Weltkirche Oppo-
sition zu machen, so ist das in Tertullian vorgebildet.
Ein weiteres Element, welches hier in Betracht kommt, ist das
juristische. Man weiss, dass die Jurisprudenz und das juristische
Denken in der mittelalterlichen Philosophie, Theologie und Moral den
Principat geführt haben ^. Auf das „Gesetz" hatten zwar schon die
nachapostolischen griechischen Christen das Christenthum hinaus-
gespielt, und die römische Gemeinde mag diese Betrachtung mit
besonderer Energie gepflegt haben*; aber an und für sich ist diese
^ Ueber das Kirchenlatein s, Koffmane's vieles Werthvolle enthaltende
Arbeit „Gesch. des Kirchenlateins 1879—1881".
2 S. darüber die Ausführungen im 1. Bd. S. 328 ff. 367 ff. 383 f. 540 f.
° S. V. Schulte, Gesch. der Quellen und Lit. d. kanonischen Rechts Bd. I
S. 92-103. Bd. II S. 512 f. Derselbe, Gedanken über Aufgabe und Reform d.
Jurist. Studiums, 1881: „Die Rechtswissenschaft wurde seit dem 12. Jahrhundert
thatsächlich in Kirche und Staat der leitende Factor." Dass es noch heute in der
katholischen Kirche nicht anders ist, mag statt vieler Worte ein Zeugniss D Öl-
ung er 's bekräftigen. In Anlass eines Gedenkworts auf Phillips (Akadem. Vor-
träge, 2. Bd. S. 185 f.) sagt er: „Mir ist im häufigen Verkehr mit den l)eiden enge
verbundenen Convertiten, Jarcke und Phillips, erst klar geworden, wie gerade die
juristische Bildung und Denkweise, die doch selbst bei Germanisten, wie Phillips,
nicht von altdeutschen, sondern von römischen Rechtsideen beherrscht ist, eine
Auffassung der christlichen Religion im ultranuuitan-papistischen Sinn nahe U^vt
und begünstigt".
** Ueber die Bezeichnung der hl. Schrift als „lex" im Abendland s. Zahn.
Gesch. d. neutestamentlichen Kanons I, 1 S. 95 f.
Das Christenthum und die Theologie Tertullian's. 15
Formel so vieldeutig, dass sie fast neutral ist. Jedoch durch Tertul-
lian, seinem früheren Berufe nach Jurist, erhielten alle christHchen
Formen ein rechtliches Gepräge. Er hat nicht nur die Kunst-
sprache der Juristen in die Kirchensprache des Abendlands über-
geführt, sondern auch alle Beziehungen des Einzelnen und der Ge-
meinde zur Gottheit und umgekehrt, alle Pflichten und Rechte, den
sittlichen Imperativ sowohl wie die Thaten Gottes und Christi, ja
ihr gegenseitiges Verhältniss, einer rechtlichen Betrachtung unter-
zogen. Er, der leidenschaftliche und phantasievolle, scheint nicht eher
innerhch beruhigt, als bis er das Schema eines Rechtsverhältnisses ge-
funden hat, das er als unverbrüchliche Autorität proclamiren kann,
und er fühlt sich nicht eher sicher, als bis er innere Nöthigungen als
äussere Forderungen, überschwängliche Verheissungen als stipulirte
Belohnungen nachgewiesen hat. Dabei ist aber fast überall das Schema
des Privat rechts angewendet. Gott erscheint als der mächtige
Partner, der eifersüchtig über sein Recht wacht. Durch Tertullian ist
diese Tendenz in die abendländische Kirche, die für dieselbe als
römische disponirt war, übergegangen; sie hat sich dann in bedenk-
lichster Weise dort ausgewirkt. Mag auch manches Werthvolle so
conservirt worden sein — auch dem Verständniss gewisser paulinischer
Gedanken, freilich nicht der werthvollsten, kam das juristische Denken
zu Hülfe — , im Ganzen ist doch die religiöse Betrachtung damit in
ein falsches Bett geleitet (die Ideen der satisfactio und des meritum
werden die wichtigsten) und die Entfremdung des abendländischen
Ohristenthums von dem ursprünglichen und dem morgenländischen
befördert worden K
Mit dem juristisclien Element hängt ein anderes^ enge zusammen,
das syllogistisch-dialektisclie. Man hat TertuUian als specu-
lativen Theologen gefeiert, aber mit Unrecht. Speculation war nicht
seine Sache; man erkennt das sehr deutlich, wenn man sich sein Ver-
hältniss zu Irenäus vergegenwärtigt. Wie vieles hat er von diesem
Vorgänger übernommen, und wie sorgfältig ist er dabei den tiefsten
Speculationcn desselben aus dem Wege gegangen! Tertullian ist
Sophist im guten und im schlimmen Sinn des Worts. Die aristote-
lische und stoische Dialektik ist sein Element; er ist in seinen Syl-
h)gismen ein philosojiliirender Advocat. Au(;li liierin aber ist er der
Vorgänger seiner Kirche, deren Theologen stets mehr raisonnirt als
philosophirt haben. Die AVeise, wie er zwischen auctoritas und ratio
abwechselt, wie er sie verbindet, wie er aus ihnen Gedankenzüge
' Man iJt])f;r]('fr('. •/.. B. einen Satz, vvi(^ den Cvf)riaii'K, de- unit. 15: „iusiitia ojjus
ent, ut jirornefcri ()nis possit dfuin iudicr'in."
16 l)a8 abendläudische Christenthum vor Au^ustin.
herausspinnt, die formalistische Behandhing der Probleme, die eine
materiale ersetzen soll, die Ziel und Zweck schliesslich aus den Augen
verliert und der Täuschung anheimfällt, die Sicherheit des Schlusses
verbürge die Sicherheit der Prämissen — diese aus der mittelalter-
lichen Scholastik nur zu wohl bekannte Methode hat schon in Ter-
tullian iliren Anfänger ^ In der klassischen Zeit der morgenländischen
* Eine Reihe rechtlicher Schemata, die TertulHaii für die Dogmatik und Ethik
.ire])ildet hat, sind Bd. 1 S. 511 f. 524 f., Bd. 2 S. 286 If. 307 f. aufoowicsen. Neben
der Speculation über substantia, persona und status sind es namentlicli die Begrifl'e
offende re, satisfacere, promcreri, acceptare, rependere etc., diebeiilnn
eine grosse Rolle spielen. Mit der rechtlichen Betrachtung der Probleme hängt die
abstracte Verweisung auf die Autorität aufs engste zusammen ; denn einem Gesetze ge-
horcht man nicht, weil man es für gut und richtig befindet, sondern weil es Gesetz ist.
Diese Haltung Tertullian's, zu der das dialektische Verfahren und das Abwechseln
zwischen auctoritas und ratio tritt, ruft an vielen Stellen den Eindruck hervor, als
spräche ein mittelalterlicher Katholik zu uns. Für jenes Abwechseln ist namentlich
die Schrift de Corona charakteristisch, aber s. auch adv. Marc. I, 23 f. Derselbe
Theologe, der de paenit. 4 schreibt: „Nos jiro nostris angustiis unum inculcamus,
bonum atque Optimum esse quod deus praecipit. Audaciam existimo de bono divini
praecepti disputare. Neque enim quia bonum est, idcirco auscultare debemus, sed
quia deus praecepit. Ad exhibitionem obsequii prior est maiestas divinae potestatis,
prior est auctoritas iniperantis (j[uam utilitas servientis" (vergl. Scorp, 2. 3; de fuga 4;
de cor. 2), schreibt de paen. 1 : „res dei ratio, quia deus nihil non ratione providit,
nihil non ratione tractari intelligique voluit." Ueberhaupt ist die Schrift de paenit.
besonders geeignet, in die tertullianische Denkweise einzuführen. Ich werde im
Folgenden das AVichtigste hervorheben und aus anderen Schriften Tertullian's Pa-
rallelen l)eibringen. Bemerkt sei zuvor, dass die Schrift schon die drei Stücke vera
poenitentia (deflere, metus dei), confessio und satisfactio hervorhebt und dann die
venia seitens des offensus deus folgen lässt.
C. 2 bereits begegnet der Ausdruck „meritapaeuitentiae". Ebendort heisst es:
„ratio salutis c er tarn form am tenet, ue bonis umquam factis cogitatisve quasi vio-
lenta aliqua manus iniciatur. Deus enim reprobationem bonorum ratam non
habens, utpote suorum, quorum cum auctor et defensor sit necesse est, proinde et
acceptator, si acceptator etiam remunerator . . . . bonum factum deum habet
debitorem, sicuti et malum, quia iudex omnis remunerator est causae."
(de orat. 7: „paenitentia demonstratur acceptabilis deo", auch „commendatior"
kommt vor). C. 3: „admissus ad dominica praecepta" (der Unterschied von
praecepta und consilia dominica ist Tertulliau geläufig, s. ad uxor. II, 1; de
coron. 4; adv. Marc. II, 17. Adv. Marc. I, 29 sagt Tertullian, man dürfe die Ehe
nicht ganz verwerfen, weil es sonst keine verdienstliche Heiligkeit gebe ; in adv.
Marc. I, 23 ist der Unterschied von „debita" und „indebita bonitas" gemacht) „ex.
ipsis statim eruditur, id peccato deputandum, a quo deus arceat." C. 3: „voluntas
facti origo est" ; es folgt eine Untersuchung über velle , concupiscere , perficere.
C.5: „Ita qui per delictorurApaeniteiitiaminstituerat domiuo satisfacere, diabolo
per aliae paenitentiae paenitentiam satisfaciet, eritque tanto magis perosus deo,
quanto aemulo eius acceptus" (s. de orat. 11 : „fratri satisfacere'", 18: „diseiplinae
satisfacere", 23: „satisfacinuis deo doiniiu) nostro'"; de w'niu. 3, de pud. 9. 13, ilo
Das Christenthum und die Theologie Tertullian's. 17
Theologie hat man nicht bei der auctoritas und ratio Halt gemacht :
man suchte der auctoritas die inneren überzeugenden Momente abzu-
pat. 10. 13 etc. etc.: „peccator patri satisfacit", nämlich durch seine Bussübungen,
s. depud. 13: „hie iam carnis interitum in officium paenitentiae interpretantur,quod
videatur ieiuniis et sordibus et incuria omni et dedita opera malae tractationis
carnem exterminando satis deo facere). In c. 5 wird in ganz katholischer Weise
durchgeführt, dass der timor die Grundform des religiösen Verhältnisses ist. Hier,
wie an unzähhgen anderen Stellen, bewegt der „deus ofifensus" die Seele Tertullian's
(s. de pat. 5 : „hinc deus irasci exorsus, unde offendere homo inductus"). Die Furcht
beherrscht die ganze Busse (de iDaenit. 6: „metus est instrumentum paenitentiae").
Ueberhaupt sind „offendere deum" und „satisfacere deo" die eigentlichen terniini
technici, s. de paen. 7 : „offendisti, sed reconciliari adhuc potes ; habes cui satis-
facias et quidem volentem." C. 10 : „intolerandum scilicet pudori, domino offenso
satisfacere." C. 11: „castigationem victus atque cultus offenso domino praestare."
Neben satisfacere steht „deum iratum, indignatum mitigare, placare, reconciliare."
C. 6: „omnes salutis in promerendo deo petitores sumus." Zu diesem „promereri
deum" vgl. Scorp. 6: „quomodo multae mansiones apud patrem, si non pro varietate
meritorum. . . .porroet sifidei propterea congruebat sublimitati et claritatis aliqua
prolatio, tale quid esse oportuerat illud emolumeuti, quod magno constaret
labore, cruciatu, tormento, morte ...eadempretia quae et merces." Deorat.2:
„meritum fidei", 3: „nos angelorum, si meruimus, candidati", 4: „merita cuiusque",
de paenit. 6: „catechumenus mereri cupit baptismum, timet adhuc delinquere, ne
non mereretur accipere", de pat. 4: „artificium promerendi obsequium est, obsequii
vero discifjlina morigera subiectio est", de virg. vel. 13: deus iustus est ad remu-
neranda quae soli sibi fiunt," de exhort. 1 : „nemo indulgentia dei utendo prome-
retur, sed voluntati obsequendo", 2: „deus quae vult praecipit et accepto facit et
aetemitatis mercede dispungit", de pud. 10: „paenitentiam deo immolare .... magis
merebitur fructum paenitentiae qui nondum ea usus est quam qui iam et abusus est,"
de ieiun. 3: „ratio promerendi deum" [ieiunium iratum deum homini reconciliat, c. 7],
13: „ultro officium facere deo." Wie geläufig und wichtig ist überhaupt dem Ter-
tullian der Gedanke, Gott einen Dienst, einen Gefallen zu thun oder ihm ein Schau-
spiel zu bereiten! Als heidnischen Gedanken bezeichnet er zwar Apolog. 11 den
Satz: „conlatio divinitatis meritorum remunerandorum fuit ratio"; aber er kommt
ihm doch selbst nahe; so heisst es de exhortat. 10: „per continentiam negotiaberis
magna m substantiam sanctitatis, parsimonia carnis spiritum acquircs." Den
Satz der „Laxen." : „Christus non vicem passionis sitit" weist er Scorp. 15 streng
zurück; er selbst sagt de pat. 16: „rependamus Christi patientiam, quam pro
nobis ipse dej)endit." De paenit. 6: „quam ])orro ineptum, quam paenitentiam non
adimplere, ei veniam deliotorum sustinereV Ifoc est pretium non exhibere,
ad rnercem manurn emitterc. Hoceuiin prctio dominus veniani addicereiustituit;
hac paenitentiae compensatione redimf^idam i)ropouit impunitatem" (s. Scorp.
6: „nulli comi>en8atio invidiosa est, in qua aut gratiae aut iuiuriae communis est
ratio.") In c. fJ braucht Tertullian „imjjutare", und dieses Wort ist überhaupt bei
ihm neben „reputarc" nicht ganz selten; in c. 7 steht „indulgentia" (indulgcre), und
auch diese Begriffe begegnen liäufiger, ebenso „restituere" (c. 7. 12: „restitutio
peccatoris"). De pat. 8: „tantum relevat confessio delictorum, quantum dissi-
mulatio exaggf;rat ; conf(;s8io enirn satisfactionis consilium est." Da-
zu c. 9: „hui US igitur paenitentiae secundae et unius quanto in arto negotium est,
llarnack, Dogrnenjijeschichte Hl, 2
«
18 r)as al)Piull{in{li8eht> Cliristoiitlium vor Auofiistin.
gewinnen, und man verstand unter ratio die von der Anschauung der
Sache bestimmte Vernunft. Im Abeiidkind haben auctoritas und ratio
tanto operosior pi'übatio (das niuthet schon j^unz luittelaltcrlich an), ut uon
sola conscientia praeferatur, sed ali(juo etiani acta adiniuistretur. Is actus, qui
magia Graeco vocabulo exprimitur et freriuentatur, exoniologesis est, qua delictum
domino uostrocontitemur, nun (piideni ut ii(naro, sod (juatenus satisfactio con-
fesaioue disponitur, coufessiono paenitentia nascitur, paenitentia deus
niitigatur." Von dieser Exhoniologt'so, dem unter Tliränen sich vollziehenden
ßekeuntniss, heisst es dann: „comniendat paenitentiam deo („commendare" in
diesem Sinne ist häutig, s. z. B. da virg. vel. 14 und de pat. 13: „patientia corporis
[Bussübungen] precationes commeudat, deprecationes altirmat; haec aures Christi
aperit, clementiam elicit") et temporali al'ilictatione aeterna supplicia
n o n d i c a m f r u s t r a t u r s e d e x p u n g i t. " Auch die Vorstellung, dass in der Buss-
ceremouie die Kirche völlig Christum selbst vertritt, ist bestimmt bei TertuUian aus-
geprägt, s.c. 10: „in uno etaltero ecclesiaest, ecclesia vero Christus. Ergo cumte
ad t'ratrum genua protendis, Christumcontrectas,Christumexoras." Wie er
die Verzeihung im Grunde einzig auf die „cessatio delicti" basirt, zeigt de pudic. 10:
„etsi venia est paeniteutiae fructus, hanc quoque consistere non licet sine cessatione
deliciti. Ita cessatio delicti radix est veniae, ut venia sitpaenitentiae
fructus." Dazu c. 2 : „omne delictum aut venia dispungit aut jDoena, venia ex
castigatione, poena ex damnatione" ; allein in der „castigatio" steckt die „satisfactio".
De pudic. 1 wird der bekannte laxe Erlass des Calixt „liberalitas" (venia) genannt,
d.h. „Ablass". N^och sei an einige Schemata erinnert, die hier einschlagen. So
das häufig gebrauchte Schema von der „militia Christi" und dem Fahneneid (sacra-
nientum). So das höchst charakteristische Abwechseln zwischen „gratia" und
„voluntas humana" ; am deutlichsten de exhort. 2 : „non est bonae et solidae fidei sie
omnia ad voluntatem dei referre et ita adulari unum quemque dicendo nihil fieri
sine nutu eins, ut non intellegamus, esse aliquid in nobis ipsis ... Non debemus
quod uostro expositum est arbitrio in domini referre voluntatem" ; ad uxor. I, 8 :
„quaedam enim sunt divinae liberalitatis, quaedam uostrae operationis." Ferner
der merkwürdige Versuch zwei Willen, einen offenbaren und einen verborgenen, in
Gott zu unterscheiden und diese mit den praecepta und consilia zu identificiren,
um dann freilich schliesslich den „verborgenen", resp. „höhereu" allein gelten zu
lassen, de exhort. 2 f. : cum solum sit in nobis velle, et in hoc probatur nostra erga
deum mens, an ea velimus qüae cum voluntate ipsius faciunt, alte et impresse reco-
gitandam esse dico dei voluntatem, quid etiam in occulto velit. Quae enim in maui-
festo scimus omnes." Nun folgt eine Ausführung über die beiden Willen in Gott,
den höheren, verborgenen, eigentlichen und den niederen: „deus ostendens quid
magis velit, minorem voluntatem maiore delevit. Quantoque notitiae tuae utram-
que proposuit, tanto definiit, id te sectari debere quod declaravit se magis velle.
Ergo si ideo declaravit, ut id secteris (]uod magis vult, sine dubio, nisi ita facis,
contra voluntatem eins sapis, sapiendo contra potiorem eins voluntatem, magistpie
offendis quam promereris , quod vult quidem faciendo et quod mavult respuendo.
Ex parte delinquis; ex parte, si non delhuiuis, non tamen promereris. Non porro
et promereri nolle delincjuere est? Secundum igitur nuitrinionium, si est ex illa
dei voluntate quae indulgentia vocatur etc. etc." Andererseits s. ilie
scharfe Unterscheidung von Sünden der Unwissenheit („natürliche Sünden") imd
Sünden der „conscientia et voluntas, ubi et culpa sapit et gratia", de pud. 10.
Das Christentimm und die Theologie Tertullian's. 19
(Verstand) unvermittelt sehr lange neben einander bestanden (s. die
frühmittelalterlichen Theologen vonCassian ab), und die durch Augustin
und die Mystiker eingeführte Speculation ist schliesslich wieder elimi-
nirt worden, wie der Sieg des Nominalismus beweist. Der stoische,
resp. „aristotelische" Rationalismus, verbunden mit der Anerkennung
der empirischen Autorität unter der Hülle augustinischer religiöser
Formeln, ist das Charakteristische der römisch-kathohschen Dogmatik
und Moral geblieben K
Allein die abendländische Denkweise besass daneben doch ein
Element, in welchem sie der morgenländischen bedeutend überlegen
war, die psychologische Betrachtung. Welche Bedeutung in dieser
Hinsicht Augustin zukommt, ist in neuerer Zeit besser als früher
erkannt worden, und in Bezug auf den Antheil der Scholastik an der
Ausbildung der modernen Psychologie dürfen wir besseren Erkennt-
nissen entgegensehen ^. Bei Augustin selbst ist der stoische Batio-
nahsmus stark in den Hintergrund gedrängt durch das höchste Be-
streben, die Psychologie des Moralischen und Unmoralischen, des
Frommen und Unfrommen auf Grund wirklicher Beobachtung fest-
zustellen. Seine Grösse als Mann der theologischen Wissenschaft
liegt wesentlich in dem psychologischen Element. Aber auch schon
bei Tertullian kündigt sich das an. Als Moralist folgt er freilich,
soweit er Philosoph ist, dem Dogmatismus der Stoa* aber die stoische
Physik vermochte zu einer empirischen Psychologie überzuleiten. In
dieser Hinsicht ist TertuUian's grosse Schrift „de anima" eine höchst
bedeutende Leistung. Sie enthält Keime von Einsichten und Bestre-
bungen, die nachmals sich entftütet haben, und auch ein anderer Abend-
länder vor Augustin, Arnobius, hat in der psychologischen Auffassung
der Probleme Besseres geleistet, als die grossen Theologen des Morgen-
landes^. Vor Augustin ist diese Richtung der abendländischen Theologie
allerdings schwach geblieben, weil der Eklekticismus und Moralismus,
' Auch Augustin hat an unzähligen Stellen seit den Schriften de ordiue (s.
JI, 26: ad discendum necessarie du])licit(!r ducimur, auctoritate atque ratione) und
de Vera religione (45 : anirnae medicina distril>uitur in auctoritatem atque rationera)
die Ijeideii liegriHV; v(!rwerthet.
'^ S. Kahl, Die Lehre vom Primat des Willens ]jei Augustiu, Duas Scotus und
Descart(!S 1880, how'w. dut Arbeiten von Sieljcck, vgl. desselben Abhandlung:
„Die Anfängf! der neueren Psychologie in der Scliohistik" in d, Ztschr. f. Philos. u.
Philosoph. Kritik. Neue P'olge. (nj.Pfl. S. 101 fV. u. Dilthey's, Eitil. in d.üeistes-
wisH. Hd. I.
* S. Franko, Die Psychologif; und Erkenntnisslehre des Arnobius 1878, wo
der Empirismus und Kriticismus dieses freilich eklektischen Theologen richtig her-
vorgeholif'Ti ist.
2*
20 ^^'^^ abpiulläiiclisclie (.'hristcMitlunii vor Au^ustiii.
wie sie namentlich Cicero in Curs gesetzt hatte, eben durch die Lee-
türe des Cicero die Oberhand behielten ^
Noch ein Element ist schliesshch zu nennen, welches die Aus-
prägungen des abendländischen Christenthums von den morgenländi-
schen unterscheidet, welches aber schwer in ein Wort zu fassen ist.
Man hat vielfach von der praktischeren Haltung jenes gesprochen.
Allein auch im Morgenland wird das Christenthum so „praktisch"
ausgeprägt worden sein, wie es die Morgenländer bedurften. Was
hier gemeint ist, hängt mit dem Fehlen des speculativen Zuges im
Abendland zusammen. Ihm ist es zuzuschreiben, dass das Abendland
nicht vor Allem die Vergottung und desshalb die Askese im Auge
gehabt hat, sondern das wirkliche Leben bestimmter berücksichtigte,
desshalb aber auch dem Evangelium das in höherem Masse abgewann,
was dieses Leben zu normiren und zu corrigiren vermochte. So er-
scheint uns das abendländische Christenthum von Anfang an sowohl
volksthümlicher, biblischer als auch kirchlicher. Es mag sein, dass an
diesem Eindruck unsere Abstammung von diesem Christenthum den
grössten Antheil hat, und dass wir ihn daher einem Griechen niemals zu
übermitteln vermögen ^ ; aber unleugbar ist doch, dass, wie die lateini-
sche Kirchensprache vom Ursprung her volksthümlicher als die griechi-
sche ist, die stets etwas hieratisches behalten hat, so es auch den
Abendländern in höherem Masse gelungen ist, die Worte des Evan-
gehums in Wirksamkeit zu setzen. Für beides ist wiederum schon
auf TertuUian zu verweisen. Es ist ihm vergönnt gewesen, was wenigen
christlichen Schriftstellern vergönnt ist, für Theologen und Nicht-
theologen anziehend zu schreiben. Sein volksthümlich erfrischter Stil
muss höchst wirksam gewesen sein. Andererseits vermochte er in
Schriften wie de patientia, de oratione, de paenitentia oder de ido-
lolatria dem Evangelium einen concreten und schlichten Ausdruck zu
geben, und auch in vielen seiner gelehrten und polemischen Schriften,
die von Paradoxien, Antithesen, rhetorischen Figm-en, frostigen Sen-
tenzen und wilden Uebertreibungen angefüllt sind, wird man die reine
und treffende Anwendung evangelischer Sprüche nicht vermissen, über-
* Man vergleiche namentlich Minucius Felix und Lactantius.
2 Umgekehrt ist es wohl verständlich, dass, wer von den Idealen des klassi-
schen Alterthums herkommt und diese in sich aufgenommen hat, an Mäimeru wie
Clemens Alex., Origenes und Gregor von Nazianz mehr Gefallen finden wird, als au
TertuUian und Augustin, Allein diese Sympathie wird weniger dem Oliristlichen
jener Gelehrten gelten. Durch den Ausdruck des religiösen Gemüthslebens der
Griechen werden wir unmittelbar nicht mehr bewegt, während uns Aussprüche Ter-
tullian's und Augustin's ins Herz treften.
Das Christ enthum und die Theologie Tertullian's. 21'
raschend nur durch ihre Einfachheit und dort^ wo der Gedanke einen
höheren Schwung nimmt^ nicht selten bereits an Augustin erinnernd '.
Das Christenthum und die Theologie Tertulhan's^ deren Elemente
wir hier zu charakterisiren versucht haben, standen doch vor Allem
unter dem Zeichen der urchristlichen Hoffnung und der urchristlichen
Moral. Was er selbst als sein Innerstes empfand, war in diesen be-
schlossen. Beide Momente finden sich wieder in einem grossen Theil
der lateinischen Litteratur des 3. und 4. Jahrhunderts (erste Hälfte),
die zum Theil unter dem Namen des Cyprian steht und noch wenig
erforscht ist, zum Theil bekannten Männern angehört. Von antignosti-
scher Dogmatik sind hier kaum Spuren zu finden; dagegen ist die
Apokalyptik höchst lebendig ausgebildet und die Moral, häufig in
stoischer Färbung, streng gefasst ^. Die ganze reiche Schrift st eller ei
^ Nicht nur ist Tertullian der Unterschied von „natura" und „gratia" (z. B.
de anima 21), resp. von „gratia" und „virtus" geläufig, nicht nur hat er — in den
späteren Schriften — auf das Fortwirken der Sünde Adams und die Uebertragung
des Todes grosses Gewicht gelegt (s. de exhort. 2; adv. Marc. I, 22; de pud. 6. 9;
de ieiun. 3.4: „mors cum ipso genere transducta", „primordiale delictum expiare",
vgl. den Ausdruck „vitium originis"), sondern es finden sich auch viele einzelne
Gedanken und Sätze bei Tertullian, die an Augustin erinnern. De orat. 4 : „summa
est voluntatis dei salus eorum, quos adoptavit". De pat. 1 : „bonorum quorundam
intolerabilis magnitudo est, ut ad capienda et praestanda ea sola gratia divinae in-
spirationis operetur. Nam quod maxime bonum, id maxime penes deum, nee alius
id, quam qui possidet, dispensat, ut cuique dignatur." De paenit. 2 : „bonorum unus
est titulus salus hominis, criminum pristinorum abolitione pracmissa." De pat. 12:
„dilectio summum fidei sacramentum, Christiani nominis thesaurus." De orat. 4:
Um Gottes Willen zu erfüllen „opus est dei voluntate . . . Christus erat voluntas et
potestas patris," 5: „quidquid nobis optamus, in illum auguramur, et illi deputamus,
quod ab illo exspectamus." 9 : „deus solus docere potuit, quomodo se vellet orari."
De paenit. 2 : „quod homini proficit, deo servit." 4 : „rape occasionem inopinatae
felicitatis, ut ille tu, nihil (juondam penes deum nisi stilla situlae et areae pulvis et
vasculum figuli, arbor exinde fias illa quae penes aquas seritur etc." 4: „obsequii
ratio in bimilitudine aüimorum constituta est." De orat. 7 : „debitum in scripturis
delicti figura est." De bapt. 6: „exempto reatu eximitur et poena." De pud. 22:
„quis alienam mortem sua solvit nisi solus dei filius." Den Satz „peccando prome-
remur" (de pud. 10) hat Tertullian seinen kirchlichen Gegnern imputirt. Die reli-
giösen Elemente in Tertullian's Denkweise scheinen — abgesehen von den neu-
testamentlichen Schriften — auch durch die Lectürc der Schriften Seneca's
bestimmt zu sein. In diesen ist die stoische Moral durch eine wirklich religiöse Em-
pfindung und Betrachtung vertieft und zum Theil ül)erwunden, so dass von hieraus
der l lebergang zu dem paulinischen Christenthum möglich war. Seneca hat aber
auf die Abendländer überhaupt eingewirkt, s. Minucius Felix und Hieron., de vir.
inl. 12.
''' Vgl. die Charakteristik des Christenthums des Connnodian, Arnobius, Lac-
lantius Bd. 1 S, HH8 ff. D(!m Novatian ist von Seiten der (iegner der Stoicismus
/um Vorwurf gemacht worden. Mehrere der unter Cyprian's Namen stehenden
22 Das abendländische Christenthum vor Augustin.
lind (loginatische Beiniiliiuig des Hii)polyt scheint für das Abendland
von Anfang an und völlig verloren gewesen zu sein.
Aber auch Tertullian hat sich durch seinen Montanismus schliess-
lich um die directe Wirksamkeit in der Kirche gebracht. Das, was er
erarbeitet hat, ging auf Cyprian über und ist von diesem, freilich mit
starken Verkürzungen und Abschwächungen, in Curs gesetzt worden.
Cyprian wurde für die Z e i t v o n 260 bis A m b r o s i u s , ja
eigentlich bis August in und Hieronymus, der lateinische
Kirchenschriftsteller %a.z s^o^'^v. Alle die bekannten und un-
bekannten lateinischen Schreiber neben und nach ihm haben nur eine
beschränkte Wirkung gehabt : Cyprian hat die folgenden 120 Jahre der
abendländischen Kirche als erbaulicher und normativer Schriftsteller
beherrscht wie ein Souverän. Seine Autorität stand dicht neben der
der hl. Schriften, und sie dauerte noch zu Augustinus Zeit fort ^
Einen eigenen theologischen Gedanken hat Cyprian kaum gehabt ;
denn auch die Schrift „de unitate ecclesiae" ruht auf Gesichtspunkten,
die theils den älteren katholischen Vätern entnommen, theils von der
römischen Kirche, in der sie heimisch waren, entlehnt sind. In der
höchst massgebenden Schrift „de opere et eleemosynis" sind die ter-
tullianischen Gedanken von dem Verdienst und der Satisfaction streng
ausgebildet und fast ohne Rücksicht auf die Gnade Gottes in Christo der
Busspraxis zu Grunde gelegt. Das ist vielleicht überhaupt die höchste
Bedeutung Cyprian's, dass er, durch die Folgen des decianischen Stur-
mes bestimmt, das, was nachmals Busssacrament genannt worden ist,
begründet hat — freilich mehr von den Verhältnissen geschoben als sie
Schriften sind sehr alt und für die Kenntniss des alten lateinischen Christenthums
wichtig. Ich habe das an dem Tractat de aleatoribus dargethan (Texte und Unters.
V, 1)', aber man lese auch die Schrift „de duobus montibus", um ein Bild von der
theologischen Einfalt und dem Archaistischen dieser Lateiner zu gewinnen. Und
doch ist dem Verfasser der genannten Abhandlung die Formulirung gelungen (c. 9) :
„Lex Christianorum cnix est sancta Christi filii dei vivi." Am lehrreichsten sind
die Instructionen Commodian's. Charakteristisch ist für diese ganze Litteratur der
grosse Einfluss des Hirten des Hermas und demgemäss auch die Richtung des Inter-
esses auf die Kirche. Fort und fort beschäftigten sich auch die ungebildeten
Schriftsteller mit ihr; s. das karthag, Symbol: „credo remissionem peccatorum per
sanctam ecclesiam."
^ S. einen kurzen Nachweis hierfür in meinen Texten und Unters. V, 1 S. 2.
Für die Bekanntschaft auch des Orients mit Cypri.iu hat Pitra in den Analecta
Sacra neues Material beigebracht. Die unvergleichliche Autorität Cyprian's im
Occident wird vornehmlich durch Lucifer, Prüden tius, Optatus, Pacian, Hierouynms,
Augiistin und das Mo mm sc n 'sehe Verzcichniss der hl. Schriften bezeugt. Der
Stuhl von Karthago hiess in der Folgezeit „cathedra Cypriani", wie der Stuhl von
Rom „cathedra Petri". Optat. I, 10.
Cyprian und das von ihm bestimmte Christenthum. 23
beherrschend und dazu römischen Einflüssen nachgebend, die schon seit
Calixt in dieser Richtung wirkten. Die Herrschaft der Hierarchie in
der Kirche auf den Gebieten des Sacraments, des Opfers und der Dis-
ciphn hat er festgestellt, den EpiskopaUsmus besiegelt, die Auffassungen
von einem Rechtsverhältniss des Menschen zu Gott, von dem Gnaden-
mittel der Busswerke, von den satisfactorischen Sühnleistungen des
Christen eingebürgert, auch schon die klerikale Sprache geschaffen mit
ihrer feierlichen Würde, dem kaltblütigen Zorn und dem Missbrauch
biblischer Worte zur Deutung und Kritik der Zeitverhältnisse — eine
Umbildung des tertullianischen Sprachgeistes. Das Interesse, welches
Tertulhan an der antignostischen Theologie genommen hat, hat Cyprian
keineswegs geerbt. Er ist, wie alle grossen Kirchenfürsten, Theologe,
nur soweit er Katechet ist. Um so fester hält er an dem Symbolum
und weiss in wenigen Worten seinen unzweifelhaften Inhalt anzugeben
und es auch gegen verwandte Richtungen, wde die desNovatian, geschickt
zu kehren.
Das hatte man von Rom gelernt, wo man schon seit dem Ende des
2, Jahrhunderts gegenüber den bunten Lehrmeinungen einwandernder
morgenländischer Christen das „apostolische" Symbolum mit Virtuosität
und Tact handhabte. Die römischen Bischöfe des 3. Jahrhunderts
haben sich nicht auf dogmatische Dispute eingelassen; die beiden ein-
zigen, die es versuchten und der Kirche unzweifelhaft grosse Dienste
geleistet haben, Hippolyt und Novatian, haben sich die Sympathien des
Klerus und der Majorität nicht erhalten können. Man lebte als Christ
im Abendland nicht im Dogma, sondern man war der kurzen „lex" ge-
horsam, die das Symbol darstellte *, imponirte dem Morgenland durch
die Sicherheit, in der man, wenn es nöthig war, in dogmatischen Fragen
Stellung nahm , einem eigenen , von Tertullian gebildeten und von
Novatian ausgeführten Schema in der Trinitätslehre und der Christo-
logie folgend'^, und arbeitete daneben an der Befestigung des Kirchen-
* Welche Verdrehungen man sich erlaubte, um den Christen als an die „lex"
gebunden darzustellen, zeigt z.B. die Ausführung in der pseudocyprianischen Schrift
de XII abusiris saeculi e. 12: „dum Christus finis est legis, (jui sine lege sunt, sine
Christo sunt; igitur ]K)pulus sine lege ))()f)nhis sine Christo est." Dom gegenüber sind
Erkenntnisse wie die, welche Tertullian beiläufig (de spcct. 2) ausspricht, dass der
natürliche Mensch „deum non novit nisi naturali iure, non ctiam familiari" ohne
Wirkung geblieben.
- S. darübor P>d. I S. 51 1 f. 5413 f. und im IT. Bd. an verschiedenen Sterilen; vgl.
Reuter, Auguslin. Studien S. J53— 2.'J0. Da die Einsicht in den straffen Zusam-
menhang des H(;ilsguts (öcfiV/.pota) und der Menschwerdung dem Abendland nie
ganz aufgegangen ist, so ist ein rationalistisches Element in Bezug auf die Person
Christi, welches sich dann im Pelagianismus völlig enthüllt hat, hier stets vorhanden
24 Das abendländische Christenthum vor Au^ustin.
Wesens, an der Ausbilclung einer erfüllbaren kircliliclien Sittenregel,
sowie an der Disciplinirung nnd Erziehung der Gemeinde durch den
Gottesdienst und die Bussordnungen K Wie man hier Strenge und
Milde zu paaren verstand, die Christenheit gegen die Welt abgrenzte,
aber ein Leben in der AVeit ermöglichte und selbst den gröbsten Sün-
dern noch nachging, zeigen die Kanones von Elvira. Ein geschlossenes,
fast militärisch organisirtes Kirchenwesen war die Folge. An seiner
Spitze stand der römische Bischof, der trotz des in abstracto gleichen
Rechtes aller Bischöfe doch eine einzigartige Stellung einnahm, nicht
nur als Repräsentant, sondern auch als wirksamer Vertreter der kirch-
lichen Einheit, die jedoch durch den Novatianismus, dann durch den
Donatisnms, schwer erschüttert wurde.
Als Konstantin der Kirche Duldung und Privilegien verlieh und
den freiesten Verkehr der Landeskirchen ermöglichte, war Rom bereits
wieder eine lateinische Stadt, die römische Gemeinde eine völlig lateinische
geworden, und auch sonst im Abendland war das einst so mächtige
griechische Element zurückgetreten. Man wusste es allerdings dort
nicht anders, als dass man mit dem Morgenland eine Kirche bilde*,
man war auch wirklich in den Grundgedanken der Lelu-e von Gott, von
Christus und vom ewigen Heil mit der Richtung des Morgenlandes,
welche Athanasius vertrat, einig. Aber die Interessen gingen doch viel-
fach auseinander und factisch verstand man sich wenig mehr, zumal
seitdem im Morgenland die kappadocisclie Orthodoxie zum Siege kam.
Die Schwächung der Centralgewalt hatte seit der Mitte des 3. Jahr-
hunderts alle Provinzen wieder sich selbst zurückgegeben imd damit
das Nationalitätsprincip entbunden, welches überall zu einer völligen
Reaction des Particularismus gefühi-t hätte, wenn nicht einzelne ki-aft-
voUe Regenten, die Völkerwanderungen und die Kirche diesem einen
Damm entgegengesetzt hätten, der sich freilich im Morgenland schliess-
lich als zu schwach erwies.
Die grossen dogmatischen Kämpfe waren es, welche die Landes-
kirchen nöthigten, über ihre eigenen Grenzen zu blicken. Aber die
Theilnahme des Westens für den Osten — in umgekehrter Richtung
hat sich nie ein lebendiges Literesse entwickelt"-^ — ist keine allgemeine
gewesen. Das Abendland hat sein eigenes Schema in Bezug auf Christus erst vol-
lendet, nachdem es die in derBussdiscipliu gewonneneu Auftassimgen auf das Werk
Christi übertragen hatte. Das ist aber sehr allmählich geschehen.
* Sehr lehrreich sind auch hier die Instructionen Commodian's.
"^ Eine Ausnahme von kurzer Dauer bildet das Interesse der Antiochener für
das abendländische Schema der Christologic im eutychianischen Streit; s. die Brief-
sammlung des Theodoret und seinen Eranistes, sowie die AWu-ke Thood(.>r's von
]N|opsueste.
Das 4. Jahrhundert. Das Abendland vom Moroenland beeinflusst. 25
und natürliche mehr gewesen. Sie ist in der Regel aus zeitweiligen Nö-
thigungen oder aus herrschsüchtigen Absichten entsprungen. Dennoch
ist sie von unsägUcher Bedeutung für die abendländische Theologie ge-
worden ; denn auf Grund der Beziehungen mit dem Orient, in welche
der arianische Kampf die abendländische Kirche brachte, sind abend-
ländische Christen dazu geführt worden, sich zwei grosse Erscheinungen
der morgenländischen Kirche näher zu betrachten, die wissenschaft-
liche (origenistis che) Theologie und das Mönchthum.
Es mag nun gleich hier gesagt sein, dass die so entstandene Be-
rührung und Beeinflussung sclüiesslich den Geist und die Richtung der
abendländischen Kirche im Tiefsten nicht verändert haben. Sofern
eine dauernde Veränderung im 5. Jahi'hundert eingetreten ist, ist sie
nicht von hier abzuleiten. Aber als Einschlag kann das Capital
und der Impuls, den man vom Orient erhielt, nicht hoch genug ge-
weiihet werden. Man braucht nur die Schrift st ellerei der von den
Griechen nicht beeinflussten lateinischen Theologen ^ mit der des Hila-
rius, Victorinus Rhetor, Ambrosius, Hieronymus, Rufln und der von
ihnen abhängigen Schriftsteller zu vergleichen, um den ungeheuren Ab-
stand zu erkennen. Die exegetisch-speculative Wissenschaft
der Griechen wurde in das Abendland importirt, dazu das Mönch-
thum und das Ideal gottinniger Yirginität als die praktische Anwen-
dung dieser „Wissenschaft".
Für beides war das Abendland nicht disponirt, und da Verän-
denmgen der Regeln für das praktische Leben sich immer am schwersten
durchsetzen, kostete die Einbürgerung des Mönchthums erbitterte
Kämpfe^. Aber bei den geistigen Führern des Abendlandes setzte
sich das Ideal der Yirginität in dem Sinne desLiebesbundes mit Christus
sehr bald durch (schon früher Cypr. de hab. virg. 22: „virginibus
nee maritus dominus, dominus vester ac caput Christus est ad instar
et vicem masculi")-^ und gewann durch Ambrosius dieselbe Bedeu-
tung für das Abendland, die es für das Morgenland durch die Aus-
legungen des Hohenliedes (Origenes) und durch Methodius gewonnen
hatte. Ja, erst im Abendlandc wurde das Ideal so zu sagen individuali-
sirt und erzeugte eine Fülle von Formen, in denen es sich mit der
' Z. B. des Lucifcr, soweit er den (iricchen nicht einfach naclisj)richt; s. über
seine „Theologie** die Monographie Krüger 's 1886.
■^ S. Jovinian und Yigilantius, sowie die Kämpfe des Mönchthums in Spanien
nnd (tallien (vgl. die Werke des Sulpicius Scverus).
■' Früher hiess es von der Kirche (Cypr., de unit. H) : ^sponsa Christi, unins
cnbiculi sanctitatem casto pudr)re (nistodit." Später wurde dieser unschöne (Tcdankc
auf die einzelne Seele übertragen und damit der erotische Spiritualismus erzeugt.
26 üas abendläudische Christenthuin vor Augustin.
passioiiirten (>hristusliebc vermählte oder diese hervorrieft Die theo-
logische Wissenschalt dei* (irieclieii Hess sich nicht einbürgern, selbst
wenn der Moment minder ungünstig gewesen wäre — gerieth ihr
Ansehen ja doch gerade damals im Orient selbst ins Schwanken, nach-
dem die Kappadocier auf kurze Zeit Glauben und Wissen versöhnt
zu haben schienen. AVo man sich einmal gewöhnt hat, einen Complex
von Gedanken als unverbrüchliches Gesetz, als llechtsordnung, anzu-
sehen, da ist es nicht mehr möglich, für ihn dauernd die innere
Theilnahme zu erwecken, welche an den Gebieten haftet, in denen das
geistige Leben sich abspielt, und wenn es wirklich gelingt, ihm eine
gesicherte Stellung zu verschaÖen, so ninunt doch seine Behandlung
einen anderen Charakter an: man ist ihm gegenül)er unfrei. In der
That ist das Abendland dem eigentlichen Dogma gegenüber stets un-
freier gewesen als das Morgenland in der klassischen Zeit der kirch-
lichen Theologie. Man dachte im Abendland über und hin und her
wider das Dogma; aber in demselben dachte man wenig.
Allein — wie gross ist doch das Capital, welches die Griechen-
schüler, vorzüglich Hilarius, Ambrosius und Hieronymus, dem Abend-
land aus dem Orient gerettet haben ^ zu einer Zeit, da die griechische
Sonne den Westen bereits nicht mehr erwärmte! In dem, was sie an
philosophischen, historischen und theologischen Elementen in das Abend-
land übergeführt haben, liegt auch eine der Wurzeln Augustin' s.
Er hat von dem Schüler der Kappadocier, Ambrosius, exegetisch-
speculative AVissenschaft gelernt und sich nur mit ihrer Hülfe aus
dem Manichäismus befreit. Er hat sich in der neuplatonischen Philo-
sophie der Griechen heimisch gemacht, und hier sind ihm die AVerke
eines anderen Griechenscliülers, des V i c t o r i n u s R h e t o r , zu Hülfe
* S. die Ausführungen Bd. II S. 9ft'. Den lateinischen Schriftstellern am Ende
des 4. Jahrhunderts ist die Vorstellung des IMethodius ganz geläufig, dass in jedem
Christen Christus geboren werden muss, und dass man sich nur so das Erlösungs-
werk aneignen kann. So singt Prudentius: „Virginitas et prompta fides Christum
bibit alvo cordis et intactis condit paritura latebris." Ambrosius, Exposit. in ev.
sec. Luc. 1. II c. 26 : „Yides non dubitasse Mariam, sed credidisse et ideo fructum
fidei consecutam . . . Sed et vos beati, qui audistis et credidistis-, quaecunque enim
crediderit anima et concipit et generat dei verbum et opera eins agnoscit. Sit in
singulis Mariae anima, ut magnificet dominum ; sit in singulis spiritus Mariae, ut
exultet in deo. Si secundum carnem una mater est Christi, secundum fidem
tarnen omni um fructus est Christus. Onmis enim anima accipit dei verbum,
si tamen inmiaculata et immunis a vitiis iutemerato castimoniam pudore custodiat."
^ Von dem älteren Vermittler griechischer Exegese, Victorin von Pettau, ist
abzusehen, da bei ihm trotz aller Abhängigkeit von Origenes der lateinische Geist
die Oberhand hatte und auch seine Wirksamkeit eine beschränkte gewesen zu sein
scheint.
Aiigustin von der gräcisirten abendländischen Theologie bestimmt. 27
gekommen. Er hat staunend die Kunde von dem ägyptischen
Mönchthum aufgenommen, und der Eindruck desselben ist für ihn von
entscheidender Bedeutung geworden. Diese Einflüsse sind zu erwägen,
wenn man über die Bedingungen ins Klare kommen will, unter denen
eine solche Erscheinung, wie sie uns Augustin bietet, möglich gewesen
ist K Andererseits aber steht Augustin in Continuität mit der genuinen
abendländischen Linie, die durch TertuUian, Cyprian, Optatus, Pacian,
Prudentius imd auch durch Ambrosius repräsentirt ist. Höchst eigen-
thümlich ist sein Verhältniss zur stoisch - christlichen Popularphilo-
sophie abendländischer Lehrer. Wir werden sehen, dass ein Rest der-
selben auch bei ihm übrig geblieben ist. Aber im Wesentlichen liegt
seine kirchen- und dogmengeschichtliche Bedeutung eben darin, dass
er dem Abendland an Stelle der stoisch- christlichen popu-
lärenMoral, wie sie sich imPelagianismus zusammenfasste,
eine religiöse, specifisch- christliche Ethik gegeben und
diese so mächtig der Kirche eingeprägt hat, dass wenig-
stens ihre Formeln bis heute im ganzen Gebiet der
abendländischen Christenheit die Herrschaft behaupten.
Indem er aber den stoischen MoraUsmus abgethan hat, hat er auch
das seltsame Complement desselben, die realistische Eschatologie, bei
Seite gedrängt, in welcher die alten lateinischen Christen ihr Christen-
thum in specifischer Weise zum Ausdruck gebracht hatten.
Ambrosius ist der Lnperator unter den abendländischen Bischöfen,
und er ist zugleicli der griechisch gebildete Exeget und Theologe.
In beiden Eigenschaften hat er auf Augustin eingewirkt, der zu ihm
emporsah, wie Luther zu Staupitz^. In letzterer Hinsicht kommt
* Von HicronjTTius darf man abschen-, er hat für Augustin keine Bedeutung
gehabt oder doch keine andere als die, dass er ihn in der conservativen Haltung
bestärkte. Das bezieht sich freilich nicht auf das gelehrte Wissen des Hicronymus,
welches dem Augustin unheimlich und sogar verdächtig gewesen ist. Die Gelehr-
samkeit des Hicronymus ist ein grosses Capital der mittelalterlichen Kirche gewor-
den; aber die vulgäre Dogrnatik der Kirche hat Hicronymus nicht bestimmt, sondern
bestärkt, während seine asketischen Schriften das Mönchthum eingebürgert und
ihm zum Thcil höchst bedenkliche Ideale vorgehalten haben. Nach der Zeit
Augustinus sind die Einflüsse vom Orient her nur noch sehr spärlich gewesen; doch
ist an .Junilius und Cassiodorius zu erinnern.
^ S. die testimonia Augustin's über Ambrosius in der Ballerinischen Ausgabe
der Werke des Letzteren. Contra .Jul. I, 4, 10: „Audi excellentem dei dispensa-
torem, quem vencror ut patrem; in Christo Jesu enim per evangelium me genuit et
CO Christi ministro lavacrum rcgcncrationis accepi. Beatum loquor Ambrosium
cuius pro catholica fide gratiam, constantiam, labores, pericula sive operibus sivc
scrmonibus et ipsc sum cxpertus et mecum non dulntat orbis pracdicarc Romanus."
28 Pas abendländische Christentlium vor Auffiistin.
er hier zunächst in Betracht. Seine Erziehung, sein ])ischöflicher Stuhl
in Maihmd, der arianische und apolHnaristische Kampf, in den er
eintreten musste, wiesen ihn auf die griechische theologische Litteratur.
Philo, H i p p o 1 y t , ( ) r i g e n e s und B a s i 1 i u s sind von ihm Heissig
gelesen, excerpirt und lateinisch verarheitet worden'. Mit Basilius
verband ihn nicht nur die ähnliche Situation, sondern vor Allem Ueber-
einstimmung des Charakters und der Haltung. Er ist sein eigentlicher
Ijehrmeister gewesen, und während dem Basilius in Alexandrien und
Rom Misstrauen begegnete, hat ilni And)rosius hoch geehrt und seine
Orthodoxie voll anerkannt. Welche Bedeutung diese Haltung des
mailändischen Bischofs für die Beendigung des arianischen Streites
und für die Versöhnung der römisch-alexandrinischen Ortliodoxie mit
der kappadocischen gehabt hat, ist früher dargestellt worden ^. Man
hat nun zwar neuerdings unwidersprechlich gezeigt, dass Ambrosius
in der Christologie trotz seiner Abhängigkeit von den Griechen das
abendländische Schema bewahrt und Aveiter ausgebildet hat^. Ter-
tulHan, Novatian (direct oder indirect) und Hilarius haben auf ihn
eingewirkt. Allein andererseits ist nicht zu verkennen, dass er doch
stärker als Augustin die nicänische Entscheidung als Fundament her-
vorhebt^ und in seiner Zwei-Substanzenlehre durch die Kappadocier,
die im Kampf gegen Apollinaris unfreiwillig ihr nahe geführt wurden,
bestärkt worden ist. Ferner behandelt er den Logos in Jesus Christus
so sehr als das Subject, die Menschensubstanz als Form und Stoff, dass
auch hier der griechische Einfluss (wie bei dem ebenfalls von den
Griechen abhängigen Hilarius) nicht zu verkennen ist; denn seine
eigene Auffassung vom Werke Christi streitet mit dieser Verkümmerung
in der Betrachtung der menschlichen Natur. Aber auf dem specilisch-
dogmatischen Gebiet liegt überhaupt nicht der wichtigste Einfluss des
Op. imperf. c. Julian. I, 2: „Quem vero iudicem poteris Ambrosio reperire melio-
rem ? De quo magist er tuus Pelagius ait, quod eins fidem et purissimum in scrip-
turis sensum ne inimicus quidem ausus est reprehendere." Die AVorte des Pelagius
selbst in de gratia Christi et lib. arb. 43 (47): „Beatus Ambrosius episcopus, in
cuius praecipue libris R o m a n a elucet fides, qui scriptorum inter Latinos flos qui-
dam sjjeciosus enituit, cuius fidem et purissimum in scripturis sensum ne inimicus
quidem ausus est reprehendere" (s. c. Jul. I, 30). Den Ruhm des Ambrosius ver-
kündet auch Rufin und nimmt ihn gegen Hieronymus in Schutz, der als neidischer
Augur die Plagiate des Ambrosius an den Griechen bemängelt hat, während er selbst
der viel Schuldigere ist, da er sich stets als Original aufspielte.
* S. die ausführlichen Nachweise bei Förster, Ambrosius S. 1)9 H".
2 S. Bd. n S. 269 ff".
» S. Reuter, August. Studien S. 207—227.
■* S. Ambros. de fid. I prol. u. a. St, bei Reuter, a. a. O. S. 185, über Au-
gustin's neutrale Stellung s. ebeudort S. 185 f.
Die Bedeutung des Ambrosius. 29
Orients auf Ambrosius. Er liegt in der Reception der allegorisch-
wissenschaftlichen Methode der Exegese und vieler einzelner Schemata
und Lehren. Zwar hat Ambrosius gegenüber Philo und Origenes seine
Vorbehalte gemacht; er hat die Consequenzen der origenistischen
Theologie nicht anerkannt ^ ; er war überhaupt im energischen specula-
tiven Denken viel zu flüchtig und oberflächhch, um sich von den Griechen
mehr anzueignen als Fragmente *, aber er sowohl wie der schwerfälhgere
aber gi-ündlichere Hilarius haben doch im Abendland die „Dürftig-
keit" einer buchstäbelnden und in der praktischen Anwendung völlig
planlosen Exegese überwunden und ihren Landsleuten eine Fülle von
Ideen, angeschlossen an den Wortlaut der hl. Schriften, überliefert.
E-ufin und in seiner ersten Zeit auch Hieronymus vollendeten das
Werk. Der Manichäismus wäre im Abendland schwerlich überwunden
worden, wenn ilmi nicht die theosophische Exegese, die „bibhsche
Alchemie" der Griechen entgegengestellt worden wäre, und das grosse
Thema der Virginität wurde mit neuen Zungen gepriesen, seitdem die
von Origenes in seinem Commentar zum Hohenliede gelehrte Verbin-
dung der Seele mit dem Bräutigam Christus den Abendländern auf-
gegangen war^. Die Einheit der kirchlichen Stimmung in Ost und
West, soweit sie überhaupt erreichbar, war um 390 in den höchsten
Regionen der Theologen hergestellt. Allein der Kampf gegen Origenes,
der bald mit verstärktem Hass ausbrach, hatte unter anderen trau-
rigen Folgen auch sofort das Ergebniss, dass das Abendland nichts
weiter mehr von dem grossen Theologen lernen wollte. Strenge S3^ste-
matik in der allegorisch-wissenschaftlichen Exegese hat das Abendland
nie erreicht.
Durch Hilarius ^, Ambrosius, Hieronymus und Ruiin sind die hei-
ligen Gescliichten des AT. 's auch für das A])endland in pneumatische
* Nicht wc.n'un'. Stellen wären hier- ans den Werken des Ambrosius anzufühi'en.
MitTact und ohne Ketzerriehterei lehnt Ambrosius bedenkliche Sätze des Origenes ab,
sich selbst stets an das (Temeiuchristliche haltend. In weniger wichtigen Fragen ist
der Einfluss des Origenes (Plato's) unverkennbar; so in der Seelenlehre und der
Auffassung von der Hölle. Am stärksten (irseheint mir der griechische EiuÜuss in
der Lelire von der relativen Nothwcndigkeit und der Zweckmässigkeit des Bösen
(„amplius nobis profuit culpa (juam nocuit"). Desshalb vermag i(;h in ihr nicht eine
dem Ambrosius eigenthümliehe kühne Theorie vom Bösen zu erkennen, wie Deutsch
(Des Ambrosius Lehre von der Sünd(; u. s. w. 1807 S. 8.) und Förster (a. a. O.
S. i'di). 142. 300). Nur die teleologische Betrachtung unter df>m (Icsichtsjninkt der
reicheren Wiederh(;rst<',llung ist vielleicht neu.
'' Ambros., de Isaac et anima.
" Ueb(!r Hilarius' für die (Tcschichte der Theologie epochemachendes Exil im
Orient und sein Verhäitniss zu Origen«'S s. Rj'inkejis, Hilarius S. 128.270.281 IT.
Augustin hat ihn in hohen Ehren gehalten.
30 Das abendländische Christentlium vor Au^ustin.
Geschichten umgewandelt worden ^ Bei dieser Umsetzung erhielten
die Abendländer eine Menge einzelner neuplatonisch-mystischer Ge-
danken, aber der Einblick in das Ganze blieb ihnen verborgen. Ein
anderer Abendländer, der Khetor Victor inus, dieser „doctissimus
senex et omuiuni libendiuin doctriiiarmn peritissimus quique philo-
soj)hüruni tarn multa et legerat et diiudicaverat, doctor tot nobiliuni
senatorum, qui etiam ob insigiie praeclari magisterii statuam in Romano
foromerueratetacceperat", hat seine Landsleute durch llebersetzungen
und eigene Arbeiten in den Neui)latonisnuis eingeführt-. Das war
geschehen, bevor er Christ wurde. In hohem Alter zum Christenthum
übergetreten, hat Victorinus, der nun auch ein fruchtbarer kirchlicher
Schriftsteller wurde, mit dem Neuplatonismus keineswegs gebrochen.
An ihm hat sich Augustin in der entscheidenden Epoche seines Lebens
gebildet, und obgleich er griechisch genug verstand, um neuplatonische
Schriften zu lesen, so ist er doch ganz wesentlich durch Victorinus
in dieselben eingeführt worden. Vor Allem hat er hier die Verbindung
neuplatonischer Speculation mit dem kirchlichen Christenthum und
die Bestreitung des Manichäismus von diesem Boden aus kennen ge-
lernt. Was Beides für ihn bedeutete, braucht nicht ausgeführt zu
werden. Indem der Neuplatonismus für Augustin ein entscheidendes
Element seiner religiösen und philosophischen Denkweise wurde, wurde
er es für das gesammte Abendland. Die Religionsphilosophie der
Griechen ist dem geistigen Capitale des Abendlandes einverleibt wor-
den, zusammen mit ihren asketisch-mönchischen Antrieben^. Aber,
^ In der Erklärung des NT.'s hielt Ambrosius trener am Buchstaben fest, der
abendländischen Tradition folgend und die Geschenke der Griechen ablehnend.
„Longe minor in novo quam in veteri testamento" nennt Ambrosius den Origenes
(ep. 75). Aber in dem AT. haben erst die Griechen die Abendländer heimisch
gemacht.
^ S. Aug. Confess. VIII, 2. Dort auch die Geschichte der Bekehrung Victorin's.
^ Der Neuplatonismus und mit ihm die griechische Speculation überhaupt ist
— wenn man von den Fragmenten absieht, welche durch die Uebersetzungen der
Werke des Origenes und durch die Plagiate an den Kappadociern in das Abendland
gelangt sind — in drei aufeinander folgenden Schenkungen demselben mitgetheilt
worden, 1) durch Victorin-Augustin im 4. und 5. Jahrhundert, 2) durch Boethius
im 6. Jahrhundert, 3) durch den Import der Werke des Pseudoareopagiten im
9. Jahrhundert. Von Boethius rühmt Cassiodorius (Var. epp. 1, 45), dass erPytha-
goras, Ptolemäus, Nicomachus, Euklid, Platonem theolognm, Aristotelem logicun»,
Archimedes und andere Griechen den Lateinern durch Uebersetzungen vermittelt
habe. Dass Boethius Christ gewesen ist, und dass er auch die vielfach bezweifelten
Schriften De sancta trinitate, Utrum pater et filius et Spiritus s. de diviuitate sub-
stantialiter praedicentur, Quomodo substantiae in eo quod siut bonae sint, cum uon
sint substantialia bona, De lide catholica. Contra Eutychen etNestorium geschrieben
Die Bedeutung des Victormus. 31
wenn nicht Alles trügt, hat Augustin von Victorinus her auch den An-
trieb empfangen^ sich in die religiöse Denkweise des Paulus einzuleben;
denn aus den Werken des greisen Rhetor geht hervor, dass er die
charakteristischen G-edanken des Paulus sich angeeignet hat, und
Augustin hat nachweisbar von dem Moment an den paulinischen Briefen
ein hingebendes Studium gewidmet, wo er mit dem Neuplatonismus
genauer bekannt geworden ist. Victorinus hat sehr dunkel geschrieben,
und seine Werke haben von Anfang an eine geringe Verbreitung ge-
funden. Allein es ist nicht der einzige Fall in der Geschichte, dass
die ganze Bedeutung eines tüchtigen Schriftstellers darin aufgegangen
ist, ein em grösseren Nachfolger gedient zu haben. Ein grosser epoche-
machender Mann ist wie ein Strom — die kleineren Bäche, die viel-
leicht tiefer im Lande entsprungen sind, gehen in ihm unter, nachdem
sie ihn gespeist, aber die Richtung seines Laufes nicht verändert haben.
Nicht nur Victorinus *, sondern schliesslich auch selbst Ambrosius,
hat, scheint mir jetzt (Usener, Anecdoton Holderi 1877) erwiesen zu sein. Aber
nicht durch seine christlichen »Schriften hat er auf die Folgezeit eingewirkt, sondern
durch seine von Aristoteles ganz abhängigen Tractate „De consolatione philo-
sophiae", die eben desshalb auch ein Heide geschrieben haben könnte, sowie durch
seine Conimentare zu Aristoteles. Er wurde geradezu der Philosoph des frühen
Mittelalters neben Aristoteles, den man freilich schlecht genug kannte. Ueber das
System des Boethius s. die Monographie von Nitzsch 1860. Es erinnert in vielen
Gedanken anSeneca undProclus (eine Untersuchung über sein Verhältniss zu Victo-
rinus wäre erwünscht). „In dem System bildet ein durch gewisse aristotelische
Gedanken modificirter Piatonismus die Grundlage ; ausserdem ist ein aus dem rö-
mischen Charakter, aus dem persönlichen Charakter des Pliilosophen und aus der
Leetüre römischer Philosophen stammender stoischer Zug nicht zu verkennen. Das
Christenthum ist in diesem Eklekticismus so gut wie gar nicht zur Geltung gekom-
men. Aus diesem Grunde muss man von dem Versuche abstehen, dem System des
Boethius unter denjenigen Systemen einen Platz anzuweisen, welche eine Vermitte-
lung oder Verschmelzung des Christenthums mit dem Piatonismus darstellen oder
anstreben (z. B. Synesius, Pseudo-Dionysius)" ; vgl. Nitzsch, a. a. O. S. 84 f. An
der Thatsache, dass dieser Mann, der angesichts des Todes sich mit den Gedanken
der heidnischen Philosophen tröstete, Tractate über das kirchliche Centraldogma
geschrieben hat, kann man am besten studiren, dass das Dogma von Christus eine
Seite ])ot, an welcher es da/u anleitete, Clnistum selbst zu vergessen.
^ Es ist ein Verdienst von (Jli. (iore in seinem Artikel „Victorinus" (Diction.
of Christ. Biogr. IV p. 1129—1138), die Eigenart der Theologi(; des Victorinus und
ihre Bedeutung für Augustin dargestellt zu haben. Mit lieclit benieikt Goi'e: „His
theology isNeo-Platonistin tone ... he applicMl nianyj)rineiples(;f Uk; IMotiniauphilo-
Hophy to the elucidation of the Christian mystories. His importance in this respect
has been entirely overlooked in the history of theology. He preceded the Pseudo-
Dionysius. He, aniicipated a great deal tliat apjjcars in Seolus Erigena." In der
Thatistman beim Sln'liiini derWerke des Victorinus (M igne T. VllJ p. 991) 1310)
erstaunt, in ihm einen v(jllkonimeneu christlichen Neuplatoniker und einen Augu-
32 I^iis abeiullämlische Chrifitentluini vor Auorustin.
Optatus, Cyprian und Tertullian sind in Augustin untergegangen ; aber
sie haben ihn zu dem stolzen Strome gemacht, in dessen Wellen sich
stinus ante Augustinum zu finden. Die Schriften ad Justinun» Manichaeum, de gene-
i-atione verbi divini, das grosse Werk gegen die Arianer imitlien wie augustiuisclie
Selirit'teii an. Nur tritt das Heuj)lat()nisehe Element viel unbefangener hervor als
bei Augustiu, der mit demselben gi-rungen hat. Setzt man in der Six'culation des
Victorinus statt „deus" das Wort „natura" ein, so hat man das complete System
des Scotus Erigena. Aber selbst diese Vertauschung ist nicht nüthig; denn nur als
leichte Hülle liegt l)ei Victorinus die kirchliche Terminologie über der neu])latoni-
sehen IdentitUtslehre. flott ist an sich „motus" (nicht mutatio): „moveri ipsum quod
est esse"; aber ohne den Sohn gedacht ist er 6 jrrj <i'>v (Speculation über den vier-
fachen Sinn des jj.-}] eivat, wie bei den späteren Mystikern). Der Sohn ist 6 tov.
Deutlich tritt in der Speculation über das VerhUltniss von Vater und Sohn hervor,
dass der conse(iuente (pautheistische) Neuplatouismus der Lehre von der Homousie
günstig ist. Der Vater, weil die Gottheit moveri ist, befindet sich in einer „semper
generans generatio". So tritt der Sohn aus ihm hervor, „re non tempore posterior."
Der Sohn ist die „potentia actuosa" •, indem der Vater ihn zeugt, „ipse se ipsum
conterminavit". Der Sohn ist also das ewige Object des göttlichen AVillens und der
göttlichen Selbsterkenntniss; er ist die Form und Begrenzung Gottes, des Vaters
eigene Essenz; indem der Vater den Sohn erkennt, erkennt er sich selbst („alteritas
nata"). „In isto sine intellectu temporis, tempore . . . est alteritas nata, cito in
identitatem revenit;" daher die vollkommenste Einheit und absolute Consub-
stanzialität, wenn auch der Sohn subordinirt ist. Den Geist hat Victorinus zuerst als
die copula der Gottheit bezeichnet (s. Augustin) ; er ist es, der den vollkommenen
Zirkel der Gottheit erfüllt: „omnes in alternis exsistentes et semper simul ojjlooüoio'.
divina affectioue, secundum actionem (tantummodo) subsistentiam propriam haben-
tes." Das wird in Speculationen ausgeführt, welche die Themata des grossen Werks
Augustin's de trinitate sind. Die Dreizahl ist schliesslich auch nur scheinbar: „ante
unum quod est in numero, plane simplex". „Ipse quod est esse, subsistit tripliciter".
Tritthier schon für jedes scharfe Auge deutlich hervor, dass der „Sohn" als „potentia
actuosa" die Weltidee ist, so ist das im Weiteren völlig deutlich. Alle Dinge sind
potentiell in Gott, actuell im Sohn; denn „filius festinat in actionem". Die Welt
unterscheidet sich yon Gott wie das Viele von dem Einen, d. h. die Welt ist sub
specie aeternitatis der sich entfaltende und zur Einheit zurückkehrende Gott. Das
Fremde, AVidergöttliche an der AVeit ist lediglich das Nicht-Seiende, die Materie.
Das ist Alles wie bei Proclus, und desshalb wird auch zwar das AVort „creare" bei-
behalten, aber factisch in eine Emanation umgesetzt. Es wird die Unterscheidung
von deus ipse und quae a deo festgehalten ; aber in AVahrheit tritt die AVeit unter
den Gesichtspunkt der sich auswirkenden Gottheit. Ad Justinum 4: „Aliter quideni
quod ipse est, aliter quae ab ipso. Quod ipse est unum est totumque est tpiidiiuid
ipse est; quod vero ab ipso est, innumerum est. Et haec sunt, quibus refletur omne
quod uno toto clauditur et ambitur. Verum quod varia sunt quae ab ipso sunt, qui
a se est et unum est, variis cum convenit dominare. Et ut onniipotens apparet,
contrariorum etiam origo ipse debuit inveuiri." Von diesen „varia" heisst es aber,
dass „insubstantiata sunt omnia ovta in Jesu, hoc est, ev ttbXoY««. Er ist die Einheit
der Natur, also elementum, receptaculum, habitaculum, habitator, locus uaturae. Er
ist das „unum totum", in dem sich das Universum als eine Einheit darstellt. Und
nun folgt der als „Schöpfung" bezeichnete Emanatiousproeess, bei ilessen Schilde-
I
Die Bedeutung des Victorinus für Augustin. 33
die Ufer spiegeln, auf dessen Rücken die Schiffe schwimmen und der
einen ganzen Welttheil segnend durchzieht.
Denn nicht nur die Arbeit jener griechischen Lateiner, sondern
auch die Linie der Vertreter der genuinen abendländischen Theologie
und Ecclesiastik mündet in Augustin ^
rung die christlichen und die ueuplatonischen Stufen verwerthet sind: „deus, Jesus,
Spiritus, voDc, anima (als Weltseele), angeli et deinde corporalia omnia submini-
strata." Auch die Erlösung durch Christus und die Rückkehr aller "Wesen, sofern
sie a deo sind, ad deum ist neuplatonisch gedacht, wie denn auch die Lehre von der
Präexistenz der Seelen und dem vorzeitlichen Fall derselben sich findet. Dielncarna-
tion ist zugestanden, allein doch spiritualisirt, sofern neben der Vorstellung von der
Annahme eines Menschen, die sich einmal findet, doch die andere die herrschende ist,
dass Christusais mit der Menschheit in ihrer Totalität behaftet erscheint: „universalis
caro, universalis anima; in isto omnia universalia erant" (adv. Arian. III, 3). „Quia
corpus ille catholicum ad omnem hominem habuit, omne quod passus est catholicum
fecit; id est ut omnis caro in ipso cruxifixa sit" (ad Philipp, p. 1196. 1221; adv.
Arian. III, 3). Das Interessanteste, weil für Augustin Wichtigste aber ist, 1) dass
Victorinus die Prädestination slehre stark zum Ausdruck bringt — nur dem
Manichäismus gegenüber sieht er sich gezwungen, die AVillensfreiheit aufrecht zu
erhalten — , und 2) dass er, besonders in den Commentaren, auf die Rechtferti-
gung durch den Glauben allein im Gegensatz zu allem Moralismus den
höchsten AVerth legt. Für beides hatte ihm der Neuplatonismus einVerständniss er-
worben, resp. ihn zu einem gewissen Verständniss disponirt; wissen wir doch auch
sonst, dass heidnische Neuplatoniker sich zu Johannes und Paulus, nicht aber zu den
Synoptikern oder Jacobus gezogen fühlten. So schreibt Victorinus: „non omnia restau-
rantur sed quae in Christo sunt" (p. 1245), „quaesalvari possent" (p. 1274), „universos
sed quisequerentur" (p. 1221). IngcheimnissvollerWeise ist eben Christus die gläubige
Menschheit (Kirche) und die gläubige Menschheit die Menschheit ül)erhaupt. Alles
entwickelt sich in strenger Noth wendigkeit; daher ist Victorinus Prädestinatianer,
Die Stellen, in denen sich Victorinus streng paulinisch und so zu sagen antipelagianisch
ausdrückt, hat Gore p.ll37 zusammengestellt; s.ad Gal.3, 22; adPhilipp.3, 9: „non
meam iustitiam" — tunc enim mea est vel nostra, cum moribus nostris iustitiam dei
mereri nos putamus perfectam per mores. At non, inquit, hanc habens iustitiam,
sed quam? Tllam ex fide. Non illam quae ex lege; vae in operibus est et carnali dis-
ciplina, sed hanc quae ex deo procedit „iustitia ex fide"; ad Phil. 4, 9; ad Ephes.
2, 5: „non nostri laboris est, (piod saepe moneo, ut nos salvemus; sed sola fides in
Christum noljis salus est . . . nostrum ])ene iam nihil est nisi solum eredere qui
superavit omnia. Hoc est enim ])lena salvatio, Christum haec vicisse. Fidem in
Christo habere, j)lenani fidem, nullus la})or est, nulhi difficultas, animi tantum voluntas
est , . . iustitia non tantum valet quantum fides ;" ad Ephes. 1, 11 ; 3, 7 ; ad Phil.
2, 13: „fjuia ipsum velle a deo iif)))is o)»cia1ur, fit ut ex deo et Operationen! et
voluntatem halieamuH."
' IlelKM- die (ieHcliiohtc «Icr Kirchenbusso im ()ri<'nt im 4. Jahrhundert ist
nf)ch wenig bfkarint ; aber dass imCJccident der Stoss miijd«M- heftig wirkte, den alle
öffentliclif! kiiehliclie Disciplin durch die schnelh; Ausbreitung des Christenthums
seit Konstantin empfing, glaube ich beliaupten zu dürfen. Hier war das Vertrauen
auf die Kirche grösser, die Verbindung von „sancta ecolenia" und „remissio pecca-
Harnack, Dop^ncngf-üthichi f III. 3
34 r)fi8 abendländische Christentluim vor Augustin.
Augustin hat vor Allem die Werke Cyi:)rian's sehr gründlich
studirt und sich in denselben heimisch gemacht. Cyprian ist auch
ihm der „Heilige", der Kirchenvater >car' £^oyy]v, und seine Beurtheilung
iTer Häresie und der Einheit der Kirche ist von der Cyprian's ab-
hängig. Aber als Bischof unangetastet auf der Grundlage stehend,
die (/yprian geschaft'en hat, hat es Augustin nicht nöthig gehabt, den
Episkoi)alismus so schroff zum Ausdruck zu bringen wie jener, und
mit der Aufhebung eines Schismas sich beschäftigend, welches von dem
novatianischen verschieden war, hat er über die Natur der Schismen
anders urtheilen gelernt als der Bischof, den er wie einen Heros ver-
ehrte '. Beiläufige Bemerkungen zeigen übrigens, dass sich Augustin
mit der Litteratur der novatianischen Controverse vertraut gemacht
und aus ihr für seinen Kirchenbegriff gelernt hat. Einiges, w^as er
citirt, besitzen wir nicht mehr (so das Werk des Beticius gegen die
Novatianer) ^. Was uns aus dieser Litteratur erhalten ist (Pseudo-
Cyprian, Pacianus c. Novat.), beweist, dass die abendländische Kirche
torum" straffer („credo remissionem peccatorum per sanctam ecclesiam : Symbol.
Carthag,"), die Empfindung der Sünde als Schuld, welche durch öffentliches Be-
kenntniss und satisfactio zu sühnen sei, lebendiger. Woher das gekommen ist, ist
schwer zu sagen. Man hat im Orient, wie es scheint, den Wirkungen des Cultus als
Gesammtinstitution und andererseits der stillen Selbsterziehung durch Gebet und
Askese grösseres Gewicht beigelegt, während man im Occident mehr die Empfin-
dung hatte, in religiösen Rechtsverhältnissen zu stehen, in denen man der Kirche
verantwortlich sei, aber auch von ihr sacramentale und precatorische Hülfeleistung
in individueller Anwendung zu erwarten habe. Das Individuum und die
Kirche standen sich somit im Abendland näher, als im Morgenland. Desshalb be-
hauptete die kirchliche Busse dort eine viel grössere Bedeutung als hier. Man kann
diese Bedeutung an den AVerken der Afrikaner einerseits, des Anibrosius anderer-
seits studiren. Sie haben sonst wenig mit einander gemeinsam; aber in der Be-
trachtung der Busse stimmen sie zusammen (s. Ambros., de paenitentia). Die Buss-
praxis hat nun bekanntlich im Abendland in steigendem INIasse Einfluss auf alle
Verhältnisse des Kirchenwesens und der Theologie gewonnen, so dass man schliess-
lich den ganzen al)endländischen Katholicismus des INIittelalters und der Neuzeit
von hier aus zu construiren vermag und die feinen Wirkungen der Busstheorie bis
in die entferntesten Dogmen verfolgen kann. Den entscheidenden Aufschwung in
dieser Entwickelung bezeichnet aber wiederum Augustin. Bei ihm beginnt derPro-
cess, durch den das, was längst in der Kirche lebte, in die Theorie erhoben wurde.
Freilich hat Augustin wenig Formeln geschaffen und sogar nicht einmal von einem
Sacrament der Busse gesprochen; aber theils hat er deutlich genug die Sache zum
Ausdruck gebracht, theils hat er, wo er die Conseciuenzen der Busspraxis für die
Theorie selbst noch nicht gezogen hat, so auffallende Lücken gelassen (s. die
Christologie), dass dieselben durch geräuschlose Bemühungen, als könnte es nicht
anders sein, in der Folgezeit geschlossen wurden.
» S. Reuter, August. Studien S. 232 If. 355.
'^ Lib. I f, Julian. 3. Op. iniperf. c. Jul. T, 55. Hieron. ilc vir. inl. 82.
II
Der Donatismus, 35
durch den Gegensatz gegen die Novatianer im Laufe des 4. Jahr-
hunderts fort und fort solHcitirt worden ist, über das Wesen der Kirche
nachzudenken ^
Aber auch in den donatis tischen Kampf ist Augustin als ein
Mann der zweiten, ja der dritten Generation eingetreten und genoss
daher den grossen Vortheil, über ein bereits gesammeltes Capital von
Anschauungen und Ideen zu verfügen. Hier hat ihm vor Allem Op-
t a t u s vorgearbeitet ^ .
Die Entstehungsgeschichte des Donatismus gehört nicht liierher ;
denn die Ursprünge des Streites wurzeln nicht in einer dogmatischen
Controverse ^. Cäcilian's Vorgehen gegen die übertriebene Märtjrer-
verehrung; welche die Ordnung in der Kirche störte und die Kirche in
Gefahr iDrachte, gab den ersten Anlass. Mit den unzufriedenen und
aufsässigen Enthusiasten, bei denen Cäcilian schon als Diakon miss-
liebig gewesen war, scheinen Kleriker gemeinsame Sache gemacht zu
haben, welche eine starke bischöfliche Gewalt nicht wünschten. Jeden-
falls ist ein principielles Moment nicht sofort in dem Streit aufgetaucht.
Aber bald stellte es sich ein, und zwar lässt sich nicht verkennen, dass
man Cyprian ^vider Cyprian ausspielte^. Die donatistische Partei —
zugleich, wie es scheint, die afrikanische Nationalpartei — fand in der
cyprianischen Auffassung, dass der Bischof nur Bischof sei unter Vor-
aussetzung einer gewissen christlich sittlichen Qualität, sowie in dessen
Vertheidigung der Ketzertaufe einen Halt, während die Gegenpartei,
ebenfalls in der Consequenz cyprianischer Gedanken, den Amts-
cliarakter des Episkopats und die o bj ec tive Wirksamkeit des Sacra-
ments so geltend machte, dass die persönliche Qualität des Amtsträgers
resp. des Spenders gleichgiltig wurde ^. Es mag sein, dass jene IMär-
* Aus Pacian's op. T ad Scmpron. stammt dor l)orülimto Satz: „Christiamis
mihi nomen est, catholicus cognomen."
^ Aug. adv. Farmen. I, 3: „vcneraliilis memoriae Milevitanus episcopus eatho-
licae communioiiis Optatus." Fulgontius stellt den Optatus neben Ambrosius und
Augustin.
" S. Deutseh, Drei Actenstüeke z. Gesch. des Donatismus. 1875. S. 40 f.
V öl ter, Der Ursprung des Donatismus. 1882. Harnae k, Theol Lit.-Ztg. 1884
Xr. 4; anders Reuter, a. a, O. 8. 234 (T., dessen Widerspruch indessen z. Tli. auf
einem Missverständniss meiner Ansicht beruht, Seeck, Ztschr. für K.-(-iresch. X, 4.
-• 8. hd. I 8. 372 ff.
^ Diese Afrikaner geben somit die Haltung in der Kctzcrtauffragc auf, welche
Cyprian eingenommen hatte-, s. den 8. Kan. von Arles (J. 316): „De Afris, quod
proj)rialege sua utuntur, ut reba])tizont, placuit, ut si ad ecclesiam aliquis de haeresi
venerii, interrogent cum symbohnn; et si ])erviderint cum in jjatre et filio et
Bpiritu sancto esse l)aptizatum, manus ei tantum imponatur ut accipiat spiritum
«anctum, Quod «i interrogatus non responderit haue trinitatem, baptizetur." Kan.
3*
36 l^iT'S al)on(lliiiulischo Ohristonthnm vor Augustin.
tyrer und Keliquien verehrenden Enthusiasten in Karthago von Anfang
an eine Hinneigung zu der Auffassung besassen, die (Jyprian einst gegen
(kUxt und seine Nachfolger festgehalten liatte, dass sie somit ein Mass
von activer, persönlicher Heiligkeit für die Bischöfe verlangten, welches
innerhalb der grossen Kirche und unter den verwüstenden Stürmen der
letzten Verfolgung nicht mehr aufrecht zu erhalten war; allein nach-
weisbar ist es nicht. Dagegen ist es unwidersprechlich, dass sich seit
der Synode von Arles die Oontroverse so zugespitzt hat, dass sie als
das letzte Glied in der Reihe der grossen Erscheinungen (Enkratiten,
Montanisten, Anhänger Hii)polyt's, Novatianer) aufgefasst werden muss,
in denen sich die Christenheit wider die VerweltHchung sträubte, die
ihr dadurch auferlegt wurde, dass das Attribut der Heiligkeit und so-
mit die AVahrheit der Kirche von den Personen auf die Instituti-
onen (Amt und Mysterien) rückte \ weil man sonst an der Christlich-
13: „De his, qui scripturas s, tradidisse dicuntur vel vasa dominica vel nomina
tVatruni suorum, placuit nobis, ut quicum([ue eorum ex actis publicis fuerit deteotus,
uon verbis iiudis, ab ordine cleri amoveatur. Nani si iideni aliquos ordinasse fuerint
deprehensi et hi quos ordinaverunt rationales (tüchtig? fähig?) subsistunt, non
illis obsit ordinatio" (das ist der entscheidende Satz; auch eine Ordination
durch einen Traditor soll giltig sein).
' Aelmliche Krisen wie die donatistischo sind auch anderswo, so in Rom und
Alexandrien — am Anfang des 4. Jahrhunderts vorgekommen; aber wir sind ganz
ungenügend über sie unterrichtet ; s. Lipsius, Chronologie der römischen Bischöfe
S. 250ff., wo die damasianischen Epitaphe auf Marcellus und Ensebius abgedruckt
sind, und die Stelle im liber praedest. c. 16 über Herakleon (der in AVahrheit
Heraklius ist) mit Recht verglichen ist, Heraklius scheint die Ansicht von der
„Objectivität" und Kraft der Sacramente (.T.T, 307 — 309) bereits so übertrieben zu
haben, dass er alle Sünden der Getauften für „lässliche" erklärte und eine schwere
öftentliche Busse für unnöthig hielt. Daher heisst es von ihm „Christus in pace
negavit" und „vetuit lapsos peccata dolere" ; genauer im lib. praedest. : „baptizatum
hominem sive iustum sive peccatorem loco sancti computari docebat nihilque
obesse baptizatis peccata memorabat, diceus, sicut non in se recipit natura ignis
gelu, i t a b a p t i z a t u s non in s e recipit p e c c a t u m. Sicut enim ignis resolvit
aspectu suo nives quantaecunque iuxta siut, sie semel baptizatus non recipit pecca-
torum reatum, etiam quantavis fuerint operibus eins peccata permixta." Hier
kann man wahrlich die Continuität des abendländischen Christenthums studiren ! AVie
oft ist dieser Gedanke bis ins 19. Jahrhundert hinein und zwar gerade auch auf
evangelischem Boden aufgetaucht. Bezeichnet er doch geradezu das „verborgene
Gift", welches von der heilsamen Arznei des evangelischen Trostes so schwer zu
unterscheiden ist. Es ist aber sehr beachtenswert!!, dass zuerst in Rom diese Wen
düng in der Vorstellung über die gimstige Lage des Christen nachweisbar ist. Die
Entwickelungen sind dort, wie auch Calixt's Massnahmen zeigen, stets um weitesten
fortgeschritten gewesen. Doch ist diese, nachdem sich ein Schisma in der Gemeinde
erhoben hatte, abgelelmt worden, und das ist wohl verständlich ; denn abgesehen
von der verwüstenden Leichtfertigkeit, die sich bei dieser Betrachtung eingestellt
Der Donatismus. 37
keit der Kirche als Katholik hatte verzweifeln müssen. Die Donatisten
leugneten die Giltigkeit einer von einem Traditor gespendeten Ordi-
nation und desshalb auch die Giltigkeit der Sacramente, die ein von
einem Traditor geweihter Bischof vollzog. Als letzter Rest aus
einer einst viel ernsteren Auffassung wird hier ein Mini-
mum persönlicher Würdigkeit nur des Klerikers verlangt
und in den Begriff der Kirche selbst aufgenommen: sie ist
nicht mehr die christhche^ wenn dieses Minimum fehlt, wenn nicht der
Kleriker — vom Laien ist nicht mehr die Bede — frei ist von jeder
götzendienerischen Befleckung. Gegenüber dem Mass von Ueberein-
stimmung, welches z^^dschen Katholiken und Donatisten herrschte, er-
scheint die Sonderthese der Letzteren w^ie ein Eigensinn, und gewiss
hat sich auch viel Rechthaberei, persönliche Unzufriedenheit und Un-
fügsamkeit hinter derselben verborgen. Allein die principielle Seite
darf doch hier so wenig übersehen werden wie bei dem Novatianismus.
Immer wiederholt sich in der Geschichte geistiger Kämpfe die Legende
von den sibylhnischen Büchern. Der Rest, den man der Verbrennung
entzogen hat, steht so hoch im Preise wie die ganze Sammlung. Und
welchen Preis hat die Kirche gezahlt, um sich den Mahnungen der
Separatisten zu entziehen! Die novatianische Krisis (nach der decia-
nischen Verfolgung) hat ihr das Busssacrament abgelockt und damit
überhaupt den Anstoss gegeben, an die Stelle des sündentilgenden
Sacraments ein System von Sacramenten zu setzen (die formelle Fest-
stellung des neuen Sacraments Hess freilich noch lange auf sich warten).
Die donatistische Krisis (nach der diocletianischen Verfolgung) hat
sie gelehrt, die Ordination im Sinne der Ertheilung eines character in-
delebilis zu würdigen und die „Objectivitiit" der Sacramente streng zu
fassen oder — um einen deutlicheren Ausdruck zu brauchen — die
hätte, welch' eine Bedeutung konnte dem riie^t erstände veibleiben, wenn jeder
Getaufte ohne weiteres, wenn er nur wollte, sich auch nach der schwersten Sünde
als ein Glied der Gemeinde fühlen undbethätigen durfte? Dass Heraklius auf Grund
der paulinischon Erkenntniss von der Taufe und vom Glauben, der Christum er-
greift, seine kirchliche Haltung ausgebildet hat, ist nicht sehr wahrscheinlich. "Wäre
es so zu verstehen, so wäre (!r J^utherus ante Luthcruin; es ist wohl daran zu denken,
dass er in der Taufe einen Gharakter in magischer Wcdse mitgetheilt sah, wie man
sich das von gewissen heidnischen Mysterien vorstellte. — In der nieletianischen
Sjoaltung in Aegyi)tcn wirkte die V(;rschiedenh('it d(*-r (irundsiit/e über die Wicider-
aufnahnie der Gelallenen mit einer Oj)i)osition gegen die monarchische Stellung des
alexandrinischcn J^ischofs zusammen. Der Streit, der somit an den donatistischen
erinnert (vgl. ISrelctius und die späteren Donatisten; doch ist die Einschränkung
der ganzen Fnigr; auf di(! Bisch öfe dein Donatismus eigenihünilich), wurde bald
ein kirchenpolitischer und j)ersönlicher •, s. Walch, Ketzeihistorie Bd. IV und
M öl 1 er in Herzog's R.-E. DC S. 534 IV.
38 Das abendläudische Christentimm vor Au»ustin.
Kirche primär als ein Institut anzusehen, dessen Heiligkeit und Wahr-
heit unverlierbar ist, mag es mit den Gliedern der Kirche noch so traurig
bestellt sein.
In diesem Gedanken ist der Katholici smus erst vol-
lendet. Von hier aus erklärt sich seine spätere Geschichte bis heute,
soweit sie nicht Geschichte der Frömmigkeit, sondern der Kirche, der
Hierarchie, der Sacramentsmagie und der tides iniplicita ist. Aber nur
im Abendland ist der Gedanke zu reflectirter, scharfer Ausprägung ge-
kommen. Im IVforgenland ist er, weil er unvermeidlich war, auch durch-
gedrungen, aber so zu sagen als ein Unbewusstes. Das war kein Vor-
theil; denn eben weil man ihn im Abendland scharf durchdacht hat,
besann man sich auch immer wieder auf Cautelen oder auf eine Fassung,
in der man ihn mit dem lebendigen Glauben und mit den Forderungen
eines heiligen Lebens zu versöhnen vermochte. Schon Augustin, der
ihn bestinnnt und reich ausgeprägt hat, hat darnach getrachtet, das
christliche Gewissen mit ihm zu versöhnen. Aber er war nicht der
Erste, der ihn vorgetragen hat; er hat ihn vielmehr schon überliefert er-
halten. Der erste Vertreter der neuen Auffassung, den wir kennen und
den auch Augustin gekannt hat, war Optatus.
Die Schrift des Optatus de schismate Donatistarum ist im Interesse
der Versöhnung geschrieben und desshalb so freundlich und entgegen-
kommend wie möglich gehalten. Dadurch sind freilich heftige Angriffe
im Einzelnen und namentlich höchst beleidigende allegorische Deutungen
von Schriftstellen nicht ausgeschlossen ^ Aber der Verfasser erinnert
sich immer wieder daran, dass seine Gegner im Grunde christliche Brüder
seien (IV, 1. 2), die sich von der Kirche in Hochmuth getrennt hätten
und nur das nicht anerkennen w^ollen, w^as man ihnen mit Freuden ent-
gegenträgt, die kircliliclie Gemeinschaft. Gleich im Anfange der übri-
gens schlecht disponirten, weil auf eine Schrift des Donatisten Parme-
nian Punkt für Punkt replicirenden Schrift w^eist Optatus (I, 10 sq.) —
von Cyprian abw^eichend — den principiellen Unterschied
zwischen Häretikern und Schismatikern auf und hält diesen Unterschied,
den schon Irenäus gemacht hat, bis zum Ende seiner Darstellung
streng fest •^. Die Häretiker sind „desertores vel falsatores symboli'-
(I, 10. 12; II, 8), also keine Christen; die Donatisten sind aufrührerische
Christen. Da die Delinition gilt (I, 11): „Catholicam (seil, ecclesiam)
facit simplex et verus intellectus in lege (seil, duobus testamentis), sin-
gulare ac verissinium sacramentum et unitas animorum", so fehlt den
* Auch hat Optatus theils Fälschungen benutzt, theils selbst, wie es scheint,
gelogen: 8. See ck, a. a. O. S. 549 — 567.
'^ Parmeniau leugnete diesen Unterschied.
Die Bedeutung des Optatus. 39
Donatisten nur das letzte Stück, um wahrhaft kathohsche Christen zu
sein. Die Häretiker haben „varia et falsa baptismata", kein legitimes
Schlüsselamt , keinen wahren Gottesdienst ; „vobis vero schismaticis
quamvis in catholica non sitis, haec negari non possunt \ quia nobiscum
Vera et communa sacramenta traxistis" (I, 12). Daher heisst es auch
III, 9 : „Nobis et vobis ecclesiastica una est conversatio, et si hominum
litigant mentes, non litigant sacramenta. Denique possumus et nos di-
cere: pares credimus et uno sigillo signati sumus, nee aliter baptizati
quam vos*, nee aliter ordinati quam vos. Testamentum divinum legimus
pariter: unum deum rogamus. Oratio dominica apud nos et apud vos
una est, sed scissura facta partibus hiuc atque inde pendentibus sartura
fuerat necessaria." Und sehr geistreich (III, 10) auf Grund einer Stelle
im Ezechiel: „Ihr baut nicht ein schützendes Haus, wie die katho-
lische Kirche es ist, sondern lediglich eine Mau er; paries nee lapidem
angularem sustinet et ianuam sine causa habet nee inclusa custodit,
pluvia undatur, tempestatibus caeditur nee potest arcere latronem.
Paries de domo est, sed domus non est. Et pars vestra quasi eccle-
sia est, sed catholica non est." Y, 1: „Pro utrisque illud est, quod
et nobis et vobis commune est : ideo et vobis, quia ex nobis exis-
tis (das ist der berühmte Satz, der auch heute noch in der katholischen
Kirche gilt). Deni(|ue et apud vos et apud nos una est ecclesiastica
conversatio, communes lectiones, eadem fides, ipsa fidei sacramenta,
eadem mysteria." Allerdings ist auch nach Optatus schliesslicli der Be-
sitz der Schismatiker ein fruchtloser, weil ihr Verbrechen ein besonders
gravirendes ist. Sie sind eben doch nur eine „quasi ecclesia". Denn
Merkmal der einen wahren und heiligen Kirche ist 1) nicht die Heilig-
keit der Personen, sondern ledighch der Besitz der Sacramente (II, 1 :
„Ecclesia una est, cuius sanctitas de sacramentis colligitur,
non de superbia personarum ponderatur. Haec apud omnes
haereticos et schismaticos esse non potest; restat ut unoloco sit"), und
ist 2) die räumhclie Kathohcität nacli der Vcrheissung: Ich will Dir
die Heiden zum Erbe geben und der AVclt Enden zum Eigenthum
(II, 1: „Ubi ergo proprietas catliolici nomiiiis, cum inde dicta sit catho-
lica, quod sit rational)ilis et ubique diffusa" V) '-. Das erste Merkmal
* Das liättc Cyi)rian nie zii^rc-standoii, der violmchr dem Novatianismus uach-
wics (ep. 09), das8 er wie die anderen Häresien das Syndjol verlet/e, indem er das
Stück „rernissio pcccatorum" nicht voll gelten lasse, und der alle nicht innerhalb
der katholisclicn Kirche Getauften wiederzutaufen bc^fald. Cyprian hatte die Con-
serjuen/- des katholischen Dogmas von der Kirche für sich; aber da diese Oonse-
fjucDZ der Ausbreitung und Machtentfaltung der Kirche schädlich war, wies man sie
mit richtigem lustinct in Rom, und 8i)äter auch in Afrika, ab.
■^ Vgl. 1. c. : „Ecclesiam tu, frater Parmenianc, ajmd vos solos esse dixisti; nisi
40 Das abendländische Christenthum vor Augustin.
kommt in seiner negativen und exclusiven Redeiitiing bei Optatus noch
nicht zur Klarheit, ja man könnte ihm hier leicht einen Selbstwiderspruch
nachweisen; um so wichtigen* ist ihm das zweite ', da die Donatisten nur
in Afrika (und durch einige Auswanderer in llom) Boden getasst haben.
In beiden hat er Augustin's Lehre von der Kirche und den Sacramenten
vorbereitet, in der der Gedanke des Optatus allerdings vergeistigt ist.
Wie die „sanctitas sacramentorum" zu verstehen ist, das liat Optatus
selbst am Taufsacrament (V, 1 — 8) gezeigt. Zur Taufe gehören drei
Stücke: die handelnde hl. Trinität („confertur a trinitate"), der Gläu-
bige („fides c reden tis") und der Spender. Diese drei Stücke sind
aber nicht gleichwerthig ; vielmehr gehören nur die beiden ersten zum
dogmatischen Begriff der Taufe („duas enim video necessarias et unam
quasi necessariam") ^; denn die Taufenden sind nicht „domini'^, son-
dern „operarii vel ministri baptismi". Sie sind nur dienende und
wechselnde Organe, tragen also zum Begriff und Effect der Taufe nichts
bei; denn: „dei est mundare per sacramentum". Ist aber das Sacra-
ment unabhängig von dem, der es zufällig spendet, weil die Hand-
lung sich ledighch die immer gleiche Trinität und den immer gleichen
Glauben voraussetzt ^, so kann es durch den Spender in seinem Wesen
nicht alterirt werden (V, 4: „sacramenta per sc esse sancta, non per
forte quia vobis specialem sauctitatcm de superbia vindicarc contenditis, ut,
iibi vultis, ibi sit ecclesia, et non sit, ubi non vultis. Ergo ut in particula Africac, in
angulo parvae regionis, apiid vos esse possit, apnd nos in alia parte Africae non
erit ?"
* Im Zusammenhang mit der räumlichen Katholici tat der Kirche behan-
delt Optatus stets das Prädicat der Einheit der Kirche. Hier ist er von Cyprian
abhängig; s. ausser den Ausführungen im 2. Buch auch die im 7.: „ex persona
beatissimi Petri forma unitatis retineudae vel faoiendae descripta recitatur" ; s. c. o :
„malum est contra interdictum aliquid facere ; sed peius est, unitatem non habere,
cum possis . . ." „Bono unitatis sepelienda esse peccata hinc iutellegi datur, quod
b. Paulus apostolus dicat, caritatcm posse obstruere multitudinem peccatorum"'
(hier also die Identificiruug von unitas und Caritas) .... „Haec omnia Paulus vi-
derat in apostolis ceteris, qui bono unitatis per caritatem nolueruut a communione
Petri recedere, eins seil, qui negaverat Christum. Quod si maior esset amor iuno-
centiae, (piam utilitas pacis unitatis, dicerent se nun debere conmiunicare Petro, (pii
negaverat magistrum." Das ist ein gefährlicher Grundgedanke des Katholicisnuis
auch heute noch.
'^ Man beachte, dass sich die in der späteren Dogmatik des Katholicisnuis
so bedeutungsvollen, mit „ quasi ** zusammengesetzten Termini schon bei Optatus
finden.
* Hier steht sogar folgender Satz (V, 7): „Ne quis putaret, in solis apostolis
aut episcopis spem suam esse ponendam, sie Paulus ait: »Quid est enim Paulus vel
quid Apollo? Utique ministri eins, in quem credidistis. Est ergo in universis ser-
vientibus non dominium, sed ministcrium."
Die Bedeutung des Optatus. 41
homines"). Das ist der berühmte Satz von der Objectivität der Sacra-
mente, der für die Ausbildung der abendländischen Kirchendogmatik
so fundamental geworden ist, obgleich er in der römischen Kirche
nie völlig rein durchgeführt werden konnte, weil er sonst die Präro-
gativen des Klerus vernichtet hätte. Es ist aber zu beachten, dass
Optatus die sanctitas sacramentorum nur für die fides credentis wirk-
sam werden lässt und sich in dieser Hinsicht über die ausschliess-
liche Bedeutung des Glaubens gegenüber allen Tugenden vöUig klar
ist. Auch hier hat er durch die Hervorhebung der Souveränetät der
fides die zukünftige Theologie des Abendlandes vorbereitet '. Um so
anstössiger ist es, dass doch auch dem Optatus die ganze Reflexion
dazu dient, die Ansprüche an das Leben der Glieder der Kirche
herabsetzen zu können. Die katholische Lehre von den Sacramenten
hat, das sieht man deutlich, ihre Wurzeln in dem Interesse, die Heilig-
keit und so die Wahrheit der Kirche trotz der ünheihgkeit der kirch-
lichen Christen aufzuweisen. Bei diesem Bestreben gerieth man
aber merkwürdigerweise auf eine evangelische Spur. Man
erinnerte sich, da man die active sanctitas nicht aufzuweisen vermochte,
des Glaubens und seiner Bedeutung. Eine grosse Krisis, eine Ver-
legenheit, in der sich die kathohsche Kirche mit ihrer Lehre von
der Taufe, der Tugend und dem Heil angesichts der factischen Zu-
stände befand, hat sie auf die promissio dei und auf die fides auf-
merksam gemacht. So i st die segensreichste, fol genschwerste
Umbildung, welche das abendländische Christenthum vor
Luther erlebt hat, aus einer Zwangslage und aus der Noth
entstanden. Aber sie wäre nie zum Durchbruch gekommen, wenn
sie sich nicht durch die inneren Erlebnisse, die ein katholischer Christ,
Augustin, erfahren, aus einer abgenöthigten Theorie in ein freudiges
und gewisses Bekeimtniss verwandelt hätte.
Durch Parmenian ist Optatus veranlasst worden, gewisse „dotes"
' Hier finden sich uanientlich in V, 7. 8 sehr bcdeutcüde, Augustin anticipi-
rende Ausführungen. „Ad gratiani dei i)ertinc't (jui credit, non ille, pro cuius volun-
tate, ut dicilis, sanctitas vcstra succedit.'*- - „Xonien trinitatis est, (juod sanctificat,
non opus (operantis)." — „Restat iam de credentis nierito alicjuid dicere, cmius
est fides, quam filius dei et sauctitati suac anteposuit et majestati ; non enim po-
testis sanctiores esse, quam Cliristus est." Folgt die Gescliiclitc vom kananäischen
Weib mit der merkwürdigen Nutzanwendung: „et ut osteiuleret lilius dei, so va-
casse, f'idem tantummodo op erat am esse: vade, inquit, mulier in pace>
'idcs tua te salvavit." Ebenso wird an den Cileschichten des Hauptmanns von Ka-
pernaum und des Ijlutflüssigen Weibes die iides hervorgehoben, die Alles bewirkt
habe. „Nee mulier petiit, nee Christus jjromisit, sed fides tantum quantum prae-
sumpftit, exegit."
42 I^as abeuilläiidif-che Christentbum vor Aiigustin.
der Kirche aufzuzählen, cl. h. die wesentlichen Stücke ihres Besitzes.
Parnienian hatte sechs gezählt, Optatus zählt fünl": 1) cathedra, 2) an-
gelus, 3) si)iritus, 4) fons, 5) sigilhini (symholuni). Die Aufzählung
ist eine so ungeschickte, dass man die Anpassung an die Formel des
Gegners nur hedauern kann. Aher wir erfahren wenigstens auf diese
Weise, dass die cyprianische ideale Anschauung von der in der ca-
thedra Petri repräsentirten Einheit des Episkopats in Afrika recipirt
und arglos cultivirt worden ist. „Olaves solus Petrus accepit" (I, 10. 12).
„Negare non potes, scire te in urbe Roma Petro primum cathedram
episcopalem esse collatam, in qua sederit onniium apostolorum caput
Petrus, unde et Cephas ai)pellatus est, i)i qua una cathedra unitas
ab Omnibus servaretur, ne ceteri apostoli singulas sibi quisque defen-
derent, ut iam schismaticus et peccator esset, qui contra singularem
cathedram alteram collocaret" (II, 2). Der Zusammenhang mit der
cathedra Petri ist nicht nur für Optatus, sondern auch für seinen
Gegner (II, 4) von entscheidender Bedeutung, der sich desshalb dar-
auf berufen hat, dass auch die Donatisten in Rom einen Bischof be-
sässen. Optatus betont übrigens bei der Besprechung des zweiten
Stücks (angelus = rechtmässiger Bischof der Localgemeinde, Avährend
die cathedra die ökumenische Einheit verbürgt) den Zusammenhang
der katholisch-afrikanischen Kirchen mit den orientalischen und vor
Allem mit der septiformis ecclesia Asiae (Apoc. 2, 3) fast ebenso
stark, wie den mit der römischen Kirche (II, 6 ; VI, 3). Seine Aus-
führungen über Spiritus \ fons, sigillum sind ohne besonderes Interesse
(II, 7 — 9). Dagegen ist es wichtig, dass er die Betrachtung der do-
tes ecclesiae (II, 10) ausdrücklich zurückstellt hinter die Constatirung
der sancta membra ac viscera ecclesiae, von welchen Parnienian
geschwiegen hatte. Diese bestehen in den Sacramenten und in den
Namen der Trhiität („cui concurrit tides credentium et professio").
Damit lenkt er in die ihm natürliche und bedeutungsvolle Betrachtungs-
weise zurück ■^.
^ Der Donatist hatte gesagt (II, 5) : „Nam iu illa (cathülica) ecclesia quis Spi-
ritus esse potest, nisi qui pariat filios geheunac?'' Das ist das echte Bekenutuiss der
Separatisten.
"^ Zur Charakteristik des abeudländischeu Christeuthunis vor Augustin seien
Jiier einige Einzelheiten aus dem Werk des Optatus hervorgehoben. Er nennt die
beiden Testamente regelmässig „lex" ; er beurtheilt alle dogmatischen Erschei-
nungen nach dem symbolum apostolicum, in welchem er die Trinitätslehre tiudet,
die er für das Hauptbekenntniss hält, ohne dessludb das Nicäuum zu erwähnen ; ei'
bekennt „i)er carnem Christi deo reconciliatus est mundus'' (I, 10); er erklärt
(VI, 1): „quid est altare, nisi sedes et corporis et sanguinis Christi, cuins illic per
certamomenta corpus et sanguis habitabat?" Er spricht vom reatus peeeati
Optatus. Die Bedeutung des Ambrosius. 43
Hat Optatus die Lehren Aiigiistin's über die Sacramente, den
Glauben und die Kirche vorbereitet, so Ambrosius die über die Sünde^
die Gnade und den Glauben. Wir haben ihn oben in seiner Bedeutung
als Griechenschüler für Augustin zu würdigen versucht*, hier haben
wir ihn als Abendländer zu betrachtend Allem zuvor ist aber
der Bischof; nicht der Theologe ins Auge zu fassen. An dem könig-
hchen Priester ist dem Augustin die Autorität und Majestät der
kathohschen Kirche aufgegangen. Nur ein römischer Bischof —
sass er auch nicht auf dem römischen Stuhl — konnte ihn die lehren,
und vielleicht wäre das grosse Werk de civitate dei nie geschrieben
worden, ohne den Eindruck, den Augustin von Ambrosius davon ge-
tragen hat; denn grosse gescliichtliche Conceptionen entstehen ent-
weder aus dem hinreissenden Eindruck grosser Persönlichkeiten oder
aus politischer Thatkraft ; diese aber hat Augustin niemals besessen.
An Ambrosius dagegen, dem priesterlichen Keichskanzler, muss ihm
das Imperium der katholisclien Kirche aufgegangen sein '^, und die
Erfahrungen der Verworrenheit und Schwäche der staatlichen Gewalt
am Anfang des 5. Jahrhunderts vollendeten diesen Eindruck. Daneben
kommen die Predigten des Ambrosius in Betracht ^. Sind sie auch
nach der einen Seite ganz von griechischen Mustern abhängig, so
zeigen sie doch andererseits in ihrer praktischen Haltung den Geist
des Abendlandes. Das „docere, ilecterc, movere", welches Augustin
vom Prediger verlangt, ist wie aus den Predigten des Ambrosius abs-
trahirt. Trotz der AV eltflucht und der Yirginität, die auch er haupt-
und vom meritum fidci ; die Unterscheidung von praccepta und consilia hat er
(VI, 4) in seiner Erklärung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter bestimmt
ausgesprochen. Der Wirth im Gleichniss sei Paulus, die beiden Denare die beiden
Testamente, die weitere vielleicht noch uöthigc Summe seien die consilia. Den
Stand des soteriologischen Dogmas in seiner Zeit hat er durch die Ausführung
(II, 20) bezeichnet : „Est Christiani hominis, quod bonum est velle et in eo quod
bene voluerit, currere ; sed homini non est datum pcrficere, ut post spatia, quac
debet homo implerc, restet aliquid deo, ubi dcficienti succurrat, quia ipse solus est
porfectio et i)erfectus solus dei filius Christus; caetcri omnes sem i-perfccti
sumus," Hier erkennt man die grosse Aufgabe, die Auguslin's wartete. Aber auch
in kirchenpolitischer Beziehung verräth sich Optatus als ein Epigone der konstan-
tinischen Zeit, nicht als ein Vorläufer der augustinischen, s. seine These gegenüber
der Staatsfeindlichkeit der Donatisten (HI, 3) : „Non respublica est in ecclcsia, sed
ecclesia in rcpiiblica est, id est in imjjcrio Romano."
' In dieser Beziehung nimmt Am])ro8ius eine isolirte Stellung ein-, so ist es
z. B. charakteristisch, dass er Cyprian's Werke nicht gelesen zu haben scheint.
^ Ich drücke mich absieht lieh so aus; denn in Wörtern hat Ambrosius nienuils
die empirische, hierarchische Kirche in den Vordergrund geschoben.
" S, die Nach Weisungen von Förster, a. a. O. S. 218 ff.
44 Da^s abcudländiRche Christentbiim vor Augustin.
sächlich predigt, ist er docli iiiniier wieder jiuf alle concreten Ver-
hältnisse der Zeit und iiwi' die sittlichen Bedürfnisse der Gemeinde
eingegangen '. So stellt sich in Anihrosius die innige Verkniij)fung
des weltlUichtigen Ideals mit dem kräftigen Dringen auf positive Sitt-
lichkeit dar, eine Verknüpfung, die der mittelalterlich-ahendländischen
Kirche nie verloren gegangen ist, so sehr auch das contemplative
Leben dem thätigen übergeordnet wurde.
In Ambrosius' Ijehre von der Sünde und Gnade kreuzen sich drei
verschiedene Betrachtungswiüsen. Erstlich ist er von der speculativen,
das Böse als ein Nichtseiendes, aber zugleich als ein Nothwendiges
betrachtenden Auffassung der Griechen abhängig gewesen'-^; zweitens
zeigt er sehr starke Einflüsse seitens der stoisch- ciceronianischen Po-
pularmoral ^, die bei gebildeten abendländischen Christen sehr ver-
breitet war und im Pelagianisnnis durch Verbindung mit der mön-
chischen IMoral die für die Dogmatik des Abendlandes entscheidende
Krisis heraufgeführt hat; drittens endlich hat er jene tertullianische
Betrachtung von dem radicalen Bösen und dem Schuld Charakter
der Sünde kräftig weiter geführt, welche durch i^ugustin zur funda-
mentalen erhoben worden ist. Das Böse ist radical und wur-
zelt doch nicht in der Sinnlichkeit, sondern in der
„superbia animi"; es entspringt aus der Freiheit und ist
doch eine sich in der Menschheit fortpflanzende Macht.
Das, w^as die Griechen als ein mehr oder weniger zufälliges Product
der Umstände ansahen, den allgemeinen sündigen Zustand, hat
Ambrosius als entscheidende Thatsache zum Ausgangspunkt seines
Denkens gemacht und bestimmter als irgend ein Lehrer vor ihm
— den Ambrosiaster ausgenommen ~ auf den Fall Adams zurück-
geführt*. Es finden sich in dieser Hinsicht bei ihm Stellen, die den be-
^ S. aus älterer Zeit die. Instriictiüiien Commodian's. Ambrosius ist kein
solcher Patron des Mönchthums wie Hieronynius.
'' S. oben S. 29.
^ S. Ewald, Der Einfluss der stoisch-ciceroniauischen Moral auf die Darstel-
lung der Ethik bei Ambrosius. 1881. Die Schrift de oi'liciis zeigt bei aller äusser-
lichen Einstimmigkeit doch nur ein starkes Schwanken zwischen der Tugend als dem
höchsten Gut (in stoischem Sinn) und dem ewigen Leben, welch' letzteres übrigens
nicht in christlichem Sinn gefasst ist. Sowohl der antike Moralismus als selbst der
eudämonistische Zug der alten IMoralphilosophie regieren das Buch, in welchem
schliesslich der „wahre AVeise" doch am deutlichsten hervortritt. Unter solchen
Umständen ist die Unterscheidung von praecepta und consilia, an sich der evan-
gelischen Moral so gefährlich, ein Vorzug-, denn in der Form der consilia treten
specitisch christliche Tugenden hervor.
' Auch Hilarius redet vom vitium originis.
Ambro sius. 45
rühmten augustinisclien in nichts nachstehen '. Allein so wichtig die
Wendung ist, dass nicht mehr primär auf die Folgen der Sünde, auch
nicht auf den einzelnen sündigen Act, sondern auf den sündigen Z u-
stand reflectirt wird, den keine Tugend zu heben vermag, so ist docli
eben nur hierin der von Ambrosius gemachte Fortschritt zu erkennen.
In religiöser Hinsicht ist ein solcher bei Ambrosius nicht zu finden ;
denn seine Lehre von dem traducianischen Charakter und der Tenacität
der Sünde ist keineswegs mit dem erhöhten Gottes- und Heilsbewusst-
sein in Zusammenhang gebracht. Ambrosius hat das Böse noch
nicht unter die entscheidende religiöse Beleuchtung gestellt.
Darum tastete er doch nur an dem Schuldcharakter der Sünde herum,
ohne ihn zu treffen*, darum kann er doch wieder die Schwäche des
Fleisches als einen wesentlichen Factor betonen; darum vermag er die
These aufrecht zu erhalten, dass der Mensch aus sich selbst fähig sei,
das Gute zu wollen; darum ist seine Sündenlehre für uns ein unerträg-
liches Gemenge von Widersprüchen. Allein dessen ungeachtet muss man
den Fortschritt, dass Ambrosius den radicalen sündigen Zustand be-
trachtet, sehr hoch anschlagen. Er ist ohne Zw^eifel für Augustin von
Bedeutung gewesen. ITnd dazu kommt weiter, dass er in einer sehr
lebendigen Weise vom Glauben zu reden vermocht und ihn als
Lebensgemeinschaft mit Gott, resp. mit Christus gefasst hat.
Der religiöse Individualismus, der bei Augustin leuchtet, schimmert
schon l)ei Ambrosius: „Tntret in animam tuam Christus, inhabitet
in mentibus tuis Jesus . . . Quid mihi prodest tantorum conscio
peccatorum, si dominus veniat, nisi veniat in meam animam, redeat
in meam mentem, nisi vivat in me Christus" -. Und so bestimmt er an
' S. Deut seil, Des ATnl)rosins Loliro von der Sündo. und Süiidentilgung-.
1867. Förster, a. a. O. S. 140 fl". Alle INIenselion sind Sünder, auch Maria. Das
„haereditarium vinculuni" der Sünde umzieht Alle. „Fuit Adam, et in illo fuimus
omnes ; periit Adam, et in illo omnes perierunt." Nicht eine Erbkrankheit ist allein
gemeint, sondern auch eine fortwirkende Schuld. „Quicun<iue natus est sub peeeato,
quem ipsH noxiae conditionis luicrcditas adstriiixit ad culi»am." Freilich eine Tm-
putationslelirr- findet sich bei Ambrosius noch nicht; denn nach seiner Auflassung
ist die Menschheit in Adam eine Einheit, in der einepee(,'at)ix successio, eine fort-
gehende Entfaltung der Sünde Adams stattfindet. Also ist eine Tm])utation nicht
nothvvendig. Ambrosiastei* hat den (ledanken des Ambrosius (/u Rom. 5, 12)
ebenfalls ausgej)rägt: „manifestunj itaque est, in Adam omnes peccasse (^uasi in
massa; ipse enim perpeccatum corruptus, quos genuit, omnes nati sunt sub peccato.
Ex eo igitur cuncti peccatores, ([uia ex eo ipso sunins omnes." Im Abendland gab
es für diesen Cicdanken seit Tej-fuliiiin eine Tradition, s. Cyi)rian, ej). H4, 5; de
Oper«' 1, und Commodian, Instru('t. f, .''5.
' In ps, 119 exp. TV, 20; in Iaic enarr. X, 7; in ps. 80 ex]). 03. Die Stellen
sind von Förster zusammengestellt. S. aucli I)o<.ineiioc'H(;l:. II S. 12.
46 Pas abendländische Christentlium vor Augustin.
vielen Stellen das Verdienst der Werke, die Liebe, als . Erlösungs-
mittel bezeichnet, so kräftig schwingt er sich andererseits in einigen
Ik'trachtungen zu der Höhe auf, dass Gott allein in uns den Sinn
für das Gute weckt und wir uns allein der Gnade Gottes in Christus
getrösten dürfen K Die paulinischcn Briefe stehen dem Ambrosius
im Vordergrund ^, und aus ihnen hat er gelernt, dass der Glaube als
Zuversicht zu Gott eine Macht für sich ist und nicht einfach in den
Bereich des Fürwahrhaltens fällt. Soviel Fremdes er auch noch
einmischt, so oft er den Glauben doch wiederum als Act des Ge-
horsams auf eine äussere Autorität hin fasst — er weiss doch vom
Glauben anders zu reden als seine Vorgänger. Der Glaube ist ihm
die fundamentale That des christlichen Lebens, nicht nur als Auto-
ritätsglaube („iides praevenit rationem") ^, sondern als Glaube, der
die Erlösung durch Christus ergreift und rechtfertigt, weil
er der Grund der vollkommenen Werke ist und weil vor Gott nur
Gnade und Glaube gilt. „Et illud mihi prodest, quod non iustificamur
ex operibus legis. Non habeo igitur unde gloriari in operibus nieis
possim, non habeo, unde nie iactem; et ideo gloriabor in Christo.
Non gloriabor quia iustus sum, sed gloriabor quia redemptus sum.
Gloriabor non quia vacuus peccatis sum, sed quia mihi remissa sunt
peccata. Non gloriabor quia profui, ncque quia mihi profuit quis-
quam, sed quia pro me Christi sanguis effusus est" *. Das ist Augusti-
nismus vor Augustin, ja mehr als Augusthiismus ! '*
Li der dogmatischen Arbeit der abendländischen Theologen des
4. Jahrhunderts tritt jener Geist des abendländischen Christeuthums
einigermassen zurück, der in der Schrift Cyprian's de opere et elee-
* In ps. 119 <?xp. XX, 14: „Nemo sibi arroget, nemo de meritis, nemo de po-
testate se iactet, sed omnes speremus per dominum Jesum misericordiam invenire
— quae enim spes alia peccatoribus?"
^ Das Fragezeichen bei Reuter, August. Studien S. 493, ist aus übertriebener
Vorsicht entsprungen. Auch der Gegensatz von natura und gratia, der überall eine
seiner Wurzeln im Pauliuismus hat, kündigt sich bei Ambrosius bestimmt an; s. de
off. I, 7, 24, auch die Rede auf den Tod seines Bruders.
^De Abrah.I, 3, 21.
* De Jacob et vita beata I, 6, 21; andere Stellen bei Förster S. 160 ff. 303 tV.
^ Eine ausführliche Darstellung miisste hier noch auf viele abendländische
Schriftsteller eingehen, so auf Prudentius (s. die INIouographien von Brockhaus
1872 und R Osler 1886), Zeno, Ambrosiaster, Paulin von Nola u. s. w.; allein das
(rebotene mag zur Bestimmung der Richtungen, in denen sich das abeudländisehe
Christenthum bewegte, genügen. In Bezug auf llilarius hat jüngst Förster (Stud.
u. Krit. 1888 S. 64511.) gezeigt, dass auch er, trotz seiner Abhiiugigkeit \ou den
Griechen, das praktisch-ethische Interesse der Abendländer nicht verleugnet.
i
Resultate der voraugustinisclien Entwickelung. 47
mosynis seine kräftigste Ausprägung erfahren hat. Allein er tritt eben
nur zurück^ bleibt aber doch der herrschende. Was der Vorzug des
abendländischen Christenthums vor dem morgenländischen ist; der
lebendigere Gottesbegriff, das starke Gefühl der Verant-
wortung gegenüber Gott als dem Richter, das durch keine
Naturspeculation gehemmte oder aufgelöste Bewusstsein
von Gott als der sittlichen Macht, das erscheint durch die
juristische Vergeltungs- und die pseudosittliche Verdienstlehre
aufs schlimmste deteriorirt. Dem gegenüber war das Einströmen der
neuplatonischen Mystik von hoher Bedeutung*^ denn es war so ein
Gegengewicht gegen eine Auffassung geschaffen, welche die Religion
in eine Reihe von Rechtsgeschäften aufzulösen drohte. Allein das
stärkste Gegengewicht lag in der Lehre vom Glauben und von der
Gnade, wie sie Augustin verkündet hat. Indessen wird sich zeigen,
dass Augustin seine neue Auffassung so vorgetragen hat, dass sie das
herrschende Schema nicht zersprengte, sondern vielmehr in dasselbe
eingeordnet werden konnte — vielleicht der grösste Sieg, der je in
der Religionsgeschichte von einer berechnenden Moral über die Reli-
gion erstritten worden ist!
Die Auffassung der Religion als eines Rechtsverhältnisses, welches
sich in den Schematen lex, delictum, satisfactio, poena, meritum, prae-
mium etc. bewegt, ist von Augustin nicht durchbrochen, vielmehr ist
die gratia, rechtlich und dinglich ausgeprägt, in das Verhältniss ein-
gestellt worden, so jedoch, dass es dem Einzelnen möglich blieb, das
ganze Verhältniss von der gratia aus zu construiren. — —
In den bisherigen Ausführungen ist der Versuch gemacht, die
verschiedenen Linien im Abendland aufzuweisen, die in Augustin zu-
sammentreffen. Folgendes sei zum Schluss noch besonders hervor-
gehoben :
1) Neben der hl. Schrift stand im Abendland das Sym])oli]m, die
apostolische „lex", auf einer unerreicl)1)aren Höhe, und da diese lex im
Gegensatz zu demMarcionitismus, Salx'llianismus, Arianismus und Ai)ol-
linarismus ohne wesentliclie Scliwankungon und ohne Raisonnement als
Bekenntniss zu der Einheit Gottes in drei Personen, sowie zu der E in -
h ei t Christi in zwei Substanzen gefasst wurde, so scheint die abend-
ländische Kirche eine hoheSiclierheit in Ansehung des trinitarischen und
christologischcn Problems besessen zu haben. Allein mit dieser Sicher-
heit contrastirtdie vielfach zu l)elegendcTliatsache, dass unter der Hülle
des offjcielleii Hekcnntnisses im Abendland \v(;it nuOir Christologisch-
liäretisches im Umlauf war und fcstgehaltcai wurde, als in den Kirchen
des Morgenlandes, und dnss sjjcciell die rhi-istologische Formel, so-
48 T)ft^ abendländische Cliristenthum vor Aupfustin.
weit sie nicht ganz unbekannt war, für die Laien und viele Kleriker
lediglich ein Nounienon gewesen ist K Diese Thatsache wird ferner
dadurch bestärkt, dass sich das Nachdenken der abendländischen
Theologen, soweit sie niclit in die niorgenländischen Streitigkeiten
direct hineingezogen wurden, gar nicht auf die in jener „lex"
enthaltenen Sätze richtete, sondern auf ganz andere
Fragen. Nicht erst Augustin liat „Auslegungen des Syndjols" ge-
schrieben, in welchen völHg andere Fragen behandelt wurden, als man
nach der Vorlage erwarten niüsste, sondern schon die abendländischen
Theologen von Cyprian an zeigen, dass sie als Cln'isten und als
Kirchenmänner in einem Complex von Ideen und Fragen leben, der
mit den von den Antignostikern und den Alexandrinern behandelten
Problemen und mit dem Dogma wenig zu thun hat.
2) Im Zusammenhang mit der Ausbildung der Bussdisciplin auf
Grund der opera und merita (im Sinne von Satisfactionen) und ent-
sprechend dem juristischen Geiste, der der abendländischen theologi-
schen Speculation eigenthiimlich ist, beginnt hier das sündentilgende
Werk Christi in den Vordergrund zu treten. Nicht sowohl die In-
carnation — diese ist Voraussetzung — als der Tod Christi wird
als das punctum saliens betrachtet ^, und er wird bereits nach allen
denkbaren Richtungen hin als Opfertod, als Versöhnung, als Erkaufung,
als stellvertretende Leistung des Kreuzestodes behandelt, zugleich wird
schon von Ambrosius das Verhältniss (rcconciliatio, redemptio, satis-
^ Icli bin darauf schon Bd. I (2. Aufl.) S. 632 f. kurz eingegangen. Augustin
(Confess. VlI, 19) glaubte ))is zur Zeit seiner Bekehrung, die katliob'sche Kirchen-
lehre von Christus sei ungefähr mit der Photin's identisch; sein Freund Alj^pius
dagegen meinte, die Kirche spreche Christus die menschliche Seele ab. Aus des
Hilarius' Werk de trinitate erkennt man, wie viele christologische Auffassungen in
den abendländischen Gemeinden im Umlauf waren, darunter auch die „quod in eo
ex virgine creando efficax Dei sapientia et virtus exstitei'it, et in nativitate eins divi-
nae prudentiae et potestatis opus intellegatur, sitque in eo efficientia potius quam na-
tura sapientiae". Optatus muss (I, 8) an Parmenian rügen, dass derselbe das Fleisch
Christi sündig genannt und behauptet habe, es sei durch die Taufe gereinigt
worden. Der Gedanke des Hippolyt (Philos. X, 33) : ?-. Y«p o ^so<; O-sov o? 'rjO-^X-rjo?
^toiYjaa'., I^uvaxo • £/£'.? toö \6-(oti ib Tzo.paZei'^ii.a, zieht sich trotz der Zweinaturenlehre
und der Aufnahme griechischer S])eculationen als verborgener Faden durch die
christologischen Aussagen des Abendlandes, Wir werden sehen, dass auch bei Am
brosius und Augustiu ein versteckter, aber mit Absicht conservirier Rest der alten
adoptianischen Auflassung zu finden ist. (Wie derselbe zu beurtheilen, darüber s.
oben sub 2.) — Die Einflüsse der manichäischen Christologie auf viele untergeord-
nete Geister in den abendländischen Kirchen mögen hier auf sich beruhen.
'^ Pseudo-Cyprian, de duplici martyrio IG: „Domini mors poteutior on\\ (|uaiu
vita."
Resultate der voraugustinischen Entwickelung. 49
factio, immolatiO; meritum) zur Sünde als Schuld (reatus) erörtert.
Unter solchen Umständen fiel der Accent auf die menschliche Natur
Christi : der Oj^fernde und das Opfer ist der Mittler als Mensch, der
seinen Werth durch die göttliche Natur erhält, freilich ebensowohl durch
die acceptatio seitens der Gottheit. Somit besass das Abendland ein
eigenes christologisches Schema, in welchem zwar die Formel von den
zwei Naturen den Ausgangspunkt bildete, welches aber in der Richtung
verfolgt wurde, dass der Mittler als der Mensch erschien,
dessen freie Leistung vermöge der besonderen Veranstal-
tungGottes einen unendlichen Werth besitzt^ (Optat. I, 10:
„mundus reconciliatus deo per carnem Christi"). Von hier aus ist es
verständlich, dass sich Augustin in nicht wenigen Ausführungen in
einen freilich verdeckten AViderspruch zur Lehre von der göttlichen
Natur Christi setzt, indem er die Vorzüge des geschichtlichen Christus
so erörtert, als sei jene Natur gar nicht vorhanden, sondern als sei
Christus Alles aus Gnaden gegeben worden-. Von hier aus erklärt es
sich ferner, dass nachmals im Abendland immer wieder der gemilderte
Adoptianismus aufgetaucht ist ^^ der vom Standpunkt der consequenten
griechischen Christologie aus die schlimmste Häresie ist, weil er das
ganze Gefüge dieser Christologie sprengt und ihre Abz weckung ver-
wirrt. Endlich erklärt es sich auch von hier, dass nachmals abend-
ländische Christen, zumal solche, welche die mystisch-mönchische Praxis
des Umgangs mit dem keuschen Bräutigam Christus gelernt hatten,
die christologische Anschauung wesentlich auf das „Ecce homo" re-
ducirt haben. Die Lebendigkeit und erschütternde Kraft, welche dieses
Bild für sie besass und sie über Leiden und Schmerzen erhob, kann
darüber nicht täuschen, dass hier die kirchliche Christologie nur noch
als Formel beibehalten ist. Allein, dass der alte abendländische An-
satz zur Grundlage einer Betrachtung geworden ist, welche es der
Phantasie und Stimmung liberliess, die Bedeutung der Person Christi
festzustellen, darf nicht als nothwendige Folgerung aus ihm bezeichnet
werden. Vielmelir entspricht dieser Ansatz ((Christus steht unter der
Gnade des Vatei's, führt aus, was ihm der Vater gegeben, und wird
vom Vater erhöht) den deutlichsten Stellen des NT. 's und ist der ein-
» Das Nähern s. Bd. II S. 177 fr. Ritsclil , Lolin^ v. d. Rechtfertigung u. Ver-
söhnung. 2. Aufl. T S. 38, III S. 362. (ilesoh. des Pietisrn. III S. 426 If.
'^ S. /.. H. (iie Tfiorkwürdigen Ausfulirungon ad Laurentium c. 36 sq. Die gött-
liche Natur wird freilich als im Hintergrund«' ruhend betrachtet; uUein in den
V^ordergrund trift an .lesus (Jhristus dej- „einzelne" Menneh, der olnie vorangegan-
genes Verdienst aus (ilnaden in die (lottheit aufgenommen wird.
' S. die Nachweisungen in Bach 's Dogmengescii. des Mittelalters Bd. II.
Harnack, Do(fmf;n(?PScliic)it'' IH. ä
50 Das ahendländisclie Christoutlium vor Augustin.
zige Schlitz gegenüber den superstitiüsen, das Evangelium entleerenden
Vorstellungen der Griechen. — Allein nicht die verschiedenen Ver-
suche des Mittelalters, das Werk Christi abzuschätzen, sondern viel-
mehr die ganze Tendenz, das Christenthum als Religion der Ver-
söhnung zu verstellen, ist von entscheidendem Werth; denn in dieser
Tendenz spricht sich die Furcht vor dem richtenden Gott in
charakteristischer Weise aus, die im Morgenland hinter den mystischen
Speculationen zurückgetreten ist ^
3. Ein scharfes Auge gewahrt, dass die soteriologische Frage
— wie wird und bleibt der Mensch seiner Sünden ledig und gelangt
zum ewigen Leben? — im 4. Jahrhundert die Nachdenkenden in der
abendländischen Kirche bereits lebliaft beschäftigt hat und zwar so,
dass (im Unterschied vom Morgenland) die religiöse und sitt-
liche Seite des Problems nicht mehr getrennt erscheinen.
Allein zu einer scharfen Fragestellung ist es vor dem pelagianischen
Kampf noch nicht gekommen, da die Controversen mit Heraklius und
Jovinian keine nachhaltige Bewegung zur Folge hatten. Die Ansichten
gingen noch, zum Theil bei ein und demselben Schriftsteller, bunt
durcheinander. Sehe ich recht, so lassen sich für die Zeit um 400
fünf verschiedene Auffassungen unterscheiden: 1) die manichäische,
die im Finstern schlich, aber sich grosser Verbreitung, selbst im
Klerus, erfreute ; nach ihr ist das Böse eine reale, physische Macht
und wird durch die ebenso physische Macht des Guten, die an Natur-
potenzen und an Christus geknüpft ist, in dem Einzelnen über-
wunden'-; 2) die neuplatonisch-alexandrinische; nach ihr ist
das Böse das Nichtseiende, das noch nicht Gewordene, die noth-
wendige Folie des Guten, der Schatten des Lichts, das dem „Vielen"
im Gegensatz zum „Einen" anhaftende Transitorische, und die Erlösung
ist die Rückkehr zum Einen, zum Seienden, zu Gott, die Gottinnig-
keit in der Liebe; Christus ist für solche Rückkehr Kraft und Krücke;
denn „Kräfte und Krücken kommen aus einer Hand" ^; 3) die ra-
tionalistisch-stoische; nach ihr ist das höchste Gut die Tugend;
die Sünde ist die böse Einzelthat, die dem freien AVillen entspringt;
die Erlösung ist die Zusammenfassung des Willens und die energische
Richtung desselben auf das Gute ; auch hier ist das Historische und
' S. Bd. II S. 67.
^ kS. über die Verbreitung d(^s Manicliaisinns im Abeiulland Bd. I S. 737 fV.
Er ist dort immer cliristlicher und daher gelährlicher oewordeii. lieber sein»» Hr-
deutung für Augustin s. unten. v'
'^ S. die Auffassungen des Ambrosius, Victorinus, Augustinus.
Resultate der voraugustinischen Entwickelung. 51
Christologisclie im Grunde nur Krücke ^ Alle diese drei Auffassungen
legen auf die Askese das höchste Gewicht*, 4) die sacramentale^
laxe; wir können sie bei Heraklius ^ und Jovinian ^ constatiren; nach
ihr hat der mit rechtem Glauben Getaufte die Bürgschaft der Selig-
keit; die Sünde kann ihm nicht schaden; kein reatus peccati kann
ihn treffen. Näher stellt sich Jovinian's Lehre also dar: a) die, wel-
che mit vollem Glauben in der Taufe wiedergeboren sind, können
vom Teufel nicht zu Fall gebracht werden, b) alle Getauften haben
dieselbe Seligkeit zu erwarten ; die Heiligung vermehrt nicht die Selig-
keit, sondern bewahrt sie nur : „sicut sine aliqua differentia graduum
Christus in nobis est, ita et nos in Christo sine gradibus sumus";
c) Ehelosigkeit, Speis eenthaltung und Martyrium haben vor Gott keinen
höheren Werth als Eheführung, dankbarer Speisengenussu.s.w. Wüssten
wir ge\\ass, dass Jovinian bei dieser Betrachtung dem Glauben die
entscheidende Bedeutung beigelegt hat, so könnte man ihn, wie es
neuerdings geschehen ist, als einen „Protestanten seiner Zeit", als
„den tiefsten, originellsten, durch Entschiedenheit ausgezeichnetsten"
unter den evangelischen Wahrheitszeugen des Alterthums bezeichnen
und ihn mit Yigilantius * in den protestantischen Heiligenkalender
einstellen. Allein wenn auch Manches dafür spricht, dass Jovinian
im paulinischen Sinne sich gegen die AVerke aufgelehnt hat, so ist es
doch unwahrscheinlich, dass im 4. Jahrhundert ein radicaler Protest
gegen die mönchische Heiligung des Lebens aufgetaucht ist, der nicht
zu seiner Kelirseite magische und laxe Vorstellungen gehabt hat.
Desshalb urthcilt man, solange nicht Jovinian's Schrift vorliegt, vor-
sichtiger, wenn man in seiner Lehre eine Fortsetzung der Ansichten
sieht, welche die Laxen nach den Verfolgungen des Decius und Dio-
cletian proclamirt haben, und die dann, nachdem man sich eingehender
mit den paulinischen Briefen l)eschäftigt hatte, eine biblische Begrün-
dung bekommen haben mögen '*. Immerhin aber ist eine solche Er-
* S. die al^erHlländisclion Poj)ulari)liiloso))lu'ii im Stile Ciccro's, aber aucli Am-
l^rosius' de officiis.
2 S. oben S. 30.
" Wir sind durcli Anihrosius, Hieronymu«, Auoustiii und Siricius über iliii
unterriclitet.
'* S. ü}>er defiscai oharaktervolles Auftreten f(ogeii die Auswüclise der Super-
stition und Möncberei die erbäruilictlic Sclii-ilt des Hieronymus advers. Vigilantiuni,
die an (lemeinlieit nur duroli die; I)ücli(!r gegen Jovinian des8el])en Scliriftstellers
ijl)f*rtronen wird.
'' hin ist. selion olxm (S.41 j du riiuC aufmerksam gemacht worden, dass im j»b(>nd-
Inndisolien Katbob'cismus n;ieli den \'( i lolgungsstürmen aus derNotb eine (Jruideji-
und SaeramentHJelire entstanden ist. Der Widerwille gegen das Mönchtbuni in
4*
52 T)a8 abendländische Christenthum vor Augustin.
scheiniing, wie .rovinian sie uns bietet^ höchst merkwürdig; sie steht
doch in Verwandtschaft mit Augustin und der augustinischen Lehre
von dem GLauben und den (Inadenmittchi, und sie ist desshalb auch
der fünften Anscluiuung nahe verwandt, die wir hier noch zu er-
wähnen haben. IVfan kann sie kurzweg die (Inadenlehre nennen.
Rom, Gallien und Spanien hat gewiss hier verstärkend gewirkt, und so sind „evan-
gelische" Elemente aufgetaucht, die vielleicht bei Einigen (vielleicht auch bei Jo-
vinian) wirklich mehr gewesen sind als l)losse Auskuuftsnüttel. Indem man die
Askese als Manichäismus einerseits, als Werkgerechtigkeit andererseits beurtheilte,
ergab sich nicht nur eine Verstärkung der magischen Autfassung von den Sacra-
menten, sondern man wurde auch auf die Betrachtung von Clnade und Glauben
gewiesen. Hier ist aber auch daran zu erinnern, dass von den Tagen des Hermas
ab im Abendland eine Richtung zu bekämpfen gewesen ist, die sich allein auf den
Glauben berufen und es in decidirter "Weise ausgesprochen hat, dass die AVerke zur
Seligkeit nicht nöthig seien. Eine Geschichte dieser Richtung, die z. B. auch unter
den „Laxen" in Karthago zur Zeit Tertullian's und Cyprian's vorhanden gewesen
ist und dann wieder deutlich in den Werken Augustin's uns entgegentritt (wo sie
bekämpft wird), ist bisher nicht geschrieben worden, obgleich der Protestantismus
allen Grund hätte, sich diese Richtung näher anzusehen und zu untersuchen, welchen
Antheil an ihr die sittliche Laxheit und welchen etwa der bewusste paulinische
Heilsglaube gehabt hat. Das Material, zumal wenn man Männer wie Heraklius,
Jovinian u. s. w. hinzunimmt, ist sehr bedeutend. Vor Allem aber kommen mehrere
Briefe Augustin's, Enchir. 67, und sein Tractat „de fide et operibus" in Betracht.
Hier werden die Ansichten von Laien ausführlich widerlegt, welche sich l)rieflich
an Augustin gewendet hatten. Sie vertraten die Meinung, man könne nicht ohne
den Glauben, wohl aber ohne die Werke zum ewigen Leben gelangen, und mau
solle Jeden, auch den gröbsten Sünder, nach der Unterweisung in der Glaubenslehre
taufen, die Aenderung des Lebens erst dem Getauften überlassend. Diese Leute
haben, wie die Gegenschrift Augustin's lehrt, einen sehr ausführlichen Schriftbeweis
(vgl. auch den Schriftbeweis der „Laxen" in Karthago zur Zeit Tertullian's) nicht
ohne Scharfsinn geführt (c. 6 — 13) und sich namentlich auf die paulinische Lehre
berufen. Ihnen gegenüber spielt daher Augustin die katholischen Briefe, vor Allem
den Jacobusbrief (c. 14 ff.) aus. Er bekennt dabei offen, welche Schwierigkeiten
ihm nicht wenige paulinische Stellen (der Satz von der Seligkeit (mc. 8ia Kopoc. ist
ihm besonders peinlich) machen. Dass seine Gegner nicht Evangelische, sondern
Laxe sind, zeigt ihre Meinung, alle Sünden könnten durch Almosen gut gemacht
werden. Dass sie nicht ohne Zusammenhang mit den Laxen zur Zeit Calixt's waren,
zeigt ihre Berufuno- auf die Arche Noah. um jede ernste Kirchenzucht zu hindern.
Aber als Schlimmstes bezeichnet es Augustin, dass sie wähnen, man dürfe Älen-
sehen, die ruchlos und schändlich leben und in einem solchen Leben verharren, das
Heil und das ewige Leben versprechen, wenn sie nur an Christus glauben
und seine S a c r a m e u t e e m p f a n g e n. Dem gegenüber hat er in seiner Gegen-
schrift die katholische Justificationslchre besonders nachdrücklich entwickelt. Daher
bildet der Tractat „de fide et operibus" das Gegenstück zu dorn kurz voi-her ab-
gefassten Tractat „de spiritu et littera", in welchem die evangelischen Elemente iler
Glaubensüberzeugung Augustin's stark hervortreten, was bekanntlich Melauchthon
wohl bemerkt hat.
I
Resultate der voraugustinischen Entwickelung. 53
Wir haben ihre kräftigen Spuren bei Victorinus, Optatus und Ambro -
sius nachgewiesen; nach ihr ist das Böse als die inhärente Adams-
sünde nur durch die göttUche Gnade in Christus zu tilgen; diese
Gnade wirkt den Glauben, der sich in der thätigen Liebe vollendet.
Hier sind Natur und Gnade, Unglaube und Glaube die Gegensätze,
und das Werk des geschichtlichen Christus steht im Mittelpunkt.
Dennoch aber schliesst diese Betrachtung die Askese nicht aus, son-
dern bedarf ihrer, da nur der sich in der Heiligung, d. h. in der
Weltentsagung bethätigende Glaube der rechte ist. So wird hier ein
Mittelweg gesucht zwischen Jovinian einerseits und der manichäischen
und priscilhanischen Askese andererseits ^.
Diese verschiedenen Auffassungen kreuzten sich und gingen wirr
durcheinander. Der Sieg der einen oder anderen musste über die
Zukunft des Christenthums im Abendland entscheiden.
4. Vom novatianischen, Ketzertauf- und donatis tischen Streit her
war im Abendland das Interesse an der Frage nach dem Yerhältniss
der Gnade und Gnadenmittel zur Kirche erwacht. Dieses Interesse
an der Kiiche wurde aber noch dadurch verstärkt, dass diese sich
beim Verfall des weströmischen Reiches, ferner gegenüber den Resten
einer noch immer mächtigen heidnischen Partei in Rom und endlich
gegenüber den neuen arianisch-germanischen Staatenbildungen kräftiger
von dem Staate abhob als im Morgenland.
Man erwartet vielleicht, hier zum Schluss die verschiedenen Landes-
kirchen des Abendlandes in ihrer Eigenart um das Jahr 400 charak-
terisirt zu linden; allein in dogmenhistorischer Hinsicht lässt sich
wenig sagen. Scharf ausgeprägt ist die Eigenart der nordafrikanischen
Kirche, lieber der Kirche Spaniens, Galliens und Brittanniens lagert
für uns ein Dunkel, in welchem nur der Kami)f mit dem sich ein-
bürgernden Mönchthum beleuchtet ist. Der Kampf mit dem Priscil-
lianismus in Spanien, die Angriffe auf Martin von Tours in Galhen,
andererseits auch Vigilantius gehören hierher. Dass Südgallien um
360 (s. das Zeuguiss .Julian's) und 400 (s. Sulp. Severus, Chron. init.)
sich durch seine Bihlung und den Sinn für das Aesthetische und
Rhetorische auszeichnete, ist nicht unwichtig zu bemerken. Rom wurde
erst im 5. Jaliihundert eine christliche Stadt; allein schon zu Liberius'
und Damasus' Zeit war der römische Bischof der vornehmste Römer.
Das was Damasus, dieser unheilige, a])er kluge Mann, gegenüber dem
' Die rathscilial'tc Erscheinung des Priscilliauisnius ist durcJi die Aiirtindung
der Jlornilieii Priscilliau'ö nicht viel deutlicher geworden.
54 r^ie weltgeschichtl. Stellung: Aiipfustiu's als Reformator der Frömmigkeit.
Staat und dem Orient gewonnen, haben seine energischen Nachfolger
nicht mehr preisgegeben; sie haben sich auch kräftig in die Verliillt-
nisse der Provin/ialkirchen einzumischen versucht. Treu an ihrem
l^ekenntnisse festhaltend, war die römische Kirche nicht mir durch
ihre Lage, sondern auch durch ihre Eigenart das verbindende Mittel-
glied zwischen dem Morgenland und Abendland (und wiederum zwischen
dem Süden und dem Norden des Abendlandes), den mönchischen Ten-
denzen des ersteren und den kirchenpolitischen und sacramentalen des
letzteren. Auch hat sie seit Liberius' Zeiten jene religiöse Politik
gegenüber dem Heidenthum betrieben und verbreitet, „durchweiche
die katholische Kirche die Mittel gewann, die heidnischen und trotz
des Bekenntnisses auch heidnisch bleibenden Massen des Volks nicht
nur zu gewhmen, sondern auch zu befriedigen" (Usener, Relig.
Unters. I S. 293): sie hat „das Heidenthum dadurch unschädlich
gemacht, dass sie ihm, d. h. der Fülle des Heidnisch-Kultischen, ihren
Segen gab". Aber jene weitherzige Kampfesweise gegen das Heiden-
thum, von der num mit Recht gesprochen und die uns Usener
(a. a. O.) in so gelehrter und aufklärender Weise vorzuführen be-
gonnen hat, barg doch die grössten Gefahren in sich. Unter solchen
Umständen war es für die damalige Gegenwart und für die Zukunft
der Kirche der höchste Gewinn, dass eben während der Process der
Ethnisirung in vollem Gange war, Augustin, in Nordafrika, Rom und
Mailand gleich heimisch, auftrat und die Kirche daran erinnerte, was
christlicher Glaube sei.
Drittes Capitel: Die weltgescMchtliclie Stellung* Augustinus
als Reformator der christliclien Frömmigkeit'.
..Yirtutes ita crescent et perficientur, ut te ad vitam vere beatam,
quae nonnisi aeterna est, sine ulla dubitatione perducant: ubi iam
nee prudenter discernantur a bonis mala, quae non erunt, nee
' Aus der unermesslichenLitteratur über Augustin sei Folgendes genannt (unter
besonderer Berücksichtigung des pelagianisclien Streites): Die kritischen Unter-
suchungen der Eenedictiner in ihren Ausgaben der Opp. Aug/s und die Contro-
versen über die Gnadenlehre Aug.'s im 16. bis 18. Jahrhundert; die Arbeiten
von Petavius, Noris (hist. Pelag.), Tillemont, Grarnier, Mansi, Hefele;
Bindemann, Der hl. Aug. 3 Bde. 1844 — 69; Böhringer, Aur. Aug. 2. Autl.
1877. 78; Reuter, August. Studien 1887 (die beste neuere Arbeit); A. Dorne r,
Aug., sein theol. System und seine relig. -philos. Anschauung 1873. Umfassende
Ausführungen bei Ritter, Baur, Nitzsch, Thomasius, Schwane, Huber
(Philos. der KW.), Jul. Müller (L. v. d. Sünde), Dorner, Eutwicklgesch. d.
L. v. d. Person Christi), Möller (in Herzog's R.-Encykl.), Prantl (CTesch. d. TiO^ik),
Siebeck (Gesch. d. Psychologie), Zeller. — Bornemauu, Aug.'s Bekenntnisse
Litteratur zu Augustin. 55
fortiter tolerentiir adversa, quia non ibi erit nisi quod amemuS; non
etiam quod toleremiis, nee temperanter libido frenetiir, ubi nulla
1888; Harnack, Aug.'s Confessionen 1888; 0 verbeck, Aug. u, Hieronymus
i. d. Histor. Ztschr. N. F. Bd. VI; Feucrlein, TJeb. d. Stellung Aug.'s in der
Kirchen- und Culturgesch. Histor. Ztschr. XXII S. 270 ff. (s. Reuter, a. a. 0.
S. 479 flf.); Ritschi, lieber die Methode der ältesten D.-G., i. d. Jahrbb. f.
deutsche Theol. 1871 (ders., Rechtfert. u. Versöhn. Bd. I, Gesch. des Pietismus
Bd. I); Kattenbusch, Studien z. SymboHk, in d. Stud. u.Krit. 1878; Rcinkens,
Geschichtsphilos. d. hl. Aug. 1866; Gang auf, Metaphys. Psychologie d. hl. Aug.
1852; Bestmann, Qua ratione Aug. notiones philosophiae graecae etc. 1877;
Loesche, De Aug. Platonizante 1880: Ferraz, Psychologie de S. Aug. 1862;
Nourisson, La philosophie de S. Aug. 2. Aufl. 1866; Storz, Die Philosophie des
hl. Aug. 1882; Scipio, Des Aurel. Aug. Metaphysik u. s. w. 1886; Sieb eck,
Die Anfänge der neueren Psychologie i. d. Ztschr. f. Philos. 1888 S. 161 ff.; Kahl,
Der Primat des Willens bei Aug. 1886; Schütz, August, non esse ontologum 1867;
van Endert, Gottesbeweis i. d. p atrist. Zeit. 1869; Clauren, Aug. s. script.
Interpret. 1822; Gang auf, Des hl. Aug. Lehre von Gott dem Dreieinigen 1865;
Nitzsch, Aug.'s Lehre v. Wunder 1865. Walch, De pelagianismo ante Pelagium
1783; ders., hist. doctrinae de peccato orig. 1783; Hörn, Comm. de sentent.
patrum ... de pecc. originalil801 ; D uncker, Pecc.orig.et act. 1886; Krabinger,
Der angebliche Pelagianismus d. voraugust. VV.: Tüb. Quartalschr. 1853; Kuhn,
Der vorgebl. Pelagianismus d. voraugust. VV.,ebendort; Walch, Ketzerhistorie Bd.
IV u. V; Wiggers, Praginat. Darstell, des Augustinismus u. Pelagianism. 2 Bde.
1831. 33 (die Fortsetzung über den Semipelagianismus i. d. Ztschr. f. d. histor.
Theol. 1854 ff.); Jacobi, Die Lehre des Pelagius 1842; Lentzen, de Pelagia-
norum doctrinae principiis. 1833; Jul. Müller, Der Pelagianismus i. d. deutschen
Ztschr. f. christl. Wissensch. 1854 Xr. 40 f. ; Wörter, Der Pelagianismus 1866;
Kl äsen. Die innere Entw. des Pelagianism, 1882; Geffcken, Histor. Semipelag.
1826; Wiggers, de Joanne Cass. 1824. 25; AVörter, Prosper v. Aquitanien über
Gnade und Freiheit 1867; Lander er, Das Verhältniss v. Gnade u. Freiheit i. d.
Jahrbb. f. deutsche Theol. Bd. II 1857; Luthardt, Die L. v. freien AVillen u. s.
Verh. z. Gnade 1863; Kihn, Theodor v. Mopsveste 1880; Rit schi, Expos, doctr.
8. Aug. de crcat., peccato, gratia 1843; Ehlers, Aug. de origine mali doctriua
1857; Nirschl, Ursp. u. AVesen des Bösen nach Aug. 1854; Hanima, Die L. des
hl. Aug. über die Concupiscenz i. d. Tüb. Quartalschr. 1873; Voigt, Comment. de
theoria August., Pelag., Semipelag. et Synergist. 1829; Dicckhoff, Aug.'s L. v. d.
Gnade i. d. Mecklenb. Theol. Ztschr. I. 1860; Welker, Aug. de iustificatione doctr. ;
Ernst, Die Werke der Ungläubigen nach Aug. J871; Beck, Prädest.-Lehre i. d.
Stud. u, Krit. 1847 II; H. Schmidt, Origenes u. Aug. als Apologeten i. d. Jahrbb.
f. deutsche Theol. Bd. VIII; Bigg, The Christian Platonists of Alexandria 1886.
— Uebcr Aug.'s L. v. d. Taufe s. Reuter, Kliefo th (Liturg. A))handl.) u. Hö f-
ling. AVilden, Die L. d. hl. Aug. v. Opfer d. Eucharistie 1864; G inzel, L. d. hl.
Aug. v. d. Kirche, i. d. Tüb. Theol. Quartalschr. 1849; Köstlin, Die kathol.
Auffass. V. d. Kirche u. s. w., i. d. deutschen Zeitschrift f. christl. Wissensch. 1856
\r. 14; H. Sclitnidt, Aug.'s L. v. d. Kirche, i. d. Jahrbb. f. deutsche Theol. 1861
(ders.. Die Kirclic 1884); Seeberg, Begriff d. christl. Kirche L Th. 1885;
Roux, Di8H. de Aug. adversario Donatistarum. 1838; Ribbeck, Donatus und
Augu«tinUH 1858.
56 Die weltgeschichtl. Stelluug Augustin 's als Reformator der Fiömmiokeit.
eins incitamenta sentiemus, nee iuste subveiiiatiir ope indigentibus,
ubi inopein atqiie indigiium iioii habt;biinus. IJiia ibi virtiis erit,
et idipsum erit virtus praemiunique vir t litis, qiiod dicit in
sanctis eloquiis bomo qui boc amat: Mibi autem adbaerere deo,
bonum est. Haec ibi erit plena et sempiterna sapientia eademque
veraciter vita iain beata. Perventio quippe est ad aeternum
ac summnni boniini, cui adbaerere in aeternum est finis
nostri boni. Dicatur baec et prudentia, qiiia prospectissime ad-
baerebit bono (piod non amittatur, et fortitudo, quia firmissime
adbaerebit bono unde non avellatiir, et teniperantia, quia castis-
sime adbaerebit bono, ubi non corruinpatur, et iustitia, ({uia rectis-
sime adbaerebit bono, cui nierito subiciatur. Quam quam et in bac
vita virtus non est nisi diligere quod diligendum est. Quid
autem eHgamus quod praecipue dibgamus, nisi quo nibil mebus in-
veninnis? Hoc deus est, cui si diUgendo abquid vel praeponimus vel
aequamus, nos ipsos dibgere nescimus. Tanto enim nobis mebus est,
quanto magis in illum imiis, quo nibil mebus est. Imus autem
non ambubindo, sed amando. Ad eum non pedibus ire bcet, sed
moribus. Mores autem nostri, non ex eo quod quisque novit, sed ex
eo quod dibgit, diiudicari solent. Nee faciunt bonos vel malos
mores, nisi boni vel mali amores. Pravitate ergo nostra a recti-
tudine dei longe fuimus. Unde rectum amando corrigimur, ut recto
recti adbaerere possimus" K
In diesen Worten offenbart sieb die Seele Augustinus; sie be-
zeicbnen dessbalb aucli seine dogmengescbicbtlicbe Grösse. Wenn
man, wie wir im vorigen Capitel versucbt baben, die verscbiedenen
Linien verfolgt und convergiren lässt, auf denen sieb das abend-
ländiscbe Cbristentbuin im 4. und 5. Jabrbundert entwickelt bat, so
kann man ein Gebilde eonstruiren, welebes dem „Augustinismus^'
nabe kommt; ja man kann ibn aucb als ein Prodiict der Notb ableiten
aus den inneren und äusseren Zuständen, in denen sieb die Kircbe
und die Tbeologie damals befanden. Aber man vermag nimmermebr
den Mann zu erreicben, der binter diesem Gebilde stellt und ibm
Kraft und Leben verlieben bat. Ebenso kann man — es ist eine
lobnende Aufgabe — versucben, aus dem Bildungsgang Augustinus
seine cbristlicbe Weltanscbauung verständlicb zu niacben und zu zeigen,
wie kein Stadium seines Lebensganges (der beidniscbe Vater, die cbrist-
bcb-fromme Mutter, Cicero's Hortensius, der Manicbäisnnis, der Aristo-
telismus, der Neuplatonismus mit seiner Mystik und Skepsis, der Ein-
^ August., €»j). 155 c. 12. 13.
Allgemeine Charakteristik. 57
druck des Ambrosius und des Mönchthums) ohne Wirkung für ihn
gebheben ist ^ Allein auch von hier aus vermag man schhesslich nicht,
der Eigenart dieses Mannes völlig gerecht zu ^verden. Diese ist sein
Geheimniss und seine Grösse, und man verwundet sie vielleicht schon
durch jede Analyse: er kannte sein Herz als das schlimmste
und den lebendigen Gott als das höchste Gut; er lebte in
der Gottesliebe, und er besass eine hinreissende Fähig-
keit, innere Beobachtungen auszusprechen. Indem er das
that, lehrte er die Welt, dass der höchste und süsseste Genuss in
dem Gefühl gesucht werden soll, das aus bezwungenem Seelenschmerz,
aus der Liebe Gottes als des Brunnquells des Guten und desshalb
aus der Gewissheit der Gnade entspringt. Die Theologen vor ihm
hatten geträumt, dass der Mensch ein Anderes werden müsse, um
sehg sein zu können; er lehrte, dass der Mensch ein Anderer werden
kann, wenn er sich von Gott finden lässt und aus der Zerstreuung
heraus sich selbst und seinen Gott findet.
Er zei'störte das Wahnbild der antiken populären Psychologie
und Moral-, er gab dem Intellectualismus des Alterthums den Ab-
schied; aber er liess ihn neu Wiederaufleben in dem frommen Denken
des Mannes, der in dem lebendigen Gott das wahre Sein und das
höchste Gut gefunden hat. Er zuerst schied die beiden Gebiete, deren
Verbindung man lange und ohne Erfolg zu lockern versucht hatte,
die Natur und die Gnade; aber er band damit die Religion und
die Sittlichkeit zusammen und gab der Idee des Guten einen neuen
Inhalt. Er zuerst mass den Spielraum und die Kraft des Gemüths
und des Willens aus und leitete von hier ab, was die Moralisten und
Religionsphilosophen vor ihm verstanden zu haben wähnten, aber nie
verstanden hatten; er steckte dem ziellosen Streben der Askese ein
festes Ziel : die Vervollkommnung in der Gottesliebe, die Unterdrückung
der Eigensucht, die Demuth. Er lehrte den Schrecken über die
Tiefe der Sünde und Schuld, die er aufdeckte, zusammen zu empfinden
mit dem sehgen (^efühl eines immerfort getrösteten Elends und einer
nie versiegenden Gnade. Er erst vollendete den christhchen Pessi-
mismus, dessen Vertreter sich bisher im Grunde eine höchst opti-
mistische Betrachtung des Menschenwesens rescrvirt hatten. Aber
indem er als die Triebfeder alles menschlichen Handelns das radicale
f^öse nachwies, predigte er zugleich von der Wi(Mlcrgeburt des Willens,
durch welclie der Mensch sich in dem seligen Lesben heimisch mache.
Er überbrückte für die Empfindung und Vorstellung die Kluft nicht,
* Vgl. rnciücu Vortrag „Augustirrs Conrcssioiicii'' 1888. 8. auch den Auf-
satz von G. Boissier in der Rcv. des deux moud. 1. Jan. 1888.
58 l^iö weltgeficliichtl. Stollmig Aupfustiu's als Reformator der Frömmigkeit.
welche die christliche lleberlieferiing zwischen dem Diesseits und Jen-
seits nachwies; aber er zeugte von der Sehgkeit des Menschen, der
in Gott seine Ruhe gefunden, in so ergreitender Weise, dass dem
Jenseits nur ein unbeschreibliches „Schauen^' vorbehalten bliel). Aber
über das Alles und in dem Allem — er hielt jeder Seele ihre Herr-
hchkeit und ihre Verantwortlichkeit vor: Gott und die Seele, die
Seele und ihr Gott. Er führte die Religion — ein durch positive
Gedanken und das Vertrauen auf Christus beherrschtes, verklärtes
und gestaltetes ALönchthum — aus der Gemeinde- und Kultusform
heraus und in die Herzen der Einzelnen als Gabe und Aufgabe hinein;
er kündigte von der ungefärbten Demuth, die nur auf Ruinen — dem
Stiu'z der Selbstgerechtigkeit — erblüht; er erkannte aber in eben
dieser Demuth den Freibrief der Seele, und selbst wo er die Auto-
rität der Kirche in gebieterischer AVeise in AVirksamkeit setzt, ge-
schieht es schliesslich nur, um der einzelnen Seele jene Gewissheit zu
geben, die sie durch keine Anstrengung und keine individuelle Be-
gnadigung zu erreichen vermag. Darum ist er nicht nur ein Pädagog
und Lehrer, sondern ein Vater der Kirche geworden. Er war ein
Baum, gepflanzt an den AVasserbächen, dessen Blätter nicht verwelken
und auf dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen. Seine
Stimme ist durch die Jahrhunderte der Kirche erschollen, und er hat
der Christenheit das AVort gepredigt: „AVohl den Menschen, die Dich
für ihre Stärke halten, die von Herzen Dir uachwandeln."
Dass für eine solche Persönlichkeit Alles, was sie in der Ueber-
lieferung vorfand, nur Stoff und Mittel sein konnte, dass sie es
nur aufnahm, um es in der ihr entsprechenden AVeise zu verarbeiten,
bedarf keiner Bestätigung. In dieser Hinsicht ist Augustin den grossen
Alexandrinern verwandt, und es lassen sich Zeugnisse in Fülle für
diese Verwandtschaft beibringen, die sowohl durch die gleiche lioch-
gemuthete Stimmung als durch die Abhängigkeit von der neuplato-
nischen Philosophie dort und hier bedingt ist. Allein der Unterschied
ist bei aller Gemeinsamkeit doch höchst bedeutend. Er liegt nicht
nur darin, dass jene um das Jahr 200 lebten, Augustin ein Mitglied
der theodosianischen Reichskirche war, auch nicht nur darin, dass
Augustin durch den Manichäismus hindurchgegangen ist, sondern in
viel höherem Grade darin, dass Augustin trotz seines Neuplatonismus
über das AVesen der christlichen Rehgion anders dachte als sie und
ebenso von dem AVesen und der Autorität der Kirche andere A'^or-
stellungen besass.
Augustin's neue christliche Selbstbeurtheilung. 59
I. Er dachte an die Sünde, wenn er über Gott und Christus
nachsann, und er hatte den lebendigen Gott, der uns geschaffen
und erlöst hat, im Sinn, wenn er über das Böse nachdachte: die
Festigkeit, mit welcher er diese Factoren auf einander bezog, ist das
Neue, welches ihn vor allen seinen Vorgängern auszeichnet. Aber
nicht minder neu ist die Energie, mit welcher er die Begriffe deus,
Christus, verbum dei, sacramenta, ecclesia catholica für die prak-
tischeFrömmigkeit zusammenschloss, das Lebendigste und Freieste,
den Besitz Gottes, einpresste in ein gleichsam dingliches Gut, welches
einer Anstalt, der Kirche, übergeben sei. Wie er demgemäss die
Stimmung erzeugt hat, die christliche Frömmigkeit sei getrösteter
Sündenschmerz, so hat er andererseits jenes Ineinander von freiest er,
eigenster Hingabe an das Göttliche und stetiger gehorsamer Unter-
ordnung unter die Kirche als Gnadenmittelanstalt geschaffen, welches
den abendländischen Katholicismus charakterisirt.
Demnach ist er in erster Linie auch für die Dogmengeschichte
nicht als Theologe zu würdigen, sondern als Reformator der christ-
lichen Frömmigkeit. Das Charakteristische der alten christhchen
Frömmigkeit war das Sclnvanken zwischen Hoffnung und Furcht ^
Man wusste, dass Jesus die Sünder annimmt; aber nun war man
angenommen durch die Taufe. Die Gottesthat war gleichsam er-
schöpft^. Die ganze Dogmatik (Trinität, Christologie u. s. w.) hatte
ihre praktische Spitze und damit ihr Ende in dem bloss rückwirken-
den Gut, welches man in der Taufe erhielt. AVas jetzt? man fürchtete
den Richter und man hoffte in unsicherer Weise auf eine noch vor-
handene Gnade. Die Furcht vor dem Richter trieb zu Fasten, Al-
mosen und Gebet, und die unsichere Hoffnung tastete nach neuen
Gnadenmitteln. Man schwankte zwischen der Zuversicht auf die eigenen
Kräfte und der Hoffnung auf die Unerschöpflichkeit der Gnade Christi.
Aber besass man niclit den Glauben? Man hatte ihn, schätzte ihn
als ein hohes Gut; aber man schätzte ihn als Bedingung, als die
unumgängliche Eintrittskarte. Um wirklich einzutreten, dazu waren
noch ganz andere Bedingungen zu erfüllen. Die Frömmigkeit,
wenn sie sich auf die Aufgabe der Gegenwart besann,
lebte nicht im Glauben. Die psychologische Form der Frömmig-
' Irii Folgenden ist nur die (jr u nd s tini miing charakterisirt. Dass sie in
Einzelnen evangelischer ausgeprägt gewesen ist, soll nicht verneint werden.
"^ Nach dem in Bd. I und II Ausgcjfiihrtcn und in dem 2. Capitel dieses Bandes
Angedeuteten, brauche ich es nicht nuilir zu belegen, dass für die alte Kirche sich
die Gnade (lottes in Christo in den Zuwendungen, die man in der Taufe erhielt,
erschöpfte.
60 Die vvelt|(eschichtl. Stellunji- Auguntin's als Reformator der Frömmigkeit.
kfit war die Unruhe, d. li. die Furcht und die Hoffnung'. Man
vertraute dem freien Willen; aber was sollte man thun, wenn er in
AV^irkliehkeit eine Niederlage nach der anderen bereitete? Man sollte
bereuen und es besser machen. Man war darüber nicht im Zweifel,
dass die Keue dort überall ausreiche, wo es sich um Sünden „gegen
den Nächsten'' handelte, und wo man den Schaden wieder gut machen
konnte. Die Reue und das Wiedergutmachen hatten den weitesten
Spielraum gegenüber der Sünde. Die Sünde ist böse That; die mit
Reue verbundene gute That macht sie wett. Der Nächste kann uns
vergeben, was wir an ihm gesündigt, und die Sünde besteht nicht mehr;
die Kirche kann vergeben, was ihren Bestand berührt hat, und die
Schuld ist getilgt. Aber der Getaufte sündigt auch „wider Gott".
Mag die Kirche den Kreis der Sünden, bei denen sie die Verletzte,
die Richterin und die Inhaberin des Begnadigungsrechts ist, noch
so weit ausdehnen — es giebt Sünden wider Gott und es giebt Ver-
fehlungen, die nicht wieder gut zu machen sind. Wer vermag Mord
und Ehebruch, wer ein verfehltes Leben des Getauften rückgängig
zu machen? Vielleicht steht es doch auch mit diesen Sünden nicht
so schlimm; vielleicht rechnet sie Gott den Getauften überhaupt
nicht an — doch das wäre ein epikureischer Irrthum ; vielleicht
bricht sich die Macht der Kirche selbst nicht an dem Felsen voll-
zogener Thatsachen; vielleicht giebt es neben der Taufe doch noch
andere Gnadenmittel. Aber wer vermag das zu wissen? Die
Kirche schuf eine Art von Sacrament der Busse im 3. und 4. Jahr-
hundert; allein sie sagte nicht deutlich, wessen man sich zu diesem
Sacrament versehen könne. Versöhnt es mit der Gemeinde oder mit
Gott; tilgt es Sünde, Schuld und Strafen; ist es wirksam durch die
Busswerke des Büssenden oder durch die Macht der Gnade?- Ist es
nothwendig? Giebt es denn einen sündigen Zustand, der fortdauert,
wenn die Gesinnung sich geändert hat, wenn der Wille wieder mit
allen Kräften nach dem Guten strebt? Giebt es überhaupt eine Schuld?
Steht nicht Alles, was der Mensch seiner Anlage gemäss thun kann,
in dem ewigen Wechsel, der durch böse und gute Thaten, durch Er-
^ Man lese die ergreifenden Geständnisse vom 2. Clemensbrief ab, den Hirten
des Hernias, Tertullian, die Bekenntnisse der Mönche und der grossen Theologen
des 4. Jahrhunderts, denen die Verhältnisse es verwehrten, Mönche zu werden.
^ {Sehr richtig Rothe, Kirchengesch. 11. S. 33: „Im Stillen misstraute man
doch unvermeidlich der vorausgesetzten rein übernatürlichen, mithin magisclien
Gnadenwirksamkeit (.Tottes, und darum traf man natürlich seine Einrichtung auf die
Eventualität hin, dass doch am Ende Alles von den Menschen allein möchte
gethan werden müssen."
J
Die vorausfustinische und die auguatinische Frömmigkeit. Q\
kenntniss, Reue und Streben bezeichnet ist? Wissen und Thun
entscheiden. Der Mensch von heute, der das Grute thut, hat mit dem
Menschen, wie er gestern war, als er das Böse that, nichts mehr ge-
mein. Aber die Sünden wider Gott schlagen doch in den Nacken.
Woher kommt die Furcht, die dauernde Furcht? Die Kirche macht
ihre Thore weit und weiter ; sie vergiebt Sünde, alle Sünde ; aber die
Ernsthaften fliehen in die Wüste. Sie versuchen es dort nicht anders,
als sie es in der Welt versucht haben, und die Stimmung bleibt die-
selbe — Hoöhung und Furcht. Es giebt keinen Trost, dem nicht^
ein dreifacher Schrecken gegenüberstünde. — Das ist die Stimmung der
alten Christen gewesen von dem Tage an, wo wir sie im weiten Rahmen
des römischen Reiches zuerst beobachten können, bis zu der Epoche
hin, deren Anbruch uns hier beschäftigt. Die „evangelischen" Vor-
stellungen, die man sich von der Art ihrer Frömmigkeit macht, sind
gar nicht am Platze. Die beiden unruhigsten Elemente, die eine Menschen-
brust bewegen können, haben jene Christen beherrscht, Hoffnung und
Furcht. Diese Elemente haben die AVeit erschüttert und die Kirche
gebaut. Wohl hatte man einen Glauben und schuf sich eine Dog-
matik- aber sie beruhigten noch nicht über das Leben des Tages,
über das Leben überhaupt. Sie beflügelten die Hoffnung, aber sie
tilgten die Furcht nicht aus. Sie sagten nichts darüber, was die Sünden
seien, mit denen der Christ täglich kämpft, und was Christus für
diese Sünden gethan habe. Sie ü])erliesson diese Fragen den Ge-
wissen der Einzelnen, und die Antworten der kirchlichen Praxis waren
nicht Antworten, die das Gemüth beruhigten. Die ganze Dogmatik
mündete sicher nur in den Zuwendungen der Taufe aus. AVer aus
dieser aufstieg, musste nun seinen AVeg allein gehen. AVenn er ernst-
haft nachsann, konnte es ilim nicht zweifelliaft sein, dass die Kirche
ihm nur noch Krücken zu reiclien vermochte.
„An Dir allein habe ich gesündigt", „Du, Herr, hast uns auf
Dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruliig, l)is es Ruhe findet
in Dir", „da quod iubes, et iu])e quod vis" ' ; „der durch den Glauben
(xerechte wird leben" ; „eo quod quisque novit, non fruitur, nisi et id
diligit, neque fjuisquam in eo quod percipit permanet nisi dilectione"^.
Das sind die neuen Töne, die Augustin angeschlagen liat, das ist der
gewaltige Accord, den er aus dei* hl. Sclirift, aus den tiefsten Betrach-
' De. pcce. mf'c. ei remiss. IT, 5, dri spiriiu et lit. 22, s, (Jonfessioneii X, 40
und (If-; dono [utrHcvcr. 53. Dif Saelie schon Soliloq. T, 5: ,..Tu))(', ((uaesr) aicpie
impera fjiiid(|uid vis, nr-d '-',iti;i <t aperi aures mean." Enchir. 117 „Fides impetrat,
quod lex irni)erat."
'De fide et synd). 19.
62 r)ie weltgeschichtl. Stellung Augustin's als Reformator der Frömmigkeit.
tungen des menschliclien Wesens und aus der Specuhition über die
ersten und letzten Dinge herausgehört hat. An dem Geiste^ der Gottes
hulig ist, ist Alles eitel Sünde; nur dass er ist, ist noch gut an
ihm. Die Sünde ist die Sphäre und die Form des inneren Lebens
jedes natürliclien IVrcnschen. Dass ein grosser Ahlall dorn heutigen
Zustamle des Menschengeschlechts zu (jlruiule liegt, war hi allen theo-
logischen Systemen von Paulus bis Origenes und weiter behauptet
worden. Aber erst Augustin hat diesen Abfall, als in jedem natürlichen
Menschen noch jetzt bestehend und ihn verdammend, allem religiösen
Empfinden und allem theologischen Denken zu Grunde gelegt. Für
die Apologeten war der Abfall ein unsicheres Datum gewesen, für
(3rigenes ein vorzeitliches Yerhängniss. Für Augustin war er die
lebendigste Thatsache der Gegenwart, die, von dem Anfang her fort-
wirkend, das Leben des Einzelnen und des ganzen Geschlechts be-
stimmte. Ferner, alle Sünde ist Sünde an Gott; denn der ge-
schaffene Geist hat nur ein dauerndes Verhältniss, das Verhältniss
zu Gott. Die Sünde ist das Selbst-sein-wollen, das stolze Trachten
des Herzens (superbia); darum ist ihre Form die Begierde und die
Unruhe. In dieser Unruhe offenbart sich die niemals gestillte Lust
und die Furcht. Die Furcht ist das Böse. Aber in dieser Unruhe
offenbart sich auch das unverlierbare Gute des aus Gottes Hand her-
vorgegangenen Geistes: „Felices esse volumus et infelices esse nolumus,
sed nee velle possumus" ^ Wir müssen nach Gütern streben, nach
der Seligkeit. Aber es giebt nur ein Gut, eine Seligkeit und eine
Ruhe: „Mihi adhaerere deo bonum est". Hierin ist Alles beschlossen.
Nur im Elemente Gottes lebt die Seele. „Quis mihi dabit acquies-
cere in te? Quis mihi dabit ut venias in cor meum et inebries illud,
ut obliviscar mala mea et unum bonum meum amplectar te? Quid
mihi es? Miserere, ut loquar. Quid tibi sum ipse, ut amari te iubeas
a me, et nisi faciam irascaris mihi et mineris ingentes miserias? . . .
Die mihi per miserationes tuas, domine deus mens, quid sis mihi.
Die animae meae: Salus tua ego sum. Sic die, ut audiam. Ecce
aures cordis mei ante te, domine; aperi eas, et die animae meae:
Salus tua ego sum. Curram post vocem hanc et apprehendam te.
Noli abscondere a me faciem tuam; moriar ne moriar, ut eam videam.
Angusta est domus animae meae quo venias ad eam; dilatetur abs te.
Ruinosa est; refice eam. Habet quae offendant oculos tuos; fateor et
^ De Trinit. XIIT, 4. De civit. clei XT, 26: „Tarn porro nemo est qiii esso se
nolit, quam nemo est qui non esse beatus velit. Quo modo euim potest beatus esso,
si nihü sit?"
Augustin über Sünde, Gnade und Liebe. 63
scio; sed quis mundabit eam? aut cui alteri praeter te clamabo?" K
Der Gott, der uns erschaffen, hat uns durch Jesus Christus erlöst.
Das heisst aber nichts anderes, als dass er uns wieder in die Gemein-
schaft mit sich selbst führt. Das geschieht durch die Gnade und die
Liebe und wiederum durch den Glauben und die Liebe. Durch die
Gnade, die uns ergreift und ex nolentibus volentes macht, die uns ein
unbegreiflich neues Wesen giebt, indem sie uns neu gebiert, und durch
die Liebe, w^elche den schwachen Geist stärkt und ihn mit Kräften
des Guten erfüllt. Durch den Glauben, der sich an das AVort „quod
scriptum est et apostolicae disciplinae robustissima auctoritate firma-
tum" hält: „der durch den Glauben Gerechte wird leben", und durch
die Liebe, die in Demuth auf alles Eigene verzichtet und Lust hat
an Gott und seinem Gesetz. Glaube und Liebe stammen von Gott;
denn sie sind das Mittel, durch welche sich der lebendige Gott uns
zu eigen giebt. Als ein immerwährendes Geschenk und als ein hei-
liges Geheimniss betrachtet die Seele diese Güter, in denen sie Alles
erlangt hat, was Gott verlangt; denn ein mit Glaube und Liebe aus-
gerüstetes Herz erfüllt die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Der Friede
Gottes ist ausgegossen über die Seele, die den lebendigen Gott zum
Freunde hat ; sie ist aufgestiegen aus der Unruhe zur Ruhe, aus dem
Suchen zum Finden, aus der falschen Freiheit zur freien Nothwendig-
keit, aus der Furcht zur Liebe; denn die vollkommene Liebe treibt
die Furcht aus. Sie kann keinen Moment vergessen, dass sie in Welt
und Sünde verstrickt ist, solange sie in dieser Welt lebt; aber sie
denkt keinen Moment über die Sünde nach, ohne nicht des lebendigen
Gottes zu gedenken, der iln^e Stärke ist. Durch Glaube, Demuth
und Liebe überwundenes Sündenelend — das ist die christliche Fröm-
migkeit. In dieser Stimmung soll der Christ leben. Er soll fort-
während den Schmerz empfinden, den die Sünde bereitet, die Los-
lösung von Gott; aber er soll sich zugleicli dessen getrösten, dass
die Gnade Gottes ilm (jrgriffen liat, dass der Herr Himmels und der
Erde seine Liebe ausgegossen hat in das Herz, und dass diese Liebe
ebenso mächtig nach wie in der Taufe wirkt'-. So hat Augustin an
die Stelle der überkommenen Empfindungen des Getauften — Furclit
und Hoffnung ~ die Elemente der Unrulic, vielmehr die Elemente
der Ruhe, Glaube und Liebe, gesetzt ; au die Stelle eines unsicheren
und schwankenden Begriffs der Sünde (He Erkenntniss ihrer Maclit
und ihres Schreckens, an die Stelle eines nocli unsichereren Begriffs
' ConfesH. I, 5.
Kiiichir. 64: „Excepto ])a|)tisniati8 munore ipsa ctiam vita cetera, quautalibei
l)i;i<|)rill<!it ror-ciiiKlifüic iii'if il ijic, Miiu- pffcniorinn i'fiiiisRioiic non iM^ifiii'".
64 r)ie weltpreschichtl. Stellung Auja^ustin's als Reformator der Frömmigkeit.
der Gnade die Erkenntniss ihrer Allgewalt. Die Hoffnung hat er nicht
gestrichen, vielmehr aufs kräftigste die alte Stinnnung hewahrt, dass
dieses Tjeben nicht werth ist der Herrlichkeit, die an uns soll offen-
bart werden. Aber indem er die Rnlu^ empfunden und gepredigt
hat, welche der Glaube und die Liebe verleihen, liat er die stürmische
uml fanatische Gewalt der HofFiumg in eine sanfte und sichere Ge-
wissheit umgewandelt '.
Ich habe hier den Augustin wiedergeg(iben, wie er uns vornehm-
lich in den Oonfessionen entgegentritt. T3ieses Buch gewährt den Vor-
theil, dass die Darstellung in demsel])en durch keine particularen
Absichten bestimmt ist. Das Ausgeführte ist keineswegs vollständig ;
man müsste ihm mehr als eine (Jautele hinzufügen, um völlig gerecht
zu sein-. Ferner hat die Ausführung absichtlich nur die Grundlinien
ins Auge gefasst und auch nur die eine Richtung ausgeprägt, in
welcher die epochemachende Bedeutung Augustin's hervortritt. Allein
dass sie die entscheidendste ist, darüber kann kein Zw^eifel bestehen.
Wenn wir abendländisclie Christen es nicht anders wissen, als dass
sich die Religion zwischen den Polen Sünde und Gnade (Natur und
Gnade) bewegt, wenn wir die Sittlichkeit dem Glauben unterordnen,
sofern wir den Gedanken einer selbständigen, dem Religiösen gegen-
über indifferenten Sittlichkeit ablehnen, wenn wir glauben, viel acht-
samer auf das Wesen der Sünde sein zu müssen, als auf ihre Er-
scheinungsformen (die Wurzeln ins Auge fassen, nicht die Abstufungen
und Thaten), wenn uns die generelle Sündhaftigkeit als Voraussetzung
der Religion feststeht, wenn wir von den eigenen Kräften nichts er-
warten, wenn wir in dem Gedanken der Gnade Gottes und des Glaubens
alle Heilmittel zusammenfassen, wenn an die Stelle der Predigt von
der Furcht, der Reue und der Hoffnung die Predigt vom Glauben
und von der Göttesliebe getreten ist^, ^venn wir endlich zwischen Gesetz
und Evangelium, zwischen Gaben und Aufgaben, die Gott giebt, unter-
^ Inwiefern durcli die Aufnahme vnloär- katholischer Elemente in seiner
Frömmigkeit Augustin doch die Unsicherheit und Unruhe nicht überwunden hat,
davon wird später die Rede sein.
^ Die wichtigste Cautele — dass Augustin seine neue Emphndungs- und Be-
trachtungsweise der alten angepasst hat — wird später zur Sprache konunen; sie
ist in dem Ausgeführten nur leise angedeutet.
* Ich brauche wohl nicht dasMissverständniss abzuwehren, als wäre dei(Tla.nbe
für die voraugustinische und griechische Kirche nicht von finulamentaler Bedeutung
gewesen. Hier handelt es sich darum, in welcher Stimnuuig der Christ war. Der
voraugustinische Christ beurtheilte den (xlaubeu als selbstverständliche Voraus-
setzung der Gerechtigkeit, die er selbstthätig zu erwerben habe.
Die neugestimmte Frömmigkeit. 65
scheiden — so empfinden wir mit den Empfindungen Augustinus, denken
in seinen Gedanken, reden in seinen Worten ^
AVer könnte leugnen, dass sich die Religion in dieser Weise
zu empfinden und zu denken tiefer erschlossen hat, dass die Krank-
heit sicherer erkannt und die Heilung zuverlässiger nachgewiesen ist?
Wer könnte den Gewinn verkennen, wo das lebendige Gemüth, das
Bedürfniss der Seele, der lebendige Gott, der Friede, der in der
Stimmung des Vertrauens und der Liebe liegt, entdeckt sind? Wer
könnte — auch wenn er nur als uninteressirter „Culturhistoriker"
diese Erscheinungen studiren wollte — sich dem Eindruck entziehen,
dass hier ein Fortschritt mindestens in der psychologischen Erkenntniss
gemacht ist, der nicht mehr verloren gehen kann? In der That — die
Geschichte scheint zu lehren, dass das Gewonnene innerhalb der christ-
lichen Kirche nicht mehr untergehen kann, ja sie bezeugt, wie es
scheint, noch mehr: dass hier eine Grenze erreicht ist, über welche
hinaus die Stimmung der Frömmigkeit sich nicht weiter zu entwickeln
vermag. Wir mögen Umschau halten unter allen den Männern und
Frauen im Abendland seit Augustinus Zeiten, welche die Geschichte
als hervorragende Christen der Stimmung wegen bezeichnet hat, die
sie beherrschte — es ist immer dieselbe Art : das ausgeprägte Sünden-
bewusstsein, der volle Verzicht auf die eigene Kraft, die Zuversicht
auf die Gnade, auf den persönlichen Gott, der in der humilitas Christi
als der Barmherzige ergriffen wird. Zahlreich sind freilich noch die
Spielarten dieser Stimmung — wir kommen später auf sie zu reden — *,
aber der Grundtypus ist derselbe. Und diese Stimmung wird in der
Predigt und im Unterricht von wahrhaft frommen Katholiken und
EvangeUschen gelehrt; zu ihr werden die jugendlichen Christen er-
zogen ; ihr entsprechend wird die Dogmatik ausgeprägt. So ergreifend
' Man wende nicht ein, das sei die Lehre der Schrift. Erstlich hat die Schrift
keine einheitliclu; Lehre ; zweitens deckt sich sel))st der Ciredankenkreis des Paulus,
dem der augustinische hier am nächsten kommt, doch nicht vollständig mit diesem.
Aber anzuerkennen ist allerdiogs, dass die augustinische Reformation ganz wesent-
lich eine paulinischc Reaction gewesen ist gegenüber der herrschenden Fröm-
inigkeit. Augustin erscheint gewissermasscn als zweiter Marcion ; s. Bd. I S. 116,
Reuter, August. Studien S. 492: „Man kann vielleicht sagen, der Paulinismus,
welchen die werdende katholische Kirche sich nur halb zum Verstandniss gebracht,
welchen Marcion in excentrischer Einseitigkeit zu erschliessen versucht, welche
jene in (Opposition gegen diesen nahezu abgewiesen hatte , sei von unserem
Kirchenvater zum zweiten Male in der Art ausgebeutet, dass manches bisher vulgär
Katholische umgestimmt worden." Es folgt eine Parallele zwischen Augustin und
Marcion. Die Trias, „(Jlaube, Lielx^, Ifolfnung", ist paulinisch und findet sich fast
bei allen Kirchenvätern; aber erst Augustin hat sie, wijjder fruchtbar gemacht
(vielleicht hat er hier von .fovinian gelernt).
liarnacU, Ixiipaengcschiclit'' III. 5
ßfi Die weltßfeschichtl. Stellung Augiistiu's als Reformator der Frömmiorkeit.
wirkt sie noch immer, selbst wo sie nur als das Erlobniss Anderer
vorgetragen wird, dass sie der nicht vergessen kann, der einmal von
ihr berührt w^orden ist: sie begleitet ihn als Schatten am Tage und
als Liclit in der Nacht; wer wiilnit, sie längst abgestossen zu haben,
dem taucht sie plötzlich wieder auf. Wohl ist ihr seit den Tagen
Leibniz's und der Aufklärung ein gewaltiger Gegner erwachsen, ein
Feind, der sie sogar während eines Jaln-hunderts bezwungen zu haben
schien, der die christliche Religion, soweit er sie überhaupt gelten
Hess, wieder auf thatkräftiges Handeln zurückführte und ihr die FoHe
eines freudigen Optimismus gab, eine Denkweise, die den lebendigen
Gott in die Ferne rückte und das Rehgiöse dem Sittlichen unter-
ordnete — aber dieser Gegner erlag in unserem Jahrhundert, wenig-
stens innerhalb der Kirchen, der Gewalt der alten Stimmung. Ob
dieser Sieg Augustin's die Gewähr der Dauer hat, vermöchte nur ein
Prophet zu sagen. Gewiss ist nur, dass die Constellation von Um-
ständen im Kampfe dem Sieger günstig gewesen ist.
Kirchlicherseits herrscht darüber kein Zweifel, dass die au-
gustinische Empfindung und Denkweise die allein im Christenthum
berechtigte ist, dass sie die christliche selbst ist; denn der Gedanke
der Erlösung (durch Gott selbst) im Sinne der Wiedergeburt
beherrscht Alles. Allein man muss doch stutzig werden, wenn man
erwägt, dass sie aus den sichersten Worten Jesu keineswegs einfacli
abgeleitet werden kann, und dass die alte und die griechische Kirche
sie so nicht kennen. Man muss ferner bedenklich w^erden, wenn man
ihre Folgen erwägt; denn diese legen nicht nur günstiges Zeugniss
für sie ab. Ein quietistis ches, fast möchte ich sagen nar-
kotisches Element ist in ihr enthalten oder gesellt sich ihr doch
unvermerkt bei. Es liegt in ihr Etwas verborgen, was die lebendigen
Kräfte zu lähmen, die Anspannung des Willens zu hemmen scheint,
und an die Stelle der That Gefühle setzt. Ist es ungefährlich,
ein allgemeines Sündenbewusstsein an die Stelle deuthcher böser
Neigungen, herzloser Worte und schimpflicher Handlungen zu setzen ?
Ist es unbedenklich, sich auf eine stetig wirkende Gnade zu ver-
lassen, wo es gilt, vollkommen und heilig zu sein wie Gott? Wer-
den alle Kräfte des Willens dort wirklich entbunden, wo die Seele
in der stetigen Stimmung der „Confessionen" lebt? Sind die Furcht
und die Hoffnung wirklich Momente, die durch den Glauben und
die Liebe abgelöst werden müssen? Vielleicht ist es richtig, alh^
diese Fragen im Sinne der hier betrachteten Denkweise zu beant-
worten; aber auch dann noch bleibt ein Bedenken übrig. Ist es
zweckmässig, auf allen Stufen innerer Entwickelung — von den vor-
Kritik der neugestimmten Frömmigkeit. 67
schiedenen Temperamenten der Menschen abgesehen — dieses Ideal
als Ziel vorzustellen? Hier mindestens ka,nn die Antwort nicht
zweifelhaft sein. Was dem Geförderten, der durch eine reiche Er-
fahrung hindurchgegangen, das Letzte ist, zu dem er gelangt, das
wird für den sich Entwickelnden ein Raffinement. Eine raffi-
nirte Frömmigkeit und Moral ist aber stets schädlich ; denn sie setzt
nicht mehr an dem Punkte der Pflicht und des Gewissens ein. Sie
täuscht über das Bedürfniss und über die Befriedigung desselben.
Und da sie Kraft genug hat, um zu fasciniren, und auch von einem
wenig geförderten Verständniss als Doctrin begriffen werden kann, um
dann, einmal begriffen, nicht wieder zu verschwinden, so vermag sie
der Moral und desshalb auch der Frömmigkeit gefährlich zu werden.
Denn im Grunde hat auf beiden Gebieten nur das einen Werth, was
die Thatkraft zum Guten erhöht-, alles Andere ist ein giftiger Nebel.
Vielleicht giebt es, wenn man es recht erwägt, überhaupt keine allein
berechtigte Empfindung und Stimmung im Religiösen und keine allein
berechtigte Theorie der Factoren des religiösen Processes. Wie der
Mensch des Schlafes und des Wachens bedarf, so muss er auch, um
sein sitthches und religiöses Leben gesund zu erhalten, abwechseln
zwischen der Stimmung seiner Freiheit und Kraft und seiner Ge-
bundenheit und Ohnmacht, zwischen dem Gefühl der vollen sittlichen
Verantworthchkeit und der Gewissheit, ein begnadigtes Gotteskind
zu sein. Oder giebt es ein Mittel, die Empfindungs- und Denkweise
Augustin's so zu fassen, dass sie den Glauben zu dem stärksten
Hebel sittlicher Kraft zu gestalten vermag? Liegen die Be~
denken, die sich gegen die Art seiner Frömmigkeit
erheben, vielleicht gerade darin, dass er diese Art
noch nicht kräftig und rein genug entwickelt hat?
Diese Frage wird später ihre Antwort finden. Hier sollte darauf
hingewiesen Averden, dass die Verbreitung der religiösen Eigenheit
Augustin's nicht in jeder Hinsicht segensreich gewesen ist. Sie war
seine Grösse; sie hat ihn in die wunderbare Bahn geleitet, die er
beschritten hat; sie hat ihn dazu geführt, die Erlösung nicht mehr
als einen einmahgen Eingriff in den Gang des Menschenlebens (durch
die Taufe) zu fassen, sondern als das Element, in welchem die Seele
lebt (daher auch die Tauf gnade als stetig fortwirkende Kraft). P^igen-
heiten liegen über dem Gel)iet von Trrthümern und Wahrheiten;
sie können ii-rthümlich nach Aussen, wahrhaft nach Innen sein. Sie
können eben desshalb als Inf lue nzen auch schädHch werden, denn
„indem sie Fremdes über eine Masse heranführen, so fragt es sich,
wie diese ankommenden Eigenheiten sich mit den einheimischen ver-
5*
68 Die weltgeschichtl. SteUuut( Augustiu'« als Reformator der Frömmio^keit.
tragen, und ob sie nicht eben durch Verniiscliung einen krankhaften
Zustand hervorbringen" '. Dennoch kann darüber kein Zweifel sein,
dass Augustin der überlieferten religiösen Stnnuumg eine Correctur
eingefügt hat, wie sie einschneidender nicht gedacht werden kann,
und auch der, der nicht im Stande ist, sie uneingeschränkt zu
preisen, wird ihren Segen nicht verkleinern wollen ^.
11. Niemand war weiter davon entfernt, die kirchliche Ueber-
lieferung corrigiren zu wollen, als Augustin. Wenn er in so nach-
drückhcher AVeise das gethan hat, so bewegte ihn selbst doch nur
die Empfindung, sich dadurch immer tiefer in den Kirchenglaubcn
einzuleben. Durch den Skepticismus zur Wahrheit der katholischen
Kirche hindurchgedrungen, betrachtete er diese als den Fels seines
Glaubens. Man würde ihn missverstehen, wollte man diese Thatsache
escamotiren. Er stellt uns vielmehr die Aufgabe, darüber nachzu-
sinnen, wie es möglich ist, dass die lebendigste Frömmigkeit einen
doppelten Grund ihrer Gewissheit haben kann, das innere Erlebniss
und die äussere, ja äusserlichste Beglaubigung. Es lässt sich hier sogar
noch mehr sagen: erst Augustin hat die Autorität der
Kirche in eine religiöse Grösse verwandelt; erst er hat
die fromme Betrachtung, die Gottes- und Selbstbeurtheilung so ausge-
prägt, dass der Fromme neben der Sünde und der Gnade stets
auch die Autorität der Kirche findet ^. Zwar haben schon Paulus
und nachapostolische Lehrer, vor Allem Tertullian, die Kirche in
das religiöse Yerhältniss selbst eingeführt * •, allein sie dachten dabei
nicht an die Autorität derselben.
AVenn man die eigenthümliche Art der christlichen Frömmig-
keit Augustin's als Grundlage seiner Bedeutung für die Kirchen-
^ Vgl. Goethe in der wunderbaren Reflexion über Lorenz Sterne, Werke
(Hempel'sche Ausgabe) Bd. 29 S. 749 f.
2 "Was Augustin über die Kirche ausgeführt hat, rechne ich weder zu seinen
Grrossthaten, noch kann ich es für die das Sachhche bestimmende Centrahdee halten.
* Zutreffend Reuter (a. a. 0. S. 494): „Gar manche Momente der bisherigen
traditionellen auctoritativen Doctrin sind durch ihn in wirklich religiöse Grössen
verwandelt; er hat in den Kreisen, in denen, auf die er wirkte, eine Umstimnuing
des religiösen Bewusstseins bewirkt, ohne doch die Katholicität desselben gefähr-
den zu wollen." Vgl. auch S. 102 (71 — 98): „Vieles vulgär-Katholische ist durch
Augustin umgestimmt, aber längst nicht alles."
■* S. De bapt. 6: „Cum autem sub tribus et testatio fldei et sponsio salutis
pignerentur, uecessario adicitur ecclesiae mentio, quoniam ubi tres, id est pater et
fihus et Spiritus sanctus, ibi ecclesia, quae trium corpus est." De orat 2 : „Pater . . .
filius . . . ne mater quidam ecclesia praeteritur. Si quidem in filio et patre matei-
recognoscitur, de qua constat et patris et lllii nomeu." De monog. 7: „vivit enini
unicus pater noster et mater ecclesia." üeberall liegt hier das Symbol zu Grunde.
Die Frömmigkeit als Kirchlicbkeit bei Augustin. 69
und Dogmengescliichte ins Auge fassen will, so darf man nicht nur
seine Sünden- und Gnadenlehre in ihrer entscheidenden Tendenz be-
trachten, sondern muss es auch würdigen, wie er überlieferte Ele-
mente aufgenommen und eigenthümlich umgebildet hat. Denn von
hier aus hat seine Frömmigkeit, d. h. seine Gottes- und seine Sünden-
und Gnadenempfindung, die Gestalt gewonnen, welche uns als die
specifisch katholische geläufig ist. Neben dem (1) schon genannten
Element der Autorität der Kirche sind es, wenn ich recht sehe,
noch drei: 2) die Vertauschung des persönlichen Ver-
hältnisses zu Gott mit einer s a er amental en Gnaden-
mittheiiung, 3) die Unsicherheit über das Wesen
des Glaubens und der Sündenvergebung, 4) die
Unsicherheit über die Bedeutung des gegenwärtigen
Lebens. Auch in der Art, wie er in diesen Dingen empfunden
und geschrieben hat, hat er neue Stimmungen erzeugt ; aber sie er-
scheinen doch nur als Modificationen der alten oder vielmehr — er
hat die alten hier erst zur Klarheit über sich selber gebracht,
resp. aus todten Stoffen, die sie mitführten, bereichert. Das hat
dann auf die Grundstimmung — die Sünden- und Gnadenempfindung
— sehr energisch eingewirkt und ihr erst die Gestalt gegeben, die
es ihr ermöglichte, sich der Gemüther zu bemächtigen, ohne eine
Revolution zu erzeugen oder einen gewaltsamen Bruch mit Ueberliefer-
tem herbeizuführen.
Nur in den Grundzügen sei im Folgenden von diesen vier Ele-
menten die Rede ^ :
^ Dass Augustin mit der Vergangenheit der Kirche in allem Uebrigen aufs
engste verbunden gewesen ist (Schrift, Lehrbekenntniss u. s. w.), braucht nicht erst
gesagt zu werden. Daneben theilte er auch die Auffassung von der kirchlichen
Wissenschaft in ihrem Vcrhältniss zum Glauben mit seineu Zeitgenossen und hatte
in vielen Stücken ebenso naive Vorstellungen von den Grenzen und dem Spielraum
des Wissens wie sie. Besass er auch die Fähigkeit psychologischer Beobachtung in
viel höherem Grade als seine Vorgänger, so hat er doch die absolute Denkweise
beibehalten und bei aller skeptischen Zurückhaltung, die er in einzelnen Fragen
geüljt hat, doch jenes kosmoh^gisch-cthisch-mythologisch-rationalistischc Conglo-
merat weiter ausgebildet, welches damals Wissenschaft hiess. Ebenso war er in
allen Vorurtheilen der damaligen Exegese befangen. Dazu kommt endlich, dass er,
f)bgleich minder leichtgläubig als seine Zeitgenossen, doch wie Origeues in den Vor-
urtheilen, der Wundersucht und dem Aberglauben des Zeitalters steckte. Seine
Werke, nüchtern im Vergleich mit vielen anderen Elaboraten der Epoche, sind
(loch auch von Wundergeschichten angefüllt: ein Sklave, der durch Gebet in drei
Tagen ohne menschliche Hülfe lesen lernt, (lottcjsurtheile, wunderthätigc Ge-
beine u. 8. w. Ja er hat das Absurde erst kirchlich unentbehrlich gemacht. Seit
Augustin giebt es ganz absurde kirchliche Lehren, welche preiszugeben doch nicht
70 r^ie weltgeschichtl. Stellung Augustin's als Reformator der Frömmigkeit.
1. Die Autorität der Kirche hat Augiistin aus zwei Gründen als
religiöse Grösse eingeführt. Wie der Erlösungsgedanke, so scheint
die Bedeutung der Kirche })ei oherflächlicher Betrachtung in der Auf-
fassung der altkatholischen und griechischen Väter so souverän und
fest ausgeprägt zu sein, dass eine Steigerung unmöglich ist. Sieht man
aber näher zu, so ist die Erlösung als eimnaliger Eingrill" vorgestellt,
und die Bedeutung der Kirche erschöpft sich darin, dass sie zwar die
Voraussetzung des christlichen Lebens und die Verb ür gerin der christ-
lichen AVahrheit ist, aber in die einzelnen Acte, in denen das religiös-
sittliche Leben innerlich verläuft, nicht eingreift. Auch hier gilt das
Roth e' sehe Wort, dass man im Stillen „seine Einrichtung auf die
Eventualität hin traf, dass doch am Ende Alles von den Menschen
allein möchte gethan werden müssen". Dieser „Einrichtung" lag seit
den Tagen der Apologeten die optimistische Auffassung von der
unverlierbaren Güte der menschlichen Natur und von der Beweisbar-
keit (Klarheit und Verständlichkeit) der christlichen Religion zu Grunde :
der Verlauf des spontanen sittlichen Lebens wird schliesslich weder
durch die Lehre von der Erlösung noch durch die Lehre von der
Kirche modilicirt.
In beiden Beziehungen hatte Augustin ganz andere Erfahrungen
gemacht. Der Kampf gegen sich selber hatte ihn von der Schlechtig-
keit der menschlichen Natur überzeugt, und durch den Manichäis-
mus war er über die Grundlagen und die Wahrheit des
Christ liehen Glaubens völlig zweifelhaft geworden*. Seine
Zuversicht zur Rationalität der christlichen Wahrheit war aufs tiefste
erschüttert, und sie ist ihm niemals wiederhergestellt wor-
den, d. h. als denkendes Individuum hat er niemals wieder die
subjective Gewissheit gewonnen, dass die christliche Wahrheit — als
solche muss Alles betrachtet werden, was in den beiden Testamenten
steht — klar, widerspruchslos und beweisbar sei ^. Als er sich daher
ohne Gefahr ist, weil sie Gewissenhaftigkeit, Strenge in der Selbstbeurtheiluug und
Zartheit des Gemüthes hervorgerufen haben oder doch diesen Tugenden ein Halt
geworden sind, wie derStab deuRanken (s. z.B. Augustinus Erbsündenlehre). Aber
wie alles Absurde haben sie auch blinden Fanatismus und furchtbare Verzweiflung
erweckt.
»S. Reuter, a.a. 0. S. 490f.
'^ Die einzelnen Ansätze zu dieser Auffassung, die sich auch bei ihm finden,
sind stets mit derselben Neutralisiruug des Geschichtlichen verbunden, welche die
Apologeten zeigen. Hier kann nicht näher auf diese Unterströmung bei ihm einge-
gangen werden. Wichtig aber ist es, sich die Hauptströmung klar zu nuicheu, dass
nämlich die Gebildeten die Zuversicht zu der Rationalität des katholischen Glaubens
keineswegs besassen. DicAngrifle der Heiden und Manichaer hatten sie erschüttert.
I
Die Autorität der Kirche für den Glauben. 7 1
der katholischen Kirche in die Arme warf, that er das mit dem vollen
Bewusstsein, er bedürfe ihrer Autorität, um nicht im Skepticismus
oder Nihihsmus zu versinkend Z. B. die Anstösse am AT. vermag
nur die Autorität der Kirche zu beseitigen. Die tausend Zweifel,
welche die Gotteslehre und namentlich die Christologie erregt, vermag
nur die Kirche zu beschwichtigen. In ersterer Hinsicht hilft allerdings
die allegorische Erklärung über die Anstösse hinweg; aber die alle-
gorische Interpretation (gegenüber der buchstäblichen, -welche Alles
auflöst) legitimirt sich nicht selbst; die Kirche allein giebt ihr das
Recht der Anwendung. Die Kirche tritt für die Wahrheit
des Glaubens ein, wo das Individuum dieselbe nicht zu
erkennen vermag: das ist der neue Gedanke, dessen offene Aus-
sprache ebenso den Skepticismus des Denkers beweist wie die Wahr-
heitsHebe des Menschen. Er wollte sich selbst nichts vormachen;
er woUte nicht zum Sophisten seines Glaubens werden. Offen hat er
es proclamirt : ich glaube in vielen Stücken nur auf die Autorität der
Kirche hin ; ja ich glaube selbst dem EvangeHum nur auf die Autorität
der Kirche hin^. Damit hatte die Kirche eine ungeheure Bedeutung
erlangt, die Bedeutung, welche ihr fortab im abendländischen Katholicis-
mus bleiben sollte : auf sie, eine zunächst unfassbare Grösse — denn
was und wo ist die Kirche? — wurde ein grosses Stück der Verant-
Man spricht, theils mit Selbstgefälligkeit, theils mit Schmerz, von den „modernen"
Zweifeln an dem kirchlichen Glauben. Allein diese Zweifel sind so wenig modern,
dass vielmehr die Schöj^fung der augustinisch-mittelalterlichen Kirchenautorität ihr
Werk ist. Dass das Kirchenthum so mächtig, ja eine dogmatische Grösse geworden
ist, verdankt es im 2. und 3. Jahrhundert der mangelnden Sittlichkeit der Christen,
im 4. und 5. dem mangelnden Glauben. Der Unterschied zwischen Justin und
Augustin ist hier viel grösser als der Unterschied zwischen Augustin und einem
Christen des 16. oder 19. Jahrhunderts.
^ S. die mittleren Bücher der Confessionen, z.B. VI, 11 : „scripturae sanctae,
quas ecclesiae catholicae commendat auctoritas." VI, 7: „libris tuis, quos tanta in
Omnibus fere gcntibus auctoritate fundasti .... Non audiendos esse, si qui forte
mihi dicerent : unde scis illos libros unius veri et veracissimi dei spiritu esse humano
generi ministratos? idipsura enim maxime credendum erat." VI, 8: Ideoque
cum essemus infirmi ad inveniendam liquida ratione veritatem, et ob hoc nobis opus
esset auctoiitatc sanctarum litterarum, iam crcdere coeperam nullo modo te fuisse
tributurum tarn excellentem illi scripturae per omncs iam tcrras auctoritatem, nisi
et per ipsam tibi credi et per ipsam te (juaeri voluisses. Jam enim absurditatem
quae me in illis litteris solebat offendere, cum multa ex eis probabiliter exposita
audissem, ad sacramentorum aliitudinem referebam." S. auch die Schrift de utilit.
credendi und überhaupt die Schriften gegen den Mauichäinmus.
'^ Contra ep. Manichaei 6: „ego vero evangelio non crederem, nisi me catho-
licae (ecclesiae) commoveret auctoritas." Unzählig viele Parallelstellen, namentlich
in den antimanichäischeu Schriften, aber auch sonst, sind vorhanden.
72 I^it' weltgeschlchtl. StelUmg Augustiir« als Reformator der Frömmigkeit.
wortiing abgewälzt, welclio bisher der Eiiizehic zu tragen hatte. So
ist fortab die Kirche in jedem Ghiubensact mit dabei. Damit ist aber
eine ungeheure Umwälzung in dem Verhältniss zur fides, quae creditur,
herbeigeführt. Die Glaubensacte sind zugleicli Acte des
Gehorsam s. Die Schwierigkeiten, welche die Alexandriner durch
das Mittel der Unterscheidung der exoterischen und der esoterischen
Religion beseitigt haben, sind anerkannt ; aber diese Unterscheidung
selbst ist verworfen. An ihre Stelle >vird nun offen das proclamirt,
was im Geheimen längst schon — namentlich im Abendland (die
Schrift und das Dogma als lex s. Cap. 1) — die Auskunft von Tausen-
den gewesen war: der partielle Verzicht auf den selbständigen Glauben,
die Ersetzung desselben durch den Gehorsam. Dass damit ein grosser
Bestand der Dogmen, resp. des Schriftinhalts, für das gläubige Sub-
ject in die Ferne rückt, dass eine ganz andere Beziehung auf die-
selben eintritt, dass mit einem Wort die Lehren der Schrift und der
Kirche eine andere Bedeutung gewinnen, leuchtet ein. Augustin
ist der Vater der Auffassung von der fides implicita, in-
dem er dem einzelnen Gläubigen die Kjrche hinzufügt, mit der er
zusammen glaubt und die für ihn glaubt, sofern sie ihm ein psycho-
logisches Element des Glaubens in manchen Stücken ersetzt, nämlich
die innere Ueberzeugung. Indem Augustin diese Auffassung offen ver-
kündet hat, die, wie gesagt, schon im Finstern schlich, hat er einer-
seits den individuellen Glauben entlastet und ihn energischer auf die
Gebiete gewiesen, in welche er ohne Anstösse sich heimisch machen
kann, andererseits aber alle die üblen Folgen heraufgeführt, die aus
dem Autoritätsglauben entspringend
Indessen dieses Eintreten für den Autoritätsglauben hatte bei
Augustin doch noch eine andere Wurzel als den Skepticismus. Ueber-
lieferung und Gnade hängen durch geheime Fäden zusammen. „Der
Thau, drin ich gesund mich bade, ist Ueberlieferung, ist Gnade", hat
ein Genius bekannt, der niemals skeptisch und daher niemals autoritäts-
süchtig gewesen ist. Augustin ist auch als Psychologe und als lebendig
glaubender Christ zur Ueberlieferung, und damit zur Kirche, geführt
worden. Indem er mit dem Moralismus brach,' brach er auch mit
dem Individualismus und Atomismus der alten Schule. Der massa
perditionis stand für ihn die gratia als geschichtlich wirkende
^Reuter, der die Bedeutung der Idee der Kirche bei Augustin keineswegs
überschätzt, erklärt (S. 499) : „Durch Augustin ist die Idee der Kirche in eiuer
Weise, die dem Orient fremd geblieben, die Centralmaclit in der religiösen Stim-
mung, in dem kirchlichen Handeln des Abendlandes geworden." Die „Centralmaclit**
ist fast zu viel gesagt (s. Tlieol. Lit.-Ztg. 1887 Nr. 15).
Die Autorität der Kirche für deu Glauben. 73
Macht gegenüber. Ich will mich hier noch nicht in seinen Kirchen-
begriff verlieren — gewiss ist, class er eine lebhafte Empfindung dafür
besass, dass alle grossen Güter, ja der Verkehr mit Gott selbst, an
geschichtliche Ueberheferung gebunden ist, und offenbar ist, dass der
religiöse Individuahsmus, wie er ihn ausbildete, als Parallele eine Auf-
fassung vertrug, nach welcher der Einzelne getragen wird von anderen
Personen und von Kräften des Guten, die er durch eine sichtbare
Vermittelung erhält. In der Idee der Kirche fasste Augustin diese
richtige geschichtliche Auffassung zusammen. Sie war ihm der Organis-
mus und — für den Einzelnen — der Mutterschoss der Gnade, ferner die
Gemeinschaft der Gerechtigkeit und Liebe, und er hat diese Bedeu-
tung der Kirche innerhalb seiner persönlichsten Frömmigkeit viel leb-
hafter empfunden als irgend Jemand vor ihm.
Aber der Skeptiker, welcher die Autorität der Kirche bedarf,
und der lebendig fühlende und sicher beobachtende Christ, der die
kirchliche Gemeinschaft in ihrem Werthe. erkennt und schätzt, fallen
doch nicht auseinander. Noch hat es in der AVeit keinen starken
religiösen Glauben gegeben, der nicht an irgend einem entscheiden-
den Punkt sich auf eine äussere Autorität berufen hätte. Nur
in den blassen Ausführungen der Religionsphilosophen oder in den
polemischen Entwürfen protestantischer Theologen wird ein Glaube
construirt, der seine Gewissheit ledighch den eigenen inneren Momen-
ten entnimmt. Diese sind unzweifelhaft die Kraft seines Daseins und
seiner Erhaltung. Aber sind nicht Bedingungen nöthig, unter denen
diese Kraft wirksam wird ? Jesus Christus hat sich auf die Autorität
des AT. 's, die alten Christen haben sich auf den Weissagungsbeweis,
Augustin hat sich auf die Kirche, selbst Luther hat sich auf das ge-
schriebene Wort Gottes berufen. Es ist nur eine akademische Specu-
lation, welche die äussere Autorität hier eliminiren zu können meint *,
das Leben und die Geschichte weisen daraufhin, dass kein Glaube über-
zeugungs- und zeugungskräftig ist, der nicht den Gehorsam gegen eine
äussere Autorität in sich schliesst und im Stande ist, sie zu erzwingen.
Es kann sich lediglich darum handeln, die richtige Autorität zu be-
stimmen und das zutreffende Verhältniss zwischen äusserer und innerer
Autorität zu finden. Wäre es anders, so wären wir nicht schwache,
liülflose Wesen. Man kann vom Adel der menschlichen Anlage nicht
hoch genug denken; aber so hoch ist diese Anlage nicht, dass der
Mensch die Summe aller der idealen Elemente, die das innere Leben
ausmachen, sich so anzueignen vermag, dass sie mit dem Gemüthe
zusammenwa(;lisen oder zum Product desselben werden. Vor Allem
kann der Gottesgedanke, der Gedanke der Liebe Gottes, nie eine
7 4 Pit! weltgeschichtl. Stellung A ugustiirs als Reformator der Frömmigkeit.
unerscliiitterliche Gewissheit erhalten, ohne dass er getragen wird von
einer äusseren Autorität. Es ist keine falsche religiöse Beohachtung,
dass das unruhige Suchen der Seele erst aufhört, wenn ihr eine Au-
torität aufgegangen ist, deren Geltung für sie unahhängig ist von dem
Grade der Stärke, mit welcher sie die innere Berechtigung dieser
Autorität emptindet.
Das Alles hat Augustin erkannt und ausgesprochen. Darum ist
durch ihn „die traditionelle, lediglich auctoritative Doctrin" von der
Kirche in eine Auffassung verwandelt worden, nach welcher die Kirche
eine religiöse Grösse ist. Damit ist aber die Eigenthümlichkeit der
Frömmigkeit selbst neu bestimmt K
2. Aus den Confessionen Augustin's, aber auch aus anderen seiner
Schriften, leuchtet die Erkenntniss hervor, Religion ist der Be-
sitz des lebendigen Gottes, ein persönliches Verhältniss zwi-
schen der Seele und Gott. Dass nichts anderes der Seele Ruhe und
Frieden zu geben vermag als Gott selbst, das ist der Grundton der
Bekenntnisse Augustin's — „die animaemeae: salus tua ego sum".
Seine Grösse in der Geschichte der Frömmigkeit liegt in dieser Er-
kenntniss, wie sie sich an Rom. 8, 31 — 39 anschliesst, beschlossen.
Auch hierin ist er mit den grossen Alexandrinern, namentlich mit
Clemens, zu vergleichen. Aber wie Augustin nicht nur auf dem Wege
einer mühsamen Speculation zu dieser Erkenntniss gekommen ist, so
tritt sie bei ihm auch viel gewaltiger und reiner auf als bei den
Alexandrinern ^.
^ Nur für ein oberflächliches Auge scheinen die orientalischen Christen stärker
an der Kirche zu hängen, als die abendländischen. Dort hat der geschichtliche Gang
der Dinge Kircheuthum und Nationalität zusammengeschweisst und die innere Ent-
wickelung den Kultus der Kirche ziu* Hauptsache gemacht. Allein welche andere
Rolle spielt die Kirche in der persönlichen Frömmigkeit als die, dass sie der
Schauplatz des christlichen Lebens, die Lehrerin und die Verwalterin der Mysterien
ist ? Das Alles sind im Grunde Voraussetzungen; im Abendland dagegen hat
sich die Kirche in alle Verhältnisse und Beziehungen des frommen Gemüthes zu
Gott und Christus eingeschoben, soweit die augustinische Ueberlieferung gilt.
^ Allerdings hat auch sein Neuplatonismus an jener Ei'kenntniss Antheil —
man lese aufmerksam Confess. 1. VII u. VIII sowie die Schriften und Briefe, die
Augustin gleich nach seiner Bekehrung verfasst hat — ; aber in viel höherem Grade
ist er durch die innere Erfahrung und durch die Leetüre des Pauhis und der Psal-
men zu ihr geführt worden. Die Frömmigkeit der Psalmisteu ist in ihm wieder
lebendig geworden (s. vor Allem Confess. IX, 8—12). Auch seine Sprache hat er
an ihnen gebildet. Bei Clemens Alex, dagegen und Origenes waltet die (neuplato-
nische) Speculation vor. Selbst bei den herrlichsten Ausführungen dieser Männer,
in denen die Gewalt der Empfindung deutlich hervortritt, kann man den AVog der
Speculation nicht vergessen, auf welchem sie zum Besitz Gottes gelangt zu soiu
meinen.
Gott und die Gnadenmittel bei Augustin. 75
Allein die sichere Anwendung des Einfachsten in der Dogmatik
ist immer das Schwierigste. Augustin sah sich einer Ueberlieferung
gegenübergestellt, nach welcher Gott durch Gesetze und durch
Gnadenmittheilungen mit den Menschen verkehrt; ja die herr-
schende Ueberlieferung w^ar fortwährend in Gefahr, diese auf jene
zu reduciren. Dem gegenüber war es schon ein gewaltiger Fortschritt,
den Unterschied von Gesetz und Evangelium, von Gebot und Gnade
wieder einzuschärfen. Man gewahrt nun, dass sich Augustin in seinen
dogmatisch -polemischen Schriften ganz wesentlich hierauf be-
schränkt hat, d. h. er ist nicht im Stande gewesen, die lebendige Ein-
sicht, dass Gott selbst, wie er in Christus erschienen ist, das Gut der
Seele ist, in die dogmatische Theorie überzuführen. Das alte Schema,
dass Gott, wie ein gütiger Richter durch Begnadigungs-
acte oder wie ein Arzt durch Medicamente demMenschen
zu Hülfe kommt, hat er wesentlich bestehen gelassen, resp.
er hat es aus der Unsicherheit zur vollen Gewissheit erhoben: Gott
wirkt immerfort durch geheimnissvolle allmächtige Gnadenmittheilung,
d. h. durch Gnadenkräfte '. So behält die Gnade (gratia per Christum)
auch bei ihm einen dinglichen Charakter, und er hat im Kampfe
gegen Donatisten und Pelagianer diese Betrachtung der Gnade im
Zusammenhang mit den Lehren von der Kirche und den Sacramenten
vollends ausgebildet. In seiner persönlichen Empfindung und Selbst-
beurtheilung hat er das mit der Gewissheit, dass es sich um den Besitz
Gottes handelt, zu vermitteln verstanden. Allein als Lehrer der
Frömmigkeit ist ihm das nicht gelungen; ja man kann sagen, eben
weil erst er auf die gratia per Christum allen Nachdruck gelegt, diese
Gnade aber als Gnadenstücke gefasst hat, so ist erst durch ihn mit
der Einsicht von der Bedeutung der Gnade als Anfang, Mitte und
Ende auch der Irrwahn des dinglichen Charakters derselben ein-
gebürgert worden. AVas er über die Gnade als sacramentale, kirch-
liche Mittheihmg ausgeführt hat, das konnte seine Zeit, wenn auch müh-
sam, verstehen. Sie konnte es auf ihr Niveau herabziehen. Das
magische Element, wclclies dieser Auffassung anklebte, die äusserlichc
Festigkeit, welche der Begriff der G nade innerhalb der Sacramente erhielt.
^ Der letzte Grund dieser lictrachtung bei Augustiu ist natürlich dieser, dass
er das altkatholische Schema, als handle es sich letztlicli im Christenthum um die
physische und moralische Umbildung der menschlichen Natur zu unsterblichem
Leben, doch niclit ganz ausgetilgt hat. Er hat einen grossen Schritt vorwärts
gethan; aber er ist doch nicht im Stande gewesen, dem pauliuischen (Jedanken,
dass es sich allein um Sündenvergebung und Gotteskiudschaft handelt, einen klaren
Ausdnick zu verleihen und die ganze Dogmatik nach ihm zu gestalten.
7 ♦) Die weltgc'schic5htl. Siollung Augusiiu's als Reformutor tler Frömmigkeit.
die scheinbare Klarheit der Betrachtung, die Möglichkeit, theologische
lior echn iiiigen mit Sünde und Gnade anzustellen — alle diese
Momente an der augustinischen Gnadenlehre sind begierig aufgegriffen
worden. So hat er es, indem er die Gnade zum Fundament und
Mittelpunkt aller christlich-theologischen Betrachtung machte, durch
die Art seiner Fassung verschuldet, dass der lebendige Gott und die
Person Ghristi in dem Bewusstsein der Kirche, die er bestimmt hat,
doch zurücktraten. ]\Iit der Hinterlassenschaft, dem Erwerb, dem
Verdienst Christi, hat es der Gläubige zu thun, aber nicht mit Christus
selbst. Die Liebe Gottes wird in Stücken der Seele eingeflösst; aber dass
dieDogmatik so lange unvollkommen ist, ja einHemmniss der Religion
bildet, als nicht der Satz : „inquietum est cor nostrum, donec requies-
cat in te" auch in ihr zu seinem souveränen Rechte gelangt ist, das
hat Augustin nicht erkannt. Die gewaltige Erschütterung, die er selbst
erlebt hat, die Krisis, in der es sich lediglich darum handelte, ob er
Gott als seinen Gott linden werde oder nicht, hat er höchst unvoll-
konnnen in seiner dogmatischen Theorie (der späteren Zeit) zum Aus-
druck gebracht. Er hat den neuen AVein in alte Schläuche gegossen
und es so mitverschuldet, dass jene katholische Gnadenlehre entstan-
den ist, die vielleicht das abschreckendste Stück der katholischen Dog-
matikist; denn „corruptio optinii pessima". AVenn jüngst ein römisch-
katholischer Dogmatiker die Gnadenlehre ein „dornenvolles Gebiet"
genannt hat, so niüsste diese Bezeichnung allein jedem einfach empfin-
denden Christen genügen, um zu erkennen, dass die ganze Behandlung
dieses Hauptstücks seit den Tagen Augustin's auf einen Irrweg ge-
rathen ist. Kann es denn ein traurigeres Eingeständniss geben, als
dies, dass die Betrachtung dessen, was Gott der Seele in Christus
schenkt, in lauter Dornen führt ? Und kann ein grösserer Contrast
gedacht werden als der, welcher zwischen den Sprüchen Jesu Christi
und der katholischen Gnadenlehre besteht? Aber der Protestantismus,
wie er factisch ausgeprägt ist, darf sich nicht rühmen, diese verderb-
liche katholische Lehre überwunden zu haben. AVie er auf der augusti-
nischen Gnadenlehre im guten Sinn des AVorts ruht und sich dadurch
als abendländisches Christenthum von dem morgenländischen unter-
scheidet, so trägt er auch den grössten Tlieil der Last dieser Lehre
noch mit sich und unterliegt daher denselben Gefahren wie der Kathoh-
cismus — durch die Gnade und die Sacramente sich den persön-
lichen Christus zu verdecken, den lebendigen Gott eben durch die
Gnade sich zu verzäunen, Gnadenreclmungen aufzustellen, die aus dem
Heiligsten und Freiesten ein Conto machen und die Seele entweder
abstumpfen oder in der Unruhe lassen.
Gott und die Gnadenmittel bei Augustin. 77
Aber wie Augustin für seine Person gewusst hat, wovon seine
Seele lebte, und wie er es verstanden hat, davon in lebendiger Eede,
ja in einigen Ausführungen auch lehrhaft, zu zeugen, so hat er auch
nach dieser Seite auf die Folgezeit mächtig eingewirkt. Er ist nicht
nur der Vater der katholischen Gnadenlehre, sondern auch jener
Mystik geworden, die bis zum Tridentinum, ja bis zum jansenistischen
Streit Bürgerrecht innerhalb der katholischen Kirche besessen hat.
Er hat an mehr als hundert Stellen seiner Werke, er hat vor Allem
durch seine christliche Persönlichkeit den Antrieb gegeben, ein Leben
mit Gott zu gewinnen, innerhalb welches man in der Gnade den per-
sönlichen Gott selbst ergreift. Man darf hier auch an seine Prä-
destinationslehre erinnern. Sie hat unstreitig eine ihrer Wurzeln an
dem Gedanken der Souveränetät des persönlichen Verhältnisses zu
Gott. So ist sie auch überall verstanden worden, wo sie in der Folge-
zeit das Mittel gewesen ist, sich den verderblichen Folgen der kirch-
lichen Gnaden- und Sacramentslehre zu entziehen. Aber allerdings
lässt sich nicht verkennen, dass Augustin, wo er seine bedenkliche
Gnadenlehre zurückschiebt, dann auch sofort in Gefahr gerathen ist,
die Bedeutung Christi überhaupt zu neutralisiren. Christi Werk be-
zieht sich und erschöpft sich nach Augustin in der Sündenvergebung.
Aber das, was der Christ zur Seligkeit nothwendig hat, erschöpft sich,
wie wir in dem gleich Folgenden sehen werden, keineswegs in der
Sündenvergebung. Daher ist die Gnadenlehre relativ unabhängig von
dem geschichtlichen Christus. Diese Gefahr, die positive Gnade ohne
Beziehung auf Christus zu fassen, oder sie mit Christus nur in der
Form ästhetischer Betrachtungen in Beziehung zu setzen, hat fort-
gewirkt. Erst Luther, der vom Augustinismus ausgegangen ist, hat
sie überwunden, sofern er, wenn er sich auf Gott bezog, überhaupt
nur an den Gott dachte, wie er ihn in Christus kannte. Daran war
Augustin durch seine lleligionsphilosopliie und auch durch seinen Bibli-
cismus verliindert, die sich beide mit selbständigen Ansprüchen bei ihm
geltend machten. So ist es gekommen, dass er die Frömmigkeit der
abendländischen Christen sowohl durch eine Gnadenlehre bestimmt hat,
die den niederen Antrieben derselben entgcjgeiikam, als durch eine Ver-
kündigung der Unmittelbarkeit des religiösen Verliältnisscs, welche der
Bedeutung Christi als des Spiegels des väterlichen Herzens Gottes und
als des bleibenden Mittlers nicht gerecht wurde. Hier wie dort hat er
Elemente ausgeprägt und lebendig gemacht, die in der überlieferten Lehre
nur als todt(j Stoffe oder als verkümmerte Keime vorhanden waren.
!J. Augustin theilte mit der ganzen Christenheit seiner Zeit den
(iedanken als den entscheidenden, dass einst vor dem Kichterstuhl
78 Tiie weltgescliiclitl. Stellunpf Aug:u8tiirH als Reformator der Frömmig'keit.
Ohristi „ein Jeder em])fanj]jen wird, darnach er geliandelt hat",
und Niemand wird die Cluisthchkeit dieses Gedankens in Zweifel ziehen.
Allein Augustin ging noch einen Schritt weiter und recipirte auch
die von TertuUian und (yyprian her in der Kirche geläufige Vorstellung
der merita. Er wusste es niclit anders, als dass hei der schliess-
lichen Entscheidung nur merita in Betracht kommen können. Mit
seiner Gnadenlehre aher vermittelte er diesen Satz dadurch, dass er
lehrte, Gott kröne seine munera, indem er unsere merita kröne K Hier-
mit schien beiden Erwägungen entsprochen zu sein, und die Sicher-
heit, mit welcher sich diese Auffassung in der Kirche durchsetzte,
scheint dafür zu bürgen, dass die richtige Betrachtung nun getroffen
sei. Allein erstlich fragt es sich, ob niclit die Amphibolie jener Ver-
mittelung zu ihrer Einbürgerung beigetragen hat-, zweitens muss es
auffallen, dass über den Glauben in dem Satze völhg geschwiegen
ist. Wir stehen hier wiederum an einem Punkte, wo Augustin bei
seiner Keformation der herrschenden Frömmigkeit dieser einen sehr
bedeutenden Tribut bezahlt hat. Unzweifelhaft hat er die Bedeutung
und Kraft des Glaubens in ergreifender und neuer Weise zum Aus-
druck gebracht. Wer nicht auf die Formeln achtet, sondern auf den
Geist, wird überall in den Werken Augustin's einen Strom pauhnischen
Glaubens finden. Vor ihm haben nur seine Lehrer Victorinus und
Ambrosius in einigen Ausführungen ähnlich gesprochen. Stellen, in
denen Augustin den Glauben als das Element, in welchem die Seele
lebt, als Anfang, Mitte und Ende der Frömmigkeit gepriesen hat,
lassen sich zahlreich anführen. Allein innerhalb der dogmatischen
Reflexion hat Augustin höchst unsicher, ja in der Begel nicht anders
als seine Vorgänger vom Glauben geredet. Verschiedene Momente
trafen hier zusammen. Erstens war es einfach die Macht der Ueber-
lieferung, die ihn in dem Glauben nicht mehr als einen Act der
Initiation erkennen Hess. Zweitens haben ihn Schriftstellen zu der
Annahme angeleitet, dass schliesslich vor Gott doch noch etwas
^ S. z. B. Confess. IX, 34 : „Qiiisqiiis tibi euumerat vera merita sua, quid tibi
enumerat nisi munera tua." Ep. 194 n. 19 : „cum deus coronat merita uostra, nihil
aliud coronat quam merita sua." De gratia et lib. arb. 15: „Dona sua coronat deus,
non merita tua . . . si ergo dei dona sunt bona merita tua, non deus coronat merita
tua tamquam merita tua, sed tamquam dona sua." De gestis Pelag. 35: „Redditur
quidem meritis tuis Corona sua, sed dei dona sunt merita tua." De trinit. XIII, 14 :
„Et ea quae dicuntur merita nostra, dona sunt eins etc." XV, 21 : „Quid aniniani
faciet beatam, nisi meritum suum et praemium domini sui? Sed et meritum eins
gratia est illius, cuius praemium erit beatitudo eius." De praedest. sanct. 10. Eben
desshalb bleibt der Grundsatz bestehen, dass die Gnade nicht secundum merita
nostra verliehen wird.
II
Glaube, Sündenvergebung und Verdienst. 79
anderes in Betracht kommen müsse als der Glaube, nämlich das habi-
tuelle Gutsein (Gerechtigkeit). Drittens endlich hat er die Be-
deutung der Sündenvergebung eingeschränkt. Das Letztere ist bei
ihm das Paradoxeste und doch hier das Wichtigste. Er, für den die
Gewissheit, einen Gott zu besitzen, das Höchste gewesen ist, und der
seiner ganzen Zeit zugerufen hat: „Nondum considerasti, quanti
ponderis sit peccatum", hat sich nie die strenge Beziehung vergegen-
wärtigt, die zwischen dem Glauben und der Sündenvergebung be-
steht, und er hat sich nie klar machen können, dass die Gewissheit
der Sündenvergebung Leben und Seligkeit ist. An diesem Punkte
tritt plötzHch das MoraHsche mit souveräner Gewalt in die religiöse
Reflexion ein. Es ist, als ob sich Augustin hier den quietistischen
Folgen seiner Doctrin (s. oben) habe entziehen wollen und in dem
Unvermögen, aus dem Glauben an die Sündenvergebung die Kräfte
des Guten abzuleiten, von dem Glauben zu den Werken abgesprungen
sei. Oder hinderten ihn die religionsj)hilosophischen und kosmo-
logischen Beste, die seiner Theorie von der Beligion noch anhaften,
an der reinen Erkenntniss, dass die Behgion in dem Glauben an die
Sündenvergebung beschlossen ist ? ^ Oder ist diese Erkenntniss selbst
vielmehr eine irrige, undurchführbare, die Kraft der sittlichen An-
spannung lähmende? Diese Fragen sollen hier nicht untersucht werden.
Thatsache ist, dass, weil Augustin die Sündenvergebung als etwas
Vorläufiges betrachtete, er auch den Glauben als ein Vorläufiges
fasste. Sieht man genau zu, so ist ihm innerhalb der dogmatischen
Theorie die Sünde nicht Schuld, sondern Schaden und Krankheit.
Derselbe Mann, der nach einem dauernden Verhältniss mit Gott
gerungen und es gefunden hat, ist nicht im Stande gewesen, das, was
er erfahren, als Lehre richtig wiederzugeben und auszusprechen. Er
lenkt in die herkömmliche morahstische Betrachtung ein, sofern er
in der Gnadenlehre nicht an die Feindschaft wider Gott, sondern an
die Seuche der Sünde denkt, nicht an die Kindschaft, sondern an
die Herstellung eines solchen Zustandes, in welchem der kranke
Mensch befähigt wird, gut d. h. sündlos zu werden. Darum ist der
Glaube nur etwas Vorläufiges, und daher ist es so schwer, Augustin's
Auffassung von der Sündonvcrgebung zu bestimmen. Sie scheint
doch ganz wesentlich identisch gewesen zu sein mit der äusserlichen
magischen Vorstellung seiner Vorgänger, nur dass er die Vergebung
sicherer als eine That Gottes fasste, deren sich auch der Getaufte
* In seinem 177. Briefe z. U, (ad Innocont. e. 4) erklärt er es fiusdrücklich für
einen Irrihun», wenn man sage, die gratia sei das liberum arbitrium oder die re-
missio peeeaf oru in.
80 Die weltjj^eschichtl. Stellung Augustin's als Reformator der Frömmigkeit.
fort und fort getrosten dürfe. Allein er dachte über sie selten so nach,
dass er die (iewissheit über sie als etwas betrachtete, wodurch die
Seele Kraft und Flügel empfängt. Er Wieb wesentlich bei dem Ein-
druck stehen, dass etwas durch sie thatsächlich weggeräumt sei,
freilich das Schwerste, die Sünde. Aber die Unvollziehbarkeit dieser
Vorstellung wird immer einen geheimen Zweifel übrig lassen. Augustin
bewegt sich daher trotz seiner neuen Empfindung vollkommen in dem
alten Schema, wenn er die Sündenvergebung zu ergänzen und zu über-
thürmen suchte und sich nach einem Positiven umsah, was nun neben
der negativen Wirkung einzutreten habe. Er findet es in der Liebe.
Nicht in dem Glauben, sondern nur in der Liebe vermag er die
Kraft zu erkennen, die das Innere eines Menschen wirklich ändert,
die ihm ein neues Verhalten giebt. Nun ist es ihm aber auch
trotz der entgegenstehenden empirischen Bedenken nicht zweifelhaft,
dass Liebe eingegossen werden kann wie eine Medicin. Dessen ge-
wiss, dass Gott allein Alles wirkt, überträgt er die Vorstellung, die
bei dem Glauben (Vertrauen) zutreffend ist — dass er aufliört, er
selbst zu sein, wo er sich anders empfindet als ein opYavov XvjTCTtxöv — ,
auf die Liebe, als könne dieselbe auch ebenso einfach als munus dei
per Christum betrachtet werden. Die Folge dieser Betrachtungen ist,
dass Augustin einen stufenweise fortschreitenden Heiligungs-
pro c e s s für die zutreffendste Beschreibung des Verhältnisses der
frommen Seele zu Gott gehalten hat. Hier glaubte er alle berechtigten
Erwägungen unterbringen zu können, die grundlegende Bedeutung
des Glaubens, die Fassung der (sacramentalen) Gnade als Anfang,
Mitte und Ende, das Beclürfniss nach positiven Kräften, die im Stande
sind, die Zustände im Menschen zu ändern, die Einsicht, dass nur
der Gerechte selig werden könne und dass gerecht Niemand sei,
dessen AVerke nicht vollkommen seien, d. h. die Nothwendigkeit von
Verdiensten u. s. w. Er glaubte einen Ausgleich gefunden zu haben
zwischen den Ansprüchen der Keligion und der Sittliclikeit, der Gnade
und der Verdienste, der Lehre vom Glauben und der Eschatologie.
Die allmächtige Liebe wurde ihm das Princip, welches Alles bindet,
Alles trägt. Glaube, Liebe, Verdienst waren ihm die Stufenfolge des
Weges zur Seligkeit, und diese Betrachtung hat er der katholischen
Kirche der Folgezeit und ihrer Frömmigkeit bis heute eingeprägt.
Es ist das alte Schema des Processes der zur Seligkeit führenden
Heiligung, aber so umgebildet, dass die Gnade auf allen Stufen wirkt.
So trettlich und — für manche Entwickelungsstufen — zweckmässig
diese Auffassung erscheint, so lässt sich doch nicht verkennen, dass
Augustin in ihr hinter seiner eigenen Erfahrung zurückgeblieben ist,
n
Rechtfertigung und Verdienste. 81
und dass er wider seinen Willen das Religiöse dem moralisch Guten
doch untergeordnet hat i denn diese Unterordnung ist keineswegs durch
die Gleichung ,.nostra merita, dei munera" ausgeschlossen. Wo merita
eine Rolle spielen^ da ist verkannt, dass es ein Yerhältniss zu Gott
giebt, welches sich unter Schwachheit und Sünde ebenso behauptet,
wie mitten im Elend und im Tode ^
Das hat auch Augustin geahnt, und er hat der Kirche, welcher
er seine Lehre vom Glauben, von der Liebe und dem Verdienst über-
liefert hat; desshalb auch die Keime einer Auffassung mitgetheilt,
welche jener Lehre tödtlich sein mussten. Sie liegen nicht nur in
seiner Prädestinationslehre beschlossen, sondern mindestens ebenso-
sehr in jeder Stelle seiner Schriften, wo er das ßekenntniss zum Aus-
druck bringt: „Mihi adhaerere deo bonum est". In diesem Bekennt-
niss fällt das rehgiöse Gut und das sittHch Gute zusammen und ist
auf den Quellpunkt zurückgeführt, auf Gott. Aber auch abgesehen
hiervon: seine Erkenntniss von der Liebe — „et in hac vita virtus non
est nisi dihgere quod diligendum est ; faciunt boni amores bonos mores"
— ist so zutreffend und gewaltig gewesen, dass jede Kritik wie vor-
witzige Kleinmeisterei erscheint. Dennoch wird man sie vom Stand-
punkt des Evangeliums üben müssen. Es ist schon oben bemerkt
worden, dass Augustin's Gnadenlehre als Lehre von der eingeflössten
Liebe neutral ist gegenüber dem Werk des geschichtlichen Christus.
Desshalb hat er auch eine doppelte Christologie, einerseits ist Christus
Gott, unus ex trinitate, andererseits der erwählte Mensch^ der eben-
so unter der Gnade stand wie wir. Alles das geht letztlich
darauf zurück, dass er die Bedeutung der Sündenvergebung und des
Zöllnerglaubens unterschätzte, dass seine Frömmigkeit noch nicht ein-
fach genug war''^.
4. Schhesshch ist darauf hinzuweisen , dass Augustin als Re-
formator der christlichen PVömmigkeit den Charakter derselben als
* Nicht minder aber ist die letzte und höchste Frage nach der Heilsgewissheit
noch verkannt.
^ Der Vorzug der augustinisclif^n Heiligungsauffassung scheint eingeräumt
werden zu müssen, dass or durch sie das (juictistische Moment, welches als Gefahr
seiner Gnaderdehre anhaftet, corrigirt hat. Allein bei genauerem Zusehen ergiebt
sich, dass er bei der Liebe nicht sicher an sittliche Bcthätigimg im Dienst des
Nächsten denkt, sondern an Gefühle, res}), an solche Liebeswerke, die ihren Werth
mindestens el^ensosehr an dem Reflexiven ha])en, wie an dvr Hülfelcistung. Auch
hier ist er über die Linie der altkatholischen Christen, Cyprian's und Ambrosius',
in sehr vielen Ausführungen nicht hinausgekommen: vermittelst der Caritas sorgt
rnan am l)esfen für sich selber und wird (iott gefällig, indem man sich des Welt-
lichen entäussert.
Harnack, Dogmengeschichtc III. (j
82 Pie weltgeschichtl. Stellung Augu«tm's als Reformator der Frömmigkeit.
Vorbereitung auf das Jenseits nicht angetastet hat. Hier hätte er
auch nichts ändern können, ohne die christHche Rehgion selbst zu
verwunden ; denn es ist eine lUusion einiger Protestanten, man könne
das (>hristenthum ni eine Hehgion des Diesseits verwandeln. Augustin
lebte in der zukünftigen Welt ebenso wie Justin und Irenäus. Er
ist in eschatologischen Betrachtungen unerschöpllicli, und wenn er,
wie sich später zeigen wird, einige ältere Vorstellungen beseitigt
hat, so ist das für die ganze liichtung seiner Frömmigkeit nicht
massgebend. Er hat die pessimistische Betrachtung d i e s e s Lebens,
dieser vita mortalis und mors vitalis, durch seine Lehre von der
Sünde nur noch gesteigert: „Welcher Strom der Beredsamkeit ge-
nügte je, die Drangsale dieses Lebens zu schildern, dieses Elend zu
beschreiben, das gleichsam eine Hölle in diesem Leben ist ? Wahr-
lich, nicht lachend, sondern weinend kommt das neugeborene Kind
an dieses sterbliche Licht und weissagt durch seine Thränen auf ge-
wisse Weise, auch ohne sein Wissen, zu wie grossen liebeln es aus-
ging . . . Ein schweres Joch lastet über allen Adamskindern von
dem Tage ihrer Geburt an bis zum Tage ihres Begräbnisses, wo sie zur
gemeinschaftlichen Mutter Aller zurückkehren . . . Und das Schwerste
dabei ist, dass wir erkennen müssen, wie eben durch die so schwere
Sünde, im Paradiese begangen, dieses Leben uns zur Strafe ge-
worden" ^ Ebenso w^ie er die pessimistische Betrachtung dieses Lebens
festgehalten hat, hat er auch die Seligkeit beschrieben als den Zustand
vollkommener Erkenntniss Gottes. So schon in einer seiner frühesten
Schriften de vita beata, und dabei ist er wesentlich geblieben.
Aber eben die Einsicht, dass das Elend nicht ein blosses Ver-
hängniss, sondern ein verschuldetes ist, und die Zuversicht, dass die
Gnade schon hier auf Erden den Menschen frei und sehg machen
kann, übten ein gewisses Gegengewicht. Allerdings nennt er das
gegenwärtige Leben des Christen nicht „Freude der Seligkeit",
sondern „Trost des Elends" und erklärt, es sei eine höchst falsche
Seligkeit, welche die schmieden, welche hier anders selig sein wollen
als in Hoffnung 2. Aber er spricht doch an nicht wenigen Stellen
* S. auch die ergTeifende Schilderung de civit. XIX, 4.
^ In den Soliloquien, einer seiner frühesten Schriften, hat er der Seele, die
hienieden Gott erkennt, die Seligkeit zugesprochen. Allein in den Retractationen
I, 4 sagt er ausdrücklich: „Nee illud mihi placet, quod in ista vita deo intellecto
iam beatam esse animam (in Soliloquiis) dixi, nisi forte spe." Ueberhaupt hat
Augustin in späterer Zeit Manches von dem desavouirt, was er in den gleich nach
seiner Bekehrung geschriebenen Schriften ausgeführt hat; ja selbst in den Confes-
sionen, in denen er doch geneigt ist, seine Bekehrung als eine momentane zu schil-
dern, hat er in einem schwerwiegenden Satze gestanden, wie unvollkonnnen noch
Diesseitiges und jenseitiges Leben. 83
von der Freude an Gott, die schon hier SeUgkeit schafft. Nachge-
gangen ist er dieser Empfindung selten. Eben desshalb hat er dieses
Leben in sich zwecklos gefunden, und es sind nur einzelne An-
deutungen, namentlich in dem Werk de civitate dei^ in welchen er
zu zeigen versucht, dass im Diesseits auch ein regnum Christi ge-
baut wird, und dass die Gerechten, qui ex fide vivunt, das Reich
Christi sind und eine Aufgabe für die Gegenwart haben (s. auch de
trinit. I, 16 und 21). Im Allgemeinen hat er die altchristhche
eschatologische Stimmung in jeder Hinsicht fortgepflanzt und dem
Mönchthum die Stätte bereitet. Wenn die Entwickelung der katho-
lischen Kirche in ihrer Richtung auf die machtvolle Beherrschung
des Diesseits von ihm angeregt zu sein scheint, so haben die äusseren
Verhältnisse und die durch sie herbeigeführte Interpretation des
Werkes „de civitate dei" dazu viel mehr beigetragen, als absicht-
liche Impulse, die er gegeben K Wo sich aber im Katholicismus
in der Folgezeit ein starkes Gefühl für die Seligkeit, die der Christ
schon im Diesseits empfinden kann, entwickelt hat, da hat sie stets
einen mystisch - ekstatischen Charakter angenommen. Dies ist ein
deutlicher Beweis dafür, dass in jedem Fall von diesem Leben abge-
sehen worden ist; denn die mystische Seligkeitsempfindung, wie sie
auch Augustin gekannt hat, steht, vermöge eines Excesses, eigentlich
schon im Jenseits.
In dem Vorstehenden ist der Versuch gemacht, zu zeigen, wie
beschaffen die Frömmigkeit gewesen ist, in der Augustin lebte und
die er der Folgezeit überhefert hat. Sie richtig zu fassen, ist ausser-
ordentlich schwierig; denn Erlebtes und Ueberliefertes sind in ihr
in wundersamster Weise verkettet. Aber man kann ihn als Lehrer
seine christliche Denkweise damals gewesen ist (IX, 7: „Ibi fin Cassiciacum] quid
egerim in litteris, iam quidem scrvientibus tibi, scd adliuc superbiae scholam
tanquam in pausationc anh elantibus, testantur libri disputati cum prae-
sentibus [libr. c. Aeadem. — de beata vita — de ordine] et cum ipso me solo [Soli-
lo(juia] coram te; quae autem cum absentc Nebridio, testantur epistolae"). Allein
die Beurtheilung muss hier eine doppelte sein : das früher Geschriebene war aller-
dings in mancher Hinsicht unvollkommener, minder kirchlich, neuplatonischer; aber
es war andererseits unmittelbarer, persönlicher, von Autorität und kirchlich-katho-
lischen Kücksiehten minder bestimmt. Darin war er jedoch schon fest, dass er von
einer Seligkeit des Forschens und Suchens nichts wissen wollte, sondern im Besitz
die Seligkeit sah (adv. Acad. 1. J).
' lieber Augustin's pessimistische und eschatologische Stimmung, über seine
Betrachtung des weltlichen und des gJUHtlichen Lebens sowie über die Ansätze zur
(Jeberwindung der vulgär-katholischen Auflassung s. Reuter, a. a. O. Studie VI.
Wir kommen später auf diese Themata noch einmal kurz zurück.
6*
8-1: nie weltgeschichtliclie Stellung^ Auoriistin's als Lehrer der Kirche.
der Kirche nicht verstehen, wenn man ilni nicht zuvor als Refor-
mator der Frünnnigkeit gewürdigt hat; deini seine Theorien liaben
ausser in der Schritt und der Ueberheferung ihre starken Wurzeln
in der Krönnnigkeit, die ihn beseelte; sie sind z. Th. nichts anderes
als theoretisch gedeutete Stinnnungen. in diesen Stinmmngen aber
sanunelten sich um die mächtige Erfahrung der Bekehrung von der
Unfreiheit zur Freiheit in Gott alle die mannigfaltigen religiösen Er-
fahrungen und sitthchen Reflexionen der alten Welt : die Psalmen
und Paulus, Plato und die Neuplatoniker, die Moralisten, Tertullian
und Ambrosius — man findet Alles in Augustin wieder, und man findet
neben der neuen psychologischen Betrachtung, die er als Schüler der
Neuplatoniker ausgebildet hat, alle die kindlichen Reflexionen und
absoluten Theorien wieder, welche jene Männer befolgt haben.
Viertes Capitel: Die weltgescMchtliclie Stellung Aiigiistin's
als Lehrer der Kirche.
Die alte Kirche vor Augustin besass nur ein einziges grosses
dogmatisches Schema, das christologis che. Augustin hat dasselbe
auch gekannt und verwerthet; aber indem er es in einen grösseren
und lebendigeren Kreis einstellte, hat er es um seinen ursprüng-
lichen Sinn und Zweck gebracht. Man hat von Sokrates gesagt,
er habe die Philosophie vom Himmel herabgeführt — man darf
auch von Augustin behaupten, dass er die Dogmatik vom Himmel
heruntergeholt habe, sofern er sie aus der Speculation über Endlich
und Unendlich, Gott, Logos und Creatur, Sterblich und UnsterbHch
herausführte und in den Zusammenhang der Fragen nach dem sittlich
Guten, der Freiheit, der Sünde und der Seligkeit stellte. Das Gute
wurde ihm der Angelpunkt für die Betrachtung der
Güter: das sittlich Gute und das Heilsgut sollten nicht mehr
bloss in Correspondenz stehen, sondern sich decken (ipsa virtus et
praemium virtutis). Darf man ein Bild brauchen, so kann man sagen :
Augustin hat die beiden Centren der vulgär-katholischen Theologie,
die umschaifende Kraft der Erlösung und das freie Tugendstreben, in
ein Centrum gezogen, aus der Ellipse einen Kreis gemacht — Gott,
dessen Gnade den Willen befreit und zum Thun des Guten be-
fähigt. Hierin liegt seine Bedeutung in der christlichen Religions-
geschichte beschlossen; aber er hat das Neue nicht conseipient
geltend gemacht, sondern das Alte in dasselbe eingebaut, ja in dem
neuen Dome, den er errichtet hat, bildete der alte Bau gleichsam
das Allerheiligste, welches man selten betritt.
Angustin und das Symbol. 85
Will man feststellen; was ein altkirchlicher Theologe als Lehrer
der Kirche geleistet hat, so muss man seine Auslegungen des
Symbols ins Auge fassen. Von Augustin besitzen wir mehrere
Auslegungen. Es ist höchst lehrreich^ die älteste (de iide et sym-
bolo ann. 393) und eine der letzten (de fide, spe et caritate ann.
421 oder später) mit einander zu vergleichen. In jener ist Augustin
ganz wesentlich noch der altkirchliche Theologe. Die Fragen, die
er behandelt; sind diejenigen, welche in beiden Hälften der Kirche
damals am Symbol behandelt wurden, und welche der Wortlaut des
Symbols nahe legt. Auch die Art; wie er sie bespricht, unterscheidet
sich wenig von dem Herkömmhchen. Endlich ist auch die Polemik
die übHche : die Arianer, Manichäer; Apollinaristen; Pneumatomachen
stehen im Vordergrund ; namentlich die Letzteren werden sehr aus-
führlich widerlegt. Andererseits kündigt sich die Eigenart Augustin's
in dieser Auslegung doch schon an ^ So vor Allem seine Wahr-
heitsliebe und Offenheit in den Abschnitten über den hl. Geist,
seine skeptische Zurückhaltung und seine gehorsame Unterordnung
unter die Ueberheferung der Kirche *, ferner in der Christologie sein
eigenthümliches Schema; sowohl der „Christus homine indutus",
als die starke Betonung der humilitas Christi im Gegensatz zur
superbia, vgl. ferner Sätze wie die (c. 6): „secundum id; quod
unigenitus est, non habet fratres; secundum id autem quod primo-
genitus est, fratres vocare dignatus est omnes qui post eins et per
' Die Grundlage der religiösen Eigenart Augustin's lässt sich am besten an den
Schriften studiren, die am wenigsten gelesen werden, nämlich an den Tractaten und
Briefen, welche er gleich nach seiner Bekehrung geschrieben hat, und die eine höchst
nothwendige Ergänzung seiner Confessionen bilden (s. oben S. 82 Anmerk. 2). In
diesen Schriften ist er noch gar nicht kirchlich- dogmatisch interessirt, sondern lebt
ganz und gar in der Aufgabe, sich in der Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus
die neue Stufe religionsphilosophischerBctrachtung und innererErfahrung deutlich
zu machen, auf welcher er endlich Ruhe gefunden hat (s.De vita beata, Adv.Academ.,
Soliloquia, De ordine und die Briefe an Nebridius). Die Stimmung, die er hier zum
Ausdruck bringt, hat ihn nie wieder verlassen ; a])er erst in der Folgezeit hat er ihr
den dogmatischen Unterbau gegeben. In Folge hiervon hat er jene Schriften und
den inneren Zustand, in welchem er sich in den ersten Jahren nach seiner Bekehrung
befand, selbst nicht mehr richtig gewürdigt, wie schon die Confessionen und ebenso
die Retractationen beweisen. Aber der Grundton jencsr Erstlingsschriften: „Ruhe
im Besitz Gottes" im Unterschied von der Unruhe und Unscligkcit eines nie zum
Ziele kommenden Suchens undForschens, und die wesentlich neu])lat()nische Fassung
der höchsten Prol>leme (s. z.B. de ordine II, 1 1 fl. : „mala in ordinem redacta faciunt
dccorcm universi" ; dasselbe Urtheil über das Böse noch de civit. XI, 18) sind ihm
niemals verloren gegangen. Doch kann inru^rhalb der Dogmengeschichtc auf jeno
Schrilten nicht näher eingegangen werden.
86 i^it' weltgeschichtlichü Stelluug Augußtiu's als Lehrer der Kirche.
eins prinuituin in dei gratiam renascuntiir per adoptionem tiliorum",
oder (c. 11): „parva erat pro nobis doinini nostri humilitas in
nascendo ; accessit etiam iit mori i)rü niortalibus dignaretur", oder
(c. 19): „divinarum scripturarum tractatores spiritum sanctum donum
dei esse praedicant, iit deiini credamus non se ipso inferius
donum dare", oder (ibid.): „eo quod qiiisque novit non fruitur,
nisi et id diligat . . . neque quisquam in eo quod percipit perma-
net nisi dilectione". Allein wäre Augustin vor dem Kampf mit
den Donatisten und Pelagianern gestorben, so wäre er scliwerlicb
der Dogmatiker geworden, der den ganzen Aufriss der Lehre
geändert bat; denn erst dieser Kampf hat ihn genöthigt, das, was
er längst besass, denkend zu überschauen, aufs kräftigste geltend zu
machen und auch in den kirclilichen Unterricht hineinzutragen. Aber
da ihm der Gedanke niemals gekommen ist, die alte Lehrüber-
lieferung, wie sie sich an das Symbol anschloss, könne unzureichend
sein \ da er noch weniger je daran gedacht hat, das Symbol selbst
füi* ungenügend zu erklären, so war es ihm selbstverständhch, dass
er Alles, was er als Glaubenslehre darzulegen hatte, an jenes Be-
kenntniss anschloss. So ist der eigenthümliche Aufriss der Lehre
entstanden, der im Abendland in dem Mittelalter fortgewirkt hat,
ja auch der reformatorischen Lehrfassung zu Grunde liegt — eine
Verbindung der altkatholischen Theologie und des altkatholischen
Schemas mit dem neuen Grundgedanken der Gnadenlehre, einge-
1 Das hat er allerdings bemerkt und bei seiner Wahiheitsliebe offen aus-
gesprochen, dass die kirchlichen Schriftsteller durchweg die Gnade Gottes unge-
nügend zum Ausdruck gebracht haben 5 allein er hat sich damit beruhigt, dass die
Kirche in iln-en Gebeten und Institutionen stets die Gnade gebührend hervor-
gehoben habe; s. de praedest. sanct. 27 : „Quid opus est, ut eorum scrutemur opus-
cula, qui prius quam ista haeresis (Pelagianorum) oriretur, non habuerunt necessi-
tatem in hac difficili ad solvendum quaestione versari? quod procul dubio facerent,
si respondere talibus cogerentur. Unde factum est, ut de gratia dei quid sentireut,
breviter quibusdam scriptorum suorum locis et transeunter adtingerent, immora-
rentur vero in eis, quae adversus inimicos ecclesiae disputabant, et in exhortationi-
bus ad quasque virtutes, quibus deo vivo et vero pro adipiscenda vita aeterna et
Vera felicitate serv^tur. Frequentationibus autem orationum simpliciter apparebat
dei gratia quid valeret ; non enim poscerentur de deo quae praecipit fieri, nisi ab
illo donaretur ut fierent.'' Er selbst hatte ja in seinem Kampfe gegen die Mani-
chäer die Erfahrung gemacht, dass die Vertheidigung der Wahrheit sich nach der
Art des Angriffs zu richten habe. Als man ihm seitens der Gegner das vorrückte,
was er einst über den freien "Willen gegen die Manichäer geschrieben hatte, hat er
sich sowohl auf das Recht fortschreitender Erkenutuiss als auf die Pflicht, nach Rechts
wie nach Links Widerstand zu leisten, berufen. So sah er denn auch in den frühereu
Kirchenlehrern die Vertheidiger der kirchlichen Wahrheit gegenüber dem Fatalis-
nuis, Gnosticismus und IManichäismus und erklärte sich daraus ihre Haltung.
Die neue Lehre in das Symbol gepresst. Die hl. Schrift. 87
presst in den Rahmen des Symbols. Dass hierdurch eine Stil-
mischung entstanden ist, welche der Durchsichtigkeit und Klarheit
der Lehre nicht förderlich ist, liegt auf der Hand. Allein nicht
nur die mangelnde Klarheit ist zu beklagen, sondern auch eine
CompHcirtheit der Stoffe, die in noch höherem Masse, als dies in der
altkathohschen Kurche der Fall war, die Forderung einer straffen,
einheitlichen Fassung der Glaubenslehre abstumpfen musste. Man
kann vielleicht mit Recht behaupten, dass die Kirche im Alterthum
neben Augustin keinen zweiten Lehrer besessen hat, der es sich so
sehr hat angelegen sein lassen, die theologischen Probleme durch-
zudenken und eine Einheit der Glaubenslehre zu gewinnen. Allein
die Verhältnisse, unter denen er gestanden hat, haben dazu gefithrt,
dass gerade er die Glaubenslehre verwirren und in neue "Widersprüche
führen musste ^ Es kommen hier folgende Momente in Betracht :
L Als abendländischer Theologe wusste er sich an das Symbol
gebunden ; allein kein abendländischer Theologe vor ihm hat so in
der Schrift gelebt und soviel aus der Schrift geschöpft wie er. Die
alte, damals freihch noch nicht ins Bewusstsein getretene Spannung
zwischen Symbol und Schrift^ ist mithin durch ihn verschärft wor-
den. Die Unklarheit darüber, wie sich Schrift und Symbol ver-
halten, hat er gesteigert, so ausserordentlich viel er auch dafür ge-
than hat, die Kirche in der Schrift heimisch zu machen ^. Der
Bibhcismus der Folgezeit, der später im Abendland gegen die Kirche
aggressiv geworden ist, geht ebenso auf Augustin zurück, wie sich
die entschlossene Austilgung von Schriftgedanken durch Berufung
auf die Autorität der Kirchenlehre auf ihn berufen darf^. Fragt man
* Dass dadurch das Dogma, d. h. die altkirchliche Trinitätslehrc und Christo-
logie, eindrucksloser werden musste, versteht sich von selbst. AVas Reuter (a. a. 0.
S.495) dagegen eingewendet hat, beruht auf einem unbegreiflichen Missverständniss.
^ S. hier und zum Folgenden die Ausführungen Bd. II S. 79 ff. 84 ff.
^ Die Versuche, ihr Verhältniss zu bestimmen, z.B. in dem 1, Buch der Schrift
de doctrina christiana sind gänzUch unklar, ja kaum fassbar. Die „Sachen" in der
Schrift sollen die Sätze der Glaubcnsregel sein ; aber doch ist jeder Satz der Schrift
ein Stück des Glaubens.
* Augustin ist seit seiner Bekehrung unerschütterlich der Ansicht gewesen,
dass in der Schrift nichts stehe, was der Xirchenlehrc widerspricht ; nicht ebenso
aicher war es ihm, dass man die Schrift nach der Autorität der Uebcrlieferung aus-
zulegen habe. Aber welche VüWe „gefährlicher" Gedanken hätte dieser reiche und
scharfe Geist aus der Schrift entwickelt in dem Moment, in welchem er seinen Ver-
stand von den Fesseln des Gehorsams befreit hätte! Die Einsicht, dass nicht weniger
als Alles zweifelhaft würde und an die Stelle einer einstimmigen Lehre tausend
Widersprüche träten, hat ihn gewiss mitbestimmt, an den Eisenstäben seines Ge-
fängnisses nicht zu rütteln. Er fühlte, er würde sich nicht befreien können, sondern
88 I^ie weltgeschichtliche Stellung Augustinus als Lehrer der Kirche.
nach dem geschichtlichen Recht der Vorreformatoreii und Reforma-
toren im Abendland, sich auf die Schrift allein zu stellen, so muss
man Augustin nennen \ fragt man nach dem Recht, solche Theologen
niederzuschlagen, so darf man ebenfalls auf Augustin verweisen,
kann aber hier allerdings bis auf die Autorität Tertullian's (de
praescr. haer.) zurückgreifen.
2. Augustin ist einerseits davon überzeugt, dass Alles in der
Schrift für den Glauben werthvoll ist, und dass jeder Gedanke schon
dadurch kirchlich und theologisch gerechtfertigt ist, dass er als bib-
lischer nachgewiesen ist (s. seine Prädestinationslehre und andere
Lehren, die ihm zunächst schon desshalb sicher waren, weil sie in der
Bibel stehen). Hierdurch ist jede Einheitlichkeit der Lehre aufgehoben '.
Allein andererseits weiss Augustin sehr wohl, dass die Religion eine
praktische Sache ist, dass es in ihr lediglich auf den Glauben, die
Liebe und die Hoffnung ankonmit, resp. auf die Liebe allein, und
dass desshalb nur das einen Werth hat, was diese befördert. Ja er
ist hier noch einen bedeutenden Schritt w^eiter gegangen und hat sich
den alexandrinischen Theologen genähert: er hat schHesslich die Schrift
nur als ein Mittel betrachtet, welches in Wegfall kommt, wenn die
Höhe, der Aufschwung in der Liebe, erreicht ist, und er hat sich
sogar der Auffassung genähert, dass auch die Thatsachen der irdi-
schen Offenbarung Christi Stufen sind, die der Gläubige, dessen Herz
von Liebe erfüllt ist, überschreitet ^. Dies Letztere — es hängt mit
seiner individuahstischen, durch den geschichtlichen Christus wenig
bestimmten Gotteslehre zusammen — wird unten zur Sprache kom-
men. Hier genügt es, den Widerspruch scharf zu formuliren, dass
die Schrift einerseits Quelle sein soll und andererseits Mitte P; ja
ein Mittel, welches zuletzt wie eine Krücke wegfällt^. An den letzten
von den Trümmern des zusammenbrechenden Gebäudes begraben werden. Daher
der de nat. et grat. 22 declarirte Grundsatz, man habe sich erst dem, was in der
Schrift steht, zu unterwerfen und dann erst zu fragen „quomodo id fieri potuerit".
Welcher Unterschied von Origenes!
1 S. Bd. I S. 558 n. 3.
^ De doctr. christ. I, 34 : eine höchst merkwürdige Ausführung, die m. AV.
in den Schriften Augustinus sehr wenige deutliche Parallelen besitzt, aber den
Hintergrund seiner Entwickelungen bildet.
' S. die Ausführungen in der Schrift de doctr. christiana, abgedruckt im
U. Bande dieses Lehrbuchs S. 80 n. 2.
* De doctr. christ. 35 — 40, namentlich c. 39 : „Daher braucht ein Mensch, der
sich auf Glaube, Hoönung und Liebe stützt und dieselben unerschütterlich fest-
hält, die Schrift nur zur Belehrung Anderer." Auch die Schrift bietet nur Stück-
werk ; man vermag aber schon in diesem Leben zu einem so Vollendeten aufzu-
steigen, dass man des Stückwerks nicht mehr bedarf.
Heilsglaube und Biblicismus. Intellectualismus. 89
Satz haben sich die Mystiker und Schwarmgeister des Abendlandes
gehalten, indem sie das innere Licht und die innere Offenbarung wider
die geschriebene ausgespielt haben. Nun hat Augustin allerdings in
der ausgezeichneten Vorrede zu seinem Werk de doctrina christiana,
wie in einer prophetischen Erleuchtung, alle schwarmgeistische Inspi-
ration, die entweder die Schrift gar nicht mehr nöthig zu haben wähnt
oder die philologisch-historische Interpretation, sich auf den Geist
berufend, für unnütz erklärt, abgewiesen. Allein durch seine These,
dass es eine Stufe giebt, auf der man die Schrift überschritten hat,
hat er der Schwarmgeisterei doch die Thür geöffnet. Aber vor Allem
hat er durch die Unklarheit, welche er über die Bedeutung des Schrift-
buchstabens bestehen Hess, die verhängnissvolle Situation geschaffen,
in welcher die Glaubenslehre und Theologie der abendländischen
Kirchen noch heute steht. Sie weiss es einerseits, dass es in der
Schrift, sofern sie dem Glauben gegeben ist, lediglich auf die „Sachen"
ankommt. Sie kann sich aber doch andererseits von dem Vorurtheil
nicht befreien, dass jede einzelne Schriftstelle eine göttliche und absolute
Weisung, eine „Offenbarung" enthält. Die protestantischen Kirchen
sind hier um keinen Schritt über Augustin hinausgegangen; ja Luther
selbst, wenn man seine „Vorreden" zum Neuen Testament z. B. mit
seiner Haltung im Abendmahlsstreit vergleicht, ist in demselben Wider-
spruch stecken geblieben, der Augustin's Lehrbildung belastet hat.
3. Augustin hat, wie kein Kirchenvater vor ihm, das praktische
Element in den Vordergrund gerückt : Glaube, Liebe und Hoffnung
zu erzeugen, dazu allein ist die Religion gegeben, und in diesen von
Gott geschenkten Tugenden, resp. hi der Liebe, liegt die Seligkeit
selbst beschlossen. Allein die reformatorische Tliat, die in der Ilnter-
ordimng aller Stoffe unter diese Zweckbeziehung ihren Ausdruck er-
hielt, ist von ihm doch nicht rein durchgeführt worden. Indem er
das altkatholische Schema beil)ehielt, blieben doch Erkenntniss und
unsterbliches Leben (a'f i>apaia) die obersten Gedanken ; indem er der
neuplatonischen Metaphysik folgte, kam er von der akosmistischen
Betrachtung nicht los, die alles Erscheinende als vergänglich, alles
Vergängliche als ein Gleichniss betrachtete und zuletzt nur die Majestät
der verborgenen Gottheit übrig behielt; indem er das gegenwärtige
Fjeben missachtete, musste er auch den (xlauben und alles Gegen-
wärtige gering schätzen. Somit ist seine Theologie, selbst in ihren
h'tztcn Zi(;len, nicht durch einen Gedanken beistimmt, und er hat
OS demgemäss nicht vermocht, seine Gnaden- und Sündenlehre wirk-
lich rein durchzuführen. Wie der Intelkictualismus der Antike, aller-
dings in 8ublimirter Gestalt, von ihm nicht ganz aufgehoben worden
90 Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
ist, 80 sind seine tiefsten Glaubensaussagen von philosophischen Er-
wägungen bogleitet, resp. mit ihnen verfiochten. Ol't hat ein und derselbe
Satz ehie doppelte Wurzel, eine neuplatonische und eine christliche
(paulinische), und denigemäss einen dopi)elten Sinn, einen kosmologi-
schen und einen religiösen. Philosophie, Heilsglaube und kirchliche
LleberUeferung streiten sich um den Principat in seiner Glaubenslehre,
und da zu diesen drei Elementen noch der Bibhcismus tritt, so ist
die Einheitlichkeit der Denkweise überall gestört.
4. Aber abgesehen von der Zweckbeziehung liegen auch in der
Ausführung nicht nur Widersprüche im Einzelnen vor, sondern Gegen-
sätze der Beurtheilung. Ln Kampfe mit dem Manichäismus und
Donatismus hat Augustin eine Lehre von der Freiheit, der Kirche
und den Gnadenmitteln entworfen, die mit seiner Erfahrung von der
Sünde und Gnade wenig gemein hat und mit der theologischen Aus-
bildung dieser Erfahrung (Lehre von der prädestinatianischen Gnade)
einfach streitet. Man kann geradezu eine doppelte Theologie Augustin's
entwerfen, eine Ecclesiastik und eine Gnadenlehre, und in beiden das
Ganze zur Darstellung bringen.
5. Aber auch innerhalb der Ecclesiastik und der Gnadenlehre
begegnen widerstreitende Gedankenzüge*, denn in der Ersteren streitet
ein hierarchisch-sacramentales Grundelement mit einer von den Apolo-
geten herstammenden liberalen, universalistischen Betrachtung, und in
der Gnadenlehre sind offenbar zwei verschiedene Auffassungen mit
einander verbunden, nämlich der Gedanke der gratia per (propter)
Christum und der Gedanke der unabhängig von Christus aus dem
Grundwesen Gottes als des summum bonum und summum esse messen-
den gratia. Der letztere Widerspruch ist für Augustin's Theologie
selbst und für die Haltung der abendländischen Theologie nach ihm
von grösster Bedeutung geworden. Bekanntlich hat das Abendland
sich niemals das morgenländische straffe Schema der Christologie als
Ausdruck des Heilsglaubens innerlich angeeignet. Aber durch Augustin
ist das Verhältniss der Zweinaturenlehre (resp. der Lehre von der
Menschwerdung) zur Lehre vom Heil noch mehr gelockert worden.
Es wird sich zeigen, dass er im Grunde viel stärker die franciskanische
Stimmung gegenüber Christus vorbereitet hat als die anselmsche Satis-
factionstheorie, und dass er überhaupt als Christologe (im strengen
Sinn des Worts) der Folgezeit viel mehr Lücken hinterlassen hat als
positiven Stoff. Aber zu diesem Gegensatz einer gratia per Christum
und sine Christo kommt schliesslich noch in der Sündenlehre Augusthrs
ein starkes manichäisch-gnostisches Element ; denn Augustin hat den
Manichäismus niemals völlig überwunden.
Widersprüche. Kein eindeutiges System. 91
Aus dem bisher Ausgeführten — und nur das Wichtigste ist
genannt — folgt, dass von einem System Augustin's nicht die Rede
sein kann, wie er denn auch kein Werk verfasst hat, welches sich mit
Origenes' Tuspl ap/wv vergleichen Hesse. Da er nicht, wie dieser, muthig
das Recht eines esoterischen Christenthums proclamirt, vielmehr als
Christ und als Kirchenmann stets gezögert hat, den befreienden Schritt
zu thun*, so steht Alles bei ihm auf einer Fläche und steht dess-
halb im Streit^. Allein „nicht was Einer weiss und sagt, entscheidet,
sondern was Einer liebt" — er liebte Gott, er liebte seine Kirche
und er war wahrhaftig. Diese Haltung leuchtet aus allen seinen
Schriften hervor, mag nun der Neuplatoniker, der frühere Manichäer,
der paulinische Christ, der kathoHsche Bischof oder der Biblicist aus
ihm reden, und sie verleiht allen seinen Ausführungen eine Einheit-
hchkeit, die nicht an den Lehren nachgewiesen, wohl aber deutlich
empfunden werden kann. Desshalb haben auch die verschiedenen Rich-
tungen, die von ihm ausgegangen sind oder die von ihm gelernt haben,
stets den ganzen Mann empfunden und sich an ihm gestärkt. Er
wäre nicht der Lehrer der Zukunft geworden, wenn er nicht als
christliche Persönlichkeit vor ihr gestanden hätte, die jeglichem AVort,
mochte es nun in diese oder in jene Richtung führen, Kraft und Ge-
wicht verHeh. Als Prediger des Glaubens, der Liebe und der Gnaden-
ordnung hat er die katholische Frömmigkeit bis heute beherrscht;
durch seine Grundstimmung: „Mihi adhaerere deo bonum est", sowie
durch seine Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, Buchstabe
und Geist, und durch seine Predigt, dass Gott in uns den Glauben
und den guten Willen schaffe, hat er die evangelische Reformation
hervorgerufen ^ ; durch seine Lehre von der Autorität und den Gnaden-
mitteln der Kirche hat er den Bau des römischen Kathohcismus
weitergeführt, ja die liierarcliisch-sacramentale Anstalt erst geschaffen;
durch seinen Bibhcismus hat er die sog. vorreformatorischen Richtungen
erweckt und die Kritik an allen ausserbiblischen kirchlichen Tradi-
tionen vorbereitet; durch die Kraft seiner Speculation, die Schärfe
seines Verstandes, die Feinheit seiner Beobachtung und Erfahrung hat
er die Scholastik in allen ihren Richtungen, cinschhcsslich der nomi-
* Ansätze zu demselben finden sich überall ; aber es bleibt bei Ansätzen.
■^ Es ist ein Hauptverdienst lleuter's, die Unmöglichkeit nachgewiesen zu
haben, ein System Augustin's zu coustruiren und die WidcrH})rüche, die sich bei
ihm finden, zu beseitigen.
' S. die Zeugnisse der Reformatoren und ihrer Bekenntnissschriften für
Augustin; doch ist ihnen der noch bestehende Unterschied nicht verborgen ge-
blieben.
92 t)it^ weltgeschichtliche Stelluuj^- Augustin's als Lehrer der Kirche.
nalistischen,iin(l daher auch die moderne Rrkenntnisstheorie und Psycho-
logie angeregt, ja mit erzeugt; durch seinen Neuplatonismus und
prädestinatianischen Enthusiasmus hat er die Mystik sowohl als die
antiklerikale Opposition des Mittelalters hervorgerufen'; durch die
Fassung seiiu\s Kirchen- und Seligkeitsideals hat er die vulgär-katho-
lische Stimnunig, die mönchische, hestiirkt, sie aber in der Kirche
heimisch gemacht und sie dadurch dazu erweckt und beßihigt, die der
Kirche gegenüberstehende Welt zu überwinden und zu beherr-
schen; durch die einzigartige Fähigkeit endUch, sich selbst darzustellen,
den Reichthum seines Geistes auszusprechen und jedem Wort ein in-
dividuelles Gepräge zu geben, durch die Gabe der Individualisirung
und Selbstbeobachtung hat er zum Emporkommen der Renaissance und
des modernen Geistes mitgewirkt.
Das Alles sind nicht willkürliche Combinationen, sondern ge-
schichtliche Thatsachen^: überall lassen sich die Verbindungsfäden,
die zu ihm zurückführen, deutHch nachweisen. Wo aber ist dann ein
Mann in der Geschichte des Abendlandes, der sich an Bedeutung
und Einfluss mit ihm vergleichen Hesse? Ohne viel zu handeln —
Augustin war Bischof einer Mittelstadt und hat weder Neigung noch
Talent zur Rolle eines kirchenpolitischen Führers oder eines prakti-
schen Reformers besessen — hat er durch die Kraft seiner Ideen
gewirkt und sein Leben über die folgenden Jahrhunderte ausgeschüttet.
Man ist versucht, die Bedeutung Augustinus als Lehrer der Kirche
so zu schildern, dass man die verschiedenen Richtungen, in denen
sich seine Denkweise bewegte, reinlich sondert und den Neuplatoniker,
den PauHner, den früheren Manichäer, den katholischen Bischof für
sich zur Darstellung bringt^. Allein es ist zu befürchten, dass man
ihm durch solche Sonderung Gewalt anthut. Sicherer und im Rahmen
einer Dogmengescliichte zweckmässiger ist es, an der äusseren Ein-
heit festzuhalten, die er selbst seinen Gedanken gegeben hat. Da
bietet sich sein Enchiridion ad Laurentium, die ausgereifte Erklärung
^ Auch die antigregorianische Partei im Blittelalter hat sich vielfach auf
Augustin berufen. Man konnte bei ihm willkonimeue Sätze über die Bedeutung des
Imperiums, über die Verbesserungsläliigkeit von Concilieu, überhaupt antihierar-
chische Stellen finden.
2 Vgl. Reut er, Studie VII.
^ Drei verschiedene Niveau's der theologischen Gedanken Augustinus sind un-
verkennbar, das neuplatonisch-mystische [ohne (Inadenmittel, »dnie Kirche, ja in
gewissem Sinn selbst ohne Christus], das christologisch-soteriologische und das Ni-
veau der Autorität und der Sacramente der Kirche. Daneben sind rationalistische
und manichäische Elemente zu berücksichtigen.
Universelle Bedeutung als Lehrer. Methodisches, 93
des Symbols, als bester Führer an. Diese Schrift soll am Schlüsse
dieses Capitels vorgeführt werden, nachdem die Vorfragen behandelt
sind, die für Augustin von höchster Bedeutung waren, und nachdem
die Kämpfe, in denen er ausgereift ist, ihre Beleuchtung erfahren
haben. Wir werden auf diese Weise das deutlichste Bild davon er-
halten, was Augustin der Kirche seiner Zeit geleistet und welche
Umstimmung er hervorgerufen hat. Die augustinische Theologie zu
centraHsiren, ist eine sehr reizvolle Aufgabe, aber sicherer ist es, sich
mit dem bescheidenen Ergebnisse zu begnügen, sie, soweit sie kirch-
lich wirksam geworden ist, kennen zu lernen. Eine Schwierigkeit,
die gar nicht zu heben ist und sich in der Folgezeit immer mehr
steigert, begegnet uns gleich im Anfang: welcher Bestand aus
den zahllosen Ausführungen Augustin's ist ihm selbst
Dogma gewesen und in der Folgezeit Dogma geworden?
Augustin hat, indem er das Dogma ausserordentlich erweitert hat,
doch zugleich den Begriff desselben theils erweicht, theils — in Bezug
auf die alte Ueberlieferung — specifisch verhärtet. Die Frage nach
dem Umfang der Dogmen ist in dem Abendland seit dem donatistischen
und pelagianischen Streit weder beantwortet, noch je scharf gestellt
worden, d. h. man empfand keine Nöthigung, neben den ausdrück-
Hchen Abweisungen der Pelagianer, Donatisten etc. auch ebenso aus-
drückliche positive Sätze aufzustellen. Die Nöthigung empfand man
aber nicht, weil man weder das Selbstbewusstsein noch den Muth zu
kirchhchem Handeln in grossem Stile besass. Man fühlte sich durch-
aus als Epigone einer vergangenen Zeit, welche die angeblich aus-
reichende Ueberlieferung geschaffen hat. Dieses Gefühl, welches sich
im Mittelalter noch gesteigert hat, haben die Päpste — lediglich sie
— allmähhch überwunden. Erst im Tridentinum, geringe Ausnahmen
abgereclmet, sind wieder Dogmen geschaffen worden. Bis dahin sind
nur die in den Symbolen enthaltenen Lehren Dogmen. Neben ihnen
stehen die Ketzerkataloge, aus denen man indirect Dogmen folgern
kann. Dieser Zustand der Dinge gebietet uns, die Lehren Augustin's
möglichst vollständig darzustellen, soweit das im Rahmen eines Lehr-
buchs gestattet ist. Manches niuss hier aus den Werken Augustin's
hervorgehoben werden, was in s(»iner eigenen Zeit unfn]cht])ar geblieben
ist, aber in den folgenden .Jalirhuiidcrten den (Jang der Lehrentwicke-
lung kräftig bestimmt hat und in den Dogmen des Tiidentinums zu
'i^ago getreten ist'.
' Das« für Aijf(ustin im (irundo nur dci- Tnlialt d(!H Synil)ols Do^'ma gewesen
ist, ('.rkcrnii auch HomIcv S. 495 C. an. Man liat sich aber \i'u'.r daran zu erinnern,
dav.B man aus dem Symhol di(! ausf(erü}u't('ste Trinitätslehre und Christologie ent-
94 r)i^ weltgeschichtliche Stellun<j^ Augustin's als Lehrer der Kirche.
Wir werden im Folgenden so verfahren, dass wir 1) Augustinus
Grundansicht, seine Tjehren von den ersten und letzten Dingen, schil-
dern ' ; denn diese Leliren standen ihm fest, als er katholischer Christ
wurde, 2) und 3) seine Kämpfe mit den Donatisten und Pelagianern
darstellen, in denen sich seine Glauhensauffassung (Kirche und Gnad(i)
vertieft und entfjxltet hat, 4) seine kirchhche Glaubenslehre an der Hand
des Enchiridions ad Laurentium ausführen.
1. Augustinus Lehren von den ersten und letzten Dingen ^
Man hat von F i e s o 1 e gesagt, er habe seine Bilder an die Wände
gebetet. Man kann von Augustin behaupten, dass seine tiefsten Ge-
danken über die ersten und letzten Dinge sich aus den Gebeten ent-
bunden haben; denn alle diese Dinge waren ihm beschlossen in Gott.
Wenn dasselbe von unzähligen Mystikern bis zu den stillen Gemeinden
der Madame de G u y o n und Tersteegen's gesagt werden kann, so
gilt es von ihnen, weil sie Schüler Augustinus waren. Aber er hat wie
kein Anderer die Fälligkeit besessen, die Speculation über Gott mit
einer Innenschau zu verbinden, die nicht an einigen überlieferten Kate-
gorien ihr Genüge fand, sondern die Gemüthszustände und den Be-
wusstseinsinhalt analysirte. Jeder Fortschritt in dieser Analyse wurde
ihm zugleich ein Fortschritt in der Gotteserkenntniss und umgekehrt ;
die concentrirte Sammlung im Gebet führte ihn zur reinsten Beobachtung
und diese wairde ihm wiederum zum Gebet. Kein Philosoph vor ihm
und nach ihm hat in so leuchtender Weise den tiefen Satz bewahrheitet,
dass die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang ist. Die Sphäre seines
wickelte, und dass in den Worten desselben „saneta ecclesia" und „remissio pecca-
torum" Themata lagen, aus denen man ebenfalls weitläufige Dogmen gestalten, resp.
Ketzer überführen konnte. Schon Cyprian hat die Novatianer aus dem Symbol
widerlegt, und Augustin hat es wider die Pelagianer ausgebeutet. — Eine besondere
Schwierigkeit für die Behandlung Augustinus in der Dogmengeschichte besteht ferner
noch darin, dass er unzählige theologische Schemata geschaffen hat, aber keine
dogmatischen Formeln. Er war zu reich, zu ernst und zu wahrhaftig, um Stich-
worte auszugeben.
* Augustin ist der erste Dogmatiker gewesen, der das Bedürfniss gefühlt hat.
sich über die Fragen deutlich Rechenschaft zu geben, die wir heute in den „Pro-
legomena zur Dogmatik" zu behandeln pflegen. Allerdings haben auch die Alexan-
driner dies versucht-, aber Formales undMateriales, Ursprüngliches und Abgeleitetes
liegen bei ihnen viel mehr in einander. Auch dringen sie nicht bis zu den letzten
psychologischen und erkenntnisstheoretischen Problemen vor. Enchir 4: „quid
primum, quid ultimum teneatur, quae totius definitionis summa sit, quod certum pro-
priumque fidei catholicae fimdamentum." (Fragen des Laurentius).
* Augustin hat gelehrt, dass man nur durch ernste unablässige Arbeit an sich
selber ein festes Verhältniss zu den höchsten Fragen gewinnen kann. Darin vor
Allem besteht seine Grösse.
Theologie und Psychologie. 95
Denkens und Lebens war Gottseligkeit. „Hominis sapientia pietas
est" (Encliir. 2; de civ. dei XIV, 28). So ist Augustin das psycho-
logische Genie der patristischen Periode, weil er das theologische
Genie ^ gewesen ist. Nicht unbewandert in den Gebieten objectiver
Welterkenntniss, hat er doch diese entschlossener bei Seite liegen
lassen als seine neuplatonischen Lehrer, denen er viel verdankt, die er
aber weit übertroffen hat. „Die Inhalte des inneren Lebens hegen als
ein Bereich eigenartiger Erkenntnissobjecte ausser und neben der sinn-
lichen Erfahrung deuthch vor Augustin's Blicke, und er ist auf Grund
reicher eigener Innensicht überzeugt, dass in diesem ebensogut Wissen
und Aufschlüsse auf Grund inneren Erlebens zu gewinnen sind, wie
durch äussere Beobachtung in der umgebenden Natur." Augustin hat
die Entwickelung der antiken Philosophie zu Ende geführt, indem er
den Process, der aus dem naiv-Objectiven zu dem subjectiv-Objectiven
führte, zum Abschluss gebracht hat ^. Was längst gesucht wurde —
das Innenleben zum Ausgangspunkt des Denkens über die Welt zu
machen — , das hat er gefunden ^. Und indem er sich dabei nicht leeren
Träumereien hingab, sondern mit einer wahrhaft „physiologischen
Psychologie" alle Zustände des Innenlebens von den elementaren Vor-
gängen an bis zu den sublimsten Stimmungen durchforschte, ist er, weil
das Gegenbild des Aristoteles, so der wahre Aristoteles einer neuen
Wissenschaft geworden *, die es freilich vergessen zu haben scheint, dass
* Vgl. zum Folgenden Sieb eck, i. d. Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik 1888
S. 170 ff.
^ S. meine Ausführungen über den Neuplatonismus Bd. I S. 719 ff.
' Bei den Neuplatonikern war die Methode noch sehr unsicher, und dies
hängt u. A. mit ihrem Polytheismus zusammen. Es ist leicht zu zeigen, dass
Augustin so viel weiter als sie in der Psychologie gekommen ist, weil er Monotheist
war. Eine Untersuchung über die Bedeutung des Monotheismus für die Psychologie
fehlt m. W. leider noch immer.
'* S. die vorzügliche Parallele zwischen beiden bei Sieb eck, a. a. O. S. 188 f.:
„Unter den bedeutenden Persönlichkeiten des Alterthums dürften kaum zwei so
entgegengesetzte Charaktere zu finden sein, wie Aristoteles und Augustin.
Dort der ruhig-klare und doch von energischer Wärme des Denkens bewegte
Griecho, der das hellenische Ijobensideal des (Tcbildeten, die Befriedigung in dem
gleichmässig und stetig fortgehenden Denkerleben, auf seinen reinsten wissenschaft-
lichen Ausdruck bringt, die Tiefen und Bedürfnisse des Gemüthes nur so weit ins
Auge fassend, als sie sich an der Oberfläche, in dem äusseren Wesen und Gehaben
der Affecte kund geben, und dieses ganze Gcsbiet nicht eigentlich um derKenntniss
des Herzens willen behandelnd, sondern nur zu den Zwecken der Rhetorik. Die
seelische Innenwelt kommt hier überhaupt nur insoweit zur Darstellung und Würdi-
gung, als sie sich b(;thätigt, in der Wcciliselwirkung mit der äusseren, und so wie sie
durch deren Mitwirkung bestimmt erscheint. Denn das umfassende und abschlies-
sende Problem bei Aristoteles ist die wissenschaftliche Erfassung und Gestaltung
96 Dio weltgeschiclitliclie Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
sie als Erkenntnisstheorie und innere Beobachtung aus dem mono-
theistischen Ghuiben und dem Gebetsleben entsprungen ist. Alles das,
iler äusseren Welt in Natur und Gemeinschaftsleben, üanz entgegengesetzter Rich-
tung und Stimmung ist Augustin. Das Aeussere hat für ihn nur Bedeutung und
Werth in der Art, wie es im Kcflex des Inneren erscheint. Die Probleme nicht der
Natur und des Staates und der weltlichen Ethik, sondern die der innersten Geistes-
imd Herzensbedürfnisse, der Liel)e und des Glaubens, der Hoffnung und des Ge-
wissens regieren Alles. Nicht das Verliältniss des Inneren zum Acusseren, sondern
das des Inneren zum Innersten, zum Fühlen und Schauen Gottes im Herzen, sind die
eigentlichen Objecte und die treibenden Kräfte seiner Speculation. Auch die Kräfte
des Verstandes werden einer neuen Betrachtung unterworfen in Ansehung des Ein-
flusses, dem sie von Seiten des Gemüthes und des Willens unterliegen, und ver-
lieren in Folge dessen ihren Anspruch auf Alleinherrschaft im wissenschaftlichen
Denken. Die kühle Analysirung des Acusseren bei Aristoteles, welche auch die
Seelenzustände nach Art eines äusserlich vorliegenden Objectes zerlegt und unter-
scheidet, verschwindet bei Augustin vor dem unmittelbaren Erleben und Empfinden
von Zuständen und Vorgängen des Herzenslebens, die aber darum, weil er sie mit
wärmstem persönlichem An theile darstellt, hinsichtlich der Schärfe der analytischen
Zergliederung das aristotelische Talent keineswegs vermissen lassen. Während
Aristoteles alles persönlich individuell Gefärbte in seinen Ansichten vermeidet und
überall die Sache selbst reden zu lassen bemüht ist, spricht Augustin, auch wo er
Untersuchungen von allgemeinster Bedeutung vorführt, immer wie lediglich von
sich, dem Individuum, dem seine persönlichen Empfindungen und Gefühle die Haupt-
sache sind; zum Voraus bereits ist er dessen sicher, dass sie einen weiter tragenden
Inhalt haben müssen, da Gefühl und Wollen sich als gleichartige Potenzen in jedem
menschlichen Herzen finden. Fragen der Ethik, welche Aristoteles ans dem Ver-
hältnisse von Mensch zu Mensch behandelt, erscheinen bei Augustin in dem Lichte
der Beziehungen zwischen dem eigenen Herzen und dem von diesem gewussten und
gefühlten Gott. Den obersten Entscheid giebt bei jenem die klare Erkenntniss des
Acusseren durch die Vernunft, bei diesem die Unwiderstehlichkeit des Inneren, der
Gefühlsüberzeugung, diesichhier — was in dieser Vollkommenheit Wenigen gegeben
ist — mit dem durchdringenden Lichte des Verstandes verschmolzen hat . . . Die
Bedürfnisse des inneren Lebens kennt Aristoteles nur insofern und insoweit, als
sie das von kräftigem Streben und philosophischem Gleichmuthe getragene Leben
in und mit der Gemeinschaft zu entwackeln im Stande sind. Es ist bei ihm, als ob es
vor klarem Denken und ruhig kräftigentWirken kein Leiden und Unglück für die
Gemeinschaft oder für den Einzelnen geben könnte. Die tieferen Quellen der Un-
befriedigiing, des Seelenleidens, der unerfüllten Gemüthsbedürfnisse bleiben bei
seiner Forschung im Dunkeln. Augustin's Bedeutung aber beginnt eben da, wo es
gilt, die Unruhe des gläubigen oder des suchenden Gemüths auf ihre Wurzeln zu-
rückzuführen und der inneren Thatsachen gewiss zu werden, in denen das Herz
zur Ruhe kommen kann. Auch die alten Probleme, die er auf Grund seiner reichen
wissenschaftlichen Bildung im ganzen Umfang und Inhalt übersieht und durchschaut,
erscheinen ihm von da aus in neuer Beleuchtung. Darum weiss er Alles, was aus
dem Hellenismus zu ihm herübergekommen ist, zu erfassen und zugleich zu vertiefen.
Für Aristoteles ist Problem alles dasjenige, was in der Aussen- und Innenwelt der
Verstand sieht und analysiren kann; für Augustiu in erster Linie das, was das
Gemüths- und Willensleben ihm zu dem bisher Erkannten als neue Thatsache auf-
\
Augustin und die Antike. 97
was wir antik-klassische Stimmung, klassische Lebens- und Weltauf-
fassung nennen, hat er abgethan. Mit den letzten Eesten ihrer Heiter-
keit und naiven Objectivität hat er die alte Wirklichkeit selbst für lange
Zeit begraben und den Weg zu einer neuen Wirklichkeit gewiesen. Aber
unter Schmerzen ist sie in ihm geboren, und den Zug des Schmerzlichen
hat sie behalten. Muhammed, der Barbar^ schlug im Namen Allah's, der
ihn überwältigt hatte, die hellenistische Welt, die er nicht kannte, in Trüm-
mer. AugustiU; der Schüler der Hellenen, vollzog im Abendland die längst
vorbereitete Auflösung dieser Welt im Namen des Gottes , den er als
das einzig Wirkhche erkannt hatte ^; aber er baute eine neue Welt in
zwingt. Der Boden, von dem aus die Fragen sich erheben, ist dort das ruhige theo-
retische Bewusstsein, hier dagegen das von der Unruhe der Gottesliebe und des
Sündenbewusstseins aufgeregte G e wissen. Hiermit aber hat sich auch das wissen-
schafthche Interesse einer ganz neuen Seite der Wirklichkeit zugewendet. Kein
Wunder, dass fortan die Allgenugsamkeit des zergliedernden und abstrahirenden
Verstandes in ihrer Alleinherrschaft beschränkt wird. Der Verstand soll jetzt nicht
mehr die Probleme schaffen, sondern sie aus den Tiefen der Gen^üthswelt her em-
pfangen, um dann erst zu sehen, was er aus ihnen machen kann. Er soll sich auch
nicht mehr seiner Herrschaft über den Willen, sondern vielmehr der Beeinflussung
bewusst werden, der er selbst von dorther unterliegt. Den Hauptgegenstand seiner
Betrachtung soll nicht mehr die äussere Welt oder die nach Analogie und Methode
derselben behandelte innere bilden, sondern der Kern der Persönlichkeit, das
Gewissen in seinem Zusammenhang mit Gemüth und Willen. Erst von hier aus
mag er auch zu den bisherigen Einsichten über Innen- und Aussenleben zurück-
kehren, um sie neu verstehen zu lernen. Für Aristoteles, den Hellenen, ist das
Seelenleben nur soweit interessant, als es sich nach Aussen kehrt, und dazu dient,
die Welt theoretisch und praktisch zu umspannen; für Augustin, den ersten
modernen Menschen (derselbe Ausdruck auch bei Seil, Aus der Gesch. des
Christenthums 1888 S. 43; ich habe ihn schon seit Jahren gebraucht), hat die Be-
trachtung desselben nur Werth, sofern aus ihr sich die Innerlichkeit des persön-
lichen Lebens als etwas von der Aussenwelt im Grunde Unabhängiges begreifen
lässt." Aristoteles und Augustin sind die beiden Rivalen, die iji der Wissenschaft
und in der Stimmung der folgenden Jahrhunderte mit einander streiten, beide frei-
lich in der Regel deteriorirt, Aristr)teles zu öden Distinctionen und Begriffen und
zu einem handfesten Dogmatismus, Augustin zu einer in allen denkbaren Medien
schwiiiimendenMystik,diedas Sieuorder sicheren inneren Beobachtung verloren hat.
Schon in den Pelagianern trat Augustin dem aristoteliscli(!n Rationalismus energisch
entgegen, und sein Kamj)f mit ihnen hat sich in der Folgezeit zehnfach wiederholt.
Innerhalb der Religionsgeschichte ist es ein Kampf einer im Grunde irreligiösen,
theologisch etifjnettirten Moral mit der Religion; denn der Aristotelismus ist auch
in seiner klassischen Gestalt niligionslose Moral.
* Im Grunde sind alle christlichen hellenistischen Denker vor Augustin noch
feine Polytheisteji oder richtiger: das polytheistische Element ist bei ihnen nicht
vollständig ausgetilgt, sofern sie ein Stück Naturreligion conservirt haben. Am
deutlichsten ist das bei der Descendenz des Origenes.
iiarna':k, lJojfni'?tif»eHchichte liJ. "jr
98 I^ie weltgeschichtliche Stellung Augustinus als Lehrer der Kirche.
seinem Tunern auf*. Indessen, weil Alles sich hier durch eine langsame
Umbildung vollzogen hat und dazu am Nordostrande des Mittelmeeres
die alte hellenistische Welt zum Theil bestehen blieb, so ist nichts wirk-
lich völlig untergegangen. An dem Faden, an welchem ein Jahrtausend
bis zu Augustin gesponnen, vermochte man rückwärts zu schreiten, und
das positive Capitjd, welches der Neuplatonismus und Augustin von der
Vergangenheit her em])fangen und in negative Werthe umgesetzt hatten,
konnte sich auch wieder mit positiver Kraft geltend machen. Aber Et-
was war allerdings verloren gegangen — man findet es im folgenden
Jahrtausend üist nur noch bei den theologisch und philosophisch Un-
gebildeten, nicht bei den Denkern — die heitere Freude an der Welt der
Erscheinung, an dem deutlichen Erfassen derselben und an ruhig kräf-
tigem Wirken '. AVenn sich Beides vereinigen liesse in der Wissen-
schaft und in der Stimmung, die Frömmigkeit, Innerlichkeit und Innen-
schau Augustin's mit der Weltaufgeschlossenheit, dem ruhigen kräftigen
Wirken und der klaren Heiterkeit der Antike, dann wäre wohl das
Höchste erreicht! Man sagt uns, diese Verbindung sei ein Phantom, ja
ein absurder Gedanke. Aber verehren wir nicht die grossen Geister,
die uns seit Luther geschenkt worden sind, eben desshalb, weil sie es
versucht haben, dieses „Phantasiebild" zu verwirklichen? Hat nicht
Goethe in der Epoche seiner Vollendung dies Ideal für das seinige
erklärt und es in sich darzustellen versucht? Liegt nicht die Be-
deutung des evangelisch- reformatorischen Christenthums, wenn
es wirklich etwas Anderes ist als Katholicismus, in diesem Ideal be-
schlossen?
„Deum et animam scire cupio. Nihilne plus? Nihil omnino'* ^ —
in diesen Worten hat Augustin kurz das Ziel senies inneren Lebens
formulirt. Das war die Wahrheit^, nach welcher „das Mark seiner
Seele seufzte". In der Gotteserkenntniss lag ihm alle Wahrheit be-
schlossen. Die Gewässheit, dass ein Gott sei, und dass er das summum
» Weh ! Weh ! Wir tragen
Du hast sie zerstört, Die Trümmer ins Nichts hiuiiher
Die schöne Welt, Und klagen
Mit mächtiger Faust; TTeher die verlorene Schöne. —
Sie stürzt, sie zerfällt! Prächtiger haue sie wieder,
Ein Halhgott hat sie zerschlagen! In deinem Busen haue sie auf!
■'' Man vgl. selbst noch die Stimmung des Petrarca u. anderer Humanisten.
^ Süliloq. I, 7. In der Kenntniss Gottes lag für ihn auch die des Kosnms; s.
S c i p i o , Metaphysik S. 14 l\.
* Das Spiel mit Hülsen und Schalen war Augustin ein Ureiiel und Kkel: er
lechzte nach Sachen, luicli der Erkenntn^ss der wirklidnMi IVIächte.
I
Gott und die Seele. 99
bonum sei *, stand ihm, nach einer kurzen Periode schwerer Zweifel,
felsenfest - ; aber wer er sei, wie er zu finden sei, das war ihm die grosse
Frage. Da ist er zuerst durch den Neuplatonismus aus der Nacht der
Unsicherheit — der manichäische Grottesbegriff hatte sich ihm als falsch
erwiesen^ da Gott hier nicht absolut und allmächtig war — gerissen
w^orden. Der Neuplatonismus zeigte ihm einen Weg, aus der Flucht der
Erscheinungen und dem räthselhaften und quälenden Spiel des Vergäng-
lichen zu dem festen ßuhepunkt zu gelangen, den er suchte, und diesen
in dem absoluten und geistigen Gott (Confess. YII, 26: „incoiporea
veritas") zu finden. Augustin hat diesen Weg des Aufstiegs von der
Körperwelt durch immer höhere und dauerndere Sphären betreten und
auch die ekstatische Stimmung im Excess des Gefühls erlebt ^. Allein
viel energischer wandte er sich gleichzeitig der Betrachtung zu , für
welche die Neuplatoniker ihm nur Winke zu geben vermocht hatten —
der inneren Erfahrung und der psychologischen Analyse. Aus dem
Skepticismus rettete ihn die Einsicht, dass, w^enn der äusseren Erfah-
rung auch Alles zweifelhaft geworden sei, die Thatsachen des inneren
Lebens bestehen bleiben und eine Erklärung erheischen, die zur Gewiss-
heit zurückführt. Es giebt kein Uebel, aber wir fürchten uns, und diese
Furcht ist gewiss ein liebelt Es giebt kein sichtbares Object des Glau-
' Augustin ist Manichäer geworden, weil er darüber nicht hinwegkam, nach
der katholischen Lehre werde (rott zum Urlieber der Sünde gemacht.
^ Confess. VIT, 16: „Audivi (ver])a Ego sum qui sum) sicut auditurincorde,
et non erat prorsus unde dubitarem; faciliusque dubitarem vivere me, quam non
esse veritatem." VI, 5.
" Andeutungen Confess. VIT, 13 — 16. 23. Hier ist dasintelleotuelleExercitium
von der Betrachtung der mutabilia zu dem incomnmtabile geschiklert. „Et pcr-
venit cogitatio ad id quod est, inictu trepidantis aspectus. Tunc vero iii-
visibilia tua, per ea quae facta sunt, intellecta conspexi (dies wird jetzt sein Grund-
spruch); sed aciem figere non valui: et re])ercussa infirmitate redditus solitis,
non mecuniferc'bam nisi amantem meinoriam et (juasi olfactu desiderantem (ganz wie
bei Plotin) quae comedere noridum possem." VIIT, 1. Aber aucli nocli in dem be-
rühmten Gespräch (IX, 23 — 25) mit der Mutter in Ostia wird eigentlicli ein regel-
rechtes neuplatonisches Exercitium geschildert, das mit der Ekstase („attigimus
veritatem modice toto i(;tu cordio") endet, Sj)iiter begegnet dergleichen l)ei Augu-
stin liöchst selten-, dagegen zeigen die anÜMianichliisclien Schriften noch manche
Anklänge („se rapere in deum" „ra])i in deum" „volitare" „amplexus dei"). Mit
Hecht sagt Reuter (S. 472), das seifin ungewöhnliche, nur ausnahmsweise vor-
kommende Aussagen. Allein er nuiss die Stellen in den Confessionen aus dem Ge-
däcliiniss verloren haben, wenn er hinzufügt, dass AnweiHungen über die Methode,
welche man zu befolgen habe, nicht gegeben würden.
■* (/onfess. VIT, 7: „IJbi ergo nuilum et unde et qua huc irrepsit? (^uae radix
eius et <juo senien eins? An omnino non est? ('ur ergo timemus et cavemus (juod
non est? Aut si inaniter timemus, certe vel timor ipse malum est . . et tanto gravius
7 +
100 r)ie woltgesehiclitliche StelUmpf Aiiofustiirs als Lehrer der Kirche.
bens, aber den Glauben sehen wir in uns ^ So traten ihm — erkenn t-
nisstheo retisch — deus und anima in die ninigste Verbindung, und
diese Verbindung verstärkte für ihn die Vorstelhing von ihrem meta-
physischen Zusammenhang. Fortab war ihm die Erforschung des
Seelenlebens ein theologisches Bedürfniss. Keine Untersuchung er-
schien ihm hier gleichgiltig; aus jeder suchte er G otteserkenntniss
zu schöpfen. Das Fvwö-i asauiöv wurde ihm der AVeg zu Gott. Welche
Fülle von psychologischen Entdeckungen er gemacht hat'-^, davon kann
hier nicht gehandelt werden. Aber in seinem eigentlichen Element war
er erst bei der Erforschung der praktischen Seite des Seelenlebens.
Die populäre Vorstellung, über welche doch auch die Philosophen nicht
weit herausgekommen waren, war die, der Mensch sei ein vernünftiges
Wesen, welches durch Sinnlichkeit niedergehalten werde, aber einen
freien, jeden Moment zum Guten fälligen Willen besitze — eine sehr
äusserliche, dualistische Betrachtung. Augustin beobachtete den wirk-
lichen Menschen. Erfand, dass die Grundform des Seelenlebens in
dem Streben nach Lust liegt ^ (cupido, amor); aus dieser Form
kann Niemand heraustreten. Sie ist identisch mit dem Streben nach
Gütern, nach dem Genuss. Als Erstreben des Angenehmen ist sie
libido, cupiditas und vollendet sich in der Freude; als Widerstreben
gegen das Unangenehme ist sie ira, timor und vollendet sich in der
tristitia. Alle Triebe sind nur Entfaltungen dieser Grundform ; bald
erscheinen sie mehr als ein Afficirtsein, bald mehr als Activität, und
sie gelten ebenso für das Gebiet des geistigen, wie für das
Gebiet des sinnlichen Lebens*. Der Wille hängt nach Augustin
aufs engste mit diesem Leben der Triebe zusammen, so dass die Triebe
sogar als Inhalt des Willens aufgefasst werden können, aber er ist doch
malum, quanto non est quod timeamus. Tdcirco aut estmalumquod timemus,
aiit hoc malum est quia timemus."
^ De trinit. XIII, 3: „Cum propterea credere iubeamur, quia id quod credere
jubemur, videre non possumus, ipsam tarnen fidem, quando inest in nobis, videmus
in nobis."
^ In Bezug auf das Gredächtniss, die Association der Vorstellungen, die synthe-
tische Thätigkeit des spontanen Denkens, die Idealität der Kategorien, die apriori-
schen Functionen, die „urtheilendeu" Zahlen, die „Synthesis der Reproduction in
der Einbildung" u. s. w. Freilich ist Alles von ihm nur gestreift; es blitzt gleich-
sam in seineu Werken nur auf; s. Sieb eck, a. a. O. S. 179. In der Speculatiou über
die Trinität hat er seine Betrachtungen über dasSelbstbewusstsein angewendet.
^ Er meinte damit das berechtigte Streben nach Selbstbehauptung, nach Sei n,
welches er allem Organischen, ja sogar dem Unorganischen beilegte, s. de civ.
dei XI, 28.
* Das ist der wichtierste Fortschritt der Erkenntniss.
J
Die neue Psychologie. 101
von ihnen zu unterscheiden; denn der "Wille ist nicht an den Naturzu-
sammenhang gebunden ; er ist eine über der sinnlichen Natur stehende
Kraft ^ Er ist frei, sofern er formell die Fähigkeit besitzt, den ver-
schiedenen Neigungen zu folgen oder zu widerstreben; aber er ist in
concreto nie frei, d. h. nie wirkhches Hberum arbitrium, sondern stets
bedingt durch das Gefüge der bestehenden Neigungen, die ihn als Mo-
tive bestimmen. Die theoretische Wahlfreiheit mid somit zur wirkUchen
Freiheit nur dann, wenn die cupiditas (amor) boni das herrschende Mo-
tiv für den Willen geworden ist — mit anderen Worten: nurvondem
guten Willen gilt, dass er frei ist; AVillensfreiheit und sittliche
Gutheit fallen zusammen. Aber eben hieraus folgt, dass der wahrhaft
freie Wille seine Freiheit nicht in der Willkür hat, sondern in dem Ge-
bundensein an das Motiv des Guten („beata necessitas boni"). Diese
Gebundenheit ist Freiheit, weil sie den Willen der Herrschaft der Triebe
(der niederen Güter) entzieht, und weil sie die Bestimmung und
Anlage des Menschen, sich mit wahrhaftem Sein und Leben
zu erfüllen, verwirkhcht. In der Gebundenheit an das Gute realisirt
sich der höhere appetitus, der wahrhafte Selbsterhaltungstrieb, während
er durch Befriedigung „in der Zerstreuung" den Menschen „stückweise
zum Zerfallen bringt". Aus der von Augustin behaupteten Unfähigkeit
des individuellen spontanen Willens zum Guten folgt aber nicht, dass
der böse Wille, weil unfrei, auch ohne Verantwortung ist ; denn da dem
Willen die Fähigkeit zugesprochen wird, auf den amor boni einzugehen,
so ist er der Unterlassung (des Defectes) wegen schuldig.
Von hier aus baute nun Augustin, die Ergebnisse der neuplato-
nischen kosmologischen Speculation mit dieser Analyse verknüpfend,
die Metaphysik oder richtiger die Gottes lehre auf. Aber da er in
derselben Epoche, in welcher er diesen Betrachtungen nachging, sich
der mönchisch-katholischen Askese zuwandte und zugleich sich in die
Psalmen (und die Paulusbriefe) vertiefte, so wirkte die schlichte Grösse
des lebendigen Gottesbegriffs mit gewaltiger Kraft in die Speculationen
hinein und zwang die verschiedenen und zum Theil künstlich gewonnenen
Elemente der Gotteslehre "^ immer wieder in das einfachste Bekenntniss
' S.Sieb eck, a. a. O. S. 181 f.; Hamma i. d. Tiib. Thcol. Quartalschr.Bd.55
S. 427 fr. 458; Kahl, Primat des Willens S. 1 f. Unzweifelhaft wurzelt Aug.'s Psy-
chologie des Willens im Indeterminismus; aber in der concreten Betrachtung wird er
Detcnriinißt.
' Sic haben übrigens sämmtlich einen praktischen Zweck, d. h. sie entsprechen
riner bestimmten Form der frommen Betrachtung des ({(Jttlichen und einem be-
stimmten Verhalten ihm gegenüber (einer bestimmten Selbstbeurtheilung). Die
Einzelheiten der GottcBlehre s. bei Dorncr, Augustin S. 5 — 112.
102 Die weltgescliichtliche Stellung Augustiii's als Lehrer der Kirche.
zusjimmen : „Der Herr Himmels und der Erde ist die Liebe ; er ist
mein Heil ; vor wem sollte mir grauen?^'
Durch die neuphitonisclie Speculation des Aufsteigens gelangte
Augustin zu dem höchsten, unveränderlichen, beharrlichen Sein \ der
incorporea veritas, spiritalis substantia, incommutabilis et vera veri-
tatis aeternitas, der lux incommutabilis ■^. Von liier aus erhielt für
Augustin Alles, was nicht Gott ist, einschUesslich der eigenen Seele,
eine doppelte Beleuchtung. Einerseits erscliien es als das absolut Ver-
gängliche, darum als das Nichtseiende ; denn dort ist kein wahres
Sein, wo auch das Nichtsein ist; also ist Gott allein (Gott die
einzige Substanz). Andererseits erschien es, sofern es ein relatives
Sein hat, gut, ja sehr gut, als eine Auswirkung des göttlichen Seins
(das Viele als die ausstrahlende und wieder zurückkehrende Ausge-
staltung des Einen). Hier wird Augustin nicht müde, das pulchrum et
aptum der Schöpfung zu empfinden, das Universum als ein geordnetes
Kunstwerk zu betrachten, in welchem die Abstufungen ebenso bewun-
derungswürdig sind, wie die Contraste. Das Individuelle und das
üeble ist hier aufgehoben in den Begriff der Schönheit; ja Gott selbst
ist die ewige, die alte und die neue, die einzige Schönheit. Selbst das
Höllenfeuer, die Verdammung der Sünder, ist als Act in der ordinatio
malorum ein nicht zu missender Theil des Kunstwerkes ^. Aber frei-
* Coufess. VII, 16 konnte er nun die triumphirende Frage aufwerfen : „Num-
quid nihil est veritas, quoniam ueque per finita, neque per infinita locoruni spatia
difftisaest?"
^ Nicht das gewöhnliche Licht; „non hoc illa erat; sed aliud, aliud valde ab
istis Omnibus. Xec ita erat supra mentem meam sicut oleum super aquam, uec sicut
coelum super terram, sed superior, quia ipse fecit me, et ego inferior, quia factus
sum ab ea. Qui novit veritatem novit eam, et qui novit eam, novit aeteruitatem.
Caritas novit eam. 0 aeterna veritas, et vera Caritas, et cara aeternitas ! tu es deus
meus; tibi suspiro die ac nocte" (Confess. VII, 16). Dazu die grandios wiedcr-
gegebeue Betrachtung IX, 23 — 25 De trin. IV, 1. Unter Sein versteht Augustiu
nicht ein inhaltsloses Existireu, sondern lebensvolles Sein, und niemals ist es ihm
zweifelhaft geworden, dass Sein besser ist als Nichtsein. De civit. dei XI, 26: „Et
sumus et nos esse novimus et id esse ac nosse diligimus." Die Trias „esse, scire,
amare" ist ihm die höchste; an die Möglichkeit, in buddhistisch-schopenhauerischer
AVeise das Nichtsein zu verklären, hat er nie gedacht.
' Auf die Kosmologie Augustinus kann hier nicht näher eingegangen werden
(s. die Arbeiten von Gangauf und S c i p i o). Seine Betrachtungen über das Leben
und die Stufenfolge des Organischen und Unorganischen („ordo, species, nu)dus'*)
sind für die spätere Philosophie und Theologie von hoher Bedeutuug geworden und
haben namentlich in der mittelalterlichen Mystik foi-tgewirkt. Ebenso hat dort tue
Betrachtung fortgewirkt, welche Böse und Gut als nothwendige Elemente des
Kunstwerks der Welt betrachtet. Doch überwog stets — wie bei Augustin — die
Vorstellung von der privativen Bedeutung des Bösen.
Der philosophische GottesbegrifF. 103
lieh das ganze Kunstwerk ist im Grunde — nichts; ein Gleichniss, aber
ach I ein Gleichniss nur der unendHchen Fülle des Einen, der da allein
ist. Wie ernst es Augustin mit diesem akosmistischen Pantheismus,
der doch in den kosmischen Monismus umzuschlagen droht, genommen
hat, wie er ihn niemals ganz aufgegeben hat, zeigt eben der Ausdruck
„pulchritudo" für Gott ^, zeigt seine Prädestinationslehre, die hier eine
ihrer Wurzeln hat, zeigt endlich der auch noch in den spätesten Schrif-
ten hier und dort durchbrechende ästhetische Optimismus der Welt-
betrachtung ''^ und die Unsicherheit über den Begriff der Schöpfung ^.
Allein schon die Thatsache, dass Augustin in der Regel von einer ganz
anderen Stimmung beherrscht wird, bürgt dafür, dass das hier ge-
wonnene Element nur eine Grundirung gewesen ist, auf welche er
neue Farben aufgetragen hat. Er wäre nicht der Reformator der
christlichen Frömmigkeit gewesen, wenn er nur jenen neuplatonischen
Gottesbegriff, der doch schhesslich auf frommem Naturgefühl beruht,
sei es auch in den hinreissendsten Tönen ^, gefeiert hätte. Die neuen
Elemente ergaben sich ihm zunächst aus der oben kurz angedeuteten
psychologischen Analyse. Er fand in dem Menschen den Trieb nach
Glück, nach Gütern, nach dem Sein als die Grundform des Daseins,
und er konnte diesen Trieb vortrefflich mit seiner neuplatonischen
Doctrin ausgleichen. Er fand weiter sogar den Trieb nach einem
immer höheren Glück und nach immer höheren Gütern, eine unverwüst-
liche edle Concupiscenz, und auch dieser Befund stimmte mit jener
* Dieser Ausdruck ist iu allen Schriften häufig. Auch Aussagen wie „vita
vitae meae" u. ä. haben zunächst einen akosmistischen Sinn, sind aber freilich von
Augustin auch mit einem tieferen Sinn erfüllt gedacht.
'^ Die optimistische Freude am Leben im Sinne des wahren Lebens hat
Augustin nie eingebüsst, wie das Werk de civit. dei beweist; aber in dem Contrast
der Stimmungen in Bezug auf die AVeltbetrachtung — ästhetische Freude am Kos-
mos und Schmerz über die durch Sünde verkehrte Welt — gewann die letztere die
Oberhand. Das Dasein an sich ist Augustin nie zur Qual geworden, sondern jenes
Dasein, das sich selbst zum Niclitsein verdammt, indem es sich zum Zerfall bringt.
' Wo sich Augustiu die Frage der Schöi)fung so stellt: „Wie verhalt sich die
Einheit des Seins zur Vielheit der Erscheinung", da ist der Schöpfungsbegriff' stets
im Grunde eliminirt. Diese Art der Fragestellung hat er aber nie ganz aufgegeben ;
denn im Grunde haben die Dinge ihre Scn)ständigkeit nur an ihrer Erscheinung,
während sie, sofern sie sind, der Erkenutnissgrund für die Existenz (lottes sind.
Allein daneben hat Augustin doch die creatio ex nihilo („omnes naturae ex deo, non
de deo", de uat. bou. c. Mauich. 1) kräftig geltend gemacht; s. die Anmerkung auf
Seite 108.
* Die hat er gefunden und liundeite JNIystiker nach ihm begeistert. Dass diese
contemplative Betrachtung des Seins, des Nichtseins und der Harmonie des sich zur
Erscheinung entfaltenden Seins auch eine Sphäre der Frömmigkeit ist, sollte man
nicht leugnen.
104 r^ie welt^eßcbichtliche Stellung Augußtin's als Lehrer der Kirche.
Doctrin. Die lTm*uhe, der Hunger und Durst nach Gott, der Abscheu
und Ekel vor den genossenen niederen Gütern ist nicht zu ersticken ;
denn die Seele, sofern sie ist, ist ja ex deo et ad deum. Aber nun
fand er etwas Furchtbares: dass der Wille das factisch nicht
will, was er will oder doch zu wollen scheint. Nein, es ist
kein Schein, es ist die fiirchterlichste Paradoxie : wir wollen zu Gott
und wir können nicht, das heisst, wir wollen nicht K Mit dem ganzen
' Die tiefste Schilderung dieses Zustandcs Coufcss. VIII, 17 — 26; Augustin
nennt ihn ein „moustrum" (monströse Erscheinung). Er löst das aufgedeckte Pro-
blem, soweit es zu lösen ist, nicht durch den Appell an den unfreien Willen, also nicht
durch das „non possumus", sondern als ludeterminist durch die Reflexion „non ex
toto volumus, non ergo ex toto [uobis] imperamus" (21). „Ich fürchtete, dass Du
mich bald erhören möchtest und mich bald heilen von der Krankheit der Lust,
deren Befriedigung ich mehr wünschte als ihre Austilgung . . . Und ich war in dem
Wahn gewesen, desshalb verschöbe ich es von Tag zu Tag, Dir allein nachzufolgen,
weil noch kein sicheres Ziel meines Strebeus aufgegangen sei. Und nun war der Tag
da, und die Stimme meines Gewissens mahnte mich: »Sagtest Du nicht, nur weil die
Wahrheit Dir noch ungewiss sei, wolltest Du die eitle Bürde nicht von Dir werfen?
Siehe jetzt ist Dir die Wahrheit doch gewiss, aber (Du willst doch nicht). v<
. . . Der Weg mit Gott sich zu verbünden und auch die Erreichung des Ziels fällt
zusammen mit dem Willen, dies Ziel zu erreichen, freilich nur mit dem
festen und reinen Willen .... Und so Manches pflegte ich während jenes inneren
Gährens und Zögerns in meinem leiblichen Dasein auszuführen, was nur auf Grund
bestimmter AVillcnsentschlüsse geschieht und unmöglich wird, sobald die ent-
sprechenden Gliedmassen entweder fehlen oder gefesselt oder ermattet oder er-
schlafil oder irgendwie behindert sind. Wenn ich z. B. ein Haar mir ausriss, mich
vor die Stirne schlug oder mit gefalteten Händen das Knie rmfasste, so that ich
das, weil ich es wollte. Es wäre aber auch möglich gewesen, dass ich es gewollt
und doch nicht gethan hätte, wenn nämlich die Beweglichkeit der Glieder mich im
Stiche gelassen hätte. So Manches führte ich also aus auf einem Gebiete, wo
Wollen und Können durchaus nicht identisch war. Dagegen führte ich
nicht aus, was mir ein ungleich grösseres Wohlgefallen bereitete und mir auch mög-
lich war, sobald ich nur wirklich ernsthaft wollte; weil ich, sobald ich es
gewollt hätte, es auch wirklich schon im Willen mir augeeignet
hätte. Denn auf diesem Gebiet ist Fähigkeit und AVille identisch,
und der wii'kliche Willensentschluss ist auch schon die Aus-
führung. Und doch kam es bei mir nicht bis zur Ausführung; und mit grösserer
Leichtigkeit gehorchte mein Leib der leisesten Willensmeinung meiner Seele, die
Glieder auf jeglichen AVink zu bewegen, als die Seele sich selber Gehorsam
leistete, wo es doch nur galt, ihr vorhandenes grosses Wollen ledig-
lich im Willen selbst zu verwirklichen! Wie ist eine so ungeheuerhche
Erscheinung möglich und was ist ihr Grund? Die Seele giobt dem Leib einen Be-
fehl, und er gehorcht sogleich ; die Seele giebt sich selbst einen Befehl und stösst
auf Widerstand! Die Seele giebt den Befehl zur Bewegung der Hand, und die Aus-
führung geschieht mit solcher Leichtigkeit, dass man kaum Befehl und Ausführung
unterscheiden kann, und doch ist die Seele Seele, die Hand aber ein Glied des
Leibes. Die Seele giebt den Befehl zu einem Willeusact der Seele selbst; es ist ihr
Der böse Wille. Gott als das Gute und als die Liebe. 105
Gewicht der Verantwortung empfand Augustin diesen Zustand;
sie wurde ihm niemals durch die Betrachtung gemildert, dass der Wille,
sofern er nicht zu Gott wolle , zum Nichts wolle, also eigentlich sich selber
durch Eigenwillen „bis zu dem Punkte aufhebe, wo er nicht mehr ist" ;
sie wurde ihm auch nicht durch die correlate Erwägung gemildert, dass
der individuelle Wille, von seinen Trieben beherrscht, der unfreie
sei. Vielmehr leuchtete ihm aus dem furchtbaren Gefühl der Verantwor-
tung Gott als das Gute und das den Willen als Motiv bestimmende
eigensüchtige Triebleben als das Böse hervor. Hier erst bekam das
„summum bonum" seinen tieferen Sinn — es war nicht mehr bloss der
beharrende Ruhepunkt für den unruhigen Denker oder der berauschende
Lebensgenuss für den lebenssüchtigen Sterblichen: es wurde zum Aus-
druck des Sein- Sollenden ^, zum Ausdruck dessen, was das beherr-
schende Grundmotiv des Willens werden soll, was dem Willen seine
Freiheit und damit erst seine Kraft über der Sphäre des Naturhaften
verleihen, was die unverwüstliche Neigung des Menschen zum Guten
von der misera necessitas peccandi befreien, also diese eingeborene
Neigung erst verwirklichen soll — zum Ausdruck des Guten. Und so
fielen ihm vom Begriff des Guten selbst alle Eintragungen des Intellects
und alle eudämonistischen Hüllen und Binden ab. In dieser ihn über-
wältigenden Betrachtung war es nichts Anderes als d er gute Wille,
der in das Leben aufgenommene sitthche Imperativ, sich von eigen-
süchtiger Lust zu lösen. Aber gleichzeitig machte er die Erfahrung, die
selbst er nicht zu analysiren vermochte und die kein Denkender zu analy-
siren sich unterfangen wird, dass dieses Gute ihn als Liebe ergriffen
und aus dem Jammer des monströsen Widerspruchs des Daseins heraus-
eigener Befehl, und sie führt ihn doch nicht aus. Wie ist eine so ungeheuerliche
Erscheinung möglich und was ist ihr Grund? Die Seele giebt, sage ich, den Befehl
zu einem Willcnsact, sie, deren ganzes Befehlen lediglich in Wollen be-
steht, und doch wird ihr Befehl nicht ausgeführt. Sednouextotovult; nou
ergo ex toto imperat. Nam in tantum imperat, in quantuni vult, et in tantum
non fit quod imperat, in quantum non vult. Quoniam voluntas iinperat ut sit volun-
tas, nee alia sed ipsa. Non i taq u c p lena imperat, ideo non est (juod im-
perat. Nam si plena esset, nee imi)eraret ut esset, <juia iam esset.
Non igitur monstrum partim volle, i)artim noile, sed aegritudo animi est, quia non
totus assurgit, veritate sublcvatus, consuetudine pracgravatus. Et ideo sunt duae
voluntates, «juia una earum tota non est, et hoc adest altei-i ({uod dcest alteri."
* „Was soll sein? wie lässt sich das Innere nicht durch Betrachtung, sondern
durch dieThat herausstellen?'* (Sc i f) i o , Metaphysik des Aug. S. 7). -— Diese Frage
hat erst Augustin scharf gestellt. „Die Antike fasste das gesammte Leben man
mochte sagen in naiver Weise vom Standpunkt der Wissenschaft auf: das
Geistige erscheint noch natürlich und die Tugend als Naturkraft."
106 Die weltgeschichtliche Stelhmg- Aiigustiu's als Lehrer der Kirche.
gerissen habe^ Damit erhielt der Gottesbegriff einen ganz neuen Inhalt :
das (Jute, welehes das vermag, ist das Allmächtige. In
dem einen Act der Befreiung ist die Identität des allmächtigen Seins
und des Guten gegeben: das summ um ov ist das als all-
mächtige Liebe auf den Willen wirkende heilige Gute.
So hat es Augustin empfunden, und so hat er es beschrieben. Ein Strom
von Gottesgedanken entfesselte sich nun in ihm, zum Theil die alten
Worte, aber mit nun erst empfundenem Inhalt, wunderbar verbunden
mit dem Ausdruck der philosophischen G otteserkenntniss, aber sie be-
herrschend und umbildend : das sumnuim esse ist der höchste Gute ;
er ist P 6 r s 0 n ; der ontologische Defect des creatürlichen Seins wird
zu dem moralischen Defect der Gottlosigkeit des Willens; das Böse ist
hier wie dort das Negative -; aber dort ist es die privatio substantiae,
hier ist es die „privatio boni" im Sinne des aus der Freiheit stammen-
den Defectes. Das Gute bleibt zwar das göttliche Sein als Fülle des
Lebens ; aber für den Menschen ist es beschlossen in der aus dem
göttlichen Sein und der göttlichen Liebe fliessenden „gemeinen Moral",
d. h. er vermag es sich nicht anders anzueignen als in dem Willen, der
* Das freilich kouutc von Augustin noch deutlich gemacht werden, warum die
Form, in der das Gute sich rettend der Seele bemächtigt, die Einflössung der
Liebe sein müsse. Solange die Seele mitsammt ihrem Willen einem Sollen gegen-
übersteht und sich dieses Sollen befiehlt, hat sie sich das Gute noch nicht völlig
angeeignet; „nam si plena esset, nee imperaret ut esset, quia iam esset" (Confess.
VIII, 21). Also dass sie sich das Sollen gelten lässt, schafft noch kein kräftiges
Wollen ex toto. Sie muss mithin das Sollen so lieben, dass sie sich nicht mehr zu
befehlen braucht; ja es muss ihre einzige Liebe sein; dann erst ist sie plena in
voluntate bona. Der „abyssus corruptionis uostrae" wird erst wirklich aus-
geschöpft, wenn wir durch die Liebe totum illud, quod volcbanms', nolunius et totum
illud, quod deus vult, volumus (Confess. IX, 1).
^ Confess. VII, 18 : „Malum si substantia esset, bonum esset. Aut enim esset
incorruptibilis substantia, magnum utique bonum ; aut substantia corruptibilis esset,
quae nisi bona esset, corrumpi non posset." Da aber das Böse somit stets an einer
guten Substanz ist (genauer: aus dem bösen Willen der guten Substanz entspringt),
so ist es das schlechthin Unerklärliche ; s. z. B. de civit. dei XII, 7 : „Nemo igitur
quaerat efficientem causam malae voluntatis ; non enim est efticiens sed deficieus
(d. h. das Streben zum Nichts, zur Aufhebung des Lebens ist der Inhalt dos bösen
Willens), quia nee illa effectio sed defectio. Deficere namque ab eo, quod suninic
est, ad id, quod minus est, hoc est incipere habere voluntatem malam. Causas porro
defectioüum istarum, cum efficientes non sint, ut dixi, sed deficientes, volle iuve-
nire tale est, ac si quisquam velit viderc tenebras vol audire silontium, quod tamon
utrumque nobis notum est, neque illud nisi per oculos, neque hoc nisi per auros, non
sane in specie, sed in specioi privatione. Nemo ergo ex me scire quaerat, quod mo
nescire scio, nisi forte ut nescire discat, quod sciri non posso sciendum est. Ea quippo
quae non in specie, sed in eius privatione sciuntur, si dici aut iutellogi potest, (\uo-
dammodo nesciendo sciuntur, ut sciondo uesciautur.'*
Gott als das Gute und als die Liebe. 107
mit Lust sein altes Wesen fahren lässt und das liebt, was über allem
Sinnlichen und Eigensüchtigen ruht. Nichts ist gut als ein guter
Wille: diesen Satz hat Augustin aufs engste verknüpft mit dem an-
deren: nichts ist gut als Gott, und der Mittelbegriff wurde ihm die
Liebe. Denn das ist nun das Letzte und Höchste in seiner Erkennt-
niss, dass sich ihm der Gedanke „omnis substantia a deo" mit dem an-
deren zusammenschliesst „omne bonum a deo". Die Vorstellung der
Alleinwirksamkeit Gottes gleitet in die andere über, dass Gott, eben
als Gott und als Quelle alles Seins, auch der einzige Urheber und die
einzige Quelle des Guten ist in der Form der sich mittli eilenden Liebe ^
Es ist für Gott ebenso wesentlich, dass er sich in Liebe
mittheilende gratia ist, wie dass er causa causatrix non
causata ist. Anthropologisch ausgedrückt: das Gute macht den
Menschen nicht selbständig Gott gegenüber — dies war die alte Vor-
stellung — , sondern in dem Guten kommt die immer bestehende natür-
liche Abhängigkeit alles Geschaffenen von Gott als gewollte, die
Existenz des creatürlichen Geistes sicherstellende Abhängigkeit zum
Ausdruck. Dieser ist nur, sofern er sich selbst aufgiebt, lebt nur, sofern
er stirbt, ist nur frei, sofern er sich ganz und gar von Gott bestimmen
lässt, ist nur gut, sofern er Gott will. Das sind die grossen Paradoxien,
die er der „monströsen" Paradoxie, von der wir oben gesprochen, ent-
gegensetzt. Aber nicht verkennen lässt sich dabei, dass die metaphy-
sische Grundirung in der ethischen Betrachtung überall noch durch-
schimmert-, sie zeigt sich erstens in dem asketischen Zuge, der dem Be-
griff des Guten trotz der einfachen Fassung (Freude an Gott) anhaftet,
zweitens in der Unsicherheit über den Begriff der Liebe, in den sich ein
intellectuelles Element doch einmischt, drittens in der Fassung der gratia,
die nicht selten als die gleichsam naturhafte Seinsweise Gottes erscheint.
Noch deutlicher tritt das Ineinander der metaphysischen und
ethischen Betrachtung, dieses wunderbare Oscilliren, Zittern und
* Von der Liebe sagt Augustin (de civ. XI, 28), dass man nicht nur ihre Ob-
jccte liebe, sondern dass man die Liebe liel)e. „Amor amatur, et hinc probamus,
quod in hominibus, qui reetius amantur, ipse magis amatur." Diese Beobachtung
leitete ihn dazu über, überall in der Liebe Gott zu scheu. Wie in allem 8ein Gott
ist, so ist er auch in der Liebe ; ja dass er im Sein und in der Liebe ist, ist im tief-
sten Grunde identisch. Darum ist die Liebe Anfang, Mitte und Ende. Sie ist das
letzte (Jbjcct des theologischen Denkens und die (i rundform des geistlichen wahr-
haftigen Lebens: „Caritas inchoata itichoata iustitia est; Caritas provecta provecta
iustitia est; Caritas magna magna iustitia est; Caritas ]K;riecta perfecta iustitia est"
(de uat. et grat. 84). Aber sofern im Leben überhaui)t vohmtas = Caritas ist (de
trin.XV, HH: „(|iiid est aliud Caritas (jiiam voluntasV"), erscheint hier wiederum
der tiefe Zusammeniiang zwischen Ethik und Psychologie.
108 l^i*' weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Schwiinkeu der Einpßiiduiig und Contemplation zwischen dem Intellec-
tiiellen und dem, was auf dem Grunde der Seele lebt und erlebt wird,
in der Anweisung für den Verkehr mit Gott hervor ^ Einerseits gilt
es Gott zu geniessen; ja er ist die einzige „res", die genossen werden
darf, die übrigen dürfen nur gebraucht werden. Geniessen aber heisst
„alicui rei amore inhaerere propter se ipsam'". Gott soll stetig ge-
nossen werden — den Neuplatonikern wird zum Vorwurf gemacht, dass
sie es dazu nicht bringen ^. Dieses Geniessen hängt mit dem Gedanken
der „Schönheit" Gottes und wiederum mit der Empfindung der Allein-
heit und Unaussagbarkeit Gottes aufs engste zusammen*. Anderer-
seits aber schiebt Augustin den Gedanken, dass Gott substantia (res)
ist, für den Lebensverkehr doch zurück. Er ist Person, und in dem
* Dass Augustin überhaupt im Stande gewesen ist, die neuplatonisch-onto-
logische Spcculation mit den Ergebnissen der inneren Betrachtung des praktischen
Seelenlebens zu verknüpfen, liegt neben Anderem vornehmlich darin, dass er sich
bei jener so völlig frei davon erhalten hat, ritualistische Elemente aufzunehmen und
der Speculation Stoff aus dem Kultus und der Religion zweiter Ordnung zuzuführen.
Mag ihn auch anfänglich die Stufe der inneren Eutwickelung (ausserhalb der
Kirche), auf der er sich befand, von selbst davor bewahrt haben, jene giftigen Stoffe
aufzunehmen, so ist es doch ein leuchtendes, bisher nie gewürdigtes Moment seiner
Grösse gewesen, dass er sich stets von der Kultusmystik frei erhalten hat. Damit
hat er nicht nur seinen Schülern in der Mystik, sondern der ganzen abendländischen
Kirche einen unschätzbaren Dienst geleistet.
^ De doctr. christ. I, 3 sq.
^ S. Confess. VIT, 24 : „et quaerebam viam comparandi roboris quod esset
idoneum ad fruendum te etc." 26 : „certus (juidem in istis erani, nimis tarnen iufirmus
ad fruendum te."
^ Augustin hat den alten platonischen Satz von der Unmöglichkeit zu be-
stimmen, was Gott sei, häufig wiederholt, und zwar nicht immer mit dem Gefühl
der Unbefriedigung darüber, sondern als Ausdruck der romantischen Befriedigung
(„ineffabilis simplex natura"; „facilius dicimus quid non sit, quam quod sit"). Zur
relativen Klärung der negativen Bestimmungen und der Eigenschaften und Acci-
denzen hat er übrigens viel beigetragen und die scholastische Terminologie ge-
schaffen ; s. bes. de trinit. XV. Er ist der Vater der abendländischen theologischen
Dialektik; aber auch der Entdecker der Dialektik des frommen Bewusstseins. Das
Interesse, die einzelnen Eigenschaften Gottes sämmtlich als identisch zu fassen, d. h.
das Interesse an der Einfachheit Gottes (Gott ist Essenz, nicht Substanz ; denn
diese ist nicht ohne Accidens zu denken; s. de trin. VII, 10), welches so weit geht,
dass auch habere und esse in Gott zusammenfallen soll (de civ. XI, 10: „ideo simplex
dicitur, quoniam quod habet hoc est"), stammt aus dem antimanichäischen Kampf.
Um jede corruptibilitas von Gott abzuwehren, wird jede Art von Zusammensetzung
geleugnet. Aber nun nmsstc Augustin doch eine Unterscheidung in Gott machon,
um den göttlichen Weltplan von Gott vmterscheiden zu können und nicht völlig iu
den Pantheismus zu gerathen (dieser ist an vielen Stellen in der Schrift de trinit .
ausgeprägt, s. z. B. IV, o: „(^uia unum verbum dei est, per quod facta sunt omnia,
quod est incommutabilis veritas, ibi principaUter atque incommutabiliter sunt oni-
il
Gott als Person. 109
„amore inhaerere" fällt der Nachdruck dann auf den amor, der auf der
fides ruht und die spes einschhesst. „Fide, spe, caritate colendum
deum" ^ So mächtig ist Augustin von der freilich niemals klar formu-
lirten Empfindung erfüllt, Gott sei Person, der man vertrauen und
nia simul, et omnia vita sunt et omnia unum sunt"). Allein, da er immer wieder
darauf zurückkommt, Sein und Weisesein und Grutsein seien in Gott identisch, so
erreicht er nicht, was er erreichen will. Diese Schwierigkeit potenzirt sich noch
für ihn, wo er die Speculation über das "Wesen Gottes mit der Speculation über die
Trinität verbindet (Dorn er S. 22 ff.). Bei der Lehre vom Weltplan Gottes tritt
die Schwierigkeit am deutlichsten hervor. Immer wieder droht die Welt in dem
Sohne als Einheit zu versinken und ihre Unterschiedenheit zu verlieren (unrichtig
ist es aber, umgekehrt zu sagen, die intelligible Welt sei für Augustin mit dem Sohn
identisch, oder sei der Sohn). In der Lehre von der Schöpfung setzt sich das
Schwanken fort. Aber Dorner (S. 40 f.) ist im Unrecht, wenn er sagt: „Davon hat
Augustin noch keine Vorstellung, dass der Begriff der Causalität, klar gedacht,
genüge, um den Unterschied zwischen Gott und der Welt zu begründen." Davon
hat Augustin allerdings keine Vorstellung, aber die Naivetät liegt diesmal nicht bei
ihm, sondern bei Dorner. Der Begriff der Causalität, „klar gedacht", kann nie-
mals eine Unterscheidung begründen, sondern nur eine Umformung. Soll er doch
die erstere zum Ausdruck bringen, so muss in die Ursache mehr hineingelegt werden
als in die Wirkung, d. h, sie muss mit Eigenschaften und Kräften ausgestattet
werden, die in das causatum nicht übergehen. Damit aber ist bereits ausgedrückt,
dass das Schema von Ursache und Wirkung ungeeignet ist, die Unterscheidung zu
begründen. Augustin hat freilich davon keine klare Vorstellung gehabt; aber dass
es mit der blossen Causalität nichts ist, hat er gefühlt. Sein Ausweg ist nun der
gewesen, dass er das „nihil" zu Hülfe gerufen, die Negation : Gott wirkt im
Nichts. Dieses „Nichts" ist die Ursache davon, dass die Welt nicht eine reine
Transformation oder Entfaltung Gottes ist, sondern als inferiores, resp, schillerndes
Product erscheint, welches, weil es divina operatio ist, ist (aber ohne Selbständig-
keit gegenüber Gott), und welches, sofern es selbständig ist, nicht ist, sondern
nur erscheint, da es seine Selbständigkeit an dem nihil hat. Der Satz „mundus de
nihilo a deo factus" — der Grundsatz augustinischer Kosmologie — ist im letzten
Grunde dualistisch zu verstehen ; aber der Dualismus ist dadurch verdeckt, dass das
zweite Princip die Negation ist und sich daher stets nur in dem Privativen (der
Veränderlichkeit, der Vergänglichkeit) offenbart. Allein zuletzt kann doch auch
der rein negative Charakter des zweiten Princips nicht rein festgehalten werden (mit
der Materie hat es Augustin allerdings niemals identificirt) ; es soll die absolute
Ohnmacht sein, allein in der Verbindung mit der göttlichen Wirksamkeit wird es
doch zum widerstrebenden Factor, und wie widerstrebt es in der Sünde! Die für
Augustin fatalste Frage wäre also diese: „Wer hat das Nichts geschaffen?"
In der That scheitert an dieser Frage dUt ganze Construction. So absurd sie klingt,
so berechtigt ist sie. Augustin kann die ne])en der operatio divina vorhandene
determinirende Negation nicht erklären; denn es ist keine Erklärung, zu sagen, sie
sei ja gar nicht vorhanden, da sie lediglich negative Wirkungen habe. Doch ist
überall die bald akosmistisch, bald dualistisch erscheinende Theorie bei Augustin,
sei es durch den Ausdruck weisen Nichtwissens, sei es durch den Glauben an Gott
als den Vater, corrigirt.
' Enchirid. 3.
1 10 Die weltgfeschiohtliohe Stellunor Augustin's als Lehror der Kirche.
die man lieben müsse ^ dass diese Gewissheit sogar eine verborgene
Richtlinie in seinen trinitarischon Spoculationen gewesen ist '. Fides,
sj)es und Caritas haben dann aber mit dem „frei" im eigentlichen Sinn
des Worts nichts mehr zu thiin. Sie sind Geschenke Gottes und con-
stituiren ein geistiges Verhältniss zu Gott, aus welchem das bonum
velle und die iustitia entspringt. Aber freilicli - - sobald Augustin aus
dem diesseitigen Lel)en in das ewige Leben blickt, erscheint der Habitus
des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung doch wie ein Vorläufiges :
„Cum autem initio fidei quae per dilectionem operatur imbuta mens
fuerit, tendit bene vivendo etiam ad speciem pervenire, ubi est sanctis
et perfectis cordibus nota ineffabilis pulchritudo, cuius plena
visio est summa felicitas. Hoc est nimirum quod requiris, „quid
primum, quid ultimum teneatur", inchoari fide, perfici specie"
(Enchir. 5-, s. de doctr. II, 34 sq.). So gewiss hier die neuplatonische
Stimmung durchschlägt, so gewiss ist hier doch mehr als ein blosser „Rest
der mystischen Naturreligion" ; denn jenes Gefühl, das „hinauf und vor-
wärts dringt" aus dem Glauben an das, was man nicht schaut, zu dem
Schauen dessen, was man glaubt, ist nicht nur der eingeborene Keim
der Religion, sondern auch iln^e bleibende Spannung ^. Das aus der
* 8. Bd. n dieses Lehrbuchs S. 295 ff. Ich gehe hier nicht mehr auf die Tri-
uitätslehre ein, erinnere aber daran, dass der Ausdruck „tres personae" dem Augustin
sehr fatal gewesen ist, und dass alle seine neuen Bemühungen um die Trinität von
der kosmisch-hyperkosmischen Pluralität zu solchen Vorstellungen fühi-en, nach
welchen die Dreiheit als Ausdruck innerer geistiger Selbstbewegung in dem einen
Gott aufzufassen ist.
^ Hier sei die neuerlich mehrfach behandelte Frage nach dem Primat des
Willens bei Augustin kurz berührt. Kahl hat denselben behauptet. Allein Sieb eck
hat ihn (a. a. 0. S. 183 f.) mit Grund abgelehnt (s. auch meine Anzeige des Kalil-
schen Buches in der ThLZ. 1886 Nr. 25), und Kalil selbst muss einräumen : „dass
auf der letzten Stufe des Erkennens der neuplatonische Intellectualismus, der das
Wollen vor dem Denken verflüelitigt, die Consequenzen des Standpunkts Augustin's
mehrfach durchbrochen hat." Aber die letzte Stufe entscheidet eben. Andererseits
hat Kahl ganz Recht, wenn er die Bedeutung des Willens bei Augustin so hoch
werthet. Der Kern unseres Wesens liegt nach Augustin unstreitig im Willen; daher
— damit die veritas, das scire deum et animam, die Oberherrschaft erlangen und
gleichsam die einzige Function des IVIonschen werden könne — muss der Wille für
dieselbe gewonnen werden. Das geschieht durch die Gnade Gottes, welche die
Seele zum Wollen und Lieben der geistigen Wahrheit, d. h. Gottes führt. Nun erst
ist die Möglichkeit geschaffen, dass der Principat des Intellects eintritt. Also ist
die Befreiung des Willens schliesslich die Ablösung des Primats
des Willens durch den Primat des Intellects (vgl. z. i>. die Stelle Oonfess.
IX, 24 : „regio ubertatis indeficientis, ubi pascis Israel in aeternum veritatis pabulo,
et ubi vita sapientia est"; aber für das Diesseits gilt: „sapientiahomiuis pietas");
über sofern der Primat des Intellects sich gai* nicht behaupten könnte oline ilen
amor essendi et sciendi, bleibt der AVille der Coefticieut des Intellects auch in der
Das doppelte Weltbild. Einfluss der Kirchenlehre. 1 1 1
inneren Anschauung und dem Gefühl der Yerantworthchkeit entworfene
Weltbild, welches mit dem der kosmologisch metaphysischen Speculation
verknüpft ist, führt aber schliesslich zu einer ganz anderen Stimmung
als dieses. Der ästhetisch begründete Optimismus verfliegt vor dem
„Monstrum" der Menschheit, die krank am Willen *, das, was sie im
Grunde will, nicht will, nicht thut und in den Abgrund des Verderbens
stürzt. Es sind nur wenige Einzelne, die sich von der Gnade retten
lassen. Die Masse ist eine massa perditionis, welche der Tod weidet.
„Vae tibi flumen moris himiani! quis resistet tibi? quamdiu non
siccaberis ? quosque volves Evae fihos in mare magnum et formidolosum,
quod vix transeuntqui hgnum [ecclesiam] conscenderint?"- Das Elend
der Erde ist unsäglich ; w^as sich in ihr mit selbständigem Leben bewegt,
ist sich selbst zur Strafe; denn der ordinator peccatorum hat es so ge-
ordnet, dass jede Sünde ihr Gericht in sich selbst trägt, dass jeder un-
geordnete Geist sich selbst zur Strafe ist ^'.
Aber in das Gefüge von Gedanken, das aus der Naturspeculation
und der inneren Erfahrung sich dem frommen Denker ergeben hat
(natura und gratia), hat von Anfang an die geschichtlich-christhche
Ueberheferung eingewirkt. Von Jugend auf christlich-katholisch erzogen,
höchsten Sphäre. Das ist in Kürze Augustinus Ansicht vom Verhältniss des Willens
und des Tntellects. Sie erklärt es, dass schliesslich im Mittelalter die Rückkehr zu
Auoustin die volle Ueberordnung^ des Willens ül)er den Intellect herbeigeführt hat;
denn Augustin hat es selbst so dargestellt, dass kein innerer Zustand und keine
Denkthätigkeit ohne den Willen ist. Dann aber musste schliesslich auch Augustin's
Meinung, dass die visio dei das höchste Ziel sei, fallen. Es musste ein Ziel nach-
gewiesen werden, welches der sicheren Beo])achtung entsj^rach, dass der Mensch
Wille sei (s. Duns Scotus).
* S. de civit. dei XIV, 3 sq.; nicht der Lei!) (die Sinnlichkeit) ist die letzte
Ursache der Sünde.
« Confess. T, 25.
^ Wunderbar contrastirt bei Augustin die tiefe, pessimistische Betrachtung
der Welt mit der theoretisch streng festgehaltenen Vorstellung, dass AlleS unter
der gleichen unveränderlichen Thätigkeit Gottes geschieht. Welch' eine Differenz
zwischen dem Ansatz des Exempfls und drrn Ergebnis«! Und um diese Differenz
auszugleiclHin, verweist uns der Mf^taphysiker auf das — Nichts! So sicher wird
der Weltlauf als im Ganzen und im Einzelnen von (lott causirt angesehen, ja in die
llnverändorlichkeit Gottes selbst gleichsam hineingenommen, dass selbst das
Wunder nur als ein Ereigniss wider die uns bekannte Natur aufgefasst wird (Genes,
ad lit. VI, 13; vgl, de civ. X,12; XXT, 1 — 8; Nichts geschieht contra naturani; die
Welt selbst ist das grösste, ja das einzige Wunder; s. Nitzsch, Aug. 's Lehre v.
Wunder 1805; Dorn er S. 71 f.), und dennoch gestaltet sich Alles zu einer grossen
Tragödie! In dem Nichts steckt doch noch ein Stück Manichäisnnjs bei Augustin;
aber in seiner lebendigen W(!lLlietrachtung ist es nicht das „Nichts", welches eine
Rolle spielt, sondern die Sünde der bösen Lust, dos Eigenwillens.
112 r)ie vvoltgeschinhtliche Stellunpf Augfustin's als Lehrer der Kirche.
hat er selbst bekannt, dass ilm niemals irgend etwas befriedigt habe,
was nicht den Namen Christi trug ^ AVie ein rother Faden zieht sich
durch die Schilderung seiner Wanderjahre in der Irre das Band, wel-
ches ihn mit Christus verbindet. Mit unübertrefflicher Peinlieit hat er
ohne viele Worte, ja in keuscher Zurückhaltung, in den Oonfessionen
an das nie in ihm erloscliene Verhiiltniss /u Christus erinnert, bis er es
in VI r, 24 f. kräftig markiren darf. Man kann nicht zweifeln, dass auch
seine scheinbar gegen die cliristlich-kirchliche üeberheferung indifti-
renten Ausführungen über den persönlichen lebendigen Gott, über die
Unterscheidung von Gott und Welt, über Gott als den Schöpfer, über
die Gnade als das allmächtige Princip doch schon von jener Ueber-
lieferung bestimmt sind, und man muss daran erinnern, dass seine
intensive Beschäftigung mit Paulus und den Psalmen sofort begonnen
hat, nachdem er mit dem Manichäismus gebrochen hatte und durch den
Neuplatonismus über Gott als spiritalis substantia sicher geworden
war. Audi die scheinbar rein philosophischen Ausführungen in den
ältesten Schriften sind schon von der christliclien Gewissheit beherrscht,
dass Gott, die Welt und das Ich zu unterscheiden sind, und dass
innerhalb der mystischen Speculation für diese Unterscheidung Raum
zu schaffen ist. Ferner sind alle Ansätze, das eiserne Schema der Un-
veränderliclikeit Gottes (in seiner Weltwirksamkeit) zu durchbrechen,
aus dem Eindruck, den die christHche Geschichte auf Augustin ge-
macht, zu erklären.
Indessen kann es hier nicht unsere Aufgabe sein, zu zeigen, wie
allmählich Christus und die Kirche eine feste, fundamentale Stellung in
seiner Denkweise erhalten haben. Was er dem Laurentius im Enchi-
ridion (5) geantwortet hat: „certum propriumque fidei catholicae funda-
mentum Christus est", das hätte er schon viele Jahre früher ebenso ge-
sagt, ja schon um 387, wenn auch seine Vorstellungen von Christus
damals noch unsichere waren ^. Christus, der Weg, die K r af t
und die Autorität: darin legte sich ihm die Bedeutung Christi aus-
einander. Es ist sehr beachtenswerth, dass er in den Confessionen
VII, 24 sq. und sonst, wo er die christliche Religion in die Frage nach
den ersten und letzten Dingen hineinzieht, nicht allgemeine Theorien über
die Offenbarung bringt, sondern sofort Christus und die Kirche in den
Mittelpunkt rückt -^ Die beiden entscheidenden Sätze, auf die es ihm
iConfess. ni, 8; V, 25; etc.
'■* S. die Geständnisse Confess. VIT, 25.
* Natürlich fehlen bei ihm allgemeine Untersuchungen über das Wesen der
Offenbarung überhaupt, über ihr Verhältniss zur ratio, über die Stufen der Often-
barung (Sündenstrafe, Gesetz, Prophetie) u. s. w. nicht, aber sie hängen nii'ht fest
Die Bedeutung Christi. 113
ankommt, sind : nur die katholische Kirche versetzt in die Gemeinschaft
mit Christus, und nur durch die Gemeinschaft mit Christus haben wir
mit seiner Dogmatik zusammen; sie sind abhängig von den Anlässen, die sie her-
vorgerufen, und sie sind nicht klar durchdacht. Immerhin finden sich aber in ihnen
so viele Elemente, die sie mit den griechischen Speculationen verknüpfen, und
wiederum andere, welche in späterer Zeit (s. Abälard) kräftig gewirkt haben, dass
ein paar Andeutungen nöthig sind (vgl. Schmidt, Origenes u. Aug. als Apologeten
i. d. Jahrbb. f. deutsche Theol. Vni; Böhringer, S. 204 ff. Reuter, S. 90 f.
350 fi\ 460). AVie überall, so bewegt sich auch hier Augustin in einem Problem,
dessen Factoren letztlich einen Ausgleich nicht dulden. Einerseits hat er die Hoch-
schätzung der ratio, der selbständigen Erkenntniss, in welcher Sein und Leben
eingeschlossen sind, nie aufgegeben. Ursprünglich (erste Periode nach 386) hat er,
obgleich er schon die Bedeutung der auctoritas eingesehen hatte, der ratio wie Ori-
genes das Ziel gesteckt, die auctoritas zu überwinden, die nur zeitlich vorangehen
muss (de ord. IT, 26. 27). „Die ratio ist ihm das Organ, in dem sich Gott dem Men-
schen offenbart und in dem der Mensch Gott vernimmt." In der Folgezeit ist
dieser Gedanke nie aufgegeben worden-, aber er ist limitirt, und zwar durch
die Unterscheidung der subjectiven und objectiven Vernunft, durch die steigende
Erkenntniss, wie stark die menschliche Vernunft durch den Willen bestimmt sei,
durch die Annahme, eine Folge der Erbsünde sei die ignorantia, endlich durch die
Einsicht, dass das Wissen vom Glauben stets hienieden ein unsicheres sein werde,
dass aber die Seele nach dem eigentlichen Wissen, d. h. nach dem absoluten und
absolut sicheren, verlangt. Nur die letztere Erkenntniss hebt die ratio als Organ
der Gotteserkenntniss, als die Führerin zur vita beata, auf; die anderen Limitationen
sind eben nur Limitationen. Und wie fest trotz derselben in Augustin zu allen
Zeiten die Schätzung der ratio gestanden hat, das beweisen jene frappirenden
Ausführungen, die sich in den frühesten und spätesten Schriften finden, über die
christliche Religion als die Enthüllung der einen wahren Religion,
d i e i m m e r b e s t a n d e n h a t. Ist doch das ganze Werk de civitate dei auf diesen
Gedanken aufgebaut (die Erscheinung Cliristi schafft nicht erst die civitas dei), der
freilich noch neben dem Rationalismus zwei weitere Wurzeln hat, nämlich die Vor-
stellung von der schlechthinigen Unveränderlichkeit Gottes und die Absicht, das
Christenthum und seinen Gott gegenüber den neuplatonisclien und heidnischen An-
griffen zu vertheidigen (die zwei ersten Wurzeln g(;hen schliesslich auf eine einzige
zurück, wie leicht zu zeigen. Ganz anderer Art ist der apologetische Gedanke.
Das Christenthum soll so alt als die Welt sein, damit der Vorwurf, es sei spät ge-
kommen, dahinfalle. Hier wird der ganz disparate Gedanke eingemischt, die vor-
christlichen Christen hätten an die zukünftige Erscheinung Christi geglau])t. Reuter
hat in zutreffr-nder Weise S. 90 ff. dargekigt, wie gerade auch die ])articularistische
Prädestinationslehre an der humanistisch-universalistischen Conception betheiligt
ist; er hat ausserdem in höchst dankenswerther Weise die zahlreichen Stellen zu-
sammengetragen, in denen j('ne Conce))tion ausgc^führt ist): auch vor der Erschei-
nung Christi war die civitas dei vorhanden; zu ihr gehilrten Heiden und Juden;
das Christenthum ist so alt als die Welt; es ist die natürliche Religion, welche von
Anfang an unter verschiedenen Formen und Namen existirt hat; durch Christus
erhielt sie den Namen christliche Religion; „res ipsa (|uae nunc Christiana religio
nuncupatur, ('.rat aj)ud anticiuos, nee defuit ab initio generis humani, quousque ipse
Christus venit in carne, unde vera religio, quae iam erat, coepit api)ellari Christiana"
Harnack, Dogmongeschichte in. o
114 r)ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Theil an der gratia Gottes, d.h. die speculative Vorstellung von
der Idee des Guten und seiner realen Wirksamkeit als
(Retraet. I, 12, 3); s. bes. ep. 102 und de civit. XVIII, 47, wo der disparate Ge-
danke eingeflüchten ist, den Heiden, die zum himmlischen Jerusalem in ältester Zeit
gehört haben, sei der unus niediator oflenbart gewesen. Letzteres ist aber keines-
wegs überall eingeÜochten ; vielmehr ist bis zum Ende seines Lebens in Augustin
trotz und wegen seiner Lehre von der particularen prädestinatianischen Gnade die
Unterströmung geblieben, dass er, Gott und freie Erkenntniss zusammenordnend,
hinter dem Kirchensystem eine freie Wissenschaft anerkannt und demgemäss auch
Gott und Welt als die ruhenden Objecto der Erkenntniss gefasst hat. Hierbei
verschwindet ihm aber — wie dem Origenes — sofort Christus. Der letzte Grund
dafür liegt darin , dass Augustin bei allem Fortschritt in der Erkenntniss d e n
Fortschritt zur Geschichte doch nicht gemacht hat. Der grosse
Psychologe ist noch blind dafür gewesen, was geschichtliche Entwickelung ist, was
die Person in der Geschichte leistet, und was die Geschichte der Menscliheit ge-
leistet hat. Er hat nur zwei Methoden der Betrachtung zur Hand — entweder my-
thologische Geschichtsbetrachtung oder rationalistische Neutralisirung. Derselbe
Mann, der es so klar empfunden und so hinreissend bezeugt hat, dass in der Um-
stimmung des Willens die Befreiung liegt, wenn er eine Kraft empfängt, die ihn
ans Gute bindet, ist doch als Denker nicht im Stande gewesen, die Consequenzen
dieser Erfahrung klar zu ziehen. Aber die sollen ihn nicht schelten, die sich von
der Llusion nicht zu befreien vermooren, als müsse dem Menschen irgfendwie ein
absolutes AVissen mögHch sein; denn das Trachten nach solchem Wissen ist die
letzte Ursache des Unvermögens, die Geschichte als Geschichte zu verstehen. Wer
nur in einem absoluten Wissen selig ist, der wdrd entweder blind gegen die Ge-
schichte oder sie wird ihm zum Haupt der Meduse. Doch der Rationalismus ist
nur die Unterströmung, die freilich hie und da mit Macht an die Oberfläche dringt.
Sicherer und stetiger hat Augustin seinen Hunger nach dem Absoluten, den er von
dem Trachten nach Kraft und Stärke (Gott und das Gute) nicht zu unterscheiden
vermochte, an der Offenbarung gestillt. Es sind dieselben Gefühle, die auch Faust
bewegt haben: „Wir sehnen uns nach Offenbarung." Hier ist es nun sehr charak-
teristisch, dass Augustin in Bezug auf den Offenbarungsbegrifi' nichts deutlicher
durchgeführt hat als den Gedanken, dass die Offenbarung unbedingte Autorität
sei. Wie er ihre Nothwendigkeit, ihr Wesen u. s. w. sonst beurtheilt, kann man bei
Seite lassen. Das Entscheidende ist für ihn, dass die Offenbarung sich nicht
bloss durch ihren inneren Gehalt empfiehlt. Also die äussere Beglau-
bigung ist die Hauptsache. Augustin hat diese (namentlich im Werk de civit.) viel
sorgfältiger und vielseitiger erörtert als die früheren Apologeten, um das Recht der
Forderung zu begründen, dass man sich dem Inhalt der Offenbarung ein-
fach unterwerfe. Auctoritas und fides gehören zusammen; ja sie stehen in einem
nahezu ausschliesslichen Verhältniss (s. de util. cred. 25 sq.). Freilich finden
sich zu allen Zeiten bei Augustin Ausführungen darüber, dass die Autorität die
Milchspeise ist, und dass andererseits die Forderung des Autoritätsglaubens in reli-
giösen Dingen nichts Aussergewöhnliches ist, vielmehr alle Lebensverhältnisse
tieferer Art auf diesem Glauben beruhen. Aber das sind Alles nur Beschwichti-
gungen. Der Mensch braucht die Autorität als Zucht des Geistes uml
als Untergrund der von anderswo nicht zu erbringenden Gewissheit.
Das ist Augustin besonders gegenüber den Häretikern (INraniohäern) klar oeworden.
Die Bedeutung Christi. 115
Liebe wird ihm erst gewiss durch die autoritative Ver-
kündigung der Kirche und durch die Anschauung Christi.
Durch die Anschauung Christi. Hier tritt ein neues Element
ein. Augustin bezeugt unzähHge Male das alte abendländische Schema
von der utraque natura, dem verbum et homo una persona (die seltenen,
ungenauen Ausdrücke „permixtio" „mixtura" z. B. ep. 137, 11. 12
dürfen unbeachtet bleiben), der forma dei und forma servi, und er hat
viel dazu beigetragen, dieses Schema mit seiner reinlichen Yertheilung
dessen, was der Mensch und was der Grott gethan hat, im Abendland
zu bekräftigen. Allein schon die ungewöhnHche Energie, mit der er
den Apolhnarismus ablehnt (von den ältesten Schriften an bis zu den
Die Heiden vermochte er bis zu einem gewissen Grade aus der Vernunft zu wider-
legen, die Häretiker nicht. Aber auch abgesehen davon — da sich ihm die Kraft,
die den Willen an Gott bindet, als die felsenfeste Ueberzeugung von dem darstellte,
was man nicht sieht, so war es ihm gewiss, dass auch der „Starke" ohne den Glau-
ben an die Autorität nicht auskomme. Der Stufengang vom Glauben zum Wissen,
den er wohl kennt („Jeder, welcher erkennt, glaubt auch, wiewohl nicht Jeder,
welcher glaubt, erkennt"), ist doch ein Stufengang, bei welchem der Glaube stets
mitschreitet. Das „fides praecedit rationem", welches er so oft variirt hat (s. z. B.
ep. 120, 2 sq.: „fides praecedit rationem" oder paradox: „rationabiliter visum est,
ut fides praecedat rationem"), bedeutet keine Aufhebung der fides auf den späteren
Stufen, oder vielmehr — hier gilt das Sic et Non! — Augustin ist sich über das
Verhältniss von Glauben und Wissen nie klar geworden ; er hat dieses Problem der
Zukunft übergeben. Er traute einerseits der ratio ; aber andererseits traute er ihr
nicht, sondern nur Gott und seinem in der Erfahrung waltenden Genius. Die Glau-
bensautorität war ihm in der Schrift und in der Kirche gegeben. Aber auch
hier hat er nur die Stimmung des Gehorsams festgehalten und überliefert, wäh-
rend seine theoretischen Ausführungen mit lauter Widersprüchen und Unsicher-
heiten behaftet sind; denn weder hat er die Sufficienz, Infallibilität und Indepen-
denz der Schrift durchgeführt, noch hat er die Infallibilität der Kirche nachgewiesen,
noch hat er das Verhältniss von Schrift und Kirche bestimmt — bald ist die Schrift
eine Instanz, welche ihre Autorität an der Kirche hat, l)ald soll die Kirchenlehre
und alle consuetudo an der Schrift gemessen werden (die Schrift ist die einzige
Quelle der doctrina christiana), bald gelten Kirche und Schrift als eine Einheit:
an der einen Stelle scheint die Kirche im Concil ihren sicheren Ausdruck zu finden,
an der anfleren wird die Pcrfectibilität auch der Concilien behauptet. „Die Idee der
Ir]rallil>ihtät der Kirche gehört zu Augustin's vulgär-katholischen, in seinem katho-
lischen Glauben wurzelnden Grundvoraussetzungen. Sie ist von ihm nirgends un-
mittelbar, nirgends ausdrücklich dargelegt, dogmatisch erörtert. Darum konnte er
niclit das Bedürfnis« haben, über die legitime Form der allerhöchsten Repräsen-
tation der (der Voraussetzung nach) infalliblen Kirche eine erschöpfende, präcise
Doctrin auseinanderzusetzen. Die Unsicherheit und Unklarheit hier haben vielleicht
(vielmehr: unstreitig) ihre Wurzeln in den Schwankungen seines Denkens über
Autorität und Vernunft, Glauljen und Wissen" (s. Reuter, S. 345 — 358; Böh-
r i n g e r S. 2 1 7 250 ; D o )• n e r S. 233-244 ; ferner oben S. «8, S. 70 ff. u. Bd. TT
S. 84 fr.j.
8*
1 1 f) Die vveltgcschichtlicho Stellung AujOfustin's als Lehrer der Kirche.
spätesten), zeigt, dass sein liöchstes Interesse der mensch-
lichen Seele Jesu gehört. Die Stellen, an denen er das Bekennt-
niss : „das AVort ward Fleisch", so versteht wie (Jyrill, sind höchst selten,
und die Lehre von der Vergottung der allgemeinen Menschennatur
durch die fncarnation hat an ihm keinen oder doch nur einen höchst
unsicheren Vertreter (einschlagende Stellen fehlen nicht ganz, sind aber
sehr selten). Vielmehr deutet er die Incarnation des verbum nach
einer anderen Richtung und beschreibt sie demgemäss ganz anders als
die Griechen (doch berührt er sich mit Origenes). Ausgehend von der
ihm feststehenden speculativen Erwägung, dass immer die ganze Trini-
tät wirkt, und dass ihr Wirken ein schlechthin unveränderliches ist, ist
ihm auch die Incarnation ein "Werk der ganzen Trinität. Diese hat die
Erscheinung bewirkt, welche den Sohn bedeuten soll (de trin. an vielen
Stellen). Das verbum steht im Grunde zum Sohn in keiner näheren
Beziehung als die ganze Trinität. Aber da diese auf Jesus nicht an-
ders einwirken kann, als sie immer wirkt, so ist die Einzigkeit und
Kraft der Person Jesu Christi aus der Empfänglichkeit
abzuleiten, die der Mensch Jesus der operatio divina ent-
gegengebracht hat, mit anderen Worten: von der menschlichen
Person (Seele) aus construirt Augustin den Gottmenschen. Die mensch-
liche Person hat das verbum in ihren Geist aufgenommen; die mensch-
liche Seele ist, weil medians, auch das Centrum des Gottmenschen.
Also ist das Verbum nicht Fleisch geworden, so dass in irgend einem
Sinn eine Wandelung eingetreten wäre, sondern in den Menschengeist
Jesu hat die divina operatio trinitatis so einwirken können, dass das
verbum in ihm dauernd gehaftet und sich mit ihm zu einer Person ver-
bunden hat K Diese Empfänglichkeit Jesu ist wie alle Empfanghchkeit
durch die Gnadenwahl bestimmt gewesen ; sie ist munus dei, unbegreif-
liche Gnadenthat Gottes ; ja es ist dieselbe Gnade Gottes, die den Men-
schen Jesus zur Einheit der Person mit dem verbum geführt und sünd-
los gemacht hat, welche uns die Sünden vergiebt. Die Incarnation
erscheint so lediglich als eine Parallele zu der gratia, die uns ex
nolentibus zu volentes macht und von jeder geschichtlichen Thatsache
unabhängig ist '-.
* Das oftmals von Augustin gebrauchte Bikl, das verl)uni habe sich so mit
dem Menschen Jesus verbunden, wie in uns die Seele mit dem Körper verbunden
ist, ist ganz ungeschickt. Augustin hat es aus dem Alterthum iiliernonnnen, oliiu»
sich klar zu machen, dass es im Grunde mit seiner eigenen AutVassuug streitet,
- Enchir. 36: „Hie omnino granditer et evidenter dei gratia connnendatur.
Quid enim natura humana in homiue Christi meruit, ut in unitatem personae uuici
filii dei singulariter esset assumpta? Quae bona voluntas, cuius boui propositi stu-
Die Ohristologie. 117
Aber so ist es doch nicht gemeint. Tritt freilich auch hier wieder
hervor, dass im letzten Grunde der Gedanke der pradestinatianischen
Gnade dem Gedanken der Gnade Gottes in Christo übergeordnet und
von ihm unabhängig ist \ so hat Augustin doch keineswegs sich immer
in der Vorstellung „des letzten Grundes" bewegt. Vielmehr kommt
uns die Incarnation zu gut; das uns gespendete Heil ist für uns „qui
sumus membra eins" '*, von ihr abhängig. Aber inwiefern? Wo Augu-
dium, quae bona opera praecesserunt, quibus mereretur iste homo una fieri persona
cum deo ? Numquid antea fuit homo, et hoc ei singulare beneficium praestitum est,
cum singulariter promereretur deum? Nempe ex quo homo esse coepit, non aliud
coepit esse homo quam dei filius: et hoc unicus, et propter deum verbum, quod
illo suscepto caro factum est, utique deus . . . Unde naturae humanae tanta gloria,
nullis praecedentibus meritis sine dubitatione gratuita, nisi quia magna hie et sola
dei gratia fideliter et sobrie considerantibus evidenter ostenditur, ut intellegant
homines per eandem gratiam se iustificari apeccatis, per quam fac-
tum est ut homo Christus nullum habere posset peccatum?" 40: „Natus
Christus insinuat nobis gratiam dei, qua homo nullis praecedentibus meritis in ipso
exordio naturae suae quo esse coepit, verbo deo copularetur in tantam personae uni-
tatem, ut idem ipse esset filius dei qui filius hominis etc." De dono persev. 67. Op. im-
perf. I, 138: „Qua gratia homo Jesus ab initio factus est bonus, eadem gratia ho-
mines qui sunt membra cius ex malis fiunt boni." De praedest. 30: „Est etiam
praeclarissimum lumen praedestinationis et gratiae ipse salvator, ipse mediator dei
et hominum homo Christus Jesus, qui ut hoc esset, quibus tandem suis vel operum
vel fidei praecedentibus meritis natura humana quae in illo est comparavit? . . . Sin-
gulariter nostra natura in Jesu nullis suis praecedentibus meritis accepit admiranda
(seil, die Verbindung mit der Gottheit). Respondeat hie homo deo, si audet, et
dicat: Cur non et ego? Et si audierit: 0 homo, tu quis es qui respondeas deo etc."
De corrept. et grat. 30 : „Deus naturani nostram id est animam rationalem carnem-
que hominis Christi suscepit, susceptioue singulariter mirabili vel mirabiliter singu-
lari, ut nullis iustitiae suae praecedentibus meritis filius dei sie esset ab initio quo
esse homo coepisset, ut ipse et verbum, quod sine initio est, una persona esset." De
pecc. mer. II, 27. Confess. VII, 25 sagt Augustin: „Ego autem aliquanto posterius
didicisse rne fateor, in eo quod verbum caro factum est, (piomodo catholica veritas
a Photini falsitate dirimatur." Unsere obige Darstellung wird aber gezeigt haben,
dass er es nie ganz gelernt hat. Seine Christologie hat zu allen Zeiten einen tiefen
Zug der Verwandtschaft mit der PauKs von Samosata und Photin's behalten (nur
alles Verdienst des Menschen Jesus ist ausgeschlossen), weil er wusste, dass sein
Glaube den Menschen Jesus nicht missen konnte, und weil er die pseudotheologischc
Speculatiou über das verbum durch die evangelische bei sich verdrängt hat, das
verbum sei der Inhalt der Seele Christi geworden.
* Daher auch schon bei Augustin die Unsicherheit, ob die Incarnation noth-
wcndig gewesen sei. De frinit. XIII, 13 beantwortet er die vcrhängnissvolle Frage,
ob für Gott nicht ein anderer Weg möglich gewesen sei, so, dass er diese Möglich-
keit offen lässt, den gewählten Weg aber als bonus, divinae dignitati congruus und
convenicntior Ijezeichnet. Damit hat er dem Mittelalter eine gctährliche Perspective
eröffnet.
'"^ Op. iinperf. 1. c.
118 Diö weltgeschichtlicho Stellung Augnstin's als Lehrer der Kirche.
stin als Kirchenniann spricht, denkt er an die Sacramente, die Kräfte
des Glaubens, der Sündenvergebung und der Liebe, welche die der
Kirche übergebene Hinterlassenschaft des Gottmenschen sind (siehe
unten). Allein wo er die lebendige christhche Frömmigkeit aussagt, die
ihn trägt, da hat er drei ganz bestimmte Anschauungen, an denen
er es sich klar macht, dass Christus, der Gottmensch, der Fels seines
Glaubens ist ^ Die Incarnation ist der grosse Liebesbeweis Gottes
gegen uns'^; die hier bewährte Demuth Gottes und Christi bricht un-
seren Stolz und lehrt uns, dass „omne bonum in humilitate perficitur";
in Christus ist die ewige AVahrli ei t uns fassbar: im Staube Hegend kön-
nen wir den Gott ergreifen, der uns dadurch erlöst, dass er sich in
unserer Niedrigkeit offenbart.
Hier ist es überall der lebendige Eindruck der Person Christi *
selbst, und zwar tritt als das Deutlichste und Wichtigste an ihr
hervor, was auch Paulus so wichtig gewesen ist — die Demuth*.
* Die Vorstellung, Christus sei nur der Lehrer, die er vor seiner Bekehrung
gehegt, weist er bestimmt zurück; s. z. B. Confess. VII, 25: „Tantum sentiebam de
domino Christo meo, quantum de excellentis sapientiae viro, cui nullus posset ae-
quari ; praesertim quia mirabiliter natus ex virgine ad exemplum contemnendorum
temporalium pro adipiscenda immortalitate divina pro nobis cura tantam auctori-
tatem magisterii meruisse videbatur."
'^ De trin. XIII, 13: „Quid tarn necessarium fuit ad erigendam spem nostram,
quam ut demonstraretur nobis, quanti nos penderet deus quantumque di-
ligeret?" Das geschieht durch die Menschwerdung.
^ Auf das „"Werk" Christi soll später eingegangen werden ; denn man kann die
Vorstellungen darüber nicht zu den grundlegenden bei Augustin rechnen. Theils
sind sie wechselnde (Erlösung vom Teufel, Opfer, Tilgung der Erbsünde durch den
Tod), theils sind sie von der specifischen Vorstellung der Erbsünde abhängig. Wo
er sich in den Ausfülirungen lebendiger Frömmigkeit ergeht, hat er überhaupt
keine Theorie vom Werk Christi.
^ Das klarste und um des geschichtlichen Zusammenhanges willen entschei-
dendste Zeugniss ist Confess. VII, 24 — 27, wo er sich, indem er sagt, was ihm
Christus geworden ist, zugleich darüber Rechenschaft giebt, warum derNeuplatonis-
mus nicht ausreicht: Was die Neuplatoniker erkennen, wusste er, aber „quaerebam
viam comparandi roboris quod esset idoneum ad fruendum te, nee inveniebam
donec amplecterer mediatorem dei et hominum, hominem Christum Jesum vocantem
et dicentem : Ego sum via et veritas et vita, et cibum, cui capiendo invalidus eram,
miscentem cami ; quoniam verbum caro factum est, utinfantiaenostraelactes-
ceret sapientia tua, per quam creasti omnia. Non enim tenebam dominum
meum Jesum, humilis humilem, nee cuius rei magistra esset eius iufir-
mitas noveram. Verbum enim tuum acterna veritas . . . subditos erigit ad so
ipsam: in inferioribus autem aedificavit sibi humilem domum de limo nostro, per
quam subdendos deprimeret a seipis et ad se traiceret, sanans tumo-
rem et nutriens amorem, ne fiduci a sui progrederentur longius, sed potius
iufirmarentur videutes ante pedes suos iufirmam divinitatoni ox
Die Wirkung Christi. 119
Das Bild der Demuth in der Hoheit — das ist es, was
Augustin bezwungen hat: der Stolz ist die Sünde, und die
Demuth ist die Sphäre und die Kraft des Gruten. Von
hier aus hat er die neue Stimmung gelernt und der Kjrche einge-
pflanzt, die Ehrfurcht vor der Demuth. Die Wendung, die
er damit der Christologie gegeben hat, hat im Mittelalter fortge-
wirkt und sich in Strahlenbüscheln von verschiedenem Glänze und
verschiedener Stärke auseinandergelegt, obgleich, durch den adoptia-
nischen Streit veranlasst, die griechische Christologie seit dem 9. Jahr-
hundert wieder kräftig einströmte und die Frömmigkeit verhinderte,
ihre Erkenntniss auch im D o g m a zu deuthchem Ausdruck zu
bringen. Wir verstehen es jetzt auch, warum Augustin auf den
participatione tunicae pelliceae nostrae, et lassi prosternerentur in
eam, illa autem surgens lavareteos." Im Folgenden erklärt er nun, er sei
aus den neuplatonischen Schriften völlig klar über das "Wesen Gottes geworden,
aber: „garriebam plane quasi peritus, et nisi in Christo salvatore nostro vi am
tuam quaererem, non peritus, sed periturus essem." Ich wollte weise sein, auf-
gebläht von "Wissen, „übi enim erat illa aedificans Caritas a fundamento
humilitatis, quod est Christus Jesus?" Diese in der Demuth wurzelnde
Liebe konnten jene Schriften nicht lehren. Erst aus der Bibel lernte ich: „quid
interesset inter praesumptionem et confessionem, inter videntes quo
eundum sit nee videntes qua, etviam ducentem adbeatificampatriam,
non tantum cernendam, sed et habitandam." Nun las ich den Paulus. „Et
apparuit mihi una facies eloquiorum castorum. Et coepi et inveni quidquid illac verum
legeram, hac cum commendatione gratiae tuae dici, ut qui videt non sie
glorietur quasi non acceperit, non solum id quod videt, sed etiam ut videat, et nt te
non solum admoncatur ut videat, sed etiam sanetur ut teneat, et qui de
longinquoviderenon potest, vi am tamenambulet, qua veniat et videat
et teneat". Denn wenn der Mensch sich auch an dem Gesetze Gottes nach dem
inneren Menschen erfreut, was macht er mit dem anderen Gesetz in seinen Glie-
dern? . . . Was soll der elende Mensch beginnen? AVer wird ihn befreien aus dem
Leibe dieses Todes? AVer anders als Deine Gnade durch unseren Herrn Jesum
Christum, durch den die Handschrift ausgelöscht ist, die wider uns war. „Hoc illac
littcrae non habent. Non habent illae paginae vultum pietatis huius, lacrimas
confessionis, sacrificiumtuum, spiritum contribulatum . . . Nemo ibi cantat: Nonne
deo subdita crit anima mea. AIj ipso cnim salutare meum. Nemo ibi
audit vocantem: Venite ad me, omnes qui lab Gratis. Dcdignautur ab eo
discere quoniam mitis est et humilis corde. Abscondisti enim haec a
sapientibus et prudenti})us, et revelasti ca parvulis." „Ja es ist etwas Anderes, vom
waldigen Bergesgipfol das Land des Friedens zu schauen, aber den AVeg dorthin
nicht zu finden, und etwas Anderes, den AVeg dorthin in Beständigkeit zu wandeln."
Man vgl. damit die ausführliche Kritik des Piatonismus im 10. Buch de civit. dei,
bes. c. 24 u. 32, wo Christus als „universalis animae libcrandac via" hingestellt,
übrigens seine Bedeutung viel vulgär-katholischer entwickelt wird als in den Con-
fcHsionen. In c. 1 ff. ist sogar ein Ansatz da/u, die Engel und die Heiligen als liimm-
lische Hierarchie, wie die Griechen thun, zu fassen.
1 20 Die weltgescliichtlicbe Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
„homo'' in Christus solchen AV^erth legte. Es wiir nicht nur eine
(/onsequenz seiner Theologie^ die hier wirkte (s. oben), sondern es
war noch in viel höherem Grade die fromme Anschauung Christi,
welche diese Fassung verlangte. Die Demuth Christi konnte er sich
an der Incarnation nicht sicher klar machen ; denn sie stammt aus
der allgemeinen operatio diviiui, der prädestinatianischen Gnade und
der Emi)fänglichkeit Jesu ; aber die Demuth ist der stetige habitus
der gottmenschlichen Persönlichkeit. Damit ist das wahre Wesen
Jesu Christi wirklich erkannt: „robur in infirmitate perficitur." Dass
Niedrigkeit, Leiden, Schmach, Elend und Tod Mittel der Heiligung
sind, ja dass die selbstlose und daher stets leidende Liebe das ein-
zige Mittel der Heiligung ist („ich heilige mich für sie"), dass das
Grosse und Gute immer in Niedrigkeit einhergeht und durch die
Macht dieses Contrastes den Stolz überwältigt, dass die Demuth
allein ein Auge hat, das Göttliche zu sehen, dass jede Stimmung
im Guten das Gefühl, begnadigt zu sein, zum Begleiter hat — das
ist die Christologie Augustin's in ihrem letzten Kern. Er hat diese
Christologie noch nicht ins Aesthetische gezogen, noch nicht die
Phantasie angewiesen, sich mit den einzelnen Bildern der Niedrig-
keit zu beschäftigen; nein, sie liegt bei ilnn noch ganz in der klaren
Höhe des ethischen Gedankens, der keuschen Ehrfurcht vor dem
Inhalt des Gesammtlebens Christi, in welchem sich die Hoheit in
der Demuth verwirklicht hat. „Die Ehrfurcht vor dem, was unter
uns ist, ist ein Letztes, wozu die Menschheit gelangen konnte und
musste. Aber was gehörte dazu, die Erde nicht allein unter sich
liegen zu lassen und sich auf einen höheren Geburtsort zu berufen,
sondern auch Niedrigkeit und Armuth, Spott und Verachtung, Schmach
und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja selbst
Sünde und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Förder-
nisse des HeiHgen zu verehren" — diese AVorte könnte Augustin
geschrieben haben; denn keine Vorstellung ist bei ihm im Hinblick
auf Christus stärker ausgeprägt, als dass Christus das geadelt hat,
wovor uns schauerte (Schmach, Schmerzen, Leid, Tod) und das
entwerthet hat, wornach wir begehrten (nämlich Hecht zu be-
kommen, angesehen zu sein, zu geniessen). „Alles das hat er durch
Entbehrung verächtlich gemacht, wornach wir getrachtet und desshalb
schlecht gelebt haben. Alles das hat er durch Leiden unwirksam
gemacht, was wir geflohen haben. Keine einzige Sünde kann be-
gangen werden, wenn nicht begehrt wird, was er verachtete, oder nicht
geflohen wird, was er ertrug."
Aber es ist Augustin nicht gelungen, diese Anschauung von
Die Wirkung Christi. Die letzten Ziele. 121
der Person Christi in dogmatische Formeln zu bringen. Kann man
den Strahl der Sonne in ein Getäss bannen? Die alten Formeln
standen ihm fest als Element der Tradition, als Ausdruck der Ein-
zigartigkeit Christi ; aber das wahre Fundament der Kirche war ihm
Christus desshalb, weil er wusste, dass der Eindruck dieser Person
seinen Stolz gebrochen und ihm die Kraft gegeben hatte, Gott zu
finden in dem Niedrigen und zu erfassen in Demuth. So war ihm
der lebendige Christus die Wahrheit und der Weg geworden zur
Seligkeit ^ und der von der Kirche gepredigte die Autorität '^.
Aber welches ist die beatifica patria, die vita beata, zu welcher
Christus der Weg und die Kraft ist? Es ist schon oben (S. 81 f.)
hiervon die Rede gewesen, und es seien hier nur noch einige Punkte
erwähnt.
Das selige Leben ist der ewige Friede, die stetige Anschauung
Gottes im Jenseits ^. Das Erkennen bleibt das Ziel des Menschen ;
auch der Begriff der fruitio dei oder der andere der pax caelestis
führt von ihm nicht sicher ab^. Das Erkennen steht aber dem
Handeln gegenüber, und das Jenseits ist etwas völlig anderes als
das Diesseits. Hieraus folgt, dass Augustin die vulgär-katholische
Stimmung festgehalten hat, die den Menschen ganz und gar im Dies-
seits auf die Hoffnung, die Askese und das feiernde Schauen ver-
weist-, denn wenn auch das im Diesseits nie zu erreichen ist, was
' Augustin bezeugt also, dass, damit die Wahrheit, die erkannt ist, auch ge-
liebt und gelobt werde, eine Person nöthig ist, die uns führt und zwar auf dem
Wege der Demuth führt. Das ist es, was er in den Confessionen bekannt hat. Die
Wahrheit selbst war ihm durch die Neu])latouiker klar gemacht worden; aber sein
inneres Eigenthum war sie nicht geworden. Augustin kennt nur die eine Person,
Christus, die im Stande ist, die Wahrheit so einzuprägen, dass sie geliebt und ge-
lobt wird, und sie allein kann das, weil sie die üttenbaruiig des verbum dei in
humilitate ist. Wenn die Christenheit einst fest und klar zu dieser „Christologie"
gelaugt sein wird, wird sie nicht mehr darnach verlangen, sich vom .loch der
Christolügien zu befreien.
'^ Dies ist bei Augustin in wundersamer Weise verkettet. Der Skepticisnms des
Denkers in genere und die innerlich nie überwundenen Zweifel an der katliolischen
Lehre in sijecie verlangten, dass der Christus der Kirche indiscntable Autoiittit sei.
Dazu kommt dann noch im Zusammenhang niit der gratia inlusa der Christus der
Sacramente. Ich gehe auf den Christus der Autorität nicht näher ein, weil er mit
der Autorität der Kirche selbst zusanmienfällt und von dieser schon gehandelt ist.
' De civ. dei XIX, 13: „Pax caelestis civitatis ordinatisf;ima et concordissima
societas fruendi deo et invicem in deo." Eucliir. 29: „(yontemplaiio eins artificis,
qui vocat ea quae non sunt tauKjuam ea (juae sunt, atrjue in mensura et numero et
pondere cuncta disj)onit," s. 63.
"* Doch liegt in der Auffassung der Seligkeit als pax allerdings ein Ansatz
dazu, primär an den Willen zu denken.
122 Die weltgeschichtliche Stelhiiig Augustin's als Lehrer der Kirche.
(las Jenseits bringen wird, so niiiss doch das Leben hier nach dem
Zustande geregelt werden, den man dort geniessen will. Daher ist
Angustin auch so entschieden für das Mönchthum und gegen .lovinian
autgetreten ; daher hat er die Welt beurtheilt wie die altkathohschen
Väter ; daher hat er die Unterscheidung von praecepta und consiha
evangelica ebenso hoch gehalten wie sie; daher hat er auch in den
höchsten Gütern (munera dei), die wir hier geniessen können, nie
die Sache selbst gesehen, sondern immer nur ein Unterpfand und
Gleichniss ; denn, in das Vergängliche hineingestellt, sind sie selbst
vergänglich *, daher hat er endlich sogar an die irdische Kirche nicht
gedacht, wenn er sich die ersten und letzten Dinge klar machte ;
denn nur Gott, stetig geschaut und genossen, ist das höchste Gut;
auch das Eeich Gottes, sofern es irdisch ist, ist vergängHch.
Allein in der Form von Unterströmungen ist doch auch hier
viel Neues aufgetaucht, und das Alte ist mannigfach modificirt,
Einiges auch nahezu beseitigt worden. Leicht ist es daher, zahlreiche
Dissonanzen in Hinsicht auf die Fassung des Zieles bei Augustin
nachzuweisen; allein wer liier nicht als unverantwortlicher Kritiker
oder als unbetheihgter Logiker urtheilt, wird eingestehen, dass er es
nicht besser weiss als Augustin, und dass auch er nicht darüber hin-
auskommt, zwischen den Gesichtspunkten abzuwechseln. Im Einzelnen
seien folgende Punkte hervorgehoben :
1. Augustin hat das Schwanken darüber abgethan, ob nicht
etwa die Tugend das höchste Gut sei; er hat die Tugenden auf die
Abhängigkeit von Gott (auf die Gnade) reducirt; s. ep. 155, 12 sq.*.
Freilich hat er den Gedanken auf einer neuen höheren Stufe
(die durch die Gnade hervorgerufenen merita, die iustitia caritate
perfecta) doch wieder zugelassen. Immerhin aber ist die Stimmung
eine andere geworden.
2. Augustin hat die griechische Anleitung, sich in systematischer
Mystik für das Jenseits einzuüben und den Kultus als Mittel der
Anticipation der Vergottung zu betrachten und zu behandeln, nicht
übernommen. Er hat die magisch-physischen Elemente der Rehgions-
lehre bei Seite gelassen und die Vorstellungen vom Jenseits dadurch
vergeistigt. Das geisthch-asketische Leben soll ein geistiges und
ethisches sein. Es fehlen zwar bei ihm Aeusserungen nicht
ganz, dass das ewige Leben visionär-ekstatisch im Diesseits erfahren
werden kann; allein er denkt bei ihnen vornehmhch an bibhsche
^ Das ganze 19. Buch des Werkes de civit. dei — es ist vielleicht überhaupt
das wichtigste — kommt hier in Betracht. C. 4 wird ausdrücklich abgelehnt, dass
die Tugeud das höchste Gut sei.
Die letzten Ziele. 123
Personen (Paulus) und hat im Laufe seiner christlichen Entwickelung
die ganze Vorstellung immer mehr zurückgestellt.
3. Augustin hat durch seine tiefe Erkenntniss des Willens
und durch die Einsicht^ wie sehr derselbe auch das Erkennen be-
herrscht, den Satz gefunden, dass das Gute und das Gut, also auch
die Seligkeit, in der Abhängigkeit des Willens von Gott zusammen-
fallen. Damit ist der Intellectualismus durchbrochen und auch im
Diesseits ein Gut nachgewiesen, welches nicht überboten werden
kann. „Mihi adhaerere deo bonum est." Dieses „adhaerere" schafft
der hl. Geist, und er giebt damit Liebe und Seligkeit ins Herz ^
Vor dieser empfundenen Sehgkeit schwindet der Gegensatz von Zeit
und Ewigkeit, Leben und Tod 2.
4. Von hier aus ergaben sich ihm eine Reihe von Einsichten,
welche die vulgäre Stimmung mächtig beeinflussen mussten:
a) Von den drei Stücken, durch welche man Gott anhängt —
Glaube, Liebe, Hoffnung — bleibt die Liebe auch in der Ewigkeit.
Also verbindet die unveränderliche lobpreisende Liebe das Diesseits
mit dem Jenseits.
b) Damit ist aber auch der Quietismus des Erkennens modi-
ficirt. Das Schauen soll nichts Anderes sein als Lieben; ein Element
^ S. de spiritu et lit. 5 (die Stelle folgt S. 126).
^ Dass es Augustin von hier aus niöglich gewesen ist, das empfundene Selig-
keitsgefühl auch zu einer Kraft für die Durchdringung der Verhältnisse im Dies-
seits werden zu lassen, zeigt die Stelle de civit. dei XIX, 14, die m. W. freilich
fast einzigartig ist. „Et quoniam (Christianus) quamdiu est in isto mortali corpore,
percgrinatur a domino, ambulat per fidem non per speciem ; ac per hoc omnem pacem
vel corporis vel animae vel simul corporis et animae refert ad illam pacem, quae
homini mortali est cum immortah deo, ut ei sit ordinata in fide sub aetema lege
oboedientia. lam vero quia duo praecipua praecepta, hoc est dilectionem dei et
dilectionem proximi, docet magister deus . . . consequcns est, ut etiam proximo ad
diligendum deum consulat, quem iubetur sicut se ipsum diligere (sie uxori, sie flliis,
sie domesticis, sie ceteris quibus potuerit hominibus), et ad hoc sibi a proximo, si
forte indiget, consuli velit; ac per hoc erit pacatus, quantum in ipso est, omni
homini pace hominum, id est ordinata concordia, euius hie ordo est, primum ut
null) noccat, deinde ut etiam prosit cui potuerit. Primitus ergo inest ei suorum
cura; ad eos quippe habet opportuniorem faciliorcmque aditum consulendi, vel
naturae ordine vel ipsius societatis humanae. Unde apostolus dicit: „Quisquis autcm
suis et maxirae domesticis non providet, fidcrri denogat et est infideli detcrior". Hiuc
itaque etiam pax domestica oritur, id est ordinata imperandi oboediendicjuc con-
cordia cohabitantium. Imperant euim, qui consulunt; sicut vir uxori, parentes filiis,
domini servis . . . Sed in domo iusti viventis ex fide et adhuc ab illa caelcsti civitato
peregrinantis etiam (jui imperant serviuni eis, (|uibus videntur imperare. Neque
cnim dominandi cupiditate imperant, sed officio consulendi, ncc principandi8uj)erbia,
sed providendi misericordia."
124 I^ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
des Ausgk'iclis aller Spannungen in Gemütli und Willen wird in den
Regritt" der Seligkeit hineingenommen, und wenn auch die contem-
platio rationalis der actio rationiüis stets übergeordnet bleibt, so wird
doch der thätigen und wirkenden Liebe ein hoher Wertli beigelegt '.
c) Nun erhielt zwar nicht die irdische Welt, wohl aber die ir-
dische Kirche und die diesseitigen particularen Güter (innerhalb der
Kirche) eine höhere Bedeutung. Der Gedanke der civitas dei auf
Erden, längst von Anderen Ibrmulirt, wurde doch, wie wir im nächsten
Abschnitt sehen werden, erst von Augustin in das Gebiet des reli-
giösen Denkens erhoben. Er schaute gleichsam vor dem AUer-
heihgsten, den ersten und letzten Dingen, ein Heiliges mit seinen
ihm von Gott gegebenen Gütern, die irdische Kirche. Er sah,
dass es sich lohnte, ja dass es heilige Pflicht war, dieses Heilige zu
pflegen, es in der Welt einzubürgern, es den weltlichen Verbindungen
überzuordnen, alle irdischen Güter ihm zu weihen, um sie als be-
rechtigte Güter von ihm zurück zu empfangen. Er hat so, wenn der
kühne Ausdruck gestattet ist, auch eine Religion zweiter Ordnung
geschaffen, freilich den Impulsen der abendländischen Ueberlieferung
folgend. Aber diese Rehgion zweiter Ordnung war nicht, wie bei den
Griechen, ein formloses kultisch-superstitiöses Gebilde, sondern war
Lehre von der irdischen Kirche in ihrem Verhältniss zur Welt als
thätige , sittlich wirkende , die Gesellschaft umbildende und be-
herrschende Macht, als Organismus der Sacramente, des Guten und
der Gerechtigkeit, in w^elchem Christus wirkt. Ecclesiastik und Theo-
logie sollten aufs innigste verbunden sein, jene dieser dienen, jene die
Martha, diese die Maria "^ Sie w^alten zu demselben Zwecke, und die
iustitia caritate perfecta ist das Element, in dem beide leben ^.
* Das Moment der „pax" gewinnt einen höheren, selbständigen Werth gegen-
über der Erkenntniss (s. oben). Das zeigt sich auch darin, dass der definitive Zu-
stand der Unseligen (de civit. dei XIX, 28) nicht als Unwissenheit beschrieben
wird, sondern als stetiger Krieg: „Quod bellum gravius et amarius cogitari
potest, quam übi voluntas sie adversa est passioni et passio voluntati, ut nullius
earum victoria tales inimicitiac finiantur, et ubi sicconfligit cum ipsa natura corporis
vis doloris, ut neutrum alteri cedat? Hie [iu terra] enim quando contingit iste cou-
flictus, aut dolor vincit et scnsum mors adimit, aut natura vincit et dolorem sanitas
tollit. Ibi autem et dolor permanet ut affligat, et natura perdurat ut sentiat ; quia
utrumque ideo nou deficit, ne poena deficiat." Allerdings waltet in Bezug auf die
SeHgen (s. das XXII. Buch) die Vorstellung doch inmier wieder vor, dass ihre
Seligkeit das Schauen (rOttes sein werde.
■^ Augustin hat de trin. I, 20 diesen Vergleich von der diesseitigen und jen-
seitigen Kirche gebraucht 5 man darf ihn auch auf das Verhältniss seiner Lehre von
der Kirche und von Grott anwenden.
^ Die grosse Conceptiou, die Kitschi in seiner Abliandlung über die IMetliode
Die letzten Ziele. Schlussbetrachtung. 125
fl) Für den Einzelnen bleibt freilich das asketische Leben das
Ideal ; aber Augustin hat doch auch innerhalb des Mönchthums die
vulgäre Stimmung dadurch modificirt, dass er bei aller Hochschätzung
der äusseren Werke (Armuth, Virginität u. s. w.) nie vergessen hat,
dass es auf fides, Caritas und spes allein ankommt, und dass desshalb
der Werth dessen, der diese Tugenden besitzt, nicht mehr nach
äusseren Leistungen bestimmt werden darf. Augustin hat ferner besser
wie irgend ein Anderer gewusst, dass die äusseren Leistungen mit gott-
losem Herzen geleistet werden können (nicht nur von häretischen
Mönchen, wo es sich von selbst versteht, sondern auch von katholischen,
ep. 78, 9), und er hat die Asketen in die engste Verbindung mit der
Kirche gebracht und sie zu thätiger Arbeit angehalten. Auch hier zeigt
es sich, dass er das öde Schema, die SeHgkeit sei contemplatio ratio-
nahs und nichts Anderes, durchbrochen hat.
Das ist in Kürze Augustin's Lehre von den ersten und letzten
Dingen sammt den Fingerzeigen auf das Gebiet, welches nicht unmittel-
bar zu jenen Dingen gehört, aber doch mittelbar: auf die Ausstattung
und die Aufgaben der diesseitigen Kirche. „Lehre" von den ersten
und letzten Dingen ist im Grunde ein unrichtiger Ausdruck ; denn —
und das ist das Höchste, was schliesslich hier zu sagen ist — um
„Lehre" handelte es sich ihm nicht, sondern um die treue Wiedergabe
von Erfahrungen. Die einschneidendste Modificirung des über-
heferten dogmatischen Christenthums durch Augustin liegt darin, dass
er erkannt hat, „dass das Christenthum zuhöchst ein Anderes sei als
Alles, was „Lehre" heisst" (Reuter S. 494). Das Gesetz ist Lehre ;
das Evangelium ist Kraft. Das Gesetz schafft Aufklärung, das Evan-
gelium Frieden. Das hat Augustin klar erkannt, und somit die Religion
der ältesten Do^engesch. (.Tahrb. f. deutsche Theol. 1871) vorgetragen hat, dass
der Areoxiagite im Orient und Augustin im Occident Parallelen seien, dass jener
eine kultische Ecolesiastik, dieser eine Ecclesiastik der sittlich on Aufgaben des
Christenthums für die Welt begründet habe, dass l)eide somit in gleicher Richtung,
aber mit ganz verschiedenen Mitteln die alte Stimmung (als nackte Holfnung auf
das .Tenseits) modificirt haben — diese Conception ist wesentlich richtig, wenn man
dabei nur streng im Auge behält, dass das überlieferte vulgär-katholische Schema
von Beiden nicht bis zu seiner Spitze modificirt worden ist, und dass Beide Impulsen
gefolgt sind, welche seh on vor ihrer Zeit in ihren Kirchen wirksam ge -
wesen sind. Dir; Lehre von der Kirche war nicht Augustin's „Centralidee", son-
dern er hat das, was jedem Katholiken gewiss war, zu deutlicherem, theilweise sogai'
erst zum deutliehen Bewusstsein erlK)ben und, durch eine Reihe sehr verschiedener
Anstösse bewegt, schliesslich eine P^cclesiastik jiroducirt, deren selbständiger Werih
ihm selbst nif klar j/eworden ist.
126 ^^^ weltgescliiclitlichc Stellung Augiistin's als Lehrer der Kirche.
in (lio Sphäre lebendiger innerer Erfahrung hineingestellt und dem Zu-
sammenhang von Wissen und befolgen entnommen. Er hat freilich seine
neue Erkeimtniss dann wieder auf das Niveau des Alten gestellt ; denn er
war katholischer Christ; aber die Verkettung mit der Vergangenheit,
welche jedem wirkungskräftigen Reformator eigen ist, darf uns nicht
abhalten, sein EigenthUmliches ans Licht zu stellen. Wer immer nur
den „ganzen" Augustin und den „ganzen" Luther gelten lassen will,
der stellt in Verdacht, dass er sich dem „wahren" Augustin und dem
„w^ahren" Luther entziehen will; denn welches Menschen Eigenart und
Stärke ist in der Breite alles dessen, was er gesagt und gehandelt hat,
ausgeprägt? Ein paar herrliche Stellen aus Augustin sollen zum Schluss
belegen, dass er die christliche Religion dem entzogen hat, was „Lehre"
oder „Dogma" lieisst : Solil. I, 5 : „Nihil aliud liabeo quam voluntatem-,
nihil aliud scio nisi fluxa et caduca spernenda esse, certa et aeterna
recpürenda . . . si fide te inveniunt, qui ad te refugiunt, fidem da;
si virtute, virtutem; si scientia, scientiam. Auge in me fidem, äuge
spem, äuge caritatem." De spiritu et lit. 5 : „Nos autem dicimus
humanam voluntatem sie divinitus adiuvari ad faciendam iustitiam, ut
praeter quod creatus est homo cum libero arbitrio voluntatis, praeter-
que doctrinam qua ei praecipitur quemadmodum vivere debeat, acci-
piat spiritum sanctum, quo fiat in animo eins delectatio
dilectioque summi illius atque incommutabilis boni
quo d deus est, etiam nunc cum adliuc per fidem ambulatur,
nondum per speciem: ut hac sibi velut arra data gratuiti muneris
inardescat inhaerere creatori atque inflammetur accedere ad participa-
tionem illius veri luminis, ut ex illo ei bene sit, a quo habet ut sit. Nam
neque liberum arbitrium quidquam nisi ad peccandum valet, si lateat
veritatis via, et cum id quod agendum et quo nitendum est coeperit non
latere, nisi etiam delectet et ametur, non agitur, non suscipitur, non
bene vivitur. Ut autem diligatur, Caritas dei diffunditur in cordibus
nostris, non per arbitrium liberum quod surgit ex nobis, sed per spiri-
tum sanctum qui datus est nobis." L. c. 22 : Quod operum lex minando
imperat, hoc fidei lex credendo impetrat. Ipsa est illa sapientia
quae pietas VC catur, qua colitur pater luminum , a quo est omne
datum Optimum et omne donum perfectum . . . Lege operum dicit deus :
Fac quod iubeo*, lege fidei dicitur deo: Da quod iubes . . . Non spiritum
huius mundi accepimus, ait constantissimus gratiae praedicator, sed
spiritum qui ex deo est, ut sciamus quae a deo donata sunt nobis.
Quis est autem Spiritus mundi huius, nisi superbiae spiritus? . . . nee
alio spiritu dicipiuntur etiam illi (pü ignorantes dei iustitiam et suam
iustitiam volentes constituere, iustitiae dei non sunt subiecti. Unde
Der donatistische Kampf. ' 127
mihi vicletur magis esse ficlei filius, qui novit a quo
speret quod nondum habet, quam qui sibi tribuit id
quo d habet. ColHgimus non iustificari hominem Httera, sed spiritu,
non factorum meritis, sed gratuita gratia."
2. Der donatistische Kampf. Das Werk de civitate dei. Die Lehre
von der Kirche und den Gnadenmitteln.
Noch war Augustin mit dem Kampfe gegen die Manichäer be-
schäftigt, in welchem er die Autorität der katholischen Kirche so
scharf betont hat ^ , als ihn seine kirchliche Stellung (Presbyter 392,
Bischof 396 in Hippo) zwang, den Kampf mit den Donatisten aufzu-
nehmen. In Hippo bildeten sie den grösseren Theil der Bevölkerung,
und so gross war der Hass, dass sie nicht einmal Brod für die Katho-
liken backen wollten. Von 393 — 411 hat Augustin gekämpft und eine
Reihe zum Theil sehr umfangreicher Schriften gegen die Donatisten ge-
schrieben ^. Der Verlauf des Streites auf den Synoden und durch die
Eingriffe der Staatsgewalt muss hier als bekannt vorausgesetzt wer-
den ^. Derselbe spielte sich auf dem von Cyprian geschaffenen Boden
ab. Seine Autorität stand den Gegnern fest. Also entwickelten sich in
dem Streit innere Gegensätze, die in Cyprian's Theorie noch ge-
schlummert hatten. Schon durch Optatus (s. oben S. 38 ff.) war die neu-
modische katholische Theorie eindrucksvoll dargelegt worden. Augustin
bheb es vorbehalten, sie weiterzuführen und auszubauen. Allein — wie
es in solchen Fragen zu geschehen pflegt — jede neu gewonnene Po-
sition eröffnet stets den Ausblick auf neue Fragen und schafft für eine
* Die Manichäer gaben sich im Streit des Tages als die Männer der „freien
Forschung" („docendi fontcm apcrire gloriantur" de utilit. 21). Wie weit sie es
waren, kann hier auf sich beruhen ; Augustin hat den Brucli mit ihnen in seinem
Gewissen als Bruch mit der freien Forschung empfunden. Daher die gleich be-
ginnenden Bemühungen, das Verhältniss von ratio und auctoritas zu bestimmen und
von ersterer zu retten, was noch zu retten war.
'^ Psalmus c. partem Donati — C Parmeniani epist. ad Tichonium 1. IIT —
De bapt. c. Donatistas 1. VII — C. litteras Petiliani 1. III — Ep. ad Catholicos
c. Donatistas — C. Cresconium 1. IV — De unico bapt. c. Petilianum — Breviculus
Collationis c. Donatistis — Post coUationem ad Donatistas. — Aus späterer Zeit noch:
8onT)0 ad Caesarecnsis ecdesiao philjem — De gcstis cum Emorito — C. Gaudentium
Donatistam ejjiscopum 1. II. Eine Fälschung des ])erüchtigt('u Hieronynius Viguerius
ist der Sermo de Rusticiano.
•" Mindestens seit dem Jahr 407 ist Augustin für die gewaltsame Unterdrückung
der Donatisten durch d(!n „christlichen" Staat im Interesse der „Liebeszucht" ein-
getreten. Das Gespräch vom Jahr 411 war (iine traurige Koiriödie. Reste der
Donatisten finden sich noch zu Gregor's I. Zeit, der die Staatsgewalt aufs neue
wider sie aufgerufen hat.
128 I^if^ weltgeschichtliche Stellunßf Auonstin's als Lehrer der Kirche.
Lösung eine Fülle von Pro])lemen. So hat fiuch Augustin mehr Probleme
zurückgehissen als geh'ist.
Um die hierarcliische Verfassung der Kirche handelte es sich in
dem Streit unmittolhar niclit mehr. Der EpiskopaHsmus stand fest.
Die (Kompetenz der Kirche stand zur Frage und damit iln- Wesen, ihre
Bedeutung, ihr Umfang. Dass lotzthcli doch wieder die Verfassung der
Kirche dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden nuisste, w^ar noth-
wendig ; denn eine hierarchisch verfasste Kirche hat eben an der Hier-
archie ihren empfindlichsten Theil.
Die Spaltung an sich war das Uebelste. Aber um sie zu
beseitigen, musste man auf ihren Grund gehen und zeigen, dass man
sich von der katholischen Kirche gar nicht trennen könne,
dass sowohl die Einheit als die Wahr heit der Kirche un-
verwüstlich seien. Die donatistische Hauptthese lautete : die em-
pirische Kirche ist nur dann die wahre, wenn die, welche die Kirche
fortpflanzen, die Priester, „rein" sind; denn Niemand könne etwas
fortpflanzen, was er selbst nicht besitzt ^ Die wahre Kirche braucht
also reine Priester; sie muss daher Traditorenw^eihen für ungiltig er-
klären, und sie kann die Wirksamkeit von Taufen nicht anerkennen,
die von Unreinen (Häretikern oder Todsündern) gespendet sind; sie
muss endlich überhaupt das offenbar Befleckte und Unwürdige aus-
schliessen. Hieraus folgte der Bruch mit solchen christlichen Ge-
meinschaften, die diese Tiegel nicht streng beobachteten, und die Praxis
der Wiedertaufe -. Die Separation ist geboten, einerlei, wie gross
oder wie klein der Umfang der Kirche dann wird. Zu dieser These
trat in der Verfolgungszeit durch den Staat die andere, dass die
verfolgte Kirche die wahre sei, und dass der Staat mit der Kirche
nichts zu thun habe.
Was Augustin, auf Cyprian und Optatus gestützt, aber den Ersteren
zum Theil — wenn auch schonend — desavouirend, dem gegenüber aus-
geführt hat, geht weit über die blosse Widerlegung der Separatisten
hinaus. Er schuf die Anfänge einer Lehre von der Kirche und den
Gnadenmitteln, von der Kirche als der Heils an st alt, dem Organis-
mus des Guten d. h. der Gotteskräfte, in der Welt. Der donatistische
^ C. litt. Petil. I, 3: „Qui fidem a perfido sumpserit noii fidem percipit, sed
reatum." I, 2: „Conscientia dantis adtenditur, qni ahluat accipientis.'* Andere
donatistische Sätze lauteten (1. c.) : „Onmis res origiue et radice cousistit, et si caput
uon hahet aliquid, nihil est." .,Nec quidquam hene regenerat, nisi bono semine (honi
sacerdotis) regeneretur." „Quae potest esse ])erversitas, ut (pii suis oriminibus reus
est, aliuni faciat innocentem?"
''^ Im Sinne der Donatisten war es natürlich keine Wiedertaute (1. c): „non
repetimus quod iam erat, sed damus quod non erat."
I
Die Kirche als Lehrautorität. 129
Kampf war für ihn auch nicht der einzige Anlass, diese Lehre zu ent-
wickeln. Der Streit mit den Manichäern hatte bereits vorher das
Lnteresse auf die Autorität der Kirche gelenkt und Augustin ver-
anlasst, diese schärfer ins Auge zu fassen, als seine Vorgänger (s.
oben S. 70 ff.); die freilich mit ihm in der praktischen Haltung der
Kirche gegenüber ganz einig waren. Der pelagianische Kampf, die
Weltlage und die Yertheidigung des Christenthums gegenüber heid-
nischen Angriffen wirkten weiter höchst bedeutungsvoll auf die Con-
ceptionen von der Kirche ein. So hat Augustin die katholische
Lehre von der katholischen Kirche auf Erden geschaffen, und wir
versuchen im Folgenden, eine einheitliche Darstellung von derselben
zu geben, soweit dies möglich ist. Letztlich war und blieb die ir-
dische Kirche lediglich nichts Anderes als ein Mittel für das ewige
Heil des Einzelnen, und darum sollte auch die Lehre von der Kirche
— der Ausdruck ist eigentlich ungenau; denn der Katholicismus
kennt hier keine „Lehren", sondern beschreibt einen gottgewirkten
Thatbestand — nichts Anderes sein als eine Hülf sichre. Allein
wenn die Dogmatik überall in Gefahr geräth , durch ihre Mittel und
Hülfsgedanken das, worauf es ankommt, zu verdunkeln, so ist hier
die Gefahr brennend geworden. Erscheint nicht im Katholicismus
die Lehre vom Heil durch die „Hülfslehre", die Lehre von der
Kirche, nahezu vernichtet?
Gnade und Autorität — diese beiden Mächte hatten nach
Augustinus Selbstbeurtheilung seine Bekehrung bewirkt. Die Autorität
war die Kirche. Was die Kirche sei, wusste Jedermann — die
empirische, sichtbare Kirche, die seit den Tagen Konstantin's trium-
phirte. Eine „Begriffsbestimmung" der Kirche war daher unnöthig.
Darauf kam es an, zu zeigen, warum man Autorität nöthig habe und
warum sie die Autorität sei. Der schwache Verstand bedarf der
Offenbarung, die die Wahrheit dem Einzelnen bringt, bevor er selbst
im Stande ist, sie zu finden ; diese Offenbarung ist in der Kirche be-
schlossen. Dass die Kirche Lehrautorität sei, ist lange Zeit fast
das einzige Interesse Augustin's an der Kirche gewesen. Für diesen
Satz hat er Beweise subjectiver Nöthigung und objoctiv(^r Art ge-
bracht; jedoch die Stringenz und Sicherheit in der Darlegung nie
erreicht, die er als Katholik einfacJi emj)rand; denn wer kaini nach-
weisen, dass eine äussere Autorität Autorität sein mussV* Das
Wichtigste war, dass die Kirche sich sell)st als Lehrautorität gab.
Man war ja nur Mitglied der Kirche, sofern man sich ihrer Autori-
tät unterwarf. Eine andere Art, zu ihr zu gehören, gab es überhaupt
H a r n a 0 Ji , Dof^Hngc.ndh'wMc, in. 9
130 r^ie weltgeschichtliche Stelhinp^ Aupfustin's als Lehrer der Kirche.
nicht. Umgekehrt schien sich sogar ihre Bedeutung bei flüchtigem
Naclulenken auf die Lehrautorität völhg zu beschränken. Man steht
in dem richtigen Verhältniss zu Gott und Christus, besitzt und er-
wartet die hinimhschen Güter, indem man die Lehr anw eis ungen
befolgt, welche die Kirche giebt.
Diesem „flüchtigen Nachdenken" hat Augustin gehuldigt, bis ihn
der kirchhche Beruf und der donatistische Streit zu umfassenderen
Erwägungen führten. Zu seiner Lehre von der prädestinatianischen
Gnade ist Augustin ohne äusseren Anlass durch selbständiges Sich-
vertiefen in das Wesen der Bekehrung und Frömmigkeit gekommen.
Die Ausbildung seiner Lehren von der Kirche ist, soweit sie die vul-
gär-kathohschen Gedanken ausbaut, durchweg abhängig von den
äusseren Verhältnissen, in die er sich gestellt sah. Aber er selbst
empfand hier nichts als „Lehre", sondern als die Darstellung eines
allen Katholiken von jeher geltenden Thatbestandes, über den man
sich klar werden muss, dem man aber nichts abziehen oder zusetzen
kann. Zu der Bedeutung der Kirche als Lehrautorität trat auch
für ihn ihre Bedeutung als heihges, die Gnade vermittelndes Institut.
Ueber Letzteres hat er besonders nachgedacht; aber viel lebhafter
stand, nachdem er seine Lehre von der Gnade gewonnen, die Kirche
vor ihm, die eine communio sanctorum, resp. eine Stätte des Glaube,
Liebe, Hoffnung wirkenden Geistes ist. Fassen wir seine wichtigsten
Sätze zusammen:
I L Die kathohsche Kirche, w^elche der hl. Geist zusammen-
hält, wie er auch das Einheitsband in der Trinität ist, hat ihr wich-
tigstes Merkmal an der Einheit, und zwar sowohl an der Einheit des
Glaubens, der Liebe und der Hoffiiung, als an der Einheit in der
Katholicität.
2. Diese Einheit inmitten der Zerspaltung der Menschen ist das
grösste Wunder, der Bew^eis dafür, dass die Kirche nicht ein Werk
der Menschen, sondern des hl. Geistes ist.
3. Noch deuthcher folgt dies aus der Erwägung, dass die Ein-
heit die Liebe zu ihrer Voraussetzung hat. Die Liebe ist aber die
eigentliche Sphäre der Thätigkeit des Geistes oder richtiger: alle
Liebe hat ihre Quelle an dem hl. Geist *; denn Glaube und Hotihung
können bis zu einem gewissen Grade selbständig erworben werden
(also auch ausserhalb der Kirche sein), aber die Liebe fliesst nur aus
dem hl. Geiste. Die Kirche ist also, weil die Einheit, der Liebes-
* Die Gnade ist die Liebe und die Liebe ist die Gnade : „Caritas est gratia
testamenti novi."
Die Einheit der Kirche. 131
bimd, in welchem allein die Sünden gereinigt werden können; denn
der Geist wirkt nur „in unitatis vinculo caritate". Iluht also die
Einheit der Kirche primär auf dem Glauben, so ruht sie doch wesent-
lich allein auf dem Walten des Liebesgeistes, der den Glauben zu
seiner Voraussetzung hat ^
4. Die Einheit der Kirche, in der hl. Schrift durch viele Sym-
bole und Bilder versinnlicht, hat ihre stärkste Gewähr an der That-
sache, dass Christus die Kirche zu seiner Braut und zu seinem Leibe
gemacht hat. Dieses Yerhältniss ist ein so enges, dass man die
Kirche geradezu auch „Christus" nennen kann^; denn sie ist eine
reale Einheit mit Christus. Die in der Kirche sind, sind somit „in
membris Christi"; das Mittel und Band dieser Copulation ist wieder-
um nichts Anderes als die Caritas, genauer die Caritas unitatis.
5. Die Häretiker, d. h. die, welche einem selbstgewählten Glau-
ben folgen, können nicht in der Kirche sein, weil sie bereits die Vor-
aussetzung, die Einheit des Glaubens, zerstören würden, die Kirche
aber nicht eine Gesellschaft ist wie der Staat, der allerlei Philosophen
in seiner Mitte duldet. Die ausgeschiedenen Häretilvcr dienen der
Kirche zum Besten, wie Alles denen, die Gott lieben, zum Besten
dienen muss; denn sie üben sie in der Geduld (durch die Ver-
folgungen), in der Weisheit (durch die falschen Behauptungen) und
in der Feindesliebe, die sich einerseits in der rettenden Wohl-
thätigkeit, andererseits in der schreckenden Zucht zu bewähren hat*^
6. Die Schismatiker, d. h. die, welche den rechten Glauben haben,
gehören aber auch nicht zur Kirche; denn indem sie die unitas ver-
lassen — die superbia treibt sie dabei, wie die Häretiker — , zeigen
sie, dass sie die Caritas nicht besitzen, also ausserhalb der Wirk-
^ C. Crescon. I, 34: „Non autem existimo quemquam ita desipere, ut credat
ad ecclesiae pertinere unitatem eum qui non habet caritatein. Sicut ergo deus unus
colitur ignoranter etiam extra ecclesiam nee idco non est ipse, et fides una hal)etur
sine caritate etiam extra ecclesiam, nee ideo non est ipsa, ita et unus baptismus etc."
Gott und der Glaube sind auch extra ecclesiam, aber nicht »pie«. Die einschlagen-
den Stellen sind so zahlreich, dass es ein falsches Bild geben würde, einzelne anzu-
führen. Die hier vorliegende Auffassung ist das Herzstück der augustinischen Lehre
von der Kirche : hl. Geist, Liebe, Einheit, Kirche stehen in einem ausschliesslichen
Zusammenhang: „Caritas christiana nisi in unitate ecclesiae non potest custodiri, et
si baptismum et fidem teneatis" (c. Pet. litt. II, 172).
' De Unit. eccl. 7: „totus Christus caput et corpus est." De civit. XXT, 25. De
pecc. mer. I, 59: „Homines sancti et fideles fiunt cum homine Christo unus Christus,
ut Omnibus per ejus hanc gratiam societatemque adscendentibus ii)se unus Christus
adscendat in caelun», (|ui de caelo dcscendit." »Sermo 354, 1 : „Praedicat Christus
Christum."
»De civit. dei XYIU, 51, 1.
9*
1 32 1^''' vvj^ltgfeschichthche Stellimg Augustiu's als Lehrer der Kirche.
sanikoit des hl. Geistes stehen. Mithin ist nur die katlioHsclie Kirclie
die Kirche.
7. Hiertius er<^ieht sich, dass „salus" ausserhalh der Kirclie nicht
zu finden ist; denn da die Liehe an die sichthare Kirche gebunden
ist, so ermangeln auch die heroischen Thaten des Glaubens und d(^r
Glaube selbst des heilbringenden Charakters, der nur dui'ch Liebe
zu Stande kommt K Es können also (s. später) wohl ausserhalb
der Kirche die Mittel der Heiligung vorhanden sein, es kann ein
gewisser Glaube vorhanden sein, es können Wunderkräfte da sein;
aber sie können nicht den Effect haben und den Nutzen bringen, welchen
sie zu bringen bestimmt sind.
8. Das zweite Merkmal der Kirche ist die Heiligkeit. Diese
besteht darin, dass die Kirche durch ihre Verbindung mit Christus
und die Wirksamkeit des Geistes heilig ist, die Mittel (Wort und
Sacramente) besitzt, um ihre einzelnen Glieder heilig zu machen, d. h.
in der Liebe zu vollenden, und dieses Ziel auch wirklich erreicht.
Dass ihr das nicht bei Allen gelingt (erst im Jenseits wird sie ohne
Flecken und Runzeln sein), die in ihrer Mitte sind ^, ja dass sie
die Sünde in den AVenigsten gänzlich vernichten kann, raubt ihr
nichts an ihrer Heihgkeit. Sogar ein Ueberwiegen der mali et hypo-
critae über die Zahl der boni et spiritales ^ nimmt der Kirche nichts
von derselben ; denn es gäbe überhaupt keine Kirche, wenn die dona-
tistische These richtig wäre, dass unheilige GHeder die Existenz der
Kirche aufhöben. Die Donatisten müssen selbst ihre Behauptung in
ganz wilDiürUcher Weise beschränken, um nicht ilie Kirche zu ver-
nichten ^
9. Obgleich das Unkraut nicht auszurotten ist, da die Menschen
nicht allwissend sind und das Diesseits nicht der Ort der Vollendung
ist, so übt die Kirche doch Zucht und unter Umständen selbst die
Excommunication, aber dies nicht eigenthch desshalb, um ihre Heilig-
* Ep. 173,6: „Foris ab ecclesia constitutus et separatus a compagine unitatis
et vinculo caritatis aeterno supplicio pimiveris, etiam si pro Christi nomine vi^^.l9
incenderis."
^ Hier werden die Bibelstellen gebraucht, die schon Calixt und die Antinova-
tianer angeführt haben (Arche Noah, Unkraut im Weizen u. s. \v.).
^ Dass Jene zahlreicher als Diese sind (auch in der Kirche), scheint Augustiu's
Meinung zu sein. Jedenfalls geht nach ihm die Mehrzahl der Menschen verloren.
Enchir. 97.
* De bapt. II, 8: Hätten die Donatisten Recht, so hätte es schon zur Zeit
Cyprian's keine Kirche gegeben ; sie selbst wären also unheiligen Ursprungs. OW
hält ihnen Augustin auch entgegen, wie viel grobe Sünder sie in ihrer Mitte haben.
Die gröbste Sünde bei ihnen ist freilich — das Schisma (c litt ?et. II, 221).
4
Die Heiligkeit der Kirche. 133
keit zu erhalten, sondern um die Einzelnen zu erziehen, resp. vor
Ansteckung zu bewahren. Die Kirche kann aber auch toleriren (c.
Petil. J, 25: „malos in unitate catholica vel non noverunt vel pro
unitate tolerant quos noverunt"); sie kann selbst offenbare und grobe
Sünder dulden, wenn die Ausübung ihrer Strafgewalt im einzelnen
Fall grössere Nachtheile zur Folge haben würde ^ Dadurch, dass
sie das Schlechte nie billigt und stets über die Mittel der Heiligung
verfügt, ist sie selbst vor der Verflechtung mit dem Unheiligen sicher-
gestellt ^.
10. Aber freihch gehört es zu ihrer HeiUgkeit, dass sie auch
wirkhch heihge Glieder erzeugt. Den Beweis dafür kann sie liefern,
sofern Einige in ihr die Vollkommenheit erreicht haben, sofern Wun-
der und Zeichen durch sie fort und fort noch gewirkt werden, so-
fern eine allgemeine Hebung und HeiHgung der Sitten durch sie er-
zielt ist, und sofern endlich am Ende ihr gesammter Bestand heilig
sein wird.
11. Noch deutlicher freilich zeigt sich ihre Heiligkeit darin, dass
nur innerhalb der Kirche persönliche Heihgkeit erlangt werden
kann (s. oben sub 7) ^.
12. Die Unheiligen in der Kii'che gehören fraglos zur Kirche ; denn
sie stehen in der Einheit unter der Wirkung der Heihgungsmittel und
können noch boni et spiritales werden. Allein sie gehören nicht zum
Heihgthum der Kirche, sondern bilden einen weiteren Kreis in ihr
(„vasa in contumeliam in domo dei" ; sie sind nicht selbst, wie die „vasa
in honorem", die domus dei, sondern sind „im Hause" ; sie sind „in
communione sacramentorum", nicht im eigenthchen Verbände des Hau-
ses, sondern „congregationi sanctorum admixti" ; sie sind desshalb in
gewissem Sinn nicht in der Kirche, weil sie nicht die Kirche selbst
sind; daher kann man auch die Kirche als „corpus permLxtum" be-
zeichnen)*. Ja selbst die Häretiker und Schismatiker, sofern sie kirch-
* Der Gedanke, im neuen Bund sei Alles milder geworden, als im alten, findet
sich hie und da bei Augustin.
''^ C. litt. Pet. III, 4: „Licet a malis interim vita, moribus, corde ac voluntate
separari atque diseedere, quae separatio semper oportet custodiatur. (Jorporalis
autem separatio ad saeculi finem fidenter, ])atienter, fortiter exspectatur."
" Sermo 4. 1 1 : „Ümnes quotrpiot f'uerunt sancti, ad ipsam ccclesiam per-
tinout.'*
* „Corpus pciimixtum" gegen die zweite Regel dos Tichonius, der von einem
zweigetheilten Leibe des Herrn gesprochen hatte, was Augustin verwirft. Hier
giebt es nicht wenige Ausführungen Augustin's, die den (iedanken nahe legen, eine
in der sichtbaren Kirche aiü occulto" vorhandene unsichtbare sei die wahre Kirche
(de bapt. V, Ö8j.
1 34 Die weltgeschichtliche Stelluug Augustin's als Lehrer der Kirche.
licht) Heiligungsmittel sich angeeignet haben (s. unten), gehören zur
katholischen Kirche, da diese sich aus ihnen Söhne zeugt, ohne ihnen
noch einnnd die Taufe ertheilen zu müssen '. Der Charakter der Heilig-
keit der Kirche wird durch diese weiteren Kreise im Gebiet ihres Um-
fangs nicht modificirt; denn sie bleibt, auf ihren Grund, ihre Mittel und
ihr Ziel gesehen, immer dieselbe, und auch die Heihgkeit aller Glieder
— Augustin sieht von diesem Merkmal nicht ab — wird einst vor-
handen sein.
13. Das dritte Merkmal der Kirche ist dieKatholicität. Es ist
dasjenige, welches in Verbindung mit der Einheit den eindrucksvollsten
äusseren Beweis und das sicherste Kriterium ihrer AVahrhcit liefert.
Die Katholicität wurde nämlich vorausverkündigt (Verbreitung über den
Erdkreis), und sie hat sich verwirklicht, obgleich es als ein Wunder be-
zeichnet werden muss, dass eine Gemeinschaft, die solchen Glauben
und Gehorsam verlangt, und solche Geheimnisse überhefert, diese Ver-
breitung erlangt hat. Eben das sinnenfällige Wunder ist der Beweis
der Wahrheit. Die Donatisten können nicht die Kirche sein, weil sie
wesentlich auf Afrika beschränkt sind. Die Kirche kann nur dort sein,
wo sie sich durch die Verbindung mit Rom, mit den alten orientalischen
Kirchen, mit den Gemeinden des Weltkreises als die katholische er-
weist. Der Einwurf, dass die Sünde der Menschen die Verbreitung hin-
dere, ist ohne Gewicht; denn das hätte geweissagt werden müssen. Es
ist aber das Gegentheil geweissagt und erfüllt^. Auch der Hinweis, dass
manche Häresien eine ökumenische Verbreitung erlangt haben, ist
ohne Belang ; denn erstens sind fast alle Häresien rational, zw^eitens
hat auch die verbreitet ste Häresie eine andere Häresie neben sich (es
ist dies der alte Sophismus, das Wesen der Häresien einerseits als die
^ De bapt. 1, 13 : Die Frage der Donatisten lautete, ob die Taufe nach Meinung
der Katholiken in der donatistischen Kirche „Söhne" erzeuge. Bejahten sie die
Katholiken, so sollte folgen, dass bei den Donatisten Kirche sei und, da es nur
eine gebe, die Kirche; verneinten die Katholiken die Frage, so zogen sie den
Schluss: „Cur ergo apud vos non renascuntur per baptismum, qui transeunt a nobis
ad vos, cum apud nos fuerint baptizati, si nondum nati sunt?" Darauf antwortet
Augustin: „Quasi vero ex hoc generet unde separata est, et non ex hoc unde con-
iuncta est. Separata est enim a vinculo caritatis et pacis, sed iuncta est in uno bap-
tismate. Itaque est una ecclesia, quae sola catholica nominatur; et
quidquid suum habet in communionibus diversorum a sua unitate separatis, p e r
hoc quod suum in eis habet, ipsa utique generat, non illae."
^ Ein Donatist „historicus doctus" hat freilich den empfindlichen Einwand
gemacht (ep. 93, 22): „Quantum ad totius mundi pertinet partes, modica pars est
in compensatione totius mundi, in qua fides Christiana nominatur." August in ver-
piag diesen Einwand natürlich nicht wirklich zu entkräfteu.
Die Katholicität und Apostolicität der Kirche. • 135
Zersplitterung aufzufassen, andererseits sie doch als eine solche Einheit
vorzustellen, dass man jeder einzelnen zum Vorwurf macht, dass andere
neben ihr stehen), und dadurch offenbart auch die verbreitetste ihre
Falschheit.
14. Das vierte Merkmal der Kirche ist ihre Apostolicität. Es
tritt in der katholischen Kirche zu Tage 1) in dem Besitz der aposto-
lischen Schriften ^ und der apostoHschen Lehre, 2) in der Fähigkeit
dieser Kirche, ihre Existenz bis auf die Apostelgemeinden und die
Apostel zurückzuführen und ihre Einheit (communicatio) mit den von
den Aposteln gestifteten Gemeinden aufzuweisen ^. Dieser Nachweis
ist vornehmlich an der Kette der Bischöfe zu führen, deren Bedeutung
übrigens von Augustin nicht so stark betont wird, wie von Cyprian;
ja es finden sich Stellen bei Augustin, in denen das allgemeine Priester-
thum, wie es TertuDian festgehalten hat, verkündigt wird ^.
15. Unter den Apostelgemeinden sind zwar auch die orientalischen
sehr wichtig ; allein am wichtigsten ist die römische Gemeinde und dem-
gemäss deren Bischof. Petrus ist Pepräsentant der Apostel, der Christen
überhaupt (ep. 53, 2: „totius ecclesiae figuramgerens"), der schwachen
Christen, der Bischöfe resp. des Lehramts der Bischöfe. Die Theorie
des Cyprian und Optatus von der cathedra Petri, w^elche der römische
Bischof habe und mit der man im Einvernehmen stehen müsse, weil sie
die sedes apostolica '/ar' i^oyjjv sei, d. h. die Trägerin der Lehrautori-
tät und der Kircheneinheit, hat Augustin festgehalten. Ueber die Inr
falhbilität des römischen Stuhls hat er sich ebenso unsicher und wider-
spruchsvoll ausgedrückt wie über die der Concilien und des Episkopats.
Dass ein Concil über dem römischen Bischof steht, war Augustin nicht
zweifelhaft (ep. 43, 19) ^
16. Die Irrthumslosigkeit der katholischen Kirche stand
* Dass diese bei Au^stin ihre selbständige Autorität — mindestens in vieler
Hinsicht — haben, wurde schon bemerkt; s. de doctrin. christ. und ep. 54. 55. In
nicht wenigen Ausführungen scheint es sogar so, als sei die Berufung auf die Kirche
lediglich eine Berufung auf die Kirche, welche die Schrift besitzt.
^ Ausser sämmtlichen antidonatistischen Schriften s. z. B. auch cp. 43, 21 ;
44, 3; 49, 2. 3; 51, 5; 53,3.
" De civit. deiXX, 10: Unterschied von saccrdotes und proprio saccrdotes.
* Augustin's Stellung zum römischen Bischof, d. h. zur unfcihlbaren römischen
Tradition, tritt deutlich zu Tage in seiner Beurthcilung des Zosimus (Reuter S.312ff.
325 ff.) und in dem höchst werthvollcn 36. Brief, der die Schrift eines römischen
Anonymus behandelt, welcher die römische Gemeinde sammt Petrus glorificirt
(c. 21: „Petrus, apostolorum caput, coeli ianitor, ecclesiae fundamentum") und
statutarische Einrichtungen der römischen Kirclic für allgemein verbindlich er-
klärt hatte.
13f> Die weltgeschichtliche Stellung Augußtiu's als Lehrer der Kirche.
Augustin fest; denn sie ist eine nothwendige Folge ihrer auf der Apo-
stolicitiit ruhenden Autorität. Allein dieses Prädicat durchzudenken
und an der Repräsentation und den Entscheidungen der Kirche streng
durchzuführen, dazu war Augustin niemals veranlasst. Daher hat er
auch theils unbefangen, theils nothgedrungen im Einzelnen Manches zu-
gestanden, was, consequent erfasst, die InfallibiHtät der Kirche ver-
nichtete.
17. Ebenso stand Augustin die Unumgänglichkeit der katho-
lischen Kirche fest ; denn sie folgt aus ihrem in der Einheit und Heihg-
keit sich ofl'enbarenden ausscliliesslichen Verhältniss zu (Christus und
zum hl. Geist. Tn dem Ausdruck „ecclesia mater" * (resp. „corpus
Christi") ist die Unumgänglichkeit ausgeprägt (über Modihcationen s.
später).
18. Endlich stand Augustin die Unv ergänglichkeit der Kirche,
damit aber auch ihre U r a n l'ä n gl i c h k e i t fest ; denn sie folgt aus dem
ausschliesslichen Verhältniss zu Gott; doch wirkten in die Vorstellung
von der Unvergänglichkeit und UranfängUchkeit Gedanken hinein, die
nicht aus den Erwägungen über die empirische Kirche geflossen waren
(die „liimmlische" Kirche einerseits, der „Gottesstaat" andererseits;
s. darüber unten).
19. Die empirische, katholische Kirche ist auch das „regnum dei"
(die „civitas dei"). Zwar sind diese Ausdrücke primär innerhalb einer
Betrachtung gebraucht, die gegen die empirische Kirche indifferent ist
(s. unten); allein da es für Augustin schliesslich doch nur eine Kirche
giebt, so gilt Alles, was von der Kirche gilt, auch von der empirischen
Kirche. Zu allen Zeiten hat er den alten, längst auf die Kirche an-
gewendeten Terminus „Reich (Stadt) Gottes •• auf die katholische Kirche
bezogen, dabei natürlich nicht daran denkend, dass die Kirche corpus
peimixtum sei, sondern verum '^.
^ C. litt. Pet. III, 10: „deum patrem et eius ecclesiam matrem habere."*
'^ Vielleicht am schlagendsten ist hier ep. 36, 17. Der anonyme römische
Christ hatte sich zum Beweise, das römische Sabbathfasten-Gebot sei apostolisch,
auf die SteUe berufen : „Non est regnum dei esca et potus" und „regnum dei''
einfach mit „ecclesia" identificirt. Augustin weist diese Identificirung nicht
zurück, sondern nur den Schluss, den der Anonymus aus ihr zieht. Hier ist aber
„ecclesia" offenbar die katholische Kirche. In de trinit. I, 16. 20. 21 ist es Augu-
stin nicht zweifelhaft, dass das regnum, welches Christus einst dem Vater übergeben
wird, „omnes iusti sunt, in quibus nunc regnat mediator" resp. die „credentes et
viventes ex fide; fideles quippe eius quos redemit sanguine suo dicti sunt regnum
eius". Das ist die Kirche; aber dabei ist selbstverständlich von ihren irdischen
„Runzeln" abgesehen, jedoch nicht von ihrer Organisation; s. in Fs. 126, 3:
„Quac autem domus dei et ipsa civitas V Domus euini dei populus dei, quia domus
Die Kirche und das Reich Gottes. 137
20. Aber Augustin hat der Vorstellung, die Kirche ist das Reich
Gottes, einen viel stärkeren Halt gegeben als seine Vorgänger, und er
hat durch die Art, wie er in seiner „göttlichen Komödie", dem Werk
de civitate dei, die Kirche dem Staat entgegengestellt hat, weit über
seine eigene ausgesprochene Meinung hinaus, die Ueberzeugung erweckt,
dass die empirisch-kathohsche Kirche sans phrase das Reich Gottes sei,
der selbständige Staat das Reich des Teufels. Obgleich nämhch primär,
wie sich zeigen wird, für Augustin die civitas terrena die societas der
Gottlosen und Verworfenen (einschhesslich der Dämonen), die civitas
dei die caelestis communio aller sancti aller Zeiten (die Engel mitein-
geschlossen) ist, so stand es ihm doch fest, dass jene im Weltstaat, diese
in der empirischen Kirche ihre geschichtlich-irdische Ausdrucks- und
Erscheinungsform besitzt; denn es giebt schlechterdings nicht zwei
Städte, zwei Reiche, zwei Tempel, zwei Häuser Gottes. Demgemäss
ist das Reich Gottes die Kirche. Und hingerissen von der Autorität der
Kirche und iln-em Siege in der Welt, zugleich tief durchdrungen von
dem Verfall des römischen Weltreiches, welches seine innere und äussere
Kraft offenkundig nur noch an der Kirche hatte, hat Augustin in der
gegenwärtigen Epoche, d. h. in der Kirchengescliichte, das 1000jährige
Reich gesehen, welches Johannes verkündigt hat (de civit. XX). Damit
hat er den alten Chihasmus der lateinischen Kirche umgestimmt \ ohne
ihn vöUig beseitigen zu können. Stand aber einmal fest, dass
das 1000jährige Reich jetzt vorhanden sei (seit Christi Er-
scheinung), so war damit die Kirche auf den Thron der Welt-
herrschaft erhoben; denn dieses Reich ist ein Reich der Herr-
s ch af t Christi, Christus aber regiert gegenwärtig nur durch die Kirche.
Augustin hat die hierarchische Tendenz seines Satzes weder verfolgt,
noch deuthch erkannt ; machte er sich doch die gegenwärtige Herrschaft
dei templum dei . . . omnes fidclcs, ({uac est domus dei, cum angelis faciunt unam
civitatem. Habet custodes. Christus custodiebat, custos erat. Et
episcopi hoc faciuut. Nam idco altior locus positus est episcopis, ut ipsi super-
intendant et tamquam custodiant populum."
* Wie weit er dariu gegangeu ist, zeigt die Beobachtung, dass er im 20. Buch
nicht wenige Stellen, die sich deutlich auf die. Wiederkunft Chi-isti beziehen, auf die
Gegenwart als bereits erfüllt bezogen liat; s. c. 5: „Malta praeterea (juae de ultimo
iudicio ita dici videntur, ut diligenter considerata re})eriantur ambigua vel magis
ad aliud pertinentia, sive scilicet ad eum salvatoris adventum, quo per
tütum hoc tempus in eccicsia sua venit, hoc est in membris suis,
particiilatim atrjue paulatim, quoniam tota corpus est eius, sive ad
excidium terrenacHierusalcm, (juia et de illo cum loquitur, plerumcpie sie lo(iuitur,
tanKjuam de fine saeculiatque illo die iudicii novissimo et magno loquatur." Doch
hat er auclj noch viel Dramatisch-eschatologisches bestehen lassen.
138 Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Christi, die er nachweisen musste (XX, 9 13) daran klar, dass ledig-
hch die „sancti^ mit Christus (nicht etwa „das Unkraut") herrschen,
dass somit nur die im Ileiche herrsclien, die seihst das Eeich sind, und
dass sie herrschen, weil sie nach dem, was oben ist, trachten, den Hei-
ligungskampf kämi)ien, Geduld im Leiden üben u. s. w. Allein durch
zwei Ausführungen hat er selbst das hierarchische Verständniss seines
Gedankens direct vorbereitet, resp. geradezu ausgeprägt. Die eine ist
ihm exegetisch abgenöthigt worden ^, die andere ist ein Ergebniss deut-
licher eigener Einsicht. Ersthch nämlich musste er nachweisen, dass
schon jetzt Offenb. Job. 20, 4 sich erfülle („die auf den Thronen Sitzen-
den richten"). Er fand die Erfüllung in den Vorstehern der
Kirche, welche den Binde- und Löseschlüssel verwalten,
also im Klerus (XX, 9). Zweitens hat er in dem, was er zu Ungunsten
sowie zu Gunsten des Staates absichtlich ausführt, die Herrschaft der
Kirche über den Staat ^ vorbereitet (1. XIX und schon vorher im
V. Buch). Die civitas terrena und dem entsprechend die Weltreiche
sind nämlich aus der Sünde entsprungen, der ehrgeizigen virtus, und
schon desshalb, weil sie irdischen Gütern nachstreben (zusammengefasst
in der pax terrena, durchgeführt in allen irdischen Verhältnissen), mögen
dieselben auch imL'dischen berechtigt und heilsam sein, sind sie sündig
und müssen schliesslich zu Grunde gehen. Das Weltreich ist doch
letzthch ein latrocinium magnum (IV, 4: „remota iustitia quid sunt
regna nisi magna latrocinia?"), welches in der HöUe im ewigen Krieg
endigt; die respublica Romana hat niemals den Frieden gehabt (XIX,
21). Von hier aus ist der Gottesstaat die einzige berechtigte Ver-
bindung. Aber Augustin weiss doch die Sache noch anders zu wenden.
Die Herstellung der pax terrena (s. ihre mannigfaltige Ausgestaltung
XIX, 13) ist auf Erden notliwendig. Auch die, welche die pax cae-
lestis als höchstes Gut schätzen, sind verpflichtet, auf Erden durch
Liebe für die pax terrena zu sorgen (schon der jüdische Staat war in
diesem Sinn berechtigt; s. die Beschreibung IV, 34 und den allge-
meinen Satz XV, 2 : „Invenimus ergo in terrena civitate duas formas
— hier ist unter terrena civitas auch der Gottesstaat zu verstehen, so-
fern er sich auf Erden abbildet — , unam suam praesentiam demon-
strantem, alteram caelesti civitati significandae sua praesentia servien-
tem"). Das römische Reich ist ein christliches geworden, und Augustin
freut sich dess ^. Allein nur mit Hülfe der iustitia, die auf der Caritas
1 S.Reuter, Studie III.
2 Schon im 35. Brief (v.J. 396, c. 3) hat Augustin geschrieben: „Dominus ingo
suo in gremio ecclesiae toto orbe diffuso omnia terrena regna subiecit.".
^ Im Begriff des irdischen Staates liegt also nicht unter allen Umständen,
i
Die Kirche und das Reich Gottes. ' 139
ruht, kann der Staat die pax terrena gewinnen und seinen Charakter
als latrocinium verlieren. lustitia und Caritas sind aber nur dort, wo die
Verehrung des wahren Gottes ist, in der Kirche, dem Gottesstaat ^
Also muss der Staat abhängig von dem Gottesstaat sein, resp. die-
jenigen, welche als Herrscher für die terrena pax der Gesellschaft Sorge
tragen, sind dann berechtigt und „feHces", wenn sie „suam potestatem
ad dei cultum maxime dilatandum maiestati eins famulam faciunt, si
plus amant illud regnum, ubi non timent habere consortes"
(V, 24). Die Herrscher müssen also nicht nur Christen sein, sondern
sie müssen der Kirche dienen, um ihren eigenen Zweck (pax terrena)
zu erreichen ; denn ausserhalb des Gottesstaates (der Liebe und Ge-
rechtigkeit) giebt es nicht virtutes, sondern nur scheinbare Tugenden,
d. h. glänzende Laster (XIX, 25). Mag nun auch Augustin hier und
anderswo die relative Selbständigkeit und das relative Recht des Staats ^
noch so sehr anerkannt haben — die These besteht, dass der Staat der
Kirche, da sie Gottesreich ist, zu dienen hat, weil er als berechtigter
ihr gleichsam enhypostasirt ist ^. Der Staat soll aber vornehmlich der
Kirche durch Zwangsmassregeln gegen den Götzendienst, die Häretiker
und Schismatiker dienen; denn der Zwang ist in solchen Fällen ange-
bracht, damit die Guten nicht verführt, die Schwankenden und Un-
wissenden belehrt und die Bösen bestraft werden. Desswegen folgt
aber für Augustin keineswegs, dass der Staat etwas zu verfolgen habe,
was man eine selbständige Kirchen- und Religionspolitik nennen
könnte. Vielmehr führt derselbe in Sachen der Religion stets die Sache
der Kirche, und damit ist schon ausgedrückt, dass er die Belehrungen
seitens der Kirche zu empfangen hat. So ist auch Augustin thatsäch-
lich verfahren. In dem augustinischen Gedanken des „christlichen Staats"
war ein cäsaropapistisches Recht des Staats so wenig eingeschlossen,
dass es vielmehr hier gar nicht aufkommen konnte. Auch wenn die
Kirche um Milde für die Häretiker bittet, gegen die sie selbst den Arm
dass er der Organismus der Sünde sei. Stellen über den christlichen Staat, die
christlichen Zeiten, die katholischen Kaiser bei Reuter S. 141.
^ Freilich giebt es auch nach Augustin eine irdische iustitia, die gegenüber
flagitia und facinora ein hohes Gut ist; auch er weiss den Werth relativer Güter zu
schätzen (Reuter S, 135 ff")-, aber letztlich zerfliesst diese iustitia, weil sie auf die
Dauer nichts Gutes stiften kann, da sie selbst nicht aus „dem Guten" geflossen ist.
^ Was vom Staat gilt, gilt natürlich ebenso von allen particularen Gütern,
Ehe, Famihe, Eigenthum u. s. w.
^ Augustin denkt hier also anders als Optatus (s. oben S. 43)-, mindestens ist
ihm daneben eine zweite Erwägung geläufig, nach welcher nicht die Kirche im
römischen Reich ist, sondern dieses Reich an der Kirche. In Dingen der terrena
fclicitas ist die Kirche nach Augustin zum Gehorsam gegen den Staat verpflichtet.
140 Die weltgeschichtliche Stelkmg Augustin's als Lehrer der Kirche.
des Sttiiits angerufen hjit, so ist damit das Strafrecht des Staats in
Ansehung der Kirche; nicht seihständig gestellt: er dient der Kirche,
weiui er straft, und er willfährt der Kirche, wenn er Milde übt'.
11 til. Durch die donatistische Praxis der Wiedertaufe und der
Reordination war Augustin genuthigt, die Bedeutung und Wirksamkeit
der Functionen der Kirche, dem Optatus folgend, genauer ins Auge zu
fassen. Es konnte nicht ausbleiben, dass er dabei den Begriff der Kirche
als communio sacramentorum noch mehr in den Vordergrund schieben
und zugleich über die Sacramente — um ihre Objectivität zu erweisen
und sie von Menschen unabhängig zu stellen, um sie dabei nicht völlig
zu veräusserlichen, aber sie doch als ausschhessliches Eigenthum der
Kirche zu vindiciren — höchst sophistische Erwägungen anstellen
musste, die er indess noch nicht bis zu Ende durchgeführt hat.
22. Zunächst war es ein gewaltiger Fortschritt, den nur ein so
innerlicher Mann wie Augustin machen konnte , dass er neben die
Sacramente das Wort gestellt hat. Die Formel ;,AVort und Sacra-
mente" stammt von ihm. Hat er auch die Bedeutung des „Worts"
noch nicht gebührend geschätzt und verfolgt, so hat er doch erkannt,
dass das AVort als das Evangelium allem heilbringendem Handeln der
Kirche zu Grunde liegt '^.
23. So eingehend er sich mit den Sacramenten beschäftigt hat, so
wenig hat er eine Sacraments lehre entworfen, vielmehr sich mit der
empirischen Reflexion über das Verfahren der Kirche und der Ver-
* TJeber das Verhältuiss von Kirche imd Staat s. Dorn er S. 295 — 312 uud
die Erniässigungen, die Reuter iu der 3. uud 6. Studie für uöthig erachtet hat. Die
Inquisitions- und Zwangsthcoric hat Augustiu nicht von Antaug an gebilligt (c. ep.
Man.c.l — 3), sondern im donatistischeu Streit sich von ihrer Nothwendigkeit über-
zeugt („coge intrare"). Alle Zwangsmittel hielt er jetzt für berechtigt ausser der
Todesstrafe (Optatus billigte auch diese). — AVenn es nicht schwer ist, nachzuweisen,
dass Augustin stets ein selbständiges Recht des Staates auf Gehorsam anerkannt
hat, so ist damit doch wenig bewiesen. Es mag ja sein, dass Augustiu den Staat
relativ höher geschätzt hat als die alten Christen, die noch stärker eschatologisch
bestimmt waren. Allein man darf nicht vergessen, dass er dem Staat gegenüber
nicht nur die caelestis societas, sondern die catholica ausgespielt hat.
■-^Ep. 21, 3: „sacramentum et verbum dei populo min istrare.'* Sehr häu%
ist verbum = evangelium = Christus und die Ursache der Wiedergeburt. C. litt.
Pet. I, 8: „semen quo regeneror verbum dei est." Die objective Wirksamkeit des
AVortes wird streng betont, aber — ausserhalb der Kirche nicht bis zur Einflössung
der Caritas. C. Pet. III, 67 : „minister verbi et sacramenti evangelici, si bonus est,
consocius lit evangelii, si autem malus est, non ideo dispensator non est evangelii."
II, 11: „nascitur credens non ex ministri sterilitate, sed ex veritatis foecuuditate."
Doch hat Luther mit Recht auch selbst Augustin zu den neumodischen Theologen
gerechnet, die vom Sacrament viel und vom AVort wenig sprechen.
Wort und Sacrament. 141
theiciigung desselben begnügt. Weder über die Zahl noch über den
Begriff der Sacramente hat er eine einstimmige Lehre entwickelt ^
Sacrament ist ihm jedes sinnliche Zeichen^ mit welchem ein heilbringen-
des AVort verbunden ist (in Joh. to. 80, 3 : „accedit verbum ad elemen-
tum et fit sacramentum, etiam ipsum tamquam visibile verbum).
Auf dem letzteren und dem Glauben liegt so sehr der Nachdruck (in
Joh. 25; 12: „crede et manducasti"), dass das Zeichen an vielen Stellen,
ja in der Regel, nur als Bild bezeichnet wird. Allein diese Einsicht
wird dadurch modificirt, dass an fast ebenso vielen Stellen auch das
heilbringende Wort als ein signum eines nebenher gehenden Unsicht-
baren gefasst ^ und Jedermann gewarnt wird, irgend etwas hier für. die
Gewähr der Sache zu nehmen, was sich sinnlich vollzieht. Da man nun
weiter nicht weiss, auf welche Zeichen Augustin seine Vorstellungen
vom Sacrament angewendet wissen will — de doctr. christ. III, 9 spricht
er so, als handle es sich fast nur um Taufe und Abendmahl, an anderen
Stellen ist es anders — , so schwebt Alles im Dunklen ^.
24. Er selbst war nicht veranlasst, in dieser Richtung weiter nach-
zudenken. Dagegen nöthigte ihn die donatistische These, dass die
Wirksamkeit des Sacraments vom Spender abhängig sei, und die dona-
tistische Praxis der Wiedertaufe zur Aufstellung zweier Widersprüche :
1) Die Sacramente sind allein in der Kirche wirksam, aber sie sind
auch in ausserkirchli eben Kreisen wirksam. Hätte er den ersten
' „Aliud videtur aliud intelligitur" (8ermo 272) ist der Hauptgedanke Augustin's,
den sjjäter Ratramnus so energisch geltend gemacht hat. Hahn (L. v. d. Sacrara.
S. 11 ff.) hat die verschiedenen Aeusserungen Augustin's über den Begriff des Sacra-
ments ausgeführt. Unter welche seltsame Betrachtung ihm unter Umständen derBe-
griff" „Sacrament" trat, lehren z. B. der 36. und 54. Brief; s. 54, 1 : „Dominus noster,
sicut ipse in evangelio loquitur, leni iugo suo nos suhdidit et sarcinae levi; unde
sacramentis numero pauciasimis, ohservatione facillimis, significatione praestantis-
simis societatem novi populi colligavit." Es folgt Taufe und Abendmahl „et si quid
aliud in scripturis canonicis commendatur . , . lila autem (|uae non scrii)ta, sed
tradita custodimus, (juae (|uidem toto terrarum orbe servantur, datur intelligi vel
abipsisapostolis vel plenariisconciliis, quorum est in ecclesiasaluberrimaauctoritaa,
commendata atcjuo statuta retineri, sicut quod domini i)assio et resurrectio et
ascensio in caelum et adventus de caelo Spiritus sancti anniversaria sollemnitate
celebrantur, et si quid aliud tale oc(;urrirt. quod servatur al) universa, quacumque se
diffundit, ecclesia."
'^ De catech. rud. .50: „Sigiiacula (luidcm iviiini divinannn esse visibilia, sed
res ipsas invisibilos in eis hr)norari."
"Hahn (S. 12) giebt folgende Definition als augustinisch : „Das Sacrament
ist ein von (xott eingesetztes körperliches Zeichen eines hl. Gegenstandes, den es
schon von Xatur durch eine gfiwisse Aehnliehkcil dnrzustelhMi geeignet ist, durch
welches (iott den von demselben Gebrauch Machenden unter gewissen Bedingungen
«eine Gnade mittheilt "
142 r^iö weltgeschichtliche Stellung Augiistiu's als Lehrer der Kirche.
Satz preisgegeben^ so hätte er die Uniimgänglichkeit der Kirche ver-
leugnet ; hätte er den zweiten Satz geo^ifert, so hätte er die Praxis der
Wiedertaufe billigen müssen. 2) Die Sacramente sind unabhängig von
jeder menschlichen Disposition; die Sacramente sind an die sichtbare
katholische Kirche und an den Glauben gebunden. Hätte er jenes
preisgegeben, so hätte der Donatist Recht, hätte er dieses in Abrede
gestellt, so wäre das Sacrament ein gegen Christenthum und Glaube
indifferentes Zauberwerk. Um diese Widersprüche zu beseitigen, musste
er Unterscheidungen suchen. Er fand sie nicht, indem er etwa
zwischen Gnadenanbietung und Gnadenverleihung unterschied, sondern
indem er eine doppelte AVirksamkeit der Sacramente annahm, 1) eine un-
ver^viscllbare Abstempelung jedes Empfängers, die überall dort ein-
tritt, wo das Sacrament rite gespendet wird, gleichgiltig vom wem ^, 2) eine
Gnadenspendung, die nur im Verbände der katholischen Kirche
dem Gläubigen zu Theil wird. Hiernach konnte er lehren: die Sacra-
mente gehören ganz allein der katholischen Kirche und verleihen nur
in ihr dem Glauben die Gnade ; aber sie können der Kirche entwendet
werden, da sie „sancta per se ipsa" primär eine Wirkung ausüben, die
lediglich vom verbum und Signum abhängt (die Aufprägung eines un-
verwischbaren Charakters) und nicht von einem menschlichen Factor ^.
Die Häretiker haben sie gestohlen und spenden sie giltig in ihren Ge-
meinschaften. Daher tauft die Kirche sich bekehrende Häretiker
(Schismatiker) nicht wieder, dessen gewiss, dass in dem Moment der
gläubigen Unterordnung unter die katholische Gemeinschaft der Liebe
dem auswärts Getauften das Sacrament nun „ad salutem valet" ^.
^ Ep. 173, 3: „Vos oves Christi estis, characterem doTninicum portatis in sa-
cramento." De bapt. c. Donat. IV, 16: „manifestum est, fieri posse, ut in eis qui sunt
ex parte diaboli sanctum sit sacramentum Christi, non §d salutem, sed ad iudicium
eorum . . . signa nostri imperatoris in eis cognoscimus . . . desertores sunt." VI, 1 :
„Oves dominicum characterem a fallacibus depraedatoribus foris adeptae."
^ De bapt. IV, 16: „Per se ipsum considerandus est baptismus verbis evan-
gelicis, non adiuncta neque permixta ulla perversitate atque malitia sive accipien-
tium sive tradentium . . . non cogitandum, quis det sed quid det." C. lit. Pet, I, 8
„(Gegen verschiedene donatistische Sätze, z. B. den: „conscientia dantis adtenditur,
qui abluat accipientis"): Saepe mihi ignota est humana conscientia, sed certus sum
de Christi misericordia . . , non est perfidus Christus, a quo fidera percipio, non
reatum . . . origo mea Christus est, radix mea Christus est . . . semen quo regeneror,
verbum dei est . . . etiam si ille, per quam audio, quae mihi dicit ipse non iaeit . .
me innocentem non facit nisi qui mortuus est propter delicta nostra et resurrexit
propter iustificationem nostram. Non enim in ministrum, per {|uem baptizor, credo,
sed in eum, qui iustificat impium."
" Hier ist die sehr oft in den antidonatistischen Schriften gemachte Unter-
scheidung von „habere" und „utiliter habere" zu betonen; c. Cresc. T, 34: „Vobis
Die Sacramente. 143
25. Diese Theorie, die das Wesen des „Charakters" und sein Ver-
hältniss zur Gnadenmittheilung unklar lassen muss ^ — die Rechts-
zugehörigkeit der Schismatiker und Häretiker zur katholischen Kirche
scheint nur der wichtigste, ja der einzige Effect der „Objectivität" der
Sacramente ausserhalb der Kirche zu sein^ — ist von Augustin nur an
der Taufe und Ordination durchgeführt worden, freilich auch hier nicht
so, dass er alle aufsteigenden Probleme beschwichtigt und jene „Ob-
jectivität" wirklich nachgewiesen hätte. Am Abendmahl aber z. B.
lässt sie sich überhaupt nicht nachweisen. Denn da nach Augustin die
res sacramenti die unsichtbare Incorporation in den Leib Christi ist
(über die Elemente lehrt Augustin symbolisch) und das Abendmahls-
opfer das sacrificium caritatis seu pacis, so istmit dem "Wesen des
Abendmahls die katholische Kirche schon immer init-
gesetzt. Also giebt es hier keinen „Charakter", der unabhängig von
dieser Earche wäre ^. Bei der Taufe aber konnte er annehmen, dass sie
(Donatistis) pacem nos annuntiamus, non ut, cum ad nos veneritis, alterum baptis-
inuin accipiatis, sed ut eum qui iam ajiud vos erat utiliter liabeatis" oder „una
catholica ecclesia, non in qua sola unus baptismus habetur, sed in qua sola unus
baptismus salubriter habetur." De bapt, c. Donat. IV, 24: „Qui in invidia intus et
malevolentia sine caritate vivunt, verum baptisma possunt et accipere et tradere.
(Sed) Salus, inquit Cyprianus, extra ecclesiam non est. Quis negat ? Et ideo quae-
cumqueipsiusecclesiae habentur, extra ecclesiam non valent ad salutem. Sed aliud
est non habere, aliud non utiliter habere."
' In der katholischen Kirche fällt character und Heilswirkung unter der Voraus-
setzung des Glaubens zusammen. Augustin lag es überhaupt primär daran, dem
Gläubigen an dem Sacrament eine felsenfeste Gewissheit der misericordia Christi
zu geben.
^ An Rechtsverhältnissen lag es im Grunde dem Augustin gar nicht; aber er
hat factisch sehr viel dafür gethan, die Dinge in diese Beleuchtung zu rücken.
^ Sermo 57, 7: „Eucharistia panis noster quotidianus est; sed sie accipiamus
ilhim, ut non solum vcntrc sed et mente reficiamur. Virtus cnim ipsa, quae ibi in-
tcHigitur, unitas est, ut redacti in corpus eins, cffccti membra eins, simus (juod acci-
piraus." 272: „panis est corpus Christi . . . corpus Christi si vis intelligere, aposto-
lum audi: vos estis corpus Christi." Augustin hält die überlieferte Auffassung, man
dürfe bei „Leib Christi" im Abendmahl an alle Vorstellungen denken, die mit
diesem Wort verbunden wurden (der Leib ist 7rv£0|j,aTty.6v, ist selbst Geist, ist die
Kirche u. s. w.) fest, bevorzugt aber die letzere und lässt, wie die alte Kirche, die
Beziehung auf die Sündenvergebung zurücktreten. TJnitas und vita (de pecc.
mer. I, 34) stehen im Vordergrund. Daher ist auch hier, ja hier mehr als bei irgend
einem anderen signum, das Signum ganz disparat. Dieses „sacramentum unitatis"
versichert den Giäu})igen und giebt ihnen das, was sie sind, unter der Bedin-
gung des Glaubens (in Joh. 26, 1 : credere in cum hoc est manducare panem vivum" ;
de civit. XXT, 25). Nif;mand hat stärker in Bezug auf das Abendmahl das realisti-
sche Verständniss abgewehrt und darauf hingewiesen, dass das, was „visibiliter cclc-
bratur, oportet invisibiliter inteiligl" (in Th. 98, \) fin.). „Das Fleisdi ist kein nütze",
144 I^iP weltgeschichtliche StelUing Augustin's als Lehrer der Kirche.
ein unverlierbares; durch nichts Anderes zu ersetzendes,
unter Ihnständen einen gewissen Glauben erzeugendes Verhältniss
zum dreieinigen Gott auch ausserlialb dei* Kirclie begründe, welches erst
innerhalb derselben zu einem heilbringenden wird ' ; und bei der Ordi-
uiul Cliristus ist „secundum corporis praesentiam" nicht auf Erden. Nun könnte —
wie bei den (rriecheu — trotz dem Allen doch ])ei Augustin hin und her der Cxe-
(hmke vorkommen, man müsse den sacramentalen Leib des Htiri-n auch mit dem
realen identificiren Allein ich hal)e keine Stelle gefunden, die sicher dafür spricht
(s. auch Dorn er S. 267 ff'.). Man kann nur sagen, dass nicht wenige Stellen auf
den ersten Blick so verstanden werden können und bald so verstanden worden sind.
Augustin, der Spiritualist, hat überhaupt die dogmatische Bedeutung des Sacra-
inentes sehr abgeschwächt. Zwar bezeichnet er es, wie die Taufe, als heilsnoth-
wendig; aber, da der Nachweis, es stehe mit der Auferstehung und dem ewigen
Leben in Verbindung, kaum irgendwo geführt wird, so reducirt sich die Nothwen-
digkeit auf die unitas und Caritas, die indem Abendmahl einen Ausdruck neben
anderen hat. Die hl. Speise ist überhaupt vielmehr Declaration und Versiche-
rung, resp. Bekenntniss eines bestehenden Zustaudes als Gabe. Somit stimmt
Augustin ohne Zweifel hier mit den sog. Vorreformatoren und Zwingli überein.
Dies führt zur Bedeutung der Handlung als Opfer über („sacrificium corporis
Christi"). Von den vier möglichen Ansichten (die Kirche bringt sich selbst im Leibe
Christi als Opfer dar, der Opfertod Christi wird symbolisch in commemorationem
eins vom Priester wiederholt, der Leib Christi wird real aufs neue vom Priester
geopfert, Christus selbst bringt sich immerfort und überall als Priester dem Vater
zum Opfer dar) sind die 1., 2. und 4. sicher bei Augustiu zu belegen, nicht aber die
dritte. Die Prärogative des Priesters hält er hier streng fest; aber von einem „con-
ficere corpus Christi" ist so wenig die Rede wie von Transsubstantiation; denn die
Stelle (Sermo 234, 2), auf welche sich die Katholiken mit Vorliebe berufen : „non
omnis panis sed accipiens benedictionem fit corpus Christi", hat nur den Sinn, dass
die res zum pauis — wie bei allen Sacramenten — nun hinzutritt und dasselbe zum
Signum rei invisibilis macht; durch die Consecration wird das Brot zu etwas, was
es vorher nicht war; die res invisibilis aber ist nicht der reale Leib, sondern die In-
corporation in den Leib Christi, welcher die Kirche ist. Was die Unwürdigen em-
pfangen — sie erhalten nach Augustin auch das giltige Sacrament — , bleibt freilich
völlig dunkel. Ich möchte nicht mit Dorn er (S. 274) sagen „Augustin kenne einen
Genuss des realen (?) Leibes und Blutes von Seiten der Ungläubigen nicht".
* Der Nachdruck ßillt nun auf die richtige Verwaltung der Taufe (rite). Gott
gehört das Sacrament; daher kann es nicht durch Sünde oder Häresie ungiltig ge-
macht werden. Die Unumgänglichkeit der Taufe fällt nothgedrungen auf den „cha-
racter", und das ist die verhängnissvollste Wendung, weil hier der Glaube keines-
wegs sicher mitgesetzt ist. Die „Punici" werden de pecc. mer. I, 34 belobt, weil sie
die Taufe einfach „salus" nennen; aber doch soll die Unumgäuglichkeit der Taufe
primär gar nicht in ihrer heilbringenden Eigenschaft, sondern schon in dem oha-
racter liegen. Diese Unimigänglichkeit wird nur durch die Bluttaufe (resp. denWunsch
nach der Taufe bei objectiver Unmöglichkeit, sie zu erhalten) beschränkt. In der
correspondireuden Gedankenreihe erscheint die bei den Häretikern rite gespendete
Taufe, weil illicite besessen, factisch wirkungslos, ja das Gericht bringend. Der
Euphrat, der im Paradies und in profanen Ländern tliesst, schafft doch nur dort
Die Sacramente. 145
nation konnte er lehren, dass sie, rite gespendet, die Kraft die Sacra-
mente zu verwalten unverlierbar übertrage, wenn auch der Empfänger,
falls er ausserhalb der Kirche steht, nur sich selbst zum Unheil functio-
nirt ^ In beiden Fällen urtheilte er so, erstlich um die Praxis seiner
wirkliche Frucht. Daher ist der Streit (Dorn er gegen Schmidt), ob nach Augustin
das Sacrament von der katholischen Kirche abhängig sei oder nicht, ein müssiger.
Es ist von ihr unabhängig, sofern es nöthig ist-, es ist von ihr abhängig, sofern es
heilsam ist. Doch scheint mir Dorner (a. a. 0. S. 252 f. und sonst) nicht einen
augustinischen Gredanken, sondern höchstens eine Consequenz desselben auszu-
spielen, wenn er behauptet, Augustin setze der durch Personen heiligen Kirche
nicht die Sacramente. sondern die Heiligkeit des Ganzen, nämlich der Kirche,
entgegen. Die Andeutung aber, die er wiederholt giebt, um die Schwierigkeiten
des augustinischen Sacramentsbegriffs zu heben — Augustin hätte zwischen An-
bietung und Verleihung der Gnade unterscheiden müssen: schon die erstere
sichere die objective Giltigkeit — , ist höchst bedenklich und würde hinter Augustin
zurückführen; denn dessen richtige religiöse Einsicht besteht eben darin, dass die
gTatia wirkt und nicht bloss anbietet. In der Abgrenzung des Charakters und der
heilbringenden Wirksamkeit der Taufe hat übrigens Augustin so geschwankt, dass
er selbst eine momentane Sündenvergebung bei Häretikern angenommen hat (de
bapt. I, 19; III, 18: „rursus debita redeunt per haeresis aut schismatis obstinati-
onem et ideo necessarium habent huiusmodi homines venire ad catholicam pacem" ;
denn in Joh. 27, 6 : „pax ecclesiae dimittit peccata et ab ecclesiae pace alienatio
tenet peccata: petra tenet, petra dimittit; columba tenet, columba dimittit; unitas
tenet, unitas dimittit"). Das Bedenklichste bleibt bei Augustin's Lehre von der Taufe
(innerhalb der Kirche), dass er die magische Vorstellung nicht nur nicht abgethan,
sondern durch sein Interesse an der Kindertaufe verstärkt hat. Zwar soll die Zu-
sammengehörigkeit von Taufe und Glauben gelten, aber die Kindertaufe macht hier
einen Riss. Die Unumgänglichkeit der Kindertaufe folgte für Augustin aus der
Erbsünde, keineswegs aber auch aus der Tendenz, die Seligkeit Aller von der Kirche
abhängig sein zu lassen (so Dorner S. 257). Um den Glauben bei der Taufe zu
retten, hat Augustin eine Art von stellvertretendem Glauben der Pathen ange-
nommen, aber, wie es scheint, kein Gewicht auf ihn gelegt, da wohl seine wahre
Meinung die war, die Taufe ersetze den Kindern den Glauben. Indessen — die
ganze Lehre von der Taufe ist bei Augustin schliesslich nur ein Vorläufiges. Die
Taufe ist unumgänglich, aber im Grunde nichts weiter als das. Die Wirksamkeit
des hl. Geistes im Innern des Menschen ist die Hauptsache, so dass, von hier aus
gesehen, die Taufe eigentlich überhaupt keine Bedeutung für die Seligkeit hat.
Allein diese Consequenz liegt Augustin doch fern.
' Ueber die Ordination als Sacrament hatte man bisher wenig in der Kirche
nachgedacht. Die Donatisten veranlassten dazu, und wieder ist es Augustin gewesen,
der der Kirche eine hierarchische Gedankenreihe geschenkt hat, ohne sich selbst
für ihre hierarchische Tendenz zu interessiren. Die Praxis war freilich schon längst
hierarchisch; aber erst durch die verhängnissvolle Zusammenstellung mit dem Sa-
crament der Taufe und durch den Satz, dass die Ordination eine moralische Dispo-
sition zu ihrer Giltigkeit nicht verlange (gegen Cyprian), wurde das neue Sacrament
perfect. Es verleiht nun einen unverlierbaren Charakter, wird daher, auch wenn es
ausserhalb derKirche rite gespendet ist, nicht wiederholt, und wie es dingliche Heilig-
H a r n a ü k , Do^^mengeBcliiclit« III. jq
14() Di« weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Kirche zu vcrthoidigen und die Donatisten ins Unrecht zu setzen, zwei-
tens um das Merkmal der Heihgkeit der Kirche, welches anders gar
nicht mehr sicher zu begründen war, an der objectiven Heiligkeit der
Sacramente aufzuweisen, drittens um dem Gedanken einen Ausdruck
zu geben, dass irgendwo ein Element im kirchlichen Handeln gegeben
sein müsse, an das sich der Glaube halten kann, das nicht vom Menschen
getragen wird, sondern welches den Glauben selbst trägt und der Ge-
wissheit entspricht, die der Gläubige auf die gratia setzt. Augustin's
Gnadenlehro ist an seiner Auffassung der Sacramente, genauer des
Taufsacraments , sehr stark betheiligt. Dagegen war er bei dieser
ganzen Auflassung keineswegs hierarchisch interessirt. Aber es
keit überträgt, so befiihigt es auch, Heiligkeit fortzupflanzen. Sacramentum baptismi
und sacramentum dandi baptismi werden vom 1. Buch des Werkes de bapt. c. Donat.
c. 1 an gemeinsam behandelt (§ 2: „sicut baptizatus, si ab unitate recesserit, sacra-
mentum baptismi non amittit, sie ctiam ordinatus, si ab unitate recesserit, sacramen-
tum dandi baptismi non amittit." C. ep. Parm. II, 28 : „utrumque in catholica non
licet iterari." Am deutlichsten de bono coniug. 32: „Quemadmodum si fiat ordinatio
cleri ad plebem congregandam, etiamsi plebis congregatio non subsequatur, manet
tarnen in illis ordinatis sacramentum ordinationis, et si aliqua culpa quisquam ab
officio removeatur, sacramento domini semcl imposito non carebit, quamvis ad iu-
dicium permanente"). Die Priester sind die allein berufenen Verwalter der Sacra-
mente (c. ep. Parm. II, 29 steht die merkwürdig gewundene Erklärung über Laien-
taufe; selbst wenn die Nothwendigkeit drängt, ist nach Augustin doch die Taufe
durch einen Laien ein veniale d dictum; er hält es wenigstens für möglich, dass
sie es ist. Aber auch die durch Laien unnöthig usurpirte Taufe ist giltig; wenn
auch illicite datum; denn der „character" ist vorhanden. Doch warnt Augustin
dringend, dem Priester irgendwie zu nahe zu treten) ; das Abendmahl kann nur der
Priester vollziehen. Das war althergebracht. Die richterlichen Functionen der Priester
treten bei Augustin (gegenüber Cyprian) zurück. Ein Busssacrament in technischer
Ausprägung findet sich bei Augustin nicht. Doch hat es factisch bestanden, und
Augustin hat ihm durch seine Auffassung, dass die gratia Christi nicht in der rück-
wärts wirkenden, Taufgnade erschöpft sei, erst einen Unterbau gegeben. Taufe und
Busse wurden in jener Zeit, als wären sie die beiden Hauptsacramente, zusammen-
genannt, ohne dass die letztere ausdrücklich als Sacrament bezeichnet worden wäre,
s. das Glaubensbekenntniss des Pelagius (Hahn § 133): „Hominem, si post baptis-
mum lapsus fuerit, per paenitentiam credimus posse salvari", fast gleichlautend
Julian von Eklanum (1. c. § 135): „Eum, qui post baptismum peccaverit, per paeni-
tentiam credimus posse salvari", und Augustin (Enchir. 46): „TVccata, quae male
agendo postea committuntur, possunt et paenitendo sanari, sicut etiam post bap-
tismum fieri videmus" ; (c. 65) : „Neque de ipsis criminibus quamlibet magnis re-
mittendis in sancta ecclesia dei misericordia desperanda est agentibus paenitentiam
secundum modum sui cuiusque peccati." Nicht von der Taufe, sondern vom Handeln
der Kirche nach der Taufe an ihren Gliedern heisst es (1. c. c. 83): „Qui vero in
ecclesia remitti peccata non credens contemnit tantam divini muueris largitateni et
in hac obstinatione mentis diem claudit extremum, reus est illo irremissibili peooato
in s})iritum sanctum."
Die Sacramente. Ergebnisse für den Kirchenbegriff. 147
konnte nicht ausbleiben, dass sie sich später wesentlich
im hierarchischen Sinne auswirkte. Daneben aber gaben die
Unterscheidung von äusserer Handlung und nebenhergehender Wirkung,
das Werthlegen auf das „Wort", und das Interesse für die (3bjectivität
des Sacraments Anstösse in einer ganz anderen Richtung. Jene Un-
terscheidung musste in der Folgezeit zu einer Spiritualisirung führen,
welche die Sacramente überhaupt verflüchtigte oder aber — wo man
auf ein sicher Gegebenes doch Werth legte und dabei die Souveränetät
des Worts erkannte — die Sacramente in dem „Wort" concentrirte.
Beides ist eingetreten. Nicht nur die mittelalterlich-katholische Sacra-
mentslehre geht auf Augustin zurück, sondern auch die Spiritualisten
des Mittelalters, und wiederum verdanken Luther und Calvin ihm die
Fingerzeige ^
Die bisher vorgetragene Anschauung Augustin's von der sicht-
baren Kirche und den Gnadenmitteln ist in sich widerspruchsvoll. Die
Identificirung von Kirche und sichtbarer katholischer Kirche ist ihm
nicht geglückt. Es soll nur eine Kirche geben und nur die gläubigen
katholischen Christen sollen zu ihr gehören; aber die mali et hypocritae
sind auch in der KJirche, ohne die Kirche zu sein; ja selbst die Häre-
tiker sind gewissermassen in der Kirche, sofern sie an den Sacramenten
Theil haben. Aber ist dann die Kirche noch sichtbar? Ja — an den
Sacramenten. Aber die an den Sacramenten sichtbare Kirche ist ja gar
nicht die Braut und der Leib Cliristi, die unumgängliche Heilsanstalt,
sondern nur die Kirche, welche vom Liebesgeist erfüllt ist, ist die Kirche;
diese aber ist doch durch die mali et hypocritae verdeckt. Und sogar
auf das Sacrament ist kein Verlass ; denn ausserhalb der katholischen
Kirche wirkt es sicher nicht ad salutem, in dieser Kirche aber wirkt es
keineswegs sicher. Die eine Kirche ist corpus verum Christi, corpus
permixtum, externa societas sacramentorum ; jedesmal ist es ein anderer
Kreis ; aber dass sie jenes ist, ist ihr ebenso wesentlich und so wichtig,
als dass sie dieses ist. Was heisst also „in ecclesia esse" ? Es ist das
^ Sehr wichtig für die Folgezeit ist eine Stelle im Briefe Augustin's ad Janu-
arium (ep. 55 c. 2) ü])or das Wesen des Sacraments geworden : „Primum oportet
noveris diem natalem domini non in sacramento celebrari, sed tantum in memoriam
revocari quod natus sit, ae per hoc niliil opus erat, nisi rcvolutum anni diem, quo
ipsa res acta est, festa devotionc signari. Sacramcntum cstautom in alitjua
celebratione, cum rei gestae commemoratio ita fi t, ut ali(|u id etiam
significari intelligatur, quod sancte accipiend um est. Eo itaquc modo
egimus pasclia, ut non sohirri in meinonaTn (|uod gestuni est, revocemus, id est, quod
rriortuuH ent (Jhristus et resurrexit, «cd (itiam fficra. (juac circn oa adtosiantnr ad
sacramenti significationcm non omittamus."
10*
148 Die weltgeschichtliche Stellungr Augustin's als Lehrer der Kirche.
Verhän^niss jeder Speculation über die Begriffe der Dinge, dass sie
gegen Widersprüclie abstumpft: jedwedes kann jedwedes sein, jedes ist
Alles und Alles ist Nichts. Sie überrascht durch hundert Gesichts-
punkte — das ist ihre Stärke — , um damit zu endigen, dass kein Ge-
sichtspunkt wirkliche Giltigkeit hat.
Allein Alles, was Augustin hier vorgetragen hat, zeigt die ledig-
lich bedingte Giltigkeit nicht nur an den imieren Widersprüchen, son-
dern es ist überhaupt nicht, oder doch nur in sehr be-
schränkter Weise, der Ausdruck der religiösen Ueber-
Zeugung des Theologen. So empfand und so schrieb er, weil er
Apologet der Praxis der Kirche war, deren Autorität er für seinen
Glauben bedurfte. Aber dieser Glaube selbst ging doch ganz andere
Wege. Schon jene Widersprüche, zumTheil freilich üb erHefert, zeigen,
dass ein Element in Augustin's Auffassung von der Kirche einwirkte,
welches sich gegen die „Sichtbarkeit" sträubte. Dieses Element ist
aber selbst keineswegs eindeutig, sondern es sind in ihm wiederum ver-
schiedenartige, wenn auch unter sich verknüpfte, Momente, beschlossen:
1. Die Kirche ist h im ml i s ch ; sie ist als Braut und Leib Christi
ganz wesenthch eine caelestis societas. Dieser alt- üb erlieferte Gedanke
steht Augustin für sein Glaubensleben im Vordergrund. Das, was
die Kirche ist, kann sie überhaupt nicht auf Erden
sein; sie hat ihre Wahrheit, ihren Sitz im Himmel. Dort allein ist
der eigentliche Kreis ihrer Glieder zu finden; hier auf Erden wall-
fahrtet zeitweilig ein kleiner Bruchtheil als FremdHng; ja man darf so-
gar sagen: hier auf Erden ist nur das Abbild der himmlischen
Kirche; denn sofern das irdische Bruchstück „civitas terrena" ist, ist
es noch gar nicht das, was es einst sein wird. Es ist durch die Hoff-
nung mit der himmlischen Kirche verbunden. Wahnsinn ist es, die
gegenwärtige Kirche für das Himmelreich zu halten ; s. de virgin. 24 :
„Quid aliud istis restat nisi ut ipsum regnum caelorum ad hanc tempo-
ralem vitam, in qua nunc sumus, asserant pertinere ? Cur enim non et
in hanc insaniam progrediatur caeca praesumptio ? Et quid hac asser-
tione furiosius? Nam etsi regnum caelorum aliquando ecclesia etiam
quae hoc tempore est appellatur, ad hoc utique sie appellatur, quia
futurae vitae sempiternaeque colligitur ^
2. Die Kirche ist ur anfänglich, und ihre Glieder sind daher in
der sichtbaren Anstalt der katholischen Kirche keineswegs einge-
schlossen. Hier tritt die Conception ein, die Augustin in dem grossen
Werk de civitate dei, an dem er fast fünfzehn Jahre gearbeitet, aus-
' Weitere Stelleu liier auzufiilireu ist uimöthig', so zahlreich siml sie.
Ergebuisse tür den Kirchenbegriff. 149
geführt hat. Die civitas dei, d. h. die Verbindung, in der der „amor dei
usque ad contemptum sui" regiert (XIY, 28) und welche daher der
„pax caelestis" nachstrebt, hat in der Engelwelt ihren Anfang ge-
nommen. Hier wird die obige Vorstellung (s. sub 1) combinirt: die
civitas dei ist das himmlische Jerusalem. Aber sie umfasst alle Gläu-
bigen der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft; sie hat sich schon
vor der Sintfluth mit der terrena civitas vermischt (s. über diese oben
S. 136 f.), hat eine Geschichte auf Erden in sechs Perioden (Sintfluth,
Abraham, David, Exil, Christus, Wiederkunft Christi) und bleibt ver-
mischt mit dem Weltstaat bis zum Ende. Mit der transcendentalen
Auffassung dieser Gottesstadt ist somit hier und anderswo — z. B.
ep. 102 quaest. 2, bes. § 12 — jene universalistisch-diesseitige ver-
bunden (s. oben S. 113): das Christenthum, so alt als die Welt, hat
überall und zu allen Zeiten seine Bekenner gehabt, die „ohne Zweifel"
selig geworden sind ; denn das „Wort" war stets dasselbe und hat immer
gewirkt unter den verschiedensten Formen („prius occultius, postea
manifestius") bis zur Menschwerdung hin. Wer an dieses Wort, wel-
ches Christus ist, glaubte, wurde selig ^
3. Die Kirche ist die communio der an den gekreuzigten
Christus Glaubenden, unter den Wirkungen seines Todes Stehenden,
die desshalb sancti et spiritales sind. Zu dieser Betrachtung leitet
der Schluss der vorigen über, indem das humanistisch-universalistische
Element abgestreift wird. Fragt man, wo die Kirche ist, so antwortet
Augustin an hundert Stellen, wo die Gemeinschaft dieser sancti und
spiritales ist. Sie sind der Leib Christi, das Haus, der Tempel, die
Stadt Gottes. Die Gnade einerseits, Glaube, Liebe und Hoffnung
andererseits constituiren also den Begriff der Kirche. Oder kurzweg :
„Per remissionem peccatorum stat ecclesia, quae in terris est," oder
noch sicherer: „In caritate stat ecclesia." In unzähligen Ausführungen
weiss Augustin von keinem anderen Kirchenbegriff als von diesem, bei
dem er schlechthin an eine geistliche Gemeinschaft denkt, und er
verhält sich desshalb indifferent sowohl zu dem Begriff der Kirche als
externa communio sacramentorum als zu dem gleich zu nennenden
letzten Kirchenbegriff '^.
4. Die Kirche ist der numerus elcctorum. Aus der Gnaden-
* In (ließcr Gedankenreihe tritt der histoi-ische Christus sehr zurück; aber
in anderen ist es ganz anders; s. Sermo 116, 6: „Per Christum factus est alter
mundus".
'^ Man sieht hier, die Annahme der Kirche als corpus permixtum oder als
externa communio sacramentorum ist nur ein Nothbegriff, s. die herrliche Aus-
führung de baptis. V, 38, die freilich in die Prädestinationslehre übergeht.
150 I^iö weltgeschichtliche Stellung Augustio's als Lehrer der Kirche.
lehre Augustin's (s. den nächsten Ahschnitt) folgt schHessHch, dass die
Sehgkeit auf der iiiierforschlichen Yorherhestinnniuig (Gnadenauswahl)
Gottes und nur auf ihr beruht. Daher kann die Kirche nichts Anderes
sein als die Zahl der Erwählten. Diese ist aber weder in der externa
comnumio der kathoUschen Kirche unbedingt eingeschlossen — denn
es gab electi, die nie katholisch waren, und es giebt solche, die es noch
nicht sind — , noch ist sie mit der communio sanctorum (im Sinne der
gläubig unter der Einwirkung der Gnadenmittel Stehenden) einfach
identisch; denn unter diesen können zur Zeit solche sein, die noch ab-
fallen und solche nicht sein, die schliesslich selig werden. Somit
sprengt der Ge danke der Prädest in ation jeden Kirchen-
begriff (nur der sub 2 genannte kann sich einigermassen behaupten)
und entwerthet alle Veranstaltungen Gottes, das Heilsinstitut und die
Heilsmittel: der numerus electorum ist keine Kirche. In der sicht-
baren Kirche und ausserhalb derselben, unter der Einwirkung der
sacramentalen G nade und fern von ihr sind electi dei vorhanden ; unter
den Feinden hat Gott seine Bürger und unter den zur Zeit „Guten" seine
Feinde K Aber die unerbittlichen Consequenzen dieser Auffassung zu
ziehen, hat Augustin, der Katholik, nicht gewagt; er hat sich, wenn er
je auf sie geführt wurde, damit begnügt, die Begriffe externa communio,
communio sanctorum, corpus Christi, civitas dei, caeleste regnum,
numerus electorum in eine Annäherung zu bringen, die wie eine Identi-
ficirung erscheinen konnte ; er hat der Ueberzeugung Ausdruck ge-
geben, dass der numerus electorum doch ganz wesentlich in der
empirischen katholischen Kirche stecke und man daher alle Güter der-
selben fleissig brauchen müsse ; aber er lebte andererseits ein zu indivi-
duelles Glaubensleben, um die gratia als Quelle des Glaubens, der
Liebe und Hoffnung an mechanische Mittel und äussere Anstalten un-
auflöslich zu ketten, und er war zu stark von dem Gedanken der
Majestät und der Alleinwirksamkeit Gottes beherrscht, als dass er es
über sich gebracht hätte, Gott pünktlich nachzurechnen, warum und
wie er das thut, was er thut. Dass sich die Prädestination vermittelst
der Kirche und der Gnadenspendungen der Kirche verwirkliche, hat
er nie behauptet ^.
^ De bapt. V, 38: „Numerus ille iustorum, qui secundum propositum vocati
sunt, ipse est (ecclesia) . . . Sunt etiam quidam ex eo nuniero qui adhuc nequitor
vivant aut ctiam in haeresibus vcl in gentilium superstitionibus iaceant, et tanien
etiam illic novit dominus qui sunt eius. Namque in illa inetlabili praescientia dei
multi qui foris videntur, intus sunt, et nuüti, qui intus videntur, foris sunt." Inü
der Prädestiuationslehre Augustin's kommen wir hierauf zurück.
'^ Hier ist Reuter gegen Dorn er durchaus im Recht.
Augustin's Lehre vor dem pelagianischen Kampf. 151
Die verschiedenen „Kirchenbegriffe" Augustin's haben ihre Ein-
heit ledighch in der Person ihres Urhebers, dessen reiches inneres
Leben von verschiedenen Stimmungen beherrscht war. Schon das
übrigens bescheidene Mass von Ausgleichsversuchen, welches sich bei
ihm selbst findet, ist recht werthlos. Zu theologischen Kannegiessereien
aber führt das scholastische Unternehmen, durch neue luftige Distinc-
tionen die verschiedenen Begriffe zu vereinigen oder einzuschachteln.
Selbst Augustin's Gegner haben, wie es scheint, nur einen kleinen Theil
der Widersprüche empfunden. So wenig suchte man damals in der
Glaubensauffassung diejenige Art von Einstimmigkeit, die auch heute
noch den Wenigsten ein Bedürfmss und jedenfalls keine Bedingung einer
lauteren Frömmigkeit ist. Vielleicht die wichtigste Folge der Kirchen-
und Sacramentslehre Augustin's ist, dass ein Complex von magischen
Ceremonien und Gedanken, der ursprünglich dazu bestimmt war, eine
auf der Lehre von der Willensfreiheit ruhende moralistische Denk-
weise zu compensiren, sich nun auch neben einer religiösen be-
hauptete. Das Sacrament hat diese deteriorirt, aber es ist andererseits
durch diese Verbindung selbst erst reformabel geworden. Das kann
man schon bei Augustin selbst nicht verkennen, dass der Kirchen-
begriff, in welchem er lebte, von dem Gedanken der Gewissheit der
Gnade und des Ernstes des Glaubens und der Liebe beherrscht ge-
wesen ist, und dass ebenso in der Gnadenmittellehre seine oberste Ab-
sicht war, den Trost der siclieren, von Menschen unabhängigen Gnade
Gottes in Christo festzustellen. In dem Masse, als es um 400 über-
haupt möglich war, hat Augustin den Kirchen- und Sacramentsbegriff
der geistigen Lehre von Gott, Christus, dem Evangelium, dem Glauben
und der Liebe untergeordnet.
3. Der pelagianische Kampf. Die Lehre von der Gnade und Sünde.
Augustin's Lehre von der Gnade und Sünde hat sich unabhängig
vom pelagianischen Streit gebildet. Sie war wesentlich fertig, als er
in diesen Streit eintrat; aber sie war ihm keineswegs schon im Jahre
seiner Bekehrung in ihrer Anwendung auf die einzelnen Fragen klar.
Vielmehr liat er zur Zeit des Kampfes mit dem Manichäismus (s. die
hbri tres de libero arbitrio) die Sel])ständigkeit der mensclihchen Frei-
heit nach der Ueberlieferung der Kirchenlehrer betont und von der Erb-
sünde nur als Erbül)el geredet. Erst das geisthche Amt , eine erneute
Leetüre des Römerbriefes und die Prüfung seiner inneren Entwickelung,
wie er sie in den Confessionen angestellt, führten ihn zu den C o n s e -
quenzen der neuplatonisch-christhchen Ueberzeugung, dass alles
Gute, also auch der Glaube, von Gott stamme, und der Mensch nur in
162 I^iö weltgeschichtliche Stelluug Augustin's als Lehrer der Kirche.
der Abhängigkeit von Gott gut und frei werde. Damit war eine Be-
trachtung gewonnen, von der er selbst am Ende seines Lebens bekannt
hat, dass er sie so nicht immer besessen habe, und die er desshalb den
früheren, irrthümlichen Auflassungen \ an die ihn Freunde und Feinde
manchmal erinnerten, entgegensetzte. Man kann sagen, dass seine
Gnadenlehre, soweit sie Gotteslehre war, schon seit 387 fertig ge-
wesen ist ; in der Anwendung aber auf den biblisch - geschichtlichen
Stoff und auf das Problem der Bekehrung und Heiligung (in der
Kirche) war sie es vor dem Anfang des 5. Jahrhunderts noch nicht.
Auch lässt sich eine leise Nachwirkung der vulgär-katholischen An-
sicht zu allen Zeiten bei ihm aufweisen, und dies um so mehr, als er
nicht im Stande war, die Consequenzen seines Systems, die zum De-
terminismus geführt hätten, sämmtUch zu ziehen.
Dieses System hat den Pelagianismus nicht erst hervorgerufen.
Pelagius hat zwar vor Ausbruch des Streites an dem berühmten Satz
Augustin's: „Da quod iubes et iube quod vis" Anstoss genommen und
gegen ihn zu Rom polemisirt ^ ; allein seine Lehre stand ihm schon
damals wesentlich fest. Die beiden grossen Denkweisen -- gilt
die Tugend oder die Gnade, die Moral oder die Religion, die ursprüng-
liche unverlierbare Anlage des Menschen oder die Kraft Jesu Christi?
— haben sich nicht im Streit entwickelt : sie haben im Laufe
desselben an Klarheit und Schärfe gewonnen^ ; allein beide sind aus
den inneren Zuständen der Kirche, unabhängig von einander, hervor-
gebrochen. Wenn irgendwo, so lässt sich hier die „Logik" der Ge-
schichte beobachten. Es hat vielleicht keine zweite gleich bedeutsame
Krisis in der Kirchengeschichte gegeben, in welcher die Gegner so
klar und rein die Principien, um die es sich handelte, zum Ausdruck
gebracht haben. Nur die arianische (vor dem Nicänum) lässt sich mit
ihr messen ; allein in dieser bewegte sich der Streit in einem durch die
Ueberlieferung bereits abgegrenzten engen Gebiete von Formeln. Dem
pelagianischen Kampf und den Kämpfenden haftet dagegen, trotz der
exegetischen und pseudohistorischen Lasten, die auch hier auf den
Problemen lagerten, eine Frische an, die den griechischen Streitigkeiten
^ De praed. 7; de dono persev. 55; c. Jul. VI, 39; s. auch die Retract.
'"^ De dono persev. 53: „Cum libros Confessionum ediderim ante quam Pela-
giana haeresis exstitisset, in eis certe dixi deo nostro et saepe dixi: Da quod iubes
et iube quod vis. Quae mea vcrba Pelagius Romae, cum a quodam fratre et episcopo
meo fuissent eo praesente commemorata, ferre non potuit et contradicens aliquanto
commotius paene cum eo qui illa commemoraverat litigavit."
^ De doctr. christ. III, 46 : „Haeresis Pelagiana multum nos, ut gratiam dei,
quae per dominum uostrum Jesum. Christum est, adversus cam del'endorenuis,
exercuit.''
Augustinismus uud Pelagianismus. 153
fehlt K Der wesentlich litterarische Charakter des Kampfes, der
Mangel an grossen Haiiptactionen gereicht ihm nicht zum Nachtheil:
um so reiner tritt die Sache hervor. Das Denkwürdigste aber ist, dass
die abendländische Kirche den Pelagianismus so rasch und so bestimmt
abgelehnt hat, während er in seinen Formeln doch ihre alte Lehre zu
behaupten schien. In der grossen Krisis, ob die Gnade auf die Natur
oder das neue Leben auf die Gnade zu reduciren sei, in der Krisis,
wie die polaren Gegensätze „ creatürliche Freiheit und Gnade" in
Eins zu ziehen seien -, hat sich die Kjrche entschlossen auf die Seite
der Religion gestellt. Sie wollte damit so wenig, wie 100 Jahre
früher zu Nicäa, alle die Consequenzen anerkennen, welche aus dieser
Position folgten — ja sie übersah sie nicht einmal — *, aber sie hat
doch den Schritt, den sie einmal gethan, als sich ihr der rationalistische
Moralismus deuthch enthüllte, niemals wieder zurückgenommen, viel-
leicht auch nicht mehr zurücknehmen können.
Nicht nur dass der Augustinismus und Pelagianismus gleich-
zeitig und unabhängig in der abendländischen Kirche hervorgebrochen
sind, beweist die innere Logik der Dinge, sondern auch das W i e frap-
pirt durch seine Folgerichtigkeit. Dort ist es ein heissblütiger Mann,
der nach Kraft und Seligkeit gerungen hat, indem er nach
Wahrheit rang, dem die subhmsten Gedanken der Neuplatoniker,
die Psalmen und Paulus das Räthsel seines Innern gelöst, und den die
Erfahrung des lebendigen Gottes überwältigt hat. Hier ist es ein
^ Pelagius und seine Freunde hatten stets das Bewusstsein, dass zwar um
höchst wichtige, aber nicht um dogmatische Fragen gestritten wurde. Man kann
hier also noch einmal sehr deutlich studircn, was in jener Zeit als Dogma gegolten
hat; s. de gestis Pelag. 16: Pelagius leugnet auf der Synode zu Diospolis Sätze von
hoher dogmatischer Bedeutung ab, sie seien nicht die seinigen ; auf die Zumuthung,
er solle die, welche so lehren, mit dem Anathem belegen, erwiedert er : „Anathema-
tizo quasi stultos, non quasi haercticos, si quidem non est dogma." Cälcstius
sagt von der Erbsünde (de pecc. orig. 3) : „licet quaestionis res sit ista, non haere-
sis." In dem in Rom übergebenen libellus fidei 26 erklärt derselbe: „si quac vero
praeter fidem quacstiones natae sunt . . . non ego quasi auctor alicuius dogmatis
definita haec auctoritate statui." Hahn § 134. Auch Papst Zosimus hat zuerst
(ep. 3, 7) 80 geurtheilt. Julian (Op, imp. III, 106) sah die Dogmen in der Lehre von
der Trinität, der Auferstehung „multisque aliis similibus".
2 Darin sind Augiistinismus und Pelagianismus formell verwandt und der bis-
herigen Denkweise entgegengesetzt, dass beiden Auffassungen der Trieb nach Ein-
heit zu Grunde liegt. Man will der Religion und Sittlichkeit auf den Grrund
kommen und sich nicht mehr damit begnügen, Freiheit und Gnade als die von ein-
ander unabhängigen, gleich werthigen Urdaten anzuerkennen, als wäre die Religion
mit ihren (jütern dem sittlich (hiicn gleichzeitig über- und untergeordnet. Das
Entweder-Oder erhob sich mit Macht.
154 r)ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Mönch und ein Eunuch ^ , beide ohne Spuren innerer Kämpfe , beide
begeistert für die Tugend, beide erfüllt von dein Gedanken, die sittlich
träge Christenheit zur Anspannung des Willens aufzurufen und sie zur
mönchischen Yollkomnienheit zu bringen, beide mit den griechischen
Vätern wohl vertraut, Beziehungen zum Orient aufsuchend, in der antio-
chenischen Exegese bewandert '■^, vor Allem aber jener stoisch-aristote-
lischen Popularphilosophie (Erkenntnisstheorie, Psychologie, Ethik und
Dialektik) huldigend, die unter den gebildeten Christen des Abend-
landes so viele Anhänger zählte. Der dritte im Bunde, Julian von
Eklanum, der früh verwittwete Bischof, lebhafter und ausfahrender als
der zurückhaltende und vorsichtige Pelagius ^, gescheuter als der agi-
tirende Cälestius, gebildeter als beide, ein ungezogenes dialektisches
Talent, mit einer unverwüstlichen Lust am Disput und einem knaben-
haften Eifer, Begriffe zu definiren und Syllogismen zu bilden, mehr
^ Pelagius ein freilebender Mönch, Cälestius „naturae vitio eunuchus matris
utero editus", beide Laien, Cälestius auditorialis scholasticus. Das Geburtsland —
Pelagius ein Britte (Irländer? Morgan?) — ist bei dem damaligen Austausch und
Verkehr ziemhch gleichgiltig. Cälestius wurde in Rom von Pelagius gewonnen und
gab dann seine weltliche Laufbahn auf.
^ Ob Pelagius vor seinem Auftreten in Rom im Orient gewesen, ist ungewiss.
Cälestius hat in Rom den Rufin gehört und berichtet, dieser habe vom „tradux pec-
cati" nichts wissen wollen (de pecc. orig. 3). Schon Marius Mercator hat den Pela-
gianismus aus der Lehre Theodor's von Mopsveste ableiten wollen und gemeint,
Rufin „der Syrer" (mit Rufin von Aquileja identisch?) habe ihn nach Rom gebracht.
Andere haben das wiederholt. So problematisch nun auch die directen Zusammen-
hänge am Anfang gewesen sind, so gewiss ist, 1) dass der Pelagianismus und Theo-
dor's Lehre sich sehr nahe stehen, 2) dass Theodor im Streit gegen die augustinisch-
hieronymiauische Lehre Partei ergriffen hat (er hat ein Werk geschrieben „gegen
die, welche behaupten, dass die Menschen durch Natur und nicht durch eigenes
Ermessen sündigen", s. Photius cod. 177), 3) dass die Pelagianer auf ihn als auf
einen Hort ausschauten und Julian von Eklanum zu ihm geflohen ist, 4) dass die
Pelagianer und Scmipelagianer überhaupt überzeugt waren, an dem Orient (auch an
der Kirche von Konstantinopel) einen Rückhalt zu besitzen und zum Theil in Kon-
stantinopel in die Schule gegangen sind. Die eigenthümliche Lehre Theodor's von
der Gnade findet sich bei den Pelagianern nicht; eben desshalb hat auch Theodor
nicht völlig mit Julian gemeinsame Sache machen können (s. Kihn, Theodor v.
Mopsv. S. 42 ff.). Aber die Verwandtschaft ist doch unfraglich. Es ist daher keines-
wegs blosse Consequenzmacherei, wenn Cassian c. Nestor. I, 3 sq. die Nestorianer
mit den Pelagianern zusammengestellt hat („cognata haeresis"). Die Interessen und
Methoden waren hier und dort dieselben. Auch die Zusammenstellung mit Euno-
mins und Aetius ist zutreffend.
^ De pecc. orig. 13: „Quid inter Pelagium et Caelestium in hac quaestione
distabit, nisi quod ille apcrtior, iste occultior fuit ; ille pertinacior, iste mendacii>r,
vel certe ille liberior, hie astutior." „Caelestius incredibili loquacitate.** Manche
Anhänger der neuen Lehre wollten lieber „Caelestiani" heisseu.
Augustinismus und Pelagianismus. 155
rechthaberisch als ernst, kein Mönch, sondern ein naturfreudiges Welt-
kind, ja der erste und bis zum 18. Jahrhundert nicht übertr offene, un-
verfrorene Vertreter eines selbstzufriedenen Christ enthums. Julian
neben Pelagius und Cälestius war nöthig, sollte die moralistische Denk-
weise nicht einseitig vertreten sein — die religiöse brauchte nur einen
Vertreter. Wahrlich, kein Dramatiker hätte diese Typen der zwei
contrastirenden Lebensanschauungen besser erfinden können, den
Augustin einerseits, die beiden ernsten Mönche, Pelagius und Cälestius,
und den kecken Weltbischof Julian andererseits ^
Der Ursprung des Pelagianismus ist damit schon angedeutet.
Er ist der unter dem Einfluss des griechischen Mönch-
* Der Ernst und die „Heiligkeit" des Pelagius sind vielfach bezeugt, vor Allem
von Augustin selbst und Paulin von Nola. Die Unwahrhaftigkeit wirft freilich einen
schweren Schatten auf dieselben •, aber es fehlt uns das Material, um sicher zu ent-
scheiden, wie weit Pelagius sich in sie verstrickt, und wie weit er in dem berechtigten
Bestreben, eine gute Sache nicht durch die Theologie ersticken zu lassen, mit seiner
Meinung zurückgehalten hat. Augustin, der "Wahrhaftige, ist auch hier geneigt, die
Unwahrhaftigkeiten des Gegners zu mildern. Vor Allem aber muss man bedenken,
dass damals viel ungescheuter öffentlich von den Priestern und Theologen ge-
logen wurde, als ihnen dies heute gestattet ist. Die öffentliche Meinung war viel
weniger empfindlich dagegen, namentlich wenn angeklagte Theologen sich heraus-
redeten, wie man nicht nur aus den Schriften des Hieronymus ersehen kann. Die
Leute, welche so empört über die Lügen des Pelagius waren, heuchelten nicht
wenig. Augustin durfte empört sein ; aber wie er trotz Allem besonnen und milde
blieb, zeigt die Schrift de gcstis Pclagii. Pelagius und Cälestius müssen zu jenen
glücklichen Menschen gehört haben, die, von Natur kalt, durch Erziehung massig,
einen erheblichen Abstand zwischen dem, was sie sollen, und dem, was sie thun,
nie bemerken. Julian war ein beweglicher Charakter, ein jugendlicher Mann voll
Selbstvertrauen (c. Julian. II, 30: „itane tandem, iuvenis confidentissimc, consolari
te debes, quia talibus displices an lugere?"), der als Jüngling zum römischen Bischof
Innocentius (c. Julian. I, 13) und zu Augustin Beziehungen gehabt hatte, „vir acer
ingenio, in divinis scripturis doctus, Gracca et Latina lingua scholasticus •, prius
quam impictatem Pclagii in sc apcrirct, clarus in doctoribus ccclcsiac fuit" (Gennad.
Script, eccl. 46). Besonders waren seine Kenntnisse in der Geschichte der Philo-
sophie ungewöhnlich. Früh Schriftsteller und früh Bischof, scheint er, wie so
manche frühreife Talente, auf d(!r Stufe des gescheut(m Jünglings stehen geblieben
zu sein. Phantasie und leidenschaftliclie Kraft verkümmerten und machten ihn zum
Fanatiker der moralistischcn Theorie. Immerhin ist er nicht leicht zu nehmen.
Die alte Kirche hat wenige so muthigc und rücksichtslose Talente hervorgebracht.
Seine Kritik ist vielfach treffend, immer scharfsinnig. Aber freilich — wenn man ihm
auch in allem Kritischen Recht gcgeljcn hat, so Ijchält man schliesslich doch nur
Hülsen in der Hand. Auch vcrmisst man bei ihm den Ernst des Sollens, den man
bei Pelagius nicht vergebens sucht. Eben darum wird der erfreuliche Eindruck
eines heit(;ren Geistes, der als Rächer der missachteten Vernunft und der gebiete-
rischen Moral auftritt, immer wieder durch das Unbehagen beeinträchtigt, eine
kritische Iläckselmaschine schnurren zu hören.
156 Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
thiims* consequent entwickelte christliche Rationalismus,
wie er im Ahendland, namentlich hei den (jlehildeteren, länf^st verhreitet
war, sich an der stoisch und aristotelisch heeinflussten Popularphilosophie
nährte- und durch Juhan eine Wendung zum (stoischen) Naturalismus
erhielt ^. Natura, liherum arbitrium, virtus, lex, das sind — streng de-
tinirt und gegen den Gottesbegriff selbständig gestellt — die Schlag-
worte des Pelagianismus : die selbsterworbene Tugend ist das höchste
Gut, welchem die Belohnung folgt. Religion und Sittlichkeit Hegen in
der Sphäre des freien Geistes * ; sie werden in jedem Moment selbst-
tliätig erworben. AVie verbreitet diese Denkweise war, zeigen neben
den unsicheren Aeusserungen auch solcher Theologen, die es in vielen
Ausführungen besser wussten ^, vor Allem die Institutionen des Lac-
tantius ^. Im Folgenden soll zuerst der äussere Verlauf des Streits
kurz geschildert, sodann die Denkweise der Pelagianer dargelegt, end-
lich Augustin's Lehre entwickelt werden ^.
* Auch die antiochenischen Theologen waren bekanntlich eifrige Vertreter
des Mönchthums.
^ Den Satz des Cicero: „virtutem nemo unquam acceptam deo retulit", kann
man als Motto über den Pelagianismus setzen.
^ Pelagianismus und Augustinismus sind auch darin formell verwandt, dass in
beiden das alte dramatisch-eschatologische Element, welches bisher im Abendland
eine so grosse Rolle gespielt und den Moralismus compensirt hatte, ganz zurück-
tritt. Aber erst Julian hat die Denkweise säcularisirt.
* Hierin liegt ein drittes Moment (s. S. 153 Anm. 2) der formellen Ver-
wandtschaft zwischen Pelagianismus und Augustinismus. Beide Denkweisen sind
nicht kultisch-mystisch interessirt; ihre Urheber bemühen sich vielmehr, geistige
Dinge geistig zu richten, was freilich Augustin nicht ganz gelungen ist.
^ S. das oben S. 45 über Ambrosius Bemerkte. Wie confus man war, zeigt
vielleicht am besten die 3. Regel des Tichonius (Aug., de doctr. christ. III, 46 :
„opera a deo dari merito fidei, ipsam vero fidem sie esse a nobis, ut nobis non sit
a deo." Dennoch suchte Augiistin (c. Julian. 1. I) einen Traditionsbeweis für seine
Lehre zu geben.
^ Eine Stelle (IV, 24 sq.) hat im Streit eine Berühmtheit erlangt: „oportet
magistrum doctoremque virtutis homini simillimum fieri, ut vincendo peccatum
doceat hominem vincere posse peccatum . . . ut desideriis carnis edomitis doceret,
non necessitatis esse peccare, sed propositi ac voluntatis."
^ Die Quellen sind die Schriften des Pelagius, Cälestius und Julian (grössten-
theils bei Hieronymus und Augustin), die Werke des Augustin (T. X u. c. 20 Briefe,
unter denen ejip. 186. 194 die wichtigsten), des Hierouynuis, Orosius, Marius Mer-
cator und die einschlagenden Papstbriefe. Mansi T. IV, Hefele Bd. II. Sonstige
Littcratur s. oben S. 55. Marius ist am Schluss des Streites der rührigste (TCguer
der Pelagianer gewesen, der im Orient ihre Verurtheilung durchgesetzt hat (s.
Mignc T. 48 u. den Art. in der Encycl. of Christ. Biogr.).
Der pelagianische Streit. 157
I. Pelagius taucht für uns in Rom auf. In allen Jahrhunderten
sind in Italien Prediger aufgetreten^ welche die leichtlebigen und leicht-
beweglichen Italiener momentan zu erschüttern verstanden. Pelagius
ist Einer der Ersten in der Reihe gewesen (de pecc. orig. 24 : „Romae
diutissime vixit"). Ergrimmt über die träge Christenheit; die sich mit
der Gebrechlichkeit des Fleisches und der Unerfüllbarkeit der schweren
göttlichen Gebote entschuldigte, predigte er, dass Gott nichts Unmög-
liches fordere, dass der Mensch die Kraft besitze, das Gute zu thun,
wenn er nur wolle, und dass die Schwäche des Fleisches nur ein Vor-
wand sei. „Wenn ich über die Sittenlehre und die Grundsätze eines
heiligen Lebens handle, so weise ich immer zuerst die kraftvolle Fähig-
keit der menschlichen Natur nach und zeige^ was sie leisten kann, ne
tanto remissior sit ad virtutem animus ac tardior, quanto minus se
posse credat et dum quod inesse sibi ignorat id se existimet non
habere." ^ Im Gegensatz zu Jovinian, dessen Lehre in Rom nur die
Laxheit befördert haben kann, verkündigte er den Christen die mön-
chischen Forderungen; denn um nichts Geringeres handelte es sich
auch schon bei diesem Prediger ^. Von unzweifelhafter Orthodoxie ^,
auch als Exeget und Theologe in der litterarisch so unfruchtbaren
Hauptstadt der Christenheit hervorragend *, übte er eine energische
Wirksamkeit aus, so dass die Kunde ihres Erfolges nach Nordafrika
drang ^. Nur um das Praktische war es ihm zu thun. Augenschein-
lich vermied er die theologische Polemik ; aber als die Confessionen
Augustin's ihre narkotischen Wirkungen begannen, trat er ihnen
^ Pelag., ep. ad Demetr.
' Er war vielleicht nicht der Erste; doch weiss man nicht, welche Leute
Augustin de pecc. orig. 25 („Pelagius et Caelestius huius perversitatis auctores vel
perhibentur vel etiam probantur, vel certe si auctores non sunt, sed hoc ab aliis
didicerunt, assertores tarnen atque doctores") und de gest. Pelag. 61 („post veteres
haereses inventa etiam modo haeresis est, non ab episcopis seu presbyteris vel qui-
y)uscunque clericis, sed a quibusdam veluti monachis") gemeint hat. An der zweiten
»Stelle können Pelagius und Cälestius selbst verstanden werden.
' Das später eingereichte Glaubensbekenntniss (Hahn § 133) ist in den dog-
matischen Partien klar und sicher. In der Trinitätslehre tritt die Einheit der Gott-
heit nicht so stark hervor wie bei Augustin; Pelagius stand eben auch hierin den
Griechen näher.
* Zu Rom hat Pelagius den Brief an Paulin von Nola, die dr'ci Bücher de fidc
trinitatis, seine Eulogia und die Commentarc zu den paulinischen Briefen, auf die
Augustin sich nachmals bezogen hat, geschrieben. Die letzteren sind uns unter den
Werken des Hicronymus erhalten; doch wird ihre Integrität bezweifelt. Ausserdem
erwähnt Augustin eine ep. adConstantium ep. (de grat. 39); man weiss nicht, wann
sie geschrieben ist.
^' De gestis Pelag. 46: „Pelagii nomen cinn magna oius laude cognovi."
158 I^ip wpltgoschichtliche Stellunpf Augustinus als Lehrer der Kirche.
entgegen. Doch blieb das Thcti sehe, die Betonung der Willens-
treilieit, ihm stets die Hauptsache. Dagegen scheint sein Schüler und
Freund Cälestius ^ von Anfang an die Erbsünde (tradux peccati) aufs
Fvorn genommen zu haben. Die von ihm Gewonnenen gaben das Schhig-
wort aus, dass der Zweck der Kindertaufe nicht die Sündenvergebung
sei ^. Als Alarich in Jloni einbrach, begaben sich die beiden Prediger
(über Sicilien) nach Nordafrika. Es war auf Augustin abgesehen; allein
es kam weder in Hippo noch in Karthago zu einer näheren Berührung
zwischen ihm und Pelagius ^. Wahrscheinlich reiste dieser plötzlich ab,
als er sah, er werde in Afrika seine Zwecke nicht erreichen, sondern
nur theologischen Zank stiften. Dagegen blieb Cälestius und bewarl)
sich um ein Presbyteramt in Karthago. Allein schon im Jahr 412
(411) verklagte ihn der Mailänder Diakon Paulinus (der spätere Bio-
graph des Ambrosius) auf einer Synode zu Karthago vor dem Bischof
Aurclius *. Die schriftlich fixirten Anklagepunkte lauteten: „Adam
mortalem factum, qui sive peccaret sive non peccaret moriturus fuisset
— peccatum Adae ipsum solum laesit, non genus humanum — parvuli
qui nascuntur in eo statu sunt, in quo fuit Adam ante praevaricationem
— neque per mortem vel praevaricationem Adae omne genus hominum
moritur, nee per resurrectionem Christi omne genus hominum resurget
— lex sie mittit ad regnum coelorum quomodo et evangelium — et
ante adventum domini fuerunt homines impeccabiles i. e. sine peccato —
hominem posse esse sine peccato et mandata dei facile custodire, si
velit" '\ In der Verhandlung erklärte Cälestius, die infantes brauchten
die Taufe und müssten getauft werden ; da er das behaupte, sei seine
Orthodoxie erwiesen *, der tradux peccati sei jedoch eine offene Frage,
„quia intra Catholicam constitutos plures audivi destruere nee non et
alios adstruere". Dennoch wurde er excommunicirt. In dem libellus
brevissimus, den Cälestius zu seiner Yertheidigung verfasst hat, gab er
sogar die Nothwendigkeit der Taufe zur Erlösung für die Kinder zu;
allein er meinte ein von der vita aeterna unterschiedenes regnum
coelorum. Von Sündenvergebung bei der Kindertaufe wollte er nichts
wissen ^. Unstreitig ist er verurtheilt worden, weil er den festen Zu-
* Von ihm drei Schriften de monasterio. „Caelesti opuscula", de gratia 32.
- So hörte Augustin, als er 4H in Karthago war, s. tle pecc. nier. ITT, 12.
^ De gestis Pelag. 46.
"^ Marius Merc. Common, und Aug., de pecc. orig. 2 sq. Es ist bemerkens-
werth, dass die Anklage von einem Schüler des Ambrosius ausgegangen ist. Damit
ist die Continuität der antipelagianischon Lehre erwiesen.
^ Ueber die Ueberlieferung dieser Sätze s. Kl äsen, Pelaoianismus S. 481'.
^ De pecc. mer. J, 58. 62.
Der pelagianische Streit. 159
sammenhang von Taufe und Sündenvergebung lockerte; damit gleich-
sam zwei Taufen aufrichtete und wider das Symbol verstiess. Er ging
nun nach Ephesus ^, wurde dort Presbyter und begab sich dann nach
Konstantinopel.
Pelagius war nach Palästina gegangen. Er beobachtete eine andere
Taktik als der Freund, der der Sache durch die Maxime des „fortiter
scandalizare" zu dienen hoffte. Pelagius wollte den Frieden; er schrieb
an Augustin einen schmeichelhaften Brief, den dieser freundlich aber
zurückhaltend beantwortete ^. Er suchte sich an Hieronymus anzu-
^ Dass er sich vorher in Sicilien aufgehalten, ist nur ein Einfall Augustin's, ab-
geleitet aus der Verbreitung cälestianischer Irrthümer daselbst; s. die interessanten
Briefe Augustin's epp.156. 157, 22. 23 sq. Hier erkennt man, dass Cälestius geradezu
gelehrt hat: „divitem manentem in divitiis suis regnum dei non posse ingredi, nisi
omnia sua vendiderit; nee prodesse eidem posse, si forte ex ipsis divitiis mandata
fecerit." In der aus Sicilien dem Augustin zugekommenen Schrift „definitiones
Caelestii", deren Ursprung allerdings nicht sicher ist, ist die stoische Methode der
Definitionen bemerkenswerth. Auch findet sich hier die berühmte Definition der
Sünde, sie sei „das, was man lassen kann" (umgekehrt Groethe: „Was nennst Du
denn Sünde? Wie Jedermann: wo ich finde, dass man's nicht lassen kann"). Alles
Raisonnement dient dem Nachweis, dass, da peccatum vitari potest, der Mensch
sündlos sein könne (de perfect. iust. 1 sq.). An der eben genannten Stelle, ferner zu
Diospolis (de gestis Pelag. 29 — 63), wird ein dem Titel nach unbekanntes Werk des
Cälestius erwähnt. Es sind uns nicht wenige Sätze aus demselben (1. c.) erhalten :
„Plus facimus quam in lege et evangelio iussum est — gratiam dei et adiutorium non
ad singulos actus dari, sed in libero arbitrio esse, vel in lege ac doctrina — dei
gratiam secundum merita nostra dari, quia si peccatoribus illam dat, videtur esse
iniquus — si gratia dei est, quando vincimus peccata, ergo ipsc est in culpa, quando
a peccato vincimur, quia omnino custodire nos aut non potuit aut noluit — unum-
quemque hominem omnes virtutes posse habere et gratias — filios dei non posse
vocari nisi omni modo absque peccato fuerint effecti — oblivionem et ignorantiam
non subiacere peccato, quoniam non secundum voluntatem cveniunt, sed secundum
necessitatem — non esse liberum arl)itrium, si dei indigeat auxilio, quoniam in
propria voluntate habet unusquisque aut fasere aliquid aut non facere — victoriam
nostram non ex dei esse adiutorio, sed ex libero arbitrio — si anima non potest
esse sine peccato, ergo et dcus suljiacet peccato, cuius pars, hoc est anima,
peccato obnoxia est — i)aenitentiljus venia non datur secundum gratiam et miseri-
cordiam dei, sed secundum merita et laborcm corum, qui per pacni-
tentiam digni fuerint misericordia." INIan sieht leicht, was freilich ])isher
nicht dcuthch gesehen worden ist, dass diese Schrift des Cälestius zum
eigentlichen Anstoss werden musste. Hier mussten auch den Schwanken-
den die Augen aufgehen. Wir kommen im Text auf diesell)0 zurück.
^ De gestis Pelag. 51. 52. Die nachtiäglichc Deutung, die Augustin einigen
Conventionellen Phrasen, die er in dem Briefe gebraucht, gegeben, erscheint uns
überflüssig und peinlich. Er schonte üliHgens den Pehigius auch in Karthago selbst;
denn in der ersten grossen Schrift gegen den Pelagianismus, de pecc. mer. et remiss.
et de bapt. parvulorum uA Marcellinum (412) — vorher hatte Augustin nur durch
160 I^ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
scliliessen und ütt'entlicli keinen Anstoss zu geben. Offenbar war ibni
Cälestius mit seiner Agitation für die sündlosen Kinder und gegen den
tradux peccati unbequem. Er wollte für etwas Positives wirken — wie
(liu'fte man da einen negativen Punkt in den Vordergrund schieben und
die Reformbewegung durch lleberstürzung und theologische Erbitterung
aufhalten? Wirklich fand er gute Freunde ^ Allein das freundliche
Verhiiltniss zum Bischof Johannes von Jerusalem konnte dem Hiero-
nymus nicht gefallen. Dazu kamen aus dem Occident — zahlreiche
Abendländer waren stets in Palästina — Gerüchte über die bedenk-
lichen Lehren des Pelagius. Hieronymus, der damals auf gutem Fuss
mit Augustiii stand, brach mit Pelagius - und schrieb gegen ihn die
ep. ad Ctesiphontem (ep. 133) und die dialogi c. Pelag., Schriften, die
das Musterbild einer unverständigen Polemik sind — „ob der Mensch
ohne Sünde sein könne", diese Frage stand dem Hieronymus im Vorder-
grund, und zugleich beeilte er sich, Pelagius mit dem „Ketzer" Origenes
und anderen Häretikern in Zusammenhang zu bringen. Noch mehr
aber schadete es dem Pelagius ^, dass eben damals jene uns bereits be-
kannte Schrift des Cälestius (s. oben) bekannt wurde, in welcher dieser
als enfant terrible der Partei so rücksichtslos vorgegangen war ^.
Predigten und Unterredungen zu wirken gesucht — ist Pelagius' Name noch nicht ge-
nannt. Auch der gleichfolgende Tractat de spiritu et littera ist nicht gegen Pelagius
gerichtet,
* Den Trostbrief an die Wittwe Livania (Bruchstücke bei Aug. de gestis Pel.
16. 19, Hieron., Marius, theilweise recitirt in der Anklageschrift zu Diospolis) bin
ich geneigt für eine Unterschiebung zu halten. Doch vermag man mit Sicherheit
nicht zu urtheilen. Die Möglichkeit muss doch offen bleiben, dass Pelagius sich in
einem nicht für die Oeffentlichkeit bestimmten schmeichelhaften Schreiben an eine
frömmelnde Wittwe so ausgedrückt hat. Freilich wie eine Persiflage klingen die
Worte: „Ille ad deum digne elevat manus, ille orationem bona conscientia effundit,
qui potest dicere, tu nosti, domine, quam sauctae et innocentes et mundae sunt ab
omnimolestia et iniquitate etrapina quas adte extendo manus, quemadmodum iusta
et munda labia et ab omni mendacio libera, quibus offero tibi deprecationem, ut
mihi miserearis." Pharisäer und Zöllner in einer Person!
2 Dieser hat sich nachmals (c. Jul. II, 30) beklagt, „quod Hieronymus ei tam-
quam aemulo inviderit." Das ist sehr glaublich.
^ Aus Vorsicht antwortete er dem Hieronymus nicht öffentlich ; denn er wollte
jeden Streit vermeiden. Jener stand ihm übrigens im Grunde näher als dem
Augustin. Noch in einer späteren Streitschrift behauptete Hieronymus nämlich,
orthodoxe Lehre sei es, dass der Anfang des guten Willens und des Glaubens von
uns komme.
* Pelagius selbst schrieb im Jahr 413 oder 414 seinen uns erhaltenen Brief an
die Nonne Demetrias, das deutlichste Denkmal seiner Lehre , und kurz vor der
Synode von Diospolis das Buch de natura, in welchem Manches steht, was er auf
der Synode abgeleugnet hat. Auch diesesBuch war höchst wahrscheinlich nicht für
I
Der pelapfianische Streit. 161
Der Schüler Augustin's, der spanische Priester OrosiuS; der mit
zu dem Zweck zu Hieronymus gekommen war, um ihn auf das Gefähr-
liche des Pelagianismus aufmerksam zu machen, setzte es schliesslich
durch, dass Johannes von Jerusalem denPclagius citirte und eine förm-
liche Relation über seine Angelegenheit im Kreise seiner Presbyter
entgegennahm (415). Allein die Untersuchung endete mit einem Siege
des Angeklagten. Mit der Verweisung auf die Autorität seines gefeier-
ten lichrers, ferner auf die des Hieronymus und der Synode von
Karthago hatte Orosius kein Glück, und gegenüber dem Vorwurf, er
habe gelehrt, der Mensch könne ohne Sünde sein und brauche die gött-
liche Hülfe nicht, erklärte Pelagius, er lehre, dass es ohne die göttliche
Gnade nicht möglich sei, sündlos zu werden. Damit war Johannes
völlig einverstanden. Da nun Orosius seinerseits nicht behaupten
wollte , die Natur des Menschen sei von Gott böse geschaffen , so
sahen die Orientalen nicht ein, um was hier eigentlich gestritten wurde.
Die formlose und erschwerte Verhandlung — Orosius sprach kein grie-
chisch — wairde abgebrochen : im Abendland, hiess es, näher iuEom,
möge man den Zank entscheiden K Pelagius hatte den ersten Vorstoss
abgeschlagen. Allein die Gegner ruhten nicht. Sie setzten es noch im
Dec. 415 durch, dass Pelagius vor eine palästinensische Synode zu Dios-
polis (den Vorsitz führte Eulogius von Cäsarea) gestellt wurde, auf der
er seine Ankläger indess nicht antraf -. Er konnte sich sofort auf die
günstigen Zeugnisse vieler Bischöfe berufen, die seine Bemühungen,
die Sittlichkeit zu heben, warm anerkannt hatten. Die ihm zugeschrie-
benen Sätze über Natur und Gnade lehnte er nicht ab, vermochte ihnen
aber eine so befriedigende Auslegung zu geben, dass die Richter seine
Rechtgläubigkeit untadelhaft fanden. Die exorbitanten Sätze aus dem
Brief an die Livania stellte er theils zurecht, theils erkannte er sie
nicht als die seinigen, und als die Synode verlangte, er solle sie aus-
drücklich verwerfen, erklärte er: .,anathematizo quasi stultos, non
quasi haereticos, si quidem non est dogma." Hierauf die Synode: „Nunc
die Oeffentlichkeit, sondern nur für die Freunde bestimmt (^egen die Vorwürfe des
Hieronymus). Augustin widerlegte es in seinem Tractat de natura et gratia, sobald
er es erhalten hatte (415). Pelagius hatte in dem Buch eine dialektische Begrün-
dung seiner Anthropologie versucht. Die auch noch im Jahr 415 von Augustin ver-
fasste Schrift de })erfe(;tione iustitiae richtete sich gegen Cälestius.
' S. Orosii Apolog.
^ Die Anklageschrift war von zwei gallischen Bischöfen Heros und Lazarus,
die aus ihrem Vaterland hatten flüchten müssen, abgefasst. Sie war sehr umfassend;
aber es war in ihr nicht streng zwischen dem geschieden, was Pelagius selbst ge-
wagt hatte, und was d(!m Cäh.'stius angehörte. Die beiden Bischöfe sind übrigens
später bei den Verliandlungen in Rom als verdächtige Leute behandelt worden.
Harnack, Üogmengeschichte 111. j j^
162 r)ie weltßfeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
quoniam propria voce anathematizavit Pelagius incertum stultiloquium,
recte respondons, hominem cum adiiitorio dei et gratia posse esse sine
peccato, respondeat et ad alia capitula." Nun wurden ihm die Sätze des
Cälestius vorgelegt über Adam, Adamssünde, den Tod, die neugeborenen
Kinder, die Unseligkeit der Reiclien, die Sündlosigkeit der Gottes -
kinder, die Unwesentlichkeit des göttlichen Beistandes — kurz alle jene
Sätze, die theils schon zu Karthago verurtlieilt, theils später in nocli
schlinnnerer Form von Cälestius vorgebracht waren, Pelagius war in
einer üblen Lage. Er hasste allen theologischen Streit; er wusste,
dass die christliche Sittlichkeit dadurch nur verlieren könne ; er wollte
das Gebiet des Dogmatischen unberührt lassen ^ Cälestius hatte frei-
lich nur gesagt, was er selbst in vertrautem Kreise als das Richtige be-
zeichnet hatte; aber jener hatte es öffentlich und rücksichtslos ausge-
sprochen und — „der Ton macht die Musik". So hielt sich Pelagius
für berechtigt, fast alle jene Ausführungen abzulehnen : „reliqua vero
et secundum ipsorum testimonium a me dicta non sunt, pro quibus
ego satisfacere non debeo." Aber er fügte noch hinzu : „anathematizo
illos qui sie tenent aut aHquando tenuerunt." Damit hatte er sich
selbst das Urtheil gesprochen ; es war eine Unwahrheit. Die Synode
rehabilitirte ihn vollständig: „Nunc quoniam satisfactum est nobis
prosecutionibus praesentis Pelagii monachi, qui quidem piis doctrinis
consentit, contraria vero ecclesiae fidei anathematizat, communionis
ecclesiasticae eum esse et catholicae confitemur" 2.
Der Synode ^ kann Niemand einen Vorwurf machen : Pelagius
hatte sich in der That so ausgedrückt, wie sie selbst dachte; den
Augustinismus kannte man weder noch verstand man ihn; die „haeresis
Caelestiana'' ^ blieb gerichtet^.
^ Die oben citirte Aeusserung: „non est dogma", ist höchst charakteristisch.
Sie zeigt, wie ängstlich Pelagius besorgt gewesen ist, das Gebiet des Dogmatischen nicht
zu erweitern. Darin hatte er ganz die Stimmung, die die Griechen immer gehegt
haben und heute noch hegen. Ein griechischer Priester sagte dem Verfasser einmal,
das sei die grosse Freiheit der griechischen Kirche gegenüber der abendländischen,
dass man über Sünde, Gnade, Rechtfertigung u. s. w. sehr verschiedenen Ansichten
folgen könne, wenn man nur an den „üogTnen" festhalte. Pelagius stemmte sich
also dem entgegen, dass ein grosses neues Gebiet in den Bereich des Dogmatischen
gezogen wurde. Er sah nur die unvermeidlichen Nachtheile eines solchen Fort-
schrittes. Von hier aus ist seine ganze Haltung bis zu seinem Tode zu beurtheilen.
^ De gestis Pelag. 44, aus welcher Schrift auch das Vorhergehende ent-
nommen ist.
^ „Synodus miserabilis" Hieron., ep. 143, 2.
^ Hieron., ep. 143, 1.
^ In seinem AVerk de gestis Pelagii kritisirt Augustin den Verlauf der Synode
nach einem schriftlichen Bericht und zeigt, dass Pelagius die Unwahrheit gespn)rluMi.
Der pelagianische Streit. 163
Pelagius aber hat sich nun vor seinen eigenen Anhängern ver-
theidigen müssen. Während er einerseits beflissen war, im Occident
den Eindruck des für ihn günstigen Entscheides wirken zu lassen,
schrieb er an einen befreundeten Priester \ sein Satz, „posse hominem
sine peccato esse et dei mandata facile^ custodire, si velit", sei als
orthodox anerkannt worden. Gleichzeitig kam sein Werk de natura
ans Tageslicht, und dazu edirce er vier Bücher de libero arbitrio-'^,
welche deutlicher als die früheren seinen Standpunkt enthüllten, in-
dessen doch auch mit Vorsicht geschrieben sind *.
Allein in Nordafrika ^ beruhigte man sich nicht bei dem Vorge-
fallenen. Das Ansehen des Abendlandes und die Orthodoxie waren in
Gefahr. Im Jahr 416 tagte eine karthaginiensische und eine milevita-
nische Synode (auf letzterer auch Augustin). Beide wandten sich an
Innocenz von Rom, an den Calestius schon längst appellirt hatte. Bald
nach den Schreiben dieser beiden Synoden (Aug. epp. 175. 176) er-
hielt der Papst noch ein drittes von fünf afrikanischen Bischöfen, unter
ihnen Augustin (ep. 177)^. Man fürchtete augenscheinlich, Pelagius
könne in Rom einflussreiche Freunde haben '. Die Schreiben bezogen
sich auf die vor fünf Jahren geschehene Verurtheilung des Calestius,
weisen nach, dass die biblische Gnadenlehre und die Lehre von der
Taufe in Gefahr sei, und verlangen, wie auch immer Pelagius sich aus-
Dieser, immer bestrebt, Frieden zu halten, hatte sich selbst nach der Synode mit
einem eigenen Bericht an Augustin gewandt (I.e. 57 sq.), um ihn günstig zu stimmen.
Allein Augustin gab mit Recht dem anderen Referat den Vorzug, da Pelagius in
seiner Darstellung jenes „anathematizo" weggelassen hatte. Auch in der Schrift de
pecc. orig. zeigt Augustin aus den ihm bekannt gewordenen Werken des Pelagius,
dass derselbe zu Diospolis sich herausgeredet habe und wirklich so denke wie
Calestius. — Man kann zur Entschuldigung des Mannes nur immer wieder anführen,
dass er praktisch wirken wollte und sich durch die dogmatischen Fragen nach der
Ery)sünde u. s. w. gestört sah.
' De gestis 54 sq.
^ In Diospolis war von „facilc" nicht die Rede.
^ Gegen dieses Buch richten sich Augustin's Tractale de gratia Christi et de
peccato originali.
■* De pecc. orig. 20: „Denicpie quomodo respondeat advertite et videte latel)ras
ambiguitatis falsitati praeparare refugia, oflundendo caliginem veritati, ita ut etiam
nos cum primum ea legimus, recta vcl correcta proj^emodum gauderemus. Sed
latiores disputationcs eius in libris, ubi se quantumlibet operiat, plerumque aperire
corripellitur, fecerunt nobis et ista suspecta, ut adtentius intuentes inveniremus
ambigua."
^ OrosiuH hatte dort die Kenntniss der Vorgänge vermittelt.
" Dem IJriof war TN^Iagius' »Schrift de natiuii und Augustin's Gegenschrift
beigelegt,
^Ep. 177,2.
11''^
lf)4 l^if^ weltßfescliiohtliclie Stelluupr Au^ufltin's als Loliror der Kirche.
sprecheii möge, dass diejonigen verdammt würden, welche lehrten, der
Mensch könne kraft seiner Natur die Sünde überwinden und die Gebote
(xottes halten, und die Taufe befreie nicht die Kinder von einem sün-
digen Zustand ; den Feinden der Gnade Gottes sei zu wehren ; nicht
um die Ausschliessung des (.^älestius und Pelagius sei es ihnen zu thun,
sondern um die Bekämpfung einer gefährlichen Häresie ^
Vielleicht noch niemals hatte der Papst von nordafrikanischen
Synoden Zuschriften erhalten, welche die Bedeutung des römischen
Stuhls so stark hervorhoben. Innocentius suchte das Eisen zu schmieden,
so lange es heiss war. Er hat in seinen vier Antwortsschreiben (Aug.
epp. 181 — 184 — Innoc. epp. 30 — 33) zunächst den Afrikanern zu Ge-
müthe geführt, dass sie nach der alten Regel gehandelt haben, „dass
man, was immer auch in den entlegensten und entferntesten Provinzen
verhandelt würde, nicht früher endgiltig entscheiden dürfe, als bis es
zur Kenntniss des römischen Stuhls gelangt sei, damit jedes gerechte
ürtheil durch sein Ansehen bekräftigt w^erde" ; denn die Wahrheit
fliesse von Rom aus und vertheile sich von dort in kleinen Bächen in
die übrigen Kirchen. Dann belobt der Papst den Eifer gegen die Trr-
lehrer, erklärt es für Frevel, die Nothwendigkeit der göttlichen Gnade
zu leugnen oder den Kindern ohne die Taufe das ewige Leben zu ver-
heissen; Aver anders denke, sei aus der Kirche auszuschliessen, falls er
nicht genügend Busse thue. „Desshalb (ep. 31, 6) erklären wir kraft
unseres apostolischen Ansehens, dass Pelagius und Cälestius von der
kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden, bis sie sich von den
Stricken des Teufels befreien" ; thun sie das, so soll ihnen die "Wieder-
aufnahme nicht verweigert werden. Etwaige Anhänger des Pelagius in
Rom würden nach dieser Yerurtheilung es nicht wagen, für ihn einzu-
treten *, übrigens sei die Freisprechung des Mannes im Orient unsicher;
ihm, dem Papst, sei nichts unzweifelhaft Authentisches vorgelegt wor-
den, auch gehe aus den Acten, wenn sie echt sind, hervor, dass Pela-
gius sich herausgeredet habe; fühlte er sich unschuldig, so wairde er
selbst nach Rom geeilt sein, damit er von uns losgesprochen werden
könne ; herbeicitiren werde er ihn aber nicht ; die, bei welchen er weile,
können ihn noch einmal verhören ; widerruft er, so möge man ihn nicht
* Ep. 177, 3 : „Non agitur de uno Pelagio, qui iam forte correctus est." Die
Rücksicht auf ihn ist sehr bemerkenswerth 5 sie erklärt sich aus seinem Ansehen und
seiner Reclitfertigung in Diospolis. Der von Augustin verfasste, nachgesandte Brief
der fünf Bischöfe soll augenscheinlich dem Papst, den man fiir minus informatus
hielt, eine gründliche Belehrung über die Wichtigkeit der Frage ertheilou. Dennoch
heisst es am Schluss (c. 19): „Non rivulum nostrum tuo largo fonti augendo
refundimus."
Der pelagianische Streit. • 165
verdammen ; in dem Buche de natura stecke viel Gotteslästerliches,
aber noch mehr Ueberflüssiges ; „nam de naturae possibilitate, de hbero
arbitrio et de omni dei gratia et quotidiana gratia cui non sit recte
sentienti uberrimum disputare ?" (ep. 183, 2 — 5). Wer zwischen den
Zeilen zu lesen versteht, sieht leicht, dass der Papst sich mehr als eine
Hinterthüre offen gehalten und für den Streit kein rechtes Interesse
gehabt hat ^
Jetzt schickte Pelagius sein ausgezeichnet abgefasstes Glaubens-
bekenntnisse zusammen mit einem ausführlichen Rechtfertigungsschrei-
ben ^ nach Rom. Die Anklage, er verweigere den Kindern die Taufe
oder spreche ihnen das Himmelreich ohne die Taufe zu, und er lehre,
die Menschen könnten die Gebote Gottes leicht erfüllen, erklärt er für
Verleumdung seiner Feinde. Wie schon zu Diospolis, deckte er sich
theils durch Mentalreservationen, theils durch Abschwächungen gegen
die gröbsten, freilich nicht unberechtigten Vorwürfe; aber man kann
nicht sagen, dass er seinem Hauptgedanken untreu geworden sei ; er er-
klärte, alle Menschen haben die Kraft des guten AVillens von Gott er-
halten, aber nur bei den Christen wirke das göttliche adiutorium ; zu
behaupten, Gott habe dem Menschen Unmögliches geboten, sei Blas-
phemie ; er nehme seinen Standort zwischen Augustin und Jovinian.
Dieser Brief kam nicht mehr in die Hände des Innocenz. Er war ge-
storben. So empfing ihn sein Nachfolger Zosimus, und vor diesem
rechtfertigte sich auch Cälestius, der persönhch nach Rom gekommen
war und einen libellus fidei übergeben hatte, der an Unterwürfigkeit
unter den Papst nichts zu wünschen übrig liess. Ueberhaupt scheint
jetzt, als es ernst wurde, auch Cälestius zum Rückzug geblasen zu haben*;
wenigstens milderte er seine Sätze und hütete sich, gegen die aus der
kirchlichen Praxis abzuleitende Theorie von dem sündentilgenden Werth
der Kindertaufe zu Verstössen''. Zosimus sah nach diesen gleichlauten-
* Die Briefe sind bisher nicht so beurtheilt worden, vielmehr hat man Zosimus
dem Innocentius einfach entgegengestellt.
^ Hahn § 133. Hier dieWorte: „liberum sie coiifitenuir arbitrium, ut dicamus
nos indigerc dei scmper auxilio" (aber worin besteht dies auxilium V) und „baptisma
unum tenemus, quod iisdam sacramciiti verbis in infantibus, quibus etiam in maiori-
bus, asserimus esse celebrandum."
^ Bruchstücke bei Aug., de gratia Christi et de pecc. orig.
^ Fragmente des libellus bei Aug., de pecc. orig. 5 sq.
•'' L. c. : „Infantes debere Ijaptizari in remissionem peccatorum secundum
regulam universalis ecclesiae et secundum evangelii sententiam confitemur, quia
dominus statuit, regnum coelorum non nisi baptizatis posse conferri; quod, quia
vires naturae non haben t, conferri necessc est per gratiao libertatcm. In
remissionem peccatorum ba[)tizandos infantes non idcirco diximus, ut j)eccatumcx
traducc lirmare videamur (bei diesem Tunkte beharrte er also), (piod longo a
lf)0 Die weltgeschichtliche Stellung Augustiu's als Lehrer der Kirche.
den Erklärungen der Freunde nirgends das Dogma, nirgends die kirch-
liche Praxis der Taufe gefährdet. Auf einer römischen Synode (417)
wurde ( lilestius, der Alles verdammen wollte, was der Papst verdammte,
rehabilitirt ', ebenso auch Pelagius, für den man sich vom Orient aus
verwandte, für gerechtfertigt erklärt ; die Ankläger wurden als schlimme
Leute bezeichnet, die Afrikaner getadelt, dass sie vorschnell geurtheilt;
sie sollten innerhalb zweier Monate ihre Anklagen beweisen. In zwei
Briefen "^ wurde dies den afrikanischen Bischöfen mitgetheilt^. Pelagius
sei nie von der Kirche getrennt gewesen ^ wenn die Freude über den
zurückgekehrten verlorenen Sohn gross sei, wie viel grösser sei die
Freude des Glaubens, dass nicht gestorben und verloren sind, über welche
falsche Gerüchte verbreitet waren (ep. 4, 8) !
In Karthago war man empört, aber nicht muthlos. Eine Synode
(417) beschloss, bei der Verdammung zu bleiben, bis festgestellt sei, dass
beide Irrlebrer in der Gnade nicht nur eine Erleuchtung des Verstandes,
sondern die einzige Kraft zum Guten (zur Gerechtigkeit) erkennen, ohne
welche wir sclilechterdings nichts von wahrer Frömmigkeit haben, den-
ken, sprechen und bandeln können^. Diesen Beschluss theilte man dem
Zosimus mit; zugleich erldärte Paulin von Mailand in einem Schreiben
an den Papst, er werde nicht nach Rom zur Anklage des Cälestius
kommen ; denn die Sache sei bereits entscliieden ^. Der Papst wurde
durch diesen energischen Widerspruch vorsichtig. In seinem Antworts-
sclu'eiben ^ verherrlichte er in grossen AVorten den Petrus und sein Amt,
änderte aber sein ganzes Verfahren, sofern er jetzt erklärte, es sei ein
Missverständniss, wenn die Afrikaner glaubten, er habe dem Cälestius ^
catholico sensu alienum est, quia peccatum non cum homiue nascitur, ijuod post-
modum exercetur ab homine, quia non naturae delictum, sed voluntatis esse demon-
stratur. Et illud ergo confiteri congruum, ne diversa baptismatis genera facere
videamur, et hoc praemunire necessarium est, ne per mysterii occasionem ad crca-
toris iniuriam malum, antequam fiatab homiue, tradi dicatur homiui per naturam."
^ Auf die einzelnen Klagepunkte einzugehen verweigerte er klüglich.
2 Zosimi epp. 3. 4.
^ Diese werden mit Hochmuth zurückgewiesen. Auch hier übrigens erscheint
die ganze Streitfrage als der ansteckenden Neugierde entsprangen, überflüssig und
schädlich ; man solle sich au die Schrift halten. Kein Wunder, dass man in Rom
zögerte, eine Frage für belangreich zu erklären, bei der doch die Streitenden in Hin-
sicht auf die hl. Schrift, das Dogma und die kirchliche Praxis einig waren. Den
folgenschweren Schritt, darüber hinaus etwas den „Dogmen" Gleichwichtiges anzu-
erkennen, hat die Kirche eben nur zögernd gethan.
* Prosper, c. collat. 5.
^ Zosim., ep. 10.
^ Zosim., ep. 15.
' Um diesen handelte es sich in erster Linie.
Der pelagianische Streit. * 167
in Allem getraut und bereits eine Entscheidung getroffen ; vielmehr sei
noch nichts präjudicirt, die Sache liege noch wie zuvor (März 418). Un-
mittelbar nach Eintreffen dieses Schreibens in Afrika wurde dort ein
grosses Concil (mehr als 200 Bischöfe) gehalten und der Pelagianismus,
ohne Rücksprache mit dem Papst, in 8 (9) unzweideutigen Kanones
verdammt ^ ; ja so ungehalten war man — auch aus anderen Gründen
— über ZosimuS; dass das Concil im 17. Kanon jede Appellation nach
Eom mit der Excommunication belegte 'K Vorher aber hatte man sich
schon des Kaisers versichert, der am 30. April 418 ein Edict an den
Praefectus Praetorio erlassen hatte, das die neuen Ketzer sammt Anhang
aus Rom verwies, Anklagen gegen sie gestattete und mit strengen Stra-
fen die Schuldigen bedrohte^.
Zosimus, der bisher wohl auch aus Rücksicht auf die starke Partei
des Pelagius in Rom gehandelt hatte,[ streckte jetzt die Waffen. In
seiner ep. tractoria an alle Kirchen* theilte er die Excommunication des
Cälestius und Pelagius mit, war nun überzeugt, dass die Lehre von
der absoluten Bedeutung der rechtfertigenden Gnade und
von der Erbsünde de fide sei, und forderte alle Bischöfe auf,
mit ihrer Unterschrift ihr Einverständniss zu bezeugen. Allein 18
Bischöfe weigerten sich^; sie appellirten an ein allgemeines
Concil und beriefen sich mit Recht darauf, dass der Papst selbst früher
eine gründhche Verhandlung für nothwendig erachtet habe. In ihrem
Namen schrieb Julian von Eklanum zwei kühne Briefe an den
Papst ^, aber die einst von Cälestius aufgestellten Sätze verwarf auch
er ^. Von nun an tritt dieser iuvenis confidentissimus, für den Augustin,
* Verdammt sei, wer den Tod aus Naturnothwendigkeit ableitet und nicht aus
der Sünde, wer die Erbsünde bei den Kindern leugnet und sich gegen Paulus
(Rom. 5, 12) auflehnt, wer den ungetauften Kindern irgend eine Art von Seligkeit
zuspricht, wer die rechtfertigende Gnade Gottes in Christo nur auf die vergangenen
Sünden bezieht, wer die Gnade nur auf die Erkenntniss bezieht, in ihr aber nicht
die uns nothwendige Kraft erkennt, wer in der Gnade nur ein Erleichterungsmittel
zum Guten sieht, nicht aber die unumgängliche Voraussetzung, wer die Sünden-
bekenntnisse der Frommen nur aus der Demuth ableitet und ihre Bitte um Ver-
zeihung der Schuld lediglich auf die Schuld Anderer deutet.
'^ Die Acten bei Mansi XU p. 810 sq.
* Das Edict bei Aug. Opp. X app. p. 105. Es ist allerdings zweifelhaft, ob
die Afrikaner es durchgesetzt haben-, vielleicht ist es von Mailand aus res]), von
italienischen Antipelagianem erwirkt worden. Man hat auch zu beweisen gesucht,
dass der Umschwung des Zosimus von dem Edict unabhängig ist,
■* Aug. Opp. X ajjp. p. 108,
^ C. duas epp. Pcl. I, 3.
" S. Op. imperf. I, 18. Fragmente bei Marius.
' Das in dem einen Brief enthaltene Glaubensbekenutniss (Hahn § 135) zeigt
auch, dass Julian zu Pelagius stehen wollte.
168 Die weltgesohichtlicho Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
ein Freund seiner Familie, soviel natürliche Sympathie besass und den
er trotz seiner Ungezogenheiten, so lang es ging, herzlieh und milde be-
handelte ', auf den Schauplatz. Aul' Betreiben des neuen Papstes Boni-
fatius widerlegte Augustin den einen der nach Rom gerichteten und in
Italien circulirenden Briefe, sowie einen anderen Julian's (an Rufusvon
Thessalonich gesandt) in seiner Schrift c. duas epp. Pelagianorum (420).
Julian, der seinem Bisthum entsagt hatte (resp. entsetzt war), ergriff
jetzt seine scharfe und rastlose Feder. Kein Anderer hat dem Augustin
so zugesetzt wie er; er nöthigte ihn, die Consequenzen seiner Denkweise
auszuführen; er deckte unerbittlich die Widersprüche bei Augustin auf
und zeigte, wie haltlos sich die Lehre des grossen Mannes darstelle,
wenn sie völlig entwickelt werde; er zeigte die Reste einer manichäischen
Denkart bei Augustin ; vergeblich suchte sie dieser abzuschütteln. Er
konnte wohl darthun, dass er sie nicht wolle; aber er konnte nicht
zeigen, dass er sie nicht habe. Auf den mächtigen Comes Yalerius
in Rom hatte der Vorwurf Julian' s, Augustin' s Lehre entheilige die
Ehe, Eindruck gemacht. Dieser suchte in seiner Schrift de nuptiis et
concupiscentia lib. I den Vorwurf zu entkräften; allein Julian schrieb
nun ein vierbändiges Werk gegen jenen Tractat. Auf Grund von Aus-
zügen antwortete Augustin (de nupt. et concup. 1. II). Als er jenes
Werk selbst erhielt, ersetzte er die vorläufige Antwort durch ein neues
Werk : Libri sex c. Julianum haeresis Pelagianae defensorem. Julian
antwortete auf das „Vorläufige" mit einem achtbändigen Werke (bereits
inCilicien geschrieben). An der Gegenschrift, Opus imperf. c. JuHanum
(1. sex), hat Augustin bis zu seinem Tode gearbeitet. Da er fast Satz
für Satz dem Julian folgt, so sind wdr über dessen Thesen aufs genaueste
unterrichtet". In den letzten Jahren arbeitete Augustin noch vier
Schriften aus, die nicht gegen die Pelagianer direct gerichtet sind, son-
dern auf Bedenken gegen die eigene Lehre eingehen, die von katholischer,
^ Zur Entscliuldigimg der heftigen und masslosen Polemik Juliau's muss man
anführen, dass er, wie er selbst \vusste (Op. imp. I, 1.2: „magnis impedimentis
angoribus, quos intuenti mihi hac tempestate ecclesiarum statum partim indignatio
ingerit partim miseratio" — „labentis mundi odia promeremur" — „rebus in peiorem
partem properantibus , quod mundi fini suo incumbentis indicium est" 1. c. I, 12),
eine bereits hoffnungslose Sache vertrat. Jedenfalls erklärt sich seine Heftigkeit
nicht aus innerer Unsicherheit; denn gewiss hat es wenige Theologen gegeben, die
so felsenfest davon überzeugt waren, auf dem richtigen Wege zu sein, wie er. Die
religiösen Aufklärer haben übrigens in der Regel ihre Gegner durch die Stärke ihrer
Ueberzeugung übertroßen. Sie haben es auch leichter ; denn die Gewisshoit der
Religion und Sittlichkeit ist ihnen in der Selbstgcwissheit gegpben.
2 Vergegenwärtigt man sich die ungemeinen Eigenschaften beider so hervor-
ragender Gegner, so wünscht man, die Natur hätte aus ihnen einen Mann gemacht.
Welch' ein Mann wäre das geworden!
Der pelagianische Streit. • lf>9
resp. semipelagianischer * Seite erhoben waren (de gratia et libero ar-
bitrio — de correptione et gratia : an die Mönche von Hadrumet ; de
praedestinatione sanctorum und de dono perseverantiae : anProsperund
Hilarius gegenüber den galhschen Mönchen). Hier ist die Lehre von
der prädestinatianischen Gnade am strengsten entwickelt.
Zu einer Secte oder schismatischen Partei haben es die Pelagianer
nirgends gebracht-. Man unterdrückte sie in den Jahren nach 418,
ohne sonderhche Kraft anwenden zu müssen. Der Kaiser hat noch ein-
mal ein scharfes Edict erlassen. Noch immer handelte es sich in erster
Linie um Oälestius, der sich bisher der Strafe entzogen hatte. Man
verbot ihm den Aufenthalt in Italien und belegte sogar jeden mit Exil,
der ihm Zuflucht gewähren würde. Pelagius soll in Antiochien von einer
Synode verurtheilt worden sein. Doch ist diese Nachricht des Marius
unsicher. Er verschwindet aus der Geschichte^. Julian und andere
Pelagianer begaben sich nach Cilicien zu Theodor. Dort hatten sie zu-
nächst Ruhe ; denn dort verstand man den Streit nicht oder stellte sich
zum Augustinismus feindlich. Der unermüdhche Cälestius konnte im
Jahr 424 noch einmal in Rom vom Bischof Cälestin eine Untersuchung
fordern, begab sich aber dann unverrichteter Sache nach Konstantinopel,
wo, da auch Julian und andere Freunde eintrafen, nun das Hauptquar-
tier aufgeschlagen wurde*. Der Patriarch'Nestorius reichte ihnen die
Hand, was für beide Tlieile verhängnissvoll wurde; denn Nestorius zog
sich damit die Unzufriedenheit des Papstes zu, die Pelagianer geriethen
unter die Gegner der herrschenden Partei im Orient (Cyrill's). Marius
Mercator agitirte mit Glück gegen sie beim Kaiser, und in der Komödie
zu Ephesus that Cyrill den römischen Gesandten den Gefallen, die Lehre
des Cälestius von dem Concil verdammen zu lassen, da ja Rom ihm in der
Verdammung des Nestorius zugestimmt hatte ^. So brachte es der Pela-
* Dieser Name kommt erst im Mittelalter vor. Im Alterthum sprach man
von „reliquiae Pelagianoi-um".
■^ Bis 430 hofften sie noch auf ihre Rehabilitation und haben dieselbe in Rom
bei jedem neuen l*apste betrieben.
^ Merkwürdig ist, dass Julian in seinen Werken so spricht, als habe er jetzt
allein die destituta veritas zu vertreten, was ihm Augustin als grossen Hochmuth
auslegt (s. c. ,Tul. II, 36).
' (xenauer gehe ich hier auf die (beschichte Julian's, der vorübergehend auch
noch einmal in Rom gewesen ist, nicht ein-, s. den Artikel in der Encycl. of Christ.
Hiogi'.
° Julian'sNamc wurde ausdrücklich genannt; vielleicht war er in Ephesus (bei
Nestorius) anwesend. Dass er schon früher in seiner Abwesenheit (unter Beistim-
rnung Theodor's) auf einer ciiicischen Synode verurtheilt worden sei, wird von
Marius behauptet.
170 Die welt^escliiohtliche Stelluiift- Augustiu's als Lehrer der Kirche.
giaiiisiuus zu einer Art von ökumenischem Anatliem wider sich, während
es im Orient vielleicht nicht einmal ein Dutzend (yhribten gab, die ihn
wirkhch niissbilhgten ', und während auch der Occident sich noch keines-
wegs darüber klar geworden war, zu welchen Consequenzen ihn die
Verdammung der Pelagianer führen musste.
11. Dogmen geschichtlich betrachtet, ist das „System" des
Pelagianismus, d. h. des Julian von Eklaimm, ziemlich gleichgiltig ; denn
es wurde erst vorgetragen, nachdem die ganze Frage schon entschieden
war, und ein Theologe hat es vorgetragen, der sich durch den Verzicht
auf sein kirchliches Amt von vielen Kücksichten selbst entbunden hatte.
Dogmen geschichtlich betrachtet, endigte der Streit lediglich da-
mit, dass die Lehren verworfen wurden, 1) dass die Gnade Gottes (in
Christo) nicht jedem Menschen (vor und nach der Taufe) zur Seligkeit
unumgänglich nöthig sei, und 2) dass die Taufe der Neugeborenen nicht
in vollem Sinn eine Taufe in remissionem peccatorum sei. Die Gegen-
lehren waren die neuen „Dogmen". Allein — da jene beiden
Lehren und die pelagianischen Hauptthesen eine Fülle von Conse-
quenzen einschlössen, und da diese Consequenzen tlieils schon damals
hervortraten, tlieils in der Folgezeit bis zur Reformation und weiterhin
die Kirche beschäftigt haben, so ist es angezeigt, die Grundzüge des
pelagianischen Systems und der augustinischen Gegenlehre nachzu-
Aveisen'^. Hierbei hat man sich zu erinnern, dass Pelagius von einem
System nichts wissen wollte. „De fide" war ihm lediglich das orthodoxe
Dogma und die Fähigkeit des Menschen, das Gute zu thun. Alles Uebrige
waren ihm offene Fragen, die man bejahen oder verneinen konnte, so
auch die Erbsünde, die er verneinte. Worauf es ihm ankam, war ledig-
Hch, der faulen weltförmigen Christenheit praktisches Christenthum, d. h.
Mönchthum, zu predigen und ihr den Verwand zu benehmen, man könne
die Gebote Gottes nicht erfüllen. Cälestius, darin mit seinem Lehrer
einig, ging der Erbsünde schärfer zu Leibe und bekämpfte theologische
Lehren, die er für schädlich hielt, durch Definitionen und Syllogismen.
Allein erst Julian hat die Denkweise systematisch entwickelt und sie zu
einem stoisch- christlichen System erhoben^. Dennoch hat er im Grunde
nichts "Wesentliches zu dem hinzugefügt, was sich verstreut in den
* Der Bischof Atticus von Konstantinopel war allerdings ein entschiedener
Gegner der Pelagianer gewesen; man kennt aber seine Motive nicht.
^ Dies ist auch desshalb nothwendig, weil die dem Pelagianismus zu Grunde
liegende Denkweise niemals wieder — bis zur Zeit des Socinianismus — so rein
hervorgetreten ist, wie in Julian.
^ Sehr hübsch Augustin (c. Jul. VI, 3b): „Quae tu si non didicisses, Pelagiani
dogmatis machina sine architecto necessario remansisset."
Die pelagianische Lehre. • 171
Schriften des Pelagius und Cälestius findet. Nur hat er Allem eine
"Wendung zum Naturalistischen gegeben, d. h. die mönchische Ab-
zweckung der Denkweise aufgehoben. Allein auch bei Pelagius liegen
Ausführungen vor, die dem mönchisch-asketischen Gedanken total wider-
sprechen. In dem Brief an die Demetrias zeigt er, dass es nicht sowohl
auf Fasten, Enthaltsamkeit und Gebet ankomme — man solle sie nicht
übertreiben, wie oft gerade die Anfänger thun; man müsse in allen
Dingen, also auch in guten AYerken, Mass halten — , vielmehr sei die
Hauptsache, die Sitten in sich zu ändern und sich in jeglicher Tugend
zu üben; so solle Niemand meinen, durch das Gelübde der Keuschheit
sich von der Uebung der inneren Tugenden und von dem Kampfe gegen
Zorn, Eitelkeit, Hochmuth u. s. w. dispensiren zu können. Auf wirk-
liche Charakterbildung im Guten kam es ihm an. Diesem Ge-
danken, der an einigen Stellen in ergreifender Weise ausgeprägt ist, er-
scheint das Mönchische untergeordnet. Die antike Forderung des weisen
Masshaltens hat bei Pelagius kein naturalistisches Gepräge. Indem wir
die Denkweise der drei Männer einheitlich behandeln, hat man sich
dieses Unterschieds zu erinnern, sowie des anderen, dass Pelagius und
Cälestius meistens die schuldige Rücksicht auf die kirchliche Praxis ge-
nommen und dazu die Berufung auf die alten Philosophen fast gänzlich ver-
mieden haben ^ Bei Allen wirkte die muthige Zuversicht auf die Fähig-
* In formeller Hinsicht (Klasen S. 81 — 116), d. h. in der Lehre von der
Schrift, Tradition, Autorität, finden sich bei Pelagius und Cälestius keine Neue-
rungen. Implicite liegt im Pelagianismus freilich die Abweisung jeder Lehre, quae
ratione defendi non potest, und demgemäss hat er die Schrift ausgelegt (s. die
ProVien der Exegese bei Klasen, a. a. 0.). In der Schrift de natura hat Pelagius
sich für seine Lehrweise auf die Väter berufen, wie Augustin für die seinige (be-
sonders ist Chrysostomus gerne citirt worden, aber auch Hieronymus, Ambrosius,
Lactantius). Bei JuHan dagegen ist die ratio ausdrücklich zum Princip erhoben :
„Quod ratio arguit, non potest auctoritas vindicare" (Op. irnj). II, 16). Mit Ori-
genes (in scharfem Gegensatz zu Augustin) befolgt er den Kanon, nicht ist etwas
gut, weil Gott es will und es in der Schrift steht, sondern was gut ist, stellt die ratio
fest : „Haereat hoc maxime prudentis animo lectoris, omuibus scripturis sacris solum
illud, quod iu honorem dei catholici sapiunt, contineri, sicut frc(iueutium senten-
tiarum luce illustratur, et siculn durior elocutio moverit quaestionem, certum qui-
dem esse, non ibi id quod iniustum est loci illius auctorem sapuisse-, secundum id
autem debere intclligi, quod et ratio perspicua et aliorum locorum, in quibus
non est ambiguitas, splendor aperuerit" (1. c. II, 22 ; cf. I, 4). „Sanctas quidem
apostoli esse paginas confitemur, non ob ahud, uisi quia ratio ni, pietati, fidei con-
grucntes erudiunt nos" (II, 144). Immer wieder betont Julian, dass das, was „un-
gerecht" und „gerecht" sei, der Massstab sein müsse, den man an alle UcberliefcT
rungcn über Gott anzulegen habe. Sind mm schon die Schriftauslegungen des
Pelagius und Cälestius „flach", so werden die.Julian's zum Theil ganz profan. Dass
sich die Stammeltem nach dem Sündenfall bekleideten, geschah, weil sie froren und
172 Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
keit zum Guten mit dem Bedürfnis^ nach Klarheit im Denken über
rehgiös-sitthche Fragen zusammen.
weil sie nun erst die Bekleidungskunst lernten (c. Jul. IV, 79 sq.). Aber am deut-
lichsten tritt der vernünftige Standpunkt, der historisch-kritische Rationalismus, in
Julian's Stellung zur Tradition hervor. Von ihm stammt das berühmte Wort, man
muss die Stimmen wägen und nicht zählen (c. Julian. II, 35: „non numerandas, sed
ponderandas esse sententias; ad aliquid inveniendum multitudinem nihil prodessc
caecorum"). Er spricht das kühne Wort, man müsse in dogmatischen Fragen den
strepitus turbarum de omni ordinc conversationis hominum bei Seite schieben, alle
de plebeia iaece scllularii, militcs, scholastici auditoriales, tabernarii, cetarii, coqui,
lanii, adolescentes ex monachis dissoluti, ferner die turba qualiumcumque cleri-
corura; „honorandam esse paucitatem, quam ratio, eruditio libertasque
Sublimat." Zur Begründung der Ablehnung der Laien und ungebildeten Geistlichen
führt er an: „(|uia non possunt secundum categorias Aristotelis de
dogmatibus iudicare." Hier (c. Julian. II, 36. 37) tritt das Hauptinteresse Ju-
lian's deutlich hervor. Ohne Aristoteles keine Theologie; alles Andere ist
Bauerntheologie; wir aber haben die Gebildeten auf unserer Seite (I.e.
V, 1. Das ist eine durch den häufigen Gebrauch bereits beschmutzte und abgegriffene
Behauptung aller Häretiker, meint Augustin). An Aristoteles und Zeno hielt sich
Julian; ihre Ethik kannte er genau und dachte über die Unterschiede nach (c. Jul.
II, 34; VI, 56; VI, 64: „de scholis Peripateticorum sive Stoicorum"; Op. impf. I,
35.36); nach Inhalt und Methode ist seine Lehre der Lehre jener Philosophen
blutsverw^andt (Augustin deutet darauf sehr oft hin). Ausserdem citirt er (c. Jul.
IV, 75) Thaies, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Xenophanes, Parmenides,
Leukipp US, Demokritus, Empedokles, Heraklitus, Melissus, Plato, Pythagoras („quis
non ipso nominum sectarumque conglobatarum strepituterretur?" bemerkt Augustin).
Von diesen Philosophen (neben ihnen werden Sallust und Cicero citirt) sagt Julian
(1. c), sie seien zwar Götzendiener gewesen („licet in scholis aliud disserentes"),
hätten aber doch unter vielem Irrthümlichen „de naturalibus aliquas veritatis
partes" beleckt, und diese seien dem Dogma von der Erbsünde mit Fug vorzuziehen.
Mit Recht spricht Augustin von „nebulae de Aristotelicis categoriis" ; allein das
Stoische waltet doch bei Julian vor. Die ganze Auffassung von der ratio und der
Nominalismus ist stoisch. Auch die Definitioneuwuth ist stoisch-ciceronianisch.
Ohne Definition keine Erkenutniss (Op. imp. II, 30 gegen Aug-ustin gesagt: „Ad
quid ergo persuadendum aut scripturas releges aut conscios nominabis, qui adhuc
quod sentis nonpotes definire"). Aber diese Definitionen gehen nie, wie das
ja auch in der Stoa üblich war, von der wirklichen, vollständig beobachteten Sache
aus, sondern schweben über derselben. Doch hat Julian die Berufimg auf die Väter
keineswegs ganz verschmäht. Auch hier erwies er sich als der verständige Manu.
Nur von einer formellen Autorität derselben wollte er nichts wessen. Sein Stand-
punkt ist am deutlichsten c. Jul. I, 29 ausgedrückt: „Cum igitur liquido clareat hanc
sanam et veram esse sententiam, quam primo loco ratio, deinde scripturarum
munivit auctoritas et quam sanctorum virorum semper celebravit eruditio,
qui tamen veritati auctoritatem non suo tribuere consensu, sed testi-
monium et gloriam de eins suscepere consortio, nuUum prudentem conturbet con-
spiratio perditorum." Hier erkennt man die absteigende Autoritätenreihe, die doch
nur soweit gilt, als die Zeugen rationell sind. Die „Väter" waren ihm im Grunde
nichts, und klug wusste er Augustin's nothgedruugene Zugeständnisse ])etrofl's der
Die pelagianische Lehre. • 173
1. Gottes oberste Eigenschaften sind, dass er gut und gerecht ist,
und zwar ist die Gerechtigkeit die Eigenschaft, ohne die Gott überhaupt
nicht gedacht werden kann, ja man kann auch sagen, weil es Gerechtig-
keit giebt, so giebt es einen Gott ^ „ Justitia est, ut ab eruditis defmiri
solet (s. Aristoteles) et ut nos intelligere possumus, virtus (si per Stoicos
liceat alteri alteram praeferre) virtutum omnium maxima fungens dili-
genter officio ad restituendum sua unicuique, sine fraude, sine gratia" ^.
Ihr genus ist Gott; ihre species sind die Verkündigung von Gesetzen
und die Executive *, ihre difFerentia ist, dass sie sich nach den Zeitum-
ständen richtet ; ihr modus ist, dass sie von Niemandem über seine
Kräfte hinaus etwas fordert, und dass sie die Barmherzigkeit nicht aus-
schliesst ; ihre qualitas ist, dass sie frommen Seelen süss ist.
2. Aus der Güte und Gerechtigkeit Gottes folgt, dass Alles gut
ist, was er schafft, und zwar nicht nur am Anfang gut war, sondern
was Gott jetzt schafft, ist ebenfalls gut ^. Also — gut ist die Creatur,
gut die Ehe, gut das Gesetz, gut der freie Wille, gut die Heiligen *.
3. Die Natur, die gut geschaffen ist, ist nicht conver-
tibel, „quia naturalia ab initio substantiae usque ad terminum illius
perseverant" ^. „Naturalia per accidens non convertuntur'- ^. Also
Autorität der Väter auszul)euteii (Op. imp. IV, 112): „Sed bene quod nos onere
talium personarum prior levasti. Nam in libro ad Timasium cum s. Pelagius vene-
rabilium virorum tarn Ambrosii quam Cypriani recordatus fuisset, qui liberum
arbitrium in libris suis commendaverant, respondisti nulla te gravari auctoritate
talium, ita ut diceres eos processu vitae melioris, si quid male senserant, expiasse."
y,Numquid" — ruft Julian 1. c. IV, 110 aus — ^legi dei aut operi dei scripta dis-
putatorum praeiudicant!" Julian hatte das lebhafteste Gefühl, dass er den fast ganz
von dem „dummen und gottlosen Dogma" ergriffenen Occident zur Besinnung zu
rufen habe; nur im Orient sah er noch Heil. Der Fels, auf dem er stand, war die
ratio; sein beflügeltes Werkzeug war das Wort. Er wusste, dass es ihm bei Gott
zum Ruhm gereichen werde, allein die Sache der Gerechtigkeit führen zu müssen.
Als der entschlossenste Aufklärer, den die alte Kirche erlebt hat, stand er dem
grösftten religiösen Charakter dieser Kirche gegenüber.
^ CälcstiuR bei Aug., de perf. iust. 15; Julian im Op. imperf. I, 27 — 38 u. oft.
Der Gedanke der Gutheit wird — charakteristisch genug — fallen gelassen odei*
läuft 80 nebenbei mit. Die Idee der Gerechtigkeit als legislative, distributive und so-
ciale Ijeherrscht das ganze System. „Lex dei fons ac magistra iustitiae", Op. imp. 1, 4.
"^ Op. imp. T, 35. Hiermit ist das obc^rste Princip für Religion und Sittlichkeit
gewonn(!n, durch welches der Mensch als ein völlig Selbständiger Gott als dem
Richter gegenübersteht.
»Op. imp. VI, If).
* Aug. c, duas epp. Pelag. III, 24: „Hae sunt nel)ulae Pelagianorum de laude
creatiirae, laude nuptianmi,lau(l(^legiH, laude; lilieri arbitrii, laude sancttorum. IV, 1 — 2.
^ Op. imp. JI, 7«.
" „Quod innascitur nsciuf ad finem eius, cui adhaeserit, perseverat." L. c. 1, 61,
174 I^ip weltg^eschichtliche Stellung Au^stin's als Lehrer der Kirche.
kann es keine „peccata naturalia" geben; denn sie könnten nur entstan-
den sein, wenn die Natur schlecht geworden wäre.
4. Die menschHche Natur ist somit unzerstörbar gut und kann nur
accidentell modificirt werden. Zu ilirer Ausstattung gebort — und das
war sehr gut — der Wille als li})erum arbitiiiwn ; denn „voluntas est
nihil aliud (luam motus animi cogente nullo" '. Dieses liberium arbi-
trium, mit welchem die ratio mitgesetzt ist ^, ist das höchste Gut in der
Ausstattung des Menschen („qui gratiam confirmat, hominum laudat
naturam")'^. Von Pelagius wissen wir, dass er in seinen Predigten stets
mit dem Lobe der herrlichen Ausstattung des Menschen, der sich im
liberum arbitrium ^ und der ratio zeigenden Natur , begonnen hat und
nicht müde geworden ist, unsere conditio voluntatis gegenüber der con-
ditio necessitatis der unvernünftigen Creatur zu preisen, „Die Natur ist
so gut geschaffen, dass sie keiner Hülfe bedarf" ^. „Duce ratione" kann
und soll der Mensch das Gute, d. h. die Gerechtigkeit („ins humanae
societatis")*^, thun. Gott will einen voluntarius executor iustitiae; er
will, dass wir Beides vermögen und Eines thun. Willensfreiheit ist
nach Pelagius Wahlfreiheit zum Guten, nach Julian ledig-
lich Wahlfreiheit. Die possibilitas boni als naturhaftes Ver-
mögen ist von Gotf^, die voluntas und actio ist unsere Sache®; die
^ Op. imp. 1. V. Genauer I, 78 — 82: ,.Lü)ertas arbitrii, qua a deo emanci-
patus homo est, in admittendi pecoati et abstinendi a peccato possibilitate con-
sistit .... Posse bonum facere aula virtutis est, posse malum faeere testimonium
libertatis est. Per hoc igitur suppetit homini habere proprium bonum, per quod ei
subest posse facere malum. Tota ergo divini plenitudo iudicii tarn iunc-
tum habet negotium cum hac libertate hominum, ut harum qui unam
a Q- n o V e r i t , a m b a s n o v e r i t . . . Sic igitur et libertas humani custodiatur arbitrii,
quemadmodum divina aequitas custoditur . . . Libertas igitur arbitrii possibilitas est
vel admittendi vel vitandi peccati, expers cogentis necessitatis, quae in suo utpote
iure habet, utrum surgentium partem sequatur, i. e. vel ardua asperaque virtutum
vel demersa et palustria voluptatum."
^ Ueber das Verhältniss von ratio und liberum arbitrium sind diePelagianer sehr
schweigsam gewesen. Dass hier eine Hauptschwierigkeit sitzt, haben sie gar nicht
bemerkt. Was sie zu sagen für nöthig finden, sind ganz kindliche Ausführungen.
Auch die obige Definition des Willens ist gänzlich haltlos. Im Grunde treibt die
ratio ebenso zum Schlechten wie zum Guten; wenigstens handelt auch der Schlechte
nicht ohne Vernunft. Was aber soll die iustitia, wenn die einzelnen Willensacte immer
ins Leere verlaufen ? Das ursprüngliche Gleichgewicht bleibt ja immer bestehen !
^ Op. imp. III, 188. * „Libertas utriusque partis."
^ Ep. ad Demetr.
^ Op. imp. I, 79. Hier ist die humanistische Fassung des Guten deutlich.
Bei dieser beharrt Julian, soweit er den Gedanken überhaupt verfolgt hat.
' De grat. Christi 5 ; de nat. et gratia vv. 11. (Ausführungen des Pelagius).
^ In der possibilitas liegt der Freiheitsbegriff der Pelagianer, und zwar nach
Die pelagianische Lehre. 175
possibilitas utriiisque ist als psychologisches Vermögen a necessario;
eben darum ist in ihr eine beständige Veränderung möglich ^
5. Das Böse, die Sünde, ist voluntas faciendi quod iustitia vetat et
unde liberum est abstinere^, also das, was man vermeiden kann^. Sie
ist kein Element oder Körper, keine Natur — sonst wäre Gott der Ur-
heber — , auch keine natura conversa, sondern stets eine momentane
Selbstbestimmung des Willens, die niemals in die Natur über-
gehen kann, so dass eine schlechte Natur entstünde*. Kann
dies aber nicht geschehen, so kann das Böse noch viel weniger vererbt
werden; denn das hebt die Güte und Gerechtigkeit Gottes, den Begriff
der Sünde (als das, was vermieden werden kann) und den Begriff der
Erlösung auf; eine „natürliche" Schuld wäre nicht mehr fortzuschaffen '\
6. Pelagius hat die Wirklichkeit der Sünde aus den Nachstellungen
des Teufels und den sinnlichen Gelüsten (gula und libido) abgeleitet
und demgemäss die Concupiscenz verurtheilt. Man muss sie durch
Virginität und Enthaltsamkeit überwinden. Sie stammt nicht de sub-
stantia camis, sondern ex operibus carnis (sonst wäre Gott ihr Urheber).
Ernst hat Pelagius dieses ganze Gebiet beurtheilt; aber er ist anderer-
seits gewiss, dass der Leib der Seele untergeordnet und damit das gott-
gewollte Verhältniss hergestellt werden könne ^. Allein Juhan empfand,
Julian in der possibilitas utriusque nicht bloss boni. Bei Pelagius tritt die jDOssi-
bilitas boni und damit die Verantwortung stärker hervor. Er sagt nicht nur, dass
der Mensch Wahlfreiheit habe, sondern auch (ep. ad Demetr.) dass „in animis
nostris naturalis quaedam sanctitas est".
* K lasen (8. 229 — 237) unterscheidet eine dreifache possibüitas bei den
Pelagianem, d. h. man hat in der That so viele Unterscheidungen nöthig, wenn
man aus den Widersprüchen, die der Begriff verdeckt, herauskommen will.
2 Op. imp. I, 44; V, 28. 43; VI, 17 u. oft.
" Caelest. bei Aug. de pcrfect. 1.
^ Neben der Unbestimmtheit des Verhältnisses von Vernunft und Freiheit,
der falschen Definition des Willens, der Dunkelheit über den Begriff der ratio,
den Widersprüchen im Begriff der possibilitas ist das Unvermögen, eine concrete
Definition des Bösen zu geben, und die mythologische Art, in welcher zwischen
Natur und Willen unterschieden wird, besonders charakteristisch. Warum sollen
Wille und Natur so völlig geschieden sein, wenn doch die possil)ilitas zur Natur
gehört? Was ist überhaupt die Natur neben dem Willen, da sie doch keineswegs
nur das Fleisch sein soll?
•'' Hier haben die Pelagianer den meisten Scharfsinn aufgewendet und richtige
Einwendungen gemacht, s. unten. Pelag. bei Aug. de pecc. orig. 14 : „ümne bonum
ac malum, quo vel laudabiles vel vitupcra])ileR sumus, non nobiscum oritur, sed
agitur a nobis : capaces enim utriusque rei, non pleni nascimur, et ut sine vir-
tutc ita et sine vitio procreamur atque, ante actionem ])ropriae voluntatis id solum
in homine est, quod deus condidit."
*"' S. die (']). ad Demetr.; de nat. et grat. fJO— 71. Von ernster Erfahrung
17f) nie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
tlass hier ein wunder Punkt sei. Woher kommen die desideria carnis
mala, wenn die Substanz gut ist, und wenn sie docli offenbar häufig nicht
aus dem Willen stammen? An der Ehe, die ohne die Begattungslust
undenkbar, maehte sich Julian klar, dass die libido von Gott gestattet
sei, und unerbittlich fuhr er in die künstlichen Unterscheidungen, die
Augustin zwischen nu])tia(^ und concu])iscentia machen wollte und
nmsste^ DieC^oncupiscenz, lehrte Julian, ist an sich indifferent
und schuldlos; denn die wirkliche Schöpfung ist von allen denkbaren
Arten die beste; diese Schöpfung schliesst aber die Zeugungslust und
alle übrige Lust ein'-'. Die libido ist non in gencre suo, non in specie,
non in modo eine Schuld, sondern lediglich in excessu; genus und
species sind von Gott, der modus pertinet ad arbitrium honestatis, der
excessus ad vitium voluntatis^. Wäre es anders, so müsste die Taufe
die Concupiscenz ausrotten und nicht nur ordnend „Intra modum" ist
sie also gut'*: wer sie massig braucht, braucht ein Gut recht, wer sie un-
mässig geniesst, braucht ein Gut schlecht, wer aber aus Liebe zur Jung-
fräulichkeit auch den massigen Genuss verachtet, braucht damit ein
Gut nicht besser^. Die Scham auch bei dem erlaubten Genuss der
Begierde, auf die Augustin hingew^iesen, erklärte Julian, den Cynikern
beipflichtend, für blosse Convention und Sitte '^. Auch Christus habe die
Concupiscenz besessen ^.
7. Aus dieser Lehre folgt, dass es sündlose Menschen stets gegeben
haben kann^: nach Pelagius folgt sogar weiter, dass, da jeder Mensch
der Sünde (leicht) Widerstand leisten kann, er beim Gericht in die
Hölle fährt, w^enn er sündigt ^^; denn jede Sünde ist im Grunde eine
zeugt das Bekenntniss (ep. ad Deraetr. 26), der Teufel vermöge auch denen, die
von der Welt getrennt seien, oft so schmutzige und gottlose Gedanken einzuflössen,
dass der Mensch wähne, er sei schlechter, als da er die res saeculi liebte.
^ Augustin mit seiner Unterscheidung der Ehe als Gut und als Uehel gleicht
dem Charlatan, der ein Thier aufweisen wolle, welches sich selber frisst; c. Jul.
TU, 47.
- S. namentlich das 5. Buch des Op. imi^. und das 5. Buch c. Julian. „Lau-
dator concupiscentiae" nennt ihn Aug. c. Jul. IIT, 44.
»C. Jul. TV, 7; III, 27.
^ L. c. IV, 8.
" L. c. IV, 52.
•^ Hiermit ist die Askese als überflüssig erklärt, 1. c. III, 42.
■^ Op. imp. IV, 37 — 43. Es finden sich allerdings auch bei Julian Ausführungen,
in denen ihm das „Gut" der libido ein geringes, die Virginität bewunderungswürdig
erscheint.
8 L. c. IV, 45—64 u. sonst.
^ Freilich muss hier der Doppelsinn des jiosse beachtet werden.
i»De sest. Pelag. 11.
Die pelagianische Lehre. ' 177
Todsünde; da der Mensch wider besseres Können handelt. Aber auch
nach JuHan ist im Grunde jeder Excess eine Todsünde, da er völHg un-
motivirt ist*. Am Ende, heisst es, bestraft Gott die Bösen und belohnt
die Tugendhaften. Aber es bleibt völHg unklar, wie es denn überliaupt
Tugend (Gerechtigkeit) und Sünde geben kann, wenn in denselben nie
ein Charakter erworben werden kann, wenn es sich nur um zersplitterte
Actionen handelt, aus denen sich weder ein Niederschlag noch eine
Summe bildet.
In dem Bisherigen sind die Grundvorstellungen der Pelagianer
aufgewiesen. Allein sie waren ja auch katholische Christen; sie waren
also gezwungen, diese ihre Lehren mit der hl. Schrift, mit der in ihr
enthaltenen Geschichte, mit Christus und der Kirchenlehre in Einklang
zu setzen. Wie das geschehen ist, davon ist im Folgenden noch kurz
zu handeln. Dass die Schwierigkeiten der Vermittelung ausserordentlich
gross waren — freilich nicht nur für sie, sondern füi* Jeden, der eine
zusammenhängende verständige Lehre mit Gen. 1 — 3 und mit hundert
Schriftstellen in Einklang setzen wollte ---, liegt auf der Hand.
8. Adam war mit Wahlfreiheit (nach Pelagius auch mit einer na-
turahs quae dicitur sanctitas, die eben in dem liberum arbitrium und
der ratio liegt) geschaffen. Julian beurtheilt diesen Zustand moralisch
sehr hoch, intellectuell niedrig^. Alle sind aber darin einig, dass die
Ausstattung Adams die eigenthche und unverlierbare Gnadengabe
(gratia) Gottes ist.
9. Adam hat durch den freien Willen gesündigt (Julian beurtheilt
diese Sünde gering)^; aber durch diese Sünde ist seine Natur nicht ver-
derbt worden *, auch war der natürliche Tod nicht die Folge der Sünde,
denn dieser ist eben natürlich, sondern der geistliche Tod — dass die
Seele um der Sünde willen verdammt wird — ist die Folge der Sünde *.
* Darauf hat Julian grosses Gewicht J?elegt (s. Op. imp. V), es ausdrücklicli
(gegen Augustin) ahlchnend, dass der Mensch sündige, weil er de nihilo geschaffen
sei. Damit, dass das Böse auf den Willen zurückgeführt wird, hört jede Möglich-
keit auf, es zu begründt^n ; denn jede Begi'ündung hiesse die Nothwendigkeit des-
selljcn nachweisen. V, 41 : „Quaeritis neccssitatem roi quae esse non potest si
patitur neccssitatem. Iluic motui animi libcro, sine coactu originis iuquieto, si
causa ipso motu dctur antiquior, non gignitur omnino sed toUitur." V, 57--60:
„ideo haljuit voluntatem nialam, ([uia voluit."
'' Op. imp. VI, 14—23.
" Op. imp. VI, 23; VI, 14 lässt er deutlich genug durchblicken, dass derSün-
denfall ein Vortheil für Adam war: „porro ignorantia {|uam profunda quamque
patiendi oius dura conditio, ut lilj(;rari ab ea nisi praevaricatione non posset, scien-
tiam (juippe l)oni malifjue aljs(|iie ansa condcnmabili ncfiuaquam capessiturus."
* So zuerst Cälestius (Karthago, s. Diospolis; d(! pecc. mer. 2). Ebenso .luliau
op. inji>. JI, GO. Der gemeinf? Tod ist natürlich. Doch hat Julian versucht, hier zu
Hainack, Dogmengeschichte 111, j[2
1 78 I^io weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
10. Der natüiiiche Tod hat sich demgemäss von Adam her nicht
vererbt; aber auch der geisthche nur insofern, als die Naclikommen
ebenfalls sündigten. Würden alle Menschen i)er mortem Adae sterben,
so miissten auch alle Menschen per resurrectionem Christi auferstehen*.
11. Noch viel weniger hat sich die Sünde oder die Schuld Adams
vererbt. Die Lehre vom tradux peccati und peccatum originis ist mani-
chäisch und blasj)hemisch ; sie ist gleich absurd, mag man dabei nun
auf Gott oder auf den Menschen oder auf den Begriff der Sünde oder auf
Christus oder auf die hl. Schrift sehen. Auf Gott — denn Gottes Gerech-
tigkeit wird ebenso aufgehoben, wenn er fremde Schuld anrechnen und
eine Natur für sündig halten würde, die noch nicht gesündigt hat, wie wenn
er die nach Adams Fall geborenen Menschen mit Sünde behaftet in die
Welt eintreten lassen würde. Auf den Menschen — denn einenatura vitiata
sei soviel wie eine natura mala ; hat eine Natur Schlechtes, so ist sie
schlecht ; dann aber fällt die Schuld auf Gott; denn er ist für die Naturen
verantwortlich; ferner nur wenn man eine Seelenzeugung annähme,
könnte sich die Sünde fortpflanzen; aber diese Annahme ist unsinnig; end-
lich wenn sich die Sünde durch die Ehe fortpflanzt, so dass die ehehche
Lust die Sünde sei und übertrage, so sei damit die Ehe verurtheilt. Auf
den Begriff der Sünde — denn sie ist ganz und gar vom Willen einge-
schlossen, so dass sie überhaupt nicht da ist, wo nicht ein freier Wille
ist; ferner, könnte sie sich auch fortpflanzen, so könnte sie doch nicht
von getauften Eltern übertragen werden; endlich die Behauptung
Augustinus, die Sünde selbst werde von Gott als Sündenstrafe gebraucht,
es gebe ein göttliches Gesetz der Sünde u. s. w., sei absurd und unsitt-
lich. Auf Christus — denn wäre die Natur schlecht, so könnte sie
nicht erlöst werden, oder, gäbe es eine Erbsünde, die zur Natur des
Menschen geworden, so hätte auch Christus diese Sünde haben müssen.
Auf die hl. Schrift — unzählige Stellen zeigen, dass die Sünde Sache
des Willens sei und dass Gott Jeden nur für seine Sünde straft. Der
VersBöm. 5, 12 besage nur, dass Alle sterben, weil sie selbst wie Adam
sündigen, oder etwas Aehnliches, jedenfalls enthalte er nichts zu Gunsten
der Erbsünde-.
vermitteln. Er will es nicht leugnen, dass der natürliche Tod eine Beziehung zur
Sünde hat, d. h. er müsste eigentlich durch die Verdienste aufgehoben sein; aher
seine Erklärungen im 2. Buch sind sehr gewunden. Ohne Sünde wäre der Tod
„levissima" gewesen; aber ganz kann ihn Gott auch für die Heiligen nicht fort-
schaffen, denn (VI, 30): „non est tanti unius meritum, ut universa (i|nae naturaliter
sunt instituta perturl)et,"
^ So schon Cälestius.
'-' Stellen hier beizubringen, ist überflüssig; s. die ausführliche Darstellung bei
Klasen S. IIH— 182. Juhan's Erklärung von Rom. 5, 1l> stellt c. .Tal. VI, 75-81.
Die pelagianische Lehre. 179
12. Somit sind alle Menschen, die Gott schafft, in dem Stande, in
welchem Adam vor dem Fall gewesen ist K Ein unwesentlicher Unter-
schied waltet nur insofern ob, als Adam schon sofort den Gebrauch der
Vernunft hatte, die Kinder nicht, Adam noch ungewitzigt war, die
Kinder in eine Gesellschaft hineingeboren werden, in welcher die Ge-
wohnheit des Bösen herrscht (so wenigstens nach Pelagius)^. Die
mera capacitas utriusque ist die ursprüngliche Unschuld^.
13. Die Gewohnheit des Sündigens , wie sie vorbildlich wirkt,
schwächt — nach Pelagiiis — den Willen (?). Doch wie sie eigentlich
wirkt, darüber lässt sich nichts sagen ; denn sonst wird die Indifferenz
des Willens („liberum arbitrium et post peccata tam plenum est
quam fuit ante peccata" Op. imp. I, 91) aufgehoben. Wahrscheinlich
war die Meinung die: die possibilitas boni bleibt völlig intact, aber die
Gewohnheit des Sündigens verdunkelt die Vernunft^.
14. Was nun die Gnade betrifft, so ist es hier am schwierigsten,
die Ansicht der Pelagianer wiederzugeben; denn hier waren sie am
meisten genöthigt, sich zu accommodiren. Es finden sich bei Pelagius und
Julian — Cälestius ist zurückhaltender gewesen — ^ sehr starke Aeusse-
rungen über die Nothwendigkeit der Gnade Gottes (adiutorium) zu
jedem guten Werk ^. Es finden sich ferner Aeusserungen, dass die Gnade
Ausser dem Vorwurf des Manichäismus hat Julian auch den Traducianismus dem
Augustin vorgerückt, obgleich Augustin kein Traducianer war. Der Ketzername
„Traduciani" stammt von Julian (op. imp. I, 6).
* De pecc. orig. 14.
^ Ep. ad Demetr. Auch sonst ist von Pelagius das Herrschen der Sünde
in der Welt stark betont.
^ Dieses (Tcrcde von der ursprünglichen Unschuld ist bei Julian bereits Ac-
commodation ; denn die Unschuld Ijleibt ja im Grunde stets dieselbe. C. Jul. III,
36: „homo igitur innocentia quidem plenus, sed virtutis capax nascitur, aut lau-
dem aut reprehensionem ex proposito accedente meriturus . . . nee iustos nasci
parvulos nee iniustos , quod futuri sunt actibus suis , sed tantummodo infantiam
innocentiae dote locupletem." Aber wie im Grunde diese „Unschuld" gemeint
ist, zeigt dasselbe Capitel: „Perfecta ignorantia (in scripturis iustitia nominatur").
* Hier klafft, wie im Stoicismus, das System. Warum ist der vernünftige
Mensch unvernünftig und schlecht? und wie kann er ratio und })ösen Willen zu-
gleich haben? und wie erklärt sich die sündige Gewohnheit? — Auch Julian
sagt übrigens (oj). imp. T, 16): „consuctudo peccati amorem delicti facit et ex-
stingTiit pudorcm" ; allein er meint bei Augustin.
^' „Der Wille ist nicht frei, wenn er Gottes Hülfe bedarf", de gestis 42. „Si
per gratiam (de gestis 30) omnia facimus, quando vincimur a peccato, non nos
vincimnr, sed dci gratia, (juae voluit nor. adiuvare omni modo et non potuit."
'^ Man kann sogar fast alle augustinischen Sätze aus Aeusserungen des ]*e-
lagiiis und .Julian })elogen. ])\o. Zahl der Stellen in ihren Werken, die gut kir(;h-
lieh lauten, ist sc^hr gross. Diese müsste man niiicitiren, um ein Bild davon zu
12*
180 Diß weltgeßchichtliche Stellung Augustiii's als Lehrer der Kirche.
das Gute erleichteret Es finden sich endUch solche, nach denen sie
überflüssig, ja — streng genommen — in sich nnmöglich ist ^. Man wird
den Pelagianern nicht Unrecht thun, wenn man in den beiden letzteren,
die bis zu einem gewissen Grade vereinigt wei'den können, die wahre
Meinung erkennt; denn das war ja die oberste Absicht des Pelagius,
den C.Miristen die faule Zuversicht auf die Gnade zu nehmen, und das
war der Hauptzweck Julian 's, zu zeigen, dass die menschliclie Anlage
Verdienst und Seligkeit in ihrem eigenen Schosse trägt. In dem Satze :
geben, wie sich beide Männer nach Aussen ausgenommen haben; das würde jedoch
hier zu weit führen. Man verkürzt aber auch ihre Denkweise nicht, wenn man
sie weglässt; denn sie sind wirklich nur für ihre Ausdrucksweise charakte-
ristisch. Oeffentlich hat Pelagius nie geleugnet, dass der Mensch stets die Gnade
(Tottes bedürfe, dass er nur adiuvante gratia posse esse sine peccato (s. de gestis
16. 22. 31 ; de gratia 2: „anathemo qui vel sentit vel dicit, gratiam dei, qua Christus
venit in hunc mundum peccatores salvos facere, non solum per singulas horas
aut per singula momeuta, sed etiam per singulos actus nostros non esse neces-
sariam, et (jui hanc conantur auferre, poenas sortiantur aeternas"; s. auch sein
Bekeuntniss an den Papst). Julian hat womöglich noch stärkere Ausdrücke ge-
braucht; allein beide haben genau das Gegentheil von dem, was sie hier sagen,
sehr häufig gesagt. Dass aber die Grnade Gottes durch Christus die Sündenfrei-
heit und Seligkeit begründe, haben sie nie gesagt.
^ Dies sind die gewöhnlichen ; in allen Menschen ist der freie Wille, aber
nur bei den Christen wird er unterstützt durch die Gnade (de gratia 34); die
anderen haben nur das „nudum et inerme conditionis bonum". Aehnlich Julian,
nur noch stärker op. imp. I, 40: „quos fecit quia voluit nee condemnat nisi spre-
tus; si cum non spernitur, faciat consecratione meliores, nee detrimentuni iusti-
tiae patitur' et munificentia miserationis ornatur." I, 111: „malae voluntati ve-
niam pro inaestimabili liberalitate largitur et innocentiam, quam creat bonam,
facit innovando adoptandoque meliorem" (aber kann etwas besser sein als gut?).
III, 106: „Quod ais, ad colendum recte deum sine ipsius adiutorio dici a nobis
sufficere unicuique libertatem arbitrii, omnino mentiris. Cum igitur cultus dei
multis intelligatur modis, et in custodia mandatorum et in execratione vitiorum
et in simplicitate conversationis et in ordine mysteriorum et in profunditate dog-
matum . . . qui fieri potest, ut nos in confuso dicamus, sine adiutorio dei liberum
arbitrium sufüciens ad eius esse culturam . . . cum utique ista omnia, tam quae
dogmatibus quam quae mysteriis continentur, libertas arbitrii per se non potu-
erit invenire, etc. (da sieht man deutlich, wie das „adiutorium" zu verstehen
ist; es liegt einzig in dem Gesetz der Dogmen und Mysterien, welches Gott
gegeben und der Mensch nicht erfunden hat, nicht aber in einer Kraft; daher,
weil nämlich Gott so viele Veranstaltungen getroffen hat, kann Julian fortfahren :
„hominem innumeris divinae gratiae speciebus iuvari . . . praecipiendo, benedi-
cendo, sanctificando, coercendo, provocando, illumiuando."
* Unmöglich als Kraft, sofern der Wille nicht wirklich bestimmt worden
kann. Darüber hat nur Cälestius sich deutlich ausgesprochen, aber auch Julian
meint dasselbe, wenn er nicht müde wird, zusagen: „cuuctarum origo virtutum
in rationabili aninio sita est."
Die pelagianische Lehre. • 181
„homo libero arbitrio emancipatus a deo", liegt im Grunde der Protest
gegen jede Gnade ^
15. Unter Gnade ist in erster Linie überall die Schöpfungsgnade -^
zu verstehen ; diese ist so herrlich, dass es auch unter Heiden und Juden
vollkommene Menschen gegeben hat ^.
16. Unter Gnade ist zweitens die lex Gottes zu verstehen, ja alle
Gnade, sofern sie nicht Natur ist, kann im Grunde keinen anderen Cha-
rakter haben als den der illuminatio und doctrina. Diese erleichtert
das Thun des Guten*.
17. Unter Gnade ist drittens die gratia dei per Christum zu ver-
stehen. Auch diese ist im Grunde illuminatio et doctrina^; Christus
wirkt durch sein Vorbild^. Pelagius und Julian gestehen zu, dass die
sündige Gewohnheit so gross war, dass die Erscheinung Christi nöthig
gewesen ist ^. Diese selbst hat Julian so gefasst, dass Christus das, was
er geworden ist, seinem freien Willen zu verdanken hat ^. Aber über
^ Dieser Satz Julian's ist eigentlich der Schlüssel der ganzen Denkweise :
der frei geschaffene Mensch steht mit seiner ganzen Sphäre Gott selbständig
gegenüber. Er hat es nicht mehr mit Gott zu thun, sondern nur mit sich selber.
Zuletzt erst tritt wieder Gott (beim Gericht) ein.
^ Die Aeusserungen der Pelagianer über die Gnade sind dadurch sehr oft
absichtlich (z. B. de gestis Pel. 22) amphibolisch, dass sie die Schöpfungsgnade,
also die Natur, verstehen. Doch ist das nicht die Regel. Pelagius und Julian
unterscheiden drei Zustände : ex natura, sub lege, sub gratia (Christi) ; s. c. duas
epp. I, 39.
' .,Perfecta iustitia" auch im alten Bund (1. c.) und bei den „antiqui ho-
mines". Julian beruft sich oft auf die vollkommenen Heiden und spottet über
Augustin's „splendida vitia". Sind die Tugenden der Heiden keine Tugenden, so
sind auch die Augen der Heiden keine Augen (c. Jul. IV, 26 — 30). Pelagius hat
über diesen Punkt total Widersprechendes gesagt; Julian ist später etwas vor-
sichtiger geworden; aber letztlich ist es stets seine Meinung geblieben, dass
zwischen einem guten Heiden und einem guten Christen kein Unterschied sei,
■* Das Gesetz war das erste augmcntum bcneficiorum dei; aber es ist zu-
gleich die Grundform alles dessen, was Gott nach der Schöpfung noch thun kann,
Sehr deutlich hat sich Pelagius (de gestis 30) ausgedrückt: „gratiam dei et adiu-
torium non ad singulos actus dari (an anderen Stellen sagt er das Gegentheil),
sed in libero arbitrio esse vel in lege ac doctrina." Das ist mithin Alles.
Sehr richtig sagt daher Augustin, Pelagius bekenne nur die Gnade, „qua demonstrat
et revelat deus quid agere dcbeamus, non (|ua donat atque adiuvat ut agamus."
^ S. die vorige Anmerkung und Cälestius' Satz: „lex sie mittit ad regnum
coelorum quomodo et evangelium."
® Exempel und Nachahmung, s. Op. iirq). 11, 146 scj. C. Jul. V, 58: „tolle
exempli causam, tolle et pretii, quod pro iiobis factus est." Den Tod Christi hat
-fulian ()]). imp. IT, 223 Hchliesslich auch auf das Vorbild reducirt.
' Op. imp. IJ, 217-222.
* Es ist sehr lehrreich, dass auch für Julian das Personbildendc in Jesus
182 I^iö vveltgeschiehtliclie Stellung Auouatiu's als Lehrer der Kirche.
die doctrina hinaus musste man gemäss der Kirclienlehre und -praxis
doch auch ein effectives Handebi Gottes per Christum annehmen. Die
Pehigianer leugneten nicht, dass dieses sich in der Taufe und in den
Nachhxssungen Gottes darstelle ; sie lehrten die Sündenvergebung durch
die Taufe. Allein worin diese Sündenvergebung bestehe, konnten sie
nicht nachweisen, ohne mit der Freiheit in Conflict zu kommen. AVas
die Kindertaufe betrifft, so haben sie die Nothwendigkeit derselben
nicht mehr in Abrede stellen dürfen, ja sie haben sogar nicht rund er-
klären dürfen, dass sie nicht in remissionem peccatorum sei. Sie leiteten
eine gewisse AVeilie und Heiligung von ihr ab, stellten aber in Abrede,
dass ungetauft sterbende Kinder verloren gingen: sie kämen nur nicht
in das regnum coelorum, den höchsten Grad der Seligkeit ^
18. Von dieser Gnade per Christum lehrten die Pelagianer endhch,
dass sie sich mit der iustitia Gottes vertrüge , weil diese eine Ver-
mehrung von Wolilthaten nicht ausschliesse ^, dass sie aber secundum
nierita (nach den Verdiensten des verständigen Geistes) gegeben werde,
weil im anderen Fall Gott ungerecht wäre^; aber die Behauptung, dass
sie schlechthin nothwendig sei, ist von ihnen selbst nie ernsthaft ver-
treten, häufig verneint worden, und in der These, dass das Evangelium
nicht anders wirke als das Gesetz, wird factisch jenes auf dieses voll-
der Mensch ist (wie bei Augustiii). Darin unterscheidet er sich von Augustin,
dass er sagt, der Mensch Jesus sei secundum merita von Gott erwählt und mit
dem Christus vereinigt. Auch tritt der profectus deutlicher hervor: Jesus ist
allmählich vom Wort Gottes angenommen worden; der filius hominis ist durch
seine AVillensleistung allmählich filius dei geworden. So durfte man also noch
damals ungescheut im Abendland lehren (s. Oj). imp. IV, 84), wenn nicht Augustin
hier stark übertrieben hat.
* Die Ausflüchte bei der Taufe sind so zahlreich, dass es sich nicht lohnt,
die einzelnen zu nennen. Der Begriff der Vergebung ist den Pelagianern an sich
unbequem; sie kann höchstens eine Art von Nachsicht sein, wie sie sich mit der
Gerechtigkeit zur Noth verträgt. Die Frage, ob die Taufe die Sünde tilgt oder
den reatus wegnimmt, haben sie auch gestreift; aber für sie war diese Frage un-
sinnig. In Bezug auf die Kindertaufe sind alle ihre Aeusserungen daraus abzu-
leiten, dass sie sie nicht abschafien und auch nicht verschiedenwerthige Taufen
gelten lassen w^oUten. Die Unterscheidung von regnum coelorum und vita aeterna
war ein, in diesem Fall willkommenes, eschatologisches Rudiment.
'^ Op. imp. I, 72. III, 163: „augmenta beneficiorum divinorum utiHa esse et
necessaria omnibus in commune aetatibus dicimus, ita tamen ut nee virtus nee
peccatum sine propria cuiquam voluntate tribuatur."
^ De gestis 30: „dei gratiam secundum merita nostra dari, quia si peccatori-
bus illam det, videtur esse iniquus.'' Damit ist der Begriff der Gnade aufgehoben;
demi nur als gratuita ist sie Gnade. Hier erscheint sie als Lolmmittel für die
Guten. Ist die Gnade aber weder gratis data noch Kraft, so bleibt sie nur ein
leeres Wort.
Die pelagianische Lehre. Augustin's Gnadenlehre. 183
ständig reducirt. Dieses aber ist selbst nichts Anderes als eine nicht
Jedem nöthige Krücke. Der Mensch soll sündlos sein: das können wir
durch unseren Willen erreichen ; aber dem Christen ist die impeccantia
erleichtert^ denn er kann sich, wenn er auf Christus schaut, leicht wieder
bekehren, und er hat von Anfang an in der Taufe, den Mysterien, den
Dogmen, den Mandaten lauter Beförderungsmittel der Tugend. Alles,
was Christus gethan hat und was die Kirche thut, kommt nicht als That,
sondern als Lehre in Betracht.
Man wird die Reinheit der Motive, den Abscheu vor manichäischem
Sauerteig und dem opus operatum, den Drang nach Klarheit, die Absicht,
die Gottheit zu vertheidigen ^, bei den Pelagianern ehren*, aber man Avird
doch urtheilen müssen, dass ihre Lehre den Jammer der Sünde und des
Uebels verkennt, dass sie im tiefsten Grunde gottlos ist, dass sie von
Erlösung nichts weiss und nichts wissen will, und dass sie von einem öden
Formalismus (Begriffsmythologie) beherrscht ist, der an keinem einzigen
Punkte den wirklichen Grössen gerecht wird und bei genauer Betrach-
tung aus lauter Widersprüchen besteht. In der Ausdrucksweise,
in welcher Pelagius (zum Theil auch JuHan) diese Lehre vorgetragen
hat, d. h. mit allen den Accommodationen, zu denen er sich verstand, war
sie keine Neuerung^. Allein ihrem Grundgedanken nach war sie es —
oder vielmehr: sie war eine Neuerung, weil sie den Pol der my-
stischen Erlösungslehre, welche die Kirche stets neben der
Freiheitslehre fest gehalten hat, trotz aller Accommodationen
im Ausdruck, factisch doch fallen liess^.
III. Der Grundbegriff des Pelagianismus ist die das liberum arbi-
trium einschliessende natura, der Grundbegriff des Augustinismus ist
die gratia, und zwar im pelagianischen Streit die gratia dei per Christum '*.
In dem Pelagianismus hat die Gnadenlehre den Wertli eines mit der
* Dass Augustinismus = Manichäismus sei, ist der rothe Faden in Juliau's
Polemik. „Sub laude baptismatis eructat Augustinus Mauichaeorum sordes ac na-
turale peccatum, ut ccclesiac catholicae pura hactcnus sacramcnta contaminet."
Op. im. I, IJ.
^ Die Verurtheilung war daher — vom rechtlichen Staudpunkt — nicht un-
bedenklich; die Ausmerzung des kräftigen Appells au die Freiheit innerhalb der
kirchlichen Unterweisung nicht in jeder Hinsicht heilsam.
•* Aber von hier aus konnte sie freilich nicht durchschlagend bekämpft werden.
Nur der Augustinismus konnte sie überwinden. Augustin's Kritik au diesem System
wird am besten durch Darlegung seines eigenen gegeben.
* Darum griffen die Pelagiancr Augustin's Lehre von der Natur an und Augu-
stin ihre Lehre von der Gnade. Eigentlich entspringt Alles, was Augustin den l*e-
lagianem zu sagen hat, aus dem Nachweis, sie wüssten nicht, was Unade sei, und
darum auch nicht, was Sünde sei.
184 Die wültgeBchichtliche Stellung Aiigustin's als Lehrer der Kirche.
Hauptsache schlecht verbundenen „Anhanpjs"^ im Aiigustinismus bleibt
die Lehre von der Natur mit Widersprüchen behaftet, weil es unmög-
lich ist, vom Standpunkt der erfahrenen Gnade aus eine
rationale Darstellung der Natur und der Geschichte zu
geben. Denn die Ueberzeugung von der umschaffenden Gnade des
Gottes, der auch der Schöpfer ist, lässt sich schlechterdings nicht als
verständige I )octrin entwickeln, sondern muss bei dem Bekenntniss an-
fangen und aufhören: „Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und wie
unerforschhch seine AVege!" Das hat auch Augustin gewusst. Allein
in einem Zeitalter lebend, in welchem es als sträfliche Unwissenheit und
als Unglaube galt, nicht jede mögliche Frage zu beantworten, und von
der vulgären Ueberzeugung durchdrungen, dass die hl. Schrift über alle
Probleme Aufscliluss gebe, hat auch er die höchsten Thatsachen und
die Stimmungen des inneren Lebens, die er am Evangelium gewonnen
hatte, zum Ausgangspunkt einer Schilderung der „Urgeschichte" und
der Geschichte der Menschheit gemacht, welche nothwendig in Wider-
sprüchen verlaufen musste. Zugleich spiegeln sich in dieser Schilderung
die pathologischen Erfahrungen seines Lebensganges. Der Strom leben-
digen Wassers führt doch noch in seinem Grunde Reste des traurigen
Uferlandes mit sich, an welchem er einst vorübergeströmt war und in
welches er fast versickert wäre ^
1. Die Menschheit ist erfahrungsgemäss eine massa peccati (per-
ditionis), welche der Tod weidet und welche unfähig ist, sich zum
Guten zu erheben; denn von Gott abgefallen, vermag sie so wenig zu
ihm zurückzukehren, wie sich ein entleertes Gefäss von selbst wieder
füllen kann. Aber in Christus dem Erlöser — nur in ihm — ist die
Gnade Gottes als befreiende erschienen und wirksam geworden.
Christus hat durch seinen Tod die Kluft zwischen Gott und der
Menschheit beseitigt (die Herrschaft des Teufels gebrochen), so dass
nun die Gnade Gottes, die desshalb gratia per (propter) Christum
ist, ihr Werk treiben kann^. Diese in der Kirche wirkende gratia
^ Da Augustinus theologische Grundbegriffe bereits oben (S. 98 ff.) erörtert sind,
so haben wir hier nur auf die speciellc Gnadenlehre und die Lehre von der Sünde
und vom Urständ einzugehen. Diese Reihenfolge ergiebt sich von selbst, während
der Pelagianismus an der Lehre von der unzerstörbaren Natur seinen Ausgangs-
punkt genommen hat.
'^ Ausführungen über den Tod Christi als das Fundament des Heils sind bei
Augustin häufig. Aber sie beziehen sich meistens auf die Herrschaft dos Teufels,
die durch Christi Tod auf rechtlichem Wege aufgehoben ist; dagegen sind sie
viel seltener, wo Augustin von der positiven Erlösung spricht. Jene Befreiung
aus des Teufels Macht (es war die allgemeine Auffassung vom Tode Christi : er ist
das pretium, welches für uns an den Teufel gezahlt ist, der es aber nicht festhalten
J
Augustin's Lehre von der Gnade." 185
gratis clata^ ist Anfang, Mitte und Ende. Ihr Ziel ist, dass aus
der massa perditionis, die als schuldige mit Recht dem ewigen Tode
verfällt, ein certus numerus electorum gerettet wird, der in das
ewige Leben eingeht. Gerettet wird er, weil Gott ihn prädestinirt,
erwählt, beruft, rechtfertigt, heihgt und erhält, kraft seines ewigen
Heilsrathschlusses ^. Dies geschieht durch die Gnade , die somit
konnte) spielt aber doch im ganzen System eine untergeordnete Rolle; auch der
Gedanke, dass Gott versöhnt werden musste, klingt bei Augustin an, wird aber
nicht streng durchgeführt. Augustin denkt bei der Gnade per Christum in der
Regel an die Aufhebung des sündigen Zu Standes. Dann aberliegt es in der Natur
der Sache, dass die Beziehung unsicher wird ; denn es ist schwer nachzuweisen, wie
durch den Tod Christi effectiv ein Zustand geändert ist. Aber die Lockerung war
auch eine Folge des Gottesbegriffs Augustin's ; denn die gratia ist im Grunde ein Aus-
fluss des unergründlichen Rathschlusses Gottes, resp. des bonum esse. Bei der gratia
infusa denkt Augustin selten an Christus, sondern an die Caritas, welche das AVesen des
Guten ist. Hier ist noch einmal daran zu erinnern, dass Christus selbst als geschicht-
liche Erscheinung nach Augustin ein Beleg für die prädestinatianische Gnade ist (s.
oben S. 116). „Daher steht die Wirksamkeit Christi, der als fortlebender ewiger un-
mittelbar in uns wirkt, mit dem historischen Versöhnungsprocess in losem Zusam-
menhang" (Dorner S. 182), d. h. jener „fortlebende Christus" ist selbst nichts
Anderes als die Gnade. Enchir. 108 hat Augustin Alles zusammengefasst, was er
über die Bedeutung des Werkes Christi zu sagen hat; aber man wird finden, ob-
gleich die reconciliatio cum deo — freilich nur als Zurückführung zu Gott — nicht
fehlt, dass er das, was man „objective Erlösung" nennt, sehr zurücktreten lässt,
dass er also die Bedeutung Christi geistig gefasst hat: „Neque per ipsum libera-
remur unum mediatorem dei et hominum hominem Jesum Christum, nisi esset et
deus. Sed cum factus est Adam, homo seil, rectus, mediatore non opus erat. Cum vero
genus humanum peccata longo separaverunt adeo, per mediatorem, qui solus
sine peccato natus est, vixit, occisus est, reconciliari nos oportebat deo usquc ad
carnis resurrectionem in vitam acternam, u t h u m a n a s u p e r b i a p e r h u m i 1 i t a t e m
dei argueretur (das ist der Hauptgedanke, s.oben S. 118f.)ac sanaretur et dc-
monstraretur homini quam longe a deo recesserat (heute würde mau
diese Auffassung des Werkes Christi „rationalistisch" nennen), cum per incarna-
tumdeumrevocarcturct cxemplum obcdicntiac iier hominem -dcum
(dieser Ausdruck „homo-deus" ist m. W. vor Augustin nicht gebraucht worden)
contumaci homini praeberetur, et unigcnito suscipiente formam servi, quae
nihil ante mcruerat, fons gratiac pandoretur et carnis ctiam resurrcctio re-
de m p t i s I) r o m i s s a in ipso r e d c m j) t o r c p r a c m o n s t r a r c t u r , et per eandem
naturam quam sc decepisse laetabatur, diabolus vinceretur, nee tamen homo gloria-
retur, ne itcrum superbia nasceretur, etc."
^ Enchir. 107: „Gratia vero nisi gratis est, gratia non est."
^ S. die Schriften de correi)t. et gratia, de dono pcrscvcrantiac, de pracidest.
sanctorum, sowie Ausführungen in allen Schriften Augustin's aus den letzten Jahren;
denn sie fehlen nirgends, als Beweis, dass Augustin mehr und mehr in der Lehre
von der ))rädestinatiani8chcn Gnade di(». Hau i)t lehre erkannte. Die Prädestination
ruht nicht auf der Bräscienz, das« gerade di(;se Menschen der Gnade folgen werden,
sondern sie bewirkt dieses Folgen. Schriftbeweis ist Köm. 9. (s. de x)raedüst. 34).
ISH Die weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
1) i)raeveniens ist'; düiin sie muss erst den guten Willen (den
(jilaubcu) schaffen^. (Diese gratia praeveniens kann man mit der
vücatio^ zusammenstellen; allein man muss sich schon hier erinnern,
dass die vocatio auch zu solchen konnnt, die nicht „nach dem Vor-
satz berufen sind" *. Im strengen Sinn bezieht sich alles Handeln der
Gnade nur auf die praedestinati ^ ; im weiteren Sinn wirkt die Gnade
bis zur sanctiticatio in einem viel grösseren Kreise, der aber schliesslich
doch dem Untergang anheimfällt, weil ihm die letzte Arbeit der Gnade
nicht zu Theil wird) ". In das Bekenntniss von der gratia gratis data
und praeveniens hat Augustin seine ganze religiöse Erfahrung hinein-
gelegt. Nirgendwo spricht er überzeugter, schlichter und grossartiger,
als wo er die Gnade preist, die den Menschen aus dem Sündenstande
herausreisst. Die Gnade wirkt aber 2) als cooperans ^. Dieses Wir-
ken entfaltet sich in einer Reihe von Stufen, sofern das Ziel, um dessen
Erreichung es sich handelt — nämlich das Beharren und die vöUige
und factische Regeneration des Menschen^ (Neuschöpfung zu guten
^ Euchir. 32 : „Nolcntem praevenit ut vclit, volentem subsequitur, ne frustra
velit." De gratia et lib. arb. 33: „praeparat volimtatem et cooperaudo perficit, quod
operando incipit. Quoniam ipse ut velimus operatur incipiens." Dazu unzählige
Stelleu.
^ De spir. et litt. 34 : „Non credere potest quodlibet libero arbitrio, si nuUa
sit suasio vel vocatio cui crcdat; profecto et ipsum velle credere deus operatur in
homine et in omnibus misericordia eins praevenit nos : cousentire auteni vocationi
doi vel ab ea dissentire propriae voluntatis est." Der Spruch: „Quid habes, quod
non accepisti", ist Augustin's Lieblingsspruch.
" S. die vorige Anmerkung.
* S. die letzten Schriften Augustin's, z. B. de corr. 39; de praed. 32: Die
Gnadenmittel sind unsicher; die allgemeine vocatio soll eine ernsthafte sein, ist es
aber nicht.
^ Hier gilt: „deus ita suadet, ut persuadeat." De praedest. 34: „Electi sunt ante
mundi Constitutionen! ea praedestinatione, in qua deus sua futura facta praescivit ;
electi sunt autem de mundo ea vocatione, qua deus id, quod praedestinavit, implevit.
Quos enim praedestinavit, ipsos et vocavit, illa scilicet vocatione secuudum propo-
situm, non ergo alios, sed quos praedestinavit ipsos et vocavit, nee
alios, sed quos praedestinavit, vocavit, iustificavit, ipsos et glorificavit, illo utique
fine, qui non habet finem."
^ Desshalb war Augustin auch die Auffassung von der Wirksamkeit der
Gnadenmittel bei den Häretikern möglich, weil er letztlich überhaupt ihre Wirksam-
keit als eine unsichere empfand.
^ S. Anmerkung 1. Der häufigste Ausdruck ist „adiutorium", den auch die
Pelagianer brauchten, aber ganz anders verstanden. Sie dachten au eine Krücke,
Augustin an eine nothwendige Kraft.
** Diese ist nämlich — die Sündenvergebung und fides überbietend — überall
als das Ziel gedacht. Das ist die moralistische AVendung des religiösen Ansatzes.
Renovatio = iustificatio = sanctificatio =^ sauctitas. Somit ist auch die rogeueratio
Augustinus Lehre von der Gnade. ' 187
Menschen), also dass er befähigt wircl^ gute Werke der Frömmigkeit zu
thun und Verdienste zu haben — naturgemäss nur langsam und allmäh-
lich erreicht werden kann. Aus der vocatio folgt zunächst der Glaube
als Geschenk Gottes. Dieser Glaube ist selbst ein wachsender, d. h. er
beginnt als Fürwahrhalten (auf Grund der Autorität der Kirche und
der Schrift); er stellt sich ferner als Gehorsam, sodann auch als Ver-
trauen (fiducia) dar (credere deum, credere de deo, credere in deum)
und geht als solches in die Liebe über ^ Parallel damit geht das effec-
tive (sichtbare) Handeln der Gnade in der Kirche-, w^elches mit der
remissio peccatorum beginnt ^. Diese wird in der Taufe gespendet, und
sofern dieselbe die Schuld (reatus) der Erbsünde wegnimmt ^ und die
vorher begangenen Sünden tilgt, ist sie lavacrum regenerationis. Allein
sie ist dies doch nur als Initiationsact ; denn die wirkliche Rechtfertigung
(iustüicatio), welche der gratia cooperans entspricht, ist noch nicht dort
gewonnen, wo die Sünde nicht mehr angerechnet wird, sondern erst
dort, wo der Unfromme ein Gerechter geworden, wo also eine fac-
tische Renovation eingetreten ist. Diese wird dadurch bewirkt, dass der
erst am Schlüsse perfect. Enchir. 31: „Wir werden frei, wenn Gott uns zu guten
Menschen gestaltet."
^ Ueber den Glauben als fortschreitenden Glaubensprocess s. Dorn er
S. 183 — 195. Ursprünglich steht der Glaube dem Wissen gegenüber; er ist autori-
tatives Fürwahrhalten der Dinge, die man nicht wissen kann, ja des Wider-
vernünftigen; aber er wächst zum assensus, zur fiducia, zur inneren Erkenntuiss und
geht damit in die Liebe über, resx3., nach Paulus und Jacobus, in den in der Liebe
thätigen Glauben.
^ Doch ist — wie aus dem bisher Ausgeführten folgt — der ganze Gnaden-
process ein völlig subjcctiver, wenn auch die Parallele des kirchlichen Handelns
festgehalten wird.
^ Erst Augustin hat die Taufe zu einem wirklichen Initiationsact (Ench. 64:
„a baptismatc incipit renovatio") gemaclit. Die Sündenvergebung hat nur für das
getaufte Kind einen selbständigen AVcrth (wenn es stirbt); sonst ist auch sie Ini-
tiation. Hier und desswegen auch im Glaubensbegriff' liegt Luther's Abweichung.
De grat. et lib. arb. 27: „neque scientia divinae legis, neque natura neque sola
remissio peccatorum est illa gratia per Christum, sed ipsa facit, ut lex
imi)lcatur."
* Für Augustin's System ist es ein schwerer, von den Pelagianern auch ge-
nügend gerügter Mangel, dass die Taufe nur die Schuld der Erbsünde tilgt; denn
Schuldtilguug ist bei ihm im GiTiude etwas Geringes, jedenfalls nicht die Haupt-
sache. Aber in den Formeln erscheint allerdings wie die fides so auch das „uon
imputarc" als die Hauptsache. In Wahrheit steht es so, dass die Aufhebung
der Schuld das Object der fides historica ist, die Sünde aber wird durch die gratia
infusa getilgt. Wo Augustin den Schuldbcgriff" als den obersten festhalten will,
kommt er stets auf die Strafe. Der Mensch ist eben durch seine Sünde entleert.
Somit trägt die Sünde die Strafe in sich selber. Der entleerte Mensch aber ist
viel zu unselbständig, viel zu sehr ein Nichts, um Schuld haben zu können.
188 I^ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
hl. Geist die Ijiebe in das Herz ausgiesst, durch welche an die Stelle
der schlechten (yoncupiscenz die feilte tritt, niinilich nicht mir das freu-
dige Bekenntniss : „mihi adhaerere deo bonum est", die Lust an Gott
als dem sunnnum bonum gegenüber der Lust an den vorgänghchen
Gütern (die Denuith des Ghiubens, der Ijiebe und der Hoflnung an die
Stelle des Hochmuths des Herzens), sondern auch die Fähigkeit zu
guten Werken. Diese neue Stimmung und Fähigkeit, welche die Gnade
durch die Gabe des hl. Geistes erzeugt, ist das Erlebniss der iustificatio
ex fide K Die Rechtfertigung ist ein einmaliger und abgeschlossener Act
sub specie aeternitatis und in Hinblick darauf, dass man in der fides
Alles zusammenschliessen kann; sie ist aber als empirisches Erlebniss
ein im Diesseits nie vollendeter Process, weil das Erfülltsein mit dem
Glauben, der durch die Liebe zur vollkommenen Umbildung des
Menschen thätig ist, an dem Diesseits selbst seine Schranke hat^.
* Die Formel iustificatio ex fide ist bei Augustin sehr häufig. De spiritu et
litt. 45 : „cum dicat gratis iustificari hominem per fidem sine operibus legis,
nihil aliud voleus intelligi in eo, quod dicit, gratis, nisi quia iustificationem
opera non praecedunt . . . Quid est aliud iustificati quam iusti facti, ab illo scilicet
qm iustificat impium, utcx impio fiat iusius." 15: „non cpiod sine voluntate nostra
iustificatio fiat, sed voluntas nostra ostcnditur infirma per legem, ut sanet gratia
voluntatcm et sanata voluntas implcat legem." C. Jul. II, 23: „iustificatio in hac
vita nobis secundum tria ista confertur : prius lavacro regenerationis, quo remittun tur
cuncta peccata, deinde congressione cum vitiis, a quorum reatu absoluti sumus,
tertio dum nostra exaudiatur oratio, qua dicimus, Dimitte nobis debita nostra."
Der ganze Process bis zu den meritis und der vita aeterna: de gratia et lib.
arb. 20. Für die Seligkeit entscheidet die Liebe allein, weil sie allein die Er-
füllung des durch die Sünde entleerten Menschen ist. Der Mensch wird selig
gemacht, sofern er durch den Liebesgeist wieder zum Gutsein, zum Sein, zu Gott
gebracht, mit ihm mystisch-real verbunden wird. Die Unterschätzung des Glaubens
folgt nothwendig aus dem Gottes-, Creatur- und Sündenbegriflf, die alle drei die
Signatur des Akosmistischen haben. Weil es keine Selbständigkeit neben Gott
giebt , so kann die Glaubeusthat eines vor Gott stehenden Subjects erst dann
einen Werth bekommen, wenn sie sich in die Vereinigung mit Gott (das Erfiillt-
sein von Gott) umsetzt. Diesß Vereinigung ist aber ein Product des befreiten
Willens und der gratia (cooperans).
^ Dies wird sehr oft von Aug. ausgeführt. Die bona concupiscentia (de
spiritu 6: „adiuvat spiritus sanctus inspirans pro concupiscentia mala concupis-
centiam bonam, hoc est caritatem diffundens in co^dibus nostris) kann erfahrungs-
gemäss auf Erden die mala nie völlig verdrängen. Eben desshalb ist die diftusio
caritatis (gratia infusa, inspiratio dilectionis — Augustin hat für diese Kraft der
justificatio viele synonyme Ausdrücke) niemals vollendet. Somit ist die Rechtferti-
gung, welche mit der Heiligung identisch ist, nie vollendet, weil die „opera" mit
zur Rechtfertigung gehören. Ausdrücklich hat sich Augiistin auf Jacobus berufen.
Die gratia wird aber nie secundum merita bonae voluntatis, geschweige bonorum
operum, ertheilt; sie ruft dieselben erst hervor.
I
Augustin's Lehre von der Gnade. • 189
Parallel mit diesem "Wirken des Liebesgeistes geht das effective (sicht-
bare) Handeln der Gnade in der Kirche, und zwar sowohl in dem Abend-
mahl (der Incorporation in die Caritas und unitas des Leibes Christi)
als in dem Abendmahlsopfer, der Busse, den kirchlichen Werken, sofern
dieselben sündentilgende Bedeutung haben ^. Diese Werke haben aber
auch noch einen anderen AYerth. Die Abwendung von der Weltlust
vollendet sich erst in der Askese , und da bei dem Gericht Gott nach
unseren Werken handelt, so kann der vollkommene Abschluss der iusti-
ficatio nur in jener sanctificatio liegen, kraft welcher die particularen
Güter (Ehe, Vermögen u. s. w.) völlig preisgegeben werden. Zwar ist
es nicht unbedingt nÖthig, dass Jeder die consilia evangelica erfüllt;
man kann auch ohne sie im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe
leben. Gottes Gnade macht nicht Jeden zu einem Heiligen ^, den wir
zu verehren und dessen Fürbitte wir zu erflehen haben. Aber Ver-
dienste (merita) in irgend welchem Grade muss schliessHch ein Jeder
haben, der gekrönt w^ erden soll; denn beim Gericht werden nur Ver-
dienste gekrönt, die freilich stets, wie alles Gute, Gaben Gottes sind'\
Dass aber die Erwählten in dem ganzen Verlauf ihres Lebens bis zum
Gericht in der Liebe ausharren ist 3) das höchste und letzte Geschenk
der Gnade, die hier als irresistibihs erscheint. Die perseverantia bis zum
Ende ist das Gut, ohne welches alle früheren nichtig sind. Desshalb ist
diese perseverantia in gewissem Sinn allein die Gnade; denn nur die
werden selig, welche diese gratia irresistibihs erlangen. Die vocati,
welche sie nicht haben, gehen verloren. Warum aber nur Einige dieses
Geschenk erhalten, welches doch auch nicht secundum merita verliehen
^ S. oben S. 140 fl'. Zu beachten ist auch hier das Nebeneinander der beiden
Processe, des äusseren und des inneren. Uebrigens ist die ganze Darstellung des
Heilsprocesses noch nicht streng schematisch. Augustin vertauscht die Stufen noch
und hat — zum Glück — keine sichere Terminologie. Erst in der Scholastik wurde
das anders.
* Sünde kann Niemand völlig meiden; aber die Heiligen k(>mion Verbrechen
meiden; Enchir (54.
•' Hier ist die Schrift „de; fide et operibus" besonders wichtig. Ausdrücklich
verneint Augustin c. 40, dass (ilaube und Gotteserkenntniss zur Seligkeit genügt.
Er hält sich an den Spruch : „Tn hoc cognovimus eum, si maudata eius servemus."
Gegen die lleformer wie Jovinian und nicht nur gegen sie hat er die consilia, das
Mönchthum, die höhere Sittlichkeit, die H(!iligen vertheidigt. De gratia et lib.
arb. 1 : „per gratiam dei Vjona merita comparamus (juibus ad vitam perveniamus
aeteranj." Untfr diesen merita sind durchweg asketische Werke zu verstehen; s.auch
die Schriften de sancta virgin. und de bono viduit. , wo übrigens Augustin der Ehe
noch günstiger ist als in späterer Zeit. Die Hochschätzuug des Almosens geht
durch die Schriften aller Zeiten.
190 r^iti woltgeschichtlicho Stdlimg' Auofustiu's als Lehrer der Kirche.
wird, das ist das Gehcimniss Gottes'. Ewiges Ijeben und ewige Ver-
dammiüss — es ist eine Gerechtigkeit'^.
2. Vom Standpunkt der gratia gratis data und praeveniens ist die
Lehre von der Sünde, dem Sündentall und dem Urständ entworfen.
! )ass das Charakteristicum der gegenwärtigen Mensclilieit die Sünde ist,
l'olgt aus der Gnadenlehre. Die Sünde stellt sich ihrem Wesen nach
dar als carentia dei, die freiwillige Verringerung der Seinskraft ^. Der
Mangel des Besitzes Gottes (privatio boni), das non inhaerere deo, ist
die Sünde, und zwar fliessen für die Betrachtung die beiden Gedanken,
dass sie Mangel des Seins ist (metaphysisch) und Mangel des Gut-
seins (ethisch) ebenso zusammen (s. oben S. 103 ü*.), wie in der Betrach-
tung der Gnade stets das metaphysische Element (das Sein aus dem
Nichtsein finden) und das ethisch-religiöse zusammenkHngt. Diese Sünde
ist ein Zustand: die misera necessitas non posse non pcccandi. Die
Freiheit im Sinne der Wahlfreiheit ist nicht ausgetilgt '^j aber die noch
bestehende Freiheit führt allemal zur Sünde, und dieser Zustand ist
um so schrecklicher, als eine gewisse Erkenntniss des Guten besteht,
ja sogar ein kraftloses Wollen desselben, welches stets unterliegt^.
Positiv aber stellt sich der sündige Zustand als die Herrschaft des
Teufels über die Menschen, als Hochmuth^ und als Concupis-
cenz dar^. Aus jener Herrschaft folgt, dass der Mensch zuerst von
' Dass die Gnade gratis data ist, erscheint Augustin erst sicher durch die Be-
hauptung, dass sie irresistibilis ist und das donum perseverantiae einschliesst.
Die Lehre von der unbedingten Gnadenwahl tritt so am Schluss der ganzen Ge-
dankenreihe am deuthchsten hervor; s. de corrept. et grat. 34 und die Schriften
de dono persev. und de praedest. sanct. Aber Niemand kann nach Augustin darüber
gewiss sein, dass er diese Gnade besitzt. Also hatte Augustin bei allem Schrecken über
die Sünde den Schrecken der Ungewissheit des Heils doch nicht erfahren. Darum
kann auch Christus in der Ausführung des Gnadenprocesses so zurücktreten. Christus
ist ihm redemptor und der in den Sacramenten Thätige •, aber er ist ihm nicht das
Unterpfand der innerlichen Heilsgewissheit.
^ Aber Augustin nimmt verschiedene Stufen auch in der definitiven Seligkeit
und Unseligkeit au. Das ist für seinen Moralismus charakteristisch.
^ Dorner S. 124 ff. '^ Dies wurde stets von Augustin zugestanden.
^' Beide Sätze finden sich bei Augustin , dass der sündige Mensch das Gute
nicht will, und dass er doch den Gütern nachgeht, ja sogar das Gute in dunklem
Drange will, aber nie erreicht.
® Die Zukehr zum Nichts ist zugleich immer ein falsches und in elender Er-
folglosigkeit endigendes Selbständigkeitsstreben.
' Der Hochmuth ist die Sünde der Seele, die Concupiscenz ist wesentlich
die Sünde des Leibes, welcher die Seele beherrscht. Die innere Entfaltung der Sünde
von der privatio (defectus) boni zur ignorantia, concupisceutia, error, dolor, metus,
delectatio morbida s. Enchir 23. Das, was Augustiu an der Sünde stets am meisten
ins Auge fasst, ist die Krankheit, die AVunde.
Aucrustin's Lehre von Erbsünde, Sünde und Urständ. 191
Aussen erlöst werden muss, bevor ihm geholfen werden kann^ Der
Hochmuth Gott gegenüber und die Concupiscenz zeigen, dass der
Mensch nach Seele und Leib sündig ist. Doch fällt der Nachdruck auf
die Concupiscenz^; sie ist die Begierde nach Unten, die sinnliche Lust,
die sich vor Allem in der Fleischeslust zeigt. Der selbständige, sogar
vom Willen unabhängige motus genitalium lehrt, dass die Natur
verderbt ist; sie ist nicht vitium geworden, aber sie ist natura vitiata^.
' Das Werk des geschichtlichen Christus ist wesentlich die redemptio
aus der Macht des Teufels.
- Hier tritt das vulgär-katholische, aber von Augustin noch gesteigerte Ele-
ment ein. Enchir. 117: „Regnat carnalis cupiditas, ubi non est dei Caritas."
* Die höchst ekelhaften Ausführungen über Ehe undLust in den Streitschriften
gegen Julian (auch de civ. dei XTV) sind, wie dieser richtig erkannt hat, ohne die
Erinnerung an Augustin's Manichäismus (der übrigens schon in der Behandlung
des „ex nihilo" als wäre es eine böse Substanz hervortritt; der Neuplatonismus
allein erklärt diese Auffassung nicht) nicht zu verstehen. Auch sind sie keineswegs
ein blosses Aussenwerk in dem System Augustin's, sondern stehen im centralen
Kreise. An der Greschlechtssphäre ist ihm das Merkwürdigste gewesen die Un-
willkürlichkeit des Triebes. Statt nun aber zu folgern, dass er eben dess-
halb nicht Sünde sein könne — und so hatte er nach dem Satze „omne peccatum
ex voluntate" folgern müssen — , schliesst er vielmehr, dass es eine Sünde gäbe, die
der natura, nämlich der natura vitiata, und nicht der Willenssphäre angehört. Er
kennt also eine in der natura, allerdings in der gewordenen, wurzelnde Sünde, die
sich mit der Natur fortpflanzt. Es wäre nun leicht zu beweisen, dass er an eben
diese Sünde, die Fortpflanzungslust, stets ganz vornehmlich denkt, wenn er an die
Erbsünde denkt; aber das Material hier anzuführen, ist unthunlich. Deutlich ist,
dass die Erbsünde der Grund alles Sündigens ist, und dass es sich
mit ihr ganz anders verhält, als mit den actuellen Sünden, weil hier
die schlecht gewordene Natur das ganze Wesen inficirt. Dassdasaber
eine unerhörte Neuerung in der Kirche ist und nur aus dem Manichäismus erklärt
werden kann, ist einleuchtend. Allerdings will Augustin nicht Manichäer sein. Er
unterscheidet sehr scharf zwischen vitium und natura vitiata (de nupt. 36; op. imp.
III, 188, etc. etc.); er bemüht sich, das voluntarium auch in die Erbsünde zu bringen
(Retract. I, 13, 5); aber der Dualismus ist noch nicht überwunden, wenn man die
Natur „mala" geworden sein, jedoch sich als schlechte fortpflanzen lässt, und das
voluntarium ist eine blosse Behauptung. In dem Satze, dass die Kinder dosshalb die
Erbsünde haben, weil die Eltern mit Lust gezeugt haben — und mit diesem Satze
steht und fällt die Erbsündonlelire de nupt. 11, 15 — liegt der Dualismus. So wird
denn auch Christus desshalb Sündlosigkeit beigelegt, weil er nicht aus einer Ehe
stammt (Euch. 41. 34.), und Augustin coustruirt paradiesische Ehen, in denen die
Kinder ohne Lust gezeugt oder, wie Julian spottot, von den Bäumen geschüttelt
worden wären. Alles, was er hier behauptet, haben Marcion und die Gnostiker längst
behauptet. Man müsstc in der That auch ein sehr roher Mensch sein, um das nicht
^ ohne Manichäismus — nachompfinden zu können. Allein dieser Empfindung so
weit nachziigc }»on, wie Augustin tliut, um dann doch die P]ho nicht zu verworfen, das
konnte nur in oirior TicM gescliohon, wo die Dootrinen schon so vorwirrt waren, wie im
5. Jahrhundert. Freilich haben die die Verwirrung noch gesteigert, welche glaubten.
192 I^if' weltgeschichtliche Stellung Augustiu's als Lehrer der Kirche.
Daher pflanzt sie Sünde fort. Dass sie das tliiit, bezeugt der
Angenscliein, bezeugt die sinnliche und desslndb sündige Lust beim
Zeugungsact, bezeugt die hl. Schrift (Rom. 5^ 12 f.). So ist die Mensch-
heit eine massa perditionis auch in dem Sinne, dass sie in sich aus ver-
derbter Natur die Sünde fortzeugt. JJa aber die Seele höchst wahr-
scheinlich nicht mitgezeugt wird (sie wird jedesmal von Gott geschaffen) ',
so ist der in Fleischeslust gezeugte Leib ganz wesentlich der Träger der
Sünde'-. Dass diese sich so forterbt, ist Gottes Anordnung; denn die
Sünde ist nicht immer nur Sünde, sondern auch Sündenstrafe oder
manchesmal allein Sündenstrafe (peccatum und malum im Sinne des
LJeblen gehören zusammen) ^. Die in der massa perditionis sich fort-
erbende Sünde (peccatum originis, traduxpeccati) ist Sünde und Sünden-
strafe zugleich. So hat es der „ordinator peceatorum" geordnet. Jede
Begierde trägt in sich die Verblendung. Sündenstrafe ist es, dass man
das Böse, das man nicht will, thut. Jede Sünde trägt in sich die Auf-
lösung, den Tod des Sünders. Sie zerreisst, zersplittert ihn, entleert
ihn und braucht ihn auf, bis zu dem Punkte, wo er nicht mehr ist. So
herrscht in der massa perditionis der Tod in seinen verschiedenen Ge-
stalten bis zum ewigen Tode. Diese Menschheit, welche unter der
traurigen Nothwendigkeit des „non posse non peccare" steht, steht
darum auch und zugleich unter der furchtbaren Nothwendigkeit des „non
posse non mori" "*. Nichts Eigenes vermag sie herauszureissen. Ihre
besten Thaten sind sämmtlich von der Wurzel her befleckt; darum nichts
Anderes als splendida vitia. Ihre jüngsten Sprossen, auch wenn sie
die Lehre Augustiu's von der Erbsünde beibehalten, aber seine Lehre von der Concupis-
cenz verwerfen zu können. Aber die Dogmengeschichte ist die Geschichte der sich
steigernden Confusionen und der wachsenden Indifferenz nicht nur gegen das Absurde,
sondern auch gegen die Widersprüche, weil die Kirche nur schwer im Stande ist,
irgend etwas Traditionelles aufzugeben. Es lässt sich auch nicht sagen, dass Augustin
mit seiner Theorie lediglich der mönchischen Stimmung einen Ausdruck verliehen
habe (Hieronymus ist freilich in der Verwerfung der Ehe ebenso weit vorgeschritten,
s. d. lib. adv. Jovin.) ; denn diese ist eben Stimmung und nicht Theorie. Das be-
rechtigte Moment in Aug-ustin's Lehre liegt in der Selbstbeurtheilung des Gottes-
kindes, dass sein Zustand ohne Gott unselig ist, und dass diese Unseligkeit Schuld
ist. Aber diese Paradoxie des Glaubensurtheils ist kein Schlüssel zum Verständniss
der Geschichte.
^ S. den Briefwechsel mit Hieronymus über diesen niemals von Augustiu
erledigten Punkt.
'•* Damit ist der schöne Ansatz (Hochmuth und Demuth), aus dem man freilich
keine Geschichtstheorien bilden kann, zerstört.
* Ueber Sünde und Sündenstrafe (die Erbsünde ist beides) s. Op. imp. I,
41-47, aber schon in den Confessionen öfters und de pecc. mer. II, 36.
^ Schon die Erbsünde reicht zur Verdannuung völlig aus, wie Augustin sehr
oft behauptet hat — und mit Recht, wenn es eine giebt.
Augustin's Lehre von Erbsünde, Sünde und Urständ. 193
nichts Sündiges gethan haben^ müssen nothwendig verloren gehen *, denn
da sie das peccatum originis tragen, d.h. Gottes entbehren und mit der
Coneupiscenz behaftet sind, so gehen sie mit Recht in dieVerdammniss'.
Dies bezeugt auch die Kirche, sofern sie die Neugeborenen tauft ^.
Wie ist dieser Zustand geworden, den doch Gott der Schöpfer
nicht geschaffen haben kann? Schrift und Kirche antworten: durch
Adams Fall. Man hatte schon früher in der Kirche die Grösse dieses
Falles geschildert; aber Augustin musste von seinem Standpunkt aus
mit Recht sagen, dass die Sünde Adams und damit die Sünde über-
haupt noch nicht genügend erkannt worden sei (doch hat die Kirche,
wie ihre Institutionen beweisen, sie angeblich richtig geschätzt ; aber
die Schriftsteller sind hinter der Schätzung zurückgeblieben). Der Fall
Adams ist unausdenkbar gross gewesen ^. Indem er Gottes Verbot,
den Apfel zu essen, übertrat in der Hoffnung, wie Gott zu werden,
drängten sich in seiner Sünde alle denkbaren Sünden zusammen, der
Abfall zum Teufel, der Hochmuth des Herzens, der Neid, die sinnliche
Lust — Alles in Allem: die Selbsthebe, an Stelle der Gottesliebe*.
Und um so furchtbarer war diese Sünde, als es Adam leicht war, sich
von Sünde zu bewahren ^. Darum trat auch der unsäghche Jammer
^ „Mitissima poena" (Enchir. 103) — so erlaubt sich der Mensch die uner-
forschliche Gerechtigkeit Gottes, die er sonst lehrt, zu mildern. Auf den Ein-
wurf, warum denn Gott immerfort Menschen schaffe, wenn sie fast alle verloren
gehen, erwiederte er mit Hinweis auf die Taufe und auf die Eigenart der All-
macht Gottes, auch aus Bösem Gutes zu schaffen. Hätte er diese Allmacht nicht,
so hätte er das Böse nicht zulassen dürfen (Enchir. 11); „melius iudicavit, de
malis bene facere, quam mala nulla esse permittere" (c. 27. 100). Warum aber
auch Christenkinder ungetauft sterl)en, dieses Räthsel erschütterte ihn selbst (de
corr. et gr. 18). Alle, welche verloren gehen, sind die iuste praedestinati ad poe-
nam (mortem); s. Enchir. 100, de civ. XXTT, 24, Ob Gott Alle verdammt oder
Einige begnadigt — nulla est iniquitas; denn Alle haben den Tod verdient
(Enchir. 27). „Tenebatur iusta damnatione genus humanum et omnes erant irae
filii" (c. 33). Hier taucht dann in den späteren Schriften die Lehre von dem
do])pelten Willen (iudicium) Gottes auf, dem verborgenen und dem offenbaren.
Gott will nicht, dass Alle selig werden (Ench. 103).
'^ Sehr unrichtig war es, Augustin's ganze Conception der Erbsünde aus der Praxis
derKindertaufe abzuleiten. Als Beweisinstrument war sie ihm allerdings sehr wichtig.
' Die Schilderung der Grösse des Falls Adams in den meisten antipelagia-
nischen Schriften, aljcr auch sonst.
* Beim Fall Adams rückt Augustin die Sünde der Seele in den Vorder-
grund: „in paradiso ab animo coepit elatio", c. Jul. V, 17. Der „amor sui** als
Hau[)t- und Wurzclsünde schon in den Confessioncn; Enchir. 45 giel)t eine genaue
Auf/.ähliing aller Sünden, die Adam auf einmal beging.
^' Er war nämlich nicht nur gut gescliaircn, sondern die Gnade stand ihm au(;li
als adiutoriuin bei; s. unten.
Harnack, Do^^niengeschiflitf! III. %>
194 r)ie weltgeschichtliche Stellung Augustinus als Lehrer der Kirche.
ein, nämlich mit und in der Sünde die sich im Tode auswirkende
Siindenstrafe. Adam verlor den Besitz Gottes K Daraus folgte die
Entleerung (defectio honi), die sich als Tod der Seele darstellt;
denn diese ist ohne Gott todt (geistlicher Tod) ^. Die todte Seele
wird nun nach Unten gezogen, sucht ihre Güter in dem Veränder-
lichen und Vergänglichen und ist nun nicht mehr im Stande, dem
Leihe zu gehieten. Dieser machte sich nun mit allen seinen geilen
Trieben geltend, und so verdarb die ganze menschliche Na-
tur^. An der Zeugungshist, deren Sündhaftigkeit der Zwang und
die Scham bezeugen, ist das Verderben ofl'enbar, und dieses muss
sich nun forterben , da der Heerd der Natur verstört ist ^. Zwar
bleibt sie noch immer erlösungsfähig — sie wird keine mala sub-
stantia — , aber sie ist doch so verderbt, dass selbst die Gnade nur
den reatus der Erbsünde tilgen kann, nicht aber die Concupiscenz
selbst in den Erwählten völlig zu tilgen vermag, wie die bleibende
böse Geschlechtslust beweist. Diese Vererbung der Sünde und des
Todes Adams ist aber nicht nur eine Thatsache, sondern sie ist auch
gerecht, weil die Schrift sagt, dass wir Alle in Adam gesündigt haben ^,
^ Die ihn tragende Gnade (adiutorium).
'^ An diesen Tod denkt Augustin überall zuerst. Das haben die Pelagianer
utiliter acceptirt, da sie den natürlichen Tod für natürlich hielten. Dass durch
Adams Sünde die formale Freiheit verloren gegangen sei, hat Augustin nie behauj)-
tet, ja c. duas epp. Pelag. T, 5 bestimmt in Abrede gestellt: „libertas periit, sed illa,
quae in paradiso fuit, non liberum arbitrium". Aber Augustin hat das letztere als
hoffnungslos belastet vorgestellt. S. auch die Schrift de gratia et lib. arb. Hier
heisst es c,45: „deus induravit per iustum iudicium, et ipse Pharao per liberum ar-
bitrium." Aber (Enchir. 105): „Multo liberius erit arbitrium, quod omnino non
poterit servire peccato."
^ So erscheint doch die Sinnlichkeit als der Hauptschade.
* Enchir. 26: „Hinc post peccatum exul efifectus stirpem quoque suam, quam
peccando in se tamquam in radice vitiaverat, poena mortis et damnationis obstrinxit,
ut quidquid prolis ex illo et simul damnata per quam peccaverat coniuge per carna-
lem concupiscentiam, in qua inobedientiae poena similis [sofern das Fleisch hier nicht
dem Willen gehorsam ist, sondern selbst agirt] retributa est, nasceretur, traheret
originale peccatum, quo traheretur per errores doloresque diversos ad illud extre-
mum supplicium."
^ Augustin's Auslegung des s'f a> de pecc. mer. I, 11; c. Jul. VI, 75 sq.; op,
imp. II, 48 — 55 (gegen die blosse imitatio). Die Auslegung = „in quo" ist dem
Augustin überliefert gewesen, und überhaupt kommt seine Erbsündenlehre der
Ueberlieferung hier am nächsten. Hätte er sich mit der mystischen, d. h. postulirten
Vorstellung begnügt, Alle seien Sünder, weil sie irgendwie Alle in Adam waren,
so wäre seine Theorie keine Neuerung. Allein dieses „in quo" schliesst die Erbsünde
im strengen Sinn nicht ein, sondern aus: Alle sind persönlich Sünder, weil sie
Alle in Adam waren oder jener Adam waren. Die Vorstellung, dass die Sünde Adams
als wirkliche Sünde und doch wie ein Contagium zu Allen (durch Vennittelung
Augustinus Lehre von Erbsünde, Sünde und' Urständ. 195
weil Alle aus sündhafter Lust ihr Leben gezogen haben ^ und weil —
Gott gerecht ist.
Der Fall Adams setzt voraus, dass er vorher in guter Verfassung
gewesen ist. Das lehrt auch die Schrift, und es folgt ebenso aus der
Gewissheit, dass Gott Schöpfer aller Dinge und aller Dinge guter
Schöpfer ist^. War Adam gut geschaffen, so besass er nicht nur Alles,
was eine vernünftige Creatur bedarf (Leib und Seele, das entsprechende
Verhältniss zwischen beiden als Diener und Herr, die Vernunft, den
freien Willen), sondern er besass vor Allem die ihn stets tragende
und erhaltende gratia, das adiutorium, d.h. das Band mit dem
lebendigen Gott; denn es giebt ja im Guten keine Selbständigkeit neben
Gott, sondern nur in voller Abhängigkeit von Gott. Adam hatte also
nicht bloss einen freien Willen, sondern dieser Wille war nach
der Seite Gottes bestimmt-'^. Eben desshalb war er frei (in Gott);
aber er war doch auch frei (fähig), das Böse zu woUen; denn das
Böse stammt aus der Freiheit. Hätte Adam nicht einen freien
Willen gehabt, so hätte er nicht sündigen können ; aber er wäre dann
keine vernünftige Creatur gewesen. So besass er das „posse non
peccare" (posse non mori, posse non deserere bonum), welches aber
durch das adiutorium auf das „non posse peccare" so gerichtet war, dass
es Adam leicht gewesen wäre, es zu erreichen ^. Hätte er es vermöge
der Eltern, die ihre Kinder anstecken, Enchir. 46; Zweifel über den Umfang der
Vererbung 47) gekommen ist, ist der volle Gegensatz zu jener mystischen Vor-
stellung.
1 S. oben S. 191 f.
'^ Ueber die Lehre vom Urständ s. Dorn er S. 114 ff.
' Beides wird für den Urständ von Augustin sehr streng betont, die formale
Freiheit und die wahre Freiheit, welche die obedientia Adae begründete als
mater omnium virtutum ; de civ. XIV, 12 ; de bono coniug. 32. Ueber den Urständ
1. c. XI— XTV; de corrept. 28—33.
* Die „Leichtigkeit" stark betont de civ. XIV, 12 — 15. Die ganze Lehre vom
Urständ ist, wie alle Lehren über dieses Capitel, widerspruchsvoll; denn hier ist
eine gratia vorhanden, die wirklich sein soll und doch nur eine Bedingung ist,
d. h. keineswegs gut macht, sondern dem Willen Spielraum lässt. Damit ist die
ganze Gnadenlehre umgeworfen; denn wenn es überhaupt eine Gnade giebt, die nur
das posse non peccare wirkt, hat dann nicht alle Gnade nur diese Bedeutung, und
wenn das richtig ist, haben dann nicht die Pelagianer Recht? Sic behaupteten ja,
dass die Gnade nur eine Bedingung sei! Augustinus Lehre von der gratia
im Urständ (dem adiutorium ) ist pelagianisch und widerspricht seiner
({nadenlehre sonst. Hier liegt der deutlichste Beweis vor, dass man vom Stand-
punkt der prädostinatianischen Gnade keine Geschi(;hte (;onstruiren kann. Augustiii
behilft, sieh mit der Annahme, Gott habe dem Mensehen noch ein höheres Gut, als
er Anfangs erlialtrai hatte, zuwenden wollen. Enchir. 25. 105: „Sic enim oportebat
prius hominem fieri, ut et bene velle posset et male, nee gratis si bene, nee impune,
13*
19f) Die weltgeschichtliche Stelking Augustin's ala Lehrer der Kirche.
des liberum arbitrium erreicbt, so hätte er für das meritum dieses Aus-
harrens die Fülle der Seligkeit erhalten, wäre ohne zu sterben im
T^iradiese geblieben und hätte ohne sündliche Lust Kinder gezeugt.
Man erkennt, dass der Urständ nach dem Gnadenstand der Gegenwart
gezeichnet werden soll; aber ein wichtiger Unterschied waltet insofern
ob, als hier das adiutorium nur die Bedingung gewesen ist, damit
Adam den freien Willen beharrlich zum Guten brauchen konnte, wäh-
rend es hier die Kraft ist, welche als irresistibihs den gefallenen
Menschen zur Vollendung führt.
Die zeitgenössische Kritik an diesem Systeme mag hier kurz zusammengestellt
werden : Augustin widerspreche sich, da er behaupte, alles Vermögen zum Guten
sei verloren gegangen, und doch zugestehe, dass die Wahlfreiheit — das Entschei-
dende — geblieben sei ; sein Freiheitsbegriff hebe sich selber auf, da er die Freiheit
als bleibende Abhängigkeit von Gott definire; sein Begriff der Erbsünde sei wider-
spruchsvoll, da er selbst zugebe, dass Sünde immer aus dem Wülen stamme; er
müsse nothwendig den Traducianismus lehren , dieser aber sei Häresie ; seine
Schriftexegese sei willkürlich. Im Speciellen: Gott fördere die Sünden, wenn er
Sünde mit Sünde straft und die Herrschaft der Sünde verliänge ; er sei ungerecht,
wenn er fremde Sünde den Menschen imputire, eigene Sünde ihnen vergebe; ferner
wenn er nach Belieben die Einen annimmt, die Anderen nicht; diese Behauptung
führe zur Verzweiflung ; vor Allem aber führe die Erbsündenlehre zum manichäi-
schen Dualismus, den Augustin nie überwunden habe, sei also ein impium et stultum
dogma; denn Augustin möge sich wenden, wie er wolle, er bejahe doch eine
schlechte Natur und damit einen teuflischen Weltschöpfer; zu derselben
Annahme führe seine Lehre von der Concupiscenz; ausserdem entwerthe er das
herrliche Geschenk der menschlichen Freiheit, aber auch die göttliche Gnade in
si male; postea vero sie erit, ut male velle non possit, nee ideo libero carebit ar-
bitrio . . . ordo praetermittendus non fuit, in quo deus ostendere voluit, quam bonum
sit animal rationale quod etiam non peccare possit, quamvis sit melius quod peccare
non possit." Aber wie reimt sich das mit der gratia irresistibihs ? Mit Recht taucht
daher die Frage (de corrept. et gratia) auf: „Quomodo Adam non perseverando pec-
cavit, qui perseverantiam non accepit?" Ist nicht die ganze Gnadenlehre verstört,
wenn man lesen muss (Enchir. 106) : „Minorem immortalitatem (i. e. posse non
mori) natura humana perdidit per liberum arbitrium, maiorem (i. e. non posse mori)
est acceptura per gratiam, quam fuerat, si non peccasset, acceptura per meritum,
quamvis sine gratia nee tunc uUum meritum esse potuisset." Also ist am Anfang
und am Ende (Urständ und Gericht) die moralistische Betrachtung der religiösen
übergeordnet. Die ganze Lehre von der prädestinatianischeu, irresistiblen Gnade
ist in einen mit ihr unverträglichen Rahmen eingespannt. Somit hat es Augustin
selbst zu verantworten, wenn seine Kirche in der Folgezeit, vom Urständ aus und
vom Gericht (secundum merita) argumentirend, seine Lehre von der gratia gratis
data factisch eliminirt hat. Hat er doch selbst gesagt (107) : „ipsa vita aeterna mer-
ces est operum bonorum." Das wäre es für Adam gewesen und ist es auch für uns.
Die infralapsarisch e Prädestinationslehre, wie Augustin sie fasste, ist von der
Calvin's sehr verschieden.
Beurtheilung des Augustinismus. • 197
Christo, sofern nach ihm die Erbsünde nie ganz getilgt werde. Endlich höbe seine
Lehre von der Alleinwirksamkeit der Gnade und von der Prädestination nicht nur
die Askese und die Verdienstlichkeit guter Werke, sondern auch alles menschliche
Thun überhaupt auf; es werde nun unnütz, zu ermahnen, Fürbitte zu thun, die
Sündigenden zu tadeln u. s. w. Schliesslich schien auch das aufgehoben, was
Augustin im donatistischen Kampf so energisch betont hatte — der Zusammenhang
mit der Kirche.
In diesen Bemerkungen liegt Wahres und Falsches nebeneinander. Vielleicht
werden folgende Erwägungen zutreffender sein: 1) Die Unmöglichkeit, vom Stand-
punkt der gratia gratis data aus das Geschick der Gesammtheit und aller einzelnen
Menschen festzustellen, zeigt sich an der These der Verdammung der ungetauft
sterbenden Kinder. Hier tritt Augustin dem Gedanken der Gerechtigkeit Gottes
zu nah. Aber dieser Gedanke muss überhaupt werthlos werden, wenn die prädesti-
natianische gratia irresistibilis Alles beherrscht. Damit erleidet die Frömmigkeit
eine schwere Einbusse. 2) Die Durchführung des Gedankens der prädestinatia-
nischen Gnade, die doch nur eine Stimmung des Erlösten für seine Person sein
darf, führt zu einem Determinismus, der mit dem Evangelium streitet und die
Kräftigkeit des Freiheitsgefühls bedroht. Dazu : die Annahme der gratia irresisti-
bilis liegt über aller Erfahrung, auch über der Erfahrung des Gläubigen, und die
Lehre vom doppelten Willen Gottes (s. de grat. et lib. arb. 45) macht Alles am
Glauben unsicher. 3) Dass die Gnade gratia per Christum sei, hat Augustin keines-
wegs so sicher festgehalten, wie dass sie aus dem verborgenen Wirken Gottes
stamme. Das neuplatonisch-akosmistische Element in der Prädostinationslehre be-
droht nicht nur die Wirksamkeit des Worts und Sacraments (der vocatio und iusti-
ficatio), sondern auch die Erlösung durch Christus überhaupt. 4) Der religiöse An-
satz im System, dass das Entscheidende das adhaerere deo, resp. non adhaerere deo
ist, erhält im Fortgang eine Wendung, nach welcher vielmehr der sittliche Habitus
das Entscheidende ist (der Wille — freilich der befreite — ist eine causa efficiens
der Gerechtigkeit). Damit ist die Bedeutung der Sündenvergebung, des neuen
Grundverhältnisses zu Gott und der Glaubensgewissheit verkannt. Jene wird zu
einem Initiationsact, das Verhältniss wird ein Vorläufiges, und die Glaubensgewiss-
heit, die auch nach der Prädestinationslehre nicht aufkommen darf, geht in der
Vorstellung eines im Diesseits nie oder fast nie vollendeten Sanctificationsprocesses
unter, dem im Jenseits verschiedene Grade der Seligkeit entsprechen, wie auch die
Verdammung verschiedene Grade hat — welch' ein Beweis des Moralismus *. Zwi-
schen der These der alten (griechischen) Kirclie : „Wo Gotteserkenntniss ist, da
kommt auch Leben und Seligkeit", und dem Luther'schen Satz: „Wo Vergebung
der Sünden ist, da ist auch Leben undSchgkcit", steht Augustinus Satz: „Wo Liebe
ist, da folgt auch eine dem Masse der Liebe entsprechende Seligkeit." Augustin
hat die Gleichung remissio peccatorum =^ gratia per Christum überlegt und aus-
drücklich abgewiesen. Aus dieser \\'cndung erklärt sich auch die Behauptung, dass
Gott am Ende unsere Vordienste kröne, eine Annahme, die mit der prädestinatia-
nischen Gnade streitet und einer feinen Werkgerechtigkeit dieThore öffnete 5) Der
* Enchir. 93: „Tanto quisque tolerabiliorem ibi habebit damnationcm,
quanto hie minorem habuit iniquitatcm!" Auch IIL
'^ Augustiu hat im Gegensatz zum Pelagianismus den Unterschied von Gesetz
und Glauben ans Licht zu stellen versucht : „fidcs impetrat, (juod lex imperat." Es
ist ihm das auch so weit gelungen, als dieser Unterschied vom Begriff der gratia als
1 98 r^it' weltgeBchichtlicht! Stellung Au^ustiu's als Lehrer der Kirche.
ueuplatuuischeCiottesbegrifl" und die mönchische Stimmung fordern, dass alle Liebe
sich zugleich als Askese darstelle. Damit entfernt sich die Liebe von dem Glauben
(als fiducia) noch mehr, bedroht dessen Souveräuetät und lässt allen vulgär-katholi-
schen Cxedanken freien Spielraum. 6) Die Vorstellung vom Falle Adams und von
der Erbsünde — im Systeme nothwendig — enthalt (von der Mythologie, die hier
au die Stelle der Geschichte tritt, abgesehen) einen Knäuel von Widersprüchen und
höchst bedenklichen Gedanken. Letztere hat auch Augustin erkannt und sich gegen
sie wehren wollen, was ihm aber nicht gelungen ist. Geradezu mauichäisch ist die
Vorstellung, dass der Mensch desshalb sündige, weil er ex nihilo geschaffen sei,
sofern das nihil hier wie ein böses Princip behandelt wird (auch die neuplatonische
Doctriu sieht im nihil den Grund der Sünde ; aber Sünde ist ihr nur Endlichkeit.
Augustin dachte über sie tiefer, musste aber in dem Masse auch das nihil „böser" fassen,
d. h. es in die mauichäische böse Substanz hinüberspieleu); manichäisch ist auch
die Meinung, dass die Zeugungslust Sünde sei, und dass die Erbsünde sich eben aus
der Zeugung als Fortpflanzung einer natura vitiata erkläre '. Einen totalen Wider-
spruch enthalten die Thesen, dass alle Sünde aus der Freiheit (dem Willen) stamme,
der Alleinwirksamkeit Gottes aus entwickelt werden kann. Da ihm aber die strenge
und ausschliessliche Zusammengehörigkeit von gratia und fides nicht aufgegangen
ist, so ist es ihm nicht gelungen, den Unterschied von fides und lex bis zum Ende
durchzudenken und festzuhalten. Dass das Gesetz Zorn und Verzweiflung anrichtet,
hat er nicht sicher erfahren. Hier setzte Luther ein.
^ Es ist vielleicht die schlimmste, jedenfalls die hägslichste Folge des Augusti-
uismus, dass die christliche Religion im Katliolicismus in eine besonders innige Be-
ziehung zur Geschlechtssphäre gesetzt ist. Die Combination von Gnade und Sünde
(wobei die letztere vornehmlich als Erbsünde bezw. als Geschlechtstrieb mit seinen
Ausschweifungen erscheint) wurde der Rechtstitel für jene greuliche und ekelhafte
Durchstöberung des menschlichen Schmutzes, welche, wie die Moralbücher des
Katliolicismus beweisen, ein Hauptgeschäft des Beichte hörenden Priesters ist —
und zwar des ehelosen Priesters und Mönches! Die Dogmatiken des Mittelalters
und der Neuzeit geben unter dem Titel „Sünde" ein ganz blasses Bild von dem,
was eigentlich für „die Sünde" erachtet wird und womit sich die Phantasie der ge-
meinen Christen, der Priester und leider auch vieler „Heiliger" unablässig beschäftigt.
Man muss die Beichtspiegel, die Moralbücher, die Heiligeulegenden studiren und
das verborgene Leben belauschen, um zu erkennen, auf welchen Punkt im Katholicis-
mus vornehmlich die Tröstung der Religion bezogen wird. Wahrlich, hier ist die
hochgerühmte pädagogische Weisheit dieser Kirche traurig gescheitert! Sie will die
Sünde auch hier bekämpfen; aber statt die Phantasie zur Ruhe zu bringen, die an
ihr besonders betheiligt ist, regt sie dieselbe immerfort aufs tiefste auf, zerrt ohne
Scham in ihren Mariendogmen u. s. w. das Verborgenste ans Licht und erlaubt sich,
über Dinge öffentlich zu reden, über die sonst Niemand zu sprechen wagt. Der
antike Naturalismus ist weniger gefährlich , jedenfalls für Tausende weniger ver-
giftend als diese seraphische Contemplation der Virginität und diese stete Aufmerk-
samkeit auf die Geschlechtssphäre. Hier hat Augustiu die Theorie geliefert und
Hieronymus die Musik. Aber wie weit reichen die Anlange zurück! Schon Tertulliau
hat de pudic. 17 die verhängnissvollen Worte geschrieben: „quid intelligimus carais
sensum et carnis vitam nisi quodcunque pudet pronuntiare?" Aber die Späteren
schämten sich nicht, das breit auszusprechen, was der nicht prüde Afrikaner nur
angedeutet hat.
Beurtheilung des Augustinismus. • 1 99
und dass doch der Zustand der eben geborenen Kinder sündig sei. Höchst bedenk-
lich ist, dass bei der genaueren Fassung der Sünde die Concupiscenz dem non ad-
haerere deo factisch übergeordnet erscheint, was freilich auch aus der Unsicherheit
über den Traducianismus sich ergab. Bedenklich ist auch, dass factisch die ererbte
Sünde schwerer erscheint als die Thatsünde; denn jene kann nur durch die Taufe
abgewaschen werden, diese durch die Busse. Die ganze Lehrfassung an diesem
Punkte zeigt, dass die Gewissheit des Erlösten, dass er ohne Gott unselig und zu
keinem guten Werk geschickt sei, eine Selbstl)eurtheilung des Glaubens ist, die eine
Grenze darstellt, niemals aber ein Princip der Betrachtung der Geschichte der
Menschheit werden kann. An diesem Punkte war, eben weil die AVidcr-
sprüche so ungeheure wurden, die Entwickelung derDogmatik bei
Augustin nahe daran, den colossalen Sto ff, in den sie sich verwirrt
hatte, abzuwerfen und sich von der Welt- und Geschichtserklärung
zurückzuziehen; ab er wie Augustin auf ihn nicht verzichten wo 11 te^
so will man ihn auch heute noch nicht fahren lassen, weil man meint,
dass die Bibel ihn schütze, und weil man die Demuth des Glaubens, die sich im Ver-
zicht zeigt, Gottes Weltregierung an der Geschichte zu controliren, nicht lernen
will. 7) Abgesehen von der Erbsünde ist aber Augustin's Sündenbegriff auch dess-
halb bedenklich, weil er mindestens ebenso stark an dem Gedanken Gottes als des
summum und verum esse gebildet ist, wie an dem Gedanken des bonum esse. Ob-
gleich der Schuld Charakter nicht ganz verkannt ist, so tritt der Gedanke des
Jammers der verwüstenden, hässlichen Sünde in den Vordergrund. Von hier aus
erklärt es sich, warum Augustin, den rechtfertigenden Glauben überspringend, in
der Caritas infusa das höchste Gut erkannte. 8) Endlich ist die Lehre vom Urständ
desshalb mit einem Widerspruch behaftet, weil Augustin nicht vermeiden konnte,
der gratia dort eine andere Bedeutung zu geben als bei dem Rechtfertigungspro-
cess der Erlösten. Letztlich ist doch die Gnade nach ihm nichts Anderes als die
gratia irresistibilis (alles Andere ist Schein); aber diese hat Adam nicht besessen,
obgleich er die Gnade besass. — Allein alle diese schweren Anstössc können die
Grösse der Erkenntniss nicht verdunkeln, dass Gott in uns AVollen und Vollbringen
wirkt, dass wir nichts haben, was wir nicht empfangen haben, und dass Gott-An-
hangen gut und unser Gut ist. Auch ist es unschwer zu zeigen, dass in jeder ein-
zelnen bedenklichen Formulirung Augustin's ein richtiges Moment der Selbst-
beurtheilung des Christen steckt, welches nur desshalb fehlerhaft ist, weil es in
die Geschichte projicirt oder zum Fundament der Construction einer „Geschichte"
gemacht ist. Ist nicht die Prädestinationslehre ein Ausdruck des Bekenntnisses :
Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn? liegt nicht der Lehre von der
Erbsünde der Gedanke zu Grunde, dass hinter allen einzelnen Sünden die Sünde
als Mangel der Liebe, der Freude und des Friedens Gottes ruht? Ist sie nicht ein
Ausdruck für die richtige Beobachtung, dass wir uns für alles Böse schuldig
fühlen, auch dort, wo uns gezeigt wird, dass wir keine Schuld haben?
* Doch hat man dabei wohl zu beachten, dass kein anderer Kirchenvater die
Grenzen des Wissens so sehr empfunden hat wie er. Fast in allen seinen Schriften
— ein Erbtheil der Akademie und eine Folge seines auf die Hauptsache gerichteten
Sinnes -— crmahnt er zur Enthaltung gegenüber einem vorwitzigen, ins Leere gehen-
den Wissen -Wollen. Er hat doch 8(!hr viele Probleme, die früher behandelt worden
sind und nachmals wieder behandelt wurden, als unlösbar abgewiesen, und die Cou-
ceutration der Glaubenslehre auf ihren eigenen StoiV vorbereitet.
200 I>ie weltj^escliichtliche StoUuntJf Augustiu's als Lehrer der Kirche.
4. Augustinus Erklärung des Symbols (Enchiridion ad Laurentium).
Die neue Religionslehre.
Nach dem oben S. 92 f. Ausgeführten wird es der beste Abschluss
der Darstellung Augustinus innerhalb der Dogmengeschichte sein, wenn
wir seine im Enchiridion gegebenen Ausführungen des Inhalts der
katholischen Religion überschauen. Alles verehiigt sich an diesem
Buche, um uns darüber zu belehren, worin die Umstimmung (und an-
dererseits die Verstärkung) der vulgär-katholischen dogmatischen Lehre
durch Augustin bestand, welche der abendländisclien Kirche ein neues
C7ei)räge verliehen hat. AVir werden dabei so verfahren, dass wir zu-
erst eine genaue Analyse des Buchs geben, sodann systematisch das zu-
sammenstellen, was neu und zugleich dauerhaft gewesen ist.
„Hominis sapientia pietas est" oder genauer „O-soasßeia'^ — so be-
ginnt Augustin (2). Auf die Frage, wie Gott zu verehren sei, ist zu
antworten, durch Glaube, Hoffnung und Liebe. Man hat also festzu-
stellen, was zu jedem dieser drei Stücke gehört (3). Die ganze Re-
ligionslehre fasst sich in ihnen zusammen. Sie können aber nicht aus
der Vernunft oder der Wahrnehmung festgestellt, sondern müssen der
hl. Schrift entnommen und unbezweifelt auf das Zeugniss der hl. Schrift-
steller hin geglaubt werden (4). Ist die Seele zu diesem Glauben
gelangt, so wird sie, wenn er in der Liebe thätig ist, streben zu jenem
Schauen zu kommen, wo die heiHgen und vollendeten Seelen die un-
sagbare Schönheit erkennen, deren vollkommene Anschauung die
höchste SeHgkeit ist. „Der Anfang im Glauben, die Vollendung im
Schauen, das Fundament Christus." Christus ist aber nur Fundament
des katholischen Glaubens, obgleich sich auch die Häretiker nach ihm
nennen. Der Beweis für dieses ausschliessliche Verhältniss von Christus
und der katholischen Kirche würde hier zu weit führen (5). Hier soll
nicht polemisii't, sondern dargelegt werden (6). Das Symbol und das
Gebet des Herrn sind der Inhalt des Glaubens (Symbol) und der
Hofinung und Liebe (Gebet); aber auch der Glaube betet (7). Der
Glaube bezieht sich auch auf Dinge, die man nicht hofft, sondern
fürchtet, ferner auf eigene und fremde Dinge. Sofern er sich (wie die
Hoffnung) auf unsichtbare, künftige Güter bezieht, ist er selbst die
Hoffnung. Ohne Liebe nützt er aber nichts, weil auch die Dämonen
glauben. Somit ist Alles befasst in dem Glauben, der durch die
Liebe thätig ist und Hoffnung hat (8).
Nun geht Augustin zum Symbol (dem alten Apostolicum) über,
um den Inhalt des Glaubens darzulegen. §§ 9 — 32 liaiidelt er vom
ersten Artikel. Zum Glauben gehört nicht die Kenntniss der Natur
Die Erklärung des Symbols. • ^01
und der Physik — die Gelehrten sind ausserdem hier mehr opinantes
quam scientes — ; für den Christen genügt es, die Güte des Schöpfers
als die Ursache schlechthin aller Dinge zu glauben, so dass es keine
Natur giebt, die er nicht entweder selbst ist, oder die nicht von ihm ist;
ferner, dass dieser Schöpfer die trinitas summe et aequabiliter et
immutabiliter bona sei, und dass die geschaffenen Dinge zwar diese
Eigenschaft nicht besässen, aber doch gut seien ; ja Alles zusammen
sei sehr gut und bewirke eine wunderbare Schönheit, in der das malum,
an die richtige Stelle gestellt, das bonum nur hervorhebt (9. 10). So-
fort geht Augustin zur Lehre vom Bösen über. Gott lässt es nur dess-
halb zu, weil er so mächtig ist, dass er aus Bösem Gutes machen kann,
d. h. er kann die privatio boni, als welche sich das Böse darstellt
(morbus, vulnus), heilen. Im Begriff des non summum bonum esse
liegt die Fähigkeit der Verschlechterung ; aber nie kann das Gute, wel-
ches in der Existenz jeder Substanz liegt, anders vernichtet werden als
wenn diese Substanz selbst vernichtet wird. Damit hört aber dann die
Verderb niss selbst auf, da sie stets nur an einem Gut sein kann: das
malum kann nur an einem bonum sein. Das wird weitläufig ausgeführt
(11 — 15). Die Ursachen des Guten und Bösen muss man kennen, um
den errores und aerumnae dieses Lebens zu entgehen. Dagegen die
Ursachen der grossen Bewegungen in der Natur — Augustin kehrt zu
§ 9 zurück — braucht man nicht zu kennen ; kennen wir doch nicht
einmal unsere Gesundheitsverhältnisse, die uns doch am nächsten
Hegen (16) ! Allein ist nicht jeder Irrthum ein Uebel, und wie steht es
gar mit der Täuschung, der Lüge? Diese Fragen werden §§ 17 — 22
genau erörtert. Nicht alles Nichtwissen ist Irrtimm, sondern nur das
vermeintliche Wissen, und nicht jeder Irrthum ist schädlich*, es giebt
sogar einen guten Irrthum, der nützt. Aber da es für den Geist „de-
forme atque indecens" ist, Wahres für falsch, Unsicheres für sicher zu
halten, so ist unser Leben eben desshalb ein elendes Leben, weil wir bis-
weilen den Irrthum brauchen, damit wir es nicht verlieren. So wird jenes
Ijeben nicht sein, „ubi ipsa veritas vita animae nostrae erit". Am
schlimmsten aber ist die Lüge, so schlimm, dass selbst die Lügner nicht
belogen sein wollen. Allein doch bietet die Lüge ein schwieriges Pro-
blem. (Die Frage der Nothlüge, ob sie officium iusti hominis werden
könne, wird ausfühHich behandelt). Auch hier ist es das Wichtigste,
festzustellen, worin Einer irrt: „longo tolerabilius est in his
quae a religione sunt seiuncta mentiri, quam in iis, sine
quorum fide vel notitia deus coli non potest, falli"(18)^ Ge-
* Z. B. einem vorzulügen, ein Gestorbener sei noch am Leben, ist ein weit
geringeres Uebel als irrthümlich zu glauben, Christus werde noch einmal sterben.
202 T)it^' weltgeschichtliche Stellung Augustiu's als Lehrer der Kirche.
nau betrachtet, ist jeder Irrthuni ein üebel, mancher freihch ein kleines
Hebel. Ob jeder Irrthuni auch Sünde ist (z. B. wenn man ZwiUinge ver-
wechselt, etwas Süsses für bitter hält u.s. w.), darüber kann man zweifeln*,
jedenfalls ist er in solchen Fällen minimum et levissimum peccatum,
da er nichts zu thun hat mit dem Weg, der uns zu Gott führt, d. h.
mit dem in der Liebe thätigen Glauben *, der Irrthum ist doch mehr
malum als peccatum, ein Zeichen der miseria huius vitae. Jedenfalls
aber darf man nicht etwa, um allen Irrthum zu vermeiden, Nichts füi*
wahr halten wollen (wie die Akademiker); denn man soll glauben.
Ausserdem ist der Standpunkt des absoluten Nicht -Wissens undurch-
führbar ; denn auch der, welcher nicht weiss, nmss aus diesem Bewusst-
sein des Nicht- Wissens sein Dasein folgern (20). Vermeiden muss man
dagegen die Lüge *, denn der Mensch muss, auch wo er sich in seinem
Denken irrt, doch stets das sagen, was er denkt K Auch die einem
Anderen nützliche Lüge ist Sünde, obgleich Menschen, die zum all-
gemeinen Besten logen, sehr viel zum Glück beigetragen haben (22).
Augustin kehrt zu § 16 zurück: die Ursachen des Guten und Bösen
muss man kennen. Die Ursache des Guten ist einzig die Güte Gottes;
die Ursache des Bösen ist der von dem unwandelbaren Gott abfallende
Wille eines wandelbaren Guten, zuerst eines Engels, dann des
Menschen (23). Aus diesem Abfall folgen die übrigen Seelen-
krankheiten [ignorantia, concupiscentia, etc.] (24). Aber nicht verloren
ging der appetitus beatitudinis. Es folgt nun eine Darlegung der Aus-
stattung Adams, des Sündenfalls, der Erbsünde, des Todesverhäng-
nisses, der massa damnata, die mit den verdammten Engeln zusammen
leiden, u. s. w. Gottes Güte zeigt sich aber darin, dass er den bösen
Engeln, für die es übrigens keine Bekehrung giebt, noch immer ihre
Existenz erhält, und dass er die Menschen conservirt. Obgleich es nur
gerecht gewesen wäre, auch sie einer ewigen Strafe zu übergeben, so
wollte er hier aus Bösem Gutes hervorgehen lassen (25 — 27). Seine
barmherzige Absicht war nämlich, die durch den Fall einiger Engel
incomplet gewordene, im Guten beharrende Engelzahl aus der Mensch-
heit zu ergänzen, damit das himmhsche Jerusalem vollzählig bleibe, ja
noch vermehrt werde durch die „filii sanctae matris" (28. 29). Aber
die erwählten Menschen verdanken dies nicht dem Verdienst der
eigenen Werke (dem freien AVillen) *, denn sie sind an sich todt wie
die Anderen (Selbstmörder), sind frei nur noch zur Sünde. Bevor sie
also frei gemacht werden, sind sie Sklaven; sie können nur durch
^ C. 22: „Et utique verba propterea sunt iustituta, uon per quae se homiues
inviccm fallant, sed per quao in alterius quisque uotitiam cogitationes suas perlerat **
(vgl. Talleyrautl).
Die Erklärung des Symbols. 203
Gnade und Glauben erlöst werden. Auch der Glaube ist Gottes Ge-
schenk, und es werden ihm die Werke nicht fehlen. Somit werden sie
erst frei, wenn Gott sie aufs neue gestaltet (zur nova creatura), indem
er sowohl das Wollen als auch das Vollbringen wirkt („quam vis non
possit credere, sperare, dihgere homo rationalis, nisi velit") \ d. h. den
Willen selbst gut macht (misericordia praeveniens) und ihm stets bei-
steht [miseric. subsequens] (30 — 32).
In §§ 33 — 55 folgt die Auslegung des zweiten Artikels. Da alle
Menschen von Natur Kinder des Zorns sind und unter der Erbsünde und
eigenen Sünden stehen, war ein mediator (reconcihator) nöthig, der
durch Darbringung eines einzigartigen Opfers den Zorn (iusta vindicta)
besänftigte. Dass dies geschah und wir aus Feinden Kinder wurden, ist
die gratia dei per Jesum Christum (33). Von diesem Mittler wissen
wir, dass er das „Wort" ist, welches Fleisch geworden ist. Es ist nicht
verwandelt, sondern es hat die vollkommene natura humana angenommen
aus der Jungfrau, indem ihn nicht die Hbido matris, sondern die fides
empfangen hat (daher sündlos) ^. Die Mutter blieb in partu Jungfrau
(34). Es folgt eine kurze Auseinandersetzung über Christus als deus
et homo in unitate personae, aequalis deo und als Mensch minor (35).
Christus der Mensch, der gewürdigt ist, von dem Gott zu einer Person
angenonmien zu werden, ist das leuchtendste Beispiel der gratia gratis
data, non secundum merita. Dieselbe Gnade, die dem Menschen Christus
widerfahren ist, dass er sündlos wurde, widerfährt uns in der Recht-
* C. 32: „Ex utroque fit, id est, ex voluntate hominis et misericordia dei."
* Die ganze Auffassung Augustin's von der jeder Zeugung beigemischten
Sündhaftigkeit und die Vorstellung, dass die Geschlechtslust nicht aus der ur-
sprünglich geschaffenen Natur, sondern aus der Sünde stammt, hat bekanntlich
in der frühesten Zeit ihre "Wurzeln. Allein so consequent wie von Augustin ist
sie nur von den Gnostikern, Marcion und — von dem Verfasser des unter Justin's
Namen stehenden Fragments de resurrectionc ausgeprägt worden. Die Parallele,
welche der Letztere bietet (c. 3), ist höchst frapi)ant. Doch ist natürlich von
der durch die Begattung sich fortpflanzenden Sünde noch nicht die Rede;
die Begattung gilt einfach als sündhaft: [j.TjTpa<; e^xlv hi^'^v.a xo xdioxsiv v.aX jxop'vOu
ävopty.o'j xö G7icf(|j//'lv£iv. oiZKt^ oe, t\ xaüxa fXEXXst tvt^-^tvj zaoxac, luq Ivt^^^ziaq, ouxoiq
rjijy. fj.m'{y.r/.\ry/ aL)xot(; e^xtv x6 xyjV apy^YjV vjz^-^zvj (opdijisv yoüv -izoWac, -(ovalv.aq ji.v]
xüi'3xoüGa(;, (',)<; xä<; Gxstpac, y.al |j.T|xpa(; tyooorxc), oüxüx; oüx süöeüji; xr/l xö [x-f^xpav e)(etv
y.at xoioxs'.v P/.'^f/.'(vAZzi. a)Xfj.yjj\ jj/r] Gxjlpa'. jjiv e^ ap/Yjc, Trapxl-sVcOooGat Zk, xaxYjpY*^oav
yj/x xYjV auvoüGiav, 'izzpr/.; Zk Y,rjX fxTzo 'f^rt^mn. xal xou? aposvac; os xmc, jxev «tc' oipx."']?
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e7rti>o|j.'a(; avo|i.ov -{0.^.^/, Auch Thiere giebt es, die sich der Begattung ent-
halten, CwjXz xal "fiC avi)-poj7cu)v xal oi' aKfj'(Ui'^ xr/xapYO')|i.£v*rjv covouGiav nplv xoö jjiX-
/.ovxo(; a'.üivoi; opäat^at. xal o -Anpioq o£ yiij.wv 'l*r|G&ö<; o Xpiaxo? ob oC r/Xko xi Ix irap-
iyhfjti hftyy'f^ri'q, d.W 'ivr/. v.ri.xrj.^'('fp-fi YewYjGtv £7i'.0o|jia(; wrj\ioi) x. Zzii-fj xo) apyovxt xal
Ziyrx oiy/ooo'iaq av\>pü>7ilv7]? ^üvaxYjV elvac x<j) ö-eü) xy^v avl)pü>7roo ;iXaotv.
204 r)ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
fertip;unp; von 8üncloii. Sie offenbart sich auch in der wunderbaren Ge-
burt Christi, bei der übrigens der hl. Geist nicht wie ein natürhcher
Vater gewirkt hat. Es hat viehnehr die ganze Dreieinigkeit das Ge-
schöpf aus der Jungfrau gebiklet: der Mensch Jesus ist ihr Geschöpf
wie die Welt. Warum aber gerade der hl. Geist genannt ist, ist schwer
zu sagen. Jedenfalls ist der Mensch Jesus nicht Sohn des Geistes, son-
dern dieser ist wohl desshalb genannt, um auf die Gnade ohne alle voraus-
gehenden Verdienste hinzuweisen, die in dem Menschen Jesus zu einer
quodammodo naturalis geworden ist; denn der hl. Geist ist „sie deus,
ut dicatur etiam dei donum" (36 — 40). Nun folgt wieder ein langer
Abschnitt über die Sünde und das Verhältniss Christi zu derselben (41
bis 52): Christus war von Erb- und Thatsünde frei, wurde aber selbst
geradezu — wegen der Aehnlichkeit mit dem Sündenfleisch — Sünde
genannt, d. h. er wurde ein Opfer für die Sünde, Repräsentant unserer
Sünde in dem Fleische, in welchem er gekreuzigt ist, „ut quodammodo
peccato moreretur, dum moritur carni'* und aus der Auferstehung unser
neues Leben besiegle (41). In der Taufe wird uns das zugewandt;
Jeder stirbt in der Taufe der Sünde ab (auch die Kinder, nämlich der
Erbsünde), wobei Sünde coUectivisch zu verstehen ist; denn schon in
Adams Sünde steckten viele Sünden. Wahr seh einhch sind aber die
Kinder nicht nur von Adams Sünde angesteckt, sondern auch von denen
ihrer Eltern. Denn ihre Geburt ist verderbt, weil durch Adams Sünde
die Natur verkehrt worden ist; aber auch die Thatsünden der El-
tern „etsi non ita possunt mutare naturam, reatu tamen obligant lilios".
Bis in welches GHed aber die Thatsünden der Voreltern vorwärts wir-
ken, will Augustin nicht entscheiden. Alles das wird durch den Mitt-
ler, den Menschen Jesus Christus, ausgetilgt, der allein mit einer solchen
Gnade ausgerüstet war, dass er die Wiedergeburt nicht bedurfte ; denn
die Taufe durch Johannes hat er nur übernommen, um uns ein grosses
Vorbild der Demuth zu geben, wie er auch den Tod nicht aus Zwang
auf sich genommen hat, sondern um dem Teufel sein Recht widerfahren
zu lassen (42 — 49). Christus ist so das Gegenbild Adams; aber dieser
hat nur eine Sünde in die Welt gebracht, Christus dagegen hat alle
hinweggenommen, die seitdem begangen sind. Alle sind verdammt in
Adam, Niemand wird der Verdammung ledig ohne Christus. Die Taufe
ist als dasmysterium grande in cruce Christi zu feiern; denn nach Pau-
lus ist die Taufe „nihil aliud nisi similitudo mortis Christi; nihil autem
aliud mortem Christi crucifLxi nisi remissionis peccati similitudinem, ut
quemadmodum in illo vera mors facta est, sie in nobis vera remissio
peccatorum". Dies wird nach Rom. 6 ausgeführt: wir sind durch die
Taufe der Sünde abgestorben (50 — 52). Die Stücke des Symbols bis
Die Erklärung des Symbols. • 205
zur sessio ad dexteram werden nun aufgezählt mit der Bemerkung : „ i t a
gestum est, ut his rebus non mystice tantum dictis sed etiam
gestis configuraretur vita Christiana quae hie geritur."
An jedem einzelnen Stück wird das erwiesen. So bedeutet die sessio ad
dexteram : „ quae sursum sunt sapite. " Dagegen hat die Wiederkunft
Christi auf unser irdisches Leben keinen Bezug. Sie gehört ganz der
Zukunft an. Bei dem Gericht über Lebendige und Todte kann man
auch an die Gerechten und Ungerechten denken (53 — 55).
Dem dritten Artikel sind die §§ 56 — 113 gewidmet; er ist also
am ausführlichsten erläutert. §§ 56 — 63 handeln vom hl. Geist, der die
Trinität vollendet, also nicht zum Geschaffenen gehört, und von der
hl. Kirche. Diese ist Tempel und Stadt der Dreieinigkeit. Sie kommt
aber hier als ganze in Betracht, d. h. auch in demTheil, der im Him-
mel ist und niemals einen Sündenfall erlebt hat — in den hl. Engel, die
der pars peregrinans zu Hülfe kommen, wie sie mit ihr durch die Liebe
schon verbunden sind (56). Die Kirche im Himmel ist ohne Böses und
unwandelbar; ob Rangstufen unter den Engeln sind, ob die Gestirne zu
ihnen gehören und wie es mit ihrer Körperlichkeit bestellt ist, darüber
gesteht Augustin nichts zu wissen (57 — 59). Wichtiger ist es fest-
zustellen, wann sich der Satan in einen Engel des Lichts kleidet (60).
Den Zustand der himmlischen Kirche werden wir erst erkennen, wenn
wir ihr selbst angehören; die diesseitige kennen wir, für die Christus
gestorben ist; denn für die Engel ist er nicht gestorben; doch erstreckt
sich der Erfolg seines Werkes auch auf sie, sofern die Feindschaft gegen
sie aufgehoben und ihre Zahl wieder complet wird. So wird durch das
eine Opfer das Irdische mit dem Himmlischen wieder geeinigt und der
Friede hergestellt werden, der alles Denken übersteigt — nicht das
Denken der Engel, sondern der Menschen ; aber auch Engel und selige
Menschen werden niemals den Frieden Gottes so begreifen, wie Gott
ihn selbst begreift (61—63).
Augustin geht nun zur „remissio peccatorum" (§§ 64 — 83) über:
„per hanc stat ecclesia quae in terris est." Sofern uns die Sünden ver-
geben werden, „concordant nobiscum angeli etiam nunc". Neben der
magna indulgentia giebt es eine fortgehende remissio peccatorum, die
auch die gefördertsten Gerechten bedürfen, denn sie sinken doch noch
manchmal zu sich selbst herab und sündigen. Zwar kann die vita sancto-^
mm schon hienieden ohne Verbrechen sein, aber nicht ohne Sünde (64).
Aber auch für die Verbrechen giebt es in der Kirche nacli angemessener
Busse Vergebung; dabei kommt es nicht sowohl auf die Busszeit als
auf den Bussschmerz an. Da aber diese Begung den Mitmenschen ver-
borgen bleibt (nicht zu controliren ist), so haben die Biscluife mitKecht
20fi r)ie weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
tenipora paenitentiae eingerichtet, „ut fiat satis etiam ecclesiae", ausser-
halb welclier es keine Verzeihung gieht ; denn sie allein hat den hl. Geist
für sich zum Pfand erhalten (G5). Im Diesseits bleiben trotz der salu-
taria sacramenta die Hebel, damit man erkenne, dass ihr Zweck der zu-
kiniftige Zustand ist. Es sind Strafübel; denn Sünden dauern noch an
und werden hier oder dort bestraft (GG). Man darf ja nicht wähnen,
dass der Glaube allein vor dem zukünftigen Gericht schützt (w<; öta
TTopöc), vielmehr nur der in der Liebe thätige Glaube (Glaube und
Werke). Unter dem „Holz und Stoppeln" sind nicht Sünden zu ver-
stehen, sondern die Begierden nach irdischen, an sich erlaubten Dingen
(67. 68). Dass ein Läuterungsfeuer auch noch nach dem Tode für die
Gläubigen stattfindet (69) — Sünder können nur durch entsprechende,
mit Almosen verbundene Busse gerettet werden — , ist glaublich. Aus-
führlich wird nun von den Almosen (69 — 77) gehandelt: Beim jüngsten
Gericht wird (Mtth. 25, 34 ff.) nach den Almosen entschieden werden.
Freilich ist zugleich das Leben zu bessern ; „per eleemosynas de peccatis
praeteritis est propitiandus deus, non ad hoc emendus quodam modo,
ut peccata semper liceat impune committere" ^ Gott tilgt die Sünden,
„si satisfactio congrua non negligatur", ohne Erlaubniss zur Sünde zu
geben (70). Für die täglichen kleinen und leichten Sünden leistet das
tägliche Gebet Genugthuung (71) 2. Auch die Vergebung, die wir An-
deren spenden, ist eine Art Almosen. Es ist überhaupt Alles Almosen,
was man dem x\nderen Gutes spendet, Rath, Trost, Zucht u. s. w. Hier-
durch helfen wir dazu, dass uns selbst die Sünden vergeben werden (72).
Die höchsten Stufen des Almosens aber sind Sündenvergebung und
Feindesliebe ^ (73). Jene muss Jeder üben, damit ihm selbst vergeben
w^erde (74). Aber alle diese Almosen nützen nicht, w^enn man sich nicht
selbst bessert, d. h. das Almosen, das man sich selbst giebt, ist das
wichtigste. Nur wer sich seiner eigenen Seele erbarmt, von dem gilt :
„Gebet Almosen, und Alles ist rein für euch." Wir müssen uns selbst
mit der Liebe, die Gott uns geschenkt, lieben, was die Pharisäer, die
nur äusserliche Almosen gaben, nicht thaten; denn sie waren Feinde
ihrer Seele (75 — 77). Welche Sünden aber leicht und w^elche schwer
sind, kann nur durch göttliches Gericht erwogen werden. Manche apo-
stolische Zulassung (z. B. ehelicher Umgang aus Begierde) ist doch
^ Als Freibrief müssen also schon damals einige Katholiken die Almosen be-
trachtet haben.
^ „Delet omnino haec oratio minima et quotidiaua peccata."
' Mit grosser Wahrhaftio^keit sagt hier Augustin, Feindesliebe sei den wenig-
sten Menschen möglich (nm' den perfectis). Aber auch die, welche sie nicht er-
reichen, werden erhört, wenn sie die 5. Bitte gläubig sprechen.
Die Erklärung des Symbols. ' 207
Sünde; manche Sünde, die wir für ganz leicht halten (z. B. Schimpfen),
ist schwere Sünde; manche Sünde, die, weil sie uns zur Gewohnheit ge-
worden, uns leicht erscheint, ist eine schreckliche Sünde (z. B. Unzucht),
wenn auch sogar die Kirchenzucht ihr gegenüber lax geworden ist (78
bis 80). Alle Sünde entspringt entweder aus Unwissenheit oder aus
Schwäche. Die letztere ist die schwerere; aber gegen beide hilft nur
die götthche Gnade (81). Leider aber wird die öffenthche Busse aus
falscher Schwäche und Scham häufig nicht geleistet. Daher hat man
Gottes Barmherzigkeit nicht nur bei der Busse nöthig, sondern auch
zum Entschluss der Busse. Wer aber nicht an die Sündenvergebung
in der Kirche glaubt und sie verachtet, begeht die Sünde wider den hl.
Geist (82. 83).
Die §§ 84 — 113 handeln von der Auferstehung des Fleisches. Zu-
erst wird die Auferstehung der Fehl- und Missgeburten besprochen
(85 — 87); sodann das Verhältniss des neuen Leibes zum alten Stoff —
nicht jedes Theilchen des letzteren braucht in jenen überzugehen — ,
ferner die körperliche Verschiedenheit, Makellosigkeit und Geistigkeit
der Leiber im Jenseits (88 — 91). Wie die Körper der Verdammten,
die auch auferstehen, beschaffen sein werden, das soU uns nicht küm-
mern, obgleich hier das grosse Paradoxon vorHegt, dass ein corpus
corruptibile doch nicht stirbt, resp. ein corpus incorruptibile Schmerz
empfindet^ (92). Am gelindesten wird die Strafe derer sein, die nur die
Erbsünde, aber keine Thatsünden haben. Ueberhaupt wird die Ver-
dammung eine abgestufte sein, je nach dem Mass der Sünde (93). Nun
kommt Augustin (94 — 108) ausführhch auf die Prädestination zu reden:
„nisi per indebitam misericordiam nemo liberatur et nisi per debitum
iudicium nemo damnatur." Das ist das Thema. Im ewigen Leben wird
es offenbar werden, warum von zwei Kindern das Eine aus Barmherzig-
keit angenommen, das Andere aus Gerechtigkeit verworfen wird. Gottes
Nicht -Wollen der Seligkeit ist nicht ungerecht, obgleich Alle hätten
selig werden können, wenn er gewollt hätte ; denn nichts geschieht, was
er nicht will oder zulässt (95). Auch in der Zulassung des Bösen han-
delt er gut, sonst gälte der erste Artikel des Symbols nicht mehr (96).
Aber wie reimt sich, wenn Gottes Wille durch keinen Willen der Crea-
tur behindert werden kann, damit die Tliatsache, dass nicht Alle sehg
werden, während es doch heisst: Gott will, dass Alle sehg werden
(I Tim. 2, 4)? Die gewöhnliche Antwort: die Menschen wollen nicht,
ist augenscheinlich falsch ; denn sie können doch nicht den Willen Gottes
hindern, da ja Gott auch den bösen Willen zum Guten wenden kann.
' In <](ir Höllf „mors ipsa non moritur".
208 THo weltgeschichtliche Stellung Augustin's als Lehrer der Kirche.
Also will Gott iiiclit, dass Alle selig werden, sondern er verhängt mit
Gerechtigkeit üher die Sünder den Tod (Rom. 9), damit der, dem die
Seligkeit zu Theil wird, sich des Herrn rühme. Gott ist frei in seiner
Gnadenwahl; er wäre nicht zu tadeln gewesen, wenn er nach Adams
Fall Niemanden erlöst hätte; also ist er auch nicht zu tadeln, wenn er
nach seiner Barmherzigkeit nur Einige erlöst, damit Niemand sich
seiner Verdienste, sondern des Herrn rühme. Gottes AVille kommt in
den Verdammten ebenso zum Ausdruck wie in den Seligen („hoc ipso
quod contra voluntatem fecerunt eins, de ijDsis facta est voluntaseius").
So gross sind die AVerke des Herrn, dass nichts, was gegen seinen
Willen geschieht, praeter voluntatem eins geschieht. Ein guter Sohn
will, dass sein Vater am Leben bleibt, aber Gott will mit gutem Willen,
dass er stirbt. Wiederum ein böser Sohn will, dass sein Vater stirbt,
und Gott will es auch. Jener will, Avas Gott nicht will; dieser was Gott
will. Doch steht jener Gott näher; denn bei uns Menschen entscheidet
stets der Endzweck, Gott aber vollzieht seinen guten Willen auch
durch den bösen Willen der Menschen. Er ist immer gerecht und
immer allmächtig (97 — 102). Daher kann jene Stelle I Tim. 2, 4 nur
so verstanden werden, dass Gott will, dass alle Menschen k lassen
selig werden oder dass Alle selig werden, die er selig machen will.
Jedenfalls ist daran nicht zu denken, dass er Alle besehgen will, aber
gehindert wird, es zu thun (103). Hätte Gott vorhergewusst, dass Adam,
entsprechend seiner Erschaffung, für immer den Willen haben werde,
ohne Sünde zu bleiben, so hätte er ihn auch in dem ursprünglichen Heil
erhalten w^oUen ; w^eil er aber das Gegentheil vorausw^usste, so hat er
seinen eigenen Willen so gerichtet, dass er Gutes wirkte durch den, der
Böses that; denn ursprünglich musste der Mensch so geschaffen werden,
dass er das Gute und das Böse thun konnte. Später aber wdrd er so
werden, dass er das Böse nicht mehr wollen kann „nee ideo hbero care-
bit arbitrio" ; denn der freie Wille bleibt bestehen, auch wenn wir das
Böse einst nicht mehr wollen können, wie er auch jetzt besteht, ob-
gleich w'ir die ünseligkeitnie \vollen können. Nur musste die Ordnung der
Dinge eingehalten w^erden, erst das „posse non", dann das „non posse".
Aber stets ist die Gnade nöthig, auch dann, wenn der Mensch nicht ge-
sündigt hätte; denn nur durch die mitwirkende Gnade hätte er das „non
posse" erlangen können (man kann w^ohl freiwillig verhungern, aber man
kann, ohne dass Einem Speise gereicht wird, nicht durch den blossen
Appetit sich erhalten). Da aber die Sünde eingetreten ist, ist jetzt die
Gnade noch viel grösser, w^eil nun der Wille selbst erst befreit Averden
musste, um dann mit der Gnade zusammenzuwirken (104—106). Auch
das ewige Leben ist, obgleich Lohn der guten Werke, doch Gnaden-
Die Erklärung des Symbols. 209
geschenk, weil unsere merita munera dei sind. Gott hat eben ein Ge-
fäss zur Ehre und eines zur Unehre gemacht, auf dass Niemand sich
rühme. Der Mittler, der uns erlöste, musste auch Gott sein, „ut super-
bia humana per humilitateni' dei argueretur" und dem Menschen gezeigt
würde, wie weit er sich von Gott entfernt habe, u. s. w. (107. 108).
Nach diesem grossen Excurs kehrt Augustin wieder zu § 93 zurück und
handelt (109) vom Zwischenzustand (in abditis receptaculis) und von der
Erleichterung, die den abgeschiedenen Seelen durch das Messopfer und
die Almosen der Ueberlebenden in der Kirche zu Theil wird; denn
manche Seelen sind nicht so gut, dass sie dies entbehren können, und
nicht so schlecht, dass es ihnen nichts nützt. „Quocirca hie (in terra)
omne meritum comparatur, quo possit post hanc vitam relevari quis-
piam vel gravari." Das, was die Kirche für die Verstorbenen thut (pro
defunctis commendandis), widerspricht Rom. 14, 10*, II Cor. 5, 10 nicht.
Es ist für die ganz Guten eine Danksagung, für die nicht ganz Bösen
ein Sühnopfer, für die ganz Bösen ohne Erfolg, aber ein Trostmittel der
Ueberlebenden; ja wie es die remissio zu einer plena macht, macht es
auch die Verdammung zu einer erträglicheren (HO). Nach dem Ge-
richt sind nur die zwei Staaten da, wenn auch mit verschiedenen Stufen.
Man muss an die Ewigkeit der Höllenstrafen glauben, wenn man auch
vielleicht annehmen darf, dass Gott ab und zu die Strafen der Ver-
dammten erleichtert oder sonst welche Milderungen eintreten lässt.
„Manebit sine fine mors, sicut manebit c omni uniter omnium vita
aeterna sanctorum" (111 — 113).
Augustin hätte nun seiner Ankündigung gemäss über die Hoffnung
und Liebe (das Gebet) ausführhch handeln müssen; aber er unterlässt
das, weil er eigentlich schon Alles berührt hat. So beschränkt er sich
darauf, zu constatiren, dass die Hoffnung lediglich auf das geht, was
wir im Vater-Unser bitten, dass drei Bitten Ewiges betreffen, vier Zeit-
liches, und dass Matthäus und Lucas im Grunde beim Vater-Unser
nicht difleriren (114 116). In Bezug auf die Liebe bemerkt er, dass
sie das Grösste ist. Sie, nicht Glaube und Hoffnung, entscheidet,
welches Mass der Gutheit einem Menschen zukommt. Ohne Liebe
können Glaube und Hoffnung bestehen; sie sind aber nutzlos. Auf
den in der Liebe tliätigcn Glauben, d. h. auf den hl. Geist, durch den
die Liebe in unsere Herzen ausgegossen wird, kommt Alles an ; denn
dort regiert die fleischliclie Lust, wo die Liebe fehlt (117). Vier
menschliche Zustände giebt es, das Leben unter den altissimis ignoran-
tiae tenebris, uTiter dem Gesetz (welches Erkenntniss und bewusste
Sünde wirkt), unter der Gnade oder der guten Hoffnung, und unter
dem Frieden (im Jenseits). So ist auch die Gescliichte des Volkes
Harnack, Dogmengeschichte III. 14
210 r)iB weltgesclüclitlichft Stellung- Augustin's als Lehrer der Kirche.
Gottes gewesen; aber Gott hat sclion auf der ersten und zweiten
Stufe seine Gnade gezeigt (118), und so wird auch jetzt der Mensch
bald auf der ersten, bakl auf der zweiten Stufe ergrift'en und ilim
alle seine Sünde in der Wiedergeburt vergeben (119), so dass ihm
selbst der Tod nicht mehr schadet (120). Alle gottHchen Gebote zielen
auf die Liebe, und alles Gute, wenn es aus Furcht vor Strafe oder
sonst einem Beweggrund geschieht, geschieht nicht so, wie es ge-
schehen soll, wenn es nicht aus der Liebe geschieht. Alle mandata und
consilia Gottes sind in dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe
zusammengefasst und geschehen nur recht, wenn sie aus Liebe ge-
schehen, jetzt im Glauben, dann im Schauen. Im Schauen wird Jeder
wissen, was er am Anderen lieben soll. Schon jetzt nimmt die Begierde
ab, wenn die Liebe wächst, bis es zu der Liebe kommt, da man sein
Leben für den Anderen lässt. Wie gross wird aber im Jenseits die Liebe
sein, wo es keine Begierde mehr giebt, die zu überwinden ist.
Die vulgär-katholischen Züge dieser Religionslehre kann Niemand
verkennen : das alte Symbol liegt zu Grunde ; die Dreieinigkeits- und
Zwei-Naturen-Lehre ist gläubig bekannt ; die Bedeutung der katho-
lischen Kirche ist streng gewahrt und ihr Verhältniss zur himmlischen
Kirche, die das eigentliche Object des Glaubens ist, so unbestimmt ge-
lassen, wie es die damalige Anschauung verlangte. Die Taufe ist als
grande mysterium renovationis in den Vordergrund gestellt und vom
Tode Christi abgeleitet, in welchem der Teufel sein Recht bekommen
hat. Der Glaube ist nur als ein Vorläufiges betrachtet; das ewige
Leben wird nur den Verdiensten zu Theil, welche ein Product der
Gnade und der Freiheit sind. Sie bestehen in Liebes werken, die sich
in den Almosen zusammenfassen. Von den Almosen wird breit ge-
handelt ; sie constituiren die Busse. Innerhalb der Kirche ist für alle
Sünden nach der Taufe Vergebung vorhanden, wenn nur eine gehörige
Genugthuung geleistet wird (satisfacere ecclesiae; satisfactio congrua).
Es giebt eine Sündenscala von den Verbrechen bis zu den ganz leichten
Sünden des Tages. Eben desshalb giebt es eine Scala der bösen und
der guten Menschen ; aber auch die besten (sancti, perfecti) können
nur in dem Sinn sündlos sein, dass sie keine anderen als die leichtesten
Sünden begehen. Die sancti sind die vollkommenen Asketen; die
Askese ist überhaupt der Gipfel der Liebe ; aber nicht Alle brauchen
sie zu leisten: man muss zwischen mandata und consilia unterscheiden.
Im Jenseits wird es ebenso eine Scala der Seligkeit wie der Unseligkeit
geben. Den abgeschiedenen Seelen, sofern sie beim Tode nur leichte
Sünden ungebüsst gelassen haben, nützen die ]\lessopfer, Almosen und
Die neue Religionslehre. 211
Gebete der Ueberlebenden. Sie befinden sich in einem Fegefeuer, das
sie als Strafverhängniss reinigt*. Sind schon hierin vulgär- kathoHsche
Elemente sogar verstärkt und ihre zukünftige Ausarbeitung vorbereitet,
so gilt das ebenso von der Lehre vom Zwischenzustand, von der zeit-
weiligen Linderung der Strafe der Verdammten, von der Hülfe, welche
die heiligen Engel der diesseitigen Kirche leisten, von der Completirurig
der in Folge des Falls der bösen Engel geschmälerten himmlischen
Kirche (durch die erlösten Menschen), von der Jungfräulichkeit der
Maria auch in partu ^, von der Gnade Christi, die grösser ist als die
Sünde Adams, weiter von der Annahme, dass unwissend eine falsche
Religion zu haben schlimmer ist als wissend eine Lüge zu sagen, und
von vielen anderen Lehren , die von Augustin in anderen Schriften
entwickelt w^orden sind. EndHch — die AuiFassung vom Heil, nach der
dasselbe in der visio und fruitio dei besteht, liegt Allem zu Grunde
und schlägt überall durch. Doch ist das Lmerlichste, der Heiligungs-
process, gebunden an geheimnissvoll wirkende Kräfte.
Aber andererseits — diese Religiouvslehre ist neu. An das alte
S}mbol (das Apostolicum nach dem Verständniss des Nicänums) ist
hier ein Stoff lierangebracht, der nur ganz lose mit ihm verbunden wer-
den kann und zugleich die ursprünglichen Elemente modificirt. In
allen drei Artikeln ist die Behandlung der Sünde, Sünden-
* Nicht nur im Enchiridion hat Augustin von diesem ignis purgatorius ge-
sprochen.
'^ Auch das werdende Mariendogma (s. Bd. II S. 450 ff.) ist also von Augustin
eher gestärkt als geschwächt worden. Er stimmte mit Amhrosius und Hieronymus
(gegen Jovinian) ganz überein. Durch ein Weib kam der Tod, durch ein Weib das
Leben; Maria's Glaube hat den Heiland empfangen. Auf Julian's bemerkens-
werthen Einwurf gegen die Erbsündenlehre, dass die Maria durch dieselbe dem
Teufel unterworfen würde (nascendi conditiono), erwiedert Augustin (Op. imp. IV,
122): „ipsa conditio nascendi solvitur gratia renascendi." Dass Augustin damit die
unbefleckte Empfängniss Maria implicite gelehrt habe, darf man nicht als sicher
(s. Schwane II S. 691 f.) behaupten. Dagegen hat er sie allerdings für activ sünd-
los gehalten; s. de nat. et gr. 36: „Excepta itaque s. virgine Maria, de qua i)roi)ter
honorem domini nullam prorsus, cum de peccatis agitur, habcri volo quaestionem ;
unde enim scimus, quid ei plus gratiac coUatum fuerit ad vincendum omni ex parte
peccatum, quac concipere et parere meruit, (juem constat nullum habuisse pecca-
tiim ? hac ergo virgine excepta si omnes illos sanctos et sanctas, cum hie viverent,
congregarc possimus et interrogare, utrum essent sine pcccato, quid fuisse respon-
Huros putamus, utrum hoc quod ista dicit an qiiod Johannes apostolus?" Gen. ad
litt. X, 18 — 21. El)en weil Augustin die Sündhaftigkeit aller Menschen, auch der
Heiligen, zuerst energisch betont hat, die Maria aber ausnahm, hat er dazu bei-
getragen, der Maria eine besondere Stellung zwischen Christus und den Christen
zu gelten. Die passive Empfänglichkeit der Maria gegenüber der Gnade wird mit
denselben Worten betont, wie die des Menschen .Tesus.
14*
212 Die wt^lt^eaohichtlioho St»'lluii^ Augustin's als Lehrer der Kirche.
Vergebung und Vollendung in der Liebe die Hauptsacbe
(10— 15; 25-33; 41-52; 64—83). Alles wird als ein innerlicber
Process vorgestellt, dem der kurz bebandelte alte dogmatisclie Stoff als
untergeordnet ersclieint. Daber tritt aucb der dritte Artikel in den
Vordergrund ; den wenigen Worten desselben ist die Hälfte des ganzen
Bucbs gewidmet. Scbon im Aufriss zeigt sieb das Neue: auf Glaube,
Hoffnung und Liebe kommt Alles an, so innerlicb ist die Religion
(3 — 8). Im ersten ArtikelistkeineKosmologiegegeben,
ja es wird ausdrücklieb die Pbysik als Inbalt der Dogmatik (9.16 f.)
abgelebnt. Daber feblt aucb jede Logoslebre. Die Dreieinigkeit,
als Dogma überliefert, wird in strengster Einbeit gefasst; sie ist der
Scböpfer. Lii Grunde ist sie eine Person; die „Personen" sind, wie
uns Augustin in anderen Scbriften belebrt, innere Momente in dem
einen Gott; sie baben keine kosmologiscbe Bedeutung. So bat aucb
die ganze Dreieinigkeit den Menscben Cbristus im Scbosse der Maria
gescbaft'en; der bl. Geist ist nur genannt, weil „Spiritus" aucb eine
Bezeicbnung ist für „donum dei". Alles in der Religion beziebt sieb
auf Gott als die einzige Quelle alles Guten und auf die Sünde; diese
wird vom Irrtbum unterscbieden. Damit ist mit dem alten Intellec-
tualismus gebrocben, wenn aucb ein Rest desselben in der Bebauptung,
die LTtbümer seien sebr kleine Sünden, geblieben ist. Sofort w^o an
die Sünde gedacbt wird, wird an die gratia gratis data, die prädestina-
tianiscbe Gnade, gedacht. Sie stebt der vererbten Sünde Adams
gegenüber ; sie macbt den gebundenen Willen erst frei. Mit dem
Hinweis auf die misericordia praeveniens und subsequens scbliesst die
Auslegung des ersten Artikels. Wie anders bätten die Worte des-
selben gelautet, wenn Augustin denselben bätte frei entwerfen können!
Nicbt anders stebt es beim zweiten Artikel. Das, was das Sym-
bol wirklich enthält, ist ganz kurz berührt (die Wiederkunft ist nur
erwähnt ohne eine einzige chiliastische Bemerkung). Dagegen treten
folgende Gesichtspunkte in den Vordergrund: die Einbeit der
Christuspersönlichkeit als des bomo, mit dessen Seele sich das Wort
verbunden hat, die prädestinatianis che Gnade, die diesen
bomo mit der Gottheit in die Einheit der Person gebracht bat, obgleich
er keine Verdienste besass (daber die Parallele mit unserer Wieder-
geburt), die feste Verknüpfung des Todes Christi mit der Erlösung
vom Teufel, der Versöhnung und der Taufe (Sündenvergebung) einer-
seits, aber die Betrachtung der Erscheinung und der Ge-
schichte Christi als der Hoheit in der Demuth und als des
Vorbildes der vita Christiana andererseits. Die erlösende Be-
deutung Christi (§§ 41 — 52 sind wieder Sünde und Erbsünde, nun
Die neue Religionslehre. 213
aber unter dem Gesichtspunkt der Tilgung durch die aus dem Tode
Christi fliessende Taufe, behandelt) ist für Augustin ebenso stark
in dieser Demuth in der Hoheit und in dem Vorbild des christ-
lichen Lebens (s. den hl. Bernhard und Franciskus) ausgedrückt, wie
in seinem Tode. Zwischen diesen beiden Glesichtspunkten wechselt
er. Die Menschwerdung tritt ganz zurück oder wird unter eine Be-
leuchtung gestellt, die den Griechen völlig fremd war. So ist der
zweite Artikel ein ganz anderer geworden.
In dem dritten Artikel ist die Unbefangenheit und Sicherheit,
mit der eine immerwährende Sündenvergebung in der Kirche ge-
lehrt wird; die Hauptsache und das Neue. Betrachtet man die Stellung
der alten Kirche, Augustin's und Luther's, zu den Sünden der ge-
tauften Christen, so kann man bei äusserlicher Beurtheilung sagen,
man sei immer laxer geworden, und die steigende Hervorhebung der
Gnade (des rehgiösen Factors) sei nur ein Mittel gewesen, um den
strengen Anforderungen des Evangeliums an die Moral (das christ-
liche Leben) zu entfliehen. Diese Beurtheilung ist auch richtig, wenn
man auf die grosse Menge sieht, welche den Führern gefolgt ist.
Allein bei ihnen selbst waren die neuen Erkenntnisse durch eine Ver-
tiefung des Sündenbewusstseins und eine Versenkung in die Grösse
der Gnade Gottes, wie Paulus sie gelehrt, hervorgerufen. Augustin
steht zwischen der alten Kirche und Luther. Die Frage der persön-
lichen Heilsgewissheit hat ihm noch nicht die Seele getrofi'en; aber
die Frage, wie werde ich meiner Sünden ledig und mit Gottes
Kraft erfüllt, war seine Grundfrage. Im Anschluss an das vulgär
KathoHsche schaut er auf gute Werke aus (Almosen, Gebet, Askese),
aber er fasst sie als Product der Gnade und des Willens, der unter
der Gnade steht *, er warnt ferner vor jedem äusserlichen Thun.
Wie er alle Kultusmystik bei Seite lässt, so weiss er sehr wohl, dass
mit Almosen allein nichts zu erkaufen ist, sondern dass es auf eine
innere Umbildung, ein reines Herz und einen neuen Geist, ankommt.
Zugleich ist er gewiss, dass auch nach der Taufe immerfort der
Weg der Sündenvergebung dem Bussfertigen offen steht, und dass
der die Sünde wider den hl. Geist begeht, der an diese
Sündenvergebung in der Kirche nicht glaubt. Das ist eine
vöUig neue Deutung des evangelischen Spruches. Noch ausführlicher,
als im dritten Artikel zum dritten Mal die Südenvergebung behan-
delt ist, ist aucli das Schlussglied des Symbols (resurrectio carnis)
erklärt. Aber die Hauptsache ist hier nach kurzer Erörterung des
eigentlichen Themas — die Prädestinationslehre' und eine als
* Die PrädcbtinatiouBlehre — vor Augustin in der katholiBchcn Kirche nahezu
214 r*'ö weltgeschichtliche Stellung Augustiu's als Lehrer der Kirche.
Lehre ebenfalls wesentlich neue Betrachtung, die an Stelle der orige-
nistischen Lehre von der Apokatastasis tritt — die Annahme eines
Zwischenzustandes und einer Läuterung der Seelen in demselben, zu
welcher die Opfer und Gebete der Ueberlebenden beitragen können.
Die Frömmigkeit : Glaube und Liebe statt Furcht und Hoff-
nung ; die Religionslehre : etwas höheres als Alles, was Lehre heisst,
ein neues Leben in der Kraft der Liebe ; die Lehre von der Schrift :
die Sachen (das Evangelium, Glaube, Liebe und Hoffnung — Gott)*,
die Trinität: der eine lebendige Gott; die Christologie : der eine
Mittler, der Mensch Jesus, mit dessen Seele die G ottheit sich verbunden
hat, ohne dass sie es verdiente ; die Erlösung : der Tod zum Besten
der Feinde und die Demuth in der Hoheit; die Sacramente: das
Wort neben den Zeichen ; die Seligkeit : die beata necessitas des
Guten; das Gute: die Sehgkeit in der Abhängigkeit von
Gott; die Geschichte: Gott wirket Alles nach seinem
AV 0 h 1 g e f a 1 1 e n. Damit vergleiche man die Dogmatik der Griechen ! '
Auch der Umfang und die Stellung des Dogmas ist durch diese
Umbildung moditicirt worden. Die alten Dogmen der ungetheilten
Kirche wurden, eben weil sie in den Hintergrund rückten und nicht
unerhört — ist die Kraft seines religiösen Lebens gewesen, wie der Chiliasmus die
Kraft der uacliapostolischen Kirche und die Mystik die Kraft der griechischen war.
Wohl hat die Prädestinationslehre bei Augustin neben der biblischen und der neu-
platonischen auch eine starke religiöse "Wurzel — die gratia gratis data. Aber diese
allein erklärt die Bedeutung nicht, welche die Lehre bei ihm gewonnen hat. Wie
Alles, was in der Natur lebt und wirkt, an ein Anderes gebunden ist und sich nie in
freiem Zustand findet, so giebt es auch keine destillirte Frömm^'gkeit. ImGegentheil,
solange wir Menschen Menschen sind, wird gerade die lebendigste Frömmigkeit am
wenigsten isolirt und frei sein. Nur der Dogmatiker vermag eine solche zu constru-
ireu. Aber die Geschichte lehrt, dass alle grossen religiösen Persönlichkeiten ihren
Heilsglauben mit Ueberzeugungen unauflöslich verbunden haben, diö dem reflec-
tirenden Verstand als ungehörige Zugaben erscheinen. In der Geschichte des
Christenthums sind es die drei genannten — der Chiliasmus, die Mystik, die Prä-
destinationslehre. An diesen Rinden ist der Glaube gewachsen, wie der Saft der
Pflanze nicht in der Mitte des Stammes strömt, sondern an der Peripherie, wo
Stamm und Rinde sich trefi'en. Entblösst den Baum, und er wird vertrocknen ! Daher
ist es zwar wohl gemeint, aber thöricht, wollte man annehmen. Augustin hätte es
besser gemacht, wenn er seine Lehre ohne die Prädestinationslehre vorgetragen hätte.
^ Eine ausgezeichnete Vergleichung zwischen Origenes und Augustiu findet
sich bei Bigg, The Christian Platonists p. 284 — 290. Er hat die Widersprüche in
Augustin's Lehre von dem Urständ, der Erbsünde und der Gnade scharf hervorge-
hoben, aber auch den Fortschritt Augustin's über Origenes nicht verkannt. Ent-
wickelt man Augustin's Lekre von der Prädestination aus, dann hat Bigg Recht,
w^enn er sagt: „Aug. System is in truth that ofGnostics, the antecestors of the Maui-
chees. For it makes no real difference whether our doom is btamped upon the na-
ture given to us by our creator, or fixed by an arbitrary decree.'*
I
Geschiclite des Dogmas im Abendland bis zum Beginn -des Mittelalters. 215
mehr der Ausdruck der Frömmigkeit selber waren, starrer ; sie em-
pfingen mehr und mehr den Charakter einer Kechtsordnung. Die
neuen Dogmen (die Sünden- und Gnadenlehren) dagegen, in denen die
Frömmigkeit lebte, erhielten in ihrer positiven Ausgestaltung noch
nicht die Stellung und den Werth der alten, wie sie auch nicht in
runden Formeln ausgeprägt wurden K Somit wurde durch Augustin
die Kirchenlehre in der Dogmengeschichte nach Umfang und Be-
deutung unsicherer. Sie wurde einerseits in das Evangelium selbst
zurückgeführt, andererseits grenzte sie sich nun viel weniger scharf
als früher gegen die Theologie ab, da den neuen Gedanken die
sichere Formulirung fehlte. Um das alte Dogma, welches sich in
erstarrter Giltigkeit behauptete, bildete sich ein grosser unsicherer
Kreis von Lehren, in welchem die wichtigsten Glaubensgedanken
lebten, und der doch von Niemandem überschaut und festgefügt
werden konnte. Das ist der Zustand des Dogmas im Mittelalter.
Neben der Erstarrung beginnt bereits der Process der
inneren Auflösung.
Unter den Stürmen der Völkerwanderung, unmittelbar bevor die
Macht der Barbarei einbrach, hat Gott der Kirche einen Mann ge-
schenkt, der geistliche Dinge geistlich gerichtet und die Christenheit ge-
lehrt hat, was christliche Frömmigkeit sei. Soweit wir zu urtheilen ver-
mögen, wären die jungen germanisch-romanischen Völker völlig unfähig
gewesen, das ihnen als Gesetz und Kultus in festen Formeln über-
lieferte Kirchenthum, die damalige christliche Religion, je sich inner-
lich anzueignen und von der Schale bis zum Kerne vorzudringen,
wenn ihnen nicht mit diesem Kirchenthum Augustin überliefert
worden wäre. Den Muth, die Kirche, und die Kraft, sich selber zu
reformiren, haben sie aus Augustin geschöpft, oder vielmehr aus dem
Evangelium unter Anleitung Augustin's.
Fünftes Capitel: Geschiclite des Dogmas im Abendland bis
zum Beginn des Mittelalters (von 430—604).
Welchen Antheil in diesem Zeiträume das Abendland an den
christologischen Streitigkeiten des Morgenlandes genommen, welchen
hohen Aufschwung das Papstthum durch die Naclifolger des Damasus,
ferner durch Leo I. und seine Nachfolger erhalten liat, wie es im G.Jahr-
hundert in die ostgothisch-byzantinischen Wirren hineingezogen worden
* Der Widerstand der Pelagianer und Genossen war aueh ein Widerstand
gegen neue Dogmenbildung überhaupt. Ganz wie einst die Eusebianer im aria-
nisehen Kampf, haben sie sieh auch aus formellen Gründen gegen die neue Dog'
menbildung der nordafrikanischen Kirche gcHträubt,
216 Gescliichte des Dogmas im AbeucUaud bis zum Beginn des IMittelalters.
und in ihnen (unter Justinian) nahezu untergegangen ist y wie das
5. Concil einen Riss im Abendhmd lierv orger ufen und die Stellung des
Papstthums erschüttert hat, wie es aber durch Gregor I. seine Bedeu-
tung wiedergewonnen und verstärkt hat \ das ist, soweit es für die
Doginengeschichte von Bedeutung, in dem IL Bande unseres Werkes
dargestellt worden '^. Ebendort ist auch der wichtigen Schrift gedacht,
in welcher ^'incentius von Lerinum , auf den Schultern Augustin's
stehend, die antiquitas catholicae fidei, d. h. den katholischen Traditions-
begriff, dargestellt hat •'. Das ganze Abendland wurde in unserer Periode
* Freilich musstc Gregor das 5. Concil nahezu preisgeben.
■^ Das Pai)stthiini hat seit den Tagen des Damasus bis zum Ende des 5. Jahr-
hunderts den grössteu Aufschwung geuonmicn : damals hat es sich entschieden,
dass der Primat eine bleibende Institution der katholischen Kirche werden sollte.
Der Aufschwung ist eine Folge davon gewesen, dass in jenem Jahrhundert mehrere
ganz besonders befähigte, geschickte und thatkräftige Bischöfe den Stuhl des hl.
Petrus besessen haben. Allein in noch weit höherem Masse haben die äusseren Ver-
hältnisse den Fortschritt bedingt. Die wichtigsten seien hier genannt: 1) Die dog-
matischen AVirren im Orient gaben den Päpsten Gelegenheit als Schiedsrichter
aufzutreten, resp. die „dem Stuhle des hl. Petrus eigenthümliche" Lehrcorrectheit
in hellem Lichte strahlen zu lassen. 2) Das untergehende weströmische Kaiserthum
stützte sich zuletzt (s. die ep. Valent. III. an Leo I.) auf den römischen Bischof; als
es versank, war dieser der natürliche Erbe desselben, da die politische Centralge-
walt im Westen dahin war und der byzantinische Kaiser nicht die Gewalt, der ger-
manische Bandenführer nicht das Ansehen hatte, sie herzustellen. 3) Die Stürme
der Völkerwanderung trieben die Katholiken der abendländischen Länder, welche
von Arianern besetzt wurden, in die Arme Roms ; geschah dies nicht sofort, so
hörte doch der Widerstand dort auf, den die Provinzen, besonders Nordafrika,
gegen die Ansprüche des römischen Bischofs früher geleistet hatten. 4) Die Patri-
archats Verfassung hat sich niemals im Abendland durchgesetzt; damit war die
Entwicklung zur Primats Verfassung für die Zukunft sichergestellt. 5) Die Aus-
einandersetzungen mit der politischen Gewalt Ostroms und des dortigen Hof bischofs
nöthigten die römischen Bischöfe, ihre besondere Stellung, die sie der Welthaupt-
stadt verdankten, jetzt ganz und gar von der geistlichen (apostolischen, petrinischen)
AVürde abzuleiten, um nicht gegenüber Konstantinopel den Kürzeren zu ziehen.
Aber diese ausschliessliche Fundamentirung des römischen Stuhls auf Petrus
war in einer Zeit, wo alles Politische schwankte oder zusammenbrach, das Religiöse
aber respectirt wurde, die sicherste Grundlage. Selbst der Gedanke der politischen
Souveränetät, soweit ein solcher Gedanke im römischen Reich überhaupt aufkom-
men konnte, scheint den Nachfolgern Leo's aufgedämmert zu sein. Jedenfalls stand
das Papstthum am Ende des 5. Jahrhunderts so fest, dass selbst die Stürme des
6. Jahrhunderts es nicht mehr zu entwurzeln vermochten. Dass im Abendland
(ausserhalb Roms) die Theorie des römischen Bischofs (nacliMtth. 16) nur laugisam
Anerkennung fand, und dass man sich selbständig zu halten versuchte, soweit die
Noth es gestattete, soll ausdrücklich bemerkt sein. Die Theologen wussten nur da-
von, dass der römische Bischof die kirchliche Einheit repräsentire, und stimmten
der päpstlichen Schlussfolgerung, dass Rom die Kirche zu leiten habe, nicht zu.
« M. II S, 105 ß'.
Geschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn'des Mittelalters. 217
von den Stürmen der Völkerwanderung bewegt. Die alte Welt erhielt
den letzten Stoss, und unter dem Schrecken und der Noth der Zeit
schien die Kirche selbst, soweit sie aus Römern gebildet war, zu ver-
wildernd Die jungen Völker, welche einströmten, waren christlich, aber
arianisch. Nur im Frankenreich bildete sich ein katholisch-germanisches
Volk und begann langsam mit der alten römischen Bevölkerung zu ver-
schmelzen ; aber die Kirche mit ihrem Kultus, ihrem Recht und ihrer
Sprache blieb lateinisch : victus victori legem dat. Die Franken waren
Anfangs in der lateinischen Kirche, wie heutzutage die finnisch-mongoli-
schen Völker in der griechischen Kirche Russlands sind. Diese latei-
nische, aber im Frankenreich vom römischen Bischof getrennte, resp. mit
ihm nur durch Hochachtung verbundene Kirche, bewahrte in Gallien und
Spanien ihre alten Interessen und setzte ihr altes Leben bis zum Ende
des 6. Jahrhunderts fort^. Auch dann noch ist die alte Kultur in ihr
nicht ganz untergegangen, aber sie wurde doch durch die aus der Ver-
schmelzung mit der eingeströmten Bevölkerung sich ergebende Bar-
barei nahezu erstickt. In Nordafrika erhielt sich trotz der furchtbaren
Leiden das katholisch-lateinische Kirchenthum bis ins 7. Jahrhundert;
aber die einst Rom gegenüber so selbständige Kirche sah sich in dieser
Periode mehr als einmal genöthigt, ihre Zuflucht zu Rom zu nehmen,
um sich zu behaupten. Ganz eigenthümHch war die Lage Italiens, d. h.
des römischen Bischofs; denn die Kirche Mittel- und Unteritaliens
hat in der Kirchengeschichte niemals eine Rolle gespielt. Soweit es im
Abendland innerhalb der germanischen Reiche noch eine katholische
Kirche gab, repräsentirte diese den Rest des zertrümmerten weströmi-
schen Reiches und lag desshalb in der Machtsphäre des römischen
Bischofs, mochte auch dieses Verhältniss momentan nicht deutlich zum
Ausdruck kommen. Al)er dieser römische Bischof war selbst an den
Orient gekettet, und diepohtischen und kirchlichen Verhältnisse zwangen
ihn, mehr in den Osten als in den AVesten zu schauen. Dass er trotz-
dem den Zusammenhang mit diesem nicht verloren hat, verdankt er im
6. Jahrhundert mehr seiner Vergangenheit und der unerschütterlichen
Stellung in Rom, als einer zielbewussten Pohtik^.
* Salvian., de gubcrn. 111, 44: „Ipsa ccclcsia, (juac in omuibiis esse debct placa-
trix dci, quid est aliud quam oxaccrbatrix deiV aut praeter paucissimos quosdam,
qui mala fugiunt, quid est aliud [)acnc omnis coetus Christianorum quam sentina
vitiorumV'
'^ 8. Jlatch, Gcsellschaftsvcrfassuug S. 199 11"., Gruiidl. d, Kirchenvcrfassung
Westeuropas S. 1 f.
" Die Anerkennung des 5. Coucils iu Rom hätte beinahe Italien und Nord-
afrika dem Papst cufremdet.
218 (Jeschichte des Dogmas im Abendlaml bis zum Beginn des Mittelalters.
Unter den katholischen Bischöfen, die als Repräsentanten des rö-
mischen Reiches in Gallien und NordalVika nachgehlieben waren, spielte
sich ein nicht ganz unbedeutendes Stück Doginengeschichte in unserer
Periode ab — der Kani})f für und wider den vollen Augustinismus.
Der römische Bischof, viel mehr mit den christologisch-politischen
Fragen des (3rients beschäftigt, hat doch auch hier eingegriffen. Am
Schlüsse unserer Periode, als es völlig Nacht im Abendland wurde, hat
der grosse Mönchspapst und pater superstitionum dem Mittelalter das
Kirchenthum so zubereitet, wie es rohe Völker bedurften. Er hat sich
dabei selbst keinen Zwang anthun müssen; denn die untergehende Kultur
neigte sich der Barbarei zu ^
AVir haben demgemäss im Folgenden nur den Kampf um den
Augustinismus und die dogmengeschichtliche Bedeutung Gregor's des
Grossen zu betrachten'^.
^ Doch ist in Italien (Rom) die klassische Bildung nie ganz erloschen. Im
ü. Jahrhundert sind der kirchlich-fromme Cassiodorius einerseits, der latitudinari-
sche Boethius andererseits ihre Repräsentanten. Jener hat für die Kirche und das
Monchthum seiner Zeit ernsthaft gearbeitet (vgl. auch die Bestrebungen des Juui-
lius); dieser hat eine spätere Zeit belehrt (s. oben S. 30 f.).
^ Ueber die Geschichte des apostolischen Symbols in unserer Periode s.
meinen Art. in Herzog's R.-Encj'klop. 2. Aufl., Gas pari, Quellen I. — IV. Bd.,
V. Zez schwitz, System der Katechetik 11, 1. Von den Zusätzen, die das alte römi-
sche Symbol erhalten hat und die später allgemein recipirt worden sind, ist dogma-
tisch allein wichtig der Ausdruck „communio sanctorum". Ans der zweiten Homilie
des Faustus von Reji (Caspari, Kirchenhist. Anekdota S. 338) und aus seinem
Tractat de symbolo, den er allerdings nicht selbst redigirt hat (Caspari, Quellen
IV S. 250 Ö'.), lässt sich beweisen, dass südgallische Gemeinden in der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts die AVorte „communio sanctorum" im Apostolicum hatten.
AVeiter lassen sie sich m. W. nicht zurückverfolgen (über Nicetas von Aquileja
enthalte ich mich des Urtheils). Wäre es sicher, dass sie lediglich eine exege-
tische Apposition zu „sancta ccclesia" sein sollen, so hätte man anzunehmen, dass
die unzählig häufigen Stellen, in denen Augustin die Kirche als communio sancto-
rum, d. h. der Engel und aller Erwählten, einschliesslich der einfachen iusti (oder
mit synonjTnen Ausdrücken) beschreibt, eingewirkt haben. Aber erstlich begreift
man nicht, wie eine blosse exegetische Apposition in das Symbol gekommen, imd
warum das gerade in Gallien geschehen ist ; zweitens fiilirt die Erklärung der "Worte
bei Faustus in eine andere Richtung. In der 2. Homilie heisst es: „Credamus et
sanctorum communionem, sed sanctos non tarn pro dei parte, quam pro dei honore
veneremur. Non sunt sancti pars illius, sed ipse probatur pars esse sanctorum.
Quare? quia, quod sunt, de illumiuatione et de similitudine eins accipiunt; in sanctis
autem non res dei, sed pars dei est. Quicquid enim de deo participant, divinae est
gratiae, non naturae. Colamus in sanctis timorera et amorem dei, non divinitatem
dei, colamus merita, non quae de proprio habent, sed quae accipere pro devotiouo
meruerunt. Digne itaque venerandi sunt, dum] nobis dei cultum et /uturae vitao
desiderium contemptu mortis insinuant." Und noch deutUcher im Tractat (S. 273 i\);
Semipelagianismus und Augustinismus. 219
1. Der Kampf des Semipelagianismus und Augustinismus.
Augustin und die nordafrikanisclie Kirche hatten es durchgesetzt,
dass der Pelagianismus verurtheilt wurde; aber der Augustinismus war
damit in der Kirche keineswegs recipirt. Zwar stand die Autorität
Augustin's überall sehr hoch, und in manchen Kreisen wurde er mit
Begeisterung verehrt^; allein sowohl weil sie neu und unerhört war'^,
als weil sie den herrschenden Anschauungen, aber auch klaren Stellen
der hl. Schrift zuwiderlief, fand die Lehre von der gratia irresistibilis
(der absoluten Prädestination) Widerspruch. Der Kampf gegen dieselbe
ist nicht nur der Kampf der alten Anschauung der Kirche wider eine
neue; denn der Semipelagianismus ist die alte Doctrin des
Tertullian, Ambrosius und Hieronymus, sondern im Kampf ist
auch das alte Evangelium vertheidigt worden gegen eine neue Doc-
trin; denn der Semipelagianismus ist auch ein an augustini-
scher Frömmigkeit erwachsener, evangelischer Protest
wider einen alsLehre unerträglichenG-edanken Augustin's^.
Mithin ist nicht das wunderbar, dass trotz der Niederwerfung des Pela-
gianismus der ..Semipelagianismus" das Haupt erhoben hat, sondern
wunderbar ist, dass er schliesslich gezwungen wurde, sich unter den
Augustinismus zu beugen. Mit voller Aufrichtigkeit ist das freihch nie
geschehen. Andererseits steckte im Augustinismus selbst ein Stück
„Semipelagianismus", nämlich in der Lehre vom Urständ, von der Ge-
rechtigkeit (als Product der Gnade und des Willens) und von den Ver-
diensten. Bei dem Siege des Augustinismus mussten diese Stücke in
„ . . . transeamus ad sanctorum communionem. Illos hie sententia ista confundit,
qui sanctorum et amicorum dci cincres non in honorc dcbere esse blasphcmant,
qui beatorum martyruni gloriosam mcmoriam sacroruni rcverentia monumentorum
colendam esse non credunt. In symbolum praevaricati sunt, et Christo in fönte
mentiti sunt." Faustus versteht also unter den „sancti" nicht alle iusti, sondern —
wie auch Augustin nicht selten — die specifisch „Heiligen", und er behauptet, die
W^jrte kehrten ihre Spitze gegen die Anhänger des Vigilantius, die den Heiligen-
cult verwarfen. In diesem Fall heisst „communio sanctorum" entweder Gemein-
schaft der oder mit den specifisch „Heiligen". Ob dies wirklich der Gedanke ist,
dem das Apostolicum die zweifelhafte Bereicherung verdankt, oder ob es nur eine
sehr frühe, ja die älteste Erklärung ist, lasse ich dahingestellt. — Uebcr das
„filioque" im Constantinopolitanum s. Bd. II S. 291 — 298.
' S. die ep. Prosperi ad Aug. [225J. Hier heisst Augustin „iueffabilitcr mira-
bilis, incomparabiliter honorandus, praestantissinus patronus, columna veritatis
ubiquc gentium conspicua, specialis fidei patronus".
'' S. das Commonit. des Vinccntius.
"Der Semipelagianismus fusst unzweifelhaft auch auf augustinischen Ge-
danken.
220 beschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters,
den Vordergrund treten. Damit war dann aber eine ganz unsichere,
verschiedener Deutung fähige, in sich unwahre Situation geschaffen.
Augustin seihst erlebte es, dass seine (iiiadenlehre unter den
München zu Hadruniet innere Unruhen hervorrief: Mit dem freien
Willen ist es aus ; die Menschen können die Hände in den Sclioss
legen; gute AVerke sind üherHiissig; auch beim Endgericht kommt es
nicht auf die AVerke an. Augustin suchte sie durch den Tractat de
gratia et lib. arbitrio zu beruhigen und sandte diesem die Schrift de
correptione et gratia nach, als er horte, man sei dort auch zweifelhaft
geworden, ob man die Fehlenden und Sünder ferner noch zurechtweisen
oder nicht vielmehr sich mit Fürbitten begnügen solle. In diesen Schrif-
ten ist Augustin bestrebt, die Missverständnisse der Mönche zu besei-
tigen, formulirt aber seine Gnadenlehre selbst schärfer denn je. Ein
Jahr darauf (428/9) berichteten ihm seine ergebenen Freunde Prosper,
Tyro ' und Hilarius-^ (cpp. 225. 226), dass man zu Massiha und an an-
deren Orten Galliens die strenge Prädestinationslehre und die Ansicht
von der völligen Unfähigkeit des Willens nicht gelten lassen wolle ^,
weil sie die christliche Predigt lähme. Augustin antwortete, indem er
durch seine beiden Schriften de praedestinatione sanctorum und de dono
perseverantiae die Freunde stärkte, den Gegnern aber neue Anstösse
gab. Bald darauf starb er, seinen Mantel Schülern zurücklassend, deren
Treue und Zähigkeit ersetzen musste, was ihnen an Selbständigkeit ab-
ging. Jene gallischen Mönche („servi dei") schritten jetzt zur offenen
Opposition vor ^ Es ist wohl verständlich, dass gerade Mönche und
griechisch gebildete Mönche zuerst auf den Kampfplatz traten. Unter
ihnen ragten flohaunes Cassianus, der Vater des südgalhschen Mönch-
thums^, und Vincentius von Lerinum^ hervor. Der Erstere hat beson-
ders in der 13. Verhandlung seiner „collationes patrum", welche den
Titel führt „de protectione dei^', seinen Standpunkt formulirt. Er nimmt
* Ueber diesen s. das Programm von Wörter, Freiburg 1867 und Hauck in
der R.-E.
'^ Nicht zu verwechseln mit Hilarius von Arles, dem Semipelagianer.
^ Der AViderspruch wurde zunächst vorsichtig erhoben.
* Eine genaue Darstellung des Streits hat Wiggers im 2. Bd. seiner „Prag-
matischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus" (1833) gegeben, s.
auch Luthardt, Die L. v. fr. Willen 1863. Die spätere Entwickeluug von Gregor I.
bis Gottschalk hat Wiggers i. d. Ztsch. f. d, hist. Theol. 1854. 55. 57. 59 geschildert.
° S. de coenobiorum institutis 1. XII.
® Das Commonitorium richtet sich schliesslich gegen Augustiu. Dass es nur
verstümmelt auf uns gekommen ist, erklärt sich wohl aus dem Widerspruch gegen
Augustin. Ausserdem hat uns Prosper die Einwürfe des Vincentius gegen Augustiu
erhalten.
Die hadrumetischen Mönche. Vincentius und Cassian. 221
vor Allem an der unbedingten Prädestination^ an der Particulari-
tät der Gnade und an der völligen Unfreiheit des AVillens Anstoss.
Seine Lehre über Gnade und Freiheit ist folgende :
Die Gnade Gottes ist das Fundament unseres Heils ; aller Anfang
ist insofern von ihr abzuleiten, als sie die Gelegenheit des Heils und die
Möglichkeit, selig zu werden, herbeiführt. Allein das ist die äussere
Gnade ; die innere ist die, welche den Menschen ergreift, ihn erleuchtet,
straft, heiligt und seinen Willen ebenso durchdringt, wie seinen Ver-
stand. Ohne diese Gnade kann die menschliche Tugend weder wachsen
noch vollendet werden (daher sind die Tugenden der Heiden sehr ge-
ringe Tugenden) ^ Aber die Anfänge des guten Willens, der guten
Gedanken und des Glaubens (im Sinne der Vorbereitung für die Gnade)
können aus uns sein. Daher ist die Gnade schlechthin nothwendig,
um zur Seligkeit (Vollkommenheit) zu gelangen, aber nicht ebenso noth-
wendig, um den Anfang zu machen. Sie begleitet uns auf allen Stadien
des inneren Wachsthums, und unsere Anstrengung vermag nichts ohne
sie (libero arbitrio semper cooperatur); aber sie trägt und begleitet nur
den wirklich Strebenden, der sich nach dem Ziele streckt. Doch zu-
weilen kommt Gott dem Willen der Menschen zuvor und macht sie
erst zu Wollenden (so bei Matthäus und Paulus) ; allein auch diese —
seltene — Gnadenwirksamkeit ist nicht unwiderstehlich. Der freie Wille
wird von Gott niemals vernichtet — das muss man festhalten, auch
wenn man die Unbegreiflichkeit der göttlichen Gnade eingesteht. Ebenso
muss man streng daran festhalten, dass Gott das Heil Aller ernstlich
will, und dass sich desshalb auch die Erlösung durch Christus nicht nur
auf die kleine Zahl von Auserwählten, sondern auf alle Menschen be-
zieht. Die Gegcnlehre involvirt ein ingens sacrilegium. Die Prädesti-
nation kann sich daher nur auf die Präscienz gründen — auch die These
von der Präscienz dessen, was wirklich gewesen wäre, wenn es überhaupt
gewesen wäre, ist damals im Zusammenhang mit der Frage nach dem
Schicksal der sterbenden Kinder aufgetaucht — ^; doch hat sich Cassian
hierüber kaum ausgesprochen. Vom Urständ lehrte er, dass er ein Zu-
stand der Unsterblichkeit, der AVeisheit und der vollkommenen Freiheit
gewesen sei ; Adams und Evas Fall habe dem ganzen Geschlecht
Verderb(!n und die Nothwendigkeit des Sündigens ge})racht; allein mit
' Hier liai Cassian duroliwo;^ von Aiifrustin j^olcnit, und man sielit, dass er
sich ihm nicht nur anh('(iu(!mt hat, sondern von ihm überzeugt worden ist.
" Einige fjehaupteten nämlich, dasScliicksal dieser Kinder entscheide sich dar-
nach, wie sie gehandelt hätten, wenn sie am Lehen geblieben wären; denn das sei
Gott bekannt.
222 rieschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
dem freien, wenn auch geschwächten Willen sei auch eine gewisse Fähig-
keit, sich zum Guten hinzuwenden, gehliehen \
Es ist ühlich, den „Semipelagianismus" zu verurtheilen. Allein die
unhedingte Vorurtheilung ist nicht gerecht. Soll eine allgemeine
Theorie als Doctrin üher das Verhältniss Gottes zurMcnsch-
heit (als Ohject seines Heilswillens) aufgestellt werden, so
kann sie nur „semipelagianisch" lauten, resp. cassianisch.
(Jassian hat sich nicht anheischig gemacht, Alles zu erklären; er weiss
sehr wohl, dass „Gottes Gerichte unbegreiflicli sind und unerforschlich
seine Wege." Desshalb will er mit Eecht auf die Frage der Prädesti-
nation nicht eingehen. Indem er es aber ablehnt, den Geheimnissen
auf den Grund zu kommen, fordert er, dass, soweit man etwas hier aus-
sagt, dies die Universalität der Gnade und die Zurechnungsfähigkeit
' Sätze Cassian's: Coli. XIII, 3: „non solum actuum, verum etiam cogitationum
bonarum ex deo esse principium, qui nobis et initia sanctae voluntatis inspirat et
virtutem atque opportniiitatem eorum quae recte cupimus tribuit peragendi . . .
deus incipit quae bona sunt et exsequitur et consummat in nobis, nostrum vero est,
ut cotidie adtrahentem nos gratiam dei humiliter subsequamur." 5 : „gentiles verae
castitatis (und das ist die Tugend xax' £io)(Yjv) virtutem non agnoverunt." 6: „semper
auxilio dei honiines indigere nee aliquid humanam fragilitatem quod ad salutem
pertinet per se solam i. e. sine adiutorio dei posse perficere." 7: „propositum dei,
quo non ob hoc hominem fecerat, ut periret, sed ut in perpetuum viveret, manet
immobile, cuius benignitas cum bonae voluntatis in nobis quantulamcunque scintil-
lam emicuisse perspexerit vel quam ipse tamquam de dura silice nostri cordis ex-
cuderit, confovet eam et exsuscitat et confortat . . . qui enim ut pereat unus ex pu-
sillis non habet voluntatem, quomodo sine ingenti sacrilegio putandus est non
universaliter omnes, sed quosdam salvos fieri velle pro omnibus? ergo quicumque
pereunt, contra illius pereunt voluntatem . . . deus mortem non fecit." 8: „tanta
est erga creaturam suam pietas creatoris, ut non solum eomitetur eam, sed etiam
praecedat iugiter Providentia, qui cum in nobis ortum quendam bonae voluntatis
inspexerit, inluminat eam confestim atque confortat et incitat ad salutem, incre-
mentum tribuens ei quam vel ipse plantavit vel nostro conatu viderit
emersisse." 9: „non facile humana ratione discernitur quemadmodum dominus
petentibus tribuat, a quaerentibus inveniatur et rursus inveniatur a non quaerenti-
bus se et palam adpareat inter illos, qui eum non interrogabant." 10: „libertatem
scriptura divina nostri confirmat arbitrii sed et infirmitatem." 11: „ita sunt haee
quodammodo indiscrete permixta atque confusa, ut quid ex quo pendeat inter mul-
tos magna quaestione volvatur, i. e. utrum quia iuitium bonae voluntatis praebueri-
mus misereatur nostri deus, an quia deus misereatur consequamur bonae voluntatis
initium (dort wird Zacchäus, hier Paulus und Matthäus als Beispiel genannt)." 12:
„non enim talum deus hominem fecisse credendus est, qui nee velit umquam nee
possit bonum . . . cavendum nobis est, ne ita ad dominium omnia sanotorum merita
referamus, ut nihil nisi id quod malum atque perversum est humanae adscribamus
naturae . . . dubitari non potest, inesse quidem omni animae naturaliter virtutum
semina beneficio creatoris inserta, sed nisi haec opitulatione dei fneriut excitata, ad
incrementum perfectionis non potorunt perveuire."
Cassian. Prosper. 223
des Menschen, d. h. seinen freien Willen, nicht beeinträchtige. Das ist
evangelisch und richtig gedacht. Aber wie Augustin darin irrte,
dass er die nothwendige Selbstbeurtheilung des geförderten
Christen zu einer Doctrin erhob, welche für das gesammte
Gebiet derWirksamkeit Grottes auf dieMenschen allein mass-
gebend sein sollte, so irrte Cassian darin, dass er seine be-
rechtigte Theorie nicht von der Anweisung schied, nach wel-
cher der einzelne Christ sein en eigenen Glaubens st and zube-
urth eilen hat. So öffnete er der Selbstgerechtigkeit die Thür, weil er
aus Furcht vor dem Fatalismus sich selbst und denen, deren Seelsorger
er war, nicht rund sagen wollte, dass der Glaube noch in dem Eigen-
leben verstrickt ist, der nicht weiss, dass Gott ihn gewirkt hat ^.
Prosper, selbst Asket und in den berühmten Klöstern der Provence
heimisch, hatte schon bei Lebzeiten Augustin's als Troubadour des
Augustinismus (carmen de ingratis, s. auch die ep. ad Rufinum) seine
Freunde angegriffen. Jetzt, nach 430, schrieb er mehrere Schriften, in
denen er theils den Augustin, theils sich selber vertheidigte gegenüber
Vorwürfen, die dem Augustinismus gemacht wurden (Pro Augustino
responsiones ad capitula obiectionum Gallorum^ calumniatium [gegen
die gallischen Mönche], responsiones pro Augustino ad excerpta quae
de Genuensi civitate sunt missa [gegen semipelagianische, Aufklärung
begehrende Geistliche], responsiones pro Augustino ad capitula obiec-
tionum Vincentiarum [hier die schärfsten Angriffe der Gegner]). Es
gelang ihm nicht, die Mönche zu überzeugen; denn sein Zugeständniss,
Augustin rede „durius", wenn er sage, Gott wolle nicht, dass alle Men-
schen selig werden^, befriedigte nicht, und auch seine Behauptung, es
gebe nur eine Prädestination (zum Heil), man müsse zwischen dieser
und der Präscienz (in Bezug auf die reprobati) unterscheiden und dabei
gewiss sein, Gottes Wirken sei nicht durch Willkür, sondern durch
Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt, hob die Bodenken nichts Wohl
' Dor Semipola^ianismus ist koine „Halljlioit" , sondern er ist als Theorie,
wenn eine solclie aufif^ericlitet werden soll, ^anz richtio^, al)er als Ausdruck der
.Selbst])eurtlieiliin^ vor (lott ganz falsch.
'^ Diese „Galli" sind der Kreis Cassian's, obgleich dieser die Erbsünde kaum
erwähnt, jene sie lehrten, und dieser sich nicht so bestimmt über die Prädestination
geäussert hat, wie jene.
^ Sentent. sup. VIIT z. d. respons. ad capp. Gallorum.
* Schon Augustin hatte neben einer Ausdrucksweise, welche den Gedanken
der doppelten Vrädestinationslehre nahe legt, de dono persev. 14 gesagt: „Haec est
praedestinatio sanctorum nihil aliud: praeseifiitia seil, praeparatio beneficiorum dei
(|uibus certissirne librTantur, (|uicun(jue liberuntur." Prosper besteht auf dieser
Ausdrueksweise (s. resp. ad excerpt. Gennens. VTTT) : „Wir l)ekennen mit frommem
224 (Tescl»ic-hte des Dogmas im Al)en(llan(l bis zum Bepfinn des Mittelalters.
aber gelang es ihm, einen Brief des Papstes Oälestin an die gallischen
Mönche zu veranlassen, der Augustin in Schutz nahm, die Gegner als
vorwitzige Ticute tadelte, sich aber in der Sache sehr zurückhielt, ob-
schon er die Wirksamkeit der Gnade als praeveniens betonte '. Prosper
schrieb nun (432) sein Hauptwerk gegen die 13. (Jollatio des Cassian,
in welchem er mehr Geschick im Streit zeigte, seinem Gegner Wider-
sprüche nachwies, den eigenen Standpunkt in der Form vorsichtiger
zum Ausdruck brachte, in der Sache aber keineswegs nachgab. Er ver-
liess GalHen und betheiligte sich nicht weiter am Streit, zeigte aber in
seinen „Sentenzen" und „Epigrammen", dass er als Theologe auch
weiter noch nur von Augustin lebte '^. Ein anderer unbekannter Augu-
stiner, der Verfasser der Schrift de vocatione gentium^, suchte den
Gegnern dadurch gereclit zu werden, dass er es unternahm, die Lehre
von der Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade mit der Lehre, dass
Gott alle Menschen selig machen wolle, zu verbinden. Diese Absicht
beweist, dass man auch unter den Verehrern Augustin's an dessen Satz
von der Particularität der Heilsabsicht Gottes Anstoss nahm. Allein
das löbliche Bestreben, die Wahrheit des Augustinismus mit einer
universalistischen Doctrin zu verbinden, musste nothwendig scheitern;
denn alle Distinctionen des Verfassers zwischen der gratia universalis
(Schöpfung und Geschichte) und specialis (Christus) und zwischen der
voluntas sensualis, animalis und spiritalis, sowie die Betheuerungen, dass
die Gnade, indem sie den Willen bereitet, ihn nie aufhebt, und dass
Gott überall das Heil will, vermochten die eigentlichen Anstösse (Ver-
dammung der ungetauft sterbenden Kinder, aber überhaupt die Repro-
bation) nicht zu beseitigen, da der Augustinismus streng festgehalten
werden sollte K Immerhin ist die Schrift in der ehrlichen Absicht ge-
Glauben, dass Gott unwandelbar vorausgewusst habe, welchen er den Glaul)en
schenken oder welche er seinem Sohn geben werde, damit er von ihnen keinen
verliere, und dass er, wenn er dies vorauswusste, auch seine Wohlthaten voraus-
erkannte, durch welche er uns zu befreien würdigt, und dass hierin die Prädestination
bestehe, nämlich in der Vorauserkenntniss und Zubereitung der Gnade Gottes,
durch welche sie auf das Gewisseste erlöst werden." Die reprobati sind also nicht
von der Prädestination umschlossen, sondern sie werden verdammt, weil Gott ihre
Sünden vorausgesehen hat. Hier wirkt also nur die Präscienz, ebenso bei den
AViedergeborenen, die dann wieder abfallen. Aber die Präscienz treibt Niemanden
zur Sünde.
' Caelest. ep. 21. Der Anhang ist später zugesetzt, stammt aber vielleiclit
von Prosper.
^ Gennadius berichtet (de Script, eccl. 85), Prosper habe die berühmten Briefe
Leo's I. gegen Eutyches dictirt. Doch berichtet er das als blosses Gerücht.
' Unter den AVerkeu Prosper's und Leo's 1.
* Eine genaue Analyse der Schrift geben Wiggers II S. 218 t^". und Thouui-
De vocatione gentium. Praedestiuatus. Faustus von Reji. 225
schrieben, Bedenken wegzuräumen und Frieden zu stiften. Von semi-
pelagianischer Seite dagegen hatte man von Anfang an versucht,
den Augustinismus durch rücksichtslose Enthüllung seiner wirklichen
und vermeintlichen Consequenzen unmöglich zu machen, und diese Be-
strebungen gipfelten (um 450?) in dem berüchtigten, erst im Jahr 1643
bekannt gewordenen „ Praedestinatus " . Das Räthsel, welches über diesem
Werk schwebt, ist noch nicht völlig gelöst; aber wahrscheinlich ist es,
dass die Schrift eines Prädestinatianers, welche in das 2. Buch aufge-
nommen und im 3. vom Standpunkt des Semipelagianismus aus wider-
legt ist, eine Fälschung ist. Denn die Lehre Augustin's ist hier ledig-
lich in paradoxen, gefährlichen, ja fast blasphemischen Sätzen entwickelt,
wie sie kein Augustiner je vorgetragen hat^ (streng durchgeführte dop-
pelte Prädestination; „quos deus semel praedestinavit ad vitam, etiamsi
neghgant, etiamsi peccent, etiamsi nolint, ad vitam perducentur inviti,
quos autem praedestinavit ad mortem, etiamsi currant, etiamsi festinent,
sine causa laborant"), und die Behauptung, die „Secte der Prädestina-
tianer" - decke sich nur mit dem Namen Augustin's wie der Wolf mit
dem Schafskleide, ist ein frecher polemischer Fechterstreich. Von den
Wirkungen dieser giftigen Schrift ist nichts bekannt ; dagegen wissen
wir, dass der Semipelagianismus in Südgallien ungestört fortlebte ^, ja
in Faustus von Reji (-j- kurz vor 500), vorher Abt zu Lerinum, den her-
vorragendsten Vertreter erhielt ^. Dieser trotz mancher Sonderlehren
hoch angesehene, liebenswürdige und milde Bischof, der an allen Kämpfen
und htterarischen Bemühungen des Zeitalters Antheil nahm und — ein
Vorläufer Gregor 's T. — das mönchische Christenthum vom bischöf-
lichen Sitz aus in den gallischen Gemeinden einbürgerte, trat ebenso
entschieden wie gegen Pclagius („pestifer") gegen die Lehre von der
exstinctio liberi arbitrii und gegen die irrthümliche, blasphemische, heid-
nische, fatalistische, zur ünsittlichkeit führende Prädestinationslehre auf.
Ein augustinisch gesinnter, die Prädcstinationslehre schroff formuliren-
der Presbyter, Lucidus, gab den Anlass. Derselbe widerrief förmhch,
sius T S. 563 — 570. Dass die Schrift durch ilircn guten Willen, die Universalität
der Heilsahsicht Gottes zuzugestehen, einen Fortschritt hedeutet, ist einzuräumen.
Aber die Lehre von der universitas specialis ist nur ein Spiel mit Worten, wenn
universitas hif-r doch nicht mehr als bei Augustin und Prosi)er ])edeuten soll, dass
nämlich Menschen aus allerlei Nationen und aus allen Zeitaltern selig werden.
' S. WiggersII S. 329—350.
* Von einer solchen ist schlechterdings nichts bekannt.
" Xordafrika war dur(;h die furchtl)are Invasion der Vandalen theologischen
Kämpfen entrückt. Die Meist(!n waren dort gfwiss Augustiner; doch fehlten Be-
denken und Widerspruch nicht, s. Aug. ep. 217 ad Vitalem.
* S. Tillemont Bd. XVT und Wiggers II, 224-329.
Harnack, iJogidengcschichte IIJ. jg
22f) (leachichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
nachdem auf einer Synode zu Arles (475) unter Mitwirkung, wenn nicht
auf Antrieb, des Faustus der „error praedestinationis" verurtheilt wor-
den war ^ Nacli dieser Synode und einer zweiten (zu Lyon) verfasste
b\iustus die Schrift de gratia dei et humanae nientis liberoarbitriohb. II,
welche Rechenschaft über die dogmatisclie Haltung der Synoden (gegen
Pelagius und die Prädestination) geben solltet Gnade und Freilieit sind
Parallelen ; so gewiss der Mensch seit Adams Fall äusserlich und inner-
lich verderbt ist, die Erbsünde und der Tod als Folge der Sünde über
ihn herrschen, und er somit unfähig ist, die Seligkeit aus eigener Kraft
zu erlangen, so gewiss kann der Mensch noch eben der Gnade gehorsam
sein oder ihr widerstreben. Gott will das Heil Aller; Alle bedürfen der
Gnade; aber diese rechnet auf den übrig gebliebenen, geschwächten
Willen; mit ihm wirkt sie stets zusammen; sonst wäre der labor
humanae obedientiae^ umsonst. Erbsünde und liberum arbitrium als
intirmatum, attenuatum schliessen sich nicht aus ; die aber, welche Alles
der Gnade zuschreiben, gerathen in heidnische und blasphemische Thor-
heiten*. Dass wir sehg werden, ist ein Geschenk Gottes ; aber es beruht
nicht auf einer absoluten Prädestination, sondern die Vorherbestimmung
Gottes hängt davon ab, w^elchen Gebrauch der Mensch von der ihm
übrig gebliebenen Freiheit, kraft welcher er sich zu bessern vermag,
macht (Präscienz). Faustus zeigt sich nicht mehr ebenso stark wie
Cassian von Augustin's Gedanken beeinflusst''. Er ist „mönchischer".
Auch der Glaube ist ein Werk und eine Leistung des Menschen ^' ; die
* S. Mausi VII; ebendortp. 1010 der Widerruf des Lucidus in einem libellus
ad episcopos. Schon vor der Synode hat Faustus mündlich mit dem ihm Befreunde-
ten verhandelt, auch einen ausführlichen Lehrbrief an ihn geschrieben (VIT, 1007 sq.),
der aber noch nichts gefruchtet hatte.
* Dazu die Professio fidei (an Leontius) contra eos, qui dum per solam dei
voluntatem alios dicunt ad vitam attrahi, alios in mortem deprimi, hinc fatum cum
gentilibus asserunt, inde liberum arbitrium cum Manichaeis negant.
^ Die „obedientia" spielt bei Faustus neben der castitas die Hauptrolle —
hier kündigt sich der mittelalterliche Mönch an.
"* Faustus hat sich wohl gehütet, gegen Augustin zu streiten ; er kämpfte nur
gegen den Augustinismus. So ist es bis heute in der katholischen Kirche.
^ Doch in Bezug auf die Erbsünde hat er sich sehr streng ausgesprochen und sogar
den Traducianismus gelehrt. Wie bei Augustiu ist die Zeugung die Brutstätte der
Erbsünde, welche entsteht „per incentivum maledictae generationis ardorem et per
inlecebrosum utriusque parentis amplexum." Da Christus allein von der erblichen
Ansteckung frei blieb, weil er nicht aus der Begattung geboren ist, so muss nuiu
den Reiz der Zeugung und das Laster der AVollust als Ursache des mahnn originale
anerkennen. Man sieht leicht, an dem Augustinismus fand das Beifall, was die Ehe
herabsetzte. Und diese Mönche bekreuzigten sich vor dem Manichäismus !
® Faustus nimmt sogar an, dass die fides als Kennt niss Gottes nach dem Fall
geblieben sei.
Faustus von Reji und Genossen. 227
asketischen Leistungen stehen überhaupt bei ihm noch mehr im Vorder-
grund^ und die Möghchkeit, dass die Gnade der guten Willensregung
vorhergeht, wird so verstanden, dass dem Menschen das Heil von
Aussen durch Predigt, Gesetz und Strafrede zuerst vorgehalten wird (in
diesem Sinne ist Faustus sogar der Meinung, dass die Gnade stets den
Anfang macht). Das Bedenklichste (Pelagianische) ist aber, dass Faustus
die innere Gnade sehr stark zurücktreten lässt — das adiutorium ist
ihm wesentlich äusserer Beistand in Form von Gesetz und Lehre — ,
und dass er deutlich zu der pelagianischen Fassung der natura als der
gratia prima (universalis) zurücklenkt. Andererseits ist offenbar, dass er
gerade die Asketen zur Demuth anleiten wollte ; sie sollen auch dort, wo
sie ihre merita mehren, eingedenk sein, dass „dei est omne quod sumus",
d. h. dass vollkommene Tugendleistung ohne Gnade unmöglich ist^
Sieht man genau zu, so hat Faustus bereits implicite die spätere Lehre
vom meritum de congruo et de condigno bestimmt vorgetragen ^. In
der fides als Kenntniss und in den Anstrengungen des Willens, sich zu
bessern, liegt ein von der gratia prima getragenes meritum; ihm wird die
erlösende Gnade zu Theil, und sie wirkt nun mit dem Willen mit, so dass
vollkommene merita entstehen.
Faustus fand zu seiner Zeit kaum einen Gegner, geschweige einen
ebenbürtigen ^. Allein in Rom hielt man Augustin in hohen Ehren,
ohne freilich anzugeben, wie weit man mit ihm gehen wollte, und dul-
dete Lehren nicht, die ihm direct widersprachen. Darf man das De-
cret de libris recipiendis et non recipiendis auf Gelasius zurückführen,
so hat dieser Papst, der auch sonst als grosser Gegner des Pelagia-
* S. lib. IT, 4. Dagegen Abel, Henoch etc. sind durch die erste Gnade, das
Naturgesetz, selig geworden. II, 6. 7. Da Henoch in jener so frühen Zeit durch
das Verdien^it des Glau])ens (fidei merito) den UGl)rigen voranging, so zeigte er da-
durch, dass ihm der Glaube selbst mit dem Gesetz der Natur überliefert war;
s. auch II, 8 („et ex gentibus fuisse salvatos" 7).
^ Auf den, wegen der späteren Erwägungen in der Kirche, wichtigen Satz des
Faustus: „Christus plus dcdit quam totus mundus valebat" (de grat. et lib. arb. 16)
macht Wiggcra S. 328 aufmerksam.
" Die angesehensten Schriftstoller des Zeitalters dachten ähnlich wie er, so
Arno})ius der Jüngere, Gennadius von Massilia, Ennodius von Ticinum. Schon
wankte das Ansehen Augustin'a selbst; denn Gennadius crlau])te, sich (de Script,
ecci. 39) über ihn zu schreiben: „unde ex multa eloquentia accidit, quod dixit per
Salomonem Spiritus sanctus: ex multilocpiio non cffugies peccatum" und „error
tarnen illius sermone multo, ut dixi, contractus, lucta hostium exaggoratus necdum
haeresis quaestionem absolvit." Viele Handschrifton haben diese Stellen unter-
drückt! Von Prosper heisst es (c. 85), dass er in seiner Schrift gegen Cassian „quae
ecclesia dei salutaria probat, infamat nociva." Cassian und Faustus werden hoch
gelobt.
15*
228 (Toscliichte des Dop^maa im Abendlaud bis zum Beginn dos Mittelalters.
lüsmus bezeugt ist, die Schriften Aiigustin's und Prosper's ausdrück-
lich für kirchlich erklärt, die des Cassian und Faustus für „apokryph".
Allein die in Rom am Anfang des H. Jahrhunderts geführten Ver-
handlungen machen die Ableitung jenes Decrets (in dieser Form) von
(jelasius unwahrscheinlich. Wie sich nämlich der Pelagianismus einst
mit dem Nestorianismus, zu dem er gravitirte, verquickt hat und damit
sein Geschick besiegelte, so ist auch der Semipelagianismus dem Schick-
sal nicht entgangen, in die christologische Oontroverse hineingezogen
und von der Abneigung getroffen zu werden, welche die monophysi-
tisch bestimmte Orthodoxie gegen alles „Menschliche" hegte. Jene
skythischen Mönche in Konstantinopel, welche der Kirche den Theo-
paschitismus aufdrängen wollten '^ übergaben dem Legaten des Papstes
Hormisdas ein (llaubensbekenntniss, in welchem sie sowohl die Reste
des Nestorianismus als die Lehre bekämpften, dass die Gnade nicht
Wollen und Vollbringen wirke (519)'-. Vom Legaten abgewiesen,
trugen sie ihre Meinung dem Papst persönlich vor und berichteten
an die in Sardinien weilenden, verbannten nordafrikanischen Bischöfe,
unter denen Fulgentius von Ruspe der bedeutendste war, ein geübter
Kämpe gegen den Arianismus, ein treuer Anhänger Augustin's. Der
Bericht der Skythen, der sowohl auf die Christologie als auf die
Gnadenlehre eingeht und für die letztere (in augustinischer Fassung)
orientalische und occidentalische Autoritäten anführt, schliesst mit den
Worten: „Dies hinzuzufügen, halten wir für nothwendig; nicht als ob
ihr es nicht wüsstet, sondern um die Thorheit derer zu widerlegen,
welche es als neue und in den Kirchen gänzlich unerhörte Lehrsätze
verwerfen, haben wir es für nützlich gehalten, es unserer kleinen
Schrift einzuschalten. Unterrichtet in den Lehren aller dieser heiligen
Väter verdammen wir den Pelagius, Cälestius, Julian und diejenigen,
deren Denkart ihnen ähnlich ist, vorzüglich die Bücher des aus
dem lerinensischen Kloster hervorgegangenen Faustus,
die, wie es nicht zweifelhaft ist, gegen die Lehre von der Prädesti-
nation geschrieben sind. In diesen tritt er gegen die Ueberlieferung
nicht allein dieser heiligen Väter, sondern auch des Apostels selbst
auf, fügt zu der menschlichen Anstrengung die Unterstützung der
Gnade, und, indem er die ganze Gnade Christi überhaupt wegräumt.
» S. Bd. II S. 382 f.
^ Diese „Skythen" waren in der Denkweise des Abendlandes wohl bewandert ;
ihr Führer Maxentius, der lateinisch geschrieben hat, war wohl selbst Abendländer.
In dem Glau])ensbekenntnis3 handeln sie von der Gnade, „nou qua creanun*, sed
qua recreamur et renovamur." Pelagius, Cälestius und Theodor v. Mopsv. werden
zusarameno-estellt.
Die skythischen Mönche. Fulgentius. Hormisdae. 229
bekennt er gottlos, dass die alten Heiligen nicht durch die Gnade,
durch welche auch wir selig werden, wie der heihgste Apostel Petrus
lehrt; sondern durch die Fähigkeit der Natur sehg geworden sind."
Die Nordafrikaner stimmten dem zu, und Fulgentius schrieb als
Antwort seine Schrift de incarnatione et gratia, in der er, wie schon in
früheren Schriften, den augustinischen Standpunkt vertritt und na-
mentlich auch die Erbsünde aus der Begattungslust ableitet ; der freie
Wille im Sündenstand sei male liberum, die gratia Christi sei scharf
von der gratia creans zu unterscheiden (c. 12); nicht ist das Wollen
unsere, das Helfen Gottes Sache, sondern „gratiae dei est adiuvare,
ut sit meum velle credere" (c. 16); Rom. 2, 14 sei auf die durch
den Glauben gerechtfertigten Heiden zu beziehen (c. 25); auch die
Parti cularität der Gnade wird festgehalten ^ Die Skythen verliessen
Rom, ein Anathem über die Nestorianer, Pelagianer und alle ihre
Anverwandten zurücklassend. Der gefeierte Name des Faustus erschien
in schlimmem Lichte, und ein vertriebener afrikanischer Bischof Pos-
sessor, der in Konstantin opel weilte, beeilte sich, sich bei dem Papste
durch die unterwürfige Anfrage zu empfehlen, was man denn nun von
Faustus zu halten habe, dabei versichernd, dass vornehme Staats-
beamte ebenfalls eine Aufklärung wünschten ^. Hormisdas antwortete
(Aug. 520) zurückhaltend. Die skythischen Mönche wurden als schlimme
Agitatoren der Orthodoxie gebrandmarkt, Faustus als ein Mann be-
zeichnet, den die Kirche nicht zum Lehrer erhoben habe, dessen Pri-
vatmeinungen daher Niemanden beunruhigen dürften; die Lehre der
römischen Kirche in Bezug auf Sünde und Gnade könne
man aus Augustin's Schriften, vornehmlich aus denen an
Prosper und Hilarius, erkennen. Die Skythen gaben eine ge-
hamischte Antwort, in welcher sie den Papst insofern schonten, als
sie die Echtheit des Schriftstücks anzweifelten. Ist Augustin's Lehre
die der katholischen Kirche, so ist Faustus ein Ketzer ; das hätte der
Papst sagen müssen. Die Ketzerei sei hinreichend klar; denn Faustus
verstehe unter der gratia praeveniens nur die äussere Gnade (die
Predigt des Evangeliums). Gleichzeitig veranlassten sie den Fulgen-
tius, nun direct gegen Faustus zu schreiben, was dieser in den 7 Büchern
c. Faustum (verloren gegangen) und — nach Afrika 523 zurückgekehrt
— in der Schrift de vcritatc praedestinationis et gratiae dei (1. HI)
gethan hat. Auch in diesem Werk trägt Fulgentius den entschiedenen
Augustinismus (Particularität des Heilswillcns) vor, verwirft aber die
* S. WiggorH II S. 369 — 429. Nach Fulgentius ist auch Maria befleckt em-
pfangen und daher nicht frei von Erbsünde, s. c. 6.
'^ Alle diese Verhandlungen bei Mansi VIII,
230 Geschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
Annahme einer Prädestination zur Sünde (jedoch ad poenam) ^ Die
in Sardinien zurückgebhebenen Bischöfe stinnnten in der an die skythi-
schen Mönche gerichteten ep. synodica ihrem Collegen vülhg bei: die
(ilnade ist das Licht, der Wille das Auge; das Auge bedarf des Lichtes,
um das Licht sehen zu können. Faustus' Sätze seien „commenta, veri-
tati contraria, catholicao lidei i)enitus inimica".
Diese Kämpfe konnten nicht ohne Folgen für Südgallien bleiben.
Mehr noch wirkte die Leetüre der augustinischen Schriften, nament-
lich die der Predigten. In einem Zeitalter, das nur in Contrasten
dachte, konnte das Dilemma, ob Augustin ein heihger Lehrer oder
ein Ketzer sei, schliesslich nur zu Gunsten des Unvergleichlichen ent-
schieden werden. Obgleich in Lerinum gebildet, hat sich Cäsarius
von Arles, der verdienst- und ruhmvollste Bischof am Anfang des
6. Jahrhunderts, so in Augustin vertieft, dass er von ihm nicht lassen
wollte, dass seine Theologie und seine Predigten ein Spiegelbild der
Lehre des Meisters wurden ''^. Er (-[* 542) und Avitus von Yienne
bekämpften die Schriften und die Autorität des Faustus. Sie fanden
zunächst in Südgallien vielen Widerspruch, aber noch mehr Indifferenz
— denn wie viele Bischöfe gab es um 520, welche den Augustinis-
mus zu verstellen vermochten? — , in Bom dagegen Beistimmung ^.
Diese Approbation blieb in Gallien nicht ohne Eindruck *. Eine
gemischte Synode zu Orange im Jahre 529 unter dem Vorsitz des
Cäsarius approbirte 25 Kanones, d. h. Capitula, welche der Papst aus
den Schriften Augustin's und Prosper's gezogen und als die Lehre
* lieber die Ableitung der Erbsünde s. I, 4 : „proinde de immunditia nuptiarum
mundus homo non nascitur, qiiia interveniente libidine seminatur."
'^ Wir besitzen noch keine Gesammtausgabe der Werke des Cäsarius, und zur
"Würdigung des Mannes fehlen noch die ersten Vorarbeiten. Man weiss noch längst
nicht, welche Schriften und Predigten ihm angehören; Einiges steht bei Migne
Bd. 67. Unzweifelhaft ist, dass er neben Augustin der grÖsste Prediger der latei-
nischen Kirche gewesen ist. Aber seine Predigten sind in die Prcdigtsainmlungcn
Augustin's geflossen (einige auch in die des Ambrosius).
^ Papst Felix IV. belobte das Buch des Cäsarius de gratia et libero arbitrio,
welches verloren gegangen zu sein scheint. Eine Untersuchung über die Umstim-
mung in Gallien durch Cäsarius wäre sehr erwünscht.
* Die Synode von Valence kennen wir nur aus der Vita Caesai-ii von seinem
Schüler Cyprian (Mansi VIII p. 723). Dass sie vor die Synode von Orange zu setzen
ist, hat Hefele (Conciliengesch. 11 '^ S. 738 ff.) gezeigt. Aus dem kurzen Bericht
scheint gefolgert werden zu müssen, dass sich dort die Bischöfe gegen Cäsarius
versammelt und ein seine Lehre verurtheilendes Decret erlassen haben. Zu Orange
hat sich dann Cäsarius gerechtfertigt, resp. seine Lehre aus der „apostolischen Tra-
dition** siegreich vertheidigt, und ihm — nicht seinen Gegnern von Valence — hat
der Papst Bonifaz Recht gegeben.
Cäsarius von Arles. Synode zu Orange; 231
der „antiqui patres" den Südgalliern übersandt hatte, um den Cäsa-
rius im Kampf gegen den Semipelagianismus zu unterstützen ^ Diese
Kanones^ sind streng antisemipelagianisch (3: „gratia dei non ad in-
vocationem datur, sed ipsa facit, ut invocetur." 4: „deus, ut a pec-
cato purgemur, voluntatem nostram non exspectat sed praeparat."
5: „initium fidei non ex nobis sed ex gratia dei est — ipse creduli-
tatis afifectus, quo in eum credimus, qui iustificat impium, et ad gene-
rationem sacri baptismatis pervenimus, per gratiae donum, i. e. per
inspirationem Spiritus sancti corrigentis voluntatem nostram ab infi-
delitate ad fidem, est neque naturaliter nobis inest." 6: „Die Gnade
bewirkt, dass wir glauben, wollen, verlangen, versuchen, anklopfen u. s.w.,
nicht umgekehrt." 7: „viribus naturae bonum ahquid, quod ad sa^
lutem pertinet, cogitare aut eligere sine gratia non possumus." 8: „Es
ist falsch, dass die Einen durch das Erbarmen, die Anderen durch
den freien Willen zum Glauben der Taufe gelangen." 9: „quoties
bona agimus, deus in nobis atque nobiscum, ut operemur, operatur."
10: „Auch die renati und sancti bedürfen stets der göttlichen Hülfe."
11: „Nur das können wir Gott geloben, was wir selbst von ihm em-
pfangen haben." 12: „tales nos amat deus, quales futuri sumus ipsius
dono, non quales sumus nostro merito." 13: „arbitrium voluntatis in
primo homine infirmatum nisi per gratiam baptismi non potest repa-
rari." 16: „nemo ex eo quod videtur habere glorietur tamquam non
acceperit, aut ideo se putet accepisse, quia littera extrinsecus vel ut
legeretur apparuit, vel ut audiretur sonuit." 17: „lieber die Caritas
dei diffusa in cordibus per spiritum sanctum." 18: „Die unverdiente
Gnade geht den verdienstlichen Werken voran." 19 : „natura humana,
etiamsi in illa integritatc, in qua est condita, permaneret, nullo modo
se ipsam Creatore suo non adiuvante servaret." 21 : „Das Gesetz
rechtfertigt nicht, und die Gnade ist nicht die Natur; ideo Christus
non gratis mortuus est, ut et lex per illum implcretur et natura per
Adam perdita per illum repararctur." 22 : „nemo habet de suo nisi
mendacium et peccatum" ^. 23 : „Im Bösen vollziehen die Menschen
ihren eigenen Willen, quando autem id faciunt quod volunt ut divi-
nae serviant voluntati, (^uamvis volentes agant quod agunt, illius tamen
* Ob die 25 Kanoncs mit jenen übersandten Capiteln völlig identisch sind,
oder ob die Synode kleinere Modificationen vorgenommen hat, lässt sich nicht mehr
entscheiden; s. die 19 Cap. des Trierer Codex bei Mansi VIII p. 722. Indessen ist
e« sehr unwahrscheinlich, dass die Bischöfe an jenen Capitcln etwas Erhebliches
geändert haben, da sie nach denselben ihre eigene Meinung im Epilog entwickeln.
2 S. Hahn § 103; Hefele S. 726 f.
•'' Dieser Kanon hat der katholischen Kirche im 16., 17., 18. und 19. Jahr-
hundert die gröbsten Schmerzen bereitet, s. Hefele S. 733 f.
232 Geschichte des Dogmas im Abendlaud bis zum Beginn des Mittelalters.
voluiitas est, ji ({110 et piJieparatur et iubetur qiiod volunt." 24: „Der
Zweig nutzt nieht dem Stamm, soiuleni der Stamm dem Zweig; so
nützen auch die, welche (.hristiis in sich haben und in ihm bleiben,
nicht Christo, sondern sich selber." 25: „donum dei est diligere deum").
Die von den Bischöfen nach Aufführung der capitula gegebene defi-
nitio ist ebenfalls streng antisemipehigianisch K Allein weder ist
von der Prädestination die llede''^, noch ist der inner-
liche Gnadenprocess, auf den für Augustin der Haupt-
nachdruck fiel, gebührend gewürdigt. Das Erstere wäre an
sich kein Schade; allein in jener Zeit, wo es sich darum handelte,
ob der ganze Augustin Autorität sei oder nicht, war das Schweigen
gefährlich. Die semipelagianisch Gesinnten konnten sich darauf be-
rufen, dass Augustin's Prädestinationslehre nicht gebilligt sei, und sie
konnten dann in diese nicht gebilligte Lehre sehr viel von dem hinein-
ziehen, was zur Gnadenlehre gehörte. So geschah es auch wirklich.
Der Streit hat hier also nur ein scheinbares Ende erreicht.
Dass unter der Hülle augustinischer Formeln semipelagianische Ge-
danken fortwirkten, dazu trug aber ferner jene äusserliche Fassung
der Gnade als Taufsacrament bei, die dem Decret zu Grunde liegt.
Zwar handelt es auch von der „Liebe" ; aber man sieht leicht, dass
die Idee des Sacraments die Alles beherrschende ist. „Allen Ge-
tauften gegenüber", hat man mit Recht bemerkt, „zerfloss auch für
die Anhänger Augustin's der Unterschied zwischen Augusthiismus und
Semipelagianismus". Weil Augustin selbst den Begriif des Glaubens
nicht erfasst hat, so ist er daran schuld gewesen, dass am Ende des
Streits als seine Lehre eine Auffassung entwickelt wurde, welche die
gratia für den Anfang und das Ende erklärt, aber im Grunde sich
an das magische Wunder der Taufe und an das „fideliter laborare
auxihante Christo" hält.
Der neue Papst Bonifaz JI, billigte in einem Schreiben an Cäsa-
rius diese Beschlüsse ^, die in der katholischen Kirche ein grosses
* Doch würde Aiigustin den Satz : „hoc etiam credimus, quod accepta per
baptismum gratia omnes baptizati Christo auxiliante et cooperantc, quae ad
salutem animae pertinent, possint et debeant, si fideliter laborare voluerint,
adimplere" nicht geschrieben haben. Ausserdem sind die Worte „quae ad salutem
pertinent adimplere" und „fideliter laborare" zweideutig.
^ Das AVort kommt nur im Epüog vor, aber dort nur um die praedestinatio
ad malum abzulehnen : „aliquos vero ad malum divina potestate praedestinatos esse
non solum non credimus, sed etiam, si sunt qui tantum malum credere velint, cum
omni detestatione illis auathema dicimus." Auch über die gratia irresistibilis und
die Particularität des Gnadenwillens Gottes schweigt das Decret.
^ Mansi VIII p. 735 sq. Die Beschlüsse waren auch von Laien uuterschriebüu
Die Synode von Orange. Gregor der Grosse. 233
Ansehen erhielten und vom Tridentinum sehr eingehend berücksich-
tigt worden sind K Fortab ist die Lehre von der gratia praeveniens,
auf die auch der Papst besonderes Gewicht legte, als abendländisches
Dogma zu betrachten; die Semipelagianer haben als Ketzer zu gelten.
Aber der Streit konnte doch jeden Augenblick aufs neue beginnen,
sobald nämlich Jemand auftrat und um der gratia praeveniens willen
auch die Anerkennung der particularen Gnadenwahl verlangte, üeber-
schlägt man, welche Lehren Augustin's Anerkennung gefunden haben
und welche verschwiegen worden sind, ferner wesshalb jene Bilhgung
fanden, so muss man sagen, dass neben der Sorge, dem Taufsacra-
ment seine unersetzliche Bedeutung zu sichern, die mönchische
Ansicht von der Unreinheit der Ehe hier vor Allem ge-
wirkt hat. Weil Alle aus der sündigen Begattungslust geboren sind,
darum sind Alle sündhaft und desshalb muss die Gnade zuvorkommen.
Der kathoHsche Lehrbegriff ist aus einem Compromiss zwischen der
mönchischen Anschauung von der Yerdienstlichkeit der Werke und
der ebenfalls mönchischen Anschauung von der Unreinheit der Ehe
entstanden. Beide Gedanken waren augustinisch und wurden augusti-
nisch ausgeführt; aber die bewegende Seele des Augustinismus ist
verkümmert. Es ist eine Thatsache, die bisher nicht genügend ge-
würdigt ist, dass die katholische Lehre desshalb nicht beim
Semipelagianismus verharrt ist, weil sie die Geschlechtslust für
sündig erklärte.
2. Gregor der Grosse.
Wie wenig Verständniss man in Rom für den Augustinismus hatte,
und wie verwirrt das theologische Denken im Lauf des 6. Jahrhun-
derts geworden war, zeigt die Gnadenlehre des grossen Papstes Gregor
(590 — 604). Ein buntscheckigeres Gemenge von augustinischen For-
meln und grobem Ergismus ist kaum denkbar. Gregor hat nirgendwo
einen originellen Gedanken ausgesprochen; er hat vielmehr überall
den überlieferten Lehrbegriff conservirt, aber depotenzirt, das Geistige
auf das Niveau eines grob -sinnlichen Verständnisses herabgedrückt,
worden, was in der Dogmengeschichte der alten Kirche fast unerhört ist, aber nicht
im 6. Jahrhundert in (iallien-, s. Hatch, Kirchenvcrfass. AVestcuropas S. 77 ff".
* Die reimischen Bischöfe haben sich in ihrer Haltung im scmipelagianischen
Streit augenscheinlich durch die Entscheidungen ihrer Vorgänger gegen Pclagius
präjudicirt gefühlt. Ein selbständiges, aus innerer Ueberzeugung iliessendes Wort
sucht man bei ihnen vergebens (eine Ausnahme ist vielleicht Gclasius), und doch ist
08 ganz wesentlich ihr „Verdienst", dass der semipelagianischc .Streit mit der An-
erkennung der augustinischen Lehre von der gratia praeveniens und dem Schweigen
über die Prädestination geendet hat.
234 Geschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
die Dogniatik, soweit es anging, in eine technische Anweisung für den
Klerus verwandelt und sie mit der volksthUniliclien Religion zweiten
Grades verschwistert. Alles, was er anordnete, war klug und wohl
berechnet, und doch ents2)rang es aus einem fast naiven mönchischen
Gemiithe, welches mit treuer Sorge an der Erziehung roher Völker
und an der Bildung der Geistlichen arbeitete und dabei mit einem
sicheren Instincte überall das traf, was geeignet war, die Laienwelt
durch den Mechanismus der Rehgion zu beunruhigen, zu beschwich-
tigen und so zu beherrschen K AVeil Gregor in einer Zeit, wo das
Alte unterging und das Neue sich noch roh und ungefüge darstellte,
nur das Nothwendige und Erreichbare im Auge hatte, so sanctionirte
er als Religion die äusserliche Legalität, die für die Erziehung jugend-
licher Völker ebenso geeignet war, wie sie den um die Feinheit des
Em2)findens und Denkens gekommenen, in Superstition und Magie
versunkenen, den stumpfen Idealen der Askese huldigenden Epigonen
der Antike entsprach'^. Die Accente sind es, welche die Melodie
•ändern, und der Ton macht die Musik. Durch die Art, wie Gregor
die verschiedenen überlieferten Lehren und Kirchengebräuche accen-
tuirte, hat er den vulgären Typus des mittelalterlichen Katholicismus
geschaffen ^, und der Ton, auf den er die christlichen Gemüther stimmte,
ist der Hauptton, der uns bis heute aus dem Katholicismus entgegen-
klingt ^. Die Stimme ist Gregorys Stimme, aber die Hände sind Augustinus
Hände. Nur darin ist er nicht Augustin's Schüler, dass er — dem
Oyprian und Leo 1. verwandt und in der Jurisprudenz wohl bewan-
dert — neben dem kultisch-sacramentalen Element das rechtliche
stark betont: die Verquickung von Lehre und Kirchenord-
nung machte im Abendland durch Gregor einen weiteren
Fortschritte
' Aus der reichen Briefsammlung- Gregorys gewinnt mau hohen Respect vor
der Weisheit, Grerechtigkeit, Milde, Nachsicht und Thatkraft des Papstes.
'^ Doch fehlen neben der ausserlichen Gesetzlichkeit Züge evangelischer Frei-
heit nicht ; s. die Briefe an Augustin.
^ Aehnlich Lau, Gregor d. Grosse S. 326 : „Durch unmerklich verschiedene
Auffassung des von der Vorzeit Ueberkommenen bahnte er, ohne vielleicht die
Bedeutsamkeit seines Thuns zu erkennen, die Entwickelung des späteren Katholi-
cismus an
4
Gregor ist der gelesenste abendländische Kirchenvater, wie die Litteratur
des Mittelalters und unsere Bibliotheken beweisen. Schon im 7. Jahrhundert wurde
er von den geschmack- und urtheilslosen Schriftstellern als weiser wie Augustin,
beredter wie Cyprian, frömmer wie Antonius gefeiert („nihil illi simile demoustrat
antiquitas", Ildefons., de Script. 1).
^ Eine ausführliche Darstellung der Lehre Gregor's giebt Lau, a. a. O. S. 329
bis 556. Man sieht hier, in welchem Masse Gregor von Augustin abhängig ist.
Gregor der Grosse. 235
Nur mit einigen Strichen sei der depotenzirte Augustinismus ge-
schildert, wie er sich bei Gregor darstellt. Die Vernunft, Wissenschaft
und Philosopliie wird von ihm stärker herabgesetzt als von Augustin:
Glaube und Vernunft stehen sich schroff gegenüber (Evang. II hom. 26) ^,
das Mirakel ist das Kennzeichen des Religiösen. AVohl kann die Ver-
nunft das Dasein Gottes feststellen, aber nur „per aditum fidei aperitur
aditus visionis dei" (Ezech. II hom. 5, nach Augustin). Die Lehre von
den Engeln und vom Teufel tritt in den Vordergrund, weil sie der popu-
lären und der mönchischen Frömmigkeit entsprach. Man kann Gregor
den doctor angelorum et diaboli nennen. In Bezug auf jene hat er sich
(s. Evang. II hom. 34) besonders in der Ausbildung der Rangstufen
(Einfluss der griechischen Mystik), in der Verherrhchung des Michael,
Gabriel und Raphael — der Wunderheld, der grosse Bote und Streiter
wider die Luftgeister, der Medicinmann — , in der reinlichen Vertheilung
der Engelgeschäfte und in der Idee der Schutzgeister — die Engel
stehen den Menschen vor, wie diese dem Vieh — gefallen. Er, der über
die griechisch-römische Kultur so gering dachte, hat die inferiorsten
Theile derselben in der Engellehre sanctionirt. Noch lebhafter schaltete
seine Mönchsphantasie in den Vorstellungen vom Teufel und den Dä-
monen, und darum hat er auch die Vorstellungen vom Antichrist, der
bereits vor der Thür steht, da die Welt dem Ende nahe ist, neu belebt.
W^ie der Logos die Menschennatur angenommen, so wird der Teufel am
Ende der Welt sich incarniren (Moral. 31, 24; 13, 10). Der Teufel
besass vor der Erscheinung Christi alle Menschen mit Recht und be-
sitzt jetzt noch die Ungläubigen. Durch diese wüthet er; aber den Gläu-
bigen gegenüber ist er der machtlose und geprellte Teufel. Die Lehren
von der Erlösung, Rechtfertigung, der Gnade und Sünde stellen einen
durch das Interesse des Mirakels, der heihgen Handlungen und des
Mönchthums modificirten Augustinismus dar. Der Gottmensch (dessen
Mutter in partu et post partum Jungfrau blieb), war sündlos, weil er
nicht durch flcischhche Lust in die Welt kam. Er ist redemptor und me-
diator — diese Bezeichnungen werden bevorzugt — und hat vor Allem
den Teufel versöhnt, indem er durch seinen Tod ihm die Menschen ab-
kaufte ''^, und den Zwiespalt zwischen Engeln und Menschen aufgehoben.
Namentlich hebt er die hl. Schrift als die cuts(;hcideMdc Norm des Lebens und der
Lehre ebenso kräftig hervor wie dieser. Auch die tiefsten augustinischen Gedanken
werden gestreift, jedoch sämmtlich verflacht.
^ „Fides nori habet meritum, cui humana ratio praebct expcrimentum" (§ 1).
'^ Die lietiugstheorie wird dabei von Gregor in abschreckendster Gestalt vor-
getragen. Der Teufel ist der Fisch, der nach dem Fleisch Christi schnappt und den
verborgeneu Angelhaken, die Gottheit, verschlingt; s. Moral. 33, 7. 9.
236 (reschichte des Doginas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
Beiläufig wird auch bemerkt, class Christus unsere Strafen getragen
und den Zorn Gottes versöhnt habe. Aber neben der Erlösung vom
Teufel ist die Befreiung von der Siuide selbst die Hauptsache. Sie ist
tladurch geschehen, dass Christus die Strafen der Erbsünde aufliob und
auch die Sünde aullöste, indem er uns ein Beispiel gab K Damit
ist schon gesagt, dass das Werk CJhristi unvollständig ist, d. h. dass es
durch unsere Busse ergänzt werden niuss*, denn es verwandelt die
ewigen Strafen der Erbsünde in zeitliche, die abgebüsst werden müssen,
und es wirkt hauptsächlich durch das Beispiel ^. Factisch treten in der
Doctrin Gregorys der Tod Christi und die Busse als zwei gleichwerthige
Grössen neben einander •^ Dies muss man festhalten, um eine andere
Gedankenreihe nicht zu überschätzen, Gregor betrachtet den Tod
Christi als ein Opfer (oblatio) für unsere Reinigung, welches Christus
fortwährend für uns darbringt, indem er Gott seinen (gekreuzigten) Leib
beständig zeigt ^ Allein diese scheinbar hoch gegriffene Betrachtung
* Moral. 1, 13: „Incarnatiis dominus in semetipso omne quod nobis inspiravit
ostendit, ut quod praecepto diceret, exemplo suaderet." 2, 24: „Venit inter homines
mediator dei et honiinum, homo Christus Jesus, ad praebendum exemplum vitae
hominibus simplex, ad uon parcendum malignis spiritibus rectus ad debellandam
superbiam timeus deum, ad detergendara vero in clectis suis immunditiam recedens
a malo."
^ Lau S. 434: „Das Hauptgewicht wird auf die Belehrung und auf das Bei-
spiel gelegt, die Versöhnung mit Gott, deren Gewissheit der Mensch zu seinem
Seelenfrieden unumgänglich bedarf, fast ganz übergangen, die Befreiung von den
Strafen theils unzureichend als bloss in Bezug auf die Erbsünde, theils rein äusser-
lich gefasst .... Gregor weiss dem Menschen keine andere Beruhigung zu geben,
als ihn auf seine Busse und seine guten Werke hinzuweisen." Er redet von einer
beständigen Ungewissheit, in welcher der Mensch, auch der heiligste, über seine
Versöhnung bleibt. Mit dem Satz, dass uns um Christi willen die Sünden vergeben
werden, weiss er nichts anzufangen. Gott bestraft vielmehr jede durch die Busse
nicht abgebüsste Sünde, auch wenn er sie verzeiht; s. Moral. IX, 34: „Bene dicit
Hiob (9, 28): Sciens quod non parccris delinquenti, quia delicta nostra sive
per nos sive per semetipsum resecat, etiam cum relaxat. Ab electis
enim suis iniquitatum maciüas studet temporali afflictione tergere, quas in eis in
perpetuum non vult videre." In dem Commentar zu I Reg. (1. IV, 4, 57), der frei-
lich, so wie er vorliegt, schwerlich von Gregor selbst niedergeschrieben ist, heisst
es sogar: „Non omnia nostra Christus explevit, per crucem quidem suam omnes
redemit, sed remansit, ut, (jui redimi et regnare cum eo nititur, crucifigatur. Hoc
profecto residuum viderat, qui dicebat: si compatimur et conregnabinnis. Quasi
dicat: Quod explevit Christus, non valet nisi ei, qui id quod remansit
a d i m p 1 e t. "
^ Daher heisst es immer wieder in den Moral, in Bezug auf die Tilgung der
Sünden: „sive per nos, sive per deimi".
■* Moral. 1, 24: „Sine intermissione pro nobis holocaustum redemptor im-
molat, qui sine cessatione patri suam pro nobis iucaruationcm demoustrat ; ipsa
Gregor der Grosse. • 237
bedeutet im Grunde sehr wenig. Sie ist aus der Abendmablspraxis ent-
standen. Was in der Kirche beständig durch den Priester geschieht;
ist auf Christus selbst übertragen. Aber beide Oblationen, indem sie
sich auf unsere „Reinigung" beziehen, haben ihren Werth doch nur in
der Erleichterung der Sündenstrafen. Auch noch eine andere Er-
wägung wirkte hier ein, die sich auf biblische Sprüche stützte, aber in
Wahrheit ganz anderen Quellen entstammte. Es ist die Vorstellung von
der beständigen intercessio Christi. Allein diese Intercession muss mit
dem ganzen Apparat der Intercessionen (der Engel, der Heiligen, der
Almosen und Seelenmessen, welche wie personificirte Kräfte gedacht
sind) zusammengehalten werden, um zu erkennen, dass es sich hier um
eine heidnische, in der Praxis der Kirche freilich längst schon ein-
gebürgerte, nun aber erst zur Theorie erhobene Vorstellung handelt
(die „Nothhelfer"). Wie wenig bestimmt der Tod Christi dabei ins
Auge gefasst wird, zeigt das offene Geständniss Gregor's, dass derselbe
nicht durchaus nothwendig gewesen sei. Wie Gott uns aus dem Nichts
erschaffen hat, so hätte er uns auch ohne Christi Tod von den Leiden
befreien können. Aber er wollte uns die Grösse seines Mitleides zeigen,
indem er das auf sich nahm, wovon er uns befreien wollte; er wollte
uns ein Beispiel geben, dass man das Unglück und die Leiden der Welt
nicht fürchten, sondern ihr Glück meiden soll, und er wollte uns lehren,
des Todes zu gedenkend Auch Gregor hat eine Theorie vom Ver-
dienst Christi (nach Analogie der merita, die wir gewinnen können) noch
nicht entworfen. Sie blieb dem Mittelalter vorbehalten ; aber er hat das
Werk Christi von den Seelenmessen und den Intercessionen der Heiligen
aus beleuchtet.
In der Lehre von dem Urständ, der Erbsünde, der Sünde, dem
Glauben und der Gnade sind die augustinischen Formeln (nach den
Kanones von Arles, ohne gratia irresistibilis und particularen Gnaden -
willen) wiederholt; allein dem, was Augustin in abstracto eingeräumt
hat (liberum arbitrium), wird hier ehie sehr reale Bedeutung beigelegt.
Friedlich steht neben der breit entwickelten Lehre von der gratia gra-
tuita, der gratia praeveniens und von dem Urständ und der Erbsünde
(die Fleischeslust der Eltern ist die Ursache unseres Lebens, daher ist
es sündig; der „Ungehorsam" oder die „Unordnung" der Zeugungs-
glieder ist der Beweis der Erbsünde; die eheliche Vermischung ist nie
fjuippe eius incarnatio nostrae emundationis oblatio est: cumque sehominem osten-
dit, delicta liorninis intorvenions diluit. Et huTnanitaÜH suae mysterio perenne sacri-
ficiurn imrnolfit, (juia et liaec sunt aeterna, (juac rnundat."
' Moral. 20, 36; 2, 37. Ezech. 1. TI hom. 1. 2. Hier finden sich schöne Au»-
fiihrungen: „noH minus amassot, nisi et vulnera nostra susciperet" (M. 20, 3()).
238 Geschiclite des Dogmas im Aliendland ])i8 zum Beginn des Mittelalters.
ohne Schuld) die Tjehre von dem AVillen, der bloss geschwächt ist, und
dem liberum arbitrium, welches der Gnade folgen muss, damit sie in
Thiltigkeit treten kann ' — und doch soll sie den Willen erst bestimmen,
dass er will. Bei allem Guten wirken von Anfang an zwei Potenzen zu-
sammen, sofern der freie Wille das annehmen muss, was die Gnade
bietet. Daher kann man sagen, „dass wir uns selbst erlösen, weil wir
dem uns erlösenden Herrn zustimmen"-. Die Prädestination wird bei
den Sündern und Erwählten einfach auf die Präscienz zurückgeführt,
dabei an anderen Stellen aber doch behauptet, sie beruhe auf Gottes
freier Macht und Gnade. Die letztere Annahme war nöthig, weil auch
Gregor an einem certus et definitus numerus electorum (zum Ersatz
der Engel) festhielt; allein schliesslich gehören zu dieser Zahl alle die,
deren Beharren im Glauben und guten Werken Gott vorher erkannt
hat. Im Grunde ist alles Innerliche auf das Handeln der Kirche redu-
cirt. AVie im Orient steht dieses im Vordergrund; doch ist die Be-
trachtungsweise eine andere. Dort ist dem frommen Gefühl, welches
sich an dem Ganzen des Kultus als eines gottmenschlichen Dramas
erhebt und berauscht, mehr S^iielraum gelassen; hier ist, dem römi-
schen Charakter angemessen, Alles nüchterner und berechnender.
Man leistet und man empfängt; der unterwürfige Gehorsam ist die
Haupttugend; die Verdienste werden belohnt, aber dem Demüthigen
wird auch fremdes Verdienst zugewandt: das ist die Gnade. Taufe,
Abendmahl und Busse sind die Mittelpunkte des Gnaden-Rechts-
processes. Man wird getauft: damit ist die Erbschuld getilgt und
alle vor der Taufe begangenen Sünden sind ausgelöscht; aber die Erb-
sünde ist nicht weggewischt und die Schuld der späteren Sünden bleibt ^.
' Wie hätte auch ein Bischof, der sich als Seelenhirt der ganzen Christenheit fühlt e,
damals den reinen Augustinismus zur Richtschnur seiner Rathschläge machen können !
2 Moral. 24, 10; s, auch 33, 21 : „Bonum quod agimus et dei est et nostrum,
dei per praevenientem gratiam, nostrum per obsequentem liberam voluutatem . . .
Si nostrum non est, unde nobis retribui praemia speramus ? Quia ergo nou imme-
rito gratias agimus, scimus, quod eius munere praevenimur ; et rursum quia non
immerito retributionem quaerimus, scimus, quod obsequente libero
arbitrio bona eligimus, quae ageremus." S. ep. IIT, 29: Christus wird
uns dann beim Gericht reichlicher trösten, wenn er bemerkt, dass wir unsere Fehler
an uns selbst gestraft haben.
^ Moral. 9, 34: „Salutis unda a culpa primi parentis absolvimur, sed tameu
reatum eiusdem culpae diluentes absoluti quoque adhuc carnaliter obimus." Die
casuistische Behandlung der Sünden ist })ei Gregor keineswegs rigoristisch. Er
zeigt hier eine mit Milde gepaarte hohe Weisheit und giebt Anweisungen, die
gewiss für die damaligen Verhältnisse die besten waren. „Frommen Seelen", sagt
er einmal (ep. XI, 64), „ist es eigenthümlich, auch dort einen Fehler (bei sich) zu
wähnen, wo gar keiner zu finden ist."
Gregor der Grosse. ' 239
Sie muss getilgt resp. abgebüsst werden. Es giebt dafür zahlreiche
Mittel, die ebenso nothwendig wie unsicher sind. Der Mensch muss
sich gerecht machen; denn die Gerechtigkeit ist die oberste Tugend
(radix virtutum). Er wird angewiesen, zu beten, Almosen zu geben
und Verdruss am Leben zu empfinden. Aber es wird ihm weiter
gesagt: „hi qui de nullo suo opere confidunt, ad sanctorum martyrum
protectionem currunt atque ad sacra eorum corpora fletibus insistunt,
promereri se veniam iis intercedentibus deprecantur" (Moral. 16, 51).
Längst hatte diese Praxis der Heihgen und Reliquien bestanden, aber
Gregor hat das Verdienst, sie schematisirt zu haben, indem er sie
zugleich durch seine „Dialoge" — aber auch durch die anderen
Schriften — mit reichem Stoff versah ^ Eine Wolke von „Vermitt-
lern" (Engel, Heilige, Christus: schon fängt die schlaue Berechnung an,
was ein Jeder von ihnen leisten kann und wofür er gut ist) tritt
zwischen Gott und die Seele. Die Unsicherheit über Gott, die per-
verse mönchische Demuth und die Furcht des unversöhnten armen
Herzens vor den Sündenstrafen haben, die Christen in die Arme des
heidnischen Aberglaubens geführt und die „Vermittler" in die Dog-
matik eingestellt. Aber indem die Kirche durch den Satz schreckt
„nuUatenus peccatum sine vindicta laxatur" -, verweist sie nicht nur
auf die Intercessoren , auf die Almosen und die anderen Satis-
factionen, auf die „Seelenmessen", die eine immer höhere Bedeutung
erlangten, sondern sie mildert auch die Hölle, indem sie das Fegefeuer
vor den Himmel setzt, verwirrt damit die Gewissen und stumpft die
Schwere der Sünde ab, das Interesse auf die Sünden strafe lenkend.
Gregor hat die Lehre vom Fegefeuer, die schon Augustin eingeleuchtet
hat ", sanctionirt und breit ausgeführt '*. In dieses Fegefeuer reicht
^ Vielfach sind schon früher ähnliche Dinge erzählt worden, wie Gregor sie
})erichtei; aber im Abendland hat kein Schriftsteller vor ihm die Superstitionen so
ausgebaut — und er war der einflussreichste Bischof. Die AVunder der Reliquien
sind ihm die alltäglichsten Erscheinungen; die Wunderkraft einiger ist so gross,
dass .Teder stirbt, der sie berührt. Alles, was in Berührung mit ihnen tritt, wird
magnetisirt. Wie gewaltige Fürsi)recher und Advokaten müssen also die Heiligen
sein, wenn schon ihre Leiber solche Thatcn tliun! Gregor suchte sich daher auch
einflussreiche Leute durch üebersendung von Reli(|uien und — Sklaven geneigt zu
erhalten. Uebor Bilder s. ep. TX, 52; IX, 105; XI, 13.
'^ Moral. 9, 34 oder : „delin(iuenti dominus ne(iua(iuam parcit, (|uia (Jielictum
sine ultione non deserit. Aut enim ipse homo in se paenitens punit, aut hoc deus
cum homine vindicans jjercutit."
^S. oben S. 209. 211.
* S, J)ial. IV (25) u, 39. Nachdem (lott die ewigen Strafen i)i zeitliche ver-
wandelt hat, müssen die flercchtfertigten die zeitlichen Sündenstrafen im Fege-
feuer abbüflsen. Dieses wird indirect aus MUh. 12, 31, direct aus I Cor 3, 12 f.
240 Geschiclite des Dogmas im Al)endlancl bis zum Beginn des Mittelalters.
aber die Macht der Kirche, der Gebete und der Fürsprecher
hinein '.
Weil das f^anze Leben auch der Getauften noch durch Sünden,
mindestens durch kleine, befleckt ist, so müssen sie fortwährend in
der Pönitenz stehen, d. h. der Busse leben, die in den Satisfactionen
und Anrufungen dei' Nothhelfer gipfelt. Gregor hat die Lehre von
der iUisse ebenfalls so schematisirt, wie sie in das Mittelalter über-
gegangen ist. Vier Stücke gehören zur Busse, die Erkenntniss der
Sünde und die Furcht vor Gottes Gerichten, die Reue (contritio),
das Bekenntniss der Sünde und die Genugthuung (satisfactio). Die
beiden ersten können auch als eines gefasst werden (conversio men-
tis) -. Noch soll der entscheidende Nachdruck auf die conversio
fallen ; auch ist die Busse noch nicht an das Kircheninstitut und den
Priester gel)unden ; aber die satisfactio musste doch als die Haupt-
sache empfunden werden. Das letzte Wort ist freilich noch nicht ge-
sprochen; aber schon nimmt die Bussordnung die Stelle ein, die dem
Glauben gebührt; ja sie heisst die „Thränentaufe" ^. Und in den
Bussmechanismus ist schhesslich auch das Abendmahl hineingezogen.
Auch hier hatte Gregor nur längst Geübtes zu accentuiren. Am
Abendmahl ist die Hauptsache, dass es Opfer ist, welches Lebenden
und Gestorbenen als Mittel der „laxatio" zu Gute kommt. Als Opfer
ist es Wiederholung des Opfers Christi — daher der Ausbau des
feierhchen Ritus durch Gregor — , und dass das ganz reahstisch ge-
dacht wurde, versteht sich von selbst. In dieser Handlung (eucha-
ristia, missa, sacrificium, oblatio, hostia, sacramentum passionis, com-
munio) wiederholt sich zu unserer Versöhnung Christi Leiden^, der
erschlossen. Es gieht aber vollkommene Menschen, die des Fegefeuers nicht be-
dürfen.
^ Dial. IV, 57: „Credo, quia hoc tarn aperte cum viventilnis ac nescientibus
agitur, ut cunctis haec agentibus ac nescientibus osteudatur, quia si insolubiles cul-
pae non fuerint, ad absolutionem prodesse etiam mortuis victima sacrae oblationis
possit. Sed sciendum est, quia illis sacrae victimae mortuis prosint, qui hie vivendo
obtinueruut, ut eos etiam post mortem bona adiuvent, quae hie pro ipsis ab aliis
fiunt."
^ I Reg. 1. VI, 2, 33: „tria in unoquoque consideranda sunt veraciter paeni-
tente, videlicet conversio mentis, confessio oris et vindicta peccati." Moral. 13, 39:
„convertuntur fide, veniunt opere, convertuntur deserendo mala, veniunt l)ona fa-
eiendo." Die freiwillig aufgenommenen Plagen sind die satisfactio.
^ Evang. 1. I hom. 10: „Peccata nostra praeterita in baptismatis perceptione
laxata sunt, et tamen post baptisma multa commisimus, sed laxari iterum baptis-
matis aqua non possumus. Quia ergo et post baptisma iniquinavimus vitam, bapti-
zemus lacrimis conscientiam."
* Evang. 1. II hom. 37, 7: „Singulariter ad absolutionem nostram oblata cum
Gregor der Grosse. 241
„in singulis portionibus totus est'^ Doch ist auch hier das letzte
Wort noch nicht gesprochen, die Transsubstantiation noch nicht aus-
geführt. Ja es geht eine Betrachtung des Abendmahls nebenher, nach
welcher der Accent darauf fällt, dass wir uns Gott als Hostie dar-
bringen, indem wir uns ihm hingeben, Liebe üben, täglich das Opfer
der Thränen leisten, die Welt verachten und — täglich die Hostie
des Leibes und Blutes Christi opfernd
Was ist vom Augustinismus hier geblieben? Alle die vulgär-
katholischen Elemente, die Augustin zurückgeschoben und theilweise
umgestimmt hat, sind mit doppelter Kraft wiedergekehrt ! Die mora-
listisch-rechtliche Betrachtung hat über die religiöse gesiegt. Was bei
Cyprian in der Schrift de opere et eleemosynis angelegt erscheint,
beherrscht hier die ganze religiöse Auffassung, und die Unsicherheit,
die Augustin über den Gottesbegriff hat bestehen lassen, weil er
über Gott in Christus nur unsicher dachte, ist hier zu einem
Schaden geworden, der die ganze Religionslehre durchdringt. Denn
was weiss Gregor von Gott? Dass er, w^eil er allmächtig ist,
einen unerforschlichen Willen hat^, dass er, weil er der
Vergelter ist, keine Sünde ungestraft las st, und dass
er, weil er gütig ist, eine unübersehbare Menge von
Gnaden Veranstaltungen geschaffen hat, deren Ge-
brauch es dem freien Willen ermöglicht, sich den
Sündenstrafen zu entziehen und Verdienste dem
vergeltenden Gott vorzuweisen. Das ist Gregor's Gottes-
begriff, und es ist der specifische Gottesbegriff der römisch-ka-
tholischen Kirche : Christus als Person ist vergessen. Er ist ein
grosser Titel in der Dogmatik, d. h. an der betreffenden Stelle; aber
die Grundfragen des Heils sind nicht im Hinblick auf ihn beant-
lacrimis et benignitate mentis sacri altaris hostia suffragatur, quia is, qui in se re-
surgeiis a mortuis iam non nioritur, adliuc per hanc in suo mysterio pro no])is iterum
patitur. Nam quoties ei hostiam suae passionis offerimus, toties nobis ad absolutio-
nem nostram passionem illius reparamus."
* 8. Dial. IV, 58. 59. Auf die Häufigkeit der Messen legte schon Gregor
grosses Gewicht. Er erzählt (Dial. IV, 55), (;r sol])st habe durch eine dreissigtägige
Messe der Seele eines abgeschiedenen Mönclis Ruhe verschafft. Auch die Anwen-
dung der Messen, um zeitliche Leiden abzuwehren, billigt Gregor. Er berichtet mit
Beifall, dass eine Frau durch Messen ihren Mann aus der Gefangenschaft ])efreit
habe, und erkennt überhauj)t in ihnen das reinediuni wider alle Plagen im Diesseits
und im Fegefeuer. Nur auf die ewige Seligkeit bezieht sich die Messe nicht.
^ Das ist der Eindruck, der sich aus der Prädestinationslehre Augustin's
erhielt.
Harnack, Do^nengeschichte III. 1^5
242 Geschichte des Dogmas im Abendland bis zum Beginn des Mittelalters.
wortet, und im Leben hat sich der Getaufte an „Mittel" zu halten,
die theils neben, theils ohne ihn bestehen oder nur seine Eti(|uette
tragen. Von hier aus erklärt sich das ganze Gefiige der gregoria-
nischen Rehgionslehre, welche statt Glaube und Liebe wiederum
Furcht^ und Hoffnung, statt der Gnade Gottes in Christo eine
nur comi)licirter, aber nicht besser gewordene Verdienstlehre auf-
richtet. Und doch hätte sich Augustin über diese Verschiebung seiner
Gedanken nicht beklagen dürfen *, denn er hat die Grundlinien dieser
Religionslehre alle bestehen lassen, ja selbst in sein Gedankengefüge
aufgenommen. Sogar die offenbare und schwere Veräusserhchung der
Sünde, jene Anweisung, dass man immerfort in Thränen schwimmen,
dabei aber eifrig bedacht sein soll, den Sündenstrafen sich zu ent-
ziehen, jene Verkehrung des Gottesbegrift's und der Sünde, als käme
es Gott lediglich darauf an, abgefunden zu werden, sofern er der
Vergelter ist — sie hat in dem augustinischen Gedankenkreise An-
knüpfungspunkte-. Der dunkelste Fleck an der mittelalterlichen Fröm-
migkeit, dass sie gebietet, immerfort zerknirscht zu. sein, dabei aber
den Reuigen zu Berechnungen auffordert, die den sittHchen Nerv
ertödten und die Reue über die Sünde in die Furcht vor der Strafe
umwandeln — dieser Schade, der die religiöse Moral schlimmer macht
als die religionslose, ist von nun an in der katholischen Kirche des
Abendlandes verewigt ^.
Allein bei Gregor selbst durchkreuzen doch noch viele an dem
Evangelium und Augustin erworbene Gedanken diese Religionslehre.
Er hat von dem Eindruck der Person Christi in erhabenen Worten
* „Dens terrores incutit" — öfters.
'''Das „tutius", die via tutior spielt bei Gregor schon eine grosse Rolle; s.
z. B. Dial. IV, 58: „Pensandum est, quod tutior sit via, ut bonum quod quisque
post mortem suam sperat agi per alios, agit ips6 dum vivit per se." Also das ist
nur tutius, und nicht selbstverständliche Pflicht !
^ Ausdrücklich verbietet Gregor auch — er konnte sich freilich auf Augustin
berufen — , dass man seiner Seligkeit gewiss werde. Am lehrreichsten ist hier der
Brief an die Kämmerin der Kaiserin Gregoria (V, 25). Diese arme Frau wollte
Gewassheit ihres Seelenheils haben und hatte dem Papst geschrieben, sie werde
so lange mit Briefen in ihn dringen, bis er ihr zurückschreiben werde, er habe
die Vergebung ihrer Sünden aus einer Specialoffenbaruug erkannt.
Welch' eine evangelische Regung im Jahre 596! Der Papst schreibt ihr zurück,
erstlich sei er einer besonderen Oftenbarung unwürdig, zweitens dürfe sie wegen
der Vergebung ihrer Sünden nicht eher sicher sein, als bis sie an ihrem letzten
Lebenstag ihre Sünden zu beweinen nicht mehr im Stande sein werde; bis dahin
müsse sie furchtsam bleiben ; denn die Sicherheit sei die Mutter der Trägheit ; sie
dürfe gar nicht nach ihr streben, da sie einschläfre. „Lass' Deine Seele jetzt eine
kleine Zeit zittern, damit sie sich dann ohne Ende in einer sicheren Freude ergötze."
Gregor der Grosse und Augustin. ' 243
reden können, und er hat die innere Umwandlung durch den divinus
sermo ^ so zu schildern vermocht, dass man fühlt, er giebt hier nicht
nur Angelerntes wieder, sondern spricht aus eigener Erfahrung. „Per
Sacra eloquia dono spiritus virificamur, ut mortifera a nobis opera
repellamus^ spiritus vadit, cum legentis animum diversis modis et
ordinibus tangit deus" ^. Innerlich durch das Wort wirkt der Geist
Gottes. So sind viele der besten Gedanken Augustin's in den Schrif-
ten Gregorys reproducirt ^. Auch ist er als Dogmatiker kein Hierarch
gewesen. Wenn er, wie es unleugbar ist, der weiteren Identificirung
von empirischer Kirche und Kirche Vorschub geleistet hat, wenn
alle seine Anweisungen über angerechnetes Verdienst der Heiligen,
Oblationen, Messen, Bussordnung, Fegefeuer u. s. w. der Priester-
kirche und der völligen Unterordnung der armen Seelen unter ihre
Gewalt zu Gut kommen mussten, wenn endlich seine Kirchenpolitik
darauf angelegt war, die im Papst gipfelnde Kirche zu der Macht zu
erheben, an der jede andere Macht ihre Grenze findet und von der
sie ihren Segen empfängt, so ist doch seine Dogmatik keineswegs
blosse Ecclesiastik. Man wundert sich vielmehr, dass er nirgendwo
die letzten, scheinbar so nahe liegenden Consequenzen gezogen hat *,
nämlich den ganzen ungeheuren Apparat in straffer Zusammen-
fassung in die Hand des Priesters zu legen und die Leitung jeder
einzelnen Seele diesem zu übergeben. Geübt wurde es bereits da-
mals vielfach ; aber noch überwog der Gedanke, dass jeder Getaufte
für sich die Verantwortung allein trage und seinen eigenen Weg
durch Busse und Vergebung vor Gott innerhalb der Kirche zu wan-
* Auch der Ausdruck „verbum fidei" ist sehr gebräuchlich.
'' Ezech. I h. 7.
^ Die Wahrheitsliebe Gregor's ist freilich nicht über allen Zweifel erhaben.
Seine Wundergeschichten sind häufig nicht naiv, sondern berechnet; man lese z. B.
ep. IV, 30. Auch seine Propaganda für die Kirche scheut sich nicht vor zweifel-
haften Mitteln. Die Juden auf den päpstlichen Landgütern sollen durch Steuer-
nachlass zum Christenthum bewogen werden. Bekehren sie sich selbst noch nicht
aufrichtig, so werden doch ihre Kinder gute Katholiken sein; ep. V, 8. Doch hat
sich (rregor gegen gewaltsame Bekehrungen sehr bestimmt ausgesprochen (ep. T, 47).
■* Auch die Gebräuche der römischen Kirche hat er noch keineswegs mit tyran-
nischer Gewalt einführen wollen, vielmehr den Missionar Augustin angewiesen, das
Gute, welches er in anderen Landeskirchen findet, anzunehmen; s. ep. XI, 64»
Andererseits macht die erstaunliche Identificirung von Petrus und dem Papst bei
Gregor weitere Fortschritte. Er meint den Papst, wenn er sagt: „s. ecclesia in
apostolorum principis soliditate firmata est." Und er erklärt (ep. IX, 12): „de Con-
«tantinopolilana ecclesia quod dicunt, quis eam dubitet sedi apostolicae esse sub-
ifctam"; fi. auch die schöne Stolle ep. IX, 59: „si (|ua culpa in episcopis invenitur,
nescio quis Vitir\ successori subi(!ctus non sit; cinn vero culpa non cxigit, omnes
aecundum rationem humilitatis aequales sunt."
16*
244 Oeschichte des Dojsrmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
dein habe. Erst der mittelalterlichen Entwickelung blieb es vor-
behalten, die dogmatische Forderung zu stellen, dass der Büssende,
(1. h. jeder Ohrist von der Taufe bis 7uni Tode, nur an der Hand
des Priesters gehen dihie '.
Sechstes Capitel: Gescliiclite des Dogmas in der Zeit der
karolingischen Renaissance.
Bei den jugendlichen barbarischen Völkern traten alle Insti-
tutionen der Kirche noch mehr in den Vordergrund als dies ohne-
hin schon durch die Entwickelung der Kirche im römischen Reiche
geschehen war. Das ijhilosophische und theologische Capital des
Alterthums, zum Theil bereits in Compendien überliefert, wurde in
neuen Compendien fortgepflanzt (Isidor von Sevilla, Beda, Raba-
nus u. s. w.). Den einzigen Johannes Scotus ausgenommen'^, ver-
mochte Niemand mehr jene Gedankenwelt bis in ihre letzten Motive
^ Wie stark schon zu Gregor's Zeiten die eigentlicli theologischen Fragen
gegenüber den praktischen Fragen der Seelenleitung und der Erziehung durch den
Kultus und die Kirchenordnung zurückgetreten sind, zeigt die umfangreiche Brief-
sammlung Gregor's. lieber Gregor's Bedeutung für den Kultus siehe das ausgezeich-
nete Werk Duchesne's, Orig. du culte chretien (1888), bes. p. 153 sq.
'^ Johannes Scotus Erigena's System (Hauptwerk : de divisione naturae,
s. Migne CXXII; Christlieb 1860, Huber 1861, s. Ritter und Baur) ge-
hört nicht in die Dogmengeschichte des Abendlandes ; denn es ist ganz und gar
eine freie, selbständige Reproduction der neuplatonischen (pantheistischen) Denk-
weise, wie dieselbe durch den Areopagiten und namentlich durch den „divinus
philosophus Maximus Confessor", die Scotus gelesen hat, repräsentirt ist. Auch
Augustin hat allerdings auf ihn eingewirkt; aber er hat seine Speculation dem
Christlichen nicht näher geführt. Dieser gelehrteste und vielleicht auch klügste
Mann seines Zeitalters hat die volle Identität von religio vera und philosophia vera
behauptet und damit den Grundgedanken der antiken Philosophie wieder in den
Mittelpunkt gestellt. Aber die philosophia vera ist ihm , der die Autorität neben
der Vernunft nur nominell gelten Hess, jener Monismus der Betrachtung, in welchem
die Erkenntniss der Natur und die Erkenntniss Gottes zusammenfallen, wie denn
auch Denken und Sein zusammenfallen (Alles ist Natur, und zwar schliesslich „Natur
die nicht schafft und nicht geschaffen wird", und der im menschlichen Geiste liegende
Begriff der Wesen ist die Substanz der Wesen selbst : intellectus rerum veraciter
ipsae res sunt). Der akosmistische Idealismus ist bei Scotus (wie bei Stephan bar
Sudaili) bis zu dem Punkt getrieben, wo auch die Gottheit im Intellect des Menschen
untergeht. Alle Uebereinstimmungen mit den kirchlichen Lehren beruhen bei
Scotus auf Accommodation, entspringen aber nicht aus Verlegenheit, sondern aus
der klaren Einsicht, dass die Hüllen bestehen müssen. Im Grunde ist ja auch die
lebendige Bewegung der natura selbst nur ein Schein. In seiner Zeit ohne Einfluss,
ja mit Argwohn betrachtet, ist er auch später nicht zum Lehrer des Abendlandes
geworden, wenn auch abendländische Mystiker Manches von ihm gelernt haben.
Er war zu sehr Grieche. An Trieb und Kraft zu systematischer Bildung ist er ein
Phänomen, und mit Recht verehren ihn die speculativen Philosophen als einen Meister.
Bedeutung des karolingischen Zeitalters. 245
und Erkenntnisse zu verfolgen und innerlich nachzuerlebend Kul-
turgeschichtlich ist Alles in der Epoche interessant, wurden doch
im karolingischen Zeitalter die Grundlagen für die Entwickelungen
des Mittelalters gelegt; allein dogmenge Schicht lieh, sofern man
nicht die Aneignung bekannter Stoffe, sondern den Fortschritt
der Entwickelungen zu betrachten hat, bietet jene Zeit nicht viel.
Die karolingische Epoche ist ein grosser und in mancher Hin-
sicht verfehlter Versuch einer Renaissance der Antike. Sie ist nicht
das Ergebniss der natürlichen langsamen Entwickelung der germa-
nisch-romanischen Völker, sondern Karl der Grosse und sein Kreis
suchten durch ein vielfach forcirtes Zurücklenken zu der Antike resp.
durch die Einbürgerung der byzantinischen Kultur — in Konstanti-
nopel war das Alterthum noch lebendig — im Sturme eine höhere
Bildung für das fränkische Reich zu gewinnen. Was Springer für
die Geschichte der Kunst gezeigt hat, dass nämlich die karolingische
Kunst als die Nachblüthe der antiken, nicht aber als der Anfang der
mittelalt erheben zu betrachten ist, das gilt auch von den theolo-
gischen und philosophischen Bestrebungen. Für die Geschichte
der Institutionen b ezei chnet die Karolinge r zeit die
epochemachenden Anfänge 2-, innerhalb der Ge-
schichte des geistigen Lebens ist sie ein Anhang zur
Geschichte der alten Welt. Somit beginnt, streng genommen,
die Dogmen geschichte des Mittelalters erst mit dem Zeitalter Clugny's ^.
Auch hat es keinen Werth, innerhalb dieser Disciplin auf die sog.
volksthümlichen Ausprägungen des germanischen Christenthums, wie
sie sich in poetischen und prosaischen Stücken finden, einzugehen;
denn erstlich ist ihre Volksthümlichkeit eine sehr bedingte, zweitens
hat das volksthümliche Christenthum kaum auf die Institutionen, ge-
* Bewundernswerth ist es andererseits, mit welcher Kraft des Gedächtnisses
und Verständnisses sich Männer wie Alcuin und Paulin von Aquileja in den ein-
zelnen Gedankengängen Augustin's heimisch gemacht haben. Alcuin lebte auch
in der augustinischen Frömmigkeit.
'^ S. Hatch, An introductory lecture on thc study of cccl. hist. 1885.
^ lieber die Dogmengeschichte der Karolingerzeit s. Schwane, Dogmen-
gesch. der mittleren Zeit 1882; Bach, Dogrnengesch. des Mittelalters I. Th. 1873.
Thomasius-Sceberg, Dogrneugesch.il, 1 1888; Ilcuter, Gesch. der relig. Auf-
klärung im Mittelalter 1875 I S. 1 — 64. Letzteres Buch orientirt über die Kultur-
bestrebungcn , vgl. auch Göbl, Gesch. der Katechese im Abendland 1880 und
Spiess, Gesch. des Unterrichtswesens in Deutschland von den ältesten Zeiten bis
zur Mitte des 13. Jahrhunderts 1885. Dazu die Kirchengeschichten Deutschlands
von Rettberg und Hauck. Ueberdic „populäre Theologie" bei den Angelsachsen,
Sachsen und Franken s. Bach, a. a. 0. 1 S. 81 ff.
246 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karolingischen Renaissance.
schweige auf das Dogma irgend welchen Einfiuss ausgeübt. Wer zu
höherer theologischer Bildung vorschreiten wollte, las den Augustin
und Gregor, den Gregor und Augustin, und er empfand sich diesen
und den anderen lateinischen Vätern gegenüber lediglich als Schüler,
der noch zu lernen hat, was ihm vorgesprochen wurde '. Das Bil-
dungsstreben vieler Kleriker war damals allerdings ein gewaltiges —
man braucht nur den uns erhaltenen Handschriftenbestand aus dem
8. und 9. Jahrhundert zu überschauen — '^; auch darf nicht ver-
kannt werden, dass eine kleine Anzahl von Gelehrten es damals wei-
ter gebracht hat als die Gelehrten aus der Zeit von 450 — 650,
dass sie über Isidor und Gregor zu Augustin selbst vorschritt, die
Depotenzirung der liehgion zu Cercmoniendienst und Mirakelglauben
durchschaute und zum Spiritualismus Augustin's zurückkehrte^. Allein
die hohe Gestalt des afrikanischen Bischofs begrenzte allen weiteren
Fortschritt. Zu ihm schauten die Besten auf; aber Keiner hat ihn
überschaut, auch Alcuin und Agobard nicht, obschon der Letztere
auch den Tertullian studirt hat ^. Es hat einen hohen Reiz, inner-
halb der Kirchengeschichte die energischen Anstrengungen der karo-
lingischen Augustiner zu studiren, wie sie, dem grossen Kaiser fol-
^ Johannes Scotus bildet eine Ausnahme, in gewissem Sinn auch Fredegis von
Tours, sofern er über das ominöse „nihil"*, welches die augustinische Metaphysik
darbot, selbständig nachgedacht hat. Dass diese Arbeit aber von früheren Gelehrten
überschätzt worden ist, hat A h n e r in seiner Dissertation über Fredegis und dessen
Brief „de nihilo et tenebris" (1878) gezeigt.
^ Sehr dankenswerth ist es auch, dass Schrörs in seiner Monographie über
Hinkmar (1884) S. 166 — 174 Rechenschaft über die alten Schriften gegeben hat,
welche der grosse Bischof gelesen resp. citirt hat. Welch' eine bedeutende Gelehr-
samkeit und Belesenheit geht aus dieser Zusammenstellung hervor, und doch war
Hinkmar keineswegs der Gelehrteste. Interessant ist auch, dass sich Hinkmar streng
an das Edict des Gelasius gehalten hat.
^ Auch das Interesse an der Dialektik ist bei manchen Lehrern der karolingi-
schen Epoche stärker als bei den früheren Theologen, man vgl. Alcuin's Werk de
fide trinitatis, welches auch ein tüchtiges Streben nach systematischer Einheit des
theologischen Denkens bekundet. Fredegis, der discipulus dulcissimus Alcuin's,
ist wegen seiner Vorliebe für die Dialektik, den Syllogismus und Vexirfragen von
Agobard als „Philosoph'* zurechtgewiesen worden („invenietis nobilitatem divini
eloquii non secundum vestram assertionem more philosophorum iu tumore et
pompa esse verborum" Agobardilib. c. obiect. Fredigisi abb.). Doch lehrte er über
auctoritas und ratio nicht anders als Augustin; allein schon der ernsthafte Versuch,
auf Gnmd der Autorität die Vernunft dem Dogma gegenüber zu gebrauchen, be-
fremdete. In dem Streit zwischen Agobard und Fredegis sind manche Controversen
aufgetaucht, die von Bedeutung geworden wären, wenn die Gegner sie wirklich aus-
geführt hätten.
* Ueber Alcuin s. die Monographie von Werner (1881). Den Tertullian hat
auch Radbert gelesen.
Bedeutung des karolingischen Zeitalters. 247
gend, aber ihn überbietend, die überkommene Religionsform zu läutern
und das Gebiet einer stumpfen Mysterienscheu und eines halbheidnischen
Aberglaubens einzuschränken versucht haben — allein es würde
lediglich zur Verwirrung innerhalb der Dogmengeschichte führen,
wollte man diesen Versuchen hier nachgehen *.
Die dogmengeschichthch wichtigen Verhandlungen und Bestim-
mungen in unserer Epoche zerfallen in folgende Gruppen : 1) Die
Streitigkeiten um die byzantinisch-römische Christologie im Gegen-
satz zur augustinisch- abendländischen und um den gregorianischen
Lehrbegriff im Gegensatz zur augustinischen Prädestinationslehre ^ ;
2) die Streitigkeiten mit Rom gegen den Orient über das filioque und
gegen Rom und den Orient über die Bilder^-, 3) die Fortbildung der
Praxis und Theorie der Messe und der Busse *.
* Die Vorbedingungen für die karolingische Renaissance lagen in der politi-
schen Stellung des Frankenreiches, in der Blüthe der theologischen Studien bei den
Angelsachsen (Beda), in der kirchlichen Thätigkeit des Bonifatius auf dem Continent
und in den theils neuen, theils erneuten Beziehungen des Reiches zu Rom und
Konstantinopel. Dass aus England, aus Rom und aus der Lombardei, endlich auch
aus dem Orient die Bildungselemente am Hofe Karl's zusammenflössen und an dem
Könige einen so energischen Mäcenas fanden, ermöglichte die Renaissance, die sich
dann unter Ludwig dem Frommen und am Hofe Karl's des Kahlen fortsetzte. Gar
nicht zu überschätzen ist , was Konstantinopel beigesteuert hat. Man braucht nur
an die Werke des falschen Dionysius, des Maximus und des Johannes von Damaskus
zu erinnern, die damals in das Frankenreich gekommen sind. Nicht nur Johannes
Scotus, sondern z. B. auch Hinkmar hat den falschen Dionysius gelesen, resp.
citirt. Eine gewisse Kenntniss des Griechischen besassen auch einige Angelsachsen
seit den Tagen des Erzbischofs Theodor von Tarsus in Canterbury ; aber in weit
höherem Grade waren sie die Lehrer des Augustinismus (doch nicht in der christo-
logischen Frage, s. unten). An diesem hat die mittelalterliche Mystik des Abend-
landes (auch Scotus) neben dem Areopagiten ihre Quelle gehabt ; denn es ist sehr
einseitig, nur den letzteren für dieselbe verantwortlich zu machen. Durch die Er-
werbung der Krone des römischen Reiches im Jahre 800 empfing das Bildungs-
streben der Franken die höchste Kraft. AVas bisher freie Bethatigung war, erschien
nun als Pflicht und Verantwortung; denn der fränkisch-römische Kaiserkönig war
nun der Nachfolger des Augustus und Konstantin. Allein wie schnell welkten alle
Blüthen. Ln Prolog zu Einhard's Leben Kaiser Karl's schreibt Walafrid mit Keclit :
„Dadurch dass König Karl weise Männer versammelte, hat er den nebligen und so
zu sagen fast ganz finsteren Umkreis des ihm von Gott anvertrauten Reiches durch
die neue Einstrahlung aller Wissenschaft, dergleichen dieser Barbarei bis dahin
zum Theil ntjch ganz unbekannt geblieben war, mit Licht erfüllt, da Gott es er-
leuchtete. Jetzt aber, da die Studien wieder in ihr Gegentheil zurücksinken, wird
das Licht der Weisheit, das wenig LieVjhaber mehr findet, immer seltener."
^ In diesen Käm})fen stellt sich der Kami)f um Augustin dar , s. auch den
Kampf um das Abendmahl.
' Diese Streitigkeiten sind von universal kirchenhistorischem Interesse.
* In dieser Weiterbildung allein war das dogmatische Interesse der Karolinger-
248 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karoliugischen Renaissance.
1 a. Der adoptianische Streit *.
Nachdem uuf dem 4. Concil die iibeiidlilndische christologische
Formel von den zwei Naturen dem Orient aufgezwungen wor-
den war, gab dieser auf dem 5. Concil der Formel eine cyril-
lische Deutung und verstärkte dieselbe durch die Verdammung der
drei Oai)itel. Da der römische Bischof der neuen Bestimmung, die
im Abendland als Abfall vom Chalcedonense angesehen wurde, bei-
treten musste, so kam es in OberitaUen zu einem Schisma, das nur
mühsam beigelegt wurde, sich bis in das 7. Jahrhundert erstreckte
und das Ansehen des Papstes im Occident schädigte. Die mono-
theletischcn Streitigkeiten machten dem Schisma ein Ende^, und das
6. Concil stellte die chalcedonensische* Formel auch in der neuen
Fassung des Problems (Frage nach den Willen in Christus) wieder
her. Allein im Orient und in Rom selbst war man weit entfernt,
die Consequenzen der Formel zu ziehen. Die Mystik, welche das
vollkommene und untrennbare Ineinander von Göttlichem und Mensch-
lichem lehrte und in allen kultischen Institutionen der Kirche ihre
Triumphe feierte, hatte die unbequeme dogmatische Formel längst
überwuchert und ihre Triebe erstickt. Anders stand es aber bei den
abendländischen Bischöfen, so lange die griechische Mystik noch nicht
zu ihnen gedrungen war und sie unter dem Einfluss der alten abend-
ländischen Tradition, namentlich des Augustin, standen. Hier galt
das christologische Schema, die hl. Dreieinigkeit habe die Mensch-
werdung so vollzogen, dass die zweite Person der Gottheit, der Sohn,
einen Menschen (homo) kraft ewiger Erwählung — ohne vorange-
gangene Verdienste desselben — auserlesen, sich mit ihm zur Ein-
heit der Person verbunden, und ihn also in die volle Sohnschaft auf-
genommen (adoptirt) habe ^. Dieses Schema unterscheidet sich toto
coelo von dem griechischen (in Rom recipirten) des 5. Concils,
selbst wenn man — wie es geschah — unter jenem homo auch die
ganze Menschennatur verstand. Denn nach der herrschenden grie-
chischen Auffassung hat der Gott-Logos im Moment der Mensch-
zeit wirklich lebendig und führte zu neuen, wenn auch nicht sofort streng dog-
matisch ausgeprägten Bestimmungen. Hierher gehört auch die Lehre von den
Heiligen (Maria), den Reliquien und Ablässen.
* S. Bach, a. a. 0., Walch, Ketzerhistorie IX. Bd., Hefele, Concil. -Gesch.
m * S. 642 ff. (628 ff.), Gams , Kirchengesch. Spaniens Bd.II, Doruer, Entwickel.-
Gesch. Bd. H; Opp. Alcuini ed. Proben.; Mansi T. XII. XIII-, Migne T.
XCVI— CI.
'' Doch noch nicht überall.
' S, Augustin's Christologie üben S. 115 f.
Der adoptianische Streit. • 249
werdung die menschliche Natur so assumirt und in die Einheit
seines Wesens aufgenommen (iStoTüoisiv) , dass sie an der Würde,
also auch an der Sohnschaft des Sohnes vollkommen Antheil hat,
der fleischgewordene Logos somit ebenso wie der präexistente in
jeder Hinsicht der eine wesenhafte Sohn Gottes ist. Jesus
Christus als Menschensohn nur für den adoptirten Sohn Gottes
zu halten, löste nach griechischer Auffassung das ganze Geheimniss
der Menschwerdung auf und führte in den Abgrund des Nestoria-
nismus zurück. Umgekehrt musste man vom Boden der augusti-
nischen Christologie aus die Behauptung, der Menschensohn sei
wesenhafter Sohn Gottes so gut wie der Logos, als Rückfall in den
Doketismus resp. auch als Pantheismus (Vermischung von Gött-
lichem und Menschlichem) empfinden. Das grosse Recht der ersten
Auffassung lag in dem Festhalten an der vollkommenen Einheit
der Erlöserpersönhchkeit \ das grosse Hecht der anderen in dem
Festhalten an der wahren Menschheit Christi. Diese war den Geg-
nern in Wahrheit nur ein Theorem, dessen Bekenutniss es ihnen
gestattete, in concreto alles Menschliche an Christus zu vergöttHchen^,
während die Adoptianer die Einheit des Gottes- und des Menschen-
sohnes nur zu postuliren vermochten^.
Es ist der alte Gegensatz des Monophysitismus und Nestoria-
nismus, in der Terminologie freilich gemildert, in der Sache nicht
abgeschwächt — wie könnte man ihn auch abschwächen? Wunder-
bar ist nicht, dass er nach dem 6. Concil noch einmal hervor-
gebrochen ist und zwar an dem terminus „adoptio", sondern ledig-
lich das ist auffallend, dass er bloss an der Peripherie der Christen-
' Sofern dieses Festhalten die Grundbedingung des Verständnisses Jesu Christi
ist, ist die griechische Auffassung der adoptianischen überlegen.
^ Die Vcrtheidiger der antiadoptianischen (alcuinischcn) Christologie verfahren
auch heute nicht anders. So sagt Bach (a. a. 0. I S. 109 ff.): „Die Adoptianer
hatten von dem, was die (griechischen) Väter die pneumatische Qualität des
Fleisches Christi nennen, keine Ahnung. Christi Fleisch ist ihnen in jeder AVcise
gewöhnliche Menschennatur ... In dieser Kenotik (! !) liegt der Grund des adop-
tianischen Dualismus . . . AVicdem Elipandus, mangelt auch dem Felix dasVerstäud-
niss der pneumatischen Menschennatur in Christo. " Wenn sich bei diesen Worten
überhaupt etwas denken lässt, so zeigen sie, dass der moderne Dogmenhistoriker ein
so rechtschaffener Doket ist, wie die Orthodoxen nach dem Herzen Justinian's.
' Es steht hier also genau so, wie in den christologischen Kämpfen überhaupt
seit den Tagen des Apollinaris. Recht und Unrecht sind auf beiden Seiten, im
(irunde aber auf keiner, weil die Vorstellung von einer göttlichen Natur in Christo
entweder zum Doketismus oder zur Doppelpcrsönlichkeit führt. Alle Speculation,
welche diesen Consequenzeu entgehe»i will, kann höchstens ihren guten Willen be-
kunden.
250 fleBchichte des Dogmas in der Zeit der karuUngischen Renaissance.
lieit hervorbrach und eine verhültnissmässig so schnell und sicher
beschwichtigte Controverse in der Kirche veranlasst hat. Bedenkt
man, dass Augustin ohne Schwanken gelehrt hat, seiner Menschheit
nach sei Christus ado2)tirter Gottes Sohn und das höchste Exempel
der gratia gratis data praeveniens, dass er überall gelesen wurde, dass
viele Stellen bei den abendländischen Vätern den Adoptianismus be-
zeugten *, und dass noch Isidor von Sevilla unbeanstandet geschrie-
ben hat: „unigenitus vocatur secunduni divinitatis excellentiam,
qiiia sine fratribus, primogenitus seeundum susceptionem homi-
nis, in qua per adoptionem gratiae fratres habere digna-
tus est, de quibus esset primogenitus"-^, so wird man von Staunen
erfasst über die energische stille AVirksamkeit der cyrillisch-areopa-
gitischen christologischen Mystik. Sie hat sich die denkenden und
die superstitiösen Christen in Rom und von dort aus in England,
Oberitalien und im Frankenreich unterworfen. Sie hat das erreicht,
weil sie sowohl mit der philosophischen Speculation der Zeit als mit
der abergläubischen Mysteriensucht im Bunde war. Plato und Aristo-
teles, wie man sie verstand, waren ihre Evangelisten, und wiederum
jede Abendmahlsfeier, ja jede Reliquie war ein stiller Missionar für
sie. Hier erlebte man die Identität des Himmlischen und Irdischen;
also hatte man sie vor Allem in Christus selbst anzuerkennen. So
wurde die abendländisch -augustinische Christologie mit ihrem letz-
ten und doch so bedeutungsvollen Rest einer geschichtlichen An-
schauung von Christus — dass er unter der Gnade Gottes ge-
standen hat — ausgetilgt, nicht durch einen Kampf, sondern viel
sicherer durch eine geräuschlose Umbildung ^.
Aber im arabischen Spanien um 780 machte Elipandus, Metro-
polit von Toledo, und bald darauf im fränkischen Felix, Bischof von
ürgel, die augustinische Christologie geltend, die auch durch die
mozarabische Liturgie bezeugt war*. Scharf betonten sie, dass Christus
* Den rimdeu Ausdruck hat Marius Victorinus, von dem überhaupt die augu-
stinische Betrachtung der Christologie suh specie praedestinationis stammt.
2 S. Migne CI p. 1322 sq.
^ Die abendländisch-augustinische Christologie hat, wie der Nestorianismus,
diesen Untergang verdient ; denn da nach ihr hinter dem erwählten, von der Gnade
Gottes getragenen Menschen Jesus doch der Gott-Logos stand, so war die Be-
ziehung des erlösenden Werkes eben auf jenen homo eine höchst unsichere. Eine
Duplicität der Betrachtung war die Folge, die nur verwirrend wirken konnte und
der ein Ende gemacht werden musste, bis einmal der Glaubensgedanke, Gott selbst
war in dem Menschen Jesus, ungehindert durch schädliche Speculationen über die
Naturen, zu kräftiger Geltung kommen würde.
^ S. die sieben, übrigens nicht gleichwcrthigen, Stolleu bei Hefele, a. u. O.
Der adoptianische Streit. . 251
als Mensch adoptirt sei, die Erlösten also in vollem Sinne die
Brüder des Menschen Jesus seien. Man hat viel darüber gestritten,
wodurch die beiden Bischöfe, die sich übrigens der Zustimmung der
Mehrzahl ihrer Collegen in Spanien erfreuten, bewogen worden sind,
die adoptio so zu betonen. Nach dem oben Bemerkten ist vielmehr
zu fragen, warum die anderen abendländischen Bischöfe nicht das
Gleiche gethan haben. Jedenfalls ist die Hypothese, der Adoptianis-
mus sei aus dem alten westgothischen Arianismus zu erklären ^, noch
haltloser wie die Ableitung aus arabischen Einflüssen *^, Auch die
Verweisung auf den Kampf, den Elipandus vorher gegen einen Häre-
tiker Migetius geführt hat ^, trägt zur Aufklärung wenig bei, da die Leh-
ren, welche demselben zugeschrieben werden, nicht das Widerspiel der
adoptianischen gewesen zu sein scheinen, die ganze Figur aber überhaupt
für uns dunkel ist ^. Deutlich ist nur dies, dass die spanische Kirche
damals mit Rom keine Verbindung besass, die Verbindung, die
Hadrian I. suchte, zurückstiess und von der römisch-byzantinischen
Ku'chentradition relativ unbeeinflusst ^, aber im Innern stark verwildert
gewesen ist ^. Deutlich ist ferner, dass Elipandus die Gelegenheit
S. 650 f. : „adoptivi hominis passio** — „adoptivi hominis non horruisti vestimentum"
— „salvator per adoptionem carnis sedem repetiit deitatis" etc.
* So Helfferich, Der westgothische Arianismus 1860.
^Gfrörer, K. -Gresch. III S. 644 ff. Graf Baudissin, Eulogius und
Alvar 1872 S. 61 f. Die angeführten Spuren einer Beziehung des Elipandus und
Felix zu den Saracenen sind sehr gering; ausserdem wird die diesen anstössige
Trinitätslehre durch den Adoptianismus nicht gemildert. Elipandus hat sie mit be-
sonderer Emphase vertreten.
3Hefele,a. a. 0. S. 628 ff.
* Migetius' Haupthäresie neben der Begeisterung für Rom scheint gewesen zu
sein, dass er sich Gott als streng einpersönlich vorgestellt und behauptet hat, der-
selbe habe sich in drei Personen offenbart, nämlich in David (Vater?), in Jesus und
in Paulus (hl. Geist?). Neben diesem „Sabellianismus" kann man versucht sein, „pris-
cillianische" Irrthümer bei ihm nachzuweisen. Allein die wenigen Nachrichten, die
wir besitzen (s. die Briefe Hadrian's und Elipandus'), gestatten kein sicheres Urtheil.
^ So erklärt sich das ungebrochene Ansehen der augustinischen Theologie.
Es war z. B. bei Isidor von Sevilla so stark, dass er sogar die doppelte Prädestina-
tion gelehrt hat (Sentent. II, 6): „gemina praedestinatio .... sive reproborum ad
mortem."
® Die geringere Beeinflussung seitens des grossen Hauptstroms der kirchlichen
Entwickelung zeigt sich auch darin, dass die Opposition des Spaniers Vigilantius
gegen die Heiligen und Reliquien in Si)anien nachgewirkt hat, wie z. B. seine Be-
kämpfung durch Faustus von Roji beweist (s. oben S. 218). So paradox es klingt, lag
die Verehrung dieser Objecto im Fortschritt der kirchlichen Entwickelung, sofern
sie mit der Ausbildung der Christologie aufs engste zusammenhängt. Die, welche
sich wider diese Verehrung sträubten, thaten es bald nicht mehr aus evangelischen
Gründen, souderu weil sie kirchlich „Zurückgebliebene" waren. Mit der adoptiani-
252 Gescliichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
gern ergriffen hat, unter dem sicheren Schutz der Ungläubigen
seine metropohtjine Machtsi^häre nach Asturien auszudehnen. Als
Mittel dazu war ihm auch eine dogmatische spanische Formel
sehen Theorie hangt aber die Abnei^nnpf ^egen die Reli(|uien und Bilder ebenso
eng zusanuiien, wie die Rüder- und Reli(juienverehrung und das massive Abend-
mahlsdogma mit der Christologie des Cyrill, Justinian und Alcuin (s. unten). Die
spanische Kirehe zeigt aber auch nach dem Ueljertritt Reccared's zum Katholicismus
nicht nur in der audauei-nden Vermischung von heidnischen und christliehen Sitten
und in der Fortdauer gewisser arianischer Neigungen (in einzelnen Kreisen) ihren
ungeordneten Zustand, sondern noch viel mehr in den zahlreiclien ketzerischen Um-
trieben. Hierher gehört der zum Dualismus ausgeartete Priscillianismus, hierher
Migetius, hierher jener Marcus, der den Basilidianismus repristinirte, hierher vor
Allem die Secte der Bonosiancr, die sich in Spanien erhielt — Erscheinungen,
die in einem tiefen Gegensatz zum Katholicismus standen und beweisen, wie schwer
es der werdenden romanisch-katholischen Kirche in Spanien wurde, sich an den
römischen Katholicismus anzuempfiuden. Keine andere abendländische Kirche hat
noch um diese Zeit so stark mit gewaltigen Häresieen ringen müssen, wie die
spanische. Daraus erklärt es sich , zumal nachdem der Islam hinzugetreten war,
dass diese Kirche den entschlossenen kalten Fanatismus der Orthodoxie und Ketzer-
verfolgimg in sich ausgebildet hat. Dieser ist überall, wo er entsteht, ein Zeichen
dafür, dass man sich die Unterwerfung unter die heilige Sache selbst einst unter
schweren Opfern abgerungen hat, für welche man sich nun an Anderen schadlos
halten will. AVas speciell die Secte der Bonosianer betrifft, so war ihr Urheber,
Bischof Bonosus von Sardika, von der Leuguung der bleibenden Jungfrauschaft
der Maria schliesslich zur Lehre desPhotin vorgeschritten (s. die Synode von Capua
vom Jahre 391, Briefe des Ambrosius, Siricius und Innocenz I., Marius Mercator).
Merkwürdiger Weise fand er in Südgallieu und namentlich in Spanien Anhänger
die sich bis in das 8. Jahrhundert hinein — in Spanien, wie es scheint, zahlreich —
erhalten haben; s. die 2. Synode von Arles (443?) c. 17, die Synode von Clichy (626)
c. 5, die Synode von Orleans (538) c. 31, Gennad. de vir. inl. 14, Avitus Yienn.,
Isidor de Script, eccl. 20, de haer. 53. Im 6. Jahrhundert hat sie in Spanien
Justinian von Valentia bekämpft, und im 7. hat die Synode von Toledo (675) gegen
die Lehre der Bonosianer, Christus habe erst seit der Geburt aus Maria existirt und
sei nur filius adoptivus, in ihrem Symbol bekannt: „hie etiam filius dei natura est
filius, non adoptione." Natürlich wurden Elipandus und Felix von ihren Gegnern
mit den Bonosianern zusammengestellt, aber mit dem grössten Unrecht; sie waren
vielmehr die grimmigsten Feinde derselben, da sie nie geleugnet haben, dass Christus
als Gottessohn filius dei naturalis ist. Sie versuchten sogar auf ihre Feinde (Beatus
und Eterius) den Vorwurf des Bonosianismus zurückzuschleudern, was freilich auch
nicht gelingen konnte. Immerhinwar es, weil die Menschen an Stichworten hängen,
präjudicirlich, dass im toletanischen Symbol von 675 „non filius adoptione" stand,
obgleich damit lediglich der photiniauische Irrthum verstanden w^ar, den Elipandus
selbst in die Hölle verdammte. Von dem Bonosianismus, nicht aber von der Lehre
des Elipandus, wird man wohl sagen dürfen, dass seine Verbreitung in Spanien sich
aus den arianischen Neigungen der Westgothen erklärt; denn nicht nur im Arianis-
mus der gebildeten Theologen, sondern noch mehr im populären Arianismus steckte
ein Element der Lehre Paul's von Samosata und Photin's.
Der adoptianische Streit. 253
willkommen. Wahrscheinlich ist endlich, dass in Spanien lateinische
Uebersetzungen nestorianischer Schriften (d. h. Schriften von Theo-
dor V. Mopsv.) gelesen worden sind. Zwar lässt es sich nicht be-
weisen; allein es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Felix von
Urgel die augustinische Christologie nestorianisch (theo-
dorisch) ausgebildet hat und somit über Augustin hinaus-
geschritten ist; und es ist andererseits gewiss, dass man seit dem
6. Jahrhundert lateinische Uebersetzungen von Werken nesto-
rianischer (auch syrischer) Schriftsteller im Abendland besass ^
Elipandus ist, wie seine Briefe (s. auch die beiden Bücher der
Asturier Beatus und Eterius gegen ihn, sowie die Schriften Alcuin's)
bezeugen, ein treuer Anhänger der augustinisch - chalcedonensischen
Christologie gewesen. Er wollte die Einheit der Person durchaus
festhalten ; aber diese Einheit hebt nach seiner Meinung den strengen
Unterschied der Naturen nicht auf. Die menschHche Natur bleibt
eine menschliche, daher zur Würde der Gottheit erhobene Natur,
und eben desshalb hielt er für sie den Ausdruck „adoptio" (filius
adoptivus humanitate nequaquam divinitate) für besonders zutreffend.
Jedermann sprach im Abendland damals noch von der assumtio
hominis (auch Alcuin), nicht nur von der assumtio humanae naturae.
Dass assumtio hominis = adoptio hominis sei, war eine richtige Folge-
rung. War auch das Wort „adoptio" in der älteren Litteratur nicht
eben häufig ^ — die Sache, die es bezeichnete, war im Sinne Augustin's
correct ausgedrückt ^. Die Sohnschaft Christi ist also eine doppelte :
als Gott ist er filius genere et natura, als Mensch adoptione et gratia.
* Seit dem Dreicapitelstreit. Man erinnere sich ferner, dass des Theodor
Commentar zu den paulinischen Briefen noch jetzt in lateinischer Uebersetzung
existirt, und dass das Werk des Junilius aus einer syrischen Vorlage stammt;
s. Neander's Dogmengesch. II S. 25 f. und Jaco])i's Note ebendort S. 26 f.
Beachtenswerth ist auch, was Möller (Art. Adoptiauismus in Herzog's R.-E.
2. Aufl.) auf Grund von (lams' Nachweisungen als Vermuthung geäussert hat:
„Vielleicht hat man in den von Elipandus gerühmten rechtglaubenden Brüdern in
Cordova (ep. ad Felio. in Alcuin's Briefen ep. 123), welche ihn mit gelehrtem
Material versorgten und ])ei denen Ah;uin (ep. ad Leidrad. 141) den Ursprung des
TJebels vermuthet, morgenländische, im Gefolge der Araber dorthin gekommene
Christen nestorianischer Bildung zu sehen, welche die adoptianische Tendenz, wenn
nicht hervorriefen, doch unterstützten." Ferner ist wichtig, dass Elipandus unter
den alten Häresien, die er verwirft, den Ncstorianismus nicht genannt hat.
■'' Alciiin sagt zu viel, wenn er adv. Elip. IV, 2 ausruft: „UI)i latuit, ubi dor-
mivit hoc nomen adoptionis vel nuncupationis de Christo?" oder ep. 110: „Novitas
vocum in adoptione, nuncupatione, omnino fidelibus omnilms detestanda est."
" Vgl. wie auch Facundus von Hfrmianc (j)ro dcfcns. trium capp. p. 708 ed.
Paris. 161 <), rij bei Christus anerkennt, dasa er das „Sacrament dei' Adoption" an-
genommen habe.
254 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
Hierfiir führte Elipandus Scliriftstellen an und folgerte ganz richtig,
dass der, welcher die adoptio des Erlösers in Abrede stelle, die
Wahrheit der Menschennatur desselben leugnen und consequent
annehmen müsse, Christus habe seine Menschheit, die der unsrigen
nicht gleich sei, aus dem Wesen des Vaters. Elipandus bezeichnet
daher seine Gegner als Doketen resp. als Eutychianer. Ist schon bei
ihm ein wirkliches Interesse an der vollen Menschheit Christi um
seines Werkes willen zu constatiren, so leuchtet dasselbe noch viel
klarer bei dem bedeutenden Felix (s. die Gegenschriften des Paulinus
und des Alcuin). Auch er hat den im Hintergrunde ruhenden Gott-
Logos bestehen gelassen ; aber seine Glaubenserkenntniss richtet
sich auf den zweiten Adam in einer Weise, die seit den Tagen Theo-
dor's in der Kirche nicht mehr gehört worden ist. Da der Menschen-
sohn wirklich Mensch gewesen ist, so sind alle Stadien seiner Er-
niedrigung nicht freiwillig übernommen, sondern nothwendig gewesen.
Nur der Entschluss des Gottessohnes, einen Menschen anzunehmen,
war frei. Nachdem dieser Entschluss realisirt, muss der Menschen-
sohn Knecht sein, muss in Allem dem Vater unterthan sein,
muss dessen Willen erfüllen und nicht den eigenen. Wie alle
Menschen ist er nur gut, sofern und weil er unter der Gnade des
Vaters steht; er ist nicht allmssend und allmächtig, sondern seine
Weisheit und Macht ist von den Schranken des Menschlichen umgrenzt.
Von dem Vater hat er sein Leben, und zum Vater betet auch er
für sich ^ Das letzte Interesse Felix' besteht hier darin, das wir
nur so unser er adoptio sich e r werden können. Mit grosser
Energie hat er in der Vorstellung von der Erlösung den Gedanken
zum centralen erhoben, dass die Adoption der Gläubigen nur gewiss
ist, wenn von Christus ein Mensch, wie die Menschen sind, resp. die
Menschheit, adoptirt ist: wir sind nur dann erlöst, w^enn Christus
unser erstgeborener Bruder ist. Darin, dass der unigenitus (in der
göttlichen Sphäre) den primogenitus (in der menschlichen Sphäre)
per gratiam mit sich vereinigt hat, liegt — w^ie bei Augustin — die
Gewissheit der Erlösung der Menschheit („adoptivi cum adoptivo,
servi cum servo, Christi cum Christo, deus inter deos"). Christus,
der als Mensch für uns hingegeben ist, ist nicht nach seiner Gott-
heit, sondern nach seiner Menschheit das Haupt der Menschheit.
Eben darum sind die Glieder ihrer Adoption nur sicher, wenn das
Haupt adoptirt ist ^. Handelt es sich bei Christus nicht um eine
' S. Stellen bei Bach, a. a. 0. S. 110 ff.
^ Die deutlichsten Stellen — die eigenen Worte des Felix — stehen bei Ago-
bard, lib. adv. Fei. 27—37.
Der adoptianische Streit. • 255
Adoption, wie bei uns, so spielt sich die Menschwerdung ausserhalb
unserer Sphäre ab; so ist sie uns auch nichts nütze. Aber Felix ist
noch einen Schritt weiter gegangen. Er hat sich nicht, wie Augustin,
damit begnügt, bei der einfachen Behauptung, der homo Christus sei
kraft der gratia praedestinationis praeveniens angenommen, zu ver-
harren und diese Behauptung mit der These der personalen Einheit
assertorisch zu verbinden, sondern er hat die Naturen scharf aus-
einandergehalten und sich zugleich ein klares Bild davon machen
wollen, wie sich die Adoption vollzogen hat (s. die Antio-
chener). Das Erste anlangend, so hat er den Ausdruck „verus et pro-
prius filius" nur auf den Gott-Logos bezogen und den Satz nicht
gescheut „duobus modis unas er editur filius"; er hat zwischen „alter"
und „alter" „ille" und „ille" unterschieden, ja den Menschensohn
„nuncupativus deus" (im Sinne des gewordenen Gottes) genannt. Er
hat, wie die Antiochener, von einem „Wohnen" des Gottes im Menschen
gesprochen, von dem Menschen, der mit der Gottheit verbunden
(coniunctus; applicatus) ist, resp. sie trägt. Wohl hat er das Ver-
bundensein der beiden Naturen in Christo mit dem Yerhältniss von
Seele und Leib verglichen ; aber das Bild ist auf seinem Standpunkt
noch unzutreffender als auf dem Augustin's; denn die Idiomen-
gemeinschaft ist ihm keine reale, sondern nur eine nominelle, und:
„nullo modo credendum est, ut omnipotens deus pater, qui Spiritus
est, de semetipso carnem generet." Der Mensch Christus hat zwei
Väter, einen natürlichen (David) und einen Adoptivvater (Gott).
Was das Zweite betrifft, so lehrte Felix eine doppelte Geburt des
Menschensohnes : die Geburt aus der Jungfrau (das ist die natürliche
Geburt) und die Geburt aus der Gnade oder Adoption in der
Taufe (das ist die geistliche). Christus hat also, wie jeder Christ,
eine doppelte Geburt erlebt. Seine geistliche Geburt, die für ihn
wie für Jeden unumgänglich war, vollzog sich wie bei Jedem in der
Taufe; aber die Taufe war auch hier nur der Anfang. Ihre Vol-
lendung war erst in der Auferstehung gegeben ^ Wie der Menschen-
sohn also unter den verschiedenen aus der electio entspringenden
Acten der Gnade Gottes gestanden hat, so war er auch ursprüng-
lich, obgleich sündlos^, vetus homo und hat den Process der AVie-
* Alcuin adv. Folie. IT, 10 (Felix sagt): „Christus, <\m est seeundus Adam,
accepit has geminas generationes, primam vid. quae secundum earncm est, secun-
dam vero spiritualem, quae per adoptionem fit. idem redemptor noater seeundum
hoTnineTfi eoTri])lexuH in semetipso cmitinet: primam vid. (juam suseepit ex virgine
nascondr), seeundam vero (|ijam initiavit in iavaero a mortuis resurgendo,"
' AIcuin glaubt fVeilidi nictlit, das« Felix die Sündlosigkeit Christi ernsthaft
25(i (Teschiclite des Doprmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
dergeburt durchgemacht bis zur völligen Adoption — dies Alles so,
wie wir es durchmachen; aber wir folgen dem Haupte, und nur weil
er es zuerst erlebt hat, kann er unser Erlöser und Fürsprecher sein.
Ilebrigens soll dabei doch gelten, dass auch der Gottessohn die
menschliche Geburt auf sich genonunen hat, wie er denn auch als
an allen Acten des Menschensohnes betheiligt zu denken ist'.
In Briefen hatte Elipandus seine Lehre bekannt gegeben. Die
ersten Gegner waren der Abt Beatus und der jugendliche Bischof
Eterius. Ihr Widerspruch hat den alternden, auf seine Orthodoxie
eifersüchtigen Metropoliten zur Wuth entflammt. „Diener des Anti-
christs" nennt er die, welche in beiden Naturen nur einen filius
proprius erkennen wollen (785). Aber die Angegriffenen schwiegen
nicht, sondern legten den häretischen Charakter des Adoptianismus
in einer ausführlichen Schrift dar, dabei berichtend, dass die Contro-
verse schon die Bischöfe von ganz Spanien, ja bis ins Frankenreich
hinein aufrege-. Gleichzeitig griff Hadrian I. ein. Es musste ihm
willkommen sein, dem in seiner Selbständigkeit unbequemen spanischen
Metropoliten nachzuweisen, dass er in die Häresie des Nestorius ver-
fallen sei, und dass die spanischen Bischöfe sich daher an die Lehre
Roms und der Kirchenväter halten müssten ^. Bald darauf ist Felix
von ürgel energisch für die These des Elipandus eingetreten. Damit
wurde die Streitfrage auch für das Frankenreich von Bedeutung. Die
Regensburger Synode (792), deren Acten leider fehlen, wurde des
Adoptianismus wegen berufen. Felix selbst musste erscheinen. Er
meine, weil er sonst nicht von einer Wiedergeburt Christi sprechen würde (1. c.
c. 18).
^ Worte des Felix bei Agobard 33 : „Propter singularitatem personae, in qua
divinitas filii dei cum humanitate sua communes habeat actiones, qua ex causa
aliqnando ea quae divina sunt referuntur ad humana, et ea quae humana fiunt inter-
dum adscribuntur ad divina, et hoc ordine aliquando dei filius in hominis filio filius
hominis appellari dignatur et hominis filius in dei filio filius dei nuncupatur." Eine
solche Doppelpersönlichkeit behaupteten die Nestorianer auch.
'^ S. die Analyse dieser Schrift bei Bach S. 116 ff. Sie ist cyrillisch. Auch
wird der alte, einst gegen die Nestorianer erhobene Vorwurf den Adoptianern ge-
macht, dass sie durch Verselbständigung des Menschensohnos die Trinität zur
Quaternität erweitern. Einige abendländische Reminiscenzen fehlen indess nicht,
obgleich die Menschennatur wesentlich als unpersönliche caro gedacht ist, s. z. B.
IT, 68, wo als Mittler der filius secundum carnem genannt ist („reconciliati sunuis
per solum filium secundum carnem, sed non soli filio secundum divinitatem"), auch
11,40: „dominus ac redemptor noster cum sancta ecclesia, quam redemit secundum
carnem, una substantia est."
« Ep. 97 im Cod. Carol. bei Migno T. ITC, s, die Analyse bei Hefelo lll
S. 661 If., der auch zum Folgenden zu veigleichen ist.
Der adoptianische Streit. . 257
vertheidigte sich vor KarP, soll aber schliesslich widerrufen haben,
da alle Bischöfe seine Lehre als Irrthum bezeichneten. Der Widerruf
ist zwar mehrfach bezeugt, aber doch nicht über jeden Zweifel er-
haben, da wir hören, dass Felix nach Rom geschickt und dort so lange
vom Papst gefangen gehalten worden ist, bis er sich herbeiliess, ein
orthodoxes Bekenntniss zu beschwören. Er kehrte nun nach Spanien
(in sein Bisthum?) zurück, sagte sich aber bald von dem erzwungenen
Widerruf los und begab sich nach Toledo, um sich der fränkischen
Censur zu entziehen. Der Versuch Alcuin's, durch ein sehr freund-
liches Schreiben, das den Geist Augustin's athmete, den hochgeschätzten
Bischof für die Kirche wiederzugewinnen (793), kreuzte sich vielleicht
mit dem Unternehmen der Häupter des Adoptianismus, durch eine
Encykhca an die Bischöfe des Frankenreichs und einen Brief an Karl
auf dem Wege von Vorstellungen, zugleich eine neue Untersuchung
erbittend, ihre Lehre in der Kirche zu behaupten. Elipandus sieht
noch immer in dem „gemästeten" Beatus seinen Hauptgegner, der
sein Gift der Kirche eingeträufelt und die Bischöfe verführt habe;
er beschwört den Kaiser um gerechtes Gericht: er möge den Felix
wieder einsetzen und sich den Abfall Konstantin's zum Arianismus
zur Warnung dienen lassen ; die Irrlehre, die jetzt durch Beatus der
ganzen Kirche drohe, sei nichts geringeres als die Leugnung, dass
Christus sein Fleisch aus der Jungfrau angenommen habe. Auf der
glänzenden Frankfurter Synode liess Karl eine neue Untersuchung
vornehmen (794), nachdem er an den Papst berichtet hatte. Gelehrte
Bischöfe und Theologen waren von allen Seiten zusammengerufen.
In zwei Synodalschriften (die italienischen Bischöfe unter Paulin von
Aquileja votirten besonders) verwarf die Versammlung den Adop-
tianismus. Dasselbe that eine gleichzeitig zu Rom versammelte Sy-
node. Alle diese Beschlüsse übersandte Karl mit einem eigenen Brief
an Ehpandus. Dem Streit hier weiter nachzugehen, hat kein Interesse,
da neue Momente nicht hervortraten. Man hat aber den Eindruck,
' Der König hat in dem Streit das volle Gefühl der Verantwortlichkeit als christ-
licher König in Verbindung mit einem hohen Streben nach Gerechtigkeit bewiesen.
Die Thesen seiner Theologen überzeugten ihn wirklich. Diese haben ihn als Be-
schützer des Glaubens, als David und Salomo, hoch gefeiert, Alcuin adv. Elipand.
I, 16 (vom Könige): „catholicus in fide, rex in potestate, pontifex in praedicatione,
iudex in aequitate, philoBophus in liberalibus studiis, inclytus in moribus (?), et
omni honestate praecijjuus." Ep. 100 ad domnum regem: „hoc mirabilc et speciale
in te pictatis dei donum praedicamus, quod tanta devotionc ecclesias Christi a pcr-
fidorum doctrinis intrinsecus purgare tuericjue niteris, quanta forinsecus a vastatione
paganorum defcndcre vel propagare conaris. His duobus gladiis vestram vene-
raridam excellentiam dcxtra laevaque divina armavit potestas."
Harriaok, ])()t!;}ni-nf!:('.Hch\c]\U' III. ^q
258 (xescliichto des Dopfmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
dass im saraccnischen Spanien und der angrenzenden Provinz der
Adoptianismus bis gegen 799 Fortschritte gemaclit hat. Selbst das
persönhcho Wirken berühmter Lehrer wider denselben (Benedict von
Aniane, Leidrad von Lyon) hatte zuerst wenig Erfolg. Aber das
tVilnkische Spanien konnte sich doch nicht dem Einfluss des ganzen
Reiches entziehen, ja es gelang schliesslich, den Felix selbst auf der
Synode zu Aachen (799) wiederum zum Widerruf zu bewegen. In
dieser Zeit war neben Paulin ^ Alcuin unermüdlich in zum Theil um-
fangreichen Schriften gegen die Häresie tlüitig (hbell. adv. Felic.
liaer., IV Hb. adv. Elipandum, VII lib. adv. Felic). Es ist interessant
zu sehen, wie dieser Angelsachse, der Schüler Beda's, in der Christo-
logie ganz von den Griechen abhängig ist und hier die augustinische
Tradition verlassen hat. Durch die Romanisirung Englands waren
sowohl Augustin als die griechisch-römische speculative Theologie dort
heimisch geworden. Aber in den Fragen, über die sich die Grie-
chen überhaupt geäussert, erschienen sie doch noch immer als die
ehrwürdigeren, zuverlässigeren und gelehrteren. Sie waren die Ver-
treter der sublimen Theologie des Geheimnisses der Menschwerdung '^.
Die Ijateiner waren im Grunde nur so weit zu berücksichtigen, als
sie mit den Griechen stimmten. Wie gross ist doch das imponirende
Ansehen und die Macht einer älteren Kultur, und wie zwingend ist
jeder „Fortschritt", den sie erlebt, auch wenn derselbe unmerklich
in ein Raffinement übergeht, welches eine neue Barbarei heraufführt!
Was Alcuin ausführt, könnte ebenso gut bei Cyrill, Leontius oder
Johannes Damascenus stehen, ist zum Theil wirklich genau so dort
zu finden: Christus ist der persönliche Gott-Logos, der die unper-
sönliche Menschennatur an sich genommen und in die volle Einheit
seines Wesens verschmolzen hat. Mithin ist Christi Menschheit, auch
abgesehen von der Sünde, keineswegs der unseren in allen Stücken
gleich, sondern von ihr sehr verschieden. Da sie die Eigenschaften
der Gottheit erhalten hat, so ist alles menschlich-Beschränkte, was
sich im Leben Jesu zeigt, freiwillige üebernahme, resp. Accommo-
dation, Pädagogie oder Schein. Mit den Berichten der Evangelien
räumt Alcuin ebenso gründlich auf, wie die monophysitischen und die
kryptomonophysitischen Griechen. Christus war für diese Frömmig-
keit in keinem Sinn mehr menschliche Person, ja die Frömmigkeit
empfand sich schwer verwundet, wenn ihr vorgehalten wurde, sie solle
sich ein wahrhaft menschliches Bewusstsein in Christus denken. Nicht
nur die Zerreissung des einen Christus, sondern vielmehr die An-
' S. über seine Polemik Bach S. 121 ft'.
^ Vor Allem gilt das von Cyrill.
t)ev adoptianische Streit. • 25^
Wendung solcher Kategorien auf ihn, die für die Gläubigen galten,
wurde als blasphemisch abgelehnt ^ In der That ist es richtig, dass
der Glaube an Christus als den Erlöser kein Interesse daran hat, das
breit auseinanderzulegen, worin Christus uns gleichartig ist^. Allein die
* S. die Analyse der Christologie Alcuin's bei Bach S. 128 ff. Alcuin will
zeigen, dass 1) alle Aussagen der Schrift und der Väter über Christus die concrete
Person in beiden Naturen zumSubject haben, dass 2) der Begriff der adoptio weder
in der Schrift noch bei den Vätern sich finde, somit neu und falsch ist, dass 3) die
adoptianische Theorie widerspruchsvoll sei und den Glaubensgrund stürze. Er
sucht zu zeigen, dass die adoptio, wenn sie etwas Anderes bedeuten soll als assumptio,
zur Häresie führe. Die Assumption soll eben das Naturverhältniss ausdrücken,
in welches die Menschheit durch die Incarnation zur Gottheit getreten ist und wel-
ches durch die adoptio, die ein Gnadenverhältniss bezeichne, aufgehoben wird.
Wohl redet auch Alcuin davon (nach Augustin), dass in Christus die Gnade gewesen
sei, denn sie schliesst das natürliche Sohnesverhältniss nicht aus, wie die adoptio es
thut. Das stärkste Argument Alcuin's liegt aber darin, dass er die passive Adop-
tion desshalb für unmöglich erklärt, weil ja der Menschensohn, bevor er wirklicher
Gottessohn war, überhaupt nicht da war. Weder er noch Paulin denken daran,
dass der Mensch Christus vor dem Gottmenschen Person gew^esen sei. Er hat ja
seine Person von Anfang an an dem Gottessohn gehabt. Denkt man also abstract,
so darf man nicht an einen homo Christus denken, der vor der Menschwerdung da
war, sondern an die menschliche Natur, die erst durch die Assumption Person ge-
worden und zwar sofort zu einem wesentlichen Bestandtheil der Person des Gott-
menschen geworden ist. Daher ist diese Natur auch abgesehen von der Sünde der
unsrigen unendlich überlegen und unähnlich. Daher ist die Agnoetenlehre, gegen
die übrigens auch schon Gregor I. in Briefen scharf zu Felde gezogen ist, zu ver-
werfen; darum ist die Knechtsgestalt des Gottessohnes in jeder Hinsicht anbetungs-
würdig, weil sie nicht naturnothwendig war, sondern in jedem Act frei übernommen.
Also hatte Christus weder die Taufe, noch die Adoption nothig und ist auch als
Mensch kein gewöhnliches Geschöpf, sondern immer der Gottmensch. „Es behielt
der Gottmensch trotz der Assumption der menschlichen Natur die eine Proprietät
in der Person des Sohnes bei." Die Menschheit ist nur wie ein Unpersönliches zu
dieser Einheit der Person des Gottessohnes hinzugekommen, „und es blieb dieselbe
Proprietät in zwei Naturen im Namen des Sohnes, welche ehedem in einer Sub-
Btaiiz war". Aber sehr ungeschickt ist es, wenn Alcuin hinzufügt (c. Fclic. IT, 12) :
„in adsumtione carnis a deo persona jjerit hominis, non natura" ; denn er nahm ja
gar nicht an, dass vorher eine „persona hominis" bestanden hat. Man kann diesen
lapsus nur daraus erklären, dass Alcuin noch nicht jede Erinnerung an Augustin's
Christologie durch die cyrillische bei sich ausgetilgt hat. Mit Recht bemerkt
Bach S. 13f)f. (gegen Dorn er), dass kein einziger Gegner der Adoptianer daran
gedacht hat, „dass die Persönlichkeit zur Vollständigkeit des menschlichen Wesens
gf'höre, sondern dass sie das entschiedene G(^gentheil (wie er, Bach, sell)st) gelehrt
haben", liach's eigene Erklärung der obigen Stelle, die nur als lapsus verständ-
lich ist, ist übrigons ganz unrichtig. Er will unier persona „die Person des Men-
schen als solchen, der humanitas, und nicht des Menschen (jhristus" verstehen.
^ E[)ist. ad. (Jarol. M.: „(^uid enim prodest ecclesiac dei Christum appellare
adoptivum filium vel deum nuncupativumV"
17*
260 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karoHngischen Renaissance.
Adoptianer hatten doch innerhalb der Gleichartigkeit, die sie geltend
machten, ihn als das Haupt der Gemeinde bezeichnet und einen Weg
nachgewiesen, auf dem man den homo Christus als Erlöser und Für-
sprecher erfassen könne ^ Aber wie heute, so hatte das schon da-
mals bei solchen keinen Credit, die eiimial in die Mysterien eingeweiht
waren. AVer an dem Taumelkelch jener Mystik, die da verheisst, alles
werthlose Gestein in Gold zu verwandeln, auch nur genippt hat, der
sieht überall das Geheimniss der Vergottung, und so leicht ruft dann
kein Wachender den Träumenden ins Leben zurück ^. Denn das ist
das letzte Interesse dieser Speculation: aus der Verwandeln ng
der unpersönlichen Menschensubstanz ins Göttliche (bei
Christus) die gottmenschlichen Genussmittel im Dies-
seits abzuleiten. Schon bei Beatus entpuppt sich die realistische
AbendmahlsaufFassung als ehi entscheidendes Motiv gegen den Adop-
tianismus^, und auch bei Alcuin ist dasselbe nachzuweisend So hängt
die christologische Controverse mit den magischen Vorstellungen vom
Abendmahl als dem Centrum der kirchlichen Lehre und Praxis eng
zusammen. Um so lehrreicher ist es, dass, wie wir sehen werden, an
^ Die Ausführungen Felix' über den Menschen Christus als sacerdos, sacri-
ficiam, caput ecclesiae sind augustinisch, ja zum Theil präciser als bei Augustin.
Beachtenswerth ist, welche Rolle im Streit der Gedanke Christi als des Haupts der
Gemeinde spielt. Man ist darauf nicht gefasst, wenn man von der älteren Ueber-
lieferung herkommt. Die stärkere Betonung Christi als des Priesters und Opfers ist
bereits durch die Alles beherrschende Rücksicht auf die Messe bestimmt.
^ AVeil dieses pseudo-christliche Interesse von dem Adoptianismus nicht cor-
rigirt worden ist, so musste er ebenso eine Halbheit bleiben, wie der Nestorianis-
mus. Das ist der letzte Grund seines schnellen Todes. Adoptianismus und eucharisti-
scher Christus passen nicht zusammen.
^ S. Bach S. 119 f. Beatus hat, wie Cyrill, daraufhingewiesen, die concrete
Einheit der Person Christi erweise sich darin am klarsten, dass man ja in dem
Abendmahl den ganzen Christus anbete, und dass das Fleisch Christi Princip des
ewigen Lebens sei. "Wofür die Gegner der Adoptianer im letzten Grunde gestritten
haben, das hat Bach S. 120 als seine eigene Meinung in trefflichen Worten ent-
wickelt: „Mit einem tiefrealistischen Blicke weisen Beatus und Eterius im Gegen-
satz zur Aeusserlichkeit des Elipandus auf die centrale Bedeutung Christi im ge-
sammten ethisch-sacramentalen Wesen des Christenthums und im sittlich freien
Leben der Menschheit hin. Es ist das organisch-physische Verhältniss Christi
zur Menschheit und die Physiologie der Gnade in ihrem inneren Verhältniss zur
menschlichen Freiheit damit angedeutet, welche in dem concreten Gottmenschen
ihre Lebenswurzel hat. Ein getrennter Christus kann nicht neues physisch -
ethisches Lebensferment der Menschheit sein." Dieser materialistische Spuk
nennt sich leider auch im Protestantismus Christenthum.
* Bei ihm und Paulin freilich nur in unbedeutenden Ansätzen, wesshalb Bach
den Paulin „minder tiefsinnig und gründlich" wie Beatus nennt. AVie die Specu-
lation zu diesem gekommen ist, weiss man nicht.
Der Prädestinationsstreit. , 261
die Bilder noch nicht gedacht ist, während doch der Orient schon
längst bei seiner kryptomonophysitischen Christologie ebensowohl diese
als das Abendmahl im Auge hatte. Hier ist die angelsächsisch-frän-
kische Kirche hinter ihrem Führer noch „zurückgeblieben".
FeHx wurde in Lyon bei Leidrad internirt. Die Zurückführung
der fränkischen Adoptianer machte jetzt grosse Fortschritte, und Felix
selbst musste seine Gemeinde ermahnen, den Irrthum, den er sie
einst gelehrt, aufzugeben. Allein im Herzen war er keineswegs völlig
überzeugt, wie Papiere bewiesen, welche Leidrad's Nachfolger, Ago-
bard, nach dem Tode des unglücklichen Bischofs fand. Agobard hat
es noch für nöthig gehalten, den todten Felix zu widerlegen. Hatte
der aggressive Adoptianismus im Frankenreich auch bald ausgespielt,
so hat ihn die kecke Dialektik des 11. und 12. Jahrhunderts als
Schullehre doch wieder erweckt ^, und er ist dann, ohne freilich mehr
als theologischen Streit zu erregen, durch alle Jahrhunderte des Mittel-
alters hindurch gegangen. Wie im saracenischen Spanien die „Häresie"
allmählich erloschen ist, ist wenig bekannt. Unbeanstandet ist sie
dort schon zur Zeit des Elipandus nicht gewesen. Noch um 850 hat
sie Anziehungskraft besessen^; dann aber kamen Zeiten, in denen
das Bewusstsein, mit der ganzen Kirche zusammen zu stehen, den
christHchen Spaniern werthvoUer sein musste als die Behauptung einer
berechtigten EigenthümHchkeit.
Die entscheidende Folge des ganzen Streits war, dass man im
Abendland das eigene, frühere christologische Schema beseitigte und
innerhalb des Dogmas um des Abendmahls und der imponirenden
Ueberlieferung der Griechen willen dachte me diese. Die Einheit
Christi wurde festgehalten; aber diese Einheit absorbirte die Mensch-
heit und rückte den dei filius incarnatus tremendus in die Ferne. Die
strenge Dogmatik gestattete nur noch, ihn sich im Abendmahl nahe
zu bringen. Aber das schliesst nicht aus, dass neben der dogmatischen
Theorie, zunächst noch verborgen, das Büd des demüthigen Mannes
der Leiden sich fortpflanzte, wie es Augustin aufgegangen war und
wie es in noch lebendigerer Verdeutlichung die Kraft der Frömmig-
keit in der Zukunft werden sollte.
Ib. Der Streit über die Prädestination ^
Der Aufschwung der theologischen Wissenschaft im 9. Jahrhundert
führte zu eingehender Beschäftigung mit Augustin. Allein man war
»S. Bach nS. 390 ff.
^ S. die Briefe des Alvar, Baudissin, a. a. 0., Bach I S. 146 ff.
• Quellen, gesammelt von dem Jansenisten Maugiu, Veterum auct. qui IX.
262 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karolingißchen Renaissance.
cliircli die IMieologie Gregor's I. bereits daran gewöhnt, die Formeln
der augustinischen Theologie mit dem von dem kultischen System ge-
forderten Pelagianisnuis zu verbinden. Daher wäre es schwerHch zu
einem erneuten Streite gekommen, wenn nicht der Mönch Gott-
schalk von Orbais die Prädestinationslehre mit derselben Energie
geltend gemacht hätte, wie Augustin in seinen letzten Schriften, und
wenn nicht ein Mann gegen ihn aufgetreten wäre, dem seine eifer-
süchtigen Collegen gerne eine Häresie aufgebürdet hätten - Hink-
mar. Nicht dass Gottschalk augustinische Formeln brauchte, son-
dern dass die Prädestinationslehre die Kraft und der Halt seines
Daseins nach einem verfehlten Leben geworden war, hob ihn aus der
Masse der Theologen heraus und gab seinem Bekenntniss einen er-
schütternden Nachdruck. Auch hier lässt es sich wieder mit Händen
greifen, dass nicht die AVorte es macheu, sondern dass sie so lange
eine klingende Schelle bleiben, als sie nicht der Ausdruck eines Er-
lebten sind. Neben und nach Gottschalk haben in seiner Zeit Viele
so gesprochen wie er; aber nur er ist als Irrlehrer verfolgt worden,
weil die Gegner fülilten, dass nur er ihrem Kirchensysteme gefähr-
lich war.
Gottschalk hat über die Prädestination materiell und formell
nicht anders gelehrt wie Augustin, Fulgentius und Isidor ' ; aber man
muss sagen, dass er nichts Anderes gelehrt hat als die Prädestination.
Mit einer erst resignirten, dann schwärmerischen Hingebung hat er
sich in die Hände des Gottes beschlossen, der Alles wirket nach
seinem Wohlgefallen, und der nichts thut, was er nicht schon von
Anfang an fest beschlossen hat. Die Prädestination ist der Inhalt
des Evangeliums, ist das Object des Glaubens; sie ist die Wahrheit
— jene praedestinatio gemina ad vitam et ad mortem, nach welcher
für den Guten das ewige Leben und für den Sünder der Tod be-
stimmt ist, in welcher daher auch die Einen zum Leben, die Anderen
zum Tode bestimmt sind. Nichts soll abgethan werden, was die Kirche
sonst lehrt und was sie thut; aber Abfall vom Evangelium ist es,
die Sicherheit dieser ewigen unveränderlichen Gnadenanordnung Got-
saec. de praedest. et gratia scripserimt. Paris 1650, s. die Werke der karoliugischeu
Theologen z. Z. Karl's des Kahlen, Mansi T. XIV und XV. AVi gge rs i. d. Ztschr.
f. d. hist. Theol. 1859. AVeizsäcker i. d. Jahrbb. f. deutsche Theol. 1859. Hefele,
Concil-Gesch. IV^ S. 130 ff. Bach, a. a. 0. 1 S. 219 ff. Reuter, a. a. 0. I S. 43 ff.
Bor rasch, Der Mönch Gottschalk 1868. Die Monographien über Hinkmar von
V. Noorden und Schrörs.
* Von Fulgentius ist Gottschalk besonders abhängig. Ueber Isidor's Prädesti-
nationslehre s. Wiggers, Ztschr. f. d. hist. Theol. 1855, über die Beda's ebend.,
a. a. 0. 1857.
Der Prädestinationsstreit. 263
tes — denn gut ist auch die Gerechtigkeit und die Strafe — in den
Gemüthern zu verdunkeln. In der lebendigen und ursi^rün glichen
Sprache des überzeugten Bekenners hat Gottschalk diesen seinen
Glauben unerschütterlich bis zum Tode vertretend
Aber was soll hier der geschichtliche Christus, was der Christus
der sacramentalen Kirchenanstalt? Wenn dem Gottschalk der ver-
borgene Gott mit dem verborgenen Willen ein Trost gewesen ist,
so lag das an der Gewissheit, dass dieser Gott auch zum Leben
prädestinirt habe, und diese Gewissheit floss aus der Oekonomie, die
in Christus gipfelt. Denn woher war es sonst bekannt, dass die ewige
Prädestination auch die Begnadigung eines Theiles der Mensch-
heit einschliesse ? Für die Gewissheit des Einzelnen war damit freilich
noch nichts gewonnen ; aber auch auf der Gegenseite wollte man von
Heilsgewissheit nichts wissen : der Einzelne galt sich selbst und An-
deren nicht viel. Der Individualismus war noch nicht entwickelt.
Christus stand also nicht zur Frage. Auch der entschlossene Ver-
treter der Prädestination blickte auf ihn, wenn er an die Erwählung
zum Leben dachte. Aber das System der Sacramente, Rechts-
forderungen und Werke, welches die Kirche selbst war, erbebte, wie
es überall erbeben muss, wo die Religion wieder aus der Yeräusser-
lichung in das Innenleben zurückgeführt wird. Dies geschah hier
freilich in einer viel abstracteren Weise, als durch Augustin. Die
tiefsten Ausführungen desselben über die befreiende Gnade und die
beata necessitas boni, welche den Hintergrund der Prädestinations-
lehre bilden, schlagen bei Gottschalk nicht mächtig durch. Der frän-
kische Mönch hat sich auch die neuplatonische Speculation, welche
die augustinische Lelire mildert resp. in eine ganz andere Sphäre der
Vorstellung hinüberspielt, nicht anzueignen vermocht. Er kennt auch
nicht die Dialektik des Zeitbegriffs, die von Augustin's Auffassung
unzertrennlich ist. Doch stand er der Dialektik nicht fern; ja wenn
man den Berichten trauen darf, hat er zuerst aus dialektischen Grün-
den Freude an dem Problem geha})t; aber das Feuer, mit welchem
er spielte, hat sich dann seiner bemächtigt. Die Sache selbst wurde
ihm werthvoll. Sie entsprach seiner immer herber werdenden Ge-
* Uebcr das Leben Gottschalk's bis zum Ausbruch des Streits s. Hefele,
a. a. O. Der auj^ustinischc Geist und die Sprache Augustin's in der Confessio pro-
lixior (Mi^nc CXXI p. 349): „Tui profecto sie senipcr iiidigent omues electi tui, quo
videlicet tibi de te solo semper valcunt placere. (^uemadmoduni palmites iiidigent
vite, quo fructum queant l'erre, vel acr aut oculi luce, quo vel illc lucidus esse vel
Uli possint videre . . . te igitur supplex invoco . . . ut largiaris indigentissimo mihi
per gratuitae gratiae tuae invictissimain virtutern etc."
264 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
sinnung, und er vertrat sie mit dem Eifer des Missionars. Nicht
um die Erbsünde und die Sünde war es ihm in erster Linie zu thun,
sondern um die Unveränderlichkeit und Weisheit Gottes, Er ist
Theologe im engsten Sinn des Worts.
In den Briefen des Rabanus an Noting und Eberard (kurz vor
848) wird Gottschalk zuerst bekämpft * und ihm vorgeworfen, dass
er lehre, auch der rechte Glaube und die guten Werke seien frucht-
los für den, der nicht zur Seligkeit bestimmt sei, und Gott zwinge
zur Sünde und zum Verderben (invitum hominem facit peccare) ^. Bald
fanden sich noch andere Gegner, und man erklärte, er lehre eine
Prädestination zur Sünde. Auf dem Mainzer Concil (848) liess Raba-
nus ihn verurtheilen ^ und auf Befehl des Königs Ludwig an Hinkmar
übergeben, zu dessen Provinz er als Mönch gehörte ^. In dem Brief
an Hinkmar erklärt Raban eine Prädestination in Betreff des Bösen
einfach für irrig und weiss auch schon von Leuten zu berichten, die,
durch Gottschalk verführt, von frommen Uebungen abstehen, weil ja
doch Alles umsonst sei ^. Hinkmar liess auf einem synodalen Reichs-
tag zu Chiersey (849) das Urtheil gegen den miserabilis monachus
wiederholen. Er wurde seiner Würde entsetzt, gestäupt und im Ge-
fängniss unschädhch gemacht ^. Raban und Hinkmar scheinen sich
beide von der Schwierigkeit der ganzen Frage — der Autorität
Augustin's und anderer Väter wegen — zunächst noch keine Vor-
stellung gemacht zu haben. Hinkmar beruhigt sich dabei, die Prä-
scienz Gottes beziehe sich auf das Gute und das Böse, die Prädesti-
nation aber nur auf das Gute^. Allein bald änderte sich die Lage
* S. Opp. Raban. bei Migne CXII p. 1530 sq. Kunstmann, Hrabanus Mag-
nentius Maurus 1841.
^ Die eigene Meinung des Raban, dieses grossen, lauteren, wahrhaft frommen
und unpolitischen Kirchenfiirsten, war semipelagianisch.
•'' Bruchstück eines der Synode eingereichten Bekenntnisses Gottschalk's bei
Hinkmar, de praedest. 5, Migne CCXV p. 89 sq. (He feie S. 138): „gemina prae-
destinatio . . . similiter omnino omnes reprobos, qui damnabuntur propter ipsorum
mala merita, incommutabilis deus per iustum iudicium suum incommutabiliter prae-
destinavit ad mortem merito sempitemam."
^ Migne CXII p. 1574.
' A. a. 0.
6 Hincm., de praedest. 2, Migne CXXV p. 85, cf. Migne CXXI p. 1027.
' Die grossen Schriften Hinkmar's über die Streitfrage sind erst mehrere Jahre
später geschrieben worden. Die erste in drei Büchern (856 und 857) war so umfang-
reich, dass sie nicht abgeschrieben worden und daher untergegangen ist (s. Schrörs
S. 136 f.), die zweite, de praedestinatione dei et libero arbitrio, ist noch immer weit-
schweifig genug und recht inhaltslos (859 auf 860 geschrieben, s. S chrö r s S. 141 ft'.).
Hier wird im Eingang in sehr unhistorischer Weise die Geschichte der prädostina-
Der Prädestinationsstreit. • 265
der Sache. Gottschalk verfasste zwei Bekenntnisse, in denen er seine
Lehre darlegte und aus der Schrift und den Vätern erwies ^ , und
schrieb auch sonst Aufsätze, in denen er den Particularismus des
Heilswerks Christi betonte ^, dieses streng unter das vorzeitliche Decret
Gottes stellend. In einem Brief an Amolo hat er auch den besonders
anstössigen Satz ausgesprochen: „baptismum et alia sacramenta fru-
statorie eis dari, qui post eorum perceptionem pereunt"; denn „qui
ex numero fidelium pereunt, Christo et ecclesiae numquam fuerunt
incorporati" ^. Allein ausserhalb Mainz' und Rheims' in dem gebilde-
teren Süden erkannte man, dass nicht Gottschalk, sondern seine Gegner
von Augustin's Lehre abwichen. Die besten Theologen stellten sich
auf die Seite des Confessors, so Prudentius von Troyes, Ratramnus
von Corbie, dann auch Lupus von Ferneres, der Priester Servatus
Lupus und Remigius von Lyon, grösstentheils Schüler Alcuin's *. Es
beginnt nun ein lebhafter theologischer Streit, der indess nicht so
heftig war, dass die übrige Kirche und der Papst hineingezogen wurden,
und der desshalb unsäghch unerquicklich ist, weil auch die treuen
Augustiner das herrschende Kirchensystem nicht preisgeben konnten
und wollten, daher dort Vermittelungen suchen mussten, wo Gott-
tianischen Secte geschildert, die schon zu Lebzeiten des hl. Augustin entstanden sei.
Diese werde jetzt aufgewärmt, und zwar hielten sich die Neueren an Fulgentius, der
nie ein hohes Ansehen in der Kirche genossen habe (c. 3. 8. 13). Prädestination
zur Strafe schliesst die Nöthigung der Sünde ein, ist die Hauptthese Hinkmar's.
„Praescivit deus hominem ad poenam."
* S.Migne CXXI p.347. 349: „Confiteor, deum omnipotentem et incommuta-
bilem praescisse et praedestinasse angelos sanctos et homines electos ad vitam gratis
aetemam, et ipsum diabolum , . . cum ipsis quoque hominibus reprobis . . . propter
praescita certissime ipsorum propria futura mala merita praedestinasse pariter
per iustissimum iudicium suum in mortem merito sempiternam." „Credo siquidem
atque confiteor praescisse te ante saecula quaecunque erant futura, sive bona sive
mala, praedestinasse vero tantummodo bona. Bona autem a te praedestinata bi-
fariara sunt tuis a fidelibus indagata . . . i. e. in gratiae beneficia et iustitiae simul
iudicia . . . Frustra elcctis praedestinasses vitam, nisi et illos praedestinasses ad
ipsam. Sic etiam . . . omnibus quoque reprobis hominibus percnnem merito prae-
destinasti poenam et cosdem similiter praedestinasti ad eam, quia nimirum sine
causa et ipsis praedestinasses mortis perpetuae poenam, nisi et ipsos praedestinasses
ad eam; non enim irent, nisi destinati, ncquc profecto destinarcntur, nisi essent
pracdcstinati." Vom Standpunkt Uottschalk's sind beide Bekenntnisse conciliant.
* Dass Christus keineswegs für die reprobi gestorben sei, hat Gottschalk häufig
behauptet, obgleich er eine gewisse allgemeine Erkaufung aller Getauften lehrte •, s.
Hincm. de pracd. 29. 34. 35. Migne CXXV p. 289 sq. 349 sq. 369 sq.
» S. Hcfele S. 169.
* Die verschiedenen Schriften dieser Männer hat Bach I S. 232 If. analysirt
und besprochen.
266 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karolingischeu Renaissance.
schalk's Conse([uenzen es gefährdeten, und weil die fränkischen Semi-
pehigiiiner bakl einsahen, dass sie ihre Ausdrucks weise dem Augusti-
nisnius anzunähern liätten. Unter den Vertheidigungsschriften für
Güttschalk gab es denigeniäss viele Schattirungen, aber auch unter den
Gegenschriften K Floriis Magister z. B. trat für die gemina prae-
destinatio ein, aber bekämpfte doch den Gottschalk, da er den Ge-
danken der Unwiderstehlichkeit der Gnade zurückwies '■^. Amolo von
Lyon behandelte ihn freundlich; aber kein Anderer hat so nachdrück-
lich wie er darauf hingewiesen, dass die Lehre Gottschalk's die histo-
rische Erlösung, die Frucht des Todes Christi und die s a er a men-
tale Gnade aufhebe •^ Der Einzige, der einen consequenten Stand-
punkt einnahm und von ihm aus den Mönch bekämpfte, war Johannes
Scotus. Seine Lehre fusste nicht auf Augustin's Prädestinationslehre,
sondern auf der neuplatonisch-augustinischen Ontologie, die er kühn
entwickelte. Nach dieser ist das Böse und der Tod überhaupt Nichts.
Das unveränderliche Sein hat nur einen unveränderHchen A¥illen,
nämlich sich selber, und es wirkt nur sich selber aus. Alles Uebrige
ist Negation, ist nichts AVirkliches und trägt eben dieses Nichtsein
als Strafe in sich. Auf die Prädestinationsfrage angewandt, folgt,
dass die Recht haben, welche nur von einer Prädestination etwas
wissen wollen*. Aber Freund und Feind empfanden, ohne den Pan-
theismus des Scotus völlig zu durclischauen, dass hier der Teufel
durch Beelzebub („commentum diaboli") ausgetrieben werden sollte.
Den einzigen Ausweg, den es neben dem scotistischen gab, die Frage-
stellung in der Form des Prädestinationsproblems überhaupt aufzu-
geben, sich an den geschichtlichen Christus zu halten und der Gnaden-
lehre Augustin's durch Zurückführung des kirchlichen Systems auf
die Erfahrung der Wiedergeburt und des Glaubens gerecht zu werden
— diesen Ausweg fand Niemand ^, und ^o musste der ganze Streit
nothwendig ein Tummelplatz theils objectiver, theils bewusster Unauf-
richtigkeit werden. Aber so mächtig war die Autorität Augustin's,
^ Mau stritt sich damals um die Prädestination so, wie man sich heute inner-
halb der „positiven" Theologie um das Kecht der historischen Kritik streitet. Da
giebt es solche, die dieses Recht vertheidigen, und solche, die es einschranken oder
aufheben wollen; aber auch Jene glauben im Grunde nicht an dasselbe, da sie sich
hüten, die Consequenzen zu ziehen.
2 Bach IS. 240.
»Bach IS. 241 ff.
^De divina praedest. Migne CXXII p. 355 sq. Die Synoden zuValence und
Langres (859) verdammten die Schrift, nachdem Prudentius und Florus Magister
gegen sie geschrieben hatten.
* Amolo kam ihm am nächsten.
Der Prädestinationsstreit. • 267
dass das Ergebniss, wenn von einem solchen geredet werden darf, in
Worten der Lehre Gottschalk's näher kam, als den ursprüng-
lichen Kundgebungen Raban's und seiner Gesinnungsgenossen (hier-
her gehört auch Pardulus). Diese wollten ihre Unterscheidung von
Präscienz und Prädestination (in Bezug auf das Böse und die Strafe)
durchsetzen und desshalb nicht von P er s onen, die zur Strafe prä-
destinirt seien, geredet wissen. Gott hat, als er das Böse voraussah,
die Strafe für die prädestinirt, welche es nicht verdienen würden, dass
die Gnade sie erlöst; der fi'eie Wille behält also versteckt seinen
Spielraum, obgleich den Worten nach die Seligen lediglich um der
Erwählung willen sehg werden. Die künstliche Unterscheidung, die
hier gemacht wird (Prädestination des Lebens und der Guten, Präs-
cienz der Bösen, Prädestination der Strafe), ist scheinbar — auch
auf augustinischem Boden — erträglich, da sogar von einem völligen
Verluste der Freiheit durch Adams Fall jetzt von Hinkmar geredet
wurde ; aber die Unterscheidung war in Wahrheit als Thor gemeint,
durch welches der Semipelagianismus einziehen sollte. Auf einer neuen
Synode zu Chiersey (853) wurde diese Lehre unter Hinkmar's Leitung
angenommen ^ Allein was hier geschah, war im Erzbisthum Sens ^
^ Die vier Capitel von Chiersey geben dem Augustinismus mehr nach, als es sich
mit der Wahrhaftigkeit vertrug : I. „Deus hominem sine peccato rectum cum Hbero
arbitrio condidit et in paradiso posuit, quem in sanctitate iustitiae permancrc vo-
luit. Homo libero arbitrio male utens peccavit et cecidit, et factus est massa per-
ditionis totius humani gcneris. Deus autem bonus et iustus elegit ex eadem massa
perditionis secundum praescientiam suam, quos per gratiam praedestinavit ad vitam,
et vitam illis praedestinavit aeternarn. Ceteros autem, quos iustitiae iudicio in massa
perditionis rcliquit, perituros pracscivit, scd non ut pcrirent praedestinavit, poenam
autem illis, quia iustus est, praedestinavit acternam. Ac per hoc unam dei prae-
destinationem tantummodo dicimus, quae aut ad donum pertinet gratiae, aut ad
retributionem iustitiae." II. „Libcrtatem arbitrii in i)rimo homino pcrdidimus,
(^uam per Christum dominum nostrum rcccijimus. Et habcmus liberum arbitrium
ad bonum, praeventum et adiutum gratia. Et habcmus liberum arbitrium ad malum,
desertum gratia. Liberum autem habcmus arbitrium, quia gratia liberatum et gratia
de corrupto sanatum." III. „Deus omnes homincs sine cxceptione vult salvos ficri,
licet non omnes salventur. Quod autem quidam salvautur, salvautis est donum;
(juod autem quidam pereunt, pcrcuntium est mcritum." Das 4. Capitel sagt, dass
Christus die Natur eines jeglichen Menschen angenommen hat, also auch für Jeden
gestorben ist, wenn auch nicht Alle erlöst werden. Die Ursache dieser Thatsache
liegt daran, dass die Nichtcrlösten infidclcs sind oder doch des Glaubens ermangeln,
der in der Liebe thätig ist; „poculum humanae salutis, quod confectum est iufirmi-
tatc nostra et virtutc divina, habet quidcm in sc, ut omnibus prosit, sed si non bibi-
tur, non medetur." Mansi XIV p. 919.
■^ S. über Prudentius und die Synode von 8ens llefcle S. 188 f. Die 4 Capitel
dieser Synode;, weh;he die gemina praedeatinatio lehren, sind von Prudentius; s.
Migno CXXV p. 64.
268 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
und im Reiche Kaiser Lothar's nicht massgebend. Remigius von Lyon
gritV die vier Capitel von Chiersey scharf an als der Lehre der Schrift
und der Väter zuwiderlaufend K Auf der grossen Synode der Pro-
vinzen Lyon, Vienne und Arles zu Valence (855) wurden Kanones
angenommen, welche sich viel enger an Augustin anschlössen und die
Lehre des Remigius enthielten. Die Abneigung gegen den gewaltigen
Hinkmar spielte dabei auch eine Rolle. Die Synode verwarf die vier
Capitel („miims prospecte suscepta"), lehrte die gemina praedesti-
natio, bezog dieselbe auch auf die Personen und behauptete, dass
Christus für die Gläubigen sein Blut vergossen habe (die Frage, ob
Gott alle Menschen sehg machen wolle, ist klug umschifft). Wenn
sie die Meinung einer Prädestination zur Sünde ablehnte, so verliess
sie damit den streng augustinischen Boden nicht. Dagegen zeigt die
Behauptung, dass die Verdammung sich auf die Präscienz gründe,
und dass in den Sacramenten der Kirche „nihil sit cassum, nihil ludi-
ficatorium", wie besorgt man war, das kirchhch Giltige nicht preis-
zugeben '^. Vergleicht man die Beschlüsse der beiden Synoden ihrem
AVortlaut nach, so sind die Unterschiede höchst subtil, und doch ist
das kleine Plus des fremden Coefficienten am Augustinismus in den
Beschlüssen von Chiersey von hoher Bedeutung : Raban, Hinkmar
und die Synode Karl's stehen auf dem Boden der kirchlichen Empirie
und suchen sich — weil sie es müssen — mit Augustin abzufinden,
dabei mehr zugebend, als ihnen lieb sein konnte ; Remigius, Pruden-
tius und die Synode Lothar's stehen auf dem Boden des Augustinis-
mus und wollen doch die kirchliche Empirie nicht aufgeben. Dort
und hier aber durfte in Niemandem ein Zweifel auftauchen, ob diese
Empirie und der Augustinismus sich decken.
Die politischen Verhältnisse Hessen den drohenden Bruch doch
nicht perfect werden. Im Reiche König KarFs, des Sohnes Lothar's,
lenkte man ein. Zu Langres (859) beschloss man einige leichte Modi-
ficationen an den Capiteln von Valence, um Karl dem Kahlen, der
die von Chiersey unterschrieben hatte, den Beitritt zu ermögHchen'.
Die grosse Synode von Savonieres (859), auf der Bischöfe aus drei
Reichen, sowie die Herrscher selbst (Karl der Kahle, Karl von der
Provence, Lothar von Lothringen) anwesend waren, nahm die modi-
licirten Capitel von Valence und, wie es scheint, auch die von Chier-
^ Migne CXXI p. 1083: libellus de tenenda immobiliter scriptiirae veritate
als officielle Schrift der Kirche von Lyon.
^ Die Kanones hierher zu setzen — sie sind sehr weitschweifig — ist überflüssig,
s. Mansi XV p. 3. Hefele IV S. 193 ff. Schrors S. 133 ff.
8 Mansi XV p. 537. Hefele S. 205.
Der Prädestinationsstreit. 269
sey ad acta; man verdammte sich gegenseitig nicht wegen des Un-
glaubens oder Glaubens an die gemina praedestinatio, und damit war
schon das Meiste zur Beschwichtigung gewonnen ^ Hinkmar freilich
war darüber nicht im Zweifel, dass es eine prädestinatianische Irr-
lehre gegeben habe und gebe, die zu bekämpfen sei und deren An-
hänger sich mit Unrecht auf Augustin beriefen. Damals hat er sein
weitschichtiges Werk de praedestinatione verfasst (gegen Remigius u. A.)
unter den Auspicien seines theologischen Königs. Allein das Friedens-
bedürfniss der Könige war grösser als der Eifer der im Dunklen
kämpfenden Bischöfe. Auf der grossen Synode der drei Beiche zu
Toucy (860) wurde in einem umfangreichen Synodalschreiben die zu
Savonieres aufgeschobene Angelegenheit beendet. Man Hess die strit-
tigen Punkte bei Seite und bekannte das, worin man einig war. Hink-
mar hat dieses Schriftstück verfasst. Neben der Prädestination zum
Leben, die in gut augustinischen Worten vorgetragen ist, wird bekannt,
dass Grott Alle seUg machen wolle, dass Christus für Alle gestorben
sei, und dass der freie Wille nach dem Falle zwar befreit und geheilt
werden müsse, aber nicht ganz verloren gegangen sei^. Wenn der
Werth eines Bekenntnisses darin besteht, dass es w*irklich Ausdruck
des vorhandenen Glaubens ist, dann war der Sieg der Hinkmar'schen
Formel werthvoUer als der Sieg der Gegenlehre gewesen sein würde
— denn das Bekenntniss zur gemina praedestinatio, an sich schon
mehr Ausdruck einer theoretischen Speculation als des christlichen
Glaubens an Gott den Vater, hätte neben der doch festgehaltenen
kirchlichen Empirie weniger als nichts bedeutet. Allerdings bedeutete
die Hinkmar'sche Formel, die durch keine Kunst mit der von Orange
vereinigt werden kann, auch nicht viel; denn in Wahrheit blieb trotz
aller Worte Augustin abgesetzt. Gregor's 1. Lehrbegriff behauptete
das Feld. Wie man an den sacramentalen Christus dachte, als man
mit dem A doptianismus zugleich die augustinische Christologie ab-
lehnte, so dachte man an eben diesen Christus und an die guten
Werke der Gläubigen, als man mit der gemina praedestinatio factisch
die augustinische Gnadenlehre entfernte.
Gottschalk starb, unversöhnlich und unversöhnt, im Kerker (868),
an der praedestinatio ad mortem festhaltend, die er in einem so
„irrigen Sinn" verstand, dass er sie nicht i)roisgab, wie Bemigius das
gcthan zu haben scheint. Die Entpuppung und den Sturz seines Tod-
' Mansi XV p. 529. Hcfcle S. 200.
* Die wcitschwcifif(c cp. synodalis bei Mausi XV p. 563, He feie S. 217 fl'.
Die praedcHtinatiü ad mortem iöt nicht erwähnt.
270 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
feindes Hinkmar als Antichrist — dieses grossen Paradigmas der
praedestinatio ad mortem — hat er vergebens prophezeit '.
IL Der Streit über das filioque und über die Bilder.
Durch die Stellung, welche die Kirche des Frankenreichs im adop-
tianischen wie im Prädestinations-Streit eingenommen hat, identificirte
sie sich, höhere Eigenthünilichkeiten preisgebend, mit dem vulgär-
Kirchlichen, wie es Konstantinopel und Rom vertraten. Die Theo-
logie, welche sie von Augustin geerbt hat, setzte sie in eine Eccle-
siastik um, wie sie in jenen Hauptkirchen längst herrschte. Aber in
zwei Lehren hielt der Westen damals seine Eigenart gegenüber dem
Orient noch zäh fest, in der Behauptung des filioque und in der Ver-
werfung der Bilder. Ueber Beides ist im 2. Bande (S. 291 ff. 452 ff.)
schon gehandelt worden; daher sei nur Weniges hinzugefügt.
In dem Streit über das filioque erkennt man, wenn man es nicht
schon so wüsste, noch einmal sehr deutlich, dass auch für das Abend-
land — s. das Athanasianum - — Trinitätslehre und Christologie das
Dogma und die kirchliche Rechtsordnung zar' e^o'/vjv waren. Das aus
der augustinischen Theologie stammende filioque war aus Spanien —
man weiss über die Art des Uebergangs nichts Näheres — in das
Frankenreich gekommen. Man war gewiss, dass es zum Symbol ge-
höre, und hat diese Ueberzeugung schon auf der Synode zu Gen-
tilly (767) ausgesprochen ^. Die gelehrten Theologen KarFs bestärkten
dieselbe, wie Alcuin's Schrift de processione spiritus sancti und die
libri Carolini beweisen *. Provocirt wurde eine öffentliche Action durch
schwere Unbill, welche abendländische Mönche in Jerusalem zu er-
* Gottschalk scheint in den letzten Jahren seines Lebens durch die erlittenen
Misshandlungen zeitweilig unzurechnungsfähig geworden zu sein. Merkwürdig ist
der Streit mit Hinkmar über den Ausdruck „trina deitas", den dieser nicht dulden
wollte (als arianisch), Gottschalk und Ratramnus so vertheidigten, dass sie dem
Hinkmar Sabellianismus vorwarfen. Man kann vom Boden des Augustinismus aus
beide Formeln „una deitas" und „trina deitas" vertheidigen ; s. Hinkmar's Schrift
de una et non trina deitate (Migne CXXV p. 473: Schrörs, Hinkmar S. 150 ff,),
in welcher bereits der Personbegriff des Boethius („rationabilis naturae individua
subsistentia) eine Rolle spielt. Sehr gross war überhaupt die Zahl der theologischen
Probleme, die z. Z. dieser Renaissance der Theologie erörtert wurde, s. Schrörs,
Hinkmar S. 88 ff. Aber die Fragen waren fast sämmtlich höchst speciell und subtil,
wie sie wohl kluge Kinder aufwerfen. Auch war die damalige Bildung noch nicht
im Besitze der scholastischen Technik, um sie zu bearbeiten.
^ Es ist erst im karolingischen Zeitalter Hauptsymbol geworden, ja hat erst
damals die letzte Redaction erhalten (?).
»S.Hefel eins. 432.
^ Hefele ITI S. 704, s. libr. Carol. III, 3, wo an Tarasius getadelt wird, er
lehre, der hl. Geist gehe ex patre per filium aus, statt ex filio.
Das filioque und die Bilder. 271
leiden hatten, weil sie dem „Gloria patri" in der Liturgie das „sicut
erat in principio", dem „Grloria in excelsis" das „tu solus altissimus"
und dem „a patre" im Symbol das „filioque" beisetzten. Sie klagten
beim Papst, der sich an den Kaiser wandte. Dieser beauftragte den
Theodulf von Orleans mit Abfassung einer Schrift de spiritu sancto
und Hess auf der Synode zu Aachen 809 beschliessen, dass das filioque
ins Symbol gehöre ^ Der Papst aber, der diesen Beschluss biUigen
sollte, nahm noch Rücksicht auf den Orient und erlaubte die Auf-
nahme nicht, obgleich er der Lehre zustimmte. Selbst die Vorstellung
der Franken, das fiHoque sei zum Seelenheil nothwendig, bewegte
ihn nicht ^. So dauerte es noch bis zum grossen Streit unter Pho-
tius, bis das filioque das symboUsche Stichwort im ganzen Abendland
wurde ^. Die wertloseste Formel des Augustinismus, einst empfohlen
durch den Gegensatz gegen den Arianismus, ist somit im Abendland
conservirt worden.
Wurde in diesem Streit des Westens mit dem Osten jener ur-
sprünglich nur lau von Rom unterstützt, welches noch halbbyzantinisch
war, so stellte sich der Papst im orientalischen Bilderstreit vollends
auf die Seite der orientahschen frommen Theologen und gerieth damit
in eine Spannung zur fränkischen Theologie, resp. zu den civilisato-
rischen Bestrebungen Karl's I. Die Haltung jener Theologie in dem
grossen Kampfe ist für die üebergangszeit, in der sie sich befand,
höchst charakteristisch. Das ihr durch Augustin eingepflanzte inner-
liche Element reagirte in der Christologie und der Vorstellung von
der Messe nicht mehr gegen das mystisch Superstitöse und magisch
»Hefele III, 750-755.
2 S. Mansi XIV p. 18 sq. Sehr wichtig ist, dass der Papst gegen das letzt-
genannte Argument der Franken einwendet, auch andere Punkte seien für das
»Seelenheil nothwendig und trotzdem seien sie nicht in das Symbol aufgenommen
worden, da dieses schlechthin keine Veränderung erleiden dürfe. Hiermit ist also
(gegen die Meinung des Orients) behauptet, dass das Symbol nicht Alles
umfasse, was zur Seligkeit gehört. Der Papst sagt (p. 20): „Vcrumtamen,
quaesü, responde mihi: Num universahuiusmodi fidei mystica saci'amenta, quae sym-
bolo non continentur, sine quibus quisque, qui ad hoc pertingere potest, catholicus
esse non potest, symbolis inserenda et proj)ter compendium minus intellegentium,
ut cuifjue libuerit, addenda sunt?" D(!r Papst machte ül)rigens auch bei der Unter-
redung mit den fiänkischen missi in sehr bcmerkenswerther Weise den Gedanken
geltend, dass nicht alle Bildungsstufen dieselbe Stellung zum Dogma haben könnten,
für die Einen also wichtig sei, was es für Andere nicht ist.
" Die päpstlichen Legaten in Konstantiiiopel 880 habon noch das Symbol ohne
filioque unterschrieben, lieber Johann VllF. s. Hc^fele IV S. 482. Das Franken-
n;ich nahm an dem Streit in jener Zeit den lebhaftesten Antheil; aber die Begrün-
dung der eigenen Ansicht ist stets dieselbe gewesen.
272 Geschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
Sacramentale. Es wurde von der mächtigeren byzantinisch-römischen
Strömung verschlungen. Allein bis zur orientalischen Bilder Ver-
ehrung konnte man sich noch nicht aufschwingen '. Man machte
bei der Hostie Halt. Gegen die Bilderverehrung reagirte ein spiri-
tuelles, augustinisches Element, aber zugleich war hier — so paradox
dies klingt — der tiefere Stand der dogmatischen Bildung wirksam.
Zwar scheint bei oberflächlicher Betrachtung der, welcher die Ver-
ehrung der Bilder ablehnt, stets der höher Gebildete zu sein ; allein
das gilt doch nur unter Voraussetzungen, die damals nicht bestanden.
War man einmal, wie dies im fränkischen Reich geschehen war, in
den Zauberkreis der byzantinischen Christus- und Cultusmystik ein-
getreten, dann war es lediglich das Zeichen eines auf dieser Basis
noch nicht vollständig entwickelten religiösen Glaubens, bei der Hostie
Halt zu machen und den Reichthum zu verschmälien, den die Bilder
dem theologischen Denken und der frommen Phantasie boten. Der
Orient und Rom machten sich ihre Christologie in den Bildern leben-
dig und sahen das vergangene Mysterium so in beständiger Gegen-
wart. Wie konnte ein Glaube das missen, der bereits auf den Sinnen-
genuss des Himmlischen gestimmt war und im Reliquienkultus schwamm?
Aber man war im Westen in der dogmatischen Bildung noch zurück,
man hatte die Bildertheos ophie noch nicht gelernt, und — was das
Wichtigste war — man besass nur wenige Bilder.
Dass die Synode von Gentilly (767) in Betreff der Bilderver-
ehrung eine dem Papst genehme Erklärung gegeben habe, wird zwar
behauptet ^, ist aber nicht zweifellos sicher. Auf der Frankfurter Synode
(794) wurde die Bestimmung des 7. ökumenischen Concils, welches
„das servitium und die adoratio" für die Bilder verlangt, einmüthig ver-
worfen (allerdings besass man die Beschlüsse des Concils nur in einer
sehr schlechten Uebersetzung) ^. Nach Rom hatte man vorher „ca-
pita quaedam" gegen die Bilderverehrung geschickt, die ein Auszug
(85 Capp.) aus den hbri CaroHni waren, die wohl Alcuin kurz zuvor
auf Befehl Karl's verfasst hat (gegen das 7. Concil) '*. Hier ist sowohl
die Bilderstürmerei als thöricht und frech, aber noch mehr die Bilder-
anbetung verboten. Man soll Bilder haben — zum Schmuck und zur
Erinnerung (s. Gregor I. ep. VII, 111 : „idcirco pictura in ecclesiis
adhibetur, ut hi, qui litteras nesciunt, saltem in parietibus videndo
legant, quae legere in codicibus non valent", und dazu libr. Carol.
' Das gilt von dem gebildeten und damals führenden Theil des Klerus.
''HefelelllS. 433.
»MansiXIIIp. 909.
*MigneIIC p. 999 sq.
Die Bilder. 273
praef. : „imagines in ornamentis ecclesiarum et memoria rerum gesta-
rum habentes et solum deum adorantes et eins sanctis opportunam
venerationem exhibentes nee cum illis frangimus nee cum istis ado-
ramus") — j aber nicht anbeten. Mit grosser Weitschweifigkeit wird
dann die Bilderverehrung widerlegt und die Beizählung einer 7. Ökume-
nischen Synode zu den sechs verworfen; beide Synoden (von 754 und
787) seien „infames" und „ineptissimae". Man hat einen Beweis der
karolingischen „Aufklärung" in diesen Büchern sehen wollen ^^ aber
die Aufklärung reichte doch nur so weit, als die Unkenntniss der Bilder-
theosophie, das mangelnde Verständniss für die subtilen Unterschiede
der Xarpsia und TrpoazovTjatc; und das civilisatorische Bestreben des Kö-
nigs reichten. Was aus den Büchern wirklich spricht, ist das Selbst-
und Kraftgefühl der fränkischen Kirche, welches mit jugendlicher
Unverschämtheit hervorbricht, die ältere und weisere Schwester scha-
denfroh des Irrthums überführt und den unmündigen byzantinischen
Kaiser und die Regentin geradezu in Anklagezustand versetzt, vom
Papste ein förmliches Processverfahren verlangend. Diese Bücher
zeigen schon, dass der romanische Westen und der Orient nicht mehr
zusammengehen können, weil jener die Führung übernehmen will;
sie zeigen auch noch eine Spur des augustinischen Spirituahsmus, aber
sie dürfen, wenn man weiss, was damals im Frankenreich sonst für
heilig gehalten wurde, nicht als Beweis dafür genommen werden, dass
man im Westen aufgeklärter war als im Osten ^. Der Papst Hadrian
widerlegte die Capitel ^^ aber hütete sich, die Differenz aufzubauschen.
Unter Ludwig dem Frommen hat sich eine durch eine Gesandtschaft Mi-
chael des Stammlers angeregte Synode zu Paris (825) scharf gegen den
bilderverehrenden Papst ausgesprochen und die Linie der libri Caro-
lini streng innegehalten: man darf Bilder aufstellen pro amoris pii
memoria, als Schmuck und — vor Allem — für die Ungebildeten,
aber man darf sie nicht anbeten und kann daher die Aufstellung auch
lassen '*. In praxi ging Ludwig strenger gegen die Bilderverehrung
vor als Karl •'. Der Papst Eugen TT. hüllte sich in Schweigen ; ja
» Reuter, a. a. 0. 1 S. 10 ff.
* Die kräftigsten Vertreter des augustinischen Spiritualismus waren Claudius
von Turin und Agobard; s. über sie Reuter I S. 16 ff. Man wundert sich mit
Recht, dass es Claudius nicht schlimmer ergangen ist. Aus dem Studium Augustin's
ist ihm wie Agobard der Contrast zwischen dem vcräusserlichten, superstitiosen
Christenthum der Gegenwart und dem idealen Bilde des Katholicismus aufgegangen,
wie es in d(^m grossen A frikaner Gestalt gewonnen hatte.
» Mansi XIII p. 759. " Mansi XIV p. 415 sq. Hefele IV, 38 ff.
' S. die Mission des Claudius in Olicritalien, wo es zum Bildersturm kam und
der Bilderdienst als Idololatrie bezeichnet wurde.
narnack, DoKrnongrjschichtfj III. ]g
274 (Tescliiclito (los Dog^maa in der Zoit dor karolingisohen Renaissance.
noch im Jahre 863 hat eine Lateransynode zwar die Bilderverehrung
in vorsichtigen Worten anerkannt, aber vom 7. ökumenischen Concil
geschwiegen". Erst seit der Zeit der 8. allgemeinen Synode (869)
wird die J>ilderverehrung und die 7. Synode von 787 allmiildich an-
erkannt". Doch sind die karolingischen Theologen noch am Schluss
des Zeitalters der Bilderverehrung feindlich. Hinkmar, der ein uns
niclit mehr erhaltenes AVerk „über die Verehrung der Bilder des
Erlösers und der Heiligen" geschrieben hat'', will sie nur als Unter-
richtsmittel (resp. zum Schmuck) gelten lassen, und derselben Meinung
sind Agobard *, Jonas von Orleans^, Walafrid Strabo^ und Aeneas
von Paris ^. Hinkmar nennt auch das Concil von 787 eine Pseudo-
synode, wie denn alle fränkischen Stimmen, die aus dem 9. Jahr-
hundert bekannt sind, noch immer nur 6 ConciHen zählen. Selbst das
(8.) Concil von 869 wurde von Hinkmar zunächst nicht anerkannt.
Erst als die fränkisch-deutsche Kirche nach dem saeculum obscurum
wieder Licht sah, sah sie auch das 7. und 8. Concil. Doch hat im
9. Jahrhundert die Differenz mit dem Papst über die Bilder dem
Ansehen des letzteren kaum Abbruch getlian. Dieses war eben noch
nicht so hoch und so empfindlich ausgebildet, dass solche Erschütte-
rungen es zu Fall bringen konnten^. Die Bilderverehrung hat sich
dort, wo nicht die Antike geherrscht hat, nie vollkommen einzubürgern
vermocht. Ln Abendland ist auch heute noch Italien das klassische
Land der Bilderverehrung. Während aber im Orient die Bilderver-
ehrung Ausdruck des religiösen Glaubens und der Beligionsphilosophie
selbst ist, weil die Entfaltung der Christologie, gehören im Abend-
land die Bilder in das System der Fürbitter und Nothhelfer.
In praxi freilich hat sich der Unterschied ziemlich verwischt.
1 Man si XV p. 178. 244. XVI p. 106. Hefele IV p. 272.
^ Aber bereits war der Streit zwischen Rom und Byzanz acut geworden, die
Kluft unübersteiglich, so dass das Abendland keinen Antheil an der grossen Re-
naissance der Wissenschaften, welche Byzanz seit Photius bis zum Anfang des
10. Jahrhunderts erlebt hat, nehmen konnte.
«S. Schrörs, a. a. 0. S. 163.
■* Contra eorum superstitionem, qui ])icturis et imaginibus sanctorum adora-
tionis obsequium deferendum putant. Migne CIV p. 199,
" De cultu imaginum 1. IIL Migne CVI p. 305.
® De eccles. rerum exordiis. Migne CXIV p. 927.
' Lib. adv. Graec. Migne CXXI p. 685 sq.
^ Ueber das Ansehen des Stuhles Petri selbst bei Hinkmar s. Schrörs, a. a.
O. S. 165 f. Aber wenn man vom Papst sprach, dachte man nicht immer an den
Primat (der übrigens keine Regierungsgewalt in anderen Diöcesen einschloss), son-
dern auch an die römische Kirche. Sie ist die , Ernährerin und Lehrerin" aller
Kirchen (Hinkmar).
Die Messe und die Abendmahlslehre. 275
III. Die Fortbildung der Praxis und Theorie der Messe (des
Abendmahlsdogmas) und der Busse.
Drei Momente wirkten zusammen, um im Abendland im karolin-
gischen Zeitalter eine Fortbildung der Theorie vom Abendmahl zu be-
wirken. Erstlich der Einfluss von Byzanz, wo der Bilderstreit die
Bilderverehrer dazu geführt hatte, die Vorstellung des Bil des von den
geheiligten Elementen fernzuhalten, um das Sacrament und die Bilder
nicht identificiren zu müssen und so dem grossen Mysterium die Einzig-
artigkeit zu raubend Zweitens die Praxis der eigenen Kirche. War
doch der Messgottesdienst der Mittelpunkt des ganzen Christenthums,
das Centrum, auf das sich Alles bezog und von dem alles Heilbringende
für den getauften Christen ausfloss. Lebte man aber überhaupt als
Christ in einem System der "Wunderkräfte und Mysterien, war das Mirakel
in der Gegenwart und noch mehr in den Berichten aus der Vergangen-
heit etwas Alltägliches ^, so musste der heilige Vollzag im Abendmahl
als Wunder der Wunder ausgestaltet werden, um nicht seine Bedeu-
tung neben hundert Mirakeln gemeinen Schlags einzubüssen^. Drit-
tens kommt hier die Theologie und Christologie in Betracht. Je stärker
an dem Gottesbegriff der Zug hervortrat, dass Gott, weil der Allmäch-
tige, die geheimnissvolle Willkür sei, je unsicherer die Erkenntniss
Gottes in Christo und die Erkenntniss nach dem Massstabe der sitt-
lichen Heiligkeit wurde, um so fester klammerte man sich an die Insti-
tutionen der Kirche als dem einzig Offenbaren und suchte in ihnen
den verborgenen Gott zu erfassen, d. h. im Mysterium und im Mirakel.
Ferner, je mehr sich der historische Christus in ein Licht verlor, da
' Ueljer dieEntwickelung der Mysterien und des Abendmahls in der griechischen
Kirche s. Bd. II S. 413 ff. 426 ff. Joh. Damascenus (de fide orth. IV, 13) hat ausdrück-
lich erklärt: o'r/. Izzi rnnoc; o äpzoqxoh ouiixoLxoq, äXX' o.hxb xb oü)}j.a xob xuptou tet^-soo-
jjivov. Nachdem die Synode von 7.54 (Mansi XTTI p. 261 sq.) die consecrirten Ele-
mente Typen und Bilder genannt hatte, erklärte die 2. nicänische Synode von 787 (I.e.
p. 26.5) ausdrücklich, dass sie das nicht seien, da weder die Apostel noch die Väter
sie so genannt hätten; durch die Consecration würden sie vielmehr ahxb adjjjia v.a\
OL'jxb ol^i.fß.. Dennoch ist bekanntlich die Transsubstantiation im abendländischen
Sinn streng genommen von den Griechen nicht gelehrt worden.
'S. Reuter IS. 24 ff. 41 ff.
'' Man sehe, wie Hijikmar die Ordalien, auf die freilich schon Augustin grosses
(lewicht gelegt hatte, bcnrtheili (S(;hrörs S. 190 ff.), nämlich als in der Schrift ein-
gesetzte Sacramente, die mit den Taufceremonien auf einer Stufe; stehen, um zu
erkennen, dass das Abendmahl eine l)esondere Hervorhebung ])edurfte. Hinkmar
stand mit dieser Schätzung des Reinigungseides und der Uottesurtheile nicht allein
(h. Rozir're, Recufil g.'nr'ral des fonnulcs. Paris, 1859 n. DLXXXT--DCXX V;
p. 70 wird die Ceremonie als christiana(! religionis officium bezeichnet), sondern
Agobard, der sie bekämpfte, stand ziemHch allein-, s. Reuter I S. 32 ff.
18*
276 Geschichte des Do^as in der Zeit der karoHngischen Renaissance.
Niemand zukommen kann, je entschlossener die fromme 8peculation,
um recht fromm zu sein, in ihm nur den Gott erkannte, der die menscli-
liche Physis seiner Fülle hinzugefügt hat (s. den adoptianischen Streit),
um so mehr sah man sich darauf angewiesen, Christum nicht im ge-
schichtlichen Bilde und im Wort, sondern dort zu suchen, wo das Ge-
heimniss seiner Menschwerdung und seines Todes gegenwärtig und
fassbar ist K
* Die Controversen de partu virginis (Bach I S. 152 ff.; s. Ratramnus, Hher de
eo, quod Cliristus ex virgine natus est; Radbertus, Oj)iiscuhim de partu virginis,
d'Achery Spicil. I p. 52. 44) zeugen noch bosser als der adoptianische Streit, welch'
einer Christologie die Gemeinde- und Mönchsfrömmigkeit huldigte. Ratramnus be-
zeichnet es als Gift der alten Schlange, dass in Germanien Einige leugnen, Christus
sei auf natürlichem Wege aus dem Schoss der Maria hervorgegangen, denn damit
sei die AVahrheit der Geburt Christi aufgehoben, obgleich auch er die ewige
Jungfrau Schaft der Maria anerkenntunddenpartus clause utero lehrt:
„clausa patuit dominanti". Radbert dagegen tröstet, ohne dem Ratramnus zu ant-
worten, einige Nonnen, die durch die vermeinte Leugnung der Jungfrauschaft
der Maria beunruhigt waren, damit, die Kirche halte bestimmt an dem „clauso
utero" fest; denn sei Christus auf dem natürlichen Wege ans Licht gekommen, so
wäre er wie ein gewöhnlicher Mensch gewesen; an der Incarnation sei aber Alles
wunderbar. Wer Christus nicht clauso utero geboren sein lasse, stellt ihn unter das
gewöhnliche Gesetz der Natur, also der sündigen Natur, und dann war Christus
nicht süudenfrei. Der Unterschied zwischen beiden Gelehrten besteht also lediglich
darin, dass Ratramnus behauptete, der natürliche Geburtsvorgang sei durch ein
Wunder clauso utero zu Stande gekommen, Radbert dagegen lehrte, die Geburt
sei ein übernatürlicher Vorgang gewesen, und Christus habe die Mutter auf anderem
AVege verlassen als die Kinder sonst. Radbert ist auch hier der Consequente ; Ra-
tramnus sucht Natürliches und Uebernatürliches zu vereinigen. Radbertus zeigt bei
seinen seltsamen Belehrungen der Klosterfräulein wenigstens nicht die Lüsternheit
des Hieronymus, der der Vater dieser gynäkologischen Phantasien ist, und die Nonnen
mögen diese Frage sehr ernst genommen haben, so ernst wie einst Marcion und
Augustin, weil sie in allem Geschlechtlichen den Heerd der Sünde erkannten. Die
spätere Scholastik hat dann den Ruhm, den partus clauso utero aus der Raumfreiheit
des Leibes Christi wissenschaftlich begründet zu haben. Waren nun schon über den
Leib des historischen Christus so wunderbare Vorstellungen verbreitet, galt er mit
einemWort an sich schon als ein pneumatischer, so war er eben damit ein s a c r a -
mentaler (mysteriöser). Dann aber konnte es nicht ausbleiben, dass die Identifi-
cirung mit jenem sacramentalen (mysteriösen) Leibe, der in dem Abendmahl ge-
opfert wurde, endlich vollzogen wurde. Die von dem Incarnationsdogma und die von
dem Abendmahl her gezogenen Linien mussten endlich convergiren. Dass das nicht
früher geschah, lag, abgesehen von dem materiellen Hinderniss, welches der Augu-
stinismus mit seinen nüchternen Vorstellungen von dem historischen Christus als wirk-
lichen homobot, an formellen Schwierigkeitendes überlieferten Sprachgebrauchs (der
sacramentale Leib ist figura corporis Christi). Diese mussten weggeräumt werden.
Sehr richtig bemerkt Bach (I S. 156): „Der Grund der gegenwärtigen Missvei*-
ständnisse der alten Abendmahlsstreitigkeiten liegt in der Verkennung des auch
für die Sprache der Theologie geltenden Gesetzes der Sprachenbilduug, beziehungs-
Die Messe und die Abendmahlslehre. 277
Die Wirksamkeit dieser vereinigten Elemente erfuhr allerdings bei
Beda und in den ersten Decennien des karolingischen Zeitalters eine
höchst bedeutende Hemmung durch das aufblühende Studium Augustin's,
der über das Abendmahl spiritual istisch gelehrt hat. Die Theologen
Karl'S; resp. Karl selbst, haben sich häufig ganz augustinisch über das
Abendmahl ausgedrückt. Allein schon bei ihnen finden sich Schwankun-
gen ^j und gegen Ende des Zeitalters Ludwigs des Frommen konnte
es Paschasius Radbertus als Lehre aussprechen, was längst die Meisten
so empfanden, dass in der Messe der wirkliche (historische) Leib Christi
geopfert und im Abendmahl genossen werde ^.
weise der allmählichen Umdeutung der theologischen Worte, selbst
wenn sie schon ihrer äusserlichen Wortform nach zu fixen Begriffen
d.i. ter mini technici geworden sind." Das, was hier der katholische Dogmen-
historiker unbefangen einräumt, wird bekanntlich von lutherischen Theologen nicht
zugestanden. Haben wir doch in dem Streit unserer Tage die wunderliche Losung
hören müssen, man solle den Worten ihren ursprünglichen Sinn zurückgeben.
Als ob irgend Jemand noch den alten Prägestock besässe !
* Ganz augustinisch lehrte Beda („in redemptionis memoriam" „corporis san-
guinisque sacramentum" „ad corpus Christi mystice refertur" „ spiritualiter intelle-
gite" „non hoc corpus, quod videtis — Christus inquit — manducaturi estis, sacra-
mentum aHquod vobis commendavi, sj^iritualiter intellectum vivificabit vos" „lavat
nos a peccatis nostris quotidie in sanguine suo, cum beatae passionis ad altare me-
moria replicatur, cum panis et vini creatura in sacramentum carnis et sanguinis
eins ineffabili spiritus sanctificatione transfertur") ; Stellen bei Munter (D. -Gesch.
n, 1 [1834] S. 223 f.). Man sieht aber nun, wie die Auffassung sich schrittweise bis
zur Mitte des 9. Jahrhunderts gewandelt hat. Alcuin wiederholt die Sätze seines
Lehrers; allein theils der Gegensatz zum Concil von 754 (de impio imag. cultu IV,
14: „non sanguinis et corporis dominici mysterium imago iam nunc dicendum est,
sed veritas , non umbra, sed corpus"), theils die Beschäftigung mit der griechischen
Christologie und die Anempfindung an die kirchliche Praxis führten ihn schon zu
Sätzen wie diesen (ep. 36): „profer nomen amici tui eo tempore opportune, quo
panem et vinum in substantiam corporis et sanguinis Christi consecraveris". Richtig
bemerkt Munter (a. a. 0.), dass dies noch nicht gleichbedeutend sei mit „in sub-
stantiam corporis convertere"; aber es kommt ihm doch nahe. Der allgemeine
Sacramentsbogriff ist bei Isidor, Rabanus Maurus, Ratramnus und Paschasius Rad-
bcrtus völlig identisch und so ganz nach Augustiu gebildet, dass man auf die streng
realistische Wendung in der Abendmahlslehre von hier aus nicht gefasst ist.
''' S. Radberti lib. de corp. et sang, domini (831), neue Ausgabe mit einer ep.
ad Carolum 13 Jahre später (Migne CXX p. 1267). Steitz in der R.-Eiicykl. XII
p.474. Rückcrt i. Hilgenfeld's Ztschr. 1858. Bach I S. 156 ff. Reuter I S. 41 ff.
Choisy, Paschase Radbert, Geneve 1888. Hausher, Der hl. Paschasius 1862. Ge-
schichte der Abendmahlsichre von Dieckhoff S. 13 ff. Ebrard, Kahnis u. s.w.
Ebert, Gesch. d. Lit. des Mittelalters IL Mabillon, im 2. u. 3. Th. der Bene-
dictinerannalen. Ratramnus' Werk (de corpore et sanguine domini ad Carolum)
bei Migne CXXI x^. 125. Köhler, Rabanus' Streit mit Paschasius, i. Hilgenfeld's
Ztschr. 1879 S. 116 ff.
278 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karoliagischeu Renaissance.
Paschasius Radbertus ist vielleicht der gelehrteste und tüchtigste
Theologe nach Alcuin gewesen, ein Mann, ebenso bewandert in der
griechischen Theologie wie heimisch im Augusiinismus, ein umfassender
Geist, der den lebendigsten Drang empfand, Theorie und Praxis in Ein-
klang zu bringen und zugleich Alles, was die kirchliche Ueberlieferung
bisher über das Abendmaid gelehrt hatte, zu verwerthen ^ Sein grosses
Werk über das Abendmahl ist die erste kirchliche Mono-
graphie über diesen Gegenstand. Der Inhalt desselben ist ein-
seitig beschrieben, wenn er auf die Formel gebracht wird: Paschasius
lehrte die Transsubstantiation^. Vielmehr liegt die Bedeutung des
Buchs darin, dass hier das Abendmahl hi erschöpfender Weise unter
allen möglichen Gesichtspunkten behandelt und doch eine EinheitHch-
keit hergestellt ist. Paschasius hat in Bezug auf dies Dogma geleistet,
was Origenes einst für die ganze Dogmatik geleistet hat; er ist der
Origenes der katholischen Abendmahlslehre, die durch ihn als Theorie
in den Mittelpunkt gestellt wurde, den sie als Praxis längst schon be-
hauptete. Man kann Paschasius' Lehre nur würdigen, wenn man im
Auge behält, dass an ihr die griechische christologische Mystik, der
augustinische Spiritualismus und — dem Urheber selbst unbewusst —
die fränkische Kirchenpraxis den gleichen Antheil haben. Aber auch
daran muss man sich erinnern, dass der Begriff Gottes als der imer-
gründlichen Allmacht, d. h. der Willkür, der herrschende war. Ohne
diesen Gottesbegriff wäre es nie zur Transsubstantiationslehre ge-
kommen ^.
Zunächst hat Paschasius die augustinische Lehre aufs kräftigste
ausgeprägt, nicht als ein ihm Fremdes, sondern als ein innerlich Ange-
eignetes *. Das Sacrament ist eine geistliche Speise für den Glauben,
* Bedeutend ist auch Radbert's AVerk de fide, spe et caritate, weil es mehr
Sinn für die Auffassung der Religionslehrc als eines Ganzen zeigt, als mau in dieser
Zeit erwartet.
''* Choisy sucht zu zeigen, dass Paschasius der Vater des katholischen Dogmas
sogar bis zur mauducatio iufidelium gewesen, und dass die spirituelle Ausprägung des
Abendmahlsdogmas bei ihm nur Schein ist, sofern letztlich Alles vom groben Rea-
lismus beherrscht sei.
^ Man vgl. die höchst charakteristische Einleitung Radbert's zu seiner Schrift :
er handelt von dem allmächtigen Willen Gottes als Grund aller Naturvorgänge.
Gottes AVillkür ist die letzte Ursache; darum kann man seine Thaten sowohl wider-
natürlich als natürlich nennen (das Letztere, weil auch der regelmässige Verlauf
der Dinge unter der göttlichen Willkür steht). Auf diesen Gottesbegriff wird aus-
drücklich das neue Dogma begründet. Bekanntlich kann man aus ihm Alles ableiten,
die Prädestination, die Accommodation, die Transsubstantiation, u.s.w. Nach Rad-
bert ist das Abendmahl das Wunder der Wunder, auf die alle Anderen zielen; s. 1, 6.
* Radbert polemisirt ausdrücklich gegen die kapernaitische, massive Auf-
Paschasius Radbertus. 279
Christi Fleisch essen heisst in Christus sein und bleiben. Dem Glauben
ist die Handlung gegeben, und der Glaube soll durch sie angeregt wer-
den. Der Glaube bezieht sich aber stets auf Unsichtbares^ so kann auch
das Sacrament seinem Innersten nach nur von dem in die unsichtbare
A\^elt entrückten Glauben empfangen werden. Christus, die Seele, der
Glaube, der Himmel, das Sacrament gehören zusammen — das leibliche
x4.uge muss bei der Handlung überall von dem Sinnlichen hinweg auf
das dahinter liegende Himmlische sehen. Darum ist das Mahl das Mahl
der Heiligen, der Erwählten. Nur wer zu Christus gehört, Glied an
seinem Leibe ist, geniesst die Speise würdig, ja er allein geniesst die
Glaubensspeise wirklich. Die Ungläubigen erhalten das Sacrament,
aber nicht die virtus sacramenti. Schon bei Augustin aber ist die Unter-
scheidung zwischen diesen beiden Begriffen so getroffen, dass virtus
sacramenti bald lediglich die Heilswirksamkeit, bald das wunderbare
Wesen der hl. Speise selbst bezeichnet, so dass in jenem Fall ipsum
sacramentum die Totalität der Handlung ohne die ihr entsprechende
Wirkung, in diesem lediglich ein weiter nicht definirbares Objectives
bedeutet. Wie Augustin, so bevorzugt auch Radbert die letztere Fas-
sung. Die virtus sacramenti als Glaubensspeise und Incorporation in
den Leib Christi empfängt nur der Gläubige — eine manducatio infide-
lium giebt es nicht — ; das Fleisch Christi als Inhalt des Sacraments
ist ausserhalb des Glaubens nicht vorhanden. Der Ungläubige empfängt
zwar das Sacrament (was das ist, ist undefinirbar), aber zum Gericht;
denn ohne die virtus sacramenti ist das Sacrament ad iudicium dam-
nationis '.
Neben diesem Augustinismus tritt bei der Schilderung der Wir-
kungen der hl. Speise ein griechisches Element stark hervor ; denn der
fassung vom Genuss beim Abendmahl ; er ^vill sich die ^robsinnlichen Vorstellungen
nicht aneignen, wie sie in weitesten Kreisen (s. Bach I 167 ff.) verbreitet waren,
8. de corp. et sang, 8, 2. Expos, in Mtth. 1. XII, 26. AVirklichkeit im gemeinen
Sinn ist für Radbert „natura" ; er sagt aber nie, dass die Elemente uaturaliter ver-
wandelt werden. Daher wird auch der Leib Christi nicht verdaut (20, 2).
* 8. bes. das 8. Cap., al^er auch 5 — 7. 14. 21. Durch das ganze Buch zieht sich
diese geistige Auffassung, aufweiche Stcitz (a. a. O.) mit Recht Gewicht gelegt
hat. AVenn aber Radbert den im Abendmahl präsenten Leib geradezu ein corpus
spiritale nennt, so meint er das nicht im Gegensatz zu naturale, sondern zur niederen,
an den Raum gebundenen Leiblichkeit (caro humana). C. 21, 5: „Non nisi electo-
rum cibus est." 6, 2: „Quid est, (juod manducant homines? Ecce onincs indifferenter
quam saope sacramenta ultaris percipiunt. l*ercipiunt plane, sed alius carnem Christi
spiritaliter mauducat et sanguinem bibit, alius vero non, quamvis buccellam de manu
sacerdotis videatur percipere. Et quid accipit, cum una sit consecratio, si
corpus et sang. Chr. non accipit? Vcre, quia rcus indigne accipit, iudicium sibi
manducat."
280 fieschichte des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
höchste Nachdruck wird darauf gelegt (neben der Incorporation in
Christus und der Vergebung der leichten Sünden), dass unsere Seele
und unser Leib durch diese Speise zur Unsterblichkeit genährt
werden. Die Zusammenstellung, dass dies durch die Taufe, das
Abendmahl und die hl. Schriften (c. 1, 4) geschieht, ist abend-
ländisch; aber die dann nur beim Abendmahl stark hervorgehobene
Zweckbeziehung „ut etiam caro nostra per hoc ad immortalitatem et
incorruptionem reparetur", ist griechisch. Ja Radbert sagt sogar um-
gekehrt: „carni nostrae caro Christi spiritaliter conviscerata transfor-
matur" '. Aber er ist nun mit den Griechen (Cyrill und Joh. Damas-
cenus) noch weiter gegangen. Er hat von ihnen gelernt, dass, obgleich
hier eine Handlung für den Glauben allein vorliegt, doch die Realität
des Leibes Christi vorliegt'^. Diese Annahme war den Griechen da-
durch erleichtert, ja geboten, dass nach ihnen der historische Leib Christi
vom Moment der Menschwerdung ab selbst pneumatisch gewesen ist.
Obgleich sie nun (Joh. Damascenus) die Gleichung vollzogen und eine
wirkliche Präsenz des Leibes Christi im Sacrament annahmen, so blieb
doch bei ihnen ein geheimes Schwanken wach, weil sie über die Schwierig-
keit nicht hinwegkamen, der einmal in den Himmel aufgenommene
Leib kehre von dort nicht wieder zurück. Daher überUessen sie die
Art des AVunders (der sacramentalen Transformation und Assump-
tion) dem „Geheimniss". Hier setzte nun Radbert, zugleich bestimmt
durch die vulgäre Anschauung und die Gewissheit des Rechts der kirch-
lichen Praxis, ein. Er spricht es zum ersten Mal in der Kirche
ohne Schwanken aus: der sacramentale Leib ist der von
Maria geborene, und zwar geschieht das durch eine Ver-
wandelung, die nur das Sinnfällige unverwandelt lässt. Das
ist ein Wunder contra naturam (resp. quasi contra naturam; denn diese
beruht stets auf der voluntas dei) ; allein eben desshalb ist es zu glauben,
denn man denkt über den Gott, der Alles kann, nur würdig, w^enn man
ihn als die Macht der Mirakel anerkennt. Was er hier thut, ist wunder-
bares Schaffen, bewirkt, wie immer, durch das Wort, hier durch das
Einsetzungswort, ^velches nicht der Priester spricht, sondern welches
jedesmal Gott durch sein e\viges Wort (Christus) spricht, so dass der
Priester nur die Aufforderung an Gott ergehen lässt. Diese jedesmahge
Schöpfimg Gottes steht in genauester Pai^allele zur Menschwerdung.
* S. c. 11 und 19, 1 : „Non sicut quidam volunt anima sola hoc mysterio pas-
citur, quia non sola redimitur morte Christi et salvatur, verum etiam et caro nostra
etc. etc." „nos per hoc in incorruptionem transformamur" (also wie bei Justin);
derselbe Gedanke schon 1, 4. 6.
^ „Spiritale" und „verum" schliessen sich also nicht aus.
Paschasius Radbertus. . 281
Dem hl. Geist entspricht das Wort Christi , dem Schoss der Jungfrau
die Elemente, der Effect ist derselbe. Der sacramentale Leib ist der
historische^ natürlich auch der historisch-verklärte ; denn auf dem Stand-
punkt Cyrill's ist die Verklärung des Leibes in resurrectione doch nur
die M anif e s t at i 0 n der Eigenschaften, welche der Leib stets besessen
hat ^ Zur Erklärung des Auffallenden, dass sich die Verwandelung
nicht sinnenfälhg vollzieht, hat Radbert schon eine Reihe von Gründen
zur Hand (es wäre unnöthig, anstössig^, geschähe übrigens doch manch-
mal) ^. Der wichtigste ist, dass — die Handlung ein Mysterium bleiben
muss, welches eben nur dem Glauben gegeben ist. Auf diese Wendung
ist man am wenigsten vorbereitet, und doch ist sie dem Radbert sehr
wichtig. Das Abendmahl setzt sich stets den Glauben voraus und will
den vorhandenen anregen, zum unverhüllten Christus, der nicht tägUch
geopfert wird, vorzudringen. Daher kann das Sacrament kein offenes
Wunder sein, sondern ist ein verhülltes Wunder. Desshalb muss man
aber auch die Elemente, sofern sie nicht sinnenfällig verwandelt sind
(Farbe, Geruch, Geschmack bleiben), als Symbole des Leibes Christi
betrachten, von denen aus der Glaube zu dem geheimnissvoll, aber wirk-
^ C. 1, 2: ^NuUus moveatur de hoc corpore Christi et sanguine, quod in
mysterio vera sit caro et verus sit sanguis, dum sie voluit ille qui
creavit: omnia enim quaecumque voluit fecit in caelo et in terra, et quia voluit,
licet in figura panis et vini, haec sie esse, omnino nihil aliud quam caro Christi et
sanguis post consecrationem credenda sunt. Unde ipsa veritas ad discipulos : Haec,
inquit, caro mea est pro mundi vita, et ut mirabilius loquar, non alia plane
quam quae nata est de Maria et passa in cruce et resurrexit de sepulcro." Dazu
7, 2: „corpus quod natum est de Maria virgine . . . resurrexit a mortuis, penetravit
coelos et nunc pontifex factus in aeternum quotidie interpellat pro
nobis." 12, 1: „ubi catholica fide hoc mysterium celebratur, nihil a bono malus
nihilque a malo minus percipi sacerdote, nihilque aliud quam caro Christi et sanguis,
dum catholice consccratur, quia non in merito consecrantis sedinverbo
efficitur creatoris et virtute spiritus s., ut caro Chr. et sanguis, non alia
quam quae de spiritu s. creata est, vera fide credatur et spiritali intellegentia degu-
stetur . . . Christus est qui per s. s. hanc suam cfficit camem." cf. 15, 1: „non
aestimandum est, quod alterius verbis, quod uUius alterius meritis, quod potestate
alicuius ista fiant, sed verbo creatoris, quo cuncta creata sunt." 8, 2: „Substantia
panis et vini in Christi carncm etsanguinem efficaciter interius commutatur."
2, 2: „Sensibilis res intellegibiliter virtute dei per verbum Christi in carnem ipsius
divinitus transfertur."
* 8. c. 10 und 13 und besonders 4, 1 : „quia Christum vorari fas dentibus non
est, voluit in mysterio hunc panem et virium vere carnem suam et sanguinem con-
sccrationc sjjiritus s. ijotentialiter (i. c. efficaciter) creari, creando vero quotidie pro
mundi vita mystico immolari."
" 8. c. 14; dazu Bach IS. 168 ff. Ein Lamm oder wirkliches Blut oder das
Christkind erscheint.
282 Geschichte des Dogmas iu der Zeit der karolingischeu Renaissance.
lieh geschaftenen Heilsgut vordringt. JJer sin neu fällige Schein
der consecrirtcn Elemente ist dasHymbol desLeibesChristi,
das Wesen derselben ist der wahrhaftige historische Leib
selbst'.
Man sieht leicht, dass in dieser AVendung die Brücke zur au-
gustinischen Anschauung zurück gefunden ist. Paschasius wollte eben
in seiner Abcndniahlslehre Beides vereinigen und hat es vereinigt : die
augustinische These, die Sacraniente sind dem Glauben gegeben und
Alles wird in ihnen geistlich gehandelt, und die griechische These, die
ihm auch durch den Buchstaben der Schrift, durch die Väter und durch
einige Mirakel empfohlen schien, dass es sich um eine vor allem
Glauben bestehende Realität handle, da nur der w^ahrhaftige Leib
und das wirklich vergossene Blut des historischen Christus uns er-
lösen können, und da wir der körperlichen Einwohnung Christi
bedürfen. Beiden Erwägungen schien durch die Annahme gedient,
dass es sich um eine mirakulöse Schöpfung des Leibes
Christi in den Elementen handle, die aber so bewirkt
werde, dass nur der Glaube sich von dem noch bestehen-
den Schein, der blossen figura corporis, zu der Er-
fassung der himmlischen Realität zu erheben vermag.
Die voluminösen Bücher, welche nachmals Katholiken und Luthe-
raner über das Abendmahl geschrieben haben, beweisen, dass die
Theorie Radbert's eine Perspective auf hundert Fragen eröffnete, die
er nicht gelöst, ja nicht einmal aufgeworfen hat. Wie er den
Priester bei dem Sacrament behandelt hat, erschien ungenügend;
seine kurzen Ausführungen über das Geschaffenwerden des Leibes
^ Hier spricht Radbert wie Ratramnus; s. 1, 5: „visu corporeo et giistii prop-
terea uon demutautur, quatenus fides exerceatur ad iustitiam." 13, 1. 2: „quod
colorem aut saporem carnis minime pi'aebet, 'virtus tarnen fidei et intellegeutiae,
quae nihil de Christo dnbitat, totum illud spiritaliter sapit et degustat .... Sic debuit
hoc mysterium temperari, ut et arcana secretorum celarentur infidis etmeritum
cresceret de virtute fidei et nihil deesset intcrius vere credentibus promissae veri-
tatis." Ja die Verhüllung ist Anreizung zu höherem Streben (wie bei den Griechen) :
.,insuper et quod malus est per haec secrctius praestita ad illam tenderent speciem
satietatis, ubi iam non pro peccatis nostris quotidie Christus im-
molabitur, sed satietate manifestationis eins sine ulla corruptione omnes sine tiue
fruemur." (Man glaubt Origenes oder Gregor von Nyssa hier zu hören). Ueber figura
und veritas s. 4, 1 : „. . . ut, sicut de virgiue per spiritum vera caro sine coitu creatur,
ita per euudem ex substantia panis ac vini mystice idem Christi
corpus et sanguis consecretur . . . . figura videtur esse cum frangitur, dum
in specie visibili aliud intelligitur quam quod visu carnis et gustu sentitur.
Veritas appellatur, dum corpus Christi et sanguis virtute spiritus iu verbo ipsius
ex panis vinique substantia efficitur."
Paschasius Radbertus. Ratramnus/ 283
gaben noch keine Sicherheit über die Identität des himmhschen und
des sacramentalen Christus; die Verhältnissbestimmung des nicht
convertirten Sinnenfälhgen zu dem Couvertirten fehlte noch; als man
sie begann, musste dem gebildeten Theologen dabei nicht weniger als
die ganze Philosophie einfallen ; das Recht der symbolischen Be-
trachtung musste abgegrenzt und damit sacramentum, symbolum,
virtus, res und wiederum die abgestuften und doch identischen Leiber
Christi (der historische auf Erden, der verklärte im Himmel, der
sacramentale auf Erden, der Leib als Kirche im Himmel und auf
Erden) als ein ineinander laufendes Geschiebe gleichsam geologisch
bestimmt werden. „Ein Abgrund rief hier den anderen"; indem in
der Folgezeit die verständigsten Menschen diesem Kufen Gehör
schenkten und dabei sonst verständig blieben, bewiesen sie, dass die
absurdesten Speculationen auf dem Gebiet der Religion die ganze
Vernunft nicht nothwendig krank machen ^.
Aber das Merkwürdigste an der grundlegenden Theorie Rad-
bert's ist, dass er auf die Messe, ja auf den Kreuzestod Christi nicht
in erster Linie Rücksicht genommen, resp. die Consequenzen, die
sich nun ergaben, nicht sämmtlich gezogen hat. Radbert ist nicht
der Theologe der katholischen Messe. Incarnation und Abend-
mahl hängen für ihn, wie es scheint, inniger zusammen, als der Opfer -
tod Christi und das Abendmahlsdogma. Hierin zeigt sich, dass
Radbert Schüler der Griechen gewesen ist, dass er wirklich Theologe
war und sein Interesse nicht primär an dem kirchlichen Bussinstitut
und an den mit ihm verbundenen Messgottesdiensten hing 2.
Nur Rabanus ^ und Ratramnus haben ihm widersprochen. Der
Widerspruch ist, logisch genommen, so unklar, wie in dem Streit
de partu virginis. AVie dort Ratramnus lehrte, das Natürliche ist
durch ein Wunder geschehen, Radbert dagegen, es ist etwas Wider-
natürliches geschehen, so lehrten auch hier Rabanus und vor Allem
Ratramnus, das äusserliche Mirakel (contra naturam), dass im Abend-
mahl der geborene, gestorbene und auferstandene Leib mitgetheilt
werde, finde nicht statt, wohl aber werde der wahre Leib durch die
* Die Lehre vou der wahrliaftigon Conversion der Elemente im Abendland
ist als Import aus dem Morj^cnland zu betrachten und hängt mit der antiadoptiaui-
scheu Wondung der Christologie eng zusammen. Aber erst im Abendland hat sich
dann das juristische Denken und die Dialektik auf diesen Gegenstand geworfen und
eine complicirte, niemals abgeschlossene Lehre von unendlichem Umfang erzeugt.
^ Nicht ])rimär; denn er denkt allerdings mehr als einmal in seinem Werk
an die Messe und zieht die Consequenz des täglichen Opfers des Leibes Christi pro
peccatis; s. L3, 2; 4, 1 u. a. a. St.
' Ep. ad Eigil. Migne CXII p. 1510.
284 Cieschichte des Dogmas in der Zeit der karoliugischen Renaissance.
Consecration des hl. Geistes potentialiter (wirksam) j]jeschaffen, je-
doch in mysterio K AiisführUch geht llatraniniis auf das Prohlem
ein, welches ihm sein König gestellt hat, oh das, was mit dem Munde
der Gläuhigen genonnnen werde, im Mysterium oder in Wirkhchkeit
Ijeih Christi sei. Er formulirt selbst aus der Frage des Königs zwei
Fragen, ob der kultische Genuss des Leibes Christi eine Handlung
in mysterio oder in veritate sei, und ob der sacramentale Leib mit
dem geschichtlichen identisch sei, der jetzt zur Rechten des Vaters
ist''*. Er antwortet auf die zweite Frage, dass das, was consecrirt
auf dem Altare liegt, keineswegs jener geschichtliche Leib ist, son-
dern nur das Mysterium des Leibes, wie auch das Mysterium der
Gemeinde. In Bezug auf den geschiclitlichen Leib sind die con-
secrirten Elemente also nur figura, daher Erinnerungsmittel für dieses
irdische Leben, da wir noch nicht schauen können, was wir glauben ^.
* Ratramiius und Rabanus stehen sich näher, als man das landläufig annimmt •,
aber Bach (I S. 191 ff.) irrt, wenn er nach dem Vorgang anderer Katholiken durch
Interpretation des Sprachgebrauchs des Ratramnus diesen gut katholisch machen
will. Auch nach Ratramnus findet ein AVunder statt; aber nicht das AVunder,
welches den Leib, den Christus als Person an sich trägt, herbeizaubert.
'^ S. den Eingang der Schrift.
' Unter Anknüpfung an Ambrosius schreibt erc. 75 sq: „De carne Christi quae
crucifixa et sepulta est, ait, »Vera utique caro Christi est«. At de illo quod sumitur
in sacramento dicit, » Verae carnis iUius sacramentum est«, distinguenssacramentum
carnis a veritate carnis. Veritas carnis quam sumpsit de virgine ; quod vero nunc
agitur in ecclesia mysterium, verae illius carnis . , . sacramentum . . . non est specie
caro, sed sacramentum, siquidem in specie panis est, in sacramento vero verum
Christi corpus . . . (elementa) secundum quod spirituaHter vitae substantiam sub-
ministrant corpus et sanguis Christi sunt. Illud vero corpus, in quo semel
passus est Christus, non aliam speciem praeferebat quam in qua consistebat;
hoc enim erat vere quod esse videbatur; . . . atnunc sanguis Christi quem credentes
ebibunt et corpus quod comedunt, aliud sunt in specie et aliud in signi-
ficati one , aliud quod pascunt corpus esca corporea et aliud quod saginant mentes
aeternae vitae substantia . . . aliud igitur est, quod exterius geritur, aliud item quod
per fidem capitur; ad sensum corporis quod pertinet, corruptibile (das hat Radbert
auch gesagt) est, quod fides vero capit, incorruptibile. Exterius igitur quod apparet
non est res, sed imago rei, mente vero quod sentitur et intelligitur, veritas rei." Auch
dem letzten Satz kann man einen radbertischen Sinn geben; allein diese Möglich-
keit hört auf, wo Ratramnus — und das geschieht oft — die ganze Handlung (und
ihm kommt es überhaupt auf die Handlung an) als „figura", „in figuram sive
memoriam dominicae mortis" „repraesentatio memoriae dominicae passionis",
ferner als pignus bezeichnet (s. c. 10. 11. 16: „figurate facta"; c. 88: „corpus et
sanguis quod in ecclesia geritur, differt ab illo corpore et sanguine quod in Christi
corpore iam glorificatum cognoscitur; et hoc corpus pignus est et species, illud vero
ipsa veritas. Hoc enim geretur, donec ad illud perveniatur; ubi vero ad illud per-
ventum fuerit hoc removebitur". Sie hört vollends auf, wo er die permutatio corpo-
ralis strict ablehnt und Alles auf ein Erinnerungsmahl reducirt; c. 12: „et quomodo
Ratramnus. • 285
Allein dennoch erhalten die Gläubigen den Leib und das Blut
Christi bei dieser Handlung; denn der Glaube empfängt nicht, was
er sieht, sondern was er glaubt. Also ist in dem Abendmahl für
den Glauben der Leib Christi in unsichtbarer Wirklich-
keit vorhanden als wirkliche Speise der Seele ^ Die höchst
unklaren und wenigstens scheinbar sich widersprechenden Sätze des
Ratramnus machen es schwer, seinen Sinn richtig zu treffen. Jeden-
falls hat er keine bloss symbolische Auffassung gelehrt. Wenn man
darauf achtet, was er vor Allem will und was er nicht will, so wird
man am sichersten ihm gerecht werden. Yor Allem will er die ab-
solute Nothwendigkeit des Glaubens bei der ganzen Handlung be-
tonen und constatiren, dass das Sacrament dem Glauben gehöre, für
ihn allein da sei u. s. w. ^. Hierin trifft er vollständig mit E-adbert
zusammen, der dasselbe Interesse in gleicher Stärke hatte. Aber in
dem, was er nicht will, unterscheidet er sich zu seinem Yortheil von
E-adbert: er will, da Alles dem Glauben gegeben ist, die
gemeine Realität nicht anerkennen, weil ihr gegenüber der
Glaube und der Unglaube indifferent sind. Dem Ratramnus ist veritas
das concreto sinnenfällige Sein; eben darum sind ihm „sub figura"
und „in veritate" sich ausschliessende Gegensätze. Der Glaube hat
seine eigenen Reahtäten, die wirklich sind, aber nur ihm aufgehen;
sie bezeichnet Ratramnus — missverständUch — als „sub figura", weil
sie durch sinnenfällige Realitäten abgebildet werden resp., besser, hin-
iam Christi corpus dicitur, in quo nulla permutatio facta cognoscitur?" c. 15:
„dicant, secundum quod permutata sunt-, corporaliter namque nihil in eis cernitur
esse permutatum (hier entschuldigen ihn die Katholiken so, er habe die Conversion
in einen grob realistischen Leib ablehnen wollen). Fatebuntur igitur necesse est
aut mutata esse secundum aliud quam secundam corpus, ac per hoc non esse hoc
quod in veritate videntur, sed aliud quod non esse secundum propriam essentiam
cemuntur. Aut si hoc profiteri noluerint, negare corpus esse sanguinemque Christi,
quod nefas est non solum dicere verum etiam cogitare." C. 100: „iste panis et
sanguis qui super altare ponuntur, in figuram sive memoriam dominicac mortis
I>onuntur, ut quod gestum est in praeterito, praesenti rcvocet (dominus) memoriae,
ut illius jjassionis memores effecti, per cam efficiamur divini muneris consortes."
* C. 101 : „fides non quod oculus videt sed quod credit accipit, quoniam spiri-
tualis est esca et spiritualis potus, spiritualiter animam pascens et aetcrnac satietatis
vitam tribuons, sicut ipso salvator mystcrium hoc commcndans loquitur : Spiritus est
(jui vivificat." C. 49: Nach der invisibilis substantia wird im Abendmahl wahrer
Leib Christi ausgetheilt und zwar weil die invisibilis substantia gleich ist der poten-
tia divini verbi. Viele ähnliche Stellen auch sonst.
'^ C. 1 1 : „Nam si secundum quosdam figurato hie nihil accipitur, sed totum in
veritate cons[)icitur, nihil hie fides operatur, quoniam nihil spiritale
geritur . . . nee iam mysterium erit, in quo nihil secreti, nihil abditi
conti nebitur."
28f> (resohiohte tlea Do^masin der Zeit der karolingischen Renaissance.
ter ihnen ruhen. Radhert dagegen glaubte^ gerade als Augustiner, ge-
nüthigt zu sein, veritas als Realität überhaupt fassen zu müssen; daher
sind ihm „sub figura" und „inveritate" keine Gegensätze, da die Inmm-
lischen Realitäten als irdisch erscheinende auch nach ihm sub figura
erscheinen müssen. Allein darin ist Ratram nus dem Rad-
bert als CMirist überlegen , dass er die Präsenz des Himm-
lischen im Irdischen sich nicht als ein Mirakel contra
naturam denkt, d. h. einem anderen Gottesbegriff folgt wie dieser '.
Die Geheimnisse des Glaubens kommen zu Stande, nicht durch ein
fortwährendes Durchbrechen des Naturzusammenhangs, sondern sie
ruhen als eine vom hl. Geist durch waltete Welt hinter der Welt der
Erscheinungen, und das, was im Abendmahl geschieht^ fällt nicht
durch ein besonderes Mirakel aus dem Wirken, wie es z. B. in der
Taufe geschieht, heraus (c. 17. 25. 26). Mit einem Wort: Ratram-
nus will das Geheimniss des Abendmahls eingeordnet wissen in
die Weise der sonstigen Heilswirksamkeit Gottes durch Taufe und
Wort, weil er als Augustiner und als Ohrist vor dem brutalen Mirakel
eine Scheu hat (Gottesbegriff), und weil er fürchtet, dass sonst dem
Glauben nichts übrig bleibe.
Hierin besteht die Bedeutung des Ratramnus. Aber es ist frag-
lich, ob der gelehrte König, für den er geschrieben, durch das Buch
klüger geworden ist ; denn nicht nur in der Terminologie ist Ratram-
nus verworren, sondern auch in der Sache, weil er den Ge-
danken doch nicht aufgeben will, dass die Wirksamkeit
des Sacraments eine objective ist, woraus immer folgt, dass
die Wunderwirksamkeit nicht in die Empfänger, sondern in die
Mittel fällt. So finden sich denn auch zahlreiche Ausführungen bei
ihm, in denen er wie Radbert spricht: das Brot wird durch den
Dienst des Priesters zum Leib Christi, ja es wird verwandelt '^. Die
Parallele, die er durchführen will, mit dem Taufwasser, wagt er doch
nicht consequent zu verfolgen; denn die Worte „Leib und Blut
Christi" sind auch ihm zu mächtig. Sünde ist es, zu leugnen, dass
die consecrirten Elemente Leib Christi seien ^. So lässt sich der
Unterschied zwischen Radbert und Ratramnus auf die Formel bringen:
Jener hat offen und bewusst den augustinischen Spiritualismus in
die realistische Auffassung übergeführt und das auf einen deutlichen
^ Ratramnus denkt stets an den Gott, der den (xlauhen erweckt und ernährt.
- C. 16 wird eine commutatio gelehrt, „sed non eorporaliter sed spiritualiter
facta est . . . spiritualiter sub velamento corporei panis . . . corpus et sanguis Christi
existunt."
8 S. c. 15.
Ratramnus. Die Messe. 287
Ausdruck gebracht, was die Kirche glaubte. Dieser hat den vollen
Spiritualismus im Interesse eines höheren Gottesbegriffs und im
Interesse des Glaubens aufrechtzuerhalten versucht, war aber
nicht im Stande, ihn rein durchzuführen, weil er selbst viel zu sehr
unter dem Eindruck der Formel stand. Er spricht desshalb nur
dort klar, wo er das Mirakel ablehnt K Die Zukunft gehörte dem
Radbert ^; ja das Buch des Ratramnus hat, wie es scheint, nicht ein-
mal Aufsehen erregt, erlebte dann aber in der Folgezeit bis heute
die seltsamste Geschichte ^.
Die Lehre, wie sie Radbert ausgesprochen, zukünftigen Gelehrten
eine Pandorabüchse der Probleme, war den Einfältigen höchst ver-
ständlich. Sicherer vermag sich kein Dogma durchzusetzen, als wenn
es diese beiden Eigenschaften besitzt. Seine Anwendung erhielt es vor
Allem in der Messe. Der Gedanke des wiederholten Opfertodes Christi,
längst schon erdacht, war jetzt ebenso sichergestellt, wie der der sich
wiederholenden assumptio carnis. Was konnte nun noch an die Messe
heranreichen? Man brauchte den alten AVortlaut der Messgebete
nicht zu ändern, die noch immer, wenn sie von dem Opfer handelten,
das Opfer des Lobes betonten ; denn wer merkte auf die Worte ? Die
Messe als Opferhandlung, in der das denkbar Heiligste Gott darge-
bracht wurde, hatte aber ihre Spitze schon lange nicht mehr am Ge-
nuss, sondern an dem sündentilgendcn und Ilebel wegschaffenden Voll-
zug. Sie war in das grosse Entsühnungsinstitut aufgenommen. Hierüber
sind noch einige Bemerkungen nöthig; obgleich dogmatische Actionen
nicht stattgefunden haben.
Schon die häufige Wiederholung der Messe (in einer und der-
selben Kirche) und der blosse Vollzug derselben (ohne Communication)
zeigt, dass diese Handlung nicht sowohl auf die Gemeinde, als auf Gott
abzielt: Gott soll besänftigt werden. Das uralte Element der
Commemoration der Feiernden hatte besonders seit den Tagen Gre-
gor's I. sich sclliständig gemacht und die Communication gleichsam in
eine zweite Feier verwandelt. Auch entsprach die Praxis, dass die
Laien zuschauten, die Priester genossen, die Laien nur passiv (als
die, für welche die Handlung vollzogen wurde) Anthcil nahmen, die
Priester handelten, der zumal bei den gormanischen Völkern herrschen-
* Ratramnus hat die Elemente der Zwin^li'schen und Calvin'schen Lehre. Dazu
nimmt er in Bezug auf die unsichtbare Substanz die Identität des eucliarirjtischen
und hisforifichr^n Leibes an oder will sie doch nicht aiifi^e])en.
'' Er vertheidigte sich ad Mtth. 26, 20 ^cscliickt gegen Ratramnus, den er
übrigens nicht nennt.
»Bach TS. 191 ff.
288 Geschichte des Doprmas in der Zeit der karolingischon Renaissance.
den Anschauung, dass die Laien Christen zweiter Ordnung seien, und
dass für sie der Abendmahlsgenuss mit schweifen Gefahren verbunden
sei. Die heilige Handlung gehörte den Laien, sofern sie
eine besonders wirksame Form der Fürbitte der Kirche
zur Erleichterung der Sünden strafen darstellte.
Die Messe stand damit in dem Entsühnungsinstitut der Kirche ;
für die Laien war aber die Kirche wesentlich Taufanstalt und Institut
für die nach der Taufe nothwendige Reconciliation. Um dieses und den
ungeheuren Umfang und Werth, welchen die Beichtpraxis im Abend-
land genommen hat, zu verstehen, hat man folgende Momente ins Auge
zu fassen.
1 . Der herrschende Gottesbegriff war der der allmächtigen
Willkür, der Vergeltung und der N a c h 1 a s s u n g. In
diesen Vorstellungen war Gott wirklich für die Gegenwart lebendig,
und nach ihnen richtete sich die Denkweise und Praxis der gebildeten
Theologen und der Laien. Der verborgene Gott ist darin offenbar,
dass er keine Sünde ungesühnt lässt ; er ist aber desshalb der barm-
herzige Gott, weil er Nachlassungen gewährt (durch Vermittelungen
himmlischer Personen und der Kirche), die freilich nicht aus dem
Rahmen, dass Alles gesühnt oder bestraft werden muss, herausfallen.
Dieser Gottesbegriff war bereits perfect, als die Kirche
in das germanische Volksleben eindrang. Er ist also nicht
als germanische Modification zu betrachten, sondern als eine dem
lateinischen Geiste entsprechende und aus ihm entsprungene Auffassung.
Das bezeugen Cyprian und Gregor I. Aber wie dieser Gottesbegriff
sich leicht mit germanischen Rechtsvorstellungen verbinden konnte, so
war er auch wohl geeignet, rohe Völker zu erziehen. Längst war auf
rein lateinischem Boden festgestellt, dass keine Sünde nach der Taufe
einfach vergeben wird, sondern dass die paenitentia legitima, resp. die
satisfactio congrua, die nothwendige Voraussetzung der Nachlassung
bilde. Gemäss dem strengen Rechtsbewusstsein und Pflichtgefühl, wel-
ches die lateinische Kirche vor der griechischen auszeichnete, wurde von
Kirchen wegen auf die Sünden der Kirchenglieder überhaupt mehr ge-
achtet, und gemäss der Ueberzeugung, dass sich in den Sünden Con-
tractbrüche resp. Beleidigungen von grösserer oder geringerer Schwere
darstellen, wurde seit der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunders fort und
fort an der Codification der paenitentia legitima, resp. an der JVIass-
bestimmung der Satisfactionen, gearbeitet. Das Alles geschah ohne
germanischen Einfluss.
2. Da dies System ursprünglich für die öffentliche, vor der Ge-
meinde zu leistende Busse behufs Reconciliation ausgearbeitet wai*
Das Bussinstitut. • 289
und sich somit auf öffentliche grobe Sünden bezog (für die in der
Regel auch nur eine einmahge Busse möglich war), so erlitt dasselbe
einen schweren Stoss, als die ganze Gesellschaft christHch geworden
war, die Obrigkeit aus Christen bestand und diese grobe Vergehen
verschiedener Art — auch solche, die der Staat früher nicht geahndet
hatte — bestrafte. Im Orient brach das ganze alte Bussinstitut zu-
sammen. Auch im Occident hörte es nun in der alten Form fast
ganz auf, sofern der Bereich der peccata publica, welche die Kirche
allein bestrafte, ein immer geringerer wurde ^. Allein in den ger-
manischen Reichen, wo die Kirche nicht zur Kultusanstalt im Staat
herabsank, sondern lange Zeit als lateinische Institution mit ihrem
alten römischen Recht neben dem Staat einherging und als eine uni-
versale Macht die Völker erzog, verzichtete sie nicht auf ihre Buss-
ordnungen, die zudem dem germanischen Geiste entgegenkamen. Aber
freilich war auch hier eine Wandelung nöthig, an der der Widerwille
der Germanen gegen öffenthche Demüthigungen vielleicht ebenso be-
theihgt gewesen ist, wie die Angst vor dem Fegefeuer und die Ten-
denz der Kirche, die Ordnungen ihrer Mönchskaste überall durch-
zusetzen, resp. die Weltgeistlichkeit und zuletzt auch die Laien zu
monachisiren. Es entstand dadurch eine Vertiefung des Sündenbe-
griffs, sofern an die Stelle der alten Todsünden neue Sünden, näm-
lich die „Sündenwurzeln" selbst, rückten; aber es entstand insofern
zugleich eine furchtbare Veräusserlichung des Sündenbegriffs, als die
„Satisfactionen", die bei grossen Thatsünden erträghcher sind, nun
auch auf diese „Sündenwurzeln" (Völlerei, Hurerei, Habsucht, Zorn,
Verstimmung, Angst und Widerwille des Herzens, Aufgeblasenheit,
Stolz) Anwendung fanden. Vor Allem aber war das Eingreifen der
Kirche in alle Verhältnisse des Privatlebens hier die Folge. In einer
ganz neuen Weise kehrte das zurück, was einst in der Urzeit die
Regel gewesen war, dass nämlich das private Leben des Einzelnen
unter der Controle der Kirche stand. Allein dort war es die Gemeinde
der Brüder, die wie eine Familie zusammenlebte und in der Jeder
das Gewissen des Anderen war; hier beherrschte ein Institut und
ein Stand die unmündige Gemeinde, hielt sie wohl von dem Aeussersten
zurück, aber fälschte, da man doch nicht im Stande war, das Leben
des Einzelnen in der Masse wirklich zu controliren, durch Aufregungen
und Beschwichtigungen, durch eine vielfach raffinirte Moral (Fasten-
und Ehegesetzgebung) und durch höchst äusserliche Satisfactions-
' Stralto der Staat, z. J>. boi Mord und l)ie))stalil, so crgaJxvn sich die kirch-
lichf'Ti ConBequenz(!n in der Regel ohne Weiteres,
Hfiinafk, fJo(<meTi(?ftBchiohff* III. jg
290 Geschiclite des Dogmas iu der Zeit der karolingischen Renaissance.
Vorschriften die Gewissen. Der llebergang zur neuen Praxis vollzog
sich so, tlass die Laien selbst in steigendem Masse die Fürbitte der
Kirche verlangten (Messe lesen, HeiHgenanrufungen u. s. w.), da man
ihnen immerfort gepredigt hatte, sie seien ein sündiges Volk, welches
sich Gott nicht nahen könne •, die Priester hätten die Schlüssel, und
die Fürbitte der Kirche sei die wirksamste. Allein dass das wirk-
liche Bekenntniss aller Sünden dem Priester gegenüber und die
Auflegung von Satisfactionen aller Art für die Hunderte von Ver-
fehlungen des Lebens, dass mit einem Wort die Privatbusse vor
dem Priester die Regel wurde, erklärt sich nur aus der allmählichen
Einbürgerung der Mönchspraxis in der Weltkirche. Begonnen hat
die Sache in der iroschottischen Kirche, die ja in eminentem Sinn
Mönchskirche gewesen ist. Hier sind zuerst Bussordnungen (im Sinne
der Privatbusse) für die Laien aufgestellt worden, indem man sie an-
wies, ihre Sünden dem Priester ebenso zu bekennen, wie das den
Mönchen in den Klöstern schon längst vorgeschrieben war. Von
Irland aus sind die Bussbücher zu den Angelsachsen (Theodor von
Canterbury), zu den Franken und nach Born gekommen; sie haben
sich nicht ohne Widerspruch durchgesetzt und haben, nachdem sie
sich eingebürgert, sehr bald aufs neue Anstoss gegeben, da ihre An-
weisungen immer äusserlicher und bedenklicher wurden. Der Praxis
der Privatbusse, die so entstand, hat man die neue Auffassung der
Sünde und die neue Stellung zu derselben, die im Abendland jetzt
herrschend wurde, zuzuschreiben, nämlich die leichtfertige und ab-
stumpfende Bereitschaft, mit der nun ein Jeder sich als einen Tod-
sünder bekannte. Was innerhalb des Mönchthums erträglicher, ja in
manchen Fällen ein Ausdruck des wirklich geschärften Gewissens war,
ich meine die Bereitschaft, sich immerfort als Sünder zu bekennen
und zwischen Sünde und Sünde nicht mehr zu unterscheiden, das
wurde in der Uebertragung auf die Massen eine nichtswürdige, den
sittlichen Sinn ertödtende Farce. Man sündigte und man bekannte
zuversichtlich in Bausch und Bogen der Sünden Menge, um nur nicht
für irgend eine wirkliche begangene Sünde der wunderbaren Beihülfe
der Kirche verlustig zu gehen. Wären die Menschen jener Tage
nicht so naiv gewesen, so wären sie bei diesem System schon damals
völlig verheuchelt worden. So aber wirkte dasselbe mehr wie eine
äusserliche Rechtsordnung — ein Polizeiinstitut, welches Uebermuth
und Rohheit, die Ausbrüche wilder Kraft und Leidenschaft, ahndete.
^ S. die Beurtheilung der Laien in den gefälschten Stücken der pseudoisi-
dorischen Decretalien.
I
Das Bussinstitut. 291
So war es nicht gemeint, aber das war seine wirkliche Bedeutung,
sofern ihm eine gewisse Heilsamkeit nicht abgesprochen werden kann.
3. Das Institut wirkte bereits sicher und machte namentlich im
späteren karolingischen Zeitalter grosse Fortschritte, da damals die
volle Scheidung von Klerus und Laien erst perfect wurde und zu-
gleich die Massnahmen begannen, den Erster en mönchisch zu machen.
Dennoch fehlte die dogmatische Theorie noch vollständig. Weder
stand es fest, dass der Priester allein Sünden vergeben könne —
dass leichte Sünden ohne Priester durch Gebet und Almosen getilgt
würden, war allgemein zugestanden — , noch war der Werth und
Erfolg der priesterlichen Vergebung (ist sie exhibitiv oder depre-
catorisch?) sichergestellt, noch war eine absolute Nöthigung zum
Bekenntniss aller Sünden vor dem Priester ausgesprochen, noch end-
lich waren aus der Sache selbst abgeleitete feste Bestimmungen über
peccata mortalia und venalia, über die Behandlung der peccata publica
und privata u. s. w. vorhanden. Das Alles ist erst viel später fest-
gestellt worden. Man sieht hier deutlich, dass die kirchhche Praxis
nicht auf die Dogmatik wartet, ja dass sie ihrer im Grunde gar nicht
bedarf, solange sie mit dem grossen Strome geht. Die Kirche hat
ein förmliches Busssacrament mit allen Finessen viele Jahrhunderte
hindurch besessen, während die Dogmatik von einem solchen nichts
wusste, sondern einen feineren Faden spann.
4. Die interessante Geschichte des Anwachsens der Satisfactionen
und ihrer Veränderungen gehört nicht hierher. Ein Vierfaches sei
jedoch bemerkt: 1) Zu den alten, mehr oder minder willkürlichen
Bestimmungen in Bezug auf Auswahl (Gebete, Almosen, lamentationes,
zeitweiliger Ausschluss) und Dauer der compensirenden Strafen traten
in steigendem Masse Bestimmungen aus dem alttestament-
lichen Gesetz und aus germanischen Rechtsordnungen.
In Bezug auf die Anlehnung an das AT. hat Karl der Grosse
einen gewaltigen Schritt vorwärts gethan. Damit aber trat die
Ausmessung der Compensationsstrafen selbst in das Licht
einer göttlichen Ordnung, und auch solche Bestimmungen wurden
nun in diese Beleuchtung gerückt, welche nicht aus dem AT. ge-
nommen waren. 2) Compensationsmittel ist die Bussleistung, sofern
sie an sich — wenn keine Sünde vorangegangen wäre — ein Ver-
dienst vor Gott begründen, resp. ihm etwas zuwenden würde. Also
steht das ganze Institut unter der von Alters her an den operibus
et eleemosynis liaftenden Vorstellung des Verdienstes. Ist aber die
Bussleistung im Grunde die Darbringung eines Gutes (0])fers) an
Gott, welches ihm Freude macht und zwar an sich Freude macht,
19*
292 (xeschiclite des Dogmas in der Zeit der karolingischen Renaissance.
SO wird sie wirksamer werden, wenn möglichst Viele und möglichst
(xute sich daran betheihgen. Hilft ein Heiliger mit seiner Fürbitte
mit; so kann Gott im Grunde nicht widerstehen; denn die Leistung
des Heiligen hat nichts zu compensiren, ist also reines Opfergeschenk
an Gott. Bei dieser fürchterlichen Vorstellung, nach der der grosse
Richter im Himmel von den Heiligen nichts verlangen kann, sie ihm
aber Vieles schenken können, erklärt es sich, dass das System der
Intercessionen die wichtigste Rolle im Busssystem spielen musste.
In traurigster Verkehrung des Glaubensgedankens über Christus, dass
er die Menschen beim Vater vertritt, wurde er selbst in dieses Sy-
stem liineingezogen, und da nichts zu hoch und zu theuer war, was
man nicht in diese kleinliche Rechnung als Posten einstellte, so wurde
eben der wiederholte Opfertod Christi hier der wichtigste Posten:
die Messen schützen am sichersten vor den Sündenstrafen im Fege-
feuer, weil in ihnen Christus selbst dem Vater dargebracht, der un-
endliche Werth seines Leidens („pretii copiositas mysterii passionis"
heisst es z. B. im vierten Capitel der Synode von Chiersey 853) aufs
neue ihm vorgerückt wird, resp. das Verdienst dieses Leidens sich
wiederholt. Daher ist die Anhäufung eines Schatzes von Messen das
beste Palliativ gegen dieses Feuer oder doch die zuverlässigste Ver-
kürzung desselben. 3) Da die Bussleistungen — in der Theorie war
stets die bussfertige Gesinnung vorausgesetzt — einen dinglichen
Werth vor Gott haben und dabei zum Theil gleichwerthig sind, so
können sie vertauscht werden. Aber nicht nur Gleiches kann mit
Gleichem vertauscht werden, sondern auch eine minderwerthige Leistung
kann für voll genommen werden, wenn die Umstände die volle Leistung
erschweren oder wenn fremde Fürbitte hinzutritt oder wenn das Ge-
ringere die bussfertige Stimmung hinreichend bekundet. Was früher
bei der Auflegung kirchlicher Bussleistungen, die ihr Ziel in der
Reconcihation mit der Gemeinde hatten, wohl angebracht war, dass
man nachträghch die Busszeiten und -w^erke dem ei'probten Büssenden
verkürzte, wurde auf Gott angewendet. Zugleich erinnerte man sich,
dass der strenge Richter doch auch barmherzig d. h. nachsichtig sei.
So entstand das System der Nachlassungen, d. h. der Ver-
tauschungen und Ablösungen , resp. auch Stellvertretungen.
Die letzteren haben an germanischen Auffassungen ihren Ursprung,
eine verborgene Wurzel aber doch schon in der antiken Zeit. Auch
die Vertauschungen und Ablösungen begegnen zahlreich erst im
8. und 9. Jahrhundert (das „Wergeid" erscheint in ihnen sanctio-
nirt); allein sie folgen bereits aus dem antiken System und sind ge-
wiss schon lange vor der karolingischen Zeit in den Klöstern geübt
Das Bussinstitut. Die Messen und Ablässe. 293
worden. Damit sind aber die Ablässe geschaffen, sobald nämlich,
unabhängig von den speciellen Umständen des einzelnen Falls, die
Möglichkeit der Yertauschung zugestanden und rechtlich fixirt wurde.
Diese Commutationen, die sich nur unter Widerspruch durchsetzten,
haben das ganze System vollends veräusserhcht. Sie haben vor Allem
die Kirche finanziell interessirt und sie, die schon Grossgrundbesitzerin
war, zu einem Bankhaus gemacht. Wie ärmlich stand die griechische
Kirche mit ihrem dürftigen Eeliquien-, Bilder- und Lichterhandel
neben der reichen Schwester, die auf jede Seele Wechsel zog! 4) Das
ganze System der Verdienste und Satisfactionen hat im Grunde keine
Beziehung auf die Sünden, sondern auf die Sünden strafen. Da
aber schliesslich Alles diesem Systeme diente, so wurden die Men-
schen dazu erzogen, sich auf die beste, sicherste und billigste Weise
den Sündenstrafen zu entziehen. Das Element, welches scheinbar
die Gefahren dieser ganzen Betrachtung mildert — dass nämlich die
Sünde selbst ausser Spiel bleibt, da sie von Gott vergeben werden
muss, der Busse und Glauben weckt — , hatte bei der Masse die
nothwendige Folge, dass sie überhaupt an die Sünde wenig oder gar
nicht, sondern nur an die Strafe dachte. Auch wenn sie schliesslich
ins Kloster gingen oder ihre Habe den Armen schenkten, thaten sie
das nicht, weil sie mit Gott leben, sondern weil sie seinen Strafen
entfliehen wollten. Die Strafe regierte die Welt und die Gewissen.
Man hätte es nicht nöthig, auf diese Praxis innerhalb der Dog-
mengeschichte einzugehen, wenn sie nicht in der Folgezeit auch das
Dogma sehr wirksam bestimmt hätte. Sie hat den Augustinismus von
Anfang an umgebogen und ihn nicht voll in der Kirche zur Herr-
schaft kommen lassen; sie hat die Christologie schon zur Zeit Gre-
gor's I. beeinflusst, und sie hat dann in der klassischen Zeit des
Mittelalters auf alle aus dem Alterthum stammenden Dogmen ent-
scheidend eingewirkt und neue geschaffen ^
^ Ucher die Geschichte der Busse s. Steitz , Das römische Busssacrament 1854.
Wasserschicben, Bussordnungen d. abend!. Kirche 1851. v. Zezschwitz,
Beichte, in Herzog's R.-E.^ II, 8. 220 ff., System der Katcchctik I S. 483 ff.,
II, 1 8. 208 ff. Göbl, Gesch. der Katechese im Abendland 1880. Ferner über die
Gesch. der Bussordnungen Wasser sohl eben, Die irische Kanonensammlung 2. Aufl.
1885, unrl Schmitz, Die Bussbücher und die Bussdisciplin der Kirche 1883. Ucber
den Versuch des Letzteren, die Bussordnungen auf Rom zurückzuführen, s. Theol.
Lit.-Ztg. 1883 Col. 614 ff. Ueber die Ausgestaltung der Scheidung von Klerus und
Laien im 9. Jahrhundert und die beginnende Monachisirung des Klerus s. Hatch,
Grundlegung der Kirchenverfassung Westeuropas, übers, von Harnaok 1888
S. 87 f. 98 f. 109 f. 119 f. Ueber den Gottesdienst und die Disciplin in der karol.
Zeit 8. Gioseler II, 1 (1846) S. 152—170. Ueber die germanische Gerichtsver-
294 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Auselm's imd Bernhard's.
Siebentes Capitel: Geschichte des Dogmas im Zeitalter
Clugny's, Anselm's und Bernhard's bis zum Ende
des 12. Jahrhunderts.
Eino zäh festgehaltene Uebcrheferung berichtet, in den letzten
Jahren des 10. Jahrhunderts hätten die abendländischen Cln-isten mit
Furcht und Zittern den Weltuntergang für das Jahr 1000 erwartet-,
eine Art von Reformation, in lebendigster ßethätigung auf aUen Ge-
fassimg, Fehde und Busse, Fricdlosigkeit und Opfertod s. Brunn er, Deutsehe
lleehtsgesch. I S. 143 fV. 156 ff. 166 fl'., über das Personalitätsprineip und die Hohe
des Wergeides und der Bussen a. a. 0. S. 261 ff., über das Personalrecht des Klerus
S. 269 f., über die Entstehung des geschriebenen Rechts S. 282 ff. Ueberschaut man
den Zustand der germanischen Rechtscntwickclung in der Zeit der Merovinger und
vergleicht ihn mit der kirchlichen Bussdisciplin, wie sie sich bis zu Gregor I. hin
auf lateinischem Boden selbständig ausgebildet hat, so ist man erstaunt darüber, wie
leicht sich diese Systeme ineinander schieben lassen und wirklich ineinander ge-
schoben haben. Das von der Kirche recipirte römische Recht hat innerhalb der-
selben durch die Vorstellungen von der communio der diesseitigen Kirche mit den
Heiligen, von den Satisfactionen, von den Verdiensten und von dem Nachlassungs-
recht der Kirche gewaltige Modificationen erlebt. Vor Allem ist das kirchliche
Strafrecht, welches ursprünglich den römischen Gedanken der Oeffentlichkeit
der Vergehungen recipirt und sie demgemäss behandelt hatte, immer mehr zu einem
privaten Recht geworden, d. h. die Vergehungen gegen Gott wurden als Beleidi-
gungen Gottes (nicht als Störung der öffentlichen Ordnung und des heiligen un-
verbrüchlichen Gesetzes Gottes) betrachtet, und demgemäss trat der Gedanke ein
und erhielt immer mehr Spielraum, dass sie gleichsam wie Privatklagen zu be-
handeln seien. Bei solchen war die Alternative am Platze: entweder Strafe
oder Satisfaction (Compensation). In Bezug auf die Satisfactionen aber stellten
sich nothwendig alle die Freiheiten ein, die an diesem Begriffe haften, nämlich dass
der Beleidigte selbst oder die ihn vertretende Kirche ihre Höhe nachsichtig herab-
zumindern, sie zu vertauschen, sie zu übertragen, u. s.w. vermag. Wie leicht sich diese
Betrachtung mit der germanischen verschmelzen Hess, leuchtet ein. Nur ein paar
Beispiele : nach germanischem Recht gilt der Satz : entweder Friedlosigkeit oder
Busse ; dies entspricht dem kirchlichen Satz : entweder Excommunication oder
satisfactorische Bussleistungen. Nach germanischem Recht braucht die Rache nicht
an dem Frevler selbst vollzogen zu werden, sondern an einem Gliede seiner Sippe, ja
es galt in Norwegen z. B. als die empfindlichere Rache, statt des Todtschlägers den
besten Mann der Sippe zu treffen ; nach kirchlicher Anschauung bilden die Christen
mit den Heiligen im Himmel eine „Sippe", und die Bussleistung kann bis zu einem
gewissen Grade oder ganz auf diese abgewälzt werden; vor Allem hat Christus durch
seinen Tod im Voraus die Rache Gottes an dem frevelnden Geschlecht seiner
Brüder getragen. Nach germanischem Recht kann ebenso die Compensation, die
Zahlung des Sühngeldes, vertheilt werden ; nach kirchlicher Praxis intercediren auf
Grund der Gebete die Heiligen und bringen ihre Verdienste Gott dar, dem Sünder
einen Theil der ihm auferlegten Busse abnehmend-, später ist dann die Kirche
geradezu auch auf die germanische Ordnung eingegangen und hat irdische Freunde,
Geschlechtsgenossen, Familienglieder und Hörige die Busse mitleisten lassen, um sie
Einleitung. . 295
bieten der Religion sich ausprägend, sei die Folge dieser Erwartung
gewesen. Längst ist dieser Bericht als eine Legende erwiesen; aber
es liegt ihm, wie so vielen Legenden, eine zutreffende geschichtliche
Betrachtung zu Grrunde. Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts ^ ge-
wahren wir wirkHch die Anfänge eines mächtigen Aufschwungs des
rehgiösen und kirchHchen Lebens. Dieser Aufschwung steigert sich,
ohne bedeutende Reactionen zu erfahren, bis zum Anfang des 13. Jahr-
hunderts. In dieser Zeit hat er alle Kräfte des mittelalterlichen Men-
schen entfesselt und sich untergeordnet. Alle Institutionen der Ver-
gangenheit und Alles, was an neuen Bildungselementen hinzutrat, hat
er sich unterworfen und schhesslich auch die feindseligsten Mächte
in seinen Dienst genommen und zu seinen Stützen gemacht. Im
13. Jahrhundert erscheint die Herrschaft der Kirche und das System
der mittelalterhchen Weltanschauung vollendet -.
DieseVollendung ist nicht nur der Abschluss der mittel-
alterlichen Kirchengeschichte, sondern auch jener ge-
schichtlichen Entwickelung des Christenthums, deren An-
fänge bis in die Urgeschichte desselben hinaufreichen.
Betrachtet man freilich das Christenthum nur als Lehre, so erscheint
das Mittelalter fast wie ein Anhang zur Geschichte der alten Kirche;
betrachtet man es aber als Leben, so muss man urtheilen, dass das
alte Christenthum erst in der abendländischen Kirche des Mittelalters zu
seiner Vollendung gekommen ist. Im Alterthum standen der Kirche
die Motive, Massstäbe und Vorstellungen des antiken Lebens als Schran-
ken gegenüber. Sie hat diese Schranken nie zu überwinden vermocht,
und so ist es in der Kirche des Ostreichs geblieben: das Mönchthum
steht neben ihr; die Weltkirche ist die alte Welt selbst mit christlicher
Etikette. Anders im Abendland. Hier hat die Kirche die ihr eigen-
dem Thäter zu erleichtem. In e i n e r Hinsicht aber hat die Kirche wirklich mildernd
und segensreich gewirkt. Sie hat die in engem Zusammenhang mit der Friedlosig-
keit stehenden Todesstrafen ausserordentlich eingeschränkt. Sie waren ihr an sich
anstössig, doppelt austüssig, wo sie auf (Irurid eines uralten sacralen Strafrechts als
ein den Göttern dargebrachtes Menschenopfer betrachtet wurden (Brunner
S. 173 — 177). Schon in der römischen Zeit hat die Kirche in Gallien sich bemüht,
die römische Rechtspflege, wo sie auf Todesstrafe erkannte, zu mildern ; sie hat das
in der mcrovingischcn Zeit mit Erfolg fortgesetzt, so dass mehr und mehr Sühn-
verträge an ihre Stelle traten. Das Hauptargument , welches die Kirche hier
brauchte, war ohne Zweifel dies, dass Gott den Tod des Sünders nicht wolle, und
dass Christus für Alle den Sühn- und Opfertod gestorben sei. So erhielt der Tod
C'hristi eine ausserordentliche Bedeutung. Er wurde die grosse Leistung, deren
Werth auch das irdische Strafrecht milderte.
^ Ueber das 10. Jahrhundert s. Reuter, a. a. 0. I S. 67 ff,
■'' S. V. Eickcn , Gesch. und System der mittelalterlichen Weltanschauung 1887.
296 G eschichte de« Dogmas im Zeitalter Cluguy 's, Aiiselm's und ßernhard's.
thümlichen Massstäbe der mönchischen Askese und der Beherrschung
des Diesseits durch das Jenseits ' viel sicherer durchzusetzen vermocht,
weil sie nicht eine alte Kultur zu überwinden hatte, sondern lediglich
an den elementarsten Mächten des menschlichen Lebens, der Lebens-
lust, dem Hunger, der Liebe und der Habsucht, ihre Schranken fand.
So hat sie hier von den höchsten bis herab zu den tiefsten Kreisen eine
Weltanschauung verbreiten können, die alle in das Kloster hätte treiben
müssen, wenn nicht jene elementaren Mächte stärker wären als selbst
die Furcht vor der Hölle.
Es ist nicht die Aufgabe der Dogmen geschichte, zu zeigen, wie die
mittelalterliche Weltanschauung vom Ende des 10. — denn hier hegen
die Anfänge — bis zum 13. Jahrhundert ausgebaut worden ist und sich
durchgesetzt hat. Sachlich würde man auch nicht viel Neues erfahren
— denn der Gedankeninhalt ist der alte, wohlbekannte — , neu ist nur
die Projection auf alle Gebiete des Lebens, die zusammenfassende Lei-
tung in der Hand des Papstes und die Entwickelung des religiösen
Individualismus. Aber bevor wir die theils wirklich, theils scheinbar
geringen Veränderungen schildern, welche das Dogma bis zur Zeit der
Bettelorden erlebt hat, ist es doch nöthig, mit ein paar Strichen die
Bedingungen anzugeben, unter welchen diese Veränderungen gestanden
haben. Wir haben unser Augenmerk auf den Aufschwung der Fröm-
migkeit, auf die Entwickelung des kirchlichen Rechts und auf
die Anfänge der mittelalterlichen Wissenschaft zu richten.
1. Der Aufschwung der Frömmigkeit.
Das Kloster von Clugny, gestiftet im 10. Jahrhundert, ist der Sitz
der grossen Keform der Kirche geworden, w^elche das Abendland im
1 1 . Jahrhundert erlebt hat ^. Unternommen von Mönchen, wurde sie zuerst
von frommen und klugen Fürsten und Bischöfen, vor Allem von dem
Kaiser, dem Stellvertreter Gottes auf Erden, unterstützt gegenüber dem
^ Hierdurch ergab sich eine neue Art von Weltherrschaft, die freilich der alten
sehr ähnlich wurde; denn man kann nur auf eine Weise herrschen.
" Das Folgende z.Th. nach meinem Vortrag über das Mönchthum (3. Aufl. 1886
S. 43 ff.). Das 10. Jahrhundert zeigt zwei Punkte, von denen die religiöse Erhebung
ausgegangen ist, das Kloster Clugny und die sächsische Dynastie. Man kann den
Einfluss Mathilde's nicht hoch genug schätzen. Er wirkt bis zu Heinrichll.fort, jabis
zum 3. Heinrich; s. Nitzsch, Gesch. des deutschen Volkes I S. 318 f. Die kirch-
liche Stimmung der Dynastie und der Geist asketischer Frömmigkeit, wie er von der
heiligen Beterin im Quedliuburger Kloster ausgegangen ist, ist weltgeschichtlich
von derselben Bedeutung geworden, wie das in Clugny reformirte Mönchthum.
Man kann behaupten, dass die Geschichte der mittelalterlichen germanischeu
Frömmigkeit mit Mathilde anhebt. Karl der Grosse ist noch in mancher Hinsicht
ein Christ wie Konstantins un4 Theodosius gewesen.
1
Der Aufschwung der Frömmigkeit. Das Mönchthum. 297
verweltlichten Papstthum, bis sie der grosse Hildebrand aufgriff und sie
als Cardinal und Nachfolger Petri den Fürsten, der verweltlichten
Geistlichkeit und dem Kaiser entgegensetzte. Was das Abendland in
ihr erhielt, war eine wirkHche Reformation der Kirche, nur keine evan-
gelische, sondern eine katholische. Was waren die Ziele dieser neuen
Bewegung, die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die ganze
Kirche ergriff? Zunächst und vor Allem Wiederherstellung der „alten"
Zucht, der wahren Weltentsagung und Frömmigkeit in den Klöstern
selbst, sodann aber erstens mönchische Regulirung der ge-
sammten Weltgeistlichkeit, und zweitens Herrschaft der
mönchischregulirtenGreistlichkeit über die Laienwelt, über
Fürsten und Nationen.
Der Versuch, das Leben der gesammten Geistlichkeit nach mön-
chischen Ordnungen zu regeln, ist schon im karolingischen Zeitalter
begonnen worden •, allein theils schlug er fehl, theils verweltlichten die
Capitel erst recht. Jetzt aber wurde er aufs neue und wirksamer unter-
nommen. In der cluniacensischen Reform erhebt das abendländische
Mönchthum zum ersten Mal den entschiedenen Anspruch, sich als die
christliche Lebensordnung aller mündigen Gläubigen — der Priester —
durchzusetzen und zur Anerkennung zu bringen. Dieses abendländische
Mönchthum vermag sich der Aufgabe nicht zu entziehen, der Kirche zu
dienen und sich ihr, d. h. damals der Geistlichkeit, als das Christen-
thum aufzunöthigen. Die christliche Freiheit, welche es erstrebt, ist
ihm bei allem Schwanken nicht nur eine Freiheit von der Welt, sondern
die Freiheit der Christenheit zur unbeschränkten Vorberei-
tung auf das Jenseits und zum Dienste Gottes in der Welt.
Niemand aber kann zwei Herren dienen.
Damit war auch das Verhältniss zu den Laien und die Stellung
derselben gegeben. Müssen die mündigen Bekenner des Christenthums
nach den mönchischen Regeln disciplinirt werden, so müssen die un-
mündigen — und das sind die Laien — denselben völlig freie Bahn
lassen und sich mindestens vor ihrer Majestät beugen, um vor dem zu-
künftigen Gerichte bestehen zu können. Verlangten Clugny und seine
grossen Päpste die strenge Durchführung des Cölibats, die Entfrem-
dung der Priester von dem weltlichen Leben und vor Allem die Aus-
rottung aller „Simonie", so war in der letzteren Forderung — bei dem
damaligen Stande der Vertheilung von Macht und Gütern — bereits
die Unterwerfung der Laien einscliliesslich der Staatsgewalt unter die
Kirche enthalten. Aber was sollte die Weltherrschaft der Kirche neben
der allen Priestern aufgenöthigten Weltflucht? AVie reimt sich jene
Macht über die Erde mit der ausschUcssHchen Sorge für das Seelenheil
298 (xeschichto des Doginas im Zeitalter Clugny's, Auselm's und ßernhard's.
im Jenseits? Wie kann derselbe Mann, der seinem Bruder, der ihm
alle väterlichen Güter überlassen will, zuruft: „Welch' ungerechte Thei-
lung, dir der Himmel und mir die Erde", und der dann selbst ins
Kloster geht — wie kann dieser Mann es über sich gewinnen, vom
Kloster aus um die AVeltherrschaft zu kämpfen? Nun , in gewisser
Weise ist sie ein Surrogat, solange und weil die allgemeine, wahr-
hafte Christianisirung sich nicht durchsetzte. Solange nicht Alle wahr-
hafte Christen sind, muss die ungefüge Welt und die halbentwickelte
Christenheit beherrscht und erzogen werden; denn im anderen Fall
würde das Evangelium gefangen geführt werden von den ihm feindlichen
Mächten und wäre nicht im Stande, seine Mission zu erfüllen. Aber die
Herrschaft ist doch nicht nur ein Surrogat. Das Christenthum ist
die Askese und der Gottesstaat. Alle Verhältnisse auf Erden
sollen nach der übersinnlichen Idee des Gottesreiches gestaltet werden.
Das Gottesreich aber hat seine Existenz im Diesseits in der Kirche.
Somit müssen die Staaten sich den göttlichen Zwecken der Kirche
unterstellen ; sie müssen in das Reich der Gerechtigkeit und des siegen-
den Christus aufgehen, welches ein wahrhaft himmlisches Reich ist, da
es vom Himmel stammt und vom Stellvertreter Christi regiert wird.
Also entwickelte sich aus dem Programm der Weltflucht und aus dem
Jenseits, welches diese Welt durchdringen soll, aus der augustinischen
Idee des Gottesstaates und aus der in der Papstherrschaft verklärten,
niemals erloschenen Idee des einen römischen Weltreichs, der An-
spruch der Weltherrschaft, mochte auch mancher einzelne Mönch
darüber zu Grunde gehen. Mit beflecktem Gewissen und gebrochenen
Muthes haben sich manche Mönche, die nur Gott suchen ^vollten, den
Plänen der grossen Mönchspäpste gebeugt und sich für die Zwecke der-
selben brauchen lassen. Und gerade die holten sie aus der Stille der
Klöster hervor, die am wenigsten an diese Welt denken wollten. Sie
wussten es wohl, dass nur der Mönch die Welt bezwingen helfen würde,
der sie flieht und sie los sein will. Die Weltflucht im Dienste der welt-
beherrschenden Kirche, die Weltherrschaft im Dienste der Weltent-
sagung — das war das Problem und das Ideal des Mittelalters ! Welch'
eine Naiv etat, welch' eine Fülle von Illusionen gehörte dazu, um an die
Verwirklichung dieses Ideals zu glauben und an ihr zu arbeiten! Welch'
eine kindliche Verehrung für die Kirche war nöthig, um jene paradoxe
„Weltflucht" auszubilden, die in einem und demselben Moment zu-
schlagen und beten, fluchen und segnen, herrschen und büssen konnte!
Welch' eine Romantik der Stimmung erfüllte jene Gemüther, die in
einer einzigen Betrachtung die Natur und all' das sinnliche Leben als
Teufelszauberei erkannten und es zugleich, von der Kirche beleuchtet.
Der Aufschwung der Frömmigkeit. Weltflucht und -herrschaft. 299
als die Abschattung der jenseitigen Welt contemplirten ! Was waren
das für Menschen, die die Welt und das fröhliche Leben flohen und
dann alle irdischen Güter, Minnedienst, Kampf und Sieg, Wagen und
Erwerben, Feste und sinnlichen Genuss aus der Hand der Kirche zu-
rückerhielten ! freilich — eine kleine Drehung am Kaleidoskop, und
alle diese Güter stürzen zusammen : es gilt zu fasten und zu büssen ;
aber wiederum eine kleine Drehung, und es ist Alles wieder da, was die
Welt zu bieten vermag, aber verklärt vom Lichte der Kirche und des
Jenseits.
Am Ende unserer Periode (c. 1200) ist die Kirche die Siegerin.
Wenn je Ideale in der Welt durchgeführt worden sind und die Herr-
schaft über die Gemüther erlangt haben, so ist es damals geschehen.
„Es war, als ob die Welt das alte Gewand von sich abgeworfen und
das weisse Kleid der Kirche angethan hätte" K Weltverneinung und
kirchliche Weltherrschaft erschienen den Menschen als identisch. Jene
Zeit trug in ihrer Bildung „den Schmerzenszug der Weltverneinung auf
der einen und den gewaltthätigen Charakterzug der Welteroberung auf
der anderen Seite'' ^. Aber in unserer Periode ist die Entwickelung,
die sich selbst auflösen muss, wenn sie dem Abschluss nahe gekommen
zu sein scheint, noch im Werden. Es galt vielfach noch, die verwelt-
lichte Christenheit aus dem Rohen zu hauen. Und die Massen wurden
wirklich umgestimmt und entflammt, entflammt zum Kampf gegen den
verweltlichten Klerus und gegen simonistische Fürsten in ganz Europa.
Ein neuer Enthusiasmus religiöser Art bewegte die Völker des Abend-
landes, namentlich die romanischen. Die Begeisterung der Kreuzzüge
ist die unmittelbare Frucht der mönchisch-päpstlichen Beformbewegung
des IL Jahrhunderts. Der rehgiöse Aufschwung, welchen das Abend-
land erhalten, stellt sich in seiner Eigenart in ihnen am lebendigsten
dar. Die Herrschaft der Kirche soll auf Erden durchgeführt werden.
Es sind die Ideen des weltlierrschenden Mönchs von Clugny, welche
den Kreuzfahrern vorangehen. Das heilige Land und Jerusalem sind
* Der Cluniacenscrmönch RudolfGlaber, Hist. lib. III, 4.
^ V. Eickcn, a. a. 0. S. 155 f. Wäre dieser Charakterzug der Frömmigkeit
schon in der alten Kirche ausgeprägt gewesen, so hätte sie zum Islam werden
müssen oder wäre vielmehr vom römischen AVeltreich niedergeschlagen worden.
Aber die mittelalterliche Kirche hatte von ihrem Ursprung her
(Zeit der Völkerwanderung) das römische Weltreich als Idee und Kraft
in sich aufgenommen und stand uncultivirten Nationen gegenüber — daher ihr
aggressiver Charakter, den sie übrigens doch erst ausgebüdet hat, nachdem Karl der
Orosse ihr gezeigt hatte, wie der vicarius Christi auf Erden zu regieren habe.
Nicolausl.hat von Karl I., die gregorianischen Päpste haben von Ottol., Heinrich II.
und III. gelernt, wie der rector ecclesiae sein Amt zu verwalten habe.
300 Geschichte des Dop^iias im Zeitalter Ckigny 's, Anselm's und Bernhard's.
ein Stück Himmel auf Erden. Es gilt sie zu erobern. Die schrecklichen
und rührenden Scenen bei der Einnahme der lü. Stadt illustriren den
Geist der mittelalterlichen Frömmigkeit.
Das Christenthum ist die Askese und der Gottesstaat — aber die
Kirche, welche die Gemüther für diese Ideen wirklich entflammte, ent-
zündete damit auch den religiösen Individualismus; sie erweckte
die Kraft, welche schliesslich den geschlossenen Ring des Systems zu
sprengen und die Kette zu brechen vermochte. Aber es hat lange ge-
dauert, bis es so weit kam. Die cluniacensische Reform hat, wenn ich
recht sehe, einen religiösen Individuahsmus im Sinne mannigfaltiger
Ausprägungen der Frömmigkeit überhaupt noch nicht hervorgerufen.
Die enthusiastische religiöse Stimmung des 1 1 . Jahrhunderts ist in den
Einzelnen völlig gleichartig gewesen. Unter den zahlreichen Ordens-
stiftern dieser Zeit herrscht noch die grösste Einförmigkeit: Seelennoth,
Weltflucht, Contemplation — Alles spricht sich noch in den gleichen
Formen und mit denselben Mitteln aus ^ Auf die bereits in diesem
Jahrhundert zahlreichen Sectirer darf man sich nicht berufen; sie stehen
mit dem kirchlichen Aufschwung kaum in irgend welchem Zusam-
menhang und wirken auf ihn noch nicht ein^. Durch die Kreuzzüge
wurde das anders. Man brachte Anschauungen zurück. Die heiligen
Stätten belebten die Phantasie und führten sie zu dem Christus der
Evangelien. Die Frömmigkeit wurde durch die lebendigste Vorstellung
von dem leidenden und sterbenden Erlöser belebt : man muss ihm auf
allen Stufen des Leidensweges folgen ! Damit erhielt die negative Askese
eine positive Form und ein neues sicheres Ziel. Die Töne der Christus-
mystik, \velche Augustin nur vereinzelt und unsicher angeschlagen
hatte ^, wurden zu einer hinreissenden Melodie. Neben den sacramen-
talen Christus trat das Bild des geschichtlichen^, die Hoheit in der
1 S. Neander, K.-Gesch. V, 1 S. 449—564.
^ Ihre Lehren sind aus dem Osten importirt — der Bulgarei — ; dass alte
Reste von Secten sich im Abendland selbst erhalten haben (Priscillianer), ist nicht
unmöglich. Aber auch spontane Bildungen sind anzunehmen, wie solche aus der
Leetüre der hl. Schrift, der Väter und aus antiken Reminiscenzen zu allen Zeiten
der Kirchengeschichte entstanden sind. Im 12. Jahrhundert wird die Häresie zu einer
organisirten, der Kirche furchtbar gefährlichen, in einigen Landstrichen ihr sogar
überlegenen Macht; s. Reuter IS. 153 f. und das soeben erschienene Werk von
Döllinger, Beiträge zur Sectengesch. des Mittelalters, 2 Thl. München 1890, in
welchem die Paulicianer, Bogomilen, Apostoliker und Katharer dargestellt sind.
" S. oben S. 112 f.
* Beruh., Sermo LXII, 7 in cant. cantic: „quid enim tam efficax ad curanda
conscientiae vulnera nee non ad purgandam mentis aciem quam Christi vulnerum
sedula meditatio ?"
Der Aufschwung der Frömmigkeit. Die Kreuzzüge. Bernhard. 301
Demuth, die Unschuld in dem Strafleiden, das Leben in dem Tode.
Jene Dialektik der Frömmigkeit ohne Dialektik, jenes Ineinsschauen
des Leidens und der Herrlichkeit, jenes lebendige Bild der wahrhaften
communicatio idiomatum entwickelte sich, vor welchem die Menschheit
anbetend stand, mit gleicher Ehrfurcht die Hoheit verehrend wie die
Niedrigkeit. Sinnliches und Geistliches, Irdisches und Himmlisches,
Schmach und Ehre, Entsagung und volles Leben wogten nicht mehr
durcheinander: in dem „Ecce homo" sind sie in stiller Majestät verbun-
den. So bricht diese Frömmigkeit in den feierlichen Hymnus aus :
„Salve Caput cruentatum". Es ist unermesslich, welche Wirkungen
diese neugestimmte Frömmigkeit gehabt, und es ist unübersehbar, wie
mannigfaltig sie sich ausgeprägt und welche Fülle von Anschauungen
sie in ihren Kreis gezogen hat. Man braucht nur an das neue, doch
erst vom Kreuze her gewonnene Bild von der Mutter mit dem Kind,
dem Gott in der Krippe, der Allmacht in der Ohnmacht zu erinnern.
Wo diese Frömmigkeit ohne dogmatische Formeln, ohne Spielerei, ohne
Raffinement, oder gar Berechnung erscheint, ist sie der einfache, nun
wieder gewonnene Ausdruck der christlichen Eeligion selbst ; denn in
der Ehrfurcht vor dem leidenden Christus und in der Kj-aft, welche von
diesem Bilde ausgeht, liegen die Kräfte der Religion beschlossen. Aber
auch dort, wo sie nicht rein erscheint, wo Kleinliches — sei es bis zum
Herz- Jesu-Kultus — , Raffinirtes und Berechnetes ihr beigemischt ist,
kann sie noch immer heilsam und ehrwürdig sein, heilsamer und ehr-
würdiger jedenfalls, als das von keiner lebendigenVorstellung beherrschte
Streben einer bloss negativen Askese. Ja selbst dort, wo sie offenbar
ins Paganische umschlägt, wird ein Rest jener befreienden Botschaft
übrig bleiben, dass das Göttliche in der Demuth und im geduldigen
Leiden zu finden ist, und dass der Unschuldige leidet, damit der Schuldige
Frieden habe.
In unserer Periode ist diese neugestimmte, aus den Kreuzzügen
erwachsene und an dem nun verstandenen Augustin genährte Fröm-
migkeit noch im Werden. Aber wir haben schon auf den Mann hin-
gewiesen, der an den Anfängen steht, jedoch selbst kein Anfänger
gewesen ist, der hl. Bernhardt Bernhard ist das rehgiöse Genie
des 12. Jahrhunderts und darum auch der Führer der Epoche. Vor
Allem ist in ihm die augustinisclie Contemplation wieder lebendig
geworden. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, dass er der
Augustinus redivivus ist, dass er sich ganz und gar an dem grossen
* S. die Monographie von Neander 3. Aull-, li ülTo', Der lil. licrnaid von
(Jlairvaux I. Bd. 188«.
302 (xeschichte des Dop^mas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard's.
Afrikaner gebildet ^ und von ihm die Grundlagen seiner frommen
Betrachtungen überkommen hat. Soweit Bernhard ein System der
(Jontemphition darbietet und den Entwiekelungsgang der Liebe ^ schil-
dert bis zu jener vierten und höchsten Stufe, wo der von der Selbst-
liebe sich aufwärts erhebende Mensch in der Liebe zu Gott ganz
aufgeht und jenen momentanen Excess erfährt, in welchem er Eins
wird mit Gott — soweit hat er einfach das nacherlebt, was Augustin
zuerst erlebt hat. »la selbst die Sprache ist im höchsten Masse ab-
hängig von der Sprache der (yonfessionen ^. Aber auch die Beziehung
auf Jesus C^hristus hat Bernhard von dem grossen Führer gelernt.
Wie dieser^ schreibt er: „Dürre ist jede Speise der Seele, wenn sie
nicht mit dem Oele Christi begossen worden. Wenn du schreibst,
sagt es mir nicht zu, wenn ich nicht Jesum darin lese. Wenn du
über religiöse Gegenstände dich mit mir unterredest, sagt es mir nicht
zu, wenn nicht Jesus darin ertönt. Jesus mel in ore, in aure melos,
in corde iubilus" -'. Allein hier ist nun Bernhard einen Schritt über
Augustin hinausgegangen. „Die Ehrfurcht vor dem, was unter uns
ist", ist ihm aufgegangen, wie sie niemals einem Christen der alten
Welt (selbst Augustin nicht) aufgegangen ist, weil jene alten Christen
wohl die Askese als das Mittel der Entkörperung zu verehren, nicht
aber Leiden und Schmach, Kreuz und Tod als die Gestalt des Gött-
lichen zu erkennen vermochten. Das Studium des Hohenliedes (nach
Anweisung des Ambrosius) und die durch die Kreuzzüge entflammte
Stimmung haben ihn vor das Bild des gekreuzigten Heilandes als des
Bräutigams der Seele geführt. In dieses Bild versenkte er sich. Aus
den Zügen des leidenden Christus strahlte ihm die Wahrheit und die
Liebe. Li buchstäblichem Sinne hängt er an seinen Lippen und be-
trachtet seine Gliedmassen : „Dilectus meus, inquit sponsa, candidus
et rubicundus. In hoc nobis et candet veritas et ruhet Caritas" ^.
Die Grundlage für diese Christus-Contemplation — die Wunden Christi
* Es gilt dies in einem viel grösseren Umfang, als es Neander nachweist.
^ Caritas und humilitas sind die Grundbegriffe der Ethik Bernhard's.
^ S. die Schrift de diligendo deo.
■^ S. die zahlreichen Stellen in den Confessiouen.
^ In cantic. cantic. XV, 6.
^ Wie ihm das Kreuz Christi der Inbegriff alles Nachdenkens und aller Weis-
heit ist, s. sermo XLIII; über die Hoheit in der Niedrigkeit s. XXVIII und XLII ;
de osculo pedis, manus et oris domini III ; de triplici profectu animae, qui fit per
osculum pedis, manus et oris domini IV; de spiritu, qui est deus, et quomodo
misericordia et iudicium dicantur pedes domini VI; de uberibus sponsi i. e. Christi
IX; de duplice humilitate, una vid. quam parit veritas et altera quam iuHammat
Caritas" XLII etc. etc.
Der heilige Bernhard. 303
als das deutlichste Zeugniss seiner Liebe — haben Ambrosius und
Augustin geschaffen (Christus tamquam homo mediator), und das Bild
vom Seelenbräutigam geht bis auf Origenes und Valentin zurück (vgl.
auch Ignatius); aber erst Bernhard hat der frommen Stimmung die
Anschauungen gegeben; er hat die neuplatonischen Exercitien der
Erhebung zu Gott mit der Betrachtung des leidenden und sterbenden
Erlösers verbunden und die Subjectivität der Christusmystik und
-lyrik entfesselt ^
^ S. die Gedichte Bernhard's und die 86 Sermone über das Hohelied, welche die
Art der Frömmigkeit der folgenden Generationen bestimmt haben. Jene Predigten
sind die Quelle der katholischen Christusmystik geworden, Rits chl (Lesefrüchte aus
dem hl. Bernhard, Stud. u. Krit. 1879 S. 317 — 335) hat jedoch daran erinnert (s.
Neander, a. a. 0. S. 116), dass in diesen Sermonen auch wahrhaft evangelische Ge-
danken zum Ausdruck gekommen sind. „Den Grund davon musste ich darin erkennen,
dass der Prediger die Lehrstoffe nicht in dem geschichtlichen Verlauf aufgefasst hat,
welchen die dogmatische Theologie bei Katholischen wie bei Evangelischen innehält,
und welcher so beschaffen ist, dass bei den früher dargestellten Lehren niemals auf
die folgenden gerechnet wird. Vielmehr ergiebt sich ohne Schwierigkeit, dass der
Prediger die Lehrpunkte so gebraucht, wie sie sich in dem praktischen Gesichts-
kreise darstellen." Ritschl macht auf folgende Stellen aufmerkam (s. auch "Wolff,
Die Entw. d. einen christl. K. 1889 S. 165 ff.): Sermo LXIX, 3 (der AVerth der
Erbsünde: der Grad des Schadens wdrd nach der Wiedergeburt bestimmt);
Serrao LXXII, 8 (Bedeutung des Todes: er muss bei den Erlösten, „propter quos
omnia fiunt", nicht als Zomäusserung Gottes, sondern als Barmherzigkeit gedeutet
werden, als Act der Erlösung von dem Widerspruch zwischen dem Gesetz in den
Gliedern und dem geheiligten Willen); Sermo XXEE, 7 — 11 (Gerechtigkeit aus dem
Glauben : sie ist nicht gleichbedeutend mit der Betähigung zu guten Werken, son-
dern — „unde Vera iustitia nisi de Christi misericordia ? . . . soli iusti qui de eins
misericordia veniam peccatorum consecuti sunt . . . quianon modo iustus sed
etbeatus, cui non imputabit deus peccatum"); Sermo XX, 2; XI, 3; VI, 3
(Erlösungswerk Christi: das Werk der Liebe [„non in omni mundi fabrica tantum
fatigationis auctor assumpsit"], dessen Modus die exinanitio Gottes ist, dessen Frucht
nostri de illo replctio, und welches desshalb göttlich ist, weil Christus hier das Ver-
halten beobachtet hat, welches das Verhalten Gottes ist, nämlich die Sonne aufgehen
zu lassen über Gute und Böse. Die communicatio idiomatum ist hier nicht im griechi-
schen Sinne verstanden, sondern wird an den Motiven Christi aufgewiesen; VI, 3:
„dum in came et per carnem facit opera, non camis sod dei . . . manifeste ipsum se
esse iudicat, per quem eadem et ante fiebant, (juando fiebant. In carne, inquam, et
per carnem potenter et patienter operatus mira, locutus salubria, passus indigna
evidenter ostendit, quia ipse sit, qui potenter sed invisibiliter saecula condidisset,
fiapienter regeret, benigne protcgeret. Denique dum cvangelizat ingratis, signa
praebetinfideiibus, pro suis crucifixoribus orat, norme liquido ipsum se esse declarat,
qui cum patre suo quotidie oriri facit solem super bonos et malos, pluit super iustos
et iniustos?"); Sermo XXI, 6. 7; LXXXV, 5 (das wiederhergestellte Ebenbild
Gottes im Menschen); Sermo LXVFIf, 4, I^XXf, 11 (die Gründung der Kirche als
Zweck der Erlösung); LXXVIII, .'i (Kirclie und Prädestination); Sermo VJII, 2,
XII, 11, XLVI, 4, IL, 5 (Begriff und Merkmale der geschichtlichen Kirche, wo die
304 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard's.
Allein trotz aller Steigerung der Anschauung und trotz der
lebendigsten Hingabe an die Person Christi: auch Bernhard hat
ienen schweren Tribut bezahlen müssen, den jeder Mystiker leisten
muss — die Stimmung der Verlassenheit nach dem sehgen Ge-
fühl der Vereinigung und die Vertauschung des geschichtlichen Christus
mit dem zerfiiessenden Bilde des idealen. Das Letztere ist bei ihm
besonders auffallend. Man sollte erwarten, dass, wer sich so in das
Bild des leidenden Christus versenkt, unmöglich die Anweisung des
Origenes und Augustin zu wiederholen vermag, man müsse vom AVort
der Schrift und vom fleischgewordenen Wort zum „Geist" aufsteigen.
Und doch hat Bernhard diese letzte und bedenklichste Anweisung
der Mystik, welche das geschichtliche Christenthum aufhebt und zum
Pantheismus führt, aufs deutlichste wiederholt. Zwar was er ep. 106
geschrieben hat über die Nutzlosigkeit des Studiums der Schrift gegen-
über der praktischen Nachfolge Christi ^, lässt sich noch im Sinne des
Gedankens, dass das Christenthum nicht gewusst, sondern erlebt
werden soll, deuten. Aber unzweideutig sind die Ausführungen im
20. Sermon zum Hohenlied. Hier wird die Liebe zu Christus noch
als eine gemssermassen fleischliche bezeichnet, welche von dem be-
wegt wird, was Christus im Fleische gethan oder geboten hat. Zwar
ist es werthvoll, dass Bernhard die Stimmung der Rührung und Zer-
knirschung, welche das Bild des Menschen Jesus erregt, nicht für die
höchste hält, vielmehr in ihr ein Stück fleischlicher Liebe erkennt.
Allein er fährt dann fort, dass man sich überhaupt von dem Bilde
des geschichtlichen Christus in wahrhaft geistlicher Liebe zu dem
Christus y.ara 7rv£ö[ia erheben müsse, und beruft sich dafür auf Joh. 6
und II Kor. 5, 16. Aller Mystik ist in der Folgezeit dieser Zug
geblieben. Sie hat von Bernhard die Christuscontemplation gelernt - ;
juristisch verhärtete Auffassung ganz fehlt; XII, 11 heisst es, kein Einzelner solle
sich für die Braut Christi erklären ; die Glieder der Kirche nehmen nur an der Ehre,
welche der Kirche als der Braut gebührt, Antheil). Vgl. auch Ritschl, Gresch. des
Pietismus I S. 46 ff., und Rechtfert. u. Versöhn. I^ S. 109 ff., wo dargelegt ist, wie
der Gedanke der Gnade bei Bernhard Alles beherrscht.
* „Was suchst du im Worte das Wort, welches schon als das fleischgewordene
dir vor Augen steht? Wer Ohren hat zu hören, der höre ihn im Tempel rufen:
Wen dürstet, der komme zu mir und trinke ... 0 wenn du nur einmal etwas von
dem fetten Mark des Getreides, mit welchem das himmlische Jerusalem gesättigt
wird, kostetest, wie gern würdest du die jüdischen Schriftgelehrteu au ihren Brot-
krusten nagen lassen . . . Experto crede, aliquid amplius invenies in silvis, quam in
libris. Signa et lapides docebunt, quod a magistris audire non possis."
^ „Als Prophet und Apostel ist Bernhard verehrt worden „bei allen Völkern
Galliens und Germaniens". Rührend ist die Klage Odo's von IMorimond (s. Hüt'ter,
Der heilige Bernhard. ' 305
aber sie hat zugleich den pantheistischen Zug der Neuplatoniker und
Augustin's übernommen ^ In der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ist
die neue Frömmigkeit bereits eine gewaltige Kraft in der Kirche^.
a. a. 0. S. 21 ff,), zugleich ein Beweis von dem unvergleichlichen Eindruck der Per-
sönlichkeit. Seit Augustin war ein solcher Mann der Kirche nicht mehr geschenkt
worden. „Vivit Bernardus et nardus eius dedit odorem suum etiam in morte."
„Sein Leben ist verborgen mit Christus in Gott", damit tröstete sich der Schüler
am Grabe. „Verba eius spiritus et vita erant." Das Andenken an die Tage, da Bern-
hard als Kreuzprediger durch die deutschen Gauen wandelte, hat sich lange Zeit
erhalten; denn einen solchen Prediger hatten die Deutschen noch nie gehört; s.
die historia miraculorum in itinere Germanico patratorum bei Migne CLXXXV,
Hüffer S. 70 ff. (der freilich merk^vürdig leichtgläubig ist). Der Briefwechsel Bern-
hard's steht (s. Hüffer S. 184 ff.) an Bedeutung und an Umfang im 12. Jahrhundert
einzig da. Fast 500 Briefe von ihm selber sind erhalten.
^ Das „excedere et cum Christo esse" (s. LXXXV) ist auch von Bernhard so
verstanden, dass die Seele sich selbst verliert und in den Umarmungen des Bräuti-
gams aufhört, ein eigenes Selbst zu sein. "Wo aber die Seele in die Gottheit unter-
geht, da löst sich die Gottheit in das All-Eine auf.
2 Die Nachfolge Christi wird die Losung; sie durchbricht die Schranken,
welche die Dogmatik gezogen, und wendet sich zum Herrn selbst hin. Allen Ver-
hältnissen des Lebens wird der leidende, demüthige und geduldige Heiland als Vor-
bild hingestellt. Welch' eine Belebung war die Folge! Allein von hier aus
konnte sich auch eine Vertraulichkeit des Gefühls entwickeln, die mit der Ehr-
furcht vor dem Erlöser streitet, und indem die Bedeutung Christi einseitig in
dem Vorbildlichen angeschaut wurde, mussten andere wichtige Seiten verküm-
mern. Bei Bernhard ist das noch nicht der Fall ; aber schon bei ihm ist man er-
staunt, wie das griechische dogmatische Schema der Christologie in praxi einem
ganz anderen hat Platz machen müssen. Nachdem er in dem 16. Sermon durchge-
führt, dass die schnelle Verbreitung des Christenthums lediglich aus der Predigt
von der Person Jesu zu erklären ist, dass das Bild Jesu den Zorn gedämpft, den
Stolz gedemüthigt, die Wunde des Neides geheilt, die Ueppigkeit eingeschränkt,
die Begierde ausgelöscht, die Habsucht gezügelt, kurz das ganze gemeine Trachten
der Menschen in die Flucht geschlagen hat, fährt er fort: „Siquidem cum nomine
Jesum, hominem mihi jjropono mitem et humilem corde, benignum, sobrium,
castum, misericordem et omni denique honestate ac sanctitate conspicuum, eun-
dcmque ipsum deum omnipotentem, qui suo me et exemplo sanet et roboret
adiutorio. Haec omnia simul mihi sonant, cum insonuerit Jesus. Sumo itaque
mihi exempla de hominc et auxilium de potente." So schrieb man, wäh-
r(3nd man in thesi den Adoptianisnius verwarf! Diese bernhardinischc Christologie,
deren Wurzeln l)ei Augustin liegen, verlangt keine Zweinaturcnlehre, sondern
schliesst sie aus. Sie ist völlig gedeckt durch die Formel, dass Jesus der sündlose,
im Leiden sich bewährende Mensch ist, dem die göttliche Gnade, von der er lebt,
die Kraft verliehen hat, dass sein Bild in anderen Menschen Gestalt gewinnt, d. h. zur
Gegenliebe reizt und die Demuth verleiht. Caritas und humilitas waren das
praktische Christenthum, bis der hl. Franz die letztere in der Forderung der
A rmuth ebenso anschaulich gemacht hat, wie die Liebe in der Nachahmung des
licidensweges Christi zur Darstellung kommen sollte. Uc])er die humilitas reden alle
awketischcn Tractatc der Epoche; 8. Petrus Comestor, Hist. evang. c. 133: „est de-
11 ii in HC, k , l)()i^ufn^cH(i]nr]\\i- III. 20
30f) ( reschichte dos Do^rmaa im Zeitnlter Clugny'a, Anselm's und Beruliard's.
Die Subjectivität des frommen Gefühls ist in den Klöstern entfesselt ^
Aber wie derselbe Mann, der in der Stille seines Klosters eine neue
Sprache der Anbetung redet, die Weltflucht predigt und dem Papste
zuruft, dass er auf dem Stuhle Petri zum Dienste, nicht zur Herr-
schaft berufen sei — wie dieser Mann zugleich in allen hierarchischen
Voi'urtheilen seiner Zeit befangen blieb und selbst die Politik der
weltherrschenden Kirche geleitet hat, so haben auch die kirchlichen
Fronnnen im 12. Jahrhundert den Contrast zwischen Kirche und
Christenthum noch nicht empfunden. Die Anhänglichkeit des Möncli-
thums an die Kirche ist noch eine naive; der Widerspruch zwischen
der wirklichen Gestalt der weltherrschenden Kirche und dem Evan-
gelium, das sie predigt, wird zwar empfunden, aber immer wieder
zurückgedrängt-. Noch ist jener grosse Bettelmönch nicht aufgetreten,
dessen Erscheinung die Krisis in dem Gewoge von Weltflucht und
Weltherrschaft hervorrufen sollte. Aber schon ist die Kirche umschwebt
von den zornigen Flüchen der „Häretiker", die in dem mächtigen
Getriebe der Herrschaft der Kirche und in der Veräusserlichung ihrer
Gnadenspendungen die Züge des alten Babel erkennen.
bita humilitas subdere se maiori propter deiim, abimdans (Immilitas) subdere se
pari, superabundans subdere se minori." Man beachte auch den nachmals in der
Lehre vom Verdienst Christi so wichtig gewordenen Unterschied von debita, abun-
dans, superabundans.
* Sie balancirte die von anderen Seiten aus naheliegende Werkgerechtigkeit
und „Verdienstlichkeit". Sehr richtig Ritschi, Rechtf. und Versöhn. I^ S. 117: „Es
ist eine falsche Ansicht, dass der lateinische Katholicismus des Mittelalters in der
Pflege der Werkgerechtiorkeit und Verdienstlichkeit aufgehe." Sie hat zu ihrem
Correlat die das eigene Ich preisgebende Mystik, die bald mehr theologisch -akos-
mistisch, bald mehr christologisch-lyrisch gestimmt ist. Aber die schlichte Zuversicht
zu dem Gott, der in Christus gnädig ist, und das Bekenntniss : „Sufficit mihi ad om-
nem iustitiam solum habere propitium, cui söli peccavi" (Beruh. Serm. in cant.
XXIII, 15), hat Einzelnen doch nicht gefehlt. Es hat hin und her, vor Allem aber
angesichts des Todes, triumphirt, wie über die Berechnungen der Werkgerechtigkeit
so über die Nebel der Mystik. Flacius und Chemnitz haben mit Recht Zeugnisse
für die evangelische Rechtfertigimgslehre aus dem Mittelalter gesucht und gesam-
melt, und wie einst Augustiu mit Grund erklären konnte, dass seine Gnadenlehre
ihre Tradition in denGebeten der Kirche habe, so konnte auch Chemnitz mit Recht
schreiben, dass die evangelische Hauptlehre Zeugnisse aus den älteren Zeiten auf-
weisen könne, „non in declamatoriis rhetoricationibus nee in otiosis disputatiouibus,
sed in seriis exercitiis paenitentiae et fidei, quando conscientia in tentationibus cum
8ua indignitate vel coram ipso iudicio dei vel in agone mortis luctatur. Hoc enini
solo modo rectissime intelligi potest doctrina de iustiticatione, sicut in scriptuia
traditur."
'■^ Das „ewige Evangelium" des Joachim von Fiore gehört dem Ende unserer
Periode an und ist zunächst latent geblieben; s. Reuter, a. a. O. II 8. 198 tV.
Die Entwickelung des kirchlichen Rechts. 307
2. Die Entwickelung des kirchlichen Rechts K
Wenigstens mit einigen Worten sei des Aufschwungs gedacht,
den das kirchliche Recht in unserer Periode genommen hat und der
nicht ohne Folgen für die Auffassung des Dogmas und für die Dogmen-
geschichte geworden ist.
Erstlich ist es von Wichtigkeit, dass seit der 2. Hälfte des
9 . Jahrhunderts das kirchHche Recht mehr und mehr auf pseudoisido-
rischer Grundlage aufgebaut wurde. Zweitens ist die vorwiegende
Beschäftigung mit dem Recht überhaupt und die zunehmende Unter-
stellung aller kirchlichen Fragen unter Rechtsbe griffe charakte-
ristisch. Was das Erste betrifft, so ist es bekannt, dass die Päpste
immer mehr in die Verwaltung der Diöcesen eingegriffen haben ^, dass
die alte Metropolitanverfassung ihre Bedeutung verlor, und dass die
alten Verfassungszustände überhaupt — in der ersten Hälfte unserer
Periode — verkümmerten und aufhörten. Zwar erstarkte vielfach
die bischöfliche Gewalt zu einer landesherrlichen, und andererseits
brachten die Kaiser von Otto I. bis Heinrich IH. das versunkene Papst-
thum zeitweilig in die Abhängigkeit von der Kaiserkrone, nachdem sie
es reformirt. Allein da auch sie jeden Antheil solcher Laien, die nicht
Fürsten waren, an der Leitung kirchlicher Angelegenheiten aufhoben
und die Selbständigkeit der localen Kirchenkörper (der Gemeinden)
im kaiserlichen und im „frommen" Interesse unterdrückten, so blieben
nur der Kaiser (der sich rector ecclesiae und vicarius Christi nannte),
der Papst und die Bischöfe als selbständige Gewalten übrig. Um
den Besitz der Letzteren und um die Frage, wer der wahrhafte Rector
des Gottesstaates und Statthalter Christi sei, drehte sich im Grunde
der grosse Streit zwischen dem Kaiserthum und dem reformirten
Papstthum. In diesem Kampf entwickelte sich dieses, dem Impulse
Gregor's Vll. folgend, zu der autokratischen Macht in der Kirche
und bildete demgemäss, nachdem es sich selbst in Rom von den letzten
Resten älterer Verfassungszustände befreit hatte, auch seine Gesetz-
gebung durch zahllose Decretahen aus. Auf den „ökumenischen"
Lateransynoden von 1123 und 1139 hat das Papstthum über diese
neue Stellung, die es zu behaupten willens war, keinen Zweifel ge-
^ Die älteste Zeit })ei Maassen, Gesch. der Quellen und Litt, des kanoni-
schen Hechts I. Bd. (])is Pseudoisidor) 1870. Die spätere Zeit ])ei v. »Schulte,
Gesch. der Quellen und Lit. des kanonischen Rechts von Gratian bis auf Gregor IX.
1875. S. die Einleitungen zur Ausgabe des corp. iur. can. von Friedberg.
' Nicol'HUH T., Leo TX., Alexander IT., Alexander TTT. sind di<; Stufen zu Tnno-
cenz III. Aber Gregor VIJ. ist die Seele der grossen Bewegung im 11. Jahrhundert
gewesen.
20*
308 Oeacliiclite des Dogma« im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernliard'8.
lassen K Die Päpste bis zu Innocenz III. haben dann unter schweren,
aber siegreichen Kämpfen die autükratische SteUung in der Kirche
vertheidigt und befestigt. Zwar liaben sie manches besorgte AVort
von ihren treuesten Söhnen hören müssen; allehi der Aufstieg des
Papstthums zur Tyrannis in der Kirche und damit zur Weltherrschaft
ist von der I*^römmigkeit und allen idealen Mächten des Zeitalters
i)efördert worden. Nicht wider den Geist der Zeit — wie wäre das
auch möglich gewesen ! — sondern mit ihm im Bunde hat das Papst-
thum den Thron der Weltgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert
bestiegen. Seine Gegner waren, soweit sie Religion besassen, seine
geheimen Bundesgenossen oder kämpften mit unsicherem Gewissen oder
vermochten doch nicht die Güter, für welche sie stritten, als die
höchsten und heiligsten zu erweisen. Unter solchen Umständen er-
hielten die päpstlichen Decretalien ein immer grösseres Ansehen^.
^ Die Zählung der ökumenischen Concilien, wie sie jetzt sententia communis
unter den curialistischen Theologen geworden ist, stammt erst von B e 1 1 a r m i n
(s. Dülliuger undHeusch, Die Selbstbiographie des Cardinais Bellarmin. 1887
S. 226 ff,). Noch im 16. Jahrhundert herrschten die grössten Verschiedenheiten in
der Zählung; ja die Mehrzahl sah in den ohne Betheiligung der griechischen Kirche
gehalteneu Concilien überhaupt keine ökumenischen. Ebenso war Streit, ob das
Basler, Florentiner (und Constanzer) Concil mitzuzählen seien. Erst Bellarmin in
der römischen Ausgabe der Concilia generalia von 1608 f. hat die Lateranconcilien
von 1123 und 1139 aufgenommen (und das Basler weggelassen). „Die Frage war
zwar für ihn insofern von untergeordneter Bedeutung, als er die Beschlüsse der
unter dem Vorsitz des Papstes gehaltenen oder von ihm bestätigten Particularcon-
cilien denen der allgemeinen gleichstellt; aber mitKücksicht auf diejenigen, welche
nicht den Papst, sondern das allgemeine Concil für unfehlbar hielten, musste er doch
die Frage erörtern, welche Concilien als allgemeine anzusehen seien." Er liess sich
aber natürlich bei dieser Bestimmung von seinem streng curialistischen Standpunkt
leiten , d. h. er beseitigte das Constanzer und Basler Concil, und stellte das Flo-
reiizer, das 4. und 5. Lateranconcil, das 1. Lyoner und das von Vienne unter die öku-
menischen, weil sie dem Papstthum günstig waren. So ist die Anzahl von 18 appro -
birten allgemeinen Concilien bei ihm zu Stande gekommen (8 aus dem ersten Jahr-
tausend, die Lateranconcilien von 1123. 1139. 1179. 1215, die von Lyon 1245 und
1274, das Vienner 1311, das Plorenzer, das 5. Lateranconcil und das von Trident).
Aber auch hier, wie überall in der katholischen Dogmatik, giebt es „halbe" In-
stanzen und halbwerthige Münzen trotz des hl. Geistes, der in alle Wahrheit leitet.
„Theils bestätigt, theils verworfen" sind nämlich mehrere Concilien, unter ihnen
das Constanzer und Basler, und „weder augenscheinlich bestätigt noch augenschein-
lich verworfen" ist das Concil von Pisa 1409. Seit dem Jahre 1870 hat die Frage
nach der Zahl der ökumenischen Concilien bei den Katholiken vollends jedes wirk-
liche Interesse verloren. Aber der reactionäre Protestantismus hat allen Grund,
sich für dieselbe zu interessiren.
" Ueber die Entwickelung des Primats im 11. und 12. Jahrhundert vgl. Döl-
linger, Janus S. 107 ff. (Schwane, Dogmengesch. des Mittelalters S. 530 tt'.).
AVie viel mächtiger war die ofreg-orianische Partei im 11. Jahrhundert als die
Die Entwickelung des kirchlichen Rechts. 309
Sie traten neben die alten Kanones *, ja selbst neben die Beschlüsse
ökumenischer Concilien. Jedoch blieb streng genommen das Mass
des Ansehens noch ganz unsicher, und dogmatische Fragen sind
vor Innocenz III. nicht oder nur ganz selten in ihnen behandelt wor-
den, wie denn überhaupt die Päpste der anderthalb Jahrhunderte
von der Synode von Sutri bis 1198 mit der Durchführung der römi-
schen autokratischen und mönchischen Kirchenordnung vollauf be-
schäftigt gewesen sind '^.
Niemals hätte das Papstthum, indem es sich als jurisdictio-
nelle Oberinstanz entwickelte, in der Kirche, die doch Glaubens-
und Kultus gemeinschaft ist, die monarchische Leitung in Bezug auf
pseudoisidorische im 9., und wie viel revolutionärer und zielbewusster war Gre-
gor VII. als Nicolaus I. ! „Er ist der Einzige, der mit vollem klaren Bewusstsein
einen neuen Zustand der Kirche mit neuen Mitteln herbeizuführen entschlossen
war. Er hat sich nicht bloss als den Reformator der Kirche, sondern als den
gottberufenen Begründer einer früher nie dagewesenen Ordnung der Dinge be-
trachtet." Seine Hauptmittel waren vom Papst selbst gehaltene Synoden (damit
hat Leo IX. begonnen) und neue kirchliche Gesetzbücher. Der Neffe des Papstes
Alexander II., Anselm von Lucca, wurde der Begründer des neuen gregoriani-
schen Kirchenrechts, und zwar theils durch zweckmässige Ytrwerthung Pseudo-
isidor's, theils durch eine neue Reihe von Fictionen (z. B. : der Episkopat habe
überall von Petrus seinen Ausgang genommen) und Fälschungen. Ihm folgte Deus-
dedit, Bonizo und Gregor von Pavia. Deusdedit formulirte das neue Princip, dass
Widersprüche in der kirchenrechtlichen Ueberlieferung stets so zu schlichten seien,
dass nicht die ältere, sondern die grössere Autorität die entgegenstehende
schlage, d. h. der Ausspruch des Papstes. Damit war die Autokratie der Päpste auf-
gerichtet. Ueber die Kette neuer Fictionen und Fälschungen der alten Ueberliefe-
rung s. Janus S. 112 ff. Besonders wichtig ist, wie man der Geschichte Zeugnisse
ablockte, um die Untrüglichkeit päpstlicher DecretaUen zu beweiser^ und für diese
neue Lehre selbst Augustin zum Gewährsmann stempelte (S. 119 ff.). Man brachte
es fertig, einen Satz von ihm so zu drehen, dass er den Sinn bekam, die päpstlichen
Briefe stünden den kanonischen Schriften gleich. Seitdem haben sich die Vcrthci-
diger der Unfehlbarkeit des Papstes, die schon Gregor VII. deutlich in Anspruch ge-
nommen, ja als Concesßum behandelt hat (S. 124 f), stets auf Augustin berufen. Gre-
gor VII. hat sogar nach älterem Vorgang eine volle persönliche Heiligkeit für
die Päpste — denn sie haben Alles was Petrus hat — in Anspruch genommen, und
die Gregorianer haben mit der Unfehlbarkeit die Heiligkeit des Papstes so kühn
gelehrt (Anrechnung des Verdienstes Petri), dass Steigerungen nicht mehr möglich
waren.
^ Alexander II. hat an König Philipj) von Frankreich geschrieben, er möge
die päpstlichen Dccretc den Kanones gleichachten; 8. Jaffe, Regesta 2. edit.
Nr. 4525.
'^ Die Lateransynoden von 1123. 1139. 1170 enthalten (den 27. Kanon des
Concils von 1179 ausgenommen, der di(^ Ausrottung der Katharer betreibt, aber
von ihren Lehrern nichts sagt) schlechterdings nichts Dogmatisches; s. Mansi
XXI. XXII, Hefele V'-* S. 378 ff. 438 ff 710 ff
3 10 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Aneelm's und Bernhard's,
Glaube und Sitten erlangen können, wäre nicht in unserer Periode
die Verquickung von Dogma und Hecht perfect geworden. Nicht
die Päpste haben sie herbeigeführt — sie verwertheten nur eine An-
schauungsweise, die überall herrschte und der sich kaum ein Einziger
entzog. Wir haben in unserer Darstellung vom Anfang dieses Bandes
an darauf hingewiesen, dass die rechtliche Betrachtung der Rehgion
ein altes Erbtheil der lateinischen Kirche gewesen ist: die Rehgion
ist lex dei, lex Christi. Diese Betrachtung hat zwar durch den Augusti-
nismus principiell eine tiefgreifende Correctur erfahren; aber Augustin
selbst hat in vielem wichtigen Detail die rechtlichen Schemata bestehen
lassen. Dann trat die abendländische Kirche ihre Weltmission bei
den fremden, heidnischen und arianischen, Völkern an. Ihnen gegen-
über war sie nicht bloss Kultusanstalt, sondern das römisch-
christliche Kultur- und Rechtssystem. Nicht nur als Ge-
meinschaft des Glaubens wollte und durfte sie sich behaupten, viel-
mehr konnte sie sich überhaupt nur behaupten, indem sie ihre gesammte
Ausstattung und alle ihre Grundsätze, die zum Theil höchst profaner
Herkunft waren, unter den Schutz des göttlichen Gesetzes stellte.
So haben die germanischen und die romanischen Völker alle Rechts-
ordnungen der Kirche als Glaubens Ordnungen kennen gelernt
und umgekehrt. Bonifatius und Karl der Grosse sorgten dann dafür,
dass sie sich fügten. Das „muss" in den Sätzen: „Wer selig werden
will, muss Folgendes glauben" und „der Christ muss den Zehnten
bezahlen", „der Ehebruch muss mit dieser bestimmten Strafe gesühnt
werden" u. s. w. wurde identisch. Wie lebhaft die Ausbildung, resp.
Coditicirung des kirchlichen Rechts seit der Sammlung des Dionysius
Exiguus bis zu Pseudoisidor betrieben worden ist, zeigen die zahl-
reichen Sammlungen, die überall — auch in Rom noch — aus dem
reichen Synodalleben der Pro vinzialkir eben hervorgegangen sind und
die Selbständigkeit, die Rechte, sowie das eigenthümliche Leben der
Kirche in der neuen Welt der germanischen Bildungen sicherstellen
wollten. Ueberall (vor dem 9. Jahrhundert) tritt das Dogmatische
ganz zurück ; aber eben desshalb gewöhnte man sich daran, alle Aus-
sagen der Kirche als Rechtsordnungen zu empfinden. Die clu-
niacensisch-gregorianische Reform des 11. Jahrhunderts brachte un-
zähhge Verfassungs- und Rechtsordnungen der Ueberheferung zum
Absterben und schuf dafür neue, in denen sich in steigendem Masse
die Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate ausdrückte. In
Folge dessen entwickelte sich im 11. Jahrhundert eine grossartige
Gesetzgebung, die in Gratian's Sammlung insofern einen verspäteten,
von den Thatsachen überholten Abschluss fand, als sie hier noch nicht
Die Entwickelung des kirchlichen Rechts. 311
durchweg von dem Gedanken der Concentration der Kirchengewalt
in der Hand des Papstes bestimmt ist ^ Aber diese Sammlung und
einige ältere, die ilir vorangegangen sind, zeigen ausser der Aufnahme
der gregorianischen Lehren auch desshalb eine ganz neue Wendung,
weil sie aus dem Rechtsstudium hervorgegangen sind. Auch hier
ist Gregor YII. epochemachend. Er ist der grosse Jurist auf dem
päpstlichen Stuhl gewesen, und von seiner Zeit an beginnt die
juristisch -wissenschaftliche Behandlung aller Functionen
der Kirche die höchste Aufgabe zu werden. Das Studium
des Rechts, in Bologna vor Allem betrieben ''^, übte einen unermess-
lichen Einfluss auf die denkende Betrachtung der Kirche in der
ganzen Breite ihrer Existenz aus ; ja an dem Eechtsstudium bildete
sich das Denken überhaupt.
Was sich früher aus zwingenden Verhältnissen heraus entwickelt
hatte, die Kirche als Rechtsinstitut, wurde nun durch den Gedanken
befestigt und ausgebaut ^. Das juristische Denken nahm Alles in
Beschlag. Doch auch hier hat die Noth gewaltet. Denn was ver-
mögen die, welche noch in einer Welt der Abstractionen leben und
blind sind für die Natur und Gescliichte, zunächst anders zu werden
als Juristen und Dialektiker, wenn der Trieb des Nachdenkens einmal
erwacht ist? So lagerte sich der nun bewusst gewordene Geist der
Jurisprudenz über die ganze Kirche, auch über ihren Glauben. Alles
wird von demselben mit Beschlag belegt. Er ist eine starke Kraft in
dem, was man „Scholastik'^ nennt, er leitet die gewaltigsten Päpste
(Alexander III. als magister Rolandus), und er beginnt die Darlegung
der überlieferten Dogmen in sein Netz zu ziehen. Allerdings hatte er
dabei leichtes Spiel; denn in ihren praktischen Spitzen waren diese
Dogmen bereits vöUig in ein Rechtsverfahren als Rechtsmittel hinein-
gezogen. Was noch übrig blieb, war, auch die centralen Glaubenslehren
selbst einer juristischen Exposition zu unterziehen und sie damit „wissen-
* S. v. Schulte, Lehrbuch des kathol. undevang. Kirchenrechts, 4. Aufl. S. 20.
'^ H. Denifle, Die Univ. des Mittelalters I. 1885. Kaufmann, Gesch. der
deutschen Univers. I S. 157 ff.
3 S. V. Schulte, Gesch. der Quellen u. s. w. I S. 92 ff. II S. 512 f. Indem
Gregor Vll. noch energischer als irgend einer seiner Vorgänger die Kirche als das
auf Petrus gegründete Reich fasste und Alles auf die ihr verliehene Gewalt zu-
rückführte, war damit der Rechtsorganismus in den Vordergrund gerückt-, s.
Kahl, Die Verschiedenheit kathol. und evang. Anschauung über das Verhältniss
von Staat und Kirche (188H) S. H f.: „Die katholische Kirche charakterisirt sich
schon nach der Lehre von ihrer Begründung und nach ihrem Begriffe als Rechts-
organismuH." Die vollständigsten und zuverlässigsten geschichtlichen Nachweise bei
Hinschius, Kath. Kirchenrecht.
312 Geschichte des Dogiims im Zeitalter Chigny's, Ausehn's uud ßeruhard's.
schaftlich ^' zu rechtfertigen und zu vertheidigen. Auch hier freilich
fand man nicht bloss spröde Stoffe vor; vielmehr hatten die lateini-
schen Väter des Dogmas (vgl. Tertullian) selbst die Grundsteine zum
Theil schon juristisch zugeschliffen; aber es lag doch noch eine un-
endhche, vollständig auch nicht annähernd je geleistete Aufgabe vor,
die ganze dogmatische Ueberlieferung in dem Geiste der Jurisprudenz
umzudenken, Alles in den Schematen von Richter (Gott), Angeklagten,
Advocaten, Rechtsmitteln, Satisfactionen , Strafen, Indulgenzen zur
Darstellung zu bringen, aus den Dogmen ebensoviel Abstufungen des
Allgemein-giltigen, des Particular-giltigen, des Probablen, des Gewohn-
heitsrechts, des positiven Rechts u. s. w. zu machen wie die weltlichen
Rechtsordnungen abgestuft sind, und die Dogmatik in eine Gerichts-
stube zu verwandeln, aus der sich dann das Kaufhaus und die Räuber-
hohle entwickeln sollte.
Aber in unserer Periode ist doch die Kirche der Grund und die
Zusammenfassung der höchsten Ideale des mittelalterlichen Menschen
gewesen, und der ungeheure Widerspruch, in dem man sich bewegte
— allerdings schon von Augustin ab bewegte — , die Kirche gleich-
zeitig als societas fidelium und als den hierarchisch organisirten coetus
zu fassen, die weltliche Obrigkeit in ihrem göttlichen Recht anzu-
erkennen und doch ihre Autorität zu unterdrücken, wurde von Vielen
kaum empfunden ^ Erst am Ende der Epoche wurde die Spannung
off'enbar; aber da war bereits die Hierarchie zur Kirche geworden.
Eben damals wurde desshalb der Anspruch der Hierarchie und spe-
ciell des Papstthums als Dogma verkündet und der Kampf der staat-
lichen Gewalten gegen den Despotismus des Papstes ebenso als Auf-
lehnung gegen Christus bezeichnet, wie die Behauptung der Secten,
dass die wahre Kirche der Gegensatz zur Hierarchie sei. Darüber
wird im folgenden Capitel zu handeln sein.
3. Der Aufschwung der Wissenschaft^.
Theologen und Philosophen haben gewetteifert, eine besondere
Definition für die Scholastik zu finden und das, was dieser Name
^ In der werthvoUen Untersuchimg von Mirbt, Die Stellung Augnstin's Inder
Publicistik des gregorianischen Kirchenstreits (1888), ist zum ersten Mal metho-
disch und gründlich die Bedeutung Augustin's für die kirchenpolitischen Kämpfe
des 11. Jahrhunderts dargelegt. Direct ist sie geringer gewesen als man wohl er-
wartet hat, und merkwürdig ist, dass die Antigregorianer ein grösseres Erbe augu-
stinischer Gedanken aufzuweisen haben, als ihre Gegner (s. Theol. Lit.-Ztg. 1889
Col. 599).
'^ S. die Geschichten der Philosophie vonUeb er weg, Erdmanu und Stöckl;
Prantl, Gesch. der Logik Bd. II — IV; Bach, a. a. O.I.II; Reuter, Gesch. der
Wesen der Scholastik. 313
besagen soll, abzugrenzen gegen die altkirchliche (griechische) Theo-
logie und Philosophie einerseits, gegen die moderne Wissenschaft an-
dererseits. Diese Versuche haben zu keinem anerkannten Ergebniss
geführt und konnten nicht zu einem solchen führen, weil die Scho-
lastik eben nichts Anderes gewesen ist als wissenschaftliches
Denken. Dass dieses Denken von Vorurtheilen abhängig war \
und dass es sich theils gar nicht, theils nur sehr langsam von den-
selben befreit hat, theilt die Wissenschaft des Mittelalters mit der
Wissenschaft aller Zeiten. Weder die Abhängigkeit von Autoritäten,
noch das Vorwiegen der deductiven Methode ist für die Scholastik
besonders charakteristisch; denn gebundene Wissenschaft hat es zu
allen Zeiten gegeben — unsere Nachkommen werden finden, dass
auch die heutige Wissenschaft vielfach nicht nur durch die reine Er-
fahrung gebunden ist — , und die dialektisch-deductive Methode ist
das Mittel, dessen sich jede Wissenschaft, die den Muth hat, die
üeberzeugung von der Einheit alles Seienden kräftig geltend zu
machen, bedienen muss. Aber es ist nicht einmal richtig, dass jene
Methode innerhalb der mittelalterlichen Wissenschaft allein oder vor-
nehmlich gewaltet hat. Der Realismus, wie er durch Albert und
Thomas vertreten ist, hat, den Impulsen Augustin's folgend, die Er-
fahrung in ausgezeichneter Weise herbeigezogen, und der Scotismus
und Nominalismus vollends ruhen zum Theil auf der empirischen
Methode, mag auch Duns dieselbe im Vergleich mit der deductiven
als verworren gescholten haben. Wichtig ist hier nur dies, dass die
Betrachtung der äusseren AVeit eine höchst unvollkommene gewesen
ist, dass mit einem AVort die Naturwissenschaft und die AVissenschaft
von der Geschichte gefehlt hat, weil man wohl den Geist, nicht
aber das Sinnliche zu beobachten verstand^. Am wenigsten aber
darf man der Scholastik die „künsthchen" „ersonnenen" Probleme
zum A^orwurf machen. Von ihren Prämissen aus waren sie nicht künst-
Aufkl. I und II ; L ö w e , Der Kampf zwischen dem Nominalismns und Realismus 1876 ;
Nitzsch, Art. Scholastische Theologie in der R.-E. XIIP S. 650 ff., wo S. 674 ff.
die Litteratur verzeichnet ist. Dilthey, Einl. in die Geisteswissensch. I. Deniflc,
a. a. 0.; Kaufmann, a. a. 0. S. 1 ff.; Deniflc i. d. Archiv f. Litt.- u. Kirchen-
gesch. des Mittelalters I. II; v. Eicken, a. a. 0. S. 589 ff.
' Das grundlegende Vorurtheil, welches aber die Scholastik mit der Theo-
logie des Alterthums und leider auch der Neuzeit theilt, war dies, dass die Theologie
Wclterkennen sei, resp. das Welterkennen zu begründen und zu vollenden habe.
Sagt man heute, sie habe es auszustopfen, indem sie dort eintrete, wo das AVissen
aufhört, so meint man, mit abgenöthigter Bescheidenheit, immer noch dasselbe.
^ Doch gilt auch dies nicht von der ganzen Scholastik. Sie hat, namentlich in
ihrer späteren Periode, auch auf das Buch der Natur verwiesen.
314 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny 'ß, Anselm'ß und Bernhard'».
lieh, iiiul dass man sie kühn verfolgte, war nur ein Beweis der wissen-
schaftlichen Energie.
Somit ist die Scholastik des Mittelalters einfach Wissenschaft
gewesen, und es wird lediglich ein ungerechtfertigtes Misstrauen da-
durch verewigt, dass man diesen Theil aus der allgemeinen Geschichte
der Wissenschaft mit einem besonderen Namen meint belegen zu dürfen K
Als ob nicht die Wissenschaft überhaupt ihre Stufen hätte, als ob sich
die mittelalterliche Stufe durch eine unerhörte und sträfliche ])unkel-
lieit von den übrigen unterscliiede ! Man kann vielmehr umgekehrt
sagen, dass die Scholastik ein einzigartiges, leuchtendes Beispiel dafür
liefert, dass das Denken auch unter den ungünstigsten Bedingungen
seinen AVeg findet, und dass auch die schwersten Vorurtheile, die es
niederhalten, nicht stark genug sind, um es zu ersticken. Inder Wissen-
schaft des Mittelalters zeigt sich eine Kraftprobe des Denktriebes und
eine Energie, alles Wirkliche und AVerthvolle dem Gedanken zu
unterwerfen, wie uns vielleicht kein zweites Zeitalter eine solche bietet ^.
Daher ist es unnütz, seinen Scharfsinn auf die Beantwortung der
Frage zu richten, was für eine Art von Wissenschaft sich in der
Scholastik darstellt : man hat vielmehr lediglich nach den Bedingun-
gen zu fragen, unter denen das wissenschaftliche Denken damals gestan-
^n hat. Nicht ebenso unnütz, aber verworren behandelt ist auch die viel-
bewegte, durch Confusion und Langeweile ausgezeichnete Doctorfrage
über das Yerhältniss von Scholastik und Mystik ^. Versteht man —
was willkürlich ist — unter Scholastik „die Magd des Hierar chismus^'
^ Richtig Kaufmann S. 5: „Auf dem Namen der Scholastik ruht noch immer
etwas von dem Hass und der Verachtung, welche die Humanisten gegen sie ent-
fesselt haben." Erklärlich ist diese feindselige Stimmung freilich, sofern die Scholastik
noch eben unsere heutige Wissenschaft bedroht. Doch hat sich in den letzten Jahren
ein Umschwung des Urtheils gezeigt, der den erneuten Empfehlungen des hl. Thomas
seitens des Papstes zu gut kommt. In dem Bestreben, gerecht zu sein, wird mau
im Lobpreis der einst ungerecht behandelten Scholastik sogar überschwänglich, wie
das Urtheil eines sehr berühmten Juristen beweist. An diesem Lobpreis mag auch
der Umstand betheiligt sein, dass man die Scholastiker nun überhaupt wieder liest
und zu seiner Verwunderung findet, dass sie nicht so unvernünftig sind, wie man
geglaubt hat.
^ Doch darf man von jener Zeit mit dem Dichter sagen: „Alles will jetzt den
Menschen von innen, von aussen ergründen, Wahrheit wo rettest du dich hin vor
der wüthenden Jagd?"
^ Zur Mystik s. die Arbeiten, welche Karl Müller in seiner krit. Uebersicht
(Ztschr. f. K.-Gesch. VII S. 102 ff.) angeführt hat. Vor Allem kommen die zahl-
reichen Arbeiten von Denifle und Preger (Gesch. der deutschen Mystik I. II)
sowie Greith, Die deutsche Mystik im Predigerorden 1861, in Betracht. Für die
ältere Mystik vgl. die Monographien über Anselm, Bernhard und die Victoriner.
Scholastik und Mystik. 315
oder, mit plötzlicher Frontveränderimg, den „Bau von Systemen un-
bekümmert um die Bedürfnisse des inneren Lebens" oder die „rationa-
listische Beweissucht" und stellt dann die Mystik als die freie Pec-
toraltheologie daneben, so kann man den schönsten Gegensatz —
Hagar und Sarah, Martha und Maria — construiren. Man kann aber
dann wiederum mit leichter Mühe Scholastik und Mystik in einander
übergehen lassen und so mit diesen Worten ein verwegenes dialek-
tisches Spiel treiben, welches den Tiefsinn des Urhebers ehrt, aber nur
den Nachtheil hat, dass man am Ende der Definitionen ebenso klug
ist wie am Anfang. Die Sache, um die es sich hier handelt, ist einfach.
Scholastik ist Wissenschaft, angewandt auf die Religion und — wenig-
stens bis zu der Zeit, w^o sie sich zersetzte — von dem Axiom aus-
gehend, dass aus der Theologie alle Dinge zu verstehen, alle Dinge
desshalb auch auf die Theologie zurückzuführen sind. Dieses
Axiom setzt regelmässig voraus, dass der Denker sich selbst in der
vollen Abhängigkeit von Gott empfindet, dass er diese immer tiefer zu
erkennen strebt, und dass er alle Mittel benutzt, um sein eigenes
religiöses Leben zu kräftigen; denn nur in dem Masse, als er sich
selbst unter und in Gott findet und weiss, ist er befähigt, alles Andere
zu verstehen, da ja die Dinge verstehen nichts Anderes heisst, als
ihr Verhältniss zu dem Einen und Ganzen oder zu dem Urheber
(d. h. in beiden Fällen zu Gott) zu kennen. Hieraus folgt ohne
Weiteres , dass die persönliche Frömmigkeit die Vor-
aussetzung der AVissenschaft ist. Sofern aber die persön-
Hche Frömmigkeit in jener Zeit stets als mit Askese begleitete
Contemplation über das Verhältniss des Ichs zu Gott gedacht
wurde ^, ist die Mystik die Voraussetzung der Schola-
stik, mit anderen Worten: die mittelalterliche AVissenschaft grün-
det sich auf Frömmigkeit und zwar auf eine solche Frömmigkeit,
die selbst Contemplation ist, also in einem intellectuellen
Elemente lebt. Hierausfolgt, dass diese Frömmigkeit selbst
zum Denken antreibt; denn der Drang, das Verhältniss des
eigenen Ichs zu Gott kennen zu lernen, führt mit Nothwendigkeit
dazu, das Verhältniss der Schöpfung, als deren Glied man sich
weiss, zu Gott zu bestimmen. Wo nun diese Erkenntniss so verläuft,
dass die Einsicht in das Verhältniss der AVeit zu Gott lediglich
oder vornehmlich desshalb gesucht wird, um die eigene Stellung
* Frömmigkeit ist zuoberst nicht die verborgene Stimmung des Gefühls und
Willens, auH welcher die Lielje zum Niiehsten, die Demutli und die Geduld ent-
Hpriogt, sondern sie ist aus der ständigen Kcllexion über die Beziehung der Seele
auf Gott erzeugte, sich steigernde Erkenntniss.
316 GeHchichto des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm'o und Bernhard's.
der Seele zu Gott besser zu verstehen und in solchem Verständniss
innerlich zu wachsen, da spricht man von mystischer Theo-
logie '. Wo aber diese reflexive Abzweckung des Erkenntnisspro-
cesses niclit so deutlich hervortritt, vielmehr die Erkenntniss der Welt
in ihrer Beziehung auf Gott ein selbständigeres objectives Interesse
gewinnt^, da wird der Terminus scholastische Theologie
gebraucht. Man sieht hieraus, dass es sich niclit um zwei neben
oder gar widereinander laufende Grössen handelt, sondern dass mysti-
sche und scholastische Theologie ein und dieselbe Erscheinung sind,
die sich nur in mannigfachen Abstufungen, je nachdem das subjective
oder das objective Interesse vorwaltet, darstellen ^. Jenes Interesse
hat gerade den bedeutendsten Scholastikern so wenig gefehlt, dass man
* Wie sehr namentlich die spätere mystische Theologie von der Scholastik
abhängig ist, richtiger: wie identisch die beiden sind, haben namentlich die Arbeiten
Denifle's (gegen P reger in den histor. polit. Blättern 1875 S. 679 ff. und über
Meister Eckhart in dem Archiv f. Litt.- u. K.-Gesch. des Mittelalters II. Bd.)
gezeigt.
^ Nur um Gradunterschiede handelt es sich-, sehr richtig K. Müller (Ztschr.
f. K.-Gesch. VII S. 118): „Der Charakter der mittelalterlichen Frömmigkeit prägt
sich auch in den theoretischen Erörterungen der Scholastik doch immer mehr oder
weniger aus, weil bei den Vertretern der letzteren schon im Zusammenhang mit
ihrer mönchischen Erziehung und Schulung die ganze eine Hälfte des Heilswegs
durchweg von den Interessen und Gesichtspunkten der Mystik beherrscht ist. So-
bald dieselben in ihren theoretischen Erörterungen das Gebiet der Heilsaneignung
betreten, bringen sie gleichzeitig die Voraussetzungen ihrer praktischen Mystik mit."
^ Auch in der Verhältnissbestimmung von Nitzsch (a. a. 0. S. 651 ff. 655)
vermag ich eine Klärung nicht zu finden, während bei Thomasius-Seeberg die
deutliche Erkenntniss der Sache vollends durch einen Schwall von Einzelheiten
verschüttet ist. Nitzsch hebt erstlich den formalistischen Charakter der
Scholastik stark hervor, verweist dann zum Verständniss der mystischen Theologie
auf ihren Ursprung, die pseudodionysische Lehre, und schliesst nun: „Es liegt
auf der Hand, dass diese Theologie des Gemüths, des Gefühls und der unmittel-
baren Anschauung von der scholastisch-dialektischen Theologie grundverschieden
ist." Allein die Behauptung, die scholastische Theologie sei formalistisch, ist, wie
sich unten noch deutlicher zeigen wird, kaum cum grano salis richtig. Wie darf man
eine Denkweise formalistisch nennen, die das höchste Interesse hat, Alles auf eine
lebendige Einheit zu beziehen? Und wenn die angewandten Mittel das gesteckte Ziel
nicht zu erreichen vermögen (nach unserem Urtheil), haben wir desshalb ein Recht,
jenen Gelehrten ein nur formalistisches Interesse an den Dingen vorzuwerfen?
Ferner aber ist die pseudodionysische Theologie ebensosehr die Voraussetzung der
Scholastik wie der Mystik, und das, was Nitzsch „Theologie des Gemüths, des
Gefühls und der unmittelbaren Anschauung" nennt, spielt als Aund 0 dort und
hier die gleiche Rolle, während die mystische Theologie allerdings den Ausgangs-
punkt durch das ganze Alphabet hindurch offenkundig festhält, die Scholastik ihn
scheinbar verlässt, aber zuletzt (Lehre vom Heilsweg) stets zu ihm zurückkehrt,
damit bekundend, dass sie ihn im Grunde niemals aus den Augen verloren hat.
Scholastik und Mystik. Bedingungen der mittelalterl. Wissenschaft. 317
ihre ganze Theologie unbedenklich auch als mystische Theologie be-
zeichnen kann — bei Thomas ist die Mystik Ausgangspunkt und
Praxis der Scholastik — , und umgekehrt giebt es Theologen, die als
Mystiker bezeichnet werden, aber in der Stärke des Triebes, die Welt
zu erkennen und die Kirchenlehre ordnend zu verstehen, den soge-
nannten Scholastikern keineswegs nachstehen. Hiermit ist aber weiter
bereits gesagt, dass ein specifischer Unterschied zwischen den wissen-
schaftlichen Mitteln ebenfalls nicht besteht. Auch hier handelt es
sich ledighch um Nuancen. Die Vorstellung des Gottes, in dem und
von dem aus alle Dinge zu verstehen sind, war durch die kirchliche
Ueb erlief er ung gegeben. In dieser Vorstellung war aber auch die sub-
jective Frömmigkeit erzogen. Die formalen Bildungselemente waren
ebenfalls überall dieselben. Sofern die ^vissenschaftlichen Mittel durch-
weg denselben drei Quellen, dem autoritativen Dogma, der inneren Er-
fahrung und der überlieferten Philosophie, entstammten, lassen sich
Unterschiede, die mehr wären als Spielarten (stärkeres oder geringeres
Zurücktreten der logischen Formahstik, Bevorzugung der inneren Be-
obachtung vor der autoritativen Ueberlieferung), nicht feststellen \
Dennoch, sagt man, sind innerhalb der mittelalterhchen Wissen-
schaft grosse Spannungen eingetreten. Man verweist auf Anselm und
seine Gegner, auf Bernhard und Abälard, auf die deutschen Theologen
des 14. Jahrhunders und die sie verketzernden Kirchenmänner, und
man bringt diese Gegensätze auf die Formel, dass hier die Mystik im
Streit mit der Scholastik liege. Unterschiede sind hier allerdings vor-
handen ; aber sie werden durch jenes Schlagwort nur sehr unsicher be-
leuchtet. Vor Allem sind die hier zusammengefassten Erscheinungen
keineswegs in einer Gruppe zu vereinigen. Indess, bevor wir auf sie
eingehen, werden wir gut thun, die oben gestellte Hauptfrage zu be-
antworten, unter welchen Bedingungen das wissenschafthche Denken
des Mittelalters gestanden, resp. wie es sich entwickelt hat, und wel-
ches die concretenFactoren waren, die es bestimmt (gefördert oder ge-
hemmt) und ihm damit das eigenthümliche Gepräge verHehen haben.
Aus dieser Untersuchung wird sich die zutreffende Beleuchtung jener
Spannungen von selbst ergeben, die man irrthümlich bestimmt, wenn
man sie als Kampf zweier entgegengesetzter Principien bezeichnet.
Das Mittelalter hat von der alten Kirche nicht nur das wesentlich
fertige Dogma erhalten, sondern auch — als lebendige Kraft — die Phi-
losophie resp. Theologie, welche an der Ausprägung des Dogmas gear-
beitet hat, und dazu einen Schatz klassischer, mit der Philosophie
* Die .Scholastik theilt mit der Mystik den „finis", und die Mystik braucht
wesentlich dieselben Mittel wie die Scholastik.
318 ( Jesehichte dos Dogmas im Zeitalter Clugny'fl, Anaelm's uml Bernhard's.
und dem Dogma wenig oder gar nicht zusammenhängender Litteratur,
dem in Itahen und Byzanz ein nie völlig untergegangenes Element an-
tiker Lehensauffassung entsprach. In diesen drei Stücken hestand die
Erhscliaft der alten Welt an die neue. Sie enthalten aher hereits in sich
alle die Gegensätze, die im geistigen Lehen des Mittelalters hervorge-
brochen sind, nachdem man sich jenes Erbe zum Bewusstsein gebracht
hatte. Diese Spannungen sind in der griechischen Kirche seit den
Tagen des Origenes und Hieronymus el)enso wirksam gewesen, wie
später in der mittelalterlichen Kirche. In diesem Sinne sind alle wissen-
schaftlichen Entwickelungen des Abendlandes im Mittelalter ledighch
eine Fortsetzung dessen, was die griechische Kirche in sich theils schon
erlebt hatte, theils noch immer in schwachen Bewegungen erlebte. Der
Unterschied besteht nur darin, dass sich im Abendland allmählich Alles
zu grösserer Energie entwickelte, dass die Kirche als der sichtbare Gottes-
staat auf Erden allem w^eltlichen Leben ihren Stempel aufdrückte, auch
die Wissenschaft enger an sich heranzog, ihr einen höheren Schwung
verlieh und sie gleichzeitig durch ihre Autorität zum juristischen Den-
ken nöthigte, endlich darin, dass der griechischen Wissenschaft der Au-
gustinismus gefehlt hat.
Wir bemerkten oben, dass das Mittelalter neben dem wesentlich
fertigen Dogma auch die zugehörige Philosophie resp. Theologie von
dem Alterthum erhalten hat. Eben hierin war aber eine Spannung ge-
geben; denn so gewiss diese Theologie „zugehörig" gewesen ist, so ge-
wiss enthielt sie als lebendige Kraft auch Elemente, die dem Dogma
feindhch waren, mag man nun auf denNeuplatonismus oder den Aristo-
telismus blicken. Es ist bekannt, dass beide Bichtangen in der grie-
chischen Kirche seit dem 5. und 6. Jahrhundert an dem Dogma
gearbeitet haben, dass „Häresien" zur Rechten und zur Linken (Pan-
theismus und Tritheismus, spiritualistische Mystik und rationalistische
Kritik) die Folge waren, und dass es dann seit dem justinianischen Zeit-
alter zu jener Scholastik gekommen ist, welche den Mittelweg zwischen
dem Areopagiten und Johannes Philoponus gefunden hat ^
In der theologischen AVissenschaft des Johannes Damascenus
stellt sich der Ausgleich des Dogmas mit dem Neuplatonismus und dem
Aristotelismus dar'-^. Dabei spielt in den Principien Jener, in der
Durchführung Dieser die Hauptrolle ; denn mit Hülfe der dialektischen
Distinction vermag man alle auftauchenden Schwierigkeiten und Wider-
sprüche zu heben. Allein durch den Ausgleich war die selbständige
Kraft der neuplatonischen und aristotelischen Philosophie nicht ge-
' S. Bd. II S. 383 f. dieses Werkes.
'' A. a. 0. S. 411 f.; s. auch S. 462 ff.
Die Anfänge der mittelalterlichen Wissenschaft. 319
brochen. Die Schriftwerke, die sie enthielten, wurden fort und fort
gelesen, und so hörten in Byzanz die Spannungen nicht auf. Die
mystische Theologie wurde weiter gepflegt, Aristoteles studirt, und
beide bedrohten, wenn auch in immer schwächeren Anläufen, die in
den Umarmungen des Staates kraftloser werdende Kirche sammt
ihrer Dogmatik. Dazu kam, dass die Reminiscenzen an das theo-
logisch unbekümmerte Zeitalter der Antike nie erloschen, dass eine
gewisse weltliche, religiös indifferente Bildung, freilich in der Regel
zur Barbarei entartet, sich erhielt, welche doch stark genug war, um
es der morgenländischen Kirche zu verwehren, im weltlichen
Leben und der weltlichen Bildung ihre Ideale und Ziele je auch
nur annähernd durchzusetzen. Mochten auch Mönche und fromme
Laien seit den Tagen des alexandrinischen Theopliilus über die Gott-
losigkeit der antiken Litteratur jammern und sie in die Hölle wünschen :
man vermochte sie weder zu verbannen noch zu reinigen und völlig
in den Dienst der kirchlichen Wissenschaft zu ziehen.
Versetzen wir uns nun in das karolingische Zeitalter d. i. in die
erste Epoche eines wissenschafthchen Aufschwungs im Abendland,
so finden wir genau dieselben Elemente, nur um ein wichtiges (den
Augustinismus) vermehrt, bei einander. Man ist eifrig bestrebt, das
überlieferte Dogma kennen zu lernen und es durchzudenken, und be-
giebt sich dabei, wie der adoptianische Streit zeigt, in die volle Ab-
hängigkeit von den Griechen. An den Schriften des Boethius und
Isidor besitzt man eine Quelle, reich genug für jene Zeit, um die
dialektische Methodik zu lernen. Die neujjlatonische Mystik ist be-
reits, wie das Werk des Johannes Scotus beweist, in den Schriften
des Dionysius und Maximus dem Abendland bekannt geworden; da-
zu aber ist sie in theistischer Fassung und mit einer unvergleich-
lichen Anziehungskraft durch Augustin vertreten. Endlich wird die
antike Litteratur (Dichter und Geschichtsschreiber) hervorgesucht, und
durch den Contact mit Italien steigen die verführerischen Bilder eines
nie ganz untergegangenen heiteren Lebens auf.
Allein die Kräfte, über die das Abendland damals verfügte, waren
noch zu schwach, um mit den Capitalien sel})ständig zu arbeiten, die
man ererbt hatte. Sich in Augustin und Gregor I. heimisch zu
machen, die christologischen Specuhitionon der Griechen zu ver-
stehen und die einfachsten Regeln der Logik und Methodik sich an-
zueignen — das war die eigentliche Aufgabe der Epoche. Was sie
darüber hinaus versucht hat, Scotus ausgenommen, war eine kraft-
lose Renaissance; ja die Verl)indung des Antiken mit dem Theolo-
gischen am Hofe Karl's des Grossen hat etwas Kindhches. Diese
320 (xeschichte des Dotrmas im Zeitalter Clugny's, Anselm'fl und Bernhard's.
Verbindung ist daher bald wieder gelöst worden. Nicht erst unter
Ludwig dem Fronunen, sondern schon in den letzten Jahren Karl's I.
selbst schlägt der altkirchUche asketische Gedanke auch in der Wissen-
schaft durch. Dabei ist es seitdem geblieben; man kann sogar bis
zum 13. Jahrhundert eine stetige Steigerung der Abneigung gegen
die Antike bemerken^ während freilich einige kühne Geister mehr als
früher aus ihr zu lernen suchten. Die weltlichen Studien wurden in
thesi verworfen. Die antike Litteratur galt als eine Quelle der Ver-
suchungen. Alle Wissenschaft, die sich nicht unter die Theologie
stellt, d. li. nicht Alles auf die Erkenntniss Gottes bezieht, gilt als
verderblich, ja als des Teufels Buhlerin. Aber wie auf allen Ge-
bieten das Charakteristische der mittelalterlichen Weltanschauung da-
rin besteht, dass sie das Unvereinbare vereinigen will, und dass die
Negation der Welt in der Form der Weltbeherrschung erreicht wer-
den soll, so gewahren wir auch hier, wie das, was man verwirft, wieder-
um aufgenommen wird. Als formales Bildungsmittel, ferner um die
Heiden, Juden und Häretiker zu widerlegen, um die göttlichen Ge-
heimnisse zu ergründen , wird die antike Litteratur und Pliilosophie
doch herbeigezogen. Es sind zum Theil dieselben Personen, die sie
letztlich verwerfen, aber auf dem langen mühsamen Weg bis zur Höhe
sich ihrer doch bedienen. Und wo es verschiedene Personen sind, da
besteht zwischen ihnen im tiefsten Grunde eine AVahlverwandtschaft;
denn alle Denker, die von Einfluss gew^orden sind, mögen uns die
Einen als „Aufklärer", die Anderen als Traditionalisten erscheinen,
sind von demselben Grundgedanken beherrscht, alle Dinge auf Gott
zurückzuführen und aus Gott zu verstehen. Und als schliesslich die
Kirche den Aristoteles frei gab und die volle Verwerthung desselben
bilUgte, da that sie das nicht, indem sie einem äusseren Zwange folgte,
sondern weil die Idrchliche Theologie nun stark genug war, um diesen
Meister zu bemeistern, und weil er ihr die wirksamste Hülfe zu leisten
vermochte gegen die Gefahren eines kühnen, das Dogma bedrohenden
Ideahsmus. Mochten auch die Schulen, die Universitäten nicht kirch-
liche Anstalten im strengen Sinn des Worts sein — die Wissenschaft
war kirchlich, theologisch. Es gab keine Laien Wissenschaft. Der
Gedanke einer solchen war jener Zeit gleichbedeutend mit Heidenthum
und Nihilismus.
Aus dem karolingischen Zeitalter läuft eine Kette wissenschaft-
licher Ueb erliefer ung imd gelehrter Schulen bis in das 11. Jahr-
hundert^; aber eine continuirliche Steigerung des vdssenschaft-
* Bereugar war ein Schüler Fiilbort's von Ohartres (•{- 1028); dieser liat bei
Gerbert srelernt.
Die Anfänge der mittelalterlichen Wissenschaft. 321
liehen Betriebes lässt sich nicht ermitteln, und auch die grössten
Meister (Gerbert von Rheims) bringen es noch nicht zu epoche-
machenden Wirkungen. Erst in der Mitte des Jahrhunderts beginnt
die Erhebung, der kein Niedergang mehr gefolgt ist, und wird der
Faden angeknüpft, der nicht mehr abriss. Unzweifelhaft ist die innere
Erhebung der Kirche die entscheidende Ursache dieses Aufschwungs
der Wissenschaft gewesen, wenn man auch überrascht ist, gleich An-
fangs einer Virtuosität der Dialektik zu begegnen, auf die man nicht
gefasst ist und die sich in dem saeculum obscurum trotz seiner Dunkel-
heit herangebildet haben muss. Aber wie hätte der innere Aufschwung
der Kirche für die Wissenschaft ohne Folgen bleiben können? Die
Kirche fasste sich als geistige Macht damals zusammen, als die
Macht des übersinnlichen Lebens über das Sinnliche ; der Gegenstand
der Wissenschaft war das Uebersinnliche ; sie also war durch diesen
Aufschwung herausgefordert! Aber auch die im Transcendentalen
schwelgende Wissenschaft, die sich wilhg an Offenbarungen anschliesst,
kann ihren Charakter als Wissenschaft nicht verleugnen. Sie wird,
auch wo sie die Magd der Offenbarung ist und sein will, stets ein
Element in sich schliessen, durch welches sie den Glauben, der Ruhe
begehrt, beleidigt; sie wird eine Frische und Freudigkeit zur Schau
tragen, welche der Devotion als Keckheit erscheint; ja sie ward,
auch wenn sie im Ausgangspunkt und im Ziele sich mit der Kirche
Eins weiss, niemals einen negativen Zug verleugnen können, weil sie
mit Recht immer finden wird, dass die Principien der Kirche in den
concreten Ausprägungen des Lebens deteriorirt und durch Aber-
glauben entstellt sind.
In der grellen Beleuchtung, welche Reuter, der bewunderungs-
würdige Kenner jener Litteratur, den Spannungen der jungen mittel-
alterlichen Wissenschaft mit den Kirchenmännern hat angedeihen lassen
(Berengar und Lanfranc, Anselm und seine Gegner, Abälard und
Bernhard), erscheinen die handelnden Personen gespenstisch verzerrt.
Bei dem Bestreben dieses Gelehrten, überall die „negative Aufklärung"
in den Bewegungen herauszufinden, werden die Dinge um ihr Mass
gebracht, und der gemeinsame Boden, auf welchem die Kämpfenden
stehen, verschwindet fast ganz. Mit Erstaunen und Befremden sieht
man einen Herostratus nach dem Anderen, umgeben von Schaaren
gleichgestimmtei' Schüler, über die Bühne ziehen, der „Primat der in-
falliblcn Vernunft" wird von ihnen aufgerichtet, nachdem sie die Au-
torität zerstört haben; die Antithesen starren wie Klippen und furcht-
bare Abgründe thun sich auf. A})er in irgend einer verlorenen Wen-
dung muss der Biograph dieser Helden, sofern er sie nicht der
Harriack, Doginengeschichte III. 21
322 üeschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny'a, Anselm's und Bernliard's.
Heuchelei bezichtigt, regelmässig selbst bekennen, dass sie mit ihrer
Zeit und mit ihren Gegnern aufs engste zusammenhängen, dass die
ins Ungeheure gesteigerten Actionen in Wahrheit viel bescheidener
gewesen sind, und dass die grossen Aufklärer gehorsame Söhne der
Kirche waren. Demgegenüber führen wir die oben gegebenen An-
deutungen fort, um jene Kämpfe zu beleuchten und zu verstehen.
In der Erhebung der Wissenschaft war ein Dreifaches gegeben,
die Vertiefung in die neuplatonisch-augustinischen Prin-
cipien aller Theologie, die dialektische Zergliederungs-
kunst und, mit beiden verbunden, eine gewisse Kenntniss der
alten Klassiker und der Kirchenväter. Was jene Principien
betrifft, so war es der Geist des sogen, platonischen Realismus,
der herrschte. Durch ihn, wie man ilm aus Augustin und dem Dogma
selbst, dazu aus hundert kleinen Quellen geschöjjft hatte, brachte man
sich das Dogma, aber auch die Welt zum Verständniss und erkannte
alle Dinge aus und in Gott. Bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts
hat dieser platonische ReaHsmus mit seiner spiritualistischen Subli-
mirung und seiner allegorischen Methode ziemlich ungebrochen ge-
herrscht, um so sicherer, je weniger bewusst (als Erkenntnisstheorie)
man ilin sich noch vorstelltet Es ist ihm eigenthümlich, dass er
vom Glauben ausgeht und sich nun auf demselben Wege des Dog-
mas bemächtigt, auf dem es einst entstanden ist („credo ut intelli-
gam" — diesen Satz Augustin's hat nicht nur Anselm wiederholt,
sondern alle kirchlichen Denker der Epoche haben ihm gehuldigt);
aber es ist ilrni ferner eigenthümHch, dass er das Dogma über-
fliegt. Das hat in der griechischen Mystik ebenso stattgefunden,
wie bei Augustin, und es wiederholte sich, ohne dass die Gefahr be-
merkt wurde, seit dem 11. Jahrhundert (und zwar gerade auch bei
den „frömmsten" Theologen). Hier liegt die erste Spannung. In-
* Bis tief in das 12. Jahrhundert hinein sind die Gelehrten nicht zuerst Phihi-
sophen und dann Theologen gewesen, sondern sie besassen überhaupt noch kein
philosophisches System, vielmehr ist die Philosophie ganz wesentlich dialektische
Technik ; s. D eu ts ch , Abälard S. 96 : „Das Verhältniss der Philosophie zur Theo-
logie in der Anfangsperiode der Scholastik ist ein wesentlich anderes, als in der
Blüthezeit derselben. In der ersteren ist ein eigentliches philosophisches System,
eine nach den verschiedenen Seiten hin durchgeführte "Weltanschauung noch gar
nicht vorhanden. Nur die Logik ist in einer gewissen Vollständigkeit bekannt . . .
als eigene Disciplin aber existirt die INIetaphysik für die Philosophen jener Zeit
noch nicht. Was man von ihr hat, besteht in einzelnen, theils platonischen, theils
aristotelischen Sätzen . . .Erst mit dem Bekanntwerden der aristotelischen Schriften
in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lernte das Abendland ein wirkliches
philosophisches System kennen."
I
Philosophie und Theologie im 11. Jahrhundert. Der Realismus. 323
dem man sich das Dogma durch dasselbe Mittel zum Yerständniss
bringt, durch welches es entstanden ist, wird jene Vorstellung von
der Immanenz Gottes, von dem Sein aller Dinge in Gott lebendig,
vor der das Geschichtliche und das Dogma selbst zu zerfliessen droht
d. h. als die letzte Stufe gilt, welche der Sublimirung bedarf. So
hat es Origenes gedacht, so hat es Augustin empfunden und an den
Grenzen seiner Speculation zum Ausdruck gebracht ', so haben es die
griecliischen Mystiker gelehrt ^. Von hier aus konnte, wie auf einem
Umweg, eine vollkommene Rehabilitation der Vernunft stattfinden.
Sie, die am Anfang abgedankt war — die Offenbarung gilt und die
Autorität — , ist jetzt das Mittel, um Alles aus dem Wege zu räu-
men, was dem Gedanken der Absolutheit, Unveränderlich keit
und Immanenz Gottes hinderlich ist. Sie neutralisirt das Wunder,
um die strenge Geschlossenheit des Wirkens des AU-Einen zum Aus-
druck zu bringen; sie neutralisirt selbst die Heilsgeschichte und die
Geschichte überhaupt oder verwandelt sie in den Kreislauf des mv-
kenden Seins, welches da ist, war und sein wird ; sie neutralisirt end-
lich die Creatur. Der „Aufklärer" des 11. und 12. Jahrhunderts
wäre erst noch zu finden, der nicht bewegt von dieser Mystik seine
„aufklärende" Rolle gespielt hat, der nicht auch das „credo ut in-
telligam" als Ausgangspunkt hat gelten lassen. Mag er auch wie Be-
rengar das wörtlich verstandene jüdische Gesetz mit den Gesetzen
der Römer, Athener und Spartaner vergleichen, um diesen die Palme
zu geben, mag er wie Abälard in der „Religionsphilosophie auf ge-
schichtlicher Grundlage" die Heilsgeschichte und die allgemeine Ge-
schichte in Eins zusammenziehen — es geschieht das so, dass doch
für Alles, was die Kirche an stofflichem Gehalt bietet, durch das
^S. obenS. 112 f.
^ Daher war man auch in der Univcrsalicnfrage, die schon damals in Anschluss
an Stellen des Prophyrius undBocthius verhandelt WTirde, fast durchweg realistisch
gesinnt : die GemeinVjegriffe existiren an und für sich oder sie existiren in den Dingen
als ihr eigentliches Wesen (wobei sehr verschiedene Wendungen im Einzelnen mög-
lich waren; s. Prantl, Gesch. der Logik II 8. 118 ff.). Allerdings findet sich auch
schon in unserer Epoche der Nominalismus vertreten, nach welchem die Gemein-
begriffe intellectus, resp. nur voces sind, ja er hat wahrscheinlich stets neben dem
Realismus bestanden; aber für die Theologie war er noch gleichgiltig. Als der
Nominalist Koscellin, der Lehrer Abälard's, die nominalistische Betrachtung auf
die Trinitätslchrc anwandte, wurde er von Anselm zurückgewiesen (s. Deutsch
S. 100 f.). Diesem war es nicht zweifelhaft, dass die, welche die universales sub-
stantias für blosse voces halten, den christlichen Glauben verfehlen müssen und
häretisch sind. Aber wie; stand es mit denen, welche die Substantialität der Ge-
meinliegriffo consequent durchführten?
21*
324 Geschichte des Dooniaa im Zeitalter Cluguy's, Anselm's und Bernhard's.
Mittel der Siiblimirung (Allegorie) die absolute Geltung vorbehalten
bleibt; es geschieht im Namen des Gottesbegriffs und der Theologie,
die auch bei den Gegnern, soweit sie überhaupt dachten, herrschten,
und diese erschraken vor (>onsequenzen, die Justin, Origenes und
die grosse Gruppe griechischer und lateinischer Väter längst gezogen
hatten'. Also nicht Princip stand gegen Princip, sondern das Mass
der Anwendung war controvers'*^; man müsste denn für das eigent-
liche Princip der mittelalterlichen kirchlichen Theologie die Gedanken-
losigkeit oder die blinde Unterwerfung halten. Allein das hatten die
Kirchenväter nicht gelehrt, und das hat auch die Kirche selbst nicht
gewollt, als sie sich als geistige Macht im 11. Jahrhundert wieder
zusammenfasste. Wie schmal ist doch die Grenze zwischen Berengar
und Anselm als Theologen! oftmals verschwindet sie ganz; denn wie
entfernt waren auch die angeblichen Stürmer davon, jene Consequenzen
sämmtlich zu ziehen und etwa die Gedanken des Erigena zu wieder-
holen! Sie waren keine Neuerer, sondern Erneuerer; von negativer
Aufklärung ist bei ihnen nichts zu spüren.
In der griechischen Kirche hatte sich der Aristotelismus einge-
stellt, als man Dogma und Speculation nicht mehr auszugleichen ver-
mochte, und dieser hat der Kirche den unschätzbaren Dienst des
Horos geleistet, der die Sophia der Mystiker abhielt, sich in den
^ Es wäre eine interessante und wichtige Untersuchung festzustellen, ob und
durch welche Vermittelungen die ältere vorhieronymianische kirchliche Litteratur
auf die Scholastik eingewirkt hat. Sind z. B. die Uebereinstimmungen Abälard's
mit Justin und Origenes zuiällige oder nur indirecte oder directe ? Dass der Hirte
des Hermas und die Didache fortgewirkt haben, lässt sich beweisen. Widersprüche
zwischen der Tradition, der älteren und der jüngeren, und wiederum zwischen der
Tradition (den hl. Kanones) und der Schrift hatte man schon im gregorianischen
Zeitalter entdeckt und bis zu einem gewissen Masse zugestanden (s. Mirbt,
Augustin S. 3 f.); allein erst Abälard hat das Gewicht dieser Widersprüche geltend
gemacht, andererseits freilich, was seinen Zeitgenossen ganz fern lag, zu ahnen be-
gonnen, dass die Trrthümer den Fortschritt der Wahrheit bewirken.
* Es braucht wohl nicht erst besonders bemerkt zu werden, dass kein be-
deutender Lehrer in unserer Epoche die Consequenzen des platonischen Realismus
vollständig gezogen hat (so wenig wie Augustin). Sie lagen nur an den Grenzen
ihrer Betrachtung und wurden an dieser oder jener Stelle gestreift. Wilhelm von
Champeaux freilich scheint, bis ihn Abälard eines besseren belehrte, die volle Imma-
nenz des substanziell gedachten Gattungsbegriffs in jedem Individuum verkündet zu
haben, welche Anschauung zur Lehre von der einen ruhenden Substanz und von der
Aufliebung alles Individuellen als blossen Scheins oder blosser Zutalligkeiten hätte
führen müssen. Diese Lehre lag allerdings an den Grenzen der damaligen AVeit -
aufiassung und ist in der Mystik als Ausdruck frommer Centemplation, sptüer aueli
als theoretische Ueberzeugung, hervorgebrochen. Dass Abälard das A-^erdienst zu-
kommt, sie abgewiesen zu haben, darüber s. unten.
Der Realismus. Einwirkung des Aristotelismus. 325
Bythos des Urvaters hinabzustürzen. Aber er hatte Anfangs gleich-
zeitig mit diesen Diensten unangenehme Zugaben gebracht. Indem
er den schrankenlosen Ideahsmus zurücktrieb und sich zugleich an
die Arbeit machte, paradoxe und drückende Formeln durch Distinc-
tionen erträglich zu machen, unterzog er auch solche Formeln einer
Revision, die zusammenstürzten, sobald man ihnen die Basis des
platonischen Realismus wegnahm. Dieser Aristotelismus, der so noth-
wendig war und mit dem man doch an Johannes Philoponus und
anderen Griechen — von der alten antiochenischen Schule zu schwei-
gen — so schhmme Erfahrungen gemacht hatte, er war auch den
Abendländern durch Boethius und aus anderen Quellen (freilich küm-
merhch genug, zunächst als logische Methodik) bekannt und hatte
längst schon (bei Boethius selbst z. B.) eine wilde Ehe mit der neu-
platonischen Principienlehre geschlossen. Dem Geiste des Abend-
landes, der mehr Verstand als Vernunft war und auch als juristischer
stets zu Distinctionen strebte, war dieser „Aristotelismus" congenial.
Aus ihm entwickelte sich die „Dialektik", und zwar zuerst als Tech-
nik. Und wie diese Technik immer keck und hochmüthig macht, wo sie
für den Inbegriff aller Weisheit gehalten wird, so war es auch Anfangs
im Mittelalter. Die geschulten „Dialektiker" des 11. Jahrhunderts
sahen hochmüthig herab auf die Dunkelmänner, welche die Kunst
nicht verstanden, und diese wurden für die überlieferte Kirchenlehre
besorgt, obgleich die Operationen der jugendlichen Wissenschaft nur
selten an dem Kern der Dinge rührten — es sei denn, dass der Eine
oder der Andere sich mit seiner Kunst in Bezug auf die Dogmen,
welche im Mittelpunkt der Betrachtung standen (Trinitätslehre, Zwei-
naturenlehre, Abendmahlslehre), zu weit vorwagte und, den späteren
Nominalismus anticipirend oder an unliebsame Thatsachen der Ge-
schichte der Tradition erinnernd, einen bedenklichen Lösungsversuch
des trinitarischen Problems auftischte (tritheistisch, sabellianisch) oder
dem alten Adoptianismus zu nahe kam oder die verbreitete Meinung
vom äusserlichen Wunder im Abendmahl ins Schwanken brachte.
So entstanden die ersten Conflicte, die aber desshalb der wirklichen
Schärfe ermangelten, weil die Dialektik selbst im Bunde mit dem
platonischen Realismus stand und im Grunde häufig nicht wusste,
was sie materiell wollte. Dabei darf allerdings nicht verkannt wer-
den, dass überall, wo der Verstand hinzugezogen wird, dieser sein
eigenes Recht geltend machen und die Schranken einer bloss for-
malen Thätigkeit überspringen wird. Allein, z. B. die AVissenschaft
Anselm's zeigt, wie friedlich sich unter Umständen das Dogma, der
platonische Realismus und die Dialektik vertrugen.
326 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Auselm's und Bernhard's.
Allein im 12. Jahrhundert wurde das anders. In Abälard*
steigerte sich sowohl die kritische Richtung des platonischen Realis-
mus (vgl. seine Betrachtung der Geschichte) als auch die kritische
Richtung der Dialektik, ohne dass er jedoch in den Grund-
thesen das Verhältniss der Unterwürfigkeit unter die
Kirchenlehre preisgegeben hätte. Abälard ist der kühnste
Theologe seiner Zeit gewesen, weil er allen Elementen der Ueber-
lieferung die kritische Seite abzugewinnen verstand und wirkHch von
der Fehlerhaftigkeit des gerade Giltigen überzeugt war. Seine zeit-
genössischen Gegner meinten, dass die Gefahren der Abälard'schen
AVissenschaft ganz wesenthch aus seiner Dialektik stammten, und
haben demgemäss diese vor Allem discreditirt. In der That ist die
Külmheit in der verständigen Behandlung des Einzelnen ein hervor-
stechender Zug bei Abälard; aucli machte der einmal entfesselte Ver-
stand seine eigenen Rechte geltend, übersprang vielfach die in thesi an-
erkannten Schranken, höhnte die Autorität und proclamirte, unter-
stützt von einer gewissen Kenntniss der alten Geschichte, das ewige
Recht des verständigen Denkens als die höchste Instanz. Allein dass
die gefährhchsten Thesen des unruhigen Gelehrten aus dem platonischen
(augustinischen) Realismus, d. h. aus der Grundanschauung, die man
selbst festhielt, flössen, bemerkte man nicht. Im Princip hat
Abälard durch seine kritisch-dialektischen Erwägungen
diesen allerdings bereits abgemildert. Er ist nicht mehr
Vertreter des consequenten Realismus; vielmehr hat er zuerst eine
^ S. die vortreffliche Monographie von Deutsch über ihn (1883), das beste
Buch, welches wir über die Geschichte der theologischen Wissenschaft jener Zeit
besitzen, ausgezeichnet vor Allem durch die Ruhe und Umsicht des Urtheils gegen-
über den exaltirten Biographen von Rechts und Links. In der Einleitung S. 11 f.
ist mit Recht die Existenz einer weit verbreiteten negativen Aufklärung in dieser
Zeit abgelehnt. Was weit verbreitet war, war nicht negativ, sondern kirchlich, und
was negativ war — Frivolität hat es freilich zu allen Zeiten gegeben — oder aus-
gesprochen häretisch, war ohne Wirkung ins Grosse. Dass Abälard eine einzig-
artige Stellung in seiner Zeit zukommt, hat Deutsch mit Grund behauptet; aber
er ist weit entfernt davon, ihn einfach als Aufklärer zu charakterisiren. Wenn man
ihn so nennen müsste, dann wäre es der katholischen Religion eigenthümlich,
Köhlerglaube zu sein — diesen Anspruch stellte sie aber wenigstens damals noch
keineswegs — , dann wären Justin, Origenes und Augustin „confessionslose Frei-
denker", dann wäre Abälard selbst ein zweizüngiger Heuchler; denn er wollte ein
offenbarungsgläubiger kirchlicher Theologe sein, freilich ein solcher, der Rechen-
schaft zu geben vermöchte von seinem Glauben und ihn als die deutliche Wahrheit
nachzuweisen fähig wäre. Dass er sich bei dieser Tendenz in Widersprüche ver-
strickte, dass er bei der Aufgabe, die Religion dem Verstände zu empfehlen, häufig
mehr auf den Richter als auf den Klienten sah , ist ihm als Theologen doch nicht
eigenthümlich !
Die negative und positive Bedeutung Abälard's. 327
Art von Conceptualismus * in die Erkenntnisstheorie eingeführt, die
strenge Immanenzlehre durchbrochen und, indem er der Creatur ihre
Selbständigkeit zurückzugeben begann, auch den Begriff Gottes selbst
von dem Pantheistischen zu befreien begonnen. Bei Abälard hört
die dialektische Technik auf, blosse Technik zu sein-, sie beginnt ein
materiales Princip zu werden und die hergebrachten (neuplatonisch-
augustinischen) Lehren von den ersten und letzten Dingen zu corri-
giren. Das Paradoxe in der Stellung Abälard's besteht
darin, dass er einerseits in der geschichtlichen Betrach-
tung gewisse Consequenzen der mystischen Gotteslehre
(vgl. Justin, Origenes, aber auch Augustin selbst) zuversichtlicher
gezogen hat als seine Zeitgenossen, dass er aber anderer-
seits dem nüchternen Denken einen materiellen Einfluss
auf die Betrachtung der Grundprincipien vergönnt hat.
Die Gegner sahen in ihm nur den negativen Theologen. In "Wahr-
heit hat dieser negative Theologe den Grund zu der klassi-
schen Ausgestaltung der mittelalterlichen conservativen
Theologie gelegt^. Denn das kirchliche Dogma war denkend nicht
^ Wie seine Erkenntnisstheorie zu fassen ist, darüber stieiten sich die Ge-
lehrten (s. Deutsch S. 104 ff.). Gewiss ist, dass er dem platonischen Realismus
skeptisch gegenüberstand, ja ihn verworfen hat, ohne freilich zum Nominalismus
überzugehen.
'^ Dies erscheint paradox, und gewiss ist zunächst Anderes an Abälard hervor-
zuheben : sein echtes unverwüstliches wissenschaftliches Streben, sein Sinn für das
Natürliche (der gesunde Menschenverstand) , sein ehrgeiziges, von Eitelkeit nicht
freies Trachten, sein dialektischer Scharfsinn, sein kritischer Geist, endlich die in
ihm lebende üeberzeugung, dass die ratio ihren eigenen Spielraum habe und dass
es viele Fragen gebe, in denen sie zuerst und allein zu hören ist (über seine Gelehrsam-
keit, die oft überschätzt worden ist, s. Deutsch S. 53 ff.). Allein andererseits sind
doch folgende Momente in seiner Lehrweise geltend zu machen, die geradezu eine
positive Bedeutung für die Folgezeit gewonnen haben (wobei von dem Selbst-
verständlichen abzusehen ist, dass auch er letztlich alle Erkenntniss auf die Offen-
barung Gottes zurückgeführt hat): 1) Der als „Rationalist" gescholtene Mann hat
keine grosse Zuversicht zu den Fähigkeiten des menschlichen Erkenntnissvermögens
gehabt und dies auch offen ausgesprochen gegenüber dem Selbstgefühl der Dialek-
tiker und Mystiker; er hatte sie nicht, sondern verwies auf die Offenbarung, weil
er 2) Denken und Sein nicht als identisch nahm, sondern dem herrschenden Rea-
lismus gegenüber eine kritisch-skeptische Haltung einnahm, wie sie — die Folgezeit
lehrte es — gerade die Vertheidigung der Kir(;henlehrc nöthig hatte. Damit hängt
3) zusammen, dass er, obgleich er im Gottesbegriff sicli vielfach auf der Spur Augu-
stin's hielt, die Consequenzen jenes Gottesbegriffs, die bald zur Annahme eines starren
unveränderlichen Wirkens Gottes (eines starren Naturzusammenhangs), bald zu der
einer unbeschränkten Willkür Gottes führten, vermied, indem er aufs kräftigste,
wenn auch nicht durchweg, den Gedanken der ethischen Bestimmtheit des gött-
lichen Thuns und der Umgrenzung des götthchen Könnens durch den Zweckbegriff
328 (ieschichte des Dogmas im Zeitalter Cliigny's, Anselm's und Bernhard's.
ZU halten unter der vollen Herrschaft der mystischen neiiplatonischen
Theologie. Hatte diese auch vornehmlich an ihm gcarheitet, so hatte
(imd damit durch das wirklich Geschehende) wieder einführte (mit Ürigencs, z. Th.
gegen Augustin). Damit behauptete er auch, eine scharfe Grenze zwischen Gott
und der Creatur ziehend, die Selbständigkeit der letzteren, corrigirtc somit den be-
denklichen mystischen Gottesbegrill' und hat den GottesbegriÜ" der grossen Schola-
stiker vorbereitet. Seine Gegner, wie Hugo (und spätfjr auch der Lombarde), haben
dagegen jenen Gottesbegi'ift' festgehalten, der sich nachmals als bequemer erwiesen
liat, um jede beliebige Kirchcnlehrc zu verthoidigen; aber der wahrhaft positivere
ist unstreitig Abälard. Wenn man ihn trotzdem mit Spinoza zusammengestellt hat,
so beweist das nur, dass man den sonst in seiner Zeit bei den kirchlichen Theologen
herrschenden Gottesbegriff nicht kannte und gerade die Seite an Abälard's Gottes-
begriff hervorgehoben hat, die ihm in seiner Zeit nicht eigenthümlich ist; denn er
suchte den Standpunkt der Immanenz mit der Transcendenz zu verbinden, seine
Gegner aber haben ihn vom Standpunkt des „spinozistischen" Gottesbegriffs aus
bekämpft. 4) Wie bei der Gotteslehre, so steht es bei allen übrigen Glaubenslehren :
stets ist hier (s. Deutsch's Darstellung) Abälard von Augustin ausgegangen, hält
dessen Formulirungen wesentlich fest, bemüht sich aber mit mehr Muth und Zu-
versicht, als der durch den Neuplatonisnuis gebundene grosse Meister, die Theologie
und die Glaubensobjecte aus den Umarmungen einer Mystik zu befreien, die schliess-
lich Naturphilosophie ist. Das ethische Interesse, die Zuversicht, dass das, was dem
Sittengesetz entspricht, auch vor und für Gott das Heilige und Gute ist, beherrscht
Abälard (daher auch sein besonderes Interesse für die Moralphilosophie) , und so-
weit dieses Interesse im 13. Jahrhundert den mystischen Aufriss der Glaubenslehre
corrigirt hat, muss man an Abälard als Vorläufer erinnern. Aber wenn man in
diesem Sinne sagen darf, Abälard habe den Grund zu den grossen Gebäuden der
Scholastik des 13. Jahrhunderts gelegt — nicht nur weil er der Lehrer des Lom-
barden, nicht nur weil er der scharfsinnigste Denker der Epoche gewesen ist, son-
dern weil er jene Ineinsbildung der Immanenz- und Transcendenz-
lehre zuerst versucht und jene Herabstimmung der Erkenntnissprincipien gelehrt
hat, welche die Voraussetzung kirchlicher Systeme geworden sind — , so kann mau
doch nicht verkennen, dass die Folgezeit nicht direct an ihn angeknüpft hat. Was
er selbständig gefunden hat, das lernte die Folgezeit an Aristoteles, der ihr seit
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mehr und mehr bekannt wurde ; sie lernte
es nur indirect oder gar nicht von Abälard. Aber das kann seinen Ruhm nicht
schmälern : er hat zuerst gezeigt, wie man alle kirchlichen Lehren so behandeln
kann und muss, dass die Principien der Moral (das Sittengesetz) ebenso in dem
System zu ihrem Rechte kommen, wie die Grundgedanken der theologi-
schen Naturspeculation. Dass er diese Aufgabe nicht gelöst hat, wird ihm
Niemand zum Vorwurf machen; denn sie ist unlösbar. Dass sie aber als Aufgabe
jeder kirchlichen Wissenschaft gestellt werden muss — solange diese überhaupt
das Ideal des Welterkennens für ihr Ideal erklärt — »leuchtet ein. Die Zeitgenossen
haben von Abälard wenig lernen wollen, und das entscheidet in der Regel für das
Mass der Wirkungen, das einem Denker zukommt. Sie fühlten sich abgestossen
1) durch die noch neue Form der Wissenschaft überhaupt, 2) durch manche Sätze
Abälard's, die doch nachmals als erträglich, ja als einzig correct befunden worden
sind, 3) durch viele einzelne negative oder kritische Urtheile, sowohl in Bezug auf
die Geschichte und das Recht der eben herrschenden Meinung, als in Bezug auf
Die negative und positive Bedeutung Abälard's. 329
sich doch die Kirche den überweltlichen Grott und die Selb-
ständigkeit der Creatur stets vorbehalten und hatte eine Eeihe von Dog-
men geschaffen, welche der Platonismus nur zu sublimiren, nicht aber
als den letzten adäquaten Ausdruck der Sache selbst zu rechtferti-
gen vermochte. Sie bedurfte also der Hülfe der Dialektik (der nüchter-
nen Verständigkeit und des auf die gegebenen Formeln gerichteten
juristischen Scharfsinns) und der Herabstimmung des Hochflugs der
Speculation, die ihr nur der Aristotelismus gewähren konnte, d. h.
der „Aristotelismus"; wie man ihn damals verstand und wie er damals
wirkte, als die Betrachtung der Dinge, nach der das Erscheinende
und Creatürhche nicht die transitorische Ausgestaltung des Gött-
lichen ist, sondern der übernatürliche Gott als Schöpfer im eigent-
lichen Sinn des Worts die Creatur geschaffen und mit Selbständigkeit
begabt hat. Sie bedurfte der Hülfe des Aristotehsmus, um eine Reihe
von Dogmen in der einmal feststehenden Fassung zu vertheidigen ^
Aber noch mehr sollte ihr der „Aristotelismus" leisten. Die Ver-
einzelne kirchliche Lehren, wo seine rechtfertigende Darstellung als bedenklich
empfunden wurde (Sabelliauisches in der Trinitätslehre, doch s. Augustiu ; starke
Spannung in der Christologie, die so dem Nestorianismus nahe kam, doch s. ebenfalls
Augustin). 4) Darf nicht verschwiegen werden, dass Abälard selbst der Wirksam-
keit seiner Lehren durch viele Widersprüche und durch das Unfertige seiner Syste-
matik Eintrag gethan hat. Aber wie viel hätte man von ihm lernen können-, man
vgl. nur seine ausgezeichneten Ausführungen über die Liebe, die Versöhnung und die
Kirche! Die Kirche hat zwischen Augustin und Luther keinen Genius besessen-,
aber unter den Männern zweiten Ranges verdient Abälard genannt zu werden.
* Sehr richtig v. Eicken, a. a. 0. S. 602: „Die Bedeutung, welche Plato
und Aristoteles in der mittelalterlichen Philosophie erlangten, stand eigentlich im
umgekehrten Verhältnisse zu der Stellung, welche beide in der Entwickclungs-
geschichte der griechischen Philosophie eingenommen hatten. Die platonische
Philosophie hatte die Substanz der Dinge in die allgemeinen Ideen verlegt und aus
dieser Voraussetzung die Transcendcnz der letzteren, insbesondere der höchsten
Idee, das ist Gottes, gefolgert. Der extreme Realismus des INlittelalters aber nahm
die platonische Ideenlehre nicht desshalb an, um aus derselben die Transcendcnz
der höchsten Idee, sondern vielmehr den einheitlichen Zusammenhang aller Dinge
in der letzteren herzuleiten und gelangte eben von dieser Absicht aus zu einer
Gotteslehre, welche im Vergleiche mit der strengen Transcendcnz der kirchlichen
Lehre einen x^anthcistischen Charakter trug. Andererseits hatte die aristotelische
Philosophie die Wirklichkeit dvr allgemeinen Ideen in den Individuen behauptet,
um die transcendente Ideenlehre Plato's zu widerlegen. Der aristotelische Rea-
lismus jedoch schloss sich der aristotelischen Lehre zu dem Zwecke an, um durch
die Wahi-ung des substanziellen Charakters der Individuen das aussergöttliche Be-
stehen derselben und demnach die mit der kirchlichen Lehre übereinstimmende
göttliche Transcendcnz zu erweisen. Diese, das geschichtliche und logische Ver-
häJtnisH der platonischen und aristotelischen IMiilosophie völlig umkehrende Auf-
fassung hat sich bis zum Ausgange des Mittelalters festgehalten."
330 (Jeschichte des Dogmas im Zeitalter Clugiiy's, Anselm's und Bernhard's.
miiift wird schliesslich niemals mit der Autorität pactiren, wohl aber
der Verstand. Wer einmal in die Stimmung des All-Einen gerathen
ist und der Immanenzlehre Imldigt, wird sich selbst als „Gott" em-
pfinden und daher jede Autorität, wie beschaffen sie auch immer sei,
ablehnen. Wer dagegen seine Selbständigkeit neben anderen Selb-
ständigkeiten empfindet, wird auch seiner Unselbständigkeit gewiss
werden. Er wird das dialektische Spiel des Ueberschlagens der Selbst-
beurtheilung vom vollkommenen Nichts (als Individuum) zum voll-
kommenen Sein (als Geist) nicht mehr mitmachen ; sondern wie er in
gewissen Grenzen, vielleicht mit grosser Zähigkeit, einer rationellen
Betrachtung huldigen wird, so wird er bereit sein, in dem, was über
diese Grenzen hinausliegt, Autoritäten anzuerkennen.
Doch bei dem grossen Anßinger der mittelalterlichen Scholastik
— bei Anselm ist Alles noch naiv — , Abälard, wogen die Elemente
noch unklar durcheinander. Er hat Alles schon als Kraft geltend ge-
macht, was in der Folgezeit, in der Epoche der Blüthe der Scholastik,
als sich begrenzende Potenzen gefasst wurde oder was dort als unter-
schiedliche Richtungen auseinander getreten ist. Seine Zeitgenossen
haben noch nicht geahnt, dass ein Element, welches sie vornehmlich an
ihm tadelten, einst der Retter der Kirchenlehre werden würde. Noch
war die Orthodoxie und der platonische Reahsmus in vollem Bunde.
Die französischen Mystiker verketzerten die Bestrebungen der „Dialek-
tiker" ; Aristoteles wurde gehasst. Als der grosse Schüler Abälard 's,
Petrus Lombardus, seine Sentenzen veröffentlichte und in ihnen in zweck-
mässiger Weise die Gelehrsamkeit des Meisters in den Dienst der kirch-
lichen Theologie stellte — ein Compendium zum Studium der Theologie
hatte das Mittelalter bisher nicht besessen ^ — , da hätte nicht viel ge-
fehlt, dass selbst dieses Werk, welches das Grundbuch der conservativen
kirchlichen Theologie w^erden sollte, als verdächtig beseitigt worden
wäre. Allerdings trägt dieses Werk, indem es auf Grund der schwan-
kenden patristischen Tradition vielfach noch Meinung neben Meinung
stellt, den Stempel einer Freiheit, die nachmals verloren gegangen ist.
Allein die blosse Thatsache, dass es zum massgebenden Compendium
des 13. Jahrhunderts geworden ist, ist ein Beweis dafür, dass man freie
Prüfung, dialektische Untersuchung und aristotehsche Philosophie jetzt
kirchlicherseits ertrug, nicht weil man innerlich freier geworden war,
sondern weil man fähiger geworden war, mit diesen Mächten sich zu
^ Umfangreichere Darstellungen der Glaubenslehren, die übrigens noch mannig-
fach verschieden sind, gab es erst seit Abälard's Zeiten. Er selbst und Hugo
v. St. Victor sind vorangegangen; s. Abälard's „Introductio" : Glaube, Liebe, Sacra-
mente als Gegenstand der Dogmatik.
Schüler und Gegner Abälard's. 331
befreunden, und weil man zu merken anfing, was die aristotelische
Methode und Denkweise dem Dogma leisten könne. In der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts bahnte sich bereits der Umschwung an.
Die „frommen" Theologen (die Mystiker) mussten, sofern sie sich an
die Arbeit begaben das Dogma auszuführen und zu begründen, ein-
sehen, dass man mit dem consequenten Realismus wohl die Contem-
plation befruchten, nicht aber die objective Lehre vertheidigen konnte.
Die Coalition des naiven Autoritätsglaubens mit einer im letzten Grunde
nicht unbedenkhchen Mystik hörte auf. Kirchlicher Glaube, Mystik und
aristotelisch eW issenschaft schliessen einen festen Bund. Anderer-
seits verloren die „Dialektiker", je mehr sie von der FormaUstik des
Aristotelismus zu der Principienlehre des Aristoteles übergingen — die
sich steigernde Kenntniss dieser Philosophie trug vielleicht am meisten
dazu bei — , jene Keckheit, die einst so viel Anstoss gegeben hatte und
die doch oft nur ein Zeichen des Spiels mit Hülsen gewesen war. Aller-
dings ging auch manche frische Erkenntniss" dabei verloren ^ Wer viel
zu tragen hat, wird ängsthcher und langsamer, als w^er mit leichtem
Bündel marschirt. Dazu kam, dass die Autorität der Kirche von De-
cennium zu Decennium eine mächtigere wurde. Wuchs auch der Gegen-
satz, der zu bedenklichem Nachdenken trieb (Muhammedaner, Juden,
Häretiker, Kenntniss der alten Klassiker)^, so überstrahlte die Kirche
am Ende des 12. Jahrhunderts Alles durch ihren Glanz. Ihr Recht
in Leben und Lehre wurde der würdigste Gegenstand der Erforschung
und Darstellung. In diese Aufgabe verschmolz die andere, alle Dinge
auf Gott zu beziehen und die Welterkenntniss als Theologie zu con-
struiren. Die Theologie der kirchlichen Thatsachen drängte
sich der Theologie der Speculation auf. Unter welchem ande-
rem Zeichen konnte dieses grosse Gebäude aufgerichtet werden, als unter
dem jenes aristotelischen Realismus, der im Grunde Dialektik
zwischen dem platonischen Realismus und dem Nominalismus war, und
der Immanenz und Transcendenz, Geschichte und Wunder, Unveränder-
lichkeit Gottes und Veränderlichkeit, Idealismus und Realismus, Ver-
nunft und Autorität angeblich zu vereinigen vermochte ? So bricht erst
' In den Schriften der älteren Scholastiker, d. h. vor Allem Abälard's, stecken
nicht wenige Gedanken, die dircct das Dogma sei es zu bereichern, sei es zu
rnodificiren geeignet waren. Aber damals nahm die Kirche von den Scholastikern
nichts an, und als sie bereit war, sich von ihnen die Lehre interprctircn zu lassen,
waren diese nicht mehr frei und kühn genug, um der Kirche Neues zu sagen.
'■' Welche Bedeutung für Abalard die Auseinandersetzung mit dem Juden und
dem Philosophen gehabt hat, lehrt der „Dialog" (s. Deutsch S. 433 fl*. gegen
Reuter IS. 198—221).
332 Oeschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard's.
im 13. Jahrhuiulert die der Kirche und ihrem Dogma adäquate, nun
nicht mehr misstrauisch betrachtete Tlieologie hervor *, nachdem ein
neuer Aufschwung der Frömmigkeit (die Bcttelorden) dieser die höchste
Kraft verhehen hatte, deren die kathohsche Rehgion überhaupt fähig
ist. Die Furcht des Herrn war auch dieser neuen Weisheit Anfang.
Sie verhält sich nach Form und Inhalt, in ihrer Systematik und in der
erschöpfenden Fülle ihres Stoffs, zu der Theologie des 12. Jahrhunderts
etwa so, wie sich Origenes zu Clemens Alexandrinus verhält. Der Ver-
gleich ist desshalb mehr als ein solcher, weil sich wirklich der Gang der
Verhältnisse wiederholt hat. Clemens der Anfänger, der Kühnere,
der weniger Abgeklärte, der noch nicht die volle Autorität der katho-
lischen Kirche sich gegenüber weiss-, Origenes der Systematische, Um-
fassendere, aber zugleich der, welcher in höherem Masse an die Kirche
und ihre Lehre gebunden ist. Dasselbe Verhältniss waltet zwischen den
Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts. (Vgl. den „aggregierenden"
Charakter z. B. der Sentenzen des Robert Pullus [Deutsch S. 6 f.J mit
den Stromateis des Clemens und die grossen „Summen" des 13. Jahr-
hunderts mit Origenes de principiis). Wir werden im nächsten Capitel
den Faden hier wieder aufnehmen. Wenn wir dem Lombarden und vor
Allem dem etwas älteren, sachlich einflussreichsten Theologen des
12. Jahrhunderts („alter Augustinus"), Hugo, hier keine besondere Be-
trachtung widmen, so mag die Thatsache zur Entschuldigung dienen, dass
Beide eine dogm enge schichtliche Bedeutung erst auf dem grossen
Lateranconcil und in den Theologen des 13. Jahrhunderts gewonnen
haben. Ueber Hugo's Sentenzen s.Denifle im Archiv f. L.- u.K.-Gesch.
des Mittelalters IH S. 634 ff.
4. Arbeiten am Dogma.
Die theologischen Kämpfe des 11. und 12. Jahrhunderts, wie sie
zwischen den Dialektikern und ihren Gegnern ausgefochten wurden,
gehören nicht in die Dogmengeschichte. Diese hat sich darauf zu be-
schränken, nachzuweisen, welche Stellung bei dem Aufschwung und den
Krisen der Tlieologie das Dogma behauptet, welche Bereicherungen es
etwa erlebt, und inwiefern der Schulbetrieb (resp. die theologische Syste-
matik) schon auf dasselbe eingewirkt hat. AVas die erste Frage betrifft,
so kann man sich ganz kurz fassen : das Dogma, wie es die Concihen
^ Das schwindende Misstranen gegen die Theologie im Unterschied von der
früheren Zeit ist auch dadurch zu erklären, dass das allgemeine Niveau der Bildung
des höheren Klerus sich gehoben hat. So viel Unvernunft, wie sie die „Dialektiker"
des 11. Jahrhunderts in der breiten Entwickelung der Kirche zu bekämpfen hatten,
stand den Theologen des 13. Jahrhunderts nicht mehr gegenüber.
Der Berengar'sche Streit. 333
festgestellt, wie es Augustin und Grregor 1. beschrieben hatten \ war
die Voraussetzung alles theologischen Denkens und galt als unantastbar.
Vereinzelte Ausnahmen waren ohne jede Bedeutung. Die dialektischen
Versuche am Dogma hatten stets die überlieferte Fassung desselben
zur Grundlage. Was die dritte Frage anlangt, so lässt sich wohl schon
im 12. Jahrhundert ein Einfluss des Schulbetriebes und der Systematik
auf das Dogma nachweisen ; aber er ist noch so sehr in den Anfängen,
dass man besser thut, erst bei dem 13. Jahrhundert von demselben zu
handeln'^. Somit bleibt nur die Frage nach den „Bereicherungen"
übrig. Auch diese wäre streng genommen negativ zu beantworten^, läge
nicht im Berengar'schen Streit eine Action vor, in welcher ein noch
immer controverses Dogma zum relativen Abschluss gelegt ist, und hätte
nicht Anselm eine Satisfactionslehre aufgestellt, die zwar eine reine
Privatarbeit war und auch wenig Anhänger in der Folgezeit gefunden
hat, aber doch ein bisher ungelöstes, ja kaum noch berührtes dogmati-
sches Problem der Kirche vorrückte, welches nun nicht mehr verschwin-
den sollte. Wir haben daher im Folgenden von diesen beiden Actionen
zu handeln.
A. Der Berengar'sche Streit.
Dieser Streit* hat neben dem dogmatischen auch ein philoso-
phisches^ und kirchenpolitisches ^ Interesse. Das letztere dürfen wir
hier ganz bei Seite lassen; das erstere ist mit dem dogmatischen
eng verknüpft. Bei der Stellung, welche das Abendmahlsdogma in
' Augustin's Enchiridion war, sofern es überhaupt ein einzelnes massgebendes
Buch hier gab, das einflussreichste. Aber charakteristisch ist, dass A))älard in
seinem systematischen Werke })ereits die Sacramente dem Glauben und der Liebe
hinzugefügt hat.
^ Gedacht ist hier vor Allem an die Sacramentslehre.
^ Fast alles das, was Bach im 2. Bande seines Werkes über die Dogmenge-
schichte dos Mittelalters dargestellt hat, einschliesslich der „Geschichte des Adopti-
anismus im 12. Jahrhundert" und der „systematischen Polemik gegen die Dialek-
tiker" (S. 390 ff.: Gerhoch gegen die deutschen Adoptianer; S. 475 ff.), gehört
lediglich der Geschichte der Theologie an und ist für die Dogmengeschichte gleich-
giltig.
■* Ausser Les 8 ing's bekannter Arbeit und Vi scher, De sacra coena adv. Lan-
francum lib. posterior 1834, s.Sudendorf, Berengarius 1850, Bach I S. 364—451,
Reuter I S. 91 ff. Dieckhoff, Die Abendinahlslehre imReform.-Zeitalterl S. 44 ff
^ Hier zuerst sind die Kategorien „su])iectum" „(juod in su])iecto" „de sul)-
iecto", die Unterscheidung von „esse" und „s(;cundum (|uod esse", kurz die dialek-
tischen Uebungen am Substanzbegriff (nach Pori)hyrius, Boethius u. s. w.) auf ein
Dfjgma im Abendland übertragen worden.
" Namcnflicli Schwalx' (Studien zur Gesch. <1('S 2. Al)endmahlHstr(utH 1887,
B. Loofs (iöii. (iel.-Anz. 1883 Nr. 15) hat nach dc^m Vorgang Sudcndori's die
äussere politische Seite des Streits eingehend b(;liandelt.
334 Geschichte des Dogmas imZeitaltor Clugny's, Anselm's und Bornhard's.
der Theorie und Praxis der Kirclie einnahm, war die Kritik an dem-
selhen eine Kritik an der herrschenden Kirchenlehre überhaupt. Indem
die junge AVissenschaft, vertreten und geführt durcli Berengar von
Tours, hier einsetzte, die giltige VorsteUung des Unrechts zieh und
die wissenschal'tUclie Methodik auf das Abendmahlsdogma anwandte,
war damit der Gedanke ausgesprochen, dass man sich bei dem blossen
kirchlichen Herkommen, bei dem, was heute gilt, nicht beruhigen
dürfe. Allein dieser Gedanke wurde nicht im Namen einer negativen
Aufklärung zum Ausdruck gebracht', sondern vielmehr umgekehrt,
um die wahre Tradition der Kirche aus den Armen einer üblen Ge-
wohnheit zu befreien, um den Geist der Lehre vor einem massiven
und superstitiösen JRealismus zu schützen, um die Xo^izy] Xaipsia gegen-
über einer barbarischen Mysteriensucht sicherzustellen, und um das
Geheimniss des Glaubens nicht zu profaniren. Aber mit diesem keines-
wegs bloss vorgeschützten Interesse verband sich die Lust am Denken
und die kecke Zuversicht auf die Dialektik als auf „die Vernunft"
überhaupt. Berengar und seine Schüler waren als Theologen Augustiner,
aber daneben hatte Berengar eine Freude an der Kritik als solcher und
eine Zuversicht zur „Wissenschaft", die nicht augustinisch war.
Berengar, Leiter der Domschule in Tours, seit c. 1040 Archidia-
konus in Angers (-j- 1088), hatte längst Studien über die Abendmahls-
lehre angestellt, die Kirchenväter durchforscht, sich mit dem ersten
Abendmahlsstreit beschäftigt und die Lehre des Paschasius verworfen ^,
bevor es zu einem Streit kam. Er sah in der Lehre, wie sie jetzt herr-
schend war, Abfall von den Kirchenvätern und Unvernunft ; denn er sah
in ihr nur die Anschauung, dass nach der Consecration Brot und Wein
verschwunden und dafür das wirkliche Fleisch und das Blut Christi in
so sinnlich greifbarer Weise vorhanden seien, dass sie als Stücke
(Theile) seines blutigen Leibes vorliegen, Er hatte Recht — so lehrte
der weit verbreitete Aberglaube ^ ; allein Paschasius hatte doch die Ver-
I
* Reuter's Urtheü I S. 97: „Also ist der 2. Abendmalilsstreit geworden, was
der erste nicht war, ein Kampf um die höchsten Kriterien der rehgiösen "Wahrheit,
ein Conflict der Tendenz der negativen Aufklärung unmittelbar mit dem damaligen
autoritativen Kirchenthum , mittelbar mit dem Christenthum der positiven Offen-
barung", ist mir schlechthin unbegreiflich. Selbst der überzeugteste römische Theo-
loge wird Anstoss nehmen, diese Beurtheilung zu unterschreiben.
* S. darüber ReuterlS. 95. „Paschasius ineptus ille monachus Corbeiensis."
Mit Recht sieht Berengar bei Paschasius Widersprüche. Das Buch des Ratramnus
galt damals für ein Werk des Johannes Scotus und wurde als solches 1050 zuVer-
celli verdammt.
* Das Glaubensbekenntniss, welches ihm 1059 aufgenöthigt wurde (verfasst
von Cardinal Humbert), enthielt auch die crasse Anschauung. Selbst B ach T S. Mi^
Der Bereugar'sche Streit. 335
Wandelung auch geistiger gemeint, und unter den autoritativen Kirchen -
männern jener Zeit lehrten nicht alle Hervorragenden eine solche
Conversio ^ Durch einen Brief an Lanfranc eröffnete Berengar selbst
den Streit ^. Seine Lehre hat er in seinem Werk de sacra coena (c. 1073)
ausführlich ausgesprochen. Vernunft in die Kirchenlehre zu bringen
oder richtiger, die Vernunft, die in den göttlichen Lehren der Kirche
liegt, durch die Vernunft ans Licht zu bringen, war seine Losung. Die
Dialektik, die an sich stets differenzirte, ist nirgends mehr an ihrem
Platze, als wo es sich um zwei Objecto handelt, die beziehungsweise
Eins und beziehungsweise verschieden sind. So ist die Zweinaturenlehre
ihr eigenstes Gebiet, so auch die Abendmahlslehre mit ihren irdischen
Elementen und ihrer himmhschen Gabe ^. Berengar wies nach, dass die
Lehre von der leibhaftigen Verwandlung absurd („ineptia") sei und der
alten Tradition sowie der Vernunft, die wir als die vernünftig geschaf-
fenen Ebenbilder Gottes nach Gottes Willen brauchen müssen, ins Ge-
n. 4 erklärt das Bekenn tniss für „mindestens ansfössig". Es steht bei Lanfranc, de
corp. et sang. dorn. 2 (Migne CL) : „panem et vinum quae in altari ponuntur post
consecrationem non solum sacramentum sed etiam verum corpus et sanguinem J.
Christi esse et sensuaHter, non solum in sacramento sed in veritate, manibus sacer-
dotum tractari et frangi et fidelium dentibus atteri." Das Charakteristiscliste ist,
dass die ganz Consequenten selbst das Wort „Sacrament" für ungenügend erklärten:
„Das Abendmahl ist das Geheimniss (Sacrament), bei welchem kein Geheimniss ist,
sondern Alles vere et sensualiter stattfindet." Das ist der Grundgedanke der Gegner
Berengar's. Dass dies ein Abfall von der Tradition ist, steht ausser Zweifel. Aber
die Traditionstheologen sind bekanntlich dann am fanatischsten, wenn dem Schlen-
drian, den sie Tradition nennen, oder ihren Einfällen, welchen sie um ihres Unver-
standes willen den Schimmer des Ehrwürdigen verleihen, die Wahrheit unterdem
Schutze der wahren Tradition entgegengestellt wird.
^ Die Controverse ist auch desshalb so unerquicklich, weil, wie gewöhnlich,
die Gegner übertreiben. Berengar thut so, als habe er nur die Lehre sich gegen-
über, dass Theile des blutigen Leibes Christi mit den Zähnen zermalmt werden;
seine Feinde behaupten, dass nach ihm die Elemente leere Symbole seien. Er hatte
in seiner Charakteristik immerhin mehr Recht; aber nicht nur Fulbert (Bacli I
S. 365), sondern auch Spätere dachten nicht an eine räumliche Ausdehnung des
Leibes Christi in den convertirten Elementen.
2S. MansiT. XDCp. 768.
" Natürlich sind die Hauptargumente Berengar's der Schrift und der Tradition
entnommen. Auf sie legt er das entscheidende Gewicht. Die Unterscheidung, die
bereits Alles präjudicirt, zwischen dem Sinnenfäiligen, Siciitbaren und dem Sacra-
ment, dem Unsichtbaren — Berengar hatte sie zum Fundament seiner Lehre, zum
Ausgangspunkt der Dialektik gemacht, solange er denken konnte — stammt von
Augustin. In dif; Dialektik mischen sich die Anfänge einer freieren, kritischen Ge-
Hchichtsljetrachtung. Doch rüttelt Berengar an keinem Concils])Cschluss. Nur die
Beschlüsse in seiner Sache verhölmt er.
336 (Toschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard's.
sieht schlage *. Er stellte sieh daher auf den Standpunkt des Scotus
(Ratramnus). Er lehrte, dass die AVorte tropisch zu verstehen seien ;
aher er gab diesem Verständniss eine grössere Sicherheit als sein Vor-
gänger : in vielen Symbolen wird von (Christus geredet, daher ist auch
das Brot ein Symbol'-; die Schrift lehrt, dass Christus bis zur AVieder-
kunft im Himmel bleibt'^; ein Brotstück ist nicht fähig, den von der
Jungfrau geborenen Leib in sich aufzunehmen, und doch handle es sich
sogar um den ganzen Christus*; eine Zerstörung des Subjects (der
Elemente) hat auch die Zerstörung aller wesentlichen Eigenschaften der
Elemente zur Folge, denn in concreto lassen sich diese von dem Subject
selbst nicht unterscheiden (nonn'nalistischer Ansatz)'*. Allein die
tropische Aufflassung w^ar für Berengar, da er bei ihr nicht stehen
blieb, nicht gleichbedeutend mit der symbolischen. Diese lehnte er
vielmehr ausdrücklich ab, sofern er nach alter Ueberlieferung im
Abendmahl ein Doppeltes erkannte, signum und sacramentum. Die
Elemente werden durch die Consecration zum Sacrament, und damit
ist bereits gegeben, dass sie nun etwas objectivHeihges in sich schliessen.
Es findet eine conversio statt ; allein dieser Ausdruck hat bei Berengar
* S. Vi sc her p. 100 f.: „maximi plane cordis est, per omnia ad dialecticam
confugere, quia confugere ad eam ad rationem est confugere, quo qui non confugit,
cum secundum rationem sit factus ad imaginem dei, suum honorem reliquit nee
potest renovari de die in diem ad imaginem dei."
^ Berengar vergleicht die Bezeichnungen Christi als Löwe, Lamm, Eckstein.
^ P. 199: „constabit, eum qui opinetur, Christi corpus coelo devocatum adesse
sensualiter in altari, ipsum se deiicere, quod vecordium est, dum confirmat se manu
frangere, dente atterere Christi corpus, quod tamen ipsum negare non possit im-
possibile esse et incorruptibile."
■* Das Letztere ist für Berengar vom höchsten Gewicht gewesen. Er versteht
seine Gegner stets so, dass sie „portiunculae" des Leibes Christi auf dem Altar an-
nehmen, und wendet dem gegenüber ein, 1) dass es sich um den ganzen Leib
handle (s. p. 148. 199 f.), 2) dass der Leib Christi kein „corruptibile" sei, das be-
rührt, gebrochen und zerbissen werden könne. Dann aber ist das Brot nicht im
Stande, einem solchen Leibe Raum zu geben, und vor Allem ist das „sensualiter"
dann widerlegt. Die Licorruptibilität und Einzigkeit des Leibes Christi sind die
Voraussetzungen seiner Dialektik. Ein so beschaffener Leib kann nicht sinnlich
werden, und er kann nicht an tausend Orten zugleich sein. Auch die Auskunft der
Neuschaffung des Leibes Christi hat er trefflich widerlegt; so käme man zu zwei
Leibern.
^ Hier hat Berengar die richtige logische Erwägung geltend gemacht, „quod
in subiecto erat superesse quacuncjue ratione non potest corrupto subiecto'* (p. 93),
d. h. w^enn die Substanz zerstört ist, können die wesentlichen Eigenschaften (Ge-
schmack, Farbe, Gestalt) nicht nachbleiben; oder p. 50: „non potest res ulla alicpiid
esse, si desiuat ipsum esse." Auch protestantische Historiker wollen von solchen
Gründen nichts wissen.
Der Berengar'sche Streit. 337
allerdings einen ungewöhnliclien Sinn ^ Er soll besagen, dass die
Elemente bleiben was sie sind, aber zugleich Sacramente des Leibes
Christi werden. Sie werden beziehungsweise etwas Anderes, d.h.
zu dem Sichtbaren tritt nun ein zweites Element, welches real, aber
unsichtbar ist. Die consecrirten Elemente bleiben in einer Hinsicht
was sie sind, aber in einer anderen werden sie Sacramente, d. h. sie,
als die sichtbaren, zeitlichen und veränderlichen Subjecte, werden
Garanten (pignora, figurae, signa) des Empfangs des ganzen himm-
lischen Christus seitens des Gläubigen. Während der Mund somit
das „Sacrament" empfängt, empfängt der wahrhaftige rechte Christ
„in cognitione" und mit seinem Herzen das, was die sacramentalen
Elemente abbilden, nämlich Christus als Speise, die Kraft des himm-
hschen Christus. Somit ist der Genuss und der Effect des Abend-
mahls ein geisthcher: der innere Mensch — auf den Glauben also
kommt es neben der Consecration an — bekommt den wahren Leib
Christi und macht sich den Kreuzestod Christi durch gläubiges Er-
innern zu eigen ^.
Augustin hätte gegen diese Abendmahlslehre nichts einzuwenden
gehabt, auch wenn ihn einige dialektische Argumente und Künste in
ihr befremdet hätten. Allein die Zeitgenossen perhorrescirten sowohl
ihr Ergebniss als zum Theil auch den Weg des Gedankens, welcher
zu diesem Ergebniss geführt hat. Zu Rom und Yercelli (1050) wurde
die Lehre auf Grund des Briefs an Lanfranc in Abwesenheit Beren-
gar's verdammt. Neun Jahre später, nachdem sie in Frankreich mit
kirchlich - politischen Fragen künstlich vermengt, dadurch aber für
Rom zeitweilig erträglicher geworden war, und ihr Urheber durch Ver-
leumdung und Gefängniss viel gelitten hatte, wurde Berengar zu Rom
unter Nicolaus H. genöthigt, eine Glaubensformel zu unterschreiben,
die es deutlich machte, dass seine schlimmsten Befürchtungen in Be-
zug auf die Tyrannis des Aberglaubens in der Kirche nicht über-
* Man inuss annehmen, dass er auf Accommodation beruht ; denn wenn auch
dem Sacrament eine res sacramcnti cntspriclit, die durch die Consecration ge-
schaffen wird, so handelt es sich docli nicht um eine Verwandolung. Auch bot die
alte Tradition diesen Terminus nicht. In der Sache ist Berengar correctcr Augu-
stiner; daher ist es unnöthig, weitere Stellen anzuführen. Der zutreficndc Ausdruck
für das, was Berengar meint, wäre eine göttliche „auctio" in den Elementen, und
so hat er sich auch p. 98 ausgedrückt. Dagegen heisst es p. 125: „i)er eonsecrati-
onem altaris fiunt panis et vinum sacramenta religionis, non ut dcsinant esse quac
fuerant, sed ut sint quae erant et in aliud commuientur."
^ „Christi corpus totum constat accipi ab interioro homine, fidelium corde,
non ore" (p. 148). Dabei auch PVinnerungsmahl : „spiritualis comestio, quac fH in
mente."
Harnack, Dogmengescliichte III. 22
338 Croschichto des Dogmas im Zoitaltor Cliiorny's, Anselm's und Bernhard'«.
trieben waren *. Nach Frankreich zurückgekehrt, hielt er zuerst an
sich; aber dann Hess es ihm keine Ruhe mehr. Er stellte sich mit seiner
Lehre, für die er in Rom selbst einflussreiche Gönner hatte, wieder
auf den Plan, und ein neuer erregter litterarischer Streit war die
Folge. In ihm sind die wichtigsten Schriften von beiden Seiten ge-
schrieben w^orden. Gregor VIl. behandelte die Controverse dilatorisch
und mit viel Schonung gegen Berengar, der ihm persönlich bekannt
war: Rom ist zu allen Zeiten klug genug gewesen, sich mit dem
Ketzermachen nicht zu beeilen, und ein Papst, der bei derAVeltregierung
so oft durch die Finger sehen muss, weiss auch Geduld und Nach-
sicht zu üben, zumal wenn persönliche Sympathien nicht fehlen-.
Allein schliesslich wurde Gregor doch genöthigt, um sein eigenes
Ansehen nicht zu erschüttern, Berengar auf der Synode von 1079
zur Anerkennung der Verwandelungslehre zu zwingen •'^. Berengar unter-
warf sich äusserlich zum zweiten Mal ; der Papst war mit der Form
zufrieden; aber die Sache, die der gebrochene Gelehrte vertrat, ging
damit unter.
Die Wandelungslehre des Paschasius — der Ausdruck Trans-
substantiation soll zuerst von Hildebert von Tours (Anfang des 12. Jahr-
hunderts) im 93. Sermon Migne CLXXI p. 776 gebraucht worden
sein ^ — ist von den Gegnern Berengar's weiter ausgebildet worden ^.
Erstlich wurde das Mysterium noch sinnlicher, wenigstens von Einigen,
gefasst (manducatio infidelium)^; zweitens begann man, wenn auch
» S. oben S. 334 Anmk. 3.
'■^ Ueber das interessante Verhältniss Berengar's zur Curie und zu Gregor VIT.
S.Reuter IS. 116 ff. 120 ff.
^ Die Formel (bei Lanfranc c. 2) war zahmer als die von 1059, aber doch hin-
reichend deutlich: „Ego Berengarius corde credo et ore confiteor panem et vinum
quae ponuntur in altari per mysterium sacrae orationis et verba nostri redemp-
toris substantialiter converti in veram et propriam et vivificatricem carnem et
sanguinem J. Christi et post consecrationem esse verum corpus Christi, quod na-
tura est de virgine ... et quod sedet ad dexteram patris . . . non tantum per
Signum et virtutem sacramenti sed in proprietate naturae et
veritate substantiae."
* Nicolaus von Methone hat in seinen zwei Abhandlungen gegen die An-
hänger des Soterichos, welche die Messe nicht dem Solme, sondern nur dem Vater
und Geist darbringen wollten (v. J. 1157), den Ausdruck p.£TaaTo:^£i{jü3ic; gebraucht,
s. Hefele V^ S. 568. Jene Abhandlungen hat Dimitrakopulos im Jahre 1865 ver-
öffentlicht (s. Reu seh, Theol. Litt.-Blatt 1866 Nr. 11).
^ Doch hat Alles erst im 13. Jahrhundert feste Gestalt gewonnen: die Fragen,
welche die neue Lehre zur Folge hat, sind unübersehbar.
^ Lanfranc, 1. c. c. 20: auch die Sünder und Unwürdigen empfangen den
wahren Leib Christi. Nur in dieser Beziehung hat Laufranc die Lehre über Pascha-
sius fortsrebildet.
Die "VVandelungslehre nach dem Berengar'schen Streit. 339
vorsichtig, die „ Wissenschaft ", welche man bei dem Gegner discreditirte,
auf das Dogma anzuwenden. Die rohen Vorstellungen wurden beseitigt;
und man suchte die älteren Aussagen der Tradition mit der neuen
Wandelungslehre zu verbinden sowie die augustinische Terminologie
vermittelst dialektischer Unterscheidungen dem massiv-realistisch ge-
dachten Object anzupassend Ganz ohne Frucht ist also Berengar's
Kampf nicht gebheben ; allein diese Frucht bestand wesenthch darin,
dass man die Wissenschaft überhaupt zuliess, weil man allmähhch
^ Es handelte sich vor Allem darum, den ganzen Christus in der Hostie
als gegenwärtig anzuerkennen, die augustinische, sowie überhaupt die ältere reiche
und mannigfaltige Auffassung vom Abendmahl mit der Wandelungslehre zu ver-
söhnen, das Verhältniss von Element und verum corpus Christi durch dialektische
Unterscheidungen von Accidenz und Substanz rational zu machen, die Präsenz des
Christus im Himmel mit der sacramentalen Präsenz auszugleichen und auch die
Kirche als corpus Christi bei diesen Speculationen nicht zu vergessen. Hier ist
besonders die Schrift de corp. et sang. Christi veritate in eucharistia Gruitmund's von
Aversa (Migne CXLIX) hervorzuheben. Die Theorien anderer Gregner ßerengar's
(Lanfranc, Adelmann v. Brixen, Hugo v. Langres, Durandus v. Troanne, Alger von
Lüttich, Abälard [er lehrte nicht wie Berengar, s. D e u t s c h , a. a. 0. S. 401 f. 405 ff.],
AValter v. St. Victor, Honorius v. Autun u. s. w.) s. bei Bach I S. 382 ff. Ueber
die deutschen Theologen, die sich mit der Abendmahlslehre beschäftigt haben, s.
ebendort S. 399 ff. (die Reichersberger Theologen, Gerhoch, Rupert von Deutz;
bei dem Letzteren findet sich eine eigenthümliche, spiritualistische Consubstantia-
tionslehre). Guitmund hat jeder Partikel den ganzen Christus beigelegt und damit
zu der neuen, zuerst von Anselm ausgesprochenen Ansicht übergeleitet, dass der
ganze Christus auch in einer Gestalt enthalten sei (ep. IV, 107): „in acceptione
sanguinis totum Christum deum et hominem et in acceptione corporis similiter to-
tum accipimus." Damit war die später zur Regel gewordene Kelchcntziehung dog-
matisch begründet. Interessant sind die scliücliterncn Vorsuche, die man gemacht
hat, auch eine „gewisse" IncorruptilnUtät der Accidentien der convcrtirten Sub-
stanzen zu lehren (diese Termini werden jetzt auch von den Orthodoxen gebraucht).
Allein der Augenschein zeugte wider diese Annahme, und zur Lehre, dass auch hier
die Empirie sich irre, konnte man sich doch niclit entschliessen. Dass lutherische
Theologen für Berengar's Gegner Partei ergreifen (Thomasius-Seeberg S. 48:
„wirklich religiöse Position gegenüber der rationalisii-enden Umdeutung dieses
Mannes", vgl. Reuter), obglcicli ihr letztes Argument die Allmacht Gottes gewesen
ist, gehört zu den Eigenthümliclikeitcn der romantischen Tlicologie des 19. .Tahr-
liunder-ts, Thomasius (S. 49j erfreut sich Ijesondcrs an den scliücliternen Ansätzen
zur Lehre von der Ubifjuität der Substanz des Lcüjcs des liimnilischen Cliristus bei
Alger (de sacram. corp. et sang, doniini I, 11-16), wodurch die Schwierigkeiten,
die an der Vorstellung der creatio des eucharistischen Leibes haften, beseitigt
werden sollen (Bach I S. 389 ff.): „Christus kann cor])oraliter ü])erall sein, wo er
will." Noch war man übrigens (h. Lanfranc) nicht (larül)ei' hinausgekommen, zu
erklären, dass der eucharistische Leil) identisch sei mit dem zui- Rechten (»ottes
erhöhten und doch nicht identisch. Wio nötliig war hiei- also die so geschmähte
DiaU'klik Bfrongar's!
22*
340 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Ansolm's und Bernhard's.
einsah, dass die Einfalt des Glaubens gegenüber der Last der Probleme
ohnmächtig war. In solenner Weise als Dogma ist die mittelalterliche
Abendmahlslehre auf dem 4. Lateranconcil (1215) in dem berühm-
ten Glaubensbekenntniss ausgeprägt worden, welches vor der professio
fidei Tridentinae das einflussreichste Symbol (nach dem Nicäno-(Jon-
stantinopolitanum) gewesen ist (s. Mansi XX FI p. 982, He feie V^
S. 878 ff. und das Corpus iuris canonici, wo das Stück sub X, 1 de
summa trinitate [I, 1] Aufnahme gefunden hat). Das Wichtige ist
hier, 1) dass die Abendmahlslehre sofort an das Bekenn tniss 7Air
Trinität und Menschwerdung angeschlossen ist. Damit ist auch
im Symbol zum Ausdruck gekommen, dass sie mit diesen
Lehren aufs engste zusammenhängt, ja mit ihnen eine Ein-
heit bildet, d. h. der auch für die Reformationsgeschichte verhäng-
nissvolle Zustand ist nun geschaffen, dass die Realpräsenz denselben
Werth erhalten hat wie die Trinität und die Zweinaturenlehre, so dass
Jeder als kirchlicher Anarchist angesehen wird, der sie in Abrede
stellt. Diese Schätzung entspricht allerdings der Ausbildung der Abend-
mahlslehre, sofern das Abendmahl als die immerfort gegenwärtige,
irdische Projection der Geheimnisse der Trinität und Christologie
erscheint, aber sie bringt das Evangelium völlig um seinen geistigen
Charakter. 2) Ist nun die Transsubstantiation ausdrücklich gelehrt-,
die Worte lauten: ,,una vero est fidelium universalis ecclesia, extra
quam nullus omnino salvatur , in qua idem ipse sacerdos et sacri-
ficium Jesus Christus, cuius corpus et sanguis in sacramento altaris
sub speciebus panis et vini veraciter continentur, transsubstan-
tiatis pane in corpus et vino in sanguinem, potestate divina, ut ad
perficiendum mysterium unitatis accipiamus ipsi de suo, quod accepit
ipse de nostro (hier ist die Verbindung mit der Christologie deuthch).
Et hoc utique sacramentum nemo potest conficere nisi sacerdos, qui
fuerit rite ordinatus secundum claves ecclesiae, quas ipse concessit
apostolis et eorum successoribus Jesus Christus." Das Symbol fahrt
dann unmittelbar also fort: „Sacramentum vero baptismi, quod ad invo-
cationem individuae trinitatis consecratur in aqua, tam parvuUs quam
adultis in forma ecclesiae a quocunque rite collatum proficit ad salu-
tem. Et si post susceptionem baptismi quisquam prolapsus fuerit
in peccatum, per veram paenitentiam semper potest reparari." Da-
mit ist auch diese Entwickelung abgeschlossen und zugleich die zuge-
hörige andere (s. oben S. 290), nach der ein jeder Christ vor dem
parochus seine Sünden beichten muss. Es heisst im 21. Cap. :
„omnis utriusque sexus fidelis, postquam ad annos discretionis pervene-
rit, omnia sua solus peccata confiteatur fideliter, saltem semel in
Das 4. Lateranconcil und das Abendmahl. Anselm. 341
anno, proprio sacercloti et iniunctam sibi paenitentiam stucleat pro
viribus adimplere, suscipiens reverenter ad minus in pascha eucharistiae
sacramentum." Die Neuerung im Symbol — die Heranriickung des
Abendmahlsdogmas an die Trinität und Christologie — ist die eigenste
und kühnste That des Mittelalters. Verglichen mit dieser ungeheuren
Neuerung wiegt der Zusatz des „filioque" sehr leicht. Andererseits
zeigt aber doch auch das Symbol sehr deutlich, wie die alte dogma-
tische Tradition noch Alles beherrscht; denn es enthält nichts von
den specifischen augustinisch-abendländischen Sätzen über Sünde, Erb-
sünde, Gnade und Rechtfertigung. „Dogma" im strengen Sinn des
Worts ist die Trinität, die Christologie, die Abendmahlslehre, die Lehre
von der Taufe und dem Busssacrament. Alles Uebrige ist höchstens
Dogma zweiter Ordnung. Auch dieser Zustand ist für die Reformations-
geschichte von höchstem Werthe ; die Trinitäts-, Christus- und Sacra-
mentslehre (d. h. die Lehre von den drei Sacramenten, Taufe, Busse,
Abendmahl) constituiren das katholischeChristenthum — nichts Anderes.
B. Anselm's Satisfactionslehre und die Versöhnungs-
lehren der Theologen des 12. Jahrhunderts^
Schon seit den Tagen, da man den durch die decianische Verfolgung
herbeigeführten grossen Abfall zu bestrafen suchte, ohne die Kirche zu
decimiren, galt der Satz, dass eine in der paenitentia legitima bestehende
satisfactio congrua den beleidigten Gott wieder günstig gegen den Sün-
der zu stimmen vermöge. Seitdem hatte diese Vorstellung den weitesten
Spielraum erhalten, verband sich später mit germanischen Vorstellungen
und beherrschte das ganze Busssystem der lürche '■^. Mit ihm im Zu-
sammenhang stand die Auffassung von „Verdiensten", d. h. von solchen
überpflichtmässigen Handlungen, die, wenn keine Schuld vorliegt, welche
zu compensiren ist, ein Anrecht auf einen besonderen Lohn begründen.
Durch diese Vorstellung war eine Berechnung des Wert lies der
einzelnen Leistungen eröffnet, und diese Berechnungen erfüllten die
ganze Ethik. Ob eine Handlung pflichtmässig oder abundans oder
superabundans, ob sie unter den gegebenen Umständen compensirend
(satisfactorisch) oder meritorisch sei, musste für jeden einzelnen Fall
festgestellt werden, damit Jeder wüsste, wie seine Rechnung mit dem
Himmel stehe. Die augustinische Auffassung von der gratia gratis data
praeveniens, die man allgemein recipirt hatte, änderte an dieser Betrach-
tungsweise nichts, sondern machte sie nur comi)ncirter.
' S. Baur, Lehre von der Versöhnung; Hasse, Anselm; Ritschi, Recht-
fertigung und Versöhnung 2. Aufl. I 8. 31 fi".
^S. oben S. 288 ff".
342 Geschiclito des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm'ß und Bernhard's.
Allein weder von Gregor dem Grossen noch von einem Theologen
des kiuolingischen Zeitalters ist diese ßetmchtung auf das Werk Christi
angewendet worden. Zwar redete man vielfach schon von der „pretii
c opi o sitas mysterii passionis" (s. das 4. Cap. der Synode von Chiersey) ;
allein eine Theorie hat man nicht entworfen, weil man üherhaupt üher
das AVesen, den speciüschen Werth und den Eft'ect der in dem Todes-
leiden Christi enthaltenen Erlösung nicht nachsann. Die Väter, Augu-
stin eingeschlossen, hatten dariiher nichts Sicheres überhefert. Die
griechischen Avussten es nicht anders, als dass die Todesherrschaft durch
das Kreuz und die Auferstehung (Christi gebrochen seien. Alles, was
sie vom Opfer des Leidens sprachen, war ganz vage. Nur Athanasius
hat in bemcrkenswerther Klarheit von dem Strafleiden gesprochen, wel-
ches Christus uns abgenommen und auf sich gelegt hat. Aber Alle
haben sie seit den Tagen des Paulus das Zeugniss abgelegt, dass
Christus für uns gestorben sei. Das wurde als die grosse That der
Erlösung empfunden ohne theoretischen Nachweis. Ambrosius und
Augustin hatten dann mit Nachdruck den Satz geltend gemacht, dass
Christus als Mensch der Mittler sei, und in Einzelheiten manche An-
weisungen gegeben; aber die Frage, warum jener Mensch, der zugleich
Gott war, hat leiden und sterben müssen, wurde mit dem Hinw^eis
auf das V 0 r b il d behandelt oder durch die Recitation biblischer Sprüche
vom Lösegeld, Opfer und dergl., ohne dass die Nothwendigkeit des
Todes deutlich hervortrat. Wohl aber hatte Augustin dadurch eine
neue und energische Erfassung der Bedeutung des Werkes Christi be-
gründet, dass er die Schwere der Sünde so stark betont und das Ver-
hältniss von Gott und Mensch in das Schema von Sünde und Gnade
eingestellt hatte.
Hier setzte nun Anselm ein. Die Bedeutung seiner Satis-
faction sichre, wie er sie in der dialogisch verfassten Schrift „Cur
deus homo" lib. II ^ entwickelt hat, liegt darin, dass er alle Momente
der augustinischen Theologie, soweit sie hier in Betracht kamen, ver-
werthete, zugleich aber überhaupt erst eine Theorie sowohl der
Nothwendigkeit der Erscheinung eines Gottmenschen, als der Noth-
wendigkeit seines Todes entwarf, indem er die Grundsätze der
Busspraxis zum Grundschema der Religion überhaupt er
hob^. Die „Nothwendigkeit" fasste Anselm im Sinne der strengsten
1 Edit. IL von Fritzsche 1886.
'^ Cr emer (die Wurzeln des Anselm'schen Satisfactionsbegrit!s, in den Stud.
u. Krit. 1880 S. 7 ff.) hat zeigen wollen, dass die Grundthese der Genugthuungs-
lehre Anselm's (I, 13: „necesse est, ut aut ablatus honor solvatur aut poena sequa-
tur." I, 15: „necesse est, ut omue peccatuni satisfactio aut poena sequatur") ^or-
Anselm's Satisfactionslehre. 343
Vernünftig keit, d. h. er will nachweisen, dass, wenn man auch
nichts von Christus wüsste und es nie einen solchen gegeben hätte,
die Vernunft bekennen müsse, dass die Menschen nur sehg werden
können, wenn ein Gottmensch erscheint und für sie stirbt ^ Juden
und Heiden sollen zur Anerkennung dieser Nothwendigkeit gezwungen
werden. Sie und die ungläubigen Christen sollen einsehen, dass es
Unvernunft ist, zu behaupten, Gott hätte uns auch durch eine an-
dere Person (sei es einen Menschen oder Engel), oder er hätte uns
durch seinen blossen Willensentschluss erlösen können^; sie sollen
erkennen, dass die Barmherzigkeit Gottes nicht Schaden leidet durch
den Kreuzestod, und dass es Gottes nicht unwürdig ist, dass Christus
in die Niedrigkeit herabsteigt und das Aeusserste auf sich nimmt.
Freüich gilt es, dass wir zuerst glauben und dann einsehen^. Allein,
wenn der Versuch auch misslingen kann — der Glaube bUebe natür-
lich unerschütterlich — , so muss man doch zum Erkennen dessen,
was man glaubt, vorschreiten, und in diesem Fall ist ein vollkommenes
vernünftiges Erkennen möghch.
Im Eingange lehnt Anselm drei Vorstellungen — die eine als
ungenügend, die anderen als irrig — ab. Ungenügend ist es, die
Erlösung durch den Kreuzestod so zu rechtfertigen, dass man das
„conveniens" hervorhebt, d. h. die Correspondenz der Person und
des Werkes Christi mit der Person und dem Fall Adams; das sei
eine ästhetische Betrachtung, die richtig ist, aber nichts beweist, be-
vor nicht das „necessarium" festgestellt ist*. Irrig ist es zu meinen,
manischen Ursprungs sei. Die Uebereinstimmung ist freilich leicht nachweisbar ;
allein auch das römische Recht kennt bei Privatbeleidigungen dieses Dilemma, und
darüber kann kein Zweifel sein, dass die Kirche in ihren Bussordnungen längst nach
dem Grundsatz „aut paenitentia legitima (satisfactio congrua) aut mors aeterna"
verfahren ist, bevor sie germanisches Recht kennen gelernt hat. Bei Tertullian
freilich herrscht noch eine andere Vorstellung, wenn er de pudic. 2 sagt: „omne
delictum aut venia dispungit aut poena" ; allein die verhängnissvolle "Wendung ist
schon angebahnt, wenn er sofort hinzufügt: venia ex castigatio ne, poena ex
damnatione."
* Augustin hat die Frage nach der absoluten Nothwendigkeit der Erlösung
durch das Mittel der Menschwerdung und des Todes des Logos auch schon auf-
geworfen, aber verneint. Er sah in diesem Mittel nicht den einzigen, wohl aber
den würdigsten Weg.
=^ I, 1.
' I, 2: „Sicut rectus ordo exigit, ut profunda christianac fidei prius credamus,
quam ea praesumamus ratione discuton;."
■* I, 3. 4: „. . . multa alia, quac studiose considerata inenarrabilcm quandam
nostrae redemptionis hoc modo procuratae pulchritudinem (s. Augustin) osten-
dunt . . . sed si non est aliquid solidum super (^uod sedeant, non vidcnturinfidelibus
sufficerc."
34 -1 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Chigiiy's, Auselm's und Beruhard's.
(lass uns auch ein Mensch hätte erlösen können; denn wir würden
dit^ Knechte dessen werden, der uns vom ewigen Tod befreit hätte.
I )aniit wäre aber unsere ursprüngUche AVürde nicht wiederhergestellt,
kraft welcher wir den Engeln gleichartig und lediglich Gottes Knechte
waren'. Irrig ist es endlich zu meinen, dass durch die Erlösung Rechts-
ansi)rUche des Teufels an uns zu tilgen gewesen wären ; denn obgleich
wir mit Recht um unserer Sünde willen unter die Macht des Teufels
gekommen sind, so herrscht doch der Teufel nicht gerechterweise,
vielmehr ungerechtervveise. Er hat keinen Anspruch auf uns erhalten
und Gott gegenüber schlechterdings kein Recht". Bevor Anselm seine
Beweisführung beginnt, sucht er noch — die Disposition ist höchst
ungeschickt — den Einwurf zu widerlegen, als sei das Todesleiden
eines G ottmenschen, eben weil er Mensch sei, ohne Effect, weil jeder
Mensch zum Gehorsam bis zum Tode verpflichtet sei. Er widerlegt
diese Auffassung, die sich'nur mit einem Scheine auf Schriftstellen
stütze, der Tod Christi sei pflichtmässig, weil Erfüllung des gött-
lichen Willens gewesen; vielmehr sei ein sündloser Mensch — und
das ist der Gottmensch — nur zur Beobachtung der iustitia und
veritas, nicht aber zum Sterben verpflichtet gewesen, da der Tod nur
auf die Sünde folge ^. Nun hat er sich freie Bahn geschaffen. Er
formuhrt hierauf die Frage so : Angenommen, wir wüssten gar nichts
von einem Gottmenschen und seinem Thun — was hat zu geschehen,
wenn die zur Seligkeit im Jenseits erschaffenen Menschen, die diese
Seligkeit doch nur als sündlose erreichen können, sämmtlich Sün-
der geworden sind? Die nächste Antwort ist — da schon I, 4 ge-
sagt ist, dass es Gott nicht ziemlich wäre, seinen Plan nicht durch-
zuführen^ — : die Sünden müssen vergeben werden. Aber
wie hat das zu geschehen? was ist Sündenvergebung? welchen Spiel-
raum hat sie? Um diese Frage zu beantworten, hat man zuerst zu
fragen, was ist Sünde ?^ Damit beginnt die Entwickelung *^.
»1,5.
2 1, 6. 7.
* I, 8 — 10. Im 2. Buch wird c. 10. 11 und 16. 18 dieser entscheidende Punkt
wiederholt sehr ausführlich behandelt.
* „Nonne satis necessaria ratio videtur, cm* deus ea quae dicimus facere
debuerit: quia genus humanum, tam scilicet pretiosum opus eins, omnino
perierat nee decebat, ut quod deus de homine proposuerat, penitus
annihilaretur, nee idem eius propositum ad efiectum duci poterat, nisi gcnus
humanuni ab ipso Creatore suo liberaretur?" Der Gedanke wird im Folgenden mehr-
mals wiederholt.
^ I, 10 fin. 11 init.
* In derselben nimmt I, 16 — 18 das augustinische Theologumenou, dass die
Anselm's Satisfactionslehre. 345
Jede vernünftige Creatur ist Gott volle Unterwürfigkeit unter
seinen AVillen schuldig. Das ist die einzige Ehre, die Gott fordert.
Wer sie leistet, ist gerecht; wer sie nicht leistet, sündigt-, ja die
Sünde ist nichts Anderes als die Entehrung Gottes dadurch, dass man
ihm das Seine entzieht ^ Diesen Raub kann Gott nicht dulden; er
muss seine Ehre wahren. Er muss also fordern, dass der Mensch
sie ihm zurückgiebt, und zwar dass er „pro contumelia illata plus red-
dit quam abstulit" ; sonst bleibt er „in culpa" ^. Jeder Sünder muss
mithin eine satisfactio leisten ^. Diese kann Gott nicht erlassen *, denn
das wäre gleichbedeutend mit der Straflosigkeit der Sünde und würde
die götthche Ehre verletzen. Die Straflosigkeit der Sünde aber wäre
identisch damit, dass Gott aufhörte ordinator peccatorum zu sein;
er würde „ahquid inordinatum in suo regno dimittere". Auch würde
dann das Gerechte und das Ungerechte gleich werden, ja dieses würde
im Vortheil sein, weil es, ungebüsst und unbestraft, keinem Gesetz
unterworfen wäre. Zwar ist es wolil uns Menschen geboten, denen,
die an uns sündigen, einfach zu verzeihen. Allein das ist uns gesagt,
damit wir nicht in die Prärogative Gottes eingreifen: „ad nullum
enim pertinet vindictam facere nisi ad illum." Auch darf man sich
zur Seligkeit bestimmten Menschen an die Stelle der gefallenen Engel treten,
einen breiten Raum ein. Es steht aber völlig ausserhalb der Verbindung mit der
Genugthuungslehre. Von Augustin weicht Anselm darin ab, dass er meint, die Zalil
der seligen Menschen sei grösser als die der gefallenen Engel ; Gott habe nämlich
von Anfang an den numerus beatorum als aus Engeln und Menschen bestehend ins
Auge gefasst. Im anderen Fall wäre die Menschenschöpfung ledigHch eine Folge
des Sündenfalls unter den Engeln, und es ergäbe sich somit das inconveniens , dass
wir Menschen uns über diesen Fall freuen müssten. Dem Herzen Anselm's macht diese
Correctur der augustinischen Lehre alle Ehre ; aber da diese ihr acumen in der
gleich grossen Zahl der abgefallenen Engel und der seligen Menschen hat, so ist sie
in Wahrheit durch Anselm vernichtet. Doch ist er selbst seiner Sache nicht sicher
gewesen, s. I, 18 p. 37.
^ I, 11 : „non est aliud peccare quam non reddere deo debitum . . . debitum est
subiectum esse voluntati deo . . . haec est iustitia sive rectitudo voluntatis, quae
iustos facit sive rectos corde, i. e. voluntatc, hie est solus et totus honor quem
debemus deo . . . hunc honorem debitum qui deo non reddit, aufert deo quod suum
est et deum exhonorat, et hoc est peccare."
'^ I, 11 : „non sufficit solummodo reddere quodablatum est, sed pro contumelia
illata plus debet reddere, quam abstulit. sicut enim qui lacdit salutem alterius, non
sufficit si salutem restituit, nisi pro illata doloris iniuria recompensct aliquid, ita
qui honorem alicuius violat, non sufficit honorem reddere, si non secundum exhono-
rationis factam molestiam aliquid, (pod placeat illi quem exhonoravit, restituit. Hoc
«juoquc attendendum, quod cum alicjuis quod iniustc abstulit solvit, hoc debet darc,
(juod ab illo non jiOBset exigi, si aheuum non rapuisset,"
» I, 11 fin.
346 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Ansehn's und ßernhard's.
dagegen nicht iiuf die schrankenlose Allmacht und Güte Gottes be-
rufen und sagen, Alles, was Gott thut, ist gut, also auch wenn er
die Sünde einfach vergiebt ; denn Gottes Macht und Güte sind durch
seinen Willen bestimmt („non ita intelligendura est, ut, si deus velit
(juodlibet inconveniens, iustum sit, quia ipse vult; non enim sequitur,
si deus vult mentiri, iustum esse mentiri") ; daher, da Gott nichts un-
gerecht oder inordinate machen will, liegt die straflose Absolvirung
eines Sünders, der ihm das nicht wieder erstattet, was er geraubt
hat, nicht im Spielraum der Freiheit oder der Güte oder des Willens
Gottes K Die höchste Gerechtigkeit, die nichts Anderes ist als Gott
selbst, verlangt also die Rückerstattung oder — diese AVendung
tritt nun erst ein — die Strafe-^. Auch die letztere nämhch, als
Entziehung der SeUgkeit (Verdammniss), stellt die götthche Ehre
wieder her, sofern in ihr der Mensch „invitus de suo solvit quod ra-
puit . . . sicut homo peccando rapiiit quod dei est, ita deus puni-
endo aufert quod hominis est" ^. Auch durch die Strafe wird die
pulchritudo und der ordo universitatis aufrecht erhalten, die niemals
erschüttert werden dürfen (von dem lionor dei an sich gilt, dass er
unerschütterlich ist; „namque ipse sibi est honor incorruptibilis et
nullo modo mutabilis .... deum, quantum in ipso est, nullus po-
test honorare vel exhonorare") *. Allein es ist doch „valde alienum
a deo", dass er sein köstlichstes Werk, die creatura rationabilis, dem
völligen Untergang preisgiebt^. Da er aber andererseits die sündigen
Menschen den heihgen Engeln nicht beigesellen kann, so muss die
Satisfaction eintreten („tene certissime, quia sine satisfactione id est
sine debiti solutione spontanea deus non potest peccatum impuni-
tum dimittere")^. Der Einwurf, dass wir angewiesen sind, Gott um
Verzeihung zu bitten, was sinnlos wäre, wenn nur die satisfactio
etwas hülfe, wird damit abgewiesen, dass das Gebet um Ver-
zeihung selbst ein Theil der satisfactio sei^. Diese hat sich
^ 1, 12.
^ I, 13 s. oben S. 342 Anm. 2.
'I, 14: „deum impossibile est houorem smim perdere: aut enim peccator
sponte solvit quod debet aut deus ab invito accipit."
* I, 15.
^ II, 4 heisst es sogar (vgl. I, 4): „Si nihil pretiosius agnoscitur deus fecisse
quam rationalem naturam ad gaudendum de se, valde alienum est ab eo, ut ullam
rationalem naturam penitus perire sinat." I, 25 p. 52.
« I, 19.
^ I, 19: Der Interlocutor sagt: „Quid est, quod dicimus deo: dimitte nobis
debita nostra, et omnis gens orat deum quem credit, ut dimittat sibi peccata? Si
erim solvimus quod debemus, cur oramus, ut dimittat? Numquid deus iniustus est,
ut iterum exigat quod solutum est ? Si autem non solvimus, cur l'rusti'a oramus, ut
Anselm's Satisfactionslelire. 347
nun nach der doppelten Regel zu richten, dass sie erstens Rück-
erstattung und zweitens Schmerzensgeld sein muss \ Aber was kann
der Mensch Gott geben, was er ihm nicht schon ohnehin geben musste,
da alle Unterwürfigkeit in dem pflichtmässigen Gehorsam eingeschlossen
ist? „Si me ipsum et quicquid possum, etiam quando non pecco, illi
debeo ne peccem (also an überpflichtmässige Leistungen ist hier nicht
gedacht), nihil habeo quod pro peccato reddam." Der Einwurf: „si
rationes considero, non video quomodo salvus fieri possim, si autem
ad fidem meam recurro, in fide christiana quae per dilectionem opera-
tur, spero me posse salvari", wird abgelehnt; denn eben um die ratio
handle es sich hier ^. Der Mensch kann also nichts leisten. Und
wie viel müsste er leisten ! „Nondum considerasti quanti ponderis sit
peccatum." Schon der kleinste Ungehorsam hat eine unendliche
Schuld zur Folge (man darf ja selbst um der Erhaltung der ganzen
Welt willen nicht die kleinste Sünde thun), da die Schuld an dem
Gott zu messen ist, der verachtet wird ^. Der Mensch hat also eine
unendlich grosse Satisfaction aufzubringen, da die Regel bereits fest-
steht, Gottes Ehre gestatte es nicht, dass der Mensch die Seligkeit
empfange, „si non reddit deo totum quod illi abstulit, ut si-
cut deus per illum perdidit, ita per illum recuperet" ^. Die
Unfähigkeit der menschlichen Natur, die Genugthuung zu leisten, kann
an diesem Gesetz, welches aus der Ehre Gottes folgt, nichts ändern^.
Dann aber bleibt nur ein Ausweg, wenn doch die convenientia die
Erlösung verlangt^ — der Gottmensch. Es muss Jemand da sein,
faciat quod, quia non convenit, facere non potest?" Hierauf antwortet Anselm : „Qui
non solvit, frustra dicit: dimitte; qui autem solvit, supplicat, quoniam
hoc ipsum pertinetadsolutioncm ut supp licet; nam deus nulH quicquam
debet, sedomnis creaturailH debet; et ideo non expedit homini, ut agat cum deo,
quemadmo dum par cum pari." Leider hat Anselm diesen letzteren Gedanken
bei seinen sonstigen Ausführungen vergessen.
1 S. oben S. 345 Anm. 2.
'' I, 20.
. ^ S. die Ausführung in I, 21. Weil jode Sünde contra voluntatem dei ge-
schieht, ist sie grösser als der Wcrth der Welt — unendlich gross. Ferner (I, 22),
weil der Mensch im Paradies den Teufel Gott vorgezogen hat, so ist es contra hono-
rem dei, ut homo reconcilietur illi cum calumnia huius contumeliae deo irrogatae,
nisi prius honoraverit deum vincendo diabolum, sicut inhonoravit illum victus a
diabolo." Aber wie vermag er das?
* I, 23.
' I, 24.
*' I, 4 und die stärkste Stelle I, 25: „ai deo inconveniens est, hominem cum
aliqua macula perduccre ad hoc, ad (juod illum sine omni macula fecit, nc aut boni
incepti paenitere aut propositum implere non j)Ossc vidcatur: multo magis
proptcr candem inconvenicntiam impossibile est nullum hominem
348 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Ohigny's, Anselm's und Bernhard's.
„(lui solvat deo pro peccato hominis aliquid maius quam omne quod
praetor doum est . . . illum (juoque, qui de suo potcrit deo dare
ali(iui(l, (|uod superet omne quod sub deo est, maiorem esse necesse
est, quam omne, quod non est deus . . . nihil autem est supra omne,
quod deus non est nisi deus . . . non ergo potest hanc satisfacti-
onem facere nisi deus." Wiederum „nee facere illam debet nisi
homo, alioquin non satisfacit homo". Schluss: „Si ergo, sicut con-
stat, necesse est, ut de hominibus perficiatur illa superna civitas, nee
hoc esse valet nisi fiat praedicta satisfactio, quam nee potest facere
nisi deus, nee debet nisi homo, necesse est, ut eam faciat deus
homo '.
Dieser Gott-Mensch muss die beiden Naturen unverwandelt be-
sitzen (sonst wäre er entweder nur Gott oder nur Mensch), ferner
unvermischt (sonst wäre er weder Gott noch Mensch), aber auch un-
getrennt (sonst kommt kein einheitliches Werk zu Stande) *, mithin muss
er sie „integras in una persona" besitzen '^. Der Gott muss die mensch-
liche Natur von Adam und Eva, aber aus einer Jungfrau angenom-
men haben ^, und er muss als Mensch diese Natur freiwillig in den
Tod gegeben haben. Wirklich war sein Sterben frei, da er sündlos
gewesen ist ^. Wenn nun der supponirte Gottmensch sein Leben frei-
wilhg Gott hingiebt, so ist damit die gesuchte Genugthuung gewonnen.
1
ad hoc provehi, ad quodfactus est." II, 4. 5 heisst es sogar, dass zwar
Gott „nihil facit necessitate, quia niillo modo cogitur aiit prohibetur facere ahquid'',
dass aber doch eine innere selbstgewollte Nothwendigkeit für Gott besteht, sein
"Werk auszuführen : „necesse est, ut bonitas dei propter immutabilitatem suam per-
liciat de homine quod incepit, quamvis totum sit gratia bonum quod facit."
' II, 6.
'' II, 7.
* II, 8 : das Erstere , weil die Nachkommen Adams die Satisfaction leisten
müssen; das Letztere, weil von den vier Weisen, in denen Gott Menschen zu schaffen
vermag (aus Mann und Weib [so die Regel] , weder aus dem Mann noch aus dem
Weib [Adam], aus dem Mann allein [Eva], aus dem Weib allein), die vierte noch
nicht dagewesen ist. Dass es aber eine Jungfrau sein musste, wenn es ein AVeib
sein sollte, „non opus est disputare". Hier ist ein Stück Scholastik im engsten Sinn
des Worts, und diese Art Beweisführung setzt sich im folgenden Capitel fort, wo
bewiesen wird, dass es die zweite Person der Gottheit sein musste, die Mensch
wurde, weil sonst die Prädicate in der Trinität gestört würden und aus anderen
gleich schlagenden Gründen („duo nepotes essent in trinitate, quia, si pater incai*-
natus esset, esset nepos parentum virginis per hominem assumptum, et verbum
cum nihil habeat de homine, nepos tarnen esset virginis, quia filii eins erit tilius'',
n, 9). Hier wird übrigens überall mit dem „mundius'* „honestius", kurz mit
relativen Begriffen operirt.
* Die umständliche Beweisführung II, 10 — 11 hier und 16 ff. zeigt, dass Auselm
diesen Punkt nicht völlig „rational" zu machen verstanden hat.
Anselm's Satisfactionslehre. 349
Es muss sein Leben sein; denn nur dieses ist er nicht verpflichtet,
Gott darzubringen; Alles, was er de suo geben könnte, musste er
so wie so Gott darbringen. „Videamus, si forte hoc sit dare vitam
suam sive ponere animam suam, sive tradere se ipsum morti ad ho-
norem dei. Hoc enim ex debito non exiget deus ab illo, quoniam
namque non erit peccatum in illo, non debebit mori . . . si homo
per suavitatem peccavit, annon convenit, ut per asperitatem satis-
faciat? Et si tarn facile victus est a diabolo, ut deum peccando ex-
honoraret, ut facilius non posset, nonne iustum est, ut homo satis-
faciens pro peccato tanta difficultate vincat diabolum ad honorem dei,
ut maiori non possit? Annon est dignum, quatenus qui se sie ab-
stulit deo peccando, ut se plus auferre non posset, sie se det deo
satisfaciendo, ut magis se non possit dare? . . . Nihil autem asperius
aut difficilius potest homo ad honorem dei sponte et non ex de-
bito pati quam mortem, et nullatenus seipsum potest homo
magis dare deo, quam cum se morti tradit ad honorem illius."
Also muss der gesuchte Mensch ein solcher sein, der nicht ex necessitate
stirbt, weil er allmächtig ist, nicht ex debito, weil er sündlos ist, mithin
sterben kann, „ex libera voluntate quia necessarium erit" '. Der Werth
eines solchen Lebens als Genugthuung ist ein unendlicher. Weil die
kleinste Antastung dieses Lebens einen unendlichen negativen Werth
hat, so hat die freiwillige Hingabe einen unendlichen positiven. Weil
die Sünden so hassens werth sind als sie schlecht sind, so ist auch jenes
Leben so hebenswerth als es gut ist. Also ist die acceptio mortis eines
solchen Gottmenschen ein unendliches Gut für Gott (!), welches die Ein-
busse der Sünde weit übersteigt ^. Es kann aber die datio vitae nur „ad
^ II, 11. In II, 12. 13 werden noch Nebenfragen erörtert. Der Gottmenscli
war nicht „miser", obgleich er die incommoda auf sich genommen; er war all-
wissend, weil er sonst nicht vollkommen gut gewesen wäre (!).
^ n, 14: „si omne bonum tarn bonum est, quam mala est eius destructio (!),
I>lu8 est bonum incomparabiliter quam sint ca peccata mala, quae sine aestimatione
superat eius interemptio . . , tantum bonum tam amabile potest sufficere ad solven-
dum quod debetur jjro pcccatis totius mundi, immo plus potest in infinitum
(II, 17 fin.: „plus in infinitum". II, 20: „pretium maius omni debito") . . . . si ergo
dare vitam est mortem acciperc(!), sicut datio huius vitae pracvalet omnibus
hominum peccatis, ita et acceptio mortis." Hierauf wird die Frage erörtert, ob
der Tod Christi auch seinen Feinden, die ihn gekreuzigt ha})en, zu Gut kommen
könne (TI, 15: die Frage wird bejaht; denn sie haben in Unwissenheit gehandelt),
sodann wie Christus habe sündlos sein können (II, 16); denn wenn er auch „abs(iu(^
camalis delectationis peccato" gezeugt sei — die Bcgattungslust ist ja nach
Augustin die Erbsünde — , so sei doch Maria nicht sündlos. Bei der Beantwortung
dieser Fragr; wird sehr weit ausgeholt. Augenscheinlich war Anselm hier um eine
rationale Lösung verlr-gcn. Er bringt schlieHKli(;li unsicher — dio Auskiinn vor.
350 Geschichte des Dop^as im Zeitalter Chig^ny's, Ansehn's und Bornhard's.
honorem tlei" erfolgt sein; denn ein anderer Sinn und Zweck lässt
sich sonst nicht fhiden. Dazu kommt allerdings noch die Absicht des
Beispiels für uns, damit wir uns durch keine Leiden von der Gerechtig-
keit, die Gott gebührt, a])bringen lassen. Zwar haben auch Andere
solches Beis])iel gegeben ; aber seines ist das kräftigste, weil er litt, ohne
es zu müssen K Noch einmal erhebt sicli nun der Einwurf, ob er es
nicht doch musste, weil die Creatur „totum deo debet, quod est et quod
seit et quod j)otest". Zur Antwort taucht plötzlich die Lehre vom über-
schüssigen Verdienst auf. Wenn Gott es uns frei lässt. Geringeres oder
Grösseres zu opfern, so hat es eine Belohnung zur Folge, wenn wir das
Grössere geben, „quia sponte damus quod nostrum est". Auf den Gott-
menschen angewandt, ergiebt sich, dass er sterben musste, weil er wollte,
zugleich aber nicht sterben musste, weil Gott es nicht forderte. Sein
Tod ist also freiwillig'-''. Nun endlich kann die langerwartete Lösung
gegeben werden^. Sic erfolgt in einer überraschenden Weise, vor Allem
mit befremdlicher Kürze : der Gottmensch handelt für sich, keineswegs
als Repräsentant der Menschheit. Aber der Vater muss ihm das ver-
gelten ^ Nun aber kann dem Sohne nichts gegeben werden, da er
Alles hat. Ein Frevel aber wäre es^ anzunehmen, die ganze That des
Sohnes bliebe ohne Effect. Also ist es nothwendig, dass sie einem
Anderen zu gut komme, und wenn der Sohn das will, so kann sich der
Vater nicht weigern; denn er Aväre sonst ungerecht. „Quibus autem
convenientius fructum et retributionem suae mortis adtribuet quam
illis, propter quos salvandos, sicut ratio veritatis nos docuit, hominem
se fecit, et quibus, ut diximus, moriendo exemplum moriendi propter
iustitiam dedit? Frustra quippe imitatores eins erunt, simeriti
eius participes non erunt. Aut quos iustius faciet heredes debiti,
Maria sei vor ihrer Geburt in Hinblick auf den zukünftigen Effect des Werkes
Christi von Sünden gereinigt worden, d. h. Gott habe sie gereinigt. Darauf wird
wiederum die Frage nach der Freiwilligkeit des Todes Christi erörtert ; denn wenn
Maria nur in Hinblick auf seinen Tod gereinigt worden ist, er aber eine gereinigte
Mutter brauchte, so musste er sterben. Dieses Problem nimmt wieder den breite-
sten Raum ein und wird nur durch eine spitze Dialektik gelöst, die schliesslich
(n, 17 p. 85) den Hülfssatz nicht entbehren kann: „ad hoc valuit in Christo diver-
sitas naturarum . . . ut quod opus erat fieri ad hominum restaurationem si humana
non posset natura, faceret divina, etsi divinaeminime couveniret, exhiberet humana.'"
^ Dieser Gedanke ist II, 18 mitten in die Ausführung hineingeschneit.
2 II, 18.
^11, 19: „intueamur nunc prout possumus, quanta inde ratione sequatur
humana salvatio." Der Interlocutor : „Ad hoc tendit cor meum."
* II, 19: „eum autem qui tantum domim sponte dat deo, sine retributione
debere esse non iudicabis . , . alioquin aut iniustus (!) videretur esse si nollet, aut
impotens si non posset."
Beurtheilung der Anselm'schen Lehre. 351
quo ipse non eget, et exundantiae suae plenitudinis, quam parentes et
fratres suos, quos aspicit tot et tantis debitis obligatos egestate tabes-
cereinprofundomiseriarum, ut eis dimittatur quod pro peccatis
debent et detur quo propter peccata carent?" ^ Somit stösst
nun Gott keinen zurück, der zu ihm im Namen dieses Gottmenschen
kommt, unter der Bedingung, dass er kommt, wie es sich gebührt, d. h.
so sich ihm naht und so lebt, wie es die heihge Schrift vorschreibt 2.
Die göttHche Barmherzigkeit ist also durch den Kreuzestod nicht auf-
gehoben — so schien es, wenn man die Sünde und die göttliche Ge-
rechtigkeit betrachtet — , sondern sie erscheint vielmehr unausdenklich
gross und zugleich in voller Harmonie mit der Gerechtigkeit. Spricht
doch Gott zu dem Sünder : „Nimm meinen Eingeborenen und gieb ihn
für dich", und der Sohn spricht: „nimm mich und erlöse dich"^. Nur
die bösen Engel können nicht erlöst werden. Nicht als ob nicht „pre-
tium mortis eins omnibus hominum et angelorum peccatis sua magni-
tudine praevaleat", sondern der Zustand der Engel (sie stammen nicht
von einem Engel ab und sind ohne Verführer gefallen) schliesst die
Erlösung aus ^. In dem grossen Bewusstsein, „per unius quaestionis
solutionem quicquid in novo veterique testamento continetur" vernünftig
erwiesen zu haben, schhesst Anselm ^.
Weil sie das wirklich ist, was Anselm im letzten Satz ausgesprochen hat,
nämlich eine (neue) Construction des ganzen Dogmas von der Sünde und der Er-
lösung aus, und weil in dieser Construction zum ersten Mal die disiecta
membra der augustinisch-mittelalterlichen Betrachtung des
Christenthums zu einer Einheit zusammengeschlossen sind, verdient
diese Darstellung eine eingehende Kritik. Anselm hat sich, auf den Schultern
Augustin's stehend, aber die „patristischen" d. h. griechischen Elemente der Denk-
weise desselben aufhebend, durch die Schrift „Cur deus homo" als eigenthümlicher
Dogmatiker neben die Väter des griechischen Dogmas (Irenäus, Athanasius und
Origenes) gestellt. Dem Aufriss, wie ihn Johannes Damascenus gegeben, ist nun
ein anderer Aufriss zugesellt, der freilich — und nicht zu seinem Yortheil — von
dem alten noch immer abhängig ist, aber doch von einem anderen Princip be-
herrscht erscheint. Die Anselm'sche Darstellunof verdient aber auch desshalb eine
besondere Beachtung, weil sie den Anstoss zur dauernden theologischen Behand-
lung des Problems gegeben hat, und weil sie noch in unseren Tagen, und zwar von
evangelischen Theologen, für wesentlich mustcrgiltig gehalten wird.
Zunächst ist gegenüber Missverständnissen zu sagen, was die Anselm'sche
Theorie nicht ist und nicht sein will. Sie ist 1) keine Versöhnungslehre in dem
Sinn, dass sie nachweist, wie der Widerspruch des Willens zwischen (rott und der
sündigen Menschheit aufgelioben wird ; sie ist 2) keine Theorie des Strafleidens,
denn Christus leidet nicht Strafe, vielmehr kommt es überhaupt nicht zum Strafvollzug,
» II, 19 p. 93 sq. 2 11^ 19.
' IT, 20. * TT, 21.
"> II, 22.
352 Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard's.
da Gott sich durch die acceptio mortis Christi spontaneae für befriedigt erklärt; sie
ist 3) eben desshulb keine Theorie der Stellvertretung im strengen Sinn des Worts,
da Christus nicht an unserer Statt Strafe leidet, vielmehr ein Gut aufbringt, dessen
Werth nicht an der Grösse der Sünde und Sündenstrafe, sondern an dem Werthe
seines Lebens bemessen wird, und welches Gott acceptirt, da es ihm theurer ist als
die Killbusse, die er durch die Sünde erlitten (zwischen der Sünde und dem Werth
des Lebens Christi besteht also nur ein äusseres Verhältniss ; beide sind unendlich,
aV)er dieses ist unendlicher; daher genügt es Gott mehr als hinreichend)*; sie ist
endlich 4) keine Theorie, die dem Einzelnen verbürgt, dass er wirklich selig
wird, vielmehr will sie nur für Alle die Möglichkeit nachweisen, dass
sie selig werden können; ob sie es aber werden, das hängt davon ab, „quemad-
modum homines ad tantae gratiae participationem accedant et quomodo sub lila
vivant" d. h. wie sie die Gebote der hl. Schrift erfüllen (II, 19 p. 94).
Schon aus dieser Ueberlegung (was die Anselm'sche Theorie nicht ist und
nicht Inetet) ergiebt sich, wie unzureichend sie ist. Vor Allem zeigt sich ihr un-
evangelischer Charakter an Punkt 4. Bei der Lehre von der Erlösung in
dem Sinne, dass die Möglichkeit der Erlösung des Einzelnen von der
Sünde nachgewiesen wird, hat sich freilich die ganze alte und — wie Anselm
zeigt — auch die mittelalterliche Kirche beruhigt; aber da diese „Möglichkeit"
keinem angefochtenen Gewissen irgend welchen Trost gewähren kann, sondern nur
den Verstand befriedigt, so ist sie ein verwerfliches Surrogat einer wirklichen Er-
lösungslehre — Luther würde sagen, sie ist vom Teufel. Kann nicht an der Person
Christi nachgewiesen werden, dass wir wirklich erlöst sind, wird nicht die cer-
titudo salutis aus ihr abgeleitet, so ist nichts gew^onnen, vielmehr ist Alles ver-
loren, wo man sich bei einer solchen Lehre beruhigt und ihr, wie Anselm thut,
den Schluss anhängt: w^enn du die Gebote der hl. Schrift erfüllst, dann hat diese
grosse Veranstaltung des Gottmenschen für dich einen Effect. Es ist eben bei
Anselm die Frage der persönlichen H*eilsgewisslieit, die Grundfrage der Religion,
noch gar nicht erwacht. Er ist ein antiker, ein mittelalterlicher, mit einem Wort
ein katholischer Christ, indem er sich dabei beruhigt, festgestellt zuhaben, dass
kraft der Veranstaltung Christi aus der massa perditionis doch Einige selig werden
können und factisch, weil sie fromm leben, selig werden. Aber noch ein zweites
Moment ist hier zu erheben. Der Ernst der Sünde (pondus peccati) kann bei aller
Anstrengung, ihn so kräftig wie möglich auszudrücken, doch nicht ernst genug ge-
nommen sein, wenn der Gedanke der Strafe und somit auch des stellvertretenden
Strafleidens völlig eliminirt wird. In der Vorstellung, dass die Sünde noch durch
etwas Anderes compensirt werden kann als durch die Strafe, liegt eine Unter-
schätzung des Gewichts derselben, die höchst bedenklich ist. Eine Anerkennung
des tiefen Satzes, dass der Unschuldige für den Schuldigen leidet, dass die Strafe
auf ihm liegt, auf dass wir Frieden hätten, findet sich in der Anselm'schen Theorie
nicht. Sie bricht auch in dem warm empfundenen Satze II, 20: „accipe unigeni-
tum meum et da pro te" — „tolle me et redime te" nicht hervor; denn von einem
Strafleiden ist nicht die Rede (ebensowenig in der ähnlich warmen Ausführung
n, 16 p. 77 sq.).
Doch bevor wir auf die Einwürfe gegen die Theorie eingehen, seien ihre Vor-
züge hervorgehoben. Diese sind nicht gering: l)muss es Anselm schon hoch ange-
* Die Theorie eines stellvertretenden Strafleidens findet sich neben der Theorie
des Loskaufs der Menschen vom Teufel bei Athanasius, s. Bd. II S. 175 dieses Wei-kes.
Beurtheilung der Anselm*schen Lehre. 35J5t
rechnet werden, dass er das Problem überhaupt aufgegriffen und zum Mittelpunkt
der Orientirung über den Glauben gemacht hat, 2) dass er es so gefasst hat, dass es
sich um die Erlösung von einer Schuld handelt (die Griechen haben primär stets
an die Erlösung von den Folgen der Sünde, der Todeshaftigkeit, gedacht) ; 3) ist her-
vorzuheben, dass er die Schuld ausschliesslich als Schuld gegen Gott (Ungehorsam)
gefasst und die überlieferte Lehre (s. auch Augustin), als handle es sich bei der Er-
lösuno- (durch das Mittel des Kreuzestodes des Gottmenschen) um eine Befriedigung
des Teufels, gänzlich abgethan hat^ ; 4) dass er eine bloss ästhetische Begründung des
Kreuzestodes oder eine äusserlich historisirende aufgehoben hat (Christus ist nicht
desshalb gestorben, weil es geweissagt war, auch nicht desshalb, weil der Vollzug
der Erlösung im Einzelnen correspondiren musste mit der Geschichte Adams und
des Sündenfalls) ; 5) ist es sehr bedeutsam, dass Anselm sich ernstlich bemüht hat, die
sittliche Nothwendigkeit gerade dieses Modus der Erlösung nachzuweisend Das,
was er „ratio" nennt, ist wenigstens in manchen Ausführungen nichts Anderes als
die strenge sittliche Forderimg, ist also hier durchaus berechtigt, und er lehnt es
ausdrücklich ab, der Untersuchung einen Gottesbegriff der schrankenlosen Willkür
zu Grunde zu legen, vielmehr, tiefer blickend und muthiger als Augustin, setzt er
überall voraus, dass Gottes Allmacht innerlich gebunden ist durch seinen heiligen
Willen. Eben desshalb muss es nach ihm möglich sein, über Gottes Veranstaltungen
richtig nachzudenken, weil man die Zuversicht haben darf, dass die höchste Ge-
rechtigkeit und die höchste Barmherzigkeit, die er ist, von uns als Gerechtigkeit
und Barmherzigkeit verstanden werden kann. Endlich 6) ist nach Anselm Jesus
Christus in seiner geschichtlichen Person und durch seinen Tod für uns die Er-
lösung. Die Gnade Gottes ist nichts Anderes als das erlösend^ Werk Christi, d. h.
der Gedanke der Gnade ist nun erst völlig abgelöst von dem der Natur und in die
Geschichte versetzt, d. h. einzig an die Person Christi geknüpft.
Allein diesen Vorzügen stehen so viele Mängel entgegen, dass die Theorie
völlig unannehmbar ist. Dieselben liegen zu einem grossen Theile so an der Ober-
fläche und beleidigen in gleicher Weise die Vernunft und die Moral (von dem
Attentat an dem Evangelium zu schweigen) so sehr, dass, wenn die heutige Theo-
logie unter normalen Bedingungen stände, kein Wort über sie zu verlieren wäre.
Allein da die landläufige Theologie in dem Zeichen des Traditionsglaubens und der
Romantik steht und alle Massstäbe des Evangeliums, der Moral, der Logik und der
Bildung preisgiebt, wenn sie die „Nothwendigkeit der Möglichkeit" ihrer
überlieferten Glaubensobjecte irgendwie gerechtfertigt sieht, so werden
einige Ausführungen hier am Platze sein. Ausser dem bereits oben Bemerkten
kommt noch Folgendes in Betracht:
Erstlich enthält die Theorie eine Reihe von Unvollkommenheiten, resp.Wider-
sprüchen; denn 1) überall soll das necessarium streng durchgeführt werden; allein
an wichtigen Punkten kommt Anselm nicht über das conveniens hinaus, vor Allem
an dem wichtigsten Punkt, dass das mcritum Cliristi gerade den Menschen zuge-
wendet wird (II, 19 p. 93 fin.). Auch dass Gott den Tod des Gottmenschen für die
Beleidigung acceptirt, ist niclit mit strenger Nothwendigkeit begründet, da die
Sihide der Menschen und die Art der Genugthuung Christi in ne rli eh nichts ge-
* Ob es freilich in jcider Hinsicht ein Vortheil war, und ol) nicht das sclilimmer
ist, was Anselm an die Stelle gesetzt hat, wird sich unten zeigen.
' Eine merkwürdige Stelle schon bei Tertullian (de ieiun. 3): „homo porean-
dem materiam causae deo satisfacere debet, per (|HiiTn offendc^at."
II ii iiiiifU , Dogrncii^ftscliiclifc, III. 28
354 Geschichte dea Dogmas im Zeitalter Clugrny'a, Anselm's und Bernhard's.
mein haben * ; 2) muss der Satisfactioustheorie eine ihr fremde Spitze gegeben wer-
den, um überhaupt einen Effect derselben zu begründen. Die strenge Theorie selbst
führt nUndich nur so weit, dass Gottes beleidigte Ehre wieder hergestellt ist und
die Menschen sich an dem Tode Clu'isti ein Beispiel nehmen, auch unter den
schwersten Leiden bei der Gerechtigkeit zu verharren. Aber wie können sie
sich ein Beispiel nehmen? Wird denn das Vorbild die Kraft haben, sie zur
Nacheiferung anzuregen? AVerden sie nicht vielmehr weiter sündigen? Dennoch
nützt die ganze Veranstaltung nach Anselm nur denen, die ihr Leben nach der hl.
Schrift einrichten. Also wird sie umsonst sein! Anselm hat das wohl gefühlt, und
er ist desshalb völlig aus seiner Theorie herausgetreten, indem er behauptet, Gott
sehe sich veranlasst, die freiwillige Leistung des Gottmenschen zu belohnen und
wende diese Belohnung den Menschen zu, indem er ihnen als denVer-
wandten Christi das Ve rdienst Christi anrechne, ohne welches
sie überhaupt ChristiNachahmernicht werden können. Diese Wen-
dung macht der Frömmigkeit Anselm's alle Ehre ; aber sie zerstört seine Genug-
thuungslehre-, denn wenn Christi Leiden ein Verdienst begründet, so enthält es
nicht den strengen Ersatz; enthält es aber die Genugthuung, so begründet es kein
Verdienst. Anselm spricht aber hier nicht etwa von einem überschüssigen Ver-
dienst, sondern ersieht die ganzeLcistungChristi plötzlich als
raeritum an; dann aber ist sie nicht satisfactio. Ferner, wenn die Menschen
plötzlich als Verwandte Jesu in Betracht kommen, so fragt es sich, warum nicht
dieser Gesichtspunkt, dass Christus als Haupt der erwählten Menschheit zu be-
trachten sei, von Anfang der Betrachtung an geltend gemacht worden ist. 3) Völlig
widerspruchsvoll sind die Begriffe der Gerechtigkeit und Ehre Gottes be-
handelt. Die Gerechtigkeit soll einerseits in der Strafe ebenso zum Ausdruck kom-
men wie in der positiven Erreichung des Heilszwecks, andererseits verlangt die
Gerechtigkeit, dass das Ziel erreicht wird. Dem entsprechend ist auch der Begriff
der Ehre behandelt ; ja ein dreifacher Begriff wird hier vorausgesetzt. Einmal soll
Gott persönlich überhaupt nicht beleidigt werden können; seine Ehre kann schlech-
terdings keine Beeinträchtigung erfahren (I, 15: „dei honori nequit aliquid, quautum
ad illum pertinet, addi vel minui. idem namque ipse sibi est horor incorruptibilis
et nullo modo mutabilis"). Sodann wird behauptet, dass sie wohl beleidigt werden
kann, dass sie aber in gleicher Weise entweder durch poena (Verdammung des
Menschengeschlechts) oder durch satisfactio hergestellt werden kann. Endlich wird
behauptet, dass die Ehre Gottes die Auflösung seines Weltplans, der in der Beseli-
gung der vernünftigen Creatur gipfelt, nicht duldet, dass also Gott auf die Strafe
verzichten, die Beseligung der Creatur eintreten lassen und somit die Genugthuung
erwählen muss. 4) Während im Allgemeinen stets der Gedanke durchgeführt wird,
Gott könne um seiner Ehre willen den Menschen nicht einfach verzeihen, tritt c. 19
p. 41 vielmehr die Wendung ein, Gott könne das um des Menschen willen
nicht, weil ein mit Sünden befleckter Mensch, wenn er auch in das Paradies re-
stituirt würde, doch nicht so sei wie vor dem Fall. Allein dieser wichtigen Wen-
dung wird eine weitere Folge nicht gegeben. 5) Von Gott wird behauptet, dass er
über allem Wechsel menschlicher Verhältnisse steht und alle Dinge mit seiner heili-
gen Allmacht trägt; desshalb gelte die Regel (1. c): „non expedit homini, ut agat
^ Die strenge Kritik, welche die heutigen Katholiken an Anselm's Theorie
anlegen (s. Schwane S. 296 fl'.), hat umgekehrt ihren Grund in dem scotistischeu
Widerwillen sfeffen die unbedingten Nothwendigkeiten.
Beurtheilung der Anselm'schen Lehre. 355
cum deo quemadmodum par cum pari." Allein mit dieser Regel steht die ganze
Ausführung im Widerspruch, die sich nach dem Grundsatz richtet (I, 23 p. 47) :
„Nullatenus debet aut potest accipere homo a deo quod deus illi dare proposuit, si
non reddit deo totum quod illi abstulit, ut sicut deus per illum perdidit, ita per
illum recuperet." Dieser Grundsatz stellt Gott und den Menschen als Beleidigten
und Beleidiger völlig auf gleichen Fuss. Gott wird verletzt wie ein Mensch verletzt
wird. Sagt man aber, als sittliche AVesen stünden sie in der That auf gleichem Fuss,
so darf doch diese richtige Einsicht das Grundverhältniss nicht alteriren, dass Gott
der Herr und der Mensch seine Creatur ist. 6) Ohne Widerspruch kann die An-
nahme, dass Christi Tod ein freiwilliger in dem Sinne gewesen sei, dass er ihn auch
hätte lassen können, nicht durchgeführt werden, und doch kommt, wie Anselm
wohl wusste, bei seiner Theorie Alles auf diesenIPunkt an. Erstlich vermag Anselm
nur durch grobe Sophismen die Bibelstellen zu beseitigen, dass der Tod in den
Gehorsam Christi eingeschlossen war, und dass er den Kelch, mit Zittern den
Willen des Vaters ausführend, getrunken hat. Zweitens kann auch sachlich nicht
nachgewiesen werden, dass der Gehorsam Christi sich nicht auf das Todesleideu
erstreckte ; denn da — nach Anselm — der Mensch Christus gelitten hat, so ist
auch der Tod eingeschlossen in das, was er Gott schuldig war, da der Mensch,
auch abgesehen von der Sünde, sich selbst ganz und gar Gott schuldet. Christus
hat aber nicht eine dingliche Leistung aufgebracht, indem er „in honorem dei"
starb, sondern eine persönliche. Zu jeder persönlichen Leistung „in honorem dei"
aber ist der Mensch — auch nach Anselm — verpflichtet ^
Zweitens passt das altkirchliche Material, mit welchem Anselm operirt, nicht
zu den neuen Absichten, denen er es dienstbar macht. Die Zweinaturenlehre ist
von Athanasius ab, aber auch schon früher, so gefasst worden, dass der Gott-
Logos das Subject ist, und dass er die menschliche Natur in die Einheit seines
göttlichen Wesens aufnimmt. Nur diese Vorstellung entspricht dem Zweck, um
den es sich bei den Griechen handelt, nämlich die Wirklichkeit der Ueberwindung
des Todes und der Vergottung unserer Natur zu erklären. Eine Fülle von Gesichts-
punkten hat Athanasius von hier aus im Einzelnen entwickelt, darunter auch den,
dass der Gott-Logos durch sein Sterben — was ihm durch die menschliche Natur
möglich war — die Strafe getragen und den Tod aus der menschlichen Natur aus-
getrieben habe. Allein Anselm will Alles auf die Genugthuung zurückführen, und
er hält sich streng an die richtige Theorie des Ambrosius und Augustin, dass der
Mensch Jesus gestorben sei, und dass er mithin unser Mittler sei. Zugleich
aber kommt nun bei ihm die Unverträglichkeit dieser Anschauung mit der Zwei-
naturenlehre endlich zum deutlichen Ausdruck-, denn wo der Gott-Logos
nicht als das Subject der Erlöserpersönlichkeit gilt, sondern,
wie bei Anselm, der Mensch, da ist zwar nicht die Gottheit Christi,
wohl aber die Zweinaturenlehre aufgehoben. Der Titel der
Gottheit Christi kommt innerhalb der strengen Theorie bei
Anselm nur al s Werthbes timmung der menschlichen Person in
ihrem Handeln vor'-*. (Christus erscheint als der Mensch, dessen Leben
einen uDcndlichen Werth hat. Dass das etwas ganz Anderes ist als die zweite Person
der Gottheit, leuchtet ein". Wenn nun Anselin die Zweinaturenlehre als geheiligte
' S. Ritschi, a. a. 0. I S. 44 f.
''S. Ritsch 1 T S. 4:^> f.
* Die Stimmuriif gegenüber Christus ist dah<!i- auclj l^ci den Lateinern eine
23*
35r) Geschichte des Dogmas im Zeitalter Clugny's, Anselm's und Bernhard'«.
Ueberlieferung' doch tbrtbraueht, so ist eine vollkommene nestorianische Zerreissimg
der Person die Folge (s. 1, 9. 10), wie sie sich im Abendland seit Augustin stets
eingestellt hat, wo man die eigene Christologie als Erlösungslelire verfolgt und doch
von jener Naturenlehre nicht lassen will. Ferner aber erscheint die Zweinaturen-
lehre au(;h desshalb noch willkomnu'n, weil man mit ihr schlechthin jede Schwierig-
keit, welche die Erl(")sungslehre bietet, aufheben kann; denn da auf die Prädicate
„menschliche und göttliche Natur" Alles vertheilt werden kann, was nur denkbar
ist, so ist man daniit jeder Schwierigkeit gewachsen und kann jeden Zweifel nieder-
schlagen, jede Denkfaulheit beschönigen. Anselm hat das selbst in naiver Weise
gestanden (c. 17 p, 85); „Was für den Menschen in Christus nicht passt, soll man
auf den Gott schieben; was für den Gott unpassend ist, auf den Menschen." Damit
ist die ernsthafte, die Einheit des Gottmenschen stets vertretende griechische Spe-
culation abgethan, und so ist es im Abendland geblieben. Wie viele von denen, die
heute die „Gottheit" Christi ausspielen, denken daran, dass dieser Titel sie ver-
prtichtet, die gottmenschliche Einheit nachzuweisen, und dass, wenn sie von
dieser Verpflichtung meinen absehen zu können, ein Athanasius und die Väter des
Dog-mas sie als hohle Schwätzer oder als Häretiker verachten würden? Diese wuss-
ten sehr gut, dass der blosse Titel „Gottheit Christi" gar nichts besagt, ja häretisch
ist, weil die Gottmenschheit nachgewiesen werden muss. Aber dem Abend-
land fällt das nicht mehr ein; denn mit den Mitteln der Griechen kann und will es
sie gar nicht beweisen; ja es befolgt ein ganz anderes Schema in der Erlösungslehre :
Christus ist der Mensch, dessen Handeln einen unendlichen Werth hat. Wenn
also der Titel der Zweinaturenlehre noch fortgepflanzt wird, so ist er bei denen,
die wirklich über Christus als den Erlöser nachdenken, nach der abendländischen
Auffassung um seine Bedeutung gekommen. Er wird daher nur noch benutzt im
Sinne „conservativer Interessen" oder um sich von jedem energischen Nachdenken
über Christus als den Erlöser durch die bequeme Formel zu dispensiren: dieses
that er als Gott und jenes that er als Mensch.
Drittens ist ausser dem bisher Ausgeführten noch eine Reihe der schwersten
Einwürfe gegen den Gesammtcharakter der Anselm'schen Lehre geltend zu machen.
Nur kurz seien sie angedeutet: 1) An vielen und zwar den wichtigsten Stellen ver-
fährt Anselm nach einer Logik, mit der man bereits Alles beweisen kann. Die
schwersten Unarten der Scholastik kündigen sich schon bei ihm an ; das Mass der
antiken Denker, so bescheiden es bei den Patres ausgeprägt war, fehlt ihm. 2) Alles
ist ganz abstract gedacht, wie wohl ein kluges Kind über solche Dinge denkt und
spricht. Diese Theorie bringt es fertig, das Erlösungswerk durch Jesus Christus zu
beschreiben, ohne einen Spruch von ihm anzuführen (was angeführt wird, dient
nicht zur Verdeutlichung, sondern besteht in We gräumung wichtiger Schrift-
stelleu). Legend einen persönlichen Zug aus dem Bilde Christi hervorzuheben, hält
Anselm für überflüssig; der sündlose Mensch mit dem unendlich werthvollen Leben
ganz andere als bei den Griechen. Diese blicken vorherrschend auf den Gott in Chri-
stus, jene auf den Menschen. R i t s chl hat S. 47 auf die merkwürdige, aber keines-
wegs vereinzelte Stelle in Anselm's Meditationen (12) hingewiesen: „Certe nescio,
quia nee plene comprehendere valeo, unde hoc est, quod longe dulcior es in corde
diligentis te in eo quod caro es, quam in eo quod verbum: dulcior in eo,
quod humilis, quam in eo quod sublimis . . . Haec omnia (das Menschliche) formant
et adaugent magis ac magis exsultationem, fiduciam et consolationem, amorem et
desiderium."
BeurtheiluDg der Ariselm'schen Lehre. 357
genügt. Der Tod Christi ist von seinem Lebenswerk auf Erden völlig losgerissen
und isolirt. Dieser Gottmensch brauchte nicht gepredigt und kein Reich gestiftet,
keine Jünger gesammelt zu haben : er musste nur sterben. 3) Auf die ewige Er-
wählung der Gemeinde wird keine oder nur kraftlose Rücksicht (s. I, 16 und bei
Maria) genommen. "Wie vom Reiche Gottes nicht die Rede ist, so auch nicht von
der Kirche und ihrer ewigen Existenz vor Gott. Folgerecht wird die Kategorie
der inneren sittlichen Noth wendigkeit des Guten und Heiligen auch für Gott mit
jener ratio verwechselt, kraft der man angeblich auch einen Heiden zwingen kann,
an den Gottmenschen zu glauben, wodurch das Geheimniss des Glaubens profanirt
wird. 4) Die Sünde wird wohl als Schuld an Gott gefasst; aber diese Schuld ist
nicht der Mangel des Vertrauens (des Glaubens) auf ihn, sondern sie wird als per-
sönliche Beleidigung gefasst. Wie Jemand persönliche Beleidigungen behandeln
will, das steht bei ihm ; dagegen die Schuld, welche Mangel an kindlicher Furcht
und Liebe ist und die Welt Gottes zerstört, muss getilgt werden, sei es in Zorn
oder in Liebe. Das übersieht Ansebn. 5) Damit ist das Schlimmste an Anselm's
Theorie berührt: der mythologische Begriff Gottes als des mächtigen Privatmanns,
der seiner beleidigten Ehre wegen zürnt und den Zorn nicht eher aufgiebt, als bis
er irgend ein mindestens gleich grosses Aequivalent erhalten hat; die ganz gnosti-
sche Spannung zwischen Gerechtigkeit und Güte, sofern der Vater der Gerechte
ist und der Sohn der Gute ; die furchtbare Vorstellung (der gegenüber die An-
schauungen derVäter und der Gnostiker weit vorzuziehen sind), dass die Mensch-
heit vom zornigen Gott befreit wird*; das Schattenspiel zwischen Vater und
* Sehr richtig Bigg, The Christian Platonists of Alex. p. 290: „It was reser-
ved for Anselm, centuries afterwards, tho array the Justice against the Goodness of
God, and thus to complete the resemblance of Christianity to its ancient deadly
foe" (seil, dem Gnosticismus). Allein der Gnosticismus unterschied zwischen dem
gerechten Gott (dem Demiurgen) und dem guten Gott als zwei feindlichen Göttern.
Die alte patristische Theorie aber war, dass Christus die Menschen durch seinen
Tod von dem Teufel erlöst hat. Wenn man den Tod von dem Leben Christi isolirt,
so ist dies in der That die beste Theorie; denn sie bringt keinen Zwiespalt in die
Gottheit. Es ist freilich ein Fortschritt bei Anselm, dass er den Gedanken durch-
führen will, Gott sei heilig und barmherzig zugleich. Allein dieser Gedanke verträgt
keine Durchführung an dem als satisfactio gedachten, isolirten Tode Christi, wenn
diese satisfactio Gott selbst gelten soll. Da ist es immer noch besser, die satisfactio
dem Teufel gezahlt sein zu lassen, weil auch so der Idee der Gerechtigkeit — frei-
lich in mythologischer Weise — Genüge geschieht (die richtige Betrachtung wäre
die, dass dem Bösen sein Recht geschehen muss, nämlich in der Strafe), ohne dass
Christus der Barmherzige und Gott der Zornige in Spannung gesetzt werden, während
doch Christus Gott selbst sein soll. Dass das nicht angeht, hat übrigens Augustin
deutlich eingesehen, nachdem er die IMöglichkcit envogen hatte. Bigg verweist auf
de trinit.Xni, 11 : „Sed (juid est iustificati in sang-uine ipsius? Quae vis est sanguinis
huius, obsecro, ut in eo iustificentur credentesV Et quid est rcconciliati per mortem
filii eins? Itane vero, cum irasceretur nobis deus pater, vidit mortem filii sui pro
nobis et placatus est nobis?" Dies kann nicht sein; „denn omnia simul et pater et
filiu» et amborum Spiritus pariter et concorditer opcrantur." Also
lehnt er die Ansolm'schc Theorie im Voraus ab. Diese ist auch nur so erklärlich,
dass der Gedanke Gottes als des uns nahen Vaters im Mittelalter zurückgetreten
ist und man das alte Bild der Trinität als E i nh e i t nicht mehr hatte. Auch hier ist also
die antike TJeberlieferung dos Dogmas preisgegelion, der Titel Trinität beibehalten.
358 Geschichte des Dop^mas im Zeifalter Ohiguy's, Anselm's und Eernhard's.
Sohn, während doch der Sohn Eins ist mit dem Vater; das Schattenspiel des Sohnes
mit sich selber; denn nach Ansei m bringt sich der Sohn sich selber dar
(11,18: „filius ad liouorcm suuni seipsuni sibi obtulit")^; die blasphemischeVorstel-
hiug, dass für Gott die datio vitae des Sohnes als acceptio mortis ein Gut sei; der
schreckliche Gedanke, dass Gott das grässliche Vorrecht vor den Menschen habe,
nicht aus Liebe vergeben zu können, sondern stets eine Bezahlung brauche (I, 12);
die corrumpirte Auflassung unseres Vergebungsgebetes an Gott, dass es ein Theil
unserer Satisfactionen sei, aber nie an sich den Effect der Vergebung haben könne
(I, 19: „qui uon solvit, frustra dicit: dimitte"). Nimmt man nun hinzu, dass, wie
oben gezeigt, bei dem Allem nur die Möglichkeit, dass wir selig werden, nachge-
wiesen ist, dass der (icdanke der Strafe der Sünde eliminirt ist (die Gerechtigkeit
Gottes also zu lax gelasst ist), dass hier kein Unschuldiger Strafe leidet für den
Schuldigen, und dass in dem Effect auf uns nur der schwächliche Gedanke des
Vorbildes zu deutlicher Klarheit kommt, so muss man sagen, dass trotz der guten
Absichten Anselm's und trotz einiger richtigen Erkenntnisse niemals vor ihm eine
so schlimme Tlieorie als kirchliche producirt worden ist. Aber vielleicht vermag
Niemand eine bessere aufzustellen, der den Tod Christi von seinem Leben isolirt
und in diesem Tode noch etwas Anderes sehen will, als den Höhepunkt des
„Dienstes'*, den er durch sein Leben geleistet hat*.
Die Anselm'sche Tlieorie hat als ganze wenig gewirkt. Der Be-
griff, den er nur gestreift hat, der Ver dienstlichkeit des Wer-
kes Christi, trat sehr rasch in den Vordergrund und machte seine
Genugthuungslehre , die ausserdem mit der augustinischen Ueber-
lieferung stritt, unwirksam. Dazu kam, dass er das Interesse an dem
Nachweis unserer Versöhnung mit Gott nicht befriedigt hat. Hier
setzte Abälard ein, ohne freilich eine zusammenhängende straffe Ent-
wickelung der Lehre zu geben ^. Er geht, nachdem er die Beziehung
des Kreuzestodes auf den Teufel noch entschiedener als Anselm ab-
gelehnt, von dem Grundgedanken der Liebe Gottes aus und macht
sich zugleich klar, dass die Sünde die Menschen von Gott getrennt
hat, dass es also gilt, sie zu Gott zurückzuführen und ihnen wieder
Vertrauen auf Gott einzuflössen. Femer hält er sich gegenwärtig, dass
die Frucht der Erlösung sich auf die Erwählten bezieht, in Bezug
auf welche Gott nicht erst umzustimmen ist. Somit darf die Mensch-
werdung und der Tod des Sohnes Gottes nur als Liebesthat gefasst
^ InKonstantinopelhabeuSynoden vom Jahrll56f. entschieden, dass dieMesse
auch dem Sohne dargebracht werde, da er der Opfernde und Geopferte zugleich sei
und die Trinitat keine Zerreissung dulde, s. Hefele V S. 567.
* Dass übrigens Anselm selbst in anderen Schriften andere Gedanken über die
Erlösung durchgeführt hat, hat Ritschi, a. a. 0. I S. 46 f. 109 gezeigt. Er hat sich
auch ohne solche Berechnungen der Gewissheit der Gnade hingegeben, andererseits
den Begriff des Verdienstes stärker betont.
8 S. Ritschi, a. a. 0. I S. 48 ff. Schwane S. 304 ff". Deutsch, Abälard
S. 366 ff. Sceberg in den „Mittheil. u. Nachricht, f. die ev.K. in Russland"^ 1888,
März-April. Auch Reuter im 1. und besonders Bach im 2. Bd. S. 68 f. 77 f. 88 ff.
Abälard's Versöhnungslehre. 359
werden, und auch die Gerechtigkeit Gottes ist so zu bestimmen, dass
sie der Liebe untergeordnet resp. mit ihr identisch ist. Christus also
hat den Zorn Gottes nicht erst zu besänftigen gebraucht. Gott
kann die Sünde ebensogut vergeben, wie er einen sündlosen Men-
schen hervorgebracht hat, der sich mit Christus verbunden hat. Aber
um uns wirklich für sich zu gewinnen, hat Christus uns den höch-
sten Liebesbeweis gegeben, der unsere kalten Herzen entzündet und
uns zum Vertrauen und zur Liebe Gottes zurückführt. Ferner —
die Eeflexionen stehen nicht in einem straffen Zusammenhang — in
dieser That des Kreuzestodes Christi schaut Gott uns an, d. h. er
vergiebt uns die Sünden, indem er uns das Verdienst Christi zurechnet,
weil Christus als Haupt der Menschheit vor Gott steht; ebenso lässt
er uns das Verdienst der vollkommenen Gerechtigkeit Christi zu Gut
kommen; denn in dem Gehorsam Christi ist Gott Genüge ge-
schehen. Endlich, fort und fort wirkt Christus für uns ; denn indem
er für uns unablässig beim Vater bittet, entspricht es der Gerech-
tigkeit Gottes, uns dieses Verdienst anzurechnen. Aber bei „Verdienst
Christi" denkt Abälard nie „an eine Summe bestimmter Leistungen,
sondern die Christus einwohnende Fülle der Liebe gegen Gott ist sein
Verdienst". „Sic igitur in voluntate, non in operibus, quae bonis et
malis communia sunt, meritum omne consistit"^. Es ist also hier
nichts Dinghches und nichts Magisches. Auch der Kreuzestod wird
nicht als dingliche Leistung geschätzt, sondern fällt ganz, als ein
Hauptstück, unter die Liebeserweise Christi, die er von Anfang an
gezeigt hat. Christi Verdienst ist sein Liebesdienst; die
Liebe aber ruft Gegenliebe hervor, und Aver da liebt (weil ihn Christus
zuerst geUebt hat), dem werden die Sünden vergeben, ja in dem
Wechsel von Liebe und Liebe, die aus Christus entspringt, liegt die
Sündenvergebung selbst ''^.
Abälard hat keinen strengen Beweis für die Nothwendigkeit des
Kreuzestodes geliefert; seine Sätze sind ferner desshalb ungenügend,
weil er nicht deutlich erkannt hat, dass die Liebe die höchste, ja
die einzig wirksame ist, welche, indem sie die Strafe auf sich nimmt,
mit der Grösse der Lossprechung zugleich die Grösse der ge-
^ So ein Schüler Abälard's, der seine Meinung getroffen hat; s. Seeberg
S. 7 und Deutschs. 378 ff.
^ Ich schreibe die Stellen hier nicht aus, weil sie als eiii/elne kein rechtes Bild
geben. In Betracht kommen vornehmlich mehrere Stellen aus der Exposit. cp. Rom.
(bes. zu c. 3, 22 ff., 5, 12 ff.), aus dem Sermo V. X. XII, theolog-, christ. IV und dem
Dialog. AVie sehr Abälard's ganze Christologie und Erlösungslehre vom Gedanken
der Liebe und Gegenliebe beherrscht ist, wie ganz und gar die Liebe das „Ver-
dienst" ist, würde man aus einzelneu Citaten nicht abnehmen können.
3H0 ^ ie^cluuhU' tlts Dof^inas iiu Zeitalter Cluj^iiy'K, Ansclui's iiu<l Hcniliarirs.
tilgton Schuld offenbart. Er hat nicht erkannt, dass der Sün-
der von der Schuhl nicht anders befreit werden kann, als indem er die
Strafe der Schuld erlebt und sieht. Aber er hatte eine zu lebhafte
Empfindung für die Liebe seines Gottes und für die Einheit Gottes
und Christi, als dass er dem gnostischen (ledanken bei sich Raum
gegeben hätte, Gott brauche ein Opfer oder ein Entgelt, oder für ihn
sei der Tod C.hristi ein Gut. Und er wusste sich so innig in leben-
diger Gemeinschaft mit Christus verbunden, dass erst er wieder den
apostolischen Gedanken der ständigen Fürbitte Christi für uns in die
Erlösungslehre eingeführt und andererseits auch in dem irdischen
Leben Christ nicht einen liebesbeweis , den Tod, sondern eine
Kette von Liebe gesehen hat, in der auch das „Werk" Christi,
nämlich sein „Verdienst" d. h. die Wirksamkeit seines Liebeswillens
enthalten ist ^
* Sehr richtig Deutsch S. 382: „Demnach ist der letzte und tiefste Gedanke
Abälard's der, dass die Versöhnung- in der persönlichen Gemeinschaft mit Christo
beruht. Er ist es, der, indem er den Willen Gottes als Mensch vollkommen erfüllte,
damit die göttliche Bestimmung der Menschheit verwirklichte, in diesem Sinne
Gott genug that und damit der Menschheit die verschlossene Paradiespforte wieder
erötfnete. AVer ihm angehört, der hat durch ihn Vergebung der Sünden und mit
ihm den Zugang zu Gott, zugleich aber auch die Kraft des neuen Lebens, in dem er
aus Liebe die Gebote Gottes erfüllt, und soweit diese Erfüllung noch unvollkommen
ist, tritt die Gerechtigkeit Gottes für dieselbe ergänzend ein." Dem gegenüber hat
Reuter (IS. 243) Abälard's Lehre also misshandelt: „An die Stelle eines Voll-
bringers der Versöhnung trat ein Verkündiger des schon versöhnten Gottes
[Christus ist nach Abälard kein blosser „Verkündiger", und Gott ist nicht versöhnt,
wenn wir es nicht sind] ; statt einer Passion des Sohnes, welcher den Zugang zum
Vater erst wieder eröffnet [aber das ist gerade Abälard's Meinung], wurde ein
Märtyrerthum mit psychologischer AVirkung gefeiert [das AVort „psychologisch"
soll hier den Eindruck des Profanen erregen; aber man hat doch nur die AVahl
zwischen diesem oder dem physikalisch-chemischen] ; statt der Umstimmung Gottes
die des Menschen genannt" [ist Gott die Liebe oder ist er verstimmt? ist es nicht
die Strafe des Menschen, dass er als Sünder sich einen schrecklichen Gott
denken muss, und kann etwas Grösseres im Himmel und auf Erden geschehen, als
dass ein Mensch umgestimmt, d. h. von der Furcht vor dem schrecklichen Gott zum
Vertrauen und zur Liebe gestimmt wird? AVenn es möglich wäre, dem Sünder den
Gedanken des liebenden Gottes, zu dem er Vertrauen haben kann, beizubringen,
während er sich schuldig fühlt, dann freilich wäre Christus vergeblich gestorben;
aber Jenes ist eine contradictio in adiecto]. Auch Seebe rg hat trotz allen Bemühens,
unparteiisch zu sein, aus Abälard's Lehre eine Carricatur ins Rationalistische ge-
macht und dem entsprechend Sätze Bernhard's, die sich theils ebenso bei Abälard
finden, theils glücklich von diesem beseitigt sind (die iusta potestas diaboli), schön
gefärbt. Das, was bei Abälard wirklich zu vermissen ist, dass Christus unsere
Strafe getragen hat, findet sich bei Bernhard auch nicht, und das „Vorbild" Christi
wird von diesem viel unvorsichtiger geltend gemacht als von jenem, der stets an
die Kraft der Liebe denkt, die von Christus ausgeht. Aber Bernhard soll doch
Die Versöhnimoslchro des Lombarden. 361
Die Polemik gegen Abälard hat sich auch gegen seine Erlösungs-
lehre gerichtet; aber man hat sie wesentlich vom Boden der augu-
stinischen Erlösungslehre (Ueberwindung des Anrechts des Teufels)
bekämpft, ohne dem Anselm zu folgen K Dabei sind Alle in steigen-
dem Masse darin einig, dass der Gesichtspunkt des Verdienstes an-
zuwenden ist, und dass Christus als Erlöser von seiner menschhchen
Quahtät aus zu betrachten ist. In diesem Sinne hat auch der Lom-
barde seine zusammenfassende Darstellung der Meinungen der Väter
in seinem Lehrbuch geordnet. Wie bei Augustin tritt der „homo"
in Christus als sittliche, von Gott erwählte und getragene PersönHch-
keit an die Spitze, und das ganze Leben Christi wird von hier aus
verstanden ^. Dabei werden zum Verständniss der eigenthümlichen Art
der Erlösung alle Gesichtspunkte zusammengestellt, welche die Ver-
gangenheit bot : der Gehorsam, Erlösung von Teufel, Tod und Strafe,
vor Allem aber das Verdienst des Todes, dann auch das Opfer.
Mit Augustin wird die strenge Nothwendigkeit gerade dieses Mittels
(des Kreuzestodes) abgelehnt; mit ihm und den anderen Vätern wird
der Teufelskauf (einschliesslich der Täuschung) behauptet; mit Abä-
lard wird der Tod als Liebesbeweis, der Gegenliebe weckt, betrachtet;
mit demselben wird Christus als Vertreter der Menschheit vor Gott
angeschaut; mit Augustin wird die Nothwendigkeit einer Versöh-
nung Gottes durch den Tod Christi abgelehnt (Gott liebt auch seine
Feinde; er hat uns im Voraus von Ewigkeit geliebt und wir werden
nicht mit dem zürnenden, sondern mit dem liebenden Gott versöhnt);
endlich wird ein Strafwerth des Todes Christi so behauptet, dass
durch denselben die ewige Strafe erlassen (s. Athanasius), die zeit-
Hche zukünftig (nach dem Tode) in Wegfall kommt. Dagegen ist die
Anselm'sche Theorie überhaupt nicht erwähnt ^. Der Lombarde zeigt
also, dass die patristische Ueberlieferung noch immer der einzige Lehr-
gegenstand war, und dass das Neue nur mit Mühe dagegen aufkam.
über Abälard erhaben sein, weil er diepassionirte ChristusHebe lyrischer auszudrücken
vermag, während Abälard nur an die Lehre und das Beispiel Christi denke (!), und
weil angeblich etwas „Objectives" bei ihm zu finden ist, was A])älard fehlen soll.
Bernhard hat freilich auch nach Seeberg dieses ()l)jective ganz falsch bestimmt;
aber das thut nichts, wenn nur überhaupt „Etwas" da ist. Wann wird man sich im
Protestantismus von diesem „Etwas" losmachen, das im besten Fall nur die „Mög-
lichkeit" der Erlösung sicherstellt, und wann wird man zwischen einem stellver-
tretenden »Strafleiden und einer von (lott geforderten (Jenugthuung unterscheiden!
' S. Bach II S. 88 — 132. Besonders kommt neben Bernhard Wilhelm von
St. Thierry in Betracht.
'' Sentent. lib. III, dist. 18. 19.
«Kitsch II S. 5f)f.
362 Geschichte des Dnj^iiias im Zeitalter Cluguy's, Ariselm's und Bernhardts.
Doch war das ganze Unternehmen der combinatorischen Zusammen-
stellung selbst neu (wesshalb der Lombarde vielfach niisstrauisch als
Abälardianer betrachtet wurde) ^ Erst im 13. Jahrhundert traten die
neuen dogmatischen Impulse des 11. und 12. Jahrhunderts materiell,
wenn auch nicht formell, gleichbereclitigt neben die Fülle der über-
heferten patristischen Sätze. Durch diese, die sicli theils in einer
weitschichtigen exegetischen Tradition, theils in theologischen, in ihrem
ursprünglichen Zusammenhang nicht mehr verstandenen Sätzen dar-
stellen, ist der Kleinigkeitsgeist der mittelalterlichen Theologie be-
fördert worden, der sich wunderbar mit ihrer Energie und mit ihrem
n
* Dies nicht ohne Grimd ; denn abgesehen von der objectiven Erlösung, die
in der Befreiung von den Banden des Teufels besteht (doch wird auch dies subjectiv
gewendet, s. Sentent. III Dist. 19 A: „si ergo recte fidei intuitu in illum respicimus
qui pro uobis pepeudit in Hgno, a vinculis diaboli solvimur, i. e. a peccatis, et
ita a diabolo liberamur, ut nee post hanc vitam in nobis inveniat quod puniat.
Morte quippe sua, uno verissimo sacrificio, quidquid culparum erat, unde nos
diabolus ad luenda supplicia detinebat, Christus exstinxit, ut in hac vita tentando
nobis non praevaleat"), kennt der Lombarde nur eine subjective; 1. c. „quo modo
a peccatis per Christi mortem soluti sumus? Quia per eins mortem, ut ait apostolus,
commendatur uobis Caritas dei, i. e. apparet eximia et commendabilis Caritas dei
erga nos in hoc, quod filium suum tradidit in mortem pro nobis peccatoribus. Ex-
hibita autein tantae ei'ga nos dilectionis arrha, et nos movemur accendimurque
ad diligendum deum, qui pro nobis tanta fecit, et per hoc iustificamur, i.e.
soluti a peccatis iusti efficimur. Mors ergo Christi nos iustificat,
dum*per eam Caritas excitatur in co rdibus uostris". Doch daneben findet
sich auch die andere Wendung: „dicimur quoque et aliter per mortem Christi iusti-
ficati, quia p er fidem mortis eius a peccatis mundamur." Aber dieser Ge-
danke wird nicht weiter verfolgt; dagegen heisst es wiederum Dist. 19 F: „recon-
ciliati sumus deo, ut ait apostolus, per mortem Christi. Quod non sie intelligendum
est quasi nos sie reconciliaverit Christus, ut inciperet amare quosoderat,
sicut reconciliatur inimicus inimico, ut deinde sint amici qui ante se oderant, sed
iam nos diligenti deo reconciliati sumus; non enim ex quo ei reconciliati
sumus per sanguinem filii nos coepit diligere , sed ante mundum, priusquam nos
aliquid essemus. Quomodo ergo nos diligenti deo sumus reconciliati? Propter
peccatum cum eo habebamus inimicitias, qui habebat erga nos cari-
tatem, etiam cum inimicitias exercebamus adversus eum, operando iniquitatem. Ita
ergo inimici eramus deo, sicut iustitiae sunt inimica peccata, et ideo dimissis peccatis
tales inimicitiae finiuntur, et reconciliamur iusto quos ipse iustificat. Christus ergo
dicitur mediator, eo quod medius inter deum et homines ipsos reconciliai deo.''
Nun aber setzt wieder ein anderer Gedanke ein , wenn der Lombarde unmittelbar
darauf fortfährt : „reconciliat autem, dum o f f e ndiculahominumtollitaboculis
dei, id est dum peccata delet quibus deus offendebatur et nos inimici eius era-
mus." Der durchschlagende Gedanke der Erregung der Gegenliebe, den der Lom-
barde von Abälard übernommen hat, findet sich schon bei Augustin; s. z.B. de catech.
rud. 4: „nulla est maior ad amorem invitatio, quam praevenire amando, et nimis
durus est animus, qui dilectionem si nolebat impendere, nolit rependere.'*
Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden. 363
juristischen Scharfsinn verquickt hat. Der Ansatz der scholastischen
Wissenschaft ist durchweg erhaben und gross; „aber der Kleinigkeits-
geist zog auch den Himmel herab". Vom wissenschaftlichen Stand-
punkt und vom Standpunkt des „juristischen Denkens" darf man diesen
Geist allerdings nicht schelten; denn verlangt die Wissenschaft nicht,
dass man die Probleme bis zu den letzten Consequenzen hin durch-
denkt? Der Fehler liegt lediglich in den Prämissen und in der Vor-
stellung, dass jenes Denken Denken über die Eeligion sei. Aber auch
das musste man sich damals so vorstellen; denn die Religion war ja
Contemplation !
AcMes Capitel: Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettel-
Orden bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts,
Wenn wir auch in diesem Capitel wiederum unsere Aufmerk-
samkeit zunächst der Geschichte der kirchlichen Frömmigkeit, des
kirchhchen Rechts und der kirchKchen Wissenschaft zuwenden,
so geschieht das weniger des Verständnisses der Veränderungen
wegen, w^elche das Dogma in diesem Zeitraum von 300 Jahren erlebt
hat, als um zu zeigen, wie die Bedingungen, unter denen
dasselbe gestanden hat, dazu dienten, es immer stabiler
zu machen und vor jedem Eingriff zu schützen. Es muss
vor Allem nachgewiesen werden, wie es möglich gewesen ist, dass die
ungeheure kirchliche Revolution des 16. Jahrhunderts — die wieder-
täuferischen Bewegungen abgerechnet — vor dem alten Dogma Halt
gemacht hat. Dies kann aber nur verstanden werden, wenn man er-
wägt, welche Befestigungen dasselbe im 13. bis 15. Jahrhundert
erfahren hat. Diese Befestigungen waren eine Folge der eigenthüm-
lichen Geschichte der Frömmigkeit, des kirchhchen Rechts und der
Wissenschaft in diesem Zeitraum. Sie aUe verlangten nicht einen „un-
bewegten Beweger" im Hintergrunde — denn „Beweger" ist das
Dogma eben nicht mehr gewesen — , sondern eine unbewegliche
Basis. Sowohl die Mystik als die kirchhche Rechtsentwickelung als
die nominalistische Theologie vermochten nur auf der Grundlage eines
autoritativen Dogmas sich zu entwickeln, resp. sich nur so vor bedenk-
lichen Consequenzen zu schützen.
Erst in zweiter Linie kommt in Betracht, inwiefern die allge-
meinen Bedingungen auch gewisse Veränderungen am Dogma
erzeugt haben, sodann, inwiefern sich eine individuelle Frömmig-
keit entwickelte, wie aus dieser das Bedürfniss nach individueller Heils-
gewiöslieit hervorgegangen ist, und wie dieses Bedürfniss sich zu einer
3r)4 (»cscliiclite des Dogmas im ZintalterdorlUittcloiden l)is zum IH. .lahrh.
iniichtigen Kraft zusammengefasst hat. Es war an sich stark p;enug,
um eine Revision der gesammten kirclihchen Ueberheferung zu fordern
und zu leisten. Aber es wird sich in dem letzten Buche (s. u.) zeigen,
dass es in seiner Entfaltung niedorgohalten worden ist durch die noch
grössere Gewalt einer fünfzehnhundertjährigen Entwickelung.
1. Zur Geschichte der Frömmigkeit.
Was im 12. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Kreuzzüge,
keimte — jene Frömmigkeit, wie sie Bernhard in sich erlebt und
dargestellt hat, die ihre Kraft aus der Demuth gegenüber Gott und
aus der Liebe zu dem schmerzensreichen Erlöser empfing — , das hat
sich in dem heiligen Bettler von Assisi zu der Blüthe entfaltet,
„deren Duft die AVeit erfüllte". In Franciskus kommt die mittel-
alterliche Frömmigkeit zu ihrem klarsten und kräftigsten Ausdruck.
In ihm spricht sie sich am einfachsten und darum am gewaltigsten
und eindrucksvollsten aus, weil ihr Accord „humilitas, Caritas und
obedientia" hier am reinsten angeschlagen ist und zugleich die Klang-
farbe, die Franciskus demselben verliehen hat, die schmelzendste war K
Humilitas — das ist die vollkommene Armuth. Die Ehrfurcht
vor dem, was unter uns ist, welche die Bernhardiner verkündet haben,
verträgt kein anderes Gewand als das der vollkommenen Ai-muth und
Demuth. Wohl hatten griechische Mönche längst, ja von Anfang an,
diesem Ideale nachgestrebt; aber in ihren Händen wurde es zur Fackel,
die mit dem Körper auch die Phantasie, den Sinn und den Reichthum
des inneren Lebens, aufzehrte. Sie sollte das Mittel der Entkörperung
sein; aber sie verödete oft genug den Geist. Hier ist sie dagegen
die Nachahmung des armen Lebens Jesu, und wie sie so ein
persönliches Ideal empfangen hat, entwickelte sie auch in der un-
erschöpflich lebendigen Phantasie des hl. Franciskus einen Reichthum
der Anschauung aus sich heraus, der allen Gebieten des äusseren und
inneren Lebens zu Gut gekommen ist. Jüngst hat uns ein geistvoller
Forscher gezeigt, welche Wirkungen vom hl. Franciskus auf das Gebiet
der Kunst ausgegangen sind^. Aber in allen Sphären menschlichen
Lebens bis zur strengen Wissenschaft hin hat der neue Antrieb gewirkt
— die Gottesfurcht, die Gott allein die Ehre giebt, die lebendige Vor-
stellung von Christus, die das Persönliche in den Vordergrund schob,
die heihge Einfalt, die in die Herzen und in die Welt hineinleuchtete.
In dem sonnigen Gemüthe des heiHgen Dichters von Assisi, des
Troubadours Gottes und der Annuth, spiegelte sich die AVeit nicht als
^ Müller, Die Anfänge des Minoritenordens und der Bussbruderschafteu 1885.
'^ T h o d e , Franciskus v. Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance 1 885.
^
Die franciskanische Frömmigkeit. 365
der Kampf ums Dasein oder als die Stätte des Teufels, sondern als das
Paradies Gottes mit unseren Brüdern und Schwestern, der Sonne, dem
Mond und den Sternen, dem Wind und dem Wasser, den Blumen und
den Thieren. In der Armuth, die nichts Anderes ist als die Schwester
der Demuth, durch welche die Seele wie das Auge wird, das Alles
sieht, nur sich selbst nicht, war ein neues Organ für die Betrachtung
Gottes und der Welt gewonnen. Aber die Armuth ist nicht nur Nach-
ahmung des armen Lebens Jesu, sondern sie ist auch, ja vornehmlich,
Nachahmung des apostolischen Lebens, des bedürfnisslosen, des
„predigend reisenden, Liebe beweisenden". Die älteste Begel des hl.
Franciskus hat dieses Ideal mit höchster Klarheit vorgestellt ^
Mit jener Gesinnung, deren Bew^eis die Armuth und Demuth ist,
soll sich die Liebe verbinden. Die paarweise ausziehenden neuen
Apostel sollen in demüthiger Liebe dienen; sie sollen sich für keine
Arbeit zu gering achten; sie sollen „pro amore Jesu Christi se exponere
inimicis tam visibiUbus quam invisibilibus" ; sie sollen — nach der
Bergpredigt — willig Unrecht erdulden; sie sollen vor Allem in Hütte
und Haus, wohin sie nur kommen, den Menschen den Liebesdienst der
Busspredigt leisten, ihnen verkündigen: „timete et honorate, laudate
et benedicite, gratias agite et adorate dominum deum omnipotentem in
trinitate et unitate . . . facite paenitentiam , agite dignos fructus paeni-
tentiae, quia scitote quod cito moriemur. Date et dabitur vobis,
dimittite et dimittetur vobis, et si non dimiseritis, dominus non
dimittet vobis peccata vestra. Beati qui moriuntur in paenitentia,
quia erunt in regno coelorum etc." '^. Aber die Kraft dieser Liebe
strömte aus dem Vorbilde Christi und seines lebendigen Jüngers,
des hl. Franciskus, der das Leben und das Leiden seines Meisters
immer inniger nachempfand. Mehr und mehr gnig sein Gefühl in
einem einzigen auf, in der Liebe. Dieses Gefühl, welches bei ihm
so stark war, dass es ihn oft überwältigte, so dass er sich in ein-
same Kirchen und AVälder zurückziehen musste, um ihm freien Lauf
zu lassen, war die Liebe zu Christus; aber es vermählte sich immer
inniger mit der schrankenlosen Hingebung an den Nächsten, mit der
Sorge für dessen geistliches und leibhches Wohl, mit dem warmen
Mitleid und der Selbsterniedrigung im Dienste der Brüder. So schuf
er aus Demuth und Liebe sein Leben zu einem Gedicht — er, der
grösste Dichter, der damals gelebt; denn das sinnliche Element seiner
lebendigen Natur erscheint schliesslich nach heisson Kämpfen nic^ht
> S. Müller, a. a. 0. S. 19 ff. 185 ff.
'' \)W Hegel \im 1209, H. Miilh^r S. 187
366 Oeachichte des Dogmus im Zeitalter der Bettelorden big zum 16. Jahrh.
ausgetilgt, sondern überwunden und verklärt, ja umgestaltet zum
reinsten Organ des Seelischen '.
Ein grosses Werk der inneren Mission ist von Pranciskus
nicht ins Auge gefasst, sondern begonnen worden; er war nicht der
Erste, der es unternahm, aber er war der Erste, durch welchen es
der ganzen Kirche zu Gut kam : die Christeidieit hat wohl den rechten
Glauben; aber sie ist nicht, wie sie sein soll. Sie steht unter den
Priestern und Sacramenten •, aber es gilt nun dem Einzelnen.
Er soll angefasst und zur Busse geführt werden. Das
Evangelium soll jedem Menschen nahe kommen: aufs neue soll durch
einen gewaltigen Bussruf die Welt erschüttert und von dem alten
Wesen befreit werden: wer die Süssigkeit der Christushebe ge-
schmeckt hat, wird sich mit Freude zur Busse und zur Armuth
kehren. Aber es handelt sich nicht nur um die Mönche oder um die
Priester, sondern um die einzelnen Christen, die Laien; sie sollen
ebenso für ein bussfertiges, heihges Leben gewonnen werden. Die
„Bussbrüder", welche dem hl. Franciskus vorschwebten, und die er
erweckt hat, waren, trotz des Verbleibens im Familienleben, wirk-
liche Asketen , die sich schroff von der Welt und dem bürgerlichen
Leben zurückziehen und vor Allem keine Kriegsdienste leisten soll-
ten. Der gi'osse Heilige hat noch nicht mit der Welt capitulirt : die
späteren Tertiarier sind so wenig seine Schöpfung wie die späteren
Franciskaner '^.
Von den Mönchen zu den Weltpriestern, von den Weltpriestern
zu den Laien — das ist der Gang, der das Christenthum aus der
Säcularisirung befreien sollte ; es ist zugleich die Geschichte der Er-
weckung des religiösen Lidividualismus im Abendland. Und in dem
Masse, als die Religion extensiv und intensiv weltflüchtiger wird, er-
hält sie — paradox und doch verständUch genug — eine höhere
sociale und politische Bedeutung, dringt tiefer in das Volksleben ein,
entwickelt sich aus der aristokratischen Gestaltung — so war sie als
n
^ S. die schöne Charakteristik bei Thode, a. a. 0. 59 ff.
2 S. Müller, S. 117—144. Eine treffende Charakteristik des Zwecks des hl.
Franz bei Werner (Duns Scotus S. 2): „Der ursprüngliche Zweck des vom hl.
Franz von Assisi gegründeten Ordens war die Erneuerung des urchristlichen
Apostolates mit seiner Armuth und Weltentsagung, um in Kraft dieser Erneuerung
auch die Kirche selbst im apostolischen Geiste zu erneuern, das Streben nach christ-
licher Heiligkeit und Vollendung allerwärts in den Seelen zu wecken, das Beispiel der
unmittelbaren Nachfolge Christi in continuirlicher lebendiger Yeranschaulichung
der Welt vor Augen zu halten, alles Leid und Elend mit dem Tröste der christlichen
Barmherzigkeit zu trösten und in aufopfernder Hingebmig den geistlich Verlassenen
und leibhch Armen Alles zu werden.**
Die franciskanische Frömmigkeit. Die Waldenser. 367
römische zu den barbarischen Nationen gekommen — zu einer volks-
thümUch-socialen ^ Je weiter die Monachisirung fortschreitet, desto
mehr sehen sich die Virtuosen der Religion gezwungen, in praktischen
Aufgaben sich zu bethätigen. Indem in das Ideal der Armuth und
asketischen Entsagung das neue Moment des apostolischen Lebens
aufgenommen wurde, erhielt dasselbe eine immanente ungeheure Kraft
der Propaganda, wie das Mönchthum eine solche vorher nie be-
sessen hat und wie sie auch nicht — weder früher noch jetzt — zu
seinem eigentlichen Wesen gehört. AVo das „apostolische Leben" die
Losung wird, da tritt sofort die Wendung des Mönchthums zu
positiver Arbeit im Volke hervor. Im 11. und 12. Jahrhundert han-
delte es sich um die grosse politische Aufgabe der Entstaatlichung
der Kirche; es galt, die grossen Mächte, die Fürstengewalt, die Ge-
walt weltförmiger Nationalbischöfe, kurzum das Recht aller unfügsamen
politischen Factoren zu brechen. AmSchluss des 12. und im 13. Jahr-
hundert folgt diesem Unternehmen die positive Evangelisirung
und VerkirchHchung aller Verhältnisse, der gesammten Kultur und
des individuellen Lebens, unter dem Zeichen des Apostolischen auf
dem Fusse. Das Mönchthum als apostolisches Leben tritt in
diese neue Arbeit ein, wie es einst in den Tagen Clugny's in die Ar-
beit der Entstaatlichung der Kirche eingetreten ist. Und wie kräftig
setzte der rehgiöse Individuahsmus bei Franciskus ein , wenn er es
wagte, sich und seinen Jüngern das Vorbild der Apostel vorzu-
halten, und sich nicht scheut, den Brüdern zu sagen, dass sie sein
können und sein sollen, was die Apostel einst waren, und dass ihnen
alles das gilt, was Christus den Aposteln gesagt hat.
Er war nicht der Erste, der dieses „apostolische Leben" erweckt
hat. AVir kennen aus dem 12. Jahrhundert gewaltige Erscheinungen,
in denen der neue Trieb bereits zum Ausdruck gekommen ist ^.
* Vgl. Thode, a. a. 0. S. 521 f.: „Der Bettler von Assisi ist der Repräsentant
der als Ganzes zu einer in sich begründeten, selbständigen Stellung aufstrebenden
grossen unteren Masse des Volks, des dritten Standes, zu gleicher Zeit aber auch
der Repräsentant jedes Einzelnen aus dieser Masse, wie er sich selbst, seiner Rechte
auf Gott und die Welt bewusst wird. Mit ihm und in ihm erfährt die mittelalter-
Hche Menschheit die volle Gewalt der jedem Einzelnen innewohnenden Gefühls-
kraft, und diese innere Erfahrung führt eine von den dogmatischen Allgemein-
begriffen sich befreiende erste Erkenntniss des eigenen Wesens mit sich."
' S. die Sectengeschichtc des 12. Jahrhunderts, vor Allem die Waldenser, vgl.
Müller, Die Waldenser und ihre einzelnen Gruppen bis z. Anfang des 14. Jahr-
hunderts 1880 und die ältere grundlegende Arbeit von Dieckhoff. Der Grund-
gedanke der waldensischen Stiftung ist unzweifclliaft, „die Apostel nachzuahmen
und desshalb die Vorschriften buchstäblich zu beobachten, die der Herr in der Aus-
sendungsrede Mattli. 10 seinen wanderriden Jüngern ertheilt. Das Unternehmen
368 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
Allein diese älteren Bewegungen, so zähe sie sich erhalten haben
(zum Theil trotz ihrer Verdammung sich katholisch erhalten haben),
waren zu früh gekonnnen — noch war der Klerus nicht stark und
reif genug, sie zu ertragen, und es fehlte ihnen ausserdem das Ele-
ment der unbedingten Unterwürfigkeit unter die Kirche, genauer unter
den Weltklerus, und des grundsiitzlichen Verzichtes auf die Kritik
an der Kirche '.
zeigt daher überall die gleichen Züge wie 30 Jahre später derselbe Versuch des
Franz in seinen Anfängen : Vertheilung des ganzen Vermögens an die Armen und
Verzicht auf alles fernere Eigenthum nach Matth. 19, 21. 29 ; dann die apostolische
Predigt im steten Umherziehen und die Einzelheiten der apostolischen Tracht und
Methode des Wanderns. Sie gehen zwei und zwei, ohne Schuhe, nur Sandalen aus
Holz an den Füssen, in einfachen Wollkleidern, ohne Geld. So ziehen sie von Ort
zu Ort, suchen Herberge und Nahrung bei denen, welchen sie das Evangelium
predigen — denn der Arbeiter ist seines Lohnes werth — und verschmähen jede Sess-
haftigkeit und eigene Statt in Nachahmung des Menschensohnes, der nicht hatte,
wo er sein Haupt hinlegte." Ein Einfluss der Waldenser auf den hl. Fi-anz muss
stattgefunden haben.
^ Schon von Lucius III. (1184) wurden die „Annen" mit dem Bann belegt.
Ueber ihre Verbreitung in Oberitalien, wo sie durch den Orden der Humiliateii
vorbereitet, aber erst durch Waldes erweckt worden sind, über das Verhältniss der
lyoneser Armen zu den lombardischen und über den Bruch zwischen diesen und
Waldes s. Müller, a. a. 0. S. 11 — 65. Die Ansicht, dass die Wirkungskraft der
Sacramente von der Würdigkeit des Spendenden abhänge — unter den damaligen
Umständen ein Revolutionsprincip — , ist bei den lombardischen Armen vor 1211
aufgekommen. Sie war an sich geeignet, den Zusammenhang mit der alten Kirche
völlig zu sprengen und ist vielleicht mit ein Grund gewesen, dass es zum Bruch
zwischen den lyoneser und den lombardischen Armen kam. Jene standen der römi-
schen Kirche nicht so schroft' gegenüber wie diese. Sie hielten sie nicht für das
Antichristenthum, rechneten sie vielmehr in die grosse Gemeinschaft der Getauften
ein und erkannten auch ihre Sacramentsverwaltung an. Allein sie machten es der
römischen Kirche zum schweren Vorwurf, dass ihre Hierarchie die apostolischen
Gewalten ausübe, ohne das apostolische Leben in Armuth und Heimathlosigkeit auf
sich zu nehmen (s. die Forderung der Didache in Bezug auf die Qualitäten der
Apostel und Propheten). Sie bestritten nicht die Vollmacht der rite geweihten,
von den Aposteln ihre Würde ableitenden Bischöfe; aber sie sahen es als eine
Todsünde an, dass sie sich weigerten, wie die Apostel zu leben. Eine gewisse Un-
sicherheit in der Stellung zur römischen Kirche war die Folge. Die richterlichen
und gesetzgeberischen Vollmachten der Hierarchie wurden doch bestritten oder
mindestens eingeschränkt. Allein da die „Brüder" die von ihnen gewonnenen
„Freunde" (die „Gläubigen") nicht zu Gemeinden organisirten, vielmehr in den alten
Verbänden Hessen, so war die Stellung der herrschenden Kirche zu den Brüdern und
ihrem Anhang eine viel klarere und schroffere als umgekehrt. Die französische
Stammesgenossenschaft der Waldenser ist nicht eine evangelische, auf der Idee des
allgemeinen Priesterthums aufgebaute, neue Gemeinde, sondern „die Secte selbst
ist gar nichts Anderes als eine Hierarchie, welche auf den Gedanken des apostolischen
Lebens und der Forderung einer besouder-en ethischen Vollkonnnenheit gegründet,
Die franciskanische Frömmigkeit. Die Waldenser. 369
Denn dieses ist das dritte Element in der Frömmigkeit des hl.
Franciskus — die kindliche Zuversicht zu der Kirche und der un-
sicli der römischen Hierarchie zur Seite stellt, um in einer Organisation, welche
wenigstens die Grundformen der letzteren theilt, die Predigt zu treiben, die sacra-
mentale Busse zu spenden und in ihrer eigenen engsten Mitte das Abendmahl zu
feiera. Von dem allgemeinen Priesterthum ist so wenig die Rede, dass die Laien
überhaupt gar nicht zur Secte gehören, dass vielmehr erst die Weihe zu einem der
drei hierarchischen Grade die Mitgliedschaft verleiht" (s. Müller S. 93 ff. und vgl.
als Parallele die Art, wie die Irvingianer jetzt Propaganda treiben und sich zur
communitas baptizatorum stellen). Die altüberlieferte Kirchenlehre ist auch von
den Waldensern nicht angetastet worden. Nur in gewissen, in das Praktische ein-
schlagenden, übrigens noch nicht sicher formulirten Lehren wichen sie ab. So ver-
warfen sie das Fegefeuer und billigten daher auch die Kirchenpraxis nicht , welche
mit der Vorstellung von demselben zusammenhing (d. h. alle Veranstaltungen, die
ins Jenseits hinüberwirken sollten). Die Verwerfung des Schwörens, des Kriegs-
dienstes, der staatlichen Gerichtsbarkeit und alles Blutvergiessens ergab sich ihnen,
wie so vielen mittelalterlichen Secten, einfach aus der Bergpredigt. Dagegen hat
die lombardische Abzweigung (die in Deutschland Propaganda machte) eine viel
radicalere Stellung zur römischen Kirche eingenommen (s. Müller S. 100 ff.).
Blieb sie auch in der Hauptsache auf dem Ständpunkt der französischen Stamm-
gruppe (geschlossene Genossenschaft, aber lediglich der apostolisch lebenden
Männer und Frauen; Verwaltung des Busssacraments ; Belehrung der „Freunde"
durch die Predigt), so sah sie doch in der römischen Kirche lediglich den Abfall,
den sie in späterer Zeit auf die konstantinische Schenkung (vgl. die Spiritualen) zu-
rückführte. Diese Kirche erschien ihnen demgemäss als die Synagoge der Uebel-
thäter und als die Hure, ihre Priester und Mönche als Schriftgelehrte und Phari-
säer, ihre Mitglieder als Verlorene. Also sind auch alle Einrichtungen , Weihen,
Sacramente und Handlungen dieser Kirche zu verwerfen. Schlechthin Alles, vor
Allem auch der Papst und die Messe, dann alle rechtlichen Einrichtungen ebenso-
wohl wie alle kultischen verfallen dem Urtheilsspruch. Man vermag also hier Zeug-
nisse in Fülle zu sammeln für den „evangelischen" Charakter dieser Lombarden,
welche jede kirchliche Gliederung der Christengemeinde, allen Prunk, Reichthum,
Lichter, Weihrauch, Weihwasser, Processionen, Wallfahrten, Gewänder, Ceremonien
u. s. w. verwerfen und dafür Unterstützung der Armen verlangen, welche vom
Marien- und Heiligendienst nichts wissen wollen und den Heiligenwundern ebenso
ungläubig gegenüberstehen, wie den Reliquien, welche — wenigstens ursprünglich —
das ganze sacramentale System der Kirche verworfen und sowohl die Zahl der Sacra-
mente beschränkt als die Giltigkeit derselben nur unter der Bedingung anerkannt
haben, dass der Priester von einer Todsünde frei sei. Allein in Wahrheit war diese
Stellung zur heiTschendcn Kirche von Anfang an vielfach nur eine „akademische",
sofern der grosse Kreis der „Freunde", d. h. des Anhangs, keineswegs wirklich die
römische Kirche so beurtheilte, sondern im Sacramentsverbande blieb. Ferner
zeigt die höchst mangelhafte Begründung dieses radicalcn Gegensatzes bei den
Brüdern selbst, dass er mehr die Folge des äusseren aufgezwungenen Bruches, resp.
der Armuthslehre, gewesen ist, als das Ergebniss einer sachhchen religiösen Kritik.
Endlich bestätigt sich diese Auffassung dadurch, dass sich die Brüder nachweisbar
von Anfang an eine Hinterthür gelassen haben, um die Sacramentsspendung eines
Todsünder« doch anerkennen zu können (sie sagten, der würdige Christ empfange
Harnack, DogmengeHchidiff III. 24
370 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
bedingte Gehorsam gegen den Weltklerus. „Omnes fratres", lieisst
es in der Regel von 1209, „sint catliolici, vivant et loquantur catho-
lice ... et omnes clericos et omnes religiosos luibeanius pro dominis
in bis quae spectant ad saluteni aniniae et a nostra religione non
dann direct von dem Herrn bei der Spendung die sacramentale Gnade). Auch
haben sie sich in der Folgezeit immer mehr der Kirche und ihrer Sacraments-
verwaltuug genähert, theils aus praktischen Gründen (um nicht erkannt zu werden),
theils weil die Zuversicht zu den eigenen „apostolischen" Gewalten inmier schwächer
wurde und man sehnsüchtig und mit mehr Vertrauen auf die katholischen Weihen
sah. So ist die ganze Bewegung im Grunde keine dogmatische gewesen. Sie ist
einerseits — wenn man rücksichtslos die Consequenzen ziehen wollte — zu radi-
cal, um in der Dogmengeschichte eine Rolle zu spielen (das Christenthum ist das
apostolische Ijebcn), andererseits zu conservativ, du sie schlechterdings nichts
Katholisches mit gutem Gewissen und klarer Einsicht beseitigt hat. Sie ist eine
Erscheinung in der Geschichte der katholischen Frömmigkeit, mag es auch inner-
halb der Dogmengeschichte denkw^ürdig sein, dass der ganze hierarchisch-sacramen-
tale Apparat der Kirche in Frage gestellt wurde. Wäre die Bewegung ein Menschen-
alter später eingetreten, so hätte die Kirche wohl Mittel gefunden, sie, wie die
franciskanische , sich einzugliedern. Der Versuch ist auch in den „katholischen
Armen" des bekehrten ehemaligen französischen Waldensers Durandus von Huesca
und des bekehrten lombardischen Armen Bernhard Primus gemacht worden; allein
es gelang nicht mehr, die ganze Bewegung durch diese approbirten „ Armen" in das
Bett der Kirche zurückzuleiten (Müller S. 16 ff.). Erst in den Bettelorden ist die
gewaltige Gegenbewegung organisirt und dauernd (vgl. die ausgezeichneten Finger-
zeige Mülle r 's, Waldenser S. 65 ff., über die Zusammenhänge der Bestätigung der
Gesellschaft des Durandus, des Dominikus und des Franciskus, dess., Anfänge des
Minoritenordens S. 43. 69 f., und den vielleicht antiwaldensischen Passus in der
Regel von 1209 S. 187: „nulla penitus mulier ab aliquo fratre recipiatur ad
obedientiam"). Die Bettelorden, voran der des Dominikus, kehrten natürlich nicht
nur gegen die nicht approbirten „Armen" ihre Spitze, sondern gegen die Sectirerei
überhaupt. Auf diese in der Dogmengeschichte einzugehen, liegt kein Grund vor;
denn so hoch ihre Bedeutung in kirchenpolitischer und socialer Hinsicht anzuschlagen
ist und so gewiss sie auch ein Zeugniss dafür sind, dass sich die Frömmigkeit in dem
tyrannischen Gebäude der römisclien Kirche und unter ihren Priestern und Cere-
monien beengt fühlte, so gänzlich einflusslos sind die mittelalterlichen Secten in Be-
zug auf die Dogmenentwickelung geblieben. Man kann nicht einmal sagen, dass
sie die Reformation vorbereitet haben; denn die Lockerung, welche sie partiell
herbeiführten, ist keine Vorbedingung derselben gewesen. Diese hat vielmehr in
den zwischen der römischen Kirche und den dualistischen (oder pantheistischen)
Secten schwebenden Controversen durchweg Stellung auf Seiten der ersteren ge-
nommen. Vorbereitend für die Reformation hat stets nur — auf theologischem Ge-
biet (von der Entwickelung der Idee des Staates und der natürlichen Rechte ab-
gesehen) — der wieder erweckte Augustinismus und die mit ihm verschwisterte
Subjectivität der Mystik gewirkt. Solange man es also für zweckmässig hält, die
Dogmengeschichte nicht als Kultur- oder Universalgeschichte zu behandeln, wird
man von Erscheinungen, wie die der Katharer, Albigenser u. s. w., hier absehen
müssen.
Die franciskanische Frömmigkeit. 371
deviant, et ordinem et officium eorum et administrationem in domino
veneremur" (s. die Regel von 1221 c. 19). Dass eine Natur wie der
hl. Franciskus sich durch nichts Aeusseres bedrückt fühltC; dass
er auch noch unter ganz anderen Lasten^ als die Kirche sie damals
auferlegte, die innere Freiheit und reine Heiterkeit seiner Seele zu
bewahren vermocht hätte, dass er aus seinem Wesen hätte heraus-
treten müssen, wenn er irgend etwas „aufzulösen" unternommen
hätte, leuchtet ein. Ihm war der Gehorsam gegen alle bestehenden
Ordnungen ebenso Bedürfniss wie die Demuth, und niemals ist wohl
der Schatten eines Nachdenkens darüber, ob die Hierarchie ist wie
sie sein soll und ob sie überhaupt sein soll, in die Seele dieses reinen
Thoren gefallen. Aber wie konnte es ausbleiben, dass das Ideal der
Armuth und das Ideal des Gehorsams in Spannung geriethen? Wir
können hier nicht die Geschichte des Minoritenordens aufrollen. Es ist
bekannt, mit welchem Misstrauen er Anfangs beim Weltklerus, nament-
lich in Frankreich (aber auch bei den älteren Orden), zu kämpfen hatte,
und wie sich hier die Verhältnisse wiederholt haben, welche man bei der
Einbürgerung des Mönchthums am Ende des 4. und Anfang des 5. Jahr-
hunderts im Abendland beobachtet. Es ist ferner bekannt, dass die
„Armuth" das grosse Thema in der Geschichte des 13. und 14. Jahr-
hunderts gewesen ist, dass man über sie ebenso hartnäckig und leiden-
schaftlich gestritten hat, wie im 4. bis 6. Jahrhundert über die Naturen
Christi, und dass in diesem Streit ebenso künstliche und kluge Formeln
aufgetaucht sind, wie zu Chalcedon und Konstantinopel. Für Tausende
war der Streit um die Armuth der Streit um das Evangelium selbst.
Die Formeln der alten Dogmatik wurden durch diesen Streit wenig
oder gar nicht betroffen; aber sie sanken so zu sagen in den Boden.
In eine praktische Frage der Lebensführung drängte sich die Frage
nach dem Wesen des Evangeliums zusammen. Auch ohne auf die klein-
meisterliche Behandlung zu sehen, erscheint uns die Fragestellung selt-
sam ungenügend. Allein die „Armuth" war doch nur der letzte Aus-
druck für die ganze Summe der Christus nachahmenden Tugenden. Es
war ein ungeheurer Fortschritt aus dem todten Glauben und dem
öden Dienst der Ceremonien und Werke zu geistiger Freiheit in der
Religion und zu einem ernsten persönlichen Christenthum, welcher durch
die Losung der „Armuth" bezeichnet ist. Der neue Orden ging bald in
verschiedene Richtungen auseinander. In der einen Hauptrichtung,
der letztlich unterwürfigen, hat er gewiss in den ersten Menschen-
altem seines Bestehens Unschätzbares gewirkt. Seine Predigt hat
ernstes christliches lieben entzündet, ja sie hat in vielen Gegenden
überhaupt erst ein individuelles (Jhristenthum bei den Laien erzeugt —
24*
372 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
SO in Deutschland. Allein indem es aufs festeste an den Beichtstuhl,
den Priester, die Sacramente und den Papst gekettet, indem alles
Freiere — gerade von den Bettelorden — als Sectirerei niedergehalten
oder ausgerottet wurde , wurde dieser individuellen Frömmigkeit der
Laien doch nur eine subalterne Existenz gestattet. AVas die Minoriten
der Hierarchie an Opfern darbringen mussten — nicht w^eniger als das
Hauptstiick ihres ursprünglichen Ideals, nur der Schatten blieb nach
— dafür entschädigten sie gleichsam ihr Gewissen durch die bisher
unerhörte Energie, mit der sie den Zwecken der weltherrschenden
Kirche dienten, die Laien an sie banden und für sie interessirten. Hier
auf dieser letzten Stufe also war der Feind, den die Kirche in ihrer
eigenen Mitte hatte, noch einmal bezwungen: die ungeheure Kraft des
weltflüchtigen Christenthums ^ welches die poHtische Herrschaft der
Kirche bedrohte, erscheint als ihr dienstbar gemacht; der „eximirte"
Orden wird neben dem Predigerorden ihre sicherste Stütze.
Aber in anderen Richtungen war der Gehorsam nicht mächtig
genug, um jene Kraft zu beugen K Die „Armuth" wandte sich gegen
die reiche und weltförmige Kirche, und als sie bedroht und geknebelt
werden sollte, brach sie aus. Sie kündigte der Kirche den Dienst;
sie verband sich mit alten apokalyptischen Vorstellungen, die lange
schon im Finstern geherrscht hatten; sie nahm die Kritik der „lom-
bardischen Armen" auf; sie kam den neuen socialen und sogar den
neuen territorialistischen Ideen, den sich heranbildenden Vorstellungen
von dem eigenen Rechte der Völker und der Einzelnen, der Staaten
und der Fürsten, entgegen ^. Sie war, indem sie die Kirche für Babel
und die Hierarchie für das Antichristenthum erklärte, nicht wählerisch
in ihrer Bundesgenossenschaft. Sie Hess die Dogmatik der Kirche
unangetastet; aber sie erklärte dieser selbst den Krieg — ein Unter-
nehmen, so widerspruchsvoll, dass es nur im Mittelalter, im Zeitalter
der Widersprüche und Illusionen, mögHch gewesen ist; denn besass
diese Kirche an ihrer Dogmatik nicht den sichersten und förmlichsten
* Es mischte sich freilich auch viel Persönliches ein, wie man an dem inter-
essantesten älteren Franciskaner, Elias von Cortona, studiren kann.
- S. die Schriften Joh. de Oliva's und Ubertino's de Casale (beide standen
unter dem Einfluss der Schriften Joachim's von Fiore). Die staatsfreundliche Ge-
schichtsbetrachtung im Gegensatz zur verweltlichten Kirche schon in der Mitte des
13. Jahrhunderts (und auch bei Dominikanern): s.Voelter i. d. Ztschr. f. K.-Gesch.
IV H. 3. Ueber die „Spiritualen" und die nicht mit ihnen zu ideutificirendeu
„Fraticellen" sowie über die Kämpfe z. Zt. Johann's XXII. und Lud\A'ig's des
Bayern s. Ehrle im Archiv f. Litt.- u. K.-Gesch. des Mittelalters Bd. I. und II,
Müller, Kampf Ludwig's des Bayern 1879 f., ders. i. d. Ztschr. f. K.-Gesch. VT,
H. 1, Gudenatz, Michael von Cesena 1876,
I
Universalität der Bettelordenbewegung. Folge für das Dogma. 373
Rechtstitel ? Nur in einem Zweige (den Fraticellen) wurde der Wider-
spruch so radical, dass die Grenzen gegenüber den ketzerischen Secten
(Apostelbrüder, Begharden) unsicher wurden.
Aus diesen letztgenannten Richtungen hat sich nichts Dauerndes
entwickelt ^ Die universalgeschichtliche Bedeutung der ungeheuren
Bewegung der Bettelorden lässt sich überhaupt nicht an neuen Lehren
und Institutionen nachweisen, obgleich solche nicht ganz gefehlt haben,
sondern sie liegt in der religiösen Erweckung^ die sie während eines
Zeitraums von 150 Jahren — ja, wenn man von einer Periode der
Erschlajffung der Orden absieht, eines Zeitraums von 300 Jahren —
hervorgerufen haben. ..Der Einzelne begann über die Heilswahrheiten
der christlichen Religion nachzusinnen, selbst in ein persönHches Yer-
hältniss zu derselben zu treten." Das ist die höchste Bedeutung der
Bettelordenbewegung. In diesem Sinne sind die Orden eine Vorstufe der
Reformation geworden. Aber indem die Religion in die Kreise der
Laien hineingetragen und hier selbständiges rehgiöses Leben angeregt
wurde, ergab es sich von selbst, dass über der Unversehrtheit des
alten Dogmas nun mit doppelter Aufmerksamkeit gewacht werden
musste. Solange sich dasselbe in den Händen der Priester und
Theologen befindet, kann es immer noch eine gewisse Freiheit be-
wahren, ja diese ist ihm hier natürlich. Sobald aber die Laien für
das kirchliche Christenthum als Denkende interessirt werden, wird
* Das Husitenthum hat später einen grossen Theil der franciskanischen und
joachimisch-franciskanischen Elemente in sich aufgenommen und verarbeitet
(s. Müller, Bericht über den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem Gebiet
der vorreformatorischen Zeit, in den Vorträgen der theolog. Conferenz zu Giessen
1887 S. 44), und da es über Böhmen hinaus unter dem dritten Stand eine weite
Verbreitung fand, hat es die grosse täuferische Bewegung und die socialen Revolu-
tionen des 16. Jahrhunderts vorbereitet. Allein dauernde Schöpfungen sind hier so
wenig hervorgegangen wie nachhaltige Einflüsse auf die grosse Kirche. Aber
kirchen- und kulturgeschichtlich ist das Studium der gewaltigen, im Grunde ein-
heitlichen Bewegung, die mit dem JoachimiHinus begann und mit den Husitcn und
Täufern abschliesst, von höchstem Interesse. Wie die Aufklärung im 18, Jahr-
hundert und die romantischen Ideen im 19., so zog der Joachimismus im 13. durch
Europa — keine neue Dogmatik, aber eine neue Betrachtung der Geschichte und der
höchsten Aufgaben, tröstlich den Ernstgesinnten, weil er ihnen schmeichelte; vgl.
z.B. die Chronik Salimbene's (Michael, Salimbene und seine Chronik, Inns-
bruck 1889). Wunderbar, dass in der entlegensten Landschaft Südeuropas, im Sila
gebirge, diese Bewegung begonnen hat! Sie ist noch immer zu wenig studirt,
während sie doch für uns die hellste aller der Epochen ist, in welchen der Prophetis-
mu8 eine Rolle gespielt hat. Wo Propheten aufstehen und Anklang finden, da
folgen Fälschungen auf dem Fusse. Die Geschichte des Joachimismus ist aber die
typische Geschichte alles Projjhetenthums überhau])t. Wie es sich in der Welt
einzurichten vermag, auch dafür bietet Salimbene schöne Beispiele.
374 (iescliidite des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jaluli.
(las Dogma ausserordentlich emptindlich. Die, denen die Sorge für
die religio publica anvertraut ist, müssen — wie die Bettelorden das
gethan haben — eifersüchtig über demselben wachen, soll nicht eine
allgemeine Verwilderung der religiösen Speculationen die Frucht des
allgemeinen Interesses werden. Rücksichtslos muss nun der Mass-
stab des kirchlich fest Fixirten überall zur Anwendung kommen, zumal
wenn die Kirchenpraxis der Gegenwart corrigirt werden soll. Anderer-
seits verlangen die kirchlich frommen Laien selbst, dass das Dogma
als ein rocher de bronze dastehe, und sie empfinden jede Bewegung
oder Veränderung desselben als eine Beeinträchtigung ihres persön-
lichen Christenstandes. Dies war die Situation, die sich in den drei
Jahrhunderten vor der Reformation immer sicherer einbürgerte. Je
weitere Kreise sich in der Behgion wirklich heimisch zu machen
suchten, um so mehr wuchs auch die Zahl der Sectirer aller Art,
um so unantastbarer erschien aber auch den kirchhch Treuen das
alte Dogma, und um so grössere Anstrengungen machte die Hierarchie,
alles „Ketzerische" niederzuwerfen. Das Dogma war von Anfang an
auch, ja vornehmlich, als Rechtsordnung zu den mittelalterlichen Völ-
kern gekommen. Eine solche musste es um so mehr bleiben, je
lebendiger und mannigfaltiger sich das geistliche Leben entwickelte :
sonst war es um die Einheit der Kirche geschehen. Mit aller Energie
musste mindestens die fides implicita verlangt werden, d. h. der respect-
volle Gehorsam. So ist die Erweckung, die sich in Deutschland seit
der Mitte des 13. Jahrhunderts fort und fort gesteigert zu haben
scheint, der ünwandelbarkeit des Dogmas zu Gut gekommen. In der
Vorstellung war es stets unwandelbar gewesen; aber nun knüpfte sich
ein höchst actuelles Interesse an die WirkUchkeit dieses Unwandel-
baren.
Die Geschichte der Frömmigkeit in den letzten Jahrhunderten vor
der Reformation ist eine Kette von Busspredigten und Erweckungen,
von Reformen zur Verinnerlichung, welche die ganze Christenheit er-
greifen soll. Nur in den Hauptpunkten haben wir uns über sie zu
Orientiren. Hier kommt zunächst der Bund der Bettelorden mit der
Mystik in Betracht.
Unter Mystik ist, wie oben ausgefüln-t worden, nichts Anderes zu
verstehen, als die theologische Frömmigkeit (Contemplation) mit
reflexiver Abz weckung nach dem Muster Augustinus und des Areopa-
giten, befruchtet (indessen nicht durchweg) durch die bernhardinische
Hingabe an Christus. Dass diese Theologie den Stimmungen der Bettel-
mönche, sobald sie sich auf Theologie überhaupt einliessen, congenial
war, Hegt auf der H?ind. Bonaventura, Albertus und Thomas iVquinas
I
^ Die Bettelorden und die Mystik. 375
sind die grössten Mystiker gewesen, nicht obgleich, sondern weil sie
Theologen und Bettelmönche waren K Dasselbe gilt von David von
Augsburg und Theodorich von Freiburg. Man hat weitläufige Unter-
suchungen angestellt, um die Mystiker zu classificiren, und eine scho-
lastische, eine romanische und eine deutsche, eine katholische, eine evan-
geHsche und eine pantheistische Mystik unterscheiden zu können gemeint.
Allein die Unterschiede sind im Grunde ohne Belang. Die Mystik
ist immer dieselbe; sie ist vor Allem nicht national oder
confessionell unterschieden. Die Dijfferenzen betreffen niemals
ihr Wesen, sondern stets nur entweder das Mass, die Art und die
Energie ihrer Anwendung oder das Vorwalten der Abzweckung auf
den Intellect oder auf den Willen. Auch hier handelt es sich nur
um graduelle Unterschiede, und zugleich zeigt die letztgenannte Diffe-
renzirung wiederum sehr deutlich die volle Verschwisterung der Mystik
mit der objectiven Theologie; denn aus dieser stammt jene Unterschei-
dung. Die Mystik ist die katholische Frömmigkeit über-
haupt, soweit dieselbe nicht blosser kirchlicher Grehor-
sam, d. h. fides implicita ist. Eben desshalb ist die Mystik nicht
eine G-estalt der vorreformatorischen Frömmigkeit neben anderen Ge-
stalten — etwa gar die latent evangehsche — , sondern sie ist die
kathohsche Ausprägung der individuellen Frömmigkeit überhaupt.
Das reformatorische Element, welches man ihr zuspricht, liegt hier ledig-
hch darin, dass die Mystik, d. h. die kathohsche Frömmigkeit, in einer
bestimmten Richtung entwickelt, zu der Erkenntniss der eigenen Ver-
antwortlichkeit der Seele geführt wird, die ihr keine Autorität
mehr abnehmen kann, und dass sie damit zugleich sich vor die Frage
der certitudo salutis gestellt sieht, die für sie nun nicht mehr verschwin-
den kann, bis sie in der That des Glaubens gelöst ist. Allein dort, wo
jene Frage sichergestellt ist, weist die Mystik über sich selbst
hinaus; denn der ganze Aufriss, in dem sie sich bewegt,
gestattet immer nur eine unendlich fortschreitende An-
näherung an die Gottheit, lässt aber niemals das stetige
Gefühl eines gcwissenBesitzcs aufkommen. Dass man als Christ
immer im Werden sein muss, hat die katholische Frömmigkeit richtig
erkannt; aber es ist ihr nicht hell und friedevoll aufgegangen, dass dieses
Werden an der sicheren Zuversicht auf den gnädigen Gott, also an der
Seligkeit, seinen festen, unverherbaren Grund haben kann und soll. Wie
* Sehr richtig Herrmann (Verkehr des Christon mit Gott S. 100): „Die
(heutigen) Liehhaber der Mystik bieten in verkleinertem Massstab dasselbe Schau-
spiel, wie die grossen Scholastiker : von dem Werke ihres Glaubens wollen sie aus-
ruhen in einer mystischen Frömmigkeit."
37H Geschichte des Dügniiis im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
dorn katholischen Christenthum heute der als „Fiduzglaube" betitelte
evangelische Glaube ein Aergerniss und eine Thorheit ist, so ist er auch
vor dem Forum der mittelalterlichen Mystik ein Unverstandenes. Diese
Mystiker, die so viele heilige Paradoxien aufgestellt und erkannt haben
— die Paradoxie ist ihnen verborgen geblieben, dass man im geistlichen
Leben nur das werden kann, was man im Glauben schon ist. Nur wo
sie an diese Erkenntniss herangekommen sind, darf man sie als vor-
reformatorisch bezeichnen.
Entzieht man der katholischen Kirche die Mystik und nimmt sie
als „protestantisch" in Beschlag, so entleert man damit den Katholicis-
mus und deteriorirt den evangelischen Glauben. Soll es denn überhaupt
keine lebendige und individuelle katholische Frömmigkeit geben? wo
aber wäre diese zu suchen, wenn nicht in der Mystik? Wo ist denn nur
ehie einzige Erscheinung wahrhaften religiösen Lebens in den drei Jahr-
hunderten vor der Reformation, die nicht aus der „Mystik" geflossen
wäre? Oder ist dieselbe etwa desshalb dem Katholicismus abzusprechen,
weil er vor Allem die Devotion vor der Kirche und den Sacramenten
verlangt, und weil die Geschichte der Mystik die Geschichte fort-
gesetzter Spannungen zwischen ihr und dem sacramentalen und autori-
tativen Kirchenthum ist? Aber seit wann dürfen solche Spannungen als
ein Zeugniss dafür betrachtet werden, dass der eine der beiden Factoren
illegitim ist? Besteht nicht auch zwischen dem unzweifelhaft katholi-
schen Ideal der Askese und dem ebenso unzweifelhaften Ideal der Welt-
herrschaft eine Spannung? Sind nicht die grossen Mystiker die grossen
Heiligen der Kirche? Oder soll wider den Augenschein diese Kirche
imfähig sein, selbständige Frömmigkeit in ihren Grenzen zu erzeugen
und zu ertragen? Nun — kein evangeHscher Christ wäre wohl je auf
den Gedanken verfallen, die Freude an dem regen innerlichen Leben,
welches das katholische Christenthum in den Jahrhunderten vor der
Reformation aufweist, mit der vollen Zustimmung zu demselben zu ver-
wechseln, wenn er sich — man muss es leider sagen — klar gemacht
hätte, was evangelischer Glaube ist. Das Unvermögen, zu diesem vor-
zudringen, erzeugt die Begehrlichkeit nach der Mystik, die dann, da
man nun einmal Protestant ist, für den Protestantismus reclamirt wird.
Zwar haben die Neigungen für die „deutsche" Mystik einen starken
Stoss durch den urkundlichen Nachweis erhalten, dass, wer sich für den
Meister Eckhart u. s. w. begeistert und sich an ihm erbaut, sich viel-
mehr für den heiUgen Thomas, resp. für den Areopagiten und Augustin,
zu begeistern hat. Allein es wird noch stärkerer Stösse bedürfen, um
eine Geschichtsbetrachtung aus den Angeln zu heben, die für alle frag-
mentarischen, in der Rehgion, der Theologie und der Philosophie dilet-
Die Mystik als die katholische Frömmigkeit. 377
tirenden Naturen — ein Mystiker, der nicht Katholik wird, ist ein Dilet-
tant — die gewiesene ist. Da schätzt der Eine „den Individualismus"
der Mystiker, als sei in dieser Form bereits Alles gegeben, der Andere
das Gefühl derselben, einerlei wofür man „fühlt", ein Dritter die pan-
theistische Metaphysik, die sich aus der Mystik mit leichter Mühe abs-
trahiren lässt, ein Vierter die ästhetischen Anschauungen und die Auf-
lösung der Christologie in das Ecce homo oder in die unendliche Reihe
der Christus in sich gebärenden Menschen, ein Fünfter das Licht der
Aufklärung, welches aus der Mystik hervorgebrochen ist. Welcher
Historiker mit hellen Sinnen wird an diesen Früchten der Mystik theil-
nahmlos oder achselzuckend vorbeigehen können, welcher Christ wird
nicht mit herzlicher Freude aus dem Quell lebendiger Anschauungen,
der hier gesprudelt ist, schöpfen, wer wird nicht zuversichtlich als Ge-
schichtsforscher constatiren, dass eine evangelische Reformation um
1200 ebenso unmöghch gewesen wäre, wie sie um 1500 vorbereitet war?
Aber — wenn der Protestantismus nicht einst noch, soweit er überhaupt
etwas bedeutet, völlig mystisch werden wird — die Mystik wird man
niemals protestantisch machen können, ohne der Gescliichte und dem
Kathohcismus ins Gesicht zu schlagen \
* Die richtige Auffassung der Mystik als der katholischen Frömmigkeit hat,
im Gegensatz zu Ullmann's Vorreformatoren, Ritschi (Rechtfert. und Versöhn.
Bd. I, Geschichte des Pietismus Bd. I — III, Theologie und Metaphysik) gelehrt und
die Fingerzeige für die weitere Forschung (Zusammenhang der Mystiker mit den
Wiedertäufern, Husiten u. s. w.) gegeben. Ihm ist eine grosse Anzahl neuerer For-
scher gefolgt. Ausser den oben S. 314 genannten Arbeiten, unter denen dieDenifle's
epochemachend sind, weil sie gezeigt haben, dass Meister Eckhart in seinen latei-
nischen Schriften ganz von Thomas abhängig ist, aber auch sonst das Beste ihm
verdankt (Archiv f. Litt.- und K.-Gesch. des Mittelalters II S. 417—640; vorgear-
beitet hatte hier schon Bach in seiner Monographie über Eckhart), s. Las so n,
Meister Eckhart 1866, ferner die neueren Arbeiten über Tauler und die Gottes-
freunde (Denifle), Pfeiffer's Ausgabe der deutschen Mystiker (2 Bdd. 1845.57),
Seuse's Werke hrsg. von Denifle und das „Buch von der geistl. Armuth", ebenfalls
hrsg. von Denifle (1877), dazu Ritschi i. d. Ztschr. f. K.-Gesch. IV S. 337 ff.
Strauch, Marg. Ebner und Heinrich v. NÖrdhngen 1882. Ueber die ältesten
deutschen Mystiker s, Preger, Vorarbeiten z. einer Gesch. der deutschen Mystik
(Ztschr. f. die bist. Theol. 1869 und mehrere Aufsätze in den Abhandl. der bist.
Klasse d. bayer. Akad. d. Wissensch., die neben seiner umfassenden Geschichte der
Mystik eine stoffreiche Fundgrube sind). Ueber Kuysbroek vgl. Engelhardt ,
Rieh. V. St. Victor und R. 1838; über Thomas a Kempis (?) „de imitatione Christi"
ist die Litteratur massenhaft, vgl. Hirsche, Prolegomena z. einer neuen Ausg.
2 Bdd. 1873. 83, derselbe über die Brüder vom gemeinsamen Leben in der R.-E.'''
Tm Allgomeinen: Denifle, Das geisUiche Leben. Blumenlese aus den deutschen
Mystikern und Gottesfreunden. 3. Aufl. 1880. Eine reichhaltige Darstellung der
Mystik geben auch Thomasius-Seeberg, D.-G. 2. Aufl. II, 1 S. 261 ff., vgl. dazu
378 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Die individuelle katholische Frömmigkeit, die wir Mystik nennen,
ist in den drei Jahrhunderten vor der Reformation nur in Spielarten
verschieden. Sie wurzelt in der neuphitonisch-augustinischen An-
schauung von den ersten und letzten Dingen, wie wir sie oben S. 94 ff.
gezeichnet haben: Gott und die Seele, die Seele und ihr Gott; das
Kine und das Viele, Gott und die Creatur. Die von Gott entfernte
Seele muss zu ihm zurückkehren durch Reinigung, Erleuchtung
und wesenhafte Vereinigung; sie muss „entbildet", „gebildet" und
„überbildet" werden. Mit der sicheren und reichen Anschauung des
Erlebten haben die mittelalterlichen Frommen geredet von der Ein-
kehr in sich selber, von der Betrachtung der Aussenwelt als eines
Werkes Gottes, von der Armuth und Demuth, auf die sich die Seele
stimmen muss, von der Umkehr und der Zukehr zu Gott und der
Schule der Leiden. Aber sie haben auch den ganzen Process aufs ge-
naueste beschrieben. Er beginnt mit der Sehnsucht ; es folgt die Ent-
äusserung von der Creatur, aber auch von aller Selbstgerechtigkeit
und allem Eigendünkel. Das ist die Reinigung der Seele zu der wahren
christlichen Armuth. Was die Kirche an Mitteln bietet — die Sacra-
mente — , soll gebraucht, aber Alles in das innerliche Leben aufge-
nommen werden. Es sind die Zeichen der Liebe Gottes, die es zu be-
trachten gilt. Und wie einst im Neuplatonismus (vgl. auch Origenes und
Seeberg, Ein Kampf um jenseitiges Leben. Lebensbild eines mittelalterlichen
Frommen. 1889. Ich theile keine Auszüge aus den Schriften der deutschen mittelalter-
lichen Mystiker mit, weil ich auch den Schein des Irrthums vermeiden möchte, als
hätten dieselben irgend etwas ausgesprochen, was man nicht bei Origenes, Plotin,
dem Areopagiten, Augustin, Erigena, Bernhard und Thomas lesen könnte, oder
als bedeuteten sie einen religiösen Fortschritt, während ihre Tractate in Wahrheit an
christlichem Gehalt meistens tiefer stehen als die Schriften Augustin's und Bern-
hard's. Die Bedeutung jener Werke beruht darin, dass sie deutsch geschrieben
sind und dass sie den Laien gelten. Sie sind desshalb von unschätzbarem Wertho
innerhalb der deutschen Kirchen- und Dogmengeschichte. Aber in der Universal-
geschichte darf und muss man sich mit einer Charakteristik begnügen. Ob sie etwa
in der Geschichte der Erkenntnisstheorie und Metaphysik einen erhebHchen Fort-
schritt bedeuten, auf diese Frage getraue ich mir keine Antwort zu geben, und sie
gehört auch nicht hierher. Was die Idee der Wiedergeburt betrifft, die in vielen
mystischen Schriften stark betont wird, so muss man das Schweigen über die Sün-
denvergebung mit ihr zusammenstellen, um zu erkennen, wie sehr auch diese Idee
unter dem Bann des Intellectualismus stand. Die Abklärung, welche die Mystik des
14. Jahrhunderts im 15. erfahren hat, hat sich allerdings ganz wesentlich auf jenen
vordringlichen Intellectualismus bezogen, so dass die Frömmigkeit, wie sie sich
z. B. in dem berühmten Buch de imitatione Christi (Thomas aKempis?) ausspricht,
als wesentlich bernhardinisch ohne neuplatonischen Beisatz bezeichnet werden darf,
allein eben nur als bernhardinisch. Ein neues kräftiges Element der Freudigkeit zu
dem Gott, der Sünde vergiebt und Glauben schenkt, sucht man vergebens.
Beschreibung der Mystik. 379
wiederum den Areopagiten) alles Sinnliche, auf welchem der Schimmer
einer heiHgen Ueberlieferung lag, als Zeichen des Ewigen und darum
als Mittel der Erhebung hochgeschätzt wurde, so hat auch diese
Frömmigkeit die heiligen Zeichen nicht abgethan, sondern vermehrt
und verstärkt. Neben den Sacramenten sind in steigendem Masse die
Ki'euze, die Amulette, die Reliquien, die Gnadenstätten, die Nothhelfer,
die Heiligen u. s. w. in den Jahrhunderten vor der Reformation ge-
schätzt worden, wie die neueren Forschungen uns bewiesen haben '.
Solange die Seele nicht nach dem Fels der Gewissheit sucht, son-
dern nach Mitteln der Anregung der Frömmigkeit, wird sie sich
tausend Heiligthümer schaffen. Es ist daher eine höchst oberflächliche
Betrachtung, welche die innerlichste mystische Frömmigkeit und den
Kult der Idole für Gegensätze hält. Das Gegentheil ist richtig:
jene Frömmigkeit sucht nach heihgen Zeichen und umarmt sie. Sie
kann dabei die Erlösung durch Christus für den höchsten, Alles um-
fassenden Liebeserweis Gottes halten '-^ ; aber die Souveränetät Christi
ist ihr nicht aufgegangen, weil sie schliessHch auch den höchsten
Liebeserweis nur als das Mittel betrachtet, durch welches die Mög-
lichkeit der individuellen Beseehgung gegeben, d. h. der Trieb zur
Nachahmung verstärkt ist. Ebensowenig streitet die innerliche
Reinigung mit der sacramentalen des Busssacraments. Vielmehr haben
die Mystiker mit verschwindenden Ausnahmen stets neben der Reue
auf die ganze Beichte und die vollkommene Busse, d. h. auf das
Busssacrament, hingewiesen. Auf die Reinigung folgt die Erleuchtung.
Hier tritt nun die bernhardinische Anweisung ein : es gilt in Christo
und wie Christus Gestalt gewinnen. Man muss sein armes Leben
und seine leidende Menschheit in sich nacherleben, um zu seiner
Gottheit zu gelangen. Wie sich in dieser Anweisung die zarteste
Schulung des Gemüths mit einer beängstigenden sinnlichen Ver-
anschauhchung der Leiden des „Menschen" Jesus verbunden hat, ist
bekannt. Die aus dem Mitleid stammende Nachfolge, die aus
der Liebe quillende Nachbildung Christi wird verlangt, wie sie nur
aus langer Uebung und aufmerksamster Spannung aller Gedanken
* S. die Arbeiten Gothein's, Kolde's, Kawerau's, Haupt's und vor Allem
V. Bezold's (Gesch. der deutschen Reformation) zur inneren Lage des Katholi-
cismus beim Ausgang des 15. Jahrhunderts. In Kürze zusammenfassend Lenz,
Martin Luther 1883 (Einleitung) und Karl Müller, Bericht über den gegenwär-
tigen Stand u. s. w. 1887.
^ Es giebt mehrere Mystiker des 14. Jahrhunderts, die an vielen Stellen ihrer
erbaulichen Schriften ebenso bestimmt wie der hl. Bernhard ihren Trost allein auf
das Leiden Christi gesetzt haben.
380 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
hervorgehen kann. Diese Nachbildung schlägt dann nicht selten in
die Vorstellung um, man müsse geradezu ein Christus werden,
Christus aufs neue in sich gebären — gab es doch Nonnen, die da
wähnten , dass sie mit Christus schwanger gingen. Die dressirte
Phantasie und die Theorie sind an dieser Vorstellung in gleicher
Weise betheiligt. Jene, sofern sie das wirklich erlebt, was sie
passionirt betrachtet, diese, sofern in der neuplatonisch-augustinischen
UeberHeferung jene Vorstellung von Gott und der geistigen Creatur
enthalten war, nach welcher die Erscheinung des Logos in Christus
nur ein Specialfall in einer langen Reihe ist: mit ihm hat die Ein-
wohnung Gottes in dem Menschen ihren Anfang genommen, und
dazu — alle Gottesliebe ist etwas so Souveränes, dass sie die
Einmischung eines Dritten in das Verhältniss, welches sie belebt,
nicht zulässt. Andererseits aber vertrug sich auch diese Betrachtung
Christi als des Erstlings doch wieder mit der Betrachtung seines
Todes als eines ausserordentlichen, die Versöhnung mit Gott be-
gründenden Ereignisses ; denn wie diese Frömmigkeit kein äusseres
sichtbares Zeichen preisgiebt, so giebt sie auch kein Stück der
heihgen Geschichte auf; sie lässt es nur nicht auf der höchsten
Stufe gelten. Allein unzählige Male ist bei den bedeutendsten Mysti-
kern, wie schon beim hl. Bernhard, gerade auch auf den höchsten
Stufen rehgiöser Empfindung die Zuversicht zu Christus hervorge-
brochen; denn wie sie, namenthch wo die Theologie des hl. Thomas
eingewirkt hat, Alles von der göttlichen Gnade ableiteten, so wird
diese Gnade in dem Christus erkannt, der unsere Gerechtigkeit ist.
Ferner verbindet sich hier die trinitarische Speculation, wie sie aus
dem Gedanken der Liebe heraus entwickelt wurde. So vermag sich die
Frömmigkeit, wie Richard von St. Victor in älterer Zeit, Bonaventura
und Andere in späterer bewiesen haben, aufs innigste an dies spröde
Dogma von der Trinität und auch an das andere von der Incar-
nation anzuschliessen. Die unendliche Liebe soll im Geheimniss der
Trinität contemphrt w^erden, und der Höhepunkt der Erleuchtung
des Geistes ist erreicht, wo derselbe sich betend, wissend und
schauend in das grosse Mysterium der Einigung der Gottheit und
Menschheit versenkt und die indifferentia oppositorum betrachtet,
wie der Schöpfer und die Creatur, das Erhabene und das Niedrige,
das Seiende und das Nichtseiende in Eins zusammenfallen. Aus allen
diesen Speculationen, in denen die alten Formeln in das Licht der
allmächtigen Liebe gestellt werden, wo die kühnste und complicirteste
Theologie schHesslich wieder auf das All-Eine zurückgeführt wird und
in das Gefühl umschlägt, ergab sich eine hohe Steigerung des Innen-
Beschreibung der Mystik. 381
lebens. Dieses ist wieder entdeckt und in den beherrschenden Mittel-
punkt gestellt. Aber es ist noch viel reicher als in den Tagen des
Neuplatonismus ausgeprägt; denn in jenen Jahrhunderten vor der
Reformation ist neben den furchtbarsten Selbstquälereien, ja mitten
in ihnen (man denke an die hl. Elisabeth), und neben spielenden oder
wahnwitzigen Vorstellungen die erhebende Kraft des Leidens und die
läuternde Macht des Schmerzes erprobt und verkündet worden.
Welch' eine Veredelung des Gefühls und welch' eine Verinnerlichung
des Gemüths von hier ausgegangen ist — eine Renaissance vor und
neben der Renaissance — , kann man nicht beschreiben. Man muss
die Schriften in Poesie und Prosa, z. B. die Verse Jacopone's ^, oder
die Tractate und Predigten der deutschen Mystiker lesen, um zu er-
kennen, wie auch die Sprache hier eine Wiedergeburt erlebt hat.
Eine Lyrik, die wir nachempfinden können, giebt es erst seit dem
13. Jahrhundert, und welche Kraft die lateinische und die deutsche
Sprache in der Beschreibung des inneren Lebens zu entfalten ver-
mögen, das haben uns die Bettelmönche gelehrt. Aus der Erkenntniss,
dass Niedrigkeit und Armuth^ Spott und Verachtung, Schmach und
Elend, Leiden und Tod Fördernisse des Heihgen sind, aus der An-
schauung des Menschen Jesus, aus dem Mitleid, dem Schmerz und
der Demuth ist im Zeitalter der Bettelmönche der abendländischen
Christenheit jene innere Erhebung und jene Bereicherung des Ge-
fühls und des sittlichen Sinns geworden, welche die Bedingung für
alles das gewesen ist, was in der Folgezeit wachsen sollte. Man
spricht von der Renaissance und Reformation und fasst in diesen
beiden Worten die Grundlage unserer heutigen Kultur zusammen —
aber beide haben eine gemeinsame starke Wurzel in der religiösen
und ästhetischen Erhebung im Zeitalter der Bettelorden.
Aber die katholische Art dieser Erhebung zeigt sich am deut-
lichsten darin, dass mit der Busse, dem Glauben und der Liebe zu
Christus der Process nicht abgeschlossen ist : der Mensch muss ganz zu
nichte und aus sich selber entsetzt werden, um schliesshch in die Gott-
heit aufzugehen. Gemeint ist freilich damit auch die höchste geistige
Freiheit (s. z. B. die „Deutsche Theologie") ; aber da sie umschlossen
ist von dem metaphysischen Gedanken, dass Gott Alles ist und das In-
dividuelle Nichts, so kann die Freiheit nur als Untergang in die Gott-
heit gedacht werden. Erleben können soll nur der diese Vereinigung
mit Gott, der den Weg der Kirche und der Nachahmung Christi ge-
' S. Schlüter u. Storok, Ausgewählte (»edichte Jacopone's 1864. Thüde,
a. a O. S. :{98 ff.
382 Oeschii'hte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
gangen ist. Aber wie kann man gebieten, an dem Historischen fest-
zuhalten, wenn man alle Kräfte der Phantasie entfesselt und sie für
das Organ zur Ineinsbildung mit der Gottheit erklärt? Die kirchlichen
Mystiker haben sich energisch der pantheistischen, „ausbrüchigen",
wilden Frünnnigkeit zu erwehren versucht; aber sie waren selbst häufig
mindestens nnvorsichtig bei ihren letzten Anweisungen, ja diesen fehlte
der volle Schwung, solange sie noch auf etwas Kücksicht nahmen, was
ausserhalb Gottes und der Seele lag (selbst die Trinität wurde hier als
etwas Störendes empfunden ; der Gott, mit dem es die Seele auf diesem
Höhepunkt zu thun hat, ist der Einige). Thomas selbst, der „Normal-
dogmatiker", hat den kräftigsten Anstoss zudieser Erneuerung der aus-
schweifendsten Mystik gegeben. Ihm sind Eckhart und Andere gefolgt K
Nach Thomas kann die Seele schon hier auf Erden Gott so in sich auf-
nehmen, dass sie im vollsten Sinn die \isio seines Wesens geniesst. Sie
selbst weilt schon im Himmel. Das Irdische, was ihr noch anklebt, ist
gleichsam so wesenlos wie das Irdische bei den consecrirten Elementen.
Ist aber die Seele per raptum eines solchen Aufschwungs aus ihrem
Nichts zu Gott fähig, kann Gott in ihr Innerstes eintreten, dann — hier
liegt der nothwendige Umschwung der Betrachtung — umschliesst die
Seele selbst in ihrem innersten Wesen ein tiefverborgenes GöttUches.
Das Pantheistische schlägt in Selbstvergötterung um. Das Göttliche ist
im Grunde die Fähigkeit der Seele, von allem Erscheinenden abstrahiren
und sich befreien zu können ; es ist das reine Gefühl der geistigen Frei-
heit und Erhabenheit über alles Seiende und Denkbare. In diesem Ge-
fühl, welches als Begnadigung auftritt und nur durch diesen Stimmungs-
coefficienten vor dem Hochmuth des Selbstgefühls geschützt ist, empfin-
det sich die Seele als Eins mit dem göttlichen Wesen, welches nach der
katholischen Betrachtung in negativen Bestimmungen selbst am besten
charakterisirt wird. Die mittelalterlichen Mystiker sind in diesen
noch viel weiter gegangen als Augustin und der Areopagite'^. Man
muss bis zu Valentin und Basilides, zum Bo^oc, der I^yT] und dem Oox wv
ö-söc zurückgreifen, um die schlagenden Parallelen zur „ab gründlichen
* Eckhart wurde, trotzdem er alles Unkircliliclie in seinen Schriften kurz vor
seinem Tode widerrufen hatte, zwei Jahre nach seinem Tode der Process gemacht,
d. h. es wurden 28 Sätze von ihm theils als häretisch, theils als suspect verdammt
(Bulle Johann's XXII. 1329). lieber diese Verdammung und die Stellung- Seuse's zu
Eckhart s. Denifle im Archiv f. L.- u. K.-G. des Mittelalters II und Seeberg, Ein
Kampf um jenseitiges Leben. 1889 S. 137 ff. Auch Seuse hat dem Vorwurf, das
Land mit ketzerischem Unflat zu verunreinigen, nicht ganz entgehen können. Immer
waren es die Ultra's, welche die „kirchlichen" Mystiker, indem sie sich auf sie
beriefen, discreditirten.
■^ Vol. besonders Eckhart und Seuse.
Beschreibung der thomistischen und scotistischen Mystik. 383
Substanz", der „wüsten Grottheit", der „stillen Stillheit" u. s. w. zu
finden. In diesem heissen Treibhaus der Gedanken ist im Grunde nicht
die Religion gereift, sondern der mittelalterliche Mensch ist zum Selbst-
gefühl erweckt worden. In der thomistischen Mystik, die natürlich im
Princip stets darauf hält, dass die wesenhafte Unterscheidung von Gott
und dem Menschen gewahrt bleibt, ist, wie der ganze Process, so auch
der Höhepunkt intellectualistisch bedingt. Die Erkenntniss ist das
Mittel, zu der geistigen Freiheit zu gelangen, und der höchste Zustand
ist nichts Anderes als die naturgemässe Folge der absoluten, in der
Schauung gegebenen Erkenntniss. Thomas und seine Schüler halten
sich hier strenge an Augustin, der auch keinen Fortschritt des religiösen
Lebens zugestand, ohne fortschreitende Erkenntniss, und für den die
höchste Gemeinschaft mit Gott auch keinen anderen Inhalt hatte als
den der visio dei, d. h. der wesenhaften Erkenntniss. Die zur Intuition
sich erhebende Contemplation erleidet dadurch keine qualitative Ver-
änderung; denn die Intuition ist lediglich diejenige Form der Erkennt-
niss, in der jedes Medium weggefallen ist, in der das ganz zumintellect
gewordene Subject das rein geistige Object unmittelbar erfasst, also
auch, da keine Schranke mehr hindert, mit ihm zusammenschmilzt.
Allein diese Fassung des Zieles hatte die Anselm'sche Ueberzeugung
zur Voraussetzung, dass alle Glaubensobjecte hienieden rational gemacht
werden können, so dass der ganze Aufstieg bis zum höchsten Ziele
durch den Intellect erfolgen kann. Wo diese Ueberzeugung aber
schwankend wurde, da konnte, wenn anders das Ziel der Vereinigung
mit Gott doch schon für das Diesseits gelten soll, dasselbe nicht mehr
als Genuss Gottes und des ewigen Lebens durch den Intellect ins
Auge gefasst werden. Diese Vorstellung war aber auch desshalb un-
genügend, weil die Thomisten zugestehen mussten, dass das so be-
schriebene Ziel immer nur per raptum, d. h. discontinuirlich und selten,
erreicht werden könne. Daher sehen wir, wie seit Duns Scotus Auf-
treten und der Entwickelung des Nominalismus das Ziel anders be-
schrieben wird. Die Zuversicht zur Rationalität der Glaubensobjecte
ist im Schwinden, andererseits wächst der religiöse Trieb
nach stetiger höchster Gemeinschaft mit Gott — somit
wurde der Genuss Gottes und des ewigen Lebens in den AVillen ver-
legt, der ja überhaupt in der nominalistischen Wissenschaft eine erhöhte
Berücksichtigung erfahren hat'. Die Seligkeit besteht in der
* Auf diesen Unterschied der thomistischen und der quietistischen (nomina-
listisohon) Mystik hat Ritschi zuerst hingewiesen, s. Gesell, des Pietismus J
8.467f!'. undZtschr. f.K.-Gesch. TV S.I337fr., auch schon im 1. Bd. der Rechtfert.-
u, Versöhn.-Lehre.
384 Creschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Willen sein lieit mit Gott, in der Ruhe, die der creatürliclie Wille
an dem Willen Gottes findet, also in der Ergebung und Gelassenheit.
1 )ass diese Betrachtung der Dinge ebenfalls eine excentrische Ausprägung
erhalten hat, war bei dem mönchischen Charakter aller katholischen
Frömmigkeit unvermeidlich. Allein hier war doch ein ausgezeichneter
Fortschritt gegeben, der für die Reformation direct vorbereitend gewirkt
hat ; denn erstlich war die Frömmigkeit nun aus der Verquickung mit
den speculativen Ungeheuerlichkeiten gerettet, die schliesslich doch nur
dazu dienten, den schlichten frommen Sinn zu betäuben — die specula-
tiven Philosophen freilich werden den Thomas stets dem Duns vorziehen
— , zweitens war ein Weg gewiesen, auf welchem die Seele zu dem Ge-
fühl stetiger Gemeinschaft mit Gott gelangen konnte. Diese „nomina-
listische" Mystik hat im 15. Jahrhundert die thomistische mehr und
mehr verdrängt ^ : man muss seinen eigenen Willen in Gottes
Willen schicken. Freilich fehlte gerade den Nominalisten eine klare
Erkenntniss dessen, wo der götthche Wille zu suclien sei und was er
sei, und eben desshalb hat sich auch hier noch viel Wildes entwickelt.
Aber nur innerhalb der nominaHstischen Frömmigkeit konnte die Frage
nach der certitudo salutis entstehen, weil man auf den Intellect nicht
mehr baute, weil die Verweisung auf die nackte Autorität auf die Dauer
als ungenügend empfunden werden musste, und weil das Problem richtig
gestellt war, nämUch als die Frage nach der Macht, die im Stande ist,
den Eigenwillen zu brechen und ihn zu Gott zu führen '^.
Dieser Aufschwung der Frömmigkeit vom 13. bis zum 15. Jahr-
hundert wäre nicht vollständig beschrieben, wenn nicht zugleich eine
Thatsache kräftig betont w^ürde, die auf den ersten Blick sehr paradox
erscheint: der Aufschwung, den das thätige Leben im Dienst
des Nächsten genommen hat. Man sollte denken, dass, wo die
katholische Frömmigkeit, d. h. die Mystik, ihre Blüthen treibt, die
mönchische Contemplation alles Andere zurückdrängt. In der That lag
hier ein schweres Problem für dieselbe vor. Allein die Art, wie es ge-
^ Um 1500 scheint sie die herrschende gewesen zu sein ; vgl. Staupitz' und
Thomas Münzer's Haltung. Auch die „deutsche Theologie", die Luther so lieb war,
ist quietistisch.
^ In dem Abschnitt über die Geschichte der Theologie wird die Eigenthüm-
lichkeit und die Bedeutung des Nominalismus noch eine weitere Beleuchtung er-
fahren. Schon hier sei indess bemerkt, dass der Nominalismus seine richtigere Ein-
sicht in das Wesen der Religion durch seine auf der blossen Autorität gegründete
„Positivität" theuer erkauft hat. Hier sind ihm Anselm und Thomas unzweifelhaft
überlegen; allein diese sind durch den Intellectualismus gehindert worden, der
christlichen Religion als einer geschichtlichen Grösse und Macht gerecht
zu worden.
I
Der Aufschwung des thätigen Lebens. 385
löst worden ist, zeigt wiederum aufs deutlichste, dass wir es in der
Bettelordenbewegung mit einer Reformation der Kirche zu thun haben.
Diese Bewegung hat in thesi die alte kathohsche Position, dass das be-
schauliche Leben höher stehe als das thätige, bestärkt. Allein wie sie
sich im hl. Franz als eine aus der Liebe geborene Bewegung darstellt,
so hat sie auch von Anfang an als „Nachahmung des armen Lebens
Jesu" und als „apostolisches Leben" die Liebesthätigkeit als
die höchste Sphäre ihrer Bethätigung erkannt. Damit ist das
alte Mönchthum, welches nur der Hierarchie, den Fürsten und der
päpstlichen Politik Liebesdienste erwies, sonst aber sich auf sich selbst
zurückzog und den Dienst am armen Bruder als opus supererogationis
empfand, abgethan. Erst die Bettelorden und ihre Theologen haben im
Katholicismus das Gebot „Liebe Deinen Nächsten als Dich selbst"
wieder auf den Leuchter gestellt. Sie feierten das beschauliche Leben ;
sie wahrten noch immer die Grenze zwischen ihm und dem thätigen;
aber sie zogen diese Grenze so, dass der beschaulich Lebende (also der
Mönch) doch mit allen seinen Kräften dem Nächsten dienen, und dass
der mitten im Leben stehende Christ nie die Sorge um den Mitbruder
ausser Acht lassen sollte. So ergab sich zwischen dem beschaulichen
und dem thätigen Leben ein gleichsam neutrales weites Gebiet, welches
beiden gehörte, diesem und jenem — die aufopfernde Liebesthätigkeit.
Die Gottesliebe des Mönchs und des Laien kann sich allein in der
Nächstenliebe bewähren. Von hier aus ist es zu verstehen, dass die
enthusiastischen Mystiker Aeusserungen gethan haben, die wie eine
Ueberordnung des thätigen Lebens über das beschauliche klingen: sie
meinen die ungefärbte Bruderliebe, die Barmherzigkeit, die Sanftmuth,
die Gesinnung, welche Böses mit Gutem vergilt, und die werkthätige
Hülfe. Weder der „Intellectualismus" noch der „Quietismus" hat sie
an der gewaltigen Predigt der Barmherzigkeit gehindert, sondern in ihr
bestärkt; denn sie wollten kein Mönchthum und keinen Gottesdienst
mehr kennen, welche vom Dienst am Nächsten absehen. Die Forderung,
sich in der Liebe zu Jedermanns Knecht zu machen, hat zuerst Fran-
ciskus wieder deutHch gestellt, und seitdem ist sie als der Höhepunkt
christlichen Lebens von Thomas und Bonaventura, von Eckhart,
Seuse, Tauler, Thomas a Kempis und allen den hundert wirksamen
Zeugen christlicher Frömmigkeit in den Jahrhunderten vor der Refor-
mation wiederholt worden '. Die einfache Beziehung des Menschen zum
Menschen, geheiligt durch das christliche Gebot der Liebe und durcli
' Von Eokhart rührt die Anweisung lier, selbst die Verzückung, und sei sie
HO gross wie die des Paulus, fahren zu lassen, wenn man einem kranken Menscljen
auch nur durch ein Süpplein helfen könne.
U a ) II !i (• k , DogtnHngfiBchichtc' IIJ . 26
386 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
den Frieden Gottes, trat aus all' den überlieferten Corporationen und
Kasten des Mittelalters hervor und schickte sich an, sie zu sprengen.
Auch hier ist der An})ruch einer neuen Zeit, in der freilich nur wenige
Bliithen sich zur Frucht entwickelt hahen, durch die (Teschichte der
Kröiumigkeit herbeigeführt worden. Aber noch stand diese Frömmig-
keit, obgleich sie den Ruf nach Reform des Kirchenwx^sens immer lauter
erschallen liess, unter dem Bann der Vorstellung, dass Gott so viel
Gnade giebt, als der Mensch in der Liebe fortschreitet. An welchem
Punkte der Hebel anzusetzen sei, das ahnte Niemand.
Es ist in dem Vorstehenden schon einige Male angedeutet worden,
dass durch die Bettelorden, obgleich sie die Grenzen wahrten, doch eine
Annäherung der Mönche und Laien innerlich (zum Theil auch äusser-
lich) zu Staude gekommen ist. Die Wirksamkeit jener im Volk einer-
seits und die Erweckung eines lebendigen rehgiösen Lebens der Laien
andererseits führte zusammen. Nun aber ist es überhaupt das Charak-
teristische an der uns beschäftigenden Epoche, dass die Laien immer
mehr in den Vordergrund rückten und im 15. Jahrhundert in ihren
freieren religiösen Verbindungen den mönchischen zur Seite traten,
freilich in der Regel in Abhängigkeit von den klösterlichen Vereinen.
Die Zeit von 1046 — 1200 ist die Periode der Monachisirung der
Priester, die von 1200 — 1500 bringt die Monachisirung der Laien;
aber dieser Process ist nicht ohne tiefgreifende Wandelung des Mönch-
thums selbst zu Stande gekommen, und zwar war das charitative
Element hier das massgebende. Als nun die Bettelorden trotz ernster
Reformen (seit dem Ende des 14. Jahrhunderts) die Stellung und das
Vertrauen doch nicht völlig zurückzuerobern vermochten, die sie einst
genossen hatten, da mussten die freien cliristlichen Vereinigungen vol-
lends in den Vordergrund treten. Aber sie haben, wenn ich recht sehe,
nur auf deutschem Boden eine hohe Bedeutung gewonnen. Was sie
den Deutschen leisteten, das leisteten den beweglicheren, aber minder
nachhaltig zu bestimmenden Romanen die grossen Bussprediger, die
ihnen von Franciskus ab bis zu Savonarola in keiner Periode gefehlt
und es auch verstanden haben, mit der Busspredigt politische und
nationale Stimmungen zu beleben. Aber allein die Angelsachsen und
Tschechen , bisher von fremden Nationen unterdrückt und in Armuth
erhalten, haben in unserer Periode der franciskanischen Armuthslehre ein
politisch-nationales und ein kirchliches Programm abzugewinnen ver-
standen und eine grosse Bewegung erlebt, in der sich die Erhebung zu
selbständiger Frömmigkeit mit einer nationalen Erhebung und Befreiung
verband. In beiden Ländern hat freilich der Erfolg dem Ansatz nicht
entsprochen. In England verlief die Bewegung verhältnissniässig schnell.
Die Belebung der Laien. Skizze der Greschichte der Erweckung. 387
und in Böhmen konnten sich neben den souverän hervortretenden natio-
nalen und politischen Zielen tiefere religiöse Motive nicht halten, son-
dern wurden wenigstens zunächst — später arbeitete sich das religiöse
Element wieder hervor — durch kirchliche, social-revolutionäre und
antihierarchische verdrängt.
"Wer mithin die Stadien der Geschichte der Frömmigkeit in unserer
Periode beschreiben wollte, müsste als Einleitung mit der Betrachtung
der lyoneser, lombardischen und katholischen Armen beginnen. Dann
folgt die Gründung der Bettelorden, welche das Mönchthum durch die
Ausbildung des Princips der Armuth, des apostolischen Lebens und der
apostolischen Busspredigt, sowie durch die Verkündigung der Caritas
auf seinen Höhepunkt bringen und entschränken, zugleich ihm aber den
mächtigsten Einfluss auf die Laienwelt geben. Der Kirche gelingt es,
diese Bewegung in ihren Dienst zu nehmen, durch dieselbe das aufstre-
bende Laienchristenthum für die kirchlichen Institutionen zu interessiren
und die Ketzerei einzudämmen. Die Bettelorden bemächtigten sich
aller Kräfte der Kirche, vor Allem bildeten sie die individuelle mystische
Frömmigkeit durch schärferes Erfassen ihrer alten Grundelemente,
Armuth und Gehorsam, die Liebe hinzufügend, tiefer aus und verliehen
ihr eine mächtige Anziehungskraft, die dem aufstrebenden Individualis-
mus entgegenkam und ihn grosszog. Durch eindringliche Busspredigten,
die auf das zukünftige Gericht wiesen, wurden auch die weitesten Kreise
bewegt, und in mönchsartigen Verbindungen (der dritte Orden) schlug
die neue Bewegung zum Theil nieder. Aber das Princip der „Armuth"
umschloss nicht nur ein religiös-asketisches Ideal, sondern auch ein
sociales und antihierarchisches, ja sogar ein politisches, sofern der in-
differente Staat als die Macht angesehen werden konnte, welche der
Kirche ihre Güter abzunehmen, resp. an der widerspenstigen das Ge-
richt zu vollstrecken habe. Die neue Bewegung verband sich daher
auch mit den apokalyptischen Ideen, die trotz Augustin im Abendland
nie ausgestorben waren und durch Joachim und seinen Anhang eine
neue Ausbildung erfahren hatten. Theils im Orden theils ausserhalb
desselben erwuchs eine apokalyptisch-socialpolitische Erhebung in hun-
dert verschiedenen Ansätzen. Ihr relatives Recht gegenüber der welt-
förmigcn reichen Hierarchie geht aus der universalen Verbreitung her-
vor, die sie gewonnen hat: sie taucht in allen Ländern auf, und sie
dauert, immer wieder aufs neue erstarkend, bis tief in das Reformations-
zeitalter. Die Bettelorden sind, wenigstens in den romanischen Ländern,
in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts auf ihrem Höhepunkt. Von da
ab veifallen sie bereits: die Gesammtb(;\vegung zersplittert sich seit dem
Ende des .Jahrhunderts in die Wirkungen einzelner Männer. Der
25*
388 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrli.
grosse Kampf um die Armuth im Zeitalter Johann's XXII. hat als reli-
giöser doch mir particulare Bedeutung gehabt. In Deutschland da-
gegen beginnt seit d(un Ende des 13. Jahrhunderts die „deutsche"
Mystik, d. h. die Einführung der passiom'rten individuellen Frömmigkeit
der mönchischen Th(H)logen in die Laienkreise. Ein Jahrhundert lang
und mehr ist an der imieren Bekehrung der Laien in Deutschland ge-
arbeitet worden, und es sind ganz vornehmlich BettelmÖnche, nament-
lich dominikanische, gewesen, die diesen Dienst geleistet haben (David
von Augsburg, Theodorich von Freiburg, Meister Eckhart, Tauler,
Merswin, die „Gottesfreunde", Seuse, Heinrich von Nördlingen, Mar-
garethe Ebner, Ruysbroek u. s. w.).
Während die Bettelorden in den romanischen Ländern verfielen,
in Deutschland das religiöse Leben, zum Theil noch durch sie, sicli
langsam hob, prostituirte die weltherrschende Kirche sich selbst in
Avignon und schien absichtlich die Kirchentreue der schon gefähr-
deten Frömmigkeit auf die härteste Probe stellen zu wollen. Wie
sehr das Papstthum und das Kircheninstitut doch noch die Gemüther
und die Welt zusammenhielten, zeigen die Verwirrungen und Klagen,
die sich, als das grosse Schisma hinzutrat, noch steigerten. Unter
dem Eindruck furchtbarer elementarer Calamitäten wurden die apo-
kalyptischen, antihierarchischen Ideen die eigentliche Gefahr, zumal
da man selbst Bettelmönche als Gegner des Papstthums sah. Aber
nur in England kam es damals zu einer grossen Bewegung. Das Ge-
setz Gottes, die Armuth, die augustinische Theologie — das waren
die Zeichen, unter denen Wiclif seine katholische Reform unternahm
und der herrschenden Kirche Gericht und Umkehr predigte , ein
zweiter Franciskus, verständiger aber matter, umsichtiger aber ge-
bundener. Ausserhalb Englands Var zunächst nirgends eine ähnliche
Bew^egung zu verspüren; aber überall zeigte es sich, dass die Welt in
ein religiöses Zeitalter eingetreten war, in welchem die Mannigfaltigkeit
der Strebungen Zeugniss davon ablegte, dass die Auflösung des Be-
stehenden als das Signal zu einem Neubau empfunden wurde — der
Spott und die Frivolität einiger untergeordneter italienischer Poeten
und Novellisten kommt überhaupt nicht in Betracht. In ihren grossen
Repräsentanten fühlte sich die Renaissance, vor Allem die deutsche,
die in dem Reiche des Gedankens viel bedeutender gewesen ist als
die italienische, wieder der christlichen Religion noch der katho
lischen Kirche entwachsen. Was sich wirklich auflöste, war die mittel-
alterliche Gesellschaft, die mittelalterlichen 0 r d n u n g e n , die
mittelalterliche Welt. Sofern die Kirche mit dieser verflochten war,
ja das Hauptstück in ihr bildete und in dieser Gestalt bisher als die
Die Frömmigkeit im 14. und 15. Jahrhundert. 389
heilige gegolten hatte — woran die Bettel or den nichts zu ändern ver-
mocht hatten — , war die Krisis gegeben. Aber — man sagte sich
von ihr nicht los; man suchte nach Mitteln, sie politisch zu refor-
miren (fast allein darum handelte es sich auf den Reformconcilien),
und das Mönchthum schlug auch an seine eigene Brust. Vom
Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Reformationszeit läuft eine Kette
von wirksamen Beformen in den älteren Orden und in den jüngeren,
natürhch auf der einmal gegebenen Basis. Täuschen die Zeichen
nicht, so haben sich namentlich die Bettelorden im Lauf de^
15. Jahrhunderts fortwährend gehoben und an Einfluss auf die Volks-
kreise immer mehr gewonnen, in den romanischen Ländern durch die
stossweise auftretenden Bussprediger, in Deutschland durch ernste
stetige Arbeit. Aber unverkennbar ist allerdings doch, dass das Alles
nicht mehr vollkommen genügte und beruhigte. Beweis dafür ist neben
anderen sectirerischen Umtrieben, dass die wiclifitische Bewegung,
litterarisch in das bereits apokalyptisch aufgewühlte und franciska-
nisch fanatisirte Tschechenthum eingeschleppt, in Böhmen durch Hus
so feste Wurzeln schlagen und eine so furchtbare, das halbe Deutsch-
land erschütternde Revolution hervorrufen konnte. Aus dem wirren
Durcheinander „religiöser, socialer, nationaler, joachimisch -apoka-
lyptischer, chiliastischer, speciell wichfitischer und waldensischer Ten-
denzen, Gedanken, Hoffnungen und Träumen" haben sich die Ein-
zelnen herausgenommen, was ihnen zusagte. Von den wilden Kriegern
Gottes, die mit Feuer und Schwert das Gericht an der Kirche und
an allen Verächtern des göttlichen Gesetzes ausübten, bis zu den
stillen Brüdern, die im Grunde ebenso wegwerfend über die Kirche
urtheilten und ebenso utopischen Gedanken über die Gestaltung der
menschlichen Verhältnisse nachhingen, aber in Geduld und Stille ab-
warten wollten, waren alle Nuancen vertreten. Im 15. Jahrhundert
flutheten die Ströme aller bisherigen Reformversuche ineinander; sie
konnten in ein Bett zusammenfliessen ; denn im Grunde entstammten
sie alle einer Quelle - der mit der Apokalyptik und gewissen au-
gustinischen Gedanken verschwistertcn Armuthslehre, also dem Ka-
tholicismus. „Armuth stille geht und leise", hatte einst Jacopone in
seinem wunderbaren Hymnus gesungen. Das war wahrlich keine
Weissagung auf die Zukunft!
Auch nachdem sich das Papstthum durch eine Diplomatie ohne
Gleichen den drückenden Auflagen der Reformconcilien entzogen
hatte, als die Völker um die sichere Aussicht auf die Reform der
Kirche betrogen waren, als die Päpste bei dem grossen Unternehmen,
einen sicheren Staat zu gewinnen, in bisher beispielloser Weise ver-
390 (^leschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
wilderten und der Reform Hohn sprachen, wurde die Frömmigkeit
an der Kirclie nicht irre, sondern nur an ihrer augenhlicldichen
Repräsentation und an ihren verkehrten Ordnungen. Es ist ein
falscher Schhiss aus der Verachtung der Pfaffen und der faulen
Mönche auf evangehsche Stimmung. Die lauterste und gehorsamste
katholische Frömmigkeit kann sich in ihr aussprechen. Diese ent-
faltete in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Stärke des leben-
digen Triebes, zum Tlieil auch eine Kraft, wie nie zuvor. Und sie
blieb unerschütterlich die alte Frömmigkeit. Sie zog die Laien mäch-
tiger an ; sie wurde werkthätiger und liebevoller ; sie rief neue Ver-
bindungen hervor 5 sie einigte Kleriker und Laien zu gemeinsamen
frommen Unternehmungen; sie arbeitete auf Vertiefung undVerinner-
lichung. Aber sie schätzte eben desshalb alle äusseren Zeichen um
so höher, suchte sie auf, vermehrte sie und gab sich ihnen hin. Man
mag darin ein Unruhiges, Unbefriedigtes entdecken; aber man darf
nicht vergessen, dass eben dieses zur katholischen Frömmigkeit ge-
hört. Diese sucht nicht nach einem Felscngrund, sondern nach
Hülfsmitteln, und auch dort, wo sie die innerlichste ist und allem
Aeusserlichen den Abschied gegeben zu haben scheint, muss sie be-
kennen, dass sie offen oder heimlich von den Narkosen und Stimu-
lantien doch Grebrauch macht.
Eine ungeheure Umwälzung, immer wieder aufgehalten, bereitete
sich im L5. Jahrhundert vor. Aber diese Umwälzung drohte
den Institutionen, den politischen und den kirchlichen;
sie drohte der Kirche, nicht dem Evangelium ; sie drohte den neuen
dogmenartigen Lehren, nicht dem alten Dogma. Dass sich eine Re-
formation der Frömmigkeit im Sinne des Glaubens anbahnte, ist
schlechterdings durch nichts historisch Greifbares angedeutet; denn
die radicalsten Gegner und die treuesten Anhänger der herrschen-
den Kirche waren darin einig, dass bei Augustin und Franciskus
die Kräfte zur Reform des Kirchenwesens beschlossen seien. Die
Kirchenlehren, die controvers wurden, waren im Grunde noch kehie
Kirchenlehren ^ , und wiederum — auch das radicalste Kirchenpro-
gramm hatte an Elementen der vulgären Kirchenlehre seine starken
Wurzeln und seinen Rechtstitel. So blieb auch das Dogma wesent-
lich unangetastet. Wie konnte im Zeitalter des Nominalismus Jemand
vermuthen, das Heil der Reform müsse aus der Lehre kommen,
solange die Autorität der dogmatischen Ueberlieferung unberührt
^ Die Lehre vom Ablass, von der Hierarchie, vom freien Willen etc. Aller-
dings fanden auch einige altüberlieferte Lehren Widerspnich (ewige Verdammniss,
Fegefeuer u. s. w.), aber keinen durchgreifenden.
Die Frömmigkeit im 15. Jahrhundert. 391
blieb? Und doch wäre es eine sehr kindhche Betrachtung, welche
die Reformation desshalb für ein absolut Neues erklären würde, weil
für sie directe Vorstufen nicht nachweisbar sind. Der Individualismus,
die Macht des persönlichen Lebens, die unabweislichen Forderungen
der Umformung des staatlichen Lebens, die Bedürfnisse einer immer
unruhiger werdenden Frömmigkeit, das Misstrauen gegen die Hier-
archie, das aufstrebende Bewusstsein der eigenen Verantwortung und
die Sehnsucht nach persönlicher Gewissheit, die Ueberzeugung, dass
Christus in seiner Kirche sei und dass er doch nicht im Kirchen-
thum sei — das Alles vermochte nicht zu seinem Ziele zu gelangen
ohne eine Reformation, die äusserlich minder radical schien als das
Programm der sengenden und brennenden Husiten, in Wahrheit aber
dieses weit hinter sich Hess. Und die Frömmigkeit, d. h. der kirch-
liche Glaube selbst, hatte unter den mannigfachen Elementen, die
er einschloss, das neue Element als eingeborenes in seiner Mitte — an
Sprüchen Christi und an Lehren des Paulus, an dem Lebensbild jedes
Christen, der in dem Vertrauen auf die Gnade Gottes in Christus
sich vom Gesetz der Gnadenspendungeri und Verdienste und vom Ge-
setz des Buchstabens innerlich losgelöst hatte.
Unter einer zum Gestrüpp entarteten Theologie, aus den hunder-
ten von religiös-kirchUchen Neubildungen, Vereinen und Brüderschaften,
aus den unzähligen Formen, in denen das Heilige beschlossen und ge-
sucht wurde, aus den Predigten und der Erbauungslitteratur aller Art
hört man einen Ruf deutlich und immer deutlicher heraus — den
Ruf nach lebendigem religiösem Leben, nach dem praktischen Christen-
thum, nach der Religion, die wirklich Religion ist. „Die animae meae,
Salus tua ego sum" — dieses Gebet Augustin's ist die verborgene
Kraft der Unruhe der Völker, namentlich der germanischen, im
15. Jahrhundert gewesen. Dogmatisch ausgedrückt: man suchte nach
einer sicheren Heilslehre ^ aber man wusste selbst nicht, was man
suchte. Auf die unsicheren und stammelnden Fragen erfolgten nur
unsichere und stammelnde Antworten. Man vermag sich dem Zauber
auch heute nicht zu entziehen, der gerade an solchen Fragen und
solchen Antworten haftet; denn sie öffnen einen Blick in die lebendige
Bewegung der Herzen ; aber wem die Religion so ernst geworden ist,
dass er in ihr nicht nach Reizen sucht, sondern nach Nahrung, der
wird Luther's kleinen Katechismus und seine Lieder nicht mit der
ganzen Fülle, Schönheit und Lebendigkeit der deutschen Erbauungs-
litteratur des 14. und 15. Jahrhunderts vertauschen mögend
* Da» hier Gesagte gilt aucli von der Gothik. Sie ist gewiss das Grösste, Vol-
lendetste und Einheitlichste, was die Baukunst seit dem griechischen Tempel her-
392 (leschichte des Dogmas im Zoitaltcr der Hettelorcleii bis zum 16. Jahrh.
2. Zur Geschichte des kirchlichen Rechts. Die Lehre von
der Kirche.
„In den fünfzig Jahren, welche von dem Erscheinen des Gratia-
nischen Rechtsbuchs dasselbe enthält neben den isidorischen zahl-
reiche Fälschungen der Gregorianer Deusdedit, Anselm, Gregor von
Pavia und dazu noch eigene Fälschungen ^ — bis zum Pontificat
Jnnocenz' III. verflossen, rang sich das päpstliche System zu voll-
ständiger Herrschaft durch. In den römischen Gerichtshöfen wurde
vorgebracht hat, ja sie ist der einzige, Alles durchdriugende und zur Einheit zusam-
menfassende Stil nach dem griechischen Tempelstil. Sie beweist an sich, dass das
Mittelalter auf seinem Höhepunkt eine einheitlicheKultur besessen hat, die in ihrer
Art vollkommen gewesen ist. Aber die Gothik ist eben desshalb der Stil des mittel-
alterlichen katholischen Christenthums, der Stil der Mystik und Scholastik. Sie er-
weckt genau die Empfindungen, Grefühle und Schauer, welche die katholische Fröm-
migkeit, aus der sie geboren ist, erwecken will ; eben desshalb ist sie auch romani-
schen Ursprungs, und die Geschichte ihrer Verbreitung ist lediglich eine Parallele
zur Geschichte der Verbreitung romanischer Frömmigkeit. Vielleicht das Tiefste,
was über die Gothik, ihren unsäglichen Reiz und ihre ästhetische Kraft, gesagt wer-
den kann, aber auch wie protestantische Frömmigkeit ihr gegenüber reagiren
muss, hat Goethe, Wahlverwandtschaften (Hempel'sche Ausgabe XV S. 143. 137.
173) zum Ausdruck gebracht: „. . . sie setzte sich auf einen der Stühle ( — in einer
gothischen Kapelle — ), und es schien ihr, indem sie auf- und umherblickte, als wenn
sie wäre und nicht wäre, als wenn sie sich empfände und nicht empfände, als wenn
dies Alles vor ihr, sie vor sich selbst verschwinden sollte, und nur als die Sonne das
bisher sehr lebhaft beschienene (bunte Glas) Fenster verliess, erwachte sie." „Aus
allen Gestalten blickt nur das reinste Dasein hervor; alle muss man, wo nicht für
edel, doch für gut ansprechen. Heitre Sammlung, willige Anerkennung eines Ehr-
würdigen über uns, stille Hingebung in Liebe und Erwartung ist auf allen Ge-
sichtern, in allen Geberden ausgedrückt. Der Greis mit dem kahlen Scheitel, der
reichlockige Knabe, der muntere Jüngling, der ernste Mann, der verklärte Heilige,
der schwebende Engel — Alle scheinen selig in einem unschuldigen Genügen, in
einem frommen Erwarten. Das Gemeinste, was geschieht, hat einen Zug von himm-
lischem Leben, und eine gottesdienstliche Handlung scheint ganz jeder Natur an-
gemessen. Nach einer solchen Region blicken wohl die Meisten wie nach einem
verschwundenen goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen Paradiese hin." Aber
dagegen: „Was mich betrifft, so will mir diese Annäherung, diese Vermischung des
Heiligen zu und mit dem Sinnlichen keineswegs gefallen, nicht gefallen, dass man
sich gewisse besondere Räume widmet, weihet und aufschmückt, um erst dabei ein
Gefühl der Frömmigkeit zu hegen und zu unterhalten. Keine Umgebung, selbst die
gemeinste nicht, soll in uns das Gefühl des Göttlichen stören, das uns überall hin
begleiten und jede Stätte zu einem Tempel einweihen kann. Ich mag gern einen
Hauptgottesdienst in dem Saale gehalten sehen, wo man zu speisen, sich gesellig zu
versammeln, mit Spiel und Tanz zu ergetzen pflegt. Das Höchste, das Vorzüg-
lichste am Menschen ist gestaltlos, und man soll sich hüten, es anders als in edler
That zu gestalten."
» S. Janus S, 154 ff.
Das Kirchenrecht als die Cxrossmacht. Die Lehre von der Kirche. 393
nach Gratian Recht gesprochen, in Bologna nach ihm gelehrt, selbst
Kaiser Friedrich I. Hess bereits seinen Sohn Heinrich VI. im Decretum
und im römischen Recht unterrichten. Die ganze Decretalengesetz-
gebung von 1159 — ^1320 ist auf dem Fundament Gratian's erbaut und
setzt ihn voraus. Dasselbe gilt von der Dogmatik des Thomas von
Aquin in den einschlägigen Materien, wie denn überhaupt die scho-
lastische Dogmatik in Fragen der Kirchenverfassung sich gänzlich der
Lieblingsvvissenschaft des damahgen Klerus, der Jurisprudenz, wie sie
Gratian, Raymund und die übrigen Decretalensammler zurecht gelegt
hatten, unterordnete. Die Theorie sowohl als die Texte und Belege
dazu entlehnten die Theologen aus diesen Rechtssammlungen" ^ In Be-
zug auf das Wesen der Kirche bürgerte sich, neben der festgehaltenen
augustinischen Definition, dass die Kirche die Gemeinschaft der Gläu-
bigen resp. der Prädestinirten sei, immer sicherer die Vorstellung ein,
dass die Hierarchie die Kirche sei, und dass der Papst als Nachfolger
Petri und episcopus universalis alle Gewalten der Kirche in sich ver-
einige. Die deutschen Könige selbst trugen einen grossen Theil der
Schuld an dieser Entwickelung ; denn indem sie, vor Allem die hohen-
staufischen, den Kampf für die Rechte des Staats gegenüber dem
Papstthum führten, liessen sie dasselbe auf kirchlichem Gebiet in un-
verantwortlicher Weise gewähren. Erst als es bereits zu spät war, hat
Friedrich II. in seinem Schreiben ad reges Francorum et Anglorum
daraufhingewiesen, dass die Hierarchie durch eine innere Reform zur
ursprünglichen Armuth und Demuth zurückgeführt werden müsse "^.
In der Entwickelung des Papstthums zur autokratischen Herrschaft
innerhalb der Kirche und Kirchen ist ihm im 13. Jahrhundert nur
von Frankreich eine sichere Schranke (pragmatische Sanction) gezogen
worden.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, zu zeigen, welche Conse-
(juenzen im Einzelnen aus der Idee der Kirche als eines staathchen
Organismus des Rechts im 13. Jahrhundert und in der ersten Hälfte
des 14. von den Päpsten und iliren Freunden gezogen und in welchem
Masse sie wirklich geworden sind. Die leitenden Gedanken waren fol-
gende: 1) Die hierarchische Organisation ist der Kirche
wesentlich, und in allen Beziehungen ist das Christenthum
der Laien an die Vermittelung der Priester (rite ordinati) ge-
bunden, die allein die kirclilic^hen Handlungen vollziehen
können. Wenn man von Cyprian zu Gregor I., von diesem zu Pscudo-
isidor und Gregor VII. fortschreitet, so kann man bei oberflächlicher
» S. Jamis S. 162 f.
» S. die Stelle bei Gicseler 11, 2, 4. Aufl. S. 153.
394 Geschichte des Dogmas im Zeitalter derBettelordeii bis zum 16. Jahrh.
Beiirtheilung meinen, der eben genannte Grundsatz sei längst mass-
gebend gewesen. Allein wenn man auf das Einzelne eingeht und die
kirchliche Gesetzgebung seit Innocenz IIJ. ins Auge fasst, so bemerkt
man, wie viel noch an seiner strengen Durchführung in der Theorie
und Praxis bis zum Ende des 12. Jahrhunderts gefehlt hat. Erst vom
4. Lateranconcil ab wird er, in ausgesprochenem Gegensatz zu denkatha-
rischen und waldensischen Parteien, mit aller Schärfe geltend gemachte
2) Die sacramentalen und jurisdic tionellen Gewaltender
Priester sind unabhängig von ihrer persönlichen Würdig-
keit. Auch dies ist ein alter Grundsatz; aber er wurde jetzt, nachdem
er lange latent war, scharf betont, den „ketzerischen" Parteien ent-
gegengehalten und so ausgebeutet, dass die Hierarchie sich durch den-
selben vor jeder Zumuthung einer inneren Reform schützte und sich
vor Allem der Anforderung, das apostolische Leben wiederaufzunehmen,
entzog. AVer von den „ketzerischen" Parteien in den Schoss der
Kirche zurückkehrte, musste erklären, dass er die Sacramentsverwaltung
sündiger Priester anerkenne^. 3) Die Kirche ist sichtbare Ge-
meinschaft mit einer ihr von Christus gegebenen Verfassung
(auch als solche ist sie corpus Christi); als sichtbare^ ver-
fasste Gemeinschaft hat sie eine doppelte potestas, näm-
lich die potestas spiritualis und temporalis. Durch beide
ist sie, die bis zum Weltuntergang bleiben soll, den ver-
gänglichen Staaten überlegen und übergeordnet. Ihr müssen
desshalb alle Staaten und alle Einzelnen de necessitate sa-
lutis gehorsam sein; ja es erstreckt sich die Gewalt der Kirche
auch über die Ketzer^ und Heiden^. Auch diese Grundsätze ^
haben ihre Wurzeln in der augustinischen Lehre von der Kirche^; allein
durch die consequente Ausprägung und wirksame Durchführung, welche
^ S. besonders das 1. und 3. Decret der Synode. Mansi XXII p. 982 sq.
Hefele V S. 879 ff. Ganz consequent ist er übrigens nicht durchgeführt worden,
wie das zugestandene Recht der Laien, im Nothfall taufen zu können, die Absol-
virung durch einen Laien in casu mortis und die Behandlmig des Ehesacrameuts
beweisen.
''^ S. z. B. das Bekenntniss des Durandus, Innocent. III epp. XI, 196.
^ Ueber die Inquisition s. Janus S. 254 ff. und Thomas, Summa See. See.
quaest. 11 art. 3 conclusio: „Haeresis est peccatum, per quod meruerunt per mor-
tem a mundo excludi" ; art. 4 coucl.
* Augustinus Triumphus (f 1328), Summa de potest. eccl. ad Johannem XXII,
Quaest. 23 art. 1 : „pagani iure sunt sub papae obedientia."
^ Die Hierarchie zusammen mit den Mönchen gilt als die eigenthche Kirche.
^ Allerdings konnte man bei Augustin auch Stellen finden, die gegen die gre-
gorianischen Ansprüche der Kirche zu verwenden waren, s*Mirbt, Die Stellung
Augustin's in der Publicistik des gregor. Kirchenstreits 1888.
Das päpstliche Kirchenrecht, 395
sie zwischen 1050 und 1300 gewonnen haben, stellen sie sich doch als
eine unerhörte Neuerung dar. Ihren formulirten Abschluss haben sie
durch Bonifacius VIII. erhalten *; allein schon lange vor ihm haben die
Päpste nach diesen Grundsätzen gehandelt. Die schlimmste Folge war
nicht die Missachtung ^, Niederhaltung und Verwüstung des staatlichen
Lebens — hier sind im Gegentheil auch manche heilsame Wirkungen
zu Gunsten der Völkerfreiheit zu constatiren — , sondern die unaus-
bleibliche Profanirung der Religion, sofern alle ihre Ziele und Güter
durch die ihnen fremde Betrachtung unter dem kirchenrechtlichen
Gesichtspunkt verrückt und verfälscht wurden, und der Gehorsam gegen
ein äusserliches menschhches Institut, welches allen Fehlern mensch-
licher Leidenschaft und Sünde unterlag, zur ersten Bedingung der Christ-
lichkeit erhoben wurde. „Diese Kirche ist es, auf welche jene schwerste
Verantwortlichkeit fällt, die je in der Geschichte vorgekommen ist: sie
hat eine getrübte und zum Vortheil ihrer Allmacht entstellte Lehre mit
allen Mitteln der Gewalt als reine Wahrheit durchgesetzt und im Ge-
fühl ihrer Unantastbarkeit sich der schwersten Entsittlichung über-
lassen; sie hat, um sich in solchem Zustande zu behaupten, gegen den
Geist und das Gewissen der Völker tödtliche Streiche geführt und viele
von den Höherbegabten, welche sich ihr innerlich entzogen, dem Un-
glauben und der Verbitterung in die Arme getrieben" ^. 4) Der Kirche
ist von Christus eine streng monarchische Verfassung in
seinem Stellvertreter, dem Nachfolger Petri, dem römischen
Bischof gegeben. Alles was von der Hierarchie gilt, gilt
nicht nur in erster Linie vom Papst, sondern ihm sind alle
Gewaltenübergeben, und die übrigen Glieder der Hierarchie
sind nur in partem sollicitudinis berufen. Er ist der epi-
scopus universalis; ihm gehören daher die beiden Schwerter,
und da ein jeder Christ die Heiligung nur in der Kirche er-
reichenkann, dieKirche aber die Hierarchie, die Hierarchie
der Papst ist, so folgt, dass de necessitate salutis alle Welt
dem Papste unterthan sein muss. Bereits Gregor VII. hat inzahl-
* S. die Anmerkung 2 auf S. 396.
^ Gregor VII. hat den Widerspruch gegen die evangelische Lehre, dass die
(Jhrigkeit von Gott sei, am weitesten getrieben; s. epp. VIII, 21 : „quis nesciat,
reges et duces ab iis habuisse priucipium, qui deum igiioraiites, superbia, raplnis, !
perfidia, homicidiis, postremo univcrsis paeue sceleribus, mundi princii)e diabolo
videHcet agitaute, dominari caeca cupiditate et intolerabili praesumptione afFecta-
verunt." A})or auch nach Innocentius III. ist der Staat „per extorsionem huma-
nam" entstanden. Andererseits sind auch die strengsten Papalisten, ja Gregor VII.
selbst, sich über die Abgrenzung von Staats- und Kirchengcwalt nicht klar gewesen.
^Burckhardt, Kultur der Kenaissancc. '6. Aufl. 2. Bd. S. 228.
396 (ieschichU' des Dopfnias imZeitaltii- (Ut Hcttclonlcn Mhzuiii lf>..Taliili.
reichen Briefen diese GrundRÜtze in einer Weise vertreten, die nicht
mehr zu überbieten war (vgl. auch den sogen, dictatus Gregorii). Allein
bei ihm erscheint Alles als der AusHuss einer mächtigen Herrscher-
persünlichkeit, die in einem furchtbaren Kampf zu den höchsten Mitteln
greift. In der Folgezeit aber wurden seine Sätze nicht nur aus-
gesprochen, sondern wirksam gehandhabt und zugleich, Dank einer er-
staunlichen Kette von Fälschungen, auch von Solchen gläubig aufge-
nommen, die das Papstthum l)ekämpfen mussten. In der Zeit, da sich
das Papstthum einem schwachen Kaiserthum im Occident und einem
noch viel schwächeren lateinischen Kaiserthum im Orient gegenüber-
gestelltsah, hxirte sich (vonlnnocentius III. ab) diese Anschauung in den
Gemüthern und Köpfen der Menschen. Thomas hat m. W. zuerst den
Satz rund foi'mulirt: „subesse Romano pontifici est de necessitate sa-
lutis" K Dann ist in der Bulle „Unam sanctam" Bonifacius' VIII.
(1302) die ganze Theorie in unübertrefflicher AVeise zusammengefasst
worden, nachdem sich die Päpste ein Jahrhundert lang in hunderten
von kleinen und grossen Fragen (Fragen der Kirchenpolitik, der Staats-
politik, der Diöcesanverwaltung u. s. w.) streng nach ihr gerichtet
hatten und in der Lage waren, alle Proteste überhören zu dürfen '^.
* Opusc. c. eiT. Graec. fol. 9. Den schwacheu Griechen wrirde überhaupt das
Recht Roms im 13. Jahrhundert in exorbitanter Weise vordemonstrirt, und das
wirkte auf das Abendland zurück.
'^ Die wichtigsten Sätze der Bulle lauten: „Unam sanctam ecclesiam catholi-
cam et ipsam apostolicam urgente fide credere cogimur et teuere. Nosque haue
firmiter credimus et simpliciter confitemur, extra quam nee salus est nee remissio
peccatorum (nun wird die Kirche geistlich beschrieben mit ihrem Haupt Christus).
Igitur ecclesiae uuius et unicae unimi corpus, unum caput, non duo capita, (juasi
monstrum, Christus videlicet et Christi vicarius Petrus Petrique successor (folgt
Joh. 21, 16; hier seien Petrus oves universae anvertraut worden). In hac eiusque
potestate duos esse gladios, spiritualem videlicet et temporalem, evangelicis dictis
instruimur. Nam dicentibus apostolis : ecce glädii duo hie (Lc. 22, 38), in ecclesia
scilicet, cum apostoli loquerentur, non respoudit dominus nimis esse, sed satis. Certe
qui in potestate Petri temporalem gladium esse negat, male verbum attendit domini
proferentis : converte gladium tuum in vaginam (Mt. 26, 52). Uterque ergo est in
potestate ecclesiae, spiritualis scilicet gladius et materialis. Sed is quidem pro
ecclesia, ille vero ab ecclesia exercendus. Ille sacerdotis, ille manu regum et mili-
tum, sed ad nutum et patientiam sacerdotis. Oportet autem gladium esse
sub gladio et temporalem potestatem spirituali subici potestati, nam cum dicat
apostolus (folgt Rom. 13, 1) . . . non ordiuatae essent, nisi gladius esset sub gladio
(die geistliche Gewalt überragt an AVürde und Adel jegliche irdische Gewalt so
sehr wie das Geistliche das Irdische). Nam veritate testante spiritualis p o tes-
taste rrenam potestatem instituere habet et iudicare, si bona nou
fuerit (folgt Jerem. 1, 10). Ergo si deviat terrena potestas, iudicabitiir a potestate
spirituali, sed si deviat spiritualis minor, a suo superiori, si vero suprema, a solo
deo, non ab homine poterit iudicari, testante apostolo (I Cor. 2, 25). Est autoni
Das päpstliche Kirchenrecht. Der Papst. 397
Die Aufrichtung der strengen monarchischen Gewalt und die Zertrüm-
merung der alten Kirchenverfassung ist durch die Stadien Pseudoisidor,
Gratian und die Bettelorden bezeichnet; denn die letzteren zerrütteten
durch die besonderen Rechte^ die sie erhielten, die localen Gewalten
(Bischöfe^ Presbyterien, Pfarrer) vollends und waren ganz der päpst-
lichen Leitung unterstellt K Alle Prämissen, aus welchen die Noth-
wendigkeit der Unfehlbarkeit des Papstes folgte, waren bei einander;
auch hat Thomas, nachdem neue Fälschungen hinzugekommen waren,
sie streng entwickelt ^. Dennoch — obgleich die Lehre längst feststand.
haec auctoritas, etsi data sit homini et exerceatur per hominem, non humana sed
potius divina, ore divino Petro data sibique suisque suocessoribus in ipso quem con-
fessus mit petra firmata, dicente domino ipsi Petro (Mt. 16, 19). Quicunque igitur
huic potestati a deo sie ordinatae resistit, dei ordinationi resistit, nisi duo sicut
Manichaeus fingat esse princijDia, quod falsum et haereticum iudicamus, quia
testante Mose non in principiis sed in principio coelum deus creavit et terram.
Porro subesse Romano pontifici omni humanae naturae declaramus,
dieimus, definimus et pronuntiamus omnino esse de necessitate
salutis."
* Janus S. 166: „Bereit allenthalben als päpstlich delegirte, von den Bischöfen
vÖHig unabhängige, die Woltpriester und Pfarrer an Vollmacht übertreftende
Agenten aufzutreten und einzugreifen, bildeten sie eigene Kirchen in dex Kirche,
arbeiteten für die Ehre und Grösse ihrer Orden und für die Macht des Papstes, auf
welcher ihre privilegirte Stellung beruhte."
2 Hier kommen besonders die pseudocyrillischen Stellen in Betracht 5 s. die
werthvolle Untersuchung von Reu seh, Die Fälschungen in dem Traetat des Tho-
mas V. Aquin gegen die Griechen, Abhandl. d. k. bay. Akad. der Wissensch. III. Cl.
18. Bd. 3. Abth. 1889. Ueber Thomas als den Normaltheologen für die L. v. d. Un-
fehlbarkeit s. Langen, Das Vatic. Dogma. 3 Thl. S. 99 fl"., Leituer, Der hl. Tho-
mas über das unfehlbare Lehramt des Papstes 1872, Delitzsch, Lehrsystem der
römischen K. I S. 194 ff". Thomas, Summa See. See. qu. 11 art, 2: „Sic ergo aliqui
doctores videntur dissensisse vel circa ea quorum nihil interest ad fidem utrum sie
vel aliter teneatur, vel etiam in quibusdam ad fidem pertinentibus, quae nonduni
erant per ecclesiam determinata. Postquam autem essent auctoritate universalis
ecclesiae determinata, si quis tali ordinationi pertinaciter repugnaret, haereticus
censeretur. Qua equidem auctoritas princip aliter residet in summopon-
tifice." See. See. qu. 1 art. 10 („utrum ad summum poutificem pertineat fidei
symbolum ordinäre?"): Hier wird, wie gewöhnlich, die These zuerst verneint; dann
heisst es: „editio symboli facta est in synodo generali, sed huiusinodi synodus aucto-
ritate solius sumrni pontificis potest congregari. Ergo editio symboli ad auctorita-
tem summi pontificis pertinet." Ferner: „Nova editio symboli necessaria est ad
vitandum insurgontes errores. Ad illius ergo auctoritatem pertiuet editio
symboli, ad cuius auctoritatem pert inet final iter de t er miuare ea quae
H\n\i fidei, u t ab o m n i b u s i n c (j n c u s s a f i d e t e n e a n t u r. H oc autem pertinet
ad auctoritatem summi pontificis, ad (|U(!m maiores (;t difiiciliores ecclesiae (juaestio-
nea referuntur (folgt eine Dec^retaienstelh;). IJnde et dominus (Lc. 22, 32) Petro
dixit, (juem Hummurii pontilicein eoustituit: fcJg«; pro t(! i-ogavi etc. Et huius ratio
398 (loschithte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
dass die römische Kirche in Folge eines besonderen gÖtthchen Schutzes
nicht vöUig vom Ghiuhen abfallen könne und der gottgesetzte Hort der
Lehrreinheit und Lehroinheit sei — hat sich ausserhalb der Gruppen,
die unter dorn Einfluss des Dominikanerordens standen, die Lehre von
der Unfehlbarkeit nicht durcligesetzt. Die Geschichte der Päpste war
noch zu bekannt, selbst in dem kanonischen Rechtsbuch war AVider-
sprechendes enthalten \ und so grosse Päpste wie Innocenz IIT. haben
die IMöglichkeit, dass ein Papst in Glaubenssachen in eine Sünde fallen
könne, eingeräumt und für diesen Fall die Zuständigkeit des Gerichts
der Gesamnitkirche anerkannt *. So war es möglich, dass sich an der
Universität Paris ein entschiedener Widerspruch festsetzte, der z. B. in
Bezug auf eine Lehre Johänn's XXII. zur Bezichtigung der Häresie
des Papstes führte. Die Unsicherheit, in der sich noch manche kirch-
liche Lehren (und Theorien für die Praxis, z. B. betreffs der Ordination)
befanden, und die schwankende Stellung, welche die Päpste zu ihnen
einnahmen, verhinderte es auch, die dogmatische Autorität derselben
für eine absolute zu nehmen ^. Obgleich den Geschichtsfälschungen
durch Herausgabe von Geschichtsdarstellungen, die den grossen Kampf
des Papstthums und Kaiserthums in unglaublicher Weise übermalten,
um 1300 die Krone aufgesetzt wurde '^ und die Grundsätze der thomi-
stischen Politik ^ sich immer mehr einbürgerten, so blieb die entschei-
dende Frage nach der Unfehlbarkeit ungelöst. Ja seit dem Jahre 1330
hörte jene Litteratur, in der das Papalsystem in ausschweifendster Weise
ausgebildet wurde, überhaupt auf ^. Erst nach 120 Jahren setzte sie
est: quia una fides debet esse totius ecclesiae secimdum illud I Cor. 1, 10: Id ipsum
dicatis omnes, et non siiit in vobis Schismata- Qu od servari non posset nisi
quaestio exorta de terminetur per eum, qui toti ecclesiae praeest,
ut sie eius sententia a tota ecclesia firmiter teneatur, et ideo ad solam
auctoritatem summi pontificis pertinet nova editio symboli, sicut et omnia alia quae
pertinent ad totam ecclesiam, ut congregare synodum generalem et alia huiusmodi."
Der Lehrsatz, dass jedem Papst persönliche Heiligkeit zukomme (Gregor VII.), ist
nicht mehr wiederholt worden, weil, wie Dö Hing er (Janus S. 168) vermuthet, die
Gefahr vorlag, aus mangelnder Heiligkeit auf die TJnrechtmässigkeit eines Papstes
zu schliessen.
^ S. den dem Bonifaz zugeschriebenen Kanon Gratian's „Si Papa", dist. 6, 40.
'^ S. das Zugeständniss in Eymerici Director. Inquis. p. 295 (citirt nach Janus
S. 295).
' S. die Frage der Reordinationen in Bezug auf „Simonisten".
* Martin von Troppau und Tolomeo von Lucca.
^ Thomas, de regimine principum, fortgesetzt von Tolomeo.
^ Die excessivsteu Werke sind die des Augustinus Triumphus (f 1328) und
des Franciskaners Alvarus Pelagius (f nach 1340). Gieseler IT, 3, 2. Aufl. S. 42 ff.
und 101 ff., giebt aus der Summa de potestate eccl. des Ersteren und aus dem Werk
Die päpstliche Unfehlbarkeit. Landeskirchenthum und Concilien. 399
wieder ein, als es galt, dem Concil von Basel gegenüber die alten An-
sprüche des Papstthums zu retten und durchzusetzen. Damals hat der
Cardinal Torquemada jene Vertheidigung des Papalsystems geschrieben \
welche auf streng thomistischer Grundlage ruhend, noch im Reformations-
zeitalter für die bedeutendste Leistung der päpstlichen Partei gegolten
hat. Aber seit der Mitte des 15. Jahrhunderts war das päpstliche Sy-
stem überhaupt wieder im Aufschwung, nachdem durch die glänzende,
aber verschlagene Politik Eugen's IV. der Sturm der Concilien glück-
lich beschworen war. Nur die französische Nation behauptete den ein-
mal gewonnenen Boden der Freiheit gegenüber dem Papst (Pragmatische
Sanction von Bourges 1430). Die übrigen Nationen kamen durch die
Concordate wieder in die alte Abhängigkeit vom Autokrator in Rom ^ ;
ja sie wurden theilweise geradezu von ihren Landesherren verrathen, so-
fern diese es als vortheilhaft erkannten, ihren Aufstieg zur vollkommenen
Fürstengewalt dadurch zu beschleunigen, dass sie sich mit dem Papste
in die Landeskirche theüten ^. Diesem Schicksal verfiel schliesslich auch
(durch das Concordat von 1517) die französische Landeskirche, so je-
doch, dass der König den Haupttheil der Gewalt über sie erhielt. Wäh-
rend die Päpste beim Uebergang des 15. zum 16. Jahrhundert in Krie-
gen, Wohlleben und gröbster Sünonie verwilderten, führten Cajetan und
Jacobazzi die strengste Papaltheorie, der Erstere einschliesslich der
Lehre von der Unfehlbarkeit, durch *. Die Hoffnungen der Völker auf
de planctu ecclesiae des Letzteren reiche Auszüge, die da zeigen, dass im 19. Jahr-
hundert die Papstverherrlichung nicht weiter getrieben werden konnte. Augustinus
behauptete generell : „nulla lex populo christiano est danda, nisi ipsius papae aucto-
ritate" ; denn nur die päpstliche Gewalt sei immediate von Gott und sie umschliesse
die iurisdictio et cura totius mundi. Alvarus hat die Identificiruno- Christi und des
Papstes zum Blasphemischen gesteigert und zugleich den Papst für den recht-
mässigen Inhaber des imperium Romanum seit den Tagen des Petrus erklärt. Beide
unterscheiden im Grunde den Papst von Gott nur dadurch, dass dem irdischen
„dominus deus noster papa" die Anbetung nur „ministerialiter" zukomme.
* De Pontifice Maximo et generalis concilii auctoritate ; s. auch seine Summa
de ecclesia und den Apparatus super decreto unionis Graecorum.
'^ Rom verstand aber diese Concordate stets als Gnadenacte, durch welche nur
der Partner gebunden sei. Diese Auffassung ist schon früher von den römischen
Kanonisten vertreten und aus der Oberherrlichkeit des Papstes über alle Menschen
abgeleitet worden.
' Man denke an die Entwickolung des Territorialfürstentimms im 15. Jahr-
liundert. Grosse (Kaiser Friedrich III.) und kleine Tierren weitteiferten förmlich
bis tief ins 16. Jahrhundert hinein, die Selbständigkeit ihrer Landeskirchen zu schä-
digen. Den Vortheil haben vorübergehend die Landesfürsten gehabt, aber den
bleiV)enden Vortheil der Papst.
■* In der Zeit des Streits der Päpste mit den Concilien war die Frage nach
der Unfehlbarkeit des Papstes in (üauljenssachen zurückgetreten. Auf dem Unions-
400 Öeschichte des Dotrmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
das Concil waren venüchtot, die alte Tyrannei wieder aufgerichtet:
man klagte wohl, dass die kirchliche Despotie schlinniier sei als die der
Türken, aber — man fügte sich. Die Klagen waren um 1 500 vielleicht
schmerzlicher als zu irgend einer Zeit; aber der Abfall war gering, die
Actionen seltener. Die „Häresie" schien sj)iirlicher und zähmer geworden
als im 13. und 14. Jahrhundert, zumal nachdem sich die husitische
Bewegung erschöpft hatte. Die „Ketzer" waren, so schien es, wirk-
lich zu den Stillen im Lande geworden, die den offenen Bruch mit der
Kirche scheuten; ihre Frömmigkeit schien minder aggressiv. „Man
fühlte ziendich allgemein, es sei der Kirche mit der Reformation, wie
ehedem dem Könige von Rom mit den sibyllinischen Büchern ergangen ;
sie müsse nun, nachdem die von der Curie ausgestreute Saat der Cor-
ruption seit 50 Jahren viel üppiger emporgeschossen, und die Kirche
selbst keine Anstrengung mehr zu ihrer Rettung gemacht, um viel
theuereren Preis und mit noch geringerer Aussicht auf Erfolg erkauft
werden" '. Das Lateranconcil am Anfang des 1 (5. Jahrhunderts, welches
allen Wünschen der Völker Hohn sprach und die Papaltheorie in streng-
stem Sinn declarirte ^, als hätte man nie zu Constanz und Basel getagt,
wurde stillschweigend anerkannt. Aber es war die Stille vor dem Sturm.
Ihn sollte der Papst noch erleben, der sein Amt mit den Worten ange-
treten hatte: „Yolo, ut pontificatu isto quam maxime perfruamur"^
An dieser grossartigen Entwickelung der Papaltheorie ist die Theo-
logie vor Thomas gar nicht, auch nach ihm nur gering betheihgt gewesen.
Die Jurisprudenz hat die Entwickelung geleitet, sich ledig-
lich auf äussere, grösstentheils gefälschte historische Zeugnisse stützend
und mit dialektischer Kunst deducirend. Der mangelnde Antheil der
Theologie ist aus einem Doppelten zu erklären. Erstlich hatte Rom allein
an der ganzen Theorie ein wirkliches Interesse*, in Rom aber hat die
Theologie w-eder im Alterthura noch im Mittelalter je geblüht. Weder
coucil zu Florenz wurde sie nicht erwähnt. Auch Torquemada hat die MögUchkeit
zugestanden, dass ein Papst in eine Häresie fallen könne; indessen daraus eine
Ueberordnung des Concils über ihn nicht abgeleitet, da. ein häretischer Papst ipso
facto von Gott abgesetzt sei. Diese undurchführbare hülflose Annahme hat erst
Cajetan abgethau, indem er zu der Lehre des Thomas, die sieh auf erdichtete Väter-
stellen gründete, zurückkehrt, selbst eine neue Fälschung hinzufügend, sofern er den
zu Constanz festgestellten Satz: „error est, si per Romanam ecclesiam intelligat
universalem aut concilium generale", unterschlug. Von ihm stammt auch der l)e
i-ühmte Satz, die katholische Kirche sei die geborene Magd des Pai)stes.
^ Janus S. 365.
^ Der Papst, heisst es in der Bulle „Pastor aeternus", hat die „auctoritas super
omnia concilia" •, er allein darf sie berufen, versetzen und auflösen.
^ Ueber die Ueberlieferuno' dieses Worts a. Janus S. 381 n, 407.
Der factische Kirchenbegriff und die Theologie. 401
um die Schriftauslegung noch um die dogmatischen Arbeiten der Väter
hat man sich in Rom bemüht. Wer Theologie studiren wollte, ging
nach Frankreich. An der Curie galt nur der Rechtsgelehrte etwas; in
Rom bestand seit InnocenzIV. eine Rechtsschule; die grosse Mehrzahl
der Cardinäle waren studirte Juristen, nicht Theologen, und die grossen
Päpste des Mittelalters, Alexander III., Innocenz III. und IV., Boni-
facius VIII. u. s. w., sind als geschätzte Rechtsgelehrte auf den päpst-
lichen Stuhl gekommen ^ Als es schon viel zu spät war, da erkannten
Männer mit heUem Blick, wie Roger Baco, oder fromme Patrioten, wie
Dante, dass das Verderben der Kirche von den Decretalen herrühre,
die man statt der Kirchenväter und der hl. Schrift studire. Der Erstere
besonders hat mit erhobener Stimme die Forderung gestellt, dass die
Kirche von dem verwelthchten Kirchenrecht befreit werden müsse, wel-
ches sie vergifte. Im 14. und 15. Jahrhundert hat man stets wie über
das Papstthum so über das verdorbene Kirchenrecht („Juristen böse
Christen") als die eigentliche Quelle alles Uebels geklagt. Es war der
Geist des alten Roms, der über dem mittelalterlichen lagerte, jener
römische Geist der Jurisprudenz, jetzt aber entartet zu einem mit drei-
sten Fälschungen operirenden Geist der Tyrannei. Allein der mangelnde
Antheil der Theologie an der Ausbildung des hierarchischen Kirchen-
begriffs erklärt sich nicht nur aus dem Mangel der Theologie in Rom,
sondern zweitens auch aus der glücklichen Unfähigkeit der Theologie
(bis über die Mitte des 13. Jahrhunderts), sich auf diesen Kirchenbe-
griff herabzustimmen. Wer als Theologe über die Kirche nachsann,
forschte in den Werken der Kirchenväter, vor Allem Augustinus. Da
aber trat der spirituelle Kirchenbegriff (d. h. die Kirche als corpus
Christi, als multitudo fidelium, als universitas Christianorum u. s. w.)
so stark hervor, dass er zunächst das Nachdenken fesselte, und man zu
dem hierarchischen — vom papalen zu schweigen — nicht sicher vor-
drang oder ihn nur streifte. So erklärt es sich, dass alle die grossen \
Theologen vor Thomas von Anselm ab, auch die gregorianisch gesinnten,
als Theologen der Ausbildung des hierarchischen Kirchenbegriffs
sehr geringen Vorschub geleistet haben. Sie lehren und schreiben wie
Augustin, ja sie bleiben sogar hinter ihm in der Präcision der Kirche
als externa socie^tas iiocli zurück-. Die Theologie hat für die
' 8. liöllinger, Uel>or das Studium der deutschen Geschichte (Akad. Vor-
träge 11 S. 407 fr. 418 f.).
^ S. Hü(/o V. St, Victor, de sacr. II, p. II c. 2 sq. Der Lombarde hat in seinen
Sent(!n/.en das Pufistthum seldediirrdin^rH nicht Iterührt! Soweit auf die Kirche
ül)crhau()t von Anderen eingekauften wird, wird nicht einmal die Sicherlieit
Cyprian's in der Fassung des hierarchischen Kirchenbegriffs erreicht. Stoffreiche
Harn a c k , Dogrnenßeschichtf; III. 26
402 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
Ausbildung und Begründung des Papalsystems bis tief in
das 13. Jahrhundert hinein nichts gethan, und es mag gleich
hier zu ihrer Ehre gesagt sein, dass sie mit einer einzigen, übrigens nicht
vollkommenen, Ausnahme (Thomas) auch in der Folgezeit nur halbe Ar-
beit geleistet und der nachtridentinischen Theologie das Meiste zu thun
übrig gelassen hat ^ Von runden Formeln, von systematisch strenger
Ausführung des Kirchenbegrifi's (wie bei der Lehre von den Sacra-
menten) ist m. VV. in den theologischen Schriften der Scholastiker
nichts zu finden. Dagegen kann man, wie bei Hugo von St. Victor, so
auch bei den späteren Scholastikern, nicht wenige grundlegende Aus-
führungen in Bezug auf den Kirchenbegriff nachweisen, die von den
„ketzerischen" Parteien und von Männern wie Wiclif direct und unver-
ändert übernommen worden sind '\ Dies erklärt sich aufs einfachste
daraus, dass die patristischen, vor Allem augustinischen Ausführungen
noch immer die Theologie bestimmt haben. Jedoch lässt sich nicht
verkennen, dass die Theologie seit der Mitte des 13. Jahrhunderts einen
gewissen Antheil an der Ausbildung des Kirchenbegritfs genommen hat.
Es w^aren — ein Hohn auf den hl. Franciskus — gerade die Bettel-
mönche, welche sich auch als Theologen für die papale Theorie zu be-
geistern anfingen, nachdem sie mit so exorbitanten Rechten ausgestattet
waren, die nur dann als legitim gelten konnten, wenn der Papst wirklich
der Herr der Kirche war. Dazu kam, dass die Theologie im 13. Jahrhun-
dert sich vor die Aufgabe gestellt sah, bei den Verhandlungen mit den
Griechen ihnen auch das Papalsystem zu insinuiren. An dieser Auf-
gabe ist das Interesse der Theologie an dem hierarchischen
Nachweisungen bei Langen, Das vaticanische Dogma, 2. Theil. Wenn Hugo sich
von den übrigen älteren Theologen dadurch unterscheidet, dass er näher auf die
Beschreibung der Kirche eingeht, so hängt das mit seinem Interesse für die Sacra-
mente zusammen. Was er über die Hierarchie und den Papst sagt, bleibt hinter
den gregorianischen Ideen zurück, leistet ihnen also keinen Vorschub. Auch über
das Verhältniss der Kirche (des Papstes) zum Staat hat er noch evangelische Vor-
stellungen. Dennoch muss er hier wie auch sonst in mancher Hinsicht als Vorläufer
des Thomas gelten.
* Es ist wunderlich, dass Thomasius-Seeberg (S. 196) dem Satze: „AVie
überhaupt, so stellte sich die Scholastik auch hinsichtlich der Kirche die Aufgabe,
das Daseiende als das Seinsollende zu erweisen", den anderen sofort folgen lassen:
„Es muss hier zunächst hervorgehoben werden, dass die Scholastik ein Dogma von
der Kirche nicht kennt."
- Die üebereinstimmung der „Ketzer" mit dem grundlegenden katholischen
Kirchenbegrifl' ist von ihren katholischen Gegnern nicht selten constatirt worden.
Diese waren eben no(?h so naiv, den Begriff der Kirche als societas unitatis fidei für
ihre eigene Basis zii halten. Das Richtige bei (lott schick (Ztschr. f. K. -Gesch.
VIII S. 348 f.).
Die Theologie und der Kirchenbegriff. Thomas. 403
Kirchenbegriff, der die Voraussetzung des Papalsystems
bildete, erwacht*, und der grosse Denker, Thomas von Aquin, hat nun
sofort die hierarchische und papale Theorie entwickelt, zusammen mit
einer kühnen Theorie vom Staat ^. Allein er hat den spirituellen Kirchen-
^ Hier ist das Concil von Lyon 1274 von epochemachender Bedeutung. Das
energische Wiederaufleben des Interesses für die theoretisclie Darlegung und Be-
gründung des Papalsystems in der Mitte des 15. Jahrhunderts ist ebenfalls aus den
Verhandlungen mit den Griechen zu erklären. So sind die Griechen dem Abendland
ominös geworden. Man wollte sie für das Papstthum gewinnen und bildete bei
dieser Gelegenheit die papale Theorie — grösstentheils durch Fälschungen —
„wissenschaftlich" überhaupt erst aus !
^ Thomas ent\vickelt die Hauptattribute des Papstes (summus pontifex, caput
ecclesiae, cura ecclesiae universalis, plenitudo potestatis, potestas determinandi no-
vum symbolum). Die Ausführungen über die Gliederung der hierarchischen Gewalt
mögen hier auf sich beruhen (auf die Entwicklung des Begriffs der Kirche als einer
Monarchie hat Aristoteles eingewirkt). Nur darauf ist hinzuweisen, wie der 2. Kir-
chenbegriff, d. h. der hierarchische, ganz von der Sacramentslehre beherrscht ist.
Das Einzelne im thomistischen Kirchenbegriff ist zu seiner Zeit kein Dogma ge-
wesen, aber nachmals die Norm für die dogmatische Ausbildung geworden. Dass
übrigens Thomas nicht den hierarchischen Kirchenbegriff unvermittelt neben dem
spirituellen bietet, hat Gott schick, a. a. 0. S. 347 — 357 gezeigt. Doch darf man
nicht vergessen, dass solche Sätze, wie die augustinischen von der Kirche (im Zu-
sammenhang mit der prädestinatianischen Gnade), in ihrer eigenen Kraft fort-
wirkten, auch wenn sie fremden Gedanken untergeordnet wurden. Thomas (Erklä-
rung des apostol. Symbols, s. auch Summa ITI qu. 8) beginnt mit der Darlegung
der Kirche als religiöser Gemeinschaft (congregatio fidelium, corpus mysticum),
deren Hau])t Christus ist. Allein indem er sie so beschreibt — als Gemeinschaft
der mit Christus durch die von Gott stammende Liebe Geeinigten — , hebt er zu-
gleich die sittliche Art dieser Gemeinschaft als ein durch das göttliche Gesetz
regiertes Ganze hervor, welches die Erde, den Himmel und das Fegefeuer umfasst
und dessen Zweck die Anschauung und der Gonuss Gottes ist. In der näheren Be-
stimmung desUmfangs der Kirche unterliegen die Nachweisungen des Thomas allen
den Schwankungen, die wir schon bei Augustin fanden, und die durch die Rück-
sicht auf die prädestinatianische Gnade einerseits (nach der alle Einzelnen bestimmt
sind), auf die empirischen Verhältnisse andererseits hervorgerufen sind. De potentia
sind nach ihm auch die reprol^i in der Kirche, so lange sie nämlich unter dem Ein-
fliiss der virtus Christi stehen oder durch ihren freien Willen noch einen Zusammen-
hang mit ihm liesitzen. Sofern nun die Kirche dem Einzelnen die Gottesliebe und
damit die Heiligung zueignet, ist sie eine äussere Gemeinschaft wie der Staat, ist
an äusseren Merkmalen erkennbar, ist durch eine äussere (-irenze (die Excommuni-
cationj umzogen und hat die liierarchische Organisation nöthig- denn diese ist die
Voraussetzung der Sacramentsverwaltung. Verläuft das (ilaubensleben des Ein-
zelnen bis zur Erreichung der Seligkeit auf den Stufen des Glaubens (d. h. des Für-
wahr-Haltens auf Autorität) und der einzelnen Sacramente, welche die heiiig-
machend(* Gnade einschliessen, so ist schon damit gesagt, dass es der Kirche
wesentlich ist, dass sie Lehrautorität und Sacramentsverwalterin ist. Dies aber
kann sie nur sein als streng rechtlich und hierarchisch organisirte Gemeinschaft.
So ist ])f[ Tliomas der 2. Kirclif;n})egiiJV mit dfin ersten aufs engste verknü})ft, und
2t>*
4(J4 Geschichte des Dop^mas im S^eitalter der Bettelorden \m zum Iß. Jahrb.
begriff dabei keineswegs aufgegeben oder — wie das in der nachtriden-
tiniscben Zeit geschehen ist — nach dem Hierarchischen durchgreifend
corrigirt. Er hat auch bei aller Consequenz in der Durchführung des
papalen Systems die Gewalten der Bischöfe und Priester keineswegs
vollständig aus der i)äj)stlichen abgeleitet', er operirt in seiner „Sununa"
noch vielfach mit dem Begriff „ecclesia" im Sinne eines Centralbegriffs
und denkt dabei nicht an die Monarchie. Für ihn ist es keine Floskel,
dass der einzelne Bischof „sponsus specialis ecclesiae dicitur sicut Chri-
stus" ^ Aber soweit Thomas eingewirkt hat, ist allerdings eine Ver-
mischung der Jurisprudenz und Theologie auf diesem Gebiete und die
Einbürgerung des hierarchisch-papalen Kirchenbegriffs die Folge ge-
wesen '^. Jedoch darf man den Einffuss nicht überschätzen. Die francis-
kanische (nominalistische) Dogmatik ist m. W. auf diese Entwicklung
des Kirchenbegriffs wenig eingegangen. Noch beim Anbruch der Re-
formation hatte die ganze hierarchische und papale Theorie in der
Dogmatik keine sichere Stelle — sie war römisches De er et al eu-
re cht. Allein sie hatte mehr erreicht als eine Stelle in der Dogmatik.
sehr richtig macht Gottschick (S. 353) weiter darauf aufmerksam, dass „der
Glaube im objectiven Sinne ein Bestandtheil der Forderungen des Gesetzes ist,
nach welchem die Kirche (s. oben) geleitet werden muss." Die Kirche als lehrgesetz-
liche Autorität und priesterliche Sacramentsanstalt ist somit das „ausschliessliche
Organ, durch welches das Haupt der Kirche, Christus, sich seine Glieder schafft"
Man sieht also, dass ein sehr spiritueller Kirchenbegriff, ja selbst der prädestina-
tianische, mit dem empirisch-hierarchischen in Verbindung treten kann (Summa III
qu. ()4 art. 2: „per sacramenta dicitur esse fabricata ecclesia Christi"). Da das Heil
ein unerfahrbares Geheimniss ist, d. h. eine Gewissheit über den Besitz desselben
nie erreicht werden kann, sofern es aus Kräften besteht, die geheimnissvoll in der
der Reflexion unzugänglichen Sphäre des Menschen wirksam sind, so bleibt nichts
übrig, als sich der sacramentalen Heilsanstalt einfach unterzuordnen, mit der das
abgestufte Priesterthum mitgesetzt ist. Die Autorität des Klerus musste so eine
absolute werden, und der geistige (prädestinatiänische) Kirchenbegriflf, weit ent-
fernt hier zu corrigiren, musste dieser Steigerung nur Vorschub leisten. Daher folgt
der Satz der Unfehlbarkeit der Kirche, der in der Unfehlbarkeit des Papstes münden
musste; denn — irgend ein Fels musste gesucht und gefunden werden. Liegt er
nicht in einer überwältigenden Gewissheit, welche die Sache selbst mit sich bringt,
sofern sie die Absolutheit der sittlichen Forderunjof umbiegt zur absoluten Gewiss-
heit des in Christo gnädigen Gottes, so muss er in einem Aeusseren gegeben sein.
Dieses Aeussere — die Unfehlbarkeit der lehrenden und die Sacramente spendenden
Priesterschaft — vermag freilich niemals den Besitz des Heils dem Einzelnen zu
verbürgen, sondern nur die Möglichkeit.
* Summa III suppl. qu. 40 art. 4 fin.
^ Die Stellung zum Staate war dadurch gegeben, dass nur der Priester das
Gesetz Gottes richtig zu lehren vermag, dass aber auch die Staaten keine andere
Aufgabe haben, als durch Beförderung der dem Gesetze Gottes entsprechenden
virtus für das Seeleuheil ihrer Unterthanen zu soreen.
Der AViderspruch gegen den hierarchischen Kirchenbegriff. 405
Sie wurde seit c. 1450 wieder energisch von Rom aus gehandhabt,
und der Widerspruch gegen sie erschien nicht mehr so gewaltig, wie ein
Jahrhundert vorher ^
lieber diesen Widerspruch haben wir uns noch zu orientiren. Hier
ist nun Allem zuvor zu bemerken, dass die mangelnde öffentliche Aus-
bildung des Earchenbegriffs desshalb sehr gleich giltig war, weil in der
Sacramentslehre alles das bereits als sicherer Besitz untergebracht
war^ was man von einer Formulirung des Kirchenbegriffs im hier-
archischen Interesse nur erwarten konnte. Hieraus folgte dann weiter,
dass der Widerspruch gegen den hierarchisch-papalen Kirchenbegriff
so lange — trotz alles Echauffements — ein ungefährlicher bleiben
musste, als er die Sacramentslehre nicht beanstandete. Diese aber ruhte
wiederum auf der eigenthümlichen Anschauung vom Heil als der zur
visio dei führenden Heihgmachung, der (an dem Massstab des Gesetzes
Gottes gemessenen) activen Heiligkeit. Wir müssen hier zurückgreifen^.
Augustin hat den altkatholischen Begriff des Heils als der visio et
fruitio dei mit der Prädestinationslehre einerseits, mit der Lehre von dem
regnum Christi und dem Justificationsprocess andererseits verbunden.
Beides war gegenüber der griechischen Auffassung neu; allein die Ver-
bindung der Vorstellung von der Seligkeit mit dem Justificationsprocess
war desshalb leicht herzustellen, weil dieser ganz an den Sacra men-
ten verlaufen sollte, die Sacramente aber, wie die griechische Entwicke-
lung zeigt, auch das nothwendige Gorrelat zur Seligkeitsvorstellung bil-
deten. Wird an dieser nämlich der überirdische Zustand, in welchem
man sich befinden wird, vor Allem hervorgehoben, so entsprechen der Her-
beiführung dieses Zustandes Mittel, die wie heihge Naturkräfte wirken.
Dass Augustin diese Naturkräfte als die Kräfte der Liebe zur Gerechtig-
keit vorgestellt hat, war ein gewaltiger Fortschritt ; aber er änderte im
Aufriss nichts, da die Liebe als eingegossene betrachtet wurde. Wohl
* Daran zweifelte kein guter katholischer Christ, dass der Klerus in geist-
lichen Dingen die gottgesetzte Obrigkeit der Laien sei, dass diese Gewalt aus
dem Kccht(! der Priester flicsse, die Sacramente zu verwalten, dass der Papst der
eigentliche Inhaber dieser Gewalt und aller weltlichen Obrigkeit weit überlegen sei.
Controvers war aber allerdings die Regierungsgcwalt des Papstes.
'"^ Ein volles Vcrständniss des katholischen KirchenbegriH's kann man nur von
dem Sacramentsbegriffaus erreichen, der, wie bemerkt, von dci- Seligkcitsauffassung
abhängig ist. Von hier aus lässt sich aber auch sageu, dass der katholische Kirchen-
begrifldic nothwendige Ergänzung zu der unvollkommenen Vorstellung vom Glauben
bildet. Das, was dem Glauben nach katholischer Ansicht mangelt, nämlich die
certitudo salutis, das schafft die Lehrautorität der Kirche einerseits, die sacramen-
tale Kirchenanbtalt andererseits, so jedoch, dass es nur in einer Annäherung er-
reicht wird.
40() Geschichte des Dognuis im ZcitaHcr der Bettelordeu bis /um Ib. Jahrh.
aber ermöglichte er es, dass dem ganzen Process auch eine sehr ent-
schiedene iJichtung auf das Sitthche, welches bei der griechischen Be-
trachtung innerhalb des Dogmas ausfiel, gegeben werden konnte. Die
Kräfte der Liebe nämlich erwirken es, dass hier auf Erden das Gesetz
Christi, welches sich in dem Gebote der Ijiebo zusammenfasst, erfüllt
werden kann. Somit entsteht aus den durch die Sacramente als durch
Medien überlieferten Liebeskräften das Reich Christi, in welchem die
Gerechtigkeit nach dem Vorbilde und dem Gesetze Christi herrscht.
Die Sacramente haben mithin die doppelte Wirkung, dass sie zur visio
ac fruitio dei vorbereiten, resp. sie stufenmässig anbahnen, und dass sie
auf Erden die Kirche erzeugen, in welcher das Gesetz Christi herrscht
und welche das „bene vivere" erzeugt. Durch das Letztere ist die
Stellung des Staates bestimmt — er hat sich, da das bene vivere sein
Zweck ist, der Sacramentsanstalt zu unterwerfen. Durch die ganze Vor-
stellung aber ist cjie Priesterschaft als lehrende und heiligende Körper-
schaft legitimirt^ denn die Sacramentsverwaltung ist an einen bestimm-
ten Stand gebunden, den Christus eingesetzt hat, und dieser Stand ist
zugleich allein befähigt, das Gesetz Christi mit bindender Autorität zu
interpretiren. Man hat sich ihm also zu unterwerfen.
Diese ganze Betrachtung, die freilich bei Augustin noch keineswegs
in straffer klarer Ausführung vorliegt, gewann diese Straffheit und Klar-
heit in der Folgezeit — w eniger durch die Bemühungen der Theologen
als durch die Kraft der zielbewussten römischen Politik. Diese, indem
sie vor Allem die Monarchie in der Kirche wollte, hat durch ihr
siegreiches Streben überhaupt erst die allgemeinen hier-
archischen Bedingungen für die Existenz einer solchenMon-
archie zur Klarheit gebracht und damit geschaffen. Allein
trotz vieler Fälschungen konnte sie es nicht erreichen, dass das dogma-
tisch ziemlich untergeordnete, praktisch höchst wichtige Moment der
hierarchischen Gliederung eine imponirende Tradition erhielt;
denn bei Augustin und den Patres überhaupt fehlte es so gut wie ganz.
Ferner aber hat, wie oben bemerkt. Augustin mit dem Sehgkeitsdogma
als visio dei die Prädestinationslehre verbunden und aus ihr enien
Kirchenbegriff entwickelt, der gegen Hierarchie und Sacrameut neutral
war. Zwar ist es leicht zu zeigen, dass der prädestinatianische und der
sacramental - hierarchische Kirclienbegritf sich nicht auszuschliessen
brauchen, ja sich in gewisser Weise sogar fordern, sofern die von Augu-
stin behauptete Unsicherheit des Einzelnen über sehie Erwählung ihn
dazu treiben musste, alle Mittel der Kirche fleissig zu brauchen, und die
Auskunft auch nahe liegt, Gott vollziehe die Ausführung des Prädesti-
jiationsdecrets nur durch die empirische Kirche sammt ihren Sacramenten,
Augustin als Vater d. hierarchisch, u. d. gegnerisch. Kirchenbegriffs. 407
Allein Augustin selbst hat das nicht behauptet, und wenn auch in der
Folgezeit dieser Ausgleich vielfach beliebt wurde, da man die Prädesti-
nationslehre nicht fallen Hess, so lag in ihr doch ein Element beschlossen,
welches wie eine überhängende Felsmasse die Existenz des unter ihr
stehenden Hauses bedrohte. Endlich — Augustin hatte zwar einen
siegreichen Kampf mit dem Donatismus geführt; allein es gab doch noch
einen Punkt, an welchem der donatistischen These nicht leicht jegliche
Berechtigung abgesprochen werden konnte — das war das Busssacra-
ment. Wohl konnte man es glaublich machen, dass die Taufe, das
Abendmahl, die Firmelung, die Ordination giltig seien, auch wenn sie
ein unwürdiger Priester spende; allein wie sollte ein solcher über Heilig
und Unheilig zu Gerichte sitzen, das Gesetz Christi anwenden, binden
und lösen können, wenn er selbst von der Unwissenheit der Sünde be-
lastet war? Es war doch mehr als paradox, es war eine unvollziehbare
Vorstellung, dass der Blinde über Licht und Finsterniss richtig urthei-
len könne. Sollte die von einem solchen Menschen verhängte Excom-
munication vor Gott giltig sein, sollte seine Absolution Kraft besitzen?
Man half sich freilich auch hier damit, dass Christus binde und löse,
nicht der Priester, der nur minister sei ; allein wenn eine himmelschi*eiende
Ungerechtigkeit vom Priester verübt wurde, wenn solche Fälle sich
mehrten — was war dann zu thun ? ^
Thomas hat mit Aufbietung eines grossen Scharfsinns den prä-
destinatianischen (spirituellen) und den hierarchischen KirchenbegrifF
verbunden und die Punkte auszukratzen versucht, aus denen sich ein
„ketzerischer" Kirchenbegriff entwickeln konnte; allein es ist aus dem
Mitgetheilten offenbar, dass man den augustinisch-thomisti-
* Man beachte hier wohl, dass gerade das strenge Papalsystem in der Zeit der
grossen Kämpfe (11. und 12. Jahrhundert) die grösste Unsicherheit über die Ordi-
nationen verbreitet hatte, indem die Päpste rücksichtslos „simonistische" Weihen,
ferner Weihen kaiserlicher Bischöfe, ja selbst AVeihen, bei denen ein einziger Simonist
zugegen gewesen, cassirten. Innocenz II. hat sogar auf dem 2. lateranischeu
Concil alle Ordinationen der Schismatiker, d. h. der dem Papst Anaclet II. anhän-
genden Bischöfe, für uDgiltig (;rklärt. Also sind die Päpste die Lehrmeister jeuer
Secteu gewesen, welche die höchste Unsicherheit über die wichtigste katholische
Frage, nämlich über die (iiltigkeit der Weihen, verbreitet hal)en. Zur Zeit des
Schismas führte der päi)stliche Secretär Coluccio Salutato aus, dass, da alle kirch-
liche Gewalt vom Papste ausgehe; und ein fehlerhaft gewählter Papst selbst keine
(fcwalt habe, er auch keine geben könne; so seien denn auch die seit dem Tode
Gregorys XL geweihten Bischöfe und Priester unfähig, die Sacramente zu ge-
währen. Wenn demnach ein Gläubiger die von einem im Schisma ordinirten Priester
consecrirte Eucharistie adorirt, so betet er ein Idol an, sagt Coluccio (in einem
Schreiben an Jost von Mähren bei Martene, Thes. Anecd. II p. 1159 citirt nach
JanuH S. '6iH).
408 (it'Bchichte des Dogmas im ^Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jalirh.
sehen Kirchen begriff mit seinen Prämissen (Lehre vom
Heil und den Sacramenten) wesentlich zu recipiren ver-
mochte und doch, gemessen an den Ansprüchen, welche
die mittelalterliche Kirche auf ihrem Höhepunkte stellte,
„ketzerisch" werden konnte, wenn man nämlich entweder
1) die hierarchische Gliederung des Priesterstandes be-
stritt, oder 2) die in dem Prädestinationsgedanken gesetzte
religiöse Idee der Kirche übergreifen Hess über den Be-
griff der empirischen Kirche, oder 3) die Priester, und da-
mit die kirchlichen Autoritäten, an dem Gesetz Gottes
mass, bevor man ihnen das Recht einräumte, den Binde-
und Löseschlüssel zu verwalten.
Allerdings hat es während des ganzen Mittelalters Secten gegeben,
welche den katholischen Kirchenbegriff in seinen Wurzeln angriffen-,
allein, so wichtig sie für die Kulturgeschichte sein mögen, in der Dog-
mengeschichte spielen sie keine Bolle ; denn da sich ihr Widerspruch
in der Begel aus dualistischen oder pantheistischen Voraussetzungen
entwickelte (Nachwirkungen alter gnostischer oder manichäischer Be-
trachtungen), so standen sie ausserhalb der gemeinen Christenheit und
wirkten wohl auf viele einzelne Glieder derselben, nicht aber auf die
Kirchenlehre ein^ Dagegen darf man behaupten, dass alle die Bewe-
gungen, welche als „vorreformatorisch" bezeichnet werden und die den
sich einbürgernden römischen Kirchenbegriff zeitweise nicht ohne Erfolg
bekämpft haben, von dem augustinischen Kirchenbegriff ausgegangen
sind, die Entwickelung desselben aber von den drei Punkten aus bean-
standet haben, die oben präcisirt worden sind. Mag man nun auf die
Avaldensische , die lombardische, die apokalyp tisch -joacliimische, die
franciskanische, die imperialistische, die conciliare, die wiclifitische, die
husitische, ja selbst auf die humanistische Opposition gegen den neuen
Kirchenbegriff blicken — durchweg haben wir dasselbe Schauspiel. Auf
den ersten Blick erscheint der Widerspruch radical, ja contradictorisch.
Da schwirren zornige Flüche — Antichrist, Babel, Teufelskirche,
Teufelspriester, u. s. w. — durch die Luft. Sieht man aber näher zu,
so ist der Gegensatz in AVahrheit ein viel zahmerer. Jener kathohsche
* Gemeint sind hier Secten wie die der Katharer und Albingenser, ^Patarener",
„Bulgaren", ferner die Anhänger Amab-ich's von Bena, die — mit den Waldonsern
zusammenhängenden — Ortlieber, die Secte des neuen Geistes, die Secte des freien
Geistes und viele ähnliche Bewegungen; s. Hahn, Gesch. der Ketzer im Mittelalter
3Bdd., Reuter, Aufklärung Bd. II, die verschiedenen Arbeiten von Ch. Schmidt,
Jundt, Preger, Haupt; Staude, Urspr. d. Katharer (Ztechr. f. K.-Gesch. V, 1);
Pöllinger, Beiträge z. Sectengesch. des Mittelalters 1890.
Unkräftiger Widerspruch gegen den hierarchischen Kirchenbegriff. 409
Grundbegriff der Kirche als sacramentaler Anstalt wird nicht bean-
standet, weil der Grundbegriff vom Heil und von der Seligkeit unbe-
anstandet bleibt. Mag auch alle hierarchische Gliederung verworfen
werden — der Begriff des hierarchischen Priesterthums bleibt bestehen;
mag die Kirche als die Gemeinschaft der Prädestinirten gefasst werden
— jeder Christ muss sich doch unter den Einfluss der von der Kirche
gespendeten Sacramente stellen und sie aufs fleissigste brauchen, denn
durch diese vollzieht sich die Erwählung; mögen die sacramentalen
Handlungen unwürdiger Priester ungiltig sein — man braucht doch
Priester, siesollen aber nach dem Gesetz Christi leben; mag die Kirche
als Gemeinschaft der Prädestinirten nur Gott bekannt sein — die em-
pirische Kirche ist doch die wahre, wenn das apostolische Leben in ihr
herrscht, und eine solche wahre, empirische Kirche ist schlechthin noth-
wendig und kann durch Reformen hergestellt werden; mögen endlich
alle weltlichen Rechte dem Papst und der Priesterschaft abzuerkennen
sein — aber das weltliche Recht ist überhaupt etwas, was allmählich
zu verschwinden hat. Die Kritik an dem römischen Kirchenbegriff ist
also durchweg eine Kritik aus der Mitte heraus.
Sie soll desswegen nicht unterschätzt werden; sie hat doch Grosses
geleistet; das Geistige und Sittliche hat in ihr die Herrschaft über das
RechtUche und Empirische erlangt, und Luther war glücklich, als er
Hus' Lehre von der Kirche kennen lernte. Allein desshalb darf man
sich darüber nicht täuschen, dass der Kirchenbegriff der gesammten
Oppositionsparteien nur eine durch das waldensisch-franciskanische Ideal
des apostolischen Lebens (nach dem Gesetz Christi) modificirte Gestalt
des augustinischen Kirchenbegriffs ist. Die Mischungen der Elemente
sind in den Programmen der Oppositionsparteien sehr verschieden:
bald überwiegt das prädestinatianische Element, bald ein apokalyptisch-
gesetzliches, bald das franciskanische, bald das biblicistische (der lex
Christi), bald sind sie alle in ein Gleichgewicht gestellt. Besonders weil
diese Oppositionsparteien von der Prädestinationslehre aus den Begriff
der „unsichtbaren Kirche" in Geltung gesetzt und den Massstab der
hl. Schrift an Alles angelegt haben, werden sie als evangelische ge-
priesen. Allein sehr richtig ist jüngst daraufhingewiesen worden ', dass
sie auf den Begriff einer empirischen wahren Kirche keineswegs ver-
zichtet haben, zu dem sie die individuelle Unsicherheit über die Erwäh-
lung trieb, und ihr Standpunkt auf dem Boden der Schrift ist der katho-
hsch-gesetzliche, wie ilin Augustin, Bernhard und Franciskus eingenom-
men haben.
* S. GottHohick in dem oben citirtcn Aufsatz und K. Müller, Be-
richt u. 8. w, S. 37 f.
4 1 () (leschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrb.
Unter solchen Umständen genügt es, den Kirclienlicgriff der
einzelnen Kichtnngen mit einigen Striclien zu eluirakterisiren. Die
Waldenser bestritten weder den katholischen Kultus noch die Sacra-
mente und die hierarchische Verfassung an sich, sondern sie protestir-
ten 1) dagegen als gegen eine Todsünde, dass die katholischen Geist-
lichen die Hechte der Nachfolger der Ai)ostel ausübten, ohne das
apostolische Leben auf sich zu nehmen, 2) gegen die umfangreiche Re-
gierungsgewalt des Papstes und der Bischöfe, also gegen die römische
Hierarchie mit ihrer Gliederung. Allein die französischen AValdenser
bestritten trotzdem nicht die Giltigkeit der von unwürdigen Priestern
gespendeten Sacramente, wohl aber thaten das die lombardischen '. Bei
den AValdensern greift also der Begriff des Gesetzes Christi, wie
es in der hl. Schrift verzeichnet ist und den Priestern das apostolische
Leben vorschreibt, über alle anderen Merkmale der Kirche hinaus (bei
den italienischen hat sich daraus das donatistische Element entwickelt).
Dasselbe ist der Fall bei einem Theil der Franciskaner, die in die
Opposition übergingen. In der scharfen Polemik gegen Rom seitens der
Joachimiten tritt neben das gesetzliche Element das apokalyptische:
Klerus und Hierarchie werden vom Standpunkte des emancipirten
Mönchthums und der hereinbrechenden Endzeit aus beurtheilt'-^. Kein
Wunder, dass eben diese Betrachtung den Beifall nicht weniger Fran-
ciskaner fand, dass sie sich bis hoch in den Norden hinauf in allen
Schichten des Volkes verbreitete^, und dass sie eine staatsfreundliche
(ghibellinische) Wendung nahm. Li dieser Modification befreite sie sich
bis zu einem gewissen Grade von den wilden, apokalyptischen Elementen
und ging in die imperialistische Opposition über. Auch hier w^aren es
noch Franciskaner, Avelche mitgingen, ja zum Theil den Widerstand
gegen die Papstgewalt leiteten (Occam). In dieser Opposition handelte
es sich ganz und gar nicht um die Kirche als Sacramentsanstalt und
Priesterthum, sondern lediglich um die Berechtigung der hierarchischen
Gliederung (einschliesslich des Papstes, dessen götthche Einsetzung
Occam bestritten hat) und um die Regierungsgewalten der Hierarchie,
die ihr abgesprochen werden. Aber sie wurden ihr abgesprochen im
Namen der franciskanischen Anschauung, dass die Kirche keine welt-
* S. oben S. 368 f. und Müller, Waideuser S. 93 ff. und passim.
'S. Reuter, a. a. 0. II S. 191 ft". und Archiv f. Litt.- uud K.-Gesch. des
Mittelalters I S. 105 ft".
^ Protocolle von Ivetzerprocessen sind in den letzten Jahren zahlreicher als
früher veroft'entlicht worden; s. "Wattenbach i. d. Sitzungsberichten der Berliner
Akademie 1886 IV und Döllinger , a. a. 0. Bd. 2. Sehr verständlich ist es, dass
den Ketzern vor Allem der Vorwurf gemacht worden ist, sie höben die Sacra-
mente auf.
Der Kirchenbegriff der Oppositionsparteien. 411
liehe Verfassung vertrage, und dass die Hierarchie arm und rechtlos
sein müsse. Die Zuweisung der ganzen Rechtssphäre an den Staat
ist im Grunde ein Ausdruck der Verachtung dieser Sphäre , freilich
nicht bei allen litterarischen AVidersachern der Päpste im 14. Jahr-
hundert, aber doch bei nicht wenigen K Die imperialistische (3pposition
wurde abgelöst durch die conciliare. Reform der Kirche an Haupt
und Gliedern war die Losung — allein die Pariser Professoren, welche
sich, wie die deutschen Professoren in den 40er und 50er Jahren un-
seres Jahrhunderts, der Dlusion hingaben, am Webstuhl der Geschichte
zu sitzen, verstanden unter dieser „Reform" ledighch eine national-
liberale Reform der Kirchenverfassung (nach dem Muster der Ver-
fassung der Pariser Universität), die Einschränkung der tyrannischen
und speculativen päpstlichen Rechte, die Ueberordnung des Concils
über das Papstthum'^ und die Befreiung der Landeskirchen vom päpst-
lichen Druck zu gi'össerer, sei es vollkommener, sei es relativer, Selb-
ständigkeit. Die kirchenpolitische Tragweite dieser Ideen und die
Sympathie, welche man dem Idealismus jener Professoren zollen muss,
darf über die Nichtigkeit ihrer Reformbestrebungen, die von dem Bei-
fall der Völker und Fürsten getragen waren, nicht täuschen. Sie haben
die gregorianische (pseudoisidorische) Entwickelung der Kirchenver-
fassung und des Papstthums an der Wurzel angegriffen; aber sie haben
sich nicht gesagt, dass sich diese Entwickelung mit Nothwendigkeit
immer wieder einstellen muss, wenn man die Wurzel, die Lehre von
den Sacramenten und vom Priesterthum, unbeanstandet lässt. Wie
^ Neben Occani sind vor Allem Marsilius von Padua und Johann von Jandun
hier zu nennen; vgl. Riezlcr, Die lit. Widersacher der Päpste z. Z. Ludwig's des
Bayern 1874, K. Müller, Der Kampf Ludwig's d. B. mit der rom. Curie, 2 Bdd.
1879 f., Friedberg, Die Grenzen zwischen Staat und Kirche 1882, ders., Die
mittelalterlichen Lehren über d. Verh. v. St. u. K. 1874; Dorncr, Das Vcrhältniss
von K. u. St. nach Occam (Stud. u. Krit. 1885 IV). Wie kräftig die Staatsidee im
14. .Jahrhundert sich regte (vgl. auch schon Dante), ist bekannt.
^ Vgl. die berühmten Decrete der 4. und 5. Sitzung des Constanzer Concils:
„Jedes rechtmässig berufene ökumenische, die Kirche repräsentirende Concil hat
seine Autorität unmittelbar von Chi-istus und in Sachen des Glaubens, in der Bei-
legung der Spaltung und der Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern ist
.Jedermann, auch der Papst, ihm unterworfen." Selbst die Cardinäle wagten nicht,
ihre Zustimmung zu versagen. Der thomistische Kirchenbegrifl' war eben noch kein
Dogma; er wurde durch die Beschlüsse von Constanz stillschweigend — leider nur
stillschweigend — als Irrthum bezeichnet; aber auf dem Concil ei-liob sich, soviel
bekannt, keine Stimme für ihn, und Martin V. stellte sich Anfangs auf den neuge-
schaffenen Boden, aber nur für einen Augeul)lick. Dass das Basler Concil die Con-
stanzer Decj-etf;, im P]invernehm(!n mit dem ]*aj)st, von Neuem vei-kündet hat, ist
bekannt. Allein Eugen IV. hat dann selbst und wohlweislich den Bruch herbei-
geführt.
412 (ieschiclitc des Doß^mas i^n Zeitalter dci' Bettcloidou bis zum 16. Jahrh.
konnte man diese Jjehren aber antasten, wenn man doch mit den
Curialisten in der Auffassung von dem Heile und vom Gesetze Christi
einig war? Die Vorstellung, man könne die Schäden der Kirche da-
durch heilen, dass man das päpstliche Finanzsystem lahmlegte und
das Concil für die gottgesetzte höchste Instanz in der Kirche er-
klärte, war Angesichts der factischen Zustände, die sich während
vieler .Jahrhunderte in der Kirche herausgebildet hatten, eine Utopie,
deren Verwirklichung während weniger Decennien doch nur eine schein-
bare gewesen ist. Es hat etwas Rührendes zu sehen, mit welcher Zähig-
keit die Menschen im 15. und im Anfang des 16. Jahrhunderts an der
Hoffnung festgehalten haben, dass ein Concil den Schaden Israels heilen
und die Kirche von der Tyrannei des Papstes befreien könne. Die Hei-
lung ist auch gekommen, aber in einer Weise, in der man sie nicht
erwartete, während sie doch die einzig mögliche war, die ein Concil
dauernd bringen konnte — auf dem Tridentinum und Vaticanum *.
Schon vor dem Beginn der grossen conciliaren Oppositions-
bewegung gegen das Papalsystem hat die wichtigste mittelalterliche
Reformbestrebung eingesetzt, die wiclifi tische, die sich in der
h u s i t i s c h e n fortgepflanzt hat. Die wichfitisch-husitische Bewegung,
in die manche der älteren Bestrebungen eingemündet sind, muss trotz der
wilden Ausschreitungen doch als die reifste Ausgestaltung der mittel-
^ lieber den Kirchenbegriff der Pariser Theologen und ihrer Freunde — sie
meinten, nicht ohne Grund, den altkatholischen wiederherzustellen, allein unter
gänzlich veränderten Verhältnissen wird das Alte ein Neues — s. Schwab, Ger-
son 1858, Tschackert, d'Ailly 1877, Hartwig, Henricus de Langenstein 1858.
Brock haus, Gregor v. Heimburg 1861, Brockhaus, Nicolai Cusani de concilii
univ. potest. sentent. 1867. Dazu die Arbeiten über Clemange und die italienischen
und spanischen EpiskopaUsten. Im Einzelnen sind die Vertreter der conciliaren
Ideen damals und später weit auseinander gegangen, und namentlich hat Jeder das
Verhältniss des Papstes zum Concil und zur Kirche anders bestimmt; es gab solche,
welche das Papstthum überhaupt für entbehrlich erachteten, und solche, die ihm
nur einen kleinen Aderlass wünschten. Die grosse Mehrzahl rüttelte an seiner Exi-
stenz keineswegs, sondern wollte es nur reinigen und beschränken; s. die guteUeber-
sicht über das Episkopalsystem bei Delitzsch, Lehrsystem der röm. K. S. 165 ff.
Janus S. 314 ff. Daran braucht wohl nur erinnert zu werden, dass das Episkopal-
system aus der furchtbaren Noth des Schismas entstanden ist, als die Italiener das
Papstthum den Franzosen wieder entreissen wollten. Die Beseitigung des Schismas
war ein wirklicher, aber auch der einzige bleibende Erfolg der Concilieu. Doch
darf nicht verkannt werden, dass in den Definitionen der Kirche, wie die Episkopa-
listen sie gegeben haben, reformatorische Elemente vorhanden waren, die freihch
fast sämmtlich dem Augustin zu entnehmen waren; denn Augustin hat den Satz
wiederholt, dass die Schlüssel nicht einem Einzelnen, sondern der Kirche gegeben
seien, und er hat in seinen dogmatischen Ausführungen stets die geistige Einheit
der Kirche ihrer verfassungsmässigen übergeordnet.
Der Kirchenbegriflf von Wiclif und Hus. 413
alterlichen Reformbewegungen gelten. Allein es wird sich zeigen, dass
auch sie zwar Vieles gelockert und vorbereitet, jedoch keinen refor-
matorischen Gedanken zum Ausdruck gebracht hat: auch sie hält
sich auf dem augustinisch-franciskanischen Boden, dem nur ein kräf-
tiges nationales Element beigesellt ist. Wichf s Theorie, die Hus ein-
fach abgeschrieben hat^, ist jedoch desshalb so hoch zu schätzen,
weil sie die einzige zusammenhängende theologische Theorie ist,
die das Mittelalter der thomistischen entgegengestellt hat. Alle die
anderen mittelalterlichen Widersacher des römischen Kirchensystems
operiren mit blossen Richtlinien oder mit Fragmenten.
Bhckt man auf das, was WicHf und Hus beanstandet oder ver-
worfen haben, so möchte man vermuthen, dass hier eine radicale Kritik
am kathohschen Kirchenbegriff vollzogen und eine neue Vorstellung von
der Kirche gegeben sein müsse. Nach der hl. Schrift soll Alles geord-
net werden; die kultische und sacramentale Praxis wird überall als ver-
fälscht und durch Menschensatzungen beschwert betrachtet; gegen die
Lehre vom Ablass, gegen die Praxis der Ohrenbeichte, gegen die
Transsubstantiationslehre (Wiclif), gegen die manducatio infidelium,
gegen die absolute Schlüsselgewalt der Priester wird ebenso geeifert,
wie gegen den Heihgen-, Bilder- und Reliquiendienst, die Privat-
messen und die vielen Sacramentalien. Schlichtheit, Einfachheit und
Verständlichkeit des Gottesdienstes wird verlangt ; das Volk soll
wirklich innerhch und geistig erbaut werden (daher die Bevorzugung der
Landessprache)'-^. Der durchgreifenden Reform des Kultus und der
Sacramentsverwaltung soll aber auch eine Reform der Hierarchie ent-
sprechen. Auch diese soll auf die ursprüngliche Einfachheit zurück-
geführt werden. Das Papstthum , wie es war , galt als ein Stück
Antichristenthum, nicht minder das verweltlichte Bettelmönchthum (in
' Wiclif's Werke worden erst jetzt vollständig zugänglich gemacht ; vgl. den
von Le chlor odirten Trialogus, die von Bu d den si eg veröffentlichten Streit-
schriften und vor Allem die von Losorth edirto Schrift de ecclesia (Wyclif-Society
seit 1882j. Monographie von Lechler, 2 P>dd. 1872 (und in Herzog's R.-E.) und
von Buddonsieg 1885. Die Einsicht, dass Hus die wiclifitische Lehre einfach
und grösstenthoils wörtlich ülxirnommon hat, verdankt man Losorth (Hus und
Wiclif 1884), s. auch desselben Einleitung zur Schrift de ecclesia. Die fiJrgebnisse der
Abhandlung dottschick' s über Hus' Lehre von der Kirche (Ztsclir. f. K. -Gesch.
Vni S. .'i45 ff.) troffen also auch völlig auf Wiclif zu. Wie weit Wesel und Wossel
von Hus booinflusHt sind, dariilior erlaube ich mir kein Urtheil, Savonarola hat die
Opposition der Bottelmönche im alten Stil fortgoeetzt.
* Die Bibelübersetzung war eine grosse That Wiclif 's; al)er man darf ni(dit
vorgoHSon, <IasH auch di(; Kirche dos 15. Jahrhunderts für Bibelübersetzungen ge-
sorgt hat, wie neuere Forschungen dies bewiesen haben.
414 (roschichtp dos Doofmns im Zeitalter dor Bettolonlon liis zum 16. Jahrh.
den Kampf gegen beide ist Wiclif erst gegen Ende seines Lebens
energisch eingetreten, wie Lechler gezeigt liat ; ursjirüngHch stand er
den Bettelorden freundUcher gegenüber). Der Papst, der dem Gesetz
(v'hristi znwiderhandelt, ist der Widerchrist, und in der Streitschrift
„de Ohristo et suo adversario Antichristo" wird bewiesen, dass der
Papst in zwölf Stücken von dem (jieset/ und der Tjchre (^lu^isti ab-
i^efallen sei. Das Haupt der Kirche ist (^hristus, niclit der Papst*,
dieser ist als Bischof von Rom erst durcli Konstantin gross geworden.
Also muss der römische Bischof wieder zum apostolischen Dienen zu-
rückkehren. Er ist nicht der unmittelbare und nächste Statthalter
Christi, sondern er ist ein Diener Christi, wie die anderen Bischöfe
auch. Ueberhaupt ist der Priesterstand ein Stand des Dienens in De-
muth und Armuth; zu herrschen hat nur der Staat. Die unveräusser-
liche Voraussetzung des priesterlichen Dienstes ist die Nachahmung
des leidenden Menschen Jesus. Setzt| ein Priester diese ausser Acht
und dient der Sünde, so ist er kein Priester, so sind aucli alle seine
geistlichen Handlungen vergeblich.
Allein hinter allen diesen grcJsstentheils schon von den älteren
Reformparteien her bekannten Sätzen liegt zwar ein geschlossener, aber
kein neuer Kirchenbegriff, vielmehr nur eine Spielart des thomistischen.
Wiclif s Kirchenbegriff kann vollständig aus dem augustinischen (Tho-
mas' von Bradwardina, des Augustiners, Einfluss auf Wiclif) abgeleitet
werden, wenn man die eigenthümliclien nationalen und politischen Be-
dingungen ins Auge fasst, unter denen er gestanden hat^, sowie den
Eindruck, den das franciskanische Ideal — sogar bis zum Communis-
mus — auch auf ihn gemacht hat. Hus stand unter ganz ähnlichen Be-
dingungen, und konnte desshalb den Wiclifismus einfach acceptiren.
WicHf geht von der augustinischen Definition der Kirche als der
(Tesamnitheit der Prädestinirten im Himmel und auf Erden aus. Zu
dieser Kirche gehören die bloss praesciti nicht, ja sie gehören nicht
einmal in der Zeit zu ihr, wo sie Gerechte sind, während umgekehrt
jeder Prädestinirte jVfitglied in ihr ist, auch wenn er zur Zeit noch
nicht unter der Gnade steht, resp. Heide oder Jude ist. Niemand kann
ohne eine revelatio specialis von sich sagen, dass er zu dieser Kirche
gehöre. Dieser folgenschwere, die ganze weitere Ausführung beherr-
schende Satz ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Wiclif und Hus auf
dem Boden des KathoHcismus stehen, d. h. dass die Bedeutung des
* Diese hatnamentlich Buddensieg, a.a.O., ins Auge gefasst. Auch bei Wiclif,
wie bei allen oppositionellen Bewegungen des 13. bis 15. Jahrhunderts, ist an die
grosse natioualökonomische Umwälzung Europas zu erinnern. Zuglei^'h ist die
angelsächsische Art Wiclif's im Gegensatz zur romanischen nicht zu übersehen.
Der Kirchenbeg^riff von Wiclif und Hus. 415
Glaubens gänzlich verkannt ist. In der That ist die Definition der
Kirche als congregatio fidehuin ein blosser Titel; denn, wie wir gleich
sehen werden, nicht der Glaube ist das Entscheidende; er kommt
vielmehr innerhalb des Kirchenbegriffs nur als ein empirisches Merkmal
(= Gemeinschaft der Getauften) in Betracht. Ferner, da feststeht, dass
Niemand seiner Erwählung gewiss sein kann — denn wie kann man sich
hier auf Erden dem stetigen Gefühl der Seligkeit hingeben, w^elches aus
der Anschauung und dem Genuss Gottes, nachdem alle anderen Gefühle
zum Schweigen gebracht sind, quillt ? wie ist es möglich, diese Stimmung
schon jetzt zu erlangen? — , so giebt es entw^eder überhaupt kein Merk-
mal, um die Existenz der Kirche zu bestimmen, oder man kann die Zu-
versicht haben, dass dort die Kirche Christi ist, wo die Hinterlassen-
schaft Christi, die Sacramente und das Gesetz Christi, herrscht.
Dieses, nicht Jenes ist die Meinung von Wiclif und Hus. Die wahre
Kirche Christi ist do rt, w- o das Gesetz Christi herrscht, d.h.
dasGesetz der Liebe, Demuth und Armuth, also das apostolische
Leben in Nachahmung Christi, und wo demgemäss auch die Sacramente,
welche das jenseitige Leben vorbereiten, in dem Geiste Christi verwal-
tet werden. Die Prädestinationslehre wird also nicht in Wirk-
samkeit gesetzt, um dem Glauben Raum zu schaffen gegen-
über den Sacramenten oder um eine lediglich unsichtbare
Kirche zu construiren — welches Interesse hätten dann Wiclif und
Hus an der Reform der empirischen Kirche gehabt? ^ — , sondern sie
wird in Wirksamkeit gesetzt, um den Ansprüchen der Hierarchie
als gottlosen Anmassungen begegnen und das Gesetz Christi
als die wahre nota ecclesiae catholicae aufrichten zu kön-
nen. Denn aus dem Ausgeführton folgt, dass es in der Kirche keine
Rechte geben könne, die nicht aus der anerkannten Herrschaft des Ge-
setzes Christi fliessen. Um die Aufrichtung dieses Gesetzes handelt es
sich ganz und gar. Der Glaube wird übersprungen. Es kommt auf die
fides caritate formataan, d. li. auf die Caritas, d. h. auf das Gesetz der
Bergpredigt (consilia) ''^. Was liostritten wird, ist nicht nur die hierar-
chische Gliederung, sondern das vorgegebene selbständige Recht des
Klerus, die Repräsentation der Kirche und der Verwalter der Gnaden-
mittel zu sein, ohne das Gesetz (Christi zu beobachten-'. Wie kann ein
» S. Gottscliiok, a a. O. S. 360 lY.
2 H. RitHolil, R(!c}itfV!rtiguii{/ und Vnrsöhnung 2. Aufl. I. 8. 134.
• Hus hat den kailiolischon Unterschied von Klerus und Laien streng fest-
gehalten. Wiclif liat von Christus unmittelbar berufene Laien zu priesterlicheru
Handeln für befähij/l erachtet. Allein dass eine unniittelban^ Einsetzung durch Chii
stusOiliigkeil liat, könnte ijuch ein ritniiselierdeoner Wieli^^; scliwerlieh hevtreiteu.
416 (ieschichte des Dop^mas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
solches Recht bestehen, wenn die Kirche nichts Anderes als die Gemein-
schaft der Prädestinirten ist und sie als solche kein anderes Merkmal
haben kann als das Gesetz Christi? Wie können ferner Handlungen
von Priestern giltig sein, wenn die Voraussetzung alles Handelns in der
Kirche und für die Kirche ihnen fehlt — der Geliorsani unter dem Ge-
setz Christi? Dieses Gesetz aber hat seine Quintessenz in der Berg-
predigt und im Vorbild des armen Lebens Jesu, jedoch — echt augu-
stinisch — die ganze hl. Schrift ist zugleich das Gesetz Christi. Also
muss dieser Massstab an alles Icirchliche Handeln angelegt werden. In-
dessen in seiner Anwendung, die ja völlig willkürlich werden muss, so-
bald man wirkhch den Versuch macht, die tausend Anweisungen buch-
stäblich zu erfüllen, ist Alles dem Gebot der dienstfertigen Liebe in
Armutli und — dem herrschenden Dogma unterzuordnen. Mit Aus-
nahme der Transsubstantiationslehre, die nur Wiclif beanstandet hat,
haben beide Reformer das Dogma vöhig unangetastet gelassen, ja es
verstärkt. Was sie reformiren wollten und reformirt liaben, sind die
kultischen und sacramentalen Ordnungen, welche in den letzten Jahr-
hunderten entstanden waren und von ihnen mit Recht als Hemmungen
der vollen, unmittelbaren Wirksamkeit von Wort und Sacrament empfun-
den wurden. Dabei haben sie die Auffassung nicht aufgegeben, dass der
numerus praedestinatorum in einer empirischen wahren Kirche seine
irdische Ausgestaltung finden könne. Allerdings konnte es nicht aus-
bleiben, dass in der husitischen Bewegung — nachdem einmal die
Losung wieder kräftig ausgegeben war. Alles müsse nach dem Gesetz
der hl. Schrift reformirt werden — der Unfug und der Schrecken alt-
testamentlicher, socialistischerund apokalyptischer Ideen in die Kirchen
eingeführt wurde; allein solche Dinge überdauern selten die dritte Ge-
neration und überdauerten sie auch damals nicht. Man kehrte zur Ge-
duld zurück, und der einstige aggressive Enthusiasmus verwandelte sich
in stilles Misstrauen und Scheu.
Wie man diesen wiclifitischen Kirchenbegriff, der im Grunde nur
beim Papst und beim Busssacrament in Spannung mit dem römischen
geräth und aus einer Ueberspannung des gut katholischen Princips
der lex Christi entstanden ist, „evangelisch" nennen kann, ist schwer
zu begreifen. Er geht an dem Glauben im Sinne Luther's ebenso
vorüber wie der Kirchenbegriff des Thomas, uiid seine Voraussetzung
bildet neben der Prädestinationslehre der katholische SeligkeitsbegriÜ',
der katholische Sacramentsbegriff und das katholische Armuthsideal.
Es kann sich dann nur darum handeln, ob eine solche Einsetzung constatirbar ist.
Also ist die Behauptung, Wiclif und Hus hätten das allgemeine Priesterthum dem
Priesterstande entgegengesetzt, unrichtig.
I
Der Kirchenbegriff von Wiclif und Hus. 417
Er schafft die Priester ab, welche die Welt regieren ; aber er schafft die
Priester nicht ab, welche die Sacramente spenden, das Gesetz Gottes
auslegen und es allein — durch das apostolische Leben — vollkommen
erfüllen. Werden jene weltregierenden Priester nicht wiederkehren,
wenn es doch das höchste Interesse der Menschen sein muss, sich auf
das Jenseits durch die Sacramente vorzubereiten, da es durch den Glau-
ben allein nicht zu erreichen ist und auch der sichere, klare, vollständige
Glaube nicht Jedermann's Ding ist? ^ Aber so gewiss die Antwort auf
diese Frage nur bejahend ausfallen kann — solange die Sacramente in
der Kirche die Hauptrolle spielen, wird der Priester ein Gewaltiger auf
Erden sein, und solange der Buchstabe der hl. Schrift als das Gesetz
Christi gilt, werden die berufsmässigen Interpreten in der Kirche herr-
sehen — , so gewiss ist doch, dass der wiclifitische Kirchenbegriff einen
grossen Fortschritt bezeichnet. Es ist hier der Versuch gemacht, He-
ligiöses und Weltliches zu trennen ; es ist ferner der Werth des Gesetzes
Christi, eines Geistigen, dem Werth der Sacramente gleichgesetzt, ja die
Wirksamkeit alles kirchlichen Handelns von der innerhchen, christlichen
Gesinnung abgeleitet; es ist das ganze „objective" Recht einer Hier-
archie in der Kirche erschüttert^; es sind die Christen aufs ki'äftigste
* S. Gottschick, a. a. 0. S. 364 f.: „Hus besitzt keine andere Anschauung
vom Heil als die gemeinkatholische. Das Ziel des Menschen ist die Vereinigung
mit Gott durch die visio dei und die dadurch bedingte Liebe. Auf Erden wird man
dazu vorbereitet durch den Glauben und die verdienstliche Erfüllung des Gesetzes
der Liebe. Der Glaube ist durchaus als theoretisches Fürwahrhalten eines Quan-
tums von Lehren gemeint; es genügt für einen guten Theil dieses Quantums die
fides implicita. Die Hauptsache ist, gemäss dem, dass der Glaube nur als fides
caritate formata "Werth hat, die Erfüllung des Gesetzes. Die Befähigung hierzu
hängt aber davon ab, dass auf Grund des Verdienstes Christi die die Sünde aus-
tilgende Kraft der Gnade eingegossen wird. Und Hus nennt nirgend einen anderen
Weg, auf welchem dies geschieht, als die Predigt und die Sacramente, speciell
Taufe und Abendmahl oder Messopfer." Vgl. die von Gott schick, a. a. 0., aus der
Schrift de ecclesia angeführten Stellen, unter denen die über die fides implicita be-
sonders lehrreich sind. I, 38: „Christianus debet fidem aliqualiter cognoscere."
62: „Quantum oporteat fidelem de necessitate salutis explicite credere, non est
meum pro nunc discutere, cum deus omnipotens suos electos secundum gradum fidei
rnultiplicem ad se trahit." 259: „Quicunque habuerit fidem caritate formatam . . .
in communi sufficit cum virtute perseverantiae ad salutem . . . Non exigit deus, ut
omnes filii sui sint continue pro viatione sua in actu cogitanti particulari de
«jualibct fidei particula (also immer (juantitativ beurthcilt), sed satis est, quod
poflt posita desidia habeant fidem in habitu formatam." Wiclif urtheilte ebenso
(„omnia sacramenta scnsibilia rite administrata [dazu gehört aber auch und vor
Allem der apostolisch lebende Priester] habent efficaciam salutarem").
' Das Constanzer Concil hat die wiclifitisch-husitischen Sätze gegen den Papst
V>e8tritten, auch die ausschliessliche Definition der Kirche als universitas praedesti-
natorum.
Harnack, DofiTnengeflchichte III. 27
418 Geachiclite dea Doj^as im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .1 ahrh.
daran erinnert, dass das Evangelium eine Sache des Lebens ist. Und
das ist nicht ausserhalb der Theologie geschehen, als wären es Einfälle,
sondern vom Boden und im Namen der wahrhaft kirchlichen Theologie.
Um 1500 hatte der Husitismus als grosse Bewegung ausgespielt.
Aber er hat doch eine unermessliche Wirkung ausgeübt : er hat den
liierarchisch-papalen KirchenbegrilV in den Gemüthern und Köpfen
gelockert und den grossen Umschwung vorbereiten helfen. Unter den
wahrhaft P^rommen im Lande herrschte freilich beim Anbruch der
Reformation die grösste Unklarheit: man wollte den Papst nicht
fahren lassen, aber episkopalistische (conciliare) und waldensisch-husi-
tische Ideen waren weit verbreitet ^ Eline Klärung war nothwendig :
entweder die Aufrichtung des Papalsystems oder eine neue Be-
trachtung der Kirche, die im Stande wäre, für die zalilreichen und
schweren Angriffe auf jenes System einen festen Boden zu schaffen.
Der empirisch -monarchische Kirchenbegritf ist durch die Epi-
skopalisten beanstandet worden, der juristische durch Wiclif und
Hus — das ist die höchste Bedeutung dieser Männer. Aber an die
Stelle des juristischen Begriffs haben sie einen moralistischen ge-
setzt. Aus diesem wird sich jener immer wieder entwickeln. Was
fehlte, war der Begriff einer Kirche, zu der man durch den lebendigen
Glauben gehört. Das blosse Kritisiren an der Hierarchie — so gross
auch der Muth w^ar, der dazu gehörte — thut es noch nicht. Auch
damit ist es noch nicht gethan, dass die Rechtsordnungen der Kirche
auf ihre sittlichen Bedingungen zurückgeführt werden. Man kann diese
That Wiclif 's und Hus' nicht hoch genug preisen. Aber man darf
darüber nicht vergessen, dass die Kirche Christi die Richtlinien ihrer
Selbstbeurtheilung aus Rom. 5 — 8 zu nehmen hat. Das Eine aber
und für unsere Zwecke Wichtigste wird aus dieser ganzen Ueber-
sicht hervorleuchten, dass die mannigfaltige Entwickelung des Kirchen-
begriffs in unserer Periode, weit entfernt, das alte Dogma zu be-
drohen, es nur immer fester sich einbürgern liess, freilich nicht als
lebendige Autorität, aber als die Basis und Grenze. Wohin wären
die Waldenser, die Wiclifiten und Husiten bei ihren Berufungen auf
die lex Christi, die Schrift und die Apokalypse gerathen, wenn nicht
die stille aber starke Macht des alten Dogmas sie gefesselt hätte?
An dieser Stelle aber darf die Betrachtung noch um einen
Schritt w^eiter gehen. Sind denn wirklich nur die sog. Vorrefor-
matoren die Yorreformatoren , oder zeigt sich nicht vielmehr, dass
^ S. ausser den Arbeiten zur Geschichte der Verbreitung des Husitismus (bes.
von Bezold, Zur Gesch. des Husitenthums 1874 und die Studien von Haupt) die
Arbeiten von L. Keller, die aber mit grösster Vorsicht zu benutzen sind.
Der Wahrheitskern im hierarchischen Kirchenbegriff. 419
dieser Titel nur dann einen guten Sinn hat^ wenn man ihn nicht für
irgend eine der mittelalterlichen kirchlichen Erscheinungen^ sondern
für die mittelalterliche Kirche überhaupt in Anwendung bringt?
Für die höchste Stufe der Betrachtung liegt zwischen dem Christen-
thum der alten Kirche und dem reformatorischen das Christenthum
des Mittelalters als die Zwischenstufe, d. h. als die Yorreformation.
Keine seiner Hauptrichtungen kann in dem Bilde entbehrt werden.
Auch die hierarchische nicht. Das zeigt gerade der KirchenbegriiF.
Denn die Gegner der „Vorreformatoren" vertraten mit ihrem Kirchen-
ideal die Grewissheit, dass Christus ein Reich auf Erden hinterlassen
habe, in welchem er als der Erhöhte gegenwärtig ist und dessen
Heihgkeit nicht abhängt von der moralischen Güte seiner Glieder.
Sie haben diesen Gedanken freihch geschändet un^ verweltlicht, aber
man darf doch nicht sagen, dass er ihnen nur als geschändeter werth-
voll gewesen ist. Nein — auch er ist bei Vielen wirklich ein Aus-
druck christlicher Frömmigkeit gewesen; sie dachten an den leben-
digen und herrschenden Christus, wenn sie an den Papst und an
seine Gewalt, an die Bischöfe und an die Kirche dachten, welche
sich die "Welt unterwerfen. In dieser Gestalt war dieser Glaube ein
nothwendiges Complement zu dem individualistischen Christenthum der
Mystiker, und die Reformation hat mit ihrer These von der lieihgen
Gemeinde und dem Reiche Gottes, welche Christus in ihrer Mitte
haben, an den katholischen Gedanken Augustin's und des Mittel-
alters direct angeknüpft, nachdem sie von Paulus und Augustin ge-
lernt, geistliche Dinge geistlich zu richten.
3. Zur Geschichte der kirchlichen Wissenschaft.
Im Zusammenhang mit der Geschiebe der Frömmigkeit haben
wir schon auf die Geschichte der Theologie eingehen müssen; denn
Frömmigkeit und Theologie gehören im Mittelalter auf das engste
zusammen. Auch ist in dem vorigen Capitel (S. 312 ff.) eine Skizze der
Geschichte der Wissenschaft bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts
gegeben worden. Aus dem ungeheuren Stoff des 13. bis 15. Jahr-
hunderts sollen nur einige Hauptpunkte hervorgehoben werden K
* »S. die Geschichten der Philosophie von Erdmann, Ueberweg-Heinze
(wo die reichhaltigsten Litteraturangaben), Stöckl und Werner (Monographie
über Thomas v. Aqu., Verschiedene Abhandlungen zu Duns »Scotus, Die Scholastik
des späteren Mittelalters in drei Bdd. 1881 f^.: 1) Johannes Duns Scotus. 2) Die
nachscotistische Scholastik. S.DerAugustinisnius des späteren Mittelalters). Baur,
Yorles. über dir; christl. Dogmengesch. 2. Bd. S. 199 flT. Eint; sclume, durch tiefes
Wissen und R(;ichthuni der (lesichtspunkte ausgezeichnete Abhandlung über Alber-
tus M. verdanken wir Bach.
27*
420 (Jescliichte tles Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrb.
Der hohe Aufschwung der mittelalterlichen Wissenschaft seit dem
Anfang des 13. Jahrhunderts ist hedingt 1) durch den grossartigen
Triumph der Kirche und des Papstthums unter Innocenz III. und
seinen Nachfolgern, 2) durch die Erhebung der Frömmigkeit in
P^lge der Bettelordenbewegung ', 3) durch die Bereicherung und Er-
weiterung der allgemeinen Kultur, die theils eine Folge innerer Ent-
wickelungen gewesen, theils aus dem Contact mit dem Orient in
Palästina, Konstantinopel und Spanien entstanden ist^. Hier ist vor
Allem die nun erst gewonnene Bekanntschaft mit dem wahren
Aristoteles, dem Logiker, dem Physiker, dem Ethiker und Poli-
tiker, von der höchsten Bedeutung geworden. Seine Philosophie, als
Dogmatismus verstanden ^, wurde wie ein Evangelium oder doch wie
die nothwendige Vorstufe desselben begrüsst („praecursor Christi in
naturalibus"), und durch ihn empfing die Wissenschaft des 13. Jahr-
hunderts einen fast unermesslichen Stoff und vor Allem Antriebe zur
Bewältigung des Stoffes.
* Ueber den Eintritt des Minoritenordens in die wissenschaftliche Bewegung
8. Werner, Duns Scotus S. 4ff.
^ Vgl. das 6. — 8. Buch der Geschichte der Aufklärung von Reuter, im Be-
sonderen die Abschnitte über die Averrhoistische Aufklärung sowie über die Bedeu-
tung der arabischen und jüdischen Zwischenträger, ferner über die Einwirkung der
Naturwissenschaften und über die Universität Paris im 13. Jahrhundert. Die Araber
Avicenna (flGBT) und Averrhoes (f 1198), jener supranaturalistisch, dieser panthei-
stisch gerichtet, waren die bedeutendsten Commentatoren des Aristoteles, deren
Werke durch die Vermittelung der spanischen Juden dem Abendland bekanntwur-
den. Aber durch Averrhoes, der eine grosse Anziehungskraft ausübte, wurde Aristo-
teles zunächst discreditirt, so dass mehrere kirchliche Verbote gegen ihn ergingen.
Allein bald erkannte man, dass Aristoteles in Wahrheit dem Pantheismus keinen
Vorschub leiste, sondern ihn widerlege. Averrhoes und Scotus Erigena galten nun
als die eigentlichen Feinde des kirchlichen Dogmas. Ueberhaupt wurde der natu-
ralistische Pantheismus nun vor Allem verfolgt und im Gegensatz zu ihm entnahm
mau dem Aristotelismus die supranaturalistischen Elemente und gab diesem Aristo-
telismus den weitesten Spielraum (s. Schwane, Dogmengesch. des Mittelalters
S. 33 £f.). Unter den jüdischen Gelehrten ist es namentlich Maimonides gewesen,
der auf die Scholastiker des 13. Jahrhunderts eingewirkt hat. Thomas verdankt
ihm sehr viel und hat ihn theilweise ausgeschrieben (s. Merx, Prophetie des Joel
1879). Dadurch ist das juristisch - casuistische Element der Scholastik noch ver-
stärkt und es sind pharisäisch-talmudistische Theolognmena in die mittelalterliche
Theologie eingeschleppt worden, die ihrerseits wiederum theilweise bis in die
persische Zeit des Judenthums zurückführen. Doch ist auch neuplatonisches und
aristotelisches Material den Scholastikern aus den Uebersetzungen der Juden zu-
geflossen, w^elche die arabischen Versionen der griechischen philosophischen Schriften
ins Lateinische übertrugen; s. Barden hewer, Die Schrift de causis 1882.
' In dem Sinne, in welchem Kant den Dogmatismus aufgedeckt und wider-
legt hat. Nur Roger Baco strebte im 13. Jahrhundert aus diesen Fesseln kräftig
heraus; s. Reuter II S. 67 fl*.
Aristoteles. Der gomildertcre Realismus. 421
Die beiden neuen Grossmäclite des Zeitalters, die Bettelorden
und Aristoteles, haben sich ihren Platz erst erkämpfen müssen. Die
alten Orden und die mit ihnen verbündeten Lehrer und Unversitäten
waren ihnen Anfangs feindlich gesinnt. Man wehrte sich gegen beide.
Der neue Aristoteles wurde sogar durch kirchliche Verbote betroffen,
und den Bettelordentheologen wollte man den Zugang zu den Ka-
thedern versagen. Auch gab es noch immer Solche, bei denen die
Angriffe auf die wissenschaftlich-dialektische Theologie überhaupt,
wie sie von Johann von Salisbury und Walter von St. Victor aus-
gegangen waren, nachwirkten ^ Aber mit einer unwiderstehlichen Ge-
walt setzte sich der neue Aufschwung durch und brachte das Wider-
strebende zum Schweigen.
Allein dies war doch nur möglich, weil die neuen Factoren in
Wahrheit nichts Neues heraufführten, sondern den Triumph der
Kirche über alles Geistige zum Abschluss brachten. Der neue
Aristoteles, wie man ihn verstand, lehrte die Erkenntnisstheorie,
Metaphysik und Politik, welche eine sichere Begründung des Dogmas
gegenüber den Gegensätzen, wie sie früher — z. B. in Wilhelm von
Champeaux und Roscellin — hervorgetreten waren, \ erstattete und
die Gefahren eines excentrischen Realismus ebenso abwehrte, wie die
einer empirischen Betrachtungsweise. Darf man, ja muss man die
Universalien einerseits als die den Kosmos der Ideen im Gedanken
Gottes ausprägenden Urbilder auffassen, so bestehen sie ante rem ;
muss man sie andererseits (Kategorien und Formen) als lediglich
in den Dingen verwirklicht ansehen , so sind sie in re *, ist es end-
lich unleugbar, dass nur die Anschauung der Dinge sie gewinnt, dass
also der Intellect sie der Erfahrung entnimmt, so sind sie post rem.
Hierdurch war es möglich, an jedes Dogma die erkenntnisstheoretische
Betrachtungsweise heran zu bringen, die zur Vertheidigung desselben
als die geeignetste schien. Der „gemilderte" Beahsmus, der die ver-
schiedensten Formen annehmen konnte und den schon Abälard, frei-
lich mehr im Sinne skeptischer Zurückhaltung als zum Zweck specu-
lativer Constructionen, vertreten hatte, wurde im 13. Jahrhundert
herrschend. Das Wichtigste aber war, dass die grossen Theologen, die
ihn ausbildeten, mit noch grösserer Energie als ihre Vorgänger ihr
ganzes Gedankengebäude dem Principe unterwarfen, alle Dinge
durch die Zurückführung auf Gott zu verstehen.
Die Zurückführung auf Gott war aber gleichbedeutend
mit der Unterwerfung aller Erkenntnisse unter die Auto-
' Vgl. /. h. für die Zeit um 1250 die Chronik Salimbene's und Michael,
a. a. 0. S. 39 f.
422 Geschichte tles Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
rität der Kirche. Dieselbe Wissenschaft, welche eine erstaunliche
Energie des Denkens an den Tag gelegt und durch Gelehrte, wie Tho-
mas, in den ethischen und politischen Wissenschaften wirklich bedeu-
tende Fortschritte über das Alterthum hinaus gemacht hat, erscheint
in mancher Hinsicht noch gebundener als die AVissenschaft des 11. und
12. Jahrhunderts; denn nicht nur das alteDogma („articuhfidei"),
sondern das gesammte Gebiet des kirchlichen Handelns,
dessen Principien auf die articuli fidei zurückgeführt werden, ist für
sie schlechthin Autorität, und sie verfährt viel unbefangener
als früher nach dem Grundsatz, dass in Einzelfragen jede
Autorität soviel wiegt wie eine verständige Ueberlegung.
Erst im 13. Jahrhundert — durch die Bettelordentheologen —
ist der gesammte Bestand des Kirchenthums theologisch gerechtfertigt
und sind die jüngsten und bedenklichsten Theile desselben ebenso wie
die ältesten und wichtigsten durch die „AVissenschaft" für unantastbar
erklärt worden; erst im 13. Jahrhundert hat sich jene vollkommene
Ineinanderschiebung von Autoritätsglauben und Wissenschaft ein-
gestellt, die auf einer und derselben Fläche bald mit dem „credo", bald
mit dem „inteUigo" operirt — bei Anselm z. B. findet sie sich so noch
nicht. Zwar wird in thesi festgehalten, dass die Theologie, auf der
Offenbarung ruhend, eine (speculative) Wissenschaft sei K Allein man
hält es nicht für geboten, auch nicht für möghch, auf dem Grunde des
Glaubens ein rein rationales Gebäude aufzurichten, sondern man wechselt
zwischen auctoritas und ratio : sie gelten als Parallelen, mit denen man
operirt. Der Zweck bleibt freilich die Erkenntniss, die in der visio dei
gipfelt; aber man ist nun nicht mehr Willens, beim Fortschreiten der
Erkenntniss das Element des Glaubens (der Autorität) immer mehr zu
ehminiren, um zuletzt das reine Erkennen zu behalten, sondern auf allen
^ S. die erste Quaestio in der Pars I der Summa des Thomas; Art. I: „utrum
sit uecessarium praeter philosophicas disciplinas aliam doctrinam haberi.'' Art. II:
„Utrum Sacra doctrina sit scientia." Antwort: „sacram doctrinam esse scientiam.
Sed sciendum est quod duplex est scientiarum genus. Quaedam enim sunt, quae
procedunt ex principiis notis lumine naturali intellectus sicut Arithmetica; quae-
dam vero sunt quae procedunt ex principiis notis lumine superioris scientiae, sicut
Perspectiva procedit ex principiis notificatis per Geometriam ... Et hoc modo sacra
doctrina est scientia, quia procedit ex principiis notis lumine superioris scientiae,
quae seil, est scientia dei et beatorum, Unde sicut Musicus credit principia revelata
sibi ab Arithmetico, ita doctrina sacra credit principia revelata sibi a deo." Art. III:
„Utrum sacra doctrina sit una scientia?" Conclusio: „Cum omnia considerata in
sacra doctrina sub una formali ratione divinae revelationis considerentur, eam
unam scientiam esse sentiendum est." Artic. IV: „Utrum s. doctrina sit scientia
practica?" Conclusio: „Tametsi s. theologia altioris ordinis sit practica et specula-
tiva, eminenter utramque contineus, speculativa tarnen magis est quam practica." etc.
Die Wissenschaft i. 13. Jahrh. reicher aber gebundener. 423
Stufen ist das Element der Autorität bereclitigt und nothwendig. Ja
man ist nun überzeugt, dass es zwei Gebiete giebt, das der natürlichen
Theologie und das der specifischen (geoffenbarten). Beide werden aller-
dings in innigster Harmonie gedacht ^ aber die Ueberzeugung ist doch
gewonnen, dass es Erkenntnisse — und zwar die allerwichtigsten —
giebt, die lediglich der geoffenbarten Theologie angehören und mit der
natürlichen wohl vermittelt, nicht aber mit ihr identificirt werden können.
Auch die natürliche Theologie soll sich der geoffenbarten unterordnen;
denn die Theologie hat ihr Fundament an der Offenbarung. In Wahr-
heit wechselt aber der Dogmatiker zwischen Vernunft und Offenbarung,
und der Stil seines Gebäudes richtet sich nach jener; denn der Inhalt
der Offenbarung wird im Einzelnen nicht nur aus dem Erlösungsgedan-
ken gewonnen — so sehr derselbe als visio dei das Ziel ist — , sondern
stellt sich auch in tausend losen Stücken dar, die nichts Anderes sind
als verschiedenartige Fragmente eines wirklichen oder vermeintlichen
Welterkennens. Eben jene Fassung des Ziels der Erlösung als visio
dei brachte es mit sich, dass die Vorstellung von dem Inhalt der Offen-
barung sich in eine unübersehbare Eeihe von Erkenntnissen aufzu-
lösen drohte und trotz des festgehaltenen Titels den Charakter eines
natürlichen Wissens übernatürlicher Dinge erhielt. Demgemäss stellte
sich nun auch die Vorstellung von articuH mixti ein, d. h. von solchen
Erkenntnissen, die sowohl auf natürlichem Wege als durch die Offen-
barung — hier nur in vollkommenerer Weise — gegeben sind. Was
bereits bei Tertullian als die Eigenart der abendländischen Theologie an-
gelegt erscheint (s. Cap. 1), das ist nun zu vollendeter Blüthe gekommen.
Durch den neuentdeckten Aristoteles gewannen die Gelehrten den
Muth, von der Zusammenstellung blosser ^Sentenzen" zur Aufrichtung
ganzer Lehrgebäude vorzuschreiten. Auch mag hier die imponirende Ge-
stalt der Kirche in ihrer einheitlichen Machtentfaltung mitgewirkt haben;
denn die Scholastik des 13. Jahrhunderts bietet auf dem Gebiete des
Erkennens dasselbe Schauspiel, wie die Kirche, der sie dient, auf den
Gebieten des gesammten mensclilichen Lebens. Hier wie dort soll
Alles unterworfen werden; hier wie dort ist Alles in ein einheithches
System gestellt, hier wie dort gilt der Satz, ausgesprochen oder ver-
schwiegen, dass die Kirche Christus ist und Christus die Kirche. So
kann man die theologische Wissenschaft des 13. Jahrhunderts charak-
terisiren als die dialektisch-systematische Bearbeitung des
kirchlichen Dogmas und des kirchlichen Handelns zu dem
Zweck, dasselbe zu einem alles im höchsten Sinn Wissens-
würdige umspannenden, einheitlichen System zu entfalten,
es zu beweisen und so alle Kräfte des Verstandes und den
424 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum IH. Jahrh.
gesammten Ertrag der Wissenschaft der Kirche dienstbar
zu machen. Mit diesem Zweck aber ist der andere, dass der Theologe
auf diesem Wege die visio (fruitio) dei erreiche, aufs engste ver-
bunden, ja sie liegen i neinander; denn alle Erkenntniss der
kirchlichen Lehre und des kirchlichen Handelns ist Gottes-
erkenntnis s — so lehrte die Kirche von sich selber. Ist nun die
stufenmässige Gotteserkenntniss das einzige Mittel für den Einzelnen,
zur Sehgkeit (visio dei) zu gelangen, so füllt der objective Zweck mit
dem subjectiven in der Theologie einfach zusammen : man dient der
Kirche, indem man sich selber dient und umgekehrt. Die grossen Scho-
lastiker fühlten sich keineswegs als Sklavenarbeiter, die nothgedrungen
für ihren Herrn sich abmühen. Deutlich schwebte ihnen sogar nur das
Ziel vor, sich selbst in der Gotteserkenntniss zu fördern ; aber als treue
Söhne in der Kirche stehend, der alle Gewalt im Himmel und auf Erden
gegeben ist, mussten ihre Speculationen — mit mehr oder weniger Ab-
sichtlichkeit — dazu dienen, die Macht der Kirche zu verherrlichen
und all' ihr Thun zu apotheosiren. Dennoch, wie viele Erkenntnisse
haben sie gewonnen, deren Wahrheit ganz unabhängig ist von der Wahr-
heit der kirchlichen Theorie und Praxis, wie notliwendig und fördersam
ist auch diese Epoche in der allgemeinen Geschichte der Wissenschaft
und der Theologie gewesen, und wie viel Keime haben die grossen Scho-
lastiker ausgestreut, von deren Entwickelung sie sich selbst nichts haben
träumen lassen! Noch ist in der Welt keine Wissenschaft je unfruchtbar
gewesen, die in wahrhaftiger Hingebung Gott gedient hat. Zum Hemm-
niss ist die Theologie immer erst geworden, wenn sie den Glauben an
sich selber verlor oder unsicher wurde. Wir werden sehen, dass sich das
auch in der mittelalterlichen Theologie bewahrheitet hat.
Denn Alles, was wir bisher ausgeführt haben, gilt nur von der vor-
scotistischen Scholastik; es gilt vor Allem von Thomas. Er hat auch
auf die Folgezeit nachhaltig eingewirkt und wii'kt noch bis heute fort.
Seine Vorgänger und Zeitgenossen sind in ihm untergegangen. Die
thomistische Wissenschaft, wie sie vor Allem in der „Summa" nieder-
gelegt ist, ist durch Folgendes charakterisirt : 1) durch die üeber-
zeugung, dass Religion und Theologie wesentlich speculativer (nicht
praktischer) Art sind, dass sie also geistig vermittelt und angeeignet
werden müssen, dass es möghch ist, sie sich so anzueignen, und dass
schliesslich kein Widerstreit entstehen kann z^vischen Vernunft und
Offenbarung, 2) durch strenges Festhalten an dem Augustinismus,
speciell an der augustinischen Lehre von Gott, der Prädestination, der
Sünde und der Gnade \ 3) durch eine tiefeindringende Kenntniss des
* Als Augustiner erweist sich Thomas auch durch seine Würdigung der hl.
J
Wesen der Scholastik auf ihrem Höhepunkt. Thomas. 425
Aristoteles und durch eine umfangreiche und energische Anwendung
der aristotehschen Philosophie, soweit der Augustinismus eine solche
irgend gestattet (beim Gottesbegriff wird der areopagitisch-augustinische
nur leise limitirt), 4) durch eine kühne Rechtfertigung der höchsten
kirchlichen Ansprüche vermöge einer genialen Theorie vom Staate und
einer wunderbar aufmerksamen Beobachtung der empirischen Tendenzen
des päpstlichen Kirchen- und Sacramentssystems. Der Politiker Aristo-
teles und der Theologe Augustin, zwei Feinde, haben in Thomas einen
Bund geschlossen — das ist die weltgeschichtliche Bedeutung des
Thomas. Er ist, weil Theologe und Augustiner, noch immer ein
absoluter Denker voll Zuversicht — und doch darf nicht verschwiegen
werden, dass sich schon bei ihm die Keime zur Zerstörung der absolu-
ten Theologie angedeutet finden. Wenn auch verborgen, so hat sich
doch bei ihm bereits Arbiträres und Relatives eingestellt. Er will noch
Alles in den festen und sicheren Kategorien der Majestät der Alles
durchwaltenden Gottheit zum Ausdruck bringen und die strenge Noth-
wendigkeit aller theologischen Aussagen nachweisen : die christliche
Religion wird geglaubt und aus Principien bewiesen ; allein an nicht
wenigen Punkten versagte die Kraft doch, und der Denker musste sich
auf die Autorität, welche das Probable stützt, zurückziehen, wenn er
auch für das Ganze den Eindruck des absolut Giltigen aufrechtzu-
erhalten verstand \
Schrift. Nur die hl. Schrift ist ihm absolut sichere Offenbarung ge-
wesen. Alle übrigen Autoritäten galten ihm nur als relative. Sehr viele Stellen
lassen sich aus Thomas beibringen zum Zeugniss, dass das „Formalprincip der
Reformation" an dem grossen Scholastiker einen Vertreter besessen hat.
^ Anselm beweist z. Th. die articuli fidei, Thomas lehnt das (Pars I Quaest. I
Art. 8) im Princip ab •, allein die ratio fusst auf den articuli fidei, um Anderes zu be-
weisen. Wir werden sehen, wie im Fortschritt der Entwickelung die Scholastik der
ratio in göttlichen Dingen immer weniger zutraut. — Eine kurze Beschreibung der
„Summa" mag hier am Platze sein (s. Portmann, Das System der theol. Summe
des hl. Thomas, Luzern 1885). Der 1. Thcü (119 Quaest.) handelt von Gott und
dem Ausgang der Dinge aus Gott, der 2. Theil (1. Abth.) von der allgemeinen
Moral (114 Quaest.), der 2. Theil (2. Abth.) von der speciellcn Moral (189 Quaest.)
ui»ter dem Gesichtspunkt der Rückkehr der vernünftigen Creatur zu Gott, der
3. Theil von Christus und den Sacramenten (90 Quaest.). Als Supplementum hat
man aus dem Commentar zum Lombarden den Schluss der Sacramentslehre und
die Eschatologie ergänzt (102 Quaest.). J(;de Quaestio enthält eine Anzahl von
articuli, und Jeder articulus ist in drei Theile zerlegt. Zuerst werden die difficul-
tates angeführt, welche die gestellte Frage zu verneinen scheinen, dann die Autori-
täten (eine oder mehrere, unter ihnen hie und da auch Aristoteles), dann folgt die
Hpeculative, principielle Erörterung und nun die Lösung der einzelnen Schwierig-
keiten (die corichisionoH sind nicht von Thomas selbst foniiulirt, sondern von seinen
Comracntatoreu). Der Aufriss entspricht dem paulinisch-augustinischen Gedanken:
426 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zuip 16. Jahrh.
Aber war der Kirche mit der strengen Nothwendigkeit überhaupt
gedient? Musste es ihr nicht vielmeln- willkommen sein, wenn der Ver-
„von Gott zu Gott". Die Eiuleitung (quaest. 1) umfasst die Fragen nach der Theolo-
gie als Wissenschaft, über das Subject (Objcct) der Theologie — Gott und alles
Andere sub rationo dei , über die Metlioden (auctoritas und ratio, die Theologie
als doctrina urgumentativa, sed „haec doetrina non argunientatur ad sua principia
probanda, quae sunt articuli fidei, sed ex eis procedit ad aliquid aliud proban-
dum . . . nam licet locus ab auctoritate quae fundatur super ratione humana sit in-
firniissinius, locus tarnen ab auctoritate quae fundatur super revelatione divina est
efHcacissinuis. Utitur tanien sacra doctrina etiani ratione humana, non quidem ad
probandam fidam (q u i a per hoc t o 1 1 e r e t u r m e r i t u m f i d e i), sed ad maui-
festandum aliqua alia, quae traduntur in liac doctrina. (Jum enim gratia non tollat
uaturam, sed perficiat, oportet quod naturalis ratio subserviat fidei, sicut et natu-
ralis inclinatio voluutatis obsequitur caritati . . . Sacra doctrina utitur philosopho-
rum auctoritatibus quasi extraneis argumentis et probabilibus, auctoritatibus autem
canonicae scripturae utitur proprie et ex necessitate arguendo, auctoritatibus autem
aliorum doctorum ecclesiae quasi argumentando ex propriis sed probabiliter. Inni-
titur enim fides nostra revelationi apostolis et prophetis factae, qui
canonicos libros scripserunt, non autem revelationi, si qua fuit aliis
doctoribus facta"), über die Auslegung der hl. Schrift u. s. \v. Quaest. 2 — 27 des
1 . Theils handeln von Gottes Existenz (fünf Gottesbeweise), dem Wesen Gottes (pri-
mum movens, cns a se, perfectissimum, actus purus), den Eigenschaften, der Ein-
heit und Einzigkeit, der Erkennbarkeit, den Namen Gottes, ferner von der inneren
Lebensthätigkeit in Gott (von seinem Erkennen, seiner Ideenwelt, seinem Verhält-
niss zur Wahrheit, seinem Leben, seinem Willen, den Ausprägungen seines Willens,
der Vorsehung und Prädestination), endlich von der äusseren Thätigkeit Gottes
oder der göttlichen Allmacht und von der göttlichen Seligkeit. Sodann folgt in
Q. 27 — 44 die Untersuchung de processione divinarum personarum (Trinität),
endlich Q. 44 — 119 die Schöpfimgslehre und zwar 1) die Erschaffung der Dinge
(Schöpfung aus Nichts, Zeitlichkeit der Welt), 2) die Gliederung der Schöpfung
(Engellehre, Lehre von der Körperwelt, Lehre vom Menschen, hier genaue Unter-
suchungen über die Substanz der Seele, über die Verbindung von Leib imd Seele,
über die Seelenvermögen, über die menschliche Erkenntniss ; sodann über die Er-
schaffung des Menschen, die Gottebenbildlichkeit, das Paradies und den Urständ),
3) die Lehre von der göttlichen Weltregierung (über die Engel als Mittel der Vor-
sehung u. s. w,). — Der IL Theil 1. Abth. ist ganz auf der aristotelischen Ethik ge-
gründet. Er beginnt mit einer Einleitung über das Ziel des Menschen (das bonum
= beatitudo = deus ipse = visio dei), sodann wird von der Freiheit, dem Wesen
der freien Willensacte, der Gutheit und Schlechtheit der AVillensacte (zur Gutbeit
gehört die Vemünftigkeit des Willensactes) und von dem V^erdieust und der Schuld
gehandelt (Q. 6 — 21). Daran reihen sich Untersuchungen über das menschliche
Triebleben (passiones), das genau analysirt wird (Q. 22— 48). Nun erst folgt die
Darlegung der Principien des sittlichen Handelns, des „habitus"* oder der Quali-
täten der Seele. Nach einer Einleitung (Q. 49 sq.) wird die Tugendlehre auseinander-
gesetzt (eingetheilt nach dem Object in intellectuelle, moralische und theologische
Tugenden), die Ursache der Tugenden, die Eigenthümlichkeiten derselben (die Tu-
gend als das Masshalten oder die „Mitte'' zwischen zwei Excessen) und der Höhe-
punkt der Tugenden in den Gaben des hl. Geistes (die acht beatitudiues und die
Die Summe des Thomas. 427
stand seine Unfähigkeit einsah, den Feststellungen der Autorität nach-
zukommen, und desshalb die Segel strich. Man wird diese Frage zwar
Früchte des Geistes). Hierauf folgt die Lehre vom Wesen der Sünde (vernunft-
und naturwidrig), der Eintheilung der Sünden, dem Verhältniss der Sünden zu ein-
ander, dem Subject (der Wille), den Ursachen (inneren und äusseren) der Sünde,
der Erbsünde und den Wirkungen derselben (die Verschlechterung der Natur, die
Verfinsterung = macula, der reatus poenae, Todsünden und lässliche Sünden). Dies
Alles gehört zu den inneren Principien des sittlichen Handelns. Den Beschluss
dieses Theils bildet die Erörterung der äusseren Principien, nämlich des Gesetzes
und der Gnade. Das „Gesetz" wird nach allen Seiten erörtert, als ewiges Gesetz
(das ist das Gesetz, nach welchem Gott selbst handelt und dessen Abstrahlungen
alle für dieCreaturen giltigen Gesetze sind), als Naturgesetz, als menschliches Gesetz,
als alttestamentliches, als neutestamentliches Gesetz und als Gesetz der „Räthe" zu
besonderer Vollkommenheit. Das neutestamentliche Gesetz ist aber, da es im Grunde
ein inneres, durch die Gnade eingegossenes ist, das Gesetz der Gnade, und somit ist
der Uebergang zu dem zweiten äusseren Princip der sittlichen Handlungen ge-
wonnen — zur Gnade, welche den Menschen zum Guten unterstützt. Die Gnade
ist das äussere Princip des übernatürlich Guten; sie ist auf intellectuellem Ge-
biet nicht nothwendig zur Erkenntniss der natürlichen Wahrheiten, wohl aber zur
Erkenntniss der übernatürlichen Wahrheiten; ebenso ist sie nöthig, um das über-
natürlich Gute thun zu können. Hier wird scharf gegen den Pelagianismus polemi-
sirt : der Mensch kann sich auch nicht durch natürlich gute Acte auf die Gnade
genügend vorbereiten; er kann sich weder selbst bekehren, noch je selbständig
im Guten beharren. Eine Untersuchung über das Wesen, die Eintheilung, die Ur-
sachen und die Wirkungen der Gnade (Rechtfertigungslehre, Lehre von der Ver-
dienstlichkeit der guten Werke) bildet den Beschluss. — Der IL Theil 2. Abthei-
lung enthält nun die specielle Ethik, nämlich erstlich die genaue Darlegung der
theologischen Tugenden (Glaube, Hoffnung und Liebe), die Gebote dieser Tugenden
und die Sünden wider dieselben, sodann die Erörterung der Cardinal tugenden Klug-
heit, Gerechtigkeit (hier ist Q. 57 — 123 die ausführlichste Darlegung gegeben, sofern
auch die ganze Religiosität unter diesen Titel gestellt ist), Muth und Massigkeit,
endlich die Erörterung der besonderen Tugenden, d. h. der Gnadengaben und
Standespflichten (Q. 171 — 189). Unter diesem Titel werden a) die Charismen, b) die
Ijciden Lebensformen (das beschauliche und das thätige Leben), c) die Stände der
Vollkommenheit (nämlich der Stand der Bischöfe als der Virtuosen der Nächsten-
liebe und der Stand der Mönche mit besonderer Berücksichtigung der Bettelmönche)
besprochen. — Der JH. Theil soll nun nachweisen, durch welcheVeranstaltung und
Mittel die Rückkehr der vernünftigen Crcatur zu Gott auf dem Wege des Glaubens,
der Hoffnung und der Liebe möglich geworden ist, nämlich durch Christus und die
Sacramente. Hieran soll sich die Eschatologie schliessen. Daher wird hier 1) ge-
handelt von Christus und zwar von seiner Menschwerdung und seinen Naturen.
Nach einer Erörterung der Nothwendigkeit der Menschwerdung (um der Sünde
willen, und da eine satisfactio de condigno erforderlich war) zur Wegschaffung der
Erbsünde wird die personale Einheit, die göttliche Person Christi und die mensch-
liche Natur desselben dargelegt (wobei Q. 8 auf die Kirche als auf den mystischen
Leib Christi hingewiesen und der Gedanke „Christus" das Haupt der Menschheit
stark betont wird); sodann werden die Consefpienzen der personalen Union (Idi-
omencommunication) und alle Verhältnissbcziehungen des Gottmenschen auseiuan-
428 (iescliichtt'. ilcs Dogiiuis im Zeilalter derÜettelonlen bin zum 1«>. Jalirh.
nicht unbodingt bejahen, aber noch viel weniger verneinen dürfen. Die
Kirche, wie sie damals schon war und wie sie heute noch ist, braucht
Beides; sie kann es nicht entbehren, dass man ihre articuli fidei und
IVaktiken auch beweist und die Vernunft derselben ans Licht stellt,
aber sie kann es noch viel weniger entbehren, dass man sich ihrer Au-
toi'ität blindlings unterwirft.
In dieser Beziehung hat Thomas offenkundig noch zu wenig gethan.
Die Verliältnissbestimmung von ratio und auctoritas ist freilich bei ihm
ganz besonders verworren, die Ansprüche des Glaubens (als Autoritäts-
glauben) und des Wissens sind schlechterdings nicht geklärt oder gar
ausgeglichen, und er hat nicht wenige Sätze ausgesprochen, in denen er
sich der Autorität völlig unterwirft, damit dem „Glauben" sein „Ver-
dienstliches" nicht abhanden komme (s. den oben citirten Satz: „Utitur
tamen sacra doctrina etiam ratione humana, non quidem ad probandam
tidem, quia per hoc tolleretur meritum fidei"). Allein sein eigentliches
Interesse an der Theologie ist doch noch dasselbe wie das Augustinus.
Die Theologie ist Gotteserkenntniss im strengen Sinne, die Noth-
wendigkeit, die in Gott hervorgehoben wird, soll auch die ganze Er-
kenntniss von ihm durchdringen. Die articuli fidei und alle Ergebnisse
des Welterkennens sollen in die Einheit dieser die Seele wahrhaft be-
freienden und zu Gott zurückführenden Erkenntniss eingeschmolzen
werden. Im letzten Grunde ist das grandiose und complicirte System
doch höchst einfach. Wie der vollkommene gothische Dom, weil ein in
Wahrheit organischer Stil in ihm ausgeprägt ist, einen einzigen archi-
tektonischen Gedanken ausdrückt und ihm Alles unterwirft, auch alle
praktischen Bedürfnisse des Kultus ihm dienstbar macht, ebenso kündet
dergesetzt. Hierauf folgt 2) ein Abschnitt über das Werk Christi, der aber fast gar
keine Speculation enthält, sondern die Geschichte Christi von seinem Eintritt in
die Welt au erbaulich erläutert (Q. 27 — 31 die Lehre von der Maria). Bei dem
Leiden und Tod Christi tritt der Gesichtspunkt des „conveniens" im Unterschied
von dem „necessarium" stark hervor. Unmittelbar an das Werk Christi wird die
Sacramentslehre (Q. 60 sq.) angeschlossen; denn die Erlösung wird den Einzelneu
nur durch die Sacramente zu Theil, die von Christus ihre Wirksamkeit haben und
durch die die Menschen in Christus incorporirt werden. Die Darlegung beginnt mit
der allgemeinen Sacramentslehre (Wesen, Nothwendigkeit, Wirkung, Ursache, Zahl,
Zusammenhang) ; dann folgt die Erörterung der Taufe, Firmelung, Eucharistie und
Busse. Hier hat Thomas die Feder niederlegen müssen. Es war ihm nicht vergönnt,
seine „Summe" zu Ende zu führen. Das Fehlende ist, wie bemerkt, aus seineu übri-
gen Werken später ergänzt worden ; dieses Supplement aber lässt die Straffheit
der von ihm selbst in der Summe gegebenen Ausfühnmgen etwas vermissen, da es
wesentlich aus Bemerkungen und Einzehmtersuchungen zum Text des Lombarden
geflossen ist. Schliesslich sei bemerkt, dass in der Summe Wiederholungen nicht
nur nicht vermieden sind, sondern in ungemessener AVeise begegnen.
Thomas. Duns Scotus. 429
dieser Gedankenbau, obgleich alle kirchlichen Lehren unterwürfig und
treu berücksichtigt sind, doch von dem einen Gedanken, dass die Seele
von Gott ausgegangen ist und zu ihm durch Christus zurückkehrt, und
selbst die augustinisch-areopagitische Wendung dieses Gedankens, dass
Gott Alles in Allem ist, ist von Thomas nicht verleugnet.
Aber diese Haltung ist gefährlich. Aus ihr wird sich immer wieder
die „Aftermystik", wie die Katholiken sie nennen, entwickeln, in der
das Subject seine eigenen Wege zu gehen trachtet und die voll-
kommene Abhängigkeit von der Kirche vermeidet. Doch der Gang der
wissenschaftlichen Entwickelung ist der Kirche zu Hülfe gekommen,
und fast kann man sagen, dass sie auch hier Feigen von den Dornen
eingesammelt hat. Das hingebende Studium des Aristoteles und der
durch die Philosophie und die Beobachtung geschärfte Sinn lähmten
die Zuversicht der Theologen in Bezug auf die Bationabilität und
strenge Nothwendigkeit der geoffenbarten Glaubensartikel. Sie be-
gannen darauf zu verzichten, sie mit der Vernunft zu bearbeiten und
sie als Glieder eines Systems einem einheitlichen Gedanken unter-
zuordnen. Ihr wissenschaftlicher Sinn war erstarkt, und indem sie sich
nun den geoffenbarten Sätzen zuwandten, fanden sie in denselben nicht
Nothwendigkeit, sondern Willkür. Ferner, je weiter sie in der Psycho-
logie und Weltwissenschaft kamen und lernten, was wirkliche Erkennt-
nisse sind, um so skeptischer wurden sie gegen das „Allgemeine":
„latet dolus in generalibus". Sie fingen an, das innere Interesse für
dasselbe und den Glauben an dasselbe einzubüssen. Die „Idee", welche
„Substanz" sein soll, und die „Nothwendigkeit" der Allgemeinheiten ver-
schwand ihnen; sie verloren die Zuversicht zu jenem Wissen, das Alles
weiss. Das Einzelne in seiner concreten Ausprägung gewann für sie
Interesse : der Wille regiert die Welt, der Wille Gottes und der Wille
der Einzelnen, nicht eine unfassHche Substanz oder ein construirter
Universalintellect. Diesen ungeheuren Umschwung bezeichnet in der
mittelalterlichen Wissenschaft Duns Scotus, der scharfsinnigste
scholastische Denker*, aber erst seit Occam ist er vollendet.
* H. Baur, a. a. 0. II 8.235: „Die durchgängige Rationabilität des kh'clilichen
Glaubens oder die Ueberzeugung, dass sich für alle Lehren des kirchlichen Systems
irgend welche rationes auffinden lassen, durch die sie auch für die denkende Ver-
nunft festgestellt werden, war die; (Trundvoraussetzung der Scholastik. Aber in
dieser Voraussetzung wurde die Scholastik, nachdem sie in Thomas und Bonaventura
ihren Culminationspunkt erreicht hatte, selbst wieder irre. Diesen für die Geschichte
der Scholastik sehr bedeutenden Wendepunkt, von welchem aus sie immer mehr in
sieh zu zerfallen begann, bezeichnet Duns Scotus." (Ti(i)ire von der doppelten Wahr-
heit als Folge des Sündenfalls!). Nebc-n und nach Duns Scotus ist es namentlich der
doctor resolutissimus Durandus gewesen, der, zuerst Thomist, zum Noniinalismus
430 Oeacliichte des Dopfmas im Zeitalter der Bettelorden ])i8 zum 16. J ahrh.
Man sollte erwarten , dass die Folge dieses Umschwungs entweder
der Protest gegen die Kirchenlehre oder der Versuch, sie auf ihre
Grundlagen zu prüfen und kritisch umzugestalten, gewesen wäre. Allein
es hat 200 Jahre gedauert, bis diese Folgen im Socinianismus einer-
seits, in der reformatorischen Theologie andererseits eintraten. Zu-
nächst geschah etwas ganz Anderes: man steigerte die Autorität
der Kirche und schob, sich ihr völlig unterwerfend, ihr die
Verantwortung der Glaubensartikel und der Principieu
ihre s Handelns zu ^ Was ehist die ratio im Bunde mit der auctoritas
getragen hatte, sollte jetzt die letztere allein tragen. Aber man em-
])fand diese Verschiebung keineswegs als einen Act der Verzweiflung,
sondern als einen selbstverständlichen Act des Gehorsams gegenüber
der Kirche, so vollkommen beherrschte dieselbe, mochte sie auch in
der Gegenwart im Staube liegen, die Gemüther.
Indem der Nominalismus die Herrschaft in der Theologie und in
der Kirche gewann, war der Boden für die dreifaltige Entwickelung der
Lehre in der Zukunft gewonnen : der nachtridentinische Katholicismus,
der Protestantismus und der Socinianismus sind von hier aus zu ver-
stehen 2.
Der Nominalismus zeigt einerseits eine Reihe bedeutender Vor-
züge : es ist ihm aufgegangen, dass die Religion etwas Anderes ist als
die Erkenntniss und Philosophie; es ist ihm ferner die Bedeutung des
Concreten gegenüber den Hohlheiten der Abstractionen aufgegangen,
übergegangen ist und die Denkweise desselben eingebürgert hat (s. seinen Com-
mentar zum Lombarden). Er wirkte im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts, s. über
ihn Werner im 2. Bd. der „Scholastik des späteren Mittelalters".
^ Auch an der Sufficienz der Bibel hat Duns (gegen Thomas) gezweifelt.
^ Der Nominalismus hat sich erst nach einem harten Kampf in der Kirche
durchgefochten. Seit den Tagen Roscellin's galt er als verdächtig, und das Ein-
treten Occam's für ihn konnte nicht günstig sein (Occam's Schriften 1339 von der
Pariser Universität verboten). Allein seit der Mitte des 14. Jahrhunderts setzte er
sich durch, und selbst Dominicaner — obgleich der Streit der Thomisten und
Scotisten fortdauerte — traten für ihn ein. Ja, als Wiclif und andere Reformer
(Augustiner) sich wiederum des Realismus annahmen, wandte sich das Blatt. Der
Realismus wurde nun seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts kirchlich verdächtig
(des Spiritualismus, des Determinismus und der iutellectualistischen Mystik wegen,
die das Kirchenthum zu gefährden schienen). Die wichtigsten Vertreter der nach-
scotistischen Scholastik sind Petrus Aureolus, Johann von Baconthorp, Durandus
und Occam. Ueber die „theologische Denkauffassung und den allgemeinen Denk-
habitus" dieser Gelehrten s. Werner, Nachscotist. Scholastik S. 21 ff. Ueber die
durch Capreolus geübte thomistische Censur an der nachscotistischen Scholastik
8. ebendort S. 438 ff. Dass der Nominahsmus trotz seines dogmatischen Probabilis-
mus das Dogma wenigstens Anfangs nicht erweicht hat, dafür bietet der fanatische
Angriff auf die Sonderlehre des Papstes Johann XXIT. das beste Beispiel.
Der Nominalismus, 431
und er hat diese Erkenntniss, z. B. in der Psychologie, in glänzender
Weise zum Ausdruck gebracht^; er hat, indem er die Bedeutung des
Willens erkannte, auch in Gott dieses Moment hervorgehoben, die
Persönlichkeit Gottes streng betont und somit jener areopagitischen
Theosophie, welche immerfort in Gefahr stand, die Welt und die ver-
nünftige Creatur in Gott aufgehen zu lassen, ein Ende bereitet^; er hat
endlich, indem er die Speculation einschränkte, die Positivität der
historischen Religion deutlicher hervortreten lassen. Allein dieser
Fortschritt in der Erkenntniss Avurde durch zwei schwere Opfer theuer
erkauft : der Nominalismus hat erstens mit der Zuversicht, zu einem
absoluten einstimmigen Wissen zu gelangen, auch die Zuversicht zum
kategorischen Imperativ, zur strengen Nothwendigkeit des Sittlichen
in Gott und des Sittengesetzes eingebüsst, und er hat zweitens in die
geschichtlichen Grössen, unter die er sich beugte, die Kirche mitsammt
ihrem ganzen Apparat eingerechnet — die Gebote des Religiösen
und Sittlichen sind arbiträr, aber die Gebote der Kirche
sind absolut. Der Ruhepunkt in den Zweifeln und Unsicherheiten
des Verstandes und des Gemüthes ist die Autorität der Kirche.
Weder dieses noch jenes war eine Neuerung im strengen Sinn^.
Durch das Bussinstitut war längst eine Unsicherheit über das Sittliche
verbreitet: es galt nur in der Theorie auszusprechen, was seit Jahrhun-
derten Grundgedanke der Praxis geworden war — das souveräne
Recht der Casuistik'*. Femer, durch das contradictorische Ver-
* S. Sieb eck, Die Anfäng^e der neueren Psychologie in der Scholastik, i. d,
Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik 1888. 1889.
^ Duns hat auch die thomistische Idee, dass in den geschöpflichen Dingen die
absolute göttliche Urform abgebildet sei, aufgegeben und ist zu einer naturalisti-
schen Lehre von der Welt an der Haud des Aristoteles übergegangen.
* Noch weniger ist, wie vielfach geschieht, der Jesuitenorden mit seiner
casuistischen Dogrnatik und Ethik hier verantwortlich zu machen, als habe er die
Neuerung erst gebracht. Dieser Orden ist lediglich in das Er])e des mittelalterlichen
Nominalismus eingetreten.
* An die Stelle der speculativen Scholastik trat die empiristisch-casuistische.
Die Nominalistcn suchten mit einem ungeheuren Aufwand von Scharfsinn und —
Speculation zu zeigen, dass es eine speculative Scholastik nicht geben könne. Als
sie diesen „Beweis" geliefert hatten, blieben lauter hohle Formen nach, die noth
wendig zusammenstürzen mussten oder nur durch den Zwang einer mächtigen An-
stalt aufrecht erhalten werden konnten. AVas dem Nominalisinus trotz aller seiner
Fortschritte nicht aufgegangen ist, war die Idee der Persönlichkeit (s. erst
die Renaissance), darum auch nicht die Person Christi (s. die Reformation) und
vorAllem nicht die Geschichte (s. das 18. und 19. Jahrhundert). An der Stelle der
(reschichte steht ihm noch immer die starre Kirch(\ Nicht anders verhält es sich
noch heute mit der Wissenschaft der .Jesuiten. Folgerecht spielen sie mit der Ge-
schichte und wissen sie amüsant im Tone des Weltmanns und mit leichtem Spott zu
432 üewchichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelonlen bis zum 16. Jahrh.
fahren, welches die grossen Scholastiker, Thomas an der Spitze, dem
Geist der Jurisprudenz folgend, an jedes einzelne Dogma und an jeden
ethischen Satz herangehracht hatten, musste die Zuversicht, dass es
ein ahsolut Giltiges gehe, erschüttei-t werden. Wenn — man schlage
jede heliebige Seite bei Thomas auf — für jede Häresie und viele un-
sittliche Behauptungen 2 — 12 (Gründe angeführt werden können, wenn
z. B. ein Dutzend Gründe dafür sprechen, dass die simplex fornicatio
keine Todsünde sei (Thomas), wie kann sich dem gegenüber der
Glaube felsenfest behaupten, dass sie doch für eine solche erachtet
werden muss? Wird aus dem Widerstreit des Sic et Non stets die
Gewissheit für die Antwort hervorgehen, welche der Dogmatiker be-
vorzugt? Wie kann man überhaupt auf Gewissheit rechnen, solange für
die Gegenthese auch nur noch ein Grund spricht und solange man
nicht den einen Grund aufweisen kann, der allein giltig ist? Der No-
minalismus setzte hier nur fort, was der Realismus begonnen; er diffe-
renzirte und distinguirte nur noch mehr; er übertrug die giltige
Methode advocatorischen Scharfsinns auf immer neue Gebiete, auf die
Gotteslehre, die Schöpfungs- und Vorsehungslehre, auf die Heiligkeit
und die Ehre Gottes, auf die Sünde und die Versöhnung, und er kam
überall zu dem Schluss, 1) dass Alles relativ und arbiträr sei — aber
auch in Thomas' Dogmatik ist schon manches sehr Wichtige in der
Religionslehre nur „conveniens" — , 2) dass die Lehren der geoffenbarten
Religion mit der natürlichen Theologie, dem verständigen Denken über
Gott und die AVeit, streiten (Lehre von der zwiefachen Wahrheit).
Endhch, w^enn der Nominalismus lehrte, dass man sich, da credere und
intellegere nicht zu reimen seien, der Autorität der Kirche blind unter-
werfen müsse, imd dass eben in diesem blinden Gehorsam wie das Wesen
so auch das Verdienst des Glaubens bestünde, so hat er auch hier
nur einen allgemein katholischen Ansatz zur Reife entwickelt; denn
TertuUian so wenig wie Thomas hat daran gezweifelt, dass aller Glaube
mit der Unterwerfung beginnt. Mochte man dann auch — seit Augu-
stin — noch so viele Erwägungen in Geltung gesetzt haben, um den
ursprünglichen Ansatz zu modificiren und den Glauben in den inneren
assensus und in die Liebe umzuwandeln: die alte These blieb doch be-
stehen, dass er ursprünglich Gehorsam sei und daran sein anfangendes
Verdienst habe. Ist er aber Gehorsam, so ist er fides implicita,
d.h. es genügt die Unterwerfung. Indem der Nominalismus in
steigendem, selbst vor d em Frivolen nicht zurückscheuen-
den Masse die Sufficienz der fides implicita bekannt oder
behandeln, sobald sie die Praestanda, welche der KirchenbegTift'verlanot, praestirt
haben.
Der Nominalismus. Die fides implicita. 433
sie seinen theologischen Erwägungen zu Grunde gelegt hat,
weil viele Glaubenswahrheiten überhaupt oder für Einzelne einen anderen
Modus der Aneignung nicht zulassen, hat er nur einen alten katho-
lischen Gedanken zur consequenten Aussage gebracht'*,
denn die Gefahr, die Religion in ein kirchliches Reglement zu verwan-
deln, hat dem abendländischen Katholicismus zu keiner Zeit gefehlt ^.
^ Die juristischen Päpste von Gregor VII. ab, namentlich die Päpste des
13. Jahrhunderts, haben die nominalistische Doctrin von der fides implicita anti-
cipirt: „Innocenz TV. hat in seinem Commentar über die Decretalen zwei folgen-
reicheRegeln aufgestellt. Erstens: dass es für die Laien genüge, einen ver-
geltenden Gott zu glauben, in allem Uebrigen aber, Dogma und
Sittenlehre, implicite nur zu glauben, nämlich zu denken und zu
sagen, ich glaube was die Kirche glaubt. Zweitens, dass ein Geist-
licher auch dem eine Ungerechtigkeit befehlenden Papst gehorchen
müsse" (DöUinger, Akad. Vorträge II S. 419).
^ Auf die Philosoi^hie des Duns Scotus (s. Werner, a.a.O. und die Uebersicht
in dem Artikel von Dorner in Herzog's R.-E. 2. Aufl.) und des Occam (s. Wage-
mann i. d. R.-E ) kann ich mich hier nicht weiter einlassen. Wichtige theologische
Lehren derselben werden im folgenden Abschnitt zur Sprache kommen. Dass Duns
selbst noch nicht Nominalist gewesen ist, aber diese Erkenntnisstheorie in ihrer
Anwendung auf die Dogmatik vorbereitet hat, ist bekannt. Er hat bereits die Selb-
ständigkeit der weltlichen Wissenschaften (auch der Metaphj-sik) gegenüber der
Theologie betont, wie er überhaupt die Selbständigkeit der Welt (in steten Aus-
einandersetzungen mit Thomas) gegenüber Gott viel deutlicher hervortreten lässt.
Dafür giel)t er der Willkür Gottes gegenüber der Welt einen grossen Spielraum.
Um jedoch durch diese Annahme nicht Alles ins Ungewisse zu versenken, wird die
Götteserkenntniss aus der Offenbarung (im Unterschied von der vernünftigen) kräftig
accentuirt. Bei Duns erkennt man noch das Ringen des Princips der Vernunft
mit dem Princip der durcli die Offenbarung tempcrirten und fassbar gemachten
Willkür; bei Occam hat das letztere gesiegt. Dem Verstand, den Occam dem
Dogma gegenü])er aufbietet, ist lediglich die Aufgabe zugewiesen, zu zeigen, dass
Logik und Physik auf die Glaubensartikel und die ihnen entsprechenden übernatür-
lichen Objecte keine Anwendung finden. Alle Glaubenslehren sind widerspruchs-
voll; a!)er so mnss es nach Occam auch sein; denn nur so erweisen sie sich als Aus-
sagen über eine übersinnliche Welt, die dem Verstände ein Wunder ist. Man hat
diesen Dogmatiker missverstanden, wenn man aus seiner Kritik der Dogmen die
Ironie des Zweiflers heraushören wollte. Wenn er die Transsubstantiationslehre,
nachdem er ihre Unmöglichkeit nachgewiesen, schliesslich doch für probabler hält,
wie jede andere Lehre, weil die Kirche sie fixirt hat und weil die Allmacht Gottes
in ihr am schrankenlosesten erscheint, d. h. weil sie die denkbar widervernünftigste
ist, HO ist f'S ihm damit liittrer Ernst. Und was von der Abendmahlslelire gilt, gilt
auch von allen anderen kirchlichen Hau[)tleliren. D(U' Widersinn und die Autorität
sind gewissennassen der Stemi>el der Wahrh(!it. Das ist auch ein Positivismus, aber
der Positivismus in seiner Sünden Blüthe. Auch hier gilt es, dass ein Abgrund den
anderen ruft. Die vornoniinalistische Therdogie liatte der ratio eineLasts])eculativer
Ungcheuerlif^likeiten aufgebürdet und ihr danc'ben zugemuthet, das ganze Schwer-
gewicht der Religion zu tragen; die ernüchij'rte ratio giebt den Gedanken einer
Harnafk , Dogrnengescliiolilc III. oy
434 Oeschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Was oben schon kurz angedeutet ist, mag hier deutlich ausge-
sprochen sein — es handelte sich um die Ausmerzung des Augu-
st i n i s m u s aus d e r K i r c h e n 1 e h r e. Die ganze Wendung des Realis-
mus zum Nominalismus kann theologisch unter diesen Titel gesetzt
worden. Augustin füllt und Aristoteles steigt — angeblich zwar nicht
in der Theologie, sondern nur auf dem (lebiete des Weltwissens, factisch
aber auch in der Theologie; denn Niemand vermag es, Metaphysik und
Theologie völlig auseinander zu halten, und die theologischen Lehren
der Nominalisten beweisen, dass sie wohl vor den alten Dogmen, nach-
dem sie ihre Unvernunft nachgewiesen, mit einer Reverenz Halt ge-
macht, dagegen den Umkreis der neuen, eigentlich lebendigen Lehren
(Sacramente, Heilsaneignung) neumodisch bearbeitet haben. Diese
Arbeit richtete sich gegen Augustin, indem sie sich gegen Thomas
richtete.
Wir haben schon häufig darauf hingewiesen, dass die Geschichte
der Kirchenlehre im Abendland eine vielfach verdeckte Geschichte
des Kampfes gegen Augustin ist. Sein Geist und seine Frömmigkeit
ragten doch über das Durchschnittliche des Kirchenthums weit hinaus,
und die neuen Erkenntnisse, die er gebracht, waren der Kirche als
Kirchenanstalt vielfach unbequem und harmonirten nicht mit ihren
Tendenzen. Wohl hatte sie den Augustinismus acceptirt, aber mit dem
geheimen Vorbehalt, ihn in ihre Denkweise uinzuschmelzen. Wir haben
gesehen, in welchem Masse das bereits in jenen Perioden gelungen ist,
die mit Gregor dem Grossen endigen und anheben. Schon Gottschalk
hat es erfahren, was es im Katholicismus kostet, den Augustinismus zu
vertreten. In der Folgezeit bildete sich im sacramentalen und im Buss-
System eine Praxis und Denkw^eise aus, die immer deutlicher mit dem
Augustinismus stritt. Um so wichtiger war es, dass der Dominicaner-
orden, vor Allem Thomas, die Theologie Augustinus zu repristiniren
versuchte. Duns Scotus und die nominalistische Theologie richteten
sich zunächst gegen die Religionsphilosophie Augustinus, gegen jene
Lehren von den ersten und letzten Dingen, die so stark zum Pantheis-
mus gravitirten. Aber indem sie dieselben widerlegten und die Zuver-
sicht zur Lehre von Gott dem All-Einen erschütterten, erschütterten sie
bei sich und Anderen auch die Zuversicht zu der augustinischen Gnaden-
und Sündenlehre, die allerdings aufs engste mit seiner Gotteslehre zu-
sammenhing. Diese Nominalisten, die (nach Duns Scotus) immer wieder
betonten, dass die Vernunft sich auf das Gebiet des Weltlichen beziehe,
Xo^ixT) Xatpeia überhaupt preis, ist bereit, den Köhlei'glauben als die Religion an-
zuerkennen und zieht sich selbst auf das Weltwissen zurück. Ueber Biel s. Linseu-
mann i. d. Tüb. Quartalschr. 1865.
Der Nominalismus : Probabilismus und Pelagianismus. 435
und dass man in geistlichen Dingen lediglich der überlieferten Autorität
der Offenbarung zu folgen, den Verstand also ausser Spiel zu lassen
habe, haben in Wahrheit doch höchst energisch und höchst „verständig"
im Rahmen der Kirchenlehre gearbeitet. „Nicht zu speculiren" führt
unter Umständen auch zu einei' Metaphysik oder hindert doch nicht,
eine überlieferte Speculation in vielem Einzelnen und damit auch im
Ganzen zu corrigiren und umzusetzen. Jedenfalls hat dieser Grundsatz
die nominalistischen Theologen nicht gehindert, das unter dem Schutz
der Autorität stehende Dogma zu bearbeiten. Aber diese Arbeit er-
hielt nun nicht nur einen ganz und gar äusserlichen, formalistischen
Charakter, sondern auch die Principien einer arbiträren Sittlichkeit,
ferner des conveniens, des Zweckmässigen und des Relativen wurden
nun in Alles hineingetragen. Man möchte sagen : die Grundsätze einer
weltbürgerlichen Religions- und Sittlichkeitsdiplomatie wurden auf die
objective Religion und die subjective Religiosität angewandt. Gott ist
nicht ganz so streng und nicht ganz so heilig, wie man ihn sich wohl
vorstellen könnte; die Sünde ist nicht ganz so schlimm, wie sie dem
zartesten Gewissen erscheint ; die Schuld ist nicht unermesslich gross ;
die Erlösung durch Christus ist im Ganzen und in den Einzelheiten
recht zweckmässig, aber nicht eigentlich noth wendig; der Glaube braucht
nicht völlige Hingebung zu sein, und auch für die Liebe genügt schliess-
Hch ein gewisses Mass. Das ist der „Aristotelismus" der nominahsti-
schen Scholastiker, den Luther für die Wurzel alles Unheils in der
Kirche erklärt hat; aljer das ist auch der „Aristotelismus", der der
Hierarchie am willkommensten sein muss ; denn hier behält sie das Heft
in Händen, indem sie bestimmt, wie streng Gott, wie schwer die Sünde
ist, u. s. w. Dass sie daneben den Augustinismus (Thomismus) nicht
ganz fallen lassen kann und will, wurde schon bemerkt. Aber sie be-
stimmt, wo derselbe einzutreten hat, und sie hat gezeigt, dass sie eifer*-
süchtig über das Mass seiner Anwendung wacht.
In dem Pelagianismus und Pro})abihsnius des Nominalismus liegt
der ausgesprochene Abfall von Augustin '. Aber eben weil er so deut-
lich war, konnte eine gewisse — allerdings nicht mehr energische —
Reaction in der Kirche nicht fehlen. Nicht nur hat d(T Dominicaner-
orden fort und fort mit der Theologie seines grossen Lehrers Thomas,
die er verthcidigte, auch den Augustin vertheidigt (wenn auch in der
Regel nicht an d(;n wichtigsten I^unkten), sondern es sind aucli im 14.
und L5, Jahrhundert Männer aufgetreten, welche die ])elagianische
' Auch von (lor altoii Kirch« und vom Dof^rna in seinem ursprünglichen Sinn
überhaupt. Wer all«' I)f)frrnatik und p]tliik in Casuisfik uniset/t, hcwcist damit, das«
er nicht mehr innerlich gebunden ist, sondern nur noch äuHseriich.
28*
436 Geschichte dos Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Tendenz des Nominalismus bemerkt und ihr energisch im Sinne Augu-
stin's entgegengewirkt haben K Hier ist in erster Linie Bradwardina
zu nennen (-j- 1349), der den ganzen Augustin mitsammt der Präde-
stinationslehre der pelagianischen Strömung des Zeitalters kräftig ent-
gegengestellt hat"-. Von ihm ist AViclif als Theologe abhängig gewesen,
und sofern Hus alle seine theologischen (Tcdanken von Wiclif über-
nommen und nach Böhmen und Deutschland weitergegeben hat, ist
* Es ist ein Verdienst von Werner, im 3. Bande seiner „Scholastik des
späteren Mittelalters" die Reaction des Augustinismus zur Darstellung gebracht zu
lial)en. Jedoch sind seine Ausführungen keineswegs vollständig. Er behandelt
S. 1 — 232 „die Repräsentation des scholastischen Augustinismus durch die mittel-
alterliche Augustiner- Eremitenschule", d.h. fast ausschliessHch die Lehre des
Aegidius (f 1315), des grossen Vertheidigers des Thomas, und (xregor's von Rimini;
sodann S. 234 — 306 Bradvvardiua's Lehre. Auf den Augustinismus des 15. Jahr-
hunderts geht auch Stöckl ein, aber in seiner Weise. Uebrigens will Werner vom
repristinirten Augustiuismus nichts wissen. „Die älteren und neueren Versuche um
die Gewinnung eines specifischeu Augustinismus fallen unter verschiedene Gesichts-
punkte, je nachdem sie eine Reaction gegen die Verflachung und Veräusserlichung
des christlich-kirchlichen Heilsgedankens oder die unter den Schutz des Namens
Augustin's gestellte Opposition eines resuscitirten einseitigen Piatonismus gegen den
Aristotelismus bedeuten, oder endlich auf der unklaren Fusion des universalkirch-
lichen Ansehens Augustin's mit der Autorität des Hauptes und Führers einer be-
sonderen Schule entsprangen. Einer solchen unklaren Fusion verdankte die mittel-
alterliche Ordenstheologie der Augustiner-Eremiten (?) ihr Entstehen , welche als
schola Aegydiana ins Leben trat und unter mancherlei Wandelungen ihr Dasein bis
ins vorige Jahrhundert herab fortsetzte" (S. 8 f.).
^ S. Lechler, Wiclif L Bd. und desselben Monographie über Bradwar-
dina 1863. Bradwardina suchte wieder darnach, eine dem christlichen Gottes-
begriff adäquate Philosophie zu schaffen und kehrte desshalb zu der augustinisch-
anselm'schen Speculation in Bezug auf ein absolut uothwendiges und vollkommenes
Sein zurück, aus welchem Alles, was ist und sein kann, gefolgert werden soll,
-allein er zeigt sich doch darin von Duus abhängig, dass er Gott und Welt aus-
schliesslich in den Gegensatz von Nothw«ndigem und Contingentem stellt (s. seine
Schrift de causa dei adv. Pelag., Werner S. 245 ff. 299), und auch sonst sind bei
ihm sehr starke Einflüsse des Nomiualisnius nachzuweisen. Allein sie verschwinden
hinter der Haupttendenz, die „unmittelbare Einheit und Coincidenz des theo-
logischen und philosophischen Denkens" nachzuweisen und die Gnadenlehre Augu-
stin's wieder herzustellen mitsammt dem Determinismus („jedes Wollen in Gott ist
absolute Substanz"). Werner will nachgewiesen haben, dass Bradwardina kein
Thomist ist, sondern auf die vorthomistische Scholastik zurückgreift. Das ist inso-
fern richtig, als Bradwardina consequenterer Augustiner ist. Allein Werner hat ein
Interesse, die peripatetischen Elemente bei Thomas möglichst zu betonen; denn nur
wenn man diese einseitig betont, kann TJiomas der Normaltheologe bleiben. „Die
aristotelische Grundlage war nach »allgemeinem Gefühle < für die Zwecke einer
methodisch betriebenen theolog. Schulwissenschaft und als »rationaler Halt gegen
die falsche Verinnerlichung« des christlich-kirchlichen Glaubensbewusstseius nicht
zu entbehren" (S. 305).
Au^ustinismus und Humanismus gegen den Nominalismus. 437
schliesslich Bradwarclina als der Theologe zu feiern, der den Anstoss
zu den augustinischen Reactionen gegeben hat, welche die Kirchenge-
schichte bis zu Staupitz und Luther begleitet und die Reformation vor-
bereitet liaben. Zahlreich und zum Theil auch einflussreich sind im
15. Jahrhundert die Männer gewesen, welche, auf Augustinus Schultern
stehend, gegen den Pelagianismus Front gemacht liaben. Allein den
Fels der nominalistischen Doctrin, die Autorität der Kirche, haben sie
nicht umgestürzt und nicht umstürzen wollen. Der Augustinismus hat
ferner vielfach in die Reformparteien und -secten eingewirkt; aber wie
es zu keiner neuen Theologie kam, so kam es durch alle diese Be-
strebungen auch nicht zu einer Reformation. Die Augustiner Hessen
der fides implicita und den Sacramenten noch einen weiten Spielraum,
weil auch sie an das Idol der Kirchenautorität glaubten. Die herrschende
Theologie bheb unerschüttert, solange man nicht ihre Wurzeln an-
tastete. Selbst so energische Angriffe, wie die Wesel's und Wessel's,
verliefen ohne allgemeine Wirkung. Aber unverkennbar ist die That-
sache, dass die nominalistische Scholastik im Laufe des 15. Jahrhunderts
immer mehr der Verachtung verfiel. Während das Zeitalter in neuen
frischen Eindrücken und Erkenntnissen schwelgte, wurde sie immer
formalistischer, und ihre öde Formalistik wurde immer lebhafter empfun-
den. Der Geist der Renaissance und des Humanismus war ihr im
Innersten feind-, denn er wollte nicht Formeln, Syllogismen und Autori-
täten ; er wollte weder die Finsterniss noch die Aufklärung der „aristo-
telischen" Scholastik, sondern er trachtete nach Leben, das nach-
empfunden werden kann, und nach Erkenntnissen, welche über die
geraeine Welt und die gemeine Lebenskunst erheben. Den Poeten und
Humanisten — wenn auch nicht allen, so doch den meisten von ihnen
— war die kirchliche Theologie in dem Schulbetrieb der Scholastiker
abgestandenes, schmutziges AVasser. Aber noch immer suchte man die
Erlöser in der Antike. Plato, nun der wahre Plato, wurde entdeckt,
verehrt und vergöttert. Es ist nicht zufällig, dass die platonische Re-
action im 15. Jahrhundert mit der augustinischen zusammentrifft; denn
die beiden grossen Geister der alten Zeit sind wahlverwandt - Plato's
Dialoge und Augustin's Confcssionen sind nicht unvereinbar. Unter
dem Zeichen Plato's und Augustin's stand, was sich im 15. Jahrhundert
auf dem Gebiete der Wissenschaft und Theologie auflehnte wider ehie
Scholastik, die trotz ihrer reichen Erkenntnisse verknöchert und hohl
geworden war und den Contact mit den Bedürfnissen des inneren licbens
und der Gegenwart verloren hatte. Ernsthafter war das Nachdenken
der Deutschen als der Italiener und Franzosen. Deutschland trat im
15. Jahrhundert an die Spitze der Denker und Gelehrten. Einen Mann
438 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
wie Nicolaus von Kus oder wie Enismus haben im 15. Jahrhundert
die romanischen Völker nicht hervorgebracht ^ Nicolaus ist der An-
fänger und Vorlaufer jdler der bedeutenden Männer, die im folgenden
Jahrhundert, ausgehend von der platonischen Weltbetrachtung, einen
so gewiütigen und frischen Zug wirklicher Aufklärung in die Welt ge-
bracht haben. Vielfach phantastisch und sogar in Magie und Spuk
versenkt, ist doch von ihnen die Erneuerung des wissenschaftlichen
Denkens ausgegangen, und sie haben die wissenschafthche Natur-
beobachtung begründet. Die Zuversicht zu der Einheit aller Dinge und
der kühne Schwung der Phantasie — Beides war der Schulweisheit ab-
handen gekommen — haben die neue Wissenschaft ermöglicht. Diese
ist keineswegs so entstanden, dass der Nominalismus oder die Philo-
sophie des grossen Naturforschers Aristoteles, wie man sie betrieb, im-
mer empirischer geworden wäre und sich allmählich zur exacten AVissen-
schaft entwickelt hätte, sondern ein neuer Geist fuhr über die dürren
Blätter der Scholastik , zerstäubte sie kühn in die vier Winde und
schöpfte Zuversicht und Kraft, auch der Natur ihre Geheimnisse abzu-
gewinnen, aus den lebendigen, den ganzen Menschen erfassenden Specu-
lationen Plato's und aus dem Umgang mit dem Lebendigen.
Der Theologie ist im 15. Jahrhundert freilich wenig davon zu
Gut gekommen. Die italienischen Humanisten beschäftigten sich mit
ihr so gut wie gar nicht — höchstens dass sie einige historische Unter-
suchungen anstellten, um die Pfaffen und Mönche zu ärgern (Schen-
kung Konstantin's, Ursprung des Symb. Ap.) — und auch die deutschen
brachten keine wirkliche Förderung. Allen anderen Wissenschaften
konnte man helfen, indem man auf das Alterthum zurückging, aber
nicht der Theologie. AVas sie von Plato und den Neuplatonikern lernen
konnte, das hatte sie längst gelernt. Wenn Männer wie Nicolaus von
Kus sie aus den Umarmungen der Scholastiker zu befreien versuchten,
so wussten sie selbst für sie doch keine bessere Gestalt, als die, welche
ihr Augustin und Mystiker wie Eckhart gegeben hatten. Mit dieser
Gestalt aber hatte man es längst versucht. Eben weil sie ungenügend
erschien und man in diesem lichten Nebel nicht länger athmen wollte,
war man einst zum Nominalismus übergegangen. Jetzt sollte man wie-
der zum Anfang zurückkehren; ein anderes Recept wurde nicht geboten.
Die Theologie schien verdammt zu sein, sich in einem Kreislauf hülflos
zu bewegen: im Grunde blieb sie, wie sie war; denn die eherne Kirchen-
^ S. Stock 1, a.a. 0.,Jaiissen, Gesch. des deutschen Volkes Bd. I, Clemens,
Giordano Bruno u. N. v. K. 1847. Storz, Die specul. Gotteslehre des N. v. K. i. d.
theol. Quartalschr. 1873 I. Laurentius Valla ist als Kritiker dem Nicolaus über'
le^en, aber sonst nicht ebenbürtig.
Der Humanismus. Die scholastische Dogmatik. 439
autorität blieb. Da kam die Hülfe nicht von Aristoteles, auch nicht
von Plato und Augustin, sondern aus dem Gewissen eines Bettelmönchs.
Aber was die Renaissance und der Humanismus in dir e et der
Theologie geleistet haben, soll nicht verkannt werden. Haben sie die-
selbe auch weder wirklich aufgelöst und noch viel weniger neu gebildet,
so haben sie doch der zukünftigen Neubildung die erspriesslichsten
Dienste geleistet. Die Quellen der Geschichte wurden aufgedeckt, und
der Humanist Erasmus hat die wissenschaftliche Patrologie nicht nur
begründet, sondern sofort zu hoher Blüthe geführt. Aus dem Sinn für
das Originale erwuchs die Kritik. Was mit Origenes, ja zum Theil
schon vor Origenes in der Kirche abgestorben war oder was sich im
Grunde — wenige Antiochener ausgenommen — nie kräftig entwickelt
hatte, geschichtlicher Sinn und geschichtliche Exegese, das entwickelte
sich nun. Es sollte der Reformation zu Gut kommen, aber es sollte
auch bald wieder von ihr verschlungen werden. Für die Geschichte
der Theologie und der Dogmen im engsten Sinn des Worts war übrigens
der Humanismus ganz unfruchtbar. Er schob sie bei Seite, kühl und
überlegen oder keck und spottend. Mit ernsthafter Kritik ist er nie-
mals an sie gegangen. Als die Refonnation anbrach, beurtheilte er den
Ablassstreit als Mönchsgezänk oder als eine erfreuliche Verlegenheit,
die den Pfaffen bereitet wurde. Als es dann ernst wurde und man sich
entscheiden musste, zeigte es sich, dass das franciskanische Ideal in den
meisten Gemüthern fester haftete als die evangelische Neigung. Auch
wollte der stille Gelehrte sich nicht durch den Lärm der „lutherischen
Buben" stören lassen. Theologische „Lehre" hielt man für etwas Gleich-
giltiges. Der Rächer sollte auf dem Eusse folgen : den erschreckten
Gelehrten haben die folgenden 150 Jahre gezeigt, dass die Theologie
sich nicht spotten lässt.
4. Die Ausprägung der Dogmatik in der Scholastik,
In der Scholastik des 13. Jahrhunderts hat die lateinische Kirche
das erreicht, was die griechische im 8. Jahrhundert erlangt hat — eine
einheitliche systematische Darstellung ilires Glaubens. Diese Dar-
stellung hat zu ihrer Voraussetzung erstens die hl. Schrift und die
articuh fidei, wie sie auf den Concilicn ausgeprägt waren, zweitens
den Augustinismus, drittens die kirchlichen (päpsthchen) Feststel-
lungen und die gesammte Entwickelung des Kirchenthums seit dem
9. Jahrhundert, viertens die aristotcHsche Philosophie.
Wir haben in dem 3. und 4. Capitel dieses Bandes gezeigt, wie
der alte Aufriss der Glaubenslehre eine tiefgreifende Umänderung durch
Augustin erfahren hat, wie er aber im letzten Grunde — was den finis
440 Ueschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
religionis et thcülogiae bctrift't nicht ausser KiJil't gesetzt, sondern
viehuelir cünii)licirter gestaltet worden ist: indem Augiistin die in den
Sacranienteii wirksamen Gnadenkriilte als die Kriilte der Liebe be-
zeichnete, liess er die alte Betrachtung derselben, dass sie nämlich auf
den Genuss Gottes vorbereiten und ihn herbeiführen helfen, bestehen.
Aber er gab zugleich den kräftigsten Anstoss zu einer dualen Ent-
wickelung der Frömmigkeit und der Kirchenlehre ; denn die in den
8acramenten wirksamen Liebeskräfte stellen auch das regnum iustitiae
auf Erden her, erzeugen so das der lex Christi entsprechende Leben in
der Liebe und berähigen den Einzelnen zu jenen guten Werken, welche
ein Verdienst vor Gott begründen und einen Anspruch auf Sehgkeit
Schäften.
In dieser letzten AVendung hatte Augustin seine neue Betrachtung
der göttlichen Gnade als einer gratia gratis data der alten, vorzüghch
abendländischen Betrachtung der Rehgion als eines Gefüges von Ge-
setz, Leistung und Lohn untergeordnet (durch den Uebergangs-
gedanken „nostra merita dei munera"), und diese Unterordnung hat in
der Folgezeit immer weitere Fortschritte gemacht. Die Gnade (in
der Form der Sacramente) und das Verdienst (Gesetz und
Leistung) sind die beiden Centren der Curve der mittel-
alterlichen Auffassung vom Christenthuni. Diese Curve ist aber
ganz eingebettet in dem Glauben an die Kirche*, denn da — was man
nicht bezweifelte — ihr die Sacramente und die aus ihnen resultirende
Schlüsselgewalt verliehen war, so war sie nicht nur die Autorität für
das ganze Gefüge, sondern recht eigentlich die Fortsetzung Christi
selbst und der Leib Christi, der ihm enhypostatisch verbunden ist. In
diesem Sinn ist die mittelalterliche Theologie Ecclesiastik, obgleich
sie nicht viele Worte über die Kirche gemacht hat. Aber andererseits
ist dieser Theologie, wenigstens bis zum Siege des Nominalismus, nie-
mals die augustinische Grundabsicht: „Deum et animam scire cupio.
Nihilneplus? Nihil omnino", aus dem Sinn gekommen, d.h. sie hat die
Betrachtung nicht aufgegeben, dass es sich in aller Theologie letztlich
ausschliesslich um die Erkenntniss Gottes und des Verhältnisses der
Einzelseele zu ihm handelt ^ Das Ineinander der Theologie als Eccle-
siastik und als Seelenspeise ist es, was der mittelalterlichen Scholastik
ihre Spannungen und ihren Reiz verliehen hat. Aus diesem Ineinander
* In dem Nominalismus wurde das anders. Die Darlegung der Kirchenlehiv
wurde mehr und mehr Selbstzweck und aus der Verbindung mit der Religiouspliilo-
sophie herausgeführt. Dass dadurch die Originalität und Selbständigkeit der christ-
lichen Religion als einer historischen Erscheinung wieder deutlicher hervortrat, ist
nicht zu verkennen.
Die scholastische Dogmatik. Einleitung. 441
erklärt sich auch der doppelte Zweck, unter welchen die christliche
Rehgion hier gestellt ist, wenn auch den Theologen nur der eine be-
wusst vorschwebt: Rehgion und Theologie sollen einerseits den Ein-
zelnen zur Sehgkeit (visio dei oder Gelassenheit des WiUens) führen,
sie sollen aber andererseits das Reich der Tugend und Gerechtigkeit,
welches die empirische Kirche ist, auf Erden bauen und alle Mächte
diesem Reich unterwerfen ^
Augustin hat die überlieferten articuli lidei in ganz neuer Weise
verwerthet; sie sind ihm nicht mehr der Glaube selbst, sondern er
baut mit ihnen, sie vielfach umschleifend, den Glauben auf. Aber ihre
Autorität wurde dadurch nicht erschüttert, sondern in gewisser Weise
noch vermehrt, sofern die äussere Autorität in dem Masse stieg, als
die innere — dass der Glaube sich ausschliesslich mit ihnen identi-
licirte — abnahm. Dies wirkte genau so in dem Mittelalter weiter.
Dogmen im strengen Sinn sind nur die articuli hdei des kirchlichen
Alterthums. Allein der Transsubstantiationslehre gelang es, die gleiche
Dignität mit den alten Dogmen durch das quid pro quo zu gewinnen,
dass sie in der Incarnationslehre mitgesetzt sei. Indem so die Trans-
substantiationslehre neben die alten Dogmen trat ^ , war im Grunde
' Bei der Bestimmung der Seligkeit oder des finis theologiae erweisen sich
alle Scholastiker als mystisch, d. h. augustiuisch, d. h. altkatholisch bestimmt. Die
fruitio dei gilt als letzter Zweck, mag sich dieselbe nun im Intellect oder in der
Quiescirung des Willens in Gott vollziehen. Für diese individualistische, gegen die
sittliche Bestimmung des Menschen indifferente Fassung der Seligkeit kommt die
Kirche gar nicht oder lediglich als Mittel und als Hülfsanstalt in Betracht. Nur
sofern sich der Mensch als irdisches, an die Zeit gebundenes Wesen fasst und sich
erziehen soll, sind alle seine Ideale und die ihm hülfreichen Kräfte in der Kirche
beschlossen (die Seligkeit in der Zeit ist die Seligkeit in der Kirche), und er hat
die Kirche, wie sie ist, als die Mutter des Glaubens, als die Heilsaustalt, ja als das
regiium Christi zu verehren. Aber dieses regnum hat im Jenseits eine von der
jetzigen Gestalt total verschiedene Form. In dieser ganzen Anschauung ist die
Scholastik nirgends über Augustin hinausgekommen. Das Ziel der Realisirung der
irdischen und das Ziel der Realisirung der himmlischen Kirche sind gar nicht ver-
mittelt. Der römische Katholicismus war damals und ist auch heute letztlich keine
eindeutige Erscheinung, wie die griechische Kirche es ist, und wie der Protestantis-
mus es sein könnte. Er weist seine Glieder bald auf eine in Erkeuntniss, Liebe und
Askese verlaufende Contemplation, die ebenso neutral gegen die Kirche ist, wie
gegen jede Verbindung der Älenschcn untereinander und gegen alles Irdische, bald
weist er sie an, in der irdischen Kirche ihre höchsten Güter und ihren eigenen Zweck
anzuerkennen. Diese Anweisungen lassen sich nur abwechselnd befolgen, aber
nicht in (xemeinsamkeit. In Folge hiervon hält der römische Katholicismus auch
zwei Kirchenbegriffe aufrecht, die gegen einander neutral sind, die unsichtbare
Gemeinschaft der Erwählt(^n und die Papstkirche.
•' S. das Symbol v. 1215.
442 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 1 6. Jahrh.
Alles gewonnen ; denn an diesem Haken liess sich das ganze sacramen-
tale System zur Hohe der absoluten (ilaubenslehre hinaufziehen. Dies
ist denn auch geschehen, obgleich im Einzelnen die Abgrenzung dessen,
was zum 1 )ogma gehört und was lediglich Bestandtheil der Theologie
ist, vor dem Tridentinum nie erfolgt und auch nach dem Trideutinum
von der Kirche wohlweislich vermieden worden ist. So erklärt es sich,
dass mn 1500 Niemand, ausser den entschlossensten Papisten, anzu-
geben vermochte, wie weit sich der Bereich des nothwendigen Glaubens
in der Kirche eigentlich erstreckt.
Die Aufgabe der Scholastik, soweit sie Dogmatik war, war eine
dreifache. Sie hatte, in Nachfolge des Augustin, die alten articuli fidei
so zu schleifen, dass sie sich in die um das Sacrament und das Ver-
dienst gezogene elliptische Linie einfügten ; sie hatte die Sacraments-
lehre zu bearbeiten, die in einer höchst unvollkommenen Gestalt von
Augustin zu ihr gekommen war ^ , und sie hatte der kirchlichen Praxis
der Gegenwart die Principien abzulauschen und diese mit den zur
Theologie erhobenen articuli fidei und der Sacramentslehre einerseits,
mit dem Augustinismus andererseits in Einklang zu setzen. Dieser
grossen Aufgabe, die dadurch noch complicirter wurde, dass die
Scholastiker durchweg die Dogmatik mit der Religionsphilosophie ver-
banden und somit alle Fragen der Metaphysik nach dem jeweihgen
Stande der allgemeinen Kenntnisse in sie hineinzogen, ist die mittel-
alterliche Theologie wirklich gere cht geworden. Sie hatden
Ansprüchen entsprochen, die man an sie gestellt hat; ja es hat wahr-
scheinUch nie eine Periode in der Geschichte gegeben, in welcher die
Theologie nach heisser Arbeit so sicher auf der Höhe der Situation,
d. h. ihrer Zeit, gestanden hat, wie damals. Dabei verstand sie es, sich
den Eindruck einer gewissen Geschlossenheit und Einheithchkeit bis
in das 15. Jahrhundert hinein zu erhalten, und bot, wie der Gegensatz
der franciskanischen und dominikanischen Dogmatiker zeigt, doch
Raum für verschiedene Entfaltungen. Allein andererseits lässt sich
nicht verkennen, dass das ausgesprochene Urtheil keineswegs gilt,
wenn wir auf das Verhältniss von Frömmigkeit und Theologie bhcken.
Zwar noch bei Thomas decken sich die Ansprüche dieser und jener,
wenn auch nicht mehr in so vollkommener AVeise wie in der griechischen
Kirche zur Zeit der Kappadocier und Cyrills. Aber vom Ausgang des
13. Jahrhunderts ab gerathen die Frömmigkeit und die Theologie
augenscheinhch in immer grössere Spannung. Jene erkennt sich in
dieser immer weniger wieder. Zwar sind sie im letzten Grunde (finis
^ Hierin liegt die höchste Bedeutung der Scholastik innerhalb der Dogmen-
geschichte.
I
Die Bearbeitung der überlieferten articuli fidei. 443
religionis^ Autorität der Kirche) einig ; auch die hingehendste Frömmig-
keit vermag nicht recht, sich aus diesen Banden zu hefreien. Aber von
dem gemeinsamen Fundament aus schlug die Theologie eine Richtung
auf das Heilige als ein Autoritatives, Aeusserliches, durch die Kirche
bequem Gemachtes ein, welche die Frömmigkeit in steigendem Masse
misstrauisch machte und verletzte. In der Sacraments- und Gnaden-
lehre, wie sie die Scholastik — • Keime entwickelnd, die selbst bei
Thomas nicht fehlen — ausbildete, kam die Spannung zwischen Theo-
logie und Frömmigkeit zum deutlichsten Ausdruck. Die augustinischen
E-eactionen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, bald geräuschvoll ver-
laufend, bald in der Stille nachhaltig wirkend, sind die Folge dieser
Spannung. Die officielle Theologie des 15. Jahrhunderts ist
nur in bedingter Weise als der Ausdruck der wahrhaften
katholischen Frömmigkeit des Zeitalters anzuerkennen.
So ist es auch im tridentinischen Katholicismus und bis heute geblieben.
Die Lehre, wie sie ist, ist nicht die Sphäre, in der der lebendige katho-
lische Glaube lebt. Aber weil ihre Grundlagen auch die Grundlagen
dieses Glaubens sind, darum lässt er sich diese Lehre schHesslich gefallen.
Da wir es nicht mit der ReHgionsphilosophie zu thun haben, so
haben wir uns hier darauf zu beschränken, im Folgenden die scho-
lastische Bearbeitung der alten articuli fidei, die scholastische Sacra-
mentslehre und die scholastische Auseinandersetzung zwischen dem
Augustinismus und den neuen Kirchenprincipien darzustellen, die
schliesslich zu einer vollkommenen Zersetzung der paulinisch-augusti-
nischen Lehre geführt hat. An dem ersten Punkte können wir uns ganz
kurz fassen, da es sich bei der Bearbeitung der alten articuli fidei um
theologische Lehren handelt, die in ihrer wissenschaftlichen Explicirung
niemals eine universell-dogmatische Bedeutung erlangt haben, und da
diese Bearbeitung vielfach in die Religionsphilosophie hinüber führt.
A. Die Bearbeitung der überlieferten articuli fidei.
1. Der Artikel „de deo" war der Grund- und HauptartikeP. In
der streng realistischen Scholastik galt der areopagitisch-augustinischc
Gottesbegriff: Gott als die absolute Substanz. Wo dieser Begriff fest-
gehalten wurde, wurde auch die absolute Denknoth wendigkeit desselben
behauptet (Anselm's ontologischer Beweis '•^) und den Gottesbeweisen
* S. die treffliche Auswahl von (^ucllcnstcllcn bei Münschcr-Coclln 11, 1
§ 118. 119. Schwane, a. a. O. S. 122 IT.
'^ Die Ausführungen Anselm's über den Gottesbegriff, die einen ersten Fort-
schritt über den areopagitischcn enthalten, sind vom Lombarden gar nicht berück-
sichtigt worden, der sich einfach an die patristischc Ueberlieferung gehalten hat.
Erst Thomas nimmt Ansclm'« Spcculationcu auf.
444 (beschichte des Doo^iias im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
ein hoher Wertli beigeiiiesscii. Durch die Bekanntschaft mit Aristoteles
wurde aber der areoj)a^itische Gottesljegriti' eingeschränkt, der sich
bei Scotus Erigena, Aniah'ich von JJena und David von Dinanto sowie
bei den Anhängern des averrlioistischen Aristotelismus zum Pantheis-
mus entwickelt hatte. Die kosnu)logisclien Beweise, die man mehr und
mehr bevorzugte ', lührten auch eine strengere Unterscheidung zwischen
(lott und der (/reatur herauf, und Thomas selbst, obgleich bei ihm
der areopagitisch-augustinische Gottesbegriff noch zu Grunde liegt,
hat den Pantheismus energisch bestritten ^. Thomas hat auch , in
Nachfolge des Anselm, den Begriff Gottes als der absoluten Substanz
mit dem des selbstbewussten Denkens verknüpft, ferner von Aristoteles
die Detinition Gottes als actus purus übernommen und damit den Be-
griff lebendiger und personaler gestaltet. Allein er hatte daneben das
entschiedenste Interesse, die absolute Sufficienz und die Nothwendig-
keit in Gott zu betonen; denn nur das Nothwendige kann sicher erkannt
werden; von der sicheren Erkenntniss aber hängt die Seligkeit ab,
d. h. die visio dei. Thomas fasste nun demgemäss Gott nicht nur als
das nothwendige Sein, sondern auch als Selbstzweck, so dass die Welt,
welche er aus Güte schafft, seinem eigenen Zweck völlig untergeordnet
ist, der sich freilich auch ohne die Welt realisiren könnte^. Allein
schon Duns bestritt (gegen Richard von St. Victor, s. auch Anselm,
Monolog.) den Begriff eines nothwendigen Seins aus sich
selbst und warf damit im Grunde alle Gottesbeweise über den
Haufen ^ : das Unendliche ist nicht durch Demonstration erkennbar ; also
kann es nur auf Autorität geglaubt werden. Ebenso energisch ging
Occam dem „primum movens immobile" zu Leibe und zog sich gleich-
falls auf die Autorität zurück. Mit der Unmöglichkeit, das Unendliche
zu demonstriren und durch Speculation dem Begriff des „necessarium
ex se ipso" zum Leben zu verhelfen, fiel aber für den Nominalismus
auch der Begriff' der Nothwendigkeit der inneren Bestimmtheit des un-
endlichen AVesens, welches die Autorität lehrte, dahin. Gott ist nicht
^ S. Thomas P. I Q,. 2 Art. o, wo das kosmologischo Argument iu dreifacher
Gestalt auftritt.
'* Kitschi, Gesch. Studien z. christl. L. v. Gott, Jahrbb. f. deutsche Theol.
1865 S. 277 f['., Joh. Delitzsch, Die Gotteslehre des Thomas 1870. Ritschi hat
gezeigt (s. auch Rechtfert.- u. Versölmungslehre Bd. I 2. Autl. S. 58 ö'.j, dass be-
reits auf Thomas der aristotelische Gottesbegriff stark eingewirkt hat.
8 Summa P. I Q. 19 Art. 1. 2.
■* In Seutent. Lomb. I Dist. 2. Q. 2 Art. 1. lieber die Erkenntniss- undAVlssseii-
schaftslehre des Duns s. AVerner, Duns Scotus S. 180 ll". ; ebendort S. 331 ff. über
seine Gotteslehre, die nur eine aposteriorische Ermittelung der Bestimmtheiten des
göttlichen AVesens zulässt.
Die Gotteslehre. 445
siimmiim esse und summa intelligentia im Sinne der der Creatur zu-
stehenden Intelligenz, sondern er ist, gemessen an dem creatürlichen
Verstände, der schrankenlos allmächtige Wille, dieUrsache der Welt, die
aber auch ganz anders wirksam sein könnte, als sie es ist. Gott ist also
absolut freier Wille, der lediglich will, weil er es will, d. h. ein erkenn-
barer Grund des Willens ist nicht vorhanden. Von hier aus wird die
Gotteslehre ebenso unsicher, wie vor Allem die Gnadenlehre. Occam
ist dazu fortgeschritten, den Monotheismus nur für probabilior als den
Polytheismus zu erklären; denn streng beweisen lasse sich entweder
nur der Begriff eines einzigen höchsten Wesens, nicht aber die Existenz,
oder die Existenz relativ höchster Wesen, nicht aber die Einheit. Dem-
gemäss wurden auch die Eigenschaften Gottes in der thomistischen und
scotistischen Schule ganz verschieden bearbeitet. Dort werden sie
streng aus einem nothwendigen Princip abgeleitet, um schliesslich als
identisch in der einen Substanz wieder aufgehoben zu werden, hier wer-
den sie relativ bestimmt; dort wird — entsprechend der These des
summum esse — ein virtuelles Sein Gottes in der Welt angenommen
und im letzten Grunde zwischen dem Sein Gottes für sich und für die
Welt nicht unterschieden, hier ward — da die Welt ein gänzlich von
Gott losgelöstes, freies Product seines Willens ist — nur eine ideelle
Gegenwart Gottes gelehrt. Wie man leicht erkennt, ist der Gegensatz
letztlich durch eine andere Auffassung von der Stellung des Menschen
und von der Religion bestimmt. Dort ist sie Abhängigkeit von
Gott selbst, der alle Dinge umfasst und trägt, hier ist sie Selb-
ständigkeit gegenüber Gott. Es ist gewiss ein bedeutender Fortschritt
über Thomas hinaus, dass Gott von Duns streng als Wille und Person
gefasst und von der Welt unterschieden wird ; aber dieser Fortschritt
schlägt in dem Moment zu einem Nachtheil aus, wo man sich auf diesen
Gott nicht mehr verlassen kann, weil es nicht gestattet ist, ihn sich
nach den höchsten Kategorien sittlicher Nothwendigkeit handelnd zu
denken ', und wo desshalb die Regel gilt, dass das Gutsein der Creatur
in der Unterwerfung unter den seinen Motiven nach unerforschlichen,
seinem FnliMlt nach in der Off(mbarung deutlichen Willen Gottes be-
steht (so Duns)'^. Die Auff[issung, welche Gott, weil als Wille, auch als
' Werner, a. a. O. S. 408: „Es ist ein echt scotistischer Gedanke, dass der
jt)iSfj|iite f/öttlielie Wille nieht iiiifcr das Mass unserer etliiselicn Denkoewohn-
heiten (l) j(eHtelit werden könnc!."
' Dem ^egenül)er hatte Thomas g^ololirt (T*. T (^. l'J Art. 12), dass zwar „ex
seriHihiliuni cofrnitione non potest tota dei virtus c.otruoHrÄ et ])er eonsequens nee
eiiiH esseritia vith'ri", dass aher sowold die F^xistcn/ (iottes als „ea (|uae necesse
e«t ei eon venire" erkannt werd(;n könne. Duns und seinfiSehühir k'U}j;neten dies;
aber andererseits behaupteten sie, dass Gott erkc^nnbarer sei, als die Tliomisten dies
44G Geschichte des Dot^mas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Willkür fasst, geräth schliesslich in dieselbe Nothlage, wie die, welche
ihn als die Alles deterniuiirende Substanz fasst; denn in beiden Fällen
ist Dunkelheit über sein Wesen verbreitet. Aber den schmalen Weg,
der zu einer sicheren und trostreichen Erkenntniss Gottes führt,
den Weg des (Glaubens an Gott als den Vater .lesu (yhristi, haben die
Scholastiker nicht gehen wollen. Desshalb ist ihre gesammte Gottes-
lehre, mag sie nun thomistisch oder scotistisch lauten, in der Dogmatik
nicht zu brauchen. Denn diese muss an diesem Punkte auf ihr Erkennt-
nissgebiet, niünlich den geschichtlichen Ghristus, halten und darf den
Vorwurf eines „Köhlerglaubens" nicht scheuen, wenn es ein Köhler-
glaube ist, dass Gott nur an persönlichem Leben — und in Ueberzeugung
erweckender Weise nur an dem persönlichen Leben Christi — empfun-
den und erkannt werden kann. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass
die thomistische Mystik die Phantasie lebhaft zu erwärmen und den
Verstand über die Bodenlosigkeit der Speculation sanft zu täuschen
vermag. Wie weit sich das mittelalterliche Denken im Nominalismus
in Bezug auf den Gottesbegriff von jenem Denken entfernt hat, das einst
in der Kirche den articulus de deo theologisch fixirte, das wird man am
besten erkennen, wenn man die Gotteslehre des Origenes, Gregor von
Nyssa oder Johannes Damascenus mit der des Duns oder Occam ^
vergleicht. Von dem Gottesbegriff ist aber die gesammte Dogmatik
abhängig; denn er bestimmt die Vorstellung von der Seligkeit ebenso
wie die Vorstellung von der Versöhnung^. — Schliesslich ist daraufhin-
zuweisen, dass die mittelalterliche Theologie den Begriff Gottes als des
Richters stark betont, ihn aber nicht in die Speculationen über das
Wesen Gottes hineingezogen hat.
2. Stürmische Kämpfe über das richtige Verständniss und die
richtige Fassung der Trinitätslehre ^ waren schon abgelaufen, als die
Bettelorden in die Wissenschaft eintraten. Die kühnen Versuche, das
Geheimniss, sei es durch Annäherung an den Tritheismus (Roscellin) ^,
zugeben wollten. Diese stellten eine adäquate (wesenhafte) Erkenntniss Gottes (cog-
nitio quidditativa) in Abrede ; die Scotisten behaupteten sie, weil es sich überhaupt
nicht um die Erkenntniss einer unendlichen Intelligenz, sondern um die Erkennt-
niss des Gottes handelt, der Wille ist und seinen AVillen manifestirt hat.
^ lieber diese und die scharfsinnige Kritik an der aristotelischen Gotteslehre
s. Werner, Nachscotistische Scholastik S. 216 ft*.
* Es ist ein besonderes Verdienst von Ritschi, in seinem grossen dogmeu-
historischen Werke überall den Gottesbegriff in seiner grundlegenden Bedeutung
nachgewiesen zu haben.
^ S. Münscher § 120, Schwane, a. a. O. S. 152 ff, Bach, Dogmengesch.
Bd. IT., Baur, L. v. d. Dreieinigkeit, Bd. IT.
* Anwendung der nominalistischen Denkweise; gegen ihn Ansehn; s, Keuter
I S. 134 f. Deutsch, Abälard S. 256 f.
Die Trinitätslehre. 447
sei es durch den Uebergang zum Modalismus (Abälard) verständ-
licher zu machen, waren im Zeitalter Anselm's und Bernhard's
(gegen Gilbert) abgewiesen ^ Wo Augustin's Schrift de trinitate
studirt und befolgt wurde, stellte sich überall ein feiner Modalis-
mus ein-^, und leicht war es für Jeden, der verketzern wollte, dem
augustinisch beeinflussten Gegner Sabellianismus vorzuwerfen. Selbst
dem Lombarden wurde vorgehalten, dass er die divina essentia zu sehr
verselbständige und so eine Quaternität resp. sabelHanisch lehre ^. Im
13. Jahrhundert hatte man aus diesen Erfahrungen gelernt, das trini-
tarische Dogma durch ein noch grösseres Aufgebot von terminolo-
gischen Distinctionen zu schützen, als ein solches von Augustin herbei-
gezogen war. Die Ausführung der Trinitätslehre blieb die hohe Schule
der Logik und Dialektik. Im Thomismus bheb ihr eine Beziehung zur
Weltidee, sofern die Hypostase des Sohnes nicht scharf gegen die Welt-
idee in Gott abgegrenzt wurde. Auch musste der Thomismus noth-
wendig die Neigung zum Modalismus behalten, da der Gottesbegriff
die Annahme von Unterschieden in Gott im Grunde nicht gestattete,
sondern die Unterschiede zu Relationen herabsetzte, die selbst wiederum
zu neutralisiren waren. Dagegen hielt die scotistische Schule die Per-
sonen scharf auseinander. Aber diese Schule hätte, namentlich in
späterer Zeit, die Quaternität oder jede beliebige andere Gotteslehre
ebenso gut vertheidigen, resp. sich ihr unterwerfen können. Allein
schon vorher war die ganze Lehre zum blossen Schulproblem gewor-
^ Auch Tritheismus wollte man bei Abälard bemerken; über seine Trinitäts-
lehre s. Deutsch 8. 259 fr. Abälard wollte die Roscellin'sohe Fassung ebenso ab-
lehnen, wie den strengen Sabellianismus, aber er kommt doch nicht über einen feinen
Modalismus hinaus (s. Deutsch S. 280 ff.). Bemerkeuswerth ist, dass er, ähnlich
wie Luther zu Worms, im Prolog zu seiner Introductio in theolog. erklärt hat, dass
er bereit zu Correcturen sei, „cum quis me fidelium vel virtute rationis vel auctori-
tate scrijjturae correxerif* (s. M ü n s c h e r S. 52).
2 So bei Anselm und den Victorinern, besonders Richard, welche die augusti-
nischen Analogien der Trinität (die Kräfte des menschlichen Geistes) wiederholen
und ausführen.
" .Joachim von Fiore hat den Vorwurf erhoben, das 4. Jjateranconcil c. 2 den
Lombarden in Schutz genommen und decretirt: „Nos (seil, der Papst) sacro et uni-
versali concilio approbantecredimus etconfitemur cumPetro (scil.Lombardo), (juod
una quacdam summa res est, inc()m[)r('hensibilis r(uidem et in('flu])ilis, quae veraciter
est pater et filius et Spiritus, tres simul jjcrsonae, ac siiigulatim (juaelibet earundem.
Et ideo in deo trinitas est solummodo, non (juaternitas, (piia (|uaelibet trium per-
Honarum est illa res, videlicet suljstantia, essentia sive natura divina, quae sola est
universorum prineipium, praeter (|U()d aliud invcmiri non potest. Et illa res non est
generans netjuc genita nee [)rocedens, sed est pater <\m generat, filius rjui gignitui-,
et Spiritus sanctus ()ui proeedit, ut distinctiones sint in personis et unitas in natura."
448 Oesnhiohte des Doormas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
eleu uhiie jede Beziehunj^ zum lebendigen Glauben. Die Verehrung, die
man ihr zollte als dem Grunddogma der Kirche, steht in schreiendem
(jlegensatz zu dem Unvermögen, sie in der theologischen Behandlung
über das Niveau eines logischen Mysteriums zu erheben. Wie schon
Augustin, so legen die abendländischen Theologen des Mittelalters
Zeugniss davon ab, dass sie dieses Dogma nicht aufgestellt hätten,
wenn es nicht überliefert gewesen wäre, und das Decret des Lateran-
concils (s. S. 447 Anm. 3), welches eine „res non generans neque genita
nee procedens" hinter die Personen setzt, verwandelt diese factisch in
blosse Modalitäten y.rtx sTi'.voiav, resp. in innere Vorgänge in Gott. Oder
ist es noch eine Trinitätslehre, wenn das immanente Denken und das
immanente AV ollen in Gott als generare und spirare definirt und objec-
tivirt werden ? Im Nominalismus wurde aber die Behandlung dieses
Dogmas nicht besser. Die thomistische Schule befolgte doch noch
einen concreten Gedanken, wenn sie die Trinität aus den Analogien
verständlicher machen wollten ; denn nach ihnen zeigt die endliche
Welt und besonders die vernünftige Creatur Spuren des götthchen
Wesens und der göttlichen Eigenschaften. Aber diese Vorstellung
hatte der Scotismus, die Dreipersönlichkeit als geoffenbarte Thatsache
betonend, aufgegeben. Seine „subtilen Untersuchungen", bekennt sogar
Schwane ', „verloren sich zu sehr in das Gebiet eines Formalismus
und wurden zu einem Spielen mit Begriffen".
3. Die Lehre von der Ewigkeit der Welt - wurde nilgemein be-
stritten und die Schöpfung aus Nichts als Glaubenslehrsatz festgehalten.
Allein erst die nachthomistischen Scholastiker haben die Zeithchkeit
der Welt und die Schöpfung aus Nichts in strengen Formeln zum Aus-
druck gebracht. Obgleich Thomas den Pantheismus der neuplatonisch-
erigenistischen Denkweise ablehnt, so findet sich bei ihm doch noch ein
Rest der Vorstellung, dass die Schöpfung die Actualisirung der gött-
lichen Ideen sei, d. h. der Uebergang derselben in die creatürliche Sub-
sistenzform. Ferner nimmt er auf Grund des areopagitischen Gottes-
begriffs an, dass Alles, was ist, „participatione eins, qui solum per se
ipsum est" sein Dasein hat. Beide Gedanken verdunkeln aber den Be-
griff der Schöpfung^. Daher ist charakteristisch, dass Thomas, der
^ A. a. (3. >S. 179.
2 S. Münscher § 121. 122, Schwane S. 179—226.
^ Füi" eine pantlieistisolie Vorstellung von der Schöpi'ung ])oi Tliomas darf man
sieh aber schwerlich auf das häufio- von ihm pjebrauchte Wort „enianatio" (processio)
creaturarum a deo lierufen; denn er verwendet es doch nicht in pantheistischem Sinn.
Wenn er P. I Q. 45 Art. 1 sagt: „emanationem totius entis a causa universali, (]uae
est deus, designamus nomine creationis", so zeigt er eben desshalb im Fi>loenden,
dass „creatio, quae est emanatio totius esse, est ex non ente, ipiod est niliil."
Die Lehre von der Schöpfung und der Welt. 449
sonst in der Regel strenge Nothwendigkeit findet, darauf verzichtet; den
Anfang der Welt als denknothwendige Lehre zu erweisen ; Summa P. I.
Q. 46 Art. 2: „Dicendum, quod mundum non semper fuisse, sola fide
tenetur et demonstrative probarinon potest: sicut et supra de mysterio
trinitatis dictum est . . . mundum incepisse est credibile, non autem
demonstratibile vel scibile. Et hoc utile est ut consideretur, ne forte
aliquis quod fidei est demonstrare praesumens, rationes non necessarias
inducat , quae praebeant materiam irridendi infidelibus , existimantibus
nos propter huiusmodi rationes credere quae fidei sunt." Hätte Thomas
diese herrlichen Worte, die sich übrigens gegen Bonaventura und
Albertus Magnus richten, die den zeitlichen Anfang der Welt als eine
Vernunftlehre zu beweisen unternahmen, doch stets beherzigt ! Duns
Scotus und seine Schule folgten hier natürlich Thomas, indem sie für
die Zeitlichkeit der Welt ledigHch die Autorität des Glaubens gelten
Hessen ^ Allein die Ansicht des Albertus erhielt sich doch daneben in
der Kirche. Den Zweck der Weltschöpfung sahen alle Scholastiker in
der Beweisung der Liebe (bonitas) Gottes, welche sich anderen Wesen
mittheilen will. Auch Thomas hat, den areopagitischen Gottesbegriff cor-
rigirend, die Schöpfung der Welt nicht mehr für ein nothwendiges, son-
dern nur für ein contingentes Mittel erklärt, damit Gott seinen Selbst-
zweck erfülle. Allein er hat doch den Selbstzweck Gottes, der sich in
der Schöpfung frei realisire, als obersten Gedanken hingestellt: „divina
bonitas est finis rerum omnium" -, d. h. dass Gott seine eigene Seligkeit
will, umschliesst überhaupt alle Actionen des Seienden, dass er sie ver-
mittelst der Weltschöpfung will, ist sein freier Wille ; aber da er sie
einmal so gewollt hat, so ist der Zweck der Creatur ganz eingeschlossen
in den göttlichen Zweck; jene hat keinen eigenen Zweck, sondern
realisirt den götthchen, der ja selbst nichts Anderes als Verwirklichung
der bonitas ist. Damit ist doch der pantheistische Akosmismus nicht
ganz verbannt, während umgekehrt in der These des Thomas, dass Gott
die Idee der Welt mit Nothwendigkeit von Ewigkeit her gefassthabe,
weil diese mit seinem Erkennen und darum auch mit seinem Wesen zu-
sammenfalle, der pankosmistische Gottesbegriff nicht sicher aus-
geschlossen ist. In der scotistischen Schule ist der Selbstzweck Gottes
und der Zweck der Oreaturen scharf geschieden worden^. In Bezug
* Scotus hält die Möglichkeit eines göttlichen Scliaffcns von Ewigkeit her
nicht für undenkbar, aber wendet sich doch gegen die Argumente, durch welche
Thomas die Unerweislichkeit eines zeitlichen Anfangs der Schöpfung zu erhärten
sucht, 8. Werner, Duns Scotus S. 380 ff.
' r. I Q. 44 Art. 4; s. auch Q. 14. 19. 4«. 104.
^ Hier wäre die Stelle, von der Engellehre der Scholastiker zu handeln; aber
Harnack, Dogmengeschichto HI. 29
450 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrli.
auf die göttliche Vorsehung sind von Ansehn und Ahähird ah alle die
Fragen wieder hehandelt worden, die einst Origenes hehandelt hat;
aher sie erhielten seit Thomas eine ausserordentliche Erweiterung, so
dass ganz neue Terminologien hier geschafl'en wurden'. Die Frage, ob
diese Welt die beste sei, hat Thomas verneint, nachdem sie Ansehn
bejaht hatte; doch meint auch Thomas, dieses Universum köime niclit
besser sein, indessen hätte Gott andere Dinge schaffen können, die noch
besser seien '"^. In Folge seiner Grundbetrachtung nimmt Thomas an,
dass Gott alle Dinge immediato lenkt ; allein, je grössere Selbständig-
keit der Welt verheben wurde, um so stärker wurde dieser These wider-
sprochen. Auch in der Theodice, die im 13. Jahrhundert gegenüber
den dualistischen Secten wieder kräftig bearbeitet wurde , hat sich
Thomas enger an Augustin angeschlossen. Er hat den Gedanken nicht
gescheut, dass Gott „quasi per accidens" die corruptiones rerum be-
W'irkt; denn die „perfectio rerum universitatis requirit, ut non solum
sint entia incorruptibilia, sed etiam corruptibilia", daraus folge aber,
dass die perfectio Universi Wesen verlangt, welche vom Guten abfallen
da diese Materie — der Tummel- und Kampfplatz der Theologen, die hier mehr
Freiheit hatten als anderswo — mit der Dogmatik sehr lose zusammenhängt und
zugleich einer ernsthaften Betrachtung nicht würdig ist, so sei sie übergangen; s.
Thomas, P. I Q. 50—65, Schwane S. 194—217.
^ S. Summa P. I Q. 103 — 117: de gubernatione rerum, eingetheilt nach den
Gesichtspunkten des finis gubernationis, der conservatio und mutatio rerum. Bei
dem ersteren wird speculativ festgestellt, dass der iinis rerum „quoddam bonum
extrinsecum" sein müsse, wT.il der finis universalis rerum als das letzte Ziel das
„bonum universale" sein müsse, dieses aber könne nicht in der Welt eingeschlossen
sein, da diese kraft ihrer creatürlichen Eigenart stets nur ein participative bonum
einzuschliesseu vermag; also ist Gott selbst der finis gubernationis (s. oben). Ferner
werden in der allgemeinen Gubernationslehre die Fragen, ob es überhaupt eine
gubernatio giebt, ob sie von Einem ausgeht, ob ihr Effect ein einheitlicher oder
ein mehrfacher ist, ob Alles unter ihr steht, ob. sie überall eine unmittelbare
ist, ob etwas praeter ordinem gubernationis geschehen könne, und ob etwas „reniti
possit contra ordinem gubernationis dei", behandelt. Die „conservatio" wird (q. 104
art. 1) nur als ein fortgesetztes Schaffen definirt, wesshalb es am Schluss des Ar-
tikels (ad 4) heisst : „conservatio rerum a deo non est per aliquam novam actionem,
sed per continuationem actionis quae dat esse, quae quidem actio est sine motu et
tempore, sicut etiam conservatio lumiuis in aere est per continuatum influxum a
sole." Diese nicht unbedenkliche Definition erfährt ihre Anwendung in mancherlei
Weise. So wird das Wunder, sofern der ordo rerum a prima causa abhängt, für
unmöglich erklärt, dagegen zugelassen in Rücksicht auf die causae secundae (art. 6).
Nach Thomas aber sind die eigentlichen Wunder, obgleich sie niclit so genannt
werden, die Schöpfung der Welt und der Seelen, sowie die iustificatio impiorum;
denn sie sind praeter ordinem naturalem. Das Wunder aller Wunder ist Gott, quod
habet causam simpliciter et omnibus occultam.
2 P. I Q. 25 Art. C.
Die Lehre von der Person Christi. 45 1
können, „ex quo sequitur ea interdum deficere" '. Auch in diesen
Lehren wurde man vorsichtiger, je schärfer man Gott und die mit
eigener Willensbewegung begabte Creatur trennte ^.
4. Mit der Christologie verhielt es sich wie mit der Trinität sichre.
Im 12. Jahrhundert war noch lebhaft über sie gestritten worden, da
man sich bei dem gegen den Adoptianismus aufgestellten griechischen
Schema nicht überall beruhigte (Abälard's nestorianische Christologie
ist ein Protest gegen die Lehre des Damascenus und Alcuin's und
wirkte weiter) ^. Selbst noch der Lombarde, obgleich er mit Alcuin
leugnet, der Logos habe eine menschliche Person angenommen^, gravitirt
insofern nach der nestorianischen Seite hinüber, als er im Interesse der
Unveränderhchkeit Gottes in Abrede stellte, dass Gott durch die
Menschwerdung irgend etwas „geworden" sei, vielmehr sei ihm die
Menschheit nur wie ein Kleid gewesen ^. Gegen diese als Nihilianismus
bezeichnete, von den Dialektikern aufgenommene Lehre (Christus war
als Mensch non aliquid) erhob sich aber im Zeitalter Alexander's III.
ein starker Widerspruch, namentlich von deutschen Gelehrten (Gerhoch) ;
es wurde ihr gegenüber die vollkommenste und reale Durchdringung
von Gottheit und Menschheit in Christus behauptet (s. Alcuin) und
des Lombarden Lehre auch öffentlich als bedenklich bezeichnet^. Mit
dieser nota gegen den „Nihihanismus" ist die Zweinaturenlehre zu den
grossen Scholastikern gekommen, und das Problem der „hypo statischen
Union" wurde nun ebenso der Tummelplatz der scharfsinnigsten Er-
wägungen wie das Problem der Trinität^. Dabei wird von Allen die
Idiomencommunication so gefasst, dass in Christus eine für sich exi-
stirende menschliche Person ausgeschlossen zu denken ist. Aber es er-
» P. I Q. 48 Art. 2.
^ Selir beachtenswerth ist die Kritik des Duns an Augustin's und Anselm's
Lehre vom malum; s. Werner, a. a. O. S, 402 fi\
" S. Deutsch, a. a. 0. S. 289—318. A])älard's Lehre ist ein sehr tüchtiger
Versuch, im Rahmen des ül)erlieferten Dogmas der Menschheit Christi ihr Recht
zu geljen. Aber dieser Versuch ist als häretisch empfunden worden, und er ist in
der That })edenklich, wenn man erwägt, dass er die Einheit der Person Christi er-
schüttert, auf die Alles ankommt, die man aber damals freilich nur in den unvoll-
ziehbaren Kategorien der Naturen zum Ausdruck ])ringen konnte.
* Sentent. III dist. 5 C.
^ Sentent. ITT dist. 6. Do(;h ha])en erst die Schüler den hingeworfenen Ge-
danken des Lehrers ausgebeutet. Uebrigens besagt di(! Ijehre nichts Anderes, als
was Cyrill mit dem |j.ejA£VTjxev Zntp yjv in Bezug auf die Menschwerdung des Logos
ausgesagt hatte.
ß S. Jiach, a. a. (). Bd. IT, Hefele, Conoiliengeseh. V^ S. BlfUr. (Synode
von Tours 1163) u. S. 719 f. (3. Lateransynode 1179).
'S. Schwanes. 251— 296.
29*
452 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
gaben sich doch auch hier bedeutende Differenzen zwischen den Thomisten
und Scotisten ; denn Thomas liat das höchste Bestreben, den göttlichen
Factor so übergreifen zu hissen, dass das Menschliche nur zu einem
E^assiven und Accidentelleu wird ; er setzt recht eigentlich, wie er areo-
pagitisch bestimmt ist, auch die griechische monophysitische Christo-
logie fort, und es fehlt ihm auch nicht der areopagitische Hintergrund,
dass der Logos mit der ganzen menschhchen Natur in eben dasselbe
Verliiiltniss getreten ist, in welches er mit der menschlichen Natur Jesu
getreten ist. Dem gegenüber hat Scotus in sehr bescheidener Weise
und mit Aufbietung verblüffend complicirter Terminologien etwas mehr
von der Menschheit Christi retten wollen. Aber er bekommt da-
für von modernen katholischen Dogmatikern das Urtheil zu hören, „er
habe sich keine Lorbeeren errungen, vielmehr auf diesem Gebiete mit
seinen kritischen Ausstellungen (an dem engelischen Lehrer) am meisten
Fiasko gemacht" K Sein Bestreben, auch der menschlichen individuellen
Natur Christi Existenz beizulegen , wird verworfen. Ebenso werden
seine zahmen Versuche abgelehnt, dem menschhchen Erkennen Christi
gewisse Grenzen zu stecken und die Sündlosigkeit des menschlichen
Willens Jesu nicht aus der hypostatischen Union, sondern aus der
„plenissima fruitio quam liabuit Christus", d. h. aus der vollendeten
Willenshingabe, abzuleiten '^. Auf diesem Gebiet blieb der Thomismus
siegreich. Den Scotisten gelang es nicht, die Anerkennung einer be-
sonderen Seinsweise für die individuelle menschhche Natur Christi
durchzusetzen^.
* Schwane S. 288; vgl. die ausführliche Darstellung Werner^s, a. a. 0.
S. 427 ff. Duns lehrte eine doppelte Filiation und hat sich auch in den Report.
Paris, ausdrücklich zur Probabilität des Adoptianismus bekannt ; s. S. 439 f. Ueber
die gleichartige Christologie der nachscotistischen Scholastik s. "Werner II
S. 330 f.
2 S. Werner S. 440 ff.
' Die Lehre vom hl. Geist hat eine weitere Entwickelung in der Scholastik
nicht erfahren. Wohl aber wurde seit den Tagen des lateinischen Kaiserthums im
Orient bis zur Synode von Florenz in unendlichen Tractaten mit Griechen über den
Ausgang des hl. Geistes gestritten und verhandelt. Die Unionsverhandlungeu
dauerten mit Unterbrechungen fast 250 Jahre, und sie gewährten desshalb zeit-
weilig eine gewisse Aussicht, weil es seit dem 13. Jahrhundert im Orient eine kleine
lateinische Partei gab, die aber zuletzt stets von derGesammtkirche des Orients des-
avouirt worden ist. Zu Lyon 1274 (can. 1) erkannten Griechen an, dass der hl. Geist
vom Vater und Sohn („non tamquam ex duobus principiis, sed tamquam ex uno prin-
cipio, unica spiratione") ausgehe, und zu Florenz (Mansi XXXI p. 1027 sq.) einigte
man sich in einer complicirten Formel, die aber das „filioque" ausdrücklich recht-
fertigte. Allein schon 1443 wurde das Florentiner Concil auf einer jerusalemischeu
Synode von dem antiochenischen, alexandrinisehen und jerusalemischeu Patriarchen
Die Lehre von Christus und vom hl. Geist. Das Werk Christi. 453
Der Sieg der in den chalcedonensischen Formeln verhüllten mono-
physitischen Christuslehre ^ ist um so auffallender, als man praktisch-
rehgiös gar keinen Gebrauch von ihr machte, vielmehr das wirkliche
Interesse an Christus einerseits in der Vorstellung vom armen Leben
Jesu und dem Ecce homo, andererseits in der Yersöhnungs- und Sacra-
mentslehre zum Ausdruck brachte^. Die Yersöhnungslehre aber hat
nur scheinbar die griechische Christologie sammt der Zweinaturenlehre
zu ihrer Voraussetzung. Dies ist bereits oben bei der Versöhnungslehre
Anselm's, Abälard's und des Lombarden gezeigt worden^. Es erübrigt
hier die Gedanken der späteren Scholastiker über das "Werk Christi
kurz zu präcisiren ^.
Der Lombarde hatte das Verdienst Christi in den Vordergrund
geschoben; daneben alle möghchen Gedanken über die Erlösung durch
Christus — mit Ausnahme der Anselm'schen Theorie — zum Ausdruck
verdammt. Die lateinisch gesinnten Griechen bekannten entweder reuemüthig ihren
„ Verrath am Glauben" oder zogen es vor, in Italien zu bleiben und römische Würden-
träger zu werden.
* Dieser Sieg ist freilich nicht in der Scholastik zu Stande gekommen, son-
dern in der Kirche. Die Scholastik ist vielmehr durch Occam zur vollkommenen
Auflösung der Gottmenschheit Christi geführt w^orden, so dass dem Socinianismus
nichts mehr zu thun übrig blieb (s. Werner II S. 353 ff.). Certilog., concl. 6 schreibt
Occam : „Est articulus fidei, quod deus assumpsit naturam humanam. Non includit
contradictionem , deum assumere naturam asininam; pari ratione potest
assumere lapidem vel lignum." Dazu (1. c. concl. 62): „Christo könne das Prädicat
Gottessohn nur insofern attribuirt werden, als in ihm das Verbum divinum mit der
Menschennatur vereinigt erscheint; von einem Filiationsvcrhältniss des Verbum
divinum an sich wisse die Mcnschenvemunft nichts" ; ebenso sei die Lehre von der
Trinität vernunftwidrig (I Dist. 9 Q. 1). Wenn dem gegenüber auf die fides ver-
wiesen wird, so ist lediglich die Unterwerfung unter die Autorität gemeint. Fiel
diese nun aus irgend einem Grunde weg, so war der Socinianismus fertig.
2 Es wiederholt sich hier also dasselbe, was wir schon bei der Trinitätslehre
beobachtet haben. Bei beiden Dogmen schlägt die theoretische Speculation Wege
ein, die mit den Wegen, welche der Glaube wandelt, kaum mehr verbunden sind.
Man kann sich keinen grösseren Gegensatz denken, als den, dass in der Lehre von
der Person Christi der „homo" fast ganz elimirt wird, und dass dann in der Lehre
von dem Werk Christi dieser „homo" souverän hervortritt. Durch Worte und
Terminologien lassen sich freilich alle Klüfte überbrücken-, aber es sind eben nur
Worte. V
3 S. S. 341 ff.
' S. RitHchl, Bd. IS. 55 ff., Münscher § 135, Schwane S. 29«— 333. Die
passio Christi beherrscht die ganze abendländisclic Theologie. Nennt Joh. Damas-
cenus (s. Bd. II S. 157) die Incamation das allein Neue unter der Sonne, so giobt
Walter v. d. Vogelweide die allgemeine Ueberzeugung des Abendlandes wieder,
wenn er in einem seiner bekanntesten Gedichte das Leiden Christi als das Wunder
aller Wunder preist.
454 (ireschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
gebracht und sich enge an Augustin und Abälard („reconciliati sumus
deo diligenti nos'^) angeschlossen. Die Wendung im 13. Jahrhundert
besteht nun darin, dass im Gegensatz zu Abälard und in einem gewissen
Anschluss an Anselm die objective Erlösung (in der Richtung auf Gott)
in den Vordergrund tritt, dabei aber der Gesichtspunkt des Ver-
dienstes, den Anselm nur angedeutet hatte, stärker betont wird.
Jene Wendung zeigt sich schon bei Alexander Halesius und Albertus;
aber erst Thomas hat eine ausführliche, streng durchdachte Erlösungs-
lehre gegeben. Allerdings wechselt auch er zwischen den Gesichts-
punkten, was stets ein Zeichen ist, dass der Gesichtspunkt nicht sicher
getroffen ist; denn wo der zureichende Grund fehlt, stellen sich die
Gründe ein. Der zureichende Grund fehlte dem Thomas aber; denn
P. in Q. 46 Art. 1 — 3 wird die Nothwendigkeit des Todes Christi aus-
drücklich abgelehnt — Gott hätte uns kraft seines freien Willens auch
die Sünde einfach erlassen können — , der gewählte Weg der liberatio
per mortem Christi ist nur der schicklichste, weil uns so mehr und
Grösseres zu Theil wird, als wenn wir sola voluntate dei erlöst würden.
Es sind vornehmHch drei Gesichtspunkte, die Thomas in Anwen-
dung gebracht hat. Erstlich hat er (Q. 46) eine grosse Reihe von Argu-
menten geltend gemacht, die beweisen sollen, dass der Tod Christi mit
allen Umständen seines Leidens die schicklichste Form der Erlösung
gewesen ist. In diesem Rahmen kommen bereits viele sachliche Ge-
sichtspunkte vor. Vor Allem aber wird der unendliche Schmerz, den er
erduldet, betrachtet. Sein Leiden (während des ganzen Lebens und im
Tode) wird als die Summe alles denkbaren Leidens dargestellt, und zwar
im Sinne des eigenen Schmerzes und des Mitleidschmerzes wegen unserer
Sünde. Hier kommt die abälardisch-augustinische Ueberheferung zu
ihrem Rechte, dass das Leiden Christi, des mittlerischen Menschen,
insofern erlöst, als es uns die Liebe Gottes zu Gemüthe führt, uns ein
Beispiel wird, uns von der Sünde abruft und als Motiv die Gegenliebe
erweckt. Aber andererseits wird auch schon hier das convenientius in
objectivem Sinn ausgeführt, sofern der Tod Christi das schicklichste
Mittel war, um durch denselben für die Menschen die gratia iustificans
und die gloria beatitudinis zu erwerben ^
* Q. 46 Art. 3: „Tanto aliquis modus convenientior est ad assequendum finem,
quanto per ipsum plura concurrunt, quae sunt cxpedientia fmi. Per hoc autem quod
homo per Christi passionem liberatus, multa concurrcnmt ad sahitem hominis per-
tinentia praeter libcrationemapeccato: Primo enim per hoc homo coguoseit,
quantum hominem deus diligat, et per hoc provocatur ad eum diligendum, in quo
perfectio humanae sahitis consistit. Unde Apostohis dicit: „Commendat suam
caritatem deus etc." Secundo quia per hoc nobis dedit exemplum obedicutiao
I
Die Lehre vom "Werk Christi. Thomas. 455
In der 48. Q. werden nun unter dem Titel „de modo passionis
Christi quantum ad effectum" neue Gesichtspunkte eingeführt. Der
hypothetische Charakter tritt hier hinter dem nothwendigen Erfolg
des Leidens zurück. Beherrscht aher ist die ganze Untersuchung
durch den Grundgedanken: „Christus non est passus secundum divi-
nitatem, sed secundum carnem", dem die Gottheit zugesellt war.
Hier wird der Tod Christi unter den Gesichtspunkt des Verdienstes
(Art. 1), der Satisfaction (Art. 2), des Opfers (Art. 3), der Redemp-
tion (Art. 4 und 5) und der „efficientia" (Art. 6) gestellt. Daran reiht
sich in der 49. Q. die Untersuchung darüber, inwiefern der Tod
Christi uns von der Sünde (Art. 1), von der Macht des Teufels
(Art. 2), und a reatu poenae (Art. 3) befreit habe, ferner ob wir
durch denselben mit Gott versöhnt sind (Art. 4), ob uns durch ihn
der Zugang zum Himmel eröffnet ist (Art. 5), und ob Christus durch
ihn erhöht worden ist (Art. 6). Aus diesen Gesichtspunkten treten
(zweitens) der der Satisfaction und (drittens) der des Verdienstes
als besonders wichtig hervor.
Der Begriff der satisfactio wird so gewonnen, dass (gegen An-
selm) die Freiwilligkeit des Leidens Christi im strengsten Sinn ge-
nommen und nun dieses freiwillige Leiden nach der Begel als satis-
factio definirt wird, dass eine solche stets in einer Gabe besteht,
welche der Beleidigte mehr liebt, als er die Beleidigung hasst. Dies
wird an dem Leiden Christi nachgewiesen, welches (s. oben) nicht
nur als das Todes-, sondern auch als das Lebensleiden beschrieben
wird ' und seinen Werth an dem gottmenschlichen Leben des Mitt-
lers hat. Eben desshalb ist die satisfactio nicht nur zureichend,
sondern superabundans ^; d. h. sie ist nicht nur aequalis omnibus
et hiimilitatis et constantiac, iustitiae et ccterarum virtutum in passionc Christi
ostensarum, quac sunt neccssaria ad humanam sahitem. Undc dicitur 1. Pct. 2:
„Christus passus est pro nobis, nobis rclinqucns cxemphim etc." Tertio quia
Christus per passionem suam non solum hominem a peccato liberavit, sed ctiam
gratiam iustificantom et gloriam beatitudinis ei p romer uit, ut infra
dicetur (Q. 48). Quarto, quia per hoc est homini inducta maior necessitas, sc
immunem a peccato conservandi, (pii se sanguine Christi redemptum cogitat a
peccato, secundum illud I Cor. 6: „p]mpti estis pretio etc." Q,uinto quia hoc ad
maiorcm dignitatem hominis cessit, ut sicuthomo victus fucrat et deceptus a diabolo,
ita (itiam homo esset qui diabolum vincerot, et sicuthomo mortem meruit,
ita homo moriendo mortem supcraret. P]tideo conveiiicntius fuit (juod per passionem
Christi liljcraremur, quam per solam dei voluntatem." In dei- (^. 47 setzt sich die
ßehandhing der Erlösung unter dem Gesichtspunkt des convenicntissimum fort.
* p]s ist ein Fortschritt des Thr>mas, dass er sich nicht nur auf den Tod Christi be-
schränkt, sondern sein ganzes Leben als ein Leiden mit in die Betrachtung hineinzieht.
'^ Q. 48 Art. 2: „Respondeo dicendum, quod ille proprio satisfacit pro oflensa,
456 (ieschichte des Dogmas im Zeit.alter der Hettelorden bis zum IH. .Itihrh.
peccatis hiimani generiS; sondern ihnen positiv überlegen. Damit ist
eine Vorstellung gewonnen, die, scheinbar unbedenklich und würdig,
zu den traurigsten Speculationen Anlass geben sollte. Ein stellver-
tretendes Strafleidon im strengen Sinn des Worts kennt auch Tho-
mas nicht, weil er der iustitia dei in der ganzen Frage nur einen
geringen Spielraum gelassen hat^ Doch streifen einige Ausführun-
gen in der 49. Q. an jenen Gedanken heran *.
qui exhibet offenso id quod acque vcl magis diligit, quam odcrit offensam. Christus
autem ex caritate etobedientia patieiido maius aliquid deo exhibuit, quam exigeret
recompensatio totius offensae humani generis : primo quidem propter raagnitudincm
caritatis ex qua patiebatur, secundo propter dignitatem vitac suae quam pro satis-
factione ponebat, quao erat vita dei et bomiuis; tertio propter gener alitat em
passionis et magnitudincm doloris assumpti, ut supra dictum est (Q,. 46 Art. 6). Et
ideo passio Christi uon solum sufficiens, sed etiam superabundans satisfactio
fuit pro peccatis humani generis."
* Auf diese satisfactio superabundans kommt Thomas im 4. Art. (redemi^tio)
zurück : ^respondeo dicendum, quod per peccatum dupliciter homo obligatus erat,
primo quidem Servitute peccati, quia qui facit peccatum, servus est peccati . . . Quia
igitui' diabolus hominem superaverat, inducendo ad peccatum, homo servituti diaboli
addictus erat. Secundo, quantum ad reatum poenae, quo homo erat obligatus secun-
dum dei iustitiam. Et hoc etiam est servitus quaedam; ad servitutem enim perti-
net quod aliquis patiatur, quod non vult, cum liberi hominis sit uti se ipso ut vult.
Quia igitur passio Christi fuit sufficiens et superabundans satisfactio pro peccato et
reatu poenae generis humani, eins passio fuit quasi quoddam pretium per
quod liberati sumus ab utraquc obligatione. Nam ipsa satisfactio qua quis satisfacit,
sive pro se sive pro alio, pretium quoddam dicitur, quo seipsum vel alium
redimit a peccato et a poena . . . Christus autem satisfecit non quidem pecuniam dando
aut aliquid huiusmodi, sed dando id quod fuitmaximum, seipsum seil, pro nobis. Et
ideo passio Christi dicitur esse nostra redemptio." — Eine nicht unwichtige Wendung
findet sich dort (Q.47, 2; 48, 3), wo das Leiden Christi unter den Gesichtspunkt des
Opfers gestellt wird. Hier wird nämlich nicht nur im Allgemeinen die Liebe als das
im freiwilligen Opfer "Wirksame bezeichnet, sondern genauer noch der Gehorsam:
,,Convenientissimum fuit, quod Christus ex obedientia pateretur . . . obedientia vero
Omnibus sacrificiis antefertur . . . miles vincere non potest nisi duci obediat, et ita
homo Christus victoriam obtinuit per hoc quod deo fuit obediens . . . Quia in morte
Christi lex vetus consummata est, potest intelligi quod patiendo omnia veteris legis
praecepta implevit: moralia quidam, quaein praeceptis caritatis fundantur, implevit,
in quantum passus est et ex dilectione patris et etiam ex dilectione proximi, caere-
monialia vero praecepta legis, quae ad sacrificia et oblatioues praecipue ordinantur,
implevit Christus sua passione, in quantum omnia antiqua sacrificia fuerunt figurae
illius veri sacrificii, quod Christus obtulit moriendo pro nobis . . . Praecepta vero
iudicialia legis, quae praecipue ordinantur ad satisfaciendam iniuriam passis, implevit
Christus sua passione, permittens se ligno affigi pro pomo quod de ligno homo rapu-
erat contra dei mandatum."
^ S. Art. 3 und 4: „Respondeo dicendum, quod per passionem Christi liberati
sumus a reatu poenae dupliciter. Uno modo directe, in quantum seil, passio Christi
fuit sufficiens et superabandans satisfactio pro peccatis totius humani generis-, ex-
Die Lehre vom Werk Christi. Thomas. 457
Was das Verdienst betrifft, so soll unter diesem Titel eine
deutliche Vorstellung gewonnen werden, inwiefern das Leiden Christi
real den Einzelnen zu Gut kommt. Es ist werthvoll^ dass Thomas
den griechischen Gedanken, der seine Lehre von der Person Christi
beherrscht, dass nämlich die Menschheit Christi an sich die Menschen -
natur überhaupt ist, bei Seite schiebt und nicht weiter verwerthet. Mit
dieser mechanischen Vorstellung von der Sache begnügt er sich nicht.
Man sieht auch hier, dass die Lehre von der Person Christi und
von seinem Werke ganz auseinanderklaffen. Nur einmal * streift er
hibita autem satisfactione sufficienti tollitur reatus poenae (dies ist
freilich keine Strafübernahme). Alio modo indirecte, in quantum seil, passio Christi
est causa remissionis peccati, in quo fundatur reatus poenae. Dem Einwurf, dass
den liberatis nocb poenae satisfactoriae von der Kirche aufgelegt werden, beant-
wortet er so: „Ad hoc quod consequemur effectum passionis Christi, oportet nos ei
configurari. Configuramur autem ei in baptismo sacramentaliter, secundumRom. 6,4:
„Consepulti sumus ei per baptismum in mortem." Unde baptizatis nulla poena
satisfactoria imponitur, quia sunt totaliter liberati per satisfactionem Christi. Quia
vero Christus semel tantum pro peccatis nostris mortuus est, ut dicitur I Pet. 3, 18,
ideo non potest homo secundario configurari morti Christi per sacramentum bap-
tismi. Unde oportet quod illi, qui post baptismum peccant, configurentur Christo
patienti per aliquid poenalitatis vel passionis quam in se ipsis sustineant (!). Quae
tarnen multo minor sufficit, quam esset condigna peccato, cooperante satisfactione
Christi." Eine wunderbare Illustration zur satisfactio superabundans ! Auch im
4, Art. wird die reconciliatio dei nicht auf die Erduldung des Strafleidens, sondern
auf das „sacrificium acceptissimum" zurückgeführt. Gott wird versöhnt, 1) weil die
passio Christi peccatum renovat, 2) weil sie Opfer ist; „est enim hoc proprie sacri-
ficii effectus, ut per ipsum placetur deus ; denn wie der Mensch propter aliquod
obsequium acceptum die Beleidigung vergiebt, „similiter tantum bonum fuit, quod
Christus voluntarie passus est, quod propter hoc bonum in natura humana
inventum deus placatus est super omni offcnsa generis humani, quantum ad eos
qui Christo passo coniunguntur." Von einer Umstimmung Gottes will auch Thomas
nichts wissen, obgleich er sich vorsichtiger als der Lombarde ausspricht. „Deus
diligit omnes homines quantum ad naturam quam ipse fecit, odit tamen cos quan-
tum ad culpam . . , non dicendum, quod passio Christi dicitur quantum ad hoc, deo
nos rcconciliasse, quod de novo nos amare inciperet, sed quia per passionem Christi
sublata est odii causa, tum per ablationcm peccati tum per rccompensationem
acceptabilioris bencficii." In dem 5. Art. wird ausdrücklich die passio Christi
sowohl auf das peccatum commune totius humanae naturae (et quantum ad culpam
et quantum ad reatum poenae), als auch auf die peccata propria singulorum, qui
communicant cius passioni ])er fidcm et caritatcm et fidei sacramenta, bezogen. Doch
wird bei den letzteren die Auf heljung des reatus poenae nicht ausdrücklich hervor-
gehoben. Die deutlichste Stelle über den Strafwerth des Todes Christi steht Q. 47
Art. 3: „in quo ostenditur et dei soveritas, qui peccatum sine poena dimittere
noluit." Aber eine zusammenhängende Ansicht ist von hier aus nicht entworfen,
während sie bei Bernhard nachgewiesen werden kann.
' S. die vorige Anmerkung.
45H GeBcbichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zuui It). Jahrh.
den Gedanken, Gott sei versöhnt, weil er nun in der Menschen natiir
das Gute gefunden habe. Sonst hat er eine ganz andere Betrach-
tung, die er sogar an die Spitze seiner Ausführungen gestellt (Q.48, 1)
und auch im Fortgang derselben nie aus den Augen verloren hat.
Es ist die von Anselm angedeutete, dass Christus durch sein frei-
williges Leiden die Erhöhung verdient hat (Q. 49, 6), dass sie aber
nicht ihm zugewendet werden kann, sondern von ihm als dem Haupte
der Kirche auf diese übergeht '. Die Ausführlichkeit, mit welcher
Thomas diesen Gedanken dargestellt und wiederholt hat, bürgt da-
für, dass er ihm ein höchst werthvoUer gewesen ist. Er hat ihn auch
so dargestellt (Q. 48, Art. 2) : „caput et membra sunt quasi una
persona mystica, et ideo satisfactio Christi ad omnes fidel es pertinet,
sicut ad sua membra." Hier ist endlich auch der Begriff der fidel es
(als der ecclesia) in die Frage nach dem Effect und den Beziehun-
gen der Erlösung eingeführt; aber nur im 1. Art. der 49. Q. ist
Thomas auf den Glauben näher eingegangen, jedoch um sofort auf
die Liebe überzuschwenken : „Dicendum quod etiam per fidem appli-
catur nobis passio Christi ad percipiendum fructum ipsius, secundum
illud" Rom. 3: »Quem proposuit deus propitiatorem per fidem etc.«
Fides autem per quam a peccato mundamur, non est fides informis,
quae potest esse etiam cum peccato, sed est fides formata per cari-
tatem, ut sie passio Christi nobis applicetur, non solum quantum ad
intellectum, sed etiam quantum ad effectum."
Ueberblickt man die Ausführungen des Thomas, so kann man
sich des Eindrucks des Verworrenen nicht erwehren (multa, non mul-
tum). Das Schwanken zwischen der hypothetischen und der noth-
wendigen Betrachtung, zwischen der objectiven und der subjectiven
Erlösung, ferner zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten der
Erlösung, endlich zwischen einer satisfactio superabundans und der
Behauptung, dass wir für die Sünden nach der Taufe die Leistung
* Q. 48 Art. 1 : „Christo data est gratia non solum sicut singulari personae.
sed in quantum est caput ecclesiae, ut seil, ab ipso redundaret ad membra. Et ideo
opera Christi hoc modo se habent tam ad se quam ad sua membra sicut se habent
opera alterius hominis in gratia constituti ad ipsum" ... Q. 49 Art. 1 : „Passio
Christi causat remissionem peccatorum per modum redemptionis, quia enim ipse
est Caput nostrum, per passiouem suam quam ex caritate et obedientia sustinuit,
liberavit nos tamquam membra sua a i>eccatis, quasi per pretium suae passionis,
sicut si homo per aliquod opus meritorium, quod manu exerceret, redimeret se a
peccato quod pedibus commisisset. Sicut enim naturale corpus est unum ex mem-
brorum diversitate constans, ita tota ecclesia, quae est mysticum corpus Christi,
computatur quasi una persona cum suo capite, quod est Christus", u. a. St., bes.
P. III, Q. 8.
Die Lehre vom Werk Christi. Thomas. Duds Scotus. 459
Christi zu ergänzen haben^ lässt keinen sicheren Eindruck aufkom-
men. Es lag nur in der Consequenz der Entwickelung, dass Duns
Scotus dazu fortschritt, vollends Alles ins Relative zu ziehen. Wie
überall, wo man dem Wirklichen an einem vermeintlich metaphysisch-
Nothwendigen einen sicheren Rückhalt geben will, präsentirt sich
dieses Wirkliche schliesslich nur als das Mögliche und desshalb
bald auch als das Irrationale. An die sittliche Nothwendigkeit der
Strafe hat Niemand gedacht.
Duns Scotus zieht die wahre Consequenz der Satisfactionstheorie
(im Unterschied von der Idee des stellvertretenden Strafleidens), in-
dem er Alles auf die „acceptatio" Gottes zurückführt. Jegliche Satis-
faction und jegliches Verdienst empfängt seinen Werth aus der ar-
biträren Schätzung des Empfängers. Also ist der Werth des Todes
Christi so hoch, als ihn Gott taxiren wollte. Aber von Unendlichkeit
im strengen Sinn kann überhaupt hier nicht geredet werden; denn
1) ist die Sünde selbst nicht unendlich, da sie von endlichen Wesen
gethan wird (sie ist höchstens quasi unendlich, wenn man sie nämlich,
was nicht nothwendig ist, nach der Beleidigung des unendlichen Gottes
bestimmt), 2) ist das Verdienst Christi nicht unendlich, da er nach
seiner menschlichen (endlichen) Natur gelitten hat ^, 3) bedarf es in
keinem Sinn eines unendlichen Verdienstes, weil Gott jegliches Ver-
dienst so hoch taxiren kann, wie er will; denn an sich ist nichts
verdienstlich, weil ja auch an sich nichts gut ist, sondern der sou-
veräne götthche Wille declarirt, was er will, als gut und verdienstHch.
Desshalb hat auch Duns sich nicht gescheut, zu erklären, dass ein
Engel oder auch ein purus homo, der von der Erbsünde freigeblieben
und mit der Gnade ausgerüstet wäre, uns hätte erlösen können.
Handelt es sich ja doch nur um den ersten Anstoss ; das Uebrige
muss sich jeder Mensch doch zusammen mit der Gnade selbst er-
werben. Diese muss ihn so zu sagen nur über den „todten Punkt"
bringen. Natürlich ist Duns im Weiteren doch bestrebt, das con-
veniens des Todes des Gottmenschen darzulegen, und er führt hier
wesentlich dieselben Gedanken aus wie Thomas. Allein in die strenge
Dogmatik gehört das nicht mehr. Dieser ist Genüge geschehen durch
den Nachweis, dass Gott kraft seines willkürlichen Willens eine be-
stimmte Anzahl zur Seligkeit bestimmt hat, kraft desselben willkürhchen
Willens vor der Wcltschöpfung schon festgestellt hat, dass sich die
' In kScnt. III Dist. 19 n. 7: „Mcritum Christi fuit finitum, (juia a priucipio
fiüito essentialiter dopendens, etiam accipiorido ipsum cum omnibus respcctibus, sive
cumreßpectu ad suppositum Verbi, sivc cum respcctu adfinem, quia omnes respectus
isti crant fmiti."
460 Uesohichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
ErvvUhlung durch das Leiden des Grottmenschen vollziehen soll, und
nun diesen Plan durchführt, indem er das Verdienst des Gottmenschen
acceptirt, die gratia prima den Erwählten verh^iht und nun das
Uebrige von ihrer Selbstthätigkeit erwartet. Christus ist im Grunde
hier desshalb gestorben, weil es geweissagt worden ist (s. Justin),
und es ist geweissagt worden, weil Gott es so beschlossen hat. Alles
„Unendliche'^, welches doch der Ausdruck für das Göttliche und
Einzigartige ist, ist hier weggeräumt; in Wahrheit würde hier mensch-
liches Thun auch genügt haben; denn nichts ist noth wendig im sitt-
lichen Sinn, und nirgends zeigt sich mehr als eine quasi-Unendlich-
keit K Diese aus der Rücksicht auf die uncontrolirbare, prädesti-
nirende Willkür Gottes (und auf die Werkgerechtigkeit) geborene
Theorie steht neben einer — ausgeführten Zweinaturenlehre ! '^ Sie
ist aber darin ganz besonders irreligiös, dass sie das Werk Christi
einschränkt auf die Gewinnung jener „gratia prima", die nichts An-
deres ist als die Herstellung einer Art von Möglichkeit, damit
der Mensch die Wirklichkeit seiner Erlösung selbst besorge^.
1 S. Ritschi I S. 73—82. Werner S. 454 ff. In Scntent. III Dist. 19 Q. 1.
Die 20. Dist. ist ganz der Widerlegung Anselm's gewidmet. Einige Hauptsätze seien
hier augeführt: „Sicut omue aliud a dco ideo est bonum, quia a deo volitum, et non
e converso, sie meritum illud tantum bonum erat, pro quanto acceptabatur et ideo
meritum, quia acceptatum, non autem e converso quia meritum est et bonum, ideo
acceptatum" . . . Christi passio electis solum primam gi^atiam disponentem ad
gloriam consummatam efficaciter meruit. Quantum vero adtinet ad meriti sufficien-
tiam, fuit profecto illud finitum, quia causa eins finita fuit, vid. voluntas naturae
assumptae et summa gloria illi collata. Non enim Christus quatenus deus meruit,
sed in quantum homo. Proinde si exquiras, quantum valuerit Christi meritum
secuudum sufficientiam, valuit procul dubio quantum fuit a deo acceptatum. Si qui-
(lem diviua acceptatio est potissima causa et ratio omnis meriti. Omne enim aliud a
deo ideo est bonum quia a deo dilectum, et non e contrario .... deus non acceptat
opus idcirco quod sit meritorium aut bonum. Tantum ergo valuit Christi meritum
sufficienter, quantum potuit et voluit ipsum trinitas acceptare. Verum tarnen ex
sua ratione formali et de condigno non potuit in infinitum seu pro infinitis accop-
tari, quia nee illud in se fuit formaliter infinitum. Nihilosecius si spectes suppositi
merentis circumstantiam et dignitatem, habebat quandam extrinsecam rationem,
propter quam de congruo in infinitum extensive, id est pro infinitis, potuit accep-
tari. Sed quid meruit Christus? Meruit sane primam gratiam omnibus qui eam
recipiunt, quae et absque nostro merito confertur. Nam licet in adultis qui bapti-
zantur non desideretur aliqua dispositio, nihilominus non merentur illam gi'atiam
per suam dispositionera . . , nullus actu ingreditur regnum coeleste, nisi cooperetur,
si habuerit facultatem, et utatur prima gratia, quam sibi Christus promcruit."
^ Allerdings ist diese Zweinaturenlehre durch ihren Nestorianismus auch schon
auf die Aufhebung der Gottheit Christi angelegt.
^ Auch Schwane S. 327 ff. kritisirt die Erlösungslehre des Scotus, die, dia-
lektischbetrachtet, durch ihre Geschlossenheit der thomistischen überlegen ist, sehr
Die Lehre vom Werk Christi. Das 14. und 15. Jahrhundert. 461
Scotus hat es erreiclit; auch diese Lehre dem Glauben zu ent-
reissen und sie ganz zu einem dialektischen Problem umzugestalten.
Darin liegt die Zersetzung der Dogmatik durch den Scotismus. Tri-
nitätslehre, Christologie und Erlösungslehre sind nun glücklich dem
Gebiete des innerlich nothwendigen, tröstlichen Heilsglaubens ent-
nommen. Dabei blieb es in der nominalistischen Schule. Nur an
dem einzigen Punkte, der aber stets unter dem Titel des conveniens
untergebracht wurde, dass die im Tode Christi bewiesene Liebe Gottes
Motiv zur Gegenhebe wird, blieb ein dürftiger Eest eines erwärmen-
den Gedankens. Während im 14. Jahrhundert die scotistische Theorie
der satisfactio secundum acceptationem immer mehr Anhänger ge-
wann, hin und her durch den Formalismus der Dialektik selbst bis
zum Blasphemischen gesteigert wurde und auch auf die Thomisten
eimvirkte, lassen sich im 15. Jahrhundert Spuren nachweisen, dass
sich eine ernsthaftere und sachliche Erwägung wieder einzustellen
beginnt. Es steht das unzweifelhaft im Zusammenhang mit dem
"Wiederaufleben des Augustinismus, vielleicht auch mit einem er-
neuten Studium des hl. Bernhard, und es begegnet mehr in den
praktisch religiösen Ausführungen als in den systematischen, ja in
jenen wd wohl der Gedanke, dass Christus um der Gerechtigkeit
Gottes willen die Strafe der Sündenschuld getragen hat, überhaupt
nie ganz untergegangen sein. Ritschi verweist auf Gerson ^ „Gerson
erklärt die Sünde für das Verbrechen der Majestätsbeleidigung und
findet Gottes Gerechtigkeit so gross, dass er aus Barmherzigkeit
seinen unschuldigen Sohn der Strafe unterwirft, so die üeberein-
stimmung zwischen seiner Gerechtigkeit und seinem Erbarmen be-
währt und die Sünde aufliebt unter der Bedingung, dass man durch
den Glauben, d. h. den Gehorsam und die Nachahmung, sich mit
Christus verbindet^. In der nominalistischen Schule begegnet die-
selbe Ansicht noch bei Gabriel BieP. Endlich kommt auch Johann
scharf, hebt aber nicht den pelagianischen Zug hervor. Er spricht von „flacher Auf-
fassung der Incarnation und von Abschwächung der Begriffe von Gerechtigkeit und
Verdienst".
» A. a. O. I S. 85.
2 Expos, in pass. dorn. (Opp. ed. du Pin III. p. 1157. 1187. 1188): „Per laesae
maiestatis crimen morti es obnoxius. Rex tarnen adeo iustus fuerit, quod nee ullo
pacto crimen tuum dimittcro velit ini])unitum, altera vero ex parte tarn benignus et
miscricors, quod proi)rium filiuni suuni innocentem doloribus committat et morti,
et quidorn sponte sua, ut iustitiam concordet cum misericordia fiatque criminis
emendatio .... Nunquam deus malum impunitum pcrmitteret, eaproptcr omnia
peccata et delicta nostra Jesu Christo suj)posuit. Ideo ipse est iustitia et redemptio
TioMtr;i, modo nos iunxerimus ei et per fidem graiiamque ei adhaeserimus."
S.Thoma8iu8,ChristiPersonu.W('rkIII,lS.24i)ff. Seeberg, a.a.O.S. 147.
46 2 beschichte de« Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
Wessel darauf zurück/- Ritschl vermutliet aber, dass die Idee des
Strafwerthes des Todes Christi, die vou Athanasius ab sporadisch
iiMinor wieder in der Kirche aufgetaucht ist, uiclit von Biel und
Wessid zu den Kelornuitoren gehingt sei '.
B. Die scholastische Sacranientslehre-.
Die Unsicherlieit der 8chohistiker in Bezug auf die Erlösungs-
lehre und die Beobachtung, dass sie die Behandlung derselben ebenso
der Schule überlassen konnten, wie die Lehren von der Trinität und
von den Naturen in Christo, erklärt sich daraus, dass in der Sacraments-
lehre das festgestellt wurde, was der Glaube an die göttliche Gnade
in Christus bedurfte. In den Sacramenten stellt sich diese Gnade dar,
und speciell im Abendmahlssacrament ist sie deutHch und fassbar —
durch die Transsubstantiationslehre — auf die IMenschwerdung und
den Tod Christi zurückgeführt. Das genügte. Jene Thatsachen bilden
nunmehr nur die V o r a u s s e t z u n g e n ; der Glaube 1 e b t in der Anschau-
ung und im Genuss der Sacramente. Diese aber sind der Kirche über-
geben und werden von der Hierarchie (als Diener, Priester und als
Richter) verwaltet. So ist der Anschluss an Christus, der durch die
Sacramente allein zu Stande kommt, zugleich durch die Kirche ver-
mittelt, ja Christus und die Kirche sind geradezu in Eins gesetzt, so-
fern dieselbe Kirche, welche die Sacramente verw^altet, auch als der
mystische Leib Christi mit ihm gleichsam eine mystische Person ist.
Dies ist der Grundgedanke des mittelalterlichen Katholicismus, der
auch von den Meisten unter denen festgehalten worden ist, w^elche der
herrschenden Hierarchie Opposition gemacht haben.
Die Sacramentslehre der Scholastiker "svurzelt in der Augustin's ;
aber sie geht weit über dieselbe (formell und materiell) hinaus. Vor Allem
trat im Mittelalter nicht nur der Zusammenhang zwischen verbum und
sacramentum, den Augustin so energisch geltend gemacht hatte, sondern
das verbum überhaupt hinter dem sacramentalen Zeichen zurück. Die
Auffassung wurde noch magischer und desshalb anstössiger. Andererseits
lässt sich nicht leugnen, dass der Katholicismus in seinen sieben Sacra-
menten ein pädagogisch sehr wirksames und eindrucksvolles Institut ge-
* Auf die Geschichte der Lehre von der Schrift hat man im Rahmen der
Dogmengeschichte nicht einzugehen, da die Lehre sich nicht geändert hat, auch die
Unsicherheiten ül)er den Kanon nicht weggeräumt worden sind, und die geringen
Unterschiede in der Fassung- des luspirationsbegTifPs nicht ins Gewicht fallen. Die
Geschichte des Bibelverhots, resp. der Einschränkung des Gebrauchs der Bibel
bei den Laien, aber gehört nicht hierher.
- Münscher § 11^8 — 152. Hahn, Lehre v. d. Sacramenten 1864; derselbe.
Doctr. romanae de num. sacram. septennario i'ationes bist. 1859. Schwane, a. a. O.
S. 579—693.
Die Sacramentslehre. Allgemeines. 463
schaffen hat, welches aber in Wahrheit nicht der Heilsgewissheit des Ein-
zelnen dient, sondern seiner Erziehung als Gliedes der Kirche. Und doch
muss man die mittelalterliche Sacramentslehre als die c o n s e q u e n t e Aus-
gestaltung der altkatholischen Grundauffassung betrachten, wenigstens
in der thomistischen Form; denn die Definition der Gnade bei Thomas
(P. III Q. 62 Art. 1) : „gratia nihil est aliud quam participata
similitudo divinae naturae, secundum illud II Pet. 1: magna
nobis et pretiosa promissa donavit, ut divina simus consortes natura",
lässt überhaupt keine andere Form der Gnade zu, als die
magisch-sacramentale. Augustin's Auffassung, die übrigens im
letzten Grunde jene eben genannte nicht negirt, ist hier zurückgedrängt
und kommt nur so weit in Betracht, als sie mit der „participata simi-
litudo divinae naturae" vermittelt werden kann. Daher die weitere
Zurückschiebung des Verbums, welches schon bei Augustin — obgleich
er das Verdienst hat, es beachtet zu haben — nicht zu seinem vollen
Rechte gekommen ist.
Eine straff ausgebildete Sacramentslehre konnte es so lange
nicht geben, als nicht die Zahl der Sacramente fest bestimmt war.
Hier aber herrschte, da das Alterthum nichts Sicheres überliefert hatte,
Jahrhunderte hindurch das grösste Schwanken — so schwierig war es,
etwas zu bestimmen, was nicht schon die Ueberlieferung der alten Zeit
bestimmt hatte. Die Sacramentslehre hat sich demgemäss unter der
Erschwerung entwickelt, dass man nicht sicher ^\^lsste, auf welche hl.
Handlungen die allgemeinen Begriffe anzuwenden seien. Doch operirte
die Theologie schon längst mit der Siebenzahl, bevor die Kirche sie in
officieller Weise anerkannt hatte.
Die Siebenzahl hat sich in folgender Weise entwickelt: Aus dem
kirchhchen Alterthum waren als hl. Handlungen im eminenten Sinn nur
Taufe und Abendmahl überliefert, die Taufe schloss aber das Chrisma
ein. Dieses konnte man besonders zählen oder nicht. Daneben gab es
eine unbestimmte Menge hl. Handlungen, die ganz verschieden gezählt
wurden (die Zählung des Areopagiten war nicht massgebend). Bernhard
z. B. redet von vielen Sacramenten und nennt selbst zelm '. Auch Hugo
v. St. Victor weist der Taufe und dem Abendmahl eine ganz besondere
Stelle an. Allein gerade er hat zui* Erweiterung des Begriffs beigetragen.
Sowohl bei ihm'^' nämlich als b(^i Abälard"' werden als die sacramenta
rnaiora oder spiritualia die Tiiuf(;, Eucharistie, Gonfimiation, (3elung'*
' S.H ahn S. lOBf. und üborhauj)! die ausführlichon NaohweisungenS.79 — 133.
'^ Suirinia .scntciit tract. 5- 7. " S. Doutsoli, Abälard S. 401 \)\
* b'w. letzte ()eiun(/ kann unter dem Titel „Sacrament" nicht höher als bis zu
Innocenz 1. (ei>, ad Decent.) hinaufgeführt werden.
464 üeschichte des Doormas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jalirh.
und Ehe * aufgezählt. Wie diese Zusammenstelkuig entstanden ist, ist
unbekannt. Sie blieb aber in der Schule Abälard's bestehen, d. h. sie
wurde nicht wieder vermindert, sondern nur noch vermehrt. Hier mag
Robert Pnllus eingewirkt haben '\ der in seinen Sentenzen nicht die Oelung
und Ehe, sondern die Beichte^ und Ordination^ nel)en den drei anderen
Sacramenten aufzählt. Aus der Oondjination dieser Zählungen mag die
Siebenzahl der Sacramente entstanden sein''. Die heihge Zahl hat wohl
auch gerade diese Zusammenstellung sichergestellt^. Sie findet sich
zuerst in dem Sentenzenbuch Alexander's III., als er noch Magister
Rolandus war^, und dann bei dem Lomljarden^. Dieser aber trägt sie
nicht als anerkannten Lehrsatz vor, sondern ohne besondere Betonung
als seine Ansicht. Auch blieb das Schwanken in der Folgezeit bestehen.
Die Beschlüsse der grossen ConciUen von 1179 und 1215 setzen noch
den Zustand voraus, dass über die Zahl der Sacramente nichts bestimmt
ist. Allein die grossen Scholastiker des 13. Jahrhunderts, welche vom
Lombarden abhängig sind, haben sämmtlich die Siebenzahl der Sacra-
mente recipirt und zum Theil auch schon — wenn auch unter Hervor-
hebung der Taufe und namenthch des Abendmahls, welches z. B. von
Thomas als das „potissimum inter aha sacramenta sacramentum" be-
zeichnet wird — ^ innerlich zu begründen versucht ^^. Erst zu Florenz
* Die Ehe ist natürlich von ältester Zeit her auf Grund des Epheserbriefs sehr
oft Sacrament genannt worden.
'' Sentent. V, 22. 24; YII, 14.
^ Wie allmählich das „Busssacrament" entstanden ist, hat unsere ganze Dar-
stellung in den früheren Capiteln gezeigt; s. Steitz, Das römische Busssacrament
1854. Gregor I. nannte die reconciliatio des Sünders ein Sacrament. Seit Petrus
Damiani (69. orat.) ist die Beichte oft so bezeichnet worden, z.B. auch von Beruhard.
** Die Ordination ist seit Augustin sehr häufig „Sacrament" genannt worden;
aber auch Fürsten Salbungen, Bischofsweihe, Kirchweihe u. s. w. galten als Sacramente.
^ Vorübergehend findet sich auch eine Sechszahl. Die Erwägungen über die
Sacramente stehen übrigens im 12. Jahrhundert im engsten Zusammenhang mit
dem Kampf gegen die Häretiker (Katharer). Es mag sein, dass es späterer For-
schung gelingt, die Fixirung der Siebenzahl als die directe Folge dieses Kampfes
nachzuweisen.
6S. Hahn S. 113 f.
' Denifle i. Archiv f. Litt.- u.K.-Gesch. d. Mittelalters Bd. I S. 437. 460. 467.
^ Sentent. IV dist. 2 A. Die frühere Annahme, schon Otto von Bamberg habe
die Siebenzahl, ist widerlegt; s. Hahn S. 107.
^ P. III Q. 65 Art. 4: „sacramentum eucharistiae est potissimum inter alia
sacramenta. Gründe : 1) weil in ihm Christus substantialiter enthalten ist, nicht
nur eine virtus instrumentalis participata a Christo, 2) weil alle anderen Sacramente
auf dieses Sacrament sicut ad finem abzwecken (dieses wird nun an jedem einzelnen
nachgewiesen), 3) weil fast alle sacramenta in eucharistia consummantur."
'" L. c. werden die Sacramente nach ihrem "Werth abgestuft: „aliorum sacra-
Die Sacramentslehre. Die Siebenzahl. 465
(1439) ist eine sichere kirchliche Erklärung über die Siebenzahl der
Sacramente erfolgte
mentorum (d. h. die Eucharistie als höchstes Sacrament vorweggenommen) compa-
ratio ad invicem potest esse multiplex. Nam in via necessitatis baptismus est potis-
simum sacramentorum, in via autem perfectionis sacramentum ordinis; medio autem
modo se habet sacramentum confirmationis. Sacramentum vero paenitentiae et
extremae unctionis sunt inferioris gradus a praedictis sacramentis, quia, sicut dictum
est, ordinantur ad viam Christianam non per se, sed quasi per accidens, seil, in re-
medium supervenientis defectus. Inter quae extrema unctio comparatur ad paeni-
tentiam, sicut confirmatio ad baptismum; ita seil, quod paenitentia est maioris ne-
cessitatis, sed extrema unctio est maioris perfectionis." Aber Q. 65 Art. 1 ist die
Siebenzahl ausführlich gerechtfertigt. Die Sacramente sind eingesetzt „adperficien-
dum hominem in his quae pertinent ad cultum dei secundum religionem Christianae
vitae et in remedium contra defectum peccati. Utroque modo convenienter ponun-
tur VII sacramenta. Vita enim spiritualis conformitatem aliquam habet ad vitam
corporalem." In dem körperlichen Leben des Einzelnen kommt sein individuelles
Wohl und sein "Wohl als sociales AVesen in Betracht. Dieses wdrd nun scholastisch
in mehreren Untertheilen ausgeführt, und nun gezeigt, dass im geistlichen Leben die
Taufe die Geburt (Wiedergeburt) bedeute, die Confirmation das augmentum (robur),
die Eucharistie die Nahrung, die Busse die Heilung bei eingetretenen Krankheiten,
die letzte Oelung die Wegräumuug der „reliquiae peccatorum". Diese 5 Sacramente
beziehen sich auf das Individuum. Auf den Menschen als animal sociale auch in
geistlichen Dingen bezieht sich der Ordo und — die Ehe. Beweis : die potestas
regendi multitudinem et exercendi actus publicos ist im geistlichen Leben nöthig,
und die Ehe besorgt die propagatio tam in corporali quam in spirituali vita. In
derselben AVeise wird nun gezeigt, dass auch contra defectum peccati jedes einzelne
Sacrament seine Bedeutung hat und die Siebenzahl conveniens ist (z. B. der ordo
contra dissolutionem multitudinis und die Ehe in remedium contra concupiscentiam
personalem et contra defectum multitudinis, qui per mortem accidit). Dazu erwähnt
Thomas noch eine andere Betrachtung, die er bei Anderen gefunden hat: „fidei
respondet baptismus et ordinatur c. culpam originalem, spei extrema unctio et or-
dinatur c. culpam venialem, caritati eucharistia et ordinatur c. poenalitatem mali-
tiae, prudentiae ordo et ordinatur c. ignorantiam, iustitiae paenitentia et ordinatur
c. peccatum mortale, temperantiae matrimonium et ordinatur c. concupiscentiam,
fortitudini confirmatio et ordinatur c, infirmitatem." Man mag diese Versuche be-
lächeln ; aber man wird doch nicht leugnen können, wie zweckmässig diese Zusam-
menstellung von 7 Sacramenten ist, welche das Leben begleiten. Besonders ist die
Einordnung des Ordo einerseits, der Ehe andererseits ein Meisterstreich einer viel-
leicht unbewussten Politik.
' Eugen IV. in der Bulle „Exultate deo« (Mansi XXXT p. 1054): „(Sacra-
mentorum Septem novae legis) quinque prima ad spiritalem uniuscuiusque hominis
in se ipso perfectionem, duo ultima ad totius ecclesiae regimen multiplicationemque
ordinata sunt (ganz nach Thomas, s. oben); per baptismum enim spiritualiter rena-
Bcimur, por confirmationem augemur in gratia et roboramur in (ide, renati autem et
roborati nutrimur divina eucharistiae alimonia. Quod si per peccatum aegritudinem
incurrimus animae, per paenitentiam spiritualiter sanamur, spiritualiter etiam etcor-
poraliter, prout animae expedit, perextremamunctionem-, per ordinem veroecclesia
gubernatur et multiplicatur spiritualiter, per matrimonium corporaliter augetur."
H a I n a c k , DofpfiiengeHchichte III. 3q
4H6 Geschichto des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeii bis zum 16. Jahrh.
Die technische Bearbeitung des Begriffs des Sacranients beginnt
bei Hugo v. St. Victor. Er geht von der augustinischen Definition: „rei
sacrae Signum" („invisibilis gratiae visibiHs forma") aus, aber sie er-
scheint ihm ungenügend, weil zu weit. Er fügt ein Doppeltes hinzu:
erstens dass das Sacrament mit der heiligen Sache, die es bedeute, eine
natürliche Aehnlichkeit haben müsse ; zweitens dass es auch Träger
dieser heiligen Sache sei und sie dem Empfänger des Zeichens mit-
theile. Daher (de sacram. christ. fid. I, 9, 2): „Sacramentumest corpo-
rale vel materiale elementum foris sensibiliter propositum ex similitudine
repraesentans, ex institutione significans et ex sanctificatione con-
tinens aliquam invisibilem et spiritalem gratiam", oder
(Summa tract. TV, 1) : „sacramentum est visibilis forma invisibilis gratiae
ineocollatae, quam seil, confert ipsum sacramentum,nonenim
est solummodo sacrae rei signum sed etiam efficacia." Das Sacrament
hat ferner von der Natur die similitudo, durch die Einsetzung die signi-
ficatio, die efficacia durch das Weihewort des Priesters, oder die erste
vom Schöpfer, die zweite von Christus ^ und die dritte vom Dispensator (!).
Dieser „deutsche Mystiker" ist mithin der Erste gewesen, der die ver-
derbliche Definition fixirt hat, welche das Sacrament so traurig ver-
äusserlichte und das verbum elimirte. Die augustinische Unterscheidung,
von sacramentum und dem Heilsgut im Sacrament (res sacramenti oder
res cuius sacramentum est) hat Hugo beibehalten.
Hugo's Definition ging auf den Lombarden über und ist in der
Kirche nicht mehr verdrängt worden. Durch sie sind die Sacramente
im engeren Sinn aus dem Bereich der „Sacramentalien" herausgehoben
worden : die Sacramente sind nicht nur signa, sondern sie sind Träger
und causae der Heiligung. Der Lombarde definirt (Sent. IV, Dist. 1 B) :
„Sacramentum proprie dicitur, quod ita signum est gratiae dei et in-
visibilis gratiae forma, ut imaginem ipsius gerat et causa existat. Non
ergo significandi tantum gratia sacramenta instituta sunt, sed etiam
sanctificandi. Quae enim significandi gratia tantum instituta sunt, solum
signa sunt et non sacramenta, sicut fuerunt sacrificia carnalia et obser-
vantiae ceremoniales veteris legis." Es sind aber ferner die Sacramente
„signa data" (non naturalia), nämlich in dem Sinn, dass sie auf freier
gÖttHcher Einsetzung beruhen. Von Hugo unterscheidet sich der Lom-
barde somit darin, dass er nicht ein corporale vel materiale elementum
für nothwendig hält, sondern nur irgend ein signum, welches also auch
in einer Handlung bestehen kann, und ferner darin, dass er nicht sagt,
' Aber Hugo verzichtete noch darauf, alle Sacramente auf die Einsetzung-
Christi zurückzuführen.
Die Sacramentslehre. Wesen der Sacramente. 467
die Sacramente enthalten die Gnade^ sondern — vorsichtiger — sie
bewirken sie ursächlich.
Diese Definition des Lombarden liegt im Allgemeinen den späteren
Definitionen zu Grunde. Allein je sicherer sich die Siebenzahl der Sacra-
mente einbürgerte, desto deutlicher empfand man die Schwierigkeit, die
gegebene Definition auf alle einzelnen anzuwenden. Daher ist es nicht
wunderbar, dass die nominalistischen Theologen mehr und mehr auf
eine Universaldefinition realer Art verzichteten '.
Thomas beginnt (III Q. 60) seine Darstellung der Sacraments-
lehre mit den Worten: „Post considerationem eorum quae pertinentad
mysteriaVerbi incarnati considerandum est de ecclesiae sacramentis,
quae ab ipso Yerbo incarnato efficaciam liabent" ^. Damit ist die un-
vorsichtige Bestimmung Hugo's zurückgewiesen. Er lässt nun bis zur
65 Q. die generelle Sacramentslehre folgen. Hier ist bemerkenswerth,
dass Thomas, noch über den Lombarden hinausgehend, die massive
Vorstellung Hugo's („continet") abmildert. Er will sogar nicht das
„causa existit" des Lombarden ohne Cautelen gelten lassen. Zwar lehnt
er die Meinung Bernhard's u. A. ausdi'ücklich ab, dass Gott nur „ad-
hibitis sacramentis" wirke; damit käme man über eine bloss signi-
ficative Bedeutung derselben nicht hinaus ; allein dann führt er aus,
dass man von den Sacramenten nur „per aliquem modum" sagen könne,
dass sie „gratiam causant". Die causa principalis der Gnade ist viel-
mehr Gott, der da wirkt wie das Feuer durch seine Wärme, d. h. in
der Gnade seine eigene Natur mittheilt; die Sacramente sind die
causa instrumentalis; diese aber „non agit per virtutem suae formae
sed solum per motum quo movetur a principali agente. Unde effectus
non assimilatur securi, sed arti quae est in mente artificis. Et hoc
modo sacramenta novae legis gratiam causant; adhibentur enim ex
divina ordinatione hominibus ad gratiam in eis causandam . . . Dicen-
dum, quod causa principalis non proprio potest dici signum effectus
» Biel, Sentent. IV Dist. 1 Q. 1 dub. 1 (s. Hahn, a. a. 0. S. 18 f.): „Scien-
dum quod duplex est definitio. — Una est oratio exprimens quid rei, aha est oratio
f;xprimens quid nominis. Primo modo nihil defiuitur, iiisi sit res una li. e. tcrminus
significans unam rem (das ist consequentcr Nominalismus). Definitione quid nominis
potest omnis terminus categorematicus definiri, (juicquid significet in recto vel in
obliquo. Nam pro omni nomine possunt poni plura nomina disiincte siguificantia
illa, quae significantur per illud unum nomen tarn in lecto (juani in obliquo. Ad pro-
positum dicitur, quod sacramcntum non potest definiri primo modo h. e. defmitioiu^
quid rei, quia saeramentum non est res una, sed aggregatum ex pluribus ....
sed tantum defmitur definitione quid nominis.
'^ Genauer (|. 62 Art. 5: „sa(;ramenta novae legis liabent virt,utem ex passione
Christi." Daher ist auch die incorporatio in Chiisto der ElVect ((^. 62 Art. 1).
30*
468 (leschiclite des Doomas im Zeitfvlter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
licet occulti, etiamsi ipsa sit sensibilis et manifesta, sed causa instrumen-
talis, si sit manifesta, potest dici signum elfectus occulti, eo quod non
solum est causa, sed etiam quo dämm odo eft'ectus, in quantum movetur
a principali agente. Et secundum hoc sacramenta novae legis simul sunt
causa et signa, et inde est quod sicut communiter dicitur: efficiunt
quod figurant." Das „causae et signa" ist altkatholisch gedaclit;
aber der AVidersprucli zwischen ehier spirituahstischen und einer mas-
siven Mystik ist hier ganz besonders deutlich. In der Folgezeit machte
die Lockerung zwischen Gnade und Sacrament im Sinne einer blossen
Zuordnung noch weitere Fortschritte, aber nicht desshalb, weil man
für eine spiritualistischere Auffassung eintrat (wie Thomas) oder weil
man auf das „verbum" Gewicht legte ', sondern weil der Gottesbegritf,
der freihch auch bei Thomas — nur in anderer Weise — wirksam war,
nur eine Zusammenordnung kraft göttlicher AVillkür erlaubte. Schon
Bonaventura^ hatte geleugnet, sowohl dass die Sacramente die Gnade
substantialiter enthalten, als auch dass sie sie causaliter bewirken; Gott
habe seine Gnade nicht an die Sacramente gebunden, sondern ex decreto
bestimmt, dass man sie von dem obersten Arzt Christus „per sacra-
menta" schöpfen solle. Auf dieser Linie ist Scotus weiter gegangen.
Er definirt das Sacrament^ als „signum sensibile, gratiam dei vel efFec-
tum dei gratuitum ex institutione divina efficaciter significans, ordinatum
ad salutem hominis viatoris". Allein die zw^eideutige Formel, die er auch
sonst braucht: „significans efficaciter effectum dei gratuitum", hat fac-
tisch den Sinn, dass Gottes Gnade neben den Sacramenten wirkt; denn
die causa der Gnade ist ausschliesslich der göttliche Wille, diese causa
wird von dem Sacrament abgebildet, indem dasselbe sie begleitet
(concomitatur). Nicht liegt in den Sacramenten eine intrinseca virtus
supernaturaHs "*, sondern (in Sentent. IV, Dist. 1 Q. 5) : „susceptio
^ Dieses Gewichtlegen hätte umgekehrt dazu führen m.üssen, eine viel engere
Verbindung zwischen dem Sacrament und der Gnade anzunehmen; denn das
Wort als Wort der Sündenvergebung ist selbst die Gnade. Der Fehler bei Thomas
imd dem Lombarden liegt also nicht darin, dass sie die Sacramente zu eng mit der
Gnade verbinden, indem sie sie causae nennen (vielmehr ist sogar der Satz des Hugo
„continent gratiam" richtig), sondern der Fehler liegt in der Bestimmung der Gnade
als „participata similitudo divinae naturae" ; denn eine so gefasste Gnade als Inhalt
oder als Wirkung der Sacramente zu bezeichnen, heisst das Sacrament in ein ma-
gisches Mittel verwandeln. Man versteht das relative Recht, welches demgegenüber
die Nominalisten hatten, die so gefasste Gnade nur neben dem Sacrament einher-
gehen zu lassen ; aber damit wurde nun die Sicherheit und der Trost der Gnaden-
darbietung Gottes schwankend.
'^ Breviloq. p. VI c. 1.
« In Sentent. IV Dist. 2 Q. 2.
* Darin ist ein erfreulicher Protest gegen das Magische ausgesprochen
Die Sacramentslehre. Verhältniss von Gnade und Sacrament. 469
sacramenti est clispositio necessitans ad effectum signatum per sacramen-
tum, non quidem per aliquam formam intrinsecam . . . sed tantum per
assistentiam dei causantis illum effectum, non necessario absolute,
sed necessitate respiciente ad potentiam ordinatam. Disposuit enim
deus universaliter et de hoc ecclesiam certificavit (aber inwie-
fern?) *, quod suscipienti tale sacramentum ipse conferret effectum
signatum." Ebenso lehrten Occam und Biel ^. Diese Betrachtung richtet
sich aber direct gegen Thomas, der da behauptet hatte, dass in dem
Sacrament selbst innerlich eine „virtus ad inducendum sacramentalem
effectum" vorhanden sei. Die nominalistische These war in sich haltlos;
denn sie ist ganz formalistisch und lässt die concrete Art der Gnaden-
wirkung ausser Betracht. Von ihr aus ist eine dreifache Entwicke-
lung möglich. Entweder man kehrt zum altkatholischen Realismus des
Thomas zurück (dies hat Biel bereits begonnen, und der spätere Katho-
licismus ist ihm gefolgt), oder man fasst die Sacramente streng als signa
(so viele mittelalterhche Secten und Zwingli), oder man bestimmt den
Inhalt des Gnadenwillens Gottes neu, nämhch als Wort des Evange-
liums, und zeigt, dass dieses Wort auch den Inhalt des Sacraments
bildet, beide also zusammenfallen. Jedenfalls kann darüber kein Zweifel
sein, dass das Motiv der sog. „evangelischen" Opposition vieler Secten
und „Vorreforaiatoren" gegen die herrschende Sacramentsvorstellung
in dem consequenten Nominahsmus zu suchen ist, sich also im Grunde
gegen die thomistische Praxis richtete. Das „verbum" als Inhalt des
Sacraments und des göttlichen Willens ist m. W. nicht erkannt.
Im Einzelnen gab es nun noch eine fast unübersehbare Beihe von
Fragen in Bezug auf die Sacramente^, in deren Beantwortung, wie ge-
* Scotuß spricht auch geradezu von einem „pactum dei initum cum ecclesia",
dass er mit seinem Wirken stets bei den Sacramenten dabei sein wolle.
^ Doch bemüht sich Biel, durch künstliche Distinctionen über die Vorstellung
von der blossen Concomitaiiz hinauszukommen und das „pactum cum ccclcsia" so
zu fassen, dass (lott kraft desselben die Sacramente zu causae secundac der Gnade
macht, wie ja Alles, was in der Welt geschieht, durch causae secundac verursacht
ist, die ihre Wirkung an der causa prima haben; s. Di eckhoff, Ev. Abcudmahls-
lehre S. 219.
• Hahn hat folgende Hauptfragen unterschieden: der Begriff, dicNothwendig-
keit, die Zweckmässigkeit, die Verschiedenheit in den verschiedenen Perioden der
Menschheit, der Begriff' der neutestameutlichen Sacramente, die Bestandtheile,
die Einsetzung, der Minister der einzelnen Sacramente, die Bedingungen, unter
denen die Sacramente zu Stande kommen, die Wirkung (der character indelebilis,
die Gnadenwirkung a) nach ihrem Wesen, b) Verhältniss der verschiedenen Sacra-
mente hinsichtlich der Gnadenwirkung, c) nähere Bestimmung der Gnadenwirkung
der einzelnen Sacramente), Entstehung und Bedingungen der SE^cram entlichen
Wirkung.
470 Cfi-schichte des Dogmas im Zeitaltor der Buttolorden bis zum 16. Jaliih.
wohnlich, die Thomisten und Scotisten verschiedener Meinung waren.
Zunächst schied Thomas (nach Augustin) scharf zwischen den Sacra-
menten des alten und neuen Bundes. Jene haben die Gnade nur vor-
gebildet, diese causiren sie. Allein schon Bonaventura und dann Scotus
meinten, dass gewisse alttestamentliche Institutionen (Beschneidung)
wirkliche Sacramente gewesen seien. Doch machte Bonaventura noch
den Unterschied, dass nur die neutestamentlichen per se wirksam ge-
wesen seien (die alttestamentlichen nur „per accidens", d. h. vermittelst
des hinzukommenden Glaubens ! !) \ während Scotus die Beschneidung
für ein ex opere operato (effectu passionis Christi) wirksames Sacrament
erklärte. Allein auf dem Florentiner Concil wurde Thomas Recht ge-
geben '" : „novae legis sacramenta multum a sacramentis differunt antiquae
legis. lila enim non causabant gratiam, sed eam solum per passionem
Christi dandam esse figurabant, haec vero nostra et continent
gratiam et ipsam digne suscipientibus conferunt" (voller Rückgang
zu Hugo und Thomas).
Im Folgenden sind die Hauptpunkte der thomistischen Lelire dar-
gestellt, weil diese schHesslich die Oberhand behalten hat :
In genere sind die Sacramente überhaupt zum Heil nothwendig,
aber in specie gilt das im strengsten Sinn nur von der Taufe. Die an-
deren Sacramente fallen theils unter die Regel „non defectus sed con-
^ Auch Thomas macht in sentent. IV Dist. 2 Q. 1 Art. 4 diese Unterscheidung,
und zwar findet sich hier der Ausdruck „ex opere operato", den man an der paral-
lelen Stelle in der Summe vergeblich sucht, obgleich er (Q. 61 Art. IV und sonst)
die Sache hat. Im Commentar zum Lombarden heisst es: „Sacramenta veteris legis
non habebant aliquam efficaciam ex opere operato sed solum ex fide; non autem
ita est de sacramentis novae legis, quae ex opere operato gratiam conferunt." lieber
den Ausdruck „ex opere operato" s. R.-Encykl. ^ XIII S, 277 f. Er war schon im
12. Jahrhundert (nicht beim Lombarden) im Gebrauch, bevor man ilm auf die Sa-
cramente anwandte. Im Unterschied von dem Ausdruck „ex opere operantis oder
operanti" besagt er, dass die Handlung als solche gemeint ist, nicht der
Handelnde. Ein Effect ex opere operato ist somit ein solcher Effect, der ledig-
lich aus der vollzogenen Handlung selbst hervorgeht, unabhängig von jeder Mit-
wirkung dessen, der die Handlung vollzieht oder dem sie zu Gut kommt. Peter von
Poitiers soll zuerst in der Sacramentslehre den terminus gebraucht haben (er fügt
noch „ut liceat uti") hinzu. "Wilhelm von Auxerre sagt: „opus operans est ipsa
actio (oblatio) vituli, opus operatum est ipsa caro vituli sc. ipsum oblatum, ipsa caro
Christi." Dazu Albertus M. zu .loh. 6, 29: „Dixerunt antiqui dicentes, quod est
opus operans et opus operatum. Opus operans est, quod est in operante virtutis
opus vel a \drtute elicitum vel quod est essentialis actus virtutis, et sine illo nihil
valet virtus ad salutem. Opus autem operatum est extrinsecum factum quod apothe-
lesma vocant saneti, sicut operatum legis est sacrificium factum vel circumcisio facta
vel tale aliquid."
«MansiXXXIp. 1054,
Die thomistische Sacrameutslehre. Wirkung der Sacramentc. 47 1
temptus damnat", theils sind sie nur unter bestimmten Verhältnissen
nothwendig (ordo, Ehe, extrema unctio, auch das Busssacrament). Die
Verlegenheit, welche sich hier ergieht, erscheint aber noch grösser,
wenn die Sacramente nach ihrem Effect betrachtet werden. Hier er-
giebt sich nänüich, dass sie nach der augustinischen Unterscheidung von
sacramentum und res sacramenti sämmtlich einen dreifachen Effect
haben müssten, nämhch erstlich einen signiiicativen (sacramentum),
zweitens einen (gemessen an dem realen Heilsgut der Gnade) neutralen
resp. präparatorischen (sacramentum et res) — Augustin hat ihn cha-
racter genannt und mit der corporalis nota mihtiae verghchen — und
drittens einen heilsmässigen (res sacramenti). Diese Unterscheidung
hat nun auch Thomas befolgt. Er weist nach, dass die, welche zum
Dienst Gottes bestimmt sind, allem zuvor eine gewisse Abstempelung
erfahren müssen, ^vie die Soldaten. In dieser Abstempelung liegt eine
gewisse B efähigung, nämhch zur receptio et traditio cultus dei; daher
ist der Charakter der „character Christi". Derselbe wird nicht in die
essentia, sondern in die potentia der Seele eingepflanzt und ist als par-
ticipatio sacerdotii Christi „indelebiliter" der Seele eingesenkt, daher
auch nicht Aviederholbar. Allein nicht alle Sacramente theilen einen
solchen Charakter mit, sondern nur die, welche den Menschen „ad re-
cipiendum vel tradendum ea quae sunt divini cultus" befähigen, das sind
aber die Taufe, die Confirmation und der ordo. Die Einwendung, dass
doch alle Sacramente den Menschen „particeps sacerdotii Christi"
machen, also einen Charakter ertheilen müssten, wird durch die künst-
liche Unterscheidung zwischen jener Formel und der anderen: „depu-
tari ad agendum aliquid vel recipiendum quod pertineat ad cultum
sacerdotii Christi" (Taufe, Ordo, Confirmation) beseitigt ^ Ebenso wird
der schwere Einwurf: „in quolibet sacramento novae legis est ahquid
quod est res tantum et aliquid quod est sacramentum tantum et ahquid
quod est res et sacramentum", also sei bei jedem Sacrament ein cha-
* P. m Q. 63 Art. 2 — 6; cf. 1: „sacramenta novae legis ad duo ordinantur,
vid. ad remedium c. pcccata et ad p(3rficicndani animam in his quae pcrtinent ad
cultum dei secundum ritum Christianae vitae. Quicumque autcm ad aliquid certum
deputatur, consuevit ad illud consignari, sicut milites qui adscribebantur ad
militiam antiquitus solebant cjuibuedarn characteribus corporalibus insigniri, co quod
deputabantur ad aliquid corporalc," Davon wird dann die Anwendung auf das
(ircistlichc gemacht, s. Art. 2: „sacramenta novae legis characterera imprimunt, in
quantum per ea deputantur homines ad cultum dei secundum ritum Christianae
roligionis." Dazu Art. 3: „Totus ritus christianae rchgionis derivatur a saccrdotio
Christi, et ideo manifestum est, quod charactcr sacramcntalis specialiter est character
Christi, cuius sacerdotio configurantur fidcles secundum sacramentales characteres,
qui nihil aliud sunt quam quacdam participationes sacerdotii Christi."
472 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
racter anzunehmen, da dieser eben res et sacramentum sei — durch die
Auskunft abgewiesen, dass das, was res und sacramentum zugleich sei,
nicht inmier ein character zu sein brauche'. Diese ganze Theorie ist
zu Florenz (1. c.) gebilhgt worden: „Inter sacramenta tria sunt, quae
characterem i. e. spirituale (luoddam signum a caeteris distinctivum
imprimunt in anima indelebile; unde in eadem persona non reiterantur.
Rehqua vero quattuor characterem non imprimunt et reiterationem ad-
mittunt."
Auf die Frage ^Quid sit sacramentum" '^^ wird die Antwort gegeben:
es ist 1) ein signum, 2) nicht quodvis rei sacrae signum, sondern ein
solches Signum rei sacrae, welches den Menschen heilig macht, 3) dieses
„sanctificare" ist dreifach zu betrachten: „ipsa causa sanctificationis
nostrae est passio Christi, forma sanctificationis consistit in gratia et
virtutibus, ultimus finis eins est vita aeterna." Daher nun die vollstän-
dige Definition: „Sacramentum est signum rememorativum eins quod
praecessit, seil, passionis Christi, et demonstrativum eins quod in nobis
efficitur per Christi passionem, seil, gratiae, et prognosticum i. e. prae-
nuntiativum futurae gloriae", 4) muss das Sacrament stets eine „res
sensibilis" sein, da es dem Wesen des Menschen entspricht, durch die
sensibilia ad intelligibilium Cognitionen! zu gelangen, 5) müssen diese
sensibilia „res determinatae" sein, d. h. Gott muss diese Dinge ausge-
wählt und bestimmt haben: „in usu sacramentorum duo possunt con-
siderari, seil, cultus divinus et sanctificatio hominis, quorum primum
pertinet ad homines per comparationem ad deum, secundum autem e
converso pertinet ad deum per comparationem ad hominem ; non autem
pertinet ad ahquem determinare illud quod est in potestate alterius, sed
solum id quod est in sua potestate, also — „in sacramentis novae legis,
quibus homines sanctificantur, oportet uti rebus ex divina institutione
determinatis", 6) ist es sehr angemessen, dass auch „Worte" bei den
Sacramenten gebraucht werden, weil sie eben dadurch dem verbum in-
carnatum „quodammodo conformantur" und die res sacras so deutlicher
abzubilden vermögen ^, und zwar sind 7) „verba determinata" nöthig,
ebenso wie — ja noch in höherem Grade als — „res sensibiles deter-
minatae" nöthig sind; daher „qui corrupte profert verba sacramentalia,
sihoc exindustriafacit, non videtur intendere facere quod facit
ecclesia, ita non videtur perfici sacramentum", ja auch ein unabsichthcher
lapsus linguae, welcher den Sinn der Worte aufhebt (z. B. wenn Einer
* Das eigentliche, wenigstens das ursprüngliche Motiv ist hier, die Objectivi-
tät des Sacraments gegenüber dem ungläubigen Empfang zu retten.
2 Q. 60.
' Also nur darum ist das Wort beim Sacrament nöthig.
Die thomistische Sacramentslehre. Wesen und Nothwendigkeit. 473
„in nomine matris" sagt), lässt das Sacrament nicht perfect werden,
ebenso hebt 8) jeder Zusatz oder Abzug das Sacrament auf, wenn er
mit der Intention geschieht, einen anderen Ritus einzuführen als den
kirchHchen. Es werden aber die res sensibiles als die materia, die
verba als die forma (aristotelisch) des Sacraments bezeichnete
Auf die Frage nach der Nothwendigkeit der Sacramente '^ wird
1) geantwortet, dass sie aus drei Gründen nothwendig sind, a. ex con-
ditione humanae naturae (der Mensch muss durch das Körperliche zum
Intelhgibeln geführt werden), b. ex statu hominis (medicinale remedium
contra morbum peccati), c. ex studio actionis humanae (der Mensch
hängt nun einmal am Sinnlichen, und es wäre zu hart, ihn ganz davon
abzuziehen). Auf den Einwurf aber, die passio Christi an sich sei ja hin-
reichend zum Heile, wird die Antwort gegeben, dass die Sacramente
desshalb nicht unnütz seien, „quia operantur in virtute passionis
Christi, et passio Christi quodammodo^ applicatur homini-
buspersacramenta". 2) Im Stande der Unschuld hatte der Mensch
die Sacramente weder pro remedio peccati noch pro perfectione animae
nöthig, 3) im Stande der Sünde vor Christus waren gewisse Sacramente
nöthig, „quibus honio fidem suam protestaretur de futuro salvatoris ad-
ventu", 4) im christlichen Stande sind Sacramente nöthig, „quae signi-
ficant ea quae praecesserunt in Christo". Durch diesen AVechsel in
den Sacramenten wird die Unveränderlichkeit Gottes nicht betroffen,
der wie ein guter Hausvater „pro temporum varietate diversa praecepta
familiae suae proponit". Die Väter wurden erlöst per fidem Christi ven-
turi, wir werden erlöst per fidem Christi iam nati et passi; dort han-
delte es sich um Sacramente^ „quae fuerunt congrua gratiae praefiguran-
dae", hier dagegen um „sacramenta congrua gratiae praesen-
tialiter demonstrandae" *,
* Schon Hugo und der Lombarde hatten die „AVorte" als die Form be-
zeichnet. Kirchlich fixirt ist diese Betrachtung ebenfalls durch die Bulle Eugeu'sIV. :
„Haec omnia sacramenta tribus perficiuntur, vid. rebus tamquam materia, verbis
tamquam forma, et persona ministri conferentis sacramcntum cum intentionc faci-
endi (juod facit ecclesia."
' Q. 61.
' Man l)eachte dieses Wort ; Thomas ist Mystiker.
* Vgl. hierzu auch Q. 62 Art. 6: „Sacramenta vetcris legis non contulerunt gra-
tiam iustificantcm per sc ipsa i. e. propria virtute, quia sie non fuisset necessaria
pasßio Christi . . . Manifestum est, (juod a ])a88ione Christi, quae est causa humanae
iustificationis, convenicnter dcrivatur vir tu s iustificativa ad sacra-
menta novae legis, non autem ad sacramenta vetcris legis . . . Patet, quod sacra-
menta veteris legis non habebant in se aliquam virtutem qua operarentur ad con-
ferendam gratiam iustificantcm, sed solum significabant fidem, per quam iustifica-
bantur."*
474 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der ßettelorden bis zmii 16. Jahrli.
Auf die Frage nach dem Eifect der Sacramente * wird geantwortet,
dass man zwischen gratia und cliaracter zu unterscheiden liabe. lieber
letzteren ist schon oben gehandelt worden ; auch über die Sacramente
ids causae instrumentales neben der causa principalis (G ott) haben wir
die Ansicht des Thomas (S.467) bereits kennen gelernt. Aber Thomas
hat noch genauere Bestimmungen über den Effect gegeben. ErstUch
nändich wird (Art. 2) festgestellt, dass die sacramentale Gnade über
die gratia virtutum et donorum noch etwas hinzufüge, nämlich „quod-
dam divinum auxilium ad consequendum sacramenti finem" ^. Zweitens
wird der Satz „sacramenta signant et continent (causant) gratiam"
näher (Art. 3) ausgeführt. Drittens wird daraus bewiesen, dass in den
Sacramenten „quaedam instrumentahs virtus ad inducendam gratiam,
(]uae est sacramenti effectus, proportionata instrumento" enthalten ist
(Art. 4), und zwar „in verbis et rebus", dass sie ex benedictione Christi
et applicatione ministri ad usum sacramentalem stammt und auf den
agens principalis zurückzuführen ist. Viertens wird das Yerhältniss der
sacramentalen Gnade zur passio Christi näher bestimmt (Art. 5):
„Principalis causa efficiens gratiae est ipse deus, ad quem comparatur
humanitas Christi sicut instrumentum coniunctum (z. B. wie die Hand
instr. coniunctum ist), sacramentum autem sicut instrumentum separa-
tum (z. B. wie ein Stock). Et ideo oportet, quod virtus sakitifera a
divinitate Christi per eius humanitatem in ipsa sacramenta derivetur.
Gratia autem sacramentahs ad duo praecipue ordinari videtur, vid. ad
'- Q. 62.
^ „Gratia virtutum et donorum sufficienter pei-ficit essentiam et potentias aui-
mae, quantum ad generalem ordinatiouem actuum animae, sed quantum ad quosdam
effectus speciales, qui requiruntur in vita Chi'istiana, requiritur sacramentalis gratia.
— Per virtutes et dona excluduntur sufficienter vitia et peccata, quantum ad prae-
sens et futunim, in quantum seil, impeditur homo per virtutes et dona a peccando ;
sed quantum ad praeterita peccata, quae transeunt actu et permanent reatu, adhi-
betur homini remedium specialiter per sacramenta. — Ratio sacramentalis gratiae
se habet ad gratiam communiter dictam, sicut ratio speciei ad genus, unde sicut
uon aequivoce dicitur animal communiter dictum et pro homine sumptum, ita non
aequivoce dicitur gratia communiter sumpta et gratia sacramentalis." Die prote-
stantische Polemik musste hier einsetzen und zeigen, dass die gratia virtutum et do-
norum als gratia fidei die einzige ist, und dass die sacramentale Gnade in jedem Sinn
nichts Anderes ist als die Erscheinung der gratia virtutum et donorum, resp. der
allgemeinen und einzigen Gnade. Von dieser heisst es (1. c.) : „gratia secuudum se
considerata perficit essentiam animae in quantum participat quandam similitudi-
nem divini »esse«; et sicut ab essentia animae fluunt eius potentiae, ita a gratia
fluunt quaedam perfectiones ad potentias animae, quae dicimtur virtutes et dona,
quibus potentiae perficiuntur in ordine ad suos actus." Dazu aber: „Ordinantur
autem sacramenta ad quosdam speciales effectus necessarios in vita Ohristiuna.'*
Die thomistische Sacramentslehre. Der Effect und die Ursache. 475
tollendos clefectus praeteritorum peccatorum, in quantum transeunt actu
et remanent reatu, et iterum ad perficiendam animam in his quae per-
tinent ad cultum dei secundum religionem vitae Christianae. Manifestum
est autem ex his quae supra dicta sunt, quod Christus Hberavit nos a
peccatis nostris, praecipue per suam passionem non solum sufficienter
et meritorie sed etiam satisfactorie. Simihter etiam per suam passionem
initiavit ritum Christianae rehgionis, offerens se ipsum oblationem et
hostiam deo, ut dicitur Ephes. 5. Unde manifestum est, quod sacramenta
ecclesiae specialiter habent virtutem ex passione Christi, cuius virtus
quodammodo nobis copulatur persusceptionem sacramentorum, in cuius
Signum de latere Christi pendentis in cruce fliLxerunt aqua et sanguis,
quorum unum pertinet ad baptismum, aHud ad eucharistiam, quae sunt
potissima sacramenta'' '.
Auf die Frage nach der causa sacramentorum (sive per auctori-
tatem sive per minist erium) wird Folgendes geantwortet^: 1) da der
interior effectus der Sacramente die iustilicatio ist, so scheint nur Gott
denselben herbeiführen zu können; allein „per modum ministri'^ kann
auch der Mensch (der Priester) causa instrumentalis des Effects sein.
Ob er mehr oder weniger gut ist, kommt dabei nicht in Betracht ; der
Effect der Sacramente bleibt immer derselbe, ja selbst in Bezug auf die
„Annexa", die Priestergebete, macht es keinen Unterschied, wie der
Priester beschaffen ist; denn sie werden ex parte ecclesiae, non ex parte
singularis personae Gott dargebracht. 2) Gott allein ist „institutor
sacramentorum", von dem auch die virtus derselben allein herrührt.
Daher folgt : „illa quae aguntur in sacramentis per homines instituta.
* Ich habe die ganze Stelle hierher gesetzt, weil sie deutlicher als irgend eine
andere zeigt, dass die katholische Sacramentslehre im letzten Grunde nichts Anderes
ist, als eine Verdoppelung der Erlösung durch Christus, resp. ein zweiter Bau
über den ersten Bau, der diesen in den Boden hinabdrückt. Da man die Gnade
physisch fasste, diese physische Gnade aber nicht dircct an den Tod
Christi anknüpfen, resp. von ihm ableiten konnte, so musste Gott,
dem Erlöser, ausser dem instrumentum coniunctum (der Gottmensch
Jesus) noch ein weiteres instrumentum separatum (die Sacramente) zu-
geordnet werden. Kann man dapregen solch' ein Verständniss des Lebens und
des Todes Christi gewinnen, dass dieses selbst als die Gnade und als das
Sacra ment erscheint, so ist die Verdoppelung unnütz. Das ist der evangelisch-
protestantische Standpunkt, sollte es wenigstens sein. Freilich ist es dann nicht
mehr möglich, die Gnade physisch zu fassen; denn in dem Momente muss sich
die katholische Sacramentslehre wieder einstellen, die jedoch eine pure Erfindung
der Menschen ist ohne Anhalt an der evangelischen Geschichte. Dies gilt trotz der
Einsetzung des Abendmahls durch Jesus ; denn wo steht es geschrieben, dass die
consccrirtcn Elemente „causant et contincnt gratiam ex opcrn operato" ?
476 Geschichte des Doß^mas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
non sunt de necessitate sacramenti, sed pertinent ad quandam solemni-
tatein ... ea vero quae sunt de necessitate sacramenti, ab ipso
Christo instituta sunt, qui est deus et homo. Et licet non sint
oninia tradita in scripturis, habet tanien ea ecclesia ex famihari aposto-
loruni traditione, sicut apostohis dicit I Cor. 11: Cetera cum venero
disponam"'. Auf den Einwurf, dass die Apostel „vicem dei" auf Erden
geführt hätten, also auch institutores sacranientorum sein koinitün, wird
erwiedert, dass es ihnen doch nicht erlaubt gewesen sei, eine andere
Kirche einzurichten, ebenso „non licet eis alia sacramenta instituere,
per sacramenta (enim) dicitur esse fabricata ecclesia Christi". 3) wird
festgestellt, dass Christo als Gott die auctoritas in sacramentis zu-
kommt, dass er aber als Mensch „potestatem ministerii principalis
habuit seu excellentiae et operatur meritorie et efficienter". 4) wird
nachgewiesen, dass Christus diese potestas ministerii (nicht die auctori-
tas) anderen Dienern übertragen konnte „dando seil, eis tantam gratiae
plenitudinem, ut eorum meritum operaretur ad sacramentorum effectus,
ut ad invocationem nominum ipsorum sanctificarentur sacramenta et ut
ipsi possent sacramenta instituere et sine ritu sacramentorum effectum
sacranientorum conferre solo imperio". Aber er hat diese potestas ex-
cellentiae den Dienern nicht übertragen, um das „inconveniens" zu ver-
meiden, dass nicht viele Häupter in der Kirche seien; „si tamen com-
municasset, ipse esset caput principaliter, ahi vero secundario". 5) wird
gezeigt, dass die Sacramente auch durch schlechte Diener giltig ver-
waltet w^erden können, da diese nur instrumentaliter thätig sind und das
„instrumentum non agit secundum propriam formam aut virtutem, sed
secundum virtutem eins a quo movetur"; aber freilich (6) begehen die
schlechten Diener eine Todsünde, wenn sie die Sacramente verwalten,
die indessen nicht auf den Empfänger übergeht, „qui non communicat
cum peccato mali ministri, sed cum ecclesia". 7) wird (Art. 8 und 9) von
der intentio und fides des minister gehandelt. Jene braucht er noth-
wendig"^, diese dagegen nicht: „sicut non requiritur ad perfectionem
I
^ Wenn die necessaria in sacramentis sämmtlich auf den institutor Christus
zurückgeführt werden sollen, so reicht man mit der Bibel nicht mehr aus, sondern
die Tradition muss angerufen werden ; aber wo ist dann die Grenze?
^ Genauer: „Quando aliquid sc habet ad multa, oportet quod per aliquid deter-
minetur ad unum, si illud effici debeat. Ea vero quae in sacramentis aguntur pos-
sunt diversimode agi, sicut ablutio aquae quae fit in baptismo potest ordiuari ad
munditiam corporalem et ad ludum et ad multa alia huiusmodi. Et ideo oportet ut
determinetur ad unum, i. e. ad sacramentalem effectum per inten-
tionem abluentis. Et haec intentio exprimitur per verba quae in sacramentis
dicuntur, puta cum dicit: Ego te baptizo in nomine etc." Eni instrumentum iuani-
matum empfängt „loco intentionis motum a quo movetur", aber ein instrumentum
Die thomistische Sacramentslehre. Scotus und Andere. 477
sacramenti quod minister sit in caritate, sed possunt etiam peccatores
sacramenta conferre, ita non requiritur ad perfectionem sacramenti fides
eius, sed infidelis potest verum sacramentum praebere, dummodo cetera
adsint, quae sunt de necessitate sacramenti." So können auch die Häre-
tiker die Sacramente überliefern, d. h. sacramentum, non rem sacra-
menti; denn die „potestas ministrandi sacramenta pertinet ad spiritualem
characterem, qui indelebilis est (confert, sed peccat conferendo)".
Diese Lehren des Thomas^ die in trauriger Weise die Rücksicht
auf die fides vermissen lassen ^ und überhaupt an der Frage nach den
Bedingungen des heilsamen Empfangs der Sacramente sehr schnell
vorübergehen, haben in der späteren Zeit von Scotus ab sehr grosse
Modificationen erlitten^. In manchen Punkten waren die thomistischen
Thesen auch Neuerungen und setzten sich daher nicht ohne "Weiteres
durch. So hat erst Thomas die Herkunft aller Sacramente von Christus
behauptet. Noch Hugo ^ und der Lombarde waren unbefangen genüge
mehrere „Sacramente" nicht auf ihn, sondern auf die Apostel zurück-
zuführen, resp. auf die vorchristliche Zeit (Ehe), und sich damit zu be-
gnügen, dass alle Sacramente jetzt in potestate Christi verwaltet wer-
den. Erst mit Alexander Halesius beginnt eine genauere Untersuchung
des Ursprungs der Sacramente. Allein bis Thomas findet sich noch viel
Schwanken. Man zieht sich auf die allgemeine Behauptung der gött-
lichen Einsetzung zurück oder lehrt eine „gewisse" Einsetzung durch
Christus ^, wobei man bei den verschiedenen Sacramenten sehr verschie-
dene Verlegenheitshypothesen machte. Fort und fort (bis ins 16. Jahr-
hundert) gab es aber solche, welche einzelne Sacramente ledighch auf
apostolische Einsetzung zurückführten ^.
Die Hauptfragen der Folgezeit waren neben dem Problem, inwie-
weit die Wirkung an das Sacrament gebunden sei (s. oben), die nach
animatum muss die intentio habon, seil, „faciondi qiiod facit Christus et ecolesia".
Allein Thomas stellt sich nun weiter auf die Seite der Laxen, d. h. er bestreitet,
dass eine mentalis intentio nöthi^ sei. Es genügt vielmehr, da der minister in
loco totius ecclesiae handelt, die in den saeramentalen Worten, die er spricht,
factisch ausgedrückte intentio der Kirche, „nisi contrarium exterius exprimatur
ex parte ministri vel recipientis sacramentum".
* Daher der 13. Art. der Augustana: „Damnant illos, ()ui doccnt, (juod sacra-
menta ex opere operato iustificent, nee docent fidem requiri in usu sacramentorum,
quae credit remitti peccata."
'^ Doch steht Scotus selbst dem Thomas in der Sacramentslehre recht nah.
' Ueber seine Inconsequenzen s. Hahn S. 155.
* S.Hahn S. 158 fi".
'"' S. H ahn S. 163 1". Christus hat (bireli die IJebertragung der potestas excel-
lentiae dio A|)OHtf'l lu-lahigt, Sacramente einzusetzen.
478 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
dem minister sacramenti und nach den Bedingungen des heilsamen
Empfangs. Wohl war man darin einig, dass es Sacramente giebt, deren
minister nicht schon durch die Einsetzung Christi vorgeschrieben ist,
und dass man zwischen den Sacramenten untersclieiden müsse, die nur
ein getaufter Ohrist, ein Priester oder ein Bischof giltig verwalten könne;
allein in der Anwendung auf jedes einzelne Sacrament und in der Ver-
hiütnissbestimmung des minister und des Empfängers zum Sacrament
herrschten grosse Controversen (ist der die Ehe segnende Priester oder
sind die Brautleute der minister des Ehesacraments? auch in Bezug auf
die Eucharistie u. a. Sacramente wirkten die alten Vorstellungen, und
zwar nicht immer nur bei erklärten Häretikern, nach; ferner, über die
Confirmation war man zweifelhaft, ob die ausschliessliche Befugniss der
Bischöfe auf göttlicher oder auf kirchlicher Bestimmung beruhe, wobei
dann die ganze alte Streitfrage wieder auftauchte, ob Presbyter und
Bischöfe ursprünglich identisch gewesen seien, u. s. w. u. s. w.).
Enschneidender war die Controverse in Bezug auf die Bedingungen
des heilsamen Empfangs; denn hier musste es sich zeigen, in welches
Verhältniss die beiden Pole der römischen Auffassung vom Christen-
thum zu setzen seien, ob der Factor des Verdienstes über den
Factor des Sacra ments übergreifen würde oder umgekehrt.
Die Entwickelung in der nominahstischen Theologie ist die gewesen, dass
das Verdienst immer mehr die Oberhand behielt, und dass dem ent-
sprechend die Bedingungen immer laxer gefasst, zugleich aber die herab-
gesetzten Wirkungen des Sacraments immer magischer vorgestellt
wurden. Im Grunde wurde von diesem Punkte aus (den Bedingungen),
den Thomas nur gestreift hatte, die ganze Sacramentslehre wieder con-
trovers, resp. war neu zu behandeln. Die Hauptpunkte sind folgende: ^
1. Alexander Halesius und Thomas hatten zwar nicht von allen
Sacramenten einen Oharakter abgeleitet, wohl aber von allen behauptet,
dass sie eine von der subjectiven Beschaffenheit des Empfängers unab-
hängige W^irkung ausüben. Allein Scotus und die Späteren stellten
dies für die Busse und die letzte Oelung in Abrede, indem sie lehrten,
dass diese Sacramente ohne alle Wirkung bleiben, wenn sie ohne die
erforderliche Disposition empfangen würden.
2. In älterer Zeit nahm man an, dass gegenüber unwürdig Empfangen-
den die Kraft der Sacramente eine verderbenbringende werde. Das
stellten die Nominalisten in x^brede. Sie sahen umgekehrt in der wür-
digen Disposition und in dem Charakter bereits eine positive dispositio
ad gratiam und erklärten folgerecht, dass bei den Unwürdigen der heil-
' S. Halm 8. 392 ff.
Die Sacramentslehre. Bedingungen des heilsamen Empfangs. 479
same Effect ex opere operato nicht zu Stande komme ', der Zorneffect
aber nicht Wirkung des Sacraments sei, sondern aus der Sünde des
Empfangenden stamme, also nicht ex opere operato, sondern ex opere
operante sei.
3. Dass eine Diposition zum heilsamen Empfang gehöre, war so-
mit allgemeine Meinung; allein w esshalb sie nöthig sei, darüber war
man verschiedener Ansicht. Die Einen sahen in der Disposition nicht die
positive Bedingung der sacramentalen Gnade, sondern nur die conditio
sine qua non, d. h. die Disposition kommt nicht als Würdig-
keit in Betracht, vielmehr wirken die Sacramente des neuen Bundes
im Unterschied von denen des alten, wo die fides nöthig war (also das
opus operans), ex opere operato ^. Damit war nicht die Nothwendigkeit
der dispositio, wohl aber ihre causative Bedeutung ausgeschlossen. Im
vollen Gegensatz zu dieser Anschauung steht die andere, die aber nur
von Wenigen vertreten wurde, dass die Sacramente nur dann Gnade
vermitteln können, wenn die innere Reue und der Glaube vorhanden
seien, so dass alle heilsmässige Gnade alleinige Folge der bussfertigen
Gesinnung und des Glaubens sei ; diese aber würden als interiores motus
von Gott gewirkt, so dass man desshalb nicht eine Rechtfertigung ex
opere operante anzunehmen habe ; die Sacramente declariren nun diese
innere Gottesthat, machen den Menschen über den Empfang der Gnade
gewiss und stärken den Glauben, dass er die effective Gnade auf den
ganzen Menschen überleitet und ihm zueignet. Diese Auffassung
kommt der evangelischen des 16. Jahrhunderts sehr nahe ; aber sie
unterscheidet sich von ihr dadurch, dass die Gnade selbst noch immer
katholisch vorgestellt wird als die participatio divinae naturae, und dass
demgemäss der Glaube schliesslich doch nur als ein Vorläufiges gilt,
d. h. es ist noch nicht erkannt, dass der motus fiduciae in deum die
Form und das Wesen der Gnade selbst ist. Ferner ist zu beachten.
* Zu Stande kommt also nur das Sacrament als äusserlicher Seelenschmuck
(der Ungläubige erhält einen Charakter, geniesst den Leib des Herrn, steht in einer
unauflöslichen Ehe u. s. w.), nicht aber die Gnaden Wirkung. Diese tritt aber nach-
träglich sofort ein, wenn die Indisposition weicht.
2 Der Ausdruck „ex opere operato" hat in seiner Anwendung im Sacrament
Reibst eine Geschichte erlebt, die zu verfolgen hier zu weitläufig wäre, s. Schätzler,
Die L. v. d. Wirks. d. Sacr. ex opere operato 1860. Jf^denfalls ist die Behauptung,
der Ausdruck besage nur, dass die Sacrairionte wegen des von Christus vollbrachten
Werkes wirken oder dass Christus in ilmcn wirkt, falsch, d. h. eine a])ologetische
Neuerung Möh 1er 's, resp. schon einiger Theologen des 16. Jahrhunderts. Viel-
rrifihr ist der leitende Gedanke der Scholastik der gewesen, dass das Sacrament
selbst das opus oj)eratum ist, und von hier aus schritt man dazu fort, die äussere
Handlung opus operatum zu nennen, die innere CJesinnuiig i)\)UH oj^TanH.
480 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
dass die Vorstellung rein und deutlich bei keinem Scholastiker aus-
geprägt ist *. Nach der dritten Ansicht, die immer mehr Anhänger ge-
wann und immer laxer ausgeprägt wurde, ist die heilsame Gnade ein
Product des Sacraments und des reuevollen Glaubens, so dass das
Sacrament an sich nur über den todten Punkt erhebt und einen Keim
setzt, der erst durch die Cooperation von Reue und Glauben zur heils-
mässigen Wirkung kommt. Hier nun wurde die Frage erst wichtig,
wie denn diese lleue und dieser Glaube beschaffen seien, resp. welches
die Gemüthsverfassung sein müsse, die den Empfänger in den Stand
setzt, die sacramentale Gnade zu ihrer vollen Wirkung kommen zu
^ Hahn (S. 401 f.) nennt als Vertreter dieser Ansicht Robert Pulleyn, Wil-
helm von Auxerro und Johann Wessel, und als solche, die diese Ansicht wenigstens
in Bezug auf das Busssacrament hegten, eine grosse Reihe von Tlieologen, unter
denen der Lombarde, Alexander von Haies, Bonaventura und Heinrich von Gent
angeführt werden. In der That lehrten diese Männer, dass, wo wahre contritio vor-
handen sei, die Absolution unmittelbar von Gott erfolge, nicht erst bei dem Buss-
sacrament, welches in diesem Fall nur declarire. Diese Inconsequenz ist in der
That sehr merkwürdig und zeigt, wie lange evangelische Anschauungen nachgewirkt
haben gegenüber dem Mechanismus des sacramentalen Systems •, so sagt Alexander
von Haies (Summa IV Q. 14 M. 2 Art 1 § 3): „Duplex est paenitentia; quaedam
quae solummodo consistit in contritione, quaedam quae consistit in contritione, con-
fessione, satisfactione ; utraque est sacramentum. Sed primo modo sumpta non
est sacramentum ecclesiae, sed secundo modo, Sacramentum paenitentiae est Sig-
num et causa et quantum ad deletionem culpae et quantum ad deletionem poenae.
Contritio enim est signum et causa remissioni s peccati et quantum
ad culpam et quantum ad poenam" (die Hinzufügung des Erlasses der zeit-
lichen Sündenstrafen tritt aber erst durch das priesterliche Sacrament ein). An
diese Auffassung der Busse hat bekanntlich die Reformation angeknüpft. Die aus-
schliessliche Zusammengehörio-keit von fides und sacramentum für alle Sacramente
hat Robert Pulleyn und AVessel betont (Jener Sent. 1. octo P. V c. 13 : „quod fides
facit, baptismus ostendit; fides peccata delet, baptismus deleta docet, unde sacra-
mentum dicitur." VI, 61: „Absolutio, quae peracta confessione super paenitentem
a sacerdote fit, sacramentum est, quoniam rei sacrae signum est. Et cuius sacrae
rei est signum, nisi remissionis et absolutionis ? Nimirum confitentibus a sacerdote
facta a peccatis absolutio remissionem peccatorum, quam antea peperit cordis con-
tritio, designat. A peccatis ergo presbyter solvit, non utique quod peccata
dimittat, sed quod dimissa sacramento pandat." Dieser, de commuu.
sanct. [edit. Groning. 1614] p. 817: „Effectus sacramentorum sunt secundum dispo-
sitionem suscipientis et secundum requisitam illi intentioni dispositionem .... Dis-
positio vero requisita huic sacramento, ut efficax fiat, est fames et sitis huius vivifici
cibi et potus. Unde quanto minus eum esurit et sitit, pro tanto minorem etiani
effectum consequitur", 818: „Semper sacramenta fidei sunt instrumenta, tanto sem-
per efficacia, quanto est fides negotiosa"). Allein mau hat sich bei diesen werth-
vollen Sätzen, wie oben bemerkt, stets zu erinnern, dass bei näherem Zusehen hinter
und über die fides eine geheimnissvolle gratia gestellt ist, welche jene zu einem
Mittel herabdrückt.
Die Sacramentslehre. Bedingungen des heilsamen Empfangs. 481
lassen. Zunächst wurde hier allgemein mit Augustin geantwortet, der
Empfänger dürfe nicht „obicem contrariae cogitationis opponere".
Allein welches ist dieser obex oder dieses impedimentum ? Man er-
wiederte, der Empfänger dürfe nicht „cum Actione" das Sacrament em-
pfangen. Aber wann ist er ein Heuchler? Die älteren Theologen ver-
langten einen „bonus motus interior" , d. h. eine wirklich fromme
Gesinnung in Sehnsucht nach der Gnade, Reue und Glauben, also, so-
fern jeder bonus motus in gewisser Weise verdienstlich ist , gewisse
Verdienste. Der obex ist hier also das Fehlen solch' einer positiven
guten Gesinnung. So lehrten der Lombarde, Alexander, Thomas ^ und
eine grosse Reihe von Theologen, und sie statuirten weiter, dass, da
jedes Verdienst belohnt wird, der Empfang des Sacraments eine doppelte
Gnade zur Folge habe, nämlich 1) ex opere operato, 2) aber auch ex
opere operante ; die letztere sei von der sacramentalen Gnade verschie-
den, trete aber stets zu ihr hinzu (exmerito um der Disposition willen und
grösser oder kleiner, je nach dem Mass der Disposition). Schon hier
ist also das Verdienst in bedenklicher Weise eingemischt. Allein die
späteren Theologen (von älteren Albertus) verlangten nur die Ab-
wesenheit einer unfrommen Gesinnung ; als obex gilt hier lediglich das
Vorhandensein eines motus contrarius malus, d. h. die Verachtung des
Sacraments, der positive Unglaube oder eine unvergebene Todsünde ^.
Sie sagten, dies sei eben die Würde der neutestamentlichen Sacramente,
dass sie keine positive Disposition voraussetzen, während alle andere
Gnade eine solche voraussetzen müsse. Daher definirt Scotus: „ad
primam susceptionem gratiae (der nicht sacramentalen) requiritur
aliquis modus meritorius de congruo, ad secundam autem (der sacra-
mentalen) non requiritur nisi voluntaria susccptio baptismi et sine
fictione, h. e. cum intentione suscipiendi quod confert ecclesia, et sine
actu vel voluntate peccati mortalis, ita quod in primo requiritur aliquod
opus intrinsecum aliquo modo acceptum tamquam meritum de congruo,
in secundo solum requiritur opus exterius cum amotione interioris im-
pedimcnti." Man sieht, hier ist die Sacramentslehre bereits ganz in
die (pelagianische) Justificationslehre hineingezogen und ihr untergeord-
net, während scheinbar die Kraft des Sacraments gesteigert ist, sofern es
auch dort wirksam sein soll, wo tabula rasa besteht. Allein mit der ge-
* Tn Sent. IV Dist. 4 (^. 3 Art. 2: „Indispositus rcputatur et qui non credit et
(jui iiidevotus accedit ... in sacramentis praeeipuc fides operatur . . . idco delbctus
fidei speoialius i)ertinet ad fictionem."
'•* »Sootus, Tn Sent. IV Dist. 1 Q. 0: „Saeramentum ex virtute o])eris opei-ati
coiifcri gratiarn, ita quod non r('(|uiritur i))i })onus motu« interior (|ui mereatnr gra-
tiani, fl(;d Hulficit quod suscipiens non fionat oluceni."
Harnöf, k, Dof^nengeHcliicIitc III. jj|
482 (Tpschiohte, des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrli.
steigorten Kraft contrastirt der factiscli geringe Heilseffect, der viel-
mehr auf die acceptatio nieritorum hominis übergelit. Zwischen diesen
beiden Ansichten gab es nun noch eine dritte, welche der letztgenannten
allerchngs ganz nahe stellt, hiUilig mit ihr verschmolz und später die
Oberhand erhalten sollte ; sie begnügt sich weder mit der Abwesenheit
des malus motus, noch verlangt sie den bonus motus, sondern sie for-
dert, dass eine „gewisse" Keue dem Sacramentsempümg vorhergehe,
die nicht aus den höchsten Motiven zu entspringen braucht, sondern aus
niederen, z. B. aus der Furcht vor Strafe oder dergleichen. Diese „Reue"
wird als attritio bezeichnet^, und von ihr wird gesagt, dass das
Sacrament, wenn man sich redlich bemüht, sie zur contritio erheben
könne. Allein Andere gingen nun noch weiter und lehrten, dass das
Sacrament ex opere operato die attritio zur contritio um-
setze. Nach dieser höchst verbreiteten Ansicht kann der Mensch
selig werden, der sich vor der Hölle fürchtet, wenn ihm
auch sonst jeder innere Zusammenhang mit der christlichen Religion
fehlt; er muss nur das Busssacrament in der Meinung, dass es ihn vor
der Hölle schützen kann, fleissig brauchen. Doch braucht auch diese
„Meinung" kein sicherer Glaube zu sein; er darf die Wirkung des
Sacraments nur nicht für unmöglich halten : „attritio superveniente
sacramento virtute clavium efficitur sufficiens^.
Eine ganz magische Auffassung vom Sacrament concurrirt hier
in perniciöser Weise mit jener Lehre vom „Verdienst", kraft wel-
cher Gott per acceptationem das für voll nimmt, was nur ein An-
fang ist, ja nicht einmal ein Anfang, da die Motive jener „verdienst-
lichen" Handlungen religiös neutrale sein können. Wir kommen bei
der Lehre von der Justification auf diesen schlimmsten Punkt, der
das ganze praktische und theoretische System des Kathohcismus im
' Scotus hat auf dieses sehr richtig beobachtete Gebilde der gemeinen Mensch-
lichkeit zuerst sein Augenmerk gerichtet und es in der angegebenen Weise für die
Lehre vom Heil zu verwerthen begonnen, s. Hahn S. 413 f.
* Oder: „attritus accedit ad confessionem, ex quo ibi fit contritus, unde
fugatur fictio. Et sie non habet dubium, quia et sacramentum suscipit et effec-
tum eins seil, remissionem peccatorum." Zahlreiche Stellen bei Hahn, a. a. 0.
Von hier aus konnte sogar der blosse Entschluss zur Theilnahme am Sacrament,
resp.die Theilnahme an sich als etwas anfangend -Verdienstliches angesehen werden,
und in der That ist das schon vom Lombarden ab geschehen und wurde eine g-anz
verbreitete Meinung. Ja, wie wenn sich das Uewisseu und der helle Verstand
gegenüber der Sacramentsmagie geregt hätte, erklärt der Lombarde, dass die humi-
liatio vor den sinnlichen Materien im Sacramente ein Verdienst begründe (Sentent.
IV Dist. 1 C) : „propter humiliationem (juidem, ut dum homo sensibilibus rebus,
quae natura infra ipsum sunt, ex praecepto creatoris se reverendo subicit, ex hac
humilitate et obedientia deo magis placeat et apud eum mereatur."
Die Sacramentslehre. Bedingungen des heilsamen Empfangs. 483
Beginn des Reforinationszeitalters beherrschte^ zurück K Aber gewiss
ist schon hier deuthch, dass die so gefasste und so ausmündende
Sacramentslehre nicht sowohl Trost gewährte als Beschwiclitigung.
Diese Lehre ist ursprünglich entworfen von der überschwänglichen
Vorstellung der participatio divinae naturae aus und zeigt diese
Grundlage noch immer in den ersten Sätzen ihres Aufbaues. Aber
sie endet damit, den gemeinen Menschen in seiner halbschlächtigen
Moral und in seiner unkräftigen Frömmigkeit zu bestärken. Der
ernste Katholik mag diese Schlussfolgerungen nicht für sich in An-
wendung bringen, er mag sich an den ursprünglichen Ansatz halten,
was ihm nicht verwehrt ist — aber dem Leichtsinnigen hat die Kirche
einen breiten Weg gebahnt und eine weite Pforte aufgethan. Sie mag
damit relativ manches Gute wirken; denn ihr System ist dem Leben
abgelauscht: es giebt eine pädagogische Anweisung auf die Frage,
wie man den nicht völKg Gedankenlosen, den nicht völlig Stumpf-
sinnigen, den nicht völhg in den irdischen Genuss Versunkenen
stützen und in eine bessere Gesellschaft mit besseren Sitten einführen
kann; aber sobald man erwägt, dass es die christliche Religion
sein soll, um die es sich hier handelt, die Religion mit ihrem Ernst
und ihrem Trost, erscheint dieses Gebilde aus dem opus operatum,
der attritio und dem meritum wie ein Hohn auf alles Heihge^.
* Apol. Confess. Aug. 13: „Hie damnamus totum populum scholasticorum
doctorum, qui docent, quod sacramenta non ponenti obicem conferant gratiam
ex opere operato sine hono motu utentis. Haec simpliciter iudaica opinio est sen-
tire quod per ceremoniam iustificemur, sine bono motu cordis, hoc est, sine fide.
Ex tarnen haec impia et perniciosa opinio magna auctoritate docetur in toto regno
jjontificio.'*
2 Ueber die Sacramentslehre des Duns Scotus s. Werner, Scotus (1881)
8.462 — 496, der nachscotistischen Scholastik vgl. ebendenselben. Die nach-
scotistische Scholastik (1883) S. 380 ff. Als besonders wichtige Eigenthümlichkeiten
der scotistischen Sacramentslehre seien folgende hervorgehoben: 1) die Ablehnung
der inneren Noth wendigkeit der Sacramente, da Gott die Heilsgnade auch ohne
Vermittelung jener äusseren Zeichen verleihen kann (um so sicherer wird die
äussere Nothwendigkeit auf (Irund der positiven göttlichen Anordnung festge-
halten), 2) die Ablehnung einer natunioth wendigen AVirkung der Medien der sa-
cramentalen Gnade, 3) die starke Betoniing dvv Sacramente als notae ecclesiae,
4) die Behaujjtung, dass es seit dem Sündenfall ex opere operato wirksame Sacra-
mente gegeben habe, 5) die Ablehnung der virtus supranaturalis i n den Sacra-
menten, 6) die Ablehnung d(^s Satzes, dass der Jntellect Träger des sacramentalen
Charakters sei, 7) die Behauptung, dass die Unwiederhollnirkeit der Taufe nur aus
der positiven Anordnung Gottes abzuleiten sei, 8) die Behauptung, dass der reatus
culpae nach dem Act der Sünde keine reatio realis sei, d. h, dass in der Seele
nichts von der Wirkung der Sünde zurückbleibt, was abermals Sünde wäre; denn
der habituH vitiosus sei nicht Sünde, da er auch in den Gerechtfertigten bleibe;
81*
484 Geschichte des Dof^maa im Zeitalter clor Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Die einzelnen Sacramente. 1. Die Taufet Dieses
Sacramenf^ ist die Medicin in Bezug auf die Folgen des Sünden-
falls und begründet das neue Leben; es hat mithin eine negative
und eine positive Wirkung 3. Die erstere, in der sich bereits die
gratia als perfectissima * darstellt, bezieht sich auf die Erbsünde. So-
fern diese in der Schuld, der Strafe und der Concupiscenz besteht,
schafft die Taufe dieses Alles mit der gcsammten Sünde weg, d. h.
die Scliuld (Schuld der Erbsünde und der vorher begangenen That-
sünden ohne Ausnahme) ^ wird getilgt, die Strafe erlassen (und zwar
die ewige Strafe total, die zeitliche, sofern sie in poenae determinatae
besteht, ebenfalls; sofern sie aber in den Strafübeln des irdischen Lebens
zum Ausdruck kommt, bleibt sie) und die Concupiscenz wird geord-
net. In dem letzteren Punkt liegt eine Neuerung, da erst in der
Scholastik deutlich zwischen sündiger und unschuldiger Concupiscenz
unterschieden wird. Die Meinung ist die, dass durch die Sünde die
sündige Concupiscenz als Unordnung der niederen Triebe, resp. als
also steht nichts vermittelnd zwischen dem sündigen Act und der obligatio ad poe-
nam; die letztere ist also nur eine relatio rationis des göttlichen Intellects oder
Willens, welche in dem „Ordnerwillen" Gottes ihren Grund hat; hiernach richtet
sich die Auffassung vom Busssacrament. — Occam entleerte die Sacramente jeg-
lichen inneren und speculativen Gehalts; sie haben lediglich eine Bedeutung, weil
Gott sie so angeordnet hat; man weiss aber nicht warum. Auch hier steht es
so, dass, sobald die Autorität der Kirche fiel, nicht nur die Sacramentslehre in
jedem Sinn wegfallen musste — das war kein Schade — , sondern auch jegliche
Lehre von der Gnade; denn dass eine solche unabhängig von den Sacramenten be-
stehen könne, dafür hatte Niemand vorgesorgt.
' S. die ausführliche Darstellung des Thomas P. III Q. 66 — 71. Schwane
S. 605—622.
^ Nach allgemeiner Ansicht (ähnlich schon Tgnatius v. Antiochien) hat Christus
bei seiner eigenen Taufe dem Wasser die Weihe und Kraft verliehen. Daher bedarf
das Wasser keiner besonderen Weihe mehr, wie die Materie bei anderen Sacra-
menten sie nöthig hat.
' Nach scholastischer, aber nicht von Allen getheilter Ansicht ist eine Aus-
tilgung der Sünde an sich möglich ohne Eingiessung der heiligmachenden Gnade
(so Thomas).
* Gabriel Biel (nach Hahn S. 334): „Licet gratia baptismalis sit incipientium
et ita imperfecta quantum ad habilitandum ad bonum, tamen quantum ad libe-
randum a malo habet vim gratiae perfectissimae . . . restituit perfectam innocen-
tiam."
° Dagegen : „baptismus non est institutus ad delendum omuia peccata futura,
sed tamen praeterita et praesentia." Daher die Regel : „baptismus delet quidquid
invenit." Diese Scheu, die sündentilgeude Taufgnade auf die Zukunft zu beziehen,
war ursprünglich aus dem Interesse an der menschlichen Freiheit und au dem Ernst
der christlichen Moral entsprungen. Allein in der scholastischen Zeit will mau vor-
nehmlich das kirchliche Busssacrament schützen.
Die Taufe. 485
Herrschaft derselben über die höheren Triebe und über die Actions-
sphäre des Menschen, zu Stande gekommen ist, wodurch sich ein
immerwährender, mit einer gewissen Nothwendigkeit wirkender fomes
peccati entwickelt hat. Die Taufe hat nun die "Wirkung, dass die
Unordnung der Triebe verbessert und der fomes peccati demgemäss er-
mässigt wird, so dass der Mensch nun im Stande ist, der Concu-
piscenz, die mit seinem irdischen Wesen gesetzt und daher an sich
unschuldig ist, zu widerstehen, resp. sie in geordneten Schranken
zu halten. Diese Betrachtung des natürlichen Lebens, die keine
rehgiöse ist, wird uns noch im nächsten Abschnitt (sub C) beschäf-
tigen. Hier genügt es, zu constatiren, dass, um die Absolutheit der
negativen Taufwirkung als einer effectiven zum Ausdruck zu bringen,
der Begriff einer unschuldigen Concupiscenz zugelassen ist*. Die
positive Wirkung der Taufe ist in dem Titel sacramentum regene-
rationis zusammengefasst. Allein während hier im Allgemeinen keine
Veranlassung vorlag, über die altkirchliche Fassung hinauszugehen
(auch der besondere Zusammenhang von baptismus und fides wird
noch immer betont), so erhob sich doch an zwei Punkten ein Bedenken.
Ist die positive Gnade in der Taufe perfectissima, und erhalten auch
die Kinder diese Gnade ebenso vollkommen wie die erwachsenen
Täuflinge ? Obgleich man im Allgemeinen erklärte, die Taufe sei das
Sacrament der Justification und der Täufling erhalte durch sie, falls er
sie nicht schon hat (in diesem Fall tritt nur eine Vermehrung ein), die
gratia operans et cooperans, so beurtheilte man factisch, namentlich seit
* Lombard., Sentent. II Dist. 32 A. B. : „Licet reinaneat concupiscentia post
baptismum, non tarnen domiuatur et rcgnat sicut ante, immo per gratiam baptismi
mitigatur et minuitur, ut post dominari non valcat, nisi quis reddat vires hosti eundo
post concupiscentias. Nee post baptismum remanet ad reatum, quia non imputatur
in peccatum, sed tantum poena peccati est, ante baptismum vero poena est et
culpa .. . Per gratiam baptismi vitium concupiscentiae debilitatur atque extenuatur,
ita ut iam non regnet, nisi conscnsu reddantur ei vires, et quia reatus ipsius solvi-
tur." Thomas definirt den fomes (nach dem Sündenfall) in der 27. Q. P. III. als
„rebellio infcriorum virium ad rationcm" oder als „inordinata concupiscentia sensi-
bilis appetitus"; durch die (inadc aber wird er gescliwächt und verliert den reatus.
Gedacht wurde auch damals noch (s. Augustin) fast ausschliesslich an den Geschlechts-
trieb und die Zeugung. Auch desshalb kann von einer Beseitigung der Concupiscenz
nicht die Rede sein, und Thomas erklärt: „baptismus non aufert actu infectionem,
prout afficit personam, quod i)at(;t ex hoc, quod baptizatus per actum naturac ori-
ginale transmittit in prolem." Er sagt auch P. il, 1 (|. 74 Art. 3: „Transit peccatum
originale reatu et remanet actu (so schroff ist das später nicht behauptet worden).
Sed talis corruptio fomitis non impedit, quin homo rationabili voluntatc possit re-
primcre singulos motus inordinatos sensualitatis, si pracscntiat, puta divcrtcndo
cogitationem ad alia."
48H Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
der Zeit des NoniinMlismus, die Taufe doch nur als Initiationssacrament
für die Justitieatiou '. Desshalb war man auch in steigendem Masse be-
reit, den Kindern die vollkommene Ai)plication der Taufgnade zuzu-
sprechen '^, während man in älterer Zeit annahm, den Kindern werde
vollkommen nur die Reinigung von der Erbsünde zu Theil, während
die positive Gnade erst später successive ihnen eingeflösst werde ^. Den
Glauben der Kinder anlangend, so gab es darüber keine sichere Mei-
nung ; die Meisten scheinen angenommen zu haben, dass der Glaube
der Kirche (resp. der Pathen) vicarirend eintrete und dadurch die Heils-
wirkung ermöglicht werde*. So begründet die Taufe den Justifications-
process nur oder sie setzt ihn in habitu, aber nicht in actu (dass Maria
hiervon ausgenommen gedacht wurde, versteht sich nach katholischer
Auffassung von selbst; denn ihr konnte durch die Taufe nichts ge-
schenkt werden, was sie nicht schon vor der Taufe besessen hätte) ^.
Die Taufe ist absolut nothwendig (Ersatz durch Bluttaufe), ver-
leiht einen Charakter, ist unwiederholbar, ist giltig, wenn sie mit Was-
ser (materia) und mit den Einsetzungsworten (forma) ^ vollzogen wird,
und wird regelmässig vom Priester gespendet. Doch kann im Nothfall
ein Diakon, ja selbst ein Laie taufen. Die Erwägungen über die Sacra-
mentalien, welche die Taufe begleiteten, gehören nicht in die Dogmen-
geschichte ' ; ebensowenig die secundären Folgen der Taufe, wie z. B.
die geistliche Verwandtschaft u. s. w.
Da die Kirche, besonders vom 13. Jahrhundert ab, wider solche
1 S. die Aum. 4 auf S. 484.
^ In der Regel allerdings mit dem Zusatz, dass der habitus ligatus est propter
pueritiam, dass er aber ebenso vollständig mitgetheilt sei, wie der schlafende Mensch
ein lebendiger Mensch ist. So schon Thomas. Auf dem Concil zu Vienne 1311 wurde
die Ansicht, dass die Taufe den parvulis sowohl die remissio culpae als die collatio
gratiae verursache (quoad habitum, etsi non pro illo tempore quoad usum) d. h. die
gratia informans et virtutes verleihe, für die sententia probabilior erklärt und ap-
probirt (Mansi XXV p. 411).
•'' Lonibardus, IV Dist. 4 H: „de adultis, qui digne recipiunt sacramentum,
non ambigitur quin gratiam operantem et cooperantem perceperint . . . de parvu-
lis vero, qui nondum ratione utuntur, quaestio est, an in baptismo receperint gra-
tiam qua ad maiorem venientes aetatem possent velle et operari bonum? Videtur,
quod non receperint, quia gratia illa Caritas est et fides, quae voluntatem praeparat
et adiuvat. Sed quis dixerit, eos acccpisse fidem et caritatem!''
* Nach Augustin Thomas III Q. 68 Art. 9 ; die parvuli sunt in utero matris
ecclesiae und werden so ernährt.
^ Hier giebt es grosse Controversen, auf die später kurz eingegangen werden soll.
* Thomas P. III Q. 66 Art. 6 erklärt (gegen Hugo) die Taufe auf den Namen
Christi allein für ungiltig; doch durften sich die Apostel eine solche Taufe erlauben.
' S. Schanz, Die Wirksamkeit der Sacramentalien, Tub. Theol. Quartalschr.
1886 H. 4.
Die Taufe. Die Firmung. 487
Secten und Richtungen zu kämpfen hatte, welche aus verschiedenen
Gründen — in der Regel aus Opposition gegen das herrschende Sacra-
mentssystem, hie und da auch gegen das Sacramentssystem überhaupt
— das Recht der Kindertaufe bestritten oder die Nothwendigkeit der
Taufe überhaupt in Abrede stellten, so war eine apologetisch-polemische
Erörterung des Taufsacraments nöthig. Doch ist man hier niemals an-
nähernd so ausführlich gewesen wie bei der Darlegung des Abendmahls-
sacraments ^
2. Die Firmung ''^. Dieses Sacrament hat seine selbständige Exi-
stenz lediglich durch die abendländische Praxis bekommen, sofern es nur
der Bischof^ verwalten darf. Daher ergab es sich von selbst, dass es
von der Taufe abgerückt wurde, die übrigens seine Voraussetzung bildet*
und mit der es die Eigenschaft, einen Charakter zu verleihen, also un-
wiederholbar zu sein, theilt. Die Materie ist das vom Bischof geweihte
Chrisma, die Form die sacramentalen Worte: „consigno te etc." Die
Wirkung, die natürhch neben der Taufe entweder nicht sicher ausge-
drückt werden kann oder die Bedeutung der Gnadenmittheilung in die-
ser beschränkt, ist die Kraft (robur) zum Wachsthum, die Stärke zum
Kampf gegen Glaubensfeinde (militärisch), die Gaben die hl. Geistes,
resp. auch — als Bestandtheil des Justificationsprocesses — die gratia
gratum faciens^. Zweifel an diesem Sacrament, welches nach Thomas
* S. die Polemik gegen die Katharer'(Moneta), Petrobrusianer, u. s. w.
'' Thomas P. ni Q. 72, S c h w a n e S. 622 - 627.
^ Weil nur die Apostel die Gewalt gehabt haben, durch Handauflegung den
hl. Geist zu ertheilen.
^ Nicht nur die Voraussetzung, „sed est maioris necessitatis", Thomas. 1. c.
Art. 12. In Bezug auf die Voraussetzung heisst es Art. 6: „si aliquis non baptizatus
confirmaretur, nihil recij^eret."
^ „Robur" resp. „potestas ad pugnam spiritalem" ist der Hauptbegriff; die
Taufe unterscheidet (iläubige und Ungläubige, die Firmung Neugeborene und Er-
starkte. Daneben suchte Thomas (Art. 7) die Firmung in den Justificationspro-
cess einzustellen, was freilich übel genug gelang: „datur baptisato spiritus sanctus
ad robur . . . missio seu datio spiritus s. non est nisi cum gratia gratum faciente.
Unde manifestum est, quod gratia gratum faciens confertur in hoc sacramento . . .
gratiae gratum facientis primus effectus est remissio culpae, habet tamen et alios
effectus quia sufficit ad hoc quod promoveat hominem per omnes gradus usque in
vitam aetemam ... et ideo gratia gratum faciens non solum datur ad remissionem
culpae, sed ctiam ad augmentum et firmamcntum iustitiae, et sie confertur in hoc
sacramento," Aber dann liess(;n sich Ixslicbig viele Sacramento einschieben! Die
Zusammenfassung der Hauptbostimniungen über das Sacrament bei Eugen IV.
(I. c. p. 1055), wo es vom Effect heisst: „datur S. S. ad robur, ut vid. Christianus
audacter Christi confiteatur nomen." Uebrigens will der Papst wissen, dass per
apostolicae sedis dispensationem auch gew(')linliche Priester das Sacrament ver-
waltet haben, jedoch nur mit Gel, welches ein Bischof geweiht hat. Dies bleibt seit-
-188 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. Jahrh.
„etiam a iion ieiunis clari vel accipi potest" ', sind nie erloschen; Wiclif
hat sie wieder nachdriickhch geltend gemacht; denn ein haltbarer Be-
weis aus der Tradition konnte nicht gewonnen werden'^. Thomas vermag
das conveniens in den Riten schliesslich nicht anders zu vertheidigen ^,
als durch den Satz: „firmiter tenendum est, quod ordinationes ecclesiae
(hrigantur secundum sa})ientiam Christi. Et propter hoc certum esse
debet, ritus quos ecclesia observat in hoc et in aliis sacramentis esse
convenientes." Stellt man sich nicht auf den dogmatischen Standpunkt,
sondern auf den praktisch-pädagogischen, so kann man die Zweckmäs-
sigkeit dieser Handlung, zumal neben der Kindertaufe, sowohl hinsicht-
lich der plebs Christiana als hinsichtlich des Bischofs, der auf diese
Weise jedem Gliede seiner Diöcese nahe tritt, nicht verkennen^.
3. Die Eucharistie ^ Am Anfang des 13. Jahrhunderts stand
nach den Kämpfen des 11. und manchen Unsicherheiten des 12. Jahr
hunderts die Transsubstantiationslehre, sowie das, was von ihr abgeleitet
wurde oder mit ihr zusammenhängt, wesentlich fest. Das Lateranconcil
(s.oben S.340) vom Jahr 1215 hatte die Entwickelung zum Abschluss
gebracht und dem Sacrament die denkbar höchste Stellung verliehen.
dem katholische Anschaiumg, resp. Praxis. Diese besouderc Hcranrückimg der Fir-
muDQf au die Gewalt des Papstes geht auf Thomas zurück. Er hat die folgenschwere
Theorie gebildet, dass die Sacramente der Eucharistie und des Ordo sich auf den
wahren Leib Christi beziehen, die übrigen auf den mystischen (die Kirche). Dess-
halb kommt bei der Verwaltung dieser 5 Sacramente ausser der potestas ministerii
überhaupt die Jurisdictionsgewalt der Kirche (bei dem einen in höherem Masse,
bei dem anderen in geringerem) in Betracht, d.h. der Papst. In Folge hiervon
hat er bei der Firmung das Recht, gewöhnliche Priester zu delegiren ; in Sentent. IV
Dist. 7 Q. 3 A. 1: „Sciendum est, quod cum episcopatus non addat aliquid supra
sacerdotium per relationem ad corpus domini verum, sed solum per relationeni ad
corpus mysticum, papa per hoc quod est episcoporum summus non dicitur habere
plenitudinem potestatis per relationem ad corpus domini verum, sed per relationem
ad corpus mysticum. Et quia gratia sacramentalis descendit in corpus mysticum a
capite, ideo omnis operatio in corpus mysticum sacramentalis, per quam gratia da-
tur, dependet ab operatione sacramentali super corpus domini verum, et ideo solus
sacerdos potest absolvere in loco paenitentiali et baptizare ex officio. Et ideo di-
cendum, quod promovere ad illas perfectiones, quae non respiciunt corpus domini
verum, sed solum corpus mysticum, potesta papa qui habet plenitudinem pontifi-
cialis potestatis committi sacerdoti."
1 Thomas, 1. c. Art. 12.
''* Eine Stelle aus Pseudoisidor (ep. episc. Melchiadis) spielte eine bedeutende
Rolle, sowie der falsche Dionysius.
' Thomas, 1. c.
* Die Einsetzung durch Christus, zuerst von Albertus behauptet, hat selbst
Thomas nur so „bewiesen", dass er erklärte, Christus habe das Sacrament Joh. 16,7
„promittendo" eingesetzt.
^ Thomas P. III Q, 73—83, Schwane S. 628—661.
Das Abendmahl. 489
sofern es die Aussage über dasselbe in das Symbol eingerückt hatte ^
Aber der „häretische" AViderspruch hatte diese Aussage nöthig ge-
macht. Er ist niemals verstummt, ja in den Kreisen der kirchlichen
Theologie selbst wurden in späterer Zeit Fassungen der Transsub-
stantiation aufgestellt, welche sie, streng genommen, aufhoben.
Auch hier ist es Thomas gewesen, dessen Fassung des Sacra-
ments in dem Katholicismus klassisch geworden ist. Die Modificationen,
welche sich der Nominalismus erlaubte, sind untergegangen; die Lehre
des Thomas ist geblieben. Thomas hat den Unsicherheiten, die noch der
Lombarde an einigen Punkten zeigt ^, ein Ende gemacht, und er hat
in vollendeter Form dem Sacrament die dialektische Behandlung zu
Theil werden lassen, die einst so viel Anstoss erregt hatte. Er ver-
mochte zuversichtlich mit dem Sacrament zu schalten, da er Realist
war, und Duns Scotus vermochte das ebenfalls (zum Theil in noch vol-
lendeterer Form), weil auch er einer realistischen Erkenntnisstheorie
huldigte. Aber dann erhielt diese Zuversicht einen Stoss; denn die
nominalistische Denkweise vermag sich nur gezwungen, resp. gar nicht,
mit der Transsubstantiation abzufinden. Sie muss sie entweder fallen
lassen oder für ein potenzirtes Mirakel erklären, durch welches ein
zweifach Unmögliches wirklich wird.
In dem Abendmahlssacrament und der Lehre von ihm brachte
die Kirche Alles zum Ausdruck, was sie hochschätzte, ihre Dogmatik,
ihr mystisches Verhältniss zu Christus, die Gemeinschaft der Gläu-
* Sehr richtig macht B aur (Vorles. II S. 475) darauf aufmerksam, dass Thomas
zu beweisen sucht, das Christenthum sei ohne die Transsubstantiation nicht die ab-
solute Religion.
^ Nur die Thatsache der conversio stand dem Lombarden fest, nicht aber der
Modus, 8. Sentent. IV Dist. IIA: „si quaeritur, qualis sit ista conversio, an formalis
an subsiantialis vel altcrius gencris, dcfinire non sufficio; formalem tarnen uon esse
cognosco, quia species rerum quac ante fueraut, rcmanent, et sapor et pondus. Qui-
busdam videtur esse substantialis, dicentibus sie substantiam converti in substan-
tiam, ut hacc essentialiter fiat illa." Doch ist das im Grunde auch die Meinung
des Lombarden, da er unzweideutig lehrt (Dist. 12 A), dass die Accidcnzcn nach
der Verwandelung „sine subiccto" sind. In der Lehre von der Messe hat der Lom-
barde noch nicht die Höhe des Realismus erreicht-, altkirchlichc Vorstellungen
wirkten bei ihm noch nach; s. Sentent. IV, Dist. 12 F: „quaeritur, si quod gerit
sacerdos proprio dicatur sacrificium vel immolatio, et si Christus quotidic immolatur
vel semcl tan tum immolatus sitV Ad hoc l)rcvitcr dici potest, illud quod ofiertur et
consecratur a sacerdote vocari sacrificium et ol^lationom, quia memoria est et re-
praesentatio sacrificii veri et sanctae immolationis factae in ara crucis. Et semel
Christus mortuus est in cruce, ibique immolatus est in semetipso, quotidie autem
immolatur in sacramento, quia in sacramcnto recordatio fit illius quod factum
est semel,"
490 Geschichte des Dogmas im ?Jeitalter der Bettelorden bio zum 16. Jabrh.
higen, den Priester, das Opfer, die Wundermacht, welche Gott seiner
Kirche gegehen, die Befriedigung des sinnlichen Triebes der Fröm-
migkeit u. s. w., nur niclit den Glauben, der Gewissheit
sucht und dem sie verliehen wird. Dies zeigt sich sehr deut- J
lieh bei der Beschreibung der Wirkungen der Eucharistie als Sacra-
ment und als (3|)fer. Das Sacrament wurde allgemein als das vor-
nehmste, als die Sonne unter den Sacramenten u. s. w. gefeiert, weil
hier res und sacramentum zusammenfallen (die Materie wird selbst
zu Christus), weil die Menschwerdung und der Kreuzestod in ihm i
wirksam repräsentirt, resp. wiederholt sind, und weil es sich über die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erstreckt. Allein die Wir-
kungen, welche unter dem Titel der Ernährung des geistlichen
Lebens der Seele zusammengefasst und als Incorporation in Christus,
Incorporation in die Kirche, Gemeinschaft der Glieder unter einander,
Vergebung der lässlichen Sünden, Beharren im Glauben, Stärkung
der menschlichen Schwachheit, Labsal, Vorgeschmack und Vorfeier
der himmlischen Seligkeit, Anbahnung der ewigen Gemeinschaft mit
Gott u. s. w. auseinandergelegt werden, reichen doch an die Wirkung
des Busssacraments nicht heran. Ebensowenig wird der Eucharistie
als Opfer eine specifische Bedeutung beigelegt, ja unter diesem Titel
drängt sich vielmehr das eigene Verdienst kräftig vor. Bei dem Mess-
opfer bezeugt man seinen Gehorsam gegen Gott; wie alles Opfer ist
es eine Leistung, die einen Lohn beanspruchen kann. So sind hier
alle Wirkungen zugleich vom Empfänger abhängig. Diese scheinen
in höchster Weise bemessen zu sein, ist doch das Messopfer eine
stete Erneuerung des Kreuzestodes; aber diese stete Wiederholung
bezieht sich doch nur auf die täglichen Sünden, auf die Strafübel
und die leibliche Noth. Wohl greift sie in ihrer Wirkung auch
über das irdische Leben hinaus — in praxi wurde die Beziehung des
Messopfers auf die Strafen im Fegefeuer fast die wichtigste — , allein
es giebt auch andere Mittel, die schhesslich nicht weniger wirksam
sind als die Messend
* Ueber den Effect der Eucharistie s. Thomas Q. 79. Im 1. Art. zeigt er, dass
es Gnade mittheilt, im 2. dass es zum ewigen Leben verhilft, im 3. dass es Tod-
sünden nicht tilgt, da es den geistlich Lebendigen gegeben ist, indessen unter Um-
ständen eine unbewusste Todsünde wegschafft, im 4. dass es die peccata venalia
tilgt, im 5. dass es die Sündenstrafe nicht ganz tilgt, sondern nur „secuudum quan-
titatem devotionis sumcntium", im 6. dass es die Menschen vor zukünftigen Ver-
brechen schützt, im 7. dass es als Sacrament nur den Creniessendcn nützt, als Sa-
crificium aber auch den Zuschauern: „In quantum in hoc sacrameuto repraoson-
tatur passio Christi, qua Christus obtulit se hostiam deo, habet rationem sacrificii
in quantum vero in hoc sacramento traditur invisibilis gratia sub visibili specie,
Das Abendmahl. 491
Die materia des Sacraments sind Waizenbrot ^ und Wein^. Ueber
die Zweckmässigkeit dieser und zwar dieser doppelten Form ist sehr
eingehend gehandelt worden. Die uralte Symbolik der vielen Körner,
die zu einem Brote werden, wird auch von den Scholastikern wieder-
holt^. Die forma sind die Consecrationsworte, die im Namen Christi
(nicht im Namen des Ministers) gesprochen werdend Dabei erklärt
Bonaventura das „hoc" als das Brot, Thomas als die Accidenzen
des Brotes („hoc sub his speciebus contentum", d. h. das, was hier
vorliegt, ist nicht Brot, sondern mein Leib). Die forma ist aber nicht
nur eine Aufforderung an Gott (Bonaventura, Duns), damit er die
Transsubstantiation vollziehe, sondern eine effective Kraft, sobald der
Priester die Intention hat, das Geheimniss zu bewirken^.
Aber die schwierige Frage war nun die, wie hat man sich die
Transsubstantiation zu denken?'^ Hier ist nun schon vom Lombarden
1) die Vorstellung einer Neuschöpfung des Leibes Christi abgelehnt
worden — denn Christi Leib existirt bereits — ; 2) aber ist von ihm
auch die Annahme verworfen worden, dass Christus das Brot und den
Wein zu seinem Leibe mache, so dass sie zum Sacramentum würden,
sei es durch assumptio sei es durch Consubstanzialität; vielmehr sei eine
solche conversio zu glauben, dass die Substanzen der Elemente in die
Substanzen des Leibes Christi übergegangen seien, die Accidenzen aber
subjectlos nachbHeben^; was mit der Substanz der Elemente geschehe,
habet rationem sacramenti . . . hoc sacrificium, quocl est memoriale dominicac pas-
sionis, non habet effectum nisi in illis qui coniunguntur huic sacramento per fidem et
caritatem. Unde et in Canonc Missae non oratur pro his qui sunt extra eeclesiam ;
ilh's tarnen prodest plus vel minus secundum modum devotionis eorum." Also die
Messe nützt nur denen, welche schon fides und Caritas haben, im Siime eines aug-
mentum fidei, rcsp. eines .Strafnachlasses, und stets nach dem Masse ihres Ver-
dienstes. Die Eucharistie ist das Sacrament und Opfer, welches den Justifications-
process, sofern er schon begonnen hat und durch keine Todsünde gestört wird,
begleitet und die höheren Stufen desselben herbeiführt.
' Streit über das gesäuerte Brot mit den Griechen.
^ Beigemischtes Wasser ist die Regel.
^Thomas, Q. 74 Art. 1.
* Q. 78 Art. 1.
^ Thomas, inSentent.lV Dist. 8 Q.2 Art. 3: „in verbis praedictis sicut et in
aliis formis sacramentorum est aliqua virtus a deo, sed haec virtus non est qualitas
habens esse completum in natura . . . sed habet esse incompletum, sicut virtus quae
est in instrumento ex iiitentionc y)rincipalis agcTitis."
® Kino traditionelle Lehre hatte man hier üb(>r]iiiupt nicht; konnte doch für
die Thatsachc der Transsubstantiation selbst ein Beweis aus älterer Zeit nicht er-
bracht werden. Man berief sich besonders auf Pscudo-Ambrosius.
' Sentent. IV Dist. 12 A: „si vero quaeritur de accidcntibus , quae rema-
nent, seil, de specicijus et de sapore et pondere, in ([uo subiccto fundantur, potiua
492 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der ßettelorden bis zum 16. Jahrh.
resp. ob sie sich auflöse und vernichtet würde, das erklärte der Lom-
barde nicht zu wissen. x\lexander Halesius lehnt die Consubstanzialität
und die Vernichtung deutlich ab und s})richt von einem „Uebergang".
Kr fügt aber bereits hinzu, dass nach der Verwandelung der ganze
(^iiristus gegenwärtig sei, sofern per concomitantiam stets die mensch-
liche Seele und die Gottheit Christi dort sei, wo sein Fleisch ist. Das
Fortbestehen der Accidenzen ohne Subject erklärte er für ein Wunder *.
Bonaventura hat Gewicht darauf gelegt, dass die conversio sowohl hin-
sichtlich der materia als der forma des Brotes zu Stande kommt (sonst
wäre sie unvollständig) ; indessen habe man bei jener nicht an die materia
prima (an die Materie als der potentia aller materiellen Substanzen) zu
denken^. In Bezug auf die erste A^bendmahlsfeier — ihre Behandlung ist
die schwerste crux der ganzen Theorie — nahm man zwar allgemein
an, dass Christus sich selbst gegessen habe (zum Beispiel und zum
Genuss der Liebe, nicht zur Vervollkommnung), aber während Halesius
meinte, Christus habe schon damals seinen verklärten Leib gegessen,
lehrte Bonaventura (ihm folgte Thomas), Christus habe seinen sterb-
lichen Leib genossen, der jedoch als eucharistischer bereits impassibiliter
gegenwärtig war. An die Parallele der Schöpfung und Incarnation
dachten Alle und suchten von dort aus das Geheimniss zu erläutern.
Thomas nun hat in abschliessender Form von den Accidenzen ge-
handelt, die, da ihnen das Subject nach der conversio fehlt, von Gott
als der causa prima existent erhalten werden ^. Er hat aber zugleich,
Bonaventura folgend, den Grund gelegt zu einer höchst complicirten
Lehre von der Form aller Materie, welche Duns und die Nominalisten
dann ausgesponnen haben. Da sich nändich das Brot hinsichtlich der
Materie und der Form verwandelt, so muss beides auch in dem Trans-
substanziirten nachgewiesen werden. Da aber die Seele Christi (Form)
mihi videtur fatendum existere sine subiecto, quam esse in subiecto, quia ibi non
est substantia nisi corporis et sanguinis dominici, quae non afficitur illis acciden-
tibus. Non enim corpus Christi talem in se habet formam, sed qualis in iudicio
apparebit. Remanent ergo illa accidentia per se subsistentia ad mysterii ritum, ad
gustus fideique suffragium, quibus corpus Christi habens formam et naturam suam
tegitur."
' Summa IV Q. 38. 40.
'■^ Eine Sondermeinung Bonaventura's ist, dass die Substanz des Brotes zu-
rückkehre, wenn die Accidenzen zerstört würden.
^ Thomas III Q. 77. Im 1. Artikel wird die Frage erörtert: „utrum accideutia
quae remanent, sint sine subiecto" ; sie wird bejaht, da sie nicht Accidenzen des
Leibes Christi werden können. Im 2. Artikel wird gefragt : „utrum quantitas dimen-
siva sit subiectum aliorum accidentium" ; u. s. w. u. s. w. Schon hier beginnen die
logischen Untersuchungen über den Raum.
Das Abendmahl. 493
nur per concomitantiam präsent erscheint, so muss der Leib Christi an
sich eine Form haben ^ So wird Thomas zur Vorstelhing einer forma
corporeitatis geführt; die weder mit der Seele noch mit der äusseren
Gestalt identisch ist, sondern als der Grund der Qualitäten des Leibes
erscheint. Ferner fasst Thomas demgemäss die conversio als Ueber-
gang im strengen Sinn (keine Vernichtung = an nihilatio der Elemente)^.
Das Wunder ist insofern mit einem Schöpfungswunder identisch, als
dort wie hier die beiden Zustände nicht durch ein gemeinschaftliches Sub-
ject (Substanz) verbunden sind ; denn das Fortbestehen der Accidenzen
ist kein wirkHches Band. Duns hat diesen Faden fortgesponnen und
ist zur Annahme einer Mehrheit von Formen in der Materie gekommen.
Er brauchte diese Annahme, da er dem hl. Thomas mit Erwägungen zu
Leibe ging, die von der Voraussetzung aus gewonnen sind, dass das
Abendmahl denkbarer Weise in der Zeit, da Christus im Grabe lag, ge-
feiert worden sein könne. Für diesen Fall sei die thomistische Lehre
nicht eingerichtet, da sie eine forma substantialis nur für den leben-
digen Leib annehme. Also wäre nach Thomas damals nur eine unvoll-
kommene Transsubstantiation zu Stande gekommen, nämlich nur eine
solche in die Materie des Leichnams. Duns selbst — zuversichtlicher an
die göttliche Allmacht appellirend. die allgemeine Möglichkeit, dass Gott
Alles verwandeln könne (auch das Materielle in Geistiges und umge-
kehrt), voranstellend, und eine qualitätslose Materie, die zu Allem fähig
sei, statuirend — kommt der Fassung der Transsubstantiation, dass eine
Substanz vernichtet und eine andere eingesetzt wird, sehr nahe. Vor
Allem aber hat seine These, dass Gott selbst — wie auf Grund eines Ver-
trages— stets dieConversion bewirke, so dass dieConsccrationsworte nur
den Anlas s bilden, bei allen Nominalisten nachgewirkt. Von hier aus
aber trat dann consequenter Weise auch eine Wendung des Verständ-
nisses der Transsubstantiation in der Richtung auf die Impanation und
Consubstanzialität ein. Denn es lag nahe anzunehmen, dass, wenn die
Gotteswirkung den Spruch des Priesters (also die forma sacramenti)
nur begleitet, sie auch die Elemente (die materia) nur begleitet
(„moralische" V'erbindung durch den freien Willen Christi). Diese
Doctrin wurde zuerst als Möglichkeit angedeutet und dann als Möglich-
keit behauptet. War aber einmal die Vorstellung von der conversio
* Summa P. 111 (^. 75 Art. (5: „Forma suLsiantialis panis non remanot" (was
ausführlich nachf/ewios(;n wird). Dennoch bezieht «ich das Br(;chen nicht aui' den
Leib Christi, sondern auf die species sacramentalis („corpus Christi non frangitur");
H. Q. 77 Art. 7.
'^ Auch Thiere ^eniessen nadi Thomas den Leib des Herrn (Q. 80 Ai-t. 8).
Hf>riHventiira will Acv f>pinio honcstior folgen, dass dies nicht geschieht.
494 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
durch eine logische Distinction in zwei Acte zerlegt, in den der annihilatio
und den des Eintretens des Leibes Christi an die Stelle des vernichteten
Suhjects, so konnte der erste Act auch wegfallen. Das Wunder wird nur
grösser, wenn Substanz neben Substanz steht. Zugleich war nun das
Signal gegeben zu Untersuchungen über den Kaum in seinem Ver-
hiiltniss zur Substanz, die von Scotus ab nicht ohne Früchte für die
Lehre vom Raum geblieben sind. Das menschliche Denken denkt nicht
weiter, ohne ein bestimmendes Motiv aus der praktischen Sphäre zu
erhalten: an der Gotteslehre ist die Lehre vom Denken und vom Willen
erwachsen, an der Trinitätslehre die Lehre vom Kosmos, an der Abend-
mahlslehre die Lehre vom Kaum. Wurde man schon durch die Frage
nach dem Yerhältniss des Leibes Christi zum Element auf Raumunter-
suchungen geführt, so in noch höherem Masse, sobald man sich die
Frage stellte, wie sich der eucharistische Leib zu dem verklärten Leibe
Christi im Himmel verhalte. Die spinösen Untersuchungen hierüber ge-
hören nicht mehr dem Dogma im strengen Sinn an. Da die Neu-
schöpfung ausgeschlossen war, so handelte es sich um die Präsenz
des bereits im Himmel vorhandenen Leibes im Sacrament. Da ferner
der Leib als ganzer gleichzeitig in jeder selbständigen Partikel des
geweihten Brotes erscheint, so musste man eine raumlose Gegenwart
lehren. Damit hat Thomas begonnen^; aber erst die Nöminalisten
haben die Frage virtuos behandelt (besonders Occam), sind jedoch nicht
sicher auf die Lehre von der Ubiquität des Leibes Christi gekommen.
Dagegen sind sie — nämlich Johannes von Paris und Occam -- es ge-
v/esen, welche die lutherische Lehre von der Realpräsenz im Brote
vorweggenommen haben ^. Ein energischer Gegner der Transsubstan-
' q. 76 Art. 3—6.
^ Johann von Paris (De modo existendi corpus Christi etc., gedruckt London
1686) erklärte, dass die Deutung der Kealpräsenz als conversio nicht unter seinen
Glaubeu falle, ist aber zur Revocation bereit, wenn ihm nachgewiesen wird, dass
die Kirche (der Papst) sie defiuirt habe. Nachdem er dann die Berengar'sche Lehre
abgewiesen, da sie nicht zu einer Idiomencommunication des Brotes und des Leibes
führe, hält er folgende Auffassung für unbedenklich (p. 86): „ut substantia pauis
maneat sub accidentibus suis non in proprie supposito, sed tracta ad esse et suppo-
situm Christi, ut sie sit unum suppositum in duabus naturis." Die Vorstellung ist,
wie M uns eher (S. 257) richtig entwickelt, hier diese, dass sich das Brot und der
Leib Christi zu einer Substanz vereinigen, vermöge einer ähnlichen Gemeinschaft
der Eigenschaften, wie man sie bei Vereinigung der beiden Naturen in Christo
zur Einheit der Person glaubte annehmen zu müssen. Man kann also auch sagen,
die orthodoxe katholische Ansicht vom Abendmahl ist monophysitisch, die Beren-
ffarische ist nestorianisch und die des Johann von Paris ist chalcedonensisch. Auch
Occam erklärte, dass in der Schrift darüber nichts stehe, dass die Substanz des
Brotes nicht bleibe (de sacram. alt. 5), und er sagt über die Auflassuuo- der Real-
Das Abendmahl. 495
tiationslehre war Wiclif (aber auch er kam über die Impanation nicht
sicher hinaus, und wenn ihn der Götzendienst, der mit der Hostie ge-
trieben wurde, gereizt hat, so waren es doch auch Yernunftgründe —
das Unding substanzloser Accidenzen — , die ihn zum Widerspruch
bewegten) ^ Von ihm sind nicht Wenige (aber nicht Hus) '^ zum Ab-
fall von der monströsen Lehre bewogen worden, und im 15. Jahrhundert
findet man den Widerspruch gegen dieselbe nicht selten ^. Doch blieb
sie die herrschende Anschauung; die Opposition erklärter Ketzer konnte
ihr nur günstig sein ^.
präsenz, nach welcher „corpus Christi in eodem loco cum substantia panis et vini
raanet", sie sei „multum rationalis, nisi esset determinatio ecclesiae in contrarium,
quia illa salvat et vitat omnes difficultates quae secuntur ex separatione accidentium
a subiecto" (denn diese widerspricht der nominalistischen Erkenntnisstheorie). Aber
er zieht sich schliesslich darauf zurück, der Kirche möge wohl die Lehre von der
conversio offenbart sein.
^ Trial. IV, 2 : „Inter omnes haereses, quae unquam in ecclesia pullularunt,
nunquam considero aliquam plus callide per hypocritas introductam et multiplicius
populum defraudantem, nam spoliat populum, facit ipsum committere idololatriam,
negat fidem scripturae et per consequens ex infidelitate multipliciter ad iracundiam
provocat veritatem." In c. 4 führt er dann die Ansicht durch, dass panis und Leib
Christi zugleich vorhanden seien. Doch will er davon nichts wissen, dass jeder be-
liebige — also auch ein sündhafter — Priester Christum hervorbringen könne. Die
Impanationslehre hat bei ihm eine spiritualistische "Wendung, ohne dass sie dadurch
gänzlich aufgehoben würde. Gegen die grobe Form derselben polemisirt er und
kommt Berengar nahe.
* In seiner während der Gefangenschaft geschriebenen Schrift de corpore
Christi stimmt Hus der Transsubstantiation bei. Man muss aber nach seinen anderen
»Schriften annehmen, dass er nicht der Meinung war, dass ein sündiger Priester sie
bewirken könne (s. oben seinen Kirchenbegriff S. 416).
" Wesel ist Anhänger der Impanationslehre gewesen.
* Das Decret über das Abendmahl in der Bulle Eugen's IV. „Exultate deo"
lautet: „Tertium est eucharistiae sacramentum, cuius materia est panis triticeus et
vinum de vite, cui ante consecrationem aqua modicissima admisceri debet (folgt
eine ausführliche Rechtfertigung dieser Beimischung gegenüber der armenischen
Praxis). Forma huius sacramenti sunt verba salvatoris, quibus hoc conficit sacra-
mentum. Nam ipsorum verborum virtute substantia panis in corpus Christi et sub-
stantia vini in sanguinem convcrtuntur, ita tarnen, quod totus Christus continetur
8ub specie panis et totus sub specie vini. 8u1j cpialibet quoque parte hostiae con-
secretae et vini consecrati, separatione facta, totus est Christus. Huius sacramenti
effectus, quem in anima operatur digne sumentis, est adunatio hominis ad Christum.
Et quia per gratiam homo Christo incorporatur et membris eius unitur, consequens
est, quod per hoc sacramentum in sumentiljus digne gratia augeatur, omnemque
effectum, (juem materialis cibus et potus (juoad vitam agunt corporalem susten-
tando, augendo, reparando et delectando, sacramentum hoc (juoad vitam operatur
spiritualem, in fjuo, ut infjuit Urbaiius Papa, gratam salvatoris nostri recensemus
memoriam, a rnalo retrahimur, confortairnir in ])ono et ad virtutum et gvatiaruni
proficimus incrementum.'*
49f) Geschiclite des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Die Folgen der Transsubstantiationslehre waren mannigfaltig und
von einschneidender Bedeutung; folgende seien erwähnt:
1) das Aufliüren der Kinderconnnunion ',
2) die Steigerung des Ansehens der Priester, welche täglich Ohristum
herbeizaubern und ihn oi)fern,
3) die Kelchentziehung — seit dem Lombarden stand es fest, dass
in jeder species der ganze Christus enthalten sei, und zwar (nach der
besonders von Thomas ausgebildeten Lehre) ^ per concomitantiam
I (yhristus nach Leib und Seele sowie nach seiner Gottheit. Dann aber
war es unbedenklich, ja sicherer (damit der Wein nicht verschüttet
werde und das Sacrament keine Unbill leide) und hinsichtlich der Her-
vorhebung der Würde des Priesters conveniens, dass der Laie Christus
nur sub specie panis erhalte, der Priester aber im Namen Aller den
Kelch trinke^. Zu Constanz wurde dies fixirt,
4) die Adoration der erhobenen Hostie, das Herumtragen der
Hostie und das Fronleichnamsfest (1264. 1311); denn der Leib Christi
ist ja nicht nur im Moment des Genusses vorhanden, sondern, durch
die Consecration erzeugt, bleibt er so lange, bis die Accidenzen sich
auflösen'*. Gegen diese Abgötterei erhob sich im 14. und 15. Jahr-
hundert viel Widerspruch, der jedoch unkräftig blieb.
Es wurde schon oben darauf hingewiesen, dass der Lombarde in
Bezug auf die Vorstellung vom Abendmahl als Ojifer noch von dem alt-
kirchlichen Motiv der recordatio bestimmt gewesen ist. Allein aus dem
kirchlichen Alterthum war doch auch die Vorstellung von der Wieder-
holung des Opfertodes Christi herübergekommen (Gregor L), und
diese musste sich nun auf Grund der Transsubstantiationslehre sicher
einbürgern. Der römische Messkanon , der ursprünglich die Idee der
unblutigen Wiederholung des Opfertodes Christi nicht enthielt und noch
heute Spuren zeigt, dass er sie nicht enthalten hat, hat in seinen jüngsten
Bestandtheilen die neue Idee. Auf dem Lateranconcil von 1215 ist sie
^ Dasselbe hatte freilich auch noch andere Gründe; aber ein Grund lag in den
ausschweifenden Vorstellungen von dem Inhalt des Sacraments.
2 P. m Q. 76 Art. 1 u. 2.
^ Thomas, P. III Q. 80 Art. 12: der Priester muss das sacramentum per-
fectum gemessen, da er es vollzieht; zu billigen ist die Sitte einiger Kirchen — so
vorsichtig drückt sich Thomas noch aus — , den unvorsichtigen Laien den Kelch zu
entziehen. Die Praxis machte dann reissende Fortschritte; die Geschichte dieses
Processes und des Widerspruchs gehört nicht hierher, da es sich nicht um ein
Dogma handelt.
* Q. 76 Art. 6: „Corpus Christi manet, (juousque species sacramentales ma-
nent."
Das Abendmahl. 497
vorausgesetzt und kurz markirt worden*, und die Scholastiker, obgleich
sie ausgesponnene Lehren hier nicht bringen, wissen es nicht anders, als
dass der Priester den Leib des Herrn opfert^. Die Eucharistie als Opfer,
» Cap. 1.
* Auch für die Eucharistie als AViederholung des Opfertodes Christi war nur
ein schlechter, zum Theil gefälschter Traditionsbeweis zu erbringen. Thomas be-
handelt die Frage Q. 83 Art. 1. Seiner Gewohnheit gemäss erhebt er am Anfang
drei — sehr triftige — Bedenken gegen den Satz, dass Christus in diesem Sacrament
geopfert werde. Er beruft sich erstens auf die Hebräerbriefstelle vom einmaligen
Opfer, zweitens darauf, dass Christus in der Messe nicht gekreuzigt werde, drittens
auf den augustinischen Satz, dass beim Opfer Christi „idem est sacerdos et hostia",
das trifft aber in der Messe nicht zu. Allein er führt dann aus, dass 1) das eine
Opfer nicht berührt werde durch die Wiederholung, denn es bleibe in der Wieder-
holung immer dasselbe, 2) dass der Altar „repraesentativum crucis" sei, und 3) dass
der Priester „gerit imaginem Christi", daher gelte auch für das Messopfer, dass
„quodammodo idem est sacerdos et hostia." Die positive Ausführung ist
höchst schwach, selbst wenn man sich auf den Standpunkt des Thomas stellt, und'
zeigt deutlich, dass man in der Theorie die Wiederholung des Opfertodes Christi
im Grunde gar nicht zu rechtfertigen vermochte. Aber es steht hier wie bei der
Lehre von der Kirche. Die Praxis rechtfertigt sich selbst durch ihre Existenz ! Was
Thomas angeführt hat, ist Folgendes: „Duplici ratione celebratio huius sacramenti
dicitur immolatio Christi. Primo quidem quia, sicut dicit Augustinus ad Simplic,
solent iraagines earum rerum nominibus appellari, quarum imagines sunt . . . cele-
bratio autem huius sacramenti, sicut supra dictum est (Q. 79 Art. 1. 3) imago quae-
dam est repraesentativa passionis Christi quae est vera eins immolatio. Et ideo
celebratio huius sacramenti dicitur Christi immolatio (hier ist also nur Symbol und
Erinnerung ausgedrückt). Alio modo quantum ad effectum passionis Christi, quia
seil, per hoc sacramentum participes efficimur fructus dominicae passionis, unde in
quadam dominicali oratione secreta dicitur: Quoties huius hostiae commemoratio
celebratur, opus nostrae redemptionis exercetur. Quantum igitur ad primum mo-
dum poterat dici Christus immolari etiam in figuris Veteris Testamenti . . . ., sed
quantum ad secundum modum proprium est huic sacramento, quod in eius celebra-
tione Christus immolatur." Man sieht leicht, dass ein Beweis für die Wiederholung
des Opfertodes Christi nicht im Geringsten gegeben ist. Auch an anderen Stellen,
an denen Thomas von der Eucharistie als Opfer redet, habe icli nicht mehr gefunden
als blosse Behauptungen und zum Theil eine völlige Unsicherheit über das Verhält-
niss des eucharistischen Oi)fors zu dem wahrhaftigen. Dazu, wie schwach es mit
dem Effect dieses Opfers ])estellt ist, zeigt Q. 79 Art. 5: „sacramentum effectum
sacrificii in eo qui offert habet vcl in his, pro quil)us offertur." Es Ist-eigentlich als
Sacrament eingesetzt ; denn „non est institutum ad satisfaciendum, sed ad spiritua-
liter nutriendum per unionem ad Christum", a})er „per concomitantiam" wird auch
ein gewisser Straferlass herl)eigeführt. „In (juantum est sacrificium, habet vim
satisfactivam, sed in satisfactione magis attenditur affectus offerentis
(|uam quantitas oblationis. Quamvis ergo haec oblatio ex sui quantitate suf-
ficiat ad satisfaciendum pro omni poena, tamen sit satisfactoria illis, pro quibus
offf-rtur, vel fliarn offcrentibus, secundum (|uaiititatem suae devotionis et non pro
toia poena. Mau darf es keint^sfalls als Zufall beurtlicileri, dass Thomas die ver-
wegenen Sätze Hugo 's und Albertus' (erst hat der Vater den Sohn für uns geopfert,
Jlariiar;k, Doj^mengeschichte III. 32
498 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
wie sie den Mittelpunkt des Gottesdienstes bildete, war dem Volke viel
wichtiger als das Sacrament. Knüpfte die strenge Theorie auch nur
bescheidene Erfolge an dieselbe (s. oben), so bemächtigte sich die miss-
leitete Frönnnigkeit dieser Handlung vollkommen und sah in ihr ihren
eigentlichen Schutz im Leben und im Tode. Der Unfug der Still- und
Seelenmessen ist ebenso eine Folge des ungestümen Drängens der
Laien nach möglichst vielen Messen als des priesterlichen Selbstgefühls
gewesen; denn in der Messe erscheint der Priester, der hier nicht
minister, sondern autor ist, recht eigentlich als der Mittler zwischen
Gott und den Menschen, und seine Würde tritt als sacerdos corporis
Christi am deutlichsten zu Tage. Die Messe ist als unbiblisch von Wiclif
angegriffen worden. Auch sonst hat sich gegen die Still- und Seelen-
messen im 14. und 15. Jahrhundert ein Widerspruch erhoben, der sich
aber in der Regel nur gegen den abusus gerichtet hat.
4. Die Bussel Obgleich in der Theorie die Taufe und die
Eucharistie zusammengestellt und als die beiden vorzüglichsten Sacra-
mente hervorgehoben wurden, so waren doch in Wahrheit die Taufe
und die Busse („secunda tabula post naufragium" — so zuerst Tertullian
de paenit., nach ihm viele Lehrer) die beiden zusammengehörigen Haupt-
sacramente. Sofern aber die Taufe nur einmal gespendet, das Buss-
sacrament dagegen wiederholt ertheilt wird und nahezu jeder Getaufte
in die Lage kommt, dies durch kein anderes Sacrament zu ersetzende
Sacrament zu bedürfen, wird es in praxi zum wichtigsten Heils-
mittel. Da nun die Kirche dieses Sacrament völlig mit ihrem hier-
archischen Geiste getränkt und zugleich ihre verflachte Lehre von der
Sünde, der Gnade und dem Verdienst mit ihm verbunden hat, so ist
damit das mchtigste Heilsmittel den niederen kirchlichen Tendenzen
untergeordnet.
Die hierarchische Praxis, welche die Laien selbst zur Versicherung
der Gnade forderten, ist derTheorie Jahrhunderte lang vorangegangen.
Diese blieb an diesem Punkte besonders spröde und hielt sich auf der
evangelischen Spur, dass die wahrhaftige Reue des Christen an sich
„sacramental" sei (s. oben). Trotz der Anläufe Hugo's, das Buss-
sacrament in einem strengeren kirchlichen Sinn zu fixiren (der Priester
bewirkt die Vergebung; aber Hugo fordert andererseits noch voll-
daun opfern wir ihn für den Vater) nicht repetirt hat. Thomas hat nur den Titel
der Vera immolatio stehen lassen, weil er annahm, dass die „Kirche" sie lehre. In
der Bulle Eugen's IV. (s. oben) ist auch von einer Wiederholung nicht die Rede.
' Thomas, Summa P. IH Q. 84—90, Suppl. Q. 1—28. Sohwaue S. 661 ff.
Steitz, Das römische Busssacrament 1854.
Das Busssacrament. 499
kommene contritio)^ blieb der Lombarde bei der altkirchlichen
Theorie^. Gratian stellte die alte und die neue Betrachtung neben
einander, ohne sich zu entscheiden^. Das Lateranconcil von 1215
legte auch hier den Grund zur sicheren Lehre. Diese findet sich in voll-
kommener Gestalt noch nicht bei Alexander Halesius, wohl aber bei
Thomas. Thomas zeigt zuerst (in der Q. 84), dass die Busse ein
Sacrament sei. Im 1. Art. erhebt er die Einwürfe, es seien keine cor-
p orales res vorhanden, die Busse werde nicht a ministris Christi aus-
getheilt, sondern innerlich von Gott bewirkt, endlich man könne bei
ihr nicht zwischen sacramentum, res und res et sacramentum unter-
^ De sacram. 11 1. 14. Hugo setzt übrigens auch noch voraus, dass die priester-
liche Sündenvergebung unter Umständen keine Vergebung vor Gott bewirkt. Dass
die Sacramente im Grunde überhaupt nur die Heilsmöglichkeit bewirken — der
verborgene Hauptgedanke der katholischen Sacramentslehre — , bezeugt Hugo in
folgendem höchst bemerkenswerthen Satze (c. 8) : „Ubique magis virtus sacramen-
torum exprimitur, nee quod per ea quilibet participantes salvandi sint, sed quod
salvaripossint, significatur." Eine höchst verderbliche Wirkung auf die Bil-
dung der neuen Theorie und Praxis der Busse hat die im 11. Jahrhundert ent-
standene pseudoaugustinische Schrift de vera et falsa paenitentia ausgeübt.
^ Er ist desshalb den modernen katholischen Theologen an diesem Punkte
missliebig. Man rechnet es ihm zwar an, dass er die drei Stücke contritio (com-
punctio) cordis, confessio oris, satisfactiooperis neben einander gestellt hat, aber dass
er eine vollkommene contritio (caritate perfecta) verlangt und die priesterliche
Absolution nicht für schlechthin noth wendig erachtet hat, gilt als ein bedeutender
Mangel. In derThat hat er die contritio verbunden mit dem votum confitendi für
genügend erklärt; ihr folgt die göttliche Sündenvergebung, die Eingiessung der
Gnade und der Erlass der ewigen Strafe „ante oris confessionem et satisfactionem"
(Sentent. IV, 17 A). Daher auch folgende Beurtheilung der priesterlichen Abso-
lution als einer bloss declarativen, resp. einer nur kirchlichen im Unterschied
von der göttlichen Vergebung, 18 E: „Ecce quam varia a doctoribus super his tra-
duntur, et in hac tanta varietate quid tenendum sit? Hoc saue dicere ac sentire
possumus, quod solus deus peccata dimittit et retinet, et tamen ecclesiae
contulit potestatem ligandi et solvendi. Sed aliter ipse solvit vel ligat,
aliter ecclesia. Ipse enim per se tantum ita dimittit pcccatum, quia et animam
mundat ab interiori macula et a debito aeternae mortis solvit." 18 F : „Non autem
hoc sacerdotibus concessit, quibus tamen tribuit potestatem ligandi et solvendi
i. e. Osten de ndi homines ligatos et s olu tos ... Quia ctsi aliquis apud dcum
sit solutus, non tamen in facic ecclesiae solutus habetur nisi per iudicium
«acerdotis. In solvendis ergo culpis et retincndis ita operatur sacerdos evangelicus
et iudicat, sicut olim legalis in illis qui contaminati erant Icpra, quac peccatum
significat." Nel)en der Dcclaration der Vergebung als kirchliclier Act (für die Ge-
meinde) besteht das Binden und Lösen der Priester nach dem Lombarden lediglich
darin, dass sie die Busswerke auferlegen, resp. erleichtern und erlassen. Hier ist
also noch ein volles Verständniss des Unterschiedes der innerlichen Vergebung und
der kirchb'clien lleconciliation vorhanden.
» De paenit. 1'. II c. 33 q. 3 dist. 1.
32*
500 Cleschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh,
scheiden. Allein er beseitigt diese Einwürfe, indem er auf die sicht-
baren Handlungen des Pänitenten und des absolvirenden Priesters hin-
weist und in j(»nen, die durch diese completirt werden, die Materie des
Sacraments erblickt. Im 2. Art. zeigt er, dassjene Handlungen die materia
proxima sind, während die peccata detestandaet destruenda als matoria
remota zu gelten haben. Im 3. Art. folgt der verhängnissvoUe Nach-
weis, dass die Worte „Ego te absolvo" die forma des Sacraments seien ;
denn „hoc sacramentum perficitur per ea quae sunt ex parte sacerdotis";
dieses priesterliche Wort sei aber durch (Jhristus eingesetzt (Mt. 16).
Da die Sacramente „efficiunt (^uod figurant" , so reicht es bei der
sacramentalen Absolution nicht aus, zu sagen: „misereatur tui deus";
„praemittitur tamen etiam in sacramentali absolutione talis oratio, ne
impediatur effectus sacramenti ex parte paenitentis". Die allgemeine
Regel, dass Gott allein Sünden vergiebt, werde durch die priesterUche
Absolution nicht durchbrochen; denn die Priester seien autorisirte
ministri (dies ist eine Verlegenheitsauskunft). Im 4. Art. wird von der
Handauflegung bei der Beichte gehandelt (sie ist nicht nothwendig, da
es sich um Sündenvergebung, nicht um Erlangung positiver Gnade
handelt). Im 5. Art. wird die Nothwendigkeit der sacramentalen Busse
für jeden Todsünder dargelegt: „salus peccatoris — quod peccatum
removeatur ab eo — non potest sine paenitentiae sacramento, in quo ope-
ratur virtus passionis Christi, per absolutionem sacerdotis simul cum
opere paenitentis, qui cooperatur gratiae ad destructionem peccati."
Hierzu noch Folgendes: „Ex quo ahquis peccatum incurrit, Caritas,
fides et misericordia non liberant hominem a peccato sine
paenitentia (als ob sie ohne Busse überhaupt bestehen könnten!) ;
requirit enim Caritas, quod homo doleat de offensa in amicum
commissa et quod amico homo studeat satisfacere ; requirit etiam ipsa
fides, ut per virtutem passionis Christi, quae in sacramentis eccle-
siae operatur, quaerat iustificari a peccatis; requirit etiam et ipsa
misericordia ordinata, ut homo subveniat paenitendo suae miseriae,
quam per peccatum incurrit" (aber damit ist die Nothwendigkeit der
sacramentalen Busse nicht bewiesen). Im 6. Art. wird gezeigt, dass
die Busse die secunda tabula post naufragium ist. Im 8. Art. wird dar-
gelegt, dass die „paenitentia" nicht bis zum Ende des Lebens anzu-
dauern brauche, sondern nur ad determinatum tempus pro mensura
peccati; jedoch: „duplex est paenitentia seil, interior et exterior;
interior quidem paenitentia est, qua quis dolet de peccato commisso, et
talis paenitentia debet durare usque ad finem vitae . . . paenitentia vero
exterior est, qua quis exteriora signa doloris ostendit et verbo tenus
peccata sua confitetur sacerdoti absolventi et iuxta eins arbitriumsatis-
Das Busssacrament. 501
facit; et talis paenitentia non oportet quocl duret usque ad finem vitae,
sed usque ad determinatum tempus secundum mensuram peccati." Im
9. Art. wird gezeigt , dass eine paenitentia continua secundum actum
unmöglich sei, secundum habitum aber pfiichtmässig. Im 10. Art. wird
die Wiederholbarkeit der sacramentalen Busse begründet ; die Liebe
kann durch den freien Willen verloren gehen, aber Gottes Barmherzig-
keit wiU sie immer wieder herstellen. In der 85. Q. folgt nun eine aus-
führliche Untersuchung der Busse als virtus, und in der 86. Q. wird der
eifectus der Busse behandelt quoad mortalium peccatorum remissionem.
Hier wird im 4. Art. ausgeführt, dass mit der Vergebung der Schuld
und der Aufhebung der ewigen Strafe nicht aller reatus poenae getilgt
ist („potest remanere"). Ist nämHch die Sünde Abkehr von Gott als
dem höchsten Gut und conversio inordinata ad commutabile bonum, so
folgt aus dem Ersten die ewige Schuld und Strafe, aus dem Letzten die
zeitliche. Räumt nun auch die Busse die ewige Schuld und Strafe
sowie die zeitliche Schuld total weg, so kann doch die zeitliche Strafe
bleiben; denn „in baptismo consequitur homo remissionem reatus totius
poenae, in paenitentia vero consequitur virtutem passionis Christi
secundum modum propriorum actuum (dies ist also der letzte
Grund der seltsamen und anstössigen Betrachtung), qui sunt materia
paenitentiae ; et ideo non statim per primum actum paeniten-
tiae quo remittitur culpa, solvitur reatus totius poenae,
sed completis omnibus paenitentiae actibus" K In der 87. Q.,
wo die Vergebung der lässlichen Sünden durch die Busse behandelt
wird, wird gezeigt, dass dem Todsünder keine lässlichen Sünden ver-
geben werden, solange die Todsünde nicht getilgt ist (Art. 4). Von der
90. Q. an beginnt die Untersuchung über die „partes paenitentiae".
Wie alle diese Gedanken des Thomas wohl schon zu seiner
Zeit Gemeingut waren, so sind sie es auch bei den Scholastikern ge-
blieben. Die Nothwendigkeit der priesterlichen Absolution, daher auch
die Beichte vor dem Priester, ferner die Vorstellung von dem effectiven
Handeln des Priesters beim Sacrament standen fest ^, Die innere Reue
* Daher auch im 5. Artikel folgende Ausführung : „Pcccatum mortale ex parte
conversionis inordinatac ad bonum commutabile quandam di8i)()sitioncm causat in
anima vel ctiam habitum, si actus frequcntcr iterctur. Sicut autem dictum
est, culpa peccati mortalis remittitur, in quantum toUitur per gratiam aversio men-
tis a dco. Sublato autcm eo, (juod est ex parte aversionis, nihilominus rcmancre
potest id quod est ex parte conversionis inordinatae, cum hanc contingat esse sine
illa (!), sicut prius dictum est; et ideo nihil prohibet, quin rcmissa culpa remaneant
dispositioncfi ex praeccdentibus actibus causatac, quae dicuntur peccati reliquiae
. . . sicut ctiam remanct fomes post bai)tismum.
^ Indessen bleibt insofern doch eine laconsequenz, als viele Scholastiker daran
502 (reschichte des Dogmas im Zeitalter der Bottelorden bis zum 16. Jahrh.
galt {illerdiiigs als res und sacramentum (die res sacramenti ist die
Sündenvergebung, das sacramentum sind die äusserliclien Handlungen
des Pänitenten und des Priesters, s. Thomas 111 Q. 84 Art. 1); aber
sie reicht nicht aus, und eben weil sie noch nicht ausreicht, so konnte
sich leicht ex contrario die perverse Meinung einschleichen, dass
zwar zu der nicht sacramentalen Busse vollkommene Reue nöthig sei,
dass aber bei der sacramentalen Busse das hinzutretende Sacra-
ment die nicht vollkommene lleuo ergänze. Diese Meinung hat sich
nicht nur eingesclüichen, sondern ist geradezu herrschend geworden.
Aber überhaupt hat sich bei der Bestimmung der ehizelnen partes
paenitentiae eine Verkehrung in schlimmster Weise eingestellt, deren
Keime freilich schon bei Thomas zu finden sind ^
Was die Reue betrifft, so wusste man es (s. oben S. 479 ff.) bis
zum 13. Jahrhundert nicht anders, als dass nur vollkommene, d. h.
von der Liebe motivii-te Bussgesinnung vor Gott in Betracht kommt.
Die Reue als innere Stimmung und innerer Habitus wurde als eine
wesenthche christHche Tugend gefeiert und als „Tugend" ausführlich
behandelt^. Allein Halesius machte bereits darauf aufmerksam, dass
festhalten, dass vollkommene Reue verbunden mit dem votum sacramenti die
Sündenvergebung sofort zur Folge hat — ein Satz, der m. W. auch heute noch in
der katholischen Kirche gilt.
* AVie sehr auch die grundlegende Theorie bedroht war — doch ist die des
Thomas in Geltung geblieben — , zeigen die Vorschläge des Duns Scotus und Du-
randus (s. Schwane S.665), das Sacrament nicht sowohl „Busse" als „Beichte" zu
nennen. Durandus wollte nur die Beichte und Absolution als Materie und Form
des Sacraments bezeichnet wissen; denn Reue und Genugthuung seien nicht Theile
desselben, sondern die Vorbereitung auf die Sündenvergebung (Durandus, In
Seut. IV Dist. 16 Q. 1). Dieser Vorschlag ist ganz consequent, zeigt aber die Ver-
äusserlichung, welche die Busse dadurch erlebt hat, dass sie Sacrament geworden
ist, sehr deutlich. Diese Veräusserlichung musste nothwendig fortwirken.
- Thomas, Summa III Suppl. Q. 1 : die contritio im Gegensatz zur superbia,
die da initium omnis peccati ist. Höchst künstliche und inhaltslose Unterscheidung
der contritio als virtus und als sacramentaler Q. 5 Art. 1 : „Contritio potest dupli-
citer considerari, vel in quantum est pars sacramenti vel in quantum est actus vir-
tutis, et utroque modo est causa remissionis peccati, sed diversimode : quia in quan-
tum est pars sacramenti primo operatur ad remissionem peccati instrumenta-
liter, sicut et de aliis sacramentis patet; in quantum autem est actus virtutis sie
est quasi causa materialis remissionis peccati, eo quod dispositio est quasi neces-
sitas ad iustificationem, dispositio autem reducitur ad causam materialem." Auf die
Frage, warum denn das Sacrament nöthig ist, wenn die contritio genügt, antwortet
Thomas (1. c. Art. 1) : „Quam vis possit tota poena per contritionem dimitti, tarnen
adhuc necessaria est confessio et satisfactio, tum quia homo non potest esse certus
de sua contritione, quod fuerit ad totum tollendum sufficiens, tum etiam quia con-
fessio et satisfactio sunt in praecepto."
Das Busssacrament. Die Reue. 503
Gott den Menschen in der Kirche die Wege erleichtert habe ^, und
er unterscheidet die attritio (timor servilis) und contritio. Diese Unter-
scheidung hat Thomas aufgenommen. Er erklärt jedoch: „attritio,
ut ab Omnibus dicitur, non est actus virtutis." Allein er definirt
sie dann in demselben Artikel als „in spiritualibus quaedam displi-
centia de peccatis commissis, sed non perfecta, (quae est) accessus
ad perfectam contritionem" ^. Schon vor ihm hatte Bonaventura ge-
sagt^: „ad sacramentum paenitentiae non est necesse, quod accedat
habens caritatem vel dispositionem ad caritatem sufficientem secun-
dum veritatem, sed sufficit secundum probabilitatem; haec autem
dispositio attritio est, quae frequenter ob confessionem superadiunc-
tam et absolutionem sacerdotis formatur per gratiam, ut fiat con-
tritio, sive ut ad ipsam contritio subsequatur." Diesen Gedanken
nahm Thomas nicht auf, lehnte ihn vielmehr stillschweigend ab und
hat sich überhaupt in den QQ. 1 — 5 über die contritio und ihre
Nothwendigkeit streng und ernst ausgesprochen. Allein die Er-
wägungen des Halesius* und Bonaventura wirkten fort. Es ist be-
sonders Scotus gewesen, der die Auffassung eingebürgert hat, dass
die an sich ungenügende attritio für den Empfang des Busssacra-
ments ausreicht, da das Sacrament selbst durch die infusio gratiae
* Summa IV Q. 59 m. 2 A. 4: „expeditius et melius liberatur peccator per
sacramentum paenitentiae quam per paenitentiae virtutem."
^ P. in Suppl. Q. 1 Art. 2. Ohne das "Wort „attritio" zu gebrauchen, giebt
er schon die Sache in P. III Q. 85 Art. 5, wo eine höchst wichtige, den Abstand der
katholischen von der evangelischen Auffassung klar erweisende Darlegung der
Stufen der Busse gegeben wird: „De paenitentia loqui possumus dupliciter. Uno
modo quantum ad habitum. Et sie immediate a deo infunditur sine nobis principa-
liter operantibus . . . Alio modo possumus loqui de paenitentia quantum ad actus
quibus deo operanti in paenitentia cooperamur. Quorum actuum primum princi-
pium est dei operatio convertentis cor, secundus actus est motus fidei, tertius est
motus timoris servilis, quo quis timorc suppliciorum a peccatis retrahitur"
(dazu : „peccatum prius incipit homini displicere [maxime peccatori] propter suppli-
cia, quae respicit timor servilis, quam propter dei offensam vel peccati turpitudinem,
quod pertinet ad caritatem . . . ipse etiam motus timoris proccdit ex actu dei con-
vertentis cor"). „Quartus actus est motus spei, quo quis sub spe veniae consequen-
dae assumit propositum emendandi. Quintus actus est motus caritatis, quo alicui
peccatum displicet secundum sc ipsum et non iam propter supplicia" (das ist die
contritio). „Sextus est motus timoris filialis, (juo propter rcverentiam dei aliquis
emendam deo voluutarius offert."
» In Sentent. IV Dist. 17 p. 2 a. 1 q. 4.
* Summa IV Q. 60 A. 3: „si autem paenitens pracparatus quantum in se est
accedat ad confessionem attritus, non contritus . . . confessio cum subicctione ar-
bitrio sacerdotis et satisfactio paenitentiae iniunctae a sacerdotc est signum et causa
deletionis culpac et pocnae, quia sie subicieudo se et satisfaciendo gratiam acquirit."
504 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16, Jahrh.
die Reue vervollkommnet *. Das Tridentinum ist hier bedingt auf die
Seite der Scotisten getreten".
n
* S. Reportt. IV Dist. 14 Q. 4 schol. 2 (citirt nach Schwane S. 666): „Dico,
quod bonus motus praecedens sacramentum paenitentiae tautum est attritio et dis-
positio de congruo ad deletionem culpae et infusionem gratiae, (juac remissio culpae
et collatio gratiae sunt in viitute sacramenti i)ueniientiae et non in virtute attri-
iionis tantum, uisi dispositive. Sed haec attritio post collatiouem gratiae, quae con-
fertur in susceptioue sacramenti, fit contritio formata."
' Sess. XIV de paenit. c. 4: „attritio peccatorem ad dei gratiam in sacramento
paenitentiae impetrandani disponit.'* In neuerer Zeit haben nach Lämmer (Vor-
trident. Theologie) Eratke (Luther's 95 Thesen und ihre dogmeuhistor. Voraus-
setzung 1884) und Di eckhoff (Der Ablassstreit, dogmongesch. dargestellt 1886)
ausführlich über die scholastische Lehre von der Busse im Zusammenhang mit der
Ablasslehre gehandelt, nachdem durch das grosse Janssen 'sehe Werk ein Streit
über die Ablasstheorie ausgebrochen war (s. Kolde, Die deutsche Augustiner-Con-
gregation u. Johann v. Staupitz 1879, derselbe in der ThLZ. 1882 Nr. 23, ferner
Abhandlungen von Kawerau, Köstlin, Schweitzer und Janssen „An meine
Kritiker"). Schon Bratke hat gegenüber Köstlin die Ablassthcorie in ein helleres
Licht gerückt. Besonders aber gebührt Di eck ho ff das Verdienst, die Theorie auf
die laxe Auffassung von der Busse zurückgeführt und gezeigt zu haben, dass hier
der Sitz des Uebels zu suchen ist. Es kann kein Zweifel darüber sein, dass die
Lehre von der attritio mehr und mehr das Hauptberuhigungsmittel der
Kirche geworden ist. Wohl fehlte der Widerspruch nicht, und er verstärkte sich in
manchen Kreisen im 15. Jahrhundert (augustinisch-thomistische Reaction, s. B r a t k e
S. 59 ff. n. sonst); aber wenn man z.B. die Ausführungen des Johann vonPaltz, des
älteren Zeitgenossen und Augustiuerbruders Luther's, liest (Kolde, a. a. 0.), so ist
man erschreckt, welch' eine Verwüstung der Religion und der einfachsten Moral
die Folge der „attritio" (der „Galgenreue") gewesen ist. Da wird der Priester aus-
schweifend gefeiert (in der Schrift „Coelifodina"); denn er sei die nothwendigste
Person, weil nur sehr wenige Menschen wahrhaft reuig seien; dagegen könne es zu
einer unvollkommenen Reue schliesslich jeder bringen; er, der Priester, nun wandle
durch das Busssacrament diese unvollkommene Reue in vollkommene („paucissimi
sunt vere contriti, ergo paucissimi salvarentur sine sacerdotibus; possunt autem
omnes aliquo modo fieri attriti, et tales possunt sacerdotes iuvare et eorum mi-
nisterio facere contritos et per consequens possunt eos salvare"). Oder — auf einen
kundigen Priester kommt Alles au, findet Einer den, so kann es ihm nicht fehlen
(„non potest esse peccator adeo desperatus, quia posset consequi indulgentias, si
habuerit intelligentem et fidelem informatorem et voluerit facere, quod potest, et
habeat attritionem aliqualem, quae tunc in sacrameutis sibi succurritur et
imperfectum eins tollitur, et informis attritio i. e. caritate carens formatur per gra-
tiam sacramentalem") ; s. Kolde S. 187. 191, Di eckhoff S. 14, Bratke S. 53 fl\
111 ff. 128 ff. Der Letztere giebt ein reiches Material, aus welchem hervorgeht, dass
Paltz keineswegs allein gestanden hat. Ueberall heisst es, dass es im neuen Bund
leichter sei, zum Heil zu gelangen wegen der wunderbaren Wirksamkeit des
Kreuzes Christi. Dabei fehlte die Klarheit darüber nicht, dass attritio nicht nur
quantitativ, sondern auch qualitativ etwas Anderes sei als contritio. Gabriel Biel,
der allerdings ernster als Paltz über die Reue denkt, weiss sehr wohl, dass die
attritio unter Umständen aus unsittlichen Motiven entspringt, also keineswegs
Das Busssacrament. Pie Beichte. 505
Der Theologe der Beichte (vor dem Priester) ist Thomas, nach-
dem , wie kathohsche Gelehrte sich ausdrücken, der Lombarde den
Zusammenhang der Beichte mit dem Sacrament und ihre Noth-
wendigkeit verdunkelt und auch Halesius dieses Dunkel noch nicht
vollständig wieder beseitigt hatte*. In der 6. Q. (P. III Suppl.) hat
Thomas ausführlich von der Nothwendigkeit der Beichte gehandelt.
Im 1. Art. wird die absolute Nothwendigkeit aus der Natur der Sache
begründet^; im 2. wird gezeigt, dass die Beichte iuris divini sei; im
3. wird nachgewiesen, dass, wenn auch allein die Todsünder nach
götthchem Recht zur Beichte verpflichtet seien, so doch nach posi-
tivem Recht alle Christen mindestens einmal im Jahr beichten müs-
sen^; im 4. Art. wird festgestellt, dass man nicht Sünden beichten
dürfe, deren man sich nicht schuldig weiss; im 5. wird erklärt, dass
es nicht de necessitate salutis sei, seine Sünden sofort zu beichten,
dass aber der Aufschub nicht ohne Gefahr und dass die Beachtung
der kirchlichen Ordnungen (Beichtzeiten) rathsam sei; im 6. endliche
wird nachgewiesen, dass eine Dispensation von der Beichte (für immer)
eine pars contritionis ist, dazu in der Regel nur eine vorübergehende Stimmung dar-
stellt (Bratke S. 46 f.). Andere haben das auch gewusst, aber dennoch ruhig ihre in
den Himmel führenden Theorien auf diese attritio aufgebaut. Ja einige haben gerade-
zu Instructionen gegeben, wie man Gott im Himmel und sein heiliges Gesetz betrügen
könne, um in den Himmel zu kommen, wenn man sich nur einen Tag im Jahr oder
eine Stunde vor Todsünden hüte und in dieser Spanne aliquam attritionem aufweise
(s. Petrus de Palude bei Bratke S. 84 ß'., bes. S. 87 n. 1). So ist die Lehre von der
attritio, die den ganzen Christenstand beherrscht, der eigentliche Grund-
schaden des katholischen Lehrsystems; denn in ihr ist Beides wirksam, die magische
und daher gottlose Vorstellung von der Wirksamkeit des Sacraments und die nicht
mehr pelagianische, sondern bis zur Negation alles Sittlichen getriebene Vorstellung
von dem „Verdienst, welches in jedem beliebigen motus, der nur Abkehr von der
Sünde ist, anerkannt wird.
^ Da nach Halesius der Priester noch immer nur zeitliche Strafen erlassen,
aber nicht Sünden vergeben kann, so kann schon desshalb die Nothwendigkeit der
Beichte noch nicht sicher begründet werden. Auch Bonaventura hat sich nicht
getraut, das Beichtgebot auf eine Einsetzung und Promulgation Christi zurückzu-
führen.
^ „Sicut aliquis per hoc (juod baptismus petit sc ministris ccclesiac subicit, ad
i\uo6 pcrtinet dispcnsatio sacramenti , ita etiam per hoc quod confitetur peccatum
suum sc ministro ecclesiae subicit, ut per sacramcntum paenitentiao ab co disi^en-
satum remissioncm consequatur, qui congruum remedium adhiberc non potest, nisi
j)cccatum cognoscat, quod fit per confessionem peccantis. Ed ideo confcssio est de
necessitate salutis eius, qui in peccatum actualc mortale cecidit."
' Das „positive" Recht ist der Beschluss des Coucils von 1215; ferner muss
»ich ja Jeder als einen Sünder erkennen; weiter soll man beichten, um mit grösserer
Ehrfurcht zur Eucharistie hinzuzutreten; endlich damit der Hirt seine Hcerde über-
schauen und vor dem Wolf schützen könne.
506 Geschichte des Dogmas im Zeitaltei- der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
schlechterdings nicht statttinden könne ; selbst der Papst kann von
der Beichte so wenig dispensiren, wie er erklären kann, Jemand
könne auch ohne Taufe selig werdend Die 7. Q. handelt von der
„quidditas confessionis", d. h. von ihrem Wesen als „aperitio latentis
niorhi spe veniae" ; ferner als „actus virtutis"^ und als „actus virtutis
paenitentiae". Die 8. Q. ist besonders wichtig; denn sie entwickelt
die Jjehre vom minister confessionis. Hier heisst es gleich im 1. Art.:
„Gratia, quae in sacramentis datur, a capite in membra descendit,
et idco solus ille minister est sacramentorum, in quibus gratia datur,
qui habet ministerium super corpus Christi verum, quod solius sacer-
dotis est, qui consecrare eucharistiam potest, et ideo cum in sacra-
mento paenitentiae gratia conferatur, solus sacerdos minister est huius
sacramenti, et ideo ei soh facienda est sacramentalis confessio, quae
ministro ecclesiae iieri debet." Allein im 2. Art. wird zugestanden,
dass „in necessitate etiam laicus vicem sacerdotis supplet, ut ei con-
fessio fieri possit" ^. Die Nothwendigkeit, die lässlichen Sünden dem
Priester zu beichten, wird in Abrede gestellt (Art. 3), und dabei ist
es geblieben, da auch Duns Scotus dieser Auffassung beitrat. Die
Beichte hat vor dem Parochus zu geschehen; nur „ex superioris pri-
vilegio" darf davon abgegangen werden, sowie in casu mortis
(Art. 4 — 6). In der 9. Q. de qualitate confessionis ist besonders
der 2. Art., der von der integritas confessionis handelt* und der 3.,
welcher verbietet, „per alium vel per scriptum" zu beichten, von
Wichtigkeit^. Die 10. Q. handelt vom Effect der Beichte und die 11.
von der Verschwiegenheit des minister, die sehr streng eingeschärft
wird („deus peccatum illius, qui se subicit per paenitentiam, tegit; unde
et hoc oportet in sacramento paenitentiae significari, et ideo de
necessitate sacramenti est, quod quis confessionem celet, et
tamquam violator sacramenti peccat, qui confessionem revelat").
Diese Bestimmungen des Thomas haben zwar in der scotisti-
^ „Sicut non potest dispensari iu iure naturali, ita nee in iure positive divino".
^ Art. 2: „ad virtutem pertinet, ut aliquis ore confiteatur, quod corde tenet."
^ Doch ist eine solche Beichte keine sacramentale im strengen Sinn.
* Wie man die ganze Krankheit dem Arzt offenbaren muss und dies die Vor-
aussetzung der Heilung ist, so ist es auch bei der Beichte. „Ideo de necessitate
confessionis est, quod homo omnia peccat a confiteatur, quae in memoria ha-
bet, quod si non faciat, non est confessio, sed confessionis simiüatio." Vergessene
Todsünden sind in der folgenden Beichte zu bekennen.
^ Zur Beschreibung der Qualitäten der Beichte ist der Schulvers gebildet
(s. Art. 4): „Sit simplex, humilis confessio, pura, fidelis,
Atque frequens, nuda, discreta, libeus, verecunda.
Integra, secreta, lacrimabilis, accelerata,
Fortis et accusans et sit parere parata."
Das Busssacrament. Die Absolution. 507
sehen Schule manche Modificationen erfahren, aber im Wesent-
lichen sind sie geblieben.
Die Beichte wird vor dem Priester abgelegt; ihr folgt die Ab-
solution. Es ist schon daraufhingewiesen worden, wie lange es ge-
dauert hat, bis sich die neuen Vorstellungen einbürgerten, 1) dass vor
dem Priester gebeichtet werden müsse ^ , 2) dass der Priester die Ab-
solution von sich aus (in göttlicher Vollmacht) ^ als eine wirksame ertheilt
(Mtth. 16, Job. 20). Complicirt erscheint die Absolutionsgewalt, welche
jedem Priester verliehen ist, desshalb, weil sie mit der Jurisdictions-
gewalt (in ihrer Anwendung) zusammenhängt, die bekanntlich eine ab-
gestufte ist. Thomas hat auch hier zuerst die Theorie geliefert; denn
selbst bei Halesius und Bonaventura sind noch Unsicherheiten, die sich
aus dem Nachwirken der älteren Auffassung erklären. Summa P. III,
Suppl. Q. 17 — 24 hat Thomas die Lehre von derpotestas clavium ent-
wickelt und gezeigt, dass die priesterliche Absolution die causa Instru-
mentalis (im physischen Sinn) der Sündenvergebung sei. Allein in der
scotistischen Schule, die ja überhaupt den Zusammenhang von Sacra-
ment und res sacramenti gelockert hat, wurde nur eine moralische
Vermittelung der Sündenvergebung durch die absolutio angenommen,
sofern der Priester vermittelst derselben Gott zur Erfüllung seines
„Vertrages" bewegt. Auf die Jurisdictionsgewalt des Priesters ist
Thomas auch eingegangen, und man hat sie seitdem stets mit der Theorie
der Absolution zusammen behandelt, obgleich sie in eine ganz andere
Richtung führt, ja schliesslich geeignet ist, die Zuversicht zu der Ab-
solutionsgewalt jedwedes Priesters zu schwächen. Es wurde nämlich
von den Meisten, wenn auch nicht von Allen, behauptet, dass die Juris-
dictionsgewalt auch ex iure divino sei, und dass desshalb die Einschrän-
kungen in Bezug auf die erlaubte Ertheilung der Absolution nicht nur
kirchliche Anordnungen seien, sondern göttlichen Rechts. Nun aber
hatte sich im Mittelalter ein ungeheures System von speciellen Erlaub-
nissen, Reservationen u. s. w. herausgebildet auf Grund arbiträrer Ent-
scheidungen der Päpste. Der Satz, obgleich lebhaft bestritten, wurde
in Geltung erhalten, dass die kirchlichen Vorgesetzten „bei der Ueber-
tragung der richterlichen Gewalt in foro interno beliebige Einschrän-
kungen hinsichthch der Dauer, des Orts und des Objects durch Reser-
vation machen können" — musste nicht durch solcli' ein Verfahren, in
dem sich der Laie nicht zurechtfinden konnte, nothwendig Verwirrung
und Unsicherheit in Bezug auf das Sacrament entstehen? ^
* Ueber die Ausnahme s. oben.
'-^ Nicht ex potcstatc auctoritatis oder cxccllcntiao, sondern ministerii.
' Die wichtigsten Sätze des Thomas über die Absolution sind folgende: Suppl.
508 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 1 6. Jahrh.
Der Absolutio geht die Auferlegung der satisfactio, wenn solche
nicht etwa schon geleistet ist, vorher. Hier wirkt der Priester als medi-
Q. 17 Art. 1 : „lu corporalibus clavis dicitiir iustrumeutum, (|uo ostiura aperitur,
regui autem ostium uobis per peccatum clauditiir et quantum ad maculam et quan-
tum ad reatum poenae, et ideo potestas, cpia tale o])staciilum rcmovetur, dicitur
clav is. Haec autem potestas est in divina trinitate per auetoritatem, et ideo dici-
tur a quibusdam, (piotl habeat clavem auctoritatis, sed in Christo homine fuit
haec potüstas ad removeudum praedictum obstaculum per meritum passionis
quae etiam dicitur ianuam aperire. Et ideo dicitur secuudum quosdam habere cla-
vem exeellentiae. Et (juia ex latere Christi dormientis in crucc sacramenta fluxerunt,
ex quibus ecclesia fabricatiir, ideo in sacramentis occlesiae efficacia passionis manet,
etpropter hoc etiam ministris ecclesiae, qui sunt dispensatores sa-
crameutorum, i)ote8tas aliqua ad praedictum obstaculum removen-
dumestcüllata,nün propria, sed virtute divina et passionis Christi, et haec potestas
metapliorice clavis ecclesiae dicitur, quae est clavis ministerii." Besonders
wichtig ist Q. 18 Art. 1 : „Sacramenta continent ex sanctificatione invisibilem gra-
tiam. Sed huiusmodi sanctificatio quandoque ad necessitatem sacramenti requiritur
tam in materia quam in ministro, sicut patet in confirmatione. Quandoque autem de
necessitate sacramenti non requiritur nisi sanctificatio materiae, sicut in baptismo,
quia non habet ministrum determinatum quantum ad sui necessitatem, et tunc tota
vis sacramentalis consistit in materia. Quaudocjue vero de necessitate sacramenti
requiritur consecratio vel sanctificatio ministri sine aliqua sanctificatione materiae,
et tunc tota vis sacramentalis consistit in ministro, sicut est in paeni-
tentia . . . Per paenitentiae sacramcntum numquam datur gratia, nisi praeparatio
adsit vel prius fuerit. Unde virtus clavium operatur ad culpae remissionem, vel in
voto existens, vel in actu se exerccns . . . sed non agit sicut principale agens, sed
sicut instrumentum, non quidem pcrtingens ad ipsam gratiae susceptionem causan-
dam etiam instrumentaliter, sed disponens ad gratiam, per quam fit remissio cul-
pae. Unde solus deus remittit per se culpam et in virtute eius agit . . . sacerdos ut
instrumentum animat um . . . ut minister. Et sie patet, quod potestas clavium
ordinatur aliquo modo ad remissionem culpae non sicut causans, sed sicut disponens
ad eam-, unde si ante absolutionem aliquis non fuisset perfccte dispositus ad gratiam
suscipiendam, in ipsa confessione et absolutione sacrameutali gratiam
consequerctur, si obicem non poneret. Im Folgenden wird nun bewiesen, dass
sich die priesterliche clavis unmöglich nur auf den Straf erlass („ut quidam dicunt")
beziehen könne. Im 2. Art. wird sodann gezeigt, dass „ex vi clavium non tota poena
remittitur, sed aliquid de poena tcmporali, cuius reatus post absolutionem a poena
aetema remanere potuit, nee solum de poena illa. quam paenitens habet in confi-
tendo, quia sie confessio et sacramentalis absolutio non esset nisi in onus, quod non
competit sacramentis novac legis, sed etiam de illa poena, quae in purgatorio debe-
tur, aliquid remittitur." Man unterschied in Bezug auf die AVirksamkeit der abso-
lutio wohl auch so : Gott tilgt den reatus culpae, Christus den reatus poenae aetor-
nae; Beides wird effectiv vom minister sacramenti in göttlicher Vollmacht bewirkt,
und er hat zugleich von sich aus das Recht, den reatus poenae tcmporalis bei seiner
Absolution abzumildern. Q. 19 Art. 3 zeigt Thomas, dass die clavis ordinis nur dem
Priester gegeben ist, die clavis iurisdictionis — quae non clavis coeli est, sed qua-
dam dispositio ad eam! — auch Anderen verliehen werden kann. Q. 19 Art. 5 wird
ausgeführt, dass auch der schlechte Priester die Schlüssel behält; dagegen hoisst es
J
Das Busssacrament. Die Satisfaction. 509
cus peritus und iudex aequus. Die Praxis der Satisfactionen (Kirchen-
bussen) ist uralt (s. oben S. 239 f. 288 ff.); die Mechanisirung und Ueber-
schätzung — dass sie neben die contritio als ein Theil der Busse ge-
stellt werden — als Theorie verhältnissmässi^ jung. Die Idee ist jetzt
diese, dass die satisfactio als Bestandtheil des Busssacraments die noth-
wendige Offenbarung der Reue in solchen Werken ist, die geeignet sind,
dem beleidigten Gott eine gewisse Genugthuung zu gewähren (und da-
durch die Veranlassung zur Abkürzung auch der zeitlichen Strafen
werden). In der Taufe wird die Sünde sammt der Strafe ohne alle Genug-
thuung vergeben; aber von dem Getauften verlangt Gott eine gewisse
Genugthuung — obgleich dort wie hier das Verdienst Christi das Ent-
scheidende ist — , theils weil der Mensch eine gewisse Satisfaction
leisten kann, theils weil sie seiner Besserung dient und ihn vor ferneren
Sünden zu schützen geeignet ist. Diese Satisfaction ist aber nur dann
wirklich werthvoll, wenn sie im Stande der Gnade (caritas) geleistet
wird. Somit muss der Todsünder erst absolvirt sein, um dann die Ge-
nugthuung auszuführen, die ihm auferlegt worden ist, und die er zu
leisten vor der Absolution versprochen hat. Allein einen gewissen
Werth haben auch solche Werke, die nicht im Stande der Caritas aus-
Art. 6 von den häretischen und schismatischen Priestern, dass in ihnen „manet cla-
vium potestas quantum ad essentiam, sed usus impeditur ex defectu materiae. Cum
enim usus clavium in utente praelationem recjuirat respectu eins in quem utitur,
propria materia in quam exercetur usus clavium est homo subditus. Et quia per
ordinationem ecclesiae unus subditur alteri, ideo etiam per ecclesiae praelatos potest
subtrahi alicui ille, qui erat ei subiectus. Unde cum ecclesia haereticos et schisma-
ticos et alios huiusmodi privet su])trahendo sul)ditos vel simplicitcr vel quantum ad
ahquid, quantum ad hoc quod privati sunt, non possunt usum clavium habere." In
Q. 20 Art. 1 wird ausgeführt, dass nur der Papst, da er die indistincta i)otestas
super omnes besitzt, die Anwendung der Gewalt der Schlüssel in Bezug auf Alle
besitzt, dass dagegen die Anderen die »Schlüssel „non in quolibot uti possunt, sed
in eos tantum, (jui eis in sortem venerunt, nisi in neccssitatis articulo". Aber auch
seinen subditus kann der Priester nicht stets absolviren; denn aliqua peccata —
wenn ihm nicht die Gewalt ertheilt ist — unterliegen der Behandlung des Superior
(Art. 2). Ein Priester kann auch einen Bischof absolviren; denn „i)otcstas clavium,
quantum est de se, sc extendit ad omnes" (Art. 3). Die Q. 21 — 24 handeln von der
Excommunication, an der die Jurisdictionsgewalt besonders betheiligt ist (Q. 21
Art, 4: Auch eine ungerechte Excommunication habet effcctum suum; bei einer
Todsünde muss sie respectirt werden; sed si quis })ro falso crimine in iudicio pro-
bat«) excommimicatus est, tunc, si humiliter sustinet, humilitatis meritum re(;()m-
l)en8at excommunicationis darnnum." Q. 22 Art. 1 : Von den Priestern können nur
Bischöfe und maiorea praelati excommuniciren, „qui habent iurisdictionem in foro
iudiciah', ad quod specfat causa, (|ua(; obligat hominem in comparatione ad alios
homines"; aber auch Nicht -IViester können excommuniciren jweil es sich nicht
um die gratia handelt], wenn sie die iurisdictio in foro contentioso haben).
510 Geschichte des Doj^mas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
geführt sind; auch sie sind nicht ohne satisfactorische Bedeutung und
können die zeitHchen Sündenstrafen abkürzen. Die satisfactorischen
Werke sind vornehniHch Gebet, Fasten und Ahnosen; denn sie befreien
den Menschen von dem natürlichen Sinn. Die Scholastiker haben aber
auch die aus den rohen Zeiten der germanischen Kirche stammende
Praxis gerechtfertigt, dass die Satisfactionen unter Umständen von
Anderen geleistet werden können, weil die Christen als Glieder eines
Leibes mit einander verbunden sind. Das führt zu dem Ablass
hinüber K
* Thomas behandelt Suppl. Q. 12 — 15 die satisfactio. Q. 12 Art. 1 und 2 wird
die satisfactio als actus virtutis et iustitiae nachgewiesen, Art. 3 die alte Definition
gerechtfertigt, satisfacere sei sowohl „honorem debitmn deo impendere" als „prae-
servare culpam futuram". Q. 13 wird gezeigt, dass der Mensch nicht im Stande ist,
Gott genugzuthun quoad aequalitatem quantitatis, wohl aber quoad aequalitatem
proportionis („ex hoc quod per liberum arbitrium agit, deo satisfacere potest, quia
quamvis dei sit prout a deo sibi concessum, tarnen libere ei traditum est, ut eius
dominus sit"); im 2. Art, folgt der Nachweis, dass Einer für den Anderen die satis-
factio leisten kann-, doch ist die These verclausulirt („Poena satisfactoria est ad
duo ordinata, seil, ad solutionem debiti et ad medicinam pro peccato vitando".
In letzterer Hinsicht kann Einer dem Anderen nur per accidens helfen, sofern er
dem Anderen durch gute Werke ein augmentum gratiae verschaffen kann ; sed hoc
est per modum meriti magis quam per modum satisfactionis. Sed quantum ad solu-
tionem debiti, unus potest pro alio satisfacere, dummodo sit in caritate, ut opera
eius satisfactoria esse possint"). In der 14. Q. wird die Qualität der satisfactio be-
handelt ; hier werden die Fragen nach der Nothwendigkeit, dass der Mensch im Zu-
stand der Caritas sei, besprochen und noch strenge entschieden („Quidem dixerunt"
— Art. 2 — , quod postquam omnia peccata per praecedentem contritionem remissa
sunt, si aliquis ante satisfactionem peractam in peccatum decidat et in peccato
existens satisfaciat, satisfactio talis ei valet, ita quod si in peccato illo morere-
tur, in inferno de illis peccatis non puniretur. Sed hoc non potest esse, quia in sa-
tisfactione oportet quod amicitia restituta etiam iustitiae aequalitas restituatur,
cuius contrarium amicitiam tollit. Aequalitas autem in satisfactione ad deum non
est secundum aequivalentiam, sed magis secvmdum acceptationem ipsius. Et ideo
oportet, etiamsi iam offensa sit dimissa per praecedentem contritionem, quod
opera satisfactoria sint deo accepta, quod dat eis Caritas, et ideo sine caritate
opera facta non sunt satisfactoria"; aber im 5. Art. wird zugestanden, dass
bona opera extra caritatem facta diminuunt poenam infenii, d. h. die Verdammung,
wie Augustin sagt, mildern und die zeithchen Strafen verkürzen). Die 15. Q. handelt
von den Mitteln der satisfactio („satisfactio sive referatur ad praeteritam offensam
sive ad futuram culpam per poenalia opera fieri asseritur"). Hier wird folgende
abschreckende Rechtfertigung der drei satisfactorischen Strafinittel gegeben
(Art. 3) : „Satisfactio debet esse talis, per quam aliquid nobis subtrahamus ad honorem
dei, nos autem non habemus nisi tria bona, seil, bona animae, bona corporis et
bona fortunae, seil, exteriora. Ex bonis quidem fortunae subtrahimus nobis ali-
quid per eleemosynam, sed ex bonis corporis per ieiunium. Ex bonis autem animae
non oportet quod ali(iuid subtrahamus nobis quantum ad essentiam vel quantum ad
diminutionem ipsorum, quia per ea efficimur deo accepti, sed per hoc quod ea sub-
Das Busssacrament. Der Ablass. 511
Der Ablas s. Die Lehre vom Ablass steht innerlich in engster
Beziehung zur Lehre von der attritio, äusserlich erscheint sie als eine
Folge der Lehre von der satisfactio K In der Theorie hat sie mit dem
reatus culpae und dem reatus poenae aetemae nichts zu thun; in der
Praxis haben sich nicht nur im Mittelalter schwere Missstände einge-
stellt; welche die Katholiken (das Concil von Trident) zugestehen, son-
dern diese Missstände dauern noch immer fort, und es geschieht nichts,
um der Ueberschätzung der Ablässe zu wehren^.
Die Scholastik fand die Ablässe, die namentlich im Zeitalter der
Kreuzzüge einen grossen Aufschwung genommen hatten, bereits vor.
Sie ist mit ihrer Theorie ledighch der Praxis gefolgt. "War schon die
Lehre von der Satisfaction eine höchst willkürliche, welche nothwendig
— trotz aller Cautelen — die Bedeutung der Busse gefährden musste, so
wurde die Lehre vom Ablass die potenzirte Willkür und übte einen
höchst verderblichen Einfluss auf die Religion und die Moral aus. Man
kann die Praxis und Theorie der Ablässe allerdings auch ideahsiren, ja
es ist möghch, der idealisirten Praxis sogar ein gewisses Recht beizu-
mittimus deo totaliter, et hoc fit per orationem . . . Secundum quosdam du-
plex est oratio; quaedam quae est contemplativorum, quorum con-
versatio in coelis est, et talis quia totaliter est delectabilis non est
satisfactoria. Alia est, quae pro peccatis gemitus fundit et talis habet
poenam et est satisfactionis pars. Vel dicendum et melius, quod quaelibet
oratio habet rationem satisfactionis, quia quamvis habet suavitatem
Spiritus, habet tarnen afflictionem carnis." In der Theorie tritt übrigens
bei Thomas die Bedeutung der Satisfactionen als Abbüssung der zeitlichen Sün-
denstrafen, die nicht erlassen sind, neben den anderen Zwecken derselben nicht
besonders hervor. Wird doch auch in abstracto zugestanden, dass die contritio so
vollkommen sein könne, dass alle Strafe von Gott geschenkt werde. Allein fac-
tisch wurden die Satisfactionen fast ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der
Abbüssung der Sündenstrafen (und zwar vornehmlich der zukünftigen im Fegfeuer)
betrachtet. Hier setzten die Ablässe ein, und hier stellte sich das sehr verzeihliche
Miss Verständnis« der Laien ein, dass die Satisfactionen an sich von allen Sünden-
strafen befreien — und nur um diese Befreiung ist es den Meisten zu thun gewesen.
*) Die Litteratur s. oben S. 504 Anmk. 2. Dazu Schneider, Die Ablässe.
7. Aufl. 1881. Thomas, Suppl. Q. 25—27.
^ Dass auch in der Theorie im Mittelalter gefehlt worden ist, gestehen ka-
tholische Stimmen selbst zu (s. Schneider S. 10 n. 2): „Es find(3n sich gewisse Ab-
lassbriefe, die zugleich von Vergebung der Schuld und der Strafe reden (a culpa et
a poena); allein nach der Meinung Benedicts XIV. sind diese Erlasse falsch und
müssen jenen Almosensammlern zugeschrieben werden, welche vor der Synode von
Trident Ablässe verkündigten und dabei Almosen einsammelten." Natürlich beruft
man sich katholischerseits gerne darauf, dass „peccatum" auch für „Sündenstrafe"
„Sündonsühnung" geljraucht worden sei. Diese Bedeutung ist in der That nach-
weisbar; ob sie aber für alle die Fälle zutrifft, wo Aljlässe und Sünde in Verbindung
gebracht sind, ist mehr als fraglich.
512 (xeBchic'hto des Doß^mas im Zoitaltor clor Bottelorden bis zum 16. Jahrh.
legen * ^ wäre das nicht möglich, so wäre es nnglauhhcli, dass so viele
ernste Christen die Ahlässe vertheidigt hahen — , allein die scholastische
Theologie hat sie keineswegs idealisirt.
Die Praxis der Ahlässe wurzelt in den Oommutationen. Die
Vertauschung schwererer Bussleistungen mit geringeren hiess indul-
gentia'-. Die Bussleistungen kamen hier in ihrer Bedeutung für die
Ahhüssung zeithcher Sündenstral'en in Betracht. Die schwersten zeit-
lichen Sündenstrafen waren die des Fegfeuers; denn die irdischen Sün-
denstrafen waren theils, wie die Erfahrung lehrte, nicht ahzuwenden,
theils fielen sie, mochte man auch an Jahre lange Busse denken, nicht
ins Gewicht gegenüher den langen und schmerzhchen Strafen im Feg-
feuer. Es war eine raffinirte Praxis der Kirche, die sich allmählich
herausgehildet hatte, die Menschen durch die Gnade (Busssacrament)
üher die Hölle in bequemer AVeise zu trösten, aber sie andererseits
durch das Fegfeuer zu schrecken. War dieses Fegfeucr denn nicht auch
eine Hölle V Aber wie fein war die ganze Vorstellung den moralischen
Empfindungen der homines attriti abgelauscht ! ^ An die Hölle glauben sie
im Grunde nicht, weil ihnen die Schwere der Sünde nicht aufgegangen
ist, und weil sie demgemäss zu einem Leben in Gott nicht zu bew^egen
sind. Daher schliesst die Kirche durch das Busssacrament
die Hölle. Aber dass es ihnen einst eine lange Zeit hindurch sehr
schlecht gehen werde, und dass sie ihre Sünden sämmtlich einmal abbüssen
müssen, das glauben sie. Darum eröffnet die Kirche das Feg-
feuer'*. Dass dieses Fegfeuer abgemildert und verkürzt werden kann.
' Gleichzeitig^ sowohl die Satisfactionen als die Ablässe zu vertheidigen, ist
freilich schwer. Entspringen jene aus dem freudigen Drange des von der Schuld
befreiten Herzens, die geschenkte Liebe zu bethätigen, so wird der Gedanke des
Ablasses nicht aufkommen. Sind umgekehrt die Ablässe Erlass der zeitlichen Sün-
denstrafen, so darf man sie nicht auf die idealisirten Satisfactionen beziehen.
2 Solche Vertauschuugen stellten sich mit Nothwendigkeit auch desshalb ein,
weil die alten Bussforderungen zum Theil exorbitant hohe waren.
^ Die Ablässe waren recht eigentlich die Zuflucht der halbschlächtigen Christen,
wenn auch die frömmsten sich ihrer bedienten. Von Tetzel wird erzählt, er habe, als
in der kleinen Stadt Belitz bei Berlin Niemand bei ihm Ablässe kaufen wollte, un-
muthig gesagt, entweder müssten in dem Städtlein „gar fromme Leute oder
verzweifelte Buben" sein. So erzählt Creusing in seiner märkischen Fürstenchronik
hrsg. von Holtze S. 159 nach einer Mittheilung des Belitzer Müllers, Meister
Jakob (s. Heidemann, Die Reform, in der Mark Brandenburg S. 77).
'* Nachdem diese Worte längst niedergeschrieben waren, stioss ich auf Rous-
seau's Charakteristik der dämonischen Frau von Waren in seinen Bekenntnissen.
Hier heisst es (Deutsche Ausgabe von Denhard IS. 291): „ . . . Seltsamerweise
Hess sie sich, o))gleich sie nicht an eine Hölle glaubte, doch den (ilauben an das
Fesffeuer nicht nehmen." Rousseau hat das als eine Seltsamkeit btnirtheilt, weil er
Das Busssacrament. Der Ablass. 513
das glauben diese liomines attriti ferner sehr gern; denn sie leben
sämmtlich in der Vorstellung, dass gute Leistungen Verfehlungen ein-
fach compensiren, und die „Galgenreue" ist auch nicht so nachhaltig,
dass sie die Menschen bestimmen könnte, ernsthafte Busse — auch nur
im Sinne anhaltender Enthaltungen und heroischer Werke — zu thun.
Daher eröffnet die Kirche die Ablässe. In ihnen zeigt sie dem
gemeinen Mann ihre eigentlichen Kräfte; denn die Magie des Buss-
sacraments beruhigt ihn doch nicht ganz. Er hat den Restmorahscher
Empfindung, dass etwas von seiner Seite geschehen muss, damit die
Vergebung glaublich und sicher werde. Fides und contritio kann und
will er nicht leisten; aber irgend etwas will er gerne thun. Hier tritt
nun die Kirche ein und sagt ihm, dass seine erbärmliche Leistung durch
die Macht der Kirche in eine sehr hohe umgesetzt und verwandelt wird,
in eine so hohe, dass damit die Sündenstrafen im Fegfeuer getilgt wer-
den. Mehr will der Mensch nicht wissen. Was dann noch kommt, das
kann ihn wenig kümmern, und die Kirche selbst sagt ihm, dass ihn das
Folgende, w^enn er mit dem Busssacrament wohl versehen ist, nicht
treffen werdet Attritio, sacramentum paenitentiae, indulgentia: das ist
sich trotz seines Uebertritts niemals von den protestantischen Einflüssen seiner
Jugend ganz zu befreien vermocht hat.
* Die Lehre vom Fegfeuer (purgatorium) stand den Scholastikern fest und
wurde im 13. bis 15. Jahrhundert den Griechen gegenüber energisch vertheidigt.
Dieses purgatorium besteht für die abgeschiedenen Seelen, welche absolvirt
sind, aber nicht für alle Sünden Genugthuung geleistet haben, nach lateinischer
Auffassung bis zum Weltgericht (die Griechen, soweit sie es überhaupt anerkannten,
setzten es hinter das Weltgericht), resp. kürzere Zeit. Die Seelen der Gerechten,
welche keiner Läuterung mehr bedürfen, gelangen sofort zur Anschauung Gottes
(die Gegenlehre Johann's XXII. wurde verworfen). Genauer lehrten die Scholastiker,
dass es fünf AVohnorte der abgeschiedenen Seelen gebe: 1) die Hölle, wohin die
Todsünder sofort kommen, 2) der limbus infantium, d. h. der ungetauft gestorbenen
Kinder, 3) der limbus patrum, d. h. der alttestamentlichen Frommen, 4) das pur-
gatorium, 5) der Himmel; s. die genaue Ausführung bei Thomas Suppl. Q. 69. Dass
die Seelen der Frommen von den Vorgängen auf Erden Kenntniss haben und für
die irdischen Brüder eintreten, hat der Lom})arde (Sent. IV, Dist. 45 G) ausge-
führt: „Cur non credamus et animas sanctorum dei faciem contemplantium in
eins veritate intclligere preces liominum, quac et implendac sunt vel non? . . . Inter-
cedunt ergo pro nobis ad deum sanoti, et merito, dum illorum merita suffragantur
nobis, et affcctu, dum vota nostra cupiunt impleri . . . Oramus ergo, ut inter-
cedant pro nobis, i. c. ut merita eorum suffragentur nobis, et ut ipsi velint bo-
num noHtrum, quia eis volenti))US dcus vult et ita fiet" ; ebenso Thomas, Suppl. Q. 73
vel 74 Art. 1. Die Existenz des Fegfeuers wird von Tliomas (1. c. Q. 69 Art. 7) also
y)egründet: „Satis potest constare ])urgatorium esse post hanc vitam ; si enim per
contritionem deleta culpa non tollitur ex toto reatus pocnac nee ctiam sempcr veni-
alia dimissis mortaliljus tf>lluntur, et iustitia lioc exigit, ut peccatum per poenam
de))itam ordinetur, oportet quod ille, <jui post contritionoTn de peccato et a])solu-
llarnack, Do^^eiiKeschiclite III. 33
514 Geschichte des Dof^mas im Zeitalter der Bettclorden bis zum 16. Jahrb.
die katholisclie Trias. Das, was für den Ablass 7AI leisten ist, ist hierbei
das einzig Bedrückende; aber eben dies wurde sehr leicht gemacht. So
wurde der Ablass eine Persiflage des Christenthums als der Religion
der Erlösung durch Christus.
Die Theorie der Scholastiker ist folgende : Nachdem man noch bis
tief in das 13. .Fahrhundert hinein darüber geschwankt hatte, ob sich die
Ablässe nicht nur auf die vom Priester auferlegten Kirchenstrafen be-
ziehen, stellte Thomas fest, dass sie auf den reatus temporalis poenae
überhaupt (in terris und in purgatorio) Anwendung finden. Die Ge-
rechtigkeit Gottes fordert, dass keine Sünde „inordinata" bleibe, und
dass der Mensch auch das leiste, was er leisten kann. Hiernach ist er
zur Ableistung der zeitlichen Sündenstrafen auch als Absolvirter ver-
pflichtet. Allein, was das Verdienst Christi an sich und direct nicht
leistet, sofern es im Sacrament nur den reatus culpae et poenae aeter-
nae tilgt, das leistet es ausserhalb des Sacraments als Ver-
dienst. Christus hat nämlich durch sein Leiden mehr gethan, als was
zur Erlösung erforderlich war, und auch viele Heilige haben sich Ver-
dienste erworben, die Gottes Gnade belohnt. Dieses überschüssige
Verdienst (thesaurus operum supererogatoriorum) muss nothwendig,
da es Christus und den Heiligen nicht weiter zu Gut kommen kann, der
Kirche als dem Leibe Christi zu Gut kommen. Eine andere Wirksam-
keit aber kann es neben dem Busssacrament nicht finden, als dass es
die zeitlichen Sündenstrafen abmildert, verkürzt oder tilgt. Zugewandt
kann es nur Solchen werden, die in bussfertiger Gesinnung nach Ablegung
der Beichte absolvirt sind, und verwaltet wird es in erster Linie vom
Papst als dem Haupt der Kirche. Doch kann derselbe Anderen eine
partielle Verwaltung übertragen. Die Zuwendung geschieht regelmässig
so, dass für den Ablass eine verhältnissmässig sehr kleine Leistung ver-
langt wird („eleemosynae", d. h. Geldbussen) ^
tionem decedit ante satisfactionem debitam post hanc vitam puniatur. Et ideo illi
qui purgatorium negant, contra divinam iustitiam locuntur, et propter hoc erro-
neum est et a fide alienum (Folgt eine gefälschte Stelle aus Gregor von Nyssa's
Werken, die besagen soll, dass die ganze Kirche so lehrt). Quod non potest nisi de
illis, qui sunt in purgatorio, iutelligi ; ecclesiae autem autoritati quicunque resistit,
haeresim incurrit." Dennoch hat ein, im 14. und 15. Jahrhundert sehr lebhaft wer-
dender Widerspruch gegen diese Lehre nicht aufgehört. Wiclif und Wessel haben
den Widerspruch der mittelalterlichen Secten energisch aufgenommen.
^ Einen thesaurus meritorum, welchen die Kirche verwaltet, hat zuerst Ha-
lesius angenommen (s. die Stellen bei Münscher, a. a. 0. S. 290 ff.). Die Theorie
ist fest ausgebaut worden von Albertus und Thomas. Suppl. Q. 25 Art. 1 führt
dieser Folgendes aus: „Ab oranibus conceditur indulgentias aliquid valere, quia
impium esset dicere, quod ecclesia aliquid vane facerot. Sod quidam
Das Busssacrament. Der Ablass. 515
Diese Theorie liess nun noch im Einzelnen — von der Praxis
ganz abgesehen — sehr verschiedene Nuancen zu. Auch sie konnte
dicunt, quod non valent ad absolvendum a reatu poenae, quam quis in purgatorio
secundum iudicium dei meretur, sed valent ad absolvendum ab obligatione qua
sacerdos obligavit paenitentem ad poenam aliquam vel ad quam etiam obligatur ex
canonum statutis. Sed haec opinio non videtur vera, Primo quia est expresse contra
Privilegium Petro datum cui dictum est, ut quod in terra remitteret, in coelo remit-
teretur. Unde remissio, quae fit quantum ad forum ecclesiae valet, valet etiam
quantum ad forum dei. Et praeterea ecclesia huiusmodi indulgentias faciens magis
damnificaret, quam adiuvaret, quia remitteret ad graviores poenas, seil, purgatorii,
absolvendo a paenitentiis iniunctis. Et ideo aliter dicendum, quod valent et
quantum ad forum ecclesiae et quantum ad iudicium dei, ad remissio-
nem poenae residuae post contritionem et confessionem et absolu-
tio nem, sive sit iniuncta, sive non. Ratio autem, quare valere possint, est unitas
corporis mystici, in qua multi in operibus paenitentiae supererogaverunt ad men-
suram debitorum suorum . . . quorum meritorum tanta est copia, quod omnem poe-
nam debitam nunc viventibus excedunt et praecipue propter meritum
Christi, quod etsi in sacramentis operatur, non tarnen efficacia eins
in sacramentis includitur, sedsuainfinitateexcedit efficaciam sacra-
mentorum. Dictum est autem supra, quod unus pro alio satisfacere potest; sancti
autem, in quibus superabundantia operum sanctificationis invenitur, non determi-
nate pro isto qui remissione indiget, huiusmodi opera fecerunt, alias absque omni
indulgentia remissionem consequerentur, sed communiter pro tota ecclesia, sicut
apostolus ait (Coloss. 1), et sie praedicta merita sunt communia totius ecclesiae. Ea
autem quae sunt alicuius multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi-
tudine secundum arbitrium eins qui multitudini praeest." Dazu die vor-
sichtigen Bemerkungen : „Remissio quae per indulgentias fit, non tollit quantitatem
poenae ad culpam, quia pro culpa unius alius sponte poenam sustinuit." — «IUe
qui indulgentias suscipit, non absolvitur, simpliciter loquendo, a debito poenae, sed
datur ei, unde debitum solvat." — „Non est in destructionem indulgentias dare,
nisi inordinate dentur. Tamen consulendum est eis qui indulgentias consequuntur,
ne propter hoc ab operibus paenitentiae iniunctis abstineant, ut etiam ex his reme-
dium consequentur, quamvis a debito poenae esse immunes, et praecipue quia
quandoque sunt plurium debitores quam credant." Im 2. Artikel werden
diejenigen widerlegt, welche behaupten, dass die Indulgenzen „non tantum valent,
quantum pronuntiantur", vielmehr dem Einzelnen nur soweit gelten „quantum fides
et devotio sua exigit". Es wird nachgewiesen, „indulgentiae simpliciter tantum
valent quantum praedicantur, dummodo ex parte dantis sit auctoritas et ex parte
recipientis Caritas et ex parte causae pietas". Dazu: „(juaecun(|ue causa adsit, quae
in utilitatem ecclesiae et honorem dei vergat, sufficiens est ratio indulgentias fa-
ciendi . . . (nam) merita ecclesiae semper auperabundant." Ferner wird gezeigt,
dass die Indulgenzen zu der clavis iurisdictionis gehören (nicht sacramental sind)
und daher „offectus eius arbitrio hominis subiacet" (auch autorisirte legati non sacer-
dotes können die Ablässe ertheih^n). Auf die Frage, ob die Indulgenzen pro tem-
I)orali subsidio ertheilt werden können, wird im 3. Artikel geantwortet, dass dies
simpliciter nicht möglich ist, „sed i)r() temporalibus ordinatis ad spiriiualia, sicut
est repressio inimieorum ecclesiae, qui })a(;ern eoch'siae perturbant, sicut constnictio
ecclesiarum et pontium et aliaruni eleemosynarum largitio". Die 2H. Q. handelt von
33*
516 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
strenger und laxer gefasst werden. Namentlich konnte die Forderung,
dass man reuemütliig sein müssO; ausserordentlich herabgestimmt wer-
den *. Allein nicht nur das ist geschehen, sondern die Praxis schlug, wie
schon angedeutet, ganz andere Wege ein. Sie Hess mit mehr oder we-
denjenigen, die Tndulgeiizen erthcilen können („papa potest facere prout vult"),
die 27. (^. von den Empfängern der Indulgcnzen. Hier wird Artikel 1 die These
derer widerlegt, die behaupten, Todsündern hülfe der Ablass zwar nicht zur Ver-
gebung, jedoch ad acquirendam gratiam : „in omnibus indulgentiis fit mentio de vere
contritis et confessis." In Artikel 3 wird gezeigt, dass der Ablass dem nicht gelte,
der das nicht leistet, wofür der Ablass gegeben ist. Hierzu ist ferner die Q. 74 zu
vergleichen, wo im 10. Artikel die Frage beantwortet wird, ob die Ablässe den Ver-
storbeneu nützen. Die Antwort lautet, dass sie direct nicht nützen, da die Todten
das nicht leisten können, wofür die Ablässe gegeben werden. Dagegen indirect
wohl, wenn nämlich die Indulgenzformel lautet: „Quicumque fecerit hoc vel illud,
ipse et pater eins vel quicumque alius ei adiunctus in purgatorio detentus, tantum
de indulgentia habebit." „Talis indulgentia non solum vivo sed etiam mortuo pro-
derit. Non enim est aliqua ratio quare ecclesia transferre possit communia merita
quibus indulgentiae innituntur in vivos et non in mortuos." Die Ablässe sind aber
nicht lediglich per modum suffragii wirksam, sondern effectiv. Doch soll die Will-
kür des Errettens der Seelen aus dem Fegfeuer seitens des Papstes dadurch eine
Beschränkung erfahren, dass stets eine causa conveniens indulgentias faciendi vor-
handen sein muss ; eine solche aber findet sich immer. — Es ist übrigens sehr wahr-
scheinlich, dass die Annahme eines thesaurus meritorum eine lange religions-
geschichtliche Vorgeschichte hat; s. Siegfried in Hilgenfeld's Ztschr. 1884 Heft 3
S. 356 : „Die Lehre von einem Schatz der guten Werke, aus welchen Entschädi-
gungen für die Sünden Anderer entnommen werden können, ist ursprünglich durch
eranische Einflüsse in das Judenthum gekommen, wie bekanntlich so manches
Andere in der spätjüdischen Dogmatik. Wenn man das, was in Spiegel' s era-
nischer Alterthumskunde II 151 ff. hierüber steht, vergleicht mit dem, was in
Web er 's System der altsynagogalen paläst. Theol. 1880 S. 280 ff. sich findet, wird
man daran nicht zweifeln können. Da nun diese Lehre ihre Geltung innerhalb der
katholischen Kirche, nachdem sie Alexander von Haies zuerst aufgestellt hatte,
besonders dem Thomas von Aquin verdankt, dieser aber bekanntlich den Maimo-
nides ausschrieb (Merx, DieProphetie des Joel 1879 S. 354 — 367), so entsteht von
vornherein der Verdacht, dass man auch diese Lehre aus jüdischen Quellen ent-
lehnte. Den näheren Nachweis für die Thatsächlichkeit dieses Verhältnisses be-
halten wir uns vor, da derselbe hier zu weit führen würde."
* Sehr viel Material in Bezug auf die laxe und die strenge Theorie bei B r atk e ,
a. a. 0. Einen Hauptunterschied bildete die Frage, ob die Ablässe nicht auch Tod-
sündern ad acquirendam gratiam von Nutzen seien, resp. ob man sie ihnen nicht im
Voraus geben könne, damit sie sie gebrauchen, wenn sie disponirt sind. Natürlich
sind auch hier die Differenzen der Thomisten und Scotisten über attritio und con-
tritio wichtig. Die Ausführungen über den Jubelablass bei Bratke S. 201 ff. 2401V.
scheinen mir theils auf Missverständnissen zu beruhen, tlieils übertrieben zu sein.
Lehrreich ist die Darstellung der Ablasstheorie der kirchlichen Reformpartei
S. 234 ff. (Cajetau), sowohl um des Verständnisses der ältesten Position Luther's
willen, als um zu erkennen, wie wehrlos diese Reformpartei gewesen ist.
Das Busssacrament. Der Ablass. 517
niger Absichtlichkeit ein Dunkel darüber bestehen, was denn eigentlich
durch den Ablass getilgt werde (s. den amphibolischen Ausdruck „zum
Heil der Seele" u. ä. a.); sie ersetzte die Forderung wahrer Reue und
aufrichtigen Entschlusses der Besserung durch Hinweis auf das Buss-
sacrament oder verschwieg die Forderung ganz; sie gab dem Ablass
eine Deutung, in welcher die Macht der Kirche und des Priesters die
theoretische Begründung auf das Verdienst Christi verdrängte, und sie
leistete endlich dem entsetzKchen Wahne Vorschub, dass der Mensch
sich durch die Mittel der Religion zeitliche Vortheile verschaffen könne,
und dass ausserdem die Kraft und der Sinn der Religion in der Ver-
hütung gerechter Strafen aufgehe. Bei dem Allen ist der verderbliche
Effect, den die häufig schmähliche Verwendung der Ablassgelder und
das ganze Speculationssystem der Curie zur Folge haben musste, noch
nicht erwähnt. Das Busssacrament gipfelte leider in jenen Ablässen,
und man kann das Schlusswort dieses Systems, ohne sich einer Verhöh-
nung schuldig zu machen, dahin zusammenfassen: Jeder Mensch, der
sich der katholischen Kirche unterwirft und der aus irgend
einem Grunde mit der inneren Verfassung seines Herzens
nicht ganz zufrieden ist, kann selig und von allen ewi-
gen und zeitlichen Strafen frei werden — wenn er klug
verfährt und einen geschickten Priester findet^
Gegen diese Theorie reagirte nicht nur der wiedererstarkte augu-
stinische Thomismus, indem er die sittUch-religiösen Erfordernisse für
den Empfang des Ablasses kräftig betonte, sondern es erhob sich auch
^ Die Ablassthcoric ist zusammcngcfasst in der Extravagante Unigenitus Cle-
mens VI. vom Jahre 1349: „Unigenitus dei filius . . . sanguine nos redemit, quam in
ara crucis innocens immolatus, non guttam sanguinis modicam (quae tarnen propter
unionem ad verbum pro redemptione totius humani generis suffecisset), sed copiosc
velut quoddam profluvium noscitur effudisse . . . Quantum ergo exinde, ut nee
supervacua, inanis aut superflua tantae effusionis miseratio redderetur, thesaurum
militanti ecclesiae acquisivit, volcns suis thesaurizarc filiis pius pater, ut sie sit infi-
nitus thesaurus hominibus, quo qui usi sunt dei amicitiae participes sunt effecti.
Quem quidem thesaurum non in sudario repositum, non in agro absconditum, sed
per beatum Petrum . . . eiu8([ue suceessores suos in terris vicarios commisit fide-
libus sahibriter dispensandum, et i)r()priis et rationaljilibus causis: nunc pro totali,
nunc pro partiali remissione poenae temi)oralis pro peccatis debitae, tam genera-
liter quam spccialitcr (prout cum deo exj)edirc eognoscerent) verc paenitenti-
bus et confessis miscricorditer applicandum. Ad cuius (juidcm thesauri cumulum
b. dei genetricis omnium(|ue eleetonim a primo iusto usque ad ultimum merita ad-
miriiculum praestare nosountur, de cuius consumptione seu minutionc non est ali-
qnatenua formidandum (!), tam propter infinita Christi merita quam i)ro eo quod,
quanto plures ex cius applicatione trahuntur ad iustitiam, tanto magis accroscit
ipHorum cumulus mcritorum."
518 Geschichte des Dog^mas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
— von den Secten abgesehen - im 14. Jahrhundert ein radicaler
Widerspruch, der ebenfalls von augustinischer (und biblischer) Grund-
hige ausging. Gegen keine andere kirchUche Praxis und Theorie ist
AViclil' so energisch aufgetreten, wie gegen die Ablässe. Er erbhckte
in ihnen nichts als Willkür, eingerissen erst in der neueren Zeit \ die
Bibel wüsste nichts von den Ablässen, die in die Prärogative Gottes
eingreifen und daher geradezu blasphemisch seien. Er hat auch den
Schaden der Ablässe, dass sie von der Befolgung des Gesetzes Christi
abhalten, klar erkannt; allein er hat eine befriedigende Lehre, wie
ein angefochtenes Gewissen zu trösten sei, nicht aufgestellt. Für
ihn und für seinen Schüler Hus Hegt das Verderbliche der Ablässe
lechglich in dem Unbiblischen, in der Anmassung der Hierarchie (des
Papstes) und in der sittlichen Corruption. Man kann aber die Ab-
lässe nicht durch Schärfung der Gewissen und Bekämpfung der
Priestermacht allein aus den Angeln lieben ^.
Nicht minder energisch als der AViderspruch Wiclif s und Hus'
gegen die Ablässe waren die Angriffe AVe sei's und AVessel's.
Beide haben ebenfalls vom Standpunkte Augustin's aus wider die Ab-
lässe geschrieben. Die Alleinwirksamkeit Gottes, die Majestät der
göttlichen Strafgerechtigkeit, die gratia gratis data (caritas infusa)
sind die Hebel, mit denen sie die auch von ihnen als unbibhsch be-
zeichnete, von aller Tradition verlassene Theorie umstürzen. Die
Strafen, die Gott verhängt, kann der Mensch nicht abwenden; nur
die Strafen des positiven Rechts resp. die Kirchenstrafen kann der
^
1 S. Buddensieg, "Wiclif S. 201 ff., Trialogus IV, 32: „Fateor quod indiil-
gentiae papales, si ita se habeant ut dicimtur, sapiunt manifestam blasphemiam.
Dicitur enim, quod papa praetendit, se habere potentiam ad salvandum singulos
viatores, et quantumcunque viantes deliquerint, nedum ad mitigandum poenas ad
suffragandum eis cum absolutionibus et indulgeütiis, ne unquam veoiant ad purga-
torium, sed ad praecipiendum sanctis angelis, ut auima separata a corpore indilate
ipsam deferaut in requiem sempiternam . . . Contra istam rüdem blasphemiam in-
vexi alias, primo sie : nee papa nee etiam dominus Jesus Christas potest dispensare
cum aliquo nee dare indulgentias, nisi ut aeternaliter deitas iusto consilio diffinivit.
Sed non docetur, quod papa vel homo aliquis potest habere colorem iustitiae (darauf
fällt das Hauptgewicht) taliter faciendi ; igitur non docetur, quod papa talem habeat
potestatem . . . Item videtur quod illa opinio multipliciter blasphemat in Christum,
cum extollitur supi'a eins humanitatem atque deitatem et sie super omne quod dici-
tur deus . . . Sed eia, milites Christi, abicite prudenter haec opera atque fictitias
principis tenebrarum et induimini dominum Jesum Christum, in arniis suis
fideliter confidentcs, et excutite ab ecclesia tales versutias antichristi, docentes po-
pulum, quod in ipso solo cum lege sua et membris debet confidere et
operando illis conformiter ex suo opere bono salvari, specialitei* si anti-
christi versutias fideliter dctestetur."
Das Busssacrament. Der Ablass. 519
Papst erlassen. Gott flösst seine Gnade sine merito ein, aber nur
denen, die sich vollkommen für dieselbe disponiren. Wesel lockert
dabei auch den Zusammenhang von Sacrament und Gnadenmittheilung
(nominalistisch : „propter pactum institutum cum sacerdotibus"). Im
Grunde unterscheidet sich seine Sacramentslehre von der vulgären
nicht. Er vermag nur, weil er Gottes Majestät sicherer empfindet, die
Consequenz der Ablässe, die er mit Anderen „piae fraudes" nennt,
nicht zu ziehen ^ Die Kirche ging über diese "Widersprüche hinweg^.
^ Eine Reihe von Stellen aus den Disput, adv. indulgentias Wesel's hat Hauck
S. 303 f. abgedruckt. Im Grunde ist bei "Wesel Alles nur scheinbar radical. Er
lässt die vulgäre Sacramentslehre bestehen bis zu dem Punkte, dass das Busssacra-
ment die zeitlichea Siindenstrafen nicht tilgt. Hierbei aber will er stehen bleiben ;
denn diese Straf ei sind überhaupt nicht zu tilgen, 1) weil Gott sie verhängt und
durchsetzen will, 2 weil es Niemanden giebt, der sie aufheben könnte — die Priester
sind in Allem nur ninistri dei in remittendis culpis — , 3) weil es der Frömmigkeit
entspricht, sie zu ertragen, 4) weil es überhaupt kein Fegefeuer geben könnte, wenn
die Ablasstheorie fchtig wäre ; denn der Schatz der Ablässe würde alle zeitlichen
Strafen compensirei können. Mischt sich schon in die Polemik "VVesers ein wicli-
fitisch-husitisches (lonatistisches) Element, sofern die objective Bedeutung der
Priester (der Hierar«hie) herabgedrückt (keineswegs aufgehoben) werden soll, so ist
dieses Element nochviel deutlicher beiWessel. Den Frommen sind die Schlüssel
allein gegeben. Da un die Päpste und Priester häufig unfromm sind, so haben
diese carnales homin« überhaupt nur Gewalt in externis, d. h. ihre Unternehmungen
haben es nicht mit de wahren Kirche, Sünde und Gnade zu thun, sondern mit der
empirischen Kirche ; . de sacram. paenit. f. 51 : „Carnalis homo non sapit, quae
sancti amoris sunt, igiur iudicare non potest. Unde iudicium ecclesiae et eorum
qui in ecclesia praesiönt, quia saepe carnales, animales, mundiales aut diabolici
sunt et tamen suum otcium vcre administrant sicut viri spirituales et deo pleni,
liquet excommunications et indulgentias non ad ea quae caritatis et amoris sunt se
extendere, sed tantum a exteriorem pacem et tranquillitatem ecclesiae. Unde in-
dulgentiae sunt remissines de his poenis quas praelatus iniunxit aut iniungere
potuit." Ferner aber, di Schlüssel, die dem Petrus gegeben sind, sind nicht auf
Willkür gestellt ; wahre B ijsc und göttliche Vergebung gehören zusammen. Alles
ruht auf der Gnade, und ur fromme Priester sind ministri dei, d. h. ministri der
Gnade, die nur Gott einzufjssen vermag. Aber Wessel ist noch einen bedeutenden
Schritt weiter gegangen. !• hat sich gefragt, ob nach der Vergebung wirklich die
zeitlichen Sündenstrafen leiben, und er ist geneigt, in den Strafen der Absol-
virten vielmehr Erziehung i sehen (f. 60). Von hier aus hat er auch an dem Be-
griff der satisfactio operumgerüttelt und eine Consequenz des Augustinismus
gezogen, die kaum Einer vormi zu ziehen gewagt hat: satisfactio kann überhaupt
nicht statthaben, wo Gott sei» J^icbe eingegossen hat; sie führt mit Nothwendig-
keitzu einer Beschränkung deirratia gratis data und verkleinert das Werk Christi.
Die plenitudo gratiae schliessviio satisfactio aus (fol. 61. 62), wie viel mehr die
Ablässe, die er also definirt (1. C; „indulgcutiarum niateria est abusus (luaestorum
et saepc illorum falsum crimen, onnumfiuam in>pura et corrupta intentio papae."
■''Zu Constanz (Mansi Xvil p. 634 Nr. 42) wurde der Satz verdammt:
„Fatuum est credere indulgentiis ipac et cpiscoporum."
520 (ieschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
5. Die letzte Oelung'. Erst seit Thomas wurde behauptet,
dass Christus selbst dieses Sacrameut eingesetzt, der Apostel Jacobus
(5,14) es nur proniulgirt habe. Die materia ist vom Bischof benedicirtes
Gel, wobei die bischöfUche Weihe von Thomas aus demselben Grunde
l'iirconveniens erklärt wurde, wie bei der Firnuing (Ausdruck der höheren
Gewalt des Bischofs in Bezug auf das corpus Christi mysticum, s. oben
S. 487 Note 5; daher vernuig auch der Papst gewöhnliche Priester zur
Weihe zu bevollmächtigen). Die forma ist ein depreca torisches
Gebetswort (die indicative Form kann höchstens hinzutreten). Minister
ist jeder Priester. Das Sacrament kann wiederholt werdm '^. Empfänger
sind Todtkranke und Sterbende. Der Zweck (res saaamenti) ist die
remissio peccatorum, aber nur der lässlichen, reip. die Heilung
von den Ueberbleibseln der Sünde, oder per accidens; nämlich wenn
kein Hinderniss besteht, die volle Sündenvergebung^. Daher definirt
man das Sacrament auch als „Ergänzung" des Busssocraments, wobei
nur völlig dunkel bleibt, warum und inwiefern dieses einer Ergänzung
bedarf. Man hat es auch hier , wie bei der Firmung ^ nicht mit einem
aus der dogmatischen Theorie entsprungenen Saffament zu thun,
sondern mit einer Handlung, deren Werth aus Zwedimässigkeits-
gründen^ so hoch gesteigert ist, während er theoreisch sehr niedrig
bemessen ist. Auch leibliche Heilung erwartet nan, wenn es Gott
gefällt, von diesem Sacrament.
6. Die Priesterweihe ^. Bei diesem Sacnment kann die all-
gemeine Sacramentstheorie nur künstlich, resp. gaj nicht, aufrecht er-
halten werden, weil das hierarchische Interesse e geschaffen und es
^ Thomas P. ni Suppl. Q. 29-33. Schwane S. 67—677.
^ In älterer Zeit haben sich Ivo und Andere gegei die AViederholung aus-
gesprochen. Vom Lombarden ab gilt die Wiederholung,ibei\ nicht bei einer und
derselben Krankheit.
^ Thomas, 1. c. Q.. 30 Art. 1 : „Principalis effectus huis sacramenti est remissio
peccatorum, quoad reliquias peccati (was heisst das?), et x consequenti etiam quoad
culpam, si eam inveniat." Art. 2: „Ex hoc sacramento on semper sequitur corpo-
ralis sanatio, sed quando expedit ad spiritualem sanatiaem. Et timc semper eam
inducit, dummodo non sit impedimentum ex parte rec'ientis" ; vgl. die zusammen-
fassende Beschreibung des Sacraments in der Bulle hgen's IV. (Mansi XXXI
p. 1058).
^ An sich war es schon sehr zweckmässig, ein bt^nderes Sterbesacrament ein-
zuführen und dadurch den Sterbemuth zu erhöhen Verstärkt wurde dies durch
den Ritus, die einzelnen Glieder zu salben und so dfi Kranken drastisch zu zeigen,
dass die Glieder, mit denen er gesündigt, entsült seien. Die Kirche hat auch
hier, wie beim Firmungssacrament, den MensclA die Bedürfnisse nach etwas
„Objectivem" abgelauscht, statt sie ohne Ceremoi^u zn Christus zu führen,
^ Thomas P. III Suppl. Q. 34—40. Schwab S. 677—685,
Die letzte Oelung. Die Ordination. 521
lediglich zur Selbstverherrlicliimg in das sacramentale Gnadensystem
eingestellt hat. Die forma sind die Worte: „accipc potestatem offerendi
etc.", die materia kann sinnlich nicht sicher nachgewiesen werden; aber
Thomas machte hier aus der Noth eine Tugend, und die Anderen sind
ihm gefolgt : gerade aus der Unsicherheit wird die hierarchische Art des
Sacraments bewiesen ^ Der Eine dachte an die Gefässe oder Sinnbilder,
durch welche die hierarchischen Functionen bezeichnet wurden (Thomas),
der Andere an die Handauflegung. Jenes ist von Eugen IV. in der
Bulle „Exultate" (1. c.) behauptet worden. Der Spender ist allein der
Bischof. Hier erhoben sich jedoch viele, zumTheil tief in das Kirchenrecht
und die kirchhche Praxis, indirect auch in die Dogmatik einschneidende
Fragen, die nur markirt sein sollen, 1) über die sieben Weihen (ordines)
und ihr Verhältniss (der Papst kann auch einen gewöhnlichen Priester
mit der Weihe der niederen Ordines beauftragen), 2) über das Ver-
hältniss der Priester- und Bischofsweihe (inwiefern ist der Bischof dem
Priester überlegen ? iure divino ?), 3) — und das war die wichtigste
Frage — über die Giltigkeit von Weihen, welche von schismatischen
oder häretischen Bischöfen ertheilt worden sind. Schon vom donatisti-
schen Streit her herrschte hier eine Controverse, die in der Kirche in
der Regel im liberalen Sinn entschieden wurde, dass nämlich solche
Weihen zwar unerlaubt, d. h. in ihren praktischen Folgen nichtig, nicht
aber ungiltig seien. Dagegen behauptete der Lombarde, dass kein
Häretiker die Firmung, Eucharistie und Priesterweihe giltig verwalten
könne. Seitdem herrschte unter den scholastischen Theologen grosses
' Q. 34 Art. 3: „Sacramentum nihil est aliud quam quacdam sanctificatio
homini exhibita cum aliquo signo visibili. Unde cum in susceptionc ordinis quac-
dam consecratio homini exhibeatur per visibilia signa, constat ordinem esse sacra-
mentum." Art. 5: „Materia in sacramentis cxterius adhibita significat virtutem in
sacramcntis agentem ex intrinscco omnino advcnire. Unde cum cfFectus proprius
huius sacramenti, seil, character, nou percipiatur ex aliqua operatione ipsius qui ad
sacramentum accedit, sicut erat in paenitentia, sed omnino ex intrinscco adveniat,
competit ei materiam habere, tamen diversimode ab aliis sacramentis (juae materiam
habent. C^uiahoc quodconfertur in aliis sacramentis, derivaturtantum
a deo, non a ministro, qui sacramentum dispensat, sed illud quod
in hoc sacramento traditur, seil, spiritualis potestas, derivatur etiam
ab eo qui sacramentum dat, sicut potestas imperfecta a perfecta.
Et ideo efficacia aliorum sacramcntorum principalitcr cousistit in
materia, quae virtutem divinam et significat et continet, ex sancti-
ficationc per ministrum adhibita. Sed efficacia huius sacramcnti
principalitcr residet penes cum, ({ui sacramentum dispensat, materia
autem adhibotiir magis ad dcmonstraiidam i)otestatem, quae traditur particularitcr
ab habente cam complcte, quam ad potestatem causandam, quod patet ex hoc, quod
materia competit usui potestatis."
522 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Schwanken ; doch neigte man sich mehr der liberaleren Auffassung zu,
nur das ßusssacranient ausnehmend. Allein die Päjoste haben im
Mittelalter sehr oft die Weihen missliehiger Bischöfe oder der Gegen-
päpste für gänzlich ungiltig erklärt. AVas den Effect dieses Sacraments
betrifft, so ist liier der (Miar akter die Hauptsache \ Er besteht in
der Uebertragung des Rechts, die Sacramente zu spenden'-^, die Sün-
den zu vergeben, als Richter zu functioniren und Mittler zwischen
Gott und Menschen zu sein ^. Andererseits werden aber wiederum
von Einigen alle sieben Ordines Sacramente genannt (bei Anderen gel-
ten sie nur als Sacramentalien) , indess wird hinzugefügt, dass nur
der Diakonat und der Presbyterat auf der Einsetzung durch Christus
beruhen. Den Episkopat konnte man nicht mehr als besonderen ordo
zählen, weil die Ueberlieferung es verbot; allein man bemühte sich,
ihm doch eine besondere, von Christus geordnete höhere Stellung über
dem gewöhnlichen Priesterthum anzuweisen und begründete dieselbe
nicht aus der sacramentalen, sondern aus der jurisdictionellen Gewalt.
Duns Scotus hat übrigens die Lelire angebahnt, dass die bischöfliche
Consecratiou ein besonderes Sacrament sei.
7. Die Elie^. Wie das vorige Sacrament, so greift auch dieses
in den Einzelfragen in das Bjrchenrecht hinüber, nur dass diese
Fragen zehnfach zahlreicher sind als dort. Die Zweckmässigkeit, die
Ehe für ein Sacrament zu erklären und damit diese Grundlage der
Gesellschaft vor das kirchliche Forum zu ziehen, leuchtet ein. Eben
desshalb übersah man auch die Durchlöcherung des allgemeinen Sacra-
mentsbegriffs, welche das Ehesacrament zur Folge hat. Die Ehe hat
Gott schon im Paradies zur Fortpflanzung des Menschengescldechts
(und darum ad officium) eingesetzt und zwar als unauflöslich; aber nach
Thomas hat sie erst Christus zum Sacrament erhoben, indem er sie
' Also nicht ein dem Individuum gegebenes Heilsgut-, denn der ordo dient der
Kirche (Thomas Q. 35 A. 1). Auch hier ist die Lehre von der sacramentalen Gnade
(participatio divinae naturae) durchlöchert, ja Thomas sagt geradezu Q. 34 Art. 2:
„unde relinquitur, quod ipse character interior sit essentialiter et principaliter ipsum
sacramentum ordinis ! "
^ Dabei ist die Verwaltung der Messe die Hauptsache ; sie allein ist in der
Weiheformel genannt.
^ Der Lombarde, Sent. IV Dist. 24 1: „Sacerdos nomen habet compositum
ex Graeco et Latino, quod est sacrum dans sive sacer dux. Sicut enim rex a regendo,
ita sacerdos a sacrando dictus est, consecrat enim et sanctificat." Daneben wurde
wohl auch Lehrbefähigung genannt und für die Person des Priesters ein undefinir-
bares „amplius gratiae munus, per quod ad maiora redduntur idonei" (Thomas Q. 35
Art. 1). In der Bulle „Exidtate** (Mansi 1. c. p. 1058) heisst es: „Efl'ectus augmeu-
tum gratiae, ut quis sit idoneus minister."
^ Thomas P. III Suppl. Q. 41—68, Schwane S. 685—693.
Das Sacrament der Ehe. 523
zum Abbild seiner Verbindung mit der Kirche machte, das Gesetz der
Unauflöslichkeit dadurch neu begründete und auch eine Heiligungs-
gabe mit der Ehe verband \ Sofern sie auch die Fortpflanzung inner-
halb der Kirche besorgt, ist ihr sacramentaler Charakter bereits ge-
rechtfertigt^; aber neben dem sacramentalen Effect hat die Ehe seit
dem Sündenfall doch auch den Charakter einer Indulgenz als remedium
gegen die sich aufbäumenden Gelüste des Fleisches^. Ferner wird zu-
gestanden, dass die Ehe unter allen Sacrament en „minimum de spiri-
tuahtate" habe^, daher an letzter Stelle stehe und das ehelose Leben
vorzuziehen sei. Die Untersuchung der Frage, ob die copula carnaHs,
resp. das Recht, das debitum coniugale zu fordern, zum Wesen der Ehe
gehöre, musste mit Rücksicht auf die Josephsehe behandelt werden.
Hier kam man, da man jenes Recht aus dem "Wesen der Ehe nicht
ausschhessen wollte (die Geltendmachung des Rechts gehört nicht
zum Wesen), zu der interessanten Frage, ob Maria nicht, als sie die
Ehe mit Joseph schloss, bedingt in eine mögliche Geltendmachung
des Eherechts seitens Josephs habe einwilligen müssen. Der Lombarde
bejahte diese Frage noch ^^ allein schon Bonaventura fand einen anderen
Ausweg^. Ueber materia und forma herrschte das grösste Schwanken.
Doch hat man im IVIittelalter nicht daran gezweifelt, dass das entschei-
dende äussere Zeichen der ausgesprochene Consensus der Ehegatten
sei "', die priesterliche Einsegnung galt nur als ein Sacramentale, nicht als
das Sacrament ^. Einen effectiven geisthchen Charakter suchten zwar
^ Thomas 1. c. Q. 41 A. 1; 42 A. 2. 3. In der Art, wie der Lombarde die ehe-
liche Verbindung als sacramentale beschreibt, liegt ein schöner Beweis vor für das
letzte Interesse des abendländischen nachaiigustinischcu Katholicismus , sofern er
durch den Gedanken der conformitas naturae divinac und der Caritas zugleich be-
stimmt ist, Sentent. IV Dist. 26 F : „Ut inter coniuges coniunctio est secuudum
consensum animorum et sccundum permixtionem corporum, sie ecclesia Christo
copulatur voluntate et natura, qua idem vult cum eo, et ipsa formam sumpsit de
natura hominis. Copulata est ergo spousa sponso spiritualiter et corporaliter, i. e.
caritate et conformitate naturae. Huius utriusquc copulae figura est in coniugio.
Consensus enim coniugum copulam spiritualem Christi et ecclesiae, quae fit per
caritatem , significat ; commixtio vcro sexuum illam significat, quae lit per naturae
conformitatem."
2 Thomas P. III Q. 65 A. 4. » Thomas Q. 42 A. 2.
^ Thomas P. III Q. 65 A. 2. * Sentent. IV Dist. 30 B.
« S. Schwane S. 688.
^ Thomas Q. 42 Art. 1: „Verba cjuibus consensus matrimonialis exprimitur
sunt forma huius sacramenti." Dazu : „Sacramenturri matrimonii perficitur per actum
eiu8, qui sacramento illo utitur, sicut paenitentia. Et idco sicut paeniteutia non
habet aliam materiam nisi ipsos actus scnsui subiectos, qui sunt loco materialis ele-
menti, ita est de matrimonio."
" Thomas (^. 42 Art. 1 : „beuedictio saccrdotis est quoddam sacramentale."
524 Geschichte des Dogmas i|ii Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
manche Scholastiker herauszupressen, aber die Meisten nahmen nur eine
ganz un})estitnmte Heili«i;ungsj^na(lo an '. Dagegen leugnete Duriindus das
opus operatuni (die Heiligungsgnade) ganz, indem er sagte, die Ehe be-
deute nur etwas Heiliges (Vereinigung der Kirche mit Christus)'-^. Jene
excessive Annahme einer Heiligungsgnade steht in schreiendem G egensatz
zu der Ansicht, die man von Augustin entnahm, dass die copula carnalis in
der Ehe , weil materiell von der copula carnalis fornicatoria nicht ver-
schieden, so sehr mit Sünde behaftet sei, dass zwar nicht der gewährende
Ehegatte, wohl aber der fordernde, auch wenn es aus der Absicht
geschehe, ein adulterium zu vermeiden, sündige^. Während also das
Sacramentin dem ausgesprochenen Consensus besteht, mit einer
Person anderen Geschlechts in die Ehe zu treten und damit das Recht
des debitum coniugale impHcite mitgesetzt ist, soll die Geltendmachung
dieses „sacramentalen" Rechtes eine Sünde sein!'* In der Bulle
Eugen's IV. (1. c.) findet sich wiederum eine kurze zweckmässige Zu-
sammenfassung^.
In der Sacramentslehre war Thomas im Mittelalter der mass-
gebende Doctor, und er ist es bis heute in der katholischen Kirche
geblieben. Thomas aber ging, soweit es das neue Kirchenthum irgend
zuhess, auf Augustin zurück. Allein wie sehr schon bei ihm die Lehre
von der gratia gratis data beeinflusst ist durch die Rücksicht auf die
1 Thomas Q. 42 Art. 3. =* S. Schwane S. 689.
' So Bonaventura und Thomas, Q. 49 Art. 4 — 6, bes. den Art. 5 : „utrum actus
matrimonialis excusari possit sine bonis matrimonii." Hier wird u. A. gesagt: „si
aliquis per actum matrimonii intendat vitare fornicationem in coniuge , nön est
aliquod peccatum; . . . sed si intendat vitare fornicationem in se . . . hoc est pecca-
tum veniale."
* Die Widersprüche sind hier bei Thomas sehr gross; denn andererseits wird
1. c. Art. 4 gesagt, dass proles, fides und sacramentum den Eheact nicht nur ent-
schuldigen, sondern heiligen. Dazu in sentent. Dist. 26 Q. 2 Art. 3: „Cum in matri-
monio datur homini ex divina institutione facultas utendi sua uxore ad procreatio-
nem prolis, datur etiam gratia, sine qua id convenienter facere non posset."
^ „Septimum est sacramentum matrimonii, quod est signum coniunctionis
Christi et ecclesiae secundum apostolum. Causa efficiens matrimonii regulariter est
mutuus consensus per verba de praesenti expressus. Adsignatur auteni triplex
bonum matrimonii. Primum est proles suscipienda et educanda ad cultum dei.
Secundum est fides quam unus coniugum alteri servare debet. Tertium indivisibilitas
matrimonii, propter hoc quod significat indivisibilem coniunctionem Christi et eccle-
siae. Quamvis autem ex causa fornicationis liceat tori separationem facere, non
tarnen aliud matrimonium contrahere fas est, cum matrimonii vincuhnu legitime
contracti perpetuum sit." AVie stark noch im 14. Jahrhundert die Abneigung der
scotistischen Theologen gewesen ist, die Ehe als volles Sacrament zu betrachten,
darüber s. Werner II S. 424 ff. (gegen Durandus Aureolus).
Zersetzung des Augustinismus. 525
Lehre, dass Gott mit uns nach unseren Verdiensten handelt, wie diese
Betrachtung, die Augustin nicht ganz ausgetilgt hatte, fortgewirkt hat,
das zeigt bereits die Sacramentslehre des Thomas sehr deutlich. Der
ernste, wahrhaft religiöse Sinn, der ihn auszeichnet, wird fort und fort
geschwächt und abgelenkt durch die Rücksicht auf das Giltige. Allein
das ist freilich nicht die einzige Schwäche. Mindestens ebenso ver-
derblich wirkte die consequente Fassung der Gnade als eines physi-
schen geheimnissvollen Actes und als einer Mittheilung dinglicher
Güter. Auch das stammte von Augustin, und auch das hat in seiner
consequenten Durchführung den Augustinismus zersetzt: die Zer-
setzung des Augustinismus ist wesentlich nicht von
Aussen erfolgt; sie ist zu einem grossen Theil das Ergeb-
nisseiner inneren Entwickelung. Die drei Elemente, welche
Augustin in und neben seiner Gnadenlehre hatte bestehen lassen, das
Element des Verdienstes, das Element der gratia infusa
und das hierarchisch-priesterliche Element, wirkten so lange
fort, bis sie die augustinische Denkweise völhg umgebildet hatten.
Aber — wie wir gesehen haben — schon in Gregor dem Grossen ist
das vorgebildet, und andererseits ist der Process im Mittelalter noch
nicht zu seinem Ende gekommen. Die augustinische Reaction des
15. und 16. Jahrhunderts, welche sich zum Theil im Tridentinum nieder-
geschlagen hat, ist erst nach einem 300 jährigen Kampf im 19. Jahr-
hundert wieder vollständig beseitigt worden.
C. Die Bearbeitung des Augustinismus in der Rich-
tung auf die Lehre vom Verdienst.
Dass die aus der passio Christi fliessende Gnade das Fundament
der christlichen Religion ist und daher auch das A und O der christ-
lichen Theologie sein muss — dieser paulinisch-augustinische Grund-
gedanke ist von keinem kirchlichen Lehrer des Abendlandes direct
verleugnet worden \ Aber wie er an sich vieldeutig ist und ohne
bestimmte Interpretation die Reinheit der christlichen Rehgion keines-
wegs verbürgt — denn was ist die Gnade? Gott selbst in Christus oder
götthche Kräfte? und was wirkt die Gnade? Glauben oder eine
geheimnissvolle Qualität? — , so ist er auch, eben wenn die Wirkung
der (inade nur die „Besserung" sein soll, einer Bearbeitung fähig, die
ihn schliesslich aufliebt.
Der Lombarde — seiner Absicht gemäss, die Ucberlieferung wieder-
zugeben — beschränkte sich darauf, die augustinischen Sätze über die
* Der Satz dos Tronäus (TTT, 18, 6): „si non vorn passusc'st, nulla gratia oi, cum
nulla fucrit i)a9sio", ist das streng festgclialtenc FuiidatiuMit des ganzen Cliristen-
thums und der ganzen Theologie des Abendlandes.
52(i (Toschichto des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. .Tahrh.
Gnade, die Prädestination und die Rechtfertigung (Glaube und Liebe)
genau zu wiederholen*. Allein sobald er Sätze über den freien Willen
anführt, lauten dieselben keineswegs augustinisch, vielmehr semipela-
gianisch; denn sie sind bereits beherrscht durch die Rücksicht auf
das Verdienst '^ Bei dieser Betrachtung rauss nämlich schliessHch
* Sentent. II Dist. 25 P.: „Liberias a peccato et a miseria per gratiam est;
libertas vero a necessitate per uaturanj. Utramque libertatem, naturae seil, et gratiae,
iiotat ai)ostolus oinii ex persona hominis non rcdempti ait: »Volle adiaeet mihi etc.«,
acsi diceret, habeo libertatem naturae, sed non habco libertatem gratiae, ideo non
est apud me perfectio boni. Nam voluntas hominis, quam naturaliter habet, non
valet erigi ad bonum efficaciter volendum, vel opere impleudum, nisi per gratiam
liberetur et adiuvetur: liberetur quidem, ut velit, et adiuvetur, ut perficiat . . . dei
gratiam non advocat hominis voluntas vel operatio, sed ipsa gratia voluntatem
praevenit praeparando ut velit bonum et praeparatam adiuvat ut perficiat." Er
wiederholt auch die augustinische Prädestinationslehre (I Dist. 40 D) correct:
Gott erwählt nicht auf Grund der Präscienz , sondern die Erwählung bewirkt erst
die Verdienste. Er verwirft praescientia iniquitatis quorundam: „reprobatio dei,
qua ab aeterno non eligendo quosdam reprobavit, secundum duo consideratur,
quorum alterum praescit et non praeparat i. e. iniquitatem, alterum praescit et
praeparat, seil, aeternam poenam." Die Verwerfung ruht auf dem geheimnissvollen,
aber gerechten Entschluss, Einigen Barmherzigkeit nicht zu erweisen; ihre Folge
ist die Verstockung. Die Hauptsätze des Lombarden über Glauben, Liebe und
"Werke sind : III Dist. 23 D : „credere deo est credere vera esse quae loquitur, quod et
mali faciunt . . . ; credere deum est credere quod ipse sit deus, quod etiam mali faciunt;
credere in deum est c red endo amare, credendo in eum ire, credendo ei adhaerere
et eins membris incorporari: per hanc fidem iustificatur impius" (wörtlich
nach Augustin). Ebenso unterscheidet er nach Augustin bei dem Glauben id quod
und id quo creditur (1. c. sub C). Das letztere, der subjective Glaube, ist, sofern er
virtus und sofern er nicht virtus ist, zu unterscheiden. Der Glaube, sofern ihm noch
die Liebe fehlt, ist fides informis (keine Tugend). Alle Thaten ohne Glauben er-
mangeln des Guten, 11 Dist. 41 A: „cum intentio bonum opus faciatet fides inten-
tionem dirigat, non immerito quaeri potest, utrum omnis intentio omneque opus
illorum malum sit, qui fidem non habent? . . . Quod a quibusdam non irrationabiliter
astruitur, qui dicunt omnes actiones et voluntates hominis sine fide malas esse . . .
Quae ergo sine fide fiunt, bona non sunt, quia omne bonum deo placet." II Dist. 26 A :
„Operans gratia est, quae praevenit voluntatem bonam; ea enim liberatur et praepa-
ratur hominis voluntas, ut sit bona bonumque efficaciter velit; cooperans vero gratia
voluntatem iam ])onam sequitur adiuvaudo . . . Voluntas hominis gratia dei prae-
venitur atque praeparatur, ut fiat bona, non ut fiat voluntas, quia et ante gratiam
voluntas erat, sed non erat bona et recta voluntas." Wiederholt wird gesagt, dass
die gratia in der Einflössung der fides cum caritate (dem hl. Geist) besteht und dass
damit die Verdienste des Menschen erst beoinnen ; somit sei die iustitia als bona
qualitas mentis (virtus, qua recte vivitur) ganz und gar ein AVerk Gottes.
2 Sentent. II Dist. 24 C: „Liberum arbitrium est facultas rationis et voluntatis,
qua bonum eligitur gratia assistente vel malum eadem desistente." II Dist. 27 (t :
„Cum ex gratia dicuntur esse bona merita et incipere . . . , gratia gratis data intel-
ligitur, ex qua bona merita incipiunt. Quae cum ex sola gratia esse dicantur, non
Zersetzung des Augustinismus. 527
immer ein Punkt gefunden werden, der es ermöglicht, der selb-
ständigen Action des Menschen Gott gegenüber einen Werth bei-
zulegen. Der Widerspruch aber, der bei dem Lombarden in der
Lehre von der Gnade verglichen mit der Lehre von der Freiheit
deutlich hervortritt, herrscht ebenso bei den Theologen vor ihm, ja
er tritt bei ihnen noch stärker — am stärksten bei Abälard — her-
vor \ Bemerkenswerth ist noch die specielle Auffassung des Lom-
excluditur liberum arbitrium, quia nullum meritum est in homine, quod
non fit per liberum arbitrium." II Dist. 26 G: „Ante gratiam praevenientem
et operantem, qua voluntas bona praeparatur in homine, praecedere quaedam bona
ex dei gratia et libero arbitrio, quaedam etiam ex solo libero arbitrio, quibus tamen
vita non meretur, nee gratia, qua iustificatur." II Dist. 27 J: „Cum dicitur fides
mereri iustificationem et vitam aeternam, ex ea ratione dictum accipitur, quia per
actum fidei meretur illa. Similiter de caritate et iustitia et de aliis accipitur. Si
enim fides ipsa virtus praeveniens diceretur esse mentis actus qui est meritum, iam
ipsa ex libero arbitrio originem haberet, quod quia non est, sie dicitur esse meritum,
quia actus eius est meritum, si tamen adsit Caritas, sine qua nee credere nee sperare
meritum vitae est. Unde apparet vere quia Caritas est spiritus s., qui animae
qualitates informat et sanctificat, ut eis anima informetur et sanctificetur, sine qua
animae qualitas non dicitur virtus, quia non valet sanare animam." II Dist. 41 C:
„Nullus dei gratiam mereri potest, per quam iustificatur, potest tamen mereri, ut
penitus abiciatur. Et quidem aliqui in tantum profundum iniquitatis devenerunt, ut
hoc mereantur, ut hoc digni sint; alii vero itavivunt, ut etsi non mereantur gratiam
iustificationis, non tamen mereantur omnino repelli et gratiam sibi subtrahi."
* Bei Anselm (Dialog, de lib. arb.), Bernhard (de gratia et lib. arb.) und Hugo
sind die augustinischen Sätze von der Gnade repetirt, aber die Ausführungen über
den freien Willen sind zum Theil noch unsicherer als bei dem Lombarden. Nach
Anselm ist zwar die rectitudo liberi arbitrii verschwunden, aber die potestas servandi
rectitudinem ist geblieben; s. c. 3: „liberum arbitrium non est aliud, quam arbitrium
potens servare rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem." Die ratio und
das Willensvermögen ist geblieben, und so gleichen die Menschen nach dem Sünden-
fall Solchen, die zwar Augen haben und sehen können, denen aber das Object ent-
schwunden ist (c. 4). Die libertas arbitrii wird von ihm also 1) formal bestimmt
(ratio et voluntas tenendi), 2) aber auch material, sofern eben die voluntas tenendi
geblieben ist. Nach Bernhard (c. 8) gehört zum freien Willen nicht das posse vel
sapere, sondern nur das velle; dieses a])er ist geblieben : „manet igitur post peccatum
liberum arbitrium, etsi miserum, tamen integrum . . . non ergo si creatura potens aut
sapiens, sed tantum si volens esse desierit, liberum arbitrium amisisse putanda erit."
Hugo entfernt sich in dieser formalen Beschreibung des freien Willens noch weiter
von Augustin; denn dies ist ja das Charakteristische dieser verhängnissvollen Ent-
wickelung, dass an die Stelle d(!r religiösen Betrachtung Augustin's, nach welcher
die Freiheit beata necessitas ist, eine empirisch-psychologische gesetzt wird, welche
die Religion gar nichts angeht und doch die religiöse Betrachtung nun beeinflusst.
„Voluntar! semper a necessitate lil)era est" : dieser Satz wird wieder zu einem Fun-
dament in der Religionslehre gemacht. Ueber Abälard's Lehre s. Deutsch, a.a. O.
S. 319 ff., der namentlich die bedenkliche Seite an dem von Abälard hervorgehobenen
528 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden l)ifi zum 16. Jahrh.
barden von der heilig machenden Gnade, dass sie niünlicli mit dem
hl. Geist geradezu identisch sei. Seine Meinung ist die, dass, wäh-
rend alle anderen Tugenden durch Vermittelung eines eingegossenen
Habitus dem Menschen zu eigen werden, die Liebe direct in der
Seele durch Einwohnung des hl. Geistes entsteht, da sie der ein-
wohnende hl. Geist selbst ist. In dieser bemerkenswertlien Auf-
fassung liegt der Ansatz zu einer evangelischeren Haltung ; an die
Stelle des Habitus tritt die directe Thätigkeit des hl. Geistes selbst.
Eben desshalb hat diese Betrachtung * keine Nachfolger gefunden ;
ebensowenig die andere, dass man bei der Gnade die gratia gratis
dans (Gott selbst) und gratis data unterscheiden solle ^. Man wollte
nicht Gott selbst liaben, sondern göttliclie Kräfte, die zu mensch-
lichen Tugenden werden können.
Hier hegt der Grundfehler. Die Betrachtung ist im letzten Grunde
doch keine religiöse, sondern eine moralische. Das tritt selbst bei dem
Scholastiker deutlich hervor, den man den Theologen der Gnade par
excellence nennen kann, l)ei Thomas. Man kann, scheint es, die Gnade
nicht höher werthen, als er getlian hat: von G^ott zu Gott durch
die Gnade^ das ist das Thema seiner ganzen Dogmatik. Und doch
ist schliesslich die habituelle Tugend das, worauf es ankommt. Der ent-
scheidende Fehler ist schon von Augustin gemacht worden. Er liegt in
der gratia cooperans, welche von der gratia operans (praeveniens)
unterschieden wird. Diese schafft nicht die Rechtfertigung und die
Seligkeit, sondern jene. Jene aber ist nur mitwirkend; denn sie läuft
neben dem befreiten Willen her, und beide zusammen bewirken das Ver-
dienst, auf welches es ankommt. Aber warum kommt es auf das Ver-
dienst an? Weil der Theologe sich nicht vorzustellen vermag, dass vor
Gott etwas Anderes gelten kann als eine in einem Habitus sich darstel-
lende Besserung. Das ist aber nicht vom Standpunkt der Religion
Begriff der intentio beleuchtet imd zeigt, wie der Intellectualismus des Theologen
mit der ü])erlieferten Lehre von der Erbsünde im Streit liegt.
* S.IIDist.27 J(s.o. S.527Anm.); IDist.l7B: „Ipse idem spiritus sanctusest
amor sive Caritas, qua nos diligimus deum et proximum, quae Caritas cum ita est in
nobis, ut nos faciat diligere deum et proximum, tunc spiritus sanctus dicitur mitti
ac dari nobis." I Dist. 17 Q: „Alios actus atque motus virtutum operatur Caritas,
i. e. Spiritus s., mediantibus virtutibus quarum actus sunt, utpote actum üdei, i. e.
credere fide media, et actum spei, i. e. sperare media spe. Per fidem enim et spem
praedictos operatur actus. Diligendi vero actum per se tantum sine ali-
cuiusvirtutis medio operatur. Aliter ergo hunc actum operatur quam alios
virtutum actus."
'^ Sentent. II Dist. 27 G : „Cum ex gratia dicuntur esse bona merita et incipere,
aut intelligitur gratia gratis dans i. e. deus, vel potius gratia gratis data, quae voluu-
tatem hominis praevenit."
Die Gnadenlehre der Scholastik. Principielles. 529
gedacht; sondern vom Standpunkt der Moral, oder soll man ein ange-
fochtenes Gewissen damit trösten, dass es allmählich schon zum hahitus
der Caritas kommen werde ? Man mag es ansehen wie man will — der
Glaube erscheint hier nur insofern bedeutungsvoll, als er die Einleitung
zur Erwerbung der Tugenden ist; die gratiapraeveniens wird zur Brücke,
die zur Moral überleitet. Aber letztlich liegt die Ursache, die zu diesem
Entwurf der Lehre geführt hat, noch tiefer; denn nothwendig muss
man fragen, warum wird die Gnade, die doch den ganzen Process be-
herrschen soll, intensiv so eng gefasst, dass sie das nicht allein und voll
zu bewirken vermag, was sie bezweckt ? Die Antwort auf diese Frage
darf nicht nur lauten : um den Gedanken eines willkürlichen Verfahrens
Gottes zu beseitigen — denn auch sonst zog man sich auf den dunklen
Willen Gottes zurück. Auch genügt es nicht, zu sagen, dass der sitt-
liche Grundsatz, ein Jeder empfange, darnach er gehandelt hat, hier
den Ausschlag gegeben habe — dieser wirkte mit, war aber nicht
allein wirksam. Vielmehr ist es letztlich der Begriff von
Gott und von der Gnade selbst, der keine andere
Entscheidung zugelassen hat. Es ist die Persönlichkeit
nicht erkannt, weder die Persönlichkeit Gottes, noch der Mensch
als P e r s 0 n. Wenn schon in irdischen Verhältnissen der Mensch
nicht anders auf eine höhere Stufe erhoben werden kann, als dass
er in einer ihm übergeordneteren, reiferen und grösseren Person auf-
geht, d. h. in eine geistige Gemeinschaft mit ihr tritt und in Ehr-
furcht, Liebe und Vertrauen sich ihr anschhesst, so gilt dasselbe,
aber in unvergleichlicher Weise, von der Erhebung des Menschen
aus der Sphäre der Sünde und Schuld in die Sphäre Gottes. Hier
helfen keine dinglichen Mittheilungen, sondern nur die Gemeinschaft
von Person zu Person: dass es der Seele aufgeht, der heihge Gott,
der Himmel und Erde regiert, sei ihr Vater, mit dem sie leben
kann und darf, wie das Kind im Vaterhaus, das ist die Gnade,
ja das ist allein die Gnade, nämlich die auf der Gewissheit, dass
die trennende Schuld weggeräumt ist, ruhende Glaubenszuversicht
zu Gott. Das hat Augustin so wenig erkannt, wie Thomas, und das
haben auch die mittelalterlichen Mystiker nicht erkannt, die mit
Christus verkehren wollten wie mit einem Freunde ; denn sie dachten
dabei an den Menschen Jesus. Sie alle aber, wenn sie an Gott
denken, blicken nicht auf das Herz Gottes, sondern auf ein uner-
gründliches Wesen, das, wie es die Welt aus dem Nichts geschaffen
hat, so auch überschwängliclie Kräfte zur Erkenntniss und wesen-
haften Umformung hervorgehen lässt. Und wenn sie an sich selber
denken, denken sie nicht an das (Jentrum des menschlichen Ichs,
Harnarik, Dogmengescliiclilf III. 34
530 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zmn 16. Jahrh.
den Geist, der so frei und so hoch ist, dass man ihn mit dinglichen
Gütern, seien es auch die grössten Erkenntnisse und das herrhchste
Gewand, nicht zu beeinflussen vermag, und zugleich so haltlos in
sich, dass er nur in einer anderen Person Halt gewinnen kann.
Darum haben sie den Ansatz gemacht: Gott und die gratia
(d. h. die Erkenntniss und der Antheil an der göttlichen Natur),
statt der persönlichen Gemeinschaft mit Gott, welcher die gratia
ist. Jene im Ansatz nur wenig von Gott getrennte gratia entfernt
sich im Fortgang immer weiter von ihm. Sie erscheint im Verdienst
Christi und dann in den Sacramenten niedergelegt. Aber in dem
Masse, als sie unpersönlicher, dinghcher und äusserhcher wird, wird
auch die Zuversicht zu ihr geschwächt, bis sie endlich zum magischen
Mittel wird, welches die ruhende, gute Action des Menschen in
Thätigkeit setzt und die stockende Maschine zur Arbeit bringt, damit
sie dann ihr Werk thue und durch ihr Werk vor Gott bestehe. Man
sieht deutlich — es kommt zuletzt Alles auf den Gottesbegriff an.
In der gratia cooperans ist jener Gottesbegriff enthüllt, nach welchem
Gott nicht als der heihge Herr dem schuldigen Menschen und als
der Vater Jesu Christi seinem Kinde gegenübersteht, sondern nach
welchem Gott als die unergründUche Macht dem Menschen mit der
Erkenntniss und mit geheimen Naturwirkungen zu Hülfe kommt,
damit er durch Liebe und Tugend eine selbständige Geltung vor ihm
gewinne. Bei Thomas ist es der augustinische Int eile ctualismus, eng
verbunden mit der Lehre von der Vergottung, der schliessHch die
Auffassung von Gott und von der Gnade bestimmt. Bei den späteren
Scholastikern ist der Intellectualismus überwunden und ein schöner
Ansatz gemacht, auf den Willen und damit auf die Persönlichkeit
zu reflectiren. Aber da es bei dem Ansatz bleibt, so erscheint schliess-
lich im Nominalismus die Gnade lediglich ausgehöhlt zu einer inhalts-
losen magischen Kraft. Wo das Einfachste und Schwerste nicht ge-
troffen wird, die Kindschaft und der Glaube gegenüber der Schuld der
Sünde, da ist die Frömmigkeit und die Speculation dazu verurtheilt, die
Physis und die Moral (die natura divina und das bonum esse) in un-
endlichen Speculationen zu behandeln, in der Verbindung dieser beiden
Elemente die gratia zu erkennen, um schliesslich, wenn der Verstand er-
wacht ist und seine Grenzen erkennt, bei dem blossen aliquid imd einer sich
selbst unterbietenden Moral zu endigen. DiesesEnde entspricht dem Gott,
der die unergründHcheWillkür ist und ebendesshalb ehi unergründhch will-
kürliches Gnadeninstitut als Lebensversicherungsanstalt errichtet hat.
Die Grundzüge der Gnadenlehre des Thomas sind folgende : *
* Ueber das allgemeine Schema, in welches Thomas seine Gnadeiilehre ein-
Die Gnadenlehre des Thomas. 531
die äusseren Principien des sittlichen Handelns sind das Gesetz
und die Gnade (Summa II, 1 Q. 90) : „Principium exterius movens
ad bonum est deus, qui et nos instruit per legem et iuvat per gra-
tiam." Q. 90—108 wird vom Gesetz gehandelt und in Q. 107 Art. 4
behauptet, dass, wenn auch das neue Gesetz leichter sei in Bezug
auf die äusseren Gebote, es doch schwerer sei in Bezug auf die
cohibitio interiorum motuum ^ Q. 109 — 114 folgt die Gnadenlehre.
Thomas handelt zuerst (Q. 109) von der Nothwendigkeit der Gnade.
Art. 1 wird festgestellt, dass es unmöglich sei, ohne Gnade irgend
eine Wahrheit zu erkennen. Die Ausführung ist desshalb höchst
bemerkenswerth, weil sie sehr stark von aristotelischen Einflüssen be-
stimmt ist^. Zugleich tritt hier sofort der InteUeCtualismus des
Thomas aufs deutlichste hervor: die Gnade ist die Mittheilung über-
natürlicher Erkenntniss; das lumen gratiae ist aber ferner „naturae
superadditum". In Beidem ist ein verhängniss voller Ansatz gesetzt;
gestellt hat und namentlich über die Bedeutung der Kirche als Correlat der Erlö-
sung s. Ritschi, Rechtfertigung 1. Bd. 2. Aufl. S. 86 ff. Dass auf die specifische
Art der Gnade als gratia Christi in der ganzen Darlegung keine Rücksicht genommen
ist, ist das Verwunderlichste bei Thomas.
^ „Quantum ad opera virtutum in interioribus actibus praecepta novae legis
sunt graviora praeceptis veteris legis." Die späteren Scholastiker haben diesen
Satz zwar nicht direct beanstandet, aber behauptet, durch die Sacramente würde
die mangelhafte Erfüllung der Grebote des neuen Gesetzes ergänzt.
* „Cognoscere veritatem est usus quidam vel actus intellectualis luminis
(„omne quod manifestatur lumen est"), usus autem quilibet quendam motum
importat . . . videmus autem in corporalibus, quod ad motum non solum requiritur
ipsa forma, quae est principium motus vel actionis, sed etiam requiritur motio primi
moventis. Primum autem movens in ordine corporalium est corpus caeleste". Dies
wird nun auf die motus spirituales angewendet, deren letzter Urheber also Gott sein
muss, ideo quantumcunque natura aliqua corporalis vel spiritualis ponatur perfecta,
non potest in suum actum procedere nisi moveatur a deo, quae quidem motio est
secundum suae providentiae rationem, non secundum necessitatem naturae, sicut
motio corporis coelestis. Non solum autem a deo est omnis motio, sicut a primo
movente, sed etiam ab ipso est omnis formalis perfectio, sicut a primo actu. Sic
igitur actio intellectus et cuiuscunque cutis crcati dcpendet et a deo quantum ad duo.
Uno modo in quantum ab ipso habet perfectionem sive formam per quam agit, alio
modo in quantum ab ipso movetur ad agendum. Intellectus humanus habet aliquam
formam, seil, ipsum intelligibile lumen, quod est de se sufficiens ad quaedam intelli-
gibilia cognoscenda .... altiora vero intelligibilia intellectus humanus cognoscere
non potest, nisi fortiori luminc perficiatur . . . quod dicitur luinen gratiae, in quan-
tum est naturae superadditum. Sic igitur dicendum est, quod ad cognitionem cuius-
cunque veri homo indigct auxilio divino, ut intellectus a deo moveatur ad suum
actum, non autem indiget ad cognoscendam veritatem in omnibus nova illustratione
superaddita natural! illustrationi, sed in quil>usdarn (juae excedunt naturalem cogni-
tionem."
34*
532 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
denn was superadclitum ist, ist niclit 7Air Vollendung des Zwecks des
Menschen nothwendig, sondern ragt über denselben hinaus, kann also
auch fehlen, oder begründet, wenn es vorhanden ist, einen über-
menschlichen Wertli, daher ein Verdienst. Nun erst im 2. Art. wird
das Verhältniss der Gnade zu dem sittlich Guten besprochen. Hier
zeigt sich sofort die Folge des „superadditum". Dem Menschen
im Zustande der Integrität wird nämlich die Fähigkeit beigelegt,
aus eigenen Kräften das bonum suae naturae proportionatum zu thun
— Gott konnnt hier nur wie überall als primus movens in Be-
tracht — ; der göttlichen Hülfe bedurfte er jedoch, um ein merito-
risches bonum superexcedens zu gewinnen. Nach dem Falle aber be-
darf er zu Beidem der Gnade, die zuerst seine Natur wieder heilen
muss. Somit ist ihm hier eine doppelte Gnade nöthig. Damit ist
schon die Unterscheidung der gratia operans und cooperans fixirt,
und zugleich ist als das Ziel des Menschen ein übernatür-
licher Zustand ins Auge gefasst, den man nur mit Hülfe
der zweiten Gnade, welche Verdienste schafft, zu er-
reichen vermag ^ Im 3. Art. wird die Frage, ob der Mensch ohne
Gnade Gott über Alles lieben könne, in der gleichen Weise behandelt:
die Natur vor dem Fall vermag das wohl; denn es ist „quiddam
connaturali homini" ; allein nach dem Fall vermag sie es nicht.
„Homo in statu naturae integrae non indigebat dono gratiae su-
peradditae naturalibus bonis ad diligendum deum naturaliter super
omnia, licet indigeret auxilio dei ad hoc eum moventis, sed in statu
naturae corruptae indiget homo etiam ad hoc auxilio gratiae naturam
sanantis"^. Im 5. Art. heisst es in Bezug auf die Frage, ob der
Mensch ohne Gnade das ewige Leben verdienen könne, dass jede Na-
^ „In statu naturae integrae quantum ad sufficientiam operativae virtutis
poterat homo per sua naturalia velle et operari bonum suae naturae proportionatum,
quäle est bonum virtutis acquisitae, non autem bonum superexcedens, quäle est
bonum virtutis infusae; sed in statu naturae corruptae etiam deficit homo ab hoc,
quod secundum suam naturam potest, ut non possit totum huiusmodi bonum implere
per sua naturalia. Quia tamen natura humana per peccatum non est totaliter cor-
rupta, ut seil, tanto bono naturae privetur, potest quidem etiam in statu naturae
corruptae per virtutem suae naturae aliquod l)onum particulare agere, non tamen
totum bonum sibi connaturale." Er muss auxilio medicinae geheilt werden. „Sic
igitur virtute gratuita superaddita virtuti naturae indiget homo in
statu naturae integrae, quantum ad unum seil, ad operandum et
volendum bonum supernaturale, sed in statu natu rae corruptae quan-
tum ad duo, seil, ut sanetur et ulterius ut bonum superuaturalis
virtutis operetur, quod est meritorium."
'^ Im 4. Art. wird in gleicher Weise von der Erfüllung des Gesetzes Gottes
Sfehandelt.
1
Die Gnadenlehre des Thomas. 533
tur durch ihre Action nur einen Effect zu Wege bringen könne, der
ihrer Kraft proportional sei. „Vita autem aeterna est finis
excedens proportionem naturae humanae; daher könne der
Mensch aus seinen Kräften nicht meritorische Werke hervorbringen,
die dem ewigen Leben proportional seien. Ideo sine gratia
homo non potest mereri vitam aeternam." Von Verdiensten
de congruo wird hier nicht gesprochen, ja es wird im 6. Art. abge-
lehnt, dass der Mensch sich durch natürlich gute Acte auf diese
Gnade vorbereiten könne * ; wohl kommt die Bekehrung zu Gott im
freien Willen zu Stande, aber dieser kann sich nicht zu Gott kehren,
wenn Gott ihn nicht bekehrt; denn der Mensch vermag sich selb-
ständig aus dem Sündenstande nicht zu erheben ohne die Gnade ^,
kann auch in diesem Zustande nicht einmal die Todsünden sicher
meiden (Art. 8), ja selbst der Erlöste bedarf der Gnade, um nicht
in Sünden zu fallen ^ ; daher ist denn auch die Beharrlichkeit ein be-
sonderes Gnadengeschenk^.
^ „Quod homo convertatur ad deum, hoc non potest esse nisi deo ipsum con-
vertente, hoc autem est praeparare se ad gratiam, quasi ad deum converti . . . homo
non potest se praeparare ad lumen gratiae suscipiendum, nisi per auxilium gratuitum
dei interius moventis."
2 Art. 7: „Cum enim peccatum transiens actu, remaneat reatu, non est idem
resurgere a peccato, quod cessare ab actu peccati, sed resurgere a peccato est
reparari hominem ad ea quae peccando amisit." Die Sünde hat einen dreifachen
Schaden zur Folge, macula, corruptio naturalis boni, reatus culpae. Keine dieser
Folgen kann anders als durch Gott gehoben werden.
' Art. 9 : „Homo ad recte vivendum dupliciter auxilio dei indiget. Uno qui-
dem modo quantum ad aliquod habituale donum, per quod natura humana corrupta
sanetur et etiam sanata elevetur ad operanda opera meritoria vitae aeternae, quae
excedunt proportionem naturae. Alio modo indiget homo auxilio gratiae, ut a deo
moveatur ad agendum. Quantum igitur ad i)rimum auxilii modum, homo in gratia
existens non indiget alio auxilio gratiae quasi aliquo alio habitu infuso, indiget tamen
auxilio gratiae secundum alium modura, ut seil, a deo moveatur ad recte agendum,
et hoc propter duo. Erstens generell (nulla res creata potest in quemcunque actum
prodire nisi virtute motionis divinae), zweitens speciell, propter conditionem status
humanae naturae, quae quidem licet per gratiam sanetur quantum ad mentem,
remanet tamen in ea corruptio et infectio quantum ad carnem, per quam servit legi
jjeccati; remanet etiam quaedam ignorantiac obscuritas in intellectu; propter varios
enim rerum eventus et quia etiam nos ipsos non perfecte cognoscimus,
non possumus ad plenum scire quid nobis expediat, et ideo necesse est uobis, ut a
deo dirigamur et protegamur qui omnia novit et omnia potest. Et proj)ter hoc
etiam renatis in filios dei per gratiam couvenit dicerc: Et nc nos inducas in tenta-
tionem, et fiat voluntas tua, etc."
* Art. 10 (streng augustinisch, gegen Pelagius) : „Ad perscverantiam habendam
homo in gratia constitutus non quidem indiget aliqua aliahabituali gratia, seddivino
auxilio ipsum dirigcnte et protegentc contra tentationum impulaus ... et ideo post-
534 beschichte desPo^ias im Zeitaltor der Bettelorden bis zum IG. .Tahrh.
In der 110 Q. wird hierauf die Essenz der Gnade beschrieben.
Sehr charakteristisch beginnt die Untersuchung mit der Frage, „utruni
gratia ponat ahquid in anima?" Hier wird festgestellt, dass gratia einen
dreifachen Sinn habe -~~ huldvolle Gesinnung, freies Geschenk ohne
Entgelt und Dank. Die göttliche Gnade ist nicht nur huldvolle Ge-
sinnung, sondern auch Geschenk und darum „est manifestum, quod gratia
aliquid ponit in eo, qui gratiam accipit". Nun die Definition : „Sic igitur
per hoc, (piod dicitur homo gratiam dei habere, significatur quiddam
supernaturale in hominc a deo proveniens. Quandoque tamen gratia
dei dicitur ipsa aeterna dei dilectio, secundum quod dicitur etiam gratia
praedestinationis, in quantum deus gi-atuito et non ex meritis ahquos
praedestinavit sive elegif* ^ Da die Gnade aber „etwas in der Seele
setzt", so ist sie auch eine Qualität der Seele, d. h. ausser dem
auxilium, durch welches Gott überhaupt die Seele zum guten Handeln
bewegt, giesst er eine übernatürliche Qualität in sie ein^.
In den beiden folgenden Artikeln (3 und 4) wird nun nachgewiesen,
dass die Gnade nicht etwa nur die Erfüllung mit dieser oder jener
Tugend (auch nicht nur mit der Liebe) ist, sondern dass sie sich zu den
eingegossenen Tugenden verhält, wie das naturale lumen rationis zu den
virtutes acquisitae, und dass sie daher als eine Theilnahme an der gött-
lichen Natur vermittelst einer Durchleuchtung des ganzen Wesens zu
betrachten ist, wodurch die wahre Gotteskindschaft zu Stande kommt ^.
Von hier aus wird Q. 111 die Eintheilung der Gnade entworfen.
Und zwar wird zuerst die gratia gratum faciens (qua ipse homo deo
I
quam aliquis est iustificatus per gratiam, necesse habet a deo petere praedictum
perseverantiae donum, ut seil, eustodiatur a malo usque ad finem vitae; multis
enim datur gratia, quibus non datur perseverare in gratia."
» Art. 1.
^ Art. 2 : „ . . . multo magis ilKs quos mbvet ad consequendmn bonum siiper-
naturale aetemum, infundit aliquas formas seu qualitates supernatu-
rales, secundum quas suaviter et prompte ab ipso moveantur ad
bonum aeternum consequendum."
^ Art. 3: „Sicut lumen naturale rationis est aliquid praeter virtutes acquisitas,
quae dicuntur in ordine ad ipsum lumen naturale, ita etiam ipsum lumen gratiae,
quod est participatio divinae naturae, est aliquid praeter virtutes infusas,
quae a lumine illo derivantur et ad illud lumen ordinantur." Daher, weil die gratia
keine blosse virtus ist, sed ahquid virtute prius, so ist sie auch nicht in aliqua poteu-
tiarum animae gesetzt, sondern in der Essenz der Seele selbst. „Sicut enim per
potentiam intellectivam homo participat cognitionem divinam per virtutem
fidei, et secundum potentiam voluntatis am o rem divinum per virtutem cari-
tatis, ita etiam per naturam animae participat secundum quaudam
similitudinem naturam divinam, per quandam regenerationem."
(Art. 4).
Die Gnadenlehre des Thomas. 535
coniungitur) und die gratia gratis data (die priesterliche Amtsgnade,
qua non homo ipse iustificatur, sed iustificatio alterius comparatur)
unterschieden. Es ist bemerkenswerth, dass Thomas mit dieser Unter-
scheidung beginnt (Art. 1). Sodann folgt die Spaltung der gratia in die
gr. operans et cooperans (illa, qua nos movet ad bene volendum et
agendum — habituale donum nobis divinitus inditum); sie wird durch
den Satz begründet: „operatio alicuius effectus non attribuitur mobili,
sed moventi." In dem Effect, bei welchem unsere Seele mota nonmovens
ist, zeigt sich die gr. operans, in dem Effect, bei welchem sie mota movens
ist, die gr. cooperans (Art. 2) ^. Parallel hierzu ist die Eintheilung in
gr. praeveniens und subsequens (Art. 3)^. Im 4. Art. wird die gratia
gratis data, d. h. die Gnade, mit der man Anderen hilft (zur Erbauung
der Gemeinde, Amtsgnade), einer weiteren Eintheilung nach I Cor. 11
* Dazu: „Est autem in nobis duplex actus; primus quidem interior voluntatis;
et quantum ad istum actum, voluntas se habet ut mota, deus autem ut movens, et
praesertim cum voluntas incipit bonum velle, quae prius malum volebat. Et ideo
secundum quod deus movet humanam mentem ad hunc actum, dicitur gratia operans.
Alius autem actus est exterior, qui cum a voluntate imperetur consequens est quod
ad hunc actum operatio attribuatur voluntati. Et quia etiam ad hunc actum deus
nos adiuvat et interius confirmando voluntatem, ut ad actum perveniat, et exterius
facultatem operandi praebendo, respectu huiusmodi actus dicitur gratia cooperans.
(Folgt eine Belegstelle aus Augustin). Si igitur gratia accipiatur pro gratuita dei
motione , quia movet nos ad bonum meritorium , convenienter dividitur gratia per
operantem et cooperantem. Si vero accipiatur gratia pro habituali dono, sie est
duplex gratiae effectus, sicut et cuiuslibet alterius formae, quorum primus est esse,
secundus est operatio . . , Sic igitur habitualis gratia, in quantum animam sanat
vel iustificat sive gratam deo facit, dicitur gratia operans, in quantum vero est
principium operis meritorii, quod ex libero arbitrio procedit, dicitur cooperans."
Schon früher hat Thomas in Bezug auf die Gerechtigkeit (iustitia) eine analoge
Unterscheidung gemacht; s. II, 1 Q. 100 Art. 12: „Si loquamur de iustificatione
proprio dicta sie considerandum est, quod iustitia potest accipi prout est in h ab i tu
vel prout est in ac tu, et secundum hoc iustificatio dupliciter dicitur. Uno quidem
modo secundum quod homo fit iustus adipiscens habitum iustitia e. Alio vero
modo, secundum quod operaiustitiae operatur, ut secundum hoc iustificatio
nihil aliud sit quam iustitiae exsecutio. Iustitia autem, sicut aliac virtutcs,
potest accipi et acquisita et infusa. Acquisita quidem causatur ex operibus,
sed infusa causatur ab ipso deo per eiusgratiam, ethacc est vera iustitia, secun-
dum quam aliquis dicitur iustus apud deum."
^ „Sicut gratia dividitur in operantem et cooperantem secundum diversos
effectus, ita etiam in pracvcnientem et subscquentcm, qualitcrcumquc gratia
accipiatur. Sunt autem quinque effectus gratiae in nobis, quorum primus est, ut
anima sanetur, secundus est, ut bonum vclit, tertius est, ut bonum quod vulfc
efficacitnr oj)eretur, ()uartus est, ut in bono pcrsevcrct, quintus est, ut ad gloriam
perveniat. Et ideo gratia secundum (juod causat in nobis primum cffcctum,
vocatur praeveniens, respectu secundi effectus et prout causat in nobis secundum,
vocatur subsequens respectu primi effectus."
53f) Oescliichte des Dufrmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
unterworfen, und im 5. Art. wird gezeigt, dass diegratia gratuni faciens
viel hoher zu werthen sei als die gratia gratis data.
In Q. 112 wird nun die causa gratiae erwogen. Dass Gott allein
die Ursache sein könne, wird aus dem Begriff der Gnade als deifica
echt altkatholisch abgeleitet*. Daher vermag auch der Mensch sich
nicht auf diese Gnade vorzubereiten, vielmehr muss, da eine Vorbe-
reitung noth wendig ist, diese durch die Gnade selbst geschehen-^;
mithin ist der Act der Vorbereitung auf die gratia infusa kein meri-
torischer; denn wenn auch jegliche forma eine materia disposita vor-
aussetzt, so gilt doch auch hi naturalibus der Satz: „dispositiomateriae
non ex necessitate consequitur formam nisi per virtutem agentis, qui
dispositionem causat" ^. Diese gratia gratum faciens kann in dem Einen
geringer sein, in dem Anderen grösser, eben weil sie ein freies Geschenk
ist^; aber weil sie etwas Uebernatürliches ist, so kann Niemand, dem
1
* „Cum donum gratiae uihil aliud sit quam quaedam participatio divinae na-
turae, quae excedit omnem aliam naturam, ideo impossibile est, quod aliqua crea-
tura gratiam causet. Sic enim necesse est, quod solus deus deificet, communicando
consortium divinae naturae per quandam similitudinis participationem, sicut im-
possibile est, quod aliquid igniat nisi solus ignis" (Art. 1).
^ Der Gedanke ist dieser, dass die gratia als habituale donum dei eine Vor-
bereitungverlangt, weil — aristotelisch — „nuUa forma potest esse nisi in materia
disposita; sed si loquamur de gratia secundum quod significat auxilium dei moveu-
tis ad bonum (also die gratia prima), uulla praeparatio requiritur ex parte ho-
minis, quasi praeveuiens divinum auxilium." Bei dieser folgenschweren Unterschei-
dung hat die Auflösung des Augustinismus eingesetzt.
^ Art. 3: „Praeparatio hominis ad gratiam est a deo sicut a movente, a libero
autem arbitrio sicut a moto . . . Secundum quod est a libero arbitrio, nullam neces-
sitatem habet ad gratiae consecutionem."
* Auch dies ist ein folgenschwerer, übrigens augustinischer Satz, der sich auch
aus der Vorstellung von der Gnade als gratia infusa (habitus) ergiebt. Zwar erklärt
Thomas noch, dass ex parte finis die Grösse der Gnade immer dieselbe bleibt
(„coniungens homiucm summo bono, quod est deus"). Aber „ex parte subiecti gratia
potest suscipere magis vel minus, prout seil, unus perfectius illustratur a lumine
gratiae quam alius. Cuius diversitatis ratio quidem est aliqua ex parte
praeparantis se ad gratiam, qui enim magis se ad gratiam praeparat,
pleniorem gratiam accipit. Dieser Satz wurde dasVerhäugniss der Folgezeit;
man achtete naturgemäss nun immer mehr auf die praeparatio statt auf die causa
und überhörte den Zusatz, den Thomas angefügt hatte: „sed hac ex parte non po-
test accipi prima ratio huius diversitatis, quia praeparatio ad gratiam non est ho-
minis, nisi in quautum liberum arbitrium eins praeparatur a deo. Unde prima causa
huius diversitatis accipenda est ex parte ipsius dei, qui diversimode suae gratiae
dona dispensat ad hoc quod ex diversis gradibus pulchritudo et perfectio ecclesiao
consurgat, sicut etiam diverses gradus rerum instituit, ut esset Universum porfec-
tum." Augenscheinlich führt diese Erklärung in eine ganz andere Richtung, als die
erstgenannte, der sie beigesellt ist ; denn dort handelt es sich wirklich um ein Mehr
Die Gnadenlehre des Thomas. 537
es nicht besonders offenbart ist, hienieden sicher wissen, ob er sie
besitzt K
In der 113. und 114. Q. folgt die Untersuchung über die Effecte
der Gnade. Entsprechend der Unterscheidung der gratia operans et
cooperans ist die Wirkung der Gnade eine doppelte, die Rechtfertigung
und die verdiensthchen guten Werke; aber schon bei der Rechtfertigung
muss der AVille mitwirken. Nur der allererste Punkt ist durch die
Allein Wirksamkeit der Gnade bezeichnet. Dies tritt sofort im 1. Art.
(Q. 113) zu Tage. Thomas wirft die Frage auf: utrum iustificatio impii
sit remissio peccatorum? Und er antwortet in einer höchst gewundenen
Erklärung im Grunde mit Nein, obgleich er scheinbar die Frage bejaht.
Er stellt nämlich fest, dass iustificatio passive accepta importat motum
ad iustitiam, dass sie aber hier in Betracht kommt als transmutatio
quaedam de statu iniustitiae ad statum iastitiae. „Et quia motus deno-
minatur magis a termino ad quem, quam a termino a quo, ideo huius-
modi transmutatio, qua aliquis transmutatur a statu iniustitiae ad sta-
tum iustitiae per remissionem peccati, sortitur nomen a termino ad quem
et vocatur iustificatio impii", mit anderen Worten: die wirldiche iusti-
ficatio findet durch die remissio peccatorum noch nicht statt, sondern
nur um des Zieles willen kann man sagen, dass bereits die Sünden-
vergebung die iustificatio ist ; in Wahrheit aber kommt dieselbe — als
Versetzung in einen neuen Zustand — erst später zu Stande. Dies
wird noch deuthcher, wenn in Art. 2 behauptet wird, dass schon für die
Sündenvergebung die gratia infusa nöthig ist. Damit wird freihch eine
oder Weniger, hier dagegen um Spielarten, die zur Vollkommenheit des schönen
Ganzen nothwendig sind. Aber Thomas konnte beide Erklärungen nach seiner On-
tologie vereinigen, weil er, wie Augustin, letztlich auch das minder Gute im kos-
mischen System für nothwendig hielt, da gerade so die Schönheit des Ganzen
in der Mannigfaltigkeit seiner Theile hervorträte. Natürlich hebt diese Reflexion
die ethische Betrachtung geradezu auf und führt sie in die ästhetische hinüber.
Sofern also Thomas das Vorhandensein von mehr oder weniger Gnade nicht von
der dispositio (praeparatio) hominis ableitet, vielmehr auf Gott zurückführt, weiss
er es nur ästhetisch zu rechtfertigen (Art. 4).
^ Dies ist der dritte folgenschwere Satz (Art. 5): „Nullus potest scire, sc ha-
bere gratiam, certitudinalitcr; certitudo enim non potest haberi de aliquo, nisi pos-
sit diiudicari per projirium priucijjium. Keiner ist eines Schlusses sicher, der nicht
den Obersatz kennt. Principium autem gratiac et obiectum eius est ipso dcus, q u i
proptersuiexcellcntiam est nobis ignotus." Nur coniecturaliter (per
aliqua signa) kann Einer den Besitz der Gnade feststellen. Wohl kann man
sicher sein, scientiaundfideszu besitzen, „nonestautemsimi-
lis ratio de gratia et caritate.'* Hier sieht man, welche Verwüstung der
Gedanke der gratia infusa als eines geheimnissvollen habitus, der der Seele ap-
plicirt wird, anrichtet! Dieser habitus, den man nicht fesstellen kann, entspricht
aber dem deus ignotus !
538 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelordeii bis zum 16, Jahrh.
böse Verwirrung angerichtet; denn wenn der Satz: „non potest intelligi
reniissio culpae, si non adest infusio gratiae" richtig ist — er wird durch
die Erwägung bewiesen, dass die Sündenvergebung den effectus divinae
dilectionis in uns voran s setzt, d. h. voraussetzt, dass wir Gott wieder
heben — , so ist die Sündenvergebung statt das Erste das Letzte, und
man muss sich fragen, was denn eigenthch der Effect der gratia prae-
veniens (im strengsten Sinn) ist ? Die blosse vocatio oder ein Undefinir-
bares? Thomas hat sich hier in seinen eigenen Distinctionen verwirrt,
resp. er hat es — höchst charakteristisch — im Dunklen gelassen, was
der Mensch der zuvorkommenden Gnade verdankt. Dem entsprechend
wird in den Art. 3 — 5 ausgeführt, dass bereits zur Rechtfertigung ein
motus liberi arbitrii, ein motus fidei und ein odium peccati mitwirken
muss, d. h. wir werden sofort zur Betrachtung des Ineinander von Gnade
und Selbstthätigkeit geführt ^ Nun erst kommt die Rechtfertigung zu
Stande (Art. 6); denn „quattuor enumerantur, quae requiruntur ad
iustificationem impii, seil, gratiae infusio, motus liberi arbitrii in deum
per hdem, et motus liberi arbitrii in peccatum et remissio culpae (diese
folgt also den 3 anderen Stücken), cuius ratio est, quia sicut dictum
est: iustificatio est quidam motus quo animamovetur a deo a statu cul-
pae in statum iustitiae ; in quolibet autem motu, quo aliquid ab altero
movetur, tria requiruntur. Primo quidem motio ipsius moventis, secundo
motus mobilis, tertio consummatio motus sive perventio ad finem. Ex
parte igitur motionis divinae accipitur gratiae infusio, ex parte vero liberi
arbitrii moti recessus et accessus, consummatio autem sive perventio
ad terminum huius motus importatur per remissionem culpae. In
hoc enim iustificatio consummatur". AUein, wenn auch die
Rechtfertigung in der Schuldvergebung gipfelt, so gipfelt, wie sich zeigen
wird, der ganze Process noch nicht in der Rechtfertigung. Von dieser
Rechtfertigung des Sünders wird ferner (Art. 7) gelehrt, dass sie sich
„originaliter" im Moment der Eingiessung vollzieht und dass sie
„in instanti fit absque successione". Die Schwierigkeit, dass
die Formgebung (Eingiessung) nur in materia disposita geschehen
kann, wird dadurch beseitigt, dass Gott „ad hoc quod gratiam in-
^ Art. 3: „In eo, qui habet iisum liberi arbitrii, non fit motio a deo ad iusti-
tiam absque motu liberi arbitrii, sed ita iufundit donum gratiae iustificantis, quod
etiam simul cum hoc movet liberum arbitrium ad donum gratiae acceptandum in
his, quae sunt huius motionis capaccs." 4: „deus movet animam hominis convertendo
eam ad se ipsum . . . prima conversio ad deum fit per fidem . . . ideo motus fidei
requiritur ad iustificationem impii." 5: „recessus et accessus in motu liberi arbitrii
accipitur secundum detestationem et desiderium . . . oportet igitur quod in iustifica-
tione impii sit motus liberi arbitrii duplex, unus quo per desiderium tendat in dei
iustitiam, et alius, quo detestetur peccatum."
Die Gnadenlehre des Thomas. 539
fundat animae, non requirit aliquam dispositionem, nisi quam ipse
facit. Facit autem huiusmodi dispositionem sufficientera ad suscep-
tionem gratiae quandoque quidem subito quandoque autem paulatim
et successive" ^ In dem Folgenden wird nun in kühner Weise die Ord-
nung des Processes umgekehrt (Art. 8) : temporaliter fallen die oben
genannten vier Stücke zusammen, aber causaliter folgen sich 1) die
Eingiessung der Gnade, 2) die Hinbewegung zu Gott in Liebe, 3) die
Abkelir von der Sünde, 4) die Schuldvergebung. Das Recht dieser
ümkehrung ist von Thomas nicht erwiesen ; die Absicht ist deutlich :
die gratia soll am Anfang stehen. Aber weil er sich scheut, eine
gratia zu unterscheiden, die nicht infusa ist, sondern lediglich Er-
weckung der fiducia, so darf er den Ansatz, der eigentlich seiner
Denkweise entsprechen würde, nämhch 1) eine gratia, die bloss
movens ist, 2) fides, 3) detestatio peccati, 4) remissio culpae, 5) gra-
tia infusa, nicht gelten lassen. Er stellt daher nun „causaliter" die
gratia infusa voran — aus der richtigen Er^vägung, dass unter allen
umständen dieser der Vortritt gebührt. — , aber es ist eine blosse
Behauptung, die er selbst nicht durchzuführen vermag, dass diese
gratia eine infusa sei; denn dem entsprechen nicht ihre Wirkungen.
Die YerwÜTung, die er hier, sobald man scharf zusieht, angerichtet
hat'^, ist in der Folgezeit nicht ohne Wirkung gebheben. In der
Schlussbetrachtung über die iustificatio (Art. 9 und 10) wird fest-
gestellt, dass sie nicht nur ein opus magnum Gottes, sondern in
Wahrheit auch ein opus miraculosum sei; allein im Grunde gilt
Letzteres nur von den plötzlichen Bekehrungen: „quaedam miraculosa
opera, etsi sint minora quam iustificatio impii quantum ad bonum
quod fit, sunt tamen praeter consuetum ordinem talium effectuum et
ideo plus habent de ratione miraculi." Damit ist die iustificatio er-
schöpft, jedoch nicht der ganze Process; vielmehr werden nun erst
* Die Ausführung ist wieder kosmologisch (aristotelisch): „Quod enim agcns
naturale non subito possit disponcre materiam, contingit ex hoc, quod est aliqua
proportio eins quod in materia resistit ad virtutem agentis et proptcr hoc videmus,
quod quanto virtus agentis fuerit fortior, tanto materia citius disponitur. Cum igitur
virtus divina sit infinita, potcst quamcnnque materiam crcatam subito disponcre
etc. etc."
* Sie zeigt sich z. B. in dem Widerspruch Art. 8 ad Primum, wenn er sagt:
„Quia infusio gratiae et remissio culpae dicuntur ex parte dei iustificantis, ideo
ordinc naturae prior est gratiae infusio (juam culpae remissio. Sed si sumantur ea
quac ex parte hominis iustificati, est ex conv(!rso; nam prius est ordinc naturae
liberatio a culpa, quam consecutio gratiae iustificantis." Aber nur das Eine oder
das Andere gilt. Es ist schlimme Scholastik, zu behaupten, beide Betrachtungen
könnten neben einander bestehen.
540 Uesuliichtc des Doj]^mas im Zcitalttr der Bcttelorden ])is zum l(j. Jahrh.
die Wirkungen erwogen, die in steigendem Masse dem bereits
Gerechtfertigten durch die Gnade zu Theil werden. Sie stehen
(Q. 114) sämmtlich unter dem Titel des meritum. Zuerst wird
die Frage aufgeworfen, ob sich der Mensch überhaupt ein Verdienst
vor Gott erwerben könne (Art. 1). Die Antwort lautet: nicht im
absoluten Sinn der strengen Gerechtigkeit, wohl aber kraft einer
gütigen Anordnung Gottes K Sodann wird dem entsprechend die
Möglichkeit abgewiesen, dass Jemand sich selbst das ewige Leben
verdienen könne, selbst wenn er sich in statu naturae integrae be-
findet (Art. 2.); denn die vita aeterna est quoddam bonum excedens
Proportionen! naturae creatae ^. Dagegen wird auf die Frage, ob der
in der Gnade stehende Mensch ^,ex condigno" das ewige Leben ver-
dienen könne, keine runde Antwort gegeben^. Die Entscheidung
lautet viehnehr (Art. 3): „Opus meritorium hominis dupliciter con-
siderari potest; uno modo, secundum quod procedit ex libero
* Dies ist der religiöse Mantel, der dem irreligiösen „Verdienst" umgehängt
wird. Thomas sagt, meritum und merces seien dasselbe = retributio als pretium
einer Leistung. lustitia im strengen Sinn ist nur inter eos, quorum est simpliciter
aequalitas. Wo also simpliciter iustum ist, ist auch simpliciter meritum vel merces.
Im anderen Fall ist höchstens ein meritum secundum quid (nicht iustum) vorhanden.
Nun herrscht aber zwischen Gott und den Menschen die höchste Ungleichheit, und
alles Gute, was der Mensch hat, stammt von Gott ; also giebt es hier nicht ein meri-
tum simpliciter, wohl aber „in quantum uterque operatur secundum
modum suum". Der modus humanae virtutis aber ist von Gott geordnet; „ideo
meritum hominis apud deum esse non potest nisi secundum persuppositionem divi-
nae ordinationis, ita seil, ut id homo consequatur a deo per operationem quasi
mercedem, ad quod deus ei virtutem operandi deputavit." Immerhin ist hier zu
bemerken, dass Thomas das Verdienst nicht rein aus der Willkür Gottes bestimmt-,
vielmehr ist es abgemessen nach dem Vermögen und Zweck des Menschen. Allein
in der Folgezeit hielt man sich, weil es bequemer war und weil der Gottesbegriff es
erlaubte, immer mehr an die pure Willkür in Bezug auf die Verdienstlichkeit und
vertraute, dass die Kirche in die Absichten dieser AVillkür eingeweiht sei. Thomas
hat aber in diesem Artikel noch einen nicht bedeutungslosen Zusatz, indem er fort-
fährt: „Sicut etiam res naturales hoc consecuntur perpropriosmotus et opei^ationes,
ad quod a deo sunt ordinatae, differenter tamen, quia creatura rationalis se ipsam
movet ad agendum per liberum arbitrium. Unde sua actio habet rationem
meriti, quod non est in aliis creaturis." Es liegt also im Wesen des freien
Willens, dass er Verdienste erwirbt; von dieser These hat Thomas z. B. in Art. 4
neben der These, dass das Verdienstliche ex ordinatione divina stammt, einen selb-
ständigen Gebrauch gemacht.
^ „Nulla natura creata est sufficiens principium actus meritorii vitae aeternae,
nisi superaddatur aliquod supernaturale donum, quod gratia dicitur."
^ „Ex condigno" = in wahrhaft verdienstlicher AVeise, im Gegensatz zu „ex
congruo" = in der Weise einer Leistung, der man bei wohlwollender Betrachtung
einen gewissen Werth und darum auch ein gewisses Venlienst beilegen kann.
Die Gnadenlehre des Thomas. 541
arbitrio, alio modo, secundum quod procedit ex gratia Spiritus
sancti. Si consideretur secundum substantiam operis et secundum
quod procedit ex libero arbitrio, sie non potest ibi esse condignitas
propter maximam inaequalitatem proportionis. Videtur enim con-
gruum, ut homini operanti secundum suam virtutem deus recompen-
set secundum excellentiam suae virtutis. Si autem loquamur de opere
meritorio, secundum quod procedit ex gratia Spiritus sancti, sie est
meritorium vitae aeternae ex condigno. Sic enim valor meriti at-
tenditur secundum virtutem Spiritus sancti moventis nos in vitam
aeternam. Attenditur etiam pretium operis secundum dignitatem
gratiae, per quam homo consors factus divinae naturae adoptatur in
filium dei, cui debetur haereditas ex ipso iure adoptionis." Dieselbe
Sache ist also in einer Hinsiebt ex condigno, in anderer ex congruo !
Die Folgezeit hat sich dabei nicht beruhigt, sondern dem mensch-
Hchen Verdienst einen höheren Werth beigelegt *, aber Thomas selbst
hat dazu den Anstoss gegeben. In dem 4. Art. wird gezeigt, dass
das verdienstliche Princip die Liebe ist, mag man nun auf das Ver-
dienst ex ordinatione divina oder auf das Verdienst, in quantum
homo habet prae ceteris creaturis ut per se agat voluntarie agens
blicken. In beiden Fällen lässt sich leicht zeigen, dass in der
Liebe und in keiner anderen Tugend das Verdienst besteht ^.
^ Hier schaltet Thomas Art. 5—7 wie zum Ueberfluss drei Capitel ein, in
denen er noch einmal ausdrücklich zeigt, dass man sich die erste Gnade nicht
verdienen kann, dass man sie einem Anderen nicht verdienen kann, und dass man
sich auch die reparatio post lapsum nicht verdienen kann. Die Abschnitte sind
aber desshalb von Wichtigkeit, weil die bestimmte Negation, die Thomas hier
überall zum Ausdruck gebracht hat, in der Folgezeit beseitigt, rpsp. erweicht
worden ist. In Bezug auf den ersten Punkt führt er aufs schärfste durch, dass
„orane meritum repugnat gratiae*, daher: „nullus sibi mereri potest gratiam
primam." Aber das hat Thomas nicht erkannt, dass, was von der gratia prima
gilt, von der gratia überhaupt gilt. Ja die gratia prima ist ihm eben desshalb, weil
sie mit dem Verdienst nichts zu thun hat, im Grunde eine höchst dunkle Erscheinung,
über die er desshalb auch so schnell hinweggegangen ist. So hat er es selbst ver-
schuldet, dass in der Folgezeit auch die Mittheilung der gi-atia j)rima an gewisse
Verdienste geknüpft worden ist. Der zweite Punkt ist desshalb wichtig, weil Thomas
hier im Unterschied von den späteren Scholastikern Christus die Ehre giebt und
Maria und die Heiligen noch zurücktreten lässt. Er erinnert zunächst an seine Aus-
führungen in Art. 1 und 3, dass in denverdienstlichen Werken der Gerechtfertigten
das, was der freie Wille leistet, nur ein meritum de congruo sei, und fährt dann
fort: „Ex quo patet, quod merito condigni nuUus potest mereri alteri primam
gratiam nisi solus Christus, (|uia unusquisque nostrum movetur a deo per donum
gratiae, ut ipsa ad vitam aeternam perveniat, et ideo meritum condigni ultra Iuitk;
motionem non se extendit. Scd anima ('hristi mota est a deo per gratiam, non
solum ut ipse x^^rveniret ad gloriam vitae aeternae, sed etiam ut alios in eam ad-
542 (reschichte des Doßfmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jalirh,
Nach dem Grundsatz : „Quilibet actus caritatis meretur absolute
vitaiii aeternam", wird nun im 8. Art. gefragt, ob sicli der Mensch
das augmentum gratiae vel caritatis verdienen kann, und diese
Frage wird rund bejaht; denn „ilhid cadit sub merito condigni,
ad quod motio gratiae se extendit, motio autem ahcuius moventis
non solum se extendit ad ultimum terminum motus, sed etiam ad
totum progressum in motu; terminus autem motus gratiae est vita
aeterna, progressus autem in hoc motu est secundum augmentum
caritatis. Sic igitur augmentum gratiae cadit sub merito condigni".
Dagegen wird die Frage, ob der Mensch sich auch die Beharr-
lichkeit in der Gnade verdienen kann, im folgenden Artikel ver-
neint, und damit wird doch dem „Verdienst^^ die Spitze abgebrochen
und zum reinen Augustinismus der Rückweg gesucht K — Um diese
Gnadenlehre des Thomas geschichtlich richtig zu würdigen, muss man
ausser dem Interesse der christlichen Frömmigkeit, welches ihn wirk-
lich geleitet hat, und ausser der Praxis der Kirche, die ihm Au-
torität war, im Auge behalten, dass er als Religionsphilosoph durch
die Gottes- und Prädestinationslehre Augustin's, als Ethiker durch
die Gottes- und Tugendlehre des Aristoteles bestimmt gewesen ist.
Weil ihm Beides feststand und er es daher sich zu seiner Aufgabe
gemacht hat. Beides zu vereinigen, hat er jenen complicirten Lehr-
begriff entworfen, in welchem die virtuosen, oft paradoxen Grübeleien
Augustin's, des gläubigen Skeptikers, ebenso zu Fundamentalsätzen
geworden sind, wie die unmittelbarsten und sichersten Aussagen
seiner Frömmigkeit. Diese Fundamentalsätze sind dann in Zusammen-
hang gesetzt mit den gänzlich disparaten Gedanker des Aristoteles,
wobei in ermüdender Wiederholung die Definition Gottes als primum
movens die Brücke bildet. AVie völlig Thomas von Augustin ab-
hängig ist, zeigt die Prädestinationslehre, die er in ganzer Strenge
duceret, in quantum est capiit ecclesiae . . . Sed merito congrui potest aliquis
alteri mereri primam gratiam. Quia enim homo in gratia constitutus implet dei
voluntatem, congruum est secundum amicitiaeproportionem, ut deus impleat hominis
voluntatem in salvatione alterius." Also durch die Hinterthür des meritum de
congruo werden die Heiligen allerdings zugelassen. In Bezug auf den 3. Punkt
heisst es : „NuUus potest sibi mereri reparationem post lapsum futurum, neque
merito condigni, neque merito congrui" ; denn jenes ist ausgeschlossen, weil die ein
Verdienst begründende Gnade durch den Fall verloren ist („motione prioris
gratiae usque ad haec [seil, den Fall oder die Todsünde] non se extendente"); dieses
wird in noch höherem Grade durch das impedimentum peccati zur Unmöglichkeit.
* „Perseverantia viae non cadit sub merito, quia dependet solum ex motione
divina, quae est principium omnis meriti, sed deus gratis perseverantiae bonuni
largitur, cuicunque illud largitur."
Die Gnadenlehre des Thomas. 543
Übernommen hat * •, wie stark er von Aristoteles abhängig ist, zeigt
neben der Gotteslehre vor Allem die Pars Secunda Secundae, die
^ S. Summa I Q. 23 : Prädestination ist die Providenz Gottes in Bezug auf
die creaturae rationales ; er allein vermag ihnen den ultimus finis zu geben, d. h. sie
zu „ordnen". Gott bestimmt kraft seines Rathschlusses den numerus electorum, und
sofern es zur göttlichen Providenz gehört, „aliquos permittere a vita aeterna de-
ficere", so gehört es auch zu ihr, dass Gott Einige reprobirt. „Sicut enim prae-
destinatio includit voluntatem conferendi gratiam et gloriam, ita reprobatio includit
voluntatem permittendi aliquem cadere in culpam et inferendi damnationis poenam
pro culpa" (Art. 3), ja 1. c. spricht Thomas es sogar mit eiserner Kälte aus, dass die
reprobatio auch ein bonum sei: „Dens omnes horaines diligit et etiam omnes crea-
turas, in quantum omnibus vult aliquod bonum ; nontamen quodcunque bonum
vult omnibus. In quantum igitur quibusdam non vult hoc bonum,
quod est vita aeterna, dicitureos habere odiovelreprobare." Hier-
nach giebt es also auch ein bonum, w^elches kein bonum (für den Empfänger) ist, also
nichts Anderes als der göttliche Wille selbst: Gott liebt diese Menschen in
der Hölle! Mit Augustin aber wird andererseits auch gesagt: „Aliter se habet
reprobatio in causando quam praedestinatio. Nam praedestinatio est causa et eins
quod expectatur in futura vita a praedestinatis, seil, gloriae, et eins quod percipitur
in praesenti, seil, gratiae-, reprobatio vero non est causa eins quod est in praesenti,
seil, culpae, sed est causa derelictionis adeo (diese stammt nicht aus der Präscienz) ;
est tamen causa eius quod redditur in futuro, seil, poenae aeternae. Sed culpa pro-
venit ex libero arbitrio eius, qui reprobatur et a gratia deseritur." Aber wie soll
er nicht sündigen, wenn Gott ihn verlassen hat ? Was hilft es, hinzuzufügen : „re-
probatio dei non subtrahit aliquid de potentia reprobati ; unde cum dicitur quod re-
probatur non potest gratiam adipisci, non est hoc intelligendum secundum impossi-
Vjilitatem absolutam, sed secundum impossibilitatem conditionatam?" Nicht leicht
war es fffr Thomas die Lehre vom freien Willen zu construiren, da er in der Gottes-
lehre den Gedanken der alleinigen Causalität Gottes durchgeführt und in der Lehre
von der gubernatio (I Q. 103) gezeigt hatte, dass ebenso wie das principium mundi,
so auch der finis mundi aliquid extra mundum sei (Art. 2). Hat aber die Welt keinen
selbständigen Zweck, so folgt, dass die gubernatio Gottes so zu fassen ist, dass alle
Dinge allein von ihm bewegt, d. h. zu ihrem Ziele hingeführt werden; denn sie selbst
können sich nicht zu dem hin bewegen, quod est extrinsecum a toto universo.
Allein durch die Unterscheidung von esse und operari, sowie des primum movens
in den Dingen und des movens ex se, endlich der gubernatio diversa in quantum ad
creaturas irrationales und in (juantum ad creaturas per se agentes, gelingt es Thomas
doch, den freien Willen festzuhalten, den er ja auch nothwendig braucht, um das
Verdienst zu erreichen; s. die Ausführung über die Willensfreiheit I, 83 (Art. 1:
„Homo est liberi arbitrii, alioquin frustra essent consilia, exhortationes, praecepta,
prohibitiones, praemia et poenae . . . Liberum arbitrium est causa sui motus, quia
homo per liberum arbitrium seipsum movet ad agendum. Non tamen hoc est d(^
necessitate libertatis, quod sit prima causa sui id quod li})erum est, sicut nee ad hoc
quod aliquid sit causa alterius, requiritur quod sit prima causa eius. Dens igitur
est prima causa movens et naturales causas et voluntarias. Et sicut naturalibus
causis movendo eas non aufert, (juin actus earum sint naturales, ita movendo causas
voluntarias non aufc^rt, (juin actiones earum sint voluntariae, sed potius hoc in eis
facit: operatur in unoquocjue secundum eius i)roprietatem"). In den entscheidenden
544 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
specielle Morallohro, in der durchgeführt wird, dass die Tugend in
der richtigen Ordnung der Strebungen und Triebe durch die Ver-
nunft besteht und daiui übernatürlich vollendet wird durch die Gnaden-
gaben. Um endlich die Gnadenlehre des Thomas vollständig 7ai über-
schauen, niuss man seine Lehre von der (Constitution des Menschen,
vom Urständ, dem Sündenfall, der £]rl)sünde und der Sünde, wie sie
in der Pars IQ. 90— 102 und II, l Q. 71—89 entwickelt sind, hin-
zunehmen. Allein man darf darauf verzichten, sie hier genauer dar-
zulegen, theils weil Thomas sich an Augustin eng angeschlossen hat,
theils weil die Hauptpunkte bei der Erörterung seiner Gnadenlehre
bereits fixirt worden sind ^ Allein eine besondere Beachtung ver-
Paragraphen über die Rechtfertigung wird dem entsprechend stets betont, dass
sich der Process der Gnade mit der Einwilligung des freien Willens vollzieht,
die selbst freilich ein Effect der Gnade ist: indem Gott die Gnade eingiesst, bewegt
er uns gemäss unserer eigenen Natur, d. h. so, dass er den freien Willen zur willigen
Annahme des Gnadengeschenkes bewegt. Dasselbe wird von den Tugenden gesagt;
sie sind einerseits ebenfalls eingegossen ; allein andererseits handelt Gott niemals
sine nobis, sondern stets nur mit der Zustimmung unseres freien Willens; denn die
vernünftige Creatur ist so geschaffen, dass sie, indem sie zum Ziel von Gott bewegt
wird, stets consentiente voluntate bewegt werden muss,
* Nur ein paar entscheidende Sätze seien hier angeführt. Wie schon bei
Augustin, so machte auch bei Thomas der „Urständ" eine besondere Schwierigkeit,
sofern einerseits das ewige Leben ein donum gratiae sein sollte, andererseits fest-
stand, dass es nur durch Verdienst erworben wird. In Folge dessen musste der
Urständ schillernd aufgefasst werden, d. h. nicht ganz als blosse possibilitas boni
(im Sinne des höchsten Gutes, quod superexcedit naturam), aber auch niclit ganz
als habitus boni gelten. So hat schon Thomas, die Vorstellung einschiebend, dass
die vita aeterna ein bonum superexcedens naturam sei, die natürliche Ausstattung
Adams als unzureichend zur Erlangung dieses Gutes bezeichnet und dem ent-
siDrechend angenommen, in der Schöpfung sei ihm ausser der Naturausstattung eine
besondere gratia superaddita verliehen worden, mit deren Hülfe sein freier Wille
sich das Verdienst erwerben sollte, welches zum ewigen Leben geschickt macht ; s.
I Q. 95 Art. 1 : Adam hat sofort bei der Schöpfung (nicht erst nachher) die Gnade
erhalten — er war in gratia conditus — ; denn nur die gratia konnte ihm die recti-
tudo verschaffen, die da in der Unterordnung der ratio unter Gott, der inferiores vir-
tutes unter die ratio, des Leibes unter die Seele besteht. Diese Unterordnung war
aber nicht „rationalis"; denn sonst wäre sie nach dem Sündenfall geblieben; also
war sie secundum supernaturale donum gratiae. Dazu Art. 4: „Homo etiam ante
peccatum indigebat gratia ad vitam aeternam consequendam, quae est principalis
necessitas gratiae." Diese immerhin noch religiöse Betrachtung war aber vor Tho-
mas' Zeit schon vielfach durchlöchert und wurde es immer mehr; s. unten. Aus
dieser Betrachtung ergab sich weiter, dass Thomas die iustitia originalis nicht
mit dem Ebenbild Gottes, sofern es unverlierbar ist, zu identificiren, resp. es mit dem
eingeborenen Zweck der menschlichen Natur nicht zu vereinigen vermochte, sondern
es als ein übernatürliches Geschenk betrachtete, welches über das bonum naturale
und den finis naturalis hinausführt. Die Gründe für diese Betrachtung liegen auf
Thomas' Lehre vom Urständ, Sünde etc. 545
dient noch seine Lehre von den consiHis evangeHcis. Diese bildet
den Abschluss seiner Ausführungen der Lehre vom neuen Gesetz.
der Hand. Sie liegen ebenso in der Absicht, dass ein Verdienst zu Stande kommen
kann, als in der Fassung des Verdienstes als etwas Ueljernatürliches, kurz — in der
ßetrachtuno' der Askese als eines übernatürlichen, verdienstlichen, darum zum
ewigen Leben überleitenden Zustandes, resp. opus. Kann das höchste Gut nicht so
beschrieben werden, dass auch das gegenwärtige Leben als Zweck in dasselbe auf-
genommen ist, dann bleibt nichts übrig, als zwei Etagen zu construiren, wobei der
Aufenthalt in der unteren Etage lediglich dem Zwecke dient, Verdienste für den
Eintritt in die obere zu sammeln. Die Sünde, die von Adam ausgegangen ist (Erb-
sünde), ist Verlust der iustitia originalis und demgemäss, da diese die ordinatio par-
tium allein bewirkte, Unordnung d. h. Auflehnung der unteren Theile wider die
oberen (concupiscentia). Dagegen bleiben die principia naturae humanae durch die
Erbsünde, die sowohl ein habitus als eine culpa ist, unbetroffen, und auch die natür-
liche Fähigkeit der ratio, das Gute zu erkennen und zu wollen, ist nur geschwächt,
aber nicht ausgetilgt. Die Hauptsätze sind (IT, 1 Q. 82 — 89): „. . . alio modo est
habitus dispositio alicuius naturae ex multis compositae secundum quam bene se
habet vel male ad aliud . . . hoc modo peccatum originale est habitus; est enim
quaedam inordinata dispositio proveniens ex dissolutione illius harmoniae, in qua
consistebat ratio originalis iustitiae, sicut aegritudo corporalis . . . unde peccatum
originale languor naturae dicitur" (theils ästhetisch, theils pathologisch ist diese
Betrachtung 82, 1). „Peccatum originale materialiter quidem est concupiscentia,
formaliter vero est defectus originalis iustitiae" ; jenes ist die Erbsünde, weil die
„inordinatio virium animae praecipue in hoc attenditur, quod inordinate conver-
tuntur ad bonum commutabile, quae quidem inordinatio communi nomine potest
dici concupiscentia" (82, 3). „Peccatum originale non magis in uno quam in alio
esse potest" (82, 4). „Anima est subiectum peccati originalis, non autem caro . . .
cum anima possit esse subiectum culpae, caro autem de se non habeat quod sit sub-
iectum culpae, quidquid pervenit de corruptione primi peccati ad animam, habet
rationem culpae, quod autem pervenit ad carnem, non habet rationem culpae, sed
poenae" (83, 1). „Peccatum originale per prius respicit voluntatem" (83, 3). „Cupi-
ditas est radix omnium peccatorum" (84, 1), aber andererseits gilt: „quoniam in-
ordinate se homo ad temporalia convertens semper singularem quandam perfectio-
nem et excellentiam tamquam finem desiderat, rccte ex hac parte super])ia, quae
inordinatus est propriae excellentiae appctitus, initium omnis peccati ponitur"
(84,2). In Bezug auf den Erfolg der Sünde: „Principia naturae (primum bonum
naturae) nee toUuntur nee diminuuntur per peccatum (empirisch-psychologische
Betrachtung, der aber doch auch ein gewisser AVerth für die religiöse Auffassung
gege})en wird), inclinatio ad virtutem a natura insita (secundum bonum naturale)
diniinuitur per i)eccatum ((dhische Betrachtung, aber bedeutungsvoll für die Reli-
gion), doDum originalis iustitiae (tertium bonum naturae) totaliter est ablatum"
(religiöse Betrachtung, s. 85, 1). Dass die Sünde je die inclinatio der ratio ad bonum
total aufheben könne, wird als undenkbar ])ezeichnet, da nach Augustin „malum
non est nisi in Ijono" (85, 2). „Omnes vires animae renianent quodammodo desti-
tutae proprio ordine, ({uo naturaliter ordinantur ad virtutem, et ipsa destitutio
dicitur vulneratio naturae (vulnusignoranliae, malitiae, infirmitatis, concupiscentiae",
H. 85, 3). „Mors et oinnes dffectus eorporales conse(}uentes sunt quaedam poenae
originalis peccati, quam vis non sint iutenti a peccanti" (85, 5). Der Tod ist dem
Harnack, Dofjmfjiiffftschichff, III. 35
546 Oeschichte dea Dogmas im Zoitalter der Bettelordon bis zum 1 (>. .Tahrh.
Allein andererseits culminirt auch die Lehre von der Gnade in den
„evangehscheu Käthen", so dass sie recht eigentlich den Höhepunkt
der ganzen Betrachtung bilden. Thoraas (IT, 1 Q. 108 Art. 4) giebt
zunächst folgende Definition: „Haec est differentia inter consilium et
praeceptuni, i|uod praeceptum iraportat necessitatem, consilium autem
in optione ponitur eins, cui datur, et ideo convenienter in nova
lege, ([ime est lex hbertatis, supra praecepta sunt addita consilia,
non autem in veteri lege, quae erat lex servitutis." Hierauf wird be-
merkt, dass die praecepta novae legis zum ewigen Leben nothwendig
(aber auch ausreichend) sind, „consilia vero oportet esse de ilhs,
per quae melius et expeditius potest homo consequi finem prae-
dictum." Dann folgt eine Ausführung, dass der Mensch hier auf
Erden zwischen die Dinge dieser Welt und die geistlichen Güter
gestellt sei, und dass die völlige Hinneigung zu jenen durch
die praecepta aufgehoben wird. Allein der Mensch braucht sie nicht
umgekehrt völlig preiszugeben, um zum Ziele des ewigen Lebens
zu gelangen (!), „sed expeditius pervenit, totaliter bona huius mundi
abdicando et ideo de hoc dantur consilia evangelii". Die Güter dieser
Welt aber bestehen in dem Besitz äusserer Güter, in geschlechtlichen
Vergnügungen und im Besitz von Ehren, die sich beziehen auf die
Augenlust, Fleischeslust und die superbia vitae. Sie gänzlich, soweit
es möglich ist, aufzugeben, darin bestehen die evangelischen Con-
sihen, und in ihrer Befolgung besteht „omnis religio, quae statum per-
fectionis profitetur". Auch schon die Befolgung eines dieser Räthe
hat einen entsprechenden Werth, so, wenn einer einem Armen ein über-
pflichtmässiges Almosen giebt, sich des Gebetes wiegen eine Zeit lang
der Ehe enthält oder seinen Feinden über Gebühr Gutes thut, u. s. w.
Die Befolgung dieser Räthe begründet in noch höherem Masse als
die Befolgung der Gebote ein Verdienst, so dass es hier in eminenter
Weise gilt, dass Gott das ewige Leben dem Menschen nicht nur aus
Gnaden schenkt, sondern auch kraft seiner Gerechtigkeit ^
Menschen natürlich secundum naturam universalem, non quidem a parte formae,
sed materiae (85, 6). Q. 86 handelt de macula peccati, Q. 87 de reatu poenae,
Q. 88 und 89 de peccato veniali et mortali.
* S. die grosse Ausführung m S. II, 2 Q. 184 — 189 „de statu perfectionis "*
(Bischöfe und Mönche), wo Q. 184 Art. 2 die triplex perfectio geschildert wird und
es von der hier auf Erden möglichen dritten heisst, es sei zwar nicht erreichbar, dass
Einer in actu semper feratur in deum, erreichbar aber sei, dass „ab affectu hominis
excluditur non solum illud quod est caritati coutrarium, sed etiam omne illud i|U()d
impedit ne affectus mentia totaliter dirigatur ad deum" ; die ganze Idee der consilia
speciell der virginitas schon bei Pseudocyprian, de bono pud. 7 : „virginitas quid
aliud est quam futurae vitae gloriosa meditatio?"
i
Beurtheilung der Gnadenlehre des Thomas. 547
Die Gnadenlehre des Thomas, vom Standpunkt der Religion be-
urtheilt, zeigt ein doppeltes G-esicht. Einerseits blickt sie rückwärts
auf Augustin ^, andererseits blickt sie vorwärts auf die Zersetzung,
welche der Augustinismus im 14. Jahrhundert erfahren sollte. Wer
den Thomismus aufmerksam prüft, wird finden, dass sein Urheber das
ernstliche Bestreben hat, vermittelst einer streng religiösen Betrachtung
die Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade zu behaupten; er ward
aber andererseits constatiren müssen, dass fast an allen entschei-
denden Punkten die Darstellung schliesslich in eine an-
dere Richtung weist, weil der Effect der Gnade selbst in einem
Ziele angeschaut wird, welches theils hyperphysischen theils moralischen
Charakter trägt (participatio divinae naturae — Caritas, verbunden
durch den Gedanken, dass die Caritas meretur vitam aeternam)^.
Allein dem gegenüber, was schon durch Halesius, Bonaventura und
Andere aufgestellt worden w^ar, resp. zur Zeit gelehrt wurde, w^ar der
Thomismus bereits eine religiöse Reaction; denn jene Theologen
hatten viel entschiedener die Richtung verfolgt, die Gnadenlehre durch
die Lehre vom Verdienst unwirksamer zu machen. Durch Thomas'
Auftreten wurde eine Ent^nckelung gehemmt, die sich ohne ihn viel
schneller durchgesetzt hätte, schliesslich aber doch (seit der Mitte
des 14. Jahrhunderts) durch die siegreichen Kämpfe der Scotisten
gegen die Thomisten die Oberhand in der Kirche erhielt, dadurch eine
neue Reaction hervorrufend, die sich seit dem Ausgang des 14. Jahr-
hunderts langsam gesteigert zu haben scheint ^.
* Man darf es aucli auf Au^stin zurückführen, dass bei Thomas, wie bereits
oben bemerkt, die specifische Art der Gnade propter Christum und per Christum
in der gesammten Gnadenlehre gar nicht deutlich zum Ausdruck kommt. Uer Zu-
sammenhang ist lediglich ab und zu behauptet, aber nicht deutlich nachgewiesen,
wie denn auch die ganze Gnadenlehre vor derLehre von derPerson
Christi abgehandelt wird. Ist das zufällig? Nein gewiss nicht! Es zeigt sich
hier wieder, dass man im Abendland, weil man die mystisch-cyrillische Theorie
nicht aufrechterhielt (Soterologie und Soteriologie als identisch) — trotz Anselm —
darüber völlig unsicher geworden ist, wie man eigentlich die Christologie dogmatisch
auszubeuten habe. Man fand den einzig möglichen Ausweg nicht, sich ohne theo-
retische Speculation an den Eindruck der Person zu halten, die; (-leist und Leben,
Gewissheit und Seligkeit weckt.
* Darum spielt auch der Glau})e und die Sündenvergebung trotz aller Worte
fine geringe Rolle. Der Glaube ist entweder fides informis, also noch nicht
Glaube, oder fides formata, also nicht melir (Jlaube. Der Glaube als innere
fiducia ist ein Tlebergangsstadium.
" Gerade in der Gnaden- und Sündenlehre erhielten die Scotisten mehr und
rnelirdie Oberhand; in B(!zug auf andere Lehren wurden ihre dialektisch-skeptischen
Untersuchungen mit geringerem Erfolg gekiönt.
35*
548 (rosc-hichto des Doornias im Zeitalter der Bettelordeu bis zum 16. .Tahrii.
An allen Punkten von der Lehre über die Natur des Menschen
und dem Urständ an bis zur Lehre von der Vollendung zeigen sich die
aullösenden Tendenzen der von Halesius, Bonaventura und Scotus ge-
leiteten späteren Scholastik.
1. Halesius, der auch der Erste gewesen ist, der den Ausdruck
„übernatürliches Gut" im technischen Sinn in die Dogmatik eingeführt
hat, lehrte, dass die iustitia originaHs zur Natur des Menschen selbst
als ihre Vollendung gehöre, dass aber von dieser die gratia gratum
faciens zu unterscheiden sei, die der Mensch im Urstande auch schon
als übernatürliches Gut besessen habe; allein diese sei ihm nicht in der
Schöpfung, sondern nach der Schöpfung zu Theil geworden, und
zwar habe sie sich Adam durch gute Werke ex congruo ver-
dient K Also schon so frühe sollen die Verdienste beginnen! Davon
weiss Thomas nichts ; allein Bonaventura hat diese Lehre wiederholt -,
auch bei Albertus findet sie sich-\ und die Scotisten hielten an ihr fest^.
Der Vortheil, den diese Lehre bot, nämlich die iustitia originalis, die
von der gratia gratum faciens ^unterschieden wurde, zur Vollkommen-
heit der menschlichen Natur selbst rechnen zu können, v;urde reichlich
aufgewogen durch den Schaden, dass das meritum de congruo schon in
das Paradies selbst verlegt und so der „Alleinwirksamkeit" der Gnade
von Anfang an das Verdienst zur Seite gestellt w^urde. Das meritum
de congruo ist also früher als das meritum de condigno; denn dieses
konnte und sollte erst nach dem Empfang der gratia gratum faciens
bei Adam eintreten, damit er sich das ewige Leben verdiene.
2. Schon bei Thomas (s. oben S. 545) zeigen sich Ansätze zur
Auflösung der augustinischen Lehre von der Sünde und Erbsünde,
sofern er den Satz nicht mehr rund zugiebt : „naturalia bona corrupta
sunt", sofern er die Concupiscenz, die an sich nicht böse ist, nur
als languor et fomes definirt, die negative Seite der Sünde stärker
als Augustin betont und, weil die ratio geblieben ist, eine fort-
dauernde inclinatio ad bonum annimmt. Allein er hat doch strenger
gelehrt als Anselm, der eigenthch lediglich das Negative betonte und
auch in Bezug auf den Schuldcharakter zu schwanken begann ^. Ihm hat
' Schwane, a. a. 0. S. 379 f. 8. II Q. 06 membr. 1: „Alii ponunt, ipsum
(Adam) fuisse conditum solummodo in uaturalibus, non in gratuitis gratum facien-
tibus et hoc maois sustinendum est et maoris est rationi consonum . . . Sic noluit deiis
gratiam dare nisi praeambulo merito congrui per bonum usum uaturae."
2 S. Schwane S. 383. ^ S. Schwane S. 384.
■* A. a. O. S. 391. Werner, Scotus S. 410 tt'. Scotus selbst sagt: „Adam
conditus fuit sine omni peccato et sine gratia gratum facieute" (Report. Fai-. 111
D. 13 Q. 2 n. 3).
° De conceptu virg. 27: „Hoc peccatum, quod originale dico, aliud intolleorero
Die Gnaden- und Sündenlehre der späteren Scholastik. 549
sich Duns angeschlossen, sofern er die Frage nach der Concupiscenz
im Grunde von der Frage nach der Erbsünde getrennt hat; jene
ist ihm nicht mehr das formale an dieser, sondern lediglich das ma-
teriale. So bleibt für die Erbsünde bloss die privatio des übernatür-
hchen Gutes, die dann allerdings eine störende Folge für die Natur
des Menschen gehabt hat, ohne dass irgend etwas von den natür-
lichen Gütern wirklich verloren gegangen wäre ^
nequeo in infantibus nisi ipsam, factam per inobedientiam Adae, iustitiae debitae
nuditatem, per quam omnes filii sunt irae : quoniam et naturam accusat spontanea
quam fecft in Adam iustitiae desertio, nee personas excusat recuperandi impotentia.
Quam comitatur beatitudinis quoque nuditas, ut sicut sunt sine omni iustitia, ita sint
absque omni beatitudine." C. 22: „Peccatum Adae ita in infantes descendere, ut
sie puniri pro eo debeant ac si ipsi singuli illud fecissent personaliter sicut Adam,
non puto." Daher auch jetzt die Vorstellung vom limbus infantium immer mehr
hervortrat. Die Ablehnung der Verdammniss der Kinder wirft aber den ganzen
Augustinismus über den Haufen.
* Comm. in Sent. 11 Dist. 30 Q. 2: Die Erbsünde kann nicht die Concupiscenz
sein; denn diese ist 1) natürlich, 2) „. . . tum quia non est actualis, quia tunc illa
concupiscentia esset actualis, non habitualis, quia habitus derelictus in anima
ex peccato mortali non est peccatum mortale, manet enim talis habitus
dimisso peccato per ijaenitentiam ; nee etiam ignorantia est, quia parvulus
baptizatus ita ignorat sicut non baptizatus." Man ist nun gespannt zu hören, was
die Erbsünde denn sei, und erhalt die Antwort (D. 32 unter Berufung auf Anselm) :
„carentia iustitiae debitae." „Et si obicitur, quod aliqui sancti videutur dicere
concupiscentiam esse peccatum originale, respondeo : concupiscentia potest accipi
vel prout est actus vel habitus vel pronitas in appetitu sensitivo, et nullum istorum
est fonnaliter peccatum, quia non est peccatum in parte scnsitiva secundum Ansel-
mum. Vel potest accipi, prout est pronitas in appetitu rationali, i. e. in voluntate
ad concupiscendum delectabilia immodcrate, quac nata est condelectari appetitui
sensitivo, cui coniungitur. Et hoc modo concupiscentia est materiale
peccati originalis, quia per carentiam iustitiae originalis, quae erat
sicut frenum cohibens ipsam ab immodcrata delectationc, ipsanon
positive, sed per privationcm, fit prona ad concupiscendum im-
moderate delectabilia." Sehr lax ist bei Duns auch die Auflassung der ersten
Sünde des Menschen (Adams) im Unterschied von der Sünde der Engel; sie sei
nicht aus ungeordneter 8clbstlie))c entsprungen, sondern habe ihre Wurzel in un-
geordneter Liebe zu der ihm beigesellten Gattin gehabt (Werner S. 412); diese
ungeordnete Gattenliebe war aber 1) keine libidinose, da es im Urstande keine
böse libido gegeben habe, 2) war die Handlung, zu der sich Adam verleiten liess,
keine ihrer Natur nach unsittliche Handhmg, sondern nur die lJ(!l)ertretung eines
eiuer Prüfung wegen auferlegten Gebotes. Somit hat sich Adam nur indirect
g(!gen das Gebot der (Jottcsliebe verfehlt und zugleich die Nächstenliebe dadurch
übertreten, dass er durch Nachgiebigkeit das richtige Mass ül)erschritt. Das ist
ein verhältnissmässig geringer Fehler und kommt in seiner Schwere der geringsten
Verfelilung einer natürlichen Sittlichkeitsregel nicht gleich. Mitdieser empiristi-
schen Auffassung vergleiche man Augusiin's oder Anselm's Beschreibung der Grösse
der ersten Sünde ! Hinzunehmen muss man noch, um den Pclagianismus des Scotus
550 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
3. Nach Thomas ist die Grösse der ersten Sünde (und somit auch
der Erbsünde) unendlich, nach Scotus ist sie endHch.
4. Bereits der Lombarde hatte gelehrt, dass sich die Erbsünde
ledigHch durch das Fleisch fortzeugt und die dazugeschaffene Seele
dadurch beflockt wird'. Er nahm also, wie viele Andere, an, dass
deutlich zu erkennen, dass er die Lehre des Thomas, im Stande der iustitia originalis
sei auch die geringste lässliche Sünde undenkbar gewesen, bestreitet. Nach ihm
waren nur Todsünden unmöglich; dagegen waren, da der Mensch im Urständ eben
Mensch war, solche Sünden sehr wohl möglich, die nicht unmittelbar den Verlust
der Gerechtigkeit nach sich zogen, sondern nur eine Verzögerung in der Er-
reichung des letzten Zieles herbeiführten. AVio klein erscheint bei dieser Betrachtung,
trotz aller Behauptung des Gegentheils, die Bedeutung der ersten Sünde und der
Erbsünde! In verhüllter Weise hat Duns wie Julian von Eklanum gelehrt: dem
natürlichen AVillcn ist einerseits die Qualität eigen, sich dem Guten ohne An-
strengung zuzuwenden, andererseits weil er AVille des Menschen ist, war auch im
Urständ die Möglichkeit der „kleinen" Sünden gegeben! Occam zieht hier wieder
die letzten Consequenzen (s. Werner II S. 318 f.). Da Alles willkürlich ist, so be-
hauptet er einerseits, man dürfe nicht bestreiten, dass es in Gottes Macht stehe,
dem Sünder ohne Busse und Reue die Sündenschuld zu erlassen und die Heilsguade
zu spenden; andererseits negirt er jeden inneren ideell nothwendigen Zusammenhang
zwischen der sittlichen Schuld und der Strafe oder Büssung. „Die theologische
Scholastik", sagt Werner mit Recht, „langt hiermit bei dem extremen Gegentheil
der in der Anselm'schenSatisfactionstheorie ausgedrückten Idee der Unverbrüch-
lichkeit einer heiligen Ordnung an, deren absolutes Gerechtigkeitsgesetz es
mit sich bringe, dass Gott nur um den Preis einer höchsten Sühne, deren Leistung
alles Vermögen einer blossen Creatur übersteigt, den reatus poenae aeternae erlassen
könne." Occam hat aber nicht aus Laxheit die Principien des Augustinismus zer-
stört; vielmehr concuri'irten bei ihm deutlich zwei Momente, „der absolute Mangel
eines ideellen Weltverständnisses" (oder sagen wir richtiger sein piiilosophischcr Empi-
rismus) und das höchste Interesse, die Nothwendigkeit der Heilsgnade Christi ledig-
lich aus der Offenbarung selbst zu bestimmen. Allein — vestigia terrent: man kann
an den geschichtlichen Consequenzen des Occamismus studiren, dass die denkende
Menschheit es sich auf die Dauer nicht gefallen. lässt, dass ihr die Religion lediglich
als Offenbarung vorgestellt wird und alle Stränge durchschnitten werden, welche
diese Offenbarung mit dem Weltverständniss verbinden. Von Occam aus geht sie
entweder wieder auf Thomas zurück (Bradwardina und seine geistige Descendenz,
vgl. ferner den Piatonismus des 15. Jahrhunderts) oder schreitet zum Soci-
niauismus fort. Aber sollte es nicht möglich sein, dass die Geschichte der Religion
der denkenden Betrachtung fortab den Dienst leistet, den ihr bisher das ideelle
AVeltverständniss Plato's, Augustin's und Thomas' geleistet hat? Ohne ein Absolutes
wird man freilich nicht auskommen; aber man wird es als Erlebniss ergreifen. Der
Nominalismus, der die christliche Religion von der sie verkehrenden „AVissenschaft"
befreien wollte, scheiterte an dieser richtig gestellten Aufgabe, weil er die Religion
als Unterwerfung unter einen ungeheuren Stoff verstand, der, geschichtlich ent-
standen, sich keine Isolirung gefallen lässt.
^ Sent. n Dist. 31 A. B: „caro sola ex traduce est." Mit Augustin wird die
Fortpflanzung der Erbsünde aus der Lust beim Zeuguugsact abgeleitet; „uude ciux)
Die Gnaden- und Sündenlehre der späteren Scholastik. 551
die Erbsünde insofern Erbsünde ist, als sie sich wie ein contagium
von Adam ab fortpflanzen müsse; dabei streift er andererseits auch
den Gedanken Augustin's: „omnes illi unus homo fuerant i. e. in eo
materialiter erant", wobei freilich auf materialiter der Nachdruck
liegt, so dass die Sache nicht mystisch, sondern realistisch zu ver-
stehen ist^ Obgleich nun Thomas dem gegenüber, um die Schuld
auszudrücken und zugleich den Accent auf den Willen (nicht nur
auf das Fleisch) zu legen, eine mystisch begründete Imputation gel-
tend gemacht hat-, so blieb doch jene Vorstellung die herrschende.
Ist nun trotzdem schon bei Thomas die Schuld der Erbsünde sehr
abgemildert, so erscheint sie bei Duns vollends gering trotz aller
Worte über dieselbe. Ja auch die Folgen der Sünden zeigen sich
bei ihm in einem anderen Licht; denn da die Erbsünde lediglich
nichts Anderes ist als Verlust des übernatürlichen Donums, so hat
sie die Natur des Menschen nicht angegriffen. Diese bleibt auch
nach dem Sündenfall unverwundet. Duns polemisirte geradezu gegen
die thomistische Definition der Erbsünde als vulneratio naturae^.
Nimmt man nun noch dazu, dass durch die Haarspaltereien über
macula, corruptio naturae, reatus culpae und poena die Sache vol-
lends ins Casuistische gezogen wurde, so muss man urtheilen, dass
der Scholastik schliesslich der augustinische Ausgangspunkt völlig
verloren gegangen ist.
Die religiöse Betrachtung der Sünde, freilich auch bei Augu-
stin nicht rein durchgeführt, ist ganz verschwunden : die Erbsünde ist
ein äusserlicher negativer Charakter, der durch den positiven der
magischen Gnade aufgehoben wird. So ist nur das hässliche Phlegma
einer einst lebendigen, das Gemüth tief bewegenden Betrachtung übrig
geblieben.
5. Es versteht sich von selbst, dass nun auch das liberum arbi-
trium viel höher geschätzt werden musste, als die augustinisch-tho-
ipsa, quae concipitur in vitiosa concupiscentia polliiitur et corrumpitur: ox cuius
contactu anima, cum infunditur, maculam trahit, qua polluitur et fit rea, i. e. vitium
concupiscentiae, quod est originale peccatum."
* So meine i(;h auch Ansclm de conc, virg. 23 verstehen zu müssen.
^ Adams sündiger Wille (als der Wille des primus movens in der Menschheit)
ist Ausdruck des Gesammtwillens; s. II, 1 Q. 81 Art. 1: „Inordinatio cpiae est in
isto hominc ex Adam generato, non est voluntaria voluntate ipsius, sed voluntate
primi parcntis, qui movet motione gcnerationis omnes quiex eiusoriginederivantur."
Daher ist die Erbsünde nicht personelle Sünde, sondern peccatum naturae, wodurch
in Wahrheit ihre Bedeutung und Schwere sehr herabgemindert ist.
' In Sentent. 11 Dist. 29. Ebendort die Ausführung darüber, dass die „volun-
taa in puris naturalibus habet iustitiam originalem".
552 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden biß zum 16. Jahrh.
mistische Ueberliefcrung dies zuliess. War einmal die Grundthese
verhissen, dass es nur sittHch Gutes giebt in dem Zusannnenhang
(der Abhängigkeit) mit Gott, galt also wieder die Betrachtung, dass
der Mensch Gott gegenüber mit selbständigen Leistungen paradiren
könne, so nuisste der Process der Aushöhlung des Augustinismus —
denn die Formeln durfte man nicht preisgeben — unaufhaltsam werden.
Hatte doch Thomas selbst, wenn auch erst sehr schüchtern, dem
freien AVillen seinen besonderen Spielraum neben der Gnade anzu-
weisen begonnen. Sein Verfahren, mit der einen Hand zu geben und
mit der anderen zu nehmen, war auf die Dauer unhaltbar. Bonaventura
hat die 1^'ädestination auf die Präscienz gestellt und Gott als causa
in Bezug auf die vernünftigen Creaturen eingeschränkt: er ist nicht
tota causa, sondern causa cum alia causa contingente, seil, cum libero
arbitrio. Der creatürliche Wille ist bei Duns und ebenso bei den
führenden Theologen bis zum Constanzer Concil (und weiter) die
zweite grosse Macht neben Gott * , und was sie in der Sphäre der
' Bonaventura (in Sentent. I Dist. 40 Art. 2 Q. 1) fragt: „an praedcstinatio
inferat salutis ncccssitatcm?" Er antwortet: „Praedcstinatio non iufert nccessitatem
saluti uec infert necessitatem libero arbitrio. Quouiam praedestinatio non
est causa salutis uisi includendo merita (voller Abfall von Augustin), et
ita salvando liberum arbitrium (das ist amphibolischj. Ad intellij^cutiam autem
obicctorum notaudum, quod praedestinatio duo importat, et rationem praescientiae
et rationem causae. In quautum dicit rationem causac, non uecessario ponit
effectum, quia non est causa per necessitatem, sed per voluntatem, et
iterum non est tota causa, sed cum alia causa contingente, seil, cum libero arbitrio.
Et regula est, quod quotiescumque effectus pendet ex causa necessaria et variabili
— a necessaria tamquam ab universali, a variabili tamquam a particulari — deno-
minatur a variabili (damit ist die Prädestination beseitigt), quia denominatio est a
causa particulari, et effectus, quia dependet a causa contingente, est
contingens. Et praeter rationem causae importat rationem praescientiae, et
praescientia quidem totum includit in cognitione liberum arbitrium et eins
Cooperationen! et vertibilitatem et totum. Et praeterea non est nisi veri, et etiam
de vero contingente est infallibilis." Die Prädestinationslehre des Duns ist sehr
complicirt. Sie ist abhängig von seinem Gottesbegriff, der einen Determinismus
der Willkür einschiiesst (s. Ritsch 1, a. a. 0. I S. 58 f. 64). Aber eben weil der
Alles wirkende Gott stets der zufällig wirkende Wille ist, ist die Möglichkeit, dass
es Zufälliges in der AVeit giebt, eröffnet. Dieses Zufällige umschliesst Gott nur mit
seiner Präscienz, und diese Präscienz umschliesst das Mögliche ebenso wie das
Wirkliche. Damit ist nicht nur die Prädestination als einheitliche und innerlich moti-
virte aufgehoben, sondern Gott selbst erscheint nicht mehr als das absolute Wesen,
welches Eines will und kann, sondern als das relative Wesen, welches alles Mög-
lichein unergründlicher AVcise will und kann. Einem solchen Gottesbegrift'gegeuüber
kann sich der AVille des Menschen nicht nur als freier, sondern auch als relativ
guter behaupten, und so verschwindet die Prädestination und die allein causirende
Gnade, o^er vielmehr die Prädestination bleibt insofern, als der absolute Zufall und
Die Gnaden- und Süudenlehre der späteren Scholastik. 553
empirischen Psychologie richtig feststellen, dem geben sie auch
eine materiale und positive religiöse Bedeutung. Damit
aber entfernen sie sich wie von Augustin, so von der llehgion-, denn
Augustin kennt als Dogmatiker den freien Willen nur als formales
Princip oder als Ursache der Sünde. Es ist das ererbte Verhäng-
niss der mittelalterhchen Dogmatik, dass bei der Verquickung von
Welterkennen und Religion schliesslich eine relativ richtigere Welt-
erkenntniss dem Glauben ebenso gefährlich wird, ja noch gefährlicher
als eine falsche; denn jede auf irgend welchem Wege gefundene
Erkenntniss wurde sofort als ein religiöser Werth in die Rechnung
eingestellt. Gegen den Pelagianismus, der sich immer ungescheuter
des Augustinismus ledigHch als „Kunstsprache" bediente, hat zuerst
wieder Bradwardina kräftig Front gemacht, und seitdem ist die
Reaction nicht mehr erloschen, sondern hat sich langsam im 15. Jahr-
hundert bis zu Wesel und AVessel, Cajetan und Contarini, bis zu Luther
und dem Tridentinum gesteigert ^
die absolute Willkür sich decken; s. in Sent. 1 Dist. 40 in resol.: „Praedestinatio
bifariam accipitur. Primo et proprie pro actu divinae volantatis, quo rationalem crea-
turam ad aeternam eligit vitani scu decernit ac determinat se daturum in praesenti
gratiam et gloriam in futuro. Secundo accipitur fusius pro actu etiam
intellectus divini, pro praecognitione vid. quam habet deus salutis
electorum, quae quidem praccognitio concomitatur et consequitur
electionem. Divina autem voluntas circa ipsas creaturas libere et contingenter se
habet. Quocirca contingenter salvaudos praedcstinat, et posset eosdem non prae-
destinare . . . Ex quo consequitur, quod is qui damnatus est damnari possit, quando-
quidem ob eius praedestinationem non est eins voluntas in bonum confirmata, ut
peccare nequeat."
* Aus Bradwardiua's Vorrede zur Schrift de causa dei c. Pelagium führt
Mün scher folgende Stelle an: „In hac causa, quot, domine, hodie cum Pelagio pro
libero arbitrio contra gratuitam gratiam tuam pugnant, et contra Paulum pugilem
gratiae spiritualem ! Quot etiam hodie gratuitam gratiam tuam fastidiunt solumque
liberum arbitrium ad salutem sufficcre stomachantur! aut si gratia utantur, vel per-
functorie necessariam eam simulant ipsamque se iactant liberi sui arbitrii viribus
promercri, ut sie saltem nequaquam gratuita, sed vcndita videatur! Quot etiam,
deus omnipotens, impotentes de sui potcstate arbitrii praesumentes tuae coopera-
tionis auxilium inoperationibus suis recusant, dicendo cum impiis „recedcanobis" . . .
Quin immo et voluntati suae in contingenter futuris omnimodam tribuunt libertatem,
in tautum ut etiam contra vocem i)ropheticam a tua subicctionc exemptionem
praetendant . . . Et quot et (|uam innumcrabiles eisfavent! Totus cteuim pacne
niundus postPelagiam abiit in errorem. Exsurge igitur, domine, iudica cau-
sam tuam et sustincntem te sustine, protcge, robora, consolare! Scis enim quod nus-
quam virtute mea, sed tua confisus, tantillus adgredior tantam causam." Mau erkeinit
leicht, dass hier, wie bei Gottschalk, die Stimmung und der Stil Augustin's ein-
gewirkt hat. Aber ikadwardina und alle die Reformer nach ihm vor Luther sind
lediglich auf Augustin zurückgegangen (Wichf, Hus, Wesel, Wcssel, Staupitz etc.).
554 Geschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
6. Am deutlichsten und praktisch am folgenschwersten ist die
weitere Entwickelung der Scholastik in Bezug auf die Rechtfertigungs-
lehre und die Lehre von der verdienstlichen Erwerbung des ewigen
Lebens gewesen. Aber wie viele Keime zur pelagianischen Entar-
tung dieser Lehren hat bereits Thomas selbst in sein System ein-
gepHanzt! Ich will hier nicht repetiren, was bereits oben in der Dar-
stellung der thomistischen Gnadenlehro selbst klar hervorgetreten
sein wird. Das deutlichste Ergebniss der Weiterentwickelung im
Scotismus besteht darin, dass 1) der entscheidende Erfolg der gratia
praeveniens immer mehr zu einer blossen Behauptung, resp. einer
Redensart wird — die gratia cooperans ist allein die verständliche
Gnade — , dass 2) das, was bei Thomas meritum ex congruo ist, zum
meritum ex condigno wird, während die merita ex congruo in sol-
chen Regungen und Handlungen angeschaut werden, die Thomas
überhaupt nicht unter den Gesichtspunkt eines meritum gestellt hat,
und dass 3) parallel mit der Verdienstlichkeit der attritio die Ver-
dienstlichkeit der iides informis, des blossen Glaubensgehorsams, höher
geschätzt wird. An diesem Punkte war das Verderben viel-
leicht am grössten; denn die iides implicita, die blosse Unter-
werfung, wurde jetzt gewissermassen dogmatisches Grundprincip K
Eben darum ist diese Bewegung nicht in die evangelische E/cformation, sondern
in das Tridentinum, resp. bei Bajus und Jansen ausgemündet; s. Ritschi, Recht-
fertigung 1. Bd. 2. Aufl. S. 105 — 140. Ritschi beginnt diese Ausführungen mit den
nicht ganz zutreflenden Worten : „Man wird sich vergeblich bemühen, den reforma-
torischen Lehrbegriif von der iustificatio, nämlich die absichtliche Unterscheidung
zwischen iustificatio und regeneratio, bei irgend einem Theologen des Mittelalters
nachzuweisen." Ueber Bradwardina's Lehre vom freien Willen hat Werner (III
S. 270 ff.) ausführlich gehandelt. Mit dem vollsten Bewusstsein, dass es sich um den
articulus stantis et cadentis ecclesiae handle, hat Bradwardina Augustin's Lehre von
der Unfähigkeit des freien Willens zum Guten repristinirt. Ob er den Gesichtskreis der
augustinischen Theologie durch Zurückführung des Inhalts derselben auf die Lehren
von der Unwandelbarkeit des göttlichen Denkens und Wollens als auf den letzten
Grundgehalt wirklich verengt hat (Werner S. 282 ft'.), lasse ich dahin gestellt sein.
Der Determinismus scheint allerdings auch mir bei Bradwardina stärker hervorzu-
treten als bei Augustin-, allein Werner hat ein Interesse, Bradwardina möglichst
weit von Augustiu, Anselm und Thomas abzurücken, weil seine Lehre zu Wiclif und
zu jenem Augaistinismus geführt hat, den die katholische Theologie nicht mehr ver-
trägt, deraber in Wahrheit genuiner Augustinismus ist. Andererseits jedoch können
jene Theologen den puren Nominalismus Occam's auch nicht brauchen. Daher wird
Bradwardina so weit anerkannt, als er „gleichsam unfreiwillig (?) ein Zeuge für die
Nothwendigkeit einer Restauration der kirchlichen Scholastik auf thomistischer
Unterlage" geworden ist.
* Die fides implicita war keimhaft von Anfang an in dem abendländlischen
System als ein Factor enthalten, dem ein religiöser Werth beigelegt wurde. Allein
erst im Nominalismus ist dieser Keim zur Blüthe gelangt.
I
Die Gnaden- und Sündenlehre der späteren Scholastik. 555
Nach Scotus darf dem Menschen, der den habitus gratiae nicht
besitzt, desshalb ausser Verbindung mit Gott steht und daher nichts
für das ewige Leben wirkUch Verdiensthches leisten kann, das Ver-
mögen nicht abgesprochen werden, den götthchen Geboten durch sein
Verhalten zu entsprechen. Er kann diese Gebote noch immer er-
füllen — sonst würde Gott etwas Unmöghches von ihm verlangen
und würde parteiisch sein, wenn er nicht Alle beseeligt — , und er
muss sie erfüllen; denn er muss sich selbst auf die erste
Gnade präpariren. Da es eine natürliche Pflicht ist, Gott über
Alles zu lieben, so ist es auch eine erfüllbare Pflicht ; demgemäss
ist auch die natürHche Gerechtigkeit der Heiden und Sünder nicht
ohne Beziehung zu den übernatürHchen Tugenden; ja es lässt sich
keineswegs erweisen, dass stets ein durch die übernatürhche Gnade
bewirkter caritativer Habitus nöthig ist, um Gott über Alles zu lieben,
vielmehr ist dies einfach ein kirchlicher Lehrsatz. Mindestens vor dem
Fall gilt alles dieses; aus Aristoteles (!) lässt sich sogar beweisen,
dass es auch nach dem Fall gilt. Von hier aus ist die Lehre des
Scotus von der Gnade und vom Verdienst zu verstehen. In Wahr-
heit geht bei ihm stets das Verdienst der Gnade vorher, nämlich
zuerst das meritum de congruo, dann das meritum de condigno ^ ;
» S. Werner I S. 418 ff. In Sentent. II Bist. 28 Q. 1, Frage: „wie kann Gott
die Schuld vergeben ohne Gnade zu geben? videretur enim esse mutatio in deo, si
non ponatur in ipso iustificato. Potest illa opinio confirmari per hoc, quod illud
praeceptum »Diliges dominum deum etc.« est primum, a quo tota lex pendet et pro-
phetae. Ad actum igitur huius pracccpti aliquando eliciendum (actus elicitus dilecti-
onis, rationis) tenetur voluntas ; ita quod non potest esse semper omissio actus huius
praecepti sine peccato mortali. Quodcumque autem voluntas actum huius praecepti
exsequitur, licet informis, et disponit sc de congruo ad gratiam grati-
ficantem sibi oblatam, vcl rcsistet et pcccabit mortalitcr, vcl consentiet et
iustificabitur." In folgender Weise wird der augustinischc Satz, dass das meritum
munus dci sei, gerechtfertigt (Dist. 17 Q. 1 in Resol.): „in actu mcritorio duo sunt
consideranda. Primum illud quod praecedit rationem meritorii, in quo includitur
substantia et intentio actus ac rectitudo moralis. Secundum est ratio meritorii, quod
est esse acceptum a divina voluntatc, aut acceptabilc, sivc dignum acceptari ad
praemium aeternum. Quantum ad primum, potentia est causa prima et priucipalis,
et habitus causa sccunda, cum potentia utatur habitu, non c converso ; alias habens
semcl gratiam nunquam posset pcccarc, cum causa sccunda semper sequatur moti-
oncm causae primae, ncc possit movcri ad oppositum illius, ad quod causa prima
inclinat. Sed accipiendo actum in quantum est mcritorius, talis
conditio ei convenit principaliter ab habitu et minus princi-
palitcr avoluntate. Magis siquidem actus acccptatur ut dignus praemio, quia
est elicitus a caritatc, quam quia est a voluntato libcre elicitus, quamvis utrum-
qucneccösario rc(|uiratur... Actus mcritorius est inpotcstatc ho-
minis, 8UX)po8ita generali influentia, si habucrit libcri arbitrii usum et gratiam,
556 Geöchichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
jenes macht den Gedanken der gratia praeveniens völlig unwirksam,
dieses die entscheidende Bedeutung der gratia coopcrans. In Worten
ist iiherall durch ahge(iuiilte Distinctionen der Augustuiismus gewahrt,
in der Sache aber ist er ahgethan. Der Satz, den auch Thomas und
Augustin nicht bestreiten, dass wir non inviti gerechtfertigt werden,
ist vom Noniinalismus pclagianisch gedeutet, und der andere Satz,
dass das ewige Leben der Lohn für die Verdienste ist, welche man
sich auf Grund der eingetlössten Gnade erwirbt, ist so gefasst, dass
dei' Accent auf den Willen und nicht auf das Verdienst Christi fällt.
Der göttliche Factor erscheint eigentlich nur in der acceptatio, die,
da sie das ganze Verhältniss von Gott und Mensch beherrscht und
willkihlich ist, nicht erlaubt von Verdiensten im strengsten (noth-
wendigen) Sinn zu reden. Die nominalistische Doctrin ist nur
insofern nicht einfacher Moralismus, als die Gotteslehre
einen strengen Moralismus überhaupt nicht zulässt. Dies
ist am deutlichsten bei Occam, der ja überhaupt den paradoxen An-
bhck gewährt, dass sein stark ausgeprägter religiöser Sinn
lediglich zu der AVillkür Gottes flüchtet. Die Zuversicht zu
sed completio in ratione meriti non est in potestatc hominis nisi dis-
positive, sie tarnen dispositive quod ex dispositone divina nobis revelata"; man
überlege hier das in diesen Distinctionen hervortretende Ja und Nein. Mit Recht
hat desshalbBradvvardina folgende Irrthümer der herrschenden Scholastik constatirt :
1) sie leugnet zwar, dass das meritum causa priucipalis doiii gratiac ist, aber sie be-
hauptet, dass es causa sine qua non ist, 2) sie leugnet zwar, dass der Mensch die heilig-
machendc Gnade von sich aus verdienen könne, aber sie behauptet, dass er sich
in schuldiger Weise für sie präj^ariren könne, und dass Gott dann seine Gnade gäbe,
weil ja auch in naturalibus der materia disposita sofort die forma geben werde,
3) sie leugnet zwar, dass der Mensch im stricten Sinn den Anfang des Heilsprocesses
mache, aber sie behauptet, dass er ex propriis viribus einwillige und folge, 4) sie
behauptet, dass der Mensch ex congruo sich die göttliche Gnade verdiene (c. Pe-
lag. 39), ^et quia iste error est famosior ceteris his diebus, et nimis multi per ipsum
in Pelagianum praecipitinm dilabuntur, necessarium videtur ij)sum diligentiori
examine perscrutari." Die Situai^ion am Anfang des 16. Jahrhunderts wird von
Ritschi (I S. 138) trefflich also geschildert: ^Der Thatbestand der öffentlichen
Lehre, welchen die Reformation vorfand, ist von beiden Seiten nicht mit geschicht-
licher Genauigkeit und Gerechtigkeit aufgefasst und dargestellt worden. Die theo-
logischen Gegner der Reformation, welche ausschliesslich Realisten waren, iguo-
riren durchaus, dass die nominalistische Schule ein und ein halbes Jahrhundert hin-
durch die pelagianische Doctrin in Betreff' der merita de congruo aufrecht erhalten
und die merita de condigno gegen das Verdienst Christ überschätzt, dass sie als
Schule gleiches öffentliches Recht wie die realistische gewonnen und auch in wis-
senschaftlicher und praktischer Hinsicht einen weitergreifenden Eiufluss auf diese
ausgeübt hat. Die Reformatoren hingegen richten die Vorwürfe und Anklagen auf
Pelagianismus, welche nur der nominalistischen Tradition gelten sollten, gegen
die Scholastik im Allgemeinen."
Die Gnaden- und Sündenlehre der späteren Scholastik. 557
dieser befreit ihn allein vom Nihilismus, und dasselbe gilt von den
grössten Theologen des Zeitalters der Reformconcilien, bis Nicolaus
von Kus eine Aenderung hervorbrachte. Der Glaube, um sich zu
erhalten, fand gegenüber den eindringenden Fluthen der Welt-
erkenntnisse keine andere Kettung mehr als die Planke der Willkür
des Gottes, an dem er mit herzHchem Verlangen hing. Jene Theo-
logen waren noch keine Moralisten — sie scheinen uns nur so — ;
erst die Socinianer wurden es. „Nach Occam lässt sich die Noth-
wendigkeit supranaturaler Habitus' zur Erlangung des ewigen Lebens
durch Vernunftgründe nicht erweisen. Der Erweis könnte nur darauf
gestützt sein, dass die jenen Habitus' entsprechenden Acte des Glau-
bens, Hoffens und Liebens ohne die supranaturalen Habitus' des Glau-
bens, Hoffens und Liebens nicht möglich seien-, dies lässt sich jedoch
nicht erweisen. Ein unter Christen lebender Heide kann dahin kom-
men, aus Gründen rein natürlicher Ueberzeugung die Artikel des
christlichen Glaubens für wahr zu halten; ein philosophisch gebildeter
Heide kann der auf natürlichem Wege erworbenen Ueberzeugung
nachleben, dass man Gott, der vorzüglicher als Alles sei, über Alles
heben müsse. Die von solchen Menschen gesetzten Acte des Glau-
bens, Hoffens und Liebens gehen nicht aus eingegossenen, sondern
aus erworbenen Habitus' hervor, welche letzteren auch bei Christen
vorhanden sein können, und bei einem gewissen Höhengrade intellec-
tueller und sittlicher Entwickelung thatsächlich vorhanden sind. Die
Nothwendigkeit übernatürlicher Habitus' steht einzig durch die Au-
torität der überlieferten Kirchenlehre fest. So sehen wir also Occam
bezüglich der Nothwendigkeit der übernatürlichen Habitus' bei dem
innerhalb der Grenzen der kirchlichen Gläubigkeit möglichen (? !)
extremen Gegensatze zu der Nothwendigkeit der übernatürlichen Ha-
bitus' angelangt." SoWerner^ Dass hier die Grenzen der kirch-
lichen Gläubigkeit noch immer eingehalten sind, ist eine lehrreiche
Behauptung des modernen katholischen Theologen. In Wahrheit ist
die Verschiebung der merita hier so weit geführt, dass der Unter-
schied von merita ex congruo und ex condigno überhaupt neutralisirt
ist: der Mensch kann sich im natürlichen Zustande merita de con-
digno erwerben; Gott aber hat die Nothwendigkeit eines übernatür-
hchen Habitus trotzdem gewollt und die entsprechenden Veranstal-
tungen getroffen'^. Mochten nun auch viele theologische Lehrer, wie
' ir S. 329 f.
"^ Die katholische Cautele lie^t lodif^lich darin, dass (ilott üboi'haupt Nieman-
dem die vita aeterna zu g(;l>en braucht, soiidcri) dass dic^selbe in jf*dem Fall ein aus
einer Anordnung stammendes willkürliches Geschenk ist. Diese Cautele aber hat
558 (beschichte dos Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
Occam selbst, ihr religiöses Gewissen durch die Reflexion beruhigt
fühlen, dass Gottes Willkür für uns sein Erbarmen ist — die allge-
meine Wirkung dieser Art Theologie konnte, zumal wenn man sich j
der attritio und der Ablässe erinnert, doch nur die sein, dass man 1
in den guten Werken die causae instrumentales für den ^
Empfang des ewigen Lebens erkannte, dass man ferner
diese guten Werke auch in der roducirtesten Gestalt als
verdienstlich beurtheilte, und dass man endlich die Unter-
werfung unter die von der Kirche gelehrte Offenbarung
für einen ausreichenden bonus motus hielt, der durch die
Sacramente so completirt wird, dass er Würdigkeit ver-
leiht. So ist der Nominahsmus auch von den ernsten Augustinern
des 14. und 15. Jahrhunderts verstanden worden. Sie sahen in ihm
eine Verleugnung der Gnade Gottes in Christo und Hessen sich in
diesem Urtheil durch die scharfsinnigsten Distinctionen der Nomina-
hsten nicht beirren: „Man spricht vergebens viel, um zu versagen;
der Andere hört von Allem nur das Nein."
Vielleicht der deutlichste Erweis des Verfalls einer innerlicli be-
gründeten Heilslehre und der steigenden Schätzung des creatürlich
Guten in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters ist die Lehre
von Maria, und zwar sowohl die Lehre von ihrer unbefleckten Em-
pfängniss als die Lehre von ihrer Mitwirkung bei dem Werke der Er-
lösung ^
1. Wir haben oben gesehen (S. 211), dass schon Augustin darüber
zweifelhaft gewesen ist, ob Maria dem allgemeinen Gesetz der Sünde
unterstanden hat, und PaschasiusRadbertus weiss bereits, dass Maria im
Mutterleib geheiHgt worden ist. Anselm, an diesem Punkt augusti-
nischer als Augustin, hatte allerdings bestimmt die unbefleckte Empfäng-
niss der Maria verworfen (Cur deus homo 11, 1 6) ; allein wenige Jahre nach
mit der Frage der Sünde und Schuld nichts zu thun, sondern entstammt der allge-
meinen Lehre von Gott.
* Die pelagianischen Motive der Marienlehre sind in der Scholastik ziemlich
verdeckt; aber bei schärferer Beobachtung doch deutlich. Uebrigens ist auch die
Behandlung der Lehre von der menschlichen Seele Christi bei Scotus und den Sco-
tisten ein schönes Paradigma für ihren Pelagianismus, doch würde hier die Dar-
legung dieser complicirten Lehrbildung zu weit führen; s. Werner I S. 427 fl".
II S. 330 ff. Das einzig Versöhnende an der Marialogie ist die AV^ahrnehmung, dass
der fromme Glaube sich über das Verhältniss der Maria zu Gott und Christus Aussagen
erlaubt, die er über sein eigenes Verhältniss nicht zu machen wagt. In diesem Sinn
ist in der Marienlehre — es erscheint freilich paradox — manches Evangelische.
Es wäre eine interessante Aufgabe, dies an der Marienlehre der einzelnen Scho-
lastiker nachzuweisen.
Die Lehre von der Maria. 559
seinem Tode tritt uns in Lyon (1140) ein Fest zu Ehren der unbefleck-
ten Empfängniss der Maria entgegen, welches beweist, wie sehr sich
bereits in den unteren Regionen der Kirche die Superstition verbreitet
hatte ^ Bernhard (ep. 174 ad canonicos Lugd.) widersprach dem neuen
Feste, trat aber der Vorstellung, die sich in ihm aussprach, mit hölzer-
nen Waffen entgegen : Maria sei schon im Mutterleibe geheiligt worden,
sei auch von aller Sünde bewahrt geblieben; aber ihre Empfängniss
sei nicht sündlos gewesen, sonst müsste auch die ihrer Eltern es gewesen
sein (d. h. wenn man auf diesem Wege den Nachweis für die sündlose
Geburt Christi erbringen wolle) ; die sündlose Empfängniss sei eine Prä-
rogative Christi. Allein wenn nach allgemeiner Meinung das bereits
feststand, was Bernhard über die Sündlosigkeit der Maria dargelegt
hatte ^, und ausserdem der Geburtsact im Lichte des Wunders strahlte,
wie konnte man es der Logik in diesen Phantasieen verwehren, bis zum
Letzten vorzudringen ? Die vorscotistischen Scholastiker leugneten frei-
hch noch die unbefleckte Empfängniss (auch Bonaventura) ; aber wenn
Thomas die Heiligung in utero festhält, also sofort nach der Conception
eine besondere Wirkung der Gnade auf Maria annimmt, warum soll man
nicht die Erbsünde selbst ihr absprechen? Thomas antwortet, weil
Christus der Erlöser aller Menschen sei ; das wäre er aber nicht mehr,
wenn Maria frei von der Erbsünde geblieben wäre (S. III Q. 27).
Allein — der Scholastik ist ja Alles möglich — warum kann man nicht
annehmen, dass Christi Tod rückwirkende Kraft für Maria gehabt habe?
Ferner — die Erbsünde ist ja eine blosse privatio ? Warum kann Gott
nicht, der Alles kann, Maria von Anfang an mit der Gnade erfüllen ?
Und ist diese Erfüllung nicht nothwendig, wenn sie später nicht nur eine
passive, sondern eine active Rolle bei dem Erlösungswerk spielen
* Die Geschichte der Marienverehrung ist durchgängig eine Geschichte, in der
die superstitiöse Gemeinde- und Mönchsreligion aus ihren dunklen Gründen nach
Oben gewirkt und die Theologie, welche sich zögernd unterwarf, bestimmt hat;
aber, genau betrachtet, gilt dies fast von allen specifisch abendländischen katholi-
schen Praktiken und Lehren. Die Tzrj.puoooi<; a-j-pa^o?, die Tradition, welche jetzt als
die päpstliche in Ansprucli genommen wird, die semper, ubique et apud omnes ge-
wesen ist, ist — die gemeine Superstition , das Heidenthum. In diesem
»Sinn kann man den katholischen Satz nicht bestreiten, dass die römische Kirche
die Kirche der stabilen und doch zugleich lebendigen Tradition ist. Stabil ist diese
Tradition, weil die aus Furcht und Sinnlichkeit zusammengesetzten niederen reli-
giösen Tn^tincte stabil sind, lebendig, weil die Theologie schrittweise diese
Instincte durch ihre Künste legitimirt hat. Die Litteratur über die Mari«niverehrung
s. Bd. TI S. 451 und Reusch, Theol. Lit.-Ztg. 1887 No. 7.
* Nach der Angabe eines Mönches hat Bernhard, der ihm im Traume erschienen,
seine Bedenken gegen die unbefleckte Empfängniss bereut und revoeirt (s. Werner
IT S. :U9 f.).
560 Oeschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bis zum 16. Jahrh.
sollte (s. siib 2)? So hielt es denn Scotus für „probabile", dass Maria
sündlos enipCan^en sei, also die concupiscentia carnis nie besessen habe
(in Sent. II i Dist. 3 Q. 1). Seitdem sind die Franciskaner mit Energie
gegen die Dominikaner (Thomisten) für diese AulVassung eingetreten.
Die „rückwirkende Kraft der Erlösung" wurde das Feigenblatt auf den
Abfall von (yhristus, und — um in der Kunstsj)rache zu reden — „ihre
Praeservation von der (Jontraetion der Erbsünde hat ihren Angemessen-
heitsgrund darin, dass der Mittler (Jhristus sich an irgend einer Men-
schencreatur, die hierfür vor allen anderen geeignet war (also meritum
de congruo der Maria, ex praescientia erkannt), in vollkommenster
Weise als Mittler erweisen sollte. Die vollkommenste Art
der Mediation ist diese, durch welche der Beleidigte in solcher Art prae-
venirt wird, dass er gar nicht über die ihm zugefügte Beleidigung zu
zürnen beginnt, und somit eine Verzeihung als überflüssig ent-
fällt" '. Diese Begründung ist ausserordentlich lehrreich-, denn sie ent-
hält implicite das Eingeständniss, dass Christus nicht der vollkommene
Erlöser aller Menschen ist, sondern ihnen nur die Möglichkeit der
Erlösung begründet. Das ist katholisch richtig gedacht; aber man
pflegt es dort nicht deutlich auszusprechen, ja scheut sich mit gutem
Grund aufs ernstlichste davor. Thomisten und Scotisten wetteiferten
in der Verb errhchung der Maria; aber jene feierten an ihr die Kraft und
den Glanz der Gnade, die da läutert und reinigt, diese feierten die Gnade,
die ab origine selbst die Innocenz verleiht. Aber wenn sie das vermag,
warum thut sie es nicht immer ? Es scheint also doch nicht auf eine
Verherrlichung der Gnade abgesehen zu sein. Gewiss nicht. „Erst mit
dem Vorhandensein einer durch die Erlösungsgnade gewirkten voll-
kommenen Innocenz ist auch eine vollständige Repräsentation aller
Rangstufen der Menschenbeseeligung gegeben. Die oberste
Stufe ist repräsentirt durch die Seligkeit der Seele Christi, welche
schlechthin ohne vorausgehendes Verdienst schon auf Erden selig war ;
sodann folgt die hl. Jungfrau, deren selig machen des Verdienst
ihre durch die Erlösungsgnade gewirkte vollkommene
Innocenz war; in dritter Reihe stehen diejenigen, deren Seelen nie-
mals durch actuelle Sünden befleckt wurden; zuletzt folgen diejenigen,
welche aus schweren Sündern Heilige geworden sind" -. In diesem abge-
' III Dist. 3 Q. 1 n. 4 sq. Werner I S. 460.
2 III Dist. 3 Q. 1 n. 7. 12. Werner I S.462. Ueber die Haltung der späteren
Scotisten a. a. O. II S. 347 f. Man nahm eine doppelte Heiligung der Maria an, die
erste mit dem Moment ihres Empfangenwerdens (Auslöschuntr der Erbsünde, also
des fernes peccati), die zweite mit dem Moment ihres Empfangens (inipossibilitas
peccandi). Occam nalun diese doppelte Heiligung auch an, setzte aber ihre Wir-
kungen herab, weil er das peccatum originis selbst nicht sehr hoch schätzte.
Die Lehre von der Maria. 561
stuften Chorus ist augenscheinlich nicht die Gnade das Wirksame, son-
dern das Verdienst. Hier verknüpfte sich wiederum die Vorstellung der
consilia evangelica mit der Seligkeit. Der grosse Streit über die unbe-
fleckte Empfängniss wurde im Mittelalter bekanntlich nicht ausgefochten.
Aber die Universität Paris verdammte die Verwerfung der neuen Lehre
(1387); zu Basel trat das „Reformconcil" für sie ein (36.Sess. 1439);
und SixtusIV. (Extravag. III, 12, 1) bereitete ihre Annahme als Dogma
vor, indem er die Beurtheilung derselben als Ketzerei unter der Strafe
des Bannes verbot, dabei aber der Welt erklärte, dass der apostolische
Stuhl noch nicht entschieden habe^ d. h. über den Widerspruch der
Dominikaner zur Zeit noch nicht hinweggehen könne. Diese konnten
nicht ohne Grund darauf hinweisen, dass sie selbst die denkbar höchste
Verehrung der Maria verbreiteten, da ihr grosser Lehrer sie gelehrt
liabe, der hl. Jungfrau zwar nicht Latreia wie Gott, aber auch nicht
nur Duleia wie den Heiligen \ sondern Hyperduleia zu zollen^.
2. Schon von Irenäus her war durch die fatale Parallele zwischen
Eva und Maria der Anlass gegeben, der Maria einen gevASsen Antheil
am Erlösungswerk beizumessen ; von der Vorstellung der abgestuften
Hierarchie der Engel und Heiligen im Himmel aus war der Anstoss
gegeben, Maria als die Himmelskönigin neben Christus zu verehren
(media inter filium, qui est sanctus sanctorum, et alios sanctos; virgo
regia ; ianua coeli ; via ; peccatorum scala ; die ausschweifendste Ver-
ehrung schon bei Bernhard in den Sermonen, II in adv. dorn.: „atude-
amus et nos ad ipsum per eam ascendere, qui per ipsam ad nos de-
scendit; per eam venire in gratiam ipsius, qui per eam in nostram mise-
riam venit; per te accessum habeamus ad filium, o benedicta inventrix
gratiae, genetrix vitae, mater salutis, ut per te nos suscipiat, qui per te
datus est nobis. Excusat apud ipsum integritas tua culpam nostrae
corruptionis . . . copiosa Caritas tua nostronim cooperiat magnitudinem
peccatorum, et foecunditas gloriosa foecunditatem nobis conferat merito-
rum; domina nostra, mediatrix nostra, advocata nostra, tuo filio nos
reconcilia, tuo filio nos commenda, tuo filio nos repraesenta! fac, o
^ üeber die Heiligen- und Rcliquienverelirung sind l)epondoro Nachweise nicht
nöthig, da die Scholastik der schon von alten Zeiten herrschenden Praxis nnd
Theorie nichts von Belanor hinzugefügt liat. Die Lehre von den Heiligen ist mit der
L^hre von den consiliis aufs engste verknlij)ft. Dielntercession der Heiligen wurde
aus der Idee des Zusammenhanges der irdischen und himmlischen Kirclu; begründet;
iilK-r ihre merita s. die Lehre vom Ahlass. Thomas ist auch hier d(!r massgel)ende
iJoctor gewesen und hat durch seine Lehre von den Verdiensten der Heiligen dem
IVlagianismus der Scotisten vorgear])eitet.
'' Thomas, S. TTI Q. 25 Art. 5. Dem Kreuze und dem Bilde Cliristi hat Tho-
maH die Latrie zugesprochen, ITT (^. 25 Art. 3 u. 4; s. auch II, 1 Q. 103 Art. 4.
Harnack, Dogmengeschichtf IM. o^
562 Oeschichte des Dogmas im Zeitalter der Bettelorden bia zum 16. .Tahrh.
benedicta, per gratiam quam invenisti . . . ut qui te mediante fieri dig-
iiatus est particeps iiitirniitatis et miseriae nostrae, te quoque interce-
dente participes laciatiios gloriae et beatitudinis suae)" K Von hier aus
war nur ein Schritt zu der Lehre des Scotus und der Scotisten, dass
Maria niclit nur passiv, sondern activ bei der Incarnation mitgewirkt
habe *.
* Bernhard variirt auch gern den Gedanken, dass der Sohn die Mutter hören
wird, der Vater den Sohn. „Haec peccatorum scala, haec mea maxima fiducia est,
liaec tota ratio s[)ei nieae." Der Solm kann die Mutter nicht überhören-, denn das
„invenisti gratiam ai)ud deuni" dauert noch fort. Diese Gedanken sind in succum
et sanguincm des Katholicismus übergegangen ; die Franciskaner verbreiteten sie
besonders.
'-* Ueber die Begründung s. Werner I S. 433 f. 435 ff. IT 352 ff. Bei Duns
hängt die Vorstellung mit seinen allgemeinen zoologischen Vorstellungen zusammen;
doch hat sie ihm auch selbständige Bedeutung.
i
Zweiter Theil:
Die Ent Wickelung des kirchlichen Dogmas.
Drittes Buch:
Der dreifache Ausgang der Dogmengeschichte.
36
Also lial)en dio Sophisten Chriatuiu
gemalot, wie er Mensch und Gott sei,
zählen seine Beine und Arm, mischen
seine beiden Natuien wunderlich in ein-
ander, welches denn nur eine sophistische
Erkenntniss des Herrn Christi ist. Denn
Christus ist nicht darumb Christus ge-
nennet, dass er zwo Naturen hat. Was
gehet mich dasselbige an? Sondern er
traget diesen herrlichen und tröstlichen
Namen von dem Ampt und Werk, so er
auf sich genommen hat; dasselbige giebt
ihm den Namen. Dass er von Natur
Mensch und Gott ist, das hat er für
sich; aber dass er sein Ampt dahin ge-
wendet und seine Liebe ausgeschüttet,
und mein Heiland und Erlöser wird, das
geschieht mir zu Trost und zu Gut.
Luther, Erlang. Ausg. XXXV. S. 207 f.
Adversarii, quum neque quid remissio
peccatorum, neque quid fides neque quid
gratia neque quid iustitia sit, intelligant,
misere contaminant locum de iustificatione
et obscurant gloriam et beneficia Christi
et eripiunt piis conscientiis propositas
in Christo consolationes.
Apologia confessionis IV (ii) init.
Erstes Capitel : GescMclitliche Orieatirung.
In dem 4. Abschnitt des 4. Capitels (S. 200 ff. dieses Bandes) ist
gezeigt worden, dass Augustin das überkommene Dogma einerseits
verstärkt, d. h. die autoritative Geltung desselben als des wichtigsten
Besitzes der Kirche erhöht, es aber andererseits vielfach erweitert und
umgeprägt hat. Jenes Dogma, welches in seiner Conceptionund in seinem
Ausbau ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des
Evangeliums ist (s. Bd. 1 S. 18 u. ff.), ist bestehen gebUeben — wenn
man an das Dogma dachte, dachte man an die von Gott geoffenbarte,
in unabänderhchen Lehrsätzen niedergelegte, alles christHche Leben
bedingende übernatürhche Erkenntniss — , aber in dasselbe sind von
Augustin die Principien der christlichen Lebenserfahrung, wie er sie
als Sohn der katholischen Kirche und als Schüler des Paulus und der
Platoniker gemacht hatte, wundersam eingeflochten.
Die innere Geschichte der abendländischen Christenheit im Mittel-
alter ist durch diesen Ansatz, der grundlegend fortgewirkt hat, bestimmt
worden. Wir haben gesehen, dass kein wesenthch neues Element in
dem Jahrtausend, welches zwischen Augustin und dem 15. Jahrhundert
liegt, nachzuweisen ist. Allein das Thema, welches Augustin angegeben
hat, ist doch nicht nur in hundertfacher Wiederholung reproducirt und
variirt worden, vielmehr hat eine wirkliche Entwickelung stattgefunden.
Alle Elemente jenes Themas haben eine Geschichte erlebt^ sie sind
verstärkt worden. Eben desshalb musste eine Krisis heraufziehen.
Die Einheit, in welcher bei Augustin das Dogma, die Ansprüche des
Verstandes, die Rechtsordnungen des Kirchenthums und die Principien
dgs individuellen christlichen Lebens gestanden haben , wurde gestört
und unhaltbar. Jene Ansprüclie und diese Reclitsordnungen und Prin-
cipien offenbarten mehr und mehr eine centrifugale Kraft und stellten
in ihrem Erstarken den Anspruch auf Alleinherrschaft. Zwar hat noch
der grösste Scholastiker, Thomas, die ungeheure Aufgabe zu lösen
unternommen, unter dem Titel und im Rahmen einer kirchlichen Dog-
matik allen Ansprüchen zu genügen, die das im Dogma verkörperte
kirchliche Alterthum, die Idee der Kirche als des lebendigen, gegen-
wärtigen Christus, die Rechtsordnung der römischen Kirche, die
5H8 Geßchichtliche Orientirunfr.
Gnadenlehre Aiigustin's, die Wissenschaft des Aristoteles und die
hernhardinisch-franciskanische Frömmigkeit stellten. Aber das grosse
Werk dieses neuen Augustinus hat doch nicht den Erfolg gehabt, die
S[)annungen der wider einander stehenden Kräfte zu lösen und eine be-
friedigende Einheit zu schaffen. Sofern es auf diese Wirkung angelegt
war, war das Unternehmen ein vergebliches, ja es hatte theilweise den
entgegengesetzten Erfolg. Der Reichthum des in ihm niedergelegten
Materials diente nur dazu, alle die Mächte, die in der Einheit des
Ganzen gebändigt werden sollten, erst recht zu verstärken. Die Ver-
standeskritik des Nominalismus ist bei Thomas ebenso in die Schule
gegangen wie die Mystik Eckhart's und der „Vorreformatoren", und
wenn er unzweifelhaft den Grund zu den ausschweifendsten Theorien
der Curialisten gelegt hat, so hat er doch andererseits die Erinnerung
an jenes augustinische Wort verstärkt, dass es sich in der Religion aus-
schliesslich um Gott und um die Seele handelt.
Es ist eine schwere, kaum lösbare Aufgabe, den inneren Zustand
der christlichen Religion im Abendland am Ende des 15. Jahrhunderts
mit wenigen charakteristischen Strichen zu zeichnen; denn das Bild,
welches diese Zeit bietet, ist fast so complicirt, wie das, welches das
2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aufweist •. Für unsere Zwecke
muss es nach dem im vorigen Buche Ausgeführten genügen, die wich-
tigsten Strömungen in ihrem Verhältniss zum Dogma kurz zu
kennzeichnen.
1. Der Curialismus. Um 1500 war eine grosse Partei vorhanden,
die das Kirchenwesen und die Religion lediglich wie eine äussere Herr-
schaft behandelte und mit den Mitteln der Gewalt, der Büreaukratie
und eines drückenden Steuersystems aufrechtzuerhalten und zu erweitern
versuchte. Die Völker urtheilten, dass der Hauptsitz dieser Partei in
Rom selbst, beim päpstlichen Hofe, zu suchen sei, und sie hatten das
Bewusstsein, dass die Verweltlichung der Kirche, die zu einer schweren
Last — nicht nur der Gewissen, sondern aller tüchtigen Kräfte des
Lebens und aller Ideale — geworden war, von Rom aus ohne Scheu
und Scham betrieben würde. Es ist gleichgiltig, ob sich unter denen,
welche an dieser Art die Kirche Christi zu bauen betheiligt waren, auch
solche befanden, die sich im Herzen ein innerHches Verhältniss zu der
Sache, unter derem Aushängeschild sie arbeiteten, bewahrt hatten ; denn
es kommt hier allein auf die Wirkungen an, die sie mit veranlasst
haben. Für diese Partei der Kirchenpolitik gab es im Grunde nur ein
^ Vgl. die Einleitungen zur Reformationsgeschichte von Kolde (Luther),
V. Bezold und Lenz (Luther) sowie Müller 's Bericht in den Vorträgen der
(rjessener Theol. Conferenz 1887.
Der Curialismus. 567
Dogma, dass die Gewohnheiten der römischen Kirche die
göttliche Wahrheit seien. Das alte Dogma hatte nur insofern
Werth und Bedeutung, als es eben mit zu den Gewohnheiten der
römischen Kirche gehörte. Damit ist schon ausgesprochen, dass diese
Partei das stärkste Interesse daran hatte, die modernen Entscheidungen
und Entschlüsse der Curie dem alten Dogma dem Werthe und der
Autorität nach völlig gleichzustellen. Wie es ihr einerseits nie in den
Sinn kommen konnte, irgend etwas Autoritatives wieder aufzulösen
(wurde eine alte üeberHeferung, ein Schriftwort oder eine dogmatische
Unterscheidung unbequem, so war durch die neuaufgekommene Regel,
dass nur die Kirche d. h. Eom das Recht der Auslegung
bab e , jede unliebsame Folge abgeschnitten), so musste sie andererseits
dafür sorgen, dass die Völker sich an die exorbitante Neuerung ge-
wöhnten, päpstHche Entscheidungen so heihg zu halten wie die Be-
schlüsse der grossen Concilien. Bis zu einem gewissen Masse war
bereits um 1500 dieses quid pro quo gelungen, jedoch noch längst nicht
vollkommen. Aber nach dem unglücldichen Verlauf der Concilien-
Periode (Constanz, Basel) waren die Gemüther ermüdet und rathlos.
Auch die Concilien hatten versagt oder waren unwirksam gemacht
worden; irgendwo musste aber doch ein fester Punkt zu finden sein.
Also gelang es den Romanisten, Vielen wieder einzureden, dass er
doch und ausschliesslich in Rom liege ^ Dazu Hessen die Fürsten, ledig-
lich auf weltliche Beherrschung ihrer Landeskirchen bedacht, die Curie
in unverantwortlicher Weise auf den Gebieten des Glaubens, der Sitten
und der Kirchenpraktiken gewähren und bestärkten so ihrerseits das
Vorurtheil in Bezug auf die reHgiöse (dogmatische) Unfehlbarkeit und
Souveränetät des römischen Stuhls. Selbstverständlich konnte es nicht
im Interesse der Curie liegen, die päpstlichen Entscheidungen als heilige
* S. die Bulle Pius' II. „Execrabilis" vom Jahr 1459 (Den zinger, Enchiridion
5. Aufl. S. 184): „Execrabilis et pristinis temporibus inauditus tcmpestate nostra
inolevit abusus, ut a Romano Pontifice, Jesu Christo vicario .... nonnulli spiritu
rebellionis imbuti, non sanioris cupiditate iudicii, sed commissi cvasione peccati ad
futurum concilium provocare pracsumant . . . Volcntes igitur hoc postiferum virus
a Christi ccclesia procul pellere et ovium nobis commissarum sahiti consulere, om-
nemque matcriam scandali ab ovili nostri salvatoris arcere .... huiusmodi provo-
cationes damnamus et tamquam erroneas ac detestabiles reprobamus." Bulle Leo's X.
„Pastor acternus'* vom Jahr 1516 (Den zinger 8. 187): „Solum Romanum Ponti-
ficem pro temi)ore existentem tamquam auctoritatem super omnia concilia habentem,
tarn conciliorum indicendorum transferendorum ac dissolvendorum plenum ius ac
potestatcm habere, nedum ex sacrae scripturac testimonio, dictis sanctorum patrum
ac aliorum Romanorum Pontificum ctiam pracdecessorum nostrorum sacrorumquo
canonum decretis, sed propria etiam eorumdcm conciliorum confeesione manifeste
constat."
568 Geschichtliche Orientirung.
Sammlung zu codißciren und als kirchliches Rechtsbuch neben das alte
JJo^ma zu stellen; denn damit hiitte man der Meinung, die man be-
kämpfen wollte, nur Vorschub geleistet, als sei der Papst an einen fest-
geschlossenen dogmatischen Kanon gebunden. Vielmehr suchte man
die Völker daran zu gewöhnen, in den ad hoc erlassenen päpstHchen
Anweisungen jedesmal die nöthigen, allen Streit beendigenden Ent-
scheidungen zu erkennen. Eben desshalb war es der Curie nur erwünscht,
wenn in vielen schwebenden dogmatischen und kirchenpolitischen Fragen
eine gewisse Unsicherheit bestehen blieb: eine solche Hess sie mit
Absicht überall fortdauern, wo eine sichere Entscheidung nicht zu
erreichen war ohne einen empfindlichen Widerspruch hervorzurufen.
Auch hatte man längst die Erfahrung gemacht, dass sich im Trüben
besser fischen lasse, und dass es leichter ist, unsichere Gemüther zu
regieren als solche, die eine klare Anschauung von dem besitzen, was
in der Kirche giltig ist und zu Recht besteht.
Hiermit hing es aufs engste zusammen , dass man in Rom
mehr und mehr die Vortheile einsah, welche die einst gefürchtete
nominalistische Scholastik dem Kirchenwesen gewährte. Eine
Theologie, welche, wie die thomistische, darauf ausging, den Gläu-
bigen eine innere Ueberzeugung von den Dingen zu verschaffen,
die sie glauben sollten, vermochte allerdings auch der Kirche grosse
Dienste zu leisten, und diese kann sie niemals ganz entbehren, so
lange sie nicht über eine schrankenlose äussere Gewalt verfügt. Allein
jede Theologie, welche darauf angelegt ist, innere Ueberzeugungen
zu erwecken und eine Einheit des Denkens herzustellen, wird in irgend
welchem Masse ihre Schüler auch zur Kritik des Bestehenden anlei-
ten und daher einem Kirchenwesen gefährlich werden, welches sich
jede Controle seiner Gewohnheiten verbittet. Anders die nominahstische
Scholastik. In einer mehr als 150jährigen Entwickelung war sie bis
zu dem Punkt gekommen, die Irrationalität, das — menschhch an-
gesehen — Zufällige und Arbiträre auch der wichtigsten kirchUchen
Lehren darzuthun. War an diesem grossen kritischen Process auch
ein Glaubensinteresse betheiligt (s. oben S. 430), so war doch die
deutlichste Folge desselben, dass man sich entschlossen der Autorität
der Kirche in die Arme warf: die Kirche muss wissen, was der
Einzelne niemals wissen kann, und ihr Verständniss reicht weiter als
der Verstand der Gläubigen. Dass dieses Ergebniss den Curiahsten
willkommen sein musste, leuchtet ein; war doch Innocenz IV. mit
der Behauptung vorangegangen, dass der Laie sich mit dem Glauben
an den vergeltenden Gott begnügen könne, wenn er nur der Kirche
gehorsam sei. Sie hatten also nichts gegen jene fides impliciüi ein-
Der Curialismus. 569
zuwenden, die nichts Anderes ist als blinder Gehorsam, und ihnen
musste namentlich auch die Auflösung der augustinischen Gnaden-
lehre bequem sein, welche der Nominalismus, die Wunder der Sacra-
mente und das Verdienst betonend, vollzogen hatte. Aber wer glaubte
denn eigenthch noch an die Dogmen und suchte auf Grund seines
Glaubens das Leben? Thörichte Frage! Das eben ist im Sinne
des consequentesten Romanismus — sofern er sich überhaupt zur
Frage des Heils aufschwingt — der Vorzug der christlichen Religion
vor allen anderen, dass sie ein System ist, welches als Apparat
unter leicht zu beschaffenden Bedingungen die Heiligung des Lebens
bis zur GottwohlgefäUigkeit und Verdienstlichkeit hin erzeugt. Der
Glaube, wie er stets im Katholicismus als ein nur Vorläufiges ge-
golten hat, ist hier zu der Unterstellung unter den Apparat zusam-
mengeschrumpft. In den letzten Zeiten vor der Reformation haben
Manche von denen, welche die Maschine in Rom bedienten, auch ein
humanistisches Lächeln auf den Lippen gehabt; aber zu einem kräf-
tigen Spott ist es nie ausgeschlagen; denn zu bequem war das System,
welches man sich gebaut hatte, und zu gedankenlos waren die, welche
es in Kraft erhielten, als dass man je aus dem Scherz Ernst gemacht
hätte.
Dass diese ganze Haltung auch eine Weise war, das alte Dogma
zu begraben, unterliegt keinem Zweifel; nicht minder unzweifelhaft
ist es, dass sich hier ein Element — freilich in erschreckender Conse-
quenz — entwickelt hat, was in den Anfängen des abendländischen
Katholicismus angelegt gewesen ist'. Augustin hat sich einst der
Autorität der Kirche in die Arme gestürzt^ und das „credere" im
Sinne der blinden Unterwerfung unter das, was die Kirche lehrt, für
den Ausgangspunkt des inneren Processes eines Christenlebens er-
klärt. Aber welchen Reichthum christlicher Erfahrung hat er mit-
gebracht, und wie hat er es verstanden, sich in seiner Kirche heimisch
zu machen! Das war nun abgefallen, oder es war gleichgiltig ge-
* Es ist an früheren Stellen melirfaeh darauf hingewiesen worden, wie sich
schon bei Tertulliau die Elemente des späteren Katholicismus, ja selbstder Scholastik,
ankündigen. Es wäre eine schöne Aufgabe, alles Material, welches hierher gehört,
zusammenzustellen und zu würdigen: Tcrtullianus doctorum Romanorum praecursor.
Wund(;rbar, dass der urchristlichstc unter den altkatholischen Vätern zugleich der
modernste gewesen ist!
2 Er selbst hat freilich noch nicht ahnen können, welchen entsetzlichen Aber-
glauben man einst unter den Schutz seines verhängnissvollen Satzes stellen werde :
„Quod univer«a frequentat ecclcsia, quin ita faciendum sit, disputare insolentissimae
insaniae est" (ep. 54 ad .Januar.), und wie leicht man es sich mit dem Nachweis des
allgemeinen usus der Kirche machen werde.
570 Geßchichtlic'he Orientirimg.
worden. Gehorchen und sich erziehen lassen; aber die Erziehung
besorgt das Sacranient, besorgen die lächerlich geringen Opfer, welchen
die Kirche den Werth von sittlichen Leistungen zu geben vermag.
Das Dogma im alten Sinn des Worts als der fest umschriebene In-
halt dessen, was die iiniere Ueberzeugung eines Christen ausmachen
und in ihm Leben gewirmen soll, hat daneben keinen Platz mehr.
Wie es durch hundert neue Bestimmungen, die kaum Einer zu über-
sehen vermag, belastet ist — und diese neuen Bestimmungen zerfallen
wieder in absolut bindende, in bindende, in beschränkende, in pro-
bable, in zulässige etc., je nach der Form, in welcher Rom ge-
sprochen hat — , so ist es auch um seine directe Bedeutung ge-
kommen. Es ist die Rechtsordnung der römischen Kirche, aber
eine durch immer neue arbiträre Entscheidungen immer neu sich
gestaltende Rechtsordnung : für den Christen genügt es , sich an die
Institutionen zu halten, welche dieselbe hervorruft. Hätte diese
Richtung ungebrochen den Sieg erlangt — der Sieg schien ihr um 1500
bereits zu winken — , so wäre zwar äusserlich das Dogma bestehen ge-
blieben, innerlich aber wäre sowohl das alte Dogma als das dogma-
tische Clu'istenthum überhaupt dahingesunken, um einer tieferen Stufe
der Religionsbildung Platz zu machen. Denn die Weise, in welcher
sich der Curialismus über das Dogma stellt, lediglich die formelle
Dignität desselben respectirend, ist nicht aus der Freiheit des Christen-
menschen geboren, sondern bezeichnet nur die vollkommene Ver-
weltlichung der Religion durch Politik. Das „tolerari potest" der
Curie und das „probabile" bezeugt eine noch schhmmere Verwelt-
lichung der Kirche als das „anathema sit". Dennoch steckte selbst
in diesem ganz verweltlichten Kirchenbegriff noch ein Christliches,
wenn auch der Segen desselben damals fast ganz entschwunden war:
es war der Glaube an das Reich Christi auf Erden, an seine Gegen-
wart und Herrschaft inmitten des Irdischen und der Sünde. Li diesem
Glauben w^aren die, welche jede Opposition ernsthaft abw^ehrten, ihren
Gegnern überlegen; denn sie fühlten, dass die Männer der Oppo-
sition eine Kirche von unten bauen wollten, nämlich aus der Heilig-
keit der Christen. Sie vertraten einen religiösen Gedanken, indem
sie für das Reich des Papstes eintraten, oder vielmehr: sie haben
unfreiwillig, indem sie das Kirchenthum gegen die Mystiker und
Husiten schützten, das Recht der Ueberzeugung conservirt, dass die
Kirche Christi die Herrschaft des Evangeliums unter sündigen Men-
schen ist.
2. Die Opposition gegen den Curialismus wai* nicht
durch einen einheitlichen Gedanken zusammengehalten; die Motive
Die Opposition ^egen den Curialismus. 571
waren vielmehr sehr verschieden, welche zur Opposition geführt hatten.
Politische, sociale, religiöse und wissenschaftliche Beweggründe leiteten
die Menschen; allein sie trafen in dem Satze zusammen, dass die
Gewohnheiten der römischen Kirche zur Tyrannei ge-
worden seien, und dass sie das Zeugniss des kirchlichen
Alterthums gegen sich hätten. Im Zusammenhang mit dieser
Erkenntniss wurden die Thesen geltend gemacht, dass päpstliche Ent-
scheidungen nicht die Bedeutung von Glaubenssätzen haben, dass
Rom nicht allein befugt sei, die Schrift und die Väter auszulegen,
dass das Concil, welches über dem Papst stehe, die Kirche an Haupt
und Gliedern reformiren solle, und dass die Kirche gegenüber den
dogmatischen, kultischen und kirchenrechtlichen Neuerungen, die von
Rom ausgegangen seien, zu ihren ursprünglichen Grundsätzen und
dem ursprünglichen Zustande zurückkehren müsse. Diese Sätze sind
in der Zeit vor dem Auftreten Luther's nicht etwa nur von Con-
ventikeln, Husiten und Waldensern oder wilden Sectirern vertreten
worden; sie fanden vielmehr ihre Vertheidiger in den Reihen der
treuesten Söhne der römisch-katholischen Kirche. Bischöfe, theolo-
gische Facultäten und Mönche von unzweifelhafter Rechtgläubigkeit
haben sie ausgesprochen, und Luther hat sich mit Fug im Beginn
seines reformatorischen Auftretens auf sie berufen ^ Man hielt es für
sein gutes kathohsches Recht, auch anders lautenden päpstlichen Aus-
sprüchen gegenüber daran festzuhalten, dass die Grundlagen der
römisch-katholischen Kirche allein in der Schrift und in der dogma-
tischen üeberlieferung des kirchlichen Alterthums gegeben seien ^.
Mit einer uns heute befremdlichen Sicherheit tritt dieser Standpunkt
noch in der Augsburgischen Confession hervor^; man wird freilich
nicht leugnen können, dass man ihn nach dem, was bis 1530 geschehen
war, dort nur noch aus taktischen Rücksichten behaupten konnte.
Allein auch der Kaiser selbst hat, wie wir wissen, denselben Massstab
angelegt: in der Annahme oder Verwerfung der „zwölf Artikel'^, d.h.
des apostolischen Symbols in altkirchliclier Auslegung, sah auch er
die Rechtgläubigkeit oder die Häresie ausgesprochen *.
* Seit 1519, 8. auch seine Rede zu Worms.
^ Daher auch Luther's Beruf uuf( auf die Griechen, die doch keine Häre-
tiker seien.
' Nach dem XXI. Art, hcisst es: „liaee fere summa est doctrinae apud suos,
injjuaccrrii potest nihil incssc, quod discrepet a scripturis vcl ab
ecclesia catholica vel ab ecclesia Komana, quatenus ex scriptoribus
nota est."
* S. die Mittheihjnjrnn Ap^ricola's bei Kawerau (Johann Agricola 1881) S. 100:
„Da trug sich's zu in Vigilia Joh. Bapt., dass der Kaiser Bankett im (i arten hielt.
572 Geschichtliche Orientirung.
Wie haltlos war jedoch dieser Standpunkt, und wie gedankenlos
musste man sehi, um ihn alles Ernstes zu vertreten ! In der That, nur der
Umstand, dass noch keine grössere Krisis seine Schwäche aufgedeckt
hatte, vermochte darüber zu täuschen, dass er hinialhg geworden
war ; und wie der Kaiser selbst schhesslich nicht nach ihm verfahren
ist, so vermochte ihn Niemand mehr ohne Correcturen festzuhalten.
War denn nicht von Augustinus Zeiten her ein ungeheurer Stoff von
theologischen Sätzen und christlichen Erfahrungen in den eisernen
Bestand der abendländischen Rehgion übergegangen, der nie authen-
tisch fixirt war und den doch Jedermann als zu Recht bestehend an-
erkannte? Wie viele Anordnungen gab es, die allgemein als heil-
sam und richtig galten und doch nur auf päpstlichen Anweisungen
oder auf dem Herkommen der letzten Jahrhunderte beruhten! Wie
bereit war man allerseits, das massgebende Recht des Papstes auf
Interpretation der Schrift und der Tradition anzuerkennen, wo seine
Kundgebungen mit dem zusammentrafen, was man selbst für richtig
hielt! Wie unsicher war man darüber, inwiefern das Concil über
dem Papste stünde und was ein Concil vermöge, wenn es ohne den
Papst handle oder sich wider ihn auflehne ! Und welche Unsicher-
heiten herrschten darüber, was denn eigentlich reformirt werden solle,
die Missbräuche oder die Gebräuche, das äussere Kirchenwesen,
d. h. die Verfassung und die Ceremonien, oder die Sacramentsver-
waltung oder das christliche Leben oder der Begriff der Kirche als
des von Gott gestifteten Reiches, in welchem Christus herrscht.
Man kann sich dieses Heer von Unsicherheiten bereits an dem Ver-
halten Luther's in den Jahren 1517 — 1520 klar machen. Obgleich
er damals schon das Steuer in die Hand genommen hatte und ihm das
Ziel seiner Fahrt klar geworden war — welche peinlichen Wider-
sprüche, Halbheiten und Unsicherheiten bezeichnen noch in jenen
Jahren seinen Weg, sobald man darauf achtet, was er damals refor-
miren wollte, und wie er die Competenzen der Kirche beurtheilte!
Da ihn nun die Königin Maria gefraget, was er mit den Leuten und mit der überant-
worteten Confession zu thun gedächte, darauf er geantwortet: Liebe Schwester, da
ich bin ausgezogen ins heilige Reich, das ist grosse Klage kommen über die Leute,
die diese Lehre bekennen, dass sie auch ärger sein sollten als die Teufel. Aber der
Bischof von Sevilla hat mir den Rath gegeben, ich wollte ja nicht Tyrannei üben,
sondern fleissig erkunden, ob die Lehre streitig wäre mit den Artikeln unseres
christlichen Glaubens. Dieser Rath gefiel mir. So befinde ich, dass die Leute nicht
so teufelisch sind, wie vorgebracht ist, es betrift't auch nicht die 12 Artikel, sondern
äusserlich Ding, darum habe ich's auch den Gelehrten übergeben. Wenn aber
ihre Lehre streitig mit den 12 Artikeln unseres christlichen Glaubens, so habe ich mit
der Schärfe des Schwerts dazu thun wollen.**
Die Opposition gegen den Curialismus. 573
Konnte er doch damals fast in einem Athem die Autorität der römi-
schen Kirche anerkennen und verwerfen, dem Papstthum fluchen und
ihm den Gehorsam ankündigen!
Allein was in sich haltlos und voll Widersprüchen ist, kann doch
eine Macht sein. Jene Opposition gegen den Curialismus um 1500
war eine solche. Man würde sich jedoch sehr irren, nähme man an,
dass die Bestrebungen der Opposition, die das kirchhche Alterthum
wider die Neuerungen des Curialismus ausspielte, auf die Gestaltung
der Lehre im Sinne einer bewussten Rückkehr zur altkirchlichen
Theologie einen nennenswerthen Einfluss ausgeübt hätten oder auch
nur ausüben wollten. Ein solcher fehlte fast ganz, weil das Zeit-
alter überhaupt ein untheologisches war. Dieser charak-
teristische Zug, der den zwei letzten, der Reformation vorangehenden
Generationen aufgeprägt ist, sich übrigens schon früher zu entwickeln
begonnen hatte, ist bisher bei der Würdigung der Reformation noch
wenig zu seinem Rechte gekommen. Man kann es kurz sagen : die Theo-
logie als solche war um 1500 discreditirt ; man erwartete nichts von ihr,
und sie selbst hatte kein rechtes Vertrauen mehr zu ihrer Arbeit. Viele
Factoren hatten dazu mitgewirkt. Die nominalistische Scholastik hatte
gewissermassen den eigenen Bankerott erklärt und sich in Spitzfindig-
keiten, für welche sie die aristotelische Philosophie systematisch miss-
brauchte, begraben. Der Humanismus wandte sich mit Klagen oder mit
Spott — in beiden Fällen freilich auf Grund einer höchst oberflächlichen
Kritik — von der Theologie ab. Die Frommen, mochten sie nun so
fromm sein wie Erasmus oder so fromm wie Staupitz, suchten das
Heilmittel für die kranke Zeit nicht in der Theologie, sondern noch
immer in dem mystischen Transcendiren und in der Gleichgiltigkeit
gegenüber den Weltzuständen, die den körperlichen Menschen um-
geben, also bei dem hl. Franciskus oder den heiligen Communisten
der jerusalemischen IFrgemeinde. Allgemein war in den Kreisen der
religiös Belebten der Ruf nach dem „praktischen Christenthum" ver-
bunden, wie heute, mit dem liebere! russ an der Theologie. Man war
ihr keineswegs noch entwachsen; aber die Erschütterungen, die sich
aus dem allgemeinen Umschwung der Zeiten ergeben hatten, ge-
nügton, um, wie heute, das (xefühl zu erwecken, dass man mit der
Lehre, wie sie lautete, eigentlich nichts mehr ausrichten könne.
Wäre die christliche Lehre nur „Wissenschaft", so wäre es unter
solchen Umständen um sie geschehen gewesen; sie liätte einfach ab-
treten und auch äusserlich einer anderen Denkweise Platz machen
müssen. Diese Folge ist wirkhch eingetreten in den wiedertäuferisch-
antitriiiitarischen und in den socinianischen Gruppen, in welchen sich
574 Geschichtliche Orieutirung.
die Conibination aller jener Elemente niedergeschlagen hat, welche
zur Aufklärung führten. Darüber wird unten zu handeln sein. Allein
die christliche Lehre ist nicht nur „Wissenschaft", und die grosse
(Christenheit hat in den achtzehnhundert Jahren ihrer Geschichte nie-
mals selbst die radicalste Bewegung, der Calvinismus, bezeichnet
keinen vollkommenen Abfall — mit der Geschichte brechen wollen,
ja jeden Bruch, auch der unseligsten Vergangenheit gegenüber, wie
eine Selbstauflösung empfunden. Die Vergangenheit aber war das
Dogma und die dogmatische Theologie. Konnte und wollte man sie
nicht los werden und entfremdete man sich ihr doch andererseits
immer mehr, wie der Ruf nach dem praktischen Christenthum und
die Nichtachtung des theologischen Elementes beweist, so war die
nothwendige Folge die, dass das Dogma als Rechtsordnung
respectirt, aber zur Seite geschoben wurde. Das war factisch auch
der Zustand, der in den Reihen der Oppositionsparteien Platz ge-
griffen hatte. Wer das Dogma antastete, setzte sich der Gefahr aus,
als Anarchist zu gelten. Wer aber durch Rückgang auf das dogma-
tische Christenthum und durch Vertiefung desselben die Zeit heilen
und gewisse praktische Missbräuche dadurch beseitigen wollte, dass
er auf die alte dogmatische Theorie zurückgriff, galt als Querkopf,
als Störenfried, ja als verdächtig. Als Mönchsgezänk wurde es in
den reformfreundlichen Kreisen der vornehmen Wissenschaft und auch
in den Kreisen der stillen Opposition im Lande leicht beurtheilt,
wenn Jemand dem Ablass, der masslosen Heiligenverehrung und den
kultischen Auswüchsen des kirchlichen Systems mit der Theorie ent-
gegenzutreten versuchte. Aber solche Versuche waren auch unvoll-
kommen und spärlich. Das Aeusserste war, dass man auf den Au-
gustinismus zurückging — das vertrug die Zeit bis zu einem gewissen
Grade, ja forderte es — ; aber wo ist in jenen Tagen der Mann zu
finden, der zur Christologie und zur Gotteslehre zurücklenkte, um von
dort aus alles das, was giltig war, zu revidiren und neu zu gestalten?
Der letzte Grund für diesen Mangel und diese Unfähigkeit ist
freilich nicht in den Verheerungen des Nominalismus oder in der
ästhetischen Gesinnung der Humanisten zu suchen ', sondern er lag
in der ungeheuren Spannung, welche zwischen dem alten Dogma und
den christlichen Anschauungen, deren Ausgestaltung das damalige
christliche Leben war, bestand. Diese Spannung, die wir schon bei
Augustin constatirt haben, und die bereits am Anfang des Mittel-
alters bei Alcuin so deutlich zu erkennen ist - , war immer grösser
* Vgl. Drews, Humauismus und Reformation 1887.
2 S. Hauck, K.-Gesc'h. Deutschlands II, 1 8. 132—136.
Ii
Die Opposition gegen den Curialismus. 575
geworden. "Welches Stück aus der Zahl der altkirchhchen Dogmen
hatte denn noch für die Frömmigkeit, wie sie damals lebte, einen
unmittelbar verständlichen Sinn? welches Dogma in der überkommenen
Fassung war denn noch wirklich Triebkraft des christlichen Gedan-
kens und Lebens? Die Trinitätslehre ? aber man braucht nur einen
Blick auf die scholastische Gotteslehre oder auf die Anselm'sche
Versöhnungslehre oder auf die Erbauungsbücher und Predigten jener
Periode zu werfen, um sich zu überzeugen, dass die Zeit vorüber
war, in welcher der trinitarische Gedanke, wie in den Tagen des
Athanasius und der Kappadocier, den Grundstein der Erbauung der
Gemeinde bildete. Die Zweinaturenlehre? aber kann man, wenn man
nicht den Sophisten sein Ohr leihen will, den starken Protest wider
die erbauHche Kraft dieser Lehre überhören, welcher aus der
mystischen Andacht Bernhard's zum Seelenbräutigam, aus der Jesus-
liebe des hl. Franciskus und des Thomas von Kempen, und aus dem
Bilde jenes Menschen Jesus, dessen leidvolle Züge im 14. und 15. Jahr-
hundert jeder Prediger vorhielt, entsprang? Setzte ferner nicht die
Gnadenlehre, mochte man sie nun augustinisch-thomistisch oder
scotistisch fassen, setzte nicht der ungeheure Apparat der Sacra-
mentslehre einen ganz anderen Christus voraus, als jenes begrifflich
scharf ausgeprägte Gedankengebilde des Leontius und Johannes
Damascenus , welches den Triumph der göttlichen Natur in der
menschlichen verherrlichte und durch die blosse Contemplation der
wunderbaren Einigung das Gefühl der Ueberwindung und Erlösung
alles Fleisches erzeugen wollte? Hier lag der letzte Grund der
inneren Entfremdung vom Dogma. Man dachte nicht mehr, wie die
Griechen gedacht hatten, mochte es auch der theologischen Specu-
lation scheinbar ohne sonderhche Mühe gelingen, zu jenen Gedanken
zurückzulenken ; aber sie waren für sie nur noch Voraussetzungen,
nicht mehr das Christenthum selbst. Wenn aber der alte Glaube
nicht mehr Ausdruck der inneren Ueberzeugung ist, bildet sich unter
der Hülle des alten ein neuer. Alle Sphären, in denen sich christ-
liches Denken und Leben bewegte, lagen weitab von jenen Gedanken-
sphären, in denen sich einst der Glaube, der geglaubt werden darf,
entwickelt hatte. Er war zu einem (klauben geworden, der geglaubt
werden muss; daneben hatte man das Verdienst Christi, die Kirche,
die Sacramente, das eigene Verdienst und die Ablässe. In ihnen be-
wegte sich der Glaube und das christliche Leben. Während man
behauptete, auf dem alten Grunde zu stehen und keinen Fuss breit
gewichen zu sein, war man fortgeschritten — ein herrlicher Fort-
schritt! aber auf dem Wege lagen Al)gründe, die man nicht ver-
676 Geschichtliche Orientirun^.
mieden hatte, und sie fülirton in die tiefsten Regionen. Nicht Wenige
gab es, die das voll Schrecken und Unwillen bemerkten; aber wie
war zu helfen, solange darüber keine Klarheit bestand, wie sich der
Zustand entwickelt hatte, in dem man sich befand, wo der Irrthum
eigenthch angefangen hatte, und wo die Höhe läge, die es zu er-
reichen galt?
Es ist verständlich, dass man unter solchen Umständen auf die
Autorität zurückging, welche den Weg zuerst angegeben hatte, den
man während eines Jahrhunderts gewandelt war und auf dem man
einen herrlichen trostreichen Aufschwung, aber auch einen tiefen Fall
erlebt hatte — Augustin. In seinen Werken fand man alle die
Gedanken in kräftigster'Ausprägung, an denen man sich erbaute, und
man glaubte andererseits dort die schweren Miss])räuche und Irr-
thümer nicht zu finden, die man in der Gegenwart beklagte. Daher
die Losung: „Rückkehr zum Augustinismus als zu dem wahren Ka-
tholicismus der Väter". In sehr verschiedener Form wurde diese
Losung ausgegeben : in umfassender Weise von Männern vvie Wiclif,
Hus, Wesel und Wessel; in der vorsichtigsten Form von allen
jenen Theologen, die im L5. Jahrhundert und beim Uebergang
vom L5. zum 16. gegenüber dem herrschenden Nominalismus zur
thomistischen Gnadenlehre zurücklenkten. Die Zahl derselben scheint
nicht ganz gering gewesen zu sein; war sie es, so ersetzte das
Ansehen der Verehrer des Thomas ihre kleine Zahl; denn unter
den höchsten Prälaten, auch in Italien, fanden sich solche. Die Be-
deutung dieser rückläufigen theologischen Bewegung im Anfang des
16. Jahrhunderts ist nicht zu unterschätzen; ist sie doch — freilich
unter dem Hochdruck der deutschen Reformation — einer der ein-
flussreichsten Factoren in der römischen Kirche geworden, als es sich
in der Mitte des 16. Jahrhunderts darum handelte, dogmatisch
Stellung zum Protestantismus zu nehmen. Aber Augustin hat keinem
Zeitalter mehr geben können, als er selbst besessen hat. Auch er
hat nur künstlich bei dem alten Dogma anzuknüpfen vermocht, weil
er innerlich demselben in mancher Hinsicht entwachsen war, und
andererseits war das, was man als Missbrauch und Irrthum späterer
Zeiten abthun wollte, in ihm selbst schon angelegt, mochte man es
nun bei ihm bemerken oder nicht. Die Schäden der katholischen
Kirche durch Augustin heilen, das hiess im besten Fall eine Re-
form für ein paar Menschenalter besorgen. Aber mit Nothwendig-
keit wären die alten Missbräuche zurückgekehrt; denn ihre starken,
wenn auch verborgenen Wurzeln liegen im Augustinismus selbst. In
der zu ihm zurückgebildeten Kirche hätte sich sehr bald alles das
Die Opposition gegen den Curialismus. Der Individualismus. 577
wieder eingestellt, was man entfernen wollte. Das ist keine luftige
Hypothese, sondern ist, wie aus dem Christentimm Augustin's selbst,
so aus der Geschichte der katholischen Kirche der neueren Zeit zu
erweisen. Wenn sich auch die schweren Irrthümer und Missbräuche
nur kräftig durchsetzen konnten, indem sie den Augustinismus zer-
setzten, so müssen sie doch als Triebe gelten, deren Keime in dem
Christenthum Augustin's angelegt waren.
Allein diese bis auf den Grund der Dinge reichende Beobach-
tung darf die deutlichste Wahrnehmung nicht verdunkeln, dass der
genuine Augustinismus eine mächtige Kritik an dem zersetzten,
einschliesslich des Nominalismus, ausgeübt hat. Er war eine segens-
reiche Macht. Man darf wohl sagen, dass es nie eine Reformation
gegeben hätte, wenn nicht die Wiedererweckung Augustin's voran-
gegangen wäre. Man darf freilich auch andererseits behaupten, dass
diese Wiedererweckung es nicht einmal bis zu solchen Decreten wie
den tridentinischen gebracht hätte, wenn sie nicht durch eine neue Kraft
verstärkt worden wäre. Immerhin lag zwischen dem unsittlichen,
irrehgiösen, ja heidnischen Mechanismus des herrschenden Kirchen-
thums und der Frömmigkeit Augustin's eine so gewaltige Kluft, dass
man die heilsame Reform nicht verkennen kann, die sich hätte ergeben
müssen, wenn z. B. das Christenthum Wiclif's in der katholischen
Kirche massgebend geworden wäre.
Zu dem Allem hatte sich ein Element in dem Verfall der
mittelalterlichen Institutionen und in dem grossen Wandel aller Ver-
hältnisse entwickelt, welches man beim Anbruch des Reformations-
zeitalters überall findet und welches die Oppositionsparteien in ver-
schiedenem Grade belebte. Auf allen Linien der Entwickelung war
man bis zu demselben gelangt, ja in allen war es die geheime Trieb-
kraft, welche das Alte auflöste und nach einem Neuen strebte. Es
ist schwer, es mit einem Worte zu bezeichnen: Subjectivismus, In-
dividualität, Selbst-sein-wollen, Freiheit. Es war der Protest gegen
den Geist der Jahrhunderte, die man durchlebt hatte. Dem ober-
flächliclien Blick zeigt es sich am deutlichsten in den Idealen der
Renaissance und des Humanismus; aber es lebte ebenso in der neuen
Politik der Tjandesherrn und in dem TTnmutli der Laien über die
alten Ordnungen in Zunft und Gemeinde, in Kirche und Staat. Es
war mächtig in der (ifefülilswelt der Mystiker, ja man vermisst es
selbst nicht in dor nominalistischen Scholastik, die bei ihrem un-
heimlich(!n Geschäft, die iiliorlieferte Theologie zu ruiniren, nicht nur
vom Verstände geleitet worden ist, sondern aucli in dem dunkeln
Drange arbeitete, die Religion dem Glauben zurückzugeben und das
Harnack, Doginengescbichte III. jjy
578 Geschichtliche Orientirung.
selbständige Recht und die Freiheit desselben ans Licht zu stellen.
Das neue Element hat sich überall als ein zweischneidiges Princip
offenbart: das Zeitalter Savonarola's ist das Zeitalter Machiavelli's;
in der Religion unischloss es alle Formen individueller Religiosität,
von dem Recht der ungezügelten Phantasie und des Prophetismus
bis zu dem Recht der Freiheit des in dem Evangelium gebundenen
Gewissens. Dazwischen lag eine ganze Stufenleiter individueller Aus-
prägungen; aber auf vielen dieser Stufen war in dem heissen Be-
mühen, zu sich selber zu kommen und selbst zu sein und zu leben,
die Unruhe erwacht: wenn du nun selbst bist und selbst zu leben
beginnst als Mensch und als Christ, wo ist der Fels, an dem du dich
halten musst, was ist deine Seligkeit und wie wirst du ihrer gewiss?
wie kannst du zugleich ein seliger und ein freier Mensch sein und
bleiben? In dieser Unruhe wies das Zeitalter über sich selbst hinaus;
aber man gewahrt nicht, dass auch nur ein Christ die Frage, die
dieser Unruhe zu Grunde lag, sicher zu verstehen und die Antwort
zu geben vermochte.
Es lohnt sich wohl der Mühe, zu fragen, was aus dem Dogma
geworden wäre, wenn die Entwicklung fortgedauert hätte, die wir
im 14. und 15. Jahrhundert beobachten, und w^enn kein neuer Fac-
tor eingetreten wäre. Ausgänge des Dogmas hätte man gewiss
erlebt; aber die Frage lässt sich natürlich nicht entscheiden, welcher
Ausgang siegreich geblieben wäre. Es lässt sich (1) denken, dass der
Curialismus rasch einen vollkommenen Sieg erfochten und alles Wider-
spenstige niedergeworfen hätte; in diesem Falle wäre der souveräne
päpstliche Wille auch auf dem Gebiete des Glaubens und der Sitte
die oberste Instanz und das alte Dogma ein Theil des päpstlichen
Gewohnheitsrechts geworden, welches factisch durch die arbiträren
Auslegungen und Entscheidungen des Papstes ad libitum modificirt
worden wäre. Die Gläubigen hätten sich unter solchen Umständen
an den Gedanken gewöhnen müssen, dass die fides implicita, d. h. der
Gehorsam, das verdienstliche Werk sei, welches allen ihren übrigen
Leistungen, soweit das sacramentale System ihnen solche auferlegt,
den Werth verleihe. Um das Dogma im materialen Sinn wäre es ge-
schehen gewesen: die Kirche bleibt die authentische Seligkeitsanstalt,
auch wenn Niemand das glau])t, was sie lehrt, jedoch Alle sich ihren
Einrichtungen unterwerfen. Man kann sich aber auch (2) denken,
dass aus den Kreisen der (3ppositionsparteien der Kirche eine Re-
form aufgenöthigt worden wäre, die kirchenrechtlich in einer Herab-
setzung der Competenzen des Papstthums zu (Gunsten einer kirch-
Aussichten für das Dogma um 1500. 579
liehen Oligarchie, dogmatisch in einer Fixirung des augustinisch-
mystischen Christenthums bestanden hätte. Es lässt sich sehr wohl
vorstellen, dass alle die dogmatisch-symbolisch bisher noch gar nicht
bestimmten augiistinisch-mystischen Gedanken, welche die Frömmig-
keit der Besten begründeten, endlicli zu einer festen Ausprägung ge-
kommen wären. In diesem Falle wäre ein Doppeltes möghch ge-
wesen: man hätte versuchen können, den Zusammenhang mit dem
alten Dogma festzuhalten, wie ihn auch Augustin selbst festgehalten
hat — auch dann hätte immerhin deutlich zu Tage treten müssen,
dass jene Dogmen überwundene Voraussetzungen sind — , oder es
hätte sich gezeigt, dass ein anderes Bild von der Gottheit und ein
anderes Bild von dem Gottmenschen an die Stelle der alten zu
setzen seien. Es lässt sich aber auch (3) ein Aus ein an der fallen
der Kirche am Anfang des 16. Jahrhunderts erwarten. Ein Theil
wäre auf dem sub 1 oder 2 bezeichneten Wege fortgeschritten, ein
anderer dagegen hätte den aufklärerischen Fingerzeigen Folge ge-
leistet, w^elche in der das historische Christenthum neu tralisir enden
pantheistischen Mystik, in der Verstandeskritik des Nominalismus
am Dogma und in der humanistischen Weltauffassung gegeben waren.
Wäre eine solche Bewegung zum Durchbruch gekommen, so wäre
es fraglich gewesen, ob sie bei der hl. Schrift Halt gemacht hätte
oder auch über sie hinübergeschritten wäre. Auf Beides ist man ge-
fasst, wenn man die Zeichen der Zeit um 1500 beobachtet. In dem
einen Fall hätte ein rationalistisches oder schwärmerisches Bibel-
christenthum die Folge sein, in dem anderen hätten sich unabseh-
bare Bildungen ergeben müssen. In beiden Fällen aber hätte das
alte Dogma zu existiren aufgehört. Man kann aber (4) endlich
erwarten — doch ist es fraghch, ob uns Angesichts der mittelalter-
Hchen Zustände eine solche Erwartung kommen würde, wenn die Be-
formation nicht eingetreten wäre — , dass sich aus den Gährungen
des 14. und 15. Jahrhunderts eine neue tiefere religiöse Bildung
entwickelt hätte. Oombinirt man nämlich jene sicheren Wahrnehmungen,
dass ein Tbeil der Theologen (dominikanische Mystiker) auch in der
Theologie nur das bearbeiten wollte, was wirklich erbaulich war,
ferner dass in dem geistigen Wesen des Menschen nach dem Punkte
gesucht wurde, welcher der Sitz der Religion und der wahre Kern
des Seelenlebens zugleich sei, weiter dass sich aus diesem Kern
durch eine Wiedergeburt ein neuer innerer Mensch gestalten
solle, der seiner »Seligkeit und Freiheit gewiss werden müsse;
nimmt man hinzu, dass der Nomiiialismus darüber belehrt hatte, dass
die unendlichen Bemühungen der Speculation keine Sicherheit erzeugen
37*
580 Geecliichtliche Orientirung.
können, dass diese also anderswo gesucht werden müsse, und fasst
man dann den allgemeinen geistigen Zustand ins Auge, dass die
Menschen damals darnach rangen, sich von dem Geist des Mittel-
alters zu hefreien, zu den Quellen zurückzukehren, und als seih-
ständige Persönlichkeiten weiter zu lehen, so ist es vielleicht nicht
zu kühn, am Anfang des IB. .lahrhundorts auf religiösem Gehiet eine
Neuhildung zu erwarten, welche eine evangelische Reformation des
gesammten Rehgionswesens einschliessen, damit aher auch das alte
Dogma entwurzeln und aufheben würde, indem der neue Ausgangs-
punkt, der lebendige Glaube an den um Christus willen gnädigen
Gott, und das aus ihm entsprungene Recht auf Freiheit, in der Theo-
logie nur das bestehen lassen konnte, was zu ihm gehörte.
Aber die wirkliche Geschichte hat diesen Erwartungen nicht voll
entsprochen. Sie hat auch diesmal die neue Epoche nicht so an die
alte angeschlossen, wie die Logik einen neuen Satz aus der Wider-
legung eines alten entwickelt. Die wirklichen Ausgänge des Dogmas
im 16. Jahrhundert sind vielmehr mit AVidersprüchen behaftet ge-
blieben, welche der Folgezeit bedeutende Aufgaben gestellt haben.
Man kann darum auch zweifelhaft sein, ob man wirklich von Aus-
gängen zu reden hat; allein nach dem, was in den Prolegomena
zur Dogmengeschichte (Bd. I S. 3 ff.) entwickelt worden und im
Folgenden dargelegt ist, wird man doch diesen Titel brauchen
müssen.
Die dogmengeschichtliche Krisis hat im 16. Jahrhundert einen
dreifachen Ausgang genommen :
1. Die alte Kirche hat sich einerseits entschiedener zur Papst-
kirche entwickelt und damit den oben (sub 1) angegebenen Weg ein-
geschlagen ; aber sie hat andererseits die augustinisch-mittelalterlichen
Lehren fixirt und den alten Dogmen als gleichberechtigte Gheder hin-
zugefügt (s. oben sub 2). Obgleich das zu Trident in einer AVeise
geschah, die deutlich offenbarte, dass man nicht i n dem Dogma,
sondern über demselben stand und desshalb entschlossen war, es
nach den praktischen Bedürfnissen des äusseren Kirchenthums zu
regeln, so hat man doch Co mpro misse schliessen müssen; denn die
Reformation hat auch die alte Kirche gezwungen, geistliche Dinge
geistHch zu richten oder wenigstens den Schein des geistlichen Charak-
ters anzunehmen. Eben desshalb gehören die Decrete des Tridentinums
noch in die Dogmengescliichte; denn sie sind nicht lediglich Producte
der kirchenpolitischen Kunst der Curie, obgleich sie diesen (.harakti^r
ganz wesentlich tragen. Sofern sie es aber nicht sind, haben sie der
Die Ergebnisse der Krisie des 16. Jahrhunderts. 581
Kirche manche Schwierigkeiten bereitet und die volle Entwickelung
derselben zum Curialismus aufgehalten. Die Spannungen und Kämpfe
innerhalb der katholischen Kirche in den folgenden drei Jahrhunderten
haben dies zur Genüge dargethan. Allein diese Kämpfe haben Stufe
für Stufe den Erfolg gehabt^ die oppositionellen Elemente zum Schwei-
gen zu bringen, bis endlich im Mariendogma und im Vaticanum der
volle Sieg des Papstthums verkündet werden konnte. Damit war das
endlich erreicht, was die Curie und ihr Anhang schon in dem 16. Jahr-
hundert erreichen wollte: wie die Kirche die Magd des Papstes ge-
worden ist, so ist auch das Dogma seiner souveränen Herrschaft unter-
w^orfen. Es ist dabei ganz gleichgiltig, welchen Speculationen sich
katholische Theologen über das Yerhältniss des Papstes zum Dogma
hingeben, indem sie behaupten, der Papst sei an dasselbe gebunden ;
denn wer das Recht der Auslegung hat, wird immer einen Weg finden
können, um ein neues Dogma, welches er schafft, als ein altes produ-
ciren zu können. Die ganze Idee des Dogmas aber als der Glaube,
der jedes Christenherz bewegen soll und den Christen zum Christen
macht, ist in Wahrheit abgethan, sofern es jedem Einzelnen überlassen
wird, ob er sich den Glauben in seinem ganzen Umfang anzueignen
vermag oder nicht. Gelingt es ihm — aber wem gelänge das gegenüber
den ganzen, halben und Viertelsdogmen und dem unübersehbaren Heer
von Entscheidungen? — , um so besser; gelingt es ihm nicht, so ist das
kein Schade, wenn er nur die Absicht hat, zu glauben, was die Kirche
glaubt. Dass hier ein Ausgang der Dogmengeschichte gegeben ist,
mögen nun in der Folgezeit noch weitere neue Dogmen formuHit
werden oder nicht, ist unzweifelhaft.
2. Im 16. Jahrhundert hat sich das antitrinitarische und socinia-
nische Christenthum entwickelt. Es hat mit dem alten Dogma ge-
brochen und dasselbe abgethan. Angesichts des raschen Niedergangs
der socinianischen Gemeinden könnte man urthcilen, dass die Betrach-
tung ihres Christenthums überhaupt nicht in die Universalgeschichte
der Kirche und somit auch nicht in die Dogmen geschichte gehört;
allein überlegt man, wie sicher der Antitrinitarismus und Socinianismus
an die mittelalterliche Entwickelung angeknüpft werden kann (Nomi-
nalismus), wie energisch die protestantische Dogmatik des 17. Jahr-
hunderts auf ihn als auf ihren schlimmsten Feind eingegangen ist, und
wie nahe sich endHch die Kritik, welche evangelische Theologen im
18. und 19. .Jahrhundert am Dogma vollzogen haben, mit der socinia-
nischen berührt, so würde man wider die Geschichte Verstössen, wollte
man den im Socinianismus gegebenen Ausgang der Dogmengeschichte
verschweigen.
582 Geschichtlicho Orientivung.
3. Ein dritter Ausgang liegt aber auch in der Reformation
selbst vor, allerdings der coinplieirteste und desshalb auch in iuancher
Hinsicht der unsicherste. Die Reformation hat, von der Geschichte
selbst gewiesen, einen neuen Ausgangspunkt für die Bildung des christ-
lichen Glaubens an dem Worte (lottes gewonnen, und sie hat alle Un-
fehlbarkeiten abgethai), (he eine äussere Sicherheit für den Glauben
bieten konnten, die unfehlbare Organisation der Kirche, die unfehlbare
Lehriiberlieferung der Kirche und den unfehlbaren Schriftencodex'.
Damit war jene Betrachtung des Christenthums, welcher das JJogma
entsprungen ist — der christliche Glaube das sichere Wissen der letzten
Ursachen aller Dinge und desshalb auch der Heilsveranstaltungen Gottes
— beseitigt : der christliche Glaube ist vielmehr die gewisse Zuversicht,
von Gott als dem Vater Jesu Christi Sündenvergebung zu empfangen
* In Bezug auf das erste Stück ist ein Nachweis unnöthig. In Bezug auf das
zweite lese man Luther's Schrift „Von den Concihis und Kirchen" (1539)-, dazu aber
noch Form. Concord. P. I Epitomo p. 517 (ed. Müller): „lieliqua vero sive patrum
sive neotericorum scripta, quocunque veniant nomine, sacris litteris nequa-
quam sunt aequiparanda (also auch nicht die Erlasse der Concilien), sed uuiversa
illis ita subicienda sunt, ut alia ratione non recipiantur, nisi testium
loco, qui doceant, quod etiam post apostolorum tempora et in quibus partibus
orbis doctriua illa prophetarum et apostolorum sinceriorconservata sit . . . . Symbola
et alia scripta non obtinent auctoritatem iudicis." Dazu Art. Smalcald. II, 2 p. 303 :
„Verbum dei condit articulos fidei, et praeterea nemo, ne angelus quidem." Dazu
„Etliche Artikel, so M. Luther erhalten will wider die ganze Satansschule" (1530.
Erlanger Ausg. XXXI S. 122): „Die christliche Kirch hat kein Macht, einigen
Artikel des Grlaubens zu setzen, hats noch nie gethan, wirds auch nimmermehr
thuu .... Alle Artikel des Glaubens sind genugsam in der hl. Schrift gesetzt, dass
mau keinen mehr darf setzen .... Die christliche Kirch bestätigt das Evansrelion
und hl. Schrift als ein Unterthan, zeigt und bekennt, gleichwie ein Knecht seines
Herrn Farbe und Wappen" u. v. a. St. "Was den dritten Punkt betrifft, so hat sich
der spätere Protestantismus verengt. Aber, soviel bekannt, hat kein namhafter
Lutheraner ausser Kliefoth es gewagt, sich öffentlich von dem Luther der ersten
Jahre loszusagen. Ist aber die Haltung, die Luther in seinen bekannten Vorreden
zu den ueutestamentlichen Büchern eingenommen hat, im Protestantismus min-
destens berechtigt (s. die Bemerkungen zum Jakobusbrief, zum Hebräerbrief und
zur Apokalj^pse), so ist damit der unfehlbare Schriftenkanon abgethan. Es ist dabei
historisch höchst wichtig, sachlich aber gleichgiltig, dass sich bei Luther, nament-
lich seit dem Abendmahlsstreit, viele Aussagen finden, die so lauten, als sei jeglicher
Schriftbuchstabe das Fundament des christlichen Glaubens; denn der flagrante
Widerspruch, dass etwas zugleich nicht gilt und gilt, kann nur die Lösung finden,
dass es nicht gilt. Dies folgt aber auch aus Luther's Anschauung vom Glauben mit
Nothwendigkeit; denn diese ist daraufgestellt, dass der Glaube vom hl. Geist durch
das gepredigte Wort Gottes gewirkt wird. Auch ist man heute in weitesten Kreisen
im Protestantismus darüber einig, dass die historische Kritik an der Schrift nicht
unevangelisch ist. Freilich reicht diese Einigkeit nur bis zum „Princip". Die An-
wendung verbitten sich Viele.
I
Die Reformation und das Dogma. 583
und in seinem Reiche unter ihm zu leben — nichts Anderes. Aber es
waren zugleich auch jenem Dogma alle Stützen entzogen; denn wie kann
es irreformabel und authentisch sein, wenn es doch beschränkte, in Sün-
den verstrickte Menschen entworfen und formuhrt haben und jede
äussere Sicherheit fehlt? Dennoch haben die Reformatoren das alte
Dogma bestehen gelassen, ja es nicht einmal einer Revision unterzogen.
Freilich nicht als Glaubensgesetz neben dem Glauben, auf besonderen
äusseren Versicherungen beruhend, haben sie es in Geltung gelassen,
sondern in der ungeprüften Ueberzeugung, dass es dem Evangehum,
dem Worte Gottes, genau entspräche und sich als selbstverständhcher
und nächster Inhalt desselben Jedem erweise. Sie betrachteten es als
ein herrliches Bekenntniss zu dem Gott, der Jesum Christum, seinen
Sohn, gesandt hat, um uns, von Sünden ledig, selig und frei zu machen.
Weil sie dieses Zeugniss in dem Dogma fanden, fiel für sie jeder Antrieb
fort, es genauer zu controliren K Nicht als Dogma blieb es ihnen mass-
gebend, sondern als Bekenntniss zu dem Herrn und Gott, der den
Klugen verborgen ist, aber den Unmündigen offenbar. Allein, weil es
überhaupt in Kraft blieb, blieb es gewissermassen doch als
Dogma; denn die Dinge haben ihre eigene Logik. Das alte Dogma
war ja nicht nur ein evangelisches Zeugniss von dem gnädigen Gott,
von dem Erlöser Christus und der Sündenvergebung — es gab diese
Glaubensgedanken sogar nur unsicher wieder — , sondern es war vor
Allem Gott-Welt-Erkenntniss und Glaubensgesetz. Und je mächtiger
die Reformation den Glauben betonte, je nachdrücklicher sie Alles auf
ihn stellte gegenüber den Unsicherheiten des hierarchischen, kultischen
und mönchischen Christenthums, um so verhängnissvoller musste es für
sie werden, dass sie diesen Glauben und jenes Glaubenswissen und
Glaubensgesetz unbcsehens an einander geschoben hatte. Als nun
vollends noch der Druck der äusseren Situation hinzukam und unter
den Stürmen, die hinaufgezogen waren (Schwarmgeister, Wiedertäufer),
der Muth entschwand, etwas zu behaupten, „quod discrepet ab ecclesia
catholica vel ab ecclesia Romana, quatcnus ex scriptoribus nota est",
da mündete die Bewegung in die Augsburgische Confession, die das
Princip des evangelischen Christenthums zwar nicht verleugnet, aber
damit begonnen hat (doch vgl. schon die Marburger Artikel), den neuen
Wein in die alten Schläuche zu giessen. Hat die Reformation (im
16. Jahrhundert) das alte Dogma abgethan? Es ist sicherer, auf diese
Frage mit einem Nein zu antworten, als mit einem Ja. Allein wenn
man zugicbt, dass sie seine Grundlagen entwurzelt hat — was unsere
* S. Kattenbusch, Luthcr's Stellung^ zu den ökumen. Symbolen 1883.
584 Geschichtliche Orientirung.
katholischen Gegner uns mit vollem Recht vorhalten — , dass sie ein
mächtiges Princip ist und nicht eine neue Lehrordnung, und dass ihre
Geschichte durch this Zeitalter der Orthodoxie, des Pietismus und
Rationalismus hindurch his heute nicht ein Ahfall ist, sondern eine noth-
wendige Entwickelung, dann nuiss man auch zugestehen, dass die völlig
conservative Stellung der Refornuition zum alten Dognui nicht dem
Principe angeluirt, sondern der Geschichte. Somit bezeichnet die
Reformation als fortwirkende Bewegung doch einen Ausgang der
Uogmengeschichte und, wir hoft'en, den rechten und eigenthchen Aus-
gang ».
* Es ist sehr lehrreich, hier das Zeuguiss zweier Mänucr zusammenzustellen,
die so verschieden wie möglich gewesen sind, aber in der Beurtheilung der Refor-
mation in Bezug auf ihr Verhältniss zur Vergangenheit und zur Gegenwart völlig
übereinstimmen. Neander schreibt (Erklärung über seine Theilnahmc an der
evaugol. Kircheuzeitung 1830 S. 20): „Der Geist der Reformation . . . ge-
langte nicht gleich Anfangs zu seinem klaren Selbstbewusstsein. So
geschah es, dass unbewusstcr "Weise manche Irrthümer aus dem alten kanonischen
Recht in die neue kirchliche Praxis übergingen. Bei einem Theil der reformirten
Theologen kam auch noch die Vermischung und Verwechselung des alt- und neu-
testamentlichen theokratischen Gesichtspunkts hinzu. Luther, von so vielen Seiten
über die Entwickelung seiner Zeit emporragend, war von dem Princip des sich frei
und durch seine innere göttliche Kraft entwickelnden Glaubens aus zu dem Be-
wusstsein des rein Evangelischen auch hier gelangt, aber durch die Bewegungen
unter den Abendmahlsstreitigkeiten und in dem Bauernkrieg wurde
jenes reine Bewusstsein wieder getrübt." Derselbe gelehrte und wahr-
haftige Mann hat es mehr als einmal öffentlich bezeugt, dass er sich, obgleich er
den vollen evangelischen Glauben für sich in Anspruch nehme, mit der Augs-
burgischen Confession keineswegs vollkommen identificiren könne, und er hat in
aller Bescheidenheit doch klar genug angedeutet, dass das kein Christ des 19. Jahr-
hunderts mehr könne, der aus der Geschichte gelernt hat. Ebenso erklärt Ritschi
(Gesch. des Pietismus I S. 80 ff. 93 ff. II S. 60 f. 88 f.): „Die lutherische Lebens-
anschauung ist nicht im klaren Flusse geblieben , sondern durch das Uebergewicht
der objectiv-dogmatischen Interessen eingeschränkt und undeutlich geworden. Der
Protestantismus ist nicht in voller Kraft und Ausrüstung, wie die Athene aus dem
Haupte des Zeus entsprang, aus dem mittelaltrigen Schosse der abendländischen
Kirche entbunden worden. Die TJnvollständigkeit seiner ethischen Orientirung, die
Zersplitterung seiner Gesammtanschauung in die Reihe der einzelnen Dogmen, die
vorwiegende Ausprägung seines Besitzes in spröder Vollständigkeit sind Mängel,
welche den Protestantismus bald in Nachtheil gegen die Fülle der mittelaltrigen Theo-
logie und Asketik erscheinen Hessen . . . Die Schulform der reinen Lehre ist wirklich
nur die vorläufige und nicht die endgiltige Gestalt des Protestantismus.'* Dass der
Protestantismus resp. das Lutherthum, gemessen an der Augustana, keine gemein-
same reine Lehre mehr besitzt, ist einfach eine Thatsache, die dadurch nicht ge-
ändert wird, dass man sie verschleiert. Von den 21 Glaubensartikeln der Augustana
sind factisch die Art. 1 — 5, 7 — 10, 17. 18 controvers, selbst in den Kreisen derer,
die noch immer „im Principe" so thun, als habe sich nichts geändert. In concreto
^
Die Aufgabe. 585
Für unsere Darstellung erwächst uns die Pflicht, den hier kurz
skizzirten dreifachen Ausgang der Dogmengeschichte näher darzulegen.
Aber eben weil es Ausgänge sind, kann es sich nicht mehr um eine
ausführliche Darstellung handeln ; denn in den Ausgängen einer Sache
ist nicht mehr sie selbst die bewegende Macht — sonst würde sie nicht
ausgehen — , sondern neue Factoren treten ein und setzen sich an ihre
Stelle. Für unsere Z^vecke muss es daher genügen, die dogmatische
Entwickelung der römischen Kirche bis zum Yaticanum in Kürze zu
zeichnen, ohne auf die pohtischen Absichten und Verwickelungen,
welche der Kirchengeschichte und Symbolik zu überlassen sind, näher
einzugehen, ferner die socinianische Kritik am Dogma vorzuführen,
endhch ein solches Verständniss von der Reformation zu gewinnen,
dass ihre Eigenart gegenüber dem dogmatischen Erbe der Vergangen-
heit ebenso klar wird wie die dogmatische Verengung, in die sie zu-
nächst ausgemündet ist, sowie die Grundlinien ihrer weiteren Ent-
wickelung bis heute. Bis zur Concordienformel und den Dortrechter
Beschlüssen die Geschichtserzählung ausführlich zu geben, dann aber
abzubrechen, halte ich für einen schweren FeMer, weil durch ein solches
Verfahren nur das Vorurtheil bestärkt wird, als seien die dogmatischen
Bildungen der Reformationskirchen im 16. Jahrhundert ihre klassische
Ausgestaltung, während sie doch nur als Durchgangspunkte betrachtet
werden dürfen.
Auch See borg und Loofs brechen bei dem Concordienbuche und der
Dortrechter Synode ab. Bei dem Ersteren ist dieses Ende wohl verständlich —
man ist nur erstaunt, die Confession von Westminster nicht zu finden, das wichtigste
Bekenntniss der heutigen calvinischcn Kirchen. Dagegen ist es schwer begreiflich,
wesshalb Loofs der Betrachtung des repristinirten Lutherthums folgt, die er doch
selbst in seinem Schlussabschnitte (S. 300 f.) aufhebt: „Wer die Union billigt, er-
kennt damit an, dass die Gegenwart so an das 16. Jahrhundert anzuknüpfen hat,
dass die Epigonenzeit ausgeschlossen ist. Und diese Anerkennung ist das
werden die einzelnen Abweichungen nicht nur „ertragen", sondern gestattet; aber
Niemand will, um mit Luther zu reden, der Katze die Schelle anhängen und das öffent-
lich proclamiren und darnach die Kircheuleitung einrichten, was doch eine That-
sache ist, die niemals mehr geändert werden wird. Wir befinden uns nicht in einem
„Nothstand" in Bezug auf den öffentlichen Ausdruck unseres Glaubens, sondern die
Unwahrhaftigkcit, Muthlosigkeit und Trägheit, in der wir dem Wandel der Erkcnnt-
niss gegenüberstehen, da« ist der „Nothstand". Luther hat die Wahrheit erst finden
müssen, und als er sie gefunden hatte, verkaufte er Alles, was er hatte, um sie für
«ich und für die Christenheit zu erwerben. Er verkaufte das Herrlichste, was die
Zeit besass, die Einheit der katholischen Kirche: er schlug sie, ohne Rücksicht auf
die ^Schwachen" und alle seine alten himmlisch-irdischen Ideale preisgebend, in
Trümmer; aber seine Epigonen sind so matt und ängstlich, dass sie sich selbst nicht
einmal eingestehen wollen, was sie Neues gelernt haben, und in Gefahr schweben,
ßich an eine neue Tradition zu verkaufen.
586 Geachichtliche Orientirung.
waa uns noth is t. Da nun die Epij^onenorthodoxic das 16. Jahrhunderts darin
wurzelt, dass die Ueforniatoreu eine Reiiie aitkatholischer Voraussetzungen und
Dügnuiu, welehe mit ihren Grundgedanken sich nicht vertrugen, den-
noch beibehalten haben, so ist mit jener Anerkennung nothwendig eine andere ver-
l)unden . . . die refornuitorischcn (Jrundgedankcn conse(|uenter und allseitiger
durchzutiihreu, als es im 16. Jahrhundert geschehen ist und geschehen konnte."
Sehr richtig; aber dann hat man nur die Wahl, entweder die Dogmengeschichte bis
zur (iregenwart fortzuführen oder sich mit der Darlegung der Grundgedanken der
Reiornuition zu begnügen. Letzteres aber ist m. E. angezeigt, und zwar nicht nur
desshalb, weil die Ausgestaltung des Protestantismus trotz der o70 Jahre, die er
besteht, noch nicht zu Ende gekommen ist ■ — die augustiuisch-römische Kirche hat
noch viel längere Zeit gebraucht — , sondern vor Allem desshalb, weil, wie Loofs
sehr richtig bemerkt, „die Reformatoren eine Reihe altkatholischer Voraussetzungen
und Dogmen, welche mit ihrem Grundgedanken sich nicht vertrugen, dennoch bei-
behalten haben, in denen die Epigonentheologie wurzelt". Hier wird also die
Eigenart des reformatorischen Princips darin erkannt, dass es, in seiner negativen
Bedeutung betrachtet, nicht nur mittelalterliche Jjchren, sondern altkatholische
Voraussetzungen und Dogmen aufhebt. Nun aber giebt es bis auf diesen
Tag kein Dogma, welches nicht das altkatholische wäre oder aus ihm abgeleitet
ist. Also hebt die Reformation, d. h. der Begriff des evangelischen
Glaubens, das Dogma auf, wenn man nicht an Stelle des wirklichen einheit-
lichen Dogmas irgend ein Gedankengebilde von dem, was das Dogma sein könnte, setzt.
Dann aber ist es eine üble und gefährliche Connivenz, innerhalb der Dogmengeschichte
doch die Geschichte der Reformationskirchen nur soweit zu betrachten, als sich ihre
lehrhaften Formulirungen in den Bahnen des altenDogmas oder in der vollkommenen
Abhängigkeit von diesem gehalten haben. Die Reformation ist in einem ähnlichen
Sinn des Dogmas Ende, in welchem das Evangelium des Gesetzes Ende ist. Sie hat
das Glaubensgesetz abgeschüttelt, nicht um zu erklären, dass es Sünde sei, wohl
aber in dem Sinne, dass es die Sünde mehrt, wie das Paulus vom mosaischen Gesetz
behauptet hat. Sie hat au die Stelle der Forderung der Leistung des Glaubens,
welche dem Gesetz entspricht, die Freiheit der Kinder Gottes gesetzt, die nicht unter
der Last des Glaubenszwangs stehen, sondern in der Freude über ein geschenktes
Gut. Und sie kann, ebenso wie der Apostel Paulus in Bezug auf das Gesetz, so in
Bezug auf das Dogma sagen: „Heben wir nun das Glaubensgesetz auf? — nein;
wir richten es auf" ; denn sie weiss und lehrt, dass das gläubige Herz sich gefangen
giebt unter Jesus Christus und ihm Gehorsam leistet.
Da sich die Kraft und Gewalt des Bruches mit der Vergangenheit in den sym-
bolischen Ausgestaltungen des Protestantismus des 16. Jahrhunderts nur unvollkom-
men ausgedrückt hat, so würden wir heute wider uns selbst und unser Christ enthum
zeugen, wenn wir jene Ausgestaltungen so beurtheilen würden, als wären sie ab-
schliessend. Unter diesen „Wir" sind nicht nur einige moderne Theologen oder die
aufrichtigen Bekenner der evangelischen Union zu verstehen — für sie ist das selbst-
verständlich — , sondern nicht minder fast alle Lutheraner. „Allgemein", sagt
Loofs mit Recht, „spricht man von verschiedenen christlichen Confessionen,
kein moderner Orthodoxer ist orthodox im Sinne der Periode, welche die letzten
Symbole producirte und beinahe nirgends fasst man die Verpflichtung auf die Symbole
so auf wie damals." Aber welch' ein trübseliger Zustand ist die Folge dieser Hal-
tung, da man sie sich selbst nicht eingestehen will ! Zurück kann man nicht mehr,
vorwärts will mau auch nicht : so regiereu die Eintälie, mit denen diu Theologen
I
Die Aufgabe. 587
der romantischen Epoche Abgründe überbrückt und Klüfte zugedeckt haben. Ein
Jeder hält den Einfall des Anderen für falsch; aber anerkannt wird, dass er die Kluft
überhaupt zugedeckt hat, einerlei mit welchen trügerischen Mitteln. Die Dogmen-
geschichte würde dem gegenüber sich selbst quiesciren, wenn sie das alte Vorurtheil
fortpflanzen würde, als stünde der Protestantismus heute bei dem Concordienbuch
und den Beschlüssen von Dortrecht. Selbst wenn es nicht anginge, das, was wir heute
einsehen, besitzen und nicht trotz unseres Christenthums, sondern auf Grund des-
selben behaupten — die Reinheit des Glaubens als Glaubenanden Vater Jesu Christi,
die strenge Zucht christlicher Erkenntniss, die Milde in der Beurtheilung abweichen-
der christlicher Ueberzeugungen, die volle Freiheit der geschichtlichen Forschung
in der Schrift und hundert andere Güter — wenn es nicht anginge, diese Güter aus
der Reformation selbst abzuleiten, so bliebe uns nichts übrig als zu bekennen, dass
die Reformation nicht das Letzte gewesen ist, und dass wir im Laufe der Geschichte
neue Reinigungen durchgemacht und neue Güter als Geschenk erhalten haben.
Nicht auf die Reformation sind wir als evangelische Christen verpflichtet, noch
weniger auf den „ganzen Luther" und den „ganzen Calvin", auf die man in trauriger
Verzweiflung an der Klarheit des Evangeliums und an der eigenen Freiheit alles
Ernstes uns verweist, sondern auf das Evangelium Jesu Christi. Allein man verlässt
nicht das helle Zeugniss der Geschichte, wenn man das, wozu sich heute der Prote-
stantismus, in Schwachheit und gehemmt, entwickelt hat, in dem Christenthum
Luther's und in den ersten Ansätzen der Reformation wiederfindet, und wenn man
weiter urtheilt, dass der Glaubensbegriff Luther's noch heute die bewegende Seele
des Protestantismus ist, so Viele oder so Wenige ihn sich angeeignet haben mögen.
Eben desshalb sind die Ausätze, den Glaubensformeln der Epigonen des Refor-
mationszeitalters Bekenntnisse nachzusenden, die nicht mit vieler Noth getragen
und mühsam aufrechterhalten werden müssen, sondern die in Wahrhaftigkeit als
der evangelische Glaube bekannt werden können, mit hoher Freude zu begrüssen.
Gescheitert ist freilich im Jahr 1846 das echt evangelische Unternehmen, ein neues
Bekenntniss einzuführen : die Union war zu schwach, mehr zu vermögen als sich selbst
zu i-)roclamiren ; sie schien in dem Momente zusammenzustürzen, wo sie bekennen
sollte, was sie denn eigentlich sei. Aber die Aufgabe ist unvergessen geblieben,
und jüngst hat ein evangelischer Theologe, der sich selbst als orthodox und pie-
tistisch bezeichnet, in eindrucksvollster Weise wieder au sie erinnert. Ueber AVorte
braucht man nicht zu streiten: er verlaugt ein neues „Dogma" (Christliche Welt
1889 Oct. und Nov.). Er meint ein neues Bekenntniss des evangelischen Glaubens,
befreit vom Dogma. Aber während bei uns in traurigster Verblendung eine solche
Forderung an sich bereits für verdächtig gilt und ihr Spott und die frivole Losung
„Ijeati possidentes" entgegengesetzt wird, regt es sich bei unseren Brüdern jenseits
des atlantischen Oceans. Vor mir liegt eine Reihe von Kundgebungen aus der
Mitte der dortigen ernsten Calvinisten, die Westminster Confession (das
Hauijtsymbol) zu revidiren, d. h. sie in Bezug auf viele Punkte, die im 17. Jahr-
hundert für die wichtigsten galten, zu corrigiren. An der Spitze dieser Bewegungen
steht Prof. Schaff (vgl. dessen Artikel: „The Revision of the Westminister Con-
fession, A Paper read before a special meeting, Nov. 4 1889, of the Presbytery of
New- York"). Wenn irgend ein Name, so bürgt der Schaff's dafür, dass hier nichts
unternommen wird, was nicht auch duichgeführt werden wird und zwar in besonnen-
sterund erfreulichster Weise durchgeführt. Schaff und sehr Viele mit ihm wollen Con-
fess. c. 111, a. 4. 6. 7. VI, 1. X, 3. 4. XXV, 6. XXIV, 3 geändert resp. ausgemerzt
sehen. Aber sie verlangen noch mehr. Die denkwürdigen Worte lauten (p. 10):
588 Die Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
„. . . Or if this cannot be doue without nuitihiting tlio document, then in humble
reÜHUce upou the Holy (Jost, who is ever guiding thc Cliurol), let us take the more
radical Step, with or througli the Pau-Presbyterian Council, of preparing a brief,
simple, and populär creed, vvhich shall clearly and tersely express for laymen as well
as ministers, ouly the cardinal doctrine of faith and duty, leaving metaphysics and
poleniics to scieutilic theology, a creed that can be subscribed, taught, and preached
ex animo, without any mental reservation, or any unnatural explanation ; a creed that
is füll of the narrow of the gosi)el of (rod's infinite love in Christ for the salvation of
the World. Such a consensus-creed would be a bond of union between the different
branches of the RcformedChurch inEurope and America and indistantmission fields,
and prepare the vvay for a wider union with other Evangelical Churches ... In con-
clusion: I am in favor of both a revision of the Westminster Confession by the
General Assembly, and a occumenical Reformed Consensus to be prepared by the
Pan-Presbyterian Council. If wo cannot have both, let us at least have one of the
two, and I shall be satisfied with either." Zu dieser Freiheit haben sich die von
Lutheranern gern als „gesetzlich" bezeichneten Calvinisten aufgeschwungen! Was
würde mau bei uns sagen, wenn ein ehrlicher Mann eine Revision der Augustana
verlangen würde ! Allerdings , die calvinischen Kirchen Amerikas besitzen etwas,
was wir nicht besitzen, eine freie organisirte Kirche, die sich selbst Gesetze giebt,
und — Muth! So werden wir vielleicht einmal folgen, wenn die Evangelischen in
Amerika die Fackel vorantragen.
Jedenfalls ergiebt sich aus diesen Ansätzen, was übrigens an sich aus dem
Principe der Reformation klar ist, dass die symbolischen Bestimmungen im Prote-
stantismus nicht für unfehlbar erachtet werden. Man sucht freilich im Lutherthum
eifrig nach einem Zwischenbegritf zwischen reformabel und unfehlbar; aber man hat
ihn bisher, soviel ich sehe, nicht zu entdecken vermocht. Das alte Dogma aber gab
sich als unfehlbar, ja es war nur Dogma, sofern es mit diesem Anspruch auftrat.
Also sind die Formulirungen des Protestantismus des 16. Jahrhunderts keine Dogmen.
Zweites Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im römischen
Katholicismus.
1. Die Codificirung der mittelalterlichen Lehren im Gegensatz
zum Protestantismus (das Tridentinum).
Durch die Deformation ist der katholischen Kirche eine Codifi-
cirung ihrer Lehren aufgenöthigt worden. Lange hat man sich in Rom
gesträubt, der Verdammung der lutherischen Sätze eine positive Dar-
legung der eigenen Lehre hinzuzufügen oder gar durch ein Concil hin-
zufügen zu lassen. Jenes wie dieses erschien auf streng curialistischem
Standpunkt gleich unnöthig und gefährlich. Dass Fürsten und Völker
gebieterisch Beides verlangten, und dass wirklich ein Concil zu Stande
gekommen ist, welches ausser Reformdecreten, die eine erhebliche Besse-
rung des Kirchenwesens zur Folge haben mussten, bisher unbestimmte
Lehren fixirt hat, ist ein Triimiph des Protestantismus gewesen. Dieses
Concil sollte im Sinne der Fürsten die Aufgabe endgiltig lösen, die man
bisher auf den Rehgionsgesprächen , nicht ohne sich wirklich näher zu
Einleitung in die Beschlüsse des Tridentinums. 589
kommen^ unternommen hatte, und die im kaiserlichen Interim vorläufig
gelöst erschien. In Wahrheit aber setzte es die Curie durch, dass zu
Trident der Gregensatz zum Protestantismus zur schärfsten Aussprache
kam. Sie hat diesem damit einen sehr bedeutenden Dienst geleistet ;
denn was wäre aus der Reformation nach Luther's Tode — wenigstens
in Deutschland — geworden, wenn man zu Trident entgegenkommen-
der gewesen wäre?
Zu den Beschlüssen von Trident haben die besten Kräfte, über
welche die alte Kirche damals verfügte, mitgewirkt. Wahre Frömmig-
keit und ausgezeichnete Gelehrsamkeit sind zu Worte gekommen. Der
erneuerte Thomismus, in Italien an der Reformation selbst erstarkt,
war auf dem Concil bereits jeder anderen Richtung ebenbürtig. Aus
dem Humanismus und der Reformation hatte der mittelalterliche Geist
der Kirche Kräfte an sich gezogen, sich verstärkt und zum Kampfe
gestählt. Dieser Geist im Bunde mit der Curie bestimmte schliesslich
das Concil, auf dem sich eine Regeneration der alten Kirche vollzogen
hat. Diese Regeneration zeigt sich auf dogmatischem Gebiet in dem
Bruch mit den skeptischen, kritischen Elementen der Scholastik und in
der dadurch gewonnenen Zuversicht zu der Lehre und der Theo-
logie ^ Es war doch ein ungeheures Unternehmen, nach einer Jahr-
hunderte langen Zeit des Schweigens aus dem fast unübersehbaren Stoff,
den die Scholastik und Mystik herbeigebracht hatten, kirchliche Dog-
men mit fester Hand zu umschreiben ! Nie hätte man an eine solche
Aufgabe gedacht, noch weniger hätte sie gelöst werden können, wäre
nicht die Reformation mit ihrer Augustana vorangegangen. Der Gegen-
satz zur Reformation, der alle auf dem Concil vertretenen, sonst so ver-
schiedenartigen Richtungen verband, hat wie die Auswahl der zu be-
stimmenden Dogmen, so ihre Formulirung bewirkt. In vielen Fällen
ist noch ersichtlich, dass man zu Trident der Augsburgischen Confession
gefolgt ist; in allen Decreten ist der AViderspruch gegen die evange-
lische Lehre das Leitmotiv. Die dogmatischen Decrete von
Trident sind der Schatten der Reformation. Dass es
dem Katholicismus vergönnt worden ist, sich selber zu
verstehen, seine dogmatische Eigenart zum Ausdruck zu
bringen und sich damit aus den Unsicherheiten des Mittel-
alters herauszureissen, verdankt er der Reformation.
Allein vollkommen hat sich der römische Katholicismus im Tri-
dentinum noch nicht zur Aussage zu bringen vermocht. Es muss das
' Tn dorn dogmaiischon und othischon Probaliilisnius kelirte freilicli der nomi-
nalistisclie Skepticismus in einer für die Kirche Hehr Ijequemen Gestalt bald
wieder zurück.
590 Pie Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
Jedem offenbar werden, der die Decrete mit dem Iieutigen Zustande und
den heutigen Zielen der Kirche vergleicht, und der die Goncilsacten durch-
studirt, um zu erkennen, was die streng curialistische Partei schon damals
erreichen wollte und noch nicht erreicht hat. Nicht nur blieb die Span-
nung zwischen Episkopahsmus und Papalismus ungelöst — eine kirch-
liche Capitalfrage für den romischen Katholicismus, ja die entscheidende
Frage — , sondern man musste auch der jüngst erstarkten augustinisch-
thomistischen Richtung innerhalb der Dogmatik einen viel grösseren
Spielraum gewähren, als das auf das äusserliche Sacrament, den Gehor-
sam, das Verdienst und die Religion zweiter Ordnung gestellte Kirchen-
wesen es zuliess. Die Rücksicht auf die augustinisch-thomistische Rich-
tung erklärt sich aus verschiedenen Gründen. Man konnte erstlich,
wenn man Dogmen wie die von der Erbsünde, Sünde, Erwählung und
Rechtfertigung öffentlich fixircn wollte, an der Autorität Augustinus
überhaupt nicht vorbei, mochte sich auch in der Gegenwart nicht eine
einzige Stimme für ihn erheben; man sah zweitens die tüchtigsten, wahr-
haft frommen Bischöfe und Theologen in den Reihen der Thomisten ;
man konnte sich endlich der Thatsache nicht verschliessen, dass ein
Redürfniss nach Reform gegenüber dem kirchlichen Mechanismus in
den weitesten Kreisen wirklich vorhanden war, und dass demselben nur
durch Eingehen auf die augustinischen Gedanken entsprochen werden
könne. So ist die römische Kirche im 16. Jahrhundert dazu gekommen,
mehr von Augustin in ihr Dogma aufzunehmen, als man das nach der
Geschichte, die sie im 14. und 15. Jahrhundert erlebt hat, zu erwarten
berechtigt ist. Allein die Art, wie sie ihn zu Trident aufgenommen hat,
ist nicht frei von Ilnwahrhaftigkeit. Zwar dass man an den einzelnen
Decreten mühsam und unter beständigen Correcturen gefeilt und ge-
drechselt hat, sollte man den Vätern des Concils nicht zum Vorwurf
machen: solange Dogmen nicht von Propheten verkündigt, sondern
von Synodalen angefertigt werden, wird man keine andere Methode er-
finden können als die, nach der man auch in Trident gearbeitet hat.
Aber das ITnwahrhaftige liegt hier darin, dass die eine Partei — und
sie hat schliesslich den Ausschlag gegeben — den Augustinismus gar
nicht wollte, dass sie vielmehr in allen Stücken die Gewohnheiten der
römischen Kirche als Dogma durchzusetzen suchte, die sich nur mit der
semipelagianischen Doctrin und dem sacramentalen Mechanismus ver-
trugen. Und doch ist selbst damit noch nicht das Letzte gesagt: die
Unwahrhaftigkeit liegt noch tiefer. Die herrschende, mit Rom verbün-
dete, von Rom aus geleitete Partei wollte überhaupt keine Fixirungen ;
denn sie wusste sehr wohl, dass sich ihre dogmatischen Grundsätze, wie
sie in ihrer Praxis zu Tage treten, überhaupt nicht fassen lassen und
Einleitung in die Beschlüsse des Tridentinums. 591
gar nicht gefasst werden dürfen. Sie hatte also bei dem ganzen Concil
nur den einen Zweck im Auge, möglichst unverändert, d.h. mit
allen ihren Gewohnheiten, Praktiken, Anmassungen und
Sünden aus dem Fegfeuer des Concils hervorzugehen.
Diesen Zweck hat sie in der Formulirung der tridentinischen Dogmen
immerhin nur unsicher erreicht — eben desshalb sind dieselben zum
Theil unwahr und irreführend ^, obgleich ein scharfes Auge schon hier
gewahrt, welcher Spielraum dem „Probabilismus", diesem Todfeind aller
rehgiösen und sittlichen Ueberzeugung, gelassen ist — ; aber sie hat ihn
vollkommen erreicht, indem sie den Beschlüssen die Professio Triden-
tina nachsandte und es zugleich durchsetzte, dass dem Papst allein das
Recht zugesprochen wurde, die Beschlüsse auszulegen. So hat sie Fei-
gen von den Dornen und Trauben von den Disteln gesammelt; denn
nun brauchte sie keine einzige Wendung in den Decreten zu fürchten
undgenoss andererseits den Vortheil, den eine so imposante Kundgebung
der ganzen Kirche gegen den Protestantismus gewähren musste.
Wie die Curie zu Trident gearbeitet hat, wissen wir seit der herben
Darstellung Paolo Sarpi's. Eben desshalb müssen wir das Tridenti-
num zu der Geschichte der Ausgänge des Dogmas rechnen ; denn eine
stärkere Macht als das Glaubensinteresse oder das Interesse der reinen
Lehre schwebte über den Bemühungen des Concils und leitete sie in
ihrem Sinne, das Interesse der römischen Kirche, sich als irreformabele
Anstalt der Herrschaft und Seligkeit zu behaupten. Und wenn sich
unleugbar zu Trident und in den Beschlüssen des Concils auch frommer
Glaube, der keine höhere Macht über sich kannte, ausgesprochen hat,
so ist das doch in der Gesammtwirkung untergegangen. Mittelst der
Befugniss, die Decrete allein auszulegen, hat der Papst eigentlich die
ganze dogmatische Arbeit zu Trident unsicher und illusorisch gemacht,
und die folgenden Jahrhunderte haben es zur Genüge bewiesen, dass der
sich den schwersten Irrthümcrn über die praktischen und dogmatischen
Interessen der römischen Kirche hingeben würde, welcher allein auf
Grund der tridentinischen Decrete (ihrem gegebenen Wortlaut nach)
ein Bild von dem Glauben der römischen Kirche entwerfen wollte. Er
erfährt hier ja das nur unsicher, was heute das eigentliche Streben der
römischen Kirche auf dogmatischem Gebiet geworden, zu Trident aber
* Doppelsinnig ist schon die SelV)stl)ezeichnung der Synode: „Haec sacrosancta,
oecumenica et generalis Tridentina Synodus in spiritu sancto legitime congrcgata,
in ea praesidentibus (eisdeni) tribus ai)ostolicae sedis legatis" ; vgl. auch den be-
rühmten, oft wiederholten Zusatz: „salva snmper in omiiil)US sedis apostolicae
auctoritate." Hfkanntiich wurde auch hartnäckig darüber gestritten, ob man der
Synode den 'I'itel: „universalem eeclesiam repraesentans" zu geben habe.
592 Tiie Ausß^änpfe des Doj^as im römischen Katliolicismus.
nur hinter den Coulissen ersichtlich ist, nämlich das Dogma in
eine Dogmenpolitik zu verwandeln, alles Ueherlieferte im Wort-
laut t'iir sacrosanct zu erklären, aber ii h o r a 1 1 widerstreite n d e pro-
bable Meinungen zuzulassen und die Laien von Glaube und Dogma
abzusperren, um sie an die Religion zweiter Ordnung, an die Sacra-
mente, die Heiligen, die Anudetto und einen abgöttischen Gliedmassen-
(.Mu"isti-(>ult zu gewöhnen.
Unter solchen Umständen hat es nur noch ein Interesse zweiten
Rangs, im Einzelnen den Wortlaut der Decrete zu betrachten. Hat
man sich einmal dessen versichert, welche widersprechenden Zwecke in
ihnen vereinigt werden sollten, und dass es schliesslich gleichgiltig ist,
ob ein Decret mehr augustinisch lautet oder nicht, so kann die Uni-
versalgeschichte nur geringen Antheil an diesen mühsam und fein
gearbeiteten Kunstwerken nehmen. W^ir beschränken uns daher im
Folgenden auf das Wichtigste ^ :
Die Synode, versammelt um „de exstirpandishaeresibus^ et moribus
reformandis" zu verhandeln, beginnt auf der 3. Session damit, das kon-
stantinopolitanische Symbol einscliHessHch des „filioque" zu wieder-
holen, und zwar ist dasselbe eingeführt mit den Worten „symbolum
ßdei, quo sancta Rom an a ccclesia utitur". Sodann hat sie in der
4. Session sofort die Frage nach den Erkenntnissquellen und Autori-
täten der Wahrheit aufgenommen. Es geschah zum ersten Mal in der
Kirche, dass diese Frage auf einem Concil verhandelt wurde. Alles
das, was seit den Tagen des Kampfes gegen den Gnosticismus im Ge-
wohnheitsrecht der Kirche theils festgestellt, theils unsicher behauptet
war, ermangelte nach der endgiltigen Entscheidung. Um so bedeuten-
* Authentische Ausgabe der Decrete 1564 (Abdruck bei Streitwolf und
Kiener, Libr. symb. eccl. cath. I 1846). Die Masarelli'schen Acten edirt von
Theiner (Acta genuiua. Agram 1874, 2 Vol.); zahlreiche Berichte etc. zum Concil
hrsg. von Le Plat (1781 ff.), Sickel (1870f.), Döllinger (1876 ff.), v. Druffel
(1884 f.), u. s. w. Geschichtliche Darstellunoen von P. Sarpi (1619, deutsch von
AVinterer 1839 f.), Pallavicini (1656), Salig (1741 f.). Beleuchtungen von
Ranke (Römische Päpste I, Deutsche Reformation V), Pastor (1879). Eine Ein-
leitung zum Tridentinum ist der I. Bd. d. Gesch. d. Kathol. Ref. v. Maureu-
b recher (1880). Derselbe hat eine ausführliche Darstellung begonnen im „Histor.
Taschenbuch" 1886. 1888. Protestantisches Hauptwerk gegen das Tridentinum vom
dogmatischen Standpunkt ist Chemnitz, Exam. conc. Trid. 1565 f. (deutscher
Auszug von Benedixen 1884), vgl. Köllner, Symbolik d. röm.-kath. Kirche 1844.
Zur Frage des Primats in Trident s. Grisar i. d Ztschr. f. kathol, Theol. 1884.
Die Zahl der Einzeluntersuchungen ist sehr gross und bisher noch nicht für eine
neue umfassende Darstellung verwerthet, weil noch immer neues Material, nament-
lich aus dem Vatikan, aber auch aus den Archiven der Staaten, zu erwarten ist.
^ Resp. „de confirmandis dogmatibus", s. III, 1 fin.
I
Das Tridentinum : Schrift und Tradition. 593
der ist das Decret. Indem es die Bewahrung der „puritas evangelii"
an die Spitze des ganzen Beschlusses stellt, zeigt es positiv den reforma-
torischen Einfluss; aber indem es die Apokryphen des AT. 's für kano-
nisch erklärt, die Tradition als zweite Offenbarungsquelle neben die
Schrift setzt, die Vulgata als authentisch proclamirt und der Kirche allein
das Recht zuspricht, die Schrift auszulegen, formulirt es den Gegensatz
zum Protestantismus aufs schärfste ^
Was den ersten Punkt betrifft, so hatte die Reformation durch die
Wiederaufnahme des hebräischen Kanons ihre allgemeine Forderung,
überall auf die letzten und sichersten Quellen zurückzugehen, zum Aus-
druck gebracht. Das Tridentinum hat dem gegenüber das Herkommen
sanctionirt^. Doch war die Fixirung an sich von höchster Bedeutung;
ja streng genommen ist erst durch sie die Kanonsgeschichte innerhalb
der römischen Kirche zur Ruhe gekommen. Gab es doch damals noch
Bibelhandschriften in der Kirche, w^elche das 4. Buch Esra, den Her-
mas, den Laodicenerbrief etc. enthielten. Diesem unsicheren Zustand
war nun endlich ein Ende gemacht ^.
Den zweiten Punkt anlangend, so lauten die wichtigen Worte des
Decrets : „veritatem et disciplinam contineri in libris scriptis et sine
scripto traditionibus, quae ab ipsius Christi ore ab apostolis acceptae aut
ab ipsis apostoHs, spiritu sancto dictante, quasi per manus traditae ad
nos usque pervenerunt."
Die völlige Gleichstellung von Schrift und Tradition ist in man-
cher Hinsicht ein Novum (nam entheb in Bezug auf die Disciplin). Eine
Gewohnheit ist hier sanctionirt worden — ohne Zweifel, um der pro-
testantischen Kritik zu begegnen, die man aus der Schrift allein nicht
abzuweisen vermochte — , die sich im Mittelalter noch keineswegs voll-
kommen durchgesetzt hatte, was sich auch bei den Verhandlungen über
* Die lutherische Reformation hatte sich übrigens ])isher über die Erkenntniss-
quellen und Autoritäten nicht symbolmässig ausgesprochen und es ])ekanntlich auch
später nicht {:(ethan.
^ Beachtenswerth ist auch, dass bei der Aufzählung der neutestamentlicheu
Schriften der Heliräerbrief ohne jede Bemerkung als 14, Paulus])rief gezählt wird.
' Das tridentinische Decret geht schon an dieser Stelle auf die Bullen Eugen'sIV.
zurück, die überhaupt oine der wichtigsten Vorlao^en der Concilsljcstimmung'en ge-
)»ildet habf-n. Tu dfr Bulle j)ro Jacobitis „Cantate doniino" sind bereits die meisten
Apokryphen unterschiedslos den kanonischen Büchern angereiht und der Hebräer-
brief ist als Paulusbrief l>ezeichnet. Diese Aufziihlunf/ foljrtdem Kanon Tnnocentiusl.
(Ep. 6 ad F]xsupf'rium Tolosanum c. 7). Indern das Tridentinum dies guthiess,
schuf es den Widfrsprucli, einerseits den alexandiinischen Bibelkanon anzuerkennen,
andererseits der Vulf^ata zu folgen, während doch Hieronymus die Apokryphen ver-
worfen, resp, ganz frei behandelt hatte; s. Credner, Gesch. des Kanons S. 300 f.
320 ff.
n a 1 n H r; k , Do^engeschichte Hl. j^g
594 r^i(' Ausnräutre des Dogmas im römischon KatholioiRmus.
die Abfiissiing des Decrets deutlich zeigte. Es wurden Stimmen laut,
welche eine Bevorzugung der Schrift verlangten, aber sie drangen nicht
durch. Die nähere Definition der Tradition als traditio Christi und
traditio apostolorum (spiritu sancto dictante), ohne doch irgendwie den
Umfang beider Traditionen und ihre Abgrenzung anzugeben, ist ein
dogmenpolitisches Meisterstück, welches deutlich zeigt, dass es nicht
darauf a))gesehen war, dem, was Christenthum sei, eine feste Begrün-
dung zu geben. Höchst bemerkenswertli aber ist, dass von der Autori-
tät der Kirche und des Papstes hier ganz geschwiegen wird. Darin zeigt
sich die Unwahrhaftigkeit des Decrets; denn letztlich kam es der Curie
doch darauf an, ihre arbiträren Bestimmungen als Erkenntnissquellen
und Autoritäten der Wahrheit angesehen zu wissen '. Mit Hülfe dieses
gänzlich unbestimmten Decrets vermag sie das; aber sie vermochte das
damals noch nicht dir e et zum Ausdruck zu bringen; daher ist von
Papst und Kirche geschwiegen worden.
Die Proclamirung der Vulgata („ut in publicis lectionibus, dispu-
tationibus, praedicationibus et expositionibus pro authentica habeatur,
et ut nemo illam reicere quovis praetextu audeat vel praesumat") ist ein
Gewaltstreich, der nicht einmal durch das Gewohnheitsrecht gerecht-
fertigt werden konnte und dazu dem Zeitalter, in welchem man lebte,
ins Gesicht schlugt. Aehnliches ist von der Forderung zu sagen, dass
Jeder verpflichtet sei, den Sinn der hl. Schrift festzuhalten, welchen die
heilige Mutter-Kirche festhält („cuius est iudicare de vero sensu et
interpretatione scripturarum sacrarum"), und Niemand wider den unani-
mis consensus patrum auftreten dürfe. Diese Forderung ist zwar an
sich nicht neu; aber neu ist, dass die ganze Kirche jede historisch-
exegetische Untersuchung der Grundlagen der Rehgion abschneidet^.
Die Art, wie im Folgenden der Schriftgebrauch überhaupt verclausuhrt
wird, ist auch unerhört ; zweideutig aber ist die Bestimmung, dass die
Kirche allein das Recht der Schriftauslegung besitzt, wenn doch nicht
gesagt wird, wer die Kirche ist. Man konnte es eben auch hier noch
nicht wagen, den Papst für die Kirche einzusetzen'*.
^ Immer wieder sind — namentlich von Jesuiten, aber auch von Anderen — auf
dem Concil Reden gehalten worden mit dem bündigen Inhalt, da die Kirche niemals
im Glauben hat irren können, so ist ihre Theorie und Praxis in allen Stücken die
richtige (die Kirche aber ist Rom). Da man aber noch nicht so schamlos war, diesen
Grundsatz offen zu proclamiren, so tritt er in den Bestimmungen nicht deutlich hervor.
* „Die Kirche hat hier mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit Allem, was
Wissenschaft heisst, für immer gebrochen." Credner, a. a. O. S. 324.
^ „Die Schrift ist so allerdings consecrirt worden, aber zu einer Mumie herab-
gesetzt, die keinerlei Leben mehr entfalten kann." Credner, a. a. 0.
* S. über das ^anze trideutinische Decret Holtzmann, Kanon und Tni-
Das Tridentinum : die Sacramente. 595
Die Synode behandelte dann in der V. und VI. Session die Erb-
sünde und die EecLtfertigung. Diese Reihenfolge ist lediglich durch
den Gegensatz gegen den Protestantismus herbeigeführt und giebt den
beiden Decreten ein Gewicht, welches ihnen factisch nicht zukommt.
Man thut daher besser, die folgenden Decrete (Sessio VII — XXV)
zuerst zu betrachten-, denn in ihnen (Sacramente VII. XIII. XIV.
XXI. XXIII. XXIV; Messe XXII; Fegfeuer, Heihge, Bilder, Ab-
lässe XXV) sind die entscheidenden Interessen des Katholicismus zum
Ausdruck gekommen, und man war hier nicht genöthigt, sich abzu-
quälen.
Dass man sich als Sacramentskirche behaupten wollte, zeigt
der Satz, der sich im Prolog zum Decret der VII. Session findet und ein
ganzes dogmatisches Capitel ersetzt: „per sacramenta omnis vera iu-
stitia vel incipit vel coepta augetur vel amissa reparatur." Kein Wort
darüber, inwiefern die Sacramente das vermögen, welche Beziehung sie
zu dem Worte und den Verheissungen Gottes haben, und wie sie sich
zu dem Glauben verhalten. Diese Schweigsamkeit ist das Bezeich-
nendste; denn sie zeigt, dass eben das Sacrament an sich, so wie es
äusserlich applicirt wird, als das Heilmittel betrachtet werden soll. So
wird denn ohne Bestimmung dessen, was ein Sacrament in genere sei,
sofort zu 13 Anathematismen übergegangen, nachdem nur zuvor ver-
sichert ist, dass alles Folgende der Lehre der hl. Schriften, den aposto-
lischen Traditionen, den Concilien und dem consensus patrum ent-
nommen sei. Die 13 Anathematismen enthalten in Folge dessen eine
fortgesetzte Reihe von Bestimmungen, in denen lediglich die jüngste,
durch die Scholastiker präcisirte Gewohnheit in der Kirche zum Dogma
erhoben ist und alle dagegenstehenden geschichtlichen Erinnerungen,
die doch noch laut genug sprachen, niedergeschlagen sind. Diese in
den 13 Anathematismen formulirten Dogmen sind der
eigentliche Protest gegen den Protestantismus.
Kanon 1 erhebt die Lehre, dass es sieben Sacramente — nicht
mehr und nicht weniger — gebe, und die Einsetzung aller sieben
durch Christus zumDogma^ Kanon 4 verwirft die Lehre, dass
der Mensch ohne Sacramente (resp. ohne votum sacramenti) per solam
fidem vor Gott gerechtfertigt werden könne. Kanon 5 belegt die mit
dem Anathem, welche lehren, dass die Sacramente propter solam fidem
dition iS. 25 ff. J. DcHilzsoli, Das Lehrsystom dor röm. Kirclio T S. 295 iL
358 ff. 385 fr.
' Hinr kann freilich immer nocli die Fra^e auftauchen, ol) er sie alle „imme-
diate" einf/OHctzt hahe; al »er Angesichts des Wortlauts des Decrets wäre das eine
SopliiMterei.
38*
590 r)i(^ Ausfjfänore des Doprmas im rcimisclioii Katliolicismus.
mitrieiulaui eingesetzt seien, zerreisst also die ausschliessliche Ver-
bindung von fides und sacramentum. Kanon G formulirt die schola-
stische Lehre von der Wirksamkeit der Sacramente ex opere operato
(ohne jedoch diesen Ausdruck hier anzuwenden) und schhesst damit
noch sicherer die Nothwendigkeit des (ilaubens aus, indem in die Sacra-
mente eine gehehnniss volle Kraft verlegt wird '. Kanon 7 präcisirt diese
Wirksamkeit der Sacramente noch bestimmter, indem er behauptet,
dieselben verliehen, wo sie rite entgegengenommen werden, ex parte dei
stets, und zwar allen Empfängern, Gnade. Kanon 8 schliesst diese
Betrachtung durch die Worte ab: „si quis dixerit, per ipsa novae legis
sacramenta ex opere operato non conferri gratiam, sed solam
fidem divinae promissionis ad gratiam consequendam suf-
ficere, anathema sit." Der 9. Kanon erhebt die Lehre vom „character"
(Taufe, Firmung und Priesterweihe) zum Dogma, definirt aber diesen
„character in anima" vorsichtigerweise nicht näher als „signum quod-
dam spirituale et indelebile" •^. Der 10. Kanon belegt die mit dem
Anathem, welche behaupten, dass alle Christen die Gewalt haben, das
Wort zu verkündigen und die Sacramente zu verwalten, wendet sich
also gegen das allgemeine Priesterthum. Der 11. Kanon erhebt die
Lehre von der intentio des Priesters („intentio saltem faciendi quod
facit ecclesia"), ohne welche die Sacramente nicht Sacramente sind, zum
Dogma. Der 13. Kanon endlich stellt alle unbegründeten Gewohnheiten
der Kirche bei der Verwaltung der Sacramente sicher, indem er erklärt:
„si quis dixerit, receptos et approbatos ecclesiae catholicae ritus in
solemni sacramentorum administratione adhiberi consuetos aut con-
temni aut sine peccato a ministris pro libito omitti, aut in novos alios
per quemcunque ecclesiarum pastorem mutari posse, anathema sit."
Lidern das Concil in allen diesen Sätzen nur negative Bestim-
^ „Si quis dixerit, sacramenta novae legis non continere gratiam, quam signi-
ficant (s. die scholastische Streitfrage oben S.466f.), aut gratiam ipsam non ponen-
tibus obicem (s. oben S.481) non cont'erre, quasi signa tantum externa sint acceptae
perfidem gratiae vel iustitiae et uotae quaedam Christianae professionis, quibus apud
homines discernuntur fideles ab infidelibus, anathema sit." Charakteristisch ist, dass
der Kanon eine dritte Möglichkeit zwischen den Sacramenten als Vehikeln und
als Zeichen nicht voraussetzt. Dieselbe ist auch schwer genug zu fassen, wie die
lutherische Lehre, die das versucht, beweist. Die scotistischen Lehren über die
Concomitanz der göttlichen Gnadenwirkungen und des Ritus sind durch das Trideu-
tinum nicht ausdrücklich widerlegt; aber der Wortlaut ist ihnen ungünstig.
'^ Zu vgl. Cat. Roman. IT, 1 Q. 19, wo freilich auch wenig mehr gesagt wird,
als dass der Charakter „veluti insigne quoddam aniniae impressum est, quod deleri
numquam potest ... et praestat, tum ut apti ad aliquid sacri suscipiendum vel
peragendum efficiamur, tum ut aliqua nota alter ab altero hiternoscatur."
Das Tridentinum : die Sacramente. 597
mungen getroffen hat, hat es alle Klippen der scholastischen Streit-
fragen über die Sacramente aufs glücklichste zu umschiffen vermocht.
Auch in der Auswahl des negativ Bestimmten — wie Vieles wäre noch
zu bestimmen gewesen! — zeigt sich ein bewunderungswürdiges Ge-
schick. Im Allgemeinen ist wirklich hier die allen Scholastikern ge-
meinsame Grundlage abgesteckt worden. Daher kommen die Bestim-
mungen^ wenn man sie ins Positive umsetzt, dem Thomismus am
nächsten, ohne doch die scotistischen Sätze direct auszuschhessen.
Es folgen nun die Decrete über die einzelnen Sacramente. Hier
hatte das decretum pro Armenis in bulla Eugenii IV: „Exultate deo" *
durch seine kurzen und doch inhaltsreichen Definitionen so vorge-
arbeitet, dass den Vätern die dogmatische Präcisirung nicht schwer
gefallen ist. Der Charakter der Einzelbestimmungen ist dem der General-
bestimmungen verwandt: die äussersten scholastischen Streitfragen
werden im Interesse der Glaubenseinheit abgeschliffen; dadurch kommt
ein Typus zu Stande, der dem thomistischen sehr nahe steht, jedoch
die Bearbeitung der Lehren im Sinne des dogmatischen Probabilismus
nicht unmöglich macht.
unter den die Taufe betreffenden Sätzen (Sessio VII) ist der zu-
sammenhangslos eingestellte 3. Kanon der wichtigste, weil er implicite
alle anderen unnöthig macht: „si quis dixerit, in ecclesia Romana, quae
omnium ecclesiarum mater est et magistra, non esse veram de baptismi
sacramento doctrinam, anathema sit." Der 9. und 10. Kanon schränken
die Bedeutung der Taufe gegenüber der evangelischen Auffassung ein,
namentlich der 10. ist durch die den Glauben herabsetzende Zusammen-
stellung von recordatio und fides, sowie durch die Beschränkung der
Wirkung der Taufgnade auf die früheren Sünden lehrreich ^. In Bezug
auf die Confirmation wird nun endgiltig die Entwickelungsge-
schichte dieser Handlung ausgestrichen, die Geschichte also durch das
Dogma überwunden (can. 1); auch ist es hinfort Glaubensartikel,
dass nur der Bischof minister Ordinarius dieses Sacraments sei (can. 3).
Bei der Behandlung der Eucharistie (Sessio XIII) hat sich
das Concil nicht mit Kanones begnügt, sondern sich zu einem Decret
aufgeschwungen. Allein dasselbe ist, w^enn man die scholastischen
Streitfragen überschaut, doch ziemlich unbestimmt. Man weiss auch,
dass hier die theologischen Gegensätze aneinander gcrathen sind. Wider
die Geschichte wird (c. 1) behauptet, dass alle Väter einmüthig stets
> S. Dcnzingcr, Enchiridion 5. Aufl. S. 172 f.
'^ „Si quis dixerit, pcccata omnia, quao i)Ost baptisrnum fiunt, sola rccorda-
tione et fide suscepti baptismi vel dimitti velvcnalia ficri, anathe-
ma sit.**
598 r)ie Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
bekannt hiitten, dass der Gottmensch „vere, realiter ac substantialiter
sub specie rerum sensibiliuni in hoc sacramento" vorhanden sei. Trotz
grosser Worte über das Sacrament wird (c. 2) seine Wirkung factisch
auf die Befreiung von den täghchen (lässhchen) Sünden und die Be-
wahrung vor Todsünden eingeschränkt. Dann heisst es (cap. 3), indem
die alte Delhiition des Sacraments überhaupt aufgenommen wird : „com-
mune hoc (piidem est sanctissimae oucharistiae cum ceteris sacramentis
symbolum esse rei sacrae et invisibilis gratiae formam visibilem; verum
illud in ea excellens et singulariter reperitur ' , (piod reliqua sacramenta
tunc primum sanctificandi vim habent, cum quis illis utitur, at in eucha-
ristia ipse sanctitatis auctor ante usum est." Innner sei es katholischer
Glaube gewesen, dass der Gottmensch sofort nach der Consecration an-
wesend sei, und zwar der Gottheit, dem Leibe und der Seele nach in jeder
der beiden Gestalten ganz; näher wird dies also — wiederum als der
Glaube, der stets in der Kirche geherrscht habe — definirt: „per
consecrationem panis et vini conversioncm fieri totius substantiae panis
in substantiam corporis Christi domini nostri et totius substantiae vini
in substantiam sanguinis eius. Quae conversio convenienter et proprie
a sancta catholica ecclesia transsubstantiatio est appellata". Daher wird
für das Sacrament der cultus latriae (einschliesslich des Fronleichnams-
festes) verlangt (c. 5) und das Selbstcommuniciren der Priester wird
als traditio apostolica bezeichnet (c. 8). Die beigegebenen Anathe-
matismen richten sich fast alle gegen den Protestantismus. Verdammt
wird, wer nicht den ganzen Christus leibhaftig im Abendmahl anerkennt,
wer glaubt, dass die Substanz der Elemente nach der Consecration
übrig bliebe, wer da leugnet, dass der ganze Christus in jedem Theil
jeden Elementes sei, wer das Sacrament nur „inusu'^, nicht auch „ante
vel post usum" Sacrament sein lässt, wer die Anbetung der Hostie und
die Fronleichnamsfeier verwirft, etc. Am schUmmsten aber sind die
Kanones 5 und 11*, denn jener verdammt die, welche die Sündenver-
gebung für die hauptsächliche Frucht der Eucharistie halten, und dieser
lautet : „ si quis dixerit, solam fidem esse sufiicientem praeparationem
ad sumendum sanctissimae eucharistiae sacramentum, anathema sit."
Viele verlangten auch die Laiencommunion sub utraque einfach zu ver-
dammen, und ein solches Decret drohte wirldich. Allein unter dem
Druck der Fürsten und der öffentlichen Meinung wurde die Frage zu-
nächst verschoben und dann, da sich auf dem Concil selbst Einflüsse zu
Gunsten der Gewährung des Laienkelchs kräftig geltend machten, in
einem Decrete (Sessio XXI) zur Hälfte entschieden, welches das böse
^ Zu vgl. Cat. Rom. 11 c. 4 Q. 39 : die Eucharistie ist fons aller Saerameiito,
die wie Bäche aus ihr ausströmen.
Das Tridentinum : das Abendmahl, die Messe. 599
Gewissen nur zu deutlich verräth. Die Gewährung des Laienkelchs ist
nicht verboten worden — musste man doch hier zugestehen, dass „ab
initio Christianae religionis non infrequens utriusque speciei usus fuis-
set" — , aber mit dem Anathem wurde jeder belegt, der ex dei prae-
cepto den Kelch fordere oder nicht überzeugt sei, dass ihn die heilige
katholische Kirche aus guten Gründen verweigere. Die scholastische
Lehre von dem totus Christus in qualibet specie bildet die dogmatische
Grundlage des Rechts der Verweigerung. Deuthcher kann man wohl
nicht den Unfug der „Wissenschaft" in der Kirche nachweisen, als an
der Thatsache, dass diese „Wissenschaft" mit Erfolg sich anmasst, die
Stiftung Christi zu corrigiren. Natürlich aber ist in Wahrheit die
Wissenschaft nur der Deckmantel; denn es sind ganz andere Motive
gewesen, welche die Kirche bestimmt haben, den Laien den Kelch zu
entziehen K Ein Heer von Schwierigkeiten drohte bei der Frage des
Messopfers (Sessio XXII). Man konnte die theoretische Begründung
dieser am meisten angegriffenen Institution nicht umgehen und konnte
doch andererseits nicht Bände schreiben. Solcher aber hätte es bedurft,
um alle die Probleme zu lösen, die viel verhandelt, aber ungelöst und
ohne in scharfe Formeln auszulaufen von der Scholastik überhefert
waren. Waren doch namentlich die Fragen des Verhältnisses des Opfer-
todes Christi zum Abendmahl (vor Allem zum ersten Abendmahl)
und wiederum der Messe zum ersten Abendmahl und zum Kreuzes-
tod die eigentHchen Mysterien der labyrinthischen Dogmatik, und
hatte hier doch jeder Glaubenssatz nur die Folge gehabt, neue Anstösse
zu schaffen ! Dazu herrschte völlige Unklarheit darüber, wie man theo-
retisch die Bedeutung und den Nutzen der Messen fassen solle. Die
schlechte Praxis lehrte, dass die Messe die wichtigste Function innerhalb
^ Das Decret schliesst mit der abgenÖthigten Bemerkung : „Duos vero articulos,
alias (seil. Sess. XIII) propositos, hos nondum tarnen excussos, videlicet: An rationes,
quibus 8. catholiea ecclesia adducta fuit, ut communicaret laicos atque etiam non
celebrantes saccrdotcs sab una tantum panis specie, ita sint rctinendac, ut nulla
ratione calicis usus cuiquam sit perniittendus, et An, si honestis et Christianae
caritati consentaneis rationibus concedendus alicui vel nationi vel regno calicis usus
videatur, sub aliquibus conditionibus concedendus sit, et quaenam sint illac: eadem
8. synodus in aliud tempus, oblata sibi quamprimum occasioiie, examinandos atque
definiendoa reservat." Dazu ist der Schluss des Decrets der 23. Session zu ver-
gleichen : „integrum negotium ad sanctissimum dominum nostrum (seil, den Papst)
esse referendum, qui pro sua singulari prudentia id efficit, quod utile republicae
Christianae et salutare petentibus usum calicis fore iudicaverit." Dass man sich
in Rom und auf" dem Concil nicht entschliessen konnte , den Laienkelch zu ge-
währen, ist ein grosses Glück für den Protestantismus gewesen; denn Viele von
denen, die seine Geschicke in der Hand hatten, hätten sich durch ein so äusscrliches
Zugeständnis« zu Compromisscn bewegen lassen.
600 Die Ausgänge des Dogmas im romSclien Katholicismus.
des Keligions- und Kirchenwesens sei; allein die dogmatische Theorie,
welche die einzigartige Bedeutung der Taufe und des Busssacraments
nicht preisgehen konnte, liess für die Wirksamkeit der Messe nur den be-
scheidensten Raum. Das Decret gleitet nun(c. 1) über die Abgründe der
historischen Begründung der Messe (durch Christus) sehr geschickt
hinweg, bestimmt aber den Erfolg derselben offenbar widerspruchsvoll,
indem derselbe in c. 1 als sidutaris virtus in remissionem peccatorum,
quae a nobis quotidie committuntur, beschrieben wird, in c. 2 dagegen
als sacriticium vere propitiatorium, welches auch die crimina et ingentia
peccata der Bussfertigen (contriti) tilgt; ja man kann die hier gegebenen
Ausführungen nur so verstehen, als sei die Messe die directe, alle Seg-
nungen umfassende Application des Kreuzestodes Christi K Im Uebri-
gen wird die ganze schlimme Praxis der Messe, wenn auch in vorsichtiger
Verhüllung'-^, ferner die Messen in honorem sanctorum (c. 3) und end-
lich der römische Messkanon ^ bis aufs letzte Wort gerechtfertigt (c.4).
Auch die Forderung der Messe in der Landessprache wird zurück-
gewiesen und zwar ohne Begründung (c. 8) ^. Die Kanones stellen Alles,
was diesen Lehren zuwiderläuft, unter das Anathem und schliessen so-
mit die Kirche des heidnischen Messopfers wider die Kirche des Worts
streng ab^.
Das Decret de paenitentia (Sessio XIV) ist das ausführlichste, wie
sich erwarten lässt. Da die Hauptstücke dieses Sacraments in der Scho-
lastik feststanden, das Tridentinum aber die ganze scholastische Arbeit
hier recipirt hat, so ist es nicht nöthig, die einzelnen positiven Bestim-
* „Una enim eademque est hostia, idem mmc offerens sucerdotum ministerio,
qui seipsum tuuc in cruce obtulit, sola offerendi ratione diversa. Cuius quidem
oblationis criientae fructus perhanc incruentam uberrime percipiuntur: tantum abest,
ut illi per hanc quovis modo derogetnr."
^ „Quare non soliim pro fidelium vivorum peccatis, poenis, satisfactiouibus et
aliis necessitatibus (damit ist der ganze Unfug bestätigt), sed et pro defimctis in
Christo, nondum ad plenum piirgatis, rite iuxtaapostolorum traditionem (!) offertur."
^ r't^ui constat ex ipsis domini verbis, tum ex apostolorum traditionibns ac
sanctorum quoque pontificum piis institutionibus'* — man beachte die Zusammen-
stelhmg !
* „Non expedire visum est patribus" ; s. darüber Gihr, Das hl. Messopfer
4. Aufl. S. 305 ff. Liest man dieses AVerk, so muss auch ein sanftes evangelisches
Gemüth den Reformatoren Recht geben, welche die Messe eine Abgötterei ge-
nannt haben.
^ Ein gewisser Einfluss der Reformation zeigt sich in der Forderung (c. 8),
dass die Seelsorger Einiges von dem, was in der Messe gelesen wird, (in der Landes-
sprache) erklären sollen, „nc oves Christi esuriant neve parvuli panem petaut, et
non sit qui frangat eis". Also scheint doch nur das klar verstandene Wort Brot
?u sein!
Das Tridentinum: die Busse. 601
mungen (s. oben S. 498 ff.) zu wiederholen. Die Formulirungen zeichnen
sich durch grosse Klarheit aus ; man hat bei der Leetüre die Empfin-
dung, auf sicherem Boden zu stehen, freilich auf einem Boden, den sich
die Kirche selbst geschaffen hat '. Bis zu den Fragen der materia, quasi
materia und forma hin wird hier Alles genau entwickelt. Als beachtens-
werth ist hervorzuheben, dass das auf die reconciliatio folgende Gefühl
des Trostes und des befriedigten Gewissens nicht als eine regelmässige
Folge des Sacraments bezeichnet wird (c. 3). Aber noch viel beachtens-
werther ist andererseits, welchen Einfluss die Reformation auf die Be-
schreibung der nothwendigen Bussgesinnung ausgeübt hat. Die Partei,
welche die attritio als genügend zum heilsamen Empfang des Sacra-
ments erklärte, ist nicht durchgedrungen, vielmehr ist im Widerspruch
zur Lehre und Praxis der letzten zwei Jahrhunderte die contritio ver-
langt und die attritio nur für eine heilsame Vorbereitung erldärt („ad
dei gratiam impetrandam disponit" „viam ad iustitiam parat"). Allein da
die attritio doch „contritio imperfecta" genannt wird, da sie als „donum
dei et Spiritus sancti impulsum, non adhuc quidem inhabitantis sed tan-
tum moventis" bezeichnet ist, da ferner behauptet wird, dass dierecon-
cihatio nicht der contritio sine sacramenti voto zuzuschreiben sei, und
zwischen contritio und contritio (caritate perfecta) selbst wieder ein
Unterschied gemacht wird, da endhch trotz aller trefflichen Worte, die
über die Reue gesagt sind, diese nicht mit der fides verbunden, nicht
aus der fides entwickelt ist, so sind alle Anläufe, aus dem Bussmechanis-
mus herauszukommen, vergeblich, und die folgende Entwickelung der
Lehre von der Reue in der Kirche hat gezeigt, dass man doch nicht
Ernst mit der Ausweisung der attritio machen wollte. Factisch streut
das Cap. 4 des Decrets de paenitentia den Protestanten nur Sand in die
Augen. In dem 5. Cap. steht die exorbitante Behauptung, dass „uni-
versa ecclesia semper intellexit, integram peccatorum confessionem Omni-
bus iure divin o necessariam existcre, quia Christus sacerdotes sui
ipsius vicarios relicjuit tamquain praesides et iudices, ad quos omnia
mortaha crimina deferantur". Die alte Streitfrage, ob der Priester die
Vergebung nur ankündige oder als Richter spende, wird (c. 6) in letz-
terem Sinn entschieden. Da der Satz, dass Gott nie Sünden vergebe,
ohne auch die ganze Strafe zu erlassen, zurückgewiesen wird, so wird
der Raum für die satisfactiones gewonnen: Heiden nimmt Gott ohne
solche an, gefallene Christen nicht. Aber merkwürdiger AVeise werden
die satisfactoriac poenae auch unter den Gesichtspunkt gestellt, der
* Beiläufig sei bemerkt, dass c. 2 der Satz Htcht: „ecclesia in neminem iudicium
cxercet, qui non prius in ipsam per baptismi ianuam fuerit ingressus", d. h. die Ge-
taijften stehen alle unter ihrer Jurisdiction.
602 I^ie Auegänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
ihrer ursprünglichen Begründung innerhalb des Bussinstituts ganz fremd
ist, dass wir nilmlich durch dieselben Christus ähnlich (conformes) werden,
der für unsere Sünden Genüge geleistet hat („certissimam quoque inde
arrham habentes, ({uod si compatimur, et conglorificabiinur" c. 8). Das
ist eine evangehsche Wendung, die aus dem Rahmen der „Busse" heraus-
fällt'. Die 15 Kanones de paenitentia lassen freilich an principieller
Abweisung der evangelischen Auffassung nichts zu wünschen übrig.
Nur der 4. sei hervorgehoben: „Si quis negaverit ad integram et per-
fectam peccatorum remissionem requiri tres actus in poenitente, quasi
materiam sacramcnti paenitentiae, vid. contritionem, confessionem et
satisfactionem, quae tres paenitentiae partes dicuntur, aut dixerit, duas
tantum esse paenitentiae partes, terrores seil, incussos conscientiae
agnito peccato et fidem conceptam ex evangelio vel absolutione, qua
credit quis sibi per Christum remissa peccata, anathema sit."
Ueber das Sacrament der letzten Oelung (S. XIV) ist es nicht
nöthigeinWort zu verlieren. Auch die Bestimmungen über die Priester-
weihe (S. XXIII) enthalten die scholastischen Thesen ohne Correctur.
Sie beginnen mit den berühmten Worten: „Sacrificium et sacerdotium
ita dei ordinatione coniuncta sunt, ut utrumque in omni lege exstiterit."
Die Kirche des Opferrituals behauptet sich auch als Priesterkirche, und
sie thut dieses, weil sie jenes thut. Mit dem Opfer zugleich habe Chri-
stus das Piiesterthum eingesetzt; die sieben ordines seien ab ipso eccle-
siae initio vorhanden gewesen (c. 2). Die alte Streitfrage über dasVer-
hältniss der Bischöfe zu den Priestern (ob sie einen eigenen ordo bilden?)
wird nicht scharf entschieden, sondern nur ihre Superiorität über den
Priestern behauptet, da sie an die Stelle der Apostel getreten seien;
auch werden einige ihrer Vorrechte angegeben (c. 4) ^. Sehr scharf wird
am Schluss des Decrets jede Mitwirkung von Laien bei der Ordination
der Geistlichen abgelehnt'"^. Das Decret über die Ehe (Sessio XXIV)
hat diesem formlosen Sacrament keine bessere dogmatische Gestaltung
* Vgl. auch das gleich Folgende •, es ist evangelisch gedacht : „Neque vero ita
est satisfactio haec — per illum acceptantur a patre." Um so stärker contrastirt
damit die sich sofort anreihende Satzgruppe.
* Die Unsicherheit über die Stellung der Bischöfe in der Hierarchie wird durch
den 6. Kanon noch erhöht, wo nicht die sieben ordines aufgezählt werden, sondern
von der „hierarchia diviua ordinatione instituta, quae constat ex episcopis, presby-
teris et ministris" gesprochen wird. Wie verhält sich die Hierarchie zu den sieben
ordines ?
* Die Kanones verwerfen die protestantische Lehre. Vor Allem wird in c. 1
die Meinung verdammt, dass es kein sacerdotium externum gebe, und dass das Amt
nur das nudum ministerium praedicandi evangelium sei. Der 8. Kanon stellt es
dem Papste frei, soviele Bischöfe als er will, zu creiren.
I
Das Tridentinum : Sacramente, Fcjgfeuer etc. 603
ZU geben verstanden. Eine Art von Homilie muss die theologische Ent-
wickelung ersetzen. Erst in den Anathematismen kommen die Interessen
der Kjrche zum Ausdruck ^
Von dem F e g f e u e r und den Heiligen war schon vorübergehend
in dem Decret über die Messe die Kede. Auf der 25. Sitzung hat man
ausdrücklich von ihnen gehandelt. Das Decret über das Fegfeuer ent-
hält indirect das Eingeständniss , dass viel Unfug mit demselben in der
Kirche getrieben und die Christenheit zum Aberglauben geführt worden
sei; auch von turpe lucrum, scandala et fideHum offendicula wird ge-
sprochen, x^llein eben desshalb soll die sana doctrina de purgatorio
von nun an fleissig eingeschärft werden. Auf genauere Bestimmungen,
die den Geist des Zeitalters gegen sich gehabt hätten, hat sich das Concil
nicht eingelassen. Ebenso ist man nur ganz flüchtig auf die Anrufung
und Verehrung der Heiligen sowie auf die Reliquien und Bilder
eingegangen. Die Intercession der Heiligen wird festgestellt und die
protestantische Meinung für impia erklärt. Auch die Reliquien- und
Bilderverehrung \vird, unter Berufung auf das 2.Nicänische Concil, fest-
gehalten ^. Wer die Praxis der Kirche nicht kennt, könnte aus diesen
kühlen, von keinem Anathema verzierten Bestimmungen schliessen, dass
es sich um unbedeutende Gebräuche handelt, zumal da die Kirche auch
hier nicht unterlässt, die Missbräuche zu bedauern : „In has autem sanc-
tas et salutares observationes si qui abusus irrepserint, eos prorsus abo-
leri sancta synodus vehementer cupit^ etc.", und am Schluss wirklich
Anordnungen giebt, um dem Unfug zu steuern — in Wahrheit freilich
Anordnungen, die, wie die folgende Geschichte gelehrt hat, den Bischö-
fen resp. letztlich dem Papst allein das Recht gaben, den alten Unfug fort-
zusetzen und durch seine Autorität zu bekräftigen. Am zurückhaltend-
sten und vorsichtigsten hat man sich über die Ablässe ausgesprochen.
Die scholastische Theorie derselben ist überhaupt nicht berührt; die
Missbräuche sind zugestanden und ihre Abstellung — „ne nimia facili-
tate ecclesiastica disciplina enervetur" — wird streng eingeschärft („pra-
vos quaestus omnes pro bis consequendis, unde plurima in Christiano
populo abusuum causa fluxit"). Aber in der Sache selbst ist auch nicht
ein Zoll breit nachgegeben ; deini die Ablässe seien der Christenheit
* Verdammt wird dio Ansicht (1), dass die Ehe „uon gratiam confcrt". Die
Kirche behält sich in den Kanoues die gesammte Ellegesetzgebung vor und sanetionirt
alles das, was sie Ijisher auf diesem Gebiet gethan hat. In c. 10 wird, obgleich die
Ehe ein Sacrament ist, doch derjenige verdammt, welcher den chelosen Stand nicht
für besser hält als den ehelichen. Warum giebt es dann aber kein Sacrament der
VirginitätV
"^ Jedoch mit dem Zusatz: „non quod credatur inessc aliqua in iis divinitas
vel virtuH, proj^ter quam sint colendae."
604 Die Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
heilsam ; es komme nur darauf an, dass das Geschäft der heiligen Ab-
lässe fromm und heilig für alle Gläu])igen verwaltet werde ^ jeder sei
zu verdammen, der sie für unnütz erklärt oder leugnet, dass die Kirche
die Befugniss zu ihrer Ertheilung besitze.
So hat sich die Kirche in der specitischen Verweltlichung als Opfer-,
l^riester- und Sacramcntskirche durch das Tridentinum abgeschlossen*.
* Mau muss die Theorie und die Praxis der Bcnedictionen und Sacra-
nientalieu neben den Ablässen (s. Schneider, Die Ablässe 7. Aufl. 1881) studiren,
um zu erkennen, wie weit die katholische Kirche im Heidenthum (s. auch Trede,
Das Heidenthum in der römischen Kirche I. Th. 1889) vorgeschritten ist. Die dog-
matischen Ausführungen über die „benedictio constitutiva" und die „consecratio"
im Unterschied von der „benedictio invocativa" sind ein wahrer Hohn nicht nur
auf die christliche, sondern auf jede geistige Religion. Ich greife aus einem sehr
angesehenen "Werke, Gihr, Das hl. Messopfer 4. Aufl. 1887, ein paar Stellen heraus.
S. 220: „So vollkommen die zur Opferfeier bestimmten Gregenstände auch sein
mögen durch natürlichen Werth, durch künstlerische Ausschmückung und Schön-
heit, so sind sie desshalb doch nicht ohne Weiteres beim Gottesdienst zu gebrauchen;
dazu bedürfen die meisten Kultgeräthe einer vorausgehenden Benediction resp.
Consecration .... sie müssen eine heilige Sache (res sacra) werden. Durch
den Segen und das Gebet der Kirche werden die liturgischen Geräthschaften nicht
nur geheiligt, sondern auch geeignet, injenen, welche sie andächtig ge-
brau chen und mit ihnen in Berührung treten, verschiedene heilsame
Wirkungen hervorzurufen. Die benedicirten , resp. consecrirten Kultgegen-
stände sind gleichsam aus dem Gebiete der Natur in das Reich der Gnade
versetzt (~ also ein in das Reich der Gnade versetztes Tuch, eine in das Reich der
Gnade versetzte Kanne, u. s. w. ! — ) und das specielle Eigenthum Gottes; insofern
tragen sie etwas Göttliches an sich, auf Grund dessen ihnen eine ge-
wisse religiöse Verehrung gebührt und erwiesen werden muss." S. 220
n. 1 : „Die AVeihung (benedictio constitutiva resp. consecratio, wenn sie mit hl. Oel
erfolgt) unterscheidet sich wesentlich von der Invocativbenediction dadurch, dass
sie Personen und Sachen einen höheren, übernatürlichen Charakter
aufprägt, d. h. sie bleibend in den Zustand geheiligter und religiöser Gegen-
stände versetzt." S. 300 n. 2: „Bei den benedicirten Kerzen kommt auch noch
das sacramentale Moment in Betracht. Dieselben sind nämlich nicht bloss reli-
giöse Symbole, die etwas Uebernatürliches bedeuten, sondern auch heilige
Gegenstände, die — in ihrer AV eise — etwas Uebernatürliches wirken,
indem sie uns auf Grund und in Kraft des Gebetes der Kirche gött-
lichen Segen und Schutz, namentlich gegen die Geister der Finster-
niss, vermitteln." S. 360: „Der gesegnete AVeihrauch ist ein Sacramen-
tale; als solches bedeutet er nicht bloss etwas Höheres und Geheimnissvolles,
sondern hat auch (in seiner AVeise) geistliche übernatürliche AVirkungen . . .
Er ist Organ (Träger) göttlichen Schutzes und Segens. Durch das Kreuzes-
zeichen und das Gebet der Kirche erlangt der AVeihrauch eine besondere Kraft,
den Satan von der Seele zu vertreiben oder fern zu halten u. s. w. ... Er dient
(auch) zur Weihe von Personen und Gegenständen. Mit den AVeihrauch-
wolken verbreitet sich nämlich auch die Kraft des Segens, den die Kirche spricht
und mittheilen will; dieselben ziehen Alles, was incensirt wird, in eine geheiligte
Das Tridentinum: Sünde und CInade. 605
Indem sie Alles, was die römische Kirche thut, alle Gewohnheiten, die
sie auf dem langen Wege durch das Mittelalter angenommen hat, für
wahr, heilsam und götthch erklärt, hat sie sich dem Kampfe entzogen,
den Luther's Thesen heraufbeschworen haben, dem Kampf um das
rechte innerliche Yerständniss der christlichen Rehgion. Alle Aus-
einandersetzungen über Gnade, Freiheit, Sünde, Gesetz, gute Werke
u. s. w. sind im besten Fall in die zweite Stelle gerückt; denn sie wer-
den nur unter der Voraussetzung geführt, dass die Kirche unter allen
Umständen sich als das behauptet, was^ie geworden ist, als die päpst-
liche Opfer- und Sacramentsanstalt. Die römische Kirche hat in dem
Tridentinum formell die Weigerung niedergelegt, die Frage der Religion
auf dem Niveau zu behandeln, auf welches Luther diese Frage hinauf-
geführt hatte. Sie beharrt auf der antik-mittelalterlichen Stufe. Das
ist die höchste Bedeutung des grossen Concils.
Aber man durfte doch eine sachliche Auseinandersetzung mit der
reformatorischen AufPassung des Christenthums nicht vermeiden. Viele
katholische Christen verlangten das selbst. . War doch gerade damals
eine Partei in dem Katholicismus kräftig, welche die das sacramentale
System balancirenden augustinisch-mystischen Gedanken stark betonte
und dem Pelagianismus und ProbabiHsmus, welche die Coefficienten der
Sacramentskirche sind, entgegenarbeitete. Die beiden Decrete über die
Erbsünde und die Rechtfertigung sind einerseits der Niederschlag der
Auseinandersetzung mit dem protestantischen Christenthum, anderer-
seits der Compromiss zwischen dem Thomismus (Augustinismus) und
Nominalismus. Das Decret über die Rechtfertigung, obgleich ein Kunst-
product, ist in vieler Hinsicht vortrefflich gearbeitet; ja man kann zwei-
feln, ob die Reformation sich entwickelt hätte, wenn dieses Decret z. B.
auf dem Lateranconcil erlassen worden und wirklich in Fleisch und Blut
der Kirche übergegangen wäre. Allein das ist eine müssige Erwägung.
Dass sich die römische Kirche so über die Rechtfertigung ausgesprochen
hat, wie jenes Decret lautet, ist selbst eine Folge der Reformation. Eben
desshalb darf man es auch nicht überschätzen. Es ist aus einer Situation
Atmosphäre liinein." Man Icso auch den entsetzliclicn Abschnitt ül)cr die
Bcnediction der Priestcrgewändcr (S. 255f.j und ihre allegorische und moralische
Bedeutung. „Durch Ausl)esserung verlieren die Kultkleider ihre Bcnediction nur,
wenn der neu an- oder eingesetzte Theil, der keine Weihe hat, grösser ist als der
geweihte — nicht aber, wenn er kleiner ist", u. s. w. Wie sich die Kirche in dem
AhlasH in Wahrheit, d. h. in })raxi, ein zweites Busssacrament gescharien hat, so hat
sie sich in den „Sacramentalien" neue Sacramente geschafieu , die viel bequemer
sind als die alten, weil sie ganz in der Macht der Kirche stehen. In beiden Stücken
hat sie den Rabbinismus und die Theorie und Praxis der Pharisäer und Talmudisten
im Christenthum legitimirt.
606 r)ie Ausufän^o des Dogmas im römischon Katholicismus.
entsprungen, die sich für die römische Kirche so niemals wiederholt hat
und nicht mehr wiederholen wird. Sie stand damals unter dem Ein-
druck des Augustinismus und Protestantismus zugleich — nicht in Be-
zug auf ihre Sacramente und Institutionen, wohl aber in Bezug auf die
geistige Erfassung der Religion; denn mit der alten nominalistischen
Scliolastik konnte sie sich niclit einfach identificiren ; noch aber hatten
die Jesuiten nicht den Weg gefunden , die kritischen und skeptischen
Momente des Nominalismus aufzunehmen, sie in probabilistische umzu-
setzen und so jene elastischen loci zu schafien, die sich jedem Druck
und jeder Wendung der Kirchenpolitik anschmiegten. Man war daher
zu Trident bis zu einem gewissen Masse den Thomisten gegenüber wehr-
los; die Thomisten hinwiederum waren, wie die Verhandlungen auf den
Religionsgesprächen bereits gezeigt hatten, der protestantischen Recht-
fertigungslehre gegenüber (als Einzellehre gefasst) nicht verhärtet. Der
tiefe Unterschied zwischen Protestanten und augustinischen Thomisten
liegt freilich offen genug in der Thatsache zu Tage, dass Jene eben um
der Rechtfertigungslehre willen die „Gewohnheiten" der römischen
Kirche als Ketzereien bekämpften, diese nicht begreifen konnten,
warum sich Beides nicht sollte vereinigen lassen. Allein zu klarer Er-
kenntniss des Gegensatzes ist es nicht gekommen, weil auch der Prote-
stantismus schon damals anfing, die Rechtfertigungslehre als Schullehre
zu behandeln und in der Ableitung des Rechts auf religiöse und geistige
Freiheit aus der Rechtfertigung unsicher und eng geworden war. So
konnte es nicht ausbleiben, dass man den Gegensatz in Schulbestim-
mungen über die Rechtfertigung zum Ausdruck zu bringen suchte, die
nicht ohne Belang sind, ja als Exponenten der verschiedenen Grund-
anschauungen eine hohe Bedeutung haben, indessen doch den wahren
Unterschied in seinem ganzen Umfang mehr verhüllen als klarstellen.
Oder ist der Unterschied zwischen deiii Katholicismus und Protestantis-
mus wirklich beschrieben, wenn man sagt, dort sei die Rechtfertigung ein
Process, hier ein einmaliges Ereigniss, dort werde eine gratia infusa
gelehrt, hier ein iustitia imputativa, dort handle es sich um Glaube und
Liebe, hier um den Glauben allein, dort denke man auch mit an das
Verhalten, hier nur an das Verhältniss? Das sind alles nur halbe
Wahrheiten, wenn sich auch die confessionelle Controverse — beson-
ders später — hauptsächlich in diesen Gegensätzen bewegt hat. Es
stünde schlimm um den Protestantismus, wenn sich seine Auffassung in
diesen spitzen Formeln ausdrücken liesse.
Umgekehrt, bleibt die römische Kirche die römische Kirche —
und zu Trident beschloss man, sich nicht zu reformiren — , so ist es
ziemlich gleichgiltig, wie sie über Rechtfertigung und Erbsünde zu
Das Tridentinum: Sünde und Gnade. 607
lehren gedenkt ; denn alle Sätze, die sie hier proclamirt, mögen sie nun
mehr nominalistisch oder augustinisch-thomistisch oder selbst refonna-
torisch lauten ^, stehen ja ledigKch als Untersätze unter dem Obersatz,
dass die Gewohnheiten der römischen Kirche das oberste Gesetz sind.
Nach diesen nöthigen Vorbemerkungen prüfen wir die beiden
Decrete. In dem Decret über die Erbsünde ist der flagrante Pela-
gianismus resp. Semipelagianismus des Nominalismus in starken und
erfreulichen Worten abgethan; aber die positiven Sätze sind so klug
gefasst, dass man mit ihnen noch immer einen Sinn verbinden kann,
der von dem Augustin's sehr abweicht. Gleich im 1. Cap. heisst es,
Adam habe die HeiHgkeit und Gerechtigkeit verloren, „in qua con-
stitutus fuerat". Das ist doppelsinnig: man kann es als „creatus"
verstehen (thomistisch ; anerschaffene Gerechtigkeit); man kann es
aber auch als hinzugekommene Gabe verstehen (scotistisch ; donum
superadditum), und diese Deutung wird vielleicht durch die Phrase
„accepta a deo sanctitas et iustitia" verstärkt. Ebenso doppelsinnig
ist es, wenn gesagt wird, dass durch den Fall der ganze Adam nach
Leib und Seele „in deterius commutatus" sei; denn was heisst „in
deterius"? Im 6. Decret steht dafür „innocentiam perdidisse" (c. 1) ;
aber gleich darauf wird erklärt, dass der freie Wille keineswegs aus-
gelöscht sei, sondern „viribus attenuatum et inclinatum". Diese Be-
stimmung lehrt, dass „in deterius" wirklich als ein Comparativ zu
verstehen ist, und dass man nicht Willens war, die Lehre Augustin's
von der Sünde und Unfreiheit zu genehmigen. Im 2. Cap. (cf. c.3) wird
der Erbtod und die Erbsünde (Erbstrafe) streng gelehrt und dem
gegenüber auf das alleinige, in der Taufe mitgetheilte Verdienst Christi
verwiesen (Kindertaufe c. 4), welches den reatus originalis peccati,
also die Schuld, völhg austilgt, so dass nun nichts mehr Hassens-
werthes an dem Menschen ist und ihm der ingressus in coelum offen-
steht. Indirect aber sagt das Decret auch, dass alle Sünde selbst
mit getilgt wird: „manere in baptizatis concupiscentiam vel fomitem,
haec s. synodus fatetur et sentit: quae cum ad agonem rclicta sit,
nocere non consentientibus virihter per Christi Jesu gratiam repug-
nantibus non valet . . . hanc concupiscentiam, quam aliquando apo-
stolus peccatum appellat, s. synodus declarat, ecclesiam catholicam
numquam intellexisso peccatum appcllari, quod vere et proprio in
rcnatis peccatum sit, sed quia ex peccato est et ad peccatum incli-
nat." Mit dieser sehr verständigen scholastischen Erwägung über die
böse Lust ist der religiöse Boden der Betrachtung der Sünde ver-
' Hc;kanntlieli ist man einmal in Rf)m naln; daran gewesen, die ganze erste
Hälft«; (U'.v A u((Hburgi8cben (JonfcsHion gut zu ln'isH(^n.
008 Tiie Ausßfänßre des Dogmas im römischen Katholicismus.
I
lassen, und es ist wiederum allen Zweifelfragen Raum gegeben, die zu
nominalistischen (pelagianisclien) Antworten führen mussten. Weil in
dem ganzen Decret von der Erbsünde nicht von Glauben und Unglauben
die Rede ist, die Sündenvergebung also wie ein äusserer Act erscheint,
olnie dass das Medium genannt ist, in welchem sie sich dem Menschen
allein zu vergewissern vermag, so müssen die Bestimmungen nothwen-
dig, wenn man die Magie vermeiden will, ins Pelagianische auslaufen.
Spielt sich der Process der Sündenvei'gebung ausserhalb des Glaubens
ab, so kann die böse Lust nicht Sünde sein ; denn in diesem Fall
wäre die Taufe unzureichend, da sie das nicht erzielt, was sie erzielen
soll, nämlich Wegschaffung der Sünde. Da man ferner die Fortexistenz
der Lust nicht leugnen kann, so bleibt nichts übrig, als sie für in-
different zu erklären. Eine solche Annahme muss aber nothwendig
auf die Fassung der Lehre vom Urständ und dem freien Willen
zurückwirken: die Concupiscenz muss zum Wesen des Menschen ge-
rechnet werden, demgemäss kann die Heiligkeit nicht sein wahres
Wesen ausdrücken ', sondern ist ein donum superadditum. Das Decret
hat also das Niveau der protestantischen Anschauung nicht erreicht,
auf welchem ohne Rücksicht auf die irdische Zuständhchkeit des Men-
schen und die psychologischen Fragen das Problem der Sünde und
Freiheit mit dem Problem der Gottlosigkeit und des Gottvertrauens
identisch ist^.
Die „dornenvolle Gnadenlehre", wie ein moderner römischer
Dogmatiker in einem unbewachten Augenblick sie genannt hat, be-
schäftigte die Väter Monate hindurch. Das Decret, welches schliess-
lich zu Stande gekommen ist, könnte von den Protestanten nach alle
dem, was im 14. und 15. Jahrhundert geschrieben w^orden ist, freudig
begrüsst werden, über Vieles könnte man sich leicht verständigen und
Anderes der Schule überlassen, müsste man sich nicht sagen, dass
hier die Sprache öfters die Gedanken verbirgt, und dass die Verfasser
des Decrets trotz ihrer biblischen Haltung und ihrer erbaulichen
Sprache doch letztlich nicht weissen, was Glaube im evangelischen
* Sie kann das freilich nur unter der Bedingung, dass unter Heihgkeit das gott-
gewirkte kindliche Vertrauen auf Gott und die Gottesfurcht verstanden wird.
^ Dass man trotz des Augustinismus Alles beim Alten lassen wollte, zeigt
der Schlusssatz des Decrets: „declarat synodus, non esse suae intentionis com-
prehendere in hoc decreto, ubi de peccato originali agitur, beatam et immaculatam
virginem Mariam, dei genetricem, sed observandas esse constitutiones felicis recor-
dationis Xysti pai)ae IV., sub poenis in eis constitutionibus eoutentis, quas innovat."
Ueber diese Bestimmungen „felicis recordationis" durfte man freilich noch nicht
hinausgehen, ohne einen Sturm hervorzurufen ; denn noch war der GegeusatÄ zwischen
Franciskanern und Dominikanern an diesem Punkte ungebrochen.
Das Tridentinum : die Rechtfertigung. 609
Sinn bedeutet. Trotz alles Scheins des Gegentheils ist doch das
Interesse, welches das ganze Decret beherrscht, der Nachweis, wie
es zu guten Werken kommen kann, die vor Gott Geltung haben.
Das umfangreiche Decret, welches den ursprünglichen Entwurf
ersetzt hat, zerfällt in drei Theile (1—9; 10—13; 14—16). Fast
jedes Capitel enthält Compromisse.
Das 1. Gap. beschreibt die völhge Unfähigkeit der Adamskinder,
sich per vim naturae oder per litteram legis Moysis aus der Herrschaft
der Sünde, des Teufels und Todes zu befreien. Doch sofort folgt der
Zusatz : „tametsi in eis liberum arbitrium minime extinctum esset, viri-
bus hcet attenuatum et inclinatum." Das 2. Cap. erklärt, dass Gott
Christum gesandt habe, damit alle Menschen die Adoption zu Söhnen
Gottes erhielten: „hunc proposuit deus propitiatorem per fidem in
sanguine ipsius pro peccatis nostris." Hier scheint also der Glaube
seine souveräne Stellung zu erhalten. Aber (c. 3) — nicht Alle nehmen
die Wohlthat des Todes Christi auf, sondern nur die, denen das Ver-
dienst seines Leidens mitgetheilt wird. Das Folgende lässt die Frage
im Dunkeln, ob an eine ewige Gnadenwahl gedacht werden soll. Doch
scheint es so : gerechtfertigt werden nur die, denen die Wiedergeburt
durch das Verdienst des Leidens Christi vermittelst der Gnade ge-
schenkt wird, durch die sie gerecht werden. Ein unklarer Satz, der es
Jedem überlässt, das Verhältniss von Erwählung, Rechtfertigung und
Wiedergeburt zu bestimmen. In c. 4 wird die iustificatio als iustificatio
impii grundlegend beschrieben. Sie ist die Versetzung aus dem Stand
des sündigen Adam in den Stand der Gnade und Kindschaft (das
lautet evangelisch) und vollzieht sich in der evangelischen Epoche ledig-
lich durch die Taufe („aut eins voto"). Allein indem nun in c. 5 die
iustificatio näher beschrieben wird, wird der Gedanke der translatio ab
uno statu in alterum beschwert und unsicher. Hier heisst es nämlich,
den Anfang der Rechtfertigung mache die gratia praeveniens, d. h. die
vocatio („qua adulti nullis eorum existentibus meritis vocantur" —
Gegensatz gegen die laxen Auffassungen des Nominahsmus), ihr Zweck
aber sei : „ut qui per peccata a deo aversi erant, per eins excitantem at-
que adiuvantem gratiam ad convertendum se ad suam ipsorum
iustificationem, eidem gratiae libere assentiendo et cooperando,
disponantur." Damit ist die augustinisch-thomistischc Auffassung
zu Gunsten der laxeren verlassen; von dem Glau})en ist aber überhau])t
noch nicht die Rede. Zur Beschwichtigung der Tliomisten wird jedoch
nun fortgefahren: „ita ut tangente deo cor liominis per Spiritus s. illu-
minationem neque homo ipse nihil omnino agat, insi)irationem illam
recipiens, quippe qui illam et abicerc potcst, neque tamen sine
IJainack, Dogmf;ngescliiclit<- III. 39
610 Die Ausgänge des Do^maa im römischen Katholicismus.
f^ratia dei movere se ad iustitiam coram illo libera volun-
tate possit." Aber was hilft diese Bes(;liwichtigung, wenn doch eme
menschhche Activität zum Guten behauptet wird, ohnedass des Glaubens
gedacht ist? Nothwendig muss schon bei dieser „ praeparatio ad iustifi-
cationem" der Gedanke des Verdienstes eintreten ' ; denn die Activität,
die sich ganz und gar als gewirkte weiss und daher donum, virtus und
praemium virtutis zugleich ist, ist allein der Glaube. Er verbietet es
aber eben desshalb auch, die iustificatio als translatio in statum adop-
tionis in verschiedene Acte zu zerlegen. — Worin die richtige „Dis-
position" besteht, wird im 6. Cap. gezeigt, nämlich 1) in der fides ex
auditu ; diese ist eine freie Bewegung zu Gott, indem man glaubt, dass
der Inhalt der göttlichen Offenbarung wahr sei und zwar speciell die
Versöhnung und Justification durch Christus, 2) in der Einsicht, dass
man ein Sünder sei und dem entsprechend in der Furcht vor der gött-
lichen Gerechtigkeit, in der Erwägung der göttlichen Barmherzigkeit,
in der aus ihr entspringenden Hoffnung auf die Geneigtheit Gottes um
Christus willen und in der anfangenden Liebe zu ihm als der Quelle
aller Gerechtigkeit, aus welcher „ein gewisser Hass und Abscheu" vor
der Sünde entspringt - , 3) in dem mit dem Entschluss , sich taufen zu
lassen, verbundenen Anfang eines neuen Lebens und des Haltens der
göttlichen Gebote. Was hat das Alles mit der Rechtfertigung zu thun?
Diese Schilderung ist doch nicht entworfen vom Standpunkt dessen, der
sie erlebt hat, sondern von einem, der draussen steht und darüber reflec-
tirt, wie es wohl bei der Rechtfertigung zugehen muss, damit keine
Ueberstürzungen und Unbegreiflichkeiten stattfinden ! Wird der Gerecht-
fertigte über den anfangenden Glauben, die anfangende Liebe, den an-
fangenden Hass, die anfangende Busse vor dem Erlebniss seiner Recht-
fertigung etwas zu sagen wissen? wird er nicht vielmehr mit dem
Apostel sprechen, dass er todt in Sünden gewesen sei? Was ist ein an-
fangendes Gute anderes als entweder Alles oder Nichts ? Und welche
Vorstellung vom Glauben liegt zu Grunde, wenn er doch nichts ist als
der Anfang des Anfangs, ein Fürwahrhalten der göttlichen Offenbarung !
Hier steckt doch Alles noch in der mittelalterlichen Betrachtung, die
für das eigene Erlebniss, dass die Religion ein Verhältniss der Person
zur Person ist, stumpf ist. In dem an sich berechtigten Interesse, dass
der Glaube Leben schaff'en soll, springt die Betrachtung, nachdem sie
die unglückliche Unterscheidung zwischen praeparatio ad iustificationem
und ipsa iustificatio gemacht, sofort von dem Fürwahrhalten zur
^ Das Decret sagt freilich nicht, dass das sich für die Gnade disponiren lassen
ein Verdienst ist, allein es schliesst diese Ansicht nicht aus.
* „I. e. per eani paeniteutiani quam ante baptismum agi oportet,"
Das Tridentinum : die Rechtfertigung. 611
Liebe über, die fides promissionum dei als einen leeren Titel behandelnd.
— Im 7. Cap. wird nun in ganz scholastischer Weise die iustificatio
ipsa dargelegt. Sie ist, so wird zuvörderst behauptet, nicht nur
Sündenvergebung, sondern auch Heiligung und Erneuerung des in-
neren Menschen, ja damit Augustin nicht zuviel Recht erhält, wird
hinzugefügt, „renovatio per voluntariam susceptionem gratiae".
Aber wie kann man einen Menschen anders heihgen, als durch die
wunderbare Vergewisserung der Sündenvergebung? Es ist wieder echt
mittelalterlich, dass man sich über den Gedanken hinaus, dass die
Sündenvergebung mechanische Wegschaffung der Sünde sei, keine
Gedanken über sie zu machen versteht. Kommt aber bei ihr Alles
darauf an, dass sie als Vergebung geglaubt wird, so ist doch die
vornehmste Frage die, wie der innerlich beschaffen und gestimmt ist,
der sie glaubt. Stellt man diese Frage, so wird die Ausdrucksweise
„nicht nur Sündenvergebung, sondern auch Erneuerung äes inneren
Menschen" einfach absurd, es sei denn, dass man die Sündenver-
gebung als einen Act ansieht, der sich ausserhalb des menschlichen
Bewusstseins und Gefühls abspielt, und das ist allerdings die Vor-
aussetzung der katholischen These. Nun folgen die Bestimmungen
über die causa finalis, efficiens, meritoria, instrumentalis und formalis
der Rechtfertigung, die wenig Interesse bieten. Werthvoll ist nur,
dass als causa instrumentalis nicht der Glaube bezeichnet wird, son-
dern, in klug gewählten Worten, das Sacrament der Taufe, ,,quod
est sacramentum fidei, sine qua nulli umquam contigit iustificatio".
Diese Rechtfertigung bewirkt dann, dass wir nicht nur für Gerechte
gelten, sondern vere so genannt werden und sind, da wir die Ge-
rechtigkeit in uns aufnehmen, „unusquisque suam secundum mensuram,
quam spiritus s. partitur singulis prout vult et secundum propriam
cuiusque dispositionem et Cooperationen!". Hier ist der volle Wider-
spruch zu der evangelischen Auffassung gegeben, freilich aucli der
flagrante Widerspruch zu dem Titel „translatio in novum statum" ; denn
genau genommen handelt es sich nicht um eine Versetzung in einen
neuen Stand durch göttliches Wirken, sondern um die Erfüllung mit
Gerechtigkeit, wie wenn sie eine Materie wäre, und zwar erstlich um
eine gradweise und individuell verschiedene Erfüllung, zweitens um eine
Erfüllung nach dem Masse der eigenen Disposition und Mitwirkung.
Hier ist also implicito nicht nur die Lehre von dem meritum de con-
gruo, sondern auch die antithomistische lichre von dem meritum de
congruo ante iustificationem mindestens offen gelassen. Genauer wird
dann noch die receptio iustitiae als diff'usio caritatis dei inhaerens be-
schrieben, so dass der Mensch eben in der Rechtfertigung selbst mit
39*
612 Piö Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
der Sündenvergebung dies Alles eingegossen erhält, nämlich Glaube,
Liebe, Hoffnung, durch Jesus Christus, dem er eingefügt wird. Nicht
der Titel „gratia infusa" an sich ist hier das Irreführende — man könnte
sich bildlich wohl auch so ausdrücken — , sondern wiederum das Unver-
mögen, dem Glauben etwas Anderes abzugewinnen, als das Fürwalir-
halten. Daher heisst es sofort weiter, dass der Glaube ohne die zu-
tretende HoH'nung und Liebe mit Christus nicht vollkommen zu einigen
vermag. Aber ist nicht fides, spes und Caritas zusammen das, was der
evangelische Christ unter fides allein versteht ? Gewiss, so könnte man
das Beeret verstehen und auf diesem Boden sich mit der tridentinischen
Anschauung vereinigen. Allein die stricte Behauptung, die nun folgt,
dass das ewige Leben nur der spes und Caritas geschenkt wird, zeigt,
dass der Streit auch an diesem Punkt kein Wortstreit ist; denn die
Zusammenstellung von Caritas und vita aeterna hat letztlich den Grund,
das ewige Leben auch von eigenen Leistungen des Menschen abzu-
leiten, während es doch in dem Glauben der Sündenvergebung selbst
und nur in ihm gegeben ist. — Das 8. Cap. bringt eine verlegene Aus-
einandersetzung mit dem paulinischen Grundsatz, dass die Rechtferti-
gung an den Glauben gebunden ist und umsonst geschieht. Sie schlägt
dem Paulus ins Gesicht, indem sie sagt, der Satz bedeute, „ut per fidem
ideo iustificari dicamur, quia fides est humanae salutis initium, funda-
mentum et radix". Das ist mehr als eine Zw^eideutigkeit. Ebenso un-
wahrhaftig ist die Erklärung des „gratis" ; denn wenn hier gesagt wird,
dass es bedeute, nichts von dem, was der Rechtfertigung vorhergehe,
w'eder Glaube noch Werke, verdienen die Gnade der Rechtfertigung,
so ist doch nach dem in c. 5 Ausgeführten jene Vorbereitung schlecht-
hin nothw^endig, damit man die Rechtfertigung erlange. Am Schluss
dieses ersten Abschnittes folgt nun (c. 9) die Polemik gegen die leere
fiducia der Häretiker, deren Formulirung den Vätern die meiste Mühe
gemacht hat. Man half sich schHesslich damit, dass man aus der Gegen-
lehre einen Popanz machte : wenn man auch glauben müsse, dass die
Sünden von der göttlichen Barmherzigkeit umsonst um Christus willen
vergeben werden, „tamen nemini fiduciam et certitudinem remissionis
peccatorum suorum iactanti et in ea sola quiescenti peccata dimitti
vel dimissa esse dicendum est" ^ Worauf diese selbstverständhchen
Worte eigentlich zielen, zeigt erst das Folgende. Hier wird behauptet,
dass Gewissheit in Bezug auf die eigene Rechtfertigung nicht noth-
wendig zur Rechtfertigung gehöre^ dass es nicht nöthig sei, sicher an
n
^ Dazu der Zusatz: „cum apud haereticos et schismaticos possit esse ininio
nostra tempestate fit, et magna contra ecclesiam catholicam contentione prnedicatiu'
vana haec ab omni pietate remota fiducia."
Das Tridentinum : die Rechtfertigung. 613
seine Sündenvergebung zu glauben, um wirklich von Sünden los zu sein,
und dass es ein Irrthum sei anzunehmen, die Sündenvergebung und
Rechtfertigung vollziehe sich nur im Glauben („quasi qui hoc non cre-
dit, de dei promissis deque mortis et resurrectionis Christi efficacia
dubitef^). Um diese Sätze, welche dem wahren Glauben jeden Sinn
nehmen — Glauben heisst eben nichts Anderes als Mitglied der katho-
lischen Kirche sein resp. sein wollen — , nicht allzu auffallend erscheinen
zu lassen, wd ihnen die unaufrichtige Begründung beigegeben, der
Mensch müsse ja immer, wenn er an seine Schwachheit denkt, für seine
Begnadigung fürchten. Als ob das irgend ein ernster Christ geleugnet
hätte, während doch die Folgerung, dass Heilsgewissheit unmöglich ist,
ganz unbefugt ist !
Der 2. Abschnitt handelt von dem increm entum iustificationis.
Hier wird (c. 10) gelehrt, dass die Gerechtfertigten von Tag zu Tag
erneuert werden durch die Beobachtung der Gebote Gottes und der
Kirche, und dass sie somit „in ipsa iustitia cooperante fide bonis
operibus crescunt atque magis iustificantur". Die Rechtfertigung
ist hier also in ihrem Fortgang als ein auf Gnade, Glauben und guten
Werken beruhender Process vorgestellt. lieber die letzteren wird
(c. 11) gelehrt, dass auch der Gerechtfertigte unter dem Gesetz der
Gebote steht, und dass diese keineswegs unerfüllbar seien. In schwan-
kenden Ausdrücken wird behauptet, dass sie vielmehr leicht und süss
seien, weil man sie erfüllen kann oder weil man um ihre Erfüllung bitten
soll und Gott dazu hilft. Uebrigens hören die Gerechten nicht auf. Ge-
rechte zu sein, wenn sie in die täglichen Sünden verfallen; denn Gott
verlässt die einmal Gerechtfertigten nicht, wenn sie ihn nicht verlassen.
Allein diese Auffassung kann kein zartes Gewissen beruhigen, wenn doch
die Erhaltung der Rechtfertigung von der eigenen Leistung irgendwie
abhängig sein soll. Das Decret bemerkt ausdrücklich, man dürfe nicht
dem Glauben allein vertrauen, sondern dem Glauben und der observatio
mandatorum, wenn auch die letztere durch kleine Sünden getrübt ist.
Um aber die Jjaxheit in dieser Regel zu verbergen, ist eine [xsTdßaaig sIq
aXXo Y£vo? angewandt und der Satz so gefasst: „Itaque nemo sibi in sola
fide blandiri debet, putans fide sola se heredem esse constitutum here-
ditatemque consecuturum, etiamsi Christo non compatiatur, ut et
conglorificetur." Dem wird hinzugefügt, dass es wider die Lehre der
orthodoxen Religion sei, zu sagen, der Gerechte könne kein einziges
gutes Werk ohne Unvollkommenheit thun; noch unerträglicher aber sei
es zu behaupten, dass alle Werke die ewige Strafe verdienen, und dass
man überhaupt auf den ewigen Lolin nicht sehen dürfe. In dieser letz-
teren vorsichtigen Wendung ist der Begriff des Verdienstes ohne Titel
614 Die AuBgäuge des Dogmas im römischen Katholicismus.
I
eingeführt. Die Väter mussten hier sehr behutsam verfahren, wenn sie
es Allen recht machen wollten. In c. 12 und 13 wird dann gelehrt, dass,
obgleich die Rechtfertigung wächst, doch Niemand seiner Erwählung
und des donuni perseverantiae gewiss werden dürfe, „nisi ex speciali
revelatione". Doch ist auch hier in c. 13 eine Zweideutigkeit, da nur
das „certum esse absoluta certitudine" verboten, sonst aber gesagt
wird, dass man in dei auxilio (also nicht gratia) die sicherste Hoffnung
setzen müsse, und da plötzlich der [)aulinische Satz eingeflochten ist,
Gott wirke das Wollen und Vollbringen. Allein labores, vigiliae, elee-
mosynae, orationes, oblationes, ieiunia, castitas seien nöthig, da wir noch
nicht „in gloria" wiedergeboren seien, sondern „in spem gloriae". So-
mit ist das ganze Busssystem empfohlen, um in der Gewissheit fortzu-
schreiten. So beachtenswerth es ist, dass alle äussere Gesetzlichkeit
und Verdienstlichkeit hier bei Seite gelassen ist, so ist doch die Grund-
anschauung beibehalten, dass das ewige Leben und die Gewissheit der
Rechtfertigung auch an den guten Werken hängt, die jedoch andererseits
als der siegreiche Kampf des Geistes mit dem Fleisch gelten sollen. Die
Unsicherheit der ganzen Auffassung ist in der dreifachen Betrachtung
der guten Werke genügend charakterisirt : sie sind = compati Christo,
= observatio mandatorum dei (in diesem Sinn verdienstlich, wenn das
auch nicht offen gesagt ist) und = pugna cum carne, mundo et diabolo.
In dem letzten Abschnitt wird von der Wiederherstellung der Recht-
fertigung, wenn sie verloren gegangen, gehandelt. Dieselbe geschieht
(c. 14) durch das Busssacrament (secunda post naufragium tabula). Die
Busse des Gefallenen muss eine andere sein als die des Täuflings; sie
wird nach dem bekannten Schema beschrieben. Der attritio wird nicht
gedacht, wohl aber wird bemerkt, dass das Busssacrament die zeitliche
Strafe nicht immer, wie die Taufe, mit der Schuld und der ewigen
Strafe tilge, daher die Satisfactionen nothwendig seien. Die Recht-
fertigung aber gehe nicht, wie die Gegner meinen, nur durch Unglauben
verloren, vielmehr durch jede Todsünde (c. 15), ja sie könne durch diese
verloren gehen, während der Glaube bestehen bleibt. Deutlicher als es
hier geschieht, kann die niedrige Vorstellung vom Glauben nicht aus-
gedrückt sein. Nun erst kommt das Decret ex professo auf das Ver-
dienst zu sprechen (c. 16), und es wird rund behauptet, dass das ewige
Leben Erfüllung der Verheissung und Lohn zugleich sei, sofern es schHess-
lich nur auf das „bene operari" ankommt: „Atque ideo bene operan-
tibus usque in finem et in deo sperantibus proponenda est vita aeterna,
et tamquam gratia filiis dei per Christum Jesum misericorditer pro-
missa, et tamquam merces ex ipsius dei promissione bonis ipsorum ope-
ribus et meritis fideliter reddenda." Aber um dieser Betrachtung doii
Das Tridentinum : die Rechtfertigung. 615
Schein der Selbstgerechtigkeit zu nehmen, folgtdieaugustinische, ja über
Augustin hinausreichende , gehobene Ausführung : „Cum enim ille ipse
Christus Jesus tamquam caput in membra et tamquam vitis in palmites, in
ipsos iustificatos iugiter virtutem influat, quae virtus bona eorum opera
semper antecedit, comitatur et subsequitur^ et sine qua nullo pacto deo
grata et meritoria esse possent, nihil ipsis iustificatis amplius deesse cre-
dendum est, quo minus plene illis quidem operibus, quae in deo sunt facta,
divinae legi pro huius vitae statu satisfecisse et vitam aeternam suo etiam
tempore, si tamen in gratia decesserint, consequendam vere promeruisse
censeantur . . . ita neque propria nostra iustitia tamquam ex nobis pro-
pria statuitur, neque ignoratur aut repudiatur iustitia dei. Quae enim
iustitia nostra dicitur, quia per eam nobis inhaerentem iustificamur, illa
eadem dei est, quia a deo nobis infunditur per Christi meritum. Neque vero
illud omittendum est, quod licet bonis operibus in sacris litteris usque
adeo tribuatur, ut etiam qui uni ex minimis suis potum aquae frigidae
dederit, promittat Christus eum non esse sua mercede cariturum . . .,
absit tamen, ut Christianus homo in se ipso vel confidat vel glorietur et
non in domino, cuius tanta est erga omnes homines bonitas, ut eorum
veht esse merita, quae sunt ipsius dona." Dürfte man das Decret so
verstehen, dass Alles, was es von Rechtfertigung sagt, auf das Bestehen
vor dem zukünftigen Gericht zu beziehen ist, oder dürfte man, wo es von
fides et opera bona redet, den evangelischen Glaubensbegriff einsetzen,
so könnte man über dasselbe mit den Katholiken verhandeln. Allein
nicht die Interpretation in der Richtung auf den Protestantismus ist die
richtige, sondern in der Richtung auf die herrschenden Gewohnheiten
der römischen Kirche, wie die Sätze über das „se disponere ad gratiam"
und die angehängten 33 Anathematismen beweisend
' Von diesen Anathematismen gehen die drei ersten gegen den Pelagianismus
und Semipclagianismus, ferner die 22. Die übrigen 29 wenden sich alle, und
zwar aufs schärfste, gegen den Protestantismus. Am charakteristischsten ist die
Verwerfung folgender Sätze : „Opera omnia, quae ante iustificationem fiunt, quacum-
que ratione facta sint, vere esse peccata vel odium dei mereri, aut quanto vchemen-
tius quis nititur se disponere ad gratiam, tanto eum gravius peccare" (7). „Gehennae
metum, per quem ad misericordiam dei de peccatis dolendo confugimus vel a pec-
cato abstinemus, peccatum esse." (8). „Homines iustificari vel sola imputatione iu-
stitiae Christi vel sola peccatorum remissione exclusa gratia et caritate, quae in cor-
dibus eorum per spiritum sanctum diffiiridatur atquc illis inhacreat, aut etiam gra-
tiam, qua iustificamur, esse tantum l'avorem dei" (11). „Fidem iustificantem nihil
aliud esse quam fiduciam divinae misericordiae peccata remittentispropter Christum,
vel eam fiduciam solam esse, qua iustificamur" (12). „Hominem a peccatis absolvi
ac iustificari ex eo (juod sc absolvi ac iustificari certo credat, aut neminem vere
esse iustificatum nisi «jui credat se esse iustificatum, et hac sola fide absolutionem
et iustificationem perfici" (14). „Nihil praeceptum esse in evangelio praeter fidem"
(jl6 Die Ausgäuge des Dogmas im römischen Katholicismus.
^
Die Decroto haben die ktatholisdie Kirche auf dem Boden des Mit-
tehdters und der ISchüUistik festgebannt und sie zugleich gegen den
Protestantismus abgeschlossen^ aber da die getroffenen Formulirungen
in allen den Fragen zweideutig sind, in denen die Kirche selbst eine
eindeutige Antwort nicht wünschen kann, so ist die nöthige Freiheit der
Entwickelung trotz der ungeheuren dogmatischen Belastung gewahrt.
Dazu kam, dass die wichtigen Lehren über die Kirche und den Papst
nicht berührt worden sind — aus Noth hat man sie bei Seite lassen
müssen; aber diese nothgedrungene Schweigsamkeit hat sich in der
Folgezeit als höchst günstig für das Papstthum erwiesen. Die mittel-
alterliche Kirche ging aus dem Tridentinum wesentlich als die alte her-
vor : sie umschliesst noch immer die grosse Spannung zwischen Weltflucht
und Weltherrschaft und behauptet eben durch diese Spannung jene
Elasticität und Vielseitigkeit, dass sie Cardinäle wie RicheHeu und wie
Borromeo in sich zu bergen vermag. Sie ist noch immer letztlich so auf
das Jenseits gerichtet, dass ihr der in Bedürfnisslosigkeit verkümmerte
Schwärmer der grösste Heilige ist; aber sie predigt zugleich den Men-
schen, dass alle ihre Ideale in der sichtbaren Kirchenanstalt geborgen
seien, und dass der Gehorsam gegen die Kirche die höchste Tugend
ist. Sie weiss es auch jetzt nicht anders, als dass Glauben „katholisch
sein" heisst und in dem Fürwahrhalten -Wollen unbegreiflicher Leh-
(19). „Hominem iustificatum teneri tantum ad credendum, quasi vero evangelium
sit nuda et absoluta promissio vitae aeternae sine conditione observationis manda-
torum" (20). „lustitiam acceptam non conservari atque etiam non augeri coram
deo per bona opera, sed opera ipsa fructus solummodo et signa esse iustificationis
adeptae, non autem ipsius augendae causam" (24). „In quolibet bono opere iustum
saltem venialiter peccare aut mortaliter, atque ideo poenas aeternas mereri tantum-
que ob id non damnari, quia deus ea opera non imputet ad damnationem" (25).
„lustos non debere pro bonis operibus exspectare et sperare aeternam retribu-
tionem" (26). „Nulluni esse mortale peccatum nisi infidelitatis" (27). „Sola fide
amissam iustitiam recuperari sine sacramento paenitentiae" (29). „Iustificatum
peccare, dum intuitu aeternae mercedis bene operatur" (31). Die Kanones
schliessen mit den Worten: „Si quis dixerit, per hanc doctrinam (seil, durch dieses
Decret) aliqua ex parte gloriae dei vel meritis Jesu Christi derogari et non potius
veritatem fidei nostrae, dei denique ac Christi Jesu gloriam illustrari, anathema
sit." Unverkennbar sind die Sätze des Protestantismus, die in den Kanones ver-
urtheilt werden, zum Theil zurechtgemacht; andererseits sind manche schwache
Stellen der protestantischen Do et rin getroffen; aber der deutlichste Eindruck ist
doch der, dass die tridentinischen Väter gar nicht verstanden haben, was Luther
unter der Gerechtigkeit Gottes, dem Glauben und der Sündenvergebung gemeint
hat. Er zeugte von der Religion, die ihm am Evangelium aufgegangen wai* und
ihn als untheilbare Macht beherrschte und beseeligte; sie suchten vielen Gesichts-
punkten zugleich gerecht zu werden, der Religion, dem Moj-alischen, dem Sacra-
ment und der Kirche,
Curialismus und Episkopalismus. 617
ren besteht. Die Friedelosigkeit, die hier übrig bleibt, sucht sie durch
die Sacramente, die Ablässe, den Kultus und die kirchliche Anleitung
zu mystisch-mönchischen Exercitien theils zu beschwichtigen theils zu
erregen.
2. Die Grundzüge der dogmatischen Entwickelung im Katholicismus
zwischen 1563 und 1870 als Vorbereitung des Vaticanums.
In den drei Jahrhunderten zwischen dem Tridentinum und dem
Vaticanum haben drei grosse Controversen die katholischen Schulen
bewegt und sind sogar zu einer Gefahr für die ganze Kirche geworden.
Auf dem Tridentinum sind die Gegensätze, aus denen sie entsprungen
sind, verdeckt worden; eben desshalb war eine Auseinandersetzung über
sie in der Folgezeit unvermeidlich. Es ist 1) die Controverse zwischen
dem Curiahsmus und Episkopalismus, die in zwei Fragen zerfällt, näm-
lich, a) ob die Bischöfe ein selbständiges, göttliches Recht neben dem
Papste (und in dem Concil ein solches über dem Papst) besitzen, b) ob
die Tradition im Sinne des Yincentius von Lerinum zu fassen ist oder
ob der Papst bestimmt, was als Tradition zu gelten hat, 2) die Contro-
verse zwischen dem Augustinismus und dem jesuitischen (scotistischen)
Pelagianismus, 3) die Controverse über den ProbabiHsmus. Diese drei
Controversen hängen innerlich aufs engste zusammen; sie bilden im
Grunde eine Einheit, und desshalb hat auch das Vaticanum mit einem
Schlage alle drei entschieden. Die curialistische, pelagianische und pro-
babilistisch gesinnte Partei, an deren Spitze die Jesuiten stehen, hat
gesiegt.
1 a. Der ursprüngliche curialistische Entwurf über die Stellung des
Papstes in der Kirche, welcher den Papst zum Herrn der Kirche machte
und die Bischöfe für Assistenten erklärte, die der Statthalter Christi
„in partem solhcitudinis" annimmt, hat in Trident nicht durchgesetzt
werden können. Die Erinnerungen an das Constanzer Concil waren
trotz der Bulle Leo's X. „Pastor aeternus" noch zu lebendig. Aber
auch die Gegenlehre, dass das Concil über dem Papste stehe und dass
jeder Bischof als Nachfolger der Apostel seine Gewalt von Christus
habe, Hess sich nicht zum Dogma erheben. Die Schrofflieit der sich
gegenüberstehenden Thesen, „der Papst ist der Bischof, der Universal-
bischof, der Statthalter Christi" und „die Bischöfe haben ihre Gewalt
original iter von Christus, so dass der Papst nur primus inter pares.
He Präsentant der Einheit der Kirche und AVächter über ihre
äussere Ordnung und Einheithchkeit ist", hess sich durch nichts aus-
gleichen. So musste die Entscheidung dieser Frage zu Trident ver-
tagt werden. Allein durch eingestreute kleine Bemerkungen in den
618 I^ie AuBgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
Text der tridentinischen Beschlüsse, namentlich durch Hervorhebung
der ecclesia Roniana, wurde sie doch bereits in einem den Curiahsten
^'ünstigen Sinn [)räjudicirt. Ungleich wirksamer aber musste es wer-
den, dass das Concil, in überstürzter Weise zum Ende eilend, dem
Papste nicht nur die C^oniirmation seiner Beschlüsse und die Aus-
lührungsmassregeln vollständig Überhess, sondern auch jene Bulle ruhig
hinnahm, in welcher der Paj)st die Auslegung der Decrete sich allein
vorbehielt'. Die bald darauf erscheinende „Professio", trügerisch
„Professio fidei Tridentinae'^ genannt, setzte auf diese Umbiegung der
tridentinischen Beschlüsse das Siegel, sofern sie den Gehorsam gegen
den Papst in den „Glauben" selbst aufnalim -. Die Weise, wie Rom
von da ab mit der Professio operirt und durch dieselbe alle Bischöfe
sich unterworfen hat, ist ein Meisterstück der curiahstischen Politik
gewesen. Auch der Catechismus Romanus, auf Veranlassung des
Concils vom Papste bestellt und approbirt, war dem CuriaHsmus
günstig, obschon er wegen seiner thomistischen Gnadenlehre den
Jesuiten unbequem ist, die desshalb sogar seine Autorität zu bestreiten
versucht haben ^. Allein, von vereinzelten Unternehmungen in allen
kathoüschen Ländern abgesehen, in Frankreich erhob sich eine kräf-
^S. Köllner,a. a. 0. S. 116 ff.
^ S. Köllner, a. a. 0. S. 141— IHS. Die Worte der Professio, einem Glaubeus-
bekenntniss ( ! ), lauten: „Sanctam catholicam et apostolicam Romanam ecclesiam
omnium ccclesiarum matrem et magistram adgnosco, Romanoque Pontifici, beati
Petri apostolormn principis successori ac Jesu Christi vicario, veram obedientiam
spondeo ac iui'o."
^ S. Köllner, a. a. 0. S. 166 — 190. Ueber die Angriffe der Jesuiten auf den
KatecMsmus s. S. 188 und Köcher, Katech.-Gesch. S. 127 ff.; sie suchten nicht
nur zu zeigen, dass er parteiisch, sondern auch dass er ketzerisch sei. Die Angriffe
haben doch die Folge gehabt, dass der Katechismus in der Neuzeit in den Hinter-
grund gedrängt worden ist. Die Abschnitte über die Kirche in demselben sind
streng thomistisch und daher der Papstautokratie günstig. So wird P. I. c. 10 q. 10
die Einheit der Kirche mit Eph. 4, 5 begründet, dann aber fortgefahren : „Unus est
etiam eins rector ac gubernator, iuvisibilis quidem Christus, quem aeternus pater
dedit Caput super omnem ecclesiam, quae est corpus eins; visibilis autem is, qui
Romanam cathedram, Petri apostolorum principis legitimus successor, tenet." Einen
solchen Satz hätte man zu Trident nicht zu allgemeiner Anerkennung bringen
können. Q. 11 folgt dann eine wortreiche Erklärung über den Papst, in welcher er
nicht als Repräsentant der Einheit und ale äusserer Leiter bezeichnet wird,
vielmehr: „necessarium fuit hoc visibile caput ad unitatem ecclesiae constituen-
dam et conservandam." Noch weiter führen die AVorte : „Ut Christum dominum
singulorum sacramentorum nou solum auctorem, sed intimum etiam praebitoreni
habemus — nam ipse est, qui baptizat et qui absolvit, et tamen is homines sacramen-
torum externes ministros instituit — sie ecclesiae, quam ipse intimo spiritu regit,
hominem suae potestatis vicarium et ministrum praefecit; nam cum visibilis
ecclesia visibili capite egeat, etc."
Curialismus und Episkopalismus. 619
tige, vom Jansenismus ganz unabhängige Bewegung gegen den Curia-
lismus. Frankreich hat formell sogar das Tridentinum nie vollständig
anerkannt, obgleich factisch die tridentinische Glaubenslehre sich im
Klerus und auch bei den Behörden durchsetzte. Seit dem Ende des
16. Jahrhunderts, vor Allem aber in der Regierungszeit Ludwig's XIV.,
kehrte die Kirche Frankreichs in ihren wichtigsten Vertretern (Bossuet)
entschlossen zum „Gallikanismus" zurück. Allein das positive Pro-
gramm war nichts weniger als klar. Die Einen waren Gegner des
Curialismus im Interesse der unumschränkten Gewalt ihres Königs,
die Anderen im Interesse ihrer Nation, wieder Andere als Episkopa-
listen. Was aber wollte der Episkopahsmus? Er war im 17. Jahr-
hundert über sich selbst nicht klarer als im 15. Man gestand zu,
dass dem Papst ein suprematus ordinis zukomme ; aber man war unter
sich nicht einig, ob dieser suprematus nur die erste Stelle inter pares
bedeute oder ob wirkliche Vorrechte mit ihm verbunden seien. Ent-
schied man sich für das Letztere, so war wiederum zweifelhaft, ob
diese Vorrechte gleichbedeutend seien mit einer dem Papst über-
tragenen cura ecclesia universalis. Stand dieses fest, so musste aufs
neue gefragt werden, ob er diese cura nur mit Zuziehung und Mit-
wirkung aller Bischöfe ausüben könne, und welche Massregeln anzu-
wenden seien, um die Bischöfe vor päpstlichen üebergriffen zu schützen.
Der feste Punkt in der episkopahstischen Theorie war lediglich der,
dass die Bischöfe nicht vom Papst eingesetzt seien, dass sie also nicht
Delegaten und Stellvertreter des Papstes seien, sondern iure divino
ihre Diöcesen selbständig regieren, der Papst daher keine directe
Jurisdictionsgewalt in den Diöcesen ausüben könne. Aber wie sich
das mit dem suprematus ordinis des Papstes vereinigen lasse, blieb
unklar. Deuthch war auch, dass man eine autokratische Gewalt des
Papstes (Unfehlbarkeit, Universalbisthum) ablehnte, und dass man das
Concil als dem Papste übergeordnet ansah ; allein unklar war, welche
Bedeutung dem zugestandenen Satze beizulegen sei, dass der Papst
an der Spitze des Concils stehe. Doch mündeten diese Bemühungen
endlich in einigermassen feste Formeln aus, nämhch in den vier Pro-
positioiion des gallikanischen Klerus (1682)', welche mehr staats-
' H. Collect. Laccnsis I p. 793. Art. „Gallikanische Freiheiten" in Wetzer
und Wcli«;'s Kirchen](!x. 2. Aufl. V. S. fi« ff. Ein Jahrhundert früher hat Pithou
(1594) die Freiheiten der französischen Kirch(! dar«relep^ und schon die zwei Grund-
regeln aufjrrestellt, dass der Papst 1) in bürgerlichen und zeitlichen Dingen nichts in
Frankreich zu sagen habe, und dass er 2) in geistlichen Dingen an die Bestimmungen
der (yoncilien, also auch an die von Constanz, gebunden sei. Diese Ideen wurden
als kirchenjjülitisches Programm dem Könige Heinrich IV. entgegengebracht,
620 üie Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
kirchlich als episkopalistisch sind: 1) Die Fürsten sind in zeitlichen
Dingen keiner kirchlichen Gewalt unterworfen und können weder
direct noch indirect abgesetzt werden ; den Nachfolgern Petri ist keine
Gewalt über zeitliche und bürgerliche Angelegenheiten von Gott
übergeben worden. 2) Der Papst besitzt wohl die plena potestas spiri-
tualium rerum, so jedoch „ut simul valeant atque inimota consistant
s. oecumenicae synodi Constantiensis decreta de auctoritate conciliorum
generahum"; die gallikanische Kirche missbiUigt die, „qui eorum de-
cretorum, quasi dubiae sint auctoritatis ac minus approbata, robur
infringant aut ad soluni schismatis tempus concilii dicta detorqueant".
3) Der Papst ist in Ausübung seiner Gewalt an die Kanones ge-
bunden und muss auch die in Frankreich angenommenen Regeln,
Gewohnheiten und Einrichtungen respectiren. 4) Der Papst hat wohl
die höchste Autorität (? partes) in Glaubenssachen und seine Decrete
beziehen sich auf alle und jede einzelne Kirche, „nee tamen ir re-
form ab ile esse iudicium, nisi ecclesiae consensus ac-
cesserit".
Diese Propositionen wurden zuerst von Innocenz X., dann von
Alexander VIII. als völlig nichtig und un giltig verworfen ^ Allein
das hätte wenig geholfen, hätte sie nicht der von Jansenisten und
Jesuiten eingeengte, ab und zu um sein Seelenheil besorgte, allmäch-
tige König selbst preisgegeben. Er hat recht eigentlich sich selbst
und seine Landeskirche an den Papst verrathen, ohne die vier Artikel
formell zurückzuziehen. Vielmehr blieben sie während des 18. Jahr-
hunderts factisch in Kraft, d. h. der französische Klerus war grossen-
theils in ihnen erzogen und dachte und handelte nach ihnen. Allein ein
zweiter Monarch hat beim Uebergang des 18. zum 19. Jahrhundert den
Verrath der französischen Kirche an den Papst perfect gemacht, der-
als er den Thron bestieg, um den Staatskatholicismus zu inauguriren, S. Mejer,
Febronius (1880) S. 20: „Unter dem Schutze der Bourbonen, welche die »galli-
kanische« Theorie zu der ihren machten, erblühte im ganzen romanischen Europa
eine reiche sie vertretende Litteratur: Peter de Marca, Thomassin, Bossuet sind
Namen, die unvergessen sein werden, so lange es kirchenrechtliclie Jurisprudenz
giebt. Die wissenschaftliche Methode dieses gallikanischen Episkopalismus unter-
scheidet sich von der des 15. Jahrhunderts besonders in zweierlei : einmal in der
rechtshistorischen Begründung, wie sie in Frankreich aus der humanistischen Juris-
prudenz des Cujacius stammt und die Kirchenverfassuug der ersten Jahrhunderte
queUenmässig darstellt, um dann die spätere für einen Missbrauch zu erklären -,
zweitens darin, dass im Zusammenhange hiermit, wie mit der überlieferten fran-
zösischen Praxis, sie dem französischen Könige ungefähr dieselbe kirchliche Regio-
rungsgewalt vindicirte, welche nach Ausweis der justinianischen Kechtsbüoher der
römische Kaiser besass."
^ S. die kräftige Verdammung bei Benzinger, a. a, 0. p. 239 f,
I
Curialismus und Episkopalismus. 621
selbe Monarch, welcher die gallikanischen Artikel formell anerkannt
und zum Staatsgesetz erhoben hat (1810) — Napoleon I. Die Weise,
in welcher Napoleon die durch die Revolution factisch niedergewor-
fene französische Birche und Kirchenordnung mit Bewilligung
des Papstes völlig zertrümmerte, um dann, über alle überlieferten
Ordnungen und Rechte hinwegschreitend, diese Kirche neu, Hand
in Hand mit dem Papste, zu bauen (Concordat v. 1801), war
eine Preisgebung der französischen Kirche an den Curialismus. So
hatte es Napoleon freilich nicht gemeint. Er wollte der Herr seiner
Landeskirche sein, und der von ihm umklammerte Papst sollte als
Hoherpriester sein nützliches Werkzeug werden. Allein er hatte nicht
bedacht, dass der abendländische Katholicismus sich keinen welt-
lichen Herrscher mehr aufzwingen lässt, und er hatte seine poHtische
Macht für unüberwindHch gehalten. Von seinen ursprünglichen In-
tentionen ist daher nichts verwirklicht worden als die Zertrümmerung
der alten, relativ selbständigen französischen Bischofskirche: So hat
er den Grund zur französischen ultramontanen Kirche gelegt, und
Pius yn. hat nach dem Sturz des Tyrannen wohl gewusst, welchen
Dank er ihm schuldete. Die Romantik (de Maistre, Bonald, Chateau-
briand, Lacordaire etc.) und die Restauration vollendeten im Bunde
mit den Jesuiten das Werk, ja selbst politisch-freiheitliche Regungen
mussten der Curie zu Gut kommen ^ Vor Allem aber haben de
Maistre 's Schriften („Vom Papste"), in denen der katholische Geist
des Mittelalters in neuen Zungen zu sprechen gelernt hat, dazu bei-
getragen, den Gallikanismus und Episkopalismus zu verschütten.
Dem grossen Savoyarden hat jener dreisteste aller Publicisten, L.
Veuillot, nachgesprochen und selbst die frechsten Paradoxien dem
französischen Klerus und seinem Anhang als göttliche Wahrheiten
beizubringen verstanden. Heute ist Frankreich, auch das republika-
nische, die Hauptstütze des Kathohcismus, der katholischen Propa-
ganda und des Ultramontanismus: die Franzosen sind die Normannen
des modernen Papstthums geworden 2.
* Doch s. die scharfe Abweisung der Sätze Lamennais' durch Gregor XVI.
im Jahre 1832 und 1834 (Denzinger, 1. c. p. 310 f.). Indifferentismus und die
Forderung der (lewissensfreilieit werden liier auf eine Stufe gestellt: „Ex hoc puti-
dissimo indiflerentisnii fönte ahsurda illafluit ac erronea sentcntia seu potius delira-
menturn,a8serendani esseac vindicandamcuilibetlibertatem conscientiae. Cui(j[uidem
pestilentissimo errori viam sternit plcna illa atquc immodcrata libertas opinionuni,
quae in sacrae et civilis rei labern late grassatur, dictitantibus per surnmam impu-
dentiarn nonnullis, ali(|uid ex ea eonnrnodi in roligioneni promanare."
''■ lieber die Entwickelung der französisclien Nationulkirclie zu einer ultra-
montanen s. Mejer, Z. (Jesch. der römisch-deutschen Frage Bd. I; Friedrich,
022 Die Auegänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
In Deutschland sind die episkopalistischen Regungen bis zur
Mitte des 18. Jahrhunderts gering gewesen. Dann aber brachen sie
in dem Werk des Weihbischofs Nicohius von Hontheini (Febronii
dt^ statu ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis 1763) aufs
kräftigste hervor. Verschiedene Linien convergiren in diesem Buche:
der Galhkanismus, die von Hugo Grotius ausgegangenen naturrecht-
Hchen Theorien über den Staat, der niederländisclie Humanismus.
Hontheini hatte zu Löwen studirt. Die unter van Espen' s Einfluss
stehenden dortigen Lehrer hatten ihn gelehrt, dass kathoHsch und
päpstlich nicht dasselbe sei, und dass der thatsächliche Bestand des
Papalismus in Deutschland die ui"sprüngliche (3rdnung der Dinge
nicht auflieben könne, die in dem gottgeordneten bischöflichen Amt
einerseits, in dem Naturrechte des Staats andererseits beschlossen
liege*. Der Primat hat nur eine menscldich-historische Entwickelung;
in Wahrheit repräsentirt und leitet das Concil die Kirche, dem der
Papst unterworfen ist. Dieser Zustand, der auf der gottgesetzten
Apostolicität und Gleichheit aller Bischöfe als Regierer der Kirche
beruht, sei wieder herzustellen. Hontheini hat sich zuletzt einen
Widerruf abpressen lassen. Allein seine Ideen wirkten fort, jedoch
nicht genau in der Richtung, die er ihnen gegeben. Er war mehr
Gallikaner und Episkopalist als Vertreter des natürlichen Staatsrechts,
welches im 18. Jahrhundert die Wendung zum absoluten Fürsten-
recht genommen hatte. Die geistlichen Kurfürsten aber, welche seine
Gedanken aufnahmen, waren für dieselben in erster Linie als Landes-
herren, erst in zweiter als Bischöfe interessirt. Diese Wendung war
verhängnissvoll. Die Emser Punctation (1786) ■•^, deren Anlass
die Beschwerde über die Nuntien gewesen ist, konnte dem Kaiser
und den Landesherren nicht zusagen, welche nicht eine selbständige
Bischofskirche, sondern eine Staatskirche im strengsten Sinn des Worts
wünschten. Der bisher verdeckte Gegensatz zwischen Episkopalismus
und Staatskirchenthum musste um so schärfer zum Ausdruck kom-
men, als die grossen Bischöfe im eigenen Interesse selbst in den
staatskirchlichen Gedanken hinübergriffen. An diesem Gegensatz, der
Zerrissenheit Deutschlands und der Rivalität zwischen Oesterreich und
Preussen ist die Emser Unternehmung sehr rasch gescheitert. Kühner
Gesch. des vatik.Concils Bd.I; Nielsen, Die röm. K. im 19. Jahrh. Bd. I (deutsch
V. Michelsen); ders., Aus dem inneren Leben der kathol. K. im 19. Jahrh. Bd. I;
Nipp cid, Handbuch der neuesten K. -Gesch. 3. Aufl. Bd. I. u. II.
* S. Mejer, a. a. O. S. 20 f., v^l. auch H. Schmid, Gesch. der kathol. K.
Deutschlands v. d. Mitte des 18. Jahrh. I S. 1 fl".
2 S. über dieselbe Köilner, a. a. O. I S. 430 fl'.; Schmid, a. a. O. l S. 15 t'.
Curialismus und Episkopalismus. 623
ist freilich seit den Tagen von Constanz und Basel die Souveränetät
der Bischöfe und die Bedeutungslosigkeit des Papstes nie innerhalb
des Katholicismus formulirt worden, als von den deutschen Bischöfen
zu Ems vor hundert eTahren. Allein es war eine kindhche Illusion
des „philosophischen" Zeitalters, zu meinen, man könne einen Bau
wie den des Papstthums durch Decrete wie das Emser zu Fall bringen,
und es war eine gewaltige Täuschung, als sei der römische Katho-
licismus wirklich todesmatt und habe durch die aufgenöthigte Auf-
hebung der Jesuiten seine Schwäche endgiltig documentirt. Der
Sturm der Revolution zeigte, dass der alte Löwe noch lebte, und die
erschreckten Fürsten beeilten sich dann, ihn ihrerseits noch zu stär-
ken. Der Zusammenbruch der Reichskirche, mit welcher auch die
josephinische Staatskirche unterging*, war ein Glück für Rom. Wie
es der Curie dann gelungen ist, die Reste der episkopalistischen und
staatskirchlichen Gedanken in Deutschland zu unterdrücken , die
Kirche durch Concordate neu zu bauen und sich allmählich in Deutsch-
land, nachdem, wie in Frankreich, die landeskirchliche Tradition ab-
gerissen war, einen ultramontanen Episkopat und einen ultramontanen
Klerus zu erziehen, wie zu diesem Werke nicht nur die Jesuiten,
sondern vor Allem die Fürsten, die Romantiker und die vertrauens-
sehgen Liberalen mitgewirkt haben, das ist uns in jüngster Zeit aus-
führlich erzählt worden-. Das Vaticanum hat diese Entwickelung
abgeschlossen ^.
Ib. Der Gegensatz gegen das protestantische Schriftprincip und
die UnmögHchkeit, für viele Lehren und Gebräuche den Traditions-
^ Vgl. K. Müller in Herzog's R.-E. 2. Aufl. Art. „Josefinismus"; über die
Synode von Pistoja unter Ricci' s Leitung s. a. a. 0. den Art. von Benrath,
Wider den Rathgeber Joseph's IT., den Kanonisten Eybel , der mit seinem Buch:
„Was ist der Papst", das grösste Aufsehen gemacht hatte, s. das Breve Pius' VI.
„Super solididate" (Denzinge r, a. a. 0. S. 273).
'^S.dieDarstellungf'nvonMejer,.Schmid,Nielsen,Friedrich,Nippold.
Auch für die Geschichte der katholischen Kirche des 19, Jahrhunderts in einzelnen
deutschen Ländern besitzen wir treffliche Darstellungen. Zukünftige Historiker
werden den Aufschwung des Romanismus in unserem Jahrhundert mit dem des
IL vergleichen; er ist jedenfalls gewaltiger als der der Contrareformation. S. auch
Hase, Polemik 3. Aufl. 1. Buch.
* Wie wenig man noch im Jahre 1844 im Stande war, von protestantischer Seite
die Entwickelung des Papalsystems zur Lehre von der Unf(dilbarkeit vorauszusehen,
zeigt eine Bemerkung von K öl In er (a. a. O. S. 42«), dessen Symbolik nicht nach-
gesagt werden kann, dass sie der römischen Kirche nicht ihr Recht gebe: „(Janz
unkirchlich, nur dfn Fanatismus einzelner .lesuiteu bezeichnend, ist die Ansicht
vom Papste in der Confessio Hungarica Evangelis proposita », . . Papam caput esse
ecclesiae n^c er rare posse«."
624 Pie AuBgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
beweis wirklich zu führen, veranlassten in der Folgezeit die katho-
lischen Theologen 1) die hl. Schrift immer mehr der Tradition unter-
zuordnen, 2) die vom Tridentiimm getroffene Unterscheidung von
zweierlei Traditionen (s. oben) im Sinne des Rechts der Annahme
völlig uncontrolirbarer Traditionen weiter auszubeutend Was den
ersten Punkt betrifft, so haben namentlich »Tesuiten mit rabbinischer
Kunst an dem Dogma der Inspiration so lange herumgehobelt und
so viele verschiedene Vorstellungen von demselben zu Tage gefördert,
dass schliesslich fast nichts mehr von ihm übrig geblieben ist. Per-
rone, der in seiner Dogmatik alle diese Formen aufzählt, erwähnt
auch die letzte, nach welcher die Inspiration nicht eine wunderbare
Entstehung der Schriften einschliesst, sondern nur besagen soll, dass
der hl. Geist nachträglich (in der Kirche) die Irrthumslosigkeit
der Schriften bezeugt habe'^. Allein diese von den Jesuiten Lessius
und Hamel vertretene Theorie (1586) ist doch nicht durchgedrungen,
ja das Vaticanum hat sie verworfen, indem es erklärt (Constit. de
fide c. 2): „Eos libros vero ecclesia pro sacris et canonicis habet,
non ideo, quod sola humana industria concinnati sua deinde auctori-
tate sint comprobati, nee ideo dumtaxat, quod revelationem sine
errore contineant, sed propterea quod Spiritu s. inspirante conscripti
deum liabent auctorem atque ut tales ipsi ecclesiae traditi sunt."
Diese Formulirung lässt freilich noch immer eine laxe Ansicht von
der Inspiration zu („assistentia positiva"); andererseits aber liegt es
trotz des Gegensatzes zum Protestantismus doch im Interesse des
Katholicismus, alles als heilig Ueberlieferte in der strengsten Form
auch als solches zu bewahren. Die laxe Ansicht hat bekanntlich dem
Katholicismus die Anfänge einer historischen Kritik der Bibel im
17. Jahrhundert ermöglicht (Richard Simon). Doch werden die Vor-
theile, sich als Männer der Wissenschaft vorstellen zu können, von
den Nachtheilen, welche selbst die zahmste Kritik für die Kirche
hat, so bedeutend aufgewogen, dass auch die entschlossensten Tradi-
tionalisten, die im Grunde die Bibel gar nicht bedürfen, sich lieber
* Vgl. Holtzmann, Kanou und Tradition 1859. J. Delitzsch, Lehrsystem
d. röm. K. I S. 295 ff. Has e, a. a. O. S. 63 ff. Bereits die Professio fidei Triden-
tinae hat einen gewaltigen Schritt über das Tridentinum hinaus gethan, indem sie an
die Stelle der tridentinischen Unterscheidung von traditiones a Christo und ab
apostolis vielmehr Folgendes gesetzt hat: „Apostolicas et ecclesiasticas traditiones
reliquasque eiusdem ecclesiae observationes et constitutiones firmissime admitto et
amplector." Hier ist also, worauf zuerst Holtzmann (S. 253 ff.) energisch auf-
merksam gemacht hat, eine ganz neue Terminologie eingetreten. In der Professio
folgt nun erst die Erwähnung der hl. Schrift!
2 Praelect. theol. Romae (1840—42 Paris 1842) Cap. II p. 1082 sq.
Schrift und Tradition. 625
mit dem blossen Schein der Bibelkritik begnügen ^ Viel einschnei-
dender als diese antiprotestantischen Scheingefechte in Bezug auf die
Bibel ist die Ausbildung des Begriffs der Tradition in der nach-
tridentinischen Entwickelung geworden. Sie schliesst mit dem Wort
des ersten unfehlbaren Papstes ab, dessen Authentie m. W. nie
widerrufen worden ist: „die Tradition bin ich", nachdem Möhler
vergeblich versucht hatte, den katholischen Begriff der Tradition mit
der Geschichte und der Kritik zu versöhnen.
Schon die Polemiker des 17. Jahrhunderts haben gegen Chemnitz^
der die römischen disputationes de traditionibus als „pandectas erro-
rum et superstitionum" angegriffen hatte, auf die kirchlichen Tradi-
tionen besonderen Nachdruck gelegt. In der That verschwindet in
der Folgezeit die tridentinische Unterscheidung von traditiones a
Christo und ab apostolis fast ganz — sie wird der Schule überlassen — ;
dagegen wird die Unterscheidung der Professio zwischen traditiones
apostolicae und ecclesiasticae die fundamentale. Bell arm in ist noch
zaghaft in der Ausbeutung der kirchlichen Traditionen gewesen; er
suchte noch w^esentlich mit der tridentinischen Bestimmung auszukom-
men und behandelte die kirchlichen Traditionen geringschätzig; allein
schon Cornelius Mussus, einst Mitglied des Tridentiner Concils,
hat das zukünftige Traditionsprincip, welches sich über die Geschichte
sammt den Kirchenvätern hinwegsetzt, in schöner Klarheit formulirt :
„Ego, ut ingenue fatear, plus uni summo pontifici crederem in bis, quae
fidei mysteria tangunt, quam mille Augustinis, Hieronymis, Gregoriis."
Hierher gehört auch die fast naiv klingende Bemerkung der Jesuiten,
„quo iuniores, eo perspicaciores esse doctores" ^. Die Jesuiten sind es
überhaupt gewesen, welche den alten Traditionsbegriff des Cyprian und
Vincentius zu Fall gebracht und einen neuen durchgesetzt haben, der
freilich längst factisch herrschte, aber der Gegensatz zum alten ist.
Die runde Aussage, dass die Kirche durch den Papst neue Offenbarun-
gen erhalte, wird von vorsichtigen Dogmatikern allerdings vermieden^;
allein man ersetzt eine solche Aussage durch die einfache Behauptung,
dass eben das traditio ecclesiastica sei, was die Kirche (der Papst) als
Glaubenssatz formulirt habe. Wie ernsthaft man es damit meint, geht
' Ein solcher Schein wird heutzutage sehr leicht dadurch erzeugt, dass man
die Tradition über die Bibel bestehen lässt, sie aber mit einem Kranze ägyptischer,
assyriologischer, griechischer und römischer Lesefrüchte umzieht. Bei uns macht
man es nicht anders.
* Stellen bei Holtzmann S. 207,
* Doch liessen sich Zeugnisse dafür sammeln, dass man von autoritativer Seite
Aussagen wie die, dies ofler jenes sei der Kirche noch nicht geoffenbart, nicht ge-
scheut hat.
Harnack, Dogmengeschichte TII. 4q
620 Dip Ausß^änpfp dos Dogmas im römischen Katholiciamus.
aus (Ion geflissontlichen Anwoisuiigen hervor, sich nicht mit dem Tracli-
tionsl)eweis (aus der (leschichte) für irgend ein neueres Dogma abzu-
iluilkM^; sichere und uralte Kirchenlehre ist auch das, wofür der Beweis
nicht erbracht werden kann, wenn es als Kirchenlehre gilt^ In diesem
Zusannnenhang wollen die abschätzigen Urtheile über die Concilien,
welche im 17. und 18. Jahrhundert von Jesuiten gefällt worden sind,
und die P^'eiheit in der Kritik der Kirchenväter beurtheilt werden. Die
römische Kirche kann natih'lich die Concilien nicht preisgeben, so wenig
wie irgend ein anderes Stück ehrwürdigen Hausraths; aber sie ist nicht
mehr wesentlich für sie interessirt, und hat sie auch seit zwei Jahrhun-
derten mt^hr als einen Jesuiten, der zu burschikos mit der wirklichen
Tradition umsprungen ist, zur Ordnung gerufen, so kann es ihr doch
nicht unangenehm sein, wenn ab und zu gezeigt wird, dass Alles in der
(Teschichte bei näherem Zusehen schwankt und von Trrthümorn und
Fälschungen wimmelt. Was haben uns die Jesuiten und ihre Freunde
in dieser Hinsicht nicht seit zw^ei Jahrhunderten gelehrt ! Die Briefe des
Cyprian gefälscht, Eusebius gefälscht, unzählige Kirchenväterschriften
interpolirt, dasKonstantinopolitanische Symbol gefälscht von Griechen,
die Concihen wider die Absichten Roms zusammengerufen, die Concils-
acten geililscht, die Beschlüsse der Concilien belanglos, die ehrwürdig-
sten Kirchenväter voller Heterodoxien und ohne Autorität — nur ein
Fels in diesem Meere von Irrthum und Fälschung, der Stuhl Petri,
und durch die Geschichte hindurchklingend nur ein sicherer, unmiss-
verständlicher Ton, das Zeugniss für die Unfehlbarkeit des
Nachfolgers Petri! Indessen — der Papst ist auch unfehlbar ohne
dies Zeugniss: die Kirche selbst ist die lebendige Tradition;
d i e K i r c h e aber ist d e r P ap s t. Nichts verändert sich in der Kirche,
obwohl sie sich immerfort verändert^; denn jede Veränderung erhält in
dem Momente, wo sie von der Kirche (dem Papst) vollzogen wird, einen
Altersbrief, der sie bis zu der Apostel Zeiten hinaufführt. Heute kann
der Papst ein neues Dogma formuliren, wie er das im Jahre 1854 be-
reits gethan hat in Bezug auf die unbefleckte Empf ängniss Maria's, ob-
gleich einer seiner Vorgänger geäussert hatte, dass „die ewige Weisheit
die Tiefen dieses grossen Geheimnisses der Kirche noch nicht aufgethan
^ Natürlich ist der geschichtliche Bnweis ein schöner Sehmuck, aber auch nichts
weiter; ja das Beweisunternehmen gilt sogar nicht als gefahrlos. AVer etwas zu be-
weisen unternimmt, ist nicht sicher, dass der Beweis vollständig gelingt und dass er
Eindruck macht.
'^ S. das unbedachtsame Wort des Erzbischofs Scherr von München geotMi-
über DöUinger: „Sie wissen ja, dass es in der Kirche und den Lehren inuuer
Veränderungen gegeben hat", bei Friedrich, Tagebuch 'i, Autl. S. 410 i".
Schrift und Tradition. 627
habe". So mag noch Manches im Schosse der Zukunft ruhen, was die
ewige Weisheit kommenden Päpsten offenbaren wird — aber neue
Offenbarungen finden nach dem Wortlaut der ultramontanen Dogmatik
nicht statt.
Wie zahm nimmt sich neben dem heute geltenden Traditionsbegriff
das tridentinische Beeret über die Tradition aus. Es klingt uns bereits
wie eine Legende aus alter Zeit: „veritatem et disciplinam contineri in
libris scriptis et sine scriptis traditionibuS; quae ab ipsius Christi ore ab
apostolis acceptae aut ab ipsis apostolis spiritu s. dictitante quasi per
manus traditae ad nos usque pervenerunt." Aber leider lässt sich nicht
eine stufenmässigeEntwickelung von diesem Princip bis zu dem heutigen
behaupten ; denn das heutige war schon in voller Stärke in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts vorhanden. Es hat nur propter angustias
temporum nicht zum Ausdruck kommen können. Eben desshalb lässt
sich auch keine Geschichte des römischen Traditionsbegriffs vom
Tridentinum bis zum Vaticanum schreiben^ sondern es lassen sich nur
Geschichten erzählen^ welche den kommenden vollen Sieg des revo-
lutionären Traditionsprincips über das alte verkündigen ^. In diesem
Sieg ist die Entchristlichung und Yerweltlichung der christ-
Hchen Religion im Katholicismus vollendet. Das giiostische Traditions-
princip (apostolische Geheimtradition) und das enthusiastische Princip^
gegen welche einst das altkatholische aufgestellt worden ist, haben unter
der Hülle des letzteren ihren Einzug in die Kirche gehalten und sich in
ihr etablirt. Häretisch im strengen Sinn der alten Kirche ist die
heute geltende Lehre von der Tradition, weil gnostisch und enthu-
siastisch ^. Aber sie haftet heute nicht mehr an einer elastischen Ge-
meinschaft, in welcher sich die Factoren im Widerstreit bis zu einem
gewissen Grade controliren und corrigiren, sondern an einem einzigen
italienischen Priester, der das Ansehen und zum Tlieil auch die Macht
der alten Cäsaren besitzt. Keine aus dem geschichtlichen Wesen der
christlichen Religion stammende Schranke schränkt ihn mehr ein. Je-
doch vermag er, eingeengt durch den Ring des heihgen Collegiums, die
Ueberheferungen seines Stuhls und die Superstition der Gläubigen,
schwerlich etwas als „tradirten Glaubenssatz" zu formuliren, was den
» S. dir' Al)f;ohnitto l)oi Holtzmann .S.31 f. 52 f. 8.'3 f. 224 f. 231 f. 237 f 250 f.
2fK)f. 273f. 283 f.
'^ Sflir ridiiicr (InsHlifill) dio .SoliTnulkaldisohcn Artikel P. 111 a. 8 (S. 321
MiilU*, rj: „^^liid, f|Uod otiam j)ai)atu.s fiirn[)lici(('r est, inoi-ns oritliusiaHmus, (juo pa})a
^loriaiur, oninia iura csso in scrinio sui jx'ctoris, ot ([uid(juid ipsc. in occlofjia sua
sentit i'X iuix't, id spiritum ei iustum esse, otianisi supra ot contra scripturam et
vocaif' vorl;iini aliquid statual et praecipiat."
40*
028 I^it*' Ausgänge des Dogmas im römischen Katliolicismus.
Geist des 13. Jahrhunderts oder der ( ^iitrareformation gegen sicli
hätte'.
2. In dem 1566 von Piiis V. pnhlicirten Katechismus Romanus ist
die thomistische Gnadenlehre, naehdem sie zu Trident nur gehrochen
zum Ausdruck gekommen war, selir entschieden dargelegt worden.
Allein diese Darlegung war die letzte in ihrer Art. Der Catechismus
Romanus hezeichnet das Grah einer Doctrin, die in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts von den besten Katholiken vertreten gewesen ist.
Er ist der Schlussstein der augustinischen Reaction, sofern
dieselbe in der Kirche nicht nur geduldet oder gar bekämpft, sondern
anerkannt gewesen ist und zur Regeneration des Katliolicismus sehr
viel beigetragen hat. Fortan erhob sich ein Kampf gegen Augustin,
geführt von den „Kirchlichen" par excellence, den Jesuiten. Dieser
Kampf sollte nicht eher aufhören, als bis „der letzte Feind" ohn-
mächtig — jedoch nicht erschlagen — am Boden lag und die welt-
förmige Praxis des Beichtstuhls der Dogmatik ihr Gesetz vorschreiben
konnte '-. Doch wäre es ungerecht, zu behaupten, dass hier nur Lax-
heit, dort religiöser Ernst regiert habe. In den Reihen der Gegner
der Augustiner fanden sich auch Männer von lauterer katholischer
Frömmigkeit, während manche Augustiner Bahnen einschlugen, welche
von der Kirchlichkeit abwichen.
Nicht in Deutschland, sondern auf romanischem und belgischem
Boden hat sich der Kampf um den Augustinismus abgespielt. Das
erste Stadium ist durch die Namen Bajus und Molina bezeichnet^.
In verschiedenen Schriften und in seinen Vorlesungen hatte Bajus,
^ In dieser Beziehung ist der Mahnbrief sehr interessant, den Bellarmin im
Jahre 1602 an den Papst gerichtet hat, s. Döllinger, Beiträge JUS. 83, Döllinger
und Reu seh, Selbstbiographie des Cardinais Bellarmin S. 260. Dieser grosse
Curialist hat es gewagt — freilich in einer dogmatischen Frage, die ihn sehr nahe
anging — , den Papst zu meistern und ihn daran zu erinnern, dass er die Controverse
nicht einfach von sich aus entscheiden dürfe, ohne die Kirche und sich selbst in Un-
gelegenheit zu bringen.
- Der Protestantismus ist au dieser innerkatholischen Bewegung fast ganz uu-
betheiligt gewesen. Die katholischen Augustiner des 16. und 17. Jahrhunderts
haben, verschwindende Ausnahmen abgerechnet, dem Protestantismus ebenso schroff
und abwehrend gegenübergestanden wie die Vertreter der herrschenden Kirehen-
praxis; ja man hat sogar Augustin ausgespielt, um die Reformation um so nach-
drücklicher bekämpfen zu können.
^ Linsenmann, Michael Bajus und die Grundlegung des Jansenismus. 1867.
Schneemann, Entstehung der thomistisch-molinistisehen Controverse (vgl. auch
andere einschlagende Arbeiten dieses Jesuiten). Serry, Hist. congreg. de auxiliis.
L.Meyer, Hist. controv. de auxiliis 2 Bdd., Döllinger und Reusch, Selbst-
biographie Bellarmin's S. 256 ft'. S ch e e b e n , Wetzer und Weite 2. Aufl. I. Bd. „Bajus''.
Der Niedergang des Augustinismus. Bajus. 629
Professor in Löwen (1544 — 1589), ohne strenge systematische Ent-
wickelung die augustinische Lehre von der Sünde und Unfreiheit
scharf pointirt vorgetragen, nicht um dem Protestantismus entgegen-
zukommen, sondern um ihn zu bekämpfen. Schon 1560 hat die Sor-
bonne eine Reihe seiner Sätze, die ihr handschriftHch vorgelegt worden
waren, verurtheilt. Dann wurde er auf Grund von kleineren Schriften,
die er hatte erscheinen lassen, beim Papst verklagt. Jesuiten und
Franciskaner waren seine Feinde. Sie nahmen vor Allem auch an
seiner unbedingten Verwerfung der Lehre von der unbefleckten
Empfängniss Maria's Anstoss. Pius Y. erliess 1567 die Bulle ^x Om-
nibus afflictionibus", welche, ohne Bajus' Namen zu nennen, 79 seiner
Sätze verwarf, resp. beanstandete ^ Erst als er Umstände machte
sich zu fügen, wurde die Bulle publicirt. Zweimal hat Bajus einen
Widerruf leisten müssen, nachdem der neue Papst Gregor XIII. die
Censur seines Vorgängers bestätigt hatte. In Bajus wurde Augustin
selbst aufs schärfste getroffen, wenn sich auch die Curie in dem Satz :
„quamquam nonnuUae sententiae aliquo pacto sustineri possent", eine
Hinterthür offen gelassen hatte. Eine grosse Anzahl der censurirten
Sätze sind nach Form und Inhalt augustiuisch, so dass in ihrer Ver-
werfung die Loslösung von der Autorität des grossen Afrikaners
offenbar ist. Bajus' Hauptgedanken waren '^j 1) dass die Gnade immer
nur Gnade durch Jesum Christum ist^, 2) dass Gott den Menschen
nur gut schaffen konnte und gut geschaffen hat, dass ihm daher,
wenn er im Guten beharrt hätte, alles Gute „natürlich" zugefallen
wäre, dass aber der Sündenfall eben desshalb nicht nur den Verlust
eines donum superadditum , sondern die völlige Verstörung des
menschlichen Wesens zur Folge gehabt hat ^, 3) dass der AVille des
Menschen durch die Sünde unfrei geworden ist und der Mensch daher
nothwendig, wenn auch mit seinem Willen, sündigen müsse, zum
Guten schlechthin unfähig sei und nichts Gutes aus sich selber könne ^,
' „Quas quidem scnientias stricto coram nobis examinc ponderatas, quam-
quam nonnullacali(| HO pacto sustineri possent, in rigore et proprio ver-
borum sensu ab asscrtoribus intcnto haereticas, crroneas, suspcctas, temerarias,
scandalosas et in pias aurcs offcnsiouem immittentes respcctivc . . . damnamus" ;
H. Dcnzinger, 1. c, p. 208.
'^ P^igenthiimliches, welches keinen Bezug auf den Augustinismus hat, resp. ihm
widcrH])richt, übergehe ich.
' S. Propos. l in der Bulle „Ex omnibus afflictionibus", ferner 2 7. 9.
* S, die Tropos. 1 — 7. 9. 11. 21. 23: „Abaurda est eorum sententia, qui dicunt,
hominemab initio dono (juodam supernaturali et gratuito, supraconditionemnaturae
suac fuinse cxaltatum, ut fide, spe et caritatc deum supernaturalitcr coleret." 24. 2ß. 78.
'' S. die J'ropos. 20: „Nullum est peccatuni ex natura siia veniale, sed onmc
fi30 l^it' Aiis^äu^o. des Dogmas ini r(>mischeii Kutliolicismus.
4) (lass (leiugemüss alle Werke der Ungliiubigen Sünden und die
l\igenden der Philosophen Laster seien', 5) dass die Erbsünde wirk-
liche Sünde sei und die Concupiscenz nicht minder-, 6) dass alle
Menschen, einschliesslich der Maria, Sünder seien und den Tod um
ihrer Sünden willen erlitten^, 7) dass es in keinem Siini menschliche
Verdienste Gott gegenüber gebe, Gott vielmehr allem Verdienst zu-
vorkomme, indem er den bösen AVillen in einen guten umwandelt
und so selbst alle bona merita bewirkt (durch das Verdienst Christi)^.
In der Lehre von der Kechtl'ertigung und den Sacramenten hielt
sich J^ajus wesentlich an den herrschenden kirchlichen Typus. Allein
obgleich er, demselben entsprechend, die Gerechtigkeit in der wirk-
lichen Vollkonnnenheit erkannte, so legte er doch ein viel stärkeres
Gewicht auf die Sündenvergebung, als das Tridentinum das gestattete :
die Sündenvergebung ist ihm zwar ideell und letztlich nicht die Ge-
rechtigkeit, aber f actisch kommt unsere active Gerechtigkeit nur
durch das fortwährende Complement der Sündenvergebung zu Stande,
welche Gott als Gerechtigkeit anrechnet. Die Sündenvergebung ist
peccatuni meretur poenam aeternam/ 27: „Liberum arbitrium sine gratiae dei
adiutorio nonnisi ad peccaudum valet." 28. 30. 35. 37. 39: „Quod voluntarie fit,
etiamsi necessario fit, libere tarnen fit." 40. 41 : „Is libcrtatis modus, qui est a neces-
sitate, sub libertatis nomine non reperitur in scripturis, sed solum nomen libertatis
a peccato." 46: „Ad rationem et definitionem peccati non pertinet voluntarium, nee
definitionis quaestio est, sed causae et originis, utrum omne peccatum debeat esse
voluntarium." 65. 67.
* S. die Propos. 25: „Omuia opera infidelium sunt peccata et philosophorum
virtutes sunt vitia."
'^ S. die Propos 47: „Peccatum originis vere habet rationem peccati sine ulla
ratione ac respectu ad voluntatem, a qua originem habuit." 48. 49. 51: „Concupis-
centia et prava eins desideria, quae iuviti sentiunt homines, sunt vera legis inobe-
dientia." 52. 53. 74. 75. 76.
^ S. die Propos. 73: „Nemo praeter Christum est absque peccato originali:
hiuc b. virgo Maria mortua est propter peccatum ex Adam contractum omnesque
eins attlictioues peccati actualis vel origiualis." 72.
* Prop. 8: „In rcdemptis per gratiam Christi nulluni inveniri potest bonum
meritum, quod non sit gratis indigno coUatum." 10: „Solutio poenae temporalis,
quae peccato dimisso saepe manet, et corporis resurrectio proprio nonnisi meritis
Christi adscribenda est." 22. 29: „Non soli fures ii sunt et latrones, qui Christum
viam et ostium veritatis et vitae negant, sed etiam quicunque aliunde quam per
ijjsum in viam iustitiae (hoc est aliquam iustitiam) couscendi posse docent."
34: „Distinctio illa duplicis amoris, naturalis vid., quo deus amatur ut auctor naturae,
et gratuiti, quo deus amatur ut beatificator, vana est." 36: „Amor naturalis, qui ex
viribus naturac exoritur, ex sola philosophia per elationem praesumptionis humanac
cum iniuria crucis Christi defenditur anonnulhs doctoribus." 65. 77: „Satisfactiones
laboriosae iustificatorum non valent expiare de condigno poenam temporalem
rcstantem post culpara condonatam."
Der Niedergang des Augustiüismus. Molina. 631
für ihn nicht nur Initiationsact, sondern eine Parallele zur operatio
virtutum K Auch das ist noch immer katholisch. Dia Prädestinations-
lehre Augustin's scheint Bajus mehr in den Plintergrund geschoben
zu haben.
Bajus hat in seiner Lehre auch die evangelischen Grundgedanken,
ohne es zu wollen, gestreift, wenn auch seltsam vermischt mit katho-
lischen Lehren. Aber durch seinen Widerruf ging die Wirkung seiner
w^eittragenden Sätze verloren. Dagegen dauerte der Gegensatz der
Dominikaner und Jesuiten fort. AVechselseitig verwarf man die be-
sonderen Lehren (die Studienordnung des Jesuitengenerals Aquaviva
verwarf 17 thomistische Sätze; die Dominikaner wirkten mit Erfolg
gegen diese Studienordnung und verdammten die Sätze zweier be-
sonders kecker Jesuiten, Lessius und Hamel, über die Prädesti-
nation). Aber zu hellen Flammen loderte der Streit erst auf, als
der Jesuit Luis Molina im Jahre 1588 sein Werk: „Liberi arbitrii
cum gratiae donis, divina praescientia, Providentia, praedestinatione
et reprobatione concordia" hatte erscheinen lassen^. Dieses Werk
geht von dem Vermögen des natürlichen Menschen, sich für die
Gnade disponiren zu können, aus (s. das tridentinische Decret) und
sucht mit einer staunenswerthen scholastischen Energie'^ die götthche
Ursächlichkeit, ja sogar die augustinischen Thesen, mit dem Semi-
pelagianismus zu verbinden, resp. ilrni unterzuordnen. Das konnte
natürUch nicht gelingen. Aber das blosse Unternehmen war im Sinne
seiner Kirche verdienstlich, und in AVorten lässt sich Alles zusammen-
quälen. Factisch war hier der Augustinismus preisgegeben (Gott
unterstützt nur), und zwar so offenkundig, dass selbst Scotisten an
dem Buche Anstoss nahmen. Die Tragikomödie, die nun in unzähligen
Acten erfolgte, zu schildern, kann nicht unsere Aufgabe sein. Doch
bietet sie ein sehr instructives Beispiel dafür, dass das Dogma als
* Merkwürdige Thesen über die Justification sind die 42. 43. 44. 63. 64. 68.
69. 70. Offenbar ist in den vom Papst formulirten Thesen Ungehöriges eingemiseht.
'^ Die 2. Auflage 1595 ist wesentlich unverändert.
' Die alten Bemühungen um die Arten des Wissens (Jottes liat Molina iort-
gesetzt und in den Dienst seiner Aufgabe gezogen: mit Hülfe der „scientia media"
sieht Gott das Mögliche, welches unter Umständen wirklich wird, voraus. Auf die
Einzelheiten der Lehrweisc Molina's kann ich mich nicht einlassen. Man hat
übrigens bei der Bourthcihmg derselben zu berücksichtigen, dass die katholische
Kirche nicht mehr augustinisch war, und dass Molina's Unternehmen ein verstän-
diger Versuch ist, das wirklich Giltige zum Ausdruck zu bringen. Dass Molina
über die Lehre schreibt, d. h. vom Standpunkt des verständigen Beurtheilers, und
nicht die Rechtfertigung, wie sie der Sünder erlclit hat, beschreibt, ist kein Vor-
wurf, der ihn allein trifft; er trifft auch das tridentinische Decret und den officiellen
KatholicismuB überhaupt.
H32 l^i** Ausgänge dea Dogmas im römischen Katholicismus.
Dogma längst begraben war; denn die Art, wie diese thomistisch-
molinistiscbe Controverso zu Rom ausgetragen, resp. nicht ausgetragen
worden ist, ist der deutlichste Beweis dafür, dass an die Stelle des
dogmatischen Interesses das des heiligen Stuhls und der verschiedenen
Orden getreten ist. Man zögerte, gebot Schweigen, entschied und
entschied nicht in einer so wichtigen Frage, weil es auf die Lehre
in erster Linie überhaui)t nicht ankam, sondern auf den Frieden der
Kirche und die Befriedigung des Ehrgeizes und der Herrschsucht
der Parteien. Wie weit diese gegangen ist, dafür giebt z. B. die
Haltung Bellarmin's schöne Belege. Man drohte dem Papst nicht
nur und suchte ihn einzuschüchtern, als er den Dominikanern zu
günstig zu sein schien, sondern die eifrigsten Papalisten rüttelten so-
gar an den Grundfesten des Systems. Die zuerst eingesetzte Com-
mission , die viele Sätze Molina's als verwerflich bezeichnet hatte,
musste einer neuen weichen , jener berühmten Congregatio de auxiliis
gratiae, die von 1598 — 1607 getagt hat und niemals zu einem Be-
schlüsse kommen konnte, weil Dominikaner und Jesuiten in ihr ver-
treten waren. Die scholastische Terminologie ist in diesem Streit
ins Unendliche vermehrt worden („praedeterminatio physica" „gratia
efficax efficacitate connexionis cum consensu" etc.), ohne dass es gelang,
aus der contradictio in adiecto ein Dogma zu machen. Li der Sitzung
vom 28. August 1607, in welcher Paul V. selbst den Vorsitz führte,
erklärten die Jesuiten die Lehre von der physischen Prädetermina-
tion für calvinisch und lutherisch, traten einem eventuellen Beschluss,
Molina's Buch zu suspendiren („donec corrigatur"), heftig entgegen und
griffen den dominikanischen Dogmatiker Baiiez als Ketzer an. Von
den übrigen Mitgliedern der Congregation hatte fast jedes eine andere
Meinung über das, was zu geschehen habe. Da löste der Papst, wohl
auf den Eath der Jesuiten, die Versammlung am 18. September auf,
indem er eröffnete, er werde seiner Zeit eine Entscheidung geben („fore
ut sua Sanctitas declarationem et determinationem, quae exspectabatur,
opportune promulgaret"); bis dahin dürfe keine Partei die andere „aut
qualificare aut censura quapiam notare". So endete die Controverse,
die im Grunde längst entschieden war — denn es war der Streit des
Augustin und Pelagius — , mit dem Eingeständniss vollendeter Rath-
losigkeit ^
* S. D Olli 11 gor u. Reu seh, a. a. O. S. 273 f. Im Jahre 1611 Hess der Papst
durch die Inquisition verordnen, alle Bücher, die über die Materie de auxiliis han-
delten, seien ihr vorher zur Approbation vorzulegen. Schneemann, der Jesuit, hat
ganz Recht, wenn er triumphirt, dass factisch die moliuistisehe Gnadenlehro ge-
siegt habe, d. h- jcöe Gpadenlehrc, au der selbst Belhmniu Austoss geuonmieu luit,
Der Niedergang des August inismus. Jansen. 633
Reiner als durch Bajus^ dessen theologische Gesammthaltung
ein Problem ist, ist durch Cornelius Jansen, Bischof von Ypern,
der Augustinismus wiedererweckt worden. Die Bewegung, die sich
an seinen Namen, resp. an das nach seinem Tode 1640 herausge-
gebene Werk „Augustinus" knüpft, hat tief in die französische
Geschichte im 17. Jahrhundert eingegriffen und bis in das 18. und
19. Jahrhundert fortgewirkt; sie besitzt noch heute an der altkatho-
lichen Kirche von Utrecht ein lebendiges Denkmal K Einst waren
die Hugenotten in Frankreich die „Freunde der Rehgion" gewesen,
d. h. es fand sich fast Alles bei ihnen zusammen, was einen leben-
digen Sinn für den Ernst der Religion besass und gegen die verwelt-
lichte Hofkirche Front machte. Durch die Contrareformation wurde
der Katholicismus auch in Frankreich wieder zu einer geistigen Macht.
Er wurde in einer Weise restaurirt, dass frommer Sinn sich in ihm
wieder heimisch machte trotz Ultramontanismus und höfischem Kir-
chenthum. Aber dieser gut-katholische fromme Sinn trug je länger
um so schwerer an der laxen Moral, die durch die Theologie der
Jesuiten förmlich gerechtfertigt wurde, und durch den Beichtstuhl
den Klerus und das Volk vergiftete. Man erkannte, dass diese laxe
Moral eine Folge jener nominalistisch-aristotelischen Scholastik sei,
die schon im 14. und 15. Jahrhundert die Kirche verwüstet hatte
und mit dem Pelagianismus blutsverwandt war. Zugleich aber wurde
den ernst Gesinnten jenes Hof- und Staatschristenthum von Jahr zu
Jahr unerträglicher, welches sich trotz der furchtbaren Kämpfe des
16. Jahrhunderts wieder etablirte. Es war der Todfeind des Jesui-
tismus ; aber es übertraf ihn noch an Leichtfertigkeit und Weltsinn.
So sahen die frommen Katholiken die Kirche Christi in traurigster
Lage: von aussen drohte der Protestantismus; im Innern verwüsteten
die Kirche zwei Feinde, einig in der UnsittHchkcit und in dem Be-
streben, die Kirche in die Gefangenschaft fortzuführen, sonst getrennt,
der eine für ein schmähliches Hofchristenthum agitircnd, der andere
weil sie die menschliche Freiheit auf Kosten der Gnade allzusehr erhöbe, und die
selbst in das Deerefc des Jcsuitengenerals Acjuaviva v. 1613 nicht unverändert Auf-
nahme gefunden hat (a. a. 0. S. 274 f.).
* Die Litteratur über den Jansenismus ist sehr umfangreich; s. Ranke, Franz.
Gescliichte, St. lieuve, ]*ort Royal 18'10 f., Reuchlin, (lesch. von Port Royal
2,Bdd. 1831)f. und inllerzog's R.-E. den Art. „Jansen"; ferner dieMonographicu über
Pascal und die Arnauld's; »Schill, Die Constitution Unigenitus 1876, Schott, Art.
„Port Royal" in Herzog s R.-E., Henke, Neuere Kirchengesch. II S. 87 ff. Für
das 18. und 19. Jahrhundert die Kirchengesch. von Nippold und Fricdrich's
(jcsch, des vatik. Concils.
f)34 TDie AiiKgäuge des Doomas im römischen Katholicismus.
es in die blinde Abhängigkeit vom römischen Beichtstuhl treibend:
„ecce patres, qiii toUunt peccjiti mundi!"
Aus diesen Verhiiltnissen heraus ist die gewaltige Bewegung des
Jansenismus zu verstehen. 8ie ist der französischen conciliaren Be-
wegung des 15. .Jahrhunderts weit überlegen. Indem sie den Ruf
nach Rückkehr zur alten Kirche erschallen liess, dachte sie nicht nur,
ja in erster Linie überhaupt nicht, an eine Verfassungsänderung, son-
dern an eine innere Regeneration der Kirche durch Busse und
Glaube, religiöse Erweckung und Askese im Sinne Augustin's. Noch
einmal in der Geschichte des Katholicismus klammerte man sich in
Frankreich an den grossen Afrikaner, da man Luther und Calvin
verdammt hatte. Mit der tiefsten Sympathie begleitet man das heil-
same und doch so aussichtslose Unternehmen, die Kirche von der
Kirche, den Glauben von dem Gewohnheitschristenthum, die Sittlich-
keit von der raflinirten und laxen Moral zu befreien. Als ob das
durch eine blosse Reaction im Sinne Augustin's möglich gewesen
wäre ! Wahrlich, liesse sich der Katholicismus durch den Katholicis-
mus corrigiren, so hätte es damals in Frankreich geschehen müssen,
als die tiefsten, ernstesten und edelsten Geister der Nation sich zur
Reform zusammenschaarten und einer der grössten Redner und Rhe-
toren aller Zeiten, Pascal, das AVort ergriff, um das Gewissen der
Völker wider die Gesellschaft Jesu w^achzurufen. Aber schliesslich
ist Alles im Sande verlaufen. Die Bewegung wurde nicht nur mit
Gewalt unterdrückt; sie selbst endete, wie jede katholische Reform-
bewegung, in dem Verzicht auf den Widerspruch und in Schwärmerei.
Den Verlauf des Jansenismus zu schildern, ist Sache der Kirchen-
geschichte. Neue dogmengeschichtliche Momente sind in dem Streite
nicht hervorgetreten, und somit haftet in diesem Zusammenhange
das Interesse wesentlich an der Beantwortung der Frage, in wel-
chem Masse sich der ofticielle Katholicismus dieser Bewegung gegen-
über genöthigt gesehen hat, Augustin preiszugeben und sich in seiner
nominalistisch-pelagianischen Haltung zu verstärken. Die Jesuiten
thaten gleich nach dem Erscheinen des „Augustinus" Jansen's das
Klügste, was sie thun konnten: sie wählten, obgleich sie die Ange-
griffenen waren, die Offensive. Jansen's Buch enthielt wirklich den
reinen Augustinismus, ungleich reiner als ihn Bajus zu repristhiiren
versucht hatte und ohne Concessionen an den Protestantismus *. Scharf
trat daher allerdings die Prädestinationslelire bei Jansen hervor^. Die
* Jansen's Rechtfcrtigungslehre ist streng katholisch.
^ Eine Darstellung des Jansenismus ist eben desshalb unnöthig, weil in ihm die
augustinische Süudeu-jGnaden- und Prädestinatiouslehre so correct wiedergegeben ist .
Der Niedergang des Augustinismus. Der Jansenismus. 635
Jesuiten setzten es bei der Curie durch, dass ürban VIII. (Bulle:
„In eminenti") unter Hinweis auf die gegen Bajus ausgesprochene
Censur das Verbot des Buchs bestätigte, weil es Irrlehren enthalte.
Nun entflammte der Kampf in Frankreich — ein Kampf um die
Religion, in einer Unterströmung auch ein Kampf für das Hecht
der persönlichen Ueberzeugung gegenüber der Despotie des Papstes
und der päpstlichen Mamelucken. Aber diesen gelang es, dem Papste
die Bulle „Cum occasione" (1653) abzugewinnen, in welcher fünf
Sätze als verwerflich und zugleich — jedoch nicht mit voller Klar-
heit — als Sätze Jansen's bezeichnet wurden. Sie lauten: ^ 1) „Aliqua
dei praecepta hominibus iustis volentibus et conantibus secundum
praesentes quas habent vires sunt impossibilia ; deest quoque illis
gratia, qua possibilia fiant." 2) „Interiori gratiae in statu naturae
lapsae nunquam resistitur." 3) „Ad merendum et demerendum in
statu naturae lapsae non requiritur in homine hbertas a necessitate,
sed sufficit Hbertas a coactione." 4) „Semipelagiani admittebant prae-
venientis gratiae interioris necessitatem ad singulos actus, etiam ad
initium fidei, et in hoc erant haeretici, quod vellent eam gratiam
talem esse, cui posset humana voluntas resistere et obtemperare."
5) „Semipelagianum est dicere, Christum pro omnibus omnino homi-
nibus mortuum esse aut sanguinem fudisse." Diese Sätze sind ohne
die Wurzeln, aus denen sie abgeleitet sind, nicht jansenistisch, mag
man sie auch bei Jansen fast wörtlich nachweisen können ; denn die
Dogmatik ist keine Kette von Gleichungen, aus der man beliebig
eine einzelne herausnehmen darf. Die Jansenisten hatten mithin wohl
ein Recht, die „question du fait" aufzuwerfen und um den Nachweis
zu ersuchen, dass Jansen so gelehrt habe. Handelte es sich doch für
ihre Gegner darum, die äussersten Spitzen des Augustinismus ab-
gesondert und schroff zu formuliren, um diese verwerfen. Augustin
frei lassen zu können, aber auf diesem Wege den Augustinismus
zu ertödten. Allein die Jansenisten kamen desshalb doch in eine sehr
ungünstige Position, weil ihr Katholicismus ihnen nicht gestattete,
die Lehrautorität des Papstes offen in Frage zu stellen. Die Conces-
sion, die sie diesem machten, dass er ein Recht habe zu entscheiden,
wenn die Thatfrage sichergestellt sei, schwächte ihre Stellung; und
wo ist die Grenze zwischen Rechtsfrage und Thatfrage? Bereits im
Jahre 1656 erklärte Alexander VII. in der berüchtigten Bulle „Ad
sanctam b. Petri sedem" : „Quincpic illas propositiones ex libro prae-
memorati Cornelii Jansenii excerptas acin sensu abeodem Cor-
' 8. Dcnzingcr, a. a. O. S. 212 f.
636 r)it* Auögäiioe dt-s Doomas im röinisohnn KatlioliciKnms.
nelio Jansenio intento damnatas fiiisse, definimus et de-
claramiis." Wenn der oberste Lehrer kaltblütig erklärte, dass er
auch zu entscheiden habe, in welchem Sinn .Jemand etwas ge-
meint hat, was war dagegen einzuwenden, wenn man seine absolute
Autorität überhaupt zugestand ? So schritt denn derselbe Papst
dazu fort (1(U)4), eine llnterschriftsformel aufzustellen, in welcher
allen Geistlichen und Lehrern nicht nur die Verwerfung der fünf
Propositionen, sondern auch unter einem Eide das Bekenntniss zuge-
niuthet wurde, dieselben seien „in sensu ab eodem auctore intento"
verdanmit. Ju dieser AVeise durfte der Papst bereits die Gewissen
vergewaltigen, und dennoch hat es noch zwei .Jahrhunderte gedauert,
bis seine Unfehlbarkeit proclamirt werden konnte ! Zeitweilig gewährte
die Curie allerdings den .Tansenisten eine Erleichterung, sofern sie
sich mit dem „silentium obsequiosum" begnügte (Pax Clementis IX.
1H68); allein nachdem die Krone die augustinische Partei, die doch
nicht ohne Vorbehalt für die gallikanischen Freiheiten eintrat, erst
mit Gleichgiltigkeit, dann mit steigendem Hass betrachtet und schliess-
lich dem .Tesuitismus preisgegeben hatte, erneuerte Clemens XI. in der
Bulle „Vineam domini Sabaoth" (1705) alle scharfen Bullen seiner
Vorgänger gegen den Jansenismus und forderte wiederum die An-
erkennung der von Alexander VII. bestimmten Intention Jansen's.
Jetzt wurde Port Royal gewaltsam aufgelöst.
Doch noch einmal flammte im Anfang des 18. Jahrhunderts der
Augustinismus mächtig empor: noch war ja nicht zum deutlichen
Ausdruck gekommen, dass man auch den Apostel Paulus in Augustiu
treffen Avollte und musste. Der Oratorianer Paschasius Quesnel
hatte ein „Gnomon" zum französischen Neuen Testamente heraus-
gegeben, ein Buch, welches sehr rasch als Erbauungsbuch — zur
Anregung von Meditationen — Verbreitung fand und seiner schlichten
katholischen Frömmigkeit wiegen hoch geschätzt wurde. Selbst der
Papst Clemens XI. hatte das günstigste Urtheil über das Buch gefällt ;
der bereits unangenehm frömmelnde grosse König hatte sich von
der AVärme und Einfalt desselben berühren lassen; der Cardinal-
Erzbischof Noailles von Paris hatte es emi)fohlen. Allein eben diese
Empfehlung gab den Jesuiten Anlass, zu einem Doppelschlage aus-
zuholen und den ihnen verhassten Cardinal und das seiner Innerlich-
keit wegen anstössige Buch zugleich zu treffen. Agitationen gegen
das Buch, in welchem das heimliche Gift des Jansenismus schleiche,
wurden beim Klerus in Scene gesetzt und schliesslich ein Entwurf
einer Verdammungsbulle nach Rom geschickt. Das Unglaubliche gelang.
Der schwache Papst Clemens XI. erliess die Constitutiou Unigenitu^s
Der Niedergang des Augustinismus. Der Jansenismus. ß37
(1713)^ in welcher sich der Romanismus für immer von seiner augu
stinischen Vergangenheit losgesagt hat. Es war wider alles Herkommen,
aus einem Buche, wie das vorliegende, 101 Sätze herauszureissen
und mit Emphase in einer übrigens formell höchst misslungenen Weise
zu präscribiren. Aber für die Kirche der Jesuiten ist die Bulle
Unigenitus von unschätzbarem AVerthe geworden; denn mit dieser
Bulle in der Hand haben sie alle Ansätze zu einer inneren Regenerirung
der Kirche zu bekämpfen vermocht, und auch in Zukunft wird diese
Kundgebung des unfehlbaren Papstes die besten Dienste leisten können,
wenn der nie ganz zu ertödtende Augustin und Paulus den Frieden
der Kirche je wieder zu erschüttern wagen sollten ^ Zunächst rief
* Die Constitution bei Denzinger S. 243 £f. Diese letzte grosse dogmatische
Kundgebung der römischen Kirche ist in jeder Hinsicht ein trauriges Machwerk.
Sie zeigt vor Allem auch den Leichtsinn, mit dem man gegenüber der zum corpus
vile gewordenen Dogmatik (im engeren Sinn) verfahren ist. Charakteristisch ist,
dass man sich hier wie anderwärts — es war das schon Gewohnheit geworden —
nur noch auf negative Sätze eingelassen hat. Die Kirche giebt auf dem „dornenvollen
Clebiete der Gnadenlehre" nur noch an, was man nicht glauben darf. Ob zwischen
den Gegensätzen, die verworfen werden, überhaupt noch etwas nachbleibt, was g e-
gl aubt werden kann oder des Glaubens würdig ist, das kümmert sie wenig. That-
sächlich ist in der Constitution eine Glaubenslehre zum Ausdruck gekommen, die
nicht mehr Glaub e ist, sondern kluge Moral: Unter den verworfenen Thesen seien
folgende hervorgehoben: These 2: „Jesu Christi gratia, principium efficax boni
cuiuscumque generis, necessaria est ad omne opus l)onum; absque illa non solum
nihil fit, sed nee fieri potest." 3: „In vanum, domine praecipis, si tu ipse non das,
quod praecipis" (dies ist eine runde Verdammung Augustin's). 4: „Ita, domine,
omnia possibilia sunt ei, cui omnia possibilia facis, eadem operando in illo." Dazu
These 5 — 7, These 8: „Nos non pertinemus ad novum foedus, nisi in quantum par-
ticipes sumus ipsius novae gratiae, quae in nobis operatur id, quod deus nobis prae-
cipit." 9: „Gratia Christi est gratia suprema, sine qua confiteri Christum nunquam
possumus, et cum qua nunquam illuin abnegamus.** 26: „Nullae dantur gratiae nisi
per fidem." 27 : „Fides est prima gratia et fons omnium aliarum." 28 : „Prima gratia,
quam deus concedit x>eccatori, est peccatorum remissio." 38: „Peccator non est
liber, nisi ad malum, sine gratia liberatoris." 40: „Sine gratia nihil amare possumus,
nisi ad nostram condemnationem." 42: „Sola gratia Christi reddit hominem aptum
ad sacrificium fidei." 44: „Non sunt nisi duo amores" (seil. Gottes- und Selbstliebe).
46: „Cupiditas aut Caritas usum sensuum bonum vel malum faciunt." 49: „Utnullum
peccatum est sine amore nostri, ita nullum est opus bonum sine amore dei." 60 : „Si
Holus supplicii timor animat paenitentiam, (pio haec est magis vicdenta, eo magis
ducit ad dps]>erationem." 62: „Qui a malo non abstinet nisi timore poenae, illud
committit in corde suo et iam est reus coram deo." 68: „Dei ])onitas abbreviavit
viam salutis, claudendo totum in fide et precibus." 69: „Fides ost donum purae
liberalitatis dei." 73 : „Q,uid est ecclesia nisi coetus filiorum dei, manentium in eius
sinu, adoptatorum in Christo, subsistentium in eius persona, redemptorum eius
sanguine, viventium fius spiritu, agentium per eius gratiam, et exspectantium
gratiam futuri saeculi?" 74: „Ecclesia sive integer Christus incarnatum verbum
038 Die Auspfände des Dogmas im römischen Katholicismus.
die Bewegung eine neue grosse Krisis in Frankreich — es ist die
letzte — liervor. Alles, was noch Prönnuigkeit und Scham hatte,
erhob sich. Acceptanten und Appellanten standen sich gegenüher.
Aher die Ai)pellanten waren keine Hugenotten, sondern Katholiken,
denen hei jeder Auflehnung wider den Papst doch das Gewissen
schlug. So wandelte sich der Widerspruch nach dem Gesetz, nacli
welchem er sich auch im Mittelalter stets gewandelt hat — in Unter-
werfung und in Schwärmerei und Ekstase. Der eherne Ring des
Katholicismus gestattet kein Ausweichen zur Seite. Vermag man
sich nicht über ihn zu erheben, so ist jene Verzweiflung die Folge,
die sich mit geschändetem (jewissen unterwirft oder in wilde Schwär-
merei aus1)richt. Man liest bei Denzinger als Anmerkung zur
Bulle Unigenitus den trockenen historischen Bericht: „Haec consti-
tutio dogmatica confirmata est ab ipso Clemente XI. per bullam
»Pastoralis Officii« 5. Cal. Sept. 1718 contra Appellantes, in qua
quoscumque catholicos, (jui bullam »Unigenitus« non susciperent,
a Romanae ecclesiae sinu plane aHenos declarat*, ab Innocentio XTII.
decret. d. 8. Jan. 1722, a Benedicto XIIT. et synodo Romana 1725,
a Benedicto XIV. per encycHcam »Ex omnibus Christiani orbis
regionibus« 16. Oct. 1756, suscepta est a clero Gallicano in comitiis
habet ut capnt, omnes vere fanctos ut meml)rn." These 79 — 86 verdammen den
allgemeinen (lehrauch der hl. Schrift. 91 : „Excommunicationis iniustae metus nun-
quam dehet nos impedire ab implendo debito nostro; nunquam eximus ab ecclesia,
etiam quando hominum nequitia videmur ab ea expulsi, quando deo, Jesu Christo
atque ipsi ecclesiae per caritatem affixi sumus", cf. 92. These 94 : „Nihil peioreni
de ecclesia opinionem iugerit eins inimicis, quam videre illic dominatum exerceri
supra fidem fidelium, et foveri divisiones propter res, quae nee fidem laedunt nee
mores." 97 : „Nimis saepe contingit, membra illa, quae magis sancte ac magis stricte
unita ecclesiae sunt, respici atque tractari tamquam indigna, ut sint in ecclesia, vel
tamquam ab ea separata, scd iustus vivit ex fide et non ex opinione hominum." Es
braucht wohl nicht erst besonders hervorgehoben zu werden, dass selbst die Jesuiten
diese und ähnliche Sätze nicht hätten Öffentlich verdammen können, wenn Quesnel
nicht an einigen Stellen auch jenem Augustinismus Ausdruck gegeben hätte, nach
welchem die Gnade Gottes in seiner Allwirksamkeit verschwindet. Von dieser Be-
trachtung aus, die am Ende und am Anfang des Augustinismus lauert, konnte man
dann alle Sätze beleuchten und für häretisch erklären. Ja man kann noch einen
Schritt weiter gehen. Zersetzt der consequente Augustinismus nicht wirklich die
Kirche? Es musste endlich zu Tage treten, dass man vor dem Dilemma stand, eine
Kirche mit Luther, oder mit den nominalistisch-jesuitischen Lehrern zu bauen.
Der Augustinismus hat ein Element in sich, welches alle Kirche zerstört. Darum
haben jene doctores perspicuiores gesiegt, welche nachwiesen, dass Christus eine
Anstalt hinterlassen hal)e, deren erfreulichste Thätigkeit darin besteht, auch der
schwächlichsten Moral für das Opfer des (Jehorsams die höchsten Verdienste zu
verschaffen.
1
Der Nieder^an^ des Augustinismus im 18. und 19, Jahrhundert. 639
1723, 1726, 1730, a conciliis Avenionensi 1725, ab Ebredunensi 1727,
et ab universo mundo catholico." Der Verfasser hätte hinzu-
fügen können, dass diese Confirmationen und Reeeptionen die Ge-
schichte des Siegs der modernen jesuitischen Dogmatik über die
augustinische darstellen, dass sie das letzte Wort der katho-
lischen Dogmengeschichte sind (im Sinne der Glaubenslehre),
und dass sie zugleich den Triumph der Kirche über unzählige Ge-
wissen, ja über die Frömmigkeit in Frankreich bedeuten. Die Hu-
genotten waren ausgewiesen, die Jansenisten gebrochen oder vernichtet:
das französische Volk gehörte jetzt den Encyklopädisten und Voltaire.
Es hasste die Jesuiten; allein da man wohl die Gottesfurcht aus-
treiben kann, nicht aber die Gottesangst, so gehörte dieses Volk
fortab eben jener jesuitischen Kirche, die es hasste und verspottete.
Uebrigens hat Benedict XIV. (1756) die Zügel der Constitution
Unigenitus gelockert. Jeder sollte als Katholik gelten, der sich nicht
wider sie öffentlich auflehnte. Allein dieser Erlass kam erst, als
die Bulle schon ihr Werk gethan hatte, und er diente nur dazu,
den gebrochenen Seelen den Rückzug zu erleichtern, als man nicht
mehr befürchten musste, sie könnten unbequem werden. Jansenistische
Geistliche hat es in Frankreich auch fernerhin gegeben, wie es galli-
kanische gegeben hat-, aber jene bedeuteten viel weniger als diese.
Der Jansenismus ist schon im 18. Jahrhundert als Factor vernichtet
worden, der Gallikanismus erst im 19. Unter der Regierung Pius' IX.
hielt man es noch für nöthig, die letzten Trümmer beider Richtungen
aufzuspüren und bei Seite zu schaffen. Gleichzeitig setzte das neue
Dogma von der unbefleckten Empfängniss Maria's ((Constitution „In-
efifabihs deus" v. 8. Dec. 1854) das Siegel auf die Verwerfung der
augustinisch-thomistischen Sünden- und Gnadenlehre '. Augustinismus
* Die Katholikon brauchen wenig Anstoss daran zu nehmen, dass Maria von
der Erbsünde frei sein soll; denn was ist ihnen die Erbsünde? Dagegen zeigt sich
eine dreiste »Stirn in dern hundertfach wiederholten apologetischen Kunstgriff gegen-
über dem Protestantismus: „Ihr modernen Menschen dürft am wenigsten Anstoss
an unserem Dogma nehmen ; denn ihr glaubt ja überhaupt nicht an die Erbsünde".
Die Aufstellung des neuen Dogmas im .Tahre 1854 hatte den dreifachen Zweck, 1) das
Vaticanum vorzubereiten, 2) der thomistischen Sünden- und Gnadenlehre den letzten
Stoss zu geben, 3) die Maria zu verherrlichen, welcher Pius IX. eine ausschweifende
Verehrung widmete. Das neue Dogma lautet (Denzinger p. 324): „Defmimus
doctrinam, (juae tenet, beatissimam virginem Mariam in primo instanti suac con-
coptionis fuisse J^ingulari omnipotentis dei gratia et privilegio, intuitu meritorum
CJhristi Jesu salvatoris humani generis, ab omni originalis culpae labe i)raes(n'vataiii
immunem, esse a deo revelatam (wann? wein?) atrpic idcirco ab omnibus fidelibus
firmitf-r constanterque credendani."
G40 Hip Aus»ange ^les Dop^maa im römischen Katholicismus.
ist fortab in der römischen Kirche kaum mehr möghch; aber jene
Mystik liisst sich allerdings nicht verbannen; die bald Quietisnuis, bald
„Aftermystik" genannt wird; denn die Kirche giebt zur Entstehung
dieses Ohristenthums immerfort Antriebe und kann es schlechterdings
nicht vermeiden, es bis zu einem gewissen Punkt selbst gross zu
ziehen'. Docli hat der Jesuitenorden nicht fruchtlose Anstrengungen
gemacht, den unverwüstliclien Zug zur Innerlichkeit, Beschaulichkeit
und christlichen Selbständigkeit durch sinnliche Mittel aller Art,
durch Spielsachen und Wunder, sowie durch Bruderschaften, Exer-
citien und (lebetsübungen zu bescliäftigen und dabei am Seile der
Kirche zu halten. Die „Aftermystik", welche das Kirchentimm eben
nur erträgt, scheint immer seltener zu werden, weil man eben gelernt
hat, ihr die Kirche wohnlich zu machen, und sie selbst hat ja leider
als katholische einen eingeborenen Zug zur religiösen Genusssucht
und zum ]\firakel. Der herrliche Aufschwung und die hohe Intuition
der Erweckten in unserem Jahrhundert endete bei Anna Katharina
Emmerich und dem heihgen Rock zu Trier ^.
3. Der Kampf um den Probabilismus gehört in die Greschichte
der Ethik. Aber Ethik und Dogmatik lassen sich nicht trennen.
Der juristisch-casuistische Geist der römischen Kirche hatte schon
im Mittelalter die Ethik und mit ihr die Dogmatik auf das Un-
günstigste beeinflusst. Die nominalistische Theologie besass eine ihrer
starken Wurzeln in der juristischen Casuistik, d. h. im Probabilismus.
Die Jesuiten haben sie aufgenommen und in einer Weise cultivirt.
^ Hier empfähle es sich, auf die der jansenistischen Bewegung parallele
quietistische Bewegung, auf Molinos, die (luyon, den Streit zwischen Bossuet
und Fenelon, die Propositioues LXVIII M. de Molinos damnatae ab Inuoceutio XI.
(„Coelestis Pastor" 1687) und die katholisch-mystischen Bewegungen des 19. Jahr-
hunderts einzugehen; allein sie haben kein greifbares dogmengeschichtliches Re-
sultat gehal)t. Auch gestattet die Kirche den schlimmsten quietistischen Unfug den
Mönchen und selbst den Laien, wenn derselbe nicht souveräne Ansprüche stellt,
sondern ad maiorem ecclesiae gloriam verläuft. Somit handelt es sich hier nicht
um Principien.
^ Dennoch ist selbst in dem Herz-.Tesu-Kultus, dem Mariendienst etc. ein
Segen, wo sie mit Demuth und im Aufhlick zu dem (lott, welcher erlöst, getrieben
werden. Da sie das Einzige sind, in welchem die Frömmigkeit lebendig ist, so
rettet sich auch aufrichtiger christlicher Sinn in diese Dinge; denn an der Kirche,
welche mit den Staaten auf gleichem Fiisse verkehrt und sie düpirt, kann sich die
Frömmigkeit doch nicht belelien. Wie das Herz, welches zu Gott strebt, durch
Lehrformeln nicht gehemmt werden kann , sondern auch das Fremdeste sich zum
Tröste umzubiegen vermag, so kann derselbe Sinn auch nicht durch Idole erstickt
werden, sondern verwandelt dieselben in das Gnadenzeichen des Gottes, der in
allen Zeichen nichts Anderes offenbart als seine erneuernde Gnade.
Der Probabilismus. 641
die einige Male selbst die Päpste, ja ihre eigenen Ordensglieder in
Schrecken gesetzt hat ^ Man wird vielleicht den Jesuiten keine ein-
zige morahsche Ungeheuerlichkeit nachweisen können, die nicht schon
ein mittelalterlicher Casuist aus den Bettelorden ausgesprochen hätte ;
aber der Jesuitenorden hat die weltgeschichtliche Verantwortung auf
sich geladen, das systematisirt und in der Kirche durchgesetzt zu
haben, was vor seiner Zeit nur in unsicheren Versuchen vorhanden
und durch starke Gegenwirkungen gehemmt war. Dieser Orden hat
mit Hülfe des ProbabiHsmus fast alle Todsünden in lässliche Sünden
umgewandelt. Er hat fort und fort Anweisungen gegeben, im Schmutze
zu wühlen, die Gewissen zu verwirren und im Beichtstuhl Sünde
durch Sünde zu tilgen. Die umfangreichen ethischen Handbücher
der Jesuiten sind zum Theil Monstra von Scheusslichkeit und Fund-
gruben zur Entdeckung entsetzlicher Sünden und schmutziger Ge-
wohnheiten, deren Beschreibung und Behandlung einen Schrei des
Entsetzens hervorruft. Mit eherner Stirn wird hier das Fürchter-
lichste von unbeweibten Priestern als Kennern behandelt, nicht um
mit der Kraft der Propheten auf die Last des Greuels eine schwerere
Last des Gerichts herabzurufen, sondern um oft genug das Schimpf-
lichste als verzeihlich darzustellen und den ruchlosesten Verbrechern
einen Weg zu zeigen, auf welchem sie noch immer den Frieden der
Kirche erlangen können. Man sagt uns, dass es persönlich untadelige,
höchst ehrenhafte, ja heihge Männer gewesen seien, welche die em-
pörendsten beichtväterlichen Rathschläge zur Ermittelung der ekel-
haftesten Gestalten des Lasters und zur klugen Beruhigung der
Gewissen über Ehebruch, Diebstahl, Meineid und Mord gegeben
haben. Sie mögen es gewesen sein; treffliche Christen hat es gewiss
auch unter dieser Kutte gegeben. Aber um viel grösser erscheint
dann die verwirrende Kraft des Rehgionssystems , dem sie dienten,
wenn dasselbe im Stande war eine solche Zuchtlosigkeit der Ge-
danken und eine solche diabolische Beurtheilung der sittlichen Grund-
sätze und der Gemeinheiten ihrer Mitmenschen zu erzeugen ! Und
das Alles im Namen Christi, die Beschwichtigungen als Ertrag seines
Kreuzestodes, und — fast noch sclilimmer — in maiorem gloriam
ecolesiae! denn das Interesse, den äusseren Umfang und die Macht
des Kirchenthums zu erhalten und zu verstärken, liegt — Niemand
kann es verkennen — diesem System der Sittenlosigkeit mit zu
Grunde. Die einzige Entschuldigung, wenn es eine solche liier geben
' S. Döllingcr u. Keusch, Gesch. der Moralstreitijrkeiten in der römisch-
katlioli^ehen Kirclie «eit (Icm Ifl. .laliilmrulort 2 Kdd. 1889, vfrl. Theol. Litt..-Zt^.
1889 Col. 334.
II a I- n a c k , iJogmengeschichte III. 41
642 f^io Ausgänge des Dogfmas im römischen Katholicismus.
kann, ist die * , dass jenes casiiistische Vorfahren schon eine lange
Geschichte in der Kirche gehabt hat, als die Jesuiten es zur Methode
der gesammten Seelenleitung, sowie der theoretischen und praktischen
Ausgestaltung der Rehgion überhaupt erlioben. Wie ein gewohnheits-
raässiges Gute dieses um seine Kraft zu bringen vermag, so vermag aucli
ein gewohnheitsmässiges Schhmmo den Einzelnen über die in ihm
steckende Macht desirrthums und der Sünde zu täuschen. Könnte man
doch sagen, dass diese jesuitische Moral der Geschichte angehört und
nicht dem System! Vieles von dem Empörendsten ist wirklicli ab-
gefallen, und dass sich selbst ernster und menschenliebender Sinn in
die traurigen Mysterien der beichtväterhchen Anweisungen zu ver-
stricken vermocht hat, soll nicht geleugnet werden. Aber die Me-
thode ist unverändert geblieben, und sie übt heute ihre verheerende
Wirkung auf die Dogmatik und Ethik, auf die Gewissen der Beicht-
väter und der Beichtkinder, vielleicht in schlimmerem Masse aus, als
zu irgend einer Zeit. Seit dem 17. Jahrhundert ist in der katho-
lischen Kirche die Sündenvergebung vielfach zu einer raffinirten
Kunst geworden : man lernt das Beichtehören und das zw^eckmässige
Absolviren, wie man die Kunst des Börsenspiels lernt. Und den-
noch — wie unverwüsthch ist diese Kirche, und wie unverwüstlich
ist ein Gewissen, das seinen Gott sucht! Es vermag ihn selbst am
Idol zu finden, und es hört seine Stimme sogar dort heraus, wo alle
Töne der Hölle mitklingen!
Der spanische Dominikaner Bartholomäus de Medina ist es
zuerst gewesen, der in seinem Commentar zu Thomas' Prima Secundae
(1577) den Probabilismus „wissenschaftlich" dargelegt und vertheidigt
hat. Die Sache existirte längst, aber die Formel hatte noch Niemand
gefunden. Sie lautete: „Si est opinio probabilis, licitum est eam sequi,
licet opposita sit probabilior" ^. Selten hat ein Wort im Moment so
gezündet und so gewaltig fortgewirkt, wie dieses : es war die Befreiung
der Moral von der Moral, der Rehgion von der Religion im Namen der
Moral und Religion. Viele spanische Dominikaner — also Thomisten!
— und Augustiner ergriffen die neue Losung sofort, und bereits im
letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts konnten mehrere Theologen,
I
* Oder darf man bei einigen der schlimmsten Sätze annehmen, dass sie das Er-
zeugniss eines verwegenen casuistischen Sports sind, der nie praktische Bedeutmig
gehabt hat? Jedenfalls gilt diese Auskunft bei einigen sehr schlimmen beicht-
väterlichen Rathschlägen nicht ; denn die Geschichte lehrt, dass sie in That um-
gesetzt worden sind? Oder sind dem Papste übertriebene Berichte zugegangen?
Leider ist auch dies nicht leicht zu erweisen.
'^ Döllinger u. Reusch, S. 28 ff.
I
Der Probabilismus. 643
darunter der Jesuit Gabriel Vasquez, schreiben, der Probabilis-
mus sei die bei den zeitgenössischen Theologen herr-
schende Ansicht K Von da ab bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
überwucherte der Probabilismus das gesammte Gebiet des kirchlichen
Lebens ungestört. Auf dem Gebiete des Glaubens zeigte er seine zer-
störenden Folgen 1) in dem „Laxismus" in Bezug auf die Spendung
der Absolution, 2) in dem „ Attritionismus", d. h. in der Annahme, dass
bereits die Furcht vor der Hölle genüge, um die Sündenvergebung in
dem Busssacrament zu erhalten, die Gottesliebe also nicht nöthig sei.
Dominikaner macliten in beiden Stücken gemeinsame Sache mit den
Jesuiten zum Beweise, dass die Yertheidigung ihrer thomistischen
Gnadenlehre ihnen nur noch aufgezwungene Ordenspflicht war, aber
nicht mehr einem inneren Antheil an der Sache entsprang. Welche
Früchte der von den Päpsten ruhig geduldete Probabilismus bis zur
Mitte des 17. Jahrhunderts gezeitigt hat, das ist uns jüngst in schlichter,
aber erschütternder Darstellung gezeigt worden^. Da erhob sich in
Frankreich der Jansenismus. Der Feind, gegen den er aufstand, war
in noch höherem Grade als der Semipelagianismus der jesuitische Pro-
babilismus. Gegen ihn erhob Pascal seine Stimme : die Provincialbriefe
sind der furchtbarste Angriff, den je eine herrschende kirchliche
Partei in der Geschichte erfahren hat. Es ist nicht schwer, dem grossen
Manne rhetorische Künste nachzuweisen — er ist Franzose und Katho-
hk; man darf von ihm nicht verlangen, dass er hätte schreiben sollen,
wie Luther im Jahre 1520 geschrieben hat; aber in ihrer Art sind die
Briefe vollendet. „Dass im Anfange der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts
ein Umschwung eintrat und der Probabilismus aufliörte, die herrschende
Ansicht zu sein, ist in erster Linie das Verdienst Pascal's — und der un-
geschickten Versuche der Jesuiten, seine 1656 erschienenen Briefe
zu widerlegen — und seiner Freunde , namentlicli Arnauld's und
Nicole's" \
Nun erfolgte ein mehr als ein halbes Jahrhundort währender Kampf,
der mit einer fortschreitenden Zurückdrängung des Probabilismus zu
endigen schient Schon Lmocenz X. und Alexander VIL verboten eine
* Nicht allo .Tosuiten huldigten ilim sofort; Bcllarmin z. B. war ihm niclit
günstig. Wie sich die Jesuiten zu dieser Thatsache stellen, darül)er s. a. a, O. 8. 31 f.
2 A. a. 0. S. 97—120.
» A.a.O. S. 35 f.
* Es bildete sich nun (m'iic R(!ilie von Spif'larton aus. Von der laxesten an-
gefangen bis zur strengsten sind es folgende: 1) der minder sicheren Meinung darf
man auch dann folgen, wenn sie nur tcnuitcr, Ja sogar wenn sie nur dubie oder pro-
ba}>iliter [»roljal^ilis ist, also wenn nur irgenri wehtlie fiiünde für sie s))rechen oder
wenn es nicht gewiss ist, dass keine Gründe für sie sprechen (laxester
41*
644 Piß Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismiis.
Reihe laxer moral theologischer Bücher theils unbedingt, theils „donec
con-igantur". Der Letztere wollte sogar eine Bulle gegen den Proba-
bilismus veröffenthchen. Allein er begnügte sich damit, im Jahre 1665
und 1666 eine Reihe der schlimmsten Sätze der Casuisten zu verur-
theilen* und in Bezug auf den Attritionismus den bereits gewohnten
Ausweg zu dictiren, dass die streitenden Parteien sich nicht gegenseitig
verdammen dürften, bis der hl. Stuhl in dieser Sache etwas entschieden
habe'^. Sein Nachfolger Innocenz XI. verdammte im Jahre 1679 65
weitere Sätze der Probabihsten, unter denen sich wahre Bubenstücke
finden ^. Man muss diese verworfenen Sätze studiren, um zu erkennen,
Probahilismus), 2) man darf der minder sicheren Meinung folgen, auch wenn sie
minder probabel ist, wenn sie nur auf gute Gründe gestützt werden kann (echter
Probabilismus), 3) man darf der minder sicheren Meinung nur folgen, wenn sie bei-
nahe ebenso probabel ist wie die entgegengesetzte (rigo ristischer Probabilismus),
4) man darf der minder sicheren Meinung folgen, wenn sie e])enso probabel ist wie die
sicherere (Aequiprobabil Ismus), 5) der sicheren Meinung darf man folgen, auch w^enn
sie minder probabel ist; der minder sicheren Meinung darf man nur dann folgen,
wenn sie probabler ist als die entgegengesetzte (Probabiliorismus), 6) der minder
sicheren Meinung darf man nur folgen, wenn sie die probabelste unter allen ist (laxer
Tutiorismus) , 7) der minder sicheren Meinung darf man nie folgen, auch wenn sie
die probabelste ist, d. h. jede Handlung ist im Zweifelfalle zu unterlassen; das Ge-
wissen hat stets den Ausschlag zu geben, auch wenn die probabelsten Gründe gegen
das sprechen, was als Pflicht erscheint (strenger Tutiorismus); s. a. a. 0. S. 4 Ü\
Die letztere Ansicht, welche allein sittlich ist, gilt als Rigorismus und ist von
Alexander VUI. am 7. Dec. 1690 ausdrücklich verdammt worden (s. Denzinger
p. 236: „Non licet sequi opinionem vel inter probabiles probabilissimam"). Dieses
monströse Feilschen um die sittlichen Principien erinnert frappant an die Methode
der Talmudisten und ist auch inhaltlich, wie noch heute die Moral Gury 's beweist,
zu denselben Sätzen gelangt. Wahrscheinlich ist das nicht zufällig; denn diese
Methode hat im 13. Jahrhundert ihren Anfang genommen, d. h. in einer Zeit, in
der nachweisbar das Judenthum auf die Bettelorden-Theologen (s. oben S. 516:
Ablässe) eingewirkt hat.
^ S. Denzinger p. 213 f. Ich verzichte darauf, diese scheusslichen Thesen
abzudrucken, verweise aber auf die 1. 2. 6. 15. 17. 18. 24. 25. 26. 28.40. 41.
^ Decret vom 5. Mai 1667 bei Denzinger p. 217: „de materia attritionis non
audeant alicuius theologicae censurae alteriusve iniuriae aut contumeliae nota taxare
alterutram sententiam, sive negantem necessitatem aliqualis dilectionis dei in prae-
fata attritione ex metu gehennae concepta, quae hodie inter scholasticos communior
videtur, sive asserentem dictae dilectionis necessitatem, donec ab hac sancta sede
fuerit aliquid hac in re definitum."
^Denzinger p. 218 f.; man müsste sie alle aufzählen und ausschreiben, um
ein Bild von dieser sittlichen Verwahrlosung zu geben. Ich begnüge mich damit,
die den Glauben betreffenden anzuführen: 4: „Ab infidelitate excusabitur infidelis
non credens, ductus opinione minus probabili." 5: „An peccet mortaliter, (jui actum
dilectionis dei semel tantum in vita eliceret, condenmare non audemus." 6: „Pin-
babile est, ne singulis (|uidem rigorose quinciuenniis per se obligare pmecei^tutn
Der Probabilismus. 645
dass sowohl die Moral als die Unmoral des 18. Jahrhunderts bei den
romanischen Völkern eine ihrer stärksten "Wurzeln an der Jesuiten-
doctrin gehabt hat. Aber sie war schlimmer als beide ; sie suchte zu
zeigen, dass der gemeine Moralcodex der gebildeten Gesellschaft in dem
Zeitalter Ludwig's XIY. das positive Christenthum sei, sobald man nur
den Zusammenhang mit der Kirche (vermittelst des Beichtstuhls) nicht
aufgebe. Doch das Schlimmste schien nun durch die Verfügungen der
Päpste, durch die Klagen der besten Franzosen, durch die Proteste
vieler Mönche, ja ganzer Orden abgewehrt. Im Jesuitenorden selbst
erhob sich ThyrsusGonzalez wider die probabilistische Lehre. Und
caritatis erga deum." 7: „Tunc solum obligat, quando tenemur iustificari, et non
habemus aliam viam, qua iustificari possimus." 10: „Non tenemur proximum
diligere actu interno et formali." 11: „Praecepto proximum diligendi satisfacere
possumus per solos actus extemos." 17 : „Satis est actum fidei semel in vita elicere."
19: „Voluntas non potest efficere, ut assensus fidei in seipso sit magis firmus, quam
mereatur pondus rationum ad assensum impellentium." 20: „Hinc potest quis pru-
denter repudiare assensum, quem habebat, supernaturalem." 21: „Assensus fidei
supernaturalis et utilis ad salutem stat cum notitia solum probabili revelationis, imo
cum formidine, qua quis formidet, ne non sit locutus deus." 22: „Nonnisi fides
unius dei necessaria videtur necessitate medii, non autem cxplicita remuneratoris."
23 : „Fides late dicta, ex testiraonio creaturarum similive motivo ad iustificationem
sufficit." 56 : „Frequens confessio et communio, etiam in bis, qui gentiliter vivunt,
est nota praedestinationis." 57 : „Probabile est sufficere attritionem naturalem,
modo honestam." 58: „Non tenemur confessario interroganti fateri peccati ali-
cuius consuetudinem." 60 : „Paenitenti habenti consuctudinem peccandi contra
legem dei, naturae aut ecclesiae, etsi emendationis spes nulla appareat, nee est neganda
nee differenda absolutio, dumraodo ore proferat, se dolore et proponere emenda-
tionem." 61: „Potest aliquando absolvi, qui in proxima occasione peccandi versa-
tur, quam potest et non vult omittere, quinimo directe et ex proposito quaerit aut
ei 88 ingerit." 62 : „Proxima occasio peccandi non est fugienda, quando causa aliqua
utilis aut honesta non fugiendi occurrit." 63 : „Licitum est quaerere directe occa-
sionem proximam peccandi, pro bono spirituali vel tcmporali nostro vcl proximo."
64: „Absolutionis capax est homo, quantumvis laboret ignorantia
mysteriorum fidei, et etiamsi per negligentiam etiam culpabilem
nesciat mysterium sanctissimae trinitatis et incarnationis domini
nostri Jesu Christi." 65: „Sufficit illa mystcria semel credidisse."
Wenn dies kein förmlicher „Ausgang" des Dogmas ist, so giebt es einen solchen
überhaupt nicht. "Was half es, dass Innocenz diese einzelne These verwarf, wenn sie
doch Ausdruck einer Gesammtanschauung ist, die niemals von den Päpsten ver-
worfen worden ist? Zur 61. These ist zu bemerken, dass Tamburini sogar dem
Beichtvater den liath crtheilt: „Wenn du wahrnimmst, dass dein Pönitent einer
Sünde sehr ergeben ist, so fordere von ihm nicht einen Act der Reue über diese
spccielle »Sünde; denn es ist Gefahr vorhanden, dass er dieselbe, wenn er ausdrück-
lich daran erinnert wird, nicht von Herzen verabscheuen werde, während er keine
oder geringem Schwierigkeit haben wird, sie im Allgemeinen und mit den anderen
Sünden zusammen zu verabscheuen" (DüUinger u. Keusch 8. 63 f.).
646 r)ie AuBgäuge des Dogmas im römischen Katholicismus.
gelang es seinen Oonfratres auch, obgleich Gonzalez ihr General ge-
worden war (1687), sein grosses AVerk gegen den Probabilismus zu
castriren, bevor es erscheinen durfte (1694), so war doch die Kraft des-
selben am Anfang des 18. Jahrhunderts gebrochen', zumal nachdem
noch Alexander Vlll. in seinem Decrete vom August 1690 zwei der
schlimmsten Sätze der Probabilisten (über die philosophische Sünde)
verworfen hatte ^ . Allein im letzten Grunde waren Jansenismus und
Antiprobabilismus solidarisch. Schlug man den ersteren nieder (Con-
stitutio Unigenitus), so war es nur eine Frage der Zeit, dass der Pro-
babilismus wieder sein Haupt erhob. Und in der Lehre von der Attritio
hatten es die Päpste ja nur bis zur Neutralität gebracht. Was half es
also, dass im französischen Klerus und sonst — Spanien ausgenommen
— in der ersten Hälfte und in der Mitte des 18. Jahrhunderts derPro-
babiHorismus herrschte : aus der Quelle des Attritionismus musste der
Probabilismus von Neuem hervorbrechen. „In demselben Augenblick,
in welchem die Gesellschaft Jesu vernichtet wurde, erweckte Gott dem
Probabilismus einen neuen Vorkämpfer und sicherte ihr für die Zukunft
einen Triumph, auf den man nach menschlicher Voraussicht nicht hätte
rechnen können" — den Stifter der Redemptoristen Alphon s Liguori
(1699 — 1787), den einflussreichsten römischen Theologen seit den Tagen
der Contrareformation. Liguori, der selige (1816), der heilige (1829),
der Lehrer der Kirche (1871), ist das wahre Gegenbild zu Luther, und
er ist im modernen Katholicismus an die Stelle Augustinus
getreten^. Zeitlebens ein „ruheloser Skrupulant" und rigider Asketiker
haben ihn alle Zweifel und alle Selbstpeinigungen nur immer tiefer in
die Ueberzeugung verstrickt^ dass jedes Gewissen nur in der absoluten
Autorität eines Beichtvaters Ruhe finden könne, dass aber der Beicht-
vater das heilige Gesetz Gottes nach den Grundsätzen des Aequiproba-
bilismus — in der Anwendung Liguori's unterscheidet er sich nicht
vom Probabilismus — anzuwenden habe. Der vollendete ethische
Skepticismus ist durch Liguori in der Moral und indirect in der Dog-
matik wieder aufgerichtet worden. Bleibt Liguori auch hinter den
schamlosesten ProbabiHsten des 17. Jahrhunderts zurück, so hat er doch
ihre Methode völHg acceptirt und in einer Unzahl von Fragen bis zum
^ Die Gonzalez betreffenden Partieen sind in dem von Döllinger u. Reusch
herausgegebenen Werk besonders ausführlich behandelt.
2 Dcnzinger p. 235 f. In dem Decrete vom Dec. 1690 sind freihch wiederum
sehr treffliche Sätze verdammt (gegen den Jansenismus, aber sie kamen den Fro-
babilisten zu Gut); s. d. 3. 5. — 9. 10. — 15. (14: „timor gehennae non est supernatu-
ralis"). 26: „Laus quae defertur Mariae ut Mariae vana est.**
' Vgl. den lehrreichen Abschnitt bei Döllinger u. Reusch S. 356 — 476.
Das Vaticanum. 647
Ehebruch, Meineid und Mord das Ruchlose in das LässHche zu ver-
wandeln verstanden. Kein Pascal erhob sich im 19. Jahrhundert wider
ihn; vielmehr von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stieg die Autorität Liguori's,
des neuen Augustin, und heute herrscht er in allen Orden, in allen
Seminarien, in allen Lehrbüchern ^ Was sich von Resten des Augustinis-
mus noch in das 19. Jahrhundert hinübergerettet hat, das hat Liguori
verdrängt. Die casuistische Moral mitsammt dem Attritionismus hat die
gesammte Dogmatik in den Hintergrund geschoben. Probabilismus
und Papalismus haben sie zersetzt : sie ist heute eine je nach Bedarf
starre oder elastische Rechtsordnung ^ — ein Gefängniss, aus dem man
nicht befreit wird, bis man den letzten Heller bezahlt hat, wenn es dem
Interesse der Kirche entspricht, und wiederum ein Gebäude, in das
man niemals einzutreten braucht, wenn man sich nur der Kirche ver-
pflichtet.
8. Das Vaticanum.
Nach dem, was in den vorstehenden beiden Abschnitten aus-
geführt ist, muss die Proclamirung der päpstlichen Unfehlbarkeit als
die nothwendige Frucht der Entwickelung erscheinen. Wenn alle
Autoritäten, die Autorität der Bischöfe, die Autorität der Concilien,
die Autorität der Tradition, die Autorität Augustinus, die Autorität
der Gewissen, niedergerissen werden, muss in einer Kjrche, die auf
Autorität gegründet ist, eine neue Autorität auferstehen. Jenes Ge-
schäft des Niederreissens konnte nur desshalb so siegreich von Statten
gehen, weil man die neue einzige Autorität längst in petto hatte und
* Man vergleiche das gebrauchteste Lehrbuch von Gury.
' Diese beliebige Ausbeutung gegebener Factoren zeigt sich in den zahlreichen
Entscheidungen der Curie in Bezug auf theologische Streitigkeiten des 19, Jahrhun-
derts, namentlich in Deutschland, aber auch in Frankreich; man vergleiche die von
Denzinger abgedruckten Actenstückc, Lamennais (p. 310 f. 311 f.), Hermes
(p. 317 f. 321 f.), Bautain (p. 319 f.), die Traditionalisten (p. 328 f.), Günther
(p. 329 f. 330 f. 331 f.), Frohschammer und andere deutsche Theologen (p. 332 f.
338 f.) betreffend. Am interessantesten sind die Thesen gegen den „Traditionalis-
mus", d. h. gegen den Glauben, vom 11. Juni 1855 (p. 328 f.). Hier wird Folgendes
gelehrt: „Ratiocinatio dei existentiam, animae spiritualitatem, hominis libertatem
cum certitudine probare potest. Fides posterior est rcvelatione, proindeque ad
probandum dei existentiam contra athcum, ad probandum animae rationalis spiri-
tualitatem ac libertatem contra naturalismi ac fatalismi sectatorem allegari con-
venientcr nequit." „Ration is usus fidem pracccdit et ad eam hominem ope revelatio-
nis et gratiae conducit." „Methodus ((ua usi sunt Thomas, Bonaventura et alii
post ipsos scholastici non ad rationalismum ducit nequc causa fuit, cur apud scholas
hodicmas philoKophia in naturalismum et pantheismum impingcret." Die Vernunft
wird ausgespielt, wenn man sie bedarf und a})gedankt, wenn sie stört. Das Gleiche
geschieht der hl, Schrift, der Tradition und dem Glauben.
()48 I^ie Ausgänge des Dogmas im römischen Katholicismus.
in Hinblick auf sie handelte. Nöthig war es nur noch, dass durch
einen solennen Act -- einen solchen konnte man leider nicht vermeiden
— der Universalbischof, die lebendige Tradition, der untrügliche
Lehrer des (^laubens und der Sitten, der absolute Beichtvater auch
als solcher proclamirt werde. Die irrten sich, welche zuversichtlich
meinten, für eine solche Proclamation sei das Zeitalter noch nicht
reif; nein, die Zeit war erfüllt. Alle Linien der Entwickelung im
Lmern und von Aussen convergirten auf dieses Ziel. Jene Linien
haben wir betrachtet; diese waren in der Romantik und in der Reaction
der ersten Decennien des neuen Jahrhunderts, in der Furcht und
Schwäche der Regierenden, in der Indifferenz der Regierten gegeben.
Unser Jahrhundert hat fast schweigend hingenommen, was man dem
Geiste keines anderen Jahrhunderts hätte bieten dürfen, ohne ein
gewappnetes Europa, Kathohken und Protestanten, in die Schranken
zu rufen ^
Die Vorbereitungen des Concils von 1869/70 und sein Ver-
lauf bieten schlechterdings kein dogmengeschichtliches Literesse. Es
gab im Katholicismus zwei Parteien: die eine wollte die Unfehlbar-
keit des Papstes, die andere wollte sie nicht, wusste aber nicht genau,
was zu geschehen habe, wenn man sie ablehnte. Dies ist das Ganze.
Dazwischen liegen unendUche Bemühungen der Politik auf beiden
Seiten, lehrreich für den politischen Historiker, belanglos für den,
welcher die Geschichte des Dogmas verfolgt ^. Das Glaubensschema vom
24. x^pril 1870 enthält in seiner Einleitung und den vier Capiteln
nichts Neues: Glauben heisst die Schrift und die Tradition aner-
kennen, alles das für wahr halten, was in ihnen geschrieben steht,
und es in dem Sinne für wahr halten, in welchem es die Kirche
versteht, die allein zur Auslegung berechtigt ist. Das Neue brachte
das Schema von der Kirche (18. Juli 1870) „Pastor aeternus", oder
vielmehr, neu war die Formulirung als Dogma ^: Christus hat den
Petrus allen x\p ostein vorangesetzt, damit der Episkopat wirklich ein
einheitlicher sei. Der Primat des Petrus und seiner Nachfolger ist also
* Vorgearbeitet war schon durch den Syllabus (Denzinger p. 345 fF.), der
neben manchem Schlimmen auch den guten Geist des 19. Jahrhunderts verdammte.
^ Die Actenstücke zum Concil hat Friedberg gesammelt; die ausführlichste
Darstellung hat Friedrich — bisher 2 Bdd. 1877. 1883 — gegeben, vgl. From-
mann's, Hase' s und Nippold' s Schilderungen. Interessante Mittheilungen in
Fried rieh's Tagebuch und inLordActon's Schrift, Zur Gesch. des vatik. Con-
cils 1871. Die dogmenhistorische Beleuchtung bei Janus, Der Papst und das
Concil 1869. Ultramontane Darstellung vom Cardinal Manning (deutsch von
Bender 1877).
^ Friedberg, Actenstücke S. 740 £['.
Das Vaticanum. 649
ein wirklicher und directer, nicht ist er von der Kirche dem Petrus
übertragen. Er ist ferner ein Primat der Jurisdiction über die
ganze Kirche; demgemäss steht dem Papst die potestas ordinaria
und immediata als plena et suprema über die ganze Kirche und über
jeden einzelnen Christen zu. Diese potestas iurisdictionis ist auch
in vollem Sinn eine episcopahs^ d. h. alle bischöflichen Befugnisse
stehen überall dem Papste zu. Der Papst ist also der Universal-
bischof; er ist der oberste Richter, die unfehlbare Autorität: „docemus
et divinitus revelatum dogma esse declaramus : Romanum Pontificem,
quum ex cathedra loquitur id est quum omnium Christianorum pa-
storis et doctoris munere fungens (unter welchen erkennbaren Bedin-
gungen ist das der Fall?) pro suprema sua apostolica auctoritate
doctrinam de fide vel moribus ab universa ecclesia tenendam definit
per assistentiam divinam, ipsi in beato Petro promissam, ea infalli-
bilitate pollere, qua divinus redemptor ecclesiam suam in definienda
doctrina de fide vel moribus instructam esse voluit, ideoque eiusmodi
Romani pontificis definitiones ex sese, non a-utem ex consensu ecclesiae
irreformabiles esse. Si quis autem huic nostrae definitioni contradicere,
quod deus avertat, praesumpserit, anathema sit!" Das Gedächtniss
der Vergangenheit, die Vorbereitung der Zukunft der Kirche ist
damit dem Papste oder vielmehr der päpstlichen Curie ausgeliefert.
Auch das Dogma ist durch diese Constitution gleichsam für päpst-
liches Hausvermögen erklärt. Welch' ein Sieg! alle grossen Streitig-
keiten der letzten vier Jahrhunderte sind mit einem Schlage beseitigt
oder mindestens zur Bedeutungslosigkeit verurtheilt. Es giebt keinen
Episkopahsmus mehr, und wer sich auf die alte Tradition im Gegen-
satz zur neuen beruft, ist ipso facto verdammt! Alle Spannungen, die
einst das Leben des mittelalterlichen Katholicismus ausgemacht haben,
sind beseitigt: „soUtudinem faciunt, pacem appellant." Die Kirche hat
einen unfehlbaren Herrn; sie braucht sich um ihre Geschichte nicht
mehr zu kümmern: der Lebende allein hat Recht.
Die Geschichte erreicht ihre Ziele auf den seltsamsten Umwegen.
Sollte diese Constitution vom Jahre 1870 in Zukunft vielleicht das
Mittel werden, durch welches sich die Kirche von der Last ihrer
Vergangenheit, von dem Mittelalter und der Antike, allmählich befreit?
Das wäre ein „Umschlagen" der Entwickelung, wie es in der Geschichte
nicht unerhört ist. Wird vielleicht die Constitution „Pastor aeternus"
zum Ausgangspunkt einer neuen Epoche des Katholicismus werden,
in welcher das mittelalterhche, bereits zur Bedeutungslosigkeit ver-
urtheilte Dogma immer mehr verschwindet und sich aus dem Herz-
Jesu-Kultus und der lebendigen Andacht der Gläubigen ein neuer
H50 I^ie AuMgäiige des Dogmas im römischen Kathülicismus.
Glaube entwickelt, der nun auch ohne Schwierigkeit formulirt werden
darf? Wird sich auf dem Boden der vollkommenen kirchlichen Ni-
vellirung, welche das neue Dogma bezeichnet — denn was ist heute
ein ßischof oder Erzbischof neben dem Papst, und wie viel bedeutet
dagegen heute im Katholicismus ein für seine Kirche warm empfin-
dender Laie! ~ vielleicht ein lebendiges Gemeindechristenthum ent-
wickeln, wie es die Kirche noch nie besessen hat? Und wird vielleicht
am Schluss dieser Entwickelimg der Papst selbst ein Mittel finden,
um die erlogene götthche AVürde Avieder abzulegen, wie man im
1(5. und im 19. Jahrhundert Mittel gefunden hat, sich von der heihg-
sten Tradition zu befreien?
Thörichte Hoffnungen wird man sagen, und gewiss — die Zeichen
der Zeit weisen in eine ganz andere Richtung. Noch scheint der
Process nicht abgelaufen zu sein; er scheint vielmehr mit der Un-
fehlbarkeit nur den Anfang des Endes gewonnen zu haben. In dem
„quum ex cathedra loquitur" und „quum doctrinam de fide vel mo-
ribus ab universa ecclesia tenendam definit", liegt ein Stachel der
Unsicherheit, der noch ausgerissen werden muss. Dass dies an mass-
gebender Stelle gewünscht und desshalb in Zukunft wohl auch ge-
schehen wird, darauf deuten manche Anzeichen. Die „fides vel
mores" können, ja müssen so gefasst werden, dass sie Alles ein-
schliessen, was der Papst, um Papst zu sein, nach seiner Meinung
bedarf, also z. B. auch den Kirchenstaat. Man höre, was in dieser
Hinsicht der scharfsinnige Jesuit Paul vonHoensbroechin seiner
Schrift „Der Kirchenstaat in seiner dogmatischen (!) und historischen
Bedeutung" (1889) S. 74 f. ausführt: „. . . also die ganze lehrende
Kirche, Papst und Bischöfe, verkünden feierlich: Unter den gegen-
wärtigen Zeitumständen ist die w^eltliche Herrschaft des Apostolischen
Stuhls für die freie Leitung der Kirche nothwendig. Daran zu zwei-
feln, nämlich dass Papst und Bischöfe das verkündet haben, ist un-
möglich. Als oberster Hirt und Lehrer w^endet sich der Papst an
die ganze Kirche. Die Bischöfe des Erdkreises nehmen das Wort
des lehrenden Papstes auf und vermitteln es den Gläubigen ; und
wiederum als oberster Hirte und Lehrer heisst der Papst gut, was
die Bischöfe gethan haben. Also, seh Hessen wir mit Recht,
enthält dieser Ausspruch von der Not h wendig-
keit des weltlichen Besitzes unfehlbare Wahr-
heit; also ist es jedem Katholiken verwehrt, diese
Nothwendigkeit zu bezweifeln oder zu bestreiten.
Dem einen oder anderen unserer Leser mag vielleicht auf den
ersten Blick dieser Schluss befremdlich erscheinen. Der Ausspruch
i
Das Vaticanum. Der Kirchenstaat. 651
über die Nothwendigkeit weltlichen Besitzes soll unfehlbare Wahr-
heit enthalten ? Gehört denn diese Nothwendigkeit zum Schatz der
geoffenbarten Wahrheit, und will man etwa die Aeusserungen des
Papstes und der Bischöfe hierüber zum Dogma, zum eigentlichen
Glaubenssatz erheben? Keines von beiden. Aber dennoch bleibt,
was wir sagten, bestehen. Der Kirche Christi ist durch ihren gött-
lichen Stifter die Unfehlbarkeit, die Irrthumslosigkeit verheissen
worden bei allen Entscheidungen, welche die durch Schrift oder Tra-
dition von Gott geoffenbarte Wahrheit zum Gegenstand haben. Zu
dieser in Schrift oder Tradition enthaltenen Offenbarungswahrheit
gehört, wir "wiederholen es, der Ausspruch von der Nothwendigkeit
weltHchen Besitzes nicht; und insofern nur eine Offenbarungs-
wahrheit eigentlicher Glaubenssatz, Dogma werden kann, bildet eine
Entscheidung über diese Nothwendigkeit niemals einen dogmatischen
Lehrsatz. Allein damit die Kirche im Stande sei,
unfehlbar sicher über die eigentlichen Glaubens-
wahrheiten zu entscheiden, muss sie offenbar mit
gleicher Irrthumslosigkeit ihr ürtheil abgeben
können über Alles, was zu diesen Glaubens Wahr-
heiten in innerer, noth wendiger Beziehung steht.
In einer solchen Beziehung zu eigentlichen Glau-
benswahrheiten steht aber der weltliche Besitz
der Päpste. Denn es ist Glaubenswahrheit, dass der Kirche,
dass dem Papste vollkommene Freiheit gebührt in der Leitung der
ihm anvertrauten Heerde. In ihrer Bethätigung ist aber diese Frei-
heit abhängig von äusseren Verhältnissen, ist angewiesen auf
den Gebrauch äusserer Mittel, und diese Mittel stehen somit in in-
nerer , naturnoth wendiger Beziehung zur Freiheit selbst. Also
kann auch die Kirche mit unfehlbarer Sicher-
heit jene Mittel bezeichnen, welche, je nach den
Zeitverhältnissen, für die Ausübung ihrer gott-
gewollten Freiheit sei es nützlich, sei es noth-
wendig sind. Für unsere Zeit hat sie nun den weltlichen Besitz
als ein nothwendiges Mittel zur AVahrung der ihr gebührenden Frei-
heit erklärt, und der katholische Erdkreis verehrt
in diesem Ausspruch untrügliche AVahrheit. "
Letzteres thut der katlioHsche Erdkreis zur Zeit noch nicht;
aber das ist gleichgiltig. Unzweifelhaft läuft das „Sic et Non" dieser
Argumentation auf den Lehrsatz heraus: „Die Kirche stellt auch die
äusseren und zeitweiligen Mittel, welche sie zur Ausübung
ihrer gottgewollten Freiheit für nöthig erklärt, unter den Schutz der
(>52 I^i*' Ausgänge des Dogmaß im römischen Katholicismus.
im Jahre 1870 proclamirten Unfehlbarkeit." So also sind die Worte
„doctrina de fide vel moribus" zu verstehen. Welche Perspectiven
diese Interpretation nicht nur eröffnet, sondern einschliesst, braucht
man nicht erst nachzuweisen : der Papst erklärt seine Politik für un-
fehlbar, und der Kir(;henstaat wird auf einem Umwege ebenso ein
Dognui wie die Trinität. Noch ist diese Interpretation, die eine voll-
berechtigte Consequenz des Princips ist, von oberster Stelle nicht
sanctionirt; aber wie lange kann es währen, dann wird auch sie ge-
zogen werden. Was'das für das Dogma bedeutet, liegt auf der Hand:
durch die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit sind ideell alle
Dogmen bedroht, durch die formelle Gleichstellung „zeitweiliger"
politischer Forderungen und Glaubenslehren ist materiell jedes Dogma
entleert. Man wird freilich immer von jener Seite hinzufügen: „der
Papst empfängt keine neuen Offenbarungen", „Glaube und Sitten stehen
auf einer unerreichbar hohen Stufe", „die Tradition und das Dogma
der Kirche bleiben unverändert dieselben". Aber welcher Einsichtige
wird Gift für Wein trinken, weil die Etiquetten der Flaschen noch
immer die alte Aufschrift tragen ? Auch noch andere Dogmen liegen
in der Luft. AVill man sie kennen lernen, so muss man die Lehren
studiren, welche die Jesuiten als probable Ordensmeinungen cultiviren.
Es ist mir z. B. nicht bekannt, dass die Meinung, alle Jesuiten
würden selig, abgekommen ist. Auch ist m. W. die Nachricht, dass
Gebete zum Papst im Druck erschienen sind, nicht widerrufen
worden.
Ueber den wahren Zustand der Dinge darf man sich durch die
katholischen Dogmatiken, wie sie noch fort und fort geschrieben
werden, und durch die allgemeinen Erwägungen über die Dogmen,
wie sie dort zu lesen stehen, nicht täuschen lassen. Uebrigens bricht
auch dort in der Annahme von dogmata implicita und quasi impli-
cita ', ferner in der Weise, wie zwischen ganzen, halben und Yiertels-
* S. den Artikel „Dogma" von Heinrich (Wetzer und Weite'* III Col.
1879 ff.): „Sowohl in materiellen als in formellen Dogmen, mögen letztere declarirt
sein oder nicht, können andere Glaubenswahrheiten enthalten sein, und diese nennt
mau, so lange sie nicht in irgend einer Weise aus dieser ihrer Verborgenheit her-
vorgezogen oder cxplicirt sind, dogmata implicita. Dieselben werden in den expli-
cirten Dogmen, also implicite, von der Kirche gelehrt und von den Gläubigen ge-
glaubt. Es kann aber der Grund der Verborgenheit solcher sog. eingeschlossener
Dogmen ein doppelter sein: er kann darin liegen, dass die fragliche Wahrheit zwar
in Schrift und kirchlicher Ueberlieferung oder selbst in einem Lehrausspruch der
Kirche zwar unmittelbar ausgesprochen ist, aber nicht mit solcher Klarheit, dass
jeder oder doch wenigstens der wohlunterrichtete und einsichtsvolle Gläubige die-
selbe mit Leichtigkeit und Sicherheit zu erkennen vermag. In diesem Falle ist diese
Der Socinianismus. Einleitung. 653
Dogmen unterschieden, sowie endlich in dem Spielraum, welcher der
blossen Negation von Lehren gegeben wird, der Skepticismus einer-
seits, die Dogmenpolitik andererseits hervor.
Drittes Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus
und Socinianismus.
1. Geschichtliche Einleitung.
Kein protestantischer Christ wird die Vorreden, welche dem Ra-
kauer Katechismus (1609 lat., vgl. die Ausgabe: Irenopoli post annum
1659) und der deutschen Ausgabe desselben (Rackaw 1608. 1612) vor-
gedruckt sind, ohne Bewegung und innere Theilnahme lesen. Enthält
doch die erste ein herrliches Bekenntniss zu der Freiheit des Glaubens *,
Wahrheit zwar unmittelbar geofifenbart und von der Kirche proponirt, aber nicht
mit genügender Klarheit. Es liegt hier, wie die Theologen sagen, eine revelatio et
propositio formalis et immediata, sed confusa et obscura vor; eine solche hat man
auch quasi implicita genannt. Denn im eigentlichen und engsten Sinn implicita
dogmata sind diejenigen Wahrheiten, welche in der Offenbarung und kirchlichen
Proposition nicht unmittelbar und formell enthalten sind, sondern nur wie in ihrem
Princip, aus dem sie durch eine logische Operation . . . gefolgert werden . . . lieber die
Frage, wie weit sich bezüglich solcher Conclusionen die Unfehlbarkeit der Kirche
erstreckt, und ob und inwieweit solche von der Kirche gezogenen Folgerungen
Gegenstand der fides divina und somit Dogmen im engsten Sinn sind, u. s. w." Vgl.
auch die Unterscheidungen von propositiones haereticae, erroneae, haeresi vel errori
proximae, temerariae und falsae.
* „Catechesin seu Institutionem religionis Christianae, prout eam ex sacris
litteris haustam profitetur ecclesia nostra, damus in lucem. Quae quia in uon
paucis ab aliorum Christianorum orbita discedit, non est quod quis putet, nos eam
emittendo in publicum omnibus diversum sentientibus, quasi misso feciali, bellum
indicere aut classicum canere ad pugnandum, atque, ut Poeta ait, ad „Anna eiere
viros, Martemque accendere cantu" . . . Non immerito et hodie conqueruntur com-
plures viri pii ac docti, confessiones ac catecheses, quae hisee temporibus eduntur
editaeque sunt a variis Christianorum ecclesiis, nihil fere aliud esse, quam poma
Eridos, cpiam tubas litium et vexilla immortalium inter mortales odiorum atcjue
factionum. Idque proptcrea, quod confessiones et catecheses istae ita proponantur,
ut iis conscientiae adstringantur, ut iugum imponatur hominibus Christianis iurandi
in verba atque sentcntias hominum, utquc oae statuantur pro fidei norma, a (jui
(|uisquis vel unquam transversum deflexerit, is continuo anathcmatis fulmine feria-
tus et pro haeretico, pro homine detcrrimo ac teterrimo habeatur, cacloque pro-
scriptus ad tartara detrudatur atque infemalibus ignibus cniciandus adiudicetur.
Absit a nobis ea mens, imo amentia. Dum catochesin scribimus, nemini qi]ic(iuam
praescribimus: dum sentcntias nostras cx})rimimus, neminem opprimimus. Cuicjue
liljcrum csto suae mentis in rcligione iudicium : dummodo et nobis liccat animi no-
stri «ensa de re])us divinis citra cuiusquam iniuriam atque infectationem depromere.
Haec enim est aurea illa prophetaridi libcirtas, quam sacrac litterae Novi Instrumenti
no))is inipense commendant, et in qua apostolorum priniitiva ecclesia nol)is exeni-
plo 8U0 facem praeiulit . . . Qui vero estis vos, liomuncionos, (|ui, in quibus liomiui-
654 I^it» Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
und die zweite knüpft an das Werk Lutlier's an und stellt den socinia-
iiischen Katechismus in die Geschichte der Reformationsbewegung ein,
die mit Luther begonnen hat ^ Allein Beides gehört d e r Epoche der
Ausgestaltung der socinianischen Kirche an, in welcher dieselbe bereits
von Aussen stark beeinthisst gewesen ist: jene lateinische Vorrede zeigt
den Einlluss des Arminianisnms, und die deutsche giebt auch nicht die
ursprüngliche Haltung der unitarisch-sociniauischen Bewegung
wieder.
Indessen — der Socinianismus ist selbst ein secundäres Product,
und Faustus Sozzini ist ein Epigone gewesen; aber ein Epigone
wie Calvin und Menno Simons. Wie erst jener dem romanischen
l)us deo Visum est Spiritus sui igiiem accendere, in iis eum cxtinguere ac sufiocare
connitamini? . . . An vos soH geritis clavem scientiae, ut nihil clausum vohis sit in
sacris litteris, nihil ohsignatum : ut quicquid occluseritis, recludere nemo queat et
quicquid recluseritis, nemo valeat occludere? Cur non meministis, unicum dum-
taxat esse magistrum nostrum, cui ista competunt, Christum: nos vero omnes fratres
esse, quorum nulli potestas ac dominium in conscientiam alterius coucessum est?
Etsi enim fratrum alii aliis sint doctiores, libertate tamen et iure filiationis omnes
aequales sunt." Dass der Katechismus seit seinem ersten Erscheinen Verände-
rungen erfahren hat, darüber sprechen sich die Redactoren also aus : „Non erubes-
eendum putamus, si ecclesia nostra in quibusdam proficiat. Non ubique clamandum
credimus »sto in filo, hie pedem figo, hinc me dimoveri ne tantillum quidem pa-
tiar'«. Stoicorum enim est, omnia mordicus defendere et in sententia praefracte
atque obstinato animo permanere. Christiani philosophi seu sapientiae illius su-
perne venientis candidati est, d-si^r^y esse non aürJ-aGY], persuaderi facilem esse,
non pertinaciter sibi placentem, paratumque cedere sententia, ubi alia vicerit me-
lior. Hoc animo semper nostra edimus."
^ Vorrede an die hochlöbliche Universität zu Wittenberg: .... Darnach da-
rumb, das wir für billich geachtet, das die h. Wahrheit des Es'angelii, wie sie ihren
anfang in dieser hochlöblichen Universität, durch den fürtrefflichen Mann D. Luther
genommen, vnd von dannen in die gantze Christenheit ausgegangen ; also auch mit
Wucher vnd mit grosser volkommenheit sich wieder zu ihr kehre, vnd ihr zu be-
trachten fürgelegt werde. So aber iemand gedencket, das Gott alles, was durch den
Antichrist in so viel hundert iahren verderbet gewesen, in so wenig iahren durch
D. Luther, vnd andere seine mitgehülffen solte gäntzlich gebessert haben, der be-
trachtet nicht, was Gott für eine weise vnd weissheit gebrauche in allen solchen
wercken: Das er nemlich nicht alles auffein mahl, sondern bey wenigen offenbaret,
damit also die menschliche Schwachheit, durch die volkommenheit seiner Offen-
barungen nicht vberfalle vnd vnterdrucket werde. Es hatte Gott durch D. Luther
den menschen so viel offenbaret, das fromme hertzen eine grosse hülffe hatten . . .
Weil aber vber das noch viel andere lehren hinderstellig waren, die den menschen
zu derselbigen Seligkeit sehr hinderlich sein können, hatt Gott auch dieselbe durch
seine diener algemach zu erkennen geben vnd an stelle des gi-evlichen, vnd lang-
wirigen irthumbs seine h. seligmachende Wahrheit von tage zu tage je volkomlicher
zeigen wollen. Darzu wir den glauben, das er nach seinem tieffen Rath auch vnser
Gemeinen in Polen gebraucht" u. s. w.
Der Socinianismus. Einleitung. 655
Reformerthum Gestalt, Kraft und Haltung verliehen , und dieser aus
dem niederländischen und nordwestdeutschen Täuferthum eine Kirche
geschaffen hat, so hat auchFaustus Sozzini das hohe Verdienst, gährende
und wilde Elemente geordnet und in die Einheit eines Kirchenwesens
gebracht zu haben.
Der Socinianismus hat, kirchen-und dogmengeschichtlich betrach-
tet, die grossen mittelalterlichen antikirchlichen Bewegungen zu seiner
unmittelbaren Voraussetzung. Aus ihnen hat er sich entwickelt, sie
hat er geklärt und zur Einheit zusammengefügt. Er selbst aber hat seine
Hauptwurzel in den nüchternsten und besonnensten kritischen Be-
wegungen der Vergangenheit. Eben desshalb ist es ihm gelungen, das
Wilde, Masslose und Phantastische zu bezwingen. Wer auch nur flüch-
tig das socinianische Lehrsystem auf seine charakteristischen Züge unter-
sucht, dem tritt sofort ein scotistisch-pelagianisches Element und
ein kritisch- humanistisches^ entgegen. Bei schärferem Zusehen
gewahrt er auch noch die Reste eines anabaptistischen; dagegen fehlen
pantheistische, mystische, chiliastische und so Cialis tische Elemente ganz
und gar.
Dass der Socinianismus einen Ausgang der Dogmengeschichte
darstellt, wird von Niemandem bestritten werden. Bestreiten könnte
man nur, dass er überhaupt in die Universalgeschichte des Dog-
mas gehört. Auf diesen Einwurf ist oben (S. 581) bereits geantwortet
worden. Eine Bewegung, in der sich das Meiste von dem nieder-
geschlagen hat, was in formloser Gestalt Jahrhunderte lang neben der
Kirche hergegangen ist, vor Allem aber eine Bewegung, in welcher
die kritischen Gedanken der kirchlichen Theologie des
14. und 15. Jahrhunderts zu freier Entfaltung gekommen
sind, und die zugleich die Impulse der Neuzeit (Renaissance)
in sich aufgenommen hat, darf nicht als eine nebensächliche be-
urtheilt werden. Das Charakteristische der antitrinita-
rischen und socinianischen Bewegungen des 16. Jahr-
hunderts liegt darin, dass sie diejenige Destruction
des Katholicismus darstellen, die man auf Grund
des Ertrags der Scholastik und der Renaissance zu
bewirken vermochte, ohne dieReligion zu vertiefen
und zu beleben. Im Antitrinitarismus und Socinianismus reichen
sich das Mittelalter und die Neuzeit über die Reformation hinweg die
Hände. Das, was im 15. Jahrhundert als so unvereinbar galt, der
Bund zwischen der Scholastik und der Renaissance, hier erscheint er
' Höchst cliaraküiristJHoli ist dieses liumanistische Element auch äusserlicli,
z. B, in (1er oben zum Theil angefulirten lateinischen Vorrede, ausgeprägt.
656 I^ie Ausgänge des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
— im Einzelnen auf höchst verschiedene Weise — geschlossen. Eben
desshalb wohnt diesen Bewegungen auch ein prophetisches Element
inne. In ihnen ist Vieles in wunderbarer Sicherheit bereits vorwegge-
nommen, was in den evangelischen Kirchen nach flüchtigen Ansätzen
zunächst gänzlich unterdrückt erscheint, weil das Interesse für die
Religion in der einmal gewählten Form hier mehr als 150 Jahre
lang Alles absorbirt hat. Kulturhistoriker und Philosophen, sofern
ihnen die Rehgion eine gleichgiltige oder störende Sache ist, haben
daher allen Grund, sich für die Antitrinitarier und Socinianer, für die
„Schwärmer" und Pantheisten lebhaft zu interessiren und ihnen gegen-
über die trüben Halbheiten der Reformatoren zu bedauern. Daraus
folgt aber nicht, dass umgekehrt der, welcher in der Reformation den
wahren Fortschritt der Geschichte anerkennt, an jenen Gruppen theil-
nahmlos oder übelwollend vorübergehen darf. Die kritischen Elemente,
die sie ausgebildet haben, sind nicht nur der Wissenschaft, sondern
schliesslich auch der Religion zu Gut gekommen, und sie selbst
sind erst untergegangen, nachdem der Protestantismus im 18. und
19. Jahrhundert alles das in sich aufgenommen hat, was sie an bleiben-
dem Gehalt zu bieten vermochten.
Wir geben im Folgenden unter dem Gesichtspunkt der
Dogmengeschichte eine Uebersicht über die religiösen Bewegungen,
welche die Reformation im 16. Jahrhundert begleitet haben, und be-
schliessen sie mit der Darstellung des Socinianismus (Unitarismus), der
es allein zu einer eigenthümlichen Kirchenbildung gebracht hat K Der
Bruch mit der Geschichte, der Verzicht auf die Kirche, wie sie bereits
existirt, die Ueberzeugung von dem schrankenlosen Recht des Indivi-
duums sind allen Richtungen gemeinsam. Eben desshalb lassen sich
scharfe Grenzlinien zwischen den einzelnen nicht ziehen. Von den ver-
schiedensten Ausgangspunkten her (Chiliasmus, Mysticismus, Ratio-
nalismus) sind sie nicht selten zu den gleichen Ergebnissen gekommen,
weil die Stimmung, die sie gegenüber der Geschichte bewegte, die
gleiche gewesen ist.
1. Eine Gruppe von Richtungen knüpfte an die pantheistische
Mystik des Mittelalters, zugleich aber an die neue, vom Piatonismus
getränkte Bildung der Renaissance an und stellte sich, indem sie nicht
Wor t e , sondern Thatsachen in der Religion und in der Wissenschaft
studiren wollte, als der äusserste Gegensatz zu „Aristoteles", d. h. zu
der hohlen nominalistischen Scholastik der Kirche, dar. Sie zerstörte die
* Die mennonitische Kirchenbildung gehört nicht in die Dogmengeschichte,
weil sie in der Glaubenslehre wesentlich 7,u den Bestimmungen der alten Kirchen
zurückoekehrt ist.
Die mystische Gruppe. 657
alte Dogmatik formell und materiell. Formell, sofern sie nicht nur den
Respect vor den Entscheidungen der Kirche aufgab, sondern auch die
Bibel als Lehrgesetz (norma normans) beseitigte und ihr das „innere
Licht", d.h. die Speculation des befreiten Geistes, entgegenstellte;
materiell, sofern sie die Dogmen der Kirche (Trinität, Christologie)
entweder pantheistisch umdeutete oder als irrig fallen Hess. Neu ist
das bekanntlich nicht : so lange es ein kirchliches Dogma gegeben hat,
d. h. seit dem 4. Jahrhundert, haben solche Richtungen theils verdeckt
theils offen die Kirche begleitet. Neu aber ist, dass innerhalb dieser
Richtungen die psychologische Beobachtung, ja die Erfahrung über-
haupt, eine bedeutende Rolle zu spielen beginnt. Damit haben sie ein
Element an sich gezogen, welches ihre Arbeit über das bloss Phan-
tastische erhoben hat. Was christHche Religion ist, wussten freilich
die Meisten von denen, die zu dieser Gruppe zu zählen sind, so wenig
wie ihre katholischen Gegner. Sie verwechselten sie mit der hoch-
fliegenden Metaphysik, und sie standen eben desshalb noch mit einem
Fusse in dem Bannkreis des Dogmas, das si^ bekämpften ^ Aber Einige
von ihnen haben doch daneben Einflüsse von Luther erhalten. Von
ihm bestimmt, zugleich aber von der Last der Vergangenheit befreit,
erhoben sie sich, reich und kühn in den Gedanken, stark und w^arm in
den Gefühlen, über alle ihre Zeitgenossen, ohne freilich die Fähigkeit
und den Beruf des Reformators zu besitzen. Li diese Gruppe gehören
einerseits Schwenkfeld, Valentin Weigel, Giordano Bruno
— dieser zeigt durch seine Berufung auf den „göttlichen" Cusanus,
wo die letzte Quelle zu suchen ist — , andererseits die von Luther stark
beeinflussten Reformer Sebastian Franck und, zeitweilig, Theo-
bald Thamer, der Erstere in mehr als einer Hinsicht Bürger einer
zukünftigen evangelischen Kirche, welche das katholische Gesetz des
Buchstabens abwerfen wird^.
* Thamer ist am Ende seines Lebens wirklich wieder katholisch geworden,
und .Schwenkfeld wäre lieljer wieder römisch als lutherisch geworden. Das ist
bedeutsam.
'^ Vgl. Carriere, Die philosophische Weltanschauung der Reformationszeit,
2 Bdd. 2. Aufl. 1887, der Sebastian Franck, Weigel, Böhme; und vor Allen Giordano
Bruno ausführlich behandelt, lieber Schwenkfeld s. Hahn, Schwenkfeldii sent. de
Christi persona et opere 1847. Er})kam, Gesch. der protest. Secten 1848, Kadel-
bach, Gesch. Seh. 's und der Schwenkfeldianer 1861. Henke, Neuere Kirchcn-
gesch. T S. 395 \'(. lieber Weigel s. d. Art. v. II. Schmidt in der Herzog'schen
R.-Encykl. ''■ Fid. XVJ. lieber Bruno vgl. die Litteratur bei lieber w(;g-Heinze,
Gesch. d.Philos. lieber Franck s.Bischof, Seb. Franck 1857, Hase, Seb. Franck
1869 (Gottfried Arnold hat ihn wieder entdeckt) und Laden der f, Franck's erste
SprichwörterMammlung I8f)9, da/u den Art. von Merz i. der Herzog's(;hen R.-
Encykl. 2 Bd. IV. Henke; 1 S. 399 ff. lieber Thamer s. Neander, Thamer 1842.
llarnack, Doj^engeschiclite III. 42
()58 r^i^ Auspfän^P des Dnp^tnas im Antitrinitarismur, und Socinianismus.
2. Kine zweite unübersehbare Gruppe hat ihre Stärke an dem
Gegensatz zu dem politischen und sacramentalen Kathohcismus und
spielt ihm gegenüber eine neue social-poHtisclie Welt- und Kirchen-
ordnung, die Apokaly])tik und don (/liiliasmus aus. Auch diese
Gruppe setzt den mittelalterlichen Gegensatz zur katholischen Kirche
einfach fort, wie denn offenbar das Ideal der franciskanischen Spiri-
tuah^n, resp. die mit ihm verwandten waldensischen und husitischen
Ideale hier die massgebenden gewesen sind '. Aber der Geist einer
neuen Zeit zeigt sich bei ihnen nicht nur darin, dass sie vielfach auf
die reformatorischen Gedanken eingingen, sondern auch in der Be-
tonung der christlichen ^Selbständigkeit. Von hier aus ist der
Gegensatz gegen die Kindertaufe zu verstehen, der ein Protest des
selbständigen gläubigen Individuums wider die Magie der Erlösung
und den sacramentalen „Charakter" ist. In dogmengeschichtlicher
Hinsicht ist dieser Gegensatz das Cliarakteristischste der Wieder-
täufer; denn alle anderen Merkmale treffen nicht auf die ganze Gruppe
zu. Die Einen von ihnen sind im Dogma gut kathohsch, die An-
deren lutherisch und zwinghsch, wieder Andere pantheistisch und
antitrinitarisch. Dass sich das antitrinitarische Element nicht noch
stärker bei ihnen ausgebildet hat, ist verwunderlich ; denn die scharfe
Antithese zur herrschenden Kirche scheint mit Nothwendigkeit zum
Antitrinitarismus treiben zu müssen, da die Lehre von der Trinität
und Christologie das Hauptstück des alten verhassten Kathohcismus
bildet, und da die Verwerfung der Kindertaufe die Auflösung der
Kirche im alten Sinn einschliesst. Auch in dieser ungeheuren Gruppe,
die ihre Vertreter und Gemeinden im 16. Jahrhundert in Deutsch-
land, den Niederlanden, der Schweiz, Venetien, Mähren, Polen, Liv-
land und Schweden gehabt hat, hat sich der moderne Geist dicht
neben dem mittelalterlichen angekündigt. Nicht nur ist auch hier
vielfach die Erkenntniss laut gew^orden, dass der gesetzliche Gebrauch
der Bibel katholisch ist und die Religion hemmt — andererseits hat
freilich der starrste Biblicismus gerade im Kreise der Wiedertäufer
seine fanatischen Anhänger gehabt — , sondern auch schhchter evan-
gelischer Sinn, der in der Religion nichts Anderes suchte als die
Religion, und die Ueberzeugung von der Freiheit der Gewissen sind
in wiedertäuferischen Gemeinden heimisch gewiesen. Dank der For-
schungen der letzten Jahre sind die Bilder ausgezeichneter Christen
^ Daraufhat Rit schi aufmerksam oemaclit. Die Massstäbo, dass das Ohriston-
thum als Gemeinschaft von activ Heiligen verwirklicht werden müsse, dass die Un-
möglichkeit des Sündigens zu erreichen sei, und dass die Kirche nur als Produet
der activ Heihgen einen Sinn hat, sind mittelalterlich.
Die (rruppen der Wiedertäufer und der Rationalisten. 659
aus den Kreisen der Wiedertäufer uns geschenkt worden, und nicht
wenige dieser ehrwürdigen Gestalten sind uns verständHcher als der
heroische Luther und der eiserne Calvin K
3. In einer dritten Gruppe endlich — ihre Vertreter sind fast
sämmtlich Gelehrte, dazu geborene Italiener gewesen — stellt sich
die consequente Ausbildung der nominalistischen Scholastik unter dem
Einfluss des Humanismus dar. Nur solange die nominalistische Scho-
lastik die Unterwürfigkeit unter die Kirche festhält und eben desshalb
mit der einen Hand künstlich das wieder aufzubauen, resp. zu erhal-
ten sucht, was sie mit der anderen niedergerissen hat, ist sie mit
der kritischen Bildung der Renaissance unverträglich. Sobald sie
sich aber der katholischen Kirche entzieht und lediglich auf ihren
Ausgangspunkten, Selbständigkeit des vernünftigen Denkens, Theis-
mus und autonome Moral, verharrt, also das Alles wirklich preis-
giebt (Dogmatismus, Sacramente etc.), was ihre verständige Reflexion
schon längst preisgegeben hat, vermochte die moderne Bildung auf
sie einzugehen. Sie brachte das historische Element hinzu, die Rück-
kehr zu den Quellen, den philologischen Sinn, den Respect vor dem
Klassischen in Allem, was Alterthum heisst. Die Italiener haben
sich in keinem Zeitalter durch ein hohes speculatives Vermögen aus-
gezeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass die specifische Art,
in welcher sie sich vom Dogma im 16. Jahrhundert befreit haben,
die verständig-humanistische gewesen ist. Ein wirkliches religiöses
Interesse war auch an dieser Form der Befreiung betheihgt : wem die
^ Nachdem die "Wiedertäufer in Vergessenheit versenkt worden waren und
es auch Gcjttfried Arnold nicht ^ehmgen war, Interesse und Verständniss für ilir
Andenken zu erregen, ist in unseren Tagen von verschiedenen Seiten und in ver-
schiedener Weise das Gedächtniss an sie belebt worden. Dabei waren Uebertrei-
bungen unvermeidlich (Hagen, Deutschlands litt. u. relig. Verhältnisse i. Ref.-
Zeitalter 1841 ff.; Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien 1885).
Allein das TIrtheil über sie ist doch ein anderes, viel günstigeres geworden, als in
früheren Zeiten, und dazu hat neben Cornelius, Kampschulte und namentlich
niederländischen Historikern auch Keller viel beigetragen. Je mehr die Forschung
in die Reformationsgeschichte der einzelnen Provinzen und Städte eingedrungen
ist, desto deutlicher hat sich auch gezeigt, dass di(*se Täufer, häufig mitwaldensischen
und husitisch(!n Elementen verbunden oder auf frühere mittelalterliche Bewegungen
zurückgehend, der Boden zur Aufnahme der Reformation gewesen und mit ihr in
manchen Gegenden Decc^nnien hindurch verflochten geblieben sind. Die strenge Fas-
sungdes evangelischen Princips, welche Ritschi eingeschärft hat^ istdogniafisch an-
gesehen gewiss l)er''chtigt-, aber man darf sie nicht ohm; Weiteres auf die Erschei-
nungen des Reformationszeitalters übertragen; denn man läuft sonst Gefahr, dir;
Quellen zu verschütten, aus denen einst auch lebendiges Wasser geflossen ist. 8.
Henke, a. a. 0. I S. 40ß ff.
42*
6ß0 Dio Ausgänge des Doomas im Aiititrinitarismus und Socinianismus.
Religion nicht Herzens- und Gewissenssache ist, der strebt nicht dar-
nach, ihren öffentUchen Ausdruck zu verbessern. Aber das reHgiöse
Motiv im eigenthchsten Sinn des Worts, wie es innerhalb der christ-
lichen Rehgion hervorbricht als die Macht des lebendigen Gottes,
vor dessen hl. Geist nichts Eigenes mein- besteht, lag diesen Itahenern
fern. Auch haben sie es zu einer volksthümlichen Bewegung in ihrem
Heimathland nicht zu bringen vermocht: sie blieben Officiere ohne
Armee ^
4. Die sub 1 und sub 3 geschilderten Gruppen stellen in vieler
Hinsicht Gegensätze dar, sofern jene der speculativen Mystik, diese
dem nüchternen verständigen Denken huldigte. Allein nicht nur
schlangen die humanistischen Interessen ein gemeinsames Band um
dieselben, sondern aus der speculativen Mystik entwickelte sich im
Zusammenhang mit der Erfahrung, auf die man Werth legte, auch
ein reines Denken, und andererseits streiften die nüchternen italie-
nischen Denker unter dem Einfluss der neuen Bildung die Unarten
jener Begriffsmythologie ab, in der sich der ältere Nominalismus er-
gangen hatte. So convergirten beide Richtungen. Am bedeutend-
sten repräsentirt diesen Zusammenschluss der spanische Denker, der
* Eine erschöpfende Darstellung dieser ganzen Richtung fehlt. Man muss
noch immer auf T rechsei, Die iDrotest. Antitrinitarier vor F. Socin (2Bdd. 1839. 44)
und die Specialarbeiten über den Socinianismus verweisen. Doch s. die werthvolleu
geschichtlichen Andeutungen, dieKitschl (Rechtfert.u. Versöhn. 1. Aufl. I S. 311)
gegeben hat : „Die Thatsache, dass Faustus die Hypothese des Duns (Gott könnte
uns auch durch einen einfachen Menschen erlösen) als das Wirkliche und Noth-
wendige behauptete, setzt seinen gründlichen Bruch mit dem allgemeinen Kirchen-
glauben voraus. Hierzu aber kam sein Oheim (Lelio), wie er und so viele andere
Italiener, durch die Lage der christlichen Gesellschaft in Italien. Hier hatte das
Kaiserthum die gegen Gregor YII. und Innocenz III. verlorene Geltung nicht wieder
erlangt, hier erschien die römische Kirche als die einzig mögliche Form der christ-
lichen Gesellschaft. Sie beherrschte die Massen des Volkes, welches durch keine
Erwartung kirchlicher Reform zur Aufnahme der reformatorischen Einwirkungen aus
der Schweiz und aus Deutschland vorbereitet war. Fast nur litterarisch gebildete
Männer waren für dieselben zugänglich; diese aber waren fast überall von vorn-
herein durch den Stand der öffentlichen Meinung und die unerscliütterte Macht der
kirchlichen Organe am öffentlichen Auftreten in Gemeinden gehindert und zu ge-
heimer Vereinigung genöthigt. Da fand ihre Theilnahme an der Reformation, auch
wenn sie sich ursprünglich auf deren ethischen Kern richtete, weder die nothwendige
Förderung noch die nothwendige Zügelung, welche die öffentliche Bethätigung des
allgemein kirchlichen Bewusstseins gewährt. Desshalb ist unter so vielen der Re-
formation sich anschliessenden Italienern nicht der kirchliche Geist, sondern im
Gegentheil entweder das anabaptistische Sectenthum oder die Neigung zu scluil-
mässiger Kritik aller Dogmen oder Beides zusammen genährt worden. Denn dorn
Schulinteresse liegt die Kritik der Trinitäts- und der Versöhuungslehre ebenso nahe,
wie die Bildung des richtigen Begriffs von der Rechtfertigung."
Servede. Geist und Buchstabe. 661
sich auch durch eine tiefe Frömmigkeit auszeichnete, Michael
Servede. In ihm ist das Beste von alledem vereinigt, was im
16. Jahrhundert zur Reife gekommen war, wenn man von der evan-
gelischen Reformation absieht. Servede ist gleich bedeutend als em-
pirischer Forscher, als kritischer Denker, als speculativer Philosoph
und als christlicher Reformer im besten Sinn des Worts. Es ist
eine Paradoxie der Geschichte, dass Spanien — das Land, welches
von den Ideen der neuen Zeit im 16. Jahrhundert am wenigsten
berührt gewesen ist — diesen einzigen Mann hervorgebracht hat *.
Innerhalb der Dogmengeschichte sind es zwei Hauptpunkte, die
man ins Auge zu fassen hat, um die Bedeutung dieser Bewegungen
festzustellen, 1) ihr Verhältniss zu den formalen Autoritäten des
Katholicismus, 2) ihr Verhältniss zur Lehre von der Trinität und
von Christus^.
Was den ersten Punkt betrifft, so kann man sich sehr kurz
fassen : die Autorität der gegenwärtigen Kirche als der Lehrerin
und Richterin haben sie abgethan; aber sie haben auch die Lehr-
gewalt der Kirche der fi'üheren Zeiten bestritten. Dagegen blieb
das Verhältniss zur hl. Schrift fast überall unklar. Einerseits spielte
man die Schrift gegen die Tradition der Kirche aus und fusste mit
unerhörter Gesetzlichkeit auf dem Buchstaben ; andererseits drückte
man die Autorität der Schrift unter die der inneren Offenbarung
herab, ja schob sie sogar als Gesetz für den Glauben ganz bei Seite.
Indessen lässt sich leicht bemerken, dass die Unternehmungen, welche
mit der Kirchenautorität auch das absolute Ansehen der Bibel be-
seitigten, ohne erhebliche Wirkung geblieben sind, und dass auch
die, welche den „Geist" wider den „Buchstaben" ausspielten, häufig
gar nicht daran dachten, die einzigartige Geltung der hl. Schrift zu
beanstanden, sondern nur eine geistige Interpretation derselben her-
beiführen wollten. Das absolute Ansehen der Schrift ging aus allen
den Bewegungen, welche die Reformation und Contrareformation be-
gleiteten, schliesslich siegreich hervor. Der Socinianismus stellte sich
nach kurzen Schwankungen fest auf den Boden der Schrift. An
diesem Fels wagten also die Reformer des 16. Jahrhunderts — einige
ausgezeichnete Männer ausgenommen, die wirklich verstanden hatten,
* Ueber Servede s. d, zahlloseu Arbeiten von Tollin, der die ganze Kefor-
rnationsgeHchichtc „servetocentrisch" belcuehtcn wollte; Kawcrau i. d. Theol.
Stud. u. Krit. 1878 III; Kifrgenbach in Herzog s E.-Encykl. '' Bd. XIV; Trech-
Hel,a. a. O. 1 S. Gl ff.
'^ Wichtig ist noch zubemcrken, dass fast alle Jleformerapokatastatiach gesinnt
waren, und das« sie den katholischen Sacramentsbegriil" aufs heftigste bekämpften.
662 I^ie Ausgäiifje des Dogmas iin Antitriuitarismus und Socinianiemus.
was die Freiheit eines Christenmenschen ist* — nicht ernsthaft zu
riittehi. Mau hat es daher nicht, oder jedenfalls nicht in erster
Linie, ihnen zu verdanken, wenn nachmals ein freieres Vcrhältniss
zur Schrift in der Kirche gewonnen worden ist. Dieses ist vielmehr
eine Frucht der inneren Entwickelung des Protestantismus; das
Fortwirken AVeigeTscher und Böhme 'scher Ideen ist an diesem
Ergehniss schwerlich betheiligt. Die lleformer erweisen durch ihr
Festhalten an der von der Kirche gesanmielten und prädicirten Schrift
ihren mittelalterlichen Charakter ; aber sie haben doch die Grundlagen
des Dogmas gesprengt; denn dieses ruht nicht auf der Schrift allein,
sondern auf der Lelu*autorität der Kirche und auf dem alleinigen Recht
der Kirche, die Schrift auszulegen. Indem die Reformer dieses Recht
sich selbst und jedem Christenmenschen vindicirten, schufen sie — hier
freilich mit dem alten Protestantismus Hand in Hand gehend — den
AVidcrspruch, eine umfangreiche Büchersammlung als absolute Norm
in G eltung zu setzen, aber das Verständniss derselben den Bemühungen
der Einzelnen zu überlassen.
Was den zweiten Punkt betrifft, so hat sich der Antitrinitarismus
in allen vier oben charakterisirten Gruppen entwickelt, aber in ver-
schiedener AVeise^. In der ersten Gruppe ist er nicht aggressiv
gewesen, vielmehr latitudinarisch. Ein solcher latitu dinarischer Anti-
trinitarismus hat aber auch in der alten Kirche, ja bei den Vätern
des Dogmas, nicht gefehlt ; er gehört in gewisser Weise zu dem
Dogma selbst. Das spröde Dogma mystisch-pantheistisch zu erweichen,
die Trinität auf „modi" zurückzuführen und mit dem Weltgedanken
zu verflechten, in der Christologie den Specialfall eines sich immer
wiederholenden Ereignisses zu erbhcken, die Vereinigung der gött-
lichen und menschlichen Natur in Christo als eine vollkommene
Verschmelzung zu betrachten, die in der Metaphysik ihren letzten
* Hier ist vor Allem Hans Denck ehrenvoll zu nennen; vgl. Keller, Ein
Apostel der Wiedertäufer 1882 S. 83 ff. u, sonst. Denck hält das Wort Gottes in
der hl. Schrift fest, bestreitet aber die gesetzliche Autorität des Buchstabens und
weiss, dass nur der Geist den Geist des göttlichen AVorts zu erkennen vermag;
vgl. auch die Thesen S. Franck's. Henke IS. 403: „In der Verwerfung des
»formalen Princips« war doch Manches schriftgemässer als die Lehre, dass der
Geist nur durch das verbum externum gegeben werde." Dies ist richtig; aber stritt
Luther unter der spröden Hülle des verbum externum nicht für den geschichtlichen
Christus wider einen Christus, der zur Phantasie zu werden drohte?
^ T r e ch se 1 , a. a. 0., dessen Methode und Classificirung aber viel zu wünschen
übrig lässt. Ueber die Antitrinitaricr handeln auch B au r und Dorn er in ihren
Werken z. Gesch. der Lehre v. d. Trinität und der Christologie (vgl. auch des Letz-
tern Gesch. d. protest. Theol. 2. Auü. 1867).
Der Antitrinitarismus, 663
Grund hat^ in allen Dogmen Hüllen der Wahrheit zu erkennen, u. s. w.,
das Alles sind keine Neuerungen. Mithin sind auch Schwenkfeld,
Weigel; G. Bruno und ihr Anhang nicht Antitrinitarier im streng-
sten Sinn des Worts, wenn auch ihre Lehren im Fortwirken als
Ferment zur Auflösung des alten Dogmas gedient haben K — In der
zweiten Gruppe bildet der Antitrinitarismus nur ein Moment in dem.
Widerspruch gegen das Kirchenwesen, welches ganz und gar Babel
ist, und zwar ein Moment, das längst nicht überall hervorgetreten ist
und auch dort, wo es sich neben der Verwerfung der Kindertaufe, dem
Spiritualismus und der Lehre von der Apokatastasis geltend machte,
sehr verschieden motivirt erscheint. Denck, vielleicht der Ausge-
zeichnetste unter den Wiedertäufern, hat in seiner Schrift: „Ordnung
Gottes und der Creaturen Werk", den Antitrinitarismus kaum ge-
streift. Ihm lagen wichtigere Dinge am Herzen als die Polemik gegen
die Trinitätslehre ; an der Gottheit Christi hat er nie gezweifelt. Wenn
er einmal sagt: „Allmacht, Güte und Gerechtigkeit — das ist die
Dreifaltigkeit, Einigkeit und einige Dreiheit Gottes", so ist dieser
Ausspruch doch nicht direct antitrinitarisch zu verstehen. Er wollte
nur, wie Melanchthon in der ersten Ausgabe der loci, die Aufmerk-
samkeit von den Schulformeln auf die Sache richten^. Sein unreiner
Genosse Hätzer hat vorübergehend von dem „Aberglauben der
Gottheit Christi" gesprochen, weil Gott nur Einer sei; aber er selbst
scheint dann auf diese Abweichung wenig Gewicht gelegt zu haben,
und sein Widerspruch war ohne Erfolgt. Energischer war der Wider-
spruch des Campanus gegen die Trinität in seiner Schrift: „Wider
alle Welt nach den Aposteln", um deren willen Melanchthon den Ver-
fasser des „lichten Galgens" für würdig erklärte. Allein die positive Aus-
führung („Restitution und Besserung göttlicher und heihger Schrift"),
welche zwei göttliche Personen lehrte, den Sohn für consubstantialis,
' Sic wie die in der folgenden Gruppe zu nennenden Männer polemisirten
auch gegen die „äusserlichen" Vorstellungen von der VeiscJhnung (das Satisfactions-
dogma) •, vgl. Kitschi, Keehtfert. u. Versöhnung 1. Aufl. I S. 305 — 311. Münzer
betonte echt mittelalterlich nur das Vorbild Christi, schwieg aber über seine Be-
deutung als Versöhner. Denck hat an einem Missverständniss der Lehre Luther's
Anlas« genommen, die Idee der allgemeinen Versöhnung durch Christus überhaupt
zu verwerfen. Daher wurde in seinem Kreise die Jjchre von der Gottheit Christi
fraglich,
''H. Keller, a. a.O.S. 90. Trechs el, a. a. O. I S. 13ff. Doch ist Trechsel's
DarstfsUung durch Keller antiquirt. ITonke I S. 418 ff.
" Trechsel, a. a. O. I S. 13 W. Keim i. d. Jahrbb. f. deutsche Theol. 1856 II
u, i. Herzog's R.-E.''* Bd. V. Ein Gesinnungsgenosse Hätzer's war Kautz aus
Bockenheim.
664 I^it^ Ausgänge dea Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
jetloch dem Vater untergeordnet erklärte, blieb eine Singularität*. Im
Zusammenhang mit einer Geschichts])hilo8ophie (drei Zeitalter) hat
David Joris die Trinität als dreifache Offenbarung Ciottes sabel-
lianisch behandelt'-^. In valentinianischer AVeise hat sich der unermüd-
lich wandernde Melchior Hoffmann die C>hristologie zurechtgelegt'*,
während der venetianische Wiedertäufer Pietro Manelfi Christus
als den göttlichen, von «Joseph und Maria erzeugten Menschen ver-
kündigte* und mit dieser Lehre auf einer anabaptistischen Synode
(1550) durchdrangt. Dies ist in Itahen geschehen; denn dort (und
zum Theil in Südfrankreich durch Servede) allein ist der Anti-
trinitarismus zu wirklicher Entfiiltung gekommen. Dort allein ist er
nicht nur ein Moment neben anderen kritischen Momenten, sondern
das eigentlich kritische Moment geworden. Es ist das innerhalb der
oben charakterisirten dritten Gruppe geschehen. Die Verbindung
des Humanismus mit der nominalistisch-pelagiani sehen
Ueberlieferung der Theologie hat in Italien den Anti-
trinitarismus als einen wirklichen Factor der geschicht-
lichen Bewegung erzeugt^. Hier wird die Trinitätslehre aufgelöst,
ja es gilt ihre Beseitigung als wichtigste Reinigung und Entlastung der
Rehgion. An die Stelle derselben tritt die Lehre von dem einen Gott
und von dem geschaffenen Christus. Die Lehre über den letzteren
bleibt schwankend : bald lautet sie arianisch, bald adoptianisch ; auch
ein sabellianisches Element fehlt nicht ganz. Eine merkwürdige Parallele
zu der Geschichte der alten Adoptianer in der Kirche thut sich hier
auf. Wie die alten Theodotianer in Rom, so sind auch diese neuen
Theodotianer gleichmässig für die Bibel und für die nüchterne Philo-
sophie interessirt; wie die alten Theodotianer bilden sie nur eine Schule,
trotz aller Versuche, eine Kirche zu gründen ; wie jene arbeiten sie mit
der Grammatik, der Logik und den exegetischen Methoden, und wie jene
lassen sie bei allem Ernst den Ernst der Religion vermissen. Je mehr
man in die Details geht (vgl. auch den Schriftbeweis)^ desto frappanter ist
die Verwandtschaft. Eine ganze Schaar von Antitrinitariern hat Italien
in der Mitte des 16. Jahrhunderts erzeugt^. Camillo Renato, Gri-
» Trechsel, a. a. 0. S. 26—34.
- Nippold, iu d. Zeitschr. f. d. histor. Theol. 1863. 1864. Henke I S. 421 f.
^ZurLinden,M. H., ein Prophet der Wiedertäufer 1885.
'' Uebcr das Ev. zu Venedig s. Trechsel II S. 32 ff. Beurath i. d. Stud.
u. Krit. 1885 I.
^ Auch Mauelfi ist schliesslich wieder katholisch geworden.
^ Vgl. deu ganzen 2. Bd. des Trechserschcn Werks.
^ Auf Servede's Lehre gehe ich nicht ein; denn wenn auch dieser Spanier der
bedeutendste Antitrinitarier des 16. Jahrhunderts gewesen ist, so ist es ihm doch ver-
Der Antitrinitarismus. 665
baldO; Blandrata, Gentilis, Occhino und die beiden Sozzini
sind vor Allem zu nennen K Die Geschichte dieser Personen gehört
nicht hierher ; wohl aber verdient der allgemeine Gang der antitrinita-
rischen Bewegung die Aufmerksamkeit. Jene Reformer vermochten
sich in ItaUen nicht zu halten; sie mussten ihr Vaterland verlassen, und
sie suchten sich daher an den Grenzen desselben, in Graubünden und
der Südschweiz, anzusiedeln. Hier trafen sie auf die calvinische
Schöpfung. Es ist ein grosser Moment in der Kirchengeschichte, als
von Lyon her durch Servede, vom Süden und von Graubünden her
durch die genannten Männer der Antitrinitarismus um Bürgerrecht in
Genf, wo eine grosse italienische Colonie bestand, und in der Schweiz
nachsuchte. In den Händen Calvin's lag die Entscheidung-^, und Calvin
sagt geblieben, eine nachhaltige Wirkimg auszuüben. Von den meisten italienischen
Antitrinitariern unterscheidet er sich dadurch, dass sein Widerspruch gegen die
Trinitätslehre letztlich im Pantheismus begründet ist. Modalistische, gnostische
und adoptianische Elemente dienten ihm zum Aufbau der Christologie, die von
neuplatonischen Prämissen aus entworfen ist. Henke I S. 423 ff.
* Hier sind nur die wichtigsten Namen angeführt, viele andere bei Trechsel II
S. 64 ff. Ueber Occhino s. d. Monographie von Benrath 1875.
^ In den reformirten Gemeinden stand man doch nicht von Anfang an so fest
auf dem Boden der Trinitätslehre und der chalcedonensischen Christologie wie in
den lutherischen, weil man nicht das Bewusstsein hatte, sich durch eine Refor-
mation von der katholischen Kirche zu unterscheiden, sondern weil man mit ihr
gebrochen zu haben sich bewusst war. Eben desshalb hielt es dort viel schwerer,
zureichende Gründe für das strenge Festhalten an dem kirchlichen Alterthum zu
finden, zumal wenn man sich durch einige Schriftstellen überzeugen liess, dass
die Sache doch nicht so ganz klar und zweifellos in der Bibel enthalten sei. Wie
viele Männer in der Schweiz gab es um die Mitte des 16. Jahrhunderts, welche mit
den übrigen katholischen Lehren auch die trinitarischen mindestens zurückstellten!
Das Argument, dass es sich für einen Christen nicht zieme, Ausdrücke zu brauchen,
die nicht in der Schrift ständen, hatte auf rcformirtem Boden eine ungeheure Kraft.
Selbst Männer wie Vergerio waren den Antitrinitariern sehr günstig gesinnt (s.
Trechsel II S. 117 ff.). Es war wirklich nahe daran, dass man in einigen schweizer
Landeskirchen sich den Antitrinitarismus gefallen liess. Wie gross die Krisis in
den oOer Jahren gewesen ist, zeigen die zahlreichen Briefe der reformatorischen Epi-
gonen über die tnnitarische Frage in dieser Zeit. Der Druck, den die lutherischen
ausübten, hätte schwerlich genügt, um die freien Gemeinden der Schweiz aus der
Bahn der Freiheit zu werfen. In Calvin's Händen hat die Entscheidung gelegen,
und er hat den Antitrinitarismus für häretisch erklärt. Damit war die Sache für
(lenf, für die Schweiz, für die Pfalz, ja für alle Gebiete entschieden, die unter dem
ehernen Druck des grossen Gesetzgebers standen. Blickt man lediglich auf die
Frage an sich, so muss man es tief beklagen, dass die Reformation, so nahe vor den
gewaltigsten Fortschritt gestellt, den entscheidenden Schritt nicht gethan hat.
Allein erwägt man, dass die hervorragendsten Antitrinitarier keine Ahiuuig von
dem Glaubeusbegriff Luther's und Zwingli's besessen haben und sich zum Theil im
schlimmsten Moralismus ergingen, so muss man urthcilcn, dass die Toleranz gegen
666 l^i»^' Ausgäüge des l)ü<>nias im Autitriiiitarismus und SüciuianismuB.
hatte sich selbst ernst eine sehr despectirliche Aeusserung über das
Nicüno-Konstantinüpolitanuni crhiubt '. Allein er hat doch nicht gegen
seine Ueberzeugung gehandelt, als er die schroffste Haltung wider die
Antitrinitarier einnahm. Ist ihm auch eine Verengung seines Stand-
punkts durch den Gegensatz gegen die Genfer „Libcrtiner" aufge-
zwungen worden, so musste ihn doch die Consecjuenz seiner Glaubens-
lehre selbst zu den schärfsten Massregeln nöthigen. Er hat Servede
verbrennen lassen, und er hat durch sein mächtiges Wort die übrigen
schweizer Cantone, in denen man (besonders in Basel) ursprünglich
weitherziger urtheilte, vor der Toleranz bewahrt und zur Strenge
seines Princips bekehrt. Die Antitrinitarier hatten unterdess in
Polen und Siebenbürgen eine Freistätte gefunden. Der Zug der
Itahener nach Polen erklärt sich nicht nur aus der grossen Freiheit,
welche daselbst in Folge der permanenten Anarchie (Souveränetät der
Grossgrundbesitzer) herrschte; vielmehr hat man daran zu erinnern,
dass es vielleicht kein zweites Land in Europa im 16. Jahrhundert ge-
geben hat, dessen Städte so italienisch waren, wie Polen. Polen hat
keine eigene Renaissance erlebt wie Deutschland; aber der directe Ver-
kehr zwischen Italien und Polen war der lebhafteste : italienische Bau-
meister haben die Prachtgebäude in Krakau, Warschau u. s. w. ausge-
führt, und wie rege der geistige Verkehr zwischen Polen und Italien
gewesen ist, das haben uns die neueren Publikationen über polnische
Humanisten gezeigt. Diesen Beziehungen ist es mit zu verdanken, dass
die italienischen Reformer nach Polen gekommen sind; nach Sieben-
bürgen zogen sie w^ohl lediglich desshalb, w^eil es an den Grenzen der
Christenheit lag und ihnen dort die allgemeine Unordnung zu Gut kam.
So sind sie ja auch nach England gegangen in den Tagen Eduard's VI.,
als die Religionsverhältnisse dort in völliger Auflösung zu sein schienen.
In Siebenbürgen und Polen entstanden antitrinitarische Gemein-
den; ja in Siebenbürgen gelang es dem energischen Bland rata, das
antitrinitarische Bekenntniss als viertes christliches Bekenntniss zur
förmlichen Anerkennung zu bringen^. Innerhalb der Anarchie fand
sie im 16. Jahrhundert wahrscheinlich die Auflösung des evangelischeu Glaubens,
zunächst im Gebiete des calvinischen Einflusses, bedeutet hätte. Calvin schützte
durch seine drakonischen Massnahmen gegen die Antitrinitarier den Glauben —
Luther's.
* S. Köllner, Symbolik I S. 48 : „x^atres Nicaenos fanaticos appellat — s.
Nicaenum battologias arguit — Carmen cantillando magis aptuni, (|uam confessionis
formulam."
^ lieber Blandrata besitzen wir in unserer Litteratur noch keine Monographie;
seine „confessio antitrinitaria" hat Henke 1794 neu herausgegeben, vgl. Heberle
i. d. Tüb. theol. Ztschr. 1840 lY. Eine italienische INIonographie : INIalacarue, Com-
Die antitrinitarische Kirche. Fausto Sozzini 667
auch die Gewissensfreiheit eine Stätte. Das positive Bekenntniss
Blandrata's, welches er verhüllt hatte^ solange er in der Schweiz und
in Kleinpolen war, war streng unitarisch. Die ewige Gottheit Christi
erkannte er nicht an, sondern sah in Christus einen von Gott erwählten
und zum Gott erhobenen Menschen. Allein bald spaltete sich die uni-
tarische Kirche in eine Rechte und eine Linke. Diese schritt zur Ver-
werfung der wunderbaren Geburt Jesu und zur Leugnung seiner An-
betungswürdigkeit fort (Nonadorantismus). Ihr Hauptvertreter war
Franz Davidis ^. Um diese Richtung bekämpfen zu helfen, ist
Fausto Sozzini nach Siebenbürgen (1578) gekommen, und wirklich
gelang es mit seiner Hülfe, den Nonadorantismus zu unterdrücken. In
Polen mischten sich die Antitrinitarier in der ersten Zeit unter die
Reformirten ^. Ausserhalb seines Stammlandes erschien der Calvinis-
mus als die freisinnigste Confession, weil er auf die schärfste Tonart
gegenüber dem Romanismus hielt. Allein auch in Polen kam es zu
Auseinandersetzungen zwischen den Reformirten und „Arianern",
namenthch seit der Synode von Petrikau (1562), die zu einem förm-
lichen Bruch führte. Seitdem bestanden in Polen eigene unitarische
Gemeinden, die aber der festen Ordnung ermangelten. Wiedertäufe-
rische, socialistische, chihastische, libertinistische und nonadorantische
Neigungen fanden hier Raum und suchten sich geltend zu machen. Da
erschien Fausto Sozzini. Mit der klarsten Einsicht in das, was ihm
als die AVahrheit galt, verband er die zäheste Willenskraft und eine ange-
borene Gabe des Herrschers. Er hat aus den bedenklich gefährdeten,
ungeordneten Gemeinden eine Kirche geschaffen. In Polen entstand
ein als Kirche freilich kümmerliches Gegenbild zu jener Kirche von Genf,
die den Antitrinitarismus ausgestossen hatte ^. Dass sich aus dem
Unitarismus eine neue Confession entwickelt hat, der man den christ-
mentario dcllco perc di Giorgio Biandratc, nobile Saluzzcsc, ist 1814 in Padua er-
schienen.
^ Er gilt heute als der Vatei' des siebenbürgischen Unitarismus und wird als
solcher auch von den englischen und nordarmerikanischen Unitariern hoch gehalten ;
s. über ihn die Art. in Ersch und Gruber's En(;ykl. u. im Kathol. Kirchenlex. '-^ III;
dazu Fock, Socinianism. I S. 157 ff., 258 ff. Die Abspaltungen, die von dem Nona-
dorantismus bis zur Grenze des Judenthums erfolgten, sind geschichtlich ohne
Belang, aber interessant.
''■ Ebenso in iSiebcnbürgen und in England. Man konnte sich auf calvinischem
Boden des Antitrinitarismus eben nur durch ein Machtgebot erwehren. Uebcr den
Antitrinitarismus i. d. reformirten Pfalz s. Henke I S. 433 f.
" Ueber die Consolidirung des polnischen Unitarismus zum Socinianismus s.
F o c k's Darstellnng (Der Socinianismus I. P^d. 1847) S. 137—183. Das Werk von Fock
ist eine treffliche Leistung, die freilich, wenn sie heute erschiene, als ketzerisch ge-
brandmarkt werden würde.
()68 I^i« AuBgäüge des Dogmas im Autitrinitarismus und Socinianismus.
liehen Charakter nicht ahsprechen kann, und die nach einer an dramati-
schen Episoden reichen (jleschichte schhesshch in England und Amerika
eine Stätte gefunden und ausgezeichnete Miimier hervorgebracht hat,
ist ganz wesenthch das Verdienst Sozzini's ^
Aber bei aller Anerkeninmg der Persönlichkeit Fausto Sozzini's
lässt sich doch nicht verkennen, dass sein Glaube von dem evangelischen
sehr verschieden gewesen ist, und dass die Kritik an der Kirchenlehre,
die er geübt hat, sich als eine Consequenz der scotistischen Theologie
darstellt. Das hat Kitschi in meisterhafter Weise gezeigt^. Der
italienische Reformer, der nur ausserhalb der Grenzen des römischen
Reichs eine Stätte seiner Wirksamkeit gefunden hat, hat sich auch
ausserhalb des allgemeinen Kirchenglaubcns und der Kirche gestellt.
Er hat nicht etwa nur, wie es bei oberflächlicher Betrachtung den An-
schein hat, die Kirchenlehre berichtigt, sondern er hat die richtigen
Tendenzen verkannt, welche die Kirche zu den Lehren von der
Gottheit Christi, der Trinität und der Satisfaction geführt haben. Man
kann der formalen Kritik, welche die Socinianer an der orthodoxen
Lehre geübt haben, fast überall beistimmen und doch urtheilen, dass
die Vertreter der letzteren ein viel sichereres Verständniss des Evange-
liums offenbart haben als ihre Gegner. Aber der Ausdruck, in welchem
dieses Verständniss gefasst war, das Dogma, genügte nicht mehr. Es
war zum Absterben reif, und die Socinianer haben ihm ein Ende gemacht.
Dass diese Widerlegung im 17. Jahrhundert einen verhältnissmässig so
geringen Erfolg hatte, lag nicht nur an den besonderen Zeitumständen,
sondern in noch höherem Masse an dem Widerstreben jeder Religion,
sich durch eine von Aussen stammende Kritik aus ihren Positionen
werfen zu lassen. Religionen lassen sich nicht häuten ; man muss warten,
bis sie selbst die alte Haut abwerfen.
2. Die socinianische Lehre.
Die Lehre der Socinianer ist übersichtUch und ausführlich zu-
sammengestellt in dem Rakauer Katechismus (1609)^. Die Anlage
und die Ausführlichkeit desselben ist bereits charakteristisch. Die Reli-
gion ist das vollständige und richtige Wissen um die heilsame Lehre.
Darin sind die Socinianer mit den Epigonen der Reformation, die auch
aus der Kirche eine Schule machen wollten, einig. Dieser Grundsatz
^ Ueber den Socinianismus s.d. Protest. Symboliken; Rambach, Hist. u. theol.
Eiul. i. d. Kelig.-Streitigk. d. ev. K. m. d. Soc. 2 Tbl. 1753. Ausser dem AVerk von
Fock auch Ritschi, Rechtf. u. Versöhn. 1. Aufl. I S. 311—337.
^ S. Gesch. Studien z. christl. Lehre v. Gott, 3. Art. i. d. Jahrbb. f deutsche
Theol. XIII S. 268 ff. 283 ff. u. Rechtf. u. Versöhn. I a. a. 0.
^ Ich citire nach der Ausgabe Irenopoli post annum 1659.
I
Die socinianische Lehre. 669
führt conseqiient dazu, Allen die christliche Religion abzusprechen, die
dieses Wissen nicht haben. So weit gingen einige Lutheraner des
17. Jahrhunderts. Allein Faustus will den Gedanken, dass es neben
seiner Kirche andere christliche Kirchen giebt, behaupten : er ist tole-
rant. Neben der Definition, welche die Kirche auf die einschränkt,
welche die doctrina salutaris haben, steht die Anerkennung der anderen
Kirchen. Aber worin besteht denn jene doctrina salutaris, wenn doch
der grösste Gegensatz zwischen dem Socinianismus und der Lehre der
anderen Kirchen herrscht? Faustus hat es unterlassen, das anzugeben.
Der Katechismus ist so schulmässig wie möglich angelegt — eine
Unterweisung, um Theologen zu bilden. Er beginnt nach der Definition:
„Religio Christiana est via a deo per Jesum Christum monstrata
vitam aeternam consequendi", mit der Frage, wo dieser Weg zu lernen
ist, und antwortet : „Ex sacris Htteris, praesertim Novi Testamenti."
Das NT. wird nun an die Spitze der Religionslehre gestellt. Alle
schwarmgeistigen Elemente sind überwunden. Positiver und trockener
als es im Socinianismus geschieht, kann das NT. als die allein mass-
gebende Autorität, Quelle und Norm der Religion nicht verkündet
werden. Die christliche Religion ist Theologie des Neuen
Testamentes. Hierin liegt der positive Charakter begründet, den
Faustus seiner Schöpfung zu geben verstanden hat, freilich eine Posi-
tivität, die erschrecklich ist, sobald man daran denkt, was die Religion
wirkhch ist. Alles Wissen des Göttlichen ist von Aussen her gewirkt
und liegt lediglich beschlossen in dem einmal gegebenen Buche. Nicht
Christus ist die Offenbarung in dem Buche, sondern „in dem Buche
hat Gott sich selbst, seinen Willen und den Weg zum Heil offenbar
gemacht" (p. 5). Wenn man sich hier erinnert, dass sich bei Calvin
ähnhche Aeusserungen finden, so darf man nicht vergessen, dass Calvin
so wenig wie irgend ein anderer der Reformatoren jemals übersehen hat,
dass die Bibel dem Glauben gegeben ist. Allein davon findet sich bei
Faustus nichts. Es ist nicht einmal ein Ansatz gemacht, die in der
Bibel enthaltene äussere (Jfi'enbarung mit dem Wesen der Religion zu
vermitteln; vielmehr: dort das Buch, hier der menschliche Ver-
stand. Dieser ist in Wahrheit das zweite Princip der socinianischen
Dogmatik, die man desshalb nicht mit Unrecht als supranaturalen Ratio-
nalismus bezeichnet hat. Nicht der Mensch, der nach Gott verlangt,
der, in Sünde und Schuld verstrickt, Frieden und Sehgkeit entbehrt,
steht der in der Bibel niedergelegten Offenbarung gegenüber, sondern
einfach der Mensch als sterbliclies, aber vernünftiges AVesen, der nach
ewigem Leben ausschaut. Die Religion ist eine Angelegenheit
des vernünftigen Menschen. Ue])er diese höclist allgemeine.
f)70 Die Ausfränpo des Dogmas im Antitriiiitarismus und Socinianismus.
zweifellos sichere Erkeiintniss führt Faustus den Religionshegriff nicht
hinaus. Er erinnert darin und in seinem Bihlicismus an die antioche-
nischen Theologen.
Die Sectio I des Katechismus ist ganz der hl. Schrift gewidmet.
In dem ersten Oa])it(^l wird von der „certitudo sacrarum litterarum"
gehandelt (p. 1 — 10). Hier werden zuerst äussere Gründe, zum Theil
höchst zweifelhafter Art, für die Zuverlässigkeit der hl. Sclnift geltend
gemacht. Dann wird an die Undenkharkeit ai)pelhrt, dass (xott die Ver-
fälschung des Buchs, in welchem er sich seihst, seinen Willen und den
Heilsweg offenbart habe, zugelassen haben sollte. SchliessHch aber
wird doch der Versuch gemacht, die Glaubwürdigkeit des Buchs viel-
mehr aus der Wahrheit der christlichen Religion zu erweisen: das
Buch sei wahr, weil es die einzige Quelle für die wahre Religion ist.
Aber warum ist die christliche ReHgion wahr? Weil ihr Stifter gött-
lich (divinus) gewesen ist. Wie lässt sich das beweisen? Aus seinen
Wundern, w^elche die Juden selbst bezeugen und die nicht dämonisch
gewesen sein können, weil Christus ein Feind des Teufels war, und aus
seiner Auferstehung. Die Auferstehung aber ist aus dem Zeugniss
derer, die ihn gesehen haben und für diesen Glauben in den Tod ge-
gangen sind, zu erhärten. Man hat nur die Wahl, die Jünger und alle
folgenden Christen für verrückt zu halten oder an die Auferstehung
Christi zu glauben. Ferner aber liefert die Geschichte der christlichen
Religion einen Beweis ihrer Wahrheit : wie hätten sie so Viele unter
Verzicht auf alle irdischen Güter und unter der gewissen Aussicht auf
Elend, Schmach und Tod annehmen können, wenn nicht die Aufer-
stehung Christi eine Wahrheit wäre. Endlich erweist sich die Wahr-
heit der christlichen Religion ex ipsius religionis natura; denn sowohl
die Gebote als die Verheissungen dieser Religion seien so hoch und
überstiegen den Geist des Menschen so sehr, dass sie nur Gott zum
Urheber haben können: „nam illa quidem caelestem vitae sanctimoniam,
haec vero caeleste et aeternum hominis bonum comprehendunt." Hier-
auf w^erden noch weitere Gründe aus den „initiis, progressu, vi et
effectis" dieser Religion für ihre Wahrheit geltend gemacht. Aber in
Bezug auf die „vis et effectus" weiss der Katechismus nichts Anderes zu
sagen als: „primo quod haec religio nullo consilio nee astu, nulla vi
nullaque hominum potentia supprimi potuerit; deinde quod omnes pris-
cas religiones sustulerit, excepta Judaica, quam illa pro eiusmodi agno-
vit quae a deo profecta fuerit, licet ad (^hristi tamquam perfectioris
pietatis magistri adventum solummodo vigere debuerit". Dies Alles
gilt nur vom NT. Tn kürzester Weise wird die Zuverlässigkeit des AT. 's
im letzten Absatz bewiesen: die wahrhaftigen Schriften des NT. 's be-
Die socinianische Lehre. 671
zeugen das AT., also ist es gleichfalls zuverlässig. Religiös werthvoll
in dieser ganz abstracten Darlegung ist fast nichts als die Unterschei-
dung des A. und NT. 's. Aber eben diese wird am Schluss wieder auf-
gehoben. Augenscheinlich hat Faustus nicht den Muth gehabt, das
AT. offenkundig zu verwerfen und auch nicht die Fähigkeit besessen,
ein Stufenverhältniss zwischen AT. und NT. nachzuweisen. Die ratio-
nale Darlegung des absoluten AVerthes der hl. Schrift ist aber bei ge-
nauerer Betrachtung höchst unsicher und darum irrational. Sie ist der
erste und desshalb bedeutungsvolle Versuch, die Autorität der hl. Schrift
zu begründen, ohne den Glauben in Anspruch zu nehmen:
die Xcf.zpä(x soll sich als Xo^^iy^-q erweisen, aber leider nur als XoYizfj.
Welch' ein Unternehmen, dass eine Kirche sich solch' einen Katechis-
mus giebt: man muss bis auf die Zeiten Abälard's, ja der Apologeten
zurückgehen, um etwas Aehnliches in der Kirchengeschichte zu finden!
Trivial erscheint erst unserem Zeitalter diese Weisheit, nachdem sie
das 18. Jahrhundert vielfältig wiederholt hat. Trivial war sie am Anfang
des 17. Jahrhunderts wahrlich nicht, aber entblösst von allem religiösen
Sinn und im Grunde doch nicht „logischer" als die Katechismen der
Gegner. — Die beiden folgenden Capitel (de sufficientia et perspicuitate
S. S. p. 11 — 17) sind nach derselben Methode behandelt. Die Schrift
ist sufficient, weil der Glaube, der in der Liebe thätig ist, „quantum
satis" in ihr enthalten ist. Auf die Frage, inwiefern das vom Glauben
gilt, wird geantwortet: „In der Schrift ist aufs vollkommenste der
Glaube gelehrt, dass Gott existirt und ein Yergelter ist. Dies
aber und nichts Anderes ist der Glaube, der auf Gott und
Christus zu setzen ist." Wer erinnert sich hier nicht der nomi-
nalistischen Theologen und jener Päpste (Innocenz IV.), die behauptet
haben, wirklichen Glauben brauche der Christ nur an Gott als Vergelter
zu haben, in Bezug auf die übrigen Lehren genüge die fides implicita !
Die fides imphcita ist abgestreift — der Socinianismus ist fertig ! Die
Gebote der Liebe werden im Folgenden dem (klauben völlig gleichge-
stellt^ dann aber wird die Frage aufgeworfen, ob denn die Vernunft in
der Religion nöthig sei, wenn die Bibel Alles aufs vollkommenste ent-
hält. Hierauf lautet die Antwort: „Immo vero magnus rectae rationis
in rebus ad salutem spectantibus usus est, cum sine ea nee sacrarum
htterarum autoritas certo deprehendi, nee ea, quae in illis continentur,
intelligi, nee alia ex aliis colli gi, nee deni(jue ad usum revocari
possiiit. Itaque cum sacras litteras sufficere ad salutem
dicimus, rectam rationem noii tantum non excludimus,
sed omnino includimus." Wie kindlich setzt hier der klare Ver-
stand in der Religion ein! Gewiss gehört er irgendwie zu ihr, und es be-
672 r>i^' Ausoän^e des Dogmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
zeichnet einen weltgeschichtlichen Fortschritt der Theologie, dass man
all' die Lasten, welche die alte Welt auf die christliche lieligion gehäuft
hat, ihre Mystik, ihren Platonisnius, ihr gesammtes AYelterkennen, ab-
stossen will, um die aus ihren klassischen Grundlagen abzuleitende
Religion allein vor dem gesunden Menschenverstand zu rechtfertigen.
Aber naiver kann man sich niclit ausdrücken, als der Katechismus es
gethan hat: „rationem includinms". Wobei schliessen wir sie ein? was
ist das für eine ratio, die nicht ausgeschlossen werden darf? wo tritt sie
ein, und welcher Spielraum kommt ihr zu? Auf diese Fragen hat man
erst seit Kant zu antworten begonnen. Bis dahin war der Kampf
zwischen den Socinianern und ihren Gegnern eine Nyktomachie. Der
Katechismus lehnt hierauf die „Traditionen" ab und polemisirt dabei
gegen die römische Kirche. In dem Abschnitt über die Deutlichkeit
der hl. Schrift ist der Unterschied, der zwischen dem, was zum Heil
nothwendig ist, und dem Uebrigen gemacht wird, von Wichtigkeit.
Ueberhaupt zeigt sich hier der Vorzug der verständigen Betrachtung '.
Die Sectio II (p. 18 — 23) handelt vom Heilsweg. Der Mensch
konnte denselben trotz seiner Vernunft von sicli aus nicht finden, weil
er sterblich war (hier erscheint das altkirchliclie Element unverhüllt).
Der Katechismus legt das grösste Gewicht darauf (vgl. die nomina-
listische Doctrin), dass Adam als sterblicher, aller Unbill unterworfener
Mensch geschaffen worden sei. Das Ebenbild Gottes bestand lediglich
in der Herrschaft über die Thiere (der stärkste Gegensatz zu Augustin,
Thomas und Luther, zugleich eine Betrachtung, die jeden religiösen
Gedanken bei Seite setzt). Die Schriftstellen, nach welchen der Tod
durch die Sünde in die Welt gekommen ist, werden durch die Exegese
escamotirt: Rom. 5, 12 handelt nicht von der Sterblichkeit, sondern
von dem ewigen Tode. Erst in zweiter Linie wird auf den Sündenfall
verwiesen: der Mensch ist auch desshalb dem Tode verhaftet, w^eil
Adam ein offenkundiges Gebot Gottes übertreten hat: „unde porro
factum est, ut universam suam posteritatem secum in eadem mortis
iura traxerit, accedente tamen cuiusvis in adultioribus proprio delicto,
cuius deinde vis per apertam dei legem, quam homines transgressi fue-
rant, aucta est." Klar ist diese Ausführung nicht. Auf die Frage aber,
warum denn der Mensch, mag er auch sterblich sein, den Heilsweg
nicht selbst habe finden können, wird eine Antwort gegeben, die bereits
^ Ueber Religion, hl. Schrift und Vermmft s. Fock, a. a. O. S. 291— 41S.
Indem die Bibel und die Vernunft (letztere als receptives und kritisches Oriran)
als die Fundamente der christlichen Religion hingestellt wurden , lautete bei den
Socinianern die Losung, das Christenthum sei supra, nicht contra ratiouem. Die
nominalistische Doctrin hatte das „contra rationem" gelehrt.
I
Die socinianische Lehre. 673
den scotistischen Gottesbegriif völlig enthüllt: „quia et tantum praemi-
um et certa illud consequendi ratio ex solo dei arbitrio ac consilio
pependit; dei autem consilia ac decreta ipso non revelante quis homi-
num indagare ac certo potest cognoscere" ? Diese Antwort klingt sehr
religiös; aber die grossen Moralisten haben hier von dem Sittengesetz
ganz abgesehen: der Heilsweg ist lediglich durch die Willkür
Gottes bestimmt. Wie aber ist er beschaffen ? * Der Katechismus
antwortet correct evangelisch mit Job. 17, 3. Aber worin besteht die
Erkenntniss Gottes und Christi? „Per cognitionem istam non nudam
aliquam et in sola speculatione consistentem dei et Christi notitiam in-
telligimus, sed — cum suo effectu, h. e. vita illi conformi ac con-
veniente coniunctam ; denn so lehre I Joh. 2, 3 f. Damit vergleiche
man, was Luther an dieser Stelle ausgeführt hat, um sich davon zu
überzeugen, dass der Socinianismus nichts mit der Reformation gemein-
sam hat. Es ist ültrakatholicismus, was er hier lehrt: vom Glau-
ben (dem Fürchten, Lieben und Vertrauen) ist gar nicht die Rede,
sondern lediglich von der notitia dei et Christi und dem heiligen Leben.
Die Sectio III (p. 23 — 45) handelt von der Erkenntniss Gottes,
als dem „supremus rerum omnium dominus". Hier begegnet man
überall scotistischen Gedanken. Man kann die Vorstellung, dass Gott
die absolute Willkür ist und dass diese Eigenschaft die höchste ist, die
sich von ihm aussagen lässt, nicht schärfer formuliren als in dem Satze
(p. 23): „lus et potestas summa, ut de ceteris rebus omnibus, ita et de
nobis quicquidvelitstatuendi, etiaminiis, ad quae nulla alia potestas per-
tingit, ut sunt cogitationes nostrae, quamvis in intimis recessibus cordis
abditae, quibus ille pro arbitrio leges ponere et praemia ac
poonas statuere potest." Wie hoch steht doch noch Thomas über
diesem Gottesbegriff! Der Gedanke, dass Gott das Wesen ist, auf das
man sich verlassen kann, ist den Socinianern unbekannt. Sehr sicher
wird dagegen die Lehre von der Einheit Gottes durchgeführt, freilich
mit der tertullianischen (s. d. Schrift adv. Prax.), resp. arianischen Ein-
schränkung, welche die cigcnthümliche socinianische Christologie vor-
bereiten soll (p. 25) : „Nihil prohibet, quominus illo unus deus Imperium
potestatomque cum aliis communicare possit et communicaverit, licet
scriptura asscrat, cum solum esse qui sit potens ac dominator" ^. Die
1 Der Heilswo^ hat zum Ziel die vita aotcrna; da dor Mensch von Natur
sterblich ist, so führte ihn (iott duroli die christliclie Religion in eine neue Seins-
weise. Dies wäre nöthig gewesen, auch wenn die Sünde nicht eingetreten wäre.
Wir haben hier eine vollkommene Wiederholung der Lehre Theodor's (von Mops-
veste) von den beiden Katastaserr, s. Bd. TT S. 151 f.
* Dazu p. 32, wo rielitig naeligt; wiesen wird, dass das Wort „(iott" in der
H a r n a (; k , DoKiTH^nKeHchichtc ilJ . 43
674 l^it^ Ausfj^äuß^e des Dop^mas im Aiititrinitarismus und Socinianismus.
Eigenschaften Gottes werden dann in ganz äusserlicher Weise, d. h.
ohne Beziehung auf den Ghiuben abgehandelt. Die alte schohistische
Methode ist hier völlig hohl geworden: Gottes Ewigkeit ist Anfangs-
und Endlosigkeit, seine Alhnacht hat nur an der contradietio in adiecto
ihre Grenzte (p. 26). Auf die Frage, inwiefein die notitia der göttHchen
Eigenschaften zum Heile nothwendig ist, wird eine Reihe von Antworten
gegeben, die sännntlich eine nur lose Beziehung zu dem Glauben haben.
Es ist doch nur ein künmierhcher, ja bedenklicher Ansatz, wenn es
p. 27 sq. heisst, zu glauben, dass Gott „sunnne iustus" sei, seidesshalb
zum Heil nothwendig, damit wir überzeugt würden, dass er seine Ver-
sprechungen halten werde, oder wenn p. 28 an Gottes hohe Weisheit
zu glauben darum für nothwendig erachtet wird, „ut nihil dubitemus,
etiam cor nostrum, quo ad perscrutandum nil est difficilius, illi prorsus
et semper perspectum atque cognitum esse, e quo etiam obedientia
nostra potissimum aestimatur". Dagegen nicht für nothwendig,
sondern nur für „vehementer utile" zum Heil - — eine schlimme üonces-
sion — wird die Verwerfung der Trinitätslehre gehalten * (p. 30). Der
Beweis, der gegen sie geliefert wird, ist in erster Linie Vernunftbeweis
(essentia = persona), in zweiter Schriftbeweis. Hier haben die Socinianer
Treffliches geleistet und die Exegese vom Bann des Dogmas befreit.
Die Ausführungen, namentlich die exegetisch-polemischen, sind grössten-
theils unwiderleglich. Aber andererseits — auf das Grundbekenntniss,
welches die Schriftaussagen beherrscht, sind die Socinianer so wenig ein-
gegangen, wie auf die religiösen Tendenzen, welche die kirchliche Lehre
bestimmt haben 2. Die Schlussausführung, welche den Nachweis er-
bringen will, dass die kirchliche Trinitätslehre gefährlich und die socinia-
nische Gotteslehre „sehr nützlich zum Heil" sei, ist nicht unrichtig,
aber sehr matt^. In dem sich daran anschüessenden kurzen Capitel
Schrift eine doppelte Bedeutung habe, 1) als Princip und Herr aller Dinge, 2) „euni
denotat, qui pote&tatem aliquam sive caelestem sive in terris inter homines summani,
aut qui potentiam virtutemque omni humana niaiorem ab uno illo deo habet et sie
deitatis unius illius dei aliqua ratione particeps est."
* S. auch p. 40: haec opinio (die Trinitätslehre) damnare non videtur euni,
cui nulla erroris suspicio mota est." Das ist auch katholisch gedacht (die niateriale
Häresie verdammt nicht, sondern nur die formale).
" S. Fock n S. 454 — 477, dessen Kritik der Kirchenlehre und des Sociuia-
nismus aber durch Hegel's Philosophie bestimmt ist.
^ „Ista opinio primum unius dei fidem facere convellere et labefactare potest
. . . secundo gloriam unius dei, qui tantum pater Christi est, obscurat, dum eam ad
aliud, qui pater non est, transfert; tertio ea quae deo illi uno et summo sunt indigna
continet, deum seil, illum uuum et altissimum alicuius esse filium vel spiritum et sie
habere patrem et sui auctorem etc. . . . denique alieuis a religioue Christiaua
magno est ad eam amplecteudam impedimenio" (p. 38 sq.).
Die socinianische Lehre. 675
über „den "Willen Gottes" ist die Zusammenstellung dessen, was die
Menschen bereits ante legem et per legem vom göttlichen Willen ge-
wusst haben, lehrreich. Ante legem wussten sie bereits 1) die Schöpfung
der Welt aus Gott, 2) die Providentia dei de singulis rebus (!), 3) die
remuneratio eorum, qui ipsum quaerunt. „In hoc vero tertio membro
comprehenditur cognitio quaedam eorum, quae deo grata sunt et quo-
rum observatione ipsi obeditur, quorum ohm et ante legem cognitorum
nullum in ipsa lege Mosis fuisse praetermissum consentaneum est"
(p. 42 sq.)*. Per legem erfuhren sie den Dekalog. Den Glauben an
die Vorsehung Gottes rechneten also auch die Socinianer zu den vor-
christlichen Erkenntnissen.
In Sectio IV (p. 45 — 144) folgt die Erkenntniss der Person Christi.
An diesem angefochtensten Punkt ist der Katecliismus am ausführhch-
sten. Was die Nominalisten als Hypothese ausgesprochen hatten, dass
Gott uns auch durch einen Menschen erlösen könne, das wird hier, da
die Autorität der kirchlichen Tradition weggefallen ist, als wirklich ge-
nommen. In der That hat der Socinianismüs auch keinen Grund, von
seinen Prämissen aus die Gottheit Christi anzuerkennen, und wenn man
die Evangelien vor das öde Dilemma stellt, war Christus ein Gott oder
ein Mensch, so kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Zu der Frage-
stellung aber, ob Christus nicht „mein" Gott ist, ob er nicht derjenige
ist, an dem uns Gott offenbar ist, ist der Socinianismüs nicht gekommen.
Auch in diesem Abschnitt über Cliristus hat er nicht vom Standpunkt
der durch Christus von Sünde und Tod erlösten Gemeinde seine Be-
stimmungen getroffen. Die negative Kritik ist auch hier fast durchweg
unwiderleglich, zum Theil meisterhaft; die positiven Aufstellungen
über das, was Christus den Seinigen ist, bleiben an Gehalt hinter den
fadenscheinigsten Lehren der abgestumpftesten Scholastiker zurück:
Christus ist ein sterblicher Mensch, der unsterblich geworden ist, aber
kein gewöhnlicher Mensch ; denn er ist von Anfang an durch die wunder-
bare Zeugung eingeborener Gottessolm gewesen , ist vom Vater ge-
heiligt und in die Welt gesandt, mit göttlicher Weisheit und Macht aus-
gerüstet, auferweckt („sie denuo veluti genitus, praesertim cum hac
via immortalitate deo similis evaserit") und schliesslich zu Gott gleicher
' Auf die Frage, warum es iiötliig Ist, zu wissen, dass (lott die Welt ge-
fjclian'en liat, heisst es kurz und ])ündifr: 1) „quod deus velit, ut id credainus eaque
res ad sunmiarn dei gloriam pertineat", 2j „(juod nisi certo id nobis persuasum
esset, nullani causam haberemus credendi, talcni esse de rebus omnibus dei provi-
dentiam, qualem ante diximus atque ea ratione animum ad ei obedienduni non in-
duceremus." Das Erste ist scotistisch, das zweite jedenfalls nicht vom Standpunkt
dos Glaubens aus geredet.
43*
676 r)it^ Ausgänge des Dopfmas im Antitrinitarismus und Socinianismus.
Macht eingesetzt worden. Schon auf Erden weilend war er „Gott" (der
göttUchen Macht und Kraft wegen, die in dem SterbUchen aufleuchtete) ;
jetzt aber ist er dies in noch viel höherem Grade. Dass sich diese Aus-
sagen, sofern sie ein Signalement Jesu geben, mit biblischen Zeugnissen
ungefähr decken, ist o[feid)ar ; aber ebenso offenbar ist auch, dass sie völlig
werthlos sind, da sie kuHglich als exegetischer Befund festgestellt und
dem Glauben als Gesetz auferlegt werden. Das viel kürzere und viel
schlichtere Zeugniss des Paulus: „Niemand kann Jesum einen Herrn
heissen ohne durch den hl. Geist", ist unendlich viel werthvoller, weil
es das Bekenntniss zu Christus nur als gottgewirktes kennt und da-
mit die Christologie dortliin setzt, wohin sie gehört. Der Socinianismus
aber verfährt wie die alte Schule. Er stellt allem zuvor die Lehre von
der Person Christi aus der Schrift fest; jene benutzte dazu Schrift und
Tradition und war dabei im Vortheil ; denn sie erhielt aus der Tradition
Richtlinien. Der Socinianismus achtete nur darauf, die Schriftlehre
exegetisch zu erheben und dabei nicht in zu starken Conflict mit der
Vernunft zu gerathen.
Fasst man die socinianische Lehre von der Person und dem Werke
Christi zusammen, so lautet sie in Kürze also: Gott hat kraft eines
freien Beschlusses festgestellt, dass die sterbHchen Menschen in einen
neuen, ihrem natürlichen Wesen fremden Zustand erlioben, d. h. zum
ewigen Leben geführt werden sollen (zweite Katastase). Ebenfalls
kraft eines freien Entschlusses hat er dazu den Menschen Jesus erweckt,
den er durch die wunderbare Geburt mit göttlichen Kräften ausgerüstet
hat. Dieser Mensch hat als Prophet die vollkommene göttliche Ge-
setzgebung gebracht, sofern er den Dekalog erklärt und vertieft hat; er
hat ferner die Verheissung des ewigen Lebens sicher ausgesprochen und
endlich das Beispiel des vollkommenen sittlichen Lebens gegeben,
welches er in seinem Tode bestätigt hat. „Er überschreitet die Stufe
des AT. 's, indem er das mosaische Gesetz reformirt und ihm neue
Sittengebote und sacramentale Anordnungen hinzugefügt, indem er
durch die Verheissungen des ewigen Lebens und des hl. Geistes einen
starken Impuls zu deren Beobachtung verliehen, und indem er die all-
gemeine Absicht Gottes versichert hat, den Reuigen und der Besserung
Beflissenen die Sünden zu vergeben. Allerdings kann nun kein Mensch
das göttliche Gesetz vollkommen erfüllen, und desshalb erfolgt die
Rechtfertigung nicht durch Werke, sondern durch den Glauben. Aber
der Glaube ist das Vertrauen auf den Gesetzgeber, welches
den thatsächlichen Gehorsam gegen denselben, soweit er
den Menschen gelingt, in sich schliesst. Christus verbürgt nun
durch seine Auferstehung, durch den Gewinn der göttlichen IVIacht den-
Die socinianische Lehre. 677
jenigen, die in diesem Sinne von Glauben zu ihm sich halten, zunächst
die effective Befreiung von der Sünde, in dem Masse, als sie seinem
Impuls zum neuen Leben und zur Besserung folgen, weiterhin die Er-
reichung ihres übernatürlichen Zieles und durch den hl. Geist, den er
verleiht, die vorausgehende Gewissheit des ewigen Lebens, mit dessen
Antritte auch die Sündenvergebung für den Einzelnen zum Abschluss
kommt " ^ ^
Im Einzelnen ist Folgendes bemerkenswerth : L In der Lehre von
der Person Christi wird die Göttlichkeit Jesu behauptet, die göttHche
Natur abgelehnt (p. 48: „si naturae seu substantiae divinae nomine
ipsam dei essentiam inteUigimus, non agnoscimus hoc sensu divinam in
Christo naturam") und die kirchliche Anschauung aus der Vernunft und
der Schrift widerlegt. Besondere Schwierigkeiten machten den Soci-
nianern hier die Stellen der hl. Schrift, welche eine Präexistenz Christi
aussagen. Sie suchten zu zeigen, dass viele Stellen, genau betrachtet,
die Präexistenz nicht enthalten, und dass andere so erklärt werden
können, dass Christus während seines irdischen Lebens (wie Paulus) in
den Himmel entrückt worden sei und dort das ewige Leben geschaut
und die vollkommenen Gebote gehört habe , wesshalb Johannes von
ihm sagen könne, er sei vom Himmel gekommen ; endlich müsse man
darauf achten, dass Vieles in der Schrift „figurate" gesagt sei (s.
p. 48 — 144, besonders auch p. 146 sq.)^.
2. Die Lehre von den drei Aemtern liegt der socinianischen Dar-
stellung des Werkes Christi zu Grunde. Am ausführlichsten aber ist
* Ritschi, a. a, 0, I S. 315 f. Sehr richtig fährt Ritschi also fort: „Hierin
erscheint ein handgreifliches Merkmal des praktischen Gegensatzes zwischen dem
Socinianismus und dem kirchlichen Protestantismus. Hier gilt die Sündenvergebung
als das Princip, dort als entferntere Folge des christlichen Lebens. Der Wider-
spruch des Socinianismus gegen die Lehre von der Satisfaction Christi, welche den
ersteren (iedanken begründet, ist also von diesem Punkte aus erklärlich ; aber diese
socinianische Schätzung der Sündenvergebung als Accidens des christlichen Lebens
ist zugleich das Merkmal davon, dass man in Christus den Stifter nicht einer Reli-
gionsgemeinschaft, sondern einer ethischen Schule anerketint. Und wenn dieser
Gegensatz nicht durchgehends deutlich erscheint , wenn vielmehr zugestanden
werden muss, dass der Socinianismus dennoch eigenthümlich religiöse Ziele, Richt-
))urikte und Bedingungen aufstellt, so erklärt sich dieser Umstand daraus, dass der
Socinianismus, als erster Versuch dor Darstellung des Christenthums in der Rich-
tung der ethischen Schule, noch den Einflüssen der bisher ausschliesslich geltenden
Darstellung des Christenthums unterlag, von welcher er sich im Grunde abge-
wendet hatte."
' Dass die Socinianer die Ersten gewesen sind, welche sich in Bezug auf die
christologischen Stellen des NT.'s vom Bann der platonisireriden Dogmatik befreit
haben, soll ihnen unvergessen bleiben.
678 I'i^ Ausgänge des Dogmas im Autitrinitarisraus und Sociniauismus.
(Sectio V u. VI p. 144 — 316) das prophetische Amt behandelt. In
Wahrheit ist das ganze Werk (Jhristi, soweit es den Socinianern deut-
hch war, unter diesen Titel gestellt, und man gewahrt leicht, dass es
Accoruniüdation an die alte Lehre gewesen ist, wenn sie noch das könig-
liche und das hohepriesterhche Amt hinzugefügt haben. In dem Satze,
dass Christus uns den göttlichen Willen vollkonnnen offenbart habe, ver-
nuig der Sociniauismus im Grunde Alles zusammenzufassen. Das Schema
des hohenpriesterlichen Amtes dient wesentlich der Widerlegung der
kirchlichen Lehre.
3. Für das prophetische Amt Christi wird das Schema gewonnen
(]). 148): „comprehendit tum praecepta, tum promissa dei perfecta,
tum denique niodum ac rationem, qui nos et praeceptis et
promissionibus dei conformare debeamus. " Dies gilt zugleich
als der Inhalt des neuen Bundes, so dass der Glaube nicht einmal
genannt wird. In dem ersten Capitel wird nun von den Geboten ge-
handelt, die Christus dem Gesetze hinzugefügt hat (p. 149 — 209);
denn die göttlichen Gebote bestehen aus dem Dekalog und aus den
Geboten, die demselben von Christus und den Aposteln nach Ab-
schaffung des Ceremonialgesetzes hinzugefügt worden sind. Diese
Abschaffung gilt als Umwandelung der severitas und des rigor legis
in die gratia et misericordia. Doch seien die Gebote in Bezug auf
das Recht der Obrigkeit gewahrt geblieben, „quin et ipsa Christi
ecclesia rempublicam supponit, cum non alibi quam in republica con-
gregetur" (p. 153). Allein ganz sicher hat sich der Socinianismus
doch noch nicht über das Misstrauen des Mittelalters gegen den
Staat und die Rechtsordnungen erhoben, wie namentlich p. 194 sq.
zu erkennen ist. Es folgt nun (p. 154 sq.) eine Auslegung des Deka-
logs, in den (zum ersten Gebot) eine Auslegung des Vater-Unsers
eingestellt ist. Christus hat das Vater-Unser dem ersten Gebote hin-
zugefügt; er hat aber ausserdem als Zusatz zu diesem Gebote die
Anweisung, ihn selbst göttlich zu verehren, gegeben. Gegenüber dem
Nonadorantismus wird die göttliche Verehrung Christi (p. 164 — 176)
ausführlich gerechtfertigt ^ In dem zweiten Capitel folgt (p. 209 bis
* „Ipsum etiam dominum Jesum pro eo, qui in nos potestatem habeat divinam,
istoque sensu pro deo agnoscere ac porro ei confidere ac divinum honorem ex-
hibere tenemur." Die Ehre, die man Christus zu geben hat, besteht (p. 165) sowohl
in der adoratio als in der invocatio. Dies wird aus der hl. Schrift erwiesen und aus
der Glaubensüberzeugung, dass er unser Herr ist, der uns helfen kann und will.
Der betreffende Abschnitt gehört zum Besten, was der Katechismus enthält. Von
denen, die Christum nicht anbeten und anrufen wollen, heisst es p. 172 sq.: „eos,
qui id facere nolunt, Christianos hactenus nou esse, quamvis alioqui Christi uoniou
Die socinianische Lehre. 679
221) die Darlegung der besonderen Gebote Christi, sofern dieselben
moralischer Art sind. Der Katechismus unterscheidet hier drei
Gebote: 1) zuversichtliche stetige Freude zu Gott, unablässiges Gebet
in dem sicheren Vertrauen auf die göttliche Hülfe im Namen Christi
und herzliche Danksagung, 2) Enthaltung von der Weltliebe d. h.
von der Augenlust, der Fleischeslust und dem hoffärtigen Wesen,
3) Selbstverleugnung und muthige Geduld. Besonders über die Ge-
bote der ersten Gruppe hat der Katechismus schon zu reden ver-
standen *, aber das, was er hier ausführt, ist in keine sichere Ver-
bindung mit Christus und mit dem Glauben gesetzt. In dem dritten
und vierten Capitel (p. 221—228; 228—243) folgt die Darlegung
der besonderen Gebote Christi, sofern dielben ceremonialer Art
sind, d. h. das Gebot der Taufe und des Abendmahls. Diese Art
der Betrachtung entscheidet bereits über den Sinn, welchen der
Socinianismus diesen Handlungen giebt. Die Taufe wird definirt
(p. 221) als „ritus initiationis, quo homines, agnita Christi doctrina
et suscepta in eum fide, Christo auctorantur et discipulis eins seu
ecclesiae inscribuntur, renuntiantes mundo . . . profitentes vero se
patrem et fihum et spiritum sanctum pro unico duce et magistro
religionis totiusque vitae et conversationis suae habituros esse ipsaque
sui ablutione et immersione ac remersione declarantes ac veluti
repraesentantes, se peccatorum sordes deponere, Christo con-
sepeliri, proinde commori et ad vitae novitatem resurgere velle, utque
id re ipsa praestent sese obstringentes, simul etiam hac professione
et obligatione facta symbolum et signum remissionis peccatorum
ipsamque adeo remissionem accipientes.'^ Die ganz zuletzt
— völlig unerwartet und unvermittelt — angefügten Worte bezeichnen
eine Accommodation '. Die Taufe ist in Wahrheit Bekenntniss, Ver-
pflichtung und Symbol. Die Kindertaufe wird abgelehnt, aber ge-
duldet^. Die Duldung erklärt sich daraus, dass auf die ganze Cere-
profitcantur et doctrinac illius so, adhacrere dicant." Es folgt dann eine Abweisung
der katholischen Marien- und Heiligenverehrung.
* Der Verdacht, dass sich viele Socinianer positiver ausgedrückt haben als sie
durften, lässt sich überhaupt schwer unterdrücken. Haben sie wirklich die formelle
Autorität der hl. Schrift so hoch geschätzt, dass sie alles das für wahr hielten, was in
der Schrift stand, wenn es auch ihrer exegetischen Kunst spottete? Ich vermag mich
von dieser Annahme nicht zu überzeugen und glaube, dass das aufklärerische Ele-
ment bei ihnen stärker ausgebildet war, als ihre Schriften vcrmuthen lassen. Der
charakterlose aber scharfblickende Philologe Justus Lipsius hat in seiner be-
rühmten Charakteristik der christlichen Confessionen seiner Zeit die Sociauianer
als „hyi)0<;ritae docti" bezeichnet. Faustus ist jedenfalls auszunehmen.
' S. p. 222: sie entspricht nicht der Meinung der Apostel ^ aber sie ist auch
f)80 r)ie Ausgänge des Dogmas im Autitriuitarismus und Socinianismus.
monie überhaupt nicht so viel ankommt. Ein schwerer Irrthum ist
es, die regeneratio mit der Taufe in Verbindung zu setzen. Der
Socinianisnms hat hier also mit dem Sacrament als Sacrament auf-
geräumt. In ähnlicher Weise wie bei der Taufe (Untertauchen) wird
beim Abendmahl auf das Brotbrechen der höchste Nachdruck
gelegt, und man kann nicht leugnen, dass der Socinianismus einen
anerkennenswertlien Versuch gemacht hat, die hl. Handlung auf ihren
ursprünglichen Sinn zurückzuführen. Aber er hat es auch hier in
latitudinarischer Weise vermieden, das Letzte zu sagen, resp. die
Ceremonie und die Sündenvergebung, welche die Einsetzungsworte
zusammenlassen, gänzlich zu trennend An das Wort im Sacrament
hat er nicht gedacht: er war auch hier kraft seines Biblicismus und
seines Gehorsams gegen die willkürlichen Satzungen Gottes und Christi
bereit, das zu glauben und zu tlmn, was vorgeschrieben ist. Die
Socinianer erweisen sich also auch hier als mittelalterliche Christen,
wenn sie auch die Sacramente gestrichen haben. Die Definition des
„Brotbrechens'-' lautet (p. 228): „Est Christi domini institutum, ut
fideles ipsius panem simul frangant et comedant et ex cahce bibant,
ipsius commemorandi seu mortem eins annunciandi causa: quod per-
manere in adventum ipsius oportet." Eingesetzt hat Christus diesen
Ritus, weil die Erinnerung an seinen Tod die Erinnerung an das
schwerste Stück seiner Heilsthaten ist. Die katholische, lutherische
und calvinische Abendmahlslehre wird (p. 231) ausdrücklich als irrig
bezeichnet, ausführhch widerlegt und ihr gegenüber (p. 238 sq.) die
symbohsche als die richtige erwiesen. Ein religiöses Element wird
nirgends hervorgehoben: die Ceremonie des Brotbrechens ist Be-
kenntniss zu Christo und Erinnerung. Nun folgen — noch immer
unter dem Titel des projDhe tischen Amtes — die beiden Capitel über
die Verheissung des ewigen Lebens (p. 243 — 248) und des hl. Geistes
(p. 248 — 259). Die Sündenvergebung kommt hier nur in untergeord-
neter Weise vor; denn sie ist lediglich Folge des christlichen Lebens.
Der Satz: „in vita aeterna simul comprehensa est peccatorum remissio"
(p. 243), entspricht dem alten Christenthum, wie es sich seit den
Tagen der Apologeten entwickelt hat, ist aber dem pauhnisch-luthe-
rischen Gedanken: „Wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch
,n
keine wahre Taufe, da sie nicht durch Untertauchen geschieht-, „quem tarnen erro-
rem adeo inveteratum et pervulgatum, praesertim circa rem ritualem, Christiaua
Caritas tolerare suadet in iis, qui certeroquin pie vivant et alios, qui huic errori
renuntiarunt, non insectentur, donec veritas magis magisque patescat."
^ lieber die Worte „zur Vergebung der Sünden" schweigt der Katechismus
einfach. Bei der Taufe nennt er sie wenigstens.
Die socinianische Lehre. 681
Leben und Seligkeit" entgegengesetzt. Dagegen ist es ein urchrist-
licher Gedanke, dessen Geltendmachung ein hohes Verdienst des
Socinianismus ist, dass die consecutio Spiritus sancti der vita aeterna
vorhergeht und dieselbe bewirkt. Diesen Gedanken hat Faustus als
biblischer Theologe wieder entdeckt und ihn formell trefflich durch-
geführt. Aber wie kann der Sinn dieser consecutio spiritus s. richtig
und eindrucksvoll getroffen werden, wenn die Sündenvergebung ganz
ausser Betracht bleibt, resp. nur als ein Moment an dem ewigen
Leben berücksichtigt wird ? ^ Dieses selbst wird (p. 245) in der ober-
flächlichsten Weise beschrieben — es erscheint als das Phlegma der
altkirchhchen Dogmatik: „vita nuUo tempore finienda, gaudio ac
voluptate prorsus divina in ipsis coelis cum deo et Christo beatisque
angelis agenda." Anders kann das ewige Leben nicht beschrieben
werden, wenn es nicht gemessen wird an dem Schrecken und dem
Unfrieden der Seele, die ohne Christus an dem Gedanken Gottes
nur den Tod findet. Statt auf das ewige Leben im religiösen Sinn
einzugehen, beschäftigt sich der Katechismus mit den scholastischen
Kinderfragen, ob es schon im AT. verheissen worden ist, ob auch
die Menschen vor Christus selig werden konnten, ii. s. w. Da-
gegen ist in dem Abschnitt über die Gabe des hl. Geistes von Faustus
aus dem NT. viel mehr erhoben worden, als was er selbst zu ver-
stehen im Stande war. Sein Schema: „Das äussere Schriftwort —
die Vernunft" wird durchbrochen, wenn es p. 251 heisst, dass zwar
jenes schon eine gewisse Zuversicht zu Gott wecken könne, „verum-
tamen ad inserendam animis nostris firmiorem et certiorem spem,
cuius virtute in omnibus tentationibus invicti subsistamus, videtur
requiri, ut ea promissio exterius per evangehum proposita, interius
a deo in cordibus nostris per spiritum sanctum obsignetur." Allein
wie enttäuscht wird man in dem gleich Folgenden, wo nachgewiesen
wird, dass der hl. Geist nur dem gegeben werde, der be-
reits dem Evangelium glaubt (p. 252). Der Glaube ist also
des Menschen eigenstes "Werk und immer nur ein Vorläufiges: zum
Glauben ist der hl. Geist nicht nöthig. Hier zeigt sich wiederum
die katholische Grundstimmung der Socinianer aufs deuthchste, und
^ P. 244 wird freilich — noch vor der Darlegung über das ewige Leben — eine
Definition der Sündenvergebung gegeben, die sehr weit zu reichen scheint. Aber
erstlich schwebt Hie völlig in der Luft (ohne jeden Zusammenhang mit dem Vorher-
gehenden oder Folgenden wird sie gegeben) ; zweitens lässt sie jede Beziehung auf
Christus und den Glauben vermissen. Man kann hieraus nur schliesscn, dass die
„gratuita a reatu ac poenis peccatorum liberatio" mit dem "Werke Christi nichts
zu thun hat, sondern ein unmotivirter Entschluss Gottes ist, den Christus unter
Anderem mitgetheilt hat. Dass dem wirklich so ist, darüber s. unten.
f)82 '^i»' Ausgange des Dogmas im Autitriuitarismus uud Sooiuianismiis.
dieser EindriKk wird djidurch nicht abgeschwächt, dass sofort gegen
den KathoHcisnuis, dvv den Id. (Jeist für eine Person halte, lebhaft
polemisirt wird (p. 253 sq.).
Sehr lose sind an diese Ausführungen über die Gebote und Ver-
heissungen (^'hristi als Inhalt des prophetischen Amtes fünf Excurse
angeknüpft, de confirmatione divinae voluntatis (p. 259 — 261), de
iiiorte Christi (p. 261—288), de iide (p. 288—293), de libero arbitrio
(p. 293 — 316) und de iustiticatione (p. 316—319). Man erkennt hier
deuthch das Bestreben, den ganzen Stoff unter dem Titel des Lehr-
amts Christi unterzubringen. Die Bekräftigung der Offenbarung des
göttlichen Willens ist 1) in der Sündlosigkeit Jesu, 2) in seinen Wun-
dern, 3) in seinem Tode zu suchen. Die Nothwendigkeit des letzteren
wird (p. 261 sq.) aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt, unter denen
— nach der Schrift — auch das mortuum esse pro peccatis nostris, die
Sicherstellung des Glaubens an die Sündenvergebung und die Bewah-
rung der Menschen vor den schwersten Strafen nicht fehlt. Aber die
Hauptsache ist, dass Christus seine Lehre auch unter den schwierigsten
Umständen bewähren musste und sie desshalb durch den schimpflichsten
Tod besiegelt hat. Von hier aber geht die Ausführung sofort zur Auf-
erstehung über: aus dem Tode Christi ergiebt sich die confirmatio
divinae voluntatis nur insofern , als dem Tod die Auferstehung gefolgt
ist (p. 266). Auf den Einwurf: „plus in resurrectione quam in Christi
morte situm esse in nostrae salutis negotio, perspicio", wird daher auch
— nicht ohne biblischen Grund — geantwortet: „hactenus sane, qua-
tenus mors Christi inutilis et inefficax futura fuisset, nisi eam consecuta
fuisset Christi resurrectio" (p. 267). Aber warum leitet denn die Schrift
so häufig Alles vom Tode ab? „Propterea quod et ipsa per se Christi
fihi dei mors, resurrectione animata, eximiam prorsus et singularem vim
habeat in comparanda nobis salute, ut ostendimus (allein das ist nur sehr
unsicher gezeigt worden). Deinde quod via fuerit ad resurrectionem et
exaltationem Christi. Ad illam enim per rei naturam, ad lianc per dei
consilium et constitutionem sine morte pervenire non potuit. Denique
quod ex Omnibus, quae deus et Christus nostrae salutis causa fecit,
mors Christi opus fuerit maxime arduum et caritatis erga nos dei et
Christi evidentissimum argumentum." Diese Auskunft ist keineswegs
einleuchtend; warum ist der Tod ein Liebesbeweis? Der Katechismus
geht auch nicht näher hierauf ein, sondern wendet sich nun gegen
die Lehre von der Strafsatisfaction (p. 268 sq.). Bekanntlich ist dieser
Punkt von den Socinianern am schärfsten beleuchtet worden *. Faust us
*S. Fock, a. a. 0. S. 615ft'. Ritschi, a. a.O. S. 316fl'. Strauss hat sich in
seiner Glaubenslehre fast alle Argumente der Socinianer angeeignet. In der Neu-
Die socinianische Lehre. 683
hat in seinen „Praelectiones theologicae" ausführlich die Nothwendig-
keit und Möghchkeit der Satisfaction bestritten, d. h. er hat den Ge-
danken in derselben Weise widerlegt, in der er einst aufgebaut worden
ist. Gerade hier aber brauchte er nur das Werk der späteren Schola-
stik fortzusetzen-, denn nichts war dieser unsicherer geworden, als die
verstandesmässige Deutung des Werthes des Todes Christi im Sinne
eines streng nothwendigen Aequivalents. Faustus bekämpfte die Noth-
wendigkeit der Satisfaction von seinem scotistischen Gottesbegriff aus:
Gott ist keineswegs in seinem Wesen genöthigt, die Sünde zu bestrafen
und desshalb auf alle Fälle eine Strafe zu dictiren, sei es auch dem Un-
schuldigen, sondern er steht über jedem Zwang und kann nach seiner
Willkür handeln wie er will; sagt doch auch die Schrift, dass er bald
zürne, bald sich erbarme ; im NT. aber wird seine unergründhche Barm-
herzigkeit angekündigt. Aus seiner Gerechtigkeit kann man die Satis-
faction am wenigsten ableiten; denn einen Unschuldigen für den
Schuldigen zu strafen ist ungerecht. Auch aus dem AVesen der Sünde
lässt sich eine Nothwendigkeit für die Strafe nicht gewinnen; denn
diese ist Gott gegenüber eine Ehrverletzung; eine solche kann aber be-
dingungslos übersehen werden. Die Vorstellung von der Satisfaction ist
aber ferner eine unmöghche, da sie auf lauter Widersprüche fülu't; denn
I. Erlass und Genugthuung schliessen sich aus; hat Gott die Schuld er-
lassen, so bedarf es keiner Genugthuung, nimmt er die Genuthuung an,
so bedarf es keines Erlasses, sofern in diesem Fall der Schuldner nur
vertauscht ist ; II. aber auch angenommen, Erlass und Genugthuung
könnten neben einander bestehen, so ist doch in diesem Fall die Genug-
thuung im Sinne der Stellvertretung ausgeschlossen; denn 1) man
kann wohl Geldstrafen für einen anderen übernehmen, nicht aber per-
sönhche, in der Todesstrafe gipfelnde Strafen; in diesem Falle ist die
Uebertragung Ungerechtigkeit. Allerdings leiden Unschuldige manch-
mal mit den vSchuldigen; allein, wenn das durch keine Verwickelung
in die Sünde des Schuldigen herbeigeführt ist, so ist ein solches Lei-
den nicht Strafleiden. Es lässt sich aber auch nicht behaupten,
dass Christus als Repräsentant und Haupt der Menschheit gelitten
habe ; denn das ist er zur Zeit seines irdischen Lebens noch nicht ge-
wesen ; auch hat sein Todesleidcn Niemandem den Tod abgenommen,
2) die positive Gesetzeserfüllung Christi kann keinen stellvertretenden
VVerth haben; denn C^hristus ist zu ihr verpflichtet gewesen, und seine
Gesetzeserfüllung dis])onsirt Niemanden, 3) die Annahme, dass Christus
sowohl stellvertretend gelitten, als stellvertretend das Gesetz erfüllt
zeit hat hesondcrs Philj])pi die sociriianischcn Thesen ausführlich zu widerlegen
versucht.
684 T^ie Ausgänge des Dogmas im Autitriuitarismus und Socinianismus.
liabe, ist widei'spruchsvoll; denn wenn das Eine geschehen ist, brauchte
das Andere nicht mehr zu geschehen; III. aber selbst wenn das stell-
vertretende Stralleiden möglich wäre, so erreichte es seinen Zweck
nicht, d. h. es würde doch nicht ein wirkhches Aequivalent geschaffen ;
denn 1) ein einzelnes Aequivalent kann immer nur für einen ehizelnen
Fall gelten, nicht aber für die Schulden aller Menschen, ein einzelner
Tod ersetzt nur einen Tod, 2) der Stellvertreter hätte wirkhch den
ewigen Tod sterben müssen; Christus aber ist auferweckt worden;
3) hält man dem entgegen, dass Christus Gott gewesen sei und desshalb
sein Leiden einen unendHchen Werth für Gott besitze, so ist zu sagen,
dass ihn dann Gott nicht so zu quälen gebraucht hätte, weil schon das
kleinste Leiden des Gottmenschen in diesem Falle ausgereicht hätte;
allein die Berufung auf die Gottheit Christi ist desshalb hinfäUig, weil
die Gottheit nicht leidensfähig ist. Stellt man aber trotzdem die Gott-
heit Christi mit in Rechnung , so darf man desshalb nicht auch das in
zeitlichen und endlichen Acten sich darstellende Leiden selbst vergött-
lichen. Dieses muss als endhches gewerthet werden, und demgemäss
hätte der Gottmensch unendlich viele Satisfactionen auf sich nehmen
müssen; IV. der Begriff der stellvertretenden Satisfaction und der Im-
putation schliessen sich aus; wo nämlich die erstere eingetreten ist, da
ist alles Weitere ausgeschlossen, die acceptatio ist durch die Genug-
thuung selbst gegeben; behauptet dem gegenüber die orthodoxe Lehre,
dass Gott die Leistung Christi für uns durch einen Gnadenact annehme
(accepti latio), so ist die Leistung keine Genugthuung; denn accepti
latio findet nur statt , wo keine aequivalente Leistung dargeboten ist.
Desshalb zerstört auch die Lehre, dass Gott nur dem Glauben die Ge-
nugthuung Christi anrechne, das ganze Schema von dem stellvertretenden
Strafleiden; denn Christus hat gar keine vollkommene Genugthuung ge-
leistet, wenn sie nur bedingungsweise giltig ist; V. die Lehre von dem
stellvertretenden Strafieiden stumpft die Gewissen ab, führt leicht zur
sittlichen Laxheit und hemmt die Anspannung des AVillens, das gött-
liche Gesetz zu erfüllen; VI. diese Lehre ist in der Schrift nicht ent-
halten und steht im AViderspruch mit klaren Schriftstellen (Cat. p. 270:
„Scripturae passim deum peccata hominibus gratuito remittere testan-
tur, potissimum vero sub novo foedere; at remissioni gratuitae nil ad-
versatur magis, quam eiusmodi qualem volunt satisfactio'^). Dagegen
will Faustus mit Duns und den Nominahsten den Gedanken des Ver-
dienstes Chi'isti in Bezug auf unsere Schuld nicht ausschliessen. Das-
selbe gehört aber nicht in das Gefüge von Pflicht und Leistung, welches
uns obliegt K Faustus ist von den Orthodoxen nicht widerlegt worden,
* S. Ritschi, a. a. 0. S. 311), dem ich auch in der Wiedergabe der Kritik des
Die socinianische Lehre. 685
soweit er das juristische Begriffsmaterial, mit dem sie arbeiteten^ in
seinem Unwerthe nachgewiesen hat. Aber auch sonst haben ihn seineZeit-
genossen nicht zu widerlegen vermocht, weil sie die Tendenzen der ihnen
überheferten Lehrform selbst nicht klar erkannt haben und daher die
Fehler ihrer Lehrbildung ebenso wenig zu corrigiren, wie ihre Vorzüge
siegreich ans Licht zu stellen vermochten. Lidem sie sich darauf zurück-
zogen, in Gott seien die Eigenschaften der Gerechtigkeit und des Erbar-
mens mit gleichen Ansprüchen vorhanden, schützten sie zwar die Heilig-
keit des Gesetzes des Guten, kamen aber aus Widersprüchen nicht heraus.
Der angehängte Abschnitt über den Glauben wird so einge-
leitet, dass, nachdem nun die Gebote und Yerheissungen Gottes be-
kannt seien, die Darlegung folgen müsse, auf welche Weise man sich
ihnen „anzupassen" habe. Diese Weise, heisst es (p. 288), sei der
Glaube, „per quam et promissa Christi animo complectimur et porro
praecepta eins pro virili exsequimur". Allein sofort erscheint der katho-
lische Glaubensbegriff in dem Zusatz: „quae fides et obe dient i am
nostram deo commendatiorem gratioremque facit et obe-
dientiae defectus, modo ea sit vera ac seria, supplet,
utque a deo iustificemur efficit." Also der thatsächliche Ge-
horsam ist vielmehr das entscheidende Verhalten. Diese Auffassung
ist so streng wie möglich durchgeführt. Von evangelischer Haltung
findet sich keine Spur; denn die nachgebrachte Bemerkung, dass Gott
um des Glaubens willen den Defect des Gehorsams übersehe, ist auch
gut katholisch gedacht. Der Katholicismus setzt dafür die Unterordnung
unter die Kirche, die fides implicita. Diese hat der Socinianismus ge-
Faustus an der Satisfactionslehre gefolgt bin: „Wenn der strenge »Sinn des Pflicht-
l^egriffs zur Geltung kommen soll, so ist — bei Faustus — jedes Verdienst Christi
für sich und für uns ausgeschlossen. »Nihil fecit, quod ipsi a deo iniunctum non
fuisset. Ubi debitum, ibi nullum verum et proprium meritum.« Also nur in einem
uneigentlichen Sinne lässt sich derBegrifP anwenden, unter Voraussetzung bestimmten
göttlichen Beschlusses und göttlicher Verheissung. Da nun die letztere zur Auf-
fassung der Pflichtmässigkeit des Handelns nichts hinzufügt, so kann sie den Begriff
des Verdienstes nur so motiviren, dass bei derßeurtheilung des Handelns nicht die
Pflichtmässigkeit, sondern ausnahmsweise die Freiwilligkeit in Betracht gezogen
wird. Dieser Gedanke kommt wesentlich auf die Bestimmung des Begriffs durch
Dunsund durch Calvin hinaus. Und wenn auch Faustus dem Letzteren wider-
spricht, indem er wie Thomas den eigentlichen Begriff des Verdienstes auf die
rechtliche Beurtheilung einer Handlung bezieht, so ist er in der factischen Zulassung
von Verdienst Christi mit Calvin (n'nverstanden. Dies ist ein neuer ]ieweis dafür,
dass die Hf.griffe von V(!rdienst und Genugthuung Christi aus ganz verschiedenen
Betrachtungsweisen a))geleitet werden. Genugthuung wird aus der Voraussetzung
eines bloss rechtlich geordneten Wechselverhältnisses abgeleitet-, Verdienst aus
einem Hittli(;h*!n Wechsel vfrhältniss, welches a])er nicht unter dem höchsten Gesichts-
punkte von Gesetz und i^llicht aufgcifasst wird."
686 l^ie Ausgänge des Dogmas in» Autitrinitarismus und Socinianismus.
strichen; aber an die Stelle derselben setzt auch er eine Leistung,
nämlich die Leistung des Glaubens. So tritt er aus dem katholischen
Gefüge nicht heraus. Er bejaht dasselbe auch in den Einzelheiten
seiner lehrhaften Deductionen, z. B. (p. 288) : „fides in Christum duplici
ratione sumitur; interdum enim notat eam fidem, quam solam, nisi
adhuc ali([uid aliud accedat, salus non consequitur; interdum
eam (juam solam salus consequitur." Gemeint ist im ersten Fall der
Glaube ohne Gehorsam, im zweiten der Glaube und die AVerke der
Liebe. Der Abschnitt über den freien Willen ist hier eingeschoben,
um dem Gott der Willkür den Menschen mit der leeren Freiheit ent-
gegenzustellen und die augustinisch-thomistische Prädestinations- und
Erbsündenlehre abzuthun \ In dem Abschnitt über die Justification
tritt nicht, wie das nach dem über den Glauben Ausgeführten erwartet
werden nmss, die katholische Auflassung hervor, sondern — frappirend
genug — eine ins Laxe verschlimmerte und traurig entstellte evange-
lische (p. 316): „iustificatio est, cum nos deus pro iustis habet seu ita
nobiscum agit, ac si iusti et innocentes plane fuissemus (!). Id vero ea
ratione sub novo foedere facit, ut nobis et peccata remittat et nos vita
aeterna donet." Diese Definition fällt aus den Rahmen der sociniani-
schen Grundanschauung scheinbar ganz heraus. Allein man muss sich
hier erinnern, dass auch Pelagius der Besonderheit der christhchen
Rehgion eine Reverenz gemacht hat. Der socinianische Satz lässt sich
nur verstehen, wenn man 1) erwägt, dass die Socinianer mit dem Pauli-
nismus nicht ganz brechen konnten, und 2) bedenkt, dass die Justification
sehr wenig bei ihnen bedeutet. Die Hauptsache ist der in der Gesetzes-
erfüllung sich bewährende Gehorsam. Daneben steht — als Besonder-
heit der christlichen Religion — die Verheissung Gottes, gewisse De-
fecte jenes Gehorsams den Christen nachzusehen. An diesem Punkte
wird der Contact mit dem Paulinismus gesucht und der Titel der
Rechtfertigung als Sündenvergebung eingeführt. Mehr aber leistet der
^ S. p. 294: „Lapsus Adae, cum unus actus fuerit, vim eam, quae depravare
ipsam naturam Adami, multo minus vero posterorum ipsius posset, habere non
potuit . . . non negamus tamen assiduitate peccandi naturam hominum labe quadam
et ad peccandum nimia proclivitate infectam esse, sed eam peccatum per se esse
negamus." Der göttliche Factor wird, wie bei den Nominalisten, nur als „divinum
auxilium" zugelassen, und zwar als exterius (hl. Schrift) und interius. Die Durch-
führuusf der Lehre vom ordo salutis ist der, welche damals die Jesuiten energisch
gegen den Thomismus behaupteten, ganz ähnlich. Von der Prädestinationslehre
wird p. 300 behauptet: „totam religionem corruere facit et deo nmlta incon-
venientia attribuit." Die Hauptstellen, auf die man sich für die Prädestination zu
berufen pflegt, werden im Katechismus genau behandelt und durch die exegetische
Kunst in erwünschter Weise erledigt.
Die socinianische Lehre. 687
Katechismus auch nicht. Er begnügt sich damit, die Rechtfertigung
auf drei Zeilen irgendwie inventarisirt zu haben. Kein weiteres Wort
über dieselbe hält er für nÖthig; denn die zwei Seiten, die sonst noch
der Rechtfertigung gewidmet sind, beschäftigen sich mit der gleichgiltigen
Frage, ob schon die vorchristlichen Väter gerechtfertigt worden sind.
4. Die Kürze der nun noch folgenden Sectionen (de munere Christi
sacerdotah p. 320 — 331, de munere Christi regio p. 331 — 339, de ec-
clesia p. 340 — 355) ist an sich ein Beweis, dass die Religionslehre mit
der Darstellung des prophetischen Amtes Christi („praecepta et pro-
missa dei") im Grunde beendigt ist. Da aber jene Titel aufgenommen
werden mussten (gemäss der hl. Schrift), so ist auch Manches ausge-
führt worden, was sich in die Lehre nicht einfügt, sondern als biblischer
Stoff dieselbe durchkreuzt. Dies ist namentlich in dem Abschnitt über
das hohepriesterliche Amt deutlich. Hier hat der Katechismus nicht
nur auf Grund des Hebräerbriefs das fortdauernde Priesterthum Christi
betont (p. 320 sq.), sondern ist auch auf den Gedanken der fortdauernden
expiatio peccatorum per Christum in caelis. eingegangen (p. 321 sq.):
„Jesus in caelis expiationem peccatorum nostrorum peragit, dum a pec-
catorum poenis nos liberat virtute mortis suae, quam pro peccatis no-
stris ex dei voluntate subiit. Victima enim tam preciosa tantaque Christi
obedientia perpetuam coram deo vim habet, nos qui in Christum credi-
mus et Christo commortui sumus, ne peccatis vivamus, a peccatorum
poenis defendendi (wie im Katholicismus ist die Strafe, nicht die Schuld
die grösste Last) ; porro dum potestate sua, quam a patre plenam et
absolutam consecutus est, perpetuo nos tuetur et iram dei, quam in im-
pios effundi consuevit, intercessione sua a nobis arcet, quod scriptura
interpollationem pro nobis appellat; deinde ab ipsorum peccatorum Ser-
vitute nos liberat, dum nos sibi mancipat, partim morte itidem illa sua
quam pro nobis perpessus est, partim in sua ipsius persona nobis osten-
dendo, quid consequatur is qui a peccando destitit." Dass Christus erst
durch die Auferwcckung der himmlische Priester im vollen Sinn ge-
worden sei, wird ausdrücklich betont. In dem Abschnitt über das
königliche Amt wird zuerst gezeigt, dass Christus sich nicht selbst er-
weckt habe (p. 333 sq.). Dieser Nachweis beansprucht — höchst be-
zeichnend — den meisten Raum; es folgen dann nur gleichgiltige Aus-
führungen über die Art des Auferstehungsleibes (Jhristi, die Himmel-
falirt und das Sitzen zur Rechten Gottes. Mit wenigen Worten wird
dann die Hc;rrscli{ift (Jhristi über alle Wesen und Dinge beschrieben.
Der letzte Abschnitt endlich — über die Kirche — zerfällt in vier kurze
Capitel. In dem ersten wird die sichtbare Kirche definirt (p. 340)
als „coetus eorum hominum, qui doctrinam salutarem tenent et pro-
688 r)if^ Ausfranse des Doofmas im Antitrinitarismua und Socinianismus.
1
ütentur", d. h. als Scluile. Ausdrücklich wird jedes andere Merkmal
abgelehnt: „niliil est, cur de notis ecclesiae quaeras" (excepta salutari
doctrina). Auf die Frage, welches die wahre Lehre sei, wird mit dem
Hinweise auf diesen Katechismus in seinem ganzen Umfange geantwor-
tet'. In dem zweiten (lapitel wird von der Kirchenleitung gehandelt
(p.342) : „ordo is situs est in ofticiis personarum, quihus ecclesia Christi
constat, et in accurata animadversione et observatione, ut singulae per-
sonae officiis suis fungantur." Nach der Schrift werden nun Apostel,
Propheten, Evangelisten, Doctoren, Pastoren (Biscliöfe), Presbyter und
Diakonen unterschieden. Bei der Ausführung wird das Amt der Doc-
toren, Bischöfe und Presbyter als eines behandelt und von den Apo-
steln, Evangelisten und Propheten gesagt, dass sie aufgehört haben,
weil die Ursaclie ihrer Existenz weggefallen sei. Somit bleiben nur
Pastoren und Diakonen. Die Lehre von der bischöflichen Succession
wird (p. 346) bekämpft ; von der Ordination wird geschwiegen. Im
dritten Capitel („de disciplina ecclesiae Christi") folgt eine biblisch
wohl begründete Darlegung der Grundsätze der Kirchenzucht, gipfelnd
in der Ausführung, dass das Recht zu binden und zu lösen zu fassen ist
als das „ius declarandi et denunciandi secundum dei verbum, qui sit
dignus, qui non, ut sit in ecclesia seu membrum ecclesiae" (p. 351).
Der Katechismus schliesst mit dem Caijitel „de ecclesia invisibili"
(p. 352 sq.). Hier ist wiederum die katholische Betrachtung sehr auf-
fallend. Die Ausführung beginnt damit, dass die hl. Schrift „vix uspiam"
einen coetus vere piorum hominum von der sichtbaren Kirche unter-
scheide, da alle wahrhaft Frommen auch zur sichtbaren Kirche gehören ;
dennoch sei zuzugestehen, dass von dieser Öfters so gesprochen werde
als sei sie in jeder Hinsicht das, was sie sein soll, während sie es in
Wirklichkeit nicht ist. Somit könne man den Begriff einer Kirche
bilden als „quaedam hominum vere piorum multitudo ac eorum inter
sese coniunctio, quam per similitudineni quandam et meta-
phoram ecclesiam appellare liceat, nam vere pii hinc inde dis-
pers! vel etiam latentes, si modo vera pietas latere sinat(!)^,
nonnisi improprie ecclesia dici possunt." So verclausuhrt wird der Be-
griff' der unsichtbaren Kirche acceptirt. Von ihr wird behauptet, dass
sie, d. h. alle, die Christo wahrhaft glauben und ihm gehorchen, den
Leib Christi in vollkommenster Weise darstellt. Unsichtbar aber sei
diese Kirche, weil der Glaube und wahre Frömmigkeit nicht mit körper-
* Die landläufige orthodoxe Vorstellung von der Kirche im Protestantismus
und die socinianische sind also identisch.
^ Wenn freilich jeder vere pius ein Schulmeister sein muss, ist es unwahr-
scheinlich, dass er in der Verborgenheit bleiben kann.
Beurtheilung des Socinianismus. 689
liehen Allgen geschaut werden können; aber auch aus den „factis exte-
rioribus" Hesse sich nur feststellen, dass Jemand kein Glied Christi sei,
nicht aber das Gegentheil. Damit schliesst der Katechismus, die Er-
mahnung anfügend (p. 355): „lam omnia quae a me compendio dici
hac de re potuere tibi exposui : tuum est ut iis probe perceptis atque
cognitis ea menti infigas et secundum eorum praescriptum vitam in-
stituas."
In dem modernen Katholicismus stellt sich die Neutralisirung, in
dem Socinianismus die Selbstzersetzung des Dogmas dar: die vor-
stehende Ausführung wird gezeigt haben, dass dieser seinem Grund-
wesen nach nichts Anderes ist, als die nominalistische Doctrin in der
Consequenz ihres Princips. Wie die Wiedertäufer und die pantheisti-
schen Mystiker des 16. und 17. Jahrhunderts mittelalterliche Erschei-
nungen sind, wenn auch nicht unberührt von dem Geist einer neuen
Zeit, so sind auch die Socinianer nicht „Ultra's der Reformation",
sondern die Nachkommen der Scotisten.
Aber die Entwicklung des Dogmas in der nominalistischen Linie
ist hier zu ihrem Ende gekommen: das Dogma ist aufgelöst. Allerdings
fehlen, wie bei jeder Zersetzung, Restproducte nicht. Adoptianische,
arianische, pelagianische Motive und Lehren, die vom Dogma überwun-
den zu sein schienen, tauchen wieder hervor, und das strenge Festhalten
an der hl. Schrift als Quelle und Autorität des Glaubens und der
Glaubenslehre giebt dem Socinianismus sogar eine scheinbar sehr con-
servative Haltung. Dennoch ist der Bruch mit der Geschichte und dem,
was bisher Dogma hicss, offenbar. Der Nominalismus hielt die leben-
dige Autorität der Kirche fest, ja in diesem Festhalten brachte
er seine religiöse Ueberzeugung zum Ausdruck, deren Gel-
tung er sich freilich durch den Verzicht auf eine einheitliche Gottes-
und Weltanschauung erkaufen musste. Der Socinianismus hat den aus
religiösen Nöthigungen stammenden Skepticismus des Nominalismus
überwunden-, er ist nicht mehr in sich zwiespältig wie dieser — er ist
sogar dogmatistisch — ; aber mit der Abschüttelung der Autorität
der Kirche und Tradition hat er auch das Verständnis« und den Sinn
für das, was Religion ist, verloren: seine so sicher hingestellten „Glau-
benslehren" sind, soweit sie einheitlich und streng ge])ildet sind, nichts
Anderes als der Dogmatismus des sog. gesunden, d. h. des religiös un-
iriteressirten Menschenv(!rsta]idos, der sich die Bibel, wenn sie vernünf-
tig })ehandelt wird, gcif'allen lässt.
Dennoch ist dei* Socinianismus keineswegs lediglich eine niittel-
alterliche oder gar nur eine pathologische Erscheinung; vielmehr erweist
Harnack, Dogmengcschichto III. ^
690 I^io Ausgänge des Dogmas im Aiititrinitarismus und Socinianismus.
er sich auch als Product des 15. und 16. Jahrhunderts und bezeichnet
einen gewaltigen Fortschritt in der Religionsgeschichte, wenn auch nur
einen indirecten. Man kann das, was er geleistet hat, in folgende Thesen
zusammenfassen: er hat l) den Muth gewonnen, die Frage nach dem
Wesen und Inhalt der christhchen Religion zu vereinfachen, die
Last der Vergangenheit, trotz Katholiken, Lutheranern und Reformir-
ten, abzuwerfen und dem Individuum die Freiheit zurückzugeben, in
dem Streit um die christliche Religion lediglich die klassischen Urkun-
den und sich selber zu befragen; er hat 2) das enge Verhältniss von
Religion und Welterkennen, wie es von der altkirchlichen Ueberlieferung
geschlossen und vom Dogma sanctionirt worden war, gelockert und an
die Stelle der Metaphysik als Fohe der Religion die Ethik zu setzen
versucht. Allerdings ist ihm das schlecht gelungen: in Wahrheit hat er
nur die Metaphysik verdünnt, aber nicht verbessert oder verdrängt.
Indessen ist er doch ein gewaltiger Gegner des Piatonismus der Kirchen-
lehre gewesen und hat an seinem Theile dazu beigetragen, die Herr-
schaft desselben zu brechen ; er hat 3) die Einsicht vorbereiten helfen,
dass die Rehgion nicht in unverständlichen Paradoxien und in Wider-
sprüchen ihren Ausdruck finden darf, sondern dass sie es zu gesicherten
und deuthchen Aussagen bringen muss, die ihre Kraft an ihrer Klarheit
haben ; er hat 4) endlich das Studium der hl. Schrift von dem Bann des
Dogmas befreit und selbst einen guten Anfang mit einer gesunden, ge-
schichtlichen Exegese gemacht. Allerdings ist es nicht schwer, in Bezug
auf alle diese hier aufgeführten Verdienste des Socinianismus auch das
Gegentheil nachzuw^eisen, d. h. zu zeigen, wie er vielmehr in denselben
Richtungen alte Irrthümer bestärkt hat. Allein es genügt, sich zu ver-
gewissern, dass ihm jene Verdienste wklich zukommen. Dass er selbst
ihre Kraft gehemmt und theilweise aufgehoben hat, darf nicht davon
abhalten, sie ihm zuzusprechen. Hauptsächlich durch das Medium des
Arminianismus , aber auch direct , hat er die Aufklärung im guten
und im schlimmen Sinn des Worts im Protestantismus herbeiführen
helfen.
In der Religionsgeschichte — den Ausdruck im strengsten Sinn
genommen — ist der Socinianismus dagegen lediglich ein Rückschritt ;
denn weit entfernt, dass er hier mit dem Protestantismus zusammen-
zustellen wäre, hat er vielmehr noch den Katholicismus, selbst in der
dürftigsten Gestalt desselben, unterboten. Dass die christliche Religion
Glauben ist, dass sie ein Verhältniss von Person zu Person ist, dass
sie darum höher ist als alle Vernunft, dass sie lebt, nicht von Ge-
boten und Hoffnungen, sondern von der Kraft Gottes und in Jesus
Christus den Herrn Hinnnels und der Erde als den Vater ergreitl.
Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus. 691
davon weiss der Socinianismus nichts. Mit dem alten Dogma hat er
im Grunde das Chris tenthum als Religion beseitigt: Schuld
und Busse, Glauben und Gnade sind Begriffe, die nur in Folge glück-
licher Inconsequenzen — um des NT. 's willen — nicht ganz ausge-
schieden sind. In diesen Inconsequenzen liegt die Christlichkeit des
Socinianismus beschlossen.
Viertes Capitel: Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
1. Einleitung.
Am Schlüsse des 1. Capitels dieses Buchs ist angegeben, in
welchem Sinne und Umfang im Rahmen der Dogmengeschichte die
Reformation zu behandeln ist — als ihr Ausgang und zwar als ihr
legitimer Ausgang. In den beiden Ausgängen, die wir bisher be-
handelt haben, sind die eigentlich religiösen Interessen, die einst
zur Entwerfung und Ausgestaltung des Dogmas mitgewirkt haben,
verkümmert: im Kathohcismus, sofern sie. gänzlich überwuchert sind
von der Herrschaft der empirischen Kirche, im Socinianismus, sofern
sie nahezu aufgesogen sind durch den MoraHsmus. Dort ist das
Dogma conservirt, aber der persönliche bewusste Glaube, der ihm
entsprechen soll, durch die Unterwerfung unter die Kirche gelähmt;
hier ist das Dogma abgethan, aber mit ihm ist zugleich die Eigen-
art des rehgiösen Glaubens verkannt. Der nachtridentinische Kathoh-
cismus und Socinianismus sind in vieler Hinsicht moderne Erschei-
nungen, aber auf ihren religiösen Kern gesehen sind sie es nicht,
vielmehr Consequenzen des mittelalterlichen Christenthums. Die
Reformation, wie sie sich in dem Christenthum Luther's
darstellt, ist dagegen in viel er Hin sieht eine altkatholische,
resp. auch eine mittelalterliche Erscheinung, dagegen
auf ihren religiösen Kern beurtheilt, ist sie es nicht,
vielmehr Wiederherstellung des paulinischen Christen-
thums im Geiste einer neuen Zeit.
In diesem Satze ist der Reformation (dem Christenthum Luther's)
ihre Stellung in der Geschichte angewiesen und zugleich ihr Vcrhält-
niss zum Dogma bestimmt. Von hier ergiebt sich auch, warum die
Reformation nicht ledighch nach den Ergebnissen, die sie in den
ersten zwei Menschen altern ihres Bestehens errungen hat, beurtheilt
werden kann. Wie kann man es denn leugnen, dass der Kathohcis-
mus, seitdem er sich zur Contrareformation aufgerafft, und der Soci-
nianismus mehr als ein Jahrliundert hindurch in einem viel innigeren
Verhältniss zur neuen Zeit gestanden haben, als der lutherische
44*
692 i^ie Ausßf'ängo des Dogmas im Protestantismus.
Protestantismus! * Sie arbeiteten mit allen Kulturmächten der Gegen-
wart im Bunde, und bald fühlten Poeten, Humanisten, Gelehrte,
b]iitdecker, Könige und Staatsmänner, wohin sie eigentUch gehörten,
wenn sie nichts Anderes waren als Gelehrte und Staatsmänner. Es
war der Reformation freilich nicht an der Wiege gesungen worden,
dass sie einst hinter der Zeit einherschleiclien werde. War sie doch
vielmehr bei ihrer Geburt begrlisst worden von den Jubelrufen der
Nation, umjauchzt von den Humanisten und den Patrioten. Allein
dort war diese ihre nächste Zukunft bereits vorgebildet, von wo sie
ihre Zukunft allein zu erwarten hatte — in Luther.
Es ist mindestens eine sehr einseitige und abstracto Betrachtung
Ijuther's, die in ihm den Mann der neuen Zeit, den Helden eines
heraufsteigenden Zeitalters oder den Schöpfer des modernen Geistes
feiert. Will man solche Helden erblicken, so muss man zu Eras-
mus und Genossen oder zu Männern wie Denck, Servede und
Bruno gehen. In der Peripherie seines Daseins war Luther eine
altkatholisch-mittelalterliche Erscheinung. Freilich eine Zeit lang —
es waren nur wenige Jahre — schien es, als werde dieser Geist
Alles an sich ziehen und zu einer wundervollen Einheit gestalten,
was in der Gegenwart lebendig war, als sei ihm die Macht gegeben,
wie Niemandem je zuvor, sein Ich zum geistigen Mittelpunkt der
Nation zu bilden und mit allen Waffen gewappnet sein Jahrhundert
in die Schranken zu rufen.
Allein das war nur eine herrliche Episode, die zunächst ein schnelles
Ende nahm. Gewiss sind jene Jahre von L519 bis c. 1523 die schönsten
der Reformation, und es ist eine wunderbare Fügung gewesen, dass alles
das, was geleistet Averden sollte, die ganze Aufgabe der Zukunft, von
Luther selbst in einem Moment in Angriö' genommen und der Ver-
wirklichung nahe gebracht schien. Allein diesem reichen Frühling ist
kein voller Sommer gefolgt. In jenen Jahren ist Luther über sich selbst
erhoben w orden und hat die Schranken seiner Eigenart scheinbar über-
wunden — er ist die Reformation gewesen, sofern sich Alles in ihm
zusammenfasste, was die Rückkehr zum paulinischen Christenthum und
^ Daher auch die zahlreichen Uebertritte von Protestanten, namenthch von
gelehrten Protestanten, zum Katholicismus bis zu den Tagen der Königin
Christine von Schweden, ja noch über dieselben hinaus. Der erste Protestant auf
dem Continent, der die Verkümmerung der Confession deutlich empfunden hat, ist
Calixt in Helmstädt gewesen, der viel gereiste. Aber auch die Mystiker unter den
Lutheranern in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts legen dafiir Zeugniss ab, dass
sie die schulmassige Verengung der Confession als Last empfanden (s. Ritschl,
Gesch. des Pietisnms Bd. II). Aber weder sie noch Calixt haben den richtigen Aus-
weg gefunden.
Luther's Stellung in der Dogmengeschichte als Problem. 693
die Begründung eines neuen Zeitalters zugleich bedeutete. Damals ist
auch der Bund zwischen dem Protestantismus und Deutschland ge-
schlossen worden. Gewiss — das evangelische Christenthum ist der
Menschheit geschenkt worden, und umgekehrt, der deutsche Geist hat
sich auch heute noch lange nicht dem Protestantismus unterworfen;
dennoch gehören Protestantismus und Deutschthum untrennbar zu-
sammen. Wie die Reformation im 16. Jahrhundert das deutsche Reich
gerettet hat, so ist sie noch immer die stärkste und eigentliche Kraft
desselben, das fortwirkende Princip und das höchste Ziel.
Aber keinem Menschen ist es gegeben, Alles zu leisten, und ein
Jeder, der dauernd wirkt und nicht nur aufblitzt wie ein Meteor, muss
in die Schranken zurückkehren, die seiner Natur gesetzt sind. Zu ihnen
ist auch Luther zurückgekehrt. Diese Schranken waren nicht nur leichte
Hüllen, wie man uns wohl einreden möchte, so dass erst Melanchthon
und die Epigonen in ihrem Unverstand die Verengung verschuldet
hätten, sondern Luther empfand sie mit als die Wurzeln seiner Kraft
und hat sie in diesem Sinn geltend gemacht.
Aber wenn man sich nun die Aufgabe stellt, ein Bild von dieser
Eigenart Luther' s zu entwerfen und gleichsam die Summe seiner Exi-
stenz zu ziehen, so hat noch Niemand diesem Problem vollkommen zu
genügen vermocht. Man kann Luther nur wiedergeben, indem man ihn
selbst sprechen und in jeder Richtung seines geistigen Wesens zum
Wort kommen lässt: diesen Luther kann man nachempfinden, so-
weit es beschränkteren Geistern möglich ist; aber der Versuch der
Analyse scheint in unlösbare AVidersprüche zu verwickeln. Dennoch
muss er gemacht werden, wenn das complicirte und zum Theil ver-
worrene Erbe richtig verstanden werden soll, welches er hinterlassen
hat, und wenn wir uns der Aufgabe bemächtigen wollen, die seine Er-
scheinung inmitten eines ihm vielfach fremden Zeitalters den Nach-
kommen aufgezwungen hat.
Er war nur in Einem gross und gewaltig, hinreissend und un-
widerstehlich, der Herr seines Zeitalters, siegreich hinwegschreitend
über die Geschichte eines Jahrtausends, um seine Zeit aus ihren Bahnen
zu werfen und in neue Bahnen zu zwingen — er war nur gross in
der am Evangelium wieder entdeckten Erkenntniss Gottes.
Was einst auch ein Motiv beim Bau des Dogmas gewesen, in diesem
aber unkenntlich geworden war, was dann von Augustin ab während des
ganzen Mittelalters neben dem Dctgma einhergegangen ist in unsicherer
Ausprägung und Geltung, der lebendige Glaube an den Gott, der in
(Christus der armen Seele zuruft: „Salus tua ego sum", die gewisse Zu-
versicht, Gott sei das Wesen, auf das man sich verlassen kann — das
694 Dit) Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
war die Botschaft Luther's an die Christenheit. Die alten Dogmatiker
des Lutherthums hahen in ihre weitschichtigon Systeme auch ein Capitel
„de vocatione Lutheri" aufgenommen. Man hat sie desswegen hart ge-
tadelt. Aber mit sehr viel grösserem Rechte, als man in einer christ-
lichen Dogmatik von Adam, Abraham und David lesen muss, darf
man in ihr auch einen Paragraphen über Luther gutheissen.
Denn nichts weniger als das religiöse Verständniss des Evangeliums,
das souveräne Recht der Rehgion in der Rehgion, hat er wiederher-
gestellt. In der Entwickelung, die vor ihm lag, hatte man ja nicht nur
diesen oder jenen Fehler gemacht, sondern man hatte die Religion an
ihre Feinde und Freunde verrathen. Von einer babylonischen Gefangen-
schaft hat Luther selbst gesprochen, und er sah diese Gefangenschaft
mit Recht sowohl in der Herrschaft eines irdischen selbstsüchtigen
Kirchenthums über die Religion als in der Umklammerung des sie er-
stickenden MoraHsmus. Es mag schon hier bemerkt werden, dass er
nicht mit der gleichen Sicherheit den Jammer der Gefangenschaft er-
kannt hat, in welche die Religion durch die altkathohsche Theologie ge-
rathen war. Nicht nur, weil sein geschichthcher Horizont ungefähr bei
der Zeit des Ursprungs der Papstkirche abschloss — was dahinter lag
verschwamm ihm an vielen Punkten in der goldenen Linie des NT. 's — ,
sondern vor Allem desshalb, weil das Dogma, die geschicht-
liche Hinterlassenschaft des 2. — 7. Jahrhunderts, nicht mehr
die nächste Quelle war, aus welcher die Missstände, die es
in der Gegenwart zu bekämpfen galt, geflossen waren.
Das alte Dogma w^ar damals ein todtliegendes , wie wir das in unserer
früheren Darstellung hinreichend gezeigt haben. Niemand machte es
für den Glauben lebendig. Wenn daher Luther die Fehler der Theologie
verfolgte, so wandte er sich fast ausschliessHch gegen die Scholastiker
und den mittelalterUchen Aristoteles. Wenn er auf die Vernunft schalt
und schmähte, meinte er in der Regel jene Leute ^; wenn er die unheil-
volle Verbindung der ReHgionslehre mit der Philosophie auseinander-
riss, richtete er gegen Jene seine Waffen. Lidern er die Theologie be-
kämpfte, bekämpfte er die mittelalterliche, und auch diese nur soweit,
als sie die Ehre Gottes und Clu:isti^ das Recht Gottes und das Unrecht
der Creatur, verkannt hatte. Er wusste — von seinem Streit gegen die
Wiedertäufer abgesehen — von keinem anderen Streit wider die Ver-
nunft, als dem Streite wider die Selbstgerechtigkeit und die Ausflüchte
des Menschen, der auch die Religion benutzt, um seinem Gott zu ent-
fliehen.
^ S. die werthvolle Untersuchung von Fr. Nitzsch, Luther und Aristoteles
(1883).
Luther 's Stellung in der Dogmengeschichte als Problem. 695
Wunderbare Verkettung der Dinge! Derselbe Mann, der das
Evangelium von Jesu Christo aus dem Kirchenthum und dem Moralis-
mus befreit hat, hat die Geltung desselben in den Formen der
alt katholischen Theologie verstärkt, ja diesen Formen nach
«Jahrhunderte langer Quiescirung erst wieder Sinn und Be-
deutung für den Glauben verliehen. Es hat keinen Theologen
nach Athanasius gegeben, der die Lehre von der Gottheit Christi für
den Glauben so lebendig gemacht hat wie Luther*, kein Lehrer nach
Cyrill ist in der Kirche erstanden, dem das Geheimniss der Einheit der
beiden Naturen in Christus ein solcher Trost gewesen ist wie für Luther
— „ich hab einen bessern Sorger, denn alle Engel sind: der lieget in
der Kjrippen und hanget an einer Jungfrau Zitzen, abersitzet gleichwohl
zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters" — ; kein Mysterio-
soph des Alterthums hat überzeugter und seliger von der heihgen
Speise im Abendmahl gesprochen als Luther. Der deutsche Reformator
hat den Formeln des griechischen Christenthums wieder Leben gegeben ;
er hat sie dem Glauben wiedergeschenkt. Ihm hat man es zuzuschreiben,
dass bis heute im Protestantismus diese Formeln 'eine lebendige Macht
für den Glauben sind, ja nur im Protestantismus. Hier lebt man in
ihnen, vertheidigt oder bestreitet sie; aber auch die, welche sie be-
streiten, wissen ihr relatives Recht zu schätzen. In den 'katholischen
Kirchen sind sie ein todter Besitz.
Man wird dem „ganzen Luther" wa^hrHch nicht gerecht, wenn man
diese Seite seiner reformatorischen Bedeutung, die für ihn selbst mit der
evangelischen unauflösHch zu einer Einheit verknüpft war, vertuscht
oder gering anschlägt. Luther ist der Restaurator des alten
Dogmas gewesen. Er hat das Interesse an demselben seiner Zeit
aufgezwTingen und sie auch damit aus den Bahnen des humanistischen,
franciskanischen und poUtischen Christenthums hinausgeworfen : die hu-
manistische und franciskanische Zeit musste sich für das ihr Fremdeste
interessiren — für das Evangelium und die alte Theologie.
Ja man kann noch einen Schritt weiter gehen: Luther hätte das „Qui-
cunquevult salvus esse, ante omnia opus est, ut teneat cathohcamfidem"
des Athanasianums jeden Augenbhck mit Plerophorie vertreten. Nicht
nur die Augsburgische Confession hat im 1, Artikel das alte Dogma
bestätigt, sondern auch die Schmalkaldischen Artikel beginnen mit ihm:
„de his articulis nulla est inter nos et advcrsarios controversia, quum
illos utrinque confiteamur" ; und wenn es dann bei dem gleich folgenden
Artikel de officio et opere Jesu Christi heisst : „De hoc articulo cedere
aut ahrjuid contra illum largiri aut permittere nemo piorum potest", so
soll derselbe durch solchen Zusatz nicht über die zuvor genannten Ar-
()96 I^io AuPgäuge des Dogmas im Protestantismus,
tikel erhoben werden : jene standen für Tjutlier so fest, dass er bei ihnen
eine solche Bemerkung gar nicht für nöthig hielt. Audi kann darüber
kein Zweifel sein — das Evangelium war ihm doctrina salutaris, doc-
trina evangolii, welche die alten Dogmen sicher einschloss; die Ver-
suche, es anders darzustellen,' sind m. E. gescheitert: das Evangelium
ist eine heilige Lehre, enthalten in Gottes Wort, die gelernt sein
will und der man sich zu unterwerfen hat K
Wie ist es zu erklären, dass Tjuther in einer Zeit, die das Dogma
zurückgeschoben hatte, und in welcher der Geist der AVissenschaft und
Kritik so erstjirkt war, dass man es bereits von verschiedenen Seiten
her zu bestreiten begann, so sicher für dasselbe eingetreten ist und
es wieder lebendig gemacht hat? Auf diese Frage liisst sich mehr als
eine Antwort geben; eine wurde bereits oben mitgetheilt: Luther
kämpfte gegen die Missbräuche und Irrthümer des Mittelalters.
Man kann diese Antwort noch erweitern: Luther kämpfte niemals
gegen unrichtige Theorien und Lehren als solche, sondern nur gegen
solche Theorien und Lehren, welche offenbar die puritas evangelii
und den Trost desselben verdarben. Damit ist schon das Andere
gesagt — er stand nicht im Bunde mit den hellen Geistern, welche die
Theologie berichtigen und damit eine zutreffendere Erkenntniss der
Welt und ihrer Ursachen heraufführen wollten. In ihm lebte überhaupt
nicht der unwiderstehliche Drang des Denkers, der nach theoretischer
Klarheit strebt, ja er hatte einen instinctiven Widerwillen und ein ein-
geborenes Misstrauen gegen jeden Geist, der, lediglich von der Er-
kenntniss geleitet, Irrthümer kühn berichtigte. AVer auch hier für den
„ganzen Luther" heute meint eintreten zu können, der kennt ihn ent-
weder nicht oder setzt sich selber dem Verdachte aus, dass ihm die
AVahrheit der Erkenntniss eine geringfügige Sache ist. Das war die
empfindlichste Schranke in dem geistigen Wesen des Reformators, dass
er sich weder die Bildungselemente, die seine Zeit bot, voll angeeignet,
noch das Recht und die Pflicht der freien Forschung erkannt, noch
endlich die Kraft der kritischen Einwürfe gegenüber der „Lehre", die
damals schon lebendig waren, zu ermessen verstanden hat. Es mag
sehr kleinlich oder gar anmassend erscheinen, dies zu bemerken ; denn
Luther hat uns für diesen Ausfall nicht nur dadurch entschädigt, dass
er religiöser Reformator war, sondern auch durch den unerschöpflichen
Reichthum seiner Persönlichkeit. AVelch' eine Fülle umschloss diese
Persönlichkeit! wie hat sie in heroischer Weise auch alles das be-
* Eine der stärksten Stellen steht im „Kurzen Bekenntniss vom hl. Abend-
mahl" (1545. Erlanger Ausgabe XXXII S. 415): „Darumb heissts, rund und rein,
ganz und Alles geglaubt oder Nichts geglaubt" (er meint seine Abendmalilslehre).
Luther's Stellung in der Dogmengeschichte als Problem. 697
sessen, was soeben vermisst wurde, einen Reichthum ursprünglicher
Anschauungen, der alle mangelnden „Bildungselemente" aufwog, eine
Sicherheit und Kühnheit desBHcks, die mehr war als „freie Forschung",
eine Kraft, das Unwahre zu treffen, das Probehaltige zu conserviren,
neben der alle „kritischen Einwürfe" matt und schwach erschienen, vor
Allem aber ein wundervolles Vermögen, dem starken Gefühl und dem
wahren Gedanken Ausdruck zu geben, wirklich zu reden imd durch
das Wort zu überzeugen, wie kein Prophet vor ihm. Allein alle diese
gewaltigen Eigenschaften waren doch unvermögend, dem kommenden
Geschlecht eine reine Bildung zu sichern, weil sie in Luther selbst nicht
aus dem Triebe herausgeboren waren, die Dinge zu erkennen, wie sie sind.
Gewiss — er hatte Grösseres zu thun, als die Wissenschaft zu berich-
tigen und die allgemeine Kultur in der Breite ihrer Entwickelung zu be-
fördern, und dankbar dürfen wir es preisen, dass wir einen Mann erlebt
haben, der all' sein Trachten in den Dienst derErkenntniss des lebendigen
Gottes gestellt hat. Aber es ist doch eitel Romantik und Selbsttäuschung,
wenn man die Schranken der Luther 'sehen Eigenart als sein Bestes preist,
und es ist schlimmer als Romantik und Selbsttäuschung, wenn man das,
was einem Heros erlaubt war, der nicht reflectirte, sondern that, was
er musste, zu einem allgemeinen Gesetz für eine Zeit erheben will, die,
wenn sie sich unbefangen und rücksichtslos der Erkenntniss der Wahr-
heit hingiebt, auchthut, was sie thun muss. Und dann — wer wagt es
dennwirkhch, den „ganzen Luther" zu repristiniren mit der Massivität
seines mittelalterlichen Aberglaubens, den vollendeten Widersprüchen
seiner Theologie, der seltsamen Logik seiner Argumente, den Fehlern
seiner Exegese und der Ungerechtigkeit und Barbarei seiner Polemik?
Sollen wir denn das alles vergessen, was wir gelernt haben und was
Luther nicht kannte, die Relativität des geschichtlichen Urthcils, das
Mass der Dinge und das bessere Verständniss des NT. 's? Fordert das
Ohristenthum, je strenger man es als geistige Rehgion fasst, nicht
den Einklang mit dem gesammten Leben unseres Geistes und kann
man aufrichtiger AVeise sagen, dass uns das Ohristenthum Luther's den
bietet ?
Indessen ist es nicht nur das mangelnde theoretische Interesse ge-
wesen, was Luther veranlasste, bei dem alten Dogma Halt zu machen,
auch nicht nur die unsi("herc Kenntniss und das mangelnde Verständ-
niss der altkathohschon Zeit, sondern das alte Dogma selbst
kam der neuen Auffassung des Evangeliums, die er verkün-
digte, entgegen '. Er hat sich also auch hier, wie überall, nicht
' Man hat auch darauf hingewiesen, dass das alte Dogma seit Justinian das
bürgerliche Rechtsbuch eröffnete, dass der Kechtsschutz , den es vcrhiess, nur
f)98 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus,
nur von äusseren Autoritäten leiten lassen, sondern die in-
nere Uebereinstimmung, die er zwischen seinem Glauben und jenem
Dogma zu finden meinte, hat ihn an demselben nicht irre werden lassen.
Er hat in dem „Glauben" nur die Ehre Gottes und Christi gesucht;
die lüten Ghiubensformeln thaten das auch. Er wollte in dem „Glauben"
nichts hören von Gesetz, Werken, Leistung und Verdienst ; die alten
Glaub ensfonneln schwiegen über sie. Ihm war die Sündenvergebung,
wie sie eine heilige Kirche schafft und Leben und Seligkeit bringt, das
Hauptstück der lleligion; er fand diese Stücke in souveräner Stellung
in den alten Formeln. Er ergriff* Jesum Christum als den Spiegel des
väterlichen Herzens Gottes, darum als Gott und wollte von keinem
anderen Tröster wissen als von Gott selbst, wie er in Christus erscliienen
ist und durch den hl. Geist wirkt; die alten Glaubensformeln zeugten
nur von Vater, Sohn und Geist, von dem einen Gott, der eine Drei-
heit sei, und sagten nichts von Maria, den Heiligen und anderen Noth-
helfern. Seine Seele lebte in dem Glauben an den Gott, der uns irdisch
so nahe gekommen ist wie ein Bruder dem Bruder; die alten Glaubens-
formeln bezeugten dies durch ihre Lehre von den zwei Naturen in
Christo. Er wappnete sich wie Paulus wider die Anläufe des Teufels,
der Welt und der Sünde mit der Gewissheit, dass Christus durch seinen
Tod die Mächte der Finsterniss bezwungen und die Schuld getilgt habe,
und dass er jetzt als der erhöhte Herr zur Eechten Gottes sitzt; die
alten Glaubensformeln bekannten sich zu dem Kreuzestod, der Aufer-
stehung und der Erhöhung Christi. Indem er unter dem Schutt des
Mittelalters den alten Glauben des Paulus in dem NT. wieder ent-
deckte, entdeckte er ihn auch in dem alten Dogma: die Kirche besass
ihn, bekannte ihn täglich, aber achtete seiner nicht, wusste nicht mehr,
was sie ihre Priester murmeln Hess, und hat so mitten im Besitz ihren
der Orthodoxie zugesprochen war, und dass somit jeder Angriff auf die Trinität
imd die Christologie damals als Anarchismus empfunden werden musste und unter
den schwersten Strafen stand. Das ist gewiss richtig; aber ich kann nicht finden,
dass Luther an die schweren Folgen, welche eine Auflehnung wider das Dogma für
ihn und seine Anhänger gehabt hätte, jemals gedacht hat. Er kam, soviel ich sehe,
niemals so weit, um sich darüber Sorge zu machen, da er ohne Schwanken an dem
alten Dogma festhielt. In dem anderen Fall hätte er gewiss den Muth bewiesen,
den Servede gezeigt hat. Anders steht es, wenn ich nicht irre, bei Melanchthon
und Calvin. Der Erstere hat auch aus ängstlichen kirchen- und staatspolitischen
Erwägungen jede Gemeinschaft mit Solchen vermieden, deren Stellung zum alten
Dogma verdächtig war, und Calvin ist schwerlich von dem Vorwurf freizusprechen,
dass er sich selbst zu dem alten Dogma anders gestellt und auch die Autitriuitarier
anders behandelt hätte, wenn er minder politisch gewesen wäre. Andeutungen über
die rechtliche und politische Seite der Frage bei Kattenbusch, Luther's Stellung
zu den ökumenischen Symbolen S. 1 ff.
Luther 's Stellung in der Dogmengeschichte als Problem. 699
Besitz vergessen. "Wie sollte er dieser Kirche gegenüber mit dem
NT. nicht auch das alte Dogma preisen, welches das Wort Gottes be-
zeugte! Und in einer sehr wichtigen Hinsicht hatte er ja völlig Recht
— dieses alte Dogma war wirklich ein Ausdruck der Religion der
alten Zeit gewesen: das, was diese Zeit daneben festhielt und
wodurch sie ihr Dogma begrenzte, hatte sie nicht in
das Dogma selbst aufgenommen. Erst in dem Mittelalter
haben Gesetz, Verdienst und Leistung in den Glaubenslehren und im
Kultus eine Stelle gefunden. Die altkatholische Kirche hatte im Ver-
gleich mit der mittelalterhchen überhaupt ein mehr religiöses Ge-
präge : sie bekannte in ihrem Glauben und in ihrem Kultus das, was
Gott durch Christus gethan hat und thun wird.
Aber hatte er nicht überhaupt Recht? standen nicht sein Glaube
und das alte Dogma wirklich in schönster Harmonie ? Man behauptet
es heute noch, und man beruft sich dafür auf den scheinbar stärksten
Zeugen, auf ihn selber, der es nicht anders gewusst hat. Nach dieser
Auffassung ist die Dogmenbildung der alten Kirche bis zum 6. und
7. Jahrhundert „gesund" gewesen; es fehlte ihr nur die Rechtfertigung
aus dem Glauben. Diesen Zusatz hat Luther hinzugefügt, indem er zu-
gleich die mittelalterliche Fehlentwickelung gereinigt, resp. abgethan
hat. Allerdings spricht man dabei doch zugleich auch von einem „Um-
bau" und einer „Neubildung" des Dogmas, die Luther vorgenommen
habe; aber es ist schwer anzugeben, was dieses Wort bedeuten soll :
Zusätze und Abstriche sind kein Umbau ^ Man meint es daher auch
nicht ernsthaft mit demselben ; aber es bezeichnet das Eingeständniss,
dass Luther's Glaubensbegriff irgendwie das gesammte Dogma modifi-
* S. Thomasius-Seeberg, a. a. 0. 11 S. 748: „Die dritte Periode bietet
die Neubildung des Dogmas durch die Reformation. Hier ist vom Mittel-
punkt des evangelischen Rechtfcrtigungsglaubens aus das mittelalterliche Verständ-
niss des Christenthums an seinen beherrschenden Punkten durchbrochen worden,
und es ist von jenem Centrum aus mit Beibehaltung der gesunden, an den
Urkunden des Urchristenthums sich bewährenden Resultate der seitherigen Dogmen-
bildung ein Umbau des Dogmas unternommen worden." Der Ausdruck »an den
Urkunden des Urchristenthums sich bewährend« ist übrigens erstlich ganz modern,
im Sinne Luther's daher höchst anstössig, zweitens ein Verzicht in Bezug auf Alles,
was die Kirche in den letzten 150 Jahren in Bezug auf das NT. und die älteste
Dogmengeschichtc gelernt hat. Noch deutlicher hat Kahnis (Die Sache der luth.
Kirche gegenüber der Union 1854 S. 90) seine Ansicht über das Verhältniss der
lutherischen Kirche zur römischen ausgesprochen. Nachdem er constatirt hat, dass
Ijcide Kirchen die ökumenischen Symbole anerkennen und dass die lutherische Kirche
Nachsicht mit den Rationalisten undSchleicrmacherianern übt, fährt er fort: „Sollten
wir denn keine Nachsicht haben mit den römischen Brüdern, welche diese Wahr-
heiten festhalten und nur ein IMus haben, gegen welches wir potcstiren."
700 T)iö Auaj2:änge des Dogmas im Protestantismus.
cirt hat. Wie das geschehen ist, das kann man freilich nicht sagen-,
denn die üogmenbildung der alten Kirche war ja „gesund". Auf diesem
Stand[)unkt muss nothwendiger Weise die ganze Entwickelung des Pro-
testantismus seit dem Ende des 1 7. Jahrhunderts bis heute als eine Fehl-
entwickelung, ja als ein Abfall erscheinen — misslich nur, dass nahezu
alle Protestanten abgefallen sind und sich hauptsächlich nur durch das
Mass von Klarheit uiul Aufrichtigkeit unterscheiden, in der sie ihren
Abfall eingestehen.
AVir haben zu untersuchen, ob Luther's Glaubensbegriif, d. h, das,
was Zugestandenermassen seine reformatorische Bedeutung ausmacht,
das alte Dogma fordert und daher auch mit ihm aufs innigste verbunden
ist oder nichts Wir stellen zu diesem Behufe zunächst die wichtigsten
Sätze, in denen sich sein Chris tenthum darstellt, zusammen. So-
dann werden wir die entscheidendsten kritischen Sätze, die er
selbst als Folgerungen seines religiösen Verständnisses des Evangeliums
ausgesprochen hat, aufführen. Auf Grund dieser Untersuchungen wird
sich dann ergeben, ob und in welchem Masse die Gesammthaltung,
welche Luther dem alten Dogma gegenüber eingenommen hat, eine
widerspruchslose gewesen ist. Ist sie es gewesen, so erhebt sich letzt-
lich die Frage, ob es der Kirche der Gegenwart noch möglich ist,
dieselbe Haltung einzunehmen.
2. Das Christenthum Luther's^.
In der Zelle seines Klosters hat Luther den Seelenkampf ausge-
kämpft, dessen Frucht die neue und doch alte evangelische Erkenntniss
werden sollte. Innere Unruhe, die Sorge um sein Heil, hatten ihn in
das Kloster getrieben. Er war dort eingetreten, um — echt katholisch
— durch gehäufte Leistungen den strengen Richter für sich zu
stimmen und „einen gnädigen Gott zu kriegen" ^. Aber indem er alle
* Es handelt sich hier lediglich um die Frage der inneren Zusammengehörig-
keit des Christenthums Luther's und des alten Dogmas. Dass er die äussere Au-
torität des Dogmas ausser Kraft gesetzt hat, darüber s. oben S. 582 ff.
' Ausfuhrliche Darstellungen der Theologie Luther's haben Köstlin,Theod.
H a r n a c k und Lommatzsch geliefert. Dogmengeschichtlich von AVichtigkeit ist
P litt 's Einleitung in die Augustana. Für die Anfänge der Bildung des eigcuthüm-
lichen Christenthums Luther's kommen besonders die Arbeiten von Kost 1 in,
Riehm, Seidemann, Hering, Dieckhoff, Bratke, Ritschi und Kolde in
Betracht. Präcis und lehrreich ist die Darstellung von Loofs in seinem Leitfiiden zur
Dogmengeschichte S. 214 ff. Eine zuverlässige Darlegung, aber freilich im Lichte
der Theologie der Epigonen, haben Thomasius-Seeberg geboten, a. a. 0.11
S. 330 — 394. Im Folgenden ist mein Vortrag: „M. L. in seiner ßed. f. d. Grcsch. d.
Wissenschaft u. d. Bildung" 1883 benutzt.
' Vgl. vor Allem die „kleine Antwort auf Herzog Georg's nahestes Buch"
Das Christenthum Luther's. 701
die IVIittel benutzte, welche ihm die mittelaherhche Kirche bot, wuchsen
seine Anfechtungen und Qualen. Er hatte das Bewusstsein mit allen
Mächten der Finsterniss zu ringen und sich im Kloster statt in der Ge-
meinschaft der Engel unter Teufeln zu befinden. Wenn ihn nachmals
auf der Höhe seines Wirkens Kleinmuth überfiel, so bedurfte es nur
der Erinnerung an jene klösterlichen Schrecknisse, um ihn wieder zu
festigen ^ In dem Systeme von Sacramenten und Leistungen, dem er
sich unterwarf, fand er die Gewissheit des Friedens nicht, die er suchte
und die nur der Besitz Gottes selbst gewähren konnte. Er wollte sein
Leben für Zeit und Ewigkeit auf einen Fels gründen — den Wechsel
des Mystikers zwischen Entzückung und Furcht hat er nicht erlebt;
denn er w^ar zu streng gegen sich selbst — -, aber alle Stützen, die man
ihm anpries, zerbrachen unter seinen Händen und der Boden wankte
unter seinen Füssen. Er glaubte, mit sich und seiner Sünde zu kämpfen;
aber in Wahrheit rang er mit der ReHgion seiner Kirche: eben das, was
ihm Trost gewähren sollte, offenbarte sich ihm als der Schrecken. In
solcher Noth ging es ihm — langsam und allmählich — an dem ver-
schütteten kirchhchen Glaubensbekenntniss („ich glaube die Vergebung
der Sünden"), und an der hl. Schrift auf, was die Wahrheit und die Kraft
des Evangeliums sei. Auch Augustin's Glaubensauffassung von den
ersten und letzten Dingen ist ihm dabei ein Leitstern gewesen. Aber
(Erl. Ausg. XXXI S. 273) : „Ist je ein Münch gen Himmel kommen durch Müncherei,
so wollt ich auch hinein kommen sein; das werden mir zeugen alle meine Kloster-
gesellen." Nach katholischem Urtheil freilich hat es Luther im Kloster ganz ver-
kehrt augefangen und durch seinen Hochmuth bewiesen, dass er nicht dorthin ge-
hörte. Sein Hochmuth l^estand aber lediglich darin, dass er es ernsthafter trieb als
seine Cxenossen.
* Eine der charakteristischsten Stellen s. a. a. 0. S. 278 f. : „Und mir ward auch
also Gluck gewuntscht, da ich die Profession gethan hatte, vom Prior, Convent und
Beichtvater, dass ich nu wäre als ein unschuldig Kind, das itzt rein aus der Taufe
käme. Und fürwahr, ich hätte mich gern gefreuet der herrHchen Tliat, dass ich ein
solcher trefflicher Mensch wäre, der sich selb durch sein eigen Werk, ohn Christus
Blut, so schon und heilig gemacht hätte, so Icichtlich und so balde. Aber, wiewohl
ich solches süsses Lob und j)räclitige Wort von meinem eigen AVerk gei'ii hörete,
und Hess mich also für einen Wunderthäter halten, der sich selbs so liederlicher
Weise künnt heilig machen, und den Tod fressen sampt dem Teufel u, s. w., so wollt
es doch den Stich nicht lialten. Denn wo nur ein klein Anfechtung kam vom Tod
odf'T Sunde, ho fiel ich daliin, und fand weder Taufe noch Müncherei, die mir
helfen möcht; so hatte ich nu Christum und seine Taufe längest auch verloren. Da
war ich der elendeste Mensch auf Erden, Tag und Nacht war eitel Heulen und Ver-
zweifeln, dass mir niemand steuren kunnte . . . Gott sei Lob! dass ich mich nicht zu
Tfjd gesell witzf't halie, ich wäre sonst längst im A])grund der Hölle mit meiner
Münchtaufr\ D(!nn ich kannte Christum nicht mehr, denn als einen gestrengen
Richter, für dem ich fliehen wollt, und doch nicht entfliehen kunnte."
702 r)ie Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
wie viel sicherer ergriff er das Wesen der Sache ! Was er hier lernte,
was er mit aller Kraft seiner Seele als das Einzige ergriff, das war die
Offenbarung des gnädigen Gottes im Evangelium, d. h. in
(>hristus. Dieselbe Erfalirung, die Paulus einst gemacht hat, erlebte
Ijuther, und wiewohl sie nicht so stürmisch und plötzlich eintrat wie
bei Jenem *, so hat doch auch er an dieser Erfahrung gelernt, dass
Gottesist, der den Glauben giebt: „da es Gott wohlgefiel, dass
er seinen Sohn offenbarte in mir." In Luther 's Entwickelung bis 1517
fehlt jedes dramatische und romantische Element: es ist das vielleicht
das Wunderbai'ste an diesem wunderbaren Charakter und das Siegel
seiner innerlichen Grosse.
Das aber, was er erlebt hatte und was er nun mit steigender
Klarheit auszusprechen lernte, war gemessen an dem Vielerlei, was
seine Kirche als Religion bot, vor Allem eine ungeheure Reduction.
In diesem Sinne gleicht er Athanasius^, mit dem er überhaupt die
bemerkenswertheste Verwandtschaft hat, und ist Augustin sehr un-
gleich, der den unerschöpflichen Reichthum seines Geistes niemals
beherrscht und desshalb mehr angeregt als erbaut hat. Jene Re-
duction bedeutete nichts Anderes als die Wiederherstel-
lung der Religion. Aus einem weitschichtigen Systeme von Büs-
sungen, Leistungen und Tröstungen, von strengen Satzungen und
unsicheren Gnadenstücken, aus Magie und blindem Gehorsam, führte
er sie heraus zu energischer Concentrirung. Die christliche Religion
ist der lebendige Glaube an den lebendigen Gott, der sich in Jesus
Christus offenbart und sein Herz aufgethan hat^ — nichts Anderes.
Objectiv ist sie Jesus Christus, seine Person und sein Werk'*;
subjectiv ist sie der Glaube; ihr Inhalt aber ist der gnädige Gott
und desshalb die Sündenvergebung, welche Leben und Seligkeit ein-
* Die Art, wie Luther seinen Glauben in der ersten Zeit zum Ausdruck ge-
bracht hat, zeigt deutlich, dass er ausser von Augustin auch von den mittelalter-
lichen Mystikern (von Bernhard ab) gelernt hat. Erst bei ihnen ist die Verknüpfung
der Hingabe an Gott mit der Hingabe an Christus deutlich, die bei Augustin viel
unsicherer gewesen ist. In diesem Sinne steht Luther's Glaube in einer bestimmten
geschichtlichen Linie; allein die Ursprünglichkeit und Kraft seiner Glaubenserfah-
rung wird dadurch nicht beeinträchtigt. Eine generatio aequivoca giebt es auch auf
religiösem Gebiete nicht.
2 S. Bd. II S. 21 ff.
^ Grosser Katechism. II, 3 (S. 460 Müller): „Neque unquam propriis viribus
pervenire possemus, ut patris favorem ac gratiam cognosceremus, nisi per Jesum
Christum dominum nostrum, qui paterni animi erga nos speculum est,
extra quem nihil nisi iratum et truculentum videmus iudicem."
* Vor Allem hat Theod. Harnack in seinem AVerk „Luther's Theologie"
(s. bes. den 2. Bd.) gezeigt, dass die ganze Theologie Luther's Christologie ist.
1
Das Christenthum Luther's. 703
schliesst. In diesem Ring ist für Luther die ganze Eeligion beschlossen.
Der lebendige Gott — nicht die philosophische oder mystische
Abstraction — , der offenbare, der gewisse, der jedem Christen er-
reichbare, gnädige Gott. Unwandelbares Vertrauen des Herzens auf
ihn, der sich in Christus zu unserem Vater gegeben hat, persönHche
Glaubenszuversicht, denn Christus steht durch sein Werk für uns
ein — das wurde ihm die ganze Summe der Religion, üeber alles
Sorgen und Grämen, über alle Künste der Askese, über alle Vor-
schriften der Theologie hinweg wagte er es, auf Christus hin Gott
selbst zu ergreifen, und in dieser That seines Glaubens, die er als
Gottes Werk w^usste, gewann sein ganzes Wesen Selbständigkeit und
Festigkeit, ja eine Selbstgewissheit und Freudigkeit, wie sie niemals
ein mittelalterlicher Mensch besessen hat^ Aus der Einsicht: „Mit
unserer Macht ist nichts gethan" zog er die höchste innere Freiheit
und Kraft; denn er kannte jetzt die Macht, die dem Leben Halt
und Sehgkeit verleiht, er kannte sie und rief sie bei Namen. Glau-
ben — das hiess ihm nun nicht mehr das. gehorsame Fürwahrhalten
kirchhcher Lehren oder geschichthcher Facta, kein Meinen und kein
Thun, kein actus initiationis , auf den Grösseres folgt, sondern die
Gewissheit der Sündenvergebung und darum die persönliche und
stetige Hingabe an Gott als den Vater Jesu Christi, welche den
ganzen Menschen umschaift und erneuert^. Das war sein Bekenntniss
vom Glauben: ein lebendig, geschäftig, thätig Ding sei derselbe, eine
gewisse Zuversicht, die da fröhlich und lustig macht gegen Gott und
alle Creaturen "'^, die, wie ein guter Baum, gewisslich gute Früchte
^ Die ausführlichste, gesichertste und zutreffendste Darstellung der Religion
Luther's findet sich in Herrmann's Schrift, Der Verkehr des Christen mit
Gott 1886.
^ Vgl. August, c. 20: „Admonentur etiam homines, quod hie nomen fidei non
significet tantum historiae notitiam, qualis est impiis et diabolo, sed significet iidem,
quae credit non tantum historiam, sed etiam effectum historiae, videlicet hunc arti-
culum, remissionem peccatorum, quod videlicet per Christum habeamus gratiam,
iustitiam et remissionem peccatorum." Vgl. die Auslegung des 2. Hauptstücks
in der „Kurzen Form" (Betbüchlein): „Hier ist zu merken, dass zweierlei "Weis ge-
glaubt wird : zum ersten von Gott, das ist, wenn ich glaube, dass wahr sei, was man
von Gott sagt. Dieser Glaube ist mehr eine Wissenschaft oder Merkung, denn ein
Glaub; zum andern wird in Gott geglaubt, das ist, wenn ich setze mein Trau in ihn,
begeh und erwäge mich mit ihm zu handeln und glaub' ohn allen Zweifel, er werd'
mir also sein und thun, wie man von ihm sagt. Solcher Glaube, der es wagt auf
Gott, es sei im Leben oder Sterben, der macht allein einen Christenmenschen."
« Vorrede zum Hf'imerbrief (Erl. Ausg.LXIII S. 124 f.): „Glaube ist ein gött-
lich Werk in uns, das uns wand(!lt und neu gebiert aus Gott ... O es ist ein lebendig,
schuftig, thätig, mächtig Ding um)) den Glauben, dass unmüglieh ist, dass er nicht
704 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
bringt iiiul die immer bereit ist, Jedermann zu dienen und allerlei
zu leiden. Das Leben eines Christen ist trotz aller Uebel und trotz
Sünde und Schuld geborgen in Gott. Das wurde der Grundgedanke
seines Lebens. In diesem hat er den anderen mit gleicher Gewissheit
erkannt und erlebt, den Gedanken von der Freiheit eines Christen-
menschen. Diese Freiheit war ihm nicht eine leere Emancipation
oder der Freibrief für jegliche Subjectivität, sondern Freiheit war
ihm die Herrschaft über die Welt in der Gewissheit, dass, wenn
Gott für uns ist, Niemand wider uns sein kann; frei von allen mensch-
lichen Gesetzen war ihm die Seele, die in der Furcht, der Liebe
und dem Vertrauen zu Gott ihr höchstes Gesetz und das Motiv ihres
Lebens erkannt hatte. Wohl hat er von den alten Mystikern gelernt;
aber er hat gefunden, was sie suchten. Sie blieben stecken in erha-
benen Gefühlen und brachten es nicht zur dauernden Empfindung des
Friedens. Er drang durch zu einer activen Frömmigkeit und zu stetiger
seliger Gewissheit. Er hat das Recht des Individuums zunächst für
sich selber erkämpft; die Freiheit des Gewissens hat er erlebt. Aber
das freie Gewissen war ihm das innerlich gebundene, und das Recht des
Individuums verstand er als die heilige Pflicht, es muthig auf Gott zu
wagen und dem Nächsten selbständig und selbstlos in Liebe zu dienen.
Damit ist auch bereits gesagt, was ihm die Kirche gewesen
ist — die Gemeinschaft der Heihgen, d. h. der Gläubigen, welche
der hl. Geist durch das Wort Gottes berufen hat, erleuchtet und
heiligt, die fort und fort durchs Evangelium im rechten Glauben er-
baut werden, auf die herrliche Zukunft der Kinder Gottes warten
und unterdess einander in Liebe dienen, ein Jeder an der Stelle, da
ihn Gott hingestellt hat. Das ist sein ganzes Bekenntniss von der
Kirche; es ist reich und gross und doch — welch' eine Reduction
enthält auch dieses Bekenntniss, wenn man es mit dem vergleicht,
was die mittelalterliche Kirche von sich selber und von ihren Auf-
gaben lehrte ! Luther's Bekenntniss ist ganz und gar aus seinem reli-
giösen Glauben geflossen, und es beruht auf folgenden eng verbun-
denen Grundsätzen, deren Wahrheit er stets festgehalten hat. Erstens
dass das Wort Gottes die Kirche begründet, zweitens dass dieses
1
ohn Unterlass sollte Guts wirken. Er fraget auch nicht, ob gute Werke zu thuu
sind, sondern ehe man fraget, hat er sie gethan, und ist immer im Thun. Wer aber
nicht solche Werke thut, der ist ein glaubloser Mensch, tappet und siehet umb sich
nach dem Glauben und guten Werken und weise weder was Glaube oder gute Werke
sind . . . Glaube ist eine lebendige erwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so ge-
wiss, dass er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkennt niss
göttlicher Gnade machet fröhlich, trotzig und lüstig gegen Gott und alle Creaturn."
Das Christenthum Luther's. 705
Wort Grottes die Predigt von der Offenbarung Gottes in Christus ist,
sofern sie den Glauben schafft, drittens dass desshalb die Kirche keinen
anderen Spieh^aum hat als den des Glaubens, dass sie aber innerhalb
desselben für jeden Einzelnen die Mutter ist, in deren Schosse er zum
Glauben kommt, viertens dass, weil die Religion nichts Anderes
ist als Glaube, nicht besondere Leistungen, auch nicht ein besonderes
Gebiet, sei es nun der öffentliche Kultus oder eine ausgewählte Lebens-
führung, die Sphäre sein können, in welcher die Kirche und der
Einzelne ihren Glauben bewähren, sondern dass der Christ in den natür-
lichen Ordnungen des Lebens seinen Glauben in dienender Nächsten-
liebe zu beweisen hat.
Mit dem ersten Grundsatz trat Luther sowohl der hergebrachten
Lehre von der Tradition als von der Bischöfe und des Papstes
Gewalt entgegen. Er sah ein, dass bisher auf ganz willkürliche
und daher auch unsichere Weise festgestellt worden war, was
christlich sei und was die Kirche sei. Er lenkte daher zu-
rück auf die Quelle der Religion, auf die. hl. Schrift, insonderheit
das NT. Die Kirche gründet sich auf ein Festes, Gegebenes, was
ihr auch nie gefehlt hat — darin unterschied er sich von den Schwarm-
geistern — , aber dieses Gegebene ist keine priesterliche Geheim-
wissenschaft, kein wüstes Gemenge von Satzungen unter dem Schutze
des Heihgen, noch weniger die päpstliche Willkür, sondern etwas,
was jeder schlichte Christ zu erkennen und zu prüfen vermag: das
Wort Gottes nach dem reinen Verstand. In dieser These
war die unbefangene Ermittelung des wirklichen Wortsinns der hl.
Schrift gefordert. Jede willkürliche Auslegung nach Massgabe von
Autoritäten war abgeschnitten. Luther hat, soweit er zu sehen ver-
mochte, mit dieser Forderung in der Regel Ernst gemacht. Er konnte
freihch nicht ahnen, wie weit sie führen würde. Aber seine metho-
dischen Grundsätze vom „Dolmetschen", sein Respect vor den
Sprachen haben die Schriftwissenschaft begründet.
Der zweite Grundsatz unterscheidet Luther sowohl von den Theo-
logen als von den Asketen und Sectirern des Mittelalters. Sie dachten,
wenn sie an das Wort Gottes dachten, an den Buchstaben, an die Lehr-
satzungon und die bunten Verheissungen der hl. Schrift; er dachte an
den Kern. Wenn er diesen Kern „das Evangelium nach dem reinen
Verstand", „das lautere {Evangelium", „das lautere AVort Gottes", „die
promissiones doi", vor Allem aber „Jesus (Jhristus" nennt, so sind in
seinem Sinn alle diese Ausdrücke identisch. Das Wort Gottes, welches
er stets meinte, war das Zeugniss von Jesus Christus, der die Seelen
selig macht. Wie es der Glaube nur mit dem lebendigen Gott und
H a r n a c k , Dogmengesehichte 117 . 45
706 r^i^ Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
Christus zu thun hat, so ist auch die Autorität des Glaubens und der
Kirche nur das wirksame Wort Gottes als der gepredigte Christus.
Denigemäss ist auch die Kirchenlehre niclits Anderes als die Darlegung
des Evangeliums, wie es die christliche Gemeinde erzeugt hat und zu-
sammenhält, (üe Zusannnenfassung der „consolationcs in Christo pro-
positae".
Ist aber die Ivirche lediglich durch diese consolationcs und den
ihnen entsprechenden Glauben begründet, so kann sie auch keinen an-
deren Spielraum und keine andere Gestalt haben, als die, welche ihr
das Wort Gottes und der Glaube verleihen. Alles Andere muss als
störend oder doch als unwesentlich w^egfallen. Damit ist der dritte
Grundsatz gew^onnen. Der Begriff der Kirche erscheint gegenüber dem
mittelalterlichen stark reducirt, aber er hat dadurch an innerer Kraft
gewonnen und ist dem Glauben zurückgegeben. Nur der Gläubige
sieht und erkennt die heilige christliche Gemeinschaft; denn nur er ver-
nimmt und versteht das Wort Gottes; er glaubt an diese Kirche und
weiss, dass er durch sie zum Glauben gekommen ist, weil der hh Geist
durch das gepredigte Wort ihn berufen hat '.
Der vierte Grundsatz endlich hat äusserlich die weittragendsten
Folgen gehabt: liegt Alles für den Einzelnen wie für die Kirche am
Glauben, will Gott nur durch den Glauben mit den Menschen handeln,
ist ihm nur der Glaube wohlgefälhg, so kann es keine besonderen
Gebiete und Formen der Frömmigkeit und keine specifische fromme
Lebensweise un Unterschied von anderen geben. Daraus folgte, dass
die Bewährung und praktische Bethätigung des Glaubens in den grossen
' S. den grossen Katechism. (Müller S. 455): „Spiritus sanctussanctificationis
munus exsequitur per communionem sanctorum aut ecclesiam christianorum, remis-
sionem peccatoruni, carnis resurrectionem et vitam aeternam; hoc est primum nos
ducit Spiritus s. in sanctam communionem suam, poncns in sinum ecclesiae, per
quam nos docet et Christo adducit ecclesia est mater et quemlibet christianum
parturit ac alit per verbum, qnod spiritus s. revelat et praedicat et per quod pec-
tora illuminat et accendit, ut verbum accipiant, amplectantur, illi adhaerescant inque
eo perseverent." Dazu Kirchenpostille, Predigt am 2. Christtage (Erl. Ausg. X
S. 162): „Die christliche Kirche behält alle Worte Gottes in ihrem Herzen, und
beweget dieselben, hält sie gegen einander und gegen die Schrift. Darum, wer
Christum finden soll, der muss die Kirche am ersten finden. Wie wollte man wissen,
wo Christus wäre und sein Glaube, wenn man nicht wüsste, wo seine Gläubigen
sind? Und wer etwas von Christo wissen will, der muss nicht ihm selbst trauen, noch
eine eigene Brücke in den Himmel bauen, durch seine eigene Vernunft; sondern zu
der Kirche gehen, dieselbige besuchen und fragen. Nun ist die Kirche nicht Holz
und Stein, sondern der Haufe christgläubiger Leute ; zu denen muss man sich lullten
und sehen, wie die glauben, leben und lehren, die haben Christum gewisslich bei
sich. Denn ausser der christlichen Kirche ist keine Wahrheit, kein Christus, keine
Seligkeit."
Das Christenthum Luther's. 707
Ordnungen des menschlichen Lebens, in Ehe, FaraiHe, Staat und Beruf,
zu geschehen habe. Aber auch der gesammte Kultus erschien nun in
einem ganz anderen Lichte. Wenn es feststeht, dass der Mensch nichts
um Gottes willen thun kann und darf, wenn der blosse Gedanke, Gott
durch Leistungen umzustimmen, der Tod der wahren Frömmigkeit ist,
wenn das ganze Verhältniss zwischen Gott und dem Menschen durch
die gläubige Gesinnung, d. h. durch felsenfeste Zuversicht auf Gott,
Demuth und stetiges Gebet bestimmt ist, wenn endlich alle Ceremonien
werthlos sind, so kann es keine üebungen mehr geben, die in beson-
derem Sinn „Gottesdienst" sind '. Es giebt nur einen directen Gottes-
dienst, den Glauben; sonst gilt die unverbrüchliche Eegel, dass man
Gott in der Nächstenhebe dient. AYeder mystische Contemplation noch
asketische Lebensführung liegen in dem Evangelium beschlossen.
Das Recht der natürlichen Lebensordnung war für Luther sowenig
ein selbständiges Ideal, wie die Freiheit vom Gesetz des Buchstabens.
Wie jeder ernste Christ war er eschatologisch gestimmt und wartete auf
den Tag, da die Welt vergeht mit ihrer Lust, ihrem Leid und ihren
Ordnungen. In ihr treibt doch fort und fort der leibhaftige Teufel
sein verwegenes und verführerisches Spiel: darum kann es in ihr
niemals wirklich besser werden. Selbst in einer seiner gewaltigsten
Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen" ist er weit davon
entfernt gewesen, den religiösen Menschen, den Menschen des Glaubens,
heimisch und zufrieden zu machen in dieser Welt und ihm etwa zu
sagen, dass er am Bau des Reiches Gottes auf Erden in dienender
Liebe sein Genüge und sein Ideal finden soll. Nein — der Christ
wartet im Glauben auf die hcrrhche Erscheinung des Reiches Christi,
in der seine eigene Herrschaft über alle Dinge offenbar werden wird;
unterdess muss er in dieser Zcithchkeit in der Liebe ein Knecht sein.
Allein, ob man nun diese Betrachtung Luther's für eine Schranke oder
für den correctesten Ausdruck der Sache halten will — gewiss ist,
dass er das Ideal religiöser Vollkommenheit so umge-
stimmt hat, wie kein Christ seit dem apostolischen Zeit-
' S. die Auslngimo^ zum 2. und 3. Geljot im groHson Katcohism. (S. /)99): „Hie
enim rectus nominis divini oultus est, ut de eo omnem nol)is omuium malorum leva-
tionem et consolationcm polliceamur eamquc ob rem illuin imploremus, ita ut cor
priu8 per fidem deo suum lioriorem tri])uat, deineeps vcro os lionorifica eoufessione
idem faciat." ])azu die ])oriJlimt(! Stelle S. 401: „Ceterum, ut hinc christianum ali-
(pieiM intelleetum hauriamus pro simplicibuH, quidnam deuH lioc in praecepto (seil,
tertio) a nobis exi^at, ita hal)e: Nos dien fefitoH C(!le]irare, non propter
Intel legen te 3 et eruditos christiano s, lii enim nihil opus habent
ferÜH." I)azu AuguBtana 20 (S. 00): „omiiis eultus dei, al) liominibus sine inan-
datü dei institutuH et eleetus ad prornerandain iustificationem et gratiam, impius est."
• 45*
708 Di^ Ausgänge des Dogmas im Protestautismus.
alter vor ihm, und tlass ihm dabei auch eine ümstimmung des
sittlichen Ideals zugeMlen ist, wenn er das neue auch nur nach
der rehgiüsen Seite sicher zu begründen vermoclite '. Wenn man sicli
die Bedeutung Luther's, seinen Bruch mit der Vergangenheit, klar
machen will, so muss mau sein neues Ideal des cliristlichen Lebens und
der christlichen Vollkommenheit ebenso ins Auge fassen, wie seine
lichre vom Glauben, aus der es entsj3rungen ist, und wie seine Frei-
heit vom Gesetz des Buchstabens, der Kirchenlehre und der Kirchen-
autorität. Welch' eine ungeheure Reduction bedeutet doch auch
Luther's neues Ideal! Das, was bisher unter dem Sclmtt ral'finirter
und complicirter Ideale am wenigsten geachtet worden ist, die de-
müthige und sicliere Zuversicht auf Gottes väterliche Vorsehung und
die Treue im Beruf (in der Nächstenliebe), machte er zur Hauptsache,
ja erhob sie zum einzigen Ideal ! Das, was die mittelalterliche Zeit für
ein geringes Ding erklärte, die Erkenntniss Gottes und den Glauben an
seinen Schutz, erklärte er für das Hauptstück des praktischen Christen-
thums: nur die Christo angehören haben ein Gott; alle
Andern haben ihn nicht, ja kennen ihn nicht ^. Das, was die mittel-
^ Es ist Ritschl's hohes Verdienst, die Bedeutung der Reformation — man
darf sagen, zum ersten Mal — klar und siegreich an der Ümstimmung des Ideals
religiöser und sittlicher Vollkommenheit nachgewiesen zu haben. Doch hat er dabei
die eschatologische Richtung Luther's m. E. nicht genügend gewürdigt. Aber er
hat den Ausführungen in Art. (2). 16. 20. 26. 27 der Augustana ihre Bedeutung zu-
rückgegeben. „Damnant et illos, qui evangelicam perfectionem non collocant in
timore dei etfide, sed in deserendis civilibus officiis, quia evangelium tradit iustitiam
aeternam cordis. Interim non dissipat politiam aut oeconomiam, sed maxime
postulat conservare tamquam ordinationes dei et in talibus ordinationibus exercere
caritatem." . . . „lam qui seit se per CJiristum habere propitium patrem, is vere
novit deum, seit, se ei curae esse, invocat eum, denique non est sine deo sicut gentes.
Nam diaboli et impii non possunt hunc articulum credere, remissionem peccatorum.
Ideo deum tamquam hostem oderunt, non invocant eum, nihil boniab eo exspectant."
Von der vergangenen Zeit heisst es c. 26: „Interim mandata dei iuxta voeationem
nullam laudem habebant; quod pater familias educabat sobolem, quod materparie-
bat, quod princeps regebat rempublicam, haec putabantur esse opera mundana et
longe deteriora Ulis splendidis observationibus." 27: „Perfectio christiana est serio
timere deum et rursus concipere magnam fidem et confidere propter Christum, quod
habeamus deum placatum, petere a deo et certo exspectare auxilium in omnibus
rebus gerendis iuxta voeationem; iuterim foris diligenter facere bona opera et
servire vocationi. In his rebus est vera perfectio et verus cultus dei."
- Grosser Katech. P. II, 3 S, 460: „Proinde ii articuli nostrae fidei nos ehri-
stianos ab omnibus aliis, qui sunt in terris, hominibus separant. Quicunque enim
extra christianitatem sunt, sive gentiles sive Turcae sive Judaei aut falsi etiam
Christiani et hypocritae, quamtjuam unum tantum et verum deum esse credant et iu-
vocent, neque tarnen certum habent, quo erga eos animatus sitanimo,
neque quid quam favori aut gratiae de deo sibi poUi eeri audent aut
n
I
Das Christenthum Luther 's. 709
alterliche Zeit mit Misstrauen ansah, der Beruf und die Pflicht des
Tages, galt ihm als die eigentliche Sphäre des gottwohlgefälligen Lebens.
Die Wirkungen waren unermessliche ; denn es war nun mit einem
Schlage die Religion aus der Verkuppelung mit allem ihr Fremden
befreit und zugleich das selbständige Recht der natürlichen Lebens-
gebiete anerkannt. lieber dem grossen Gebilde, welches wir Mittel-
alter nennen, über diesem Chaos unselbständiger und in sich verschlun-
gener Gestaltungen, schwebte der Geist des Glaubens, der seine eigene
Natur und darum seine Schranken erkannt hatte. Unter seinem Wehen
rang sich Alles, was ein Recht auf freie Geltung hatte, zu selbständiger
Entfaltung empor. Indem das Evangelium durchgedacht, verkündigt
und angewandt wurde, fiel dem Reformator auch alles Uebrige zu. Er
wollte die Welt nichts Anderes lehren, als was das Wesen der Religion
sei ; aber indem er das wichtigste Gebiet in seiner Eigenthümlichkeit er-
kannte, kamen alle anderen zu ihrem Rechte : die Wi s s e n s c h a f t steht
nicht mehr unter dem Bann der kirchHchen Autorität, sondern sie soll
ihr Object rein ermitteln; der Staat ist nicht mehr das fatale Gebilde
aus Zwang und Noth, bestimmt sich an die Kirche anzulehnen, son-
dern die souveräne Ordnung des öffentlichen gemeinschaftlichen Lebens ;
das Recht ist nicht mehr ein undefinirbares Mittelding zwischen der
Macht des Stärkeren und der Tugend des Christen, sondern die selb-
ständige, von der Obrigkeit gehütete Norm des Verkehrs und eine den
Einflüssen der Kirche entzogene gottgewollte Macht ; die Ehe ist nicht
mehr eine Art von kirchlicher Concession an die Schwachen, sondern
die von Gott gestiftete, von jeder kirchlichen Bevormundung freie Ver-
bindung der Geschlechter und die Schule der höchsten Sittlichkeit;
die Armenpflege und Liebesthätigkeit ist nicht mehr ein tenden-
ziöses Getriebe zur Versicherung der eigenen Seligkeit, sondern der
freie Dienst am Nächsten, der in der wirkhchen Hülfleistung seinen
letzten Zweck und seinen einzigen Lohn sieht. Aber über das Alles :
der bürgerliche Beruf, die schlichte Thätigkeit in Haus und Hof,
in Geschäft und Amt, ist nicht mehr die misstrauisch beurtheilte, weil
vom Himmel abziehende Beschäftigung, sondern der rechte geistliche
Stand, das Gebiet, auf welchem sich das Gottvertrauen, die Demutli
und das Gebet, also der im Glauben wurzelnde christliche Charakter
zu bewähren hat.
Das sind die Grundzüge des Christcnthums Luthcr's. Wer hier
seinen Standort nimmt und sich in Luther's Glaubensauffassung einlebt,
possunt, quamobrcm in pcrpetua mancnt ira et damnationc. Ncquo cnim habent
ChriBtum dominum ncquc uUis spiritus sancti donis et dotibus illusirati et donati
sunt."
710 Di« Ausgänge des Doginas im I^rotestantismus.
dem inuss es von vornherein schwer sein, anzunehmen, dass Luther trotz
aUedem zu dem alten, „gesunden" Dogma nur eine oder ein paar
Lehren ergänzend hinzugefügt hahen soll. Kr wird geneigt sein, hier
vielmehr dem katholischen Urtheil zu trauen, nach welchem Luther die
Ghiuhenslehre der alten und der mittelalterlichen Kirche umgestürzt
und nur Trünunerstücke derselhen naclihehalten hat.
Es ist angezeigt, die wichtigsten Einzellehren und tlieologischeu Begriffe,
die Luther gebraucht hat, kurz zu besprechen und sie in dem Sinne hier vorzuführen,
in welchem er sie seiner neuen Glaubensauffassung dienstbar gemacht hat. Sie
kommen also hier nur in ihrer ncugebildcteu, positiven Bedeutung in Betracht. Doch
ist schon hier zu sagen, dass Luther in der theologischen Terminologie von einer
grossartigen Unbefangenheit gewesen ist, und Melanchthon ist ihm bis zur Apo-
logie darin gefolgt. Das, was Luther allein werth schien, in der Theologie behandelt
zu werden, war das Erlebniss des Glaubens an eine göttliche That. Eben desshalb,
weil es sich nicht um eine blosse Lehre handelte, hat er die Lehrformeln sehr frei
benutzt, die zahlreichen Ausdrücke, welche die Schrift, die alten Symbole und
die Scholastik boten, gebraucht, aber sehr häufig als Synonyma behandelt. Nicht
Wenige haben sich dadurch veranlasst gefühlt, complicirte Schemata für die Lehre
Luther's zu entwerfen, und so hat unter den Händen der Epigonen die Theologie
Luther's dieselbe complicirte und eindruckslose Gestalt angenommen wie die pau-
linische Lehre in der biblischen Theologie. Es ist, als wäre es unter allen Histo-
rikern und Biographen allein den Theologen noch unbekannt, dass man die Ge-
sammtauffassung eines grossen Mannes am gründlichsten verfehlt, wenn Inan sich
die Mühe giebt, alle seine Aeusserungeu in eine künstliche Einheit zu setzen und
zu verspinnen. Nicht vorwärts hat mau von diesen Aeusserungen zu schreiten,
sondern rückwärts, d. h. man hat die verschiedenartigen und bunten Sätze möglichst
zu vereinfachen und auf möglichst wenige Grundgedanken zurückzuführen. Dass
sich das Licht in verschiedenen Farben bricht, ist nicht aus dem Licht zu erklären,
sondern aus den verschiedenen Medien, durch die es hindurchgeht. Vor Allem
aber muss für das Verständniss der Theologie Luther's die Einsicht massgebend
sein, dass ihm die christliche Lehre keine Gliederpuppe gewesen ist, die man in
Theile auseinandernehmen kann und der man Glieder hinwegzunehmen oder zu-
zusetzen vermag. Luther hat die überkommenen theologischen Sche-
mata vielmehr so behandelt, dass er in jedem von ihnen, richtig
verstanden, die ganze Lehre ausgedrückt fand. Mag er nun die Lehre
vom dreieinigen Gott, die Christologie, die Versöhnuugslehre, die Rechtfertigungs-
lehre, die Lehre von der Sünde und Gnade, von Busse und Glauben, die Lehre von der
Prädestination und vom freien AVillen behandeln, immer handelt es sich für ihn dabei
um die Darstellung des ganz enChri stenthums. Es ist ein ausgezeichnetes
Verdienst von Ka ttenbusch, dies an zwei Hauptlehren, der trinitarischen und
christologischen, für Luther gezeigt und bewiesen zu haben (Luther's Stellung zu
den ökumenischen Symbolen 1883). Nur unter strenger Beobachtung dieser Er-
kenntniss kann eine Darstellung der Theologie Luther's gelingen, sofern dieselbe ein
Ganzes war ^. Dass Luther daneben als Fragmente vieles Andere festgehalten
hat, ist unstreitig.
1 . In der Gotteslehre ergab sich für Luther eine doppelte Reihe von Eigeu-
^ Vgl. auch Gott schick, Luther als Katechet 1883.
Das Christenthum Luther's : Gott und Christus. 711
Schäften, je nachdem Gott ausser Christus oder inChristus vorgestellt wird.
Aber jede dieser Gruppen fasst sich in einen einzigen Gedanken zusanimen: dort
der schreckliche Richter, zu dem man sich nichts Anderes versehen kann als die
Strafe, hier der gnädige Vater, dessen Herz uns zugethan ist. In Christus angeschaut
sind die Eigenschaften der veritas, iustitia, gratia dei etc. sämmtlich identisch;
denn sie sind alle unter den Gesichtsj)unkt der promissiones dei gestellt ; diese aber
haben keinen anderen Inhalt als die remissio peccatorum. In Christus angesehen
hat Gott nur einen Willen, nämlich den zu unserem Heil; ausser Christus giebt
es überhaupt keine Sicherheit über den AVillen Gottes.
2. Objecte des Glaubens sind Gott, Jesus Christus und der hl.
Geist. Aber Gott ist selbst nur insofern Object des Glaubens, d. h. der herzlichen
Zuversicht und der kindlichen Furcht, als er sich in Jesus Christus äusserlich und
ein für allemal unter den Menschen offenbart hat und diese Offenbarung durch seinen
hl. Geist fort und fort in der Christenheit den Einzelnen offenbart ^. Eine stren-
gere Einheit kann nicht gedacht werden; denn es ist gar nicht Gott an sich, an
den der Glaube glaubt — Gott an sich gehört den Aristotelikern — , sondern es ist
der durch die Offenbarung des hl. Geistes vor die Seele gestellte, in Christus offen-
bare Gott. Für den, in welchem der hl. Geist diesen Glauben entzündet hat, giebt
es hier kein Mysterium und kein Räthsel, am wenigsten den Widerspruch zwischen
Eins und Drei: er ergreift in Christus, „dem Spiegel des väterlichen Herzens", Gott
selbst, und er weiss, dass Gott es ist, d. h. der hl. Geist, der solchen Glauben ent-
zündet und den Trost der Sündenvergebung schafft.
3. Ebenso ist der erste Artikel des Symbols für Luther eine Darstellung des
ganzen Christenthums ; denn dass der Mensch auf Gott sein Vertrauen setzt als
auf seinen gnädigen Schöpfer, Erhalter und Vater und in keiner Noth an ihm
zweifelt, das vermag er nur, wenn er auf Christus blickt und im Stande der Sünden-
vergebung steht; wenn er es aber vermag, ist er ein vollkommener Christ ^.
4. Von JesusChristus weiss der Glaube, dass „nu die Tyrannen und Stock-
meister alle vertrieben sind, und ist an ihre Statt getreten Jesus Christus, ein Herr
des Lebens, Gerechtigkeit, alles Guts und Seligkeit, und hat uns arme verlorene
Menschen aus der Höllen Rachen gerissen, gewonnen, frei gemacht und wiederbracht
in des Vaters Huld und Gnade, und als sein Eigenthum unter seinen Schutz und
Schirm genommen, dass er uns regiere durch seine Gerechtigkeit, Weisheit, Gewalt,
Leben und Seligkeit" ^. Das ist die Erkenntniss Jesu Christi, die allein dem Glauben
entspricht und die allein der Glaube gewinnen kann ; denn Christus ist nur von
seinem „Amt" und seinen „Wohlthaten" aus zu erkennen: in diesen Wohlthaten
ist der eigentliche und rechte Christusglaubc beschlossen*. Diese Wohlthaten fassen
sich zusammen in der Versöhnung, die er gestiftet, d. h. in der Sündenvergebung,
die er durch sein Leben und Sterben geschafft hat: „verc natus, passus, mortuus,
^ Vgl. die oben S. 702 u. 706 mitgetheilten Stelleu aus dem grossen Kate-
chismus.
^ S. die herrliche Auslegung des 1. Artikels im grossen Katech. und in der
„Kurzen Form der 10 Gebote, des Glaubens und des Vater-Unsers" (1522).
' Grosser Katech. U, 2 S. 453.
* S. (las diesem Buche vorangestellte Motto aus Luther's Werken und Me-
lanchthon's berühmten Satz in der Einleitung zur ersten Ausgabe der Loci: „Hoc
est Christum cognoscere, beneficia eius cognoscere, non eius uaturas, modos incarua-
tioüi« contueri.'*
712 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantifiiiiiis.
ut rt'conciliaret nobis patrem et hostia esset nou tantiim pro culpa originis, sed
etiam pro oniuihus iictualibus hojuiüum pcccatis'' '. Dies ist das Jlauptstiick des
Evangeliums, ja das Evangelium selbst, auf welches der Glaube sich richtet. Die
ganze Person Jesu Christi lallt für den Glauben lediglich unter diese Betrachtung,
alle Thateu Jesu und alle Worte; ja Luther wollte lieber jene entbehren als diese-,
denn jene bedürfen keiner Auslegung. Den Schrecken vor Gott, dem schrecklichen
Richter, kann das Herz nur vergessen, wenn es auf Christus schaut, dessen Tod ver-
bürgt, dass dem Gesetz und der Gerechtigkeit G enüge geschehen sei, und in dessen
AVort und Zügen der gnädige Gott selbst durch den hl. Geist uns ergreift. Eben
desshalb ist es gewiss, dass Christus für uns ein Anderer ist als nur unser Bruder,
nämlich ein rechter Helfer, der Strafe und Zorn für uns erlitten hat, und in welchem
Gott selbst sich darreicht und so klein und niedrig wird, dass wir ihn erfassen und
ins Herz schliessen können. Bei dieser Erkenntniss ist für den Glauben weder die
Gottheit noch die Menschheit Christi ein Problem, auch nicht das Ineinander von
Beidem, vielmehr waltet hier die klarste und tröstlichste Gewissheit iGottcsGnade
ist nur offenbar an dem geschichtlichenWirken des geschichtlichen
Christus. Einerseits erkennen wir au Christus, dass „Gott sich ganz und gar aus-
geschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe", andererseits
sehen wir ihn in der Krippe und am Kreuz. Beides liegt aber nicht neben einander,
sondern in der Niedrigkeit schaut der Glaube die Herrlichkeit. Das Bekenntniss
zur Gottheit Christi konnte dem nie fraglich sein, der überhaupt keinen Gott — im
Sinne des Glaubens kannte — als in Christus ^.
* August. 3.
'^ Vgl. über Luther's Christologie Seh ultz, Lehre von der Gottheit Christi
(1881) S. 182 ff. Das ist die grösste Reform, die Luther, wie für den Glauben so
für die Theologie, aufgerichtet hat, dass er den geschichtlichen Christus zum ein-
zigen Erkenntnissprincip Go ttes gemacht hat. Erst durch ihn ist Matth.
11, 27 u. I Cor. 1, 21 — 25; 2, 4 — 16 wieder auf den Leuchter gestellt, damit aber
die "Wurzel des alten dogmatischen Christenthums durchschnitten worden. „Man
soll ausser dem Gott, der ein Vater ist unsres Herrn Jesu Christi, keinen andern
Gott ehren noch suchen ; dieser wahre Gott schliesset auch Christum mit ein." „Was
man ausser Christo von Gott gedenket, das sind lauter unnütze Gedanken und eitel
Abgötterei." „AVenn man Christus verleuret, da wird aus allen Glauben (des
Pabstes, der Juden, Türken, Rotten) Ein Glaube" (s. Stellen beiTh.Harnack,
Luther's Theol. I, S. 371 ft'.). „Au dem Christo fange deine Kunst und Studiren
an, da läse sie auch bleiben und haften, und wo dich dein eigen Gedanken und Ver-
nunft oder sonst jemand anders führet und weiset, so thu nur die Augen zu und
sprich: Ich soll und will von keinem andern Gott wii^sen, denn in meinem Herrn
Christo . . . Siehe da stehet mir des Vaters Herz, AVillc und Werk offen und erkenne
ihn gar; welches sonst niemand nimmermehr sehen noch treffen kann, wie hoch er
steigt und speculirt mit eignen klugen und spitzigen Gedanken . . . Denn, wie ich
immer gesagt habe, das ist der einige Weg, mit Gott zu handeln, dass man nicht
anlaufe, und die rechte Stufe oder Brücke, darauf man gen Himmel fährt, dass mau
hinieden bleibe und sich hänge an dies Fleisch und Blut, ja an die Worte und Buch-
staben, die aus seinem Munde gehen, dadurch er uns aufs allerfeinste hinaufführt
zum Vater, dass wir keinen Zorn noch schrecklich Bild, sondern eitel Trost, Freud
und Friede finden und fühlen." Zu Joh. 17, 3: „Merke wie Christus in diesem
Spruche sein und des Vaters Erkenntniss in einander flicht und bindet, also dass
Das Christenthum Luther's: Christus, Urständ, Sünde. 713
5. Von der Sünde weiss der Glaube, dass sie zuhöchst und darum einzig
besteht in dem Mangel an Furcht, Liebe und Vertrauen zu Gott. Eben desshalb
sind alle Menschen vor Christus und ohne Christus Sünder, weil sie — gewisslich
durch ihre Schuld — Gott nicht kennen oder doch nur als schrecklichen Richter,
also ihn nicht so kennen, wie er erkannt sein will. Niemand hat vor Luther die
Sünde so ernst erfasst wie er, weil er sie misst an dem Glauben, d. h. religiös
werthet und sich in dieser Betrachtung nicht verwirren lässt durch den Blick auf
die Sünden als die abgestuften Erscheinungen der Unsittlichkeit oder auf die
Tugenden als die verschiedenfältigen Formen der weltlichen Sittlichkeit. Er allein
hat den Sinn des paulinischen Satzes wieder getroffen, dass Alles, was nicht aus
dem Glauben kommt, Sünde sei. So ist denn der Gegensatz von Sünde und Heilig-
keit erst von Luther wieder streng auf den anderen zurückgeführt worden: Schuld
und Vergebung. Der Stand des natürlichen Menschen ist die Schuld, die sich in dem
Schrecken vor Gott äussert, der Stand des neuen Menschen ist die Vergebung der
Schuld, die sich in der Zuversicht auf Gott zeigt. Man kann aber im Sinne Luther's den
Gegensatz noch einfacher fassen: keinen Gott haben und einen Gott haben.
Die Sünde in aller Sünde und die Schuld in aller Schuld ist die Gottlosigkeit
im strengsten Sinn des Worts, d. h. der Unglaube, der Gott nicht zu vertrauen
vermag \ und wiederum das höchste Gute unter allen Gütern ist die Zuversicht auf
Gott als einem rechten Helfer. Sofern der Mensch zu Gott und für Gott geschaffen
ist, ist demgemäss die iustitia originalis die Furcht^ die Liebe und das Vertrauen —
nichts mehr und nichts weniger, und der Sündenfall, der aus Unglauben entsprang,
hat den vollen Verlust der iustitia originalis zur Folge gehabt '^. Daher ist die
iustitia originalis keineswegs in dem Sinne ein „übernatürliches Geschenk", dass sie zu
dem fertigen, in seinen Grenzen selbständigen und für gewisse Zwecke vollkommenen
Menschen hinzugetreten wäre, sondern sie ist die wesentliche Bedingung, unter
welcher und in welcher der Mensch sein durch die Schöpfung gesetztes Ziel allein
man allein durch und in Christo den Vater erkennet. Denn das habe ich oft gesagt
und sage es noch immer, dass man auch, wenn ich nun todt bin, daran gedenke
und sich hüte vor allen Lehrern, die der Teufel reitet und führet, die
oben am höchsten anfangen zu lehren und zu predigen von Gott, bloss
und abgesondert von Christo, wie man bisher in hohen Schulen speculirt
und gespielet hat mit seinen Werken droben im Himmel, was er sei, denke und
thue bei sich selbst." So hat auch Melanchthon in der ersten Ausgabe der loci
(1521) die ganze scholastische Gotteslehre bei Seite gelassen. Aber wie lange hat
es gedauert, da ist sie zurückgekehrt; man spcculirtc auch im Protestantismus
wieder wie „der Papst, die Juden, Türken und Rotten", statuirtc, wie Origenes,
zwei Offenbarungsquellcn Gottes, das Buch der Natur und das Buch der hl. Schrift,
und stellte Christus als einen Abschnitt in beide Bücher ein.
* Neben dem Defectus des Glaubens nennen Luther und die Augustana auch
die Concupiscenz, aber sie betonen in dieser stets den Hochmuth des Herzens und
die Weltlust und Selbstsucht des Geistes. Luther hat mit der von Augustin her
eingebürgerten Vorstellung, als sei die Geschlechtslust die Erbsünde und die Wurzel
alh;r Sünden, gebrochen und damit jenen zu den ekelhaftesten Ausführungen und
zur bedenklichsten Schulung der Phantasie führenden Irrthum berichtigt.
'^ Daher ist die Erbsünde die rechte Hauptsünde, d. h. der Unglaube ist es.
Eben desshalb ist auch zu glauben, dass Christus alle Sünde tilgt, weil er die in der
Erbsünde liegende Schuld weggeschafft hat.
714 J^ie Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
erreichen kann. AVie nur Uott selbst diese iustitia originalis durch seine Offenbarung
erstmalig zu erzeugen vermochte, so kann aucli nur er sie wiederherstellen : das
aber ist durch Christus geschehen, der die Schuld getilgt und den Menschen den
gnädigen Gott gebracht hat.
H. Was Luther hier in dem Schema von Sünde und Sündentilguug ausgeführt
hat, eben das hat er auch in seinen Lehren von der Prädestination und dem
unfreien Willen zum Ausdruck gebracht, liier ist gegenüber der mittelalterlichen
Auffassung sein Grundgedanke der, dass Gott nicht nur objective Heilsveranstal-
tungen bewirkt hat, denen dann ein irgendwie selbständiges, in Busse und Glauben
sich bewährendes subjcctives Verhalten entsprechen muss, sondern dass er den
Glauben schenkt und die Busse schafft. Die mittelalterliche Theologie —
auch diejenige, welche denPrädestinatiousgedanken am schärfsten angespannt hat —
hat ihn bekanntlich gerade in dem eigentlich religiösen Punkte stets gelockert;
denn schliesslich laufen alle Bestimmungen, sowohl der Thomisten als der Scotisten,
auf einen mehr oder weniger feinen Synergismus hinaus, oder vielmehr umgekehrt:
das AVirken Gottes erscheint nur als ein „auxilium"^. Für Luther aber stand gerade
der religiöse Hauptpunkt fest, dass nämlich Gott es ist, der den Glauben wirkt,
den guten Baum einpflanzt und erhält. Eben das, was von Aussen betrachtet als
ein Subjectives erscheint und daher von der Vernunft als eine Leistung des Menschen
angesehen wird, erschien ihm, der das wirkliche Erlebniss, wie er es erlebt hatte,
ins Auge fasste, als das eigentlich Objective, von Aussen in ihm Gewirkte. Dies ist
vielleicht Luther's höchste Bedeutung innerhalb der Theologie, und darum ist seine
Schrift de servo arbitrio in einer Hinsicht seine gi'össte Schrift. Diese Bedeu-
tung liegt darin, dass er überhaupt mit der Vorstellung gebrochen
hat, als setze sich das religiöse Erlebniss aus historischen und sacra-
mentalen Acten, die Gott wirkt und in Bereitschaft hält, und aus sub-
jectiveu Acten, die irgendwie Sache des Menschen sind, zusammen.
Dieses Erlebniss so beschreiben, hcisst ihm seine Kraft nehmen und es der Vernunft
ausliefern; denn diese vermag nun die Thaten Gottes „objectiv" zu registriren, zu
beschreiben und zu berechnen, und sie vermag dann ebenso die Leistungen des
Menschen zu fixiren und vorzuschreiben. Dass dies die falsch-berühmte Kunst der
Scholastiker sei, die Lehre der Vernunft und des Teufels, das hat Luther erkannt
und darin besteht seine Grösse als Theologe. Er hat die dreiste Pseudotheologie
der „objectiven" Berechnungen ebenso abgcthan wie die sich als Religion gebende,
im tiefsten Grunde gottlose Moral. Die Zertheilung von Objectivem und Subjec-
tivem, des göttlichen Factors und des menschlichen Factors, im Erlebniss des
Glaubens hat er aufgehoben. Damit hat er die Religion für Jeden völlig
verwirrt, der von Aussen an sie herantritt, weil ein Solcher alles
Denken aufgeben muss, wenn ihm verwehrt wird, bald die Thaten
Gottes und bald die Leistungen des Menschen ins Auge zu fassen; aber
er hat eben damit die Religion für d en Gläubigen klargestellt und
ihr die Betrachtung zurückgegeben, in welcher der gläubige Christ
sie erlebt hat und fort und fort erlebt. Nichts ist hier lehrreicher, als die eben
genannte Schrift Luther's de servo arbitrio mit dem Tractat zu vergleichen, auf
welchen sie die Antwort ist, mit der Schrift des Erasmus. AVelche Feinheit des
Urtheils, welche Umsicht, welche ernste Sittlichkeit entwickelt dieser! Mit Recht
erkennt man in seiner Diatribe die Krone seiner Schriften ; allein sie ist eine ganz
weltHche, im Tiefsten irreligöse Schrift. Luther dagegen besteht auf der Gruml-
thatsache dei* chiistlichen Erfahrung. Hier wurzelt seine Prädestinationslehre als
Das Christenthum Luther's: Prädestination, Gesetz uud Evangelium. 715
Ausdruck für die Alleinwirksamkcit der Gnade Gottes, Welche Bedeutung die Ein-
sicht hat, dass die objective Offenbarung uud die subjective Aneignung nicht ge-
trennt werden darf, dass also die Erwcckuug des Glaubens selbst zur Offenbarung
gehört, hat Luther freilich noch nicht in allen Consequenzen erkannt^; sonst wäre
es ihm deutlich geworden, dass diese Erkenntniss den ganzen bisherigen Schul-
betrieb der Theologie ausser Kraft setzt und daher auch solche Consequenzen ver-
bietet, wie er sie in seinen Spcculationen über die Erbsünde und in seiner Schrift
de servo arbitrio gezogen hat. Denn wenn Luther hier darüber reflcctirt, was der
deus absconditus ist im Unterschied vom praedicatus, einen doppelten Willen in
Gott zulässt u. s. w., so ist das nur ein Zeugniss dafür, dass er die Unart des Schul-
verstandes, theologische Erkenntnisse wie philosophische Lehren zu behandeln, die
man unter beliebige Obersätze setzen und in beliebige Combinationen bringen kann,
noch nicht abgestreift hat. In der Hauptsache aber hat er klar und deutlich mit seiner
Lehre von der Prädestination und dem unfreien Willen die Metaphysik und Psycho-
logie als die Grundlage, auf welche die christliche Erkenntniss aufzubauen ist, abge-
than. Auch hat er jenen „deus absconditus", der ihm von dem Nominalismus her übrig
geblieben war, immer mehr verblassen lassen oder in ihm eben jenen schrecklichen
Richter gesehen, den der natürliche Mensch in Gott erkennen muss. Wie er so die
Religion der Religion zurückgegeben hat, so hat er auch die Glaubenserkenutniss in
ihrer Selbständigkeit begründet, indem er das Erlebniss der Oöenbarung Gottes im
Herzen, d. h. die Erzeugung des Glaubens, als ein noli me tangere aufgerichtet hat, den
Juden ein Aergerniss und den Griechen eine Thorheit. Aber wer hat ihn verstan-
den ! Die alte Prädestinationslehre und nichts Anderes hat man in seiner Erkennt-
niss erblickt als ein besonders sprödes Dogma neben anderen, und bald begann
im Protestantismus das Markten und Feilschen um dieselbe, womit Melanchthon
begonnen hat.
7. Das Ganze des Christenthums vermochte Luther aber auch in dem Schema
von Gesetz und Evangelium zu beschreiben, ja in diesem Schema hat er am
frühesten seine neue Erkenntniss niedergelegt. Er hat sich hier so streng an Paulus
angeschlossen, dass es nicht nöthig scheint, im Einzelnen seine Auffassung darzu-
legen; er scheute auch die paulinischen Paradoxien nicht, ja hat sie noch gesteigert:
das Gesetz ist gegeben, damit es verletzt würde. Allein das war nur ein Ausdruck
dafür, dass weder Gebote noch auch die süssesten Lehren dem Menschen
helfen können, vielmehr seine Gottlosigkeit steigern. Helfen kann nur die Person ,
hier die Person Jesu Christi. Das meinte Luther, wenn er evangelium, promis-
siones dei ctc einfach = Christus setzte. Der Gegensatz von Gesetz und Evangehum
war ihm nicht nur der Gegensatz einer Forderung und einer Verheissung, sondern
vielmehr letztlich der Contrast zwischen einer leeren und beschwerlichen Hülse und
der Sache selbst. Wäre das Evangelium, wie es gepredigt wird, nur eine An-
kündigung oder eine Ermoglichung des Heils, so wäre es nach Luther auch
„Gesetz" ; es ist aber beides nicht, sondern etwas viel höheres, weil diesem ganz
Incommensurables, nämlich die Erlösung selbst. Luther hat, wo er, unge-
stört von irgend einer Schablone, sein eigenstes Christenthum zum Ausdruck
gebracht hat, nie über das Evangelium „an sich" reflectirt — das ist ihm eine
* S. die schönen Ausführungen von Herrmann in der oben genannten Schrift ;
sehr wichtig ist, dass Luther selbst von der rcvelatio durch den hl. Geist spricht
(Grosser Katechism. S. 460: „ne(iuc de Christo quidquam scire i)088cmu8, si uon per
Hpiritum sanctum nobia revclatum esset").
716 Diti Außgäuge des Dogmas im Protestantismus.
jüdische oder heidnische Reflexion gewesen, wie die Erwägung über Gott „an sich",
die Versöhnung „an sich", den Ghiuben „an sich" — , sondern er hat das Evan-
geUum mit seine r Wi rkung ins Auge getasst, und nur in dieser Wirkung war es
ihm das Evangelium : der im Herzen au der Person Christi wieder gewonnene Gott,
der (Haube. Von diesem Ghiuben gilt: „facili compendio per fidem lex impletur."
Eben durum hat er die ('liristenheit wieder lehren können, weldi' ein Unterschied
zwischen Gesetz und Evangelium sei: das Werk Augustinus hat er auch hier erst
zu Stande gebracht, wie in Bezug auf die Prädestination und den unfreien Willen.
Desshalb hat er ferner nie daran zweifeln können, dass wahre Busse nur der durch
das Evangelium überwältigte Christ haben kann, und dass das Gesetz keine rechte
Busse erzeugt: Schrecken und Furcht ruft es hervor; aber diese wenden sich zum
Unglauben und zur Verzweiflung, also zur höchsten Gottlosigkeit. Wenn es an
nicht wenigen Stellen in Luther's Werken anders erscheint, so ist das zum Theil ein
Schein — denn das Evangelium ninmit auch das Gesetz in seineu Dienst (s. den
kleinen Katechismus), zum Theil pädagogische Rücksicht, aus dem sehr berech-
tigten Zweifel geboren, ob man den gemeinen groben Mann als Christen oder als
Nichtchristen nehmen soll, zum Theil eine Unklarheit, die Luther hier so wenig
ganz überwunden hat, wie anderswo. Die Epigonen haben bald um das Gesetz ge-
zankt, wie sie um den freien AVillen gezankt haben, weil sie den Nerv der neuen
Auffassung nicht mehr trafen. Luther selbst hat sich in diesen Zänkereien nicht
zurecht gefunden; denn er war stets von der merkwürdigsten Unbeholfenheit, wo
Streitfragen aus dem Kreise des Protestantismus heraus auftauchten, und in solchen
Fällen inmier geneigt, die couservativste Fassung für die richtige zu halten.
8. Das Ganze des Christenthums stellt sich endlich aber auch in der Recht-
fertigung dar. Eben weil man gewohnt ist, Luther's Bedeutung ausschliesslich
darin zu erkennen, dass er die Rechtfertigungsieh re formulirt hat, ist es nützlich,
dem gegenüber zu zeigen, dass man das Christenthum Luther's beschreiben kann,
ohne von diesem Titel Gebrauch zu machen. So wie er die Rechtfertigung ver-
standen hat, ist sie freilich schon in dem Vorstehenden überall zum Ausdruck ge-
kommen, nicht als Einzellehre, sondern als die Grundform des Christenstandes.
Um diese zu bezeichnen, hat sich Luther am häufigsten des pauliuischen Ausdrucks
bedient; jede andere Betrachtung der Rechtfertigung verfehlt den Sinn Luther's.
Das Neue ist nicht, dass Luther die iustificatio und sanctificatio ängstlich und schul-
mässig getrennt und jene als einen einmaligen actus forensis betrachtet hat ' — das
ist die AVeisheit der Epigonen, die immer gross in den Distinctionen gewesen ist — ,
sondern das Neue liegt erstlich darin, „dass die vivificatio oder iustificatio mit
seltenen Ausnahmen letzlich in nichts Anderem gesehen wird als in dem sine merito
redimi de iDeccatis, dem non imputari peccatum, aber reputari iustitiam alicui, dass
zweitens im Zusammenhang hiermit die gratia identificirt wird mit der misericordia,
mit der gratia in remissionem peccatorum oder mit der veritas d. i. der impletio
promissi in dem geschichtlichen AVirken Christi, und dass drittens in Folge dessen
die fides als das A^ertraucn auf Gottes veritas und Christi AVerk für uns erscheint:
fides = credere deo = sapientia crucis Christi (seil, intellegere, quod filius dei est
incarnatus et crucifixus et suscitatus propter nostram salutem) = deo satis-
facere in Christo. Auf diesen drei Gleichungen als den Regulatoren der religiösen
^ S. darüber die schönen Untersuchungen von Loofs und von Eichhorn
(Stud. u. Kritik. 1884 resp. 1887) ; sie beziehen sich auf die Ausprägung des Reeht-
fertigimgsgedankens in der Apologie, aber sie gelten nicht minder von Luther's
Lehre.
Das Christenthum Luther's : Rechtfertigung. 717
Selbstbeurtheilung ruht Luther's Frömmigkeit" '. In dem Schema von der Recht-
fertigung bringt demgemäss Luther vor Allem folgende (xedanken zu besonderer
Klarheit und zur deutlichsten Aussprache : 1) dass alle Eigenschaften Gottes für
uns in die Eigenschaft seiner Gerechtigkeit, mit der er uns gerecht macht (die also
Gnade, "Wahrheit, Barmherzigkeit und Heiligkeit zugleich ist), zusammengehen,
2) dass Gott wirkt und nicht der Mensch, 3) dass unser ganzes Verhältniss zu Gott
auf dem „propter Christum" beruht; denn Gottes iustitia ad salutem ist sein Handeln
durch das Evangelium, d. h. durch Christus ; es ist die iustitia Christi, in der er uns
anschaut und die er uns zuwendet (imputare iustitiam Christi oderpropter Christum),
4) dass die iustitia dei, wie sie in dem Evangelium ergeht. Beides bewirkt, den Tod
und das Leben, nämlich das Gericht und den Tod über den alten Menschen und die
Erweckung des neuen, 5) dass die Rechtfertigung durch den Glauben geschieht,
d. h. durch die Erzeugung des Glaubens: dieser ist nicht sowohl die menschliche
Antwort auf eine göttliche Handlung, sondern er ist das Mittel, in welchem Gott
die Rechtfertigung vollzieht und aneignet, 6) dass die Rechtfertigung nichts Anderes
ist als die Vergebung der Schuld und dass in dieser Vergebung Alles beschlossen
ist, nämlich Leben und Seligkeit, weil es überhaupt nur zwei Stände giebt, den des
Schuldbewusstseins und der Unseligkeit und den des Gnadenstandes und der Selig-
keit, 7) dass die Rechtfertigung desshalb nicht der Anfang ist, sondern Anfang,
Mitte und Ende zugleich ; denn wie sie nur im Glauben vorhanden ist, so unterliegt
sie dem Gesetz des Glaubens, der täglich einen Anfang macht, täglich also neu ist,
weil er immer aufs neue die gratuita remissio ergreifen muss, aber auch der ganze
volle Glaube ist, wenn er sich bei aufrichtiger Busse seines Gottes f>etröstet, 8) dass
die Rechtfertigung Beides in Eins ist, nämlich ein Gerechtsein und ein Gerecht-
werden ; jenes, sofern durch den Glauben, der die Vergebung erreicht, der Mensch
wirklich vor Gott gerecht ist; dieses, sofern der Glaube, derseines Gottes
gewiss geworden ist, allein gute AVerke hervorzubringen vermag.
In diesem Sinne ist allerdings der Glaube ein Initiationsact, d. h. der Anfang des
Werkes des hl. Geistes an der Seele ; allein das ist nicht so zu verstehen , als habe
im Innern des Menschen oder durch einen neuen Process Etwas zum Glauben hin-
zuzutreten, sondern der Glaube ist in demselben Sinne ein Anfang, wie der gute
Baum der Anfang einer guten Frucht ist. Anders hat Luther, wo er sich selbst klar
war, das Verhältniss nie gedacht, oder vielmehr er hat den Glauben noch enger mit
den guten Werken verknüpft, als dies aus dem angeführten Gleichniss hervor-
leuchtet; denn der Glaube war ihm selbst schon regeneratio, hat sie nicht erst zur
Folge, so dass sofort mit dem Glauben auch der Beginn jenes thätigen Lebens und
jener unruhig freudigen Bewegung gesetzt ist, da man Gott dienen will wie ein
fröhliches Kind. Ist das „Fürchten, Lieben und Vertrauen" nicht nur die Folge des
Glaubens, sondern der Glaube selbst, so ist in irgend welchem Umfang auch schon
die Frucht mit dem Baume gesetzt und gegeben. An einen Glauben, der nicht in
sich schon regeneratio, vivificatio und daher bonum opus wäre, hat Luther nie ge-
dacht; aber andererseits — in allem Zweifel, in aller Unsicherheit und Kleinmuth
rettet nicht der Cicdanke an den Glauben, der regeneratio ist, sondern nur der
Glaube, der nil nisi fides ist; mit anderen Worten: iustiücamur sola fide, d. h. allein
durch den Glauben, der die Sündenvergebung ergreift. Das blieb das Hauptstück
Luther's ; denn nur dieser Glaube schafft Heilsgewissheit. Damit ist das Letzte
und Höchste ausgedrückt, was Luther in seiner Beschnn'bung des Christenstandes
als des Standes der Rechtfertigung zur Aussage bringen wollte und was er in keinem
* Loofs, Jicitfaden d. Dogmengesch. S. 216 f.
718 Dip Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
anderen Sclienia so eindrucksvoll zu predigen vermochte: der arme, in seinem Ge-
wissenzerschlagene und darum gottlose Mensch kann nur in dem Höchsten, in dem
Besitz Gottes seibat, Ruhe finden — das wusste aucli Augustin — , aber er findet
diese Ruhe nur, wenn er Gottes felsenfest gewiss wird, und er wird seiner nur ge-
wiss durch den Gl au b en — Beides wusste Augustin nicht. Dadurch hat Lutlier alle
die Reformbewegungen des Mittelalters über sich selbst hinausgehoben und abge-
schlossen, dass er das gefunden hat, wonach sie suchten, und das auszusprechen
vermochte, was er erlebt hatte: die Gleichung von Heilsgewissheit und
Glaubet Kein anderer Glaube aber als der Glaube, der sich an den geschicht-
lichen Christus hält, kann die Stärke eines sicheren Glaubens gewinnen '^. So hat
Luther die (irrundgedanken des 8, Capitels des Römerbriefs wieder zum Fels der
Religion erhoben. An keiner Stelle lässt sich daher auch sein Gegensatz zur katho-
lischen Frömmigkeit deutlicher erkennen als hier. Sie fragte letztlich überall dar-
nach, wie wird der sündige Mensch ])erähigt, gute Werke zu thun, um Gott wohl-
genillig zu werden, und sie gab darauf langathmige Antworten und construirte einen
ungeheuren Apparat aus den Leiden Christi, den Sacramenten, den Resten der
menschlichen Tugenden, dem Glauben und der Liebe. Luther fragte hier über-
haupt nicht, sondern er beschrieb kräftig und freudig, worin das Erlebniss ))esteht,
das ihn Gottes Gnade hatte erleben lassen. Dies Erlebniss war für ihn die Gewiss-
heit, dass er in dem Glauben an Jesus Christus einen gnädigen Gott hatte. Er
wusste, dass Alles, was ihm gelang, alles wirkliche Leben und Seligkeit, soweit er
sie besass, ihm aus jener Gewissheit floss; er kannte sie als die Quelle seiner Heiligung
und seiner guten Werke. Damit war für ihn die ganze Frage nach dem Verhältniss
von Glaube und guten Werken wesentlich erledigt. Dass es gilt fortzuschreiten in
der Heiligung, zu kämpfen und zu ringen, das wusste er auch ; aber wenn er in
guten Werken lässig war, brach er in die Bitte aus, stärke mir den Glauben! Das
ausschliessliche Verhältniss von Sündenvergebung, Glaube und Heilsgewissheit ist
das erste und letzte Wort des Christenthums Luther's. Wo Erkenntniss Gottes ist,
da ist auch Leben und Seligkeit, ist das alteBekenntniss der Kirche. Aber welche Er-
kenntniss Gottes hier gemeint sei, darüber war keine Klarheit vorhanden : die zu-
künftige Erkenntniss, die philosophische Erkenntniss, die intuitive Erkenntniss, der
mystisch-sacramentale Genuss Gottes, die Erkenntniss durch den Logos — auf allen
diesen IrrwTgen ging man, und wie man hier Gottes nicht gewiss wurde, wurde
man auch nicht selig. Luther suchte nicht eine Erkenntniss, sondern fand sie in
seinem Christenstand gegeben, Gott in Christus; daher „wo Vergebung der Sünden
ist, da ist auch Leben und Seligkeit" ^. In diesem Glauben gewann er aber auch
^ Damit hat Luther die Mystik überwunden; vgl. Hering, Die Mystik Luther's
im Zusammenhang seiner Theologie 1879.
* Die Rechtfertigung gründet sich für Luther auf die Satisfaction, d. h. auf den
Tausch zwischen Christus und dem Sünder, s Th.Harnack, a.a.O. II S. 288— 404.
^Loofs S. 230: „Den Griechen trat die Sünde hinter der «fd-opä zurück.
Verderben und Erlösung wurden physisch aufgefasst; Augustin und der Katho-
licismus würdigten die Sünde mehr, aber hinter der Sünde stand die wesentli(rh
physisch gedachte concupiscentia, hinter der Gerechtigkeit die hyperphysische in-
fusio dilectionis u. s. w. ; in asketischer Sittlichkeit und in der Mystik culminirt da-
her der Katholicismus; für Luther steht hinter der Sünde (im ethischen Sinne) die
Sünde im religiösen Sinne d. i. der Unglaube, hinter dem Gerechtsein die religiöse
Grundtugend d. i. der Glaube: Luther hat das Christenthum als Religion wieder
entdeckt."
Luther's Kritik an der Ueberlieferung und am Dogma. 719
die religiöse Selbständigkeit und Freiheit gegenüber Allem, was nicht Gott
war; denn nur Selbständigkeit und Freiheit ist Leben. Die Freiheit, die seine Gegner
dort übrig gelassen hatten, wo sie gar nicht hingehört, hob er auf; aber statt des
schädlichen Restes, den er beseitigte, erntete er jene Freiheit, die Paulus am Schluss
des 8. Capitels des Römerbriefs gefeiert hat. Jene waren bei ihrem „freien Willen"
der Kirche und der Menschen Knechte geworden; Luther hat in dem Bekenntniss
zum „unfreien Willen", d. h. in seiner Gewissheit von der Rechtfertigung aus dem
Glauben, die Freiheit und den Muth gewonnen, einer ganzen Welt zu trotzen. Das,
was man den Individualismus des Protestantismus nennt und mit Recht hoch hält,
hat hier seine Wurzel : der Christ ist durch seinen Gott ein selbständiges Wesen,
welches keines Dinges bedarf und weder unter der Knechtschaft von Geboten noch
in der Abhängigkeit von Menschen steht. Er ist ein Priester vor Gott, unbevor-
mundet durch einen Priester, und ein König über die Welt '.
3. Die Kritik Luther's an der herrschenden kirchlichen
üeb erlief erung und am Dogma.
Es sollen hier in Kürze die wichtigsten kritischen Sätze Luther's
zusammengestellt werden, um ein Bild davon zu gewinnen, in welchem
Masse sich der Reformator von der herrschenden Tradition entfernt
hat. Wie und in welcher Abfolge er die einzelnen Sätze gewonnen hat^
das ist schon oft dargestellt worden. Es ist auch in allen Hauptpunkten
so durchsichtig und zugleich so deutlich das Ergebniss seiner posi-
tiven Einsicht, dass ein näheres Eingehen auf die Geschichte derEnt-
wickelung der negativen Thesen an dieser Stelle nicht nöthig erscheint.
Ein Doppeltes aber ist zum Verständniss seiner Kritik vorauszuschicken*,
erstlich nämlich dass der Reformator — darin von Zwingli verschieden
— stets von dem Centrum in die Peripherie gegangen ist, d. h. vom
Glauben zur Institution; zweitens dass seine negative Kritik niemals
Lehren als solche betroffen hat, sondern solche Lehren, welche die
Praxis — das Wort im umfassendsten Sinn genommen — verdarben.
Man könnte desslialb ohne grosse Schwierigkeit die ganze Reformation
Luther's unter dem Titel „die Reform des Gottesdienstes" beschreiben.
1. Tiuther's Ilrtheil hat Melanchthon in dem bekannten Satz der
Apologie IV (TI) init. wiedergegeben: „Adversarii, quum ncque quid
rcmissio peccatorum, ncque quid fides nequc quid gratia neque quid
iustitia sit, intcUigant, misere contaminant locum de iustificatione et
obsciirant gloriam et })encficia Christi et eripiunt piis conscientiis pro-
positas in Christo consolationes." Damit ist nicht nur einem Stück der
herrschenden Hcilslehre, sondern dieser selbst die Wahrheit abge-
sprochen, und zwar griff Luther jeden einzelnen Punkt derselben an :
1) jene Gotteslehre, welche, statt über Cott allein in (Jhristo zu denken,
in „sophistischer" Weise seine Eigenschaften berechnet und über seinen
* Vgl. hier die Schiifl, de Jiljertale christiana.
720 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
Willen speculirt — die ganze „metaphysisclie" Gotteslehre hat er oft
genug als ein Erzeugniss der blinden Vernunft bedräut und ver-
spottet*, 2) die (yhristologie, sofern man sicli begnügte, über die beiden
Naturen, die Menschwerdung, die jungfräuhche Geburt u. s. w. zu spe-
c'uliren, statt das Amt, den Beruf und so die WohUhaten Christi ins
Auge zu fossen'^, 3) die Lehre von der Wahrheit, Gerechtigkeit und
Gnade Gottes, sofern der Trost, der in diesen Stücken liegt, nicht er-
kannt wird, weil sie von der Vernunft durch Rücksicht auf das Gesetz
und auf das, was der IVrensch thut, geschmälert und um ihren evange-
lischen Sinn gebracht werden, 4) die Lehre von der Sünde und vom
freien Willen, weil sich hinter ihr eine pelagianische Selbstgerechtigkeit
verbirgt, 5) die Lehre von der Rechtfertigung und vom Glauben, weil
sie den Punkt gar nicht trifft, auf den es allein ankommt: einen Gott
haben, statt dessen vielmehr üngewissheit und menschliches Verdienst
aufrichtet, 6) die Lehre von den guten Werken, weil sie erstlich nicht
weiss, was gute AVerke sind und es desshalb zu wahrhaft guten Werken
überhaupt nicht bringt, und weil sie zweitens diese „guten Werke" an
die Stelle setzt, an welche allein der Glaube gehört.
2. Damit im engsten Zusammenhang griff Luther das ganze katho-
lische (nicht nur mittelalterliche) Ideal der christlichen Vollkommen-
heit an. Li seinem Kampf gegen Mönchtimm, Askese, besondere Lei-
stungen u. s. w. bekämpfte er jenes ^rpwtov ^söSoc der moralistisch-
pelagianischen Betrachtung, als gelte vor Gott irgend etwas Anderes als
er selbst. Eben desshalb tilgte er die Vorstellung einer doppelten Sitt-
lichkeit bis auf den letzten Rest und stellte den sich der Sündenver-
gebung getröstenden Glauben (vivificatio und sanctificatio) als die
christliche Vollkommenheit dar. Eben damit aber gewann er auch die
Herrschaft über die eschatologische Stimmung des alten Vollkommen-
heitsideals ; denn in der Natur desselben lag es begründet, dass es nur
ausserhalb dieser Erde im Himmel voll verwirklicht werden kann : das
englische Leben kann im Diesseits nur in vorläufigen Anfängen bestehen.
Mit dieser Art von Eschatologie hat Luther gebrochen und sie abge-
than, ohne die Sehnsucht nach dem Leben im Schauen preiszugeben.
Es ist ein neuer Begriff von Seligkeit, den er seinen Gegnern entgegen-
hielt*, sie dachten bei der Seligkeit an einen Genuss der geheiligten
Sinne und der geheiligten Erkenntniss ; er dachte an den Trost eines
befriedeten Gewissens. Sie wussten von dieser Seligkeit nur in Frag-
menten zu sprechen: denn sie hatten sie höchstens in Minuten erlebt;
* S. H. Schultz , Lutlier's Ansicht von der Methode u. d. Grenzen d. dogmat.
Anschauungen über Gott (Ztschr. f. K.-Gesch. IV, 1). Vgl. oben S. 710 ff.
^ Vgl. das diesem Buche vorangestellte Motto.
Luther's Kritik am Seligkeitsideal und am Sacrament. 72 1
er zeugte von ihr wie ein Kind von der Liebe seines Vaters, in der es
sich geborgen weiss. Sie bHeben arm, unselbständig und ängstlich bei
air dem Ueberschwall; welchen sie empfanden ; er sah in dem Allem nur
die alte Hölle, welche den Sünder verfolgt, und riss in dieser Gewissheit
das Mönchthum, die x\skese und alle Verdienste nieder. AVie überall,
so hat er auch im Seligkeitsideal den feinen Dualismus ausgetilgt, der
die ganze katholische Auffassung vom Christenthum durchzieht.
Aus diesen Angriffen auf die Heilslehre und die mönchische Voll-
kommenheit ergaben sich ihm mit Nothwendigkeit die Angriffe auf die
Sacramente, das Priester- und Kirchenthum und die kirchliche Gottes-
verehrung, ferner aber auch die Angriffe auf die formellen Autoritäten
des Katholicismus und der katholischen Lehre.
3. Nicht nur die Siebenzahl der Sacramente hat Luther abgethan
— das ist das Geringste — , sondern er hat den ganzen katholischen
Sacramentsbegriff entwurzelt durch die siegreiche Behauptung folgen-
der drei Sätze: 1) dass die Sacramente der Sündenvergebung dienen
und nichts Anderem, 2) dass sie nicht „implentur dum fiunt, sed dum
creduntur", 3) dass sie eine eigenthümliche Form des seligmachenden
Wortes Gottes (der sich verwirklichenden promissio dei) sind und
desshalb ihre Kraft an dem geschichtlichen Christus haben. In Folge
dieser Betrachtung reducirte Luther die Sacramente auf zwei (drei),
ja im Grunde auf ein einziges, nämlich auf das Wort Gottes.
Er zeigte, dass selbst die erleuchtetsten Kirchenväter von dieser
Hauptsache nur unklare Vorstellungen gehabt haben — Augustin
weiss viel vom Sacrament zu sagen, aber wenig vom Wort — , und
dass die Scholastiker die Sache vollends verdunkelt haben; er wendet
sich ebenso gegen die Magie des opus operatum, wie gegen die Ver-
schiebung des heilsamen Effects des Sacraments in die menschliche
Disposition; er löst die mystischen Nebel des Schwelgens in den Sacra-
menten ebenso auf, wie die anstössigen gottlosen Berechnungen ihres
Marktwerthes ; er vernichtet den bequemen und doch so nichtigen
Gedanken von Gnadenstücken und setzt in das Sacrament den leben-
digen (Jhristus, wie er als Christus praedicatus den alten Menschen
bezwingt und den neuen erweckt; er zertrümmert nicht weniger als
das ganze System und führt es wiederum auf den einen, einfachen
grossen, in jedem Cliristenleben sich immer wiederholenden Act der
Erzeugung des Glaubens durcli Anbietung der gratia zurück. Durch
die Beseitigung der katholischen Sacramentslehre vor Allem hat
TiUther principiell den aus ältester Zeit stammenden Trrthum abge-
tlian, als handle es sich in der christlichen Religion um ein, sei es
auch noch so hohes, dingliches Gut. Jene Lehre wurzelte in der
Harnack, Doj^enßeschichte III. aq
722 l^i^'' Ausgänge des Doginas im Protestantismus.
(Triinclvorstelliing, dass die llelifijioii das Gegoiniiittel gegen die End-
licJikeit des Menschen in dem Sinne sei, dass sie seine Natur ver-
gotte. Dieser Gedanke war freilich bereits durch Augustin's Lehre
erschüttert, aher el)en nur erscliüttert worden. Augustin hatte, als
Vorläufer Ijuther's, die Sacramente bereits einem innerlichen Process
ditMistbar gemacht: sie sollen die Gerechtigkeit erzeugen, vermehren
und vollenden. Aber indem er sie zu diesem Zweck unter den Ge-
sichtspunkt der gratia infusa (caritas infusa) stellte, führte er die
Betrachtung nicht über die Linie hinaus, dass sie Instrumente
mannigfaltiger Art seien, denen nur eine particulare Ivraft innewohnt
und die im letzten Grunde das nicht sind, was sie bedeuten, üie
Kirche nach ihm ist ihm auf dieser Bahn gefolgt. Indem sie sich
zur Sacramentskirche ausgestaltet hat, hat sie doch in AVahrheit das
„Sacrament" entwerthet; denn es ist nicht das, was es zu sein scheint,
sondern es ermöglicht nur das, was es zu enthalten scheint; damit
es aber wirklich wird, muss noch x\nderes hinzutreten. Für liuther
dagegen sind die Sacramente wirkhch nur verbum visibile, aber jenes
Wort, welches kräftig und mächtig ist, weil in ihm Gott selbst mit
uns wirkt und handelt. Es ist zuletzt der Gegensatz in der Auf-
fassung dei' gratia, welcher an diesem Punkt am klarsten hervorbricht.
Nach katholischer Auffassung ist die Gnade die durch die Sacramente
appHcirte, eingegossene Kraft, die unter der Bedingung der Mit-
wirkung des freien Willens den Menschen befälligt, den AVillen Gottes
zu erfüllen und sich die zur Seligkeit nöthigen Verdienste zu erwer-
ben. Nach Luther aber ist die Gnade die väterliche Gesinnung
Gottes, die um Christus willen den schuldigen Menschen zu sich
ruft und ihn annimmt, indem sie ihm durch das vorgehaltene Bild
Christi Vertrauen abgewinnt. Was soll da das Sacrament?
Dass die einzelnen Sacramente, welche Luther beibehielt, dem-
gemäss eine neue Bearbeitung erfahren mussten, ist selbstverständlich.
Wie er die Taufe und das Abendmahl angesehen wissen wollte,
hat er in den vier Sätzen über jene ' und in den parallelen über
diese zum Ausdruck gebracht, die er in dem kleinen Katechismus
ausgesprochen hat. Was über die dort gegebenen Ausführungen
hinaus liegt, resp. mit ihnen nicht stimmt, wird im nächsten Abschnitt
* „Die Taufe ist das Wasser in Gottes Gebot gefasst und mit Gottes Wort ver-
bunden." „Sie wirket Vergebung der Sünden." „Wasser thuts freilich nicht, son-
dern das AVort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und derCilaube, so solchem
AVort Gottes im AVasser trauet." „Die Taufe bedeutet, dass der alte Adam in uns
durch tägliche Reue und Busse soll ersäuft werden . . . und wiederum täglich heraus-
kommen und auferstehen ein neuer Mensch." Dasselbe beim Abendmahl.
Luther's Kritik an den Sacramenten. 723
zur Sprache kommend Am einschneidendsten erscheint seine Auf-
fassung von der Busse, verglichen mit dem kathohschen Busssacrament,
dem Herzstück der mittelalterHchen Kirche. ErstHch hat er an die
Stelle der inneren Bussstimmung, dem Sündenbekenntniss und der
Genugthuung allein die Busse gesetzt; nicht als ob er die confessio
und satisfactio operis einfach abgethan hätte — auf jene legte er
hohen Werth und auch dieser konnte er ein gewisses Recht einräu-
men — ; aber neben die aufrichtige Busse darf nichts Anderes ge-
stellt werden; denn nur sie hat vor Grott Werth, weil er sie durch
den Glauben schafft; zweitens hat er die Busse streng als contritio
gefasst, d. h. als die durch den Glauben erweckte Zerknirschung
über die Sünde, richtiger den Hass gegen dieselbe; das, was das
Gesetz erwirken kann, ist höchstens attritio, aber diese attritio der
Scholastiker ist weniger als nichts werth, weil sie nicht von Gott
gewirkt ist, und führt daher zur Hölle; so hat er die Busse aus dem
Bereich der Moral und der willkürlichen Kirchenordnung zurück-
geführt in das Gebiet der Religion: „an Dir allein habe ich gesün-
digt" ; drittens hat er die Stetigkeit der Bussgesinnung gefordert als
die Grundform des rechtschaffenen Christenlebens überhaupt und
damit die vor dem Priester abgelegte Busse für einen Specialfall
dessen erklärt, was allezeit in Hebung und Kraft sein soll; viertens
hat er damit die Nothwendigkeit der priesterlichen Mitwirkung, sei
es bei der confessio — die Ohrenbeichte als Beichte aller Sünden
ist unmöglich, als brüderliche Aussprache heilsam — , sei es bei der
absolutio, abgethan: ein Ohrist kann und soll dem anderen die Sünde
vergeben und ihm dadurch, wie Luther sich kühnlich ausdrückt,
ein Ohristus werden; fünftens hat er auf die absolutio neben der
contritio den entscheidenden Nachdruck gelegt: diese beiden gehören
allein zusammen, und nichts darf ihre Ver])indung stören oder be-
schweren; sie gehören aber zusammen, weil sie beide beschlossen
sind in der fides; in dieser liegt aber, streng genommen, nicht einmal
die confessio, geschweige die satisfactio ; sechstens hat er allen Unfug,
der sich an das Sacrament angeschlossen hat, beseitigt ; indem er die
Vergebung ausschhesslich auf die Tilgung der ewigen Schuld bezieht,
hat er die seelen gefährlichen Berechnungen der Vernunft, betreffend
Todsünden und lässliche Sünden, ewige Schuld und zeitliche Schuld,
* Nur das sei bemerkt, dass Luther's ursprünglicher Grundsatz vom A])end-
mahl lautet — in der Schrift de captiv. Bahyl. (Erlang. Ausg. Oi)p. var.arg. V.p.50),
die für seine Lehre von den Sacramenten grundlegend ist — : „iam missa quauto
vicinior et similior primae omnium missae, quam Christus in coena fecit, tanto
Christianior."
40*
724 r^ic! Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
ewige Strafen und zeitliclie Strafen, abgethan und damit das Sacra-
ment auch aus der Verflechtung mit der Rücksicht auf zeitHche
Vortheile herausgeführt, die eine nothwendige Folge der Reflexion
über zeitliche Strafen gewesen ist; indem er die Wirkung der Ab-
solution auf die ewige Schuld reducirtc, nahm er es, gemäss seiner
Einsieht in das Wesen der Sünde, mit dieser viel ernster als die
Scholastiker: sie operirten mit der lässlichen Sünde und mit der
attritio und bewiesen eine hohe Kunst, die Sünden überhaupt auf
jene zu reduciren und die attritio Gott wohlgefällig zu machen; er
kannte in dieser Sache nur seine unendliche Schuld und seinen Gott;
siebentens hat er mit jenem Unfug ausdrückhch die raffinirten Lehren
vom Fegfeuer, von dem zugewandten Verdienst der Heihgen und von
den Ablässen beseitigt. In dem Contrast zwischen Schuld und Ver-
gebung, Hölle und Himmel giebt es kein Mittleres, also auch kein
Fegfeuer; Verdienste der Heiligen sind eine pelagianische Erfindung,
können also auch nicht angerechnet werden; die Ablässe sind eben
desshalb schon ein thörichter Wahn, die Praxis derselben aber stürzt
geradezu die Ehre Christi und die Busse um; beziehen sie sich aber
bloss auf willkürliche kirchliche Ordnungen, so gehören sie überhaupt
nicht zur Religion. — Indem Luther das katholische Busssacrament
aus den Angeln hob und dafür den Gedanken der Rechtfertigung
aus dem Gla^uben einsetzte, hat er die alte Kirche preisgegeben und
war genöthigt, eine neue zu bauen.
4. Vom Standpunkt des Glaubens aus hat er ferner das ganze
hierarchische und priesterliche Kirchensystem umgestürzt. Seine nega-
tive Kritik leidet auf diesem Gebiet nicht an der geringsten Unklarheit.
Durch die Rechtfertigung aus dem Glauben ist jeder Christ ein voll-
bürtiger Christ; nichts steht zwischen ihm und seinem Gott; die Kirche
aber ist die Gemeinschaft der Gläubigen — nichts Anderes; dieser
Kirche sind die „Schlüssel" gegeben, d. h. die Anwendung des gött-
lichen Worts; sie sind ihr gegeben, weil sie dem Glauben gegeben sind.
In diesen Sätzen ist ein besonderer geistlicher Stand, an den die Gläu-
bigen gebunden sind, ebenso ausgeschlossen, wie die Jurisdictionsgewalt
der Kirche. Damit ist aber nicht nur die mittelalterliche Kirche ins
Herz getroffen, sondern auch die alte Kirche, mindestens von Irenäus
ab. Und mit welcher unerbittlichen Energie hat Luther hier die Con-
sequenzen gezogen bis zu der Folgerung, der Papst sei der Antichrist;
wie konnte er spotten über „Schmeer, Theer und Butter", mit welcher
die Kirche ihre Zauberer und Heuchler weiht; in welchen AVorten hat
er die Kirchenordnung, das kanonische Recht, die Gewalt des Papstes
als Greuel der Verwüstung an heiUger Stätte geschildert! Fragt man,
Luther's Kritik an der Hierarchie und dem Kultus. 725
welche Macht ihm hier die Worte des Zorns auf die Lippen gelegt hat,
so muss man antworten, dass es die Erkenntniss gewesen ist, die heute zu
bekennen auch einsichtigen protestantischen Theologen so schwer fällt
— die Erkenntniss, dass die Kraft des Glaubens ebenso durch hinzu-
gefügte Lasten gelähmt wird wie durch falsche Lehre. Warum sollte
nicht in der Christenheit ein Papst, eine Priesterschaft, eine bischöfliche
Verfassung, eine über alle Reiche sich erstreckende Jurisdictionsgewalt
der Kirche bestehen können? es giebt nichts, was solche Ordnungen
verbietet, wenn sie zweckmässig sind, und es giebt mehr als einen
triftigen Grund, der sie empfiehlt. Aber sie im Namen des Evange-
liums fordern oder auch nur den Sehern bestehen lassen, dass sie aus
dem Evangehum selbst fltiessen, das heisst die Religion so belasten, dass
sie unter dieser Last zerdrückt wird. Das hat Luther empfunden und
erkannt. Er hätte die Bischöfe, die Concihen und selbst den Papst
wilhg bestehen lassen oder doch ertragen, wenn sie das Evangelium
angenommen hätten; in welche Verhältnisse hätte sich dieser innerlich
freie Mann nicht gerne gefügt, wenn das lautre Wort Gottes gelehrt
würde! Allein sie wollten sich selbst und ihre Praktiken aus dem Wort
Gottes behaupten und erklärten, sie stünden so sicher darin, wie die
Vergebung der Sünden: da zerschlug er sie und stellte sie an den
Pranger als die, die nach allem Möglichen suchen, nur nicht nach der
Ehre Gottes und Christi.
5. Nicht minder radical war seine Stellung zur kirchlichen Gottes-
verehrung. Auch hier hat er nicht nur die mittelalterliche Ueberliefe-
rung aufgelöst, sondern die altkirchliche, wie wir sie bis ins 2. Jahr-
hundert zurückzuverfolgen vermögen. Die öfientliche kirchliche Gottes-
verehrung ist für ihn nichts Anderes als die Einheit der Gottesverehrung
der Einzelnen nach Zeit und Raum. In diesem Satze ist aller besondere
und doch nur heidnische Nimbus abgethan, der über dem öffentlichen
Kultus schwebt ; es ist der besondere Priester und das besondere Opfer
abgethan, und es ist der Werth specifischer kirchlicher Handlungen,
an denen Theil zu nehmen heilsam und nothwendig ist, vernichtet.
Nicht als ob Luther die Bedeutung der Gemeinsamkeit verkannt hätte
— doch finden sich selbst an diesem Punkte Unsicherheiten bei ihm ^ — ,
wie hat er die Predigt und das ministerium divinum geschätzt! Allein
der öffenthche Gottesdienst kann keinen anderen Zweck, keinen anderen
Verlauf, keine anderen Mittel haben als der Gottesdienst des Einzelnen;
denn Gott handelt mit uns lediglich durch das Wort, welches nicht an
bestimmte Personen ausschliesslich gebunden ist, und er verlangt von
^ Es scheint manchmal, als sei der öffentliche (Jottcsdienst nur Erziehungs-
anstalt der Unvollkommenen, und das ist nicht überall ein blosser Schein.
726 I^it! Ausgäuge des Dogmas iui Protestantismus.
uns keinen anderen Dienst als den Glauben, der sich in Lob und Dank,
Deniuth und Busse, sicherem Vertrauen aui* Gottes Hülfe in allen Nötlien,
desshalb in der Eerut'streue, und im Gebet entfaltet. Also kann im
öffentlichen Gottesdienst auch nicht anders f^ehandelt werden: Er-
bauung des Glaubens durch die Verkündigung des gött-
lichen Worts und gemeinsames Lobopfer des Gebets. Sofern
aber im letzten Grunde das christliche Leben der wahre Gottesdienst
ist, behält ihm gegenüber der öffentliche Kultus stets nur etwas Parti-
culares. Dass Luther sich zur katholischen Messe schlechthin ablehnend
gestellt und den greulichen Unfug abgethan hat, der den Gottesdienst
zur Erzielung profaner Vorthcilo missbrauchte, leugnet Niemand. Dass
er unzäldige Missbräuche hier beseitigt hat, hegt auf der Hand; aber
die scheinbar conservative Haltung, die er bei seinen Correcturen des
Messbuchs eingenommen hat, und der Verzicht darauf, den Gottes-
dienst von Grund auf neu zu bauen, hat doch viele „Lutheraner" im
16. wie im 19. Jahrhundert zu den bedenklichsten Ansichten über einen
specifi sehen (religiösen) AVerth des öffentHchen Kultus, über den
Zweck des Kultus und über seine Mittel zurückgeführt. Wie un-
lutherisch das ist, — weil Luther hier durch Luther selbst corrigirt
werden kann und muss — , und wie der Gedanke der evangelischen
Gottesverehrung tote coelo von der katholischen verschieden ist, das
ist jüngst in ausgezeichneter Weise gezeigt worden. Die Frage ist
innerhalb der Dogmengeschichte von besonderer Wichtigkeit, weil
Luther' s Haltung gegenüber dem Kultus die genaueste Parallele hat an
seiner Haltung gegenüber dem Dogma K
* S. Grottschick, Luther's Anschauungen vom christlichen (Tottesdienst und
seine thatsächliche Reform desselben (1887) ; vgl. die Ausführungen auf S. 3, wo man
überall statt altlutherische Liturgie altlutherische Dogmatik sagen könnte : „Man
brauchte . . . weniger ängstlich zu sein, wenn es so stände, dass die altlutherische
Liturgie ein auch nur relativ genuines Erzeugniss des cigenthümlichcn Geistes der
Reformation wäre, des Geistes, von dem wir uns nicht befreien können, ohne uns
selbst zu verlieren. Das könnte doch aber nur dann der Fall sein, wenn Luther aus dem
Innersten der von ihm gewonnenen neuen Anschauungen vom Ganzen des Christeu-
thums heraus die obersten positiven, so zu sagen schöpferischen Principien seiner
liturgischen Neuordnungen abgeleitet hätte. Nun aber hat Luther thatsächlich dem
Gange der römischen Messe sich angeschlossen und dieselbe nur im Einzelnen
umgebildet, indem er einerseits ausstiess, was direct wider das Evangelium war,
andererseits gewisse Einzelheiten einfügte. — Dazu ist er so wenig liturgisch
interessirt, so wenig von dem Gedanken eines innern, die Composition beherrschen-
den Lebensgesetzes des Gottesdienstes geleitet gewesen, dass er fast bei jedem
Stück des katholischen Erbes hervorhebt, es komme nichts darauf an und man könne
die Sache auch ebensogut anders machen. Unter diesen Umständen ist es wahrlich
keine Unterschätzung der Verdienste, die Luther auch um die Refonn des Gottes-
Luther's Kritik am Kultus und an den Autoritäten. 727
6. Luther hat die formalen äusseren Autoritäten für den Glauben,
\vie sie der KathoHcismus aufgerichtet hat, vernichtet. Dass er hier
ebenfalls nicht nur mittelalterliche Aufstellungen getroffen, sondern
die altkatholische Lehre beseitigt hat, ist unwidersprechlich. Da oben
S. 582 ff. hiervon schon gehandelt ist, so sei hier nur das Nothwendigste
zusammengefasst. Der KathoHcismus, wie er überall in seiner Be-
trachtung das religiöse Erlebniss zuerst zersetzt hat, um es dann ver-
ständig zu bearbeiten, hatte auch hier die Unterscheidung zwischen der
Sache selbst undder Autorität eingeführt. Diese Unterscheidung
entspricht der Methode seiner Distinctionen überhaupt, die sich bald
in der Differenzirung von Nothwendigkeit, Möglichkeit und AVirklich-
keit, bald von Form und Sache, bald von Wirkung und Heilswirkung
ergeht. Alle diese höchst verwirrenden Künste der Vernunft fehlen in
den ursprünglichen Ansätzen Luther's. So ist auch ihm nicht die Unter-
scheidung eines formalen und materialen Princips aufzubürden * ; denn
die Sache war ihm die Autorität und die Autorität die Sache. Diese
aber ist der gepredigte geschichtliche Christus, das Wort Gottes. Von
hier aus hat er die Einsicht und den Muth gewonnen, gegen die for-
malen Autoritäten des KathoHcismus zu protestiren als gegen Men-
schensatzungen. Damit warf er aber das ganze System des KathoHcis-
mus, wie es seit Irenäus gezimmert war, über den Haufen *, denn die
Unverbrüchlichkeit dieses Systems ruhte lediglich auf den formellen
Autoritäten: die fides, an welche die Kirchenväter und Scholastiker
appellirten, war der Gehorsam unter die Kirchenlehre, der seiner Sache
desshalb gewiss ist, weil jene Autoritäten angeblich unerschütterlich
sind. Luther opponirte aber gegen alle diese Autoritäten, gegen
die Unfelilbarkeit der Kirche, des Papstes, der ConciHen und der
dienstcs sich erworben hat, wenn man sieh die Nothwendigkeit nielit versehleiert,
dass auf diesem Gebiet von den in Luther's reformatoriseher Ansehauuug liegenden
Prineipien aus ein wirkliehcr Neubau versucht werden muss. Aber wie auf
anderen Gebieten, so Hegt auch hier die Sache so, dass Luther selbst bereits
die wirklich evangelischen Prineipien des Neubaus aus seiner reli-
giösen Grundans eh auun g entwickelt hat und zwar in viel wei terem
Umfang, als dies aus seinen Reformthaten und den auf diese bezüg-
lichen »Schriften erkennbar ist." Der sichere Beweis hierfür ist in der Ab-
handlung seilest gegeben.
' S. Kitschi in derZtsehr. für K.-Geseh. I S. 397 (f. Nach dieser Al)handlung
wird jetzt mehr und mehr die Unterscheidung eines formalen und eines materialen
Princips bei Luther aufgegeben. So sagen auch Thomasius-Seeberg II S. 345:
„Das Princip des Protestantismus ist der rechtfertigende, von der hl. Schrift be-
zeugte, durch das Wort Gottes (durch den hl. Geist) gewirkte Glaube an Christum
als den alleinigen Heiland." Allein im Folgenden wird diese Erkenntniss zu Gunsten
des Schriftprincips zum Theil wieder verleugnet.
728 Pitt Ausgäuge des Dogmas im Protestautismus.
Kirchenväter in Bezug auf Glaubenslehren wie in Bezug auf ihre Schrift-
auslegung, gegen die (Garantie, welche die Verfassung der Kirche der
Wahrheit gewähren soll, und gegen jede Lehrformulirung der
Vergangenheit als solche — siebedarf immer erst eines Erweises.
Luther opponirte aber in derselben Zeit, in der er den Kampf gegen
die Autorität der Concilien so tapfer führte, auch gegen die Unfehl-
barkeit der Schrift, und wie konnte er anders ? Wenn nur das Autorität
ist, was auch Sache ist — die Gebundenheit und die Freiheit des
Ohristenstandes forderte dies — , wie sollte da Autorität sein können, wo
die Sache nicht deutlich erscheint oder gar ihr Gegentheil erscheint.
Nie kann sich mit ehiem geschriebenen Wort, wäre es auch das klarste
und sicherste, der Inhalt einer Person decken, die sich zu eigen giebt.
So hat Luther auch zwischen Wort Gottes und hl. Schrift unterscheiden
müssen. Gewiss, ein solches Buch, welches sich als sicheres Wort
Christi und iüs apostolisches Zeugniss giebt, stellt im höchsten Sinn die
Anforderung, dass es als Wort Gottes betrachtet wird. Aber dennoch
Hess sich Luther — gerade in der schwersten Zeit, in der er die for-
melle Autorität des Buchstabens am nöthigsten zu haben schien — selbst
durch das Apostolische nicht imponiren und den Mund stopfen. Welche
Einschränkungen und Einbussen er sich selbst später zugezogen hat,
darüber wird unten zu handeln sein ; aber kein Zweifel kann bestehen,
dass Luther's Stellung zum NT., wie er sie in den „Vorreden" ein-
genommen hat, die correcte, d. h. die seinem Glauben entsprechende
gewesen ist, und dass er durch seine Haltung gegenüber allen formalen
Autoritäten des Katholicismus diesen an seinen geschichtlichen An-
fängen aufgelöst hat.
7. Endlich ist noch auf einen sehr wichtigen Punkt hinzuweisen.
Luther hat sich an sehr vielen Stellen hinreichend deutlich darüber ausge-
sprochen, dass er seinen Gegnern die theologische Termi -
nologie eben nur concedirt und sich selbst nur in der-
selben bewegt, weil er durch die Ueberlieferung an sie ge-
wöhnt und der Gebrauch von unzutreffenden Worten nicht
nothwendigvonUebel sei. lieber die wichtigsten Termini hat er
sich so ausgesprochen. Erstlich sind ihm alle die verschiedenen Be-
zeichnungen der Rechtfertigimgslehre zuwider gewesen: iustificare,
regenerari, sanctificare, vivificare, iusfcitia, imputare etc. etc. ; er empf:md
sehr wolü, dass die blosse Mehrzahl eine bedenkliche Last für seine Auf-
fassung bildete, und dass kein einziges Wort seiner Betrachtung ganz
entsprach. Zweitens hat er in gleicher Weise das AVort satisfactio in
jedem Sinn beanstandet ; er will es den Gegnern eben nur noch durch-
lassen. Drittens hat er sich an dem Terminus „Kirche" (ecclesia) ge-
Luther's Kritik an der dogmatischen Terminologie. 729
stossen ; denn er verdunkelt oder verwirrt das, was einfach christliche
Gemeinde, Sammlung oder — noch besser — eine heilige Christenheit
heissen sollte. Viertens hat er das Bedenkliche des Wortes „Sacra-
ment" sehr \vohl bemerkt; er wollte es am liebsten ganz vermieden
sehen und an die Stelle der missverständhchen Formel „Wort und
Sacramente" lieber das Wort allein gesetzt wissen oder — mit Bei-
behaltung des Namens Sacrament — von einem Sacrament und
mehreren Z ei chen reden ^ Fünftens hat er selbst einen solchen Ter-
minus wie ö{xoo{)CJioc für unerlaubt im strengen Sinn erklärt, weil es ein
Unfug sei, solche Worte in der Glaubenslehre zu erfinden : „indulgendum
est patribus .... quod si odit anima mea vocem homousion et nolim
ea uti, non ero haereticus; quis enim me coget uti, modo rem teneam
quae in conciho per scripiuras definita est? etsi Ariani male senserunt
in fide, hoc tamen optime . . . exegerunt, ne vocem profanam et novam
in regulis fidei statui beeret" ^. Ebenso hat er sich an den Worten
„Dreifaltigkeit" „Dreiheit" „unitas" „trinitas" gestossen und sie lieber
vermieden. Doch waltet hier, wie die eben angeführten Worte beweisen,
der Unterschied ob, dass er die Terminologien der mittel-
alterlichenTheologiemeistens für irreführend undfalsch,
dagegen di e Terminologien der altkirchli chen Theologie
nur für unnütz und kalt gehalten hat. Allein noch von einer
anderen Seite her hat er den ganzen Betrieb der Theologie, wie er seit
den Tagen der Apologeten überliefert w^ar, aufs ernstlichste beanstandet,
und hier ist in noch höherem Masse seine Abkehr vom alten Dogma
zum Ausdruck gekommen, als in dem Tadel einzelner Begriffe, näm-
lich in jener Unterscheidung des „für sich" und „für uns",
die sich so häufig bei Luther findet. Immer wieder und zu allen Zeiten
hat er Bestimmungen der alten Dogmatik über Gott und Christus, über
den Willen und die Eigenschaften Gottes, über die Naturen in Christus,
über die Geschichte Christi u. s. w. mit der Bemerkung zurückgestellt:
„das hat er für sich", um dann unter der Formel „das hat er für uns"
oder einfach „für uns" seine neue Betrachtung, die ihm die Hauptsache,
ja das Ganze ist, einzuführen. „Christus ist nicht darumb Christus ge-
nennet, dass er zwo Naturen hat. Was gehet mich dasselbige an ?
Sondern er traget diesen herrlichen und tröstlichen Namen von dem
Ampt und Werk, so er auf sich genommen hat . . . dass er von Natur
* Erlang. Ausg. Opp. var. arg. V. p. 21 : „tantum tria sacramcnta ponunda . . .
qiiamfjuam, si usu scripturae loqui velim, non nisi unum sacramcntum habcam et
tria 8igna sacramentalia."
'^ Erlang. Ausg. Opp. var. arg. V. p. 505 sq.
730 I^io Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
Mensch und Gott ist, das hat er für sich" K In diesem „für sich"
und „für uns" kommt die neue Theologie Luther's und zugleich seine
conservative Art am deutlichsten zum Ausdruck. Theologie ist nicht
die Zerlegung und Eeschreihung Gottes und der göttlichen Thaten
vom Standi)unkt der selhstilndig Gott gegenüherstehenden Vernunft,
sondern sie ist das Hekenntniss des Glauhens zu seinem eigenen Er-
lebniss, d. h. zur Offenbarung. Damit aber ist die alte Theologie mit
ihrer Metaphysik und ihrem Vorwitz abgethan ■^. Wenn aber Luther
nun doch unter dem Titel „Gott an sich" „der verborgene Gott" „der
verborgene AVille in Gott" jene alten Lehren hat bestehen lassen, so
bestehen sie eben nicht mehr als die eigentlichen Glaubens-
lehren. Darüber kann kein Zweifel aufkommen. Dass er sie aber nicht
gänzlich abgethan hat, hat seinen Grund einerseits darin, dass er sie in
der Schrift zu finden meinte, andererseits in einem Mangel an zusam-
menfassendem, systematischem Durchdenken der Probleme, auf den
wir im folgenden Abschnitt einzugehen haben.
Nach dem, was in den beiden letzten Paragraphen über das
Christenthum Luthcr's und über seine Kritik am kirchlichen Dogma
ausgeführt worden ist, kann das ürtheil nicht anders lauten, dass
in der Reformation Luther's das alte dogmatische Chri-
stenthum abgethan und eine neue evangelische Auffassung
an die Stelle desselben gesetzt ist. Die Reformation ist
wirklich ein Ausgang der Dogmengcscliichte. Die positiven und die
negativen Elemente der christlichen Lehre Luther's hängen aufs
engste zusammen; diese sind die Folge, jene die Ursache. Wenn er
mit dieser oder jener Formulirung der alten oder der mittelalterlichen
Kirche noch zusammentrifft, so ist das, von hier aus angesehen,
theils ein Schein, theils ein freies Zusammentreffen, welches niemals
seinen Grund in der aprioristischen Unterwerfung unter die Tradition
haben kann. Die formalen Autoritäten des Dogmas sind niedergeris-
sen: damit ist es selbst als Dogma, d. h. als unverbrüchliche, vom
1 Erlang. Ausg. XXXV S. 207 f.
'^ S. Thcod. Harnack, Luther's Theologie I S. 83: „Allein die Offenbarung
verbürgt eine wahre und heilsame Erkenutniss »der wesentliehen Gottheit in ihr
selbst«. Ja die Christen allein können davon reden und haben diese göttliche AVeis-
heit. AVohl stellt die Offenbarung an die Theologie bestimmte Bedingungen und
legt ihr Sehranken auf, aber diese bestehen nicht in jener eigenmächtigen und trost-
losen Scheidung von Gottes AVesen und Ollenbarung, sondern sind theils objectiv.
in dem Inhalt, dem Mass und dem Zweck der Offenbarung selbst gegeben, theils
beziehen sie sich subjectiv auf das mit dem Object selbst gesetzte Priucip und dii>
dadurch bedingte Art und Tendenz des theologischen Erkeunens."
Schlussfolgerung. 731
hl. Geist gestellte Lehrordnung, abgethan. Aber es taucht auch
keineswegs in der alten Gestalt, nun aber als Inhalt des frommen
Glaubens wieder auf, vielmehr erscheint die pura doctrina evangelii
gegenüber der alten Dogmatik als eine neue; denn alle jene ver-
ständigen Zersetzungen des Glaubensinlialts , durch welche derselbe
in Metaphysik, natürliche Theologie, Offenbarungslehre, Sacraments-
lehre und Moral zerspalten wurde, sind entfernt. Die Revision hat
sich damit bis über das 2. Jahrhundert der Geschichte der Kirche
hinauf erstreckt, und sie ist überall eine radicale. Der Dogmen-
geschichte, wie sie im Zeitalter der Apologeten, ja der apostoli-
schen Väter begonnen hat, ist ein Ende gemacht.
Damit ist das Werk Augustin's endlich zum Ab-
schluss gekommen*, denn bereits dieser grosse Mann hat, wie
wir im zweiten Buche gezeigt haben, den Anfang damit gemacht,
durch Rückgang auf den Paulinismus die herrschende dogmatische
Ueberlieferung zu brechen, kräftig umzubilden und die Theologie
dem Glauben zurückzugeben. Aber der Skeptiker machte bei den
formalen Autoritäten des Katholicismus Halt, und der Neuplato-
niker wollte das Schwelgen im All-Einen nicht lassen: dazu, die
Kj-aft des Glaubens an Gott als den Vater Jesu Christi wusste sich
Augustin noch nicht sicher anzueignen. So hat er seiner Kirche mit
einer Aufgabe ein complicirtes und verwirrtes Erbe hinterlassen, das
alte Dogma, und neben ihm herlaufend eine neue innere Frömmigkeit^
die sich in ganz anderen Gedanken bewegte als das Dogma. Diese
Haltung zeigt schon am Anfang des Mittelalters Alcuin, und von Bern-
hard ab hat der Augustinismus, zum Theil um werthvoUe Elemente
vermehrt, fortgewirkt. Gewiss steht Luther in mancher Hinsicht
einem Irenäus und Athanasius naher als den Theologen des 14. und
15. »Jahrhunderts; aber in vieler Hinsicht steht er jenen ferner als
diesen, zum deutlichen Beweise, dass die innere Entvvickelung der
Christenheit im Mittelalter keine bloss rückläufige oder gänzlich ver-
fehlte gewesen ist. Wenn Luther selbst mit einem Tauler oder Bern-
hard brechen musstc, wie viel mehr mit Augustinus und Irenäus!
Die Reformation ist der Ausgang der Dogmengeschichtc , weil sie
diesen Ausgang so bringt, wie er innerhalb der Geschichte
der Frömmigkeit von Augustin begründet und dann in dem fol-
genden Jahrtausend vorbereitet worden war. Sie hat den evan-
gelischen Glauben aufgerichtet an Stelle des Dogmas,
indem sie den Dualismus von dogmatischem Christcn-
thum und prakti s ch - christlicher S clbstbeur theilung
und Lebensführung aufgehoben hat.
732 r^iti Ausgiinge des Dogmas im Protestautismus.
Aber sie hat eben den dhiuben selbst und seine Gewissbeit in
das Oentrum der praktisch-cbristHclien SelbstbeurtheiUing und Lebens-
lÜlirung gesetzt. Damit hat sie dem theoretischen Element — wenn
man den sicheren Glauben an die Oflenbarung, d. h. an den Gott,
wie er in Christus offenbar ist, so bezeichnen will — eine unmittel-
bare Bedeutung für die Frömmigkeit verliehen, wie sie die mittel-
alterliche Theologie nie gekannt hat. „Summa esto : charitas nostra
pro vobis mori parata est, fides vero si tangitur, tangitur pupilla
oculi nostri.'^ Nichts ist daher unrichtiger als jene weit verbreitete
Meinung , die Aufhebung des dogmatischen Christenthums durch
Luther sei gleichbedeutend mit einer Neutralisirung jeder fides quae
creditur überhau})t : es komme nur noch auf fromme Gefühle an. Ein
thörichteres Missverständniss der Reformation Luther's ist undenkbar;
denn es gilt vielmehr genau das Umgekehrte von ihr: sie hat dem
Glauben und damit der Glaubenslehre — in dem Sinne, in
welchem dieselbe nichts Anderes ist als die Lehre von Christus — nach
den Unsicherheiten des Mittelalters, die am Anfang des
16. Jahrhunderts ihren höchsten Grad erreicht hatten, erst
wieder ihr souveränes Recht zurückgegeben und zum
Schrecken aller Humanisten, Kirchenmänner, Franciska-
ner und Aufklärer die Theologie, d. h. die wahre theologia
crucis, als die entscheidende Macht in der Kirche aufge-
richtet. Das Dogma, welches stets nur gelehrt hat, wie die Erlö-
sung möglich sei, und desshalb überhaupt nicht im Centrum der
Frönnnigkeit stehen konnte, ist von jener Glaubensverkündigung ab-
gelöst worden, welche den Glauben selbst erzeugt und erbaut und
daher die souveräne Stellung in der Religion als ihr Recht in An-
spruch nimmt. Luther ist vom Mittelalter zur alten Kirche zurück-
gekehrt, indem er den ungeheuren Stoff der Glaubenslehre wieder
auf die Christologie reducii't hat. Allein er unterscheidet sich von
der alten Kirche darin, dass er es unternommen hat, den Glauben
an die OÖenbarung in Christus so zu gestalten, dass diese nicht nur
als eine Bedingung unserer Seligkeit erscheint, sondern — objectiv
und subjectiv — als der allein wirksame Factor.
Ist hiermit aber der Umschwung der Dinge bezeichnet, dann
lässt es sich wohl verstehen, dass die grosse Aufgabe, um deren
Durchführung es sich handelte, von Luther selbst nicht rein vollzogen
werden konnte. Ein übermenschlicher Geist wäre nöthig gewesen,
um hier Alles correct durchzudenken und zu ordnen; denn es han-
delte sich um eine Doppelaufgabe, die fast wie ein Widerspruch
schien und doch keiner war: die Bedeutung des Glaubens als Inhiüt
Die katholischen Elemente in Luther's Lehre. 733
der Offenbarung in den Mittelpunkt zu rücken gegenüber allem Meinen
und Thun und so das zurückgedrängte theoretische Element hervor-
zuholen, und doch andererseits nicht jenen Glauben einfach hinzu-
nehmen, den die Vergangenheit gebildet hatte, vielmehr ihn in der
Gestalt zu zeigen, in der er Leben ist und Leben schafft, Praxis
ist, aber Praxis der ReHgion. Aus der Grösse dieses Problems er-
klärt sich auch der Rückstand jener Elemente in Luther's Theo-
logie, der dieselbe verwirrt und das Urtheil, die Reformation sei der
Ausgang der Dogmengeschichte, erschüttert hat.
4. Die von Luther neben und in seinem Christenthum fest-
gehaltenen katholischen Elemente.
Wie wenige oder wie viele katholische Elemente in dem Christen-
thum Luther's enthalten sein mögen — so viel steht bereits nach dem
bisher Ausgeführten fest, dass sie zwar zum „ganzen Luther" gehören,
nicht aber zum „ganzen Christenthum" Luther's. Wie Neander,
Ritschi* und viele Andere, so hat auch Loofs geurtheilt^: „Die Ent-
wickelung der lutherischen Reformation würde zu einem anderen
dogmengeschichthchen Abschluss gekommen sein, als es schliesslich der
Fall war, wenn Luther die Consequenzen, die aus seinen Grundge-
danken folgen, vollständig und der gesammten Tradition gegenüber
durchgreifend geltend gemacht hätte. Die gebliebenen Fragmente
des Alten haben später (nicht schon gleich Anfangs?) eine Verkümme-
rung der neuen Gedanken der Reformation verursacht." Die Frage,
ob nicht Luther in den Jahren 1519 bis c. 23 einen Anlauf ge-
nommen hat, der durchgreifendere Reformen verhiess, wird von der
neuesten Lutherforschung in der Regel verneint, nachdem H. Lang^
und Andere sie in unvorsichtiger und unhaltbarer Weise bejaht hatten.
Allein m. E. lässt sich die Verneinung ohne grosse Vorbehalte nicht
aussprechen'*. Es handelt sich m. E., wie oben (S. 692) bereits be-
merkt wurde, nicht sowohl um zwei Perioden in der reformatorischen
Wirksamkeit Luther's, als vielmehr um eine grosse Episode in diesem
seinem Wirken, in welcher er über seine eigenen Grenzen hinausgehoben
worden ist. Doch mag dies hier auf sich beruhen. Es gilt in diesem
Zusammenhang zunächst die Gründe aufzudecken, die es Luther er-
möglicht haben, soviel Altes, ja das altkatholische Dogma selbst, neben
» S. oben S. 584.
2 Leitfaden S. 233.
' M. L., ein reli^. Charakterbild 1870.
* Teil freue Tni(;}i, aus den And(!utunf?en Weinparten's, Zeittafeln und
Ue]>er})lieke, 3. Aufl. S. UJ7 — 170, zu ersehen, dass er ähnlich urtheilt.
734 I^i^ Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
dem Neuen beizubehalten und mit ihm zu vertlechten. Wir werden da-
bei an die Ausführungen anknüpfen können, die wir oben 8. 691 ff. ge-
geben haben. Sodann werden die wiehtigsten Gruppen altdogmatischer
Lehren Luther's kurz darzustellen und zu beleuchten sein.
1. 1. Luther trat für den (xlauben ein im Gegensatz zu jeglichem
W erk, für die doctrina evangelii im Gegensatz zu den Leistungen und
Processen, die den Menschen angeblich gerecht machen sollen. Daher
stand er in Geiiibr, jegliche Ausprägung des (xlaubens sich anzueignen
oder doch gelten zu lassen, wenn sie nur frei erschien von Gesetz und
Leistung, AVerk und Process (s. den Nachweis ol)en S. 698 f.). Dieser
Gefahr ist er verüillen. Demgemäss trübte sich auch sein Kirchenbe-
griff. Der Begriff der Kirche (Gemeinschaft des Glaubens, Gemein-
schaft der reinen Lehre) wurde so zweideutig wie der Begriff der doc-
trina evangelii.
2. Luther glaubte nur gegen die Missbräuche und Irrthümer der
mittelalterlichen Kirche zu kämpfen. Zwar erklärt er nicht selten, dass
er mit den „lieben Vätern" nicht zufrieden ist, und dass sie Alle in
die L're gegangen sind ' ; allein er ist nicht klarblickend genug ge-
wesen, um sich zu sagen, dass, wenn die Kirchenväter im Irrthum ge-
wesen sind, aucli ihre Beschlüsse auf den Ooncilien unmöglich die volle
Wahrheit enthalten können. Aeusserlich fühlte er sich freilich gar
nicht mehr an jene Beschlüsse gebunden, ja er zeigte sogar, z. B. in der
Schrift von den Conciliis und Kirchen, leuchtende Blitze einschneiden-
der Kritik ; allein im Ganzen blieben sie ohne Wirkung. Lnmer wieder
fiel er in die Betrachtung zurück, als habe nur der leidige Papst alles
Unheil verschuldet, und als läge desshalb aller Schaden nur im Mittel-
alter. So wurde von dieser Seite her das günstige Vorurtheil, welches
er für die Glaubensformeln der alten Kirche hatte, weil sie nicht mit
Werken und Gesetz umgehen, nur noch verstärkt; ja es wirkte, ihm
selbst unbewusst, hier doch noch ein Rest jener Vorstellung, dass die
empirische Kirche Autorität sei, nach.
3. Luther kannte die alte Kirchen- und Dogmengeschichte viel zu
wenig, um sie wirklich kritisiren zu können. Zwar wird man, wenn
einst Alles zusammengestellt sein wird, was er durchstudirt hat, staunen,
wie viel er auch hier gewusst hat; allein er konnte doch nicht mehr
mssen, als sein Jahrhundert wusste, und es gab Manche, die ihm an
patristischen Studien überlegen waren. In den Geist der Kirchenväter
bat er sich nie versenkt; andererseits lag ihm zu allen Zeiten eine ab-
stracte Kritik ganz fern: dann aber blieb nur eine conservative Hal-
» S. das im 1. Bd. [2. Aufl.) S. 277 n. 2 angeführte Citat.
Die katholischen Elemente in Luther's Lehre. 735
timg übrig. Luther hat sie eigenthch nur dann sicher aufgegeben, wenn
er die Väter auf den AVegen des Pelagius wandehi sah.
4. Luther rechnete sich und sein Unternehmen stets in die eine
Kirche, die er allein kannte, in die katholische Kirche (wie er sie ver-
stand) ein. Er behauptete, dass diese Kirche ihm den Rechtstitel zur
Refonnation selbst gebe. Das war richtig, wenn es richtig war, dass die
empirische Kirche nur so weit Kirche ist, als sie Gemeinschaft des
Glaubens ist; allein es war falsch, sofern die katholische Kirche
fac tisch bereits etwas ganz Anderes war — nämlich ein auf be-
stimmten heihgen Statuten ruhender Staat. Diese katholische Kirche
aber betrachtete Luther als eine vorübergehende, wenn aucli bereits
recht alte Missbildung, die überhaupt keine Rechte besitzen konnte.
So glaubte er, in der alten Kirche bleiben zu können, ja — sei es auch
mit wenigen Freunden — selbst die alte, wahre Kirche zu sein. Diese
merkwürdige Betrachtung, die sich aus dem Idealismus des Glaubens
erklärt, ermöglichte es Luther, die katholische Kirche preiszugeben
und zu zertrümmern, dabei aber zu behaupten, selbst in der alten Kirche
zu stehen. War er bei solcher Haltung auch so glaubensfest, dass es
ihn nicht kümmerte, wie gross oder wie gering die Zahl derer sei, die
in der Gegenwart ihre Kniee nicht vor Baal beugten, so hatte er doch
das höchste Literesse daran zu zeigen, dass er die Kirche vertrete, die
von Jahrhundert zu Jahrhundert existirt hat. Von hier aus erwuchs
ihm die Pflicht, nachzuweisen, dass er in einer geschichtlichen Con-
tinuität stehe. Woran aber war das sicherer nachzuweisen als an den
Glaubensformeln der alten Kirche, die noch immer in Kraft standen ?
5. Luther hat nie den Antrieb stark empfunden, aus dem Innersten
der von ihm gewonnenen neuen Anschauung vom Ganzen des Christen-
thums heraus eine systematische Darstellung des Ganzen zu liefern und
pünkthch aufzuweisen, was bleibt und was fällt. Er schaltete in der
Theologie wie ein Kind im Hause, Altes und Neues hervorholend und
immer nur den nächsten praktischen Zweck im Auge liabend. Um die
Berichtigung theoretischer Frrthümer als solcher war es ihm gar nicht
zu thun; nach der Helligkeit eines geordneten Lehrgebäudes hatte er
nicht die geringste Sehnsucht; aber so wurde seine Kraft auch seine
Schwäche'.
G. Lutlier liat die alten Lehren so benutzt, dass er in jedem Schema
das ganze (Jhristenthum zum Ausdruck gf^])racht hat, d. h. er deutete
jedes Schema in dem Sinneseiner Auflassung vom (ganzen des Christen-
thums; was darüber hinaus in der P'oi-mel lag, das kümmerte ihn wenig,
* Hier Vu'(fi, dif fstron^^f Parallelr; zu seiner Mafmnahme in Bezug auf den Kultus,
von (\cr <}}}<:n S. 720 (Wc Kf^Je gewesen ist.
736 r)ie Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
wenn er es auch gelten liess. Diese eigentliUinliche Haltung machte es
ihm möglich, sich auch an sehr Fremdes anzupassen (s. oben 8. 710).
7. Luther hat im Princip für eine gesunde geschichtliche Exegese
die ßahn gebrochen; aber wie viel fehlte noch seinem Jahrhundert und
ihm zu der wirklichen Ausführung! Tni Einzelnen ist er fast überall
noch ein mittelalterlicher Exeget, befangen in allen Vorurtheilen dieser
Exegese, in der Typologie und in der Allegoristik trotz mancher Pro-
teste. Wenn er auch grundsätzlich die Freiheit des Schriftverständ-
nisses von der Autorität der kirchlichen lleberlieferung verlangt hat, so
steckte er doch noch selbst tief in dieser lleberlieferung drinnen. Er
durchbrach sie, wo es sich um die Rechtfertigung handelte, aber er
durchbrach sie dann auch in Bezug auf solche Schriftstellen, die von der
Rechtfertigungslehre oder vom Glauben schlechterdings nichts oder nur
Fremdes enthielten. Unter solchen Umständen kann es nicht auffallen,
dass er die Trinitätslehre , die Zweinaturenlehre u. s. w. in der hl.
Schrift, und zwar auch im AT., gefunden hat. Aber man muss hier noch
mehr sagen — er hat überhaupt, so wenig wie die allermeisten seiner
Zeitgenossen — ein geschichtliches Verständniss besessen. Die Ge-
schichte im höchsten Sinn des Worts war ihm ein verschlossenes Buch.
Weder für die Relativität des Geschichtlichen noch für das Wachsen
und Werden der Erkenntniss innerhalb der Geschichte hat er einen
Sinn gezeigt \ Wie sollte er unter solchen Umständen im Stande ge-
wesen sein, das richtig zu ermitteln, was die Schrift als geschichtliche
Urkunde enthält? Wie kann aber eine reine Ausdrucksform für das
Wesen des Christenthums erwartet werden, wenn diese Bedingung nicht
erfüllt ist?
Die bisherigen Erwägungen haben fast durchweg solche Schranken
aufgewiesen, die in der eigenthümlichen Haltung des Reformators als
Reformator oder in dem geistigen Zustande des Zeitalters gegeben
waren und daher gar nicht übersprungen werden konnten. Allein es
haben Luther's Gesammthaltung auch solche Schranken begrenzt, die
keineswegs unter diese Betrachtung fallen, vielmehr seiner Haltung als
Reformator entgegengesetzt sind. Wenn ich recht sehe, sind es vor-
nehmlich folgende ^ :
* Man darf bei diesem Urtheil allerdings nicht vergessen, dass seine heroische
Grenialität an entscheidenden Punkten ihn das Ricntige hat sehen lassen.
^ Ich möchte in das folgende Schema nicht die Erinnerung daran aufnehmen,
in wie viel grobem Aberglauben Luther befangen gewesen ist, und zwar auf allen
möglichen Gebieten. Ich rechne dazu nicht seinen Teufelsglauben, denn der gehört
in ein anderes, für meine Erfahrung incommensurables Gebiet ; aber man kann zur
Bestimmung seiner Gesammthaltung als Confessionsstifter doch von der Thatsache
nicht absehen, dass er abergläubischer gewesen ist als viele seiner Zeitgenossen, ja
Die katholischen Elemente in Luther's Lehre. 737
8. Seine reformatorische Einsicht, dass das Wort Gottes das
Fundament des Glaubens sei, ist nicht so stark gewesen, dass sie den
Biblicismus ganz ausgetilgt hätte; vielmehr blieb er hier in einem
flagranten Widerspruch befangen, indem er doch, während er die Schrift
selbst kritisirte, andererseits den Buchstaben als Wort Gottes auf-
richtete, sofern er die rabbinisch-katholische Vorstellung von der wört-
lichen Inspiration der hl. Schrift ungeprüft übernahm. Zwar glich er
dieses widerspruchsvolle Verfahren in vielen Fällen dadurch aus, dass
er in den betreffenden Buchstaben das Evangelium selbst eininter-
pretirte; aber abgesehen davon, hat er doch auch nicht selten die
einzelne bibHsche Erzählung, den beliebig gewählten Spruch, als Gottes
Wort in Wirkung gesetzt.
9. In der Frage des Sacraments hat er ebensowenig vollkommen
die altkirchliche und mittelalterliche Anschauung überwunden. Zwar
hat er nicht nur Ansätze genommen, um sie völlig zu durchbrechen,
sondern sie wirklich durch seine Lehre von dem einen Sacrament,
dem Wort, vernichtet; allein ihm blieb doch ein verborgener Rest, eine
wirkliche superstitio in Bezug auf das Sacrament und desshalb auch in
Bezug auf die „Gnadenmittel" nach, und diese hat die verhängnissvoll-
sten Folgen für seine Lehrbildung gehabt. Liegen auch hier bei ihm
Irrthum und Wahrheit nahe bei einander, so lässt sich doch nicht ver-
kennen, dass er schweren Irrthümern Raum gegeben hat.
10. Niemand ist der nomin alistischen Theologie schärfer
zu Leibe gegangen als Luther; aber die Gegner nöthigten ihn zu theo-
logisiren und auf ihre Fragestellung zu antworten. In diesem Zu-
sammenhang ist er auf nominalistische Gedankenreihen eingegangen
und hat sie als die seinigen weitergeführt. Aber auch abgesehen davon
hat er Reste der nominalistischen Scholastik nicht abgeworfen; sie
tauchten sogar mit grosser Stärke auf, nachdem er sich in der Abend-
mahlslehre ausserhalb des Kreises seiner eigentlichen Gedanken begeben
hatte; aber auch in seiner Lehre von der Prädestination hat er den
Irrthümern und dem Vorwitz der Scholastik Spielraum gewährte
11. Nachdem Luther in den Kampf mit den Schwarmgeistern und
Wiedertäufern gerathen war, hat er ein Misstrauen gegen die Vernunft
in mancher Hinsicht abergläubisch wie ein Kind. Die , welche stets mit dem
„ganzen Luther" kommen, verschulden es, dass man dergleichen erwähnen muss.
* 8. die Verhandlungen, die üljcr Luther's Nominalismus im Zusammenhang
mit der Beurthoilung seiner Lehre von der Prädestination geführt worden sind;
Lütkens, Luther's Prädestinationslehre 1858; Theod. Harnack, L.'s Theologie
I S. 70 u. sonst; Kattonbusch, L.'s Lehre v. unfreien Willen u. v. d. Prädest.
1875. Ritschi, Hechtf. u. Versöhn. Bd. L
Harnack, Dogmengeschiclito III. 47
738 Die Ausgänge dos Dogmas im Protestantismus.
gewonnen, welches über das Misstrauen wider dieselbe als die Stütze
der Selbstgerechtigkeit weit hinausging. Er hat sich wirklich vielfach
in kühnem Trotz gegen die Vernunft verhärtet und sich dann auch
jener bedenklichen katholischen Stinmumg hingegeben, die in der
Paradoxie und der contradictio in adiecto die AVeisheit (xottes ver-
ehrt und den Stempel der göttlichen Wahrheit erkennt. Er konnte,
wie Tertullian, auf das „certum est, quia ineptum est" pochen und sich
über die Verlegenheiten freuen, in welche der Verstand gesetzt wird.
„Geschwelgt" im Mysterium als Mysterium hat er freilich nie, und hi
seinen Paradoxien lag unzweifelhaft auch ein Stück religiöser Kraft,
das Geheimniss heroischer Geister und das Geheimniss der Religion
selbst, die sich nicht wasserklar machen lässt. Allein Niemand ver-
achtet ungestraft Vernunft und Wissenschaft, und Luther wurde selbst
durch die Verdunkelungen gestraft, die er über seine Glaubensauffassung
zog ; noch viel mehr al)er wurde er in seinen Anhängern gestraft, die das
in eine neue Schulweisheit hinabzogen, was er trotzig verkündet hatte.
Im Zusammenhang dieser Erwägungen darf das Wichtigste nicht
verschwiegen werden: die Stellung, welche die Reformation zu den
Wiedertäufern und zu den ihnen verwandten Personen eingenommen
hat, ist für sie und ihre weitere Geschichte verhängnissvoll geworden.
Wir befinden uns heute in einer Phase der Geschichtsschreibung der
Reformation, die diese Thatsache wenig würdigt, weil sie — aus guten
Gründen — zunächst für das Wichtigste, Luther's Glauben und Luther's
Lebensideal, interessirt ist \ Es giebt in der That auch viele Er-
wägungen, die es höchst erklärlich machen, warum die Reformation
Alles, was ihr von den „Schwarmgeistern" dargeboten wurde, einfach zu-
rückgewiesen hat. Allein mag man dafür noch so viele Erklärungen und
Entschuldigungen anführen — die Thatsache bleibt davon unbetroffen,
dass das ungerechte Verhalten der Reformatoren gegen die „Schwärmer"
^ Die confessionelle Geschichtsschreibung hatte für die „Secten" des Refor-
mationszeitalters wenig Sinn und wenig Herz. Da sie aber dabei nicht einmal die
wirkliche Bedeutung der Reformation sicher traf, so war es zunächst nothwendig,
diese an das Licht zu stellen. Das hat Ritsch 1 gethan, und seinen Fingerzeigen
folgen die Jüngeren. Allein man ist dabei nicht über eine sehr spröde, ja fast enge
Betrachtung der Reformation hinausgekommen und hat wenig Verständniss für die
Vorzüge gezeigt, welche die „Schwarmgeister" auf peripherischen Punkten un-
streitig besessen haben. Allerdings musste die Art , wie manche dilettantische
„Kulturhistoriker" die Dinge betrachteten und sich für das walire Wesen der Refor-
mation als blind erwiesen, abschreckend wirken; auch konnte ein solcher Enthusiast,
wie Keller, nicht überzeugend wirken. Allein man hätte von ihm doch Manches
lernen können und hätte vor Allem den Leitstern für die Geschichtsschreibung —
er gilt auch für die Reformationsgeschichte — nicht ausser Acht lassen, dürfen, dass
wirkliche Wahrheiten niemals ungestraft verachtet werden.
Die katholischen Elemente in Luther *s Lehre. 739
ihnen und ihrer Sache die schwersten Einbussen zugezogen hat. Wie
Vieles hätten sie von den Verachteten lernen können, wenn sie auch die
Grundgedanken derselben ablehnen mussten! Wie viel sicherer haben
Viele unter diesen der Sacramentsmagie ein Ende gemacht, wie viel
reiner und zutreffender haben sie die Bedeutung des geschriebenen
Wortes bestimmt, wie viel deutlicher haben sie oftmals den wirklichen
Siim von Schiiftstellen getroffen und einer gesunderen Exegese das
Wort geredet, wie viel muthiger haben sie manche Consequenzen in
Bezug auf die Dreieinigkeitslehre, die Christologie u. s. w. gezogen;
wie viel entschiedener sind Einige von ihnen für die äussere Freiheit
als Folge der inneren eingetreten! „Timeo Danaos et dona ferentes",
sagt man wohl auch hier, und gewiss die Voraussetzungen jener Leute
w^aren den evangelischen in der Eegel fremd. Allein Niemand ist dess-
halb von der genauen Erwägung einer Wahrheit dispensirt, weil der
Feind sie bringt und sie auch mit schlechten Gründen empfiehlt. Dazu
kommt noch ein Anderes: nicht wenige von den Forderungen der
Schwarmgeister waren bereits ein Ergebniss der weltlichen Bildung,
Wissenschaft und Einsicht, die im 16. Jahrhundert schon eine gewisse
Selbständigkeit erlangt hatten. Es ist aber eine schlimme theologische
Verhärtung — man redet ihr freilich heute wieder ungescheut das
Wort — , die da meint, dass Erkenntnisse jener Art einfach ignorirt
werden dürften. Die Reformatoren haben sich in vieler Hinsicht
gegen die welthche Bildung abgesperrt, wo diese die Aussagen des
Glaubens berülirten. In diesem Sinn sind sie mittelalterlich gewesen
und haben die grosse Auseinandersetzung zwischen Offenbarung und
Vernunft bei Seite geschoben, sie einem kommenden Jahrhundert über-
lassend, welches keineswegs mehr sicher im evangelischen Glauben stand,
also viel schlechter für die Lösung jener Aufgabe vorbereitet gewesen ist.
Selbst wenn es gelingen könnte, sie bei diesem Verfahren vollkommen
zu rechtfertigen und etwa zu zeigen, dass auch das geringste Eingehen
auf „schwarmgeistige" Erkenntnisse damals der Tod der Reformation
gewesen wäre, so würde sich an der Thatsache doch nichts ändern, dass
die Reformation viele bessere Erkenntnisse, die das Zeitalter besass,
in Ungerechtigkeit und Hass begraben und damit die späteren Krisen
des Protestantismus verschuldet hat. Die französische Kirche hat die
Hugenotten und Jansenisten ausgetilgt; sie erhielt dafür die Atheisten
und die Jesuiten. Die deutsche Reformation hat die „Schwarmgeister"
verbannt; sie erhielt dafür die Rationalisten und die moderne „Posi-
tivität".
ir. Die Folge dieser Haltung ist, dass, sofern Luther seinen
Anhängern eine „Dogrnatik" liinterlassen hat, diese sich als ein höchst
47*
740 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
complicirtes Gebilde darstellt: nicht als ein Neubau, sondern als eine
Moditication des alten patristiscli-scholastischen Baues. Dann aber ist
nach dem bisher Ausgeführten offenbar, dass Luther dem evangelischen
(Jhristenthum in dieser Beziehung keinen endgiltigen Ausdruck ge-
geben, sondern nur einen Anfang gesetzt hat.
Erstlich hat er — nicht etwa erst Melanchthon — es ver-
schuldet, dass in die doctrina evangelii alle theoretischen Elemente
christlicher Speculation, die man festhalten zu müssen meinte, ein-
gerechnet worden sind. Er hat freilich nie aufgehört, diese Elemente
als mannigfaltige Zeugnisse dessen zu betrachten, worauf es im Christen-
glauben allein ankommt; aber daneben hat er ihnen doch auch einen
selbständigen Werth gegeben, weil er sie für vollkommene Zeugnisse
und daher für den Glauben selbst hielt. Der Widerspruch gegen die
Schwarmgeister und die ungeheure Aufgabe, ein Volk zum Christen-
thum zu erziehen, bestärkte ihn in solchem Verhalten noch, und so
glitt er unvermerkt zu der Anschauung hinüber, als sei die Kirche,
weil sie die Gemeinschaft sei, die sich lediglich auf Gottes Offen-
barung und den ihr entsprechenden Glauben gründet, eben desshalb
die Gemeinschaft der reinen Lehre in dem Umfang der richtigen
Theologie. Der rechtfertigende Heilsgiaube und die Summe der ein-
zelnen articuli fidei erschienen fast als identisch. Damit aber trat
eine Verengung des Kirchenbegriffs ein, der gegenüber selbst der
römische Kirchenbegriff überlegen erscheint, und durch die sich das
Lutherthum der socinianischen Betrachtung näherte. Die Kirche
drohte sich in eine Schule, nämlich in die Schule der reinen Lehre,
zu verwandeln. Ist aber die Kirche Schule, dann wird für sie der
Unterschied von Wissenden und Unwissenden von fundamentaler
Bedeutung, mit anderen Worten: das Theologen- und Pastoren-
christenthum ist geschaffen. Luther selbst hat für seine Person diese
Betrachtung immer wieder durchbrochen, ja sie ist auch im 16. und
17. Jahi'hundert nie völlig rein durchgeführt worden, vde z. B. die
geistliche Liederdichtung beweist. Allein die evangelische Grund-
auffassung vom Christenthum als einem Ganzen — nicht einer Summe
einzelner Lehrstücke — verdunkelte sich, und die praktische Ab-
zweckung der Religion wurde schwankend. Somit ist hier der
Zukunft statt einer klaren und eindeutigen Anweisung
in Bezug auf Glaube, Lehre und Kirche vielmehr ein
Problem gestellt worden, nämlich die „Lehre" in echt
lutherischem Sinn hochzuhalten, sie aber von Allem zu
befreien, was nicht anders angeeignet werden kann als
durch das Mittel der geistigen Unterwerfung, und die
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 741
Kirche als Gemeinschaft des Glaubens auszuprägen, ohne
ihr den Charakter einer theologischen Schule zu geben.
Besonders verhängnissvoll wurde die Betrachtung des Glaubens unter
dem Gesichtspunkt der Zustimmung zu der Summe vieler gleich-
werthiger articuli fidei der evangeHschen Lehre von der Rechtfertigung.
Sie musste nun als die correcte Darstellung eines einzelnen Dogmas
erscheinen — nichts weiter. In dem Momente verlor sie ihre wahre
Bedeutung und damit ihre Abz weckung. War sie von der einen
Seite durch die „objectiven" Dogmen bedrängt, so war es nur natür-
lich, dass sie nun von der anderen Seite durch eine compHcirte Lehre
von der Heiligung, unio mystica u. s. w. eingeengt wurde. Wie sehr
sie unter diesem Druck verkümmerte, das hat uns Eitschl in seiner
„Geschichte des Pietismus" gezeigt. Man braucht aber nur einen
BHck auf die Geschichte des lutherischen Beichtstuhls zu werfen, um
die Verwüstungen zu erkennen, welche das Lutherthum durch die
Verengung des Glaubens zu der „reinen Lehre" angerichtet hat. Da
auf die Dauer kein ernster Christ sich bei der richtigen Theologie als
dem Ideal christlicher Vollkommenheit beruhigen kann, so war es nur
folgerecht, ja eine wahre Erlösung, dass die katholischen asketischen
Massstäbe in der Praxis des Lutherthums wieder aufgerichtet wurden.
Nun aber konnte man sich doch auch dabei nicht beruhigen; denn man
war ja evangehsch und brachte es daher nur zu schwächlichen Nach-
bildern des Katholicismus. So ist auch das evangelische Lebensideal
ein Problem der evangelischen Kjrche geblieben.
Zweitens hat Luther eine unsägliche Versvirrung hinterlassen in
Bezug auf die Bedeutung der alten Dogmen im engsten Sinn des
Worts. Von seinem rechtfertigenden Heilsglauben führt keine Brücke
zu ihnen, nicht weil dieser Glaube sie nicht erreicht, sondern weil
jene Dogmen das Wesen Gottes nicht so wunderbar und
tröstlich beschreiben, wie es der evangelische Glaube er-
kennt. Auf diesen Satz kann man überall die Probe machen, wo
Luther sein Christenthum unmittelbar und lebendig zum Ausdruck
bringt. Christus ist ihm nicht eine göttliche Person, welche die Mensch-
heit angenommen hat, sondern der Mensch Jesus Christus ist
die Offenbarung Gottes selbst, und Vater, Sohn und Geist sind
nicht drei neben einander stehende Personen, sondern ein Gott und
Vater hat uns in Christus sein väterliches Herz aufgethan
und offenbart durch seinen Geist Christum in den Herzen.
Was hat diese Betrachtung des Glaubens mit den Speculationen der
Griechen zu thunV Wie viel verwandter sind diese dem natürlichen Ver-
stände als Luther's Betrachtung ! Ein Philosoph vermag die Mittel aufzu-
742 I^iö Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
treiben, um die Dogmen der griechischen Kirche tiefsinnig und weise zu
finden; kehi Philosoph aber ist im Stande, dem Glauben Luther's irgend
welchen Geschmack abzugewinnen. Imther selbst übersah die Kluft, die
ihn vom alten Dogma trennte, theils weil er es nach seinem Sinn deutete,
theils weil er einen Rest des Respects vor den Concilienbeschlüssen
hatte, theils weil er sich freute^ einen greifbaren, sicheren, hohen, un-
begreiflichen Hauptartikel Türken, Juden und Schwarmgeistern ent-
gegenstellen zu können. Nur wenn man die Lehren von der Trinität
und Christologie als Hauptartikel im Sinne Luther's betrachtet, wird
man ihnen gerecht; sie waren ihm nicht nur Stücke, an die sich andere
Lehrstücke angUedern, sondern sie waren ihm die Lehren, aus denen
er das evangelische Christenthum zu entwickeln verstand: Gott in
Christus. Allein was unter seiner Hand in seinem Sinn lebendig blieb,
war damit nicht für die Zukunft geschützt, und er selbst vermochte als
mittelalterlicher Mensch nicht der Versuchung zu widerstehen, über
jene Formeln in der Richtung zu speculiren, welche durch ihre Fassung
vorgeschrieben war. Indem er dabei seine Grundgedanken doch nicht
preisgeben wollte, gerieth er auf Speculationen, die den abenteuerlich-
sten und schlimmsten Phantasien der nominahstischen Sophisten nichts
nachgeben. Sie unterscheiden sich von ihnen nur darin, dass Luther
mit kindlichem Glauben diese wunderliche Gedankenwelt ausbaute. Jene
aber halb gläubig und halbskeptisch dialektischen Problemen nachgingen.
Von der Abendmahlslehre aus (s. unten) gewann Luther einen beson-
ders starken Antrieb über die Christologie in alter Weise nachzudenken.
Da er aber die Einheit von Gottheit und Menschheit in Christus so
streng fasste, wie kein Theologe vor ihm, musste er im Rahmen der
Zweinaturenlehre auf jene entsetzlichen Speculationen über die Ubiqui-
tät des Leibes Christi gerathen, die sich auf den höchsten Höhen scho-
lastischen Widersinns bewegen. Die traurige Folge war, dass das
Lutherthum gleichsam als nota ecclesiae die ausgeführteste scholastische
Doctrin erhielt, die je eine Kirchengemeinschaft erhalten hat. Es wurde
dadurch auf fast 200 Jahre ins Mittelalter zurückgestossen. Die Re-
formation schliesst also auch hier mit einem Widerspruch,
der der Folgezeit ein Problem stellte: sie gab der neuen
Kirche den Glauben an Gott, Christus und den hl. Geist,
wie ihn Paulus Rom. 8 bekannt und Paul Gerhardt im Liede
„Ist Gott für mich, so trete gleich Alles wider mich" noch
immer bezeugt hat; aber sie gab ihr zugleich das alte Dogma
als den unveränderlichen Hauptartikel zusammen mit einer
christologischen Doctrin, welche das evangelische Grund-
interegse nicht verleugnete, aber völlig scholastisch ge-
Verwirrungen und Probleme in Luther 's Erbschaft. 743
staltet war und daher nothwendig den Glauben verwirren,
verdunkeln und entleeren musste. Es ist Lutlier's, nicht etwa
der Epigonen, Schuld, dass in der evangeUschen Kirche Jeder sich
heute noch einen „Ketzer" schelten lassen muss, welcher die Trinitäts-
lehre und die chalcedonensische Formel für Menschenfündlein erklärt,
die den Glauben schwächen statt ihn zu stärken. Diese Praxis hat
derselbe Luther überhefert, der doch sonst sehr wohl wusste, was Un-
glaube im Sinne des Evangeliums ist. Aber Luther hatte, wie wir ge-
zeigt haben, grosse Entschuldigungen für seinen Irrthum; solche haben
die Heutigen nicht. Sie haben nur zwei Entschuldigungen — die Rück-
sicht auf die einmal herrschende Gemeindeorthodoxie und die Unkennt-
niss der Dogmengeschichte ^ AVie stark sie statt in dem Grundgedanken
der Reformation in kathohschen Reminiscenzen leben, zeigt sich am
deuthchsten darin, dass, wenn je einmal Einer die Zuversicht zum alten
^ Wie gross die letztere ist, geht aus der Thatsache hervor, dass man heute
Phantasien über die Christologie, wie die kenotische Theorie, einfach unter den
Schutz des alten Dogmas stellt, d. h. dasselbe factisch abdecretirt, aber sich dennoch
als vindex dogmatis gebehrdet. Nich anders steht es mit der Trinitätslehre. Man
spinnt aus dem eigenen Innern eine Speculation, die mit dem alten Dogma nur den
Widerspruch zwischen Eins und Drei gemeinsam hat, sonst aber toto coelo von ihm
verschieden ist, und bezeichnet sich nun selbst als orthodox, die Gegner als Ketzer.
Als ob es nicht jedem dieser Ketzer ein Leichtes wäre, ihre Kritik des alten Dog-
mas mit ähnlichen Einfällen zu verbrämen ! Würde dies zu wirklicher Beruhigung
dienen, so wären sie sogar verpflichtet, es zu thun. Allein diese Verzierungen lösen
einander mit erschrecklicher Schnelle ab ; keine einzige beruhigt wirklich, sondern
jede dient im besten Falle dazu, die Krisis hinauszuschieben. Man achtet heute
gar nicht mehr darauf, wie Einer sich mit dem alten Dogma abfindet, ja man zuckt
wohl von vornherein die Achsel über seinen Versuch. Aber dass er sich abfindet,
das genügt. So lebt man in der „positiven" Theologie seit den Tagen Schleier-
macher's gleichsam aus der Hand in den Mund. Aber selbst das müsste man sich
gefallen lassen — unser Wissen ist Stückwerk — , wenn nicht das alte Dogma den
(Hauben im 19. Jahrhundert verzäunte, belastete und verwirrte. AVcil das sicher
ist, darum gilt es, selbst wider die ganze Welt für das schlichte Evangelium zu
streiten. Das stärkste Argument, das entgegengehalten wird, lautet : „Seht, nur
dort wo das alte Dogma ist, ist heute im Protestantismus tiefe Sündenerkenntniss,
wahre Busse und lebendige kirchliche Thätigkcit zu finden." Auf diese Einwendung
ist Folgendes zu antworten: Zum Ersten, dass diese Selbstbcurtheilung pharisäisch
und übel lautet, und dass über Sündenerkenntniss und Busse nicht die Kirchen-
zeitungen, sondern Gott der Herr die Rechnung führt ; zum Anderen, dass „leben-
dige, kirchliche Thätigkcit" keine Gewähr bietet für ungefärbten evangelischen
Glauben; entschiede sie allein, so war Luther im Unrecht, als er über die alte Kirche
die Revolution brachte; zum Dritten, dass es kein Wunder ist, dass die Anderen
voraus sind, welche über die Macht des Herkommens in dem conservativsten Gebilde
verfügen, das es gicbt — in der Kirche. Ue})rigens soll der Christ das Gute und
Heilige auffinden, unter welcher Kutte es ihm auch begegnen mag.
744 T)io Ausgäugo des Dogmas im Protestautismus.
Dogma aus diesem oder jenem Grunde eingebüsst hat, die fast regel-
mässige Folge die ist, dass er erklärt, auf die Lehre käme über-
haupt nicht soviel an. Gegen diese franciskanisch-erasmische Hal-
tung kann nicht kräftig genug protestirt werden. Könnte man mit der
Wahrheit überhaupt pactiren, so wäre das alte Dogma jener Indifferenz
gegen die Lehre noch weit vorzuziehen ; denn sie führt unfehlbar in den
Katholicismus und ist dem evangelischen Christenthum so feindlich wie
möglich. Es kommt in der That Alles auf die rechte Lehre von Gott
als dem Vater Jesu Clnisti an. Eben desshalb ist das Dilemma: das alte
Dogma oder das blosse „praktische Christenthum", mit einem Weder
— noch zu beantworten. Der evangelische[Glaube kennt nur „Lehren",
die zugleich Gesinnungen sind; diese aber sind ihm mit Luther das
Christenthum selbst.
Aber Luther hat nicht nur das alte griechische Dogma, sondern
auch die augustinische Erbsündenlehre, die Lehre vom Urständ u.s.w.
recipirt und damit den Glauben nicht minder belastet, sofern er eine
aus fragwürdiger Exegese, stumpfer Kritik und bunter Speculation zu-
sammengestellte und ausgesponnene Geschichtsbetrachtung in den
Glauben hineingezogen hat. Allerdings hat er sie nach seinen Prin-
cipien corrigirt, und wenn die Factoren selbst bestünden, könnte man
sich diese Theorie zur Noth gefallen lassen ; allein es war doch, vom
Standpunkt des rechtfertigenden Glaubens betrachtet, eine Msraßaai*;
£t? aXXo Ysvo?, über diese Dinge Glaubenssätze aufciustellen, und diese
Msraßaai«; war und ist nicht ungefährlich. Gewiss — vom Standpunkt
des evangehschen Glaubens wird die Erkenntniss gewonnen, dass alle
Sünde Unglaube und Schuld gegen Gott ist, und dass jeder Einzelne
sich in solcher Schuld vorfindet. Allein das Dogma von der Erbsünde
enthält mehr und weniger als diese Ueberzeugung besagt, weil es aus
der Vernunft stammt. Es enthält mehr, weil es einen Satz christhcher
Selbstbeurtheilung in ein geschichtliches Urtheil verwandelt; es
enthält weniger, weil es immer dazu Anlass bieten wird, die eigene
Sünde zu entschuldigen. In diesen Zusammenhang gehört auch die
nominaHstische Fassung der Prädestinationslehre und die Lehre von
dem doppelten Willen Gottes, weil sie über die Glaubenslehre hinaus-
gehen.
Der dritte Widerspruch, den Luther seinen Anhängern zurück-
gelassen hat, liegt in seiner Stellung zur Schrift. Die Kraft, die er
nicht besass, sich von der Autorität des Buchstabens völhg zu befreien,
haben seine Nachfolger noch weniger besessen. Neben dem AVort
Gottes, welches Sache und Autorität ist, hielt doch auch er die äussere
Autorität des geschriebenen Wortes fest, obgleich er sie sogar in den
Verwirrungen und Probleme in Luther 's Erbschaft. 745
*
Vorreden zur hl. Schrift durchbrochen hat. Wahrscheinhch hat ihn
der Gegensatz zu den Wiedertäufern, von denen Einige in treffender
Weise zwischen AVort Gottes und hl. Schrift unterschieden, bewogen,
die alte katholische Gleichung zwischen Beiden nur um so strenger fest-
zuhalten K Wie verhängnissvoll dieses Festhalten gewesen ist, das
braucht nicht erörtert zu werden ; denn noch heute stehen wir unter
den Folgen desselben ; ja man darf wohl sagen, dass kein anderer Rest
des Katholischen die Entwickelung des Protestantismus so gehemmt
hat, wie dieser. Die Forderung, den reinen Verstand der hl. Schrift
festzustellen, wurde durch die Betrachtung derselben als des inspirirten
Kanons einfach gelähmt. Theils wurde die evangelische Heilslehre mit
hundert fremden Stoffen belastet, theils achtete man der Schrift dort
nicht, wo man sie hätte brauchen sollen, weil man in ihr als der unfehl-
baren Autorität lediglich das finden musste, was man aus anderen Grün-
den bereits für die reine Lehre hielt. Es stellte sich so im Protestantis-
mus wieder genau derselbe Zustand ein, der im Katholicismus herrschte,
dass man nämlich in allen Hauptpunkten die Schrift der regula fidei
unterordnete, ihren wesentlichen, geschichtlichen Gehalt also nicht ge-
hörig zur Geltung brachte, und dass man andererseits Lasten und Fall-
stricke aus der Schrift hervorholte. Dies ist nämlich stets die paradoxe
und doch so verständHche Folge der Annahme eines inspirirten Schrif-
tenkanons, dass er in der Hauptsache das Evangelium der Idrchlichen
regula fidei unterwirft und zugleich in Nebensachen unberechenbare
und verwirrende Wirkungen auf den Glauben ausübt. So sehen wir es
auch im Protestantismus. Aber das, was derselbe Luther gelehrt hat:
„das ist der rechte Prüfestein alle Bücher zu tadeln, wenn man siebet,
ob sie Christum treiben oder nicht", konnte doch nicht ohne Wirkung
bleiben. Allein die geschichtliche Kritik der Bücher hat im Prote-
stantismus nicht von hier begonnen. Sie ist eine Folge der erstarkten
weltlichen Bildung gewesen. Weil sie diesen Geburtsschein hatte, hat
sich die evangehsche Kirche so heftig wider dieselbe gesträubt und
sträubt sich noch immer. Allein wenn sie nicht den Muth und die Kraft
hat, die Kritik mit Luther wider Luther im Interesse des Glaubens
zu führen, so ist sie selbst dafür verantworthch, dass sie ihr von Aussen
aufgezwungen wird und dann allerdings nicht dazu dienen kann, sie zu
stärken, sondern nur zu schwächen. Auch hier hat also Luther
der Folgezeit eine Aufgabe hinterlassen, da seine eigene
Haltung durch einen verhängnissvollen Rest katholischer
Betrachtung unsicher gewesen ist: die evangelische Kirche
* Es ist nicht richtig, wenn Loofs, Leitfaden S. 236, Ijchauptet, die Gleich-
setzung von hl. Schrift und Wort Gottes sei damals nirgend angefochten gewesen.
746
Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
muss mit den anderen äusseren katholischen Autori-
täten auch die äussere Autorität des geschriebenen, für
unfehlbar gehaltenen Worts aufgeben; aber sie muss zu-
gleich ihren Standort in der Glaubenslehre dort nehmen,
wo ihn der Glaube nimmt, nämlich bei der Person Christi,
wie sie aus den Evangelien hervorleuchtet und von den
ersten Jüngern bezeugt ist.
Viertens hat Luther in der Lehre von den Sacramenten seine
reformatorische Position verlassen und ist Betrachtungen gefolgt, die
seine eigene Glaubenslehre verwirrten und in noch höherem Masse die
Theologie seiner Anhänger schädigten. Im Bestreben, den Schwarm-
geistern zu widerstehen, ist er von dem Punkte aus, der eine besondere
Stärke seiner Glaubensauffassung bezeichnet, durch eine scheinbar kleine
Verschiebung zu sehr bedenklichen Sätzen gekommen, die einen par-
tiellen Rückfall zur Folge hatten. Neben der Unklarheit, die in der
Stellung zur Schrift übrig blieb, ist der Rückfall in der Betrachtung der
Gnadenmittel der eigentliche Schaden desLutherthums geworden. Blickt
man auf den Doctrinarismus, auf die scholastische Christologie, auf die
magischen Vorstellungen vom Sacrament u. s. w., die sich ausgebildet
haben, so ist hier der eigentliche Ansatz für diese Fehler zu suchen.
Aus der festen und ausschliessHchen Betrachtung, in welche
Luther Gott, Christus, hl. Geist, Wort Gottes, Glaube und Rechtferti-
gung (Gnade) setzte, ergab sich ihm die Erkenntniss, dass der hl. Geist
an das Wort Gottes gebunden ist, d. h. dass der Geist und das Wort
Gottes in einem untrennbaren und ausschliesslichen Verhältniss stehen.
Dieser Grundsatz hat den Zweck, ersthch die sichere Wirksamkeit des
Wortes zu begründen, zweitens die Offenbarung als eine im strengen
Sinn äussere, weil göttliche, von allem bloss Subjectiven zu unter-
scheiden. Desshalb heisst es in den Schmalkald. Artikeln P. III a. 8 ' :
„Et in bis, quae vocale et externum verbum concernunt, constanter
tenendum est, deum nemini spiritum vel gratiam suam largiri, nisi per
verbum et cum verbo externo et praecedente, ut ita praemuniamus nos
adversum enthusiastas i. e. Spiritus, qui iactitant se ante verbum et sine
verbo spiritum habere et ideo scripturam sive vocale verbum iudicant,
flectunt et reflectunt pro libito . . . Quare in hoc nobis est constanter
perseverandum, quod deus non velit nobiscum aliter agere nisi per vocale
* Müller S. 321 f. Vgl. die Schrift „Wider die himmlischen Propheten"
(Erlanger Ausg. XXIX S. 134 K bes. S. 208 ff.), Art. 5 der Augustaua: „Per
verbum et sacramenta tamquam per instrumenta donatur Spiritus sanctus, qui fidem
efficit" und den oft ausgesprochenen Grundsatz Luther's: „Deus interna non dat
nisi per externa."
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 747
verbum et sacramenta, et quod, quiclquid sine verbo et sacramentis
iactatiir ut Spiritus, sit ipse diabolus." Diese Gleichung von Geist und
Wort ist so lange unzweifelhaft richtig, als unter dem Wort das Evan-
gelium selbst in der Kraft seiner Wirkung und in dem ganzen Umfang
seiner Geltung und Anwendung verstanden wird. Allein bereits die
Vertauschung dieses Worts mit dem engeren Begriff „vocale verbum
et sacramenta" ist nicht unbedenklich. "Wenn aber dann Alles, was
vom „Wort" gelten soll, auch ohne Weiteres auf die determinirten Be-
griffe „vocale verbum et sacramenta" angewendet wird, so dass sie in
jeder Hinsicht und in allen ihren Eigenschaften „dasWort"
sind, so ist der Rückfall in magische Vorstellungen unvermeidhch.
Luther wollte in seiner Lehre von den Gnadenmitteln den angefoch-
tenen Gewissen einen sicheren Trost bieten und sie vor der Hölle der
Unsicherheit in Bezug auf den Gnadenstand schützen, die die
Schwarmgeister für nichts zu halten schienen. Darum predigte er unab-
lässig, dass die Gnade Gottes so gewiss in dem Wort gegeben werde,
als handle Jesus Christus selber; darum stritt er wider die scotistische
Lehre von einem blossen Nebeneinander von Vergebung und sinnlichem
(hörbarem) Zeichen *; darum legte er auf die „Objectivität der Gnaden-
mittel" ein so entscheidendes Gewicht ^ und war ängstlich darauf be-
dacht, dieselben auch in jedem Stück ihres Vollzugs und in Allem, was
die Schrift über sie lehrte oder zu lehren schien, für gleich wichtig und
für unantastbar zu erklären. Allein nicht nur durch die Ausscheidung
bestimmter Handlungen als Gnadenmittel trat Luther in die verlassenen
engen Kreise des Mittelalters zurück — der Christ lebt, wie er selbst
am Besten wusste, nicht von Gnadenmitteln, er lebt durch den Zu-
sammenschluss mit seinem Gott, den er in Christus ergreift — , sondern
in noch höherem Masse durch das Unternehmen, erstlich die Kinder-
taufe als Gnadenmittel im strengen Sinn zu rechtfertigen, zweitens die
Busse doch auch als das Gnadenmittel der Initiation zu fassen, drit-
tens die reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl
als das wesentliche Stück in diesem Sacrament zu behaupten. Die blosse
Beibehaltung des Titels „Gnadenmittel" hätte die evangelische Lehre
wahrscheinlich noch nicht getrübt; denn zu deutlich hat Luther immer
wieder betont, dass das Gnadenmittel doch nichts Anderes ist als das
* Schmalkald. Art. P. III a. 5 (8. 320): „Non ctiam facimus cum Scoto et
Minoritis seu monachis Franciscanis, qui doccnt, baptismo ablui pcccatum ex as-
sistentia divinac voluntatis, et hanc ablutioncm fieri tantum per dei voluntatem
et minime per verbum et aquam."
'■'S. HarlesH u. Harnack, Die kirchlich-religiöse Bedeutung der reinen
Lehre von den Gnadenmitteln 18G9.
748 Diu Ausgänge des Dogmas im Protestaulismus.
Wort, welches den Glauben weckt und die Vergebung der Sünden ver-
sichert. Aber jenes dreifache Unternehmen brachte über die Kirche
der Reformation den Schaden des Mittelalters und hat es ihr viele
Generationen hindurch verwehrt, mit dem geistigen Charakter der
christlichen Religion ihren vollen Ernst auszuprägen; denn der Ernst
der Religion wird herabgesetzt; wo das opus operatum auftaucht und
das strenge Verhältniss von Evangelium und Glaube gelockert oder
belastet wird.
A. AVas den ersten Punkt betrifft, die Kindertaufe, so liegt die
Frage für Jeden, der nicht aus „praktischen" Gründen die Sache ver-
wirren zu müssen meint, völhg klar. Gilt der evangelische und luthe-
rische Grundsatz, dass Gnade und Glaube untrennbar zusammenge-
hören (Grosser Katech. IV S. 496 : „Absente fide baptismus nudum
et inefficax Signum tantummodo permanet"), so ist die Kindertaufe
an sich kein Sacrament, sondern eine kirchliche Feier; ist sie im
strengen Sinn ein Sacrament, so gilt jener Grundsatz nicht mehr. Man
kann diesem Dilemma weder dadurch entrinnen, dass man auf den
Glauben der Pathen, Eltern u. s. w. verweist (so Luther selbst An-
fangs) — denn das ist die schlimmste Form der fides impHcita — , noch
durch die Annahme, dass in der Taufe der Glaube gegeben werde*;
denn ein unbewusster Glaube ist eine fast ebenso schlimme Species
jener fides implicita. Somit hätte es dem evangehschen Grundsatze
nur entsprochen, entweder die Kindertaufe abzuthun, wie die römische
Kirche auch erst in später Zeit die Kindercommunion abgethan hat,
oder sie für eine kirchliche Feier zu erklären, die ihren wahren Inhalt
erst später erhält. Allein keines von Beidem ist geschehen ; vielmehr hat
Luther die Kindertaufe als das Sacrament der Wiedergeburt beibehalten
und sie, die in seinem Sinn höchstens ein Symbol der zuvorkommenden
Gnade sein durfte, als effective Handlung gefasst. Damit war man, wenn
man es auch nicht wahrhaben wollte, zum opus operatum zurückgekehrt
und hatte das Verhältniss von Gnadenwirkung und Glauben gesprengt.
Schlug aber in der Folgezeit das Gewissen zu hörbar wider die sinnlose
Annahme, dass es Wiedergeburt ohne ein Wissen um diese Geburt
geben könne, so war der Ausweg, den man nun ergriff, fast noch
schlimmer als die Noth, der man zu entfliehen strebte. Man zer-
spaltete die Rechtfertigung und die Wiedergeburt, jene als das „Objec-
tive" (der abstracto göttliche Act der Rechtfertigung, der forensische
Rechtfertigungsspruch, der den impius für gerecht erklärt), diese als
^ Grosser Katech. lY S. 494: „Puerum ecclesiae ministro baptizandum ap-
portamns, hac spe atque animo, quod certe credat, et precamur, ut domimis
eum fide donet."
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 749
das Subjective. Damit wurde das herrlichste Kleinod des evangehschen
Christentimms seiner praktischen Kraft beraubt, also unwirksam. Die
abgequälten Unterscheidungen zwischen Rechtfertigung und Wiederge-
burt zogen die evangelische Glaubenslehre in Labyrinthe hinein, setzten
die Bedeutung der Rechtfertigung tief herab — sie drohte wie im
Katholicismus ein dogmatischer Locus neben anderen zu werden —
und schnitten durch die zwischeneingeschobenen neuen Dogmen die
praktische Abzweckung der Rechtfertigung auf die praktische Ge-
staltung des christlichen Lebens ab.
B. Diese verhängnissvolle Entwickelung wurde (zweitens) durch
eine unrichtige Auffassung von der Busse noch verstärkt. Auch hier
hat Luther selbst den Anstoss gegeben, resp. ruhig geschehen lassen,
was seinen ursprünglichen und nie aufgegebenen Grundsätzen zuwider-
lief. Dass auch hier die mittelalterlich - katholische Betrachtung bei
ihm nachwirkte, sollte nicht geleugnet werden. Luther hat sich mit
seiner ganzen reformatorischen Lehre und Praxis grundsätzlich auf den
Boden des Glaubens gestellt: er hatte innerhalb der Glaubenslehre
nicht gefragt, wie wird der Heide und Türke ein Christ, sondern wie bin
ich zu dem Glauben gekommen und durch welche Kräfte werde ich in
demselben erhalten. Von hier aus war es ihm gewiss, dass das Geschenk
des Glaubens den Christenstand begründet und erhält, und dass der
Glaube die Busse wirkt. Beide gehören untrennbar zusammen, so je-
doch, dass der Glaube das logische Prius ist. Daraus folgte, dass nur
solche Busse vor Gott Werth hat, die aus dem Glauben kommt, und
dass sie eine ebenso stetige Stimmung sein muss wie der Glaube. Durch
solchen Glauben und solche Busse lebt der Christ in der stetigen Sün-
denvergebung, d. h. diese ist die Sphäre seines Daseins, mag das nun als
ortwirkende Taufgnade oder als sich immer wiederholende Aneignung
der Rechtfertigung (Sündenvergebung) gedacht werden. Das ist aller-
dings eine Auffassung, die sich leicht in das furchtbare Gegentheil, die
bequeme Sicherheit und die auch nicht ein einziges Mal stark hervor-
brechende Bussgesinnung, wandeln kann. Sagt man den Menschen,
dass sie immer Busse thun sollen und dass einzelne Bussacte nichts
nützen, so werden Wenige je Busse thun. Allein — corruptio optimi
pessimal die Gefahr, die einer Wahrheit anhaftet, kann nie ein Grund
sein, sie zu verhüllen. Wohl kann die Erziehung zur Wahrheit nicht
mit der Vorhaltung ilires ganzen Inhaltes, ihres Ernstes und ihrer Frei-
heit, beginnen; aber die Glaubenslehre darf desshalb nicht getrübt
werden. Allein sie trübte sich im Lutherthum gar bald, und scliliess-
lich — wie immer — ist durch diese Trübungen das nicht erreicht
worden, was erreicht werden sollte, nämhch der Laxheit und dem Leicht-
750
Die Ausg^änwo des Doormas im Protestantismus.
sinn zu steuern. Vielmehr nahmen diese an der neuen Formulirung, wie
sie sich allnüihhch einstellte, erst recht Anlass, sich ein hequemes Ruhe-
kissen zu hereiten. Die Rücksicht auf den „gemeinen groben Mann"
und ein Rest von Erinnerung an die imponirende Stellung des Alles
beherrschenden römischen Beichtstuhls hatten Melanchthon bestimmt
— zuerst in dem „Unterricht der Visitatoren" — die Busse aus dem
Gesetz abzuleiten und dem Glauben voranzustellen*. Als Agricola
dagegen auftrat, stellte sich Luther auf Melanchthon's Seite 2. Gleich-
zeitig hatte man Grund, den Besuch des kirchlichen Beichtstuhls ernst-
lich einzuschärfen, um dem Gröbsten zu steuern. Hieraus erklärt es
sich, dass auch die Theorie sich verdunkelte : Busse und Vergebung
wurden innerhalb dieser Betrachtung — unter anderen Bedingun-
gen blieb bei Luther und Melanchthon die ursprüngliche Betrachtung
in Kraft — zu der Bekehrung des Gottlosen, resp. des rückfälligen
Sünders; als solche wurden sie entweder mit der iustificatio identificirt
oder neben sie gestellt, in beiden Fällen aber aufs engste mit dem kirch-
Hchen Beichtstuhl verbunden. Der Gottlose kommt erstmalig oder
wiederum zum G laub en , wenn ihm auf Grund der Busse — aber diese
Busse lässt sich von der katholischen attritio nicht mehr unterscheiden
— die Sünde vergeben ist, d. h. Gott ihn aufs neue in foro absolvirt;
leider wurde auch dabei mehr und mehr an die Vermittelung des Pfarrers
gedacht, den „der gemeine grobe Mann" allerdings nöthig hatte. Aber
was ist das anders als eine Doublette zum katholischen Busssacrament,
nur dass die obligatorische Ohrenbeichte und die Satisfactionen weg-
fielen! Damit wurde die Sache erst vollends bequem, und wie bequem
^ S. über diese grosse Wandelung Rit schi, Rechtfertigung und Versöhnung
I S. 186 — 191. Die charakteristischen, kein gutes Gewissen verrathenden Worte
Melanchthon's lauten (Corp. Ref. XXVI p. 51 sq.): „Wiewohl Etliche erachten,
man solle nichts lehren vor dem Glauben, sondern die Busse aus und nach dem
Glauben folgen lassen, damit die Widersacher nicht sagen mögen, man wider-
rufe unsere vorige Lehre, so ist es aber doch (so) anzusehen, weil die Busse
und das Gesetz auch zu dem gemeinen Glauben gehören — denn man muss ja zuvor
glauben, dass es Gott sei, der da drohe, gebiete, schrecke — , so sei es für
den gemeinen, groben Mann, dass man solche Stücke des Glaubens (hier-
nach hat also der Glaube „Stücke" wider Luther's Anschauung !) lasse bleiben unter
dem Namen Gebot, Gesetz, Furcht u. s.w.; damit sie desto unterschiedlicher
den Glauben Christi verstehen, welchen die Apostel iustificantem fidem, das ist, der
da gerecht macht und Sünde vertilget, nennen, welches der Glaube von dem
Gebot und Busse nicht thut, und doch der gemeine Mann über dem AVorte
Glauben irre wird und Fragen aufbringt ohne Nutzen."
* Auch hier ist Luther's Haltung mit aus der fatalen Thatsache zu erklären,
dass ihm Wahrheiten von Leuten entgegengehalten wurden, die ihm mit Grund ver-
dächtig waren. Aus solchen Händen wollte er nichts empfangen.
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 751
man es sich mit diesem katholischen Busssacrament ohne die lästigen
römischen Zusätze im Lutherthum gemacht hat, dafür legt die Blüthezeit
der lutherischen Orthodoxie und dieEeaction Spener ' s und des Pietis-
mus ein sprechendes Zeugniss ab. Die Vorstellung von der Rechtferti-
gung schrumpfte bei dieser Betrachtung, wie oben bereits bemerkt, zu
einem Initiationsactund zu einem ganz äusserlichen Handeln
Gottes, welches geeignet war, die Gewissen abzustumpfen, zusammen.
Auch hier musste nun die katholische Lehre überlegen erscheinen; denn
bei dieser Betrachtung der Vorgänge musste das Stehenbleiben bei der
„fides sola" eine bedenkhche Laxheit zur Folge haben. Hier wäre es
in der That gefordert gewesen, die Christen darüber zu belehren, dass
nur die fides caritate formata vor Gott einen wirklichen Werth hat.
Man kann sich daher nicht wundern, dass derselbe Melanchthon, der
die verhängnissvolle XJmbiegung dieser Betrachtung verschuldet hat,
später die sola-fides-Lehre verlassen und einem feinen Synergismus das
Wort geredet hat. Die Theologie der Epigonen aber wurde durch die
Aufgabe, die alte evangelische Ueberzeugung mit der neuen Lehre von
der Busse zu vereinigen und doch den melanchthonischen Synergismus
zu vermeiden, in die heilloseste Verwirrung gestürzt. Galt es doch förm-
lich zwei „iustificationes" mit einander zu vermitteln, die iustificatio impii
(auf Grund des Gesetzes und der Busse) und die iustificatio als die
bleibende Form des Christenstandes. Dazu kam noch als die dritte
iustificatio — sie stand wiederum unter anderen Bedingungen — die
iustificatio der getauften Kinder : man wird gerechtfertigt durch die
Busse, die das Gesetz wirkt und kommt dann zum Glauben; man wird
gerechtfertigt durch den Glauben, den das Evangelium wirkt; man wird
gerechtfertigt durch den Taufact! Diese Widersprüche potenzirten
sich noch, sobald man auf die regeneratio Rücksicht nahm, und führten
in einen heillosen Scholasticismus zurück. Und aus diesem Scholasti-
cismus traten wie in dem alten aus allen Nöthen und Mühen die beiden
katholischen Grundfehler — verhüllt, aber für ein an dem Christen-
thum Luther's geübtes Auge deutlich genug — hervor, die Annahme
einer Wirksamkeit der Gnadenmittel ex opere operato und die Um-
setzung des evangelischen Begriffs des Glaubens zu einer ver-
dienstlichen Leistung.
Weder dieses, noch jenes, wohl aber die Verwirrung der ent-
scheidenden Frage tritt schon in der Augustana hervor. Sehr richtig
hat Loofs ^ darauf hingewiesen, dass der 12. Artikel ein „Doppel-
gänger" des 4. ist, und durch diesen Hinweis gewiss das Bedenkliche
dieser Verdoppelung treffen wollen. Aber der 12. Artikel entspricht
* A. a. 0. S. 202.
752
Die Ausgänge dos Dogmas im Protestantismus.
in seiner Fassung selbst nicht mehr der reinen evangelischen Con-
ception*; denn er ist dem katholisclien Busssacrament angenähert.
Der Hinweis auf die ecclesia ist in diesem Zusammenhang eine
mindestens irreführende Ooncession, und die Zertheilung der paeni-
tentia in contritio und fides, wobei jene vorangestellt ist und nur
diese ausdrücklich auf das Evangelium zurückgeführt wird, ist sehr
bedenkhch. Aber am bedenklichsten ist, dass der Artikel der katho-
lischen Vorstellung Vorschub leistet, als falle der Christ, wenn er
fällt, jedesmal aus dem Gnadenstande und müsse nun durch das
Busssacrament wieder in denselben aufgenommen werden. In dieser
Betrachtung wäre, wenn sie unmissverständlich deutlich dem Artikel
zu Grunde läge, das Hauptstück des evangelischen Glaubens verleugnet.
Dieser Glaube macht zwischen Sünde und Sünde keinen Unterschied,
wie die katholische Lehre, und er weiss, dass „wir täglich viel sündigen".
Wenn damit stets die Auflösung des Gnadenstandes verbunden zu
denken wäre, so wären wir mitten in den Katholicismus zurückgeführt,
und es wäre völlig gleichgiltig, ob mr die übrigen Lehren desselben
annehmen würden oder nicht. Denn von diesem Artikel darf man in
der evangelischen Kirche nicht weichen, dass Gott seinem Kinde,
dem gerechtfertigten Christen, die Sünden vergiebt, dass also die
Sündenvergebung und Rechtfertigung nicht nur in der iustificatio
impii besteht, sondern dass der Christ von der Sündenver-
gebung lebt und trotz Sünde und Schuld ein Kind Gottes
ist. Diesen Hauptgedanken, dass der Christ nicht aus der Gnade
fällt, wenn er sich des Gottes getröstet, der Sünden vergiebt, hat
die Augustana im 12. Artikel mindestens verschleiert, während er
sonst doch das Fundament vieler ihrer wichtigsten Ausführungen
bildet. Wie könnte denn Alles das zu Recht bestehen, was die Augu-
stana über das stetige Gottvertrauen so eindrucksvoll lehrt, wenn der
Christ sich seiner Kindschaft nicht stetig getrösten dürfte! Aber in
welcher traurigen Weise hat man diesen Artikel verdunkelt — um
der Gefahr der Laxheit willen, die doch nun von einer anderen Seite
um so schlimmer kam — , wie dunkel ist er noch jetzt im Pro-
testantismus, und wie schwer fällt es, die berufenen Lehrer des christ-
lichen Volkes davon zu überzeugen, dass man den stumpfen Gewissen
* „De paenitentia docent, quod lapsis post baptismum contingere possit re-
missio peccatorum quocunque tempore, quum convertuntur, et quod ecclesia talibus
redeuntibus ad paenitentiam absolutionem impertiri debeat. Coustat autem paeni-
tentia proprie bis duabus partibus. Altera est contritio seu terrores incussi con-
scientiae agnito peccato; altera est fides, quae concipitur ex evangelio seu absolu-
tione et credit propter Christum remitti peccata, et consolatur conscientiam et ex
terroribus liberat. Deinde sequi debent bona opera, quae sunt fruetus paenitentiae."
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 753
den Ernst des Evangeliums nur durch die Verkündigung der Liebe
Gottes vorzuhalten vermag!
C. Der dritte Punkt ist Luther's Lehre vom Abendmahl ^ An
unzähligen Stellen hat Luther bekannt, dass Wort und Sacrament
die Heilsmittel sind, weil sie die Sündenvergebung enthalten, und
dass schlechthin nur in dieser ihr Werth beschlossen liegt. „Mit
grimmiger Verachtung" hat er alle phantastischen Vorstellungen,
welche von dem abführen, was allein dem Christen Trost gewähren
kann, oft genug abgewiesen. Demgemäss durfte seine Lehre vom
Abendmahl nur lauten, dass das Wort Gottes, welches mit und bei
dem Essen ist, die Sündenvergebung bringt und damit Leben und
Seligkeit schafft. Die Frage nach dem Leibe und Blute Christi im
Sacrament durfte daher überhaupt keine theologische Frage
werden — „Theologie" im Sinne Luther's — oder, wenn sie es wurde,
musste sie in strengster Beziehung zu dem geschichtlichen Christus
erörtert werden; denn nur durch das Werk des geschichtlichen
Christus ist das Wort Gottes das Wort der Sündenvergebung. Dann
konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass der Leib und das Blut
Christi eben das seien, was er in den Tod gegeben hat, d. h. sein
natürlicher menschlicher Leib. So allein konnten ihn auch seine
Jünger verstehen. War aber der Leib, den er seinen Jüngern zu
essen gab, sein natürlicher Leib, so ist damit ohne Weiteres klar,
dass es sich in Bezug auf den Leib um ein Symbol handelt, wäh-
rend der Glaube die Sündenvergebung keineswegs bloss symbolisch
erhält. Es ist dann ferner klar, dass der Christ durch das Abend-
mahl nicht in eine nähere, mystische Beziehung zu Christus gesetzt
wird als durch das Wort, welches ja auch nicht ein blosser leerer
Schall von Christus ist, sondern die Kraft, die von seinem geschicht-
lichen Werke ausgeht. Es ist aber endlich die Vorstellung von einer
„näheren, mystischen" Beziehung des Christen zu Christus im Sinne der
evangelischen Glaubensauffassung Luther's überhaupt die schlimmste
Ketzerei; denn sie stellt die souveräne Kraft und vollgiltige Wirk-
samkeit des Wortes Gottes zu Gunsten einer halbdunklen Empfindung
in Frage und beraubt damit den Gewissen den vollen Trost des AVortes
Gottes. Es muss also aufs strengste dabei bleiben, dass die ver-
schiedenen sinnlichen Zeichen, unter denen das Wort dargereicht
wird, zwar keineswegs gleichgiltig sind, dass ohne dieselben ein Ge-
* S. DieckholT, Die ovangel.Abondmahlslehro (1854) S. 167 ff. H. Schultz,
Die Lehre vom lil. Abendmahl 1886. Schmid, Der Kampf der luth. Kirche um
L.'s Lehre vf)m Abendmahl 1868. Selir ausführlich auch Thomasiu s -Seeberg
U S. 522 ff.
Harnack, Dogmengeschichte III. 4g
754 r)ip Auswänp^e dos Dogmas im Protostantismus.
schiclitliches überhaupt niclit vorgestellt werden kann, dass sie das
Werk des geschichtlichen Christus in verschiedener AVeise den Herzen
nahe bringen, dass sie aber der Kraft des Wortes nichts hinzuzu-
l'iigen vermögen.
Wenn im Folgenden eine andere Auffassung Luther's dargelegt
werden muss, so hat man sich stets zu erinnern, dass er die eben ent-
wickelte aufs kräftigste vertreten und nie aufgegeben hat*, denn sogar
durch die Schriften, welche man mit Recht für eine andere Betrachtung
citirt, zieht sie sich deutlich genug hindurch. Es bedarf keiner Stellen,
um sie zu belegen; denn z. B. der kleine Katechismus bezeugt sie, und
sie allein. Man kann sich gegen dieselbe doch nicht auf das Wörtchen
„wahr" in dem Satze: „Es ist der wahre Leib" berufen, mag Luther
auch sicherlich hierbei schon an den Gegensatz zu Zwingli gedacht
haben. Um den „wahren" d. h. den geschichtlichen Christus handelt
es sich auch im Wort, und nicht nur das Wort, sondern dieses
allein hat nach Luther die Kraft, den wahren Christus, der für die
Sünder gestorben ist, in den Herzen zu vergegenwärtigen.
Dennoch ist er in der Betrachtung des Abendmahls auf eine „Er-
gänzung" der Glaubensvorstellung gerathen, die er aufs hartnäckigste
vertheidigt und zu einem articulus stantis et cadentis ecclesiae gestempelt
hat. Er hat damit ein Heer von Uebeln über die Schöpfung gebracht,
die er hinterlassen hat: die Lehre vom Sacrament überhaupt wurde ver-
wirrt, der Auffassung des opus operatum ein Thor geöffnet, der Doctri-
narismus verstärkt, die evangelische Christologie in die traurigen Bahnen
der verlassenen Scholastik geleitet und so eine Orthodoxie aufgerichtet,
die nothwendig engherzig und lieblos werden musste. Das sind die
schweren inneren Folgen gewesen. Die äusseren sind bekannt genug;
sie haben den Protestantismus zerspalten. Dennoch sind diese nicht
die schlimmsten gewesen; ja man kann hier sogar umgekehrt sagen,
die zeitweise Isolirung der lutherischen Reformation war nothwendig
und heilsam, damit sie sich nicht auf fremdem Gebiete verlöre. Hätte
Luther in der Abendmahlsfrage nachgegeben, so hätte das kirchliche
und j)olitische Verbindungen zur Folge gehabt, die aller AVahrschein-
lichkeit nach für die deutsche Reformation verhängnissvoller gewesen
wären als ihre Isolirung; denn die Hände, die sich nach Lutlier aus-
streckten — Karlstadt, Schwenkfeld, Zwingli u. s. w. -- und die
scheinbar nur durch die Abendmahlslehre am Zugreifen gehindert
waren, waren keine reinen Hände. Grosse politische Pläne und be-
denkliche Unsicherheiten in Bezug auf das, was evangelischer Glaube
ist, sollten Bürgerrecht in der deutschen Reformation erhalten. Da
bildete die Abendmahlslehre eine heilsame Schranke. Das, was Luther
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 755
geltend machte, war, auf den Wortlaut gesehen, nicht richtig ; aber es
entsprang letztlichder Absicht des einzigen, starken Mannes, seine Sache,
so wie sie ihm aufgegangen war, rein zu erhalten und sich nichts Frem-
des aufdringen zu lassen; es entsprang dem berechtigten Misstrauen, ob
jene Leute nicht einen anderen Geist hätten als er. In der Wahl des
Mittels hat er sich vergriffen; in der Sache, sofern es sich um die Ab-
wehr verfrühter Unionen handelte, hatte er wahrscheinlich Recht.
Damit ist schon ein Motiv für seine „Ergänzung" der Abend-
mahislehre genannt, und vielleicht das stärkste. Luther fürchtete, resp.
erkannte, dass seine Gegner, einschliesslich Zwingli's, die Gnaden-
mittel überhaupt unterschätzten, dass sie den „Geist" predigen, ohne
die Bedeutung des Wortes zu erkennen. Die Versuchung, die Gewissheit
des Ineinander von Geist (Heilsgut) und Mittel scheinbar am sichersten
dadurch zu erweisen, dass man im Abendmahl die Gegenwart des
leibhaftigen Christus lehrte, war sehr gross. Dieser Versuchung ist
Luther, wenn er sie auch immer wieder in seinem ursprünglichen
Sinn corrigirte, erlegen. Zweitens schien ihm der Schriftbuchstabe
keine andere Deutung zuzulassen, und an diesen Schriftbuchstaben
fühlte er sich gebunden. So hat er schon vor dem Jahre 1524 die
Ueberzeugung ausgebildet, dass im Sacrament des Altars die Sünden-
vergebung so enthalten sei, dass sie durch die äussere Darreichung
des wahrhaftigen Leibes und Blutes Christi (zum Essen und zum
Trinken) gegeben werde. Zuerst kehrte er diese Erkenntniss gegen
Karlstadt ' und suchte durch Briefe wider diesen zu wirken. Seit
1525 wendeteer sich indirect, seit 1526 direct auch gegen Zwingli,
den er nicht ganz ohne Grund der Parteinahme für die Schwärmer für
verdächtig hielt. Zwingli hat das freilich abgestreift und war auch schon
damals in der rechtfertigenden Heilslehre wesentlich fest — nicht
zum mindesten durch Luther's Schriften — ; allein um Lutlier's Stellung-
nahme gegen Zwingli zu verstehen, muss man diesen Verdacht im Auge
behalten. In dem Schriftenwechsel, der nun zwischen beiden Refor-
matoren begann, hat Ijuther seine Anschauung ausgeführt und ist, von
Zwingli gedrängt, immer tiefer in die Scholastik liineingerathen ^. Zu-
* Karlstadt hatte gelehrt, dass Christus mit zohxo auf seinen wirklichen Leib,
mit dem er vor seinen Jüngern sass, gewiesen habe.
* Die ältesten Schriften Luther's über das Abendmahl sind „Sermon von dem
hochwürdigen Sacrament des hl. wahren Leichnams Christi" 1519, „Erkl. Dr. L.'s
etlicher Artikel in seinem Serinon v. d. hl. Sacr." 1520, „Sermon von dem NT., d.
i.V. d. hl. Messe" 1520 (Erlang. Ausg. XX VIT). „Vom Missbrauch der Messe"
1522, „Von beiderlei Gestalt des Sacraments zu nehmen" 1522, „Vom Anbeten des
Sacraments de« hl. Leichnams Christi" 1523 (XXVIII). „Wider die himmlischen
Propheten v. d. fiiUhrn n. Sacrament" 1524/5, „Sermon v. d. Sacramc^nt des Leibes
48*
756
Dio Ausgaiißfp des Do^rniaR im Protostantiamus.
nächst Hess er sich einreden, der walirhafti^e licib müsse der Leib des
erhöhten Christus sein; denn der geschic-htUche Ficib ist ja allerdings
im Kreuzestode abgethan. Auf den Einwand aber, dass es unmöglich
sei, dass der verklärte Leib des Erhöhten im Brote und Wein sein
könne, erwiederte er so, dass er die Vorstellung von der un-
trennbaren Einheit der Gottheit und Menschheit in dem ge-
schichtlichen (vliristus auf den Erhöhten ausdehnte und, um
diese vorstelHg zu machen, die Schohistik Occam's zu Hülfe rief.
„Die Sophisten" (seine alten Feinde!) — so bekennt er nun —
„reden hiervon recht, da sie sagen: Es sind dreierlei Weise an
einem Ort zu sein, localiter oder circumscriptive, definitive, repletive,
welchs ich umb leichteren Verstandes willen will also verdeutsclien" K
u. Blutes Christi, wider die Scliwarmgeister" 1526 (XXIX). „Dass diese Worte
noch feststehen" 1527, „Bekcnntniss vom Abendmahl Christi" 1528 (XXX). „Kur-
zes ßekenntniss Dr. M. L.'s vom hl. Sacrament" 1545 (XXXII). Dazu verschiedene
Briefe, vor Allem der an die Strassburger vom Dec. 1524 (s. auch seine Urtheile
über die „Böhmen") mit dem berühmten Satz : „Das bekenne ich, wo Carlstad oder
jemand anders vor 5 Jahren mich hätte mögen berichten, dass im Sacrament nichts
dann Brot und Wein wäre, der hätte mir einen grossen Dienst than . . . Al)er ich
bin gefangen, kann nit heraus ; der Text ist zu gewaltig da, und will sich mit Worten
nit lassen aus dem Sinn reissen." Zwingli tritt in den Abendmahlsstreit durch
seinen Brief an Alber (Nov. 1524). Es folgten sein „Commentarius", seine „Klare
Underrichtung" (1526), sein „Amicaexegesis" (1527), die „Fründhch Verglimpfung",
„dass diese Worte ewiglich den alten Sinn haben werdend" (1527). Briefe und
Schriften der südwestdeutschen Theologen spielen in dem Streit eine wichtige
Rolle. Am bedeutendsten ist Oekolampad's Schrift „de genuina verborum domiui
etc. expositione liber". Zwingli fasste das „est" der Einsetzungsworte ^= „es be-
deutet", nahm Joh. 6 als Commentar der Einsetzungsworte, Hess also nur eine sym-
bolische Auslegung des Leibes und Blutes Christi im Sacrament zu, verrieth keine
Plerophorie und Sicherheit in der Auffassung des Sacraments als eigenthümlicher
Ausgestaltung des „Worts", fasste die Handlung wesentlich als sacrificiell (nota
ecclesiae, Erinnerung) und Hess sich doch von Luther auf das scholastisch-christo-
logische Gebiet ziehen, auf welchem er durch seine doctrinäre Fassung der Zwei-
naturenlehre und durch die dem Nestorianismus sich annähernde Zerspaltung der
Naturen nicht nur keine Lorbeeren erntete, sondern einen merkwürdigen Mangel
an religiöser Einsicht in das Problem neben einem verwunderlichen Zutrauen zur Be-
deutung sophistisch-scholastischer Formeln verrieth. Die südwestdeutschen Theo-
logen, soweit sie nicht mit Brenz zu Luther hielten, redeten einer mystischen
Abendmahlsauffassung das Wort, welche die Nachtheile der lutherischen Fassung
mit den Nachtheilen der Zwingli'scheu verband und nachmals von Calvin und
Melanchthon aufgegriffen worden ist. Aber sehr Tüchtiges leistete Oekolampad in
dem Bericht über die patristische Lehre.
1 Bek. v. Abendmahl (XXX S. 207 ff.)- Wie anders noch in der Schrift vom
Jahre 1519 (XXVII S. 38): „Etliche üben ihre Kunst und Subtilikeit, ü-achten,
wo das Brot bleibt, wenns in Christi Fleisch verwandelt wird, und der Wein in
sein Blut? Auch wie unter so einem kleinen Stück Brots und AVeins muge der
Verwirrungen und Probleme in Luther's Erbschaft. 757
Es folgt nun eine lange Auseinandersetzung, die die Möglichkeit und
Gewissheit der Gegenwart von Christi Leib im Abendmahl erhärten
soll. Also ist diese Scholastik nöthig, um den christlichen Glauben
zu begründen ! ^ Dabei verirrte er sich immer mehr in die katholische
Auffassung, dass das Abendmahl als die Parallele und Bürgschaft der
Menschwerdung aufzufassen sei -. Am stärksten tritt das in der letzten
Schrift hervor, und hier ist zugleich auch deutlich, wie sich der evan-
gelische Heilsglaube für Luther in Folge seiner Abendmahlslehre in
„Stücke" auflöste, obgleich er sich Mühe gab, diese Consequenz zu
vermeiden ^.
Mit der blossen Behauptung, dass der wahre Leib im Abendmahl
sei, war es nicht gethan, wenn dieser Satz eine auch ausserhalb des
Glaubens giltige, wunderbare, äusserliche Thatsache bezeichnen sollte.
Es musste nachgewiesen werden, wie der leibhaftige Christus im
ganz Christus beschlossen sein? Da liegt nit an, ob du das nit suchist; es ist gnug,
dass du wissest, es sei ein gottlich Zeichen, da Christus Fleisch und Blut wahrhaftig
innen ist; wie und wo, lass ihm befohlen sein."
^ Von hier hat dann die lutherische Lehre von 'der Idiomencommunication
ihren Ausgang genommen.
^ Hierzu hatte ihm Zwingli durch seinen Nestorianismus allerdings Anlass
gegeben.
^ Kurzes Bekenntniss S. 413: „0 lieber Mensch! wer nicht will glauben den
Artikel im Abendmahl, wie will er doch immermehr glauben den Artikel von der
Menschheit und Grottheit Christi in Einer Person? Und flehtet dich an, dass du
den Leib Christi mündlich empfähest, wenn du das Brot vom Altar issest . . ., so
muss dich gewisslich viel mehr anfechten (sonderlich wenn das Stundlin kömpt), wo
die unendliche und unbegreifliche Gottheit, so allenthalben wesentlich ist und sein
muss, leiblich beschlossen und begriffen werde in der Menschheit und in der Jung-
frauen Leibe . . . Und wie ists müglich, dass du solltest glauben, wie allein der
Sohn sei Mensch worden, nicht der Vater noch hl. Geist, so doch die drei Personen
nichts Anderes sind, denn der einige Gott im allereinigsten "Wesen und Natur der
einigen Gottheit ... 0 wie sollen sie allererst recht schwärmen, taumeln und pol-
tern, wenn sie hierher kommen ! Da sollen sie zu deuten flnden ; wie ich denn höre,
dass sie Ijcreitan getrost und weidlich hinangehen mit Eutycherci und Nestorei,
Denn das dacht ich wohl, habe auch gesagt, sie müssten hierher kommen; der
Teufel kann nicht feiern, wo er eine Ketzerei stiftet, da muss er mehr stiften, und
bleibt kein Irrthum allcine. Wenn der Ring an einem Ort entzwei ist, so ist er
nicht mehr ein Ring, hält nicht mehr, und bricht immerfort. Und wenn sie gleich
viel rühmen, dass sie diesen Artikel von Christus Person glauben, und viel davon
plaudern, so sollt du es ihnen nicht glauben, sie lügen gewisslich alles, was sie hier-
von sagen . . . Der Türke rühmet auch den Namen Gottes, aber im Sterben finden
sie, wer ihr Gott sei. Denn gewiss ists, wer einen Artikel nicht recht glaubet oder
nicht will, der glaubt gewiss keinen mit Ernst . . . Darumb heissts, rund und rein,
ganz und Alles gegläul^t, oder Nichts geglaubt. Der hl. Geist lässt sich nicht trennen
noch theilen, dass er ein Stück sollt wahrhaftig, und das ander falsch
lehren oder glauben lasBcn."
758 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
Sacrament sei iiiul gegessen werde. Auch hier hat Luther hypothe-
tische Specuhitionen der Nouiinalisten aufgenommen ^ Der ganze
Christus ist in den Elementen; aher diese sind nicht transsubstanziirt;
auch sind die Elemente und Christus nicht vermischt ; auch liegen beide
nicht unverbunden und lose neben einander, sondern beide bleiben, was
sie sind, verschmelzen aber in ihren Idiomen so vollständig, wie in der
Menschwerdung Gottheit und Menschheit verschmelzen. So hat Luther
dem Melanchthon, als er zu den Verhandlungen mit Butzer (1534)
nach Kassel ging, die Instruction mitgeben können: „Dass wahrhaftig
in und mit dem Brot der Leib Christi gegessen wird, also dass Alles,
was das Brot wirket und leidet, der Leib (Christi wirke und leide, dass
er ausgetheilt, gegessen und mit den Zähnen zerbissen werde" '^, Das
Bedenkhchste dabei war, dass nach Luther zwar nur für den Genuss
Leib und Blut Christi im Abendmahl vorhanden war^, dass aber auch
der Ungläubige und Heide sie erhalten sollte. Damit war die katho-
lische Sacramentslehre mit ihrer Unterscheidung der „objectiven"
Bedeutung des Sacraments und der Heils Wirkung im Sacrament
wieder aufgerichtet. Zugleich aber war durch diese Zertrennung fac-
tisch der Glaube an die Wirksamkeit des Sacraments ex opere operato
wiederhergestellt. Dass dieser Glaube dann in dem späteren Luther-
thum die Wendung genommen hat, dass man sich auf das objective
Sacrament verliess, ist nicht zu verwundern. Andererseits wurde so das
mysterium tremeudum für den Glauben wieder aufgerichtet. Mochte
man leichtfertig oder mysterienängstlich werden — in beiden Fällen
war der ursprüngliche Gedanke der hl. Handlung und die evangelische
Betrachtung derselben verdunkelt.
Nur an einem Punkte bheb Luther selbst fest oder hat doch eine
ihm fremde Anschauung nur gestreift — in der Gewissheit, dass es sich
bei der ganzen Handlung nur um[Sündenv er gebung handelt^. Allein,
was er gestreift hat, haben Andere, wenn auch nicht gleich Anfangs,
stärker betont. Das ist nicht verwunderlich. Wenn es für diese Hand-
lung von fundamentaler Bedeutung sein soll, dass hier Christus nicht
» S. oben S. 494.
* Schon im „Bekenntniss" (1528) gab er den Gegnern Berengar's Recht
(XXX S. 297) : „Darumb thun die Schwärmer unrecht, sowohl als die Glosse im
geistlichen Recht, da sie den Papst Nicolaus strafen, dass er den Berengar hat ge-
drungen zu solcher Bekenntniss, dass er spricht: Er zudrücke und zureibe mit
seinen Zähnen den wahrhaftigen Leib Christi. AVollt Gott, alle Päpste hätten so
christlich in allen Stücken gehandelt."
' Daher kein Anbeten des Sacraments; s. die Schrift vom Jahre 1523.
* Auf Ansätze zu einer anderen Auffassung ist von Köstl in u. A. hingewiesen
worden; Loofs (S. 253) verweist auf Erlang. Ausg. XXX S. 93 f. 116 IV. 125. 141.
Schlussbetrachtung. 759
nur für den Glauben, sondern leibhaftig gegenwärtig ist, so muss solche
Gegenwart — das Empfangen des leibhaftigen Christus — auch eine
specifische Folge haben. Worin aber kann diese Folge anders ge-
funden werden, als in der Unverweslichkeit des Leibes Christi, dessen
Genuss unsere Leiber in geheimnissvoller Weise unverweslich macht,
oder in einer mystischen Vereinigung mit Christus, die noch etwas
Höheres ist als Sündenvergebung und Kindschaft?
Durch die Fassung, die Luther der Abendmahlslehre gegeben hat,
hat er es mit verschuldet, dass die spätere lutherische Kirche in ihrer
Christologie, in ihrer Sacramentslehre, in ihrem Doctrinarismus und
ihrem falschen Massstabe, mit dem sie abweichende Lehren mass und
für Ketzereien erklärte, eine kümmerliche Doublette zur katholischen
Kirche zu werden drohte. Dass diese Gefahr über dieser Kirche ge-
schwebt hat und noch immer nicht völlig gehoben ist, kann kein Ein-
sichtiger verkennen. Sieht man auf das Christenthum Luther's und
vergleicht es mit dem katholischen, so ist das, was sie trennt, die Wirk-
hchkeit; was sie verbindet, sind Worte. Blickt man aber auf die Ge-
stalt des Lutherthums, die sich seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts,
nicht ohne Schuld Luther's, vielfach ausgebildet hat, so muss man
sagen, dass es nur AVorte sind, die sie vom KathoHcismus trennen,
während die Wu'klichkeit sie verbindet; denn Katholicismus ist nicht
der Papst und nicht die Heiligenverehrung oder die Messe, sondern die
Lehre vom Sacrament, von der Busse und von dem Glauben und den
Glaubensautoritäten.
5. Schlussbetrachtung.
In den vorstehenden vier Abschnitten (S. 691 ff'.) ist der Versuch
gemacht, die Stellung Luther's zur katholischen Ueberlieferung und
zum alten Dogma so deutlich wie mögHcli zum Ausdruck zu bringen.
Nicht die Theologie Luther's in der Breite ihrer Entwickelung galt es
zu schildern, sondern der schwierigeren Aufgabe musste genügt wer-
den, die Bedeutung Luther's — und damit der Reformation — inner-
halb der Dogmengeschichte zum Ausdruck zu bringen. Es ist,
hoffe ich, gezeigt worden, dass Luther (die Reformation) ebenso einen
Ausgang der Dogmengeschichte bezeichnet wie in anderer Weise der
nachtridentinischc Katholicismus und der Socinianismus. An diesem
Urtheil kann das nicht irre machen, was im vierten Abschnitt ausgeführt
werden musste*, denn es ist gezeigt worden, dass die neue Betrach-
tung des Evangeliums bei Luther ein Ganzes bildet, und
dass die Elemente des Alten, die er beibehalten, zu diesem
Ganzen nicht stimmen, ja dass er auf allen den Punkten, wo
760 Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
er das Katholische bestehen gelassen, doch zugleich selbst
die Grundzüge eines Neubaus angegeben hat.
Dieses Ganze aber, welches er mit sicherer Hand entworfen, er-
hebt sich nicht nur über dieses oder jenes einzelne Dogma, sondern
über das dogmatische Christen thum überhaupt: Christen-
thum ist etwas Anderes als eine Sunnne tradirter Lehren. Christen-
thum ist nicht die biblische Theologie, nicht die Lehre der Concilien,
sondern die Gesinnung, die der Vater Jesu Christi durch das Evan-
gelium in den Herzen erweckt. Alle Autoritäten, welche das Dogma
begründen, sind niedergerissen — wie sollte sich da das Dogma als un-
fehlbare Lehre zu halten vermögen, was aber ist ein Dogma ohne Un-
fehlbarkeit? Die christliche Lehre bestellt nur für den Glauben zu
Recht — welchen Antheil kann an ihr die Philosophie dann noch
nehmen ? was aber ist das Dogma und das dogmatische Christenthum
ohne diese? Man kann freihch hier Luther wider Luther anrufen, aber
doch nur in derselben Weise, wie man wider Augustin, den Prädestina-
tianer, den Pelagianer Augustin zu erwecken vermag, und wie man jeden
Genius mit leichter Mühe tödten kann, wenn man ihm aus seinen Un-
vollkommenheiten und aus dem, was er mit seinem Zeitalter tlieilte,
einen Strick dreht. Die Dogmengeschichte macht bei Luther Halt.
Wer Luther Luther sein lässt und seine entscheidenden Sätze für das
Gut der evangelischen Kirchen hält — sie also nicht etwa nur propter
angustias temporum duldet — , der hat das hohe Recht und die strenge
Pflicht, mit ihm die Dogmengeschichte zu beschliessen K AVie kann es
im Protestantismus eine Dogmengeschichte geben nach Luther's Vor-
reden zum NT. und nach seinen grossen Reformationsschriften? Eine
Geschichte der Arbeit um das richtige Verständniss des Evangeliums
hat es gegeben, und diese Geschichte ist ungefähr 150 Jahre lang in
den Bahnen und Formen des alten Dogmas verlaufen. Aber was be-
deuten 150 Jahre für die Kirche! Die römische Kirche hat mehr als
300 Jahre gebraucht, um vorn Tridentinum zum Vaticanum zu gelangen,
und wie wenig war scheinbar doch schon um 1550 nöthig, um die vati-
* Mau darf innerhalb der umversalgeschichtlichen Betrachtung der Dogmen-
geschichte von Zwingli absehen. AVas von ihm gut gesagt ist, das hat er, wie
es Luther hat, und dass es bei ihm zur vollen Klarheit gekommen ist, ver-
dankt er Luther. Worin er von Luther abweicht, das gehört in die Geschichte der
protestantischen Theologie. Er hat im Einzelnen Manches heller auszudrückeu ver-
standen als Luther, und manche Negationen des Ueberlieferten sind von ihm sicherer
ausgeprägt. Aber er war nicht minder doctrinär als Luther, vielmehr war er es in
höherem Masse, und von seinen schönen humanistischen Erkenntnissen hat er nicht
immer einen vortheilhaften Gebrauch für die Glaubenslehre gemacht. Calvin aber
ist als Theologe ein Epigone Luther's.
Schlussbetrachtung. 761
kanische Formel zu erreichen ! Aber, wendet man uns ein, der Prote-
stantismus hat eine symbolbildende Epoche gehabt; in dieser hat er
seinen Glauben als Dogma zum Ausdruck gebracht ; also muss diese
Epoche mit in die Dogmengeschichte eingerechnet werden. Hieraufist
zu erwiedern: 1) alle lutherischen Symbole mit Ausnahme der Concor-
dienformel sind ursprünglich gar nicht als Symbole im Sinne der mass-
gebenden Lehrnorm gedacht, sondern erst in späterer Zeit zu Symbolen
erhoben worden, und zwar immer nur von einem Theile der lutherischen
Protestanten^, 2) nicht die lutherische Kirche hat sie zu Symbolen
gemacht, sondern das Reich (1555) und die Fürsten, letztere besonders
desshalb, um die Streitsucht der Theologen zu zügeln, 3) lutherische
Symbole, welche alle Lutheraner verbunden hätten, hat es so wenig je
gegeben wie reformirte Symbole, welche alle Reformirten zu einer Ein-
heit zusammenschlössen, 4) der Bruch mit der Symbolgläubigkeit inner-
halb des Protestantismus, wie er im 18. und 19. Jahrhundert erfolgt
ist, kann von Niemandem als ein Bruch mit der Reformation bezeichnet
werden und wird thatsächlich selbst von der modernen Orthodoxie
unserer Tage sehr milde beurtheilt, weil sie sich selbst zu weit von den
Symbolen entfernt hat^. Sind diese Sätze richtig^, so ist die „symbol-
bildende Epoche", in welcher die „lutherische Kirche^ ihren „defini-
tiven Willen" kundgegeben hat, eine fable convenue. „Diese lutheri-
sche Kirche hat als äusseres Ganzes überhaupt nie existirt, und die
Wortführer der strengsten »lutherischen Partei« waren gerade die
schlimmsten Feinde einer solchen Einigung gewesen. ... Es hat aber
immer nur ein wenn auch starker Bruchtheil der lutherischen Kirchen
sich um das Concordienbuch geschaart, und auch in diesem hat es zu-
nächst nur als Lehrgesetz der einzelnen Landeskirchen gegolten. Von
Symbolen »der lutherischen Kirche« zu reden, ist daher schon eine ge-
' In welchem Zwielicht erscheint die Augustana, wenn mau sie als Symbol
des Lutherthums betrachten muss; eine wie treffliche Urkunde aber ist sie, wenn
man sie als das würdij^t, was sie selbst allein sein will — eine Darle<^un*r gegenüber
den Gegnern, inwieweit man mit ihnen trotz der Neuerungen noch einig ist.
'^ Das sehliesst nicht aus, dass sie in ganz willkürlicher Weise dieses oder jenes
Stück aus den Symbolen, welches sie selbst noch festzuhalten glaubt, als äussere
Autorität ihren Gegnern vorhält, dabei aber regelmässig verschweigt, dass sie gar
nicht Willens ist, dies mit allen Stücken zw thun.
'Eine sehr lichtvfjlle Darstellung hat K. Müller in den i'reuss. .jahrl)b.
Bd. 63 H. 2 gegeben: „Die Symbole des Lutherthums". Verwiesen sei namentlich
auf die ausgezeichneten Scldussworte S. 14H IV. (irundlegend ist Ritsch Ts
Aljhandlung über die EntHichung der 1iii)i(irischen Kirche; (Ztsehr, für K. -Gesch. I,
S. 5J n, 11 S. 366 fl.j. Doch sind hier Jjuther und Melanchthon m. E. in eine zu
grosse Spannung gesetzt.
762
Die AuRgänge des Dogmas im Protestantismus.
schichtliche Unmöpjlichkeit." Aber wenn diese klare geschichtliche
Thatsache auch nicht zu Recht bestünde, so bliebe doch das Urtheil
wahr, dass die Epigonenzeit nicht die Zeit der klassischen Ausprägung
des evangelischen Gilaubens gewesen ist, sondern eine merkwürdige
Episode *. Wollte man anders urtheilen, so müsste man nicht nur das
18. und 19. Jahrhundert als die Zeit des Abfalls der Kirche von der
Reformation auflassen, sondern auch das Christenthum Luther's aus-
streichen ; denn dieses lässt sich nicht in die Schultheologie der Symbole
zwingen. xVlso ist nur die doppelte Möglichkeit gegeben, entweder die
Doginengeschichte mit der Reformation Luther's zu schliessen oder ihr
als zweiten Tlieil die Geschichte der protestantischen Theologie bis zur
Gegenwart beizugesellen. Aber dieser ungeheure Anhang wäre etwas
ganz Anderes als Dogmengeschichte, weil es sich in ihm zwar Anfangs
um etwas dem alten Dogma höchst Aehnliches zu handeln den Anschein
hätte, während sich im Portgang zeigen würde, dass es sich vielmehr
um das Verständniss des Evangeliums wider das Dogma handelt. Es
würde sich zeigen , dass auch der Pietismus und Rationalismus einen
nicht zu missenden Antheil an der Entwickelung dieses Verständnisses
gehabt haben, dass dasselbe durch Schleiermacher aufs kräftigste ge-
fördert worden und sogar innerhalb der pietistisch-confessionellen Re-
action des 19. Jahrhunderts in mancher Hinsicht gewachsen ist. Es
würde sich endlich zeigen, dass der geschmähteste Theologe des Zeit-
alters, Ritschi, in seiner Beschreibung des Evangeliums in kräftiger
Weise — wenn auch in den Schranken, die jeder Individualität anhaften
— den Ertrag der zweihundertjährigen Arbeit der evangelischen Theo-
* Müller, a. a. 0.: „Die Kirche der Reformation will nach dem Zeugniss ihrer
eigenen Väter zunächst nur eine religiöse Grösse sein, nicht eine rechtliche. Als
religiöse aber kann sie ihre Einheit nicht in äusseren Einrichtungen rechtlichen
Charakters verbürgt finden, sondern nur in dem eigenthümlichen religiösen Besitz,
der ihren Ursprung begründet und ihr ein für allemal die Richtung gewiesen hat.
Das aber kann niemals von einzelnen Schriften gelten, so hoch sie auch in der
Achtung der Gläubigen stehen mögen. Das gilt auf dem Boden der Reformation
lediglich von der durch jene und zahlreiche andere Schriften bezeugten Auffassung
des Christenthums, dem Evangelium. Dieses aber hat vor Allem durch Melanch-
thon's Eiufluss sein ursprünglich praktisch-religiöses Gepräge verloren und ist mit
den Mitteln einer religiös überwundenen Zeit zum Gegenstand theologisch-philo-
sophischen Erkennens gemacht, auseinandergerissen und theilweise entstellt worden.
Die Zeit der Epigonen wiederum hat, nicht ohne Schuld Melanchthon's selbst, diese
Stufe rasch abgeschlossen und in einem Entwickeluugsgang, der sich in der Ge-
schichte des Christenthums immer wiederholt, die Ergebnisse jener theologischen
Thätigkeit als Glaubensgesetz der Kirche der Reformation auferlegt," Aber diese
Kirche unterscheidet sich von der katholischen Kirche dadurch, dass sie die Fähig-
keit und die Mittel besitzt, das auferlegte Gesetz wieder abzuwerfen.
Schlussbetrachtung. 763
logie an dem Verstänclniss der Reformation und die Ergebnisse der
Kritik am doctrinären Luthertlium zum Ausdruck gebracht hat.
Das Evangelium ist in die Welt eingetreten nicht als eine Lehre,
sondern als eine frohe Botschaft und als eine Kraft des Geistes Gottes,
ursprünglich in den Formen des Judenthums. Es hat diese erstaun-
lich schnell abgestreift und hat sich verbunden und verschmolzen mit
der griechischen Wissenschaft, dem römischen Keich und der antiken
Kultur, als Gegengewicht dazu die Weltflucht und das Streben nach
dem übernatürlichen Leben, nach der Vergottung, ausbildend. Alles
dies war in dem alten Dogma und in dem dogmatischen Christenthum
zusammengefasst. Augustin hat dies dogmatische Gefüge in seinem
Werthe herabgesetzt, es einer reineren und lebendigeren Erfassung der
Rehgion dienstbar gemacht, aber in seinen Grundlagen und in seinem
Ziele schliesslich doch bestehen lassen. Nach seiner Anleitung hat im
Mittelalter seit dem IL Jahrhundert eine erstaunliche Arbeit begonnen :
die Rückschritte sind vielfach nur scheinbar oder werden doch aufge-
wogen durch grosse Fortschritte. Aber ein befriedigendes Ziel wird
nicht erreicht: neben dem Dogma und zum Theil wider dasselbe steht
eine praktische Frömmigkeit und eine religiöse Selbstbeurtheilung, die
vorwärts und rückwärts — zum Evangelium — zugleich weist, aber
immer mehr in Unruhe und Ermattung unterzugehen droht. Ein un-
heimlich mächtiges Kirchenthum ist auf dem Plan, welches die Gleich-
giltigen und Stumpfen längst schon besitzt und über die Mittel verfügt,
um die Unruhigen zu beschwichtigen und die Ermatteten einzusammeln.
Das Dogma erscheint erstarrt — elastisch nur in der Hand pohtischer
Priester — und in Sophisterei verwildert ^ der Glaube flüchtet sich aus
demselben und überlässt das alte Gefüge den Hütern der Kirche. Da
erschien Luther, um die „Lehre" wieder aufzurichten, zu der Niemand
mehr ein inneres Zutrauen hatte. Die Lehre aber, die er wieder auf-
richtete, war das Evangelium als eine frohe Botschaft und als eine
Kraft Gottes. Dass sie das sei, erhob er auch zum obersten, ja zum
einzigen Grundsatz der Theologie. Das Evangelium ist aus der hl.
Schrift zu ermitteln; die Kraft Gottes kann man nicht construiren, son-
dern muss sie erfahren; den Glauben an Gott als den Vater Jesu
Christi, der dieser Kraft entspricht, kann man nicht durch die Ver-
nunft oder die Autorität hervorlockcn, sondern muss ihn erleben : Alles,
was nicht aus dem Glauben geboren ist, ist der christlichen Religion und
desshalb auch der christlichen Theologie fremd, alle Philosophie sowohl
wie alle Askese. Matth. 11, 27 ist das Fundament des Glaubens und
der Theologie. Indem Luther diese Gedanken geltend machte, zerschlug
764
Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus.
er, der conservativste Mann, die alte Kirclie und setzte der Dogmen-
geschiehte ein Ziel. 8ie hat ihr Ziel an der Rückkehr zum Evangelium
erhalten. Nicht ein Fertiges hat er damit der Christenheit übergeben
sondern eine Aufgabe, aus manchen Hüllen zu entwickeln, in stetigem
Zusammenhang mit dem gesammten Leben des Geistes und mit der
socialen Lage der Menschheit zu behandeln, aber nur im Glauben selbst
zu lösen. Fortschreitend muss die Christenheit lernen, dass auch in
der Religion das Einfachste das Schwerste ist, und dass Alles, was die
Religion belastet, ihren Ernst abstumpft. Darum kann das Ziel aller
christlichen Arbeit, auch aller theologischen, nur das sein, immer
sicherer die Schlichtheit und den Ernst des Evangeliums zu erkennen,
um in der Gesinnung immer reiner und lebendiger, in der That
immer liebevoller und brüderlicher zu werden.
Sachregister
zum
I., II. und III. Band.
Aachen, Synode III, 258
271.
Abälard 23 m, 113 317
321 ff. 326 ff. 339 358 f.
421 447 45 1453 463 f. 527.
Abendländische Christolo-
ofie und Versöhnunors-
lehre II, 77, s. auch „Je-
sus" „Tod Christi" „Ter-
tullian", „Leol." etc. III,
341—358.
Abendländisches Christen-
thum in, 3 ff. 12 ff.
Abendmahl 55 59 f. 136 138
174 f. 178 ff. 189 225 264
289 301 386 f. 390 ff. 396
bis 400, s. Mysterien u. II,
421 f. 426— 441 453 ff. m,
42 141 ff. 189 238 240 ff.
260 275—287 333—341
433 462 475 488—498
597-600 680 722 743747
753—759.
Abercius 285 404 406.
Aberglauben 720 722 u.
sonst.
Abgar 135.
Ablässe in, 292 f. 413 504 f.
511 ff. 574 603 f.
Abraham 538 628.
Abschroibefohler II, 113.
Absolution, s. Busse.
Acceptanten III, 638.
A cceptatio III, 459 f. 554 ff.
Adam 262 264 268 500 f.
504 fr. 515 518 520 522
698 ir. 74 3 f. II, 137 f. 146 f.
171 25r, 289 304 315(1'.
329 331 336 TU, 44 f. 53
' 177 f. 193 ff. 208 221 f.
544 f. 548 ff. 607 672 71 3 f.
Adamantius (Pseudo-Ori-
genes, s. dort) 226 ff. 483
521 696.
Adelmann von Brixen III,
339.
Adiaphoriten II, 390.
Adoptianer und -ismus 104
160 — 65 passim. ; 167
615ff. 621 ff. (röm.) 648
653 658 664 667 704 II,
14 183 f. 187 199 217 f.
242 410 m, 48 f. 248 ff.
305 333 451 f. 664 667 689.
Adoptianische Christolo-
o-ie, alte 70 f. 91 154 f. 160
bis 168 263 f. 515 f. 597
608 615 — 648 passim.
Ad sanctam Petri sedem,
Bulle in, 635 f.
Aedesius 732.
Aegidius III, 436.
Aegypterevangelium92 166
216 307 402 679.
Aegyptische Gemeinden
131 248 305 366 402 529f.
Aemter Christi, drei III,
677 ff.
Aeneas von Paris III, 274.
Aeonen, cf. Gnostiker § 6
S. 188 208 219 f. 228 480
490 497 61 1659 665 742 f.
II, 123 126 f. 444.
Aequiprobabilismus III,
644 646.
Aerius II, 69.
Aeschines (Montanist) 650.
Ao:tiusII,118186f.l95 219
245 247 f. 250 f. 428 464
III, 154.
Aötius V. Lydda II, 184.
Aftermystik 111, 640.
Afrikanische Kirche, s. Car-
thago.
Agapen 396.
Agapetll, 393.
Agutlio686 11, 31 39 408 ff.
Agelius II, 273.
a-^v^-ri^zrjr n. f/.'(irrr^xfjc II,
192 f.
Agnoöten II, 389f. 402 III,
259.
Agobard III, 246, 261 273 f.
Agricola III, 571 750.
Akacius von Antiochien II,
236 246 f. 250 f. 261.
Akacius v. Konstantinopel
II, 379 ff:
Akephaler II, 387.
Akoimeten II, 382.
Aktisketen II, 390.
Alarich III, 158.
Albertus Magnus III, 313
374 449 454 470 481 488
497 514 548.
Albingcnser III, 370 408.
Alcuin in, 245 f. 253f. 257ff.
270 ff. 272 f. 277 451 574
731.
Alexander II., Papst III,
307 309.
Alexander III., Papst III,
307 311 401 451 464.
Alexander VII., Papst III,
548 f. 635 f. 643 f.
Alexander VIIL, Papst III,
620 644 646.
AlexanderHalesius III, 454
477 478 480 f. 492 499
502 f. 505 507 514 f.
Alexander von Aclia 550.
Alexander v. Abonoteichos
202.
Alexander von Alexandrien
470 645 689 704 707 II,
50 72 188 ff. 192 f. 200 ff.
207 210 225 229 303 450.
Alexander von Jerusalem
386 549.
Alexander von Konstanti-
nopel 707 II, 190 235.
Alexander Severus 412.
A h^xander (Valentinianei-),
204 509 706.
AlexaTidrien, Patriarcliat
11, 99 100 102 ff. 341 f.
348 ff. 358 362 364 f. 376
377 379 ff. 473.
7fi6
Sachropister.
Alexaiulrien, Synoden TI,
189 254 tr. 259 280 284
319 344.
AU'xumlrincu", claistlicho
HO 213 258 281 iV. 287
299 iV. 319 f. 322 332 f.
401 f. 410 485 512 517
529 f. 549 ()09 <)27 «45 «85
II, 34 78 84 90 121 144
1«2 1«9 302 33311". 3«2
und das 9. Cai)itel 397
401f. 423ir. in, 72.
Alexandriuische Katcche-
tensdiule 547—59 «87
691 706.
Alexandrinisnuis, jüdischer
50ir.91 93 tr. 107128 130
187 f. 418.
Aloer von Lüttich III, 339.
Alkibiades, Confessor 366.
Alkibiades, Elkesait 261
267.
Alle^oristik 86 f. 187 ff.
217 f. 227 309 325 f. 483 ff.
529 f. 721 II, 75 f.
Allffeoenwart (iottcs 577 u,
passim.
Allmacht Gottes 577 710 u.
passim.
Allwissenheit Gottes 710 u.
passim.
Almosen 388 f. III, 189
206 291 510 f. 546.
Aloger 164 307 359 365 402
529 549 612 616 ff. 656.
Altar II, 450.
Altercatio (Jasonis) 159
162 f.
Altersbeweis, s. Weissa-
gungsbeweis.
Alterthum , Begriff des
kirchlichen II, 96.
Altes Testament 39 f. 70 f.
76 f. 86f. 93f. 100 129 f.
132 136 140 143 145 bis
149 154 157 166 f. 169
187ff. 191ff.205ff. 209f.
215 218f.223 228ff.241f.
244 f. 248 ff. 252 259 f.
262 268 30O 304 ff. 321 f.
332 385 413—64 passim.
464f. 531 ff. 554 574 627
III, 291; s. auch Schrift,
heilige.
Altes Testament, deutero-
kanonische Theile 95 1 75,
Altes Testament, Versuche
eines christlichen 100 f.
327.
Alttestamentliche Sacra-
mente III, 470.
Alvar III, 261.
Alvarus Pelagius ITI, 398.
Al^'pius 632 HI, 48.
Amalrich v. Bena 111, 407
444.
Amandus, Biscliof, II, 40«.
And)rosiaster «73111, 44ff,
Andjrosius 199 375 4«9
525 «73 II, 10 12 321. «7
79 100 122 13« 138 174
178 ff. 2«3 2ö9 f. 272 274
297 308 342 f. 359 390
448 451 III, 25—30 43
bis 46 48 f. 51 171 211
252 284 355.
Amelius 727 730.
Ammonius Sakkas 108 681
727 733.
AmoloIII, 265f.
Anacletll., Papst, ITI, 407.
A nastasius, Kaiser,II, 38() f.
Anastasius, Papst II, 473.
Anastasius, Prcsb. II, 339.
Anastasius Sinaita 699 II,
133 400 438.
Anatolius von Konstantino-
pel II, 364 367 f. 369 f.
377 f.
Anaxagoras ITT, 172.
Anaximander ITT, 172.
Anaximcnes III, 172.
Ancyra , Synode 379 II,
247 f. 260 f.
Angelsachsen III, 245 247
290 386.
Anicet 409.
Anomöer245ff. 248 ff.
Anselm II, 164178111,317
321 324f. 330 333 339 341
bis 358 384 422 425 443 f.
446 f. 450 f. 453 ff. 460
527 547 548 f. 551 558.
Anselm v. Lucca III, 309
392.
Anthimus vonKonstantino-
pel II, 393.
Anthropologie IT, 129 ff.
Anthropomorphismus 487
576 II, 76 f. 122 204
471 ff.
Antichrist 140 527 f. II, 66
200 III, 235.
AntignostischeLehre 534 ff.
627.
Antilegomena 321 324 IT,
74.
Antinomismus 224 f.
Antiochenische Schule und
Theologie IT, 29 34 f. 36
65 69 76 ff. 82 f. 84 90
125 138 151 ff. 165 169 f.
181 184 ff. 224 312 320
325 ff. 342 f. 34« f. 369
376 385 394 ff. 397 f. 401 f.
423 f. 475 f. 478 111, 24.
A ntiochenische Synd)()lell,
228 236 f. 239 241 ff. 248
278.
Antiochcnisches Schisma
IT, 101 255 260 262.
Antiochien, (lemeindo und
Patriarchat 319 381 402
412 637 11,99 103 f. 349
377 474 f.
Antiochien , Schule 627
646.
Antiochien, Synoden 687
II, 93 98 106 183 186
228f. 234 23«ff. 241 247
25« 2«1 ff. 284 319 III,
169.
Antithesen 230 243.
Antitrinitarier der Refor-
mationszeit III, 573 653
bis 668 669 ff. 698.
Antonius, Mönch, IT, 8 24
449 ITT, 234.
Apelles217f. 219 f. 221223
227 ff. 350 483.
Aphraates 131 287 303 f.
647 696 IT, 231.
Aphtharkodoketismus 222
IT, 337 388 f. 394 400 429
438.
Apokalypse Johannis 72
87 f. 91 138 148 163 251
312 355f. 365 525ff. 529
618 672 697 704 IT, 65
72f. 75ITT, 137 f. 582.
Apokalypse Petri 87 139.
Apokalypsen 87 f. 100 129
132 139 f. 144 f. 150 203
304f. 318 f. 327 527 530.
Apokalyptische Hoffnun-
gen 68 87 f. 139 ff. 187 f.
III, 387, s. auch Chilias-
mus u. Propheten.
Apokatastasis 506 II, 65 67
165 IIT, 661 663.
Apokryphe Apostelgesch.
136 164 203 215 263
267 ff. 313 342.
Apokryphe Evangelien 133
164 203.
Apokryphen II, 75 441 III,
593.
Apollinaris v. Hierapolis
315 IT, 96.
Apollinaris von Laodicea
«33 TT, 20 28 33 4« t)2 «5
79 9« 1«9 173 21« 232
255 259 2«2 285 289 f.
Sachregister.
767
308 310 312—324 u. im
9. Cap. häufig 411 414
429 467 471 482 III, 85.
ApoUinaristen II, 64 97
312 319 f. 333 338 392
III, 115.
Apollonius V. Tyana 104.
Apologeten 110 110 141
146 150 156 158 277 ff.
280 f. 284 298 379 413
bis 464 464 ff. 476 f. 494
498 504 518 610 II, 14
27 53 83 88 140 164 208
221 237 287.
Apostel 86 120 123 132 bis
137 154182f.215f.237f.
242 288 f 293—303 304
bis 328 ß. 339 ff. 345 ff.
357 f. 362 366 394 574 f
609.
Apostelgeschichte 52 134
251 f. 269 307 312 ff. 609.
Apostellegenden 11, 88 f
443.
Apostelstühle II, 95 97 ff.
Apostelwort 132 314 327.
Apostoliker III, 300.
Apostol. Constit. 156 249
288 304 320 332 384 f.
391 393 402 f. 533 II, 9
88 f. 91 112 128 138 141
259 276 423 f. 434.
Apostol. Glaubensregel, s.
Glaubensregel.
Apostol. Kanones II, 6 88 f.
Apostol. Kirchenordnung
92 156 391.
Apostol. Leben III, 365 f
Ay)Ostol. Schriften, s. Neues
Testament.
Apostol. Succession 184
273 f. 288 328— 49 402 f
Jl, 91 ff. 107 109 III,
135.
A^jostol. Symbol, s. Römi-
sches Symbol u. II, 87
300 III, 23 47 f 218 438
571.
Apostol .Trad ition , s. Trad i-
tion und I F, 3 5 f 27 72
84 ff. 88 rr.
Apostol. Väter, bes. Ihich
1,0. 1-3 278 f. 354 419.
Apostol. Zfätalter 66 f. 617
II, 91 f. 113.
Appellant(!n III, 638.
Apf)ulejus 177.
Acjuaviva III, 633.
Afjuileja, Stuhl von II, 399.
Aquilfja, Symbol II, 66.
Aquileja, Synode II, 263.
Araber II, 52 454 III,
251 ff.
Arabien, Christen 249.
Archelaus -Akten 161 163
287 647 696 740 ff.
Arethas 471.
Arianer 613 646 681 II, 28
33 76f 97 114 118 148
184—224 225 ft; 232 f.
238 ff. 245 ff. 264 269 271
bis 274 278 f. 286 292
298 f. 310 312 f. 321449
451 464 f. III, 85 667 673
689.
Aristides87 134f. 173 420
454 498 511 II, 450.
Aristo v.Pella 254 f 257.
Aristoteles 201 205 439 643
652f.719ff. 72711,30 37
40 52 61 115 f. 118 123
153 156 170 186 f. 223
245 259 285 289 f 294
312 315 319 325—333
383 f. 386 391 411 f. 435
439 461 464f. 470 476 ff.
481 III, 8 10 30 f. 95 f
154 172 318 ff. 322 324 f.
328f. 403 420 ff. 429 431
435 f. 444 446 473 531 f
542 f. 555 566 573 656
694.
Arius, Arianismus 645 f.
689 f. II, 22 f. 118 162
184 ff. 188—224 225 ff.
230f.234f. 258278 309 ff.
318 340 III, 251.
Arles, Synoden 379 410 IT,
92 94 244 III, 35 f. 226
252.
Arme , Bezeichnung der
Christen 255.
Armenier II, 113.
Armenunterstützung 174 f.
178 f.
Arminianer III, 654 690.
Armuth , franciskanische
III, 364ff. 371f.
Amauld III, 643.
A rnobius 287 427 653 670 if.
II, 116 III, 19.
Arnobius der Jüngere III,
227.
Arnold, Gottfried 25 IIT,
659.
Arsinoe 530.
Artemas 621 630 f. II, 201
331.
Artemoniten 161 631 658.
Articuli mixti III, 423.
Ascf'nsio.Iesaiaf'87 131 135
155 173.
Asclepiodotus 624 f. 733.
Asiatische Kirchen III, 42,
Asiatische Religionen 192.
Askese 60 98 102 122 f. 143
175 184 194ff. 200f. 208
214 224 f. 234 f 236 f.
357 f. 378 387 703 735
738 744ff.,s.Mönchthum
III, 297 ff.
Askusnages II, 290.
Associationswesen, griech.-
röm. 105.
Assumptio Mosis 87 89
139.
Asterius II, 184 200 232
237.
Astrologie 193 f.
Asturier III, 252.
Athanasianum II, 298 ff.
318 III, 270 695.
Athanasius 157 309 470 583
610 643 666 674 f. 678
680 682 684 ff. 689 704
709 718 II, 21—28 31
41 f. 43 f 46 f. 52 f. 60
63 f. 70 f. 75 77 83 93 96
97 f. 106 116 ff. 125 128
131146— 149 158 ff. 167 f.
170 f 172 f. 175 192 ff.
204— 272 279 ff. 283 286 f
292 298ff. 302 309ff. 312
327 333 f. 346 348 f. 359
375 416 422 431 433 450
464 ff. 481 f. III, 5 342
355 695 702.
Athanasius, arianischer Bi-
schof II, 184 197.
Athen 732, s. Hellenismus.
Schule V. Athen II, 36 ff.
397.
Athenagoras 167 278 413
bis 464 427 ff. 726.
Atomtheorie 687.
Atticus III, 170.
Attritio III, 482 502 ff.
511ff. 554 601614 643ff.
Auferstehung Christi 60
73 ff. 137 169ff. 623 671
690 715.
Auferstehung des Fleisches
(s. auch [ewiges] Leben)
74 f. 131 140 f. 151 f. 223
232 292 397 408 428 451 f
531 572 60U". 718 731
735 11, 44 f. 62 65 129 ff.
143.
Augustana ITT, 477 483 571
583 r. 589 695 708 75 1761.
Augustin 7rr. 116 128 219
308 343 353 389 393 502
572 ()32f. 674 680 724
768
Saclirogistpr.
733 7:J5f. 741 f. 74« 750
11,7 9t'. laült*. 3:M7r)4
♦;2 tUit". 71 741*. 7*) HO IV.
«4 88 91 93 f. 98 r. 100
104 1051" llHtr. 119— 22
125 132—137 1441". 152
174 178iV. 291 294—300
308 3421". 344 310 300
421 427 447 11.111, 3 bis
2 1 5 21 0—244 244tV.248ir.
20 ItV. 27 1273 2771V. 28311'.
293 300 301 IV. 305 309 31 2
319 3221. 333 337 f. 3411".
345 355 357 376 378 382
393 401 f. 405 IV. 424 iV.
434 iV. 439 ir. 443 f. 447
450f.454 401 4621V. (vgl.
die ganze Sacrameuts-
lehrc) 524—562 565 1'.
5691'. 574 576f. 5901'. 605tV.
628-640 646 672 701 f.
722 731 1". 760.
Auoustin, Missionar III,
243.
AujL»ustinorEremitonschule
in, 436.
Au^ustinisnius, Kritik des
in, 196 f.
Auoustinus Triumplius IJI,
394 398.
Aurelian, Kaiser 412 637.
Aurelius von Karthago III,
158.
xAutoritätu.Yernunfti.MA.
III, 15 f. 70 ff. 171 ff. 246
321 ff. 422ff.4291".433 530f.
Autoritäten (in d. ersten
beiden Jahrh.) 86 119
129—37.
Auxentius II, 249 262.
Averrlioes 11 1, 420 444.
Avicenna III, 420.
Avignon, Schisma III, 388.
Avitus V. Vienne III, 230.
Babylonische Mytliologie
206 f. 209.
Eajus III, 628 ff. 634.
Bafiez III, 632.
Bardesanes u. -saniten 191
197 204 549 706 741 II,
183.
Barnabasl)rief 87 92 100
121 125ff. 130— 73 17411'.
188 192 253 f. 3041'. 312
321 323 5311". 716.
Bartholomäus de Medina
III, 642 ff.
Baruchapokalypse 88 139.
Basel, Concil III, 308 3991'.
411 561.
Basilidea u. Sehule 161 197
200 ff. 204 2111V. 2151'.
2191V. 225 598 706 72()1".
748 II, 117 III, 382.
BasiliskuB II, 379.
Biisiliiisd. (Jr. ()13 676 680
684 693 II, 15 63 90 102
169 25511". 2591'. 26111'.
272 278 2811'. 284 319
321 433 461 111,28.
Basilius von Aneyra 1 1, 216
2481'. 2531". 256 269 284
289.
Bauer, Bruno 48.
Baumgarten- Crusius 30.
Baur, V. Cln-. 32 46 682.
Bautain III, ()47.
Beatus III, 253 256 f. 260.
Beda III. 244 247 258 277.
rieghardenIII,373.
Beichte, s. Busse.
Bekenntniss, Anlange dess.
69 12911'. 275 f. 288—303
314 605.
Bellarmin 24 III, 308 625
628 632.
Belletristik, christliclie 203
II, 444.
Benedict XIII., Papst III,
638.
Benedict XIV., Papst III,
511 638 f.
Benedict von Aniane III,
258.
Benedictionen III, 604.
Berengar III, 320 f. 323
333 ff. 494.
Bernhard III, 9 213 301 ff.
317 321 360f. 378ff. 461
463 f. 467 527 559 561 f.
575 702 731.
Bernhard Primus III, 370.
Beröa 256.
Berufung 144.
Beryll v. Bosta 634 ff.
Berytus, Synode von 11,
363.
Beschneidung 93 148 f 255
262f. 268 II, 422 III,
470.
Bettelorden III , 364 ff.
386f. 397 4021.414 420 f.
Bibelübersetzung III, 413.
Bibelverbot III,' 462.
Bibliothek, theol. 550.
Biel, Gabriel III, 434 4611.
467 469 484.
Bilderdienst II, 42 f. 415
417 f. 420 441 4^16 452
bis 462 481 III, 252 261
271 fV. 275 413 561 603.
Bildersturm u. -streit 42 f.
3521'. 405 4101'. 450 452
bis 462 111, 2711V. 275.
Bischöfe 178 182 ff. 205 214
226 276 288 328—33 339
344 50 363 f. 368 ff.
3711V. 378 ff. 3841'. 4021'.
409 II, 911'. 112f. 4231.
111, 351". 487 f. 509 520
521 f. 546 ()02 617 IT. 649 f.
()88.
Bischofslisten 331 402.
Bithynien, Synode von 11,
190.
Blandratalll, 665f.
Böhme III, 662.
Böhmen, s. Tschechen.
B<)se u. Gut, das Problem
des 570 f. 588 742 II,
129 f. III, 10411'.
ßoethius 734 III, 30 f. 218
319 3231'.
Bogomilen 751 II, 69 III,
300.
Bologna III, 311.
Bonald III, 621.
Bonaventura III, 374 380
385 429 449 468 470 480
491 ff. 503 505 507 523 f.
548 ff. 552 559.
Bonifatius, Apostel III,
247 310.
Bonifatius I., Papst III,
168.
Bonifatius II., Papst III,
230 232.
Bonifatius VIII., Papst III,
395 f. 401.
Bonizo III, 309.
Bonosus II, 451 III, 252.
Borromeo III, 616.
Bossuet III, 61 9 f. 640.
Bradwardina III, 436 f, 550
553 f. 556.
Bräutigam u. Braut 525 II,
11 f.^ III, 9 25 29 303 ff.
Brüder vom gemeinsamen
Leben III, 377.
Brüder v. neuen u. freien
Geist III, 408.
Brenz III, 756.
Buchstabe der, hl. Schrift
II, 76 f. 443 744 f.
Buddhisnuis 63 587 744 748.
Bulgarei, Bulgaren III, 300
408.
Bund Gottes 535 ff.
Busse inul Eutsühnung,
griech. 102 f.
Busse, Bussdiscipliu und
Busssacrament 54 561".
Sachregister.
769
122 170f. 367—78 392f.
672 II, 177 f. III, 33 f.
37 146 206 f. 236 f. 240 f.
283 287—295 340 ff. 379
349 407 464 480 484 498
bis 519 600ff. 614 640 ff.
723 747 749.
Bussprediger III, 386 f.
Butzer III, 758.
Cäcilian III, 35.
Cälestin, Papst II, 102
340ff. III, 169 224.
Caelestius u. Caelestianer
in, 154f. 158 ff. 161 bis
183 228.
Cäsarea, Symbol 11, 226 f.
239, Synode II, 234.
Caesarius v. Arles III,
230 ff.
Cajetanlll, 399f. 516 553.
Cajus 409 529.
Calixt331f. 337 f. 345 349
354 368 ff. 372 374 403
409 f. 654 ff. 663 ff. 667
679 685 II, 297 III, 36
52 132.
Calixt V. Helmstädt 26 III,
692.
Calvin III, 147 196 287 574
654 f. 659 665 f. 669 685
698 756 760.
Campanus III, 663.
Capreolus, Bischof 11, 345.
CapreoluSjScholastiker III,
430.
Capua, Synode III, 253.
Carthago 287 300 329 337
345 ff. 360 ff. 363 380 402
408 f. III, 34 Synoden II,
7174 450111, 158 163 ff.
Cassian III, 154 220 ff.
226 ff".
Cassiodorius 11, 32 72 III,
27 218.
Casuistik III, 421 431 f. 435
551 ff'.
Catechismus v. Rakau, s.
Rakauer Cat.
Catechismus Luther's III,
391.
Catechismus Romanus III,
596 618 628.
Causalität Gottes 576 und
sonst.
Celsus 105 107 122 f. 150
159 162 f. 165 173 190
198 202 222 232 240 255
259 336 41 9 f. 422 560 f.
566 — 604 passim. 609
620 11, 468.
Cerdo209f. 212 227ff.
Ceremonien (s. Gesetz)
173ff. 248f. 250f. 414 f.
Cerinth 139 208 f. 259 f.
616ff.
Chalcedonensische Formel
511 f. Synode u. Symbol
II, 34 f. 86 94 99—101
337 352 353 f. 364 f. 367
bis 378 378— 401402406
407f. 410 477 482 III, 743.
Chaldäismus 738.
Charakter indelebilis III,
142 f. 471 f. 522 596.
Charisius II, 284.
Charisma (s. Propheten u.
§ 3 5 S. 123 182 365f.
466 619 680).
Chateaubriand III, 621.
Chemnitz, Martin III, 306
625.
Cherubim II, 443.
Chiersey, Synoden III, 264
267 f. 292 342.
Chiliasmus 139 ff. 248 f. 292
365f. 525ff. 612 635 671
687 704 II, 65 f. 317 467
471 III, 214.
Chrisma, s. Confirmation.
Christen, ausserh. d. Gem.
126.
Christenheit , zwei geogr.
Hälften 400.
Christenthum 64 ff. 125
552 ff. 563 593 692 699
734 747 f. u. sonst.
Christenthum zweiter Ord-
nung II, 7 f. 13 f. 441 ff.
Christine v. Schweden III,
692.
Christologieen (Anfänge
der)66ff. 69ff. 81f. 87 fr.
112 114 130f. 153—73
208 214 f. 220 ff. 231 f.
235 f. 262 264 357 422 ff.
454 ff'. 469 598 632 633
l>is 648 664 670 f. 679
s. Jesus.
Christologieen, philos. 604
bis 610fr. 674—709, s.
Jesus.
Christus 154 f, s. Jesus.
Chronik, Bücher der II, 70.
Chrysantius 732.
Chrysaphius II, 356.
(Jhrysostomus 137 II, 11
34 50 60 73 76 78 82 90
91 98 102 Ulf. 153 170
176 326 340 360 423
436n'.473f.475f481111,
171.
Harnack, Doj^Mi^HSchicIitf; [ll.
Cicero 441 III, 20 44 156
172.
Cilicische Synode III, 169.
Claudius von Turin III, 273.
Clemange III, 412.
ClemensVI., Papst III, 516.
Clemens IX., Papst III,
636.
Clemens XI., Papst III,
636 ff.
Clemens v. Alex. 116 132
135 f. 155 164 174 191
197 200 ff. 220 224 228
248 250 281 f. 299—303
306 308 315 320—324
332 ff. 336 f. 340 ff. 343
384 386 394 f. 398 402
470 476 547—59 564 ff.
576 578 f. 582—604 650
679 693 752 II, 56 67
89 97 112 127 f. 142 144
161 f. 171 282 332 388
418 423.
Clemens u. erster Clemens-
brief 87 100 121 125 f.
130—73 178—84 305 f.
312 321 323 383 403 f.
716 II, 73 127 III, 13.
Clemensbrief, zweiter 87 92
127 129—73 175 ff. 188
304 f. 307 334 342 387
525 679 714 716.
Clerus, s. Priester.
Clichy, Synode III, 252.
Clugny III, 245 296 ff. 310 f.
Coelestis Pastor, Bulle III,
640.
Colosserbrief, Irrlehrer
208 f. 259 f.
Coluccio Salutato III, 407.
Colluthus II, 188.
Commemorationen II, 427f.
Commodian 287 453 477
526 533 669ff. III, 22 24
44 f.
Communio sanetorum III,
218
Conciiien II, 8 31 85 89
92 ff'. 96 97 f. 104 f. 108
456 481 III, passim., s.
Basel, Constanz etc. 567
571 ff. 619 f. 626.
Conciiien, Zählung III,
308.
Concomitanz III, 493 f.
Concordate III, 399 621
623.
Concordienformel III, 582
585 f. 761.
Concupiscenz 699 ITI, 1 75fl".
190 IT. 4 84 f. 544 f. 607 f.
49
770
Sachregister.
Confirmatlon 225 394 f. TT,
421 434111, 4(>3471 4871'.
597.
Congregatio tle auxiliis III,
«32.
(Konservativismus d. Theo-
logen U, 19f.
OousiUa, 8. Sittlichkeit dop-
pelte.
Konstantin etc. s. Konstan-
tin etc.
Consubstantiatio ITT, 339
491 f.
Oontarini TH, 553.
Conventikel 12« 212.
Copula carnalis TTT, 523 f.
Cordova IIT, 253.
Cornelius Mussus TTT, 625.
Cornelius v. Rom' 372 377
379 411.
Creatianismus TT, 1321".
Creatur 710 u. sonst.
Cultische Stücke 138.
Cultische Reinheit 385.
Cultus, s. Gottesdienst.
Cum occasione, Bulle TTT,
635.
Curialismus, s.Papst, Römi-
scher Bischof u. ITT, 566ff.
571 ff. 578 ff. 580 f. 617
bis 623.
Cyniker 107.
Cyprian 159 176 28G f. 303 f.
331ff.345— 53369— 78ff.
384fl'. 387—97 403 410 ff.
469 493 506 524 526 542
668 f. 672 TT, 90—92 98
100 106 109 177f. 346
421 427 440 IH, 5 22ff.
34 ff. 38 ff. 94 127 f. 234
241 288 401 625.
Cyprian, Schüler des Cä-
sarius TTT, 230.
Cyriacus TT, 479.
Cyrill V. Alex. 608 703 n,
20 36 f. 62 64 76 83 f. 90
93 96 98 102 Ulf. 169
172 176 292 310 333 bis
348 349 f. u. sonst passim
im 9. Cap. 401 404 412
427 438449 451 477 481 f.
TTT, 116 169 250 258 280
451 695.
Cyrill von Jerusalem IT, 12
14 44 50 54 f. 60 61 f. 66
70 83 f. 86 f. 90 f. 109 ff:
117 119 143 172f. 175
243 266 ff. 271 326 416
434 448 465.
Cyrillus Lucaris TT, 71 293.
Cyrus V. Alex. IT, 63 403.
Daches von Berenike TT,
184.
Dämonen 151 ff. 158 205
289 425 429 431 434 f.
441 ff. 452 f. 458 587 ff
591 743 f. II, 7 f. 125 f.
127 138 158 4431.
Damascius 733.
Damasus II, 14 33 101 262
264f. 271 f. 284 3191: 111,
53.
Damian, Patriarch IT, 290.
Daniel 139.
Dante III 401 411.
David V. Augsburg TTT, 375
388.
David V. Dinanto TTT, 444.
Davidis, Franz ITT, 667.
Davidssohnschaft 131 165
173.
Decius 380 412 III, 341.
Decretalcn IIT, 308 f. 393 ff.
404 f.
Deisten, englische 25.
Dekalog 149 531 534 536
II, 140 f.
Demetrius v. Alex. 386.
Demiurg 208 ff. 218 220
480 ff.
Demokrit HI, 172.
Demophilus IT, 305.
DenckITI, 662f. 692.
Denis 572.
Deusdedit ITT, 309 392.
Deutsche Theologie, Buch,
ITT, 381 384.
Deutschland und der Pro-
testantismus III, 692 f.
Diakonen 178 182f. 412IIT,
522 688.
Dialektik u. Dogma IT, 63 f.
IIT, 320 ff.
Didache 51 126ff. 130—73
174—184 186 202 212
244f.290f. 298 307 321f.
334 357 383 385 525 III,
324.
Didymus 357 f. IT, 74 79
166 282 337 406 448 466.
Dimöriten IT, 168.
Diodor IT, 78 116 325 f.
348.
Diognet 104 155.
Dionysius Alex. 213248303
351 366 376 f. 385 397
401 410 635 637 674 676
681—88 691 ff. IT, 218
221 223 229.
Dionysius Areopagita 110
IT, 37 46 112 118 123 f.
126f. 128 167 f. 387 391 f.
401 421 426 437 f. 448
453 461 469 ff. 477 480 f.
III, 30 244 247 316 318
376 378 382 443 f 449
4(i3 488.
Dionysius Exiguus III, 310.
Dionysius v. Korinth 132 f.
285 293 f. 311 365 368 f.
404 f. IT, 63.
Dionysius v. Mailand II,
244.
Dionysius v. Rom 410 668 f.
681—88 IT, 221 223 229
282 297.
Dioskur 348—378 407.
Diospolis, Synode TTT, 153
159 161 f.
Disciplin, apostolische II,
b8f.
Disposition für d. Sacra-
ment u. die Gnade ITT,
460 479 ff. 536 ir. 555.
Ditheismus 686.
Dogma, Begriff, Aufgabe.
Factoren des 3 ff. 14 tt.
Dogma u. (bibl.) Theologie
10 ff. 45 f.
Dogma u. Philosophie 15 ff.
734—37 ITT, 322 ff.
Dogma u. Abendland ITT,
4ff.92ff. 153161162166
170214f.233 270f.309ff.
31 7 ff. 341 363 373 f. 390
416 418 422 435 441 f.
566 ff. 569 ff. 571 574 ff.
578 f. 580 ff. 647 652 ff.
bis z. Schluss d. Werkes,
bes. 692—700 741 f..
Dogma u. Morgenland IT,
3—68 462 ff.
Dogma u. Protestantismus
4ff. 24ff. TTT, 691 ff.
Dogmatik 204 275 280 ff".
325 382 439 ff. 460 463
478 f. 553 f. 559 562 611
652 659 672 708 f. 717
734— 37 Tic. 2u. 11 ITT
c. 1 2 c. 3S. 84 ff:
Dogmen 191 280 418.
Dog-matik, lutherische ITT,
739 ff.
Dogmengeschichte, Begriff'
und Geschichte der 3 ff'.
22ff*. 558 f. 603 f. IIT, 4 ff'.
192.
Doketismus , gnostischer
218 220 f. 236 508 ff". 595
618.
Doketisches auch TT, 302 ff".
u. sonst z.B. 414 429 441.
Doketisnms, naiver 164201 .
Sachregister.
771
Dominikaner ITI, 370 372
398 430 434 560 f. 631 f.
640 f.
Domitian 159.
Domnus Antioch. II, 356
363.
Donatismus 373 380 II, 99
101 106 111 III, 35 ff.
127 ft: 145 407 519.
Doppelte Wahrheit III, 429.
Dorotheus II, 78 184 326.
Dortrechter Beschlüsse III,
585 f.
Dositheus 207.
Dotes ecclesiae III, 41 f.
Dreicapitelstreit II, 394 ff.
477—480 III, 253.
Dualismus 151 f. 569 ff 697
720 f. 742 II, 132 f. 204
441 444.
Duns Scotus u. scotistische
Mystik u. Theologie HI,
111313 383f.429ff. 433f.
444 ff. 447 449 ff. 452
459 ff. 468 f. 470 477 478 f.
481 f. 483 f. 489 491 ff.
502f. 506 f. 522 547—58
560 562 607 655.
Durandus, Scholastiker III,
429 f. 502 524.
Durandus von Hueska III,
370 395.
Durandus v, Troanne III,
339.
Dyotheletismus II, 39 86
404—412.
Ebenbild 499 ff. .504 f. II,
130f. 134ff. 146 ff. 154.
Ebenbild, v. Sohne Gottes
gebraucht II, 1 94 202 204
207 210 214 226 237 246.
Ebioniten,s..Tudcnchristen.
E))erard III, 264.
Ebner, Margaretha III, 377
388.
Eckhart TU, 376f. 382 385
388 438.
Edessa 287 IT, 183 348.
Eduard VT., König III,
666.
Ehe, Eheenthaltung, -Beur-
thoilung u. -(ilesetzgeljg.
200 236 263 358 361 3f)3
365 3681". 387 70211, 9 ff.
III, 176 189 1911. 194
198 206 226 233 235 709.
EhcsacraTneiit III, 394 4«;4
522 IT. 6021".
Eigenschaften (lottes 576 IT.
652 6611. 710 II, 118t:
III, 98 ff 674, s. auch Got-
teslehre.
Eingeborner Sohn 156 159.
Einhard III, 247.
Einheit d. Kirche 336 346 ff.
410 f. II, 109 ff. III, 40
130 f.
Ekstase 97 194.
Ekthesis II, 404 f.
Eldad- und Modad-Apoka-
lypse 87.
Eleusius V. Cyzikus II, 284.
Eleutherus 407 621 656 f.
Elias V. Cortona III, 372.
Elias v.Nisibis II, 114 291.
Elipandus III, 250 ff.
Elisabeth, heilige III, 381.
Elkesaiten 203 209 260 ff.
368 740 748.
Elvira, Synode 369 379 380
III, 24.
Emanation II, 189 204, s.
Gnosticismus.
Emmerich, A. K. III, 640
Empedokles III, 172.
Empfängniss, s. Maria.
Emser Punktation III, 622f.
Encyklika II, 379.
Engel 89 150 160 167 208 f.
258 f. 261 446 449 509
584ff.591II,66123125ff.
150 166 442 443f. 448
III, 119 235 ff. 343 f.
449 f.
Engel als Bez. Christi 155.
Enhypostasie'II, 40 337 384
387 411 f. *
Enkratiten 200 f. 240 307
361 f. 377 379 465 508.
Ennodius III, 227.
Enthusiasmus 43 46 50 92
119 140 237 251 279 292
316f. 325 f. 336 338 341
355ff. 483 630ITI, 35.
Entsühnung § 8 S. 193.
Epheserbrief 84 91 281 305
340.
Ephesus, Bisthum II, 99.
EphesuH, Synode v. j. 431
II, 35 97 100 102 34411.
363 f. 372 f. ITT, 169.
Ephesus, Synode v. .T. 449
11,359499 351 355 36211".
366 3701'.
Epiiraein Syrus TT, 46 169.
Ei)])raem v. Antiochion IT,
39.3.
Epigonijs und Schule 652
654 ir. 657.
Epiktet 104 1061'. 110.
Epiklct, Bischof" TT, 168.
Epikur 201 426 432 687
721.
Epiphanes 201 f.
Epiphanie635 713 716ff.
Epiphanius 226ff. 249 260ff
470 616—48 6731". 677 ff".
680 690 695 741 IT, 341".
61 65 76 f. 86 90 111267
271 284 292 472 475.
Episkopalsystem III, 411 1.
617—623.
Episkopat, s. Bischöfe.
Eranisches III, 516.
Erasmus III, 438 f. 573 692
714 744.
Erbsünde 506 590 II, 138
152 f 155 452 III, 44 ff.
69f. 158ff. 175ff. 178f.
187 190 ff. 226 236 237 f.
349 484 f. 528 544 f. 548 ff
605 607 f. 713 f. 744.
ErhöhungChristi 164f. 713f.
716.
Erkenntniss (u. Quellen der)
Ulf. 120f. 123f. 137ft".
151ff. 180f. 187ff. 552f.
569 573 576, s. Autorität
u. Vernunft.
Erleuchtungl77f. (Bezeich-
nung der Taufe) 599 ff*.
Erlösung 590 ff. 697 ff. 703
708 738 II, 45 ff. 121124
139 ff. 157 ff'. 219 221 f
416.
Erlösungsfähigkeit 151 f.
Ernesti27.
Erwählung 83 124.
Erwählung Christi 154 f.
Erzeugung Christi 636.
Eschatologie 60 88 110 f.
119 135— 45 151 f. 223 f.
233f.236 244f 355 f. 473
477 524 ff. 594 609 ff. TT,
45f. 59 65f. 174 317 ni,
21 81 ff. 707 720.
Eschatologischc Reden
Jesu 60 88 139.
Esnik227f. 11, 475.
Espen, van ITT, 622.
Esra u. Nehemia TT, 70.
Esraapokaly pse 87f . 1 39 7 1 3
ITI, 503.
Essenisirius 62 f. 206.
Esthern, 70.
Eterius ITT, 253 256.
Ethik,«. Sittlichkeit, Askese
720 f.
Eucharistie^ (s. Abendmahl
u. Mysterien) 178 f.
Eucher'ius v. Lyon IT, 81 .
Euchiten II, 61.
49
772
Sachrepfister.
Eiulokia II, 358.
Kudüxius 11, 246 ff. 250 f.
2H1 309.
Euelpis in Larancla 386.
Kutreii l., Pui)st 11 407.
Killen 11., Papst 111, 273.
Eilten IV., Papst 111, 399
411 465 (s. aucli Sucra-
mentcii.FloreutinorOon-
eil) 487 f. 495 498 520 t'.
524 593 597.
Eulogius, Patriarcli II, 390.
Eulügius von Cäsarea III,
161.
Eunomius u. Eunomianer
11,90 118 195 245f. 251
259 272 f. 278 283 309 312
449 464 III, 154.
Euphranor 681 683.
Euphrates von Köln II,
242.
Eusebianer II, 20 24 93
101 162 207 214 220f.
225ff.236ff.239ff. 241«.
251.
Eusebius v. Cäsarea 22 256
343 379 390 550 624 ff.
630 634 f. 637 687 689
694 f. 704 709 750 II, 14
18 57 62 72 f. 77 79 90 f.
95 97 f. 100 158 176 184
189f. 198 223f. 225ff.
229f.232f.236f. 239 252
321 433 455 464f. HI,
626.
Eusebius v. Doryläum 412
II, 354 356 363.
Eusebius v. Emesa II, 246
326.
Eusebius v. Nikomedien II,
184 189ft'. 194ff. 225ff.
231 232 ff. 235 240.
Eusebius v. Rom II, 14 III,
36.
Eusebius v.Vercelli II, 244.
Eustathius v. Antiochien
II, 224 f. 232 234 237 253
311 326 433 f. 464.
Eustathius v. Sebaste (Eu-
stathianer) II, 10 28 69
246 259 283.
Eutherius II, 350.
Euthymius II, 206 479.
Eutyches u. Eutychiauer II,
98 354—74 375 If. passim,
z. B. 386 f. 429 458.
Eutychius v. Konstantinop.
II, 439.
Eva 505 508 699 701 743 f.
III, 561.
Evagrius II, 20 275 474.
Evangelien 84 86 121 129
132 185 215 251 256
306 ff.
Evangelien, gnostisclic 121
203 f.
Evaugclienkanon 304—308
321 f.
Evangelisches Christen-
thuni i. (1. alten K. u. i.
MA. 111,41 51 n.
Evangeliseiles Leben 200 f.
377.
Evangelium 54 ff. 143 144 f.
382 556 569 591.
Evangelium u. Dogma II,
49 f. 52 61.
Evangelium und AT. 39 ff.
145 ff.
Evangelium u. Hellenismus
42 ff 62 Ulf. 185 187 ff.
214tf. 225 227 f. 247 ff
276ff'. 279 282f. 413— 64
p. 464—79 556 566 611.
719 ff'. 734 ff.
Evangelium u. Judcnthum
40ff'. 75 ff'. 124 f. 147 ff'.
Evangelium Marcions 236ff.
Evangelium i. Sinne der
Reformation HI, 705 f,
s. Glauben.
Ex Omnibus afflictionibus,
Bulle III, 629 f.
Excommunikation 367 — 78
III, 509.
Execrabilis, Bulle III, 567.
Exegese II, 75 ff. III, 29.
Exomologese 178 368.
Exorcismus II, 422.
Exsuperius III, 593.
Exukontianer II, 245.
Eybel III, 623.
Fabian 410 685 II, 262.
Fabius v. Antiochien 687.
Fabricius 742.
Facundus von Hermiane II,
395 397 III, 253
Fälschungen II, 63 f. 96 97 f.
357 368 373 392 398 409
473 III passim.
Fasten 174 170 251 361
387 f. 525, etc, z. B. III,
510.
Fatalismus II, 119f. 124.
Faustus, Manichäer 750
Faustus von Reji II, 450 III,
218 225 ff'. 251.
Febronius 111, 622 f.
Fegefeuer 526 II, 67 III,
209 211 239 f. 369 511fr.
513 f. 519 603.
Felix L, Papst II, 312 346.
Felix 11., Papst II, 380.
Felix III., Papst II, 94.
Felix IV, Papst 111, 230.
Felix V. Urgel 111, 250-261 .
Fenelon 111, 640.
Feste 350.
Fides implicita III, 38 72
417 432 f. 554 558 568
645 671 685.
Fihrist 738 740 f. 745 f.
Firmelung, s. Confirmation
u. II, 421 434.
Firmilian 349 410 637 643.
Flacius 24 III, 306.
Flamiues 380.
Flavian v. Antiochien II,
265 271.
Flavian v. Konstantinopel
686 11,354 356—64 371.
Fleisch Christi 163ff'. 181
220f.291663f.670 715f.
III, 48; s. auch Mensch-
werdung.
Fleischwerdung 160 163 f.
165; s. auch Menschwer-
dung 509 717 f.
Florentiner Concil III, 308
452 464 470 472 f.
Florinus 295.
Flor US Magister IIT, 266.
Fomes peccati III, 485.
Franciskus u. die Minoriten
III, 9 213 305 f. 364—91
560 f. 573 575 658 744.
Franck, Sebastian III, 657
662.
Franken u. Franzosen II,
298 299f. III, 7 217 245
270 ff'. 275 ff'. 399 61 8 ff'.
Frankfurt, Synode III, 257
272
Fraticellen III, 372 f.
Fredegis III, 246.
Freier Wille in Christus II,
311 338 u. sonst im 8. u.
9. Cap.
Freiheit d. Menschen 142 f.
399 f. 413— 464 p. 499 ff'.
571 f. 585 589f. II, 53 tV.
119f. 124f. 130ff'. 140ff'.
145 146f. 422f. 432 III,
57 ff. lOOff'. 157 ff'. 173ff.
177 ff. 221 f. 226 f.
Freiheit,christlichelll,704.
Friedrich I., Kaiser 111,393.
Friedrich II., III, 393.
Friedrich III., III, 399.
Frohschammer 111, 647.
Fronleichnamsfest II I, 496
598.
Sachregister.
773
Fulbert III, 320 335.
Fulgentius III, 228 ff. 262.
Gabendarbringung 174 fi".
Gajanus II, 394.
Galen 104 198.
Gallien, S.Lyon III, 7 220ff.
Gallikanismus III , 6 1 9 f.
639.
Gallische SchriftstellerII,9.
Gangra, Synode II, 10 69.
Gebetl37f. 154 174ff. 179f.
388ff. 601 III, 86 510f.
Gebet für Verstorbene III,
209,
Gebet zu Jesus 154.
Geburt Jesu, s. Jungfrauen-
geburt.
Geduld 143.
Gefallene (lapsi) 367 ff.
Geheimtradition 136 215 f,
300 ff. 554.
Geist Gottes, heiliger 47
68f. 119 123130 137160f.
163 167 178 182 202
238 f. 258 262 306 316 ff.
329 f. 333 f. 337 fr. 347
355 ff. 363 f. 394 f. 446
493f.499f.515f. 522 575
583 ff. 619 ff. 627—648
653 668 679 f. 684 690
699f. II, 90f. 106 199
244 252 254 268 271 275
bis 285 291 ff. 296 ff. 428
434 ff. 439 f. 445 tu, 270f.
452 f. 681 f.
Geist, menschlicher, crea-
türlicher 564 585 ff. 601
710 715f.
Geist u. Fleisch 715 f. 718.
Geisterwelt (s. auch Engel
u. Dämonen) 586 ff. 591
601 fl. 711 II, 125ff.
Gelasius, Papst II, 94 474
III, 227 f.
Gelasius, Decret II, 74.
Geliebter, Bezeichn. Christi
155.
Gemeinden (h. auch Kirche)
125 ff. 174 178 ff. 181 ff.
186 f. 214 285 287 298 fr.
328 fr. 334 337 f. 346 ff.
391 714.
Gemeinschaft, christl. 556.
(jencalogic Jesu 87 161.
Gennadius II, 46 III, 227.
(ientilis III, 665.
(ientilly, Synode, II, 459
III, 270 272.
Genugthuung, h. Satisfac-
tion.
Georgius, Presb.II, 184 258.
Georgius v. Alex. II, 245.
Georgius v. Konstantinop.
II, 408.
Georgius v. Laodicea 11,
197 246 f.
Gerbert III, 320 f.
Gerechtigkeit Gottes 142
577f.II,c. 2 u. 4111,182.
Gerhoch IH, 333 339 451.
Gericht, jüngstes 54 f. 57 60
139 144f. 602641 II, 67 f.
Germanische Christen II,
178 220 447 m, 6 f. 275
288—295 341 ff. 510.
Germanus V. Konstantinop.
II, 441.
Germinius v. Sirmium II,
247 249 261.
Gerson HI, 412 461.
Geschichte und Dogma II,
143.
Geschichte Jesu s.Kerygma.
Geschleclitslust, s. Ehe.
Gesetz, mosaisches 41 f. 61
76 f. 93f. 147 245 ff. 252 f.
258 ff. 268 531—541575.
Gesetz, neues 54 80 123
143 250 f. 286 298 335
360 fr. 377 393 450 f. 462
II, 53 f. u. c. 5III, 14 23
181f. 197 236f. 403ff.
409 f. 440 f. 678 f. 715 f.
Gesetz u. Dogmall, 64 131f.
140 ff.
Gesetzesfrage, im apostol.
Zeitalter 75 ff.
Gestirne, als Geister 586 f.
Gilbert III, 447.
Giordano Bruno III, 657
663 692.
Glaber m, 299.
Glaube § 5 S. 143 222 f.
227f. 552 f. 556 f. 573 603
II, 44— 68 III, 40 ir. 45 f.
51 ff". 61 ff. 70 ff". 77 ff. 112f.
187 416 477 478 f. 547
607 608— 616 671 f. 676f.
681685f. 700f. 713 716f.
732.
(ilaubensgesetz und -regel
129 f. 217 fr. 220 273 fr.
282 f. 288—303 318 f.
327 ff. 335ff. 464 fr. 483f.
525 f. 557 562 570 583
605 fr. 644 f. 665 673 704
709.
Glauljcnsgewissheit III, 1 1
536 fr. 614 700 fr. 7171".
Glaubenslehre , Anlange
137 f. (s. Dogmatik).
Glaubensregel und Philo-
sophie 276 ff. 282 f. 464
bis 479.
Glaubenswissenschaft 603 f.
704.
Glaukias 216.
Gnaden, 44 f. 47 54 130ff.
140fif. 146ff., s. Erlösung.
Gnadenlehre, abendländi-
sche III, 21 43 59 f. 61 f.
75— 8186 151— 90221 ff.
440 ff. 525 ff. 608 ff.
Gnadenmittel 388 ff. 392 bis
400 600 f. II, 44 ff. 443 ff.
in,75ff. 140— 151186ff.
746 f. 754 f.
Gnomen 128 291 387.
Gnostiker u. -cismus 121
bis 125 136 146 f. 161165
183f. 186— 226 246 f. 254
258ff.273ff. 278ff. 291flf.
301 f. 304 ff. 328 ff. 338
383 385397 406430464 ff.
472—77 480—85 490 516
525 531 534f. 569 574
576 585 593 ff. 603 608
611650f. 695 ff. 703705 ff.
726f. II, 34 123 127 f. 132
174f. 193 204 303 f. 309
318 421 425429 443 450
467 475 478 III, 357.
Gnostiker, die wahren 281 f.
332 340 342 522 f. 553
590.
Gnostiker und Apologeten
413 ff.
Götzendienst, Abfall zum
367 f. 375 ff.
Gonzalez III, 645 f.
Gothiklll, 391 f. 428.
Gott (fränkische Vorstel-
lungen) III, 275 ff.
Gott (griechische Vorstel-
lungen) 103f. 159 160651.
Gott (jüd. Vorstellungen)
710.
Gott (nachaugustin. Vor-
stellungen) III, 288.
Gott, Christus als 91 156 ff.
220f.235f. 255 575 579f.
594 ff. 608 ff. 618—48
65811". 665 669 fr. 709 715.
Gottesbeweise II, 1 16 f. III,
443 f.
Gottesdienst 138 147 173 fr.
194 207 248f. 275 383fr
386 390 ff. 606 641 722
746 II, 20 26 40 ff. 88 f.
112f.125f.411 414 417fr.
423 ff. 437 442 465 482
III, 122 244 707 725 f.
774
Sachregister,
GüUfstreundt' TTT, 377.
Ciütti-s^ebanM-iii 1 1,2«M 21«
3!J8 333 33« 339 343 347
412 417 445 451.
(lottes^erichtü 11, 447.
UütWyk'hrü 54 tV. 15011".
44011". 480 t". 48511. 571
57« tV. 589 f. «59 f. 678708
II, ll«tV. 111, 9811". 44311".
4491. 5291. «731. 7011.
710 719.
Gottessolm 58 15« 159 1 «2
bis 1«4 1«7 2«2tl". 281
491 495 50« tl". 517 f. 57911".
5901. 59() «09 «2311. ««0
««5 ««71". «8211".
(Tüttmeusch, s. Meuschwcr-
dimjr, U.S. 47311". 49411".
50« ff. «98.
(iottschalk m, 2«2ff. 270
434.
Gratia operans et coopcrans
III, 528 530—542.
Gratiau , Hechtssammlung
ni, 310f 392f. 397 499.
Gratiau, Kaiser II, 34 263
270.
Gregor I., Papst II, 39 72
94 127 133 174 179 390
400 40« III, 5 12 216
218 225 233—244 246
259 269 272 288 342 464
496 525.
Gregor II., II, 455f.
Gregor VII., III, 297 307 ff.
311 338 395.
Gregor XL, Papst III, 407.
Gregor XIII., Papst III,
629.
Gregor XVI., Papst IQ,
621.
Gregor v. Alex. II, 236 243.
Gregor v. ßerytus II, 184.
Gregor v. Heimburg III,
412.
Gregor v. Nazianz II, 11
45 f. 62 f. 64 70 78 90 93
98 102 106 172—174 176
205 257 265f. 281ff.321f.
360 425 448 461.
Gregor v. Nyssa 706 f. II,
11 21 25 39 46 55f. 60
62f. 65—67 76 120f. 133
135 149—151 163 ff'. 172
bis 174 255 256 f. 281 f.
321 f. 388 401 423 f. 428
434 ff. 439 4651.
Gregor v. Paviain,309 392.
Gregor v. Rimini III, 436.
Gregor, Statthalter 11, 405.
Gregor, Thaumaturgos 581
693ff. 705ff. II, 16 63 8«
228 28« 312.
Gregoria, Kaiserin III, 242.
(Jribaldo iU, ««5.
Griechisclie Kirche 11, 71
8«90 95 1031. 1101". 1121.
115 123 12« 1381. 153
2931". 411 414 420 4401.
450 452 4«4 4«« 47«
481 11".
Grotius, Hugo III, «22.
Günther III, 647.
Guitmund v. Aversa III,
339.
Gury III, «44 647.
Gut, s. Böse.
Guyon, Mad. de III, 94
640.
Hades II, 66.
Hadrian I., Papst III, 251
256 272 f.
IladrumetischcMönchelll,
169 220.
Häretiker, s. Gnostiker u.
346—353 543 682.
Hätzcr III, 663.
Hagemann 652 f. 682.
Haggada 86 f..
Hamcl III, 624 631.
Havet 48 53 80 115.
Hebräerbrief 72 79 f. 84 91
116 126 146 162 175 252
312 323 n, 74 78 127 III,
583 593 687.
Hebräerevangelium 92 253
257 f.
Hegel 31 f. III, 674.
Hegesipp 132 155 205 210
253 269 299 305 335 471.
Hegias 733.
Heidenchristenthum 78 f.
80f. 94 125 133f. 244f.
248 ff.
Heiden unter der Gewalt
der Kirche III, 394.
Heidenmission 76 f. 78 ff.
Heiland (acox-fip) 123 150 f.
153 f. 159.
Heilige, Heiligendienst II,
7 41f. 67 442 4451. 448f.
458 III, 189 239 251 f.
369 413 561 574 603.
Heiligkeit der Kirche 335 f.
354 ff. 364 f. 367— 78 III,
132f.
Heiligthümer, irdische 712.
HeilGgeschichte476ff 51811".
534 f. 680 II, 78.
Heilsgevvissheit, s. Glau-
bensgewissheit.
Heilsgut llOf 135ff. 281
284 11,4411". 417.
Heilsthatsaclien 51811.
Heinrich IL, 111, 297 299.
Heinrich 111,111,297 299.
Heinrich IV. v. Frankreich
III, 619.
Heinrich VI., III, 393.
Heinrich v. Gent III, 480.
Heinrich v.LaugensteinlLI ,
412.
Heinrich v. Nördlingen IH,
377 388.
Heliand III, «.
Hclladius H, 350.
Hclleuisclic Wissenschaft,
s. Hellenismus u. II, 20
28 57 188 217 f. 219 25«
349 4«7 ff". 471474.
Hellcuisirung II, 3 27.
Hellenismus 42 ff. 83 ff. 120
Ulf. 18711". 192 ff". 1981".
27« 11". 282 ff. 413— 4«4
4«6f.478f. 607 645 717f.
732—734.
Hellenistische Juden , s.
Alexandrinismus.
Helvidius II, 451
Hemerobaptistcn 740.
Henoch - Apokalypse 87
lOOf. 139 713.
Henotikonll, 379ff. 387.
Heraklas 551.
Herakleon 191 197 204 224
377 580 II, 193 301.
Heraklianus 11, 261.
I Hcraklit424f.651f.III,172.
Hcraklitische Briefe 95.
Heraklius, Kaiser II, 39
403 f.
Heraklius, römischer Häre-
tiker III, 36 50 52.
Hermas 90 92 104 120—27
129—173 174—184 202
212 244 261 279 285 308
312 321 f. 334 340—342
357 364 367 f. 387 396
402 404 407 420 437 623
628 ff 641 ff. 714f. II, 73
III, 22 324 593.
Hermes III, 647.
Hermogencs 221.
Heros, gallischer Bischof
m, 161.
Herr, Bezeichnung Christi
71 f. 91 153 f.
Herrenius 727.
Herrnschriften 132 309 1.
Herrnworte 86 13011". 139
146 300 305 ff. 314 327 f.
377.
Sachregister.
775
Herz-Jesu-Kultus III, 301
460 649.
Hesychastenstreit II, 126.
Heterousiasten II, 245.
Hexaemeron 450.
Hierakas u. -iten 629 690 ff'.
703 II, 10 189.
Hierarchie, s.Kirchc 1 1,91 f.
112f. 423f.437 444f.in,
138f.243 368f.372 393ff.
406 f. 724 f. u. sonst.
Hieronymus 191 256 f. 359
408 670 689 II, 9 f. 12 32
35 63 65 67 69 71 73 f.
77 79 lOOf. 133 152 166
260 271 320 390 449 451
472 fr. III, 22 26 f. 44 51
154f. 1590". 171 192 198
211 593.
Hierotheus II, 478.
Hilarius 672 H, 29 [32 79
169 178 181 233 236 244f.
2460". 249 f. 261 272 283
303 f. 308 f. 323 360 388
m, 26 28 f. 44 46 48.
Hilarius alter IH, 169 220.
Hilarius von Arles HI, 220.
Hildebert v. Tours IH, 338.
Himmelfahrt 92 131 172f.
718.
Hinkmar III, 246 262—70
274 275.
Hiob U, 70.
Hippo, Synode 71 74.
Hippolyt 110 122 205 208
260 f. 280 f. 286 299 303
331 f. 345 351 354 3571".
368f. 383 385 403 412
464 ff. 471 476 483 ff.
488ff. 493ff. 503 51611'.
523 ff 526 520 541 548
550 604 612 616 ff'. 648
bis 681 p. 686 695 ff. 705
II, Ol 79 96 117 230 277
331 III, 221". 28 48.
Hölle u. Höllcnstrafc 54 57
145 572 602 II, 65f. UI,
512 u. passim.
Höllenfahit 92 172 ff. 523
536 II, 66.
Hocnsbroech, Paul v. III,
650.
Hoffmann, Melchior III,
664.
Iloffnunfj (Glaube, Liebe)
143.
HohoriHtaufcn Hl, 393.
Kohepri(!8ter 383 385 409
601.
Hohcfllicd 525 II, Uf. 23
70 III, 303.
Homöer II, 106 247—251
259 261.
Homöusiancr II, 212 214
246ff. 252ff. 261 268 280f.
292
Homoios II, 211 f. 242 ff.
247ff. 250 f. 252 261.
Homoiusios II, 211 f. 246ff'.
253 ff. 268.
Homologumenen - Kanon
306ff. 402n, 73f.
Homousios 219 f. 222 488
491 f. 543 579ff. 583 643
646 680 f. 683 687 692
709 II, 16 22 f. 51 f. 98
104ff.l83193ff.202212ff.
224 226 228— 261 266 ff.
270 272 281 ff. 285 ff. 289
301 315 316f. 320 HI, 729.
Honorius, Papst II, 403 ff.
409.
Honorius v. Autun III, 339.
Hormisdas II, 381 f. III,
998 f
Hoslus 469 669 H, 191 f.
224 f. 228 ff. 240 244 247
253 272 287.
Hugenotten in, 633 638 f.
739.
Hugo V. Langres HI, 339.
Hugo von St. Victor LII ,
328 330 332 401 f. 463
466 f. 470 473 477 486
497 ff. 527.
Humanismus, s. Renais-
sance.
Humbert, Cardinal III, 334.
Humiliaten HI, 368.
Hungarica Confessio HI,
623.
iIusitenu.HusIII,373 389
400 409 412ff. 436 f. 495
518 571 576 658.
Hymenäus 644.
Hymnen, Psalmen u. Oden,
kirchl. u. gnostische 138
158 204.
Hypatia 732.
Hypatius v. Ephcsus 11,392.
Ilypcrius 25.
Hyperorthodoxic II, 286,
Hypokeimcnon II, 229.
HypostasisII, 199 203213f.
229 f. 252 255 2561". 260
285 290u.da8 8.u.9.Cap.
Jacübazzi III, 390.
.Tacopone III, 381 389.
Jakobus u. -lirief 216 244
312 357 II, 468 III, 52
188 520 582.
Jamblichus HO 194 727
731 f. 735.
Jansen u. Jansenismus 116
III, 620 633—640 643 f.
739
Ibas v. Edessa II, 356 363
377 395 f.
Idealismus 720.
Idioten 651.
Jerusalem(irdisch. u. himm-
lisches) 140 335 f. 711 f.
III, 299 f.
Jerusalem, Kirche von 205
255 f. II, 99 103 f. 270.
Jerusalem, Reich Christi in
140 527 f.
Jerusalem, Symbol II, 66
228 266 f.
Jerusalem , Synoden II,
235 237 243 394 UI, 161
452.
Jesuiten III, 431f. 594 617f.
620f. 624ff. 628ff. 631ff.
633 ff. 640—647 686 739.
Jesus Christus 39 f. 54 ff.
69 ff. 129—32 135 f. 153
bis 173 188 207 274 502 f.
506 ff. 552 566 569 ff. 578
592 ff. 601 606—648
659 ff. 701 f. 713—719
743 f. 748 II, passim. HI,
112ff. 181 f. 184f. 235 f.
241 253 ff. 355 f. 451 ff.
675—687 702 711 ff. 720
741 f.
Jesusliebe II, 11 f. III, 9 25
29 45f.49 300ff.305379ff.
575.
Jczira, Buch 260.
Ignatius87 120f. 126 f. 130
bis 173 174—81 192 210
212 214 254 291 306 334
383f.398 401f.404f.407
472 496 525 660f. 696 II,
9 91 112128 192 221237
423f. 429 111,484.
Ignatius v. Loyola III, 3,
s. Jesuiten.
Ildcfonsus III, 234.
Illyrischc Synode II, 284.
Impanation III, 493 f.
Impcralistische Opposition
III, 410 f.
Individualismus 701 712
III, 56 ff. 300 ff. 373 fl.
577 ff 719.
Indulgenzen, s. Ablässe.
lücffabilis dcus, Bulle III,
639.
In cm inen ti, Bulle III, 635.
Infallibilität der Kirche u.
77(>
Sachregister
(It'rCmicilicu If, 85 i»2tr.
*>7 III, 135.
liitallihilität ileti Papstes, s.
IJufehlburkeit.
luiralapsarisinus III, 19H.
liikaruatioiijS Monschwer-
hikaniatioii (des hl. G. in
Christo) (Uüt)13ö5U)58
698 703 735.
lukaruatiou cl. Teufels IIJ,
235.
liiuoceuz I , Tapst 633 II,
75111,155 163 f. 252 463
593.
1 imüceiu II. , Papstlll, 407.
luuocenz III., Papst III,
307 f. 302 395 398 401.
Innoceuz IV., Papst III,
401 433 568.
luuoceuz X. , Papst III,
620 643.
luüoceiiz XI., Papst III,
640 644.
lunoceuz XIII. , Pai^st III,
638.
Inquisition III, 394.
Inspiration 309 317 f. 321
325 f. 567 574 f. 583 II,
75 f. 82 92 f. 104111,624.
Intention III, 472 f. 476 f.
'191 596.
Intcrcessioneu 11, c. 10 III,
237 f. 292 f.
Joachim v. Fiore III, 306
372 f. 387 410 447.
Jobius n, 317.
Johann IV., II, 404 f.
Johann VIIL, III, 271.
Johann XXII., III, 372 382
388'398 430 513.
Johann v. Baconthorp III,
430.
Johann v. Jandun III, 411.
Johann v. Paltz III, 504.
Johann v. Paris III, 494.
Johann v.Salisbury 111,421 .
Johanneische Schriften 72
79f. 84f. 91 116 141 156
159 162 173 180 197 213
291 298 306 f. 355 358 f.
471 529 61 7 ff. 620 659
665 717ff. II, 202 221.
Johannesacten 136 154
163 f. 166 204 216 222.
Johannes Cassianus II, 449.
Johannes Damascenus II,
30 39 40 61 90 98 111
116 118 1230'. 127 130f.
136153—56170 174 193
290 ff. 383 f. 411—414
439 f. 451 456 11.460 481 f.
III, 247 258 275 280 318
151 453 575.
Johannes de Oliva III, 372.
Johannes, d. Apostel 133
609.
Johannes, d. Täufer 58 92.
Johannes Philoponus II, 76
123 290 391111,318 325.
Johannestaufe 177 633.
Johannes v. Antiochien II,
341 345 f. 349 f. 357.
Johannes v. Ephesus II, 378
391 400.
Johannes v. Jerusalem II,
472 f. III, 160 fr.
Jonas V. Orleans III, 274.
Jordanus v. Osnabrück III,
7.
Joris III, 664.
Josefinisnms III, 622 f.
Josephsehe III, 523.
Josephus, Jude 93 f.
Jovian II, 260.
Jovinian II, 10 66 451 III,
25 50ff'. 157 165 192.
Irenäus 110 116 125 135
146 f. 165 174 181 202
205 211ff. 214 2261'. 243
255 280 f. 283 286 292
293—96 299 f. 308—328
329 ff. 335 ff. 338 ff. 343 f
350 ff. 365 f. 383—88 393
395 f. 398 401 f. 405 f.
408 f. 464— 547 f. 556 fif.
570 f. 577—92 598 601
604ff. 61211,14 63 82 91
96 f. 105 130 135 138 141
151 158 165 169—72 174
176 194 202f. 213 221
237 276 f. 282 287 302
308 333 888 450 464 HI,
38 525 561 731.
Irenäus v. Tyrus II, 35(? 363.
Irene II, 459.
Iroschotten III, 290.
Irvingianer III, 369.
Isidorus 733 II, 348439 ni,
244 251 262 277 319.
Islam, s. Muhammed.
Italiener III, 7 217 f. 659 f.
644 ff.
Jubelablass III, 516.
Judaisiren 244 f. 2471'., s.
auch Judenthum.
Judasbrief 210 289 312.
Juden, spanische III, 420.
Judenchristenthum 78 ff.
119 133 209 229 237 f.
244—70 313 507 595 II,
201.
Judenchristejithuni, pjnosti-
sches (synkretistisches)
162 206 ir. 246 f. 25811'.
2661V. 614 636
Judeuchristliche Schriften
251 If.
Judenthum 40 ff. 124 140
14711". 187 2411" 244«'.
2581'. 418 531 f. 536 tt". 540
575 7471'. II, 110 112
1401'. 154 191 201 206
232 243 286 288 329 370
454f. III, 331 516 644
667.
Judenthum, alexandr. 50 f.
262 418.
Jünger, die siebzig 322.
Julian (Kaiser) 732 II, 28
34 66 251 254 260 264
446.
Julian, Apollinarist II, 315.
Julian von Eklanum III,
153 15411". 16711". 170— 83
211 228 550.
Julian V. Halicaruass II, 52
388 f.
Julian V. Kos II, 359 361.
Julianisten (Grajauer) II,
388.
Julius Afrikanus 380 550 II,
331.
Julius V. Rom II, 92 101
237 ff. 272 312 346 358.
Jungfrauengeburt 87 91 1 14
131 161 170 ff. 174 217
220 255 ff. 264 507 f. 520
661 f., s. auch Gottesge-
bärerin III, 203 235 252
276f.b48 675.
Junilius II, 32 62 70 74 78
81 III, 27 218 253.
Jurisdiction der Priester
III, 507 f. 515 f. 522.
Jurisprudenz , s. Rechts-
begrifi'e.
Juristen, röm. 108,
Justin I., Kaiser II, 36
381 f.
Justin II., Kaiser II, 400.
Justin 87 89 92 100 119 121
125 130 132 1341". 138
140f. 1431481". 15511'. 159
161 f. 167 171 f. 173 174
bis 184 205 207 210 212
227 f. 243 252 269 278
280 282 289—911'. 300
3051'. 319 334 366 379
398 413—64 42111'. 439 f.
456ft'. 465 4711'. 476 504
526 529 531 553 580 687
72611,277 2871.312 418
Sachreofister.
777
435 450 III, 71 203 324
460.
Justin, Gnostikcr 200 215.
Justina, Kaiserin II, 272.
Justinian (Kaiser) 733 II,
30 36 f. 39 65 88 94 122
380 382 f. 391—400 402
405 f. 410 454 478 f. III,
697,
Justinian von Valentia III,
252.
Juvenal v. Jerusalem II, 363
367 369 371 377.
Ivo III, 520.
Kain U.Abel 743 f.
Kaiserkult 103 f.
Kaliist, s. Calixt.
Kanon 129 132 309 620 (s.
Glaubensregel, Bekennt-
niss, hl. Schrift, A.u. NT.)
Kanon d. NT. (Erfolge des-
selben) 324—28.
Kant 111, 672.
Kappadoc. Theol. 110 608
689 II, 24f. 33 45 65 77
79 82 84 90f. 93 118 125
136 153 158 175 238 253
255—72 285ff. 290ff. 295f.
301310319f.320ff.333f.
346 391 425 433 ff. 449
465 f. 468 477 481 III,
24 ff.
Karlen, Synode von U, 186
261.
Karl d. Grosse II, 298 300
455 III, 247 ff. 257 270 ff.
291 296 299 310 319f.
Karl d. Kahle II, 300 f. III,
247 268.
Karl von der Provence III,
268.
Karl V., Kaiser III, 571 f.
Karolingische Epoche III,
244ff. 319f.
Karlstadt III, 754 f.
Karpokratianer 104 201 f.
203.
Karthago, s. Carthago.
Katastascn II, 151 f. 154
170 329 ill, 673.
Katharer 377 f. 751 111,300
309 :}70 408 464 487.
Katholicismus, katholisch
64 f. 183 185 190 ir. 214 f.
248 fr. 265 f. 273 fr. 283 fr.
287 H'. 298 fr. 303 324 fr.
334 fr. 363 379 3S1 ff. 400
bis 412 614 703 737 f.
747 f. 11, HO 113 III, 38
39 f. 134.
Katholische Briefe 312 ff.
II, 73 f.
Kautz III, 663.
Kelchentzichung III, 339
496 598 f.
Kenose II, 304 322 f. III,
743.
Kertzen III, 604.
Kerygma 66-74 129 ff. 169
bis 173 188f. 216f. 222
289 f. 293 ff. 306f. 455
479 11,90 105 f. 282.
Kessler 737—51.
Ketzer, s. Gnostiker, Häre-
tiker u. die einzelnen
Secten III, 394 408.
Ketzertaufstreit 347 f. 351
375 411 687 II, 427.
Kindercommunion 399 II,
440 III, 496.
Kindertaufe 176'^395f. II,
427 III, 145 158ö; 182
485f.658 679f. 747 748f.
Kirche 41 f. 68 ff. 77 f. 114
119f.l25ff.l37162181ff.
221f.275f.308 310 324ff.
328 ff. 333—53 353—83
389 396 399 f. 518 523
525 533f. 563 565 f. 583 f.
606 626 fi'. 672 700 702 f.
705 f. 714 f II, 84 fr. 91 ff.
104 109ff.422flf. 431433
III, lOf. 35ff.39£f. 53 59
68 70 ff. 74 124 128—151
393— 419 422ff.440f.458
462 488 561 570 687 ff.
704f. 724 728f. 735 740f.
Kirche als civitas 342 f. III,
124 136—140.
Kirche als Mutter 337 III,
136.
Kirche u. Christus 127 ff.
333 f. m, 131 148, s.
Kirche.
Kirche u. Staat 379 f., im
2. Band passim. III, 136
bis 140.
Kirchcnbegriff, hierarchi-
scher 338fi". 34 3fl". II, 90 ff.
138 f. 145 fl 393—419.
Kirchenjahr II, 442.
Kirchenlied 706.
Kirchensprachc 111, 13 20
413 593 f.
Kirchenstaat III, 650 f.
Kledonius II, 285.
Kirchciizucht 363 f. 367 bis
378.
Klcinasiatisches Christcu-
thum u. Kirche 125 f. 131
136213245247290293fr.
307 311 f. 323 347 353 ff.
362 f. 386 410 f. 407 ff. 471
653.
Kleobius 207.
Klcomenes 652 654 657 660.
Kleriker, niedere 403.
Klerus, s. Priester.
Kliefoth33f. III, 582.
Knecht, Bezeichn. Christi
155.
Köllner III, 623.
Köln, Synode II, 242.
König, Christus als 713.
Körperlichkeit Gottes 150
586.
Kollydianerinucn II, 451.
Konstans I., II, 239 f. 243.
KonstansIL, II, 404ff.
Konstantia 11, 234.
Konstantin d. Grosse 381
385 II, 8 13 18 31 64 72
92 94 101 189 190f. 220 f.
224 f. 226 ff. 231— 235264
374 464 ni, 438.
Konstantin IL, II, 239.
Konstantin Kopronymus
II, 450 454 457 f.
Konstantin Pogonatus II,
408 i.
Konstantinopel 378, II, 99f.
103 f. 348 ff. 358 368 377
400 403 ff. 410 473 III,
216 247 270 317ff.
Konstantinopcl, Synode v.
336 II, 235 237.
— Synode v. 360 II, 250.
— Synode v. 381 II, 33 93
99 264 ff. 284 319 372.
— Synode v. 382 II, 267
270 f. 284.
— Synode v. 383 II, 273.
— Synoden v. 448 u. 450
II, 357 361 367 371.
— Religionsgespräch von
531 II, 392.
— Synode von 536 II, 393.
— Synode von 680 II, 39
408 ff. 447.
— Synode V.692II, 410427.
— Synode v. 754 II, 452
457 f. III, 273 275.
— Synode v. 84211,461.
— Synode v. 869 III, 274.
— Synode V. 1156 111,358.
Konstantinop. Symbol II,
86 f. 266 ff. 281 284 293
298 300 III, 270 f. 592
626 666.
Konstantius II, 235 ff.
240 ff. 243 fr. 251 261
264 374.
778
Sachregister
Konstanzt'r Concil III, 308
400 411 417 4im 519 552.
Kopttii 11, :i49.
Koptische Möiu-hc, siehe
Mouche II. öüOf.
Koriiith. (Jcnieiiicle 124.
Kosinolooic 1464 lOlUHOlV.
<)H0 11, 62 1221V. 2171".
iii,y8tr.
Kosmos 710.
Kreuz, 8. Tod Christi.
Kreuzeszeicheu II, 90 126
422 450 457 III, 561.
Kreuzzü^re III, 299 il 511.
Luctuutius 287 477 487 493
5266701V. 73111,122125
283 III, 20 156 171.
Laien u.Laicnchristenthum
606ff. III, 386 390f. 394.
Lameuuais III, 021 647.
Lanipsakus, Synode II, 26 1 .
Lant'rauc III, 321 335 ff.
Lange 29.
Langres, Synode LEI, 266
268.
Laodicea, Synode 309 II, 70
126.
Laodieenerbrief III, 593.
Laurentius Valla III, 438.
Läuterungsfeuer 602.
Lateransynode von 649 II,
406 f.
— V. 863 III, 274.
— V. 1123 ni, 307 ff. 407.
— V. 1139 III, 307 ff;
— V. 1179 III, 308 f. 451
464.
— V. 1215 II, 100 III, 308
340f. 394 441 447 f. 464
488 f. 499 505.
— V. 1515 in, 400.
Laxismus, s.Probabilismus.
Lazarus, gallischer Bischof
III, lOl.
Leben, asketisches, siehe
Mönchthum.
Leben, ewiges und Aufer-
stehung73102r22f.l41ff.
180 f. 382 394 572 II,
c. 2 5 III, 182, s. auch
Vergottung 529 f. 541 f.
672 ff. 681.
Leben, thätigcs III, 384 ff.
706 ff.
Lehrer, Bez. Christi 156
300 413—464 passim.
Lehrer, s. Propheten.
Leibniz 571 III, 3 65.
Leiden Christi, siehe Tod
Christi.
Leidrad von Lyon III, 258
261.
Leo L, 412469 507 512 686
751 n, 30 35 39 94 100
102 174 179 181 297 f.
308 342 350 ff. 354 356
357-378 (cp. ad Flav.
359 361)37811. 386 f. 402
438 474111,216 224 234.
Leo III., Tapst II, 298 III,
271.
Leo IX., Papst III, 307 309.
Leo X., Papst III, 400 567
617.
Leo I., Kaiser II, 378.
Leo der Armenier II, 461.
Leo der Isaurier II, 454 f.
Leo, russischer Patriarch
II, 46.
Leontius von Antiochien
II, 184.
Leontius v. Byzanz 646 II,
37 290 383 ff. 387 391 ff.
402 410 ff. 438 477 f. 481
III, 258 575.
Leontius in Gallien III, 226.
Leporius II, 344.
Lerinumin, 220 f. 228.
Leseschriften, kirchl. 306 f.
311f. 314.
Lessing 28.
Lessius III, 624 6 U.
Leucius, s. Johannesacten
u. II, 440.
Leukipp III, 172.
Libanius II, 258 f.
Liberius II, 244 248 261,
III, 53.
Licht u. Finsterniss 742.
Lichtgott 743.
Licinius II, 189 f.
Liebe 54 f. 125—127 143
555 600 III, 61 f. 80 f.
105 f. 187 f. 209 f. 358 f.
541f. 612f.
Liguori, Alphons III, 646f.
Limbus III, 513.
Lipsius, Justus III, 679.
Litteratur, christliche 81
bis 86 120 f. 129f. 132
203 f. 312 324.
Litteratur, gnostische 197
203 f.
Litteratur, jüd.-theol. 712.
Litteratur, kirchlich -pro-
fan 324 f.
Liturgien 350 II, 41 89 417
419f.
Livania, Wittwc III, 160.
Lösegeld II, 174f., s. Ver-
söhnung.
Logos 85 91 96 f. 163 166
268 277 280 283 f. 297
303 42211". 443 ff 488 ff.
491 ff. 499 f. 514 ff. 543
546 553 ff. 565 f. 569 574
576 578—86 590—604
605-618 619-73 675
679 ff. 682 ff. 686 693 698
700 f. 7031". 708 717 f. II,
128 143 f. 158 ff. 184 ff.
196 ff. 207 ff. 217 ff. 227
237 242 244 258, s. d. 8.
u. 9. Capitel.
Logoschristologie, Gegner
der 605—616.
Loman 49.
Lombardische Arme III,
368 f. 372.
Longin 132 727.
Loofs III, 585 f.
Loskaufung 521, s. Ver-
söhnung.
Lothar v.Lothring.III, 268.
Lucasevangelium 52 f. 3 1 1 f.
Lucasprolog 132.
Lucian, der Märtyrer und
seine Schule 381 549 613
645 704 708 II, 16 18 78
118 183 ff. 199f. 218 225
bis 231 239 278 309 319
326 464 475 f.
Lucian, der Spötter 104.
Lucidus, Presb. III, 225 f.
Lucifer v. Cagliari II, 233
244 f. 254 272111,22 25.
Lucius III., Papst III, 368.
Ludwig d. Bayer III, 372.
Ludwig XIV., König III,
619 f. 636 645.
Ludwig d. Fromme II, 461
III, 247 264 273 320.
Lüge III, 200 f.
Lupus v.Ferricres 111,265.
Luther 4 ff'. 24 116 277111,
37 73 98147 198 213391
409 416 437 516 553 571f.
582 605 643 646 65 1 659
665 672 691—764.
Lyon 287 300 356 360 364
387407 526111,268 559.
Lyon, Synoden 111,226 308
403 452.
Lyoneser Arme III, 368.
Machiavelli III, 578.
Maccdonianer II, 90 186
262 265 ff. 280ff. 111,85.
Macedonius II, 280 f.
Märtyrer u. Martyrium 184
299 361 365 387 393 f.
II, 7 66 96 445 f. 453.
Sachregister.
779
Magdeburger Centurien 24.
Magier 202 f.
Magnentius II, 243 f.
Mailand, Synoden II, 242
244 269.
Mailand, Stuhl II, 399 f.
Maimonides III, 420 516.
Mainz, Synode III, 261.
Maistre, de III, 621.
Makarius, Lehrer Lucian's
549.
Makarius Magnes 731.
Makarius v. Antiochien II,
408 f. 439.
Makarius v. Jerusalem II,
227.
Makarius d. Grosse II, 12 f.
54 141 145 168 423 433f.
449.
Makkabäerbuch, viertes 95.
Malchion 637.
Mandäer 740.
Manelfi III, 664.
Mani u. Manichäer 243 304
313 647 690 737—751
11,34 45 69 110 117 120
124 f. 132 189 243 293
362 f. 374 409 445 449
456 471 475 III, 29f. 48
50 70 85 109 111 114 f.
168 178 183 191 198
214 226.
Marathonius II, 284.
Marburger Artikel III, 583.
jMarc-Aurel 106 HO.
Marceil v. Ankyra 23 470
675 681 II, 24 69 98 151
200 235 236 IT. 239 ff.
243 246 253 257 260 262
270 279 286 292 297 311
312 313f. 320 326 464.
Marcellus, Papst III, 36.
Marcia 404 407.
Marcian, Kaiser II, 100,
110 366 ff. 373 ff. 377.
Marcion u. s. Kirche 79
116121 122 125 134 166
173 191 197203211 215ff.
221 ff. 226—43 248 252
267 273 280 291 ff 304 ff.
327 f. 338 359 368 377
379 383 4061. 464ff 471
480—485 488 49 ^ 508
510 513 531 577 ff. 615
650 680 685 705 741
748 750 II, 69 110 174
302 475 III, 65 191 203.
Marcus, Evang. 312.
Marcus , Gnostikcr 202 ff.
212 225 383.
Marcus v.Arothusall, 249.
Marcus , spanischer Irr-
lehrer III, 252.
Maria, s. Gottesgebärcrin,
Jungfrauengeburt u. II,
47 204 216 328 333 336
339 357 445 450 ff. III,
198 203 211 235 276 f.
369 523 558 ff. 608 626
639.
Marinus 733.
Maris, Perser II, 395.
Maris v. Chalcedon II, 184.
MariusMercatorlll, 154 ff.
169 252.
Maroniten II, 410.
Marsihus v.Padua 111,411.
Martin I., Papst II, 406 f.
Martin V., Papst 111,411.
Martin von Tours II, 449
in, 53.
Martin v.Troppau III, 398.
Massilia III, 220 f.
Materialismus 720.
Materie 218 228 449 481
571587 595ff. 688f. 729.
Mathilde v. Sachsen III,
296.
Matthäus, Ev. 312.
Matthias 216.
Maxentius , skythischer
Mönch III, 228.
Maximilla 356 ff.
MaxirainusThrax. 332 412.
Maximus Confessor II, 292
401 405 ff. 412 426 454
460 480 f. III, 244 247
319.
Maximus, Candidat f. Kon-
stantinop. II, 265 f.
Maximus, Philosoph 732.
Maximus v. Antiochien II,
369.
Maximus v. Jerusalem II,
243.
Maximus, Usurpator, II,
272.
Meiert F. K. 30.
Melanchthon 24 III, 663
698 711 713 719 740 750
756 f.
Mclchiscdck 168 627 660
090.
Meletianer in Acgyptcn
III, 37.
Molctianischc Sjialtung,
Meletianer II, 188 232
234f.
Mcletius von Antiochien
II, 255 260f. 262ff. 265f.
Melctius V. Lykopolis II,
184.
Melissus III, 172.
Melito 150 157 165 f. 280
293 308 365 379 402 429
465 470 f. 476 487 496
509 ff. 526 529 660 II,
70 194 310.
Memnon v. Ephesus II, 345.
Mcmra 91.
Menandcr 207.
Mennas v. Konstantinopel
II, 345.
Menno Simons u. Menno-
niten III, 65 i 656.
Menophantus v. Ephesus
II, 184.
Mensch, Lehre vom, s. Apo-
logeten und 499 ff. 504 f.
514 f. 588 f. etc. etc.
Menschensohn 58165 506ff.
596.
Menschheit Christi 160 bis
166,bes.l65f.220f.595f.
598 608 f. 622 670 713ff.
II,302ff.u. sonstIII,49.
Mensch werdungChristi 281
296f. 454 ff. 473 ff. 497 f.
506 ff. 572 592 598 608
611 627—48 661664 666
688 70171811,45 ff. 139
l46ff. 156157— 172172f.
199 215 f. 302 ff. 328 ff.
u. überhaupt das 9. Cap.
421428f.435f.438450f.
453ff. 461 467f. 482111^
117 258ff. 355f.
Mcritum de congruo et de
condigno ill, 227 ; s.Ver-
dienst.
Merswin III, 388.
Messe, s. Abendmahl.
Messianische Stellen im
I. Bd. passim. u. II, 78 f.
Messias (heid. Vorstellung)
103 206.
Messias (jüd. Vorstellung)
47 55 57 f. 88 f. 98 206
256 712f.
Metatron 91.
Methodius 110 260 283 f.
692 696— 705 II, 11 15 f.
28 65 144 163 165 168
221 232 322 423 f. 433f.
463 III, 25 f.
Metro dorus 321.
Metropolitanverfass. 380
II, 8 31.
Michael, der Engel 150 II,
127.
Micliacl, der Stammler II,
461 111, 273.
Migctius III, 251.
780
Sachrejiister.
INIikiokoHmos II, 133 149
155 433.
Miltiadcs 429 470 476.
Mimiciuy.Fdix 104 106278
389 4l3f. 434 tr. 111, 20.
INlithras 103 205 392 395
11, 434 442.
Moilalismus u. Modalistou
157 495 512 fV. 59(5 015
634 tV. 648—81, s. auch
Sabcllianisnius Hl, 447.
Müdalisinus, naiver 153 f.
166 221 235 651.
Modestus 470.
Möiichthuni 225 284 291
379 t'. 530 606 702 ff. 745
II, 9 f. 23 f. 35 f. 42 f. 55 f.
60 62 66 69 114 118 123
133 136 f. 165 259 848
358 376 378 f. 386 395
405 f. 423 ff. 437 444 f.
453ff. 458 467 477f. III,
9 f. 25 ff. 50 ff. 53 125
155 ff. 189 225 f. 233 234 ff.
289 ff. 296 ff. 364 ff'. 386
546 700 f. 706 ff. 720.
Mönchs vereiue 691.
Moghtasilah , Confcssion
der 740 747.
Molina III, 628 631 f.
Molinos III, 640.
Mommsensches Verzcich-
niss der hl. Schriften III,
22.
Monarchianeru.-ismus 166
284 328 352 360 466 496
578ff'. 611— 48 649— 681
686 718.
Monergismus II, 401 ff.
Moneta III, 487.
Monophysiten II , 36 40
51 f. 64 74 86 89 113f.
167 169 290 304 333 ff'.
337 ff. u. das 9. Cap., s.
u. A. 375 f. 379 ff. 386 ff.
392 f. 401 ff. 429 438 III,
248 ff. 452 f.
Monotheismus, christlicher
150ff. 159 610ff.665 671
678 695.
Monotheismus, griechisch.
102 ff.
Monotheletischcr Streit
646 II, 39 386 401—412
III, 248.
Montanisten und Montan
104 130 140 166 201248
273 f. 307 316 ff. 327 344
352353—67,378386402
407 529 608 612 ff. 650
II, 275 f.
INI oral u. Dogma II, 53 f.
iHJ 446, dazu das 4. u.
5. Cap. Im III.B.passini.
Moralismus 14211'. 170 278
281 284 413-164 499
5(11 f. 504 563 671 111,21
47 660 f. u. sonst.
Morgan III, 154.
Moses, 5 Bücher 93 f. 587
639 711 744.
Mosheim 25 f.
Miinscher 30.
Münzer, Thomas III, 663.
Muhainmed, Muhammeda-
ner 261 265 740 746 749
II, 66 68 291 415 454
475 III, 97 251 f. 331.
Muratorisches Fragment
131 197 308 ff. 336 366
II, 82.
INIusanus 201 471.
Mystagogische Theologie
II, 37 f. 41 6 ff. 423 ff. 439
453 ff. 467 ff. 477 f., s. auch
Methodius.
Mysterien u. -kultus, My-
steriosophic und Mysta-
gogie 102 f. 126 176 ff.
189 f. 194 f. 203 214 222
225 228 275 281284 287
383 ff. 3923941'. 398 f. 731
II, 40ff. 62f. 64 89 111
H2f. 126 fr. 139 142 153
162 168 224 831339 413
bis 462482111,260 271 f.
275 f.
Mystik 140f. 284 341 485 f.
504f. 571 630 701 733
735 f. II, 37 144 165 ff.
375 390 416 423ff'.467ff.
477f. III, 94ff. 214248 ff.
260 271 f. 314 ff. 322 ff.
374—384 388 573 656 ff.
660 f. 692 704.
Mythologie 97 107 193 ff.
722 f. 731 749 und im
II. Bd. passim.
Naassener203f.215f.
Nachfolge Christi, s. Jesus-
Liebe.
Napoleon I., Kaiser III, 621.
Narcissus v. Neronias II,
184 230.
Natalius 624.
Natur (i. d. Dreieinigkeit)
489 (Christologic) 511 f.
719, s. auch Hypostasis,
Substanz, Physis.
Natura et gratia 500 III,
21 44 f. 57 f.
Naturbetrachtuug , christl.
146 150 ff. III, 102f. 313.
Nazaräer 257 260.
Neaudcr31f. 650 III, 584.
Nektarius v.Konstantiuop.
II, 265 271.
Nemesius II, 312.
Ncocäsarea, Synode 379.
Nepos, Bischof 530.
Nero, wiederkehrender 527
II, 67.
Nestorius u. -auer 248 631
638 II, 52 70 78 89 114
290ff. 339— 48 u. passim.
im 9. Cap. 361 438 451
458 475 III, 154 169 228
248 ff. 256 329 451 460
756.
Neues Testament 45 f. 92
115 f. 132 134 215ff.255
273 ff. 285 288 301 f. 304
bis 328 347 353 362 365
370 377 402 464 ff. 519
531 ff. 575 609 614 f., s.
Schrift, heilige.
Neuplatonismus 106 f. 194
196 282 284 419 554 f.
571 605 626 652 f. 672
683688 708 719—37 738
750 II, 16 37 40 67 76
115117f. r23f.l27f. 132
143 195 217 259 297 307
417 419 425 434 444 461
465 468 ff. 477 480 III,
30ff. 47 50 74 89f. 99 ff.
113 f. 118 f. 244 266 303
318 322ff. 378 381 448.
Neupythagoräism. 107 725.
Nicäa, l.Concilu. Kanones
399 403 411 669 692 708
11,21 34 92f. 99101 105
192 204 224 ff. 237 244
254 372 III, 28 42.
Nicäa, Synode v. 787 II,
95 127 441 442 448 450
452 459ff.III, 272f. 274
277 603.
Nicäno - Constantinopoli-
tanum II, 86 f. 92 f. 94
225ff. 236f. 239f. 266ff.
275 297 299345 358363
368 373 379.
Nice, Synode II, 106 249 f.
Nicephorus 676.
NicetasIII, 218.
Nicolaus von Kus III 412
438 557 657.
Nicolaus V. Methonc III
Nicolaus I., Papst III, 299
307 309.
Sachregister.
781
Nicolaus IL, Papst III, 337.
Nicole III, 643.
Nihilianismus III, 451.
Nilus II, 438.
Nisibis, Schule n, 70 81.
Nitrische Mönche II, 473.
Nitzsch 35 635 677111,316.
Noailles III, 636.
Noet u. Schule 166 648
650 ff. 653 ff. 658 ff. 661
674 677.
Nominalismus 652 III, 313
323f. 336 384 404 430 ff.
440 '144 ff. 467 469 478 f.
482f. 486 489 492ff. 548
bis 562 568 573f. 576
606 ff. 633 655 f. 659 ff.
664 737 756 758, vgl.
Socinianismus.
Nonadorantismus III, 666
678 f.
Nordafrikanische Kirchen
II, 94 397 ff. 405 f. III,
216f.
Normen, kathol.273ff. 288ff.
Noting ni, 264.
Novatian u. Schule (Person
und Schisma) 104 153 ff.
159 287 303f.345f.351f.
354 350 369—78 379 469
491 493 524 542 547 637
649 652 f. 655664667672
68711,34 92 101 114 254
273 f. 343 III, 21 23 28
34 39 94.
Numenius 98 107 110 692
725 f. II, 143 217.
Nus (voü;) 728 ff.
Obex 111,481.
OccamIII,410f. 429f. 433
444 ff. 453 469 484 494
550 556 ff. 560 756.
Occhino III, CS^.
Udo V. Morimond III, 30 j.
Oek()lamr>ad24IlI, 756.
Oekonomon, montanisti-
sche 356.
Oekonomie, s. Apologeten
u. 490 f. 497 500.
Oekumenischo Synoden, s,
Concilien.
Of'lung, H. Confirmation u.
II, 421.
Oelung, letztem, 520 602.
OnV^nljarung .Ifdiannes, s.
Apokalyj). .loh.
Orieiibaniiig, Lehre von der
420 fr. 436 f. 453 ff. 565
569 573 576 ff. 591 738
III, 112f.u. sonst
Offenbarungsgeschichte
362 565.
Offenbarungsphilosophie
97 193f.415ff.42(»ff.722
738.
Offenbarungssehnsucht
102f. 108 417.
Offenbarungszeit , Ab-
schlussder316f.326358f.
366 578.
Ohrenbeichte III, 413.
Oj)era supererogatoria II,
136.
Opfer, christliches 115 137
169f.l73ff. 178ff.386bis
92 52211,1 12 174 ff.427 ff.
432—440 III, 240 f., s.
Abendmahl 291.
Opferwesen, heidnisches
I75ff. 179f._
Opferwesen, jüdisches 62
179f.208f.258f. 263 385.
Ophitenl73 200 202 211f.
216.
Optatus 353 C73 II, 99 III,
22 35 38ff. 48 127 f. 139
Opus operantis (operans)
III, 470 479.
Opus operatum III, 470 479
596 721 751 754.
Orange, Synode III, 230f.
269.
Ordalien III, 275.
Ordination 393 III, 37 f.
145 f. 398 407 464 471
520 ff.
Ordines Septem III, 521 f.
Orientalischer Kultus 192 f.
Origenes u. Schule 10 67
89 92 99107 116 136 150
155162167172188190f.
197 200 221 223 ff. 245
250 253 256f. 260 277ff
281 ff. 302f. 309 315 324
326 f. 332 f. .342 ff. 351 f.
358 366 372ff. 380fr. 383ff.
386ff. 391 395f. 398f.
402f. 410 419 466 468
483 488 499 517 f. 525
-604 608 6'29
r.'\i nr.Q^
oo
633 ff. 642 048 f. 653 658
660 669 676 f. 681 685
687 f. 690— 705 727 734 f.
II, 3f. 11 f. 14—25 27 f.
35 36 f. 53 56 63 65 f. 67
70 72 74 f. 77 79 80 ff. 89
111 120 122f. 125 f. 128
1.30 ff. 135 137 f. 143 f.
149f. 154 158 101 166f.
172174 175r. 184 194 200
203 207 1". 217 f. 220 ff.
225 ff. 232 239 243 253 f.
258 f. 272277f. 282 286f.
303 309 f. 3 12 f. 320 ff.
349 361 383 388 395 f.
398 406 418 423 f. 426
432 f. 443 462 ff. 466 bis
480 in, 13 25 ff. 28 f. 69
91 97 160 278 303 323f.
332 378 450.
Origenistische Streitigkei-
ten II, 29 110 383 395
471 ff. 477 ff.
Orleans, Synode III, 252.
Orosiusin, 156 101 f.
Ortlieber III, 408.
Ossener 260.
Otto L, Kaiser III, 299.
Otto V. Bamberg III, 464.
Pacian III, 22 34f.
Palästina, Christen in § 5
6S.245ff.251ff.256f.26L
Palladius II, 449.
Pamphilus 342 634 688 704
11,90 464.
Pamphylische Synode II,
379.
Pantänus 552.
Pantheismus 569 II, 128
144 163 166f. 168f. 390
424 446 478 IH, 381 f.
408420444f.448f.656ff.
662 f.
Papias8892127132ff.l39f.
245 342 357 526 528.
Papst, s. Römischer Bischof
u. III, 10 216 243 307 ff.
392 ff. 487 f. 509 514 f.
519520521 f. 566ff.571ff.
590ff. 594 617— 623 625
bis 628 647—653 724 f.
Paradies, s. Chiliasmus und
II, 66 135 f. 146f. 154
Tza^ärjozic. aYpacpoc II, 88f.
105 456 f.
Pardulus III, 267.
Paraklet, s, hl. Gleist.
Paris, Synoden II, 251 450
III, 273.
Paris, Universität 111,7 398
411 f. 561 629.
Parmenianlll, 38 ff. 48.
Parmenides III, 172.
Parsismus 746 f.
Parteien im apostol. Zeit-
alter 76 f. 78 ff.
Pascal III, 634 643.
Paschasinus II, 368.
Paschasius Ra(i})ertus III,
246 27() 278 ff 334 :}38
558.
782
Sadlirepfistor.
Vassahstreitigkeiten 245
24S.
Pastor aeternus, Bulle III,
-100 507 Gl 7.
l»aatc)aill)riete 1:54 184 210
230 2G0291306308313f.
335.
Pataroiier III, 408.
Pathoii 395 III, 486.
Patriarchatsvertassun^ II,
97 f. 111,210.
Patriarchen, ATlioho 535 f.
11,8 35 95 98fr. 113.
Patriarchen , montanisti-
sche 357.
Patripassianor, s. Moda-
listen.
Paul V., Papst III, G32.
Paulicianor751 II, G9 III,
300.
Pauliuus von Aquilcja III,
245 254 207 ff.
Paulinusvon Antiochien II,
260 2021. 2G5— 271.
Paulinus v. Iconium 38G.
Paulinus von Nola II, 447
ITI, 40 155 157.
Paulinus von Mailand III,
158 166.
Paulinus von Trier II, 24^.
Paulinus von Tyrus II, 184
194 f.
Paulus von Konstantinopel
II, 235.
Paulus II. von Konstan-
tiuopel II, 405 f.
Paulus V. Samosata 23 1C5
304 385 613 656 ff. 666
693 706 II, 16 24 92 98
183 ff. 200 201 204 218 f.
221 237 239 242 252 309
813f. 320 322 324 ff. 340 f.
354 u. passim., 401 III,
117 252.
Paulus, Apostel (Lehre u.
Briefe) 45 f. 52 f. 72 75 ff.
81ft;87 9199 111113ff.
125 129132ff.l40f. 143f.
146 149 162 164 169 ff.
178 185 192 197 201204
207 f. 209 216 228ff. 237 ff.
241 f. 250ff. 256f. 260ff.
269 281 304—328 334
404 ff. 465 ff. 472f. 492
499 501 f. 504 f. 509 520
522 524 526f. 609 714
bis 719 748 II, 50 317
323 III, 31 f. 37 46 52
65 68 74 194 2071'. 686
691f. 702 718.
PelagiusL, Papst II 99399.
Pelagius, Pela^ianer II, G7
100 153 17 133 134 2 34 11'.
474 III, 23 27 151—183
225 228 435 533 548 ff.
56 1 605 015 0311". 633 1".
686 689.
Pella 256.
Pepuza 140.
Peraten200 215.
Perep^riuus 104 202.
Ttspi^iupfjOK; II, 291 412f.
Perpetua u. Filioitas-acten
144.
Perrone III, G24.
Persien II, 348 476.
Persische Gottheiten 193.
Person (i. d. Dreitalti,^keit
und Christologie) 489 ff.
511 f. 599 II, 230 252
25Cf. 2871". und das 8. u.
9. Cap.
Persönhchkeit , Idee der,
s. Augustin, Mystik und
III, 431 529.
Petrikau, Synode III, 667.
Peter de Marca III, 620.
Petrobrusianer III, 487.
Petrophilus II, 184.
Petrus 133—137 216 267 ff.
348f.405ff.410f. II, 100
III, 243 300, s. auch
Leo L, Primat, Römische
Gemeinde.
Petrus Alex. 691 f. 696 II,
25 188 346 463.
PetrusII.Alex.il, 262 ff.
320.
Petrus-Apokalypse 87 139
305 312 357.
Petrus Aureolus III, 430.
Petrusbriefe 72 84 91 132
159 171 304f. 306 312.
Petrus Comestor III, 305.
Petrus Damiani III, 464.
Petrus d'Ailly III, 412.
Petrus Fullo II, 381 385 f.
Petrus Lombardus III, 328
330f. 332 861f. 401 443
447 451 f. 457 464 466 f.
473 477 480 481 f. 485
489 491 490 499 505 513
520f. 522 523 525 ff. 550.
Petrus Mongus II, 380 387.
Petrus V. Kallinico II, 200.
Petrus de Palude III, 505.
Petrus von Poitiers 111,470,
Phantasiasten II, 388.
Pharisäismus 52 61 f. 83
246 f. 258 f. 262 III, 420
605.
Philastrius 616 650 676.
Philemonbriefll, 73.
Pliili|)p()i)()lis, Synode II,
241 248 270.
Pluli))[)us Arabs 412.
PliilippuH v. Gortyiia 471.
Philo 85 94 ff. 190 204 215
277 282 418 443f. 553f.
576 7261.11,78 121 127
132 208 217 223 272 III,
28.
Philo's Hermeneutik 99 f.
Philosophie , griechische
106 ff. 187 11'. 226—43
(s. auch Evang. u. Helle-
nismus) 276 ff 298 413
bis 464 466 f. 480 493
530 553 f. 505 569 603 f.
720 734 Philosophie und
Dogma auch II, 4 9 52 59 f.
I15ff. 294f. 296f. 383 ff.
411 422 f. III c. 2u. 3
S. 89 f. 317 ff.
Philostorgius II, 7 184198
200 259 272 312 428.
Philoxenus, s. Xenajas.
Phlegon 136.
Phöbadius II, 247.
Phokylides 128 f.
Photin 632 646 II, 238 241
242 244 262 320 341 III,
117 252.
Photius 595 688 f. 741 II,
44 98 105 293 298 410
419 in, 274.
Phrygien 355 ff.
Phthartolatrie II, 388.
Physis II, 203 213 f. 252
257 290, dazu das 8. und
9. Cap.
Pierius 688 f. II, 218.
Pietismus III, 751 762.
Pionius-Acten 249.
Pistis Sophia 173 216 604
703.
Pistoja, Synode III, 623.
Pistus II, 236.
Pithou III, 619.
Pius IL, Papst III, 567.
Pius V., Papstlll, 628f.
Pius VI., Papst III, 623.
Pius VIL, Papst III, 621.
Pius IX., Papst III, 625
639.
Piatonismus u. Plato 106 f.
109 f. 193 199 201 f. 205 f.
21l342f.417421ff 426tt-.
432 4341'. 565 571 587
611 651 672 71911'. 727 f.
II, 37 40 52 57 (51 123
125 132f. 156 1631.1861'.
245 258 f. 294 312 468
Sachregister.
783
477 IIT, 29 30f. 172, s.
auch Neuplatonismus
329 436 437 ff. 550 565.
Pleroma 196 219 223 572.
Plinius 138 156.
Plotin 110 493 653 722
725 ff. 729 f. 735 II, 8
117 132 217 297 312 481
in 378
Plutarch98 106 110 733.
Pneumatiker 221 f. 608.
Pneumat. Christologie 161
bis 168.
Pneumatomachen, s. Mace-
donianer.
Polemon II, 389.
Polnische Kirche III, 666 f.
Polychronius II, 326.
Polykarp u. Brief 104 125
127 131—173 174 212
243 285 289 f. 294 304 f.
306 402 406 409 471.
Polykarp - Martyrium 130
I55f. 336.
Polykrates 229 409.
Polytheismus 103 151 277
282 414ff. 453 565 720
II, 7 13 17 f. 41 f. 117
126 f. 139 201 206 209
217ff.234 250 418f. 422
425 f. 429 f. 441 ff. 452 f.
III, 97.
Pontian, röm. Bischof 412
607 677 685.
Porphyrianer II, 231.
Porphyrius 110 418 567 ff.
692 722 726 f. 730 f. 734
II, 18 28 117 132 297
312 394 481 III, 323.
Port Royal III, 036.
Posidonius 106.
Possessor, Bischof III, 229
Prädestes 616.
Praedestinatus, Hb. 111,225.
Prädestination ir, 155 171 f.
111,3381 113f.149f.184f.
196 207 f. 213f. 222 f.
224—233 2.38 241 261
bis270 405ff 414ff.436f.
542f.552f.686 714f.744.
Prädicatio Petri 129 134
I42f. 146148 150f. 162f.
174 176259.321.
Präoxistonz und -Vorstel-
lungen (Christi) 71 72
88 f. 109 161 f. 167 ff 254
256 30:{ 641 645 f. 661
709—719 111, 677.
J'räexistenz der Seelen 688
7 10 f. (s. auch Seelo) II,
132 ff. 138 149.
Präscriptionsbeweis 480,
s. Tradition, Ueberliefe-
rung.
Pragmatische Sanction III,
399.
Praxeas 356 407 409 488 f.
655 ff. 665 673.
Presbyter 182f. 226 384f.
n, 188.
Presbyter b. Irenäus 134
173 294f. 329f. 405 471
496 498 523 526 536.
Priester , christliche § 4,
S. 183 276 338 346 372
383— 86533606 ff.II, 112
428 f. III, 146 243 340
369 393ff. 407 496 500f.
507 ff. 519 521 f. 601 602
724 f.
Priestergewänder III, 605.
Primat Roms 400—412 II,
100 f. III, 42 135 216, s.
Römische Gemeinde.
Priscilla(Prisca)356ff.
Priscillian 751 II, 297 III,
53 51 f. 300.
Priscus 732.
Probabiliorismus III, 644.
Probabilismus III, 430 435
589591597605 640—47.
Proculus 358 380 409 470
650.
Professio fidei Tridentinae
III, 340 618 624 f.
Proklus 110 733 735.
Prokop 691 II, 275.
Propheten,christl.u.Lehrer
87 92 129 132 1.36 138
145 182 f. 202 f. 215 f.
235 245 305 310 314
316 ff. 330 f. 355 f. 363 ff.
383 386 466 529 .537 ff.
617 ff. III, .373 387.
Propheten d.AT.'s 639 744 .
Prophet. .Succession 359.
Propositiones gallicanae
III, 619 ff.
Prosopenlehre 678 ff.
l»ros])erIII,169220ff.223ff.
227.
Proterius II, 351.
Protestantismus, s. Refor-
mation.
Protogeues II, 240.
Protoplast 698 f., s.Adnm.
Provin/ialsynoden II, 92 f.
Prudcniius 11,240 297111,
22 26 46.
IVudentius v. Troyes III,
265 f.
Psalmen 64 85 147 111,74.
Psalmen, christl. 138 204.
Psalmenüberschriften II,
70.
Psalmen, Salomonis 62.
Pseudoambrosius III, 230
491.
Pseudoaugustin III, 230
499.
Pseudochrysostomus II,
438.
Pseudoclemens devirigini-
tate 130 132 703.
Pseudoclementinische Ho-
milien u. Recognitionen
265—70.
Pseudocyprianl59 377 III,
21 f. 34 48.
Pseudocyrill III, 397.
Pseudogregor III, 514.
Pseudohippolyt II, 46.
Pseudoisidor III, 290 307
309 f. 397 488.
PseudoJustin, oratio ad Gr.
432 de monarchia 437 de
resurrectione 433 f. 508.
Pseudoorigenes - Adamau-
tius 226 f. 483 521 696
(s. Adamantius).
Pseudotertullian 657.
Psychiker 222 f. 363 381.
Psychologie II, 62 129 ff.
III, 19 94 f. 98 ff. 431.
Ptolemäus, Valentinianer
156 174 197 f. 216 218
220 223 306 309 480 531
II, 193.
Pulcheria II, 359 ff. 366 ff.
374.
Pyrrhus v. Konstantinop.
II 404 f.
Pythagoras201 205211434
11,312 111, 172.
(Juaternität III, 447.
Quartadecimaner, s. Pas-
sahstreitigkeiten.
Qucsnel, Paschasius III,
636 f.
QuietismusIII, 66f.81 123
640.
IlabanusIII,244 264 f. 268
277 283.
Radbert, s. Paschasius.
Rakauer Katechismus III,
65,", i". 668 ff.
Rationalismus 112 f. 142 f
195 f. 225 416-464 ]).
466 f. 473 477 4SI 485 f.
535ff736n,ll(;ffl29ff.
139 f. 1431". 416 111, 15 ff.
784
Sachrep^istor.
23 50 57 112f. 154 156ff.
nur. 327 f. 3G0f. 422 f.
762 etc., 8. das 3. Cap. des
3. Buches.
Ratraiimus III, 265 270
276 283 IV. 3;;4 f.
Kaumtlieorien III, 492 f.
Haymuud III, 3ü3.
Realismus (spoculativer)
<;!»7f.7o;'.iii,322ir.42im
430.
Kealpiäsonz, s. Aljendmahl
u. 111, 494 f.
Recapitulatio 471 f. 474 f.
494 5031V. 509 515 517
520 521 fV.
Reccared II, 298 III, 252.
Rechtfertiouüg III, 33 45 f.
79 f. 1851V. 405 481 485f.
487 537 fV. 554 ff. 005 bis
616 686 f. 716 ff. 720.
Rechtsbcgi'iffe in der Dog-
matik 389 f. 468 f. 489
511 513 II, 177 f. 288 f.
300f. 307f. III, 5 ff. 14 f.
26 47 234 ff. 242 307 bis
312 392ff.570 574 640ff.
647.
Redemptoristen III, 646.
Reformation II, 08 84 III,
390 f. 430 475 479 579 f.
582ff.589f.593 599600f.
605ff. 616628 655 f. 661f.
691— 764.
Reformconcilien III, 389.
Reformirte Kirchen III.
065 ff.
Regensburg, SjTiode III,
256.
Regula fidei, s. Kerygma,
Üeberlieferung, Glau-
bensregel.
Reich Gottes (Christi) 54
56 ff. 119 131 139 ff. 144
152 173 223 334 525 f.
III, 136— 140 297 ff. 406.
Reichersberger, Theologen
m 339.
Reichskirche 378 ff. 626
II, 31.
Religion, mythische 566 f.
Religion, natürliche 93 f.
338 720 746 f. etc.
Religion und Sittlichkeit,
griechische 102.
Religiousphilosophie § 7 8
S. 193 ff. 198 f. 551 f. 557
563 603 729 f. etc.
Reliquienkultus 380 II, 7
41 f. 415 420 422 f. 441
445 f. 448 f. 452 fl'. III,
239 251 f.
561 603.
369 379 413
Remigius III, 205 f. 268 f.
Renan 36 78.
Rcnaistiancezeitalter 736
III, 381 388 43711'. 5731'.
577 655 1'. 659 f. 666.
Renato, Camillo III, 664.
Reordination III, 398 407
521 f.
Repräsentanz der Kirche
II, 91 ff
Reticius III, 34.
Ueue54 56t'. 142f. II, 142,
s. Busse.
Reuter III, 321 360.
Revolution, französische
III, 621 623.
Rlustorik II, 63.
Rhodon203 227 f. 243 351
465 470.
Ricci III, 623.
Richard v. St. Victor III,
377 380 444 447.
Richeheu III, 616.
Richter, Jesus der 55 68 f.
155 156 f.
Rimini, Synode II, 249 f.
262.
Ritschi 36 273 IIT, 303 377
383 584 658 ff. 677 ff. 738
741 761 f.
Robert Pullus III, 332 464
480.
Römische Gemeinde und
Bischof u. Christenthum
126 131 136 213 261 264
267294 300 303 31 If. 323
331f. 344 f. 348 f. 356 360
363 371 f. 375—78 380
406-412 II, 32 95 99
100 ff. 112 f. 114 f. 234
243 261ff. 271298f.341ff.
349 ff. 358 362 377 391 f.
393ff. 397ff. 405ff. 408f.
410 f. III, 5 ff. 23 ff. 36
42 135 216 217 227 bis
233251 270274 290 307ff.
566 ff. 571 ff.
Römisches Symbol 87 131
140 151 155 f. 173 287
289 f. 294 f. 296 f. 836
401 f. II, 87 308 343 860
m, 218.
Römischer Weltstaat 105 f.
II, c. 1 III, 215 ff.
Roger Baco III, 401 420.
Rom, Synoden II, 238 f.
262 f. 269 f. 319 344 473
III, 166 337 f. (s. auch
Lateransynoden).
Romanen TU, 7.
Romantiker III, 621 623.
Roscellin III, 323 421 430
446 f.
Rothe 37.
Rousseau III, 512.
Rufin II, 11 32 71 79 87
472f. III, 29 154.
Rufus V. Thessaloiiich III,
168.
Rupert v.Deutz III, 339.
Ruysbrock III, 377 388.
Sabas II, 479.
Sal)bath255f. 2621'. 385 408.
Sa])ellianer u. -ismus 235
:^.07 596 643 ()48 ff. 663
667 673 674—93 705 II,
14 189 192 194 202 204
209 220 222 226 232 236f.
239 241 243 248 252 257
260 262 268 270 277 286
290 294 297 308 382 III,
251 329 447.
Sabier 265.
Sabinian v. Perrha II, 363.
Sabinus II, 92 225.
Sachsen III, 245.
Sacrament 180 f. 225 297
351 371 392 ff., siehe My-
sterien III, 10 35 ff. 39 ff.
51 f. 140 — 147 180 182
186 f. 330 333 335 340 f.
368ff.378f.402405ff.410
414 ff. 440 462—524 595
bis605 661 721—724729
737 746 ff.
Sacramentalien 111,413 466
486 604 f.
Saeculum obscurum III,
321.
Salimbene III, 373.
Sallustius 732 III, 172.
Salomonische Schriften II,
70.
Salvian III, 217.
Samarien (Religion) 206 f.
261 II, 243.
Sampsäer 260.
Sardika, Synode II, 63 101
230 238 MO f. 255 278.
Sardinien,BischöfeIII,228f.
Sarpi III, 591.
Satisfaction 387 524 f. II,
177 f. III, 16 f. 22 206
288 ff. ;M1— 358 453 ff.
508 ff. 663 682 ff 711 f.
728
Satornil209f. 212 220f.
Savouarola III, 386 578.
Savonieres, Synode 111,268.
Sachregister.
785
Schafi m, 587 f.
Schechina 91.
Scherr, Erzbischof III, 626.
Schisma v. 484-519 II, 380.
Schisma, das grosse päpst-
hchelll, 411f.
Schismatiker 852 lU, 127 ff.
Schleiermacher 31 f. III,
762.
Schlüsselgewalt, s. Busse.
Schmalkaldische Artikel
III, 582 627 695.
Schöpfung 150 208 fif. 218 f.
480 f. 490 575 f. 587 f.
666 f. 698 716 f. 735 743
I[, 65 208 in, 103 108 f.
181 448 f. 711.
Scholastik 7 32 f. II, 37 40 f.
121 126 291 295 308 333
383 f. 889 897 399 407
411£f.420439478ff.481ff.
III, 312 ff. 419 ff. 439 ff.,
s. Nominalismus, Tho-
mas, Duns etc.
Schrift, heilige, s. A. und
NT. II, 50^f. 64 70-83
84f. 199 200 201211216
252294 315 817 320332f.
361 376 433 443 458 482
III, 14 20 65 87 f. 413
424 f. 430 439 462 582
593 f. 623 ff. 658 661 f.
668 ff. 705 727 f. 736 737
744 ff.
Schriftauslegung, s. AUe-
goristikS.386 483f.573
672 III, 736 u. sonst.
SchriftbeweisII, 75ff. 281
457 465 477.
Schriftorakelbefragung II,
446 f.
Schriftstellerei, s. Litterat.
Schrifttheologie 483 f. 518.
Schuld 524 III, 42 f., siehe
Sünde, Erl)sünde.
Schulen, guost. u. kirchl.
203 209ff.228 234f.255f.
297 f. 549 ff. 627 709.
Schutzengein,448III, 235f.
Schwarmgeister, S.Wieder-
täufer.
Schwenkfeld III, 657 6G3
754.
Schwindler, christl. 202 f.
Scillitani.sche Märtyrer-
Akten 305.
Scotus Duns, s. Duns.
ScotuH (Erigena) IT, 1 07 298
.",91 lir, 32 2441". 247 266
319 .334 378 420 444.
Secta 203.
Secten, jüdische § 3 6 7
S. 205 f.
Secundus v. Ptolemais II,
184 189 230.
Secundus v. Tauchira II,
181.
Seele, als Braut Christi 525
600 701 f. II, 11 f. 110.
Seele Christi II, 303 ni,
115 f.
Seele, menschl. 585 f. 589
595 671 688 728 ff.
Seelenmessen III, 237 ff.
241 275 287.
Seelenschlaf 601 f.
Seleucia, SjTiode 11, 186
249 f.
Seligkeit 590 ff. II, 45 fif. 66
III,121ff. 388405 f. 440ff.
720.
Semiarianer 643, s. Euse-
bianer u. Homöusianer.
Semipelagianer III, 169
219 ff. 615 635 643.
Semitische Kosmologien
193 f.
Semler 29.
Seneca 106 119 IH, 21.
Sens, Synoden in, 267.
Sentianus v.ßoräum 11, 184.
Septuaginta99 f. 484 II, 71f.
83.
Serapion v. Antiochien 1 32
249 317 319.
Serapion v. Thmuis II, 280.
Sergius v. Konstantinopel
II, 403 f.
Servatus Lupus III, 265.
Servede, Michael III, 661
664 f. 692.
Sethianer u. Seth 200 744.
Seuse m, 37 7 f. 382 385 388.
Severianer(Enkratiten)201
253 313.
Severus, Monophysit und
Severianer II, 380 383 f.
386 ff. 392 f. 402 438.
Sibyllen 51 93 f. 128 f. 155
418 437 511 527 547.
Siebenbürgen III, 666.
Siegel, Bezeichnung der
Taufe 177 f.
Simon Magus 104 206 ff.
267 ff. 747.
Simon, Richard III, 624.
Simonianer 166.
Simonie III, 207.
Simrtnistisclie Weihen III,
407.
Sirni)licius, Papst II, 370.
SimpliciuH, Philosoph 733.
H a rn a f! k , Do{?iii<!iigo,H(;hiclite III .
Sirach 388.
Siricius in, 51 252.
Sirmium, Synoden u. Sym-
bole II, 66 242 ff'. 247 ff
278.
Sisinnius, Lector II, 273.
Sittengebote u. Sittlichkeit,.
Christi. 119 128 ff. 145
290 f. 297 f. 327 f. 354
357f.360ff.365400414ff.
450f.n,53ff.l29ff. 136ff.
m, c. 3, c. 4 S. 405 f.
SittHchkeit, doppelte 201
365 379 381 563 745 ff.
II. c. 1 u. 2 ni, 43 50 f.
189 645 f. 561 720.
Sittlichkeit, gnost. 224 f.
Sittlichkeit, manichäische
744 ff.
Sixtus IL 681 II, 349 f.
Sixtus IV., Papst III, 561.
Skepticismus 721 III, 68
70 f.
Sketische Mönche II, 122
471.
Skythische Mönche II,
382 ff. 385 in, 228 ff.
Slaven U, 43 III, 6.
Socin n. d. Socinianismus
III, 3 8 170 430 453 573
581 653—91.
Sokratesl04 108421ff.430
563.
Sokrates, Kirchenhistori-
ker 342 369 378 669 II,
7 f. 20 28 45 57 88 90
102 136 254 258 273 f.
340 474.
Sonntag 251 256 385.
Sopater 732.
Sophrouius II, 46 55 403f.
Soter, röm. Bischof 404.
Soterichos III, 338.
Soteriologie 680 III, 50 ff.
etc. etc.
SozomenusII,7 74 102 449
474.
Sozzini, s. Socin.
Spanische Dogmengesch.
III, 7 248 ff. 270.
Spanische Synode v. Jahre
447 II, 297.
Spener III, 751.
Spinoza III, 328.
Spiritismus II, 8.
Spiritualcnm,309 372658.
Spiritualismus u. -lisirung
llOf.140 151f.187ff.697.
Staat, christl. Beurtheilung
des 62 f. 140 427 il im
IILBd. passim. Z.B.709.
50
786
Sachregister.
Staat u. Kirche II, 35 f.
42 f. 35 Ur. 393 405 454
bis 4Ö2 III, 130—140
307ir.392rt".403f.7ü9utc.
Stiuitsreligiüu 103 f. u. II,
passim III, 571 f.
Staupitz III, 27 384437573.
Stellvertretung 172 522 II,
175, s. Satisfactiüii.
Stei)haiiu9 bar Sudaili II,
128 169 390 f. 424 478.
III, 244.
Stephaiius Gobarus 23 G80
II, 98 391.
Stephanus Niobes II, 390.
Stephanus, röm. Bischof
347 ff. 372 403 408 410.
Stephanus von Antiochien
II, 241.
Stiftshütte 711.
Stoicismus 106 f. 109 f. 153
205 211 269 417 ff. 426
432 4e39 485 487 570
651 ff. 720 ff. 725 II, 57
122 III, 15 19 21 27 50
154 172 179.
Strafleiden III, 342 351 f.
u. sonst.
Subordination, s. Logos u.
II, 16 f. 200 202 237 244
247 258 '^89 294.
Substanz (i. d. Gotteslehre
und Christologie) 489 ff.
511 ff. II, 199 203 213f.
229f. 252 256f. 285 287f.
290 u. das 8. u. 9. Gap.
Sünde 55 59 f. 72 f. 82 106
108 142 144 170 f. 219
367—78 499 501 f. 505
509 571 590 ff. 690 699
715 f. II, 137 ff. 146 ff.
158 164 171 III, 29 42f.
50 ff. 59 ff. 79 f. 102 f.
104f. 173ff. 177ff. 190ff.
236 ff. 242 289 ff. 343 ff.
498ff.533ff. 544ff.548ff.
607ff.713f. 720 744 752.
Sündenfall 151f.218f.499ff.
504 ff. 571, siehe Sünde,
Adam.
Sündenvergebung 54 — 57
59 f. 72 f. 106 108 142 ff;
169 ff. 176 f. 180 262 f.
363f. 367— 78 380 393 ff.
397f. 457f.522n, 142f.
III,33f. 77ff. 158f.l81f.
187 205 238ff.242 288ff.
843ff. 537ff. 544f. 609ff.
680 ff. 701 f. 716 ff. 758.
Sulpitius Severus II, 4 9 f.
449.
Superabundans satisfactio
III, 455 ff.
Superadilitum III, 531 ff.
544 f. 607 029 713.
Syllabus III, 648.
Syllogismen d. Ai)olles230.
Symbol, augustinische Er-
klärung desselben III,
200 ff.
Symbole (Glaubcnsregeln)
130 f. 283 f. 288 ff. 303
336348 401f. 704 f. 707 ff.
n, 61f. 65 f. 85 ff. 267 f.
298 ff'. 308 420 465 u. das
11. Cap. III, 47 f. 85 f.
87f.200ff.218443ff.571f.
Symbole (Zeichen) 176 ff.
180 187 ff'. II, 41 f. u. das
10. Cap. III, s. Abend-
mahl.
Symbole, evangelische III,
761 f.
Symmachus, Ebionit 256.
Synagoge des Satan 148.
Guvdccpeia II, 237 331.
Sutri, Synode III, 309.
Synesius 732 735 II, 34 00
143 468.
Synkretismus 102 f. 187 ff.
206 ff. 281 284 380 f. IT,
7 13 f.
Synode 285, s. Concilien u.
Provinzialsynoden,
Synoptiker 609 618 ff.
Syrian 733.
Syrischer Kultus (Gnosti-
ker, Kirche) 192 ff. 206 ff.
209 ff. 247 256 267 320
402.
Tacitus 104.
Talleyrand III, 202.
Talmud 246 260 III, 420
605 644.
Tamburini III, 645.
Tarasius v. Konstantinopel
II, 459 III, 270.
Tatian u. Schule 121 132
157163165 167174200 f.
203 215 f. 307 315 361
402 525 653 680 690 II,
72 131 475.
Taufbekenntniss, s. Be-
kenntniss, Glaubensre-
gel, Symbole.
Taufe 68 113 122 136 142 ff.
147 176 ff. 189 225 237
263f.289368ft'.387f.392f.
394— 396413— 464429ff.
461 f. 471 476 488 503
506 600, s. auch Myste-
rien u. II, 420 f. 434 443
III,40f.51 52 141 ff. 182
187f. 232 f. 238 340 394
470 f. 484 ff. 597 609
679 f. 722.
Taufe Christi 91 131 161
164 173208220 264515f.
618633639041 III, 255 f.
Taufformel 08 f. 113 167
176 f.
Tauler III, 377 385 731.
Tempel 711.
Terminologie, dogmati-
sche, von Luther bean-
standet III, 728 f.
Tersteegen III, 94.
Tertiarier III, 366 387.
Tertullian 100 104110 126
132 135 f. 142 f. 150 157
159 174 176 f. 184 190 f.
198 205 211ff. 214f. 221
226 ff. 250 280 f. 285 ff.
292 296—299 300 306
308—328 329 ff. 335 ff.
338 ft\ 343 ff. 350 f. 350
358ff. 364f. 368tf.377ff.
381 383 f. 386 ff. 391 ff.
394—397 401 ff. 408 ff.
420 434ff. 413—464 pas-
sim. 464—547 548 550
577 592 598 604ff.612ff.
649 653 ff. 656 661 664 ff.
672 677 697 702 705 f.
II, 122 133 138 177
229 f. 276 f. 286 ff. 297
307 f. 342 314 359 427
III, 5 12—22 68 88 198
246 312 353 498 569 673
738.
Testamente, s. A. u. NT. u.
Schrift, heilige.
Testam. XII Patriarchen
157 166.
Tetraditen II, 290.
Tetzel III, 512.
Teufel, s. auch Dämonen u.
151ff.218f.264 351520f.
588 592 743 II, 65 125 f.
127 174f.181f.443f. III,
184 235 f. 344 357 358
361 707.
Textrevisionen bei Zusam-
menstellung des Kanons
311 f.
Thaies III, 173.
Thamer III, 657.
Thatsachen der Geschichte
Jesu, s. Kerygma.
Theklaacten 155 308.
Themistius 732.
Theodas, Gnostiker 210.
Sachregister.
787
Theo(üceII,124f.m,112ff.
450.
Theodora (Kaiserin) II,
393 ft\
Theodora(9.Jahrh.)n,461.
Theodoret 653 676 II, 34
61 78 84 102 293 326
346f. 355 ff. 358 363 365
370ff. 395 f. 438 449 461
475 ff.
Theodorich v. Freiburg III,
375 388.
Theodorus Askidas II, 395f.
Theodorus v. Heraklea II,
326.
Theodorus v. Konstantino-
pein, 408f.
Theodorus v. Mop. 646 II,
12 40 70 73f. 76 78f. 100
151—153 169 171 292
325—333 348 356 395 f.
438 476 ff. m, 154 169
228 253 673.
Theodorus v. Rom II, 405.
Theodorus Studita II, 452
460 ff. 466.
Theodorus von Tarsus III,
247 290.
Theodorus v. Synnada 386.
Theodosius I., U, 80 33 f.
88100f.264ff. 269— 274.
Theodosius n., 11, 345 348
355—366.
Theodosius , arianischer
Bischof II, 198.
Theodosius v. Alex. II, 894.
Theodosius v. Ephesus-II,
457.
Theodotianer , s. Adop-
tianer.
Theodotus, Gnostiker 161
225 525 11,81 421.
Theodotus, Monarchianer
408 621—48 passim. 652
656 659 III, 664.
Theodotus, der Wechsler
624 ff
Theodotus v. Laodicea II,
184.
Theodulf III, 271.
Theognis II, 184 225 231
234.
Theognost 688ff. II, 16 61
221.
Theoktistus v. Cäsarca 386
550.
Theologie, Aufgaljc u. Ur-
sjjruug d. christl. § 5 — 8
U.S. Ulf. 137 ff. 190 ff
203f. 366f. 439f. 466f!.
560 573. Dibcrediliruiig
derselben III, 537 f. Lu-
ther's Stellung zu ihr III,
710; s. auch Dogma und
Abendland etc.
Theologie , natürliche , s.
Rationalismus u. II, 49
53 ff. 115 ff. 129 ff. 143
146ff. 157f. 163 170 289
416 464 482, s. auch Au-
torität u. Vernunft.
Theologie, orthodoxe 561
II, c. 11.
Theologie , wissenschaftl.
560 562 568 709 II u.ni,
passim.
Theologie u. Dogma II, 27f.
462ff.479ff.,s. auch Dog-
ma im Abendland.
Theonas v. Marmarika II,
184 189 230.
TheopaschitischerStreit II,
290 381ff. 385 392f. 398
III, 228.
Theophanie, alttestam. 609
629 f. 660.
Theophilus, Apologet 292
299 319f.413— 464 432ff.
471 476 503.
Theophilus, Kaiser 11,461.
Theophilus v. Alex. II, 28
166 232 346 348 473 III,
319.
Theo^Dompus 694.
Thesaurus indulgentiarum
III, 514f.
Thierkreis (Sternbilder)
748.
Thiersch 36.
Thomas a KempisIII, 377f.
385 575.
Thomas v. Aquino III, 313
314 374 376 378 380 382
383f.385 393 396ff.402ff.
407 f. 420 422—428 431
434 443—562 565 f. 568
576 589 f. 597 605 ff. 618
628ff. 642 672 f. 685 f.
Thomas Münzer, JII, 384.
Thomasacten II, 42.
Thomasevangelium 204.
Thomasius, Christian III, 3.
Thomasius, Gottfried 34.
Thomasius-Secberg 111,316
360 f. 402 585 699 700
727.
Thomassin 111, 620.
Tichouius III, 79 110 133
156.
Timothcus Aelurus II, 378.
Timothcus, Ax)olliDari8t II,
320.
Timothcus, Presb. II, 258.
Titus V. Bostra 741.
Tobias 388.
Tod 452f. 501 f. 505 699 II,
45f.137ff.145151f.155f.
157ff. 164f. 445f. 4ö3f.
III,177f.l94u.sonst672.
Tod Christi 55 72 f. 114131
157 f. 169 ff. 179 f. 221
457f. 520f. 523ff. 569
592ff.700f.715II, 172ff.
430 III, 48 f. 181 184 f.
235 f. 292 341—358 380
458 ff. 472 496 ff. 676 ff.
682 ff.
Todesstrafe III, 295.
Todsünden 367f. 375 378
398 m, 176 f. 481 f. 491
501 f. 509 516 614.
Toledo, Stuhl ni, 251 f.
Toledo, Synoden II, 298
III, 252.
Tolomeo v. Lucca III, 398.
Torquemada III, 399 f.
Toucy, Synode III, 269.
Tours, Synode III, 451.
Tradition 129 130—137
215ff. 237ff. 242 273ff.
278 f. 288—303 328 ff.
465ff. 5481552 5571608
II, 84—109 273 2811
391 4561, s. Papst, Rö-
mischer Bischof u. III,
559 593 ff. 623 ff. 6611
682ff. 7271 734.
Traditionalismus II, 27 f.
651681 260 273 349419
424 4631 465 466 472 ff.
480 ff. etc. III, 647.
Traditor ni, 351
Traducianismus II, 133III,
441 1781226.
Transformation II , 434
436 ff. 440.
Transsubstantiation 225 II,
429 43311. III, 144 241
275 ff. 338 413 433 4411
488—496 598.
Trichotomie 589.
Tridentinum lU, 232 308
412 504 525 553 580 588
bis 617 760.
Trinität, Anfänge und Ent-
wickelung 68 11291 220
446 469 489 ff. 498 584
611 649 n, 25 45 53 116
143 182 ff. 199 284 285
bis 301 318 383 387 421
4671 482 III, 471 270
380 446 ff. 575 6731 711
729 7411
50*
788
Sachregister.
Trishap^iun 11, : 8lt. 412.
'rritlu'isnms HS2 H8r. f. Hy;U'.
11,290 38« 391 111, 446 f.
x^ÖKfii oKttp^suic; 11,252 25Ht"
28« 294 f.
Tryphü 427.
Tsclicchuii 111, ;^86 389.
Tiij(üiul 413—464 729 738
II, 53 f. 129 f. 111, 122.
Turbo 742.
Turriauus 638.
Tutiorismus III, 644.
Tyaua, Bischof von II, 230.
Tyaua, Synode II, 261.
Tyi)osll,405f.
Tyro III, 220.
Tyrus, Synoden II, 234 237
363.
Ubertino deCasaleIII,372.
Ubiquität 111,494 742 7561i".
Uebel 570 f. etc., s. Sünde.
Ueberliefernng 129 130 bis
137 215 ft" 237 ff. 242
273 ff. 278 f. 288—303
328 ff. 465 ff. 548 f. 552
557 f. 626., s. Tradition.
Ullilas II, 220.
Ultramontanismus III, 621
623 u. sonst.
Unam sanctam, Bulle III,
396.
Unbefleckte Emptängniss
III, 211 639.
Unfehlbarkeit m, 897 ff.
567 625f. 647— 653.
Unificirung d. Kirchen II,
31 f.
Unigenitus, Bulle III, 517
636 ff. 646.
Union III, 585 f.
Unionssymbol v. J. 433 II,
346 f. 354 f. 357 375.
Unionsverhandl. Roms mit
den Griechen III, 396
402 f. 452 f.
Unitarier, s. Adoptianer,
Antitrinitarier.
Universalität des Christen-
thmns 566.
Universalreligion § 3 — 8
S. 186 ff. 207 ff. 244 ff.
259 f. 566.
Unsichtbare Kirche III,
409 f.
Unsterblichkeit 102 141 ff.
193 413—464 passim.
473 ff. 738 II, 45 f. 59
129 ff. 445 f.
Uranius von Tyrus II, 247.
Urban VIII. , Papst 111,635 .
Urbilder 89 f. 712 (Urbild
u. Abbild) 728.
Urnieusch 743.
UrsaciuslI, 240 242f.246ff.
251.
Urständ, 8. Apologeten u.
499 ff. II, i:55ff. 146 fr.
III, 177 ff 190 ff. 195 f.
531 it 544 f. 607 f. 629
713 f.
Urwesen 727 f.
Usia, s. Substanz.
Utrecht, Kirche von III,
633.
Valence, Synoden III, 230
266 268.
Valens, Bischof II, 240
242 f. 246 f. 249 251.
Valens, Kaiser II, 34 259
261 ff.
Valentin, Apollinarist II,
389.
Valentin u. Schule 99 122
125 127 135 155 161
173 184 191 194 197 f.
200ff. 204 211— 214 215
bis 225 282 315 336 406
464 ff". 468 476 490 494
507 f. 519 534 571 f. 592
597 f. 601 608 653 665
680 690 705 f. 726 f. II,
11 81 128 189 193 f. 211
302 ff. 311 357 363 III,
303 382 664.
Valentinian , Kaiser II,
263 f.
Valentinian II., Kaiser II,
272f.
Valentinian III., Kaiser II,
365.
Valerius comes III, 168.
Vandalen III, 225.
Vasquez, Gabriel III, 643.
Vater, Gott als der 54 ff.
58 f. 150 f. 581 f. 6591*.
683 ff.
Väter, Instanz der II, 96 f.
481 u. sonst III, 594.
Vaticanum III, 412 623
624 639 647—653 760.
Vegetarianer 200 f. 263.
Vercelh, Synode III, 334
337.
Verdammung der unge-
tauften Kinder III, 193
221.
Verdienste u. Verdienst
Christi 387 f. 524 f. II,
177 f. in, 16 f. 22 77 ff.
188 f. 210 237 ff. 291 ff.
341 350 3581. 453 ff. 478
482 f. 505 514 f. 526 f.
529 ff. 532—542 (merita
de condiguü et de con-
gruo 54811'. 55411. 61 3 ff.
Verfassung 181 ff.217 248f.
276 II, 8 88f. 91 ff. 112
III passim.
Vergerio III, 665.
Vergottung (Antheil an d.
göttlichen Natur) 103 f.
160 281 472«. 499 f. 503
524 546 f. 564 f. 593 f.
610 II, 44 ff. 139 f. 307 f.
u. sonst häufig, z. B.
429 432 III, 20 463 468
479 483 522 f. 547.
Vergottung Christi 164 596
667.
Verklärung 697.
Verklärung Christi 596 f.
Versöhnung 519 521 f. 525
II, 175f. 177f. 180f. III,
42 341 ff 358ff. 453ff.
711f.
Versuchung Christi 520,
Verwandlung des Logos in
Fleisch 165 512f. 596.
Veuillotlll, 621.
Vienne, Conciim,308486.
Vigilantius II, 67 449f. III,
25 51 251.
Vigilius II, 395 397 f. 409
479.
Viktor I. 299 331 344 349
404 407f. 622 654 ff'. 685.
Viktorinus Pett. 470 526
672 733111,26.
Viktorinus Rhetor lU, 26
30 ff. 250 (INIarius).
Vincentius v. Lerinum II,
83 87 92 100 105 106 f.
308 342 344 346 474 III,
219 f 625
Virgini'tät II, 10 f. 62 136
III, 25 f.
Vitalianll, 380f.
Vitalian, Papst II, 407 f.
Vitalins II, 319.
Vocatio gentium (Abhand-
lung) ni, 224.
Vollkommenheit, evangel.
§4S. 200 f. 377 379 594
741.
Voltaire III, 639.
Vorreformatoren III, 144
374ff. 469.
Vorsehung II, 124 f. m450
675 etc.
Vulgata III, 593 f.
Walafrid III, 247 274.
Sachregister.
789
Walch 26.
Waldenser HI, 367 f. 408
410 571 658.
Walter v. St. Victor III,
339 421.
Walter v. d. Vogelweide
III, 453.
Weigel in, 657 661 663.
Weihrauch III, 604.
Weisheit Salomonis 95 314.
Weissagungsbeweis 70 f. 87
93 146f. 217 f. 423 ff. 438
453ff. 522 531 534 593.
Weizsäcker 2 19 36 45 67
73 77 79 81 137 185.
Weltl50ff.570ff.714728f.
743II, c. 4in, 448f.
Weltbürgerthum 94 105 f.
Weltgeschichte 680 722.
Weltstaat, römischer 105
400 f. 407 719 723 f. III,
297 f.
Weltverklärung 153.
Wergeid lU, 292 f.
Werk Christi 54 f. 59 72 f.
169—173 518ff. 593 599
II, 172ff. Im III. Bande
passim., s. Augustin, An-
selm, Abälard, Petrus
Lombardus , Socinus,
Versöhnung, Satisfac-
tion, Jesus.
Werke, gute 387 ff. 524 f.
IIc. 2u. 5 III, 188 f., s.
Verdiensten. III, 717 f.
720.
Wesel III, 437 495 518 f.
553 576.
Wessel [li, 437 462 480
514 518 f. 553 576.
Westgothen m, 251 f.
Westminster Confession
III, 585 587 f.
Wicliflll, 388f. 402 412ff.
430 436f. 488 495 498
514 518 f. 576.
Wiedergeburt 82 143 394
600 700 III, 378 484 f.
Wiederkunft Christi 60 71
126 f. 139f. 152223355f.
519 526 f. II, 65 f.
Wiedertäufer 360 378, der
Reformationszeitlll ,573
654ff.658f.664 689 737ff.
747.
Wilhelm v. Auxerre III,
470 480.
Wilhelm v. Champeaux III,
324 421.
Wilhelm v.St.Thierry III,
361.
Wille 142 f. 223 II, 53 ff.
130 ff. in, 100 ff. 173 ff.
221 f. 226 f. 431 445 f.
526ff.533ff.551ff.6 9ff.
714 f.
Wittwen 184.
Wort und Sacramcnt III,
140 f. 243 721 ff. 737 744 ff.
753 f.
AVunder 59 566 f. n, 7 III,
111 235 450.
Xenajas II, 169 380 388 f.
391.
Xcnophanes III, 172.
Xystus, Gnomen 129.
Zacharias von Mytilene II,
354.
Zahl der Sacramentc II,
421 m, 463 f. 595.
Zahn 675.
Zeno, s. Stoicismus u. II,
348 379 III, 172.
Zeno von Verona III, 46.
Zenodotus 733.
Zephyrin 408 631 651 ff.
663 676 685.
Zeugung Christi 581.
ZojDyrus v. Barka II, 18'J.
Zoroaster u. -strismus 744
747.
Zosimus, Papst III, 135 1 53
165 ff.
Zweinaturenlehre 164 f.
220 f. 476 511 ff. 515 f.
597 ff. II, 310 321 343,
dazu das 9. Cap., bes.
383ff. 389429 575677 ff.,
s. auch Adoptianismus,
Nestorianismus , Jesus
Christus etc.
Zwingli III, 144 287 469
665 719 754ff. 760.
Zwischenzustand II, (j6 f.,
s. Fegefeuer.
Zwölf, die 132—137.
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