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LOGISCHE
UNTERSUCHUNGEI^
VON
EDMUND HUSSERL
ZWEITER THEIL
UNTERSUCHUNGEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE-
UND THEORIE DER ERKENNTNIS !'
HALLE A.S.
MAX NIEMETER
1901
110215
• • ••• ••
Inhalt.
Einleitung. s«it.
§ 1. Nothwendigkeit phänomenologischer Untersuchungen zur orkenntnis-
In-itischen Vorbereitung und Klärung der reinen Logik .... 3
§ 2. Zar Verdeatlichang der Ziele solcher Untersachongen .... 5
§ 3. Die Schwierigkeiten der rein phänomenologischen Analyse ... 10
§ 4. Unentbebrlichkeit einer Mitberüuksichtigung der grammatischen
Seite der logischen Erlebnisse 12
§ 5. Bezeichnung der Haaptziele der nachfolgenden analytischen Unter-
suchungen 15
§6. Zusätze 17
§ 7. Das Princip der Voraussetzungslosigkeit erkcnutnistheoretischer
Untersuchungen 19
I.
Ausdruck and Bedeatung.
Erstes Kapitel.
Die wesentllelien Untereeheidangen.
§ 1. Ein Doppelsinn des Terminus Zeichen 23
§ 2. Das "Wesen der Anzeige 24
§3. Hinweis und Beweis 25
§4. Ebccors über die Entstehung der Anzeige aus der Association . . 29
§5. Ausdrücke als bedeutsame Zeichen. Absonderung eines nicht hie-
hergehörigen Sinnes von Ausdruck 30
§6. Die Frage nach den phänomenologischen und intentionalen Unter-
scheidungen, die zu den Ausdrücken als solchen gehören ... 31
§7. Die Ausdrücke in communicativer Fnnction 32
Inhalt. V
Seite
Viertes Kapitel.
D«r pUaomenologlsehe nnd ideale Inhalt der Bedentangserlebnisse.
§ 30. Der Inhalt des ausdrückenden Erlebnisses im psychologischen Sinne
and sein Inhalt im Sinne der einheitlichen Bedeatang .... 97
§31. Der Actcharakter des Bedentens and die ideal-eine Bedeatang . 99
§32. Die Idealität der Bedentangen keine Idealität im normativen Sinn 101
§ 33. Die Begriffe .Bedeatang* and „Begriff im Sinne von Species decken
sich nicht 102
§34. Im Acte des Bedeatens wird die Bedeatang nicht gegenständlich
bewafet 103
§35. Bedentangen ,an sich" and aasdrückliche Bedeatangen .... 104
n.
Die ideale Einheit der Species and die neueren Abstractionstheorien.
Einleitung 106
Erstes EapiteL
Die allgemeinen GegenstHnde nnd das AIlgemeinlieitBbewnfetsein.
§ 1 . Die allgemeinen Gegenstände werden ans in wesentlich anderen
Acten bewuTst als die individuellen 108
§2. ünentbehrlichkeit der Rede von allgemeinen Oegenständen . . . 110
§ 3. Ob die Einheit der Species als eine uneigentlicbe za verstehen ist.
Identität und Gleichheit 112
§4. Einwände gegen die Reduction der idealen Einheit auf die zer-
streute Mannigfaltigkeit * 113
§ 5. Fortsetzung. Der Streit zwischen J. St. Mill and H. Spencbr . . 1 16
§6. üeberleitang za den folgenden Kapiteln 119
Zweites Kapitel
Die psrehologlsehe Hypostasimng des Ail^meinen.
§7. Die metaphysische and psychologische Hypostasirong des All-
gemeinen. Der Nominalismus 121
§8. Ein tänschender Gedankengang 122
§9. Lockb's Lehre von den abstracten Ideen 125
§10. Kritik 127
§ 11. Locn's allgemeines Dreieck 132
Anmerkung 134
§ 12. Die Lehre von den Gemeinbildem 135
VI Inhalt.
Saita
Drittes Kapitel.
Abstraetion und Anfmerksamkeit.
§13. Nominalistische Theorien, welche die Abstraction als Leistung der
Aufmerksamkeit fassen 13G
§ 14. Einwände, welche zugleioh jede Form des Nominalismus treffen.
a) Der Mangel einer descriptiven Fixirung der Zielpunkte . . . 139
§ 15. b) Der Ursprung des modernen Nominalismus als überspannte
Reaotion gegen Locxs's Lehre von den allgemeinen Ideen. Der
wesentliche Charakter dieses Nominalismus und die Abstractions-
theorie durch Aufmerksamkeit 142
§ 16. c) Allgemeinheit der psychologischen Function und die Allgemein-
heit als Bedeutungsform. Der verschiedene Sinn der Beziehung
des Allgemeinen auf einen Umfang 146
§ 17. d) Anwendung auf die Kritik des Nominalismus 148
§ 18. Die Lehre von der Aufmerksamkeit als generalisironder Kraft . . 149
§ 19. Einwände, a) Das ausschliefsliche Achten auf ein Merkmalsmomont
behebt nicht dessen Individualität 152
§20. Widerlegung des Argumentes aus dem geometrischen Donkon . . 155
§21. Der Unterschied zwischen dem Aufmerken auf ein ansei bständigus
Moment des angeschauten Gegenstandes und dem Aufmerken auf
das entsprechende Attribut in specie 156
§ 22. Fundamentale Mängel in der phänomenologischen Analyse der Auf-
merksamkeit 159
§ 23. Die sinngemälise Rede von der Aufmerksamkeit umfafst die gesammte
Sphäre des Denkens und nicht blofs die dos Ansohauens . . . 162
Viertes Kapitel.
Abstraction nnd Reprttsentation.
§24. Die allgemeine Vorstellung als denkökonomischer Kunstgriff . . 165
§ 25. Ob die allgemeine Repräsentation als wesentliches Charakteristikum
der allgemeinen Vorstellung dienen könne 168
§ 26. Fortsetzung. Die verschiedenen Modificationen des Allgemeinheits-
bewuiktseins und die sinnliche Anschauung 170
§27. Der berechtigte Sinn der allgemeinen Repräsentation 172
§28. Die Repräsentation als Stellvertretung. Locke und Berkeley . . 174
§29. Kritik der BEiucEUEY'schen Repi-äsentationstheorie 176
§ 30. Fortsetzung. Bebkeley's Argument aus dem geometrischen Beweis-
verfahren 179
§31. Die Hauptquelle der aufgewiesenen Verirrungen 180
Inhalt. vn
Seit«
Fünftes Kapitel.
PhXnomenoIosiaehe Stndie Aber Hnme's AbstraetloiistJieorie.
§32. Abhängigkeit Hciu's von Bkrkkliy 183
§ 33. Htnu's KritUc der abstracten Ideen und ihr vermeintliches E^ebnis.
Sein AuTserachtlassen der phänomenologischen Hauptpunkte . . 184
§34. Rückbeziehang der Huiu'schen Untersuchung auf zwei Fragen . 187
§35. Das leitende Princip, das Ergebnis und die ausführenden Haupt-
gedanken Hma'scher Abstractionslehre 189
§36. Hdib's Lehre von der distinctio rationis in der gemäßigten und
ladicalen Interpretation 191
§37. Einwände gegen diese Lehre in ihrer radicalen Interpretation . . 194
§ 38. üebertragung der Skepsis von den abstracten Theilinhalten auf alle
Theile überhaupt 201
§39. Letzte Steigerung der Skepsis und ihre Widerlegung 203
Anhang.
Modemer Hnmeanismus 205
Sechstes Kapitel.
Sondemngr TerseUedener Begriffe tob Abetraetlon nnd Abstmet.
§40. VermcnguDgen der einerseits auf unselbständige Theilinhaite und
andererseits auf Species bezogenen Begriffe von Abstraction und
Abstract 214
§ 41. Sonderung der Begriffe, die sich um den Begriff des unselbständigen
Inhalts gruppiren 215
§ 42. Sondemng der Begriffe , die sich um den Begriff der Species gruppiren 218
m.
Zur Lehre von den Ganzen nnd Theilen.
Einleitung 222
Erstes Kapitel.
Der Untersehied der selbstXndlgren nnd nnselbstXndlgen Gegenstände.
§ 1. Zusammengesetzte und einfache, gegliederte und ungegliederte
Gegenstände 223
§ 2. Einführung der Unterscheidung zwischen unselbständigen und
selbständigen Gegenständen (Inhalten) 224
§ 3. Die Unabtrennbarkeit der unselbständigen Inhalte 227
vm Inhalt.
§4. Beispielsanalysen nach Stumpf
§5. Die objeotire Bestimmong des B^riffs der ÜDabtrennbarkeit
§ 6. Fortsetzung. Aulmüpfung an die Kritilc einer beliebten Bestimmuni
§7. Schärfere Äusprfigang unserer Bestimmung durch Einführung de
Oesetzesgedanl^ens
§8. Absonderung des Unterschiedes zwischen selbständigen um
unselbständigen Inhalten von dem phänomenologischen Unter
schied zwischen anschaulich sich abhebenden und verschmol
zenen Inhalten
§ 9. Fortsetzung. Hinweis auf die weitere Sphäre der Yerschmelzungs
Phänomene
§ 10. Die Mannigfaltigkeit der zu den verschiedenen Arten von Unselb
ständigkoiten gehörigen Gesetze
§ 11. Der Unterschied dieser ,materialen'' Gesetze von den .formalen'
oder .analytischen" Gesetzen
§ 12. Concretiun und Ding. Verallgemeinerung der Begriffe Selbständig
keit und Unselbständigkeit durch Uebertragung auf das Gebiet de
Succession und Caosalität
§13. Relative Selbständigkeit und Unselbständigkeit
Zweites Kapitel.
Gedanken zn einer Theorie der reinen Formen von Ganzen
und TlieUen.
§14. Der Begriff der Fnndirung und zugehörige Theoreme ....
§ 15. Ueberleitung zur Betrachtung der wichtigeren Theilverbältnisse
§ 16. Wechselseitige und einseitige , mittelbare und unmittelbare Fundirun{
§17. Exacte Bestimmung der Begriffe Stack, Moment, physischer Theil
Abstractum, Concretum
§ 18. Der Unterschied der mittelbaren und unmittelbaren Theile eine!
Ganzen
§19. Ein neuer Sinn dieses Unterschiedes: nähere und fernere Theile
des Ganzen
§20. Nähere und fernere Theile relativ zueinander
§21. Exacte Bestimmung der prägnanten Begriffe Ganzes und Theil,
sowie ihrer wesentlichen Arten, mittelst des Begriffes der Fnndirung
§22. Sinnliche Einheitsformen und Ganze
§23. Kategoriale Einheitsformen und Ganze
§24. Die reinen Typen von Ganzen and Theilen. Das Postulat einer
apriorischen Theorie
§25. Zusätze über die Zerstückung von Ganzen durch die Zerstücknng
ihrer Momente
Inhalt. IX
Seite
IV.
Der Unterschied der selbständigen and anselbsUndigen Bedentnngcn
and die Idee der reinen Grammatik.
Einleitung 286
§ 1. Einlache and znsammengesetzte Bedentangen 287
§ 2. Ob die Zasammengesetztbeit der Bedeatnngen ein blolser Reflex sei
einer Zosammengesetztheit der Gegenstände 288
§ 3. Der prägnante Sinn der Zusammengesetztheit von Bedeutungen.
Intplicirende Bedentangen 289
§ 4. Die Frage nach der Bedeutsamkeit «synkategorematisoher* Bestand-
stflcke complexer Ausdrücke 293
§ 5. SelbstSndige und anselbständige Bedentangen. Die Unselbständig-
keit der sinnlichen and diejenige der ausdrückenden Worttheile . 296
§ 6. Gegenüberstellung anderer Unterscheidungen, üngeschlossene,
anomal verkante and lückenhafte Ausdrücke 298
§ 7. Die Auffossung der anselbständigen Bedeutungen als fundirte Inhalte 300
§ 8. Schwierigkeiten dieser Auffassung, a) Ob die Unselbständigkeit der
Bedentang eigentlich nur in der Unselbständigkeit des bedeuteten
Gegenstands liege 303
§9. b) Das Verständnis herausgerissener Synkategorematica .... 304
§ 10. Apriorische Gesetzmälsigkeiten in der Bedeutangscouiplexion . . 307
§11. E^wand. Die »uppoaitio materialis und ihr Analogon .... 309
§ 12. Unsinn und Widersinn 312
§13. Die Gesetze der Bedeutungscomplexion und die logische Formenlehre 314
§ 14. Die Gesetze des za vermeidenden Unsinns and diejenigen des za
vermeidenden Widersinns. Die Idee der reinen Grammatik . . 317
V.
Ueber intentionale Erlebnisse and ihre „Inhalte".
Einleitung 322
Erstes Kapitel.
B«wiibt8elB als phVnomenologiseher Bestand des leh,
ud BewiLbtsein als Innere Wahmehmnng.
§ 1. Vieldeatigkeit des Terminus BewuMsein 324
§2. Erstens: Bewuisisein als phänomenologische Einheit der Icherleb-
nisae. Der B^iiff des Erlebnisses 326
InhaU.
§3. Der phänomenologische und populäre Erlebnisbegriff ....
§4. Die Beziehung zwischen erlebendem Bewulstsein und crlebl
Inhalt keine phänomenologisch eigeuthümliche Beziehungsart
§5. Zweitens: Das , innere" ßewulstsein als innere Wahrnohniutig .
§ 6. Uisprung des ereten Bewulstsoinsbegrifb aus dem zweiten . ,
§ 7. Wechselseitige Abgrenzung der Psychologie und Naturwisseusct
§8. Das reine Ich und die Bewuistheit
Zweites Kapitel.
BewnGstsein als psychischer Act.
§9. Die Bedeutung der BRENiANo'schen Abgrenzung der „psycliisc
Phänomene"
§ 10. Descriptive Chai^ikteristik der Acte als „intentionaler" Erlebnis:
§11. Abwehrung terminologisch nahegelegter Mifsdeutungen : a)
„mentale* oder „immanente" Object
§ 12 b) Der Act und die Beziehung des Bewußtseins oder des Ich
den Gegenstand
§ 13. Fixirung unserer Terminologie
§ 14. Bedenken gegen die Annahme von Acten als einer descri
fundirten Erlebnisklasse
§ 15. Ob Erlebnisse einer und derselben descriptiveu Gattung (und zi
der Gattung Gefühl) theils Acte und theils Nicht-Acto sein köt
§ 16. Unterscheidung zwischen descriptivem und intentionalcm Inha
§ 17. Der intentionale Inhalt im Sinn des intentionalen Gegenstaude
§ 18. Einfache und zusammengesetzte, fundirende und fundirtu Act
§ 19. Die Function der Aufmerksamkeit in complexen Acten. Das ph
menologische Verhältnis zwischen Wortlaut und Sinn als Bei
§ 20. Der Unterschied der Qualität und der Materie eines Actes .
§21. Das intentionale und das bedeutungsmälsige Wesen . . .
Drittes Kapitel.
Die Materie des Actes nndl die za Grande liegende Vorsteil
§ 22. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Materie und Qualität des .
§ 23. Die Auffassung der Materie als eines fundirenden Actes „bl<
Vorstellens"
§ 24. Schwierigkeiten. Das Problem der Differenziirung der Qual
. gattungen
§ 25. Genauere Analyse der beiden Lösungsmöglichkeiten . . .
§ 26. Abwägung und Ablehnung der proponirten Auffassung . .
§27. Das Zeugnis der inneren Erfahrung. Wahrnehmungsvorste)
und Wahrnehmimg
Inhalt. XI
Seite
§28. Specielle Erforschung der Sachlage beim ürtheil 416
§29. Fortsetzang. .Anerkennaiig'' oder nZastimmoog" zu der bloCsen
Vorstellang des Sachverhalts 418
§30. Die Auffassong des ideotisohea Wortverständiiisses als „blolson
Vorstellens» 423
§ 31. Ein letzter fSnwand gegen unsere AufTassuog. Blolke YorsteUungen
und isolirte Materien 425
Viertes EapiteL
Stndle ttber ftudirende YorBteUnngen mit besonderer Bttebsieht
anf die Lehre Tom Urtheil.
§ 32. Ein Doppelsinn des Wortes Yorstel lang und die vermeintliche Evidenz
des Satzes von der Fondirong jedes Actes durch einen Vorstellungsact 427
§ 33. Restitution des Satzes auf Orund eines nenen Yorstellungsbegriffes.
Nennen und Aussagen 429
§34. Schwierigkeiten. Der Begriff des Namens. Setzende und nicht -
setzende Namen 432
§ 35. Nominale Setzung und ürtheil. Ob ürtheile äberbaupt Theile von
nominalen Acten weiden können 436
§ 36. Fortsetzung. Ob Aussagen als ganze Namen fungiren können . . 440
Fünftes Kapitel.
Weitere Beitrüge zur Lehre Tom Urtheil. „Yorstellnng*'
als qaalitatlT einheltUehe Oattnng der nominalen und
proposltlonalen Acte.
§37. Das Ziel der folgenden Untersuchung. Der Begriff des objecti-
virenden Actes 445
§38. Qualitative und materiale Differenziirung der objectivirenden Acte 447
§ 39. Die Vorstellung im Sinne des objectivirenden Actes und ihre quali-
tative Modification 450
§40. Fortsetzung. Qualitative und imaginative Modification .... 454
§ 41. Neue Interpretation des Satzes von der Vorstellung als Grundlage
aller Acte. Der objectivirende Act als primärer Träger der Materie 458
§42. Weitere Ausführungen 459
§ 43. Bückblick anf die frühere Interpretation des behandelten Satzes . 462
Sechstes Kapitel.
Zasammensteilang der wichtigsten Aequivocationen der Termini
Toretellnng und Inhalt.
§44. .Voistellung» 463
§45. , Vorstellungsinhalt" 470
Inhalt.
Seite
VI.
lemente einer phänomenologischen Auflclärung der Erkenntnis.
Einleitung 473
Erster Abschnitt.
Die objectivirenden Intentionen und Erfüllungen.
Die Erkenntnis als Synthesis der Erfüllung und ihre Stufen.
Erstes Kapitel.
Bedeatongsliitention nnd Bedentungserfillliiiig.
§ 1 . Ob alle oder nur gewisse Actarten als Bedeutongsträger fungiren
köonen 480
§ 2. Die Attsdräokbarlceit aller Acte entscheidet nicht. Zwei Bedeutungen
der Rede vom Ausdrücken eines Actes 4S2
§ 3. Ein dritter Sinn der Rede vom Ausdruck eines Actes. Formulirung
unseres Themas 484
§ 4. Der Ausdruck einer AVabmehmuDg („Wabmehmungsurtheil'). Seine
Bedeutung kann nicht in der Wahrnehmung, sondern muls in
eigenen ausdrückenden Acten liegen 486
§ 5. Fortsetzung. Die 'Wahrnehmung als Bedeutung bestimmender, aber
nicht als Bedeutung enthaltender Act 489
§6. Die statische Einheit zwischen ausdrückenden Gedanken und aus-
gedruckter Anschauung. Das Erkennen 495
§7. Das Erkennen als Actcharakter und die , Allgemeinheit dos Wortes" 49P
§8. Die dynamische Einheit zwischen Ausdruck und ausgedrückter
Anschauung. Das Erfüllungs- und Identitätsbewuistsein . . . . 5(
§9. Der verschiedene Charakter der Intention in und aulserbalb der
Erfüllungseinhoit '
§11. Die umfassendere Klasse der Erfüllungsertebnisse. Anschauungen
als erfüllungsbedürftige Intentionen
§ 12. Enttäuschung und Widerstreit Synthesis der Unterscheidung . .
§ 13. Totale und partiale Identificimng nnd Unterscheidung, als die ge-
meinsamen phänomenologischen Fundamente der prädicativen ur
determinativen Ausdrucksform
Zweites Kapitel.
Indlre«te Charakteristik der objeetivirenden Intentionen nnd
wesentliehen Abarten doreb die Unterschiede der Erfailnngss;
§ 14. Die Synthesis des Erkennens als die für die objectivirenden
charakteristische Form der Erfüllung. Subsumption der Bedeu'
acte unter die Klasse der objectivirenden Acte ....
Saite
Plmnüinenologische Charakteristik der Untei-scheidaug zwischen
BJgnitiven und intuitiven Iiiteutioncn durch die Eigenheiten der
Erfüllung, a) Zeichen, Bild und Selbstdarstellung 525
h) Die perceptive uuj imaginative Äbscbattung des Gegenstandes 528
§ I5b. Siguitire loteotiuDon auIserhaJb der Bedeatungsfauction .... 532
Drittes Kapitel.
Zur PhUuiiniciiulogrie der Krkenutulsstiireii.
§ 16. Blobe Identiflcirung und Erfüllung 536
§ 17. Die Frage nach dem Verhäitais zwischen Erfüllung und Ver-
aiiacbaulichung 539
§ 18. Die Stufeiireihoa mittelbarer Erfüllungen. Mittelbare Vorstellungen 541
§ 19. Unterseheiduug zwischen mittelbaren Vorstellungen undVorstellungs-
vorstellungen 543
§20. Echte VeranachaulichuDgen in jeder Erfüllung. EigentUcbe uud
uneigenüichü Veransuhaulichuog 544
§21. Die „Fülle" der Vorstellung 647
§22. fülle und „intuitiver Gebalt' 550
§23. Die Gowichtsvarbiiltüisse zwischen intuitivem und signitivem Gehalt
ein und desselben Acteü. Reiue lutuitioo und rüiiie Signifieatiou.
Wabrnebuiuugsinbolt und Bildiulialt, reine Wahraebmung and reine
Imagination. Die Gradationen der Fülle 551
§24. ßteigerungsreihen der Errütluiig 556
§ 25. Fülle und intentionale Materie 558
§ 26. Foitsetzung, Repräsentation oder Auffassung. Die Materie als der
Anffassungssinn, die AuffassungBronn und der aufgefiiLste liiLalt.
UoterschtiideDdeCbarakteristikderintuitiven und signitiven AuffaKsung 562
§27. Repräsentationen als nothweudige Voratellungsgrundlageu in allen
Acten. Letzte Klärung der Rede von den verschiedenen Weisen der
Beziehung des BewuTstseins auf einen Gegenstand 566
Intautiunales Wesen und erfüllender Sinn. Erkenntnismötsiges
Wesen. Anschauungen in apecie 5157
VoUstaadige uud lückenhafte Anschauungen. Angemessene and
objectiv vullstandige Veranschauiichung. Essenz 569
Viertes Kapitel.
YertrUrUelikett und UiivertrH^llchkett.
§30. Die ideale Unterscheidung der Bedeutungen in uiöghcho (reale) und
unuiögliuhe (ima^nnäre) 574
.IV Inhalt.
Seite
§31. Vcroiubarkeit oder VerträgUchkeit als ein ideales Yerhältnis in der
weitesten Sphäre der Inhalte überhaupt Vereinbarkeit von „Be-
griffon" als Bedeutungen 577
§32. Unvoroinbarkeit ("Widerstreit) von Inhalten überhaupt .... 579
§ 33. Wie auch Widerstreit Einigkeit fandiren kann. lielativität der
Reden von Vereinbarkeit und Widerstreit 580
§34. Einige Axiome • 583
§ 3.'). l'nvereinbarkeit von Begriffen als Bedeutungen 585
Fünftes Kapitel.
Bas Ideal der AdXqnatioii. Evidenz and Wahrheit.
§3C. Einleitung ■ 587
§ 37. Die ErfüUungsfanction der "WahrnehniuDg. Das Ideal der letzten
Erfüllung 588
§ 38. Setzende Acte in ErrüUungsfanction. Evidenz im laxen und strengen
Sinne 592
§39. Evidenz und Wahrheit 594
Zweiter Absohniti
Sinnlichkeit und Yerstand.
Sechstes Kapitel.
Sinnliehe und Icategoriale Ansehannngr.
§40. Das Problem der Eifüllung kategorialer Bedeutungsformen und
.ein leitender Gedanke für dessen Lösung 600
§ 41. Fortsetzung. Erweiterung der Beispielsphäre 604
§42. Der Unterschied zwischen sinnlichem Stoff und kategorialer Form
in der Oesammtsphäre der objectivirenden Acte Gf
% 43. Die objectiven Correlate der kategorialen Formen keine „realen"
Momente
§ 44. Der Ursprung des Begriffes Sein und der übrigen Kategorien liegt
nicht im Gebiete der inneren Wahrnehmung
§45. Erweiterung des Begriffes Anschauung, specieller der Begriffe
Wahrnehmung und Imagination. Sinnliche und kategoriale An-
schauung .... -
§46. Phänomenologische Analyse des Unterschiedes zwischen sinnlich'
und kategorialer Wahrnehmung
§47. Fortsetzung. Charakteristik der sinnlichen Wahrnehmung
"ohlichte" Wahrnehmung
- ''«tfleorialen Acte als fnndirte Acte . .
Inhalt. XV
Seite
§49. Zusatz über die nominale Formung CÜ8
§50. Sinnliche Formen in katogorialer Fassung, aber nicht in nominaler
Function 631
§ .51. Collectiva und Disjnnctiva 631
§52. Allgemeine Gegenstände sich constituirend in allgemeinen An-
schauungen 633
Siebentes Kapitel.
Studie Über kategoriale Repräsentation.
§53. Rückbeziehung auf die Forschungen des ersten Abschnitts . . . 037
§54. Dio Frage nach den Kepriisentanten der katogorialen Formen . . 639
§.55. Argumente für dio Annalimo eigener kategorialor Repräsentanten . 641
§ 50. Fortsetzung. Das psychische Band der verknüpften Acte und die
kategorialo Einheit der entsprechenden Objocte 644
§ 57. Die Repräsentanten der fundirenden Anschauungen nicht unmittel-
bar verknüpft durch die Repräsentanten der synthetischen Form . 045
§58. Das Verhältnis der beiden Dntei-schiede: äufsercr und innerer
Sinn, sowie Sinn und Kategorie 6'19
Achtes Kapitel.
Die apriorischen Oesetzc des cigentliclicn und nneigentliclien
Denicens.
§ 59. Complication zu immer neuen Formen. Reine Formenlehre mög-
licher Anschauungen 653
§ 60. Der relative oder functionello Unterschied zwischen Materie und
Form. Reine und mit Sinnlichkeit bemengte Veretandesacte. Sinn-
liche Begriffe und Kategorien 654
§ 61. Die kategoriale Formung keine reale Umgestaltung des Gegenstandes 057
§ 62. Die Freiheit in der kategorialen Formung vorgegebenen Stoffes und
ihre Schranken: dio rein kategorialen Gesetze (Gesetze des ,oigent-
lichen" Denkens) 659
§63. Dio reinen Geltungsgesotze der signitiven und signitiv getrübten
Acte (Gesetze dfs un eigentlichen Denkens) 663
§64. Die rein logischen Gesetze als Oe.setzo jedes und nicht blofs des
menschlichen Verstandes überhaupt. Ihre psychologische Bedeutung
und ihre normative Function hinsichtlich des inadäquaten Denkens 668
§ 65. Das widersinnige Problem der realen Bedoutuiig des IjOgischen . 071
§ 00. Sonderung der wichtigsten , in der torminologisclien Gegenüberstellung
von Anschauen und Denken sich mengenden Unterschiede . . . 673
XVI Inhalt.
Seite
Dritter Absohniti
Aufklärung des einleitenden Problems.
Neuntes Kapitel.
NichtobJeetlTlrende Aete als sehelnbare Bcdentiingserflllliuigreii.
§67. Da& nicht jedes Bedeuten ein Erkennen einschliesst 676
§ 68. Der Streit um die Interpretation der eigenartigen grammatischen
Formen znm Ausdruck nichtobjectivirender Acte 679
§ 69. Argumente für und wider die Abistoieusohx Auffassung . . . 682
§ 70. Entscheidung 690
Beilage.
Äenfsere und innere Wahrnehmnng. Physische and
psychische Phänomene.
§ 1. Die populären und die traditionell philosophischen Begriffe von
äuiserer und innerer Wahrnehmung 694
§ 2 und 3. Erkenntnistbeoretisohe und psychologische Motive zur Vertiefang
der traditionellen Scheidung; Bbkntako's Auffassung 695
§4. Kritik. Aeu&ere und innere Wahrnehmung sind bei normaler
Fassung der Begriffe von demselben erkenntnistheoretischen Charak-
ter; Wahrnehmung und Interpretation 703
§ 5. Die Aequivocationen des Terminus Erscheinung 706
§ 6. Daher Verwechslung des erkenntnistheoretisch bedeutungslosen
Gegensatzes von innerer und äufserer Wahrnehmung mit dem er-
kenntnistheoretisch fundamentalen Gegensatz von adäquater und
inadäquater Wahrnehmung 708
§ 7. Dafe der Streit kein Wortstreit ist 71
§8. Verwechslung zweier fundamental verschiedener Eintheilungen.
Dass die , physischen" Inhalte nicht ,blofs phänomenal", sondern
„wirklich" ezistiren '
Zusätze und Verbesserungen
Zweiter TheiL
Untersuchungen zur Phänomenologie
und Theorie der Erkenntnis.
Erste Seihe.
Unsiail, Log. Unters. II.
Einleitung.
§ 1. Nothwendigkeit phänomenologischer ünlersiichungcn zur
erketminiskrifisehe)/ Vorhcrciiwvj imd Kläninff der reinen Logik.
Die Notlnventligkeit, die Lo^ik mit spraclilichen Erörterungen
7,it beginnen, ist vom Standpunkte der logischen Kunstlolire oft
anerkannt worden. „Die Sprache" — so lesen wir bei Mili-* —
„ist augenscheinlich eines der vorneiinisten Hilfsmittel und Werk-
zeuge des Denkens, und jede UavoUkommenheit des Werkzeuges
und der Art soincs Gebrauches mufs, wie Jedermann einsieht,
diese Kunstilbung noch mehr als jode andere hemmen und ver-
wirren und jedes Vertrauen in die Güte des Ergebnisses zerstören.
... An das Studium wissenschaftlicher Methoden herantreten,
bevor man mit der Bedeutung und dem richtigen Gebrauch der
verschiedenen Arten von Worten vertraut ist, dies hiefse nicht
minder verkehrt handeln, als wollte Jemand astronomische Be-
obachtungen anstellen, ehe er das Femrohr richtig gebrauchen
gelernt hat". Aber einen tieferen Grund für die Nothwendigkeit,
in der Logik mit einer Analyse der Sprache zu beginnen, sieht
MiLL darin, dafs es sonst nicht möglich wäre, die Bedeutung von
Sätzen zu untersuchen, ein Gegenstand, der „an der Schwelle"
unserer Wissenschaft selbst stehe.
Mit dieser letzteren Bemerkung rührt der ausgezeichnete
Denker an den Gesichtspunkt, der für die reine Logik der mals-
gebende ist Sprachliche Erörterungen gehören allerdings zu den
' Logik, I. Buch Kap. 1 § 1.
Einleitung.
unerläfslichen Vorbereitungen für den Aufbau der reinen Logik,
weil nur durch ihre Mithilfe die eigentlichen Objecto der logischen
Forschung und, in weiterer Folge die wesentlichen Arten und
Unterschiede dieser Objecto zu unmüsrerständlicher Klarheit her-
auszuarbeiten sind. Es handelt sich dabei aber nicht um grammati-
sche Erörterungen im speciellen, auf irgendeine historisch gegebene
Sprache bezogenen Sinn, sondern um Erörterungen jener allge-
meinsten Art, die zur weiteren Sphäre einer objectiven Theorie
der Erkenntnis und, was damit innigst zusammenhängt, einer
rein descriptiven Phänomenologie der Denk- und Er-
kenntniserlebnisse gehören. Diese ganze Sphäre ist es, die
zum Zweck einer erkenntniskritischen Yorbereitui^ und Klärung
der reinen Logik durchforscht werden mu&; in ihr werden sich
daher unsere nächsten Untersuchungen bewegen.
Die reine Phänomenologie stellt ein Gebiet neutraler For-
schungen dar, in welchem verschiedene Wissenschaften ihre Wur-
zeln haben. Einerseits dient sie zur Vorbereitung der Psycho-
logie als empirischer Wissenschaft Sie analysirt und
beschreibt (speciell als Phänomenologie des Denkens und Er-
kennens) die Vorstellungs-, Urtheils-, Erkenntniserlebnisse, die in
der Psychologie ihre genetische Erklärung, ihre Erforschung nach
empirisch -gesetzlichen Zusammenhängen finden sollen. Anderer-
seits erschliefst sie die „Quellen", aus denen die Grundbegriffe
und die idealen Gesetze der reinen Logik „entspringen", und
bis zu welchen sie wieder zurückverfolgt werden müssen, un?
ihnen die für ein erkenntniskritisches Verständnis der reinr
Logik erforderliche „Klarheit und Deutlichkeit" zu verschaF
Die erkenntnistheoretische, bezw. phänomenologische Grundleg
der reinen Logik umfafst Forschungen von grofser Schwierigl
aber auch von unvergleichlicher Wichtigkeit Erinnern wir
an die im L Theile dieser Untersuchungen gegebene Darh
der Aufgaben einer reinen Logik ,^ so ist es dabei abgesehe;
eine Sicherung und Klärung der Begriffe und Gesetze, dir
' Vgl. das Schlulskapitel der Prolegoraena, bes. § 66 n. f.
Erkenntnis objective Bedeutung und theoretische Einheit ver-
schatfen.
§ 2. Zur VerdettUiehung der Ziele solcher Untersuchungen.
Alle theoretische Forschung, obschon sie sich keineswegs blofs
in ausdrücklichen Acten oder gar in coinpleten Aussagen bewegt,
terminirt doch zuletzt in Aussagen. Nur in dieser Form wird
die Walirheit und specieil die Theorie zum bleibenden Besitzthum
der Wissenschaft, sie wird zum urkundlich verzeiclmeten und
allzeit verfügbaren Schatz des "Wissens und des weiterstrebenden
Forscbens. Ob die Verbindung von Denken und Sprechen, ob
die Erscheinungsweise des abschliefsenden Urtheils in der Form
der Behauptung eine absolut nothwendige ist oder nicht, soviel
ist jedenfalls sicher, dalä Urtheile, die der höheren intellectuellen
Sphäre angehören, sich ohne sprachlichen Ausdruck nicht voll-
ziehen lassen.
Darnach sind die Objecto, auf deren Erforschung es die reine
Logik abgeselicn hat, zunächst ira grammatischen Gewände ge-
geben. Genauer zu reden, sie sind gegeben als Einbettungen in
concreten psychischen Erlebnissen, die in der Function der Be-
deutung oder Bedeutungserfüllung {in letzterer Hinsicht als
illustrirende oder evidentniachendo Anschauung) zu gewissen
sprachlichen Ausdrücken gehören und mit ihnen eine phäno-
menologische Einheit bilden.
Aus diesen complexen phänomenologischen Einheiten hat der
Logiker die ihn interessirenden Componenten, in erster Linie also
_dio Actcharaktere, in denen sich das logische Vorstellen, Urtheilen,
Ürkennon vollzieht, herauszuheben und sie in descriptiver Analyse
so weit zu studiren, als es zur Förderung seiner eigentlich logischen
Aufgaben vortheilhaft ist Unmittelbar ist aus der Thatsache, dala
das Theoretische sich in gewissen psychischen Erlebnissen realisirt
und in ihnen in der Weise des Einzelfalls gegeben ist, keines-
wegs als vermeintliche Selbstverständlichkeit zu entnehmen, dafs
diese psychischen Erlebnisse als die primären Objecto der logischen
Einleitung.
Forschungen gelten müssen. Den Logiker interessirt nicht das
psychologische Urtheil, d. i. das concrete psychische Phänomen,
sondern das logische Urtheil, d. i. die identische Aussagebedeutung,
welche Eine ist gegenüber den mannigfaltigen, descriptiv sehr
unterschiedenen Urtheilserlebnissen.* Natürlich entspricht dieser
idealen Einheit ein gewisser, überall gemeinsamer Zug in den
einzelnen Erlebnissen, in welchem sich das Wesen des ürtheils
als solchen realisirt Aber da es dem Logiker nicht auf das
Concrete und seine Einzelzüge ankommt, sondern auf die be-
trefifende Idee, auf das in der Abstraction erfaCäte Allgemeine, so
hat er unmittelbar keinen Anlafs, den Boden der Abstraction zu
verlassen und statt der Idee vielmehr das Einzelne, dieses sein
concretes Erlebnis, zum Zielpunkt seines forschenden Interesses
zu machen.
Indessen, wenn auch die ideale und nicht die phänomeno-
logische Analyse zu der ureigenen Domäne der reinen Logik ge-
hört, so kann doch die Letztere zur Förderung der Ersteren
nicht entbehrt werden. Denn alles Logische mufs, wofern es als
Forschungsobject unser Eigen werden und die Evidenz der in ihm
gründenden apriorischen Gesetze ermöglichen soll, in subjectiver
Realisation gegeben sein. Zunächst aber ist uns das Logische in
einer unvollkommenen Gestalt gegeben: der Begriff als mehr oder
minder schwankende Wortbedeutung, das Gesetz, weil aus Be
griffen sich bauend, als nicht minder schwankende Behauptung
Zwar fehlt es darum nicht an logischen Einsichten. Mit Evider
erfassen wir das reine Gesetz und erkennen, dafs es in den rein
Denkformen gründe. Aber diese Evidenz hängt an den Wortl
deutungen, die im actuellen Vollzug des Gesetzesurtheils leben
waren. Vermöge unbemerkter Aeqoivocation können sich
Worten nachträglich andere Begriffe unterschieben, und nun
leicht für die geänderten Satzbedeutungen die früher erfa
Evidenz fälschlich in Anspruch genommen werden. Es kann
• Vgl. § 11 der Unters. I.
umgekehrt die aus Aequivocation entsprungene Mifsdeutung den
Sinn der rein -logischen Sätze (etwa in den empirisch -psycho-
llogischer Sätze) verkehren und zur Dahingabe der früher erfahrenen
Evidenz und der einzigartigen Bedeutung des Reiulogischen ver-
führen.
Also dieses Gegebensein der logischen Ideen und der sich
mit ihnen constituirenden reinen Gesetze kann nicht genügen. So
erwächst die grofse Aufgabe, die logischen Ideen, die Begriffe
und Gesetze, zu erkenntnistheoretischer Klarheit und Deut-
lichkeit zu bringen.
Und hier setzt die phänomenologische Analyse ein.
Die logischen Begriffe als geltende Denkeinheiten müssen
ihren Ursprung in der Anschauung haben; sie müssen durch
Ahstraction auf Grund gewisser Erlebnisse erwachsen und im
Neuvollzuge dieser Abstraction immer wieder neu zu bewähren,
in ihrer Identitüt mit sich selbst zu erfassen sein. Anders aus-
gedrückt: Wir wollen uns schlechterdings nicht mit „blofsen
Worten", das ist uiit einem blofe symbolischen Wortverständois
zufrieden geben. Bedeutungen, die nur von entfernten, ver-
schwommenen, uueigentlichen Anschauungen — wenn überhaupt
von irgendwelchen — belebt sind, können uns nicht genug thun.
Wir wollen auf die „Sachen selbst" zurückgehen. An vollent-
wickelten Anschauungen wollen wir uns zur Evidenz bringen, dies
hier in actuell vollzogener Abstraction Gegebene sei wahrhaft
und wirklich das, was die Wortbedeutungen im Gesetzesausdruck
meinen; und die Disposition wollen wir in uns erwecken, die
Bedeutungen durch hinreichend wiederholte Messung an der repro-
duciblen Anschauung (bezw. an dem intuitiven Vollzug der Ab-
straction) in ihrer unverrückbaren Identität festzuhalten. Des-
gleichen überzeugen wir uns durch Veranschaulichung der
wechselnden Bedeutungen, die demselben logischen Terminus
in verschiedenen Aussagezusammenhängen zuwachsen, eben von
dieser Thatsache der Aequivocation; wir gewinnen die Evidenz, dafs,
was das Wort hier und dort meint, in wesentlich verschiedenen
Momenten oder Formungen der Anschauung, bezw. in wesentlich
8 Einleitung.
verschiedenen Allgemeinbegriffen seine Erfüllung findet Durch
Sonderung der vermengten Begriffe und durch passende Aendemog
der Terminologie gewinnen wir dann auch die erwünschte „Klar-
heit und Deutlichkeit" der logischen Sätze.
Die Phänomenologie der logischen Erlebnisse hat also den
Zweck, uns ein so weitreichendes descriptives (nicht etwa ein gene-
tisch-psychologisches) Yerständuis dieser psychischen Erlebnisse
zu verschaffen, als nöthig ist, um allen logischen Fundamental-
begriffen feste Bedeutungen zu geben, und zwar Bedeutungen,
welche durch Bückgang auf die analytisch durchforschten Zu-
sammenhänge zwischen Bedeutungsintention und Bedeutungser-
füllung geklärt, in ihrer möglichen Erkenntnisfunction verständlich
und zugleich gesichert sind; kurzum Bedeutungen, wie sie das
Interesse der reinen Logik selbst und vor allem das Interesse der
erkenntniskritischen Einsicht in das Wesen dieser Disciplin fordert.
Die logischen Fundamentalbegriffe sind bislang noch sehr unvoll-
kommen geklärt; sie sind mit vielfältigen Aequivocationen behaftet,
und mit so schädlichen, mit so schwierig festzustellenden und in
consequenter Unterschiedenheit festzuhaltenden, dafs hierin der
hauptsächlichste Grund für den so sehr zurückgebliebenen Stand
der reinen Logik und Erkenntnistheorie zu suchen ist
Wir müssen allerdings zugestehen, dafs mancherlei begriff-
liche Unterscheidungen und Umgrenzungen rein objectiv, ohne
phänomenologische Analyse zur Evidenz kommen. Indem sie sich
in adäquater Anpassung an die erfüllende Anschauung vollziehen,
wird über die phänomenologische Sachlage selbst nicht reflectirt.
Aber auch vollste Evidenz kann verwirrt, sie kann falsch inter
pretirt, ihre sichere Entscheidung kann abgelehnt werden. Zum
die Neigung der philosophischen Reflexion, die objective ui
phänomenologische Betrachtungsweise ohne erkenntnistheoretisc'
Klarheit ihrer zweckvollen Beziehungen durcheinander zu men
und sich durch phänomenologische Milsdeutungen in objecti
Hinsicht täuschen zu lassen, bedingt es, dals eine hinreich
durchgeführte Phänomenologie der Denk- und Erkenntniserleb'
in Verbindung mit einer Erkenntnistheorie, welche uns das
hältnis zwischen Objectivem und Subjectivem zur Klarheit bringt,
dio Voraussetzung für die zuverlässige und letzte Festlegung der
allermeisten, wo nicht aller objectiv- logischen Unterscheidungen
und Einsichten ist.
Die eben erörterten Motive der phänomenologischen Analyse
sind, wie man sich Iciclit überzeugt, nicht wesentlich von den-
jenigen verschieden, welche aus den erkenntnistheorotischon
Grundfragen entspringen. Denn diese selbst ordnen sich mit
in den Kreis der Fragen ein, welche zu einer vollen Klärung
der Idee einer reinen Logik gehören. Die Thatsache nämlich,
dafs alles Denken und Erkennen auf Gegenstände, bezw. Sach-
verhalte geht, deren Einheit relativ zu der Mannigfaltigkeit wirk-
licher oder möglicher Denkacte eben „Einheit in der Mannig-
faltigkeit", also idealen Churakti;rs ist; die weitere Thatsache,
dafs allem Denken eine Denk form innewohnt, die unter idealen
Gesetzen steht, und zwar unter Gesetzen, welche die Objectivität
oder Idealität der Erkenntnis überhaupt umschreiben — diese
Thatsachen, sage ich, regen immer von Neuem die Fragen auf:
wie denn das „an sich" der Objectivität zur Voretellung kommen,
also gewissermafsen doch wieder subjectiv werden mag; was das
heifst, der Gegenstand sei „an sich" und in der Erkenntnis „ge-
geben " ; wie die Idealität des Allgemeinen als Begriff oder Gesetz
in den Flufs der realen psychischen Erlebnisse eingehen und zum
Erkenn tnisbositz des Denkenden werden kann; was dio erkennende
adaequcttio rei ac inkllectns in den verschiedenen Fällen bedeute,
je nachdem das erkennende „Erfassen" ein individuolles oder
Allgemeines, eine Thatsache oder eüa Gesetz betreffe u. s. w. Es
ist nun aber klar, dafs diese und ähnliche Fragen durchaus un-
trennbar sind von den oben augedeuteten Fragen der Aufklärung
des rein IjOgischen. Die Aufgabe der Klärung von logischen Ideen,
wie Begriff und Gegenstand, Wahrheit und Satz, Thatsache und
Gesetz u. s. w. führt unvermeidlich auf oben dieselben Fragen, die
man übrigens schon darum in Angriff nehmen mufs, weil sonst
das Wesen der Klärung selbst, die man in den phänomenologischen
Analysen anstrebt, im Unklaren bliebe.
10 Einleitung.
§ 3. Die Schwierigkeiten der rein phänomenologischen Analyse.
Die Schwierigkeiten der Elärung der logischen Grundbegriffe
haben ihre natürliche Ursache in den aufserordentlichen Schwierig-
keiten der streng pbänomenologischen Analyse. Von den Psycho-
logen pflegen diese Schwierigkeiten bei der Erwägung der inneren
Wahrnehmung als Quelle psychologischer Einzelerkenntnis erörtert
zu werden; in der Regel freilich nicht in correcter Weise, schon
um der falschen Gegenüberstellung der äufseren und inneren
Wahrnehmung willen.^ Die wesentliche Schwierigkeit liegt in der
widernatürlichen Anscbauungs- und Denkrichtung, die in der
phänomenologischen Analyse gefordert wird. Anstatt im Vollzuge
der mannigfaltig aufeinander gebauten Acte aufzugehen und somit
ihren Gegenständen ausschlieislich zugewendet zu sein, sollen wir
vielmehr „ reflectiren ", d. h. diese Acte selbst zu Gegenständen
machen. Während Gegenstände angeschaut, gedacht, miteinander
in Beziehung gesetzt, unter den idealen Gesichtspunkten eines Ge-
setzes betrachtet sind u. dgl., sollen wir unser theoretisches Interesse
nicht auf diese Gegenstände richten und auf das, als was sie in der
Intention jener Acte erscheinen oder gelten, sondern im Gegentheil
auf eben jene Acte, die bislang gamicht gegenständlich waren;
und diese Acte sollen wir nun in neuen Anschauungs- und Denk-
acten betrachten, sie analysiren, beschreiben, zu Gegenständen
eines vergleichenden und unterscheidenden Denkens machen. Das
aber ist eine Denkrichtung, die den allerfestesten, von Anbeginn
unserer psychischen Entwicklung sich immerfort steigernden Ge-
wohnheiten zuwider ist. Daher die fast unausrottbare Neigunf
immer wieder von der phänomenologischen Denkhaltung in (*
schlicht- objective zurückzufallen, Bestimmtheiten der primär i
scheinenden Gegenstände den Erscheinungen selbst, also den fac
sehen psychischen Erlebnissen, zu unterschieben, ja die inter
nalen Gegenstände überhaupt als phänomenologische Bestandsti
ihrer Vorstellungen anzusehen.
' Vgl. die Untersuchung Y und die erste Beilage am Schlosse
Bandes.
Da wir in dem secundären Acte nuf die primären aclitsani
sein sollen und dies wieder zur Voraussetzung hat, dafs wir min-
destens bis zu einem gewissen Grade auf deren Gegenstände acht-
sam sind, so kommt hier natürlich auch die „Enge des Bewufst-
seins" als erschwerender Umstand in Betracht. Bekannt ist ferner
der störende Einflufs, den die socundüren Acte der Reflexion auf
den phänomenologischen Gehnlt der primären Acte nehmen, wo-
bei die eintretenden Veränderungen von dem minder Geühten
leicht zu ühersohen, aber auch von dem Erfahrenen schwer ein-
zuschätzen sind.
Der Schwierigkeit der Gewinnung haltbarer, in wiederholter
Identiticirung evidenter Ergebnisse steht zur Seite die Schwierig-
keit ihrer Dar.stellung und ihrer Uebormittlung an Andere.
Was nach genauester Analyse mit vollster Evidenz festgestellt
worden ist, soll in den Ausdrücken dargestellt werden, die mit
weitreichender Difforenziirung nur der primären Objectivität an-
gemessen sind, während die subjcctivcn Erlebnisse direct nur
mittelst ein paar sehr vieldeutiger Worte wie Kmptindung, Wahr-
nehmung, Vorstellung u, dgl. bezeichnet werden können, und
daneben nuifs man sich mit Ausdrücken behelfen, die das in
diesen Acten Intentionale, die Gegen.ständlichkeit, worauf sie sich
richten, benennen. Es ist schlechterdings niclit möglich, die
meinenden Acte zu boschreiben, ohne im Ausdruck auf die ge-
meinten Sachen zu recurriren. Wir bedürfen der uns geläufigen
Ausdrücke für das Gegenständliche zur Herstellung umschreiben-
der Ausdrücke, in welchen wir sehr indirecte Hindeutiingen auf
die ontsprecbeuden Acte und ihre descriptiven Unterschiede voll-
ziehen.
Sehen wir aber von diesen Schwierigkeiten ab, so erheben sich
Mono in der überzeugenden Uebermittlung der gewonnenen Ein-
sichten auf Andere. Nachgeprüft und bestätigt können diese Ein-
sichten nur von Demjenigen werden, der die wohlgeübte Befähi-
gung erlangt hat, sich in jenen widernatürlichen Habitus der
Reflexion und reüectiven Forschung zu versetzen und die phäno-
12 Einleitung.
menologischen Verhältoisse rein, von aller Einmischung der inten-
tionalen Gegenständlichkeit ungetrübt, auf sich wirken zu lassen.
Diese Befähigung ist nicht leicht anzueignen, und ist z. B. durch
keine noch so reiche Schulung im psychophysischen E:xperimeQt
zu ersetzen oder zu gewinnen.
Wie grols nun auch die Schwierigkeiten sind, die einer reinen
Phänomenologie überhaupt und spcciell einer reinen Phänomeno-
logie der logischen Erlebnisse im Wege stehen, sie sind keines-
falls von einer Art, dafs sie den Versuch ihrer Ueberwindung als
hoffnungslosen erscheinen lassen könnten. Das entschlossene Zu-
sammenarbeiten einer zielbewuisten, der greisen Sache ganz hin-
gegebenen Forschergeneration würde (so wage ich zu urtheilen)
die wesentlicheren Fragen des Gebietes zu voller Entscheidung
bringen. Hier ist ein Kreis erreichbarer und für die theoretische
Philosophie fundamentaler Entdeckungen. Freilich sind es Ent-
deckungen, denen der blendende Glanz fehlt; es fehlt die unmittel-
bar greifbare Nützlichkeitsbeziehung zum practischen Leben oder
zur Förderung höherer Gemüthsbedürfnisse; es fehlt auch der
imponirende Apparat der experimentellen Methodik, durch den
sich die aufblühende physiologische Psychologie Vertrauen und
reiche Mitarbeiterschaft errungen hat
§ 4. Uhenibehrlichkeit einer Mitberücksichtiffung der grammatischen
Seite der logischen Erlebnisse.
Die analytische Phänomenologie, deren der Logiker zu seinen
vorbereitenden und grundlegenden Geschäfte bedarf, betrifft „Vor
Stellungen" und des Näheren ausdrückliche Vorstellungen. I
diesen Complexionen aber gehört sein primäres Interesse den
den „blofsen Ausdrücken" haftenden, in der Function der I
deutuHg oder Bedeutungserfüllung stehenden Erlebnissen. Indes'
wird auch die sinnlich-sprachliche Seite der Complexionen
was den „blofsen" Ausdruck in ihnen ausmacht) und die "V^
ihrer Verknüpfung mit der beseelenden Bedeutung nicht ai
Acht bleiben dürfen. Es ist bekannt, wie leicht und gan
vermerkt sich die Bedeutungsanalyse durch die gramma'
I
I
Analyse pflegt gänpoln zu lassen. Bei der Schwierigkeit der
dirocten Bodciitiing^analyse wird freilich jedes, wenn auch unvoll-
koninieno Hilfsmittel, ihre Erlebnisse indirect vorwegzunehmen,
nicht unwillkommen sein; aber mehrnoch als durch diese positive
Hilfe wird die grammatische Analyse durch die Tänschungen
wichtig, die sie bei der Unterschiebung für die eigentliche Be-
doutungsanalyse mit sich führt. Die rohe Reflexion auf die
Gedanken und ihren sprachlichen Ausdruck, zu der wir ohne
besondere Schulung befähigt sind, und deren wir auch zu practi-
schen Denkzwecken öfters bedürfen, genügt, um uns auf einen
gewissen ParaUeüsmus zwischen Denken und Sprechen aufmerksam
zu machen. Wir wissen alle, dafs Worte etwas bedeuten, und dafs,
allgemein zu reden, auch verschiedene Worte verschiedenen Be-
deutungen Ausprägung geben. Dürften wir diese Correspondenz
als vollkommene und a priori gegebene ansehen, und zumal auch
als eine solche, die den wesentlichen Bedeutiingskategorien ihr
vollkommenes Gegenbild in den grammatischen Kategorien ver-
schafft, 80 würde eine Phänomenologie der sprachlichen Formen
zugleich eine Phänomenologie der Bedeutungserlcbnisse {der Denk-,
Urtheilserlebnisse u. dgl., so weit sie eben Bedeutungsträger sind)
in sich schliefsen, die Bedeutungsanalyse würde sich mit der
grammatischen Analyse docken.
Es bedarf nicht eben tiefgehender Ueberlegungen, um fest-
zustellen, dafs ein ParaUeüsmus, der diesen weitgehenden An-
forderungen genügte, in Wahrheit nicht statt hat, und demgemäfs
kann sich auch schon die grammatische Analyse nicht in einer
blofsen Unterscheidung von Ausdrücken als sinnlich-äufseren Er-
scheinungen bethäügen; sie ist vielmehr nach einem erheblichen
und durchaus nicht entbehrlichen Theile bestimmt durch ständige
Hinblicke auf die Unterschiede der Bedeutungen. Aber diese
grammatisch relevanten Bedeutungsunterschiede sind
bald wesentliche und bald zufällige, je nachdem eben die
practischen Zwecke der Rede eigene Ausdrucksforraen für wesent-
liche oder für zufällige {nur eben im Wecbselverkebr besonders
oft auftretende) Bedeutungsunterschiede erzwingen.
14 Einleitung.
Bekanntlich sind es aber nicht blo&e Bedeatongsuntetschiede,
welche die Differenziirung der Ausdrücke bedingen. Ich erinnere
hier nur an die Unterschiede der Färbung, sowie an die ästheti-
schen Tendenzen der Rede, welche der kahlen Einförmigkeit der
Ausdrucksweise und ihrem lautlichen oder rythmischen Mifsklang
widerstreben und daher eine verfügbare Fülle gleichbedeutender
Ausdrücke fordern.
Da in Folge des rohen Zusammengehens Ton verbalen und
gedanklichen Unterschieden und zumal auch von Wertformen und
Gedanken formen eine natürliche Neigung besteht, hinter jeder
ausgeprägten grammatischen Unterscheidung eine logische zu
suchen, so wird es eine logisch wichtige Angelegenheit,
das Verhältnis von Ausdruck und Bedeutung zu ana-
lytischer Klarheit zu bringen, und in dem Rückgang von
der Bedeutung auf die erfüllende Anschauung das Mittel
zu erkennen, wodurch die Frage, ob eine Unterscheidung als
logische oder als blofs grammatische zu gelten habe, in jedem
gegebenen Falle entschieden werden kann.
Die allgemeine, an passenden Beispielen leicht zu gewinnende
Erkenntnis des Unterschiedes zwischen grammatischer und logischer
Differenziirung genügt nicht Diese allgemeine Erkenntnis, dafs
grammatische Unterschiede nicht immer mit logischen Hand in
Hand gehen; mit anderen Worten, dafs die Sprachen materiale
Bedeutungsunterschiede von weitreichender communicativer Nütz-
lichkeit in ähnlich durchgreifenden Formen, ausprägen, wie di
fundamentalen logischen Unterschiede (nämUch die Unterschiede
die im allgemeinen Wesen der Bedeutungen a priori gründen) -
diese allgemeine Erkenntnis kann sogar einem schädlichen Ra
calismns den Boden ebnen, der die Sphäre der logiseben Form
übermäßig beschränkt, eine breite Fülle logisch bedeutsar
Unterschiede als vermeintlich blols grammatische verwirft
nur einige wenige übrig behält, die eben noch ausreichend i
der traditionellen Syllogistik irgend einen Inhalt zu belassen,
kanntlich ist Bbentaho's, trotz alledem sehr werthvoller, Te
einer Reformation der formalen Logik in diese Uebertreibur
fallen. Niir eine volle Klarlegung dos rein phänomenologischen
Verhältnisses zwischen Ausdruck, Bedeutung und Bedeutungs-
erfüllung kann uns hier die sichere Mittelstellung verschaffen und
das Verhältnis zwischen grammatischer und Bedeutungsanalyse zur
erforderlichen Deutlichkeit bringen.
§ 5. Bezeichnung der Hauptziele der nachfolgenden
analytischen Untersuchungen.
Wir werden damit auf eine Reihe analytischer Vorarheiteu
zur Ermöglichung einer formalen Logik und zunächst der Ermög-
lichung einer reinen logischen Formenlehre hingewiesen, die, aus-
gehend von der empirischen Gebundenheit der Bedeutungserleb-
nisse, an „Ausdrücken" festzustellen sucht, was die mehrfach
äquivoke Rede vom „Ausdrücken" bezw. Bedeuten eigentlich
meint; welches die wesentlichen, sei es phänomenologischen oder
logischen Unterscheidungen sind, die allgemein zu den Ausdrücken
gehören; wie dann weiter — um ;^unäehst die phänomenologische
Seite der Ausdrücke zu bevorzugen — die psychischen Erlebnisse
zu beschreiben, welchen Gattungen sie einzuordnen sind, die über-
haupt zu dieser F'unction des Bedeutens befähigt sind; wie das
in ihnen vollzogene „Vorstellen" und „Urtheilen" sich zur ent-
sprechenden „Anschauung" verhalte, wie es sich darin „bekräftige"
und „erfülle", dariu seine „Evidenz" finde; u. dgl. Es ist leicht
einzusehen, dafs die hierauf bezüglichen Untersuchungen allen
denen voraufgehen müssen, welche auf die Klärung der logischen
Grundbegriffe, der Kategorien, bezüglich sind. In die Reihe dieser
einleitenden Untersuchungen gehört auch die fundamentale Fi-age
nach den Acten, bezw. den idealen Bedeutungen, die unter dem
Titel Vorstellung für die Logik in Betracht kommen. Die Ana-
lyse der vielen, Psychologie, Erkenntnistheorie und Logik ganz
und gar verwirrenden Begriffe, die das Wort Vorstellung an-
genommen hat, ist eine wichtige Aufgabe. Aehnliche Analysen
betreffen den Begriff des Urtheils, und zwar des ürtheils in dem
für die Logik in Betracht kommenden Sinne. Darauf ist os in der
sogenannten „ Urtheilstheorie " abgesehen, die aber ihrem Haupt-
16 Einleitung.
theil, bezw. ihren wesentlichen Schwierigkeiten nach „Yorstellnngs-
theorie" ist Natürlich handelt es sich dabei um nichts weniger
als um eine psychologische Theorie, sondern um eine, durch er-
kenntniskritisohe Interessen umgrenzte Phänomenologie der Vor-
steUungs- und ürtheilserlebnisse.
Wie der phänomenologische, also rein descriptive, Oehalt der
ausdrücklichen Erlebnisse, so erfordert dann auch ihr objectiver
Oehalt, der ideale Sinn ihrer gegenständlichen Intention, d. L
die Einheit der Bedeutung und die Einheit des Gegenstandes, eine
nähere Erforschung. Vor Allem aber auch der beiderseitige Zu-
sammenhang, die zunächst räthselbafte Art, wie dasselbe Erlebnis
in doppeltem Sinne einen Inhalt haben, wie ihm neben seinem
eigentlichen, actuellen ein idealer, intentionaler Inhalt einwohnen
soll und kann.
In diese Richtung gehört die Frage nach der „Gegenständ-
lichkeit", bezw. „Gegenstandslosigkeit" der logischen Acte, die
Frage nach dem Sinn der Unterscheidung zwischen intentionalea
und wahren Gegenständen, die Klarlegung der Idee der Wahrheit
in ihrem Verhältnis zur Urtheilsevidenz, desgleichen die Klarlegung
der übrigen, innig miteinander zusammenhängenden logischen
Kategorien. Zum Tbeile sind diese Untersuchungen mit den auf
die Constitution der logischen Formen bezüglichen identisch, so-
fern natürlich die Frage der Annahme oder Verwerfung einer
logischen Form (der Zweifel ob sie sich von den bereits erkannten
Formen blofs grammatisch oder logisch unterscheidet) mit der
Klärung der formgebenden, kategorialen Begriffe erledigt ist
Hiermit sind einigermaßen die Problemkreise gekennzeichnet
auf welche sich die nachfolgenden Untersuchungen beziehen. Dies«
erheben im Uebrigen keinerlei Ansprüche auf VoUständigkei
Nicht ein System der Logik, sondern Vorarbeiten zur erkenntn
theoretischen Klärung und zu einem künftigen Aufbau der Log
will ich hier bieten. Und natürlich sind die Wege einer analj
sehen Untersuchung auch andere als die einer abschliefsen
Darstellung vollerreichter Wahrheit im logisch geordneten Syst
§ 6, Zusälxe.
1. Zusatz. Unvermeidlich führen die bezeichneten Unter-
suchungen vielfach über die enge phänoraenologisclie Sphäre hin-
aus, deren Studium zur KJiirung, zur directen Evidentmachung
der logischen Ideen wirklich erfordert ist. Eben diese Sphäre ist
ja nicht von vornherein gegeben, sondern begrenzt sich erst im
Laufe der Untersuchung. Vieles hat zunächst einen starken An-
schein erkenntnistheoretischer Wichtigkeit, was die nachträgliche
Analyse als erkenntnistbeoretisch bedeutungslos herausstellt. Zu-
mal aber zwingt die Sondoning der vielen und verschwommenen
Begrifie, die im Verständnis der logischen Termini unklar durch-
einanderlaufen, und die Ausfindung der wahrhaft logischen unter
ihnen, zur Erweiterung des Forschungskreises.
2. Zusatz. Die phänomenologische Fundirung der Logik kämpft
auch mit der Schwierigkeit, dafs sie fast alle die Begriffe, auf
deren Klärung sie abzielt, in der Darstellung selbst verwenden
mufs. Im Zusammenhang damit steht ein gewisser und schlecht-
hin nicht auszugleichender Mangel hinsichtlich der systematischen
Aufeinanderfolge der erkenntnistheoretischen Voruntersuchungen.
Gilt uns das Denken als ein allererst zu Klärendes, so ist der
unkritische Gebrauch der fraglichen Begriffe (oder vielmehr Ter-
mini) in der klärenden Darstellung selbst unzulässig. Nun ist
aber zuvörderst nicht zu erwarten, dafs die kritische Analyse der
betreffenden Begriffe erst dann nothwendig würde, bis der sach-
liche Zusammenhang der logischen Materien zu diesen Begriffen
hingeführt habe. Mit anderen Worten: An und für sich betrachtet
würde die systematische Klärung der reinen Logik, sowie die
jeder anderen Disciplin, fordern, dafs man Schritt für Schritt der
Ordnung der Sachen, dem systematischen Zusammenhang der zu
klärenden Wissenschaft folge. In unserem Falle erfordert es aber
die eigene Sicherheit der Untersuchung, dafs man diese systemati-
sche Ordnung immer wieder durchbreche; dafs man begriffliche
Unklarheiten, welche den Gang der Untersuchung selbst gefährden
würden, beseitige, ehe die natürliche Folge der Sachen zu diesen
Haiiarl, Lob'. Unten. U. 2
18 EitUeüung.
Begriffen hinführen konnte. Die Untersuchung bewegt sich gleich-
sam im Zick-Zack, und dieses Gleichnis palst um so besser, als
man, vermöge der innigen Abhängigkeit der verschiedenen Er-
kenntnisbegriffe immer wieder zu den ursprünglichen Analysen
zurückkehren und sie an den neuen, sowie die neuen an ihnen
bewähren muTs.
3. Zusatz. Phänomenologie ist descriptive Psychologie. Also
ist die Erkenntniskritik im Wesentlichen Psychologie oder min-
destens nur auf dem Bodea der Psychologie zu erbauen. Also
ruht auch die reine Logik auf Psychologie — wozu also der ganze
Streit gegen den Psychologismus?
Selbstverständlich werden wir diesem Einwände, auf den kein
aufmerksamer Leser der Prolegomena verfallen kann, entgegen-
halten, was wir schon in § 2 angedeutet haben:
Die Nothwendigkeit einer solchen psychologischen Fundirung
der reinen Logik, nämUch einer streng descriptiven , kann uns an
der wechselseitigen Unabhängigkeit der beiden Wissenschaften,
der Logik und Psychologie, nicht irre machen. Denn reine Des-
criptioD ist bloise Vorstufe für die Theorie, nicht aber Theorie
selbst So kann eine und dieselbe Sphäre reiner Description zur
Vorbereitung sehr verschiedener theoretischer Wissenschaften dienen.
Nicht die Psychologie als volle Wissenschaft ist ein Fundament
der reinen Logik, sondern gewisse Erlassen von Descriptionen,
welche die Vorstufe für die theoretischen Forschungen der Psycho-
logie bilden (nämlich sofern sie die empirischen Oegenstände be-
schreiben, deren genetische Zusammenhänge diese Wissenschaß
verfolgen will) bilden zugleich die Unterlage für jene fundame'
talen Abstractionen, in welchen der Logiker das Wesen seil
idealen Gegenstände und Zusammenhänge mit Evidenz erfalst
Da es erkenntnistheoretisch von ganz einzigartiger Bedeut*
ist, die rein descriptive Erforschung der Erkenntniserlebnisse,
um alle theoretisch -psychologischen Interessen unbekümmert
von der eigentlich psychologischen, auf empirische Erklärung
Genesis abzielende Forschung zu sondern, thun wir gut daran
statt von descriptiver Psychologie vielmehr von Phänomenol
zu sprechen. Dies eaiptiehlt sich auch aus dem anderen Grunde,
weil der Ausdrucic descriptive Psychologie in der Redeweise
mancher Forsclier die Sphäre irissenschaftlicber psychologischer
Uutersuchungen bezeichnet, die durch die methodische Bevor-
zugung der inneren Erfahrung und durch Abstraction von aller
psychophysischen Erklärung umgrenzt wird.
§ 7. Das J^insip der Voranssetxungslosigkeit erkenntnütheoretisctter
Untersuchungen,
Eine erkenntnistheoretische Untersuchung, die ernstlichen An-
spruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, mufs, wie man schon oft
betont hat, dem Princip der Voraussetzungslosigkeit ge-
nügen. Das Princip kann aber unseres Erachtens nicht mehr
besagen wollen als den Ausschlafe aller Annahmen, die nicht
phänomenologisch voll und ganz realisirt werden können. Jede
erkeuntnistheoretische Untersuchung mufs sich auf rein phäno-
menologischem Orunde vollziehen. Die „Theorie", die in ihr an-
gestrebt wird, ist ja nichts Anderes, als Besinnung und evidente
Verständigung darüber, was Denken und Erkennen überhaupt ist,
worin sein Rechtsanspruch auf Gegenständlichkeit eigentlich be-
steht, welches die wesentlichen Formen sind, die zur Idee der
Erkenntnis, zumal zur Idee der Erkenntnis a priori gehören, in
welchem Sinne die in diesen Formen gründenden „formalen"
Gesetze Denkgesetze sind, und in welchem Sinne sie die ideale
Möglichkeit von theoretischer Erkenntnis und von Erkenntnis über-
haupt umgrenzen. Soll diese Besinnung auf den Sinn der Er-
kenntnis kein blofses Meinen ergeben, sondern wie es hier strenge
Forderung ist, einsichtiges Wissen, so mufs sie sich rein auf dem
Grunde gegebener Denk- und Erkenntniserlebnisso vollziehen.
Dals sich die Denkacte gelegentlich auf transscondente oder gar auf
nichtexistirende und unmögliche Objecto richten, thut dem keinen
Eintrag. Denn diese gegenständliche Richtung, dies Vorstellen und
L Meinen eines phänomenologieh nicht realisirten Objects, ist natür-
lich ein descriptiver Charakterzug im beti'effenden Erlebnis, und
so mufs sich der Sinn eines solchen Meineus rein auf Grund des
I
20 Einleitung.
Erlebnisses selbst klären und feststellen lassen; ja auf andere Weise
wäre dergleichen auch nicht möglich.
Von der Erkenntnistheorie darchaus geschieden ist die Frage
nach der Berechtigung, mit der wir von unserem eigenen Ich
unterschiedene „psychische" und „physische" Realitäten annehmen,
was das Wesen dieser Realitäten ist und welchen Gesetzen sie
unteretehen, ob zu ihnen die Atome und Molekeln der Physiker
gehören u. dgl. Die Frage nach der Existenz und Natur der
„AuTsenwelt" ist eine metaphysische Frage. Die Erkenntnistheorie
hingegen, als allgemeine Aufklärung über das ideale Wesen oder
über den Sinn des erkennenden Denkens, umfafst zwar die all-
gemeine Frage, ob und inwiefern ein Wissen oder vernünftiges Ver-
muthen von Gegenständen möglich ist, die im Denkerlebnis nicht
selbst gegeben , also auch nicht im prägnanten Sinne erkannt sind ;
nicht aber die besondere Frage, ob wir auf Grund der uns factisch
gegebenen Daten ein solches Wissen wirklich gewinnen können,
oder gar die Aufgabe, dieses Wissen zu realisiren. Nach unserer
Auffassung ist die Erkenntnistheorie, eigentlich gesprochen, gar
keine Theorie. Und sie enthält auch nichts von Theorie. Sie ist
keine Wissenschaft in dem prägnanten Sinne einer Einheit aus
theoretischer Erklärung. Erklären im Sinne der Theorie ist
das Begreiflichmachen des Einzelnen aus dem allgemeinen Gesetz
und dieses letzteren wieder aus dem Grundgesetz. Im Gebiet de
Thatsachen handelt es sich dabei um die Erkenntnis, dafs, was un'
gegebenen GoUocationcn von Umständen geschieht, nothwend
das ist nach Naturgesetzen geschieht Im Gebiet des Apriorisc)
wieder handelt es sich um das Begreifen der Nothwendig'
der specifischen Yerhältnis.se niederer Stufe aus den umfasse;
generellen Nothwendigkeiten und letztlich aus den primiti'
und allgemeinsten Ycrhältnisgesetzen, die wir Axiome nf
Die Erkenntnistheorie hat aber in diesem theoretischen Sinn
zu erklären, sie baut keine deductiven Theorien und ordnet
unter solche Theorien. Nach den Darlegungen der Prolef
ist sie nichts Anderes als die philosophische Ergänzv
reinen Mathesis im denkbar weitesten Verstände, der s
rische kategoriale Erkenntnis in Form systematischer Tlieorien
zusaramenschlierst. Mit dieser Theorie der Theorien liegt die sie
aufklärende Erkenntnistheorie vor aller empirischen Theorie: also
zumal vor aller Metaphysik; ferner auch vor aller erklärenden
Realwissenschaft, vor der Naturwissenschaft auf der einen, der
Psychologie auf der anderen Seite. Sie will nicht die Erkenntnis,
das zeitliche Ereignis, in psychologischem oder psychophysischem
Sinn erklären, sondern die Idee der Erkenntnis nach ilu-en con-
stitutiven Elementen, bezw. Gesetzen aufklären; nicht die realen
Zusammenhängo der Coexistenz und Successiou, in welche die
Erkenntnisacte eingewoben sind, will sie verfolgen, sondern den
idealen Sinn der specifischen Zusammenhänge, in welchen sich
die Ohjectivität der Erkenntnis docuraentirt, verstehen; die reinen
Erkenntnisfurmen und Gesetze will sie durch Rückgang auf die
adäquat erfüllende Anschauung zur Klarheit und Deutlichkeit er-
heben. Diese Aufklärung erfordert, wie wir sahen, in nicht un-
erheblichem Ausmaße eine Phänomenologie der Erkenntniserleb-
nisse und der Anschauungs- und Denkerlebnisse überhaupt, eine
Phänomenologie, die es auf blofse descriptivo Analyse der Erleb-
nisse nach ihrem reellen Bestände, in keiner Weise aber auf ihre
genetische Analyse nach Uirem causalen Zusammenhange, ab-
gesehen hat.
Diese metaphysische, physische und psychologische Voraus-
setzungslosigkoit, und keine andere, wollen auch die nachfolgonden
Untersuchungen erfüllen. Selbstverständlich mrd sie nicht ge-
schädigt durch gelegentliche Zwischenbemerkungen, die auf Inhalt
und Charakter der Analysen einflufslos sind, oder gar durch die
vielen Aeulseruugen, in welchen sich der Darsteller an sein Publi-
cum wendet, dessen Existenz darum noch keine Voraussetzung
des Inhaltes der Untersuchungen bildet. Die uns gesteckten
Grenzen überschreiten wir auch nicht, wenn wir z. B. von dem
Factum der Sprachen ausgehen und die blofs communicative Be-
deutung mancher unter ihren Ausdrucksformeu erörtern, und was
dergleichen mehr. Man überzeugt sich überall mit Leichtigkeit,
dals die angeknüpften Analysen ihren Sinn und erkenntnistheoreti-
22 Eirdeüung.
sehen Werth behalten, ob es wirklich Sprachen und einen Weehsd-
verkehr von Menschen, dem sie dienen wollen, giebt, oder ob all
das nur in der Einbildung und Möglichkeit bestehe.
Die wahren Prämissen der prätendirten Ergebnisse müssen
in Sätzen liegen, die der Forderung genügen, dals, was sie aus-
sagen, eine, wenn möglich adäquate, phänomenologische Recht-
fertigung, also Erfüllung durch Evidenz, zuläist; femer dafs diese
Sätze allzeit nur in dem Sinne, in dem sie intuitiv festgest^t
worden sind, weiterhin in Anspruch genommen werden.
§ 1. Ein Doppelsinn des Temiinun Zeichen.
Die Termini Ausdruck und Zeichen werden nicht selten
wie gloichbedentende heimndelt. Es ist nber nicht unnütz zu be-
achten, dafs sie sich in allgemein üblicher Rode keineswegs über-
all decken. Jedes Zeichen ist Zeichen für Etwas, aber nicht jedes
hat eine „Bedeutung", einen „Sinn", der mit dem Zeichen
„ausgedrückt" ist. In vielen Fällen kann man nicht einmal
sagen, das Zeichen „bezeichne" das, wofür es ein Zeichen genannt
wird. Und selbst wo diese Sprechweise statthaft ist, ist zu be-
obachten, dals das Bezeichnen nicht immer als jenes „Bedeuten"
gelten will, welches die Ausdrücke charakterisirt. Nämlich Zeichen
im Sinne von Anzeichen (Kennzeichen, Merkzeichen ii. dgl.)
drücken nichts aus, es sei denn, dafs sie neben der Function
des Änzeigens noch eine Bedeutungsfunction erfüllen. Beschränken
wir uns zunächst, wie wir es bei der Rede von Ausdrücken un-
willkürlich zu thun pflegen, auf Ausdrücke, die im lebendigen
Wechselgespräch fungiren, so erscheint hiebei der Begriff des
Anzeichens im Vergleich mit dem Begriff des Ausdrucks als der
dem Umfang nach weitere Begriff. Keineswegs ist er darum in
Beziehung auf den Inhalt die Gattung. Das Bedeuten ist nicht
eine Art des Zeichenseins im Sinne der Anzeige. Nur
dadurch ist sein Umfang ein engerer, daJs das Bedeuten — in
24 /. Ausdruck und Bedeutung.
mittheilender Bede — allzeit mit einem Verhältnis jenes Anzeickem-
seins verflochten ist, und dieses wiederum begründet dadurch «tuen
weiteren Begriff, dais es eben auch ohne solche Yeiflechtung auf-
treten kann. Die Ausdrücke entfalten ihre Bedeutungsfanctioii
aber auch im einsamen Seelenleben, wo sie nicht mehr
als Anzeichen fungiren. In Wahrheit stehen also die beiden
Zeichenbegriffe gar nicht im Verhältnis des weiteren und engeren
Begriffes.
Doch es bedarf hier näherer Erörterungen.
§ 2. Das Wesen der Anzeige.
Von den beiden dem Worte Zeichen anhängenden Begriffen
betrachten wir vorerst den des Anzeichens. Das hier obwaltende
Verhältnis nennen wir die Anzeige. In diesem Sinne ist das
Stigma Zeichen für den Sklaven, die Flagge Zeichen der Nation.
Hieher gehören überhaupt die „Merkmale" im ursprünglichen
Wortsinn als „charakteristische" Beschaffenheiten, geschickt die
Objecto, denen sie anhaften, kenntlich zu machen.
Der Begriff des Anzeichens reicht aber weiter als der des
Merkmals. Wir nennen die Marskanäle Zeichen für die Existenz
intelligenter Marsbewohner, fossile Knochen für die Existenz vor-
sintfluthlicher Thiere u. s. w. Auch Erinnerungszeichen, wie der
beliebte Knopf im Tascbentucbe, wie Denkmäler u. dgl. gehören
hieher. Werden hiezu geeignete Dinge und Vorgänge, oder
Bestimmtheiten von solchen in der Absicht erzeugt, um als An-
zeichen zu fungiren, so heifseu sie dann Zeichen, gleichgiltig ob
sie gerade ihre Function üben oder nicht Nur bei den willkürlich
und in anzeigender Absiebt gebildeten Zeichen spricht man auch
vom Bezeichnen, und zwar einerseits im Hinblick auf die Action,
welche die Merkzeichen schafft (das Einbrennen des Stigma, das
Ankreiden u. dgl), und andererseits im Sinn der Anzeige selbst,
also im Hinblick auf das anzuzeigende, bezw. das bezeichnete
Object
Diese und ähnliche Unterschiede heben die wesentliche Ein-
heit in Hinsicht auf den Begriff des Anzeichens nicht auf. Im
I
eigentlichen Sinn ist Etwas nur Anzeichen zu nennen, wenn es
und wo es einem denkenden Wesen thatsäclilich als Anzeige für
Irgendwas dient Wollen wir also das überall Gemeinsame er-
fassen, so müssen wir auf diese Fälle der lebendigen Function
zurückgehen. In ihnen finden wir nun als dieses Gemeinsame
den Umstand, dafs irgendwelche Gegenstände oder Sachver-
halte, von deren Bestand Jemand actuelle Kenntnis hat, ihm
den Bestand gewisser anderer Gegenstände oder Sach-
verhalte in dem Sinne anzeigen, dafs die üeberzeugung von
dem Sein der Einen von ihm als Motiv (und zwar als ein
nichteinsichtiges Motiv) empfunden wird für die Üeber-
zeugung oder Vermuthung vom Sein der Anderen. Die
Motivirung stellt zwischen den Urtheilsacten, in denen sich für
den Denkenden die anzeigenden und angezeigten Sachverhalte
constjtuireu, eine descriptive Einheit her; wenn man will:
eine „Gestaltqualität", fundirt in Urtheilsacten; in ihr liegt das
Wesen der Anzeige. Deutlicher gesprochen: die Motivirungseinheit
der ürtheilsacte hat selbst den Charakter einer Urtheilseinheit
und somit in ihrer Gesamnitheit ein ei-scheincndos gegenständ-
liches Correlat, einen einheitlichen Saciiverhalt, der in ilir zu sein
scheint, in ihr vermeint ist Und offenbar besagt dieser Sachverhalt
nichts Anderes als eben dies, dals die einen Sachen bestehen
dürften oder bestehen müssen, weil jene anderen Sacheu ge-
geben sind. Dieses „weil" als Ausdruck eines sachlichen Zu-
sammenhanges aufgefafst, ist das objective Correlat der Motivirung
als einer descriptiv eigenthümlicheu i?'orm der Verwobung von
Urtheilsacten zu Einem ürthoilsact.
§ 3. Hinweis und Beweis.
Die phänomenologische Sachlage ist hiermit aber so allgemein
geschildert, dafs sie mit den Hinweisen der Anzeige auch das
Beweisen der echten Folgerung und Begründung mitbefafst Die
beiden Begriffe sind aber wol zu ti-ennen. Wir haben den Unter-
schied bereits oben durch die Betonung der Uneinsichtigkeit
der Anzeige angedeutet, In der That nennen wir in Fällen, wo
26 I. Aufdruck und Bedeutung.
wir die Geltung eines Sachverhalts aus deijenigen anderer Sach-
verhalte einsichtig erschlielsen, die letzteren nicht Anzeigen oder
Zeichen für die ersteren. Und umgekehrt ist von einem Beweisea
im eigentlichen Sinn der Logik nur in diesem Fall einsichtiger
oder möglicherweise einsichtiger Folgerung die Rede. Gewils ist
Vieles von dem, was wir als Beweis, im einfachsten Falle als
Scblufs, ausgeben, uneinsichtig, ja sogar falsch. Aber indem wir
es so ausgeben, erheben wir doch den Anspruch, iaSs die Conse-
quenz eingesehen werden könne. Damit hängt Folgendes zu-
sammen: dem subjectiven Schliefsen und Beweisen entspricht ob-
jectiv der Schlufe und Beweis, bezw. das objective Verhältnis
zwischen Grund und Folge. Diese idealen Einheiten sind nicht
die betreffenden Urtheilserlebnisse, sondern deren ideale „Inhalte",
die Sätze. Die Prämissen beweisen den Schlnfssatz, wer immer
diese Prämissen und den Schlufssatz und die Einheit beider
urtheilen mag. Es bekundet sich hierin eine ideale Gesetzmälsig-
keit, welche über die hie et nunc durch Motivation verknüpften
Urtheile hinausgreift und in überempirischer Allgemeinheit alle
Urtheile desselben Inhalts, ja noch mehr, alle Urtheile derselben
„Form", als solche zusammenfafst Eben diese Gesetzmäfsigkeit
kommt uns subjectiv in der einsichtigen Begründung zum Be-
wufstsein, und das Gesetz selbst durch ideirende Reflexion auf die
Inhalte der im actnollen Motivirungszusammenhang (im actueilen
Schlufs und Beweis) einheitlich erlebten Urtheile, also auf die
jeweiligen Sätze.
Im Falle der Anzeige ist von alldem keine Rede. Hier ist
die Einsichtigkeit und, objectiv gesprochen, die Erkenntnis eines
idealen Zusammenhangs der bezüglichen Urtbeüsinhalte geradezu
ausgeschlossen. Wo wir sagen, dafs der Sachverhalt A ein An-
zeichen für den Sachverhalt B sei, dafs das Sein des Einen darauf
hinweise, dafs auch der Andere sei, da mögen wir in der Er-
wartung, diesen letzteren auch wirklich vorzufinden, völlig gewils
sein; aber in dieser Weise sprechend, meinen wir nicht, dafe
ein Verhältnis einsichtigen, objectiv nothwendigen Zusammen-
hanges zwischen A und B bestehe; die Urtheilsinhalte stehen uns
Die wesentlichen Unterseheülungm.
27
I
hier nicht im Verhältnis von Prämissen und Schlufssätzen. Aller-
dings kommt es vor, dafs wir in P'iillou, wo ein (und zwar ein
mittelbarer) Begründungszusammenhang objectiv besteht, gleich-
wol von Anzeichen sprechen. Dem Rechner dient (so sagen wir
z. B.) der Umstand, dafs eine algebraische Gleichung von ungeradem
Grade ist, als ein Zeichen dafür, dafs sie mindestens eine reelle
Wurzel hat. Aber genau besehen beziehen wir uns hiermit nur
auf die Möglichkeit, dafs die Constatirung der üngeradzahligkeit
des Gleichungsgrades dem Rechner — ohne dafs er den einsichtig
beweisenden Gedankenzusamnicnhang actuell heretello — als un-
mittelbares, uneinsichüges Motiv diene für die Inanspruchnahme
der gesetzlich zugeordneten Eigenschaft der Gleichung für seine
rechnerischen Zwecke. Wo dergleichen also vorliegt, wo gewisse
Sachverbalte wirklich als Anzeichen dienen für andere, an sich
betrachtet aus ihnen zu folgernde Sachverhalte, da thun sie dies
nicht als logische Gründe, sondern vermöge des empirisch -psycho-
logischen Zusammenhanges, den die frühere actuctle Beweisfühning
oder gar das autorifätengläirbige Lernen zwischen den Uebor-
zeugungen als psychischen Erlebnissen, bezw. Dispositionen ge-
stiftet hat. Daran wird natürlich auch nichts geändert durcli das
eventuell begleitende, aber blofs habituelle Wissen vom objectiven
Bestände eines rationalen Zusammenhangs.
Plat danach die Anzeige (bezw. der Mütivirungszusammenhang,
in dem dies sieh als objectiv gebende Verhältnis zur Erscheinung
kommt) auch keine wesentliche Beziehung zum Nothwendigkeits-
zusammenhang, so kann allerdings gefragt werden, ob sie nicht
eine wesentliche Beziehung zum Wahrschoinlichkeitszusammenhang
beanspruchen müsse. Wo Eins auf das Andere hinweist, wo die
Ueberzeugung vom Sein des Einen, diejenige vom Sein dos Anderen
empirisch (also in zufälliger, nicht in nothwendiger Weise) moti-
virt, mufs dann nicht die motivirende Ueberzeugung einen Wahr-
schoinlichkeitsgrund für die motivirte enthalten? Es ist hier
nicht der Ort, diese sich aufdrängende Frage genauer zu erwägen.
Nur 80 viel sei bemerkt, dal's eine bejahende Entscheidung sicher-
lich gelten wird, wofern es zutrifft, dafs auch derartige empirische
28 7. Ausdruck und Bedeutung,
Motivirungen einer idealen Bechtsprechong unterstidlien, weidM
es gestattet von berechtigten und unberechtigten MotiTcw so
sprechen; also in objcctiver Hinsicht von wirklichen (gdtenden,
d. i. Wahrscheinlichkeit und eventuell physische Sicherheit be-
gründenden) Anzeichen zu sprechen, im Gegensatz za Bohänbareii
(ungiltigen, d. i. keinen Wahrscheinlichkeitsgrund abgebendfli^
Man denke beispielsweise an den Streit, ob die Tnlkanisohea
Erscheinungen wirklich Anzeichen dafür seien oder nicht seifln,
dafs das Erdinnere sich in einem feurig-flüssigen Zustande ty^n^ff,
oder dergleichen. Eins ist sicher, dals die Bede von AnzeidieB
eine bestimmte Beziehung auf Wahrscbeinlichkeitserwägungen nicht
voraussetzt. In der Regel liegen ihr ja nicht bloiJse Yermothongen,
sondern fest entschiedene Urtheile zu Grunde; daher die ideale
Rechtsprechung, der wir hier eine Domäne zugebilligt haben,
vorerst die bescheidene Einschränkung der gewissen üeber-
Zeugungen in blofse Yermuthungen wird verlangen müssen.
Ich bemerke noch, dafs die Bede von der Motivirung in dem
allgemeinen Sinne, der die Begründung und die empirische Hin-
deutnng zugleich befafst, meines Erachtens nicht zu umgehen ist
Denn thatsächlich besteht hier eine ganz unverkennbare ph&nom«io-
logische Gemeinschaft, die sichtlich genug ist, um sich sogar in der
gewöhnlichen Bede zu bekunden: allgemein ist ja von Schliefsen und
Folgern nicht blofe im logischen Sinne, sondern auch im empiiiscihen
der Anzeige die Bede. Diese Gemeinsamkeit reicht offenbar nooh
viel weiter, sie umfafst das Gebiet der Gemütlis- und speciell der
Willensphänomene, in welchem von Motiven vu^prünglich allein ge-
sprochen wird. Auch hier spielt das Weil seine Bolle, das sprach-
lich überhaupt soweit reicht, als die Motivation im allgemeinstea
Sinne. Ich kann daher v. Meihoito's Tadel der BnENiAifo'sohen Ter-
minologie, der ich mich hier angeschlossen habe, als berechtigten
nicht anerkennen.! Darin aber stimme ich ihm vollkommen zu, dab-
es sich bei der Wahmehm\mg der Motivirtheit um nichts weniger
handelt als um Wahrnehmung von Causation.
' A. V. Mbsmono, Gott. gel. Anz. 1892. 8. 446.
I
I
§ 4. Excurs über die Entstehung der Anzeige aus der Association.
Die psychischen Thatsachen, in welchen der Begriff des An-
zeichens seinen „psychologischen Ursprung" hat, d. h. in denen
er abstractiv zu erfassen ist, gehören in die weitere Gruppe von
Thatsachen, welche unter dem historischen Titel „Idecnassociation"
zu befassen sind. Denn unter diesen Titel gehört nicht blofs,
was die Associationsgesetze ausdrücken, die Thatsachen der „Ver-
gesellschaftung der Ideen" durch „Wiedererweckung '\ sondern
auch die weiteren Thatsachen, in denen sich die Association
schöpferisch erweist, indem sie nämlich descriptiv eigen thiimlicho
Charaktere und Einheitsformen schafft.* Die Association ruft die
Inhalte nicht blofs ins Bewufstsein zurück und üborläfst es ihnen,
sich mit den gegebenen Inhalten zu verknüpfen, wie es das Wesen
der einen und anderen (ihre Gattungsbostimnitheit) gesetzlich vor-
schreibt Diese rein in den Inhalten gründenden Einheiten, z. B.
die Einheit der visuellen Inhalte im Gesichtsfelde u. dgl, kann
sie freilich nicht hindern. Aber sie schafft zudem neue phäno-
menologische Charaktere und Einheiten, die eben nicht in den
erlebten Inhalten selbst, nicht in den Gattungen ihrer abstracten
Momente, ihren nothwendigen Gesetzesgrund haben.* Ruft A
das B ins Bewufstsein, so sind beide nicht blofs gleichzeitig oder
nacheinander bewufst, sondern es pflegt sich auch ein fühlbarer
Zusammenhang aufzudrängen, wonach eins auf das andere hin-
' Natürlich ist die personificirende Rede von der Association, die etwas
«cbafft, und sind ähnliche bildliche Ansdrüoke, die wir weiterhin gebrauchen,
danun nicht schon verwerflich, weil sie Ausdrücke der Ber[ueiiilichkeit sind.
Wie wichtig eine wissenschaftlich genaue, dann aber auch sehr umständliche,
Beschreibung der hicher gehörigen Thatsachen ist, so wird doch zu Zwecken
leichter Verständigung und in Richtungen, wo letzte Genauigkeit nicht erforder-
lich ist, die bildliche Rede niemals entbehrlich sein.
' loh spreoho oben von erlebten Inhalten, nicht aber von ersoheinon-
den, vermeinten Gegenständen oder Vorgängen. AU das, woraus sich das
individuelle „erlebende" BewuTstsein reell constituirt, ist erlebter Inhalt
Was es wahrnimmt, erinnert, vorstellt u. dgl., ist vermeinter (intenlionalor)
Gegenstand. Nur ausDolimswoisc coiocidirt Beides. Näheres darüber in der
Untersuchung V.
30 /. Ausdruck und Bedeutung.
weist, dieses als zu jenem gehörig dasteht Aus blols Zusammen-
sciendem Zusammengehöriges zu gestalten — oder um es genauer
anzudeuten: aus ihnen zusammengehörig erscheinende intentionale
Einheiten zu gestalten — das ist die continuirliche psychologische
Leistung der associativen Function. Alle Erfahrungseinheit, als
empirische Einheit des Dinges, des Vorganges, der dinglichen
Ordnung and Beziehung, ist phänomenale Einheit durch die fühl-
bare Zusammengehörigkeit der sich einheitlich heraushebenden
Thcile und Seiten der erscheinenden Gegenständlichkeit £«ins
weist in der Ei-scheinung auf das Andere hin, in bestimmter Ord-
nung und Verknüpfung. Und das Einzelne selbst in diesen Hin -
und Bückweisungen ist nicht der blofse erlebte Inhalt, sondern der
erscheinende Gegenstand (oder sein Tbeil, sein Merkmal a. dgl.),
der nur dadurch erscheint, daß» die Erfahrung den Inhalten einen
neuen psychischen Charakter verleiht, indem sie nicht mehr für
sich gelten, sondern einen von ihnen verschiedenen Gegenstand
vorstellig machen. In den Bereich dieser Thatsachen gehört nun
aucli die der Anzeige, wonach ein Gegenstand, bezw. Sachverhalt
nicht nur an einen anderen erinnert und in dieser Weise auf ihn
hinzeigt, sondern der eine zugleich für den anderen Zeugnis ab-
legt, die Annahme, dafs er gleichfalls Bestand habe, empfiehlt,
und dies unmittelbar fühlbar, in der beschriebenen Weise.
§ 5. Ausdrücke als bedeutsame Zeichen.
Absonderung eines nicht hiehergehörigen Sinnes von Ausdruck.
Von den anzeigenden Zeichen unterscheiden wir die be-
deutsamen, die Ausdrücke. Den Terminus Atusdruck nehmen
wir dabei freilich in einem eingeschränkten Sinne, dessen Geltungs-
bereich Manches ausschliefst, was in normaler Rede als Aus-
druck bezeichnet wird. In dieser Weise muls man ja auch sonst
der Sprache Zwang anthun, wo es gilt, Begriffe terminologisch
zu fixiren, für welche nur äquivoke Termini zu Gebote stehen.
Zur vorläufigen Verständigung setzen wir fest, dafs jede Bede
und jeder Bedetheil, sowie jedes wesentlich gleichartige Zeichen
ein Ausdruck sei, wobei es darauf nicht ankommen soll, ob die
I
I
Rede wirklich geredet, also in commimieutiver Absicht an irgend-
welche Personen gerichtet sei oder nicht. Dagegen schliefseti wir
das Mienenspiel und die Geste aus, mit denen wir unser Reden
unwillkürlich und jedenfalls nicht in mittheilender Absicht be-
gleiten, oder in denen, auch ohne mitwirkende Rede, der Seelen-
zustand einer Person zu einem für ihre Umgebung verständlichen
„Ausdrucke" kommt. Solche Aeufseniugeu sind keine Ausdrücke
im Sinne der Reden, sie sind nicht gleich diesen im Bewufstsein
des sich Aeulsernden mit den geäufserten Erlebnissen phänomenal
Eins; in ihnen theilt der Eine dem Anderen nichts mit, es fehlt
ihm bei ihrer Aeulseruug die Intention, irgendwelche „Gedanken"
in ausdrücklicher Weise hinzustellen, sei es für Andere, sei es
auch für sich selbst, wo er mit sich allein ist Kurz, derartige
„Ausdrücke" haben eigentlich keine Bedeutung. Daran wird
nichts geändert dadurch^ dafs ein Zweiter unsere unwillkürlichen
Aeufsenmgen (z. B. die „Ausdrucksbowegungen") zu deuten, und
dafe er durch sie über unsere inneren Gedanken und Gemüths-
bewegungen mancherlei zu erfahren vermag. Sie „bedeuten" ihm
etwas, sofern er sie eben deutet; aber auch für ihn haben sie
keine Bedeutungen im prägnanten Sinne sprachlicher Zeichen,
sondern blofs im Sinne von Anzeichen.
In der folgenden Betrachtung werden die üntei-scbiede zur
vollen begrifflichen Klarheit zu bringen sein.
§ 6. Die Frage nach den pfiänomenologischen und inientionalen
Unter scJtciduti gen, die Mi den Ausdrücken als solchen getiören.
Man pflegt in Beziehung auf jeden Ausdruck zweierlei zu
untei-scheiden :
1. den Ausdruck nach seiner physischen Seite (das sinnliche
Zeichen, den articulirten Lautcomplex, das Schriftzeichen auf
dem Papiere u. dgl.);
2. einen gewissen Belauf von psychischen Erlebnissen, die
an den Ausdruck assoeiativ geknüpft, ihn hiedurch zum Ausdruck
von Etwas machen. Meistens werden diese psychischen Erlebnisse
als Sinn oder Bedeutung des Ausdruckes bezeichnet und zwar
32 /. Ausdruck und Bedeutuftg,
0
in der Meinung, durch diese Bezeichnung das zu treffen, was
diese Tennini in der normalen Rede bedeuten. Wir werden aber
sehen, dais diese Auffassung unrichtig ist, und dafs die bloiae
Unterscheidung zwischen dem physischen Zeichen und den sinn-
verleihenden Erlebnissen überhaupt, und zumal für lo^sche Zwecke,
nicht ausreicht
Im besonderen Hinblick auf die Kamen ist Hiehergehöriges
auch schon längst bemerkt worden. Man hat bei jedem Namen
zwischen dem, was er „kundgiebt" (d. i. jenen psychischen. Er-
lebnissen) und dem, was er bedeutet, unterschieden. Und aber-
mals zwischen dem, was er bedeutet (dem Sinn, dem „Inhalt" der
nominalen Vorstellung) und dem, was er nennt (dem Gegenstand
der Vorstellung). Wir werden ähnliche Unterscheidungen für
alle Ausdrücke nothwendig finden und ihr Wesen genau erforschen
müssen. An ihnen liegt es auch, dafs wir die Begriffe Ausdrack
und Anzeichen trennen, wogegen nicht streitet, dals die Aas-
drücke in der lebendigen Rede zugleich auch als Anzeichen fnn-
giren, wie wir sogleich erörtern werden. Dazu werden später
noch andere wichtige Unterschiede treten, welche die möglichen
Verhältnisse zwischen der Bedeutung und der illustrirenden und
vielleicht evidentmachenden Anschauung betreffen. Nur durch
Rücksichtnahme auf diese Verhältnisse ist eine reinliche Ab-
grenzung des Begriffes Bedeutung und in weiterer Folge die
fundamentale Gegenüberstellung der symbolischen Function der
Bedeutungen und ihrer Erkenntnisfnnction zu vollziehen.
§ 7. Die Äusdrüeke in communicativer Function.
Betrachten wir, um die logisch wesentlichen Unterscheidungen
herausarbeiten zu können, den Ausdruck zunächst in seiner commu-
nicativen Function, welche zu erfüllen er ja ursprünglich berufen
ist. Zum gesprochenen Wort, zur mittheUenden Rede überhaupt
wird die articulirte Lautcomplexion (bezw. das hingeschriebene
Schriftzeichen u. dgl.) erst dadurch, dafs der Redende sie in der
Absicht erzeugt, „sich" dadurch „über Etwas zu äulsem", mit an-
deren Worten, dais er ihr in gewissen psychischen Acten einen Sinn
verleiht, den er dem Hörenden mittheilen will. Diese Mittheilung
wird aber dadurch müglicli, dafs der Hörende nun auch die In-
tention des Redenden versteht. Und er thut dies, sofern er den
Sprechenden als eine Person auffalst, die nicht blolse Laute her-
vorbringt, sondern zu ihm spricht, die also mit den Lauten
zugleich gewisse sinnverleihende Acte vollzieht, welche sie ihm
kundthun, bezw. deren Sinn sie ihm mittheileu will. Was den
geistigen Verkehr allererst ermöglicht und die verbindende Rede
zur Retie macht, liegt in dieser durch die physische Seite der
Rode vermittelten Correlation zwischen den zusammengehörigea
physischen und psychischen Erlebnissen der miteinander ver-
kehrenden Personen. Sprechen und Hören, Kundgabe psychischer
Erlebnisse im Sprechen und Kundnahme derselben im Hören, sind
einander zugeordnet
Wenn man diesen Zusammenliang überschaut, erkennt man
sofort, dals alle Ausdrücke in der communicativen Rede als
Anzeichen fungiren. Sie dienen dem Hörenden als Zeichen für
die „Gedanken" des Redenden, d. h. für die sinngebonden psychi-
schen Erlebnisse desselben, sowie für die sonstigen psychischen
Erlebnisse, welche zur mittheilendeu Litention gehören. Diese
Function der sprachlichen Ausdrücke nennen wir die kund-
ide Function. Den Inhalt der Kundgabe bilden die
Jgegebenen psychischen Erlebnisse. Don Sinn des Prädicates
kundgegeben können wir in einem engeren und weiteren Sinne
fassen. Den engeren beschränken wir auf die sinngebenden
Acte, während der weitere alle Acte des Sprechenden befassen
mag, die ihm auf Grund seiner Rede (und eventuell dadurch, dafe
sie von ilinen aussagt) von dem Hörenden eingelegt werden. So
ist z. B., wenn wir einen Wunsch aussagen, das ürtheil über den
Wunsch kundgegeben im engeren, der Wunsch selbst kundgegeben
im weiteren Sinne. Ebenso im Falle einer gewöhnlichen Wahr-
nehmungsaussage, die vom Hörenden, als zu einer actuollea
Wahrnehmung gehörig, ohne Weiteres aufgefafst wird. Der Wahr-
uehmungsact ist dabei im weiteren, das sich auf ihn erbauende
Urtheil im engeren Sinne kundgegeben. Wir merken gleich an,
Hsaserl, Lug Uut«ri>. U. 3
34 I. Ausdruck und Bedeutung.
dafs es die gewöhnliche Sprechweise erlaubt, die kundgegebenen
Erlebnisse auch als aasgedrückte zu bezeichnen.
Das Verständnis der Kundgabe ist nicht etwa ein begriff-
liches Wissen von der Kundgabe, nicht ein Urtheilen von der Art
des Aussagens; sondern es besteht blols darin, dafs der Hörende den
Sprechenden anschaulich als eine Person, die dies und das aas-
drückt, auffafst (appercipirt), oder wie wir geradezu sagen können,
als eiae solche wahrnimmt Wenn ich Jemandem zuhöre, nehme
ich ihn eben als Sprechenden wahr, ich höre ihn erzählen, be-
weisen, zweifeln, wünschen u. s. w. Die Kundgabe nimmt der
Hörende in demselben Sinne wahr, in dem er die kundgebende
Person selbst wahrnimmt — obschon doch die psychischen Phäno-
mene, die sie zur Person machen als das, was sie sind, in eines
Anderen Anschauung nicht fallen können. Die gcmeinübliohe
Rede theilt uns eine Wahrnehmung auch von psychischen Erleb-
nissen fremder Personen zu, wir „sehen" ihren Zorn, Schmerz u.s.w.
Diese Rede ist vollkommen corroct, so lange man z. B. auch die
äufseren körperlichen Dinge als wahrgenommen gelten läfst und,
allgemein gesprochen , den Begriff der Wahrnehmung nicht auf den
der adäquaten Wahrnehmung, der Anschauung im strengsten Sinne
einschränkt. Besteht der wesentliche Charakter der Wahrnehmung
in dem anschaulichen Vermeinen, ein Ding oder einen Vorgang
als einen selbst gegenwärtigen zu erfassen — und ein solches Ver-
meinen ist möglich, ja in der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle
gegeben, ohne jede begriffliche, ausdrückliche Fassung — dann
ist die Kundnahme eine blofse Wahrnehmung der Kundgabe. Frei-
lich besteht hier der eben schon berührte wesentliche Unterschied.
Der Hörende nimmt wahr, dafs der Redende gewisse psychische
Erlebnisse äufsert, und insofern nimmt er auch diese Erlebnisse
wahr; aber er selbst erlebt sie nicht, er hat von ihnen keine
„innere", sondern nur eine „äufeere" Wahrnehmung. Es ist der
grofse Unterschied zwischen dem wirklichen Erfassen eines Seins
in adäquater Anschauung und dem vermeintlichen Erfassen eines
solchen auf Grund einer anschaulichen aber inadäquaten Vor-
stellung. Im ersteren Falle erlebtes, im letzteren Falle supponirtes
I
Sein, dem Wahrheit überhaupt nicht entspricht. Das wechsel-
seitige Verständnis erfordert eben eine gewisse Correlation der
beiderseitigen in Kundgabe und Kiindnahme sich entfaltenden
psychischen Acte, aber keineswegs ihre volle Gleichheit
§ 8. Die Auadrücke im einsamen Seelenleben.
Bisher haben wir die Ausdrücke in der communicativen
Function betrachtet Sie beruht wesentlich darauf, dafs die Aus-
drücke als Anzeichen wirken. Aber auch in dem sich im Ver-
kehr nicht mittheilenden Seelenleben ist den Ausdrücken eine
grofse Rolle beschieden. Es ist khir , dafs die veränderte Function
nicht das trifft, was die Ausdrücke zu Ausdrücken macht Sie
haben nach wie vor ihre Bedeutungen und dieselben Bedeutungen
wie in der Wechselrede. Nur da hört das Wort auf Wort zu
sein, wo sich unser ausschliefsliches Interesse auf das Sinnliche
richtet, auf das Wort als blofses Lautgebild. Wo wir aber in
seinem Verständnis leben, da drückt es aus und dasselbe aus, ob
es an Jemanden gerichtet ist oder nicht
Hiernach scheint es klar, dafs die Bedeutung des Ausdruckes,
und was ihm sonst noch wesentlich zugehört, nicht mit seiner
kundgebenden Leistung zusammenfallen kann. Oder sollen wir
etwa sagen, dals wir auch im einsamen Seelenleben mit dem Aus-
druck etwas kundgeben, nur dafs wir es nicht einem Zweiten
gegenüber thun? Sollen wir sagen, der einsam Sprechende spreche
zu sich selbst, es dienten auch ihm die Worte als Zeichen, näm-
lich als Anzeichen seiner eigenen psychischen Erlebnisse? Ich
glaube nicht, dals eine solche Auffassung zu vertreten wäre.
Freilich als Zeichen fungiren die Worte hier wie überall; und
überall können wir sogar geradezu von einem Hinzeigen sprechen.
Wenn wir über das Verhältnis von Ausdruck und Bedeutung
reflectiren und zu diesem Ende das complexe und dabei innig
einheitliche Erlebnis des sinnerfüllten Ausdruckes in die beiden
Factoren Wort und Sinn zergliedern, da erscheint uns das Wort
selbst, als an sich gleichgilüg, der Sinn aber als das, worauf es
mit dem Worte „abgesehen", was vormittelst dieses Zeichens ge-
3»
36 I. Ausdruck und Bedeutung.
meint ist; der Ausdruck scheint so das Interesse von sich ab und
auf den Sinn hinzulenken, auf diesen hinzuzeigen. Aber dieses
Hinzeigen ist nicht das Anzeigen in dem von uns erörterten Sinne.
Das Dasein des Zeichens motivirt nicht das Dasein oder genauer
unsere üeberzeugnng vom Dasein der Bedeutung. Was uns als
Anzeichen (Kennzeichen) dienen soll, mufs von uns als daseiend
wahrgenommen werden. Dies trifft auch zu für die Ausdrücke
in der mittheilenden, aber nicht für die in der einsamen Rede.
Hier begnügen wir uns ja, normaler Weise, mit vorgestellten an-
statt mit wirklichen Worten. In der Phantasie schwebt uns ein ge-
sprochenes oder gedrucktes Wortzeichen vor, in Wahrheit existirt es
garnicht. Wir werden doch nicht die Phantasievorstellungen oder
gar die ihnen zu Grunde Hegenden Phantasieinhalte mit den phanta-
sirten Gegenständen verwechseln. Nicht der phantasirte Wortklang
oder die phantasirte Druckschrift cxistirt, sondern die Phantasie-
vorstellung von dergleichen. Der unterschied ist derselbe, wie
zwischen dem phantasirten Centauren und der Phantasievorstellung
von demselben. Die Nicht -Existenz des Wortes stört uns nicht
Aber sie intcressirt uns auch nicht. Denn zur Function des
Allsdrucks als Ausdruck kommt es darauf garnicht an. Wo es
aber darauf ankommt, da verbindet sich mit der bedeutenden
eben noch die kundgebende Function: der Gedanke soll nicht blola
in der Weise einer Bedeutung ausgedrückt, sondern auch mittelst
der Kundgabe mitgotheilt werden; was freilich nur möglich ist im
wirklichen Sprechen und Hören.
In gewissem Sinne spricht man allerdings auch in der ein-
samen Rede, und sicherlich ist es dabei möglich, sich selbst als
Sprechenden und eventuell sogar als zu sich selbst Sprechenden
aufzufassen. Wie wenn z. B. Jemand zu sich selbst sagt: Das
hast du schlecht gemacht, so kannst du es nicht weiter treiben.
Aber im eigentlichen, communicativen Sinne spricht man in solchen
Fällen nicht, man theilt sich nichts mit, man stellt sich nur als
Sprechenden und Mittheilenden vor. In der monologischen Bede
können uns die Worte doch nicht in der Function von Anzeichen
für das Dasein psychischer Acte dienen, da solche Anzeige hier
ganz zwecklos wäre. Die fraglichen Acte sind ja im selben Augen-
blick von uns selbst erlebt.
§ 9. Die phänametwlog lachen Unterscheidungen zwiscken physischer
Aitsdnickserscheinung, sinngebendem und sinner fülkndem Act.
Sehen wir nun von den Erlebnissen, die specieli zur Kund-
gebung gehören, ab und beti-achten den Ausdruck in Hinsicht auf
Unterscheidungen, die ihm in gieietier Weise zukommen, ob er
in der einsamen oder Wechselrede fungirt, so scheint zweierlei
übrig zu bleiben: der Ausdruck selbst und das, was er als seine
Bedeutung (als seinen Sinn) ausdrückt Indessen hier sind mehr-
fUltige Relationen miteinander verflochten, und die Rede von
dem was ausgedrückt ist und von Bedeutung ist dementsprechend
eine vieldeutige. Stellen vrir uns zunächst auf den Boden der
psychologischen Description, so gliedert sich das concreto Phäno-
men des sinnbelebten Ausdrucks einerseits in das physische
Phänomen, in welchem sich der Ausdruck nach seiner physi-
schen Seite constituirt, und andererseits in die Acte, welche ihm
die Bedeutung und eventuell die anschauliche Fülle geben,
und in welchen sich die Beziehung auf eine ausgedrückte Gegen-
ständlichkeit constituirt. Vermöge dieser letzteren Acte ist der
Ausdruck mehr als ein biofser Wortlaut Er meint etwas, und
indem er es meint, bezieht er sich auf Gegenständliches. Dieses
Gegenständliche kann entweder vermöge begleitender Anschau-
ungen actuell gegenwärtig oder mindestens vergegenwärtigt er-
scheinen (z. B. im Phantasiebilde). Wo dies statthat, ist die Be-
ziehung auf die Gegenständlichkeit realisirt Oder dies ist nicht
der Fall; der Ausdruck fungirt sinnvoll, er ist noch immer mehr
als ein leerer Wortlaut, obschon er der fuudirenden, ihm den
Gegenstand gebenden Anschauung entbehrt Die Beziehung des
Ausdrucks auf den Gegenstand ist jetzt insofern unrealisirt, als sie
in der blofsen Bedeutungsintention beschlossen ist. Der Name
beispielsweise nennt unter allen umständen seinen Gegenstand,
nämlich sofern er ihn meint. Es hat aber bei der blofsen
Meinung sein Bewenden, wenn der Gegenstand nicht anschaulioh
38 /. Ausdniek und Bedeutung.
dasteht and somit aach nicht als genannter (d. i. als gemeinter)
dasteht. Indem sich die zunächst leere Bedeutungsintention er-
füllt, realisirt sich die gegenständliche Beziehung, die Nennung
wird eine actuell bewufste Beziehung zwischen Namen and Ge-
nanntem.
Legen wir diese fundamentale Unterscheidung zwischen an-
schauungsleeren und erfüllten Bedeutungsintentionen zu Grunde,
so sind auch nach Abscheidung der sinnlichen Acte, in denen
sich das Erscheinen des Ausdrucks als Wortlaut vollzieht, zweierlei
Acte oder Actreihen zu unterscheiden: Einerseits diejenigen, die
dem Ausdruck wesentlich sind, wofern er überhaupt noch Aus-
druck, d. i. sinnbelebter Wortlaut sein soll. Diese Acte nennen
wir die bedoutungverleihenden Acte oder auch Bedeutungs-
intentionen. Andererseits die Acte, die zwar dem Ausdruck
als solchem aufserwosentlich sind, dafür aber in der logisch fun-
damentalen Beziehung zu ihm stehen, dafs sie seine Bedeutungs-
intention mit gröfscrer oder geringerer Angemessenheit erfüllen
(bestätigen, bekräftigen, illustriren) und damit eben seine gegen-
ständliche Beziehung actualisiren. Diese Acte, welche sich in der
Erkenntnis- oder Erfüllungseinheit mit den bedeutungverleihenden
Acten verschmelzen, nennen wir bedeutungerfüllende Acte.
Den kürzeren Ausdruck Bedeutungserfüllung dürfen wir nur
da verwenden, wo die naheliegende Verwechslung mit dem ge-
sammten Erlebnis, in dem eine Bedoutimgsintention in dem
correlaten Acte Erfüllung findet, ausgeschlossen ist. In der reali-
sirten Beziehung des Ausdrucks zu seiner Gegenständlichkeit ^ eint
sich der sinnbelebte Ausdruck mit den Acten der Bedeutungs-
erfüllung. Der Wortlaut ist zunächst Eins mit der Bedeutungs-
intention, und diese wieder eint sich (in derselben Weise wie
überhaupt Intentionen mit ihren Erfüllungen es thun) mit der be-
treffenden BedoutungserfüUung. Unter Ausdruck schlechthin
* Ich wähle öfters den unbestimmtoreo Ausdruck GegeDständlichkeit, weil
es sich hier überall nicht blols um Oogenstündo im engeren Sinn, sondern auch
um Sachverhalte, Merkmale, um unselbständige reale oder kategoiiale Formen
u. dgl. handelt.
Die wesentlichen Unterscheidungen.
39
I
I
befafst man nun , wofern nicht von dem „blofsen" Ausdruck die
Rede ist, in der Regel den siunbelebten Ausdrucic. Somit
dürfte man eigentlieb (wiewol es öfters geschieht) nicht sagen,
der Ausdruck drücke seine Bedeutung (die luteution) aus.
Passender ist hier die andere Rede vom Ausdrücken, wonach der
erfüllende Act als der durch den vollen Ausdruck aus-
gedrückte erscheint; wie wenn es z. B. von einer Aussage heilst,
sie gebe einer Wahrnehmung oder Einbildung Ausdruck.
Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, dafs sowol
die bedeutungverleihenden als die bedeutungei-füUenden Acte, im
Falle einer mitthoilenden Rede, mit zur Kundgabe gehören können.
Die Erstereu bilden sogar den wesentlichsten Kern der Kundgabe.
Gerade sie dem Hörenden kenntlich zu machen, mufs vor allem
das Interesse der raitthcilenden Intention sein; nur dadurch, dafs
der Höreade sie dem Sprechenden einlegt, versteht er ihn.
§ 10. Die phänomeriohgiscfte Einheit dieser Acte.
Die oben unterschiedenen Acte der Ausdrucksorscheinung auf
der einen, und der ßedcutungsintention, eventuell auch der Be-
deutungserfüllung auf der andern Seite bilden im Bewufstsein
kein blofses Zusammen, als wären sie blofs gleichzeitig gegeben.
Sie bilden vielmehr eine innig versclimolzene Einheit von eigen-
thümlichem Character. Jedermann bekannt ist aus seiner inneren
Erfalirung die Ungleichwertbigkeit der beiderseitigen Bestandstücke,
worin sich die Ungleichseitigkeit der Relation zwischen dem Aus-
druck und dem mittelst der Bedeutung ausgedrückten (genannten)
Gegenstand spiegelt. Erlebt ist beides, Wortvorstellung und sinn-
gebeuder Act; aber während wir die Wortvoi-stoUung erleben,
leben wir doch ganz und gar nicht im Vorstellen des Wortes,
sondern ausschUefslich im Vollziehen seines Sinnes, seines Be-
deutens. Und iudecn wir dies thun, indem wir in dem Vollzuge
der Bedeutungsintention und eventuell ihrer Erfüllung aufgehen,
gehört unser ganzes Interesse dem in ihr intendirten und mittelst
ihrer genannten Gegenstände. (Genau besehen sagt Eines und das
40 I. Ausdruck und Bedeutung.
Andere dasselbe). Die Function des Wortes (oder vielmehr der
anschaulichen Wortrorstellung) ist es geradezu, in uns den sinn-
verleihenden Act zu erregen und auf das, was „in" ihm intendüt
und vielleicht durch erfüllende Anschauung gegeben ist, hin-
zuzeigen, unser Interesse ausschlieüslich in diese Richtung su
drängen.
Dieses Hinzeigen ist nicht etwa zu beschreiben als das blolse
objective Factum der geregelten Ablenkung des Interesses von
dem Einen auf das Andere. Der Umstand, dafs ein Paar Yor-
stellungsobjecte AB vermöge einer verborgenen psychologischen
Coordination in solcher Beziehung steht, dafs mit dem Vorstellen
des A dasjenige des.S regelmäfsig erweckt wird, und dals hiebei
das Interesse von dem A wog und auf das B übergleitet — dieser
Umstand macht noch nicht das A zum Ausdruck für die Vor-
stellung des B. Vielmehr ist das Ausdruck -sein ein descriptives
Moment in der Erlebniseinheit zwischen Zeichen und Bezeich-
netem, genauer zwischen sinnbelebter Zeichenerscheinung
und sinnerfüllendem Act
Was den descriptiven Unterschied zwischen physischer Zeichen-
erscheinung und ihrer sie zum Ausdruck stempelnden Bedeutungs-
intention anlangt, so tritt er am klarsten hervor, wenn wir unser
Interesse zunächst dem Zeichen für sich zuwenden, etwa dem ge-
druckten Wort als solchem. Thun wir dies, so haben wir eine
äufsere Wahrnehmung (bzw. eine äufsere, anschauliche Vorstellung)
wie irgend eine andere, und ihr Gegenstand verliert den Character
des Wortes. Fungirt es dann wieder als Wort, so ist der Cha-
racter seiner Vorstellung total geändert Das Wort (als äu&eres
Individuum) ist uns zwar noch anschaulich gegenwärtig, es er-
scheint noch; aber wir haben es darauf nicht abgesehen, im eigent-
lichen Sinne ist es jetzt nicht mehr der Gegenstand unserer
„psychischen Bethätigung". Unser Interesse, unsere Intention, unser
Vermeinen — bei passender Weite lauter gleichbedeutende Aus-
drücke — geht ausschliefslich auf die im sinngebenden Act ge-
meinte Sache. Rein phänomenologisch gesprochen beiist dies aber
nichts Anderes als: Die anschauliche Vorstellung, in welcher sich
I
die physische Worterscheinung constituirt, erfäiirt eine wesent-
liche phänomenale Modification, wenn ihr Gegenstand die Geltung
eines Ausdrucks aunimmt. Während das an ihr, was die Er-
scheinung des Gegenstandes ausmacht, ungeändert bleibt, ändert
sich der intentionale Character des Erlebnisses. Es constituirt
sich hiedurch, ohne dafs irgend eine erfüllende oder illustrirende
Anschauung auftreten müfsto, ein Act des Bedeutens, der im an-
schaulichen Gehalt der Wortvorstellung seine Stütze findet, aber
von der auf das Wort selbst gerichteten anschaulichen Intention
wesentlich verschieden ist Mit diesem Acto sind dann öfters jene
neuen Acte, bezw. Actcomplexe eigenthümlich verschmolzen, die
wir die erfüllenden nannten, und deren Gegenstand als derjenige
erscheint, welcher in der Bedeutung bedeutet, bezw. welcher
mittelst der Bedeutung genannt ist.
Wir werden im näclisten Kapitel eine ergänzende Unter-
suchung führen müssen, darauf abzielend, ob die „Bedeutungs-
intention", die nach unserer Darstellung das phänomenologische
Characteristicum des Ausdrucks im Gegensatz zum leeren Wort-
laut ausmacht, in der blüfseii Anknüpfung von Phantasiebildern
der intendirten Gegenstände an den Wortlaut bestehe, bezw. sich
nothwendig auf Grund solcher Phantasieaction constituire; oder
ob die begleitenden Piiautasiebildcr vielmehr zum aufserwesent-
lichen Bestände des Ausdrucks, und eigentlich schon zur Function
der Erfüllung gehören, mag die Erfüllung dabei auch den blofsen
Character einer partiellen, indirecten, vorläufigen haben. Im Inter-
esse einer grofseren Geschlossenheit des hauptsächlichen Gedanken-
zuges sehen wir hier von einem tieferen Eingehen in phänomeno-
logische Fragen ab, wie wir denn in dieser ganzen Untersuchung
überhaupt nur insoweit auf Phänomenologisches einzugehen haben,
als es für die Feststellung der ersten wesentlichen Unterschei-
dungen nöthig ist
Schon aus den vorläufigen Descriptionen , die wir bisher ge-
boten haben, ist zu ersehen, dafs es nicht geringer Umständlich-
keiten bedarf, wenn man die phänomenologische Sachlage richtig
beschreiben will. Sie orscheinea in der That als unvermeidlich.
42 /. Ausdruck und Bedeutung.
wofern man sich nur klar gemacht hat, dafs alle GFegenstände und
gegenständlichen Beziehungen für uns nur sind, was sie sind,
durch die von ihnen wesentlich unterschiedenen Acte des Ver-
meinens, in denen sie uns Torstellig werden, in denen sie eben
als gemeinte Einheiten uns gegenüberstehen. Für die descriptiT-
psychologische (rein phänomenologische) Betrachtungsweise giebt
es nichts als Gewebe solcher intentionaler Acte. Wo nicht das
phänomenologische, sondern das naiv-gegenständliche Interesse
herrscht, wo wir in den intentionalen Acten leben, statt über
sie zu reflectiren, da wird natürlich alle Bede schlicht und klar
und ohne Umschweife. In unserem Falle spricht man dann ein-
fach von Ausdruck und Ausgedrücktem, von Namen und Ge-
nanntem, von dem Überlenken der Aufmerksamkeit von dem Einen
auf das Andere u. s. w. Wo aber das phänomenologische Interesse
mafsgebend ist, da laboriren wir an der (in der Einleitung er-
örterten) Schwierigkeit, phänomenologische Verhältnisse beschreiben
zu sollen, die zwar unzählige Male erlebt, aber normaler Weise
nicht gegenständlich bewufst sind, und sie mitteist Ausdrücken
beschreiben zu müssen, die auf die Sphäre des normalen Interesses,
auf die erscheinenden Gegenständlichkeiten abgestimmt sind.
§ 11. Die idealen Unterscheidungen: zunächst xunschen Ausdruck
und Bedeutung als idealen Einlteiten.
Wir haben bisher den verständnisvollen Ausdruck als con-
crctes Erlebnis betrachtet. Statt seiner beiderseitigen Factoren,
der Ausdruckserscheinung und den sinnverleihenden, bezw. sinn-
erfüllenden Erlebnissen, wollen wir jetzt, was in gewisser Weise
„in" ihnen gegeben ist, in Betrachtung ziehen: den Ausdruck
selbst, seinen Sinn und die zugehörige Gegenständlichkeit Wir
nehmen also die Wendung von der realen Beziehung der Acte
zur idealen Beziehung ihrer Gegenstände, bezw. Inhalte. Die
subjective Betrachtung weicht der objectiven. Die Idealität des
Verhältnisses zwischen Ausdruck und Bedeutung zeigt sich in Be-
ziehung auf beide Glieder sofort daran, dafs wir nach der Be-
deutung irgend eines Ausdrucks (z. B. quadratischer Rest) fragend.
I
unter Ausdruck selbstverständlich nicht dieses hie et nunc ge-
äußerte Lautgebilde meiuen, den flüchtigen und identisch nimmer
wiederkehrenden Schall. Wir meinen den Ausdruck in speeie.
Der Ausdruck quadraUscher Rest ist identisch deiTselbe, wer immer
ihn äiiisern mag. und wieder dasselbe gilt für die Rede von der
Bedeutung, die also selbstverständhch nicht das bedeutungver-
leihende Erlebnis meint.
üafs hier in der That ein wesentlicher Unterschied zu machen
ist, zeigt jedes Beispiel.
Wenn ich (in wahrliaftiger Rede, die wir immer voraussetzen
wollen) aussage: Die drei Hohen eines Dreiecken schneiden sieh
in einem Punkte, so liegt dem natürlich zu Grunde, dafs ich so
urtheüe. Wer meine Aussage mit Verständnis hört, weifs dies
auch, uämlich er appercipirt mich als den so ürtheilenden. Ist
aber mein Urtheilen, das ich hier kundgegeben habe, auch die
Bedeutung des Aussagesatzes, ist es das, was die Aussage be-
sagt und in diesem Sinn zum Ausdruck bringt? Offenbar nicht.
Die Frage nach Sinn und Bedeutung der Aussage wird normaler
Weise kaum Jemand so verstehen, dafs ihm einfallen würde, auf
das Urtheil als psychisches Erlebnis zu recurriren. Vielmehr wird
Jedermann auf diese Frage antworten: Was diese Aussage aus-
sagt, ist dasselbe, wer immer sie behauptend aussprechen mag,
und unter welchen Umständen und Zeiten immer er dies thun mag;
uud dieses Selbige ist eben dies, dafs die drei Höhen eines Drei-
eckes sich in einem Punkte sch7ieiden — nicht mehr und nicht
weniger. Im Wesentlichen wiederholt man also „dieselbe" Aus-
sage, und man wiederholt sie, weil sie eben die Eine und eigens
angemessene Ausdrucksform für das Identische ist, das ihre Be-
deutung heifst. In dieser identischen Be<leutung, die wir uns als
identische in der Wiederholung der Aussage jederzeit zu evidentem
BewuTstsein bringen können, ist von einem Urtheilen und ür-
theilenden schlechterdings nichts zu entdecken. Der objectiven
Geltung eines Sachverhalts glaubten wir versichert zu sein und
gaben ihr als solcher in der Form des Aussagesatzes Ausdruck.
Der Sachverhalt selbst ist, was er ist, ob wir seine Geltung be-
44 I. Ausdruck und Bedeutung.
haupten oder nicht Er ist eine Geltungseinheit an sich. Aber
diese Geltung erschien uns, und objectiv, wie sie uns erschien,
stellten wir sie hin. Wir sagten: so ist es. SelbstTerstSndlich
hätten wir dies nicht thun, wir hätten nicht aussagen können,
wenn sie uns so nicht erschienen wäre; mit anderen Worten,
wenn wir nicht geurtheilt hätten. Dies liegt also in der Aussage
als psychologischer Thatsache mitbeschlossen , es gehört zur Kund-
gabe. Aber auch nur zur Kundgabe. Denn während diese in
psychischen Erlebnissen besteht, ist das, was in der Aussage aus-
gesagt ist, schlechterdings nichts Subjectires. Mein Urtheilsact
ist ein flüchtiges Erlebnis, entstehend und vergehend. Nicht ist
aber das, was die Aussage aussagt, dieser Inhalt daß die drti
Höhen eines Dreieckes sich in einem Punkte sehneiden ein Ent-
stehendes und Vergehendes. So oft ich, oder wer auch immer
diese selbe Aussage gleichsinnig äufsort, so oft wird von Neuem
geurtheilt Die Urtheilsacte sind von Fall zu Fall verschieden.
Aber, was sie urtheilen, was die Aussage besagt, das ist überall
dasselbe. Es ist ein im strengen Wortverstande Identisches, es
ist die eine und selbe geometrische Wahrheit
So verhält es sich bei allen Aussagen, mag auch, was sie
sagen, falsch oder gar absurd sein. Auch in solchen Fällen unter-
scheiden wir von den flüchtigen Erlebnissen des Fürwahrhaltens
und Aussagens ihren idealen Inhalt, die Bedeutung der Aussage
als die Einheit in der Mannigfaltigkeit Als Identisches der In-
tention erkennen wir sie auch jeweils in evidenten Acten der
Seflexion; wir legen sie nicht willkürlich den Aussagen ein, sondern
finden sie darin.
Fehlt die „Möglichkeit" oder die „Wahrheit", so ist die In-
tention der Aussage freilich „nur symbolisch" zu vollziehen; aus
der Anschauung und den auf ihrem Grunde zu bethätigenden
kategorialen Functionen kann sie nicht die Fülle schöpfen, die
ihren Erkenntniswerth ausmacht Es fehlt ihr dann, wie man zu
sagen pflegt, die „wahre", „eigentliche" Bedeutung. Späterhin
werden wir diesen Unterschied zwischen intendirender und er-
füllender Bedeutung genauer erforschen. Die verschiedenen Acte su
charakterisiren, in welchen sich diese zusammongehörigen idealen
Einbeiten constituiren, und das Wesen iiirer actuellen „Deckung"
in der Erkenntnis zu klären, dies wird schwierige und umtassende
Untersuchungen erfordern. Sicher aber ist, dafs jede Aussage,
ob sie nun in Erkenntnisfunction steht (d. h. ob sie ihre Intention
in correspondironden Anschauungen und iu den sie formenden
kategorialen Acten erfüllt und überhaupt erfüllen kann) oder uiclit,
ihre Meinung hat, und dafs sich in dieser Meinung als ihr ein-
heitlicher specifischer Charakter die Bedeutung constituirt
Diese ideale Einheit hat man auch im Äuge, wo man als die
Bedeutung „des" Aussagesatzes, „das" Urtbeil bezeichnet — nur
dafs die fundamentale Aequivocation dieses Wortes Urtheil sofort
dahin zu treiben pflegt, die einsichtig erfafste ideale Einheit mit
dem realen Urtheilsact, also das, was die Aussage kundgiebt, mit
dem, was sie besagt, zu vermengen.
Was wir hier für voUstäudigo Aussagen dargethan haben,
überträgt sich leicht auf wirkliche oder mögliche Aussagentheile.
Urtheile ich unin die Winkelsumtne in irgend einem Dreieck
ungleich ist 2 R, so gilt auch das Parallelenaxiom nicht, dann
ist der hypothetische Vordersatz für sich keine Aussage; ich be-
haupte ja nicht, dafs solch eine Ungleichheit bestehe. Gleichwol
besagt auch er etwas, und zwar ist das, was er besagt, wieder
durchaus vei-schieden von dem, was er kundgiebt Was er be-
t, ist nicht mein psychischer Act hypothetischen Voraussetzens,
bschon ich ihn natürlich vollzogen haben mufs, um wahrhaftig
sprechen zu können, wie ich es thue; vielmehr ist, während dieser
subjective Act kundgegeben ist, ein Objectives und Ideales zum
Ausdruck gebracht, nämlich die Hypothese mit ibrem begrifflichen
Gehalt, die in mannigfachen möglichen Denkerlebnissen als die-
selbe intentionale Einheit aufti-eton kann, und die uns in der
objectiv- idealen Betrachtimg, die alles Denken characterisirt, mit
Evidenz als Eine und Selbige gegenübersteht
Und wieder dasselbe gilt von den übrigen Aussagetheilen,
auch denjenigen, die nicht die Form von Sätzen haben.
46 /. Ausdruck und Bedeutung.
§ 12. Fbrtsäxung: Die ausgedrückte Oegenständliehkeit.
Die Bede Ton dem, tcas ein Ausdruck ausdrückt, hat nach
den bisherigen Betrachtungen bereits mehrere wesentlich ver-
schiedene Bedeutungen. Einerseits bezieht sie sich auf die
Kundgabe überhaupt und darin speciell auf die sinngebenden, zu-
mal aber auch auf die sinnerfüllenden Acte (wofern solche übei^
haupt vorhanden sind). In einer Aussage z. B. geben wir unserem
Urtheil Ausdruck (wir geben es kund), aber auch Wahrnehmungen
und sonstigen sinnerfüUenden, die Meinung der Aussage veran-
schaulichenden Acten. Auf der anderen Seite bezieht sich die
fragliche Rede auf die „Inhalte" dieser Acte und zwar zunächst
auf die Bedeutungen, die ja oft genug als ausgedrückte bezeichnet
werden.
Es ist zweifelhaft, ob die Beispielsanalysen des letzten Para-
graphen auch nur zur vorläufigen Verständigung über den Begriff
der Bedeutung hinreichen würden, wenn nicht sofort ein neuer
Sinn des Ausgedriicktseins in vergleichende Erwägung gezogen
würde. Die Termini Bedeutung, Inhalt, Sachverhalt, sowie alle
verwandten sind mit so wirksamen Aequivocationen behaftet, dala
unsere Intention, bei aller Vorsicht in der Ausdrucksweise, doch
Mifsdeutung erfahren könnte. Der jetzt zu erörternde dritte Sinn
des Ausgedrücktseins betrifft die in der Bedeutung gemeinte und
mittelst ihrer ausgedrückte Gegenständlichkeit
Jeder Ausdruck besagt nicht nur Etwas, sondern er sagt
auch über Etwas; er hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er
bezieht sich auch auf irgendwelche Gegenstände. Diese Be-
ziehung ist für einen und denselben Ausdruck unter umständen
eine mehrfache. Niemals fällt aber (von einem ganz exceptio-
nellen und logisch wertblosen Fall abgesehen) der Gegenstand
mit der Bedeutung zusammen. Natürlich gehören beide zum
Ausdruck nur vermöge der ihm sinngebenden psychischen Acte;
und wenn man in Hinsicht auf diese „Vorstellungen" zwischen
„Inhalt" und „Gegenstand" unterscheidet, so ist damit dasselbe
gemeint, was hinsichtlich des Ausdrucks als das, was er bedeutet
I
I
oder „besagt", und das, worüber er etwas sagt, unterschie-
den wird.
Die Nothvvendigkeit der Unterscheidung zwischen Bedeutung
(Inhalt) und Gegenstand wird klar, wenn wir uns durch Ver-
gleich ung von Beispielen überzeugen, dafs mehrere Ausdrücke
dieselbe Bedeutung aber verschiedene Gegenstände, und wieder
dafs sie verschiedene Bedeutungen aber denselben Gegenstand
haben können. Daneben bestehen selbstverständlich auch die Mög-
lichkeiten, dafs sie nach beiden Richtungen differiren, und wierier
dafs sie in beiden übereinstimmen. D.'is Letztere ist der Fall der
tautologi.^schen Ausdrücke, z. B. der in vei-schiedenen Sprachen
miteinander cürrespondirenden Ausdrücke gleicher Bedeutung und
Nennung. (London, Londres; xwei, deux, duo u. s. w.)
Die klarsten Beispiele für die Sonderung von Bedeutung und
gegenständlicher Beziehung bieten uns die Namen. Bei ihnen ist
in der letzteren Hinsieht die Rede von der „Nennung" gebräuch-
lich. Zwei Namen können Verschiedenes bedeuten, aber dasselbe
nennen. So z. B. der Sieger von Jena — der Besiegte von Waler-
loo; das gleichseitige Dreieck — das gleichwinklige Dreieck. Die
ausgedrückte Bedeutung ist in den Paaren eine offenbar ver-
schiedene, obwohl beiderseits derselbe Gegenstand gemeint ist.
Ebenso verhält es sich bei Namen, die vermöge ihrer Unbestimmt-
heit einen „Umfang" haben. Die Ausdrücke eiw gleichseitiges
Dreieck und ein gleichwinkliges Dreieck haben dieselbe gegen-
ständliche Beziehung, denselben Umfang möglicher Anwendung.
Es kann auch umgekehrt vorkommen, dafs zwei Ausdrücke
dieselbe Bedeutung, aber verschiedene gegenständliche Beziehung
haben. Der Ausdruck ein Pferd hat, in welchem Redezusammen-
hang er auch erscheint, dieselbe Bedeutung. Wenn wir aber ein-
mal sagen Bucephalus ist ein Pferd, und das andere Mal dieser
Xarrengaul ist ein Pferd, so ist im Uebergang von der einen
zur anderen Aussage mit der sinngebenden Vorstellung offenbar
eine Aenderung vorgegangen. Ihr „Inhalt", die Bedeutung des
Ausdruckes dn Pferd ist z^var ungeändert geblieben, aber die
gegenständliche Beziehung hat sich geändert Mittels derselben
48 /. Ausdruck utid Bedeutung.
Bedeutung stellt der Ausdruck ein Pferd das eine Mal den Buce-
phalus, das andere Mal den Karrengaul vor. So verhält es sich mit
allen universellen Namen, d. h. Namen, die einen Umfang haben.
Eins ist ein Name von überall identischer Bedeutung, aber danuu
darf man doch nicht die verschiedenen Einsen in einer Rech-
nung identisch setzen; sie bedeuten alle dasselbe, aber sie di£Fe-
rircn in ihrer gegenständlichen Beziehung.
Anders verhält es sich mit den Eigennamen, sei es für in-
dividuelle oder generelle Objecte. Ein Wort vrie Sokrates kann
Verschiedenes nur dadurch nennen, dafs es Verschiedenes bedeutet;
mit anderen Worten, dafs es äquivok wird. Wo immer das Wort
in Einer Bedeutung steht, nennt es auch Einen Gegenstand.
Ebenso Ausdrücke wie die Zwei, die Röthe u. s. w. Wir untere
scheiden eben die vieldeutigen (äquivoken) von den viel-
werthigen (vielumfangenden, universellen) Namen.
Aehnliches gilt von allen anderen Ausdrucksformen, obschon
bei ihnen die Bede von der gegenständlichen Beziehung, vermöge
ihrer Mehrfaltigkeit, einige Schwierigkeiten bietet. Betrachten wir
z. B. die Aussagesätze der Form iS ist P, so wird als Gegenstand
der Aussage in der Kegel der Subjectgegenstand , also deijenige
angesehen, „von" dem ausgesagt wird. Es ist aber auch eine
andere Auffassung möglich, welche den ganzen ausgesagten Sach-
verhalt als Analogen des im Namen genannten Gegenstandes iaüt
und ihn von der Bedeutung des Aussagesatzes unterscheidet Thut
man dies, so wird man Satzpaare der Art, wie a ist gröfser als h
und b ist kleiner als a als Beispiele heranziehen. Die beiden
Sätze sagen offenbar Verschiedenes aus. Sie sind nicht blols
grammatisch, sondern auch „gedanklich", das ist eben nach ihrem
Bedeutungsgehalt, verschieden. Sie drücken aber denselben Sach-
verhalt aus, dieselbe Sache wird in doppelter Weise prädlcatir
aufgefafet und ausgesagt Ob wir nun die Rede vom Gegen-
stand der Aussage in dem einen oder anderen Sinne definiren
(und jeder hat sein eigenes Becht), immer sind bedeutnngsver-
schicdene Aussagen möglich, die sich auf denselben „Gegenstand"
beziehen.
I
Zusammenhang zwischen Bedeutttttg »nd gegenständlicher
Beziehung.
Nach diesen Beispielen dürfen wir den Unterschied zwischen
der Bedeutung eines Ausdrucks und seiner Eigenschaft, sich auf
bald dieses oder jenes Gegenständliche nennend zu richten (und
uatürlicli auch den Unterschied zwisclien Bedeutung und Gegen-
stand selbst) für gesichert erachten. Im Uebrigen ist es klar, dafs
zwischen den beiden an jedem Ausdruck zu unterecheidenden
Seiten ein naher Zusammenhang besteht; uäniüch dafs ein Aus-
druck nur dadurch, dafs er bedeutet, auf Gegenständliches Be-
zielmng gewinnt, und dafs es also mit Recht heifst, der Ausdruck
bezeichne (nenne) den Gegenstand mittelst seiner Bedeutung,
bezw. es sei der Act des Bedeutens die bestimmte Weise des den
jeweiligen Gegenstand Meinens — nur dafs eben diese Weise des
bedeutsamen Meinens und somit die Bedeutung selbst bei identi-
scher Festhaltung der gegenständlichen Richtung wechseln kann.
Eine tiefer dringende phünoinenologische Klärung dieser Be-
ziehung wäre nur durch die Erforschung der Erkenntnisfiinction
der Ausdrücke und ihrer Bedeutungsintentionen zu leisten. Es
würde sich dabei ergeben, dafe die Rede von xtcei Seiten, die
an jedem Ausdruck zu unterscheiden seien, nicht ernst genommen
werden darf, dafs vieluiehr das Wesen des Ausdrucks ausschliefs-
lich in der Bedeutung liegt. Aber dieselbe Anschauung kann (wie
wir später nachweisen werden) verschiedenen Ausdrücken Er-
füllung bieten, sofern sie nämlich in verschiedenen Weisen katc-
gorial gefafst und mit anderen Anschauungen synthetisch verknüpft
werden kann. Die Ausdrücke und ihre Bedeutungsintentionen
messen sich, wie wir hören werden, im Denk- und Erkenntuis-
zusammenhange nicht blofs den Anschauungen (ich meine den
Erscheinungen der äufseren und inneren Sinnlichkeit) an, sondern
auch den verschiedeneu intellectiven Formen, durch welche die
blufs angeschauten Objecte allererst zu verstandesinäfsig bestimmten
und aufeinander bezogenen Objeeten werden. Und demgemäfs
deuten die Ausdrücke, wo sie aufserhalb der Erkenntuisfunction
stehen, auch als synibolische Intentionen auf die kategorial ge-
Uasierl, Log. Unt«rs. U. 4
50 /. Ausdruck und Bedeutung.
formten Einheiten hin. So können zu derselben (aber kategorial
Terschieden gefafsten) Anschauung, und damit auch zu demselben
Gegenstande, verschiedene Bedeutungen gehören. Wo andererseits
Einer Bedeutung ein ganzer Umfang von Gegenständen entspricht,
da liegt es im eigenen Wesen dieser Bedeutung, dafs sie eine
unbestimmte ist, das heifst, dafs sie eine Sphäre möglicher Er-
füllung zuläfsi
Diese Andeutungen mögen vorläufig genügen; sie sollen nur
von vornherein dem Irrthum vorbauen, als wären am sinngeben-
den Acte ernstlich zwei Seiten unterscheidbar, deren eine dem
Ausdruck die Bedeutung, deren andere ihm die Bestimmtheit der
gegenständlichen Richtung gebe.*
§ 14. Der Inhalt als Gegenstand, ah erfüllender Sinn
und als Sinn oder Bedeutung schlechthin.
Die beziehenden Reden von Kundgabe, liedeiitung und
Gegenstand gehören wesentlich zu jedem Ausdruck. Mit einem
jeden ist etwas kundgegeben, in jedem etwas bedeutet und etwas
genannt, oder sonstwie bezeichnet Und all das heifst in äquivoker
Rede ausgedrückt. Aufserwesen tlich ist dem Ausdruck, wie wir
oben sagten, die Beziehung auf oine actiiell gegebene, seine Be-
deutungsintention erfüllende Gegenständlichkeit. Ziehen wir diesen
wichtigen Fall mit in Erwägung, so werden wir darauf aufmerk-
sam, dafs in der realisirten Beziehung auf den Gegenstand noch
ein Doppeltes als ausgedrückt bezeichnet werden kann: Einerseits
der Gegenstand selbst und zwar als der so und so gemeinte.
Andererseits und in eigentlicherem Sinne sein ideales Correlat in
dem ihn constituirenden Acte der Bedeutungserfüllung, nämlich
der erfüllende Sinn. Wo sich nämlich die Bedeutnngsintention
auf Grund correspondirender Anschauung erfüllt, m. a. W. wo der
Ausdruck in actueller Nennung auf den gegebenen Gegenstand
' Vgl. dagogcn Twabdowski's Annahme einor „in doppelter Richtung sich
bewegenden Vorstelluugsthätigkoit" in der Schritt: Zur Mire vom Inhalt und
Oegeustaud der Vorstellungen, Wien 1894. S. 14.
bezogen ist, rta constitiiirt sicli der Gegenstand nls „gegebener"
in gewissen Acten, und zwar ist er uns in ilinen — wofern sich
der Ausdruck dem anschaulich Gegebenen wiriiHch anniilst — in
derselhen Wevie gegeben, in welcher ihn die Bedeutung meint.
In fiicser Deckungsoinhoit zwisclien Bedeutung und Bodeutungs-
erfüliung correspiindirt der Bedeutung, als dem Wesen des Be-
deuten», das correlate Wesen der BeiieutungserfüUung, und dieses
ist der erfüllende, und wie man auch sagen kann, der durch den
Ausdruck ausgedrückte Sinn. So spi-icht man z. B. bei der Wuhr-
nehniungsaussage davon, dafs sie der Wahrnehmung, aber auch
diifs sie dem Wahrnehnuingsinhult Ausdruck gebe. In der Watir-
nehuiungsaussage unterscheiden wir, wie bei jeder Aussage, zwi-
schen Inhalt und Gegenstand und zwar so, dafs unter Inhalt
die identischeBedeutung verstanden wird, welche auch der Hörende,
•ibsclion nicht selbst Wulirneliniende, richtig erfassen kann. Genau
die entsprechende Unterscheidung müssen wir in den erfüllen-
den Acten vollziehen, also in der Wahrnehmung und ihren kate-
gorialen Furraungen, durch welche Acte uns die bedeutungs-
mäfsig gemeinte Gegenständlichkeit als diejenige, als welche sie
gemeint ist, anschaulich gegenübersteht. Wir müssen, sage ich,
in den erfüllenden Acten abermals unterscheiden zwischen dem
Inhalt, das ist dem sozusagen Bedeiitungsmäfsigen der (kategorial
geformten) Wahrnehmung, und dem walirgeuommenen Gegen -
Stande. In der ErfüUungscinheit „deckt" sich dieser erfüllende
mit jenem intendirenden „Inhalt", so dafs uns im Erleben der
Deckungseinheit der zugleich intendirte und „gegebene" Gegen-
stand nicht doppelt, sondern nur nls Einer gegenübersteht.
Wie die ideale Fassung des intentiontden Wesens des bedeu-
tungverleiheuden Actes uns die intendirende Bedeutung als
Idee ergiebt, so ergiebt die ideale Fassung des correlaten Wesens
des bedeutungerfüllenden Actes eben die erfüllende Be-
deutung, gleichfixlls als Idee. Es ist dies bei der Wahrnehmung
der identische Inhalt, der zu der Gesammtheit möglicher
Wahrnehmungsacte gehört, die denselben Gegenstand, und zwar
wirklich als denselben, in wahrnehmender Weise meinen. Dieser
/. Ausdruck und Bedeutung.
Inliait ist aiso das ideale Oorrolat zn dem Kinen Gegenstande, der
übrigens ganz wol ein fictiver sein kann.
Die mehrfachen Aequivocationen der Rede von dem, was
ein Ausdruck ausdrückt, oder vom ausgedrückten Inhalt, kann
man so ordnen, dals man zwischen dem Inhalt im subjectiTen
Sinn (im phänomenologischen, descriptiv- psychologischen, em-
piriscli- realen Sinn) und dem Inhalt im objectiven Sinn (im
logischen, intentionalen, idealen) unterscheidet. In der letzteren
Hinsicht mufe auseinandergehalten werden:
der Inhalt als intendirender Sinn, oder als Sinn, Bedeutung
schlechthin,
der Inhalt als erfüllender Sinn und
der Inhalt als Gegenstand.
§ 15. Die mit diesen Untersdieidungen xusammenhängenden
Aequivocationen der Rede von Bedeutung und Bedeutungslosigkeit.
Die Anwendung der Termini Bedeutung und Sinn nicht blofs
auf den Inhalt der Bedeutungsintention (die vom Ausdruck als
solchem unabtrennbar ist), sondern auch auf den Inhalt der Be-
deutungserfüllung ergiebt freilich eine sehr unliebsame Aequi-
vocation. Denn, wie schon aus den vorläufigen Andeutungen
hervorgeht, die wir der Erfüllungsthatsacho widmeten, sind die
beiderseitigen Acte, in welchen sich intendirender und erfüllender
Sinn constituiren, keineswegs dieselben. Was aber zur lieber-
tragung derselben Termini von der Intention auf die Erfüllung
geradezu hindrängt, ist die Eigenart der Erfüllungseinheit, als
Einheit der Identificirung oder Deckung; und so ist die Aequi-
vocation, die wir durch die modificirenden Adjectiva unschädlich
zu machen suchten, kaum zu vermeiden. Selbstverständlich werden
wir aber fortfahren unter Bedeutung schlechthin diejenige Bedeutung
zu verstehen, die als das Identische der Intention dem Ausdruck
als solchem wesentlich ist
lirdentung gilt uns femer als gleichbedeutend mit Sinn.
KiiiciHoits ist es gerade bei diesem Begriff sehr angenehm, parallele
TiTinini zu haben, mit denen man abwechseln kann; und zumal
in Untorsitchungen von der Art der vorliegenden, wo eben der
Sinn dos Terminus Bedeutung erforscht werden soll. Viel mehr
aber kommt Anderes in Betracht, nämlich die festgewurzelte Ge-
wohnheit, beide Worte als gleichbedeutende zu gebrauchen. Dieser
umstand läfst es nicht als unbedenklich erscheinen, ihre Bedeu-
tungen zu differenziiren und (wie dies z.B. G. Fheoe' vorgeschlagen
hat) den einen für die Bedeutung in unserem Sinn und den
anderen für die ausgedrückten Gegenstände zu verwenden. "Wir
fügen gleich bei, dafs beide Termini im wissenschaftlichen nicht
minder als im gemeinen Sprachgebrauch mit denselben Aequi-
vocationen behaftet sind, die wir oben bei der Rede vom Aus-
gedrücktsein unterschieden liabcn, wozu sich überdies noch andere
hinzugesellen. In einer der logischen Klarheit sehr nachträglichen
Weise falst mau, und nicht selten innerhalb einer und derselben
Gedankonreiho, bald dio kundgegebenen Acte, bald den idealen
Sinn, bald dio ausgedrückte (iegeiistäudlichkeit als Sinn oder
Bedeutung des bezüglichen Ausdrucks. Da es an einer festen
terminologischen Sonderung gebricht, so laufen nun die Begriffe
selbst unklar durcheinander.
In Zusammenhang damit stehen fundamentale Verwirrungen.
Immer wieder sind z, B. die universellen und die äquivoken Namen
zusammengo werfen worden, indem man, fester Begriffe ermangelnd,
dio Vieldeutigkeit der letzteren von der Vielwerthigkeit der
ersteren, nämlich von ihrer Fähigkeit, auf eine Vielheit von
Gegenständen priidicativ bezogen zu werden, nicht zu scheiden
wufste. Abermals hängt damit die sich nicht selten bekundende
Unklarheit über das eigentliche Wesen des Unterschieds zwischen
collectiven und universellen Naineu zusammen. Denn in Fallen
wo Collectivbedeutungen sich erfüllen, kommt eine Mehrheit zur
Anschauung, m. a. W. die Krfüllung gliedert sich in eine Mehr-
heit von Einzelauschauungen, und so kann es, wenn hier Inten-
tion und Erfüllung nicht gesondert werden, iu der That sclieinen,
der betreffende coliective Ausdruck habe viele Bedeutungen.
' 0. Fbeqk, Ui'liier Sinn und Bedeutung, Zeitschrift f. Philoa. u. pbiloB.
Kritik. 100. Band. S.2ö.
54 /. Ausdruck und Bedeutung.
Doch wichtiger ist es für uns, die in ihren Folgen, sehr
schädlichen Aequivocationen der Bede von Bedeutung und Sinn,
bezw. der Rede von bedeutungslosen oder sinnlosen Aus-
drücken genau auseinander zu legen. Sondern wir die sich
mengenden Begrüfe, so ergiebt sich folgende Reihe.
1. Zum Begrüf des Ausdrucks gehört es, eine Bedeutung
zu haben. Eben dies untei-schoidot ihn ja von den sonstigen
Zeichen, wie wir oben ausgeführt haben. Ein bedeutungsloser
Ausdruck ist also, eigentlich zu reden, überhaupt kein Ausdruck;
bestenfalls ist er ein Irgendetwas, das den Anspruch oder An-
schein erweckt, ein Ausdruck zu sein, während es dies, näher
besehen, gar nicht ist. Hierher gehören wortartig klingende articu-
lirto Lautgobilde, wie Abracadabra, andererseits aber auch Com-
ploxionen wirklicher Ausdrücke, denen keine einheitliche Bedeutung
entspricht, während sie eine solche, bei der Art wie sie sich
äufserlich geben, doch zu prätendircn scheinen. Z. B. Grün
ist oder.
2. In der Bedeutung constituirt sich die Beziehung auf den
Gegenstand. Also einen Ausdruck mit Sinn gebrauchen und sich
ausdrückend auf den Gegenstand beziehen (den Gegenstand vor-
stellen) ist einerlei. Es kommt dabei gar nicht darauf an, ob
der Gegenstand existirt, oder ob er fictiv, wo nicht gar unmög-
lich ist Interpretirt man aber den Satz, dafe der Ausdruck,
dadurch dafs er überhaupt Bedeutung habe, sich auf einen
Gegenstand beziehe, in einem eigentlichen Sinne, nämlich in dem,
der die Existenz des Gegenstandes einschliefst, dann hat der Ausj-
druck Bedeutung, wenn ein ihm entsprechender Gegensttmd existirt,
und er ist bedeutungslos, wenn ein solcher Gegenstand nicht
existirt. In der That hört man öfters von Bedeutungen so
sprechen, dafs darunter die bedeuteten Gegenstände gemeint
sind; ein Sprachgebrauch, der schwerlich je consequent festgehalten
worden ist, wie er auch aus der Vermengung mit dem echten
Bedeutungsbegriff entsprungen ist
3. Wird die Bedeutung, wie soeben, mit der Gegenständlich-
keit des Ausdrucks identificirt, so ist ein Name wie goldener Berg
bedeutungslos. Allgemein unterscheidet man liier aber die Gcgen-
standslüsigiceit von der Bedeutungslosigkeit. Dagegen liobt man
es, widorspruchsvolio und überbaupt mit einsichtigen Unverträglich-
keiten behaftete Ausdrücke, wie rundes Viereck, als sinnlose zu
bezeicbnen oder ihnen in gteichwerthigen Wendungen eine Be-
deutung abzustreiten. So drückt z. B. nach öiüwabt' eine wider-
sprechende Formel, wie viereckiger Kreis, keinen Begriff aus,
den wir denken könnten, sondern er stellt nur Worte auf, die
eine unlösbare Aufgabe enthalten. Der E.vistenzialsatz es ffiebt
keinen riereckif/en Kreis, verwirft nach ihm die Möglichkeit, mit
diesen Worten einen Begnß' zu verbinden. Dabei will Siqwakt
imter Begriff ausdrücklich „die allgemeine Bedeutung eines Wortes"
verstanden wissen, also (wenn wir es recht fassen) genau
das, was wir darunter verstehen. In ähnlicher Weise urtheilt
Erdmann* mit Beziehung auf das Beispiel ein viercckitjer Kreis
ist leichtsinnif/. Consequouter Weise müfsteu wir mit den un-
mittelbar absurden Ausdrücken auch die mittelbar absurden, also
die Unzahl von Ausdrücken, welche von den Mathematikern in
umstiindliclieu indirccteu Beweisen als a priori gegenstandslos
nachgewiesen wurden, sinnlose nennen, und desgleichen mül'sten
wir leugnen, dals Begriffe, wie reyeUnüfsiyes Dekaeder u. dgl.,
überhaupt Begriffe seien.
Mautv wendet den genannten Forechern ein: „Wären die
Worte ohne Sinn, wie könnten wir die Frage verstehen, ob es
etwas Derartiges gebe, und sie verneinen? Selbst um sie zu
verwerfen, müssen wir eine solche widerstreitende Materie doch
irgendwie vorstellen"*.. . „Wenn man solche Absurditäten sinn-
los nennt, so kann dies nur heifsen, sie hätten offenbar keinen
vernünftigen Sinn ..."■• Diese Einwände sind durchaus treffend,
' SiiiWART, Diu linpereouatien, S. 62.
■ ' IJ. Erbmans, I,ogik I, 2:i3.
' A. Marty, üeber subjectiose Sätze und das Verbältnis der Orauiniatik
zur Logik und Psychologie, VI. Art., Vierteljahrssohrift f. wiss. PhüoBophio,
XIX, 6Üf.
* A. a. 0. S. 81 , Änni. Vergl. auch den V. Artikel a. a. U. Bd, XVIII, 464.
56 /. Ausdruck und Bedeutung.
sofern die Darstellungsweise bei jenen Forschem die Yermuthnng
nahelegt, dals sie die echte, oben sub 1 bezeichnete Bedeatungs-
losigkeit mit einer ganz anderen, nämlich mit der apriorischen
Unmöglichkeit eines erfüllenden Sinnes, vermengen. Ein
Ausdruck hat also in diesem Sinne eine Bedeutung, wenn seiner
Intention eine mögliche Erfüllung, mit anderen Worten die Mög^
lichkeit einheitlicher Yeranscbaulichung entspricht Diese Möglich-
keit ist offenbar als eine ideale gemeint; sie betriflt nicht die
zufälligen Acte des Ausdrückens und die zufälligen Acte der
Erfüllung, sondern ihre idealen Inhalte: die Bedeutung als ideale
Einheit (hier als intendircnde Bedeutung zu bezeichnen) und die
ihr in gewisser Beziehung genau angemessene erfüllende Bedeutung.
Erfafst wird diese ideale Beziehung abstractiv im Acte factischer
Erfüllungseinhoit Im conträren Falle erfassen wir die Unmöglich-
keit der Bcdeutungserfüllung auf (irund des Erlebnisses der „Un-
verträglichkeit" der partialcn Bedeutungen in der intendirten £r-
füUungseinhoit.
Die phänomenologische Klärung dieser Verhältnisse erfordert,
wie eine weiter unten folgende Untersuchung zeigen wird,
schwierige und umständliche Analysen.
4. Bei der Frage, was ein Ausdruck bedeutet, werden wir
naturgemäfs auf die Fälle zurückgehen , in welchen er eine actuelle
Erkenntnisfunction übt, oder, was dasselbe besagt, in welchen seine
Bedeutungsintention sich mit Anschauung erfüllt. Auf diese Weise
gewinnt die „begriffliche Vorstellung" (d. i. eben die Bedeutungs-
intention) ihre „Klarheit und Deutlichkeit", sie bestätigt sich als
„richtig", als „wirklich" vollziehbar. Der AVcchsel gleichsam, der
an die Anschauung ausgestellt ist, wird eingelöst. Da sich nun in der
Erfüllungseinheit der Act der Intention mit dem erfüllenden Acte
deckt und so in der allerinnigsten Weise mit ihm verechmolzen
ist (wofern hier überhaupt noch von Unterechiedenheit etwas übrig
ist), so erscheint die Sache leicht so, als ob der Ausdruck hier
allererst Bedeutung gewönne, als ob er sie aus dem erfüllenden
Acte erst schöpfe. Es onvächst also die Neigung, die erfüllen-
den Anschauungen (die sie kategorial formenden Acte pflegt
man dabei zu übereehen) als die Bedeutungen anzusehen. Nicht
immer ist aber, wir werden lülo diese Vorhällnisso oocli gründ-
licher Studiren müssen, die Erfüllung eine vollkommene. Die
Ausdrücke werden oft von ganz entfernten oder nur partiell
ilhistrirenden Anschauunfien, wenn überhaupt von irgend welchen,
begleitet. Da man aber die phänomenologischen unterschiede der
verschiedeneu Fülle nicht in näliere Erwägung zog, so gelangte
man dahin, die Bedeutsamkeit der Ausdrücke überhaupt, auch
derjenigen, welche auf angemessene Erfüllungen keinen Anspruch
erheben können, in die begleitenden Auscliauungsbilder zu ver-
legen. Natürlich erforderte es die Conserjueiiz, den absurden Aus-
drücken die Bedeutung überhaupt abzuleugnen.
Der neue Bedeutnngsbegriö' erwächst also aus der Vermengung
von Bedeutung und erfüllender Anschauung. Ihm geniäfs hat ein
Ausdruck dann, und nur dann, eine Bedeufuug, wenn seine
Intention (in unserer Kedeweise seine Bedeutungsintctition) sich
thatsächlich, sei es auch partiell oder entlegen und uneigentlich,
erfüllt; kurzum, wenn sein Verständnis von irgendwelchen „Be-
deutungsvorstelluugen'' (wie man zu sagen pHegt), das ist von
irgendwelchen illustrirenden Bildern belebt ist.
Die endgiltige Widerlegung entgegenstehender und beliebter
Auffassungen ist von grolser Wichtigkeit und erfordert daher um-
fassendere Betrachtungen. Wir vorweisen diesbezüglich auf das
nächste Kapitel und folgen jetzt der Aufzählung der verachiodenen
Bedeutungsbegrilfo.
§ 16. Forlsetxung. Bcdeulttug und Milbe teichnung.
5. Wieder eine andere Aequivocation der Rede von Bedeu-
tungslosigkeit, und zwar auf Grund eines abermals neuen, des
fünften Begriffes von Bedeutung führte J. St. Mill ein. Er setzt
nämlich das Wesen der Bedeutsamkeit von Naraeu iu die Mitbe-
zeichnung (coittioiatioii) und stellt demnach die nicht mitbezeich-
nenden Namen als bedeutungslose hin. (Mitunter heilst es vor-
sichtig, aber nicht eben klar: im „eigentlichen'' oder „strengen"
Sinne bedeutungslos.) Bekanntlich versteht Mill unter mitbezeich-
58 I. Ausdruck und- Bedtulung.
iicndcn Namen solche, die ein Subject bezeichucn und ein Attribut
in sich schliefsen; unter nicht- niitbezoichncnden (not-connotative)
solche, die ein Subject bezeichnen, ohne (wie es hier deutlicher
hcifst) ein Attribut als ihm anhaftend anzuzeigen.^ Nicht mitbe-
zcichnend sind die Eigennamen, sowie die Namen für Attribute
(z. B. Weifse). Die Eigennamen vergleicht Mill* mit den unter-
scheidenden Kreidezeichen, die der Räuber in dem bekannten
Märchen aus Tausend und Einer Nacht an dem Hause anbrachte.
Und im Anschlufs daran sagt er: „AVenn wir einen Eigennamen
crthoilcn, so vollzieiien wir eine Verrichtung, die dem, was der
l{äubor mit dorn Kreidestrich beabsichtigte, einigerraalsen analog
ist. Wir heften ein Merkmal zwar nicht an den Gegenstand selbst,
aber, sozusagen, an die A'^orstellung des Gegenstandes. Ein Eigen-
name ist nur ein bedeutungsloses Zeichen, das wir in unserem
Geiste mit der Vorstellung des Gegenstandes verknüpfen, damit wir,
sobald das Zeichen unserem Auge begegnet oder in unseren Ge-
danken auftaucht, an den individuellen Gegenstand denken mögen."
„Wenn wir (so heifst es im folgenden Absatz a. a. 0.) von
iigendeinem Dinge seinen Eigennamen aussagen, wenn wir auf
einen Mann hinweisend sagen, dies ist Müller oder Mayer, oder
auf eine Stadt hinwei.send, das ist Köln, so theilen wir dem
Hörer, hierdurch allein, keine Kenntnis über diese Gegenstände
mit, aufser dafs jenes ihre Namen sind. . . . Andere ist es, wenn man
von (Jogenständen in mitbezeichnenden Namen spricht Wenn wir
sugon : die Stadt ist aus Mannor gebaut, so geben wir dem Hörer
eine Kenntnis, die ihm völlig neu sein kann, und dies durch die
Hfdeutung des mehrwertigen, mitbezeichnenden Namens von
Mnnnor gebaut''. Solche Namen sind „nicht blofso Zeichen,
sondern mehr, d. h. Zeichen von Bedeutung; und die Mitbezeich-
nung ist das, was ihre Bedeutung ausmacht."^
' J. St. Mill's Logik, Buch I, Cap. 2 § 5. Gompebz' Uebersetzung I,
S. 1-1 und 16.
-• A. a. 0. S. 19f.
' Vgl. dazu a.a.O. S. 18. ,AVenn immor die Namen, die man Gegen-
stiiiidui) giubt, irgendetwas mittheilen, das heibt wenn sie im eigentlichen Sinne
Halten wir mit diesen Acufscrungen Mills unsere eigenen
Analysen zusammen , so ist os imverkeunbar, dals ]\Iil!, gruntlver-
scbiedene und wichtige Unterscbiecie vermengt Vor Allem den
Unterschied zwischen Anzeichen und Ausdrücken. Der Kreide-
strich des Räubers ist ein blofees Anzeichen (Kennzeichen), der
Eigenname ein Ausdruck.
Wie jeder Ausdruck überhaupt, so wirkt iukIi der Eigen-
name, nämlich in seiner kundgebenden Function, als Anzeichen,
liier besteht in der That die Analogie mit dem Kreidestrich dos
Küubers. Erblickt dur Kiluber den Kreidestiicb, so woifs er; dies
ist das Haus, das beravibt werden soll. Hören wir die Aeufj^erung
des Eigennamens, so wird in uns die zugehörige Vorstellung er-
weckt, und wir wissen: diese Vorstellung ist os, wolclio der
Sprechende in sich vollzieht, und welche er zugleich in uns er-
wof'keu will. Aber der Name hat überdies die Function eines
Ausdruckes. Die kuudgebeude Function ist nur ein Hilfsmittel
für die Bedeutungsfunction. Frimär kommt os nicht auf die Vor-
stellung an; nicht darum handelt es sich, das Interesse auf sio,
und was sio irgend betreuen mag, hinzulenken, sondern darauf,
es auf den vorgestellten Uegcnstand als den gemeinten und so-
mit genannten hinzulenken, ihn als solchen für uns hinzustellen.
So erst erscheint er in der Aussage als der Gegenstand, von dejn
etwas ausgesagt, im Wunschsätze als der, von dem etwas gewünscht
ist u. s. w. Und nur um dieser Leistung willen ksmu der Eigen-
name, wie jeder andere, zum Bestandstück comjtle.ver und einheit-
licher Ausdrücke, zum Bostandstück von Aussagesätzen, Wunscli-
sätzeu und dergleichen werden. In Beziehung auf den Gegen-
stand ist der Eigenname über kein Anzeichen. Dies ist ohne
Weiteres klar, wenn wir bedenken, dufs es zum Wesen (ies An-
zeichens gehört, eine Thatsache, ein Dasein anzuzeigen, während
der genannte Gegenstand ja garnicht zu existiren braucht Wenn
Mill, seine Analogie durchführend, den Eigennamen mit der Vor-
eine Bedeutung haben, liegt die Bedeutung uidit in dem, was sie bezeichnen,
sondern in dem, was sie mitbozoiobnen."
60 /. Ausdruck u»d ßedeutung.
Stellung der genannten Person im Wesentlichen ebenso Terknüpft
sein lärst, wie den Kreidestrich mit dem Hause, zugleich aber
liinzufügt, CS geschähe diese Anknüpfung, damit wir, sobald das
Zeichen unserem Auge begegnet oder in unseren Gedanken auf-
taucht, au den individuellen Gegenstand denken mögen — so
bricht die Analogie, eben durch diesen Zusatz, mitten entzwei.
MiLL betont mit Recht den Unterschied der Namen, die uns
eine „Kenntnis'' in Betreff des Gegenstandes vermitteln, und
solcher, die es nicht thun; aber weder dieser, noch der gleich-
wcrthigc Unterschied der mitbezeichnenden und nicht mitbezeich-
ncnden Namen hat etwas zu thun mit dem Unterschied des Be-
deutsamen und Bedeutungslosen. Im Grunde sind übrigens die
beiden erstgenannten Unterschiede nicht blofs im logischen Sinne
gleichwerthig, sondern geradezu identisch. Es handelt sich ein-
fach lun den Untei-schied von attributiven und nicht attributiven
Namen. „Kenntnis" einer Sache vermitteln, und Attribute von
ihr vermitteln, meint hier ja ein und dasselbe. Es ist nun sicher-
lich ein wichtiger Unterschied, ob ein Name seine Sache direct
nennt, oder ob er sie unter Vermittlung ihr zukommender Attri-
bute nennt Aber dies ist ein Unterschied innerhalb der einheit-
lichen Gattung Ausdruck, genau so wie der parallele und höchst
wichtige Unterschied der nominalen Bedeutungen, bezw. der logi-
schen „Vorstellungen", welcher die attributiven und nicht- attri-
butiven Bedeutungen sondert, ein Unterschied ist innerhalb der
einheitlichen Gattung Bedeutung.
MiLL selbst fühlt den Unterschied in gewisser Weise heraus,
du er sich gelegentlich doch genöthigt sieht, von der Bedeutung
der Eigennamen und dem gegenüber bei den mitbezeichnenden
Namen von Bedeutung im „eigentlichen" und „strengen" Sinn
zu sprechen; wobei er freilich besser getban hätte, von Bedeutung
in einem total neuen (und keineswegs empfehlenswerthon) Sinne
zu sprechen. Jedenfalls ist die Art, wie der ausgezeichnete Ijogiker
seine werthvollo Unterscheidung der connotativen und nicht conno-
tativen Namen einführt, sehr dazu angethan, die eben berührten
ganz andersartigen Unterschiede zu verwirren.
Man wird übrigens auch beachten müssen, Hnfs der Mii,i.'s(?he
ünterscliied zwischen dem, was ein Name bezeichnet, und dem,
was er mitbezeichnet, nicht vermengt werden darf mit dem
blofs verwandten Unterschied zwischen dem, was ein Name nennt,
und dem, was er bedeutet. Diese Vermongung wirti durch die
Durstelluug Mili.'s besonders gefördert.
Wie wichtig alle diese Unterschiede aber sind, und wie wenig
es angeht, sie als „blofs graramatisclie" mit Geringschätznng und
entsprechender Obei-fläcldichkeit zu behandeln, werden die weiteren
Untersuchungen zeigen, s?ie worden es hofl'entlich zur Klarheit
bringen, dafs ohne scharfe Sonderung der schlichten Untei-schei-
dungen, die wir proponirt haben, an eine zuverlässige Heraus-
arbeitung der Begriffe Vorstellung und Urtheil im logischen Sinne
nicht zu denken wäre.
Zweites Kapitel.
Zur Charakteristik der bedeutnngverleihenden Acte.
§ 17. Die. übuitrirendcn Pltatitasiebilder als vermeinlliche Bedeutungetu
Wir haben den Begriff der Bedeutung, bezw. Bedeutungsinten-
tion, nach dem psychischen Charakter orientirt, welcher dem Aus-
druck als solchem wesentlich ist und ihn im Bewul'stsein, also
descriptiv, vom blofsen Wortlaut unterscheidet. Dieser Charakter
ist nach unserer Lehre möglich und oft genug wirklich, ohne dafs
der Ausdruck in einer Erkenntuisfunctiun, in einer noch so losen
und entfernteu Beziehung zu versinuliehenden Anscliauungen steht.
Es ist nun an der Zeit uns mit einer verbreiteten, wo nicht gar
vorberi-schenden Auffassung auseinanderzusetzen, welche im Gegen-
satz zu der unseren die ganze Leistung des lebendig bedeutsamen
Ausdruckes in die Erwcckuug gewisser, ihm constnnt zugeordneter
Phantasiebilder setzt.
Einen Ausdruck verstehen hiefse hiernach, die ihm zugehörigen
Phantasiebilder voi-finden. Wo sie ausbleiben, wäre der Ausdruck
(>!' 7. Anüdruci: und Bedeutung.
sinnlus. Nicht selten liürt man diese Pbantasiebilder selbst als
die Woitbedeutuiifren bezeichnen und zwar mit dena Anspruch,
das zu treffen, was die gemoinübliclie Rede unter der Bedeutung
des Ausdruckes versteht.
Es ist ein Zeugnis für den zurückgeji>Iiebenen Stand der des-
criptiven Psychologie, dafs solche, zunächst wol nabelief^nde
rühren, niöglicli sind, und dafs sie es sind trotz des Einspruchs,
den vorurtheilslose Beobachter schon längst gegen sie erhoben
liuben. Gewifs sind in vielen Fällen die sprachlichen Ausdrücke
von Phantasievoi-stellungen begleitet, die zu ihrer Bedeutung in
niiliorer oder fernerer Beziehung stehen; aber es widerspricht den
oiVonkundigsten Thatsachen, dafs derartige Begleitungen für das
Voi-ständnis überall erforderlich sind. Damit ist gleichzeitig gesagt,
dafs ihr Dasein niclit die Bedeutsamkeit des Ausdruckes (oder gar
seine Bedeutung selbst) ausmachen und ihr Ausfall sie nicht hemmen
kann. Es lehrt auch die vergleicliende Betrachtung der gelegentlich
vorf^efuntlencn Phantasiebegleiter, dafs sie bei ungeänderter Wort-
bedeutung mannigfach wechseln und zu ihr oft nur in sehr ent-
legenen Beziehungen stehen, während das Herbeiziehen der
eigentlicheren Veransohaulichungen, in welchen sich die Bedeu-
tungsintention des Ausdrucks erfüllt oder bekräftigt, erst nach
einiger Mühe und oft garnicht gelingen will. Man lese in irgend-
einem abstracto Wissensgebiete behandelnden Werke und beobachte,
wjis man — den Aussprüchen des Autors mit vollem Verständnis
f(ilgend — über die verstandenen Worte hinaus vorfindet Die
Umstände der Beobachtung sind hier der gegnerischen Auffassung
sicherlich möglichst günstig. Das die Beobachtung leitende Inter-
esse, Phantasiebilder vorzufinden, ist dem Auftauchen solcher
Bilder selbst psychologisch förderlich, und bei unserer Neigung,
das in nachti'äglicher Reflexion Vorfindbare ohne Weiteres dem
uisprünglichen Thatbestande einzulegen, würden auch alle die
während der Beobachtung neu zuströmenden Phantasiebilder für
<!(;n psychologischen Gehalt des Ausdrucks in Anspruch genommen
werden. Aber trotz dieser Gunst der Umstände wird die besti'ittene
Auffassung, die das Wesen der Bedeutsamkeit in solchen Phantasie-
begleihingon sieht, minrlpstons in der bezeichneten Klasso von
Fällen davon absehou müssen, scheinbare Bestätigungen in der
psychologischen Beobachtung zu suchen. Mau nehme beispiels-
weise wolverstandene algebraische Zeichen oder ganze Formeln
oder verbale Sätze, wie jede algebraisc/ic Qleivhmuj 7inf)cra<kn
Omars hat mindestens eine reelle Wnrxel, und stelle die nöthigen
Beobachtungen an. Referire ich, was ich selbst soeben vorfinde,
so fieJ mir im letzten Beispiel ein: ein offenes Buch (ich erkenne
es als Serrkt's Algeln-a), darnach der sinnliche Typus einer alge-
braischen Function im Teubner'schon Druck und bei dem Worte
Wurzel da.s bekannte Symbol y/. "Dazwischen hal>e ich den Satz
wol ein Dutzendmal gelesen unti völlig vorstanden, jedoch ohne
die leiseste Spur von begleiteuden Phantasien zu finden, die irgend-
wie zur vorgestellten Gegenständlichkeit gehörten. Ebenso ergeht
es uns bei der Verauschauliclumg von Ausdrücken wie f')dliir,
MeUgion, Wissenschaft, Kunst, Diffcrenticdrechnnny u. dgl.
Es sei hier noch darauf hingewiesen, dafs mit dem Gesagten
nicht blofs Ausdrücke sehr abstracter und durch complicirte Be-
ziehungen vermittelter Gegonsländlichkeiteu getroffen sind, son-
dern auch Namen für individuelle (Jbjoctc, für bekannte Personen,
Städte, Landschaften. Die Fähigkeit der anschaulichen Vergegen-
wärtigung mag vorhanden sein, im gegebenen Moment ist sie
nicht realisirt.
§ 18. Fortsetiung. Ärffumenle und (fcgenargumente.
Wendet man ein, die Phantasie wirke auch in solchen Phallen,
aber in grofser Flüchtigkeit, das innere Bild tauche auf, um als-
bald wieder zu verschwinden; so antworten wir, dafs .sicli das*
volle Verständnis der Ausdrücke, ihr voller, lebendiger Sinn, nach
dem Dahinschwindi'U des Bildes noch forterhalto, imd demnach
nicht in eben diesem Bild liegen könne.
Wendet man abermals ein, das Phantasiobild sei vielleicht
uumerklich geworden oder sei von vornlieroin unmerklich gewesen;
ob merklich oder nicht, es sei da und ermfigliche das fortdauernde
Verständnis — so können wir auch hier um eine Antwort nicht
t)4 /. Ausdruck und Bedeutung.
im Zweifel sein. AVir werden sagen: Ob eine solche Annahme
aus genetisch-psycholügiscben Gründen nothwendig oder empfehlens-
werth ist, haben wir hier nicht zu untersuchen. ' FOr unsere de-
scriptive Frage ist sie offenbar völlig nutzlos. Man gesteht zn, dals
das Phantasiebild öfters unmerklich ist Man wird auch nicht
leugnen, dafs trotzdem das Verständnis des Ausdrucks bestehen
und gar sehr merklich sein kann. Ist es aber nicht verkehrt an-
zunehmen, es sei ein abstractes Erlebnismoment (nfimlich das
Moment an der Plinntasievorstellung, das den Sinn ausmachen
soll) merklich und das ganze Erlebnis (die concret vollständige
Phantasievorstellung) unmerklich? Und wie steht es, so mü&ten
wir weiter fragen, mit den Fällen, wo die Bedeutung eine
Absurdität ist? Hier kann die Unmerklichkeit nicht auf ZufiUlig-
keiten der psychischen Eraftfülle beruhen, vielmehr kann das Bild
überhaupt nicht existiren, weil es sonst die Möglichkeit des be-
züglichen Gedankens (die Einstimmigkeit der Bedeutung) mit Evi-
denz verbürgte.
Freilich könnte man darauf hinweisen, dafs wir uns in ge-
wisser Art selbst Absurditäten versinnlichen, wie die in sich ge-
schlossenen Geraden, die Dreiecke mit einer Winkelsumme ^2R.
In metageometrischen Abhandlungen finden wir ja auch Zeich-
nungen derartiger Gebilde. Indessen wird Niemand ernstlich
daran denken, Anschauungen von solcher Art als wirkliche Ver-
anscliaulichungen der bezügliclien Begiiffe und weiterhin als die
Inhaber der Wortbedeutungen gelten zu lassen. Nur da, wo das
Phantasiebild der gemeinten Sache wirklich als ihr Bild angemessen
ist, liegt die Versuchung nahe, den Sinn des Ausdrucks in diesem
Bilde zu suchen. Aber ist die Angemessenheit, selbst wenn wir
die absurden Ausdrücke, die doch nicht minder ihren Sinn haben,
in Abzug bringen, die Regel? Schon Di'Soartes wies auf das
Beispiel des Tausendecks hin und machte an ihm den Unterschied
zwischen imagitmtio und intellectio klar. Die Phantasievorstellung
vom Tausendeck ist nicht viel angemessener wie jene Bilder ge-
schlossener Geraden , sich schneidender Parallelen ; beiderseits finden
wir statt vollzureichender Exemplificirung, rohe und blofs partielle
Sache des i-ein symbolischen Denkens vor einem unlöslichen Räthsel.
Für sie wäre das anschaiiungslose Sprechen aucli sinnlos. Aber
ein walirhaft sinnloses Sprechen wäre überhaupt iiein Sprechen,
es stände gleich dem Gerassel einer Maschine. Dergleichen kommt
allenfalls vor beim gedankenlosen Hersagen eingelernter Verse,
Gebetformeln u. s. w.; aber es betrifft nicht die Fälle, die zu er-
klären sind. Die beliebten Vergleichungen mit dem Geplapper des
Papageien oder dem Schnattern der Oänse, das bekannte Citat
„wo Begriffe fehle» , da stellt ein Wort zur rechten Zeit si^h ein"
und ähnliche Wendungen dürfen, wie die nüchterne Betrachtung
lehrt, keineswegs strenge genommen werden. Atisdrücke wie
urUmlsloses oder sinnloses Gerede wird man doch wol nach Mafs-
gabe ähnlicher Ausdrücke wie (jefiiklloser, gedankenloser, geist-
loser Mensch u. dgl. interpretiren dürfen und müssen. Unter
einem urtheilslosen Gerede meinen wir offenbar nicht ein solches
wo das Uilheilen fehlt, sondern, wo es nicht aus eigener und
verständiger Erwägung hervorgegangen ist. Auch die als Absur-
dität ("Widei-sinn) verstandene „Sinnlosigkeit" constituirt sich im
Sinn: es gehört zum Sinn des widersinnigen Ausdrucks, objectiv
Unvereinbarliches zu meinen.
Für die Gegenseite bleibt nur übrig zur Nothypothese un-
bewufster und unbemerkter Anschauungen die Zuflucht zu nehmen.
Aber wie wenig dies helfen kann, lehrt der Hinblick auf die
Leistung der fundirenden Anschauung in den Fällen, wo sie merk-
lich vorhanden ist. In der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle
ist sie ja der Bedcutungsintentiou garuicht angemessen. Jedenfalls
besteht hier für unsere Auffassung keinerlei Schwierigkeit. Liegt
die Bedeutsamkeit nicht in der Anschauung, so wird das an-
schauungslose Sprechen darum kein gedankenloses sein müssen.
Entfällt die Anschauung, so bleibt am Ausdruck eben ein Act
derselben Art hängen, wie derjenige, der anderenfalls, auf An-
schauung bezogen, die Erkenntnis ihres Gegenstandes vermittelte.
So ist der Act, in dem sich das Bedeuten vollzieht, im einen und
anderen Falle vorhanden, oder es sind mindestens gleichartige
Acte, die dasselbe bedeutungsmälsige Wesen gemein haben.
66 /. Ausdruck und Bedeutung.
in den Fällen, wo wir Symbole ohne Stütze begleitender Phan-
tasiebilder verstehen, das blolse Symbol da; Tielmehr ist das Ver-
ständnis da, dieses eigenthümliche, auf den Ausdruck bezogene,
ihn durchleuchtende, ihm Bedeutung und damit gegenständliche
Beziehung verleihende Acterlebnis. Was das blolse Wort als sinn-
lichen Complei vom bedeutsamen Wort unterscheidet, das wissen
wir aus eigener Erfahrung ganz wol. Wir können ja, von der
Bedeutung absehend, uns dem sinnlichen Typus des Wortes exclu-
siv zuwenden. Es kommt auch vor, daTs ein Sinnliches zunächst
für sich Interesse erweckt und uns erst nachträglich sein Charakter
als Wort oder sonstiges Symbol bewufst wird. Der sinnliche
Habitus eines Objectes ändert sich nicht, wenn es für uns die
Geltung eines Symbols annimmt; oder umgekehrt, wenn wir bei
dem, normaler Weise als Symbol fungirenden, von seiner Be-
deutsamkeit absehen. Es ist auch kein neuer psychischer Inhalt
zu dem alten selbständig hinzugetreten, als ob nun eine Summe
oder Verknüpfung gleichberechtigter Inhalte vorläge. Wol bat aber
der eine und selbe Inhalt seinen psychischen Habitus geändert,
es ist uns mit ihm anders zu Muthe, es erscheint uns nicht bloüs
ein sinnlicher Zug auf dem Papier, sondern das physisch Er-
scheinende gilt als ein Zeichen, das wir verstehen, und indem
wir in seinem Verständnis leben, vollziehen wir nicht ein Vor-
stellen oder Urtheilen, das sich auf das Zeichen als sinnliches
Object bezieht, sondern ein ganz anderes und andersartiges, das
sich auf die bezeichnete Sache bezieht Also im srnngebenden
Actcharakter, der ein ganz anderer ist, je nachdem das Interesse
auf das sinnliche Zeichen oder auf das mittels des Zeichens vor-
stcllig gemachte (wenn auch durch keinerlei Fhantasievorstellong
verbildlichte) Object gerichtet ist, liegt die Bedeutung.
§ 19. Verständnis ohne Anschauung.
Im Lichte unserer Auffassung wird es also völlig begreiflich,
wie ein Ausdruck sinnvoll und doch ohne illustrirende Anschauung
fungiron kann. Diejenigen, welche das Moment der Bedeutung
in die Anschauung hinein verlegen, stehen angesichts dieser That-
Sache des i-ein symbolischen Denkens vor einem unlöslichen Räthsel.
Für sie wäre das anscbauungslose Spreclien auch sinnlos. Aber
ein wahrhaft sinnloses Sprechen wäre überhaupt kein Sprechen,
es stände gleich dem Gerassel einer Maschine. Dergleichen kommt
allenfalls vor beim gedankenlosen Hersagen eingelernter Verse,
Gebettbrmeln u. s. w. ; aber es beti-ifft nicht die Falle, die zu er-
klären sind. Die beliebten Vergleichiingen mit dem Geplapper des
Papageien oder dem Schnattern der Gänse, das bekannte Citat
„wo Begriffe fekle»^ da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein"
und ähnliche Wendungen dürfen, wie die nüchterne Betrachtung
lehrt, keineswegs strenge genommen werden. Ausdrücke wie
nrtheilshses oder sinnloses öerede wird man doch wol nach Mafs-
gabe ähnlicher Ausdrücke wie (jefühlloser, gedankenloser, geist-
loser Mensch u. dgl. interpretiren dürfen und müssen. Unter
einem nrtheilslosen Gerede meinen wir offenbar nicht ein solcheB
wo das Urtheilen fehlt, sondern, wo es nicht aus eigener und
verständiger Erwägung hervorgegangen ist. Auch die als Absur-
dität (Widersinn) verstandene „Sinnlosigkeit" constituirt sich im
Sinn: es gehört zum Sinn des widersinnigen Ausdrucks, objectiv
ünvereinbai'liches zu meinen.
Für die Gegenseite bleibt nur übrig zur Nothypothese un-
bewufster und unbemerkter Anschauungen die Zuflucht zu nehmen.
Aber wie wenig dies helfen kann, lehrt der Hinblick auf die
Leistung der fundirenden Anschauung in den Fällen, wo sie merk-
lich vorhanden ist. In der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle
ist sie ja der Bedeutungsintention garnicht angemessen. Jedenfalls
besteht hier für unsere Auifassung keinerlei Schwierigkeit. Liegt
die Bedeutsamkeit nicht in der Anschauung, so wird das an-
schauungslose Sprechen darum kein gedankenloses sein müssen.
Enttallt die Anschauung, so bleibt am Ausdruck eben ein Act
derselben Art hängen, wie derjenige, der anderenfalls, auf An-
schauung bezogen, die Erkenntnis ihres Gegenstandes vermittelte.
So ist der Act, in dem sich das Bedeuten vollzieht, im einen und
anderen Falle vorhanden, oder es sind mindestens gleichartige
Acte, die dasselbe bedeutungsmäisige Wesen gemein haben.
68 /. Atiadruck und Bedeutung.
§ 20. Das anschauungslose Denken und die „sieüvertreiende FkmeUon"
der Zeichen.
Man muls sich durchaus klar machen, dals in weitesten
Strecken nicht blols lässigen und alltäglichen, sondern streng
wissenschaftlichen Denkens die veranschaulichende Bildlichkeit eine
geringe oder schlechterdings keine Rolle spielt, und dals wir im
actuellsten Sinn urthoilen, schlieisen, überlegen und widerlegen
können auf Grund von „blois symbolischen" Vorstellungen. Es
ist eine sehr unangemessene Beschreibung dieser Sachlage, wenn
man hier von einer stellvertretenden Function der Zeichen
gesprochen hat, als ob die Zeichen selbst für irgend Etwas sorro-
girten , und das Denkinteresse im symbolischen Denken den Zeichen
selbst zugewendet wäre. In Wahrheit sind diese aber in keiner
und auch nicht in stellvertretender Weise die Gegenstände der
denkenden Betrachtung, vielmehr leben wir ganz und gar in dem
bei allem Mangel an begleitender Anschauung nicht fehlenden
Bedeutungs- bzw. Verständnisbewufstsein. Man mufs sich gegen-*
wärtig halten, dafs symbolisches Denken ein Denken nur ist um
des neuen „intentionalen" oder Actcharakters willen, der das
Unterscheidende des bedeutsamen Zeichens ausmacht, gegenüber
dem „blofsen" Zeichen, das ist dem Wortlaut, der sich als physisches
Object in den blofsen sinnlichen Vorstellungen constituirt Dieser
Actcharakter ist ein descriptiver Zug im Erlebnis des an-
schauungslosen und doch verstandenen Zeichens.
Man wird gegen die hier gegebene Interpretation des sym-
bolischen Denkens vielleicht einwenden, dafs sie sich mit den
sichersten Thatsachen in Widerstreit setze, die in der Analyse des
symbolisch-arithmetischen Denkens hervortreten und von
mir selbst an anderer Stelle (in der Philosophie der Arithmetik)
betont worden seien. Im arithmetischen Denken surrogiren doch
wirklich die blofsen Zeichen für die Begriffe. Die „Theorie der
Sachen auf die Theorie der Zeichen zu reduciren", um es
mit Lambert auszudrücken, ist die Leistung jeder Rechenkunst.
Die arithmetischen Zeichen sind „so gewählt und zu solcher Voll-
ständigkeit gebracht, daliä die Theorie, Combination, Verwand-
lung etc. der Zeichen statt dessen dienen kann, was sonst mit den
Begriffen vorgenommen werden müfste."^
Sieht man näher zu, so sind es aber nicht die Zeichen im
blofsen Sinn physischer Objecto, deren Theorie, Combina-
tion u. s. w. uns das Geringste zu nützen vcrmöeiite. DergleicJien
fiele in die Sphäi'e der physischeo Wissenschaft, bzw. Praxis, und nicht
in die der Arithmetik. Die wahre Meinung der fraglichen Zeichen
tritt hervor, wenn wir die beliebte Vergleich iing der rechnerLsehen
Operationon mit denen der geregelten Spiele, z. B. des Seiiach-
spiels, ins Auge fassen. Die Schaclifiguren kommen im Spiel nicht
als diese so und so geformten und gefäi-bten Dinge aus Elfenbein,
Holz u. dgl. in Betracht Was sie phänomenal und physisch con-
.stitiiirt, ist ganz gleichgiltig und kann nach Willkür wechseln. Zu
Schachfiguren, d. i. zu Spielmarken des fraglichen Spiels, werden
sie vielmehr durch die Spielregeln, welche ihneu ihre feste Spiel-
bedeutung geben. Und so besitzen auch die arithmetischen
Zeichen neben ihrer originären Bedeutung sozusagen ihre Spiel-
bedeutung, welche sich nämlicli orientirt nach dem Spiel der
Rechenoperationen und seinen bekannten Keehenregeln. Nimmt man
die arithmetischen Zeichen rein als Spielmarken im Sinne dieser
Regeln, so führt die IjJsung der Aufgaben des rechnerischen Spiels
zu Zahlzeichen, bezw. Zahlformeln, deren Interpretation im Sinne
der originären, und eigentlich arithmetischen Bedeutungen zugleich
die Lösung entsprechender arithmetischer Aufgaben darstellen.
Also nicht mit bedeutungslosen Zeichen operirt man in
den Sphären des symbolisch -arithmetischen Denkens und Rechnens.
Nicht sind es die „blofsen'' Zeichen im Sinne der physischen,
von aller Bedeutung losgerissenen Zeichen, weiche für die ui-sprüng-
üchen, mit aritlimetischen Bedeutungen beseelten Zeichen surro-
giren; vielmehr surrogiren für die arithmetisch bedeutsamen
Zeichen dieselben, aber in einer gewissen Operations- oder
» LxxBERT, Neaea Orgauun, II. Bd. 1764. §23 u. 24. 8. 16. (Lambkrt
bezieht sich darin nicht ausdrüoklich uuT die Arithmetik.)
Spielbedeutung genommenen Zeichen. Ein System von natürlich
und sozusagen unbewu&t sich herausbildender Aequivocationen
wird unendlich fruchtbar; die ungleich gröfsere Denkarbeit, welche
die originäre Bcgrifl'sreihe erfordert, wird durch die leicliteren
„syniboliscbeD" Operationen erspart, welche sich in der parallelen
Reihe der Spielbegriffe vollziehen.
Selbstverständlich mufs man das logische Recht eines solchen
Verfalu-ens begründen und seine Grenzen zuverlässig bestimmen;
hier kam os mir darauf an, die Verwirrung zu beseitigen, in
welche man durch die Verkoonung dieses „rein symbolischen"
Denkens der Mathematik leicht geräth. Versteht mau den oben
dargelegten Sinn der Rede von „blofsen Zeichen", die in der
Arithmetik als „Surrogate" für die ai-itbmetischen Begriffe (bezw.
für die mit ihren arithmetischen Bedeutungen begabten Zeichen)
dienen, so ist es auch klar, dafs der Hinweis auf die stell-
vertretonde Function der arithmetischen Zeichen die Frage eigent-
lich gar nicht berührt, die uns hier beschäftigt; nämlich die
Frage, ob ein ausdrückUehes Denken ohne begleitende — illu-
strirende, exemplificirende, evidentmachende — Anschauung mög-
lich ist oder nicht. Symbolisches Denken, im Sinne eines derart
unschauungslosen Denkens, und symbolisches Denken, im Sinne
eines mit surrogirenden Operationsbogriffen sich vollziehenden
Denkens, das sind verschiedene Dinge.
§ 21. Bedenken mit Rüekaicht auf die Nothwendigkeil, zur Klärung
der Bedeutungen und zur Erkennlnis der in ihnen gründenden Wahr-
heiiett auf correspondirende Anschauung zurückzugehen.
Man könnte fragen; "Wenn die Bedeutung des rein symbolisch
fungirenden Ausdrucks in dem Actcharakter liegt, der das ver-
stehende Auffassen des Wortzeichens vctr dem Auffassen eines
sinnleeren Zeichens unterscheidet, wie kommt es, dafs wir, um
Bedeutungsuntei'schiede festzustellen, Vieldeutigkeiten zu evidenter
Abhebung zu bringen oder das Schwanken der Bedoutungsintention
zu begrenzen, auf die Anschauung zurückgehen müssen?
i
Und ■wieder köonto man fragen: Wenn die hier vertretene
Auft'assimg des Begriffes Bedoutiiog richtig ist, wie kommt es,
dafs wir auch, um die Erkenntnisse einzusehen, weiche rein in
den Begriffen gründen, und das heifst docii dureii blofse Analyse
der Bedeutungen entspringen, der corrospoudiretiden Anschauung
nicht entrathen können? In der Tliat heifst es uligemein: Um
sich den Sinn eines Ausdruckes (den Inhalt eines Begriffes) zu
„klarem Bewiüstsein" zu bringen, müsse man eine ontsprechondo
Anschauung herstellen; in ihr erfasse man, was mit dem Aus-
druck „eigentlich gemeint^ sei.
Indessen meint doch auch der symbolisch fungirende Aus-
druck Etwas und nichts Anderes als der anschaulich geklärte.
Nicht kann sich erst mittelst der Anschauung das Bedeuten voll-
zogen haben; sonst müfsten wir sagen, es sei das, was wir im
unvergleichlich gröfsten Theil der Rede und I^ecturo erleben, ein
blofses äufseres Wahrnehmen oder Einbilden akustischer und
optischer Complexionen. Wir brauchen nicht aufs Neue zu wieder-
holen, dafs dem der klare Erfahrungsiuhalt widerspricht, nämlich
dafs wir mit dem Laut- und Schriftzeicben Dies und Jenes
meinen, und dafs dieses Meinen ein descriptiver Charakter
des verstehenden, obschon rein symbolischen Redens und Hörens
ist. Die Antwort aber auf die zuerst gestellte Frage giebt uns
die Bemerkung, dafs sich die blol'sen symbolischen Bedeutungs-
intentionen oft nicht deutlich von einander absondern und nicht
die Ijfiichtigkeit und Sicherheit der Identificirungen und Unter-
scheidungen emiöglicben, die wir auch nur für die Zwecke eines
practisch nutzbringenden, obschon nicht evidenten ürtheüens be-
nötbigen. Um Bedeutuogsunterschiede derart wie zwischen Mücke
und Elephnid zu erkennen, braucht es keiner besonderen Ver-
anstaltungen. Wo die Bedeutungen aber fliefsend ineinander
übergehen und ihr unmerkliches Schwanken die Grenzen ver-
wischt, deren Innehaltung die Sicherheit des Urtlieilens erfordert,
da bietet die Veranschaulich ung das naturgomäfse Mittel der Ver-
deutlichung. Indem sich die Bedeutungsintention des Ausdrucks
au verschiedenen und begrifi'lich nicht zusammengehörigen An-
72 /. Ausdruck und Bedeutung.
schauungen erfüllt, tritt mit der scharf unterschiedenen Erf&Ilung»-
richtung zugleich die Yerschiedenheit der Bedeutungsintention
scharf hervor.
Mit Beziehung auf die zweite Frage aber ist zu bedenken,
dals alle Evidenz des ürtheilens (alles actuelle Erkennen im
prägnanten Sinn) anschaulich erfüllte Bedeutungen Toraussetsct
Wo von Erkenntnissen die Rede ist, die „aus der Analyse der
blofsen "Wortbedeutungen entspringen", da ist eben Anderes ge-
meint, als die Worte nahelegen. Es sind Erkenntnisse gemeint,
die sich aus der blofsen Yergegenwärtigung des „begrifDichen
Wesens" allgemeiner Wortbedeutungen ergeben, während die Frage
nach der Existenz der Gegenstände, die den Begriffen entsprechen,
aufser Spiel bleibt Dieses begriffliche Wesen ist aber nicht die
Wortbedeutung selbst; weshalb die beiden Wendungen „rein in
den Begriffen gründen" und „durch blolse Analyse aus den Wort-
bedeutungen entspringen" nur durch Aequivocation dasselbe be-
sagen können. Vielmehr ist dieses begriffliche Wesen nichts
Anderes als der erfüllende Sinn (als Species verstanden), der
„gegeben" ist, indem die Wortbedeutungen in entsprechenden
sinnlich -anschaulichen Yorstellungen und gewifsen denkmä&igen
Bearbeitungen oder Formimgen derselben terminiren. Die Ana-
lyse betrifft nicht die leeren Bedeutungsintentionen, sondern diese
erfüllenden Vergegenständlichungen und Formungen. Daher liefert
sie auch garnicht Aussagen über blofee Theile oder Verhältnisse
der Bedeutungen, sondern einsichtige Nothwendigkeiten in Be-
treff der in den Bedeutungen als so und so bestimmt gedachten
Gegenstände überhaupt
Freilich weisen uns diese Erwägungen auf eine Sphäre, schon
wiederholt als unerlä&lich erkannter, phänomenologischer Analysen
hin, welche die apriorischen Beziehungen zwischen Bedeutung
und Erkenntnis, bezw. zwischen Bedeutung und klärender An-
schauung zur Evidenz bringen, und somit auch unserem Bedeu-
tungsbegriff durch Unterscheidung von dem erfüllenden Sinn
und durch Erforschung des Sinnes dieser Erfüllung erst zu einer
vollkommenen Klarheit verhelfen müssen.
Zur Charakteristik der bedeutungverleihenden Acte. 73
§ 22. Die differenten Verständniseharaktere und die
„ Bekanntheüsqtuilität ".
Unsere Auffassung setzt eine gewisse, wenngleich nicht voll-
kommen scharfe Sonderung der bedeutungverleihenden Act-
charaktere auch in den Fällen voraus, wo diese Bedeutungsinten-
tionen der Veranschaulichung entbehren. Und wirklich kann man
nicht annehmen, dais die „symbolischen Vorstellungen", die dann
das Verständnis, bezw. die sinnvolle Verwendung der Zeichen be-
herrschen, descriptiv gleichwerthig sind, dafs sie in einem unter-
schiedslosen, für alle Ausdrücke identischen Charakter bestehen:
als ob nur die blofsen Wortlaute, die zufälligen sinnlichen Be-
deutungsträger, den Unterschied ausmachten. Man überzeugt sich
an Beispielen äquivoker Ausdrücke leicht, dafs wir den jähen
Bedeutungswechsel vollziehen und erkennen können, ohne im
Geringsten begleitender Veranschaulichungen zu bedürfen. Der
descriptive Unterschied, der hier evident zu Tage tritt, kann nicht
das sinnliche Zeichen, das ja dasselbe ist, er mufs den Actcharakter
betreffen, der sich eben specifisch verändert Und wieder ist auf
Fälle hinzuweisen, wo die Bedeutung identisch bleibt, während
das "Wort sich ändert, z. B. wo blofs idiomatische Unterschiede
bestehen. Die sinnlich verschiedenen Zeichen gelton uns hier als
gleichbedeutende (wir sprechen ev. sogar von „demselben" nur
verschiedenen Sprachen angehörigen Worte), sie muthen uns un-
mittelbar als „dasselbe" an, noch ehe die reproductive Phantasie
uns Bilder beistellen mag, die sich auf Veranschaulichung der
Bedeutung beziehen.
Zugleich macht man sich an solchen Beispielen die Unhalt-
barkeit des zunächst plausibel erscheinenden Gedankens klar, dafs
der Verständnischarakter am Ende nichts weiter sei als das, was
RiEHL* als „Charakter der Bekanntheit" und Höffding^ weniger
* A. RiBHL, Der philosophische Kriticismus, IL Bd. 1. Th. S. 199.
* H. HöiTDiNO, üeber WiedererkenneD, Association und psychische Activitüt.
Vierteljahrsschrift f. wiss. Philos. Bd. Xin. S. 425.
74 /. Atudruck und Bedeutung.
passend als „Bekanntheitsqualität" bezeichnet hat^ Aach un-
verstandene Worte können uns gleich alten Bekannten gegenüber-
treten; die gut memorirten griechischen Verse haften im Gedächtnis
viel länger als das Verständnis ihres Sinnes, sie erscheinen noch
als wolbekannt und werden doch nicht mehr verstanden. Das
mangelnde Verständnis leuchtet uns dann oft nachträglich aaf (ev.
lange vor Eintritt der übersetzenden Ausdrücke der Muttersprache
oder sonstiger Bedeutungsstützen), und zum Bekanntheitscharakter
tritt nun der Verständnischarakter als ein offenbar Neues hinzu,
den Inhalt sinnlich nicht ändernd und ihm doch einen neuen
psychischen Charakter verleihend. Man erinnere sich auch an
die Art, wie ein zeitweis gedankenloses Lesen oder Recitiren alt-
bekannter Dichtungen sich in verstehendes verwandelt So bieten
sich noch Beispiele in Fülle, welche die Eigenheit des Ver-
ständnischarakters zur Evidenz bringen.
§ 23. DU Apperception im Ausdruck und die Ajtperc^tion in den
anschauliclien Vorstellungen.
Die verstehende^ Auffassung, in der sich das Bedeuten eines
Zeichens vollzieht, ist, insofern eben jedes Auffassen in gewissem
Sinne ein Verstehen oder Deuten ist, mit den (in verschiedenen
Formen sich vollziehenden) objectivirenden Auffassungen verwandt,
in welchen uns mittelst einer erlebten Empfindungscomplexion die im-
schauliche Vorstellung (Wahrnehmung, Einbildung, Abbildung u.8. w.)
eines Gegenstandes (z. B. „eines äufseren" Dinges) erwächst Doch
ist die phänomenologische Constitution der beiderseitigen Auf«
fassungen eine beträchtlich unterschiedene. Fingiren wir ein Be>
wul'stsein vor allen Erfahrungen, so empfindet es der Möglich-
keit nach dasselbe wie wir. Aber es schaut keine Dinge and
* Vgl. dagegen Volkeli, Erfahrung und Denken, S. 3()2.
' Ich gebrauche das Wort Vorstehen nicht etwa in dem eiugeschrimktai
Sinn, der auf die Beziehung zwischen einem Sprechenden und Hörenden hin-
weist. Der monologische Denker „Tersteht" seine Worte und dies Verstehen
ist einfach das actuelle Bedeuten.
dinf^lichen Ereignisse an, es nimmt niclit Bäiirao und Häuser wahr,
nicbt den Flug des Vogels oder das Bellen des Hundes. Man
fühlt sich hier alsbald versucht, die Sachlage so auszudrücken:
Einem solchen Bewufstsein bedeuten die Empfindungen nichts,
sie gelten ihm nicht als Zeiciien für die Eigenschafton eines
Gegenstandes, ihre Complexion nicht als Zeichen für den Gegen-
stand selbst; sie werden schlechthin erlebt, ermangeln aber einer
(aus „Erfahrung" erwachsenden) objectivirenden Deutung. Hier
ist also von Bedeutung und Zeichen so gut die Rede, wie bei
den Ausdrücken und verwandten Zeichen.
Indessen duif diese Rede im Vergleichsfallo der Wahrnehmung
(auf den wir uns der Einfachheit haibor beschränken) nicht so
raifeverstanden werden, als ob das Bewufstsein auf die Empfin-
dungen hinblicke, sie selbst zu Gegenständen einer Wahr-
nehmung und einer erst darauf zu gründenden Deutung mache:
wie dies bei den in der That gegenständlich bewufsten physi-
schen Objecten statthat, die, wie z. B. die Wortlaute, im eigent-
lichen Sinne als Zeichen fungiron. Die Empfindungen werden
offenbar nur in der psychologischen Reflexion zu Vorstellungs-
objecten, während sie im naiven anschaulichen Vorstellen zwar
Componenten des Vorstellungserlebnisses sind (Theile seines
descriptiven Inhaltes), keineswegs aber dessen Gegenstände. Die
Walirnchmimgsvorstellung kommt einfach dadurch zu Stande, dafs
die erlobte Empfiudungscomple.xion von einem gewissen Actcharakter,
einem gewissen Auffassen, Meinen beseelt ist; und indem sie es
ist, erscheint der wahrgenommene Gegenstand, während sie selbst
so wenig erscheint wie der Act, in dem sich der wahrgenommene
Gegenstand als solcher coustituirte. Die phänomenologische Ana-
lyse lelirt auch, dafs der Inhalt der Empfindung sozusagen ein
analogisches Baumaterial abgiebt für den Inhalt des durch sie vor-
gestellten Gegenstandes: daher die Rede von einerseits empfundenen,
andererseits wahrgenommenen (bezw. vorgestellten) Farben, Aus-
dehnungen, Intensitäten u. s. w. Das beiderseits Entsprecliendo ist
keineswegs ein Identisches, sondern nur ein gattungsmäfsig Ver-
wandtes, wie man sich an Beispielen leicht überzeugt: Die gleich-
76 I. Ausdruck und Bedeutung.
mäfsige Färbung der Kugel, die wir sehen (wahrnehmen, vor-
stellen u. dgl.), haben wir nicht empfunden.
Bei den Zeichen im Sinne von Ausdrücken liegt nun eine
ebensolche „Deutung" , aber nur als erste Auffassung zu Grunde.
Betrachten wir den einfacheren Fall, wo der Ausdruck verstanden,
aber durch keine illustrirende Anschauung belebt ist, so erwächst
durch die erste Auffassung die Erscheinung des blofsen Zeichens
als des hier und jetzt gegebenen physischen Objectes (z. B. des
Wortlautes). Diese erste Auffassung fundirt aber eine zweite, die
über das erlebte Etnpfindungsniaterial ganz hinausgeht and in
ihm nicht mehr sein analogisches Baumaterial für die nun ge-
meinte und durchaus neue Gegenständlichkeit findet. Di^e Letztere
ist in dem neuen Acte des Bedeutens gemeint, aber in der
Empfindung nicht präsentiri Das Bedeuten, der Charakter des
ausdrückenden Zeichens setzt eben das Zeichen voraus, als dessen
Bedeuten es erscheint Oder rein phänomenologisch gesprochen:
das Bedeuten ist ein so und so tingirter Actcharakter, der einen
Act anschaulichen Vorstellens als nothwendiges Fundament voraus-
setzt In dem Letzteren constituirt sich der Ausdruck als phy-
sisches Objcct Zum Ausdruck, im vollen und eigentlichen Sinn,
wird er aber erst durch den fundirten Act
Was in dem einfachsten Fall des anschauungslos verstandenen
Ausdruckes gilt, mufs auch in dem complicirten Falle gelten, wo
der Ausdruck mit correspondirender Anschauung verwoben ist
Ein und derselbe Ausdruck, bald mit, bald ohne illustrirende An-
schauung sinnvoll gebraucht, kann die Quelle seiner Bedeutsam-
keit ja nicht aus verschiedenartigen Acten schöpfen.
Es ist allerdings nicht leicht, die descriptive Sachlage nach
den hier nicht berücksichtigten feineren Abstufungen und Ver-
zweigungen zu analysiren. Zumal bereitet es Schwierigkeiten,
die Function der veranschaulichenden Vorstellungen — die Be-
kräftigung oder sogar Evidentmachung der Bedeutungsintention,
die sie leisten, ihr Verhältnis zu dem Verständnis- oder Bedeutungs-
charakter, der schon im anschauungslosen Ausdruck als sinn-
vorleihendes Erlebnis dient — richtig zu fassen. Hier ist ein breites
Das Sehwanken der Wortbedeutungen. 77
Feld für die phänomenologische Analyse und ein Feld, das der
Logiker nicht umgeben kann, wenn er die Beziehung zwischen
Bedeutung und Gegenstand, Urtheil und Wahrheit, unklarer Meinung
und bewährender Evidenz, zur Klarheit bringen will. Mit den
bezüglichen Analysen werden wir uns weiter unten eingehend
beschäftigen müssen^.
Drittes Kapitel.
Das Schwanken der Wortbedeutungen und die Idealität
der Bedentungseinheit
§ 24. Einleitung.
Im letzten Kapitel beschäftigten wir uns mit dem Acte des
Bedeutens. In den Feststellungen des ersten Kapitels unterschieden
wir aber vom Bedeuten als Act, die Bedeutung selbst, die ideale
Einheit gegenüber der Mannigfaltigkeit möglicher Acte. Diese
Unterscheidung, sowie die andere mit ihr zusammenhängenden
Unterscheidungen: zwischen ausgedrücktem Inhalt in subjectivem
und objectivem Sinn und in letzterer Hinsicht zwischen Inhalt
als Bedeutung und Inhalt als Nennung, sind in unzähligen Fällen
von zweifelloser Deutlichkeit. So bei allen Ausdrücken, die im
Zusammenhang einer angemessen dargestellten wissenschaftlichen
Theorie stehen. Daneben giebt es aber auch Fälle, wo es sich
anders verhält Dieselben erfordern besondere Aufmerksamkeit,
weil sie die Tendenz haben, die gewonnenen Unterscheidungen
wieder zu verwirren. Es sind die hinsichtlich der Bedeutung
schwankenden und zumal die wesentlich occasionellen und vagen
Ausdrücke, die hier ernste Schwierigkeiten bieten. Die Lösung
dieser Schwierigkeiten durch die Unterscheidung zwischen den
schwankenden Acten des Bedeutens und den ideal -einheitlichen
Bedeutungen, zwischen denen sie schwanken, ist das Thema des
vorliegenden Kapitels.
' Vgl. die Untersuchung VT.
78 I. Ausdruck und Bedeutung.
§ 25. DeckungsverfiäUnüse xwiaehen den Inkalten der Kundgabe
und der Nennung.
Ausdrücke können ebensowol wie auf andere OegenstSnde,
auch auf die gegenwärtigen psychischen Erlebnisse des sich Aeo&era-
den Beziehung haben. Darnach zerfallen die Ausdrücke in solche,
die das Gegenständliche, das sie nennen (oder überhaupt zeichnen),
zugleich kundgeben, und in solche, bei denen der genannte
und der kundgegebene Inhalt auseinandertreten. Beispiele
für die erste Klasse bieten die Frage-, Wunsch-, Befehlsätze;
für die zweite Klasse die Aussagesätze, die sich auf äufsere Dinge,
auf vergangene eigene psychische Erlebnisse, auf mathematische
Relationen u. dgl. beziehen. Spricht Jemand den Wunsch aus
ich bitte um ein Olas Wasser, so ist dies für den Hörenden ein
Anzeichen für den Wunsch des Sprechenden. Zugleich ist dieser
Wunsch aber auch Gegenstand der Aussage. Das Kundgegebene
und Genannte kommt hier zur partiellen Deckung. Ich sage zur
partiellen Deckung, denn offenbar reicht die Kundgebung weiter.
Zu ihr gehört auch das ürtheil, das in den Worten ich bitte u. s. w.
zum Ausdruck kommt Ebenso verhält es sich natürlich auch bei
Aussagen, die über das Vorstellen, ürtheilen, Vermuthen des
Sprechenden etwas aussagen, also die Form haben ich stelle mir
vor, ich bin der Ansicht, ich urtheile, ich vennuthe u.s.w., daß...
Sogar der Fall totaler Deckung scheint möglich, wie in dem Bei-
spiel die psychischen Erlebnisse, die ich in den jetzt eben ge-
äufserten Worten kundgebe; obschon die Interpretation dieses
Beispiels nicht ganz unbedenklich ist. Dagegen sind Kundgabe
und genannter Sachverhalt völlig disjunct in Aussagen wie etwa
2x2 = 4. Dieser Satz besagt keineswegs dasselbe wie der andere:
ich urtheile, dafs 2x2 '=4 sei. Ja beide sind nicht einmal aequi- .
valent; der eine kann wahr, der andere falsch sein.
Allerdings ist zu bemerken, dafs bei der engeren Fassung
des Begriffs der Kundgabe (in dem früher begrenzten Sinne*) die
genannten Gegenstände der obigen Beispiele nicht mehr in den
' Vgl. oben § 7, S. 33.
Bereich der kuncigegebenen Erlebnisse fallen würden. "Wer über
seine augenhlicklichen psychischen Erlebnisse aussagt, thoilt ihr
Vorhandensein durch ein Urtheil mit. Nur dadurch, dais er dieses
ürtheil (des Inhalts nämlich, dafs er Dies oder Jones wünsche,
hoffe u. s. w.) kundgiebt, wird er vom Hörenden als Wünschender,
Hoffender u. s. w. appercipirt. Die Bedeutung einer solchen Aus-
sage liegt in diesem Urtheil, während die betreffenden inneren
Erlebnisse zu den .Gegenständen gehören, über die geurtheilt wird.
Rechnet man nun zur Kundgabe im engeren Sinne nur die an-
gezeigten Erlebnisse, welche die Bedeutung des Ausdrucks in
sich tragen, so bleiben die Inhalte der Kundgabe und der Nennung
hier und überall gesondert.
Aehnliche Verhältnisse wie zwischen Kundgabe und Nennung
bestehen auch zwischen Nennung und Bedeutung. Die normalen
und für die objective Erkenntnis allein wichtigen Fälle sind die,
wo Bedeutung und Gegenstand disjunct sind. Dafs hier Deckungs-
verhältnisse überhaupt möglich sind, zeigt das Beispiel: die Be-
deutung des ersten Namens, den ich jetzt eben (in diesen Worten)
ausspreche.
§ 26. Wesentlich occasionelle und objective Ausdrücke.
Die Ausdrücke, welche auf den augenblicklichen Inhalt der
Kundgebung eine nennende Beziehung haben, gehören zu dem
weiteren Bestände von Ausdrücken, deren Be<leutung von Fall
zu Fall wechselt. Aber dies geschieht in so eigenthümlicher
Weise, dafs man Bedenken tragen wird, hier von Aequivocation
zu sprechen. Dieselben Worte ich irüiische Dir Glüclc, in welchen
ich jetzt einem Wunsche Ausdruck gebe, können unzähligen Anderen
dienen, um Wünschen „desselben" Inhalts Ausdruck zu geben.
Jedoch nicht blofs die Wünsche selbst sind von Fall zu Fall ver-
schieden, sondern auch die Bedeutungen der Wunsch aussagen.
Einmal steht die Person A der Person B und das andcremal die
Person 31 der Person N gegenüber. Wünscht A dem B „das-
selbe" wie M den N, so ist der Sinn des Wunschsatzes, da er
die Vorstellung der gegenüberstehenden Personen oinschliefst, ein
80 I. AusdrtKk und Bedeutung.
offenbar verschiedener. Diese Vieldeutigkeit ist aber eine ganz andere,
als die etwa des Wortes Hund, welches einmal eine Art TonThieren,
da andere Mal eine Art vonWagen (wie solche in Bergwerken fiblich
sind) bedeutet. Die Klasse vieldeutiger Ausdrücke, welche dieses
letztere Beispiel vorstellig macht, pflegt man vorzugsweise im Ange
zu haben , wo von Aequivocation die Rede ist. Bei ihr ist die Viel-
deutigkeit nicht geeignet, unsere üeberzeugung von der Idealität
und Objectivität der Bedeutiing zu erscbCittem. Es liegt ja auch in
unserer Willkür, einen solchen Ausdruck auf Eine Bedeutung zu
beschränken, und jedenfalls wird die ideale Einheit einer jeden
der verschiedenen Bedeutungen nicht durch den zubilligen Um-
stand berührt, dafs sie gleichen Bezeichnungen anhängen. Wie
verhält es sich aber mit den anderen Ausdrücken? Ist bei ihnen
die identische Bedeutungseinheit, die wir uns sonst durch den
Gegensatz zum Wechsel der Personen und ihrer Erlebnisse klar
gemacht haben, noch festzuhalten, da jetzt die Bedeutungen gerade
mit den Personen und ihren Erlebnissen wechseln sollen? Offen-
bar handelt es sich hier nicht um zufiillige, sondern um unver^
meidliche Vieldeutigkeiten , die durch keine künstliche Veranstaltung
und Convention aus den Sprachen zu entfernen wäre.
Zur gröfseren Klarheit definiren wir folgende Unterscheidung
zwischen wesentlich subjectiven und occasionellen Aus-
drücken auf der einen und objoctiven Ausdrücken auf der anderen
Seite. Der Einfachheit halber beschränken wir uns auf normal
fungirende Ausdrücke.
Wir nennen einen Ausdruck objectiv, wenn er seine Be-
deutung blofs durch seinen lautlichen Erscbeinungsgehalt bindet,
bezw. binden kann und daher zu verstehen ist, ohne dafs es noth-
wendig des Hinblickes auf die sich äufsemde Person und auf die
Umstände ihrer Aeufserung bedürfte. Ein objectiver Ausdruck
kann, und in verschiedener Weise, aequivok sein; er steht dann
zu mehreren Bedeutungen in dem eben beschriebenen VerhältniSj
wobei es von psychologischen Umständen (von der zufälligen Gte-
dankenrichtung des Hörenden, von der inneren Gonseqiienz dee
umfassenderen Gedankenzusammenhanges der Rede u. dgl.) ab-
hängig ist, welclie von diesen Bedeutungen er jeweils tlmtsiiclilicli
erregt und bedeutet. Es mag sein, dafs der Hinblick auf die
redende Person uud ihre Lage in dieser Beziehung ebenfalls
förderlich wirkt Aber es hängt vun diesem Hinblick nicht, in
der Weise einer conditio sine qua non ab, ob das Wort über-
haupt in einer dieser Bedeutungen verstanden werden kann
oder nicht.
Auf der anderen täeite nennen wir wesentlich subjectiv und
occasionell oder kurzweg wesentlich occasionell jeden Ausdruck,
dem eine begrifflich -einheitliche Gruppe von möglichen Bedeu-
tungen so zugehört, dafs es ihm wesentlich ist, seine jeweils actuelle
Bedeutung nach der Gelegenheit, nach der redenden Person und
ihrer Lage zu orientiren. Erst im Hinblick auf die thatsächlichen
Umstände der Aeufserung kann sich hier eine bestimmte unter
den zusammengehörigou Bedeutungen üborhaupt con&tituiren. In
der Vorstellung dieser umstände und in ihrem geregelten Ver-
hältnis zum Ausdruck selbst müssen also, da das Verständnis sich
unter normalen Verhältnissen allzeit einstellt, für Jedermann fafs-
bare und him-eicheud zuverlässige Anhaltspunkte liegen, welche
den Hörenden auf die im gegebenen Fall gemeinte Bedeutung hin-
zulenken vermögen.
Zu den objectiveu Ausdrücken gehören z. B. alle theoretischen,
also diejenigen Ausdrücke, auf welchen sich Grundsätze und Lehr-
sätze, Beweise und Theorien aufbauen. Auf das, was z. B. ein
mathematischer Ausdruck bedeutet, hüben die Umstände der actu-
ellen Rede nicht den leisesten Einfluls. Wir lesen und ver-
stehen ihn, ohne überhaupt an einen Redenden zu denken. Ganz
anders verhält es sich mit den Ausdrücken, welche den prac-
tischen Bedüiiuissen des gemeinen Lebens dienen, sowie auch
mit den Ausdrücken, welche in den Wissenschaften zur Vor-
bereitung der theoretischen Ergebnisse mithelfen. Ich meine in
letzterer Hinsieht die Ausdrücke, durch welche der Forscher seine
eigenen Denkthätigkeiten begleitet oder Anderen vuu seinen Er-
wägungen und Bestrebungen, von seinen methodischen Veran-
staltungen und vorläufigen Ueberzeugungen Kunde giebt
Hmierl, Log. Unten. U. 0
82 /. Ausdrtdck und Bedeutung.
Schon jeder Ausdruck, welcher ein Personalpronomen ent-
hält, entbehrt eines objectiven Sinnes. Das Wort ich nennt von
Fall zu Fall eine andere Person, und es thut dies mittels immer
neuer Bedeutung. Welches jeweilig seine Bedeutung ist, kann
nur aus der lebendigen Bede und den zu ihr gehörenden, an-
schaulichen Umständen entnommen werden. Lesen wir das Wort,
ohne zu wissen, wer es geschrieben hat, so haben wir, wenn nicht
ein bedeutungsloses, so zum Mindesten ein seiner normalen Be-
deutung entfremdetes Wort. Allerdings muthet es sich dann
anders an als eine beliebige Arabeske; wir wissen, dais es ein
Wort ist, und zwar ein Wort, mit dem der jeweilig Bedende sich
selbst bezeichnet Aber die so angeregte begriffliche Vorstellung
ist nicht die Bedeutung des Wortes ich. Sonst dürfen wir ja
für i^h einfach substituiren der jeiceilig Redende, der sich selbst
bexeichnet. Offenbar würde die Substitution nicht blofe zu un-
gewohnten, sondern zu bedeutungsyerschiedenen Ausdrücken führen.
Z. B. wenn wir anstatt ich bin erfreut sagen wollten der jeweilig
sich selbst bezeichnende Redende ist erfreut. Es ist die allgemeine
Bedeutungsfunction des Wortes ich, den jeweilig Bedenden
zu bezeichnen, aber den Begriff, durch den wir diese Function
ausdrücken, ist nicht der Begriff, der unmittelbar und selbst seine
Bedeutung ausmacht.
In der einsamen Rede vollzieht sich die Bedeutung des «cA
wesentlich in der unmittelbaren Vorstellung der eigenen Persönlich-
keit, und darin liegt also auch die Bedeutung des Wortes in der
communicativen Rede. Jeder Redende hat seine IchTorstellnng
(und damit seinen Individualbegriff von ich), und darum ist bei
Jedem die Bedeutung des Wortes eine andere. Da aber Jeder,
wo er von sich selbst spricht, ich sagt, so besitzt das Wort den
Charakter eines allgemein wirksamen Anzeichens für diese That-
sache. Mittels dieser Anzeige kommt für den Hörenden das
Verständnis der Bedeutung zustande, er faist nun die ihm anschau-
lich gegenüberstehende Person nicht blofs als die redende auf,
sondern auch als den unmittelbaren Gegenstand ihrer Rede. Das
Wort ich hat an sich nicht die Kraft, direct die besondere Ich-
voretellung zu erwecken, die seine Bedeutung in der betreffenden
Rode bestimmt. Es wirkt nicht so wie das "Wort Löue, weiches
die Löwenvorstellung an und für sich zu erwecken vermag. Viel-
mehr vermittelt bei ihm eine anzeigende Function, welche dem
Hörenden gleichsam zuruft: dein Gegenüber meint sich selbst.
Doch wir müssen hier noch eine Ergänzung beifügen. Genau
besehen wird man die Sache nicht so auffassen dürfen, als ob die
unmittelbare Vorstellung von der sprechenden Person die volle
und ganze Bedeutung des Wortes ich in sich fasse. Sicherlich
können wir dieses Wort nicht als ein Aequivocum ansehen , dessen
Bedeutungen mit denjenigen aller möglichen Eigennamen von
Pei-sonen zu identificiren seien. Es gehört offenbar auch die Vor-
stellung des Sich-selbst-meinens und des darin liegenden Eün-
deutens auf die directe Individualvorstellung von der redenden
Person in gewisser Weise mit zur Bcdeutimg des Wortes. In
eigenthümlicher Form sind hier, so werden wir wol zugestehen
müssen, zwei Bedeutungen aufeinander gebaut. Die Eine, auf
die allgemeine Function bezügliche, ist mit dem Worte derart ver-
knüpft, dafs sich im actuellon Vorstellen eine anzeigende Function
vollziehen kann; diese ihrerseits kommt nun der anderen, singu-
lären Vorstellung zu Gute und macht deren Gegenstand, zugleich
in der Weise der Snbsumption, als das htc et nunc Gemeinte
kenntlich. Die erstere Bedeutung konnten wir daher als an-
zeigende, die zweite als die angezeigte Bedeutung bezeichnen.
Was für die Personalpronomina gilt, das gilt natürlich auch
für die Domonstrativa. Sagt Jemand dies, so erweckt er im
Hörenden nicht direct die Vorstellung dessen, was er meint,
sondern zunächst die Vorstellung, bezw. Ueberzeugung, dafs er
etwas in seinem Anschauungs- oder Denkbereich Ldegendes meine,
auf das er den Hörendon hinweisen wolle. Unter den concreten
Umstäuden der Rede wird dieser Gedanke zur ausreichenden Richt-
schnur für das, was wirklich gemeint ist Das vereinzelt gelesene
dies entbehrt wieder seiner eigentlichen Bedeutung, und verstanden
wird es nur insofern, als es den Begriff seiner hinweisenden
84 I. Ausdruck und Bedeutung.
P'uüction (das was wir die anzeigende Bedeutung des Wortes
nennen) erregt. Die volle und wirkliebe Bedeutung aber kann
sieb in jedem Falle seiner normalen Function, nur auf Qruad der
sieb zudrängenden Yoi-stellung dessen entfalten, worauf es sich
gegenständlicb bezieht.
Allerdings ist zu bemerken, dalk das DemonstratiTum vielfiu^
in einer Weise fungirt, die wir als gleicbwertbig mit einer ob-
jectiven in Anspruch nehmen können. Ein dies im mathematiscben
Zusammenbang weist auf ein, in begrifflich fester Weise so und
so Bestimmtes bin, das als so Gemeintes verstanden wird, ohne
dalB es irgendwelcher Rücksicht auf die actuelle Aeulserung be-
dürfte. So z. B. wenn die mathematische Darstellung, nach aus-
drücklicher Nennung eines Satzes, fortfahrt: dies folgt dtaraua,
daß . . . Hier könnte für das dies ohne erhebliche Sinnesänderung
der betreffende Satz selbst substituirt werden, und das versteht sich
aus dem objectiven Sinn der Darstellung selbst Auf ihren durch-
gehenden Zusammenhang muls allerdings geachtet werden, da nicht
die iutendirte Bedeutung, sondern nur der Gedanke der Hinweisung
dem Demonstrativum an und für sich zugehört. Die Vermittlung
durch eine anzeigende Bedeutung dient hier nur der Kürze und
der leichteren Kegierung des Hauptzuges der gedanklichen Inten-
tionen. Offenbar läfst sich dasselbe aber nicht von den gewöhn-
lichen Fällen sagen, wo das hinweisende dies und ähnliche
Formen, etwa das dem Sprechenden gegenüberstehende Haus, den
vor ihm auffliegenden Vogel u. dgl. meinen. Hier muXs die (von
Fall zu Fall wechselnde) individuelle Anschauung supponiren, es
genügt nicht der Rückblick auf die zuvor geäulBerten objectiven
Gedanken.
In die Sphäre der wesentlich occasionellen Ausdrücke ge-
hören ferner die auf das Subject bezogenen Bestimmungen hier,
dort, oben, unten, bezw. jeixt, gestern, morgen, nächster u. s. w.
Hier bezeichnet, um noch ein letztes Beispiel durchzudenken, die
vag umgrenzte räumliche Umgebung des Redenden. Wer das
Wort gebraucht, meint seinen Ort auf Grund der anschaulichen
Vorstellung und Setzung seiner Person mit ihrer Oertlichkeit
Biese wechselt von Fall zu Fall und wechselt wieder von Person
zu Pei-son, während doch eine jede hier sagen kann. Es ist
wieder die allgemeine Function des Wortes, die räumliche Um-
gebung der redenden Person zu nennen und zwar so, dafs die
primäre Bedeutung des Wortes in der jeweiligen anschauliehen
Vorstellung dieses Ortes selbst liegt. Nach einem Tiieil ist die
Bedeutung allerdings eine allgemein begriffliche, sofern hier
überall einen Ort als solchen benennt; aber an dieses Allgemeine
schliefst sich, von Fall zu Fall wechselnd, die anschauliche und
jedenfalls directe Orts Vorstellung, die unter den gegebenen Um-
ständen der Rede durch diese anzeigende begriffliche Vorstellung
des hier veretändlich pointirt und ihr untergeordnet wird.
Der wasentlich occasionelle Charakter überträgt sich natürlich
auf alle Ausdrücke, welche diese und ähnliche Vorstellungen als
Theilo enthalten, und dies befafst alle die mannigfaltigen Rede-
formen, in welchen der Redende irgendetwas ihn selbst Be-
treffendes oder durch Beziehung zu ihm selbst Gedachtes zu
normalem Ausdruck bringt. Also die sämmtltchen Ausdrücke für
Wahrnehmungen, Ueberzeugungen, Bedenken, Wünsche, Hoff-
nungen, Befürchtungen, Befehle u. s. w. Auch alle Verbindungen
mit dem bestimmten Artikel, in welchen dieser auf Individu-
elles, nur durch Klassen- oder Beschaffenbeitsbegriffe Bestimmtes
bezogen wird, gehören hieher. Wenn wir Deutschen von dem
Kaiser sprechen, so meinen wir natürlich den gegenwärtigen
deutschen Kaiser. Wenn wir am Abend die Lampe verlangen, so
meint Jeder seine eigene.
Anmerkung. Die in diesem Paragraphen behandelten Ausdrücke
von wesentlich oecasioneUcr Bedeutung ordnen sieh nicht in Paul's
nützliche Eintheibmg der Ausdrücke in solche von usueller und solche
von occasioneller Bedeutung ein. Diese Eintheilung hat ihren Grund
darin, „dafs die Bedeutung, welche ein Wort bei der jedesmaligen
Anwendung hat, sich mit derjenigen nicht zu decken braucht, die ihm
an und für sich dem Usus nach zukommt." • Oleichwol hat aber
* H. Patjl, Prinoipien der Sprachgeschichte', S. 68.
t>Sl3 /. Ausdntek und Bedndung.
Paul auch die wesentlich occasioneUen Bedeutungen unseres Sinnes
in seine Erwägung mit einltczogcn. Er sagt n&mlich*: „Einige
[Wörter in (Kxasioneller Verwendung] giebt es, die ihrem Wesen nach
dazu bestimmt sind etwas Concretes zu bezeichnen, denen aber nichts-
destüweniger die Beziehung auf etwas bestimmtes Goncretes an sich
noch nicht anhaftet, sondern erst durch die individuelle "Verwendung
gc'goljen wonlcn mufs. Hielicr gehören die Pronondna Fersonalia,
Possessi va, Dcnioustrativa und die Ad^-erbia Demonstratira, auch
Wörter wie jcü/, heute., (/estem.'^* Es will mir aber scheinen, dab
das Occasionelle in diesem Sinn aus dem definitorischen Q^ensatz
heri»\isfilllt. Es gehört zur usuellen Bedeutung dieser Klassen von
Ausdrücken, ilu-e Bedeutungsbestimmtheit eret der Gelegenheit zu ver-
danken, also in einem gewissen anderen Sinn occasionell zu sein.
Man kann Oberhaupt die Ausdrücke usueller Bedeutung (im PAVLSchen
Sinne) in solche von usueller Eindeutigkeit und solche von usueller
Vieldeutigkeit eintheilen; die Letzteren wieder in AusdrQcke, die in
usueller Weise zwischen bestimmten und im Voraus angebbaren Be-
deutungen schwanken (wie die zutUUigen Aequivoca Hahn, Acht u. s. w.),
und solche, die es nicht tlum. Zu den Letzteren gehören unsere
Ausdrücke von wesentlich occasioneller Betleutimg, sofern sie ihre je-
weilige Bedeutung erst nach dem Einzelfall Orientiren, während doch
die Weise, in der sie dies thun, eine usuelle ist.
§ 27. Andere Arten schwankender Ausdrücke.
Das Schwankon der wesentlich occasioneUen Ausdrücke erhöbt
sicli noch durch Unvollständigkeit, mit der sie oft die Meinung
des Rodenden ausprägen. Ueberhaupt kreuzt sich die Unter-
scheidung der wesentlich occasioneUen und objectiven AusdrQcke
mit anderen, zugleich neue Formen der Vieldeutigkeit bezeich-
nenden Unterscheidungen. So mit den Unterscheidungen zwischen
vollständigen und unvollständigen (enthymematischen), zwischen
' A. a. 0. im letzton Absatz.
' Die BeschrSnkuiig auf Concreta ist freilich nicht wesentlich. So können
l)cisiiielsw(.>isc die Dcoionstrativa auch auf Abstractes hinweisen.
normal und anomal fiingirenden, zwischen exacten und vagen Aus-
drücken. Die Impersonalien der gewölinliciiea Rede bieten gute
Beispiele dafür, wie scheinbar feste und objective Ausdrücke ver-
möge eivthymematischer Verkürzung in Wahrheit subjectiv schwan-
kende sind. Niemand wird den Satz es giebt Kuchen so verstehen
^vie den mathematischen Satz es (fiebt regelmäfsige Körper. Im
ersten Falle ist nicht gemeint, dafs es überhaupt und schlechtbin
Kuchen giebt, sondern hier und jetxi — xum Kaffee — giebt es
Kuchen. Es regnet meint nicht, dafs es überhaupt regnet, sondern
dafs es jetzt und ärmifseii regnet. AVas dem Ausdruck fehlt, ist
nicht blofs verschwiegen, sondern überhaupt nicht ausdrücklich
gedacht; es gehört aber sicher zu dem, was in der Rede gemeint
ist Die Einfügung der Ergänzungen läfat offenbar Ausdrücke
hervorgehen, die als wesentlich occasionelle in dem oben definirten
Sinn zu kennzeichnen sind.
Noch gröfser ist die Differenz zwischen dem eigentlich aus-
gedrückten, nämlich durch die überall gleichartigen Bedeutungs-
functionen der bezüglichen "Worte ausgezeichneten und gefafsteu
Inhalt einer Rede, und ihrer gelegenheitlichen Meinung, wenn
die Ausdrücke so sehr verkürzt sind, dafs sie ohne die Vor-
ständnishilfen der zufälligen Gelegenheit ungeeignet wären, einem
geschlossenen Gedanken Ausdruck zu geben. Z. B. Fort! Sie!
Mann! Aber — aber! u. s. w. Durch die anschauliche Sachlage,
in welcher der Sprechende und Hörende sich gemeinsam befinden,
ergänzen oder differenziren sich die theils lückenhaften, theils
subjectiv unbestimmten Bedeutungen; sie machen die dürftigen
Ausdrücke verständlich.
Unter den auf die Vieldeutigkeit von Ausdrücken bezüglichen
Unterscheidungen nannten wir oben auch diejenigen zwischen
exacten und vagen Ausdrücken. Vage sind die meisten Aus-
drücke des gemeinen Lebens, wie Baum und Strauch, Thier
und Pjlanxe u. dgl., während alle Ausdrücke, die in reinen
Theorien und Gesetzen als Bestandstücko auftreten, exact sind.
Vage Ausdrücke besitzen nicht einen, in jedem Falle ihrer An-
Km /. Aundrtick und Bedeutung.
wcrulung identischen Bedeutungsgehalt; sie orientiren ihre Be-
deutung nach typisch, aber nur partiell klar nnd beetimmt auf-
gefaTsten Beispielen, die in verschiedenen Fällen, ja sogar in
einem und demselben Gedankenzage vielfach zu wechseln pflegen.
Diese Beispiele, aus einer sachlich einheitlichen (oder mindestens
für den Äugenschein als einheitlich geltenden) Sphäre entnommen,
bestimmen verschiedene, aber in der Regel verwandte oder be-
ziehungsvolle BcgrifTe. von welchen nun, je nach den umständen
der Rede und den gedanklichen Anregungen, die sie erfährt, bald
der eine BegrifT und bald der andere hervortritt; dies geschieht
iiber zumeist ohne die Möglichkeit sicherer Identificirung und
Unterscheidung, die vor unmerklichen Verwechslungen der mit
einander zusammenhängenden Begriffe behütete.
In Zusammenhang mit der Verschwommenheit dieser vagen
Ausdrücke steht diejenige der Ausdrücke für relativ einfache
Gattungen und Arten phänomenaler Bestimmtheiten, die in der
Weise der räumlichen, zeitlichen, qualitativen, intensiven stetig
ineinander übergehen. Die auf Grund der Wahrnehmung und Er-
fahrung sich aufdrängenden typischen Charaktere, z.B. der Ranm-
und Zeitgestalten, der Farben- und Tongostalten u. s. w., bestimmen
bedeutsame Ausdrücke, die in Folge der fliefsenden üebeigänge
dieser Typen (sc. innerhalb ihrer oberen Gattungen) selbst zu
fliefsenden werden müssen. Zwar ist ihre Anwendung innerhalb
gewisser Abstände und Grenzen eine sichere, nämlich in den
Sphären, wo das Typische klar hervortritt, wo es mit Evidenz zu
identificiren und von weit abstehenden Bestimmtheiten mit Evidems
zu unterscheiden ist (knaUroth und hohlschimrx , andante und
presto). Aber diese Sphären sind von vager Umgrenzung, tde
flicfsen in die correlaten Sphären der umfassenden Gattung über
und bedingen Uebergangssphären, in denen die Anwendung
schwankend und ganz unsicher ist*
' Vgl. B. Erdmann, Theorie der Typeneintheilungen. Philos. Monatshefte
Bd. XXX.
Das Schwanken der Wortbfdeutungm.
89
§ 28. Das Schwanken der Bedeutungen als Schwanken des Bedmtens.
Wir haben verschiedene Klassen von Ausdrücken kennen
gelernt, die in ihrer Bedeutung wechseln und sämmtüoh insofern
subjeetiv und gelegenheitlich sind, als die zufällig:en Umstände
der Rede auf diesen Wechsel Einflufs üben. Ihnen standen jeweils
andere Ausdrücke gegenüber, die in einem entsprechend weiten
Sinne objectiv und fest sind, sofern ihre Bedeutung durch feste
Association an das Wort, oder zugleich an die Form der zu-
sammenhängenden Rede, normaler Weise von alier Schwankung
frei ist Nehmen wir dieses Freisein von aller Schwankung ganz
strenge, so stehen auf dieser Seite nur die exacten Ausdrücke,
auf der anderen die vagen und zudem noch ans verschiedenen
anderen Gründen gelegentlich wechselnden Ausdrücke.
Es ist nun aber die Frage zu erwägen, ob diese wichtigen
Thatsachen der Bedoutungsschwankung geeignet sind, unsere Auf-
fassung der Bedeutungen als idealer (und somit starrer) Einheiten
zu erschüttern, oder hinsichtlich der Allgemeinheit wesentlich ein-
zuschränken. Zumal die vieldeutigen Ausdrücke, die wir oben als
wesentlich subjeetiv oder occasionell bezeichnet haben, und des-
gleichen die Unterschiede der vagen und exacten Ausdrücke
könnten uns in dieser Hinsicht zweifelhaft stimmen. Zerfallen
also die Bedeutungen selbst in objective und subjective, in feste
und gelegenheitlich wechselnde, und ist der Unterschied, wie es
zunächst scheinen möchte, nur mit anderen Worten so zu fassen,
dafs Hie» fmaif] i" '^/^- HT^inn fnntn- u^p^jno idealo Einheiten dar-
n Vorstellens und Denkens
n im Flufs der suhjectiven
id als vorübergehende Er-
m, dafs eine solche Auf-
lohen der subjective, seine
itironde Ausdruck im be-
n Sinne eine ideal einheit-
festen Ausdruckes. Dies
90 /. Alisdruck utid Bedevtung.
zeigt klärlich der umstand, dals, ideal gesprochen, jeder sabjectiTe
Ausdruck bei identischer Festhaltung der ihm augenblicklich zu-
kommenden BedeutungsintentioQ durch objectire Ausdrücke er-
setzbar ist.
Freilich müssen wir dabei zugestehen, dals diese Ersetzbarkeit
nicht nur aus Gründon des practischen Bedürfnisses, etwa wegen
ihrer Umständlichkeit, unterbleibt, sondern dalk sie in weitestem
Ausmafse factisch nicht ausführbar ist und sogar für immer un-
ausführbar bleiben wird.
In der That ist es klar, dafs unsere Behauptung, es lielse
sich jeder subjective Ausdruck durch einen objectiren ersetzen,
im Grunde nichts Anderes besagt als die Schrankenlosigkeit
der objectiven Vernunft Alles, was ist, ist „an sich" e>
keunbar, und sein Sein ist inhaltlich bestimmtes Sein, das sich
dokumentirt in deu und den „Wahrheiten an sich". Was ist,
hat seine an sich fest bestimmten Beschaffenheiten und Yei^
hältnisse, seine fest bestimmte Ausbreitung und Stellung in Baum
und Zeit, seine fest bestimmten Weisen der Verharrung und Ver-
änderung. Was aber in sich fest bestimmt ist, das mala sich
objectiv bestimmen lassen, und was sich objectiv bestimmen lälst,
das läikt sich, ideal gesprochen, in fest bestimmten Wortbedeutungen
ausdrücken. Dem Sein an sich entsprechen die Wahrheiten an
sich und diesen wieder die festen und eindeutigen Aussagen
an sich. Allerdings, um sie überall wirklich aussagen zu können,
bedarf es nicht blos der nöthigen Zahl wolunterschiedener Wort-
zeichen, sondern vor Allem der entsprechenden Zahl von ezact
bedeutsamen Ausdrücken — dies Wort im vollen Sinne ge-
nommen. Es bedarf der Fähigkeit, alle diese Ausdrücke, also die
Ausdrücke für alle theoretisch in Frage kommenden Bedeutungen,
zu bilden und in Beziehung auf diese ihre Bedeutungen mit
Evidenz zu identificiren, bezw. zu unterscheiden.
Aber von diesem Ideal sind wir unendlich weit entfernt
Man denke nur an die Mangelhaftigkeit der Zeit- und Ortsbe-
stimmungen, an unsere Unfähigkeit, sie anders als durch Relation
zu bereits vorgegebenen individuellen Existenzen zu bestimmen,
während diese selbst einer exacten, durch keineilei Verwendung
wesentlich subjectiv bedeutsamer Ausdrücke getrübten Bestimmung
unzugänglich sind. Man streiche die wesentlich occasionellen
"Worte aus unserer Sprache heraus und versuche irgendein sub-
jectires Erlebnis in eindeutiger und objectiv fester Weise zu be-
schreiben. Jeder Versuch ist offenbar vergeblich.
Gleichwol will es mir scheinen, dafs z. B. auch jede Orts-
und Zeitbestimmung, der idealen Möglichkeit nach, das Substrat
einer ihr zugehörigen Eigenbedeutung werden kann. An sich muTs
jeder Ort von jedem anderen unterschieden sein, so gut wie jede
Farbenqualität von jeder anderen. Und wie a priori eine Vor-
stellung möglich ist, welche direct {und nicht in umschreibender
Weise und gar in Relation zu einer vorgegebenen Individualität)
die mit sich identische Qualität meint; wie dann weiter eine
mögliche Wiederholung dieser Vorstellung mit fortgesetzter Identi-
ficirung ihrer Meinung, endlich die Anknüpfung dieser identischen
Meinung als Bedeutung an einen Ausdruck a priori denkbar ist:
so mufs dasselbe auch für die individualisirenden Bestimmungen
gelten, mögen sie sich von den übrigen Bestimmungen auch sonst
erheblich unterscheiden.
Jedenfalls macht uns die ideale Möglichkeit, die wir eben
erwogen haben, und die durch Evidenz a priori gesichert, ein
Fundament der Erkenntnistheorie darstellt, soviel klar, dafe, in
sich betrachtet, zwischen Bedeutungen und Bedeutungen kein
wesentlicher Unterschied besteht Die thatsächlichen Wortbedeu-
tungen sind schwankend, im Laufe derselben Gedankenfolge oft
wechselnd; und zum grofsen Thoil sind sie ihrer Natur nach durch
die Gelegenheit bestimmt. Aber genau besehen ist das Schwanken
der Bedeutungeu eigentlich ein Schwanken des Bedeutens.
Das heifst es schwanken die subjectiven Acte, welche den Ausdrücken
Bedeutung verleihen, und sie verändern sich hiebei nicht blofs
individuell sondern zumal auch nach den spocifischen Charakteren,
in welchen ihre Bedeutung liegt. Nicht aber verändern sich die
Bedeutungen seihst, ja diese Rede ist geradezu eine widereinnige,
vorausgesetzt, dals wir dabei bleiben, wie bei den univoken und
92 /. Aufdruck und Bedeutung.
objecÜT festen, so bei den äquivoken und subjecÜT getrübten
Ausdrücken, unter Bedeutungen ideale Einheiten, also Species zu
verstehen. Dies aber verlangt nicht nur die nach den festen Aus-
drücken orientirte, normale Rede von der Einen Bedeutung, welche
identisch dieselbe sei, wer immer denselben Ausdruck äu&em
mag, sondern vor Allem verlangt es der leitende Zweck unserer
Analysen.
§ 29. Die reine Logik und die idealen Bedeutungen.
In der Tbat hat es die reine Logik ausschliefslich mit diesen
idealen Einheiten, die wir hier Bedeutungen nennen, zu thun,
und indem wir uns bemühen, das ideale Wesen der Bedeutungen
aus den psychologischen und grammatischen Verbänden herauszu-
lesen; indem wir weiterhin darauf abzielen, die in diesem "Wesen
gründenden apriorischen Verhältnisse der Adaequation an die be-
deutete Gegenständlichkeit zu klären, stehen wir schon im Bann-
kreise der reinen Logik.
Dies ist von vornherein klar, wenn wir einerseits an die
Stellung denken, welche die Logik zu den mannigfaltigen Wissen-
schaften einnimmt — wonach sie die nomologische Wissenschaft
ist, die auf das ideale Wesen der Wissenschaft als solcher geht;
oder was dasselbe ist, die nomologische Wissenschaft vom wissen-
schaftlichen Denken überhaupt und zwar rein nach seinem theo-
retischen Gehalt und Verband; und wenn wir andererseits
beachten: dafs der theoretische Gehalt einer Wissenschaft nichts
Anderes ist, als der von aller Zufälligkeit der Urtheilenden und
TJrtheilsgelegenheiten unabhängige Bedeutungsgehalt ihrer theo-
retischen Aussagen, dafs hiebei die Aussagen Eins sind in der
Form der Theorie, und dals wieder die Theorie ihre objective
Geltung verdankt der idealgesetzlichen Angemessenheit ihrer Ein-
heit als Bedeutungseinheit an die bedeutete (und uns in der evi-
denten Erkenntnis „gegebene") Gegenständlichkeit Es ist unver-
kennbar, dafs, was in diesem Sinne Bedeutung heilst, durchaus
nur ideale Einheiten befafst, die in mannigfaltigen Ausdrücken
ausgedrückt und in mannigfaltigen Acterlebnissen gedacht sind,
I
und doch wie von den zufälligen Ausdrücken, so von den zufälli-
gen Erlebniäsen der Denkenden wol untei-schieden werden müssen.
Ist alle gegebene theoretische Einheit ihrem Wesen nach
Bedeutungseinheit, und ist die Logik die Wissenschaft von der
theoretischen Einheit überhaupt: so ist zugleich evident, dafs die
Logik Wissenschaft von Bedeutungen als solchen, von ihren wesent-
lichen Arten und Unterschieden, sowie von den rein in ihnen
gründenden (also idealen) Gesetzen sein muis. Denn zu jenen
wesentlichen unterschieden gehören ja auch diejenigen zmschen
gegenständlichen und gegenstandslosen, wahren und falschen Be-
deutungen, und zu diesen Gesetzen also auch die reinen „Denk-
gesetze'', welche den apriorischen Zusammenhang der kategoriaJen
Form der Bedeutungen und ihrer Gegenständlichkeit, bezw. Wahr-
heit ausdrücken.
Zwai' steht wider diese Auffassuüg der Logik als einer Wissen-
schaft von Bedeutungen, die allgemeine Rede- und Behandlungs-
weiso der traditionellen Logik, welche mit psychologischen oder
psychologisch zu interpretirenden Terminis, wie Vorstellung, ür-
theil, Bejahimg, Verueinimg, Voraussetzung, Folgerung u. dgl.
operirt, und welche damit wirklich blofse psychologische Unter-
schiede festzustellen und die auf sie bezüglichen psychologischen
Gesetzmäisigkeiten zu verfolgen meint. Aber nach den kritischen
Untersuchungen der Prolegomena k^mn uns diese AutTassung nicht
mehr beirren. Sie zeigt nur, wie weit die Logik noch von dem
richtigen Verständnis der Objecto entfernt ist, die ihr eigenstes
Forschungsgebiet ausmachen, und wieviel sie noch von den ob-
jectivon Wissenschaften zu lernen hat, deren Wesen zum theo-
retischen Verständnis zu bringen sie doch beansprucht.
Wo die Wissenschaften systematisclie Theorien entwickeln, wo
sie statt den blofsen Gang der subjectiven Forschung und Begrün-
dung mitzutheilen, die reife Frucht erkannter Wahrheit als objective
Einheit darstellen, da ist auch von Urtheilen und Vorstellungen
und sonstigen psychischen Acten nie und nirgends die Rede. Der
objective Forscher definirt allerdings Ausdrücke. Er sagt: MM<cr
lebendiger Kraft, unter Masse, unter einem Integral, eifiem Sinus
94 /. Ausdruck und Bedeutung.
it. dgl. versteht man dies und das. Aber er weifst damit nur
auf die objectiro Bedeutung seiner Ausdrücke hin, er signirt
die „Begriffe", die er im Auge hat, und die in den Wahrheiten
des Gebietes als eonstituirende Momente ihre Bolle spielen. Nicht
das Verstehen interessirt ihn, sondern der Begriff, der ihm als
ideale Bedeutungseinheit gilt, sowie die Wahrheit, die sich selbst
aus Begriffen aufbaut.
Der Forscher stellt dann Sätze auf. Natürlich behauptet,
urtheilt er hiebei. Aber er will nicht von seinen oder irgend
Jemandes Urtheilen sprechen, sondern von den bezüglichen
Sachverhalten und wenn er sich in kritischer Erwägung auf die
Sätze bezieht, so meint er ideale Aussagebedeutungen. Nicht
die Urtheile, sondern die Sätze nennt er wahr und äklsch; Sätze
sind ihm Prämissen, und Sätze sind ihm Folgen. Sätze bauen
sich nicht auf aus psychischen Acten, aus Acten des Vorstellens
oder Fürwahmehmens, sondern wenn nicht wieder ans Sätzen,
so letztlich aus Begriffen.
Sätze selbst sind Bausteine von Schlüssen. Auch hier wieder
der Unterschied zwischen den Acten des Schlicfsens und ihren ein-
heitlichen Inhalten, den Schlüssen, das ist identischen Bedeu-
tungen gewisser complexer Aussagen. Das Verhältnis der noth-
wendigen Folge, welches die Form des Schlusses ausmacht, ist
nicht ein empirisch-psychologischer Zusammenhang von Urtheils-
erlebnissen, sondern ein ideales Verhältnis von möglichen Aoa-
sagebedeutungen, von Sätzen. Es oxistirt, oder besteht, d. h. es
gilt, und Geltung ist Etwas, das zum empirisch Urtheilenden ohne
alle wesentliche Beziehung ist Wenn der Naturforscher aus den
Hebelgesetzen, dem Gesetz der Schwere u. dgl. die Wirkungsweise
einer Maschine ableitet, so erlebt er in sich freilich allerlei sub-
jective Acte. Das, was er aber einheitlich denkt und verknüpft,
das sind Begriffe und Sätze mit ihren gegenständlichen Beziehungen.
Den subjectiven Gedankenverknüpfungen entspricht dabei eine
objective (das heifst, sich der in der Evidenz „gegebenen" Objeo-
tivität adaequat anmessende) Bedeutungseinheit, die ist, was sie
ist, ob sie Jemand im Denken actualisiren mag oder nicht
Das Schwanken der Wortbedeutungen. 95
Und 80 überall. Wenn der wissenschaftliche Forscher hiebet
nicht Anlafe nimmt, das Sprachliche und Signitivo vom objectiv
Gedanklichen, Bedeutungsmäfsigen ausdrücklich zu sondern, so
weifs er doch sehr wol, dafe der Ausdruck das Zufällige ist und
der Gedanke, die specifisch -identische Bedeutung, das Wesentliche.
Er weils auch, dais er die objective Geltung der Gedanken und
gedanklichen Zusammenhänge, die der Begriffe und Wahrheiten
nicht macht, als handelte es sich um Zufälligkeiten seines oder des
allgemein menschlichen Geistes, sondern daik er sie einsieht, ent-
deckt Er weüs, dafs ihr ideales Sein nicht die Bedeutung eines
psychischen „Seins in unserem Geiste" hat, da ja mit der echten
Objectivität der Wahrheit und des Idealen überhaupt auch alles
reale Sein, darunter das subjective Sein aufgehoben wäre, und
wenn einzelne Forscher über diese Dinge gelegentlich doch anders
urtheilen, so geschieht dies au&erhalb ihrer fachwissenschaftlichen
Zusammenhänge und in nachträglicher Reflexion. Dürfen wir
aber mit Hume urtheilen, dafs sich die wahren Ueberzeugungen
der Menschen besser in ihren Handlungen als in ihren Beden
dokumentiren, so würden wir solchen Forschern vorhalten müssen,
dafs sie sich selbst nicht verstehen. Sie achten nicht vorurtheils-
los auf das, was sie in ihrem naiven Forschen und Begründen
meinen; sie lassen sich in die Irre führen durch die vermeintliche
Autorität der Logik mit ihren psychologistischen Trugschlüssen
und ihrer subjectivistisch verfälschten Terminologie.
Alle Wissenschaft ist ihrem objectiven Gehalt nach, ist als
Theorie aus diesem Einen homogenen Stoff constituirt, sie ist eine
ideale Complexion von Bedeutungen in specie. Ja wir können
sogar noch mehr sagen: dieses ganze noch so mannigfaltige Ge-
webe von Bedeutungen, theoretische Einheit der Wissenschaft
genannt, gehört selbst wieder unter die, alle seine Bestandstücke
umspannende Kategorie, es constituirt selbst eine Einheit der
Bedeutung.
Ist also Bedeutung und nicht Bedeuten, ist Begriff und Satz,
nicht Vorstellung und Urtheil, das in der Wissenschaft wesentlich
Mafegebendo, so ist es nothwendig in der Wissenschaft, die vom
96 I. Ausdruck und Bedeutung.
Wesen der Wissenschaft bandelt, der allgemeine Gegenstand der
Forschung. In der That faUt alles Logische unter die correlativ zu-
sammengehörigen Kategorien Bedeutung und Gegenstand. Sprechen
wir also im Plural von logischen Kategorien, so kann es sich nur
um reine Artungen handeln, die sich a priori innerhalb dieser
Gattung Bedeutung scheiden, oder um correlativ zugehörige For-
men der kategorial gefalsten Gegenständlichkeit als solcher. In
diesen Kategorien gründen dann die von der Logik zu formulirenden
Gesetze: Auf der einen Seite die Gesetze, welche absehend von
den idealen Beziehungen zwischen Bedeutungsintention und Be-
deutungserfüllung, also von der möglichen Erkenntnisfiinction
der Bedeutungen, die blolsen Gomplicationen der Bedeutungen zu
neuen Bedeutungen (gleichgiltig ob „realen" oder „imaginären*)
betreffen. Auf der anderen Seite die im prägnanteren Sinn
logischen Gesetze, die sich auf die Bedeutungen hinsichtlich ihrer
Gegenständlichkeit und Gegenstandslosigkeit, ihrer Wahrheit und
Falschheit, ihrer Einstimmigkeit und Widersinnigkeit beziehen,
soweit dergleichen durch die bloJse kategoriale Form der Be-
deutungen bestimmt ist Diesen letzteren Gesetzen entsprechen in
äquivalenter und correlativer Wendung Gesetze für Gegenstände
überhaupt, sofern sie durch blofse Kategorien bestimmt gedacht
sind. Alle giltigen Aussagen über Existenz und Wahrheit, die sich
unter Abstraction von jedweder Erkenntnismaterie auf Grund der
blofsen Bedeutungsformeu aufstellen lassen, sind in diesen Gesetzen
beschlossen.
Viertes Kapitel.
Der phänomenologische und ideale Inhalt
der Bedeutiingserlebnisse.
§ 30. Der Inhalt des ausdrücketukn Erlebnisses im psychologischen
Sinne und sein Inhalt im Sinne der einlieitlichen Bedeutung.
Das Wesen der Bedeutung sehen wir nicht im bedeiitung-
verleihenden Erlebnis, sondern in seinem „Inhalt", der eine iden-
tische intentionale' Einheit darstellt gegenüber der verstreuten
Mannigfaltigkeit wirklicher oder möglicher Erlebnisse von Sprechen-
den und Denkenden. „Inhalt" des bezüglichen Bedeutungserleb-
nisses in diesem idealen §inn ist nichts weniger als das, was die
Psychologie unter Inhalt meint, nämlich irgendein realer Theil
oder eine Seite eines Erlebnisses. Verstehen wir einen Namen —
gleichgiltig ob er Individuelles oder Generelles, Physisches oder
Psychisches, Seiendes oder Nichtseiendes , Mögliches oder Unmög-
liches nennt — oder verstehen wir eine Aussage — gleichgiltig
ob sie inhaltlich wahr oder falsch, einstimmig oder widersinnig,
geurtheilt oder fingirt ist — so ist das, was der eine oder andere
Ausdruck besagt (mit Einem Worte die Bedeutung, die den
logischen Inhalt ausmacht und die in reinlogischen Zusammen-
hängen geradezu als Vorstellung oder Begiiff, als Urtheil oder
Satz u. dgl. bezeichnet wird), nichts was im realen Sinn als Theil
des betreffenden Voi-ständnisactes gelten könnte. Natürlich hat
dieses Erlebnis auch seine psychologischen Componenten, es ist
Inhalt und besteht aus Inhalten — im gewöhnlichen psychologischen
Sinn. Dahin gehören vor Allem die sinnlichen Bestandstücke des
Erlebnisses, die Worterscheinungen nach ihren rein visuellen, akusti-
schen, motorischen Inhalten, und des Weiteren die Acte der gegen-
ständlichen, die Worte in Raum und Zeit einordnenden Deutung.
• Dm Wort inientioiial Idfst, seiner Bildung goinüfa, sowol Anwendung
Bof die Bedeutung, als auf deu Gegenstand der intentio xu. Intentionale Ein-
heit bedeutet also nicht nothwendig die intendirte Einheit, die des Oegeostandes.
Haaisrl, Log. Uotan. U. 7
I
I
Der psychologische Bestand ist in dieser Hinsicht bekanntlich
ein sehr mannigfaltiger, von Individuum zu Individuum erheblich
wechselnd; desgleichen aber auch wechselnd für dasselbe Indivi-
duum zu verschiedenen Zeiten, und zwar in Hinsicht auf „ein und
dasselbe" Wort. Dafs ich in den mein stilles Donken begleitenden
und stützenden Wortvorstellungen jeweils von meiner Stimme
gesprochene Worte phantasire, dafs hierbei auch steüenweise die
Schriftzeichen meiner stenographischen oder nomTalen Handschrift
aufzutauchen pflegen u. dgl. — das sind meine individuellen
Eigenheiten, und sie gehören nur zu dem psychologischen Inhalt
meines Voretellungserlebnisses. Zum Inhalt im psychologischen
Sinn gehören weiter mannigfache und descriptiv nicht immer leicht
zu fassende Unterschiede in Ansehung des Actcharakters, der die
Meinung, bzw. das Verständnis in subjectiver Hinsicht ausmacht.
Wenn ich den Namen Bismarck höre, so ist es für das Verständ-
nis des Wortes in seiner einheitlichen Bedeutung völlig gleich-
giltig, ob ich mir den grofsen Mann im Sclilapphut und Mantel
oder in Kürassioroniform, ob ich mir ihn nach Mafsgabe dieser
oder jener bildlichen Darstellungen in der Phantasie vorstelle.
Ja selbst der Umstand, ob überhaupt veranschaulichende oder das
Bodeutungsbewufstsein indirect belebende Phantasiebilder gegen-
wärtig sind oder nicht, ist von keiner Erheblichkeit.
Im Streit gegen eine beliebte Auffassung haben wir begründet, ^
dafs das Wesen des Ausdrückens in der Bedeutuugsintention liegt
und nicht in den mehr oder minder vollkommenen, näheren
oder ferneren Verbildlichungen, die sich ihr erfüllend zugesellen
mögen. Sobald sie aber vorhanden sind, sind sie auch mit der
Bedeutimgsintention innig verschmolzen; und dadurch ist es be-
greiflich, dafs das einheitliche Erlebnis des sinngemäfs fungirenden
Ausdrucks, von Fall zu Fall betrachtet, auch auf der Bedeutungs-
seite beträchtliche psychologische Unterschiedenheiten zeigt, während i
doch seine Bedeutung unverändert dieselbe bleibt. Wir haben
auch gezeigt*, dafs dieser Selbigkeit der Bedeutung in den zu-
' Vgl. oben das zweite Kap. § 17, 8. 61 S.
• Vgl. § 22, S. 73.
gehörigen Acten wirklich etwas Bestimmtes entspricht; dafs also,
was wir die Bedeutimgsiiitention nennen, nicht ein unterschieds-
loser, sich erst durch den Zusammenhang mit den erfüllenden
Anschauungen, also äufserlich differenziirender Charakter ist.
Vielmehr gehören zu verschiedenen Bedeutungen, bezw. zu be-
deutungsvei-schieden fungirendcn Ausdrücken, auch inhaltlich ver-
schieden charakterisirteBedeutungsiutentionen; während alle gleich-
sinnig verstandenen Ausdrücke mit derselben Bedeutungsintention,
als einem gleichbestimmten psychischen Charakter, ausgestattet
sind. Und dui-ch ihn werden die in ihrem psychologischen Ge-
halt so stark diöerir-enden Ausdruckserlebnisse allererst zu Erleb-
nissen von derselben Bedeutung. Selbstverständlich bedingt das
Schwanken des Bedeutens hier gewisse Einschränkungen, die an
dem Wesen der Sache nichts ändern.
§ 31. Der Jetcharakter des Bedeutens und die ideal-eitm Bedeutung.
Mit dem Hinweis auf dieses psychologisch Gemeinsame gegen-
über dem psychologisch Wechselnden haben wir aber noch nicht
die Differenz gekennzeichnet, welche wir bei den Ausdrücken, bezw.
den ausdrücklichen Acten klären wollten, nämlich zwischen ihrem
psychologischen und logischen Gehalt Denn zum psychologischen
Gehalt gehört natürlich das von Fall zu Fall Gleiche, ebenso wie
das gelegentlich Wechselnde. Und so ist es denn auch garnicht
unsere Lehre, dals der überall gleichbleibende Actcharakter selbst
schon die Bedeutung sei. Was beispielsweise der Aussagesatz
fi ist eine transcendente Zahl besagt, was wir lesend darunter
verstehen und sprechend damit meinen, ist nicht ein individueller,
nur allzeit wiederkehrender Zug unseres Denkerlebnisses. Von
Fall zu Fall ist dieser Zug immerhin ein individuell anderer,
während der Sinn des Aussagesatzes identisch sein soll. Wieder-
holen wir oder irgendwelche anderen Personen denselben Satz
mit gleicher Intention, so hat jode ihre Phänomene, ihre Worte
und Vei-ständuismomonte. Aber gegenüber dieser unbegrenzten
Mannigfaltigkeit individueller Erlebnisse ist das, was in ihnen
ausgedrückt ist, überall ein Identisches, es ist dasselbe im
7*
strengsten Sinne des Wortes. Mit der Zahl der Personen und
Acte hat sich die Satzbedoutung nicht vervielfältigt, das Urtheil
im idealen logischen Sinne ist Eines.
Dafs wir hier auf der strengen Identität der Bedeutung be-
stehen und sie von jenem constanten psychischen Charakter des
Bedeutens unterscheiden, entspringt nicht einer subjectiven Vor-
liebe für subtile Unterscheidungen, sondern der sicheren theo-
retischen Ueberzeugung, dafs man nur auf diese Weise der für das
Verständnis der Logik fundamentalen Sachlage gerecht zu werden
vermag. Es handelt sich dabei auch nicht um eine blofse Hypo-
these, die sich erst durch ihre Erklärungsergiebigkeit recht-
fertigen soll; sondern wir nehmen es als eine unmittelbar fafsliche
Wahrheit in Anspruch und folgen hierin der letzten Autorität in
allen Erkenn tnistVagen, der Evidenz. Ich sehe ein, dafs ich in
wiederholten Acten des Vorstellens und Urtheilens identisch das-
selbe, denselben Begriff, bzw. denselben Satz meine, bzw. meinen
kann; ich sehe ein, dafs ich, wo z. B. von dem Satze oder
der Wahrheit n ist eine transcendente Zahl die Rede ist,
nichts weniger im Auge habe als das individuelle Erlebnis oder
Erlebnismoment irgendeiner Person, Ich sehe ein, dafs diese
reflectircnde Rede wirklich das zum Gegenstande hat, was in der
schlichten Rede die Bedeutung ausmacht Ich sehe endlich ein,
dafs, was ich in dem genannten Satze meine oder (wenn ich ihn
höre) als seine Bedeutung auffasse, identisch ist, was es ist, ob
ich denke und bin, ob überhaupt denkende Personen und Acte
sind, oder nicht Dasselbe gilt für jederlei Bedeutungen, für
Subjectbedeutungen, Prädicatbedeutungen , Beziehungs- und Ver-
knüpfungsbedeutungen u. s. w. Es gilt vor Allem auch für die
idealen Bestimmtheiten, welche primär nur Bedeutungen zu-
kommen. Dahin gehören, um an einige besonders wichtige zu
erinnern, die Prädicate wahr und falsch, müglich uud unmöglich.,
generell und .mignl/ir, bestimmt und unbestimmt u. s. w.
Diese wahrhafte Identität, die wir hier behaupten, ist nun
keine andere, als die Identität der Species. So, aber auch nur
so, kann sie als ideale Einheit die verstreute Mannigfaltigkeit der
Der phänomenologische u. ideale Inhalt d.
tisse. 101
I
I
individuellen Einzelheiten umspannen {^vpißäXXeiv dg ?»■). Die
mannigfaltigen Eiuzellieiten zur ideal-einon Bedeutung sind natür-
lich die entsprechenden Acte des Bedeutens, die Bedeutungs-
intentionen. Die Bedeutung verhält sich also zu den jeweiligen
Acten des Bedeutens (die logische Voi'stelluug zu den Vorstellungs-
acten, das logische Unheil zu den Urtheiisacten, der logische
Schlufs zu den Schlufeacten), wie etwa die Röthe in specie zu den
hier liegenden Papierstreifen, die alle diese selbe Köthe „haben".
Jeder Streifen hat neben anderen consfituirenden Momenten (Aus-
dehnung, Form u. dgl.) seine individuelle Röthe, d. i. seinen
Einzelfall dieser Farbenspecies, während sie selbst weder in
diesem Streifen noch sonst in aller Welt real existirt; zumal auch
nicht „in unserem Denken", sofern dieses ja mitgehört zum Bereich
des realen Seins, zur Sphäre der Zeitlichkeit
Die Bedeutungen bilden, so können wir auch sagen, eine
Klasse von Begriffen im Sinne von „allgemeinen Gegen-
ständen". Sie sind darum nicht Gegenstände, die, wenn nicht
irgendwo in der ,,\Velt", so in einem lünog oiqäviQ<i oder im
göttlichen Geiste existiren; denn solclio metaphysische HypostasLrung
wäre absurd. Wer sich daran gewöhnt hat, unter Sein nur „reales"
Sein, unter Gegenständen reale Gegenstände zu verstehen, dem
wird die Rede von allgemeinen Gegenständen und ihrem Sein als
grundverkehrt erscheinen; dagegen wird hier keinen Anstofs finden,
wer diese Reden einfach als Anzeigen für die Geltung (sei es nur
für die supponirte Geltung) gewisser ürtheile nimmt, bzw. sie als
Correlate für die Subjecte dieser ürtheile fafst. Logisch betrachtet
sind die sieben regelmäfsigon Körper sieben Gegenstände, ebenso
wie die sieben Weisen; der Satz vom Kräfteparallelogramm ein
Gegenstand sogut wie die Stadt Paris.'
§ 32. Die Idealität der Bedeutungen keine Idealität im normativen iSinn.
Die Idealität der Bedeutungen ist ein besonderer Fall der
Idealität des Specifischen überhaupt. Sie hat also keineswegs den
'■ Bezüglich der Frage oach dem Weseu der allgemeinen Oegeostände
vgl. die Untersuchung II.
102 /. Atisdruck und Bedeutung.
Sinn der normativen Idealität, als ob es sich um ein Voll-
kommenheitsideal, um einen idealen Grenzwerth handelte, der
gegenübergesetzt wird den Einzelfällen seiner mehr oder minder
angenäherten ßealisinmg. (Jewifs, der „logische Begriff", d. i. der
Terminus im Sinne der normativen Logik, ist hinsichtlich seines
Bedeutens ein Ideal. Denn die Forderung der Erkeimtniskunst
lautet: „Gebrauche die Worte in absolut identischer Bedeutung;
schliefse alles Schwanken der Bedeutungen aus. Unterscheide die
Bedeutungen und sorge für die Erhaltung ihrer Unterschiedenheit
im aussagenden Denken durch sinnlich scharf unterschiedene Zeichen".
Aber diese Vorschrift bezieht sich auf das, was einer Vorschrift
nur unterliegen kann, auf die Bildung bedeutsamer Termini, auf
die Fürsorge für die subjective Aussonderung und den Ausdruck
der Gedanken. Die Bedeutungen „an sich" sind, wie immer das
Bedeuten schwankt (gemäls dem schon Erörterten) specifische Ein-
heiten; sie selbst sind nicht Ideale. Die Idealität im gewöhnlichen,
normativen Sinne schlieist die Realität ein. Das Ideal ist ein
concretes Urbild, das sogar als wirkliches Ding existiren und vor
Augen stehen kann: wie wenn sich der Kunstjünger die Werke
eines grofsen Meisters als Ideale vorsetzt, welchen er in seinem
Schaffen nachlebt und nachstrebt. Und selbst wo das Ideal
nicht realisirbar ist, da ist es mindestens in der Vorstellungs-
intention ein Individuum. Die Idealität des Specifischen ist hin-
gegen der ausschliefsende Gegensatz zur Realität oder Individualität;
es ist kein Ziel möglichen Strebens, seine Idealität ist die der
„Einheit in der Mannigfaltigkeit"; nicht die Species selbst, sondern
nur das unter sie fallende Einzelne ist eventuell ein practisches
Ideal.
§ 33. Die Begriffe „Bedeutung" und „Begriff" im Sinne
von Species decken sich nicht.
Die Bedeutungen bilden, sagten wir, eine Klasse von „all-
gemeinen Gegenständen" oder Species. Zwar setzt jede Species,
wenn wir von ihr sprechen wollen, eine Bedeutung voraus, in
der sie vorgestellt ist, und diese Bedeutung ist selbst wieder eine
äpecies. Aber es ist nicht etwa die Bedeutung, in der eine Species
Bdacht ist, und ihr Gegenstand, die Species selbst, ein und
dasselbe. Genau so wie wir, im Gebiet des Individuellen z. B.
zwischen Bismarck selbst und den Vorstellungen Ton ihm, etwa
Bistnarck; der gröfste deutsche Staatsmann; u. dgl. unterscheiden,
so unterscheiden wir auch im Gebiet des Specifischen beispiels-
weise zwischen der Zahl 4 selbst und den Vorstellungen (d. i. Be-
deutungen), welche die 4 zum Gegenstande haben, wie etwa die
Zahl 4; die x weite gerade Zahl irt der Zahlenreihe; n. s. f. Also
die Allgemeinheit, die wir denken, löst sich nicht in die All-
gemeinheit der Bedeutungen auf, in denen wir sie denken. Die
Bedeutungen, unbeschadet dafs sie als solche allgemeine Gegen-
stände sind, zerfallen hinsichtlich der Gegenstände, auf die sie
sich bezielien, in individuelle und specielle, oder — wie wir
aus leicht verständlich™ sprachlidien Gründen lieber sagen werden —
in generelle. Also sind z. B. die individuellen Vorstellungen
als Bedeutungseiaheiten Generalia, während ihre Gegenstände
Individualia sind.
I
§ 34. Im Acte des Bedeutens wird die Bedeutung nicht
gegenständlich beurufst.
Der einheitlichen Bedeutung entspricht, sagten wir, im ac-
tuellen Be<leiitungserlebiiis ein individueller Zug als Einzelfall
jener Species: sowie ilor spectfischon Differenz Röthe im rothen
Gegenstand das Rothmoment entspricht. Vollziehen wir den Act,
und leben wir gleichsam in ihra, so meinen wir natürlich seinen
Gegenstand und nicht seine Bedeutung. AVenn wir z. B. eine
Aussago machon, so urtlicilen wir über die botrcÖende Sache und
nicht über die Bedeutung des Aussagesatzes, über das ürtheil im
logischen Sinne. Dieses wird uns erst gegenständlich in einem
reflectiven üenkact, in dem wir nicht blofs auf die vollzogene
Aussage zurückblicken, sondern die erfonlerliclie Abstraction (oder
besser gesagt Ideation) vollziehen. Diese logische Refle.xion ist
nicht etwa ein Actus, der unter künslicheii Bedingungen, also
ganz ausnahmsweise statthat; sondern er ist ein normales Bestand-
i
stück des logischen Denkens. Was dieses eharakterisirt, ist der
theoretische Zusammenhang und das auf ihn abzielende theoretische
Erwägen, welches sich in schrittweisen Reflexionen auf die Inhalte
der eben vollzogenen Denkacte constituirt Als Beispiel kann uns
eine sehr gemeine Form des denkenden Erwägens dienen: „Ist SP?
Das könnte wol sein. Aus diesem Satze würde aber folgen,
dass M sei. Dieses kann nicht sein; also nuifs auch, was ich
zuerst für möglich hielt, nämlich dafs SP sei, falsch sein u-s-w."
Man aclite auf die betonten Worte und die in ihnen ausgedrückten
Ideiruugen. Dieser Satz, dafs S P ist, welcher durch die Er-
wägung als das Thema hindurchzieht, ist offenbar nicht blofs das
flüchtige Bedeutungsmoment in dem ersten Denkacte, wo uns der
Gedanke zuerst auftauchto, sondoris in den weiteren Schritten
wird die logische Reflexion vollzogen, es ist weiterhin fortgesetzt
die Satzbedoutung gemeint, die wir im einheitlichen üonkzusanimen-
hange ideirend und identificirend als dieselbe und Eine auffassen.
Ebenso verhält es sich überall da, wo sich eine einheitliche theo-
retische Begründung abwickelt. Wir können kein also aussprechen,
ohne dafs ein Hinblick auf den Bedeutungsgehalt der Prämissen
statthätte. Indem wir die Prämissen urtheilen, leben wir nicht nur
in den Urtheilen, sondern wir rctlectiren auf die ürtheilsinhalte;
nui' im Hinblick auf sie erscheint der Schlulssatz motivirt. Eben
dadurch und dadurch allein kann die logische Form der Prämissen-
sätze (die alleidings nicht zu derjenigen allgemein-begrifl'lichen
Abhebung kommt, welche in den Schlufsformeln ihren Ausdruck
findet) einsichtig bestimmend werden auf die Folgerung des Schlufs-
satzes.
§ 35. Bedeutungen ,,an sich" und ausdrückliche Bedeutungen.
Wir haben bisher vorzugsweise von Bedeutungen gesprochen,
die, wie der normaler Weise relative Sinn des Wortes Bedeutung
es schon besagt, Bedeutungen von Ausdrücken sind. An sich be-
steht aber kein nothwendiger Zusammenhang zwischen den idealen
Einheiten, die factisch als Bedeutungen fungiren, und den Zeichen,
an welche sie gebunden sind, d. h. mittels welcher sie sich im
Der phänomenoloffiache u. ideale Inhalt d. Bedeutungserlebnisse. 105
menschlichen Seelenleben realisiren. Wir können also auch nicht
behaupten, dafs alle idealen Einheiten dieser Art ausdrückliche Be-
deutungen sind. Jeder Fall einer neuen Begriffsbildung belehrt
uns, wie sich eine Bedeutung realisirt, die vorher noch nie realisirt
war. Wie die Zahlen — in dem von der Arithmetik voraus-
gesetzten idealen Sinne — nicht mit dem Acte des Zählens ent^
stehen und vergehen, und wie daher die unendliche Zahlenreihe
einen objectiv festen, von einer idealen Gesetzlichkeit scharf um-
grenzten Inbegriff von generellen Gegenständen darstellt, den
Niemand vermehren und vermindern kann; so verhält es sich auch
mit den idealen, rein -logischen Einheiten, den Begriffen, Sätzen,
Wahrheiten, kurz den logischen Bedeutungen. Sie bilden einen
ideal geschlossenen Inbegriff von generellen Gegenständen, denen
das Gedacht- und Ausgedrücktwerden zufällig ist Es gibt also
unzählige Bedeutungen, die im gewöhnlichen relativen Sinne des
Wortes blois mögliche Bedeutungen sind, während sie niemals
zum Ausdruck kommen und vermöge der Schranken menschlicher
Erkenntniskräfte niemals zum Ausdruck kommen können.
IL
Die ideale Einheit der Species nnd die neueren
Abstractionstheorien.
Einleitung,
Die ideale Einheit der Bedeutung erfassen wir, gemäls den
Erörterungen der letzten Untersuchung, im Hinblick auf den
Aetcharakter des Bedeutens, welches in seiner bestimmten Tinction
das Bedeutungsbewufstsein des gegebenen Ausdrucks von dem eines
bedeutungsverschiedenen unterscheidet. Damit soll natürlich nicht
gesagt sein, dafs dieser Aetcharakter das Concretum sei, auf dessen
Grunde sich die Bedeutung als Species für uns constituirt Das zu-
gehörige Concretum ist vielmehr das ganze Erlebnis des verstandenen
Ausdrucks, dem jener Charakter als beseelende Tinction einwohnt
Das Verhältnis zwischen der Bedeutung und dem bedeutenden Aus-
druck, bezw. seiner Bedeutungstinction , ist dasselbe, wie etwa das
Verhältnis zwischen der Species Roth und dem rothen Gegenstande
der Anschauung, bezw. dem an ihm erscheinenden Rothmoment.
Indem wir das Roth in specie meinen, erscheint uns ein rother
Gegenstand, und in diesem Sinne blicken wir auf ihn (den wir
doch nicht meinen) hin. Zugleich tritt an ihm das Rothmoment
hervor, und insofern können wir auch hier wieder sagen, wir
blickten darauf hin. Aber auch dieses Moment, diesen individuell
bestimmten Einzelzug an dem Gegenstande meinen wir nicht, wie
wir es z. B. thun, -wenn wir die phänomenologischo Bemerkung
aussprechen, die Rothmomente der disjuncten Fliicheutlieile des
erscheinenden Gegenstandes seien ebenfalls disjunct Während der
rothe Gegenstand und an ihm das gehobene Rothnioraent erseheint,
meinen wir vielmehr das eine identische Koth, und wir meinen
es in einer neuartigen BewuTstseins weise, durch tue uns eben die
Species statt des Individuellen gegenständlich wird. Das Ent-
sprechende wäre also auf die Bedeutung im Verhältnis zum Aus-
druck und seinem Bedeuten zu übertragen, gleichgiltig ob er auf
correspondircnilo Anschauung bezogen 'ist, oder nicht.
Die Bedeutung als Species erwächst also auf dem angegebenen
Untergrunde durch Abstraction; aber freilich nicht durch
Abstraction in jenem uneigentlichen Sinn, der die empirislische
Psychologie und Erkenntnistheorie belieri-scht, und der das Speci-
fische gar nicht zu fassen vermag, ja dem man es als Verdienst
anreclinet, dafs er dies nicht thut. Für eine philosophische Grund-
legung der reinen Logik kommt die Abstractionsfrage doppelt in
Betracht. Einmal, weil unter den kategorialen Unterscheidungen
der Bedeutungen, welche die reine Logik wesentlich zu berück-
sichtigen hat, sich auch die Uutoi'scbeidung findet, welche dem
Gegensatz der individuellen und idlgenieinen Gegenstände ent-
spricht. Fürs Zweite aber und ganz besondere darum, weil die
Bedeutungen überhaupt — niul zwar Bedeutungen im Sinne von
specifischen Einheiten — die Domäne der reinen Logik bilden,
und somit jede Verkennung des Wesens der Species sie selbst
nach ihrem eigenen Wesen treffen mufs. Es wird daher nicht
unthunlich sein, gleich hier in der einleitenden Reihe von Unter-
suchungen das Abstractionsproblem in Angriff zu nehmen und mit der
Vertheidigung der Eigenberecbtigung der specifischen (oder idealen}
Gegenstände neben den individuellen (oder realen) das Haupt-
fundament für die reine Logik und Erkenntnislehre zu sichern.
Dies ist der Punkt, an dem sicii der relativistische und empiristischo
Psychologismus von dem Idealismus unterscheidet, welcher die
einzige Möglichkeit einer mit sich einstimmigen Erkenotnisthoorie
darstellt.
Natfirlieh meint hier die Re<le von Idealismus keine meta-
physisclie Doctrin, sondern die Form der Erkemituistlieorie, welche
das Ideale als Bedingung der Möijliehkeit objectiver Erkenntnis über-
haupt anerkennt und uicht psychologistisch wegdeutet
Erstes Kapitel.
Die allgemeinen Gregenstände und das
AllgemeiuheitsbewurBtsein.
§ I. Die aUgemeinen Geyenslämle werden uns in wesentlich anderen
Acten beii'ußt ah die individuelten.
Unsere eigene Position haben wir oben schon mit einigen
Worten bezeichnet Es sollte nicht sehr weiter AnsfiiJirungen be-
dürfen, um sie zu rechtfertigen. Uenn Alles, wofür wir einstehen —
die Celtiiiig des Unterschiedes zwisclieu specifisehen iintl indivi-
duollen Gegenständen und die unterschiedene Weise des Vor-
stellens, in der uns die einen und nnderen Gegenstände zum klaren
Bewufstsein kommen — ist uns durch Evidenz verbürgt Und
diese Evidenz ist mit der Klärung der bezüglichen Vorstellungen
von selbst gegeben. Wir brauchen blofs auf die Fälle zurück-
zugeben, in welchen sich individuelle oder specifische Vorstellungen
intuitiv erfütlon, und wir gewinnen die lichtvollste Klariieit damber,
was für Gegenstände sie eigentlich meinen, und was in ihrem
Sinne als wesentlich gleichartig oder verschieden zu gelten hat
Die Reflexion auf die beiderseitigen Acte bringt uns dann vor
Augen, ob in der Weise, wie sie sich vollziehen, wesentliche Unter-
schiede bestehen, oder nicht
In letzterer Hinsicht lehrt nun die vergleichende Betrachtung,
dafs der Act, in dem wir Specifisches meinen, in der That wesent-
lich verschieden ist von demjenigen, in dem wir Individuelles
meinen; sei es nun, dafs wir im letzteren Falle ein Concretum als
Ganzes, oder duTs wir an ihm ein individuelles Stück oder ein
I
individuelles Merkmal meinen. GewiTs besteht beiderseits auch
eine gewisse phänomenale Gemeinsamkeit. Beidei'seits erscheint
ja dasselbe Concretum, und indem es erscheint, sind beiderseits
dieselben sinnlichen Inhalte in derselben Auffassungsweise ge-
geben; d. h. derselbe Belauf actuell gegebener Empfindungs- und
Phantasieinhalte unterliegt derselben „Auffassung" oder ^.Deutung",
in welcher sich für uns die Ersciieinung des Gegenstandes mit
den durch jene Inhalte präsentirten Beschaffenheiten constituirt.
Aber die gleiche Erscheinung trägt beiderseits verschiedene Acte.
Das eine Mal ist die Ei"sebeiuung die Vorstellungsgrundlage für
einen Act individuellen Meinens, d. h. für einen solchen Act,
in dem wir das Erscheinende als dieses Ding, als dieses Merkmal
oder dieses Stück im Dinge meinen. Das andere Mal ist sie
Vorstellungsgrundlage für einen Act specialisirenden Meinens;
d. h. während das Ding, oder vielmehr das Merkmal am Dinge
erscheint, meineu wir nicht dieses gegonstiindliebo Merkmal, dieses
Hier und Jetzt, sondern wir meinen seinen Inhalt, seine „Idee";
wir meinen nicht dieses Rothmoment am Hause, sondern das Roth.
Und wie durch den Charakter dieser Betrachtungsweise die Species
als der allgemeine Gegenstand dasteht, so erwachsen, innig damit
zusammenhängend, Bildungen der Art, wie ein Rothes (d.i. einen
Fall von Rotli in sich Habendes), dieses Roth (das Roth dieses
Hauses) u. dg!. Es tritt das primitive Verhältnis zwischen Species
und Einzelfaü hervor, es erwächst die Möglichkeit, eine Mannigfaltig-
keit von Einzelfällen vergleichend ku überschauen und eventuell
mit Evidenz zu urtheilen: In allen Fällen sei das individuelle
Moment ein anderes, aber „in" jedem sei dieselbe Species realisirt;
dieses Roth sei dasselbe wie jenes Roth — nämlich specifisch be-
trachtet, sei es dieselbe Farbe — und doch wieder sei dieses von
jenem verschieden — nämlich individuell betrachtet, sei es ein
verschiedener gegenständlicher Einzelzug. Wie alle fundamentalen
erkenntnistlieoretischen Unterschiede, ist auch dieser kategorial.
Er gehört zur „Form des Bewulstseins". Sein „Ursprung" liegt
in der „Bewufstseinsweise", nicht in der wechselnden ^Materie
der Erkenntnis".
§ 2. Unenthehrlichkeit der Rede von allgemeinen Oegenständen.
Die Excesse des Begriflsrealismus haben es mit sich gebracht,
dafs man nicht nur die Realität, sondern auch die Gegenständ-
lichkeit der Species bestritten hat Gewifs mit Unrecht. Die Frage,
ob es möglich und notLweodig sei, die Species als Gegenstände
zu fassen, kann offenbar nur dadurch beantwortet werden, dafis
man auf die Bedeutung (den Sinn, die Meinung) der Namen zurück-
geht, welche Species nennen, und auf die Bedeutung der Aus-
sagen, welche für Species Geltung beanspruchen. Lassen sich
diese Namen und Aussagen so interpretiren, bezw. Uifst sich die
Intention der ihnen Bedeutung gebenden nominalen und proposi-
tionalen Gedanken so verstehen, dafs die eigentlichen Gegenstände
der Intention individuelle sind, dann müssen wir die gegnerische
Lehre zulassen. Ist dies aber nicht der Fall, zeigt es sieh bei
der BedeutungsanaJjse solcher Ausdrücke, dtds ihre directe und
eigentliche Intention evidentermafson auf keine individuellen Ob-
jecto gerichtet ist, und zeigt es sich zumal, dafs die ihnen zu-
gehörige Allgemeinheitsbeziehung auf einen Umfang individueller
Objecto nur eine indirecte ist, auf logische Zusammenhänge hin-
deutend, deren Inhalt (Sinn) sich erst in neuen Gedanken entfaltet
und neue Ausdrücke erfordert — so ist die gegnerische Lehro
evident falsch. In Wahrheit ist es nun durchaus unvermeidlich
zwischen individuellen Einzelheiten zu unterscheiden, wie es
z. B. die empirischen Dinge sind, und specifischen Einzelheiten,
wie es die Zahlen und Mannigfaltigkeiten in der Mathematik, die
Vorstellungen und Urtheile (die Begriffe und Sätze) der reinen
Logik sind. Zahl ist ein Begriff, der, wie wir mehrfach betonten,
als Einzelheiten 1, 2, 3, . . . unter sich fafst. Eine Zahl ist
z. B. die Zahl 2, nicht irgendeine Gruppe von zwei individuellen
Einzelobjecten. Meinen wir diese, und sei es ganz unbestimmt,
so müssen wir es auch sagen, und jedenfalls ist dann mit dem
Ausdi-uck der Gedanke geändert
Dem Untei-schied der individuellen und specifischen Einzel-
heiten entspricht der nicht minder wesentliche der individuellen
I
and specifischen Allgeraeinheiten (Universalität). Diese Untorschiode
übertragen sich ohne Weiteres auf das Uitheilsgebiot und durch-
setzen die ganze Logik: die singulären Urtheile zerfallen in indi-
viduell singulare, wie Sokrates ist ein Metisch, und specifisch
singulare, wie 2 ist eine gerade Zihl, rundes Viereck ist ein
widersinniger Begriff; die universellen Urthoilo in individuell-
universelle wie alle Mensehen sind sterblich un<l specifisch -uni-
verselle, wie alle analytischen Functionen sind differenxiirbar ,
alle rein- logischen Sätxe sind apriorisch.
Diese und ähnliche Untei-schiedo sind schlechterdings nicht
auszugleichen. Es liandelt sich nicht um blofs abkürzende Aus-
drücke; denn sie sind durch keine Umständlichkeiten der Um-
schreibung zu beseitigen.
Im Uebrigen kann man sich an jedem Beispiele durch Augen-
schein überzeugen, dals eine Species in der Erkenntnis wirklich
zum Gegenstande wird, und dafs in Beziehung auf sie Urtheile
von denselben logischen Formen möglich sind, wie in Beziehung
auf individuelle Gegenstände. Nelinien wir ein Beispiel aus der
uns besonders interessirendcn Gruppe. Lügische Vorstellungen,
einheitliche Bedeutungen überhaupt, sind, sagten wir, ideale Gegen-
stände, mögen sie selbst nun Allgemeines oder Lidividuelles vor-
stellen. Z. B. die Stadt Berlin als der identische Sinn im wieder-
holten Reden und Meinen; oder die directe Vorstellung des
pythagoreischen Lehrsatzes, dessen Ausspruch wir nicht explicite
hersetzen müssen; oder auch diese Vorstellung der Pythagoreische
Lehrsatz selbst.
Wir auf unserem Standpunkt würden darauf hinweisen, wie
jede solche Bedeutung im Denken zweifello.s als Eiidieit gilt und
über sie unter Umstünden sogar mit Evidenz einlieitlicli gourtheilt
wird: sie kann mit anderen Bedeutungen verglichen und von ihnen
unterschieden werden; sie kann das identische Subject für vielerlei
Prädicate, der identische Bezioluingspunkt in mannigfaltigen Re-
lationen sein; sie kann mit anderen Bedeutungen euliigirt und als
Einheit gezählt werden; als identische ist sie selbst wieder Gegen-
stand in Bezug auf mannigfaltige neue Bedeutungen — all das
genau so wie andere Gegenstände, die nicht Bedeutungen sind,
wie Pferde, Steine, psychische Acte u. s. f. Nur weil die Be-
deutung ein Identisches ist, kann sie wie ein Identisches behandelt
werden. Dies gilt uns als ein unanfechtbares Argument, und es
gilt natürlich für alle speciGschen Einheiten, auch für diejenigen,
welche Nicht- Bedeutungen sind.
I
§ 3. Ob die Eüüieü der Species als eine imeigentliehe xu verstehen ist.
IdenlitiU und Gleichheil.
Während wir die strenge Identität des Specifischen im Sinne
der alten Tradition aufrecht halten wollen, stützt sich die hen-schende
Lehre auf die weite Verbreitung uneigentlicher Reden über Identität.
Bei gleichen Sachen sprechen wir oft genug von derselben Sache.
Wir sagen z. B. derselbe Sehrank, derselbe Rock, derselbe Hut,
wo Erzeugnisse vorliegen, die nach demselben Muster gearbeitet,
einander vollkommen gleichen, d. h. in allem gleichen, was uns
bei Dingen solcher Art von Interesse ist. In diesem Sinn spricht
man von derselben üeberxeu/fung , demselben Zweifel, derselben
Frage, demselben Wunsch u. s. w. Solche Uneigentliehkeit, meint
man, liege auch bei der Rede von derselben Speeies und im Be-
sonderen bei der Rede von derselben Bedeutung vor. Im Hinblick
auf ein überall gleiches Bedeutungserlebnis spreclien wir von
derselben Bedeutung (von demselben Begriff und Satx), im Hin-
blick auf eine überall gleiche Färbung von demselben Roth (dem
Roth im Atlgeraeincn), demselben Blau u. s. w.
Gegen dieses Argument wende ich ein, dafs die uneigentliche
Rede von der Identität bei gleichen Dingen, eben als eine uneigent-
liche, auf eine entsprechende eigentliche zurückweist; damit aber
auf eine Identität. Thatsäclilich finden wir, wo immer Gleichheit
besteht, auch eine Identität im strengen und wahren Sinne. Wir
können zwei Dinge nicht als gleiche bezeichnen, ohne die Hin-
sicht anzugeben, in der sie gleich sind. Die Hinsicht, sagte ich,
und hier liegt die Identität Jede Gleichheit hat Beziehung auf
eine Species, der die Verglichenen unterstehen; und diese Species
ist beiderseits nicht abennals ein blolJä Gleiches und kann es nicht
I
sein, da sonst der verkehrteste reffressus in infinitnm tinvemieid-
lich wäre. Indem wir die Hinsiciit der Verf^leichung bezeichnen,
weisen wir mittels eines allgemeineren Gattungsterminus auf den
Kreis von specifischen Differenzen hin, in dem sich die in den
verglichenen Gliedern identisH» auftretende findet. Sind zwei Dinge
gleich hin.'iichtlich der Form, so ist die betreffende Formspecies
das Identische; sind sie gleich hinsichtlich der Farbe, so ist es
die Farbenspecies u. s. w. Allerdings ist nicht jede Species im
Worte eindeutig ausgeprägt, und so wird es gelegentlich am
passenden Ausdruck dor Hinsicht mangeln, es wird violleicht schwer
sein, sie klar anzugeben; aber wir haben .sie doch im Auge und
sie bestimmt unsere Rede von der Gleichheit. Natürlich würde
es uns als eine Umkehrung des wahren Sachverhaltes erscheinen,
wollte man, und sei es nur auf sinnlichem Gebiet, Identität als
Gronzfall der Gleichheit essentiell definiren. Identität ist absolut
undetinirbar, nicht aber Gleichheit. Gleichheit ist das Verhältnis
der Gegenstände, welche einer und derselben Species unterstehen.
Ist es nicht mehr erlaubt von der Identität der Species zu sprechen,
von der Hinsicht, in welcher Gleichheit statthat, so verliert auch
die Rede von der Gleicliheit ihren Boden.
§ 4. Eimoände gegen die Reduction der ideakn Einheil auf die
xerstreute Mannigfaltigkeit.
Auch auf Anderes lenken wir die Aufmerksamkeit. Will
Jemand die Rede von dem Einen Attribut irgendwie auf den Be-
stand gewisser (»leichheitsrolationen zurückführen, so geben wir
den in der folgenden Gegenüberstellung hervortretenden Unter-
schied zu bedenken. Wir vergleichen:
1. Unsere Intention, wenn wir irgendeine Gruppe von Ob-
jecten in anschaulicher Gleichheit einheitlich auffassen, oder
wenn wir ihre Gleichheit mit einem Schlage als solche erkennen;
oder auch, wenn wir in einzelnen Acten der Vergleichung
die Gleichheit eines bestimmten Objectes mit den einzelnen übrigen
nnd schliefslich mit allen Objecten der Gruppe erkennen.
Baiacrl, Vog. Unters. U.
8
2. Unsere Intention, wenn wir, vielleicht sogar auf Grund des-
selben anschaulichen Untergrundes, das Attribut, welches die Hin-
sicht der Gleichheit, bezw. der Vergleichung ausmacht, als eine
ideale Einheit erfassen.
Es ist evident, dafs beiderseits das Ziel unserer Intention, das
Gegenstand liehe, welches geraeint und als Subject unseres Aussagens
genannt ist, ein total Verschiedenes ist. Wieviele gleiche Objecto
uns in der Anschauung oder Vergleichung vorschweben mögen:
sie und ihre Gleichheiten sind im zweiten Falle sicher nicht gemeint.
Gemeint ist das „Allgemeine", die ideale Einheit und nicht diese
Einzelneu und Vielen.
Die beiderseitigen intentionalen Sachlagen sind nicht nur
logisch, sondern auch psychologisch durchaus verschieden. Im
zweiten Falle ist überhaupt keine Gleichheitsunschauung oder gar
eine Vergleichung erforderlich. Ich erkenne dieses Papier als
Papier und als weiXs und bringe mir biebei den allgemeinen Sinn
der Ausdrücke Papier und Weifs überhaupt zur Klarheit, oline
irgendwelche Gloichheitsansehauungen und Vergleichungen voll-
ziehen zu müssen. Uobrigens mag man sagen, dafs die begrift-
lichen Vorstellungen psychologisch nie entstanden wären, ohne das
Zusammonerscheinon gleicher und durch die Gleichheit in anschau-
liche Beziehung tretenden Objecte. Aber diese psychologische That-
sache ist doch hier ganz irrelevant, wo die Frage schwebt, als
was das Atti-ibut in der Erkenntnis gilt und mit Evidenz zu
gelten hat
Es ist schliefslich auch klar, dafs wenn man die Intention
auf eine Species verständlich machon will durch ein wie iuuner
gefafstes Vorstellen von Einzelheiten aus Gleichheitsgruppon, die
jeweils vorgestellten Einzelheiten nur einige wenige Glieder der
Gruppen umfassen, also nie den ganzen Umfang erschöpfen können.
Man wird daher fragen dürfen, was denn die Einheit des üm-
fanges hei'stellt, was sie für unser ßowufstsein und Wissen mög-
lich macht, wenn uns die Einheit der Species fehlt und zugleich
mit ihr die Denkform der Allheit, die ihr Beziehung gibt auf die
gedanklich vorgestellte (im Sinne des Ausdrucks AUbeit der A
gemeinte) Allheit. Der Hinweis auf ^dasselbe" überall gemein-
same Moment, kann natürlich nichts helfen. Es ist numerisch so
vielmnl lia, als einzelne Objecte des ümfangs vorstellig sind. Wie
soll einigen, was selbst der Einigung erst bedarf?
Auch die objective Möglichkeit, alle Glieder des ümfanges als
miteinander gleich zu erkennen, kann nichts helfen; sie kann
dem Umfang für unser Denken und Erkennen nicht Einheit geben.
Diese Möglichkeit ist ja für unser Bewufstsein nichts, wenn sie
nicht gedacht und eingesehen ist Aber einerseits ist dabei der
Gedanke der Einheit des ümfanges schon vorausgesetzt; und an-
dererseits steht sie selbst uns dann als ideale Einheit gegenüber.
Offenbar mufs überhaupt jeder Vorsuch, das Sein des Idealen in
ein mögliches Sein von Realem umzudeuten, daran scheitern, dafs
I Möglichkeiten selbst wieder ideale Gegenstände sind. So wenig in
aller Welt Zahlen im Allgemeinen, Dreiecke im Allgemeinen zu
finden sind, so wenig auch Möglichkeiten.
Die empiristische Auffassung, welche die Annahme der speci-
fischen Gegenstäude durch Rückgang auf ihren Umfang ersparen
will, ist also undurchführbar. Sie vermag uns nicht zu sagen,
was dem Umfang Einheit giebt. Folgender Einwand macht dies
noch besonders klar. Die bestrittene Auffassung operirt mit „Aehn-
lichkeitskreisen", nimmt aber die Schwierigkeit etwas zu leicht,
dafs jedes Object in eine Vielheit von Aehnlichkeitskreisen hinein-
gebort, und dafs nun die Frage beantwortet werden mufs, was
diese Aehnlichkeitskreiso selbst voneinander scheidet. Man sieht
ein, dafs ohne die schon gegebene Einheit der Species ein
reff^ressiis in infinitum unvermeidlich wäre. Ein Object A ist
älmiich anderen Objecten; den einen nach dem Gesichtspunkt ß,
den anderen nach dem Gesichtspunkt b u. s. w. Der Gesichts-
punkt selbst soll aber nicht besagen, dafs eine Species da ist,
welche Einheit schafft. Was macht also z. B. den durch Rüthe
bedingten Aehnlicbkeitskreis einheitlich gegenüber dem durch
Dreieckigkeit bedingten? Die empiristische Auffassung kann nur
sagen: es sind diffei-ente Aehnlichkeiten. Sind A und B hinsicht-
8»
116 II. Die ideale Einheit der Species.
lieh des Roth ähnlich, und sind Ä und ü hinsichtlich der Dreieckig-
keit ähnlich, so sind diese Aehnlichkeiten verschiedenartige. Aber
da stofsen wir ja wieder auf Arten. Die Aehnlichkeiten selbst
werden verglichen und bilden Gattungen und Arten, wie ihre
absoluten Glieder. Wir mülsten also wieder auf die Aehnlich-
keiten dieser Aehnlichkeiten zurückgehen und so in infinitum.
§ 5. Fwtaetxung. Der Streu xwischen J. St. Mill und H. Spencer.
''afe die psychologistische Auffassungsweise, welche die Einheit
. r Species in die Mannigfaltigkeit unter sie fallender Gegenstände
zersplittert, nicht ohne Schwierigkeiten sei, hat man allerdings oft
genug gefühlt; aber bei ihrer Lösung beruhigte man sich allzu
früh. Es ist interessant zu beobachten, wie J. St. MUiL,* im
Widerstreit mit seiner psychologistischen Doctrin, die Rede von der
Identität des Attributs festzuhalten und Spencer gegenüber zu
rechtfertigen sucht, der, hierin consequenter, nur die Rede von
völlig gleichen Attributen zulassen will.* Der Anblick ver-
schiedener Menschen erweckt in uns nicht identische, sondern nur
völlig gleiche Sinnesempfindungen, und so sollte, meint Spencer,
auch das Menschenthum in jedem Menschen als ein verschiedenes
Attribut bezeichnet werden. Dann aber auch, so wendet nun
MiLi. ein, 'das Menschenthum desselben Menschen in diesem Augen-
blick und eine halbe Stunde später. Nein, sagt er', „wenn jede
allgemeine Vorstellung nicht als das ,Eine im Mannigfaltigen' be-
trachtet werden soll, sondern als ebenso viele verschiedene Vor-
stellungen, als es Dinge giebt, auf welche sie anwendbar ist, so
würde es keine allgemeinen Ausdrücke geben. Ein Name hätte
überhaupt keine allgemeine Bedeutung, wenn Mensch in seiner
Anwendung auf Hans ein Ding für sich, und angewendet auf
' Mill's Logik Bnch II. Kap. II. § 3 Schla&anmerkuiig. (Gohpirz' üeber-
setzung V. 185 f.)
' Vgl. Spenoeb Psychologie ü. § 294. Anm. (TJebersetzung von Victter
n. 69f.)
* A. a. 0. a 186.
Die aUgevteinen Gegenstände u. das AllgemeM
aein. 117
Peter wieder ein anderes Ding, wenn auch ein durchaus ähnliches,
bezeichneu sollte."
Der Eiuwaud ist richtig, trifft aber nicht weniger die eigene
Lehre Mill's. Helfet es doch einige Zeilen weiter: „Die Bedeu-
tung eines jeden allgemeinen Namens ist eine äul'sore oder innere
Erscheinung, die im letzten Grunde aus Gefühlen besteht, und
diese Gefühle, wenn ihr Zusammenhang einen Augenblick unter-
brochen würde, sind nicht mehr dieselben Gefühle im Sinne
individueller Identität". Ueber diese hier so scharf bezeichnete
Schwierigkeit glaubt Hill leicht hinwegkommen zu können. „Was
ist denn nun'", fi'agt er, „das gemeinsame Etwas, welches einem
allgemeinen Namen seine Bedeutung giebl? SpK.\CEat kann nur
sagen, es ist die Aehnlichkeit der Gefühle, und ich erwidere: Das
Attribut ist eben diese Aehnlichkeit. Die Namen der Attribute
sind in letzter Auflösung Namen für die Aehnlichkeiten
unserer Sinnesompfindungon (oder anderer Gefühle). Jeder
allgemeine Name, ob nun abstracter oder concreter Art bezeichnet
odoi' bezeichnet mit eine oder mehrere dieser Aehnlichkeiten."*
Eine sonderbare Lösung. Also die „Mitbezoichnung" besteht
nicht mehr aus Attributen im gewöhnlichen Sinn, sondern aus
diesen Aehnlichkeiten. Aber was ist durch diese Umschaltung
erreicht? Jede solche Aehulichkeit meint ja nicht das individuelle
und momentane fceliiig von Aehnlichkeit, sondern das identische
„Eine im Mannigfaltigen'', womit eben das vorausgesetzt ist, was
wegerklärt werden sollte. Natürlich ist auch nicht etwa eine Kc-
duction auf eine kleinere Zahl solcher Unerklärlichkeiten geleistet
Entspricht doch jedem verschiedenen Attribut eine verschiedene
dieser Aehnlichkeiten. Aber inwiefern dürfen wir eigentlich nur
je von Einer Aehnlichkeit sprechen, da doch jedem einzelnen
Vergleichsfatl eine besondere Aelm^lichkeit entspricht, also zu
jedem Attribut eine unbegrenzte Anzahl von möglichen Aehnlich-
keiten geliört? Dies führt auf die oben discutirto Frage nach
dem, was die einheitliche Zusammengehörigkeit aller dieser Aehn-
• A. a. 0. S. 186.
liclikeiten begründen soll, eine Frage, die man nur aufwerfen
inuf's, uni die Verkehrtlieit der relativistischen Auffassung zu er-
kennen.
MiLL selbst fühlt das Bedenkliche seiner Erklärung; denn er
fügt folgende Sätze bei: „Es wird schwerlich in Abrede gestellt
worden, dafs wenn hundert Sinnesemptindungen ununtoi-scheidbar
gleich sind, von ihrer Aehnlichkeit als von einer einzigen und
nicht als von hundert Aehnlichkeiten gesprochen werden sollte,
die blofs eine der anderen ähnlich sind. Die untereinander ver-
glichenen Dinge sind viele, aber das Etwas, das ihnen allen
gemeinsam ist, muls als Eines gefafst werden, gerade sowie
der Name als Einer aufgefalst wird, obwol er, so oft er aus-
gesprochen wii'd, jedesmal numerisch verschiedenen Toneraptinduugen
entspricht." Sondorbare Selbsttiiuschung. Als ob wir durch die
Dekretirnng einer Redeweise bestimmen könnten, ob einer Maniüg-
fulügkeit von Acten Einheit des Gedachten entspricht oder nicht,
und als ob nicht die ideale Einheit der Intention den Roden erst
den einheiüichen Sinn gäbe. Oewife sind der verglichenen „Dinge"
viele, und gewifs niufs das ihnen gemeinsame Etwas als Eines
aufgefafst werden; aber doch nur darum ist es ein Mufs, weil
jenes Etwas eben Eines ist. Und gilt dies von den „Aehnlich-
keiten", so gilt 68 von den unverkleideten Attributen selbst, die
somit von den feeliiigs wesentlich zu imterscheiden sind. Also
darf auch nicht melu' so gesprochen werden, als treibe man Psycho-
logie, wo man Begrifi'e erforscht.
„Der Sheit zwischen Spencer und mir ist, sagt Mii.i, (a. a. 0.
S. 185), blofs ein Wortstreit, denu keiner von uns beiden . . . glaubt,
daJJB ein Attribut ein reales Ding sei, das gogoustündliche Existenz be-
sitzt; wir erblicken daiin nur oiue besondere Art und "Weise, unsere
Sinnesempfinduugen (oder imsere Erwartungen solcher) zu benennen,
angesehen von Seite ihrer Beziehung zu oiDcm äufseren Gegenstiuide,
■r «ie erregt. Die von Si-ekceb augeregte Streitfrage betrifft also nicht
{OUBchaften irgendeines wirklich existireudou Dinges, sondern die
»icUswelse grOfeere oder geringere Eignung zu philosophischen
Zwecken, welche zwei verschiedene Gebrauchsarten eines Namens
besitzen." Natürlich lehren auch wir nicht die Realität dei- Attribut«,
aber wii- foi-dern eine etwas schärfere Analyse dessen, was hinter diesen
„Gebrauchsaiten eines Namens" steckt, und was die „Eignung der
Namen zu iihilosophischen Zwecken" und zum Denken überhaupt bo-
gi-ündct. MiLi. Übersicht, dal's dor eiaheitlii.he Siim eines Namens, und
jedes Ausdruckes, gleichfalls eine speciflsche Einheit ist, und dals
das Problem also nur zurückgeschoben wii-d, wenn man die Einheit
der Species auf Einheit der Wortbedeutung reducirt
§ 6. Ueberleüung lu den folgenden Kapiteln.
Schon in der letzten Betrachtung haben wir uns genöthigt
K gesehen, auf eine gegnerische Auffassung kritische Rücksicht zu
V nehmen. Es handelte sich dabei um eine Gedankenroihe, in der
H alle Formen empiristischer Abstractiunstheorie übereiustimnien,
H wie sehr sie in iinom Inhalt sonst unterschieden sein mögen.
■ Es erscheint aber unerläfslich, der Kritik jetzt einen grölseren
H Spielraum zu gönnen, um unsere Auffassung vom Wesen der all-
H gemeinen Gegenstände und allgemeinen Vorstellungen für die
H prüfende Analyse der verschiedenen Hauptformen neuerer Ab-
H^ stractionstheorie nutzbar zu macheu. Die kritische Nachvveisung
^^^^er Irrtlüimer fremder Auffassungen wird uns Gelegenheit geben,
^^^■nnsere eigene Auffassung ergänzend auszugestalten und zugleich ihre
^^^ Zuverlässigkeit auf die Probe zu stellen.
^^^B Die empinstischo„Abstractionstlieorie"^ leidet, wie die meisten
^^^ Lehrstücke dor neueren Erkeantnisthoorie, unter der Vermengung
^ zweier wesentlich verschiedenen wissenschaftlichen Interessen, von
denen das eine die psychologische Erklärung der Eilebnisse,
das andere die „logische" Aufklärung ihres gedanklichen In-
haltes oder Sinnes und die Kritik ihrer möglichen Erkenntnis-
leistung betriöt In der ersteren Beziehung handelt es sich um
die Nachweisung der empirischen Zusammenhänge, die das ge-
' Mail spriclit hier nicht oben passend von einer Theorie, wo es doch,
noch dem im Text Weiterfulgeudeu , garniobts zu theoretigiren , d. i. zu er-
klären giebt.
120
//. Die ideale Mftfteit der Species.
I
gebene Denkerlebnis mit anderen Thatsachen im Flusse des realen
Geschehens verknüpfen, Thatsachen, die es als Ursachen herbei-
geführt haben, oder auf die es Wirkunj^en ausübt. In der anderen
Beziehung ist es hingegen auf die Analyse der „Begriffe" ab-
gesehen, die zu den Wurton gehören; also um Klärung der Bedeu-
tungen durch evidente Bestätigung ihrer Intention im erfülleuden
Sinn, den wir durch Herbeiholung passender Verbildlichung erst
actualisiren. Jede Abstiactionslehre, die erkenntnistheoretisch,
d. i. erkenntnisklärend sein will, verfehlt von vornherein ihr Ziel,
wenn sie, statt die unmittelbare descriptive Sachlago, in der uns
ispecitisches zum Bewufstsein kommt, zu beschreiben, mittelst ihrer
den Sinn der Attributnamen zu klären, und in weiterer Folge die
vielfachen Mifsdeutiingen, die das Wesen der Species erfahren hat,
zu evidenter Lösung zu bringen — sich vielmehr in psych ologisohe
Analysen des Abstractionsvorganges nach Ursachen und Wirkungen
verliert, ihr Interesse vorwiegend den unbewulsten Dispositionen,
den hypothetischen Associationsverflechtiuigen zuwendet. Gewöhn-
lich finden wir dabei, dafs der wesentliche Kern des Allgemein-
heitsbewulstseins, mit dem die gewünschte Klärung ohne Weiteres
zu leisten ist, gamicht beachtet und bezeichnet wird.
Und ebenso verfehlt eine Abstractionstheorie von vornherein
ihr Ziel, wenn sie zwar ihre Absicht auf das Feld des gelegent-
lich joder actiiellen Abstraction im Bewufstsein Vortindlichen richtet
und somit den Fehler der Vermengung zwischen erkenntiiiskritisch
aufklärender und psychologisch erklärender Analyse meidet; dafür
aber in die andere, zumal durch die Vieldeutigkeit der Rede von
der allgemeinen Repräsentation nahegelegte Verwechslung verfällt,
nämlich in die Verwechslung zwischen phänomenologischer
und objectiver Analyse: Das, was die Acte des Bedeutens ihren
Gegenständen eben nur zudeuten, wird nun den Acten selbst als
reelles Constituons beigemessen. Unvermerkt ist so die vernünftiger
Weise allein mafsgebliche t>phäre des unmittelbar Bewufston wieder
verlassen und alles der Verworrenlieit anheimgegeben.
Die nachfolgenden Analysen werden zeigen, dafiä diese sum-
marische Charakteristik auf die einüulsreichsten neueren Abstrac-
I
Die psycholofjUsche Uyposlasirunij des Altgemeirten.
121
tionstheürien pafst, und dafs dioso in dor That aus den soeben
iin Allgenieineu bezeicbueteu Urütidea ihr Ziel veri'eblen.
Zweites Kapitel.
Die psychologische Eypostasirung des Allgemeinen.
§ 7. Die metaphysische und psychologisehe Hypostasinmg des
AUgeniehun. Der NomiruUismus.
Zwei Mifsdeutungen haben die Entwicklung der Lehren von
den allgemeinen Gegenständen beherrscht. Erstens die mota-
physisclie Hypostasiruag des Allgemeinen, die Annahme einer
realen Existenz von tspecies aufserhalb des Denkens.
Zweitens, die psychologische Hypostasirung des All-
gemeinen, die Annahme einer realen E.vistenz von Species im
Denken.
Gegen die erstere Mifsdeutung, die dem platonischen Realismus
zu Grunde liegt, wendet sich der ältere Nominalismus und zwar
sowol der extreme, wie der conceptuallstischo Nominalismus.
Dagegen hat die Bekämpfung der zweiten Mifsdeutung, speciell in
der Form von Lockk's abstraeten Ideen, die Entwickhing der
neueren Abstractionslehro seit Behjceijey bestimmt und ihr die
entschiedene Neigung zum extremen Nominalismus (den man
gegenwäi'tig schlechtweg als Nominalismus zu bezeicbnen und dem
Conceptualismus gegenüberzustellen pflegt) gegeben. Man glaubte
nämlich, um der Absurdität der abstraeten Ideen Locke's zu ent-
gehen, die allgemeinen üegenstäude als eigenartige Denkeinheiten
und die allgemeinen Vorstellungen als eigenartige Denkacte über-
haupt leugnen zu müssen. Indem man den Unterschied der all-
gemeinen Anschauungen (wohin neben jenen abstraeten Ideen auch
die GemeinbiUler der traditionellen Logik gehören) und der all-
gemeinen Bedeutungen verkannte, verwarf man, wenn auch nicht
dem Wortlaut, so doch dem Sinne nach, diese letzteren „begriff-
122
//. Die ideale Einheil der Speeiea.
liehen Vorstellungen" mit ihrer eigenartigen Vorstelhingsintention
und bciiob iiinen individuelle, nur psychologisch eigenartig fun-
girende Einzelvorstelluiigen unter.
So schlielst sich an jene beiden Mifsdeutungen als dritte die
des Noniiualismus an, der in seinen verschiedenen Formen das
Allgemeine in Hinsicht auf Gegenstand und Denkact in Einzelnes
glaubt umdeuten zu können.
Diese Milsdeutungen müssen wir, soweit sie noch von actiiellem
Interesse sind, der Reibe nach zergliedern. Es liegt in der Natur
der Sache, und schon unsere bisherigen üeberlegungen machen
es ersichtlich, dafs die Streitfragen nach dem Wesen der allge-
meinen Gegenstände und diejenigen nach dem Wesen der allgemeinen
Vorstellungen nicht zu ti-eunen sind. Es ist aussichtslos, die Eigen-
geltung der Rede von allgeraetnon Gegenständen überzeugungs-
kräftig darthun zu wollen, wenn man nicht den Zweifel behobt,
wie solche Gegenstände vuretellig werden können, und in weiterer
Folge, wenn man nicht die Theorien widerlegt, die durch wissen-
schaftliche psychologische Analysen den Nachweis zu führen
schienen, dafs os blol's Einzelvorstellungen giebt, dafs uns somit
nur Eiuzolobjecto bovvufst werden können und je bewufst worden
sind, und dafs daher auch die Rede von allgemeinen Gegenständen
nur als fictive, oder ganz uneigontliche verstanden werden
müsse.
Die Mifsdeutungen des platonisireuden Kcatismus können wir,
als längst erledigt, auf sieh beruhen lassen. Dagegen sind die
Gedankenmotive, die zum psychologisirendeu Realismus zu drängen
scheinen, noch heute sichtlich wirksam, wie sich zumal an der
Art zeigt, in der Locke kritisirt zu werden pflegt. Auf diese
Motive gehen wir in diesem Kapitel näher ein.
§ 8. Mn lauschender Gedankengang.
Man könnte unserer AutTassung, nicht so sehr in ernsthafter
Ueberzcugung, als um die Unhaltbarkeit der Rede von Specios
als allgemeinen Gegenständen apagogisch zu erweisen, folgende
Gedankenreihe entgegenhalten:
Sind die Species nichts Reales, und sind sie auch nichts im
Denken, so sind sie überhaupt nichts. Wie können wir von Etwas
reden, ohne dafe es mindestens in unserem Denken wäre. Das
Sein des Idealen ist also selbstverständlich Sein im Bewufstsein.
So heifst es mit Recht: Bowufstseinsinlialt. Im Gegensatz dazu
ist das reale Sein eben nicht blofses Sein im Hownfstsein, oder
Inhalt-soin; sondern Ansich-sein, transcondentes Sein, Sein aufser-
halb des Bewufstseins.
Indessen in die Irrgiinge solcher Metaphysik wollen wir uns
nicht verlieren. Als real gilt uns das „Im" Bewulstsein genau
so, wie das „Aufsen". Real ist dus Individuum mit all seinen
Bestandstiicken; es ist ein Hier und Jetzt. Als charakteristisches
Merkmal der Realität genügt uns die Zeitlichkeit Reales Sein
und zeitliches Sein sind zwar nicht identische, aber urafungsgloiche
Begriffe. Natürlich meinen wir nicht, dal's die psychischen Erleb-
nisse Dinge sind im Sinne der Metaphysik. Aber zu einer ding-
lichen Einheit gehörig sind auch sie, wenn die alte metaphysische
üeberzeugung im Rechte ist, dafe alles zeitlich Seiende nothwendig
entweder ein Ding ist oder Dinge mitconstituirt. Soll aber Meta-
physisches ganz ausgeschlüssen bleiben, so definire man Kcitlität
geradezu durch Zeitliehkeit Denn worauf es hier allein ankommt,
das ist der Gegensatz zum unzeitlichen „Sein" des Idealen.
Femer ist es gowifs, dal's das Allgemeine, so oft wir davon
sprechen, ein von uns Gedachtes ist; aber es ist darum nicht
Denkinhalt im Sinne eines realen Bestaudstückos im Denkerlebuis,
es ist auch nicht Denkinlialt im Sinne des Bedeutungsgehaltes,
vielmehr ist es dann gedachter Gegenstand. Kann man über-
sehen, dafs ein Gegenstand, selbst wenn er ein realer und wahr-
haft existirender ist, im Allgemeinen nicht als reales Stück des
ihn denkenden Actes aufgefafst werden kann?. Und ist nicht auch
das Fictive und Absurde, so oft wir davoii sprechen, ein von
uns Gedachtes?
Natürlich ist es nicht unsere Absicht, das Sein des Idealen
auf eine Stufe zu stellen mit dem Godachtsein des Fictiven
oder "Widersi nnigon.i Das Letztere existirt überhaupt nicb
kategoriscli kann vou ihm nichts ausgesagt worden; und wenn
wir doch so sprechen, als wäre es, als hätte es seine eigene Seins-
weise, die „blofs intentionale", so erweist sich die Rede bei ge-
nauerer Betrachtung als eine uneigentliehe, In Wahrheit bestehen
nur gewisse gesetzlich giltige Zusammenhänge zwischen „gegen-
standslosen Vorstellungen'', die vornuigo ihrer Analogie mit den
auf gegenständliche Vorstellungen bezüglichen Wahrheiten die
Rede von den blols vorgestellten Gegenständen , die in Wahrheit
nicht existiren, nahelegen. Die idealen Gegenstände hingegen
existiren wahrhalt. Es hat evidenter Weise nicht blofs einen Sinn,
von solchen Gegenständen (z. B. von der Zahl 2, von der Qualität
Rüthe, von dem Satz des Widerspruches u. dgl.) zu sprechen,
und sie als mit Prädicaten behaftet vorzustellen, sondern wir er-
fassen auch einsichtig gewisse Wahrheiten, die auf solche ideale
Gegenstände bezüglich sind. Gelten diese Wahrheiten, so mufs all
das sein, was ihre Geltung objectiv voraussetzt. Sehe ich ein,
dals 4 eine gerade Zahl ist, dafa das ausgesagte Prädie^it dem
idealen Gegenstand 4 wirklich zukommt, so kann auci) dieser
Gegenstand nicht eine blo&e Fiction sein, eine blolsc fa^tm de
■parier, in Wahrheit ein Nichts.
Das schliefst nicht aus, dafs der Sinn dieses Seins und mit
ihm der Sinn der Prädication hier nicht ganz, nicht speciell, der-
selbe ist, wie in den Fällen, wo einem realen Subject ein reales
Prädicat, seine Beschaffunheit beigelegt oder abgesprochen wird.
Anders ausgedrückt: Wir leugnen es nicht und legen vielmehr
Gewicht darauf, dals innerhalb der begrifflichen Einheit des
Seienden <odor was dasselbe: des Gegenstandes überhaupt) ein
fundamentaler kategorialer Untei"schied bestehe, dem wir eben
Rechnung tragen durch den Unterschied zwischen idealem Sein
und realem Sein, San als Species und Sein als Individuelles. Und
ebenso spaltet sich die begriffliche Einheit der Prädication in zwei
' Vgl. dagegec B. Erdhann Ijogik I, 81 u. 85. E. Twabdowski, Zur
Lehre vom lohalt nud Oegeoätand der Vorstellungen, 8. 106.
wesentlich unterschiedene Arten : je nachdem einem Individuellen
seine Beschaffenheiten, oder einem Specifischen seine generellen
Bestimmtheiten beigelegt oder abgesprochen werden. Aber dieser
Unterschied hebt nicht die oberste Einheit im Begriffe des Gegen-
standes und in dorn der kategorischen Satzeinheit auf. In jedem
Falle kommt einem Gegenstand (Subjoct) etwas (ein Prädicat) zu
oder nicht zu, und der Sinn dieses allgemeinsten Zukommens mit
den ihm zugehörigen Gesetzen bestimmt auch den allgemeinen
Sinn des Seins, bezw. des Gegenstandes überhaupt; sowie der
speciellere Sinn der generellen Prädication mit den ihr zugeord-
neten Gesetzen den Sinn des idealen Gegenstandes bestimmt (bezw.
voraussetzt). Gilt uns alles, was ist, mit Recht als seiend und
als so seiend vermöge der Evidenz, mit der wir es im Denken
als seiend erfassen, dann kann keine Rede davon sein, dafs wir
die Eigenberechtigung des idealen Seins verweri'en dürften. In
der That kann keine Interpretationskunst der Welt die idealen
Gegenstände aus unserem Sprechen und Denken eliminiren.
§ 9. LocKE's Lehre von den abslracien Ideen.
Von besonderer historischer Wirkung war, wie wir hörten,
die psychologische Hypostasining des Allgemeinen in der Locke-
schen Philosophie. Sie erwuchs in folgender Gedankenreihe:
In Wirklichkeit oxistirt nichts dergleichen wie ein Univei-sale,
es existiren real nur individuelle Dinge, dio sich, nach Gleich-
heiten und Aehnlichkeiten, in Arten und Gattungen ordnen.
Halten wir uns an die Sphäre des unmittelbar Gegebenen un<l
Erlebten, an die „Ideen", so sind die Dingerscheinungen Com-
plexionen von „einfachen Ideen", derart, dass in vielen solchen
Complexionen dieselben einfachen Ideen, dieselben phänomenalen
Merkmale, einzeln oder gruppenweise, wiederzukehren pflegen.
Wir nennen nun die Dinge, und nennen sie nicht blofs mittelst
Eigennamen, sondern vorwiegend mittelst Gemein naraen. Die That-
sache aber, dafs wir viele Dinge einsinnig mittelst eines und desselben
allgemeinen Namens nennen können, beweist, dafs diesem eben
ein allgemeiner Sinn, eine „allgemeino Idee" entsprechen mufs.
Sehen wir näher zu, in welcher Weise sich der allgemeine
Name auf die Gegenstände der zugehörigen Klasse bezieht, so
zeigt es sich, dafs er dies mittelst eines und desselben, allen
diesen Gegenständen gemeinsamen Merkmals (oder Morkmalcom-
ploxes) thut, und dafs die Einsinnigkeit des allgemeinen Namens
nur soweit reicht, als Gegenstände mittelst dieses und keines an-
deren Merkmals (bezw. mittelst dieser und keiner anderen Merk-
malsidec) genannt sind.
Das allgemeine Denken, das sich in allgemeinen Bedeu-
tungen vollzieht, setzt also voraus, dafs wir die Fähigkeit der
Abstraction haben, d. h. die Fähigkeit von den phänomenalen
Dingen, die uns als Morkmalcomplexionen gegeben sind, partiale
Ideen, Ideen einzelner Merkmale, abzutrennen und sie an Worte
als deren allgemeine Bedeutungen anzuknüpfen. Die Möglichkeit
und Wirklichkeit solcher Lostreunung ist durch die Thatsache ge-
währleistet, dals jeder allgemeine Name seine eigene Bedeutung
hat, also eine ausschliefslich an ihn gebundene Merkmalsidee trägt;
und ebenso, dafs wir nach AVillkür irgendwelche Merkmale her-
ausgreifen und sie zu .Sonderbedeutangen neuer allgemeiner Namen
machon können.
Freilich ist die Bildung der „abstracten" oder „allgemeinen
Ideen", dieser „Erdichtungen" und „Kunstgrille" des Geistes nicht
ohne Sphwiongkoit, nie „bieten sich nicht so leicht dar, wie wir
zu glaulxMi geneigt sind. Erfordert es z. B. nicht eine gewisse
Heniühung und (JoHchirklichkeit, die allgemeine Idee eines
DroiockH zu bildon (die noch nicht zu den umfassendsten und
«cliwiiM-igKicu gi'liöM); di'tm es niufs weder schiefwinklig noch
roohtwtiiklig, wnder gleichseitig, gleichschenklig noch un-
gleloliHeitig Hoin, mimlorn alles das und keines davon auf
njnnial. In dci Tlutt imI sie etwas Unvollkommenes, das nicht
oxistintti kniiu, «In«' Mo«, worin gewisse Theile mehrerer ver-
Hcliirtdoner und uiivcrojubiiror Idoon zusammengefügt sind. Frei-
lich hat der Gei'tl in ilio^'ni hcitm'iii unvollkommenen Zustande
Noifthn Mnxii hölliig und li)'oilt hIoIi, möglichst ru ihnen zu ge-
litriKi«n, lim d^r M<u|iinmll<'hk<>it der Mittheilung und der Erweite-
Tung des Wissens willen . . . Gleichwol läXst sich mit Grund ver-
muthen, dal's solche Ideen Zeichen unserer UnvüUkomuieuheit
sind." '
§ 10. Kritik.
In diesem Gedankengange verflechten sich mehrere funda-
mentale Irrthümer. Ihi.'! (irundgehrechen der Lx-KK'schen und
der englischen Erkenntnistheorie überhaupt, die unklare Idee von
der Idee macht sich in seinen Folgen sehr benierklich. Wir
notiren folgende Punkte:
1. Idee wird als jedes Object innerer Wahrnehmung definirt:
„Whaterer the mind perceives in itself, ar is ihc immediatc ob-
ject of perception, thougiii or understanding , that I call idea."''
In naheliegender Extension — die Wahrnehmung braucht nicht
gerade actuel! zu erfolgen — wird dann jedes mögliche Object
innerer Wahrnehmung und schliefslich jeder Inhalt im psycho-
logischen Sinne, jedes psychische Erlebnis überhaupt, unter dem
Titel Idee bofafst.
2. Idee hat aber bei Locke zugleich die engere Bodontnng von
Yorstellung, und zwar in dem Sinne, der eine sehr einge-
schränkte Klasse von Erlebnissen, und näher von intentionulen
Erlebnissen, auszeichnet Jede Idee ist Idee von Etwas, sie
stellt Etwas vor.
3. Weiter wird bei Locke Vorstellung und Vorgestelltes als
solches vermengt, der Act mit dem intendirten Gegenstand, die
Erscheinung mit dem Erscheinenden. So wird der erscheinende
Gegenstand zu einer Idee, seine Merkmale zu Partialideen.
4. Die letztere Vermengung hängt wol damit zusammen,
daFs Ijocke die Merkmale, die dem Gegenstande zukommen, mit
den Inhalten verwechselt, welche den sinnlichen Kern des Vor-
' liOCKK'a Essiiy B. IV. ohap. VII. s. 9. (In der sorgsamen Uebersetrung
TOD Th. Schdltzk in Reclam's Dniversalbibl. II, 273).
* Essay, B. II. chap. VIII. s. 8. Vgl. auch den zweiten Brief an den
Bischof von Wohckstrr (Philos. works, «d. J. A. St. John, liondon 1882. II.
340 n. 343): „he that thinks musl haee soine immedinte object of hta tiiind
in thinking: i. e. nrnst have idea»."
I
stellungsactes ausmachen, nämlich mit den Empfindungen,
welche der auffassende Act gegenständlicii deutet, oder mit welchen
er die gegenständlichen Merkmale wahrzunehmen und sonstwie an-
zuschauen vermeint.
5. Ferner werden unter dem Titel „allgemeine Idee" die
Merkmale als specifische Attribute und die Merkmale als gegen-
ständliche Momente vermengt.
6. Was endlich noch von besonderer Wichtigkeit ist, es fehlt
bei Locke ganz und gar der Unterschied zwischen Vorstellung im
Sinne von anschaulicher Vorstellung (Ei-scheinung, vorsehwebendes
,Bild') und Vorstellung im Sinne von Bedeutungsvorstellung. Man
kann dabei unter Bedoutungsvorstellung ebensowot die Bedeutungs-
intention als die BedoutungserfiUIung verstehen; denn dies Beides
wird von Locke gleichfalls nie geschieden.
Nur diese Vermengungen (an denen die Erkenntnistheorie
bis zum heutigen Tage krankt) geben Lockk's Lehre von den
abstracten allgemeinen Ideen den Anstrich von selbstverständ-
licher Klarheit, der ihren Urheher täuschen konnte. Die Gegen-
stände der anschaulichen Vorstellungen, die Thiere, Bäume u. s. w.,
und zwar so gefafst, wie sie uns gerade erscheinen (also nicht
als die Gebilde von „primären Qualitäten" und „Kräften", welche
nach Locke die wahren Dingo sind — denn diese sind jedenfalls
nicht die Dinge, die uns in den anschaulichen Vorstellungen er-
scheinen), werden wir keineswegs als Complexionen von Ideen
und somit selbst als Ideen gelton lassen. Sie sind nicht Gegen-
stände möglicher „innerer Wahrnehmung", als ob sie im Bewufst-
sein einen complexen psychischen Inhalt bildeten und sich dai'in
nun wirklich vorfinden liefsen. Es mag sein, dafs diese inten-
tionalen Gegenstände sieh (vermeintlich) aus Elementen aufbauen,
die Bämratlich aus innerer Wahrnehmung' stammen und in ge-
wisser Art auch weiterhin durch solche Wahrnehmung realisirbar
' Warum ich von innerer 'WahmolimuBg spreche, wo es sich gamieht
um Reflexion auf p.syohisohe Acte handelt, werdeu die Erörtpiungon der Bei-
lage über äurgere und innere Wahrnehmung am Schlüsse de.s Bandes aufklSren.
I
sind. Aber normaler Weise sind diese Elemente garniobt adäquat
gegeben, und sind sie überhaupt «däqiiat reulisirbar — was für
ihre Gesummtcomplexion als Ganzes jedenfalls ausgeschlossen ist —
so ist diese Mügliclikeit bestenfHlls diejenige der Wahrnehmung
künftiger Inhalte, sie bezieht sich nicht auf den jeweilig wirklichen
und vorfindlichen Bewufstseinsgehalt, es handelt sich nicht blofs
darum, auf etwas liinzublicken, was psychisch präsent ist. Die
„äufseren" Anschauungsobjecte und ihre Merkmale sind gemeinte
Einheiten, aber nicht „Ideen" im Sinne der LocKE'schen Definition.
Diese Sachlage macht es klar, dafs die Möglichkeit einer auf
ein einzelnes Merkmal für sich gerichteten Intention keineswegs
die Abtrennung dieses Merkmals, bezw. sein Gegebensein als ein
Isolirtes voraussetzt. Ist uns der gesaramte Gegenstand nur in
der Weise eines Vermeinten gegeben, während er, als das was er
vermeint ist, im Vermeinen selbst gamicht real ist: so wird auch
ein Vermeinen, das sich auf die Merkmale des Gegenstandes richtet,
möglich sein, ohne dafs diese im eigentüchon Sinne gegeben, nämlich
wieder im Vermeinen selbst real sind. Dies wird sowol in an-
schaulicher Weise, z. B. in der Weise einer Partialwahmehmung
möglich sein, als auch in der Weise einer andersartigen Intention,
z. B. einer gewissen Bedeutuugsintention. Ist aber das Merkmal
selbst in Wahrheit gamicht gegeben, so kann davon auch keine
Rede sein, dafe es als losgetrenntes gegeben sei oder gegeben
sein müsse.
Wir können ailgemein sagen: Worauf sich eine Intention
richtet, das wird dadurch zum eigenen Gegenstand des Actes.
Es wird zum eigenen Gegenstand, und es wird zu einem von
allen anderen Gegenständen getrennten Gegenstand, das sind
zwei grundvei-schiedeno Behauptungen. Die Merkmale sind, wo-
fern wir unter Merkmalen attributive Momente verstehen, von dem
concreten Untergrunde evident unabtrennbar. Inhalte dieser Art
können nicht für sich sein. Aber darum können sie für sich ge-
meint sein. Die Intention trennt nicht, sie meint, und was sie
meint schliefst sie eo ipso ab, sofern sie eben nur Dieses und
nichts Anderes meint. Dies gilt für jederlei Meinen und mau
Hoiiarl, Log. unten, n. 9
murs sich darüber klar Rein, dafs nicht jedes Meinen Anschauen
und niclit jedes Anseliauen ein adäquates, seinen Gegenstand reell
in sich schliefsendes Anschauen ist.
Mit all dem reichen wir aber noch nicht aus. Das individuell
einzelne Moment ist noch nicht das Attribut in specie. Ist das
Erstere gemeint, flas Moment, so ist das Meinen vom Charakter
des individuellen, ist das Specifische gemeint, so ist es vom Cha-
rakter des specifischen Meinons. Selbstverständlich bedeutet auch
hier ■wieder die Pointiriing, die das attributive Moment erfährt,
keine Abtrennung desselben. Zwar richtet sicli das Meinen im
letzteren Falle gewissermafsen auch auf das erscheinende Mo-
ment, aber dies geschieht in wesentlich neuer Weise; nur im
Actcharakter kann ja bei der Identität der Anschauimgsgrundiage
der ünterecbied liegen. Aehnliche Unterschiede sind zwischen
der Gattuiigsvonsteilung im gewöhnlichen Sinn (wie Baum, Pferd
u. dgl.) und directen Dingvorstellungen (überhaupt dirocten Vor-
stellungen von Concretis) zu beachten. Ueberall werden wir unter-
scheiden müssen zwischen den schlichten Total- und Partial-
anschauungen, welche die Grundlage bilden, und den wechselnden
Actcharakteren, die sich ais gedankliche darauf bauen, ohne dafs
sich im Sinnlich-Anschaulichen das Geringste ändern müfste.
Für die genauere Analyse kämen hier natürlich viel mannig-
faltigere Unterschiede der Acte in ßetraciit, als wir zu Zwecken
der Kritik Locke's in Erwägung zu ziehen brauchen. Das An-
schaulich-Einzelne ist einmal direct als dieses da gemeint, dann
wieder ist es als Träger eines Allgemeinen, als Subject eines
Attributs, als Einzelne.s einer empirischen Gattung gemeint; wieder
ein ander Mal ist das Allgemeine selbst gemeint, z. B. die
Speeies des in einer Partialauschauung poiiitirten Merkmals; dann
wieder ist eine solche Speeies als Art einer (idealen) Gattung
gemeint u. s. w. Bei all diesen Auffassungsweisen kann unter
Umständen eine und dieselbe sinnliche Anschauung als Grundlage
fungiren.
Den Unterschieden des „eigentlichen" Denkens, in welchen
sich die mannigfachen kategoriaien Formen actuell constituiren,
folgen nun auch die symbolischen Intentionen der Ausdrücke.
In der Weise des Aussagens und Hedeutens ist al! das gesagt
und gemeint, was vielleicht in der eigenUiehon, intuitiv erlullten
Weise garnicht aotualisirt ist Das „Denken" ist nun ein „hlofs
symbolisches" oder „ii neigen tliehes".
Diesem pliiinonienologjschen Sachverhalt vermag Lockk nicht
gerecht zu werden. Das sinnlich -anschauüclie Bild, mittelst dessen
sich die Bedeutungsintention erfüllt, wird, sagten wir oben,' vun
Locke für die Bedeutung selbst genommen. Unsere letzte Betrach-
tung bestätigt und klärt diesen Einwand. Ueno LoirKE's Identification
stimmt weder, wenn wir unter Bedeutung die intendirende, noch
wenn wir darunter die erfüllende Bedeutung verstehen. Die Erstere
liegt im Ausdruck als solchem. Seine Bedeutungsintention macht
das allgemeine Vorstellen in dem Sinne des allgemeinen Bedeutens
aus, und ein solches ist ohne jede actuelle Anschanungsgrundlage
möglich. Tritt aber gegebenenfalls eine Erfüllung ein, so ist, wie
aus unseren Erwägungen hervorgeht, nicht etwa das sinnlicb-an-
.schauliche Bild die BodeutungserFülhing selbst, sondern es ist die
blofso Grundlage dieses erfüllenden Actes. Dem nur „symbolisch"
vollzogenen allgemeinen Gedanken, d. i. der blofsen Bedeutung
des allgemeinen Wortes, entspricht dann der „eigentlich" voll-
zogene Gedanke, welcher seinerseits in einem Acte sinnlicher
Anschauung fundirt, aber nicht mit ihm identisch ist.
Und nun verstehen wir die trügerischen Verwechslungen in
e's Gedankengang vollkommen. Aus der Selbstverständlich-
keit, dafs jeder allgemeine Name seine ihm eigene allgemeine Be-
deutung hat, macht er die Belmuptnng, dafs jedem allgemeinen
Namen eine aligemeine Idee zugohöre, und diese Idee ist für
ihn nichts Anderes als eine anschauliche Sondervorstellung
(eine Sondererscheinung) eines Merkmals. Dies ist eine noth-
wendige Folge davon, dafs er die AVortbodeutung, weil sie sich
auf Grund der Erscheinung des Merkmals erfüllt, mit dieser
Erscheinung selbst verwechselt; so wird ja aus der gesonderten
' Ygl. obon in üor AufzäliluDg der Locu'schen VermongUQgen die letzte.
Bedeutung (sei es der intendirenden oder erfüllenden) die geson-
derte Anschauung des Merkmais. Da Lockk nun zugleich die
Merkmalserscheinung und das erscheinende Merkmal nicht aus-
einanderhält,' so wenig als das Merkmal als Moment und das
Merkmal als specifisches Attrihut,- so ist mit seiner „allgemeinen
Idee" in der That eine psychologische Hjpostasirung des
Altgemeinen vollzogen, das Allgemeine wird zum reellen Be-
wufstseinsdatum.
§ 11. LocKS-s aUgemeiites Dreieek.
Diese Irrthümer rächen sich durch die Absurditäten, in
welchen sie den grofseu Denker im Beispiel der allgemeinen Idee
eines Dreiecks verwickeln. Diese Idee ist die Idee eines Drei-
ecks, welches weder rechtwinklig noch spitzwinklig ist u. s. w. So
kann os freilich leicht scheinen, wenn man die allgemeine Idee
des Dreiecks zunächst als die allgemeine Bedeutung des Namens
fafst, und ihr dann die anschauliche Sondervorstellung, bezw. das
anschiuiliohe Sonderdasein der zugehörigen Mcrkmalscomplexion
im Bewufstsein unterschiebt. Nun hätten wir ein inneres Bild,
welches Dreieck ist und nichts weiter; die Gattungsmerkmule
losgetrennt von den specifischen Differenzen und zu einer psychi-
schen Realität verselbständigt.
Dafs diese Auffassung nicht nur falsch, sondern widersinnig
ist, braucht kaum gesagt zu werden. Die Unabtrennbarkeit des
Allgemeinen, bezw. seine Unrealisirbarkeit gründet a priori im
Begriff der Gattung. Speciell mit Beziehung auf das Exempel
wird man vielleicht eindrucksvoller sagen: die Geometrie beweist
a priori auf Grund der Definition des Dreiecks, dafs jedes Drei-
eck entweder spitzwinklig oder stumpfwinklig oder rechtwinklig
ist U.S. w. Und sie kennt keinen Unterschied zwischen Dreiecken
der „Wirkliclikeit" und Dreiecken der ,,Idee", d. i. Dreiecken
die als Bilder im Geiste schweben. Was a priori unverträglich
ist, ist es schlechthin, also auch im Bilde. Das adäquate Bild
' Vgl. oben 8. 127 sub 3.
* Vgl. oben 8. 128 sab 5.
eines Dreiecks ist selbst ein Dreieck. So täuscht sich Locke,
wenn er die ausdrückliche Anerkennung der evidenten Nicht-
existenz eines realen allgemoineu Dreiecks mit dessen Existenz
in der Vorstellung glaubt verbinden zu können. Er übersieht,
dafs psychisches Sein auch reales Sein ist, und dafs, wenn man
Vorgestellt-sein und Wirklich-sein gegenüber stellt, damit nicht
auf den Gegensatz von Psyefiischem und Aufserpsychischem ab-
gezielt ist und abgezielt sein darf, sondern auf den Gegensatz
zwischen Vorgestelltem in dem Sinne von blols Gemeintem, und
Wahrem in dorn Sinne von dem der Meinung Entsprechenden,
üemeint-sein heifst aber nicht Psychisch -real -sein.
Vor Allem hätte sich Locke auch sagen müssen: Ein Dreieck
ist etwas, das Dreieckigkeit hat. Die Dreieckigkeit ist aber nicht
selbst Etwas, das Dreieckigkeit hat. Die allgemeine Idee vom Drei-
eck, als Idee der Dreieckigkeit, ist also Idee von dem, was von
jedem Dreieck als solchem gehabt wird; nicht ist sie aber die Idee
von einem Dreieck selbst. Nennt man die allgemeine Bedeutung
Begriff, das Attribut selbst Begriffsinhalt, jedes Subject zu
diesem Attribut Begriffsgegenstand, so kauu man dies auch
so ausdrücken: Es ist absurd, den Begriffsinhalt zugleich als
Begriftkgegenstand zu fassen, oder den Begriösinhalt dem Begriffs-
umfang einzuordnen.^
Man bemerkt übrigens, dafs Locke die Absurditäten noch
häuft, indem er das allgemeine Dreieck nicht nur als ein Dreieck
fafst, welches aller spocitisehen DitTerenzen bar ist, sondern auch
als ein Dreieck, das sie alle zugleich vereinigt,* also dem In-
halt des Dreieckbegril^'s den Umfang der ihn eintheilenden Arten
unterschiebt. Dies ist aber bei Locke nur ein ganz vorüber-
gehender Lapsus. Jedesfalls bieten, wie ersichtlich, die „Schwierig-
keiten" der allgemeinen Bedeutungen keinen AnlaCs zu ernstlichen
Klagen über die „UnvoUkommenheit'' des menschlichen Geistes.
' Ich würiie es also nicht ganz correct finden, mit Mhnoso zu sagen,
Locke verwechsle den Inhalt und Umfang de.s Begriffs. Vgl. Hume-Studien I, 5
(Sitzungsber. der phil.-hist. Klasse der Wiener Ac. d. W. Jhrg. 1877, S. 187).
* Vgl. das ubige Citat iu § 9, S. 126 an der letzten betonten Stelle.
134 n. Die ifUale Einheit der Species.
Anmerkung.
Wie wenig dio Irrtliiliner der LocKE'schen Lehre von den allge-
meinen Ideen liishcr geklürt sind, zeigt unter Anderem' die neuere
Beliandlung der Lcdiro von den allgenioineti Gegenständen, die man nacli
Erdmank's Vorgange wieder aiifilngt neben den individnelleii Gegen-
ständen gelten zu laBsen. So meint TwAimowäKi , „was diu-ch die All-
genieiiivorstellnng vorgestellt wird, sei ein ihr specifiscli eigentlitiinlicher
Gegenstand'';* luid zwar „eine Gruppe von Bestandtheilen, welche
mehreren Gegenständen gemeinsam sind".^ Der Gegenstand der all-
gemeinen Voi-stellung sei „ein Theil des Gegenstandes einer ihr unter-
geordneten Vorstellnng, der zu bestimmten Theilen von Gegenständen
anderer Eiiizelvorstelhmgen im Verhältnis der Gleichheit stehe''.* Die
allgemeine Vorstellung wni eine „in dem Grade uiuMgentlicho'', dafs sie
von vielen für unvollziehbar gehalten worden sei. „Dafs es solche
Vorstellungen dennoch giebt, mufs derjenige zugeben, der einräumt, dafs
sich über ihre Gegenstände etwas aussagen läfst. Dies ist offenbar
der Fall. Anachaulicli vermag Niemand ein aligemeines Drei-
eck vorzustellen; ein Dreieck, welches weder recht-, nocli stumpf-,
noch spitzwinklich wäre, keine Farbe und keine bestimmte Gröfse
hätte; aber eine indirecte Vorstellung von solchen Dreiecken gibt es
ebenso gewiis, als es indirecte Vorstellungen eines weifson Rappen,
einer hölzernen Stahlkanone u. dgl. giebt." „Plato's Ideen sind", so
lesen wir weiter, „nichts Anderes als Gegenstände allgemeiner Vor-
stellungen. Plato schrieb diesen Gegenständen Existenz zu. Heute
thun wir dies nicht mehr. Der Gegenstand der allgemeinen Vor-
steUung wird von uns vorgestellt, oxisttrt aber nicht . . ."^
Es ist klar, dafs hier Locke's Widersinnigkeiten zurtckkeliren.
Dafö wir von „einem allgemeineii Dreieck" eine „indirecte Vorstellung"
' Vgl. z. B. auch den .■Vnhang zum 5. Kiip. liieser üntersuohung.
' Vgl. TwARüowsKj, „Zur Lehre vom Inhalt und Oegenatand der Vor-
stellungen"' S. 109.
» a. a. 0. S. 105.
* Ebendaselbbt.
' Die beiden letzten Citate a. a. 0. S. lOti.
haben, ist gewifs; denn damit ist nur die Bedeutung jenes wider-
sinnigen Äusilrucks gemeint. Aber niit Nichten wird mau zugestehen,
dafa die allgemeine Vorstellung das Dreieck jene iiidiiecte Vor-
stellung eines allgemeinen Dreiecks sei, oder dal's sie die Vor-
stellung eines Dreiecks sei, das iu allen Di-eiecken stecke, ohne
aber spitz-, stumpfwinklig u. s. w. zu sein. Twakdowbki leugnet ganz
oonsequent die Existenz allgemeiner Gegenstände — für die von ihm
unterschobenen Äbsin-da mit Recht. Aber wie steht es mit walu-en
Existen/ialsätzen derart wie es giebt Begriffe, Sät.ie; es ijiebl alge-
braiscfie Zahlen u. s. w.? Bei Twardowski heilst ja, ganz wie bei
uns, Existenz nicht soviel wie reale Elxistenz.
Schwer verständlich ist es auch , wie der allgemeine Gegenstand,
der docli ein „Bestandtheil" des untergeonlneten Concretum sein soll,
der Anschaulichkeit entbehren kannte, und nicht vielmehr mit diesem
der Anscliauuiig theilhaftig werdeu mül'ste. Ist ein GesummtinhiUt
angeschaut, so sind mit und in ihm alle seine Einzelzüge angeschaut,
und viele von ihnen werden för sich merklich, sie „heben aioh ab"
und werden so zu Objecten eigener Anschauungen. Sollten wir nicht
mehr sagen düi'feu, dafs wir so gut wie den grünen Baum, auch die
grüne i'iü-bung an ihm sehen? Freilich den Begriff Grün köunen
wir nicht sehen, weiler dun Begriff im Siim der Bedeutung, uihjIi
den Begriff im Sinn des Attributs, der Speeres Grün. Aber es ist
auch absunl, den Begriff als Theil des individueUen Objects, des
„Begriffsgegenstandes" zu fassen.
§ 12. Die Lehre von den Oetneinbildem.
Nach diesen üeberlegungen ist es ohne neue Anal3''sen klar,
dafs jene andere Form der Hypostasii'ung des Allgemeinen, welche
unter dem Titel „tTemoinbilder" in der traditionellen Logik
ihre Rolle spielt, mit gleichen Absurditäten behaftet und aus ähn-
lichen Vermengungen erwachsen ist, wie diejenige Locke's. Die
Verschwommenheit und Flüchtigkeit der Gemeinbildcr hinsichtlich
der specitisclien Differenzen ändert nichts an ihrer Coneretion.
Verschwommenheit ist eine Bestimmtheit gewisser Inhalte, sie
besteht in einer gewissen Form der Continuität qualitativer üeber-
136 II. Die ideale Einheit der Species.
gänge. Was aber die Flüchtigkeit betrifft, so ändert sie doch
nichts an der Concretion jedes einzelnen der wechselnden Inhalte.
Nicht im wechselnden Inhalte, sondern in der Einheit der auf die
Constanten Merkmale gerichteten Intention liegt das Wesentliche
der Sache.
Drittes Kapitel.
Abstraction und Anfinerksamkeit
§ 13. Nominalistische Theorien, welche die Abstraction als Leistung
der Aufmerksamkeit fassen.
Wir gehen nun zur Analyse einer einfluisreichen , zuerst wol
von J. St. Mha in seiner Streitschrift gegen Hamilton ausgebildeten
Abstractionstheorie über, nach welcher das Abstrabiren eine blo&e
Leistung der Aufmerksamkeit sein soll. Zwar giebt es, sagt man,
weder allgemeine Vorstellungen, noch allgemeine Gegenstände;
aber während wir individuelle Concreta anschaulich vorstellen,
können wir eine ausschliefsliche Aufmerksamkeit oder ein aus-
schliefsliches Interesse den verschiedenen Theilen und Seiten des
Gegenstandes zuwenden. Das Merkmal, das an und für sich,
nämlich losgetrennt, weder wirklich sein, noch vorgestellt werden
kann, wird für sich beachtet, es wird zum Object eines aus-
schliefslichen und somit von allen mitverbundenen Merkmalen ab-
sehenden Interesses. So versteht sich der doppelte, bald positive,
bald negative Gebrauch des Wortes Abstrahiren.
Die Ergänzung zu diesen Hauptgedanken bieten dann Be-
trachtungen über die associative Anknüpfung der allgemeinen
Namen an diese pointirteu Einzelzüge der anschaulichen Gegen-
stände und über die Einflüsse, welche die Namen durch repro-
ductive Erweckung dieser Züge und der habituellen Concentration
der Aufmerksamkeit auf sie üben. Man weist darauf hin, wie
sie den Ablauf der weiteren Associationen vorzugsweise durch den
Inhalt der pointirten Merkmale bestimmen und so die sachliche
Einheitlichkeit in der Gedankenbewegung fördern. Die nähere
Ausführung dieser Gudanken entneiiuien wir am besten aus der oben
erwähnton Streitsciirift Mill's, der übrigens von seinem conceptua-
listischen Gegner Hajülton die Auflassung der Abstraction als einer
Function der Aufmerksamkeit übernommen hat. Wir lesen:
„ The formaiiwi ... uf a Coiicept , lioex uoi coH»ist in seyaraiiny the
attributes whielt are aaid to compoae it, from all other attributes of
the aatne objeet, and ettabling us to conceive lliose attributes^ disjoined
from any othera. We tieUher conceive Ihcin , nur think them , nor cognise
titeln in any way, as a (hing apart, bul solely as forming, in combinatioti
with numerous other attributes, the idea of an individual objeci. But,
tliough thinking tfiern only as pari of a larger aggUmieration, we have the
power of fixing our attention on tfieni, to the neglect of the otlier attri-
butes with which we think them vombined. White the concentration
of attention actually lasts, if it is nitfficienily intense, ive mag be
temporarily uncotisciotis of any of the other attributes, and may really,
for a brief interval, have nothing present to our mind but tlie attri-
butes eonstituent of the concept. In gtneral, liowever, t}u attention ia
not so completcly cxcliisii'e as this: it leaves room in consciousness for
otlier elements of the conerete idea: tlumgh of these tlie consciausness
is faint, in proportion of the energy of the concentrative effort, and
the momenl tlte attention relaxes, if the same conerete idea continues
to be contemplated , ils otftcr constituents come out into consciousness.
General coneepts, therefore, we have, proper ly speaking, none; we liave
only complex ideas of objects in tlie conerete: but we are able to attend
exclusively to certain parts of Ute conerete idea: and by that exclusive
attention, tve enable those parts to determine exclusively t/ic coiirse of
our thoughts as subsequently called up by associatian ; and are in a con-
ditioti to carry on a train of medilation or reasoning relating to those
parts only, exactly as if we were able to coiuxive them separately from
the rest.
Wliat pritwipally enables us to do this is the employment of signs,
and parlicularlg the must e/fieienl and familiär kind uf signs, vix. Nantes." •
• J. ST.MlLL, An Emmination of Sir. W. HAMILTONS Philosophy';
pag.393f
Und weiter lesen wir,' in Beziehung aiif eine Stelle aus
Uaidi.ton's liectures: The ratiottale of this w, Ütat when we wish to
he able to think of objeds in respect of cerlain of their altribules —
to reeall no uhjects but such as are invented with thosc attribtUes, and
to recall thcm with our attention direcled to those attributcs cjcclitsi-
vely — we effcct this hy 'jiinnij to that combinalion uf altributes, or
to tlie class of objects which possess thcm, a specific Name. We cre-
ate an artifieial association hetween those atträmtes and a ctrtain com-
bination of articiilate sounds, tohit-h (juarante-es to tts that when wc
hear thc sound, or see Ihe wriltcn characters corrcspondiny to it,
there will be raised in the tnind an idea of some object possessing
those altributes, in which idea those attributes nlone will be sugijesled
vividly to the mind, our consoiousness of tlte remainder of the con-
erele idea being faint. As the name has been directly associated otily
with those altributes, it is as likely , in itself, to recall them in any
one concrete cmnbination as in any olher. What combinalion it shall
recall in ttte particular case, depends on recency ofexperience, aceidents
of memory, or the inftuence of other ihonghts tchiek have been passing,
or are even then passing, Ihrough the mind : accordingly , the combinalion
is far from being always the same, and seldoin gets itself strongly
associated with the name which suggests it; while the association of
Ute name with the altributes that form ils conventional signification,
is constantlg becoming stronger. The association of that particular
sei of altributes with a given word, is wfiat keeps them together in
the mind hy a stronger tie tlian that with which tlwy are associated
with tite remainder of the concrete imaye. To express tlie meaning in
Sir W. Hamilton's phraseology, this association gives them an unity
in our consoiousness. It is only when this Itas been accomplislied,
that we possess whal Sir W. Hamilton terms a Concept; and this
is the whole of the mental phaencnnenon involved in the matter. We
have a concrete re/presentation , cerlain of Hie component elemenls of
which are diMinguishcd by a mark, designatiny tliem for special
attention; and this attention, in cases of exceptional intcnsily , excludes
all cotisciousness of the others.''
* a.a.O. 8.394!.
§ 14. Einwände, welcfie zugleich jede Form des Nominalismtis treffen.
a) Der Mangel einer descriptiven Fixirung der Zieljntnkte.
An diesen und ähniicheu Dai'stelliingon fallt uns zunächst auf,
ilars trotz aller Ausfülirliclikoit eigentlich gar kein Vorsuch ge-
macht wird, das descriptiv (Jegebene und das zu Klärende genau
zu bezeichnen und Beides zu einander in Bezieliiiug zu setzen.
Rekapituliren wir unseren eigenen, sicherlich khu-en und nutur-
gemäTsen Oedankengjvng. Gegeben sind uns gewisse Unterschiede
im Gebiete der Namen; darunter der Unterschied der Nunien,
die ludividuelles und derjenigen, die Specifisches nennen. Be-
schränken wir uns der Einfachheit halber auf directe Namen
(Eigennamen in einem weiteren Sinne), so stehen einander
gegenüber Namen der Art wie Sakrales oder Aihen auf der
einen Seite, und Namen wie Vier (die Zahl Vier als ein-
zelnes Glied der Anzahlenreihe), c (der Ton e als ein Glied
der Tonleiter), Roth (als Name einer Farbe) auf der anderen
Seite. Den Namen entsprechen gewisse Bedeutungen, und mittelst
ihrer beziehen wir uns auf Gegenstände. Welches diese genannten
Gegenstände sind, das kann, sollte man denken, garnicht strittig
sein. Es ist einmal die Person des Sokrates, die Stadt Athen
oder sonst ein individueller Gegenstand; das andere Mal die
Zahl Vier, die Tonstufe c, die Farbe Roth oder eine sonstige
Species. Was wir im sinnvollen Gebrauch der Worte meinen,
welches die Gegenstände sind, die wir nennen, und als was sie
uns dabei gelten, das kann uns Niemand abstreiten. Es ist also
evident, dafe, wenn ich im generellen Sinn Vier sage, wie
z. B. im Satze Vier i^t relative Primxakt tu Sieben, ich eben
die Species Vier meine, sie gegenständlich vor dem logischen
Blicke habe, das heilst über sie als Gegenstand (suhjectum) ur-
theile, nicht aber über irgendein Individuelles. Ich urthoile also
auch über keine individuelle Gruppe vun vier Sachen oder über
irgendein constitutives Moment, über irgendein Stück oder eine
Seite einer solchen Gruppe; denn jeder Theil ist als Theil eines
Individuellen selbst wieder individuell. Irgendetwas gegenständ-
lieh, es zum Subjecte von Prädicntionen oder Attributionen zu
machen, ist aber nur ein anderer Ausdruck für Vorstellen, und
zwar von Vorstellen in dem Sinne, der in aller Logik mafsgebend
ist Also besagt unsere Evidenz: Es giebt ebenso gut „allgemeine
Vorstellungen", näniüch Vorstellungen von Specifischem, wie es
VorstelluDgeu von Individuellem giebt.
Wir spraclien von Evidenz. Evidenz hinsichtlich gegen-
ständlicher Unterschiede der Bedeutungen setzt voraus, dafs wir
über die Sphiire des blofs symbolischen Gebrauchs der Ausdrücke
hinausgehen und uns an die eorrespondirende Anschauung zur
endgiltigeu Belehrung wenden. Wir vollziehen auf dem Grunde
anschaulicher Vorstellung, die den blofsen Bedeutungsinteutionen
entsprechenden Bedeutungserfüllungen, wir realisiren ihre „eigent-
liche" Meinung. Thun wir dies in unserem Falle, so schwebt uns
im Bild allerdings irgendeine einzelne Vierergruppe vor, und
insofern liegt sie unserem Vorstellen und ürthoilen zu Grunde.
Aber über sie urtheilen wir nicht, sie meinen wir nicht in der
Subjectvorstelluug des obigen Beispiels. Nicht die Bildgruppe,
sondern die Zahl Vier, die specitische Einheit ist das Subject,
von dem wir sagen, es sei relativ prini zu Siebeu. Und natür-
lich ist diese specitische Einheit, eigentlich zu reden, »ucli nichts
in und an der erscheinenden Gruppe, denn dergleichen wäre ja
wieder ein Individuelles, ein Jetzt und Hier. Aber unser Meinen,
obschon selbst ein Jetzt -seiendes, meint doch nichts weniger als
ein Jetzt, es meint die Vier, die ideale, zeitlose Einheit.
In Reflexion auf die Erlebnisse des individuellen und speci-
fischen Meinens — des rein anschaulichen, des rein symbolischen und
des zugleich symbolischen und seine Bedcutungsintention erfüllen-
den — wären nun die weitergehenden phänomenologischen Des-
criptionen zu vollziehen. .Sie hätten die Aufgabe, die für die
Klärung der Erkenntnis fundamentalen Verhältnisse zwischen
blindem (d. i. rein symbolischoni) und intuitivem (eigentlichem)
Meinen aufzuzeigen, und im Gcbifto des intuitiven die verschiedene
Weise klarzulegen, wie das itidividuolle Bild als Bewufstseins-
grundlage fungii-t, je nachdem die Intention auf Individuelles oder
auf Specifisches geht. Hierdurch würden wir z. B. in den Stand
gesetzt, die Frage zu beantworten, wie und in welchem Sinne das
AlJgemeine im einzehien Denkact zu subjecdvem Bewufstsein
kommen und wie es zur unbegrenzten (und daher durch keine
angemessene Bildlichkeit vorstellbaren) Sphäre ihm untergeordneter
Einzelheiton Beziehung gewinnen könne.
In Mtti,'s Auseinandersetzung ist, wie in allen ähnlichen, von
einer schlichten Anerkennung des durch Evidenz Gegebenen und
demgeniärs auch von der Beschreitung der eben vorgezeichneten
Gedankenbahn keine Rede. Das was als fester Funkt in der
reflectiven Aufklärung gelten raüfste, wird unbeachtet bei Seite ge-
schoben, und 80 verfehlt die Theorie ihr Ziel, das sie von vorn-
herein aus dem Auge verloren, oder vielmehr nie scliarf ins Auge
gefal'st hat. Was sie uns sagt, mag lehrreich sein bezüglich dieser
oder jener psychologischen VorbeJingungeu oder Compünonten des
intuitiv realisirten AUgeraeinheitsbewufstseins, oder bezüglich der
psychologischen Function der Zeichen in der Regierung eines ein-
heitlichen Gediinkenzuges u. dgl. Aber den ubjectiveu Sinn der
allgemeinen Bedeutungen und die unzweifelhafte Walu-heit, die in
der Rede von allgemeinen Gegenständen {Subjecten, Einzelheiten)
und in den auf sie bezüglichen Prädicationen liegt, geht dies un-
mittelbar garnichts an, und die mittelbare Beziehung nnifste erst
klargelegt werden. Freilich kann Mii.i.'s, wie jede erapiristische
Auffassung überhaupt auf jene evidenten Ausgangs- bezw. Ziel-
punkte nicht recurriren, da es ihr so sehr darauf ankommt als
nichtig zu enveisen, was jene Evidenzen als wahrhaft bestehend
einsehen lassen: nämlich eben die allgemeinen Gegenstände sowie
die allgemeinen Vorstellungen, in denen solche Gegenstände sich
constituircn. Gewifs rufen diese Ausdrücke allgemeiner Gegenstand,
allgemeine Vorstellung Erinnerungen an alte, schwere Irrthümer
wach. Aber wieviele Mißdeutungen sie historisch erfahren haben
mögen, es mufs doch eine normale Deutung geben, die sie recht-
fertigt, und diese normale Deutung kann uns nicht die genetische
Psychologie lehren, sondern nur der Rückgang auf den evidenten
Sinn der Sätze, die sich durch generelle Vorstellungen aufbauen
und sich auf aligemeino Gegenstände, als die Subjecte ihrer Prä-
dicationen beziehen.
§ 1 5. b) Der JJrsyrrung des moderMn Nomhialiamus als
übempanuie lieaclion gegen Lockes Lettre von den allgeinemen Ideen.
Der we^entliclte Ouirakter dieses Notninalismus utul die Absiraelions-
iheorie durch Aufmerksamkeit.
Die Abstraotionstheorie Mn.i.'s und seiner ompiristischen Nach-
folger verrennt sich, ganz sowie die Abstractionatheorien Beukelkys
und Hüme's, in die Bekämpfung des Irrthums der „abstracten Ideen".
Sie verrennt sich darin, sofern sie sich durch den zufälligen
Umstand, dals L<h;ke in der Interpretation der allgemeinen Vor-
stellnngen auf sein ab.surdes allgemeines Dreieck verfallen war,
zur Meinung verleiten lUfst, die ernstgenominene Rede von all-
gemeinen Vorstellungen verlange nothvvendig solch absurde Inter-
pretation. Man übersieht, dafs dieser Irrthiim zumal aus der un-
gokUirten Vieldeutigkeit des Wortes idea (und ebenso des deutschen
Wortes VorsteMii ntj) erwachsen war, und dafs, was für den einen
Begriff absurd ist, für den anderen möglich und berechtigt sein
kann. Und wie konnte man dies auf Seiten der Bekämpfer
Locke's au<"h sehen, da der Begriff der Idee bei ihnen in der-
selben Unklarheit verblieb, die Lockk irregeleitet hatte. In Folge
dieser Sachlage gerieth man in den neuen Nominalismus,
dessen Wesen nicht mehr durt^h die Verwerfung des Realismus,
sondern durch die des (wolverstandenen) Conceptuaüsmus bestimmt
ist: man verwai-f nicht nur die absurden generellen Ideen Locke's,
sondern auch die Allgeraeiubegriffe in dem vollen und echten
Sinne des Wortes, also in dem Sinne, den die Analyse des Denkens
nach seinem objectiven Bedeutungsgehalt evident aufweist, und
als einen solchen aufweist, der für die Idee der Denkeinheit con-
stitutiv ist
Man verfällt auf diese Ansicht durch Mifsverständnisse psycho-
logischer Analyse. Die natürliche Neigung, den Blick immer nur
auf das primär Anschauliche, und sozusagen Greifbare der logischen
Phänoniene zn richten, verfülirt iluzu, die iioben den Namen vor-
findliclieu innoroii Bilder iils die Bodeutiiiigea der Namen zu fassen.
Macht man sich aber nur klar, dafs die Bedeutung doch nichts
Anderes ist, als was wir mit dem Ausdrucic meinen, oder als was
wir ihn verstehen, so kann man bei dieser Auffassung nicht bleiben.
Dann läge die Meinimg iu den nnschaiiüchen Ein/,elvorstellungen,
welche uns den Sinn des allgemeinen Namens „klar" machen,
dann wären die Gegenstände dieser Vorstellungen, und zwar
schlechthin, sowie sie anschaulich vorgestellt sind, das Gemeinte,
und jeder Name wäre ein aequivoker Eigenname. Um nun dem
Untei-schictl gerecht zu werden, sagt mau: die luischaulichen Einzel-
vorstellungen sind hier, wo sie im Zusammenhang mit den all-
gemeinen Namen auftreten, Träger neuer psychologischer Func-
tionen, derart, dafs sie andersartige Voi-stelhingsverläufe bestimmen,
sich dem Ablauf der Uenkvorgänge in anderer Weise einfügen oder
ihn in anderer Weise regieren.
Indessen ist damit garnichts gesagt, was irgendwie zur phä-
nomenologischen Sachlage gehören würde. Wir meinen, hier und
jetzt, in dem Augenblick, wu wir den allgemeinen Namen sinn-
voll aussprechen, ein Allgemeines, und dieses Meinen ist ein Anderes
als in dem Falle, wo wir ein Individuelles meinen. Dieser Unter-
schied mufs im descriptiven Oelialt des vereinzelten Er-
lebnisses, im einzelnen actueilen Vollzug der generellen Aussago,
nachgewiesen werden. Was sich causal daran knüpfen, was für
psychologische Erfolge das jeweilige Erlebnis nach sich ziehen
mag, das geht uns hier garnichts. an. Es geht die Psychologie
der Absti'action, nicht aber ihre Phänomenologie an.
Unter dem Einflufs dor nominalistischen Strömung unserer
Zeit droht sich der Begriff des Concoptualisnuis allerdings zu ver-
schieben, so dafs man J. St. Mill, der sich selbst mit solcher
Entschiedenheit als Nominalisten bezeichnet, deu Nominalisraus
streitig machen will.' Aber nicht dürfen wir dies als das Wesent-
liche des Nominalismus auffassen, dafs er in der Absicht, Sinn
I
und tbooretische Loistimg des Allgemeinen aufzuklären, sich in
das blinde associative Spiel der Namen als bk>Iser Wortlaute ver-
liert; sondern dafs er überhaupt, und zwar in Absicht auf solche
Aufklärung, daseigenthümlicheBewufstseinübei-sieht, welches
sich einerseits im lebendig empfundenen Sinn der Zeichen, in ihrem
actuellen Verstehen, in dem verständigen Sinn des Aussagens be-
kundet, und andererseits in den correlaten Acten der Ei-füllung,
welche das „eigentliche" Vorstellen des Allgemeinen ausmachen,
mit anderen Worten in der actuellen Abstraction, in der uns das
Allgemeine „selbst" gegeben ist. Dieses Bewurstsein bedeutet uns,
was es bedeutet, ob wir von aller Psychologie, von den psychi-
schen Antecedentien und Consoquenzen, von associativen Disposi-
tionen u. dgl. etwas wissen oder nicht. Wollte der Nominalist
dieses AUgemeinheitsbewurstsein genetisch erklären, wollte er
sagen, dasselbe hänge causal von diesen oder jenen Factoren ab,
von den oder Jonen vorgängigen Erlebnissen, unbewulsten Dispo-
sitionen u. dgl., so hätten wir dagegen keinen principiellen Ein-
wand. Wir würden nur bemerken, diese genetischen Thatsachen
seien für die reine Logik und Erkenntnistheorie ohne Interesse.
Statt dessen aber sagt der Nominalist: Die unterscheidende Rede
von allgemeinen Vorstellungen im Gegensatz zu den individuellen
ist eigentlich bedeutungslos. Es giebt keine Abstraction in dem
Sinne eines eigenartigen, den allgemeinen Namen und Bedeutungen
Evidenz verschaffenden Allgcmeinheitsbewul'stseins; in Wahrheit
giebt es nur individuelle Anschauungen und ein Spiel von be-
wufsteu und unbewufsten Vorgängen, die uns über die Sphäre
des ludividuelSen nicht hinausführen und keine wesentlich neue
Gegenständlichkeit constituiren.
Jedes Denkerlebnis, wie jedes psychische Erlebnis, hat causal
beti'aehtet, seine Ursachen und Folgen, es greift irgendwie in das
Getriebe des Lebens hinein und übt seine genetischen Functionen.
In die Sphäre der Phänomenologie und vor Allem in die der
Erkenntnistheorie (als der phänomenologischen Klärung der
idealen Denk- bezw. Erkenntniseinheiten) gehört aber nur das,
was wir meinen, während wii* aussagen; was dieses Meinen als
Abstraction tmd Aufmerksamkeit. 145
solches, nach seinem Sinne constituirt; wie es sich aus Theil-
meinangen aufbaut; welche wesentlichen Formen und Unterschiede
es aufweist; und dergleichen mehr. Was die Erkenntnistheorie inter-
essirt, mufs aosschliefsiich im Inhalt des Bedeatungs- und
Erfüllungserlebnisses selbst aufgewiesen werden. Wenn wir
unter diesem evident Aufweisbaren auch den Unterschied zwisclien
allgemeinen und individuell -anschaulichen Vorstellungen vorfinden
(was doch zweifellos statthat), dann kann keine Rede von gene-
tischen Functionen und Zusammenhängen daran etwas ändern,
oder auch nur zu seiner Aufklärung etwas beitragen.
In diesen Beziehungen kommt man aber nicht erheblich weiter
und entgeht unseren Einwänden nicht, wenn man, wie Mill es
thut, die ausschliefsliche Aufmerksamkeit auf eine einzelne
attributive Bestimmtheit (auf einen unselbständigen Zug) des an-
schaulichen Gegenstandes als den im actuellen Bewufstsein liegen-
den Act ansieht, der den Namen, bei der gegebenen genetischen
Sachlage, seine „allgemeine" Bedeutung verschafft Wenn neuere
Forscher, die hier Mill's Auffassung (obschon nicht seine extrem
empiristischen Tendenzen) theilen, sich selbst Conceptualisten
nennen, sofern ja mit dem die „Attribute" vergegenständlichenden
Interesse der Bestand allgemeiner Bedeutungen gewährleistet sei,
so ist doch und bleibt ihre Lehre eine in Wahrheit nomina-
listische.
Die Allgemeinheit bleibt dabei die Sache der associativen
Function der Zeichen, sie besteht in der psychologisch geregelten
Anknüpfung „desselben Zeichens" an „dasselbe" gegenständliche
Moment — oder vielmehr an das in immer gleicher Bestimmtheit
wiederkehrende und fallweise durch Aufmerksamkeit betonte Moment
Aber diese Allgemeinheit der psychologischen Function
ist nichts weniger als die Allgemeinheit, die zum intentio-
nalen Inhalt der logischen Erlebnisse selbst gehört;
oder objectiv und ideal gesprochen, die zu den Bedeutungen
und Bedeutungserfüllungen gehört Diese letztere Allgemein-
heit geht dem Nominalismus ganz verloren.
Hasierl, Log. Untera. n. 10
§ 1 6. c) Allgemeinheit der psychologischen Function und die
Allgemeinheit als Bedeutungsform. Der vrrsehiedefie Sinn der Beziehung
des Allgemeinen auf eifien umfang.
Um dioseii wiclitif^en üntei-schied zwiscfien der AllKOnifinheit
der psyehologisflien Function uml der Allo;emeinlieil, die zum
Bedeutungsgehalt selbst gehört, zu völliger Deutlichkeit zu bringen,
ist es durchaus nöthig auf die verschiedenen logischen Functionen
der allgemeinen Namen nnd Bedeutungen zu achten, und im
Zusammenhange damit auf den verecliicdeuen Sinn der Rede von
ihrer Allgemeinheit, oder von ihrer Beziehung auf einen Umfang
von Einzelheiten.
Wir stellen folgende drei Formen neheneinander: ein A,
alle A, (las A übahdiipf; z. B. ein Dreieck, alte Dreiecke, das
Dreieck, letztei-es nach Mafsgabe des Satzes das Drciech ist eine
Figur intei7)retirt. '
In priidicativor Function kann der Ausdruck ein A in un-
begrenzt vielen kategorischen Aussagen als Prädicat dienen, und
der Inbegriff der wahren, oder in sicli mögliclien Aussagen dieser
Art bestimmt alle möglichen Subjecte, denen es wahrhaft zu-
kommt oder ohne Unverträglichkeit zukommen könnte, ciit A zu
sein; also mit einem Worte, den walrren oder möglichen „Um-
fang" des „Begriffes" A. Die allgemeine Bedeutung A, bezw.
eiti A, bezieht sich auf alle Gegenstände des Umfangs (wir nehmen
der Einfachheit halber den Umfang im Sinne von Wahrheit), das
heilst, es gelten die Sätze des bezeichneten Inbegriffs; und sxib-
jectiv gesprochen, es sind die Urtheilo von entsprechendem Inhalt
' Das Wort, welches der Buchstabe A in solchen Vorbiudungen aym-
bolisirt, sdieint zunächst als synkategorematiscli gelten zu müssen. Die Aus-
drücke: der Löwe, ein Löwe, dieser Löwe, alle Löwen u. s, w. hnben siclieilich,
und sogar evident, ein Büdeutungseleiiient gemein; aber e.s IHbt sich, könnt«
man denken, nicht isolireu. Wir können zwar blofs sagen „Uwe", aber einen
selbständigen Sitm haben kann das Wort nur nai;h Mafsgabe einer jener Formen.
Ob jedoch nicht die eine dieser Bedeutungen in allen anderen enthalten ist,
ob nicht die directe Vorstellung der zu A geböiigeu Species in all den übrigen
Bedeutungen steckt?
hIs evidente möglich. Diese Allgemeinheit gehört also zur logi-
schen Function dos Prädicatcs. Im ein/.olnen Acte, im jeweiligen
Vollziige (ter BtMleutung ein A, oder des entsprei'heniloi) luljec-
tiviscben Prädicutes, ist sie nichts; sie wird in ihm litirc!) die
Form der Unbestimmtheit vertreten. Wns das Wörtclien ein aus-
drückt, ist eine Form, die evidenti»rm«rsen dem Actchanikter, der
Bedeutungsintention, hezw. ßcdentungserfüllimg zugehört. Es ist
ein schlechthin irrethictibles Bewufstseinsraoment, dessen Eigenart
man nur anerkennen, iiber durch keinerlei psychologisch -geneti-
sche Betrachtungen wegdeuten kann. Ideal zu letlen: das Ein
drückt eine primitive logische Form aus. Aelinliches gilt offen-
bar von der Weise der Verknüpfung in der Complexion ein A^
die eben eine primitive logische Comploxionsform darstellt.
Die Allgemeinheit, von der wir hier sprechen, gehört, sagten
wir, zur logischen Function der Prädicate, sie besteht als logi-
sche Möglichkeit von Siit/.on gewisser Art. Die Betonung des
logischen Charakters dieser Möglichkeit besagt, dafs es sich um
eine o priori einzuseliende, zu den Bedeutungen als specifisclien
Einheiten, nicht aber zu den p.sjchologisch zufälligen Acten ge-
hörige Möglichkeit handelt. Sehen wir ein, dafs roth ein allge-
meines, d. h. au viele mögliche Objecte anzuknüpfendes Priidicat
ist, so geht die Meinung nicht auf das, was im realen Sinne,
nach Naturgesetzen, die das Koramen und Gehen der zeitlichen
Erlebnisse regeln, sein kann. Von Erlebnissen ist hier gar keine
Rede, sondern v»)n dem Einen und identischen Priidicat rof/i und
von der Möglichkeit gewisser, im selben Sinne einheitlicher Sätze,
in welchen dieses selbe Prädicat auftritt.
Gehen wir zur Form alte A über, so gehört liier die Allge-
meinheit zur Form des Actes selbst. Ausdrücklich meinen wir
ja alk Af auf sie alle bezieht sich im univei-sollen Urtheil unser
Vorstellen und Prädiciren, obschon wir vielleicht nicht ein ein-
ziges A „selbst" oder „direct" vorstellen. Diese Vorstellung des
Umfangs ist eben keine Comple-xion von Vorstellungen der Glieder
des Umfangs, und ist es so wenig, dafs die etwa vorschweben-
den Einzelvorstellungen überhaupt nicht zur Bedeutungsintention
10*
des alle A goliören. Auch hier weist das Alle auf eine eigen-
thümliche Bedeiitiingsforni hin, wobei es daliingestellt bleiben
kann, ob sie in einfachere Formen auflösbar ist oder nicht.
Betrachten wir schliefslich die Form das A (in specie), so
gehört auch jetzt wieder die Allgenioinlieit zu dem Bedeutungs-
gehalt st'lbst. Aber hier tritt uns eine ganz aiulersartigf Allge-
meinheit entgegen, die des Specifischen, die nur Umfangsulignnu-in-
heit in sehr nahen logischen Beziehungen steht, aber von ihr
evident unterschieden ist. Die Formen das A und alle A (ebenso:
irgend ein A iilierhaitjd - gleichgiltig welches) sind nicht be-
deutungs-identisch; ihre Verschieden iieit ist keine „blul's gram-
matiseho" und am Ende gar nur durch den Wortlaut be-
stimmte. Es sind logisch unterschiedene Formen, wesentlichen
Bedeutungsunterschieden Ausdruck gebend. Das Bewufstsein der
specifischen Altgetneinheit mufs als eine wesentlich neue Weise
des „Voi-stellens'' gelten, und zwar als eine solche, die nicht blofs
eine neue Weise der Vorstellung individueller Einzelheiten dar-
stellt, sondern eine neue Art von Einzelheiten zum Bewufstsein
bringt, nämlich die specifischen Einzelheiten. Was das für
Einzelheiten sind, und wie sie sich n prion zu den individuellen
Einzelheiton verhalten, bezw. von ihnen untei-scheiden, das ist
natürlich aus den logischen Wahrheiten zu entnehmen, die in den
reinen Formen gründend, für die einen und anderen Einzelheiten
und ihre wechselseitigen Beziehungen a prion gelten. Hier giebt
es keine Unklarheit und keine mögliuhe V^erirruug, wofern man
sich an den schlichten Sinn dieser Wahrheiten, oder was dasselbe
ist, an den schlichten Sinn der betreffenden Bedeutungsformen
hält, deren evidente Interpretationen eben logische Wahrheiton
heifsen. Eret die fehlerhafte Metabasis in psychologistische und
metaphysische Gedankengänge bringt die Unklarheit; sie sr'luifFt
die Scheinproblerae und die Scheintheorien zu ihrer Lösung.
I
§ 17. d) Anwendung auf die Kritik des Nominalismus.
Keliren wir nun zur nominalistischen Abstractjonstheorie wieder
zurück, so irrt sie, wie wir aus dem Vorstehenden entnehmen, vor
Allem darin, dafs sie die Bowiirstseiusformen (die Intentionsforraen
und die ihnen correlaten Erfüll ungsfürniiju) in ihren inL'diietibein
Eigenheiten ganz übersieht. Bei der Muiigelhuftigkoit ilirer descrip-
tivun Analyse fehlt ihr die Einsicht, dafs die lugisohea Furmon
nichts weiter sind, als diese ins Einlieitsbowurstseiu erhobenen, also
selbst wieder zu idealen Specics ubjecüvirten Formen der Bedeu-
tungsintention. Und zu diesen Formen gehört eben auch die All-
gemeinheit. Der Nominalismus vermengt ferner die verschiedenen
Begriffe von Allgemeinheit, die wir oben gesondert haben. Er be-
vorzugt einseitig die Allgemeinheit, die zu den Begriffen in ihrer
prädicativen Function und zwar als Möglichkeit gehört, denselben
Begriff an mehrere Subjecto prädicativ anzuknüpfen, üa er aber den
logisch-idealen, in der bedeutungsiiiäfsigün Form wurzelnden Cha-
rakter dieser Möglichkeit verkennt, schiebt er ihr psychologische
Zusammenhänge nuter, die dem Sinn der betreffenden Prädicato und
Sätze uoth wendig fremd, ja mit iJim incommensui'abel sind. Da
er zugleich den Anspruch erhebt, in solchen psychologischen Ana-
lysen das Wesen der allgemeinen Bedeutungen vollständig geklärt
zu haben, wird durch seine Vermengungen in besonders crasser
Weise die Allgemeinheit des univei-sellen und die des specifischeu
VorsteUens betroffen, von welchen wir erkannten, dals sie zum
bedeutungsniäfsigou Wesen tles einzelnen Actes für sich, als ihm
einwohnende ßedeutungsformen gehören. Das, was phänomeno-
logisch den einzelnen Act mitconstituirt, erscheint nun in ein
psychologisches Spiel von Ereignissen umgedeutet, die für den
einzelnen Act, in dem doch das volle und ganze AUgemeiuheits-
bewufiätsein lebendig ist, nichts zu sagen haben, es sei denn in
der Weise von Wirkungen oder ürsaclien.
§ 18. Die Lehre von der Aufmerksamkeit
als generalisireiuier Kraß.
Dutvii die letzte kritische Bemerkung werden allerdings einige
neuere, an Miu, (oder, weiter zurückzugehen, an Berkeley) an-
knüpfende Forscher nicht betroffen, sofern sie das Problem, wie
die Species als unterschiedslose Einheit gegenüber der Mannig-
I
faltigkeit erwächst, gesondert stellen und es ohne Recurs auf die
Allgemeinheit der associativen Function, bezw. auf die allgemeine
Verwendung desselben Namens und Begriffs auf alle Gegenstände
seines Umfange«, zu lösen versuchen.
Der Gedanke ist hiebei folgender:
Die Abstraktion als ausschliefsendes Interesse be-
wirkt eo ipso Verallgemeinerung. De facto ist das abstrahirte
Attribut freilich nur ein Be.standstück in der Erscheinung der
individuellen Ciiuii>le.\iyn von Attributen, die wir den phänome-
nalen Gegenstand nennen. Aber in nn/.iihligen solclien Complexionen
kann „dasselbe" Attribut, d. b. ein inhaltlich völlig gleiches auf-
treten. Was die Wiederholungen dieses selben Attiibutes von Fall
zu Fall unterscheidet, ist einzig und allein die individnalisirende
Verknüpfung. Somit bewirkt die Abstracfion, als aussebüefsliches
Interesse, dafs die UntiTscIiiodenbeit des; Abstrabirten, seine In-
dividualisation verloren geht. Das als Kehreeite der concentrii-ten
Zuwendung gegebene Absehen von allen individualisirenden
Momenten, liefert das Attribut als Etwas, das in der Tbat überall
ein und dasselbe ist, weil es sich in allen Fällen zu vollziebeudor
Abstraction nicht als nnterechieden darstellen kann.
In dieser Auffassung, sagt man, ist zugleich alles enthalten,
was zum Verständnis des allgemeinen Denkens nöthig ist. — Wir
lassen hier am Besten dem genialen Bischof von Ci.oyne das Wort,
der hinsichtlich der vorgetragenen Lehre der erste Anreger war,
obschon er in seiner eigenen auch noch anderen Gedanken Eintlufs
gönnt, als hier berührt worden sind. Es erscheint, meint er, zunächst
als eine Schwierigkeit, „wie wir anders wissen können, dafs ein Satz
von allen einzelnen Dreiecken wahr sei, als wenn wir ihn zuerst
an der abstracten Idee eines Dreiecks, die von allen einzelnen
gleichmäfsig gelte, bewiesen gesehen haben. Denn daraus, dafs
gezeigt sein mag, eine Eigenschaft komme irgendeinem einzelnen
Dreieck zu, folgt ja doch nicht, dafs dieselbe gleicherweise auch
irgendeinem anderen Dreieck zukomme, welches nicht in jedem
Betracht identisch mit jenem ist. Habe ich z. B. gezeigt, dafs die
"'■^Val eines gleichschenkeligen rechtwinkeligen Dreiecks
zwei rechten Winkeln gleich seien, so kann ich hieraus nicht
schliefsen, dufs das Nänilii^ho von allen anderen Dreiecken gelte,
welche weder einen rechten Winkel, noch zwei einander gleiche
Seiten haben. Es scheint demnach, lials wir, um gewifs zu sein,
dals dieser Satz allgctnein wahr sei, entweder einen besonderen
Beweis für jedes einzelne Dreieck führen müssen, was unmöglich
ist, oder es ein- für allemal zeigen müssen an der allgemeinen
Idee eines Dreiecks, woran alle einzelnen unterschiedslos theil-
haben, und wodurch sie alle gleichmiifsig rcpräsentirt werden/'
„Darauf antworte ich, dals, obsebon die Idee, die ich im Auge
habe, während ich den Beweis führe, z. B. die eines gleich-
schenkeligen rechtwinkeligen Dreiecks ist, dessen Seiten von einer
bestimmten Länge sind, ich nichtsdestoweniger gewifs sein kann,
dei-selbe Beweis finde Anwendung auf alle anderen geradlinigen
Dreiecke, von welcher Form oder Grüfse auch inuner dieselben
sein mögen, und zwar darum, weil weder der rechte Winkel, noch
die Gleichheit zweier Seiten, noch auch die bestimmte Dinge der
Seiten irgendwie bei der Beweistuhrung in Betracht gezogen
worden sind. Zwar trägt das Gebilde, welches ich vor Augen
habe, alle diese Besonderheiten an sich, aber es ist durchaus keine
Erwähnung derselben in dem Beweise des Satzes geschehen.
Es ist nicht gesagt worden, die drei Winkel seien darum zwei
rechten gleich, weil einer von ihnen ein rechter sei, oder weil die
Seiten, welche diesen einschlielsen, gleich lang seien, was aus-
reichend zeigt, dal's der Winkel, der ein rechter ist, ein schiefer
hätte sein mögen und die Seiten ungleich, tmd dafs nichtsdesto-
weniger der Beweis giltig geblieben wäre. Aus diesem Grunde
und nicht darum, weil ich von der nbstracten Idee eines Dreiecks
den Beweis geliefert hätte, scbliefse ich, dafs das von einem ein-
zelnen rechtwinkeligen gleichschenkeligen Dreieck Erwiesene von
jedem schiefwinkeligen und ungleichseitigen Dreieck walir sei. Es
muTs hier zugegeben werden, dafs es möglich ist, eine Figur
_blofs als Dreieck zu betrachten, ohne dafs man auf die
sonderen Eigenschaften der Winkel oder Verhältnisse
Fer Seiten achtet. Insoweit kann man abstrahiren; aber dies
152 //. Die ideale Einheit der Species.
bev\reist keineswegs, dafs man eine abstracte allgemeine, mit inne-
rem Widerspruch behaftete Idee eines Dreiecks büden könne. In
gleicher Art können wir Peter, insofern er ein Mensch ist, be-
trachten, ohne die vorerwähnte abstracte Idee eines Menschen oder
eines lebendigen Wesens zu bilden, indem nicht alles Ferci-
pirte in Betracht gezogen wird."'
§ 19. Einwä/nde. a) Das ausscJdiefsliche Achten auf ein Merkmals-
motnent behebt nicht dessen Individualität.
Dals wir diese, zunächst so ansprechende Auffassung ablehnen
müssen, wird uns sofort klar, wenn wir uns das Ziel vergegen-
wärtigen, dem die Abstractionstheorie zu dienen hat, nämlich den
Unterschied der allgemeinen und individuellen Bedeutungen zu
klären, d. i. dessen anschauliches Wesen herauszustellen. Die in-
tuitiven Acte sollen wir uns vergegenwärtigen, in weichen sich
die blofsen Wortintentionen (die symbolischen Bedeutungen) mit
Anschauung erfüllen und sich so erfüllen, dafs wir sehen können,
was mit den Ausdrücken und Bedeutungen „eigentlich gemeint"
sei. Die Abstraction soll hier also der Act sein, in dem sich das
Allgemeinheitsbewufstsein als die Erfüllung der Intention all-
gemeiner Namen vollzieht Dies müssen wir im Auge behalten.
Sehen wir nun zu, ob die auszeichnende Aufmerksamkeit zu dieser
eben klargelegten Leistung befähigt ist, und zumal ob sie es unter
der Voraussetzung ist, welche in der Theorie eine wesentliche
Rolle spielt: nämlich dafs der Inhalt, den die abstractive Auf-
merksamkeit auszeichnet, ein constitutives Moment des con-
creten Gegenstandes der Anschauung ist, ein Merkmal, das ihm
reell einwohnt
Wie immer die Aufmerksamkeit charakterisirt werden mag,
sie ist eine Function, die in descriptiv eigenartiger Weise Gegen-
stände des Bewulstseins bevorzugt und sich (von gewissen graduellen
Unterschieden abgesehen) von Fall zu Fall auch nur durch die
■ IJSREELET , A Treatise eoneeming the Principles of Human Knmckdge.
Eiulcitung, § 16 (nach Ueukrwkos Uebersetzung S. 12 f.).
Geg:enstände unterscheidet, denen sie diese Bevorzugung ertheilt,
Fülglicli kann nach der Theoriu, die das Abstrahiren mit dem
Aufmerken identilicirt, zwischen dem Meinen des Individuellen,
wie es z.B. zur Intention der Eigennamen gehört, und dem Meinen
des Allgemeinen, das den Namen vi)n Attributen anliaftot, kein
wesentlicher Unterschied sein; er besteht eben nur durin, dafs
einmal der ganze individuelle Gegenstand, das andere Mal das
Atti'ibut gleichsam mit dem geistigen Blick fixirt wird. Nun fragen
wir aber, üb denn das Attribut, da es doch im Sinne der Theorie
ein coustituireudes Moment des üegenstandes sein soll,
nicht genau so ein individuell ilinzelnes sein miifste, wie der ganze
Gegenstand. Angenommen wir concentriren unsere Aufmerksamkeit
auf das Oriin des eben vor uns stehenden Baumes. Wer es bei
sich zu ermöglichen vermag, steigere die Concentration gar bis
zu der von Mill' angenommenen Hewufstlosigkeit hinsichtlich aller
mit verbundenen Momente Üunn sind, wie man sagt, die sämmt-
lichen irgend fafsbai-en Anlialtspunkte für den Vollzug der indivi-
dualisirenden Untorschpidting entsclnvuiideii. Wüi-de uns plötzlieii
ein anderes Object von genau gleicher Färbung unterschoben,
wir würden keinen unterschied merken, das Grün, dem wir aus-
schiiefslich zugewendet sind, wäre für uns eines und dasselbe.
Lassen wir all das gelten. Aber wäre nun dieses Grün wirklich
dasselbe wie jenes? Kann unsere Vergefslichkeit oder unsere ab-
sichtliche Blindheit für alles Unterscheidende irgendetwas daran
ändern, daJs, was objectiv verschieden ist, nacli wie vor ver-
schieden bleibt, und dafa das gegenständliche Moment, das wir
beachten, eben dieses hier und jetzt seiende ist und kein
anderes?
Wir können doch nicht bezweifeln, dafs die Verschiodonhoit
wirklich besteht. Mit Evidenz lehrt die Vergleichung zweier con-
creter getrennter Ei-scheinungen von „derselben" Qualität, etwa „dem-
selben" Grün, dafs eine jede ihr Grün hat. Die beiden Erschei-
nungen sind nicht miteinander verwachsen, als ob sie „dasselbe"
■ Vgl. z. 6. die Sciüulswortti des Citatü obuu S. 138.
Grün ais individuell-Identisches gemeinsam hätten; vielmehr ist
das Grün des einen von deiujeiiigi.'ii des Aiulern real so jjetrennt
wie die concrettni (Janzen, denen sie einwohnen. Wie gäbe es
auch sonst einheitliche (jnalitative Configurationen, in welchen
dieselbe Qualität wierlerhult auftreten kann, und welchen Sinn
hätte noch die Rede von der Ausbreitung einer Farbe über eine
ganze Fläche. Jeder geometrischen Zerstückung der Fläche ent-
spricht evidentermafsen auch eine Zeretückung der oinheitlicbon
Fiirbung, wahrend wir doch, unter Voraussetzimg völlig gleicher
Färbung, sagen und sagen dürfen, „die" Farbe sei überall
„dieselbe".
Danach giebt uils die Theorie gar keinen Aufschlufs über den
Sinn der Rede von dem identisch Einen Attribut, von der Species
als Einheit in der Manuigtaltigkcit. Es ist evident, dals diese
Rede etwas Anderes nuiint als das gegenständliche Moment, das
als Einzelfall der Species in die sinnliche Erscheinung tritt. Aus-
sagen, die für den Einzelfall Sinn und Wahrheit haben, werden
für Species falsch und geradezu widersinnig. Die Färbung hat
ihren Ort und ihre Zeit, sie breitet sich aus und hat ihre Stärke,
sie entsteht und vergeht. Auf die Farbe als Species angewon<!et,
geben diese Prädicate lauter Widersinn. Wenn ein Haus abbrennt,
so brennen alle Theile ab; die individuellen Formen und Quali-
täten, alle constituirendcn Theile und Momente überhaupt, sind
nun dabin. Sind nun etwa die UetrefTenden geometrischen, quali-
tativen und sonstigen Species verbrannt, oder ist davou zu reden
nicht die pure Absurdität?
Fassen wir das Gesagte zusammen. Ist die Aufiuerksumkeits-
theorie der Abstraction richtig, und ist in ihrem Siune das Auf-
merken auf das ganze Objcct und das Aufmerken auf seine Theile
und Merkmale im Wesen ein und derselbe Act, nur eben durch
die Objectc untci-schieden, auf die er sich richtet, so giebt es für
unser Bewufstscin, für unser Wissen, für unser Aussagen keine
Species. Ob wir uutcrscheideii nder verwechseln, das Bewufstsein
richtet sich dann idlczeif auf itidividurll Einzelnes, und als .solches
ist dieses ihm gegenwärtig. Da man es nun aber nicht leugnen kann.
I
dafs wir in distinctem Sinn von Species sprechen, dals wir in
unzähligen Füllen nicht das Einzelne, sondern seine Idee meinen
und nennen, dafs wir über dieses ideal Eine als Subject genau
so Aussagen niafhen können, wie über das individuell Einzelne,
so verfehlt die Theorie ihr Ziel; sie will das Äügenieinheits-
bewufstaein aufkliiren und giebt es im Inhalt ihrer Aufklärungen
preis.
§ 20. b) Widerlegung rfcs Argumentes aus dem geometrischen Denken.
Wie steht es nun aber mit den Viirtheilcn, welche die Theorie
für das Vefötiinduis des allgemeinen Denkens verspricht? Ist nicht
richtig, was Behkxlky so eindringlich ausführt, dafs wir im geo-
metrischen Beweis eines auf alle Dreiecke bezüglichen Satzes nur
jeweils ein imlividiiellos Dreieck, das der Zeichnung, im Auge
iuiben, und dafs wir dabei nur von den Bestimmungen Gebrauch
machen, die ein Dreieck überhaupt als Dreieck kennzeichnen,
während wir von allen anderen absehen r* Wir machen nur von
diesen Bestimnuaigen Gebrauch, das heilst, nur auf sie sind wir
achtsam, wir machen sie zu Objecten eines auB.scliliefsendon Auf-
merkens. Wir kommen also ohne die Annahme allgemeiner
Ideen aus.
Das Letztere gowifs — wofern wir darunter die Ideen der
LocKE'schen Lehre verstehen. Aber diese Klippe zu vurmeiden,
brauchen wir uns noch lange nicht in die Irrwege der nomina-
iistischcn Lehre zu verlieren. Bkrkeley's Ausführung können wir
im Wesentlichen durchaus billigen; aber die Deutung, die er ihr
unterlegt, müssen wir ablehnen. Er verwechselt die Grundlage
der Abstraction mit dem Abstrahirten, den concreten Einzelfall,
aus dem sich das Allgemeinheitsbewufstsein seine intiutive Fülle
schöpft, mit dem Gegenstande der Denkintention. BEitKELKV spricht
so, als üb der geometrische Beweis für das Tiutendivieck auf dorn
Papier oder für das Kroidodreieck auf der Tafel geführt würde,
uml als ob im allgemeinen Denken überhaupt die uns zufällig
vorschwebenden Einzelobjecte statt blofser Stützen unserer Denk-
intention, deren Objecto wären. Ein geometrisches Verfahren, das
156 //. Die ideale Einheit der Spedes.
sich in Berkkley's Sinne nach der gezeichneten Figur richtete,
würde gar merkwürdige Resultate ergeben, aber schwerlich sehr
erfreuliche. Für das Gezeichnete im physischen Sinn gilt kein
geometrischer Satz, weil es eigentlich keine gerade, keine geometrische
Figur überhaupt ist und je sein kann. Die idealen geometrischen
Bestimmtheiten sind in ihm nicht vorfindlich, sowie es etwa in
der Anschauung des Farbigen die Farbe ist. Gewife blickt der
Mathematiker auf die Zeichnung hin, und sie erscheint ihm in
der Weise eines sonstigen Anschauungsobjectes. Aber in keinem
seiner Denkacte meint er diese Zeichnung, und meint er einen
individuellen Einzelzug in ihr; sondern er meint, wofern er nicht
abschweift, „eine Gerade überhaupt". Dieser Gedanke ist das
Subjectglied seines theoretischen Beweises.
Das, worauf wir also achten, ist weder das concrete Object
der Anschauung, noch ein „abstracter Theilinhalt" (d. h. ein un-
selbständiges Moment) desselben, vielmehr ist es die Idee im
Sinne der specifischen Einheit. Sie ist das Abstractum im logischen
Sinne; und demgemäfs ist logisch oder erkenntnistheoretisch als
Abstraction nicht das blofse Hervorheben eines Theiliuhalts, sondern
das eigenartige Bewuistsein zu bezeichnen, das die speciüsche Ein-
heit auf dem intuitiven Grunde direct erfafst.
§ 21. Der Unterschied xivischen dem Aufmerken
auf ein unselbständiges Moment des angeseliauten Gegenstandes und
dem Aufmerken auf das cntsprecJiende Attribut in specie.
Es dürfte nicht unnütz sein , den Schwierigkeiten der bestrittenen
Theorie noch ein wenig nachzugehen. Im durchgeführten Gegen-
satz wird unsere eigene Auffassung an Deutlichkeit gewinnen.
Das concentrirte Aufmerken auf ein attributives Moment soll
die intuitive Erfüllung (die „eigentliche"* Meinung) der allgemeinen
Bedeutung ausmachen, die dem Namen des zugehörigen Attributs
anhaftet. Die Species intuitiv meinen, und die concentrirte Auf-
merksamkeit vollziehen, soll einerlei sein. Aber wie verhält es
sich, fragen wir nun, mit den Fällen, wo wir es ausdrücklich
I
auf das indi virlnelle Moment abgesehen haben? Was
macht beidereeits don unterschied aus? Wenn uns irgendein
individueller Zug am Gegenstande, seine eigenthümliche Färbung,
seine edle Form u. dgl. auffällt, so achten wir speciell auf diesen
Zug und doch vollziehen wir keine allgemeine Vorstellung. Die-
selbe Frage betrifft die vollen Concreta. Worin liegt der Unter-
schied zwischen der ausschliefslielien Aufmerksamkeit auf die
individuell erscheinende Statue und dem intuitiven Erfassen der
entsprechenden Idee, die in unzähligen realen Statuen zu ver-
wirklichen wäre?
Von der Gegenseite wird nuui wol antworten: Bei der indivi-
duellen Betrachtung fallen die individualisirenden Momente in den
Bereich des Interesses, bei der specifischen Betrachtung bleiben
sie ausgeschlossen; „das Interesse gelit nur auf das Allgemeine", d. i.
auf einen Inhalt, der für sich zur individuellen Unterscheidung
nicht ausreicht Statt hier den obigen Einwand zu urgiren —
ob denn das Achten auf die individualisirenden Bestimmungen
die Individualität erst macht, und das Nicht-achten sie wieder
aiifliebt — werfen wir vielmehr die Frage auf, nb wir in der in-
dividuellen Betrachtung die individualisirenden Momente, die wir
doch mitbeachten sollen, nothwendig auch meinen. Nennt der
individuelle Eigenname implicite auch die individualisirenden Be-
stimmungen, also etwa die Zeitlichkeit und Oertlichkeit? Hier
steht Freund Hans und ich nenne ihn Hans. Zweifellos ist er
individuell bestimmt, ihm kommt jeweils ein bestimmter Ort, eine
bestimmte Zeitstelle zu. Wären diese Bestimmtheiten aber mit-
gemeint, so änderte der Name seine Bedeutung mit jedem Schritte,
den Freund Haus eben macht, und mit jedem einzelnen Falle,
wo ich ihn namentlich nannte. Schwerlich wird man derartiges
behaupten, und auch zu der Ausflucht wird miin sieh nicht wenden
wollen, dals der Eigenname eigentlich ein allgemeiner Name sei:
als ob die ihm eignende AllgemeinLeit in Relation zu den mannig-
faltigen Erscheinungen desselben dinglichen Individuums nicht in
der Form verschieden wäre von der specifischen Allgemeinheit des
Attributs oder der dinglichen Oattungsidee.
Jedenfalls ist uns das Hier und Jetzt bei der nnfmerksnmen
Betrachtung eines Stückes oder chiirakteristisolien Zuges am Ge-
genstande oft genug gleicligiltig. Wir merken also nicht speciell
tlarauf, während wir doch nicht daran denken, eine Abstraction
in dem Sinne einer allgemeinen Vorstellung zu vollziehen.
Vielleioht sucht man sicli hier durch die Annahme zu helfen,
dafs die intiiviciualisirenden Bestimmungen nebenbei beachtet
seien. Aber dies kann uns wenig nützen. Nebenbei ist gar Vieles
bemerkt, aber darum lange noch nicht gemeint. Wo sich das All-
gcmeinhi'itsbewurstsein intuitiv, als wahre und echte Abstraction
vollzieht, ist der individuelle Oegensttuul der fundircnden An-
schauung sicherlich mitboacbtet, obschon durchaus nicht gemeint.
Miu/s Rede von der Bewufstlosigkeit hinsiciitlicli der abstractiv
ausgeschlossenen Bestimmungen ist eine, genau genommen, un-
nütze und sogar absurde Fiction. ' In den häufigen Fällen, wo
wir im Hinblick auf eine anschauliche Einzeithatsache die ent-
sprechende Allgemeinheit aussprechen, bleibt das Einzelne vor
unseren Augen, wir sind für das Individuelle des Falls nicht
plötzlich blind gewurden; sicherlich nicht, wenn wir z.B. auf diesen
blühenden Jasmin hinblicken und, seinen üuft einathmend, aus-
sagen: Jasmin hat einen berauschenden Duft.
Wollte man endlich zu der neuen Ausflucht greifen, dafs das
Individunlisirende zwar nicht so speciell beachtet sei. wie das,
wofür wir vorzüglich interessirt sind, auch nicht nebenbei beachtet,
wie die ganz aufserhalb des herrschenden Interesses liegenden Ob-
jecte, vielmehr mitbeachtot, als mit zu diesem Interesse gehörig
und von seiner Intention in eigenthümlicher Weise implicirt —
so verläfst man schon den Boden der Theorie. Sie erhob doch
' Man sieht leicht, iaSa im Gefolge dieser angeblicheo ,Bewu£jtIosigkeit''
der absurde ^lüfitnftöi dor I/joKE'sohen aUgemRinen Idee wiederkehrte. Was
nicht „bewufet" ist, kann uiclit BewuIäteB difforenziireD Würo ein aussclilieüs-
licheR Aubtea auf das Itreieckmoinent überhaupt derart mögticb, doTs die
difforenziirt'üdeu Charaktyre aus dem DewufstHeiu ver.schwitniieii, so wäre der
„bewurstu" (jegenstand, der aiiscliaiüiolie, Dreieck überhaupt und iiitihto
weiter.
den Ansprncli mit dem blofsen pnintirenden Hinblicken auf den
gegebenen concreteti fieK''"stund oder auf die in Ibiii gegebene
Besonderheit auszukommen, und nun endet sie damit, unterschiedone
Bewufstseinsformen zu supponiren, die sie ersparen sollte.
§ 22. Fundamentale Mängel in tler phänomenologischen Analyse
der Aufmerksamkeit.
Dies lenkt uns zugleich auf den wundesten Punkt der Theorie.
Er liegt in der Frage: Was ist Aufmerksamkeit? Wir machen es
ilerThem-ie natürlich nicht zum Vorwurfe, dafs .sie uns keine durch-
geführte Phänomenologie und Psychologie der Aufmerksamkeit
bietet, sondern dafs sie nicht in dem Mafse das Wesen der Auf-
merksamkeit klart, wie es für ihre Zwecke durchaus erforderlich
ist.' Dessen mufste sie sich vergewissem, was dem Worte Auf-
merksamkeit den einheitlichen Sinn giebt, um dann zuzusehen wie
weit der Umfang seiner Anwendung roieht, und welelies jeweils
die Gegenstände sind, die im normalen Sinn als die beachteten zu
gelten haben. Und sie mufste sich vor Allem auch fragen, wie sich
das Aufmerken zum Bedeuten oder Meinen verhalte, das die Namen
und die sonstigen Au.^idrücke zu sinnvollen macht. Eine Abslrac-
tionstheorie der bestrittenen Art wird nur dui-cli das schon von
Locke eingeführte Vorurtheil möglich, dafs die Gegenstände, worauf
sieh das Bevvufstsein in seinen Acten unmittelbar und eigentlich
richtet, und speciell, dafs die Gegenstände des Aufmerkens notli-
wendig psychische Inhalte, reelle Vorkommnisse des Bevvufstsoins
sein müfsten. Es scheint ja ganz selbstverständlich: Unmittelbar
kann sieh der Bewufstseinsact nur an dem betliätigen, was in ihm
wirklieb gegeben ist, an den Inhalten, die es constituiren. Aufser-
' A. V. MeiNO.No iirtheilte (1877) in Rcineii anregenden Huma-Studien
(T, !fi [IftB]) ander». „Gohiirt', sagte or, die Aiifnierksaniki;it nm:li zu jenen
Tliafsachen des j^eistigen Lebens, für deren Erklärung die Psycliologie nocli am
allerwenigsten getlian hat, so kennen wir sie dock. Dank der inneren Erfahning,
gut genug, dafs die Krage nach der Abstraution wenigstens als gelöst zu be-
trachten ist, subald sich diese, wie ... kaum zweifelhaft sein kann, auf die
Phänuinene der Aufuierksainkeit und Ideenassociation zurückfilbren läfst.*
160 //. Die ideale Einheit der Species.
bewufstes kann also nur mittelbarer Gegenstand eines Actes sein,
und dies geschieht einfach dadurch, dafs der unmittelbare Inhalt
des Actes, sein erster Gegenstand, als Repräsentant, als Zeichen
oder als Bild des nicht Bewufsten fungiri
Hat man sich an diese Betrachtunpweise gewöhnt, so kommt
es leicht, dafs man, um die objectiven Verhältnisse und Formen
zu klären, die zur Intention der Acte gehören, vor Allem auf die
präsenten Bewufstseinsinhalte als die vermeintlich unmittelbaren
Gegenstände hinblickt und dann, durch die scheinbare Selbst-
verständlichkeit der Rede von Repräsentanten oder Zeichen ge-
täuscht, die eigentlichen, angeblich mittelbaren Gegenstände der
Acte ganz aulser acht läfst. Den Inhalten mifst man nun un-
vermerkt all das bei, was die Acte, nach ihrer schlichten Meinung,
in den Gegenstand legen; seine Attribute, seine Farben, For-
men u. 8. w. werden dann ohne Weiteres als Inhalte bezeichnet und
wirklich als Inhalte im psychologischen Sinn, z.B. als Empfindungen,
gedeutet.
Wie sehr diese ganze Auffassung den klarsten Aussagen der
Erfahrung widerstreitet, und wieviel Unheil sie in der Erkenntnis'
theorie angerichtet hat, werden wir noch reichlich zu beobachten
Gelegenheit haben. Hier mag es genügen, darauf hinzuweisen,
dafs, wenn wir beispielsweise ein Pferd vorstellen oder beurtheilen,
wir eben das Pferd und nicht unsere jeweiligen Empfindungen
vorstellen und beurtheilen. Das Letztere thun wir offenbar erst
in der psychologischen Reflexion, deren Auffassungsweisen wir
nicht in den unmittelbaren Thatbestand hineindeuten dürfen. Dafs
der zugehörige Belauf an Empfindungen oder Phantasmen erlobt
und in diesem Sinne bewufst ist, besagt nicht und kann nicht
besagen, dafs er Gegenstand eines Bewufstseins in dem Sinne
eines darauf gerichteten Wahrnehmens, Vorstellens, ürtheilens ist
Diese verkehrte Auffassung übt nun auch auf die Abstractions-
lehre ihre schädlichen Einflüsse. Durch jene vermeintlichen Selbst-
verständlichkeiten beirrt, nimmt man als die normalen Objecto,
auf die wir aufmerksam sind, die erlebten Inhalte. Das erschei-
nende Concretum gilt als eine Complexion zu einem Anschauungs-
Ahstraelion und Aufmerksamkeit.
161
bild verwachsener Inhalte, nämlich der Ath-ibute. Und von diesen
als (erlebte, psychische) Inlialte gefafsten Attributen heifst es dann,
sie könnten vemiöge ihrer Unselbständigkeit von dem concret voll-
ständigen Bilde nicht abgetrennt, sondern nur an ihm beachtet
werden. Wie durch eine solche Abstraetionstheorio die absti-acten
Ideen jener Klasse attributiver Bestimnuingen erwachsen sollen,
die zwar wahrgenommen, aher ihrer Natur nach niemals adäquat
wahrgenommen, also nie in Form eines psychischen Inhalts gegeben
sein können, ist unverständlich. Ich erinnere nur an die dreidimen
sionalen RaiimgesLilten, zumal an die geschlossenen Körperflächen
oder die vollen Körper, wie Kugel und Würfel, üod wie steht
es mit der Unzahl begrifflicher Yorstellungeu, die allenfalls unter
Mithilfe der sinnlichen Anschauung reaüsirt werden und denen
doch kein anschauliches Moment, auch nicht in der Sphäre der
inneren Sinnlichkeit, als Einzelfall entspricht? Von einem blofsen
Achten anf das in (sinnlicher) Anschauung Gegebene, und gar
auf die erlebten Inhalte, kann hier gewifs keine Rede sein.
Wir auf unserem Standpunkt würden zunächst in der, bisher
um der Einfachheit willen meist bevorzugten, Sphäre der sinn-
lichen Abstraction unterscheiden: zwischen den Acten, In denen
ein attributives Moment anschaulich „gegeben" ist, und den darauf
gebauten Acten, die statt Acte blofser Aufmerksamkeit auf dieses
Moment, vielmehr neuartige Acte sind, welche generalisirend die
zugehörigen Species meinen. Ob die Anschauung das attributive
Moment in adäquater Weise giebt oder nicht, darauf kommt es
hiebei nicht an. Ergänzend würden wir dann unterscheiden; die
Fälle der sinnlichen Abstraction. d. h. der sich der sinnlichen An-
schauung schlicht und eventuell adäquat anmessenden Abstraction;
und die Fälle unsinnlicher, oder höchstens partiell sinnlicher
Abstraction; d. h. die Fälle, wo sich das realisirte AUgemeinheits-
bewufstsein höchstens zum Theil auf Acten der sinnlichen An-
schauung, und dann zum anderen Theil auf nichtsinnlichen Acten
autbaut und somit gedankliche Formen in sich schliefst, die sich
ihrer Natur nach in keiner Sinnlichkeit erfüllen können. Für das
Erstere bieten die ungemischten Begriffe ans äufserer oder innerer
Bnsiorl, Log. Unten. U.
11
Sinnlichkeit, wie Farbe, Geräusch, Schmerz, Urtheil, "Wille, für
das Letztere ßog^-iffe wie Reihe, Summe, Disjunctivum, Identität,
Sein u. dgl. passende Beispiele. Dieser Unterschied wird uns in
den weiterfolgenden Untersuchungen noch ernstlich beschäftigen
müssen.
§ 23. Die sinngemäfse Hede von der Aufmerksamkeit
umfafst die gesammte Sphäre des Denketis und nicht blofs die des
Ansehauens.
Der einheitliche Sinn der Rode vom Aufmerken fordert so wenig
Inhalte im i>syc.hulogischeii Sinn als die Gegenstände, auf welclio wir
merken, dals er über die Sphäre der Anschauung liinansreicht und
die gesammte Sphäre des Denkens umfafst. Es ist dabei gleich-
gütig, wie das Denken sich vollzieht, ob anschaulieh fundirt uJer rein
symbolisch. Sind wir mit der (iiHur der Rena issa nee, der Philo-
sophie des AUerthiivis, dem E>itmckliiinjs(/a>i(/e der nstronomi-
schen VorsieUungeit, mit elUpiischen Functionen, Curcen n'"
Ordnvmj, Geselxen algebraischer Operationen ii. s. w. theoretiscli
beschäftigt, so sind wir auf all das aufmerksam. Vollzielieu wir
einen Gedanken der Form irgemlcin A, so sind wir darin eben
auf irgendein A und nicht auf dieses da aufmerksam. Hat unser
Urtheil die Form alk A sind D, so gehört unsere Aufmerksam-
keit diesem allgemeinen Sachverhalt, es handelt sich uns um die
Allheit, und nicht um diese oder jene Einzelheit. Und so über-
all. Nun kann ü'eilich jeder Gedanke, oder wenigstens jeder in
sich einstimmige, evident werden, indem er sich in gewisser Weise
auf „correspondirender" Anschauung aufbaut. Aber die auf ihrem
Grunde, auf dem der inneren oder äufsereu Sinnlichkeit vültzogene
Aufmerksamkeit kann nicht Aufmerksamkeit auf ihren phänomeno-
logischen (descriptiv-psychologischen) Inhalt und ebensowenig auf
lÜMi in ihr erscheinenden Gegenstand besagen. Das irgendein
mtn$gt« oder irgendein beliebiges, das alle oder jedes, das und,
mi^'^ mieht, das nenn und so u. dgl. ist nichts an einem Gegen-
4wr ftuidironden sinnlichen Anschauung Aufweisbares, es ist
kttttod on^ptinden oder gar äufserlich darstellen und malen
liefse. Natürlich entsprechen all dem gewisse Acte; die Worte
haben ja ihre Bedeutung; indem wir sie verstehen, vollziehen wir
gewisse Foi-men, die zur gegenständlichen Intention gehüren. Aber
nicht sind diese Acte (die phänomenologiscli betrachtet ebenfalls
Inhalte sind) das Objective, das wir meinen; sie sind ja das
Meinen (das Vorstellen) selbst, sie werden nur gegenständlich in
der psychologischen Reflexion. Das Objective des Meincns ist
jonachdera der universelle Sachverhalt alle A sind B, der gene-
relle das A (in specie) ist B, der unbestimmt singulare irgend
ein A ist D n. s. w. "Weder die individuelle Anschauung, die
etwa zur Fundirung der Evidenz die Denkvorstcllnugeu begleitet,
noch die Actcharaktere, welche die Anschauung formen oder sich
in der geformten intuitiv erfüllen, sondern die im Vollzug der
Acte auf solcher Grundlage „einsichtig" gewordenen gedank-
lichen Objecto, die gedanklich so und so gefafsten Gegen-
stände und Sachverhalte sind das, worauf wir aufmerksam
sind. Und natürlich besagt die „ Abstraction", in der wir statt
blofs auf das individuell Anschauliche hinzublicken (es aufmerk-
sam wahrzunehmen u.dgl.), vielmehr ein Gedankliches, Bcdeutungs-
mäfsiges erfassen, gamichta Anderes, als dafs wir in diesem ein-
sichtigen Vollzug der gedanklichen, bald so und bald anders
geformten Acte leben.
Der Umfang des einheitlichen Begriffes Aufmerksamkeit
ist also ein so weiter, dafs er den ganzen Beroicli des anschauen-
den und denkenden Meinens umfafst, also das des Vorstellens
in einem fest begrenzten, aber hinreichend weit gefafsten Sinne,
der Anschauen und Denken gleichmäfsig begreift Statt Vor-
stellen könnten wir ungozvvuni^en auch sagen „Bemerken'' — wobei
das letztere Wort in einem entsprechend weiten, durchaus sprach-
gemäfsen und nicht erst künstlicli erweiterten Sinn zu nehmen ist.
(Abermals synonym ist Bewufstsein, ein freilieh sehr vieldeutiges
Wort.) Die unterscheidende Rede vom Aufmerken, als einer ge-
wissen Bevorzugung innerhalb der Sphäre des Bemerkens, betrifft
also einen gewissen Uuterechied, der von der Species der Vor-
stellungsart (von der Welse des Vorstellens) unabhängig ist. Ge-
ll*
wisse Vorstellungen vollziehen wir, wahrend wir nicht auf ihre,
sondern auf die Gegenstände anderer Vorstellungen „concen-
trirt" sind.
Wenn man sich das Bemerken als eine schlichte, weiterer
Beschreibung nicht fiiliige "Weise vorstellt, wie uns Inhalte, die in
der Bewufstscinseinheit sonst zusamnienfliefsen, zu gesondertem
Bewufstseiii kommen, wie sie von uns „herausgehoben" oder „vor-
gefunden" werden; wenn man in ähnlichem Sinne alle Unterschiede
in der Weise des Vorstellens leugnet und dann die Aufmerksam-
keit als eine erhellende und pointirende Function ausiolit, die in
diesem Kreise waltet: so verengt man in excessiver Weise die
Begriffe, deren weitere Bedeutungen man doch nicht auflieben
kann, und in die man daher unvermeidlicli Kurückfallt. Durch
die Verwechslung von Gegenstand und psychischem Inhalt ver-
wirrt, übersieht man, dafs die Gegenstiinde, die uns „bewufst"
werden, nicht im Bewufstsein als wie in einer Schachtel einfach
da sind, dafs man sie darin blofs vorfinden und nach ihnen
greifen könnte; sondern dafs sie sich in verschiedenen Formen
gegenständlicher Intention als das, was sie uns sind und gelten,
allererst constituiren. Man übersieht, dafs von dem ernstlichen
Vorfinden eines psychischen Inhalts, d. i. von dem reinen inneren
Anschauen eines solchen, bis zur äufseren Wahrnehmung und
Imagination von wahrhaft nicht vorgefundenen und je vorfind-
baren Gegenständen, und von da bis zu den höchsten Gestaltungen
des Denkens mit seinen mannigfaltigen Bedeutungsformen , ein
wesentlich einheitlicher Begriff fortläuft; dafs überall, ob wir
wahrnehmend, phantasirend, erinnernd anschauen, oder ob wir
in empirischen und logisch -mathematischen Formen denken, ein
Vermeinen, lutendiren vorhanden ist, das auf einen Gegenstand
abzielt. Das blolse Dasein eines Inhalts im psychischen Zu-
sammenhang ist aber nichts weniger als dessen Gemeintsein. Dies
erwächst zuerst im „Bemerken" dieses Inhalts, das als ein Absehen
aif dMselben, eben ein Vorstellen ist Das blofse Erlebtsein
^g^ lalttlts als dessen Vorgestelltsein zu definiren, und in Ueber-
«mmm; «Ue erlebten Inhalte überhaupt Vorstellungen zu nennen,
das ist eine Begriffsvei'talsclmng, welche in der Philosophie kaum
noch ihresgleichen hat. Jedenfalls ist die Zahl der erkenntnis-
theoretischen und psycliologisclien Intliünier, dio sie verschuldet
hat, Legion. Halten wir uns an den inten tionalen, für Erkountnis-
theorie und Logik allein niafsgeblichen VorstellungsbegrüT, so
werden wir nicht mehr urthcilen können, dals aller Unterschied
zwischen Vorstellen und Vorteilen sich auf die Unterechiede der
vorgestellten „Inhalte" reducire. Im Gegentheil ist es evident,
dafs speciell im Gebiet des Reinlogischen jeder priiuitiven logischen
Form eine eigene „Weise des Bewufstseius", oder eine eigene
„Weise des Vorstellens" entspricht. Insofern allerdings jede neue
Weise intentionaler Beziehung in gewisser Art immer auch die
Gegenstände betrifft, nämlich die gedanklichen Formen schafft,
in welchen die Gegenständlichkeit oben gedacht ist, kann man
wo! auch sagen, aller Unterschied des Vorstellens liege im Vor-
gestellton. Dann aber mufs man woi beachten, dafs die Unter-
schiede des Vorgestellten, der Objectivität, eben zweierlei sind,
Unterschiede der bedeutangsnmfsigen Form, und solche der Sache
selbst, die in einer Mehrheit von Formen als eine identische er-
scheinen kann. Darüber Näheres in den weiter folgenden Unter-
suchungen.
Viertes Kapitel.
Abstraction nnd Repräsentation.
§ 24. Die allgeitieine Vorsteüung als dmkökonomischcr Kunstgriff.
Es ist ein vom mittelalterlichen Nominalismus herstammender
Trrthum, wenn man die allgemeinen Begriffe und Namen als biofse
Kunstgriffe einer Denkökonomie hinzustellen liebt, welche Kunst-
griffe uns die Einzelbetrachtung und Einzelbenennung aller in-
dividuellen Dinge ersparen sollen. Durch die begriffliche Function,
sagt man, überwindet der denkende Geist die ihm durch die un-
I
übersehbare Mannigfaltigkeit der individuellen Einzelheiten ge-
steckten Schranken, ihren dcnkökononiischen Leistungen dankt er
die indirecte Erreichung des Erkenntnisziels, das auf directem
Wege nimmermehr erreichbar wäre. Die allgemeinen Begriffe
geben uns die Möglichkeit, die Dingo gleichsam bündelweise zu
betrachten, mit Einem Schlage für ganze Klassen, also für Un-
zahlen von Objecten Aussagen zu machen, statt jedes Object für
sich auffassen und beurtlieilen zu müssen.
Der neueren Philosophie führt Locke diesen Gedanken zu.
So heifst es z. B. in den Sclilufsworten des dritten Kapitels im
in. Buch des Essay: „...t/iat inen tuaUhuj abstract idcas, aitd sdi-
Utiff them in their minds with nnmes annexed to tbem, do thereby
enahlc ihemselves to consider thirigs, and discoursc of t/icm as
il u'cre in Itnndlc.f, for llie casicr and rendicr hnprorcnicnt and
conununication of tbcir Icnoickdijc; uhich ivoiild adtance bitt
slowly were their words and tlwnghts confincd onlij to parti-
culars. " '
Diese Darstellung kennzeichnet sich als eine widersinnige,
wenn man bedenkt, dafs sich ohne allgemeine Bedeutungen über-
haupt keine Aussage, also auch keine individuelle, vollziehen
läfst, und dafs in keinem logisch relevanten Sinn von Denken,
Urtheilon, Erkennen die Rede sein kann auf Grund blofs directer
Individualvorstclhingen. Die idealste Anpassung des menschlichen
Geistes an die Mannigfaltigkeit der individuellen Dinge, die wirk-
liche und sogar mühelose Durchführung adiiquater EinzolaulTassung
würde das Denken nicht überllüssig machen. Denn die so er-
reichbaren Leistungen sind garnicht die Leistungen des Denkens.
Auf dem Wege der Anschauung liegt z. B. kein Gesetz. Mag
sein, dafs die Kenntnis von Gesetzen für die P^rhaltung der denken-
den Wesen förderlich, dafs sie die Bildung anschaulicher Er-
wartungvorstelluugen nützlich regelt, und in viel nützlicherer Weise
regelt, als es der natürliche Zug der Association thut. Aber die
' Vgl. auch donScliluJs des Citates im § 9 der vorliegsDiim üoterauchnng,
S. 126. Unter den Neaoroii erwäline it-li Rickrri „Zur Theorie der naturv^'issen-
scbaftl. Bogriffsl.nldung", Viortoljahrsscbrift f. wiss. Philos. XVIII.
Abstraetion und Rqträsentation.
167
Beziehung der Denkfunction auf die Erhaltung der denkenden
Wesen, und in unserem Falle der Menschheit, geliört in die
psychische Anthropologie und nicht iu die Erkenntniskritik. Was
das Gesetz als ideale Einheit leistet, nämlich in der Weise der
allgemeinen Aussagebcdoiitung eine Unzahl von niögliehon Einzel-
füllen logisch in sich zu befassen, das kann keine Anschauung,
und wäre es die göttliche Allerscbauung, leisten. Anschauen ist
Bn nicht denken. Die Vollkommenheit des Denkens liegt frei-
Tich im intuitiven, als dem „eigentlichen" Denken; bezw. im Er-
kennen, wo die Denkinteutiou gleichsam befriedigt in Anschau-
ung übergeilt. Aber schon nach den kurzen Ausführungen im
vorigen Kapitel dürfen wir es als eine grundfalsche Deutung dieser
Sachlage bezeichnen, wenn man das Anschavien — verstanden im
gewöhnlichen Hinne von Acten der äufseren oder inneren Sinn-
lichkeit — als die eigeutliche intellectuelle Function fassen will,
deren leider allzu enge Schranken durch indirecte, Anschauung
sparende Hilfsmittel zu überwinden, die wahre Aufgabe des re-
präsentativen Denkens sei. Allerdings pflegt uns ein allorschauonder
Geist als logisches Ideal zu gelten; aber dies nur darum, weil
wir ihm stillschweigend mit dem Allerschauen auch das Allwissen,
das Alldenken und Allerkennen, unterlegen. Wir stellen ihn dem-
nach als einen Geist vor, dor sich nicht im blofsen {gedanken-
leeren, wenn auch adäquaten) Anschauen bothätigt, sondern auch
seine Anschauungen kategorial formt und .synthetisch verknüpft
und nun, in den so geformten und verknüpfton, die letzte Er-
füllung seiner Denkintentionen findet, hierdurch das Ideal der An-
erkenntnis realisircnd. Wir werden daher sagen müssen: Nicht
blofse Anschauung, sondern adäquate, kategorial geformte und
sich so dem Denken vollkommen anmessende Anschauung, oder
umgekehrt, aus der Anschauung Evidenz schöpfendes Denken ist
das Ziel, ist wahres Ii)rkennen. Nur innerhalb der Sphäre des
denkenden Erkennens hat die „Dcnkükonoraie'', die vielmehr Er-
kenntnisökonomie ist, einen Sinn und dann auch ihr reiches Gebiet^
Vgl. auch die Prolegomena zur reineu Logik, Kap. IX.
§ 25. Ob die allgemeine Repräsentation als wesentliches Charakteristikum
der allgemeinen Vorstellungen dienen könne.
Die ebcu dinrakterisirtc Auftassuug iler Allgenieinbegriife als
denkersparondor Kuustgriffo erhält ilirc iiäbcro Ausgostaltung durch
die Theorie der Repriiseutation: In Wahrheit giebt es, sagt
man, nur anschauliche Einzelvorstelhingen , und io ilincn geht
alles Denken von statten. Aus Noth oder Bequemlichkeit sub-
stituiren wir aber den eigentlich z» vollziehenden Vorstellungen
gewisse andere als ihre Stellvertreter. Der ingeniöse Kunst-
grüT der allgemeinen, auf eine ganze Klasse bezüglichen
Repräsentation gestattet Ergebnisse, die so ausfallen, als ob
immerfort die eigentlichen Vorstellungen gegenwärtig wären; oder
vielmehr Ergebnisse von concentrirter Leistung, welche all die
Einzelergebnisse zusammen befassen, die wir auf Grund wkkliclier
Vorstellung gewinnen könnten.
Selbstverständlich wird diese Lehre von unseren obigen Ein-
wänden niitbetroffen. Der Gedanke der Repräsentation spielt aber
auch in Abstractionslehren eine Rolle, die auf den dcukökono-
nüschen Werth der stell vortretenden Function kein erhebliches
oder überhaupt kein Gewicht legen. Es wird sich fragen , ob nicht
dieser, von den Lehren der Denköbonoraie abgelöste Gedanke zur
wesentlichen Charakteristik der allgemeinen Bedeutungen mit Nutzen
dienen könnte. Das Wort Repräsentation ist jedenfalls von schwan-
kender Vieldeutigkeit. Es ist zweifellos, dafs man in einem guten
Sinn sagen kann, dafs der allgemeine Name oder die fundirende
Einzelanschauimg Reprii.sentant der Klasse sei. Aber zu überlegen
ist, ob sich die verschiedenen Bedeutuugeu des Wortes nicht in-
einander mengen, und ob daher seine Verwendung zur Chai-ak-
teristik statt zu klären, nicht vielmehr vorwirre oder geradezu
falsche Lehren begünstige.
Nach unseren Darlegungen kann das Unterscheidende der
allgemeinen Vorstethingen (gleichgiltig ob wir hier die allgemeinen
Bedeutungsintentionen oder die entsprechenden Bedeutungsert'ül-
lungen vorstehen) von den anschaulichen Einzelvorstellungon nicht
ein blofser Unterschied der psycliologisclien Function sein, ein
blofser Unterscliied der Rollo, welclie gewissen Einzel Vorstellungen
der inneren und äufseren Siiiiiliehkoit im Zusammenhange unseres
psychischen Lebensprocesses zugetheilt ist. Dem entsprechend
haben wir es nicht mehr nöthig, uns mit Darstellungen der Re-
präsentationstheorie auseinanderzusetzen, welche von der Repräsen-
tation nur als von einer solchen psychologischen Function sprechen,
während sie das fundamentale phiinoraonologische Factum, die neu-
artigen Bowufstseinswoisen, die dem einzelnen Erlebnis des all-
gemeinen Ausdrückens und Denkens sein ganzes Gepräge verleihen,
gamicht berühren. Jlituiiter wird dieser cardinale Punkt im Vor-
beigehen gestreift, es verräth sich an einzelnen Aeufseriingen, dafs
man das Phänomenologische nicht ganz übersieht. Vielleicht werden
sogar die Meisten auf unsere Vorhaltungou antworten, es sei, was
wir betonen, auch ihre Meinung. Allerdings bekunde sich die
repräsentative Function in eiuem phänomenal eigenthümlicben
Charakter. Aber die allgemeine Vorstellung sei dabei nichts An-
deres als eine Einzelvorstellung, nur in etwas anderer Weise
tingirt; das anschaulich Vorgestellte gelte uns in dieser Tinction
als Repräsentant für eine ganze Klasse untereinander ähnlicher
Individuen. Indessen kann dieses Zugeständnis doch wenig nützen,
wenn man das logisch und crkenntnistheorotisch Wichtigst© in
dieser Art wie eine geringfügige Beigabe zur individuellen An-
schauung behandelt, die am doscriptiveu Inhalt des Erlebnisses
nichts Erhebliches ändere. Obgleich man hier den neuen Act-
charakter, der den Wortlaut und das illustrirende Bild allererst
ge<lanklich beseelt, nicht ganz übersieht, hält man es doch nicht
für nöthig, ihm ein specielles descriptives Interesse zuzuwenden;
mit der nicht eben sehr klaren Kode von der Repräsentation hält
man Alles für abgethan. Man bringt es sich nicht zum Bewufst-
sein, dafs in diesem und älmlicheu Actcharakteren alles Logische
beschlossen ist, dafs, wo im logischen Sinn von „Vorstellungen" und
„Drtheilen" und deren mannigfaitigen Formen die Rede ist, nur Acte
dieser Art die Begriffe bestimmen. Mim sieht auch nicht, dafs
die individuellen Anschauungen zwar in gewisser Weise die Oruüd-
lagen tiir die neuartigen, auf sie gebauten Acte des gedankliciion
Vorsteilens (sei es des „synibolischeu'' oder „eigentliclien" Vor-
stellons) iibgebon; daJ^ sie selbst aber, mit ihrer eigenen sinn-
lich-anschaii liehen Intention in den Inhalt des Gedankens gar
nicht eintreten, und dafs somit das gerade fehlt, was der vor-
wiegende und von den Vertretern der Repräsentationstheorie ge-
meinte Sinn der Rode von der Repräsentation voraussetzt.
§ 26. Fcnisdxiuiij. Die verschiedenen Modificationen
des AUf/emcinlteitsbewußtseins und die sinnliclic Anschauung.
Nähere Äu.sführungen werden hier nicht unnütz sein. Jene
neue Auffassung, welche dem Namen oder Bild einen repräsen-
tativen Charakter verleiht, ist, betonten wir, ein neuartiger Act
des Vorstellens; es vollzieht sich itn Bedeuten (und nicht blol's im
allgemeinen Bedeuten) eine im Vergleich mit der hlofsen Änsciiau-
ung des „äufsoreu" oder „inneren Sinnes" neue Weise der Meinung,
die einen ganz anderen Sinn und oft auch einen ganz anderen
Gegenstand hat, als die Meinung in blofser Anschauung. Und
je nacli der logischen Function des allgemeinen Namens, je nach
dem Bedeutungszusainmenliauge, in dem er anftritt, und den er
ausprägen hilft, ist (wie wir schon gelegentlich bemerkt haben)' der
Inhalt dieser neuen Meinung ein verschiedener, sich nach seinem
descriptiven Wesen mannigfaltig differenziirender. Nicht mehr ist
das individuoll Angescliaute sclilechthin gemeint, sowie es da er-
scheint; sondern bald ist die Species in ihrer idealen Einheit ge-
meint (z. B. die Toiisfuß c, die Zahl 5), bald die Klasse als Allheit
der am Allgemeinen theilhabenden Einzellieiteu (itUc Töne dieser
Tonstufe: formal; nUc A) , bald ein unbestimmt Einzelnes dieser Art
(ein A) oder aus dieser Klasse (irgend Einet- unter den Aj, bald
dieses angeschaute Einzebie, aber als Träger des Attributs gedacht
(dieses A hier) , u. s. w. Jede solche Modification ändert den „In-
halt" oder ,,Sinn" der Intention; mit anderen Worten, es ändert
sich mit jedem Schritte das, was im Sinne der Logik die Vor-
I
' Vgl. oben im lU. Kapitel § 16, S. Uüff.
Stellung heifst. Ob dio jeweils begleitende iiidividiiello Anschau-
ung dieselbe bleibt oder immerfort wechselt, ist gleichgiltig; die
logische Vorstellung ändert sieh, wenn sieh die Meinung (der Sinn
des Ausdrucks) ändert, und sie bleibt identisch dieselbe, sü lange
ihre Meinung dieselbe bleibt. Wir brauchen hier nicht einmal
darauf Gewicht zu legen, dufs dio fundirendo Erscheinung ganz
fortfallen kann.
Die Verschiedenheit der gedanklichen und sinnlichen „Auf-
fassung" ist eine wesentliche; es ist nicht so, wie wir beispiels-
weise „dasselbe Object" einmal als Wachsjuippe und das andere
Mal (in Täuschung befangen) als lebendige Person auffassen: als
ob nur zwei individuell -anschauliche Auffassungen miteinander
wechselten. Es darf auch der Umstand nicht täuschen, dafs die
vorstellende Intention in den Formen iler gedanklichen Einzel-
vorstfllung, Mebrheits- und Allheitsvorstellung auch auf indivi-
duelle Einzelheiten (auf eine, mehrere oder alle ihrer Art) ge-
richtet sein kann. Es ist ja evident, dafs der Charakter der Intention,
und somit der Bedeutungsgehalt, ein total anderer ist gegenüber
irgendwelchen anschaulichen (sinnlichen) Vurstollungen. Ein A
meinen ist etwas anderes, als ein -'1 schlicht anschaulich (ohne den
Gedanken ein A) vorstellen, und wieder ein Anderes ist es, sich
darauf in iliroctor Bedeutung und Nennung, also durch Eigen-
namen, beziehen. Die Vorstellung ein Men.sch ist verschieden
von der Vorstellung iSol^ntfes, und ebenso ist von beiden auch
verschieden die Vorstellung der Mensch Soknitcji. Die Voretellung
einige A ist nicht eine Summe von Anschauungen dieser oder
]äener A, auch nicht ein coUigirender Act, der vorgegebene
Einzelanschauungcn in Eins zusanimenfarsto (obschon bereits diese
Einigung mit ihrem gegenständ! iclicn Correlat, dem Inbegriff,
eine Mehrleistung ist, dio über die Sphäre der sinnlichen An-
schauung hinausgeht). Wo dergleichen als exemplificirondo An-
schauung zu Grunde liegt, da sind es nicht diese erscheinen-
den Einzelheiten und ihr Inbegriff, worauf wir es abgesehen
haben; wir meinen eben „eiiiiye'-'' A, und dies läfst sich in
kleiner äufseren oder auch inneren Sinnlichkeit erschauen. Das-
selbe gilt natürlich von anderen allgemeinen Bedeutungsfornien,
80 von den Anzalilfortnen wie xivei oder drei, und wieder von
der Allheitsform wie olle A. Die Allheit ist im logischen Sinne
vorgestellt, sowie wir den Ausdruck alle A verstehen und sinn-
gemiifs verwenden. Sie ist also vorgestellt in der Weise des ein-
heitlichen Gedankens, und nur so oder in einer entsprechenden
„eigentlichen" Form kann sie überhaupt als Allheit zum Bewufst-
sein kommen. Denn anschauen können wir nur Dies und Jenes.
Wieviele Einzelheiten wir dabei durchlaufen, und wie eifrig wir
sie colligiren mögen, bestenfalls wären, wenn die Erechöpfung des
Begriifsumfanges wirklich gelänge, alle A vorgestellt, und doch
wären nicht alle A vorgestellt, die logische Vorstellung wäre nicht
vollzogen. Ist sie es andererseits, so mag sie nach Anschauung
langen und von ihr Klärung erhoffen und erfahren. Aber man
.sieht, dafs nicht die sinnlich -anschauliche Herstellung der vor-
gestellten Gegenständlichkeit, hier der sämmtlichen A, das „was
eigentlich gemeint" ist, vor Augen zu stellen vermag. Vielmehr
mufs sich die gedankliche Intention, in der Art, wie es ihre Form
und ihr Inhalt fordern, auf Anscliauung beziehen und sich in ihr
erfüllen, und so erwächst ein comple.ver Act, der den Vorzug der
Klarheit und Einsichtigkeit erlangt, aber nicht etwa den Gedanken
beseitigt und ihm ein blofses Bild substituirt hat.
Mit diesen vorläufigeti und noch ziemlich oberflächlichen An-
deutungen müssen wir uns hier begnügen. Um den Unterschied
zwischen Doukou und An.scliaueu, uneigentlichom imd eigentlichem
Vorstellen aufzuklaren, werden wir in der letzten Untersuchung dieses
Buches umfassentie Analysen ansteUen, wobei sich ein neuer Anschau-
ungsVjegrifE von dem gewöhnliehen, dem der sinnlichen Anschauung,
abheben wird.
§ 27. Der berecläüjte Sinn der allgemeinen Eepräsenlaliott.
Nach diesen Ueberlegungen worden wir nun gar wenig ge-
neigt sein können, uns mit der altbeliebtcn Rede von der repräsen-
tativen Function der allgemeinen Zeichen und Anscbauungsbilder
zu befronnden. Sie ist vermöge der Vieldeutigkeit und zumal in
I
der Iiiterpretation, die man ihr gemeiniglicli giobt, untiuiglich zur
klärenden Charakteristik des sich in allgemeinen Formen bewegenden
Denkens irgendetwas beizutragen.
Die Allgemeinheit der Vorstellung soll in der Allgemeinheit
der Repräsentation liegen. Dürften wir die Letztere als jeno nene
Bewufstseinsweiso veretchen, die sich anf Grund der Anschauung
vollzieht, oder genauer, als jene wechselnden Müditicutionon, in
denen das Allgemeinheitsbewurstsein, sei es als BewufstseiQ des
Specifischen, sei es als AllheiLsbewufstsein, sei es als unbestimmtes
Einheits- oder MehrheitsbewuTstsein u. s. w. charakterisirt ist: dann
wäre Alles in Ordnung. Die Kede von einer repräsentativen Function
des Anschanungsbildes wäre dann insofern anwendbar, als das
Anschauungsbild in sich nur ein Einzelnes der betreffenden Species
vorstellig macht, aber als Anhalt für das daraufgebaute begriffliche
Bewufstsein fuugirt, so dafs mittelst seiner die Intention auf die
Species, auf die Allheit derBegriffsgegenständo, auf ein unbestimmt
Einzelnes der Art u. s. w. zu Stande kommt In gegenständlicher
Hinsicht könnte dann auch der anschauliche Gegenstand selbst
als Repräsentant für die Species, für die Klasse, für das unbe-
stimmt intendirte Einzelne u. s. w. bezeicijnet werden.
Was von den illustrirenden Anschauungsbilderu gilt, gilt auch
von den Namen, wo sie ohne illusti-ative Beihilfe „repräsentativ"
fungiren. So gut das Bedeutungsbewufstsein sich auf Grund in-
adäquater und schlie&lich von eigentlicher E.xemplificiruiig weit
entfernter Anschauung entfalten kann, so gut auch auf Grund der
blofsen Namen. Der Name ist Repräsentant, das lieifst dann nichts
Anderes, als dafs seine physische Erscheinung Träger der be-
treffenden Bedeutungsintention ist, in welcher das begriffliche Ob-
ject inteudirt ist.
Bei dieser Auffassung bliebe der Nominalismus ausgeschlossen.
Denn nun reducirt sich das Denken nicht mehr auf irgendwelche
äufserlicho Hantirungen mit Namen und Einzelideen oder gar auf
unbewufsto associativo Mecliaiiismon, welctio die Einzelheiten an
ihren Stellen hervorspringen lassen wie die Ziffern einer Rechen-
maschine; sondern es giebt ein von dem anschaulichen Vorstellen
(als (1cm (lirect auf den erscheinenden Gegenstand bezogenen
Meinen) descriptiv unterschiedenes bcgriÜ'liches Vorstellen: ein
Meinen von fundunioutal neuer Artung, zu dem die Formen des
Ein und Mehrere, des Ztvci und I>rei, des Irgendetwas über-
haupt, des Alle u. s. w. gehören. Und darunter findet sich dann
auch die Form, in welcher sich die Species in der Weise des
vorgestellten Gegenstandes constitiiirt, so dafs sie als Subject mög-
licher Attributionen oder Prädicationen fungiren kann.
§ 28. Die Rupräsentalion als Stellvertretung. Locke und Berkeley.
Die Rede von der allgemeinen Repräsentation hat aber in der
historischen Abstractionslehro nicht den eben dargelegten und allein
berechtigten Inhalt, für den der Name Repräsentation freilich gar
wenig pafste. Gemeint ist vielmehr die Stellvertretung des
Zeichens für das Bezeichnete.
Schon Locke hat der Stellvertretung im Zusammenliang niit
seiner Lehre von den abstracten Ideen eine wesentliche Rolle zu-
gewiesen und von ihm hat die Abstractionstheorie Bekkelky's und
seiner Nachfolger diesen Gedanken übernommen. So lesen wir
z. B. bei Locke': „It is piain . . ., that gencral and universal
belong not io tke real existence of ihings; btit are the inventions
and creatures of the itnder.ttandiiig, made by it for its oum ttse,
and concern only Signs, ichelher words or idcas. Words
are generale ■ ■ ■ ■ ivhen n.tcd for .^it/n.s- of grnrrnl idras, nnd so
are appJicnhk iiidi/fereiitli/ to inani/ pnrticiilar lliings: and ideiis
are genrral irlien theg are sei iip a.s the representati-
ves of many ijarticular ihings; . . . Ihrir genrral natiire
heing not hing hiit ihc capacity they tirc put inio hg the nnder-
standing, of signifging or rej)reseniing mang particii-
lars; for tke signi fication they havc is nothing bat a relation,
iJiai, by the mind of man, is added to tliem."
Bkiikei.ey'.s lebhafte Angriffe gegen Locke's Abstractions-
lebre betreffen dessen „abstracto Ideen"; aber dieselbe repräsen-
B. ra. cbap. m. sect 11.
tative Function, die Locke diesen beimirst, tiberträgt Berkeley den
jeweilig präsenten Einzeiideen, bezw. den allgemeinen Nnnien au
und für sich. Ich erinnere an folgende Ausführungen in der Ein-
leitung zu den „Pmieiples of Human Knowledge": ,, Wollen wir
mit unseren Worten einen bestimmten Sinn verknüpfen und nur
vom Begreiflichen reden, so müssen wir, glaube ich, anerkennen,
dafs eine Idee, die an und für sich eine Einzelideo ist,
allgemein dadurch wird, dafs sie dazu verwendet wird, alle
anderen Einzolideen derselben Art zu repräsontiren oder
statt derselben aufzutreten. Damit dies durch ein Beispiel
klar werde, stelle man sieb vor, dafs ein Geonieter den Nach-
weis führe, wie eine Linie in zwei gleiche Theile zu zerlegen sei.
Er zeichnet etwa eine schwarze Linie von der Länge eines Zolls;
diese Linie, die an und für sich eine einzelne Linie ist, ist
nichtsdestoweniger mit Rücksiebt auf das, was durch sie
bezeichnet wird, allgemein, da sie, wie sie hier gebraucht
wird, alle einzelnen Linien, wie auch immer dieselben be-
schaffen seien, reprüsentirt, so dafs, was von ihr bewiesen
ist, von allen Linien oder, mit anderen Worten, von einer Linie
im Allgemeinen bewiesen ist. Ebenso, wie die einzelne Linie
dadurch, dafs sie als Zeichen dient, allgemein wird, so ist der
Name Linie, der an sich particular ist, dadurch, dafs er als
Zeichen dient, allgemein geworden. Und wio die Allgenieinbeit
jener Idee nicht darauf beruht, dafs sie ein Zeichen für eine
abstracte oder allgemeine Linie wäre, sondern darauf, dafs sie ein
Zeichen für alle einzelnen geraden Linien ist, die exi-
ßtiren künnen, so mufs angenommen werden, dafs das Wort
Linie seine Allgemeinheit derselben üreacho verdanke, nämlich
dem Umstände, dafs es verschiedene einzelne Linien unterschieds-
los bezeichne.'"
„Allgemeinheit besteht, soviel ich begreifen kann, nicht in
dem absoluten positiven Wesen oder Begriffe [nniiirc or ron-
' Ich citiro (mit kleinen Abwoichungen) nach UtBsttwco's Uebereetzuog,
I B. lOf. (§ 12).
ceptiofi] von irgendetwas, sondern in der Beziehung, in welcher
etwas /u anderem Einzelnen steht, was dadurch bezeichnet oder
vertreten wird, wodurch es geschieht, dafs Namen, Dinge oder
Begrifie/ die ihrer eigeneu Natur nach particular sind, allgemein
werden. *
„Es scheint . ., dtiTs ein Wort allgemein wird, indem os als
Zeichen gebraucht wird nicht für eine abstracto allgemeine Idee,
sondern für mehrere Einzelideon, deren jede es ohne Bevor-
zugung im Geiste erregt [any onc of which it indifferenÜij
sugijcsts io Ihe niindj. Wird z. B. gesagt: die Bewcgumisiindemntj
ist ptopoiiional der auft/eicemlcteu Kraft, oder: alles Aitsgcdelmfe-
ist theilbar, so sind diese Regeln von Bewegung und Ausdehnung
im Allgemeinen zu verstehen; dennoch folgt nicht, dafs sie in
meinem Geiste eine Vorstellung von Bewegung ohne bewegten
Körper oder ohne eine bestimmte Richtung und Geschwindigkeit
anregen .... sondern es liegt darin niu', dafs, welche Bewegung
auch immer ich betrachten mag, sei dieselbe schnell oder langsam,
senkreclit, wagrecht oder schräg, sei sie die Bewegung dieses
oder jenes Objeets, das sie betreffende Axiom sich gleich-
mäfsig bewahrheite. Ebenso bewahrheitet sich der andere Sata
bei jeder besonderen Ausdehnung . . ."*
§ 29. Ktilik der Berkeley 'sdien Repräsfniationslkeorie.
Wir werden gegen diese Ausführungen Folgendes einwenden
dürfen. Mit der BERKELEY'schen Behauptung, dafs die Einzelidee
' Thitigs or noiions. Man weifs, dafs „Dißge" für Brrkelky nichts
weiter sind als , Ideen". Was aber die „notions" anbelangt, so sind liier
jedenfalls die Vorstellungen gemeint, die sich auf den Geist und seine Thfitig-
keitan beziehen, oder auch Vorstellnugon, deren Objacte, wie es alle Relationen
thun, solche Tliiitigkeiten „einschlielsen". Diese Vorstellungen, die Berkeley
von den sinnlichen Ideen als grundverschieden sondert und nicht Ideen genannt
wissen will (vgl. sect. 142), sind also identisch mit Locke's Ideen der Reflexion
und zwar umfassen sie sowol dio reinen Ideen der Reflexion, als auctt die
gemischten Ideen. Der BKRKRLST'seho Begriff der »otion ist übrigens kaum ein-
heitlich und klar zu präcisirea.
' A. a. 0. § 15, S. 12.
• A.a.O. §11, S.8f.
dazu verwendet wird, alle anderen Einzelideen derselben Art zu
vertreten, ist, mit Rücksicht auf die normale Bedeutung des
Wortes Stellvertretung, kein haltbarer Sinn zu verbinden. Von
einem Stellvertreter sprechen wir da, wo ein Gegenstand Leistungen
überiiinirat {oder auch Objcct von Leistungen ist), die sonst ein
anderer zu vollziehen (oder zu eifabren) hätte. So vollzieht der
bevolbnächtigte Anwalt als Stellvertreter die Geschäfte seines
Clienton, der Gesandte vertritt den Herrscher, das abkürzende
Symbol vertritt den eomplexen algebraischen Ausdruck u. s. w.
Uebt nun, fragen wir, auch in unserem Falle die momentan
lebendige Einzelvorstellung eine Stellvertretung, übernimmt sie
eine Leistung, welche eigentlich eine andere Einzelidee, oder gar
eine jede Einzelidee der Klasse zu vollführen berufen wäre? Nach
dem klaren Wortlaut der BERKFiEv'schen Aoufserungen allerdings,
aber in Wahrheit kann davon doch keine Rede sein. Selbstver-
ständlich ist es nur, ditfs die Leistung, welche die vorhandene
Einzelidoe vollzieht, ebenso gut von jeder anderen vollzogen
werden könnte; nämlich jede könnte gleich gut als Grundlage
der Abstraction, als anschauliche Fundirung der allgemeinen Be-
deutung dienen. Der Gedanke der Stellvertretung erwächst also
erst durch die Reflexion, dafs jede Einzelidee in dieser Function
gleichwerthig sei, und dafs, wenn wir die eine gewählt haben,
jede andere ihre Stelle vertreten könnte, und umgekehrt. Wo
immer wir eine allgemeine Bedeutung anschaulich vollziehen, ist
dieser Gedanke möglich, aber keineswegs ist er darum wirklich,
zumal er ja den Allgeraoinbegriff, den er ersetzen sollte, vielmehr
selbst voraussetzt. Demgemüfs sind die Einzelideen auch nur
mögliche und nicht wirkliche Stellvertreter für ihresgleichen.
Berkkley nimmt aber die Stellvertretung ernsthaft und stützt
sich dabei einerseits auf den Sinn der allgemeinen Aussagen und
andererseits auf die Rolle der Figur im geometrischen Beweise.
Das Ei-stere gilt für das obige Citat aus dem § 11 der Einleitung
zu seinen Prinripks. ürtheilen wir : alles ADsgedchnfc Lit theil-
bar, so meinen wir ja, dafs sich ein jedes, welches wir auch be-
trachten mögen, als theilbar erweisen werde. Der allgemeine
HoMorl, Log. Diiten. n. 12
Name (bezw. die allenfalls begleitentle Einzelidee) repräsentirt, dem
einfachen Sinn des Satzes gcmäfs, jedes einzelne Ausgedehnte,
gleichgiltig welches — also wird durch die gegebene Einzelidee
jede andere Einzelideo der Klasse Ausdehnung „dem Geiste in
indifferenter Weise suggerirt".
Indessen verwecliselt Beukfxey liier zwei wesentlich ver-
schiedene Dinge:
1. Das Zeichen (Namen oder Einzelidee) ist Repräsentant für
jedes Einzelne des Begrifi'sumfangs, dessen Vorstellung es nach
Berkeley sogar anregt (sugffests) ;
2. das Zeichen hat die Bedeutung, den Sinn alle A oder
ein A , welches auch immer.
In letzterer Hinsicht ist von Repräsentation im Sinne von
Stellvertretung keine Rede. Es mögen ein oder meiirere A an-
geregt oder vollanschaulich vorgestellt sein; aber das Einzelne,
das ich gerade betrachte, weist auf kein anderes hin, für das es
als Ersatz stünde, geschweige denn, dafs os auf jedes Einzelne
derselben Art hinwiese. In einem ganz anderen Sinne sind alle A
oder ist jedes beliebige A repräsentirt, nämlich gedanklich vor-
gestellt. In einem einheitlichen Pulse, in einem homogenen
und eigenartigen Acte ist das Bewiifstsein alle A vollzogen, einem
Acte, der keinerlei Componenteu hat, die sich auf all die ein-
zelnen A bezögen, und der durch keine Summe oder Vernebung
von Einzelacten oder Einzelsuggestionen herstellbar oder ersetzbar
wäre. Durch seinen „Inhalt", seinen ideal zu fassenden Sinn be-
zieht sich dieser Act auf jedes Glied des Umfangs; aber nicht in
realer, sondern in idealer, d. i. logischer Weise. Was wir von
allen j4 aussagen, also in einem einheitlichen Satz der Form alle A
sind B aussagen, gilt selbstverständlich und a prion von jedem
bestimmt vorliegenden A,,. Der Schlufs vom Allgemeinen auf das
Einzelne ist in jedem gegebenen Falte zu vollziehen, und von
dem Af) das Prädieat B mit logischem Recht auszusagen. Aber
darum schliefst nicht das allgemeine ürtheil das besondere, die
allgemeine Vorstellung die darunter fallende Einzelvorstellung reell.
I
in wie immer zu fassendem psychologischen oder descriptiven Sinne,
in sich; und somit auch nicht in der Weise eines Bündels von
Stellvertretungen. Schon die Unendlichkeit des Umfanges aller
unvermischten Allgemeinbegriffe kennzeiclmet diese Umdeutung
als Widersinn.
§ 30. Fortsetzung.
Bkrkklky's Argummit aus dem geometrisclun
Beweisverfaltren.
Berkeley beruft sich fürs Zweite auf das Beispiel der ge-
zeichneten Linie, die dem Geometer im Beweise dient. Wie
sehr sich Bctkei.et durch die empiristische Neigung mifsleiten
läfst, die anschauliche Einzelheit überall vor den eigentlichen
Denkacten zu bevorzugen, zeigt sich darin, dafs er hier, wie auch
sonst, den sinnlichen Einzelfall (oder vielmehr das sinnliche Ana-
logen des idealen Einzelfalls), welcher dem mathematischen Denken
seine Stütze bietet, als das Subject des Beweises in Anspruch
nimmt. Als ob der Beweis je für den Strich auf dem Papier,
für das Kreidedreieck auf der Tafel geführt würde und nicht für
die Gerade, für das Dreieck schlechthin oder ,, überhaupt". Wir
haben diesen Irrthum obeni schon berichtigt und gezeigt, dafs
der Beweis in Wahrheit nicht für die gezeichnete Einzelheit, son-
dern von vornherein für die Allgemeinheit geführt wird: für alle
Geraden überhaupt und in Einem Acte gedacht Daran wird
auch nichts geändert durch die Redeweise der Geometer, welche
ihren Satz allgemein aufstellen und den Beweis etwa mit den
Worten beginnen: AB sei irgendeine Gerade . . . Damit ist gar-
nicht gesagt, dafs der Beweis zunächst für diese Gerade A B (oder
für eine bestiuimto durch sie vertretene ideal Gerade) geführt
wird, und diese dann als Stellvertreterin für jede andere Gerade
fungire; sondern damit ist nur gesagt, dafs AB ia anschaulicher
Symbolisirung ein Exempel vorstellig machen solle, um nun als
Anhalt für die möglichst intuitive Constitution des Gedankens eine
Oerade überhaupt zu dienen, welcher Gedanke das wahre und
Vgl. § 20, S. 155.
12»
I
contiuuirlich durchgehende Bestandstück des logischen Zusninmen-
hangs ausmaclit.
Wie wenig die Stellvertretung zur Klärung des allgemeinen
Denkens helfen kann, tritt auch in der Frage hervor, wie es sich
denn mit den mannigfaltigen Allgemein Vorstellungen verhalte, die
in dem angeblichen Beweis für die Oerade auf dem Papier
auftreten niufsten. Die ihnen coriespondirenden Anschaulichkeiten
sind doch nicht ebenfalls als Objecto des bowoisendon Denkens
zu fassen. Denn sonst käme es nicht zur Constitution auch nur
eines einzigen Sat/.es; wir hätten lauter stellvertretende Einzel-
ideen, aber kein Denken, (ilaubt man durch irgendwelche Cou-
glomeration solcher Einzelheiten eine Priidication zii Stande zu
bringen? Fi'eilich ist die Function des allgemeinen Namens und
seiner allgemeinen Bedeutung im Priidicat eine andere als im
Subject, und sie ist, wie wir oben schon bemerkten, überhaupt
vielfaltig unterschieden, je nach den logischen Formen, d. i. den
Formen der gedanklichen Zusammenhiinge, denen sich die Bedeu-
tungen einschmelzen. AVie wollte mau all diesen Formen, in denen
sich die Constitution des „Denkens" als solches bekundet, oder
objectiv gesprochen, in denen sich das ideale Wesen der Bedeutung
o priori entfaltet (so wie das Wesen der Anzahl in den Zahlforraen),
wie wollte man ihnen mit der einen Phrase der Stellvertretung
beikommen?
§ 31. Die Havptqtielle der aufgewiesenen Verirrungen.
Es wäre zu weit gegangen, würde man Locke und Berkei.et den
Vorwurf machen, sie hätten den descriptiven Unterschied zwischen
der Einzelidee in der individuellen Intention, und derselben Einzel-
idee in der allgemeinen Intention (als Fundament eines begriff-
lichen Bewtifstseins) ganz übersehen. Dafs der „Geist" es ist, der
ihnen stellvertretende Function verleiht, dafs er die erscheinen-
den Einzelheiten als Repräsentanten verwendet, wird uns in ver-
schiedenen Wendungen versichert; und dafs diese Geistesthätig-
keiten bewufste sind und somit in die Sphäre der Reflexion fallen,
würden diese grofsen Denker sicherlich zugestanden haben. Ihre
fundamentalen erkenntnistheoretisclieii Irrtliümer oder Unklarheiten
erwachsen aber aus einem bereits oboni biüfsgelegten Motiv; näm-
lich daraus, dafs sie sich bei der phänomenologischen Analyse
fast ausschliefslich an das anschaulich Einzelne, sozusagen an das
Greifbare des Denkerlebnisses halten, an die Namen und die
exemplificirenden Anschauungen, während sie mit den Act-
charakteren, oben weil sie nichts Greifbares sind, nichts anzufangen
wissen. Immerfort suchen sie daher nach irgendwelchen weiteren
sinnlichen Einzelheiten und irgendwelchen sinnlieh vorstoUbaren
Hantirungen an denselben, um dem Denken die Art der Eealität
zu geben, für die sie voreingenommen sind, und die es im
schlichten Phänomen nun einmal nicht zeigen will. Man bringt
es nicht über sich, die Denkacto als das zu nehmen, als was sie
sich rein phänomenal darstellen, sie somit als völlig neuartige
Actcbaraktere gelten zu lassen, als neue „Bcwufstseinsweisen"
gegenüber der direeteu Anschauung. Man sieht nicht, was für
den, der die Sachlage ohne die Brillen überlieferter Vorurtheile
betrachtet, das Offenkundigste ist, nämlich dals diese Actcbaraktere
Weisen des Meiuens, Bedeutens sind, hinter denen man schlechter-
dings nichts suchen darf, was Anderes wäre und Anderes sein
könnte als eben Meinen oder Bedeuten.
Was „Bedeutung" ist, das wissen wir so unmittelbar, wie
wir wissen, was Farbe und Ton ist. Es lälst sich nicht weiter
definiren, es ist ein descriptiv Letztes. So oft wir einen Aus-
druck verstehen, bedeutet er uns etwas, wir vollziehen seinen Sinn.
Und dies Vei-stehen, Bedeuten, einen Sinn Vollziehen ist nicht das
Hören des Wortlauts oder das Erleben irgendeines gleichzeitigen
Phantasmas. Und so gut uns Unterschiede zwischen Lauten evident
gegeben sind, so gut auch Unterschiede zwischen Bedeutungen.
Natürlich hat damit die Phänomenologie der Bedeutungen aber
nicht ihr Ende erreicht, sondern hiermit fangt sie an. Man wird
einerseits den erkenntnistheoretisch fundamentalen Unterschied
zwischen den symbolisch -leereu Bedeutungen und den intuitiv
§ 15, 8. U2fr.
I
erfüllten feststellen, andererseits die wesentlichen Arten und Ver-
binduogsfornien der Bedeutungen studiren mtlsson. Dies ist die
Domäne der actuellen Bedeutungstmalyse. Man löst ihre Probleme
durch Vergegenwärtigurl g der betießenden Acte oder Actarten;
und in rein phänomenologischer Identiticution und Unterscheidung,
Verknüpfung und Sonderung, sowie durch die generalisirende
Abstractiou, gewinnt man die wesentlichen Bedeutungsarten und
Bedeutungsformen; mit anderen Worten, man gewinnt die logi-
schen Elementarbegriffe, welche eben nirhts Anderes sind, als die
idealen Fassungen der primitiven ßedeutungsunterschiede.
Anstatt aber die Bedeutungen phänomenologisch zu aualysiren,
um die logischen Grundformen zu bestimmen, oder umgekehrt,
anstatt sich klar zu machen, dafs die logiseben Grundformen nichts
Anderes sind, als die typischen Charaktere der Acte und ihrer
Verknüpf ungsi'ormen (in der Bildung complexer Intentionen), treibt
man logische Analyse im gewöhnlichen Sinne, man über-
legt sich, was in den Bedeutungen in gegenständlicher Hin-
sicht intendirt ist und sucht dann dies für die Gegenstände Ge-
meinte reell in den Acten. Mau denkt in den Bedeutungen statt
über die Bedeutungen; man beschäftigt sich mit den vorgestellten
und beurtheilten Sachverhalten, statt mit den Vorstellungen und
ürtheilen (d. i. den nominalen und propositionalen Bedeutungen);
man prätendirt und glaubt eine descriptiv- psychologische Analyse
vollzogen zu haben, vvähi'end mau den Boden der psychologischen
Reflexion längst verlassen und der phänomenologischou Analyse
die objective untergeschoben hat. Und objectiv ist auch die
rein-logische Analyse, die erforscht „was in den blofseu Be-
griffen (oder Bedeutungen) liegt", nämlich was a priori
Gegenständen überhaupt als in diesen Formen gedachten zuüumessen
ist In diesem Sinne erwachsen die Axiome der reinen Logik
und reinen Mathematik „durch blofse Analyse der Begriffe". In
ganz anderem Sinne erforscht die actuelle Bedeutungsanalyse, „was
in den Bedeutungen liegt". Hier allein ist die Ausdrucks weise
eine eigentliche: es werden die Bedeutungen reflectiv zu Gegen-
ständen der Forschung gemacht, es wird nach ihren wirklichen
Theilcn und Formen gefragt und nicht nach dem, was für ihre
Gegenstände gilt. Die Art, wie Locke zu seiner Lehre von den
altgemeinen Ideen kommt und unter Anderem auch zu seiner
Lehre von der Repräsentation; ebenso die Art, wie Berkkllt diese
Lehre wendet nnd vortheidigt, wie er zumal den Sinn der allge-
meinen Sätze heranzieht (man vergleiche seine, oben S. 176 cidrten
Beispielsanalysen aus dem § 11 der Einleitung zu den Principles),
bietet lauter Beiego für das Gesagte.
Fünftes Kapitel.
Phünomenologische Studie über Hume's
Abstractionstheorie.
§ 32. Abhängigkeit Höhe's von Berkeley.
Hojik's Auffassung der Abstraction ist, wie heute nicht mehr
betont werden niufs, keineswegs mit derjenigen Bkrkülky's iden-
tisch.' Gleichwol ist sie ihr so nahe verwandt, dafe es nicht ganz
unverständlich ist, wie Huuk zu Beginn seiner Dai-stellung im
Vn. Abschnitt des Tfeatise dazu kommen konnte, seine These
geradezu Bkhkelkv zuzuschreiben. „Ein grofser Philosoph", sagt
er,' „hat die herkönimlichü Meinung . . . bekämpft und behauptet,
alle allgemeinen Ideen seien nichts als individuelle Ideen, ver-
knüpft mit einem bestimmten Namen, der ihnen eine umfassen-
dere Bedeutung gebe und bewirke, dafs im gegebenen Falle andere
ähnliche Einzelideen in die Erinnerung gerufen werden. Ich sehe
in dieser Einsicht eine der gröfsten und schätzenswerthesten Ent-
deckungen, die in den letzten Jahren im Reiche der Wissen-
I
> Vgl. MöNONo's Humestadien I, 36 [218].
' Ich citire aacli Liprs' verdienstvotier deutscher Ausgabe des Trealite
(Traktat über die menschliche Natur, I. Tlieil, Vll. Abschnitt, S. 30), ersetze
aber „Voratellung" durah „Idee". Hüme's Ausdruck mag uns auch seinoa
besoudereu VorstellaugsbogriS lol>endig haltou.
I
Schäften gemacht worden sind". Gewifs ist dies nicht ganz die
Ansicht Bekkelf.y's, der nicht, wie Hume es will, erst den all-
gemeinen Namen die Kraft beimifst, die begleitenden Einzelvor-
stellungen zu Kepräsentanten der übrigen Einzelvorstellungen der-
selben Klasse zu machen. Nach BKRKrxEV können allgemeine
Namen für sich allein, ohne entsprechende Einzelvorstellungen
repräsentativ fungireo, es können aber auch die Einzelvorstellungen
ohne Namen so fungiren, und es kann endlich beides zugleich
statthaben, wobei aber der Name in der Verknüpfung mit der
repräsentativen Vorstellung keinen Vorzug erhiilt Immerhin bleibt
aber die Hauptsache bestehen, die Allgemeinheit liegt in der Re-
präsentation, und diese fafst Hume ausdrücklich als Stellvertretung
der ei-scboinenden Einzelheit für andere Einzelheiten, welche durch
die eretere psychisch „suggerirt" oder, wie Hujie geradezu sagt,
in die Erinnerung gerufen worden.
Somit wird Hcme von allen unseren Einwänden mitgetrotten
und sogar stärker getroffen, weil bei Bkrkelky die wörtliche
Fassung der Stellvertretung und der Anregung der repriisentirten
Einzelvoretellungen noch ein wenig im unklaren zu schweben
scheint, während sie bei Huhk in unverbüUter Schärfe und Klar-
heit hervortritt
Huiafs Kritik der abslracten Ideen und ihr rcrmeiitUicltes Eri/ebnis.
iSein Aufseraehtlassen der phütiomeitologischeit Ilaujdpunkte.
Also in der Hauptsache ist der Geist der BERKELEY'schen
Lehre in Hume lebendig. Aber Hume ist nicht blols reproductiv,
er führt die Lehre weiter; er sucht sie genauer auszugestalten und
zumal sie psychologisch zu vertiefen. In dieser Hinsicht
kommen nicht so sehr die Argumente in Betracht, die Hume
gegen die Lehre von den abstracten Ideen richtet, als vielmehr
die associations- psychologischen Betrachtungen, die er an sie
knüpft Jene Argumente gehen im Wesentlichen nicht über
Bekkeley's Gedankenkreis hinaus und sind, wenn man das Be-
weisziel richtig fixirt, durchaus unanfechtbar. Die Unmöglichkeit
der abstracten Ideen im Sinne der LocKE'schen Philosophie,
d. i. abstracter Bilder, erwachsen durch Lostrennung der Merkmal-
ideen aus conercten Bildern, ist sicherlich erwiesen. Hume selbst
falst aber sein Ergebnis in den Satz: „Abstracte Vorstellungen
(Ideen) sind danach in sich individuell, so sehr sie hinsichtlich
dessen, was sie repräsentireu, allgcraoin sein mögen. Das Bild in
unserem Geiste ist lediglich das Bild eines einzelnen Gegenstandes,
wenn auch seiner Verwendung in unseren Urtheilen so sein mag,
als ob das Bild allgemein wäre."' Diese Sätze konnte die Humk-
sche Kritik natürlich nicht erweisen. Sie bewies, dars abstracte
Bilder unmöglich sind, und daran durfte sie den Schlufs knüpfen,
dafs, wenn wir trotzdem von allgemeinen Vorstellungen spreclien,
welche zu den allgemeinen Namen als ihre Bedeutungen (bezw.
Bedeutungserfüllungon) gehören, zu den concreten Bildern noch
etwas hinzukommen müsse, was diese Allgemeinheit der Bedeutung
Bchaffe. Dieses Hinzutretende kann (so hätte die Uoboilegnng
richtig fortlaufen müssen) nicht in neuen concreten Ideen, also
auch nicht in den Namen -Ideen bestehen; ein Conglomerat von
concreten Bildern kann ja nicht mehr leisten, als gerade die con-
creten Objecto vorstellig zu machen, deren Bilder es enthält.
Uebei-sehen wir nun nicht, <lafs die Allgemeinheit des Bedeutens
(sei es als Allgemeinheit der Bedeutungsintention oder als solche
der Bedeutungserfüllung) etwas ist, was in jedem einzelnen
Falle, wo wir den allgemeinen Namen verstehen und sinugemäfs
auf Anschauung beziehen, fühlbar einwohnt, und was diese
allgemeine Vorstellung in unmiftclbar evidenter Weise von der
individuellen Anschauung unterscheidet; so bleibt nur der Schlufs:
Die Bewufstseinsweise, die Weise der Intention mufs es sein, die
den Unterschied ausmacht. Ein neuer Charakter des Meinens tritt
auf, in dem nicht der anschaulich erscheinende Gegenstand schlecht-
hin, weder derjenige der Wort- Idee, noch der begleitenden Sacli-
Idee, gemeint ist, sondern etwa die in der letzteren exemplificirte
Qualität oder Form, und zwar allgemein verstanden als Einheit
im specifischen Sinne.
' A. a. 0. S. 34 (GuBKN and Gaoai I, 328).
i
HüjiE abor bleibt an dem BERKELEY'schen Gedanken der Re-
präsentation häugen und vcräufserlicht ihn ganz und gar, da er,
statt auf den Bedeutungschai'akter (in Bedeutungsintontion und
Bedeutungserfüllung) hinzublicken, sich in die genetischen Zu-
sammenhänge verliert, die dem Namen associative Beziehung zu
den Gegenständen der Klasse verleihen. Er erwähnt mit keinem
"Wort und bringt sich nicht zu wirksamer Klarheit, dafs sich
Allgemeinheit im subjectiveii Erleben bekundet und zwar, wie
vorhin betont, in jedem einzelnen Vollzüge einer allgemeinen Be-
deutung. Und noch weniger bemerkt er, dafs, was sich hiebei
bekundet, scharfe descriptive Uutei-schiede aufweist: das Bewufst-
sein der „Allgemeinheit" hat bald den Charakter der generellen,
bald den der universellen Allgemeinheit, oder es tingirt sich sonst-
wie in den oder jenen „logischen Formen".
Der „ideologischen" Psychologie und Erkenntnistheorie, welche
Alles auf „Eindrücke" {Empfindungen) und associative Zusammcn-
reihungen von „Ideen" (auf Phantasmen, als abgeblaJste Schatten
der „Eindrücke") reduciren will, sind Bewufstseinswoisen, Acte im
Sinne intentionalor Erlebnisse, freilieh unbequem. Ich erinnere
hier daran, wie Hdme sich mit dem hclief vergeblich abmüht und
immer wieder darauf verfällt, diesen Actcharakter den Ideen als
Intensität oder etwas der Intensität Analoges einzulegen. So mufs
denn auch die „Repräsentation" irgendwie auf Greifbares zurück-
geführt werden. Dies soll nun die genetisch-psychologische Analyse
leisten; sie soll zeigen, wie wir dazu kommen, das blolso Einzel-
bild, das wir erleben, „über seine eigene Natur hinaus" in
unseren Urtheilon so zu verwenden, „als ob es allgemein wäre''.^
Die soeben betonte Wendung ist für die Unklarheit der
HuMK'schen Position in besonderem Mafso charakteristisch. Mit
dem als ob giebt Hume seinem grofsen Vorgänger Lockk im Grunde
genommen zu, dafs die Theorie der allgemeinen Ideen — wenn
dergleichen Ideen möglich wären — ihren Zweck erfüllen würde.
Er bemerkt nicht, dafs Locke's allgonieine Ideen, als losgerissene
Partikeln von concreten Inhalten, selbst wieder individuolle Einzel-
A.a.0.
heiten darstellen würden, und dafs der Umstand ihrer TJnunter-
scheidbarkeit von anderen ihresgloichen (sei es lüsgotrcunteii, sei
es den concreten Ideen einwohnenden) ihnen noch nicht die All-
gemeinheit des Gedankens zu verleihen vermöchte. Er bemerkt
nicht, diifs dazu eigene Acte, eigeue A\''eisen des Meinens oder des
Bedeatens nüthig wären. Auch unter der Voraussetzung Locke-
scher Abstracta hedilrtte es der Form des Allheitsgedankens, um
einen unendlichen Umfang reell nicht vorgestellter Einzelheiten in
einheitlicher Weise zu intcudiron. Ebenso erwüchse uns das Genus
als identische Einheit erst durch den Act dos generellen Ge-
daukens. U. s. w. Das objective Gleichheitsverhältnis, das besteht,
ohne dals es sich subjectiv bekundet, kann doch das einzeln er-
lebte Gleiche nichts angehen; die gedankliche Beziehung auf den
Gleichheitskreis kann dem Einzelnen nichts Anderes geben als
eben der Gedanke.
§ 34. I^kkbexkhung der üuuffsehen Untersuchung
auf xwei Fragen.
Werfen wir nun einen Blick in den Inhalt der psychologischen
Analysen Hume's, so können wir, was er mit ihneu leisten will,
durch die beiden Fragen zum Ausdruck bringen.
1. Wie kommt die Einzelidec zu ihrer repräsentativen Func-
tion; wie wächst ihr psychologisch dio Fähigkeit zu, als Stell-
vertreteriu anderer ähnlichen Ideen und schliefslich aller möglichen
Ideen dei'sotbeu KJas.so zu fungireu?
2. Dieselbe Einzelidee ordnet sich vielen Aehnlichkoitskreisen
ein, während sie in jedem bestimmten Gedankenzusammenhange
nur Ideen eines solchen Kreises repräsentirt. Woriin liegt es
also, dafs gerade dieser Kreis der Repräsentation in diesem Zu-
sammenhange ausgezeichnet ist, was schränkt die stellvertretende
Function der Einzelidee in dieser Weise ein und macht so erst
Einheit dos Sinnes möglich?
Es ist klai', dafs diese p.sychologischen Fragen ihren guten
Sinn behalten, wenn man den hier mafsgebenden Begriff der
Repräsentation fallen läfst und dafür den wolveretandeuen und
echten Begriff der allgemeinen Vorstellung als Act der allgemeinen
Bedeutung substituirt. Dafs die allgemeinen Vorstellungen aus den
anschaulichen genetisch erwachsen sind, ist sicher. Wenn sich
aber das Bewufstseia dos Allgemeinen an der individuollen An-
schauung immer wieder entzündet, aus ihr Klarheit und Evidenz
schöpft, so ist OS dariuii nicht diroct aus dem einzelnen Anschauen
entsprungen. Wie sind wir also dazu gckommenj über die in-
dividuelle Anschauung hinauszugehen und, statt der erscheinenden
Einzelheit, etwas Anderes zu meinen, ein Allgemeines, das sich
in ihr vereinzelt und doch nicht reeU in ihr enthalten ist? Und
wie sind all die Formen erwachsen, die dem Allgemeinen wech-
selnde gegenständliche Beziehung geben und die Unterschiede der
logischen Vorstellungsarten ausmachen? Sowie dann die associa-
tiven Zusammenhängo erklärend herangezogen worden, stofscn wir
alsbald auch auf die dispositionellen Achulichkoitsgruppen und die
ihnen äufserlich angeknüpften Zeichen. Damit wird auch die zweite
Frage actuell, wie es möglich ist, dafs die Aehnlichkeitskreiso
ihren festen Zusammenhalt bewahren und sich im Denken nicht
durcheinander wirren.
Bei dieser Sachlage ist es kein Widerspruch, wenn wir einer-
seits Hüme'.s Behandlung der Abstraction als eine extreme Vor-
irrung bezeichnen , und ihr andererseits doch den Ruhm vindiciren,
der psychologischen Theorie der Abstraction den Weg gevriescn
7.11 haben. Eine e.xtremo Verirrung ist sie in logischer und er-
kenntnisthooretischer Beziehung, in welcher es darauf ankommt,
die Erkenntuiserlebnisso rein phänomenologisch zu erforschen, die
Denkacto als das, was sie für sich sind und für sich enthalten,
zu betrachten, um den fundamentalen Erkenntnisbegriffen Klarheit
zu verschaffen. Was aber Hume's genetische Analyse anbelangt,
80 kann sie freilich auf theoretische Vollkommenheit und End-
giltigkeit nicht Anspruch erheben, da ihr eine ausreichende descrip-
tive Analyse als Unterlage mangelt. Dies hindert aber nicht, dafs
sie werthvolle Gedankenreihen enthält, die weiterhin nicht un-
beachtet bleiben konnten und ihre fruchtbare Wirkung auch geübt
haben.
Mil; dem völligen Mangel an einer streng descriptiven Analyse
des Denkens, bezw. mit der Unterschiebung der genetisch -psycho-
logischen Untersuchung an die Steile der erkenntnistheoretisclien
hängt es übrigens zusammen, dafs auch Hume in der Auffassung
des Denkens als einer erkenntnis-ökonomischen Function einen
Gesichtspunkt für dessen erkenutnistlieorctisclie Klärung zu besitzen
meint. Darin ist Humk der echte Schüler LocKK'scher Pliilosophie.
Was dagegen einzuwenden ist, haben wir im vorigen Kapitel'
ausreichend erörtert.
§ 35. Das leitende Princip, das Ergebnis und die ausführenden
Hauptgedanken HuuE'scher Abstractianslehre.
Das leitende Princip seiner psychologischen Darlegungen
spricht HüME mit folgen«Ien "Worten aus:
„Wenn die Vorstellungen, [die unserem Geiste gegenwärtig
sind, jederzeit] ihrer Natur nach individuell und zu gleicher Zeit
ihrer Zahl nach beschränkt sind, so können sie nur auf Grund der
Gewöhnung hinsichtlich dessen, was sie repräsentiren , allgemein
werden und eine unbeschrankte Zahl anderer Vorstellungen in sich
scliliefeen." *
Das Ergebnis lautet:
„Eine Einzelvorstellung wird allgemein, indem ein allgemeiner
Name mit ihr verknüpft wird, d. h. ein Name, welcher zugleich
gewohnheitsmäfsig mit vielen anderen einzelnen Vorstellungen ver-
bunden worden und dadurch mit ihnen in [associative} Beziehung
getreten ist, sodafs er diese bereitwillig der Einbildungskraft zu-
führt."»
Die Hauptgedanken der Ausführung konnzeichnet das
Citat:
„Diese Verwendung von Vorstellungen über ihre eigene Natur
hinaus beruht nun darauf, dafs wir alle möglichen Grade der
Quantität und Qualität in einer unvollkommenen Welse, die aber
' Vgl. § 24, S. 165.
» A. a. 0. S. 39 (CJRKEN aud Gbose I, 332).
» A. a. 0. S. 37 (Green and Ohosk I, 330).
den Zwecken des Tjebens entspriclit, in unserem Geiste zusammen-
fassen können Wenn wir gefunden haben, dafs mehrere Gegen-
stände, die uns oft begegneten, Aelinlicbkeit liaben, so brauchen
wir für alle denselben Namen, was wir auch für Unterschiede in
den Graden ihrer Quantität und Qualität wahrnehmen, und was für
üntorechiede sonst an ihnen hervortreten mögen. Wenn dies nun
für uns Sache der Gewohnheit geworden ist, so erweckt der Klang
jenes Namens zunächst die Vorstellung eines jener Gegenstände
und bewirkt, dals die Einbildungskraft diesen mit allen seinen
bestimmten Eigenschaften und Gröfscnverhältnissen erfafst. Wie
wir voraussetzen, ist aber dasselbe Wort häufig auch auf andere
Einzeldinge angewandt worden, die iu manchen Beziehungen von
jener dem Geiste uumittolbar gegenwärtigen Vorstellung verschieden
sind. Die Vorstellungen aller dieser Einzeldinge nun vermag das
Wort nicht wachzurufen. Es berührt aber, wenn ich so sagen
darf, die Seele, und ruft jene Gewöhnung wach, welche wir bei
der Betrachtung derselben erworben haben. Die Einzeldinge sind
nicht wirklich und thatsächlich dem Geiste gegenwartig, sondern
nur potentiell; wir heben sie nicht alle in unserer Einbildungs-
kraft heraus, sondern halten uns nur bereit, beliebige von ihnen
ins Auge zu fassen, wie es uns eben in einem gegebenen Augen-
blick Absicht oder Notliwendigkeit eingeben mögen. Das Wort
ruft eine Einzel Vorstellung hervor, und mit ihr zugleich eine ge-
wisse gewohnheitsmäfsige Tendenz des Vorstellens. Diese gewohn-
heitsmälsige Tendenz weckt dann eine andere Einzelvorstellung,
wie wir sie gerade brauchen mögen. Da die Hervorrufuog aller
Vorstellungen, für die der Name gilt, in den meisten Fällen un-
möglich ist, so kürzen wir jene Arbeit durch eine blofs theilweise
Betrachtung ah. Wir überzeugen uns zugleich, dafs aus solcher
Abki5rzung nur geringe Unzuträglichkeiten für unser Denken ent-
stehen . . .'
Diese Citate mögen dazu dienen, ims den Hauptinhalt der
HüME'schen Theorie mit einer für unsere Zwecke ausreichenden
■nd Orosk I, 3281.)
Vollständigkeit zu vergegenwärtigen. Auf üire kritische Analyse
haben wir hier nicht einzugehen, da genetische Probleme nicht
in den Rahmen unserer Aufgabe fallen.
§ 36. HuuE's LeJire von der dislinctio rationis in der
gemäfsifjten und radicalen Interpretation.
Von besonderem Interesse ist für uns Hümk's Lehre von der
distinctio rationis, durch welche mittelbar zugleich die zweite oben
formulirte Frage ihre Erledigung findet. Es handelt sich um die
Frage, wie wir abstracte Momente, die doch nicht zu Ideen für sich
werden können (nämlich durch eine Abstraction in dem LocKE'schen
Sinne der Abtrennung), von den anschaulichen Objecten zu unter-
scheiden vermögen. Wie kommt es zur Unterscheidung zwischen
der soeben angeschauten weifsen Kugel und der Weiße, bezw.
der Kugelform, da doch „Weifse" und „Kugelform" nicht als
Ideen (im LocKE'schen Sinne) gelten können, die in der concreten
Idee als besondere und aus ihr herauslösbare Theile enthalten wären.
Bekkklev hatte diese Frage durch Hinweis auf die pointircude
Kraft der Aufmerksamkeit beantwortet. Hüme sucht hier tiefer
einzudringen und giebt folgende Hisung:*
Vergleichen wir die weifse Kugel mit einer schwarzen Kugel
und andererseits mit einem woifsen Würfel, so bemerken wir zwei
verschiedene. Aelmlichkeiten. Durch öftere Vergleichungeu solcher
Art sondern sich für uns die Objecto in Aehnlichkeit.skreise, und
wir lernen durch die erwachsenden gewohnheitsmäfsigen Tendenzen
(habits) jedes Object „nach verschiedenen Gesichtspunkten
betrachten", den Aelmlichkeiten entsprechend, die seine Einord-
nung in verschiedene, aber bestimmte Kreise gestatten. Wenn wir
unser Augenmerk gegebenenfalls auf die blofse Farbe richten, liegt
darin nicht, dafe wir die Farbe absondern, wol aber dafs wir die
thatsächlich einheitliche und untheiibaro Anschauung „mit einer
Art Reflexion begleiten, von welcher wir vermöge der
Gewöhnung nur ein sehr undeutliches Bewufstsein
haben". In diesem undeutlichen Bewufstsein schwebt uns etwa
' A. a. 0. 8.40 (Orbeh and Orosb I, 332).
I
die schwarze Kii^cl vur, und dadurch tritt eine Aehnlichlioit (sc. die
hinsichtlich der Farbe) liervor, auf die wir unseren inneren Blick
richten, sodafs die wahrgonommeno weifse Kugel nur dem Aehn-
lichkeitskreis der Farbe eingeordnet ist. Je nach der Art dieser
Reflexion, bezw. der Aehnlichkeiten, die in ihr mafsgebeod sind,
ist an demselben Anschauungsübject ein verschiedenes , Moment'
beachtet; oder, was im Wesen auf Eins hinauskommt, dieselbe
Anschauung dient als Grundinge für die sogenannte Abstraction
allgemeiner Vorstellungen; zu jedem AeUnlichkeitskreis gehört
associativ ein besonderer Name, so dafs durch jene innere Re-
flexion mit der , Hinsicht' der Betrachtung auch der allgemeine
Name bestimmt ist.
Psychologische Forschung ist hier nicht unsere Sache, imd
somit kommt es uns eigentlich nicht zu, das Werthvolle und
andererseits wieder Unausgereiftc dieses theoretischen Versuches
kritisch herauszustellen. Bis zu einem gewissen Grade müssen wir
uns aber mit ihm besclmftigen, in Rücksicht auf einen paradoxen
Gedanken, der Hdjie's Darlegung zu bewegen scheint, während
er in unverhüllter Schroffheit erst von modernen Humeanern
vertreten worden ist. Dieser Gedanke spricht sich folgender-
mafsen aus:
Merkmale, innere Beschaffenheiten, sind nichts den Gegen-
ständen, die sie , haben', im wahren Sinne Einwohnendes. Oder
psychologisch gewendet: Die verschiedenen, von einander unab-
trennbaren Seiten oder Momente eines anschaulichen Inhalts, wie
die Färbung, Form u. s. w., die wir doch als etwas in ihm Vor-
handenes zu erfassen vermeinen, sind in Wahrheit garnichts in
ihm. Vielmehr giebt es nur eine Art von wirklichen Theilen,
nämlich die Theile, welche auch für sich gesondert erscheinen
können, mit einem Worte; die Stücke. Die sogenannten abstracten
Theilinhalte, von denen es heilst, dafs sie zwar- nicht fttr sich
sein (bezw. angeschaut sein), aber für sich beachtet werden können,
sind gewissem) afsen blofse Fictionen cum fimdaineido in rc. Nicht
ist die Farbe in dem Farbigen, die Form in dem Geformten, son-
dern es giebt in Walirheit nur jene Aehnlichkeitskreise, denen
sich das betreffende Objoct einreiht, und gewisse zu seiner An-
soüauuiig geliürigc liiibilf<, unbewufsto Dispositionen oder uniiierk-
licho psychisclie Vorgänge, die durch die Anschauung erregt, bezw.
inscenirt werden.
Genauer gefafst wäre der Zweifel allerdings ein doppelter,
ein objoctivcr und .subjectiver. In objectivor Hinsieht betrifft er
die Oegonstiinde der Erscheinung in Relation zu ihren inneren
^Beschaffenheiten; in subjectiver oder psychologischer Hinsicht
die Erscheinung selbst, das actuelle psychische Erlebnis in
Relation zu ihrem Gehalt an Eniptinduiigen und überhaupt an
sinnlichen Inhalten, d. h. an denjenigen Inhalten, welche im Acte
der Anschauung die objectivircndo Deutung erfahren. In dieser
Deutung vollzieht sich für uns das Erscheinen der entsproclienden
gegenstündlichen Merkmale oder ßeschatfenheiten. Also auf der
einen Seite handelt es sich um die Kugel selbst und ihre inneren
Beschaffenheiten, z. B. ihre gleichraäfsig weifse Färbung; auf der
anderen Seite um die Kugelorscheinung (die Kugelidee) und
die ihr einwolinendeEmpfindungscomple.xion; darunter z.B. die sich
continuh'lich abschattende Wcifsempfiudnng — das snbjective
Correiat der in der Wahrnehmung gleichmäfsig erscheinenden
objectiven Wellso. Aber diesen Untei-schied hat Hume hier wie
überall unbeachtet gelassen. Für ihn fliefst Erscheinung und Er-
scheinendes zusammen.
Ich bin nicht eben sicher, ob Hume's eigene Ansicht iu den
oben formuürten Thesen getroffen ist, oder ob er nicht {gegen die
Lockeanor gewendet) blofs meint, es sei das concrete Object in
Betreff seiner Merkmale schlechthin einfach, und zwar einfach im
Sinne der Unzerstückbarkcit in diese Merkmale, während
die Merkmale als „Momente der Uebereinstimmung"' doch etwas
in den einzelnen gleichartigen Objecten selbst Yorhandenes blieben.
ilst diese Deutung richtig, dann bleibt Hümk in der Sache mit
Berkelky einig, nur dafs er darauf ausgeht, die Weise, in der die
distincUo ralionis zu Stunde konunt, psychologisch aufzuklären.
' Vgl. a.a.O. S.35 (Oriiw u. Orose I, 328, Ajini.).
Raisorl, Log. Dnteni. tl.
13
Das Problem hat offeßbar einen guten Sinn, auch wenn man
die abstracten Momente als wahrhaft innewolincnde festhält. Man
fragt eben, wie die einzelnen Merkmale, da sie nur in innigster
wechselseitiger Durchdringung und nie für sich allein auftreten
können, doch zu ausschliofsücJien Objecten von Anschauungs- und
Denkintentionen werden können; und in ersterer Hinsicht, wie
der Vorzug der Aufmerksamkeit zu erklären sei, der jetzt gerade
dem und dann einem anderen Merkmal die Gunst des Bemerkens
versdiafft.
§ 37. Einwände getfen diese Lehre in ihrer radicalen
Inlerprclation.
Die Einwände, die sich unter Voraussetzung der gemäfsigten
Auffassung der HuME'schen Darstellung ergeben, hahen wir hier,
wo uns nicht das psychologische Interesse seitab führen darf, nicht
zu erörtern. Es sei nur soviel gesagt, dafs sich, bei passender
Müdification, auf Grund der Huire'schen Gedanken eine brauchbare
Theorie wol ausbilden läfst. Vor Allem darf man die mythische
„innere Reflexion" nicht ernst nehmen. In sehr klarer und scharf-
sinniger Weise hat E. Müi.u:r (in den von F. ScnuMA\N' veröffent-
lichten Dictaten) die HüxiK'sche Theorie genauer ausgestaltet, und
obschon er selbst die radicale Deutung zu bevorzugen scheint, so
tritt in dieser Ausgestaltung doch die Fruchtbarkeit der HcjiE'schen
Ansätze oder Keime deutlich hervor.
Wenden wir uns nun zur Kritik der radicalen Interpretation
der HuME'schen Lehre. Sie ttillt mitten in die Sphäre dos er-
kenntnistheoretischen Interesses. Die Schwierigkeiten, in die sie
sich, bei consequenter Durchführung, verwickelt, sind nicht gering.
Wenn die den absoluten Merkmalen entsprechenden abstracten
Inhalte in der concreten Anschauung selbst nichts sind, so sind
die Verknüpfungs- und Bezieh ungsinhalte erst recht nichts in der
Anschauung eines Inbegriffes von entsprechender Einheitsform.
' F. Schümann, Zur Psychologie der Zeitanschaaung, Zeitsohr. f. Psycho-
logJQ uod Physiologie der Sionesorgane, Bd. 17, S. 107 ff.
I
Selbstverständlich ist das Problem der dislinctlo rntionis und das
Frincip seiner Lösung füi- alle abstracten Inhalte dasselbe. Es
ist für Beziehungs- und Verknüpfungsinhalte also dasselbe, wie
für die absoluten Inhalte. Daher kann man die Frage, wie das
scheinbare Vorfinden oder Unterstdieidon der Farbe an dem (oder
von dem) farbigen Gegenstände zu Staude komme, nicht beant-
worten durch den Recurs auf ein Vorfinden der Achnliciikeit
zwischen dem farbigen Gegenstande und anderen farbigen Gegen-
ständen. Denn dieses Vorfinden würde, in consequenter Fort-
führung der Erklärung, auf ein Vorfinden einer Aehnlichkeit dieser
Aehnlichkeit mit anderen Aehnliclikeiten zurückleiten (im Beispiel
der Farbe: Aehnlichkeitsgruppe von Aehulichkeiten, wie sie
zwischen farbigen Objecten bestehen); auf diese Aehnlichkeit
müfste das Erklärungsprineip wieder angewendet werden, u. s. w.
Dieses Argument überträgt sich von den abstracten Inhalten,
worunter wir reell erlobte Momente in der Einheit der concreten
Anschauung vorstehen, auf die Voretellungen von Merkmalen und
Comple.\ionsformen „äufserer" Gegenstände. Wir lassen also die
Unterscheidung wirksam werden, die wir oben Hüme gegenüber
betont liaben; nämlich die Unterscheidung zwisclieu der concreten
Anschauung als dem reell gegenwärtigen psychischen Erlebnis
und dem angeschauten (wahrgenommonen , phantasirten u. s. w.)
Gegenstand. Hierbei ist zu beachten, dafs diesem Gegenstand
nicht untergeschoben werden darf irgendeine naturwissenschaftliche
oder metaphysische Transscendenz, sondern dafs der Gegenstand
als derjenige gemeint ist, als welcher er in dieser Anschauung
erscheint, als welcher er ihr sozusagen gilt. Also die Kugel-
erscheinung ist gegenübergestellt der erecheinenden Kugel.
Ebenso seien wieder gegenübergestellt die empfundenen Inhalte
der Kugelerscheinung (als Momente, welche die descriptive psycho-
logische Analyse vorzufinden vermag) und die (wahrgenommenen,
phanta.sirten) Theile oder Seiten der erscheinenden Kugel; z. B.
die Weilkempfindung und die Weilse der Kugel.
Dies vorausgeschickt können wir stxgen: Wollte Jemand alle
Rede von anschaulicher Voi-stellung abstracter gegenständlicher
13*
Bestinimtlioiten für eine blofse Scheinrede erklären und behaupten,
wo immer wir k.B. eineßesoliaffeulieit WeifswalirzuiifiitHeii glauben,
sei eigentlich nur irgendeine Aelmlichkeit zwischen dem erschei-
nenden Gegenstand und anderen Gegenständen wahrgenommen,
oder sonstwie vorgestellt; so verwickelte er sich in einen unend-
lichen Regrefs, da die Kode von der vorgestellten Aoljnlichkeit
entsprechend umzudeuten wäre.
Aber hier zeigt sich die Absurdität der besti-ittenen Auffassung
auch unmittelbar darin, dafs, aller Evidenz zu Trotze, dem intcn-
tionalen Object ein von ihm evident verschiedenes untergerfchobon
wird. Was in der Intention einer Anschauung Hegt, was ich wahr-
nehmend zu erfassen, phantasirend mir einzubilden vermeine, ist
in weitem Umfange allem Streit entlioben. Uober die Existenz
des Gegenstandes der Wahrnehmung kann ich mich täuschen, nicht
aber darüber, dafs ich ihn als so und so bestimmten wahrnehme,
und dafis er in der Meinung dieses Wahrnehmeus nicht ein
total anderer ist, z. B. ein Tannenbaum statt eines Maikäfers. Diese
Evidenz iu der bestimmenden Beschreibung, bezw. Identi-
ficirung und wechselseitigen Unterscheidung der inten-
tionalen Gegenstände bat zwar, wie leicht verständlich, ihre
Schranken, aber sie ist wahre und echte Evidenz. Ja ohne sie
wäre auch die viclgerühmte Evidenz der inneren Wahrnehmung,
mit der sie gewöhnlich vermengt wird, schlechterdings nutzlos;
sowie die ausdrückende Rede anhebt, imd die descriptive Unter-
scheidung der innerlich wahrgenommenen Data vollzogen wird, ist
diese Evidenz schon vorausgesetzt, oder es ist von Evidenz über-
haupt niclit mehr die Rede.i
Diese Evidenz kommt uns hier zu Gute. Es ist etwas evident
Verschiedenes, das Roth dieses Gegenstandes anschauen und irgend
eine Aehnlichkeitsrelation anschauen. Wenn man diese letztere
Anschauung ins Unbemerkte oder Unbowufste verlegt, so häuft
sich nur die Unzutiäglichkeit, da man die evident gegebene In-
tention zu Gunsten eines Uubemerkbaren dahingiebt.
' Vgl. dazu die Annierkung 2 ain Schlüsse dieses Puragrapliun.
Phättomenologisctte Studie üb
tionstheorie. 197
In die gegenwärtige, auf djo erscheinenden Objecto bezüg-
liche Ueberlegung fiicfst die vorige mit ein, solern die Inhalte in
der psychologischen Analyse zu Wahmehniungsobjecten worden.
Wenn wir auch die Kugelerscheinung nicht mehr Ding und die
ihr einwohnenden abstracten Inhalte nicht mehr Beschaffenheiten
oder Merkmale nennen werden und nennen dürfen, so ist die
dcscriptive Sachlage bezüglich der hier in Frage kommenden Punkte
doch dieselbe. Die Unterschiede sind metaphysisch (oder wenn
niuTi will naturwissenschaftlich); dio Dinglichkeit ist kein phäno-
menologischer Charakter, sie ist niehLs im jeweilig gegebenen
Phänomen selbst Liegendes und Aufweisbaros; sondern sie weist
auf empirische Zusammenhänge hin, letztlich und objectiv auf die
Einheit der NTaturgosetzlichkeit.
Mit Rücksicht auf diese Sachlage, können wir die, für die
Unterscheidung der inleiitioiuden Gegenstände überhaupt geltende
Evidenz, auch für die intoutionale Unterscheidung der inneren
Data in Anspruch nehmen. In diesem Grenzfall, wo der intendirte
Gegenstand zum reellen Inhalt dos Erlebnisses selbst gehört, tritt
zugleich auch die Evidenz der „inneren Wahrnehmung" in Action,
wir haben nicht nur die Evidenz der ünterschiodonheit der inten-
dirten Data, sondern auch die von ihrem wirklichen Dasein. Wo
wir z. B. unser analysirendes Interesse statt der erscheinenden Kugel,
vielmehr der Kugelerscheinung zuwenden, und an ihr Theile oder
Seiten nnterschoiden und dabei von dem, was uns dio empfundenen
Inhalte bedeuten, willkürlich absehen: da haben wir mit der Evidenz,
dafs dieser Farbeninhalt, dieser Gestaltinhalt u. s. w. erscheint, zu-
gleich die Evidenz, dafs er wirkUch da ist. Mag auch das Ab-
sehen von der Deutung nicht überall gelingen, und noch weniger
eine beliebig weit zu treibende Analyse der erlebten Inhalte ge-
lingen; im Groben und Rohen ist beides jedenfalls möglich. So
gut die Evidenz bezüglich der Unterschiede intontionaler Gegen-
stände auch sonst nicht dadurch aufgehoben wird, dafs wir uns
über unsere Intentionen leicht täuschen, sobald wir nämlich über
die Sphäre der groben Unterschiede hinausgehen; so gut also z.B.
der Unterschied zwischen einem Maikäfer und Tannenbaum eine
I
echte Evidenz ist: so gut ist es eine echte Evidenz, welche uns
öfters sagt, es sei das Farbenmonient, die Empfindung, in der
einheitlichen Anschauung reell vorhanden, es sei etwas sie Mit-
constituireudes und in ihr vom (iestaltmonient Unterecliiedenes.
Dem geschieht gar kein Einti-ng dadurch, dafs eine Lostrennung
dieser Momente, ein Fiirsichsein derselben statt des blofsen An-
etwas- oder Gehabtseiiis undenkbar ist.
Dieser evidenten Sachlage wird man nicht dadurch gerecht,
dafs man sagt: Au sich bestehen gewisse psychische Vorgänge,
etwa die unbemerkton Erregungen der Aehnlichkoitsreihen, und
hiedurch erhält das bctrett'eude absolut einfache Concretum nur
einen gewissen Charakter, eine gewisse Färbung, eine JxjiKs'sche
„{ringe". Denn fürs Erste liaben die fr'mgcs ihre Realität so
gut wie die supponirten unbewufsten Vorgänge, die uns in rein
phänomenologischer Betrachtung übrigens garnichfs angehen; und
zweitens sind fringe^ doch eine Art Zugaben, die ebenso gut
da sein, wie fehlen können; identiticiren wir also die hier
supponirten fringes mit den am Concretum evident merklichen
Momenten, so würden iliese letzteren insgosammt zu blofsen An-
hängseln an einem Träger, und dieser Träger hätte ganz den
Charakter der wunderbaren qualitätslosen Substanz, die Niemand
mehr ernst nimmt
Die Evidenz, dafs die einheitüclie Färbung, Gestalt und der-
gleichen innere Bestimmtheiten wirklich zur Einheit der An-
schauung, als sie constituirende Momente, gehören, ist in keiner
"Weise wegzudeuten. Man mag sie allenfalls als Ergebnisse irgend-
welcher Verschmelzungen erklären oder auch als Producte, die ihre
Factoren noch reell, jedoch in unmerklicher Weise, in sich fassen;
aber so interessant und wichtig dies in psychologischer Hinsicht
sein mag, an dem descriptiven unmittelbaren Befund, an dem,
was für die Klärung der Begriffe und Erkenntnisse allein in Be-
tracht kommt, wird dadurch nichts geändert. Die abstracten Inhalte
und mit ihnen die abstracten Begriffe wegtheoretisiren , das heifst
als fictiv erweisen wollen, was in Wahrheit die Voraussetzung
alles einsichtigen Denkens und Erweisens überhaupt ist.
Vielleicht wendet man, byperkritiscfien Bedenken nachgebend,
noch ein, die distindio rationis sei nur im Urtlieil gegeben. Auf
der einen Seite stehe das absolut einheitliche Phänomen und dazu
trete dann die Aussage, ihm die inneren Unterschiede zusprechend.
Aber dies beweise nicht, dals das Phänomen darum wirklich innere
Unterschiede habe.
Wir würden antworten: Selbstverständlich ist, wo immer wir
über ein Erlebnis urtheilen, zweierlei da, das Erlebnis und die
Aussage. Aber die Aussage kann ja auch richtig sein, und sie
ist es doch wol, wenn sie einsichtig ist. AVill man irgendje
einen Fall gelten lassen, wo ein Enthaltensein wahrhaft gegeben
und erlebt ist, so kann, dafs dem so ist, doch nur auf Grund der
Evidenz behauptet worden. Und wenn jemals Evidenz für ein
Enthaltensei u sprach, so thut sie es sicherlich hier. Freilich darf
man den Begriff des Enthaltens nicht unnöthig einschränken,
nSmlieli auf den Begriff des Gegliedertseins in abgesetzte Stücke.
Hält man sich an diesen engeren Begriff, so entfällt das Wort,
die Sache aber ist klar.
Anmerkungen.
1. Eine Gedankenroiho, (lerjeiiigon, die uns eben beschäftigte, nahe
vei'>*'aiidt , ist uns bereits früher' begegnet. Es handelte sich dort
um die Frage, ob Species als Gegenst&udo betrachtet werden können,
oder ob es nicht richtiger sei, zu sagen, in Wahrheit gebe es nur
individuelle Gegenstände, die sich nach Aohnliehkeiten mannigfach
ordnen. Dagegen handelte es sich in den letzten Envägungen nicht
um die Speoies, sondern um ihre Einzelfälle. Man leugnet oicht nur,
dafs man von einem Denkobject Roth im Allgemeinen sprechen dürfe,
sondern auch, dafe man von einem Einzelfall von Roth, von Roth als
hier und jetzt auftretendem Moment einer Anschauung sprechen dürfe.
Natürlich könnte sich das evidente Allgemeinheitsbewufstsein, in dein
die Species gleichsam .selbst gegeben ist, nicht bilden, wenn der Einzel-
fall, dessen anschauliches Gegebensein für den wirklichen Vollzug der
' Vgl. oben das erato Kapitel dieser Unterauchuug, besoudere § 3 ff.,
8. 112—18.
ATjstraüüon vorausgesetzt ist, relativistisch umgedeutet würde. So
hängoti iLio parallelen Argumente auch wesentlich zuf*ammen.
2. "Wie ich nachträglich bemerke, hat A. v. SEEnrnsG in seiner
werthvollen Arbeit „lieber Gegenstände huherer Oitlnung und deren
Verhältnis zur inneren Wahrnehmung" (welche leider zu b]iM erscliiouen
ist, imi mir für tnoino logischen Untereuchimgen noch hilfreich sein
zu können) dem Verhältnis zwischen der evidente» Anerkennung der
immanenten Gegenstände als solcher und der inneren Wahrnehmung
einige Erörterungen gewidmet (Zeitschr. f. Psych, u. Phys. d. S. Bd. 21,
2. Abschnitt, S. 205 ff.}. Wenn ich recht verstehe, so fällt nach
V. Meinong die ci-stere Evidenz mit derjenigen der inneren, auf die
Existenz der betreffenden Vorstellung bezüglichen Wahrnehmung
znsanimen. Dann kann er aber nicht dieselbe Evidenz gemeint haben,
wie wir im Texte. Dafs der sogen, immanente Gegenstand in
keiner ernstlichen Weise ein Gegenstand in der Vorstellung it^l (wie
noch TwARDowsKi' die Sache darstellte), ist natürlich auch ganz
meine Auffassung; auf Seiten der Vorstellung existirt nichts, als das-
diesen- Gegenstand -Meinen, sozusagen der Bedeutungsgehalt der Vor-
stellung. Die Evideuz aber, dafs ich mit der Vorstellung „Tannen-
baum" eben einen Tannenbaum meine, einen Baum der durch
diese oder jene Merkmale bestimmten Ai1, und nicht etwa einen
Maikäfer und was immer sonst — wii-d sich niemals einer blofsen
Wahrnehmung, sei es auch der auf das blofso Vorstcllungserlcbnis be-
züglichen, zuweisen lassen. Es handelt sich vielmehr um eine Evidenz
von Aussagen, deren complexo Bedeutungsinteution sich auf Grund
von vielerlei Acten, von melireren Vorstellungen, sie verknüpfenden
Idcnttficirungen und Untoi-schoidungen erfüllt. Und selbst wenn wir
die Acte, die auf Seiten der Intention stehen, nicht rechnen: auf
Seite der Erfüllung langen wir nicht mit blofsen inneren Wahr-
nehmungen aus. Dia innere Wahrnehmung der eben genannten Acte
des Identiflcirens oder ünterscheidens kann offenbar nicht aufkommen
ftlr die Evidenz des Bestehens der Identitäten und ünterscshiede.
' In der oben wiederholt kritiairten, übrigens durchaus sorgsamen und
tüchtigen Abhandlung.
§ 38. Uebcriragting der Skepsis tw» den abslracten Tftcüinhaltcn
auf alle Theile iiherhaiipl.
Der Skepsis in Betreff der abstractcn Theilinhalto entspriclit
auch eine iiiügliclie Skepsis in Betreff der concreton, der StüoJie.
Eine homogene weifse Eläclie gilt uns als ein theilbares Übject,
und all die in actueller Theüung untei-scheidbaren Theile legen
wir ihr als von vornherein in ihr seiondo Theile ein. Dies über-
tragen wir auch auf die Empfindung. Der psycliischo Inhalt, der
bei der Betrachtung der weifsen Flüche «etuell erlebt ist, enthält
Stücke, die sich zum Gesammtinlialt analog verhalten, wie die
objectiven Flächenstückc zur gesainmten Fläche. Macht nmn uns
aufmerksam, dafs wir in der anschaulichen Voretellung der Fläche
„den Blick über sie hingleiten lassen", und dafs wir hierdurch
eine Mannigfaltigkeit verschiedener, ineinander fliefsendcr Inhalte
erleben, so macht uns dies nicht irre. Wir übertragen diese Auf-
fassung dann eben auf Joden dieser Inhalte.
Woher wissen wir aber, dafs der Inhalt wirklich ein Compo-
situm ist? rhantasiren wir in die einheitlich weifsc Fläche
Theilungen liinein, so mag nun der entsprechende Empfindungs-
inhalt eine Verbindung von Theilen wirklich aufweisen; aber durch
das Hineiuphautasiren ist ja der ursprüngliche Inhalt nicht un-
verändert geblieben. Der jetzt gegebene, complexe, durch Dis-
continuitüten zerstückte Inhalt ist mit dem ursprünglichen, völlig
einheitlichen, in sich ungeschiedenen nicht identisch. „Die Theile,
in die man sich eine solche Einheit zerlegt denken kann, sind
fingirte Theile".^ Wir üben auf Grund des unzertrennbaren Be-
wufstseinsinhalts gewisse Phantasie- und Urtheilsthätigkeiten, und
was sie allererst erzeugen, legen wir dem ursprünglichen Inhalt
selbät ein.
Der Zweifel greift aber weiter um sich, wenn wir uns zur
Erwägung des Falles wenden, der zunächst unangefochten blieb,
nämlich des Falles, wo der Anschauungsiuhalt bereits Theilungen
' F. ScuuioKN, a. a. 0. Z. f. Psych. Bd. 17, S. 130.
aufweist. Haben wir nicht auch hier zunächst einen gewissen ^
einheitlichen Inhalt erlebt, den wir nachher als einen aus Theilon
zusammengesetzten bezeichnen, indem wir neue Operationen voll-
ziehen, die oben jenes Bezeichnen hervorgehen lassen? Wir be-
achten, wie die gewöhnliche Rede IieiTst, an dem Inhalt jetzt,
diesen, dann einen andern und wieder einen anderen Theü. Aber
mit jedem Schritte ändert sicii das Erlebnis. Durch die Neigung, die
empfundenen Inhalte mit den wahrgenommenen oder phantasirten
Gegenständen zu verwechseln, schieben sich dem ursprünglichen
Inhalt Schritt für Schritt sehr stark differcnte unter; der jeweilig
beachtete Tlieil liegt nicht blols im Blickpunkte des Bemerkens,
sondern auch, und mehr wörtlich, im Blickpunkte des Sehens
und liefert so andere Empfindungen als in dem Falle, wo er im
Hinterf,nMindo verbleibt. Halten wir uns strenger an die Inhalte,
so ist jeweils der bevorzugte Inhalt nur wie mit einer von ihm
nicht abgetrennten, sondern mit ihm verwobcnen, unklaren, völlig
chaotischen Masse umgeben, einer fringe , einem „Hof", oder wie
man das Unnennbare nun doch nennen mag. Von Theil zu Theil
übergehend, ist die Sachlage dem Allgemeinen nach die gleiche,
aber inhaltlich immer wieder eine verschiedene, und dies, selbst
wenn wir den Blick nicht wandern lassen. Das wäi-e ja eine
rohe Beschreibung der descriptivon Sachlage, wenn man das Auf-
merken auf diesen oder jenen Theil des indirect Gesehenen (bezw.
des entsprechenden Erlebnistheils) so durstellen wollte, als ob in
der identischen Inhaltseinheit ein einzelner Theil nur merklich
würde, oline dafs hiebei Aenderungen im Erlebnis selbst zu be-
fürchten wären. Genetische Gründe weisen uns hier, ebenso wie
bei den abstracten Inhalten, auf gewisse Erfahrungszusammen-
hänge zurück, die das für sich Bemerken ermöglichen und sich
nach ihren Wirkungen auch sonst im Bewufstsein ankündigen. Das
indirect Gesehene wirkt als Anzeichen für irgendetwas aus einer
erfahrungsmiirsig umgrenzten Aehnlichkeitssphäre; mit der Hobung
durch Aufmerksamkeit ist zugleich auch eine Deutung und mit
dieser in der Regel eine Inhaltsänderung (Hineinarbeiten der
Phantasie) gegeben,
Phänom e nolog iscfi
über UuuE'a Äbslraclionstheoiie. 203
H Wirft man aber ein, die wiederholte Vergegenwiirtie;iing der
H erlebtea lolialte und die Vergleiclmng belehre uns, dafs die Rede
I von einer Tbeilung imch bei Inhalten ein gutes Rocht habe, so
I wird sich der Skeptiker wol auf die beständigen Täuschungen
H zurückziehen, denen solche Vergleiehuugen uutorliegen, auf die
■ Verwechslung zwischen erseboincndem Ding ntul erlebtem Inhalt,
H zwischen gegenständlicher und Inhaltsvergleichuiig u. dgl.
r
§ 39. Letxte Steigerung der SJcepsis und ihre Widerlegung.
Gehen wir in dieser skeptischen Richtung stetig weiter, so
müssen wir zweifeln, ob es überhaupt Tbeile irgendwelcher Art
giebt; in weiterer Folge, ob es überhaupt Mehrheiten von con-
creten Inhalten giebt, da schliefslich (wenn wir hier ein Urtheil
noch wagen dürfen) die in Coexistenz und Succession auftreten-
den Inhalte immer in gewisser Weise einheitlich sind. Die Skepsis
würde zuletzt in der Behauptung culminiren: das Üewufstsein sei
ein absolut Einheitliches, von dem wir zum Mindesten nicht wissen
können, ob es überhaupt Theilinhalto habe, ob es sich überhaupt
in irgendwelche, sei es gleichzeitige, sei es zeitlich aufeinander-
folgende Erlebnisse entfalte.
Es ist klar, dafs ein solcher Skepticismus jede Psychologie
unmöglich machen würde.i Wie ihm zu begegnen ist, brauche
ich nach den obigen Ausführungen nicht zu sagen. Aller Flufs
der psychischen Erscheinungen hebt nicht die Möglichkeit auf, sie
zunächst in vage, obschon völlig klare (weil direct auf ürund der
Anschauung gebildete) Begriffe zu fassen, und dann auf Grund
dieser Begriffe miinnigfacbe, sachlich zwar sehr rohe, aber evidente
Unterscheidungen zu vollziehen, welche für rlie Ermöglichung einer
psychologischen Forschung ganz hinreichend sind.
Was den Fall der weifscn Flüche anbelangt, so merken wir
in vergleichender Betrachtung des Inhalts „weilse Fläche'' {ich
' Sehe ich rocht, so steuert SciitMANN in seinem, an sich gewilk rühm-
lichen Bestreben nncli möglichster Strenge und Voraussetzungslosigkeit, solcher
Skepsis zu. (Vgl. Uio obea citirte sobützensweithe Arbeit.)
204 //. Die ideale Einheit der Species.
meine hier also nicht die weifse Fläche selbst in der dinglichen
Betrachtung) die Veränderungen sehr wol, aber mit den Verände-
rungen doch auch das Gleiche, ja Identische. Die hineinphanta-
sirten Grenzen machen nicht erst die Stücke, sondern umgrenzen
sie nur. Es ist evident, dafs diese Stücke in der Einheit des
Inhalts „weifee Fläche" wirklich vorhanden waren, es deckt sich
der in identischer Intention festgehaltene Inhalt ohne Grenzen mit
demselben, nur durch jenes Hineinphantasiren geänderten Inhalt,
er deckt sich mit diesem hinsichtlich der umrandeten Theile. Die
Theile waren und sind immerfort im Ganzen, nur eben nicht als
abgesonderte Einheiten für sich. Ein gewisses Schwanken und
Flielsen der Inhalte, die Unsicherheit, ja Unmöglichkeit ihrer völlig
identischen Fosthaltung hebt die Evidenz dieser Urtheile nicht auf.
Sie gelten wie alle empirischen Urtheile, die über psychische Erleb-
nisse gefällt werden, innerhalb einer gewissen Sphäre möglichen
Schwankens, also mit einem gewissen Index der Vagheit* Selbst-
verständlich ziehen wir nur Fälle in Betracht, wo alle Verhält-
nisse grobe Unterschiede zeigen, also wirklich in der Sphäre der
groben Evidenzen liegen, von der wir oben gesprochen haben.
Die Evidenz zeigt sich auch, wenn wir, in umgekehrter
Sichtung vorgehend, eine vorhandene Zerstückung aufgehoben
denken. Zerfällt eine Fläche in einen weifsen und einen rothen
Abschnitt, so bleibt, im Falle blofs qualitativer Veränderung, die
Identität der beiden Ausdehnungstheile erhalten. Donken wir uns
das Weifs des einen und das Roth des anderen continuirlich
ineinander übergeführt, so fliefsen die beiden Stücke nun in
eine innerlich ungeschiedene Einheit zusammen; aber wie immer
dies erfolgt, es ist evident, dafs das Ergebnis nicht ein absolut
einfacher Inhalt ist, sondern eine homogene Einheit, in welcher
nur alle inneren Absonderungen verloren gegangen sind. Die
Theile sind evidentermafsen da, aber obschon jeder seine Qualität
hat, und überhaupt Alles, was zur Concretion gehört, so fehlt
ihnen doch die absetzende qualitative Discontinuität und damit der
' Hier bedürfte es freilich noch genauerer Forschungen.
I
I
Charakter der sich gegen die mitrerschmolzenenTlieile abscliliefsen-
den Süuderung.
Verwandeln wir die empirischen Begriffe und Verhältnisse
in exaote, bilden wir ideale Begritfe von AusdebDung, Fläche,
qualitativer Gleichheit und Continuität u. s. w., so erwachsen apri-
orische exacte Sätze, welcho das, was in den Intentionen der
strengen Begriffe gründet, auseinanderlogen. Im Vergleich zu
ihnen sind die empirischen Aussagen ungenaue Annäherungen.
Obscbon aber das Vage, die Empirie überhaupt, nicht zur Sphäre
der exacten Erkenntnis gehört (welche mit lauter Idealen operirt),
ist sie darum keineswegs aus der Sphäre der Erkenntnis über-
haupt ausgeschlossen.
Danach ist es auch klar, wie wir uns zu den weitergehenden
und schließlich zur Leugnung oller Theile und Unterschiede führen-
den Zweifeln verhalten müssen. Im einzelnen Fall ist bei dem
Flufs der psychischen Erlebnisse ein Zweifel sehr wol möglich;
nicht ist er aber in allen Fällen möglich. Wo die Unterschiede
grobe sind, ist eine Evidenz erreichbar, die jedem Zweifel die Be-
rechtigung entzieht.
Anhang.
Moderner Uumeauismus.
Hüue'b Philosophie init ihrom Rcichthuni an genialen psj'cho-
logischen Analysen, sowie mit ihrem überall durchgofilhrten Psycho-
lijgismus in erkenntnistheoretischer Hinsicht, entspricht den in unserer
Zeit herrschenden Tendenzen zu sehr, als dals ea ihr an lebendiger
Wiikung fehlen könnte. Ja, man kann vielleicht sogen, dals HtruE
nie stärkere EinflQssü ausgcfibt hal>o, als heute, und mit RüeksiL'lit
a,\d eine nicht unbeträchtliche Zald von Forschem, möchte man ge-
radezu von modernen Hmueanem spi'eclien. Dabei kann umn auch
hier wieder beobachten, dafs sich in der Ausbreitung der historischen
Wirkung, die Verimmgen elionsoaelir, ja fast noch melir steigern, als
die Vorzüge. Was speciell die Lehre von der distiuclio Talionis an-
langt, 80 begegnen wir in neuereu Schriften gamicht selten einzelnen
Aeuiserungen und Ausfühnmgen, die dem tadicalen Sinne dieser Lehre
204 //. Die ideale Einheit der Species.
meine hier also nicht die weilse Fläche selbst in der dinglichen
Betrachtung) die Veränderungen sehr wol, aber mit den Verände-
rungen doch auch das Gleiche, ja Identische. Die hineinphanta-
sirten Grenzen machen nicht erst die Stücke, sondern umgrenzen
sie nur. Es ist evident, daJs diese StUcke in der Einheit des
Inhalts „weifso Fläche" wirklich vorhanden waren, es deckt sich
der in identischer Intention festgehaltene Inhalt ohne Grenzen mit
demselben, nur durch jenes Hincinphantasiren geänderten Inhalt,
er deckt sich mit diesem hinsichtlich der umrandeten Thoile. Die
Theile waren und sind immerfort im Ganzen, nur eben nicht als
abgesonderte Einheiten für sich. Ein gewisses Schwanken und
Fliefson der Inhalte, die Unsicherheit, ja Unmöglichkeit ihrer völlig
identischen Festhaltung hebt die Evidenz dieser Urtheile nicht auf.
Sie gelten wie alle empirischen Urtheile, die über psychische Erleb-
nisse gefällt werden, innerhalb einer gewissen Sphäre möglichen
Schwankens, also mit einem gewissen Index der Vagheit^ Selbst-
verständlich ziehen wir nur Fälle in Betracht, wo alle Verhält-
nisse grobe Unterschiede zeigen, also wirklich in der Sphäre der
groben Evidenzen liegen, von der wir oben gesprochen haben.
Die Evidenz zeigt sich auch, wenn wir, in umgekehrter
Sichtung vorgehend, eine vorhandene Zerstückung aufgehoben
denken. Zerfällt eine Fläche in einen weifsen und einen rothen
Abschnitt, so bleibt, im Falle blofs qualitativer Veränderung, die
Identität der beiden Ausdehnungstheile erhalten. Denken wir uns
das Woifs des einen und das Both des anderen continuirlich
ineinander übergeführt, so flie&en die beiden StUcke nun in
eine innerlich ungeschiedene Einheit zusammen; aber wie immer
dies erfolgt, es ist evident, dais das Ergebnis nicht ein absolut
einfacher Inhalt ist, sondern eine homogene Einheit, in welcher
nur alle inneren Absonderungen verloren gegangen sind. Die
Theile sind evidentermafsen da, aber obschon joder seine Qualität
hat, und überhaupt Alles, was zur Concretion gehört, so fehlt
ihnen doch die absetzende qualitative Discontinuität und damit der
' Hier bedürfte es freUioh noch genauerer Forsohuogen.
Charakter der sich gegen die initvcrschraolzcncnThcilo abscbliel^en-
den Sonderung.
Verwandeln wir die empirischen Begriffe und Verhältnisse
in exacte, bilden wir ideale Begriffe von Ausdehnung, Fläche,
qualitativer Gleichheit und Continuität u. s. w., so erwachsen apri-
orische exacto Sätze, welcho das, was in den Intentionen der
strengen Begriffe gründet, auseinanderlegen. Im Vergleich zu
ihnen sind die empirischen Aussagen ungenaue Annäherungen.
Obsclion aber das Vage, die Empirie überhaupt, nicht zur Sphäre
der exacten Erkenntnis gehört (welche mit lauter Idealen oporirt),
ist sie darum keineswegs aus der Sphäre der Erkenntnis über-
liaupt ausgeschlossen.
Danach ist es auch klar, wie wir uns zu den weitergehenden
und schlierslich zur Leugnuug aller Theile und Unterschiede führen-
den Zweifeln verhalten müssen. Im einzelnen Fall ist bei dem
Flufs der psychischen Erlebnisse ein Zweifel sehr wol möglich;
nicht ist er aber in allen Fällen möglich. Wo die Unterschiede
grobe sind, ist eine Evidenz erreichbar, die jedem Zweifel die Be-
rechtigung entzieht
Anhang.
Moderner Iluinean Ismus.
Hüme's Philosophie mit ihrem Keiuhthum aii genialen psycho-
logischen Analysen, sowie mit ihrem überall dnrthgeführten Psycho-
logismus in erkeuntnistheoretischer Hinsicht, entspricht den in unserer
Zeit herrechenden Tendenzen zu sehr, als dafs es ihr an lebendiger
Wirkung fehlen könnte. Ja, man kann vielleicht sagen, dafs Hfue
nie stärkere Einflüsse ausgeübt habe, als heute, und mit Rilcksidit
auf eine nicht imbeträchüiche ZalU von Foretliem, möchte man ge-
radezu von modernen Uuraeauem sprechen. Dabei kann man auch
hier wieder beobachten, dafs sich in der Ausbreitung der historischen
Wirkung, die Verimuigen ebensoselir, ja fast noch mehr steigern, als
die Vorzüge. Was specicU die Lehre von der dislindio riUionis an-
langt, 80 begegnen wir in neueren Schriften garuicht selten einzelnen
Aeufserungen und Ausführungen, die dem radicalen Sinne dieser J '
204 II. Die ideale Einheit der Species.
meine hier also niclit die weifse Fläche selbst in der dinglichen
Betrachtung) die Veränderungen sehr wol, aber mit den Verände-
rungen doch auch das Gleiche, ja Identisclie. Die hineinphanta-
sirten Grenzen machen nicht erst die Stücke, sondern umgrenzen
sie nur. Es ist evident, dafs diese Stücke in der Einheit des
Inhalts „weifse Fläche" wirklich vorhanden waren, es deckt sich
der in identischer Intention festgehaltene Inhalt ohne Grenzen mit
demselben, nur durch jenes Hineinphantasiren geänderten Inhalt,
er dockt sich mit diesem hinsichtlich der umrandeten Thoilo. Die
Theüe waren und sind immerfort im Ganzen, nur eben nicht als
abgesonderte Einheiten für sicli. Ein gewisses Schwanken und
Fliefsen der Inhalte, die Unsicherheit, ja Unmöglichkeit ihrer völlig
identischen Festlialtuug hebt die Evidenz dieser Urtheile nicht auf.
Sie gelten wie alle empirischcu Urtheile, die über psychische Erleb-
nisse gefällt werden, innerhalb einer gewissen Sphäre möglichen
Schwankens, also mit einem gewissen Index der Vagheit.^ Selbst-
verständlich ziehen wir nur Fälle in Betracht, wo alle Verhält-
nisse grobe Unterschiede zeigen, also wirklich in der Sphäre der
groben Evidenzen liegen, von der wir oben gesprochen haben.
Die Evidenz zeigt sich auch, wenn wir, in umgekehrter
Richtung vorgehend, eine vorhandene Zerstückung aufgehoben
denken. Zertallt eine Fläche in einen weifsen und einen rothen
Abschnitt, so bleibt, im Falle blofs qualitativer Veränderung, die
Identität der beiden Ausdehnungsthoilo erhalten. Denken wir uns
das Weifs des einen und das Roth des anderen continuirlieh
ineinander übergeführt, so llielsen die beiden Stücke nun in
eine innerlich ungescbiedene Einheit zusammeu; aber wie immer
dies erfolgt, es ist evident, dafs das Ergebnis nicht ein absolut
einlacher Inhalt ist, sondeni eine homogene Einheit, in welcher
nur alle inneren Absonderungen verloren gegangen sind. Die
Theile sind evidentermafsen da, aber obschon jeder seine Qualität
hat, und überhaupt Alles, was zur Concretion gehört, so fehlt
ihnen doch die absetzende qualitative Discontinuität und damit der
' liier bedürfto es freilich noch geuitueror Foi'scliungen,
Charakter der sich gegen die mitverschraolzcnonTheilo abscliliefson-
den Sonderling.
Vorwandeln wir die empirischen Begriffe und Vorliältnisso
in exacte, bilden wir ideale Begritt'e von Ausdehnung, Fläche,
qualitativer Gleiciüioit und Contiuuitiit u. s. w., so erwachsen apri-
orische exacte Sätze, welchy das, was in den Intentionen der
strengen Begriffe gründet, auseinanderlegen. Im Vergleich zu
ihnen sind die empirischen Aussagen ungenaue Anniilierungeu.
Obschou aber das Vage, die Empirie überliaupt, nicht zur Sphäre
der exacten Erkenntnis gehört (welclie mit lauter Idealen opcrirt),
ist sie darum keineswegs aus der Sphäre der Erkenntnis über-
haupt ausgesc'lilossen.
"Danach ist es aucli klar, wie wir uns zu den weitergehenden
und Schliefelich zur Leugnung aller Tbeüe und unterschiede führen-
(ien Zweifeln verhalten müssen. Im einzelnen Fall ist bei dem
Flufs der psychischen Erlebnisse ein Zweifel sehr wol möglich;
nicht ist er aber in allen Fällen möglich. Wo die Unterschiede
grobe sind, ist eine Evidenz erreichbar, die jedem Zweifel die Be-
rechtigung entzieht.
Anhang:.
Moderner Humeanis^mits.
Hmm'e, Philosophie mit ihrem Reichthum an genialen psycho-
logieclien Analysou, sowie mit ihrem übei^all dun'ligoffthrten Psycho-
logismus in erkeimtnisüieoretischei* Hinsicht, entspricht d«u in unserer
Zeit herrschenden Tendenzen zu sehr, als dafs es ihr an lebendiger
Wirkung fehlen könnte. Ja, mau kann vielleiclit sagen, dafs Hüme
nie stärkere Einüflssu au.sgeübt halu", als heute, und mit Eilcksicht
auf eine nicht unbeträchtliche Zahl von Forschern, möchte mau ge-
radezu von modernen Himieanem sprechen. Dabei kann man auch
hier wieder beobachten, dafs sich in der Ausbreitung der historischen
Wirkung, die Verirnmgeu ebensosehr, ja fast noch mehr steigern, als
die Vorzüge. Was spcciell die Lehre von der distinclio radonis an-
langt, so begegnen wir in neueren Sehi-iften garuicht selten eiuiiehien
Aeufaerungen und AusfCUinuigen , die dem radicalen Sinne dieser Lehre
goinärs sind.' Mit Viosoiirlerer Entschiedonhoit und Ansfdhrlichkeit hat
sie aber jüngst H. CmuiELius vertreten, dessen „Psychologie" oinon Ver-
Buch darstellt, eine psychologistiache Erkenntnistheorie, so extrem wie
sie nur je gemeint war, auf dem Boden der modernen Psychologie
allseitif; iliirchzu führen. Soweit dies Werk in der That Psychologie
ist, enthält es niaucho sehr interessante und anregende EiuKelaus-
fülirungen; soweit es aber Erkenutnistlieorie ist, glaube ich die Be-
hauptung vertreten zu können: Die Verraengung von dem, was zum
intentionalen Inhalt der Erkenntnis gehört (nu ihrem idealen Sinn,
zu dem, was sie meint, nnii was dadurch notlnveiidig mitgoselzt ist)
mit dem, was zum intentionalen Gt^gcnslaude der Erkenntnis
gehört, uml dieser Beiden wiedemm mit dem, was näher oder ferner
zur blofsen psychologischen Constitution des Erkcnntnisorleb-
nisses gehört (eventuell nur zn den hlofsen Begleiterscheinungen der
Intention oder zu ihren unbcwul'stcu, bczw. unmerklichen genetischen
Gründen) — diese Vermengungon, sage ich, sind in der Litteratur
kanm nocli in solchem Umfange vollzogen worden , und nirgends haben
sie der ganzen Behandlungswoise der erkeiuitriistheoreüschcn Probleme
in solchem Malsc den Stempel aufgeprägt wie in den DarstoUungen
von CojRNELiüs.- Dies tritt im Besonderen anch in der Sphäre der
uns liier bcsi-häftigenden Fragen hervor. Im Interesse der Sache
wollen wir hiebei verweilen und es an der Hand einiger (theils der
„Psycholog;ie", theils einer ergänzenden Abhandlnng un.seros Autora
entnommenen) Citate ersichllifh mache». Für den Nachweis, dafs eine
wisscnsohaflliche Strömung falsche Bahnen eingeschlagen hat, ist ja
nichts lehrreicher, als bei ihren Vertretern die durchgeführte Conse-
i
' Vgl. z, IS. auch B. ERDMiWN, Logik I, 80.
' Von WiLLiAsi Jamk-s liiit CoBNF.i.irs die BekiiuT|)fuDg der „ Mosaikpayeho-
logio", die Ijohre vim den fringes, aber nicht die voisichtigo erkenutnistlieoreti-
schc Position übernommen. James modercisirt nicht, wie ich es von Cornkuds
sagen wünio, die Hu.Mi['si;ho Philosophie. Und wie wenig Jaües' geniale Reo-
bachtuDgen auf dem Gebiet der deaeriptiven Psychologie der Vorstullungserteb-
oisse zum Psychologismiis zwingen, ersieht mau aas der vorliegenden Schrift.
Denn die Forderungen , die iL-h diesem aasgezeichueten Foracher in der des-
criptiven Analyse verdanke, haben meine Loslösung vom psychologistischen
Standpunkto nur begviustigt.
quenz zu studiren und sich dabei zu ilbereeugen, wie die abschlierscnde
Theorie, die sie en-eicht zu liaben gliiuben, sie vielmehr in ovidente
TJnzuträglichkeiten verwickie.
Mit Beziehung auf die E. MüLLEn'schen Dictate und ilirem Inhalt
ganz zustimmend, sagt CoiurELnrs: * „die üntei-scUeiduiig verechiodener
Merkmale . . . gründet sich . . . darauf, dafs die Inhalte nach ihren
Aehnliehkeiten in Onippt^n zueammengefalst und mit geiiiLMiisamen
Namen bezeichnet werden. Nichts anderes als die Zugehörigkeit eines
Inhaltes zu verschiedenen solchen Gruppen von untereinander ähn-
lichen und deslialb gleiuhbonanntßii Inhalten ist es hienadi, was wir
meinen, •wo wir von den verschiedenen Merkmalen eines Inhaltes
sprechen". So ausdi-ücklich hatten wir es bei Hume nicht gelesen,
und vielleicht hätte der grofse Denker gezögert, diesem Satze zu-
zustimmen. „Was wir meinen" ist doch der Sinn, und kann man
auch nur für einen Augenblick behaupten, der Sinn des Satzes, dieser
Ton ist schwach, sei derselbe wie der Sinn des Satzes, er gehöre
zu einer, wie immer zu bezeichnenden Aehnlichkeitsgruppe? SJagt
man, dafs wir uns, um von der Schwäche des Tones sprechen zu
können, iiotliwendig einige, hinsiehüicli der Schwäche ähidiclie Tone
vergegenwärtigen müssen, so brauchen wir danim iiiclit zu streiten.
Es mag so sein. Aber meinen wir die Zugehörigkeit zu dieser
Gruppe, etwa von « Objecten? und selbst wenn die unendlich vielen
ähnlichen Objecto als eine Gruppe ims vor Augen stehen könnten
und wirklich ständen, läge der Sinn des fraglichen Ausdrucks in der
Zugehöiigkeit zu dir-ser Gruppe? Natürlich sind die Ausdrücke, et»
Ton ist sehwach, und er gehört titni Inbegriff der Objecte, die ein-
ander hinsicfülich der Schwäclie gleichen, der Bedeutung nach äqui-
valent. Aber Aequivalenz ist nicht Identität. Sagt man, es hätte
die Rede von der Tonschwäche nie erwat'hsen kötmen , wenn uns nicht
Aehnliehkeiten schwacher Töne aufgefallen wären; und sagt mau
weiter, die Gedächtnisreste solcher früheren Erlebnisse seien, wo immer
wir sinnvoll von schwachen Tönen s{irächen, in gewisser Weise er-
' H. Cornelius, lieber QestaltqualitUten, Z. f. Psycho!, u. Pbyaiol. d. Siones-
organe. Bd. 22, S. 103.
regt, in dispositioneller Naelnvirkung den Charakter des jetzigen Er-
lebnisses bestirameiul: so werden wir gewifs nicht widersprecheti.
Aber was Iint all das mit dem Siuuo zu thun, mit dem, was wir mit
unseren Worten meinen? Wie die jetzige Meinung, die doch ein
unmittelbar gegebenes und eigenartiges Erlebnis ist, mit ihrem evidenten
Inlialt entstanden sein mag, was zu ihr in goiieliscker Hinsicht
nothwendig gohöi-t, wa.s ihr im Unbewui'steii und Unbemerkten, phy-
siologisch und psychologisch zu Grunde liegt — dies zu erforschen
mag sehr interessant sein. Aber auf diesem Wege über das, was wir
meinen, Auskunft zu suchen, ist widersinnig. Es ist ein Irrthnm,
der einige Analogie mit demjenigen des Alltagsmaterialismus liat, der
uns versiehern will, Töne seien in Wahrheit Luftschwingungen, Er-
regungen des Äcusticus u. dgl. Auch hier wertlen thcDretische Snp-
positionen zur geuetischen Erklärung des Erlebnisses mit diesem selbst
verwechselt
Dafs es sich \m Corhelius nicht um eine vorübergehende Un-
genauigkeit des Ausdruckes handelt, zeigen die weiteren Ausführmigen.
So lesen wir:^ „Es Ixiilarf kaum der Erwähnung, ilafs nach der
soeben vorgetragenen Theorie die „gomoinsamen Merkmale" einfacher
Inhalte nicht etwa allgemein zur Erklärung der zwischen diesen In-
halten bestehenden Aehnliclikeit Anwendung finden können — in der
Weise, wie luan iHe Aehnliclikeit einer Tajjete mit einer anderen auf
die Gleichheit der Farbe . . . zurückzuführen gewolmt ist. Denn die
Behauptung jener Gleichheit der Farbe i.il nat^h der vorge-
tragenen Theortü nichts als die Behauptung der Aehnlichkeit
beider Inhalte mit von früher her bekannten anderweitigen
Inhalten". Die eine Bolianptung ist {und das Wort ist von Corneuüs
selbst betont) die andere, os sijid also identische Hehauptungen. Im
Sinne dieser Ausführung würde es sugar liegen, dafs die fragliche
Gleichheitsbehauptung für Jedermann einen verschiedenen Sinn habe,
und einen verschiedenen zu verschiedenen Zeiten. Er hienge von den
„anderweitig bekntinten", also von den frülier erlebten Inhalten ab, die
doch von Person zu Person, und von Zeitpunkt zu Zeitpunkt wechseln.
> A. a. O. S. 104.
"Wenn Corneuüs beifügt, ^ tlafs die „Bedeutung der Pi-adicatworte
nicht jedesmal in Fonn gesonderter Vorstellungen zu ersflieinen brauche,
sondern in ,nidinientäi-er Association' . . . gegeben sein könne", so
kann dies wenig nQtzen; was die actuelle Association nicht leisten
]rann, wird auch die „rudimentäre", die ja nur als Ersatz fungiren
soll, nicht können. So sehr unterlegt Cokkeltos seine Theorie den
Thatsachen, dafs er geradezu sagt,* die Ausdrücke absiracler Inkalt
oder abstracle Vorstellung seien „Abbreviaturen" für „Vorstellumj
der in bestimmter Hinsicht bestehenden AehnUchkeii eines Inhaltes mit
anderen Inhalten". Welches der vei-schie<leiion Merkmale eines In-
lialts jedesmal l»ezeichnet, nach welcher Richtung oder Hinsicht
der Inhalt betrachtet werde, hänge davon ab „welche jener verscliie-
denen Aehnlichkeiten uns zum Bewufstsein komme (vou uns
, innerlich wahrgenommen') werde".'
CoRNELiTJS will seine Auffassung nicht als nominaUstische bezeichnet
wissen. Indessen hat auch der extreme Nominalismus die Beziehung des
allgemeinen Namens auf die zugehörige Klasse allzeit durch Aehnlichkeit
vermittelt gedacht, und so gut wie bei ihnen stellt auch bei Corweliub
der allgemeine Name eine Art bhifser Aequivocation her. Aus psycho-
logischen Gründen ist, im Sinne dieser Theorie, die Anwendung des
Namens auf die Klasse beschränkt, aber seine Bedeutung liegt in den
jeweils erlebten sing^ilären Aehnlichkeiten und ist somit eine fallweise
wechseliide. Die ideale Einheit der Klasse umschränkt zwar diese
Mannigfaltigkeit der Bedeutungen, aber sie schafTt nicht die Eine Be-
deutung des univoken Begriffs und kann sie nicht schaffen. "Wie wir
übrigens von dieser idealen Einheit etwas wissen sollten, von der
Gruppe durch eine Aehnlichkeit umspanntor Objeete, bleibt auf dem
Boden dieser Theorie ein Mysterium;* die Theorie hebt in ihrem
Inhalt ihre eigene Voraussetzung auf.
' A. a. 0. Amn. 3.
» A. B. 0. 8. 108.
• A. a. 0. S. 107.
* Ini Wesentlichen dürfte dies Meisong's Argument sein (a. a. 0. Z. f. Psych.
Bd. 21, S. 235), übwol auch in seiner Lehre das ideale Eiolieitsbewulstaein fehlt.
Nur durch BorücksicbtigaDg der Identität der Intention und ihrer eigenthüm-
licben Form wird Mcoono's Einwand, wenn ich recht sehe, schlüssig.
Butaerl, Log. Unten. II. 14
210 //. Die ideale Einheit der SpecUa.
I
Ein gewisses Geh'llü davon, dafs das Allgemeiiiheitsbewurstsein
(welches nach unserer Auffassung ein eigentliOmlioher Äctchaiiikter
ist, der die allgemeine Vorstellung wesentlich constitiiirt) auch etwas
ist, das sich descriptiv geltend macht und den Ansprach auf Er-
klärung erhebt, zeigt sieh hei Cohneijüs an mehreren Stellen. So
lesen wir z. B. „das Prädicatwort bezeichnet seinem Ursprung und
seiner Bedeutung nach nicht diesen oder jenen einzelnen Inhalt, noch
auch eine gewisse Anzahl particulärcr Inlialte, sondern vielmehr etwas,
was allen diesen Inhalten gemeinsam ist: ,die allgemeine Vorstellung',
die an das Prädicat associirt ist und dessen Bedeutung bedingt, ist
die (nicht nälier zu beschreibende, aber Jedem aus innerer Wahr-
nehmung unmittelbar bekannte) Erinnerung an die Aehnlichkeit,
welche alle jene Inhalte untereinander verbindet". Natürlich
ist das „nicht näher zu Beschreibende und aus innerer Wahrnehmung
unmittelbar Bekannte'' eben das eigenartige Bedeutungsbewufstsein,
der Act des allgemeinen Deutens. Mit den eben citirten Worten ist
dieses Unbeschreibliche in gewisser Weise aber doch beschrieben und,
wie mir scheinen wUl, unrichtig beschrieben, weil dem Actcharakter
ein sinnlicher Inhalt substituirt ist und noch dazu ein fictiver, der
sich durch innere Wahrnehmung jedonfaUa nicht vorfinden läfst.
Suchen wir, wenn diese Stelle nicht ganz beim Worte zu nehmen
ist, genauere Belehrung in Cornelius' Darstellung der Psychologie;
sehen wir in ihr nach, wie Cornelius dem bedoutungverleihenden
Actcharakter gerecht wii-d , der doch als das eigentlich zu Erklärende
scharf flxirt, in seinen wesentlichen Abwandlungen imterschiedea
und nach diesen festen Unterschieden aller genetischen Analyse vor-
leuchten mQfste: ao beobachten wir zwei fundamentale Vorm engungen.
För's Erste die Vennengung der objoctiven Thatsache, dafs der
allgemeine Name durch die associativen Zusammenhänge auf den
Aehnlichkeitskreis beschränkt ist, mit der subjectiven Thatsache,
dafs wir im einzelnen Act das Allgemeine meinen, uns also in Einer
Intention auf die Klasse, auf ein unbestimmt Einzelnes als Glied der
Klasse, auf die einheitlicho Species u. s. w. beziehen. Es ist die Ver-
wechslung, von der sich der extreme Noniinalismus gleichsam nährt;
sie allein macht ihn möglich, mit ihr steht und fällt er. Verwoben
mit dieser Verwechslung begegnet uns in CoRHELirs' Psychologie eine
zweite, in welcher abermals griindversclüedene Dingo durcheinander
laufen, nämlich die Verwechshmg der Ungenauigkeit des Qe<lächt-
nisses, bezw. der Verschwommenheit und Flüssigkeit der „duakel"
reproducirten Phantasmen, mit dem Allgemeinheitscharakter, der
zur Vorstelhmgsiutention als ihre Actforni gehört, oder auch mit der
Unbestimmtheit im Inhalt der Intention, welche die bestimmte
Bedeutung des „unbestimmten" Artikels ausmacht Zum Belege
mögen folgende Citate dienen.
„Je häufiger ähnliche Inhalte erlebt worden sind, umsoweniger
werden . . . ihre Ge<l3chtnisbilder auf zeitlich bestimmte Inhalte zu-
rückweisen, umsomehr werden dieselben den Chai-akter allgemeiner
Vorstellungen gewinnen, und als Symbole jedes beliebigen Inhaltes
innerhalb bestimmter Aehnlichkeitsgrenzen dienen können".^ Daneben
setzen wir folgende Stelle:* „Ein zum ersten Mal gehörtes Wort kann
noch nicht verstanden werden . . .; sobald aber irgendeiner von den
mit dem gehurten Lautcomplex seinerzeit verbundenen anderweitigen
Inhalten bei der Erinnerung an das Wort gleichfalls erinnert wird,
so ist damit eine erste Bedeutung des Wortes gegeben* . . . Ent-
sprechend der . . . Ungenauigkeit der Erinnerung wird auch die Wort-
bedeutung zunächst eine ungenaue sein: da die an das Wort asso-
ciirte Gedächtnisvorstellung nicht blofs als Symbol eines völlig
bestimmten Erlebnisses dient, sondern dessen Eigenschaften
innerhalb gewisser Grenzen unbestimmt läfst, so raufs auch
das Wort durch die Association jener Gedächtnis Vorstellung ein viel-
deutiges werden. Umgekehrt wird demgemäfs auch ein späterer
Inhalt das Wort zu associiren im Stande sein, sobald nur seine Ver-
schiedenheit von dem frilher mit dem Worte verbundenen Inhalte
jene Grenzen nicht überschreitet ... So wird also mit der Entstehung
der Bedeutung eines Wortes . . . nothwendig ein abstractes imd
' Psychologie als ErfahmngswisseDSchaft, S, 68.
» A.a.O. 8.62—63.
* Macht der Umstand, dafs ein ir au ein ß erinnert, ß schon mr .Be-
deutung' des .Ausdruckes' a'f Dann wäre die Kiruhe die ,Bedeatimg' des
Pfarrhauses u. dgl.
vieldeutiges Symbol geschaffen, welches eine Reihe verschiedener, in
bestimmter Hinsicht ähnlicher Inhalte in gleicher Weise bezeichnet:
das Wort erhält begriffliche Bedeutung, indem es vermöge der
Entstehung seiner Bedeutung dem Individuum för sämmtliche In-
halte als Symbol dient, welche in einer bestimmten Aehiilichkeitsreihe
innerhalb gewisser Grenzen liegen".' Am SchluTs desselben Abschnittes
lesen wir noch : '
„Wir finden . . . dafs niclit blofs Worte sondern auch Vorstellungen
in dem Sinne allgemein sein können (und es innerhalb gewisser
Grenzen sogar jederzeit sind), in welchem der Conceptualismus diese
Allgemeinheit beliauptet; dafs aber diese Allgemeinheit in gewissen,
durch die erworbene Feinheit der Unterscheidung bestimmten Grenzen
eingeschlossen bleibt, während die Allgemein heil des Wortes durch
diese Grenzen der Allgemeinheit des assocürten Phantasmas in keiner
Weise beschränkt wird."
„Dafs es keine Vorstellung eines Dreiecks giebt, in welcher die
EigeEBchaften des spitzwinkligen imd stumpfwinkligen Dreiecks ver-
einigt wären, können wir Berkeley unbedingt gegen Locke zugestehen:
dafs aber in jeder Vorstellung eines Dreiecks völlig be-
stimmte Verhältnisse der Seiten und Winkel vorgestellt würden,
können wir ebenso bestimmt verneinen. Wir können das Phantasma
eines Dreiecks mit einer bestimmten, völlig genauen Seitenproportion
ebensowenig bilden, als wir ein solches Dreieck jemals zu zeichnen im
Stande sind. Jene zuerst genannte Vorstellung ist deshalb nicht mög-
lich, weil die Formunteracliiede spitz- und stumpfwinkliger Dreiecke
zu groüs und zu bekannt sind, als dafs wir bei irgendeiner Dreieck-
form über die entsprechenden Eigenschaften im Zweifel sein könnten.
Die — ausgeführte — Vorstellung eines völlig bestimmten Dreiecks aber
ist aus dem anderen Grunde unmöglich, weil unsere Untei'scheidung
' Im Anachlufe daran wird die Bedeutung als Umfang der möglichen
Nennung definirt — im Contrast mit der Kede von der „Entstclmag der Be-
deutung", die den in jedem Einzelfall lebendigen Wortainii betrifft. Aber der
Unterschied zwischen Bedeutung als Sinn und Bedoutuiig als Nennung kommt
bei CoBNzucs überbaui^t niuht zu deutUcher Absonderung.
• A.n. 0. S.66ff.
der Dreieckformen niemals eine völlig genaue sein kann, sondern kleine
unterschiede uns zum Mindesten in der Erinnerung stets entgehen."
Alis diesen Citaten sind die ohen markirten Verwechslungen ohne
Weiteres ersichtlich. Ein Symbol füi' ein Einzelnes, das in Folge
unserer st&ndigen Vermischung dieses Einzelnen mit ähnlichen Einzel-
heiten jedes Glied einer Aehnlichkeitsreihe bezeichnet, das heilst an
jedes vermeintlich erinnern kann, ist nach ComrELrüs schon ein allge-
meines Symbol. Die Indifferenz des allgemeinen Begriffs, bezüglich
der nicht zu seinem Inhalt gehörigen Bestimtutheiten des jeweiligen
Begriffsgegenstandes, wird femer mit der Vagheit des Erinnerungs-
bildes identilicirt. Und im Schlufspassus glaubt Corneltos den Streit
zwischen Berkeley und Locke um die allgemeine Dreieckidee dadurch
vermitteln zu können, dafs er der Frage der ainnliclien Vorstellbar-
keit eines Dreiecks mit \viderstreitendea Bestimmtheiten (nömlich der
LocKE'schen Dreieckidee) die andere Frage unterlegt, ob wir ein geometrisch
bestimmtes Dreieck von angegebenen Verbältnissen in der Phantasie
genau zu entwerfen, oder ein entworfenes als dem geometrischen Ideal
entsprechend zu erkennen und von wenig differenten zu unterscheiden
vermöchten; wobei zugleich cUe Unbestimmtheit als Vagheit mit der
Ungenauigkeit der Exemplilicirung des Ideals vermengt erscheint. Nach
CoBNELius ist es möglich, da& eine sinnliche Dreieekidee wider-
sprochende Eigenschaften, und zwar unendlich viele, in sich ver-
einige; nur darf sie nicht so grobe Unterschiede vereinen wollen, wie
es die Eigenschaften der Stumpfwinkligkeit und Spitzwinkligkeit sind.
Wir wertlen schwerlich geneigt sein, dieser psychologistischen Re-
habilitirung der LocKE'schen Dreieckidee, auch nach Uirer Einschrankimg
auf die feineren Unterschiede, zuzustimmen. Wir werden uns nicht zu
der Uebcrzeugung entscbliefsen, es sei psychologisch möglieh, was
logisch und geometrisch widersinnig ist.
Sonderung verschiedener Begriffe von Abstraction
und Abstract
§ 40. Vermengungen der einerseits auf unselbständige TheilinhaUe und
andererseits auf Species bezogenen Begriffe von Abstraction und Abstraei.
Die Abstractionstheorie durch Aufmerksamkeit setzt voraus,
was die Lehre von der distinclio ratioiüs leugnet, nämlich dafs
in den Inhalten selbst ein gewisser Unterschied besteht,
der dem Unterschied des Abstracten und Concreten ent-
spricht. Im Sinne dieser genannten Lehre soll es nur eine Art
von Theilen geben, die Stücke, die lostrennbnren oder als getrennt
verstellbaren Theile, Auf der Gegenseite unterscheidet man aber
von diesen „selbständigen" Theilen (in Stdiipf's Terminologie)
die unselbständigen „Theilinhalte", und rechnet zu den letzteren
die inneren ßestinaratheiten eines Inhalts mit Ausschluß der
Stücke und darunter auch die in ihm merkbaren {objectiv zu
reden, die in ihm vorhandenen) Einheitsformen, durch welche
seine Theile verknüpft werden zur Einheit des Ganzen. Mit Be-
ziehung auf diesen selben Unterschied spricht man auch von
concreten und abstracten Inhalten, bezw. Inhaltstheüen.'
In der Abstractionslehre seit Locke wird nun das Problem
der Abstraction im Sinn der pointirenden Hervorhebung
dieser „abstracten Inhalte" vermengt mit dem Problem der
Abstraction im Sinne der Begriffsbildung. In letzterer
Beziehung handelt es sich um eine descriptive Analyse des Actes,
in dem uns eine Species zu evidentem Bewufstsein kommt,
bezw. um die Klärung der Bedeutung eines allgemeinen Namens
durch Rückgang auf die erfüllende Anschauung; in genetischer
Hinsicht aber ist es abgesehen auf die Erforschung des genetischen
Ursprungs solcher Bedeutungen im natürlichen Proceis der Er-
fahrung oder im künstlicheu der willkürlichen und logischen ße-
griffebildung. Die abstracten Vorstellungen, die hierbei in Frage
' Seiner genaueren ErforeehuDg ist die Untersuchung lU gewidmet
A k.
koramen, sind "Vorstoliungen, deren Intention auf Species und
nicht auf jene unselbständigen oder abstracten Inhalte geht. Sind
diese Bedeutungen intuitiv eifiillt, so liegen ihnen concrete An-
schauungen mit pointirten abstracten Theilinhalten zu Grunde;
aber sie sind nicht diese Theilinhalte selbst. Beständig werden
jedoch, wie aus der vorliegenden kritischen Untersuchung zu ersehen
ist, die abstracten oder tinselbstiindigen Momente im Gegenstände
mit den Species, die entsprechenden subjectiv erlebten abs-
tracten Inhalte mit den abstracten Begriffen {den Bedeu-
tungen gewisser Namen), und wieder die Acte der Beachtung
dieser abstracten Inhalte mit den Acten der allgemeinen Vor-
stellung vermengt Bei Locke z. B. sollen die abstracten Ideen
die allgemeinen Bedeutungen sein; aber beschrieben werden sie
als abstracte Inhalte, die von concreten Anschauungen losgetrennt
werden. Ebenso zeigt die Aufmerksarakeitstheorie die Möglichkeit
der eigenen Beachtung abstracter Inhalte (ohne deren Lostrennung),
und damit glaubt sie den Ursprung der allgemeinen Begriffe (als
Bedeutungen) geklärt zu haben. In gleicher Art leugnet man die
Anschaulichkeit der abstracten Inhalte'), obschon dieselben als
Momente concreter Anschauungen niitangeschaut sind; und dies
geschieht, weil man sich durch die ünanschaulichkeit der allge-
meinen Begriffe täuschen läfst Diese lassen sich als Bilder freilich
nicht hinstellen, so wenig wie sich Töne malen oder Farben durch
Gerüche und so allgemein heterogene Inhalte durch heterogene
abbilden lassen.
Es sind überhaupt verschiedene Begriffe von Abstract und
Abstraction zu unterscheiden und diesen Unterschieden wollen wir
jetzt nachgehen.
§ 41. Sonderung der Begriffe, die sich um den Begriff
des unselbständigen hifialts gruppiren.
a) „Abstracte" Inhalte sind unselbständige Inhalte, „con-
crete" Inhalte sind selbständige. Wir denken uns diesen
^ HöFLKR-MEmoNO, Logik 8. 25. Vgl. auch die kritische Aninerlnuig gegea
TwARDOWsKi oben S. 135.
Unterschied objectiv bestimmt; etwa so, dafs die concreten Inhalte
ihrer eigenen Natur nach an und für sich sein können, während
die abstracten nur in oder an concreten Inhalten möglich sind.»
Es ist klar, dafs die Rode von Inhalten hier weiter ge-
nommen werden kann und genommen werden nuifs, als in dem
psychologischen Sinne von erlebten Bewufstseinselementen. Der
phänomenale äufsero Gegenstand, welcher erscheint, aber nicht ein
psychischer Inhalt ist (so zum Mindesten, wenn man den „inten-
tionalen'', d.h. blofs intendirten Gegenstand nicht fälschlich als
Bestandstück desjenigen psychischen Erlebnisses, in dem sich die
Intention vollzieht, deutet), ist als Ganzes concret; die ihm inne-
wohnenden Bestimmtheiten, wie Farbe, Form u. s. w., und zwar
als constitutive Momente seiner Einheit verstanden, sind abstract
Diese gegenständliche Unterscheidung ist die altgemeinere; denn
psychische Inhalte sind nur eine speciello Klasse von Gegenständen
(womit natürlich nicht gesagt ist: von Dingen). Der fragliche
Unterschied wäre daher eigentlich passender als Unterschied
zwischen abstracten und concreten Gegenständen, bezvv. Gegen-
standstheilen zu bezeichnen. Wenn ich hier doch fortfahre von
Inhalten zu sprechen, so geschieht es, um nicht bei der Mehrheit
der Leser beständigen Anstofs zu erregen. In dieser, auf dem
Boden der Psychologie erwachsenen Unterscheidung, wo die Veran-
schaulichung naturgomäfs immer nach sinnlichen Beispielen greifen
wird, ist die Interpretation des Wortes Gegenstand durch Ding
zu sehr vorwiegend, als dafs die Bezeichnung einer Farbe oder
Form als Gegenstand nicht als störend oder gar verwirrend em-
pfunden werden könnte. Doch ist scharf im Auge zu behalten,
dafs die Eedo von Inhalten hier keineswegs auf die Sphäre der
Bewufstseinsinhalte im reellen Sinn begrenzt ist, sondern alle
individuellen Gegenstände und Gegenstandstheile mitbefafet. Selbst
die Sphäre der uns anschaulich werdenden Gegenstände schränkt
uns nicht ein. Die Unterscheidung hat vielmehr auch metaphysi-
' Näheres über Berechtiguog und Gehalt dieser Bestiinmaag in der
nächstfolgeudeo üotersuchung.
I
sehen Werth: es sind Gegenstände doch niögjlich, die ihrer
Gattung nach jenseits der allem menschlichen Bevvufstsein über-
haupt zugänglichen Ei-scheinung liegen. Kurzum die Unter-
scheidung betrifft in schrankenloser Allgemeinheit individuelle
Gegenstände überhaupt.
b) Legen wir nun den objectiven Begriff von „abstracten
Inhalten" zu Grunde, so wird unter Abstraction der Act ge-
meint sein, durch welchen ein abstracter Inhalt „unterschieden",
d. h. durch den er zwar nicht losgetrennt, aber doch zum eigenen
Object eines auf ihn gerichteten anschaulichen Vorstellens wird.
Er erscheint in und mit dem betreuenden Concretunj, von dem
er abstrahirt ist, aber er ist speciell gemeint und dabei doch nicht
blofs gemeint (wie in einem „indirecten", blofs symbolischen Vor-
stellen), sondern als das, was er gemeint ist, auch anschaulich
gegeben.
c) Doch wir müssen hier noch einen wichtigen und schon
mehrfach betonten* Unterschied in Rechnung ziehen. Wenn
wir auf eine der „in die Erscheinung fallenden" Seitenflächen
eines Würfels achten, so ist dies der „abstnicte Inhalt" unseres
anschaulichen Vorstellens. Jedoch der wahrhaft erlebte Inhalt,
welcher dieser erscheinenden Seitenfläche entspricht, ist von
dieser selbst verschieden; er ist nur die Grundlage einer „Auf-
fassung", vermöge deren, während er empfunden wird, die von
ihm verschiedene Würfelfläche zur Erscheinung kommt. Der em-
pfundene Inhalt ist dabei nicht das Object unseres anschaulichen
Vorstellens, er wird zum Object erst in der psychologischen .,Re-
flexion". Gleichwol lehrt die descriptive Analyse, daTs er nicht
blofs überhaupt im Ganzen der concreteu Würfolerscheinung mit-
gegeben ist, sondern dafs er gegenüber all den anderen, in diesem
Vorstellen der betreffenden Seitenfläche nicht repräsentativ fun-
girenden Inhalten in gev^isser Weise gehoben, pointirt ist. Dies
ist er natürlich auch dann, wenn er selbst zum Gegenstand einer
auf ihn eigens gerichteten vorstellenden Intention wird, nur dafs
' Vgl. auch die V. Unters. Kap. 2.
dann (also iii der psychologischen Reflexion) eben diese Intention
noch hinzutritt. Somit kann auch diese Hebung des Inhalts,
welche selbst kein Act,' aber eine descriptive Eigenthünilichkeit
jener Acte ist, in denen der Inhalt zum Träger einer eigenen
Intention wird, als Abstraotion bezeichnet werden. Damit ist
also ein durchaus neuer Begriff von Abstraction bestimmt.
d) Nimmt man an, dafs das Abstrahiren ein eigenartiger Act
oder überhaupt ein descriptiv eigenartiges Erlebnis sei, dem die
Hervorhebung des abstracteu Inlialts aus seinem concreten Unter-
grund verdankt wird, oder sieht man in der Weise der Heraus-
hebung geradezu das Wesentliche des abstracten Inhaltes als solchen,
so erwächst ein abermals neuer Begriff vom Absti-acten. Der
Unterschied gegenüber dem Concreten wird nicht in der eige-
nen Natur der Inhalte gesucht, sondern in der Weise des
Gegebenseins; abstract heilst ein Inhalt, sofern er abstrahirt,
concret, sofern er nicht abstrahirt ist.
Man wird leicht bemerken, dafs die Neigung, zur Charak-
teristik dos Inhaltsuntersehiedcs auf die Acte zu recurriren, durch
die Verwechslung mit den vveiterfolgenden Begriften von Abstract
and Concret hervorgerufen wird, bei welchen das Wesen der
Sache allerdings in den Acten liegt.
e) Versteht man unter Abstrahiren im positiven Sinn das
bevorzugende Beachten eines Inhalts, unter Abstrahiren im
negativen Sinn das Absehen von gleichzeitig mitgegebenen In-
halten, so verliert das Wort seine ausschliefsUche Beziehung zu
den abstracten Inhalten in dem Sinne von unselbständigen In-
halten. Auch bei concreten Inhalten spricht man ja, allerdings
nur in dem negativen Sinne, vou Abstraction; man achtet z. B.
auf sie „in Abstraction vom Hintergrunde".
§ 42. Smderung der Begriffe, die s-ich um den Betriff
dir Specks gruppiren.
a) Man unterscheidet abstracto und concrete Begriffe und
versteht unter Begriffen die Bedeutungen von Namen. Dem-
' lu dem strengen in der Untersucliong Y festzustelleudeo Sinne.
i
gemäfs entspricbt dieser Unterscheidung zugleich eine solche der
Namen und in der nominalisHschen Logik pflegt auch nur diese
grammatische Unterscheidung aufgeführt zu werden. Von ihr
können wir bequem ausgehen. Namen können Individuen nennen,
wie Mensch, Sokrates; oder auch Attribute, wie Tttgend, Weifse,
AeknUchkeit. Die ersteren nennt mau concreto, die letzteren abs-
tracte Namen. Die den letzteren entsprechenden Prädicatausdrücke,
wie tugendhaft, tceifs, ühnlic)i, rocimet man zu den uoncretcn
Namen. Genauer müfsten wir aber sagen, sie seien concret, wenn
die möglichen Subjecto, auf die sie sich beziehen, concreto Sub-
jecte sind. Dies ist nicht immer der Fall: Namen wie Atlribul,
Farbe, Zahl u. dgl. beziehen sich prädicativ auf Attribute {als
specifische Einheiten) und nicht auf Individuen, oder zum Min-
dosten auf Individuen nur mittelbar und unter Aenderung des
prädicativen Sinnes.
Hinter dieser grammatischen Unterscheidung liegt offenbar
eine logische, nämlich die Unterscheidung der Bedeutungen,
welche auf Attribute und derjenigen, welche auf Gegen-
stände, sofern sie an Attributen Antheil haben, gerichtet
sind. Nennt man mit Herb.'vht alle logischen Vorstellungen (und
das heilst, sagten wir, alle nominalen Bedeutungen) Begriffe, so
zerfallen die Bogriffe in dieser Art in abstracto und concreto. Be-
vorzugt man aber einen anderen Sinn der Rede von Begriffen,
welcher Begriff ■= Attribut ansetzt, so ist es der Unterschied der
Bedeutungen, welche Begriffe, und derjenigen, welche Begriffsgegen-
tstände als solche vorstellen. Dieser Unterschied ist relativ, sofern
Begriffsgegenstände selbst wieder, nämlich in Relation zu gewissen
neuen Gegenständen, den Charakter von Begriffen liaben können.
Aber dies kann nicht in infiitifitm gehen, und letztlich kommen
wir nothwendig auf den absoluten Unterschied zwischen Bogriffen
und Begriffsgegenständen, die nicht mehr als Begiiffe fungiren
können; einerseits also Attribute, andererseits Gegenstände, die
Attribute „haben", aber selbst keine sind. So correspondirt dem
Unterschied der Bedeutungen ein Unterschied im gegenständlichen
Gebiet, es ist, mit anderen Worten, der Unterschied der indivi-
duellen und specifischen (der „allgemeinen") Gegenstände. Aequi-
vok hoifsen aber sowol die allgemeinen Gegenstände, wie die
allgemeinen Vorstellungen («llgemeinen Bedeutungen), genauer, die
directon Vorstellungen allgemeiner Gegenstände, „Begriffe".
Der Bogriff Rötlio ist entweder die Röthe selbst — wie wenn
man diesem Begriff seine mannigfaltigen Gegenstände, die rothen
Dinge gegen übei-stellt — oder die Bedeutung des Namens Röthe.
Beide stehen offenbar in demselben Verhältnis, wie die Bedeutung
Sokraiex und Sokrates selbst. Freilich wird auch das Wort Be-
deidimg, in Folge der Vermongung dieser Unterschiede, äquivok,
so dafs man sieh nicht scheut, bald den Gegenstand der Vor-
stellung, bald ihren „Inhalt" (den Sinn des Namens) Bedeutung
zu nennen. Sofern Bedeutung auch Begriff heifst, wird übrigens
auch die bextehendo Rede von Bogriff und Begriffsgegenstand
zweideutig: einmal handelt es sich um das (vorhin mafsgebliche)
Verhältnis zwischen dem Attribut (Röthe) und dem Gegenstand, dem
dies Attribut zukommt (das rothe Haus); das andere Mal um das
total verschiedene Verhältnis zwischen der logischen Vorstellung
(z. B. der Bedeutung des Wortes Röthe, oder des Eigennamens
Tkelis) und dem vorgestellten Gegenstaude (dem Attribut Eöthe,
der Göttin Theüs).
b) Der unterschied von concreten und abstraetenVorstellungea
kann aber auch in anderer Weise gefafst werden, nämlich so, dafs
eine Vorstellung concret genannt wird, wenn sie einen in-
dividuellen Gegenstand direct, ohne Vermittlung begrifflicher
(attributiver) Vorstellungen vorstellt; und abstract im gegen-
theiligen Falle. Auf der einen Seite stehen dann im Bedeutungs-
gebiete die Bedeutungen der Eigennamen, auf der anderen
Seite alle übrigen Bedeutungen.
c) Den oben gekennzeichneten Bedeutungen des Wortes
Abstract entspricht auch ein neuer Bedeutimgskreis für die Rede
von Abstraction. Er wird die Acte befassen, durch welche die
abstracten „Begriffe" erwachsen. Genauer gesprochen, handelt es
sich um die Acte, in welchen allgemeine Namen ihre
directe Beziehung auf specifische Einheiten gewinnen;
Sondenmg verschiedener Begriffe von Abstradion und Abstract. 221
and wiederam nm die Acte, \?e]cbe zu diesen Namen in ihrer
attribativen oder prädicativen Function gehören, in weichen sich
also Formen wie ein A, aüe Ä, einige A, S welches A ist u. dgl.
constituiren; endlich um die Acte, in welchen uns die in diesen
mannigfaltigen Denkformen gefaxten Gegenstände als so gefalzte
evident „gegeben" sind, mit anderen Worten, um die Acte, in
welchen sich die begrifflichen Intentionen erfüllen, ihre Evidenz
und Klarheit gewinnen. So erfassen wir die specifische Einheit
Ttöthe direct, „selbst" auf Grund einer singulären Anschauung
von etwas Rothem. Wir blicken auf das Rothmoment hin, voll-
ziehen aber einen eigenartigen Act, dessen Intention auf die
„Idee", auf das „Allgemeine" gerichtet ist Die Abstraction im
Sinne dieses Actes ist durchaus verschieden von der blolsen Be-
achtung oder Hervorhebung des Rothmomentes; den Unterschied
anzudeuten, haben wir wiederholt von ideirender oder generali-
sirender Abstraction gesprochen. Auf diesen Act zielt die
traditionelle Rede von der Abstraction; nicht individuelle Einzel-
züge, sondern Allgemeinbegriffe (directe Vorstellungen von Attri-
buten als Denkeinheiten) gewinnen wir in ihrem Sinne durch
„Abstraction". Allenfalls erstreckt sich dieselbe Rede auch auf
die begrifflichen Vorstellungen der angedeuteten complicirteren
Formen; in der Vorstellung ein A, mehrere A u. s. w. ist von allen
sonstigen Merkmalen abstraliirt; die abstracto Vorstellung A nimmt
neue „Formen" an, aber keine neue „Materie".
m.
Zur Lehre Yon den Ganzen nnd Theilen.
Einleitung.
Der Unterschied zwischen „abstracten" und „concreten"
Inhalten, der sich als identisch herausstellt mit dem STüiiFF'schen
unterschied zwischen unselbständigen und selbständigen In-
halten, ist für alle phänomenologischen Untersuchungen von grolser
Wichtigkeit, so dafs es unerläfslich erscheint, ihn vorweg einer
gründlichen Analyse zu unterwerfen. Ich erwähnte schon in der
vorigen Untersuchung, dafs dieser Unterschied als Specialfall eines
allgemeinen Unterschiedes gefafst werden kann. Er reicht dann
über die Sphäre der Bewufstseinsinhalte hinaus und wird zu
einem theoretisch höchst bedeutsamen Unterschied im Gebiete der
Gegenstände überhaupt Somit wäre die systematische Stelle
seiner Erörterung in der reinen (apriorischen) Theorie der Gegen-
stände als solcher, in welcher die zur Kategorie Gegenstand ge-
hörigen Yerhältnisse zwischen Ganzem und Theil, Subject und Be-
schaffenheit, zwischen coordinirten Theilen oder Beschaffenheiten
und dergleichen mehr behandelt werden. Unsere analytische Unter-
suchung kann sich auch hier wieder nicht durch die Systematik
der Sachen bestimmen lassen. Schwierige BegrifTe, mit denen wir in
der erkenntnisklärenden Forschung operiren, und die in ihr ge-
wissermaisen als Hebel dienen müssen, dürfen wir nicht ungeprüft
lassen, um zu warten, bis sie im systematischen Zusammenhang
des logischen Gebietes selbst auftreten. Wir arbeiten hier ja
nicht an einer *" *i Dant^ong der Logik, sondern an
ihrer erkenntniskridscheii Klärung und zugleich an einer Vor-
bereitung für jede künftige Darstellung dieser Art.
Eine tiefere Ergründung des Unterschiedes zwischen den
selbständigen und unselbständigen Inhalten führt so unmittelbar
auf die Fundaraentalfragen der reinen Lehre von den Ganzen und
^Theilen, dafs wir es nicht unterlassen können, auf diese Fragen
mit einiger Aiisführliclikcit einzugehen,
sac
§1-
Erstes Kapitel.
Der Unterschied der selbständigen and unselbständigen
Gegenstände.
Zusammengeselxte und einfache, gegliederte und ungegliederte
Gegenstände.
Wir schicken, da sich die folgende Untersuchung der Haupt-
sache nach um Theilverhültnisse dreht, eine ganz allgemeine Er-
örterung dieser Verhältnisse voraus.
Gegenstände können zueinander in dem Verhältnis von
Ganzen und Theilen, oder auch in dem Verhältnis von coordi-
nirten Theilen eines Ganzen stehen. Dies sind in der Idee des
Gegenstandes a priori gründende Verhältnisarten. Jeder Gegen-
stand ist wirklicher oder möglicher Theil, d. Ii. es giebt wirkliche
oder mögliche Ganze, die ihn einschliefsen. Andererseits braucht
vielleicht nicht jeder Gegenstand Theile zu haben, und so ergiebt
sich die ideelle Scheidung der Gegenstände in einfache und
zusammengesetzte.
Die Termini xttsammengeselxi und einfach sind somit definirt
durch die Bestimmungen: Theile habend — keine Theile habend.
Sie können aber in einem zweiten und vielleicht natürlicheren
Sinn verstanden werden, in welchem die Zusaramengesetztlieit,
wie es die Etymologie des Wortes auch nahelegt, auf eine Mehr-
heit disjuncter Theile des Ganzen hinweist, so dafs als einfach
bezeichnet werden radlste, was sicli nicht in eine Mehrheit von
Theiien „auseinfinderlegen" läfst, d. li. worin nicht mindestens
zwei disjuncte Theile zu unterscheiden sind, DifFerenziirend könnte
man hier statt von einfachen und zusammengesetzten, lieber von
un(;;egliederten und gegliederten Gegenständen sprechen.
Dieser zweite unterschied des Einfachen und Zusammengesetzten
bezieht sieh auf ein weniger allgemeines, obschon immer noch
primitives Theilungsverhältnis; nämlich auf das Verhältnis zwischen
Verknüpfungsganzem und Vorknüpfungsglied. Unter einem
Verknüpfungsganzen oder kurzweg einer Verknüpfung verstehen
wir also ein Ganzes, welches mehrere disjuncte Theile besitzt.
Diese selbst heifsen Glieder, In dem weiten Sinne dieser Defi-
nition müssen Farbe und Gestalt als die in der Einheit des ge-
färbten Ausgedehnten verknüpften Glieder gelten. In einem engeren
Sinne spricht man von Gliedern bei disjuncten Theiien, die relativ
zueinander „selbständig" sind, mit anderen Worten bei disjuncten
„Stücken" eines Ganzen. Die Feststellung dieser Begriffe wird
uns bald ausführlich beschäftigen.
DaTs die beiden unterschiedenen Begritfspaare wirklich aus-
einander zu halten sind, lehrt beispielsweise das dem Verhältnis
von Aristotelischer Gattung und Art entsprechende Verhältnis
anschaulicher Momente, das „logische" Theüungs Verhältnis in
Bhentano's Terminologie. Ein durch niederste Species bestimmter
Fall von Farbe ist im zweiten Sinne einfach (nämlich unge-
gliedert), im ersten zusammengesetzt: Dieses hier vorliegende
Roth kann, von seiner räumlichen Ausbreitung abgesehen, nicht
in disjuncte Theile gegliedert werden, aber es enthält doch Theile.
Im Abstractum Kotli liegt das Moment Farbe, aber was Farbe zu
Kotli ergänzt, ist nicht die Anknüpfung eines weiteren und neuen
Momentes, sondern Fai-be „specificirt" sich nur zu Roth, welches
Farbe ist und doch nicht mit Farbe identisch ist.
§ 2. Einführung der Unterscheidung zwischen unselbständigen
und selbständigen Gegenständen (Inhaltenj.
Den Begriff Tkeil fassen wir in dem weitesten Sinne, der
es gestattet. Altes und Jedes Theil zu nennen, was „in" einem
i
Gegenstände unterscheidbar oder, objectiv zu reden , in ihm „vor-
handen" ist. Theil ist Alles, was der Gegenstand im realen
Sinne „hat'', und zwar der Gegenstand an und für sich, also unter
Abstraction von allen Zusammenhängen, in die er eingewobon ist.
Danach weist jedes nicht bezüglicbo „reale" Prädicat auf einen
Theil des Subjef-tgegenstaades hin. So z. B. i-oih und rund,
nicht aber existiretid oder Eticas. Ebenso gilt jede reale Ver-
knüpfungsforni, z. B. das Moment der räumlichen Configuration,
als ein eigener Tlieil des Ganzen.
In so weitem Sinne wird der Terminus Tbeil in der ge-
wöhnlichen Eede nicht verstanden. Versuchen wir die Einschrän-
kungen zu präcisiren, die ihren Theil-Begriff von dem unsrigen
unterscheiden, so stofsen wir auf jenen fundamentalen Unterschied,
welchen wir als den Unterschied der selbständigen und un-
selbständigen Theile bezeichnen. Wo von Theilen schlechthin
die Rede ist, pflegt man die selbständigen Theile (wir sagen
bezeichnend: die Stücke) im Auge zu haben. Da jeder Theil
zum eigenen Gegenstand (oder, wie man auch zu sagen pflegt,
„Inhalt") eines auf ihn zielenden Vorstellens werden und somit
als Gegenstand (oder auch Inhalt) bezeichnet werden kann, so
weist die eben berührte Unterscheidung der Theile auf eine solche
der Gegenstände (Inhalte) überhaupt hin. Der Terminus Gegen-
stand ist dabei in einem angemessen weiten Sinne genommen.
Allerdings pflegt man bei der gewöhnlichen Rede von Gegen-
ständen, ganz so wie bei der von Theilen, unwillkürlich an selb-
ständige Gegenstände zu denken. In dieser Hinsicht ist der Ter-
minus Inhalt weniger bescliränkt. Altgemein spricht man ja auch
von abstracten Inhalten. Dagegen pflegt sich die Rede von In-
halten in der blofsen psychologischen Sphäre zu bewegen, eine
Einschränkung, mit der wir bei der jetzt zu erforechenden Unter-
scheidung zwar anheben, bei der wir aber nicht vorbleiben werden. ^
' Die Verwetlisluiig zwischen vorgestelltem Inhnlt im Sinn eines belie-
bigen vorgestellten Gegenstandes {in der paycbolof;ischen Si)liäre: jedes psycho-
logische Datum) und vorgestelltem Inhalt im Sinn des bedeutungsmälsigeu .Was''
der Vorstellung ist in dem Kreise der jetzigen Untersuchung keine Gefahr,
Husterl, Ixig. Untora. U. 15
Der Unterschied der selbständigen und unselbständigen In-
halte ist auf dem psychologischen Gebiet, genauer zu reden, auf
dem Gebiet der reinen Phänomenologie der inneren Erfahrung er-
wachsen. In polemischer Beziehung auf Locke hatte Berkeley*
ausgeführt: Wir haben die Fähigkeit, uns die früher wahrgenom-
menen einzelnen Dinge wieder zu vergegenwärtigen, aber auch
sie in der Einbildung zusammenzusetzen oder zu zertheilen. Wir
können uns einen Mann mit zwei Köpfen, den Oberleib eines
Menschen verbunden mit dem Unterleib eines Pferdes vorstellen,
oder auch einzelne Stücke, einen Kopf, eine Nase, ein Ohr für
sich. Dagegen ist es unmöglich, eine „abstracte Idee" zu bilden,
z. B. die „Idee" einer Bewegung abzutrennen von der eines be-
wegten Körpers. Abstrahiren in dem LocKt'schen Sinn des Ab-
ti'ennens können wir nur solche Theüe eines vorgestellten Ganzen,
die zwar mit anderen Theilen factisch vereinigt sind, aber auch
ohne sie wirklich existiren können. Da aber nach Bphikelet esse
so viel heifst wie perdpi, so heifst hier dies Nicht-existiren-
können nichts weiter als Nicht-porcipirt-werden-köunen. Zudem
ist zu beachten, dafs das Walirgenoramene die Ideen sind, also
Bewufstseinsinhalte im Sinne reell erlebter Inhalte.
Danach kann die wesentliche Meinung Berkeley 'scher Unter-
scheidung, unter leicht verständlicher Aenderung der Terminologie,
auch in die Worte gefafst werden:*
Unter dem Gesichtspunkt der Zusammengehörigkeit scheiden
sich die jeweils zusammen vorgestellten (bzw. im Bewufstsein zu-
sammenseienden) Inhalte in zwei Hauptklassen: selbständige In-
halte und unselbständige.^ Selbständige Inimlte sind da vorhanden,
wo die Elemente eines Vorstell ungscomplex es [Inhaltscomplexes]
ihrer Natur nach getrennt vorgestellt werden können;
unselbständige Inhalte da, wo dies nicht der Fall ist
* Prineiplea, Einleitung g 10.
' Und zwar nahezu ■wüitlich nach C. Stoupf, Ueber den psychologischen
Ursprung der ßaumvorstellung 1873. S. 109.
' Stujut gebrauchte den Ausdi-uck Thoiliuhalt, der aber in diesem be-
stioimten Sinne kaum festzuhalten wäre.
1
§ 3. Die Unablrenubarkeit der unselbständigen Inhalte.
Zur näheren Charakteristik dieses Getrennt- vorgestellt-werden-
könnens, bzw. -nicht-könnens wäre unter Benutzung scharfsinniger
und niciit liinreichend beachteter Bemerkungen Stumpf's Folgendes
auszuführen.'
Wir haben in Ansehung gewisser Inhalte die Evidenz, dafs
die Aenderung oder Aufhebung mindestens eines der zusammen
mit ihnen gegebenen (aber nicht in ihnen eingeschlossenen) In-
halte, sie selbst andern oder aufheben müsse. Bei anderen In-
halten fehlt uns diese Evidenz; der Gedanke, dafs sie bei belie-
biger Aenderung oder Aufhebung aller mit ihnen coexistireuden
Inhalte selbst unberührt bleiben würden, schliefst keine Unver-
träglichkeit ein. Inhalte der ersteren Art sind nur als Thetle von
umfassenderen Ganzen denkbar, wülnend die letzteren als möglich
erscheinen, auch wenn aufser ihnen überhaupt nichts da wäre,
also auch nichts, was sich mit ihnen zu einem Ganzen vorbände.
Getrennt vorstellbar in diesem soeben präcisirten Sinne
ist jedes phänomenale Ding und jedes Stück desselben. Wir können
uns den Kopf eines Pferdes „getrennt" oder „für sich" vorstellen,
das heifst, wir können ihn in der Phantasie festhalten, während
wir die übrigen Tlieile des Pferdes imd die gesammte anschau-
liche Umgebung beliebig ändern und verschwinden lassen. Genau
besehen, wird die festgehaltene Erscheinung ihi-em descriptiven
Gehalte nach nie absolut identisch verbleiben; aber jedenfalls
liegt im Inhalt der Erscheinung nichts, was eine functionelle Ab-
hängigkeit ihrer Veränderungen von denjenigen der coexistirenden
Erscheinungen mit Evidenz als nothwendig forderte. Wir können
sagen, es gilt dies sowol hinsichtlich der erscheinenden dinglichen
Objecto, als auch hinsichtlich der erlebten Erscheinungen, sowie
zugleich hinsichtlich der in diesen letzteren gegenständlich gedeu-
teten Empfinduugscomplexionen. Günstige hiehergehörige Bei-
' loh benütze in den niiehsten Darlegungen meinen Aufsatz Uebor abstracte
und concrete luhalto (Nr 1 der Psychologischen Studien zur elementaren Logik,
PhUos. Monatshefte, 1894, Bd. XXX).
228 III. Zur Lehre von den Ganzen und Theilen.
spiele bieten Erscheinangen von Klängen und EJanggebilden, von
Gerüchen und anderen subjectiven Erlebnissen, die wir leicht von
aller Beziehung auf dingliches Dasein abgelöst denken können.
§ 4. Beispielsanaiysen nach Stumpf.
Betrachten wir nun Beispiele für die unabtrennbaren Inhalte.
Als ein solches kann uns das Verhältnis zwischen der yisuellen
Qualität und Ausdehnung, oder das Verhältnis beider zu der
begrenzenden Figur dienen. In gewisser Weise gilt es sicherlich,
dafs diese Momente unabhängig Toneinander zu variiren sind.
Die Ausdehnung kann dieselbe bleiben, während sich die Farbe,
die Farbe kann dieselbe bleiben, während sich die Ausdehnung und
die Figur beliebig ändert. Aber genau genommen, betrifft diese
unabhängige Variabilität nur 'die Arten der Momente in ihren
Gattungen. Während das Farbenmoment hinsichtlich der Farben-
species ungeändert bleibt, kann sich die Ausbreitung und Form
specifisch beliebig ändern, und umgekehrt. Dieselbe (specifisch
dieselbe) Qualität und qualitative Abschattung ist über jede Aus-
dehnung „auszudehnen" oder „auszubreiten", und umgekehrt
ist dieselbe Ausdehnung mit jeder Qualität zu „bedecken". Aber
noch bleibt Saum für functionelle Abhängigkeiten in der Verän-
derung der Momente, welche, wie zu beachten ist, nicht durch
das erschöpft werden, was die Species ideal fassen. Das Farben-
moment, als unmittelbarer Theilinhalt der concreten Anschauung,
ist bei zwei concreten Anschauungen nicht schon dasselbe, wenn
die Qualität, die niederste Differenz der Gattung Farbe, dieselbe
ist Stumpf hat die wichtige Bemerkung gemacht: „die Qualität
participirt in gewisser Weise an der Aenderung der Aus-
dehnung. Wir drücken dies sprachlich aus, indem wir sagen,
die Farbe nimmt ab, wird kleiner, bis zum Verschwinden. Wachsen
und Abnehmen ist die Bezeichnung für quantitative Aenderungen."
„In der That wird die Qualität durch Aenderung der Ausdeh-
nung mit afficirt, obgleich die ihr eigenthümliche Aendenmgs-
weise davon unabhängig ist Sie wird dabei nicht weniger grün
oder roth; sie selbst hat nicht Grade, sondern nur Arten, kann
an sich nicht wachsen und abnehmen, sondern nur wecliseln.
Aber trotzdem, wenn wir sie nach dieser ihrer eigenthümlicheii
Weise ganz unverändert, z. B. grün bleiben lassen, wird sie doch
durch die quantitative Aenderung mit afficirt. Und dafs dies nicht
etwa nur ein uneigentlicher Ausdruck der Sprache oder eine
täuschende Uebertragung ist, zeigt sich daran, dafs sie bis zum
Verschwinden abnimmt, dafs sie schliefslich durch blofse
Aenderung der Quantität Null wird.'"
Diese Beobachtung eignen wir uns zu. Wir fänden nur zu
erwähnen, dafs nicht eigentlich die Qualität afficirt wird, sondern
das ihr zugehörige unmittelbare Moment der Anschauung. Die
Qualität wird man wol schon als Abstractum zweiter Stufe fassen
müssen, obeuso wie Figur und Gröfso der Ausdehnung. Aber
gerade wegen der Gesetzmälsigkeit, die wir hier erörtern, kann
das bezügliche Moment nur genannt werden mittelst der durch
die Gattungen Qualität und Ausdehnung bestinunten Bcgrifi'e. Wus
die Qualität zu dem vorliegenden Qualitätsmoment difl'erenziirt,
ist nicht mehr durch die Gattung Farbe umgrenzt, daher wir die
Qualität, z. B. die bestimmte Nuance von Roth, mit Recht als
niederste Differenz innerhalb dieser Gattung bezeichnen. Ebenso
ist die bestimmte Figur letzte Differenz der Gattung Figur, ob-
schon das entsprechende unmittelbare Moment der Anschauung
noch weiter difl'erenziirt ist. Aber die Verbindung je einer der
letzten Difi'erenzen innerhalb der Gattungen Figur und Farbe be-
stimmt völlig die Momente, sie bestimmt gesetzlich mit, was fall-
weise noch gleich und ungleich sein kann. Die Abhängigkeit der
unmittelbaren Momente betrifO; also eine gewisse gesetzmäfsige Be-
ziehung derselben, welche rein durch die nächst übergeordneten
Abstracta dieser Momente bestimmt wird.
STTiMrF fügt noch folgende für uns werthvoUe Ausführung bei:*
„Hieraus mm [nämlich aus der oben charakterisirten functio-
nellen Abhängigkeit der Momente Qualität und Ausdehnung]
• A.a.O. S. 112.
' A.a.O. S. 113.
folgt, dafs beide ihrer Natur nach untrennbar sind, dalä sie
in irgendeiner Weise einen ganzen Inhalt bilden, von dem
sie nur TheiiiniiaUe sind. Wären sie blofs Glieder einer Summe,
so wäre es vielleicht denkbar, dafs schlechthin gesprochen, wenn
(He Ausdehnung hinwegfallt, auch die Qualität hinwegfällt (dafs
sie nicht unabhängig existiren); aber dafs die Qualität auf solche Art
allmälig abnimmt und verschwindet durch blofses Abnehmen und
Verschwinden der Quantität, ohne sich dabei als Qualität in ihrer
Weise zu ändern, wäre unbegreiflich . .. Jedenfalls können sie nicht
selbständige Inhalte sein, sie können ihrer Natur nach nicht
getrennt und unabhängig voneinander in der Vorstellung
existiren".
Aehnliches wäre für das Verhältnis zwischen Intensität und
Qualität auszuführen. Die Intensität eines Tons ist nicht etwas
seiner Qualität Gleichgiltiges, ihr sozusagen Fremdes. Wir können
die Intensität nicht für sich behalten als das, was sie ist, und die
Qualität beliebig ändern oder gar annihiliren. Mit der Aufhebung
der Qualität ist unausweichlich die Intensität aufgehoben, und
ebenso umgekehrt mit der Aufhebung der Intensität die Qualität
Und dies ist nicht eine blofse Thatsache, sondern eine evidente
Nothwendigkeit. Auch im Verhalten bei der Aenderung zeigt
sich übrigens Analogie mit dem zuerst discutirten Falle: Eine
continuirliche Annäherung der Intensität gegen die Nullgrenze
empfinden wir auch als eine Minderung des qualitativen Eindrucks,
während die Qualität als solche (specifisch) ungeändert bleibt
Weitere Beispiele bieten in Fülle die Einheitsmomente
der anschaulichen Inhatte, also Momente, die über den primär
unterscheidbaren Elementen gebaut, deren bald gleichartige, bald
verschiedenartige Verknüpfung zu sinnlich-anschaulichen
Oanzen ausmachen. In Hinblick auf sie gewinnen wir die ersten
und engereu Begriffe von Ganzes, Verknüpfung u. s.w., ferner die
untei-scheid enden Begrifie verschiedener Gattungen und Arten von
äufserlich oder innerlich sinnlichen Ganzen.
Selbstverständiicli sind die Eiiiheitsmomente nichts Anderes als
diejenigen Inhalte, welche von Ehrentels als „Gestaltqualitäten'*, von
mir selbst als „fig:iirale" Momente und von Meijtong als „fundlrte
Inhalte'' bezeichnet worden sind. Doch bedurfte es hiebei noch der
ergänzenden Unterscheidung zwischen den phänomenologischen
Einheitsmomenten, -welche den psychischen Erlebnissen oder Erlebnis-
theilen Einheit geben, und den objectiven Einheitsmonienten, welche
zu den intentionalen, wnd im Allgemeinen nicht -psychischen Gegen-
ständen und Gegenstandstheilen gehören. — • Der mir von Riehl vor-
geschlagene Ausdruck Einheitsmoment hat in seiner unmittelbaren
Verständlichkeit einen so einleuchtenden Vorzug, dafs seine aligomeiae
Annahme wüuschenswerth wäre.
■^ § 5. Die objeclive Bestimmung des Begriffs der Unablrennharkeit.
^^^^ Während Stumpf Ueberlegungen dieser Art zu dem Zwecke
^r anstellt, um die wet'hselseitige Unabtrennbarkeit der Ausdehnung
H und Qualität, also iliro Uuselbständigkeit zu beweisen, wollen
H wir aus ihnen vielmehr Nutzen ziehen, um die Unabtronnbarkoit
■ oder Unselbständigkeit, bezw. auf der anderen Seite die Abtrenn-
H barkeit oder Selbständigkeit zu definiren. Die Handhaben dazu
H bietet uns Stumpf selbst im letzten Passus des obigen Citats.* Was
H heifst das, wir können einen Inhalt „für sich", „getrennt" vor-
H stellen? Heifst dies, in Beschränkung auf die phänomenologische
Sphäre, auf die der wirklich erlebten Inhalte, dafs solch ein
Inhalt aus aller Verschmelzung mit coexistenten Inhalten heraus-
gelöst, also scbliefslich aus der Einheit des Bowufstseins heraus-
gerissen werden könne? Offenbar nicht. In diesem Sinne sind
alle Inhalte unabtrennbar. Stellen wir uns den Inhalt Kopf des
Pferdes für sich vor, so stellen wir ihn darum doch im Zusammen-
bang des Bewufstseins vor, der Inhalt hebt sich von einem Hinter-
grunde ab, er ist unausweichlich mit tausciidtultigen anderen In-
halten zugleich gegeben und mit ihnen in gewisser Weise auch
einig. Was besagt also die Lostrennbarkeit dieses Inhalts durch
die Vorstellung? Wir werden darauf keine Antwort finden, wenn
nicht die folgende:
* Vgl. die von uns betonten TVorte.
Die Lostrennbarkeit besagt nichts Anderes, als dafs wir diesen
Inhalt in der Vorstellung festhalten können bei schrankenloser
(willkürlicher, durch kein in der Natur des Inhalts gründendes
Gesetz verwehrter) Variation der mitverbundenen und überhaupt
niitgegeheneu Inhalte, so dafs er schiieMich sogar durch ihre Auf-
hebung unberührt bliebe.
Darin liegt aber evidentermafsen :
dafs die Existenz dieses Inhalts in der Vorstellung und über-
haupt im Bewufstsein durch die Existenz anderer Inhalte garnicht
bedingt ist, dafs er, so wie er ist, existiren könnte, auch wenn
im Bewufstsein aufser ihm garoichts du wäre, oder wenn sich
Alles um ihn herum willkürlich, d. i. gesetzlos änderte.
Freilich wäre zu erwägen, ob wir dergleichen absolut be-
haupten dürfen. In unseren Beispielen vindicirten wir den Fällen
der Selbständigkeit keine Evidenz, wir sprachen vielmehr von
blofser Nichtevidenz der Unselbständigkeit. Man mag bezweifeln,
ob wir je ernstlich die positive Evidenz haben, es sei ein Inhalt
relativ zu allen mitverbundenen unabhängig, dafs er, identisch
erhalten als das, was er ist, mit der willkürlichen Variation aller
coexistenten Inhalte verträglich sei. Aber zweifellos supponiren
wir dem Mangel an evident merklicher Abhängigkeit, die Unab-
hängigkeit; der Sinn der Trennbarkeit liegt nusschliefslich in dem
Gedanken: in der Natur des Inhalts selbst gründe keine
Abhängigkeit von anderen, er sei, was er sei, unbeküm-
mert um alle anderen.
Und dementsprechend liegt der Sinn der Unselbständig-
keit in dem positiven Gedanken der Abhängigkeit. Der Inhalt
ist seiner Natur nach an andere Inhalte nicht gebunden, er kann
nicht sein, wenn nicht mit ihm zugleich andere Inhalte sind. Dafs
sie Eins mit ihm sind, braucht dabei wol nicht hervorgehoben
zu werden. Denn giebt es Coexisteuz ohne eine noch so lose
Verbindung oder „Verschmelzung"? Also unselbständige Inhalte
können nur als Inbaltstheile sein.
Wir brauchen blofs anstatt Inhalt und Inhaltstheil Gegenstand
und Gegenstandstheil zu sagen (wofern wir den Terminus Inhalt
als den engeren, auf die psychische Sphäre beschränlften Terminus
ansehen), und wir haben eine objective Unterscheidung ge-
wonnen, die von aller Beziehung zu den auffassenden Acten einer-
seits, und zu irgendwelchen aufzufassenden psychischen Inhalten
andererseits befreit ist. Es bedarf also keiner Rückbezie-
hung auf die Weise des Vorstellens, um den hier fraglichen
Unterschied des „Abstracten" und „Concreten'^ zu bestimmen.
Alle Bestimmungen, die sich solcher Beziehung bedienen, sind
entweder (durch Verwechslung mit anderen Begriffen von Abstract)
unrichtig, oder mifsverstäiidlich, oder sie sind nichts weiter als sub-
jectiv gewendete Ausdrücke der rein objectiven Sachlage, wie der-
gleichen Wendungen auch sonst naheliegen und gebräuchlich sind.
§ 6. Fortsetzung. Anknüpfung an die Kritik einer beliebten
Bestimmung.
So hört man den Unterschied der selbständigen und unselb-
ständigen Inhalte mitunter durch die ansprechende Formel aus-
drücken: Die selbständigen Inhalte {bezw. Inhaltstheile) könnten
für sich vorgestellt, die unselbständigen nur für sich bemerkt,
nicht aber für sich vorgestellt werden. Gegen diese Formel ist
aber einzuwenden, dafs das für sich in den unterscheidenden
Ausdrücken für sich bemerkt — für sich vorgestellt eine sehr
verschiedene Rolle spielt. Für sich bemerkt ist, was Gegenstand
eines eigens darauf gerichteten Bemerkens (eines pointirenden
Beachtens) ist; für sich vorgestellt, was Gegenstand eines eigens
darauf gerichteten Vorstellens ist — so mindestens, wenn das für
sich hier die analoge Function haben soll, wie dort. Unter dieser
Voraussetzung ist aber der Gegensatz zwischen dem, was nur für
sich beachtet, und dem, was für sich vorgestellt werden kann, un-
haltbar. Soll sich etwa in der einen Klasse von Fällen das auszeich-
nende Beachten mit dem Vorstellen nicht vertragen und es daher
ausschliefsen? Aber unselbständige Momente, wie Merkmale oder
Verhältnisformen sind (wie oben schon bemerkt wurde), ebenso-
gut Gegenstände auf sie gerichteter Voi-stellungen, wie selbständige
Inhalte, z. B. Fenster, Kopf u. dgl. Sonst könnten wir von ihnen
garnicht spreclien. Für sich Beachten und für sich Vorstellen (in
dem eben vorausgesetzten Sinne) schliefsen einander überhaupt so
wenig aus, dafa wir sie beiderseits zusammonfindeu: in der wahr-
nehmenden „Auffassung" wird das für sich Beachtete eo ipso
zugleich vorgestellt; und wieder ist der für sich vorgestellte complete
Inhalt, z. B. /vo;)/", auch für sich beachtet.
In Wahrheit meint das für sich bei dem Vorstellen ganz
Anderes, als wir soeben angenommen haben. Darauf weist schon
der äquivalente Ausdruck losgetrennt vorstellen deutlich hin.
Offenbar ist die Möglichkeit gemeint, den Gegenstand als etwas
für sich Seiendes, in seinem Dasein gegenüber allem Audoron
Selbständiges vorzustellen. Ein Ding oder ein Stück von
einem Dinge kann für sich vorgestellt werden, das heilst, es ist,
was es ist, ob auch Alles aufscr ihm zu Nichte würde; stellen
wir es vor, so werden wir also nicht uothwendig hingewiesen auf
ein Anderes, in oder an oder in Verknüpfung mit welchem
es wäre, von dessen Gnaden sozusagen es existirte; wir können
uns vorstellen, dafs es für sich allein existirte und aufser ihm
Nichts. Stellen wir es anschaulich vor, so mag immerhin ein
Zusammenhang, ein es befassendes Ganzes mitgegeben sein, ja
sogar unausweichlich mitgegeben sein. Den visuellen Inhalt Kopf
können wir nicht vorstellen, ohne visuellen Hintergrund, von dem
er sich abhebt. Dieses Nicht-konnen ist aber ein ganz Anderes
als dasjenige, welches die unselbständigen Inhalte definiren soll.
Lassen wir den Inhalt Kopf als selbständigen gelten, so meinen
wir, dafs er, trotz des unvermeidlich mitgegebenen Hintergrundes,
als für sich seiend vorgestellt und derogemäfs auch für sich isolirt
angeschaut werden könne; nur wir brächten es nicht zu Stande,
vermöge der Kraft ureprünglicher oder erworbener Associationen,
oder vermöge sonstiger Zusammenhänge rein tbatsächlicher Art.
Die „logische" Möglichkeit bleibe dadurch unerschüttert, es
könnte z. B. unser Gesichtsfeld auf diesen einen Inhalt zusammen-
schrumpfen, u. dgl.
Was das Wort vorsieUcn hier ausdrückt, wird etwas präg-
nanter als denken bezeichnet. Ein Merkmal, eine Verknüpfungs-
form und Aehnliches können wir nicht als an und für sich seiend,
als von allem Anderen losgetrennt, somit als ausschliefslich exis-
tirond denken; dergleichen können wir nur bei den dingartigen
Inhalten. Wo immer das Wort denken in diesem eigenüiümlichon
Sinn auftritt, da ist eine jener subjectiven Wendungen objectiver
Sachlagen zu constatiren, auf die oben schon angespielt wurde.
Unterschiede wie dieser, dafs ein Gegenstand (wir wählen nun
wieder den allgemeineren Terminus, der die erlebbaren Anschau-
ungsinhalte niitbefafst) an und für sich sein kann, ein anderer
mir in oder an einem anderen sein kann, betreffen nicht unser
subjectives Denken. Es sind sachliche Unterschiede, die aber,
weil sie bestehen und wir von ihnen wissen, uns zur Aussage
bestimmen: es sei ein davon abweichendes Denken unmöglich,
d. h. ein davon abweichendes Urtheilen sei verkehrt. Was wir
nicht denken können, kann nicht sein, was nicht sein kann, können
wir nicht denken — diese Aequivalenz bestimmt den Unterschied
des prägnanten Begriffes Denken , von dem Vorstellen und Denken
im gewöhnlichen nnd subjectiven Sinn.
§ 7. ScMrfere Äwtprägung unserer Bestimmung durch Einführung
des Gesetzesgedankens.
Wo also im Zusammenhang mit dem prägnanten Terminus
denken das Wörtchen können auftritt, ist nicht subjective Noth-
wendigkeit, d.i. subjective Unfähigkeit des Sich-ntcht-andors-
vorsteUen-köonens, sondern objective Nothwendigkeit des
Nicht-anders-sein-könnens gemeint. Diese kommt uns subjectiv
(obschon nur ausnahmsweise) zum Bewufstsein in der apodictischen
Evidenz. Halten wir uns an die Aussagen dieses Bewufstseins,
80 müssen wir feststellen : das Wesen jeder objectiven Nothwendig-
keit liegt und findet seine Definition in einer jeweils bestimmton
Gesetzlichkeit Mit anderen Worten: objective Nothwendigkeit
tiberhaupt bedeutet nichts Anderes als objective Gesetzlich-
keit, bezw. Sein auf Grund objectiver Gesetzlichkeit Eine singu-
lare Einzelheit „für sich" ist zufällig. Sie ist nothwendig, das
heilst, sie steht in gesetzlichem Zusammenhange. Was darin das
Anders-sein verwehrt, ist eben das Gesetz, das sagt, es ist nicht
blofs hier und jetzt so, sondern übcrliaiipt, in gesetzlicher All-
gemeinheit. Das Nicht-für-sich-existiren-können eines unselb-
ständigen Theiles besagt demnach, dafs ein Oeselx bestehe, wo-
nach überhaupt die Existenz eines Inhalts von der Art
dieses Thoiles (z.B. der Art Farbe, Form u.dgl.) voraussetze
die Existenz von Inhalten gewisser zugehöriger Arten,
nämlich (falls dieser Zusatz noch nöthig ist) von Inhalten, denen
er als Theil oder etwas ihnen Anhaftendes, an sie Angeknüpftes
zukomme. Einfacher können wir sagen: Unselbständige Gegen-
stände sind Gegenstände solcher Arten, in Beziehung
auf welche das Gesetz besteht, dafs sie, wenn überhaupt,
so nur als Theile umfassenderer Ganzen von gewisser
Art existiren. Eben dies meint der knappere Ausdruck, sie
seien Theile, die nur als Theile existiren, die nicht als etwas für
sich Seiendes gedacht werden können. Die Färbung dieses Papiere
ist ein unselbständiges Moment desselben; sie ist nicht blofs
factisch Theil, sondern ist ihrer Art nach zum Theil-sein
prädestinirt; denn eine Färbung überhaupt kann nur als
Moment in einem Getarbtcn existiren. Bei selbständigen Gegen-
ständen mangelt ein solches Gesetz, sie können, aber sie müssen
sich nicht in umfassendere Ganze einordnen.
Die Verdeutlichung dessen, was mit dem für sirk Vorstellen
in der kritisirten Formulirung des zu bestimmenden Unterschiedes
gemeint sein mufs, hat uns so das Wesen dieses Unterschiedes
in voller Schärfe ergeben. Er stellte sich dabei als ein objectiver,
in der Natur der bezüglichen Objecto (bezw. Theilinbalte) selbst
begründeter heraus. Man wird nun fragen, wie es sich mit dem
Rest jener Formulirung verhalte, was also mit der Aussage: un-
selbständigo Gegenstände, bezw. Momente, könnten „nur" für
sich bemerkt oder nur von den mitverbundenen durch aus-
schUefeende Beachtung unterschieden [nicht aber für sich vor-
gestellt] werden, zu ileron Bestimmung beigetragen sei. Wir können
hier nur antworten: schlechterdings nichts. Denn bezieht sich das
„nur" ausschliefsend auf jenes „für sich Vorstellen", so ist eben
I
mit dem ausschliefsenden Gegensatz zu ihm alles geleistet, was
zu leisten ist. Genau besehen liegt freilich die positive Bestimmung
auf Seite des Unselbständigen, die negative auf Seite des Selb-
ständigen; wir kehren, indem wir das Eretere als für sich nicht
vorstellbar bezeichnen, nur m doppelter N(»gation zum eigentlichen
Ausgangspunkt zurück. Aber wie auch immer, eines Recui-ses auf
das pointirende Beachten bedürfen wir nicht, und es ist nicht
abzusehen, was es uns nützen soll. Gewifs, ein Kopf kann, los-
getrennt von dem Menschen, der ihn hat, vorgestellt worden.
Eine Farbe, Form ii. dgl. ist in dieser Weise nicht vorstellbar, sie
bedarf eines Substrats, an dem sie zwar exclusiv bemerkt, von
dem sie aber nicht abgelöst werden kann. Aber auch der Kopf
als visueller Inhalt kann „nur für sich bemerkt" werden, denn
er ist unausweichlich Bestandthoil eines gesammten Gesichtsfeldes;
und wenn wir ihn nicht als Bestandtheil fassen, wenn wir von
dem Hintergrund, als etwas ihm sachlich Fremdes und Gteich-
giltiges „abstrahiren", so liegt dies nicht an der Besonderheit des
Inhalts, sondern an den Umständen der Diugauffassung.
§ 8. Absonderung des Unterschiedes »toischen selbständigen
und unselbständigen Inhalten von dem phänomenologischen Unter-
scliied zwischen anschaulich sich abhebenden und verschmolzenen
Inhalten.
Ich mufs noch auf einen Einwand gefafst sein. Man wird viel-
leicht darauf bestehen, dais in der Weise, wie sich ein selbständiger
Inhalt als für sich geltende und von Allem ringsum sich ab-
scheidende Einheit durchsetzt, und wie andererseits ein unselb-
ständiger Inhalt als etwas, nur auf Grund anderer und zwar selb-
ständiger Inhalte Gegebenes charakterisirt ist, ein phänomeno-
logischer Unterschied statthabe, ein unmittelbar fühlbarer
Unterschied, dem durch unsere Erwägung nicht hinreichend Rech-
nung getragen sei.
Hier könnte nun zunächst folgende descriptive Sachlage in
Betracht kommen. Die unselbständigen Momente der Anschau-
ungen sind nicht blofs Theile, sondern in gewisser (nämlich be-
I
I
grifflich nicht vermittelter) Weise müssen wir sie auch als Theile
erfassen; für sich bemerkbar siud sie nicht, ohne ein vorgängiges
Bemerken gewisser anderer Inhalte, in denen sie sind, oder mit
denen sie eins sind. Eine Figur oder Farbe können wir nicht
für sich bemerken, ohne zunächst das ganze Object, das diese
Figur oder Farbe hnt, bemerkt zu haben. Mitunter scheint sich
zwar eine „auffallende" Farbe oder Form unmittelbar entgegen-
zudriingen; doch macht es die Vergegenwärtigung des Vorgangs
wahrscheinlich, dafs es auch hier zunächst das ganze Object sei,
das uns auffällt, aber eben vermöge jener Besonderheit, auf die
nun das Interesse ohne Aufenthalt und exclusiv überfliefst. Aehn-
lich verhält sich die Heraushebung eines sinnlichen Einheitsmoments
— z. B. des Momentes der räumlichen Configuration, welches
neben anderen Einheitsmomenten die innere Geschlossenheit der
als Einheit sich aufdrängenden sinnlichen Menge begründet — *
zur Erfassung des sinnlich -einheitlichen Ganzen selbst. In dieser
Weise ist also das Bemerken eines Inhalts mitunter das Fundament
für das Bemerken eines anderen ihm innig zugehörigen.*
Forsuhen wir nach den tieferen Gründen dieser Sachlage, so
werden wir darauf aufmerksam, dafs sich mit dem bisher er-
wogenen unterschied der selbständigen und unselbständigen Inhalte
auf dem phänomenologischen, aber auch nur auf dem phänomeno-
logischen Gebiet ein zweiter, mit jenem ersteren vermengter Unter-
schied kreuzt: nämlich der Unterschied der anschaulich „ge-
sonderten", sich von angeknüpften Inhalten „abhebenden"
oder „abscheidenden" Inhalte, und der mit den angeknüpften ver-
schmolzenen, in sie ohne Scheidung überfliefsenden Inhalte.
Die Ausdrücke sind allerdings vieldeutig, aber schon ihro Zu-
sammenstellung wird klarmachen, dafs es sich in der That um
einen wesentlich neuen Unterschied handelt
I
' Vgl. meiiie Philosophie der Arithmetik I (1891), Kap. XI, S. 228 (eine
„Allee" Bäume, ein „Schwärm" Vögel, ein „Zug" Enten u. dgl.)
* Aus meinen Psychologischen Studien zur elementaren Logik. Philos.
Monatshefte, 1694. -XXX ß. 1G2.
I
I
Anschaulich gesondert ist also ein Inlialt in Relation zu coexi-
stirenden Inhalten, in die er nicht „unterschiedslos" üherfliefst,
so dafs er sich neben ihnen eine eigene Geltung zu verschaffen
und für sich bemerkt zu werden vermag. Der anschaulich un-
gesonderte Inlialt bildet mit anderen coexislirenden Inhalten ein
Ganzes, in dem er sich nicht in dieser Weise abscheidet, er ist
mit seinen Genossen nicht nur verbunden, sondern „verschmolzen".
Denken wir uns selbständige Inhalte in dem vorigen Sinn, die
sind, was sie sind, was immer mit ihrer Umgebung vor sich gehen
mag, so brauchen sie darum nicht die ganz andersartige Selb-
ständigkeit der Sonderung zu haben. Die Theiie einer anschau-
lichen Fläche von gleich mnfsiger oder sich continuirlich abschatten-
der Weifse sind selbständig, aber nicht gesondert.
Fragen wir, was zur anschaulichen Sonderung gehört, so
leitet das Bild vom Ueberfliefsen oder Ineinanderlliefsen zunächst
auf die Fälle, wo sich die Inhalte continuirlich abstufen. Dies
gilt zumal im Gebiete der sinnlichen Concreta (genauer: für die
selbständigen Inhalte in der Sphäre der äufseron Sinnlichkeit).
Sonderung beruht hier vielfach auf Discoutinuität. Man kann
den (stark idealisirten) Satz aussprechen:
Zwei gleichzeitige sinnliche Concreta bilden noth-
wendig eine „unterschiedslose Einheit", wenn die sämmt-
lichen unmittelbar constitutiven Momente des einen
„stetig" übergehen in entsprechende constitutive Momente
des anderen. Der Fall der Gleichheit irgendwelcher
entsprechenden Momente soll hiebei als zulässiger Grenz-
fall der Stetigkeit, nämlich als stetig „in sich selbst
übergehen" gelten.
Dies kann in leicht verständlicher Weise auf eine Mehrzahl
von Concretis übertragen werden: In ihr bleibt jedes einzelne
Concretuni uiigesondert, wenn sich die Concreta des Inbegriffs
so in eine Reihe ordnen lassen, dafs sie sich Schritt für
Schritt stetig aneinanderschliefsen, d. h. dafs für die angrenzen-
den Paare gilt, was wir soeben näher bezeichnet haben. Ein
Einzelnes bleibt aber schon ungesondert von allen
240 UI. Ziur Lehre von den Ganzen und TheiUn.
anderen, wenn es nur von einem unter ihnen sich nicht
abbebt
§ 9. Fortsetzung. Hinweis auf die weitere Sphäre der
Verschm elxungspkänomene.
Allerdings bieten diese Sätze nur idealisirte Ausdrücke der
Thatsachen. Continuität und Discontinuität sind natürlich nicht
in mathematischer Exactheit zu nehmen. Die Unstetigkeitsstellen
sind nicht mathematische Grenzen, und der Abstand mufs nicht
zu klein sein.
Etwas verfeinernd -wäre zwischen scharfer und verschwommener
Absonderung, bezw. Begrenzung, zu unterscheiden, und zwar in dem
empirisch vagen Sinne, in welchem man etwa im gewöhnlichen Leben
von scharfen Spitzen und Kanten im Gegensatz zu stumpfen oder
gar abgerundeten spricht Die Ersteren liegen noch in der Linie der
geometrischen Idealbegriffe, die Letzteren hingegen lassen sich zu
geometrisch exacten Begriffen überhaupt nicht idealisiren. Aber in-
direct kann man sie mittelst exacter Begriffe ganz wol näher charak-
terisiren. Die vagen Gebilde der Anschauung mittelst exacter Be-
griffe möglichst deutlich zu charakterisiren, ist überhaupt eine phäno-
menologische Aufgabe, die lange nicht genug angegriffen und auch
in Beziehung auf die vorliegende Unterscheidung nicht gelOst ist
Es ist auch sicher, dals diese Sonderung durch Discontinuität,
bezw. Verschmelzung durch Continuität, nur ein sehr begrenztes
Gebiet umspannt
Ich erinnere an Stumpf's lehrreiche Forschungen über die merk-
würdigen Thatsachen der Verschmelzung,* in deren Sphäre wir
uns hier offenbar bewegen. Freilich spielen die von uns bevorzugten
Fälle im Kreise der Verschmelzungsphänomene eine eigene Rolle.
Fassen wir diese Fälle näher ins Auge, so werden wir bei ihnen
* Stumpf definirt bekanntlich die Verschmekung zunächst in einem engeren
Sinne, als ein Verhältnis gleichzeitiger Empfindungsqualitäten, vermöge
dessen sie als Theile eines Empfindungsganzon erecheinen. Er unterläßt es
aber nicht, aof den weiteren, für uns hier mafsgebenden Begriff hinzuweisen.
Vgl. Tonpsychologie II, §17, S. 64 ff.
I
von den Concretis, den selbständigen „ Empfind ungsganzen" auf
ihre unmittelbaren unselbständigen Momente zurückgeführt, bezw.
auf die ihnen zunächst zugehörigen Species. Die Discontinuität
als solche bezieht sich auf die niedersten specifischen Ditferenzen
innerhalb einer und derselben nächst übergeordneten Gattung (im
Aristotelischen Sinne); also z. B. auf Farbenqualitäten im Ver-
gleich mit Farbenqualitüten. Wir definiren aber nicht etwa Dis-
continuität als biofsen Abstand coexistenter Inhalte hinsichtlich
solcher niederster Differenzen. Gleichzeitige Töne haben Abstand,
aber es fehlt Discontinuität im prägnanten Sinne. Diese bezieht
sich auf die specifi.sch differirenden Momente nur insofern, als
sie über ein continuirlich variirendes Moment, nämlich auf das
räumliche oder zeitliche „angrenzend ausgebreitet" sind. „An"
einer Raum- oder Zeitgrenzo springt z.B. die visuelle Qualität
in eine andere über. Im continuirlichen Uebergang von Raum-
theil zu Raunitheil schreiten wir nicht zugleich auch in der über-
deckenden Qualität continuirlich fort, sondern mindestens an einer
Raumstello haben die „angrenzenden" Qualitäten einen endlichen
(und nicht zu kleinen) Abstand. Und ebenso bei einer Discon-
tinuität im phänomenalen Nacheinander. Dabei kommt aber nicht
blofe die Qualität, z. B. Farbe von Farbe, zur Sonderung, viel-
mehr grenzen sich die ganzen Conreta voneinander ab, das Gesichts-
feld sondert sich in Partien. Der Farbenabstand in diesem
Deckungszusammenhango (mit Beziehung auf welchen eret von
Discontinuität die Rede ist) erobert eben zugleich den mitver-
bundenen Momenten, in unserem Bei.spiol den überdeckten Raum-
theilen, die Sonderung. Diese könnten sonst aus der Verschmelzung
überhaupt nicht luskummen. Die Räumlichkeit variirt nothwondig
stetig. Für sich merklich kann ein Stück dieser Variation nur
werden, wenn eine Discontinuität durch die überdeckenden
Momente geschaffen und damit das ganze ihm entsprechende Con-
cretum abgesondert vk-orden ist.
Selbstverständlich verstehen wir hier unter Räumlichkeit das
Moment der Empfindung, dessen objecüve Apperception die erschei-
nende und eigentliclie Räumlichkeit erst oonstituirt.
Hussorl, Log. Dntara. II. 16
Verdankt nun auch das Concretuni der sinnlichen Anschauung
seine Abtrennung dem Abstand angrenzender Municnte, so ist
doch in phänomenaler Hinsicht das für sich Bemerlsen des ganzen
Concretum das frühere, gegenüber dem für sich Bemerken der
voneinander abstehenden Momente seines Inhalts. Das hängt wol
an der besonders innigen Verschmelzung der verschiedenen „Seiten"
des Concretum, nämlich ihrer wechselseitigen „Durchdringung",
die sich in der wechselseitigen Abhängigkeit bei der Veriinderung
und Vernichtimg bekiindei Diese Verschmelzung ist nicht ein
ineinander Vei-schwimmen in der Weise der Contiuuität oder in
einer anderen, die Sonderuug aufhebenden Weise; aber sie ist
immerhin eine Art besonders inniger Zusammengehörigkeit, welche
mit einem Schlage die Gesanimtcomplexion der sich durchdringenden
Momente zur Abhebung bringt, sowie nur Ein Moment durch
Discontinuität die Vorbedingung dazu schaift.
Eine tiefer und weiter dringende Analyse würde hier noch
eine Fülle interessanter descriptiver Unterschiede nachweisen
können; füi* unsere Zwecke genügen diese ziemlich rohen Dar-
stellungen. Wir sind weit genug gegangen, um zu sehen, dals
wir uns mit dem in ihnen behandelten Unterschied zwischen sich
abhebenden und nicht abhebenden Inhalten (oder, wenn man will,
zwischen für sich vorstellbaren und nicht vorstellbaren, selb-
ständigen und unselbständigen Inhalten — denn auch diese Aus-
drücke drängen sich hier auf) in der Sphäre der vagen subjectiven
Erlebnisse bewegen, und dafs wir also mit diesem Unterscliiede
gamicht heranreichen an den fundamentalen objectiven Unter-
schied der abstracteu und concreten Inhalte; oder wie wir es oben
vorzogen ihn zu nennen; der selbständigen und unselbständigen.
Es handelt sich in dem ersteren Fall, in der Unterscheidung der
sich einheitlich abscheidenden und der im Hintergrund verechwim-
menden Inhalte, um blofee Thatsachon der Analyse und Ver-
schmelzung, wobei die zur Abscheidung kommenden Inhalte eben-
so gut selbständige wie unselbständige sein können. Man darf die
beiden Unterschiede also nicht vermengen, wie man es z. B. thut,
wenn man die Unselbständigkeit der ungeschiedenen Theile
einer gleichmäfsig gefärbten Fläche mit der descriptiv ganz anders-
artigen Unselbständigkeit der abstracten Momente auf eine
Stufe stellt; oder wenn man das Wesen des Unterschiedes zwischen
concrel und ahslmd durch die subjective Thatsacho begründen
will, dafe der Act des Vorstellens beim Concretura ein unmittel-
barer, also insofern ein selbständiger sei, als er keines anderen
Vorstellens zur Grundlage bedürfe, der Act des Erfassens eines
abstracten Inhalts aber ein mittelbarer und unselbständiger sei,
sofern das Vorstellen eines zugehörigen Concretum die Grundlage
bilden müsse. Wir aber liaben erkannt, dafs diese descriptive
Sachlage noch mit ganz anderen Dingen zusammenhängt und jeden-
falls ungeeignet ist, auf das Wesen des objectiven Unterschiedes
Licht zu werfen.
§ 10. Die Mannig faUi^keit der xu den versciuedenen Arten von
Unsclbständiijkeilen gehörigeti Gesetze.
Zur Unselbständigkeit gehört nach den bisherigen Uober-
legungen allzeit ein Gesetz, welches in dem Allgemeinen des
bezüglichen Theils und Ganzen seine begrifflicheu Grundlagen hat
Dieses Gesetz kann aber in gröfserer oder geringerer Bestimmt-
heit gefafet und ausgesprochen werden. Zur Feststellung des Be-
giiffes der Unselbständigkeit genügt es schon zu sagen , es könne
ein unselbständiger Gegenstand als das, was er ist (d. i. vermöge
seiner allgemeinen Bestimmtheiten), nur in einem umfassenderen
Ganzen sein. Gegebenenflills wird er aber bald von dieser, bald
von jener Art sein, und damit wechselt auch die Art der Er-
Qzung, deren er, um bestehen zu können, bedarf. Sagen vrir
3un beispielsweise: Das Moment der Qualität sei unselbständig,
es fordere ein Ganzes, in dem es sich verkörpere, so ist die hier
waltende Gesetzlichkeit nur nach der einen Seite bestimmt, nach
der des Theils, dessen allgemeiner Charakter als Qualität angegeben
ist Unbestimmt bleibt hingegen die Art des Ganzen, also auch
die Art, wie eine Qualität Theil ist, und die Art der Ergänzung,
deren sie, um existiren zu können, benöthigt. Ganz anders,
wenn wir sagen: Eine Qualität kann nur in einem Objecto sein,
16*
das sie in der Weise eines inneren Momentes, näher, eines inneren
Merkmals in sicli trägt Hier ist die Gesetzlichkeit auch nach der
anderen Seite bestimmt; der Begriff des inneren Merkmals ist ein
gegebener, und er bezeichnet nur Eine unter den verschiedenen
Möglichkeiten, wie ein Unselbständiges einem Ganzen gesetzlich
einwohnt. Dafs die Qualität ihre specißsch bestimmte Weise hat,
wie sie inneres Merkmal ist, indem die allgemeine Bestimmtheit
innerem Merkmal xu sein sich differenziirt , jenachdem das
Einwohnende Qualität ist oder Ausdehnung u. dergl. — das macht
die Foraiulirung des Gesetzes allerdings zu einer nicht absolut
bestimmten; aber sie reicht so weit, als es überhaupt uöthig und
niöglioh ist. Denn auf die Frage, was die Bestimmtheit inneres
Merkmal xu sein zu der Bestimmtheit in der Weise der Qualität
inneres Merkmal xu sein differenziire, lälst sich keine weiter-
führende Antwort geben, wir können nicht eine hinzutretende
Bestimmtheit aufweisen, die den Begriff der Qualität nicht ein-
schlösse: ganz so, wie wir auf die Frage, was zu Farbe hinzu-
treten müsse, damit die Species Roth resultire, nur wieder ant-
worten können lioih.
Jedenfalls weist der Begriff des Unselbständigen mit der ihn
deünirenden, jedoch nur indirect und allgemein bezeichneten Ge-
setzlichkeit auf sachlich bestimmte und vielfach wechselnde Gesetze
hin, Es ist nicht eine Absonderlichkeit gewisser Theilarten, dafs
sie nur überhaupt Theile sein müssen, während es gleichgiltig
bliebe, was sich mit ihnen conglomerirt, und wie die Zusammen-
hängo beschaffen sind, in die sie sich einfügen; sondern es be-
stehen festbostimmte Nothwendigkeitsbcziehungen, also inhaltlich
bestimmte Gesetze, welche mit den Arten der unselbständigen
Inhalte wechseln und dcmgomäfs den Einen Ergänzungen dieser,
den Anderen Ergänzungen jener Art vorschreiben. Die in diesen
Gesetzen verknüpften Species, welche die Sphären der (vom Stand-
punkte eben dieser Gesetze) zufälligen Einzelheiten umgrenzen,
sind mitunter, aber nicht immer, niedei'ste specißsche Differenzen.
Schreibt beispielsweise ein Gesetz Inhalten der Art Farbe Zusam-
menhang mit solchen der Art Ausdehnung vor, so schreibt es
keiner bestimmten Farbe eine bestimmte Ausdehnung vor, nnd
ebenso aucli nicht umgekehrt. Die Werthe der niedersten Diffe-
renzen stehen hier also in keiner Functionalbeziehung zueinander.
Das Gesetz nennt nur niederste Arten (d. i. Arten, welche die
Mannigfaltigkeit der letzten specifischen Differenzen unmittelbar
unter sich haben). Betrachten wir andererseits die Abhängigkeit
des qualitativen Abstandes von den fundirenden Qualitäten, so ist
er durch die niedersten specifischen Differenzen der letzteren ein-
deutig, also wieder als niederste Differenz, bestimmt
Im Wesentlichen deckt sich also der Begriff der Unselbständig-
keit mit dem der Gesetzlichkeit in einheitlichen Zusammen-
hängen. Steht einTheil in gesetzlichem und nicht blofs factischem
Zusammenhang, so ist er unselbständig; denn gesetzlicher Zu-
sammenhang besagt ja nichts Anderes, als dafs ein so gearteter
Thei! gesetzlich nur bestehen könne in Verknüpfung mit gewissen
anderen Theilen von den oder jenen zugehörigen Arten. Auch
wo ein Gesetz statt von der Notb wendigkeit, vielmehr von der
Unmöglichkeit einer Verknüpfung spricht, wo es z. B. sagt,
es schliefse das Dasein eines Theiles A dasjenige eines Theiles B
als mit ihm unverträglich aus, auch da werden wir auf die
Unselbständigkeit zurückgeführt. Denn ein A kann ein B
nur ausschliefscn, indem sie beide dasselbe in ausschliefsender
Weise fordern. Eine Farbe schliefet eine andere aus, nämlich an
demselben Flächonstück, das sie beide ganz überdecken sollen,
aber es beide eben nicht können. Jedem gesetzlichen Ausschlufs
bestimmter Umgrenzung entspricht eine positive gesetzliche Foi-
derung von correspondirender Umgrenzung, sowie umgekehrt.
§ 11. Der UnlerscJiied dieser „materialen" Gesetze von den
„formalen" oder „analytischen" Gesetzen.
Die Noth wendigkeiten oder Gesetze, welche irgendwelche
Klassen von Unselbständigkeiten definiren, gründen, so betonten
wir mehrfach, in der Besonderheit der Inhalte, in ihrer Eigenart;
oder genauer gesprochen, sie gründen in den (Aristotelischen)
Arten oder Differenzen, unter welche die betrefTenden unselb-
ständigen und ergänzenden Inhalte fallen. Damit ist zugleich der
wesontliche Unterschied bezeichnet, welcher diese „synthetischen
Nothwendigkeiten" von den „analjtischeu" (in gewissem
Sinn: die „niaterialen" von den „formalen") trennt. Gesetze der
Art wie das Causalitätsgesetz, welches die Unselhständigkeit der
Veränderungen bestimmt, oder die (in der Regel nicht zureichend
formulirten) Gesetze, welche die Unselbständigkeit von blofsen
Qualitäten, Intensitäten, Ausdehnungen, Grenzen, Beziehungs-
formen u. dgl bestimmen, wird man nicht auf eine Stufe stellen
mit analytischen Allgemeinheiten wie: ein Ganxes kann nicht
ohne Theile existiren; ein König, ein Herr, ein Vater kann nicht
sein, wenn es nicht Unterthanen, Diener, Kinder giebt u. dgl.
Allgemein heifst es hier: Correlativa fordern einander gegenseitig,
sie können ohne einander nicht gedacht werden, bezw. ohne ein-
ander nicht sein. Stellen wir daneben irgendeinen bestimmten
Satz von der Gegenseite, z. B. ei7ie Farbe kamt nicht sein, ohne
Silvas das Farbe hat, oder eine Fai'be kann nicht ohne eine
gewisse, durch sie überdeckte Ausdehnung sein u. s. w. — so
springt der Unterschied in die Augen. Farbe ist nicht ein rela-
tiver Ausdruck, dessen Bedeutung die Vorstellung einer Beziehung
zu Anderem einschlösse. Obschon Farbe nicht ohne Farbiges
„denkbar" ist, so ist doch die Existenz irgendeines Farbigen, näher
einer Ausdehnung, nicht im Begriffe Farbe „analytisch" begründet.
Das Wesen des Unterschiedes macht folgende Ueberlegung klar.
Ein Theil als solcher kann überhaupt nicht ohne ein Ganzes
existiren, dessen Theil er ist Andererseits sagen wir aber
{nämlich mit Beziehung auf die selbständigen Theile): Ein Theil
kann öfters ohne ein Ganzes existiren, dessen Theil er ist. Darin
liegt natürlich kein Widerspruch. Gemeint ist Folgendes: Be-
trachten wir den Theil nach seinem inneren Gehalt, so kann,
was diesen selben Gehalt besitzt, auch sein ohne ein Ganzes, in
dem es ist; es kann für sich, ohne Verknüpfung mit Anderem
sein, und ist dann eben nicht Theil. Die Aenderung und völlige
Aufhebung der Verknüpfungen tangirt hier nicht den inneren
Gehalt des Theils und hebt seine E.\istenz nicht auf, nur seine
Relationen fallen fort, sein Theil-sein. Bei andersartigen Tbeilen
verhält es sich umgekehrt; aufser aller Yerknüpfung, als Nicht-
Theile sind sie, vermöge der Eigenart ihres Gehaltes, un-
denkbar. Diese Unmöglichkeiten, bezw. Möglichkeiten, gründen
also in der Besonderheit der Inhalte. Ganz andei"s verhält es sich
mit der „analytischen" Trivialität, dafs ein Theil als solcher nicht
ohne Ganzes bestehen könne, dessen Theil er ist Es wäre ein
„Widersinn", etwas als Theil anzusprechen, wo es an einem zu-
gehörigen Ganzen fehlt. Eier kommt es auf den inneren Gehalt
des Theils überhaupt nicht an, die hier zu Grunde liegende
„formale" Gesetzlichkeit hat mit der obigen, sachhakigen nichts
gemein und kann sie also nicht stören.
Die Wechselbedingtheit der Con'claüva überhaupt weist aller-
dings auf gewisse sich wechselseitig fordernde Momente hin, näm-
lich auf die bei jeder Relation einander notbwendig zugehörigen
Verhältnisse und Verhältnisbestimmungen. Aber sie thut es nnr
ganz indirect und unbestimmt Die hier waltende Gesetzmäfsigkeit
ist Eine für alle Relationen überhaupt; sie ist eben eine blofs for-
male Gesetzmäfsigkeit, die nichts von der Besonderheit der Rela-
tionen und Relationsglieder in sich aufnimmt und dieselben nur
als „gewisse" nennt. Sie sagt etwa im einfachen Falle zweier
Relationsglieder: Ist ein gewisses a in einer gewissen Relation zu
einem gewissen ß, so ist dieses selbe ß in einer ganissen ent-
sprechenden Relation zu jenem c; o und ß sind hierin schranken-
los Variable.
Wir werden allgemein definiren dürfen:
Analytische Sätze sind solche Sätzo, welche eine von der
inhaUlichen Eigenart ihrer Gegenstände (und somit auch der
gegenständlichen Verknüpfungsformen) völlig unabhängige Geltung
haben; also Sätze, die sich vollständig fomialisiren und als Special-
fälle oder blofse Anwendungen der hiedurch erwachsenden for-
malen oder analytischen Gesetze fassen lassen. Die For-
malisirung besteht darin, dafs in dem vorgegebenen analytischen
Satze alle sachbaltigen Bestimmungen durch Unbestimmte ersetzt
und diese dann als unbeschränkte Variable gefafst werden.
DaPs beispielsweise die Existenz dieses Hauses die seines
Daches, seiner Mauern und seiner sonstigen Tbeile einscliliclst,
ist ein analytischer Satz. Denn es gilt die analytische Formel,
dafs die Existenz eines Ganzen G(ß, ß, y, ■■■) überhaupt die seiner
Theile «, ^, y ... einschliefst. Dieses Gesetz iniplicirt keine Be-
deutung, die einer inhaltlichen Gattung oder Art Ausdruck gäbe;
es baut sich rein aus „Kategorien" und kategorialen Formen auf.
Darüber später mehr. Das hier Ausgeführte dürfte genügen,
um den wesentlichen Unterschied ersichtlich zu machen zwischen
den in der specifischen Natur der Inhalte gründenden Gesetzen,
an welchen die Unselbständigkeiten hängen, und analytischen und
formalen Gesetzen, welche, als in den reinen „Kategorien" grün-
dend, gegen alle „Materie der Erkenntnis" iinemplindlich sind.
§ 12. Concretum und Ding. Verallgemeinerung der Begriffe
Selbständigkeit und Unselbständigkeit durch Uebertragiing auf das
Gebiet der Succession und Causalität.
Der Begriff des Concretum als selbständigen Inhalts, wobei Inhalt
im weitesten Sinn von Gegenstand überhaupt verstanden werden
kann, fällt nicht etwa mit dem Begriff des Dinges zusammen, sowie
auch die unselbständigen Inhalte nicht ohne Weiteres als dingliche
Eigenschaften gelten dürfen. So finden wir z. B. im Empfindungs-
gebiete wo! Concreta aber keine Dinge. Zur Dingeinheit gehört
mehr als ein vereinzeltes Concretum; es gehört zu ihr (ideal ge-
sprochen) eine der Möglichkeit nach unendliche Mannigfaltigkeit
zeitlich succedirendcr, im Sinne der Begriffe Veränderung und Ver-
harrung stetig ineinander übergehender Concreta einer und derselben
Form, welche Mannigfaltigkeit umspannt wird (sei es für sich, sei
es zusammen mit bestimmt zugehörigen Mannigfaltigkeiten gleicher
Constitution) durch die Einheit der Causalität Das heifst,
es besteht in Beziehung auf diese Mannigfaltigkeiten eine Ge-
setzmäfsigkeit, welche die cooxistirenden Concreta für irgend-
einen Zeitpunkt eindeutig abhängig macht von den ihnen im
Sinne der Veränderung oder Verharrung zugeordneten Concretis
für einen bestimmten, aber beliebig zu wählenden früheren Zeit-
I
I
punkt. Sprechen wir in Hinblick auf jeden eoncreten Ver-
änderungs- oder Verliarrungsverlaiif von einem und demselben
sich verändernden oder verharrenden Concretum, so werden wir
auch sagen können: Dinge seien die durch eine Causalgesetz-
lichkeit einheitücli umspannten Concreta, sie ständen niirnlieh
unter einer Gesetümäfsigkeit, wonach mittelst der Werthe der
Concreta für irgendeinen Augenblick (nämlich der die Concreta
im gegebenen Augenblick constituirenden Bestimmtheiten) die
Werthe „derselben'' Concreta für jeden späteren Augenblick be-
stimmbar, somit die letzteren Werthe mittelst der ersteren als
eindeutige Functionen der Zeit darstellbar sind.
Wollen wir einen derartigen gesetzlichen Zusammenhang, welcher
eine Gruppe von Concretis zu einem Inbegriff oder System unter
causaler Gesetzlichkeit stehender Dinge stempelt, mehr formelhaft
und mit weitergehender Genauigkeit charakterisireu , so haben wir
etwa folgenden Ansatz zu machen:
Es seien
Gl (ad), /8<», . . .; 0, G,{a'^, ß^^, . . .; t) . . . G„(aW, ß<'\.. .; 0
n beliebige Concreta. In ihnen soll die Zeitbestimmtheit t überall
denselben Werth haben , uod bei der alsbald vorzunehmenden Variation
sich übereinstimmend ändern. Die Symbole a, ß, . . . werden, im All-
gemeinen verschiedene, Arten von Bestimmtheiten andeuten müssen,
ebenso die Symbole ö, öj . . . G„ im Allgemeinen verschiedene Eiu-
heitsformen von Concretis. Doch schliefst dies nicht aus, dafs in diesen
Beziehungen Gleichfijrmigkeit besteht, nur dürfen natürlich, wenn
etwa die sämmtlichen 0^ von einem und demselben Tj'pus, z. B. G,
sein sollten, die con-espondireniien Bestimmtheiten in den verschie-
denen O nicht soweit identisch sein, dafs statt blofser Aehnlichkeit
oder Gleichheit individuelle Identität resulürte.
Denken wir uns nun die Symbole a'^', /9<'' . . . a<^', |SC-' ... als
Variable, dann besteht die causale Gesetzlichkeit vor Allem darin,
dafi9 eine freie Variation nicht möglich ist, sondern dafs durch
einen beliebigen, aber bestimmten Werth von /, etwa Z,, und die
ihnen zugehörigen Werthe der Variablen, also a^l\ ß^]^ , . . a'^'i/^o', .. .
die Werthe dieser Variablen für jeden weiterfolgenden Zeitpunkt
eindeutig bestimmt sind. Diese Gesetzlichkeit betrifft nicht nur die
n betrachteten 0, sondern Concreta der Formen Q überhaupt, d. h.
beliebige Concreta der zur Idee der Causalitfit einheitlieh gehörigen
Klasse von Concretionsformen. Die elementaren Gesetze, aus welchen
sich die Gesetzmäfsigkeit aufbaut, sind demnach so geartet, dafs auf
Grund deraelben das Aenderungaverhalten jedes vorzugebenden ein-
zelnen Concretum, ob es nun unter Voraussetzung seines alleinigen
Daseins oder seiner Coexistenz mit beliebigen anderen Concretis be-
trachtet wird, eindeutig bestimmt wenlen kann. Ergänzend wäre
allenfalls noch der Begi-iff des wesentlich einheitlichen Causalsystems,
bezw. einer durch einheitliche "Wechselwirkung umspannten
Dinggnippe zu fixiren. Es handelt sicli dabei lun den Fall, wo eine
specieUe Gesetzniäfsigkeit die sümmtlichen Dinge der betrachteten
Gnippe in einheitlicher Weise verknüpft, derart, dafs z. B. mit dem
Wegfall auch nur eines Dinges alsbald die Aenderungsreihen aller
übrigen sich modificiren müfsten, und dafs überhaupt eine Zerlegung
der ganzen Gruppe in mehrere gegeneinander gleichgiltige Gruppen
(also in Gruppen mit blofs zeitlich coexistirenden, aber relaüv zu-
einander independenten Aendenmgsreihen) unmöglich wäre.
In der Causalitfit sind die Concreta eines Augenblicks, sei
08 für sich, sei es in Verbindung mit anderen coexistenten Con-
cretis, von denen früherer Äugenblicke abliängig — also in ge-
wissem Sinne unselbständig. Es ist aber zu beachten, dafs der
Begriß' der Selbständigkeit von uns bisher nur als Selbständigkeit
in der Coexistenz definirt war. "Wol war hiebei auch von Ver-
änderung die Rede; aber dies nur in ähnlichem Sinne wie in der
Geometrie, wo die functionellen Zusammenhänge in der Coexistenz
durch ideelle Erwägung der concomittirenden Variationen klargelegt,
jedoch damit keine causalen Abhängigkeiten gemeint werden. Es
handelt sich in der geometrischen Veränderung blofs um eine
variirende Substitution von bestimmten Einzelwerthcn in das Ge-
setz und um eine gedankliche Verfolgung der Reihen mitbestim-
mender Werthe. Und so ähnlich auch in unserem Falle. In-
dessen ist der Begriff der selbständigen, bezw. unselb-
ständigen Inhalte leicht derart zu verallgemeinern, dafs
zwischen dem Fall der Coexistenz und dem der Succeasion
zu unterscheiden wäre. Wir brauchen dazu blofs den Begriff des
Ganzen (und die analytisch üii ihm gehörigen Bogriffe) passend
zu erweitern, so dafs nicht blofs von Ganzen (Einheiten, Ver-
knüpfungen) der Coexistenz, sondern auch von solchen der Suc-
cession gesprochen werden dürfte. Unsere Begriffe sind dann ohne
Weiteres auch auf Dinge übertragbar, wobei nur der eigenthüm-
liche Inhalt, den die Rede von der Existenz und Coexistenz bei
Dingen annimmt, zu beachten ist. Die Selbständigkeit ist ge-
radezu ausgesprochen, und zwar als Selbständigkeit im absoluten
Sinn, in der Substanzdefinition von DESCARTts: „re^ quae iia
adslit, ut nnlla aliii re indigcai ad existettätim". Doch würde
es uns hier zu weit führen, diese durch die Causalbeziehung herbei-
geführten Complicationen mit zu berücksichtigen. Wir werden uns
auf die von Augenblick zu Augenblick allein wirkliclien und sich
zu zeitlichen Ganzen zusammenschliefsenden Concreta, welche die
Fundamente für die dinglichen Gesetze abgeben, beschränken. Mit
Dingen also haben wir es weiterhin nicht zu thun, aber es können
von nun an die allgemeinen, auf die Einheiten der Succession
erstreckten Begriffe mafsgebend sein.
§ 13. Relative Selbständigkeit und ünselhsiändigkcit.
Selbständigkeit galt uns bisher als ein Absolutes, als eine
gewisse Unabhängigkeit von allen mitverbundenen Inhalten; Un-
selbständigkeit als das contradictorische Gegentheil, als ent-
sprecheiule Abhängigkeit mindestens von einem Inhalt. Es ist
aber von Wichtigkeit, die Begiiffe auch als relative zu definiren,
derart, dafs sich dann die absolute Unterscheidung als Grenzfatl
der relativen charakterisirL Der Anreiz dazu liegt in den Sachen
selbst. Innerhalb der Sphäre der Bowufstseinsinhalte
erscheint uns das Moment der Ausdehnung mit allen ihren Theilen
als unselbständig, aber innerhalb der in abstracto betrach-
teten Ausdehnung jedes ihrer Stücke als relativ selbständig;
252 III. Zur Lehre von den Ganzen und Theäen.
jedes ihrer Momente, z. B. die von Lage und Grölse zu unter-
scheidende Form als relativ unselbständig. Also hier bezieht
sich eine relative Sede von Selbständigkeit, die absolut oder in
einer anderen Relation genommene Unselbständigkeit sein könnte,
auf ein Ganzes, welches durch seinen Gresamratinbegriff von Theilen
(das Ganze selbst dazu gerechnet) eine Sphäre herstellt, innerhalb
der sich die früher unbeschränkt vollzogenen Unterscheidungen
zu bewegen haben. Wir könnten also definiren:
Unselbständig in und relativ zum Ganzen O, bezw.
zu dem durch Q bestimmten Gesammtinbegriff von In-
halten, heifst jeder seiner Theilinhalte, der nur als
Theil existiren kann, und zwar nur als Theil einer Art
von Ganzen, die in diesem Inbegriff vertreten ist Jeder
Theilinhalt, für den dies nicht gilt, heifse in und relativ
zum Ganzen G selbständig. Kurzweg sprechen wir auch
von unselbständigen oder selbständigen Theilen des
Ganzen und in entsprechendem Sinn von unselbständi-
gen und selbständigen Theilen von Theilen (Theilganzen)
des Ganzen.
Die Bestimmung läfst sich offenbar noch verallgemeinern.
Man kann nämlich die Definition leicht so ummodeln, dais nicht
mehr ein Theilinhalt zu einem umfassenderen Ganzen in Relation
gesetzt wird, sondern ganz allgemein ein Inhalt zu einem
anderen Inhalt, mögen beide auch disjunct sein. Wir definiren
demgemäfs:
Ein Inhalt a ist relativ unselbständig zu einem
Inkalt ß, bezw. zu dem durch ß und alle seine Theile
bestimmten Gesammtinbegriff von Inhalten, wenn ein
in der Besonderheit der betreffenden Inhaltsgattungen
gründendes Gesetz besteht, wonach überhaupt ein In-
halt der Gattung a nur in oder zusammen mit anderen
Inhalten aus dem durch ß bestimmten Gesammtinbegriff
von Inhaltsgattungen bestehen kann. Mangelt ein solches
Gesetz, so nennen wir a relativ zu ß selbständig.
Das Zusanimenbestehen, von dem in dor Definition die Rede
ist, ist entweder zeitliclie Coexistenz, oder es ist auch Zu-
sanimenbestehen in einer ausgedehnten Zeit. Im letzteren Falle
ist ß ein zeitliches Ganzes, und die zeitlichen Bestimmtheiten
figuriren dann {und zwar als Zeitrelationen, Zeitstrecken) mit in
dem durch ,i bestimmten Inhaltsinhegriff. Ho kann ein Inlialt x,
der die Zeitbestimmimg ^o in sich enthält, das Sein eines anderen
Inhaltes X mit der Zeitbestimmung /^ = <(,+./ fordern und in-
sofern unselbständig sein.
Im Sinne unserer Definition ist beispielsweise in und relativ
zu dem Ganzen einer visuellen Momenfananscbauung jedes Stück,
d. h. jeder concret erfüllte Abschnitt des Gesichtsfeldes, selbständig;
jede Farbe eines solchen Stücks, die Farbenconliguration des
Ganzen u. dg), unselbständig. Wieder sind in und relativ zu dem
Ganzen der momentanen sinnlichen Gesammtauschauung das er-
füllte Gesichtsfeld, das erfüllte Tastfeld u. dgl. selbständig, die
Qualitäten, Foraien u. s. w., gleichgiltig ob sie den Ganzen oder
einzelnen Gliedern anliafton, unselbständig; wir bemerken zugleich,
dafs hier alles, was i'cJativ zu dem Ganzen des vorigen Beispiels
als unselbständig und selbständig galt, auch relativ zu dem jetzt
mafsgebenden Ganzen als solches zu gelten hat. Es gilt nämlich
die allgemeine Wahrheit:
Was selbständig oder unselbständig ist in Relation zu einem
Ganzes O, auch in eben dieser Eigenschaft erhalten bleibt in
Relation zu jedem Ganzen 0\ in Relation zu welchem O selb-
ständig ist — ein Satz der freilich die Umkehrung nicht zuläTst.
Obschon also je nach der Art, in der wir die Grenzen ziehen,
die Relation wechselt; und obschon damit die relativen Begriffe
wechseln: so vermittelt das eben erwähnte Gesetz für die im be-
zeichneten Zusammenhang stehenden Gruppen eine gewisse Be-
ziehung. So verhält es sich z. B., wenn wir irgendwelche der zu
jedem Zeitpunkt geiiörigen Coexistenzgruppen mit den sie um-
fassenden Gruppen der Succession, eventuell auch mit dor Ge-
sammtgruppe der unendlichen vollen Zeit vergleichen. Das Selb-
ständige der letzteren Gruppe ist das Umfassendere, also wird
I
nicht Alles, was in der Ordnung der Coexistenz als selbständig
gilt, auch in der Ordnung der Succession als solches gelten
mUssen; woi aber umgekehrt In der That ist ein Selbständiges
der Coexistenz (z. B. ein abgegrenztes Stück des Gesichtsfeldes in
seiner concreten Fülle) relativ zu dem Ganzen der erfüllten Zeit
unselbständig; wofern wir seine zeitliche Bestimmtheit als blofsen
Zeitpunkt denken. Denn ein Zeitpunkt ist als solcher unselbständig,
er kann nur concret erfüllt sein in einer Zeitausdehnuug, einer
Dauer. Ersetzen wir aber den Zeitpunkt durch eine Zeitdauer, in
welcher der betreffende concreto Gehalt absolut unverändert ge-
dacht sei, dann könnte diese dauernde Coe.\istenz auch in der
erweiterten Sphäre, ja sogar als absolut selbständig gelten — wofern
sie nicht durch hinzutretende Causalbeziehungeu tangirt würde.
Zweites Kapitel.
Gedanken zu einer Theorie der reinen Formen
von Ganzen und Theilen.
§ 14. Der Begriff der Fundirung und zugehörige Theoreme.
Das im letzten Absatz des vorigen Paragraphen ausgesprochene
und verworthete Gesetz ist nicht ein Erfahrungssatz, sondern
Ififst, sowie manche verwandte Gesetze einen apriorischen Beweis
zu. Nichts kann den Werth exacter Bestimmungen in helleres
Licht setzen als die Möglichkeit, solche uns in anderem Gewände
vortrauten Satxe doducttv begründen zu können. Mit Rücksicht
auf das grofse wissenschaftliche Interesse, das in jedem Gebiet die
Constitution einer deductiven Theoretisirung bean.sprucht, wollen
wir hier ein wenig verweilen.
Definitionen. — Kann ein a als solches (also gesetzlich) nur
existiren in einer umfassenden Einheit, die es mit einem /j ver-
knüpft, so sagen wir, es bedürfe ein a al.s solches der
Fundirung durch ein /<, oder auch, es sei ein « als
solches ergänzungsbedürftig durch ein fi. Sind demgemäfs
Oß, |Uo bestimmte in Einem Ganzen verwirldiciito Einzelfälle
der im angegebenen Verhältnis stehenden Gattungen a, bezw. ft,
80 nennen wir a^ durch ^/^ fundirt, und zwar ausschliefsüch
durch fif, fundirt, wenn die Ergänzunssbedürftiskeit von a„ durch ^^
aliein gestillt wird. Natürlich können wir diese Tormiuologio auf
die Arten selbst übertragen. Die Aequivocation ist hier ganz
unschädlich. Unbestimmter sagen wir femer, dio beiden Inhalte,
bezw. dio beiden Arten, ständen in einem Fundirungsverhältnis
oder auch im Verhältnis nothwondiger Verknüpfung; wobei
es freilich offen bleibt, welches der beiden aiöglicheu und einander
nicht ausschliofsenden Verhältnisse geraeint sei. Die unbestimmten
Ausdrücke: a^ ist ergänzungsbodürftig, es ist in einem
gewissen Moment fundirt, sind offenbar gleichbedeutend mit
dem Ausdruck: «j ist unselbständig.
1. Satz. — Bedarf ein a als solches der Fundirung
durch ein fi, so bedarf ebensolcher Fundirung auch jedes
Ganze, welches ein a aber nicht ein (i zum Theile hat.
Der Satz ist a.xiomatisch einleuchtend. Kann ein « nicht
sein aufser ergänzt durch ^, so kann auch ein Ganzes von a,
das kein ^i in sich fafst, die Ergäuzungsbedürftigkeit des o nicht
stillen, und es mufs sie nun selbst theiien.
Als Corollar können wir mit Rücksicht auf die Definition des
vorigen Paragraphen aussprechen:
2. Satz. — Ein Ganzes, welches ein unselbständiges
Moment ohne die von ihm geforderte Ergänzung als
Theil einschliefst, ist ebenfalls unselbständig, und ist es
relativ zu jedem übergeordneten selbständigen Ganzen,
in welchem jenes unselbständige Moment mitenthalten ist.
3. Satx. — Ist G ein selbständiger Theil von [also*
relativ zu] F, so ist jeder selbständige Theil g von O,
auch ein selbständiger Theil von F.
* Nämlich im Sione der im letzten Paragraphea definirten abgekürztea
Redeweise, die hier überall zu beachten ist
256 ///. Zur Lehre von den Ganzen und Theilen.
Würde nämlich g, relativ zu F betrachtet, einer Ergänzung fi
bedürfen, also im Bereiche von F eine Fundirung [i^ besitzen,
so müfste sie in G mitenthalten sein. Denn sonst wäre O nach
Satx 1 in Hinsicht auf n ergänzungsbedürftig, und da /Iq ein Theil
von F ist, nach Satx 2 unselbständig relativ zu J"; was der
Voraussetzung widerspricht Ihr gemäls ist aber g selbständiger
Theil von ö, also auch relativ zu ö; es kann also im Bereiche
von 0 nichts bestehen, was g zur Fundirung dienen könnte; folglich
auch nicht im gesammten Bereiche von F.
Der vorliegende Satz VäSst sich bei passend geänderter Buch-
stabenbezeichnung auch so aussprechen:
Ist a ein selbständiger Theil von /?, ß ein selb-
ständiger Theil von /, so ist auch a ein selbständiger
Theil von y.
Oder noch kürzer:
Ein selbständiger Theil eines selbständigen Theils
ist selbständiger Theil des Oanzen.
4. Satx. — Ist y ein unselbständiger Theil des Ganzen
Ö, so ist es auch ein unselbständiger Theil jedes an-
deren Ganzen, von welchem O ein Theil ist.
y ist unselbständig relativ zu ö, d. h. es besitzt in einem
zum Bereiche von O gehörigen (x^ eine Fundirung. Natürlich
muTs dieses selbe fi^ auch im Bereiche eines jeden dem O über-
geordneten, d. i. Ö als Theil einschliefsenden Ganzen vorkommen;
also mufs y auch relativ zu jedem dieser Ganzen unselbständig
sein. (Dagegen kann y, wie wir zusetzen, sehr wol selbständig
sein hinsichtlich eines untergeordneten Ganzen; wir brauchen
dessen Grenzen nur so zu ziehen, dafs die nöthige Ergänzung (i
von ihm ausgeschlossen bleibt So ist ein Stück einer Ausdehnung
in abstracto selbständig relativ zu dieser Ausdehnung; diese aber
selbst ist unselbständig relativ zu den concreten Ganzen der er-
füllten Ausdehnung.)
Unser Satz läfst sich in analogen Formen aussprechen wie
der vorige; nämlich:
I
Ist o ein unselbständiger Theil von /J, ß ein unselb-
ständiger Tiieil von y, so ist auch c ein unselbständiger
Theil von y.
Ein unselbständiger Theil eines unselbständigen
Theils ist ein unselbständiger Theil des Ganzen.
5. Satx. — Ein relativ unselbständiger Gegenstand
ist auch absolut unselbständig, dagegen kann ein relativ
selbständiger Gegenstand in absolutem Sinne unselb-
ständig sein.
Für den Beweis vergleiche den vorigen Paragraphen.
6. Satx. — Sind « und ß selbständige Theile irgend-
eines Ganzen G, so sind sie auch relativ zueinander
selbständig.
Senn wäre a ergänzungsbedürftig durch ß oder durch irgend-
einen Theil von /S, so gäbe es im Inbegriff der durch Q be-
stimmten Theile solche (nämlich die von j**), in welchen « fundirt
wäre; also wäre c nicht selbständig relativ zu seinem Ganzen G.
§ 15. Ueherkiiung xur Betrachtung der wichtigeren Theih-erhältnisse.
Betrachten wir nun einige der bemerkenswerthesten Ver-
schiedenheiten in den Verhältnissen zwischen Ganzem und Theil,
sowie zwischen den Thoilcn eines und desselben Ganzen. Die
Allgemeinheit dieser Verhältnisse täfst ja reichliehen Spielraum
für die mannigfaltigsten Unterschiede. Nicht jeder Theil ist im
Ganzen in gleicher Weise enthalten, und nicht jeder Theil ist mit
jedom anderen in der Einlieit des Ganzen gleicherweise verwoben.
Wir tinden bei der Vergleichung der Theilverhältnisse in ver-
schiedenen Ganzen, oder schon bei der Vergleichung der Theil-
verhältnisse in einem und demselben Ganzen auffallende Unter-
schiede, auf welche sich die gemeinübliche Kode von verschiedenen
Arten von Ganzen und Theilen gründet. Die Hand ist z. B. in
ganz anderer Weise ein Theil des Menschen, als es die Farbe dieser
Hand ist, als es die Gesammtausdehnung des Körpers ist, als es
die psychischen Acte und wieder die inneren Momente dieser
Hasaerl, Lug. Unten. U.
Ptiänoniene sind. Die Tbeile der Ausdehnung sind in anderer
Weise miteinander vereint, als sie selbst es mit ihren Farben
sind u. s. w. Wir werden sofort sehen, dafs diese Unterschiede
durchaus in den Kreis unserer jetzigen Untersuchungen hinein-
gehöre q.
§ 16. Wechselseitige und einseitige, mittelbare und
unmittelbare Fundirung,
Fassen vnr irgendein Paar von Theilen eines Ganzen ins
Auge, so bestehen iolgende Mi'iglichkeiten :
1. Zwischen beiden Theilen besteht ein Verhältnis der Fun-
dirung,
2. es besteht dieses Verhältnis nicht Im ersteren Falte kann
die Fundirung
a) eine gegenseitige,
b) eine einseitige sein, je nachdem die bezügliche Gesetz-
mäfsigkeit eine umkehrbare ist oder nicht. So fundiren sich Farbe
und Ausdehnung in einer einheitlichen Anschauung gegenseitig,
du keine Farbe ohne eine gewisse Ausdehnung, keine Ausdehnung
ohne eine gewisse Farbe denkbar ist. Dagegen ist ein Urtheils-
charakter einseitig fuudirt in den zu Grunde liegenden Vorstellungen,
da diese nicht als Urtheilsfundaraente fungiren müssen. Brknta.no's
Unterscheidung von Theilen mit „gegenseitiger" und solchen mit
„einseitiger Ablüsbarkeit" stimmt dem Umfang, nicht der Detinition
nach, mit der vorliegenden überein. Dem Ausfall jeder Fundirung
entspricht Bhentano's ergänzende Rede von „gegenseitiger Ab-
lösbarkeit".
Von einigem Interesse ist noch die Frage, wie es sich hier
mit der relativen Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Theile
verhält, natürlich relativ zu dem Ganzen, in dem sie betrachtet
werden. Besteht zwischen zwei Theilen ein gegenseitiges Fun-
dirungsverhiütnis, so ist deren relative Unselbständigkeit aufser
Frage; so z. B. in der Einheit von Qualität und Ort. Anders,
wenn es blofs einseitig ist; dann kann der fundirende (obschon
selbstredend nicht der fundirte) Inhalt selbständig sein. So ist
in einer Ausdeimnng fiie Figur eines Stückes in dem Stücke fundirt,
also ein (sc. relativ zum Ganzen dieser Ausdehnung) Unselbständiges
in einem Selbst«ändigen.
Die Fundirung eines Theils in einem anderen kann ferner
a) eine unmittelbare oder
ß) eine mittelbare sein, jenachdem die beiden Tlieile in un-
mittelbarer oder mittelbarer Verknüpf ung stehen. Dieses Verhältnis
ist, ebenso wie das vorige, nicht an die individuell vorliegenden
Momente gebunden, sondern geht das Fundirungsverhältnis nach
seinem allgemeinen Bestände an. Ist «(, unmittelbar in /?„, aber
mittelbar in j'o fundirt (sofern nämlich /?<> unmittelbar in y^ fun-
dirt ist), so gilt es allgemein, dafs ein a überhaupt in einem ß
unmittelbar, in einem y mittelbar fundirt sei. Dies ist die Folge
davon, dafs wenn ein a und ein ß überhaupt verknüpft sind, sie
es unmittelbar sind, und wieder, dafs wenn ein a und ein y ver-
knüpft sind, sie es nur mittelbar sind. Die Ordnung der Mittel-
barkeit und Unmittelbarkeit ist in den Gattungen gesetzlich be-
gründet Beispielsweise kann das Moment Farbe nur realisirt sein
in und mit einem Speciesmoment, wie Roth, Blau u. s. w. Dieses
wieder nur im Zusammenhang mit einer gewissen örtlichen Be-
stimmtheit. Diese allzeit unmittelbaren Verknüpfungen und Fun-
diruugen bedingen die mittelbare zwischen dem Momente Farbe
und ürllirlie Bestimmtheit. Offenbar sind die Zusaramenhangs-
gesetze, welche zu den mittelbaren Fundirungen gehören, analy-
tische, und zwar schlufsartige Folgen derjenigen, welche zu den
unmittelbaren Fundirungen gehören.
§ 17. ExacU Bestimmung der Begriffe Stück, Moment, physischer
Theil, Abstraetum, Coneretum.
Auf die oben fi.virten Begriffe können wir nun auch eine
weitere Reihe bekannter und fundamentaler Begriffe reduciren und
ihnen hiedurch exacte Bestimmtheit vorleihen. Einzelne der Ter-
mini mögen, wie vorweg bemerkt sein mag, bedenklich sein; die
ihnen im Naclifolgenden zugeordneten Begriffe sind jedenfalls von
grofsem Werthe.
17*
I
Wir fixiren zunächst eine fundamentale Eintboihing des Be-
grifFes Theil, niiiiilich die Eintheilung in Stücke oderTheile im
engsten Sinne, und in Momente („Seiten") oder abstracto
Theile des Ganzen. Jeden relativ zu einem Ganzen Ö selb-
ständigen Theil nennen wir ein Stück, jeden relativ zu
iiim unselbständigen Theil ein Moment (eine Seite oder
einen abstracten Theil) dieses selben Ganzen Ö. Es ist hiebeil
gleichgiltig, ob das Ganze selbst, absolut oder relativ zu einem
höheren Ganzen betrachtet, selbständig ist oder nicht. Abstracte
Theile können danach wieder Stücke haben und Stücke
wieder abstracte Theile. Wir sprechen von Stücken einer
Zeitdauer, obschon diese etwas Abstractes ist, ebenso von Stücken
einer Ausdehnung. Die Formen dieser Stücke sind ibnoa inne-
wohnende abstracto Theile.
Stücke, die kein Stück identisch gemeinsam haben, nennen
wir sich ausschiiefsende (disjuncte) Stücke. Die Eintheilung
eines Ganzen in eine Mehrheit sich ausschliefsender Stücke nennen
wir eine Zerstückung desselben. Zwei solche Stücke können
noch ein identisches Moment gemeinsam haben. So ist die ge-
meinsame Grenze ein identisches Moment für die angrenzenden
Stücke eines eingetheilten Continuum. Stücke heifsen getrennt,
wenn sie im strengen Sinn disjunct sind, also auch kein Mo-
ment mehr identisch haben.
Da ein abstracter Theil auch abstract ist in Relation zu jedem
umfassenderen Ganzen und überhaupt zu jedem dieses Ganze um-
fassenden Inbegriff von Inhalten, ^ so ist ein Abstractes in rela-
tiver Betrachtung eo ipso abstract in absoluter. Die letztere kann
als der Orenzfall der relativen Betrachtung definirt werden, in
welchem die Relation durch den Gesammtinbegriff von In-
halten (Gegenständen) überhaupt bestimmt ist; so dafs es also
nicht einer vorgängigen Definition des Abstracten oder unselb-
ständigen im absoluten Sinne bedarf. Demnach ist ein Ab st r ac-
tum schlechthin ein Inhalt, zu dem es überhaupt ein Ganzes
giebt, bezüglich dessen er ein unselbständiger Theil ist
' Nach Satz 4 8. 256.
Gedanken xu einer Theorie ihrer reinen Formen.
261
I
Wenn ein Abstractum eine derartige Zerstiickung zuläfst, dafs
die Stücke Abstracta von derselben niedersten Gattung sind, als
welche durch das ungetheilto Ganze bestimmt wird, so nennen
wir es ein physisches Qanzes, seine Stücke physische Theile.
Hieher gehört beispielsweise die Theilung einer Ausdehnung in
Ausdehnungen, specieller einer Kaumstrecke in Raumstrecken,
einer Zeitstrecke in Zeitstrecken u. dgl.
Wir können hier noch folgende Definitionen anschliefsen:
Ein Inhalt heifst mit Beziehung auf seine abstracten Momente
ein Concretum, und zwar heifst er mit Beziehung auf seine
nächsten Momente ihr nächstes Concretum. (Den hier vor-
ausgesetzten Unterschied der näheren und ferneren Momente werden
wir gleich in den folgenden Paragraphen genauer bestimmen.) Ein
Concretum, das selbst nicht abstract ist, kann absolutes Con-
cretum genannt werden. Da der Satz gilt, dafs jeder absolut
selbständige Inhalt abstracte Theile besitzt, so kann auch jeder
als absolutes Concretum angesehen und bezeichnet werden. Beide
Begriffe sind also von gleichem Umfang. Aus gleichem Grunde
kann man für Stück auch concreter Theil sagen, wobei natür-
lich die Concretiou als absolute oder relative zu verstehen ist, je-
nachdem das Ganze selbst entweder nur abstracte Theile hat oder
selbst abstract ist. Wo das Wort Concretum schlechthin gebraucht
wird, ist in der Regel das absolute Concretum gemeint.
§ 18. Der Unterschied der niUtelbaren und unmiltelbaren Tlieile
eines Oanxen.
Mit dem Unterschied der Stücke und der abstracten Theile
hängt innig zusammen der Unterechied der mittelbaren und
unmittelbaren Theile, oder deutlicher gesprochen, der näheren
und ferneren. Denn die Rede von Unmittelbarkeit und Mittel-
barkeit kann in einem doppolten Sinne verstanden werden. Wir
besprechen vorerst den nächstliegenden Sinn dieser Rede.
Ist d-(G\ ein Theil des Ganzen ö, so ist ein Theil dieses
Theils, etwa ^(3'(0)) wieder ein Theil des Ganzen, aber ein
mittelbarer Theil. 3-(G) mag dann ein vergleichsweise un-
mittelbarer Theil des Ganzen heifsen. Die Unterscheidung ist
eine relative, tla ^{6} selbst wieder ein mittelbarer Theil sein
kann, mit Beziehung nämlich auf einen anderen Theil des
Ganzen, in dem es als Theil enthalten ist. Die relative Unter-
scheidung verwandelt sich in eine absolute, wenn wir unter ab-
solut mittelbaren Theilen solche verstehen, in Beziehung auf
welche es im Ganzen Tbeile giebt, denen sie selbst als Theile
einwohnen; unter absolut unmittelbaren also Theile, die von
keinem Tbeile desselben Ganzen als Theile gelten dürfen. Mittel-
bar in diesem absoluten Sinne ist jeder geometri.sehe Theil einer
Ausdehnung; denn sie hat immer wieder (geometrische) Theile,
die jenen umfassen. Schwieriger ist es, passende Beispiele absolut
unmittelbarer Thoile beizubringen. Es können etwa folgende heran-
gezogen werden: Heben wir in einer visuellen Anschaunng die
einheitliche Complexion aller inneren Momente heraus, die bei
blofser Ortsveränderung identisch erhalten bleiben, so ist sie ein
Theil des Ganzen, der keinen übergeordneten Theil mehr besitzen
kann. Dasselbe gälte von dem Ganzen ihrer blofsen Ausdehnungen
in Hinsicht auf den geometrischen, unabhängig von der Lage con-
gruenten Körper. Schränken wir die Unterscheidung auf Theile
einer und derselben Art ein, so ist schon das Moment der ein-
heitlichen Fäi'bung ein absolut unmittelbarer Theil, sofern es kein
gleichartiges Moment des Ganzen giebt, dem jenes wieder als
Theil einzugliedern wäre. Dagegen ist die Färbung, die einem
Stücke des Ganzen anhaftet, als mittelbar zu betrachten, sofern
sie zur Gesammtfärbung des Ganzen beiträgt. Dasselbe gilt, mit
Beziehung auf die Art Ausdehnung, von der Gosammtausdehnung,
die ein absolut unmittelbarer, von einem Stücke dieser Ausdehnung,
die ein absolut mittelbarer Theil des ausgedehnten Dinges ist.
§ 19. Ein neuer Sinn dieses UnterscJiiedes : nähere und fernere
l'luile des Garnen.
Einen ganz anderen Inhalt gewinnt diese Rede von unmittel-
baren und mittelbaren Theilen, wenn wir auf gewisse merkwürdige
Unterschiede achten, die sich bei der vergleichenden Betrachtung
der "Verhältnisse zwischen Ganzen und mittelbaren Theilen auf-
drängen.' Wenn wir ein physisches Ganzes zerstückt denken, so
lassen die Stücke wieder Zerstüekungen zu, die Stücke der Stücke
abermals u. s. w. Hier sind die Theile der Theile in genau der-
selben Weise Theile des Ganzen, wie die unmittelbaren Theile;
und zwar bemerken wir nicht blofs die Gleichheit in Beziehung
auf die Art des Thoilvorhältnisses, die rücksicbtlich des Ganzen
die Rede von gleichartigen Tbeilen bedingt — die Stücke der
Stücke sind wieder Stücke des Ganzen* — sondern es bekundet
sich auch darin eine Oleicliheit dieser Verhältnisse zwischen dem
Ganzen und den mittelbaren Theilen auf der einen, den (relativ)
unmittelbaren Theilen auf der anderen Seite, dafs wir keinen An-
Jafs finden, den letzteren vor den ersteren irgendeinen inneren
Vorzug beizumessen: der abstufenden Ordnung der Theilungen
entspricht hier nicht eine sachlich bestimmte und feste Abstufung
in der Beziehung der Theile zum Ganzen. Nicht als ob die Rede
von mittelbaren und unmittelbaren Theilen eine ganz willkürliche
wäre, die des objectiven Fundamentes ermangelte. Das physische
Ganze liat wahrhaft jene erstbetracbteten Theile, und diese wiederum
haben nicht minder wahrhaft die in ihnen unterschiedenen, in Be-
ziehung auf das Ganze also mittelbaren Theile; und so bei
iem Schritte fortgesetzter Theilung. Aber an sich stehen die
fernsten dieser Theile dem Ganzen nicht femer als die nächsten.
Die Theile verdanken ihre Stufenfolge blofs der Stufenfolge der
Theilungen, und diese letztere ermangelt des objectiven Funda-
ments. Es giebt im physischen Ganzen keine an sich erste Thei-
lung und auch keine festbegrenzte Gruppe von Theilungen als
eine erste Theilungsstufe; es giebt von einer gegebenen Theilung
aus keinen durch die Natur der Sache bestimmten Fortschritt zu
einer neuen Theilung, bezw. Theilungsstufe. Mit jeder Theilung
können wir beginnen, oJme einen inneren Vorzug zu mifsachten.
• Vgl. BoLZAKo's Wissenachaftslehro I, §58, S. 251 f. und Twardowski,
a.a.O. §9, S.49f.
■ £iii neuer Ausdruck des Satzes 3 in § 14, oben 8. 255.
264 III. Zur Lehre von den Ganzen und T/teilen.
Jeder mittelbure Tlieil kann, je nach der beliebten Theilungsweise,
aucb als unmittelbarer, jeder un mittelbare iils mittelbarer gelten.
Ganz anders verhält es sich, wenn wir andere Beispiele in
Betracht ziehen. Eine anschaulich einheitlifhe Tonfolge, etwa
eine Melodie,, ist ein Ganzes, in dem wir einzelne Töne als Theilo
finden. Jeder dieser Töne hat abermals Theile, ein lloment der
Qualität, ein Moment der Intensität u. s. w., welche als Theile von
Theilen auch TheiJe der Melodie sind; es ist; hier aber klar, dafe
die Mittclbarkeit, in der etwa das Qualitiitsmoment des einzelnen
Tons dem Ganzen einwohnt, nicht auf Rechnung unserer subjec-
tiven Theihingsfolge oder sonstiger subjeotiver Motive zu setzen
ist Zwar ist es sicher, dafs wir, um das Moment der Qualität
des einzelnen Tons für sich zu bemerken, vorerst den Ton selbst
herausheben müssen; die Souderauffassung des mittelbaren Theils
setzt hier also die Sonderauffassung des unmittelbaren voraus; aber
diese subjective Nöthigung wird man nicht mit der evidenten ob-
jectiven Sachlage verwechseln: Es ist evident, dafs die Qualität an
sich nur insofern Theil der Melodie ist, als sie Theil ist i!es ein-
zelnen Tons; zu diesem gehört sie unmittelbar, dem ganzen Ton-
gebilde nur mittelbar. Dieses „mittelbar" bezieht sich hier also
nicht auf eine willklirtiche oder gar durch psychologischen Zwang
bedingte Bevorzugung eines gewissen Theilungsganges, bei dem
wir zuerst auf den Ton und dann aufsein Qiialitiitsnioment stofsen
müfsten; sondern au sich ist im Ganzen der Melodie der Ton
der frühere und seine Qualität der spätere, mittelbare Theil. Ebenso
verhält es sich mit der Intensität des Tons; ja hier möchte es fast
scheinen, als führte sie uns vom Ganzen der Melodie noch um
einen Schritt ab, als wäre sie nicht unmittelbares Moment des
Tones, sondern nälier seiner Qualität, also in Beziehung auf ihn
schon socundärer Theil (eine Auffassung, die freilich nicht ganz
ohne Bedenken ist und daher genauerer Erwägimg bedürfte). Sind
wir berechtigt in der Qualität, etwa c, des betrachteten Tones einen
Theil anzunehmen, der das, was ihm mit allen Tonen als solchen
gemeinsam ist, also ihr Gattungsmoment darstellt: so wohnt dieser
Theil der Qualität primär, dem Ton secundär, dem ganzen Ton-
gebilde mindestens tertiär ein; u. s. w. Ebenso fügt sich das
Farbenmoment oder Gestaitmoment, das einem physisclien Theil
einer visuellen Ansciiauung einwohnt, zunächst diesem Theil und
erst secundär dem Ganzen der Anschauung ein. Noch mittel-
barer verhält sich zu dem Ganzen die der Gestalt einwolineride
„volumness", das ilir primär zugeiiörige Gröfsenartige (sc. vor aller
quantitativen Bestimmung).
Nach diesen Erörteningen dürfte der neue und bedeutsame
Sinn der Unterscheidung von mittelbaren und unmiftelburen Theilen
klar sein. Der Unterschied ist aber keiu blofs relativer, sofern
es in jedem Ganzen Theile giebt, die dircct ihm selbst und nicbt
vorerst einem seiner Theile angehören. Für den einzelneu Theil
ist an sich fest bestimmt, ob er ein im jetzigen Sinn mittelbarer
ist oder nicht, und im ersten Falle, ob er ein in ereter, zweiter
und weiterer Stufe mittelbarer ist. Um terminologisch zu unter-
scheiden, könnte man hier von näheren und ferneren Theilen,
zu Zwecken genauerer Bestimmung auch von primären, secun-
dären . . . Tbeüen des Ganzen sprechen; die Termini mittelbarer
und unmittelbarer Theil behalten wir in dem allgemeineren,
auf beliebige Tboilo anwendbaren Sinn bei. Secundäre Theile sind
primäre von primären, tertiäre Theile sind primäre von secun-
dären u. s. f Eie Begriffe dieser Reihe sind offenbar miteinander
unverträglich.
Primäre Theile können, ja sie werden im Allgemeinen zu-
gleich absolut mittelbare sein. Indessen giebt es auch primäre
Theile, die absolut unmittelbar, d. h. die in keinem Theile ihres
Ganzen als Theile enthalten sind. Jedes Stück einer Ausdehnung
ist in ihr primär enthdten, obschon es immer als mittelbarer
Theil derselben Ausdehnung aufgefafst werden kann. Objectiv giebt
es immer Theile, deren Theil es ist. Dagegen ist die Form einer
Ausdehnung iu keinem ihrer Theile als Tbeil enthalten.
§ 20. 2^'ähere und fernere Theile relativ zueinander.
Wir sprachen oben von mittelbaren und unmittelbaren, von
näheren und ferneren Theilen in Relation zu dem Ganzen, welchem
sie angehören. Aber auch da, wo vnr Theile in Relation zu-
oinaudor betrachten, pflegen wir diese Termini, obscfion in ganz
anderem Sinne, zu verwenden; wir sprechen von einem unmittel-
baren und mittelbaren Ziisnmmenhanf^o der Theile, und im letzteren
Falle machen wir noch Unterschiede. Die Einen, sagen wir, ständen
einander nüher, die Anderen ferner. Hier kommen die folgenden
Verhältnisse in Betracht. Es ist ein gewöhnlicher Fall, dafs eine
Verknüpfungsform zwei Theile a, ß eigens zusammenfalst zu Einer
Theileinheit, die andere Theile ausschliefst; dos Weiteren, dafs ;;/,
nicht aber u in ebensolcher Weise mit einem ;' verknüpft ist. Bei
dieser Sachlage ist nun auch a mit y verknüpft, nämlich vermöge
einer complexen Eiiiheitsform, die sich aus den Verknüpfungen
a'-'i'i und [i-^y aufbaut. Diese Letzteren nennen wir dann un-
mittelbare, die Verknüpfung von a und y, die sieh in der Fonii
a'-ß'^y vollzieht, eine mittelbare. Bestehen dann weiter eigene
Verknüpfungen y^ä, ä^e u. s. w., so werden wir sagen, deren
Endglieder (J, e, . . . seien in fortgesetzt gesteigerter Mittelbarkeit
mit « verknüpft, d sei ein fernerer Theil als y, e ein noch fer-
nerer wie ä u. s. w. Offenbar ist damit nur ein einfacher SpeciaJ-
fall charakterisirt. Jeder Buclustabe a, //, y . ■ . könnte z. B. eine
complexe Theileinheit, also eine ganze Gruppe einheitlich ver-
knüpfter Glieder zusammenfassen, und nun erschienen auch die
Glieder der vei-schiedeuen Gruppen, auf Grund der die Theilein-
heiteu als Ganze aneinanderschliefsenden Verkettungen, in Ver-
hältnissen näheren und ferneren Zusammenhanges.
Obnochanderweitige Verknüpfungen, und speciell, ob zwischen
den mittelbar verknüpften Gliedern noch directe Verknüpfungen
(und vielleicht sogar von derselben Gattung wie die zwischen den
unmittelbar verknüpften Ghodern) bestehen, darüber ist in dem
Vorstehenden nichts gesagt. Wir betrachten die Glieder ausschlieis-
lich nach den Formen der zusammengesetzten Verhaltnisse, welche
durch die Elementarverkuüpfungen bestimmt sind. Natürlich wird
die Betrachtung dieser Formen von besonderer Bedeutung sein
in jener ausgezeichneten Klasse von Füllen, die theoretisch wie
practisch zu allermeist in Betracht kommt, und deren Eigenart an
den Pimktverfcnüpfimgen innerhalb einer Geraden leicht zu ver-
deutlichen ist Heben wir eine beliebige Puiiklreihe aus einer
Geraden heraus, so bemerken wir: dafs die uinnittelbaren Ver-
knüpfungen der mittelbar verknüpften Glieder mit den Verknüpfungen
der uunüttelbaren Naclibani zu einer und derselben niedersten
Verknüpfungsgattung geliuien und zwar so, dafs sie sich von
ihnen nur durch ihre niederste specifische Differenz unterscheiden,
während diese Differenz selbst durch die Differenzen der jeweilig
vermittelnden Verknüpfungen eindeutig bestimmt ist. So verhält
es sich bei Zeitfolgen, bei räiimücben Configurationen, kurz über-
all, wo die Verknüpfungen durch gerichtete Strecken einer und
derselben Gattung zu cbarakterisiren sind. Mit einem Worte, es
besteht überall Strecke nuddition. Indessen von alldem können
wir hier in unserer ganz formalen Betrachtung absehen.
Das Wesentliche lilfst sicli in folgender Weise begrifflich
fassen. Zwei Verknüpfungen bilden eine Verkettung, wenn sie
irgendwelche, aber nicht alle Glieder gemein haben {sich also
nicht decken, wie wenn z. B. dieselben Glieder durcii mebrrältige
Verknüpfungen einig sind). Jede Verkettung ist danach eine
comploxe Verknüpfung. Die Verknüpfungen scheiden sich nun
in solche, welche Verkettungen enthalten, und in solche, die es
nicht thun; und die Verknüpfungen der ersteren Art sind Coni-
ple.xionen von Verknüpfungen der letzteren Art. Die Glieder einer
Verknüpfung, welche von Verkettungen frei ist, heifsen unmittel-
bar verknüpft oder benachbart. In jeder Verkettung und so
in jedem Verkettungen enthaltenden Ganzen mufs es unmittelbar
verknüpfte Glieder geben, nämlich die zu Theilverknüpfungen ge-
hören, welche nicht mehr Verkettungen einsehliefsen. Alle übrigen
Glieder eines solchen Ganzen heifsen miteinander mittelbar ver-
knüpft. Das gemeinsame Glied einer einfachen Verkettung
(t'^ß'^y (einfach, weil sie keine Verkettung zum Theile hat) ist, im
Sinne dieser Bestimmungen, mit seineu Nachbarn unmittelbar, diese
selbst miteinauder mittelbar verknüpft; u. s. w. Die Rede voneinander
näheren und ferneren Tbeilen bezieht sich immer auf Verkettungen:
Die Begrilfe Nachbar (= unmittelbar angeknüpftes Glied), Nach-
bar von einem Nachbarn u.s. f. geben, nach einer formal leicht
bestinmibareii Ergänzung, die Abstufung der „Entfernung" und
sind dann nichts Anderes als die Ordinalzahlen: Erstes, Zwei-
tes, u. s. w. Die Ergänzung zielt natürlich darauf, für die Ein-
deutigkeit dieser Begriffe durcli Fixirung einer „Fortselirittsrichtung"
Sorge zu tragen; z. B. durch Heranziehung der wesentlichen ün-
gleichseitigkeit einer Klasse von Relationen, woraus Begriffs-
bildungen erwachsen, wie rechter Nachbar von A (rechts von A
der Erste), rechter Nachbar des rechten Nachliars von A (rechts
von A der Zweite) u. s. w. — Die wesentlichen Ziele der vor-
liegenden Untersuchung erfordern es nicht, auf diesen an sich
nicht unwichtigen Punkt näher einzugehen.
§ 21. Exacle Bestimmung der prägnanten Begriffe Qanxes und
Theil, sowie iltrer wesentlichen Arten, mittelst des Begriffes der
Fundirung.
"Wir haben bisher wie in unseren Definitionen, so in den
dediicirten Sätzen und in den Beschreibungen immer von Ganzen
gesprochen, in welchen wir die jeweiligen Inhalte als Theilo auf-
fafsten. Man kann nun aber den Begriff dos Ganzen überall
entbehren, man kann ihm das einfache Zusammenbestehen
der Inhalte, die als Theile bezeichnet waren, substituiren. So
könnte man z. B. definiren :
Ein Inhalt der Art c sei in einem Inhalt der Art ß fundirt,
wenn ein a seiner Natur nach (d. i. gesetzlich, auf Grund seiner
specifischen Eigenart) nicht bestehen kann, ohne dafs auch ein ß
besteht; wobei es offen bleibt, ob noch das Mitbestehen gewisser y,
d erforderlich ist, oder nicht.
Aehulich bei den übrigen Definitionen. Fafst man alles in
dieser Allgemeinheit, dünn könnte man den prägnanten Begriff
des Ganzen in beachtenswerther Weise mittelst des Begriffes
der Fundirung definiron, wie folgt:
Unter einem Ganzen verstehen wir einen Inbegriff von In-
halten, welche durch eine einheitliche Fundirung, und zwar
ohne Succurs weiterer Inhalte umspannt werden. Die Inhalte
I
A
eines solchen Inbegriffs nennen wir Theile. Die Rede von der
Einiieitlichkeit der Fundirung soll besagen, dafs jeder
Inhalt mitj jedem, sei es direct oder indirect durch
Fundirung zusammenhängt. Dies kann so statthaben, dafs
alle diese Inhalte oline äiifseren Succurs unmittelbar oder mittel-
bar ineinander fundirt sind; oder auch so, dafs; umgekehrt alle
zusammen einen neuen Inhalt, und zwar wieder ohne äufseren
Succurs fundiren. Im letzteren Falle ist nicht ausgeschlossen,
dafs dieser einheitliche Inhalt sich aus Theilinbalten aufbaue, die
ihrerseits in Theilgruppen des vorausgesetzten InhogrifFs in ähn-
licher Weise fundirt sind, wie der Oesammtinhalt im ganzen In-
begriff. Endlich sind auch vermittelnde Fälle möglich, wo die
Einheit der Fundirung z. B. so zu Stande kommt, dafs o mit ß
einen neuen Inhalt fundirt, ß dann wieder mit y, •/ mit S u. s. w.,
kurzum in der Weise der Verkettung.
Man bemerkt sogleich, wie durch derartige Unterschiede
wesentliche Scheidungen der Ganzen bestimmt sind. In
den erst bezeichneten Fällen „durchdringen" sich die „Theile"
{definirt als die Glieder des fraglichen Inbegriffs); in den anderen
Falten sind die Theile „aufser einander", bestimmen aber, sei
es alle zusammen oder paarweise sich verkettend, reale Ver-
knüpfungsformen. Wo man von Yerbindung, Verknüpfung
u. dgl. in engerem Sinne spricht, meint man Ganee der zweiten
Art; d. h. relativ zueinander selbständige Inhalte (in welche das
Ganze dann als in seine Stücke zu zerfiLllen ist) fundiren neue
Inhalte als sie „verbindende Formen". Auch die Rede von Ganzen
und Theilen überhaupt pflegt nur nach diesen Fällen oriontirt
zu sein.
Dasselbe Ganze kann hinsichtlich gewisser Theile Durchdringung,
hinsichtlich anderer Verbindung sein: so das erscheinende Ding
hinsichtlich seiner „Seiten", und dasselbe hinsichtlich seiner Stücke.
§ 22. Sinnliche Einheitsfarmen und Oanxe.
Ehe wir weitergehen, ist es gut, ausdrücklich darauf hinzu-
weisen, dals nach Mafsgabe unserer Definition nicht zu
jedem Ganzen eine eigene Form, im Sinne eines beson-
deren, alle Theile verbindenden Einheitsmomentes zu
gehören braucht. Erwächst beispielsweise die Einheit durch
Verkettung derart, dais jedes Paar Nachbarglieder einen neuen
Inhalt fundirt, so ist der Forderung unserer Definition Genüge
geschehen, ohne dals ein eigenes, tu allen Tbeilen zusammen
fundirtes Moment, eben ein Einheitsmoment, vorbanden wäre; und
dafe ein solches jeweils supponirt werden müsse, wird man a priori
kaum behaupten können. Nach unserem Begriff vom Ganzen ist
es nicht einmal erfordert, dufs die Theilo auch nur gruppen-
oder paarweise durch eigene Einheitsmomente verknüpft werden.
Nur wenn das Ganze ein ^physisches" und überhaupt in Stücke
zerlegbares ist, sind solche Momente selbstveretändlich und a priori
unerlüfslich.
Noch befremdlicher dürfte es erscheinen, wenn ich den Ge-
danken ausspreche, dafs vielleicht alle Ganze mit blofser
Ausnahme der zerstückbaren sinnlich-formlos sind, z.B.
dafs die Einheit von Ausdehnung und Färbung, von Tonqualität
und Tonintensität, von Empfindung und gegenständlicher Deu-
tung U.S.W, auf blofsen einseitigen oder wechselseitigen Fundirungen
beruht, ohne dals überdies noch durch ihr Zusammensein ein
eigener Forminhalt, ein eigenes Einheitsmoment fundirt würde.
Es ist jedenfalls eine augenfällige Thatsaclie, dafs wo immer sich
verknüpfende Formen als sinnliche Momente, also durch äufsere
oder innere Wahrnehmung, wirklich aufweisen lassen, das Ver-
knüpfte relativ zueinander selbständige Theile sind; z. B. Töne
in der Einheit der Melodie, oder stückweise gesonderte Färbimgen
in der Einheit der Farbenconfiguration, oder Partialfiguren in der
Einheit der coraplexen Figur u. dgl. Vergeblich mühen wir uns
dagegen in der Einheit der visuellen Erscheinung neben den Form-
inhalten, welche den Stücken Einheit geben, auch solche vorzu-
finden, welche die „Seiten", z. B. Färbung und Ausdehnung, an-
einander knüpfen, oder innerhalb der ersteren Favbenton und
Helligkeit, innerhalb der letzteren die Form und die Massigkeit
(volumness} u. dgl. Nun sind wir selbstredend davon weit ent-
J
Gedanken zu einer Theorie ihrer reinen Fumten.
271
fernt, dem Nicht- vorfinden ohne Weiteres ein Nicht-sein iinter-
schieben zu wollen, Aber von grofser Wichtiglieit ist es jeden-
falls, die Möglichkeit von sinnlichen Einheiten ohne
abstrahirbare sinnliche Form zu erwägen, und sie wena
angängig klarzustellen.
Es mag in dieser Hinsicht zunächst sonderbar anmuthen,
dafs blofso Nothvvendigkoiten der Coexistenz, dals Ergänzungs-
forderungen, welche in nichts Weiterem als darin bestehen, dafs
das Sein von Inhiilten gewisser Arten das blofse Zugleichsein von
Inhalten gewisser zugeordneten Arten bedinge, dafs so beschafl'eno
Porderungon, sage ich, eiuheitgebend fungiren sollen. Man wird
sofort einwenden: könnten die Inhalte nicht bei all dem beliebig
in aller Welt verstreut sein, statt uns, wie sie es wirklich thun,
in anschaulicher Einheit vorzuschweben?
Demgegenüber würden wir darauf hinweisen, daJs wo immer
ein ß in einem ß fundirt ist, kein selbständiges Sein, also auch
kein selbständiges Bewuüstsein, kein selbständiges abgeschlossenes
Acterlebnis möglich ist, welches a enthielte und nicht ß. Wie
enge wir die Grenzen eines psychischen Für-sich-sein P auch
ziehen, realisirt es a, so muis es zugleich ß realisiren. Sein Für-
sich-sein, seine Selbständigkeit, besteht ja darin, dafs es bliebe,
was es ist, auch wenn alles Reale sonst zu Nichte würde. Aboi
mit dem ß wäre auch « zu Nichte, somit F verändert.
Zugestanden, wird man von der Oegeuseito antworten. Aber
damit ist noch keine reale Einheit, im psychischen Gebiet nicht
die Einheit der Anschauung gegeben. Im letzteren Falle könnten
die beiden Inhalte zwar nothwendig im selben Bewufstscin und
doch gänzlich gesondert nebeneinander liegen.
Unsere Antwort ist klar. Die Rede von der Sonderuug, gleich-
giltig ob es eine Sonderung ist, die durch verschiedene Bowofst-
seine hergestellt wird, oder ob eine Sonderung innerhalb desselben
BevFulJstseins, implicirt den Gedanken der relativen Selbständig-
keit der gesonderten Inhalte; und eben diese haben wir ausge-
schlossen. Das Bild vom Nebeneinander giebt für uns Zeugnis;
es setzt offenbar relativ selbständige Inhalte voraus, die auch nur
darum, weil sie es sind, diese sinnliche Form des Nebeneinander
zu fiindiren vormögen. Was dieses unpassende Bild (unpassend
schon deshalb, weil es die sinnliche Formlosigkeit durch einen
Fall siunlicher Form illustriren will) so sehr empfiehlt, ist die
Gleichgiltigkeit der im blofsen räumlichen Zusammen gegebenen
Inhalte gegeneinander. Man schiebt damit den Gedanken unter:
wo nicht einmal eine so lose, sondern überhaupt keine Form
einigt, da hätten die Inhalte erst recht nichts miteinander zu thun:
sie kämen also nie und nimmer zusammen, sie blieben ewig ver-
einzelt. Und ist es nicht ein Widersinn, Inhalte verbinden zu
wollen ohne ein Band? — Natürlich ist dies alles durchaus richtig
für die Inhalte, welche das Bild voraussetzt. Diejenigen aber,
von welchen wir sprechen, haben sehr viel miteinander zu thun,
sie sind ja ineinander fundjrt, und eben darum brauchen sie keine
Ketten und Bänder, um aneinander gekettet oder geknüpft, zu-
einander gebracht zu werden u. s. w. Ja alle diese Ausdrücke
haben für sie eigentlich gar keinen Sinn. Wo es keinen Sinn
giebt, von Trennung zu sprechen, da ist auch das Problem, wie
wo) die Tiennung überwunden werden solle, ein unsinniges.
Selbstvei-ständlich überträgt sich diese Auffassung von dem
Gebiet der phänomenalen Gegenstände (speciell der phänomeno-
logischen Inhalte), die wir bisher im Auge Imtten, auf das Gebiet
der Gegenstäiule überhaupt. Alles wahrhaft Einigende, so
würden wir geradezu sagen, sind die Verhältnisse der Fun-
dirung. Folglich kommt auch die Einheit selbständiger Gegen-
stände nur durch Fuudirung zu Stande. Da sie. als selbständige,
nicht ineinander fundirt sind, so bleibt nur übrig, dafs sie selbst,
und zwar zusammen, neue Inhalte futidiren, welche nun um eben
dieser Sachlage willen hinsichtlich der fundirenden „Glieder" ein-
heJtgebende Inhalte heifsen. Einheit haben jedoch — und eine un-
gleich innigere, weil weniger vermittelte — auch die Inhalte, die
ineinander (sei es wechselseitig oder einseitig) fundirt sind. Die
„Innigkeit" liegt gerade daran, dals ihre Einheit nicht erst durch
einen neuen Inhalt hergestellt wird, der ja seinerseits Einheit nur
dadurch „herstellt", dafs er in den vielen, an sich gesonderten
t
I
I
Gliedern zusamtnen fimdirt ist. Nennt man solch einen Inhalt
„Einheit", dann ist Einheit freilich ein „reales Priidicat"', ein
„positiver", „realer", „sinnlicher" Inhalt; und dann haben, in
diesem Sinne, andere Ganze keine Blinheit; und dann können
wir nicht einmal mehr sagen, das sinnliche Einheitsmoment sei
mit jedem der geeinigten Gh'eder Eins. Wollen wir aber eine so
verkehrte und practisch zur Aerjuivocation zwingende Terminologie
nicht annehmen, so werden wir eben von Einheiten und Ganzen
soweit sprechen müssen, als eine einheitliche Fundirung reicht.
Ton jedem in dieser Art geeinigten InhaltsinbegritT werden wir
dann sagen düifen, er habe Einheit, obschon das ihm so zuge-
schriebene Priidicat kein „reales" ist, wie wenn im Ganzen irgend-
wo ein Bestandstück „Einheit" herausgehoben werden könnte.
Einheit ist eben ein kategoriales Prädicat.
Man wird auch den nicht geringen theoretischen Vortheil in
Anschlag bringen müssen, den unsere Auffassung, durch Be-
seitigung einer von altersher bekannton und drückend empfundenen
Schwierigkeit in der Lehre von den Ganzen, verspricht. Es handelt
sich um die unendliche Verwicklung der Theil Verhältnisse, die
eine unendliche Verwicklung von Einheitsmomenten, und zwar
in jedem Ganzen zu fordern scheint Die Ansicht, gegen die
sich unsere Bedenken richten, geht von der vermeintlichen Selbst-
verständlichkeit aus, dafs wo immer zwei Inhalte ein reales Ganzes
bilden, ein eigener Theil (das Einheitsmoment) da sein müsse, der
sie aneinander knüpfe. Gehört nun zu « und b das Einheits-
moment e, so gehört zu « und e — denn auch diese beiden sind
ja Eins — ein neues Moment Ci; zu b und s wieder ein neues, e,;
zu e und f,, ebenso zu e und c, die neuen Momente £,' und Cj';
und so 2« hif. Macht man nun auch nicht den Unterschied
zwischen Verknüpfung und Beziehung, zwischen Unterschieden
„sinnlicher Materie" und „kategorialer Form", deutet man viel-
mehr die unbegrenzte Mannigfaltigkeit a priori möglicher, sich
nach einer idealen Gesetzmäfsigkoit ins Unendliche complicirendea
Auffassungsunterschiedo in die Gegenstände, als reale Momente,
hinein: so ergeben sich jene ebenso subtilen, wie absonderlichen
Uuiserl, Log. Coten. II. lg
Analysen, die uns Twardowski in seiner „psychologischen" Unter-
suchung dargeboten hat.'
Unsere Auffassung erspart diese, in immer neue Reihen sich
spaltenden unendlichen Regresse von Theilen. Real (in einer
möglichen Sinnlichkeit percipirbar) existirt nichts weiter, als der
Inbegriff der Stücke des Ganzen, sowie die sinnlichen Einheits-
formen, welche im Zusammen der Stücke gründen. Was aber den
Momenten innerhalb der Stücke, sowie den Eiuheitsmonienten
mit den Stücken Einheit giebt, sind die Fundirungen im Sinne
iinserer Definition.
Was schliefslich den Begriff des Einhoitsmomentes an-
belangt, den wir also noch von dem der „Form", die einem
Ganzen Einheit giebt, unterscheiden, so haben wir ihn
oben im Vorbeigehen schon definirt Ausdrücklich gefafst, verstehen
wir darunter einen Inhalt, der durch eine Mehrheit von
Inhalten fundirt ist, und zwar so, dafs er nur durch alle
zusammen und nicht blois durch einzelne unter ihnen fundirt ist.
(Selbstverständlich setzen wir dabei unseren Fundirnugsbegriff
voraus). Beschränken wir uns auf die phänomenale Sphäre, so
kann dieser Inhalt, je nach der Natur seiner Fundamente, ebenso-
wol ein Inhalt der äufseren als der inneren Sinnlichkeit sein.
Anmerkung. Die Einheitsmoraeute ordnen sich, wie alle anderen
abstracten Inhalte, in echte (Aristotelische) Gattungen imd Arten. -
So differeuziirt sich die Gattung räumlicho Figur ziu" Art Dreieck,
nzid diese wieder zur niederen Art bestimmtes Dreieck, letzteres in
dem Sinne, wie es „dasselbe" ist bei jeder Vei-schiebung imd Drehung.
Die letztmögliche Differenziirung liefert das Herabsteigen zu dem auch
seiner absoluten Lage nach bestimmten Dreieck, das ja immer noch
ein Abstractes und, in Beziehung auf alle übergeordneten Arten, ein
relatives Concrotum ist. Man niaclit sich an solchen Beispielen auch
klar, dafs die Gattung der Einheitsraomonte durch die Gattung der
sie fundirenden Inhalte, und dafs ebenso die niedereta Differenz der
ersteren durch dio der letzteren eindeutig bestimmt ist. Man bemerkt
ferner, dafs bei den Einheitsmomenten zu unterscheiden sind Momente
oder Formen erster, zweiter, dritter . . . Stufe, Jenachdem die Form
unmittelbar in absoluten Inhalten fundirt, oder bereits in solchen
Formen erster Stufe fundirt ist, oder weiter in Formen, dio selbst
wieder in Formen erster Stufo fundirt sind, und so fort. Man sieht
femer, dafs die Forminlialte höherer Stufe mit der ganzen absteigen-
den Reihe der Formen niederer Stufen nothwendig zu einem Ganzen
verwoben sind und somit in dieser Verwobung allzeit complexe
Formen relativ zu den letztfundircnden absoluten Elementen
darstellen. In der Sphäre der coraplexon sinnlichen Gestalten, zumal
der visuellen und akustischen, kann man dies leicht exemplificiren,
während die allgemeine Sachlage a priori aus den Begriffen einzu-
sehen ist.
§ 23. • Katet/oriak Einheitsfofmen utui Ganze.
Im Sinn der hier versuchten Bestimmung des Begriffs vom
Ganzen, ist ein blofser Inbegriff von irgendwelchen Inhalten
(ein blofses Zusaninicn-scin, bezw. -gemointsein) kein Ganzes zu
nennen, so wenig als eine Gleichheit {aJs ein von derselben Art Sein)
oder Verschiedenheit (von verschiedener Art Sein, bezw. im anderen
Sinne: nicht identisch Sein).i „lubegi'iff" ist der Ausdruck für eine
„kategoriale" oder eine „reine Denkforni", er bezeichnet eine ge-
wisse, auf all dio jeweiligen Objecte bezogene Einheit der
Meinung. Die Objecte selbst fundiren, sofern sie nur gedanklich
zusammengegriffen werden, weder gruppenweise noch alle zu-
sammen, einen neuen Inhalt; es wächst ihnen durch die einheit-
liche Intention keine sachliche Verkniipfungsform zu, sie sind
vielleicht „an sich unverbunden und beziehungslos". Dies zeigt
sich darin, dafe die Inbegriffsform gegen ihre Materie völlig gleich-
' Von der Gleiclilieit als kategorialor Einheit iat wol zu unter-
scheiden das sinnliche Gleichheitsmoment, welch letzteres sich zu jener
genau so verhält, wie sich dio siunlichen Meugencliaraljtero, die uns als in-
directe Anzeichen für Vielheit und Nichtidentitiit dienen, zur Vielheit, bezw.
NichtidcntitHt selbst verhalten. Vgl. die Philosophie der Arithmetili I, S. 23.3.
18*
:^t-'a
jiaC-~~-
Gedanken zu einer Theorie ihrer reinen Formen. 277
der fandirenden und fundirten Inbaltsarten bestimmt, und dieses
inhaltlich bestimmte Gesetz ist es, das dem Ganzen seine Einheit
giebt Daher nennen wir diese Einheit mit Becht eine materiale
oder auch reale. Andererseits sagt dies aber nicht, sie sei eine
Einheit mit sinnlich -abstrahirbarer Form.
§ 24. Die reinen Typen von Ganzen und Theilen. Das Postulat
einer apriorischen Theorie.
Nach der reinen Form der Gesetze bestimmen sich die
reinen Formen von Ganzen und Theilen. Dabei kommt nur
das formal Allgemeine des Fundirungsverhältnisses, wie es in der
Definition ausgeprägt ist, zur Geltung, sowie auch die apriorischen
Gomplexionen, die es ermöglicht. Wir erheben uns bei irgend-
einer Art von Ganzen zu ihrer reinen Form, ihrem kategorialen
Typus, indem wir von der Besonderheit der betreffenden Inhalts-
arten „abstrahiren". Deutlicher zu reden, wir setzen an die Stelle
der sie bezeichnenden Namen unbestimmte Ausdrücke, wie eine
gewisse Inhaltsart, eine gemsse andere Inhaltsart u.s. w.; und
damit zugleich finden auf der Bedeutungsseite die entsprechenden
Substitutionen rein kategorialer Gedanken für die materialen statt
Formal, in diesem Sinne rein kategorial zu vollziehender
Charakteristiken, sind die Unterschiede zwischen abstracten Theilen
und Stücken, wie man aus unseren obigen Bestimmungen ohne
Weiteres ersieht Nur müfsten diese Bestimmungen gemäfs un-
serer jetzigen Tendenz auf letzte Formalisirung, passend inter-
pretirt, es müfste ihnen der reine Begriff des Ganzen im Sinne
unserer letzten Definition zu Grunde gelegt werden. Auch der
Unterschied zwischen näheren und ferneren Theilen, den wir früher
(im § 19) blofs descriptiv, nach Beispielen, klargemacht haben, läfst
sich jetzt auf die blolse Form gewisser Fundirungsverhältnisse
reduciren und dadurch formalisiren.
In unseren Beispielen sahen wir oben, dafs in einer Stufen-
folge von Zerstückungen mancher anschaulichen Ganzen immer
wieder Stücke des Ganzen selbst resultirten, die dem Ganzen alle
gleich nahestanden und ebensogut als Ergebnisse einer ersten
gilti^ ist, d. h. daTs sie bei völlig willkürlicher Variation der befafetea
Inhalte fortbestehen kann. Ein fundiiter Inhalt aber hängt aa
der besonderen „Natur'' der fiindirenden Inhalte; es besteht ein
Gesetz, das die Gattung des fundirteu Inhalts abhängig macht von
den bestimmt bezeichneten Gattungen der fitndirenden Inhalte,
üeberhaupt ist ein Ganzes in vollem und eigentlichem Sinne ein
durch die niedersten Gattungen der „Theile" bestimmter Zusammen-
hang. Zu jeder sachlichen Einheit gehört ein Gesetz. Nach den
veisehiedenen Gesetzen, Fuit anderen Worten, nach den ver-
schiedenen Arten von Inhalten, die als Theile fungiren sollen,
bestimmen sich verschiedene Arten von Ganzen. Derselbe Inhalt
kann also nicht nach freier Willkür einmal als Theil dieser, das
andere Mal als Theil jener Art von Ganzen fungiren. Das Theil-
sein und näher, das Theil-dieser-bestimmten-Art-sein (der Art
metaphysischer, physischer, logischer Theil, und was immer noch
unterschieden werden mag) gründet in der Gattungsbestimmtheit
der betreffenden Inhalte nach Gesetzen, die in gewissem Sinne
sogar apriorische sind. Dies ist eine fundamentale Einsicht, die
durchaus ihrer Bedeutung gemäfs behandelt und daher auch einmal
formulirt werden mufs. Mit ihr ist zugleich das Fundament für
eine systematische Theorie der Verhältnisse von Ganzen und
Thoilen nach ihren reinen Formen gegeben, nach ihren kategorial
definirbaren und von der „sinnlichen" Materie der Ganzen abs-
trahirenden Typen.
Ehe wir diesem Gedanken nachgehen, müssen wir noch ein
Bedenken fortschaffen. Die Inbegriffsform ist eine rein kategoriale,
und im Gegensatz zu ihr erschien uns die Form des Ganzen, der
Fundirungseinheit, als eine materiale. Aber hiefs es nicht im
vorigen Paragi-aphen , Einheit (und es war gerade von der Einheit
aus Fundirung die Rede) sei ein kategoriales Prädicat? Hier ist
indessen zu beachten, dafs die Form des Gesetzes überhaupt
eine kategoriale ist {Gesetz ist nichts Wahrnehmbares), und dafs
insofern also auch der Begriff des Fundirungsganzeu ein kate-
gorialer Begriff ist. Aber der Inhalt des zu jedem solchen
Ganzen gehörendeu Gesetzes ist durch die materiale Besonderheit
der fundirenden und fimdirteo Inhaltsarten bestimmt, und dieses
inhaltlich bestimmte Gesetz ist es, das dem Ganzen seine Einheit
giebL Daher nennen wir diese Einheit mit Recht eine materialo
oder auch reale. Andererseits sagt dies aber nicht, sie sei eine
Einheit mit sinnlich -abstrahirbarer Form.
§ 24. Die reinen Typen von Ganzen und Titeilen. Das Postulat
einer apriorischen Theorie.
Nach der reinen Form der Gesetze bestimmen sich die
reinen Formen von Ganzen und Theilen. Dabei kommt nur
das formal Allgemeine des Fiindirungsrerhältnisses, wie es in der
Definition ausgeprägt ist, zur Geltung, sowie auch die apriorischen
Complexionen, die es ermöglicht. "Wir erheben uns bei irgend-
einer Art von Ganzen zu ihrer reinen Form, ihrem kategorialen
Typus, indem wir von der Besonderheit der betreffenden Inhalts-
arten „abstrahiren". Deutlicher zu reden, wir setzen an die Stelle
der sie bezeichnenden Namen unbestimmte Ausdrücke, wie eine
gewisse Inhaltsnri, eine gcicisse andere InhaUsart u. s. w.; und
damit zugleich linden auf der Hedeulungsseite die entsprechenden
Substitutionen rein kategorialer Gedanken für die materialen statt.
Formal, in diesem Sinne rein kategorial zu vollziehender
Charakteristiken, sind die Unterschiede zwischen abstracten Theilen
und Stücken, wie man aus unseren obigen Bestimmungen ohne
Weiteres eraieht Nur müfsten diese Bestimmungen gemäfs un-
serer jetzigen Tendenz auf letzte Formalisirung, passend inter-
pretirt, es nüifste ihnen der reine Begriff des Ganzen im Sinne
unserer letzten Definition zu Grunde gelegt werden. Auch der
Unterschied zwischen nithoren und ferneren Theilen, den wir früher
(im § 19) blofs deseriptiv, nacli Beispielen, klargemacht haben, läfst
sich jetzt auf die blofse Form gewisser Fundirungsverhältnisse
reduciren und dadurch formalisiren.
In unseren Beispielen sahen wir oben, dafs in einer Stufen-
folge von Zorstückungon mancher anschaulichen Ganzen immer
wieder Stücke des Ganzen selbst resultirten, die dem Ganzen alle
gleich nahestanden und ebensogut als Ergebnisse einer ersten
giltig ist, d. h. dafs sie bei völlig willkürlicher Variation der befafeten
Inhalte fortbestehen kann. Ein fiuidirter Inhalt aber hängt an
der besonderen „Natur" der fundirenden Inhalte; es besteht ein
Gesetz, das die Gattung des fundirten Inhalts abhängig macht von
den bestimmt bezeichneten Gattungen der fundirenden Inhalte,
üeberhaupt ist ein Ganzes in vollem und eigentlichem Sinne ein
durch die niedersten Gattungen der „Theile" bestimmter Zusammen-
hang. Zu jeder sachlichen Einheit gehört ein Gesetz. Nach den
veischiedenen Gesetzen, mit anderen Worten, nach den ver-
schiedenen Arten von Inhalten, die als Theile fungiren sollen,
bestimmen sich verschiedene Arten von Ganzen. Derselbe Inhalt
kann also nicht nach freier Willkür einmal als Theil dieser, das
andere Mal als Thcil jener Art von Ganzen fungiren. Das Theil-
sein und näher, das Theil-dieser- bestimmten- Art-sein (der Art
metaphysischer, physischer, logischer Theil, und was immer noch
unterschieden werden mag) gründet in der Gattungsbestim nitheit
der betreffenden Inhalte nach Gesetzen, die in gewissem Sinne
sogar apriorische sind. Dies ist eine fundamentale Einsicht, die
durchaus ihrer Bedeutung gemäfs behandelt und daher auch einmal
formulirt werden mufs. Mit ihr ist zugleich das Fundament für
eine systematische Theorie der Verhältnisse von Ganzen und
Theilen nach ihren reinen Formen gegeben, nach ihren kategorial
definirbwren und von der „sinnlichen" Materie der Ganzen abs-
traliirenden Typen.
Ehe wir diesem Gedanken nachgehen, müssen wir noch ein
Bedenken fortschaffen. Die Inbegriffsform ist eine rein kategoriale,
und im Gegensatz! zu iiir erschien uns die Form des Ganzen, der
Fundirungseinheit, als eine niateriale. Aber hiefs es nicht im
vorigen Paragraphen, Einheit (und es war gerade von der Einheit
aus Fundirung die Rede) sei ein kategoriales Prädicat? Hier ist
indessen zu beachten, dafs die Form des Gesetzes überhaupt
eine kategoriale ist (Gesetz ist nichts Wahrnehmbares), und dafs
insofern also auch der Begriff des Fundirungsganzen ein kato-
gorialer Begriff ist. Aber der Inhalt des zu jedem solchen
Ganzen gehörenden Gesetzes ist durch die materiale Besonderheit
der fundirenden und fundirteu Inhaltsarten bestimmt, und dieses
infialtlich bestimmte Gesetz ist es, das dem Ganzen seine Einlieit
giebt. Daher nennen wir diese Einheit mit Recht eine materiale
oder auch reale. Andererseits sagt dies aber nicht, sie sei eine
Einheit mit sinnüch-abstrabirbarer Form.
§ 24. Die reinen Typen von Ganzen und Tlieilen. Das Postulat
einer apriorischen Tlieorie.
Nach der reinen Form der Gesetze bestimmen sich die
reinen Formen von Ganzen und Tlieilen. Dabei kommt nur
das formal Allgemeine des Fimdirungsverhältnisses, wie es in der
Definition ausgeprägt ist, zur Geltung, sowie auch die apriorischen
Complexionen, die es ermöglicht. "Wir erheben uns bei irgend-
einer Art von Ganzen zu ihrer reinen Form, ihrem "kategorialen
Typus, indem wir von der Besonderheit der betreffenden Inhalts-
arten „abstrahiren". Deutlicher zu reden, wir setzen an die Stelle
der sie bezeichnenden Namen unbestimmte Ausdrücke, wie eine
gewisse Inhaltsart, eine gewisse andere hihaUsart u.s. w.; luid
ilamit zugleich finden auf der Bedeutungsseite die entsprechenden
Substitutionen rein kategorialer Gedanken für die niaterialen statt.
Formal, in diesem Sinne rein kategorial zu vollziehender
Charakteristiken, sind die Unterschiede zwischen abstracten Theilen
und Stücken, wie man aus unseren obigen Bestimmungen ohne
Weiteres ersieht Nur müfsten diese Bestimmungen geuiäfs un-
serer jetzigen Tendenz auf letzte Fornialisirung, passend inter-
pretirt, es müfste ihnen der reine Begriff des Ganzen im Sinne
unserer letzten Definition zu Grunde gelegt werden. Auch der
Unterschied zwi.schen näheren und ferneren Theilen, den wir früher
{im § 19) blofs descriptiv, nach Beispielen, klargemacht haben, läfst
sich jetzt auf die blofse Form gewisser Fundirungsverhältnisse
reduciren und dadurch formalisiren.
In unseren Beispielen sahen wir oben, dafs in einer Stufen-
folge von Zerstückungen mancher anschaulichen Ganzen immer
wieder Stücke des Ganzen selbst resultirten, die dem Ganzen alle
gleich nahestanden und ebensogut als Ergebnisse einer ersten
I
Zei-stückung gelten konnten. Die Folge der Zerstückungen war
in diesen Beispielen etwas blofs Subjectives, in der Sache gab es
keine natürliche Ordnung. Was hierbei in Frage kommt, ist
erstens der Satz, dafs Stücke von Stücken des Ganzen wieder
Stücke des Ganzen sind — ein Satz, den wir oben ' nur mit
anderen Worten rein formal erwiesen haben. Zweitens handelt
es sich dabei um Stücke, für welche die Folge der Abstückungen
bedeutungslos war, da ihr keine Stufenfolge in der Fundirung
entsprach. Alle Stücke standen zum Ganzen immerfort in dem-
selben Fundirungsverhiiltnis. So fehlte joder Unterschied in der
Form der Beziehung zum Ganzen, alle Theile waren „in gleicher
Weise im Ganzen enthalten''. Ganz anders läge die Sache schon,
wenn wir ästhetische Einheiten zerstückten, z. B. eine Sternfigur,
die sich wieder aus Sternfiguren aufbaut, welch letztere dann
aus Strecken und schliefslicli aus Punkten componirt sind. Die
Punkte fundircn Strecken, die Strecken fiindiren, als neue ästhe-
tische Einheiten, die einzelnen Sterne, und diese wieder fundiren,
als die im gegebenen Falle höchste Einheit, das Sterngebildo. Die
Punkte, Strecken, Sterne und endlich das Sterngcbiide sind ein-
ander jetzt nicht coordinirt, sowie etwa die Theilstrecken einer
Strecke; zu ihnen gehört eine feste Stufenfolge der Fuudirungen,
in welcher das Fundirte der einen Stufe zum Fundirenden der
nächsthöheren wird, und zwar so, dafs auf jeder Stufe neuartige
und nur auf dieser Stufe erreichbare Formen bestimmt werden.
Wir können hier den allgemeinen Satz auschhofsen:
Stücke sind wesentlich mittelbare oder fernere
Theile dos Ganzen, dessen Stücke sie sind, wenn sie mit
anderen Stücken durch verbindende Formen zu Ganzen
geeinigt sind, die selbst wieder durch neuartige Formen
Ganze höherer Ordnung constituiren.
Der Unterschied der relativ zum Ganzen näheren und ferneren
Theile hat hier also seinen wesentlichen Grund in der formell
ausdrückbaron Verschiedenheit der Fundirungsverhältnisse.
' S. 255, Satz 3.
Aehnliches zeigt sich im Kreise der unselbstäinligen Momente,
wenn wir nämlich den wesentlichen formalen Unterschied in
Eechnung ziehen zwischen solchen Momenten, die nur im vollen
Ganzen ihre Ergänzungsbedürftigkeit stillen können, und solchen,
die es schon in Stücken des Ganzen können. Wieder ergiebt
dies in der Weise der Zusammengehörigkeit, in der Form der
Fundirung einen Unterschied: ihm gemäfs gehören die einen
Tlieile, wie z. B. die Gesammtausdehnung des angeschauten Dinges,
ausschliefsHch zum Dinge als Ganzen, die anderen Theile, wie
z. B. die Ausdehnung eines Stückes, speciell zu diesem Stücke
und erst entfernter zum Ganzen. Diese Mittelbarkeit ist nicht
mehr eine au fser wesentliche, wie die der Stücke zweiter Stufe in
dfr Theihing einer Strecke, sondern eine wesentliche, durch die
formale Natur des Verhältnisses zu charakterisirende. Wieder
stehen, und aus ersichtlich ähnlichen Gründen, Stücke von
unselbständigen und dem Ganzen zunächststehenden
Momenten dem Ganzen ferner als eben diese Momente;
so zum Mindesten falls der Satz zutrifft, den wir im Gebiet der
Anschauung geltend finden, dafs solche Stücke unmittelbar nur in
einem Stücke des Ganzen fundirt sein können. Auch der weitere
Satz läfst sicli formal ausprägen: dafs abstracte Theile von
abstracten Theilen dem Ganzen ferner stehen als diese
selbst. Formiil können wir überhaupt sagen : Abstracte Theile
sind dem Ganzen fernere, sind wesentlich mittelbare
Theile, wenn ihre Ergänzungsbedürftigkeit in der Sphäre
eines blofsen Thcils gestillt wird. Dieser Theil kann dann
entweder selbst schon ein Stück des Ganzen, oder noch weiterer
Ergänzung bedürftig sein. Die Mittelbarkeit liegt im letzteren
Falle darin, dafs das Ergänzungsgesetz, in dem die Form der
Fundirung liegt, bei dem ursprünglich betrachteten abstracten
Theil auf ein Ganzes hinweist, das vermöge eines neuen Ergänzungs-
gesetzes Theil eines umfassenderen Ganzen ist und sein muüs:
eben des vollen Ganzen, das somit den ersteren Theil nur mittel-
bar enthält Demnach können wir auch sagen: Abstracte Theile
des Ganzen, die nicht abstracto Theile seiner Stücke
sind, stehen dem Ganzen näher, als die abstracten Tbeile
der Stücke.
Diese Gedanken wollen und können nur als blofse An-
deutungen zu einer künftigen Behandlung der Ijehre von den
Ganzen und Theilen gelten. Eine wirkliche Durchführung der
reinen Theorie, die wir hier im Auge haben, müfsto alle Begriffe
mit mathematischer Exactheit definiren und die Lehrsätze durch
argumenta m fonua, d. i. mathematisch deduciren. So -würde
eine gesetzmäfsige vollständige Uebersicht über die a priori müg-
lichen Complicationen in den Formen der Ganzen und Theile,
und eine exacte Erkenntnis der in dieser Sphäre möglichen Ver
hältnisse erwachsen. Dafs das Ziel ein greifbares ist, haben die
kleinen Ansätze rein formaler Behandlung in diesem Kapitel er-
wiesen. Jedenfalls ist der Fortschritt von den vagen zu den
mathenintisch exacten Begriffsbildungen und Theorien hier wie
überall die Vorbedingung voller Einsicht und die unabweisbare
Forderung der Wissenschaft.
§ 25. Zusätze über die Zersiikktmg von Ganxen durch die
Zerstückwig ihrer Momente.
Eine vielleicht nicht uninteressante Bemerkung sei zum^
Schlufs angereiht
Dafs Stücke, relativ zu dem Ganzen betrachtet, dessen Stücke
sie sind, nicht ineinander fundirt sein können, weder ein-
seitig noch wechselseitig, weder als Ganze noch ihren Theilen
nach, ist ein analytischer Satz. A priori steht aber nichts im
Wege, dals sie in Rücksicht auf ein umfassenderes Ganzes, in
dem sie alle nur die Geltung unselbständiger Momente haben,
ein Fundirungsveihältnis begründen. Wir finden allerdings kein
Beispiel in dem GeUiete reiner Anschauung und Evidenz, und
damit hängen in eben diesem Gebiete merkwürdige Theilverhält-
nisse zusammen. Wir können nämlich den phänomenologischen
Satz aussprechen: Jedem Stücke in einem relativen Abs-
tractum entspricht ein Stück in jedem seiner relativen
I
Concreta und zwar so, dafs die sich ausschliefsenden
Stücke des ersteren, sich ausschliefsende Stücke in
jedem der letzteren begründen. Mit anderen Worten: die
Zerstückung eines unselbständigen Moments bedingt eine Zer-
stückung des concreten Ganzen, indem die sich ausscliüefsenden
Stücke, ohne selbst in ein Fundirungsverhältnis zueinander zu
treten, neue Momente an sich ziehen, durch die sie nun einzeln
zu Stücken des Ganzen supplirt werden.
Einige Beispiele zur Erläuterung. Die Zerstüekung der
räumlichen Ausbreitung eines visuellen, unverändert dauernden,
aber in Abstraction von dem zeitlichen Moment betrachteten
Inhalts bestimmt auch eine Zerstückung dieses Inhalts selbst Die
gesonderten räumlichen Stücke fundiren voneinander unabhängige
Ergänzungsmomente: Die Färbung eines Stückes wird niclit etwa
fundirt durch die Färbung irgendeines anderen; und insofern
kann man auch sagen, dafs diese ergänzenden Momente durch
die Zerstückung des sie fundirenden Räumlichen selbst iierstückt
werden, oder dafs sie sich auf die Stücke des Räumlichen stück-
weise atit'tiieilen. Die Färbungen der Stücke stehen in den-
selben Theilungsverliältnissen (Exclusion, Inclusiou, Kreuzung)
wie die Stücke selbst. Diese eigenthümliche Sachlage, dafs hier
die Zerstückung eines Momentes zugleich eine Zerstückung des
Ganzen mit sich führt, beruht offenbar darauf, dafs die Stücke
des Moments einander auch in dem umfassenderen Ganzen
nicht fundiren, sondern jeweils neuer Momente zu ibrer Fun-
dirung benolbigen; zugleich jeduch auch darauf, dafs diese neuen
Momente selbst wieder nur in jenen Stücken ihre nötliige Fun-
dirung finden, nicht aber wocliselsoltig ineinander.
Ebenso verhält es sieh bei zeitlichen Ganzen der An-
schauung: Zerstücken wir die Dauer eines concreten Verlaufs,
so haben wir ihn selbst zerstückt: den Abschnitten der Zeit ent-
sprechen Abschnitte der Bewegiuig (wobei wir diesen Terminus
im weitesten Aristotelischen Sinne verstehen dürfen). Dasselbe
gilt im Falle der Ruhe; auch sie hat ihre Abschnitte, die als
Stücke im Sinne unserer Bestimmung gelten müssen, da die Ruhe
wiilireiid einer Theildauer und diejenige während irgendeiner
anderen Theildauer in keiner Hinsicht in evidentem Fundiriings-
verhältais stehen.
Ganz anders, wenn wir, statt uns auf die anschaulichen In-
halte und die in ihnen evident gründenden Gesetzlichkeiten zu
beschränken, vielmehr die realen Zusammenhänge in Coexistenz
und Succession in Erwägung ziehen, zu deren Erkenntnis wir
nur auf dem aposteriorischen AVege der Induction kommen, Dafs
hier eine Zerstiickung des räumlichen und zeitlichen Moments
nicht ohne Weiteres die Zei'stückung des concreten Ganzen (des
Dinges oder des realen Aenderungsverlaufs) mit sich führt, wird
deutlich, wenn wir den Sinn dieser nicht evident einleuchtenden,
aber mit WahrscheinliclikeitsupponirtenNothweudigkeitsbezichungen
überlegen, wolclio räumlich und zeitlich Gesondertes miteiuander
verknüpfen. Wenn nach einem bestimmten Causalgesetz an die
in einem Zeitabschnitt ti — t^ sich vollziehende concrete Aende-
ruugsfolge eine gewisse neue in dem angrenzenden Zeitabschnitt
L, — ti mit Nothwendigkeit angeschlossen wird, so verliert eben
dadurch die erstere ihre Selbständigkeit gegenüber der letzteren.
Gehören nun zu jedem concreten Aenderungsverlauf derart be-
stimmte Gesetze, die ihm gewisse nothwondige zeitlich an-
grenzende Consequenzen zuweisen, und mufs zum Ueberflufs ein
jeder selbst wieder ein nothwendiges Cousequeus voraufgehender
Antecedenzien sein: so ist damit schon ausgesprochen, dafs jeder
concrete Aenderungsverlauf unselbständig ist in Ansehung der
umfassenderen Zeitganzeu, in denen er reidisirt ist, und dafs also
auch keine Zerstückung einer Zeitstrecke eine Zerstückung des
zugehörigen concreten Zeitganzen bedingt. Doch die Beschrän-
kung auf Aendorungsverläufe ist unnöthig, ja strenge betrachtet,
garnicbt zulässig. Sowie die Mechanik Ruhe und Bewegung
unter Einem Gesichtspunkt betrachtet; sowie sie die Kuho als
Grenz- und Specialfall der Bewegung in ihren Gesetzen niitbofafst:
80 muCs man analog verfahren mit den im Sinne der Aristotelischen
Terminologie erweiterten Begriffen. Auch der fictive Fall einer
von aller Welt isolirten starren Ruhe ist dem gehörig l'ormulirten
Causalitätsgesetze nicht entzogen. Denken wir eine noch so
kleine Zeitstrecke mit einem concreton Gehalt in starrer Aende-
rungslosigkeit erfüllt, und denkeo wir die ganze reale Wirklich-
keit während dieser Zeit auf dieses änderungslose Sein redueirt,
80 besteht sicherlich ein Causalgesetz, demgemüfs es a parte post
in alle Ewigkeit unverändert verharren niufs (während es a parte
mite, sei es aus ewiger Ruhe, sei es aus gesetziichor Yeränderung
hervorgegangen ist). Mit Rücksicht auf die causalen Zusammen-
hänge, denen kein zeitliches Sein entzogen ist, dürfen wir also
behaupten, dafs niemals eine Zerstückung des Zeitmomentes eine
Zerstückung des concreten Zeitganzen mit sich führt. Die zu
den Zeitstücken gehörigen Ergänzungsmomente sind zwar nach
den Zeitstücken gfsoudert, aber diese Sonderung bringt im zeit-
lichen Concretum noch keine Zerstückung fertig; das wird eben
durch die wechselseitige causale Fundirung der zeitlich gesonderten
Inhalte gehindert
Aehnlicb muls es sich natürlich mit der räumlichen Zer-
stückung mindestens bei den Ganzen verhalten, in welchen räum-
liche und zeitliche Ausdehnung zur Deckung gebracht sind,
derart dafs mit jeder Zerstückung des einen Moments eine Zer-
stlickung des anderen gegeben ist, und umgekehrt. Die Zer-
stückung des räumlichen Moments einer Bewegung bedingt so
wenig, wie diejenige ihres zeitlichen Moments eine Zerstückung
der Bewegung .selbst.
Aus diesen üeberlegungen geht auch hervor, dafs die Zeit-
strecken, welche in Ansehung einer jeden sie umfassenden Zeit-
ausdehuuug in abstracto den Charakter von Stücken besafsen,
mit diesem Charakter auch die wechselseitige Unabhängigkeit ver-
lieren, wenn wir sie in Relation zu einer concret erfüllten zeit-
lichen Einheit betrachten, der sie als unselbständige Momente ein-
wohnen. Der Satz, dafs jede Zeitstrecke ein blofser Zeittheil ist,
welcher die beiderseitige Erweiterung in infiniturn nicht blofs
zuläfst, sondern auch fordert, ist wie leicht zu übersehen, eine
blofse Folge der Causalität und hat somit Beziehung auf die
Zeiterfülhuig. Durch sie wird der Zeittheil zu einem Dnselb-
I
ständigen niebt blofs in Ansehung seiner Erfüllung für sich,
sondern auch in Ansehung angrenzender Zeittheile und ihrer
Erfüllungen. Diese Unselbständigkeit der Zeittheile und ihre
wechselseitige Fundirung ist eine mittelbare, sofern keine Gesetze
bestehen, welche ausschliefslich Zeitstrecken mit Zeitstrecken,
sondern nur solche, welche coticret erfüllte Zeitganze mit eben-
solchen Zeitganzen verknüpfen. Da in diesen Gesetzen neben
den sonstigen Variablen, welche Momente des erfüllenden Zeit-
iuhalts darstellen, auch die Zeiten, bezw. Zeitstrecken als ein-
ander wechselseitig beeinflussende Variable fungiren, so gewinnen
mittelbar auch diese Zeitstrecken in Relation zu der umfassen-
deren concreten Einheit ein Verhältnis der Fundirung. Aehnlich
vorhält es sich natürlich mit Raumstücken im Verhältnis zu um-
fassenderen Raumeinheiten und schliefsücli zum ganzen unend-
lichen Raum. Auch der Satz, dafs jedes Raurastück allseitige
Erweiterung, oder wie wir hier genauer sagen müssen, die reale
Möglichkeit zu allseitiger Enreiterung, und zwar bis zur Unend-
lichkeit des Einen Raumes fordert, ist eine Folge gewisser causaler
Gesetze, näher, gewisser Naturgesetze. Die Thatsache, dafs wir
räumliche, wie zeitliche Strecken in der Phantasie beliebig er-
weitem, dafs wir uns an jede imaginirto Grenze des Raumes oder
der Zeit in der Phantasie versetzen können, wobei immer neue
Räume und Zeiten vor unserem inneren Bück auftauchen würden
— all das beweist nicht die relative Fundirung der Raum- und
Zeitstücke, es beweist nicht die Nothwendigkeit, dafs Raum und
Zeit realiter unendlich sein müssen oder auch nur realiter unend-
lich sein können. Beweisen kann dies nur eine causale Gesetz-
lichkeit, welche die Fortsetzbarkeit über jode gegebene Grenze
voraussetzt und somit fordert.
Die causalen Zusammenhänge nimmt man a jtosieriori auf
dem Wege der Induction und Wahrscheinlichkeit an; jedenfalls
sind sie a priori möglich, sie sind als Möglichkeiten evident.
Wollen wir tms hier also auf das beschränken , was special wissen-
schaftlicher Untersuchung vorausgehen kann, sie also nicht vor-
aussetzt, 80 werden wir mindestens als mögliche Fälle unter-
I
Oedanken xu einer Theorie ihrer reinen Formen. 285
scheiden müssen, die wir soeben noch als wirkliche hingestellt
haben: nämlich Fälle, wo die Stücke eines unselbständigen Moments,
vom Standpunkt eines umfassenderen und concreteren Ganzen be-
trachtet, in ein Fundirungsrerhältnis treten können, im Gegensatz
zu den Fällen, wo dies nicht statthat, and wo eventuell die Zer-
stückung des unselbständigen Moments eine Zerstückung des
concreten Ganzen nach sich ziehen kann.
In den folgenden Ueberlegungen wollen wir unsere Aufmerk-
samkeit einem fundamentalen Unterscliied im Bedeutungsgebiet
zuwenden, der sich hinter unscheinbaren grammatischen Unter-
scheidungen, nämlich denjenigen zwischen kategorematischen und
synkategoreraatischen, geschlossenen und ungeschlossenen Aus-
drücken verbirgt Die Klärung solcher Unterscheidungen führt auf
eine Anwendung unserer allgemeinen Untersc!>cidung zwischen
selbständigen und unselbständigen Inhalten auf das Bedeutungs-
gebiet, so dafs der in der vorliegenden Untersuchung intendirte
Unterschied als derjenige zwischen selbständigen und unselbstän-
digen Bedeutungen zu charakterisiren ist. Er bildet das nothwendige
Fundament für die Feststellung der wesentlichen Bedeufungskate-
gorien, in welchen, wie wir in Küi-ze zeigen werden, eine Mannig-
faltigkeit apriorischer, von der objectiven Gütigkeit (realen
oder formalen Wahrheit, bezw. Gegenständlichkeit) der Bedeu-
tungen absehender Bedeutungsgesetzo wurzelt Diese Ge-
setze, welche in der Sphäre der Bedeutimgscoraplexionen walten
und die Function haben, in ihr Sinn von Unsinn zu trennen,
sind noch nicht die im prägnanten Sinn sogenannten logischen
Gesetze; sie geben der reinen Logik die möglichen Bedeu-
tungsformen, d. h. die apriorischen Formen complexer, einheit-
lieh sinnvoller Bedeutungen, deren „formale" Wahrheit, bezw.
Gegonständlichkeit dnnn die im prägnanten Sinne „logischen
Gesetze" regeln. Während jene ersteron Gesetze dem Unsinn,
wehren diese letzteren dem Widersinn, d. i. dem formalen Wider-
spruch, der formalen Absurdität. Sagen diese rein-logischen Ge-
setze, was a priori und auf Grund der reinen Form die mögliche
Einheit des Gegenstandes fordert, so bestimmen jene Gesetze der
Bedeutungscomplexion, was die blofse Einheit dos Sinnes fordert,
d. i. nach welchen apriorischen Formen Bedeutungen der verschie-
denen Bedeutungskategorien sich zu Einer Bedeutung vereinen,
statt einen chaotischen Unsinn zu ergeben.
Die moderne Grammatik glaubt ausschliefslich auf Psycho-
logie und sonstigen empirischen Wissenschaften bauen zu müssen.
Demgegenüber erwächst uns hier die Einsicht, dafs die alte Ideo
einer allgemeinen und sogar apriorischen Grammatik durch
unsere Nachweisung apriorischer, die möglichen Bedeutungsformen
bestimmender Gesetze ein zweifelloses Fundament erhält und zu-
gleich eine bestimmt umgrenzte Sphäre der Giltigkeit. Innerhalb
der reinen Logik giebt es eine Sphäre von aller Gegenständlichkeit
absehender Gesetze, die, im Unterschiede von den logischen Ge-
setzen im üblichen und prägnanten Sinn, mit guten Gründen als
rein grammatische zu bezeichnen wären.
Die Natur der zu erörternden Unterscheidungen bringt es mit
sich, dafs in ihrem Kreise unter dem Titel Bedeutungen zumeist
ebensowül intendirendo, als erfüllende Bedeutungen verstanden
werden können. Dies liegt an der bereits angedeuteten und in
den späteren Theilen d. W. genauer zu umgrenzenden Correspon-
denz zwischen den Acten der Intention und Erfüllung, bezw.
zwischen deren idealen Inhalten.
§ 1. Einfacfte und zusammengeselxie Bedeutungen.
Unseren Ausgang nehmen wir von der zunächst selbstver-
ständlichen Eiutheilung der Bedeutungen in einfache uud zu-
sammengesetzte. Sie entspricht der grammatischen Unterschei-
dung der einfachen und zusammengesetzten Ausdrücke oder Reden.
Ein zusammengesetzter Ausdruck ist ein Ausdruck, sofern er eine
Bedeutung liat; als zusammengesetzter Ausdruck baut er sich
aus Theilen auf, die selbst wieder Ausdrücke sind, und die als
solche wieder ihre eigenen Bedeutungen haben. Lesen wir z, B.
ein Mann wie von Eisen; ein König, der die Liebe seiner
Unlerliianen erwirbt und dg!., so drängen sich uns als Theil-
Ausdrücke, bezw. Theil- Bedeutungen entgegen Mann, Eisen,
König, Liebe u. s. w.
Finden wir nun in einer Theil- Bedeutung abermals Theil -
Bedeutungen, so mögen auch in diesen wieder Bedeutungen als
Theile auftretuu; aber offenbar kann dies nicht in inftnilum fort-
gehen. Schließlich werden wir in fortgesetzter Theüung überall
auf einfache Bedeutungen als Elemente stofsen müssen. Dafs es
wirklich einfache Bedeutungen giebt, lehrt das unzweifelhafte Bei-
spiel Etwas. Das Vorstetlungserlebnis, das sich im Verständnis
des Wortes vollzieht, ist sicherlich componirt, die Bedeutung ist
aber ohne jeden Schatten von Zusammensetzung.
§ 2. Ob die Ziisammengesetxtheit der Bedeutungen ein blofser
Beflex sei einer Zusammengesehtlieii der Oegenstände.
So klar dies Alles erscheint, so drängen sich doch allerlei
Fragen und Bedenken auf.
Zunächst die Frage, ob die Zusammengesetztheit oder Ein-
fachheit der Bodeutungou^ ein blofser Reflex sei der Zusammen-
gesetztheit oder Einfachheit der in ihnen vorgestellten Gegenstände.
Im ersten Augenblick wird man dies vielleicht annehmen. Die
Vorstellung stellt ja den Gegenstand vor und ist sein geistiges
Abbild. Indessen zeigt die kürzeste Besinnung, dafs dies Gleichnis
vom Abbilde hier, wie in manciien anderen Fällen trügt, und dafs
der vorausgesetzte Parallelismus nach keiner Seite besteht. Für's
Erste: zusammengesetzte Bedeutungen können einfache Gegen-
stände vorstellen. Ein ebenso klares als entscheidendes Beispiel
• Wir könnten ebensogut sagen: der Vorstellungen. Denn offenbar ist
mit der Bpeciellereu Frage aach die allgemeinere, auf Vurütellungen überhaupt
bezügliche, beantwortet
liefert unser Ausdruck einfacher Gegetistand selbst Es ist dabei
ganz gleichgiltig, ob es solch einen Gegenstand giebt oder nicht.*
Es gilt aber auch umgekehrt, dafs einfache Bedeutungen zu-
sammengesetzte Gegenstände vorstellen können. Man mag zweifeln,
ob in den obigen Beispielen die einfachen Namen (Mann, Eisen,
König u. dgl.) wirklich „einfachen Vorstellungen'* Ausdruck geben;
aber Namen wie Etwas und Eins wird man gelten lassen müssen.
Bei diesen ist es klar, dafs sie in ihrer Unbestimmtheit alles Mög-
liche, also jeden zusammengesetzten Gegenstand meinen können,
obschon freilich in der al lorunbestimmtesten Weise, eben als
blofee Etwas.
Es ist ferner klar, dafs, auch wo eine zusammengesetzte Be-
deutung einem zusammengesetzten Gegenstand entspricht, nicht
jedem Theil der Bedeutung ein Theil des Gegenstandes zugehört,
geschweige denn umgekehrt Bolzano's treffendes Beispiel „Ijund
ohne Berge" hat Twardowski allerdings bestritten; aber dies er-
klärt sich daraus, dafs er als Bedeutung die direct- anschauliche
Voretelliing des bedeuteten Gegenstandes ansieht, während ihm
der fundamentale und lügisch allein niafsgebüche Begriff der Be-
deutung ganz entgeht Daher verlällt er darauf, Bostamlstücke
der Bedeutung („ohne Berge**) als „Hilfsvorstellungon nacl> Art
der Etyma" zu fassen.^
§ 3. Der jrrägiianle Sinn der Ziisammemjeselxiheil von
liedetäungen. Implicirende Ikdeulungen.
Noch von einer anderen Seite drängen sich, und zwar in
weiten Klassen von Fällen, Bedenken auf; nämlich zweifellos zu
entscheiden, ob eine vorgegebene Bedeutung als zusammen-
gesetzte oder als einfache gelten müsse. Wollen wir z. B.
■ TwiinoowsEi vorläTst (a. a. 0. S. 94) offenbar den ganzen Boden der vor-
zuiiebuienden Entsoheidnugen, wenn er Bolzako (dem wir hier folgoo) einwendet,
es gebe Iceiiie eiiifaclien UogeDstilDdo. Vgl. Twaruowbki'b eigene Fragestellung
«i. IX. 0. 8.92, wo er ausdrücklicli von vorgustellton Ocgenstiiudeu spricht.
' TwARDowsKi a. a. 0. «. 98.
Hasaerl, Loi;. Uotoni. U. 19
die den Eigennamen zugehörigen Bedeutungen, kurzweg die Eigen-
bedeutuugen, als einfache fassen, so scheint dagegen der Um-
stand zu sprecheu, dafs wir in einem gewissen und offenbar be-
rechtigtem Sinne aussagen dürfen, wir stellten beispielsweise mit
dem Eigennamen Schnltxe (als Namen einer uns wolbokannten
Person verstanden) einen gewissen Menschen vor, also ein Wesen,
das all die Theile und Beschaffenheiten besitae, die wir, als einem
Menschen überhaupt zukommend, vorstellen, sowie mancherlei
iudividueile Eigenthümliclikeiten, welche diese Person vor anderen
auszeichnen. Andererseits wird man aber Bedenken tragen, die
suecessiv herauszuhebenden attributiven Bestimmungen der Eigen-
bedeutung als Theil- Bedeutungen einzulegen, oder gar anzunehmen,
diese Eigenbedeutung sei mit der comploxen Bedeutung identisch,
die wir, den Inhalt der Vorstellung Schnitte in gegenständlicher
Richtung analjsirend, schrittweise in der Form ein A, nelchcs
a, ß, y.... ist, componiren. Bei näherer Ueberlegung bemerken
wir, dafs hier ein doppelter Sinn von Einfachheit und Zu-
sammengesetztheit zu unterscheiden ist, derart, dafs Einfach-
heit in dem einen Sinn Zasammengosetztheit in dem anderen nicht
ausschliefst. Wir werden es zweifellos ablehnen müssen, die Eigen-
bedeutung als eine in Bedeutungen gegliederte und in dieser
Art complexe Bedeutung aufzufassen; zugleich werden wir aber
zugestehen müssen, dafs sie wirklich eine gewisse Coniplexion in
sieh trage. Da die Eigeubedeutung gerade nur diese Person und
zwar direct vorstellt, so müssen sich die mannigfaltigen Bestimmt-
heiten dieser Person in der vorstellenden Intention bekunden;
sie sind also in gewisser Weise vorgestellt; aber sie sind es so-
zusagen in Einem Pulse, sie sind es nur iinplicite, nicht explicite.
Die Eigenbedeutuug ist nicht aus den Bedeutungen zusammen-
gesetzt, die auf die gegenständlichen Bestimmtheiten {nämlicfi auf
diejenigen, welche den vorgestellten Gegenstand als solchen
constituiron) als gesonderte Intentionen gerichtet sind. Erst die
schrittweisen Analysen und die ihnen nachfolgenden Acte der
Attribution oder Prädication liefern zu jedem implicite intendirten
Merkmal eine abgesonderte Bedeutung.
Die auf solche Woiso ontstehonde gegliederte Vorstellung ist
aber nicht blofs subjectiv von der ursprünglich ungegliederten ver-
schieden: als ob die einzelnen Momente der letzteren nur für unser
subjectives Bemerken auseinandertreten würden; vielmehr zeigt
uns die Vcrgleichung, dafs die beiderseitigen Acte nach ihrem
wesentlicheu Inlialt, d. i. nach den Bedeutungen verschieden sind.
Uie Eigenbedeutung ist als Bedeutung einfach, sie ist ohne be-
deutungsmiifsige Gliederung und Form, möge sie auch unterscheid-
bnre Momente in sich tragen, die gewissen, als Thoilen der ex-
plicirenden Bedeutung fungirenden Bedeutungen entsprechen. Der
Unterschied zeigt sich uueh darin, dafs es zu einer und derselben
einfachen Bedeutung sehr viele der logischen Form und somit
dem Bedeutungsgehalt nach verschiedene Explicationen giebt. Mau
beachte, dafs schon unmittelbar äquivalente Formen, wie ein a,
ivelches ßyä . . . ist, ein aß, ivvlehcs y^ • ■ ■ '*', ci>i ß, ivelches
ayö . . . ist u. dgl. bedeutimgsmäfsig verschieden sind.
Wir setzten oben voraus, dafs der Eigenname in unserem
Beispiel der einer bekannten Person sei. Darin liegt, dafs er
normal fungire, also nieiit blofs in einem indirecton Sinne, als
eint^ getcisse, SchiiUte yenannie Person verstanden wird. Diese
letztere Bedeutung wäre natürlich zusammengesetzt
Schwierigkeit und Lösungsversuch sind olFenbar analog in den
Fällen, wo es sich um mancherlei andere substantivische und
schliel'slich auch um gewisse adjectivische und sonstige Wort-
bedeutungen handelt; z. B. Mensch, Tugend, gerecht u. dgl. Es
nmfs ferner noch erwälint werden, dafs die logische Definition,
in welcher wir den Schwierigkeiten gliedernder Analyse, vor Allem
aber dem Schwanken der Wortbodeutimg eine Grenze setzen,
natürlich blofs ein practisch- logischer Kunstgriff ist, durch welchen
die Bedeutung nicht im eigentlichen Sinne begrenzt und innerlich
gegliedert wird. Vielmehr wird hiobei der Bedeutung, sowie sie
ist, eine neue Bedeutung von gegliedertem Gehalt gegenüber-
gesetzt, nämlich als die Norm, nach der wir uns in den auf die
botreßende Bedeutung gestützten Urtheilen richten sollen, [jogischü
Gefährden zu vermeiden, schliefsen wir eben die Urthoile als un-
19*
zulässig aus, in welchen die betreffenden Bedeutungen nicht er-
setzbar sind durch ihre nurmalen Aequivalente, und zugleich
empl'ehleu wir die Regel, in der Erkenntnisthätigkeit möglichst
diese normalen Wortbedeutungen zu benutzen, oder die gegebenen
durch öftere Messung an den normalen und durch passende Ge-
brauebsdispositioücu in ihrer Erkeniitniswirkung zu reguliren.
Als wichtiges Resultat dieser Erwägungen drängt sich uns
ein doppelter Begriff der Zusammengesetztheit und somit auch der
Einfachheit auf. In Einem Sinne besteht Ziisammengesetztheit aus
Theilen, die selbst wieder den Charakter von Bedeutungen
besitzen. Es ist eben eine letzte Tliatsache, dafs eine Mehrheit
von Bedeutungen sich zu Einer Bedeutung verknüpfen kann. Ich
sage ^kann", denn nicht bei jeder Mehrheit von Bedeutungen triift
dies, wie wir sehen worden, zu; wir haben dann einen Bedeu-
tungshaufen, aber keine einheitliche Bedeutung. Wo auf der an-
deren Seite die Einheit der Bedeutung derartiger Zu.sanimengesetzt-
heit ermangelt, gilt sie als einfache. lu diesem normalen Sinne
spricht man von zusammengesetzten Bedeutimgen analog wie von
zusammengesetzten Maschinen, Zahlen, Figuren u. dgl.: worunter
man ja Maschinen versteht, die aus Maschinen, Zahlen, die aus
Zahlen, Figuren, die aus Figuren zusammengesetzt sind. Ist es
nöthig, den besomieren Sinn dieser Zusammengesetztheit zu be-
tonen, daim werden wir aiso am passendsten von Bedeutungen
sprechen, die als Bedeutungen zusuiumengesetzt sind.
Für's Zweite giebt es Bedeutungen, die gewisse unterscheid-
bare Momente in sich tragen, aber nicht in Form von gegliederten
Sonderbeiloutungen; sie sind nicht als Bedeutungen, aber aller-
dings als Inhalte zusammengesetzt. Von solchen Bedeutungen
sagen wir, sie seien implicireud oder hätten einen implicirten
Inhalt Offenbar gilt dann der Satz:
Zu jeder implicirenden Bedeutung giebt es eine andere, ihren
Inhalt gliedernde oder explicireade.
Die Rede von zusammengesetzten und einfachen Bedeutungen
könnte in einem allgemeinen Sinne verstanden werden, der die
eben vollzogenen Unterscheidungen gleichmäfsig umfafst, uämÜch
so, dafs nur überhaupt Bedeutungen mit Theilen und solche ohne
Theile gegenübergestellt würden. Diese Allgemeinheit liefse es
dann unentschieden, ob die Theile selbst wieder Bedeutungen sind
oder nicht. (Einfach in diesem allgemeinsten, also in jederlei
Sinne, wäre offenbar die Bedeutung Etwas; sie ist nicht nur ein-
fach als Bedeutung, sondern auch ohne Spur von impücirtem
Inhalt.) Indessen in diesem allgemeinsten Sinne von Zusamnion-
gesetatheit und Einfachheit zu sprechen, wäre hier, wie sonst nicht
empfehlenswerth. Wir werden weiterhin den normalen Sinn
dieser Rede zu Grunde legen, wonach also die zusammengesetzten
Bedeutungen aus Bedeutungen zusammengesetzt sind.
§ 4. Die Frage nacft der Fkdeutsamkeü „synkalegorematischtr"
Bestandslücke complexer Ausdrücke.
Die Betrachtung der zusammengesetzten Bedeutungen führt
sofort auf eine neue und fundamentale Scheidung. Gegeben sind
uns solche Bedeutungen in der Regel als Bedeutungen gegliederter
Wortcomplexionen. Hinsichtlich dieser erhebt sich aber die Frage,
üb Jedem Worte der Complexion eine eigene Bedeutung
zuzuordnen sei, und üb überhaupt alle GUedorung und Form
des sprachlichen Ausdrucks als das Gepräge einer entspreclienden
Gliederung oder Form d«r Bedeutung zu gelten habe. Nach
BoiJSANo dient „jedes Wort in der Sprache zur Bezeichnung einer
eigenen Vorstellung, einige wol auch zur Bezeichnung ganzer
Sätze";' er weist also (nhne sich übrigens auf nähere Erörterungen
einzulassen) auch jeder Conjunction oder Präposition eine eigene
Bedeutung zu. Auf der anderen Seite hört man nicht selten von
Worten und Ausdrücken sprechen, die „blofs mitbedoutend"
sind, d. h. die für sich keine Bedeutung besitzen, sondern erst
im Zusammenhang mit anderen Bedeutung gewinnen. Man unter-
scheidet vollständige und unvollständige Ausdi-ücke von Vor-
stellungen und des Weiteren auch von Urtheilon, Gefühls- und
Willensphänomcnen und gründet auf diesen Unterschied den Be-
B. BoLZiiNo's Wissenschaf tsleliro, Subsbaob 1837. 1. §57.
griff des kategorematischen, bezw. synkategorematischen
Zoichons. So bezeichnet Marty mit dem Ausdruck kategore-
matisches Zeichen oder Namen „alle sprachlichen Bezeichnungs-
mittel, die nicht blofs mitbedeutend sind (wie des Vaters, tim,
nichtsdcstoiceuicicr u.dgl.), aber auch für sich nicht den vollständigen
Ausdruck eines ürthoils (Aussagen) oder eines Gefühls und "Willens-
outschlusses u. dgl. (Bitten, Befehle, Fragen u. s. w.), sondern blofs
den Ausdruck einer Vorstellung bilden. Der Bcffründer der Ethik,
Ein Sohn, der seinen Vater beleidigt hat sind Namen." ^ Da
Mabty und mit ihm auch andere Autoren die Termini Synkate-
gorematisoli und Mitbedeutend in gleichem Sinne verstehen, und
zwar in dem Sinne von Zeichen „welche nur mit anderen Rede-
bestandtheilon zusammen eine vollständige Bedeutung haben, sei
es dufs sie einen BegrifS' erwecken helfen, also blofs Theil eines
Namens sind, oder zum Ausdruck eines Urtheils (einor Aussage)
oder zur Kundgabe einer Gemüthsbewegung oder eines Willens
(zu einer Bitt-, Befehlsformel u. dgl.) beitragen",* so wäre es
eigentlich consequenter gewesen, wenn sie den Begriff des kate-
gorematischen Ausdrucks entsprechend weit gofafst, somit auf
alle für sich bedeutsamen oder vollständigen Austiriicke irgend-
welcher psychischen Phänomene ausgedehnt hätten, um dann ein-
zeln zu sondern: katogorematische Ausdrücke von Vorstellungen
oder Namen, kategorematische Ausdrücke von Urthcilon oder
Aussagen u. s. w.^ Doch wie immer die Terminologie hier ge-
wählt werden mag, die Unterscheidung selbst entbehrt sicherlich
' A. Martt, Uober Biibjectlose Sätze u. .s. w. II!, Art. Vieilolj. f. wiss.
Philos. Tin. Jahrg. S. 203, Aimi.
' A. Martv, Ueber das Verhältni.s von Grnmnintik und I^^gik; iu don Sym-
bolae Pragenses. Festgabe der deutschen Gesellschaft fQr Altci-tliuinsikunde in
Prag zur 42. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, 1893, 8. 121,
Anm. 2.
* Ob freilich diese Nebeootdnung berechtigt, ob z. B. Namen in dem-
Rolbou Sinn Aiisdrüclce von Voi-stotlungon sind, wie Bittsiitze Ansdriicko von
Bittoti, Wuiisohsützü solche von WiiiMuhen u. s. w. — die.so Frage wird uns
noch orastliuh zu beschäftigen haben.
nicht einer gewissen Berechtigung, imd so wird uns in Hinsicht
auf die synkategorematischen Worte eine Auffassung nahegelegt,
die der oben erwähnten Lehre Bolzaxo's widerstreitet. Niiiulieh
da der unterschied zwischen Kategorematischem und Synkategore-
nintischem ein grammatischer ist, so möchte es scheinen, dafs
auch die Sachlage, die ihm zu Grunde liegt, eine „hiofs gramma-
tische" sei. Wir bedienen uns des öfteren mehrerer Worte, um
Eino Vorstellung auszudrücken — das liegt, könnte man denken,
an zufiilligen Eigenlieiten der jeweiligen Sprache. Die Gliederung
im Ausdruck ist ohne alle Beziehung zu irgendwelchen Gliede-
rungen in der Bedeutung. Die synkategorematischen Worte, die
ihn aufbauen helfen, sind also eigentlich ganz bedeutungslos, und
nur dem gesaramten Au.sdruck kommt wahrhaft eine Bedeutung zu.
Die grammatische Unterscheidung liifst aber noch eino andero
Interpretation zu, wofern man sich nur entschliefst, die VolLstäniiig-
keit, bezw. ünvoilständigkeit der Ausdrücke als Ausprägung einer
gewissen Vollständigkeit, bezw, ünvoilständigkeit der Bedeutun-
gen, also den grammatischen Unterschied als Ausprägung eines
gewissen wesentlichen Bedeutungsunterschiedes zu fassen.' Nicht
aus Zufall und Laune bedient sich die Sprache z. B. der mehr-
wortigen Namen zum Ausdrucke Einer Vorstellung, sondern um
einer Mehrheit zueinander gehöriger Thoil -Vorstellungen und un-
selbständiger VorstcUungsformen innerhalb der selbständig ge-
schlossenen Vorstelhmgseinheit angemessenen Ausdruck zu ver-
schaflen. Auch ein unselbständiges Moment, z. B. eine intentionale
Verknüpfungsform, durch welche sich zwei Vorstellungen zu einer
neuen zusammonschliefsen, kann ihren bcdeutiingsmäfsigen Aus-
druck finden, sie kann die cigenthümliche Bedeutungsintention
' In der zuletzt citirten AbliandluDg deQnli-t Marty eiu kategoreinatisuhes
Zeichen als ein solcties, das für skli allein eiue voUstiiiidigo Vorstellung
erweckt und durch ihre Vormittlung eioen Gegenstaud nennt. Duch dinickt es
die darangofügte Definition des synkategorematischen Zeichens (s, oben) nicht
ganz deutlich aus, dafs dio gratnmatisuhe Scheidung auf eino wesentliche
^Buheidung im Bedoutungsgebiet gegründet werden solle-, wie es sicherlich
llurry'a Meinvmg war.
eines Wortes oder einer Wortconiplexion ausmachen. Es ist klar:
wenn sich die „eigentlichen" VorstoHiingen in der Spliäre der Bo-
doutungsintentionen (der „symbolischen" Vorstellungen) getreu
spiegeln sollen, dann mufs, wie es o priori auch statthat, joder
Form auf der Vorstellungsseite (derjenigen der möglichen Erfüllung)
eine Form auf der Bedeutungsseito (derjenigen der Intention) ent-
sprechen. Und soll nun weiter die Sprache in ihrem verbalen
Material die a priori möglichen Bedeutungen getreu wiederspiegeln,
80 niufs sie über die grammatischen Formen verfiigen, welche
allen untorscheidlwron Formen der Bedeutungen einen unter-
scheidbaren „Ausdruck'' zu verleihen gestatten.
§ 5. Selbständige und unselbständige Bedeutungen. Die Unselhstäti~
digkeit der sinnlichen und diejenige der ausdrückenden IVorttheile.
Offenbar ist diese Auffassiuig die einzig richtige. Wir müssen
nicht blofs zwischen kategoromatiscben und synkategorematischen
Ausdrücken, sondern auch zwischen kategoromatischen und syn-
kategorematischen Bedeutungen unterscheiden; doch wirsprochen
bo7.eichnouder von selbständigen und unsclbstiindigen Be-
deutungen. Das natürlich ist nicht ausgeschlossen, dafs im
Procefs der Bedeutungsvorscliiobung an Stelle einer ursprünglich
gegliederten Bedeutung eine ungegliederte tritt, so dafs nun den
Ausdrucksgliedem in der Bedeutung des ganzen Ausdrucks nichts
mehr entspricht In diescnv Falle hat aber der Ausdruck den
Charakter eines im echten Sinne zusammengesetzten Ausdrucks
verloren, wie er denn auch in der Sprachentwicklung in Ein
Wort zu verschmelzen pflegt Seine Glieder werden wir jetzt nicht
mehr als synkategorematische Ausdrücke, weil überluuipt nicht
als Ausdrücke, gelten lassen. Nur bedeutsame Zeichen uenucn
•wir Ausdrücke, und zusammengesetzt neimon wir Ausdrücke nur
dann, wenn sie aus Ausdrücken zusaiiimongesetzt sind. Niemand
wird das Wort König als cincu zusammengesetzten Ausdruck be-
zeichnen, weil es aus mehreren Lauten und Silben besteht. Da-
gegen lassen wir mehrwertige Ausdrücke als zusammengesotzto
gelten, weil es zum Begriff des Wortes geliört, etwas auszu-
drücken; nur braucht die Bedeutung des Wortes nicht gerade eine
selbständige zu sein. Sowie unselbständige Bedeutungen nur als
Momente gewisser selbständiger Bestand haben können, so können
auch sprachliche Ausdrücke unselbständiger Bedeutungen nur als
Formbestandtheile der Ausdrücke selbständiger Bedeutungen fiin-
glren, sie werden also zu sprachlich unselbständigen, zu „un-
vollständigen" Ausdrücken.
Die zunächst sich aufdrängende und rein äufserlicho Auf-
fassung des Unterschiedes kategorematischer und syukategorema-
tischer Ausdrücke stellt die synkategorematisohen Theile von
Ausdrücken auf eine Stufe mit ganz andersartigen Ausdrucks-
theilen, mit den im Allgemeinen bedeutungslosen Buchstaben,
Lauten und Silben. Ich sage: im Allgemeinen; denn auch unter
diesen Ausdruckstheilen giebt es viele echte Sjnkategorematica,
wie die Klexionspräfixe und -suffi.xe. Aber in der unvergleich-
lichen Mehrheit der Fälle sind sie nicht Theile des Ausdrucks als
Ausdrucks, d. i. bedeutende Theile, sondern nur Theüe des Aus-
drucks als einer .sinnlichen Erscheinung. Synkatogorematica werden
daher verstanden, selbst wenn sie vei'einzelt stehen; sie werden
als Träger inhaltlich bestimmter Bedeutungsmomente aufgefalst,
die nach einer gewissen Ergänzung verlangen, und zwar einer
Ergänzung, die, obschon der Materie nach unbestimmt, doch ihrer
Form nach durch den gegebenen Inhalt mitbestimmt und somit
gesetzlich umschrieben ist. Wo das Synkategorematicum aiiderer-
»■seits normal fiingirt, also im Zusammenhang eines selbständig ab-
geschlossenen Ausdrucks auftritt, da hat es, wie die Vergegon-
wärtigung jedes Beispiels lehrt, zu dem gesammten Gedanken
allzeit eine bestimmte Bedeutungsbeziehung, es ist Bedeutungs-
träger für ein gewisses unselbständiges Glied des Gedankens und
leistet so zum Ausdruck als solchem seinen bestimmten Beitrag.
Die Richtigkeit dieser Bemerkung wird evident, wenn wir erwägen,
dafs derselbe synkatcgoremati.scho Ausdruck in unzähligen ver-
schiedenen Compositionen auftreten und überall dieselbe Bedeu-
timgsfunction entfalten kann; daher können wir, im Falle syn-
I kategorematischer Aequivoca vernünftig überlegen, zweifeln oder
darüber streiten, ob dieselbe Partikel, dasselbe Beziehungswort
oder Prädicat hier und dort dasselbe bedeute oder nicht. Von
einer Partikel wie aber, von einem Genitiv wie des Vaters sagen
wir also in gutem Sinne, sie hätten eine Bedeutung; nicht so bei
einem Wortstück wie bi. Zwar als ergänzungsbedürftig steht Eines
wie das Andere uns gegenüber; aber die Ergänzungsbedürfdgkeit
ist beiderseits eine wesentlich verschiedene: dort trifft sie nicht
blofs den Ausdruck, sondern vor Allem den Gedanken; hier nur
den Ausdruck oder vielmehr das Ausdruckstück, dafs es zum
Ausdruck erst werde, zum möglichen Anreger eines Gedankens.
Mit der succosstven Bildung des complicirten Wortgefüges baut
sich die Gesammtbedeutung schrittweise auf; ' in der successiven
Bildung des Wortes baut sich blofs das Wort auf, und erst dem
fertigen fliegt der Gedanke zu. Zwar in einer Art regt schon
das Wortstück einen Gedanken an, eben dafs es Wortstück sei,
und wie etwa die Ergänzung lauten müsse; aber natürlich ist das
nicht die Bedeutung des Stückes. Und tritt bald diese oder jene
Ergänzung ein (bi — billig, bissig, Bimslein, Birne, QehiUle . . .),
so wechselt die Bedeutung, aber nichts Gemeinsames ist in der
Bedoutungsraannigfaltigkeit zu entdecken, das dem gemeinsamen
Worttheil als seine Bedeutung zuzuordnen wäre; keine Gliederung
finden wir auch in der einzelnen Wortbedeutung, die dem Einen
Gliedo nach auf der Bedentsamkoit des Worttheils beruhte: er ist
eben bedeutungslos.
§ 6. GeijcnühersteHuiKj anderer Untei'scheidungen. Vngcschlossene,
anomal vcrkiirite und liidcenhafle Ausdrücke.
Ehe wir nun daran gehen, den unterschied der selbständigen
und unselbständigen Bedeutungen durch Anknüpfung an allgemei-
nere Begriife genauer zu cliarakterisireu, und im Ansciilufs daran
die wichtigste Thutsache des Bedeutuugsgebietes, die Existenz der
in ihm herrschenden Oesotzmnfsigkeit, zu ti.xiren, wird es nütz-
lich sein, den fraglichen Unterschied von anderen, sich mit ihm
kreuzenden Unterschieden abzusondern.
' Mabtt, Symbulae Prag. S. 105, Anin.
Die synkategorematischen Ausdrücke sind als unselbständige
in gewisser Weise oi-gänztingsbedürftig, und insofern nennt man
sie auch unvollständige Ausdrücke. Aber die Rede von der Un-
vollständigkoit iiat noch einen anderen Sinn, der nicht mit der
hier hl Betracht kommenden Ergänzungsbedürftigkeit vermengt
worden daif. Dies klarzulegen, bemerken wir vorerst, dufs sich
die Eintheilung der Bedeutungen in selbständige und unselbstän-
dige mit derjenigen in einfache und zusammengesetzte kreuzt.
Bedeutungen, wie z. B. ffröfser als, unter Qottes freiem Himmcly
den KüMmenmscn des Lebens u. dgl. sind unselbstiindigo und
trotz der Mehrheit untorseheidbaror Bestandtheilo einheitliche
Bedeutungen. Es können sich also mehrere unselbständige, oder
theils selbständige und theils unselbständige Bedeutungen zu
relativ geschlossenen Einheiten verweben, die als Ganze
doch nur den Charakter unselhständigor Bedeutungen haben.
Diese Thatsache zusammengesetzter unselbständiger Bedeutungen
prägt sich grammatisch aus in der relativ geschlossenen Einheit
zusammengesetzter synkategorematischer Ausdrücke. Jeder von
diesen ist Ein Ausdruck, weil ihm Eine Bedeutung zugehört,
und er ist zusammengesetzter Ausdruck, weil er einer zusammen-
gesetzten Bedeutung gliedweise Ausdruck verleiht. In Ansehung
dieser Bedeutung ist er ein vollständiger Ausdruck. Nennen
wii ihn nun gleich wol unvollständig, so liegt dies daran, dafs
seine Bedeutung, unbeschadet ihrer Einheitlichkeit, der Vervoll-
ständigung bedürftig ist. Da sio nur in einem umfassenderen
Bedeutungszusammenhang Bestand haben kann, so weist auch ihr
sprachlicher Ausdruck auf einen umfassenderen sprachlichen Zu-
sammenhang, nämlich auf eine Ergänzung zu einer selbständig
geschlossenen Rede hin.
Ganz anders verhält es sich mit anomal verkürzton Reden,
welche dem Gedanken, mag er nun ein selbständiger oder unselb-
ständiger sein, einen unvollständigen, wenn auch unter den gegebenen
umstünden der Rede voll verstand liehen, Ausdruck verleihen. Wir
können hierauch die lückenhaften Ausdrücke heranziehen, in
welchen aus der Continuität eines Satzzusammenhanges einzelne syn-
300 IV. Der Unterschied d. selbständigen u. unseWständ. Bedeutungen
taktische Glieder fehlen, während immerhin noch eine gewisse Zu-
sammengehörigkeit der disjecta membra kenntlich bleiben mag. Die
Ergänziingsbedürftigkeit solcher lückenhaften Beden hat offenbar
einen ganz anderen Charakter als die Ergänzungsbedürftigkeit der
Synkategorematica. Nicht weil die zugehörige Bedeutung unselb-
ständig ist, sondern weil es an einer einheitlichen Bedeutung über-
haupt gebricht, kann die lückenhafte Bede nicht als geschlossene
Bede, ja überhaupt nicht als eine Bede fungiren. Lesen wir bei
Entzifferung einer lückenhaften Inschrift Caesar . . . qui . . . dtia-
biis . . ., so mögen äufsere Anhaltspunkte darauf hindeuten, dafs
es sich um eine gewisse Satzeinheit handle; aber dieser indirecte
Gedanke ist nicht die Bedeutung des vorliegenden Bruchstücks,
und so, wie es ist, besitzt es überhaupt keine einheitliche Bedeu-
tung und bildet daher auch keinen Ausdruck; ein zusammen-
hangsloses Nebeneinander von theils selbständigen, theils unselb-
ständigen Bedeutungen, und darauf bezogen ein ihnen fremder
Nebengedanke, dafs sie zu einer gewissen Bedeutungseinheit ge-
hören dürften — das ist alles, was gegeben ist
Die Bede von ungeschlossenen, unvollständigen, ergänzungs-
bedürftigen Ausdrücken umfafst, wie ersichtlich, gar Verschiedenes.
Einerseits die synkategorematischen Ausdrücke, andererseits die
anomal verkürzten und endlich die lückenhaften Ausdrücke, die
eigentlich garnicht Ausdrücke, sondern nur Bnichstücke von Aus-
drücken sind. Diese verschiedenen Begriffe kreuzen sich. Ein
verkürzter Ausdruck kann kategorematisch, ein sjnkategorema-
tischer lückenlos sein u. dgl.
§ 7. Die Auffassung der unselbständigen Bcdeiäungen
als fundirte InJtalte.
Wir haben erkannt, dafs der scheinbar so glcichgiltigen
Untei-scheidung der Ausdrücke in kategoroniatische und synkate-
gorematische eine fundamentale Scheidung im Gebiete der Be-
deutungen entspricht. Hatten wir auch die erstero zum Aus-
gangspunkt genommen, so zeigte sich doch die letztere als die
ursprüngliche, nämlich als die jene grammatischo Unterscheidung
allererst begründende.
Schon der Begriff des Ausdrucks, bezw. der Unterschied
der blofs lautliclien und überlinupt sinnlichen Ausdrucktiieilo
von den Theiiausdrücken im echten Sinne des Wortes, oder wie
wir prägnanter anch sagen könnten, von den syntaktischen
Theilen (Stammsilben, Piüfixe, Suffixe,' Worte, zusammen-
passende Wortcomplexe), kann nur fixirt werden durch Recurs auf
einen Unterschied der Bedeutungen. Zerfallen diese in einfache
und Kusaniniengesotzte, so müssen anch die ihtion angemessenen
Ausdrücke entweder einfache oder zusammengesetzte sein, und
diese Zusammengesetzthoit führt notliwendig auf letzte bedeut-
same Theile, auf syntaktische, zurück und somit wieder auf Aus-
drücke. Hingegen ergiebt die Zerlegung der Ausdrücke, als
blofs sinnlicher Erscheinungen, allzeit auch blofs sinnliclie und
nicht mehr bedeutsame Theüo. Ebenso verhält es sich mit der
darauf gebauten Unterscheidung der Ausdrücke in kategore-
matische un<! synkategoromatischo. Man mag sie allenfalls da-
durch beschreiben, diifs die Einen für sich allein als vollständige
Ausdrücke, als abgeschlossene Reden dienen können, die Anderen
nicht. Will man aber die Vieldeutigkeit dieser Charakteristik be-
grenzen und den hier fraglichen Sinn derselben und damit zu-
gleich den inneren Orund bestimmen, warum gewisse Ausdrücke
als abge.schlüsseno Reden für sich allein stehen können, andere
nicht, so mufs man, wie wir sahen, auf das Bedontungsgebiet
zurückgehen und in ihm diejenige Ergänzungsbodürftigkeit nach-
weisen, die gewissen Bedeutungen, als „unselbständigen", anhaftet.
Mit der Bezeichnung der synkategorcmatischcn Bedeutungen als
unselbständiger ist bereits gesagt, worin wir das Wesen dieser
Bedeutungeji sehen. In unseren Versuchen über die unselb-
ständigen Inhalte überhaupt, haben wir den BegritT der Unselb-
ständigkeit allgemein bestimmt, und diese selbe Unselbständigkeit
' Diese und die vorbergonaunten , soweit sie im Entwicklungsprovels der
Spmclie ihre urticulirten Bedeutungen nicht eiugebüEst haben.
.!•••
Litr '. ••<r.yrnua -L .teHb^htiii'jeH M. itn^mlbatäHd. Bedeutungnn
-x. T. .:•; Tir -Avr :ni BctieutuniTi^biet glauben annehmea c..
...^rKZ. ."zMT.Nsräij'i:^ I:üial:e sind, so führten wir aus,^ la-
.j--.h. -'.• .-■:u\ :ür -:<.ii. sondern nur als Theile von umfas.send».T»rt.
raiii..-n ji«ti::i ^-.»i k.tEen. Ditses Nicht- können hat sein>:;n
..-:•:•.;:•• -.n j-:-«:-:^-:^^^'! is. der Natur der betrefPenden Inhalte.
1.1 -^i-zt .'iTi;! i^racii^iTi: priiOn ein Gesetz, wonach überhaupt
i:: 1-^u.: iT-r .T^-i^-i'.-iirE Ar:, sa^n wir der Art a, nur sein
-.i^ii .u I...sij::::;-.2.!JCi -i.~ts Ganzen (i'(a(i. ../«)? wo (i . . . ti
l's.'.:-tu -i:.- "LT .vsT.oi::::; l::halt!<arten. Für bestimmte, be-
■ U.-.K'.. «;.-: i-r^i^ loa ■.'•lÄ-'a ":-**it blofs, dafs zwischen der Art «
,u-. : r •> . i-. T aitinna. \v^t\ Zusammenhang bestehe, dafs also
.-: ; ^.- L T -la.j.yc jLi-i i-.Ticiiiiltig welcher Ergänzung bedürfe,
-,.u'..-ri". . .: ••.xzij.ica.iii.z isi-Or: Bt-stimmtheit in der Artung des
..^j.i^.:;M.;..iaJ:^-5-. iOüäiXii:;!^ 'oud uuabhimgigo Variable haben ihre
....-•-u .TS.- 'az'.tia^- .«i.fr Artt-haraktere umgronzto Sphäre. Mit
.'.u '.i'za >i i-u: I .v ',4Ä u:;d gesetzlich auch die gattun_-s-
.u.>^-- .";'- J Msi.iv.;v«r.iv«nsv.>s bestinmit. Als Uei^|>icle
..-.u. ■■.: ..;rv •..!;.« i;!; i"..ii>iT:"-,'r* .it^T sinuHohon Anschauuug. Aber
,>... -.j'.'. - ....:v:'K ri'! .ifc ii>< ethischen Acte und ihrer ab-
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'. •.. j t.-,>i». MT. i.ji> I...: .•;.■;■ KfJcuTunsren. Wir fafsteu sie
•„,, . ^v ..^ •.•..!.'.• •-..iil'ü fiC. . *fn"5: j'O.hstvon.tiindlich überträgt
V.V >;.i-. . : -;>j.'>>.'..ijii< »..;.. jMiiüfr. auf das ivleale Gebiet. Der
^■uvv..,i^»«. u >„•..•■. -I .:i .•>..^.■.:v^(■n .\iM div Bedeuteus ein ge-
,>s^s. 'l. ...... ^. -VC -•..'. <«;Ts;-;.:..s!:i>n Oharakier dieses Actes aus-
,^ ui •-* .>iv.v.*.v.; .NC ,!ai-aVtorisirt. Mit Rücksicht auf
. u\, *...uiiä, .M v.-t -j .v.-iÄ.-Jio und zusjunmougesetzto, kiuin
,,^ • „-v.iti A,->: r;;'i-.TxMv Thoilacto enthalten, und
, . -',.i^.f v-.-uv^ .iciti v.:jt:L«x'n bald als selbständige, bald
t ^..>v»-..^,.„-, .r!».i.', .»ü*ViUi^« Sptviell kann auch ein Act
>- x..., -.* .^v. .,av. ..i>iCi;*Ji:^£5^'^»tzt, nämlich aus ßedcu-
,^^ .;.. ^»«»»...B.-i.tst.iti M-iii. LVm Gjuizen gehört dann eine
>^,. ^. ..•.-.... ^ ^. ^'-^i*« lVt.a^'1 eine Thoilbodeutung (ein
und die Idee der reinen Grammaiik. 303
Bedeutimgstheil , der selbst wieder eine Bedeutung ist). Dem-
gemäls werden wir eine Bedeutung selbständig nennen, wenn
sie die volle und ganze Bedeutung eines concreten Be-
deutungsactes ausmachen kann, und unselbständig, wenn dies
nicht der Fall ist Sie kann dann nur in einem unselbständigen
Theilact eines concreten Bedeutungsactes realisirt sein, nur in
Verknüpfung mit gewissen anderen, sie ergänzenden Bedeutungen
kann sie Concretion gewinnen, nur in einem Bedeutimgsganzen
kann sie „sein". Die so definirte Unselbständigkeit der Bedeutung
als Bedeutung bestimmt nach unserer Auffassung das Wesen der
Synkategorematica.
§ 8. Scltwierigkeiteti dieser Auffassung, a) Ob die Unselbsländ^keit
der Bedeutung eigenilidi nur in der Unselbständigkeit des bedeuteten
Gegenstands liege.
Wir wollen nun aber auch die Schwierigkeiten unserer Auf-
fassung überlegen. Zunächst erörtern wir das Verhältnis zwischen
der Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Bedeutungen, und
der Selbständigkeit und Unselbständigkeit der bedeuteten Gegen-
stände. Für den Augenblick könnte man nämlich glauben, die
erstere Unterscheidung reducire sich auf die letztere. ^ Die be-
deutungverleihenden Acte beziehen sich als Vorstellungen auf
Gegenstände. Ist nun irgendein Bestandtheil des Gegenstandes
unselbständig, so kann er nicht für sich allein vorgestellt werden ;
also fordert die entsprechende Bedeutung eine Ergänzung, sie ist
selbst unselbständig. Es scheint sich als selbstverständliche Be-
stimmung zu ergeben: Kategorematischo Ausdrücke gehen auf
selbständige, synkategorematische auf unselbständige Gegenstände
(d. i. auf gegenständliche Momente, sei es Merkmale oder Relations-
formen).
Man überzeugt sich sofort, dafs eine solche Auffassung falsch
wäre. Gleich der Ausdruck unselbständiges Moment giebt eine
entscheidende Gegeninstanz. Er ist ein kategorematischer Aus-
' Eine analoge und sachlich nahe verwandte Frage beschäftigte uns vor-
hin, im § 2, S. 288ff.
ist es, die wir hier im Bedeutungsgebiet glauben aanebmen zu
niüsseu. Unselbständigo Inhalte sind, so fühi-ten wir aus,' In-
halte, die niobt für sich, sondern nur als Theile von umfassenderen
Ganzen Bestand haben können. Dieses Nicht- können hat seineu
objectivfn Gesetzesgrund in der Natur der betreireuden Inhalte.
Zu jeder Unselbständigkeit gehört ein Gesetz, wonacli überhaupt
ein Inhalt der bezügliehen Art, sagen wir der Art o, nur sein
kann im Zusammenhang eines Ganzen ü(aß. . .fi), wo ß ... fi
Zeiehen sind für bestimmte Inlialtsarten. Für bestimmte, be-
tünteu wir; denn kein Gesetz besagt blofs, dafs zwisciion der Art a
und beliebigen anderen Arten Zusammenliang bestehe, dals also
ein a luii' überhaupt und gleicbgiltig welcher Ergänzung bedürfe,
sondern zur Gesetzlichkeit geiiört Bestimmtheit in der Artung des
Zusammenhanges; abhängige und unabhängige Variable haben ihre
durch feste Gattungs- oder Artcharaktere umgrenzte Sphäre. Mit
den Arten ist dann tv ipso und gesetzlich auch die gattungs-
mäfsige Form des Zusammenhanges bestimmt Als Beispiele
dienten uns zumal die Goncreta der sinnlichen Anschanuug. Aber
auch an<lero Gebiete, die der psychischen Acte und ihrer ab-
stracten Inhalte hätten wir heranziehen können.
Hier interessiren uns niu- die Bedeutungen. Wir fafsten sie
allerdings als ideale Einheiten; aber selbstverständlich überträgt
sich unsere Unterscheidung vom realen auf das ideale Gebiet. Der
Bedeutung entspricht im concreten Act des Bedeutons ein ge-
wisses Moment, das den wesentlichen Charakter dieses Actes nus-
maciit, d. i. ihn als bedeutenden charaktcrisirt. Mit Rücksicht auf
die Eintheilung der Acte in einfache und zusammengesetzte, kann
nun aber ein concreter Act mehrere Theilacte euthalteu, und
solche Theilacte können dem Ganzen bald als selbständige, bald
als unselbständigo Theito einwohnen. Speciell kann auch ein Act
des Bedeutens als solcher zu.sammengesetzt, nämlich aus Bedeu-
tuugsacten zusammengesetzt sein. Dem Ganzen gehört dünn eine
Gesammtbedeutung zu, jedem Theilact eine Theilbedeutung (ein
' Vgl. oben Ifl, § 5—7, S. 233ff.
und die Idee der reinen (Jrmnmatik.
303
Bodeutungsthell , der selbst wieder eine Bedeiitnnp; ist). Dcm-
gemiils werden wir ciue Bedeutung selbständig nonnen, wenn
sie die volle und ganze Bedeutung eines concreten Be-
deutungsactos luisniaclien kann, und unselbständig, wenn dies
nk'lit di'i- FiiH ist. Sie kann dann nur in einem unselbständi^^en
Theiliiet eines concreten Bedoututigsactes realisirt sein, nur in
Verknüpfung mit gewissen anderen, sie ergänzenden Bedeutungen
kann sie Concretion gewinnen, nur in einem Bedeutungsganzen
kann sie „sein". Die su detinirte Unselbständigkeit der Beileutuug
als Bedeutung bostiuiTuf nueli unserer AuH'assuug das Wesen der
Synkategoreniatica.
§ 8. Schwierigkeiten dieser Auffassung, a) Ob die Unselbsiändigkeit
der Bedeutung eigenÜieh nur in der Unselbständigkeit des bedeuteten
Gegenstands liege.
ri Wir wullen nun aber aueh die Schwierigkeiten unserer Auf-
fassung überlegen. Zunächst orörtcm wir das Verhältnis zwischen
der Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Bedeutungen, und
der Selbständigkeit und Unselbständigkeit der bedeuteten üegou-
stände. Für den Augenblick konnte man uänilicii glauben, die
erstere Unterscheidung reducire sieh auf die letztere.' Die be-
deutungverleihenden Acte beziehen sieb als Vorstellungen auf
(iegenständc. Ist nun irgendein Bestandtheil des Gegeustiiudes
unselbständig, so kann er nicht für sich allein vorgestellt werden;
also fordert die entsprechende Bedeutung eine Ergänzung, sie ist
selbst unselbständig. Es scheint sich als selbstverständliche Be-
stimmung zu ergeben: Kategorematisciie Ausdrücke gehen auf
selbständige, synkategoroniatische auf unselbständige Gegenstände
(d. i. auf gegenständliche Momonto, sei es Merkmale oder Reiations-
formen).
Man überzeugt sich sofort, dafs eine solche Auffassung falsch
wäre. Gleich der Ausdruck Hriselbslöndigcs Moment giebt eine
entscheidende Gegeninstanz. Er ist ein kategorematischer Aus-
' Eine aoologo uuil »achlich nahe verwandte Frage besuhüftigte uns vor-
hin, im §2, S. 288ff.
druck und stellt doch ein Unselbständiges vor. Und so läfst
sich überhaupt jedes Unselbständige, and zwar auch in
directeror Weise, zum Gegenstand einer selbständigen Vor-
stellung machen, z.h.Rülhe, Figur, Qleichheity Oriifse, Eiu-
keit, Sein. Man ersieht aus diesen Beispielen, dafs nicht nur
den materiaieu gegenständlichen Momenten, sondern auch den
kategorialea Formen selbständige Bedeutungen entsprechen,
die eigens auf diese Formen gerichtet sind und sie insofern zu
Gegenständen für sicli machen; während letztere darum nicht für
sich sind im Sinne der Unselbständigkeit. Die Möglichkeit selb-
ständiger, auf unselbständige Momente gericliteter Bedeutungen
hat nichts Verwunderliches, wenn wir daran denken, dafe die
Bedeutung zwar ein Gegen-ständUchos „vorstellt", aber darum noch
nicht den Charakter eines Abbildes hat; sundern dafs ihr Wesen
vielmehr in einer gewissen Intention liegt, die eben In der Weise
der Intention, der abzielenden Meinung, auf Alles und Jedes, auf
Selbständiges und Unselbständiges „gerichtet" sein kann. Und
.so kann Alles und Jedes gegenständlich, d. i. zum intentionaleu
Object werden.
§ 9. b) Das Verständnia herausgerissener Synkategorematica.
Eine ernstliche Schwierigkeit bereitet das Verständnis der
aus jeder Verknüpfung herausgerissenen Synkategorematica. Ist
unsere Auflassung richtig, dann kann es dergleichen jii guniicht
geben; ihr genüifs sind die unselbständigen Elemente der kate-
gorematiseh geschlossenen Rede (iöyog) unablösbar. Wie wäre es also
müglich, diese Elemente, was duch schon AaisroTKuos that, aufser-
halb aller Verknüpfung zu betrachten? Unter den Titeln r«
avEv avfiTcXo'Äljg, tä Tunot ftijdefiiav avfi/cXoxijv keyufisra begreilt:
er alle Wortarten, auch die Synkategorematica.
Diesem Einwände könnten wir zunächst in der Weise be-
gegnen, dafs wir auf den Unterschied der „eigentlichen" und
„unejgenüichen" Vorstellungen hinwiesen, oder, was hier dasselbe
meint, auf den Unterschied der blofs intendirendeu und der er-
ftillenden Bedeutungen. Wir könnten nämlich sagen:
Herausgerissene Synkategorematica, me gleich, in Verbindung
mit, lind, oder können kein intuitives Verständnis, keine Be-
deutungserfüllung gewinnen, es sei denn im Zusammenbang eines
umfassenderen Bedeutungsganzen. Wollen wir uns „ klarmaclien",
was das Wort gleich bedeutet, so müssen wir auf eine anscbau-
licbe Gleicblieit hinbiicken, wir müssen eine Yergieicbung actuell
(„eigentlicli") vollziehen und auf ibrem Grunde einen Satz der
Form a = i zu erfüllendem Verständnis bringen. Wollen wir uns
die Bedeutung des Wortes und klar macben, so müssen wir irgend-
einen Collectionsact wirklich vollzieben und in dem so zu eigent-
licher Vorstellung kommenden Inbegriif eine Bedeutung der Form
a und b zur Erfüllung bringen. Und so überall. Die Unselb-
ständigkeit der erfüllenden Bedeutung, die also nothwendig in
jeder vollzogenen Erfüllung als Bestandstück einer erfüllenden
Bedeutung von umfassenderem Gehalt fungirt, bedingt nun die
übertragene Rede von der Unselbständigkeit der intendirenden
Bedeutung.
Zweifellos liegt hier ein richtiger und werthvoller Gedanke
vor. Wir können ilm auch so ausdrücken, dafs keine syn-
kategorematische Bedeutung, nämlich kein Act von un-
selbständiger Bedeutungsinteutiou, in der Erkenntnis-
functioB stehen kann, wenn nicht im Zusammenbang
einer kategorematischen Bedeutung. Und statt Bedeutung
könnten wir natürlich auch sagen Ausdruck, normal verstanden
als Einheit von Wortlaut und Bedeutung oder Sinn. Es er-
hebt sich nun aber die Frage, ob in Erwägung der Deckungs-
einheit, die im Status der Erfüllung zwischen intendirender und
erfüllender Bedeutung obwaltet, angenommen werden kann, dafs
die erfüllende Bedeutung unselbständig, die intendireude selb-
ständig sei; mit anderen Worten, ob angenommen werden kann,
dafs die Rede von der Unselbständigkeit bei den intuitiv un-
erfüllten Bedeutungsintentionen und Ausdrücken nur eine im-
eigentliche sei, nämlich nur bestimmt durch die Unselbständigkeit
der Erfüllung. Das ist kaum annehmbar, und so werden wir
darauf zurückgewiesen, dafs auch die leeren Bedeutungsiutontionen
Baiierl, Log. Unter». U.
20
— die „uneigeDtiichen", „symbüüsclien Vorstellungen", welche
dem Ausdruck aufserhalb jeder Erkenutnisfunction Sinn ver-
leihen — den Unterschied der Selbständigkeit und Unselbständig-
keit in sich tragen. Dann aber kehrt die eingangs aufgeworfene
Zweifelsfrage wieder: wie erkläi-t sich die unanfechtbare That-
sache, dass vereinzelte Synkategoreniatica, z. B. das vereinzelte
Wort und, verstanden werden? Sie sind hinsichtlich ihrer
Bedeutungsintentionen unselbständig, heilst doch, dais solche In-
tentionen nur in kategoremaüscben Zusammenhängen Bestand
haben können; also nüifste die lierausgerissene Partikel, das ver-
einzelte und ein leerer Schall sein.
Die Schwierigkeit kann sich nur in folgender Weise lösen:
Das herausgerissene Synkategorematicum hat entweder gar-
nicht dieselbe Bedeutung wie in einem kategorematischen Zu-
sammenhang, oder es hat sie, erfährt aber eine, wenn auch
sachlich ganz unbestimmte Bedeutungsorgänzung, so dafs es
dann zu einem unvollständigen Ausdruck der momentan leben-
digen und vervollständigten Bedeutung wird. Das isoUrto und
vei-stehen wir entweder dadurch, dafs sich ihm der indirecto,
obschon wörtlich nicht articulirte Gedanke „einer gewissen uns
wolbekannten Partiicel" als anomale Bedeutung zugesellt; oder
wir vorstehen es dadurch, dais sich unter Beihilfe vager Sach-
vorstellungen und ohne jode wörtliche Ergänzung ein Gedanke
des Typus Ä und B einstellt. In letzterem Falle fungirt
das Wörtchen und normal, sofern es eigentlich nur zu einem
Moment der innerlich vollzogenen completen Bedeutungsintention
gehört, und zwar zu demselben Moment wie im Zusammenhang
kategorematischer Ausdrücke von CoUcctionen; anomal aber inso-
fern, als es nicht im Zusammeuliang mit anderen Ausdi-ückon
steht, die den ergänzenden Theilen der vorhandenen Bedeutung
normale Ausprägung geben.
Auf solche Weise beheben sich die Schwierigkeiten, und wir
dürfen annehmen, dafs der Unterschied selbständiger und unselb-
ständiger Bedeutungen genau so das Gebiet der Bedeutuugsinten-
tion betrifft wie das der Erfüllung, und dafs somit die Sachlage
wirklich besteht, welche durch die Möglichkeit der Ädaequation
zwischen Intention und Eilülluug als nothwendig gefordert ist.
§ 10. Apriorische Qesdxmäfsigkeiten in der Bedeutungscomplexion.
Wird der Unterschied der selbständigen und unselbständigen
Bedeutungen auf den allgemeineren Unterschied der selbständigen
und unselbständigen Inhiüto bezogen, so ist hierin eine der funda-
mentalsten Thatsachen des Bedeutungsgebietes eigentlich schon
mit eingeschlossen, nämlich dafs die Bedeutungen unter
Gesetzen stehen, welche ihre Verknüpfung zu neuen
Bedeutungen regeln. Zu jedem J"all einer unselbständigen Be-
deutung gehört, nach dem, was wir ganz allgemein, für unselb-
ständige Inhalte überhaupt, erörtert haben, ein gewisses Gesetz,
welches ihre Ergänzungsbedürftigkeit durch neue Bedeutungen
regelt, also die Arten und Formen von Zusammenhängen nach-
weist, in denen sie eingeordnet sein muTs. Da es keine Zusammen-
setzung von Bedeutungen zu neuen Bedeutungen giebt ohne
verknüpfende Formen, die selbst wieder den Charakter von Be-
deutungen, und zwar unselbständigen, besitzen, so ist es ein-
leuchtend, dafs in aller Bedeutungsverknüpfung Geset^mäfsigkeiten
wii'ksam sind. Freilich ist die wichtige Thatsache, die hier vorliegt,
nicht dem Bedeutungsgebiet allein eigenthümlich, sondern spielt
ihre Rolle, wo immer Verknüpfung statthat. Alle Verknüpfung
überhaupt untersteht Gesetzen, zumal alle materiale, auf ein sach-
lich einheitliches Gebiet beschränkte Verknüpfung, bei welcher die
VerknüpfuQgsergebnisse in dasselbe Gebiet fallen müssen wie die
Verknüpfnngsglieder. Niemals können wir alle und jede Einzel-
heiten durch alle und jede Formen einigen, sondern das Gebiet
der Emzclheiten beschränkt die Zahl möglicher Formen und be-
stimmt die Gesetzmäfsigkoiten ihrer Ausfüüung. Die Allgemein-
heit dieser Thatsache entbindet aber nicht von der Pflicht, sie in
jedem gegebenen Gebiet nachzuweisen und die bestimmten Gesetze,
in denen sie sich entfaltet, zu erforschen.
Was speciell das Bedeutungsgebiet anbelangt, so lehrt schon
die flüchtigste Uoberlegiuig, dafs wir in der Verknüpfung von Be-
20*
deutuDgen zu Bedeutungen nicht frei sind, und daher in sinnvoll
gegebener Verknüpfungseinheit die Elemente nicht willkürlich
durcheinander würfeln dürfen. Nur in gewissen, im voraus be-
stimraton Weisen passen die Bedeutungen zusammen und consti-
tuiren wieder sinnvoll einheitliche Bedeutungen, während die
übrigen combinatorischen Möglichkeiten gesetzlich ausgeschlossen
sind: sie ergeben nur einen Bedeutungshaufen statt Einer Be-
deutung. Die Unmöglichkeit der Verknüpfung ist eine gesetz-
liche, d. h. zunächst, sie ist keine blofs subjective, es liegt nicht
blofs an unserer factischen Unfaliigkeit (an dem Zwange unserer
„geistigen Organisation"), dals wir die Einheit nicht vollziehen
können. In den unzähligen Fällen, die wir hier im Auge haben,
ist die Unmöglichkeit vielmehr eine objective, in der Natur des
Bedeutungsgebietes a jmori gründende; und als solche ist sie
durch apodictische Evidenz zu erfassen. Diese Unmöglichkeit
haftet, genauer zu reden, nicht an der singulären Besonderheit der
zu einigenden Bedeutungen, wol aber an den wesentlichen
Gattungen, unter welche sie fallen, d. i. an den Bedcutungs-
katogorien. Zwar ist die einzelne Bedeutung selbst schon ein
Specifisches, aber relativ zu der Bedeutungskategorie ist sie eben
nur eine zufällige Einzelheit. So ist ja auch in der Arithmetik
die numerisch bestimmte Zahl eine zufällige Einzelheit relativ zu
den Zahlformen imd Zahlgosetzen. Also, wo immer wir bei ge-
gebenen Bedeutungen die Unmöglichkeit der Verknüpfung ein-
sehen, da weist diese Unmöglichkeit auf ein allgemeines Gesetz
hin, wonach überhaupt Bedeutungen der entsprechenden Beden-
tungskategorien , in gleicher Ordnung und nach Mafsgabe derselben
reinen Formen verknüpft, eines einheitlichen Ergebnisses entbehren
mtissen. Der Ausdruck ivenn ist grün ist beispielsweise ein be-
deutungsloser, und indem wir dies einsehen, erkennen wir auch,
dals überhaupt aus der Form S ist P eine Sinnlosig-
keit resultirt, wenn für S statt wenn ein beliebiges Syn-
kategorematicum substituirt wird. Wenn, obschon sonst
ein Formausdruck, fungirt hier eben nicht als Formausdruck, son-
dern als variables Element, für welches im Sinne der zu Grunde
liegenden Gesetzmärsigkeit jedes gleichartige (aus der Kategorie
der unselbständigen Bedeutungen) gesetzt werden kann. Schreiben
wir aber wenn der Baum grün ist, so fungirt das wenn zusammen
mit dem ist als invariable Form, während die übrigen Bedeutungen
die variable Materie bilden; dies nämlich im Hinblick auf die Ge-
setzmäfsigkeit, dafs Jede Verknüpfung der Form wenn S P ist
dann und nur dann eine sinnvolle Bedeutung ergiebt, wenn S
und P auf den Umfang gewisser Bcdeutuiigsklassen (wofür hin-
reichend allgemeine und dabei eindeutige Namen bisher fehlen)
bescliränkt bleiben.
§ 11. Einwand. Die suppositio malerialis und ihr Analogon.
Man wird sieh hier kaum durch den Einwand beirren lassen,
doch jedes Synkategorematieum au die SubjoetsteUe zu bringen
ist, nämlich in Sätzen derart wie „tve?in" ist eine Partikel,
,und" ist eine unselbständige Bedeutung. Gewifs, die Worte
stehen hier an der Subjectstelle, aber ihre Bedeutung ist, wie
ohne Weiteres ersichtlich, nicht dieselbe, als welche ihnen im
normalen Zusammenhange eignet. Dafs sich auf dem Wege der
Bedeutungsänderung jedes Wort und jeder Ausdruck über-
haupt an jede Stelle eines kategorematischou Ganzen bringen läfst,
ist nicht verwunderlich. Was wir hier im Auge haben, ist aber
nicht die Composition der Worte, sondern die der Bedeutungen,
allenfalls die der Worte bei constanter Erhaltung ihrer Bedeu-
tungen. Logisch betrachtet ist aller Bedeutungswochsel als Ab-
normität zu beurtheilen. Las logische Interesse, das auf die
identisch -einheitlichen Bedeutungen geht, fordert Constanz der
Bedeutungsfunction. Aber die Natur der Sache bringt es mit
sich, dafs gewisse Bcdeutungsändorungen sogar zum
grammatisch normalen Bestände jeder Sprache gehören.
Durch den Zusammenhang der Rede kann die modificirte Be-
deutung immerhin leicht verständlich sein, und sind die Motive
der Modification von durchgreifender Allgemeinheit, wurzeln sie
z. B. im allgemeinen Charakter der Ausdrücke als solcher oder
gar in der reinen Natui* des Bedeutungsgebiotes an sich, so werden
i
die betreffenden Klassen von Abnormitäten überall wiederkehren,
das log^isch Abnorme erscheint dann grammatisch als sanctionirt.
Hierher gehört nun die s-upposifio materialis in der Rede-
weise der Scholastiker. Jeder Ausdruck, gloichgiltig ob er — in
seiner normalen Bedeutung — ein kategorematischor oder sjn-
kategorematischer ist, kann danach als Name von sich selbst auf-
treten, d. h. er nennt sich selbst als grammatische Erscheinung.
Sagen wir „die Erde ist rund" ist eine Aussage, so fungirt als
Subjectvorstellung nicht die Bedeutung der Aussage, sondern eine
Vorstellung der Aussage als solcher; nicht über den Sachver-
halt, dafs die Erde rund ist, sondern über den Aussagesatz
wird geurtheilt, und dieser Satz selbst fungirt anomal als sein
eigener Name. Sagen wir und ist eine Cotijunction, so haben
wir nicht das Bedeutungsmoment, das dem Worte Und normaler
Weise entspricht, an die Subjoctstelle gebracht, sondern hier steht
die selbständige, auf das Wort Und gerichtete Bedeutung. In
dieser anomalen Bedeutung ist das Und in Wahrheit kein sya-
kategorematischer, sondern ein kategorematischer Ausdruck, es
nennt sich selbst als Wort.
Ein genaues Analogen der siippositio materialis liegt vor,
wo der Ausdruck statt seiner normalen Bedeutung eine
Vorstellung dieser Bedeutung (d. h. eine Bedeutung, die
auf diese Bedeutung als auf ihren Gegenstand gerichtet ist) trägt.
So verliält es sich z. B., wenn wir sagen: „ujid", „aber", „(/röfser"^
sind unselbständige Bedeutungen. In der Regel werden wir hier
sagen: die Bedeutungen der Wörter „und", „aber", gröfser" sind
unselbständig. Ebenso fungiren in dem Ausdruck „Mensch",
„Tisch", „Pfprd"' sind Ditigbegriffe Vorstelhmgen dieser Begriffe,
und nicht die Begriffe selbst als die Subjectvorstellungen. In diesen,
wie in den vorigen Füllen wird dio Bedoutuugsiinderung mindestens
im schriftlichen Ausdruck in der Regel angezeigt, etwa durch An-
führungszeichen oder andere (wie wir es passend nennen könnten)
heterogrammatische Ausdrucksmittel. Alle mit „modifi-
cirenden" statt mit „düterminirendon" Prädicaten behafteten
Ausdrücke fungiren in der zuletzt bezeichneten oder in einer ahn-
liehen "Weise anomal: in mehr oder minder cnmplicirter "Weise ist
der normale Siun der ganzen Rede durch einen anderen zu er-
setzen, der, wie immer er sonst gebaut sein mag, an Stelle des
scheinbaren Sabjects nach Mafsgabo der normalen Interpretation
vielmehr eine in dieser oder jener "Weise darauf bezügliche Vor-
stellung, und zwar bald eine Vorstellung im logisch -idealen,
bald eine solche im empirisch -psychologischen Sinn enthält. Z.B.
der Centnnr int eine Fidimi der Poeten. Wenig umschreibend
können wir dafür sagen: unsere Vorstellungen von Centauren
(sc. subjectivo Vorstollungon des Bedeutungsgehalts „Centaur")
sind Fictionen der Poeten. Modificirend sind die Prädicate iM, ist
nicht, ist wahr oder falsch u. dgl. Sie drücken nicht Beschaffen-
heiten der scheinbaren Subjecte aus, sondern solche der ent-
sprechenden Sübjectbedeutungen. Z.B. dafs 2x2=5 ist, ist
falsch; das heilst der Gedanke ist ein falscher, „leerer" Gedanke.
Scheiden wir unter den Beispielen des letzton Absatzes die-
jenigen aus, in welchen die modificirendo Vorstellung eine sub-
jective ist, und verstehen wir das Analogen der siipposiiio
materialis in dem beschränkten Sinne, in dem wir es oben von
vornherein erklärt haben, so bemerken wir, dafs es sich liiebei
um Bedeutungsänderungen oder, genauer zu reden, um Aende-
rungen des Bedeutens handelt, die in der idealen Natur
des Bedeutungsgebietes selbst wurzeln. Sie wurzeln näm-
lich in Bedcutungstnoditicationcn in oinem gewissen anderen, von
den Ausdrücken abstrahirenden Sinne, der einigermafsen analog
ist der arithmetischen Rede von „Transformationen" arithmetischer
Gebilde. Es giebt im Bedeutungsgebiete apriorische Gesetzmäfsig-
keiten, wonach Bedeutungen bei Erhaltung eines wesentlichen
Kerns in neue Bedeutungen umzuwandeln sind. Und dahin ge-
hört auch die Umwandlung, welche a priori jede beliebige Be-
deutung in die auf sie bezügliche „directe Vorstellung" erfahren
kann. Sie bedingt vermöge ihrer apriorischen Allgemeinheit jene
grofse Klasse allgemeingrammatischer Aequivocationen, als
von Modificationen des verbalen Bedeutens, die über die Be-
sonderheiten der einzelnen Sprachen hinausreichen.
§1S
Unsinn und Widersinn.
Natürlich muTs man die gesetzlichen Unverträglichkeiten, auf
welche uns das Studium der Synkategorcmatica geführt hat, wol
unterscheiden von jenen anderen, welche das Beispiel ein rundes
Viereck illustrirt. Man darf, wie wir in der Unters. I schon
betont haben, 1 das Sinnlose (das Unsinnige) nicht zusammen-
werfen mit dem Absurden (dem Widersinnigen), welches die
übertreibende Rede ebenfalls als sinnlos zu bezeichnen liebt, ob-
schon es vielmehr ein Theilgebiet des Sinnvollen ausmacht. Die
Verknüpfung ein nmdes Viereck liefert wahrhaft eine einheitliche
Bedeutung; aber es ist eine apodictische Evidenz, dafs der existi-
renden Bedeutung kein existirender Gegenstand entsprechen kann.
Sagen wir hingegen ein rundes oder, ein Mensch und ist u. dgl.,
80 eiistiren gar keine Bedeutungen, welche diesen Verbindungen
als ihr ausgedrückter Sinn entsprächen. Die zusammongeordneten
Worte erregen zwar in uns die indirecte Vorstellung einer ge-
wissen durch sie ausgedrückten einheitlichen Bedeutung; aber
wir haben zugleich die apodictische Evidenz, dafs solch eine Be-
deutung nicht existiren kann, dafs so geartete und verknüpfte
Bedeutungstheüe in einer einheitlichen Bedeutung unverträglich
sind. Diese indirecte Voi-stellung selbst wird man nicht als die
Bedeutung jener Wortcomplexionen in Anspruch nehmen wollen.
In normaler Function erweckt der Ausdruck seine Bedeutung; wo
aber das Verständnis unterbleibt, da wird er, etwa vermöge seiner
sinnlichen Aehnlichkeit mit bedeutsamen, bezw. veretandenen Aus-
drücken, die uneigentliche Vorstellung einer „gewissen" zugehö-
rigen Bedeutung herbeiführen, während man die Bedeutung selbst
gerade vermiTst
Der Unterschied der beidoreeitigen Unverträglichkeiten ist
also klar: im einen Falle vertragen sich in der Einheit der Be-
deutung gewisse Theilbedeutungen insofern nicht, als dadurch die
Gegenständlichkeit, bezw. Wahrheit der ganzen betroffen ist. Ein
Gegenstand (z. B. ein Ding, ein Sachverhalt), in dem all das ver-
' Vgl. oben S. 54 £f. ßub 3.
einigt ist, was die einheitliche Bedeutung vermöge der mit ein-
ander „unverb'ägiiclien" Bedeutungen als ihm einheitlich zukom-
mend vorstellt, existirt nicht und kann überhaupt nicht existiren;
aber die Bedeutung selbst existirt Namen wie höhernes Eisen
und rundes Viereck, oder Sätze wie alle Vierecke haben 5 Ecken,
das sind so ehrliche Namen, bezw. Sätze, wie irgendwelche. Im
iuulcren Falle verträgt es die Möglichkeit der einheitliclien Be-
deutung selbst nicht, dafs gewisse Theilbedcutungen in ihr coexi-
stiren. Wir besit^sen dann nur eine indirecto, auf die Synthesis
solcher Theilbedeutungen zu Einer Bedeutung abzielende Vor-
stellung und damit zugleich die Einsicht, dafs solch einer Vor-
stellung nimmermehr ein Gegenstand entsprechen, d. h. dafs eine
Bedeutung von der Art, wie sie liier intendirt ist, nicht existiren
kann. Bas Unverträglichkeitsurtheil geht hier auf YorstoUungen,
dort auf Gegenstände, wo hier {mit Bolzaxo' zu roden) Vorstel-
iungsvorstellungeu, ti'eten dort schlichte Vorstellungen in die ür-
theilseinheit ein.
Ihre grammatische Ausprägung finden die hier behandelten
Unverträglichkeiten, bezw. Gesetzmäfsigkeiten der Bedeutungsver-
knüpfung, wenigstens theilweiso in den Regeln, welche die gram-
matische Verknüpfung der Redetheüe beherrschen. Fragen wir
nach den Gründen, warum in unserer Sprache gewisse Ver-
knüpfungen gestattet sind und andere verwehrt, so werden wir
allerdings zu einem sehr erheblichen Theil auf zufällige Sprach-
gewohnheiten imd überhaupt auf Thatsächlichkciten der bei einer
Sprachgenossenschaft so, bei einer andern anders vollzogenen
Sprachentwicklung hingewiesen. Zum andern Theil stofsen wir
aber auf den wesentlichen Unterschied der selbständigen und un-
selbständigen Bedeutungen, sowie auf die innig damit zusammen-
hängenden Gesetze der Bedeutungsverknüpfung, Gesetze, die sich
in jeder entwickelten Sprache in der grammatischen Formenlehre
und in einer zugeliörigon Klasse von grammatischen Unverträg-
lichkeiten dokumentiren müssen.
' Wissenschaftslehre I, § f)0. (Bolzano nennt sie auoh eSymbolische Vor-
steUoBgon").
§ 13. Die Gesetze der BedetäungscompUaxion und die logische
Formenlehre.
Die Aufgabe einer duroligeführton Wissenschaft von den Bo-
doutimgon wäre es min, die Ciesetzo der Bedoutiingsverlinüpfiing
(tinil die eng zu ihnen gehörigen der Bedeutungsmüdification)
zu erforschen und sie auf eine Minimnizahl unabhängiger Ele-
mcntargesetzo zurückzuführen. Dazu aber wäi-e es selbstver-
ständlich nöthig, vorher die wesentlichen Bedontungskategorien,
welche in diesen Gesetzen als die Unbestimmten (oder, in einem
der Mathematik analogen 8inn, als dio Variahlen) hguriren,
zu sondern. Was hier verlangt ist, kann uns die Arithmetik
einigermafsen verdeutlichen. Es giebt gewisse Formen der Sjn-
thcsis, nach welchen, sei es allgemein oder nur tinter bestimmt
angobbaren Bedingungen, aus je zwei Zahlen neue Zahlen erwachsen.
Die „directen Operationen" a-\-b., «i», a' u. s. w. liefern unbe-
schränkt, die „inversen" a — fe, -y, yn, ''loga u. s. w. nur unter
gewissen Beschränkungen Zahlen als Ergebnisse. Dafs sich »lies
nun so vorhält, muls jeweils durch einen Existenzialsatz oder
besser: durch ein Existenzialgesetz festgestellt und eventuell aus
gewissen primitiven Axiomen demoiistrirt werden. Schon aus dem
Wenigen, das wir bis nun andeuten konnten, ist es klar, dafs
ähnliche, nämlich auf Existenz, bezw. Nichtoxistenz von Bedeu-
tungen bezügliche Gesetze im Bedeutungsgebiot Bestand haben,
und dafs in diesen Gesetzen die Bedeutungen nicht freie Variable,
sondern auf den Umfang der oder jener, in der Natur des Be-
deutungsgebietes gründenden Kategorien beschränkt sind.
In der reinen Logik ist die natürliche Sphäre, welcher die
Durchführung der soeben angedeuteten Probleme obliegt, die
Lehre von den Bedeutungsformen, oder, wie wir auch
sagen dürfen, dio Lehre von den Formen der logischen Urtheile
oder Sätze. (Denn offenbar schliefst diese dio Lehre von den
logischen Vorstellungen — genommen in dem engsten Sinno als
mögliche Subjectbedoutungen — voll und ganz in sich ein.) Es
I
handelt sich dabei um eine Feststellung der primitivon Fonucn
und um eine systemntische Ueborsicht über die unbeg^renzte Mannig-
faltigkeit weiterer Formen, welche aus ihnen durch Complioation
bezw. Modification abzuleiten sind. Selbstverständlich sind
die festzustellenden Formen giltige; also gehört zu jodor
primitiven Form zugleich ein gewisses Existenzialgesetz,
wolclies aussagt, dafs jede Eedeutungsvorknüpfung, die solcher
Form folgt, aucli wirklich eine einheitliche Bedeutung ergiebt,
wofern nur die Termini (die Unbestimmten, die Variablen dci'
Form) zu gewissen Bodeutungskategorien gehören. Was aber die
Dcduction der abgeleiteten Formen anbelangt, so will sie
zugieicli die Doduction ihrer Giltigkeit sein; also müssen aucli
zu ihnen Existenzialgosetze gehören, welche aber aus denjenigen
der primitiven Formen deducirt sind.
Beispielsweise gehört zur primitiven Form M niid N das
Existonzialgcsetz, dafs jedes Paar nominaler Bedeutungen (mög-
licher Subjectbedeutungen) durch das und verknüpft wieder eine
nominale Bedeutung ergiebt. Substituirt man schrittweise und
immer wieder fiii' einen einfachen Terminus eine Verknüpfimg
von diesen Formen, und wendet man dabei allzeit das primitive
Existenzialgesetz an, so resultiren neue, in beliebiger Compli-
cation ineinander geschachtelte Formen von deductiv gesicherter
Giltigkeit. Z. B.
{M und X) und P
{M und N) und (P und Q)
\{M und N) und P] und Q
u. s. w. Man versteht ohne Weiteres, dafs die Complicationcn in
combinatorisch überschaubarer Weise in infmitnm fortschreiten,
dafs jede neue Form an dieselbe Bedeutungskategorie, als Sphäre
der Variabilität für ihre Termini, gebunden bleibt, und dafs so-
lange diese Sphäre eingehalten wird, alle danach zu bildenden
Bedeutungsvcrbindimgen nothwendig existiren, d.i. einen oinheit-
lietien Sinn darstellen müssen. Man sieht auch, dafs die zugehö-
rigen Existenzialsätze selbstverständliche deductivc Folgen des zu
der primitiven Form gehörigen Satzes sind. Indem wir uns diese
Trivialitäten zum formulirten Bewufstsein bringen, erwächst uns
die Einsicht in die apriorische Constitution des Bedeutungsgebietes
nach Seiten all derjenigen Formen, die in der schlichten Grund-
furm zweigliedriger collectiver Verknüpfung ihren apriorischen
Ursprung haben.
Und natürlich ist diese Einsicht, oder vielmehr die voll-
umfassende Einsicht in die formale Constitution des gesammten
Bedeutungsgebietes, der einzige Zweck derartiger Untersuchungen.
Es wäre unverständig, an die Formulirung der Bedeutungstypen
und der ihnen zugehörigen Existenzialgesetze die Hoffnung zu
knüpfen, damit auch practisch wcrthvolle Regeln der Bodcutungs-
compkwion, bezw. der grammatischen Complexion von Ausdrücken
gewinnen zu können. Es besteht hier keine Versuchung, die Linie
des Richtigen zu verfehlen, also kein practischcs Interesse, dieselbe
Linie wissenschaftlich zu bestimmen. Der Unsinn springt bei
jeder Abweichung von den normalen Formen so unmittelbar in
die Augen, dafs wir in der Praxis des Denkens und Sprechens
auf solche Abweichungen gai-nicht verfallen können. Umso gröfser
ist aber das theoretische Interesse, das an diesen Trivialitäten
haftet. Es handelt sieh ja, genauer ausgedrückt, um die Einsicht,
dafs sich alle möglichen Bedeutungen überhaupt festen, katego-
rialen Formen einordnen, und dafs im Bedeutung-sgebiet eine
apriorische Gesetzmäfsigkeit waltet, wonach alle möglichen Formen
in systematischer Abhängigkeit von einer kleinen Anzahl primi-
tiver, durch Existenzialgesetze festgelegter Formen stehen. Mit
dieser Gesetzmäfsigkeit kommt uns, da sie eine apriori-
sche und rein kategoriale ist, ein Grund- und Haupt-
stück von der Constitution der „theoretischen Vernunft"
zum wissenschaftlichen Bewufstsein.
Zusatx. Ich sprach oben von Coraplication und Modifica-
tion. In der Tliat gehören in iHo abzugrenzeudo Sphäre auch
die Gesetzmöfsjgkeiten der Modification. Was gemeint ist, ver-
deutliclit das oben besprochene Änalogon der svpponitio tnuterialis.
Andere Beispiele liefern die garnicht leicht zu klärenden Unter-
schiede der Zusammenhangsfunction, wie wenn etwa der
Subjectname an dio Objoctstelle gebraclit wird; also Unterschiode,
die vielfach vennengt mit empirischen, in die Casusformen ein-
fliefsen. Auch der Unterschied zwischen attributiver und prädica-
tiver li'iinction der adjectivischen Bedeutungen und Aehnliches
dieser Art gehört hieher.*
§ 14. Die Oeseixe des xu vet-nieideiiden Unsinns und diejenigen des
XU i)ermeidenden Widersinns. Die Idee der reinen Orammatik.
Im Uebrigen wollen wir keineswegs behaupten, dafs diese Ge-
setze, welche die blofse Scheidung der Gebiete des Sinnvollen und
Sinnlosen besorgen, und welche im weiteren Wortsinn gowifs
als logische Gesetze gelten müssen, den Umkreis der logischen
Gesetze abschliersen. Im Gegentheil wird man, wo von logischen
Gesetzen die Rede ist, an sie am allerwenigsten denken, sondern
an die ganz anderen, unseren Erkenntnisintoresseo ungleich näher-
stehenden Gesetze, die auf sinnvolle Bedeutungen beschränkt, deren
gegenständliche Möglichkeit und Wahrheit betreffen. Ueberlegen
wir das Verhältnis der beiden Arten von Gesetzen etwas näher.
Die apriorischen Gesetze, welche zur Constitution der wesent-
lichen Bedeutungsformen gehören, lassen es ganz offen, ob die in
solchen Formen zu bildenden Bedeutungen „gegenständlich" sind
oder „gegenstandslos", ob sie (wenn es sich um Satzformen handelt)
mögliche Wahrheit orgeben oder nicht. Diese Gesetze haben ja
nach dem Gesagten die blofse Function, Sinn von Unsinn zu
scheiden. Das Wort Unsinn ist hiebei (um es wiederholt zu
betonen) eigentlich und streng zu nehmen; ein Worthaufen, wie
König aber oder ähnlich ttwl, ist oinlieitlicli ültorhaupt nicht zu
verstehen; jedes Wort für sich hat einen Sinn, nicht aber die
Composition. Diese Gesetze des Sinnes, normativ zu reden,
des zu vermeidenden Unsinns, weisen der Logik die
möglichen Bedeutungsformen zu, deren objectiven Werth
' In den Untersuchungen zur Formenlehre der Bedentangen, welche die
Fortsetzung il. W. bringen soll, werde ich auf alle diese Fragen näher eingehen.
318 IV. Der ünlersekkd d. selbständigen u. unseJbstätui. Bedeutungeth
sie allererst zu bestimmen hat und sie tbut dies in der
Weise, dafs sie die ganz andersartigen Gesetze aufstellt,
welche den formalen (formal „möglichen") Sinn vom formalen
Widersinn scheiden. Dieser Widersinn heifst zvvai- öfters auch
Unsinn, wie wir denn seliliefslicL selbst eine allzustarke Ver-
letzung empirischer Wahrheit als Unsinn bezeichnen hören; aber
dieser Unsinn meint jetzt objective und näher formale, rein
in den logischen Kategorion gründende Unverträglich-
keit, als welche gegen alle „Materie der Erkenntnis" gleichgütig
ist Gesetze wie der Satz vom Widerspruch, von der doppelten
Negation, wie der modus ponens, sind, normativ gewendet, Ge-
setze des zu vermeidenden formalen Widersinns. Sie
zeigen uns, was für Gegenständliches überhaupt vermöge der
reinen Denkform gilt, bezw. was sich für die Objectivität der Be-
deutungen a jjriori aller Materie der bedeuteten Gegenständlich-
keit auf Grund der reinen Bedeutungsform, in der sie gedacht
sind, aussagen läfst Diese Gesetze düi-fen nicht verletzt werden,
wenn nicht Falschheit resultiren soll, ehe wir das Gegenständliche
seiner Besonderheit nach überhaupt angesehen haben.
Die apriorischen Bedeutungsgesetze, deren Wesen jede „Form"
im Sinne der Logik verdeutlicht, sind es, welche den vom Ratio-
nalismus des 17. und 18. Jahrhunderts concipirten Gedanken einer
universellen Grammatik einen sicheren Halt geben. Was wir
in dieser Hinsicht schon in der Einleitung andeutend gesagt haben,
bedarf kaum einer niiheren Ausführung. Instinctiv hatten die
älteren Grammatiker vor Allem wol die bezeichnete Gesetzessphäre
im Auge, wenn sie sie auch nicht zu begrifflicher Klarheit zu
bringen vermochten. Es giebt auch in der grammatischen Sphäre
ein festes Mafs, eine apriorische Norm, die nicht überschritten
werden darf. Wie sich in der eigentlich logischen Sphäre das
Apriorische als „reine IjOgik" vom empirisch und practisch Logischen
sondert, ebenso sondert sich in der grammatischen Sphäre das so-
zusagen „rein" Grammatische, d. h. eben das Apriorische (die „ide-
alische Form" der Sprache, wie man vortrefflich sagte) vom
Empirischen. Beiderseits ist das Erapii'ische theils diu'ch die all-
gemeinen und doch nur factischen Züge der Menschennatur be-
stimmt, thoils auch durch die zululligen Besonderungen der Rasse,
näher des Volks und seiuer Geschichte, des Individuums und seiner
individuellen Lebenserfahrung. Das Apriorische aber ist mindestens
in seinen primitiven Gestaltungen hier und dort, wie überall sonst,
„selbstverständlich'', ja geradezu trivial; und doch ist seine Nach-
weisung und theoretische Verfolgung wissenschaftlich und philo-
sophisch von allergröüsteiu Interesse.
Natürlich kann man den Gedanken der universellen Grammatik
über die apriorische Sphäi-e hinaus erweitern, indem mau die etwas
vage Sphäre des allgemein Menschliclien im empirischen Sinne
heranzieht. Aber das mufs man sich klar machen, dafs aller Tadel
der alten Lehre von einer grammaire ginörale et raUonnee nur
die Unklarheit ihrer historischen Gestaltungen und die Vermeu-
gung von Apriorischem und Empirischem trifft. Sehe ich recht,
so ist es für die Sprachforschung von fundamentaler Bedeutung,
sich die hier vorläufig nur angedeuteten Unterschiede zu klarem
BewuHstsein zu bringen und die Einsicht zu erwecken, dafs die
Sprache nicht blofs ein physiologisches, psychologisches und kultur-
historisches, sondern auch ein apriorisches Fundament hat Es
betrifft die wesentlichen Bedeutungsformen und die apriorischen
Gesetze ihrer Complexion, bozw. Modification, und keine Sprache
ist denkbar, die gerade durch diese Gesetze nicht wesentlich mit-
bestimmt wäre. Mit den aus diesem Gebiet stammenden Begriifen
operirt jeder Sprachforscher, ob er sich über die Sachlage klar
ist oder nicht
Wir können abschliefsend sagen: Innerhalb der reinen Logik
grenzt sich als eine, an sich betrachtet erste imd grundlegende
Sphäre, die reine Formenlehre der Bedeutungen ab; das ist die
Lehre von den reinen Bedeutungskategorien und den o priori in
ihnen gründenden Gesetzen der Complexion, bezvv. Modification.
Sie legt das ideale Gerüst blofs, das jede factischo Sprache, theils
allgemein menschlichou, theils zulultig wechselnden empirischen
Motiven folgend, in verschiedener Weise mit empirischem Material
ausfüllt und umkleidet. Wie viel vom thatsiichlichen Inhalt der
historischen Sprachen, sowie von ihren grammatischen Formen in
dieser Weise empirisch bestimmt sein mag, an dieses ideale Ge-
rüst ist jede gebunden; und so mufs die theoretische Erforschung
desselben eines der Fundamente für die letzte wissenschaftliche
Klärung aller Sprache überhaupt ausmachen. Mit Rücksicht darauf,
doTs in diesem unteren logischen Gebiete die Fragen nach der
Wahrheit, Oegcoständliclikeit, objectiven Möglichieit noch aufser
dem Spiele bleiben, und mit Rücksicht auf die eben charakterisirte
Function dieses Gebietes zur Verständlichung des idealen Wesens
aller Sprache als solcher, könnte man dieses fiindirende Gebiet
der reinen Logik als „reine Grammatik" bezeichnen.
Anmerkungen.
1. Nach den vorstehenden Ausfüliningen wird uns Niemand den
Gedanken zuschreiben, wir hielten eiuo „allgemeine" Grammatik im
Siim einei- aUgemeiuen Wissenschaft für möglich, die alle besonderen
Grammatiken als zufällige Speciali täten in sich fasse: etwa so, wie
die allgemeine mathematische Theorie alle möglichen Einzelfälle a priori
in sich schliefst und mit Einem Schlage erledigt. Natürlich ist liier
von allgemeiner Grammatik in. demselben Sinne die Rede, wie sonst
von allgemeiner Sprachwissenschaft. Sowie diese überhaupt die allge-
meinen Lehren behandelt, die den Wissenschaften von den bestimmten
Sprachen vorhergehen können, zumal also die Voraussetzungen oder
Fundamente, die für sie alle gleichmäfsig in Betracht kommen: so in
ihrem engeren Kreise die allgemeine Grammatik, die eben nur eines
dieser Fimdamente erforscht und zwar jenes, dessen theoretisches
Heimathsgebiet die reine Logik ist Seine Einoi-dnung in dit> Sprach-
wissenschaft dient natürlich dem blofsen Interesse der Anwendung,
ebenso wie in anderer Eichtung diejenige mancher Kapitel der Payclio-
logie. Wir selbst bevorzugen übrigens den Namen reine Grammatik,
der als Analogen zu Kast's „reiner Naturwissensclmft" auf das apri-
orische Fundament aller Grammatik hinweist.
2. Nichts hat die Discussion der Frage nach dem richtigen Voi"-
hältnis zwischen Logik und Grammatik so sehr verwirrt, als die l>e-
ständige Vermengmig der beiden logischen Sphären, die wir als die
untere und obere scharf untersehiedeu iind durch ihre negativen Gegen-
stücke — die Sphären dos ünsians und des Widersinns — chai-ak-
terisirt haben. Das Logische im Sinne der oberen , auf die formale
"Wahrheit, bezw. Gegenständlichkeit lendirten Sphäi-e ist für die Gram-
matik sicherlich gleichgiltig. Nicht so das Logisehe Oberliaupt. Will
man aber dio untere Sjihäre wegen ihrer vermeintlichen Enge, ihrer
Selbstverständlichkeit imd practischen Nutzlosigkeit discreditii-eu, so
wäre zunächst darauf zu antworten, dafs es dem Pliilosophen , dem
berufenen Vertreter dos Interesses der reinen Theorie, schlecht an-
[ Blande, sich durch die Frage des practischen Nutzens bestimmen zu
lassen. Er weifs ja auch, dafs sich gerade hinler dem „Selbstver-
ständlichen" die schwierigsten Probleme verbergen. FQr's Zweite wäre
aber zu bedenken, dafs eine auch nur im Rohen zureichende Fonnen-
lehre bisher noch felilt; genauer zu reden, daJJs eine wissenschaftlich
strenge und pliänoniciiologisch geklärte Unterselioidung der primitiven
Bedeutungselemente uud eine wissenscliaftliche üebersicht über dio
Mannigfaltigkeit abgeleiteter Formen, in ihrer Verknüpfung und Um-
bildung, bisher Niemandem gehmgen ist, also jedenfalls keine allzu
leicht« Aufgabe darstellt.
3. Ueber verwandte «nd gegensätzhclie Auffassungen vergleiche
man H. Steinthal's Einleitung in die Psychologie und Sprachwissen-
schaft (Einl. IV „Sprechen und Denken, Grammatik imd Logik" S. 44 ff.).
Zumal sei hingewiesen auf die schöne Präcisirung der Auffassung
W. V. Humboldt '3 (a. a. 0. S. 63 ff.), aus welcher hervorgeht, dafs wr
uns mit dem hier Vorgetragenen dem grofsen und auch von Steutthal
hochverehrten Forscher einigermafsen annähern. Was Steikthal, der
selbst auf der Gegenseite steht, einwendet, seheint durch unsere
Unterscheidungen eine so klare Erledigung zu finden, dafs von ein-
gehender Kiitik hier abgesehen wenlen kann.
Haiaerl, Lok. ünton. 11.
V.
lieber intentiouale Erlebnisse und ihre „Inhalte".
Einleitung.
Wir haben in der ü. Untersuchung den Sinn der Idealität
der Species überhaupt klargelegt und damit zugleich denjenigen
Sinn der Idealität von Bedeutungen, der für die reine Logik in
Betracht kommt Wie allen idealen Einheiten, so entsprechen
den Bedeutungen reale Möglichkeiten und eventuell Wirklichkeiten,
den Bedeutungen in specie entsprechen die Acte des Bedeutens,
und jene sind nichts Anderes als die ideal gefalsten Actcharaktere
dieser. Es erheben sich nun aber neue Fragen mit Beziehung
auf die Gattung von psychischen Erlebnissen, in welchen die
'oberste Gattung Bedeutung ihren Ursprung nimmt, und desgleichen
mit Beziehung auf die niederen Arten dieser Erlebnisse, in
welchen sich die wesentlich verschiedenen Bedeutungsarten ent-
falten. Es handelt sich also um die Beantwortung der Frage nach
dem Ursprung des Begriffes Bedeutung und seiner wesentlichen
Abartungen, oder um eine tiefer und weiter dringende Beant-
wortung dieser Frage, als sie unsere bisherigen Untersuchungen
dargeboten haben. Im innigsten Zusammenhang damit stehen
weitere Fragen: die Bedeutungen sollen in Actintentionen liegen,
die zur Anschauimg in gewisse Beziehung treten können. Wir
sprachen mehrfach von der Erfüllung der Bedeutungsintention
durch correspondirende Anschauung, und dafe die höchste Form
dieser Erfüllung in der Evidenz gegeben sei. Es erwächst also
die Aufgabe, dieses merkwürdige phänomenale Verhältnis zu be-
schreiben und seino logische Rolle zu bestimmen, d. h. die in
ihm gründenden Erkenntnisbegriffe zu klären. Für die analyti-
sche Untersuchung sind diese und die vorigen, auf das Wesen
der Bedeutung (speciell der logischen Vorstellung und des logischen
Urtheils) bezüglichen Aufgaben garniebt zu trennen.
Mit diesen Autgaben wird sich die vorliegende Untersuchung
noch nicht beschäftigen; denn ehe wir sie selbst in Angriff nehmen
können, bedarf es einer sehr viel allgemeineren phänomenologischen
Untersuchung. „Acte" sollen die Erlebnisse des Bedeutens sein,
und das Bedeutungsmilfsige im jeweiligen Einzolacto soll gerade
im Actcharakter und nicht im Gegenstande liegeu, es soll in
dem liegen, was ihn zu einem „inten tionalen", auf Gegen-
stände „gerichteten" Erlebnis macht. Ebenso liegt das Wesen der
erfüllenden Anschauung in gewissen Acten: üenken und An-
schauen sollen als Acte verschieden sein. Und natürlich soll das
sich Erfüllen selbst eine speciell zu den Actcharaktercn gehörige
Beziehung sein. Nun ist in der descriptiven Psychologie keine
Rode bestrittener als die von „Acten"; und Zweifel, wo nicht
gar schnelle Ablehnung, mögen sich an all die Stellen der bis-
herigen Untersuchungen geknüpft haben, wo der ActbegrifT zur
Charakteristik und zum Ausdruck unserer Auffassung diente. Es
ist also eine wichtige Vorbedingung für die Lösung der bezeich-
neten Aufgaben, dirfs dieser Begriff vor allen anderen geklärt werde.
Es wird sich herausstellen, dafs der Begriff des Actos im Sinne
des intentionalen Erlebnisses eine wichtige Gattungseinheit in
der Sphäre der psychischen Erlebnisse begrenzt, und dafs somit
die Einordnung der Bedeutungserlebnisso in diese Gattung in der
Tliat eine werthvolle Charakteristik derselben liefert.
Selbstverständlich gehört zur Erforschung des phänomeno-
logischen Wesens der Acte als solcher auch die Klärung des Unter-
schiedes zwischen Actcharakter und Actiuhalt und in letzterer
Hinsicht die Nachweisung der fundamental verschiedenen Bedeu-
tungen, in welchen von dem „Inhalt" eines Actes die Rede ist.
Das Wesen der Acte als solcher kann nicht ausreichoud er-
örtert werden, ohne dafs man in ziemlich erheblichem Mafse in
21*
die Phänomenologie der „Vorstellungen" eingeht. An den innigen
Zusammenhang erinnert uns der bekannte Satz, dafs jeder Act
entweder eine Vorstellung ist oder Voi-stellungen zur Grundlage
hat. Indessen fragt es Bich dabei, welcher von den sehr ver-
schiedenen Begriffen von Vorstellung heranzuziehen ist, und so
wird die Scheidung der sich ineinander mengenden Phänomene,
welche den Aequivocationen hier zu Grunde liegen, zu einem
wesentlichen Stück der Aufgabe.
Die Behandlung der soeben im Rohen angezeigten Probleme
(an welche sich einige andere innig anscliliefsen werden) knüpfen
wii- nicht unpassend an die Unterscheidung mehrerer ineinander
fliefsender Begriffe von BewuTstsein. Psychische Acte bezeichnet
man ja oft als „Bethätigungen des Bewufstseins", als „Beziehungen
des Bewulfitaeins auf einen Inhalt (Gegenstand)", und mitunter
definirt man „BewuTstsein" geradezu als einen zusammenfassenden
Ausdruck für psychische Acte jeder Art
Erstes Kapitel.
BewuTstsein als phänomenologischer Bestand des Ich,
tmd Bewiifstsein als innere Wahrnehmung.
§ 1. Vieldeutigkeit des Tennimis Beten fstsc in.
In der Psychologie ist von BewuTstsein und ebenso von
Bowufstseinsinhalten und Bewufstscinserlebnissen (gewöhnlich
spricht man schlechthin von Inluilten und Erlebnissen) hauptsäch-
lich viel die Rede im Zusammenhange mit der Sonderung der
psychischen und physischen Phänomene, womit auf der einen
Seite die zum Bereich der Psychologie, auf der anderen die zum
Bereich der physischen Wissenschaften gehörigen Piiänomene be-
zeichnet sein sollen. Mit der Frage dieser Sondorung hängt das
uns gestellte Problem, den Begriff dos psychischen Actes passend
oloffischer Bestand des Ich u.s.w. 325
zu umgrenzen, sehr nalie zusammen, insofern dieser Begriff gerade
in diesem Zusammenhange, nämlich als vermeintliche Umgrenzung
der psychologiscben Doniiino, erwachsen ist. Auf den richtigen
Vollzug dieser Umgrenzung hat nun ein Begriff von Bewufstsein
berechtigte Anwendung, die Bestimmung des Begriffs psychischer
Act liefert ein anderer. Jedenfalls gilt es, mehrere sachlich
verwandte, und sich darum leicht vermengende Begriffe zu unter-
scheiden.
Wir werden im Folgenden drei Begriffe von Bewufstsein, als
für unsere Interessen in Betracht kommend, erörtern:
1. Bewufstsein als der gesammte phänomenologische Bestand
des geistigen Ich. (Bewufstsein -= das phänomenologische Ich,
als „Bündel" oder Verwebung der psychischen Erlebnisse.)
2. Bewufstsein als inneres Oewahrwerden von eigenen psychi-
schen Erlebnissen.
3. Bewufstsein als zusammenfassende Bezeichnung für jederlei
„psychische Acte" oder „intentionale Erlebnisse".
Dafs damit nicht alle Aequivocntionen dos fraglichen Terminus
erschöpft sind, braucht kaum gesagt zu werden. Beispielsweise
erinnere ich an die zumal im aufserwissenschaftlichen Sprach-
gebrauch umlaufenden Redensarten von dem „in's Bewufstsein
treten" oder „zum Bewufstsein kommen", vom „hochgespannten"
oder „herabgedrückten Sclbstbewufstsein", vom „Erwachen des
Selbstbewufstseins" (die letztere Rede auch in der Psychologie, aber
in ganz anderem Sinne als im gemeinen Leben gebräuchlich) und
dergleichen mehr.
Bei der Vieldeutigkeit aller Termini, die für die unterschei-
dende Bezeichnung irgend in Frage kommen können, ist die ein-
deutige Bestimmung der voneinander abzuhebenden Begriffe nur
auf indirecteui Wege möglich, nämlich nur durch Zusammen-
stellung gleichbedeutender und Eutgegenstullung zu sondernder
Ausdrücke, sowie durch passende Umschreibungen und Erläute-
rungen. Von diesen Hilfsmitteln werden wir also Gebrauch zu
machen haben.
§ 2. Erstens: Deunifstsein als phänovicnologische Einheit
der Icherlebnisse. Der Begriff rfes Erlebnisses.
Wir beginnen mit folgender Zusammenstellung: Wenn der
moderne Psychologe seine Wissenschaft als Wissenschaft von den
psychischen Individuen als concreten Bewufstseinen (oder Bewufst-
scinseinheiteu), oder als Wissenschaft von den Bewufstsoinserlcb-
nissen, oder als solche von den Bewufstseinsinhalten definirt,
bezw. definiren kann: so bestimmt die Nebeneinandereetzung der
Termini in diesem Zusammenhang einen gewissen Begriff' von
Bewufstsein und zugleich gewisse Begriffe vou Erlebnis und Inhalt.
Unter diesen letzteren Titeln Erlebnis und Inhalt meint der
moderne Psychologe die realen Vorkommnisse (Wüxdt sagt mit
Recht: Ereignisse), welche von Moment zu Moment wechselnd, in
mannigfacher Verknüpfung und Durchdringung die reale Bewufst-
seinseinheit des jeweiligen psychischen Individuums constituiren.
In diesem Sinne sind die Wahrnehmungen, Phantasie- und Bild-
vorstellungen, die Acte des begrifflichen Denkens, dicVermuthungeu
und Zweifel, die Freuden und Schmerzen, die Hoffnungen und
Befürchtungen, die Wünsche und Wolliingen u. dgl., sowie sie in
unserem Bewufstsein von Statten gehen, Erlebnisse oder Be-
wufstseinsinhalto. Und mit diesen Erlebnissen in ihrer Ganz-
heit und concreten Fülle sind auch die sie cümponiremlen Thcile
und abstracfcn Momente erlebt, sie sind reelle Bewufstscinsinhalte.
Natürlich kommt es darauf nicht an, ob die betreffenden Theile
für sieh irgendvrie gegliedert, ob sie durch eigens auf sie bezogene
Acto abgegrenzt sind, und speciell ob sie für sich Gegenstände
„innerer", sie in ihrem evidenten Bewufstseinsdasein erfassender
Wahrnehmungen sind und es überhaupt sein können, oder nicht
Beispielsweise ist also im Falle der äufseren Wahrnehmung
das Farbenmomont, das ein reales Bestandstück meines concreten
Sehens (in dem psychologischen Sinn der visuellen Wahrnehmungs-
erschüinung) ausmacht, ebenso gut ein „erlebter" oder „bewufster
Inhalt", wie der Charakter des Wahrnehmens und wie die volle
Wahnich mungsei-scheinung des farbigen Gegenstands. Dagegen
ist dieser Gegenstand selbst, obgleich er wahrgenommen ist, nicht
erlebt oder bewiiTst; und desgleichen auch nicht die an ihm wahr-
genommene Färbung. Wenn der Gegenstand nicht existirt, wenn
also die Wahrnehmung erkenntniskritisch als Trug, psychologisch
als Hallucination, Illusion u. dgl. zu bewerthen ist, so existirt
auch die wahrgenommene, gesehene Farbe, die des Gegenstandes,
nicht. Diese Unterschiede zwischen normaler und anomaler, rich-
tiger und trügerischer Wahrnehmung gehen den inneren, rein
descriptiven oder phänomenologischen Charakter der Wahrneh-
mung nicht an. Während die gesehene Farbe — d. i. die in der
visuellen Wahrnehmung dem erscheinenden Gegenstande als seine
Beschaffenheit zugedeutete Farbe — wenn überhaupt, so gewils
nicht als Erlebnis des Sehenden existirt, so entspricht ihr in
diesem Erlebnis, d. i. in der Wahriiehmuiigserscheinung, ein reelles
Bestandstück. Es entspricht ihr die Farbenompfindung, das
qualitativ bestimmte subjective Farbenmoaient, welches in der
Wahruelimung, bezw. in einer ihm eigens zugeliörigen Coraponente
der Wahrnehmimg („Erscheinung der gegenständlichen Färbung")
objectiviren<le „Auffassung'' erföhrt. Nicht selten mengt man
Beides, Farbenempfindung und objective Farbigkeit des Gegen-
standes zusammen. Gerade in unseren Tagen ist eine Darstellung
sehr beliebt, dio so spricht, als wäre das Eine und Andere das-
selbe, nur unter verschiedenen „Gesichtspunkten und Interessen"
betrachtet; psychologisch oder subjectiv betrachtet, heifse es Em-
pfindung, physisch oder objectiv betrachtet, Beschaffenheit des
äufseren Dingos. Es genügt hier aber der Hinweis auf den leicht
fafslichcn Unterschied zwischen dem objectiv als gleichmäfsig ge-
sehenen Roth dieser Kugel und der gerade dann in der Wahr-
nehmung selbst unzweifelhaften Abschattung der subjectiven Farben-
ompfindungen — ein Unterschied, der sich in Beziehung auf alle
Arten von gegenständlichen BesdiafFenhoiten und die ihnen corre-
spondirenden Empfindungscomplexionen wiederholt, und der nur
in OrenzföUen auszugleichen ist
Was wir von den einzelnen Bestimmtheiten gesagt haben,
überträgt sich auf die concreten Ganzen. Dio Behauptung: der
Unterschied zwischen dem in der Wahrnehmung bewufeten Inhalt
und dem in ilir wahrgenommenen äufseren Gegenstand sei ein
blofser ünterscliicd der Betrachtungsweise, welche dieselbe Er-
scheinung einmal im subjectivcn Zusammenhang (im Zusammen-
hang der auf das Ich bezogenen Erscheinungen) und das andere
Mal im objectiven Zusammenhang (im Zusammenhang der Sachen
selbst) betrachte, ist phänomenologisch falsch. Die Aequivoc^tion,
welche es gestattet, als Erscheinung nicht nur das Erlebnis,
in dem das Erscheinen des Objectes besteht (z. B. das
conorete Wahrnehmungserlebnis, in dem uns das Ohject vermeint-
lich selbst gegenwärtig ist), sondern auch das erscheinende
Object zu bezeichnen, kann nicht scharf genug betont werden.
Der Ti-ug dieser Aeqaivocation verschwindet sofort, sowie man
sich phänomenologische Rechenschaft darüber giebt, was denn
vom erscheinenden Object im Erlebnis der Erscheinung reell vor-
findlich sei. Die Dingerscheinung (das Erlebnis) ist nicht das
erscheinende Ding (das uns vermeintlich ..Gegenüberstehende"); ,
in dem Bewufstseinszusammenhang erleben wir die Erecheinungen,
als in der phänomenalen Welt seiend erscheinen uns die Dinge.
Die Erscheinungen selbst erscheinen nicht, sie werden erlebt.
Erscheinen wir uns selbst als Glieder der phänomeniüen Welt,
so erscheinen die physischen und psychischen Dinge (Körper und
Personen) in physischer und psychischer Beziehung zu unserem
phänomenalen Ich. Diese Beziehung des phänomenalen
Objects (das man ebenfalls Bewufstseinsinhalt zu nennen liebt)
auf das phänomenale Subject (Ich als empirische Person,
als Ding) ist selbstverständlich zu trennen von der Beziehung
des Bewufstseinsinhalts in unserem Sinn zum Bewufst-
sein im Sinne der Einheit der BewuTstseinsinhalte (dem
phänomenologischen Ich). Dort handelt es sich um das Ver-
hältnis zweier Dinge, hier um das Verhältnis eines einzelnen Er-
lebnisses zur Erlebniscomplexion. Ebenso ist natürlich umgekehrt
die Beziehung der Person Ich zum äufserlich erscheinenden Dinge
zu trennen von der Beziehung zwischen der Dingerschei-
nung als Erlebnis und dem erscheinenden Ding. Sprechen
wir von dieser letzteren Beziehung, so bringen wir uns nur zur Klar-
heit, dafs das subjective Erlebnis nicht selbst das ist, was „in"
iliin vermeintlich gegenwärtig ist; wie wenn wir z. B. feststellen,
dafs die Prädicate der Erscheinung nicht zugleich Prädicato
des in ihr Erscheinenden sind. Und eine abermals neue Be-
ziehung ist die übjectivirende Beziehung, die wir der in der
Ersclieiniing erlebten Empfindungscomploxion zu dem er-
scheinenden Gegenstand zusciireiben ; nämlich wenn wir sagen:
im Acte des Erscheinens werde die P^miifindiingsconiplexion er-
lebt, aber in gewisser Weise „aufgefelst", „appercipirt", und in
dieser deutenden Auffassung der Empfindungen bestelle das, was
wir Erscheinen des Gegenstandes nennen.
Aehnlicho Untoi-scheidungen, wie wir sie eben in Betreff der
Wahrnehmung uothwendig fanden, um das, was in ihr Erlebnis
ist, niimiich was sie reell constituirt, von dem zu unterscheiden,
was in einem unoigentlichen (dem „intentionalen") Sinn in ilir
ist, sind auch bei den anderen „Acten" zu machen. Wir worden
diese Unterscheidungen bald allgemeiner behandeln müssen. Hier
kommt es nur darauf an, von vornherein gewisse beirrende Ge-
dankenrichtungon zu verbauen, welche den schlichten Sinn der
zu klärenden Begriffe verwirren könnten.
§ 3. Der phänonienoloffiscfie und jmpuläre ErUbnisbegriff.
In gleicher Absiebt weisen wir noch darauf hin, dafs unser
Begriff von Erlebnis nicht übereinstimmt mit dem popu-
lären, wobei wieder die oben angedeutete Unterscheidung zwischen
reollem und intentionalem Inhalt ihre Eolle spielt.
Sagt Jemand, ich habe die Kriege von 1866 und 1870 er-
lebt, so ist das, was in diesem Sinne „erlebt'' heifst, eine Com-
plexion äufserer Vorgänge, und das Erleben besteht hier aus
Wahrnehmungen, Beurtheüungen und sonstigen Acten, in welchen
die Vorgänge zu gegenständlicher Erscheinung und öftere zu Ob-
jecten einer gewissen, auf das empirisdie Ich bezogenen Setzung
werden. Das erlebende Ich oder Bewufstsein, in dem für uns
mafsgcbenden phänomenologischen Sinne, hat diese Vorgänge, wie
die an ihnen botheiligten Dingo natürlich nicht in sich als seino
„ps^-chischen Erlebnisse", als soine reollen Bestandstücke
oder Inhalte. Was es in sich findet, was in ihm reell vorhanden
ist, das sind die betreffenden Acte des Wahrnehmens, Urtheilens
u. 8. w. mit ihrem wechselnden Erapfindung^smnterial. Und so
bedeutet hier auch das Erleben etwas ganz Anderes als dort. Dio
äufseren Vorgänge erleben, das hiefs: gewisse auf diese Vor-
gänge gerichtete Acte des Wahi-nehraens, des (wie immer zu be-
stimmenden) Wissens ii. dgl. haben. Dieses Haben ist sogleich
ein Beispiel für das ganz andersartige Erloben in dem innerlichen
Sinne. Es besagt nicht mehr, als dafs gewisse Inhalte Bestand-
stücko in einer Bewufstseinseinheit, in einem „erlebenden" psy-
chischen Subject sind. Dieses selbst ist ein reales Ganzes, das
sich aus mannigfachen Theilen reell zusammensetzt, und jeder
solche Theil heifst „erlebt". In diesem Sinne ist das, was das
Ich oder das Bewufstsein erlobt, eben sein Erlebnis. Zwischen
dem orlobten oder bewulsteu Inhalt und dem Erlebnis selbst ist
kein llntersciiied. Das Empfundene z. B. ist nichts Anderes als
die Empfindung. „Bezieht sich" aber ein Erlebnis auf einen
von ihm selbst zu unterscheidenden Gegenstand, wie z. B. die
äiifsere Wahrnehmung auf den wahrgenommenen, die nominale Vor-
steünng auf den genannten Gegenstand u. dgl., so ist dieser Gegen-
stand in dem hier festzulegenden Sinne nicht erlebt oder bowufst,
sondern eben wahrgenommen, genannt u. s. f.
Diese Sachlage berechtigt ja zu der Rede von Inhalten,
die hier eine durchaus eigentliche ist. Der normale Sinn des
Wortes Inhalt ist ein rehitiver, er weist ganz allgemein auf eine
umfassende Einheit hin, die in dem Inbegriff der zugehörigen
Theile ihren Inhalt besitzt Was immer an einem Ganzen sich
als Theil auffassen liifst und es in Wahrheit mitconstituirt, gehört
zum Inhalte dos Ganzen. In der üblichen psychologischen Rede
von Inhalten ist der verschwiegene Beziehuugspunkt, d. h. das
outsprcchendo Ganze, die reelle Bewufstsoiusoinheit. Ihr Inhalt
ist fler Gesammtinbogriff der präsenten „Erlebnisse" und unter
Inhulton im Plural versteht man dann diese Erlebnisse selbst;
Beimifslsein als
des Ich U.8.W. 331
d. i. Alles, was als reeller Theil das jeweilige Ich oder Bewrifst-
sein consütuii-L
§ 4. Die Bexiehung xunsdun erlehendem Bemufstsein und erlebtem
Inhalt keine phäncmienologisch cirjenthümliche Bcxiehungsari.
Nach der vorstehenden Darstellung ist es klar, dafs die Be-
ziehung, in weicher wir die Erlfbnisse zu einem erlebenden Be-
wufstst'in oder psychischen Individuum oder Ich denken, auf
keinen eigenthünilichen phänomenologischen Befund
zurückweist. Das Ich im Sinne der gewöhnlidicu Rede ist ein
empirischer Gegenstand, Jas eigene Ich ist es ebenso gut wie das
fremde, und jedwedes Ich ebenso wie ein beliebiges physisches
Ding, wie ein Haus oder Batmi u. s. w. Die wissenschaftliche
Bearbeitung mag dann den Ichbegriff noch so sehr modificiren,
hält sie sich nur von Fictionen fern, so bleibt das Ich ein indi-
vidueller Gegenstand, der wie alle solche Gegenstände phänome-
nologisch keine andere Einheit hat, als welche ihm durch die
geeinigten Beschaffenheiten gegeben wird, und welche in deren
eigenem inhaltlichen Bestände eo ipso gründet. Scheiden wir den
Ichleib vom empirischen Ich ab, und beschränken wir dann das
rein psychische Ich auf seinen phänomenologischen Gehalt, so
reducirt es sich auf die Bewufstseinseinheit, also auf die reale Er-
lebniscomplexion, die wir {d. li. jeder für sein Ich) zu einem Theile
mit Evidenz als in uns vorhanden finden und zum ergänzenden
Theile mit guten Gründen annehmen. Es ist setbstvei-ständlich,
dafs das Ich nichts Eigenartiges ist, das über den mannigfaltigen
Erlebnissen schwebte, sondern dafs es einfach mit ihrer eigenen
Verknüpfungseinheit identisch ist. In der Natur der Inhalte
und in den Gesetzen, denen sie unterstehen, gründen gewisse
Verknüpfungsformen. Sie laufen in vielttiltiger Weise von Inhalt
zu Inhalt, von Inbaltsconiplexion zu Inhaltsconiplexion, und
schliefsüch constituirt sich eine einheitliche Inhaltsgesamratheit,
die nichts Anderes ist, als das Ich selbst. Die Inhalte haben
eben, sowie reale Inhalte überhaupt, ihre gesetzlich bestimmten
Weisen miteinander zusammenzugehen, zu umfassenderen Ein-
332 V. mPIpfentMmafa Erlebnüae und ihre „Inhalte".
heiton zu verschmelzen, und indem sie so Eins worden und Eins
sind, bat sicli schon das Ich oder die ßewufstseinseinlieit constitiiirt,
ohne dafs es darüber hinaus eines eigenen, alle Inhalte tragenden,
sie alle nocli einmal einigenden Ichprincips bedürfte. Und liier
wie sonst wäre die Leistung eines solchen Princips unverständlieli.
Wollen wir genauer sein, so hätten wir zwischen dem
phäaomeuülogischon Ich des Augoublicks, dem phänomenologischen
Icli in der ausgedehnten Zeit und dem Ich als verharrendem
Gegenstand, a!s dem Bleibenden im Wechsel, zu unterscheiden.
Sowie das äufsere Ding uiclit die vereinzelte Merkmalcomplexion
des Augenblicks ist, sondern sich als das im Wechsel Ver-
harrende eret in der durch die Mannigfaltigkeit der wirklichen
und möglichen Veränderungen hindurchgehenden Einheit con-
stituirt, so constituirt sich das Ich als subsistirendor Gegenstand
erst in der alle wirklichen und möglichen Veränderungen der Er-
lobnisconiploxiüu übergreifenden Einheit. Und diese Einlieit ist nicht
mehr phänomenologische Einheit, sie liegt in causaler Gesetzlich-
keit. Freilich müssen wir die Frage hier offen lassen, ob wirklich
zur blofsen einheitlichen Continuität der Bowufstseinsinhalte, ver-
möge deren sie in der Weise einheitlicher Veriindorung ineinander
übergehen und zunächst natürlich in jedem Augenblick für sich
contiouirlieh-einheitlich sind, ein causal -gesetzliches Band gehöre,
welches hier eine dingliche Einheit im metaphysischen Sinne
(nicht in einem mystischen) herstelle. Wir müssen es überhaupt
offen lassen, ob und wie psychische und physische Dinge neben-
einander als gleichberechtigte dingliche Einheiten zu unterscheiden
sind. Hier kommt es nur auf das Phänomenologische an, und
da ist es sicher, dafs das phänomenologi.sch rediicirto Ich, also
das Ich nach seinem von Moment zu Moment sich fortentwickelnden
Bestand an Erlebnissen, seine Einheit in sich selbst trägt, mag es
in der causalen Betrachtung als ein Ding gelten oder nicht
§ 5. Zweiletis Das „innere"- Beunifsisein als innere Wahrnehmung.
Nach den Betrachtungen der drei letzten Paragraphen ist
Ein Sinn der Termini Bewufstsein, Erlebnis, Inhalt bestimmt.
An diesem Sinn wollen wir weiterhin festhalten, es sei denn, dafs
andere Begriffe ausdrücklich angezeigt werden.
Ein zweiter Begriff von Bewufstsein prägt sich in der Rede
vom inneren Bewufstsein aus. Es ist dies die „innere Wahr-
nehmung", welche die präsenten Erlebnisse, sei es im Allgemeinen,
sei es in gewissen Klassen von Fällen, begleiten und auf sie als
ihre Gegenstände bezogen sein soll. Die Evidenz, welche man
der inneren Wahrnehmung gewöhnlieh beimifst, weist darauf hin,
dals man sie dann als adäquate Wahrnehmung versteht, welche
ihren Gegenständen niclits zudeutet, was nicht im Wabruebmuugs-
erlebnis selbst anschaulich vorgestellt und reell gegeben ist; und
umgekehrt, welche sie genau so anschaulich vorstellt und setzt,
wie sie factisch in und mit der Wahrnehmung erlebt sind. Jede
Wahrnehmung ist durch die Intention chanikterisirt, ihren Gegen-
stand als selbst gegenwärtigen, genau so wie er ist, daseienden
und gemeinten zu erfassen. Dieser Intention ent.spricht die
Wahrnehmung; sie ist adäquat, wenn der Gegenstand wirklich
als das, was er ist, „da" ist, leibhaftig gegenwärtig, also im
Wahrnehmen selbst gegenwärtig und mit ilim Eins. Somit ist es
selbstverständlich, ja aus dorn blofsen Begrifl" der Wahrnehmung
evident, dafs adäquate Wahrnehmung nur innere Wahrnehmung
sein, dafs sie nur auf gleichzeitig mit ihr gegebene, mit ihr zu
Einem Bewurstsein gehörige Erlebnisse gehen kann; während
keineswegs umgekehrt jede auf eigene Erlebnisse gerichtete Wahr-
nohuuing (die dem natürlichen Wortsinn gemäfs als innere zu be-
zeichnen wäre) eine adäquate sein raufs. Bei der eben hervorge-
tretenen Zweideutigkeit des Ausdrucks innere Wahrnehmung wäre
es besser, zwischen innerer Wahrnehmung (als Wahrnehmung eigener
Erlebnisse) und adäquater (evidenter) Wahrnehmung einen termi-
nologischen Unterschied festzuhalten. Es würde dann auch der
schiefe erkenntnistheoretisehe und auch psychologisch verwerthete
Gegensatz zwischen innerer und äufserer Wahrnehmung ver-
sciiwinden, der dem echten Gegensatz zwisclion adäquater und
nichtadäquater Wahrnehmimg untergeschoben wird.'
* Vgl. dazu die Beilage über ionero und äuäere Wahi-nehmung.
Eine nahe Beziehung der beiden bisher behandelten Begrifle
von Bewufstsein kommt bei manchen Forschern, wie z. B. bei
Bkentano, dadurch zu Stande, d&k sie das Bewulstsem (oder Erlebt-
sein) von Inhalten im ersten Sinne zugleich als ein Bewulstsein im
zweiten Sinne glauben fassen zu dürfen. In diesem letzteren ist
bewufst oder erlebt, was innerlich (und das bedeutet bei Brentano
immer zugleich adäquat) wahrgenommen ist; bewufst im ersteren
Sinne hiefs, was psychisch überhaupt präsent ist Die Acqui-
vocation, die dahiu drängt, Bowufstsein als eine Art von Wissen,
und zwar von anschaulicliem Wissen, zu verstehen, dürfte hier eine
Auffassung empfohlen haben, welche mit allzu harten Unzuträg-
lichkeiten behaftet ist. Ich erinnere au den unendlichen Kegrefe,
der aus dem Umstand erwächst, dafs die innere Wahrnehmung
selbst wieder ein Erlebnis ist, also neuer Wahi'nehmung bedarf,
für welche dann wieder dasselbe gilt, u. s. w.; ein Regrefs, den
Brentano durch die Unterscheidung zwischen primärer und seeun-
därer Wahrnehmungsrichtung zu lösen versuchte. Man wird künst-
liche Theorien dieser Art wol entbehren können, so lange die
Nothwendigkeit einer Annahme der continuirlichen Action innerer
Wahrnehmung empirisch nicht nachzuweisen ist
§ 6. Ursprung des ersten Betcufstseinsbegriffs atis dem zweiten.
Es ist unverkennbar, dafs der zweite Bewulstsoinsbcgriff der
ursprüngliciiere, und zwar auch der „an sich frühere" ist. In
wissenschaftlich geordneter Weise wird man von ihm, dem
engeren, zu dem ersten und weiteren durch folgende Ueberlcgung
fortschreiten können: Nehmen wir das cogito, ergo siim, oder
vielmehr das einfache sum als eine Evidenz in Anspruch, die
allen Zweifeln gegenüber ihre Geltung behaupten dürfe, so ist es
selbstverständlich, dafs hierbei als Ich nicht das volle empirische
Ich passiren kann. Da wir aber andererseits werden zugestehen
müssen, dafs die Evidenz des Satzes icfi hin von der Kenntnis
und Annahme der immer fragwürdig gebliebenen philosophischen
Ichbegriffe nicht abhängig sein kann, so werden wir am besten
wol sagen: im Urtheil ich bin hängt die Evidenz an einem ge-
wissen, in begrifflicher Schärfe nicht umgrenzten Kern der empi-
rischen Ichvorstellung. Werfen wir nun weiter die Frage auf,
was zu diesem begriffiicli ungefafsten und daher unsagbaren Kern
wol gehören mag, was also jeweils mit evidenter Sicherheit das
Ich ausmacht, so liegt es am Nächsten auf die Urtheile der inneren
(= adäquaten) Wahrnehmung hinzuweisen. Niclit nur das ich bin
ist evident, sondern ungezählte Urtheile der Form ich nehme
dies oder jenes wahr — nämlich sofern ich dabei nicht blofs
vermeine, sondern dessen mit Evidenz versichert bin, dafs das
Wahrgenommene als das, was es vermeint ist, auch gegeben ist;
dafs ich es selbst erfasse als das, was es ist. Z. B. diese Lust, die
mich erfüllt; diese Phantasieerscheinung, die mir eben voi-schwebt
u. dgl. Alle diese Urtheile theilen das Schicksal des Urtheils ich
bin, sie sind begriffUch nicht vollkommen fafsbar und ausdrück-
bar, sie sind nur in ihrer lebendigen, aber durch Worte nicht
angemessen mittheilbaren Intention evident. Das adiiijuat Wahr-
genommene, gleicbgiltig ob es in deraitigen vagen Aussagen zum
Ausdruck kommt, oder ob es unausgedrückt bleibt, macht nun
den erkenntnistheoretisch ersten und absolut sicheren Bereich
dessen aus, was im betreffenden Augenblick zum Ich gehört;
wie es auch umgekehrt richtig sein wird, dafs im Urtheil ich
bin unter dem Ich das adäquat Wahrgenommene eben den die
Evidenz ermöglichenden und begründenden Kern ausmacht. Zu
diesem Boreich tritt nun weiterhin das, was die Erinnerung sds
früher uns evident gegenwärtig Gewesenes, somit als zum eigenen
gewesenen Ich Gehöriges darstellt. (Evidenz, bezw. evidente Wahr-
scheinlichkeit des ich war.) Dann weiter all das, was wir auf
empirische Gründe hin als coexistirend mit dem adäquat Wahr-
genommenen jedes Augenblicks, und zwar als mit ihm con-
tinuirlich einheitlich zusammenhängend annehmen dürfen.
Wenn ich hiebei sage „coatinuirlich einheitlich zusammenhängend",
so meine ich hiebei die Einheit des concreten Ganzen, dessen
Theile entweder Momente sind, die sich in der Coexistonz
wechselseitig fundiren, also fordern, oder Stücke, die durch ihre
eigene Natur in der Coexistenz Einheitsformen fundiren, und
zwar reale Formen, die wirklicli mit zum Inhalt des Ganzen als
ihm reell einwohnende Momente gehören. Und die Einheiten
der Coexistenz gehen von Zeitpunkt zu Zeitpunkt stetig inein-
ander über, sie constituiren eine Einheit der Veninderung, welche
ihrerseits stetiges Verharren oder stetiges Aendera mindestens
eines für die Einheit des Ganzen wesentlichen, also von ihm als
Ganzem unablusbaren Moments fordert. Diese Rolle spielt vor
Allem auch das subjoctive Zeitbewufstsein, als Abschattung der
„Zeitempfindurigon" verstanden, welches, so paradox es klingt, eine
allübergreifende Form des Bewufstseinsaugenblicks, also eine Form
der in einem objuctivcn Zeitpunkt coexi.stenten Erlebnisse darstellt
Dies macht also den lohalt des Ich als der seelischen Einheit,
als der real in sich geschlossenen, sich zeitlich fortentwickelnden
Einheit aller seiner „Erlebnisse" aus. Der Begriff des Erlebnisses
hat sich vom „innerlich Wahrgenommenen" und in diesem Sinn
Bewufsten erweitert zum Begriff des die Seele oder das bleibende
Ich reell Constituirenden; damit also auch zu dem Begriff, der
das Gebiet der Psychologie als der Lehre von den „psychischen"
Erlebnissen oder „Bewurstseinsinhalten" bestimmt. Es ist hier
der passende Ort, um zu der vielverliandelten und nächste or-
kenntnistheoretischo Interessen berührenden Streitfrage nach der
wechselseitigen Abgrenzung der Psychologie und der Wissenschaft
von der physischen Natur Stellung zu nehmen.
§ 7. Wechselseitige Abgretixung der PsycJwlogie und Natuneissenschaß.
Die Psychologie hat — descriptiv — die Icherlebnis.se (oder
Bewufstseinsinhalte) nach ihren wesentlichen Arten und Com-
plexionsformen zu studiren, um dann — genetisch — ihr Ent-
stehen und Vergehen, die causalcn Formen und Gesetze ihrer'
Bildung oder Umbildung aufzusuchen. Die Bevmlstsoinsinhalte
sind ihr Inhalte von Ich, und so hat sie auch die Aufgabe, das
reale Wesen der Ich (kein mystisches, sondern nur ein empirisch
zu begründendos An- sich), die Zusammenbildung von psychischen
Elementen zu Ich, weiterhin deren Entwicklung und Verfall zu
erforschen.
Den empirischen Ich stehen gegenüher die empirischen
physisciien Dinge, die Xicht-ioh, ebenfnlls Einheiten der Cooxistenz
und Succession und mit dem Anspruch dingliclier Existenz. Uns,
die wir Ich sind, sind sie nur als intentionale Einheiten gegeben,
das ist als in psychischen P^rletmissen vermeinte, als vorgestellte
oder beurtheilto Einheiten. Darum sind sie aber .selbst nicht blofse
Vorstellungen, so wenig als es die relativ zu uns fremden Ich
sind, von denen ja dasselbe gilt. Die physischen Dinge sind uns
gegeben, sie stehen vor uns, sie sind Gegenstände — das heifst,
wir haben gewisse Wahrnehmungen und ihnen angepafste Urtheile,
welche „auf diese Gegenstände gerichtet'' sind. Dom System aller
solcher Wahrnehmungen und Urthoile entspricht als intentionales
Correlat die physische Welt. Näher wäre zu unterscheiden, je
nachdem wir das System dieser Urtheile bei Einzelnen , bei einer
Geraeinschaft von Einzelnen (als ihnen gemeinsames Urthoilsystem)
und in der Einheit der Wissenschaft betrachten: die Welt des
einzelnen Ich, die Welt der empirischen socialen Gemeinschaft
und ev. die Welt einer idealen Gemeinschaft Wissender; die Welt
der (idea! vollendeten) Wi.'ssenschaft, die Welt an sich. Auch die
psychischen Erlebnisse und die Ich dokumentiron sich nach ihrem
Sein und ihren gesetzlichen Zusammenhängen nur in der Wissen-
schaft als einem System objectiv giltiger Vorstellungen und urtheile,
und gegeben sind sie nur als Zielpunkte intentianaler Erlebnisse
in Ich. Aber sie sind in einer gewissen engeren Sphäre wahr-
haft als das, was sie sind, gegeben, während dies für die phy-
sischen Dinge überhaupt nie statthat. Die Berkeley -HüMi'sche
Lehre, welche die erscheinenden Körper auf Bündel von „Ideen"
reducirt, wird der Thatsache nicht gerecht, dafs, wenn auch die
Elementarideen dieser Bündel psychisch realisirbar sind, doch die
Bündel selbst, die intendirten Complexionen der Elemente in keinem
menschlichen Bewufstsein je als complexe Ideen reell gegen-
wärtig waren und es je sein werden. Kein Körper ist innerlich
wahrnehmbar — nicht weil er „physisch" ist, sondern weil z. B.
die dreidimensionale Raumform in keinem Bewußtsein adäquat
anschaubar ist. Adäquate Anschauung ist aber dasselbe wie
Haiierl, Log. Unters. II.
22
innere Wahrnehmung. Es ist das fundamentale Gebrechen der'
pbänomenalistisclien Tlieorien , dafs sie zwischen der Ersclieinung,
als intentionalem Erlebnis, und dem erscheinenden Gegenstand
(dem Subject der objectiven Pradicate) nicht unterscheiden und
daher die erlebte Enipfindungscompiexion mit der Complexion
gegenständlicher Merkmale ideutificiren. Jedenfalls sind die ob-
jectiven Einheiten der Psychologie und diejenigen der Natur-
wissenschaft nicht identisch, zum Mindesten nicht so, wie sie als
erste Gegebenheiten der wissenschaftlichen Bearbeitung harren.
Ob sich die beiden Wissenschaften in vollendeter Entwicklung
als getrennte darstellen werden, hängt davon ab, ob es sich
beiderseits wirklich um getrennte, oder wenigstens relativ gegen-
einander selbständige Realitäten bandelt (und die Selbständigkeit
bedeutet dabei natürlich nicht, dafs die boidei-seitigen Realitäten
durch irgendwelche mystische Abgründe, durch ganz unerhörte
Unterschiede getrennt sein müfsten). Wir werden besser vielleicht
umkehren: ob solch eine Trennung besteht, das kann nur der
Fortsehritt der beiden Wissenschaften lehren. Sieher ist, dafs sie
nach ihren Ausgangspunkten, nämlich nach der originären Sphäre
von Thatsacben, die sie zu bearbeiten unternehmen, und auch
weiterhin in ihrem aufsteigenden Fortschreiten in erheblichem
Mafse voneinander unabhängig sind.
Freitich ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, welche der
Phänomenalismus als begründete Theorie hinstellt (meines E räch tens
ist er nicht über vage, obschon keineswegs wertblose Gedanken-
reihen hinausgekommen), dafs die objectiven Gründe aller Rede von
physischen Dingen und Ereignissen in blofsen gesetzraSfsigen
Correlationen liegen, die zwischen den psychischen Erlebnissen
der mannigfaltigen Bewufstseine gestiftet sind. Die Sonderung der
Wissenschaften wäre durch Annahme dieser Theorie aber nicht
aufgehoben. Die Unterscheidung der Erlebnisse {Bewufstseins-
inhalte) von den in Erlebnissen vorgestellten (und sogar wahr-
genommenen, bezvv. urtheilsniäfsig für existirend gehaltenen) Nicht-
Erlebnissen bliebe nach wie vor das Fundament für die Scheidung
der Wissenschaften als Forschungsgebiete, also für diejenige Art
von Scheidung, die bei der jetzigen Entwicklungsstufe der Wissen-
schaften allein in Frage kommen kann. Mit der Forderung einer
„Psychologie ohne Seele", d. i. einer Psychologie, die von
allen metaphysischen Präsuniptionen betreffs der Seele absieht —
und von ihnen absieht, da sie doch erst in der vollendeten Wissen-
schaft zu Einsichten werden könnten — con-espondirt die Forde-
rung einer „Naturwissenschaft ohne Körper", d. h. einer
Naturwissenschaft, die alle Theorien über die metaphysische Natur
des Physischen vorerst ablelmt. Eine solche, metaphysisch im
voraus bindende Theorie ist aber auch die phänomenalistische.
Sie darf der Frage nach der Scheidung der beiden Wissenschaften
nicht vorangehen. Diese Scheidung mufs auf rein phänomeno-
logischem Grunde ruhen, und in dieser Hinsicht glaube ich, dafs
die obigen Erörterungen wolgeeignet sind, die viel umstrittene
Frage in befriedigender Weise zu erledigen. Sie benutzen allein
den fundamentalsten phänomenologischen Unterechied, den zwischen
descriptivem Inhalt und intendirtem Gegenstand der Wahrnehmungen
und der „Acte" überhaupt.
Den P,sychologen ist dieser Unterschied selbstverständlich
nicht entgangen. Wir finden ihn schon bei Hobdes, Descartes und
LocKK. Man kann sagen, dafs ihn alle gröfseren Denker der neueren
Zeit gelegentlieh berührt oder behandelt haben. Nur leider, dafs
sie dies eben blofs gelegentlich thun, statt mit diesem Unterschied
zu beginnen und auf ihn in jedem Sehritte genaueste Rücksicht
zu nehmen; mit anderen Worten, statt ihn zum Fundament
der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie und Psycho-
logie zu machen. Nur so wird die Rede- und Denkweise wissen-
schaftlich correct, obschon freilich sehr umständlich und unbequem.
Das Bewufste in dem engeren Sinne ist Erscheinendes, also,
wenn man solches überhaupt in usueller Weise Phänomen nennen
will, psychisches Phänomen. Dagegen ist weitaus der gröisteTheil
des im weitereu Sinne Bewufsten nicht eigentlich Erscheinendes.
Denn sicherlich wird man nicht behaupten dürfen, dafs alles
Seelische wahrgenommen oder auch nur wahrnehmbar ist (sc. im
Sinne realer Möglichkeit). Die Definition der Psychologie als
Wissenschaft von den psychischen Phänomenen ist also nicht
anders zu verstehen, als die der Naturwissenschaft als Wissenschaft
von den physischen Phänomenen. Die betrefifenden Pliänomene
bezeichnen beiderseits nicht das durch sie zu erschöpfende Object-
gobiet der Wissenscliaft, sondern nur die nächsten Angriffspunkte
der wissenschaftlichen Forschungen. So verstanden hätten wir
natürlich gegen diese Definitionen nichts einzuwenden.
§ 8. Das reine Idt und die Betcufslheii.
Wir haben bisher des reinen Ich (des Ich der „reinen Äpper-
ception") garnicht gedacht, welches niich den Kant nahestehenden,
aber auch nach manchen empiristischen Forschern den einheit-
liehen Bcziehimgspunkt abgeben soll, auf den sich in ganz einzig-
artiger Weise aller Bewufstseinsinhalt als solcher beziehe. Zur
Thatsache des „subjectiven Erlebens" oder Bewufstseins gehöre
dies reine Ich also wesentlich. „Bowufst-sein ist Beziehung auf
das Ich", und was in dieser Beziehung steht, ist Bewufstseins-
inhalt. „Inhalt nennen wir alles, was nur immer im BewuTstsein
auf ein Ich bezogen ist, es habe übrigens welche Beschaffenheit
es wolle." „Diese Beziehung ist fiii- allen noch so mannigfach
wechselnden Inhalt offenbar eine und dieselbe; sie ist es eigent-
lich, welche das Gemeinsame und Specifische des Bewufstseins
ausmacht. Wir raarkiren sie [sagt Natokp, den ich hier ständig
citire],' um sie von der Gesammtthatsache des Bewufstseins zu
unterscheiden, durch den besonderen Ausdruck der Bewufstheit."
„Das Ich als das subjective Beziehungscentrum zu allen
mir bewufston Inhalten, steht diesen Inhalten unvergleichlich
gegenüber, es hat zu ihnen nicht eine Beziehung gleicher Art,
wie sie zu ihm, es ist nicht seinen Inhalten bewufst, Avie der
Inhalt ihm; es zeigt sich eben darin nur sicli selber gleich, dafs
wol Anderes ihm, aber nie es selbst einem Anderen bewufst sein
kann. Es kann selbst nicht Inhalt werden und ist in nichts dem
' Vgl. den ganzen § 4 in Natobp'8 Einleitung in die Psychologie nach
kiitischor Methode, S. 11 ff.
gleichartig, was irgend Inhalt des Bewiifstseins sein mag. Es
iäfst sich eben darum aucli garnicbt näher boschreiben; denn
alles, wodurcii wir das Ich oder die Beziehimg darauf zu be-
schreiben versuchen könnten, würde doch nur aus dem Inhalt
des Bewufstseins genommen werden können und also es selbst,
das Ich, oder die Beziehung auf dasselbe, nicht treffen. Anders
ausgedrückt: jede Vorstellung, die wir uns vom Ich machen
würden, würde dasselbe /um Gegen stände macheu. \Vk haben
aber bereits aufgehört, es als Ich zu denken, indem wir es als
Gegenstand denken. Ich-sein heifst nicht Gegenstand, sondern,
allem Gegenstand gegenüber dasjenige sein, dem etwas Gegenstand
ist Dasselbe gut von der Beziehung auf das Ich. Bewufst-sein
heilst Gegenstand für ein Ich sein: dies Gegenstand- sein lafat sich
nicht selbst wiwlerum zum Gegenstand machen."
„Die Tliutsacho der Bevvufsthoit, obwol die Grundthatsache
der Psychologie, kann wol als vorhanden constatirt, durch Aus-
sonderung bemerklich gemacht, aber sie kann nicht dofinirt, noch
von etwas Anderem abgeleitet werden."
So eindrucksvoll diese Ausfüiu'ungen auch sind, ich vermag
sie bei genauer Erwägung nicht zu bestätigen. Wie sollten wir
jene „Grundthatsache der Psychologie" feststellen, wenn wir sie
nicht denken, und wie sollten wir sie denken ohne Ich und Be-
wufstsein als Objecto der Feststellung „zu Gegenständen zu
machen?" Dies würde schon gelten, wenn wir uns auf eben
diese Thatsache nur durch indirecte, symbolische Gedanken be-
ziehen könnten; aber nach Natobp soll sie ja „Grundthatsache"
sein, die uns als solche also doch wol gegeben sein mufs in
directer Anschauung. In der That lehrt er ausdrücklich, sie
könnten „als vorhanden constatirt und durch Aussonderimg merk-
lich" werden. Ist das Constutirte, Bemerkte nicht Inhalt? Wird
es da nicht gegenständlich? Nun mag allenfalls ein engerer Be-
griff am Gegenstand ausgeschlossen sein; aber zimächst kommt es
auf den weiteren an. So gut die Hinwendung des Merkens auf
einen Gedanken, auf eine Emptindung, auf eine Regung des Un-
behagens u. s. w. diese Erlebnisse zu Gegenständen innerer Wahr-
342
V, üeber inteniionale Erlebnisse und ihre „Inhalte".
nebmuDg macht, ohne sie darum zu Gegenständen im Sinne von
Dingen zu niadien, so gut wäre jem-s Beziehungscentrum Ich und
Jede bestimmte Beziehung des Ich auf einen Inhalt, als bemerkt,
auch gegenständlich gegeben.
Nun mufs ich freilich gestehen, dafs ich dieses primitive Ich
als nothwendiges Beziehungscentrum schlechterdings nicht zu finden
vermag. Was ich allein bemerken, also wahrzunehmen im Stande
bin, ist das empirische Ich und seine empirische Beziehung zu
denjenigen eigenen Erlebnissen oder äuTseren Objecten, die ihm
im gegebenen Augenblick gerade zu Gegenständen besonderer
„Zuwendung" geworden sind, während „aufsen", wie „innen"
vielerlei übrig bleibt, was dieser Beziehung auf das Ich ermangelt.
Ich kann hier keinen anderen Weg zur Klärung der Saoh-
lage finden, als das empirische Ich mit seiner empirischen Be-
ziehung auf Objecte einer phänomenologischen Analyse zu unter-
werfen, und dann ergiebt sich nothwendig die oben vertretene
Auffassung. Wir schieden den Ich-körper aus, der als physisches
Ding erscheint wie irgendein anderes, und betrachteten das
empirisch an ihn gebundene, als zu ihm gehörig erscheinende
geistige Ich. Auf das actiiell Gegebene reducirt, liefert es die
oben beschriebene Complexion von psychischen Erlebnissen. Diese
Comple.\ion verhält sich zum seelischen Ich ebenso, wie die „in
die Wahrnehmung fallende Seite'' eines wahrgenommenen äufseron
Dinges zu dem ganzen Dinge. Die bowufsto intentionale Be-
ziehung des Ich auf seine Gegenstände kann ich nicht andere
verstehen, als dafs zur Complexion der Erlebnisse eben auch
intentionale gehören, und dafs solche intentionale Erlebnisse den
wesentlichen phänomenologischen Kern des phänomenalen „Ich"
ausmachen.
Damit stehen wir aber vor dem dritten Bewufstseinsbegriff,
der gerade durch die Acte oder inten tionalea Erlebnisse umgrenzt
ist, und den wir sogleich im nächsten Kapitel analysiren werden.
Wer die Eigenart der intentionalen Erlebnisse bestreitet, wer nicht
anerkennen will, was uns als das Allersichersto gilt, dafs das
Gegenstand -sein, phänomenologisch gesprochen, in gewissen Acten
liegt, in welchen etwas als Gegenstand erecbeint oder gedacht ist:
der wird freilich nicht verstehen liönnen, wie das Gegenstand -sein
selbst wieder gegenständlich werden Itnnii. Nach uns ist die Saclio
ganz klar: Acte „richten sich" auf die Eigenheit von Acten, in
denen etwas erscheint; oder Acte richten sich auf die empirische
Beziehung des Ich auf den Gegenstand; und den phänomeno-
logischen Kern des Ich (des enipirisclien) bilden hiebei Acte, die
ihm Gegenstände „zum Bevviifstsein bringen", „in" ihnen „richtet
sich" das Ich auf den bütrefleiiden Gegenstand.
Ich kann auch nicht einsehen, wie die Rede gelten kann,
dafs die Beziehung des Ich auf den Bewufstseinsiiihalt aller Unter-
schiede baar sei; denn wenn unter Inhalt das Erlebnis (das reelle
Constituens des phänomenologischen Ich) vei-standen ist, so hängt
doch die Weise, in der sich die Inhalte in die Erlebniseioheit
einfügen, durchaus von der Besonderheit der Inhalte ab, ganz
80 wie bei der Einfügung von Theilen in Ganze überhaupt.
Ist aber unter Inhalt irgendwelcher Gegenstand gemeint, auf den
sich das Bewufstsein als Wahrnehmen, als Einbilden, als Erinnern
oder Erwarten, als begriffliches Vurstollen oder I'rädiciren u. s. w.
richtet, dann bestehen erst reclit offeiisichtliche Unterschiede, die
schon in der Aneinanderreihung der eben gebrauchten Ausdrücke
hervortreten.
Vielleicht nimmt man Anstofs an unserer obigen Behauptung,
dafs das Ich von sich selbst Wahrnehmung habe. Aber die Selbst-
wahrnehüiung des empirischen Ich ist die alltägliche Saciie, die
dem Verständnis keine Schwierigkeiten bietet. Das Ich wird so
gut wahrgenommen, wie irgendein aufseres Ding. Dafs der Gegen-
stand nicht mit allen Theilen und Seiton in die Wahrnehmung
fallt, thut hier, wie dort nichts zur Sache. Denn wesentlich ist
es dem Wahrnehmen, ein vermeintlichos Erfassen des Gegen-
standes zu sein , nicht aber ein adäquates Anschauen. Das Wahr-
nehmen selbst, obschon es zum Ich nach seinem phänomeno-
logischen Bestand gehört, fällt selbstverständlich, wie so vieles
Andere, das „bewufst" aber nicht bemerkt ist, nicht mit in die
Wahrnehmung; ähnlich wie etwa die Bückseite eines wabrgenom-
laenen Aufsotidinges nicht in die 'Wahroehmung fällt. Gleichwol
heilst duit das Ich und liier das Diiiy_ wahrgenomraeii, und wahr-
genommen ist es ja in der That
Zweites Kapitel.
fiewuTstsein als psychischer Act.
Die Analyse de
5 dritten Begriffs von Bewufstsein, der nun
„psychischer Act" übereinkommt, orfordert
mit dem Begriffe
aiisführlichprc Erörterungen. Im Zusammenhang mit ihm gewmnt
auch die Rede von bowiifsteu Inhalten, spcciell von Inhalten
unserer Vorstellungen, Urtheile u. s. w. mehrfache Bedeutung,
welche zu sondern und auf das genaueste zu erforschen, von
gröfster Wichtigkeit ist.
§ 9, Die Bedeutung der BiiENTANo'schen Abgretixung der
„psychischen Phänomene".
unter den Klassenbegrenzungen der descriptiven Psychologie
ist keine merkwürdiger und in philosophischer Beziehung bedeut-
samer als diejenige, welche Bhentano unter dem Titel der „psy-
chischen Phiinomone" vollzogen und zu seiner bekannten Ein-
theilung der Phänomeno in psychische und physische benützt hat
Nicht als ob ich die üeberzeugung billigen wollte, die den aus-
gezeichneten Forscher hiebei leitete, und welche sich schon in den
gewählten Teimini ausprägte: nämlich eine erschöpfende Klassi-
fication der „Phänomeno" gewonnen zu haben, durch welche die
Forschungsgebiete der Psychologie und Naturwissenschaft ge-
sondert und die Streitfi-age nach der richtigen Bestimmung dieser
Disciplinen in gar einfacher Weise erledigt werden könnte. Es
mag ja sein, dafs sich der Definition der Psychologie als Wissen-
schaft von den psychischen, und der coordinirton Definition der
Naturwissenschaft als Wissenschaft von den physischen Phäno-
raeuen, ein guter Sinn . untorlegcn lälst, und wir selbst haben
einen solclien oben angedeutet; aber mit ernsten Gründen läfst
sich bestreiten, dafs die Be^'riffo der HKK>TAXü'schcu Scheidung
diejenigen sind, die gleichnamig in den fraglichen Definitioneu
auftreten. Es liefae sich zeigen, dafe keineswegs alle psychischen
Phänomene im Sinne einer möglichen Definition der Psychologie
ebensolche im Sinne Bu>:ntaxu's, also psychische Acte sind, und
dafs auf der anderen Seite unter dem bei Brentano aequivok
fungirenden Titel „pliysisches Phänomen" sich ein guter Theil
von walirhaft psychischen Pliänomenen tindet.' Indessen der Werth
der BRENTAXo'scIien Conception des BegriÖes „psychisches Phii-
numen" hängt von den Zwecken, die er mit ihr verfolgte, durch-
aus nicht ab. Eine scharf abgegrenzte Klasse von Erlebnissen
tritt uns hier entgegen, die Alles in sich fafst, was in einem ge-
wissen prägnanten Sinne psychisches, bewufstes Dasein charak-
terisirt. Ein Wesen, das solcher Erlebnisse ermangelte, das etwa
blofs Inhalte der Art, wie es die Empfindungserlebnisse sind, in
sich hätte,* während es unfähig wäre, sie gegenständlich zu inter-
pretiren oder sonstwie durch sie Gegenstände vorstellig zu machen
— also erst recht unfähig, sich in weiteren Acten auf Gegen-
stände zu beziehen, über sie zu urtheilen und vermuthen, sich zu
freuen oder betrüben, zu hoffen und fürchten, zu begehren und
verabscheuen — ein solches Wesen würde Niemand raclu" ein
psychisches Wesen nennen wollen. Es wäre ja ein Wesen der-
selben Art, wie die phänomenalen äufseron Dinge, die uns als
' Dafs meino abweicheude Auffa-ssung aicb Dicht in dor Richtung von
EinschriiakuDgon bewegt, wie sio Bhentano selbst, der Unaugemcssenheit der
schlichten Bestimmungen wol bewufst, beizafügea für nöthig hielt (Vgl. die
Psychologie vom emp. Standp. I, 127 ff.), zeigen die Erörteruugen der Beilage
am Scblusso d. Bandes.
* "Wir könnten nicht mehr sagen: erlebte. Der Ursprung des Begriffes
Erlebnis liegt ja im Gebiet der „psychischen Acte", und wenn die Extension
desselben uds zu einem Erlebnisbegriff geführt hat, der auch Nicht- Acte be-
faftt, so bleibt doch die Beziehung auf einen realen Zusammenhang, der sie
Acteu einoi"duet oder augüodert, kurz .luf eine Bewufetseinseiubeit, s^o weseut-
lieh, doCi wir, wo dorgleiehen fehlte, vou Eiieben nicht mehr sprechen würden.
blofse Complexionen von sinnlichen Inhalten erscheinen, und die
wir bewufstlose Wesen oder Körper darum nennen, weil sie aller
psychischen Erlebnisse im Sinne jener Beispiele entbehren. Und
sehen wir von der Psychologie ab, und treten wir in den Kreis
der engeren philosophischen Disciplioen, so bezeugt sich die fun-
damentale Wichtigkeit dieser Erlebnisklasse darin, dafs nur die
ihr zugehörigen Erlebnisse für die obersten normativen Wissen-
schaften in Betracht kommen; denn in ihnen allein sind die con-
creten Grundtagen für die Abstraclion der fundamentalen Begriffe
zu finden, welche in Logik, Ethik, Aesthetik ihre systematische
Rolle spielen, nünilieh als Begriffe, welche die idealen Gesetze
dieser Discipünen aufbauen. Indem wir hiebei auch die Logik
nannten, haben wir zugleich an das besondere Interesse erinnert,
das uns zur genaueren Betrachtung dieser Erlebnisse veranlafst
§ 10. Descriptive Charakteristik der Acte als „intentionaler"
Erlebnisse.
Doch es ist an der Zeit, das Wesen der BBEJiTANo'schen
Klassenabgrenzung, also das Wesen des Begriffes Bewufstsein im
Sinne von psychischem Act zu bestimmen. Von dem oben
erwähnten klassificatorischon Interesse geleitet, führt Brentano
selbst die bezügliche Untersuchung in der Form einer wechsel-
seitigen Abscheidung der zwei von ihm angenommenen Hanpt-
klassen von „Phänomenen", der psychisclien und physischen. Er
gewinnt sechs Bestimmungen, von weichen für uns von vorn-
lierein nur zwei in Betracht kommen können, da bei allen übrigen
gewisse täuschende Aequivocationen, welche die BRENTANo'schen
Begriffe von Phänomen, speciell von physi.schem Pliänomen, dann,
von innerer und äufseror Wahrnehmung zu unhaltbaren machen,
in destructiver Weise mitspielen.'
Ton den beiden bevorzugten Bestimmungen zeigt die eine
direct das Wesen der psychischen Phänomene oder Acte auf.
Es drängt sich an beliebigen Beispielen unverkennbar entgegen.
<
' Näheres in der vorhin citiiten Beilage.
In der Wahrnehmung wird etwas wahrgenoiumon , iu der Bild-
vorstellung etwas bildlich vorgestellt, iu der Aussage etwas aus-
gesagt, in der Liebe etwas geliebt, im Hasse etwas gehafst, im
Begehren etwas begehrt u. s. w. Das Gemeinsame, das an solchen
Beispielen zu erfassen ist, hat Brentano im Auge, wenn er sagt:
„Jedes psychische Pliänomon ist durch das charakterlsirt, was die
Scholastiker des Mittelidters die intcntionidc (auch wo! mentiile)
Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, üb wo!
mit nicht ganz unzweideutigen Ansdrücken, die Boziebung auf
einen Inhalt, die Richtung auf ein Object (worunter liier nicht
eine Realität zu verstellen ist) oder ilie immanente Gegensfsind-
lichkeit nennen würden. Jedes cntliält etwas als Object in sich,
obwol nicht jedes in gleicher Weise".' Diese „Weise der Be-
ziehung des Bewufstseins auf einen Inhalt" (wie Brextano sich
an anderen Stellen öfters ausdrückt) ist in der Vorstellung eben
die vorstellende, im ürtheil die urtbeilende u. 8. w. Bekanntlich
gründet sich BEE.\TAis'o's Klassificationsversuch der psycbischen
Phänomene in Vorstellungen, ürtbeile und Gemüthsbowegungen
(„Phänomene der Liebe nnd des Hasses") auf diese Beziehungs-
weise, von welcher Bre.nta.\o eben drei grundvei-schiedene (sich
eventuell mannigfach speciticirende) Arten unterscheidet.
Ob man Bhentako's Klassification der „psychischen Phäno-
mene" für zutreffend erachtet, und ob man ihr sogar jene grund-
legende Bedeutung für die ganze Behandlung der Psychologie
zuerkennt, welche BRKxrA.vo für sie in Anspruch genommen hat,
darauf kommt es hier nicht an. Nur Eins halten wir als für uns
wichtig im Auge: dafs es wesentliche specifische Verschiedenheiten
der intentionalen Beziehung, oder kurzweg der Intention (die den
descriptiven Gattungscharakter des „Actes" ausmacht) giebt. Die
Weise, iu der eine hlofso Vorstellung eines Sachverhalts diesen
ihren „Gegenstand" meint, ist eine andere, als die Weise des
Urtheils, das den Sachverbalt für wahr oder falsch hält. Wieder
eine andere ist die Weise der Vermuthung und des Zweifels, die
' Psychologie I, 116.
Weise der Hoffnung oder Furclit, die Weise des Wolgefallens und
Mifsfallens, des Begehrens und Fliehons; der Entscheidung eines
theort'tisclicn Zweifels (Urtheilsentschoidung) oder eines practischen
Zweifels (Willensentscheidung im Falle einer abwägenden Wahl);
der Bestätigung einer theoretischen Meinung (Erfüllung einer
Urtheilsintention) oder einer Willensmeinung {Erl'üllungderWiüens-
intentiou). U. s. w. Gewifs sind, wo nicht alle, so die meisten
Acte complexe Erlebnisse, und sehr oft sind dabei die Intentionen
selbst mehrfältige. Gemüthsintentionen bauen sich auf Vorstellungs-
oder Urtbeiisintentionen u. dgl. Aber zweifellos ist es, dafs wir
bei .der Auflösung dieser Complexe immer auf primitive inten-
tionale Charaktere kommen, die sich descriptiv nicht auf anders-
artige psychische Erlebnisse reduciren lassen; und wieder ist es
zweifellos, dafs die Einheit der descriptiven Gattung „Intention"
{„Actcbarakter") specifische Verechiedeuheiten aufweist, die im
Wesen dieser Gattung gründen, und somit nicht als blofse Unter-
schiode der diese Momente zu concreten Einheiten ergänzenden
Erlebnisse aufzufassen sind. Es giebt wesentlich verschiedene
Arten und Unterarten der Intention. Zumal ist es auch unmög-
lich, alle Untorschieile der Acte auf Unterschiede der eingewobenen
Vorstellungen und Urtheile zu reduciren, unter blolsem Succurs
von Elementen, die nicht zur Gattung Intention gehören. So ist
z. B. die ästhetische Billigung oder Mifsbilligung eine Weise inten-
tionalor Beziehung, die sich als cvideut eigenartig erweist gegen-
über dem blofsen Voi'stellen oder theoretischen Beurtheilen des
ästhetischen Objects. Die ästhetische Billigung kann zwar aus-
gesagt werden, und die Aussage ist ein Urtheil und schliefst als
solches Vorstellungen ein. Aber dann ist die ästhetische Intention,
ebenso wie ihr Object, Gegenstand von Vorstellungen und
Urtheilen; sie selbst bleibt von diesen theoretischen Acten wesent-
lich verschieden. Ein Urtheil als wahr, ein Gomüthserlebnis als
gut, hochsinnig u. dgl. anerkennen oder billigen, das setzt gewife
analoge und verwandte, nicht aber spocifisch identische Intentionen
voraus. Ebenso im Vergleiche zwischen Urtheilsentscheidungen
und Willonsentscheiduiigen, u. s. w.
Die intentionale Beziehung, rein descriptiv verstanden, als
innere Eigenthümücliiieit gewisser Erlebnisse, fassen wir als
"Wesensbestini nitheit der „psychischen Phänomene" oder „psy-
chischen Acte", so dafs wir in Brektaso's Definition, sie seien
„solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich
enthalten",* eine essentielle Definition sehen, deren Realität (im
alten Sinne) natürlich durch die Beispiele gesichert ist.' Dafs
nicht alle Erlebnisse „psychische Phänomene" in dieser Wort-
bedeutung sind, zeigen die Empfindungen und Empfindungs-
complexionen, Irgendein Stück des empfundenen Gesichtsfeldes,
wie immer es dui-ch visuelle Inhalte erfüllt sein mag, ist ein Er-
lebnis, das vielerlei Theiliohalte in sich fassen mag, aber diese
Inhalte sind nicht etwa von dem Ganzen intendiite, in ihm ge-
meinte Gegenstände.
Die weiter folgenden Ueberlegungen werden den fundamen-
talen Unterschied zwischen der einen und anderen Rede von Ent-
haltensein genauer klarstellen.
Eioe zweite für uns werthvollo Bestimmung der psychischen
Phänomene fafst Brentano dahin, „dafs sie entweder Vorstellungen
sind oder auf Vorstelhuigen als ihrer Grundlage beruhen"^ „Nichts
kann beurtheilt, nichts kann aber auch begehrt, nichts kann ge-
hofft und gefürchtet werden, wenn es nicht vorgestellt wird".*
Unter Vorstellung ist in der Bestimmung natürlich nicht der
vorgestellte Inhalt (Gegenstand), sondern das Vorstellen, der Act
verstanden.
Was diese Bestimmung nicht als geeigneten Ausgangspunkt
für unsere Untereuchungen erscheinen läfst, ist der Umstand, dsSs
• A. a. 0. S. 116.
' Für UDS gicbt es daher keine Streitfragen wie die, ob wirklich alle
psychischen Phänomene, z. B. die Güfülilsphänomene, die bezeichuete Eigen-
thiiinlichkeit haben. Statt dessen wäre zu fragen, ob die betreifendeD Phänomene
„psychische Pbünomene" sind. Die Sonderboi'keit dieser Frage entspringt
ans der UnaDgemessenheit der Worte, üeber die Letztere weiter unten Näheres.
' A. a. 0. S. 111 (Schlafe des § 3).
* A. a. 0. S. 109.
F. Ucher inlenlionak Erlebnisse und ihre „Inhalte".
sie einen Begriff von Voi-stetliing voraussetzt, der bei den viel-
fachen und garniclit leiclit zu unterscheidenden Aequivocationen
dieses Terminus erst lierausgearbeitet werden niüfste. Hiebei aber
bildet die Erörterung des Begriffes psychischer Act den natur-
gemärsen Anfang. Immerhin ist mit dieser Bestimmung zugleich
ein wichtiger und seinem Inhalt nach zu weiteren Forschungen
anregender Satz ausgesprochen, auf den wir noch werden zurück-
greifen müssen.
Abwehrung lerminologisch nahtgtttgUr Mifsdeuiungen:
a) Das „mentale" oder .,immanente" Objed.
Während wir Brektano's wesentliche Bestimmung festhalten,
nöthigeii unti die angedeuteten Abweicliungen von seinen Ueber-
zeugungen, seine Terminologie abzulelincn. Wir werden gut daran
thun, weder von psychischen Phänomenen, noch überhaupt von
Phänomenen nu sprechen, wo es sich um die Erlebnisse der in
Rede stehenden Klasso handelt. Das Erstere hat nur Berechtigung
auf dem Standpunkt Brknt.\no's, wonach mit dieser Klasse (der
Hauptsache nach) das Forschungsgebiet der Psychologie umgrenzt
sein soll, während auf dem unseren alle Erlebnisse überhaupt
in dieser Hinsicht gleichberechtigt sind. Was aber den Terminus
Phänomen anbelangt, so ist er nicht nur mit sehr nachtlieiligon
Vieldeutigkeiten behaftet, sondern iraputirt auch eine selir zweifel-
hafte theoretische üeberzeugung, die wir bei Brentano ausdrücklich
hingestellt finden, nämlich dafs Jedes intentionale Erlebnis eben
Phänomen ist. Da Phänomen in der vorwiegenden und auch von
Brentano angenommenen Rede einen erscheinenden Gegenstand
als solchen bezeichnet, so liegt darin, dafs jedes intentionale Er-
lebnis nicht nur auf Gegenstände Beziehung hat, sondern selbst
ein Gegenstand gewisser intentionaler Erlebnisse ist; zumal denkt
man hiebei an diejenigen Erlebnisse, die uns etwas im einge-
schränktesten Sinne y.ur Erscheinung bringen, nämlich an Wahr-
nehmungen: '„jedes psychische Phänomen ist Gegenstand des
inneren Bewufstseins" , Wir haben aber schon gesagt, dafs wir
ernstlich Bedenken tragen, diesem Satze zuzustimmen.
Btuntfstsein als jisychischer Act.
351
Weitere Einwände treffen die Ausdrücke, welche Brkxtano
parallel mit dem Terminus psychisches Phänomen uder die er iu
umschreibender Weise verwendet, und die auch sonst gebräuch-
lich sind. Es ist jedenfalls sehr bedenklich und oft genug irre-
führend, davon zu sprechen, dafs die wahrgenommenen, phanta-
sirton, beurtheilten, gewünschten Gegenstände u. s. w. (beziehungs-
weisG in wahrnehmender, vorstellender Weise u. s. f.) „ins Be-
wufstsein treten", oder umgekehrt, dafs „das Bewufstsein"
zu ihnen in dieser oder jener Weise „in Beziehung trete",
dafs sie in dieser oder jener Weise „ins Bewufstsein auf-
genommen werden" u. s. w.; ebenso aber auch davon zu
sprechen, dafs die intentionalen Erlebnisse „etwas als Object
in sich enthalten" u. dgl.' Derartige Ausdrücke legen zwei
Mifsdeutungen nahe, erstens, dnfs es sich um eine reelle
Action des Bewufstseins oder Ich an der „bewufsten" Sache, zum
Mindesten ujn ein descriptiv bei jedem Acte vorfiiidliches Verhältnis
zwischen Beiden handle; zweitens, dafe es sich um ein reelles
Verhältnis zwischen zwei gleicherweise im Bewufstsein zu finden-
den Sachen, Act und intentionalos Object, handle, um so etwas
wie eine reale loeinauderschachtelung eines psychischen Inhalts
in den anderen. Wird sich die Rede von einer Beziehung hier
nie vermeiden lassen, so müssen doch die Ausdrücke vermieden
werden, welche zur Mifsdeutung des Verhältnisses, als eines de-
scriptiv zu nehmenden, förmlich einladen.*
Erwägen wir des Näheren zunächst die zweitgenannte Mifs-
deutung. Ganz besonders empfohlen wird sie auch durch den
Ausdruck immanente Gegenständlichkeit zur Bezeichnung
der wesentlichen Eigenthünilichkeit der intentionalen Erlebnisse,
und ebenso durch die gleichbedeutenden scholastischen Ausdrücke
intentionale oder mentale Inexistenz eines Gegenstandes.
Die intentionalen Erlebnisse haben das Eigenthümliche, sich auf
vorgestellte Gegenstände in verschiedener Weise zu beziehen. Das
' Vgl. Brkntaso a. a. 0. 266, 267, 295 u. ö.
' Zum Weiteren vergleiche die Beilage am SchluTs d. Kap. S. 396 ff.
thun sie eben im Sinne der Intention. Ein Gegenstand ist in
ihnen gemeint, auf ihn ist abgezielt und zwar in der Weise der
Vorstellung, oder zugleicli der Beurtheilung u. s. w. Darin liegt
aber nichts Anderes, als dafs eben gewisse Erlebnisse präsent
sind, welche einen Charakter der Intention haben und speciell der
vorstellenden, urtheilonden, bekehrenden Intention u. s. w. Es
sind (von gewissen Ausnahmsfiüten sehen wir hier ab) nicht zwei
Sachen psychisch präsent, es ist nicht der Gegenstand erlebt und
daneben der inteutionale Act, der sich auf ihn richtet; es sind
auch nicht zwei Sachen in dem Sinne, wie Theii und umfassenderes
Ganzes, sondern nur Eine Sache ist präsent, das intentionale Er-
lebnis, dessen wesentlicher descriptiver Charakter eben die bezüg-
liche Intention ist. Je nach ihrer specifischen Besonderung
macht sie das diesen Gegenstand Vorstellen oder das ihn Be-
urtheüen u. s. w. voll und allein aus. Ist dieses Erlebnis in
seiner psychischen, concreten Fülle präsent, so ist eo ipso die
intentionale „Beziehung auf einen Gegenstand" vollzogen, eo ipso
ist ein Gegenstand „intentional gegenwärtig": denn das Eine und
Andere besagt genau dasselbe. Und natürlich kann solch ein Er-
lebnis im Bewufstsein vorluinden sein mit dieser seiner Intention,
ohne dafs der Gegenstand überhaupt existirt und vielleicht gar
existiren kann; der Gegenstand ist gemeint, d, h. das ihn Meinen
ist Erlebnis; aber er ist dann blofs vermeint und in Wahrheit
Nichts.
Stelle ich den Gott Juppiter vor, so ist dieser Gott vor-
gestellter Gegenstand, er ist in meinem Acte „immanent gegen-
wärtig", hat in ihm „mentale Inexisteuz", und wie die in eigent-
licher Interpretation verkelirten Redeweisen sonst lauten mögen.
Ich stelle den Gott Juppiter vor, das heifst, ich habe ein gewisses
Vorstellungserlebnis, in mir (meinem Bewufstsein) vollzieht sich
das den- Gott -Juppiter- Vorstellen. Man mag dieses intentionale
Erlebnis in descriptiver Analyse zergliedern, wie man will, so
etwas wie der Gott Juppiter kann man darin natürlich nicht
finden; der „immanente", „mentale" Gegenstand gehört also nicht
zum descriptiven Bestände des Erlebnisses, er ist also in Wahr-
heit garnicht immanent oder mental. Er ist fi-eilich auch niclit
extra mentem, er ist überhaupt niclit. Aber das hindert nicht,
dafs jenes dea- Gott- Juppiter- Vorstellen real ist, ein so geartetes
Erlebnis, eine so bestimmte Weise des Zumutheseins, dafs,
wer es in sich erfährt, mit Recht sagen kann, er stelle sich jenen
mythischen Gütterkönig vor, von dem dies und jenes gefabelt
werde. Existirt andererseits der intendirte Gegenstand, so braucht
in psychischer Hinsieht nichts geändert zu sein. Für das Be-
wiifstsein ist das Gegebene ein wesentlich Gleiches, ob der vor-
gestellte Gegenstand existirt, oder ob er fingirt und vielleicht
gar wider-sinnig ist. Juppiter stelle ich nicht anders vor als
Bismank, den Babylonische)/ Turm nicht anders als den Kölner
Dom, ein regelmäfsiges Tausendeck nicht anders als einen regel-
müfsigen Tausend flächner. *
Sind die sogenannten immanenten Inhalte vielmehr bloJs in-
tentionalo (intendirte), so sind andererseits die wahrhaft im-
manenten Inhalte, die zum reellen Bestände der intontionalen
Erlebnisse gehörigen, nicht intentional: sie bauen den Act auf,
ermöglichen als die nothwendigcn Anhaltspunkte die Intention,
aber sie sind nicht selbst intendiit, sie sind nicht die Gegen-
stände, die im Act vorgestellt sind. Ich sehe nicht Farben-
empfindungeu sondern gefärbte Dinge, ich höre nicht Ton-
eniptindungen sondern das Lied der Sängerin u. s. w.*
Und was von den Vorstellungen gilt, gilt auch von den auf
sie gebauten sonstigen intentionalen Erlebnissen. Sich ein Object,
z. B. das Berliner Scklofs, vorteilen, das ist, sagten wir, eine
de.scriptiv so und so bestimmte Art des Zumutheseins. Heber
dieses Schlofs urtheilcn, sich an seiner architektonischen Schön-
' Von den eventuellen Setzungscharaktcren, welche die Ueberzengung
vom Sein des Voi^ostelUen implicireu, können wir hier absehen. Die Ueber-
zengung kann ja fehlen oder falsch sein.
' In Betroff jene)- scheinbar .selbstveratändlichen Unterscheidung zwischen
iniraauonteu utid traiisscoudenten Oegentjtäudeu, die sich nach dem altüb«r-
liefertoii Schoiiia: innerlich bewuTstes Bild — aufseibewuMes Axi-sioh-sein
orientirt, vgl. die Beilage am Schlüsse dieses Kapitels, S. 396ff.
Hnsserl, Log. üntan. n. 2^
heit freuen, oder den Wunsch hegen, dies thun zu können
u. dgl., das sind neue Erlebnisse, phänonienologiscii in neuer Weise
charakterisirt. Alle haben sie das Gemeinsame, dafs sie Weisen
der gegenständlichen Intention sind, die wir in normaler Rede
nicht anders ausdrücken können, als dafs wir sagen, es sei das
Schlols wahrgenommen, phantasirt, im Bilde vorgestellt, bem-theilt,
es sei Gegenstand Jener Freude, jenes Wunsches u. s. w.
Es wird noch ausführliclier Untersuchung bedürfen, heraus-
zustellen, was die bildliche Rede von dem in der Vorstellung vor-
gestellten, im Urtheil beurtheilten Gegenstande rechtfertigt, und
wie die Ohjectivität der intentionalen Acte überhaupt zu verstehen
ist; aber soweit wir bis nun gedrungen sind, ist es jedenfalls
klar, dafs wir gut daran thun, die Rede von immanenten Gegen-
ständen ganz 7-u vermeiden. Sie ist übrigens leicht zu entbehren,
da wir im Ausdruck „iutentionaler Gegenstand" einen solchen
haben, der ähnlichen Bedenken nicht unterliegt.
Mit Rücksiebt auf die Uneigentlichkejt der Rede vom inten-
tionalen „Enthaltensein" des Gegenstandes im Acte ist es un-
verkennbar, daJs die pai'allelen und gleichwerthigen Reden, der
Gegenstand sei bewufst, im Bewufstsein, dem Bewufstsein imma-
nent u. dgl., an einer sehr schädlichen Aequivocation leiden; denn
das „Bewufst-seiu" meint hier ein ganz Anderes, als es nach
Mafsgabo der beiden früher erörterten Bedeutungen von Bewufstsein
meinen kann. Die ganze neuere Erkenntnistheorie ist von diesen
und nahe mit ihnen verwandten Aequivocationen in Verwirrung
gesetzt. Bei dem vorherrschenden Einflufs der psychologischen
Denkweise und Terminologie würden wir übel daran thun, unsere
eigenen Termini in Widerstreit mit denen der heutigen Psycho-
logie zu setzen. Da unser erster Bewufstseinsbegriff — welcher die
zur realen Einheit des psychischen Individuums gehörigen Erleb-
nisse, nämlich alle ihm reell einwohnenden, es reell constituirendea
Momente gleicherniafsen als bewufst bezeichnet — die Tendenz
zeigt durchzudringen, so haben wir uns schon im vorigen Kapitel
dafUr entschieden, diesen Begriff festzuhalten, und somit müssen
wir die Beden vom Bewufstsein im Sinn der inneren Wahr-
I
nehnning und im Sinn der intentionalen Bezielning in allen Fällen,
die terminologische Strenge erfordern, vermeiden.
§ 12. b) Der Act und die Bexiekung des Beiinifsiseins oder des
Ick auf den Gegenstand.
Aehnlich verhält es sich mit der ersterwähnten Mifsdeutung,'
als ob das Bewufstsein auf der einen und die bewufste Sache auf
der anderen Seite in einem eigentlichen Sinne zueinander in Be-
ziehung treten würden. Anstatt das Bewufstsein sagt man oft
geradezu das Ich. In der That erscheint in der natürlichen
Reflexion nicht der einzelne Act, sondern das Ich als der Eine
Beziehuugspunkt der fraglichen Beziehung, deren zweiter im
Gegenstand liegt. Achtet man dann auf das Acterlebnis, so
scheint sich das Ich nothwendig durch dasselbe oder in dem-
selben auf den Gegenstand zu beziehen, und in letzterer Auf-
fassung möchte man sogar geneigt sein, jedem Acte das Ich als
■wesentlichen und überall identischen Einheitspunkt einzulegen.
Damit kämen wir nun doch auf die früher abgewiesene Annahme
eines reinen Ich als Beziehungscentrums zurück.
Aber leben wir sozusagen im betreffenden Acte, gehen wir
z. B. in einem wahrnehmenden Betrachten eines erecheinenden
Vorganges auf, oder im Spiele der Phantasie, in der Leetüre eines
Märchens, im Vollzuge eines mathematischen Beweises u. dgl., so
ist von dem Ich als Beziehungspunkt der vollzogenen Acte nichts
zu merken. Die Ichvorstellung mag „in Bereitschaft" sein, sich
mit besonderer Leichtigkeit hervordrängen, oder vielmehr sich
neu vollziehen ; aber nur wenn sie sich wirklich vollzieht und
sich in Eins mit dem betreffenden Acte setzt, beziehen „wir"
„uns" so auf den Gegenstand, dafs diesem sich Beziehen des Ich
etwas descriptiv Aufzeigbares entspricht. Was dann descriptiv
im wirklichen Erleben vorhegt, ist ein entsprechend zusammen-
gesetzter Act, der die Ichvorstellung als einen und das je-
weilige Vorstellen, Urtheilen, Wünschen u. s. w. der betreffenden
Vgl. oben S. 361.
23*
Sache als zweiten Theil in sich enthält. Natürlich ist es objectiv
betrachtet (also auch von dem Standpunkte der natürlichen ße-
flexion aus) richtig, dafs sich das Ich in jedem Acte auf einen
Gegenstand intentional bezieht. Dies ist ja eine pure Selbstver-
ständlichkeit, wiifern uns das Ich als nichts weiter gilt, denn als
die „Bewiifstseinseinheit", als das jeweilige „Bündel'' der Erleb-
nisse, oder besser noch als die contiiuiirliche, dingliche Einheit,
welche sich in den zu dem Einen „Ich" gehörigen Erlebnissen
constituirt, weil sie durch die specifische und causale Besonderheit
dieser Erlebnisse gesetzlich gefordert ist. Zu dieser Einheit ge-
hört als ein solcher constitutivor Theil auch das betreß'cude in-
ten tionale Erlebnis, die betreffende Wahrnehmung, das Urtheil u.8.w.
Ist ein Erlebnis von der und der Intention darin präsent, so
hat eo ipso das Ich, als das umfassende Ganze, diese Intention,
sowie das psychische Ding die BeschatTeuheiten hat, die es als
Theilinhaite constituiren. Wird der Theil auf das einheitliche Ganze
bezogen, so resultirt die Beziehung des Habens: das Ganze „hat"
den Theil; und so „liat" auch das Ich die intentionale Beziehung,
es ist das vorstellende, urtheilende Ich u. s. w.
Also der Satz: das Ich stellt einen Gegenstand vor, es bezieht
sich in vorstellender Weise auf einen Gegenstand, es hat ihn als
intentiouales Object seiner Vorstellung — besagt genau dasselbe wie
der Satz: in dem Ich, dieser concreten Complexion von Erleb-
nissen, ist ein gewisses, nach seiner specifischen Eigenthümlich-
keit „Vorstellen des bezüglichen Gegenstandes" benanntes Erleb-
nis reell gegenwärtig. Ebenso besagt der Satz: das Ich urtheilt I
über den Gegenstand, soviel wie: es ist in ihm ein so und so
bestimmtes Urtheilserlebnis gegenwärtig u. s. w. In der Be-
schreibung ist die Beziehung auf das erlebende Ich natür-
lich nicht zu umgehen; aber das jeweilige Erlebnis selbst
besteht nicht in einer Complexion, welche die Ichvorstellung als
Theilerlebnis enthielte. Die Beschreibung vollzieht sich auf
Grund einer objectivirenden Reflexion; in ihr verknüpft sich die
Reüexiou auf das Ich mit der Reflexion auf das Acterlebnis zu
einem beziehenden Acte, in dem das Ich selbst als sich mittelst
seines Actes auf dessen Gegenstand Beziehendes erscheint. OtTenbar
hat sieh damit eine wescDtlicho descriptive Aemlerung vollzogen.
Zumal ist der ursprüngliche Act nicht mehr blofs einfach da, in
ihm leben wir nicht mehr, sondern auf ihn achten und über
ihn urtheilen wir.
Das MißäverstäoilLiis raufs also fem bleiben und ist durch die
vollzogene Erwiigung nun auch ausgosclilossen, dafs die Bezieiiung
auf das Icli etwas zum wesentlichen Bestände des inteutionalen
Erlebnisses selbst Gehöriges sei.
'O'-
§ 13. Fixiruntj unserer Terminologie.
Wir tixiren nach diesen kritischen Vorbereitungen unsere
eigene Terminologie, die wir ihnen gemäfs so wählen, dafs strittige
Voraussetzungen und störende Vieldeutigkeiten möglichst ausge-
schlossen bleiben. Wir werden also den Ausdruck psychisches
Phänomen ganz vermeiden, und wo immer Genauigkeit erforder-
lich ist, von intentioualen Erlebnissen sprechen. „Erlebnis"
ist dabei in dem oben fixirten Sinne zu nehmen, einfacii als reelles,
constitutives Stück oder Moment in der Einheit des psychischen
Individuums. Das determiuirendo Beiwort „intentional" nennt den
gemeinsamen generischen Charakter der abzugrenzenden Erlebnis-
klasse, die Eigenheit der Intention, das sich in der Weise der
Meinung oder in einer irgend analogen Weise auf ein Gegen-
ständliches Beziehen. Als kürzeren Ausdruck werden wir, um
fremden und eigenen Sprachgewohnheiten entgegenzukommen, das
Wort Act gebrauchen.
Freilich sind diese Ausdrücke auch nicht ganz ohne Bedenken.
Von einer Intention sprechen wir öfters im Sinne des auf etwas
speciell Achtens, des Äufmerkens. Doch nicht immer ist der
intentionale Gegenstand vorzugsweise bemerkter, beachteter. Mit-
unter sind mehrere Acte zugleich gegenwärtig und verwoben,
aber die Aufmerksamkeit „bethätigt" sich in Einem von ihnen in
auszeichnender Weise. Wir erleben alle gleichzeitig, aber in diesem
Einen gehen wir gleichsam auf. Immerhin ist es vielleicht mit
Rücksicht auf die historisch überkommene und seit Brentano
wieder vielgebrauchte Kede von intentiunalen Gegenständen nicht
impasseud, in einem correlaten Sinn von Intention zu sprechen,
zumal wii- ja für die Intention im Sinne des Aufmerkens (welches
wir nach dem Früheren nicht geneigt sind, als einen eigenai-tigen
Act gelten zu lassen) eben diesen Terminus Aufmerken haben.
Aber noch eine andere Aequivocation kommt hier in Betracht
Der Ausdruck hdention stellt die Eigenheit der Acte unter dem
Bilde dos Abzielens vor und pofst daher sehr gut auf die mannig-
faltigen Acte, die sich ungezwungen und allgemeinverständlich
als theoretisches oder practisches Abzielen bezeichnen lassen. DiesesJ
Bild pafst aber nicht auf alle Acte gleich gut, und achten wir*
auf die im i; 10 zusammengestellten Beispiele genauer, so kann
uns nicht entgehen, dafs ein engerer und ein weiterer Begriff
von Intention unterschieden werden mufs. Im Bilde entspricht
der Thätigkeit des Abzielens als Correlat diejenige des Erzielens
(das Abschiefsen und Trefl'eu). Genau ebenso entsprechen gewissen
Acten als „Intentionen" (z. B. Urtheils-, Begehrungsintentionen)
andere Acte als „Erzielungon" oder „Erfüllungen". Und darum
eignet sich das Bild für die ersteren Acte so vollkommen; aber
die Erfüllungen sind ja aucli Acte, also auch „Intentionen", ob-
schon sie (wenigstens im Allgemeinen) nicht abermals Intentionen
in jenem engeren Sinne sind, der auf eine entsprechende
Erfüllung liinweist. Die Aequivocation ist, einmal erkannt,
ungeföhrlich. Selbstverständlich mufs, wo der engere Begriff in
Frage ist, dies ausdrücklich gesagt werden. Im üebrigen hilft
uns auch der parallele Ausdruck Actcharakter, um etwaige
MiTsverständnisse fernzuhalten.
Was anderei-seits die Rede von Acten anbelangt, so darf'
man hier an den ursprünglichen Wortsinu von actus natürlich
nicht mehr denken, der Gedanke der ßothätigung mufs
schlechterdings ausgeschlossen bleiben.' Im Sprachge-
' Wenn Natobp (a. a. 0. S. 21) gegen üia enistgenominene Rede von
psychischeQ Acten ak Betliätiguiigen des Bewulätseius oder des luh einwendet:
„nur weil BewuJBtsein oft oder inuuor von Strebeu begleitet ist, ersuheint es
als ein Thun und aoin Subjuct als Ibäter" — so stimmen wii- ilim voUkonuneu
brauch einer grofsen Reihe von Psychologen ist der Ausdruck
Act aber so festgewurzelt, andererseits so abgegriffen und von
seinem ursprünglichen Sinn so klai' abgelöst, dafs wir ihn, zumal
nach diesem ausdrücklichen Vorbehalt, unbesorgt beibehalten
können. Wollen wir nicht ganz neue, allem lebendigen Sprach-
gefühl und aller historischen Ueberüeferung fremde Kunstworte
einführen, so werden wir Unzuträglichkeiten der eben besprochenen
Art kaum je vermeiden können.
§ 14. Bedenken gegen die Annahme von Aden als einer descriptiv
fwtdirten Erlehnisklasse.
In all diesen terminologischen Erörterungen sind wir schon
recht tief in descriptive Analysen der Art eingetreten, wie sie durch
unsere logisch-erkenntnistheoretischen Interessen gefordert sind.
Ehe wir sie fortsetzeu, wird es aber nothwemlig sein, gewisse Ein-
wände zu berücksichtigen, welche die Fundamente unserer Descrip-
tionen betreffen.
Für's Erste wird die Abgrenzung der Erlebni.sklasse, die wir
unter dem Titel Act oder intentionales Erlebnis beschrieben haben,
von einer Gruppe von Forschern schlechthin bestritten. In dieser
Hinsicht haben die ursprüngliche Art der Einführung dieser Ab-
grenzung durch Brentano, die Ziele, die er mit ihr verfolgt, und
einige Mifsdeutnngen, die ihm dabei unterlaufen, beirrend gewirkt,
sie haben den überaus werthvollen descriptiven Gehall der Ab-
grenzung nicht zur Geltung kommen lassen. Entschieden bestritten
wird sie z. B. durch Natorp. Wenn dieser Forscher aber einwendet:^
„ich kann zwar wol den Ton für sich oder im Verhältnis zu
anderen Bewufstseinsinhalten betrachten, ohne sein Dnsein für ein
Ich weiter zu berücksichtigen, aber ich kann nicht mich und mein
Hören für sich betrachten, oline an den Ton zu denken", so
finden wir darin nichts, was uns beirren könnte. Dafe sich vom
Hören des Tones das Hören nicht abtrennen läfst, als ob es ohne
SU. Die „Mythologie der Tbätigkeiten" lehnen auch wir ab; nicht als psychi-
sche BethätiguDgea, sondern als iuteutionale Erlebnisse dcfiniren wir die „Acte".
' P. Naiorf, Einleitung io die Psychologie, S. 18.
den Ton noch etwas wäre, ist sicher. Damit aber ist nicht gesagt,
dafs nicht ein Doppeltes zu unterscheiden sei: der gehörte Ton,
das Wahrnehm ungsobject, und das Hören des Tons, der Wahr-
nehmungsact. Gowifs ist es richtig, wenn Natorp vom gehörten
Tone sagt: „Sein Dasein für mich, dies ist mein Bewufstsesn von
ihm. Wer sein Bewufstsein noch sonst irgendwie zu ertappen
vermag als im Dasein eines Inhalts für ihn, dem kann ich es . . .
nicht nachthun". Aber freilich will es mir scheinen, dafs das
„Dasein eines Inhalts für mich" eine Sache ist, die eine weitere
Analyse zuläfst und fordert. Zunächst die Unterschiede in der
Weise des Bemerkens. Der Inhalt ist für mich in anderer Weise
da, jenachdem ich ihn nur impücirt oder nur nebenbei bemerke,
oder ihn bevorzugend im Auge, es besonders auf ihn abgesehen
habe. Wichtiger für uns sind die Unterschiede zwischen dem
Dasein des Inhalts im Sinne der bewufsten, aber selbst nicht
zum Wahrnehmungsobject werdenden Empfindung und des Inhalts
im Sinne eben des Wahrnehmungsobjects. Die Wahl des
Beispiels vom Tone verdeckt den Unfer.sehicd ein wonig, ohne
ihn doch ganz aufzuheben. Ich höre, das kann in der Psychulogie
heifsen, ich empfinde; in der üblichen Rede heifst es, ich nehme
wahr: ich höre das Adagio des Geigers, das Zwitschern der
Vögel u. dgl. Verschiedene Leute können dasselbe empfinden
und doch ganz Verschiedenes wahrnehmen. Wir selbst „deuten"
gleiche Empfindungsiuhalto einmal .so und das andere Mal anders.
Gewöhnlich legt man in der Lehre von der „Apperception" vor-
wiegenden Nachdruck auf den Umstand, dafs unter Voraussetzung
gleicher Reize, der empfundene Inhalt nicht überall derselbe sei,
indem vermöge der von früheren Erlebnissen zurückgebliebenen
Dispositionen, das wirklick durch den Reiz Bediugte überwuchert
werde durch Momente, die aus der Actualisiruug jener Dispositionen
(gleichgiltig ob aller oder einiger) herstammen. Aber mit der-
gleichen reicht man keineswegs aus, und vor Allem kommt es
phänomenologisch darauf garnicht an. Wie immer die im Be-
wufstsein präsenten (die erlebten) Inhalte entstanden sein mögen,
es ißt denkbar, dafs in ihm gleiche Euvpfindungsinhalte vor-
banden und doch verschieden aufgefärbt, ra. a. W. dafs auf Grund
derselben Inhalte rerseiiiedene Gegenstände wahrgenommen wären.
Die Deutung selbst läfst sicii aber nie und nimmer auf einen
Zuflufe neuer Empfindungen reduciren, sie ist ein Äctcharakter,
eine „Weise des Bewufstseins", des „Zumulheseins'': wir nennen
sie Walirnehmung des betreffenden Gegenstandes.
Das Dasein des empfundenen Inhalts ist also ein ganz Anderes
als das Dasein des wahrgenommenen Gegenstandes, der durch den
Inhalt präsentirt, aber nicht reell bewufst ist
Man sieht dies viel besser noch durch einen passenden 'Wechsel
des Beispiels, durcli Uebergang in die Sphäre der Gesicbtswalir-
nehmung. Stellen wir hier dem Zweiflor folgende Erwägungen vor
Augen. Ich sehe ein Ding, z. B. diese Schachtel, ich sehe nicht
meine Enipfiiuhingen. Ich sehe immerfort diese eine und selbe
Schachtel, wie immer sie gedreht und gewendet werden mag.
Ich habe dabei immerfort denselben „Bewufstseinsinhalt'' —
wenn es mir beliebt, den wahrgenommenen Gegenstand als Bc-
wufstseinsiuhalt zu bezeichnen. Ich habe mit jeder Drehung einen
neuen Bewufstseinsinhalt, wenn ich, in sehr viel passenderem
Sinne, die erlebten Inhalte so bezeichne. Also sehr ver-
schiedene Inhalte werden erlebt, um! ducli wird derselbe -Gegen-
stand wahrgenommen. Also ist weiter der erlebte Inhalt, all-
gemein zu reden, nicht selbst der wfdu-günommeno Gegenstand.
Dafe wir im Wechsel der erlebten Inhalte einen und denselben
Gegenstjiud wahrnehmend zu erfassen vermeiaen. ist selbst wieder
etwas zum Erlobnisbereich Gehöriges. Wir erleben ja das „Iden-
titätsbewufstsein", d. h. dieses Vermeinen, Identität zu erfassen.
Ich frage nun, was liegt diesem Bowufstsein zu Grunde? Sollte
da die Antwort nicht zutreffend sein, dats zwar beiderseits ver-
schiedene Empfindungsinhalte gegeben, dafs sie aber in „demselben
Sinne" gedeutet (uufgefafst, appercipirt) sind, und dafs die
Deutung nach diesem „Sinne" ein Erlebni.scharakter ist,
der allererst das „Daseiu des Gegenstandes für mich"
ausmacht? Des Weiteren, dafs das Identitätsbewufstsein sich
auf Grund dieser beiderseitigen Erlebnischaraktere vollzieht, als
unmittelbares Bewiifstsein davon, dafs sie beide eben dasselbe
moinon? Und ist dieses Bevvufstsein nicht abermals ein Act
im Sinne unserer Definition, dessen gegenständliches Correlat
in der bezeichneten Identität liegt? Ich würde glauben, dafs
alle diese Fragen ihre bejahende Beantwortung mit Evidenz
fordern. Nichts kann ich evidenter finden, als den hiebei hervor-
tretenden Unterschied zwischen Inhalten und Acten, specieller
zwischen Wahrnehmungsinhalten im Sinne von präsentirenden
Empfindungen und Wahrnehraungsacten im Sinn der auffassenden
Intention; welche Intention in Einheit mit der aufgefafsten Em-
pfindung den vollen concreten Act der Wahrnehmung ausmacht.
Natürlich, Bewufstseinsinhalte, im weitesten descriptiven Sinn
von Erlebnissen, sind auch die intontionalen Charaktere und des-
gleichen die vollen Acte; insofern sind alle Unterschiede, die wir
überhaupt constatiren können, eo ipso Unterschiede des Inhalts.
Aber innerhalb dieser weitesten Sphäre des Erlebbaren glauben
•wir den evidenten Unterschied vorzufinden zwischen intentionalen
Erlebnissen, in welchen sich gegenständliche Intentionen und
zwar durch immanente Charaktere des jeweiligen Erlebnisses
constituiren, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, also
Inhalten, die zwar als Bausteine von Acten fungiren können, aber
nicht selbst Acte sind.
Günstige Beispiele zur weiteren Verdeutlichung dieser Unter-
scheidung und zugleich zur wechselseitigen Abhebung versclüedener
Actchiu'aktere liefert die Vergleichuug der Wahrnehmung mit der
Phantasievorstellung und beider wieder mit der Vorstellung durch
physische Bilder (Gemälde, Statuen u. dgl). Die allergünstigsten
Beispiele liefern aber die Ausdrücke. Denken wir uns' z. B., es
hätten gewisse Figuren oder Arabesken zunächst rein ästhetisch auf
uns gewirkt, und nun leuchte plötzlich das Verständnis auf, dafs es
sich um Symbole oder Wortzeichen handeln dürfte. Worin liegt
da der Unterschied? Oder nehmen wir den Fall, dafs Jemand
ein ihm ganz fremdes "Wort als blofsen Lautcomplex achtsam hört,
' Vgl. meine Psycho!. Studien u. s. w, Fhilos. MouatsL XXX, S. 182.
ohne auch nur zu ahnen, dal's es ein "Wort sei; und vergleichen
wir damit den Fall, dafs er spätorliin das "Wort, mit seiner Be-
deutung vertraut geworden, inmitten eines Gesprächs mit Ver-
ständnis aber ganz ohne begleitende Voranschaulich un gen iiöre.
"Worin liegt allgemein der Ueberschufs des verstandenen, aber blofs
symbolisch fungirendeii Ausdrucks gegenüber dem gedankenlosen
Wortlaut? "Was macht den Unterschied, oh wir ein Concretum A
einfach anschauen, oder ob wir es als „Repräsentanten" für „ein
beliebiges ^" auffassen? In diesen und unziihligon äluiliehen Fällen
liegt die Modification iu den Actcharakteren. Alle logischen Unter-
schiede und zumal alle kategoriale Form liegt in den logischen
Acten im Sinne von Intentionen.
In derartigen Beispielsanalj'sen tritt es hervor, dafs die
moderne Apperceptionslehre nicht ausreicht, ja dafs sie die für
das logisch -erkenntnistheorctische Interesse entscheidenden Punkte
übereieht. Dom phänomenologischen Sachverhalt wird sie nicht
gerecht, auf seine Analyse und Beschreibung iäfst sio sich gar-
nicht ein. Die Unterschiede der Auffassung sind über vor allem
descriptivo Unterschiede; und nur solche allein, nicht irgend-
welche verborgenen und tiypothctisch angenommenen Yoi-gänge in
den unbowufsten Tiefen der Seele oder in der Sphäre des physio-
logischen Geschehens, gehen den Erkenntniskritiker etwas an.
Apperception ist uns der Ueberschufs, der im Erlebnis selbst, in
seinem doscriptiven Inhalt gegenüber dem rohen Dasein der
Empfindung besteht, es ist der Actcharakter, der die Empfindung
gleichsam beseelt und es macht, dafs wir dieses oder jenes Gegen-
ständliche wahrnehmen, z. B. diesen Baum sehen, jenes Kliugeln
hören, den Blüthenduft riechen u. s. w. Die Empfindungen und
desgleichen die sio „auffassenden" oder „appercipirenden" Acte
werden hiebei erlebt, aber sie erscheinen nicht gegenständ-
lich; sio werden nicht gesehen, gehört, mit irgendeinem „Sinn"
wahrgenommen. Die Gegenstände andererseits erseheinen,
werden wahrgenommen, aber sie sind nicht erlebt. Selbstver-
ständlich schliefsen wir hiebei nur den Grennfall der adäquaten
"Wahrnehmung aus.
Aebriiiches gilt offenbar auch sonst; es gilt z. B. hinsichtlich
der EmpfiniJiingeii (oiler wie immor wir die nls die Fundameute
der Auffassung fnngirendcn Inhalte nennen mögen), welche zu
den Acten der Phantasie und der Imagination überhaupt gehören.
Die verbildlichende Auffassung macht es, dafs wir nun statt einer
Wahrnehmungserscbeinung vielmehr eine Büderscheiniing habou,
in welcher auf Grund der erlebten Empfiridungen der bildlich
vorgestellte Gegenstand (der Centaur in der Phantasie, auf dem
gemalten Bilde) erscheint' Man versteht zugleich, dals dasselbe,
was in Beziehung auf den intcntionalen Gegenstand Vorstellung
(wahrnehmende, einbildende, abbildende Intention auf ihn) heifst,
in Beziehung auf die zum Acte reell gehörigen Empfindungen
Auffassung, Deutung, Apperception heifst.
Ich nehme es in Hinblick auf die betrachteten Beispiele auch
als Evidenz in Anspruch, dafs es in der That wesentlich ver-
schiedene „Weisen des Bewufstseins", nämlich der intcntionalen
Beziehung auf Gegenständliches giebt; der Charakter der Inten-
tion ist ein specifisch verschiedener im Falle der Wahrnehmung,
der Phantasievorstellung, der Bildvorstellung im gewöhnlichen
Sinne der Autfassung von Statuen, Gemälden u. s. w., und wieder
im Falle der Vorstellung im Sinne der reinen Logik. Jeder logisch
unterschiedenen Weise, einen Gegenstand gedanklich vorzustellen,
entspricht eine Verschiedenheit in der Intention. Ich halte es auch
für unanfechtbar, dafs wir von all diesen Unterschieden nur wissen,
weil wir sie im Einzelfalle erschauen (d. i. unmittelbar erfassen),
sie vergleichend unter Begrifie bringen und somit selbst wieder
' Der vielverhandelte Streit über das Verhältnis zwischen "VVjilirnehmungs -
tiiid Pboutasievorstellung konnte bei dem Mangel einer gehörig vorbereiteten
phänünictiologiscbeu Untorlago uod dem daraus folgenden Mangel au lilaivu
Begriffen und FragosteOangeu , zu keinem rechten Ergebnis führen. Dafs die
Actoharaktore beiderseits vcrscbicdon siud, dafs mit der Bildlichkeit eine
wosendich neue >AVise der Juteiition Erlebnis wird, glaube ich zweifellos nach-
weisen zu können. Ist man damit im Reinen, so wird man sich kaum dazu
entschliefsen, überflüssiger Weise auch noch einen wesentlichen Unterschied
zwischen Eitipfindaugen und Fhactasmeu (als den sioaUchen Anhalten
der Auffassung in der Fhantasiobildliohkeit) zu statuireu.
in verscliiedonartigen Acten zu Änschauungs- imd Denkobjecten
machen. Wenn Nator!« (Ingegen sagt': „Aller Reiclithum, alle
Mannigfaltigkeit des Bewiifstseins liegt vielmehr ausschliefslich am
Inhalte. Das Bewufstsein einer einfachen Empfindung unter-
scheidet sich der Art nach, als Bewufstsein, in nichts vom Bewufst-
sein einer Welt; das Moment der ßewufstheit ist in Beiden durch-
aus dasselbe, der Unterschied liegt ausschliefslich am Inhalt" —
so will es mir scheinen, dafs er die verschiedenen Begriffe von
Bewufstsein und Inhalt nicht auseinanderhält, ja ihre Identificirung
zum erkenntnistheoretisehen Princip erheben \viil. In welchem
Sinne wir selbst lehren, dafs alle Mannigfaltigkeit des Bewufst-
seins am Inhalte Hegt, haben wir oben dargelegt. Inhalt ist dann
Erlebnis, das Bewufstsein reell constituirend; das Bewufstsein
selbst ist die Complexion der Erlebnisse. Die Welt aber ist
nimmermehr Erlebnis des sie Denkenden. Erlebnis ist das die
Weit Meinen, die Welt selbst ist der intendirte Gegenstand. Für
diese Unterscheidung ist es, wie ich noch ausdrücklich betonen
will, gleichgiltig, wie man sich zu den Fragen stellt, was das
objective Sein, das wahre, wirkliche An-sich-sein der Welt oder
eines beliebigen sonstigen Gegenstandes ausmacht, und wie man
das objective Sein als „Einheit"' zum subjectiven Gedacht-sein mit
seiner „Mannigfaltigkeit" bestimmt; desgleichen in welchem Sinne
immanentes und transscendentes Sein gegenübergestellt werden
dürfe u. s. w. Es handelt sich hier vielmehr um eine Unterschei-
dung, die vor aller Metaphj'sik und an der Pforte der Erkenntnis-
theorie steht, also auch keine Fragen als beantwortet voraussetzt,
die eben die Erkenntnistheorie allererst beantworten soll.
§ 15. Ob Erlebnisse einer utid derselben deseriptiven Gattung
(und xumal der Gattung Gefühl) theils Acte und theils Nichl'Aete
sein können.
Eine neue Scliwierigkeit erhebt sich mit Beziehung auf die
gattungsmäfsige Einlieit der iutentionalen Erlebnisse.
• A. a. 0. S. ig.
996
V. Ucber inlentionak Erlebnisse und ihre „Inhalte".
Man könnte nümlicli zweifelo, ob nicht der Gesichtspunkt der
Abgrenzung der Erlebnisse in intentionale und nicht- intentio-
nale ein blofs Sufserlicher sei, derart, dals dieselben Erlebnisse
oder dafs Erlebnisse einer und dei-selben descriptiven Gattung bald
intentionale Beziehung auf Gegenständliches haben und bald nicht
Die belegenden Beispiele für die eine um! andere Auffassung,
sowie zum Theil auch die Gedanken zur Lösung des Zweifels
sind literarisch bereits erörtert worden, nämlich im Zusammenhang
mit der Streitfrage, ob das Merkmal der intentionalon Beziehung-
zur Abgrenzung der „psychischen Phänomene" (als der Domäne
der Psychologie) ausreiche oder niclit Zumal betraf der letztere
Streit gewisse Phänomene aus der Sphäre der Gefühle. Da bei
den übrigen Gefühlen die Intentionalität ofTenkundig schien, so
war ein doppelter Zweifel möglich; entweder man ward auch bei
diesen Gefülilsaoten bedenklich, nämlich ob ihnen die intentionale
Beziehung nicht blofs uneigentlich anhafte, ob sie nicht viel-
mehr direct und eigentlich den ihnen oingewobenen Vorstellungen
zugehöro; oder man zweifelte nur an der Wesentlichkeit des
intentionalen Charakters für die Klasse der Gefühle, indem man
diesen Charakter den einen zugestand und den anderen ableugnete.
So ist der Zusammenhang der gewöhnlich behandelten Streitfrage
mit der von uns hier aufgeworfenen klar.
Wir wollen zunächst überlegen, ob sich in der Klasse der
Gefühle überhaupt Arten von Erlebaissen vorfinden, welchen
eine intentionale Beziehung wesentlich zukommt, und nachher zu-
sehen, ob diese Beziehung anderen Erlebnissen derselben Klasse
mangeln kann.
I
aj Ob es überJiaupt intentionale Qeftihle giebt.
Bei vielen Erlebnissen, die wir allgemein als Gefühle bezeich-
nen, ist es ganz unverkennbar, dafs ihnen wirklich eine inten-
tionale Beziehung auf Gegenständliches zukommt. So verhält es
sich z. B. mit dem Gefallen an einer Melodie, mit dem Mifsfallen
an einem schrillen Pfiff u. dgl. Ueberhaupt scheint jede Freude
oder Unfreude, die ja Freude, bezw. Unfreude über irgendein Vor-
gestelltes ist, selbstverständlich ein Act zu sein. Statt Freude
können wir dabei auch sagen liistvojles Wolgefallcn an Etwas,
davon Angezogensein, ihm lustvoU Zugeneigtsein; statt Uut'reude
auch unlustiges oder peinvolles Mifsfalien an Etwas, davon Ab-
gestofsensein u. s. w.
Die Bestreiter der Intentionaütät der Gefühle sagen: Gefühle
sind bhjfse Zustande, nicht active Intentionen. Wo sie sich auf
Gegenstände beziehen, da verdanken sie diese Beziehnng nur der
Complication mit Vorstellungen.
Das Letztere enthielte an sich noch keinen Einwand. Bbex-
TANO, der die Inten tionalitiit der Gefühle vcrtheidigt,' lehrt anderer-
seits selbst und ohne mit sich in Widerstreit zu kommen, dafs
Gefühle wie alle Acte, die nicht blofse Vorstellungen sind, Vor-
stellungen zur Grundlage haben.' Nur auf solche Gegenstände
können wir uns gefühlsmäfsig beziehen, die uns durch mitver-
wobene Vorstellungen vorstellig gev^orden sind. Eine Differenz
tritt zwischen den streitenden Parteien erst dadurch hervor, dais
man auf der einen Seite eigentlich sagen will; das Gefühl, an
sich selbst betrachtet, enthalte nichts von Intention, es weise nicht
über sich hinaus auf einen gefühlten Gegenstand; nur durch
Vereinheitlichung mit einer Vorstellung gewinne es eine gewisse
Beziehung zu einem Gegenstande, aber eine Beziehung, die nur
durcli dieses Verknüpfnngsverhältnis mit einer inteutionalen Be-
ziehung bestimmt und nicht selbst als eine intentionale Beziehung
zu fassen sei. Eben dies bestreitet die Gegenpartei.
Nach Brentano sind hier zwei Intentionen aufeinander gebaut,
die fundirende liefert den vorgestellten, die fundirte den ge-
fühlten Gegenstand; die erstere ist von der letzteren, nicht aber
die letztere von der ersteren ablösbar. Nach der entgegengesetzten
Auffassung besteht hier nur eine Intention, die vorstellende.
Die aufmerksame Vergegenwärtigung der Sachlage in der
inneren Erfahrung scheint Brentano 's Auffassung entschieden zu
bevorzugen. Wenn wir uns mit Wolgefallen einer Sache zu-
' Psychologie I, 116 ff.
» A.a.O. I, 107 «F.
weiultMi, oder sio uns als mifsfüllig abstöfst, so stollon wir sie vor.
Aber wir liaben nicht blofe die Vorstellung und dazu das Gefühl,
als etwas zur Sache an und für sich Beziehungsloses und dann
wol blofs associativ Angeknüpftes, sondern Gefallen oder Mifsfallen
richten sich auf dcu vorgestellten Gegenstand, und ohne solche
Richtung können sie überhaupt nicht sein. Wenn zwei psychische
Erlebnisse, z. B. zwei Vorstellungen, sich vergesellschaften, können
sie eine sehr innige Verknüpfung eingehen; aber um ihretwillen
wird noch nicht die eine Vorstellung zur Vorstellung des Gegen-
standes der zweiten; die Verknüpfung, sei sie auch noch so innig,
wirrt nicht die intentioualen Beziehungen ineinauder. Wie sollte
sie also dem, was nicht in sich Intention ist, eine Intention
verschaffen? Die Vorstellung Neapels führt die des Vesuvs mit
sich; die erste, sagen wir, erinnere uns an den Gegenstand der
zweiten. Aber Jedermann sieht, dafs dies eine äufserliche Be-
ziehung ist, die nicht etwa auf eine Stufe zu stellen wäre
mit der Beziehung des Gefallens auf das Gefällige. Die reprodu-
cirende Voi-stellung ist auch aufser dieser reproductiven Function
möglich. Aber ein Gefallen ist ohne Gefälliges nicht denkbar.
Und nicht etwa blofs darum ist Gefallen ohne Gefälliges nicht
denkbar, weil wir es hier mit correlativen Ausdrücken zu thun
haben; also derart, wie wir z. B. sagen, eine Ui-sache ohne Wir-
kung, ein Vater ohne Kind sei nicht denkbar: sondern weil das
specifische Wesen des Gefallens die Beziehung auf ein
Gefallendes fordert. Genau so ist das Moment der Ueber-
zeugung undenkbar, es sei denn at.s üeberzeugung von Etwas.
Wieder ebenso kein Begehren (dem specifischen Charakter nach)
ohne Begehrtes, kein Zustimmen oder Billigen ohne Etwas, dem
die Zustimmung, Billigung gilt u. s. w. AH das sind Intentionen,
echte Acte in unserem Sinn. Sie alle „verdanken" ihre inten-
tionale Beziehung gewissen ihnen unterliegenden Vorstellungen.
Aber ini Sinn der Rede vom Verdanken liegt ja ganz richtig, dafs
sie selbst nun auch das haben, was sie den Anderen verdanken.
Man sieht auch, dafs das Verhältnis zwischen fundireuder Vor-
stellung und fundirtem Act nicht ausreichend beschrieben ist da-
I
Bnoufstsein als psychischer Act.
369
durch, dafs das Eine das Andere bewirke. Wir sagen zwar,
der Gegenstand errege unser Wolgefallen, wie wir in den anderen
Fällen sagen, ein Sachverhalt errege unseren Zweifel, zwinge uns
zur Zustimmung, reize unser Begehren u. s. w. Aber das jeweilige
Resultat dieser erscheinenden Causation,' also das erregte Wol-
gefallen, die erregte Bezweiflung oder Zustimmung haben voll
und ganz die intentionale Beziehung in sich. Es ist kein äuJser-
liches Causalverhältnis, wonach die Wirkung, als das was sie in
sich betrachtet ist, denkbar wäre auch ohne die Ursache, oder die
Leistung der Ursache in dem Hinzutreten von Etwas bestände,
das auch für sich sein könnte.
h) Ob es niciä- intentionale Gefühle giebt. Untersclieidung der
Oefühlsempßndungen und Qefuhlsacle.
Die weitere Frage ist nun die, ob es neben den Arten von
Gefühlen, die intentionale Erlebnisse sind, nicht andere Gefühls-
arten giebt, die es niclit sind. Auch diese Frage müssen wir, so
könnte es zunächst scheinen, mit einem selbstverständlichen Ja
beantworten. In der weiten Sphäre der sogenannten sinnlichen
Gefühle ist von intentionalen Charakteren nichts zu finden. Wenn
wir uns brennen, so ist der sinnliche Schmerz gewifs nicht auf
gleiche Stufe zu stellen mit einer üeberzeugung, Vermuthung,
Wollnng u. s. w., sondern mit Empfindungsinhalten wie Rauhigkeit
oder Glätte, Roth oder Blau u. s, w. Vergegenwärtigen wir uns
derartige Schmerzen oder irgendwelche sinnliche Lüste (wie den
Wolgeruch einer Rose, den Wolgeschmack einer Speise u. dgl.),
so finden wir ja auch, dais die sinnlichen Gefühle mit den zu
diesen oder jenen Sinnesfeldem gehörigen Empfindungen ganz
ähnlich verschmolzen sind, wie diese untereinander.
' Damit soll uatürlioli üicht gesagt sein, es komme hier eioe Causation
zu „innerer WahrneLmuiig". Eine Cnasation erscheint in dei-artigen Fällen
thatsächlioh , sie ist in ilioen das intentionale Object. Darin liegt aber hier so
wenig wie in anderen Fiiilen, dols das Intentionale eiü wirklicli Gegebenes,
dals die Erscheinung adäquate Anschauong sei.
Hniaail, Log. Unten. 11. 24
I
In gewisser Weise wird nun freilich jedes sinnliche Gefühl,
z. B. der Schmerz des sich Brennens und (Jebranntwerdens, auf
Gegenständliches bezogen; einerseits auf das Ich, näher auf das
gebrannte Leibesglied, andererseits auf das brennende Object. Aber
darin zeigt sich nun wieder die Gleichförmigkeit mit anderen
Empfindungen. Genau so werden ja beispielsweise die Berüh-
rungsenipfiiidungen auf das berührende Leibesglied und den be-
rührten Frenulkürper bezogen. Obwol sich diese Beziehung in
intentionalen Erlebnissen vollzieht, so wird darum doch Niemand
daran denken, die Empfindungen selbst als solche Erlebnisse zu
bezeichnen. Die Sachlage ist vielmehr die, dafs die Empfindungen '
hier als präsentirende Inhalte von Wahrnehmungsacten fungiren,
oder (wie es nicht ganz unmifsverständlich heilst) dafs die Em-
pfindungen hier eine gegenständliche ,,Deutung" oder „Auffassung"
erfahren. Sie selbst sind also nicht Acte, aber mit ihnen con-
stitttiren sich Acte, nämlich wo sich intentionale Charaktere von
der Art der wahrnehmenden Auffassung ihrer bemächtigen. In
eben dieser Weise scheint der brennende, stechende, bohrende
Schmerz, sowie er von vornherein mit gewissen Berührungs-
empfindungen verschmolzen auftritt, selbst als Empfindung gelten
zu müssen; und jedenfalls scheint er in der Weise sonstiger
Empfindungen zu fungiren, nämlich als Anhalt für eine empi-
rische, gegenständliche Deutung.
Dagegen wird sicherlich nichts einzuwenden sein, und somit
möchte man die gestellte Frage für erledigt erachten. Es scheint
erwiesen, dafs ein Theit der Gefühle den intentionalen, der andere
den nicht-intentionalen Erlebnissen zuzurechnen sei.
Doch hier wird sich der Zweifel regen, ob denn die beider-
seitigen „Gefühle" wirklich zu Einer Gattung gehören. Wir
sprachen früher von „Gefühlen" des Gefallens oder Mifsfallens,
der Billigung oder Mifsbilligung, der Werthschätzung und Ab-
schätzung — Erlebnissen, die evidentermafsen verwandt sind mit
den theoretischen Acten der Zustimmung und Ablehnung, des
Für- wahrscheinlich- und Für-unwahrscheinlich -haltens, oder mit
den Acten der erwägenden Urtheilsentscheidung und WiUensent-
Scheidung u. dg!. In die offenbare Einheit dieser Gattung, die
aussfbliefslich Acte unifafst, wird man jene Schmerz- und Lnst-
erapfindungen nicht einordnen Ivönnen; sie sind vielmehr mit den
Berührungs-, Geschmacks-, Geruohsempfindungen u. s. w. descriptiv
zusammengehörig. Darin, dafs sie bestenfalls präsontirende In-
halte oder auch Ohjecte von Intentionen, ober nicht selbst Inten-
tionen sind, bekundet sich ein .so wesentlicher descriptivor Unter-
schied, dafs wir nicht ernstlich daran denken können, die Eiuheit
einer echten Gattung festzuhalten. Allerdings ist beiderseits, bei
den oben genannten Acten des Gefallens und diesen vorliegenden
Empfindungen gleichmäfsig von „Gefühlen" die Rede. Aber dieser
Umstand kann uns nicht bedenklich machen, so i. enig wir uns
durch die gewöhnliche Rede vom Fühlen im Sinne von Tasten in
Betreff der tactilen Empfindungen täuschen lassen werden.
Schon BnK.NTANO weist, in seiner Erörterung der Frage nach
der Intentionalität der Gefühle, auf die hier besprochene Aequi-
vocation hin.' Er unterscheidet Schmerz- und Lustempfin-
dungen {Gefühlsempfindungen) von Schmerz und Lust im Sinne
von Gefühlen. Die Inhalte der ersteren — oder wie ich geradezu
sagen würde die ersteren* — gelten ihm (in seiner Terminologie)
als „phy,sische", die letzteren als „psychische Phänomene" und damit
als zu wesentlich verschiedenen oberen Gattungen gehörig. Diese
Auffassung erscheint mir als vollkommen zutreffend, während ich
nur zweifle, ob nicht die vorwiegende Bedeutungstendenz des
"Wortes Gefühl auf jene Gefühlsempfindungen abzielt, und ob
dann nicht die mannigfaltigen Acte, die als Gefühle bezeichnet
werden, diesen Namen den ihnen wesentlich eingewobenen Ge-
fühlsempfindungen verdanken. Natürlich darf man aber nicht die
Frage der Angemessenheit der Terminologie mit der Frage nach
' A.a.O. S. 111.
' loh identilicire hier wie sonst, Bchmerzempfinduog und , Inhalt" der
SohmerzempfinduDg , da ich eigeno Empfinduugsacto überhaupt nicht anerkenne.
Selbstireretäadlich kann ich also Brsntjlko's Lehre , daJä den Qefühlsacten Acte
der Uattong Vorstellen iu Form von Acten der Oef ühlsempfindung zu
Orande liegen, nicht zustimmen.
24*
der sachlichen Richtigkeit der BRENT.c>o'schen Unterscheidung ver-
mengen.
Diese Unterscheidung müiste nun aber auch bei der Analyse
aller Complexionen von Gefühlsempfindungen und Grefühlsacten
beständig im Auge behalten und fruchtbar gemacht werden. So
ist z. B. die Freude über ein glückliches Ereignis sicherlich ein
Act. Aber dieser Act, der ja nicht ein blofser intentionaler Cha-
rakter, wol aber ein concretes und eo ipso complexes Erlebnis
ist, befalst in seiner Einheit nicht nur die Vorstellung des freu-
digen Ereignisses und den darauf bezogenen Actcharakter des
Gefallens; sondern an die Vorstellung knüpft sich eine Lust-
empfindung, die einerseits als Gefühlserregung des fühlenden
psychophysischen Subjects und andererseits als objective Eigen-
schaft aufgefafst und localisirt wird: das Ereignis erscheint als
wie von einem rosigen Schimmer umflossen, die Lust erscheint
als etwas an dem Ereignis. Das in dieser Weise lustgefarbte Er-
eignis als solches ist nun erst das Fundament für die freudige
Zuwendung, für das Grefallen, Angemuthetwerden, und wie man
es sonst nennen mag. Ebenso ist ein trauriges Ereignis nicht
blofs vorgestellt nach seinem dinglichen Gehalt und Zusammen-
hang, nach dem was ihm au und für sich, als Ereignis gehört;
sondern es erscheint als mit der subjectiven Färbung der Trauer
umkleidet. Dieselben ünlustenipfindungen, die das empirische Ich
auf sich (als Wehe im Herzen) bezieht und localisirt, werden in
der Zuwendung zu dem Ereignis auf dieses selbst bezogen. Diese
Beziehungen sind rein vorstelhingsmäfsig; eine neue Weise der
Intention liegt erst in dem feindlichen Abgestofsenwerden, in dem
activen Mifsfallen u. s. w. Die Lust- und Schmerzempfindungen
können andauern, während die auf sie gebauten Aetcharaktere
fortfallen. Wenn wir den lusten-egenden Thatsachen nicht mehr
zugewandt sind, so dauert die Lusterregung noch längere Zeit
fort; sie wird eventuell selbst als wolgefällig empfunden; statt als
Repräsentant einer gefälligen Eigenschaft am Gegenstande zu fun-
giren, wird sie jetzt blofs auf das fühlende Subject bezogen oder
ist selbst vorgestelltes und gefallendes Object.
Bewufstaein als psychischer Act.
373
Aehnliches wäre auch in der Sphäre des Begehrons und
WoUens auszuführen.' Findet man eine Schwierigkeit darin, dafs
nicht jedes Begehren eiue bewufste Beziehung auf ein Begehrtes
zu fordern scheine, da wir doch oft vun einem dunkeln Langen und
Drängen bewegt und einem un vorgestellten Endziel zugetrieben
werden; und weist man zumal auf die weite Sphäre der natürliclien
Instincte hin, denen mindestens ursprünglich die bewufste Zielvor-
stellung mangle, so würden wir antworten: entweder es liegen
hiebei blofse Empfindungen vor (wir könnten nach Analogie von
BegehrungsempÖndungen sprechen, ohne aber behaupten zu müssen,
ttafs sie zu einer wesentlich neuen Gattung von Empfindungen ge-
hören), also Erlebnisse, die wirklich der intentionalen Bezieliung
ermangeln und daher auch dem wesentlichen Charakter des
intentiouaJen Begetirens gattungsfrenul sind. Oder wir sagen:
es handle sich zwar um intentiunale Erlebnisse, jedoch um solche,
die sich als unbestimmt gerichtete Intentionen constituirt haben,
wobei die „üubestimmtheit" der gegenständlichen Richtung nicht
die Bedeutung einer Privation hat, sondern einen descriptiven
Charakter und zwar einen VorstoUungscharakter bezeichnen müfste.
So ist ja auch die Vorstellung, die wir vollziehen, wenn sich
„etwas" regt, wenn „es" raschelt, wenn „Jemand" klingelt u. s. w.,
und zwar die vor allem Aussprechen und verbalen Ausdrücken
vollzogene Vorstellung, eine „unbestimmt" gerichtete, und die
„Unbestimmtheit" gehört hiobei zum Wesen der Intention, deren
Bestimmtheit es eben ist, ein unbestimmtes „Etwas" vorzustellen.
Natürlich mag für manche Fälle die eine und für andere die
andere Auffassung passen, und wir würden also auch hier zwischen
den intentionalen und nicht- intentionalen Trieben oder Begeh-
rungen kein Verhältnis der Gattungsgemeinschaft, sondern nur
ein Verhältnis der Aequivocation zugestehen.
Es ist auch zu beachten, daJs sich unsere klassificirende Rede
nach den concreten Complexionen richtet, und dais der Gesammt-
' Auf H. Schwarz' Psychologie des Willens (I.flipzig 1900), welche im § 12
ähnlicho Fragen bohondelt, kaon ich hier zum Vergleiche und vielleiolit siir
Ergänzung eben noch Liiiweiseu.
Charakter dieser Einheiten bald durch Emptindiingsmomente (z. B.
Lust- oder Triebcmpfindungen), bald durch die auf sie gestützten
Actintentionen bestimmt erscheinen kann. Demgemäfs werden sich
die Ausdrücke in der Bildung und Anwendung bald nach den
Empfindungsinhalten orientiren, bald nach den Actintentionen und
sonach zu den fraglichen Aequivocationen Anlafs geben.
Zusatz. In der selhstverständUchen Tendenz dieser Auffassung
liegt es, alle unterschiede der Intensität primär iind
eigentlich den fundirenden Empfindungen zuzuerkennen, den
concreten Acten aber nur im secundären Sinn, sofern nämlich ihr
concreter Gesammtclmrakter durch die Intensitätsiinterschiede ihrer
EJmprindungsgruudliige mitbestimmt ist. Die Actintentionen, jene
unselbständigen Momente, die den Acten üiro wesentliche Eigen-
thümlichkeit als Acte erst ertheileii, sie speciell als Drtheile, Ge-
fühle n. s. w. charakterisiren , wären in sich intensitätslos.
§ 16. Unlerscheiduntf xmschen descriptivem und mlettlionalem Inhalt.
Nachdem wir unsere Auffassung vom Wesen der Acte gegen
Einwände gesichert und ihnen im Chai-akter der Intention (Be-
wufstheit in dem einzigen descriptiven Sinne) wesentliche gattunga-
mäfsige Einfielt zugestanden haben, führen wir eine wichtige
Unterscheidung ein, die nacli den hisiiorigou Ausführungen ohne
Weiteres verständlich ist, uämUch die Unterscheidung zwischen
dem roellon oder phänomenologischen (descriptiv -psycho-
logischen) Inhalt eines Actes und seinem intentionulen Inhalt
Unter dem reellen oder phänomenologischen Inhalt eines Actes
verstehen wir den GesammtinbegriH* seiner, gleichgiltig ob concreten
oder abstracten Theilo, mit anderen Worten, den Gesanimtinbegriff
der ihn reell constituirenden Theilerlobnisse. Solehe Theiie
aufzuzeigen und zu beschreiben, ist die Aufgabe der rein descrip-
tiven psychologischen Analyse. Diese geht ja auch sonst und
überhaupt darauf aus, die innerlich wahrgenommenen Erlebnisse
an und für sich, sowie sie in der Wahrnehmung reell gegeben
sind, zu zergliedern, und zwar ohne Rücksicht auf genetische
Zusammenhänge, aber auch ohne Rücksicht auf das, was sie
aufser sich selbst bedeuten, und wofür sie gelten mögen. Die
rein phänomenologische Analyse eines articulirten Lautgebildes
findet Laute und abstracte Theile oder Einheitsformen von Lauten,
sie findet nicht so etwas wie Tonschwingungen, Gehörsorgan u. s. w.;
andererseits auch nichts dergleichen wie den idealen Sinn, der
das Lautgebildo zum Namen macht, oder gar die Person, die
durch den Namen genannt sein mag. Dies Beispiel kann ver-
deutlichen, was wif im Auge haben. Natürlich wissen wir von
den phänomenologischen Inhalten der Acte nur durch phänomeno-
logische Analyse. Dafs dabei, mit Volkelt zu reden, allerlei
„erfundene Empfindungen" mit unterlaufen mögen, ist nicht zu
leugnen. Aber dies betrifft nur die Zulässigkeit der bezüglichen
deseriptiven Analysen im einzelnen Falle. Wenn irgendetwas, so
ist ja dies evident, dafs inlentionale Erlebnisse Theile und Seiten
unterscheidbar enthalten, und darauf allein kommt es hier an.
Inhalt in diesem reellen Sinn ist die schlichte Anwendung des
allgemeinsten, in allen Gebieten gütigen Inhal tsbegriffes auf die
intentionalen Erlebnisse. Wenn wir dem reellen Inhalt nun gegen-
übersetzen den intentionalen,' so deutet das Wort schon an,
dafs nun die Eigenheit der intentionalen Erlebnisse (oder Acte) als
solcher in Frage kommen soll. Aber hier bieten sich verschiedene
Begriffe dar, welche sämmtlich in der specifischen Natur der Acte
gründen und in gleicher Weise unter dem Titel „intentionalor
Inhalt" gemeint sein können, und des üftera auch gemeint sind.
Wir worden drei Begriffe von intentionalem Inhalt unterscheiden
müssen: den intentionalen Gegenstand des Actes, seine Materie
{im Gegensatz zu seiner Qualität), endlich sein intentionales
Wesen. Wir werden diese Uuterscheidougon im Zusammenhang
der nachfolgenden Reihe sehr allgemeiner, auch für die einge-
Hchränkteren Zwecke der Erkenntnisklärung unerläfslicher Analysen
kennen lernen.
' „Real" würde nebeu „intentional" sehr \-iel besser jdingen, aber gar
zu leicht metaphysisch Blatt phäDomenologisch gedeutet werden.
§ 17. Der intetitmnale Inhalt im Sinn des intentionalen
fiegenslandcs.
Ein erster Begrifl" von intcntionalem Inhalt bedarf keiner
umständlichen Vorbereitungen. Er betrifft den intentionalen Gegen-
stand, z. B. wenn wir ein Haus vorstellen, eben dieses Haus.
Dafs der inteotionale Gegenstand im Allgemeinen nicht in den
reellen Inhalt des bezüglichen Actes fällt, vielmehr ganz und gar
von ihm differirt, haben wir schon erörtert. Dies gilt nicht blofs
von Acten, die sich auf „Sufsere" Dinge, sondern zum Tlieil auch
von Acten, die sich intentional auf die eigenen präsenten Erlebnisse
beziehen: wie wenn ich z. B. von meinen actuell gegenwärtigen,
aber zum Bewufstseinshintcrgrunde gehörigen Erlebnissen spreche.
Nur in den Fällen tritt partielle Deckung ein, wo die Intention
wirklich auf etwas geht, was im intentionalen Acte selbst erlebt
ist, wie z. B. in den Acten innerer (adäquater) Wahrnehmung;
demgemäfe also in jedem Falle, wo eine phänomenologische
Einzelanalyso wirklich ihr Ziel erreicht.
In Beziehung auf den als Gegenstand des Actes veretandenen
intentionalen Inhalt ist Folgendes zu unterscheiden: der Gegen-
stand, sowie er intendirt ist, und schlechthin der Gegen-
stand, welcher intendirt ist In jedem Acte ist ein Gegenstand
als so und so bestimmter „vorgestellt", und als ebensolcher ist er
eventuell Zielpunkt wechselnder Intentionen, urtheiieuder, fühlen-
der, begehrender u. 8. w. Dem Acte selbst ganz fremde (wirkliche
oder mögliche) Erkenntniszusamnienhönge können nun aber dem
vorgestellten Gegenstande objective Beschaffenheiten zutheilen,
welche ^die Intention des vorliegenden Actos garnicht berührt,
bezw. es können mannigfache neue Vorstellungen erwachsen, die
alle, eben vermöge der objectiveu Erkenntniseinheit, den An-
spruch erheben dürfen, denselben Gegenstand vorzustellen. In
ihnen allen ist dann der Gegenstand, welcher intendirt ist, der-
selbe, aber in jeder ist die Intention eine verschiedene, jede
meint den Gegenstand in anderer Weise. So stellt z. B. die Vor-
stellung Deutschlands Kaiser ihren Gegenstand als Kaiser und
zwar als denjenigen Deutschlands vor. Dieser selbe ist der Sohn
Kaiser Friedrichs III., der Enkel der Königin Victoria und hat
sonst vielerlei hier nicht genannte und vorgestellte Eigenschafteu,
Demgemäfs könnte man, mit Beziehung auf eine gegebene Vor-
stellung, ganz consequent von dem intentioniilen und aufserintcn-
tionaten Inhalt ihres Gegenstandes sprechen; doch finden sich auch
ohne besondere Terminologie hier manche passende und unmifs-
verständliche Ausdrücke, z.B. das Intendirte am Gegenstande u. s. w.
Im Zusammenhange mit der eben behandelten Unterscheidung
steht eine andere und noch wichtigere, nämlich die Unterscheidung
zwischen der Gegenständlichkeit, auf die sich ein Act voll
und ganz genommen richtet, und den Gegenständen, auf
die sich die verschiedenen Theilacte richten, welche den-
selben Act aufbauen. Jeder Act beziefit sich intentional auf eine
ihm zugehörige Gegenständlichkeit. Dies gilt wie für einfiiche,
so für zusammengesetzte Acte. Wie immer ein Act aus Tlieil-
acten zusammengesetzt sein mag, ist es überhaupt Ein Act,
so hat er sein Correlat in Einer Gegenständlichkeit.
Und diese ist es, von welcher wir im vollen und primären
Sinne aussagen, dafs er sich auf sie beziehe. Auch die Theil-
acte (wenn es wirklich nicht blofs überhaupt Theile des Actes,
sondern Acte süad, die dem complexen Acte als Theile einwohnen)
bezichen sich auf Gegenstände; diese werden im Allgemeinen nicht
mit dem Gegenstand des ganzen Actes identisch sein, obschon sie
es gelegentlich sein können. Natürlich kann man in gewisser
Weise auch von dem ganzen Acte sagen, dais er sich auf diese
Gegenstände beziehe, aber dies gilt doch nur in einem secun-
dären Sinn; nur insofern geht seine Intention auch auf sie, als
er sich eben aus Acten aufbaut, die primär sie intendii'en. Oder
von der anderen Seite angesehen: sie sind nur insofern seine
Gegenstände, als sie seinen eigentlichen Gegenstand in der Weise,
wie er intendirt ist, constituiren helfen. Sie fungiren etwa als
Beziehungspunkte von Beziehungen, mittelst welcher der primäi-e
Gegenstand als corrolater Beziohuugspunkt vorgestellt wird. Z. B.
der Act, der dorn Namen das Messer auf dem Tische entspricht,
ist offenbar zusammengesetzt Der Gegenstand des Gesammtactes
ist ein Mossor, der Gegenstand eines Tlieilactes ist ein Tisch. So-
fern aber der erstere das Messer gerade als auf dem Tische seien-
des meint, es also in dieser Lagenbeziehung zum Tische vorstellt,
kann man nucli in einem secuiidärcu Sinne sagen, der Tisch sei
intentionaler Gegenstand des uumiiialen Gesammtactes. Wieder
ist, um eine andere wichtige Klasse von Fällen zu illustriren,
in dem Satze das Messer liegt auf dem lösche das Messer zwar
der Gegenstand, „über" den geurtheilt wird, oder „von" dem aus-
gesagt wird; aber gleieliwul ist es nicht der primäre Gegenstand,
nämlich nicht der volle des Urtbeils, sondern nur derjenige des
Urtheilsubjects. Dem ganzen Urtheil entspricht als voller und
ganzer Gegenstand der geurtheilte Sachverhalt, der als identisch
derselbe in oiiior blüfseu Vorstellung vorgestellt, in einem Wunsch
gewünscht, in einer Frage gefragt, in einem Zweifel bezweifelt
sein kann u. s. w. In letzterer Hinsicht betrifft der dem ürtheil
gleich stinmi ige Wunsch, das Messer sollte attf dem Tische liegen,
zwar das Messer, aber in ihm wünsche ich nicht das Messer, sondern
dies, dafs das Messer auf dem Tische liege, dafs sich die Sache so
verhalte. Und dieser Sachverhalt ist ofi'enbar nicht zu verwechseln
mit dem bezüglichen Urtheil oder gar mit der Vorstellung des Ur-
theils — ich wünsche Ja nicht das Urtheil oder irgendeine Vor-
stellung. Ebenso gebt die entsprechendo Frage das Messer an, aber
erfragt ist nicht das Messer (was ja gar keinou Sinn giebt), sondern
das auf dem Tische Liegen des Messers, es ist gefragt, ob es so sei.
Soviel vorläufig über den ersten Sinn der Rede von intentio-
nalen Inhalten. Mit Rücksicht auf die Vieldeutigkeit dieser Rede
werden wir am besten thun. in allen Fällen, wo der intontionale
Gegenstand gemeint i.st, überhaupt nicht vom intentionalen Inhalt,
sondern eben vom intentionalen Gegenstand des betrefifendcn Actes
zu sprechen.
§ 18. Einfache und xusammengeselxte , futidirende und fundirte Acte.
Wir haben bisher nur Eine Bedeutung der Rede von den
intentionalen Inhalten kennen gelernt. Ihre weiteren Bedeutungen
werden uns in den folgenden Untersuchungen erwachsen, in welchen
wir einige wichtige Eigenthünilichkeiten des phUnomenologischen
Inhaltu der Acte ins Auge fassen und die in ihnen gründenden
idealen Einheiten klären wollen.
Wir knüpfen an den schon berührten Unterschied der ein-
fachen und zusammengesetzten Acte an. Nicht jedes einheitliche
Erlebnis, das aus Acten zusammengesetzt ist, ist darum schon ein
zusammengesetzter Act, sowie nicht jede beliebige Aneinander-
kettung von Maschinen eine zusammengesetzte Maschine ist. An
dem Vergleiche verdeutlichen wir, was noch erforderlich ist. Eine
zusammengesetzte Maschine ist Eine Maschine, die selbst aus
Maschinen zusammengesetzt ist, und zwar ist diese Verbindung
eine derartige, dafs die Leistung der Gesammtmaschine eben eine
fiesammÜei.stung ist, in welche die Leistungen der Theilmaschinen
einfliefsen. Aehnlich verhält es sich bei den zusammengesetzten
Acten. Jeder Theiiact hat seine besondere intentionale Beziehung,
jeder hat seinen einheitlichen Gegenstand und seine Weise, sich
auf ihn zu beziehen. Aber diese mannigfachen Theilacte schliefsen
sich zu Einem Gcsammtacte zusammen, dessen GesammUeistung
in der Einheitlichkeit der intontionalen Beziehung besteht. Und
dazu tragen auch hier die Einzelacte durch ihre einzelnen
Leistungen bei; die Einheit der vorsteiligen Gegenständlichkeit
und die ganze Weise der intentionalen Beziehung auf sie consti-
tuirt sich nicht neben den Tbeilacten, sondern in ihnen, sowie
zugleich in der Weise ihrer Verbindung, die den einheitlichen
Act und nicht blofse Einheitlichkeit eines Erlebnisses überhaupt
zu Stande bringt. Der Gegenstand des Gesammtactes könnte nicht
erscheinen als solcher, wie er factisch erscheint, virenn die Theil-
acte nicht ihre Gegenstände in ihrer Art vorstellig machten: sie
sollen ja im Ganzen die Function haben, sei es Theile des Gegen-
standes, sei es äu&ere Beziehungsglieder zu ihm, sei es Be-
ziebungsformen u. dgl. darzustellen. Dasselbe gilt von denjenigen
Actmomenten, die über das Vorstelligmachen hinaus das sozu-
sagen Qualitative der Theilacte und ihre Einheit zur Qualität des
Gesammtactes ausmachen, und somit die specifisch unterechiedenen
Weisen bestimmen, wie die einen und anderen Gegenständlich-
keiten „ins Bewufstsein aufgenommen" sind.
Als Beispiel kann die Einheit der kategorischen oder hypo-
thetischen Priidication dienen. Deutlich gliedern sich hier die
Gesammtacte in Theilacte. Das Subjectglied der beziehenden Aus-
sage ist ein zu Grunde liegender Act, auf den sich die Prädicat-
setzung, das Zusprechen oder Absprechen des Prädicafs, aufbaut.
Ebenso constituu-t sich die Voraussetzung der hypothetischen Aus-
sage in einem deutlich abgegrenzten Theilacte, auf den die be-
dingte Setzung der Folge gebaut ist. und diibei ist das jeweilige
Gesamuiterlebnis offenbar Ein Act, es ist Ein Urtheil, mit Einer
Gesammtgegenständliclikeit, nämlich Einem Sachverhalte. Wie das
Urtheil nicht neben oder zwischen den Subject- und Prädicat-
acten, den voraussetzenden und folgernden Acten ist, sondern in
ihnen als die durchwaltende Einheit, so ist auf der correlaten
Seite der geurtheilte Sachverbalt die objective Einheit, die als das,
was sie hier erscheint, aus Subject und Prädicat, aus Vorausge-
setztem und darauf hin Gesetztem sich aufbaut.
Die Sachlage kann auch complicirter sein. Es kann sich auf
solch einem mehrgliedrigen Acte (dessen Glieder übrigens selbst
wieder gegliedert zu sein pflegen) ein neuer Act aufbauen, z. B.
auf die Coustatirung eines Sachverhalts eine Freude, die hiedurch
Fi'eude über den Sachverhalt ist Die Freude ist nicht ein con-
creter Act für sich und das Urtheil ein daneben liegender Act,
sondern das Urtheil ist der fimdirende Act für die Freude, es be-
stimmt ihren lulialt, es realisirt iiire abstracto Möglichkeit: denn
ohne solche Fundirung kann Freude überhaupt nicht sein.' Wieder
können Urtheile, sei es Vermuthungen oder auch Zweifel, Fragen,
Wünsche, Wiüensacte u. dgl. fundiren; und ebenso auch umge-
kehrt, es können Acte der letzteren Art als Fundirungen auf-
treten. So giebt es mannigfaltige Combinationen, in welchen Acte
sich zu Gesammtacteu zusammenschliefsen, und schon die flüch-
' Es ist hier also von Fiuidiruog im streagen Sinne unBerer unter-
üudiung Jll die Hede.
tigste Betrachtung lehrt, dafs in der Weise der Verwebung, bezw.
der Fundirung von Acten durcli unterliegende und sie erbauende
Acte merkwürdige Unterschiede bestellen, von deren systematischer
Erforschung bisher kaum noch die dürftigsten Anfänge zu finden sind.
§ 19. Dk Function der Aufmerkmmkeü in compkxen Acten.
Das phänmnenologisclie Verluüinis zwischen Wortlaut und Sinn als
Beispiel.
"Wie weit die Verschiedenheiten in dieser Hinsicht gehen,
wird ein Beispiel zeigen, das uns nicht weniger interessirt als die
oben zergliederten, icfi meine das einmal schon in Erwägung ge-
zogene' Ganze von Ausdruck und Sinn. Es wird auch eine weitere
Beobachtung illustriren, die hier Niemandem entgehen kann, näm-
lich daJs sozusagen hinsichtlich der Activität, mit welcher sich
Acte einer Complexion geltend machen, sebr erhebliche Unter-
schiede möghch sind. Normaler Weise wird der Actcharakter,
der die Einheit aller Theilacte umspannt, sie alle unter sich hat
— gleichgiltig ob es sich um eine eigene Actintention handelt
wie im Beispiel der Freude, oder um eine sich durch alle Theile
hindurchziehende Einheitsform — die gröfste Activität entfalten.
In diesem Acte leben wir vorzugsweise, in den untergeordneten
Acten aber nur nach Mafsgabe der Bedeutsamkeit ihrer Leistung
für den Gesamratact und seine Intention. Doch wenn wir soeben
von Unterschieden der Bedeutsamkeit in der Leistung sprachen, so
ist das offenbar selbst nur ein anderer Ausdruck für eine gewisse
Bevorzugung hiehergehöriger Art, die den einen Theilacten zu
Gute kommt und den anderen nicht
Betrachten wir nun das angezeigte Beispiel. Es handelt
sieb um die Einheit der Acte, in denen sich ein Ausdruck,
physisch genommen, constituirt, mit den ganz anderen Acten, in
denen sich die Bedeutung constituirt; eine Verbindung, die offen-
bar eine wesentlich andere ist, als weiterhin die Einheit der letzt-
erwähnten Acte mit denjenigen, in welchen sie ihre nähere oder
' Unters. I, § 9 und lü.
I
fernere Erfiilliing durch Anschauung finden. Und nicht nur die
Vorknüpfimgsweise ist eine wesentlich verschiedene, sondern auch
die Activitiit, mit der die einen und anderen Acte vollzogen
werden. Der Ausdruck wird etwa wahrgenommen, doch in diesem
Wahruehniou lebt nicht un.'ier Interesse; wir achten, wenn wir
nicht abgelenkt werden, statt auf die Zeichen, viebnehr auf den
Sinn; den sinnverleihenden Acten kommt also die vorherrschende
Activitiit zu. Was dann die eventuell begleitenden und in die
Einheit des Gesammtactes rait eingewobenen Acte der evident
machenden oder illustrirenden oder sonstwie fungirenden An-
schauungen anlangt, so nehmen sie das herrschende Interesse in
verschiedenem Malse in Anspruch. Sie können vorwalten, wie
im Wahrnehmungsui'theil oder in dem analog gebauten Bildlich-
keitsurtheil, wo wir die Wahrnehmung oder Imagination, in der
wir leben, nur zum Ausdruck bringen wollen, oder wie ebenfalls
in dem von Evidenz voll durchleuchteten Gesetzesurtheil ; sie können
mehr zurücktreten und schliofslich ganz nebensächlich erscheinen,
wie in Füllen unvollkommener oder gar völlig uneigentlicher Ver-
bildlichuug des herrschenden Gedankens, es sind dann flüchtige
Phantasmen, an denen kaum noch ein Interesse haftet. (Doch
mag man in dem extremen Falle zweifeln, ob die begleitenden
Bildvorstelluogen überhaupt noch zur Einheit des ausdrücklichen
Actes gehören, oder ob sie nicht eben blofse Begleiter seien, rait
den fraglichen Acten coexistirend, aber nicht mit ihnen zu Einem
Acte verknüpft)
Vermöge des eigenen Werthes, den die möglichste Kläi-ung
der Sachlage bei den Ausdrücken für uns besitzt, wollen wir einige
Punkte näher ausführen.
Ausdruck und Sinn siud zwei objective Einheiten, die sich
für uns in gewissen Acten darstellen. Der Ausdruck an sich,
z. B. das geschriebene Wort ist, wie wir schon in der Unter-
suchung I ausgeführt haben,' ein physisches Object so gut wie
irgendein beliebiger Federzug oder Tintenfleck auf dem Papier;
es ist uns also in demselben Sinne wie irgendein physisches Object
sonst „gegeben", d. h. es orsclieint, und dafs es erscheint heifst
hier wie dort nichts Anderes, als dafs ein gewisser Act Erlebnis
ist, in dem die und die Empfind iiugserlebnisse in gewisser Weise
„appercipirt" werden. Die hier fraglichen Acte sind natürlich
Wahrnehmiings- oder Phantasievorstellungen; in ihnen constituirt
sich der Ausdruck im physischen Sinne. Unwesentlich sind diese
Acte für den Ausdruck als solchen insofern, als sie genau so bei
Nicht-Ausdrücken auftreten könnten.
Was nun aber den Ausdruck zum Ausdruck macht, das sind,
wie wir wissen, die ihm angeknüpften Acte. Sie sind nicht äußer-
lich neben ihm, etwa nur gleichzeitig bewufst, sie sind vielmehr
mit ihm eins und so eins, dafs wir schwerlich werden umhin
können zuzugestehen, dafs die Verknüpfung der einen und anderen
Acte (denn unter dem Titel Ausdruck meinen wir natürlich in
bequemer Lässigkeit die ihn dai^tellende Acteinheit) wirklich einen
einheitlichen Gesammtact ergiebt. So ist z. B. eine Aussage,
eine Behauptung, ein streng einheitliches Erlebnis, und zwar von
der Gattung Urtheil, wie wir geradehin zu sagen lieben. Wir finden
in uns nicht eine blofse Summe von Acten, sondern Einen Act,
an dem wir gleichsam eine leibliehe und eine geistige Seite unter-
scheiden. Ebenso ist ein ausdrücklicher Wunsch nicht ein Bei-
einander von Ausdruck und Wunsch (und zwischen beiden noch
ein Urtheil über den Wunsch — was freilich strittig ist), sondern
ein Ganzes, Ein Act; und wir nennen ihn geradezu einen Wunsch.
Mag immerhin der physische Ausdruck, der Wortlaut, in dieser
Einheit als unwesentlich gelten, Das ist er auch insofern, als
anstatt seiner ein beliebiger anderer Wortlaut und in gleicher
Function hätte stehen können; ja er könnte sogar gänzlich in
Fortfall kommen. Aber ist er einmal da, so verschmilzt er doch
mit den beigegebenen Acten zu Einem Act. Auch dies ist sicher,
dafe der Zusammenhang hier gewissermafsen ein ganz äufserlicher
ist, da der Ausdruck selbst, d. h. der erscheinende Wortlaut (das
objective Schriftzeichen u. dgl.) nicht als Bestaudstück der im Ge-
sammtact intendirten Gegenständlichkeit und überhaupt nicht als
etrras ^sachlich" zu ihr Gehöriges, sie irgendwie Bestimmendes
gelten soll. Also der Beitrag, den die verbalen Acte zum ge-
sammten Act, etvc» der Behauptung, leisten, ist von total ver-
schiedener Art, als der Beitrag der fundirenden Acte nach Mafs-
gabe der oben discutirten Beispiele. Andererseits müssen wir aber
nicht verkennen, dafs ein gewisser phänomenaler Zusammenhang
zwischen Wort und Sache bei all dem übrig bleibt. Indem z. B.
das Wort die Sache nennt, legt es sich ihr in gewisser Weise
auf,* erscheint in gewisser Art doch wieder mit ihr einig, als
etwas an ilir, nur freilich nicht als sachlicher Theil oder als sach-
liche Bestimmtheit. Also die sacliliche Bezieh ungslosigkeit schlielst
nicht eine gewisse phänomenale Einheit aus, die auf eine Yer-
knüpfung der entsprechenden Acte zu einem einzigen Acte hin-
deutet. Zur Bestätigung kann wol auch die Erinnerung an den
schwer ausrottbaren Hang dienen, die Einheit zwischen Wort und
Sache zu übertreiben, ihr einen objectiven Charakter, etwa gar in
Form einer mystischen Einheit, zu unterschieben.
In diesem verknüpften Acte nun, der Ausdructserscheinung
und sinngehende Acte befafst, sind es offenbar die letzteren Acte,
oder ist es die in ihnen selbst herrschende Acteinheit, die den
Charakter des Gesammtactes wesentlich bestimmt. Danach nennen
wir ja das ausdrückliche und das entsprechende nichtausdrückliche
Erlebnis mit demselben Namen: Urtbeil, Wunsch u. dgl. In der
Complexion prüvaliren also die einen Acte in eigenthümlicher
"Weise. Wir drückten dies gelegentlich so aus; indem ein Aus-
druck als solcher fungirt, „leben wir" nicht in den Acten, die
ihn als physisches Object constituiren; nicht diesem Object gehört
unser „Interesse", vielmehr leben wir in den sinngebenden Acten,
wir sind ausschliefslich dem Gegenständlichen zugewendet, das in
ihnen erscheint. Wir wiesen auch darauf hin, wie die besondere
Zuwendung zu dem physischen Ausdruck wol möglich ist, aber
auch den Charakter des Erlebnisses total verändert, es hört auf,
noch ein Ausdruck zu sein.
' Vgl. B. Erduuin's Besohreibung des aaBdrüoUichea Wabmetimuiigs-
vtheils, Logik I, 205.
i
Offenbar tiaben wir es liier mit einem Falle einer allgemeinen
und trotz aller Bemühungen noch nicht hinreichend klargelegten
Thatsaclie zu thun, mit der Thatsache der Aufmerksamkeit.
Sicherlich hat hier nichts so sehr die richtige Erkenntnis ver-
baut, wie die Verkennung des Umstandes, dafs die Aufmerk-
samkeit eine auszeichnende Function ist, die zu Acten
in dem oben präcisirten Sinne vim iiiteniionalen Erleb-
nissen gehört, und dafs somit von ihrem doscriptiven Ver-
ständnis so lange keine Rede sein kann, als man das Erlebtsein,
im Sinne des schlichten Daseins eines Inhaltes im Bewufstsein,
mit der intentionalen Gegenständlichkeit vermengt. Acte müssen
da sein, damit wir in ihrem Vollzüge ,,autgehen", in ihnen „leben"
können, und indem wir dies thun, achten wir auf die Gegen-
stände dieser Acte. Das Eine und das Andere ist dasselbe, nur
von verschiedenen Seiten ausgedrückt.
Demgegenüber spricht man von der Aufmerksamkeit so, als
wäre sie eine Art bevorzugender Hebung, die den jeweils erlebten
Inhalten zutheil würde und beliebigen solchen Inhalten ohne Wei-
teres zutheil werden könnte. Zugleich spricht man noch so, als
wären diese Inhalte (die jeweiligen Erlebnisse selbst) das, wovon
wir in normaler Rede sagen, dafs wir darauf aufmerksam seien.
Die Möglichkeit einer Aufmerksamkeit auf erlebte Inhalte be-
streiten wir natürlich nicht, aber wo wir auf erlebte Inhalte auf-
merksam sind, da sind sie eben Gegenstände einer (sc. inneren)
Wahrnehmung, und Wahrnehmung ist hiebei nicht das blofse
Dasein des Inhalts im Bewufstsein, sondern vielmehr ein Act, in
dem uns der Inhalt gegenständlich wird. Und so sind es denn
überhaupt intentionale Gegenstände irgendwelcher Acte, und nur
intentionale Gegenstände, worauf wir jeweils aufmerksam sind und
aufmerksam sein können. Damit harmonirt die normale Rede-
weise, über deren wirklichen Sinn die kürzeste Reflexion hätte
Auskunft geben können. Ihr gemäfs sind die jeweiligen Gegen-
stände der Aufmerksamkeit Gegenstände innerer oder äufserer
Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung, oder auch Sachverhalte
einer wissenschaftlichen Erwägung u. dgl. G-ewifs, von Aufmerk-
flnsterl, Los. Unters. II.
samkeit kann nur die Rede sein, wo unser „BewuTstsein" auf das,
■worauf wir aufmerksam sind, „gerichtet'' ist Diese Selbstver-
ständlichkeit besagt aber nicht, dafs Aufmerksamkeit ein Act ist,
der sich nothwendig auf Bewufstseinsinhalte (Erlebnisse) richten
müsse und auf solche ohne Weiteres richten könne; sondern es
heifst, dafs irgendein Act zu Grunde liegen nuifs, in dem uns
das, worauf wir aufmerksam sein sollen, im weitesten Sinne des
Wortes gegenständlich bczw. vorstellig wird. Dieses Vorstellen
kann ebensowol ein symbolisches wie ein anschauliches, es kann
ein noch so inadäquates so gut wie ein adäquatps sein. In anderer
Hinsicht wäre freilich zu erwägen, ob die BovorKUgung, die
ein Act vor anderen gleichzeitigen erfährt, indem wir „in ihm
leben" und so mit seinen Gegenständen „speciell beschäftigt" sind,
selbst als ein Act zu gelten habe, der folglich alle prävalirenden
Acte eo ipso zu complexen machte.
Doch wir wollten hier nicht eine „Theorie'' der Aufmerk-
samkeit durchführen, sondern nur die wichtige Function erörtern,
die sie als hebender Factor von Actcharakteren in zusammen-
gesetzten Acten spielt, und durch die sie auf die phänomenale
Gestaltung der letzteren wesentlich einwirkt.
§ 20. Der Unterschied der Qualität und der Materie eines Actes.
Wichtiger als der zuletzt behandelte Unterschied zwischen
Acten, in denen wir leben, und Acten, die nebenherlaufen, ist ein
anderer und zunächst ganz selbstverständlicher Unterschied, näm-
lich der Unterschied zwischen dem allgemeinen Charakter des
Actes, der ihn jenachdem als vorstdleudcn , oder als urtheilenden,
fühlenden u. s. w. kennzeichnet, und seinem Inhalt, der ihn als
diese Vorstellung, dieses Urtheil u. s. w. kennzeichneL So sind
z. B. die beiden Behauptungen 2x2 "4 und Ibsen ffili als Haupt-
begründer des modernen Realismus in der dramatischen Kunst,
als Behauptungen von Einer Art, jedes ist als Urtheil qualificirt.
Dieses Gemeinsame nennen wir die Urthoilsquaiität. Das
Eine ist aber Urtheil dieses, das Andere ein Urtheil eines
anderen „Inhalts", wir sprechen, zur Unterscheidung von anderen
Bewußlsein als psychischer Act.
Inhaltsbegriffen, hier von der ürthoilsmaterie. Aehnliche Unter-
scheidungen zwischen Qualität und Materie vollziehen wir bei
allen Acten.
Es handelt sich bei dem letzteren Titel nicht um eine Ab-
theiliing und sanimeludo Wiedervereinigung von Bestandstücken
des Actes, wie Subject, Prädicat u. dgl. Danach wäre der ge-
einigte Gesaramtinhait der Act selbst. Was wir hier aber im Auge
haben, ist etwas ganz Anderes. Inhalt im Sinne von Materie ist
eine Componente des concreten Acterlebnisses, welche dieses mit
Acten ganz anderer Qualität gemeinsam haben kann. Sie tritt
also am klarsten hervor, wenn wir eine Reihe von Identitäten
herstellen, in welchen die Äctqualitaten wechseln, während die
Materie identisch dieselbe bleibt. Dazu bedarf es keiner grofsen
Veranstaltungen. Wir erinnern an die übliche Rede, dais der-
selbe Inhalt das eine Mal Inhalt einer Vorstellung, das andere
Mal Inhalt eines Drtheils, wieder in anderen Fällen Inhalt
einer Frage, eines Zweifels, eines Wunsches und dergleichen
sein kann. Wer sich vorstellt, es gebe auf dem Mars intelligmte
Wesen, stellt dasselbe vor, wie derjenige, der aussagt, es giebt
auf dem Älars intelligente Wesen, und abermals wie derjenige,
der fragt, giebt es auf dem Mars intelligente Wesen? oder wie
derjenige, der wünscht, möge es doch auf dem Mars intelligente
Wesen geben, u. s. w. Mit Bedacht stellen wir hier die genau ent-
sprechenden Ausdrücke explicite auf. Die Gleichheit des „Inhalts"
bei Verschiedenheit der Actqualität findet ihre sichtliche gram-
matische Ausprägung, und so kann die Harmonie der gramma-
tischen Bildungen die Richtung unserer Analyse andeuten.
Was heifst hier also derselbe Inhalt? Offenbar ist die inten-
tionale Gegenständlichkeit in den verschiedenen Acten dieselbe.
Ein und derselbe Sachverhalt ist in der Vorstellung vorgestellt,
im Drtheil als geltender gesetzt, im Wunsche erwünscht, in der
Frage erfragt Aber mit dieser Bemerkung langen wir nicht aus,
wie die folgende Ueberlegung herausstellen wird. Für die phä-
nomenologische Betrachtung ist die Gegenständlichkeit selbst nichts;
sie ist ja, allgemein zu reden, dem Acte transscendent. Gleich-
25*
giltig in welchem Sinne und mit welchem Rechte von ihrem
„Sein" die Rede ist, gleicbgiltig ob sie real oder ideal, ob sie
wahrhaft, möglich oder unmöglich ist, der Act ist „auf sie ge-
richtet". Fragt man nun, wie es zu verstehen sei, dafs das Nicht-
seieiide oder Transscendt'nte in einem Acte, in welchem es gar-
nicht ist, als intentionaler Gegenstand gelten könne, so giebt es
darauf keine andere Antwort als diese eine und in der That voll
ausreichende, die wir oben gegeben hoben: der Gegenstand ist ein
intentionaler, das heifst, es ist ein Act da mit einer bestimmt
charakterisirten Intention, die in dieser Bestimmtheit eben das aus-
macht, was wir die Intention auf diesen Gegenstand nennen. Das
sich auf den Gegenstand Beziehen ist eine erlebbare Eigenthiim-
lichkeit, und die Erlebnisse, die sie zeigen, heifsen (nach Definition)
intentionale Erlebnisse oder Acte.' Alle Unterschiede in der
Weise der gegenständlichen Beziehung sind descriptive
Unterschiede der bezüglichen intentionalen Erlebnisse.
Nun ist aber zunächst zu beachten, dafs die im phänomeno-
ogischen Wesen des Actes sich bekundende Eigenheit, sich auf
"eine gewisse Gegenständlichkeit und keine andere zu beziehen,
nicht das ganze phänomenologische Wesen des Actes erschöpfen
kann. Wir sprachen soeben von Unterschieden in der Weise
der gegenständlichen Beziehung. Darunter sind aber grundver-
schiedene und völlig unahhängig voneinander variirende Unter-
schiede zusammengefafst. Die Einen betreffen die Act quäl i-
täten; so wenn wir von den Unterschieden sprechen, nach welchen
Gegenständlichkeiten bald in der Weise vorgestellter, bald in der-
jenigen beurtheilter, erfragter u. s. w. intentional sind. Mit dieser
Variation kreuzt sich eine andere, von ihr ganz unabhängige,
nämlich die Variation der gegenständlichen Beziehung; der eine
Act kann sich auf dieses, der andere auf jenes Gegenständliche
beziehen, wobei es gleichgiltig ist, ob es sich um Acte gleicher
oder verschiedener Qualität handelt: Jede Qualität ist mit
jeder gegenständlichen Beziehung zu combiniren. Diese
' Vgl. dazu die Beilage am Schlüsse dieses Eapitels 8. 396 ff.
zweite Variation trifft also eine zweite von der Qualität ver-
schiedene Seite im phiinomenolögischen luiialt des Actes.
Bei dieser letzteren Variation, welche die wechselnde Bicbtung
auf Gegenständliches betrifft, pflegt man aber gerade nicht von unter-
schiedenen „Weisen der gegenständlichen Beziehung" zu sprechen,
wiewol das Unterechoidonde dieser Richtung im Acte selbst ge-
legen sein muJs.
Näher zugeseben , merken wir bald, dafs sieb hier noch eine
andere, von der Qualität unabhängige Variationsniöglich-
keit herausstellen läi'st, in Hinsicht aufweiche von unterschiedenen
Weisen der Beziehung auf Gegenständliches sehr wol die Rede ist;
und zugleich damit fallt uns auf, daiJs die soeben vollzogene doppelte
Variation noch nicht vollkommen geeignet ist, das, was wir als
Materie definiren müssen, von der Qualität klar abzuscheiden. Ihr
gemilfs hätten wir zwei Seiten tm jedem Acte zu sondern: die
Qualität, die den Act z. ß. als Vorstellung oder Urtheil kennzeichnet,
und die Materie, die ihm die bestimmte Richtung auf ein Gegen-
ständliches verleiht, also es z.B. macht, dafs die Vorstellung gerade
(lies und nichts Anderes vorstellt. Das ist zweifellos richtig und
doch in gewisser Hinsicht mifsverständlich. Im ersten Augenblick
wird man nämlich geneigt sein, die Sachlage einfach so zu inter-
protiren: die Materie ist dasjenige am Acte, was ihm die Richtung
gerade auf diesen und keinen anderen Gegenstand ertheilt — also
ist der Act durch seinen qualitativen Charakter und durch den
Gegenstand, den er intendiren soll, eindeutig bestimmt. Eben diese
vermeintliche Selbstverständliohkcit erweist sich als unrichtig. In
der That ist es leicht zu sehen, dafs, wenn wir zu gleicher Zeit
die Qualität und die gegenständliche Richtung fixiren,
noch gewisse Variationen möglich sind. Es können zwei
identisch, z. B. als Voi-stellungen qualificirte Acte, als auf dasselbe
Gegenständliche, und zwar mit Evidenz, gerichtet erscheinen, ohne
dafs die Acte nach ilirem vollen intentionalen Wesen übereinstimmen.
So sind die Vorstellungen das gleichseitige Dreieck und das gleich-
ivinklige Dreieck inhaltlich verschieden, und doch sind sie beide, wie
sich ja evident nachweisen lälst, auf denselben Gegenstand gerichtet
390 V. lieber intenlionale Erlebnisse und ihre „Inhalte".
Sie stellen denselben Gegenstand, aber noch „in verschiedener Weise"
vor. Aebiiliches gilt für Vorstellungen, wie eine Länge voti a -^- b
und eine Lätige von b -{■ a Einheiten, und selbstveratändlieh dann
auch für Aussagen, welche, im üebrigen bedeutuiigsidentisch,
sich nur durch solche „üquivalonto" Begriffe unterscheiden. Ebenso
im Vergleich von andersartig äquivalenten Aussagen; z. B. es ifird
Regenwetter geben und das Wetter wird regneriseh werden. Nehmen
wir aber eine Actreihe wie die folgende : das ürtheil es toird heute
regnen; die Venmitbnng heute wird es wol regnen; die Frage wird es
heute regnen? den Wunsch nenn es doch heute regnen iHirde! u.s. w.;
so exompliflcirt sie die Müglichkeit der Identität nicht blofs hin-
sichtlich der gegenständlichen Beziehung überhaupt, sondern auch
hinsichtlich der im neuen Sinn verstandenen Weise der
gegenständlichen Beziehung, einer Weise, die also nicht durch
die Qualität des Actes vorgeschrieben ist
Die Qualität bestimmt nur, ob das in bestimmter Weise
bereits „vorstellig Gemachte" als Erwünschtes, ErQ-agtes, urtheils-
mäfsig Gesetztes u. dgl. intentiona! gegenwärtig sei. Danach niufs
uns die Materie als dasjenige im Acte gelten, was ihm
allererst dio Beziehung auf oiu Gegenständliches vor-
leiht, und zwar diese Beziehung in so vollkommener Bestimmt-
heit, dafs durch dio Materie nicht nur das Gegenständliche über-
haupt, welches der Act meint, sondern auch dio Weise, in welcher
er es meint, fest bestimmt ist. Dio Materie — so können wir
noch weiter verdeutlichend sagen — ist die im phänomenologischen
Inhalt des Actes liegende Eigenheit desselben, die es bestimmt,
als was der Act die jeweilige Gegenständlichkeit auffafst,
welche Merkmale, Formen, Beziehungen er ihr zumisst. An der
Materie des Actes liegt es, dafs der Gegenstand dem Acte als
dieser und kein anderer gilt, sie ist gewissermafsen der die Qualität
fundirende (aber gegen deren Untoi-schiodo gleichgiltige) Sinn der
gegenständlichen Auffassung. Gleiche Materien können nie-
mals eine verschiedene gegenständliche Beziehung geben; wol aber
können verschiedene Materien gleiche gegenständliche Beziehung
geben. Letzteres zeigen die obigen Beispiele; wie denn überhaupt
die Unterschiede äquivalenter, aber nicht taiitologischer Aus-
driiclte die Materie betreffen. Solchen Untorschioden entspricht
natürlich keine denkbare Zei"stückiing der Materie, als ob ein
Stück dem gleichen Gegenstande, ein anderes der verechiedenen
Weise seiner Vorstellung entspräche. OfTenbar ist die gegenständ-
liche Be/iclumg « priofi nur niüglieh als bostinimto "Weise der
gegenständlichen Beziehung; sie kann nur zu Stande kommen in
einer voUbestimmten Materie.
Wir fügen noch eine Bemerkung bei: die Actqualität ist
zweifellos ein abstractes Moment des Actes, das von jedweder
Materie abgelöst schlechterdings undenkbar wäre. Oder sollten
wir etwa ein Erlebnis für möglich halten, das Urtheilsqualitiit
wäre, aber nicht ürtheil einer bestimmten Materie? Damit ver-
löre ja das ürtheil den Charakter eines intentionalen Erlebnisses,
der ihm als wesentlicher evident zugeeignet ist.
Aehnliches wird fiu- die Materie gelten. Auch eine Materie,
die weder Materie eines Vorstell ens, noch die eines ürthoilens u.dgl.
wäre, wird man für undenkbar erachten.
Auf den Doppelsinn der Rede von der „Weise der gegen-
ständlichen Beziehung", die sich nach den eben durchgeführten
Betrachtungen bald auf die Verschiedenheiten der Qualität und bald
auf die der Materie bezieht, ist von nun ab zu merken; wir werden
ihm durch passende, die Termini Qualität und Materie heran-
ziehende Wendungen begegnen. Dafs dieselbe Rede noch andere
wichtige Bedeutungen bat, wird sich später herausstellen'.
§ 21. Das inientionale und das bederUungsmäfsige Wesen.
Die näliere Erforschung der einschlägigen und recht schwie-
rigen Probleme wollen wir für den Augenblick noch aufschieben
und uns sogleich zur Behandlung einer neuen Unterscheidung
wenden, in welcher uns ein abermals neuer, aus dem vollen
descriptiven Inhalt des Actes zu sondernder Begriff von seinem
-intentionalen Inhalt" zuwächst.
' Vg). die Aufzählung in Unters. VI, § 27.
Im descriptivon Inhalt jedes Actes hnbpu wir Qualität und
Materie als zwei einander wecliselseitig fordernde Momente unter-
schieden. Nehmen wir nun beide wieder zusammen, so scheint
es zunächst, dafa wir damit nur den betreffenden Act restituirt
haben. Genauer zugesehen, drängt sioh uns jedoch eine andere
Auffassung entgegen, wonach die beiden Momente, zur Einheit
gebracht, den concret vollständigen Act nicht ausmachen. In der
That können zwei Acte sowol in Hinsicht auf ihre Qualität, als
in Hinsicht auf ihre Materie einander gleich und trotzdem noch
descriptiv verscliieden sein. Sofern uns nun (wie wir hören
v^erden) Qualität und Materie als die durchaus wesentlichen und
daher nie zu entbehrenden Bestandstücke eines Actes gelten müssen,
würde es passend sein, die ?]inheit beider, die nur einen Theil
des vollen Actes ausmacht, als das inienHonale Wesen des Actes
zu bezeichnen. Indem wir diesen Terminus und die ihm zu-
gehörige Auffassung der Sachlage festziihnlton gedenken, führen
wir zugleich einen zweiten Terminus ein. Soweit es sich nämlich
um Acte handelt, die als bedeutungverleihende Acte bei Aus-
drucken fungiren oder fungiren könnten — ob dies alle können,
werden wir späterhin zu erforschen haben — .soll specieller von
dem bedeittungsmäfsigen Wesen des Actes gesprochen werden.
Seine ideirende Abstraction ergiebt die Bedeutung in unserem
idealen Sinn.
Zur Rechtfertigung unserer Begriffsbestimmung kann zunächst
der Hinweis auf die folgende neue Koihe von Identificirungen
dienlich sein. Wir sagen allgemein und im guten Sinne, es
könne Ein Individuum zu verschiedenen Zeiten, oder es könnten
mehrere Individuen, sei es zur selben oder zu verschiedenen
Zeiten, dieselbe Vorstellung, Erinnerung, Erwartung haben, die-
selbe Wahrnehmung machen, dieselbe Behauptung aussprechen,
denselben Wunsch, dieselbe Hoffnung hegen u. s. w.
Dieselbe Vorstellung haben, besagt zwar auch, aber besagt nicht
gleich viel wie, denselben Gegenstand vorateHen. Die Vorstellung,
die ich von GrünJands Eiswüsten habe, ist sicherlich eine andere
als diejenige, die Nansen von ihnen hat; aber der Gegenstand ist
derselbe. Ebenso sind die idealen Gegenstände „Gerade" und
„kürzeste Linie" iiJentisch, die Vorstellungen aber (bei passender
Definition der Geraden) verschieden.
Die Rede von derselben Vorstellung, bezw. demselben ürtLeil
u. dergl., meint forner nicht individuelle Identität der Acte, als wäre
mein Bewufstsein gewisserniafsen zusamniongüwaclisen mit dem
eines Anderen. Sie meint ebensowenig das V'orbiiltnis vollkom-
mener Gleichbeit, also Ummtorscboidbarkeit binsicbtlich aller
inneren Constituentien der Acte, als ob der eine ein blofses
Duplicnt des anderen wäre. Wir haben dieselbe Voi-steliung von
einer Sache, wenn wir Vorstellungen haben, in denen sich uns
die Sache nicht blofs überhaupt, sondern als genau dieselbe vor-
stellt; (1. h. nach den obigen Ausflihrungen: in demselben Auf-
fassungssinne oder auf Grund derselben Materie. Im „Wesen"
Laben wir dann in der Tbat dieselbe Vorstellung trotz sonstiger
phünomeuologischer Differenzen. Am klarsten tritt die Bedeutung
solcher wesentlichen Identität hervor, wenn wir an die Function
der Vorstellungen als Fundirungen für höhere Acte denken. Denn
gleichwertiiig können wir diese Wosensidentität auch so bezeichnen:
zwei Vorstellungen sind im Wesen dieselbe, wenn sich auf
(Jrund einer jeden unter ihnen, und zwai- rein für sich genommen
(also analytisch), über die vorgestellte Sache genau dasselbe und
nichts Anderes aussagen liefse. Und ähnlich in Betreff der
anderen Äctarten. Zwei ürtheilo sind wesentlich dasselbe Urthcil,
wenn alles, was vum beurtheilten Sachverhalt nach dem einen
Urtlieil gelten würde, von ihm auch nach den anderen gelten
müfsto und nichts Anderes. Ihr Wahrhoitswerth ist derselbe,
und er ist es offenbar, wenn „das" Urtheil, ilas intentionale
Wesen als Einheit von Urthoilsiiualität und Urtheilsmaterio das-
selbe ist
Machen wir uns nun auch k^ar, dafs das intentionale
Wesen den Act phänomenologisch nicht erschöpfL Bei-
spielsweise ändert sich eine als blolse Einbildung rjualificirte
Phantasievorstellung in der betrachteten Hinsicht unwesentlich,
wenn die Fülle und Lebendigkeil der sie mitaufbauenden sinn-
lichou Inhalte zu- oder abnimmt; oder auf den Gegenstand be-
zogen: wenn der Gegenstand bildlich bald mit gröfscrer Klarheit
und Deutlichkeit erscheint, bald wieder in nebelhafter V*er-
schwommenheit zerfliefst, in seinen Färbungen verblafst u. dergl.
Oh man hier Intensitätsnndorungen annehmen, ob man Gleichheit
der hier auftretenden Empfindungen mit denen der Wahrnehmung
principiell leugnen mag oder nicht, jedenfalls kommt es auf die
absohlten Qualitäten, Formen u. s. w. wenig an, wofem eben nur
die Intention des Actes, sozusagen seine Meinung, ungeändert
bleibt. Bei all den phänomenologisch so erheblichen Veränderungen
der l'hantasieerseheinung steht der Gegenstand selbst immerfort
als der Eine und selbe vor unserem Bewuistsein (Identität der
Materie), nicht ihm, sondern der Bildei-scheinung messen wir die
Veränderungen zu, wir meinen ihn als constant vorharrenden;
und wir meinen ihn so in der Weise blolser Einbildung (Identität
der Qualität). Dies natürlich unter der Voraussetzung, dafe die
betreffende Vorstellung eben einen constanten Gegenstand ver-
bildlichen will. Ist es aber auf einen sich verändernden ab-
gesehen, so breitet sich die Vorstellung in einem Flufs von
Vorstellungen mit entsprechend variirender Vorstellungsintention
aus; und von dieser fliefsenden Vorstellung wäre dann dasselbe
zu sagen, was wir in Botreff der Vorstellung von Constantem
gesagt haben.
Auch bei der Wahrnehmung verhält es sich nicht anders.
Auch hier handelt es sich, wenn wir geraeinsam „dieselbe" Wahr-
nehmung machen oder die gemachte blofs „mederholen", nui'
um die identische Einheit der Materie, und somit auch des in-
tentionalon Wesens, die einen Wechsel im doscriptiven Gehalt
des Erlebnisses keineswegs ausschliefst Dies geht schon aus
dem Antheil hervor, den die Phantasie an der Wahrnehmung
hat oder haben kann. Ob in mir von der Rückseite dieser vor
mir liegenden Tnbaksbüchso überhaupt Phantasiedarstollungen auf-
leben, ob sie dann nach Fülle, Stetigkeit, Lebeniiigkeit u. s. w.
sich so oder so verhalten: das berührt nicht den wesentlichen
Inhalt der Wahrnehmung, also dasjenige an ihr, was die voll-
berechtigte Rede von derselben Wnhmebmung f^egenüber einer
Melirlieit phäuomoiiologisch dilTerenter Wahrnelimungsacte orkliirt.
Bei alledem wird der Gegenstand als derselbe, mit denselben Be-
stimmtlieiten ausgestattete wahrgonoramen, nämlich in wahrnehmen-
der Weise „gemeint" oder „aüfgofafst" und gesetzt.
Im üebrigen kann eine Wahrnehmung auch mit einer Phan-
tasievorstellung die Materie gemein haben, wofern diese Vorstellung
den Gegenstand oder Sachverhalt „als genau denselben" imaginativ
auffafst, als welchen ihn die Wahrnehmung percoptiv autlafct, so
dafs ihm die Eine objcctiv nichts zudeutet, was ihm nicht auch
die Andere zudeutct. Da die Vorstelhiiig nun auch gleich quuüfi-
cirt sein kann (Erinnerung), so sehen wir schon, daüs die Artunter-
schiede der intuitiven Acte sich nicht dnrch das intentionale
Wesen bestimmen.
Analoges gilt natürlich für Acte jeder Art. Denselben
Wunsch hegen mehrere Personen, wenn ihre wünschende Inteulion
dieselbe ist. Bei dorn Einen mag der Wunsch voll ansdrücklich
sein, bei dem Andern nicht, bei dem Einen mit Beziehung auf
den fundirenden Vorstellungsgehalt anschaulich klar, bei dem
Andern mehr oder minder imanschanlich u. s. w. h\ jedem Falle
liegt die Identität des „Wesentlichen" offenbar in den beiden
oben unterschiedenen Momenten, in derselben Actqualität und
in derselben Materie. Dasselbe nehmen wir also auch für die
ausdrücklichen und speciell die bedeutungvorleihonden Acte
in Anspruch und zwar so, dafs, wie wir es oben vorweg aus-
gesprochen haben, ihr Bedeutungsmäfsiges, d. h. das in ihnen,
was das phänomenologische Correlat der idealen Bedeutung bildet,
mit ihrem intontionalen Wesen zusammenfällt.
Zur Bestätigung unserer Auffassung vom bedeutungsmäfsigen
Wesen (Bedeuten in concreto) erinnern wir an die Identitäts-
reihen, durch die wir die Einheit der Bedeutung von der Ein-
heit der Gegenständlichkeit abscliieden (S. 46 ff.), sowie an die
ölteren Beispiele von ausdrückliclien Erlebnissen, die uns zur
Illustration unserer allgemeinen Auffassung vom intentionaien
Wesen dienten. Die Identität „des" Urtheils oder „der" Aussage
396 V. lieber intenlUmate Erlebnisse und ihre „Inhalte".
liegt in der identischen Bedeutung, die sieb in den niannigfaldgeo
Einzeincten eben nls dieselbe wiederholt und in ihnen durch das
bedeutungsmäTsige Wesen vertreten ist. Dals biebei ein Spiel-
raum für sehr erhebliche doscriptive Unterschiede hinsichtlich
anderer Bestandstücke der Acte offen bleibt, haben wir ausführ-
lich dargethau. ^
Beilage zu den Paragraphen 11 und 20.
Vor zwei fundanientaleii und scliier unaiiarottlmren Irrthümern
niiils man sich boi dor phänomenologischen Interpretation des Ver-
hältnisses zwischen Act und Subject hüten:
1. Vor dem Irrthum der Bildertheorie, welche die (in jedem
Acte beschlossene) Thataache des Vorstellens hinreichend aufgeklärt
zu Irnbon glaubt, indem sie sagt: „Draufsen" ist, oder ist mindestens
unter Umständen, das Ding selbst; iui Bcwufetscin ist als sein Stell-
veitreter ein Bild. — Hiegegen ist zu bemerken, dafs diese Auffassung
den wichtigsten Punkt völlig übersieht, nämlich dafs wir im bild-
lichen Vorstellen, auf Qrund des erscheinenden Bildobjects das ab-
gebildete Objoct (das Bildsujet) meinen. Nun ist aber die Bildlich-
keit des als Bild fungirondcn Objects offenbar kein innerer Charakter
(kein „i-eales Prädicat"); als ob eua Object so wie es beispielsweise I
roth und kugelförmig, auch bildlich sei. Woran liegt es also, dafs
wir über das im Bewufstsoin allein gegebene „Bild" hinauskommen und
es als Bild auf ein gewisses bcwulstseinsfremdos Object zu beziehen _
vermögen? Der Hinweis auf die Aelmlichkeit zwischen Bild und Sache \
bringt uns nicht weiter. Sie ist, mindestens wenn die Sache wirklich
oxistirt, als ein objectives Factum zweifellos vorhanden. Aber für
das Bewuistsein, das vorausgcsetzterniafseii nur das Bild hat,' ist
dieses Factum schlochterdiugs nichts; es kann also nicht dazu dienen,
das Wesen der vorstellenden, näher der imaginativen Beziehung auf
das ihr äufserliche Object (das Bildsujet) zu klären. Die Aehulichkeit
' Vgl. a. a. 0. § 17, S. »31 f. und § 30, S. 97 ff.
' Wir la.sson die, genau besohen, unelgentlicho unii iu dor Bildertheorie
unrichtig, weil eigeatUoh, iaterpretirte Rode vorläufig possiron.
(
zwischen zwei Gegenstaiiden , und sei sie auch noch so grofs, macht
den einen noch nicht zum Bilde des anderen. Erst diiit-h die Fähig-
keit eines vorstellenden Wesens, sich des Aehnlichen als Bildrepräseu-
tanten für ein Aehnliehes zu betlienen, blofs das Eine anschaulich
gegenwärtig zu haben nnd statt seiner doch das Andere zu meinen,
wird das Bild fibeiliaupt zum Bilde. Darin kann aber nur liegen,
dafs sieh das Bild als solches in einem eigenartigen intentioiialen ße-
wuJstsein constituirt, und dals der innere Charakter dieses Actes, die
innere Eigenthtbnlichkeit dieser „Apporceptionsweise'' nicht nur über-
haupt das ausmacht, was wir bildlich Vorstellen nennen, sondern je
nach der besonderen und ebenfalls innerlichen Bestimmtheit auch
weiter das macht, was wir das bildliche Vorstellen dieses oder jenes
bestimmten Obief;tes nennen. Die reflective und beziehende Rede,
welche Bildobject und Bildsujet einander gegen übersetzt, weist aber
nicht auf zweierlei erscheinende Objecte in dem imag^inativen Acte
selbst hin, sondern auf m5gliche nnd in neuen Acten voretellige Er-
kenntniszusammenhänge, in welchen die bildliche Intention sieh er-
füllen und somit die Synthesis zwischen Bild imd vergegenwärtigter
Sache sich realisiren würde. Die rohe Sprechweise von inneren
Bildern {im Gegensatz zu äufseren Gegenständen) darf in der descrip-
tiven Psychologie nicht geduldet werden. Sowie das GemSlde nur
Bild ist für den disponirten Zuschauer, der ihm durch seine (hier in
einer Wahniehmung fundirte) imaginative Apperception erst die
Geltung oder Bedetitung eines Bildes verleiht: so ist auch das
Phantasiebild ntu- Bild im phantasirenden Vorstellen, d. h. vermöge
des eigenartigen intentionalen Charakters der Phantasievorstellung.
Man darf nicht so reden und denken, als ob das Phantasiebild
sich zum Bewnfstsein ähnlieh verhalte, wie das Bild zu dem Zimmer,
in dem es aufgestellt ist, und als ob mit dem Ineinander zweier
Objecte alles erledigt, ja auch nur das Mindeste erklärt wäre. Man
muTs sich zu der fundamentalen Einsicht erheben, dafs der Acfc-
charakter der Imagination ein schlechthin irreductibles phänomeno-
logisches Factiun ist, imd dafs seine einzigartige Besonderheit eben
darin besteht, dafs in ihm „ein Object erscheint", und zwar so er-
scheint, dafs ea nicht fflr sich, sondern als „bildliche Vergegenwärti-
gung" eines ihm ähnlichen Objectes gilt. Dabei ist nun auch nicht
zu übersehen, dafs sich das repräsentirende Bildobject selbst -wieder,
sowie jedes erscheinende Object, in einem (den Bildlichkeitscharakter
allererst fundirenden) Acte constituirt.
OEFenbfir überträgt sich diese Ausführung nmtatis mutandia auf
dio Rqiräsentationstlieorie im weiteren Sinne der Zeichentheorie.
Audi das Zeichen -sein ist kein reales Prädicat, es bedarf ebenfalls
des BQckganges auf gewisse neuartige Actcharaktere, die das phäno-
menologisch allein Mafsgebliche und, in Ansehung dieses Prädicates,
das allein Reale sind.
Alle .solche „Theorien" trifft zudem der Einwand, dafs sie die
Fülle der wesentlich versehiedeneu Vorstell ungs weisen, die sich inner-
halb der Klassen intuitive und symbolische "Vorstellung ohne besondere
Kunst der Analyse aufzeigen lassen, einfach ignoriren.
2. Es ist ein nicht minder schwerer Irrthum, wenn man den
Unterschied zwischen den „blols immanenten" oder „ inten tionalen"
Gegenständen auf der einen und den „tranascendenten" Gegenständen
auf der anderen Seite, mit dem unterschied zwischen dem im Be-
■wufstsein (venueintlich) vorhandenen Zeichen oder Bild und der
bezeichneten oder abgebildeten Sache identificirt; oder wenn man in
beliebig anderer Weise dem „immanenten" Gegenstand irgendein reelles
Bewuüatseinsdatum , etwa gar den Inhalt im Sinne des Bedeutung
gebenden Moments, unterschiebt. Solche durch die Jahrhunderte sich
fortschleppende Irrthtimor (man denke an das ontologische Argument
des ÄNSELMTJs) sind der Aequivocation der Rede von der Immanenz
und von Reden ähnlichen SchLiges zu danken. Man braucht es nur
auszusprechen und Jedermann mufs es anerkennen: dafs der inten-
tionale Gegenstand der Vorstellung derselbe ist wie ihr
■wirklicher und gegebenen Falls ihr äufserer Gegenstand, und
dafs es widersinnig ist, zwischen beiden zu unterscheiden.
Der transBcendente Gegenstand wäre gamicht Gegenstand dieser
Vorstellung, wenn er niciit ihr intentionaler Gegenstand wäre. Und
selbstverständlich ist das ein blofser analytischer Satz. Der Gegenstand
der Vorstellung, der „Intention", das ist und besagt der gemeinte
Gegenstand. Stelle ich Gott oder einen Engel, oder ein intelligibles
Sein an sich oder ein physisches Ding, oder ein nindes Viereck u. s.w.
vor, so ist dieses Wer Genannte und Transscendente eben gemeint,
also (nur mit anderem Worte) intentionales Object; dabei ist es gleich-
giltig, ob dieses Object existirt, ob es fingirt oder absurd ist. Der
Gegenstand ist ein „blofs intentionaler", heifst natürlich nicht: er existirt,
jedoch nur in der intentio (somit als ihr reelles Bestandstück), oder
es existirt darin irgendein Schatten von ihm; sondern es heifst: die
Intention, das einen so beschaffenen Gegenstand Meinen existirt, aber
nicht der Gegenstand. Existirt andererseits der intentionale Gegen-
stand, so existirt nicht blofs die Intention, das Meinen, sondern auch
das Gemeinte. — Doch genug über diese noch heutigen Tags und
von nicht wenigen Forschem so sehr uiLIsdeuteten Truismea.
I
Drittes Kapitel.
Die Materie des Actes und die zu Grande liegende Vorstellung.
§ 22. Die Frage naeli dem Verltältnis xuHschen Materie und
Qualität des Actes.
Die allgemeinen, auf die Constitution der intentionalen Erleb-
nisse überhaupt bezüglichen üntei'sucbungen beschliefsen vvir mit
einer Erwägung, die für die Klärung unserer, speciell dem Be-
deutungsgebiet zugehörigen Probleme von nicht geringer Wichtig-
keit ist Es bandelt sich um das Verhältnis von Qualität und
Materie, sowie um den Sion, in dem jeder Act einer Vor-
stellung als seiner Grundlage bedarf und eine solche auch
einschliefst. Wir stofsen hier sofort auf fundamentale Schwierig-
keiten, die bisher kaum beachtet und jedenfalls nicht formulirt
worden sind. Diese Lücke in unseren phänomenologischen Er-
kenntnissen ist eine umso empfindlichere, als man urtheilen mufs,
daüä ohne ihre Ausfüllung von einem wirklichen Verständnis des
inneren Baues der intentionalen Erlebnisse und somit auch der
Bedeutungen keine Rede sein kann.
Qualität und Materie hatten wir als zwei Momente unter-
schipileii, nls zwei innere Constituentien von allen Acten. Sicher-
lich mit Recht. Wenn wir beispielsweise ein Erlebnis als Urtheil
bezeichnen, so mufs es eine innere Bestimmtheit haben und nicht
etwa ein äufserlich anhängendes Merkzeichen, das es als Urtheil
von Wünschen, Hoffnungen und anderen Actarten unterscheidet.
Diese Bestimmtheit hat es mit allen Urtheilen gemeinsam; was
es aber von jedem anderen (bezw. wesentlich anderen) unter-
scheidet, ist die Materie. Und auch sie stellt ein inneres Moment
des Actes dar. Dies zeigt sich nicht so sehr auf directem Wege
— denn Niemand wird daran denken im isolirt einzelnen Urtheil
Qualität und Materie analysirend auseinanderzulegen — als viel-
mehr auf dem Wege der Vergleich ung, also im Hinblick auf die
entsprechenden Identitäten, in welchen wir uns qualitativ ver-
schiedene Acte nebeneinanderstellen und nun in jedem Acte als
gemeinsames Moment die identische Materie finden, ähnlich etwa
wie auf dem sinnlichen Gebiet die gleiche Intensität oder Farbe.
Die Frage ist nur die, was dieses Identische sei, und wie
es sich zu dem Qualitätsmomente verhalte. Ob es sich
dabei um zwei disjuncte, wenn auch abstracte Bestand-
st Ucke von Acten bandle, so etwa wie Farbe und Gestalt in der
sinnlichen Anschauung, oder ob sie in einem anderen Verhältnis
stehen, in dem von (»attung und Differenz u. dgl. Diese Frage
ist umso wichtiger, nls die Materie das am Acte sein soll, was
ihm die bestimmte gegenständliche Beziehung verleibt
Ueber das Wesen dieser Beziehung möglichste Klarheit zu ge-
winnen ist aber, in Erinnerung daran, dafs sich alles Denken in
Acten vollzieht, von grofsem erkenntnistheoretischen Interesse.
<
I
i
§ 23. Die Auffassung der Materie als eines fundirenden
Actes „blofsen VorstelUns".
Die nächstliegende Antwort giebt der bekannte Satz, di
Bbkntano zur Bestimmung seiner „psychischen Phänomene" mit-
benutzt hat, nämlich dafs jedes solche Phänomen, oder in unserer
Begrenzung und Benennung, dafs jedes intentionale Er
lit- I
rer \
J
Die Materie des Ades und die xtt Grunde lügende Vorstellung. 401
iebnis entweder eine Vorstellung ist, oder auf Vorstel-
lungen als seiner ürundlage beruht. Genauer ausgeführt,
ist der Sinn dieses merkwürdigen Satzes der, dafs in jedem
Acte der intentionale Gegenstand ein in einem Acte des Vor-
stellens vorgestellter Gegenstand ist, und dafs, wo es sicli
nicht von vornherein um ein „blofses" Vorstellen handelt, allzeit
ein Vorstellen mit einem oder mehreren weitereu Acten, oder
vielmehr Actquali täten, so eigentliümlich und innig verwoben
ist, dafs hiedurch der vorgestellte Gegenstand zugleich als beur-
theilter, erwünschter, erhoffter u. dgl. dasteht. Diese Mehrfältigkeit
der inteutionalen Beziehung vollzieht sich also nicht in einem ver-
knüpften Neben- und Naclieinander von Acten, wobei der Gegen-
stand mit jedem Acte von Neuem, also wiederholt, intentionai
gegenwärtig wäre, sondern in Einem streng einheitlichen Acte,
als welchem Ein Gegenstand ein einziges Mal erscheint, aber in
liiesem einzigen Gegenwärtigsein Zielpunkt einer complexou In-
tention ist Mit anderen Worten können wir den Satz auch so aus-
einanderlegen: ein intentionalos Erlebnis gewinnt überhaupt seine
Beziehung auf ein Gegenständliches nur dadurch, dafs in ihm ein
Acterlebnis des Vorstelleus präsent ist, welches ihm den Gegen-
stand vorstellig macht. Für uns wäre der Gegenstand nichts,
wenn ihn kein Vorstellen uns eben zum Gegenstande machte und
es 80 ermöglichte, dafs er nun auch zum Gegenstand eines Fühlens,
Begehrens u. dgl. worden kann.
Diese neuen intentionalen Charaktere sind offenbar nicht
als volle und selbständige Acte zu fassen. Sie sind ja nicht
denkbar ohne den objectivirenden Vorstellungsact, also in ihm
fiindirt. Ein begehrter Gegenstand, bezw. Sachverhalt, der nicht
in und mit dem Bogohren zugleich vorgestellter wäre, kommt
nicht nur thiitsächlich nicht vor, sondern er ist schlecliterdings
undenkbar. Und so in jedem Falle. Das ist eine Sachlage, die
sogar Anspruch auf Apriorität erhebt; der allgemeine Satz, der
sie aussagt, ist ein mit Evidenz einleuchtendes Gesetz. Dem-
gemäfs haben wir zum Beispiel das Hinzutreten der Be-
gehrung zu der fundirenden Voretellung nicht als Hinzutreten
I
von etwas anzusehen, das als das, was es hier ist, auch für sich
sein, und vor Allem, das für sich schon Intention auf ein Gegen-
ständliches sein könnte; vielmehr als Hinzutreten eines unselb-
ständigen Factors müssen wir es ansehen, der ein intentionalor
ist, sofern er wirklich Beziehung auf ein Gegenständliches hat und
ohne solche Beziehung a priori nicht denkbar wäre, aber diese
Beziehung eben nur entfalten, oder sie nur gewinnen kann durch
innige Verwebung mit einer Vorstellung. Diese Letztere ist jedoch
mehr als eine blofse Actqualität, sie kann im Gegensatz zu
der durch sie tündirten Begehrungsqualität als „blofse" Vorstellung
sehr wol für sich sein, d. h. als ein concretes iutentionales £r-
lobois füi' sich bestehen.
Wir fügen diesen Erläuterungen noch eine Bemerkung bei,
die für die folgenden Botrachtuugeu im Auge zu behalten ist,
nämlich dafs im Sinne Buentanos als belegende Beispiele für die
„blofsen Vorstellungen'' zu gelten haben: alle Fälle blofser Ein-
bildungsvorstellung, in welchen der erscheinende Gegenstand weder
als seiender, noch als nichtseiender gemeint ist und bezüglich
dessen alle sonstigen Acte entfallen; oder auch die Fälle, in
welchen wir einen Ausdruck, etwa einen Aussagesatz, verstehend
aufnehmen, ohne uns in Glauben oder Unglauben zu entscheiden.
Zumal in diesem Gegensatz zu dem Charakter des bclicf, des.sen
Hinzutreten das Urtheil erst vollenden soll, wird der Begriö' der
blofsen Vorstellung klargelegt, und es ist bekannt, welch wichtige
Bolle gerade dieser Gegensatz in der neueren Urtheilsthoorie spielt.
Kehren wir nun zu unserem Satze zurück, so liegt es, wie
eingangs berührt worden, sehr nahe, die in ihm ausgodrückto
und soeben dargelegte Sachlage auf die Interpretation des Ver-
hältnisses von Materie und Qualität anzuwenden, und es danach
so zu bestimmen: die Identität der Materie bei wechselnder Qualität
besagt Identität in der zu Grunde liegenden Vorstellung. Anders
ausgedrückt: wo Acte denselben „Inhalt" haben und sich wesent-
lich nur dadurch unterecheiden , dals der eine ein ürtheil, der
andere ein Wunsch , der dritte ein Zweifel u. s. w. eben dieses
Inhaltes ist, da besitzen sie ein und denselben Act der Vorstellung
als Oruntilage. Liegt die Vorstellung einem ürthoil zu Grunde,
so ist sie {im jetzigen Sinne) ürtheilsinhalt Liegt sie einem Be-
gehren zu Orunde, so ist sie Begehrungsinlialt; u. s. w.
Ist danach also Vorstellung und Vorstellungsinhalt ein und
dasselbe, und ist somit bei einer blofsen Vorstellung zwischen
Qualität und Materie kein Unterschied zu machen? In gewissem
Sinne, ja. Doch wir müssen genauer sein. „Dieselbe" Vor-
stellung kann nach unseren früheren Erwägungen von Fall zu
Fall noch phänomenologische Unterschiede zeigen. Die Identität,
die in solcher Rede von „derselben" Vorstellung wirklich besteht
und sie fundirt, ist die Identität dos intentionalen Wesens der
Vorstellung, kurzweg des Vorstellungswesens. Meinen wir geradezu
dieses, wenn wir von der zu Grunde liegenden Vorstellung und
in vergleichender Betrachtung mehrerer Acte, von derselben oder
von verschiedenen zu Grunde liegenden Vorstellungen sprechen,
80 ist in der That die Materie des Actes und die ihm zu Grunde
liegende Vorstellung einerlei.
Es resultirt also folgende Sachlage.
Während jedes andere intontionale Wesen eine Complexion
von Qualität und Materie ist, ist das intentionale Wesen der
Vorstellung blofso Materie — oder blofso Qualität, wie man es
nun nennen will. Anders ausgedrückt: nur der Umstand, dafs
die intentionalen Wesen aller anderen Acte complex sind, und
zwar so, dafs sie noth wendig ein Voretellungswesen als das eine
ihrer Bestandtheile in sich fassen, würde jetzt die Rede von dem
Unterschiede zwischen Qualität und Materie begründen; wobei
imter dem letzteren Titel eben dieses nothwendig fundirende Vor-
stelUmgswesen verstanden wäre. Eben darum fiele bei einfachen
Acten, die co ipso biofse Vorstellungen wären, der ganze Unter-
schied fort Man müTste also auch sagen: der Unterschied zwischen
Qualität und Materie bezeichne keinen Unterscliied grundverschie-
dener Gattungen von abstracten Momenten der Acte. An und
für sich betrachtet seien die Materien selbst nichts Anderes
als „Qualitäten", nämlich Vorstellungsqualitäten. Was
wir als das intentionale Wesen der Acte bezeichnet haben, sei
26*
oben das gesammte Qualitative in iiinen; dies sei in der That
das in ihnen Wesentliche, gegenüber dem zufällig Wechselnden.
Doch besser sagen wir mit Rücksicht auf die geänderte Auffassung,
nach welcher nun „Qualität" terminologisch nicht mehr im Gegen-
satz zu „Materie" zu fungiren hat, anstatt Qualität Intention
oder Actcharakter. In der That stimmt ja Beides, nachdem
jede innere Scheidung im Actcharakter aufgegeben ist, überein.
Die Sachlage spräche sich dann in folgender Weise aus:
Ist ein Act ein einfacher, also blofse Vorstellung, so fallt
seine Intention mit dem, was wir intentionales Wesen genannt
haben, zusammen. Ist er ein zusammengesetzter — und dahin
würde jeder von einer blofsen Vorstellung verschiedene Act ge-
hören und daneben noch die zusammengesetzten Vorstellungen —
so gilt dasselbe von der complexen Gesammtintention. Diese zer-
fällt ihrerseits in mehrere Theilintontionon, unter welchen sich
immer eine Vorstellungsintention finden muls. Letztere macht
den Theil des intentionalen Wesens aus, der früher als Materie
bezeichnet war, und der uns zunächst, fast wie selbstverständlich,
als ein im Vergleich zu den übrigen Intentionen — den früher
sogenannten Qualitäten — Heterogenes erschien.
§ 24. Sdimerifflceüen. Das Problem der Differenxnning der
Qualitätsgattitngen.
So einleuchtend diese ganze Auffassung erscheint und auf
eine so unzweifelhafte Evidenz sie sich stützt, sie ist doch keines-
wegs von einer Art, die andere Möglichkeiten ausschlösse. Gewifs
die angezeigte Evidenz {die des BRENTANo'schcn Satzes) besteht, aber
die Frage ist, ob man nicht in sie hineindeutet, was in ihr selbst
garnicht liegt. Auffallend ist jedenfalls die eigenthümliche Be-
vorzugung der Vorstellungen,' als der einzigen Gattung intentio-
naler Erlebnisse, deren Intention eine wirklich einfache sein
' Jeuer „blofsen" und den Acten dos bdief gegeoübergesetzten Vor-
stellungOD, wie wir iioclimals betonen. Wie es sich mit anderen VorstoUungs-
b^griffec verhält, worden wir in den beiden niichsten Kapiteln ausführliuh
nnfersnchen.
Die Materie des Actes und die xu i
ende Vorstellung, 405
könnte; und im Zusammenhang damit steht die Schwierigkeit,
wie (ienu die letzte specit'ischo Lifforenziirung der ver-
schiedenartigen Gattungen von Intentionen ku verstehen
sei. Beispielsweise wenn wir urtheilen, soll die volle Urtheils-
intention, das der Bedeutung des Aussagesatzes entsprechende
Moment im Acte des Aussagens, compiex sein, aufgebaut aus
einer Vorstellungsintention, die den Sachverhalt vorstellig macht,
und aus einer ergänzenden Intention, als dem eigentlichen Urtheüs-
charakter, wodurch der Sachverhalt in der Weise des seienden
dasteht. Wie verhält es sich nun, fragen wir, mit der letzten
specifisclien Differenz solcher hinzutietenden Intentionen? Die
überate Gattung Intention besondert sich, gleichgiltig ob unmittel-
bar oder mittelbar, zur Art Urtheilsintention , wobei wir diese
natürlich rein für sich, in Abstraction von der angeblich fundi-
renden Vorstellungsintention, nehmen müssen. Ist diese Art nun
schon die letzte specifische Difi'erenz?
Ziehen wir, um klare Begriffe zu behalten, ein sicheres Bei-
spiel echter Ai-istotelischer Differenziirung in die vergleichende Be-
traclitting. In AristoteOscliem Sinne besondert sich die Gattung
Qualität in die Art Farbe, diese wieder in das darunterliegende
Rotb, und zwar in die bestimmte Rothnuance; diese ist die letzte
specifische Differenz, sie läfst keine echte, innerhalb dieser Gattung
liegende Differenziirung zu; vvas hier nur möglich ist, ist die Ver-
webung mit anderen, zu anderen Gattungen gehörigen Bestimmt-
heiten, die selbst wieder letzte Differenzen in Hinsicht auf ihre
Gattungen sind. Diese Verwebung wirkt zwar noch inhaltüch
bestimmend, aber nicht mehr im echten Sinn difi'ereuziirend.'
So kann „dasselbe" Roth eine Ausbreitung von dieser oder joner
geometi'ischen Form annehmen. Das Rothmoment ändert sich, aber
nicht als Qualität, es ändert sich nach Mafsgabe des wesentlich
ihm zugehörigen Moments der neuen Gattung Ausdehnung. Ich
sage: hinsichtlich dos wesentlich zugehörigou Moments. Es
gründet ja im Wesen von Farbe überhaupt, dafs sie ohne räum-
liche Bestimmtheit nicht sein kann.
' Vgl. Unters. IH, § 4, S. 2281.
I
Kehren wir nun zu unserem Fall zurück. Wie verhält es
sich, fragen wir, mit dem im coucreton Urtheil zu der fundirenden
Vorstellung hinzutretenden Urtheilscharnkter? Ist er bei allen ür-
theilen etwas völlig Gleiches; ist also die Art ürtheiisinteution
(und zwar die einfache, nicht mit Vorstellung complicirte Art)
eigentlich schon niederste specifischo Diö'oroiiz?» Wir werden doch
nicht schwanken können, dies anzunehmen. Nehmen wir es aber
an, und versuclien wir, es dann cousequeuter Weise auch für alle
Arten derlntentiun nnzunelnnen, so stofsen wir bei den Vor-
stollungeu auf ernste Schwierigkeiten. Denn ist auch innerhalb
der Art Vürstolkmg keine Düferenzilrung mehr vurliaudeu, so be-
trilft der Unterscliied zwischen dieser und jener Vorstellung in specie,
z. B. der Unterschied zwischen der Vorstellung Kaiser und der
Vorstellung Papst, nicht die vorstellende Intention als solche.
Was ist also das Dißerenziiiendo dieser Vorstellungen, oder besser
gesprochen: dieser inten tionalen Wesen, dieser Vorstellungs-
bedeutungen? Sie müfsten nun Complexionen sein zwischen
dem Charakter {der Qualität) „Vorstellung" und einem zweiten
Charakter von einer ganz anderen Gattung; und da offensichtlich
ionerhalb des erstereu alle Uutersehiedenheit in der gegenständ-
lichen Beziehung verloren gegangen wäre, so wäre es dieser zweite
Charakter, der sie in die volle Bedeutung einführte. Mit andern
Worten, es könnte nun nicht das der Vorstellung zugehörige
intentionale Wesen (in den Beispielen: die Bedeutung) die letzte
specifische Differenz von Voi-stellungsintention überhaupt sein,
sondern es mütste zur letztdifferenziirten Vorstellungsintention noch
eine ganz neue Bestimmtheit von ganz anderer Gattung hinzuti*eten.
Jede Vorstellungsbedeutung wäre eine Complexion von „Vor-
stellungsintentiou" uud „Inhalt", als zwei mitehiander verflochtenen
idealen Einheiten verschiedener Gattung. Mit Rückgang auf unsere
• Ich habe Lier auf die strittigen UuterarteD , bejahendes" und „ver-
nemendes Urtheil" nicht Rücksicht uehnicu wollüti. Wur diese Arten annimmt,
mag in der jetzigen Discussion statt Urtheil siblochthin überall etwa „bejahuu-
des Urthoil" substituiren; war sie leugnet tielime unsure Kodewoiso leim Wort
— für das AVesentliche der Ausfüliruiig kommt es darauf nicht au.
Die Materie dei Actes und die zu Grunde liegende Vorslellung. 407
alten Namen niiifsten wir sagen: wenn wir es, wie es oben ge-
schah, als selbstverständlich betrachten, dafs sicli alle Arten von
Intentionen in gleicher Weise differenziiren , so müssen ynr uns
wieder entschliofsen, einen wesentlichen Untorscliied von Act-
qualitat und Materie zu statuiren. Die Ansicht, wonach die Materie,
im Sinne unserer früheren Bestimniuiig, mit dem iutentiüiialen
Wesen einer zu Grunde liegenden Vorstellung, und dieses selbst
wieder mit einer blofsen Voi-stelhiiigsintention identisch wäre,
könnte nicht aufrecht erhalten werden.
§ 25. Genauere Analyse der beiden Lösungstniiglichkeilen.
Mancher wird hier verwundert fragen, wozu es so vieler Um-
ständlichkeiten bedürfe, es sei denn um Schwierigkeiten, die wir
uns selbst in den Weg gelegt, zu beseitigen. Es sei ja Alles ganz
einfach. Jeder Vorstellungsact liabe natürlich den allgemeinen
Actcharakter der Art Vorstellung, und dieser lasse keine weitere
echte Differenziirung mehr zu. Was aber Vorstellung von Vor-
stellung unterscheide? Natürlich der Inhalt. Die Vorstellung Papst
stelle eben den Papst, die Vorstellung Kaiser den Kiüser vor.
Aber mit derartigen „Selbstvei-ständlichkeiten" mag sich ab-
finden, wer sich die hier obwaltenden phänomenologischen (und
von Seiten der idealen Einheiten, die specifischen) Unterschiede
nie klargemacht und vor Allem die fundamentale Sonderung
zwisclien Inhalt als Gegenstand und Inhalt als Bedeutung nie voll-
zogen hat; und desgleichen wer gerade an dieser Stelle, wo es
so sehr darauf ankommt, die Wahrheit nicht wirksam werden
läfst, dafs der Gegenstand im eigentlichen Sinn ,,iu" der Vor-
stellung nichts ist
Es bedarf also gar sehr der Umständlichkeiten. Gegen-
stände, die in der Vorstellung nichts sind, können auch
keine Differenz zwischen Vorstellung und A''orstellung
bewirken, also speciell auch nicht die uns aus dem eigenen
Gehalt der jeweiligen Vorstellungen so wolvertraute Diöercnz hin-
sichtlich dessen, was sie vorstellen. Fassen wir nun dieses was
als den vom intendirten Gegenstande zu untei'schcidendeu imd
der Vorstellung selbst einwohnenden „Inhalt", so fra^t sich eben,
als was wir ihn verstehen sollen. Wir sehen hier keine anderen
Möglichkeiten als die beiden, die wir oben bereits angedeutet
haben und hier nochmals in möglichster Schärfe klarlegen wollen :
Entweder wir nehmen an, dafe, was das wechselnde intentio-
nale Wesen und damit zugleich die wechselnde gegenständliche
Beziehung im descriptiven Inhalt der Vorstellung ausmacht, die
Vorstelhingsqualität selbst ist, die sich einmal so, das andere Mal
anders differenziirt. Die Vorstellungen Papst und Kaiser (nicht
Papst und Kaiser selbst) untei-seheiden sich in genau analoger
Art, wie sich die Farben Eoih und Biau (beiderseits als be-
stimmte Differenzen, als „Nuancen" gedacht) tmtcrscheiden. Das
Allgemeine ist Vorstellung, das Besondere „inhaltlich" bestimmte,
niimlich letzt- differenziirte Vorstellung. Ebenso ist im Ver-
gleichsfalie das Aügomeine Farbe, das Besondere diese und jene
Farbe, diese Nuance Roth, jene Nuance Blau. Dafs sich eine
Vorstellung auf einen gewissen Gegenstand und in gewisser Weise
bezieht, das verdankt sie ja nicht einem sich Betbätigen an dem
aufser ihr, an und für sich seienden Gegenstande; als ob sie sich
auf ihn in ernst zu nehmendem Sinne „richtete" oder sich sonst
mit ihm oder an ihm zu schaffen machte, etwa wie die schreibende
Hand mit der Feder; sio verdankt dies überhaupt nicht irgend-
einem, ihr gleichwie äufscrlich Bleibonden, sondern ausschliefslich
ihrer inneren Besonderheit. Dies Letztere gilt für jede Auffassung;
die jetzt vorliegende bestimmt dies aber so: die jeweilig gegebene
Vorstellung ist blols vermöge ihrer so und so differenziirten
Vorstellungsqualität (oder -Intention) eben eine Vorstellung,
die diesen Gegenstand in dieser Weise vorstellt
Oder wir nehmen an, als die zweite Möglichkeit, die sich
uns hier darbietet, dafs das volle intentionale (bezw. in den Bei-
spielon, das volle bedeutungsmiifsige) Wesen, das in der fiede
von der (ideal-einen) Vorstellung „Papst'\ oder von der Be-
deutung des Wortes Papst generalisireude Abstraction erfährt,
etwas wesentlich Comple-xes ist, das sich in zwei abstracto Momente
zerfallen läfst; das eine die Vorstellungsqualität, der rein für sich
mä ikenB ^ekte Aetebirdrter des YonlaUwM; das
aodere der ,lrihJl* (fit VaMrie), der nidit sau iaaerea W«s«n
jenes ChmkteB «ds seine UäkmoM griiQit, soodeni eben hinzutritt
und die toB« Dedwitiing oomi^etirt Jetit Terbilt sich ^ns zum
Anderen, wie im T«^leidisfaUe die fteiii'imiiii Flarbe zur Au»-
dehnung. Jede Ytihe ist Farbe einer gewissen Ausdcfannn.);; so
ist jede Vorstellung Vorstellung eines gewissen Inhalts. Beiderseits
ist der Zusammenhang kein zufälliger, sondern nothwendiger und
zwar apriorischer.
Der Vergleich deutet auch an, wie wir die Art der Coin-
plexiun gefafst wissen wollen und auf dem jetzigen Standpunkte
gefafst wissen müssen. Es ist eine Complexionsfonn , für die oa
noch an einem recht passenden Namen gebricht. Brkntano und
einige ihm näherstehende Forscher sprechen hier von der Ver-
knüpfung metaphysischer Theile; SniirF zieht den Namen psycho-
logische Theile vor. Die Verbindungen von inneren Kigenschnften
zur Einheit der phänomenalen äufsoren Dingo geben die typischen
Beispiele, auf Grund welcher die Ideo dieser Complexioiisform su
concipiren ist. Doranacli ist es wol zu beachten, dafs der er-
gänzende Charakter, der als der bestimmende Inhalt zu dt>m reinen,
vom Inhalt nur durch Abstraction zu sondernden Cluiraktor der
vorstellenden Intention hinzutritt, wirklich als zu einer neuen
Gattung gehörig angesehen werden niufs. Penn sowie mtiii ihn
selbst wieder als intentionaleu Charnkter fassen wciUto, würden
sich von Neuem die Schwierigkeiten nut'türmen, um deren Be-
seitigung wir uns jetzt mühen, und nur die Namon hätten ge-
wechselt.
Dürften wir uns also entschliefsen, den „Inhnlt" oder die
„Materie" aus der Gattung Actintontion auszuscheiden, so milfston
wir sagen: der qualitative Charakter, welcher an und für sich das
Vorstellen zum Vorstellen, und consequenter Weise dann auch
das Urtheilen zum ürtheilen, das Begehren zum Begehren u. s. w.
macht, hat in seinem inneren Wesen keine Beziehung auf einen
Gegenstand. Aber wol gründet in diesem Wesen eine ideal-
gesetzliche Beziehung, nämlich die, dafs solch ein Charakter nicht
sein kanD ohne ergänzende „Materie", mit der die Beziehung auf
den Gegenstand erst in das volle intentionale Wesen und so in
das eonerete intentionale Erlebnis selbst bineinkommt. Dies über-
trägt sich £'0 ipso auf das bedeiUungsniiirsige Wesen der ausdrück-
lichen Erlebnisse, also dasjenige, um dessentwillen wir z. B. vom
selben Urtlieil sprechen, welches verechiedene Personen aussagend
fiillen. Dieses Bedeutungsmäl'sige, ideal gesprochen die Bedeutung.
ist beim concreten Urthoilserlobnis der Actcharakter der urth eilenden
Setzung (die abstracto Urthcilsqualität) in „metaphysischer" Ver-
webmig mit dem „Inhalt" (der Urtbeüsmuterie), wodurch sich
die Beziehung auf den „Gegenstand", d. i. den Sachverhalt, voll-
endet. Und diese urtheilende Setzung ist, man wird dann wol
sagen müssen a pn'ari, ohne einen Inhalt überhaupt nicht denkbar,
so wonig wie eine Farbe ohne Ausdehnung.
§ 26. Abwägung und Ablehnung der proponirtcn Auffassung.
Wie sollen wir nun zwischen diesen streitenden und mit
gleicher Sorgfalt erwogenen Möglichkeiten die eigene Entscheidung
treuen ?
Nehmen wir die erste Möglichkeit an, so steht in der Reihe
der intentionalon Erlebnisse die Vorstellung als anstöfsige Aus-
nalnne da. Denn während innerhalb der Gattung intentionale Quali-
tät, wolcbe als gleichgeordnete Arten die Qualitäten Voi-stellung,
ürtheil, Wimsch u. s. w. umfafst, die Art Vorstellung sich noch
difl'erenziirt, niimlirli in all die ünterechiede differenziirt, die wir
Vorstellungen dieses oder jenes „Inhalts" (dieser oder jener Materie)
nennen, sind Urtlieilo, Wünsche u. dgl. letzte üiffereuzen; Unter-
schiede des Inhalts sind hei ihnen nur Untei'scliiedü der sich mit
der jeweiligen Qualität complicirenden oder „zu Grunde liegenden"
Vorstellungen. Anders kann die Sache ja auch nicht gefafst
werden. Denn nicht ist es etwa möglieh, die Gleichförmigkeit
dadurch herzustellen, dafs man die unterscheidenden Inhalte der
verschiedenen Urtlieile, ebenso die unterscheidenden Inhalte der
verschiedenen Gefühle, Fragen, Wünsche u. s. w. obeutalls als
DilTerenzen der Arten Urtheil, GofüliI, Erage u. dgl. auft'afst. Ver-
schiedene Aristotelische Arten können ja nicht dieselben letzten
Differenzen haben. Wird die üuziitrüglichkeit nicht durch eine
neue ersetzt, wenn wir jetzt verschiedene Arten derselben Stufe
annehmen sollen^ von denen die einen noch letzte Differenzen
unter sich haben, alle anderen aber selbst schon letzte Diffe-
renzen sein sollen?
Befreunden wir uns demnach mit der zweiterörterten Mög-
lichkeit, so drängt sie uns, wie es scheinen will, sofort zu weiteren
Aouderuugen unserer Auffassung. Denn haben wir noch ernstlich
Grund, an dem Satze, es sei jedes intentionale Erlebnis entweder
eine „blofse" Voi-stellung, oder es iniplicii'e Vorstellungen als
seine nothwendige „Grundlage", überhaupt festzuhalten? Eine
solche Bevorzugung der Vorstellungen — als Acte — eine solche
Complicatiou aller Acte, die nicht selbst Voi-steüuugen sind, sieht
ja fast wie eine zwecklose Annahme aus. Sind, im Sinne der
jetzt mafsgebenden Ueberzeugiing, die als Erlebnisse einer eigenen
Gattung gefafsten „Inhalte" nur durch Coraplication (sei es auch
durch die innigste, durch diejenige positiver, innerer Eigen-
schaften) mit dem ActchiU'aktcr des Vorstellens geeinigt, und er-
weist sich diese Complicationsvveise hier als fähig, das zu Stande
zu bringen, was wir Act dieses Inhalts nennen, warum sollte sich
die Sache bei den andersartigen Acten anders vorhalten oder zum
Mindesten andere verhalten müssen? Die besagte Complexions-
form von Vorstelhingsqunlität und „Inhalt" bedingt auf der einen
Seite das Ganze: Vorstollung dieses Inhalts. Warum sollte nicht
bei anderen Acten, z. B. beim Urtheil, dieselbe Coraplexionsform
in Beziehung auf Urtheilsqualität und Inhalt das Ganze zu Stande
bringen: Urtheil dieses Inhalts?
Es mag durch die Besonderheit mancher Actarton eine
Vermittlung gesetzlich gefordert sein; es mag vorkommen, dafs
manche Actqualitäten nur in Complexion auftreten können, derart,
dafs ihnen im Actganzen andere, und zwar auf dieselbe Materie
bezogene Actqualitäten, z. B. ein Vorstellen dieser Materie, noth-
wendig zu Grunde liegen, somit ihre Anknüpfung an die Materie
eine mittelbare sein muls. Dafs sich dies aber immer und überall
so verhalten müsse, vor Allem dafs die hier fragliche Actait des
„I)lorsen Vorstellens" eine so bedeutsame Rolle spiele, iind dafs
nun joder Act, der nicht selbst ein blofses Vorstellen ist, nur
durch das Medium eines solchen Voi-stellens seine Materie gewinnen
könne — das erecheint nun nicht als selbstverständlich und von
vornherein auch nicht als wahrscheinlich.
§ 27. Das Zeugnis der inneren Erfafu-uni/. Wahrnehmwigs-
vorstellung und Wahrnehmung.
Wir beschliefsen diese Argumentationen mit dem, was in
der Erforschung derartiger descriptiver Streitfragen das Erste
sein mufs, mit dem „Zeugnis der inneren Wahrnehmung", oder
wie wir lieber sagen, mit dem Zeugnis der unmittelbaren descrip-
tiven Analyse der intentionalen Erlebnisse. Diese Umkehrung in
der Darstellung ist zulässig und unter Umständen nothwendig.
Der Evidenz der (wolverstandenen) inneren "Wahrnehmung wollen
wir sicherlich alle ihr in erkcnntnistheoretischcr Beziehung ge-
bührenden Ehren erweisen. Aber dies hindert gnrnicht, dafs ihr
Zeugnis, sowie es angerufen, also in begriffliche Fassung gebracht
und ausgesagt ist, an Kraft sehr viel einbiifsen und daher berechtigte
Zweifel zidas-sen kann. Mit Berufung auf dieselbe innere Wahr-
nehmung kommen die Einen zu dieser, die Anderen zur entgegen-
gesetzten Ansieht; die Einen losen oben dies, die Anderen jenes in
sie hinein oder aus ihr heraus. So auch in unserem Falle. Gerade
die durchgeführten Analysen setzen uns in den Stand, dies hier
zu erkennen, und die Täuschungen aus der Interpretation der
inneren Wahrnehmung einzeln zu unterscheiden und abzuschätzen.
Dasselbe gilt von der Evidenz der allgemeinen Sätze, die auf
Grund innerer Walu-nehmung von Einzelfällen erwachsen, diese
Evidenz im Gegensatz betrachtet zu den intorpretirenden Ein-
legungen.
Natürlich ist es, um nun ins Einzelne zu gehen, evident,
dafs jedes intentionale Erlebnis eine „Voi-stellung" zur Grunfllage
habe; es ist evident, dafs wir niclit urthoilen können, ohne dals
uns der Sachverhalt, über den wir urtheilen, vorstellig sei; und
I
I
I
ebenso beim Fragen, Zweifeln, Verinuthen, Begehren u. s. w. Aber
heifst hier „Vorstellung" dasselbe, wie das, was wir aufserhalb
solcher Zusamnienhäuge als Vorstellung bezeichnen? Könnte es
nicht sein, dafs wir den Versuchungen der Aequivocation unter-
liegen, zumal wenn wir jene Evidenz auswaehsen lassen zu dem
Gesetze: jedes Acterlebnis sei entweder „blofse Vorstellung" oder
habe „Vorstellungen" zur Grundlage? Was uns von vornherein
stutzig machen kann, ist der Umstand, dafs wenn wir uns wirk-
lich in streng descriptiver Weise an die Erlebnisse halten, eine
Analyse der Acte, die nicht „blofse Vorstellungen" sind, in die
sie angeblich constituirenden Theilacte keineswegs überalt gelingen
will. Setzen wir doch einen Fall wahrhafter Goraplexiou in dor
intentionalen Beziehungsweise, und zwar bei voller Identität der
Materie, neben irgendeinen der zweifelhaften Fälle. Ich kann
mich nicht über Etwas freuen, ohne dafs mir das, worüber ich
mich freue, in der Seinsweise gegenübei-steht, in der Weise der
Wahrnehmung, der Erinnerung, ev. auch in der Weise des
Urtbeilens im Sinne des Aussagens u. dgl. Hier ist die Com-
plexion ganz unverkennbar. Wie ich mich beispielsweise wahr-
nehmend freue, so gründet der Actcharakter der Freude in der
Wahrnehmung; diese hat ihren eigenen Actcharakter und stellt
durch ihre Materie zugleich die Materie für die Freude her. Dor
Charakter der Freude kann ganz fortfallen, aber die Wahrnehmung
bleibt, in sich ungeändert, bestehen. Sie ist also zweifellos ein
Bestandstück im coucret- vollständigen Erlebnis der Freude.
Die Wahrnehmung bietet uns sogleich ein Beispiel zweifel-
hafter Actconiplexion. Wir unterscheiden hier, wie bei allen Acten,
die Qualität und die Materie. Der Vei'gleich mit einer ent-
sprechenden blofsen Vorstelliuig, etwa einer blofsen Phantasie,
zeigt, wie derselbe Gegenstand als derselbe (im selben „Auf-
fassungssinne") und doch noch in ganz anderer „Weise" vergegen-
wärtigt sein kann. In der Wahrnehmung schien der Gegenstand
sozusagen in eigener Person gegenwärtig zu sein. In der Vor-
stellung erscheint er nur im Bilde, er ist vergegenwärtigt, aber
nicht selbst gegenwärtig. Indessen, das ist nicht der Unter-
scbied, dor für uns hier in Betracht kommt; os ist ein unter-
schied durch Momente, die weder Materie noch Qualität angehen,
ebenso wie z. B. auch der Unterschied zwischen der Wahrnehmung
und der Erinnerung ein und desselben und im selben Auffassungs-
sinne vorstolligfn Gegenstandes, u. s. w. Vergleichen wir also die
Wahriiolimung mit irgendeiner ihr entsprechenden „blofsen" Vor-
stellung unter Abstraction von derartigen Unterscliieden. Nach
unserer Auffassung ist ein abstract Gemeinsames, die Materie,
beiderseits in difTerenter Weise, in verschiedener Actqualität ge-
geben. Nach der anderen, uns zweifelhaft erecheinenden Auf-
fassung soll die Materie, die dem Wahrnehmen zu Grunde liegt,
selbst wieder eine Actqualität sein, nämlich die eines fundirenden
Actes blofsen Vorstollens. Ist davon in der Analyse irgendetwas
zu finden? Läfst sich die Waliniclimimg danach als eine Act-
coraplexion ansehen und von ihr wirklich eine blofse Voretellung
als ein selbständiger Act ablösen?
Vielleicht weist man hier auf die Möglichkeit einer genau
entsprechenden Illusion hin und meint, dafs diese, nach der Ent-
larvung ihres Truges, als die isolirte blofse Vorstellung zu fassen
sei, die ganz so in der Wahrnehmung eingewoben war und ihr
die Materie beistellte. Die Illusion war, so lange sie noch nicht
als Trug erkannt war, schlechthin Wahrnehmung. Danach aber
fiel der Wahmehmungscharakter, die Acttjualität dos belief, fort,
und die blofso Wahmobmungsvorstellung blieb übrig. Die gleiche
Complexion sei weiterhin bei allen Wahrnehmungen anzunehmen;
tiberall werde die zu Grunde liegende Wahrnehmungsvorstellung
— deren Qualität die Materie der Wahrnehmung ausmache —
durch den ie/j'e/"- Charakter ergänzt.
Betrachten wir zum Zweck genauerer Erwägung ein con-
cretea Beispiel. Im Panopticum lustwandelnd begegnen wir auf
der Treppe einer liebenswürdig winkenden, fremden Dame —
der bekannte Panopticnmscherz. Es ist eine Puppe, die uns
einen Augenblick täuschte. So lange wir in der Täuschung be-
fangen sind, haben wir eine Wahrnehmung, so gut wie irgend-
eine andere. Wir sehen eine Dame, nicht eine Puppe. Haben
I
I
wir den Trug erkannt, so verhält es sich umgekehrt, nun sehen
wir eine Puppe (wir haben also noch immer eine Walimehmiiug),
und zwar eine Pupiie, die eine Dame vorstellt. Natürlich heilst
diese Rede vom Voi-steüou nicht, dafs die Wahrnehmung die Vor-
stellung 8ei, sondern dafs das Wuhrgonomniene die praktische
Function habe, die beüügliche blofse Vorstellung zu erregen. Im
Uebrigen ist das Wahrgonunimene (die Puppe) hier aucli verschieden
von dem, was venuittolst der Wahrnehmung voi-stellig werden
soll (der Dame).
Nun könnte man sagen: wenn hier die ursprüngliche Wahr-
nehmungsvorstellung auch nicht zu ganz losgelöstem Dasein ge-
langt, sondern im Zusammenhang einer neuen Waliniehnumg
auftritt, so dient sie in dieser doch nicht mehr als fundirende
Wahrnchniungsvorstellung; also ist die Ablösung in einer Art
geglückt, die für den vorliegenden Zweck vöUig ansioicht. In-
dessen ausreichend wäre diese Ablösung doch nur dann, wenn
wir in Wahrheit, hier von Ablösung zu sprechen, ein Recht hätten;
mit anderen Worten, wenn die Voi'stollüng der Dame im zweiten
Falle wirklich in der Wahrnehmung dorsolbon Dame im Ausgangs-
fallo als enthalten angenommen werden dürfte. Aber \^}rstellnng
heifst dort soviel wie Bildlicbkeitsbewufstsein. Steckt in der Wahr-
nehmung die Bildvorstellung dos Wahrgenommenen? Gewifs haben
Beide ein Gemeinsames; sie sind einander in unsoren» Beispiel,
das iu dieser Hinsicht nicht günstiger gewählt seLa konnte, in
solchem Mafse gleich, als es zwischen Wahrnehmung und ent-
sprechender Vorstellung überhaupt möglich ist. Gewifs haben
Beide (wozu eine so weitgehende Gleichheit keineswegs nöthig
wäre) dieselbe Materie. Es ist dieselbe Dame, die beiderseits
erscheint, und sie thut dies hier und dort mit identisch denselben
phänomenalen Bestimmtheiten. Aber auf der einen Seite steht sie
vermeintlich „selbst" vor uns, auf der anderen ist sie nur im
Bilde, sei es auch im genauesten Bilde, vor uns. Es ist uns
allerdings „fast" so zu Muthe, als wäre sie selbst da, eine wahr-
hafte und wirkliche Person. Die ungewöhnliche Gleichheit hin-
sichtlich der Materie und der übrigen descriptiven Constituontion
Di$ Materie des Aäet und die xu Orunde liegende VorsteUwig. 415
wir den Trag erkannt, so verhält es sich umgekehrt, nun sehen
wir eine Pappe (wir haben also noch immer eine Wahrnehmung),
und zwar eine Puppe, die eine Dame vorstellt Natürlich heilst
diese Bede vom Vorstellen nicht, dafs die Wahrnehmung die Vor-
stellong sei, sondern dtSa das Wahrgenommene die praktische
Function habe, die bezügliche bloise Vorstellung zu erregen. Im
üebrigen ist das Wahi^enommene (die Puppe) hier auch verschieden
von dem, was vermittelst der Wahrnehmung vorstellig werden
soll (der Dame).
Nun könnte man sagen: wenn hier die ursprüngliche Wahr-
nehmangsvorstellung auch nicht zu ganz losgelöstem Dasein ge-
langt, sondern im Zusammenhang einer neuen Wahrnehmung
auftritt, so dient sie in dieser doch nicht mehr als fundirende
Wahrnehmungsvorstellung; also ist die Ablösung in einer Art
geglückt, die für den vorliegenden Zweck völlig ausreicht In-
dessen ausreichend wäre diese Ablösung doch nur dann, wenn
wir in Wahrheit, hier von Ablösung zu sprechen, ein Recht hätten;
mit anderen Worten, wenn die Vorstellung der Dame im zweiten
Falle wirklich in der Wahrnehmung derselben Dame im Ausgangs-
falle als enthalten angenommen werden dürfte. Aber Vorstellung
heifst dort soviel wie Bildlichkeitsbewufstsein. Steckt in der Wahr-
nehmung die Bildvorstellung des Wahrgenommenen? Gewife haben
Beide ein Gemeinsames; sie sind einander in unserem Beispiel,
das in dieser Hinsicht nicht günstiger gewählt sein konnte, in
solchem Malse gleich, als es zwischen Wahrnehmung und ent-
sprechender Vorstellung überhaupt möglich ist Gewifs haben
Beide (wozu eine so weitgehende Gleichheit keineswegs nöthig
wäre) dieselbe Materie. Es ist dieselbe Dame, die beiderseits
erscheint, und sie thut dies hier und dort mit identisch denselben
phänomenalen Bestimmtheiten. Aber auf der einen Seite steht sie
vermeintlich „selbst" vor uns, auf der anderen ist sie nur im
Bilde, sei es auch im genauesten Bilde, vor uns. Ea ist uns
allerdings „fast" so zu Mutbe, als wäre sie selbst da, eine wahr-
hafte und wirkliche Person. Die ungewöhnliche Gleichheit hin-
sichtlich der Materie und der übrigen descriptiven Constituentien
der Acte erregt in der That die Neigung, vom Bildlichkeitsbewulst-
sein in das Wahrnehraungsbewufstsein zu verfallen. Nur der
lebendige Widerstreit zwischen dieser intendirten Wahrnehmung
(der winkenden Dame) und der mit ihr sich partiell deckenden,
aber sie nach den anderen Momenten ausschliofsenden Wahr-
nehmung der Puppe <des Dinges aus Wachs u. s. w.) hindert uns,
dieser Neigung wirklich nachzugeben. Bei alldem ist aber die
Differenz von einer Art, dafs der Gedanke ausgeschlossen bleibt,
als ob diese Voretellung in der Wahrnehmung enthalten sein
könnte. Dieselbe Materie ist einmal Materie einer Wahrnehmung
lind das andere Mal Materie einer blofsen Einbildung. Beides zu-
gleich kann evidentermafsen nicht vereinigt sein. Eine Wahrneh-
mung kann nie Eiubildung des Wahrgenommenen, eine Einbildung
nie Wahrnohinuug des Eingebildeten sein.
Danach scheint die deseriptivo Analyse keineswegs die Ansicht
zu bevorzugen, die Vielen fast selbstverständlich erscheint, nämlich
dafs jede Wahrnehmung eine Complexion sei, in welcher sich ein
Moment des heUef, der das Qualitative des Wahrnehmons aus-
mache, auf einen vollen, also mit eigener Qualität begabten Act
der „Wahrnehmungsvorstoliung" aufbaue.
t
§ 28. Specielk E^rforsdiung der SaeJUage beim Urtheil.
Eine ähnliche Sachlage finden wir bei einer Klasse von Acten,
die uns Logiker besonders interessirt, bei den ürtheilen. Dies
Wort nehmen wir hier in der vorherrschenden Bedeutung, die
sich nach den Aussagen (Prädicationen) orientirt und demgemäfs
die Wahrnehmungen, Erinnerungen und ähnliche Acte (trotz der
nicht unwesentlichen dcscriptiven Verwandtscluift) ausschliefst Im
Urtheil „erscheint" uns ein Sachverhalt Ein Saeliverhalt, auch
wenn er ein sinnlieh Wahrgenommenes betrifft, ist aber nicht ein
Gegenstand, der uns in der Weise eines wahrgenommenen sinn-
lich (gleichgiUig ob in „iiufserer" oder „innerer Sinnlichkeit") er-
scheinen könnte. In der Wahrnelmiung stellt sich uns ein Gegen-
stand als selbst gegenwärtiger dar. Wir nennen ihn einen
gegenwärtig seienden, sofern wir auf Grund dieser Wahrnehmung
das Urtheil fallen, ciafs er sei. In diesem ürtheil, das als
wesentlich dasselbe bestehen bleiben kann, auch wenn die
Wahrnehmung entfallt, ist das „Erscheinende" nicht der seiende
sinnliche Gegenstand, sondern die Thatsachc, dafs er ist Im
Urtheil scheint es uns ferner, dafs etwas so oder so beschaffen
ist, und überhaupt vollzieht sich dieses Scheinen, dos natürlich
nicht als zweifelndes Vermuthen, sondern als festes Meinen, Ge-
wifsheit, üeberzeugtsein versianden werden soll, inhaltlich in ver-
schiedenen Formen; es ist ein Vermeinen, dafs S ist oder nicht
ist; dafs S P ist oder nickt P ist; dafs entweder S P oder Q R
ist u. s. w.
Das Objective des urtheilenden Vermeinens nennen wir
den beurtheilten Sachverhalt; wir unterscheiden ihn in der
reflectirendeu Erkenntnis vom Urtheilen selbst, als dem Acte,
in dem uns dies oder jenes so oder andere zu sein scheint;
genau so, wie wir bei der Wahrnehmung den wahrgenommenen
Gegenstand unterscheiden vom Wahrnehmen als Act. Dieser Ana-
logie entsprechend ist nun auch hier die Streitfrage zu erwägen,
ob das, was im Acte des Urtheils die Materie ausmacht, also
dasjenige, was das Urtheil zum Urtheil dieses Sachverhalts
deterrainirt, in einem fundirenden Acte des Vorstellens be-
stehe. Vermöge dieser Vorstellung wäre der Sachverhalt zunächst
vorgestellt, und auf dieses Vorgestellte bezöge sich die urtheilendo
Setzung als der neue Act, oder genauer, als neu darauf gebaute
Actqualität.
Dafs es nun zu jedem Urtheil eine Vorstellung giebt, die mit
ihm die Materie gemeinsam hat, und die also genau dasselbe in
genau entsprechender Weise vorstellt, wie das Urtheil es iirtheilt,
wird Niemand bezweifeln. So entspricht beispielsweise dem Urtheil
die Erdmasse ist ungefähr g^sooo ^' Sonnenmasse als die ihm
entsprechende „blofao" Vorstellung der Act, den Jemand vollzieht,
der diesen Ausspruch hört, vorsteht, aber kein Motiv findet, sich
urtheileud zu entscheiden. Wir fragen nun: ist dieser selbe Act
Bestandstück auch des Urtheils und difterirt dieses blofa durch
das ui-theilende Entscheiden, das zu einem blofsen Vorstellen als
HsKorl, hat. Unten. U. 27
ein Ph» hinzatritt? Icli för meiiien Jbäl bonühe mich rer-
geblidi, detgleicben in descnptirer Atuüjse beetitigt zu finden.
Die hier geforderte Doppelhett in der Actqiulität vennisse ich
ganz and gar. Natürlich dArf man in der Meinung zu analy&iren,
nicht TJdmehr aus der Rede von der blufsf^n Vorstellnng aigu-
mentiren. Das blofs (die Blöfse) weist hier: wie überhaupt, auf
einen Mangel bin; aber nicht immer Ut ein Mangel durch eine
Ergänzung zu beheben. So setzen wir ja der Wahrnehmung
die „blobe" Einbildong gegenüber. Das Unterscheidende liegt
in einem Vorzug auf Seiten der Wahrnehmung, aber nicht in
einem Plus. Ebenso entspricht bei der Rede vom blolsen Vor-
stellen im Gegensatz zum Drtheilen dem Mangel des Ersteren ein
Vorzug des Letzteren, nämlich der Vorzug artheilsmä£siger Ent-
Hchiedenbeit in Betreff der vorgestellten Sachlage.
P
§ 29. Fortsetzung. „Anerkennung" oder „Zustimmung" zu der
blofsen Vorstellung des Sae/iverlialts.
Violleicht finden Andere, es trete die Complexion, die wir
vermissen, in gewissen Fällen klar zu Tage. Sie erinnern nämlich
an die bekannten Erlebnisse, wo in uns, ohne daüä wir sogleich
urtheilsmäfsig entschieden wären, die blofse Vorstellung schwebt,
zu welcher erst nachträglich die Zustimmung (Anerkennung,
bezw. die Ablehnung, Verwerfung) als ein evident neuer Act
hinzutritt.
Diese Evidenz werden wir natürlich nicht in Zweifel ziehen;
aber wol dUrfen wir es unternehmen, sie und die ganze Sach-
lage anders zu deuten. Gewifs, iin die „blolse Vorstellung"
Kchliefst sich ein neuer Act an, uämlicL er folgt ihr nach und
büliiuiptot üicli duna im Bovvulstsein. Aber nun ist die Frage,
ob der neue Act den alten wirklich ganz in sich schliefst,
und dos Näheren, ob der neue aus dem alten einfach so erwächst,
dufs sich zu ihm uls der blofsen Vorstellung die specifische
Urthoilaquulität, der Charakter des belicf hinzugesellt und
(liitnit dos concreto Urtbeilserlebnis coiupletirt — etwa so, wie
sich zu üinoni Wahrnehmungsact die Aclyualität der Freude ge-
seilt und so den concreten Act Freude completirt. Kein Zweifel,
dafs in diesem Hervorg-ehen des neuen Actes aus dem alten ein
IdentiscLes, das, was wir die Materie nannten, erhaiten bleibt.
Aber dieses Identische braucht nicht ein voller Act des Vor-
stollens zu seiu, und die einzige Aenderung, das Hinzutreten
einer durch ihn fundirten neuen Qualität Der Vorgang wäre
auch so KU deuten, dafs bei dem ursprünglichen Act des blofsen
Vorstellens der specifische Charakter des Vorstellens durch den
ürtheilscharakter abgelöst wird, während das Identische, die
Materie, in einem abstracten Moment bestehen könnte, das für
sich keinen vollen Act und auch keine Actqualität ausmacht.
Doch wir müssen genauer sein. Nur ein Theil der Sachlage
ist mit dem eben versuchten Gedanken einigermafsen beschrieben;
es fehlt zumal gerade das, was die Rede von der Zustimmung
begründet. Einer sorgsameren Description legen wir ein Beispiel
zu Grunde, wo von Zustimmung mit Vorliebe gesprochen wird:
Wir stimmen einem Urtlieil zu, das ein Anderer ausspricht. Seine
Rede erweckt dann nicht unmittelbar das gleichstimmige Urtheil
auf unserer Seite: ein gleichstimmiges Urtheil vollziehen, eine
Mittheilung einfach übernehmen, das heifst nicht zustimmen. Dazu
gehört vielmehr, dal's wir die Aussage zunächst vei-stehen, ohne
selbst zu urtheilen; dafs uns das Ausgesagte als „blofs dahingestellt"
erscheint, und wir es nun erwägen oder überlegen. Denn
offenbar um all diese Acte handelt es sich hier bei dem blofsen
Vorstellen, auf dem sich die Zustimmung aufbaut. Wir vertiefen
uns nachsinnend in das, was der Andere meint; was uns zuerst
blofs dahingestellt ist, soll nicht dahingestellt bleiben, wir setzen
es in Frage, wir intendiren eine Entscheidung. Und dann tritt
die Entscheidung, die anerkennende Beistimmung selbst ein, wir
urtheilen nun selbst und gieichstimraig mit dem Anderen. In
diesem Urtheil steckt nun sicherlich nicht die vorgängige „blofee
Voi-stellung", jene Actreiho sinnender Dahin- und In-Frage-
Stellung. Vielmehr ist ein Urtheil gegeben, das einerseits mit dem
Urtheil des Redenden und andererseits mit der sinnenden Frage
„gleichstimmig", d. h. von derselben Materie ist; und so vollzieht
27*
420
V. Ueber inientiotiale
„InheUte".
sich die Zustimmung. Ich stimme dem Urtheile zu, nämlich
ich urtheile genau ebenso, ich iirtlieile auf Grund derselben
Materie. Ich stimme der Frage zu, nämlich ich halte genau das
für wahr, was in der Frage für fraglich gehalten war; der Act
vollzieht sicii also wieder auf Grund derselben Materie.
Aber näher besehen ist die Analyse noch immer uuvollständig,
ja es fehlt eigentlich noch das Specifische der Zustimmung. Das
Nacheinander von Frage und gleichstimniigem ürtheil, oder auch
von Urtheil und gloichstimraigem Urtheil macht noch nicht das
Ganze; zustimmendes Urtheil zur Frage, bezw. zum Urtheil. Offen-
bar vermittelt, oder vielmehr verknüpft ein gewisses Ueber-
gangserlebnis die beiden unterschiedenen Glieder. Die er-
wägende oder fragende „Intention" findet in der gleichstimmigeu
Entscheidung ihre Erfüllung, und in dieser Erfülhingseinheit (die
den phänomenologischen Charakter eines Einheitsmomentes, einer
„Gestaltquatität" hat) sind die beiden Acte nicht ein blofses Nach-
einander, sondern innig einheitlich aufeinander bezogen; die Ant-
wort pafst auf die Frage, die Entscheidimg sagt: so ist es, genau
80, wie es in der erwägenden Betrachtung vor Augen stand.
"Wo die Erwägung eine auf und ab schwankende ist, ganz dem
Bilde der Wage entsprechend, wo Fi-age in Gegenfrage mnsL-lilägt imd
diese wieder in jene (isl es so oder nicht?), da ist eben auch die In-
tention eine zwiefältige, und das gesammte Erwagungserlebnis findet
seine Erfüllung durch jede der beiden möglichen Entscheidungen:
es ist so — es ist niclit so. Natürlich betrifft dann die Erfüllung
speciell die ihr entsprechende Hälfte der erwägenden Frage. Im
einfacheren Falle hingegen iiat die Entscheidung mit gegensätzlicher
Materie den Charakter der negativen Erfüllung, sozusagen der Ent-
täuschung. Dies fiberträgt gich von selbst auf vielfältige, also nicht
blofs auf Ja imd Nein gestellte Disjimctionen. Die negative Erfüllung
liegt dann in der Entscheidung: weder A, noch ß, noch C u. s. w.
Offenbar liegt in diesem, auf die erwägende Frage bezogenen
Erfüllungserlebnis, in dieser Lösung einer Art Spannung, auch die
ursprüngliche Quelle für die Rede von zustimmendem Urtheil —
I
I
I
I
I
zustimmend in Beziehung auf ein anderes und von irgendeinem
Sprechenden ausgesagtes Urtheil. Der Aussagende stellt den Zu-
hörer, wenn er niclit ohne Weiteres auf ein gleichstiraniiges Urtheil
rechnen kann, als Erwägenden vor und wünscht dessen Zustimmung
zu erlangen; or fafst dann, selbst wo das gleiche Urtheil ohne
Erwilgung eingetreten ist, die Uebereinstimmung als Zustimmung,
zumal ihr Wertli, wenn sie durch Erwügung hindurchgegangen
ist, höher eingeschätzt wird. Der Hörende wieder stellt sich,
selbst wenn er zur Erwägung gamicht Anlafs nahm, dem Anderen
gegenüber gerae als Erwägenden und danach Zustimmenden hin,
um ihm nämlich die Freude der abgewonnenen Zustimmung zu
Theil werden zu lassen. So wird der schlichten Uebereinstimmung
öfters der Gedanke der Zustimmung suggerirt, während die wirk-
liche Zustimmung sich in dem complexen Erlebnis constituirt, in
dem ein wahrgenommenes oder vorgestelltes Urtheil zu einem In-
fragestellen führt, das seinerseits im entsprechenden actuellen
Urtheil seine Erfüllung (und im gegensätzlichen Falle seine Ent-
täuschung, Ablehnung) findet.
Nach diesen Ueberlegungen müssen wir die Zustimmung
als ein Uebergangserlebnis ganz ähnlicher Art ansehen,
wie die Erfüllung einer Vormuthung, einer Erwartung,
einer Hoffnung, eines Wunsches u. dgl. Beispielsweise
haben wir auch bei der Wunscherfüllung nicht das biofse Nach-
einander von Wunschintention und Eintreten des Erwünschten,
sondern Einheit im charakteristischen ErfüllungsbowuTstsein. Auch
hier finden wir die Uebereinstimmung hinsichtlich der Materie;
aber die Uebereinstimmung allein kann es nicht machen, sonst
brächte sio zwei beliebige Acte dieser Art zur EifüllungseinheiL
Erst das Erfüllungshcwurstsein coordinirt (in gesetzlich beschrän-
kender Weise) den Wunsch dafs S P sei und das urtheilsraäfsige
Erfahren es sei S P, und giebt nun dem letzteren den relativen
Charakter des erfüllenden, wie dem Wunsche selbst den Cha-
rakter des (in dem prägnanten Sinne) intendirenden Actes.
Diese Analyse macht es, was wir zugleich für unsere späteren
Untersuchungen anmerken wollen, völlig klar, dafs eine „Urtiieils-
theorie", oder passender gesprochen, dals eine rein phänonieno-
logisclie Charakteristik des Urthoils, welche die eigentliümliche
Qualität des Urtheilens mit dem Zustimmen oder Anerkennen,
bezw. mit dem Ablehnen, Verwerfen eines vorgestellten Sachver-
halts (oder gar eines vorgestellten Gegenstandes) idontificirt, auf
unrechtem Wege ist. Die hinzutretende Zustimmung ist
uicht eine zum vorgängigen Acte blofser Vorstellung
hinzutretende Actqualität; was die Analyse wirklich vor-
findet, ist zunächst die blofso Vorstellung (und das befafste hier
das Ineinander der Acte des Dahingestellt- Erecheinens, der In-
Frage-Stellung und Erwägung) mittelst des Erfüllungscharakters
übergehend in ein Urtheil gleicher Materie. Nicht ist etwa das
Urtheil für sich und in sich Anerkennung jener zunächst gegebenen
blofsen Vorstellung; sondern anerkennend, Kustinimond ist das Ur-
theil nur hier und jetzt, in diesem ErfüUuugszusammeuhang, nur
in ihm erhält es dieses relative Prädicat, sowie die Vorstellung
(bezw. Erwägung) nur in ihm den relativen Charakter der Intention
auf diese Zustimmung erhält. Die Analogie mit anderen Arten
der Erfüllung, etwa der Wunscherfüllung ist hier sehr lehrreich.
So hat ja auch das Eintreten der erwünschten Thatsache, oder
besser, das Urtlieil über dieses Eintreten (es handelt sich ja nicht
um das objectivo Eintreten, sondern um unser Wissen, Ueber-
zeugtsein davon) nicht für sich genommen und in sich selbst den
Charakter der Wunschcrfüllung, sondern es hat ihn nur für den,
der eben wünscht und seinen Wunsch als in Erfüllung gehenden
erlebt. Niemand wird hier das Erfüllungserlebnis beschreiben
wollen als ein blofses Hinzutreten einer neuen Actqualität zu dem
ursprünglichen Wunsche oder gar daran denken, das Endziel des
Processes, die orfüllondc Ueberzeugung, als eine Comploxion zu
deuten, die den Wunsch als zu Grunde liegenden Theilact ein-
schlösse.
Nach all dem kann also das Erlebnis nachträglicher Zu-
stimmung zu einer blofsen Vorstellung nicht mehr als Argument
dienen, um die von uns angezweifelte Constitution der intentio-
nalen Erlebnisse mindestens im ürtheilsgebieto nachzuweisen.
Zusatz. Wir haben es selbstverständlich nicht übersehen, dafs
in der, einer Zustimmung vorangehenden Erwägung zumeist anch
eine Wunschintention oingoflochten ist, die sich auf die Urtheils-
entschcidung richtet. \\"\v wtlrden os aber für diirchaus; unrichtig
halten, wollte man die beantworiende ErffiUung der sozusagen theo-
retischen Frage (in welcher sich das als fraglicli Erscheinen couRtituirt)
mit der Erfüllung des in ihr fiindirtcu Wunsches (der Wunschfi-age)
idontificiron. Es will uns scheinen, dafs FVage ein doppelsinniges
Wort ist. In dem einen Sinn ist ein gewisser Wiuisch gemeint, im
anderen ein Act eigenthümlicher Art, wie ihn jeder solche Wnnsch
voraussetzt. Der Wunsch geht auf „Urtheilsentscheiduiig", d. h. er
geht aJif ein Urthoil, das die Frage, und wo sie disjunctiv ist, den
Zweifel {„zwei Ffillo") entscheidet. Kurzum der Wunsch zielt auf
die Beantwortung der „Frage", die hier also nicht selbst der
Wunsch ist. Ebenso ist jener Zweifel kein Gemüthsact. Es ist ü!)er-
liaupt kein von der theoretischen Fmgo unterschiedener, sich nur ge-
legentlich mit ihr verwebender Act, sondern geradezu der Specialfall
der disjunctiven Fragen, in dem jetzigen theoretischen Sinn.
§ 30. Die Auffassung des idenlisehen Wortverständnisses
als „blofsen Vorstellens" .
Es liegt nun vielleicht nahe, unserem Zweifel folgendes all-
gemeine Argument entgegenzuhalten:
Dieselben Worte und Wortgebildc bewahren ihren
identischen Sinn in den verschiedensten Zusammen-
hängen und als Ausdrnckstheile für ganz verschiedene Acte. Es
nnifs ihnen somit ein überall gleichartiges Erlebnis ent-
sprechen, welches nur als ein überall zu Grunde liegendes Vor-
stellen gefafst werden kann.
Der Eine sagt urtheilend S ist P; ein Anderer hört dieselben
Worte und versteht sie, ohne selbst zu urtheilen. Dieselben Worte
fungiren in gleichem Sinn, sie werden mit gleichem Verständnis
gebraucht und aufgenommen. Das Unterscheidende ist klar: im
zweiten Falle vollzieht sich das blofse Verständnis der Worte,
im ersten noch ein Mehr. Das Verständnis ist das gleiche, aber
wir urtheilen überdies. Erweitern wir den Kreis der Beispiele.
Verschiedene Personen mögen eben dieses selbe, dafs SP sei,
wünschen, hoffen, vermuthen, bezweifeln u. s. w. und zwar in den
zugehörigen ausdrücklichen Acten. Sie alle verstehen die gemein-
samen Worte, sie alle haben auch mit dem Urtheilenden das ge-
mein, was dieser mit dem, das „S ti^t P" blofs Verstehenden
gemein hat Offenbar liegt bei dem Letzteren isolirt vor, was
bei dem Ersteren noch mit dem Charakter der Ueberzeugung, des
Wunsches, der Hoffnung u. s. w. behaftet erscheint. Das blofse*
Verstehen ist hier das blofso Vorstellen, welches die über-
all gleiche Grundlage abgiebt für die Serie von Acten derselben
„Materie". Natürlich überträgt sich dann dieselbe Auffassung
von den ausdrücklichen Acten auf die nichtausdrücklichen.
Dies ist sicherlich ein bestechendes Argument. Zweifellos
weist die Rede vom selben Sinn, vom gleichen Wort- und Satz-
verständnis auf ein überall Gleiches in den verschiedenartigen
Acten hin, welche hiebei zum Ausdruck kommen; ja sogar auf
ein solches, das wir uns ganz in der Weise von Acten eben als
eine actio, als ein subjectives Thun zuschreiben. Indessen ist
wol zu beachten, dafs wir den Begriff des Actes nicht etwa durch
eine Activität definirteu, sondern das Wort einfach als Abkürzung
für den Ausdruck intentiotiales Erlebtm gebrauchen wollten.
Unter dem Letzteren aber veretanden wir jedes concreto Erlebnis,
das sich „intentionaP auf eine Gegenständlichkeit „bezieht", in
den bekannten und nur durch Beispiele zu verdeutlichenden „Be-
wufstseinsweisen". Somit läfst jenes identische Verständnis für
die Interpretation wieder die zwei Möglichkeiten offen: Entweder
es handelt sich um ein Gemeinsames, das kein vollständiger Act,
aber wol dasjenige in dem betreflenden Acte ist, was ihm die
Bestimmtheit der gegenständlichen Beziehung verleiht. Dieses
Gemeinsame ist dann in verschiedenen Actqualitätcn gegeben,
wodurch sich das volle intentionale Wesen der jeweiligen Acte
completirt. Oder das Gemeinsame besteht in einem vollen inten-
tionalen Wesen; somit liegt allen Acten einer zusammengehörigen
Gruppe ein eigener Act des Veretäudnisses zu Grunde, der dann
I
I
I
bald diese, bald jene weiteren Acte oder vielmehr Actqualitäten
fimdirt; dadurch erwächst z. B. das Urtheil (nämlich durch Be-
reicherung des blofsen Vorstellens um die Urtheüsqualität) oder
der Wunsch (Bereicherung um die Wunschqualität) u. s. w.
Jedenfalls können wir es keineswegs als gesichert anseilen,
dafs jene angebliche Isolirung der hindirenden Vorstellung im
„blofsen Verständnis" des Aussagesatzes wirklich eine Isolirung
ist, und zwar in dem Sinne, der hier in Anspruch genommen wird.
Bei genauerer Beti-achtung zeigt es sich vielmehr, dafe sich dieses
Erlebnis zum actuellen Urtheil analog verhält, wie die blofse
Phantasievorstellung zur Wahrnehnnmg. Es sind verschiedene
Weisen intentionaler Beziehung auf einen und denselben Gegen-
stand, und das besagt, es sind zwei Acte gleicher Materie und
verschiedener Qualität, Keiner von ihnen ist blofse Materie oder
ist im andern reell eingeschachtelt, so dafs er als dessen Materie
in Anspruch zu nehmen wäre.
§ 31. Ein letzter Einwand f/egen unsere Äuffaamng.
Blofse Vorstellungen und isolirte Materien.
Wer sich hier unbefangen in die descriptiven Verhältnisse
vertieft, wer sich weder durch Vorurtheile, noch durch Aequi-
vocationen beirren läfst, wird mit uns wol zur Ueberzeugung
kommen, dafs die Vorstellungen, im Sinne der Acte, die als
„blofse" Vorstellungen isolirt und zumal den Urtheilen als specifisch
eigenartige Acte gegenübergesetzt sind, in der Erkenntnis keine
80 beherrschende Rolle spielen, wie man anzunehmen pflegt, und
dafe, was man ihnen aufbürdet — nämlich in allen Acten die
intentionale Gegenständlichkeit voretellig zu machen — durch
unselbständige Erlebnisse besorgt wird, die zu allen Acten noth-
wendig gehören, weil sie als abstracto Momente zu ihrem inten-
üonalen Wesen gehören.
Die Gegenseite läfst sich immer wieder durch folgendes
Argument bestechen; Damit ein intentionaler Charakter sich auf
ein Gegenständliches beziehen kann, mufs dieses uns vorstellig
werden. Wie kann ich einen Sachverhalt für wahr halten,
426 V. Uehf.r inlentionak Erlebnisxr. und ihre „Inlialte".
wünschen, bezweifeln u. dgl., wenn ich ihn gamicht vorstelle. Das
vorstellig Machende ist eben die zu Grunde liegende Vor-
stellung, ob man es nun Vorstellung oder Materie nennen mag.
Daran ist sachlich nichts auszusetzen; was hier gesagt wird,
ist vollkommen wahr; nur ist es kein Einwand gegen unsere
Auffassung. Gewifg wohnt jedem intentionalen Erlebnis eine
Componcnte oder Seite ein, die das Vorstelligwerden der Sache
besorgt. Aber eine Compimente, dio seihst ein ganzer Act
ist — das ist eben die Frage. Und vor Allem ist es dio Frage
mit Beziehung auf den uns besonders interessirenden Fall des
Urtlieils und der ihm als Vorstellung des geurtheilten Sachverbalts
innewohnenden Componento. Uns schien es sich als unabwei-sbar
ant/iidrängcn, dafs dieses Theilcrlcbnis von einer wesentlich anderen
fiattiuig sein müsse als die Charaktere, dio wir sonst als Act-
qualitäten bezeichnen, mit anderen Worten, als die bekannten
Charaktere, denen es die vorgestellte Sache verdankt, dafs sie
beiirtlieilte, gewünschte sei u. s.w. Zu diesen Charakteren rechnen
wir auch jenes „blofse" Vorstellen, von dem oben die Eedo war,
nicht aber den identischen „Inhalt" oder dio Materie, mag sie
auch Vorstellung oder Vorstellen genannt werden.
Unsere Auffassung könnte allenfails in dem folgenden, im'
Gi'unde nebensächlichen Punkt Zweifel erregen. Hat man zu-
gestanden, dafs die „Inhalte" nicht Actcharaktere sind, so könnte
es doch als möglich erscheinen, dafs eben dieselben Inhalte, die
in Acten, also in ergänzender Verwobung mit Actcharakteron auf-
treten, unter anderen Umstiinflen auch für sich, hezw. in concreten
Erlebnissen, dio von allen Actcliarakteron frei sind, auftreten.
Und auf letzterem Wege kämen die echten Fälle blofser Vor-
stellungen zu Stande, als concreto Erlebnisse, die doch garnicht
„Acte" sind.
Indessen scheint es bei aufmerksamer Betrachtung der hioher-
gehörigen Erlebnisse richtiger, das blofse Vorstollen wirklich als
einen Act zu fassen. Der durch den Inhalt vergegenwärtigte Gegen-
stand ist zugleich Oegen.stand einer gewissen Zuwendimg, einer
gewissen verbüdüehenden Betrachtung, oder einer wie immer zu
L
beschreibeDden „psychischen Bethätigung", die von derselben
Gattung ist, wie Urtbeüen, Zweifeln, Vermutheii u. dgl. Aller-
dings ist damit die Möglicbkeit nicht ganz abgeschnitten, dafs
Inhalte gelegentlich doch für sich, nämlich aufserbalb intentionaler
Erlebnisse auftreten. Denn unsere Description bewegt sich noth-
wendig innerhalb des „Blickfeldes" der Aufmerksamkeit. Was
dieses überschreitet, was im weiteren, nicht aber in dem engeren
Sinne zur „Einheit des Bewufstseins" gehört, das liegt aufserhalb
der Grenzen unserer Betrachtungen. Jedenfalls trifft dies aber
nicht die uns wolvertrauten Erlebnisse des „blofsen" Vorstellens.
Viertes Kapitel.
Studie über fundirende Vorstellungen mit besonderer Rück-
Bicht auf die Lehre vom Urtheil.
§ 32. Ein Doppelsinn des Wortes Vorstellung und die vemieintlicfie
Evidenx, des Salzes von der Futidiining jedes Actes durch einen Vor-
sielliingsact.
Dürfen wir die Ergebnisse des letzten Kapitels für gesichert
erachten, so wäre ein doppelter Begriff der Vorstellung zu
unterscheiden. Voi-steHung in dem ersten Sinne ist ein Act
(bezw, eine eigenartige Actqualitüt) so gut wie ürtheil, Wunsch,
Frage u. s. w. Beispiele für diesen Begriff bieten all die Fälle, wo
vereinzelte Worte — xara ftr,(hi.ti'a)' fft'p/riozij»' Xeyöfteva —
ebenso ganze Sätze aufserhalb ihrer normalen Function verstanden
werden: wir vorstehen Aussage-, Frage-, Wunschsätze, ohne
selbst zu urtheilen, zu fragen, zu wünschen.
In dem anderen Sinn wäre Vorstellung kein Act, sondern
die Actmaterie, welche die eine Seite des intentionalen Wesens
in jedem voüständigen Acte ausmacht. Diese „Vorstellung" liegt
wie jedem Acte, so auch dem Acte des Vorstellens (nach dem
ersten Sinn) zu Grunde. Dann ist die Materie, die als identische
in verschiedenartigen Acten fungiren kann, in einer eigeiiartigi
Actqualität „Vorstellen" gegeben, in einer eigenthüm liehen „Weise
intentionaler Beziehung". ^H
Orientirt man die Bedeutung der Rede von Acten blofsen^
Voi-stellons nach den obigen Beispielen, so ist die Möglichkeit,
bei ihnen ebenso wie bei anderen Acten die Analyse in Qualität
und Materie zu vollziehen, unzweifelhaft. Genau so wie wir beim
Urtheil zwischen dem specifischen Charakter der üeberzeugung
und dem Inlmlt der üeberzeugung unterscheiden, so auch hier
zwischen dem eigenartigen Zumuthesein jenes blofsen Verstehens
und der Bestimmtheit, die das Was dieses Vei-stehens ausmacht.
Dasselbe gilt offenbar, wie immer man den Kreis der Beispiele,
die das hlorse Vorstellen verdeutlichen, bezw. seinen BegrifF zur
Abhebung bringen sollen, wählen mag. Es sei aber noch aus-
drücklich daran erinnert, dafs vnr bei der vorliegenden Analyse
nicht von einer möglichen Zerstückung der Acte sprechen,
sondern von einer Unterscheidung zwischen Bestimmtheiten oder
Seiten dieser Acte. Sie treten in der vergleichenden Betrachtung
hervor, sie sind die im Wesen der Acte selbst liegenden Gründe
oder Momente, welche die Möglichkeit bestimmen, die Acte in
gewisse Reihen der Gleichheit und Verschiedenheit zu ordnen.
Das in solchen Reihen aufweisbare Gleiche, bezw. Verschiedene,
das sind eben jeno Seiten, wie Qualität und Materie. So kann
auch Niemand irgendeine Bewegung in Richtung, Beschleunigung
u. dgl, zerlegen, wol aber diese Bestimmtheiten an ihr unter-
scheiden.
Der Satz, es sei jedes intentionalc Erlebnis entweder selbst
eine (blofse) Vorstellung, oder habe eine Vorstellung xur Grund-
lage, stellt sich nach den vorstehenden Untersuchungen als eine
vermeintliche Evidenz heraus. Die Täuschung gründet in dem
erörterton Doppelsinn von Vorstellung, in seinem ersten Theii
spricht der Satz, richtig verstanden, von Vorstellung im Sinne
einer gewissen Actart, im zweiten von Voi-stellung im Sinne
der blofsen Actmaterie. Dieser zweite Theil für sich, also
der Satz, jedes inteniionnle Erlebnis habe eine Vorstellung xur
L d
»
Grundlage, wäre, wofern Vorstellung als Materie gedeutet
würde, eine echte Evidenz. Der fulsche und von uns bekämpfte
Satz erwächst, wenn Vorstellung auch hier als Act gedeutet wird.
Doch hier mahnt uns ein Bedenben zur Vorsicht. Giebt es nur
eine "Weise, „Vorstellung" als Act zu deuten? Läfst der fragliche
Satz nicht Tielleicht andere Interpretationen zu, die von unseren
Einwänden unberührt bleiben? In diesem Falle wäre unsere
Darstelliuig zwar ganz zutreifend mit Beziehung auf jenen Begriff
des Vorstellens, den sie, den gewöhniichon Erläuterungen des
Wortes folgend, voraussetzte; nicht aber mit Beziehung auf an-
dere Vorstellungsbegriffe und die dadurch zu erzielenden neuen
Interpretationen des mehrsinnig schillernden Satzes.
§ 33. Reslitulion des Satzes auf Orund eines neuen VorsteUnngs-
begriffes. Nennen und Aussagen.
Es erhebt sich also die Frage, ob der. Satz nicht auf Grund
eines anderen Vorstellungsbegriffes voll und ganz aufrecht
erhalten werden kann.
Der Einheit des Actes entspricht jeweils die zu ihm gehörige
objective Einheit, die Einheit der {im weitesten Sinne zu ver-
stehenden) Gegenständlichkeit, auf die er sich „intentional'' be-
zieht. Den in Erwägung stehenden Satz fanden wir nun bedenk-
lich, wofern er unter Vorstellung einen gewissen Act verstand,
der sich auf diese gesummte gegenstiiudliche Einheit des jeweiligen
Actes beziehen und ihm zu Grunde liegen sollte: der Sachver-
halt, der im TJrtheü vermeint, im Wunsehe erwünscht, in der
Vennuthung vermuthet ist u. s. w., sei notliwondig vorgestellter,
und zwar in einem eigenartigen Act Vorstellen vorgestellter Sach-
verhalt. Dabei befafste der Titel Voretellen das „blofse" Vor-
stellen, eine Actart, die wir uns durch das blofse Verständnis
herausgerissener Worte u. dgl. exemplarisch verdeutlichten, oder
auch durch das blofse Verständnis von gehörten Aussagesätzen,
zu denen wir uns selbst völlig neutral verhalten. Der Satz ge-
winnt aber sofort einen neuen und unbedenkliclien Sinn, wenn
wir ilem Terminus Vorstellen einen neuen Begriff unterlegen und
zwar denjenigen, welcher insofern besondere nahe liegt, als die
Rede von den Namen als Ausdrücken von Vorstellungen,
auf iliu hinleitet. Freilich dürfen wir dann nicht mehr verlangen,
dafs dieses Vorstollen die gesammte objective Einheit des jeweiligen
Actes intentional umspanne. "Wir können nämlich unter dem
Titel Vorstellung jeden Act befassen, in welchem uns
Etwas in einem gewissen engeren Sinne gegenständlich
wird, nach Mafsgabe etwa der sinnlichen Wahrnehmung oder
Einbildung, oder auch nach Mafsgabe der Subjectsacte in
kategorischen Aussagen u. dgl.
"Wir haben hier folgenden und höchst wichtigen descriptiven
Unterschied im Auge.
Vollziehen wir ein ürtheil, so scheint uns irgendetwas zu
sein oder nicht zu sein, z. B. S ist P. Aber dasselbe Sein, das uns
hiebei vorstellig ist, wird uns offenbar in ganz anderer Weise
vorstellig, wenn wir sagen: das P-sein des S. Ebenso kommt
uns der Sachverhalt S ist P in ganz anderer Weise in einem
Urtheil zum Bewufstsein, in dem wir schlechthin aussagen S ist
P, und im Subjectsacte eines anderen Drtheils, wie wenn
wir sagen die Tkaisaekc, dafs S Pisi, oder einfach, dafs S Pist —
hat zur Folge . . ., ist erfreulich, ist zweifelhaft n. s. w. Des-
gleichen auch, wenn wir im Vordersatze eines hypothetischen oder
causalen Satzes sagen wenn, bezw, weil S P ist; im disjunctiven
Satze entweder es ist S P n. s. vf. In all diesen Fällen ist uns
der Sachverhalt — nicht etwa das Urtheil — in einem anderen
Sinne gegenständlich, und demgemäfs auch in geänderten Be-
deutungen vorstellig, als in dem Urtheil, dessen volles objectives
Correlat er bildet; und er ist dann offenbar gegenständlich in
einem ähnlichen Sinne, wie das Ding, auf das wir in der Wahr-
nehmung hinblicken, oder das Phantasieobject, mit dem wir uns
imaginireud beschäftigen, oder das gemalte Ding, das wir im
Gemälde betrachten u. dgl. — obschon ein Sachverhalt kein Ding
ist imd überhaupt nichts ist, das sich im eigentlichen und engeren
Sinne wahrnehmen, einbilden und abbilden liefse.
1
i
I
I
Mit Beziehung auf die als Subjecto fungirenden Sätze,
sagte ich oben in Parenthese, dafs sie nicht etwu Vorstel-
lungen von Urtheilen, souderu von den entsprechenden Sach-
verhalten seien. Dies ist wol zu beachten, ürtheile, als con-
crete Erlebnisse, sind natürlich so gut wie Dinge Gegenstände
mögliclier Wahrnehmung, Einbildung und eveutueil einer, wenn
auch nicht pliysischeu Abbildung. Sie können dann auch als
Subjectgegenständo in Urtheilen fungiren. Dies ist der Fall der
Ürtheile über ürtheile. In ihrem Ausdruck wird, wenn die
beurtheilten ürtheile nicht blofs indirect bezeichnet sind (wie z. B.
als dies, dein Urtheil), ein Satz an der Subjectstelle stehen.
Aber nicht immer, wo ein Satz an solcher Stelle steht, steht er,
wie hier, auch in der Function, ein Urtheil zu nennen. Ueber
ein urtheil urtheilen, ist ja ein Anderes, als über einen
Sachverhalt urtheilen; und demgemäfs ist es auch ein Anderes,
ein Urtheil, und wieder ein Anderes, einen Sachverhalt
subjectivisch vorzustellen, bezw. zu nennen. Wenn ich
z. B. sage, dafs S Pist, ist erfreulick, so meine ich doch nicht, es
sei das Urtheil erfreulich. Es ist dabei auch gleichgiltig, ob mau
unter Urtheil den singuläreu Act oder den Satz, das Urtheil im
specifischen Sinne, meint. Erfreulich ist vielmehr dies, dafs es
sich so verhält, der objective Sachverhalt, die Thatsache. Dies
lehrt auch die objectiv äquivalente, obschon die Bedeutung modi-
ficirende Wendung das F sein des S (das Siegen der gerechten
Sache u. dgl.) ist erfreulich.
Legt man den geänderten Vorstellungsbegrifl' zu Grunde und
läfet dann, wie wir oben schon erwähnt haben, auch den An-
spruch fallen, dafs die Vorstellung als fuudirender Act
die ganze Materie des fundirteu umspanne, so scheint der
vorhin abgelehnte Satz, dafs jeder Act, der nicht selbst eine Vor-
stellung sei, in einer Vorstellung fundirt sein müsse, wirklich
einen werthvoUeu Inhalt zu gewinnen — den wir wol auch
wagen dürfen, als Evidenz in Anspruch zu nehmen. Genauer
müfsten wir ihn jetzt freilich so formuliren: Jeder Act ist ent-
weder selbst eine Vorstellung, oder er ist in einer oder
TW eArcren Vorstellungen fundirt. Beispiele, wo die erste Hälfte
des Satzes zutrifft, liefern eingliedrige (einfältige) Acte der Wahr-
nehmung, der (rein intuitiven) Erinnerung oder Erwartung, der
Einbildung u. dgl. Das wären nun die „blofsen" Vox-stellungen.
Beispiele zur zweiten Hälfte des Satzes bieten die Urtheile (Prä-
dicationen), sowie die ihnen als Gegenbilder entsprechenden blolsen
Vorstellungen nach dem früheren Wortsinne. Ein Urtheil hat
mindestens eine Vorstellung zur Grundlage, sowie jede voll aus-
gesprochene Aussage mindestens einen „Namen" enthält Ist die
vorherrschende Ansicht richtig, welche dem einfachen Urtheil die
Normalform S ist P zutheilt, so hätten wir als Minimum sogar
zwei Vorstellungen, bezw. zwei Namen anzunehmen. Die Maxi-
malzahl aber ist unbegrenzt, es sind beliebig viele Vor-
stellungen in einem einzigen Urthoil möglich, und schiebt man
dies einer Zusammensetzung des-selbeu zu, so ist dies hier gleich-
giltig: denn jedes zusammengesetzte Urtheil ist auch ein Urtheil.
Dasselbe scheint für alle anderen Acte, soweit sie überhaupt
volle und ganze Acte sind, zu gelten. Der Wunsch, es möge S
P sein, es möffe die Wahrheit biegen n. dgl. hat in dem S und
P seine Vorstellungen, rlie Wahrheit ist Gegenstand einer Sub-
jectsetzung, und das Wünschen gründet sich auf das an ihr prä-
dicativ vorgestellto Siegen. Ebenso verhält es sich bei allen ähnlich
gebauten Acten, sowie bei den einfacheren, z. B. auf eingliedrige
Anschauungen sich gründenden Acten, wie etwa eine Freude über
ein Wahrgenommenes.
Was die Vorstellungen selbst anbelangt, so läfst es unser
Satz offen, ob auch sie gegebenen Falls in Vorstellungen fundirt
sind oder nicht. Beides ist möglich, und zugleich dürfen wir
hinzufügen, dafs die letztfundirenden Acte in jeder Act-
coraplexion nothwendig Vorstellungen sind.
§ 34. Sehtvierigktiten. Der Begriff des Natnens.
Setiende und nicht -setsende Namen.
Der neue Vorstellungsbegriff ist allerdings von Schwierigkeiten
uicht frei. Dafs jene zur letzten Fundirung berufenen Acte insofern
ein Gemeinsames haben, als sie ein Gegenständliches in einem ge-
wissen prägnanten Sinne vorstellig machen, ist unverkennbar. Ob
aber Vorstellung in diesem Sinne eine wesentliche
Gattung intentionaler Erlebnisse bezeichne, und zwar so, dafs
die gattungsmäfsige Einheit rein durch die Actqualitfit be-
stimmt und die von der Sphäre der Vorstellung ausgeschlos-
senen Acte durchaus von qualitativ anderen Gattungen sein
müfsten — das sind Zweifelsfragen, die gamicht leicht zu ent-
scheiden sind.
In diesen Beziehungen wäre etwa Folgendes näher auszu-
führen. Wenn man, wie es gewöhnlich geschieht, Namen als
Ausdrücke von Vorstellungen bezeichnet, so ist hiebei der
jetzige Begriff der Vorstellung mafsgebend. Der verechiedene Sinn
der Rede vom Ausdrücken bringt es allerdings mit sich, dafs
hiebei unter Vorstellung cbensowol die nominalen Bedeutungs-
intentionen, als auch die entsprochenden Bedeutungserfüilungen
gemeint sein können. Aber die Einen und Anderen, die sym-
bolischen und anschaulichen Acte fallen hier gleichraäfsig unter
den abgesteckten Vorstellungsbogriff und füllen ihn zusammen
auch aus. Unter Namen dürfen wir hier nicht blofse Haupt-
wörter verstehen, die ja für sich allein keinen vollen Act aus-
prägen. Wollen wir klar erfassen, was Namen sind und bedeuten,
so thun wir am besten, auf Zusammenhänge hinzublicken, zumal
auf Aussagen, in welchen Namen in normaler Bedeutung fungiren.
Hier sehen wir nun, dafs Wörter oder Wortcomplexionen, die
als Namen gelten sollen, nur dann einen abgeschlossenen Act
ausdrücken, wenn sie entweder ein completes Aussagesubject
darstellen (wobei sie einen comploten Subjectsact ausdrücken) oder
so, wie sie sind, die Subjectfunction in einer Aussage ausfüllen
können. Demgemäfs macht nicht das blofse Hauptwort, auch
nicht zusammen mit dem eventuell begleitenden Adjectiv oder
Relativsatz, einen vollen Namen; vielmehr müssen wir den be-
stimmten oder unbestimmten Artikel, der eine sehr wichtige Be-
deutungsfunction trägt, noch hinzunehmen. Das Pferd; ein
Blülenstraufs ; ein Haus, icelches ans Sandstein gebaut ist; die
Hua>»rl, Log. Uutens. U.
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Eröffnung des Reichstages — aber auch Ausdrücke, wie dafs der
Reicftstag eröffnet ist, sind Namen.
Nun boacfiten wir einen merkwürdigen unterschied. In
vielen, aber offenbar nicht in allen Fällen sind die Namen von
einer Art, dafs sieden Gegenstand als einen wirklich seienden
intendiren und nennen, ohne dafs sie darum mehr wären als
blofse Namen, mit anderen Worten, ohne dafs sie als volle Aus-
sagen gelten dürfton. Das Letztere ist schon dadurch aus-
geschlossen, dafs Aussagen niemals in unmodificirter Bedeutung
an die Subjectstelle treten können, ürtheile können zwar als
Urtheilsubjecto im Sinne bourtheilter Gegenstände, niemals
aber als Subjectsacte anderer Urtheilo, als „Vorstellungen"
fungiren. Freilich wird man uns diesen wichtigen Satz ohne
nähere Begründung nicht zugestehen wollen. Sie soll im Weiter-
fulgenden auch nachgeholt werden. Sehen wir vorläufig also von
den Fällen, wo scheinbar volle Aussagen im Subjecte stehen, ab, so
kommen für uns Namen in Betracht, wie der Prinz Heinrich, die
Eolandstatne auf dem Markte, der vorüher eilende Postbote u. s. w.
Wer diese Namen in wahrhaftiger Rede und in normalem Sinne
gebraucht, „woifs", dafs Prinz Heinrich eine wirkliche Person und
kein Fabelwesen ist, dafs auf dem Markte eine Rolandstatue steht,
dafs der Postbote vorübereilt. Ja noch mehr. Sicherlich stehen
ihm die genannten Gegenstände anders vor Augen als eingebildete,
und sie erscheinen ihm niciit nur als seiende, er drückt sie auch
als solche aus. Gloichwol prädicirt er im nennenden Acte nichts
von alledem; ausnahmsweise mag er das Sein mindestens attributiv
ausdrücken, nämlich in der Form das irirklich existirende S
(wie er in gegensätzlichen Fällen vielleicht sagt: das vermeintliche
S, das eingebildete S u. dgl.). Aber trotz der logischen Aequi-
valenz des so bereicherten Namens mit dem schlichten, ist die
Bedeutungsdifferenz beider unverkennbar. Die Setzung ist auch
in dem bereicherten Namen durch dasjenige Moment des Actes
vollzogen, das im bestimmten Artikel ausgedrückt ist, und nur
die Materie ist erweitert. Jedenfalls ist auch dann nicht ausgesagt
(prädicirt), dafs S exisiirt, sondern das Ä ist attributiv als
wirklich existirendes vorgestellt, zudem gesetzt und daher in
der Form das wirklich exisiirende S genannt; und Nennen ist
dem Sinne nach auch hier nicht identisch mit Aussagen.
Giebt man dies zu, so haben •wir zweierlei Namen, bezw.
nominale Acte zu unterscheiden, solche die dem Genannten
den Werth eines Seienden zuertheilen, und solche, die es
nicht thun. Ein Beispiel für die Letzteren, falls es überhaupt
eines solchen bedarf, bietet uns die nominale Materie eines jeden
negativen Existenzialurtheils, wie etwa ein Dreieck mit zwei
rechten Winkeln — giebt es nicht. Einen ähnlichen Unterschied
finden wir auch bei anderen fundirenden Acten, wie der Ver-
gleich eines hypothetischen und causalen Vordersatzes lehrt; doch
dies ist nicht anders zu erwarten, da diese Acte mit den nominalen
wesentlich verwandt sind. Ueberhaupt erstreckt sich der Unter-
schied zwischen setzenden und nichtsetzenden Acten über das
ganze Gebiet der Vorstellung in dem jetzigen Sinne. In der
engeren Sphäre der anschaulichen Vorstellungen, welche nicht
selbst nominal fiingiren, aber den logischen Beruf haben, nominale
Bedeutiingsintontionen zu erfüllen, sind setzende Acte: die sinn-
liche WaliruehniuDg, Erinnerung und Erwartung. Nichtsetzend
ist die anomale, weil ihrer Seinswerthung beraubte Wahrnehmung,
z. B. die mit dem Zweifel an der Wirklichkeit des Erscheinenden
auftretende Illusion, und ebenso jeder Fall einer blofsen Ein-
bildung. Zu jedem setzenden Acte gehört ein möglicher
nichtsetzender Act von derselben Materie, und um-
gekehrt
Dieser charakteristische Unterschied ist nun offenbar ein
Unterschied der Actqualität, und so liegt im Vorstellungs-
begriffe eine gewisse Zwiespältigkeit. Dürfen wir von einer
Gattung Vorstellung im strengen Sinn noch sprechen, dürfen
wir annehmen, dafs setzende und nichtsetzende Vorstellungen
Arten oder Differenzen dieser oinboitlichen Gattung sind? Und
drängt sich nicht der Gedanke auf, der bedeutenden Forschern
als gesicherte Wahrheit gilt, dafs die setzenden, einen Seinswerth
zutheilenden Acte den ürtheilen qualitativ nahe verwandt sind.
J
also mit ihnen zu Einer Qualitätsgattung gehören, während wir
sie doch aus der Sphäre der Vorstellung ausgeschlossen haben?
Die Schwierigkeit der ersten Frage wäre mit einem Schlage
behoben, wenn man die setzenden Acte als schon fundirte fassen
und somit annehmen dürfte, sie seihst seien garnicht biofse Yor-
stoUungen, sondern in Vorstellungen fundirt, zur blolson Vor-
stellung trete der Setzimgscharakter (in Betreff dessen man dann
streiten mag, ob er mit den Urtheilen in eine Klasse rangire,
oder nicht) neu hinzu.
Aber nach unseren, oben durchgeführten Analysen erscheint
diese Auffassung als recht bedenklieh. So wenig von einer Wahr-
nehmung ein Act blofser Vorstellung, oder von einer actuellen
Aussage ein Act blofs verstandener, aber nicht geurtheilter Aus-
sage abfällbar ist, so wenig von dem seti^enden Acte nominaler
Bedeutungsintention ein setzungsloser. Die Analogie der nomi-
nalen und propositionalen Acte mufs nothwendig eine vollkommene
sein, da a priori jedem setzenden und vollständigen Nominalacte
eine mögliche selbständige Aussage, und jedem nichtsetzenden ein
correhiter Act modificirter Aussago (blofsen Aussageverständnisses)
entspricht. Die Analyse würde also auch in der weiteren Sphäre
zu dem Ergebnis führen, dafs das Gemeinsame des setzenden und
nichtsetzenden Namens von gleichem Inhalt nicht in einem vollen
Act bestehe, sondern in einer blofsen Aotmatorie, die in den beiden
Fällen in verschiedener Actqualität gegeben ist. Man kann einen
Namen blofs verstehen, aber dieses biofse Verstehen ist nicht in
dem setzenden Gebrauch des Namens enthalten. Somit ist hier
kein Weg, um die fragliche Spaltung in der Klasse der Vorstel-
lungen im jetzigen Sinne der nominalen Acte zu beseitigen.
F
§ 35. Nominale Setzung und Urtheil. Ob Urlheik über}iaupt Ttieile
von nominalen Acten werden können.
Schwierigkeit bereitet zumal die andere oben berührte Frage
nach der Verwandtschaft und überhaupt nach dorn richtigen Ver-
hältnis zwischen setzenden Vorstellungen und Urtheilen.
Vielleicht versucht man es, den oben abgewiesenen Gedanken,
welcher die nominale Setzung geradezu als eine Form desUrtheilens
zu fassen sucht, irgendwie neuzugestalten und festzuhalten. Man
sagt etwa: der setzende Name ist freilich keine Aussage, d. h. keine
selbständige Prädication, keiu Ausdruck eines sozusageu selbst-
genugsamen ürtheils. Ein Urtheil ist es darum doch, nur soll es
jetzt als Voraussetzung oder Grundlage für einen anderen, darauf
zu bauenden Act dienen. Diese den intontionalen Gehalt
des Ürtheils nicht ändernde Function ist es, welche die
sprachliche Form unterscheidend bestimmt. Sagt Jemand der
vonibenjehende Postbote ... so liegt darin doch das Urtheil der
Postbote geht vorüber. Die nominale Form ist eine blofse An-
zeige für die Subjectfunction, die auf die weiter folgende Prädicat^
Setzung hindeutet
Indessen diese Art, den fraglichen Unterschied völlig zu ver-
äufeerlichen — als ob sich an das identisch verbleibende Urtheil
blofs neue Acte anknüpften und die grammatische Form des Namens
blofs den Charakter einer indirecten Anzeige für die Art dieser
Anknüpfung sei — werden wir kaum billigen können. Die meisten
Logiker, darunter so tiefdenkende wie Bolzano, haben den Unter-
schied zwischeu Namen und Aussagen für einen wesentlichen
gehalten, und die reifere Wissenschaft wird ihnen, wie ich glaube,
dereinst Recht geben. Ein Gemeinsames im Actcharakter mag
beidereeits wol bestehen, aber dafs der Unterechied ein blofe
äufserlicher sei , mufs bestritten werden.
Was hier täuschend beirrt, dürfte am meisten der Umstand
sein, dafs in der That echte Prädicationen , volle Aussagen, in
gewisser Weise subjectivisch fungiren können. Sind sie
hiebei auch nicht die Subjectsacte selbst, so fügen sie sich diesen
doch in gewisser Weise ein, nämlich als determinirende Ur-
theile in Beziehung auf die anderweitig schon vorgestellten Sub-
jecte. Z. B. der Minister — er fährt soeben vor — mrd die
Entscheidung treffen. Statt der Aussage in der Parenthese kann
es auch ohne Aenderung des Sinnes heifsen der Minister, welcher
soeben vorfahrt oder der — soeben vorfahrende — Minister.
Man sieht aber, dafs eine solche AuJfassung nicht überall aa-
gemessen ist. Die Attribution mag des Oeftern eine determinative
Prädication darstellen; aber selbst wenn sie_dies allzeit thäte, was
zweifellos niclit statthat, so betrifft sie doch nur einen Theil des
Subjectnamens. Nach Abstrich all solcher determinativen Beigaben
bleibt noch ein voller Narao übrig, dem ein nur subjectivisch
fuujrirendes Urtheilon zu supponiren, vergebliche Bemühung wäre.
In unserem Beispiel lehnt sich die deterniiuirende Prädication an
den Namen der Minister, von dem sich eine zweite Prädication
nicht mehr abscheiden läfst. Was sollte hier das zu Grunde
liegende Urthell sein, wie lautet es in selbständiger Fassung?
Heilst der Minister etwa soviel, wie der — es ist ein Minister?
Dann wäre aber der ein voller Name und beanspruchte ein
eigenes ürtheil für sich. Aber wie spricht sich dieses aus? Ist
es etwa das Urtheil, welches selbständig gefafst lautete: der
existirt? Aber darin stedst ja wieder dasselbe Subject der, und
80 kämen wii- auf einen unendlichen Regrefs.
Es ist unzweifelhaft, dafs, genetisch betrachtet, ein grolser
Theil der Namen, darunter sogar alle attributiven Namen, un-
mittelbar oder mittelbar aus Urthoilen entsprungen sind. Aber
mit dieser Rede vom Eutspringen ist schun gesagt, dafs die Einen
und Anderen verschieden sind. Der Unterschied ist so scharf aus-
geprägt, dafs wir iljn nicht um theoretischer Vorurtheile oder auch
um der gröfseren Einfachheit willen, die in der Lehre vom Vor-
stellen und Urtlieilen zu erboffen wäre, bei Seite schieben dürfen.
Das vorgängigo Urtheilen ist noeh nicht die nominale Bedeutung,
die aus ihm erst erwächst Was im Namen als Niederschlag
des CTrtheils gegeben ist, ist statt des Urtheils eine von
ihm scharf unterschiedene Modificalion. Haben wir als
Ergebnis einer wissenschaftlichen Deberlegung erkannt, dafs durch
je zwei Zahlen n, b eine Potenz a'' eindeutig bestimmt ist, so
dürfen wir in jedem weiteren mathematischen Urthoilen und üeber-
legen sagen die Potenz a'. Haben wir erkannt, dafs n eine
transscendente Zahl ist, so sagen wir ebenso die transscendente
Zahl n. Das ürtheil reproduciren wii- dabei nicht mehr, zum
Mindesten ist das kein Erfordernis, und es leistet, wo es
sich nebenher einstellt, keinen Beitrag zum Acte des
nominalen Bedoutens. Und so in jedem Falle.
Allerdings haben wir oben davon gosprochen, dafs Urtheile
iu determinirender Function auftreten können; das darf aber
nicht ganz streng und eigentlich genommen werden. Denn ge-
nauer zugesehen, besteht diese Function nur darin, sozusagen
vor unseren Augen die den Namen bereichernde Determination
erstehen zu lassen. Das Urtheil selbst ist keine adjectivi-
sehe Function und kann eine solche auch nie über-
nehmen; es stellt nur den Boden her, aus dem die adjectivische
Bedeutung erwächst. Ist diese Leistung vollzogen, so kann das
Urtheil wieder fortfallen, und das Adjectiv mit seiner Bedeutungs-
function wirkt fort. In jenen Ausnahmefällen hoben wir es also
mit Compie-xionen zu thun; die attributive Function ist
mit der prüdicativen verwoben; diese läfst jene aus sich
hervorgehen, will aber nebenbei zugleich für sich zur
Geltung kommen — daher der normale Ausdruck in Paren-
these. Die gewöhnlichen Fälle atti-ibutiver Function sind von
dieser Verwicklung frei. Wer von dem deutschen Kaiser oder
von der Irunssceudenten Zahl ■/[ spricht, meint nicht der Kaüer
— es ist der Kaiser Deutschlands, oder n — es ist eine trans-
scendenle Zahl.
Es ist also klar, dafe es sich hier um zwei wesentlich ver-
schiedene Arten von Erlebnissen handelt, und so dürfen wir ganz
allgemein behaupten, dafs zwischen Namen und Aussagen
Unterschiede bestehen, die das bedeutungsmäfsige Wesen
angehen, oder die auf „Vorstellungen" und „ürtheilen" als
wesensverschiedenen Acten beruhen. Sowie es im inten-
tionalen Wesen nicht auf dasselbe hinauskommt, ob man ein
Seiendes wahrnehmend erfal'st, oder urtheilt, dafs es ist; so kommt
es auch nicht auf dasselbe hinaus, ob man ein Seiendes als
solches nennt, oder von ihm, dafs es ist, aussagt (prädicirt).
Beachten wir nun, dafs evidenterraafsen jedem setzenden
Namen ein mögliches Urtheil entspricht, jeder Attribution
eine mögliche Frädication, und umgekehrt: so bleibt, nachdem
I
r
wir die Identität der Acte hinsichtlich ihres Wesens geleugnet
haben, üur die Annahme übrig, dafs hier gesetzliche, und offenbar
idealgesetzlicbe Zusammeohänge bestehen. Als idealgesetz-
liche meinen sie nicht das causale Hervorgehen oder das empirische
Zusammenbestehen der einander zugeordneten Acte; sondern sie
meinen, dafs mau mit Rücksicht auf das specifische Bedeutungs-
weseu der betreffenden Acte die Einen nicht vollziehen „könne",
ohne die ihnen zugeordneten ais berechtigte anzuerkennen; dafe
man — vernünftiger Weise — z. B. nicht anheben könne mit
dies iS, ohne damit „potonziell" zuzugestehen, dafs es S gebe.
Mit anderen Worten: dafs ein Satz mit irgendwelchen
setzenden Namen gilt und die diesen Namen ent-
sprechenden Seinsurtheile nicht gelten, ist eine aprio-
rische Unverträglichkbit Es ist eines aus jener Gruppe von
Idealgesetzen, die in der „blofsen Form" des Denkens gründen,
bezw. in den Kategorien, als den specifischen Ideen, welche zu
den möglichen Formen actuellen Denkens gehören.
§ 36. Fortsetzung. Ob Aussagen als ganze Namen
fungiren können.
Noch eine wichtige Klasse von Beispielen wollen wir erwägen,
um auch an ihr unsere Auffassung vom Verhältnis zwischen nomi-
nalen Acten und Urtheilen zu bewähren. Es handelt sich um
die Fälle, wo Aussagesätze nicht nur in determinativer Absicht
Verwendung finden und dabei — als actnelle Aussagen — Theile
von Namen zu bilden scheinen, sondern wo sie geradezu als
Namen, als volle und ganze Namen zu fungiren scheinen.
Z. B. dafs endlich Regen eingetreten ist, inrd die Landwirthe
freuen. Der Subjectsatz ist, das Zugeständnis scheint hier un-
umgänglich, eine volle Aussage. Es ist ja gemeint, dals wirklich
Regen eingetreten ist. Der modificirte Ausdruck, den das Urtheil
durch die Form eines Nebensatzes erfahren hat, kann hier also
nur dazu dienen, den Umstand anzudeuten, dafs die Aussage
hier in Subjectfunction stehe, dafs sie den Grundact für eine
darauf zu bauende Frädioatsetzimg abgeben solle.
Das alles klingt sehr anmutheiid. Fände die bestrittene Auf-
fassung an dieser Klasse von Fällen aber eiuo wirkliebe Stütze,
und wäre sie bei ihnen wirklich zulässig, dann würde sich sofort
■ auch der Zweifel regen, ob sie nicht, unseren Einwänden zu Trotze,
auch im weiteren Kreise zu halten sei.
üeberlegen Avir uns das Beispiel näher. Auf die Frage, wo-
rüber sich die Landwirthe freuen würden, antwortet man: darüber,
dafs . . . oder, über die Thatsache, dafs endlich Regen gefallen
ist. Also die Thatsache, der in der Seiusweise gesetzte Sachver-
halt ist der Gegenstand der Freude, ist das Subject, von deui aus-
gesagt wird. Diese Thatsache können wir verschieden benennen.
Wii- können, so gut wie bei allen anderen Gegenständen, einfach
sagen dies, wir können aber auch sagen, diese Thatsache, oder
näher bestimmend, die Thatsache des eingetretenen Regens, das
Eintreten des Regens u. s. w.; darunter nun auch, sowie im Bei-
spiel, „diifs Regen eingetreten ist"'. Es ist in dieser Nebenein-
anderetellung klar, dafs dieser Satz ein Name ist, genau in dem
Sinne all der anderen nominalen Ausdrücke für Tliatsaclien, und
sich von anderen Namen überhaupt in den sinugebenden Acten
nicht wesentlich unterscheidet. Genau wie sie nennt er, und
nennend stellt er vor, und wie andere Namen anderes, Dinge,
Eigenschaften u. dgl. nennen, so nennt er eben (bezw. stellt er
vor) einen Sachverhalt, speciell eine empirische Thatsache.
"Was ist nun der ünlorschied zwisclien diesem Nennen und
dem Aussagen des Sachverhalts in der selbständigen Aus-
sage, also in unserem Beispiel der Aussage: endlich ist Regen
eingetreten.
Es kommt vor, dafs wir zunächst schlechthin aussagen und
uns dann auf den Sachverhalt nennend beziehen: endlich ist u.s.iv.
— das nnrd die Landwirthe freuen. Hier können wir den
Contrast studiren; er ist ja unverkennbar. Der Sachverhalt ist
auf der einen und anderen Seite derselbe, aber er wird uns in
ganz anderer Weise gegenständlich. In der schlichten Aussage
urtheilen wir über den Regen und sein Eingotretensein ; dieses ist
uns im prägnanten Sinne des Wortes gegenständlich, es ist vor-
p
gestellt. \\'ii' \oll/.ieben aber nicht ein blolses Nacheinander von
Vorstellungen, sondern ein Urtheil, eine eigentliümliche „Einheil
des Bewufstseins", das die Vorstellungen „verknüpft", und in
dieser Verknüpfung constituirt sich für uns das Bewufstsein vom
Sachverhalte. Das Urtheil vollziehen, und in dieser Weise
eines Sachverhalts „bewulst'' sein, ist einerlei. Aber dieses
Bevrufstsein ist offenbar ein ganz anderes als das Oegen-
ständlichhaben, das sich ein Etwas Gegentibersetzen in
einem möglichen Subjectsacte. in einer Vorstellung. Man
achte vergleichend auf die Art, wie der Regen „bewulst" wird,
und vor Allem, man vergleiche das Urtbeilsbewufstsein, das Aus-
gesagtsein des Sachverbalts, mit dem in unserem Beispiel un-
mittelbar angrenzenden VorstoUinigsbewulstsein, dem Genannt-
sein desselben Sachverhaltes: Jas wird die LundwirOw freuen.
Das weist auf den ausgesagten Sachverhalt wie mit dem Finger
hin. Es meint also diesen selben Sachverhalt. Aber dieses Meinen
ist nicht das Urthoilen selbst, welches ja vorangegangen, als
das so und su constituirte psychische Ereignis abgetlossen ist;
sondern es ist ein neuer und neuartiger Act, welcher als hin-
weisender sich den Sachverhalt subjectivisch gegenüberstellt,
ihn also in ganz anderem Sinne zum Gegenstände bat als das
Urtheil. Zwar in gewisser Weise kommt dieser Sachverhalt auch
im Urtheil zum Bewufstsein; über nicht so, dafs er in ihm, präg-
nant zu reden, ein Gegenstand wäre. Die „Weise des Bewufst-
seins", die Art, wie das Object intentional wird, ist eine ver-
schiedene — das ist aber nur ein anderer Ausdruck dafür, dafs
wir es mit wesentlich unterschiedenen Acten, mit Acten von
verschiedenem inteutiunalen Wesen zu thun haben.
Sehen wir nun vom eigentlichen Hinweisen ab, so steckt
das Wesentliche dieses das auch im Gedanken des blofsen Satzes
an der Subjectstelle (und an jeder anderen Stelle in irgend-
einem Zusammenhang, welche oben nominale Vorstellungen fordert),
wie es anderei"seits im Gedanken der selbständigen und eigent-
lichen Aussage nothwendig fehlt. Sobald das dem bestimmten
Artikel zu Grunde liegende Bedeutungsmoment lebendig
it, hat
!tell(
5t2
)11-
zogen. Der bestimmte Artikel deutet ja die „Bestimmtheit" der
gegenständlichen Beziehung an, sowie der unbestimmte die „Un-
I bestimmtheit". Ob Sprache oder Dialect den Artikel wirklieli
gebraueben oder nicht, ob man der Mensch sagt oder homo, ob
(Karl oder der Karl, ist dabei gleichgiltig.
Dieses Bedeutungsmoment ist nun auch im subjectivisch
fungirenden Satze dafs SP ist vorhanden. Somit ist es klar, diifs
alles, was wir soeben von dem blofson das ausgeführt haben, auch
von dem subjectivischen Satze gilt, der schon durch seine
gnimmatischo Form auf ein Anderes, und hier auf einen Namen
zurückdoutet, dem er anhängen soll. Ist dieser nominale Träger
im Ausdruck fortgefallen, so ist sein Bedeutungsgehalt für den voll-
ständigen Namen doch unentbehrlich, und so bedeutet dafs SP ist
in Wahrheit so viel wie dies, dafs SP ist oder, nur wenig um-
schreibend, wie die Thatsache, der Umstand u. dgL, dafs
SPüt.
Nach all dem ist die Sachlage keineswegs von einer Art, die
uns nahülogen würde, hier von einem Urtheil, von einer actuellon
Prädication, die ein Subject oder überhaupt ein nominaler
Act sein könnte, zu sprechen. Vieiraehr sehen wir mit voller
Klarheit, dafs zwischen Sätzen, die als Namen von Sach-
verhalten fungiren, und zwischen den entsprechenden Aus-
sagen von gleichem Sachverhalte hinsichtlich des intcntionalen
Wesens ein Unterschied besteht, der nur durch idealgesetzliche
Beziehungen vermittelt ist Niemals kann eine Aussage als
Name, oder kann ein Name als Aussage fungiren, ohne
seine wesentliche Natur zu ändern, d. h. ohne Aende-
rung seines bedeutungmäfsigen Wesens und mit ihm der Bedeu-
tung selbst.
Natürlich will damit nicht gesagt sein, dafs die correspon-
direnden Acte einander descriptiv total fremd seien. Die Materie
der Aussage ist mit derjenigen des nominalen Actes partiell
identisch, beiderseits ist derselbe Sachverhalt mittelst derselben
Termini, obschon in verschiedener Form, intendirt. Demnach ist
444 V. lieber intentianeUe Eirlebnisae und ihre „Inhalte".
die grolse Verwandtschaft der Ausdrucksform nicht zufällig, sou-
dera in den Bedeutungen begründet. Erhält sich gelegentlich,
trotz der veränderten Bedeutungsfunction, der Ausdruck unver-
ändert, so haben wir es eben mit einem besonderen Fall der
Aequivocation zu thim. Er gehört zu der weitumfassenden Klasse
von Fällen, wo Ausdrücke in anomaler Bedeutung fungiren.
Offenbar ist diese Anomalie, als im reinen Wesen des Bedeu-
tungsgebiets wurzelnd, von der Art der rein grammatischen
Anomalien. 1
So läfst sich unsere Auffassung überall consequent durch-
führen, wir unterscheiden überall Vorstellungen von ürtheilen,
und innerhalb der Vorstellungen setzende, Seinswerth zutheiiendo
Vorstellungen von solchen, die es nicht thun. Wir werden dann
aucli nicht schwanken , den causalen Vordersätzen , Sätzen der Art
weil SP ist den Urtheüscliarakter abzustreiten und sie mit den
hypothetischen Vordersätzen in dasselbe Verhältnis zu bringen, wie
wir es sonst zwischen setzenden und nichtsetzenden Namen erkannt
haben. Das iveil mag auf ein Urtheil /.urück weisen, das aussagte,
es sei SP; aber im Causalsatze selbst wird dieses Urtheil nicht
mehr vollzogen, es wird nicht mehr ausgesagt S ist P, sondern
es wird ausgesagt, dafs das Sein dieses Sachverhaltes das dos er-
folgenden bedinge. Nur in der Weise der Complexion kann
hier Vordersatz und Nachsatz überdies als Urtheil fungiren, wie
es z. B. im Falle der Aufnahme duixh Mittheilung öfters vor-
kommen mag.
Wol zu beachten ist die hier mafsgebende Terminologie, wonach
unter Urtheil die Betleutung einer selbständig abgeschlossenen Aussage
verstanden ist. Dafs diese Bedeutung nicht ohne innere Modiiication
zur Bedeutung eines hypothetischen oder causalen Voixlersatzes, wie
zu einer nominalen Bedeutimg überhaupt wenlen kann, ist die These,
die wir eben festgestellt haben.
Vgl. Uutera. IV, § 11, bos. S.311 und doa Zusatz zu § 13, S.316£.
Weitere Beiträge zur Lehre vom Uriheil u. s. w. 445
Fünftes Kapitel.
Weitere Beiträge ziir Lehre vom Urtheil. „Vorstellung" als
qualitativ eiBbeitliche Gattung der nominalen und
propositionalen Acte.
§ 37. Das Ziel der folgenden Untersuchung. Der Begriff des
objedivirenden Actes.
Die soeben durchgeführten Untersuchungen haben die zu
Eingang des § 34 ' aufgeworfene Frage noch nicht erledigt. Unser
Ergebnis lautet, dafs „Vorstellung" und ,,Urtheil" wesensverschie-
dene Acte sind. Darin ist — die Vieldeutigkeit der Worte ver-
langt immer wieder den Recurs auf die gerade mafsgebenden Be-
griffe — von „Vorstellung" die Rede im Sinne des nominalen
Actes, und von „Urtheil" im Sinne der Aussage, und zwar der
nomialen, in sich geschlossenen Aussage. Nennen und Aussagen
sind also nicht „blofs grammatisch", sondern „wesensverschieden",
und dies wiederum heifst, dafs die beiderseitigen, sei es bedeu-
tungverleihenden, sei es bedeutungerfüllenden Acte nach ihrem
intentionalen Wesen verschieden und in diesem Sinn als Act-
arten verschieden sind. Haben wir damit erwiesen, dafs Vor-
stellung und Urtheil, dafs die Acte, die dem Nennen und Aus-
sagen Bedeutung und erfüllenden Sinn verleihen, zu „verschiedenen
Grundklassen " intentionaler Erlebnisse gehören?
Selbstverständlich nuifs die Antwort verneinend ausfallen. Von
dergleichen war ja keine Rede. Wir müssen bedenken, dafs das
intentionale Wesen sich aus d«n beiden Seiten Materie und Qua-
lität aufbaut, und dafs die Unterscheidung von „Grundklassen"
der Acte sich, wie ohne Weiteres klar ist, nur auf die Actquali-
täton bezieht. Wir müssen weiter bedenken, dafs aus unseren
Darlegungen nicht einmal soviel hervorgeht, dafs nominale und
propositionale Acte überhaupt von verschiedener Qualität,
geschweige denn von verschiedener Qualitätsgattung sein müfsten.
' S. 433.
An dem zuletzt betonten Punkt darf man nicht Anstoß
nehmen. Die Actmatcrie in unserem Sinne ist ja nichts dem
Acte Fremdes oder äulserlich Angeheftetes, sondern ein inner-
liclies Moment, eine unabtrennbare Seite der Actintention, des
intcntionalen Wesens selbst. Die Rede von „verschiedenen Be-
wurstseinsweisen", in welchen uns derselbe Sachverhalt bewuCst
werden könne, darf uns nicht täuschen. Sie weist auf verschieden-
artige Acte, aber darum noch nicht auf verschiedenartige Act-
qualitäten hin. Bei identischer Qualität kann, wir haben von
vornherein darauf liingewiesen,' dieselbe Gegenständlichkeit noch
in vorsohiedeoer Weise bewufst sein. Man denke z. B. an äquiva-
lente setzende Voretelhingen. Sie richten sich eben mittelst ver-
schiedener Materien auf denselben Gegenstand. Ond so mag auch
jene wesentliche Bedeutungsmodification beim Uebergang einer
Aussage in die nominale Function, auf deren Nachweis wir oben
Gewicht legten, keinen anderen Inhalt haben als den einer Aende-
rung der Materie, bei Identität der Qualität oder mindestens
(je nach Art der nominalen Modification) der Qualitätsgattuug.
Dafs hiermit die wirkliche Sachlage beschrieben ist, zeigt
schon die aufmerksame Betrachtung der Materien selbst Die in
den oben discutirten Beispielen als nothwendig erkannte Ergänzung
durch den nominal bedeutsamen Artikel oder durch nominale Aus-
drücke, derart wie der Umstand , dafs . ., die T/iutsache, dafs . .,
im Falle einer Uebertragung der propositionalen Bedeutung in die
Subjectfunction, weist uns Stellen nach, wo zu der identisch über-
tragenen Materie materielle Momente hinzutreten, die in der ur-
sprünglichen Aussage fehlen, bezw. in ihr durch andere Momente
vertreten sind. Die beidereeits übereinstimmenden Bestandstücke
erfahren, wie wir überall sehen können, eine verschiedene kate-
goriale Formung. Man vergleiche z. B. auch die Form ein S ist P
mit ihrer nomimalen Modification ein S, welches P ist.
Andererseits werden es die folgenden Betrachtungen klar
machen, dafs in Ansehung der Qualitäten zwischen nominalen
Vgl. ohea Eip. 2, § 23, S. 391.
und propositionaJon Acten Gathingsgemeinsphaft bestellt, und dnmit
zugleich werden wir zur Abgrenzung eines abermals neuen,
gegenüber dem zuletzt betrachteten weiteren und unvergleich-
lich bedeutsameren Vorstellungsbegriffes gelangen, durch
welchen auch der Satz von der Gründung jedes Actos in Vor-
stellungen eine neue und besonders wichtige Interpretation er-
fahren wird. Der erweiterte Begriff wird binsicbtlich seiner inne-
ren Einheitlichkeit auch von Zweifeln frei bleiben, die uns bei dem
nominalen Vorstelkmgsbegriff beunruhigen, nämlich ob dieser letz-
tere von uns ganz natnrgeniäfs begrenzt worden sei, und ob er,
um echte Einheitlichkeit zu bewahren, nicht auf die Sphäre der
fnndirenden Acte von complexen und kategorial fundirten Acten
beschränkt werden müsse: worüber wir in der VI. Untersuchung
Beti-achtungen anstellen worden.'
Um die beiden jetzigen Begriffe von Vorstellung unterschie-
den zu erhalten, wollen wir {ohne übrigens endgiltige termino-
logische Vorschläge zu machen) In Beziehung auf den engeren
Begriff von noinhialen Aden, in Beziehung auf den weiteren von
objectivirenden Acten sprechen, üafs unter dem erstoren Titel
nicht blofs Acte gemeint sind, die nominalen Ausdrücken als Be-
deutungen anhängen oder zu diesen als Erfüllungen hinzutreten,
sondern auch eben solche Acte, wo sie aufserhalb einer gramma-
tischen Function stehen, braucht nach der ganzen Einführung des
bisherigen Vorstellungsbegriffes kaum hervorgehoben zu werden.
§ 38. Qualitative uttd materiale Differenxiirung der
objeciimrenikn Acte.
Wir unterschieden innerhalb der nominalen Acte die setzen-
den" und nichtsetzonden. Die Ersteren sind gewissermafsen Seins-
meinungen; sie sind sei es sinnliche Wahmohmungen, sei es
Wahrnehmungen in dem weiteren Sinn vermeintlicher Seins-
erfassungen überhaupt, sei es sonstige Acte, die, auch ohne dafs
sie den Gegenstand selbst zu erfassen vermeinen, ihn doch als
' a. a. 0. im 2. AUsulinitt , Kap. 6, § 50.
seienden meinen.' Die anderen Acte lassen das Sein ihres Gegen-
standes dahingestellt; der Gegenstand mag objectiv betrachtet
existiren, aber in ihnen selbst erscheint er nicht in der Seins-
weise, oder gilt er nicbt als wirklicher, er wird vielmehr „blofs
vorgestellt". Dabei gilt das Gesetz, dafs jedem setzenden Nomi-
naiacte ein setznngsloser, eine solche „blofse "Vorstellung" dersel-
ben Materie entspricht, und umgekehrt; wobei dieses Entsprechen
natürlich im Sinne idealer Möglichkeit zu verstehen ist
Eine gewisse Modification, so können wir die Sache auch
ausdrücken, führt jeden setzenden Nominalact in eine blofse Vor-
stellung von derselben Materie über. Genau dieselbe Modification
finden wir bei den Urtheilen wieder. Zu jedem Urtheil gehört
seine Modification, ein Act, welcher genau das, was das Urtheil
für wahr hält, blofs voi-stellt, d. i. ohne Entscheidimg über Wahr
und Falsch gegenständlich hat Phänomenologisch betrachtet ist
die Modification der Urtheile eine völlig gleichartige mit derjenigen
der setzenden nominalen Acte. Die Urtheile als setzende pro-
positionale Acte haben also ihre Correlate in blofsen Vor-
stellungen als nichtsetzendcn propositionalen Acten. Beider-
seits sind die correspondirendeu Acte von derselben Materie, aber
von verschiedener Qualität. Sowie wir nun bei den nominalen
Acten die setzenden und nichtsetzenden zu einer Qiialitätsgattung
rechnen, so auch bei den propositionalen Acten die Urtheile und
ihre setzungslosen Gegenstücke. Die qualitativen Unterschiede
sind beiderseits dieselben und sind nicht in Anspruch zu nehmen
als Unterschiede oberer Qualitütsgattungen. Wir treten beim Ueber-
gang vom setzenden zum modificirten Act nicht in eine heterogene
Klasse ein, sowie etwa beim üebergang von irgendeinem nomi-
nalen Acte zu einem Begehren oder Wollen. Was aber den üeber-
gang von einem setzenden Nominalacte zu einem Acte behaupten-
der Aussage anbelangt, so finden wir keinen Anlafs, überhaupt 1
einen qualitativen Unterschied anzunehmen. Und ebenso natür-
lieh im Vergleiche der entsprechenden „bloEsen Vorstellungen".
t
• Vgl. die Beispiele im § 34, S. 434.
Die Materie aüein (wolgemerkt die Materie in dorn für die vor-
liegende Untersuchung mafsgebenden Sinne) macht den einen und
anderen Unterschied aus; sie allein bestimmt also die Einheit der
nominalen und wieder <iie Einheit der propositionalen Acte.
Danach grenzt sich eine umfassendere Gattung intentionaler
Erlebnisse ab, welche all die betrachteten Acte nach ihrem qiiali-
tativon Wesen Kusamnienbefafst und den weitesten Begriff be-
stimmt, den der Terminus Vorstellung innerhalb der Oesammt-
klasse der intentionalen Erlebnisse bedeuten kann. Wir selbst
wollten diese qualitativ einheitliche und in ihrer natürlichen Weite
genommene Gattung als die der ohjoctivirenden Acte be-
zeichnen. Sie ergiebt, um es klar gegenüberzustellen,
1} durch qualitative Differenziirung die Eintheilung in die
setzenden Acte — die Acte des helief, des Urtheüs im Sinne
Miij^'s und Brektaxo's — nnd in die setzungslosen Acte, die ent-
sprechenden „blofsen Vorstellungen".
2} Durch Differenziirung der Materie ergiebt sich der Unter-
schied der nominalen und propositionalen Acte — doch bleibt
hier zu erwägen, ob dieser Unterschied nicht ein einzelner ist
unter einer Reihe gleichberechtigter materieller Unterschiede.
Jedenfalls kann der Satz ausgesprochen werden, dafs jede mögliche
Materie entweder eine volle propositionale Materie ist, oder ein
möglicher Theil einer aolchen. Im Zusammenhang der jetzigen
Untersuchung interessirt uns aber gerade der Unterschied nomi-
naler und propositionaler Materien, bezw. Acte, der sich mit dem
erstgenannten qualitativen Unterschiede kreuzt.
Bezüglich dieser Kreuzung ist ergänzend zu bemerken, dafs
wir es im vorigen Paragraplien allerdings nur mit Modificationen
des Urtheils, also des setzenden propositionalen Actes, in einen
nominalen zu thun hatten. Es ist aber unverkennbar, dafs sich
auch Jodes zur blofsen Vorstellung modificirte ürtheil in einen
entsprechenden nominalen Act verwandeln läfst, z. B. 2 x 2 ist
gleich 5 (im Aussprechen glauben wir dies ja nicht) in den Namen
dafs 2x2 gleich 5 ist. Da wir auch bei solchen Umwand-
lungen von Sätzen in Namen, dei welche Qualitäten unberührt
Huütorl, lAUf. Utiten. n,
29
lassen, und so überhaupt bei Umwandlungen propositionaler in
nominale Materien, von Moditication sprechen, ist es gut, jene
ganz andersartige Modifieation, welche die setzenden Namen oder
Aussagen in setzungslose umwandelt, ausdrücklich als qualita-
tive zu bezeichnen. Da hiebei die allein formgebende oder
Formunterschiede begründende Materie erhalten bleibt (der Name
bleibt Name, die Aussage Aussage, und nach allen inneren Glie-
derungen und Formen), so können wir auch von conformer
Modification des setzenden Namens, bezw. der Aussage spre-
chen. Indessen, wenn der Begriff der conformen Modification
in naturgemäfser Allgemeinheit, nämlich so gefafst wird, dafs er
sich auf jede, die Materie des Actes nicht berührende
Modification erstreckt, dann ist er, wie wir noch erörtern wer-
den', weiter als der hier in Frage stehende Begriff der quali-
tativen Modification.
§ 39. Die Vorstellung im Sinne des objectivirenden Actes und ihre
qualitative Modifikation.
Für die Zusammenfassung der nominalen und propositionalen
Acte in Eine Klasse fiel für uns der umstand entscheidend ins
Gewicht, dafs diese ganze Klasse durch einen qualitativen Gegen-
satz charakterisirt war, dafs also, wie zu jedem nominalen belief,
so zu jedem propositionalen, zu jedem vollen ürtheil, eine bloEse
Vorstellung als ihr Gegenstück gehöre. Es erhebt sich jetzt das
Bedenken, ob diese qualitative Modification überhaupt geeignet sei,
eine Klasse intentionaler Erlebnisse zu charakterisiren , und ob
sie nicht vielmehr in der Gesammtsphäre dieser Erlebnisse als
Theilungsmotiv ihre Geltung habe. Jedem intentionalen Erlebnis
überhaupt entspricht ja eine blofee Vorstellung: dem Wunsche die
blofse Vorstellung des Wunsches, dem Hasse die blofse Vorstellung
des Hasses, dem Wollen die blofse Vorstellung des Wollens u. s. w.
— ganz sowie dem actuellen Nennen und Aussagen die entsprechen-
den blofsen Vorstellungen.
' Vgl. § 40 8. 464 ff.
Indessen, hier darf man grunil verschiedene Dinge nicht zu-
sammenmengen. Zu jedein mögliclien Act, wie zu jedem mög-
lichen Erlebnis, ja wie ganz aligemein zu jedem niüglichen Ob-
ject, gehört eine auf ihn bezügliche Voi-stellung, und diese kann
ebensowol als setzende, wie als nichtsetzende (als „blofse" Vor-
stellung) qualificirt sein. Doch im Grunde genommen ist es
gar nicht Eine, sondern eine ganze Mannigfaltigkeit verschieden-
artiger Voreteilungen, und dies gilt selbst dann, wenn wir uns
dabei (wie wir es stillschweigend gethan haben werden) auf Vor-
stellungen vom Typus der nominalen beschränken. Diese Vor-
stellung kann als anschauliche und gedankliche, als directe oder
attributiv vermittelte ihr Object vorstellen, und all das in mannig-
facher Weise. Es genügt aber für unsere Zwecke, von Einer Vor-
stellung zu reden, oder irgend Eine von ihnen, etwa die imagi-
native herauszuheben, da doch alle Arten Vorstellungen überall
in gleicher Weise möglich sind.
Also jedem Object entspricht die Vorstellung des Objects,
dem Hause die Voretellung des Hauses, der Vorstellung die Vor-
stellung der Vorstellung, dem Urtheil die Vorstellung des Urtheils
u. s. w. Aber hier ist zu beachten, dafs die Voretellung des Ur-
theils, wie wir oben' schon ausgeführt haben, nicht die Vor-
stellung des geurtheilten Sachvorhalts ist. Und ebenso ist all-
gemeiner die Vorstellung einer Setzung nicht die Voretellung des
in der Weise der Setzung vorgestellten Gegenstandes. Die beider-
seitig vorgestellten Gegenstände sind andere. Daher ist z. B. der
Wille, der einen Sachverhalt realisiren will, ein anderer als der
Wille, der ein Urtheil oder eine nominale Setzung dieses Sach-
verhalts realisiren will. Dem setzenden Acte entspricht sein quali-
tatives Gegenstück in total anderer Weise, als ihm und irgend-
einem Act überhaupt die Voi-stelUing von diesem Acte entspricht
Die qualitative Modification eines Actes ist gleichsam
eine ganz andere ..Operation" als die Erzeugung einer
auf ihn bezüglichen Vorstellung. Der wesentliche ünter-
■ § 33 S. 431.
29*
schied dieser beiden Operationen zeigt sich auch darin, dafs die
letztere nach Mafsgabe der Symbole
0, V{0), V[V{0)], ....
wobei O irgend ein Objeet, V(0) die Torstelliing von O bezeichne,
in infiiiitnm iterirbar ist, die erstere aber nicht; und wieder dafs
die letztere auf alle Acte und alle Objecte überhaupt anwendbar ist,
während die erstere, jene qualitative Modificatiun, nur für setzende
Acte einen Sinn hat. Jedem Acte des belicf entspricht als Gegen-
stück eine „blofse" Vorstellung, welche dieselbe Gegenständlichkeit
und in genau gleicher Weise, d. i. anf Grund einer identischen
Materie vorstellig macht, wie joner Act des belief^ und welche sich
von ihm nur dadurch unterscheidet, dafs sie die vorgestellte Gegen-
ständlichkeit, statt sie in der Weise der Seinsmeinung zu setzen,
vielmehr dahingestellt sein liifst. Diese Modification läfst sich
natürlich nicht iteriren, ebensowenig als sie bei Acten einen
Sinn gäbe, die nicht unter den Begriff des beUef fallen. Sie
schafft also in der That zwischen Acten dieser Qualität und ihren
Gegenstücken einen einzigartigen Zusammenhang. Beispielsweise
hat die setzende Wahrnehmung oder Erinnerung ihr Gegenstück
in einem entsprechenden Acte l>lorser Eiubildiuig von derselben
Materie. Natürlich hat der Letztere nicht wieder ein Gegenstück,
es ist hier ganz unverständlich, was dies meinen und leisten sollte.
Hat sich das „Glauben" in „blofses Vorstellen" verwandelt, so
können wir höchstens zum Glauben zurückkehren; aber eine
sich in gleichem Sinne wiederholende und fortführende Modifi-
cation giebt es nicht.
Anders wenn wir die Operation der qualitativen Modification
mit derjenigen der vorstellenden Objectiviriing vertauschen. Hier
ist die Möglichkeit der Iteration evident, .'^m einfachsten zeigen
wir dies in der Beziehung der Acte auf das Ich und ihrer Ver-
theilung auf verschiedene Zeitpunkte oder Pei-sonen. Einmal
nehme ich etwas wahr, das andere Mal stelle ich mir vor, dafs
ich dies wahrnehme, ein drittes Mal stelle ic!i wieder vor, dafs ich
mir vorstelle, dafs ich wahrnehme u. s. w. Oder ein anderes Bei-
spiel. A wird gemalt. Ein zweites Gemälde stellt abbildend das
erste dar, ein drittes dann das zweite u. s. w. Hier sind die Unter-
schiede unverkennbiir. Natürlich sind es nicht Unterschiede der
Emptindungsiulialte, sondern Unterschiede der auffassenden Act-
charaktere (und zumal der intentionalen Materien), ohne welche die
Rede von Phautasiebild, Gemälde u.s. w. ja auch sinnlos wäre. Und
diese Unterschiede erlebt man, ist ihrer phänomenologisch
gewife, sowie man die entsprechenden Erlebnisse vollzieht und sich
dabei ihrer intentionalen Unterschiede bewufst wird. Dies ist
z.B. voll und ganz der Fall, wenn mau unterscheidend aussagt;
von Ä habe ich jetzt eine Wnlu-nehmung, von B eine Phantasie-
vorstellung, C ist hier, in diesem Gemälde, dargestellt u. s. w.
"Wer sich diese Verhältnisse klar gemacht hat, wird nicht in den
Fehler derjenigen verfallen können, welche die Vorstellungen
von Vorstellungen als phänomenologisch nicht nachweisbar, ja
als blofse Fiettouen erklären. Wer so iirtheilt, vermengt die
beiden hier unterschiedenen Operationen, er unterschiebt der Vor-
stellung von einer blofsen Vorstellung die allerdings unmögliche
([uaütative Modification zu dieser Vorstellung; oder er unterschiebt
der ei-steren Operation vielleicht jene andere, ebenfalls nicht iterir-
bare conforrae Modification, von welcher wir im nächsten Para-
graphen sprechen werden.
Wir glauben nun hinsichtlich der einander durch conforme
ModificatioD coordinirten Qualitäten eine Gattungsgemeinschaft an-
nehmen zu dürfen, und halten es auch für richtig, dafs die eine
oder andere dieser Qualitäten allen Acten zukommt, aus welchen
sich die Einheit eines jeden qualitativ unmodificirten oder modi-
ficirten Urtheils wesentlich aufbaut, gleichgiltig ob wir auf die
Acte der blofsen Bedeutnngsinfontion, oder auf die der Bedeutungs-
erfüllung liinblickcn. Im Uebrigen ist es selbstverständlich, dafs
jene blofsen V'orstellungeu von ganz beliebigen Acten, die wir
oben von den nur bei setzenden Acten möglichen qualitativen
Gegenstücken untui-srhiwlen, als blofse Vorstellungen selbst solche
Gegenstücke sind, nur sind sie es nicht zu ihren originären Acten,
die vielmehr ihre Vor'stellungsobjecto sind. Die blofse Vorstellung
eines Wunsches ist nicht das Gegenstück des Wunsches, sondern
irgendeines auf denselben bezogenen setzenden Actes, z. B. einer
Wahrnehmung des Wunsches. Dieses Paar, Wahrnehmung und
blofse Vorstellung des Wunsches, ist von Einer Gattung, beides
sind objectivirende Acte; während der Wunsch selbst und seine
Wahrnehmung, bezw. auch seine Einbildung oder eine sonstige
auf ihn bezügliche Vorstellung, von verschiedener Gattung sind.
§ 40. Fortsetxung. Qualitative und imaginative Modißeation.
Sehr nahe liegt es, die setzenden Acte als fürwahrhaltende,
ihre Gegenstücke als einbildende Acte zu bezeichnen. Beide
Ausdrücke haben, neben dorn, was sie sichtlich empfiehlt, auch
ihre Bedenken, welche zumal der terminologischen Fi.xirimg des
letzteren entgegentreten. Wir nehmen die Erwägung dieser Be-
denken als Anlnfs, um einige nicht unwichtige Ergänzungen aus-
zuführen.
Von einem Fürwahrlialten spricht die ganze logische Tra-
dition nur bei ürtheilen, d. i. Aussagebedoutungen. Jetzt aber
wären alle Wahrnehmungen, Erinnerungen, Erwartungen, alle
Acte symbolisch-nominaler Setzung n. dgl. als Fürwahrhaltungen
bezeichnet. Was ferner das Wort Einbildung anbelangt, so meint
es in der üblichen Rede zwar einen Dichtsetzenden Act; aber es
müfste seinen originären Sinn über die Sphäre der sinnlichen
Einbüdung in dem Mafse erweitern, dafs sein Umfang alle mög-
lichen Gegenstücke der Fürwahrhaltungen in sich fafste. An-
dererseits bedürfte das Wort auch der Einschränkung, insofern
der Gedanke ausgeschlossen bleiben müßäte, als ob Einbildun-
gen, sei es bewufste Fictionen, sei es gegenstandslose Tor-
stellungen, oder gar falsche Meinungen seien. Erzähltes nehmen
wir oft genug auf, ohne uns in Wahrheit oder Falschheit irgend-
wie zu entscheiden. Und selbst wenn wir einen Roman lesen,
verhält es sich normaler Weise nicht anders. Wir wissen, dafs
es sich um eine ästhetische Fiction handle; aber dieses Wissen
bleibt bei der rein ästhetischen Wirkung blofs dispositionell. Alte
Ausdrücke sind in diesen Fällen sowol nach Seiten der Be-
deutungsintentionon, als der sich einstellenden Phantasieerfülhingen
Träger von setziingslosea Acten, von „Einbildungen", Dies be-
trifft also auch die ganzen Aussagen. Die Urtlieile werden zwar
in gewisser Weise vollzogen, aber sie haben nicht den Charakter
wirklicher ürtbeile; wir glauben nicht, wir leugnen und bezweifoln
aber auch nicht, was da erzählt wird; ohne jedes Fürwahrhalten
lasset! wir es auf uns wirken, wir vollziehen statt der wirklieben
Urtheilo blofs Einbildungen. Nicht als ob die Ürtbeile nun zu
Gegenständen von Einbildungen würden. Wir vollziehen vielmehr
statt des Urtbeils als der „Fürwahrhaltuug" seines Sachverhalts,
eine „Einbildung" geuau desselben Sachverhalts.
Der Name Einbildung ist aber noch mit einer Unzuträglich-
keit behaftet, die seiner terminologischen Einführung ernstlicher
im Wege steht: er weist auf eine bildliehe Auffassuug hin, wäh-
rend wir doch nicht sagen können, alle nichtsetzeuden Acte
seien iraaginirende, alle setzenden nicht imaginirende.
Mindestens das Letztere ist ohne Weiteres klar. Ein bildlich vor-
gestellter Gegenstand kaim uns ebensowol in der Weise der Setzung
als seioader gegenüberstehen, wie in der modificirten Weise als
eingebildeter. Und er kann dies sogar, während der repräsenta-
"tive Uelmlt seiner Anschauung identisch bleibt, also dasjenige
identisch bleibt, was der Anschauung nicht nur überliaupt die
Bestimmtheit der Beziehung auf diesen Gegenstand, sondern
zugleich den Charakter einer bildlichen Repräsentation verleiht,
welche den Gegenstand in bestimmter Fülle und Lebendigkeit
verbildlicht. Der Erscheiuutigsgebalt des Gemäldes bleibt z. B.
derselbe, ob wir es als Vorstellung eines wirklichen Objectes
nehmen, oder es rein ästhetisch, ohne Setzung auf uns wirken
lassen. Ob die parallele Sachlage bei der normalen Wabniehnuing
anzunehmen ist, ist allerdings zweifelhaft; nämlich ob die Wahr-
nehmung bei vollständiger Identität ihres sonstigen phänomeno-
logischen Bestandes qualitativ modificirt werden, und so ihren
normalen Setzungscharakter einbüfsen kann; es fi-agt sich, ob die
für die Wahrnelimung charakteristische perceptive Auffassung des
Gegenstandes als eines „selbst gegenwärtigen" nicht alsbald über-
geht iu die imaginative Auffassung, iu welcher der Gegenstand,
analog wie im Falle der Phantasie und der physischea Bildlich-
keit (Gemälde u. dgl.) als bildlich und nicht mehr als selbst ge-
geben erscheint. Jedenfalls kann aber die Wahrnehmung in eine
correspondirendo Bildlichkeit übergehen (also in einen Act von
gleicher Materie, ubschon von verschiedener Aut'tassungsform),
auch ohne Veränderung ihres Setzungscharakters.
Wir sehen, dafs sich hier zweierlei conforrae Modificationen
unterscheiden lassen, die qualitative und die repräsentatire.
In beiden bleibt die Materie ungciindert. Bei Identität der Materie
ist es eben nicht blofs die Qualität, welche im Acte noch wechseln
kann. Qualität und Materie haben wir zwar als das „durühauts
Wesentliche", weil Bedeutungsmäfsige und von keinem Acte Ab-
trennbare, gefafst; wir haben aber von vornherein darauf hinge-
wiesen, dafs noch andere Momente in den Acten »interscheidbar sind.
Eben diese kommen, wie die nächste Untersuchung genauer zeigen
wird, für die Unterschiede zwischen Sigiiification und Intuition,
und wieder zwischen Perception und Imagination in Betracht.
Die zu diesem letzteren Unterschiede gehörige imaginative
Modificatiou — welche eine Wahrnehmung in eine Imagination
von gleicher Materie überführt, unangesehen der beiderseitigen
Setzungscharaktere — läfst ebenfalls keine Iteration zu. Es giebt
zwar viele Bildvorstellungen, welche in conformer Weise densel-
ben Gegenstand mit denselben Bestimmtheiten zur Ersclieiuung
bringen, wie die vorgegebene Wahmelimung; aber sie verhalten
sich zueinander nicht etwa so, wie die Wahrnehmung zu einer
Jeden von ihnen. Die Umwandlung, welche die Wahrnehmung
erfährt, wenn sie in Bildlichkeit übergeht, die Umwandlung der
percoptiven in die imaginative Auffassung, läfst sich an der Ima-
gination selbst natürlich nicht mehr vollziehen.
Man darf auch diese conforme Modification nicht verwechseln
mit der Bildung übereinander gebauter Vorstelluogsvorstellungen;
wie wenn z. B. Bilder andere Bilder zu Gegenständen haben, diese
wieder u. s. w. Vielleicht hat gerade diese Verwechslung, und mehr
noch als die im vorigen Paragraphen besprochene, den Irrthum be-
günstigt, Vorstellungen von Vorstellungen seien logische Fictionen.
n
Sind die descriptiveu Verhältnisse einmal geklärt, so ist es
offenbar eine blofs terminologische Streitfrage, ob man das Wort
Urlheil, wie wir es im Sinue der Tradition thun, auf die (un-
modificirten) Aussage bedeutunyen einschränkt, oder ob man ihm
die gauze Sphäre der Acte des belkf als Anwendungsgebiet zu-
erkennt. Dafs im ersten Falle keine „GrundkJasse" von Acten,
ja nicht einmal eine niedei-ste qualitative Differenz voll umspannt
ist, soferu die Materie — wozu bei unserem Begriff von Materie
süwol das ist wie ist nicht gehört — für die Umgrenzung mitbe-
stimmend ist, tbut nichts zur Sache. Da Urtlieil ein logischer Ter-
minus ist, so hat allein das logische Interesse und die logische Tra-
dition zu entscheiden, was für ein Begriff ihm Bedeutung zu geben
hat. In dieser Hinsicht wird man wol sagen müssen, dafs ein so
fundamentaler Begriff , wie derjenige der (ide»don) Aussagebedeutung,
als welche doch die letzte Einheit ist, auf die alles Logische zurück-
bozogen sein mufs, seinen natürlichen und angestammten Ausdruck
behalten mufs. Der Terminus ürthoilsact wäre also auf die ent-
sprechendeu Actarten, auf die Bodeutungsintentionen completer Aus-
sagen und auf die ihnen angemessenen, dasselbe bedoutungsmäfsige
Wesen besitzenden Erfüllungen zu beschränken. Die Bezeichnung
aller setzenden Acte als Urtheile hat die Tendenz, den wesentlichen
Unterschied, der die nominalen und propositionalen Acte bei aller
qualitativen Gemeinsamkeit trennt, zu verhüllen und damit eine
Reihe wichtiger Verhältnisse zu verwirren. Aohnlich wie mit dem
Terminus ürthoil verhält es sich mit dem Terminus VorsteUiaig.
Was die Logik darunter verstehen soll, mufs ihr eigenes Bedürf-
nis entscheiden. Sicherlich ist dann Rücksicht zu nehmen auf
die ausschliefsende Sonderung zwischen Vorstellung und Urthoil
und auf den Umstand, dafs die Vorstellung als etwas, das volle
ürtheil möglicherweise Aufbauendes gelten will. Ob man dann
jenen Vorstellungsbegriff annehmen soll, den Bolzano, alle mög-
lichen Theilbedeutungen von logischen ürtheilen zu-
sammenfassend , seiner Behandlung der Wissenschaftslehi'o zu
Grunde gelegt hat, oder ob man sich auf die relativ selbständigen
Bedeutungen dieser Art, phänomenologisch gesprochen, auf die
V. Ueber itUettliotuile Erk
ihre „Inhalte".
nominalen Acte beschränken soll (falls man die Prädicate zu
diesen rechnet); oder weiter, ob man nicht vielmehr, eine andere
Theiiungsrichtung bevorzugend, tils Vorstellungen die blofse Re-
präsentation fassen niufe, d. h. den Gesanimtinhalt der jewei-
ligen Acte, der nach Abstraction von der Qualität übrig bleibt
und in sich also vom intentionalen Wesen nur die Materie ent-
hält — das sind schwierige und jedenfalls nicht an dieser Stelle
zu entscheidende Fragen. Soviel aber ist sicher, dafs nicht alle
zur phänomenologischen Klärung der logischen Begriffe förder-
lichen oder unerläfslichen Unterscheidungen darum sclion in den
Zusammenhang der Logik selbst als apriorischer Doctriu gehören.
§ 41. AlsMf Inlcf-pretalion des Sattes von der Vorstellung als
Grundlage aller Acte. Der objectinrende Act als primärer Träger
der Materie.
Eine Anzahl Forscher in älterer und neuerer Zeit fafst den
Terminus Vorstellung so weit, dafs er mit den „blofs vorstellenden"
Acten auch die fürwalirbultenden, und zumal die Urtheile in
sich begreift, kurzum die Gesammtsphäre der objectivireo-
deo Acte. Unter Zugrundelegung dieses wichtigen, eine ge-
schlossene Qualitätsgattung ausprägenden Begriffes gewinnt der
Satz von der Vorstellungsgrundlage — wir haben dies oben bereits
angekündigt — einen neuen und besonders bedeutsamen Sinn, von
welchem der vorige, sich auf den nomiunlon Vorstellungsbegriff
aufbauende, blofs eine secundäre Abzweigung ist Wir dürfen
nämlich sagen: jedes iutentionale Erlebnis ist entweder
ein objectivirender Act oder hat einen solchen Act zur
„Grundlage", d. h. er hat in diesem letzteren Falle einen ob-
jectivirendon Act nothwendig als Bestnndstück in sich, dessen
Oesammtmaterie zugleich und zwar individuell identisch
seine Gesamnitmaterie ist. All das, was wir, den Sinn des noch
ungeklärten Satzes auseinanderlegend, im § 23 (S. 400 ff.) gesagt
haben, können wir fast wortgetreu liier in Anspruch nehmen und
hierdurch zugleich dem Terminus objectivirender Act seine Recht-
fertigung verleihen. Denn wenn sich kein Act, oder vielmehr
keine Actqualitat, die nicht selbst von der Art der objecHvirenden
ist, ihre Materie zueignen kann, es sei denn mittelst eines, mit
ilir zu einem einlieitliclien Act verwobenen objectivirenden Actes:
so haben die objectivirenden Acte eben die einzigartige Function,
allen übrigen Acten die Gegenständlichkeit zu allererst vorstellig
zu machen, auf die sie sich in ihren neuen Weisen beziehen
sollen. Die Beziehung auf eine Gegenständlichkeit constituirt sich
überhaupt in der Materie. Jede Materie ist aber, so sagt unser
Gesetz, Materie eines objectivirenden Actes und kann nur
mittelst eines solchen zur Materie einer neuen, in ihm fundirten
Actqualitat werden. Wir haben gewissermafsen primäre und
secundäro Intentionen zu unterscheiden, von welchen die
letzteren ihre Intentionalität nur der Fundirung durch die ersteren
verdanken. Ob im üebrigen die primären, objectivirenden Acte
den Charakter der setzenden (fürwahrhaltenden) oder nichtsetzen-
den („blofs vorstellemion") haben, ist für diese Function gleidi-
giltig. Manche secuudäre Acte verlangen durchaus Fürwahrhal-
tungen, wie z. B. Freude und Trauer, für andere genügen blofse
Einbildungen, wie z.B. für den Wunsch. Sehr oft ist der unter-
liegende objectivirende Act eine Complexion, welche Acte von
beiderlei Art in sich fafst.
§ 42. Weitere Atts fuhrungen.
Zur näheren Beleuchtung der merkwürdigen Sachlage fügen
wir noch folgende Bemerkungen hinzu.
Jeder zusammengesetzte Act ist eo ipso qualitativ complex;
er liat so viele Qualitäten {ob nun von verschiedener oder von
derselben Art oder Differenz), als in ihm einzelne Acte unter-
scheidbar sind. Jeder zusammengesetzte Act ist ferner ein fun-
dirter Act; seine Gesammtqualität ist nicht eine blofse Summe
der Qualitäten der Theilacte, sondern eben eine Qualität, deren
Einheit in diesen aufbauenden Qualitäten fundirt ist, ebenso wie
die Einheit der Gesammtmaterie nicht eine blofse Summe der
Materien der Theilacte ist, sondern, wofern eine Vertheilung der
Materie nach den Theilacteu überhaupt statthat, in den Tlieilmateriou
460 V. Ueber intentio>iak Erkbnüae und ihre „Inhalte'
fundirt ist. Es giebt aber in der Weise, wie ein Act qualitativ
complex und in anderen Acten fundirt ist, wesentliche Unter-
schiede, und dies mit Rücksicht auf die verschiedene Weise, in
der sich die verschiedenen Qualitäten zueinander und zur einheit-
lichen Gesammtmaterie und zu den eventuellen Theilniaterien ver-
halten, und in der sie durch verschiedene elementare Fundirungen
Einheit gewinnen.
Ein Act kann in der Art complex sein, dafs seine complexe
Güsammtqualität in mohroro Qualitäten zerstiickbar ist, deren
jede eine und dieselbe Materie individuell -identisch gemein
hat; so z. B. in der Freude über eine Thatsache die Complexion
der specifisclion Qualität der Freude und derjenigen der Fürwahr-
haltung, in welcher uns die Thatsache vorstellig ist Danach
möchte man denken, dafs jede dieser Qualitäten mit Ausnahme
einer einzigen und beliebigen unter ihnen fortfallen könnte, wäh-
rend immer noch ein concret vollständiger Act übrig bliebe. Man
möchte ferner auch denken, dafs Qualitäten beliebiger Gattung
mit einer einzigen Materie in angegebener Art verbunden sein
könnten. Unser Oesctü besagt, dafs all das nicht möglich ist,
nämlich dafs in jeder solchen Complexion und in jedem Acte
überhaupt noth wendig eine Actqualität von der Gattung der ob-
jectivirenden vorhanden sein mufs, weil eine Materie überhaupt
nicht rcalisirbar ist, es sei denn als Materie eines objectiviren-
den Actes.
Qualitäten anderer Gattung sind folglich immer in objecti-
virendon Qualitäten fundirt; niemals können sie mit einer Materie
unmittelbar und für sich allein verknüpft sein. Wo sie auftreten,
da ist der gesammte Act nothwendig ein qualitativ mehrförmiger,
d. h. Qualitäten verschiedener Qualitütsgattungen enthaltender; und
des Näheren so, dafs von ihm allzeit ein voller objectivirender Act
(sc. einseitig 1) ablösbar ist, der die gesammte Materie des Gesammt-
actes auch als seine Gesammtmaterie besitzt Im entsprechenden
Sinne einförmige Acte brauchen übrigens nicht einfache zu sein.
' Vgl. Uiitm, §16, S. 258.
Alle einförmigen Acte sind objcctivirend, und wir dürfen sogar um-
kehren, alle objectivirenden Acte sind einförmig; aber auch ob-
jectivirende Acte ijönnen noch complex sein. Die Materien der
Theilacte sind jetzt blolse Theile der Materie des Gesammtactes;
in diesem constituirt sich die Gesamratniaterie dadurch, dafs zu
den Theilacten Theile der Materie gehören, und dafs zum Einheit-
lichen der Gesammtqualität das Einheitliche der Gesammtmaterie
gehört. Jeder Aussagesatz bietet uns, ob er nun in normaler Be-
deutung (als behauptender) oder in modificirter Bedeutung fungirt,
ein hiehergehöriges Beispiel. Den „Terminis" entsprechen unter-
liegende Theilacte mit Theilmaterien , den verbindenden Formen,
dem ist oder ist nicht, dem wenn und so, dem entweder und
oder u. dgl. entsprechen fundirte Actcharaktere, aber zugleich fun-
dirte Momente der Gesammtmaterie. Bei all dieser Complexion
ist der Act ein einförmiger; wir finden auch nur Eine objectivi-
rende Qualiöt, welche zu der Gesammtmaterie gehört; und mehr
als Eine objectivirende Qualität kann, wir werden dies wol
allgemein behaupten dürfen, auf eine einzige und als Ganzes
genommene Materie nicht bezogen sein.
Aus solcher Einförmigkeit erwächst nun Mehrförmigkeit, sei
es dadurch, dafs der objectivirende Gesammtact sich mit neuartigen,
auf die Gesammtmaterie bezüglichen Qualitäten verbindet, oder
auch dadurch, dafs die neuen Qualitäten sich blofs einzelnen
Theilacten zugesellen; wie wenn sich auf Grund einer einheitlichen
gegliederten Anschauung, bezüglich des einen Gliedes Gefallen,
bezüglich des anderen Mifsfallen einstellt umgekehrt ist es selbst-
verständlich, dafs in jedem complexen Act, der wie immer, ob
auf die Gesammtmaterie oder auf deren Theile gegründete Act-
qualitäten von nichtobjectivirender Art enthält, diese Act-
qualitäten sämmtlich sozusagen herausgestrichen werden können;
es bleibt dann ein voller objectivirender Act übrig, der noch die
gesammte Materie des ursprünglichen Actes in sich enthält.
Eine weitere Folge der hier waltenden Gesetzmäfsigkeit ist
auch die, dafs die letztfundirenden Acte eines jeden com-
plexen Actes objectivirende Acte sein müssen. Dieselben sind
460 V. Ueber intenlionale-^^^^^^KKKmre „bümlte".
I
t
fundirt ist. Es giebt aber in der Weise, wie ein Act qualitativ
complex und in anderen Acten fundirt ist, wesentliche unter-
schiede, und dies mit Riicksiclit auf die verschiedene Weise, in
der sich die verschiedenen Qualitäten zueinander und zur einheit-
lichen Gesammtmaterie und zu den eventuellen Thciiuiaterien ver-
halten, und in der sie durch verschiedene elementare Fimdirungeu
Einheit gewinnen.
Ein Act kann in der Art complex sein, dafs seine coiuplexe
Gesammtqualität in mehrere Qualitäten zeretückbar ist, deren
jede eine und dieselbe Materie individuell -identisch gemein
hat; so z. B. in der Freude über eine Tbatsache die Complexion
der specifischen Qualität der Freude und derjenigen der Fürwahr-
haltuug, in welcher uns die Ttiatsaohe vurstellig ist. Danach
möchte mau denken, dafs jede dieser Qualitäten mit Ausnahme
einer einzigen und beliebigen unter ihnen fortfallen könnte, wäh-
rend immer noch ein concret vollständiger Act übrig bliebe. Man
möchte ferner auch denken, dafs Qualitäten beliebiger Gattung
mit einer einzigen Materie in angegebener Art verbunden sein
könnten, unser Gesetz besagt, dafs all das nicht möglich ist,
nämlich dafs in jeder solchen Complexion und in jedem Acte
überhaupt noth wendig eine Actqualität von der Gattung der ob-
jeetivirendon vorhanden sein mufs, weil eine Materie überhaupt
nicht realisirbar ist, es sei denn als Materie eines objectiviren-
den Actes.
Qualitäten anderer Gattung sind folglich immer in objecti-
virenden Qualitäten fundirt; niemals können sie mit einer Materie
unmittelbar und für sich allein verknüpft sein. Wo sie aufti-eten,
da ist der gesammte Act notliwendig ein qualitativ melirförmiger,
d. h. Qualitäten verschiedener Qualitätsgattungen enthaltender; und
des Näheren so, dais von ihm allzeit ein voller objectivirender Act
(sc. einseitig ') ablösbar ist, der die gesammte Materie des Gesammt-
actes auch als seine Gesammtmaterie besitzt, Im entsprechenden
Sinne einförmige Acte brauchen übrigens nicht einfache zu sein.
' Vgl. Unt.m, §16, 8.258.
Alle einförmigen Acte sind objoctivirend, und wir dürfen sogar um-
kehren, alle objectivireuden Acte sind einförmig; aber auch ob-
jectivirende Acte können noch complex sein. Die Materien der
Theilacte sind jetzt blofse Theile der Materie des Gesammtactes;
in diesem constituirt sich die Gesammtiiiaterie dadurch, dafs zu
den Theilacten Theile der Materie gehöreu, und dafs zum Eiuheit-
liohen der Gesammtqualitiit das Einlipitlicbe der Gesamiutmaterie
gehört. Jeder Aussagesatz bietet uns, ob er nun in normaler Be-
deutung (als behauptender) oder in modificirter Bedeutung fungirt,
ein hi ehergehöriges Beispiel. Den „Termiuis" entsprechen unter-
liegende Theilacte mit Theilmaterien, den verbindenden Formen,
dem üi oder ist nicht, dem wenn und so, dem enttveder und
oder u. dgl. entsprechen fundirte Actcharaktere, aber zugleich fun-
dirte Momente der Gesammtmaterie. Bei all dieser Comple.\ion
ist der Act ein einförmiger; wir finden auch nur Eine objectivi-
rende Qualität, welche zu der Gesammtmaterie gehört; und mehr
als Eine objectivirende Qualität kann, wir werden dies wol
allgemein behaupten dürfen, auf eine einzige und als Ganzes
genommene Materie nicht bezogen sein.
Aus solcher Einförmigkeit erwächst nun Mehrformigkeit, sei
es dadurch, dafs der objectivirende Gesammtact sich mit neuartigen,
auf die Gesammtmaterie bezüglichen Qualitäten verbindet, oder
auch dadurch, dafs die neuen Qualitäten sich blofs einzelnen
Theilacten zugesellen; wie wenn sich auf Grund einer einheitlichen
gegliederten Anschauung, bezüglich des einen Gliedes Gefallen,
bezüglich des anderen Mifsfallen einstellt. Umgekehrt ist es selbst-
verständiich, dafs in jedem coraplexeu Act, der wie immer, ob
auf die Gesammtmaterie oder auf deren Theile gegründete Act-
qualitäten von nichtobjectivireuder Art euthält, diese Act-
qualitäten säramtlich sozusagen herausgestrichen werden können;
es bleibt dann ein voller objectivirender Act übrig, der noch die
gesammte Materie des ursprünglichen Actes in sich enthält.
Eine weitere Folge der hier waltenden Gosetzmäfsigkeit ist
auch die, dafs die letztfundirenden Acte eines jeden com-
plexen Actes objectivirende Acto .sein müssen. Dieselben sind
alle von der Art der nominalen Acte, und zwar sind es einfache
nüniiiiitle Acte, schlichte Verbindungen einer einfachen Qualität
mit einer eingliedrigen Materie. Denn wir können den Satz
ausspreciien, dals alle einfachen Acte nominale sind. Natürlich
gilt nicht die Umkehrung; nicht alle nominalen Acte sind ein-
fach. Sowie in einem objectivireuden Acte eine gegliederte Materie
auftritt, findet sich darin auch eine kategoriale Form, und allen
kategorialen Formen ist es wesentlich, sich in fundirten Acten zu
constituiren, wie wir noch' genauer erörtern werden.
In den vorstellenden und den nächstfolgenden Ausfühnmgea
braucht man uuter Materie nicht das blofse abstracto Moment dee
iutentionaleu Wesen» zu vei-stehen; man kt'lnute ihr auch das Oanze
dee Actes, nur unter Abstraetion von der QiialitSt — also das, wasj
wii in der nächsten Untersuchung die Repräsentation nennen wer-
den — Bubstituirea: alles Wesentliche bliebe dann bestehen.
§ 43. Rückblick auf die frühere Interpretation
des behandelten Satxea.
Man versteht nun auch, warum wir oben* behaupten durften,
der auf Grund des nominalen Vorstellungsbegriffes inter-
pretirte SatK Brentano's sei eine blofse secundäre Folge
desselben Satzes in der neuen Interpretation. Ist jeder
nicht selbst schon (bezw. nicht rein) objectivirendo Act in obj'ec-
tivirenden fundirt, so mufs er selbstverständlich zuletzt auch in
nominalen Acten fundirt sein. Denn jeder objectivirende Act ist,
wie wir besprachen, entweder einfach, also eo ipso nominal, oder
zusammengesetzt, also in einfachen, d.i. wieder in nominalen Acten
fundirt. Die neue Interpretation ist offenbar sehr viel bedeutsamer,
weil nur bei ihr die wesentlichen Grundverhältnisse eine reine
Ausprägung erfahren. In der anderen Interpretation, ob-
schon sie nichts Unriclitiges aussagt, mengen oder kreuzen sich
zwei grundverschiedene Fundirungsarten:
' Im zweiton Abschnitt der VI. Untersuchung.
• § 41, 8. 458.
1. Die Fundirung nicht -objectivirender Acte (wie Freuden,
Wünsche, Wollungen) in übjectivirendon (Vorstellungen, Fürwahr-
haltuugen), wobei primär eine Actqualität in einer anderen Act-
quaütät und erst mittelbar in einer Materie fundirt ist.
2. Die Fundirung objecfivirender Acte in anderen objecti-
virenden Acten, wobei primär eine Actniaterie in anderen Act-
materien fundirt ist (z. B. die einer prädicativen Aussage in den-
jenigen der fundirenden Nominnlacte). Denn so können wir die
Sache auch ansehen. Der umstand, dnTs keine Materie ohne ob-
jeetivirende Qualität möglich ist, niufs dann von selbst die Folge
haben, dafs wo eine Materie in anderen Materien fundirt ist, auch
ein objectivirender Act der ersten Materie in eben solchen Acten
der letzteren Materien fundirt ist Sonach hat die Thatsache,
dafs jeder Act allzeit in nominalen fundirt ist, verschie-
dene Quellen. Die ursprüngliche Quelle liegt überall darin, dafs
jede einfache, also keine materiale Fundirung mehr einschltefsende
Materie eine nominale, also jeder letztfundirende objectivirende
Act ein nominaler ist Da aber alle andersartigen Actqualitaten
in objectivirenden fundirt sind, so überträgt sich die letzte Fun-
dirung durch nominale Acte von den objectivirenden auf alle
Acte überhaupt
Sechstes Kapitel.
ZnBammenstellung der wichtigsten Aeqnivocationen
der Termini Vorstellung und Inhalt.
§ 44. „Vorstellung."
Wir sind in den letzten Kapiteln auf eine vier-, bezw. fünf-
fache Aequivocation des Wortes Vorstellung gestofsen.
1. und 2. Vorstellung als Actmaterie; oder wie wir in
naheliegender Modification auch sagen können: Vorstellung als
die dem Acte zu Grunde Liegende Repräsentation, d. h. als
das Ganze des jeweiligen Actes mit Ausschlufs aller Qualität;
I
denn auch dieser BegrifiF spielte in unseren Ausführungen mit,
obschon es bei unserem speoielien Interesse für das Verhältnis
zwischen Qualität und Materie nicht darauf ankam, ihn überall
zu betonen. Die Materie sagt gleichsam, als was der Gegenstand
im Acte geraeint ist, welche Bestimmtheiten ihm zugedeutet werden
sollen; die Repräsentation aber zieht überdies die Momente heran,
die aufserhnlb des intentionalen Wesens liegen und die (in ihrer
Auffassung durch die Materie) es machen, dafs der Gegenstand
gerade in der Weise der perceptiven oder imaginativen Anschauung
oder des blofsen symbolisc-hon Bedeutens gemeint ist Darüber
folgen umfassende Analysen im ersten Abschnitt der nächsten
Untersuchung.
3. Vorstellung als „blofse Vorstellung", z. B. als blofses
Satzverständnis, ohne innere Entscheidung in Zustimmung oder
Verwerfung, ohne Vermuthung oder Bezweiflung u. s. w.
4. Vorstellung als nominaler Act, z. B. als Subjectvor-
stellimg eines Aussageactes.
5. Vorstellung als objectivirender Act, d. i. im Sinne der
Actklasse, die nothwendig in einem jeden vollständigen Acte ver-
treten ist, weil jede Materie (bozw. Repräsentation) primär als
Materie (bezw. Repräsentation) eines solchen Actes gegeben sein
mufs. Diese qualitative „Grundklasse" befafst sowol die Acte des
belief, des nominalen und propositionalen, als auch deren „Gegen-
stücke", so dafs alle Vorstellungen im obigen dritten und vierten
Sinne mit hiehergeliören.
Die genauere Analyse dieser Begriffe von Vorstellung, bezw.
der durch sie umfafsten Erlebnisse, und die endgiltige Feststellung
ihres Verhältnisses zueinander wird noch die Aufgabe weiterer
descriptiver Forschungen sein müssen. Was wir hier nur noch
versuchen wollen, ist eine Anreihnng von anderen Aequivoca-
tionen des in Rede stehenden Terminus. Sie scharf auseinander-
zuhalten, ist für unsere logisch -erkenntnistlieoretisclien Bemühungen
von fundamentaler Wichtigkeit. Die phänomenologischen Analysen,
welche für die Auflösung dieser Aequivocationen die unerläfs-
lichen Voraussetzungen bilden, haben wir in unseren bisherigen
Darlegungen allerdings nur zum Theil in exteyiso kennen gelernt;
aber das noch fehlende war schon mehrfach berührt und zumeist
soweit angedeutet, dafs wir die Hauptpunkte in Kürze bezeichnen
können. Wir setzen die Aufzählung also fort, wie folgt:
6. Das Vorstellen wird häufig dem blofsen sich Denken
gegenübergesetzt. Es ist dann derselbe Unterschied mafsgebend,
der auch als Gegensatz von Anschauung und Begriff be-
zeichnet wird. Von einem Eliipsoid habe ich eine Voi-stoUung,
von einer Kummer' sehen Fläche nicht; aber durch passende Zeich-
nungen, durch Modolle oder durch theoretisch geleitete Bewegungen
der Phantasie kann ich auch von ihr eine Vorstellung gewinnen.
Ein rundes Viereck, ein regelmäßiger Zivauxigflächner und der-
gleichen apriorische Unmögliclikeiten sind in diesem Sinne „un-
vorstellbar". Ebenso auch ein vollständig begrenxtes Stück einer
Enldidischen Mfinnigfaltiglceit von mehr alu drei THinensionen,
die Zahl 7C und äiinliehe, von aller Unverträglichkeit freie
Bildungen. In all diesen Fallen der Unvorstellbarkoit sind uns
„blofse Begriffe" gegeben; genauer zu reden, wir haben nominale
Ausdrücke und diese belebt von Bedeutungsintentionen, in
welchen die bedeuteten Gegenstände in mehr oder minder unbe-
stimmter Weise — zumal et%va in der unbestimmt attributiven
Form ein A als blofse Träger bestimmt genannter Attribute —
„gedacht" sind. Dem blofsen Denken steht nun gegenüber das
,, Vorstellen": offenbar ist es die der blolsen Bedeutungsintention
Erfüllung, und zwar angemessene Erfüllung verleihende An-
schauung. Die neue Klasse von Fällen ist also dadurch be-
günstigt, dafs sich den für das letzte Erkenntnisinteresse unbe-
friedigenden Denkvorstellungen — sei es den rein symbolischen
Bedeutungsinteutionen, sei es den mit stückweiser und wie immer
inadäquater Anschauung vormischten — eine correspondirende
Anschauung allseitig und gliedweise anschmiegt: Genau als das
steht uns das in Wahrnehmung oder Imagination Angeschaute
vor Augen („selbst" oder „im Bilde"), als weiches es auf der
Seite des Denkens intendirt war. Sich etwas VorstoUon, heifst
jetzt also: sich eine entsprechende Anschauung von dem
Hniierl, Log. Cntsn. II. 30
verschaffen, was blofs gedacht (d. i. blofs bedeutet) und
bestenfalls nur inadäquat veranschaulicht war.
7. Ein sehr gewöhnlicher Begrifl' von Vorstellung betrifft den
innerhalb der Sphäre der Anschauung (der Vorstellung im vorigen
Sinn) liegenden Gegensatz der Imagination zur Wahrnehmung.
Dieser Vorstellimgsbegi-iff herrscht in der gevvölmlichen Rede vor.
Sehe ich die Peterskirche, so stelle ich sie nicht vor. Ich stelle
sie aber vor, wenn ich sie mir im Erinnerungsbild vergegen-
wärtige, oder wenn ich sie im gemalten , gezeichneten Bilde u. dgl.
vor Augen habe.
8. Vorstellung war soeben der concrete Act der Imagina-
tion. Näher besehen, heilst aber auch das Bild als physisches
Ding Vorstellung des Abgebildeten, wie z. B. in den Worten: diese
Photographie sletll die Peterskirche var. Vorstellung heifst dann
weiter auch das hiebei erscheinende Bildobject (im Unterschied
vom Bildsujet, vom abgebildeten Object): das hier in den
photograpliischen Farben erscheinende Ding ist nicht die photo-
giaphirte Kirche (Bildsujet), sondern stellt sie nur vor. Diese
Aequivocationen übertragen sich auf die Phantasiebildlichkeit.
In begreiflicher Täuschung wird das innere Erlebnis, in dem das
Phantasiebild erscheint, als Sein eines Bildobjectes im Bewurstsein
interpretirt: als ob in ihm so etwas wie ein Photographiebild
stäke. So gilt also auch das innere Bild als Vorstellung, ob-
schon die genauere Analyse dessen Untei-schiede vom Phuntasie-
erlebnis (in welchem sich dieses Bild und mittelst seiner der
abgebildete Gegenstand intentional constituirt, ohne dafs Bild
oder Gegenstand im Erlebnis reell vorhanden wären) sicher nach-
zuweisen vermag.
Dieser Aequivocation liegt folgender, allgemeiner zu fassende
Gedanke zu Grunde:
Das oft sehr inadäquate Bild „repräsentirt" die Sache und
erinnert zugleich an sie, ist für sie Zeichen. Letzteres so, dafs
es sich als geeignet erweist, eine adäquatere Vorstellung von ihr
herbeizuziehen. Die Photographie erinnert an das Original und
ist zugleich sein Repräsentant, in gewisser Weise sein Steliver-
treter. Ihre Bildvorstellung ermöglicht mancherlei Urtheile, die
sonst auf Grund der Wahrnehmung des Originals zu fällen wären.
Aelinlich fiingirt oft mich oiu der Sache inhaltlich fremdes Zeichen,
z. B. ein algebraisches Symbol. Es erregt die Vorstellung des
Bezeichneten (mag dieses auch ein Unanschauliches sein, ein
Integral ii. dgl.), führt darauf unsere Gedanken (wie wenn wir
uns den vollen defiuitorischen Sitin des Integrals vergegenwärti-
gen); zugleioli kann das Zeichen im Zusammenhang mathematischer
Operationen „repräsentativ", als Stellvertreter fungiren, man operirt
damit additiv, multiplicativ u. s. w., als ob in ihm das Symboli-
sirto direct gegeben wäre. Wir wissen nach früheren Erörterungen,
dafs diese Ausdrucksweise ziemlich roh ist,' aber sie prägt die
Auffassung ans, die für die jetzige Rede von Yorstelluug be-
stimmend ist. Danach heilst nämlich Vorstellung soviel wie Re-
präsentation in dem doppelten Sinne der Vorstollungs-
auregung und Stellvertretung. So sagt der Mathematiker an
der Tafel zeichnend, OX stelle die Asymptote der Hyperbel vor;
oder rechnend: x stelle die Wurzel der Oleichimg f(x)'= 0 vor.*
llebcrhaupt heifst das Zeichen, gleichgiltig ob es Bildzeichen oder
Nennzeichf>n ist, „Vorstellung" des Bezeichneten.
Die jetzige Rede von der Kepräsentatiun {die wir nicht etwa
terminologisch fixiren wollen) bezieht sich auf Objecte. Diese
„repräsentirenden Objecte" constituiren sich in gewissen Acten
und erhalten durcfi gewisse neue Acte beziehenden Voratellens
den Charakter als „Repräsentanten" für neue Objecte. Ein anderer
und primitiverer Sinn von Repräsentation ist der unter Punkt 1)
angedeutete, wobei die Repräsentanten erlebte Inhalte sind, die
in der Repräsentation objectivironde Auffassung erfalu'cu und
auf diese Weise {ohne selbst gegenständlich zu werden) dazu
helfen, dafs uns ein Object vorstellig werde.
Dies leitet sogleich zu einer neuen Aequivocation über.
• Vgl. Unt. I, § 20, S. 68 ff. Dazu auch Unt II, § 20, S. 155 f. und das
Kapitel über AbstrnctiuD und Repräsentation S. 165 ff.
* Diese Redeweisen sind in neuerer Zeit immer mehr abgekommen; in
älterer waren sie recht gewühiiliuh.
30»
9. Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Ima-
gination (welch letztere selbst wieder bedeutsame descriptive
Unterschiede zeigt) wird immer wieder vermengt mit dem Unter-
schied zwischen den Empfindungen und Phantasmen. Der
erstere ist ein Unterschied von Acten, der letztere ein Unterschied
von Nicht-Acten, nämlich von erlebten Inhalten, welchen in Acten
des Wahraehmens oder Phantasirens deutende Auffassung zu-
theil wird. (Will man alle in diesem Sinne repräsentirenden Inhalte
Empfindungen nennen, so mütste man terminologisch, etwa zwi-
schen inipressiven und roprodiictiven Empfindungen unterschei-
den.) Ob es zwischen Empfindungen und Phantasmen überhaupt
wesentliche descriptive Unterschiede giebt, ob die gewöhnlich
angeführten Unterschiede der Lebendigkeit, der Stetigkeit, bezw.
Flüchtigkeit u. dgl. zu den Inhalten selbst gehören oder zu ihrer
Auffassung: darauf können wir liier niclit eingehen. Jedenfalls
ist es sicher, dals die eventuell zwischen ihnen bestehenden in-
haltlichen Untei^schiede nicht schon den Unterschied zwischen
Wahrnehmung und Imagination ausmachen, der vielmehr, wie
die Analyse mit zweifelloser Klarheit lehrt, ein Unterschied der
Acte als solcher ist. Wir werden iiiclit daran denken können,
das in der Wahrnehmung oder Phantasie desscriptiv Gegebene als
die blofee Complexion der erlebten Empfindungen oder Phantas-
men anzusehen. Andererseits bedingt es die nur zu gewöhnliche
Vermengung zwischen den Einen und Anderen, dafs man unter
Vorstellung bald die (gemäfs 7. und 8. verstandene) Phantasie-
vorstellung, bald das entsprechende Phantasma (die Comple.xioa
der repräsentirenden Inhalte der Phantasiebildlichkeit) versteht, so
dafs hieraus eine neue Aequivocation erwächst.
10. Vermöge der Verwechslung zwi.schen der Erscheinung
(z. B. dem concreten Phantasieerlobnis, oder aber dem repräsen-
tirenden Bild) und dem Erscheinenden, heifst auch der vorge-
stellte Gegenstand Vorstellung. Ebenso bei den Wahrneh-
mungen und so überhaupt bei den Vorstellungen im Sinne von
blofsen oder schon logisch gofafsten Anschauungen. Z. B. „die
Welt ist meine Vorsiellung".
IL Die Meinung, dafs alle Bowurstseinsinhalte (= Erlebnisse,
Inhalte im pliänomenologischen Sinn) bewufst seien im Sinn der
inneren Wahrnehmung oder einer sonstigen inneren Zuwendung
(Bewufstheit, ursprüngliche Apperception), und dafe mit dieser
Zuwendung eo ipso eine Vorstellung gegeben sei (das Bowufstsein
oder Ich stellt den Inhalt vor sich hin), führte dahin, alle Bewufst-
soinsinhalto als Vorstellungen zu bezeichnen. Es sind die ideati
der englischen empiristischen Philosophie seit Locke. Eine Vor-
stellung haben, und einen Inhalt erleben, diese Ausdrücke
werden vielfach als gleichwerthige gebraucht.
12. Innerhalb der Logik ist es von grofsor Wichtigkeit, die
specifisch logischen Vorstellungsbegriffo von anderen Vorstellungs-
bogriffen gesondert zu halten. Dafs hiefür mehrere Begriffe in
Frage kommen, davon haben wir oben im Vorbeigehen schon
gesprochen. Als in der bisherigen Aufzählung nicht berührt, sei
spociell der BoLZANo'scho Begriff der „Vorstellung an sich" nocli-
mals genannt, den wir als jede selbständige oder unselbständige
Theilbedeiitung innerhalb einer vollen Aussage iiiterpretirten.
Hinsichtlich aller rein logischen Begriffe von Vorstellung ist
einerseits zu untorscheiden: das Ideale vom Realen, z.B. die nomi-
nale Vorstellung im rein-logischen Sinne von den Acten, in wel-
chen sie sich constituirt. Andererseits sind zu untei'scheiden; die
blofsen Bedeutiingsintentionen von den ihnen mehr oder minder
jmgemcsscno Erfüllung bietenden Wahrnehmungen uUer Imagina-
tionen, d. i. von den Vorstellungen im Sinne von Anschauungen.
13. Neben den aufgezählten Aequivocationen , deren Schäd-
lichkeit Jeder erfahren mnfs, der sich in die Phänomenologie der
Denkcrlehnisse ernstlich vertieft, giebt es wol noch andere, minder
erhebliche. Ich erwähne beispielsweise die Rede von der Vor-
stellung im Sinne der Meinung (dd^a). Es ist eine Aequivocation,
die durch dieselbe Uebertragung aus der Sphäre der Anschaulich-
keit erwachsen ist, wie wir sie bei allen verwandten Terminis
finden. Ich erinnere an die verbal vieltaltige, aber immer wieder
gleichbedeutende Wendung: es ist eine vetbrcitelc Meinung^ Vor-
stellung, Ansicht, Anschauung, Auffassung u. s. tu.
i
§ 45. „Vorstellungsinhall"
Selbstverstäudlicli sind die zu „Vorstellung" correlativen
Ausdrücke entsprecbend vieldeutig. Zumal trifft dies die Rede
von dem „was eine Vorstellung vorstollt'% d. i. vom „In-
halt" der Vorstellung. Dafs die blofise Cutersclieidung zwischen
Inhalt lind Gegenstand der Vorstellung, wie sie Twabdowski im
Anschluls an Zuimkrm\n.v befürwortet hat, nicht entfernt ausreicht
(obschon es verdienstlich war, hier überhaupt auf feste unter-
schiede zu dringen), ist schon aus den bisherigen Analysen klar.
In der logischen Sphäre (welche diese Autoren, ohne Bewulstsein
der Einschränkung, im Äuge haben) ist neben dem genannten
Gegenstand niclit blofs Eines als „Inhalt" zu unterscheiden,
sondern es kann noch und raufs Mehreres unterschieden werden.
Vor Allem kann unter Inhalt, z. B. der nominalen Vorstellung,
die Bedeutung als ideale Einheit gemeint sein: die Vorstellung
in einem rein-logischen Sinne. Ihr entspricht als reales Moment
im descriptivon Inhalt des VorstHliingsactes das intentionale
Wesen mit Vorstellimg-squalität und Materie. Weiter unterschei-
den wir im descriptivon Inhalt die ablösbaren, nicht zum inten-
tionalen Wesen gehörigen Bestandstücke: die „Inhalte", welche
im Actbewufstsein (im intentionalen AVesen) ihre Auffassung oder
Deutung erfuhren, d. i, die Empfindungen und Phantasmen.
Dazu kommen bei manchen Vorstellungen die abermals mehr-
deutigen Unterschiede von Form und Inhalt; zumal ist da
wichtig der Unterschied von Materie (in einem total neuen Sinne)
und kategori.aler Form, womit wir uns noch viel werden be-
schäftigen müssen. Damit hängt z. B. zusammen die selbst nicht
eindeutige Rede vom Inhalt der Begriffe: Inhalt = Inbegriff
der „Merkmale" und unterschieden von ihrer Verknüpfungsform.
Wie bedenklich die einheitliche Rodo von Inhalt, in blofser
Gegenüberstellung von Act, Inhalt und Gegenstand ist, zeigen
die (oben zum Theil nachgewiesenen) Schwierigkeiten und Ver-
irrungen, in die Twardowsju geräth, so in seiner Rede von der
„in doppelter Richtung sich bewegenden Vorstcllungsthätigkeit",
Zusammenstellung der wichtigsten Aequivocationen u.s.w. 471
in seinem vöUigon üebersehen der Bedeutung im idealen Sinu,
in seiner psychologistischen VerflücSitiguug evidenter Bedeututigs-
unterschiedo durch Recurs auf die Uutci-sohiedo der Etyma, in
seiner Behandlung der Lehre von der „intentionalen Inexistenz",
und der Lehre von den allgemeinen Gegenständen.
Anmerkung.
In neuerer Zeit ist die Ansicht öftei-s ausgesprochen wonluii,
dafs zwischen Vorstellen und vorgestelltem Inhalt kein ITnteisriiicd
bestehe, oder mindestens ein solcher piiiluomenologiseh nicht nach-
weisbar sei. Wie man hiezu Stellung nimmt, wird natftrhch davon
abhängen, was man unter diesen Worten VorsteUeu und Inhalt ver-
steht. Wer sie durch das blufse Haben von Empfindungen und Phan-
tasmen, unter Absti-actiou von aller Auffassung, interpretirt, sagt
sichorhuli mit Recht: einen eigenen Act Vorstellen giebt es nicht,
Vorstellen und Vorgestolltos ist ein und dasselbe. Jenes blofse Haben
des Inhalts, als ein bloiscs Erleben des Erlebnisses, ist ja nicht notli-
weudig ein darauf Achten mid es Wahrnehmen; daher ideutiflcirten
auch wir Empfindung unti Empfinduugsinhalt. Kanu aber, wer je
die verschiedenen ßegriffe von Vorstellung gesondert hat, zweifeln,
dafe ein so umgrenzter Bogriff nicht festgehalten werden kann und
auch nie festgehalten wonlen ist, und dafs deraelbe nur dnreli Mifs-
deutung der ui-sprflnglicheren , intentionalen Vorstelltingsbegi-iffe er-
wachsen ist? Wie immer der Begriff Vorstellung bestimmt werden
mag, darin sind alle einig, dafs damit ein nicht blofs fdr die Psycho-
logie, sondern auch flh' die Erkenntniskritik und Logik, und speciell
auch füi- die reine Logik, mafsgeblicher BegrilT getroffen sein soll.
Somit ist, wer dies zugesteht und doch den oben bezeichneten Be-
griff zu Grunde legt, eo ipso schon in die Vermengung gerathen.
Denn in der Erkenntniskritik und reinen Logik hat dieser Begriff
Qlierhaupt keine Function.
Nur aus der Vermengung kann ich mir es auch erklären, dafs
ein sonst so scharfsinniger Forscher wif v. EunENFEi^ gelegentlich
(Z. f. Psychol. u. Physiol. XVI. 18Ü7) meinte: wir könnten der Än-
nalime eines vom Vorstellungsinhalt imtersohiedenen Vorstellungsactes
472 V. Ueber intentionale Erlebnisae tmd ihre „Inhalte".
nicht entrathen, hauptsächlich deswegen, weil wir sonst keinen psycho-
logischen Unterschied zwischen der Yorstellung eines Gegenstandes A
und der Yorstellung von einer Yorstellung desselben anzugeben ver-
mochten; direct dagegen habe er sich noch nie von der Existenz jenes
Ph&nomens zu Qberzeugen vermocht loh wOrde hier sagen, da& uns
ein Yorstellungsact als solcher direct anschaulich wird, wo wir ge-
rade diesen Unterschied zwischen Yorstellung und Yorstellung dieser
Yorstellung phänomenologisch constatiren. Gäbe es aber solche
I^lle nicht, dann dürfte sich in aller Welt kein Argument finden
lassen, welches die Berechtigung eines solchen Unterschiedes indirect
begrOnden konnte. Ebenso haben wir, meine ich, die Existenz eines
Yorstellungsactes direct constatirt, wenn wir ims den Unterschied
zwischen einem blolsen Lautgebild und demselben Laatgebild als ver-
standenen Namen klar machen. U. s.w.
VI
Elcmt>nte einer pliäuomeuologisclien Anfkläruug
der Erkonntüis.
Einleitung.
Die vorige Untersuchung, die sich zunächst in feroabliegende
Fragen der descriptiven Psychologie zu verlieren schien, hat unsere
erkenntnislclürenden Interessen nicht unerheblich gefördert Aliea
Donken, zumal altes tlieoretisolio Denken und Erkennen, vollzieht
sich in gewissen „Äcten^, die im Zusararaenhange der ausdrücken-
den Rede auftreten. In diesen Acten liegt die Quelle all der
Oeltungseinheiten , die als Denk- und Erkenntnisohjecte oder als
deren erklärende Gründe und Gesetze, als deren Theorien und
Wissenschaften dem Denkenden gegenüberstehen. In diesen Acten
liegt also auch die Quelle für die zugehörigen allgemeinen und
reinen Ideen, deren idealgesetzlichen Zusammenhänge die reino
Logik herausstellen und deren Klärung die Erkenntniskritik voll-
ziehen will. OlTenbar ist nun schon durch die Feststellung der
phänomenologischen Eigenart der Acte als solcher, dieser viel-
umstrittonen und vielvorkannton Erlebnisklasse, für die erkenntnis-
klärende Arbeit viel gewonnen. Durch die Einordnung der logi-
schen Erlebnisse in diese Klasse ist ein erster wichtiger Schritt
zur Abgrt.'nziing und analytischen Verstand lichung der logischen
Sphäi-e und der fundamentalen Erkenntnisbegriffe gethan. Der Fort-
gang unserer Untersuchung führte »ms aber auch zur Absonde-
ning verschiedener Begriffe von Inhalt, die überall, wo Acte und
ihnen zugehörige ideale Einheiten in Frage sind, verwirrend in-
einander zu laufen pflegen, unterschiede, die uns im engeren
Kreise der Bedoutungcu und bedeutungverleihenden Acte schon in
der ersten Untersurliung aufgefallen waren, kehrten jetzt im wei-
teren Gebiet und in allgemeinster Form wieder. Auch der in der
letzten Untersuchung als neuer gewonnene und besonders merk-
würdige Inlialtsbogrift', der des intentionaten Wesens, entbehrte
dieser Beziehung zum logiseben Gebiete nicht; denn dieselbe
Reihe von Identitäten, die uns früher zur Illustrirung der Ein-
heit der Bedeutung gedient hatte, ergab, passend verallgemei-
nert, eine gewisse auf beliebige Acte zu beziehende Identität als
die des „intentionalen Wesens". Durch diese Anknüpfung, bezw.
Unterordnung der phänoiuonologischeu Charaktere und idealen
Einheiten des logischen Gebietes unter die ganz allgonieinen Ciia-
raktere und Einheiten, die im Actgebiet überhaupt ihre Domäne
haben, gewannen die ersteren ein erhebliches Mafs an phänome-
nologischem und kritischem Verständnis.
Die in den letzton Kapiteln durchgeführton Untersuchungen,
sich iinschliefsend an tlic Unterscheidung von Actqualitiit und .Act-
matorio innerhalb des einheitlichen iotentionalon Wesens, führten
abermals tief in die logische Interessensphäre hinein. Die sich auf-
drängende Fi-age nach dem Verhältnis dieser intentionalen Materie,
zu der jedem Acte wesentlichen Vorstellungsgrimdlage, zwang uns,
mehrere wichtige und allzeit vermengte Begriffe von Vorstellung
zu sondern, womit zugleich ein Fundamcn talstück der „Urtheils-
theorie" herausgearbeitet wurde. Allerdings blieben dabei die
specifisch logischen Begriffe von Vorstellung und der Begriff des
Urtheils ohuo nbschliefsende Klärung. Hier und überhaupt ist
uüch ein grofses Stück Weges vor uns. Wir stehen immer noch
in den Anfängen.
Selbst das näherliegende Ziel, den Ureprung der Idee Bedeu-
tung klarzulegen, haben wir noch nicht zu erreichen vcrmocliL
Unverkennbar liegt, und das ist eine werth volle Einsicht, die Be-
deutung der Ausdrücke im intentionalen Wesen der betreffenden
Acte; aber die Frage, was für Arten von Acten zur Bedeutung»-]
function überhaupt befähigt, oder ob nicht vielmehr Acte jederlei
Art in dieser Hinsicht gleichgestellt sind, ist noch garnicht er-
wogen. Sowie wir diese Frage aber in Angriff nehmen wollen,
stofsen wir (dies werden die nächsten Paragraphen gleich zeigen)
auf das Verhältnis von Bedeutungsintention und Bedou-
tungserfüllung, oder in traditioneller, aber freilieh äquivoker
Ausdrucksweise, auf dos Verhältnis von „Begriff" oder „Ge-
danke" {hier eben als anschauüi-h unerfüllte Meinung verstanden)
und „correspondirender Anschauung".
Die genaueste Erforschung dieses, schon in der üntei"suchung I
angezeigten Unterschiedes ist von ausnehmender Wichtigkeit- In
der Durchführung der zugfliörigou und zunächst an die allerein-
fachsten nominalen Intentionen angeknüpften Analysen werden wir
bald darauf aufmerksam, dals die ganze Betrachtung nach einer
naturgeraäfsen Erweiterung und Umgrenzung verhmgt.
Die weiteste Klasse der Acte, bei welchen wir Unterschiede der
Intention und Erfiiliung, bezw. Enttäuschung der Intention vor-
finden, reicht weit über das logische Gebiet hinaus. Dieses
selbst grenzt sich durch die Besonderheit eines Erfülkingsverhält-
nisses ab. Eine Klasse von Acten — die objoctivircnden —
sind nämlich gegenüber allen anderen dadurch ausgezeichnet, dafs
die in ihre Sphäre gehörigen Erfülhingssynthesen den Charakter
der Erkenntnis, der Identificirung, der „In-Eins-Setzung" von
„Uebereinstinunendem" haben, und demgemäfs die Enttäuschungs-
synthesen den corrolaten Cliarakter der „Trennung" von „Wider-
streitendem". Innerhalb dieser weitesten Sphäre der objectiviren-
den Acte werden wir nun alle, auf die Erkenntniseinheit be-
züglichen Verhältnisse studiren, und zwar nicht nur soweit
es sich um eine Flrfiillung jener besonderen Intentionen handelt,
die den Ausdrücken als Bedeutungsintentionen anhängen. Ana-
loge Intentionen treten auch unabhängig von grammatischer An-
knüpfung auf Ferner haben auch die Anschauungen, und sogar
in der Rege!, den Charakter vun Intentionen, welche noch weitere
Erfüllung fordern und solche oft erfidiren.
Wir werden die ganz allgemeinen Begriffe von Signification
und Intuition phänomenologisch, und zwar in Recurs auf die
Erfülliingsphänomone, charakterisiren und die fiir die Klärung
der Erkenntnis fundamentale Analj'so der verschiedenen Arten
von Anschauung, zunächst der sinnlichen Anschauung, erfor-
schen. Wir werden dann in die Phänomenologie der Erkennt-
nisstiifen eintreten und einer Reihe auf sie bezügllciier Grund-
begriffe der Erkenntnis Klarheit und feste Bestimmtheit verleiiicn.
Hierbei worden auch neue, in den vorangegangenen Analysen
iiiir nebenbei berührte Inhaltsbegriffe hervortreten: der Begriff des
intuitiven Inhalts und der Begriff des repräsentirendon
(aiifgefafston) Inhalts. Dem bisherigen Begriff des intentionalen
Wesens wird sich das erkenntnisniäfsige Wesen anreihen, und
innerhalb des letzteren werden wir die intentionale Qualität, die
intentionalc Materie als den Auffassungssinn, die Auffassungs-
form und den aiifgefnrsten (appercipirten, bezw. repräsentirendon)
Inhalt unterscheiden. Es wird dabei der Begriff der Auffassung
oder Repräsentation, als Einheit von Materie und repräsenti-
reudera Inhalt durch die Auffassuugsfurm, bestimmt werden.
Was nun die Stufeureihe der Intention und Erfüllung anbe-
langt, so werden wir die Unterschiede gröfserer oder geringerer
Mittelbarkeit in der Intention selbst, die eine schlichte Er-
füllung ausschliefst, vielmehr eine abgestufte Folge von Erfüllungen
fordert, kennen und damit den wichtigsten, bisher noch unge-
klärten Sinn der Rede von indirecten Vorstellungen verstehen
lernen. Wir verfolgen dann die Untei^schiede gröfserer oder gerin-
gerer Angenies.senhoit der Intention an das sich ihr in der Er-
kenntnis als Erfüllung anschmelzende Anschauungserlebnis, und
bestimmen den Fall der objectiv vollständigen Anraessung.
Im Zusammenhang damit streben wir eine letzte phänomenologi-
scho Klärung der Begriffe Möglichkeit und Unmöglichkeit
(Einigkeit, Verträglichkeit — Widerstreit, Unverträglichkeit) und
der auf sie bezüglichen idealen Axiome an. Unter Mitberück-
sichtigung der bislang aufser Spiel gebliebenen Aetqualitäten, be-
trachten wir dann den auf die setzenden Acte bezogenen Unter-
schied vorläufiger und letzter Erfüllung. Die letzte Erfüllung
repräsentirt ein Vollkommenheitsideal. Sie liegt allzeit in einer ent-
sprecheudon „Wahnieliinimg" (wobei allerdings eiue nothwendige
Erweiterung des Wahrnelumingsbegriffs über die Scbrauken der
Sinnlichkeit hinaus vorausgesetzt ist). Die Erfüllungssynthesis
dieses Falls ist die Evidenz oder Erkenntnis im prägnanten
Wortsinn. Eier ist das Sein im Sinne der Wahrheit, der
recht verstandenen „Uebereinstiramung", der „adaequntio rei ac
inielkcttis'' realisirt, liier ist sie selbst gegeben, direct zu erschauen
und zu ergreifen. Die verschiedenen Begriffe von Wahrheit,
die auf Grand der einen und selben phänomenologischen Sachlage
KU constituiren sind, finden hier <lie vollkoinmeno Klärung. Das
Analoge gilt für das correlate Ideal der Unvollkommenheit, also
für den Fall der Absurdität, und zwar in Hinsicht des „Wider-
streites" und des darin erlebten Nichtseins, der Unwahrheit
Der natürliche Gang unserer, ursprünglich nur für die Be-
deutungsintentionen interessirton Untersuchung bringt es mit sich,
dafs alle diese Betrachtungen zunächst die einfachsten Bedeutungen
als Ausgang nehmen, und somit von den Formunterschieden
der Bedeutungen abstrahiren. Die ergänzende, diese Unterschiede
in Rücksicht ziehende üntereucliung des zweiten Abschnitts leitet
uns sofort auf einen völlig neuen Begriff von Materie, näm-
lich auf die fundamentale Gegenüberstellung von sinnlichem
Stoff und kategorialer Form, oder, um die objective mit der
phänomenologischen Stellung zu vertauschen, zwischen sinnlichen
und katogorialen Acten. In nahem Zusammenhang damit steht
die wichtige Unterscheidung zwischen sinnlichen (realen) und kate-
goriiden Gegenständen , Bestimmtheiten, Verknüpfungen; wobei es
sich als für die kategorialen charakteristisch erweist, dafs sie in
der Weise der „Wahrnehmung" nur in Acten „gegeben" sein können,
welche in anderen Acten, letztlich in Acten der Sinnlichkeit fun-
dirt sind. Ueberhaupt ist die intuitive, also auch die imaginative
Erfüllung kategorialer Acte in sinnlichen Acten fundirt. Nie-
mals kann aber blofse Sinnlichkeit katogorialen, genauer: katego-
riale Formen einschliefsonden, Intentionen Erfüllung bieten; viel-
mehr liegt die Erfüllung jederzeit in einer dui'ch kategoriule Acte
geformten Sinnlichkeit Damit hängt eine durchaus unentbehr-
L
liehe Erweiterung der ursprünglich sinnlichen Begriffe,
Anschauung und Wuhrnehniung zusammen, welche es ge-
stattet, von kategorialer und speciell von allgemeiner An-
schauung zu sprechen. Die Unterscheidung zwischen sinn-
licher und rein kategorialer Äbstraction bedingt dann die
Unterscheidung der Aligemeinbogriffe in sinnliche Begriffe und
Kategorien. Der alte erkeniitnistheoretische Gegensatz zwischen
Sinnlichkeit und Verstand findet durch die Unterscheidung
zwischen schlichter oder sinnlicher, und fundirter oder kategorialer
Anschauung alle erwünschte Klarheit Ebenso der Gegensatz
zwischen Denken und Anschauen, welcher im philosophischen
Sprachgebrauch die Verhältnisse von Significntion und erfüllender
Intuition mit den Verhältnissen sinnlicher und kategorialer Acte
vermengt. Alle Rede von logischer Form betrifft das rein Kate-
goriale der betreffenden Bedeutungen und BedeutuugserfüUungen.
Die logische „Materie", der Inbegrifl' der „Termini", kann aber
vermöge einer stutenweisen Uobereinanderlagcrung kategorialer
Intentionen, selbst noch Unterecliiede zwischen Stoff und Form
zulassen, so dafs die logische Gegenüberstellung von Stoff und
Form auf eine gewisse, leicht vei-stäudliche Relativirung unseres
. absoluten Unterschiedes hinweist
Den Hnnptstock dieser Untersuchung beschliefsen wir mit
einer Erwägung der Schranken, welche die Freiheit der actuellen
kategorialen Formung eines Stoffes eindämmen. Wir werden auf
die analytischen Gesetze des eigentlichen Denkens auf-
merksain, welche in den reinen Kategorien gründend, von aller
Besonderheit der Stoffe unabhängig sind. Parallele Schranken
umgrenzen das uneigontlicho Denken, d. i. die blofse Signi-
fioation, wofern sie zum Ausdruck im eigentlichen Sinne, « priori
und unabhängig von den auszudrückenden Stoffen, soll befähigt
sein können. Aus dieser Forderung entspringt die Function der
eigentlichen Denkgesetze als Normen der blolsen Signification.
Die zu Beginn der Untersuchung aufgeworfene Frage nach
einer natürlichen Umgrenzung der sinngebenden und sinnerfüllen-
den Acte, ist durch deren Einordnung in die Klasse der objecti-
virenden Acte, und durch die Einthcilung der objeetivirenden Acte
in significative und intuitive erledigt. Erst die im Ganzen der
Untoreuclmug vollzogene Klärung der die Erfüllung angehenden
phänomenologischen Verhältnisse setzt uns in den Stand, die Argu-
mente kritisch zu würdigen, welche für und gegen die Aristote-
lische Auffassung der Wunsch-, Befehlsätze u. dgl. als Prädi-
cationen sprechen. Der vollen Aufklänuig dieser Streitfrage ist der
Schhifsabschnitt der vorliegenden Untersuchung gewidmet.
Die soeben geachilderteu Ziele unserer Bemühungen sind nicht
die lützten und höchsten einer phänomenologischen Aufklärung der
Erkenntnis überhaupt. Das so überaus frnchtbare Qeiiiet des mittel-
baren Denkens und Erkeunous lassen unsere Analysen, so umfassend
sie auch sind, noch fast ganz unbeai'beitet; das Wesen der mittelbaren
E\'idenz und ihrer idealen Cori-elate bleibt ohne zureichende Aufklärung.
Inmierhia glauben wir nicht zu Oeringes angestrebt, wir hoffen die
untersten imd ihrer Natm- nach ereten Fundamente der Erkenntnis-
kritik blofsgelegt zu haben. Auch in der Erkenntniskritik lieii'st es,
jene Selbstbeseheidimg üben, welche im Wesen aller streng wisaen-
schaftlichen Forschung liegt. Richtet sich ilir Abseheu auf wirkliche
und endgUtige Erledigung der Sachen, täuscht sie sich nicht mehr
vor, die grofaen Erkenntnisprobleme durch blolse Kritik überlieferter
Phüosopheme und probables Raisonnement lösen zu können; ist sie
sich, dessen endlich bewufst, dafs die Sachen nur in handanlegender
Arbeit von der Stelle gebracht und gestaltet werden: so rauls sie sich
auch darein finden, die Erkenntiiisprobleme vorerst nicht in ihren
höheren und höchsten Ausgestaltungen anzufassen, in denen sie ims
am interessantesten sind, sondern in ihren relativ einfachsten Formen,
in den niediigsten der ihr zugänglichen Bildungsstufen. Dafs eine
sich in dieser Weise bescheidende erkenntnistheoretisohe Arbeit noch
ein überreiches Mals von Schwierigkeiten zu überwinden, ja fast noch
Alles zu leisten hat, werden die jetzt folgenden Analysen beweisen.
Erster Abschnitt.
Die objectivirenden Intentionen und Erfüllungen.
Die Erkenntnis als Synthesis der Erfüllung luid ihre Stufen.
Erstes Kapitel.
Bedeutung^intention und BedeutungserfdUung.
§ 1. Ob alle oder nur yeifisse Adartcn als Bedeutungslrüger
fungiren können.
Wir knüpfen an die in der Einleitung angeregte Frage an, ob
sich das Bedeuten nur in Acten gewisser eingeschränkten Gattungen
vollziehe. Zunächst möchte es als ganz selbstverständlicli erecheinen,
dals derartige Schranken nicht bestehen, und jedweder Act als
sinngebender fungiren könne. Wir können doch Acte jeder Art —
Vorstellungen, Urtheile, Verrauthungon, Fragen, Wünsche u. s. w.
— zum Ausdruck bringen, und indem wir dies thun, liefern
sie uns die Bedeutungen der bezüglichen Eedeformen, der Namen,
der Aussagen, der Frage-, Wunschsätze u. s. w.
Aber auch für die gegentheilige Auffassung kann man Selbst-
verständlichkeit in Anspruch nehmen, und speciell dafür, dafs
sich alle Bedeutungen auf eine engbegrenzte Klasse von Acten
beschränken. Qewifs ist jeder Act, sagt man nun, nusdrückbar;
aber seinen jeweiligen Ausdruck findet er in einer ihm (bei hin-
reichend entwickelter Sprache) eigens angepafsten Redeform; wir
haben beispielsweise bei den Sätzen die Unterschiede der Aus-
sagesätze, der Fragesätze, der Befehlsätze u. s. w. Bei den Erst-
genannten wieder den unterschied der kategorischen, hypothe-
tischen, disjuuctiven u. a. Sätze. Jedenfalls mufs der Act, indem
er in dieser oder jener Redeform zum Ausdruck kommt, in seiner
Artbestimmtheit erkannt sein, die Frage als Frage, der Wunsch
als Wunsch, das Urthoil als Urtlieil u. s. w. Dies erstreckt sich
auf die aufbauenden Tiieilacte, soweit der Ausdruck sich ihnen
anmifst. Die Acte könnten nicht die zu ihnen passenden Formen
d
Bedaäungsintention und BedeuUingserfüllung. 481
finden, ohne dafs sie nach Form und Inhalt appercipirt, erkannt
würden. Das Ausdrücken der Rede liegt also nicht in blolsen
Worten, sondern in ausdrückenden Acten; diese prägen die
correlaten, durch sie auszudrückenden Acte in einem neuen Stoff
aus, sie schaffen von ihnen einen gedanklichen Ausdruck,
dessen allgemeines Wesen die Bedeutung der betreffenden Rede
ausmacht.
Eine treffliche Bestätigung dieser Auffassung scheint in der
Möglichkeit der rein symbolischen Function der Ausdrücke zu
liegen. Der geistige Ausdruck, jenes gedankliche Gegenbild des
auszudrückenden Actes, haftet am sprachlichen Ausdruck und kaun
mit diesem aufleben, auch wenn jener Act selbst von dem Ver-
stehenden nicht vollzogen wird. Wir verstehen den Ausdruck
einer Wahrnehmung, ohne selbst wahrzunehmen, den Ausdruck
einer Frage, ohne selbst zu fragen u. s. w. Wir haben nicht die
blofsen Worte, sondern auch die gedanklichen Formen oder Aus-
drücke. Im gegen theiligen Falle, wo die intendirten Acte wirk-
lich gegenwärtig sind, kommt der Ausihuck mit dem Auszu-
drückenden zur Deckung, die den Worten anhaftende Bedeutung
pafst sich dem, was sie bedeutet, an, ihre gedankliche Intention
findet darin die erfüllende Anschauung.
In offenbar innigem Zusammenhang mit diesen gegensätz-
lichen Auffassungen steht der alte Streit, ob die eigenthüm-
lichen Formen der Frage-, Wunsch-, Befehlsätze u. dgl. als Aus-
sagen, ihre Bedeutungen somit als Urtheile gelten dürfen oder
nicht. Nach der Aristoteli.scben Lehre liegt die Bedeutung aller
selbständig geschlossenen Sätze in verschiedenartigen psychischen
Erlebnissen, in Erlebnissen des Urtheilens, Wünschens, Befeh-
lens u. s. w. Hingegen vollzieht sich nach der anderen, sich in
neuerer Zeit immermehr verbreitenden Lehre, das Bedeuten aus-
schliefsllch in ürtheilen, bezw. in deren vorstellungsmäfsigen Modi-
ficationen. Im Fragesatz sei zwar in gewissem Sinne eine Frage
ausgedrückt, aber nur dadurch, dafs die Fi-age als Frage aufge-
fafst, in dieser gedankliclien Fassung als Erlebnis des Sprechen-
den hingestellt und somit als sein Erlebnis beurtheilt sei. So
Hnaaerl, Loir. Unt«ra. H, 31
überall. Jede Bedeutung ist im Sinne dieser Lehre entweder nomi-
nale oder propositionale Bedeutung, oder, wie wir noch besser
sagen können, jede ist entweder die Bedeutungeines ganzen Aus-
sagesatzes oder ein möglicher Tbeil einer solchen Bedeutung. Aus-
sagesätze sind hierbei prädicative Sätze. Denn allgemein wird
auf dieser Seite ürtheil als prädicirender Act verstanden, wäh-
rend freilich, wie wii- noch hören werden, der Streit seinen Sinn
behält, wenn ürtheil als setzender Act überhaupt verstan-
den wird.
um die richtige Stellung zu den aufgeworfenen Fragen zu
finden, wird es genauerer Erwägungen bedürfen, als sie in den
obigen, zuniichstliegenden Argumentationen vorgenommen sind.
Es wird sich zeigen, dafs, was auf der einen und anderen Seite
als Selbstverständlichkeit hingestellt wird, bei näherer Beti'achtung
sich als unklar und sogar als irrig herausstellt
§ 2. Die Ausdrückbarkeit aller Acte entscheidet nidii. Zwei Bedeu-
tungen der Rede vom Ausdrücken eines Actes.
Alle Acte, so sagte man uns vorhin, sind ausdrückbar.
Das ist natürlich aufser Zweifel, aber es liegt darin nicht, was
man uutei-schieben möchte, nämlich dafs alle Acte darum auch in
der Function von Bedeutungsträgern stehen können. Die Rede
vom Ausdrücken ist, wie wir früher' besprachen, eine mehrfaltige,
und sie ist es auch noch, wenn wir sie auf auszudrückende Acte
beziehen. Als ausgedrückt kann man die Bedeutung verleihenden,
die im engeren Sinne „kundgegebenen" Acte bezeichnen. Aber noch
andere Acte können, und danu natürlich in anderem Sinne, ausge-
drückte heifsen. Ich meine hier die sehr gewöhnlichen Fälle, wo
wir Acte, die wir gerade erleben, nennen und mittelst der
Nennung aussagen, dafs wir sie erleben. In diesem Sinne gebe
ich einem Wunsche Ausdruck in der Fonn ich imitiscfie, dafs . . .,
einer Frage iu der Form ich frage ob . . ., einem Ürtheil in der
Form ich urtheile, dafs ... u. s. w. Selbstverständlich können
• Vgl. Dut. 1,8. 46.
wir ja so gut wie über äufsere Dinge, auch über eigene innere
Erlebnisse urtheilen, und thun wir dies, so liegen die Bedeutungen
der betreffenden Sätze in den Urtheilen über diese Erlebnisse,
und nicht in den Erlebnissen selbst, den Wünschen, Fragen u. dgl.
Genau so liegen ja auch die Bedeutungen der Aussagen über die
äufsern Dinge nicht in diesen Dingen (den Pferden, Häusern u. s. w.),
sondern in den Urtheilen, die wir über sie innerlich fällen, bezw.
in den Vorstellungen, welche diese Urtheile aufbauen helfen. Dafs
die beurtheilten Objecto in einem Falle dem Bewufstsein trans-
scendent sind (oder als das gelten wollen), im anderen als dem
Bewufstsein immanent, bedingt hier keinen wesentlichen Unter-
schied. Allerdings ist der mich erfüllende Wunsch, indem ich ihn
ausspreche, mit dem Urtheilsact concret Eins. Aber zum Urtheil
trägt er nicht eigentlich bei. Der Wunsch wird in einem Acte
reflectiver Wahrnehmung aufgefafst, dem Begriffe Wunsch unter-
geordnet, mittelst dieses Begriffes und der determinirendeu Vor-
stellung des Wunschinhatts genannt; und so liefert direct die
begriffliche Vorstellung vom Wunsche ihren Beitrag zum Urtheil
über den Wunsch, und der entsprechende Wunschiiame den seinen
zur Wunschaussage, ganz wie die Vorstellung vom Menschen ihren
Beitrag zum Urtheil über den Menschen (bezw. der Name Mensch
den seinen zur Aussage über den Menschen) liefert. Denken wir
uns im Satze ich wünsche, dafs . . . statt des Subjectwortes ich
den bezüglichen Eigennamen substituirt, so leidet darunter der
Sinn des Satzes nach den unmodificirten Theilen sicherlich nicht.
Es ist aber unverkennbar, dafs die Wunschaussago nun von einem
Hörenden in identischem Sinn verstanden und urtheilend nach-
erlebt sein kann, der selbst den Wunsch garnicht theilt. Man
ersieht daraus, dafs der Wunsch, auch da, wo er gelegentlich mit
dem auf ihn gerichteten Urtheilsact Eins ist, wirklich nicht zur
Urtheilsbedeutung gehört. Ein wahrhaft sinngebendes Erlebnis
kann nie fortfallen, wenn der lebendige Sinn des Ausdrucks sich
unverändert erhalten soll.
Danach ist es auch klar, dafs die Ausdrückbarkeit aller Acte für
die Ifrage, ob sie alle auch in der Weise sinngebender fungiren
31*
484 VJ. EUvtetüo ^fjffjfßnomenoloff. Aufklärung der Erkertnlnis.
können , irrelevant ist, wofern nämlich unter dieser Ausdrückbar-
keit nichts weiter verstanden wird als die Möglichkeit, über die
Acte gewisse Aussagen zu machen. Gerade dann fungiren die
Acte überhaupt nicht als Bedeutungsträger.
§ 3. Mn dritter Sinn der Bede vom Ausdruck eines Acies.
Fornmlirung unseres Themas.
Wir haben soeben einen doppelten Begriff der Rede von aus-
gedrückten Acten unterschieden. Entweder es sind Acte gemeint,
in welchen sich der Sinn, die Bedeutung des betreffenden Aus-
drucks constituirt, oder andererseits Acte, die der Redende, als
von ihm soeben erlebte, prädicativ hinstellen will. Diesen letzte-
ren Begriff können wir passend erweitert denken. Selbstredend ist
die von ihm gefafste Sachlage nach dem, was hier wesentlich in
Betracht kommt, dieselbe, wenn der ausgedrückte Act nicht auf
das erlebende Ich, sondern auf andere Objecto prädicativ bezogen
wird; und sie ist wieder dieselbe für alle etwa anzunehmenden
Ausdrucksfomien, die diesen Act als erlebten reell nennen, ohne
es gerade in derjenigen Weise zu thun, welche ihn zum Sub-
ject- oder Objectglied einer Prädlcation stempelt. Die Haupt-
sache ist, dais der Act, indem er genannt oder sonstwie „aus-
gedrückt" wird, als der aotuell gegenwärtige Gegenstand der
Rede, bezw. der ihr zu Grunde liegenden objectivirenden Setzung
erscheint; während dies bei den si angebenden Acten niciit der
Fall ist.
In einem dritten Sinn derselben Rede handelt es sich, wie
im zweiten, um ein zu den betreffenden Acten gehöriges Urtheilen
oder sonstiges Objectiviren; aber nicht um ein Urtheilen über
diese Acte — also nicht um eine Objectivirung dei-selben mittelst
auf sie bezogener Vorstellungen und Nennungen — sondern
um ein Urtheilen auf Grund dieser Acte, welches deren Objec-
tivirung nicht erfordert. Z. B. dafs ich meinm- Wahrnehmung
Ausdruck gebe, kann hoifsen, dafs ich von meiner Wahrnehmung
prädicire, sie habe den oder jenen Inhalt. Es kann aber auch
lieifsen, dafs ich mein Urtheil aus der Wahrnehmung schöpfe, dafe
ich die betreffeade Thatsaclie nicht nur behaupte, sondern wahr-
neiinie und sie so behaupte, wie ich sie wahrnehme. Nicht über
die WahrneLmung, sundern über das Walirgenommene wird
hierbei das Urtbeil gefüllt. Wo man kurzweg von Wahrneh-
mungsurtheilea spricht, sind in der Kegel Urtheile dieser eben
charakterisirten Klasse gemeint.
In ähnhcher Weise können wii- anderen anschaulichen Acten,
Einbildungen, Erinnerungen, Erwartungen Ausdruck geben.
Bei den Aussagen auf Grund der Einbildung ist es allerdings
zu bezweifeln, ob darin ein wirkliches ürtheil vorliege, oder viel-
mehr es ist sicher, daTs es dann nicht vorliegt. Wir denken hier
an die Falle, wo wir, einem Zug der Phantasie hingegeben, das,
was uns dabei erscheint, in regulären Aussagen so nennen, als
wäre es wahrgenommen; oder auch an die Form berichtender Er-
zählung, in welcher der Märchendichter, der Novellist u. s. w. nicht
wirklichen Begebenheiten, sondern den Gestaltungen seiner künst-
lerischen Phantasie „Ausdruck giebt". Nach den Ausführungen
der letzten Untersuchung ' handelt es sich dabei um conform modi-
ficirte Acte, die den in gleichen Worten auszudrückenden wirk-
lichen Urtheilen als Gegenstücke in ähnlicher Weise entsprechen,
wie die anscIiauHclien Einbildungen den Wahrnehmungen, even-
tuell auch den Erinnerungen und Erwartungen. Zunächst wollen
wir solche Unterschiede aufser Acht lassen.
Anknüpfend an die bezeichnete Klasse vou Fällen und den
durch sie umgrenzten neuen Sinn der Rede von ausgedrückten
Acten, wollen wir das Verhältnis zwischen Bedeutung und aus-
gedrückter Anschauung zur Klarheit bringen. Wir wollen erwägen,
ob diese Anschauung selbst der die Bedeutung constituirende Act
ist, und wenn nicht, wie das Verhältnis Beider sonst zu verstehen
und gattungsmäl'sig einzuordnen sei. Hierbei steuern wir zumal
auf die allgemeinere Frage hin, ob sich die Acte, die überhaupt
Ausdruck geben, und die Acte, die überhaupt Ausdruck erfahren
können, iu den Sphäi-en wesentlich verschiedener und dabei fest
' V, Kap. 5, §4U, ä.4ö4 unten.
bestimmter Actarten bewegen, und ob bei alldem eine Ober-
greifende Gattuugseinheit mafsgebend sei, welche die Gesammtheit
der Acte, die zu einer Bedeutungsfunction im weiteren
Sinne befähigt sind — sei es zu der Function der Eedeutung
selbst, sei es zu derjenigen der „Bedeutungserfällung" — befasse
und abschliesse, so dafs die Acte aller anderen Gattungen von
solchen Functionen eo ipso und gesetzlich ausgeschlossen blieben.
Damit ist unser nächstes Ziel bezeichnet. Im Fortgang der üeber-
legungen wird die selbstverständliche Erweiterung der Betrach-
tungssphäro die Bedeuttmg der angeregten Fragen für eine Ver-
ständigung der Erkenntnis überhaupt evident machen, und es
werden dann alsbald neue und höhere Ziele in unseren Gesichts-
kreis treten.
I
§ 4. Der Ausdrtick einer Walimehmung („WaltmeJintuytgsttrtheil").
Seine Bedeutung kann nicht in der Wahrnehmung, sondern mufs in
eigenen ausdrückenden Acten liegen.
Wir betrachten ein Beispie!. Ich bÜcke soeben in den Garten
hinaus und gebe meiner Wahrnehmung mit den Worten Ausdruck :
eine Amsel fliegt auf. Welches ist hier der Act, in dem die
Bedeutung liegt? Im Einklang mit den Ausführungen der
I. Untersuchung glauben wir sagen zu dürfen: die Wahrnehmung
ist es nicht, und zum Mindesten nicht sie allein. Es will uns
scheinen, dafs die vorliegende Sachlage nicht so beschrieben werden
könne, als ob neben dem Wortlaut niclits weiter gegeben und für
die Bedeutsamkeit des Ausdrucks entscheidend sei als die Wahr-
nehmung, an die er sich knüpft. Auf Grund dieser selben
Wahrnehmung könnte ja die Aussage noch ganz anders lauten
und dabei einen ganz anderen Sinn entfalten. Ich liätte z. B.
sagen können: dies ist schwarz., ist ein schwarxer Vogel; diese»\
schwärze Thier fliegt auf, schwingt sich auf u. dgl. Und umge-
kehrt, es könnte der Wortlaut und sein Sinn derselbe bleiben,
während die Wahrnehmung mannigfach wechselt. Jede
zufaltige Aenderung der relativen Stellung des Wahrnehmenden
ändert die Wahrnehmung selbst, und verschiedene Personen, die
dasselbe zugleich wahrnehmen, hüben niemals genau dieselbe
Wahrnehmung. Für die Bedeutung der Wahrnehmungsaussage
sind Unterschiede der soeben angedeuteten Art irrelevant Es
kann natürlich auch auf sie gelegentlich abgesehen sein, aber
dann mUfste auch die Aussage ganz anders lauten.
Freilich könnte man nun sagen,, der Einwand sei blofs dafür
ein Beweis, dafs die Bedeutung gegen derartige Unterschieden-
heiten der einzelnen Wahrnehmungen unempfindlich sei; sie
liege eben in einem Gemeinsamen, das die mannigfaltigen, zu
Einem Gegenstand gehörigen Wahrnehmungsacte sämmtlich in sich
tragen.
Dem gegenüber merken wir aber an, dafs die Wahrnehmung
nicht blofs wechseln, sondern auch ganz fortfallen kann, ohne
dafs der Ausdruck aufhörte, bedeutsam zu bleiben. Der Hörende
vorsteht meine Worte und den ganzen Satz, ohne in den Garten
zu blicken, er erzeugt, meiner Wahrhaftigkeit vertrauend, dasselbe
ürtheil ohne die Wahrnehmung. Vielleicht dient ihm eine ge-
wisse Verbildlichuog durch Phantasie, vielleicht fehlt auch diese;
oder sie ist so lückenhaft, so inadäquat, dafs sie nicht einmal
als Gegenbild der WahrnehmungserscheiBung nach den in der
Aussage „ausgedrückten" Zügen gelten kann.
Verbleibt aber bei Wegfall der Wahrnehmung für die Aus-
sage noch ein Sinn übrig und sogar derselbe Sinn wie vordem,
so werden wir' nicht annehmen können, dal's die Wahrnehmung
der Act sei, in welchem sich der Sinn der Wahrnehmungsaussage,
ihr ausdrückendes Meinen vollzieht. Die Acte, welche mit dem
Wortlaut geeinigt sind, jenachdem dieser rein symbolisch oder
intuitiv, auf Grund blofser Phantasie oder reahsirender Wahr-
nehmung, bedeutsam ist, sind phänomenologisch zu sehr different,
als dafs wir glauben könnten, das Bedeuten spiele sich bald in
jenen, bald in diesen Acten ab; >Tir werden eine Auffassung bevor-
zugen müssen, welche diese Function des Bedeutens einem überall
' Auch abgesehen von den kategorialen Formen, die wir in diesem Ab-
schnitt mit Vorbedacht ignoriren.
gleichartigen Acte zuweist, der von den Schranken der ixns so
oft versagten Wahrnehmung und selbst Phantasie frei ist und sich,
wo der Ausdruck im eigentlichen Sinne „außdrilckt", mit dem aus-
gedrückten Acte nur vereint
Bei alldem ist es aber unbestreitbar, dafs in den „Wahrneh-
mungsurtheilen" die Wahrnehmung in einer inneren Beziehung
zum Sinn der Aussage steht. Nicht umsonst heifst es ja: die Aus-
sage drückt die WaJimehmung aus, bezw. drückt das aus, was
in der Wahrnehmung „gegeben" ist. Dieselbe Wahrnehmung mag
verschiedenen Aussagen zu Grunde liegen, aber wie immer der
Sinn dieser Aussagen wechseln mag, er „richtet" sich doch nach
dem Erscheinungsgehalt der Walimehmung; es shad einmal diese
und einmal jene Theihvahrnehmungen (wenn auch vielleicht unselb-
ständige Theile der einheitlichen und vollen Wahrnehmungen), die
dem Urtheil die specielle Unterlage bieten, ohne dafs sie darum
die eigentlichen Bedeutungsträger wären; wie eben die Möglich-
keit des Fortfallens aller Wahrnehmung lehrte.
Man wird also sagen müssen: dieses „Ausdrücken'^ einer
Wahrnehmung (oder objectiv gewendet; eines Wahrgenommenen
als solchen) ist nicht Sache des Wortlautes, sondern Sache
gewisser ausdrückender Acte; Ausdruck bedeutet in diesem
Zusammenhange den von seinem ganzen Sinn belebten Ausdruck,
welcher hier in eine gewisse Beziehung gesetzt wird zur Wahrneh-
mung, die ihrerseits um eben dieser Beziehung willen ausgedrückt
heifst. Zugleich liegt darin, dafs zwischen Wahrnehmung und
Wortlaut noch ein Act (bezw. ein Actgebilde) eingeschoben ist
Ich sage ein Act: denn das Ausdruokserlebnis hat, ob von Wahr-
nehmung begleitet oder nicht, eine intentionalo Beziehung auf
Gegenständliches. Dieser vermittelnde Act mufs es sein, der
eigentlich als sinngebender dient, er gehört zum sinnvoll fun-
girenden Ausdruck als das wesentliche Bestimdstück und bedingt
es, dais der Sinn identisch derselbe ist, ob zu ihm belegende Wahr-
nehmung sich gesellen mag oder nicht
Die Durchführbarkeit dieser Auffassung wird die nachfolgende
tJntersuchimg immerfort bestätigen.
BedeuiungaintetUion und
§ 5. Fortsetzung. Die Wahrnehmung als Bedeutung bestimmender,
aber nicht als Bedeutung entftaltcnder Act.
Wir dürfen nicht weitergehen, ohne einen naheliegenden
Zweifel zu erwägen. Unsere Darstellung scheint eine gewisse
Einschränkung zu erfordern, es scheint in ihr mehr zu liegen, als
wir vollkommen rechtfertigon können. Macht die Wahrnehmung
auch niemals die volle Bedeutung einer auf Grund von Wahr-
nehmung vollzogenen Aussage, so trägt sie doch, und zwar gerade
in Fällen der eben erörterten Klasse, zur Bedeutung einiges bei.
Dies tritt klarer hervor, wenn wir das Beispiel zunächst modificiron
und statt ganz unbestimmt von einer Amsel, von dieser sprechen.
Dies ist ein wesentlich occasioneller Ausdruck, der nur durch
Hinblick auf die Umstände der Aeufserung und hier auf die voll-
zogene Wahrnehmung voll bedeutsam wird. Das wahrgenommene
Object ist, so wie es in der Wahrnelimung gegeben ist, mit dem
dies gemeint Uebrigens drückt auch das Tempus Präsens in der
grammatischen Form des Verbum eine Beziehung auf die actuelle
Gegenwart, also wieder auf die Wahrnelimung aus. Offenbar gilt
nun dasselbe von dem uumodificirten Beispiel; denn wer sagt „e/we"
Amsel /liegt auf, meint ja nicht, dals eine Amsel überhaupt, son-
dern dafs eine Amsel jetzt und hier auffliege.
Allerdings hängt die intendirte Bedeutung nicht am Wortlaut,
sie gehört nicht zu den durch ihn allgemein und fest gebundenen
Bedeutungen. Aber da nicht davon abzugehen ist, dafs der Sinn
der einheitlichen Aussage in dem gesammten Acte des Meinons
gelegen ist, der ihr gegebenenfalls zu Grunde liegt — mag er sich
nun in den Worten vermöge ihrer allgemeinen Bedeutungen voll
ausprägen oder nicht — so werden wir, scheint es, wol zugestehen
müssen, dafs die Wahrnehmung, wo sie den Sachverhalt zur An-
schauung bringt, welchen die Aussage nrtheilsmälsig ausdrückt,
zu dem Bedeutungsgehalt dieses ürtheils einen Beiti-ag leiste.
Es ist allerdings ein Beitrag, der eventuell auch durch andere
Acte in wesentlich übereinstimmender Weise geleistet werden
kann. Der Hörende nimmt den Garten nicht wahr, aber er kennt
ihn vielleicht, stellt ihn anschaulich vor, versetzt die vorgestellte
Amsel und den ausgesagten Vorgang in ihn hinein und erzeugt
so, der Intention des Sprechenden folgend, mittelst der blofsen
Phantasiebildlichkeit ein gleichsinniges Verständnis.
Die Sachlage läfst aber noch eine zweite Beutung zu. In
gewissem Sinne ist es ja zu sagen, dafs die Anschauung zur Be-
deutung der Wahrnehmungsaussage einen Beitrag leiste: in dem
Sinne nämlich , dafs sich die Bedeutung ohne Succurs der An-
schauung in ihrer bestimmten Beziehung auf die gemeinte
Gegenständlichkeit nicht enfalten könnte. Andererseits ist damit
nicht gesagt, dafs der Act der Anschauung selbst Bedeutungs-
träger sei, oder dafs er im eigentlichen Sinne Beiträge zur Be-
deutung hergebe, Beiträge, die dann als Bestandstücke in der
fertigen Bedeutung vorgefunden werden könnten. Die wesent-
lich occasionelleu Ausdrücke haben zwar eine von Fall zu Fall
wechselnde Bedeutung; aber in allem Wechsel bleibt ein Gemein-
sames übrig, das solche Vieldeutigkeit von derjenigen zufalliger
Aequivocation unterscheidet^ Der Hinzutritt der Anschauung hat
nun die Wirkung, dafs sich dieses Gemeinsame, jedoch in seiner
Abstractheit Unbestimmte der Bedeutung bestimmt. Die Anschauung
giebt ihm nämlich die Bestimmtheit der gegenständlichen Richtung
und damit seine letzte Differenz. Diese Leistung erfordert es
nicht, dafs ein Theil der Bedeutung selbst in der Anschauung
liegen müsse.
Ich sage dies und meine soeben das vor mir liegende Papier.
Die Beziehung auf diesen Gegenstand verdankt das Wörtchen
der Wahrnehmung. Nicht liegt aber in dieser selbst die Be<leutung.
Ich nehme, wenn ich dies sage, nicht blofs wahr; sondern auf
Grund der Wahrnehmung baut sich ein neuer, sich nach
ihr richtender, in seiner Differenz von ihr abhängiger
Act auf, der Act des Dies-Meinens. In diesem hin-
weisenden Meinen liegt und liegt ganz allein die Bedeutung.
Ohne die Wahrnehmung — oder einen entsprechend fungirenden
' Vgl. Unt I, § 26, S. 80.
Bedeulungsintention und BedeulungserfüUung. 491
Act — wäre das Hinweisen loer, ohne bestimmte Düferonzürung,
in concreto gamictit möglich. Denn natürlich ist der unbestimmte
Gedanke, der Redende wei.H auf „etwas" hin — welcher sich
beim Hörenden einstellen mag, während er noch nicht erkannt
hat, was für ein Object wir mit dem dies aufzeigen wollten —
durchaus nicht der Gedanke, den wir selbst in der actuellen
Hinwoisung vollzogen haben: als ob sich bei uns nur noch die
bestimmte Vorstellung des Aufgezeigten hinztigesellte. Man wird
nicht den allgemeinen Charakter des actuellen Hinweisens als
solchen verwechseln mit der unbestimmten Vorstellung von einer
gewissen Hinweisung.
Die Walirnehmung realisirt also die Möglichkeit für die
Entfaltung des Dies-Meinens mit seiner bestimmten Beziehung auf
den Gegenstand, z. B. auf dieses Papier vor meinen Augen; aber
sie constituirt, so will es uns scheinen, nicht selbst dio Bedeutung,
auch nicht einem Theile nach.
Indem sich der Actcharakter der Hinweisung nach der An-
schauung richtet, nimmt er eine Bestimmtheit der Intention an, welche
sich in der Anschauung, nach einem allgemeinen Bestände, der
als das inten tionale Wesen zu charakterisiren ist, erfüllt. Denn das
hinweisende Meinen ist dasselbe, welche Wahrnehmung aus der
Mannigfaltigkeit zusammengehöriger Wahrnehmungen zu Grunde
liegen mag, in denen immer derselbe, und erkennbar derselbe,
Gegenstand erscheint. Dio Bedeutung des dies ist abermals dieselbe,
wenn für die Wahrnehmung irgendein Act aus der Mannigfaltigkeit
imaginativer Vorstellungen eintritt, die in erkennbar identischer
Weise denselben Gegenstand im Bilde vorstellen. Sie ändert sich
aber, wenn Anschauungen aus anderen Wahmohraungs- oder Bild-
lichkeitskreisen supponirt werden. Wir meinen wieder dies, aber
der gemeinsame Charakter des hier obwaltenden Meinens, nämlich
des direct (d. i. ohne jede attributive Vermittlung) auf den Gegen-
stand Hinzielens ist verschieden diflerenziirt, ihm haftet nun eine
Intention auf einen anderen Gegenstand an, ähnlieh wie sich das
physische Hinweisen mit der Aenderung der räumlichen Richtung
eben räumlich differenziirt
492 VI. Elemenie einer phätwmaiolog. Aiifldärung der Erkenntnis.
Eine Bestätigung für diese Auffassung, welche die Wahr-
nehmung zwar als Bedeutung bestimmenden, aber nicht
als Bedeutung enthaltenden Act gelten liÜBt, bietet der um-
stand, dafs auch wesentlich occasionelle Ausdrücke der Art wie
dies., vielfach ohne angemessene Anschauungsunterlage gebraucht
und verstanden werden. Es kann die einmal auf Grund passen-
der Anschauimg concipirte Intention auf den Gegenstand wiederholt
oder gloichstimmig nacherzeugt werden, ohne dafs eine irgend
angemessene Wahrnehmung oder Imagination vermitteln würde.
Die wesentlich occasion eilen Ausdrücke wären danach den
Eigennamen nahe verwandt, wofem die letzteren in ihrer eigent-
lichen Bedeutung fungiren. Denn auch der Eigenname nennt den
Gegenstand „direct". Er meint ihn nicht in atb-ibutiver Weise als
Träger dieser oder joner Merkmale, sondern ohne solche „begriff-
liche" VermittJung, als denjenigen, der er „selbst" ist, so wie ihn
die Wahrnehmung vor Augen stellen würde. Die Bedeutung des
Eigennamens liegt also in einem direct- diesen -Gegenstand-Meineu,
einem Meinen, das sieh lediglich durch Wahrnehmung und in
„vorläufiger" (illustrironder) Weise durch Imagination erfüllt,
aber nicht mit diesen Anschauungsacten identisch ist. Genau so
giebt die Wahrnehmung dem dies (wo es auf Gegenstände mög-
licher Wahrnehmung gerichtet ist) den Gegenstand; das Dies-
Meinen erfüllt sich iu der Wahrnehmung und ist nicht sie selbst
Und natürlich erwächst auch boidereeits die Bedeutung dieser
direct nennenden Ausdrücke ui-sprünglich aus der Anschauung,
nach welcher die nominalen Intentionen ihre Richtung auf den
individuellen Gegenstand ursprünglich orientiren. In anderen
Punkten besteht Unterschied: dem dies hattet der Gedanke einer
Hinweisung an, der in früher erörterter Weise eine gewisse Mittel-
barkeit und Verwicklung, also eine gewisse Form hineinbringt,
die beim Eigennamen fehlt. Andererseits gehört der Eigenname
als feste Benennung zu seinem Gegenstände. Dieser constauten
Zugehörigkeit entspricht auch etwas in der Weise der Beziehung
auf den Gegenstand; das bezeugt sich durch die Tbatsache des
namentlichen Eikeuueus der so heilsenden Person oder Sache:
J
ich erkenne Hans als Han3, Berlin als Berlin. — Offenbar siebt
diese Aiisfühnmg jedoch von den Eigennamen ab, die in abge-
leiteter Bedeutuugsfiinction stehen. Sind einmal irgend-
welche Eigennamen in directer Anknüpfung an gegebene Gegen-
stände (also auf Grund gebender Anschauungen) gebildet, so kann
der in Retlexion auf das Eigen-Nennen gebildete Begriff des
Heifsens dazu dienen, Gegenstände, die uns nicht gegeben und
direct bekannt, sondern nur als Träger gewisser Merkmale indireet
charakterisirt sind, mit Eigennamen zu belegen, bezw. von ihren
Eigennamen Kenntnis zu nehmen. Z. B. die Hauptstadt Spaniens
keifst (hat den Eigennamen) Madrid. Wer die Stadt Madrid
„selbst" nicht kennt, gewinnt daraus die Kenntnis ihres Namens
und die Möglichkeit, ihn angemessen zu verwenden, und dabei
doch nicht die Eigen bedeutung des Wortes Madrid. Statt des
directen Meinens, das nur die Anschauung dieser Stadt zu er-
regen vermag, dient ihm die indirecte Anzeige solchen Meinens,
nämlich vermittelt durch charakteristische Merkmalvorstellungen
und den Begriff des So -heifsens.
Dürfen wir diesen Betrachtungen Vertrauen schenken, so ist
nicht blofs überhaupt zwischen Wahrnehmung und Bedeutung der
Wahrnehmungsaussago zu unterscheiden, sondern es liegt auch
kein Theil dieser Bedeutung in der Wahrnehmung seihst
Die Wahrnehmung, welche den Gegenstand giebt und die
Aussage, die ihn mittelst des Urtheils, bezw. mittelst der
zu der Einheit des Urtheils verwobenen „Denkacte", denkt und
ausdrückt, sind völlig zu sondern, obschon sie im vor-
liegenden Falle des Wahrnehmungsurtheils in der innigsten Auf-
einanderbeziehung, im Verhältnis der Deckung, der Erfüllungs-
einheit stehen.
Es braucht kaum ausgeführt zu werden, dafs dasselbe Er-
gebnis auch für alle anderen Anschauungsurtheile gelten wird, also
für Aussagen, die in einem analogen Sinne, wie es die Wahrueh»
mungsurtheile thun, den anschaulichen. Gehalt einer Imagination,
einer Erinnerung, Erwartung u. s. w. „ausdrücken''.
Zuaatx. In der Darstellung des § 26 der I. Untersuchung unter-
schieden wir', ausgelietul vom "Verständnis des Hörenden, die (.an-
zeigende" und „angezeigte" Bedeutung des wesentlich occasionellen
Ausdrucks und si>eeiell des dies. In dem Hörenden, in dessen
momentanen Gesichtakreis das Aufzuweisende vielleicht gamicht fällt,
ist nämlich zunächst nur der unbestimmt allgemeine Gedanie erweckt,
es sei auf etwas hingewiesen; erst mit der ergänzenden Vorstellung
(einer anschaulichen, wenn es sich eben um ein anschaulich Aufzu-
weisendes handelt) constituirt sich für ihn die Bestimmtheit der
Hinweisuug, und so die volle und eigentliche Bedeutimg des Demon-
strativ mn. Pflr den Sprechenden besteht die Aufeinanderfolge nichtj
er bedarf der unbestimmt hinweisenden Vorstellung nicht, welche
beim Hörenden als „Anzeige" fungirte. Nicht die Vorstellung der
Hinweisung, sondern die Hinweisung selbst ist bei ihm gegeben,
imd sie ist eo ipso die sachlich bestimmt gerichtete; von vornherein
hat der Sprechende die „angezeigte" Bedeutung und hat sie in der
unmittelbaren, sich nach der Anschauung orientirenden Vorstellungs-
intenüon. Ist die Sache keine anschaulieh vorfindüche, wie bei der
Rückweisung auf einen Lelirsatz in der mathematischen Beweisführung,
so vertritt der betreffende begrifl'Uche Gedanke die Function der An-
schauung: die hinweisende Intention würde auf Grund der actuellen
Wiederherstellung jenes abgelaufenen Gedankens ihre Erfilllung finden.
In jedem Falle constntiren wir eine gewisse Doppelheit in der liin-
weisenden Intention: der Charakter der Hinweisung vermalt sich im
ersten Falle mit der directen gegenständlichen Intention, und zwar so,
dafs hiedurch die Hinweisung auf den bestimmten, liier und jetzt an-
geschauten Gegenstand erwächst. Ebenso im anderen Falle. Ist der
frühere begriffliche Gedanke just auch nicht aetuell vollzogen, so
bleibt doch in der Erinnerung eine ihm entsprechende Intention zurück,
und diese verbindet sich mit dem Actcharakter der Hinweisimg, ihm
die Bestimmtheit der Richtimg verleihend.
Wenn somit von anzeigender und angezeigter Bedeutung
gesprochen wird, so kann Zweierlei gemeint sein. 1. Die beiden
' Vgl. 8. 83.
einander ablösenden Gedanken, welche das successive Verständnis des
Hörenden charakterisiren : zunächst die unljostiminte Vorstellung
eines gewissen mit dem dies Gemeinten, dann die sich durch die
ergänzende Vorstellung herausbildende Moilification, der Act der
bestimmt gerichteten Hinweisung. Im letzteren Act läge ilie angezeigte,
im ersteren die anzeigende Bedeutung. 2. Halten wir uns an die
fertige, bestimmt gerichtete Hinweisung, die im Sprechentlen von
vornherein gegeben ist, so kann in ihr selbst wieder Doppeltes unter-
schieden werden: der allgemeine Charakter der Hinweisung, und das
sie Bestimmeiide, das was sie zur Hinweisung auf Dieses da einschränkt.
Ersteres kann wieder als anzeigende Bedeutung, oder be.s.ser als das
Anzeigende an der untrennbar einheitlichen Bedeutung bezeichnet
werden, sofern es dasjenige ist, was der Hörende vermöge seiner
ausdrückbaren Allgemeinheit unmittelbar erfassen und was ihm nun
zur Anzeige des Gemeinten dienen kann. Sage ich dies, so weifs der
Hörende mindestens, dafs auf etwas hingewiesen sei. (Ebenso bei
anderen wesentlich occasionellen Ausilrücken. Sage ich hier, so
handelt es sich um „etwas" in meiner näheren oder ferneren räum-
lichen Umgebung; u. s. w.) Andererseits liegt das eigentliche Ziel
der Rede nicht in diesem Allgemeinen, sondern in der directen
Intention auf den betreffenden Gegenstand. Auf ilm und seine
Inhaltsfülle ist es abgesehen, und zu ihrer Bestimmung tragen jene
leeren Allgemeinheiten nichts oder so gut wie niclits bei. In diesem
Sinne ist die directe Intention die primäre und angezeigte Bedcutiuig.
Diesen zweiten unterschied legte die Definition in der frfliieren
Darstellung (S. 83) zu Grunde. Die hier vollzogene Unterscheidung und
nähere Ausführung dürfte zu einer weiteren Klänmg der schwierigen
Sacldage beigetragen haben.'
§ 6. Die statische Einheit xunschen ausdrückendem Oedanken und
ausgedrückter Anschauung. Das Ejrkennen.
Wir vertiefen uns jetzt in eine nähere Erforschung der Ver-
bältnisse, die zwischen den anschautichen Acten auf der einen und
' Vgl. auch die Zusätze am Scblula d. Bandes.
den ausdrückenden Acten auf der anderen Seite obwalten. Vor-
erst beschränken wir uns, und in diesem Abschnitt überhaupt, auf
einen Kreis möglichst einfacher Fälle, also naturgemäß auf Aus-
drücke, bezw. Bedeutungsintentionen, welche dem nominalen
Gebiet entnommen sind. Wir erheben damit übrigens keinen
Anspruch, dieses ganze Gebiet zu umfassen. Es handelt sich um
nominale Ausdrücke, die sich in möglichst durchsichtiger Weise
auf „entsprechende" Wahrnehmung und sonstige Anschauung
beziehen.
In diesem Kreise fassen wir zunächst das ruhende Ein-
heitsverbältnis ins Auge: der bedeutungverleihende Ge-
danke sei auf Anschauung gegründet und dadurch auf
ihren Gegenstand bezogen. Z. B. Ich spreche von meinem
Tintenfnfs, und es steht zugleich das Tintenfafs selbst vor mir,
ich sehe es. Der Name nennt den Gegenstand der Wahrnehmung
und nennt ihn mittelst des bedeutenden, seiner Art und Form
nach sieh in der Form des Namens auspiägenden Actes. Die
Beziehung zwischen Namen und Genanntem zeigt in diesem Elin-
heitsstande einen gewissen descriptiven Charakter, auf den
wir schon aufmerksam wurden: der Name mein Tintenfafs „\Qgt
sich" gleichsam dem wahrgenommenen Gegenstande „auf", ge-
hört sozusagen fühlbar zu ihm. Aber diese Zugehörigkeit ist
von eigener Art Die Worte gehören ja nicht zu dem objectiven
Zusammenhang, hier dem physisch -dinglichen, den sie ausdrücken,
in ihm haben sie keinen Ort, sie sind nicht als etwas in oder an
den Dingen, die sie nennen, gemeint. Gehen wir auf die Erlebnisse
zurück, so finden wir auf der einen Seite, wie bereits beschrieben,'
die Acte der Worterecheinung, auf der anderen Seite die ähn-
lichen Acte der Sacherscheinung. In letzterer Hinsicht steht uns
in der Wahrnehmung das Tintenfafs gegenüber. Gemäfs unserer
wiederholten Geltendmachung des descriptiven Wesens der Wahr-
nehmung, besagt (lies phänomenologisch nichts Anderes, als dafs
wir einen gewissen Belauf von Erlebnissen aus der Klasse Eropfia-
' Vgl. ünt. I, §§9 und 10.
Bedeutungsmlention und BedeutungserfuUung.
497
(lung habe, sinnlieh vereinheitlicht in ihrer so und so bestimni-
,en Aneinanderreihung und durchgeistigt von einem gewissen,
ihnen objectiven Sinn verleihenden Actcharaliter der „AutTassung".
Dieser Actcharakter macht es, dafs uns ein Gegenstand, eben
dieses Tintenfars, in der Weise der Walimehmung erscheint Und
in ähnlicher Weise constituirt sich natürlich das orecheinende Wort
in einem Acte der Wahrnehmung oder Pliantasie Vorstellung.
Also nicht Wort und Tintenfafs, sondern die beschriebenen
Acterlebnisso, in denen sie erscheinen, während Bie „in" ihnen
garnichts sind, ti-eten in Beziehung. Aber wie nun dies? Was
bringt die Acte zur Einheit? Die Ant\%'ort scheint klar. Diese
Bezieimng ist als nennende vermittelt durch Acte nicht blofe
des Bedeutens, sondern des Erkennens, und zwar sind es hier
Acte der Klassif'ication. Der wahrgenommene Gegenstand wird
als Tintenfafs erkannt, und sofern der bedeutende Ausdruck in
besonders inniger Weise mit dem klassificatorischen Acte Eins ist,
und dieser wieder als Erkennen des wahrgenommenen Gegenstandes
mit dem Wahrnehmungsacte Eins ist, erscheint der Ausdruck
gleichsam als dem Dinge aufgelegt und als wie sein Kleid.
Normaler Weise sprechen wir von Erkenntnis und Klassi-
tication des Wahrnehnuingsgogenstandes, als ob der Act sich
am Gegenstande bethätigte. Im Erlebnis selbst aber ist
sagten wir, kein Gegenstand, sondern dio Wahrnehmung, das so
und so bestimmte Zumuthesein; also ist der Erkeuntnisact im
Erlebnis auf den Wahruehmungsact gegründet. Natürlich
darf man da nicht mifsverstehend einwenden, wir stellten die Sache
so hin, als sei die Wahrnehmung klassificirt anstatt ihres Gegen-
standes. Das thun wir keineswegs. Dergleichen setzte ja Acte
ganz anderer und compücirterer Constitution voraus, die sich in
Ausdrücken von entsprechender Complexion, wie z. B. die Wahr-
nehmung des Tintenfasses, ausprägen würden. Also ein in be-
stimmter und schlichter Weise das Ausdruckserlebnis auf der einen,
mit der beti-offenden Wahrnehmung auf der anderen Seite ver-
schmelzendes Erkennen constituirt das Erlebnis: Erkennen dieses
Dinges als mein Tintenfafs.
UusBsrl, (<og. Unton. n. 32
Ganz ebenso verhält es sich in den Fällen, wo statt der Wahr-
nehmung eine Bildvorstellung dient Das bildlich erscheinende
Object, z. B. dasselbe Tintenfafs in der Phantasie oder Erinnerung,
ist fühlbarer Träger des nominalen Ausdrucks. Phänomenologisch
gesprochen heifst das, ein Act des mit dem Ausdruckserlebnis ver-
einten Erkennens ist auf den Act der Verbildlichung in der Weise
bezogen, die wir objectiv als Erkennen des bildlich Vorgestell-
ten, z.B. als unseres Tintenfasses, bezeichnen. Auch das bildliche
Object ist ja in der Vorstellung schlechterdings nichts, Erlebnis
ist vielmehr ein gewisser Verein von Phantasmen (Phantisie-
Empfindungen), durchgeistigt von einem gewissen auffassenden
Actcharakter. Diesen Act erleben, und eine Phantasievorstellung
von dem Gegenstande haben, ist einerlei. Sagen wir dann aus-
drückend: wb habe ein Phantasiebild, und zwar das eines Tinten-
fasses, so haben wir offenbar mit den Ausdrücken zugleich neue
Acte vollzogen und, speciell auch einen mit dem Act der Ver-
bildlichung innig einheitlichen Act des Erkennens.
§ 7. Das Erkennen als Actcharakter und die „Allgemeinheit
des Wortes".
Dafs wir wirklich berechtigt sind, in allen Fällen der Nennung
eines anschaulich Gegebenen zwischen der Erscheinung des Wort-
lauts, bezw. des ganzen sinnbelebten Wortes, und der Sachanscliauimg
das Erkennen als einen vermittelnden Actcharakter anzunehmen,
dessen scheint uns folgende genauere Ueberlegung völlig zu ver-
sichern. Man hört oft von der Allgemeinheit der Wortbedeu-
tungen sprechen und meint in dieser vieldeutigen Rede zumeist
die Thatsacho, dafs das Wort nicht an die vereinzelte Anschauung
gebunden ist, sondern zu einer imendlichen Mannigfaltigkeit mög-
licher Anschauung gehört.
Was liegt nun in dieser Zugehörigkeit?
Betrachten wir ein möglichst einfaches Beispiel, etwa den
Namen Roth. Indem er ein erscheinendes Object als roth benennt,
gehört er zu diesem Object vermöge des an ihm erecheinenden
Rothmomentes. Und jedes Object, das ein gleichartiges Moment
in sich trägt, berechtigt zur selben Nennung, zu jedem gehört
dieser selbe Name, und er gehört zu ilira vermöge des identischen
Sinnes.
Was liegt nun wieder in dieser Nennung vermöge eines
identischen Sinnes?
Wir bemerken zunächst: das Wort hängt nicht äufserlich,
blofs auf (irund verborgener psychischer Mechanismen an den
gleichartigen Eiazelzügen der Anschauungen, Vor Allem reichen
wir nicht mit der blofsen Thatsache aus, dafs, wo immer ein
solcher Einzelzug in der Anschauung auftritt, sich ihm nun auch
das Wort, als blofses Lautgebild, zugesellt. Das blofse Zusam-
men, das blofs äufserliche Miteinander oder Aneinander dieser
beiden Erscheinungen schafft zwischen ihnen keine innerliche Be-
ziehung und gewüs keine intentionale. Und eine solche liegt doch
oft"enbar als eine phänomenologisch durchaus eigenartige
vor. Das Wort nennt das Rothe als roth. Das erscheinende
Roth ist das mit dem Namen Gemeinte und zwar als roth Oe-
meinte. In dieser Weise des nennenden Meinens erscheint der
Name als zu dem Genannten geliörig und mit ihm Eins.
Andererseits hat das Wort seinen Sinn auch aufserhalb der
Verknüpfung mit dieser Anschauung, ja ohne Verknüpfung mit einer
„entsprechenden" Anschauung überhaupt. Da der Sinn überall der-
selbe ist, so ist es klar, dafs wir für die nennende Beziehung an Stelle
des blofsen Wortlautes das eigentliche und volle Wort, nämlich
das mit dem überall gleichartigen Charakter des Sinnes begabte,
zu Grunde legen müssen. Aber auch dann dürften wir uns nicht
begnügen, die Einheit des sinnvollen Wortes und der entsprechenden
Anschauung als ein blolses Zusammen zu be.schreiben. Denken
wir uns das Wort, etwa so \vie es aufserhalb aller actuellen
Nennung als blofs symbolisch verstandenes bewufst ist, und
nun dazu die entsprechende Anschauung: so mag es sein, dafe
sich die beiden Erscheinungen aus genetischen Gründen alsbald
zur phänomenologischen Einheit der Nennung zusaranienschliefsen;
aber an sich ist das Zusammen noch nicht diese Einheit, sie
erwächst erst als ein offenbar Neues. Es wäre a ^w^'on denkbar,
32*
I
dafs sie nicht erwüchse; dann wären die coexistirenden Erschei-
nungen phänomenologisch beziehungslos: das Erscheinende stünde
nicht als das im sinnvollen Worte Gemeinte, also Oenannte da.
und das Wort nicht als das in der Weise des Namens zu ihm
Gehörige, es Nennende.
Da wir nun phänomenologisch statt der blofsen Summe die
innigste Einheit, und zwar eine intentionale Einiieit vorfinden,
so werden wir wol mit Recht sagen dürfen: die beiden Acte,
deren einer uns das volle Wort und deren anderer die Sache
constituirt, schliefsen sich intentional znr Acteinheit zusammen.
Naturgemäfs beschreiben wir das Vorliegende ebenso gut mit den
Worten: det- Name Roth nennt das rothe Object roth, als mit
den Worten: das rothe Object «v/'d als roth erkannt und
mittelst dieses Ericennens roth genannt. Roth Kennen — in
dem actuellen Sinn von Nennen, der die unterliegende An-
schauung des Genannten voraussetzt — und als roth Erkenneti
sind im Grunde genommen bedeutungs-identische Ausdrücke;
nur dafe der letztere deutlicher zur Ausprägung bringt, dafs hier
keine blofse Zweiheit, sondern eine durch einen Actcharakter
hergestellte Einheit gegeben ist. Bei der Innigkeit der Verschmel-
zung treten, wie wir allerdings zugestehen müssen, die implicirten
Momente dieser Einheit — die physische Worterscheinung mit
dem beseelenden Moment der Bedeutung, das Moment der Er-
kennung und die Anschauung des Genannten — nicht mit deut-
licher Abhebung auseinander; aber nach dem Ausgefährten wer-
den wir sie wol »He annehmen müssen. Ergänzende Erwägungen
sollen diesem Punkt übrigens noch gewidmet werden.^
Offenbar ist der Actcharakter des Erkennens, dem das Wort
seine sinngemiifse Beziehung auf das Gegenständliche der An-
schauung verdankt, nichts zum Wortlaut wesentlich Zugehöriges;
68 gehört vielmehr zum Worte nach seinem sinnvollen (bedeu-
tungsmäfsigen) Wesen. Bei den verschiedensten Wortlauten,
man denke an „dasselbe" Wort in verschiedenen Sprachen, kann
' Vgl. 8. 509 ff.
die Erkenntnisbeziehung identisch dieselbe sein; das Object wird
wesentlich als dasselbe erkannt, obschon unter Beihilfe verschiede-
ner Wortlaute. Freilich schliefst das volle als roth Erkennen, sowie
es mit dein actuellen Namen gloichwerthig ist, auch den Wortlaut
mit ein. Mitglieder verschiedener Sprachgemeinschaften erleben
die Zugehörigkeiten verschiedener Wortlaute und befassen diese
letzteren mit in die Einheit des Erkennens. Indessen erhält sich
die Bedeutung, die zu dein Wortlaut gehört, und der Erkennungs-
act, in welchem sie sich mit dem Bedeuteten actuell einigt, überall
imverändert, so dafs die Differenzen selbstveretändüch als aulser-
wesentliche gelten müssen.
Die Allgemeinheit des Worts besagt danach, dal's ein und
dasselbe Wort durch seinen einheitlichen Sinn eine ideell fest-
begrenzte Mannigfaltigkeit möglicher Anschauungen so umspannt
(und, wenn es widersinnig ist, zu umspannen „prätendirt"), dafs
jede dieser Anschauungen als Grundlage eines gleichsinnigen
nominalen Erkenntnisactes fungiren kann. Zu dem Worte ßoth
gehört beispielsweise die Möglichkeit, alle in möglichen An-
schauungen zu gebeniien rotheu Objecto eben als roth zu erkennen
und zu nennen. Daran knüpft sich aber weiter die a ^/rtart
gewährleistete Möglichkeit, durch identificirende Synthesis
solcher Erkennungen sich dessen bewufst zu werden, es sei das
Eine und Ändere bedeutungsmäfsig dasselbe, es sei dieses A roth
und jenes .4 sei dasselbe, nämlich auch rotli; die beiden Einzel-
heiten der Anschauung gehörton unter denselben „Begriff".
Eine Zweifelsfrage drängt sich hier auf. Das Wort, sagten
wir oben, könnte vei-standen werden, ohne etwas actuell zu nennen.
Müssen wir ihm aber nicht mindestens die Möglichkeit zubilli-
gen, in der Function actueller Nennung zu stehen, also actuelle
Erkenntnisbeziehung auf entsprechende Anschauung zu gewinnen?
Müssen wir nicht sagen: ohne diese Möglichkeit wäre es über-
haupt kein Wort? Natürlich lautet die Antwort; diese Möglichkeit
hängt an der Möglichkeit der bezüglichen Erkenntnisse. Aber
nicht alle intendirte Erkenntnis ist möglich, nicht alle nominale
Bedeutung ist zu realisireu. „Imaginäre'' Namen sind eben
auch Namen, aber sie können in keiner actuellen Nennung
stehen, sie haben, eigentlich gesprochen, keinen Umfang, sie
haben keine Allgemeinheit im Sinne der Möglichkeit und
Wahrheit. Ihre Allgemeinheit ist leere Prätention. Wie
diese Reden aber ihrerseits zu klären sind, was pbäuomenologisch
hinter ihnen liegt, wird der Verlauf der weiteren Untersuchung
noch herausstellen.
Was wir dargelegt haben, gilt überall und nicht etwa blofs
bei den Ausdrücken, welche eine allgemeine Bedeutung haben in
der Weise von Allgemeiubegriffen. Es gilt auch bei den
Ausdrücken individueller Bedeutung, wie es dieEigenuamen
sind. Die Thatsache, die man als die „Allgemeinheit der Wort-
bedeutung" zu bezeichnen pflegt, meint keineswegs diejenige All-
gemeinheit, die man Gattungsbegriffen im Gegensatz zu Individual-
begriffen beimifst; sie umfafst im Gt^genthei! die Eine und Andere
in gleicher Weise. Demgemäfs ist das „Erkennen", von dem wir
in der Beziehung eines sinnvoll fungirenden Ausdrucks auf
correspondirendo Anschauung sprechen, auch nicht gerade als ein
actuelles Klassificiren aufzufassen, das sich in der Einordnung
eines anschaulich oder schon gedanklich vorgestellten Gegenstandes
in einer Klasse — also nothwendig auf Grund allgemeiner Begriffe
und sprachlich mittelst allgemeiner Namen — vollzieht Auch
die Eigennamen haben ihre „Allgemeinheit", obschon bei ihnen,
wo sie in der Function actueller Nennung stehen, von Klassilication
eo ipso keine Rede ist. Auch die Eigennamen, wie alle sonstigen
Namen, können nichts nennen, ohne nennend zu erkennen. Dafs
in der That ihre Beziehung zu einer entsprechenden Anschauung
nicht minder eine mittelbare ist, als bei anderen Ausdrücken,
zeigt eine ganz analoge Betrachtung wie diejenige, die wir
oben durchgeführt haben. Der jeweilige Name gehört offenbar
weder zu einer bestimmten Wahrnehmung, noch zu einer bestimmten
Einbildung oder sonstigen Verbildlichung. In unzähligen möglichen
Anschauungen kommt dieselbe Person zur Erscheinung, und alle
diese Erscheinungen haben nicht blofs intuitive, sondern auch
erkenntnismälsige Einheit Jede Einzelerechoinung aus einer
solcben intuitiTen Mannigfaltigkeit kann der gleichsinnigen Nen-
nung durch den Eigennamen mit gleichem Fug zu Grunde
liegen. Welche immer gegeben ist, der Nennende meint die eine
und selbe Person oder Sache. Und er meint sie nicht in der
blofsen Weise anschaulichen Zugewendetseins, wie in der Be-
trachtung eines ihm individuell fremden Objectes; sondern er er-
kennt sie als diese bestimmte Peraon oder Sache, im Nennen
erkennt er Hans als Hatis, Berlin als Berlin. Das als diese
Person, als diese Stadt Erkennen ist wiederum ein Act, der nicht
an den bestimmten sinnlichen Gehalt der jeweiligen Worterschei-
nung gebunden ist. Es ist identisch derselbe Act bei verschie-
denen (und der Möglichkeit nach unendlich vielen) Wortlauten;
so z. B. wenn sich Mehrere für dieselbe individuelle Sache ver-
schiedener Eigennamen bedienen.
Natürlich ist nun diese Allgemeinheit des Eigennamens und
der ihm entsprechenden Eigenbedeutung von ganz anderem
Charakter als diejenige des Klassenuamens.
Die Erstere besteht darin, dals zu einem individuellen Ob-
jeck eine Synthesis möglicher Anschauungen gehört, die Eins sind
durch einen gemeinsamen iuteutioualen Charakter, nämlich durch
den Charakter, der, unbeschadet der sonstigen phänomenalen Unter-
schiede zwischen den einzelnen Anschauungen, einer Jeden Be-
ziehung auf denselben Gegenstand verleiht. Dieses Einheitliche
ist dann das Fundament für die Erkenntniseinheit, die zur
„Allgemeinheit der Wortbedeutung", zum Umfange ihrer ideell
möglichen Realisirung gehört. So hat das nennende Wort Er-
kenntnisbeziehung zu einer unbegrenzten Mannigfaltigkeit von An-
schauungen, deren einen und selben Gegenstand es erkennt
und dadurch nennt.
Ganz anders bei den Klassennamen. Ihre Allgemeinheit
umspannt einen Umfang von Gegenständen, zu deren jedem,
an und für sich betrachtet, eine mögliche Synthesis von
Wahrnehmungen, eine mögliche Eigeubedeutung, ein möglicher
Eigenname gehört Der allgemeine Name „umspannt" diesen
Umfang in der Weise der Möglichkeit, jedes Glied dieses Urafangs
allgemeia zu nennen , d. b. es nicht in der Weise der Eigennamen
durch Eigenerkennen, sondern in der Weise der Oemeinnanien
durch Klassification zu nennen: das entweder direet Angeschaute,
oder bereits in seiner Eigenheit, oder gar schon durch Merkmaie
Erkannte wird nun als ein A erkannt und genannt
§ 8. Die djfnamische Einheit xwischeti Ausdrttck und ausijedi
Anschauung. Das ErfiiUungs- und Idcnlitäisbewußlsein.
Statt der ruhenden, gleichsam statischen Deckung zwischen'
Bedeutung und Anschauung nehmen wir jetzt die dynamische
an; dem vorerst blofe symbolisch fungirenden Ausdruck geselle
sich nachher die (mehr oder minder) entsprechende Anschauung
bei. Wird dies Ereignis, so erleben wir ein descriptiv eigenthüm-
liches ErfülUingsbewufstsein': der Act des puren Bedeutons
findet in der Weise einer abzielenden Intention seine Erfüllung
in dem veranschaulichenden Acte. In diesem Uebergangserlebnis
tritt zugleich die Zusammengehörigkeit beider Acte, der
Bedeutungsintention und der ihr mehr oder minder vollkommen
entsprechenden Anschauung, nach ihrer phiiuomenologischen Be-
gründung deutlich hervor. Wir erleben es, wie in der Anschauung
dasselbe Gegenständliche intuitiv vergegenwärtigt ist, welches
im symbolischen Acte „blofs gedacht'' war, und dafs es gerade
als das so und so Bestimmte anschaulich wird, als was es zunächst
blofs gedacht (blols bedeutet) war. Es ist nur ein anderer Aus-
druck dafür, wenn wir sagen, das iutentionale Wesen des
Anschauungsactes passe sich (mehr oder minder vollkommen)
dem bedeutungsmäfsigen Wesen des ausdrückenden
Actes an.
In dem zuerst beti'achteten statischen Verhältnis zwischen
den Acten der Bedeutung und Anschauung sprachen wir von
Erkenaeu. Dieses stellt, sagten wir, die sinngemäfse Beziehung
■ Vgl. meine Psych. Studien z. olera. Logik, 11. Ueber Anschauungen
u. EepiÄsentationon , Philos. Monatshefte, Jalirg. 1894, 8.176. Den dort bevor-
lagten Begriff der Anschauung habe ioh, wie aus dem vorliegenden Werke
ersichtlich, aufgegeben.
des Namens auf das in der Anschauung Gegebene als Genanntes
her. Aber das Bedeuten ist darin niolit selbst das Erkennen. In
dem rein symbolischen Wortverständnis wird ein Bedeuten voll-
zogen (das "Wort bedeutet uns etwas), aber es wird nichts erkannt.
Der Untei-schied liegt, nach dem im vorigen Paragraphen Er-
örterten, nicht in dem blofsen Mitgegebensein der Anschauung
des Genannten, sondern in der piiänomenologisch eigenartigen
Einheitsform. Das Charakteristische dieser Erkenntniseinheit
macht uns nun das dynamische Verhältnis klar. Zunächst ist
dabei die ßedeulungsintention, und zwar für sich gegeben; dann
erst tritt entsprechende Anschauung hinzu. Zugleich stellt sich
die phänomenologisclie Einheit her, die sich jetzt als Erfüllungs-
bewuTstsein bekundet Die Reden von Erkenntnis des Gegen-
standes und Erfüllung der Bedeutungsintention drücken also, blofs
von veitichiedenen Standpunkten, dieselbe Sachlage aus. Die
Erstere stellt sieb auf den Staudpunkt des gemeinten Gegenstandes,
während die LeUtero nur die beiderseitigen Acte zu Boziehungs-
punktcn nimmt. Phänomenologisch oxistiren jedenfalls die Acte,
nicht immer die Gegenstände. Somit giebt die Kode von der Er-
füllung dem phänomenologischen Wesen derErkenntnisbezieliung
den besser charakterisirenden Ausdruck. Es ist eine primitive phä-
nomenologische Thatsache, dafs Acte der Signification ' und Intui-
tion in dieses eigenartige Verliältnis treten können. Und wo sie
es thun, wo gegebenen Falls ein Act der ßedeutungsinteution sich
in einer Anschauung erfüllt, da sagen wir auch, es werde „der
' Ich benutze diesen Ausdruck obne besondere terminologische An-
kündigung, weil er die blofse Uebersetzung von Bedeutung ist. Ebenso werde
ich öfters von significativen oder auch kurzweg signitiren Acten sprechen,
statt von Acten der Bedeutungsinteution, des Bedeutena u.dgl. .Bedeutende
Acte' kauu man, da normaler "SVeiKe die Ausdrücke als Subjecte des Be-
dentens bezeichnet werden, nicht gut sogen. Signitiv giobt auch einen passen-
den teroiinologischen Gegensatz zu intuitiv. Ein Synonym für signitiv ist
symbolisch, sofern in neuerer Zeit der schon von Kant gerügte Mifsbrauch
um sich gegriffen hat, das Wort Symbol, entgegen seinem ursprünglichen und
auch jetzt noch uuentbehrlichen Sinne, als Aequivalent für Zeichen zu ver-
wenden.
506 VI. Ekfuienle einer pltänontenolog. Atifklärung der Erkenntnis.
I
GFegenstand der Anschauung durch seinen Begriff erkannt", oderi
es „finde der betreffende Name auf den erscheinenden Gegenstand]
seine Anwendung".
Dem unzweifelhaften phänomenologischen Unterschied zwischen
der statischen und dynamischen Erfüllung oder Erkennung werden
wir leicht gerecht. Im dynamischen Verhältnis sind die Verhältnis-
glieder und der sie beziehende Erkenntnisact zeitlich auseinander-
gezogen, sie entfalten sich in einer Zeitgestalt. Im statischen
Verhältnis, das als bleibendes Ergebnis dieses zeitlichen Vorganges
dasteht, sind sie in zeitlicher und sachlicher Deckung. Dort
haben wir im ersten Schritte das „blofse Denken" (= den blolsen
„Begriff" = die blofse Signification) als schleclithin unbefriedigte
Bedeutungsintention, die sich im zweiten Schritte mehr oder
minder angemessene Erfüllung zueignet; die Gedanken ruhen
gleichsam befriedigt in der Anschauung des Gedacliten, das sich
eben vermöge dieses Einheitsbewufstseins als das Gedachte dieses
Gedankens, als das in ihm Gemeinte, als das mehr oder minder
vollkommen erreichte Denkzie! ankündigt In dem statischen Ver-
hältnis andererseits haben wir dieses Einheitsbewufstsein allein,
eventuell ohne dafs ein merklich abgegrenztes Stadium unerfüllter
Intention vorangegangen wäre. Die Erfüllung der Intention ist hier
nicht ein Vorgang des sich Erfüllens, sondern ein ruhendes Er-
fülltsoin, nicht ein sich Decken, sondern das in Deckung Sein.
In gegenständlicher Hinsieht sprechen wir hier auch von Iden-
titätseinbeit Vergleichen wir überhaupt die beiden Gomponen-
ten einer Erfüllungseinheit (gleichgiltig ob wir sie im dynamischen
üebergehen ineinander betrachten, oder ob wir, die statische Ein-
heit analysireiid, die Componenten auseinanderhalten, um sie als-
bald ineinander überlliefsen zu sehen), so constatiren wir gegen-
ständliche Identität Wir sagten ja, und dies durften wir
mit Evidenz, dafs der Gegenstund der Anschauung derselbe sei,
wie der Gegenstand des sich in ihr erfüllenden Gedankens, und
im Falle der genauen Anpassung sogar, dafs der Gegenstand genau
als derselbe angeschaut, als welcher er gedacht (oder was hier
immer dasselbe sagt: bedeutet) sei. Es ist klar, dafs die Identität
nicht erst durch die vergleichende und gedanklich vermittelte Re-
flexion hereingebracht wird, sondern dafs sie von vornherein da,
dafs sie Erlebnis, unausdrückiiches, unbegriffenes Erlebnis ist. Mit
anderen Worten: was wir phänomenologisch, mit Beziehung auf
die Acte, als Erfüllung charakterisiren, ist mit Beziehung auf die
beiderseitigen Objecte, auf das angeschaute Object einerseits
und dos gedachte Object andererseits, als Identitiitserlebnis, Idon-
titätsbewufstsein, Act der Identificirung auszudrücken; die mehr
oder minder vollkommene Identität ist das Objective, das dem
Acte der Erfüllung entspricht, oder das in ihm „erschoinf*.
Eben darum dürfen wir nicht blofs die Signification und Intui-
tion, sondern auch die Adäquation, d. i. die Erfullungseinheit, als
einen Act bezeichnen, weil sie ein ihr eigenthümliches intentio-
nalos CoiTelat hat, ein Gegenständliches, worauf sie „gerichtet"
ist. Wieder eine andere Wendung derselben Sachlage ist, nach
dorn oben Gesagten, in der Rode vom Erkennen ausgedrückt.
Der Umstand, dafs sich die Bedeutungsintention in der Weise
der Erfüllung mit der Anschauung einigt, giebt dem in der letz-
teren erscheinenden Objecte, wo wir ihm primär zugewendet
sind, den Charakter des Erkannten. Zur genaueren Bezeichnung
des „als was" des Erkanntseins weist die objective Reflexion statt
auf den Act des ßedeutens, auf die Bedeutung selbst hin (den
identischen „Begriff"), und die Rede vom Erkennen drückt so
die Auffassung derselben Einheitslage vom Standpunkt des An-
schauuugsobjocts (bezw. des Objects des erfüllenden Actes) und in
Relation zum Bedeutungsgehalt des signitiven Actes aus. In um-
gekelu-ter Relation sagt man allenfalls auch, obschon zumeist in
engerer Sphäre, der Gedanke „begreife" die Sache, er sei ihr
„Begriff'''. Selbstverständlich kann man nach dieser Darlegung
wie die Erfüllung auch das Erkennen — was ja nur ein anderes
Wort ist — als einen identificirenden Act bezeichnen.
Zusaix. Ich darf nun auch ein Bodenken niclit unterdrücken,
welches sich'g'egen die sonst so einleuchtende Auffassung der hier
auftretenden Identitäts- oder Erkenntiiiseinheit als eines Actes der
Identificatioa oder des Erkennens, richtet; und ich darf dieses Be-
I
I
denken umsoweniger unteiilrücken, als es sich im spätereu Verlaufe
der Untersuchung und im Fortschritt der uns erwaohsenden Auf-
klärungen als ein ernstliches erweisen und zu fruchtbaren Erwägungen
anregen yrird. Bei genauerer Analyse fällt es uns nämlich auf, dat>
wir doch in den vorliegenden FäUen , wobei sich ein Name iu actueller
Nennung auf ein Object der AnäJ.'hauung bezieht, wol den angeschauten
uiiil in Eins damit genannten Gegenstand meinen, keineswegs aber
die Identität dieses Gegenstandes, als des zugleich angeschauten
und genannten, meinen. Sollen wir sagen, es sei die Bevoi-zugung
der Aufmerksamkeit, die hier entscheide? Oder sollen wir nicht >iel-
mehr zugestehen, es sei der Act der Identificirung eigentlich noch
nicht voll und ganz oonstituirt: das Hauptstück dieses Actes, das Mo-
ment der verknüpfenden Einigung von Bedeutungsintention imd corr©-
spondirender Anschauuug sei zwar reell vorhanden; aber dieses Einheilfi-
monient fungire nicht als „Repi-äsentant" einer objectiviremlen „Auf-
fassung"; die erlebte Deckungseiuheit begründe keinen Act beziehen-
den Identificirens, ketu intentionates Be\mrstsein von Identitäta^H
in welchem uns die Identität als gemeinte Einheit allererst gegon-^^
stündlich werde. In der Reflexion über die Eriüllungseiiiheit voll-
zögen wir naturgemäfs , ja nothwendig, mit der Gliedeniug und Gegen-
überstellung der miteinander verknüpften Acte auch jene beziehende
Auffassiuig, welche die Form ihrer Einheit a priori zulasse. — In der
allgemeinsten, auf die kategorialen Actcharaktere überhaupt bezogenen"
Gestalt wird uns diese Frage im zweiten Abschnitt beschäftigen. ^ Vor-
läufig fahren wir fort, den bezeichneten Einlieitscharakter wie einen
vollen Act zu behanilelu, oder ihn von dem vollen Act nicht aus-
drücklich abzuscheiden. Das Wesentliche unserer Betrachtungen wii-d
hierdurcli insofern nicht betroffen, als der Uobergang vom Einheits-
erlebnis zur beziehenden IdcntiQcirung jederzeit offen steht, da
seine apriorische Möglichkeit gewährleistet ist, so dafs wir
mit Recht sagen dürfen: ideutificircndo Deckung sei erlobt, mag
auch die bewufste Intention auf Identität, «bis beziehende Iden-
tiüciren unterblieben sein.
n
■ Vgl. Kap. 0, § 48 und das ganzo Kap. 7.
§ 9. Dtr versdiiedefte Charakter der Intention in und aufserhalb
der ErfüUuHi/seinheit.
Die Heranziehung der dynamischen, sich in Form eines ge-
gliederten Processes abspielenden Ei-füiiung zum Zwecke der
Interpretation des statischen Erkenntnisactes beliebt auch eine
Schwierigkeit, welche die klare Erfassung des Verhältnisses
zwischen der Bedeutimgsintention und dem vollen Erkenntnisact
zu beirren droht. Dürfen wir wirklich behaupten, dafs in der
Einheit der Erkenntnis sich viererlei untorscheiden lasse, der ver-
bale Ausdruck, der Act des Bedeutens, der des Anschanens und
endlich der übergreifende Einheitseharakter des Erkennens, bezw.
der Erfüllung? Man könnte einwenden, was die Analyse wirklich
vorfinde, das sei einerseits der sprachliche Ausdruck, speciell
der Name, andererseits die Anschauung, und bei<lo geeinigt durcli
den Charakter des erkennenden Nennons. üals aber mit dem
sprachlichen Ausdruck noch ein Act des Bedeutens verknüpft
sei, als etwas vom Erkenntnischarakter und der erfüllenden An-
schauung Untersclieidbaros und mit dem Verständuischarakter
desselben Ausdrucks auliserhalb seiner Erkenntnisfunction Identi-
fieirbares, das müsse geleugnet werden; zum Mindesten sei es
eine überflüssige Annahme.
Dieser Zweifel richtet sich also gegen die leitende Auffassung,
die sich uns in § 4, noch vor dor Analyse der Erkenntniseinheit,
als die verständlichste dargeboten hatte. Was wir uns bei der
Erwägung zu vergegenwärtigen haben, ist Folgendes:
Fürs Erste zeigt die Vorgleichung des in der Erkenntnis-
function und des aufserhalb derselben stehenden Ausdrucks, dafs
die Bedeutung beidereeits wirklich dieselbe sei. Ob ich das Wort
Baum blofs symbolisch verstehe, oder ob ich es auf Oruud der
Anschauung eines Baumes gebrauche, beide Male meine ich
evidentermafsen mit dem Worte etwas und beide Male dasselbe.
Fürs Zweite ist es evident, dafs es im Procefs der Er-
füllung die Bedeutungsintentiüu des Ausdrucks ist, die sich „er-
füllt" und dabei mit der Anschauung zur „Deckung" kommt,
und (laTs somit die Erkenntnis als das Ergebnis des Deckungs-
processes diese Deckungseinbeit selbst ist Es liegt aber schon
im Begriff einer Deckungseinheit, daTs es sich hier nicht um
eine auseinandertretende Zweiheit handelt, sondern um eine in
sich ungesciiiedene Einheit, die sich erst durch Verschiebung in
der Zeit gliedert Also werden wir sagen müssen: der gleiche
Act der Bedeutungsintention, der das leere symbolische Vorstellen
ausmachte, wohut auch dem complexen Erkenntnisacte ein; aber
die Bedeutungsintention, die früher eine „freie" war, ist im
Stadium der Deckung „gebunden", zur „Indifferenz" gebracht
Sie ist dieser Complexion so eigenthümlich eingewoben oder ein-
geschmolzen, dafs ihr bedeutungsmäfsiges Wesen darunter zwar
nicht leidet, aber ihr Charakter in gewisser Weise doch eine
Moditication erfährt
Aehnliches gilt Ja allgemein, wo immer wir Inhalte einmal
fär sich und das andere Mal in Verknüpfung mit anderen, als
eingewobene Theile von Ganzen betrachten. Die Verknüpfung
würde nichts verknüpfen, wenn die verknüpften Inhalte durch sie
nichts erfahren würden. Es ergeben sich nothwendig gewisse
Aenderungen, und natürlich sind es diejenigen, welche als Ver-
knüpfungsbestimmtheilen die phänomenologischen Correlate der
relativen gegenständlichen BeschaÖenheiten ausmachen. Man
denke sich eine Linienstrecke für sich, etwa auf einem leeren
weifsen Hintergrunde, und dann dieselbe Strecke als Bestandstück
einer Figur. Im letzteren Falle stöfst sie mit anderen Linien zu-
sammen, sie wird von ihnen berührt, geschnitten u.s.w. Das
sind, wenn wir uns, von den mathematischen Idealen absehend,
an die Strecken der empirischen Anschauung lialten, phäuünieno-
loglsche Charaktere, die den Eindruck der Streckeaerschcinung
mitbestimmen. Dieselbe Strecke (nämlich nach ihrem inneren
Gebalt dieselbe) erscheint uns immer wieder anders, je nachdem
sie in den oder jenen phänomenalen Zusammenhang eintritt; und
fügen wir sie einer qualitativ mit ihr identischen Linie oder Fläche
ein, so geht sie sogar in diesen Hintergrund „unterschiedslos"
ein, sie verliert die phänomenale Sonderung und Eigengeltung.
§ 11. Die mnfasseiidere Klasse der ErfüUungserlebHisse.
Atuicfiauungen als erfüllungsbetlürßige Inlentionen.
Zur weiteren Charakteristik des Erfüllungsbewurstseins sei
darauf liingewiesen , dafs es sich dabei um einen Erlebiiiscliarukter
liandett, der auch sonst in unserem Seelenleben eine grofse Rolle
spielt. Wir brauchen blofs an die Gegensätze von Wunschintention
und Wunscherfüllung, Willensintention und Willenserfiillung zu
erinnern, oder an die Erfüllung von Hoffnungen oder Befürchtungen,
an die Lösung von Zweifeln, an die Bestätigung von Ver-
muthungen u. dgl., so wird es alsbald klar, dafs innerhalb ver-
schiedener Klassen von intentionalen Erlebnissen im Wesen der-
selbe Gegensatz zu Tage tritt, der uns hier speciell als der
Gegensatz zwischen Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung
entgegentrat. Wir haben diesen Punkt schon früher^ berührt
und unter dem prägnanteren Titel Intentionen eine Klasse von
intentionalen Erlebnissen abgegrenzt, welche durch die Eigen-
tliüralichkeit charakterisirt sind, Erfüllungsverhältnisse fundiren
zu können. In diese Klasse ordnen sich alle zur engeren oder
weiteren Sphäre dos Logischen gehörigen Acte ein, darunter auch
die Acte, die in der Erkenntnis zur Erfüllung anderer Intentionen
berufen sind, die Anschauungen.
Wenn z. B. der Anfang einer bekannten Melodie ertönt, so
erregt er bestimmte Intentionen, die in der schrittweisen Ausge-
staltung der Melodie ihre Erfüllung finden. Aehnlielies findet
auch dann statt, wenn uns die Melodie fremd ist. Die im Me-
lodischen obwaltenden Gesetzmäfsigkeiten bedingen Intentionen,
die zwar der vollen gegenständlichen Bestimmtheit ermangeln,
aber doch auch Erfüllungen finden oder finden können. Natüi-lich
sind diese Intentionen selbst als concrete Erlebnisse vollbestimmt;
die „Unbestimmtheit" hinsichtlich dessen, was sie intendiren, ist
offenbar eine descriptive Eigenthümlichkeit, die zum Charakter der
Intention gehört, so dafs wir, ganz so wie wir es in analogen
' Vgl. § 13 der vorigen Untersuchung, S. 358.
Fällen früher getlian liaben, paradox und doch richtig sagen
könneo, die ^UnbestinimÜieit*' {d.i. die Eigenheit, eine nicht voll-
bestimmte Ergänzung, soudem nur eine solche aus einer gesetz-
lich umschriebenen Sphäre zu fordern) sei eine Bestimmtheit dieser
Intention. Und iiir entspricht dann nicht nur eine gewisse Weite
möglicher Erfüllung, sondern für jede actuelle Erfüllung aus dieser
Weite ein Gemeinsames im Erfülhingscharakter. Es ist phäno-
menologisch etwas Anderes, ob sich Acte mit bestimmter oder
unbestimmter Intention erfüllen, und in letzterer Hinsicht wieder,
ob sich Intentionen erfüllen, deren Unbestimmtheit auf diese oder
jene Richtung möglicher Erfüllung liinweist.
In dem vorliegenden Beispiel haben wir es zugleich mit
einem Verhältnis von Erwartung und Erfüllung der Er-
wartung zu thun. Es wäre aber offenbar unrichtig, nun auch
umgekehrt jedes Verhältnis einer Intention zu ihrer Erfüllung als
Erwartungsvorhältnis zu deuten. Intention ist nicht Er-
wartung, es ist ihr nicht wesentlich , auf ein künftiges Eintreten
gerichtet zu sein. Wenn ich ein unvollständiges Muster sehe,
z. ü. das dieses Teppichs, der durch Möbelstücke theilweise ver-
deckt ist, so ist gleichsam das gesehene Stück mit Intentionen
behaftet, die auf Ergänzungen hinweisen (wir fühlen sozusagen,
dafs die Linien und Farbengestalten im „Sinne" des Gesehenen fort-
gehen); aber wir erwarten nichts. Wir würden erwarten können,
wenn Bewegung uns weiteres Sehen verhiefse. Aber mögliche
Erwartungen oder Anlässe möglicher Erwartungen sind ja nicht
selbst Erwartungen.
Eine Unendlichkeit von hiehergehörigen Beispielen liefern über-
haupt die äufseren Wahrnehmungen. Die jeweils in die Wahr-
nehmung fallenden Bestimmtheiten weisen auf die ergänzenden, in
neuen möglichen Wahrnehmungen selbst in die Erscheinung tre-
tenden Bestimmtheiten hin, und dies, je nach dem Mafse unserer
flErfahrungskenntnis" des Gegenstandes, bald in bestimmter, bald
in graduell unbestimmter Weise. Genauere Analyse zeigt, dafs
sich jede Wahmehnumg und jeder Wahrnehnuingszusammenhang
aus Componenten aufbaut, die unter diesen beiden Gesichtspunkten
Bedeulung^intenlioH und Bedeutungserfülhiug.
513
Intention und {wirtliche oder mögliche) Erfüllung zu verstehen
sind; eine Sachlage, die sich auf parallele Acte der Phantasie,
der Bildlichkeit überhaupt, ohne Weiteres überträgt. Normaler
"Weise haben hier überall die Intentionen nicht den Charakter von
Erwartungen, sie haben ihn nicht in jedem Falle ruhender Wahr-
nehmung oder Bildlichkeit, sie gewinnen ihn erst, wo die Wahr-
nehmung in Fhifs kommt und sich in eine continuirlicho Serie
von Wahrnehmungen aus der zu dem Einen und selben Gegen-
stand gehörigen Wahrnehmungs-Mannigfaltigkeit ausbreitet Ob-
jectiv gesprochen : der Gegenstand zeigt «ich von verschiedenen
Seiten; was von der einen Seite gesehen nur bildliche Andeutung
war, kommt von der anderen zu bestätigender und voll zu-
reicliender Wahrnehmung; oder was auf jener nur indirect durch
Angrenzung mitgemeint, nur vorgedoutet war, kommt auf dieser
mindestens zu bildlicher Andeutung, es erscheint perepectivisch ver-
kürzt und abgeschattet, um erst von einer neuen Seite „ganz so
wie es ist" zu erscheinen. Nach unserer Auffassung ist jede
Wahrnehmung und Imagination ein Gewebe von Partialintentionen,
verschmolzen zur Einheit einer Gesammüntention. Das Correlat
dieser Letztei'en ist das Ding, während die Correlate jener Partial-
intentionen dingliche Theile und Momente sind. Nur so ist
es zu verstehen, wie das Bewufstseiu über das wahrhaft Erlebte
hinausreichen kann. Es kann sozusagen hinausmeinen, und die
Meinung kann sich erfüllen.
§ 12. Enttäuschung und Widerstreit. Sifntke»is
der Unterscheidung.
In der weiteren Sphäre der Acte, welche überhaupt Unter-
schiede der Intention und Erfüllung zulassen, reiht sich der Er-
füllung, als ihr ausschliefeender Gegensatz, die Enttäuschung
an. Der zumeist negative Ausdruck, der hierbei zu dienen pflegt,
wie z. B. auch der Ausdruck Nichterfüllung, meint keine blofso
Frivation der Erfüllung, sondern ein neues descriptives Factum,
eine so eigenartige Form der Synthesis, wie die Erfüllung. Dies
gilt überall, also auch in der engeren Sphäre der Bedeutungs-
Uusserl, Log. Unten. U. 33
514 VI. Elemente einer phänamenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
intentionen in ihrem Verhältnis zu intuitiven Intentionen. Die Syn-
thesis der Erkenntnis war Bewufstsein einer gewissen „Ueberein-
stimmung". Der Uebereinstimmung entspricht aber als correlate Mög-
lichkeit die „Nicht- Uebereinstimmung", der „Widerstreit". Die
Anschauung „stimmt" zur Bedeutungsintention nicht, sie „streitet"
mit ihr. Widerstreit „trennt", aber das Erlebnis des Widerstreites
setzt in Beziehung und Einheit, es ist eine Form der Syntbesis.
War die frühere Synthesis von der Art der Identificirung, so ist
die jetzige von der Art der Unterscheidung (über einen anderen
positiven Namen verfügen wir hier leider nicht). — Diese „Unter-
scheidung" darf nicht verwechselt werden mit deijenigen, welcher
die Vergleichung gegenübersteht. Die Gegensätze zwischen „Identi-
ficirung und Unterscheidung" und „Vergleichung und Unterschei-
dung" sind nicht einerlei. Dafs übrigens eine nahe phänomeno-
logische Verwandtschaft die Verwendung der gleichen Ausdrücke
erklärt, ist offensichtlich. — In der hier fraglichen „Unterscheidung"
erscheint der Gegenstand des enttäuschenden Actes als „nicht-
derselbe", als „anders" wie der Gegenstand des intendirenden
Actes. Diese Ausdrücke weisen jedoch auf allgemeinere Sphären
von Fällen hin, als welche wir bislang bevorzugt haben. Nicht
blofs die significativen, sondern auch die anschaulichen Intentionen
erfüllen sich in der Weise der Identification und enttäuschen sich
in der Weise des Widerstreits. Die Frage nach der natürlichen
Umgrenzung der Gesammtklasse von Acten, zu welcher das der-
selbe und das anders (wir können gleich auch sagen: das ist
und ist nicht) gehört, werden wir bald ^ einer genaueren Erwägung
unterziehen.
Völlig gleichgeordnet sind die beiden Synthesen allerdings
nicht. Jeder Widerstreit setzt etwas voraus, was der Intention
überhaupt die Richtung auf den Gegenstand des widerstreitenden
Actes giebt, und diese Richtung kann ihr letztlich nur eine Er-
füllungssynthesis geben. Der Streit setzt gleichsam einen gewissen
Boden der Uebereinstimmung voraus. Meine ich A sei roth,
• Vgl. § 14, 8. 521 ff.
während es sich „in Wahrheit" als (jrün herausstellt, so streitet
in diesem sich Herausstellen, d. h. in der Anmessung an die
Anschauung, die Rothintention mit der Orünanschauung. Es ist
aber unverkennbar, dafs dergleichen nur möglich ist auf dem
Grunde der Identification des A in den Acten der Signification
und Intuition. Nur so kann die Intention an diese Anschauung
überhaupt heran. Die Gesammtintention geht auf ein rothseiendes
A, und die Anschauung zeigt ein grünseiendes A. Indem sich
Bedeutung und Anschauung hinsichtlich der Richtung auf das-
selbe A decken, treten allererst die beiderseits einheitlich mitge-
gebenen intentionalen Momente in Widerstreit, das vormeinte Roth
(das vermeint ist als Roth dos A) stimmt nicht zu dem erschauten
Grün. Durch die Identitätsbeziehung entsprechen sich erst die
nicht zur Deckung gekommenen Momente; statt sich durch Er-
füllung zu „verknüpfen", „trennen" sie sich vielmehr durch Wider-
sti-eit, die Intention wird auf das ihm nun zugeordnete der An-
schauung hingewiesen, wird von diesem jedoch abgewiesen.
Was wir hier in specieller Beziehung auf die Bedeutungs-
intentionen und die ihnen widerfahrenden Enttäuschungen ausge-
führt haben, gilt offenbar für die ganze, vorhin angedeutete Klasse
von objectivirenden Intentionen. Allgemein werden wir danach
sagen dürfen: Eine Intention enttäuscht sich in der Weise
des Widerstreites nur dadurch, dafs sie ein Theil einer
umfassenderen Intention ist, deren ergänzender Theil
sich erfüllt. Bei einfachen, bezw. vereinzelten Acten ist also
von Widerstreit keine mögliche Rede.
§ 13. Totale und partiale Ideniificirung und Unterscheidung,
als die gemeitisatnoi phänunwnologischen I'hmdamenle der prädicativen
und detenninativen Ausdrucksform.
Das bisher betrachtete Verhältnis zwischen Intention (speciell
Bedeutungsintention) und Erfüllung war das der totalen Ueber-
oinstimmung. Darin liegt eine Beschränkung, die sich von
selbst daraus ergab, dafs wir, um möglichste Einfachheit 'zu er-
zielen, von aller Form, und zumal von der im Wörtchen ist sich
33*
ankündigenden, abstrahirten, und in der Beziehung des An^?dra<^ks
auf die äufsere oder innere Anschauung jeno AusdrucksUieilo allein
berücksichtigten, die sich dem Angeschauten als wie ein Kleid an-
pafsten. Durch die Heranziehung der zum Falle totaler üebor-
einstimmung entgegengesetzten Möglichkeit des Widerstreites —
den wir demnach (obschon nicht ganz unmifsverstiindlich) als
totalen Widerstreit bezeichnen küniiteu — werden wir zugleich
auf neue Möglichkeiten aufmerksam, nämlich auf die wichtigen
Fälle partialer Uebereinstimmung und Nichtübereinstim-
mung zwischen der Intention luul dem sie erfüllenden, bezw. ent-
täuschenden Acte.
Ihre nähere Betrachtung halten wir von vornherein so allge-
mein, dafs die Giltigkeit aller wesentlichen Feststellungen filr die
Intentionen des oben angezeigten weiteren Ki-eises, also nicht blofe
für Bedeutungsintentionen von selbst, einleuchtet
Aller Widerstreit führte darauf zurück, dafs die vorgegebene
sich enttäuschende Intention ein Theil einer unifussenderen Inten-
tion war, welche sich partiell, d. i. nach den ergänzenden Theilen,
erfüllte und zugleich nach jenem ersteren Theil entfremdete. Bei
jedem Widerstreit liegt also in gewisser Weise auch partielle
Uebereinstimmung und partieller Widerstreit vor. Auf diese Mög-
lichkeiten hätte uns übrigens auch der Uinblick auf die gegen-
ständlichen Beziehungen führen müssen; denn wo von Deckung
die Rede ist, da bieten sich von selbst als correlate Möglichkeiten
die der Exchision, Inclusion und Kreuzung dar.
Bleiben wir zunächst bei dem Fall des Widerstreites stehen,
80 giebt er zu folgender ergänzenden Uoberleguag Anlals.
Wenn ein 3- sich in einem .'> dadurch enttäuscht, dafs d^ mit
anderen Intentionen ^, i . . verwoben ist, welche sich erfüllen,
so brauchen diese letzteren mit i^ nicht so geeinigt zu sein, dafis
das Ganze 0 (^; tj, i . .) die Auszeichnung eines für sich heraus-
gestellten Oosammtactes habe, eines Actes, „in dem wir leben",
auf dessen einheitlichen Gegenstand wir „achten". Im Gewebe
der intentionalen Erlebnisse unseres Bewufstseins giebt es viele
n
Möglichkeiten der pointirenden Aussonderung von Acten und Act-
complexionen, aber sie bleiben im Allgemeinon imrealisirt. Und
nur solch pointirte Einlieiten konimeu in Betraclit, wo wir von
einzelnen Acten und ihren Synthesen sprechen. Der Fall der
totalen und reinen Enttäuschung besteht nun darin, dafs das
blofse ^, nicht aber 0, für sich hervortritt oder mindestens primlir
hervortritt, und dafs ein pointirtes Widerstxeilbewufstsein ausschliefs-
lich zwischen ^ und tf die Einheit herstellt; mit anderen Worten,
das Interesse ist speciell auf die Beziehung der den 9^ und 0-
entsprechenden Objecto gerichtet. So wenn eine Grün -Intention
in einem angeschauten Roth sich enttäuscht, und dabei nur auf
das Grün und Ruth geachtet ist Kommt die widerstreitende An-
schauung des Roth irgendwie zum Ausdruck, nämlich durch eine
VVortintention, die sich in ihr erfüllt, und kommt ebenso die Ent-
täuschung als solche zum Ausdruck, so hätten wir etwa: dies [dies
'Roth] ist nicht (jrün. [Selbstverständlich bedeutet dieser Satz aber
nicht dasselbe, wie der uns eben im Gedanken liegende Satz:
„Die Wortintenlion Grün enttäuscht sich in der Anschauung des
Roth." Denn der neue Ausdruck macht ja das uns hier intor-
cssirende Verhältnis der Acte gegenständlich und schmiegt sich
diesem mit seinen neuen Bedeutungsintentionen in totaler Er-
füllung an,]
Es kann andererseits aber auch sein, dafs ein 0 {&; ij, t . .)
als Ganzes in die Synthesis eintritt und zwar so, dafs es hiebei
entweder mit einem correlaten Ganzen 0 (i^; ij, < . .) oder mit
dem blofsen, vereinzelten Theil ^ aus demselben in specielle Be-
ziehung tritt. Im erstgenannten Falle besteht den verwobenen
Elementen nach zum Theil Deckung (hinsichtlich der tj, i . .) und
zum Theil totaler Streit {fl- — S). Die ganze Synthesis hat hier
den Charakter eines totalen Widerstreites, aber nicht den eines
reinen, sondern vermischten Widerstreites. Im anderen Falle
hebt sieh das blofse i> als correlater Act heraus, eventuell auch
dadurch, dafs im gemischten Widerstreite sich die Einheit des
© (9\ fj, i . .) auflöst; die specielle Synthesis des Widerstreites
verknüpft nun als Glieder: 0 (i)-^ //, i . .} und ^; bei passendem
Ausdmck etwa: dies [das ganze Object, das rothe Ziegeldach]
ist nicht grün. Dieses wichtige Verhältnis können wir das der
Ausscheidung nennen. Offen bai" bleibt der hauptsächliche Cha-
rakter desselben bestehen, wenn ^ uns d^ selbst schon complex
wären; so dafs wir zwischen reiner und vermischter Aus-
scheidung differenzüren könnten. Im Rohen mag die Letztere
durch das Betspiel dies [das rothe Ziegeldach] ist kein grünes
Ziegeldadi jllustrirt werden.
Betrachten wir nun noch den Fall der Inclusion. Eine
Intention kann sich in einem Acte ert'iilleu, der mehr eiitliält,
als zu ihrer Eri'üllung von Nöthen ist, sofern er einen Gegen-
stand voi'stellt, der ihren Gegenstand raitenthält, sei es als Theil
im gemeinen Sinne, sei es als ihm zugehöriges, explicite oder
implicite mitgemeintes Moment. Selbstverständlich sehen wir
wieder von den Acten ab, in welchen sich eine umfassendere
Gegenständlichkeit in der Weise des gegenständlichen Hintergrun-
des constituirt, Acten, die sich nicht einheitlich abgrenzen und
nicht als Träger der Aufmerksamkeit bevorzugt sind. Anderen-
falls kämen wir wieder auf die Synthesis der totalen Deckung
zurück. Es sei also z. B. die Voi-stellung eines rothen Ziegel-
daches gegeben, und in ihr erfülle sich die Bedeutnngsintention
des Wortes Roth. Die Wortbedeutung erfüllt sich hierbei in
deckender Weise mit dem angeschauten Roth; aber in eine syn-
thetische Einlieit eigentbümlicher Art tritt darum doch die Ge-
sammtanschauung des rothen Ziegeldaches, in ihrer durch die
Function der Aufmerksamkeit sich scharf vom Hintergrunde ab-
hebenden Einheit, mit der Bedeutungsintention Roth: [dies]
ist roth. Wir sprechen hier von dem Verhältnis der „Einord-
nung", die ihren Gegensatz in der obigen Ausscheidung besitzt
Die Einordnuug kann oßenbar nur eine reine sein.
Der Act der einordnenden Synthesis, und zwar als der den
intendirenden und erfüllenden Act in Eins setzende Oesammtact,
hat sein gegenständliches Gorrelat in dem Verhältnis partieller
Identität der entsprechenden Gegenstände. Darauf weist
auch die Rede von der Einordnung hin, welche das Erfassen des
Verhältnisses unter dem Bilde der Thiitigkeit ausdrückt: der Theil
wird dem Ganzen eingeorduct. Oifenbar ist dasselbe objective
Verhältnis jo nach dem Standpunkt der Auffassung (dies weist
natürlich auf unberücksichtigte und sich in der Ausdrucksform
mitbekundendo phänomenologische ünterechiedo hin) auch durch
die Ausdrücke bezeichnet: ©^ hat tf^, bezw. &g kommt dem &g lu.
Der Index g mag darin aufmerksam machen, daTs es die inten-
tionalen Gegenstände der angezeigten Acte sind, welche in diese
Verhältnisse eintreten; wir betonen die intentionalen Gegen-
stüudo, nämlieli die Gegenstände, so wie sie in diesen Acten ge-
meint sind.
Die üebertragung des eben Ausgeführten auf den Fall der
Ausscheidung und auf die Ausdrücke hat tiicht, kommt nicht xu,
ergiebt sich von selbst.
Zum blolsen int gehört überall die objective Identität über-
haupt, zum ist nielit die Nichtidentität (der Widerstreit). Dafe es
sich specieller um ein Verhältnis der Einordnung oder Ausschei-
dung handelt, bedarf anderer Ausdrucksmittel, wie z. B. der ad-
jectiviscben Form, die das Gehabte, das Zukommende als
solches kennzeichnet, ebenso wie die substantivische Form
das Corrolativum, das Habende als solches, d. i. in der
Function das „Subject" einer Identificirung zu bilden, ausprägt.
In der attributiven, oder allgemeiner, determinativen Äusdrucks-
form (auch volle Identität kann determinireu) steckt das Sein in
der adjectivischen Flexion, wofern es nicht im Relativsatz explicite
und gesondert ausgedrückt oder im Gegentheil nicht ganz unter-
drückt ist (dieser Philosoph Sokrates). Ob der allzeit mittelbare
Ausdruck der Nicht-Identität, süwol in Prädication und Attri-
bution, als auch in don substantivischen Formen (Nicht -Identität,
Nicht-Uebereinstimniung) eine nothwendige Beziehung der actuellen
„Negation" aut' eine, wenn auch nicht actuelle, so doch modifi-
cirte Affirmation ausdrückt, führt auf Discussionen, in welche wir
hier noch nicht eintreten wollen.
In der normalen Aussage ist also Identität oder Nichtidentität
ausgesagt und im Falle der Beziehung auf „entsprechende An-
520 VI. Elemenle einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
schauung" ausgedrückt, d, h. die Intention auf Identität oder Nicht-
identitiit orfüUt sich in der actuell vollzogenen Identificirung oder
Scheidung. Das Ziegeldach, heifst es im obigen Beispiel, falls die
blofse Intention vorhergieng, ist wirklich roth. Die Prädicat-
intention pafst zu dem (z.B. in der Weise ,,di€ses Ziegeldach*
vorgestellten und angesi^hauten) Subject. Im entgegengesetzten
Falle hiefse es: „in Wirklichkeit" ist es nicht roth; das Prädicat
kommt dem Subject nicht zu.
Wenn aber die Bedeutung dos »^/ nun auf Grund einer
actuellen Identificirung (die selbst oft den Charakter einer Erfüllung
hat) seine Erfüllung findet, so ist zugleich klar, dafs wir damit
iiber die Sphäre hinausgeführt werden, welche wir, ohne uns über
ihre Grenze recht klar zu werden, bisher immer im Augo hatten,
nämlich über die Sphäre der Ausdrücke, die sich wirklich durch
correspoudirende Anschauung zu erfüllen vermögen. Oder viel-
mehr, wir werden darauf aufmerksam, dafs die Anschauung im
gewöhnlichen, von uns als selbstverständlich zu Grunde gelegten
Sinne der äulsereu oder inneren „SNJnnlichkeit" nicht die einzige
Functiou ist, die auf den Titel Anschauung, auf die Befähigung
zu echter Erfüllungsleistung Anspruch erheben darf. Wir sparen
uns die nähere Erforschung des hier zu Tage tretenden Unter-
schiedes für den zweiten Abschnitt dieser Untei-suchung auf.
Schliefslicb sei noch ausdrücklii'li bemerkt, dafs mit dem
oben Ausgeführten keine vullstiindige Urtheilsanalyse, sondern nur
ein Bruchstück einer solchen vollzogen ist. Auf die Qualität des
synthetischen Actes, auf die Untei-schiede zwischen Attribution
und Prädication u. dergl. ist ja garkeine Rücksicht genommen
worden.
^
I
Zweites Kapitel.
Indirecte Charakteristik der objectivirenden Intentionen
und ihrer wesentlichen Abarten durch die Unterschiede der
Erfüllungssynthesen.
§ 14. Die Syntltesis des Bkkennens als die für die objectivirenden
Ade charakteristische Form der Erfüllung. Subsumption der Bedeutungs-
ade unter die Klasse der objectivirenden Acte.
Die Beiloutungsintentionen liabon wir obon* dem weiteren
Kreise der „Intentionen" in dem prägnanten Wortsinu eingeordnet.
Allen Intentionen entsprechen der Möglichkeit nach Erfüllungen
<bozw. iiiro negativen Gegenstücko: Enttäuschungen), eigenartige
Uebergang-serlebnisso, welche selbst uls Acte charaktorisirt sind,
und welche den jeweils intendirenden Act in einem correlaten Act
gleichsam sein Ziel erreichen lassen. Der Letztere, sofern er die
Intention erfüllt, heifst der erfiiilende Act, aber er heifst so nur
vermöge des synthetischen Actes der Erfüllung, in dem Sinne des
sieh Erfüllons. Dieses üebergangserlebnis liat nicht über-
all denselben Charakter. Beiden significativen und nichtnünder
offenbar bei den intuitiven Intentionen hat es den Charakter dei'
Erkenntniseinheit, die in Ansehung der Gegenstände Einheit der
Idontificirung ist. Dies gilt aber nicht im weiteren Kreise der Inten-
tionen überhaupt. Zwar von einer Deckung können wir überall
sprechen, und überall werden wir sogar eine Idontificirung vorfin-
den. Aber diese entspringt oft nur vermöge eingewobener Acte
aus derjenigen Gruppe, welche eine Identiticirungseinheit zulassen
und in diesen Zusammenhängen eine solche auch fundiren.
Ein Beispiel wird die Sachlage sogleich verdeutlichen. Das
sich Erfüllen eines Wunsches vollzieht sieh in einem Acte, der
eine Idontificirung und zwar als nothwondiges Bestiindstück ein-
schliefst. Denn es besteht die Oesetzmäfsigkeit, dafs die Wunsch-
qualität in einer Vorstellung, d. h. in einem objectivirenden Acte,
' Vgl. §11, S. 511.
522 VI. Elemente einer pitänomenolog. Aufklärung der Erlcenntnis.
und des Näheren in einer „blofsen" Vorstellung fundirt ist;
und dazu besteht die ergänzende Gesetzmäßigkeit, dals auch
die Wunscherfüilung fundirt ist, nämlich in einem Acte, der die
fundirende Vorstellung identificireud einspannt: die Wunschinten-
tion kann nur dadurch ihre erfüllende Befriedigung finden, daJs
die ihr zu Grunde liegende blofse Vorstellung des Gewünschten
sich in die conforme Fürwahmehmung verwandelt Was vorliegt,
ist aber nicht die blofse Wandlung, also die blofee Thatsache, dafe
die Einbildung durch die Fürwahrnehmung abgelöst wird, sondern
beide sind Eins im Charakter der identificirenden Deckung. In
diesem synthetischen Charakter constituirt sich das es ist wirklich
und wahrhaft so [sc. wie wir es vordem blofs vorgestellt und
gewünscht hatten]; was freilich nicht ausschliefst, dafs dieses
Wirklichsein nur ein vermeintliches, zumal es in den meisten
Fällen ein inadäquat Vorstelliges ist. Ist der Wunsch in einer
rein signitivcn Vorstellung fundirt, so kann die Identificiruug
natürlich auch den Charakter jener specielleren, die Signification
durch eine conforme Intuition erfüllenden Deckung besitzen, die
wir oben beschrieben haben. — Aehnliches wäre offenbar für jederlei
Intentionen auszuführen, die in Vorstellungen (als objectivirenden
Acten) ihre Grundlage haben; und zugleich ist das, was von der
Erfüllung gilt, mutatis mutandis auf den Fall der Enttäuschung
zu übertragen.
Dies vorausgeschickt, ist es nun klar, dafs, wenn die Wunsch-
erfüllung, um bei diesem Beispiel zubleiben, auch in einer Iden-
tificirung und eventuell in einem Act des intuitiven Erkennens
fundirt ist, dieser Act die Wunscherfüllung nicht erschöpft, son-
dern eben nur fundirt Das sich Befriedigen der specifischon
Wunschqualität ist ein eigener und andersartiger Actcharakter.
Es ist nur Gleichnis, wenn wir auch aufserhalb der Sphäre der
Gemüthsintentionen von Befriedigung, ja auch schon von Er-
füllung zu sprechen lieben.
Also mit dem besonderen Charakter der Intention hängt der
besondere der erfüllenden Deckung zusammen. Nicht nur, dafs
jeder Abschattuug der Intention eine ebensolche der
Indireete Charakteristik der objectimre^uien Intentionen u. s. w, 523
correlaten Erfüllung und zugleich des sich Erfüllens iin Sinne
des synthetischen Actes entspricht; sondern os entsprechen auch
den wesentlich unterschiedenen Klassen von Intentionen
durchgreifende Klassenunterschiede der Erfüllung in
dem erwähnten doppelten Sinne. Offenbar gehören in diesen
parallelen Reihen die zugehörigen Glieder irauier in
Eine Actklasso. Die Erfüllungssyntheseu bei den Wunsch- und
Willensintentionen sind sicherlich nalio verwandt und z. B. von
den in den Bedeutungsintentionen auftretenden scharf unterschieden.
Sicherlich sind jinderereeits die ErfüMuugeii von Bodeutuugsinten-
tionen und von intuitiven Acten von demselben Chaiakter, und
80 überhaupt für all die Acte, welche wir unter dem Titel der
objectivirondeu befassen. Für diese uns hier allein inter-
essirende Klasse können wir sagen, dafs ihre ErfüUungs-
einhoit den Charakter der Idcntificirungseiuheit, und
eventuell den engeren der Erkenntniseinhoit hat, somit den
eines Actes, welchem gegenständliche Identität als iutentionales
Correlat entspricht.
Wir müssen hier Folgendos beachten: Es wurde oben nach-
gewiesen, dafs jede Erfülhing einer signitivon Intention durch
eine intuitive, den Charakter einer Synthesis der Identificinmg hat.
Aber nicht vollzieht sicli umgekehrt in jeder Synthesis der Identi-
ficirung die Erfüllung gerade einer Bedeutungsintention, und die
Erfüllung gerade durch eine correspondireude Anschauimg. Und
noch mehr: wir werden kaum geneigt sein, bei jeder Identiticirung
auch schon von der Erfüllung einer Intention zu sprechen und
demgemäfs von einer Erkennung. Im weitesten Sinn freilich heifst
in der gewöhnlichen Rode jedes aetueilo Idootificiren ein Erkennen.
Im engeren aber handelt es sich, wir iulilcn dies klar, um eine
Annäherung an ein Erkenutnisziel , im engsten Sinn der Erkennt-
niskritik sogar um die Erreichung dieses Erkenntnisziels selbst.
Das blo&e Gefülil in deutliche Einsicht zu verwandeln und den
Sinn dieser Annäherung, bezw. Erreichung, genau zu umgrenzen,
wird noch unsere Aufgabe sein. Vorläufig halten wir nur fest,
dols die Einheit der Identificirung und damit zugleich alle
Erkenntniseinheit im engeren iind engsteu Sinne, ihre ür-
sprungstätte in der Sphäre der objectivirondeu Acte hat.
Die Eigenartigkeit der Erfülhmg kann dazu dienen, die ein-
heitliche Klasse von Acten, in die sie wesentlich gehört, zu
charakterisiren. Demnach könnten wir die objectivirenderi Acte
geradezu als diejenigen ilet'iniren, deren Erfüllungssynthesis den
Charakter der Identification, deren Enttäuschungssyntheeis also
den der Unterscheidung hat; oder auch als diejenigen Acte, welche
phänomenologisch als Glieder einer möglichen Synthesis der Iden-
tification oder Unterscheidung fuugiren können; oder endlich, unter
Vorwegnähme einer noch zu formulirondou Gesetzmäfsigkeit, als
diejenigen Acte, welche, sei es als intendirende oder erfüllende
bezw. enttäuschende Acte, in einer möglichen Erkenntnisfunction
stehen können. Zu dieser Klasse gehören dann die syn-
thetischen Acte der Identification und Unterscheidung
selbst; sie sind ja selbst entweder ein blofses Vermeinen, Iden-
tität oder Nichtidontität zu erfassen, oder das entsprechende wirk-
liche Erfassen des Einen oder Anderen. Jones Vermeinen kann
sich in einer Erkenntnis (im prägnanten Sinn) „bestätigen" oder
„widerlegen"; und im ersten Fall ist Identität, bezw. Nichtiden-
tität, wirklich erfafst, d. i. „adäquat wahrgenommen".
Die soeben mehr angedeuteten als durcligeführteu Analysen
leiten also zu dem Ergebnis, dafs die Acte der Bcdoutungs-
intention so gut wie die der Bedeutungsorfüllung, die
Acte des „Denkens" so gut wie die des Anschauens, zu einer
einzigen Klasse von Acten gehören, zu den objectivi-
rendon. Damit ist festgestellt, dafs andersartige Acte nie-
mals in der Weise sinngebender fungiren und nur dadurch
„zum Ausdruck kommen" können, dafs die den Worten anhaftenden
significntiven Intentionen ihre Erfüllung finden mittelst Wahrneh-
mungen oder Einbildungen, welche auf die auszudrückenden Acte
als Gegenstände gerichtet sind. Während also in den Fällen,
wo Acte in Bedeutungsfunction stellen und in diesem Sinn Aus-
druck finden, eich in eben diesen Acten die .-'ignitive oder intui-
tive Beziehung auf irgendwelche Gegenstände constituirt, sind in
i
den anderen Fällen die Acte blofse Gegenstände, und dies
natürlich liinsiclitlicli auderor, hierbei als eigentliche Bedeutungs-
träger fungirenden Acte.
Doch ehe wir auf die genauere Erörterung dieser Sachlage,
zumal auf dif Widerlegung der an sich recht scheinbaren Gegen-
argumente eingehen', müssen wir den merkwürdigen Thatsiichen
der Erfüllung, und zwar in der Sphäre der objeetiviieudeu Acte
etwas sorgsamer nachforschen.
§ 15. Phänometwlogische Cliarakleristik der Unter Scheidung
zwischen signiliven und intuitiven Intentionen durch die Eigenheiten
der Erfüllung,
a) Zeichen, Büd und Selhstdar Stellung.
Innerhalb der letzten Betraclitungen drängte sich uns die Be-
merkung auf, dafs mit dem Gattungscharakter der Intentionen der-
jenige der Erfülhragssynthesis innig zusammenhängt, und dies so
sehr, dafs sich die Klasse der übjectivirenden Acte geradezu durch
den als bekannt vorausgesetzten üattungscbarakter der ErfüUungs-
synthesis, als einer identificirenden , definiren läfst. In Fortführung
dieses Gedankens regt sich die Frage, ob nicht auch die wesent-
lichen Artunterscheidungon innerhalb dieser Kla.sso der Objecti-
vationen durch die zugehörigen Unterschiede der Erfüilungsweisen
bestimmbar sind. Durch eine fundamentale Eintheilung zerfallen
die objectivironden Intentionen in die significativen und in-
tuitiven. Versuchen wir uns über den Unterschied der beiden
Actarten Rechenschaft zu geben.
Die signitiven Intentionen fafsten wir, vermöge unseres
Ausgangs von den ausdrücklichen Acten, als Significationen, als
Bedeutungen von Ausdrücken. Steüen wir die Frage vorläufig
zurück, ob dieselben Acte, die als sinngebende fungiren, auch
aufserhalb der Bedeutuug-sfunction auftreten können, so haben
diese signitiven Intentionen jeweils einen intuitiven Anhalt, näm-
lich am Sinnlichen des Ausdrucks, aber sie haben darum nicht
' Vgl. deu Sohlaraabscbnitt dieser Untenachung.
einen intuitiven Inhalt: sie sind mit intuitiven Acten nur in ge-
wisser Weise Eins, sind aber von ihnen der Art nach verschieden.
Der leicht farslicho Unterschied der ausdrüclclichen gegenüber
den rein intuitiven Intentionen tritt hervor, wenn wir Zeichen
und Bilder miteinander vergleichen.
Das Zeichen hat mit dem Bezeichneten inhaltlich zumeist
nichts gemein, es kann ihm Heterogenes ebensowol bezeichnen,
als ihm Homogenes. Das Bild hingegen bezieht sich auf die Sache
durch Aehnlichkeit, und fehlt sie, seist auch von einem Bilde
nicht mehr die Hede. Das Zeichen als Object constituirt sich uns
im Acte des Erscheinens. Dieser Act ist noch kein bezeichnender,
es bedarf im Sinne unserer früheren Analysen der Anknüpfung
einer neuen Intention, einer neuen Auffassungsweise, durch welche
statt des intuitiv Erscheinenden, ein Neues, das bezeichnete Object
gemeint ist. Ebenso ist auch das Bild, etwa die Büste aus Marmor,
ein Ding wie irgendein anderes; ei-st die neue Auffassungsweise
macht es zum Bilde, es erscheint nun nicht blofs das Ding aus
Marmor, sondern es ist zugleich und auf Grund dieser Erscheinung
eine Person bildlich geraeint.
Die beiderseits anhängenden Intentionen sind an den Er-
scheinungsgehalt nicht äulserlich angeheftet, sondern wesentlich iu
ihm fundirt, derart also, dals der Charakter der Intention durch I
ihn bestimmt ist. Es wäre eine descriptiv unrichtige Auffassung
der Sachlage, wenn man denken würde, der ganze unterschied
bestehe darin, dafs dieselbe Intention, dio einmal an die Erschei-
nung eines dem gemeinten Object ähnlichen Objectes geknüpft
ist, ein andermal an die ' Erscheinung eines ihm unähnlichen
Objectes geknüpft sei. Denn auch das Zeichen kann dem Be-
zeichneten ähnlich sein, ja vollkommen älnilicli. Die Zeichenvor-
stellung wird dadurch aber nicht zur ßildvorstellung. Die Photo-
graphie dos Zeichens A fassen wir ohne Weiteres als Bild dieses
Zeichens auf Gebrauchen wii- aber das Zeichen A als Zeichen
für das Zeichen A, wie wenn wir schreiben: A ist ein römisches
Schriftxeichen, so fassen wir A trotz bildniäfsiger Aehnlichkeit
nicht als Bild, sondern eben als Zeichen.
I
I
I
I
Also die objective Thatsache der Aclmliclikeit zwischen Er-
scheinendem und Gemeintem bestimmt keinen Unterscliied. Gleich-
wol ist sie für den Füll der Bildvorstollung nicht belanglos. Dies
zeigt sich in der möglichen Elrluilung; und es ist ja nur die
Erinnerung an diese Möglichkeit, welclie uns die „objective"
Aehniichkeit hier heranziehen liefs. Die Bildvorstollung hat
offenbar die Eigenthümlichkeit, dals, wo immer ihr Erfüllung zu
theil wird, ihr als „Bild" erscheinender Gegenstand sich mit dem
im erfüllenden Acte gegebenen Gegenstand durch Aehniichkeit
identificirt Indem wir dies als Eigenthümlichkeit der Bildvor-
stellimg bezeichnet haben, ist schon gesagt, dals hier die Er-
füllung des Aehnlichen durch Aehnliches den Charakter
der Erfüllungssynthesis als einer imaginativen inner-
lich bestimmt. Wenn sich auf der anderen Seite, in Folge einer
zufälligen Aehnliclikeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem, eine
Erkenntnis ihrer beiderseitigen Aehniichkeit einstellt, so gehört
diese Erkenntnis nicht zur Erfüllung der signitiven Intention —
abgesehen davon, dafs diese Erkenntnis keineswegs von der Art
jenes eigenthünilichen Identificirungsbewufstseins ist, welches Aehn-
liches und Aelmlichos in der Weise von Bild und Sache zur be-
ziehenden Deckung bringt. Vielmehr gehört es zum eigenthüm-
lichen Wesen einer significatijen Intention, dafs bei ihr der
erscheinende Gegenstand des intendironden Actes und derjenige
des erfüllenden Actes (z. B. Name und Genanntes in der realisir-
ten Einheit beider) miteinander „nichts zu thun haben".
Danach veird es klar, dafs in der That die descriptiv verschiedene
Weise der Erfüllung, so wie sie im verschiedenen descriptiven
Charakter der Intention gründet, auch umgekehrt auf die Ver-
schiedenheit dieses Charakters aufmerksam machen und ihn dofiui-
torisch bestimmen kann.
Wir haben bisher nur den Untei-schied der signitiven und
imaginativen Intentionen in Erwägung gezogen. Uebergohen wir
die hier weniger bedeutsamen Unterschiede innerhalb der weite-
ren Sphäre der imaginativen Acte (wir haben ja oben die Vor-
stellungen durch physische Bilder bevorzugt, statt auch auf die
Pliantasievorstelliingen einziigelien), so bleiben noch die Wahr-
nehnuingen übrig.
Uegenüber der Iroaginatiou ist die Wahrnehmung, wie
wir es auszudrücken pflegen, dadurch charakterisirt, dals in ihr
der Gegenstand „selbst" und nicht blüfs „im Bilde" erscheint.
Darin erkennen wir sofort die charakteristischon Verschiedenheiten
der Erfüllungssynthesen. Die Imagination erfüllt sich durch
die eigenartige Synthesis der Bildälmlichkeit, die Wahrnehmung
durch die Synthesis der sachlichen Identität, die Sache be-
stätigt sich durch sich „selbst", indem sie sich von verachiedenen
Seiten zeigt und dabei immerfort die eine und selbe ist
bj Die perceptive und imag^inadve Abscliatlung des Gegenstatuies.
Doch wir müssen hier folgenden Untei*schied beachten: die
Wahrnohmimg, indem sie den Gegenstand „selbst" zu geben prä-
tendirt, präteudirt damit eigentlicli, überliaupt keine blofse Intention
zu sein, vielmehr ein Act, der anderen Erfüllung bieten mag,
aber selbst keiner Erfüllung mehr bedarf. Zumeist, und z. B. in
allen Fällen der „äufseren" Wahrnehmung, bleibt es bei der Prä-
tention. Der Gegenstand ist nicht wirklich gegeben, er ist näm-
lich nicht voll und ganz als derjenige gegeben, welcher er selbst
ist. Er erscheint nur „von der. Vorderseite ", nur „perspectivisch
verkürzt und abgeschattet" n. dgl. Während manche seiner Be-
stimnithoiteu mindestens in der Weise, welche die letzteren Aus-
drücke e.xemplificiren, im Kerngehalt der Wahrnehmung verbildlicht
sind, fallen andere nicht einmal in dieser bildlichen Form in die
Wahrnehmung; die Bestandstücke der unsichtigen Rückseite, des
Innern u. s. w. sind zwar in mehr oder minder bestimmter Weise
mitgemeint, sie sind durch das primär Erscheinende symbolisch
angedeutet, aber selbst fallen sie gamicht in den anschaulichen
(perceptiven oder imaginativen) Gehalt der Wahrnehmung. Damit
hängt die Möglichkeit unbegrenzt vieler, inhaltlich verscliiedener
Wahrnehmungen eines und desselben Gegenstandes zusammen.
Wäre die Wahrnehmung überall, was sie prätendirt, wirkliche und
echte Selbstdarstellung des Gegenstandes, so gäbe es, da ihr eigen-
thiimlicliGs Wesen sich in diesem Selbstdarstellen erschöpft, für
jeden Gegenstand tiur eine einzige Wahrnelimuug.
Andererseits ist nun aber zu beachten, dafs der Gegenstand,
so wie er an sich ist — an sich in dem hier allein fraglichen
und verständigen Sinne, weichen die Erfüllung der Wahrnehmungs-
intention realisiren würde — nicht ein total anderer ist, als
welchen ihn die Wahrnehmung, wenn auch unvollkoinmon, reali-
sirt. Dies liegt sozusagen im eigenen Sinne der Wahrnehmung,
Selbsterscheinung des Gegenstandes zu sein. Mag also auch, um
auf das Phänomenologische zurückzugehen, die gemeine Wahr-
nehmung aus vielfachen, theils rein wahrnehmungsmüfsigen, theils
blofs imaginativen und sogar signitiven Intentionen aufgebaut sein:
als Gesaramtact erfafst sie den Gegenstand selbst, sei es auch
nur in der Weise der Ahschattung. Denken wir uns die jeweilige
Wahrnehmung in Erfüllungsbeziehung gesetzt zur adäquaten, d. i.
zu deijenigen Wahrnehmung, welche uns den Gegenstand im ideal
strengen und eigentlichsten Sinn selbst geben würde, so können
wir sagen: die Wahrnehmung intendirt den Gegenstand so, dafs
die ideale Erfüllungssynthesis den Charakter einer partiollen
Deckung des rein perceptiven Gehaltes des intendirenden Actes
mit dem rein perceptiven des erfüllenden Actes, und zugleich den
Charakter einer vollen Deckung der beiderseitigen vollen Wahmeh-
mungsintentionen besitzen würde. Der „rein perceptive" Gehalt
in der gemeinen Wahrnehmung ist das, was wir übrig behalten,
nach Abstraction von allen blofs imaginativen und symbolischen
Componenten; es ist also der „empfundene" Inhalt in der un-
mittelbar zu ihm gehörigen rein perceptiven Auffassung, die alle
seine Tlieile und Momente als Solbstdarstcllungen entsprechender
Theile und Momente des Wahrnehmungsgegenstandes bewerthet,
und so dem ganzen Inhalt den Charakter des „Wahrnehmungs-
bildes", der perceptiven Abschattung des Gegenstandes ertheilt
Im idealen Grenzfalle der adäquaten Wahrnehmung fallt dieser
empfundene oder selbstdarstelk-ndo Inhalt mit dem wahrgenomme-
nen Gegenstand zusammen. — Diese gemeinsame und zum Siun aller
Wahrnehmung gehörige Beziehimg auf den Gegenstand an sich
Haiserl, Log. Unton. n.
84
selbst, somit auf das Ideal der Adäquation, bekundet sich auch in
der phänomenologischen Zusammengehörigiteit der mannigfaltigen
zu dem Einen Gegenstand gehörigen Wahrnehmungen. In d«r
Einen Wahrnehmung erscheint der Gegenstand von dieser, in der
anderen von joner Seite, einmal nah, das andere Mal fern u. s. w.
In jeder ist bei alledem der Eine und selbe Gegenstand „da", in
jeder ist er nach dem Gesammtbelauf dessen, als was er uns be-
kannt und in dieser Wahrnehmung gegenwärtig ist, intendirt. Dem
entspricht phänomenologisch der continuirliche Flufs der Ei-füilung
oder Identificirung, in der stetigen Aneinanderreihung der „zu dem-
selben Gegenstand gehörigen" Wahrnehmungen. Jede einzelne ist
darin ein Gemisch von erfüllton und unerfüllten Intentionen. Den
Ersteren correspondirt am Gegenstande dasjenige, was von ihm
in dieser einzelnen Wahrnehmung als mehr oder minder voll-
kommene Abschattung gegeben, den Letzteren dasjenige, was von
ihm noch nicht gegeben ist, also in neuen Wahrnehmungen zur
actuellen und erfüllenden Präsenz kommen würde. Und alle der-
artigen Erfüllungssynthesen sind durch einen gemeinsamen Charak-
ter ausgezeichnet, eben als Identificirungen von Selbsterscheinun-
gen eines Gegenstandes mit Selbsterscheinungen desselben Gegen-
standes.
Es ist ohne Weiteres klar, dafs parallele unterschiede auch
für die imaginative Vorstellung gelten. Auch sie bildet den-
selben Gegenstand bald von dieser, bald von jeuer Seite ab;
der SynÜiesis mannigfaltiger Wahrnehmungen, in denen immer
derselbe Gegenstand zur S e 1 b s t darstellung kommt, entspricht
die parallele Synthesis mannigfaltiger Imaginationen, in denen
dieser selbe Gegenstand zur bildlichen Darstellung kommt.
Den wechselnden perceptiven Abschattungen des Gegenstandes
entsprechen hier die parallelen imaginativen Abschattungen, und
im Ideal der vollständigen Abbildung fiele die Abschattung mit
dem vollständigen Bilde zusammen. Erfüllen sich imaginative
Acte bald im imaginativen Zusammenhange, bald durch entspre-
chende Wahrnehmungen, so ist der Unterschied im Charakter
der Erfüllungssyntliosis unverkennbar, der üebergang von Bild
zu Bild ist anders charakterisirt, als derjenige vom Bild zur
Sache selbst.
Diese, aueli für unsere weitere üntei'sucliung nützlichen und
im nächsten Kapitel fortzuführenden Analysen, belehren uns über
die Zusammengehörigkeit der Wahrnehmungen und Imaginationen
und über ihren gemeinsamen Gegensatz zu den signitiven Inten-
tionen. Ueberall unterscheiden wir von dem gemeinten — dem
bezeichneten, abgebildeten, wahrgenommenen ^ Gegenstand einen
in der Erscheinung actuell gegebenen, aber nicht gemeinten In-
halt; den Zeichoninhalt auf der einen Seite, die imaginative und
die perccptive Abschattung des Gegenstandes auf der anderen Seite.
Während aber Zeichen und Bezeichnetes „miteinander nichts zu
thun haben", bestehen zwischen den, sei es imaginativen oder
perceptiven Abschattungen und der Sache selbst innere, im Sinne
dieser Worte beschlossene Zusammengehörigkeiten. Und diese
Verhältnisse dokumentiren sich phänomenologisch in Unterschie-
den der coustituirendcn Intentionen, und niclit minder in Unter-
schieden der ErfüUungs-synthesen.
Selbstverständlich stört diese Darstellung unsere Interpreta-
tion jeder Erfüllung als einer Identifieining nicht. Die Intention
kommt überall mit dem ihr Fülle bietenden Acte zur Deckung,
d. h. der Gegoustaud, der in ihr gemeint ist, ist derselbe wie
derjenige, welcher im erfüllenden Acte gemeint ist Aber nicht
auf diese gemeinten Gegenstände, sondern auf Zeichen und Ab-
schattung in ihren Verhältnissen zu den gemeinton Gegenständen,
bozw. auf das, was diesen Verhältnissen phänomenologisch eut
spricht, bezog sich unsere Vergleichung.
Unser Interesse gehörte im vorliegenden Paragrajjlion primär den
Eigenthümliclikeiten der Erfüllungssynthesen; durch sie erfuhren die
unterschiede der intuitiven und signitiven Acte eine blofs indirecte
Charakteristik. Erst im weiteren Fortgang der Untersuchung — im
§ 26 — werden wir, auf Grund der Analyse der für sich und ohne
Rücksicht auf die mögliclien Krffllhmgen betrachteten Intentionen, eine
directe Charakteristik liefern können,
34*
I
§ 15*. Si(;niiive Intentionen außerluilb der Bedeututiffsfunclion.
In den letzten Betrachtungen haben wir gewisse Componenten
intuitiver Acte als signitivo Intentionen in Anspruch genommen.
Aber in der ganzen Reihe bisheriger Untersuchungen galten uns
die signitiven Acte als Acte des Hedeutens, als sinngobonde
Factoren bei den Ausdrücken. Die Worte Signification und
signitive Intention galten uns als bedeutungsidentische. Es ist
also an der Zeit die Frage zu erwägen: können nicht dieselben
oder wesentlich gleichartige Acte, als welche wir sonst in der
Bedeutungsfunction finden, auch au&er dieser Function, von ollen
Ausdrücken losgelöst, auftreten?
Dafe diese Frage bejahend zu beantworten ist, zeigen gewisse
Fälle wortlosen Erkennens, welche durchaus den Charakter vörbalen
Erkennens haben, wälirend doch die Worte nach ihrem sinnlich-
signitiven Inhalt garnicht actualisirt sind. W^ir erkennen beispiels-
weise einen Gegenstand als antiken römischen Wegstein, seine
Furcbungen als verwitterte Inschriften, ohne dafs sich sogleich
oder überhaupt Worte einstellten; wir erkennen ein Werkzeug als
Drillbohrer, aber das Wort will uns überhaupt nicht einfallen; u.dgl.
Genetisch gesprochen, es wird durch die gegenwärtige Anschauung
eine Association dispositionell erregt, die auf den bedeutenden Aus-
druck gerichtet ist; aber die blofse Bedcutungecompouente dessel-
ben wird actualisirt, welche nun in umgekehrter Richtung in die
erregende Anschauung zurückstrahlt und in sie mit dem Charak-
ter erfüllter Intention überflicfst. Diese Fälle wortlosen Erkennens
sind also nichts Anderes als Erfüllungen von Bedeutungsintentio-
nen, nur von solchen, die sich phaiiomenologiscli von den sonst
zu ihnen gehörigen signitiven Inhalten abgelöst haben. Hieher-
zurechnende Beispiele liefert auch die Refle.xion auf die gewöhn-
lichen Zusammenhänge wissenschaftlichen Nachdenkens. Man be-
merkt dabei, dafs sich die vorwärts stürmenden Gedankonreihen
zu sehr erheblichem Tlieile nicht an die zu üinen gehörigen Worte
binden, sondern durch den Flufs anschaulicher Bilder oder durch
ihre eigenen associativen Verflechtungen erregt werden.
Damit hängt auch zusammen, dafe das ausdrücken do
Sprechen so weit über das hiuausgeht, was zum Zwecke wirklicher
Angemessenheit des erkennenden Ausdrucks anschaulich gegeben
sein müfste. Dals dies zum Theil einen entgegengesetzten Grund
hat in der besonderen Leichtigkeit, mit der sich die Wortbiider
durch die gegebenen Anschauungen i-eproduciren hissen, um dann
ihrerseits die symbolischen Gedanken, aber nicht die diesen ent-
sprechenden Anschauungen, herbeizuziehen, wird Niemand be-
zweifeln. Es ist aber auch umgekehrt zu beobachten, wie die
Reproduction der Wortbiider liinter den durch die jeweilige An-
schauung reproductiv erregten Gedankenreihen oft recht weit
zurückbleibt. In der einen und anderen Art kommen die un-
zähligen inadäquaten Ausdi'ücke zu Stande, welche sich den
actuoU vorhandenen primären Anschauungen und den auf sie
wirkUch gebauten synthetischen Formungen nicht in schlichter
Weise anmessen, sondern über das so Gegebeue weit hinausgehen.
Es erwachsen merkwürdige Mischungen von Acten. Eigentlich
erkannt sind die Gegenstände nur als die in der actuellen An-
schutumgsgruiidlage gegebenen; aber da die Einheit der Intention
weiter reicht, erscheinen die Gegenstände auch als diejenigen
erkannt, welche in der Gesanimtintention intendii't sind. Der
Erkenntnischarakter breitet sich gewissermafsen aus.
So erkennen wir beispielsweise eine Person als den Adjutanten
des Kaisers, eine Handschrift als die Goethes, einen mathematischen
Ausdruck als die C'ARüAn'sche Formel u. dgl. Hier kann sich das
Erkennen dem in der Wahrnehmung Gegebenen natürlich nicht
anmessen, sondern bestenfalls besteht die Möglichkeit der An-
passung an Anschauungsverläufe, die aber selbst gamicht actualisirt
zu werden brauchen. Auf diese Weise sind auf Grund partieller
Anschauung sogar Erkenntnisse und Erkenntnisreihen möglich,
die auf Grund voller actueller Anschauung überhaupt und a priori
nicht möglich wären, weil sie in sich Unverträgliches in Eins
setzen. Es giebt, und in nur zu grofsem Maise, falsche und
selbst absurde Erkenntnisse. Aber „eigentlich" sind es
keine Erkenntnisse — nämlich nicht logisch werthvolle, voll-
koiumene Erkenntnisse, nicht Erkenntnisse im prägnanten Sinne.
Doch damit greifen wir künftigen Ueberlegungen vor. Denn noch
sind die hier berührten Stufenreihen der Erkenntnis und die sie
begrenzenden Ideale nicht klargelegt.
Wir hatten bisher mit signitiven Intentionen zu thun., die
identisch, so wie sie sind, bald innerhalb bald auTserhalb der Be-
deutungsfunction auftieten. Aber unzählige signitive Intentionen
entbehren jeder, sei es festen, sei es vorübergehenden Beziehung
zu Ausdrücken, während sie doch ihrem wesentlichen Charakter
nach mit den Bedeutiingsintentionon zu Einer Klasse gehören.
Ich erinnere hier an den perceptiven oder imaginativen Ablauf
einer Melodie, oder eines sonstigen, uns der Art nach bekannten
Ereignisses und iui die hiebei auftretenden {bestimmten oder un-
bestimmten) Intentionen, bezw. ErfüUungou. Desgleichen an die
empirische Ordnung und Verknüpfung der Dinge in ihrer phäno-
menalen Coexistenz, und zwai- mit Hinweis auf das, was den
erscheinenden Dingen in dieser Ordnung, und vorerst den Theilen
in jeder einzelnen dinglichen Einheit, den Charakter einer gerade
in dieser Anordnung und Form zusammengehörigen Einheit
giebt Die Repräsentation und Erkennung durch Analogie kann
nur Bild und Sache (Analogon und Analogisirtes) zur Einheit
bringen und somit als zusammengehörig erscheinen lassen, nicht
aber was in der Contiguität nicht bJofs zusaniraengegeben
ist, sondern als zusammengeheh-ig erscheint. Selbst wo in
der Realisirung von Contiguitätsrepräsentationen sich zunächst
Bilder einstellen, die das signitiv Repräsentirte im voraus
imaginiren, und sich dann bei der Erfüllung in ihren Sachen
bestätigen , kann die Einheit zwischen dem Contiguitätsrepräscntanten
und dem dadurch Reprä-sentiiten nicht durch das Bildverhältnis
gegeben werden (da es ja nicht zwischen diesen Beiden wirksam
ist), sondern nur durch das schlechthin eigenartige Verhältnis der
signitiven Repräsentation als derjenigen durch Contiguität.
Uenigemäfs werden wir in den inadäquaten Wahruehmungettfl
und Einbildungen ganz richtig Comploxioneu von primitiven In-
MiÜonen mehoa müssen, unter welchen sich neben perceptiven undj
imaginativen Elementen, auch solclie von der Art der signitiven
Intentionen finden. Uoberliaupt werden wir urtheilen dürfen, dafe
alle phänomenologischen Unterschiede der objectivirenden Acte sicli
zurückl'ühren lassen auf die sie aufl>auenden Elementarintentionen
und Erfüllungen, die Einen und Andern geeinigt durch ErfüUungs-
sjmthesen. Auf Seite der Intentionen bleiben dann als die einzigen
letzten Unterschiede die zwischen signitiven Intentionen als Inten-
tionen durch Contiguität, und imaginativen Intentionen als solchen
dnrch Analogie, jede schlicht und rein in ihrer Art. Auf Seite der
Erfüllung fungireu als Componcnten theils wieder Intentionen der
einen und andern Art; unter Umstanden aber (wie im Falle der
Wahrnehmung) auch solche, die nicht mehr als Intentionen anzu-
sprechen sind: Compononten, die nur erfüllen, doch nicht mehr nach
Erfülhiiig langen, Selbstdarstellungcn des von ihnen gemeinten
Ubjectes im strengsten Wortsinn. Durch den Charakter der Elo-
mentaracto sind dann die Charakteix) der die homogene Einheit
des complexen Actes bestimmenden ErfüUuugssynthesen bestimmt,
und zugleich überti'ägt sich, unter Mithilfe der bevorzugenden
Kraft der Aufmerksamkeit, der Charakter dieser oder joner Ele-
mentaracto auf die Einheit des gesammten Actes: der ganze Act
ist Imagination oder Signitication oder Perception (Walirnehmung
schlechthin); und wo zwei solche einheitliche Acte in Beziehung
treten, erwachsen Verhältnisse der Uebereinstimmung und des
Widerstreiis, deren Charakter durch die fundirenden üesamnitacte,
letztlich aber durch deren Elemente bestimmt ist.
Im nächsten Kapitel sollen diese Verhältnisse in den Grenzen,
in denen sie phänomenologisch zu sichern und daher orkenntnis-
krttisch zu verwerthen sind, weiter verfolgt werden. Wir wollen
uns dabei rein an die phänomenologisch gegebenen Einheiten
halten, an den Sinn, den sie in sich tragen, und den sie in der
Erfüllung verkündigen. So meiden wir die Versuchung, den Weg
hypothetischer Construction zu beschreiten, mit deren Zweifeln die
Erkountnisklärung keineswegs beschwert zu werden braucht
I
Zur Phänomenologie der Erkenntnisstofen.
§ 16. Blofsc Identificirung uttd Erfüllung.
Als wir, ausgehend vom sprachlichen Ausdruck einer Wahr-
nehmung, das Verhältnis von Bedeutungsintentioa und erfüllender
Anschauung beschrieben, sagten wir*, das intentionale Wesen des
anschaulichen Actes passe oder gehöre zu dem bedeutungs-
mäfsigen Wesen des significativen Actes. Dasselbe gilt sichtlich ^Jj
in jedem Falle einer totalen Identificirung, welche qualitativ gleiche, ^^
also setzende und setzende, oder niehtsetzeude und nichtsetzende
Acte zur Synthesis bringt; während bei der Verschiedenheit der
Qualitäten die Identificirung aussohliefslich in den Materien der
beiderseitigen Acte gründet. Dies überträgt sich mit passenden
Aenderungen auf die Fälle partieller Identificirung, so dafe wir
aussprechen dürfen, dafs die Materie das für die Identificirung (und
dann selbstverstuudHch auch für die üntei-scheidung) wesentlich
in Betracht kommende Moment im Actcharakter der jeweils zur
Synthese kommenden Acte ist.
Für den Fall der Identificirung sind die Materien die spe-
cielleu Trüger der Synthese, aber nicht etwa selbst identificirt
Denn die Rede von der Identificirung bezieht sieh ja ihrem Sinne
nach auf die durcli die Materie vorgestellten Objecto. Anderer-
seits kommen die Materien im Acte der Identificirung selbst zur
Deckung. Dafs damit, wenn auch Gleichheit der Qualitäten vor-
ausgesetzt wird, keine vollständige Gleichheit der beidcrseitigea
Acte erzielt ist, zeigt jedes Beispiel, und dies liegt daran, dafs
das intentionale Wesen den Act nicht erschöpft. Das Uebrig-
bleibende wird sich in der sorgsamen Dui'chforschung der Phäno-
menologie der Erkenntnisstufen, die unsere nächste Aufgabe ist,
als überaus bedeutsam herausstellen. Von vornherein leuchtet
hier Folgendes ein. Wenn das Erkennen VoUkommenheitsstufeu,
und dies bei gleicher Materie, zuläfst, so kann die Materie fftr
die Unterschiede der Vollkommenheit nicht aufkommen, also auch
nicht das eigentbiimliclie Wesen der Erkenntnis gegenüber jeder
beliebigen Identiäcinmg bestimmen. Wir knüpfen die weitere
Untersuchung an die Erwägung eben dieses, von uns bereits
früher beachteten Unterschiedes zwischen blofsor Identificirung
und Erfüllung an.
Wir hatten 1 Plrfüllung mit Erkennung (im engeren Sinn)
gleichgesetzt und angedeutet, dafs hiermit uur gewisse Formen der
Identificirung bezeichnet seien, welche uns nämlich dem Erkennt-
nisziel näher bringen. Was das besagen will, können wir etwa
so zu vordeutlichen suchen: in joder Erfüllung tindet eine mehr
oder minder vollkommene Verarischaulichung statt. Was die
Intention zwai' meint, aber in mehr oder minder uneigentlicher
oder unangemessener Weise vorstellig macht, das stellt die Er-
fülhitig, (1. h. der sich in der Erfüllungssynthosis anschmiegende,
der Intention seine „Fülle" bietende Act, direct vor uns hin;
oder mindestens relativ directer als die Intention. In der Erfüllung
erleben wir gleichsam ein das ist es selbst. Dieses selbst ist
freilich nicht im strengen Sinn zu nehmen: als ob eine Wahrneh-
mung gegeben sein müfste, die uns das Objcct selbst zur actuellen
phänumeualen Gegenwart brächte. Es mag sein, dafs wir im
Fortschritt der Erkenntnis, im stufen weisen Emporsteigen von
Acten geringerer zu solchen von reicherer Erkenntnisfülle, schliefs-
lich immer zu erfüllenden Wahrnehmungen gelangen müssen;
darum braucht aber nicht jede Stufe, d. h. jede einzelne für sieh
schon als Erfüllung charakterisirle Identificirung, eine Wahrnehmung
als den erfüllenden Act zu enthalten. Immerhin deutet uns die rela-
tive Rede vom „mehr oder minder direct" und vom „selbst" die
Hauptsache oinigormafsen an: dafs die Erfüllungssynthosis eine
üngleiehworthigkeit der verknüpften Glieder zeigt, derart dafs der
erfüllende Act einen Vorzug herbeibringt, welcher der blofsen
Intention mangelt, nämlich dafs er ihr die Fülle des „selbst"
ortheilt, sie mindestens directer an die Sache selbst heran-
führt. Und die Relativität dieses direct und selbst deutet wieder
> Obeu § 14, Ij. 523.
h
darauf hin, dafs die Erfilllimgsrelation etwas vom Charakter eina^^
Stoigerungsrolation aa sich hat. Eiue Yoikettung solcher Relatione^^
erscheint danach als möglich, iu denen sich der Vorzug schrittweise
steigert; wobei aber jede solche Steigerungsreihe auf eine ideale
Grenze hinweist oder sie sclion in ihrem Endglied realisirt,
welche aller Steigerung ein unüberschreitbares Ziel setzt: das
Ziel der absoluten Erkenntnis, der adäquaten Selbst-
darstellung des Erkenntnisobjects. ^M
Damit ist nun die charakteristische Auszeichnung der"
Erfüllungen innerhalb der weiteren Klasse der Identificatioueu
zum Mindesten in vorläutiger Andeutung ^ formulirt Denn nicht
in jeder Identification vollzieht sich solch eine Annäherung an ein
Erkonntnisziel, und demgemäl's sind ziellos ins Unendliche fort-
lauft-nde Irtentificationen sehr wol möglich. Beispielsweise giebt
es uuendlich viele arithmetische Ausdrücke, die den identischen
Zahlen werth 2 haben, und so können wir dabei in infimtum Iden-
tificirung an Identificirung reihen. Ebenso mag es unendlich viel
Bilder einer nnd derselben Sache geben, und dadurch bestimmt
sich wieder die Möglichkeit unendlicher, keinem Erkenntuisziel zu-
strebender Identilicirungskctten. Ebenso für die unendliche Mannig-
faltigkeit möglicher Wahrnehmungen einer und derselben Sache.
Achten wir bei diesen intuitiven Beispielen auf die constitui-
rendtm Eiementarintentionen, so finden wir allerdings, dals dem
Ganzen der Ideutificirung zumeist auch Mumeute echter Erfüllung
eingewüben sind. So wenn wir Bildvorstellungen in Eins setzen,
die nicht gerade von völlig gleichem intuitiven Gehalt sind, so dals
uns das neue Bild manches zu klarer Vorstellung bringt und viel-
leicht „ganz so wie es ist", vor Augen stellt, was uns das frühere
blofs abgeschattet oder gar symbolisch andeutete. Denken wir
uns in der Phantasie einen Gegenstand sich allseitig drehend nnd
wendend, so ist die Bilderfolge immerfort durch Erfüllungssyn-
thesen hinsicbtlich der Partialintentionen verknüpft; aber die je-
weilig neue Bildvorstellung ist als Ganzes keine Erfüllung der
Vgl. dio tiefergehendeu Analysen des § 24, S. 556 ff.
vorhergellenden, und die gesaiumte Vorstellungsreihe ohne fort-
schreitende Annäherung an ein Ziel. Ebenso bei der Mannig-
faltigkeit zu demselben äufseren Ding gehöriger Wahrnehmungen.
Gewinn und Verlust halten sich eben bei jedem Schritt die Wage,
der neue Act ist in Hinsicht auf die Einen Bestimmtheiten an
Fülle reicher, in Hinsicht auf Andere niufste er dafür an Fülle
einbüfsen. Dagcgun küunL-n wir sagen, die gesannuto Syntliesis
der Folge von Imagiuatiouen, bezw. von Wahrnehmungen, reprä-
sentire im Vergleich mit dem vereinzelten Act aus solch einer
Folge einen Zuwachs an Krkenntnisfülle, die Unvollkommenheit
der einseitigen Darstellung werde relativ überwunden in der all-
seitigen Darstellung. Wir sagten blofs „relativ überwunden":
denn die allseitige Darstellung vollzieht sich in solch einer syn-
tbetisi'hou Mannigfaltigkuit nicht, wie es das Ideal der Adäquation
fordert, in Einem Schlage, als reine Selbstdarstolhing und ohne
Zusatz von Analogisirung und Symbolisiruug, sunderii stück-
weise un<l immerfort durch solche Zusätze getrübt. Ein anderes
Beispiel einer intuitiven Erfüllungsreihe bietet etwa der üeber-
gaiig von einer rohen Umrifszeieluiung zu einer genauer ausge-
führten Bleistiftskizze, von dieser zu einem fertigen Bild, bis zum
lebensvoll ausgeführten Gemälde, und zwar für denselben und
sichtlich denselben Gegenstand.
Derartige Beispiele aus der Sphäre der blofsen Einbildung
zeigen uns zugleich, dafs der Charakter der Erfüllung nicht vor-
aussetzt, was zum iugisuhen Erkenutnisbegriff mitgorechnet wird,
nämlich die Setzungsqualität sowol bei den intendirenden als bei
den erfüllenden Acten, Von einer Erkenntnis sprechen wir vor-
zugsweise da, wo ein Vermeinen im normalen Sinn des Glau-
bens sich bekräftigt oder bestätigt.
§ 17. Die Frage nach dem Vcrhällnis rwisclien Erfüllung
und Veratmchaulichung.
Es wird sich nun fragen, welche Rolle die verschiedenen
Gattungen objectivirender Acte — die signitiven und intuitiven
Acte, und unter dem letzteren Titel, die perceptiven und imagi-
man
baqfl
r]
nativen — in der Erkenntnisfimction spielen. Hier erscheine
die intuitiven Acte sichtlich bevorzugt, und dies so sehr, dais man
zunächst geneigt sein wird, alle Erfüllung (sowie es im Vorl
gehen auch obon geschah) als Veranschaulichung zu bezeich
nen, oder ihre Leistung, wo es sich von vornherein um anscban
liehe Intentionen handelt, als blofse Steigerung in der Anschac
ungstulle zu charakterisiren. Sicherlich bildet nun das Verhältnis
zwischen Intention und Erfüllung die Grundlage für die Bildung
des Begiiffspauros Gedanke (enger gofafst: Begriff) und corre-
spondirende Anschauung. Es darf uns aber nicht entgehen,
dafs ein blols nach diesem Verhältnis orientirter Bogriff der An-
auuug keineswegs mit dem des intuitiven Actes zusammen-
■fiele, obschon er vermöge der so7,usagen im Sinn aller Erfüllung
liegenden Tendenz zur Intuition mit ihm nahe zusammenhängec
ja ihn voraussetzen würde. Sich, wie mau hier auch sagt, einei
Gedanken „klar machen", das heifst zunächst, dem Inhalt d<
Gedankens erkenntnisraäfsige Fülle verschaffen. Dies kann aber
in gewisser Weise auch eine signitive Vorstellung leisten. Frei-
lich wenn wir dio Forderung nach evident machou<ier Klarlieit
stellen, als welche uns „die Sache selbst" klar, und damit ihre
Möglichkeit und Wahrheit kenntlich mache, werden wir an die
Anschauung im Sinne unserer intuitiven Acte gewiesen. Eben
darum hat in erkenntniskritisclien Zusammenhängen die Rede voa.
Klarheit ohne Weiteros diesen engeren Sinn, sie meint den RücId^
gang auf, die erfüllende Intuition, auf den „Ursprung" der Be-
griffe und Sätze aus der Anschauung ihrer Sachen selbst. ^1
Sorgsame ßei-spielsanalyscn sind jetzt nöthig, das soeben An-^"
gedeutete zu bewähren uiu! weiter fortzuführen. Sie werden uns
helfen, das Verhältnis zsvischen Erfüllung und Voranschaulichung
aufzuhellen, und dio Rolle, welche die Anschauung in jeder Er-^
füllung spielt, genau zu präcisiren. Die Unterecliiede eigentlicher
und uueigentlicher Veranschaulichung, bezw. Erfüllung, werden
sich deutlich absondern, und zugleich damit wird der Unterschied ^
zwischen blolser Identificirung und Erfüllung seine letzte Klärung ■
erfahren. Indem die Leistung und Anschauung sich dadurch be-
stimmen wird, dafs sie in der eigentliciien Ei-füllung, unter dem
Titel „Fülle", dem intendirenden Acte wirklieli etwas Neues bei-
bringt, werden wir auf eine bisher nicht pointirte, für die Er-
Jfonntnis fundamentale Seite im phänumenologischen Inhalt der
Acte aufmerksam: die „Fülle" wird sich als ein gegenüber der
Qualität und Materie neues, in der Weise einer Ergänzung
speciell zur Materie gehöriges Moment der intuitiven Acte her-
ausstellen.
§ 18. Die StufenreHien mittelbarer Erfüllungen.
Mitielbare Vorstellungen.
Jede in einer Definitionskette sich entfaltende mathematische
Begriftsbildung zeigt uns die Mügüchkeit von ErfüUungsketten,
die sicli Glied für Glied aus signitiven Intentionen auf-
bauen. Wir machen uns den Begrift' (5*)* klar durch Küekgang
auf die dofinitorische Vorstellung: „Zahl, welche entsteht, wenn
man das Product B'-S'-S'-S" bildet". Wollen wir diese letztere
Vorstellung wieder klar machen, so müssen wir auf den Sinn von
5^ zurückgehen, also auf die Bildung 5-5-5. Noch weiter zurück-
gehend, hätten wir dann 5 durch die Definitionskette 5>=4-|-l,
4 = 3 + 1, 3 = 2-1-1, 2 = l-f-l zu erklären. Nach jedem Schritt
hätten wir aber die Substitution in den zuletzt gebildeten com-
plexeii Ausdruck, bezw. Gedanken, zu vollziehen, und wäre dieser
Gedanke immer wieder hei-stellbar(an sich ist eres gewifs, obschon
ebenso gewifs nicht für uns), so kämen wir schliefslich auf die
vollständig explicirte Summe von Einern, von der es hieCse; das
ist die Zahl (5*)* „selbst". Offenbar entspräche nicht nur dem End-
resultat, sondern schon jedem einzelnen Schritte, welcher von einem
Ausdruck dieser Zahl zu dem nächst aufklärenden und ihn inhalt-
lich bereichernden überleitete, wirkhch ein Act der Erfüllung. In
dieser Art ist übrigens auch jede schlichte dekadische Zahl eine
Anweisung auf eine mögliche Erfüllungskette, deren Gliederzahl
durch die um 1 verminderte Zalil ihrer Einheiten bestimmt ist,
80 dafs derartige Ketten von unbegrenzt vielen Gliedern a priori
möglich sind.
Man spricht gewöhnlich so, als oh in der mathematischen
Sphäre die schiiclite Wortbedeutung identisch sei mit dorn Inhalt
des complexen deiinitorischen Ausdrucks. Dann wäre hier aller-
dings von Erfüilungsketten keine Rede; wir bewegten uns ja in
lauter Identitäten von der Art der Tautologien. Indessen wer aoi
die Complication der durch Substitution erwachsenden Gedanken-
bildungen hiublickt, wer sie auch nur in den allereinfachsten
Fällen, in denen sie %virklich durchführbar sind, mit der ur-
sprünglich erlebten Bedeutungsintention vergleicht, wird kaum
ernstlich annehmen, dnfs in dieser letzteren all die Complication
von vornherein enthalten war. Es ist ganz unverkennbar, dafe
hier wirklich Unterschiede der Intention bestehen, die, wie immer
man sie näher charakterisiren mag, durch total identificirende
Erfüllungsverhältnisse miteinandor verknüpft sind.
Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit der eben besprochenen
Beispiele, bezw. der Klasse signitiver Vorstellungen, welche diese
Beispiele illustriren, liegt darin, dafs in ihnen der Inhalt der
Vorstellungen — deutlicher gesprochen, die Materie — einen be-
stimmten Stufengang der Erfüllung n priori vorzeichnet
Die Erfüllung, die hier mittelbar erfolgt, kann nie zugleich un-
mittelbar erfolgen. Zu jeder signitiven Intention dieser Klasse
gehört eine bestimmte Erfüllung (bezw. eine bestimmte Gruppe
von Erfüllnngou) als nächste, zu dieser wieder eine bestimmte
als nächste u. s. w. Diese Eigenthümlichkeit finden wir auch bei
gewissen intuitiven Intentionen. So wenn wir uns eine Sache
durch das Bild eines Bildes vorstellig machen. Die
Materie der Vorstellung schreibt auch hier eine erste Erfüllung
vor, welche uns niimlich das primäre Bild „selbst" vor Augen
stellen würde. Zu diesem Bild gehört aber eine neue Intention,
deren Erfüllung uns auf die Sache selbst führt Offenbar ist das
Gemeinsame all dieser mittelbaren, ob signitiven oder intuitiven
Vorstellungen dadurch charakterisirt, dafs es Vorstellungen sind,
welche ihre Gegenstände nicht in schlichter Welse, sondern durch
übei-eiuauder gebaute Voi-stellungen niederer und höherer Stufe vor-
stellig machon; oder, um es schärfer auszudrücken, es sind Vor-
Stellungen, die ihre Gegenstände als Gegenstände anderer
"Vorstellungen, oder als zu so vorgestellten Gegenstän-
den in Beziehung stehend, vorstellen. So wie Gegenstände in
Kelation zn beliebigen anderen Gegenständen, so können sie eben
auch in Relation zu Vorstellungen vorgestellt werden; und diese
Vorstellungen sind dann in der Relationsvorstellung selbst vor-
gestellte Vorstellungen; sie gehören zu ihren intentionalen
Objecten, nicht zu ihren Bestandstücken.
Mit Rücksicht auf die eben charakteri-sirte Klasse von Fällen
sprechen wir von mittelbaren (oder übereinander gebauten) In-
tentionen, bezw. Erfüllungen, also auch von mittelbaren Vor-
stellungen. Es gilt dann der Satz, dafs jede mittelbare In-
tention eine mittelbare Erfüllung fordert, welche selbst-
vei-ständlich nach einer endlichen Anzahl von Schritten in einer
unmittelbaren Intuition endet
§ 19. Unterscheidung zwisclun mittelbaren VorsleUtingcn
Wirf VorstellungsvoTstcllungen.
Von diesen mittelbaren Vorstellungen wol zu untei'scbeiden
sind die Vorstellungen von Vorstellungen, also diejenigen
Vorstellungen, die sich eiufach auf andere Vorstellungen als auf
ihre Gegenstände beziehen. Obschon die vorgestellten Vorstellungen,
allgemein zu reden, selbst wieder Intentionen sind, also ErfüUuug
zulassen, verlaugt hier die Natur der gegebenen, der vorstellen-
den Vorstellung keineswegs eine mittelbare Erfüllung durch Er-
füllung der vorgestellten Vorstellimgen. Die Intention der Vor-
stellungsvorstellungen Fl (V^) geht auf F,. Liese Intention ist
also erfüllt und schlechtbin erfüllt, wenn eben Fj „selbst" auf-
tritt; sie wird nicht etwa bereichert, wenn sich ihrerseits die In-
tention der F, erfüllt, wenn ihr Gegenstand im Bilde, oder im
relativ reicheren Bilde, oder gar in der Wahrnehmung erscheint
Denn F, meint ja nicht diesen Gegenstand, sondern schlechthin
seine Vorstellung V^. Selbstverständlich wird daran nielit.s ge-
ändert bei complicirterer Ineinanderschachtelung, etwa nach Mafs-
gabe des Symbols Fj /F, (V^J u. s. w.
544 VI. Eletnente einer phänotnenolog. Äufkliining der Erkrnntnis.
Beispielsweise findet der Gedanke signitive Vmstellung seine
Erfüllung in der Anschauung von einer signitiven Vorstellung,
z. B. der Vorstellung Integial (wenn wir wollen, auch der Vor-
stellung sigvitive Vorstellung selbst). Man darf diese Fälle nicht
inifsvei'stehen , nämlich so, als ob hier die signitive Vorstellung
Integral selbst den Charakter der Anschauung beanspruchte, als
ob somit hier die Begriffe Anschauung und signitiver Act
(Bedeutungsintention) ineinandergiengen. Nicht die signitive Vor-
stellung Integral, sondern die innere Wahrnehmung von dieser
Vorstellung ist die erfüllende Anschauung für den Gedanken signi-
tive Vorstellung] statt als erfüllende Anschauung fungirt diese Vor-
stellung als Gegenstand der erfüllenden Anschauung. So wie das
Denken einer Farbe im Acte der Ajischauung dieser Farbe seine
Erfüllung findet, so das Denken eines Denkens in einem Acte der
Anschauung dieses Denkens, also letzterfüilende Anschauung in
einer adäquaten Wahrnehnuing desselben. Und natürlich ist hier,
wie sonst, das blofse Sein eines Erlebnisses noch keine An-
schauung'und speciell "Wahrnehmung von ihm. Es ist zu beachten,
dafs überhaupt in unserem Gegensatz zwischen Gedanke oder In-
tention und erfüllender Anschauung, unter Anschauung keineswegs
die blofse äufsere Anschauung, die Wahrnehmung oder Imagination
von äufeeren, physischen Gegenständlichkeiten, zu verstehen ist
Auch die „innere" Wahrnehmung oder Bildlichkeit kann, wie
aus dem eben discutirten Beispiel zu ersehen, und übrigens nach
dem Wesen des Vorstellens selbstverständlich ist, als erföUende
Anschauung fungiren.
§ 20. Echtt Veranschaulichungen in jeder Erfüllung.
Eigentliche und uneigenlliche Veranschaulichung.
Nachdem wir den Unterschied der mittelbaren Vorstellungen
und der Voretellungsvorstellungon hinreichend betont und geklärt
haben, wird es gut sein, andererseits auch auf ihr Gemeinsames
hinzublicken. Jede mittelbare Vorstellung schliefst, nach der
obigen Analyse, Vorstellungsvorstellungen ein, nämlich dadurch,
dafs sie ihren Gegenstand als Gegenstand gewisser in ihr vor-
gestellter Vorstellungen meint So z. B. wenn wir 1000 als 10',
d. h. als die Zahl vorstellen, welche als Gegenstand derjenigen
Torstellung charaktensirt ist, die ihrerseits in der Ausführung
der angezeigten Potenzirung erwachsen wüi-de. Daraus geht aber
hervor, dafs echte Veranschaulichungen die wesentliche
Rollo bei jeder Erfüllung mittelbarer Intentionen, und
bei jedem Schritte dieser Erfüllung, spielen. Die Cha-
rakteristik eines Gegenstandes als Gegenstandes einer vorgestell-
ten Vorstellung (oder als eines, zu so definirten Gegenständen
in gewisser Beziehung Stehenden) setzt in der Erfüllung die Er-
füllung der Vorstellungsvorstellungen voraus, und diese einge-
wobeuen intuitiven Erfüllungen geben der gesammten Iden-
tification allererst den Charakter einer Erfüllung. Die Zunahme
an „Fülle" besteht schrittweise in nichts Anderem, als dafs nach
und nach alle Vorstellungsvorstellungen, sei es die von vornherein
eingewobenen, sei es die in der Erfüllung neu auftretenden,
durch realisirende „Construction" der jeweils vorgestellten Vor-
stellungen und durch Anschauung dieser realisirten, erfüllt
werden, so dafs schliefslich die herrschende Gesammtintention
mit ihrem Ueber- uad Ineinander von Intentionen, mit einer un-
mittelbaren Intention identificirt erscheint. Dabei hat diese Iden-
tification auch als Ganzes den Charakter der Erfüllung. Wir
werden diese Art der Erfüllung aber zu den uneigentlichen
Veranschaulichungen rechnen müssen; denn als eigentliche Ver-
anschaulichung werden wir mit Grund eine solche bezeichnen,
welche nicht in beliebiger Weise Fülle herbei schafi't, sondern aus-
schliefslich so, dafs sie dem von der Oesainmtvorstellung vor-
gestellten Gegenstande den Zuwachs an Fülle ertheilt, d. h. ihn
mit gröfserer Fülle voi-stellig macht. Im Grunde besagt dies aber
nichts Anderes, als dafs eine blofse signitive lutention überhaupt
keine Fülle hat, vielmehr alle Fülle in der actuellen Vergegen-
wärtigung von Bestimmtheiten liegt, die dem Gegenstand selbst
zukommen.
Wir werden diesen letzteren Gedanken bald weiter verfolgen.
Hier setzen wir fort, dafs der genannte Unterschied zwischen
Bnsiarl, Lof. Unten. II. 3g
I
eigentlicher und uueigentliclier Veranschaulicliuug auch als eiu
solcher zwischen eigentlicher und uneigentlicher Erfüllung
bezeichnet werden kann, sofern die Intention auf ihreu Gegenstand
abzielt, nach ihm gleichsam begehrend langt, und Erfüllung im
prägnanten Sinne nun als Ausdruck dafür gelten kann, dals
der Intention mindestens etwas von der Fülle des Gegenstandes
zugeführt wird. Indessen müssen wir dabei festhalten, dafs die
uneigentllchcu und eigentlichen Erfüllungen innerhalb der Identi-
ficirungssynthesen durch einen gemeinsamen phänomenologischen
Charakter (der Erfüllung im weiteren Sinne) ausgezeichnet sind,
und dufs es ein eigener Satz ist, welclier lehrt, dafs alle un-
eigentliche Erfüllung eigentliche Erfüllungen implicire,
also den Erfülhuigscharakter diesen eigentlichen „verdanke".
Um den Uutoi-schied zwischen eigentlicheu und uneigentlichen
VeranschauÜchungeu etwas genauer zu umschreiben und zugleich
eine Beispielsklasse zu erledigen, bei welcher uneigentliche Ver-
anschauliuhuiigen ganz mit dem Anschein wahrhafter auftreten,
führen wir noch Folgendes aus.
Nicht immer, wenn die Erfüllung einer signitiven Intention
sich auf Grund einer Anschauung vollzieht, sind die Materien
der beiderseitigen Acte, wie es oben vorausgesetzt war, im Ver-
hältnis der Deckung, so dafs der intuitiv erscheinende Gegen-
stand selbst als der in der Bedeutung gemeinte dasteht Nur
wo dies zutrifft, ist aber im wahren Sinn von Veranschau-
lichuug zu sprechen, nui" dann ist der Gedanke in der Weise
der Wahrnehmung realisirt, in der Weise der Imagination illustrirt
Anders wenn die erfüllende Anschauung einen Gegenstand er-
scheinen läfst, der den Charakter eines indirecten Repräsentanten
hat; z. B. wenn bei der Nennung eines geographischen Namens
die Phantasievorstellung einer Landkarte auftaucht und mit der
Bedeutungsintention dieses Namens verschmilzt; oder wenn eine
Behauptung in Betrefl' gewisser Strafsen Verbindungen, Flufe-
läufe, Gebirgszüge durch die Einzeichnungeu einer vorliegenden
Karte bestätigt werden. Hier ist die Anschauung iu wahrem
Sinne garnicht als erfüllende zu bezeichnen, ihre eigene Materie
tritt garnicht in Action; das wirkliclio Erfüllungsfundament liegt
nicht in ihr, sondern in einer mit ihr verwobunen und offenbar
signitiven Intention. Dafs der ersclieiuende (iegenstuiid hier
als indirecter Repräsentant für den bedeuteten und genannten
Gegenstand fungirt, das besagt ja phäuomenolugisch, dafs die ihn
constituirende Anschauung Trägerin einer neuen Intention ist,
welche über ihn, den ei'scheinenden Gegenstand, hinausweist und
ihn eben dadurch als ein Zeichen charukterisirt. Die eventuell
vorhandene Analogie des Erscheinenden und des Gemeinten be-
stimmt hier nicht eine schlichte Bildvorsteilung, sondern eine auf
die Bildvorstellung aufgebaute Zeichenvorstollung. Der Umrifs von
England, wie ihn die Landkarte malt, mag die Form des Landes
selbst abbilden; aber die bei der Rede von England auftauchende
Phantasievorstellung der Karte meint nicht England selbst in
bildlicher Weise, auch nicht mittelbar, in der Weise des durch
diese Karte Abgebildeten; sondern sie meint England in der
Weise des blofseu Zeichens, dank den äufserlichen Beziehungen
der Association, die all unsere Kenntnisse über Land und Leute an
das Kartenbild angeknüpft hat. Daher gilt, indem die nominale
Intention sich auf Grund dieser Phantasievorstellung erfiiUt, nicht
das in der letzteren imaginirte Object (die Landkai-te), sondern
das von diesem erst repräsentirte Object als dasselbe, wie das
mit dem Namem Gemeinte.
§ 21. Die „Fülle" der VorsUllung.
Doch es wii'd jetzt noth wendig sein, die Leistung der intuitiven
Intentionen näher ins Auge zu fassen. Nachdem die Erfüllung
der mittelbaren Intentionen auf die Erfüllung, und zwar auf die
intuitive ErfiUlung unmittelbarer Intentionen zurückführt, und sich
auch herausgestellt hat, dafs das leti;te Ergebnis des ganzen
mittelbaren Processes eine unmittelbare Intention ist, so interessirt
uns jetzt die Frage nach der intuitiven Erfüllung unmittelbarer
Intentionen und nach den hiebei waltenden Erfüllungsverhältnissen
und -gesetzen. Diese Frage nehmen wir tdsu in Angrifl". Bei
den folgenden Untersuchungen soU, worauf wir gleich aufmerksam
3ä*
inacben, bezüglich der intentioiialen Wesen die Materie allein mafs-
gebend sein für die festzustellenden Verhältnisse. Die Qualitäten
(Setzung und „blofse" Vorstellung) können also beliebig ange-
nommen werden.
Wir beginnen mit folgendem Satze:
Zu jeder intuitiven Intention gehört — im Sinne idealer
Möglichkeit gesprochen — eine sich der Materie nach ihr genau
anmessende signitive Intention. Diese Einheit der Identificirung
besitzt nothwendig den Charakter einer Erfülhingseinheit, in wel-
cher das intuitive, nicht das signitive Glied den Charakter des
erfüllenden, und dann auch des im eigentlichsten Sinne Fülle
gebenden hat.
Den Sinn dieses Letzteren drücken wir nur anders aus,
wenn wir sagen, dafs die signitiven Intentionen in sich „leer"
und „der Fülle bedürftig" sind. Im üebergang von einer signi-
tiven Intention zur entsprechenden Anschauung erleben wir nicht
nur eine blofse Steigerung, wie beim Uebergang von einem abge-
blafsten Bilde oder einer blofsen Skizze zu einem voll-lebendigen
Gemälde. Vielmehr fehlt der signitiven Vorstellung für sich jedwede
Fülle, erst die intuitive Vorstellung bringt sie an sie heran und
durch die Identificirung in sie hinein. Die signitive Intention
weist blofs auf den Gegenstand hin, die intuitive macht ihn im
prägnanten Sinne vorstellig, sie bringt etwas von der Fülle des
Gegenstandes selbst. Wie weit das Bild im Falle der Imagination
hinter dem Gegenstande zurückbleiben mag, es hat mancherlei
Bestimmtheiten mit ihm gemein; und mehr als das, es „gleicht"
ihm, es bildet ihn ab, und so ist er „wirklich vorstellig". Die
signitive Vorstellung aber stellt nicht durch Analogie vor, sie ist
„eigentlich" garnicht „Vorstellung", vom Gegenstande wird in
ihr nichts lebendig. Die completo Fülle als Ideal ist also die
Fülle des Gegenstandes selbst, als Inbegriff der ihn constituirenden
Bestimmtheiten. Die Fülle der Vorstellung aber ist der In-
begriff derjenigen ihr selbst zugehörigen Bestimmtheiten, mittelst
welcher sie ihren Gegenstand analogisirend vergegenwärtigt oder
ihn als selbst gegebenen eifafst. Diese Fülle ist also nebeni
Qualität und Materie ein charakteristisches Moment der
Vorstellungen; ein positives Bestandstück freilich nur bei den
intuitiven Vorstellungen, ein Manko bei den signitiven. Je „klarer"
die Vorstellung ist, je gröfser ihre „Lebendigkeit", je höher
die Stiifo der Bildlichkeit, die sie ei-stcigt: umso reicher ist
sie an Fülle. Das Ideal der Fülle wäre demnach in einer
Vorstellung erreicht, die ihren Gegenstand, den volten uud ganzen,
in ihrem phänomenologischen Inhalt beschlösse. Das vermag
sicherlich , wenn wir zur Fülle des Gegenstandes auch die indivi-
du.alisirondon Bestimmtheiten rechnen, keine Imagination, vielmelir
nur die Wnhrnelinumg. .Sehen wii' von diesen Bestimmtheiten
jedoch ab, so ist hiemit auch für die Imagination ein Ideal
bestimmt bezeichnet.
Wir hätten also auf die Merkmale des vorgestellten Gegen-
standes zurückzugehen: je mehr dieser Merkmale an der analogi-
schen Repräsentation betheiligt sind, und für jedes einzelne:
je gröfeer die Steigerung der Aehnlichkeit ist, mit welcher die
Vorstellung dieses Merkmal in ihrem eigenen Inhalt repräsentirt —
umso gröfser ist die Fülle der Vorstellung. In gewisser Weise
ist allerdings, wie in jeder, so in der bildlichen Vorstellung jedes
Merkmal ihres Gegenstandes mitgemeint; aber nicht jedes ist
analogisch repräsentirt, nicht zu jedem gehört im phänome-
nologischen Inhalt der Vorstellung ein eigenes, es sozu-
sagen analogisirendes (verbildlichendes) Moment. Der
Inbegriff dieser miteinander innig verschmolzenen
Momente, als Fundamente der rein intuitiven (hier rein imagi-
nativen) Auffassungen gedacht, die ihnen erst den Charakter von
Repräsentanten der entsprechenden gegenständlichen Momente gebem
macht die Fülle der imaginativen Voretellung aus. Ebenso bei
der Wahrnehmongsvorstellung. Hier kommen neben den imagi-
nativen Repräsentationen auch perceptive Präsentationen, Selbst-
erfassungen, Selbstdarstellungen gegonstäiidlieher Momente in Be-
tracht. Nehmen wir den Inbegril! der, sei es imaginativ oder
perceptiv fungirenden Momente der Wahmehmungsvorstellung zu-
sammen, so haben wir damit die Fülle derselben abgegrenzt.
I
§ 22. F^ille und „intuitiver Geholt".
Genau besehen ist tier BegrifF der Fülle noch mit einer Doppel-
deiitigkeit hebaftet. Man kann die oben bezeichneten Momente
nach ihrem eigenen inhaltliclieu Bestände ins Auge fassen, unter
Abstraction von den Functionen reiner Imagination und Perception,
die ihnen erst den Werth der Bildlichkeit oder Selbstabschattung,
und somit ihren Werth für die Erfiillungsfunction. geben. Man
kann andererseits diese Momente in ihrer Auffassung, also nicht
diese Momente allein, sondern die vollen Bilder oder Selbstabscbat-
tungen betrachten; also, unter blofsem Ausschluss der intentionalen
Qualitäten, die ganzen rein intuitiven Acte, welche diese Momente,
indem sie sie gegenständlich deuten, zugleich in sich schliefsen.
Diese „rein intuitiven" Acte verstehen wir als blofse Bestandstücko
der vorgegebenen Anschauungen, nämlich als dasjenige in den
Anschauungen, was den vorhin näher bezeichneten Momenten die
Beziehung zu ihnen entsprechenden und durch sie darge-
stellten gegenständlichen Bestimmtheiten verleiht; mr schliefsen
somit (abgesehen von den Qualitäten) die etwa zudem nocli ein-
geknüpften aignitiven Beziehungen auf weitere, nicht zu
eigentlicher Darstellung kommenden Theile oder Seiten des
Gegenstandes aus.
Offenbar sind es diese rein intuitiven Bestandstücke, welche
den Acten als Ganzen den Charakter von Wahrnehmungen und
Bildvorstellungen, kurz den intuitiven Charakter ertheilen, und
welche im Zusammenhang der Erfüllungsreihen als Fülle gebend
und vorhandene B'ülle steigernd oder bereichernd fungiren. Wir
werden, um der Doppeldoutigkeit der Rede von der Fülle zu be-
gegnen, unterscheidende Termini einführen:
Unter darstellenden oder inlnitiv repräsentirenden
Inhalten verstehen wir diejenigen Inhalte intuitiver Acte, welche
vermöge der rein imaginativen oder perceptiven Auffassungen,
deren Träger sie sind, auf ihnen bestimmt entsprechende Inhalte
des Gegenstandes eindeutig hinweisen, sie in der Weise von
imaginativen oder perceptiven Abschattungen darstellen. Die sie
in dieser Weise charakterisirenden Actmomente schliefsen wir
jfidi)ch aus. Da der Charakter der Imagination in der analogisi-
renden Abbildung, in der „Re-präsentetion" in einem engeren Sinne
liegt, der Charakter der Wahrnehmung aber auch als Präsentation
bezeichnet werden kann, so bieten sich als untersclieidende Namen
für die darsteHemlen Inhalte im einen und anderen Fall die Namen:
nnalogisirendc oder abbildende und präsentirende oder
selbstdarstellende. Auch die Ausdrücke imaginativ and per-
reptir abschattende Inhalte sind recht bezeichnend. Die dar-
stellenden Inhalte der äufseren Wahrnehmung definiren den Be-
grifT der Empfinditnfi im gewöhnlichen, engen Sinn. Die dar-
.stellenden Inhalte der äufseren Phantasie sind die sinnlichen
Phayitasmen.
Die darstellenden oder intuitiv repräsentirenden Inhalte in
und mit der ihnen zugehörigen Auffassung nennen wir den
intuitiven Oehalt des Actes und sehen dabei immernoch von
der Qualität des Actes (ob sie setzende ist oder nicht), als für
alle hier fraglichen Unterscheidungen gleichgiltig, ab. Vom intui-
tiven Gehalt ausgeschlossen sind nach dem Obigen ferner alle
signitiven Componenten des Actes.
§ 23. Die Oemchtsverhälinisse zwischen intuitit>em und signitivem
GehaH ein und desselben Actes. Reine Intuition und reine Sitfnification.
Walirnehmungainhalt und BUdinlialt, reine Wahrnehmung und reine
Imagination. Die ffradalionen der Fülle,
Zur vollen Klärung der eben abgegrenzten Begriffe und zur
leichteren Abgrenzung einer Reihe neuer, im selben Boden wur-
zelnder Begriffe stellen wir folgende Ueberlegung an.
In einer anschaulichen Vorstellung ist ein Gegenstand in der
Weise der Imagination oder Perception gemeint; er „kommt" in
ihr, mehr oder minder vollkommen „zur Erscheinung". Nothwendig
müssen jedem Theil, überhaupt jeder Bestimmtheit des Gegenstandes,
und zwar als des hie et nunc gemeinton, gewisse Momente oder
Stücke des Actes entsprechen. Worauf sich kein Meinen bezieht,
das ist für die Vorstellung niciit vorhanden. Nun finden wir im
p
Allgemeinen die Möglichkeit zur folgenden pbänomenologiscben
Unterscheidung gegeben :
1. der rein intuitive Oehalt des Actes, als dasjenige, vras
im Acte dem Inbegriff der „in die Ei-scheinung fallenden"
Bestimmtheiten des Objectes entspricht;
2. der signitive Gehalt des Actes, imgleichen entsprechend
dem Inbegriff der übrigen, zwar mitgemeinten, aber nicht
selbst in die Erscheinung fallenden Bestimmtheiten.
So machen wir ja alle, und zwar rein phänomenologisch, in
der Anschauimg einer Dingwahrnehmung oder eines Bildes den
Unterschied zwischen dem, was darin vom Objecto wirklich zur
Erscheinung komme, zwischen der blofsen „Seite", von welcher
es sich uns zeige, und dem, was der Darstellung ermangle, was
durch andere phänomenale Objecto verdeckt sei u. dergl. Offenbar
liegt im Sinn dieser Rede, was die phänomenologische Analyse
in gewissen Grenzen sicher bewährt, dafs auch Nicht-Dargestelltes
in der anschaulichen VorsteHung mitgemeint ist, und ihr somit
ein Gehalt an signitiven Componenten zugeschrieben werden mufs.
Von ihm müssen wir erst abstrahiren, wenn wir den intuitiven
Inhalt rein erhalten wollen. Dieser Letztere giebt dem darstellen-
den Inhalt seine directe Beziehung zu entsprechenden gegenständ-
lichen Momenten, und erst durch Contiguität knüpfen sich an ihn
die neuen, iusofem also mittelbaren Intentionen signitiver Art.
Definireu wir nun als das Geivicht des intuitiven, bezw. signi-
tiven Inhalts den Inbegriff der intuitiv, bezw. signitiv vorgestellten
gegenständlichen Momente, so ergänzen sich die beiden Gewichte
in jeder Vorstellung zur Einlieit des Gesammtgewichts, d. i. zum
Gesammtinbegriff der gegenständlichen Bestimmtheiten. Es gilt
also jederzeit die symbolische Gleichung
i + s—\.
Die Gewichte?' und s können offenbar vielfach variiren: derselbe,
intentional derselbe Gegenstand kann mit versciiiedenen, und bald
mit weniger, bald mit mehr Bestimmtheiten intuitiv werden; dem-
entsprechend ändert sich auch der signitive Inhalt, er wächst oder
nimmt ab.
:^
Zur Phänomenologie der Erksnntnisstufen. 553
Ideell ergiebt sich nun die Mcigliclikeit zweier Grenzfälle:
i ^ 0 s = i,
i= 1 8 = 0.
Tm ersten Fall hätte die Vorstellung nur einen signitiven Inhalt; von
ihrem intentioralen Gegenstände bliebe keine Bestimmtheit übrig,
die sie in ihrem Inhalte zur Darstellung brächte. Die uns speciell
als reine Bedeutungsintentionen wolbekannten rein signitiven Vor-
stellungen erscheinen also hier als firenztalle der intuitiven.
Im zweiten Falle enthält die Vorstellung gar keinen signi-
tiven Inhalt. Alles an ihr ist Fülle; keinTheil, keine Seite, keine
Bestimmtheit ihres Gegenstandes, die nicht intuitiv dargestellt,
keine, die blofs indirect mitgemeint wäre. Nicht nur ist alles,
was dargestellt ist, gemeint (was ein analytischer Satz ist), sondern
es ist auch alles Gemeinte dargestellt. Diese uns neuen Vorstellun-
gen definiren wir als reine Anschanungen. Wir gebrauchou
übrigens diesen Ausdruck in einem unseluidlichen Doppelsinn:
bald 80 dafs der volle Act befafst ist, bald unter Abstraction von
der Qualität. Unterscheidend können wir von qualificirten und
nicht -iiualificirlen reinen Anschauungen sprechen. Ebenso
auch bei allen verwandten Acten.
Nim können wir doch in jeder Vorstellung von den signitiven
Componenten abstrahiren, indem wir uns auf das beschränken,
was in ihrem repräsentativen Inhalt wirklich zur Repräsentation
kommt. "Wir können also eine reducirtc Vorstellung bilden,
mit einem derart rcdiicirten Gegenstande, dafs sie in Beziehung
auf ihn reine Anschauung ist. Demgemäi's können wir auch
sagen, der intuitive Gehalt einer Vorstellung befasse dasjenige,
was in ihr reine Anschauung sei; wie wir dann auch hin-
sichtlich des Gegenstandes von seinem rein intuitiven, nämlich
in dieser Vorstellung zu reiner Intuition kommenden Inhalt
sprechen dürfen. Dies überträgt sich auf den signitiven Gehalt
der Vorstellung, wir können ihn als dasjenige bezeichnen, was an
ihr reine Signification ist.
Der gesammte jeweilige Act der Anschauung besitzt nun
entweder den Charakter der Wahrnehmung oder den der Bildvor-
Stellung. Der intuitive Gehalt höifst dann specioU pereeptiver
oder Wnhrnehmungsinhnlt, bezw. imaginativer oder Bild-
inhalt. Er ist niclit zu verwechseln mit dem imnginativ dar-
stellenden, abhildenden Inhalt im oben definirten Sinne.
Dor Wahr)iehmun£;sinhalt befafst, obsolion in der Retrel nicht
anssrhliefelioli, präsentirendo Inhalte; der Bildinbalt nur analogi-
sirende Inhatte. Dafs diese leteteron Inhalte mitunter noch eine
andere Auffassung zulassen, in der sie, wie im Falle der physischen
Bilder, als präsentirende fungiren, thut nichts zur Sache.
Vermöge der Mischung zwischen perceptiven und imaginativen
Componenten, welche der intuitive Inhalt einer "Wahrnehmung
znläfst und in der Regel aufweist, können wir wieder eine
Sonderung vorgenommen denken, wonach nämlich der Wahr-
nohmungsinhaU in den reinen WakrnfhmungsinhaU und einen
ergänzenden Bildinbalt zerfällt wird.
Ebenso in jeder reinen Anschauung. Sind Wr und ü», die Ge-
wichte ihrer rein perceptiven, bezw. imaginativen Componenten,
so können wir die symbolische Gleichung ansetzen
wobei 1 das Gewicht des intuitiven Gesammtinhalts der reinen An-
schauung, also den Gesammtinhalt ihres Gegenstandes symbolisirt.
Ist nun hr = ö, d. h. die reine Anschauung von allem Bild-
inbalt frei, so heifst sie reine Wahrnehnuing, oder besser reine
Pcrcepfion.; denn vom qualitativen Charakter, den der Sinn
des Terminus Wahrnehmung als setzenden mitzubefassen pflegt,
soll hier abgesehen bleiben. Ist umgekehrt ?r, = fl, so heifst die
Anschauung reine Bild Vorstellung frri)ie Imagination). Die „Rein-
heit" der reinen Wahniehmung bezieht sich also nicht nur auf
signitive, sondern auch auf imaginative Zuthaten. Die Einschrän-
kung einer unreinen WahrnebmuDg durch Ausscheidung der symbo-
lischen Componenten liefert die ihr einwohnende reine Anschauung,
und erst ein weiterer Schritt der Redurtion, die Ausscheidung
alles Bildlichen, liefert den Gebalt an reiner Wahrnehmung.
Ist nicht in der reinen Wahiuebmung der darstellende Inhalt
identisch mit dem Gegenstande selbst? Das Wesen der reinen
Präsentation besteht doch darin, reine Selbstdarstellung des Gegen-
standes zu sein, also den diu-stel! enden Inhalt direct (in der Weise
des „selbst") als ihren Gegenstand zu meinen. Doch das wäre
ein Trugschlufs. Die Wahrnehmirng, als Präsentntion, fafst den
darstellenden Inhalt so, dafs mit und in ihm der Gegenstand als
selbst gegeben erscheint. Rein ist die Priisentatiou dann, wenn
jeder Theil des Gegenstandes im Inhalte wirklich priisentirt und
keiner blofs imaginirt oder symbolisirt ist. So wie im Gegen-
stände nichts ist, was nicht präsentirt, so im Inhalte nichts, was
nicht präsentirend ist. Trotz dieser genauen Correspondenz kann
die Selbstdarstelhing den Charnkter einer blofsen, wenn aucli all-
seitigen Äbschattung (eines vollständigen „Wahniehmungsbildes")
haben, sie braucht nicht an das Ideal der Adäquation heranzu-
reichen, bei dem der darstellende Inhalt zugleich der dargestellte
ist. Die reine Bildvorstellung, die ihren Gegenstand vermöge ihrer
Reinheit von allen signitiven Zuthaten vollständig verbildlicht, be-
sitzt in ihrem darstellenden Inhalt ein vollständiges Analogen des
Gegenstandes. Dieses Analogon kann sich dem Gegenstand mehr
oder minder annähern, bis zur Grenze der vollen Gleichheit Genau
dasselbe kann auch von der reinen Wahrnehmung gelten. Nur
darin besteht der Unterschied, dafs die Imagination den Inhalt
als Analogon, als Bild auffafst, die Wahrnehmung aber als Selbst-
erscheinung des Gegenstandes. Nicht blofs die reine Imagination,
auch die reine Wahrnehmung läfst darnach bei Festhaltung ihres
Intention alen Gegenstandes noch Unterschiede der Fülle zu.
Hinsichtlich der Gradationen der Fülle an intuitivem
Inhalt, mit welchen die Gradationen der Fülle an ropräsentiren-
dem Inhalt eo ipso parallel laufen, können wir unterscheiden:
1. den Umfang oder Reichthum an Fülle, wechselnd,
je nachdem der Inhalt dos Gegenstandes mit gröfserer oder
geringerer Vollständigkeit zur Darstellung kommt.
2. die Lebendigkeit der Fülle als Grad der Annäherung
der primitiven Aebniichkeiten der Darstellung an die ent-
sprechenden Inhaltsmomente des Gegenstandes,
3. den Realitatsgohalt der Fülle, ihr Mehr oder "Weniger
an präsentirenden Inhalten.
In allen diesen Beziehungen stellt die adäquate Wahrnehmung
das Ideal dar, sie hat das Maximum des ümfangs, der Lebendig-
keit und der Realität, eben als Selbsterfassung des vollen nnd
ganzen Objects.
§ 24. Steigerungsreihen der Erfüllung.
Die Rede von der „Fülle" fürmten wir mit Beziehung am
die Verhältnisse der „Erfftlhing", dieser eigenthümlichen Form
der Synthesis der Identiticirung. In den letzten Feststellungen
haben wir aber nicht nur den Begriff der Fülle, sondern auch
die Unterschiede ihrer gröfseren oder geringeren Vollständigkeit,
Lebendigkeit, Realität, und somit auch die Abstufungen der Bild-
lichkeit und Abscliattung, durch Verhältnisse innerer Momente
der Vorstellungen zu einander und zu den intendirten gegenständ-
lichen Momenten erklärt. Es ist jedoch evident, dafs diesen
Verhältnissen mögliche Steigerungsreihen, gebaut aus Er-
füll ungs Synthesen, entsprechen.
Erfüllung stellt sich, auf Grund erster Zuwendung einer
Fülle überhaupt, in der identificirenden Anpassung „correspon-
dirender" Anschauung an eine signitive Intention ein. Der in-
tuitive Act „giebt" dem signitiven im Deokungszusammenhang
seine Fülle. Das Steigorungsbewufstsein gründet hier in der
Partialdeckung der Fülle mit dem correlaten Theil der signitiven
Intention, während der Identificirung der einander entsprechenden
Leerstücke der beiderseitigen Intentionen kein Antheil am Steige-
rungsbewufstsein wird zugeschrieben werden können.
Coutinuiiliche Steigerung der Erfüllung vollzieht sich
dann weiter in der Continuität intuitiver Acte, bezw. Erfüllungs-
reiben, welche den Gegenstand mit immer mehr erweiterter und
gesteigerter Bildlichkeit vorstellen. Dafs B.^ ein „vollkommeneres"
Bild als Bi ist, besagt, dafs im synthetischen Zusammenhang
der zugehörigen Bildvorstellungen Erfüllung, und nach Seiten des
jB, Steigerung statthat. Zu Steigerungen gehören, wie überhaupt,
so auch hier Abstände, und in der Verkettung der Verhältnisse
„Transitivität". Ist also zugleich Z?, > 2?j und i?3>i?2, so ist
Sä>ß,, und dieser letztere Abstand ist gröfeer als die ihn ver-
mittelnden Abstände. So zum Mindesten, wenn wir die drei oben
unterschiedenen Momente der Fülle: Umfang, Lebendigkeit und
Realität gesondert in Rechnung ziehen.
Diesen Steigerungen und Steigerungsreihen entssprechen, wie
die Analyse lehrt, Aehnlichkeiten und Aehnüchkeitsreihen hin-
sichtlich der darstellenden Inhalte der Füllen. Die Aehnlich-
keit der Repräsentanten ist allerdings nicht ohne Weiteres als
Steigerung, die Aelrnlichkeitsverkettnng nicht als Steigerungsreihe
in Anspruch zu nehmen; nämlich nicht, wenn diese „Füllen"
nach ihrem eigenen inhaltlichen Bestände und unter Abstraction
Ton ihrer repräsentirenden Function in den zugehörigen Acten
betrachtet werden. Eist vermöge dieser Fiuiction, also vermöge
der Thatsache, daTs in der Ordnung der ErfüUungsreihc und der
zwischen ihren Acten waltenden Steigerungen, jeder spätere Act
der Fülle noch als reicher erscheint, gewinnen auch die repräsen-
tirenden Inhalte der Acte eine aufsteigende Ordnung; schrittweise
ei-scheinen sie selbst nicht nur überhaupt als Fülle gebend, son-
dern als immer reichere Fülle gebend. Die Bezeichnung dieser
Bestandstücke als Füllen ist eben eine relative, functionelle, sie
drückt eine Charakteristik aus, die dem Inhalt durch den Act
und durch die Rolle dieses Actes in möglichen ErfüUungssynthesen
zuwächst. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Bezeichnung
„Gegenstand". Gegenstand zu sein, ist kein positives Merkmal,
keine positive Art eines Inhalts, es bezeichnet den Inhalt nur als
intentionales Correlat einer Vorstellung. Im Uebrigen gründen
die ErfüUungs- und Steigorungsverhältnisse offenbar in dem phä-
nomenologischen Gehalt der Acte rein nach seinem specilischen
Bestände. Es handelt sich durchaus um ideale, durch die be-
treffenden Species eindeutig bestimmte Verhältnisse.
In der Synthese intuitiver Acte findet aber nicht immer
Steigerung der Fülle statt; denn es kann partielle Erfüllung und
partielle EntfüUung Hand in Hand gehen, worüber wir oben
558 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenninis.
schoa gesprochen haben. Letztlich ftlhrt, so können wir danach
sagen, die Unterscheidung zwischen blofser Identification
und Erfüllung darauf zurück, dais bei der ersteren entweder
überhaupt keine ErfiÜluug im wahren Sinn statthat, weil es sich
um Identitätssynthesen von Acten handelt, die sämmtlich ohne
Fülle sind; oder es findet zwar Erfüllung, bezw. Bereicherung
der Fülle statt, aber unter gleichzeitiger Entleerung, unter Dahin-
gabe bereits vorhandener Fülle, so dalJs kein ausgeprägtes und
reines Steigerungsbewufstsein zu Stande kommt Die primitiven,
auf die Elementarintentionen bezüglichen Verhältnisse sind jeden-
falls: Erfüllung einer leeren, d. i. rein signitiven, und Zufüllung
einer bereits einigermafsen gefüllten, d. i. Steigerung und Reali-
sirung einer imaginativen Intention.
§ 25. JFVilk und intentionale Materie.
Wir wollen jetzt das Verhältnis des unter dem Titel Fülle
befalsten neuen BegrifTes von Vorstellungsinhalt zu dem Inhalt
im Sinne der Materie erwägen, welch letzterer in der bisherigen
Untersuchung eine so grolse Bolle gespielt hat Die Materie galt
uns als dasjenige Moment des objectivirenden Actes, welches macht,
dafs der Act gerade diesen Gegenstand und gerade in dieser
Weise, d. h. gerade in diesen Gliederungen und Formen, mit
besonderer Beziehung gerade auf diese Bestimmtheiten oder Ver-
hältnisse vorstellt Vorstellungen von übereinstimmender Materie
stellen nicht nur überhaupt denselben Gegenstand vor, sondern
sie meinen ihn ganz und gar als denselben, nämlich als
völlig gleich bestimmten. Die Eine theilt ihm in ihrer In-
tention nichts zu, was ihm nicht auch die Andere zu theilt. Jeder
objectivirenden Gliederung und Form auf der einen Seite ent-
spricht eine Gliederung und Form auf der andern Seite, derart
dafs die übereinstimmenden Vorstellungselemente objectiv dasselbe
meinen. In diesem Sinne sagten wir in der V. Untersuchung,* in
den Erläuterungen zum BegrifT der Materie und des bedeutungs-
' S. 393.
mäJsigeu Wesens; „Zwei Uitheile sind wesentlicL dasselbe UrtLeil
[nämlieli ürtheile dei-selben Materie], wo Alles, was vom beur-
theilteu Sachverhalt nach dem eiueu Urtbeil gelten würde, von
ihm auch nach dein andern gelten milfste, und nichts Anderes.
Ihr Wahrbeitswertb ist derselbe." Sie meinen eben bezüglich
des Oegenstandes dasselbe, mögen sie sonst auch recht erheblich
unterschieden sein; i. B. das eine nur siguificativ vollzogen, das
andere von mehr oder weniger Anschauung durchleuchtet.
Was mir für diese Begriöibilduiig ui-sprünglich die Kichtung
gab, war das Identische im Aussagen und Verstehen eines und des-
selben Ausdrucks, wobei der Eine den Aussageinhalt „glauben" und
der Andere ihn „dahingestellt lassen" kann, ohne diese Identität
zu stören; wobei es ferner nicht darauf ankommt, ob sich das
Ausdrücken in Anmessuug an correspondirende Anschauungen
vollzieht, und überhaupt vollziehen kann, oder nicht. Daher
könnte man sogar geneigt sein (und ich selbst habe in diesem
Punkte lange geschwankt), die Bedeutung geradezu als diese
„Materie" zu detiniren; was aber die Unzutiägliclikeit hätte, dals
z. £. in der pradicireuden Aussage das Moment des actuellen
Behaupten» von der Bedeutung ausgeschlossen wäre. [Jeden-
falls könnte man den Bedeutungsbegrifi' zunächst so beschränken
und dann zwischen ijualificirten und unqualificirten Be-
deutungen unterscheiden.) Die Vergleichung von Bedeutungs-
intenüonen und ihren correlaten Anschauimgeu in der statischen
und dynamischen Einheit der identiticirendeu Deckung ergab
dann, dals dieses Selbe, was als Materie der Bedeutung abgegrenzt
war, sich in der correspondirendeu Anschauung wiedertinde und
die Identification vermittle, und dal's somit die Freiheit in der
Hinzunahnie oder Weglassung anschaulicher Elemente und sogar
der ganzen correspoudii'enden Anschauungen, wo es sich nur um die
identische Bedeutsamkeit des Jeweiligen Ausdrucks handelt, darauf
beruhe, dafs der dem Wortlaut angehängte Gesammtaet auf der
Anschauuugsseite dieselben Materien hat, wie auf der Bedeutungs-
seite; nämlich nach all den Bedeutuugstheileu, die überhaupt zur
Yeranschaulichung kommen.
Danach ist es klar, dufs der Begriff der Materie durch die
Eillheit der totalen Identiticirung, und zwar als dasjenige in
den Acten, was in ihnen als Fundament der Identifici-
rung dient, definirt ist, und dofs folglich die über die blo&e
Identificirung hinausgehenden, die Eigenheiten der Erfüllung und
ErtüUungssteigennig mannigfaltig bestimmenden Unterschiede der
Fülle in dieser BegrifFsbiiduiig nicht berücksichtigt sind. Wie
immer die Fülle einer Vorstellung innerhalb ihrer möglichen Er-
füUungsreihen variirt, ihr intentionaler Gegenstand, welcher und
sowie er intendirt ist, bleibt derselbe; mit andern Worten, seine
Materie bleibt dieselbe. Anderei-seits sind aber Materie und Fülle
nicht beziehungslos, und wo wir einem rein signitiven einen ihm
Fülle zuführenden Act der Anschauung an die Seite stellen, da
unterscheidet sich dieser von jenem nicht etwa dadurch, dafs sich
der gemeinsamen Qualität und Materie noch die Fülle als ein
drittes, von diesen Beiden gesondertes Moment augegliedert bat
So zum Mindesten nicht, wenn wir unter Fülle den intuitiven
Inhalt der Anschauung verstehen. Denn der intuitive Inhalt be-
fafst selbst schon eine ganze Materie, nämlich hinsichtlich des auf
eine reine Anschauung reducirten Actes. Ist der vorgegebene
Anschauungsact von vornherein ein Act reiner Anschauung, so
ist seine Materie zugleich ein Bestaudstück seines intuitiven
Inhalts.
Am passendsten werden wir die hier obwaltenden Verhält-
nisse, durch Pai-allelibirung der signitiven und intuitiven Acte,
in folgender Art fassen können:
Der rein signitive Act bestände als eine blofse Complexion
von Qualität und Materie, wenn er überhaupt für sich sein, d. i.
für sich eine concrete Erlebniseinheit bilden konnte. Das kann
er nicht; wii' finden ihn immer als Anhang einer fundirenden
Anschauung. Diese Anschauung des Zeichens hat aüordings mit
dem Gegenstande des significativen Actes „nichts zu thun", d. h.
sie tritt zu diesem Acte iu keine Erfüllungsbeziehung; aber sie
realisirt seine Möglichkeit in concreto als die eines schlechthin
unerfüllten Actes. Es scheint also folgender Satz zu gelten:
Eine StKiiification ist nur darltirrli niögrlich, rlafs eine Intuition
mit einem neuen intentionalen AVeson behaftet ist, wodurcii der
intuitive Gegenstand in der Weise eines Zeichens {gleich giltig ob
eines festen oder nur momentan sich darbietenden) über sich hiii-
ausweist. Genauer erwogen, drückt dieser Satz den hier walten-
den Nothwendigkeitsznsaninienhang nicht mit der erforderlichen
analytischen Klarheit aus und sagt vielleicht sogar mehr, als sieli
überhaupt rechtfertigen läfst. Wir werden wol behaujiten dürfen,
dafs es nicht die fundirende Anschauung als Ganzes, son-
dern nur ihr repriisentirender Inhalt ist, was dem signitiven
Acte wesentlich die Stütze verleiht. Denn was über diesen In-
halt hinausgeht und das Zeichen als Gegenstand bestimmt, kann
willkürlich variiren, ohne die signittve Function zu stören.
Ob z. B. die Buchstaben eines Wortzeichens aus Holz, Eisen,
Druckerschwärze sind u. s. w., bezw. ob sie objectiv als dergleichen
erscheinen, ist gleichgiltig. Es kommt nur die überall wieder
erkennbare Gestalt ha Betracht, aber auch nicht als die objec-
tive Gestalt des Dinges aus Holz u. s. w., sondern als die im
darstellenden siuulicbeu Inhalt der Atischauuog wirklich vor-
handene Gestalt. Besteht der Zusammenhang nur zwischen dem
signitiven Act und dem darstellenden Inhalt der Anschauung, sind
also Qualität und Materie dieser Auscbauimg für die signitive
Function bedeutungslos, so werden wir auch nicht sagen können,
jeder signitive Act bedürfe einer fundireiideu Anschauung, son-
dern er bedürfe eines fundirenden Inhalts. Als solcher kann jedes
beliebige Erlebnis fungiren, wie ja auch jedes als darstellender
Inhalt einer Anschauung fungiren kann.
Ziehen wir nun den parallelen Fall in Erwägung, den des
rein intuitiven Actes, so ist auch seine Qualität und Materie
(sein intentionales Wesen) nicht für sich abtrennbar; auch hier
bedarf es einer nothwendigen Ergänzung. Diese liefert der reprä-
sentireude Inhalt, d. h. der (im Falle der sinnlichen Anschauung
sinnliche) Inhalt, welcher in der vorliegenden Verwebung mit
einem intentionalen Wesen den Charakter eines intuitiven Re-
präsentanten angenommen hat. Beachten wir, dafs dei-selbe (z. B.
Hniiarl, Lo(. U&ten. H. 36
sionliche) Inhalt einmal als Träger einer Signification , das andere
Mal als Träger einer Intuition dienen kann (hindeutend — ab-
bildend), so liegt es nahe, den Begriff des repräsentirenden Inhalts
zu erweitem, und zwischen signitiv und intuitiv repräsen-
tirenden Inhalten (oder kurzweg: signitiven und intnitiv^en
Repräsentanten) zu unterscheiden.
Diese Eintheilung ist aber unvollständig. Wir haben bisher
nur die rein intuitiven und rein signitiven Acte berücksichtigt.
Ziehen wir nun auch die gemischten Acte heran, die man ali-
gemein unter dem Titel Anschauung mitbefalst, so ist ihre Eigen-
heit damit bezeichnet, dais sie einen repräsentirenden Inhalt
haben, welcher in Hinsicht auf den einen Theil der vorgestellten
Gegenständlichkeit als abbildender oder selbstdarstellender Reprä-
sentant, in Hinsicht auf den ergänzenden Theil als blolse Hin-
deutung fungirt. Wir müssen also den rein signitiven und rein
intuitiven Bepräseutimten die gemischten beiordnen, welche zu-
gleich signitiv und intuitiv repräseutiren, und zwar iu
Beziehung auf dasselbe intentionale Wesen. Wir können
jetzt sagen:
Jeder concret vollständige objectivirende Act hat
drei Componenten; die Qualität, die Materie und den
repräsentirenden Inhalt. Je nachdem dieser Inhalt als
rein eignitiver oder rein intuitiver Repräsentant oder
als Beides zugleich fungirt, ist der Act ein rein signi-
tiver, rein intuitiver oder gemischter.
I
§ 26. Fortsetzung. Repräsentation oder Auffassung.
Die Materie als der Auffassungssinn, die Auffassungsform und der
aufgefafste Mialt. Unterscfieidende Charakteristik der intuitiven lend
sipiitiven Auffassung.
Es fragt sich nun, wie dieses Fungiren zu verstehen
ist, da doch ö priori die Möglichkeit besteht, dafs derselbe In-
halt in Verbindung mit derselben Qualität und Materie in dieser
dreifachen Weise fungire. Es ist klar, dafs es nur die phäno-
raenologische Eigenart der Einheitsform sein kann, die dem
Unterschied, als einem pbänomenülügisch vorfindlichen, seinen
Inhalt giebt. Diese Form verknüpft aber speciell die Materie
und den Repräsentanten. Die repräsentative Function leidet ja
nicht durch den Wechsel der Qualität. Oh uns z. B. die Phan-
tasieerscheinimg als die Vergegenwärtigung eines wirklichen Ob-
jects gilt, oder als blol'se Einbildung, ändert daran nichts, dafs
sie Bildvorstellung ist, dafs ihr Inhalt also die Function eines
Bildiuhalts trägt Wir nennen daher die phänomenologische
Einheit zwischen Materie und Repräsentanten, sofern sie
dem letzteren den Charakter als Repräsentanten verleiht, die
Form der Repräsentation, und das durch sie hergestellte
Ganze jener beiden Momente Repräsentaiioti .schlechtkt?i.
Diese Bezeichnung prägt die Beziehung zwischen repräsentirendem
und repräsentirteni Inhalt (dem Gegenstand, oder Gegenstandstheil,
welcher repräsentirt ist) nach seinem phänomenologischen Grunde
aus. Lassen wir den phänomenologisch nicht gegebenen Gegen-
stand aufser Spiel, um nur auszudrücken, dafs uns, wo der In-
halt als Repräsentant, und näher als Repräsentant dieser oder
jener Art und für dieses oder jenes Gegenständliche, fungirt, mit
ihm immer wieder anders „zu Muthe" ist, so sprechen wir von
dem Wechsel der Auffassung. Wir können also die Form
der Repräsentation auch als Auffassuugsform bezeichnen.
Da die Materie sozusagen den Sinn augiebt, nach dem der
repräsentii-ende Inhalt aufgefafst wird, so können wir auch von
Auffassungssinn sprechen; wollen wir die Erinnerung an den
alten Terminus festhalten und zugleich den Gegensatz zur Form
andeuten, so sprechen wir auch von Auffassungsmaterie.
Demnach hätten wir bei jeder Aui^fassung phänomenologisch zu
unterscheiden: Auffassungsmaterie oder Auffassungssinn,
Auffassungsform und aufgefafsten Inhalt; welch letzterer
vom Gegenstande der Auffassung zu unterscheiden ist. —
Der Ausdruck Apperception palst, obschon historisch gegeben,
durch seinen falschen terniinulogischen Gegensatz zu Perception,
nicht; brauchbar wäre dagegen Apprehension.
36 ♦
Die nächste Frage betrifft ilie unterscheidende Charakt«ristik
der verschiedenen Weisen der Repräsentation oder Äuffiissung,
die nach dem oben Gesagten auch verschieden sein können bei
Identität der Auffassungsmaterie (des „als was" der Auffassung).
Ira vorigen Kapitel haben wir die Unterschiede der Repräsenta-
tionen durch die Unterschiede der Erfüllungsformen charakterisirt;
im jetzigen Zusammeniiang ist es auf eine innere Charakteristik,
die sich auf den eigenen descriptiven Gehalt der Intentionen be-
schränkt, abgesehen. Benützen wir die Ansätze einer analytisclien
Verdeutlichung, die sich uns in der früheren Behandlung geboten,
und zugleic!) die Fortschritte, die wir inzwischen im allgemeinen
Verständnis der Repräsentationen gemacht haben, so ergiebt sich
folgende Ideenreihe:
Den Ausgang nehmen wir von der Bemerkung, dafs die
signitive Repräsentation zwischen der Materie und dem Re-
präsentanten eine zufällige, äufserliche Beziehung herstellt,
die intuitive Repräsentation aber eine wesentliche, innerliche.
Die Zufälligkeit liestelit im ersten Falle darin, dafs identisch die-
selbe Signiticatioii jedem beliebigen Inhalt angehängt zu denken
ist. Die significative Materie bedarf nur überhaupt eines
stützenden Inhalts, aber zwischen seiner specifiscben Beson-
derheit und ihrem eigenen specifischen Bestände finden
wir kein Band der Nothwondigkeit. Die Bedeutung kann
sozusagen nicht in der Luft hängen, aber für das, was sie be-
deutet, ist das Zeichen, dessen Bedeutung wir sie nennen, völlig
gleichgiltig.
Ganz anders im Falle der rein intuitiven Repräsentation.
Hier besteht ein innerer, nothwendiger Zusammenhang
zwischen der Materie und dem Repräsentanten, durch
den specifischen Gehalt der Beiden bestimmt Als intuitiver Re-
präsentant eines Gegenstandes kann nur ein Inhalt dienen, der
ihm ähnlich oder gleich ist. Phänomenologisch ausgedrückt: als
was wir einen Inhalt auffassen (in welchem Auffassungssinne), das
steht uns nicht ganz frei; und nicht blofe aus empirischen Grün-
den — denn empirisch nothwendig ist jede, auch die significative
Auffassung — sondern weil uns der aufzufassende Inhalt durch
eine gewisse Sphäre der AebnJichkeit und Gleichheit, also durch
seinen specifischen Gehalt, Grenzen setzt. Diese Innerlichlieit
der Beziehung knüpft nicht nur die Äuffassungsmaterie als
ganze und den ganzen Inhalt aneinander, sondern ihre beider-
seitigen Thcile Stück für Stück. So in dem vorausgesetzten
Falle reiner Intuition. Im Falle der unreinen Intuition ist
die specifische Einheit eine partielle: ein Theil der Materie — die
Materie der reducirten und dann natürlich reinen Anschauung —
giebt deu intuitiven Sinn an, in dem der Inhalt aufgefafst ist; der
übrige Theil der Materie erfahrt keine Repräsentation durch Gleich-
heit oder Aehulichkeit, sondern durch blofse Contiguität, d. h. in
der gemischten Anschauung fungirt der repräsentirende Inhalt
nach einem Theile der Materie als intuitiver, nach dem ergänzen-
den als signltiver Repräsentant.
Fragt man nun schliefslich, was es macht, dafs derselbe In-
halt im Sinne derselben Materie einmal in der Weise des intuitiven,
das andere Mal in der eines signitiven Repräsentanten aufgefaTst
werden kann, oder worin die verschiedene Eigenart der Auf-
fassungsform besteht, so vermag icii darauf eine weiteiführeude
Antwort nicht zu geben. Es handelt sich vvol um einen phäno-
menologisch irreductibehi Unterschied.
Wir haben in diesen Ueberlegungen die Repräsentation als
Einheit von Materie und repräsentirendem lohidt für sich be-
trachtet. Gehen wir wieder auf die vollen Acte zurück, so stellen
sie sich als Verknüpfungen zwischen der Actqualität und der, sei
es intuitiven oder signitiven Repräsentation heraus. Die ganzen
Acte nennt man intuitive oder signitive, ein Dnterschied, der
also durch die eingowubeuen Repräsentatiünen bestimmt ist. Das
Studium der ErfQlIuugs Verhältnisse hatte uns oben zum Begriff
des üituitiven Gehalts oder der Fülle eines Actes geführt. Ver-
gleichen wir diese Begrif^sbildung mit der jetzigen, so grenzt sie
die einem Act unreiner Anschauung zugehörige rein intuitive
Repräsentation {■= reine Anschauung) ab. Die „Fülle" war ein Be-
griff, der speciell für die vergieiclieu<le Betrachtung der Acte in
ihrer erfüllenden Function geprägt war. — Der gegensätzliche
Grenzfall zu reiner Anschauung, die reine Signification , ist natür-
lich dasselbe wie rein signitive Repräsentation.
§ 27. Repräsenlationeti als nothwemlige Vorslellungsffrundlagen
in allen Aelen. Letzte Klärung der Rede von den verschiedenen Weisen
der Beziehung des Bewnfstseins auf einen Oegenstand.
Jeder objectivirende Act schliefst eine Repräsentation in sich.
Jeder Act überhaupt ist, nach den Darlegungen der V. Unter-
suchung,' entweder selbst ein objectivirender, oder hat einen sol-
chen Act zur Grundlage. Also die letzte Grundlage aller Acte
sind „Vorstellungen" im Sinne von Repräsentationen.
Die Rede von der verschiedenen Weise der BexiehuHij
eines Actes auf seinen Oegenstand hat nach den bisherigen
Ueberlegungeu folgende wesentlichen Vieldeutigkeiten. Sie betrifft:
1. Die Qualität der Acte, die Weisen des Glaubens, blofsen
Dahingestclltseinlassens, Wiinschens, Zweifeins u. s. w.
2. Die zu Grunde liegende Repräsentation, und zwar
a) die Auffassungsform: ob der Gegenstand blüfs signitiv,
oder intuitiv, oder in gemischter Weise vorstellig ist.
Hierher gehören auch die Unterschiede zwischen Wahr-
n eh niungs Vorstellung, Phantasievorstellung u.8.w.;
b) die Auffassungsmaterie: ob der Gegenstand in diesem
oder jenem „Sinne" vorgestellt ist, z. B. signifit-ativ durch
verschiedene, diesen selben Gegenstand vorstellenden, aber
ihn verschieden bestimmenden Bedeutungen;
c) die aufgefafsten Inhalte: ob der Gegenstand mittelst
dieser oder jener Zeichen vorgestellt ist, oder mittelst
dieser oder jener darstellenden Inhalte. Genau besehen,
handelt es sich in diesem zweiten Falle, vermöge der
gesetzlichen Beziehung zwischen intuitiven Repräsentanten,
Materie und Form, zugleich um Unterschiede, die selbst
bei gleicher Materie die Form betreffen.
Vgl. ihr vorlotztos Kapitel, bes. § 41, S. 458 f.
§ 28. Intentionales Wesen und erfüllender Sitm. Eh-ketintnismäfsigea
Wesen. Anschauungen in apeeie.
Wir haben in der I. üntorsucliung der Bedeutung den er-
füllenden Sinn {oder auch der intendireuden Bedeutung die
erfüllendo) gegenübergestellt, indem wir darauf hinwiesen, dafs in
der Erfüllung der Gegenstand in derselben Weise intuitiv ^ge-
geben" sei, in welcher ihn die blofse Bedeutung meine.' Wir
nahmen, was sich dabei mit der Bedeutung deckt, ideal concipirt,
als den erfüllenden Sinn, und sagten, durch diese Deckung ge-
winne die blofso Bedeutungsintention, bezw. der Ausdruck, Be-
ziehung auf den intuitiven Gegenstand (drücke der Ausdruck ihn
und gerade ihn aus).
Darin liegt, wenn wir die später eingeführten Begriffsbil-
dungen verwenden, dafs der erfüllende Sinn als das intentionale
Wesen des vollständig angemessen erfüllenden Actes gefafst wird.
Diese Begriffsbildung ist durchaus correct und ausreichend für
den Zweck, das ganz Allgemeine der Sachlage, wo eine signitive
Intention zu ihrem intuitiv vorgestellten Gegenstand Beziehung
gewinnt, zu bezeichnen, also die wichtige Einsicht zum Ausdruck
zu bringen, dafs das bedeutungsmäfsige Wesen des signitiven (aus-
drückenden) Actes sich identisch im entsprechenden intuitiven
Acte, trotz der phänomenologischen Verschiedenheit der beider-
seitigen Acte, wiederfinde, und dafs die lobendige Identificirungs-
einheit die Deckung selbst und zugleich damit die Beziehung des
Ausdrucks zum Ausgedrückten realisire, Andererseits ist es klar,
dafs eben vermöge dieser Identität der erfüllende Sinn nichts von
der Fülle impiioirt, dafs er also nicht den gesaraniten Inhalt
des intuitiven Actes, soweit dieser erkenntniskritisch in
Betracht kommt, zusamraenfafst. Man könnte daran Anstofs
nehmen, dafs wir das intentionale Wesen so enge gefafst haben,
wodurch ein so wichtiges, ja für die Erkenntnis Ausschlag geben-
des Bestandstück des Actes ausgeschieden bleibe. Was uns
• I, § 14, 8. 51.
leitete, war der Gedanke, es müsse doch als Wesen einer objecti-
virenden Intention dasjenige gelten, was keine Intention dieser Art
überhaupt entbehren könne, oder was in keiner solchen Intention
frei varürbar sei, ohne dafs sie nach idealer Nothwendigkcit, hin-
sichtlich ihrer Beziehung auf Gegenständliches tangirt würde. Die
rein signitivon Acte sind aber „leere" Intentionen, ihnen fehlt
das Moment der Fülle, und somit kann für die objectivirenden
Acte überhaupt nur die Einheit von Qualität und Materie als
Wesen gelten. Nun könnte man einwenden, dofs die signitiven
Intentionen ohne sinnlichen Anhalt nicht möglich sind, dals sie
in ihrer Art also auch intuitive Fülle Labeu. Indessen ist dies,
im Sinne sowol unserer Ausführungen über siguitive Repräsen-
tanten, als auch im Sinne der früheren über uneigeutliche und
eigentliche Veranschaulich uug, in Wahrheit gar keine Fülle. Oder
vielmehr, es ist zwar Fülle, aber nicht die des siguitiven, son-
dern des ihn fundirenden Actes, in welchem sich das Zeichen als
anschauliches Object constituirt. Diese Fülle kann, salien wir,
schrankenlos variiren, ohne die signitive IntüUtion und all das,
was ihren Gegenstand angeht, zu berühren. Mit Rücksicht auf
diese Saclilage und zugleich in Beachtung des ümstaudes, dafs
auch bei den intuitiven Acten die Fülle, obschon beschränkt,
variiren kann, während sie fortfährt, immerfort denselben Gegen-
stand, mit denselben Bestimmthoiteu und qualitativ in derselben
Weise zu meinen, ist es klar, dufs es jedenfalls eines Terminus
bedarf, welcher die blofse Einlieit von Qualität und Materie be-
zeichnet
Andererseits ist es nun auch nützlich, einen Bogriff um-
fassenderen Inhalts zu bilden. Wir definiren demnach das
erkenntnismäfsige Wesen eines objectivirenden Actes
(im Gegensatz zum blofs bedeutungsmäfsigen Wesen desselben) als
den gesammten, für die Erkenntnisfunctiou in Betracht
kommenden Inhalt. Ihm gehören dann die drei Compouenteu
Qualität, Materie und Fülle oder intuitiver Inhalt zu; oder wenn
wir die üeberschiebung der beiden letzteren vermeiden und dis-
juncte Compononten haben wollen: Qualität, Materie und in-
tuitiv ropräsontirender Inhalt, wovon letzterer und mit ihm
diu „Fülle" bei den leeren Intentionen entfallt,
Alle objectivirenden Acte von demselben erkeuntnismäfsigen
Wesen sind für das ideale Interesse der Erkenntniskritik „der-
selbe" Act. Wenn wir von objectivirenden Acten in speeie
sprechen, haben wir die entsprechende Idee im Auge. Ebenso bei
der oinschrÄukenden Rede von Anschauungen in speeie u. dgl.
§ 29. VolLständitje und lückenhafte Anschauungen. Angetnesaette uttd
ohjcrüv vollständige VeransehauUcliung. Es8cnz.
In einer intuitiven Vorstelhing ist ein verschiedenes Mafs
intuitiver Fülle möglich. Diese Rede von einem verechiedenen
Mafs, weist, wie wir erörtert Laben, auf möghche ErfüUuugsreihen
hin; in ihnen fortschreitend, lernen wir den Gegenstand immer
besser können, mittelst eines darstellenden Iniialts, der dem Gegen-
stand immer iihnliclier ist und ihn immer lebendiger oder voller
orfafst. Wir wissen aber auch, data Anschauung statthaben kann,
wo ganze Seiten und Theile des gemeinten Objects garnicht in die
Erscheinung fallen, d. h. die Vorstellung ist mit einem intuitiven
Inhalt ausgestattet, der von diesen Seiten und Theilen keine dar
stellenden Repräsentanten enthält, so dafs sie nur mittelst ein-
gewobener signitiver Intentionen „uneigentlich" vorstellig sind.
Mit Beziehung auf diese Unterschiede, die noch sehr differente
Weisen der Vorstellung für ein und denselben, und nach Mafs-
gabe derselben Materie gemeinten Gegenstand bestimmen, sprachen
wir oben von Unterschieden des ürafangs der Fülle. Es sind
hier nun zwei wichtige Möglichkeiten zu unterscheiden:
1. Die intuitive Vorstellung stellt ihren Gegenstand an-
gemessen vor, d. h. mit einem intuitiven Gehalt von solcher
Fülle, dafs jedem Bestandstück des Gegenstaudes, sowie er in
dieser Vorstellung gemeint ist, ein repriisentirendes Bestandstück
des intuitiven Inhalts entspricht.
2. Oder dies ist nicht der Fall; die Vorstellung enthält nur
eine unvollständige Abschattung des Gegenstandes, sie stellt ihn
unangemessen vor.
Hier ist von Angemessenheit und Unangoraessenheit einer
Vorstellung au ihren Gegenstand die Rede. Da aber von An-
gemessenlieit im Erfüliungszusammenhange auch in einem weite-
ren Sinne gesprochen wird, füliren wir noch eine andere Termi-
nologie ein: wir wollen von vollständigen und lückenhaften
Anschauungen (specieller Wahrnehmungen, bezw. Einbildungen)
sprechen. Alle reinen Anschauungen sind vollständig. Dafs aber
nicht das Umgekehrte gilt, die vorgenommene Eintheilung also
nicht einfach mit derjenigen in reine und unreine Anschauun-
gen zusaramenfiillt, zeigt sogleich das Folgende.
Ob nämlich die Vorstellungen einfach oder complex sind,
darüber ist in der vollzogenen Unterscheidung nichts vorausge-
setzt. Die intuitiven Vorstellungen können aber in doppel-
ter Weise zusammengesetzt sein:
A) so, dafs die Beziehung auf den Gegenstand oinfuc.h ist, so-
fern der Act (specieller zu reden, die Materie) keine Theil-Acte
aufweist (bezw. keine gesonderten Materien), die für sich schon
denselben ganzen Gegenstand vorstellen. Dies schliefst
nicht aus, dafs der Act aus Partialintentionen, obschon homogen
verschmolzenen, aufgebaut ist, die sich auf die einzelnen Theile
oder Seiten des Gegenstandes beziehen. Solche Zusammensetzung
anzunehmen, wird man bei den „äufseren" Wahrnehmungen und
Imaginationen wol kaum vermeiden können, und demgcmäfs sind
wir verfahren. Auf der anderen Seite steht
B) die Art der Zusammensetzung, welche den Gesammtact aus
Theilacten aufbaut, deren jeder für sich schon eine volle
intuitive Vorstellung dieses selben Gegenstandes ist. Dies
betrifft die überaus merkwürdigen continuirlichen Synthesen,
die eine Mannigfaltigkeit zu demsolben Gegenstand gehörigei
Wahrnehmungen zu einer einzigen „vielseitigen" oder „allseitigen",
den Gegenstand „in wechselnder Lage" continuirlich betrachtenden
Wahrnehmung zusanimensehliefsen; und' desgleichen die entsprechen-
den Synthesen der Imagination. In der Continuität fortgesetzter,
aber nicht in getrennte Acte zerfallender Identitätsverschmelzung
erscheint hiebei der identisch Eine Gegenstand nur ein
einziges^H
I
Ji[»!, iintl Dicht so oft, als Einzelacte unterscbeidbar sind, Aber er
ci"sc(jeint in foitgesotzt sicli ändernder Inhaltsfüllo; und zugleich
bleiben die Materien und dosgleichen die Qualitäten in fort-
dauernder Identität, so zum Wenigsten, wenn der Gegenstand
allseitig bekannt ist und als dieser bekannte, ohne sich zu berei-
cfiern, immer wieder zu Tage tritt.
Auf diese continuirlichen Synthesen bezieht sich die Unter-
scheidung zwischen Angemessenheit und Unangemessenheit mit.
Beispielsweise ist von einem äufseron Ding hinsichtlich der all-
seitigen Oberflächen gestaltung eine angemessene Vorstellung in
Form der Synthesis möglieh, in Form der objectiv -einfachen Vor-
stellung unmöglich.
Von den vollständigen Anschauungen sind nun offenbar die
objectiv einfachen, nicht immer jedoch die objectiv zusammen-
gesetzten reine Anschauungen. Die einem empirischen Ding
entsprechende und uns versagte reine Anschauung steckt zwar in
gewisser Weise in der vollständigen synthetischen Anschauung
desselben darin, aber sozusagen in verstreuter Weise und immer
wieder vermengt mit signitiven Repräsentanten. Reduciren wir
aber diese synthetische Anschauung auf ihre reine, so ergiebt sich
nicht die reine Anschauung der objectiv einfachen Vorstellung,
sondern eine Continuitiit von intuitiven Inhalten, in welcher jedes
gegenständliche Moment nicht einmal, sondern öfters zur dar-
stellenden Repräsentation, zur immerfort wechselnden Abschattung
kommt, und nur die Continuität der Idontitätsverschmelzung das
Phänomen der Einzigkeit des Gegenstandes ausmacht. —
Wenn ein intuitiver Act als Fülle gebender fungirt, und
zwar in Ansehung eines signitiven, etwa einer ausdrücklichen Be-
deutungsintention, so stellen sich analoge Möglichkeiten heraus.
Es kann der Gegenstand, sowie er bedeutet ist, angemessen,
bezw. unangemessen veranschaulicht sein. Zum Ersteren ge-
hören im Falle complexer Bedeutungen zwei trennbare Vollkom-
menheiten, nämlich:
Erstens, dafs allen Theilen {Gliedern, Momenten, Formen)
der Bedeutung, welche selbst den Charakter von Bedeutungen
haben, Erfiillung zuwächst durch entsprechende Theile der er-
tüUenden Anschauung.
Zweitens, dafs nun auf Seiten der erfüllendun Anschauung
für sich Angemessen lieit hinsichtlich des Gegenstandes statthat,
so weit er irgend in den zur Erfülhingsfunction herangezogenen
Gliederungen und Furmen dieser Bedeutung gemeint ist.
Das Erste bestimmt also die Vollständigkeit der Anpassung
signitiver Acte an correspondirende Anschauungen; das
Zweite die Vollständigkeit der Anpassung signitiver Acte —
mittelst vollständiger Anschauungen — an den Gegenstand
selbst.
So kann der Ausdruck ein grünes Haus dadurch veranschau-
licht sein, dals ein Huus uns wirklich als ein grünes intuitiv
vorstellig ist. Dies wäre die erste Vollkommenheit. Zur zweiten
bodtiifto es einer adäquaten Vorstellung eines grünen Hauses.
Nur die Erstere wird man zumeist im Auge haben, wo von an-
gemessener Verauschaulichung von Ausdrücken die Rede ist.
Um aber die doppelte Vollkommenheit terminologisch zumarkiren,
wollen wir von objectiv vollständiifer Veranschaulichung
der signitiven Vorstellung, im Gegensatz zu iiirer zwar an-
gemessenen, aber objectiv lückenhaften V eranschaulich ung
sprechen.
Aehnliche Verhältnisse bestehen auch im Falle der wider-
streitenden statt erfüllenden Veranschaulichung, Wenn
eine signitive Intention sich auf Grand der Anschauung enttäuscht,
etwa dadurch, dafs sie ein grünes Ä meint, während dasselbe A
(und vielleicht sogar ein A überhaupt) rolh ist und soeben als
roih angeschaut ist: so verlangt die objective Vollständigkeit
der anschaulichen Realisiruug des Widerstreites, dafs alle Be-
standstücke der Bedeutungsintontion ihre objectiv vollständige
Veranschaulichung finden. Es ist also uöthig, dala sich nicht
nur die ^4- Intention in der gegebenen Anschauung des A
objectiv vollständig erfülle, souderu auch dals sich die Grün-
Intention — obschou natüi'Uch in einer anderen, mit jener An-
schauung rothes A eben „unvereinbaren" — Anschauung erfülle.
J
Dann tritt nicht die blofee signitive, vielmehr die objectiv vollständig
erfüllte ßrww-Intention in Widerstreit mit der TJo/A- Anschauung,
wobei zugleich diese beiden Anschauungsmomente selbst in totalen,
und die zugehörigen Anschauungsganzen in partialen „Wettstreit"
treten. Vor Allem trifft dies, wie man wol wird sagen dürfen,
die intuitiven, bezw. die darstellenden Inhalte dieser erfüllen-
den Acte.
Wo nicht besonders angegeben, sind im Folgenden unter dem
Titel Veranschaulichungen solche von der Art der Erfüllungen
gemeint.
Die Unterschiede der Fülle bei gleicher Qualität und Materie
geben noch zu einer wichtigen Begriffsbildung Ajalafs:
Wir sagen zwei intuitive Acte besitzen dieselbe Essenx,
wenn ihre reinen Anschauungen dieselbe Materie haben.
Üo hat eine Wahrnehmung und die ganze, der Möglichkeit nach
unbegrenzte Reihe von Phantasievorstellungen, deren jede densel-
ben üegenstand mit demselben Umfang der Fülle vorstellt, eine
und dieselbe Essenz. Alte objectiv vollständigen Anschauungen
einer und derselben Materie haben dieselbe Essenz.
Eine signitive Vorstellung hat in sich keine Essenz.
Indessen schreibt mau ihr im uneigentlicheu Sinne eine
gewisse Essenz dann zu, wenn sie durch eine Anschauung aus
der möglichen Manniglaltigkeit von Anschauungen dieser Essenz
vollständige Erfüllung zuläfst; oder was dasselbe ist, wenn sie
einen „erfüllenden Sinn'' hat.
Damit dürfte die walire Meinung des scholastischen Terminus,
der ja die „Möglichkeit^' eines Begriffes trelleu will, klargelegt sein.
574 VI.
fklärung der Erkenntnis.
Viertes Kapitel.
Verträgliclikeit und Unverträglichkeit
§ 30. Die ideale Unterscheidung der Bedeutungen in jiiögliche (reale)
und unmögliche (imaginäre).
Nicht jeder signitiven Intention können sich intuitive Acte
in der Weise „objectiv vollständiger Veranschaulichung" ' anpassen.
Danach zerfallen die signitiven Intentionen in mögliche (in sich
verträgliche) und unmögliche (in sich unverträgliche, imaginäre).
Diese Eintheilung, bezw. das ihr zu Grunde liegende Gesetz, be-
trifft — was genau ebenso für aüe hier sonst aufgestellten Sätze
gilt — nicht die vereinzelten Acte, sondern generell ihre
erkenntnismäfsigen Wesen, und darin ihre allgemein zu
fassenden Materien. Denn nicht ist es etwa möglich, dafs eine
signitive Intention der Materie M die Möglichkeit der Erfüllung
irgendeiner Anschauung fände, und eine andere signitive Intention
derselben Materie 3/ dieser Möglichkeit entbehrte. Die Möglich-
keiten und Unmöglichkeiten sprechen nicht von den in irgend-
welchen empirischen BewuPstseinscomple-xionen thatsächlich vor-
findlichen Anschauungen; es sind nicht reale, sondern ideale
Möglichkeiten, sie gründen rein in den specifischen Charakteren.
In der Sphäre der Ausdrücklichkeit, auf welche man sich ohne
wesentliche Ernbufse beschränken kann, lautet daher das Axiom:
Die Bedeuiiuigeii (in specie die Begriffe und Sätze) zer-
fallen in mögliche und unmögliche (reale und imaginäre).
Die Möglichkeil (Realität) einer Bedeutung läfst sich, wenn
wir die oben vollzogenen BegrifTsbildungeu heranziehen, dadurch
definiren, dafs ihr in der Sphäre der objectivirenden Acte
' Das VerstäDdois der in diesem und den folgenden Kapiteln versuoh-
Utn niidlytischen AufkläniDgen uod die Bemessimg ibrcr etwaigen I^eifitungen
liKngt durcbauH davon ab, dafs die im Bisherigen festgelegten strengen Be-
grlRW Niober im Auge beLaiteii und ibueii uii'ht die vagen VorsteUungeu der
M>|>iilllivu UtKle untergesubobec weitleD.
IM specte eine angemessene Essenz entspricht, nämlich
eine solche, deren Materie mit der ihren identisch ist;
oder, was dasselbe ist, dafs sie einen erfüllenden Sinn hat,
oder auch, dafs es eine vollständige Anschauung in specte
giebt, deren Materie mit der ihren identisch ist. Dies
„CS- giebt"' hat hier denselben idealen Sinn wie in der Mathematik;
es auf die Möglichkeit entsprechender Einzelheiten zurückführen,
heifst, es nicht auf ein Anderes zurückführen, sondern es durch
eine blofse äquivalente Wendung ausdrücken. (So zum Mindesten,
wenn die Möglichkeit überhaupt richtig, somit nicht als „reale
Möglichkeit" verstanden wird.)
Die Idee der Müglifhkeit einer Bedeutung drückt, wenn wir
näher zusehen, eigentlich die Generalisirung des Erfüllungs-
verhältnisses in dem Falle objectiv vollständiger Veran-
schaulichung aus, und die obigen Definitionen sind statt blofser
Worterklärungen, vielmehr als die idealen nothwendigen und
hinreichenden Kriterien der Möglichkeit anzusehen. In ihnen
liegt das besondere Gesetz, dafs, wo jenes Verhältnis zwischen
Materie einer Bedeutung und Materie einer Essenz besteht, auch
die ,, Möglichkeit" statthat; wie umgekehi-t, dafs in jedem Falle
von Möglichkeit dies Verhältnis besteht
Femer: dafs ein solches ideales Verhältnis überhaupt vor-
kommt, d. h. dafs jene Generalisirung objectiv statthat, also ihrer-
seits „möglich" ist, darin liegt wieder eine Gesetzlichkeit, die
sich einfach in den Worten ausprägt: Es giebt „mögliche"
Bedeutungen (wobei zu beachten ist, dafe „Bedeutung" nicht
„Act des Bedeutens" meint). Nicht jedes empirische Verhältnis
gestattet solche Generalisirung. Finden wir dieses angeschaute
Papier rauh, so küunen wir nicht generell aussprechen: Papier ist
rauh, so wie wir auf Grund eines gewissen actuellen Bedeutens
aussprechen dürfen: diese Bedeutung ist möglich (real). Eben
darum liegt auch in dem Satze, jede Bedeutung ist entweder
möglich oder unmöglich, nicht ein einzelner Fall des Satzes
vom ausgeschlossenen Dritten vor, in dem bekannten Sinn, welcher
den Ausschlufs contradictorischer Prädicate individueller Subjecte
ausspricht, und einen solchen Ausschlnfs auch nur für solche
Subjecte schlechthin aussprechen kann. Der Ausschhifs contra-
dictorischer Prädicate in einer idealen Sphäre (z. B. der arith-
metischen, der Bedeutungssphäre u.s.w.) ist gamicht selbstverständ-
lich, sondern niufs in jeder solchen Sphäre von Neuem bewiesen
oder axiomatisch aufgestellt werden. Wir erinnern daran, dafs
wir nicht etwa sagen dürfen, jede Art Papier ist entweder rauh
oder ist nicht rauh; denn darin läge, das jedes einzelne Papier
einer beliebigen Art rauh, oder jedes einzelne nicht rauh sei, und
derartige Behauptungen sind natürlich nicht für beliebige Art-
bildungen richtig. Derageninrs liegt wirklich hinter der. EinÜiei-
lung der Bedeutungen in mögliche und unmögliche ein eigenes,
inhaltreiches generelles Gesetz, ein Gesetz, das in idealer Weise
die phiiuomenologischon Momente beherrscht, nämlich dadurch,
dafs es in der Weise genereUer Sätze ihre Species verknüpft.
Um ein solches Axiom aussprechen zu dürfen, mufs man
es einsehen, und dafs wir in unserem Falle Evidenz be-
sitzen, ist siciier. Indem wir z. B. die Bedeutung des Ausdrucks
iveifse Fläche auf Grund der Anschauung realisiren, erleben wir
die Realität des Begriffs, die intuitive Erscheinung stellt wirklich
etwas Weifses und eine Fläche, und zwar gerade als eine weilse
Fläche vor; und darin liegt, dafs die erfüllende Anschauung nicht
blofs überhaupt eine weifse Fläche vorstellt, sondern sie durch
ihren Inhalt so vollständig, als die Bedeutungsintention es fordert,
zu intuitiver Erscheinung bringt
Der Möglichkeit reiht sich die Unmöglichkeit als eine
gleichberechtigte Idee an, die nicht blofs als Negation der Möglich-
keit zu definiren, sondern durch ein eigenes phänomenologisches
Factum zu realisiren ist Dies ist ja ohnehin die Voraussetzung
dafür, dafs der Begriff der Unmöglichkeit je Anwendung finden,
und zumal dafs er in einem Axiom — darunter auch in dem Axiom:
es giebt unmögliche Bedeutungen — vorkommen könne. Die
Gleichwerthigkeit der Reden von Unmöglichkeit und Unverträg-
lichkeit weist uns darauf hin, dafs dieses phänomenologische
Factum im Gebiete des Widerstreits zu suchen sei.
•
§ 31. Vereinbarkeil oder Verträglichkeit als ein ideales
Verhältnis in der weitesten Sphäre der Inhalte überhaupt. Vereinbarkeit
von „Begriffen" als Bedeutungen.
Wir gehen aus von dem Begriffe der "Verträglichkeit oder
Vereinbarkeit, der in den weitesten Sphären der Inhalte über-
haupt Sinn hat.
Zwei Inhalte, welche Theile irgendeines Ganzen sind, sind in
ihm vereint, sie sind also aueh vereinbar, in der Einheit eines
Ganzen verträglich. Das scheint eine leere Selbstverständlich-
keit. Aber vereinbar wären diese selben Inhalte auch dann, wenn
sie zufallig nicht vereint wären. Sicher hat es einen guten Sinn,
von der Vereinbarkeit von Inhalten zu sprechen, deren that-
sächlielie Vereinigung immer ausgeschlossen blieb und ausge-
schlossen bleiben wird. Sind aber zwei Inhalte vereint, so be-
weist ihre Einheit nicht nur ihre eigene Vereinbarkeit, sondern
auch diejenige einer ideellen Unzahl anderer, nämlich aller Paare
ihnen gleicher und gattungsmäfsig ähnlicher. Es ist klar, worauf
dies altzielt, und was als Axiom ausgesprochen, keineswegs eine
leere Behauptung i.'^t: dafs die Vereinbarkeit nicht zu den
verstreuten Einzelheiten gehört, sondern zu den Inhalt-
speeies; dafs wenn z. B. die Momente Rüthe. und Rundung ein-
mal vereint gefunden worden sind, nun durch ideirende Abs-
traction eine complexe Species gewonnen und somit
gegeben werden kann, welche die beiden Species Rötbc und
Riaiduny in ihrer ebenfalls specifisch getalsten Verbindungsform
umschliefst. Die idesde „Existenz" dieser eomplexen Species ist
es, welche n jiriori die Vereinbarkeit von Röthe und Rundung
in jedem denkbaren Einzelfalle begründet, eine Vereinbarkeit, die
somit ein ideal giltiges Verhältnis ist, ob in aller Welt empirische
Einigung vorkommt oder niclit. Bestimmt sich danach der werth-
volle Sinn der Rede von Vereinbarkeit überall als das ideale Sein
der zugehörigen eomplexen Species, so ist aber noch ein wichtiger
Punkt zu beachten, nämlich dafs die Rede von der Vereinbar-
keit allzeit Beziehung hat zu irgendeiner (für das logische
Hniicrl, Log. Dnton. II. 37
Interesse gerade mafegebendeu) Art von Ganzen. Diese Rede ge-
brauchen wir doch im Zusammenhang mit der Erwägung, ob sich vor-
gegebene Inhalte nach Mafsgabe gewisser Formen zusammenpassen
lassen oder nicht, eine Frage, die sich bejahend entscheidet mit der
intuitiven Aufweisung eines Ganzen von der betreffenden Art.
Das Correlat dieser inhaltliehen Vereinbarkeit ist die „Mög-
lichkeit" der complexen Bedeutungen. Dies ergiebt sich au.«
den obigen Kriterien der Möglichkeit. Die angemessene Essenz,
bezw. die vollständige VeranschauHcluing des entsprechenden com-
plexen Inhalts, begründet ja die Vereinbarkeit seiner Theile, wie
es umgokelirt zu dieser Vereinbarkeit eine Essenz und eine ent-
sprechende Bedeutung giebt. Die Realität einer Bedeutung besagt
also dasselbe wie: die Bedeutung ist ein objectiv vollständiger
„Ausdruck" einer intuitiven inhaltlichen Vereinbarkeit. Im Grenz-
falle eines einfachen Inhitlts mag man die Geltung der einfachen
Species als Vereinbarkeit „mit sich selbst" definiren. Dafs die
Verknüpfung zwischen Ausdruck und Ausgediücktem (Bedeutung
und correspondirender, d. i. „objectiv vollständig angemessener
Anschauung) selbst wieder eine Verknüpfung der Vereinbarkeit ist.,
deren besonderen specifisclien Gehalt wir oben bestimmt haben, ist
selbstverständlich. Andererseits handelt es sich bei der Rede von
der Vereinbarkeit hinsichtlieh der Bedeutungen („Begriffe")
nicht blofs überhaupt um ihre Vereinbarkeit zu einem Ganzen,
und sei es auch zu einem Bedeutungsgaiizen — das wäre vielmehr
die rein-grammatisclio Vereinbarkeit im Sinne der IV. Unter-
suclmng — sondern nach dem oben Dargelegten um die Verein-
barkeit der Bedeutungen zu einer „möglichen" Bedeutung, d.i.
zu einer Bedeutung, welche mit correspondirender Anschauung
zur Einiieit objectiv angemessener Erkenntnis vereinbar ist Dem-
gemäfs handelt es sich hier um eine übertragene Rede. Dasselbe
wird man von der „Möglichkeit" sagen müssen. Die originäre
Möglichkeit (oder Realitiit) ist die Geltirng, die ideale E-tistenz
einer Species; zum Mindesten ist sie dadurch völlig gewährleistet
Dann heifst die Anschauung einer ihr entsprechenden Einzelheit,
und wieder das anzuschauende Einzelne selbst, möglich. Endlich
heifst die in solch einer Anschauung sich mit objectiver Voll-
ständigkeit erfüllende Bedeutung möglich. Der unterschied der
Reden von Vereinbarkeit und Möglichkeit liegt blofs dnrin, dal's,
während die letztere die schlichte Geltung einer Species bezeich-
net, die erstere (vor der Erweiterung des Begriffs um den Grenz-
fnll) das Verhältnis der Theilspocies einer einheitlich gelten-
den Species bezeichnet — und mit Beziehung darauf nun auch
das Verhältnis: der Tlieiliinsebauungen einer einheitlichen An-
schauung; der anzuschauenden Theilinhalte innerhalb eines als ein-
heitlich anzuschauenden Gesammtinlialts; der zu erfüllenden Theil-
bedeutungen innerhalb einer einheitlich zu erfüllenden Gesammt-
bedeutung.
Schliefslich merken wir noch an, dafs wie die Begriffe Mög-
lichkeit und Vereinbarkeit, so auch der Begriff der Essenz seinen
originären Sinn dem Bedeutungsgebicte durch üebertragung erst
leiht. Dieser originäre Begriff der Essenz wird durch den
Satz ausgedrückt: Jede giltige Species ist eine Essenz.
§ 32. Unvereinbarkeit (Widerstreit) von Inhalten nberfiaupt.
Unvereinbar sind nun, um den entgegengesetzten Fall in
seine allgemeinen Gründe zu verfolgen, Inhalte dann, wenn sie
sich in der Einheit eines Ganzen nicht vertragen. Phänomeno-
logisch gesprochen, soll keine einheitliche Anschauung möglich
sein, die ein solches Ganzes in vollständiger Angemessenheit giebt.
Woher sollen wir dies aber wissen? In empirischen Einzoirällea
versuchen wir es, Inhalte zur Einheit zu bringen, mitunter gelingt
es, mitunter nicht — wii- erfahren einen unüberwindlichen Wider-
Btand. Aber das factische Mifslingen beweist nicht das noth-
wendige Mifslingen. Könnte nicht gröfsero Kraft den Widerstand
schliefslich überwinden? Indessen, im empirischen Bemühen um die
fraglichen Inhalte und um Beseitigung ihres „Wettsti-eits" erfaha-en
wir ein einzigartiges Verhältnis der Inhalte, das wieder in ihrem
specifischen Bestände gründet und in seiner Idealität von allem
empirischen Bemühen und von allem Sonstigen des Einzelfalls
unabhängig ist. Es ist das Verhältnis des Widerstreites.
37*
Dieses Verhältnis setzt also ganz bestimmte Inhaltsarten, und
zwar innerhalb ganz bestimmter Inhaltsverbämle in Be-
ziehung. Farben streiten miteinander nicht überhaupt, sondern
nur in bestimmten Zusammenhängen: mehrere Farbenmoniente
von verschiedener specifischer Differenz sind als gleichzeitige voll-
ständige Ueberdeckiingen einer und derselben Körperausdehnung
unverträglich, während sie in der Weise des Nebeneinander inner-
halb der einheitlichen Ausdehnung sehr wol verträglich sind. Und
dies gilt allgemein. Niemals ist ein Inlialt der Art q mit einem
Inhalt der Art p schlechthin unverträglich, sondern immer be-
zieht sich die Rede von ihrer Unverträglichkeit auf eine Inhalts-
verbiuduug bestimmter Art O (a, ß, ...; p)^ welche p enthält,
und welcher sieh nun auch q einknüpfen soll. In dem soll liegt
allerdings der Hinweis auf eine Intention, eine Vorstellungs- und
zumeist auch Willensintention, welche das (jr, das in einer beliebi-
gen Anschauung ylff/ji gegeben ist, in die vorliegende Anschauung
des Q hineingetragen denkt, d. i. in ihi* siguiüv vorstellt. Aber
von dieser Intention sehen wir jetzt ab, ebenso wie wir bei der
Vereinbarkeit absahen von der Intention auf Vereinigung, desglei-
chen von dem Prncefs der Hinübertragung und Einigung. Wir
halten blofs fest, dals hier ein descriptiv eigenartiges Verhältnis
zwischen dem q — der Rest des A ist willkürlich variabel und
spielt weiter keine Rolle — und dem p des Inhaibsganzen G eintritt,
und dafs dieses Verhältnis vom Individuellen des Falles unabhängig
ist: mit anderen Worten, »Jals es rein in den Species G, p, q grün-
det. Das Specifische des WiderBtreithowufstseins gehört zu diesen
Species, d. h die General isirung der Sachlage ist wirklich, ist in
einem intuitiv -einheitlichen Allgemoinheitsbewufstsein realisirbar;
sie ergiebt eine einheitliche, giltige („mögliche") Species, welche
auf Grund des G das p und q durch Widerstreit vereint.
§ 33. Wie auch Widerstreit Einigkeit fundiren kann. Relativität
det- Reden von Vereinbarkeit und Widerstreit.
An diesen letzteren Ausdi-uck und Satz knüpft sich eine Kette
beunruhigender Zweifelsfragen. Ein Widerstreit vereint? Die Ein-
heit des Widerstroits eine Einheit der Möglicbkeit? Gewifs, Ein-
heit übeiliaupt begründet Möglichlieit, aber schliefst diese nicht
schlechterdings den Widerstreit, die Unverträglichkeit aus?
Die Schwierigkeiten lösen sich, wenn wir daran denken, dafe
nicht nur die Rede von einer Unvereinbarkeit, sondern auch die-
jenige von einer V'ereinbai'keit nothwendig Bozioiiung hat auf ein
gewisses, subjectiv zu reden, die Intention beherrschendes Ganzes <}.
Auf seinen specifischen Gehalt hinbliokend, nennen wir die Theile
verträglich. Wir würden dieselben Inhalte p, </..., die hier als
Theile fungiren, unverträglich nennen, weiui wir in der syuibo-
lisL-hen Intention auf ihre Einheit innerhalb eines ebensolchen
Ganzen, statt intuitive Einheit, vielmehr intuitiven Widerstreit er-
lebten. Die Correlation der beiden möglichen Fälle in ihrer Be-
ziehung auf die jeweils bestimmte Art von Ganzen oder Ver-
kuüpfuugen der verü-ägiichen, bezw. unverträglichen Inhalte ist
klar. Diese Beziehung bestimmt auch mit den Sinn dieser Termini.
Verträglich nennen wir die p, y ... nicht schlechthin und mit
blofser Rücksicht darauf, dafs sie überhaupt, gleichgiltig wie, ge-
einigt, sondern mit Rücksicht darauf, dafs sie in der Weise des
ö geeinigt sind, und dafs diese Einigung der p, q . . . den Wider-
streit derselben p, q . . . mit Beziehung auf dasselbe 0
ausschliefst. Und wieder heil'sen Inhalte p, q ... unverträglich
nicht schlechthin, sondern mit Rücksicht darauf, dafs sie sich im
Rahmen irgendeiner Einheit aus der uns gerade interessirenden
Einheitsiut ö „nicht vertragen"; d. h. weil die Intention auf eine
solche Einheit einen Widerstreit anstatt solcher Einheit herbei-
führt; wobei der Ausschlufe correlater Einheit durch correlaten
Widerstreit auch wieder seine Rolle spielt.
Das Widerstreitbewufstsein begründet „Uneinigkeit", da es
die Ö-Einheit der p, 7 ..., die hier in Frage steht, ausschliefst.
Bei dieser Richtung des Interesses gilt der Widerstreit selbst
nicht als eine Einheit, sondern als Geschiedenheit, nicht als „Ver-
knüpfung", sondern als „Trennung". Wechseln wir aber die Be-
zielmngen, so kann auch eine Unverti'äglichkeit als Einheit fungiren,
z. B. als Einheit zwischen dem Charakter des Widerstreits und
r
den Inhalten, die durch ihn „getrennt" werden. Dieser Charakter
ist mit diesen Inhalten rerträglich und mit anderen vielleicht un-
verträglich. Geht die herrschende Intention auf das Widerstreit-
ganze als Ganzes der eben genannten Theile, so besteht, wo wir
es finden, wo der Widerstreit also statthat, Verträglichkeit dieser
Theile, d. i. der p, q ... in ihrem Zusammenhange und in dem
des sie trennenden Widerstreits. Wo der Widerstreit fehlt und
dies Fehlen intuitiv wird, knüpft sich an die nun in verschiedenen
Anschauungen verstreuten Elemente ein neues Widerstreitbewufst-
sein. Dieser Widerstreit ist nicht Widerstreit zwischen den
Gliedern des intendirten Widerstreits, dessen Fehlen er ja gerade
anzeigt, sondern ein Widerstreit, der sich an die in einer An-
schauung widerstreitlos geeinigton Inhalte p, q ... und an das in
einer anderen Anschauung intuitiv werdende Moment Wider-
streit anknüpft.
Die Paradoxie der Rede von einer Einigung durch Wider-
streit klärt sich also durch die Beachtung der Relativität dieser
Begriffe auf. Man darf jetzt nicht mehr einwenden: Widerstreit
schliefse Einheit schlechthin aus; in der Form des Widerstreits
sei schliefslich Alles und Jedes zu „einigen"; wo Einheit fehle,
da bestehe eben Widerstreit, und ihn wieder als Einheit gelten
lassen, das hiefse, den absolut starren Gegensatz zwischen Einheit
und Widei"streit verflüssigen und seinen echten Sinn entwerthen
wollen, — Nein, würden wir jetzt sagen dürfen, Wideretreit und
Einheit schheTsen sich nicht „schlechthin", sondern in einer
jeweils bestimmten, nur von Fall zu Fall wechselnden Corre-
lation aus. In dieser schüefsen sie sich als starre Gegensätze
aus; nur wenn man das schlechthin auf eine solche, immer still-
schweigend vorausgesetzte Correlation einschränkt, können wir uns
mit der gegnerischen Behauptung zufrieden geben. Fenier: in der
Form des Widerstreites läfst sich nicht Alles einigen, sondern
nur all das, was eben einen Widerstreit fundirt, und nichts von
dem, was vereint und vereinbar ist. Denn im Sinne dieser Rede
von Einigung in Form eines Widerstreites liegt es, dafs die Form
des Widerstreites irgendwelcher in einer gewissen Verbindung
ß„ gedachten p, q... als Einheit gelten soll, die als Einheit
wirklich Einigkeit, Verträglichkeit herstellt und somit unserem
obigen O entspricht. Besteht aber zwischen den /^, q ... hinsicht-
lich der Verbindung Öq Einheit, so lassen sich diese p, q ...
hinsichtlich dieser Verbindung niclit iti ein Verhältnis des Wider-
streits bringen, da Verbindung überhaupt Einigkeit ist.
Also in der Form des Widerstreits ist in Wahrheit nicht Alles
zu vereinen, und am Wonigsten etwa darum, weil (wie es weiter
hiefs) wo die Einheit fehle, sich dies ja durch einen Widerspruch
bekunde, der also Einheit durch Widerstreit herstellen würde.
Wir verstehen die hier begangene Venvechsiung, bezw. die Dureh-
einandorwerfung der fundirenden Relationen. Das Fehlen der
Einheit fi^ charakterisirt der sich an die p, q, . . . — in dem
durch die Idee G^ hestinimten Zusammenhang — anknüpfende
Widersti-eit. Dieser Widerstreit schafft abei- nicht die Einheit 0^,
sondern eine andere Einheit. Hinsichtlich der ersteren hat er
den Charakter der „Trennung", hinsichtlich der neuen Einheit den
der „Verbindung". Da ist Alles in Ordnung. Ein Beispiel zur
Erläuterung. In Hinsicht auf einen bekannten phänomenalen Zu-
sammenhang heifsen mlfi und grün unverträglich, roth und rund
verträglich. Der Charakter des Widerstreits bestimmt im ersten
Fall die Unverträglichkeit, er stellt zwischen rotk und y^rün „Tren-
nung" her. Dessen uncrachtet hilft er in Hinsicht auf eine andere
Zusammenhangsart eine Einheit herstellen, nämlich in Hinsicht auf
die Zusammenhangsart „ Withrslreit xwhckeu sinnlichen Merk-
malen eines phänomenalen Objecta". Jetzt ist also Widerstreit
zwischen roth und grün Einheit, und natürlich Einheit bezüglich
der Elemente Widerstreit, Roth, Grün. Dagegen ist jetzt „Wider-
streit von roth und rnnd^ Uneinigkeit, und zwar hiusichtlich
dieser Elemente Widerstreit^ roth, rund.
§ 34. Einige Axiome.
Nach dieser für unsere Fu n d u mental anal yse sehr wichtigen Auf-
hellung des Sinnes der Vertriigliclikeit.'srelationon, können wir die
primitiven Axiome fixiren und ihre piiänomenologische Klärung
vollziehen. Zunächst käme das Axiom der UmkeUrbarkeit
der Verträglichkeitsrelationen (Verträglichkeit, bezw. Unver-
träglichkeit) in Betracht, welches nach unserer Analyse der zu
Grunde liegenden phänomenologischen Verhältnisse ohne Weiteres
klar ist.
Nähere Uoberlegimg erfordert das nächst aufzustellende Axiom,
dafs sich Einheit und Widerstreit, bezw. Vereinbarkeit
und Unvereinbarkeit — die jeweiligen Paare auf das-
selbe Fundament der Correlation bezogen — wechsel-
weise ausschliüfsen (d. h. wieder: dafs sie miteinander unver-
einbar sind). Es braucht jetzt nicht mehr betont zu werden,
die ünvereinbiukeit nicht die blofee Privation der Vereinbar-
ireit, also nicht die blofse Thatsache meint, es komme irgendeine
Vereinigung objeotiv nicht vor. Einigung und Widerstreit sind
phänomenologisch verschieden fundirtö Ideen, und es ist daher
wii'klich fin inhaltsvoller Satz damit ausgesprochen, dafs, wenn
ein p mit einem q gemäfs der Einheitsform 0 (p, 7,...) streitet
(und das Sti-eiten ist ein pliänomenologisch positiver Charakter),
nicht zugleich die Einigung des p mit dem q im Sinne desselben
Ö „möglich" ist Und umgekehrt: wenn diese Einigung statthat,
ist der entsprechende Widerstreit „unmöglich". Phänomenologisch
liegt dem zu Grunde, was schon in der obigen Discussion zu
Tage getreten ist, nämlich dafs der actuelle Widerstreit zwischen
p, ?,... wenn wir versuchen, ihn mit der entsprechenden Ein-
heit p,q, ■■■ zu vereinen — also die irgendwo mittelst gewisser
tn, «, ... wirklich angeschaute Einheitsart G in dem Falle des
zugehörigen Widei-streites den p, q, ... actueli unterzulegen — ein
neuer Widerstreit erwächst, welcher seine Fundamente in dem
ersten Widerstreit und dem anderwärts angeschauten Einheits-
charakter besitzt. Das Analoge zeigt sich im umgekehrten Falle,
der übrigens auch als eine Anwendung des ersten Axioms zu er-
kennen ist
Der Satz, es besteht ein Widerstreit, und es besteht ntcA/
Einheit zwischen denselben aber beliebigen p, q, ..., besagt ein
und dasselbe. Jedes nickt drückt einen Widerstreit aus.
Wenn der Widerstreit sich daran knüpft, dafs p, q einander
widerstreiten sollen, also dafs p, 7, ... in der Form des Wider-
streits eins sind, so sind p, q, ... einig, Mit andern Worten:
Wenn p, q nicht widerstreiten, nicht nicht einig
sind, so sind sie einig (Axiom von der doppelten
Verneinung);
daraus folgt:
Eins von Beiden hat statt, entweder Einigung oder
Widerstreit — ein „Drittes" giebt es nicht.
Es sind hier ja vier Möglichkeiten zu unterscheiden, die sich
so ausdrücken: Es hat |,„., ".1 statt; es hat nicht statt.
I Widerstreit (
Nicht-Einigung ist aber ein anderes Wort für Widerstreit, und
Nicht-Widerstreit nach dem vorigen Axiom ein Aequivalent für
Einigung.
Die letzte Klärung dieser Axiome und ihr Verhältnis zu den
rein logischen geht über die Grenze der jetzigen Untersuchung
hinaus. Was wir angeführt haben, soll nur auf die inneren Be-
üiehungen hindeuten, die wir späterhin verfolgen wollen, und uns
t'in lebendiges Bewui'stseiii davon geben, dafs wir liier schon an der
phänomenologischen Fundameutirung der reinen Logik arbeiten.
§ 35. Unvereinbarkeit von Begriffen als Bedeutungen.
Wie die Vereinbarkeit, tritt die Unvereinbarkeit für uns nur
im Zusammenhang mit siguitiven, auf gewisse Verknüpfun-
gen gerichteten Intentionen auf, und somit im Zusammenhang
mit signitiven und intuitiven Identificationen. Der in den letz-
ten Paragraphen abgegrenzte Begriff der Unvereinbarkeit bezieht
sich jedoch nicht auf Intentionen, vielmehr ist der auf Intentio-
nen bezogene und gleichnamige Begriff von ünvereiivharkeit ein
übertragener, er ist ein Specialfall des ursprünglichen, aber von
ganz bestimmtem, auf die Enttäuschungsverhältoisse eingeschränk-
tem GehalL Es gilt hier das Analoge von dem, was wir oben'
' Vgl. § 31.
h
bezüglich der Vereinbarkeit oder Verträglichkeit dargethan haben.
Wieder besngt die Rede von der Unvereinbarkeit in Anwen-
dung auf Bedeutungen („Begrifle") nicht jede beliebige ideale
Unvereinbarkeit derselben, z. B. nicht die roin-granunatische; sie
betrifft allein das Verhältnis von Tlietlbedeutungen einer coni-
plexon Bedeutung, welche sich nicht in übjeetiv vollständiger Ver-
anschauüchiing erfüllt, sondern enttiiusclit, bezvv. cnttiiiischen kann.
Offenbar liegt der Enttäuschung Widersti-eit der veranschaulichten
Inlialte zu Grunde, wobei zu achten ist, dafe der Widerstreit selbst
nicht bedeutet und ausgedrückt ist: anderenfalls gehörte der Wider-
streit zui- erfüllenden „Anschauung", und der Ausdruck drückte,
als ein durchaus möglicher, die objective Unmöglichkeit ange-
messen aus.
Der Zusammenbang zwischen der Bedeutung und jeder der
einheitlichen Atisclinuungen, die im Processe intuitiven Wider-
streits einander ablösen, ist ebenfalls derjenige des Widerstreits
(sc. unter partieller Deckung).
Die für die Bedeutungen aufzustellenden idealen Gesetze
der Möglichkeit gründen sich auf die originären und allgemeineren
Begriffe, bezw. auf die für diese selben oben aufgestellton (und noch
weiter zu vervollständigenden) Axiome. Hierher gehören Sätze, wie:
dafs sich Unvereinbarkeit und Vereinbarkeit derselben Bedeu-
tungen und mit Beziehung auf dieselben Zusammenhänge
ausschliefsen;
dafs von einem Paar contradictorischer Bedeutungen (d. i. sol-
cher, von denen die Eine als unvereinbar dasselbe meint,
was die andere als in sich einig meint) Eine möglich und
die Andere unmöglich ist;
dafs das Negative eines Negativen — d. h. eine Bedeutung,
welche die Unvereinbarkeit einer gewissen Sache M selbst
wieder als eine Unvereinbarkeit vorstellt — dem entspre-
chenden Positivum gleichwerthig ist. Dieses Positivum ist
hiebei als die Bedeutung definirt, welche die innere Ein-
stimmigkeit desselben M mitteli-t derselben (nach Abstrich
der Negationen verbleibenden) Vorstellungsmaterie vorstellLj
Solbstverstiindlich erfordert es eine wirkliche Theorie der Be-
deiitiinf^on nach iliren logischen Vorhäjtnissen , üal's alle derartigen
Sätze in systematischer Ordnung aufgestellt und erwiesen werden.
Wir brechen diese lüekenliaften Ueberlegungen ab, ihre Er-
gänzung späteren Untersuchungen vorbehaltend. Zumal wird im
liigisehen Interesse eine viel weiter und vollständiger durcligefüln-te
IMiiinoinenolügio und Theorie der Mcntificirungen und Unter-
scheidungen (und ganz besonders der partialen) und ihrer sicht-
lich nahen Beziehungen zur Lehre von Kitiigkeit und Widersti-eit
erforderlich sein.
Fünftes Kapitel.
Das Ideal der Adäquation. Evidenz und Wahrheit.
§ 36. Einleitung.
Von den Qualitäten der Acte war in den bisherigen Ueber-
legungen keine Rede, es war von ihnen nichts vorausgesetzt. Die
Möglichkeit und Unmöglichkeit hat eben zu den Qualitäten
keine besondere Beziehung. Auf die Möglichkeit z. B. eines Satzes
hat es keinen Einflufs, ob wir die Satzmaterie als Materie eines
setzenden Actes (nicht eines zustimmenden, in der Weise der
Billigung anerkennenden oder annehmenden , sondern eines schlicht
nehmenden Glaubensaotes) realisiren, oder ob wir sie in qualitativ
raodificirter Weise ais Materie eines blofsen Vorstellens ge-
geben haben; es gilt immer, dafe der Satz „möglich" ist, wenn
der concrete Act des propositionalen Bedentens die erfüllende
Identifioation mit einer objectiv vollständigen Anschauung von
gleicher Materie zuläfst. Und ebenso ist es irrelevant, ob diese
erfüllende Anschauung eine Wahrnehmung ist, oder eine blofse
Pluxntasiebildung u. dgl. Da die Herstellung von Phantasiebil-
dern in ungleich gröfserem Mafse unserer Willkür unterliegt, als
die von Wahrnehmungen und Setzungen überhaupt, so pflegen
wir die Möglichkeit mit Vorliebe auf die Phantasiebildlichkeit zu
beziehen. Als möglich gilt uns dann, was sich — objectiv ge-
redet — in der Weise eines angemossenen Pliautasiebildcs realisiren
läfst, es mag uns selbst, dem empirisch einzelnen Individuum, je
gelingen oder nicht Vermöge des idealen Zusammenhanges zwischen
Wahrnehmung und BildvorstGÜung, wonach jeder Wahrnehmung
o priori eine mögliche Büdvorstcllung entspricht, ist dieser Satz
aber äquivalent mit dem unseren, und die Einschränkung des Be-
griffes auf die Einbildung unwesentlich.
Es wird sich jetzt darum handeln, in aller Kürze den Eiu-
flufs der eben angedeuteten Unterschiede auf die Erfüllungsver-
hältnisse zu erwägen, um für unsere Betrachtangen wenigstens
einen vorläufigen Abschluüs und für die weiteren üntei-suchungeo ]
einen Ausbück zu gewinnen.
§ 37. IHe Erfüllungsfunction der Wakmehmung.
Das Ideal der letzten Erfüllung.
Bezüglich der Art, wie das Gegenständliche in der Voi-stellung
voi-stellij;; wird, haben sich die Voilkomnienheitsunlerschiede der
Fülle als bedeutsam erwiesen. Die unterste Stufe bilden die
signitiven Acte; sie haben überhaupt keine Fülle. Die intuitiven
Acte liabeu Fülle, doch in graduellen Unterschieden des Mehr und
Minder, und zwar schon innerhalb der Sphäre der Imagination.
Aber die noch so grofse Vullkümmeuheit einer Imagination liifst
eine Difforeaz gegenüber der Wahrnehmung bestehen; sie giebt
nicht den Gegenstand selbst, auch nicht zum Theile, sie giebt
nur sein Bild, das, solange es Überhaupt Bild, nie die Sache
selbst ist. Diese verdanken wir der Wabrnehmung. Auch sie
„giebt" den Gegenstand iu versuhiedeuen Abstufungen der Voll-
komnionhoit, in vei^schiedeuen Graden der „ AbscUattung". Der
intentionate Charakter der Wahrnehmung ist im Gegensatze zum
biolsen Vergegenwärtigen der Imagination, das Gegenwärtigen
{Prisen tireu). Dies ist, wie wir wissen, ein innerer Unterschied
der Acte und, näher, ein solcher der Form iiirer Repräsen-
tation (Aiiffassuugsform). Aber das Fräsentiren macht im Allge-
meinou nicht ein wahrhaftes Gegenwärtigsein, sondern nur ein
Las Ideal der Adäquation. Evidenz utid Wahrheit.
589
iils gegenwärtig Erscheinen, in welchem rfie gegenständliche Gegen-
wart und mit ihr die Vollkommenheit der Wahr-nehmung Ab-
stufungen zeigt. Dies lehrt <ier Hinblick auf entsprechende
Stufenreihen der Erfüllung, auf welche hier, wie sonst, alle Exenipli-
licirung der Vollkomiaenheit in der Vorstelligmachung des Gegen-
standes angewiesen ist. Wir bringen uns dabei zur Klarheit,
dafs sich über die Wahrnehmungsfülle ein Unterschied ausbreitet,
dem wir durch die Rede von der porceptiven Abschattung gerecht
zu werden versuchten, ein Unterschied, der aber nicht die Fülle
nach ihrejn Empfindungsgehalt, nach ihrem inneren Charakter be-
trifft, sondern eine abgestufte Ausbreitung ihres Charakters als
„Fülle", also des auffassenden Actcbaiakters, bedeutet. Dunach
gilt uns [immer unabhängig von allem Genetischen, denn dafs diese,
wie alte ähnlichen Unterschiede associativ erwachsen sind , wissen
wir sehr vvol| manches Element der Fülle als endgiltige Präsen-
tation dos entsprechenden gegenständlichen Elementes: es giebt
sich als mit ihm identisch, nicht als sein blofser Repräsentant,
sondern als es selbst im absoluten Sinne. Anderes wieder gilt
als blofse „Farbenabsohattung", „perspectiv ische Verkürzung" u. dgl.,
wobei es klar ist, dafs solchen Reden auch im phänomenologischen
Inhalt des Actes und vor aller Rotlexion etwas entspricht Wir
haben diese Unterschiede der Abschattung schon berührt und sie
auch bei der Imagination, nur ins Bildliche übertragen, vorge-
funden. Alle Abschattung hat repräsentativen Charakter, und zwar
repräsentirt sie durch Aehnlichkeit; aber die Weise dieser Reprä-
sentation durch Aehnlichkeit ist eine verschiedene, je nachdem die
Repräsentation den abschattenden Inhalt als Bild oder als Selbst-
darstellung (Selbst- Abschattung) des Objects auffafst (vgl. S. 555).
Die ideale Grenze, welche die Steigerung der Abschattungsfülle
zuläfst, ist im Falle der Wahrnehmung das absolute Selbst (wie
in der Imagination das absolut gleichende Bild), und zwar für jede
Seite, für jedes präsentirte Element des Gegenstandes.
So weist die Erwägung der möglichen ErfüUungsverliältnisse
auf ein abschliefsendes Ziel der Erfüllungssteigerung hin,
in dem die volle und gesammte Intention ihre Erfüllung
590 VI. Elemente einer pfiärwmenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
und zwar nicht eine intermediäre und partielle, sondern eine
endgiltige und letzte Erfüllung erreicht bat Der intuitive
Gehalt dieser abschliefsenden Vorstellung ist die absolute Summe
möglicher Fülle; der intuitive Repräsentant ist der Gegenstand
selbst, so wie er an sich ist Repräsentirender und repräsentirter
Inhalt sind hier identisch Eines, und wo sich eine Vorstellungs-
intention durch diese ideal vollkommene Wahrnehmung letzte
Erfüllung verschafft hat, da hat sich die echte adaequatio rei et
intellectus hergestellt: das Gegenständliche ist genau als
das, als welches es intendirt ist, wirklieh „gegenwärtig"
oder „gegeben''^; keine Partialintention ist mehr implicirt, die
ihrer Erfüllung ermangelte.
Und damit ist eo ipso auch das Ideal jeder, und somit auch
der significativen Erfüllung gezeichnet: der intellectus ist hier
die gedankliche Intention , die der Bedeutung. Und die adaequatio
ist realisirt, wenn die bedeutete Gegenständlichkeit in der An-
schauung im strengen Sinne gegeben und genau als das gegeben
ist, als was sie gedacht und genannt ist Keine gedankliche
Intention, die nicht ihre Erfüllung fände, und zwar ihre letzte
Erfüllung, sofern das Erfüllende der Anschauung selbst nichts
mehr von unbefriedigten Intentionen implicirt.
Man bemerkt, dafs die Vollkommenheit der Adäquation des
„Gedankens" an die „Sache" eine doppelte ist: einerseits ist die
Anpassung an die Anschauung eine vollkommene, da der Gedanke
nichts meint, was die erfüllende Anschauung nicht als ihm zu-
gehörig vollständig vorstellig macht. Offenbar sind darin die
früher (S. 571) unterschiedenen beiden Vollkommenheiten zusammen-
gefafst: sie ergeben das, was wir als „objective Vollständigkeit* der
Erfüllung bezeichneten. Andererseits liegt in der vollständigen An-
schauung selbst eine Vollkommenheit Die Anschauung erfüllt
die in ihr terminirende Intention nicht selbst wieder in der Weise
einer Intention, die noch der Erfüllung bedürftig wäre, sondern
sie stellt die letzte Erfüllung dieser Intention her. Wir müssen
also unterscheiden: die Vollkommenheit der Anpassung an die
Anschauung (der Adäquation im natürlichen und weiteren
Das Ideal der Adäquation, Evidenz und Wahrheit.
591
Sinn) von der sie voraussetzenden Vollkommenheit der letzten
Erfüllung (der Adiiquatioii an die „Sache selbst"). Jede getreue
und pure Beschreibung eiaes anschaulichen Gegenstiindes oder
Vorganges bietet ein Beispiel für die erstere Vollkommenheit. Ist
das Gegenständliche ein innerlieh Erlebtes und in reflectiver Wahr-
nehmung, so wie es ist, Erfafstes, dann kann sich die zweite
Vollkommenheit hinzugesellen; wie wenn wir z. B. in Hinblick
auf ein kategorisches Urtheil, das wir gerade fällen, von der
Subjectvorstelhing dieses Urtheils sprechen. Dagegen fehlt die
erstere Vollkommenheit, wenn wir den vor nns stehenden Baum
einen „veredelten" Apfelbaum nennen, oder von „der Schwingungs-
zahl" des eben erklingenden Tons sprechen, und überhaupt von
Bestimmtheiten eines Wahrnehmungsobjects, die, selbst wenn sie
in der Wahrnehmungsintention mitgemeint sind, doch nicht wenig-
stens in abgeschatteter, analogischer W^ei.se in die Erscheinung
fallen.
Wir merken hier noch Folgendes an. Da die letzte Erfüllung
schlechterdings nichts von unerfüllten Intentionen einschliefsen
darf, mufs sie auf Grund einer reinen Wahrnehnuing erfolgen;
eine objectiv vollständige Wahrnehmung, die sich aber in der
Weise einer coutinuirlichen Sjnthesis unreiner Wahrnehmungen
vollzieht, kann ihr tucht genügen.
Gegen diese Betrachtungsweise, welche die letzte Erfüllung
aller Intentionen in Wahrnehmungen setzt, wird sich das Bedenken
erheben, dafe das realisirte Allgemeinheitsbewufstsein, welches den
allgemein begrifflichen Vorstellungen ihre Fülle giebt und den
„allgemeinen Gegenstand" „selbst" vor Augen stellt, sich auf
Grund blofser Imaginationen aufbaue, oder zum Mindesten gegen
den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Imagination un-
empfindlich sei. Dasselbe gilt offenbar, und in Folge des eben
Gesagten, für alle evidenten generellen Aussagen, die in aiioma-
tischer Art „auf Grund der blofsen Begrifle" einleuchten.
Dieser Einwand weist auf eine gelegentlich schon be-
rührte Lücke in unserer Untersuchung hin. Wahrnehnuiug galt
uns, zunächst wie selbstverständlich, als gleich mit sinnlicher
Wahrnehmung, Anschauung als gleich mit sinnlicher Anschauung.
Stillschweigend, ohne es uns recht zum Bewufstsein zu brin-
gen, hiiben wir öfters und z. B. auch im Zusammenhang der
Erwägungen über Verträglichkeit, die Schranken dieser Begriffe
überscliritteu : es geschah überall da, wo wir von Anschauung
eines Widerstreits oder einer Einigkeit oder einer sonstigen Syn-
these als sülciier sprachen. Wir werden im nächsten Kapitel,
welches die kategorialen Formen überhaupt betrifft, die Noth-
wendigkeit einer Erweiterung der Begriffe von Wahrnehmung und
sonstiger Anschauung erweisen. Zur Beseitigung des Einwandes
bemerken wir jetzt nur soviel, dafs die Iningination , welche die
Orundlage der generalisirendeii Ahstraction ist, darum nicht die
wirkliche und eigentliche Function der Erfüllung übt, also nicht
die „correspondirende" Anschauung darstellt. Das individuell
Einzelne der Erscheinung ist ja, wie wir mehrfach betont haben,
nicht selbst das Allgemeine und enthält es auch nicht in der
Weise eines reellen Stückes in sich.
§ 38. Setzende Acte in Erfüllungsfunction. Evidenx im laxen
und sirenijeu Sintie.
Unter dem Titel Intentionen haben wir bisher gleichmäfsig
setzende und nichtsetzende Acte befafst. Indessen, obschon das
Allgemeine des Erfülhiugscharakters wesentlich durch die Materie
bestimmt ist, und für eine Reihe wichtigster Verhältni.sse auch
nur die Materie in Betracht kommt, so zeigt sich doch in anderen
die Qualität als mitbestimmend und dies so sehr, dafs die Rede
von einer Intention, von einem Abzielen, eigentlich nur auf die
setzenden Acte zu passen scheint. Die Meinung zielt auf die
Sache, und sie erreicht ihr Ziel oder en-eicht es nicht, je nach-
dem sie zur Wahrnehmung (die hiebei ein setzender Act ist)
in gewisser Weise stimmt oder nicht stimmt. Und dann stimmt
Setzung mit Setzung überein, der intemürende und erfüllende Act
sind in dieser Qualität gleich. Das blofse Vorstellen aber ist
passiv, „es läfst die Sache dahingestellt". Wo sich dem blofsen
Vorstellen zufällig eine angemessene Wahrnehmung beigesellt, da
Das Ideal der Adäqualion. Bmdenx und Wahrheit.
593
tritt allerdinars, auf Grund der zusammenpassenden Materien, er-
füllende Decliiing ein; aber schon im Uebergange eignet sich
wol die Vorstellung den Setzungscharakter zu, und die Deckungs-
einbeit selbst hat ihn sicher in homogener Weise. Jede actuelle
Identificrrung, bezw. Unterscheidung ist ein setzender
Act, mag sie selbst in Setzungen fundirt sein oder nicht; und
(lieser Satz fügt in den wenigen Worten eine fundamentale, alle
Ergebnisse der letzten Untersuchungen über die Verhältnisse der
Verträghchkeit bestimmende Charakteristik bei, durch welche sich
die Theorie der Identtficirungen und Unterscheidungen in noch
viel höherem Mal'se als bisher als ein Hauptstück der Urtheils-
theorie herausstellt. Mit Beziehung darauf, ob gerade setzende
oder oh auch nichtsetzende Acte als intendirende und erfüllende
fungiren, klären sich Unterschiede wie die zwischen Illustrirung,
eventuell Exemplificirung, und Bestätigung (Bewährung und im
gegensätzlichen Falle Widerlegung). Der Begriff Bestätigung be-
zieht sich ausschliefslich auf setzende Acte im Verhältnis zu
ihrer setzenden Erfüllung und letztlich zu ihrer Erfüllung
durch Wahrnehmungen.
Diesem besonders ausgezeichneten Falle widmen wir eine
nähere Ueberlegung. In ihm liefert das Ideal der Adäquation die
Evidenx. Im laxeren Sinne sprechen wir von Evidenz, wo
immer eine setzende Intention (zumal eine Behauptung) ihre Be-
stätigung durch eine correspondirende und vollangepafste Wahr-
nehmung, sei es auch eine passende Synthesis zusammenhängender
Einzel Wahrnehmungen, findet. Von Graden und Stufen der
Evidenz zu sprechen, giebt dann einen guten Sinn. Es kommen
in dieser Hinsicht die Annäherungen der Wahrnehmung an die
objective Vollständigkeit ilirer gegenständlichen Präsentation in
Betracht, und dann weiter die Fortschritte zum letzten Vollkora-
menheitsideal : dem der adäquaten Wahrnehmung, der vollen
Selbstersclieinung des Gegenstandes — soweit er irgend in der
zu erfüllenden Intention gemeint war. Der erkenntuiskritisch
prägnante Sinn von. Evidenz beti-ifft aber ausschliefslich dieses
letzte, unüberschreitbare Ziel , den Act dieser vollkommensten
Bnsi*rl, Log. Untan. n. 3g
594 VI. Eleme
inomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
Erfüllungssyntliosis, welcher der Intention, z.B. der Urtheils-
intention, die absolute Inhnltsffllle, die des Gegenstandes selbst,
giebt. Der Gegenstand ist nicht blofs gemeint, sondern so wie er
gemeint ist und in Eins gesetzt mit dem Meinen, im strengsten ■
Sinn gegeben; im Uebrigen ist es gleichgiltig, ob es sich um
einen individuellen oder allgemeinen Gegenstand, um einen Gegen-
stand im engeren Sinn oder um einen Sachverhalt (dem Correlat
einer identificirenden oder unterscheidenden Synthesis) handelt.
Die Evidenz selbst ist, sagten wir, der Act jener vollkom-
mensten Deckungssynthesis. Wie jede Idendficirung ist sie ein
objectivirender Act, ihr objectives Correlat heifst Sein im Sinne
der Wahrheit oder auch Wahrheit — falls man diesen letz-
teren Terminus nicht lieber einem anderen aus der Reihe der Be-
griffe zutheilen will, die alle in der besagten phänomenologischen
Sachlage wurzeln. Dnch hier bedarf es genauerer Erörterung.
I
r
I
§ 39. Evidenz und Wahrheit.
1. Halten wir zunächst den eben angedeuteten Begriff der
Wahrheit fest, so ist die Wahrheit als Correlat eines identifici-
renden Actes ein Sachverhalt, und als Correlat einer deckenden
Identificiruug eine Identität; die volle Uebereinstimmung
zwischen Gemeintem und Gegebenem als solchem. Diese
Uebereinstimmung wird in der Evidenz erlebt, sofern die Evidenz
der actuelle Vollzug der adäquaten Identificirung ist. Andererseits
kann man den Satz, die Evidonz sei „Erlebnis" der Wahr-
heit, nicht ohne Weiteres dahin interpretiren, sie sei (wenn wir den
Begriff der Wahrnehmung weit genug fassen) Wahrnehmung und
bei der strengen Evidenz: adäquate Wahrnehmung der Wahr-
heit. Denn mit Rücksicht auf den früher' geüufserten Zweifel
werden wir zugestehen müssen, dafs der Vollzug der identifici-
renden Deckung noch keine actuelle Wahrnehmung der gegen-
ständlichen Uebereinstimmung ist, sondern dafs sie dazu erst wird
durch einen eigenen Act objectivirender Auffassung, durch ein
' Vgl. den Zusatz zu §8, 8. 507 f. imd dos Kapitel 7.
eigenes Hinblicken auf die vorhandene Walirheit. Und ^vorhan-
den" ist sie in der Tliat. vi priori besteht liier die Möglichkeit,
jederzeit auf die Uebereinstinimung liitizublickeu und sie sich in
einer adilquaten Wahnielunung zum intentionalen Bewufatseiu zu
bringen.
2. Ein anderer Begriff von Wahrheit betrifft das ideale Ver-
häUnis, welches in der als Evidenz definirten Deckungseinheit
zwischen den erkenntnismäfsigen Wesen der sich decken-
den Acte obwaltet. Während die Wahrheit im vorigen Sinn das
Gegenständliche war, das dem Acte der Evidenz entsprach, ist
die Wahrheit im jetzigen Sinn die zur Actforiu gehörige Idee,
niinilieh das erkenutnismäfsige und als Idee gofafste Wesen
des empirisch zufiilligen Actes der Evidenz, oder die Idee der
absoluten Adäquation als solcher.
3. Wir erleben femer auf Seite des Fülle gebenden Actes in
der Evidenz den gegebenen Gegenstand in der Weise des
gemeinten: er ist die Fülle selbst. Auch dieser kann als das
Sein, die Wahrheit, das Wahre bezeichnet worden , und zwar in-
sofern, als er hier nicht so wie in der blofsen adäquaten Wahr-
nehmung, sondern als ideale Fülle für eine Intention, als wahr-
machender erlebt ist; bezw. als ideale Fülle des specifischen
erkenntnismäfsigen Wesens der Intention.
4. Endlich vom Standpunkte der Intention ergiebt die Auf-
fassung des Evidenzverhältnisses die Wahrheit als Richtigkeit
der Intention {speciell z. B. Urtheilsrichtigkoit), als ihr Ad-
äquatsein an den wahren Gegenstand; bezw. als die Richtigkeit
des erkenntnismäfsigen Wesens der Intention in specie.
In letzterer Hinsicht z. B. die Richtigkeit des Urtheils im logischen
Sinn des Satzes: der Satz „richtet'' sich nach der Sache selbst;
er sagt, so ist es, und es ist wirklich so. Darin ist aber die
ideale, also generelle Möglichkeit ausgesprochen, daik sich über-
haupt ein Satz solcher Materie im Sinne sti'enger Adäquation er-
füllen läfst.
Wir müssen noch besonders darauf achten, dals das Sein, wel-
ches (als obiger erster Sinn von Wahrheit) hier in Frage kommt,
38*
nicht zu verwechseln ist mit dem Sein der Copula der „affirma-
tiven" kategorischen Aussage. In der Evidenz handelt es sieb um
totale Deckung, dieses Sein aber entspricht, wenn nicht immer,
so zumeist (Beschaffenheitsurtheil), partiellen Identificiriingen.
Doch selbst wo eine totale Identificirung zur Prädication
kommt, fällt das eine Sein mit dem anderen nicht zusammen.
Denn wir bemerken, dafs bei einer Urtheilsevidenz (Urtheil =-
prädicative Aussage) das Sein im Sinne der Urtheilswahr-
hoit erlobt, aber nicht ausgedrückt ist, also niemals mit
dem in dem „«(" der Aussage gemeinten und erlebten Sein
coincidirt. Dieses Sein ist das synthetische Moment des Seien-
den im Sinne des Wahren — wie sollte es dessen Wahrsein
ausdrücken? Wir finden hier eben mehrfache Uebereinstim-
mungen zur Synthesis gebracht: die Eine, partielle, prädi-
cative ist behauptend gemeint und adäquat wahrgenommen, also
selbst gegeben. (Was dieses heifst, wird schon im nächsten
Kapitel durch die allgemeinere Lehre von den kategorialen Ob-
jectivationen an Klarheit gewinnen.) Dies ist die üeberein-
stimmung zwischen Subject und Prädicat, das Fassen
dieses zu jenem. Fürs Zweite haben wir aber die Ueber-
einstimmung, welche die synthetische Form des Actes
der Evidenz ausmacht, also die totale Deckung zwischen
der Bedeutungsintention der Aussago und der Wahrnehmung des
Sachverhalts selbst, eine Deckung, die sich natürlich schrittweise
vollzieht; worauf es hier nicht weiter ankommt. Diese üeber-
einstimmung ist offenbar nicht ausgesagt, sie ist nicht gegen-
ständlich wie jene erstere, zum beurtheilten Sachverhalt gehörige.
Zweifellos kann sie jederzeit ausgesagt, und mit Evidenz aus-
gesagt werden. Sie wird dann zum wahrmachenden Sachverhalt
einer neuen Evidenz, von welcher das Gleiche gilt, und so weiter.
Aber bei jedem Schritte mufs man zwischen dem wahrmachenden
und dem die Evidenz selbst constituirenden Sachverhalte unter-
scheiden, zwischen dem objectivirten und dem nicht objectivirten.
Die soeben vollzogenen Untorecheidungen leiten uns zu fol-
gender allgemeinen Erörterung.
In unserer Darstellung des Verhältnisses der Begriffe Evi-
denz und Wahrheit haben wir auf der gegenständlichen Seite
der Acte, welche in der Evidenz, sei es in der Function der
Intention oder der der Erfüllung, ihre strenge Adiiquation finden,
nicht unterschieden zwischen Sachverbalten und sonstigen Gegen-
ständen. Und dementsprechend haben wir auch auf den phäno-
menologisoben Unterschied zwischen beziebendeu Acten —
Acten der üebereinstimmung und Nichtübereinstimmung, prädica-
tiven Acten — und nichtbeziehonden Acten keine Rücksicht
genommen; also auch nicht auf den Unterschied zwischen be-
ziehenden und nichtbezichenden Bedeutungen und ideal gefa&ten
intentionalen Wesen überhaupt. Die strenge Adäquation kann
eben nichtbeziehende Intentionen, so gut wie beziehende j mit ihren
vollkommenen Erfüllungen in Eins setzen; es brauchen, um speciell
das Gebiet der Ausdrücke herauszuheben, nicht gerade Urtheile als
Aussagointentioueu oder Aussageerfüllungen in Frago zu kommen,
auch nominale Acte können in eine Adäquation treten. Zumeist
werden die Begriffe Wahrheit, Richtigkeit, Wahres jedoch ein-
geschränkter gefafst, als wir es danacli gethan haben, sie werden
auf Urtheile und Sätze, bezw. auf deren objective Correlate, die
Sachverhalte bezogen; zugleich ist von Sein vorwiegend in Be-
ziehung auf absolute Objecte (Nicht-Sachverhalte), obschon ohne
sichere Begrenzung, die Rede. Das Recht unserer allgemeineren
Fassung der Begriffe ist unanfechtbar. Die Natur der Sache selbst
fordert es, dafs die Begriffe Wahrheit und Fatscbbeit, mindestens
vorerst, bo weit gesteckt werden, dafs sie die Gesammtsphäre der
objectivirenden Acte umspannen. Dabei erscheint es als das
Paissendste, die Begriffe Wahrheit und Sein so zu differenziiren,
dafs die Begriffe von Wahrheit (ein gewisser Spielraum der
Aequivocation wird unvermeidlich, aber nach Kläi-ung der Begriffe
kaum schädlich bleiben) auf die Seite der Acte selbst und ihrer
ideal zu fassenden Momente bezogen werden, die Begriffe von Sein
(Wahrhaft-sein) auf die zugehörigen gegenständlichen Corre-
late. Dementsprechend hätten wir die Wahrheit nach 2} und 4)
zu detiniren als Idee der Adäquation, oder aber als Richtigkeii
I
der objectivirenden Setzung und Bedeutung. Das Sein im Sinne
der Wahrheit wiü-o dann nach 1) nnd 3) zu bestimmen als Iden-
tität des in der Adä(iuatinn zugleich gemeinten und gegebenen
Gegenstandes, oder aber (dem natüilichen Wortsinn entsprechender)
als das adäquat Wahrnehmbare überhaupt in unbestimmter Be-
ziehung auf irgendeine dadurch wahrzumachende (adäquat zu er-
füllende) Intention.
Nachdem die Begriffe in dieser Weite gefafst und phänomeno-
logisch gesichert sind, kann man dazu übergehen, in Rücksicht-
nahme auf den Unterschied der beziehenden und nichtl)eziehenden
Acte (Prädicationen — absolute Positionen) engere Begriffe von
Wahrheit und Sein abzugrenzen. Der engere Wahrbeitsbegriff
würde sich dann auf die ideale Adäquation eines beziehenden
Actes an die zugehörige adäquate Sacliverhaltwahrnehmung be-
schränken; ebenso würde der engere Seinsbegritf das Sein von ab-
soluten Gegenständen betreuen und dasselbe vom „Bestehen" der
Sachverhalte abscheiden.
Danach ist Folgendos klar: Definirt man Urtheil als setzenden
Act überhaupt, so deckt sich, subjectiv geredet, die Sphäre des
ürtheils mit den vereinigten Sphären der Begrifle Wahrheit und
Falschheit im weitesten Sinne. Definirt man es durch die Aus-
sage imd ihre möglichen Erfüllungen, befafst man unter Urtheil
also nur die Sphäre der beziehenden Setzungen, so besteht die-
selbe Deckung wieder, wofern nur auch die engeren Begriffe von
Wahrheit und Falschheit zu Grunde gelegt werden. —
Einseitig haben wir bisher den Fall der Evidenz, also den
als totale Deckung beschriebenen Act bevorzugt. Der Evidenz
entspricht aber mit Rücksicht auf den correlaten Fall des Wider-
streits die Absurdität, als Erlebnis des völligen Widerstreits zwi-
schen Intention und Quasi-Erfüllung. Es entsprechen dann den Be-
griffen Wahrheit und Sein die correlaten Begriffe Falschheit und
Nichtsein. Die phänomenologische Klärung dieser Begriffe ist,
nachdem wir alle Fundamente vorbereitet haben, ohne besondere
Schwierigkeiten zu vollziehen. Es müfste vorerst das negative
Ideal der letzten Enttäuschung genau imischrieben werden.
*
Bei der strengen Fassung des EvidenzbegrifFes, die wir hier
mi Grunde gelegt haben, ist es oftenbar, dals Zweifel derart,
wie sie in neuerer Zeit zu gelegentlicher Aeufserung kamen,
absurd sind: uäuilich ob nicht mit derselben Materie A bei dem
Einen das Erlebnis Evidenz imd bei dem Andern das der Ab-
surdität vorknüpft sein konnte. Dergleichen Zweifel waren nur
so lange möglich, als man Evidenz und Absurdität als eigenartige
(positive, bezw, negative) Gefühle deutete, welche, dem ürtheils-
ueto ziitiillig anhängend, ihm jene besondere Äuszeiebnung ertheilen,
die wir logisch als Wahrheit, bezw. Falschheit bewertheu. Erlebt
Jemand die Evidenz J, so ist es evident, dafs kein Zweiter die
Absurdität desselben A erleben kann; denn, dafs A evident ist,
heifst: A ist nicht blols gemeint, sondern genau als das, was es
geraeint ist, auch wahrhaft gegeben; es ist im strengsten Sinne
selbst gegenwärtig. Wie soll nun für eine zweite Person dieses
selbe A gemeint, aber die Meinung, es sei .4, durch ein wahrhaft
Gegebenes non-.-l wahrhaft ausgeschlossen sein? Man sieht, es
handelt sich um die Sachlage, die der Satz vom Widerspruch zum
Ausdruck bringt —
Aus unseren Analysen geht mit zuverlässiger Klarheit hervor,
dafs Sein und Nichtsein keine Begriffe sind, die ihrem Ursprung
nach zu den Urtheils(juaH täten gehören. Im Sinn unserer Auf-
fassung der phänomenologischen Verhältnisse ist jedes ürtheil
setzend, und Setzung kein Charakter des «/, der im nicht ist
sein qualitatives Gegenstück fände. Das qualitative Gegenstück
zu ürtheil ist bloise Vorstellung derselben Materie. Die Unter-
schiede zwischen ist und nicht ist sind Unterechiode der inten-
tionalen Materie. So wie das ist in der Weise der Bedeutungs-
intention die prädicative Uebereinstimmung ausdrückt, so drückt
das nicht ist den pradicativen Widerstreit aus.
Zweiter Abschnitt
Sinnlichkeit und Verstand.
Sechstes Kapitel.
Sinnliclie und kategoriale Anschauungen.
§ 40. Das Problem der Erfiillung kaiegoriaier Bedtutungafornteri und
ein leitender Gedanke für dessen Lösung.
In unseren bisherigen Darlegungen ward uns eine grofse
Lücke wiederholt recht empfindlich. Sie betraf die kategorialen
objectiven Formen, bezw. die „synthetischen" Functionen in der
Sphäre der objectivirenden Acte, durch welche sich diese objec-
tiven Formen constituiren, durch welche sie zur „Anschauung"*
und doiugemärs auch zur ^Erkenntnis" kommen sollen. Wir wollen
den Versuch wagen, diese Lücke einigermafsen auszufüllen und
knüpfen wieder an die Untersuchung des ersten Kapitels an, die
auf ein beschränktes Ziel der Erkenntnisklärung gerichtet war,
nämlich auf das Verhältnis ausdrückender Bedeutungsintention
und ausgedrückter sinnlichen Anschauung. Wir legen vorläufig
auch wieder die einfachsten Fälle von Wahrnehmungs- und sonsti-
gen Anschauungsaussagen zu Grunde und machen uns auf Grund
derselben das Thema der nächsten Betrachtungen klar, wie folgt:
Im Falle der Wahrnehmungsaussage erfüllen sich nicht nur
die ihr eingellochtenen nominalen Vorstellungen; Erfüllung durch
die unterliegende Wahrnehmung findet die Aussagebedeutung im
Ganzen. Von der ganzen Aussage heifst es ja gleichfalls, daGä sie
unserer Wahrnehmung Ausdruck gebe; wir sagen nicht blofs, ich
sehe dieses Papier, ein Tiiilenfaß, mehrere Bücker u. dgl., son-
dern auch ich sehe, dafs dieses Papier beschrieben ist, dafs hier
ein Tintenfafs aus Bronce sieht, dafs mehrere Bücher aufge-
schlagen sind u. s. w. Erscheint Jemandem die Erfüllung nomi-
naler Bedeutungen als hinreichend klar, so stellen wir die Frage,
J
wie die Ei-füllung der ganzen Aussagen, zumal nach dem, was
über ihre „Materie", d. li. hier über die nominalen Termini hin-
ausreicht, zu verstehen ist? Was soll und kann den Bedeutuogs-
momenten, welche die Satzform als solche ausmachen, und wozu
beispielsweise die Copula gehört — den Momenten der „katego-
rialen Form" — Erfüllung verschafien?
Näher besehen, überträgt sich diese Frage aber auch auf die
nominalen Bedeutungen, wofern sie nicht gerade formlos sind wie
die Eigenbedeutungen. Wie die Aussage, so besitzt der Name
schon in der grammatischen Erscheinung seine „Materie" und
seine „Form". Zerfällt er in Worte, so liegt die Form theils in
der Weise der Aneinanderreihung, theils in eigenen Formworten,
theils in der Bildiingsweise des einzelnen Wortes, das dann in
sich selbst noch Momente der „Materie" und Momente der „Form"
unteischeiden läfst. Derartige grammatische Unterscheidungen
weisen auf Bedeutungsunterselieidungon zurück; mindestens im
Rohen drücken die grammatischen Gliederungen und Formen die
im Wesen der Bedeutung gründenden Gliederungen und Formen
aus; wir finden also in den Bedeutungen Theile von sehr ver-
schiedenem Charakter, und unter ihnen fallen uns hier spociell
diejenigen auf, welche durch Formworte wie das, ein, einige^
viele, u'enige, xieei, ist, nicht, ivelches, und, oder u. s. w. ausge-
drückt werden; ferner durch die substantivische und adjectivische,
singulare und plurale Bildungsform der Worte u. s. w.
Wie verhält sich nun all das in der Erfüllung? Ist das im
dritten Kapitel formulirto Ideal vollständig angemessener Erfüllung
aufrecht zu halten? Entsprechen allen Theilen und Formen
der Bedeutung auch Theile und Formen der Wahrneh-
mung? Diesenfalls bestände also zwischen dem bedeutenden
Meinen und dem erfüllenden Anschauen jener Parallelismus,
den die Rede vom Ausdrücken nahelegt. Der Ausdruck wäre
ein bildartiges Gegenstück der Wahrnehnumg (sc. nach all ihren
Theilen oder Formen, die eben ausgedrückt sein sollen), obsclion
hergestellt aus einem neuen Stoff — ein „Aus-druck'' in dem
Stoffe des Bedeutens.
Das Prototyp für die Interpretation des Verhältnisses zwischen
Bedeuten uud Anscliaueu wäre also das Verhältnis der Eigenbe-
deutung zu den entsprechenden WaLroehnuingen. Wer Köln selbst
kennt uud demgemäl's die wahre Eigonbedeutuug des Wortes Kö/n
hat, besitzt in dem jevveiligcu «etuellen Bedeutungserlebnis ein
der künftig bestätigenden Wuhrnobmung genau Entsprechendes.
Es ist nicht eigentliches Gegenbild der Wahrnehmung, wie etwa
die entsprechende Phantasie; aber wie in der Wahmehniung die
Stadt (vermeiotlicli) selbst gegenwärtig ist, so meint, nach dem
früher Erürtortun, der Eigenname Köln in seiner Eigenbedeutiing
dieselbe Stadt „direct", sie selbst, so wie sie ist. Die schlichte
Wahrnehmung bringt hier ohne Hilfe weiterer, auf sie gebauter
Acte den Gegenstand zur Erscheinung, welchen die Bedeutuugs-
intentioa meint, und so wie sie ihu meint. Die Bedeutungsinten-
tion findet darum in der blofseu Wahrnehmung den Act, in dem
sie sich vollständig angemessen erfüllt.
Betrachten wir statt der direct nennenden, formlosen, viel-
mehr geformte und gegliederte Ausdrücke, so scheint die .Sache
zunächst ebenso zu liegen. Ich sehe weifees Papier und sage
weifses Papier, damit drücke ich, genau anmessend, nur das
aus, was ich sehe. Ebenso bei ganzen Urtheilen. Ich sehe,
dafs dieses Papier weifs ist, und genau dies drücke ich aus, ich
sage aus: dies Papier ist weifs.
Wir werden uns durch solche, in gewisser Weise richtigen und
doch leicht mifsverstäudlichen Reden nicht täuschen lassen. Damit
könnte man ja sogar begründen wollen, dafs die Bedeutung liier
in der Wahrnehmung liege, was, wie wir festgestellt haben, nicht
zutrifft. Das Wort weifs meint sicherlich etwas am weifsen Papier
selbst, und somit deckt sich im Status der Erfüllung dieses Mei-
nen mit der auf das Weifemomeut des Gegenstandes bezüglichen
Partialwahrnehmung. Aber die Anuahme einer blofseu Deckungfd
mit dieser Partiahvahrnchumng will nicht auslangen. Man
pllegt hier zu sugeu, das erscheinende Weifs werde als weifs
erkannt und geuaunt. Indessen die normale Rede vom Erken-
nen bezeichnet vielmehr den Subjectgegenstand als den „er*
kannton". In diesem Erkennen lie^ offenbar ein anderer Act
vur, der jenen erstoren vielleicht einschliefst, jedenfalls aber von
ihm verschieden ist. Das Fnpier wird als weifs, oder vielmehr
als weifsos erkannt, wo wir, die Wahrnehmung ausdrückend, sagen
weißes Papier. Die Intention des Wortes weifses deckt sich nur
partiell mit dem Farbenmoment des erscheinenden Gegenstandes,
es bleibt ein Uoberschiiis in der Bedeutung, eine Form, die in
der Erscheinung selbst nichts findet, sich darin zu bestätigen.
Weifses, d. h. weifs seiendes Papier. Und wiederholt sich diese
Form nicht auch, obschon verborgener bleibend, bei dem Haupt-
wort Papier? Nur die in seinem „Begriff" vereinten Merkmal-
bedeutungen terminiren in der Wahrnehmung; auch hier ist der
ganze Gegenstand als Papier erkannt, auch hier eine ergänzende
Form, die das Sein, obschon nicht als einzige Form, enthält. Die
Erfüllungsleistuug der schlichten Wahrnehmung kann an solche
Formen offenbar nicht hinanreichen.
Wir brauchen des Weiteren nur zu fragen, was dem Unter-
schiede der beiden, auf Grund derselben Wahrnehmung vollzoge-
nen Beispielsausdrücke dieses ifeifse Papier und dieses Papier ist
weifs — also dem Unterschied der attributiven und prädicativen
Aussageform — auf Seite der Wahrnehmung entspricht, was er
au ihr eigentlich ausprägt, und im Falle adäquater Anmessung
mit besonderer Genauigkeit ausprägt: so merken wir dieselbe
Schwierigkeit. Kurzum wir sehen ein, so einfach wie bei der
Eigenbedeutung mit ihrer scMichton Deckungsbeziehung zur Wahr-
nehmung liegt die Sache bei den geformten Bedeutungen nicht.
Gewiis kann man verständlich und für den Hörenden eindeutig
sagen, ich sehe, da/s dieses Papier weifa ist; aber die Meinung
dieser Rode mufs es nicht sein, dafs die Bedeutung des ausge-
sprochenen Satzes einem blofsen Sehen Ausdruck gebe. Es
kann ja auch sein, dafs das erkenntnismäfsige Wesen des Sehens,
in dem sich die erscheinende Gegenständlichkeit als selbst gegebene
bekundet, gewisse verknüpfende oder beziehende oder sonstwie
formende Acte begründet, und dafs diese es sind, denen sich
der Ausdruck mit seinen wechselnden Formen anmiist, und in
604 VI. Element^f/^flänoTneTtolog. Aufklärung der Erkenntnis.
denen er, hinsichtlich dieser Formen, als auf Grund actueller
Wahrnehmung vollzogenen, seine Erfüllung findet. Nehmen wir
diese fundirten Acte oder vielmehr Actformen mit ihren fundiren-
den Acten zusammen, und befassen wir unter dem Titel fnndir-
ter Act die ganzen complexon Acte, die durch jene formale Fun-
dirung erwachsen, so können wir sagen: unter Voraussetzung der
eben angezeigten Möglichkeit stellt sich der Ptuulleüsmus wieder
her, nur ist es kein Parallelismus zwischen den Bedeutungsinten-
tionon der Ausdrücke und ihnen entsprechenden blofsen Wahr-
nelmuingen, sondern zwischen den Bedeutiingsiutentionen und
jenen in Wahrnobmuugeü fundirten Acten.
§ 41. FOrtseixung. Erweiterung der Beispielsphäre.
Denken wir uns den Kreis der Beispiele so weit ausgedehn
dafs er das Gesammtgebiet des priidicirenden Denkens uoifa&t,
so ergeben sich die analogen Schwierigkeiten und analoge Mög-
lichkeiten zu deren Ueberwindung. Es treten dann zumal auch
die Urtheile hinzu, welche keine bestimmte Beziehung auf eine
individuelle, durch irgendwelche Anschauung zu gebende Einzel-
heit haben, sondern in genereller Weise Beziehungen zwischen
idealen Einheiten ausdrücken. Auch die generellen Bedeutungen
solcher Urtheile können sich auf Grund „correspondirender" An-
schauung vollziehen, wie ja auch ihr Ursprung unmittelbar oder
mittelbar in der Anschauung liegt. Aber das anschaulich Einzelne
ist hiebei nicht das Gemeinte, es fungirt bestenfalls als singu-
lärer Fall, als Beispiel, oder nur als rohes Analogen eines Bei-
spiels, des Allgemeinen, auf das es allein abgesehen ist. So mag
uns z. B., wenn wir generell von Farbe oder specicil von Böthe
sprechen, die Erscheinung eines siugulären rothen Dinges die
belegende Anschauimg liefern.
Gelegentlich kommt es hier übrigens auch vor, dala man die
generelle Aussage geradezu als Ausdruck der Anschauung be-
zeichnet. So wie man z. B. sagt, ein arithmetisches Axiom drücke
aus, was in der Anschauung liege; oder wenn man einem Geometer
den Vorwurf macht, er drücke, statt formal zu deduciren, blofs
fi
JUIS
d
aus, was er an der Figur sehe, er entnehme ans der Zeichnung
und unterschlage Beweisschritte. Solche Rede hat ihren guten
Sinn (wie denn der Einwand in nicht unerheblichem Umfang die
formale Schlüssigkeit der Euclidischen Geometrie triift); nur meint
das Ausdrucken hierin etwas Anderes als in den früheren Fällen.
Ist schon bei jenen der Ausdruck kein b!o&es Gegenbild der
Anschauung, so hier erst recht nicht, wo die Intention den Ge-
danken garnicht auf die anschaulich gegebene Erscheinung und
ihre anschaulichen Eigenschaften oder Verhältnisse geht, ja im
Beispiele garnicht gehen kann: die Figur im geometrischen Sinn
ist bekanntlich eine ideale Grenze, die in concreto überhaupt nicht
anschaulich nachweisbar ist. Bei alldem hat aber die Anschauung
auch hier, und im generellen Gebiet überhaupt, eine wesent-
liche Beziehung zum Ausdruck und zu seiner Bedeutung; diese
bilden daher ein Erlebnis auf Anschauung bezogener Allgemein-
erkenntnis, kein blofses Zusammen, sondern eine fühlbar zusammen-
gehörige Einheit. Auch hier orientirt sich Begriff und Satz nach
der Anschauung, und nur dadurch erwächst, bei entsprechender
Anpassung, die Evidenz, der Werth der Erkenntnis. Andererseits
bedarf es keiner langen üeberlegung, um einzusehen, dals die
Bedeutung der hiehergehörigen Ausdrücke ganz und garnicht in
der Anschauimg liegt, sondern dafs diese ihr nur die Fülle der
Klarheit und günstigen Falls der Evidenz ertheiU. Es ist ja zu be-
kannt, daia die unvergleichliche Mehrheit der generellen Aussagen,
zumal der wissenschaftlichen, ohne jedwede klärende Anschauung
bedeutsam fungiren, und dafs nur ein verschwindender Theil {auch
der wahren und begründeten) einer vollen Durclileuchtung mit
Anschauung zugänglich ist und bleibt.
Aehnlich wie im individuellen Gebiet bezieht sich die natiii'-
liche Rede von Erkenntnis auch im generellen Gebiet auf die
anschaulich fundirten Denkacte. Entfällt die Anschauung ganz
und gar, so erkennt das UrtheU zwar nichts, immerhin meint es
aber in seiner rein gedanklichen Art genau das, was durch Hilfe
der Anschauung zur Erkenntnis käme — wenn das Urtheil über-
haupt ein wahres ist. Die Erkenntnis aber hat, wir können dies
in jedem Falle nachträglicher Bewährung des generellen Urtheils
an der Anschauung beobachten, so wie jede sonstige Erkenntnis
den Charakter der Erfüllung und Identificirung.
Zur Lösung der Schwierigkeit, wie Identificirung hier zn
Stande kommen soll, da die Form des generellen Satzes, zumal
die Form der Allgemeinheit, in der individuellen Anschauung ihr
sympathische Elemente vergeblich suchen würde, bietet sich dann,
analog wie oben, die Möglichkeit der fundirten Acte, die, näher
ausgeführt, etwa so zu gestalten wäre:
Wo generelle Gedanken in Anschauung ihre Erfüllung finden,
da bauen sich auf den Wahrnehmungen oder sonstigen Erschei-
nungen gleicher Ordnung gewisse neue Acte auf, und zwar Acte,
welche sich auf den erscheinenden Gegenstand in ganz anderer
Weise beziehen, als diese ihn jeweils constituirenden Anschau-
ungen. Die Verschiedenheit der Beziehungsweise spricht sich in
der selbstverständlichen und oben schon gebrauchten Wendung aus,
dafs hier der anschauliche Gegenstand nicht selbst als der gemeinte
dastehe, sondern nur als klärendes Beispiel für die eigentliche,
generelle Meinung fungire. Indem nun die ausdrückenden
Acte diesen Unterschieden folgen, geht auch ihre significative
Intention statt auf ein anschaulich Vorzustellendes vielmehr auf
ein Allgeraeines, durch Anschauung nur zu Belegendes. Und wo
sich die neue Intention durch unterliegende An.schauung adäquat
erfüllt, erweist sie ihre objective Möglichkeit, bezw. die Möglich'
keit oder „Realität" des Allgemeinen.
§ 42. Der Unterschied zwischen sinnlichem Stoff und kategorialer
Fonn in der Oesammtsphäre der objectivirenden Acte.
Nachdem diese vorläufigen Betrachtungen uns die Schwierig-
keit kennen gelehrt und uns sogleich einen leitenden Gedanken
für ihre mögliche Ueberwindung an die Hand gegeben haben,
versuchen wir die eigentliche Durchführung der Erwägung.
Wir giengen davon aus, dafs die Idee eines gewissermafsen
bildartigen Ausdrückens ganz unbrauchbar ist, um das Verhältnis
zu beschreiben, das zwischen den ausdrückenden Bedeutungen
und den nusgedriickteu Anscliauungen im Falle geformter Aus-
drücke statthat. Dies ist zweifellos richtig und soll jetzt nur nocli
eine näliere Bestimmung erfahren. Wir brauchen uns blofs erust-
lich zu überlegen , was ruögUcher Weise Sache der Wahrnehmung und
was Sache des Bedeutens ist, und wir müssen aufmerksam werden,
dafs jeweils nur gewissen, in der blofsen Urtheilsforra im
voraus angebbaren Aussagetheilen in der Anschauung
etwas entspricht, während den anderen Aussagetheilen
in ihr überhaupt nichts entsprechen kann.
Sehen wir uns diese Sachlage etwas näher an.
Die Wahrnehmutigsaiissagon sind, einen normalen vollstän-
digen Ausdruck vorausgesetzt, gegliederte Reden von wechselnder
Gestalt. Wir untei-scheiden leicht gewisse Typen wie E ist P
(wo E als Anzeige eines Eigennamens stehen mag), ein S ist P,
das S ist P, alle S sind P u. s. w. Mannigfache Verwicklungen
entstehen durch den moderirenden Eintlufs der Negation, durch
Einführung des Unterschiedes zwischen absoluten und relativen
Prädicaten, bezw. Attributen, durch conjunctive, disjunctive, deter-
minative Anknüpfungen u. s. w. In der Verschiedenheit dieser
Typen prägen sich schade Bedeutungsunterschtede aus. Den ver-
schiedenen Buchstabenzeichen und Wörtern in diesen Typen ent-
sprechen tlieils Glieder, theils verbindende Formen in den Bedeu-
tungen der zu diesen Typen gehörigen actuellen Aussagen. Es
ist nun leiciit zu sehen, dafs ausschliefslich an den durch
Buchstabensymbole angezeigten Stellen solcher „Urtheils-
formen" Bedeutungen stehen können, die sich in der Wahrneh-
mung selbst erfüllen, während es für die ergänzenden Fonnbe-
deutiingen aussichtslos, ja grundverkehrt wäre, in der Wahrnehmung
direct das zu suchen, was ihnen Erfüllung zu geben vermag.
Freilich können die Buchstaben, vermöge ihrer blofs functionellen
Bedeutung, auch den Werth complexer Gedanken annehmen; es
können eben sehr verwickelt gebaute Aussagen unter dem Gesichts-
punkt sehr einfacher Urtheilstypen aufgefafst werden. Demgemäfs
wiederholt sich bei dem, was wir einheitlich als Terminus ins
Auge fassen, derselbe Unterschied zwischen „Stoff" und „Form'*.
608 VI. Elemente einer pliätiotnenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
Aber schliefslich kommen wir in jeder Wabmebmungsaussage und
desgleichen natürlicb bei jeder anderen, Anschaaang in einem
gewissen primären Sinn Ausdruck gebenden Aussage, auf letzte in
den Terminis vorhandenen Elemente — wir nennen sie die stoff-
lichen Elemente — welche in der Anschauung (Wahrnehmung,
Einbildung u.dgl.) directe Erfüllung finden, wilhrend die ergänzen-
den Formen, obschon sie als Bedeutungsformen gleichfalls Er-
fQllnng heischen, in der Wahrnehmung und den gleichgeordneten
Acten unmittelbar nichts finden, was ihnen je gemäfs sein könnte.
Diesen fundamentalen Unterschied bezeichnen wir, in der
naturgemäfson Erweiterung über die ganze Sphäre des objectivi-
renden Vorstellens, als den Jcategorialen, und zwar absoluten
Unterschied zwischen Form und Stoff des Vorstellens,
und sondern ihn zugleich von dem innig mit ihm zusammen-
hängenden rc/a/tve» oder /'Mnc/«one/2^en Unterschied, welcher
im Obigen ebenfalls schon mitangedeutet war.
Wir sprachen soeben von der naturgemäfson Erweiterung
dieses Unterschiedes über die ganze Sphäre des objectivirenden
Vorstellens. Wir fassen nämlich die den stofiFiichen , resp. formalen
Bestandstücken der Bedeutungsintentionen entsprechenden
Bestandstücke der Erfüllung ebenfalls als „stoffliche", resp. „for-
male"; und damit ist klar, was in der Sphäre der objectirirenden
Acte überhaupt als stofflich und als formal zu gelten habe.
Von Stofif (oder auch Materie) und Form ist sonst noch in
vielfachem Sinne die Rede. Ausdrücklich weisen wir darauf hin,
dafs die übliche Rede von der Materie, die ihren Gegensatz in
der kategorialen Form findet, garnichts zu thun hat mit der Rede
von der Materie im Gegensatz zur Actqualität; so z. B. wenn wir
in den Bedeutungen von der setzenden oder blofe dahinstellenden
Qualität die Materie unterscheiden, welche uns sagt, als was, als
wie bestimmte und gefafste, die Gegenständlichkeit in der Be-
deutung gemeint ist Zur leichteren Sonderung sprechen wir im
kategorialen Gegensatze nicht von Materie, sondern von Stofif und
sagen andererseits, wo die Materie im bisherigen Sinn gemeint
ist, accentuirend intentionale Materie oder auch Auffassungssinn.
§ 43. Die objectiven Correlate der kaiegorialen Formen keine
„realen" Momente.
Es kommt jetzt darauf an, dem soeben bezeichneten Unter-
schied Klarlieit zu verschaffen. Wir ifnüpfen zu diesem Zwecke
an unsere früheren Beispiele an.
Die formgebendo Flexion, das Sein in der attributiven und
prädicativen Function, erfüllt sich, sagten wir, in keiner Wahr-
nehmung. Hier erinnern wir uns an den KAxr'sclien Satz: Das
Sein ist kein reales Prädicat. Bezieht er sich auch auf das
existenziale Sein, auf das Sein der „absoluten Position", wie es
später Hjerbart genannt hat, so können wir ihn doch nicht minder
für das prädicative und attributive Sein in Beschlag nehmen.
Jedenfalls meint er genau das, was wir hier klarlegen wollen.
Die Farbe kann ich sehen, nicht das Farbig-sein. Die Glätte
kann ich fühlen, nicht aber das Glatt-soin. Den Ton kann ich
hören, nicht aber das Tünend-soin. Das Sein ist nichts im
Gegenstande, kein Theü desselben, kein ihm einwohnendes Mo-
ment; keine Qualität oder Intensität, aber auch keine Figur, keine
innere Form überhaupt, kein wie immer zu fassendes constitutives
Merkmal. Das Sein ist aber auch nichts an einem Gegenstande,
es ist wie kein reales inneres, so auch kein reales äufseres Merk-
mal'und darum im realen Sinne überhaupt kein „Merkmal".
Denn es betrifft auch nicht die sachlichen Einheitsformen, welche
Gegenstände zu umfassenderen Gegenständen verknüpfen, Farben
zu Farbengestalten, Töne zu Harmonien, Dinge zu umfassenderen
Dingen oder Dingordnungen (Garten, Strafee, phänomenale Aufseu-
welt). In diesen sachlichen Einheitsfonnen gründen die äufseren
Merkmale der Gegenstände, das Rechts und Links, das Hoch imd
Tief, das Laut und Leise u. s. w., worunter sich so etwas wie das
7s/ natürlich nicht findet.
Wir sprachen jetzt von Gegenständen, ihren constitutiven
Merkmalen, ihrem sachlichen Zusammenhang mit anderen Gegen-
ständen, der umfassendere Gegenstände schafft und zugleich an
den Theilgegenständen äufsere Merkmale; wir sagten, dafs etwas
Hniaerl, Ijoft. Dnton. H, 39
de B«-
nander J
:endM^
dem Sein Entsprechendes anter Urnen nicht za suchen sei. All
das sind aber Wabrnehmbarkeiten , und sie erschöpfen den Um-
fang möglicher Wahrnehmungen so, dafe hiemit zugleich gosigt
und constatirt ist, das Sein sei schlechterdings nichts Wahr-
nehmbares.
Doch hier bedarf es einer klärenden Ei^änzung. Wahr-
nehmung und Gegenstand sind innigst zusammenliängeode Be-
griffe, die sich wechselseitig ihren Sinn anweisen, ihn miteinander
erweitern und verengen. Es muCs nun aber herroigehoben we
dafs wir hier einen gewissen natürlich begrenzten nächstliegende
aber sehr engen Begriff Ton Wahrnehmung, bezw. ron
Gegenstand benutzt haben. Bekanntlich spricht man ron Wahr-
nehmen und zumal von Sehen auch in einem sehr erweiterten
Sinn, der das Erfassen ganzer Sachverhalte und sehliefsiich sogar
die apriorische Evidenz von Gesetzen (als «Einsehen") in sich
begreift. Im engeren Sinn wahrgenommen ist, populär und rok
gesprochen, alles Gegenständliche, das wir mit Augen sehen, mit
den Ohren hören, mit irgendeinem „äufsern" — oder auch
„inneren Sinn"* erfassen können. „Sinnlich wahrgenommen*
heifsen allerdings nach gemeinem Sprachgebrauch nur die äufseren
Dinge und dinglichen Verknüpfungsformen (nebst den unmittelbar
zugehörigen Merkmalen). Consequenter Weise hätte man aber
nach Einführung der Rede vom „inneren Sinn" auch den Begriff
der sinnlichen Wahrnehmung passend erweitern müssen, so dafs
auch alle innere Wahrnehmung, und unter dem Titel sinji-
Uches Object der correlate Bereis innerer Objecto — also die
Ich und ihre inneren Erlebnisse — befafst wäre.
In der Sphäre der so verstandenen sinnlichen Wahrnehmung,
und entsprechend der sinnlichen Anschauung überhaupt —
diese Weite der Rede von der Sinnlichkeit halten wir fest — findet
nun eine Bedeutung, wie die des Wortes Sein, kein mögliches
objectives Correlat und danini in den Acten solcher Wahr-
nelimung keine mögliche KrtÜlliing. Was vom Sein gilt, gilt
offenbar von den übrigen kategorialen Formen in den Aussagen,
mögen sie nun Bestandstücke der Termini untereinander oder die
Termini selbst zur Einheit des Satzes verknüpfen. Das Ein und
das DftH, das Und und das Oder, das Wenn und das So, das
Alle und das Act'«, das Etwas und Nichts, die Quantiiätsformen
und die Än\ahfbesti))iwungen n. s. w. — all das sind bedeutende
Satzeleuiente, aber ihre gegenständlichen Correlate (falls wir ihnen
solche überhaupt zuschreiben dürfen) suchen wir vergeblich in
der Sphäre der realen Gegenstände, was ja nichts anderes hei Pst,
als der Gegenstände möglicher sinnlichen Wahrnehmung.
§ 44. Der Ursprung des lierp-iffes Sein und der übrigen Kategorien
liegt niciH im Gebiete der inneren Wahrnehmung.
Dies gilt aber — wir betonen es ausdrücklich — sowol von
der Sphäre der „äufseren" Sinne, als von der des „inneren"
Sinnes. Es ist eine naheliegende, seit Locke allgemein verbreitete,
aber grundirrige Lehre, dafs die fraglichen Bedeutungen, bezw.
die ihnen entsprechenden nominal vei-selbständigten Bedeutungen
— die logischen Kategorien, wie Sein und Nichtsein, Einheit,
Mehrheit, Allheit, Anzahl, Grund, Folge u. s. vv. — durch Re-
flexion auf gewisse psychische Acte, also im Gebiete des
inneren Sinnes, der „inneren Wahrnehmung" entspringen.
Auf solchem Wege entspringen wol Begritte wie Wahrnehmung,
Urtheil, Bejahung, Verneinung, CoUigiren und Zählen, Voraus-
setzen und Folgern — welche daher iusgesammt „sinnliche"
Begriffe sind, nämlich zur Sphäre des „inneren Sinnes" gehörige
^ niemals aber die Bogriffe der früheren Reihe, die nichts weniger
denn als Begriffe von psychischen Acten oder deren descriptiven
Inhalten gelten können. Der Gedanke Urtheil erfüllt sich in der
inneren Anschauung eines actuellen Urtheils; aber nicht erfüllt
sich darin der Gedanke des ist. Das Sein ist kein Urtheil und
kein reales Bestandstück eines Urtheils. So wenig das Sein ein
reales Bestandstück irgendeines äufseren Gegenstandes ist, so wenig
ist es ein reales Bestandstück irgendeines inneren; also auch nicht
des Urtheils. Im Urtheil — der prädicirenden Aussage — kommt
das ist als Bedeutungsmoment vor, so wie etwa, nur in anderer
Stellung und Function, Gold und yeih. Das «.<< seihst kommt
39*
darin nicht vor, es ist in dem Wörtchen ist nur bedeutet, d. i.
signitiv gemeint. Selbst gegeben oder zum Mindesten vermeint-
lich gegebea ist es aber in der, sich dem ürtheil unter Umständen
anschmiegenden Erfüllung: der Gewahrwerdung des ver-
meinten Sachverhalts. Nicht nur das im Bedeutungstlieil Gold
Gemeinte erscheint nun selbst, und imgleichen das gelb, sondern
es erscheint Gokl-ül-ijclb; ürtheil und ürtheilsintuition einen
sich dabei zur Einheit des evidenten Urtlieils, günstigen Falls des
evidenten im Sinne der idealen Grenze.
Versteht man unter ürtheilen nicht nur die zu den actuellen
Aussagen gehörigen Bedeutungsintentionen, sondern auch die even-
tuellen, ihnen vollständig zugepaEsten Eifüllimgen, so ist es sicher-
lich richtig, dafs ein Sein nur im ürtheilen erfafsbar ist;
aber damit ist keineswegs gesagt, dals der Begrifi' des Seins
„in Reflexion" auf gewisse ürtheile gewonnen worden müsse
und je gewonnen werden könne. Reflexion ist sonst ein ziemlich
vages Wort. In der Erkenntnistheorie hat es den wenigstens
relativ festen Sinn, den ihm Locke gegeben hat, den der inneren
Walirnehmuog; also nur an diesen können wir uns bei der Inter-
pretation der Lehre halten, welclie den Ursprung des Begriffes
Sein in der Reflexion auf das ürtheil glaubt finden zu können.
Einen solchen Ursprung also leugnen wir. Das beziehende Sein,
das die Prädication zum Ausdruck bringt, z. B. als „ist", „sind"
u, dgl., ist ein Unselbständiges; gestalten wir es zum vollen
Concretum aus, so erwächst der jeweilige Sachverhalt, das ob-
jective Correlat des vollen ürtheils. Wir können dann sagen:
wie der sinnliche Gegenstand zur sinnlichen Wahrneh-
mung, so verhält sich der Sachverhalt zu dem ihn (mehr
oder minder angemessen) „gebenden" Act der Gewahrwerdung
(wir fühlen uns gedrängt, schlechtweg zu sagen: so verhält sich
der Sachverhalt zur Sach Verhaltwahrnehmung). Wie nun
der Begriff sinnlicher Gegenstand (Reales) nicht durch „Reflexion"
auf die Wahrnehmung entspringen kann, weil dann oben der Be-
gritf Wiüirnebmung, oder ein Begriff von irgendwelchen realen
Constituontien von Wahrnehmungen resultirte, so kann auch der
I
Sinnlielie und kaUgoriak Anschauungen. 613
Begriff Sachverhalt nicht aus der Reflexion auf Urtheile entspringen,
weil wir dadurch nur Begrifi'e von Urtheilen oder von realen
Constituentien von Urtheilen erhalten könnten.
Dafs dort Wahrnehmungen, hier Urtheile, bezw. Urtheils-
intuitionen (Sachvorhaltvvahruehiiumgeu) erlebt sein müssen, da-
mit die jeweilige Abstraction von Statten gehe, ist selbstveretänd-
lich. Erlebtseio ist nicht Gegenständlicbsein. Die „Reflexion"
besagt aber, dafs das, worauf wir retlectiren, der psychische Zu-
stJtnd, uns gegenständlich (von uns innerlich wahrgenommen)
werde, und dafs er aus diesem gegenständlichen Inhalt die zu
generalisirenden Bestimmungen real hergebe.
Nicht in der Reflexion auf Urtheile, oder vielmehr
auf Urtheilserfüllungen, sondern in den Urtheilscrfülluji-
(jeu seihst liegt wahrhaft der Ursprung der Begriffe Sach-
verhalt und Sein (im Sinne der Copula); nicht in diesen Acten
als Gegenständen, sondern in den Gegenständen dieser
Acte finden wir das Abstractionsfundament für die Realisirung
der besagten Begrifi'e; und natürlich liefern uns dann ein ebenso
gutes auch die conformen Moditicationen dieser Acte.
Es ist ja von vornherein selbstverständlich: wie ein sonstiger
Begriff (eine Idee, eine specifische Einheit) nur „entspringen",
das ist uns selbst gegeben werden kann auf Grund eines Actes,
welcher irgendeine ihm entsprechende Einzelheit mindestens bild-
lich vor unser Auge stellt, so kann der Begriti' des Seins nur ent-
springen, wenn uns irgendein Sein, sei es wirklich oder
bildlich, vor Augen gestellt wird. Gilt uns Sein als prädi-
catives Sein, so muls uns also irgendein Sachverhalt gegeben
werden und dies natürlich durch einen ihn gebenden Act —
das Analogen der gemeinen sinnlichen Anschauung.
Dasselbe gilt von allen kategorialen Formen, bezw.
von allen Kategorien. Ein Inbegriff z. B. ist gegeben und kann
nur gegeben sein in einem actuellen Zusammenbegreifen, also in
einem Acte, der in der Form der conjunctiven Verbindung .1 und
B U7id C . . . zum Ausdruck kommt. Aber der Begriff des In-
begriffs erwächst nicht durch Reflexion auf diesen Act; statt auf
614 VI. Elemttüe einer phätiomauilog. Aufklärung der Erkenntnis.
den gebenden Act, haben wir vielmehr auf das, was er giebt,
auf den Inbegriff, den er in coticreto zur Ereclieinung bringt,
zu achten und seine allgemeine Fomi ins allgenieinbegrifflicüe
Bewufstsein zu erheben.
§ 45. Enveiterung des Degiiffes Atisetuxuung , apeeieller der Begriffe
Wahrnehmung und Imagination, tiinnliche und kalegoriale Anschauung.
Wird nun die Frage gestellt: Worin finden die kategorialen
Formen der Bedeutungen ihre Erfüllung, wenn nicht durch Wahr-
nehmung oder Anschauung in jeueni engeren Verstände, den wir
in der Rode von der „Sinnlichkeit" vorläufig anzudeuten versucht
haben — so ist uns die Antwort schon durch die eben vollzogenen
Erwägungen klar vorgozeichnet.
Zunächst, dafs wirklich auch die Formen Erfüllung
finden, wie wir es ohne Weiteres vorausgesetzt haben, bezw. dals
die ganzen, so und so geformten Bedeutungen und nicht etwa
blofe die „stofflichen" Bedeutungsmomente Erfüllung finden, macht
die Vergegeuwärtigung je<les Beispiels einer getreuen Wahrneh-
mungsaussago zweifellos; und so erklärt es sich auch, dafs man
die ganze Wahrnehmungsaussago einen Ausdruck der Walirneh-
mung und, im übertragenen Sinn, einen Ausdruck dessen nennt,
was in der Wahrnohraung nugesehaut und selbst gegeben ist. Wenn
aber die neben den stütt'liclion Momenten vorliaudenen „kategoria-
len Formen" des Ausdrucks nicht ia der Wahmolimuug, sofern
sie als blofse sinnliche Wahrnehmung verstanden wird, termi-
niren, so mufs der Rede vom Ausdruck der Wahrnehmung hier
ein anderer «Sinn zu Grunde liegen, es mufs jedenfalls ein Act
da sein, welcher den kategorialen Bedeutungselementen dieselben
Dienste leistet, wie die blolse sinnliche AVahmehmung den stoff-
lichen. Die wesentliche Gleichartigkeit der Eifülhingsfunction und
aller mit ilir gesetzlich zusammenbängonden idealen Beziehungen
macht es eben unvermeidlich, jedeu in der Weise der bestätigen-
den Selbstdarstellung edullendeu Act als Wahrnehmung, jeden
erfüllenden Act überhaupt als Anschauung und sein intentionales
Correlat als Gegenstand zu bezeichnen. In der That können wir
I
auf die Frage, was das heifst, die kategorial geformten Be-
(leutunpen fänden Erfiillimg, sie bestätigten sich in der Wahr-
nc'limuug, mir antworten: es lieilse nichts Anderes, als dafs sie
auf den Gegenstand selbst in seiner kategorialen Formung
bezogen seien. Der Gegenstand mit diesen kategorialen Formen
sei nicht blofs gemeint, wie im Falle einer blofs symbolischen
Function der Bedeutungen, sondern er sei uns, in eben diesen
Furmon selbst vor Augen gestellt; mit anderen Worten: er sei
nicht blofs gedacht, sondern eben angeschaut, bezw. wahrge-
nommen. Demnach, sowie wir auseinanderlegen wollen, worauf
hier die Rede von der Erfiilhmg zielt, was die geformten Be-
deutungen und in ihnen die Formelemente ausdrücken, was die
ihnen correspondirende, einheitliche oder Einheit schaffende Ob-
jectivität ist, stofsen wir unvermeidlich auf ,, Anschauung", bezw.
„Wahrnehmung'" und „Gegenstand". Wir können diese Worte,
deren erweiterter Sinn freilieh unverkennbar ist, nicht entbehren.
Wie sollten wir denn noch sonst das Correlat einer nicht-sinn-
lichen, bezw. nicht sinnliche Formen enthaltenden Subjectvor-
stelhing bezeichnen, wenn uns das Wort Gegenstand, und wie sein
actuclles „Gegebensein", bezw. als „gegeben" Erscheinen, nennen,
wenn uns das Wort Wahrnehmung versagt bliebe? So werden,
und in allgemein gebräuchlicher Rede, Inbegriffe, unbestimmte
Vielheiten, Allheiten, Anzahlen, Disjunctiva, Prädicate
(fbts Gerecht -sein), Sachverhalte zu „Gegenständen", die Acte,
durch die sie als gegeben erscheinen, zu „Walirnehmungen".
Sichtlich ist der Zusaramenliaiig des weitereu und engeren,
des übersinnlichen {d. i. über Sinnlichkeit sich erbauenden,
oder kategorialen) und sinnlichen Wahrnehmungsbegriffs kein
äulserlicher oder zurälliger, sondern ein in der Sache gründender.
Er wird durch die grofse Klasse von Acten umspannt, deren
Eigonthümliches es ist, dafs in ihnen irgend etwas als „wirklich'-,
und zwar als „selbst gegeben" erscheint. Offenbar charakterisirt
sich dies als wirklich und .seihst gegeben Erscheinen (das sehr
wol ein ti-ügerisches sein kann) überall durch seinen Unterschied
von den wesentlich verwandten Acten und gewinnt nur dadurch
seine volle Klarheit; nämlich durch den Untersclüed vom bild-
lichen Vergegenwärtigen und vom rein significativen Darandenken,
welche beide das Gegenwäi-tigsein (das sozusagen i?i persona Er-
scheinen) ausschliefsen, obschon nicht das für seiend Halten. Was
das Letztere anlangt, so ist ja die bildliche wie die symbolische
Repräsentation iu doppelter Weise möglich: in setzender Weise,
als bildlich oder symbolisch für seiend halten, und in nicht-setzen-
der, als „blofses" Imaginiren oder Sich-denken ohne für seiend
halten. Auf die nähere Erörterung dieser Unterschiede haben wir,
nach den hinreichend allgemein zu interpretirenden Analysen des
vorigen Abschnitts, nicht mehr nöthig einzugeben. Jedenfalls ist
es klar, dafs mit dem Begriff der Wahrnehmung auch der der
Imagination (in seinen mehrfachen Besonderungen) eine entspre-
chende Extension erfahren mufs. Wir könnten nicht von einem
übersinnlich oder kategorial Wahrgenommenen sprechen, wenn
nicht die Möglichkeit bestände, dasselbe auch „in derselben Weise"'
(also nicht bloFs sinnlich) einzubilden. Wir werden daher ganz
allgemein zwischen sinnlicher und kategorialer Anschauung
unterscheiden, bezw. die Möglichkeit einer solchen Unterschei-
dung aufweisen müssen.
Der erweiterte Wahrnehmungsbegriff läfst übrigens wieder eine
engere und weitere Fassung zu. Im weitesten Sinn heifsen auch
allgemeine Sachverhalte wahrgenommen (,,eiiiges6hen", in der
Evidenz „erschaut"). In dem engeren Sinn geht Wahrnehmung
nur auf individuelles, also zeitliches Sein.
§ 46. Phänomenologische Analyse des Unterschiedes xwischefi
sinnlkher und kategorialer [Vahmehinung.
In unseren nächsten Betrachtrmgen kommen voreret nur in-
dividuelle Wahrnehmungen und in weiterer Folge die gleichge-
ordneten individuellen Anschauungen zur Erwägung.
Die Scheidung zwischen „siunüchen" und „übersinnlichen"
Wahrnehmungen war oben nur oberflächlich angedeutet und mit
ganz roher Charakteristik vollzogen. Die veraltete Rede von
äofeeren und inneren Sinnen, die den Ursprung aus dem Alltags-
leben mit seiner naiven Metaphysiic und Anthropologie nicht ver-
leugnet, mochte für den Augenblick dienlich sein, um das Gebiet
anzuzeigen, das ausgeschlossen werden sollte; aber die wirkliche
Bestimmung und Umgrenzung der Sphäre der Sinnlichkeit ist
damit nicht vollzogen, und so entbehrt auch der Begriff der
kategoriulou Wahrnehmung noch des deserijitiven Unterbaues. Die
Sicherung und Klärung der fraglichen Unterscheidung ist umso
wichtiger, als von ihr so fundamentale Scheidungen, wie diejenige
zwischen kategorialer Form und sinnlich fundirter Materie der
Erkenntnis, und desgleichen die Scheidung zwischen Kategorien
und allen anderen BegrilTen ganz und gar abhängig sind. Es
handelt sieh also darum, tieferliegende descriptive Charakteristiken
zu suchen, die uns einige Einsicht in die wesentlich unterschie-
dene Constitution der sinnlichen und kategoriiden Wahruehmungen,
bezw. Anschauungen überhaupt, eröffnen.
Es ist für unseren nächsten Zweck aber nicht nöthig, eine
erschöpfende Analyse der hierher gehörigen Phänomene durclizu-
führen. Dies wäre eine Arbeit, die aufserordentlich umfassende Be-
trachtungen erfordern würde. Es reicht hier aus, auf einige wich-
tigeren Punkte zu achten, welche dazu dienen können, die beider-
seitigen Acte in ihrem Verhältnis zu einander zu kennzeichnen.
Von jeder Walu*nehmung heifst es, dals sie ihren Gegenstand
selbst oder direct erfasse. Aber dieses directe Erfassen hat
einen verschiedenen Sinn und Charakter, jenachdom es sich lun
eine Wahrnehmung im engern oder eine solche im erweiterten Sinn
handelt, bezw. je nachdem die „direct" erfa&te Gegenständlich-
keit ein sinnlicher oder ein kategorialer, anders au.sgedrückt:
jenachdem er ein realer oder idealer Gegenstand ist. Die sinn-
lichen oder realen Gegenstände werden wir nämlich als Gegen-
stände der untersten Stufe möglicher Anschauung charak-
terisiren können, die kategorialen oder idealen als die Gegen-
stände der höheren Stufen.
Im Sinn der engeren „sinnlichen" Wahrnehmung ist ein
Gegenstand direct erfafst oder selbst gegenwärtig, der sich im
Wahrnehm ungsacte in schlichter Weise constituirt Damit
618 VI. ElertienU einer phäntnnenolog. Auf
Erkenntnis.
r
ist aber Folgendes gemeint: der Gegenstand ist auch in dem Sinne
unmittelbar gegebener Gegenstand, duk er, als dieser mit
diesem bestimmten gogenständlichenlnbaltErscheinende,
sich nicht in bezieiienden oder verkaiipfeuden Acten und sich über-
haupt nicht in Acten constituirt, die in anderen, ander-
weitige Gegenstände zur Erscheinung bringenden Acten
fundirt sind. Sinnliche Gegenstände sind in der Wahrnehmung
in Einer Actstufe da; sie unterliegen nicht der Nothwendigkeit,
sich in Acten höherer Stufe constituiren zu müssen, Acten, die
ihre Gegenstiindo mittelst anderer, in anderen Acten bereits con-
stituirten Gegenstände constituiren.
Jeder schlichte Wahraehraungsact kann nun aber, sei es für
sich allein, sei es mit anderen Acten zusammen, als Grundact
von neuen, ihn bald einschliofsenden, bald nur voraussetzenden
Acten fungiren, die in ihrer neuen Bewufstseinsweise zugleich
ein neues, das ursprüngliche wesentlich voraussetzendes
Objoctivitätsbewufstsein zeitigen. Indem sich die neuen
Acte der Conjuuction, der Disjunction, der bestimmton und un-
bestimmten Einzelauffassung {dm — etwas), der (Jeneralisation, des
schiichteu, beziehenden und verknüpfenden Erkennens einstellen,
erstehen damit nicht beliebige subjective Erlebnisse, auch nicht
Acte überhaupt, die an die ursprünglichen angeknüpft sind; sondern
Acte, welche, wie wir sagten, neue Objectivitiiten constitu-
iren; es erstehen Acte, iu denen etwas als wirklich und als
selbst gegeben erscheint, derart dafs dasselbe, als was es hier
erscheint, in den fundirenden Acten allein noch niciit gegeben
war und gegeben sein konnte. Andererseits aber gründet die
neue, oder in neuer Wei-se erscheinende Gegenständlichkeit in der
alten; sie hat zu der in den Grundacten erscheinenden gegen-
ständliche Beziehung, und ihre Erscheinungsweise ist durch diese
Beziehung wesentlich bestimmt. Es handelt sich hier um eine
Sphäre von Objectivitiiten, die nur in fundirten Acten „selbst"
zur Erscheinung kommen können.
In sofohen fundirten Acten liegt das Kategoriale des An-
schauens und Erkennens, in ihnen findet das aussagende Denken,
wo es als Aus(iruck fungirt, seine Kifüllung; die Möglichkeit
voUkoinmenor Anmessuug au solche Acte bestimmt tiiü Wahrheit
der Aussage als ihre Kichtigkcit Allerdings haben wir bisher nur
die Sphäre der Wahrnehmung und in ihr nur dio primitivsten
Fälle in Betracht gezogen. Man sieht ohne Weiteres, dafs sich
unsere Unterscheidung zwischen schlichten und fumlirteu Acten
von den Wahrnuhmuugen auf alle Anschauungen überträgt. Es
leuchtet auch schon die Älöglichkeit von complexen Acten sol-
cher Art ein, welche in gemischter Weise theils auf schlichten
Wahrnehmungen, theils auf schlichten Imaginationen gegründet
sind; ferner auch die Möglichkeit, dafs sich auf fundirten An-
schauungen neue Fundirungen constituiren, also ganze Stufenfolgen
der Fundirung übereinander bauen; weiter, dafs sich die signi-
tiven Intentionen nach Mafsgabe sulcher Fundirungen niederer
oder höherer Stufe gestalten, und dafs sich dann abermals
Mischungen zwischen signitiven uud intuitiven Acten durch Fun-
dinuig gestalten, nämlich fundirte Acte, die auf Acten der einen
und anderen Art gebaut sind. Zunäclist kommt es aber auf dio
primitiven Fälle an und auf ihre vollzureichende Klarung.
§ 47. Fortsetxumj. Charakieristik der sinnlicMn Wahrnehmutnj
als ^,sc)ilichte" Wahrnehmung.
Wir fassen also die Acte näher ins Auge, in welchen sich
sinnliche Concretu und ihre sinnlichen Bestandstücke als gegeben
darstellen; im Gegensatz zu ihnen nachher die ganz andersartigen
Acte, durch welche coneret bestimmte Sachverhalte, CoUoctiva, Dis-
junctiva als complexe „Denkobjecte'* gegeben werden, als „Gegen-
stände höherer Ordnung", die ihre fundirenden Gegenstände
in sich schliefsen; und wieder Acte von der Art der Generali-
sation oder der unbestimmten Einzelauffassung, deren Gegenstände
zwar auch von höherer Stufe sind, aber ihre fundirenden Gegen-
stände nicht in sieh schliefsen.
In der sinnlichen Wahrnehmimg erecheint uns das „äufsore"
Ding in Einem Schlage, sowie unser Blick darauf fällt. Ihre Art,
dos Ding als gegenwärtiges erscheinen zu lassen, ist eine schlichte,
sie bedarf nicht des Apparates fimdirender oder fimdirter Acte.
Aus weiclien iind aus wie coniplicirten psychischen Processen sie
genetisch entstanden sein mag, ist hiefür natürlich ohne Belang.
Wir übersehen auch nicht die offenbare Complexjon , die sich
im descriptiven Inlialt des schlichten Wahmebmungsactes und zumal
in seiner einheitlichen Intention nachweisen läfst.
Gowifs gehören zum Dinge, als dem inhaltlich so und so
erscheinenden, mannigfaltige constitutive Eigenschaften, von denen
ein Theil „selbst in die 'Vrahniohmung fiillt", während ein anderer
blofs intendirt ist. Aber wir erloben keineswegs all die «rti-
culirten Wahrnehmungsacte, dio erwachsen würden, wenn wir
auf all die dinglichen Einzelheiten, näher, auf die Bestimmtheitrn
der „uns zugewendeten Seite" für sich achten, wenn wir sie zu
Gegenständen für sich machen würden. GewlTs sind auch die
Vorstellungen der ergänzenden, nicht selbst in die Wahrnehmung
fallenden Bestimmtheiten „dispositionell erregt", gewifs fUefsen
die auf sie bezüglichen Intentionen in die Wahrnehmiuig mit ein
und bestimmen ihren ganzen Charakter. Aber wie das Ding in
der Ei'scheinung nicht als eine blofse Summe der unzähligen
Einzelbestinimtheiten dasteht, welche die nachträgliche Kinzelbe-
trachtiing untei-scheiden mag, und wie auch sie das Ding nicht
in Einzelheiten zersplittern, sondern sie nur an dem immer ferti-
gen und oinheitlichon Dingo zu beachten vermag: so ist auch der
Walirnohniungsact allzeit eine homogene Einheit, die den Gegen-
stand in einfacher und unmittelbarer Weise gegenwärtigt Die
Einheit der Wahrnehmung erwächst also nicht durch eigene
synthetische Acte, als ob nur die Form der Synthesis durch
fundirto Acte den Partialintentionen dio Einheitlichkeit der gegen-
ständlichen Beziehung verschaffen könnte. Der Articulirimg und
somit auch der actuellen Verknüpfung bedarf es nicht Die
Wahrnehmungseinheit kommt als schlichte Einheit, als un-
mittelbare Verschmolzung der Partialintontionen und
ohne Hinzutritt neuer Actintontiouen zu Stande.
Es mag ferner sein, dafs wir uns mit „Einem Blick" nicht
genug sein lassen, dafs wir vielmehr in einem continuirlicben
Wahriiehmungsverlauf das Ding allseitig betrachten, es mit
den Sinnen gleichsam abtastend. Aber jede einzelne Wahrnehmung
dieses Verlaufs ist schon Wahrnehmung dieses üinges. Ob ich
dieses Buch hier von oben oder unten, von innen oder uufsen
ansehe, immer sehe ich dieses Buch. £s ist immer die eine
und selbe Sache, und zwar dieselbe nicht im blofsen physikali-
schen Sinne, sondern nach der Meinung der Wahrnehmungen selbst.
Herrschen einzelne Bestimmtheiteu dabei auch vor im.d bei jedem
Schritt wechselnde, so constituii't sich das Ding selbst, als wahr-
genommene Einheit, nicht wesentlich durch eineu übergreifenden,
in den Sonderwahrnehmungen fundirten Act.
Doch genau besehen, dürfen wir die Sache nicht so darstellen,
als ob sich das Eine sinnliche Object in einem fundii'ten Acte
zwar darstellen könne (nämlich im continuirlich verlaufenden
Wahrnehmen), während es blofs nicht noth wendig sei, dafs es sich
in solch einem Acte darstellen müsse. Auch der continuirliehe
Wahrnehmungsverlauf erweist sich bei genauerer Analyse als eine
Verschmelzung von Partialacten zu Einem Act, nicht als ein
in den Partialacten fundirter Act.
Dies zu zeigen, stellen wir folgende Erwägung au.
Die einzelnen Wahrnehmungen des Verlaufs sind continuirlich
einig. Diese Contiuuitiit meint nicht blofe die objective Tiiatsache
zeitlicher Angrenzung; vielmehr hat der Verlauf von Eiuzelacton
den Charakter einer phünomonologiachon Einheit, in welche die
einzelnen Acte vei-schmoizen sind. In dieser Einheit sind die
vielen Acte nicht nur überhaupt zu eiuem phänomenologischen
Ganzen verschmolzen, sondern zu Einem Act und, näher, zu Einer
Wahrnehmung. Im coutinuirlichen Ablauf der Eiuzehvahrnehmungen
nehmen wir ja continuirlich diesen Einen und selben (iegenstand
wahr. Dürfen wir nun die contiuuirliche Wahrnehmung, da sie
sich aus den Einzelwahmehmungen aufbaut, als in ihnen fundirte
Wahrnehmung bezeichnen? Fundirt ist sie natürlich in dem
Sinne, in welchem ein Ganzes durch seine Theile fundirt ist; nicht
aber in dem hier für uns mafsgebenden Sinuc, wonach der fun-
dirte Act einen neuen Actcharakter herstellen soll, der in den
622 VI. EietnetUe einer phänofneuolog. Aufklänmg der Erkenntnis.
unterliegenden Actcharakteren gründet und ohne sie nicht denkbar
ist. Im vorliegenden Falle ist die Wahrnehmung gleichsam nur
gedehnt; sie läfst von sich Tbeile abstücken, die für sieb schon
als volle Wahrnehmungen fungiren könnten. Aber die Einheit
dieser Wahrnehmungen zur continuirlichen Wahrnehmung ist nicht
Einheit durch einen eigenen Act, als welcher ein neues Objec-
tivitätsbewufstsein constituiren würde. Statt dessen finden wir,
dafs im gedehnten Acte objectiv schlechterdings nichts Neues ge-
meint ist, sondern immerfort dieser selbe Gegenstand, den schon
die Thcihvahrnehmungen, einzeln genommen, meinten.
Man konnte nun auf diese Selbigkeit Gewicht legen und
sagen: die Einheit sei doch Einheit der Identificirung. Die
Intention der aneinandergereihten Acte decke sich fortgesetzt, und
so komme die Eiuiieit zu Stande. Dies ist sicherlieh richtig.
Aber Einheit der Identificirung — es ist unausweichlich,
diesen Unterschied zu machen — besagt nicht dasselbe wie
Einheit eines Actes der Identificirung. Ein Act meint
etwas, der Act der Identificirung meint Identität, stellt sie vor.
In unserem Falle ist nun Identificirung vollzogen, aber keine
Identität gemeint. Der in den verschiedenen Acten des continu-
irlichen Wahrnehmungsverlaufs gemeinte Gegenstand ist zwar
immerfort derselbe, und die Acte sind durch Deckung einig; aber
was in diesem Verlauf wahrgenommen, was in iliin objectiv wird,
ist ausschliefslich der sinnliche Gegenstand, niemals seine Identität
mit sich selbst. Erst wenn wir den Wahmehnuingsverlauf zum
Fundament eines neuen Actes machen, erst wenn wir die Einzol-
wahrnehmungen articuliren und ihre Gegenstände in Beziehung
setzen, dient die zwischen den Einzelwahrnehnuingen waltende
Einheit der Continuität (d. i. der Verschmelzung durch Deckung
der Intentionen) als Anhalt für ein Bewufstsein von Identität; die
Identität wird nun selbst gegenständlich; das Moment der die
Actcharaktere verknüpfenden Deckung dient jetzt als repräsen-
tirender Inhalt einer neuen Wahrnehmung, die in den articu-
lirten Einzehvahrnehraungen fundirt ist und uus zum intentiona-
len Bewufstsein bringt: das jetzt und vordem Wahrgenommene sei
ein und dasselbe. Natürlicl» haben wir es dann mit einem regulären
Acte der zweiten Uriippe zu tluui. Der Act der Identificirung
ist in der That ein neues Objectivitätsbewufstseiu, das uns einen
neuen „Gegenstand" zur Ei-scheinung bringt, einen Gegenstand,
welolier nur in einem fundirten Acte dieser Art „selbst erfafst"
oder „gegeben" sein kann.
Doch ehe wir auf die neue Klasse von Acten und Objecten
näher eingehen, müssen wir die Betrachtung der schlichten Wahr-
nehmungen zu Ende führen. Dürfen wir den Sinn des schlich-
ten, oder was uns als dasselbe gilt, des sinnlichen Wahrnehtiiens
für gekliirt erachten, so ist damit auch der Bogriö" des sinn-
lichen oder realen Gegenstandes {real im m-sprünglichsten
Sinn) geklärt. Wir definiren iljn geradezu als möglichen Gegen-
stand einer sciilichten Wahrnehmung. Vermöge desnotiiwendigen
Parallelismus zwischen Wahrnehunmg und Imagination, wonach
jeder möglichen Wahrnehmung eine mögliche Imagination (genauer
zu reden, eine ganze Serie von Imaginationen) von derselben
Essenz entspricht, coordinirt sich auch jeder schlichten Wahrneh-
mung eine schlichte Imagination, womit zugleich der weitere Be-
griff der sinnlichen Anschauung gesichert ist. Dal's wir da-
nach die sinnlichen Gegenstände als die möglichen Gegenstände
sinnlicher Imagination und sinnlicher Anschauung überhaupt defi-
niren können, bedeutet selbstverständlich keine wesentliche Ver-
allgemeinerung der vorigen Definition. Auf Grund des oben
betonten Parallelismus sind beide Definitionen äquivalent.
Durch den Begriff des realen Gegenstandes ist auch der Be-
griff realer Theil, specieller, die Begriffe reales Stück, reales
Moment (reales Merkmal), reale Form bestimmt. Jeder Theil
eines realen Gegenstandes ist ein realer Theil.
In der schlichten Wahrnehmung heilst der ganze Gegenstand
„explicite", jeder seiner Theile (Theil im weitesten Sinne) „im-
plicite" gegeben. Die Gosanimtheit der Gegenstände, welche
in schlichten Wahrnelmiungeu explicite oder iniplicite ge-
geben sein können, macht die weitest gefafste Sphäre der
sinnlichen Gegenstände aus.
Jeder concrete sinnliche Gegenstand ist in der "Weise eines
expliciten sclilicht wahrnehmbar; und somit auch jedes Stück eines
solchen Gegenstandes. Wie verhält es sich aber bei den abstracten
Momenten? Ihrer Natur nach können sie nicht für sich sein; es
ist also evident, dais ihre Wahrnehmung und Imagination ein
Unselbständiges ist, sofern der repräsentirende Inhalt, auch wo
blofse Repräsentation durch Analogie statthat, nicht für sich, son-
dern nur in einem umfassenderen Coucretura erlebt sein kann.
Aber damit ist noch nicht gesagt, dafs die Anschauung ein fuu-
dirter Act sein müsse. Sie wäre es, wenn der Erfassung eines
absti'acten Momentes nothwendig die Erfassung des concreten
Ganzen, bezw. diejenige der ergänzenden Momente — die Erfassung
als ein Act intuitiver Zuwendung — vorangehen müsste: und dies
halle ich nicht für selbstverständlich. Dagegen ist es sicher, dafs
die Erfassung eines Moments und überhaupt eines Theils als
Theil des gegebenen Ganzen, somit auch die Erfassung eines
sinnlichen Merkmals als Merkmal, einer sinnliehen Form als Form,
auf lauter fundirte Acte hinweist, und zwar auf solche von der Art
der beziehenden; damit wäre also die Sphäre der „Sinnlichkeit"
verlassen und die des „Verstandes" betreten. Die eben bezeich-
nete Gruppe fundirter Acte wollen wii- sogleich einer näheren Be-
trachtung unterziehen.
t
§ 48. Charakteristik der kalegorialen Acte als fundirte Acte.
Einen sinnlichen Gegenstand können wir in verechiodener
Weise auffassen. Zunächst naturlich in schlichter Weise. Diese
Möglichkeit, die wie alle hier in Rede stehenden Möglichkeiten
durchaus als ideale zu interpretii-en ist, charakterisirt ihn ja als
siuulichen Gegenstand. So aufgefafst, steht er gleichsam einfältig
vor uns da: die Theile, die ihn constituiren , sind zwar in ihm,
sie werden uns aber im schlichten Acte nicht zu e.xpliciten Gegen-
ständen. Denselben Gegenstand können wir aber auch in expli-
cirender Weise auffassen; in gliedernden Acten „heben" wir die
Theiie „heraus", in beziehenden Acten setzen wir die heraus-
gehobenen in Beziehung, sei es zu einander, sei es zu dem
Ganzen. Und erst durch diese neuen Auffassungsweisen gewinnen
die verlinüpften und bezogeneu Glieder den Charaicter von „Tliei-
len", bozw. von „Ganzen". Die articulirenden Acte, und in der
Rüdjbeziehung der schlichte Act, sind nicht blofe im Nacheinander
erlebt; vielnsehr sind jeweils übergreifende Acteioheiten da,
in welchen sich, als neue Objecto, die Theilverhältnisse
constituiren.
Fassen wir zunächst die Verhältnisse zwischen Theil und
Ganzem ins Auge, also, in Beschränkung auf die einfachsten Fälle,
die Verhältnisse A ist (hat) a und a ist in A. Die fundirten
Acte nachweisen, in denen sich diese typischen Sachverhalte als
gegeben constituiren, nnd die eben gebrauchten Fonnim kategori-
scher Aussagen klären (d. i. eben auf ihren intuitiven Ursprung
zurückführen, auf ihre adäquate Erfüllung) ist einerlei. Doch
kommt es uns hier nicht auf die Actqualitäteu, sondern uusschliels-
lich auf die Constitution der Auftassungsformen an, und soweit wird
unsere Analyse, als ürtheilsanalyse betrachtet, unvollständig sein.
Ein walu-nehraender Act erfafst A als ein Ganzes, in Einem
Schlage und in schlichter Weise. Ein zweiter Wahrnehmungsact
richtet sich auf das a, den Thei! oder das unselbständige Moment,
das dem A constitutiv zugehört. Diese zwei Acte vollziehen sich
aber nicht bloFs zugleich oder nacheinander in der Weise „zusam-
menhangsloser" Erlebnisse, vielmehr knüpfen sie sich zu einem
einzigen Acte zusammen, in dessen Synthesis das ,1 erst als das
a in sich habend erscheint. Ebenso kann auch bei umgekehrter
„Richtung" der beziehenden Wahrnehmung das a als dem A zu-
kommend erscheinen.
Suchen wir nun etwas tiefer einzudringen.
Das anschauliche Gesammtiueinen des Gegenstandes befafst
implicito die Intention auf das a. Die Wahrnehmung meint ja
den Gegenstand selbst zu erfassen, und so mufs ihr „Erfassen"
in und mit dem ganzen Gegenstand alle seine Constituenticn
treffen.
Natürlich handelt es sich dabei nin* um die Gonstituentien des
Gegenstandes, so wie er in der Wahrnehmung eracheint, als was er
Haaierl, hof. Untan. n. 40
I
in ihr selbst dasteht, iind nicht etwa um solche, die zu dem in „ob-
jectiver Wirklichkeit" seiendeu Gegenstände gehören, den erst nach-
ti-ägliche Erfahrungen, Erkenntnisse, Wissenschaften herausstellen.
In der Einschränkung der Gesammtwahmehmung zur Sonder-
wahmehmung wiid nun die Partialintention auf das a nicht aus
der Gesammtorsclieuiung des A herausgerissen, als ob dessen Ein-
heit in Brüche gionge; sondern in einem eigenen Act wird das
a zum eigenen Wahmehmungsobject. Zugleich „deckt" sich aber
das fortwirkende Gesaramtwahmehmen gemäfs jener implicirten
Partialintention mit dem Sonderwahrnehmen. Der auf das a bezüg-
liche Repräsentant fungirt als identisch derselbe in doppelter Weise,
und indem er es thut, vollzieht sich die Deckung als die eigen-
tbümliche Einheit der beiden repräsentativen Functionen, d. i. es
decken sich die beiden Auffassungen, deren Träger dieser Reprä-
sentant ist Aber diese Einheit nimmt nun selbst die Function
einer Repräsentation an; sie gilt dabei nicht für sich, als dieser
erlebte Verband der Acte; sie wird nicht selbst als Gegenstand
constituirt, sondern sie hilft einen anderen Gegenstand constitui-
ren; sie repräsentirt, und in solcher Weise, dafs nun das .1 als
das a in sich habend erscheint, bezw. in umgekehrter Richtung:
das a als in jS seiend.
Je nach dem „Standpunkt der Auffassung", bezw. je nach
der „Richtung des üebcrganges" vom Theil zum Ganzen oder
umgekehrt — und das sind neue zur intentionalon Gesammt-
materie des beziehenden Actes beitragende phänomenologische
Charaktere — giebt es zwei a priori vorgezeichnete Möglichkeiten,
nach welchen „dieselbe Relation" zum actuellen Gegebensein
kommen kann. Dem entsprechen die beiden a priori möglichen
Verhältnisse als verschiedene, aber nach idealer Gesetzlichkeit
nothwendig zusammengehörige Objectivitäten, die sich direct nur
in fundirten Acten der angedeuteten Art constituiren,
d.h. nur in so gebauten Acten „selbst" zur Wahrnehmung
kommen können.
Diese Darstellung pafst sichtlich auf alle Besondorungen des
Vcrtiiüluisses zwischen einem Ganzen und seinen Theilen. Alle
diese Verhiiltnisse sind kategorialer, also idealer Natur. Es wäre
\'erkehrt, sie in das schlichte Ganze einzulegen iind in ihm durch
Analyse finden zu wollen. Im Ganzen steckt zwar der Theii vor
aller Gliederung und ist darin im wahrnehmenden Erfassen des
Ganzen niiterfafst; aber diese Thatsachc, dafs er darin steckt, ist
zunächst blofs die ideelle Möglichkeit, ihn uud sein Theil-seiu in
den entsprechenden gegliederten und fundirten Acten zur Wahr-
nehmung zu bringen.
Aehnlich Hegt die Sache offenbar bei den äufseren Rela-
lationen, aus denen die Prädicationen der Art wie A rechts von
B, A gröfser, heller, lauter als B u. dgt. entstammen. Wo immer
sinnliche Gegenstände — schlichte Wahmehmbarkeiteu für sich —
nnerachtet ihrer sich abscheidenden Geschlossenheit zu Verbänden,
zu mehr oder minder innigen Einheiten, also im Grunde zu um-
fassenderen Gegenständen sich zusammenfinden, da erwächst die
Möglichkeit äufseror Relationen. Sie sind insgesammt unter den
Typus der Relation von Theil zu Theilen eines Ganzen zu be-
fassen. Wieder sind es fundirte Acte, in welchen sich die
primäre Erscheinung der hiehergeliörigen Sachverhalte,
der äufseren Verhältnisse, vollzieht. Es ist ja klar, dafs weder
die schlichte Wahrnehmung der ganzen Complexion, noch die zu
ihren Gliedern gehörigen Sonderwahmehmungen an sich schon
die Beziehungswahrnehmungen sind, die in dieser Complexion nur
möglich sind. Erst wenn ein Glied als Hauptglied bevorzugt und
unter Festhaltung der übrigen Glieder betrachtet wird, tritt sein
phänomenales, und |e nach Besonderheit der obwaltenden Ein-
heitsart wechselndes Bestimmfsein durch die correlaten Glieder
hervor, diehiebei offenbar selbst zur Heraushebung kommen müssen.
Auch hier bestimmt im Allgemeinen die Wahl des Hauptgliedes,
bezw. die Richtung der beziehenden Auffassung, phiinomenologisoh
verschiedene und in correlater Weise charakterisirte Verhältnis-
formen, die in der ungegliederten Wahrnehmung des Verbandes
(also in dem Verbände, wie er als schlichter Gegenstand erscheint)
nicht wahrhaft, sondern nur als blofse Möglichkeiten beschlossen
sind, nämlich die bezüglichon fundirten Acte zu vollziehen.
40*
Die reelle Einlegung dieser Tbeilvcrhältnisse in das Ganze
würde eine Yermengung von grundverschiedenen Dingen bedeu-
ten: von sinnlichen oder realen Verknüpfungsfornien und
kategorialen oder idealen. Die sinnlichen Verknüpfungen
sind Momente des realen Gegenstandes, wirkliche Momente des-
selben, in ihm wenn auch nur implicite vorhanden und durch
eine abstractive Wahrnehmung aus ihm herauszuheben. Dagegen
sind die Formen der kategorialen Verknüpfung zur Weise der Act-
Synthesis gehörige Formen, also Formen, die sich in den synthe-
tischen, auf Sinnlichkeit aufgebauten Acten objectiv constituiren.
In der Bildung äufserer Relationen mag die sinnliche Form das
Fundament abgeben zur Constitution einer ihr entsprechenden kate-
gorialen Form; wie wenn wir das in der Anschauung eines um-
fassenden 0 gegebene sinnliche Angrenzen der Inhalte A und B
in den synthetischen Formen A grenxt an B, oder B r/retizt an A
auffassen und eventuell ausdrücken. Mit der Constitution der
letzteren Formen sind aber neue Gegenstände erwachsen, zuge-
hörig zur Klasse Sachverhalt, welche nur „Gegenstände höherer
Oidnung" befafst. Im sinnlichen Ganzen sind die Theile A und
B durch das sie sinnlich verknüpfende Moment der Angrenzung
einig. Die Heraushebung dieser Theile und Momente, die Bildung
der Anschauungen von A, B und vom Angrenzen, liefert aber
noch nicht die Vorstellung A graut an B. Diese erfordert einen
neuen, sich dieser Vorstellungen bemächtigenden, sie passend
formenden und verknüpfenden Act.
§ 49. Zusatz über die nominale Formung.
Wir fügen hier unserer bisherigen Analyse einen wichtigen'
Zusatz an, die Formung betreöend, welche die synthetisch ver-
knüpften Vorstellungen, jede für sich genommen, erfahren. In
einer speciellen Klasse von Fällen haben wir diesen wichtigen
Punkt schon studirt; wir haben in dor V. üntei-suchung bemerkt,
dafs eine Aussage niemals in unmoditicirter Form zum Fundament
eines darauf gebauten synthetischen Actos, zum Subject- oder
Objectgliod einer neuen Aussage worden könne. Die Aussage
mufs, sagten wü', erst die nominale Form annehmen, wodurch
ihr Saclivcrlialt in neuer, in nominaler Weise gegenständlich wii-d.'
In dieser Tliatsache prägt sich eben der intuitive unterschied aus,
den wir hier im Äuge haben, und der nicht blols für die Be-
xiehungsglioder der bisher betrachteten Synthesen niederster, un-
mittclbai- auf Sinnlichkeit gebauter Stufe gilt, sondern für alle
Vurstel hingen, deren sich Synthesen beliebiger Art und Stufe
bemächtigen.
Wir können zunächst vielleicht allgemein sagen: objeclivi-
rende Acte rein für sich und „dieselben" objectivirenden
Acte in der Function, Beziehungspuncte irgendwelcher
Beziehungen zu constituiren, sind nicht wahrhaft dieselben,
sie unterscheiden sich phänomenologisch, und zwar in
Hinsicht auf das, was wir die intentionale Materie ge-
nannt haben. Der Auffassungssinn hat sich geändert, und
daher die Bedeutungsänderung im angemessenen Ausdruck.
Es ist nicht so, als ob zwischen den ungeänderten Vorstellungen
nur ein Zwischenstück eingeschoben würde, als ein Band, das die
Vorstellungen nur äufserlich aneiuanderknüpfte. Die Function
dos synthetischen Denkens (die intellective Function) thut ihnen
etwas an, formt sie neu, obschon als kategoriale Function in kato-
gorialer Weise; demnach so, dafs hierdurch der sinnliche Gehalt
des erscheinenden Gegenstandesungeändertbleibt. Der Gegenstand
erscheint nicht mit neuen realen Bestimmtheiten, er steht als dieser
selbe, aber in neuer Weise da. Die Einordnung in den kate-
gorialen Zusammenhang giebt ihm darin eine bestimmte Stelle
und KoUe, die ßolle eines Beziehungsgliedos, speciell eines
Subjoct- oder Objectgliedes; und das sind Unterschiede, die
sich phänomenologisch bekunden.
Freilich ist es leichter, die Bedeutungsänderungen der aus-
prägenden Ausdrücke, als die Modification der directen Vorstel-
lungen selbst zu bemerken; zumal ist die Sachlage im Kreise der
schlichten Anschauungen, bei Vergleich derselben in und aufser-
' A. a. 0. Kap. 4, § 35 u. 36, S. 436—444.
halb einer Bezieh ungsfunction, nicht ganz klar. Ich habe sie da-
her in der vorigen Untersuchung nicht gewagt in Anspruch zu
nehmen: die schlichten vereinzelten Wahrnehmungen der Sinnlich-
keit wui'den mit den nominal fungirenden Acten gleichgestellt.'
Aelinlich wie uns der Gegenstand in der schlichten Wahrnehmung
direct gegenübergesetzt ist, so im nominalen Acte der Sachverhalt
oder ein kategorial geformter Gegenstand sonst Die alimähge
Constitution des Gegenstandes hat sich vollzogen, als fertiger wird
er jetzt zum Beziehungsglied gemacht und fast wie ein schlichter
behandelt Das war der leitende Gedanke. Vielleicht kann man
sagen, bei der Wahrnehmung entgehe uns zunächst die phänome-
nologische Aenderung, die auch sie mit dem Eintritt in den be-
ziehenden Act erfahre, darum, weil die neue Form etwas sei,
was die ganze alte Auffassungsweise in sich schliefse und sich
ihr nur anschmelze. Die sinnliche Wahruohuuing bleibt sinnliche
Wahrnehm img, der Gegenstand ist, so wie er es war, gegeben,
nur dafs er eben „in Beziehung gesetzt", dafs er verglichen und
unterschieden wird u. s. w. Diese Formungen der synthetischen
Function gelten uns nicht als zimi Gegenstand, sondern als zu
unserem subjoctiven Bethätigen gehörig, und so übersehen wir
sie auch leicht bei der phüaoraenologischen , auf Erkenntnisklärung
gerichteten Reflexion. Gousequent müfsten wir dann sagen: auch
der Sachverhalt sei in der subjectivischen und überhaupt nomi-
nalen Function nicht nur derselbe Sachverhalt, sondern zu unter-
stem Grunde auch durch denselben Act constituirt, durch
den er in der isolirten Function constituirt war — beiderseits
natürlich den Fall der Anschauung vorausgesetzt; nur sei er in dem
Falle, wo er als Beziehungsglied fungire, mit einer neuen Form,
sozusagen mit dem chai'akterisirenden Costüm seiner Rolle be-
kleidet, die sich im angemessenen Ausdruck durch die nominale
Ausdrucksform bekunde. — Hier bedarf es wiederholter Nach-
prüfung der erwogenen Möglichkeiten und zur letzten Klärung
weiterer Forschungen.
Z. B. S. 430 0.
§ 50. Sinnlielie Formen in kategorialer Fassung, aber nicht in
nominaler Funciion.
Wir habeu bisher nur von den Fürmungen gesprochen, welche
die Beziehungsglieder erfahren, etwa Ganzes und Theil. Aber
in den äufseren Relationen sehen wir, wie sinnliche Formen in
die Einheit der Relation (in ihr Prädicat) einti-eten und die Rela-
tionsform sinnlich bestimmen, ohne die nominale Verselb-
ständigung zu erfahren. Z. B. Ä heller als B, A rechts
von B u. s. w. Die phänomenologischen Unterschiede — Unter-
schiede des Aufi'assvingsäinnes — zwischen den Fällen, wo sozu-
sagen auf die Helligkeitsform schlicht geachtet, und dieselbe dann
in der Weise des Ausdrucks „dieses Helligkeiisverhältnis
[zwischen Ä und B] ist leichter merklich ak jenes [zwischen M
und N\" zum nominalen Gegenstände gemacht wird, und den
ganz anders gearteten Fallen, wo dieselbe Heliigkeitsform in der
"Weise des obigen Ausdrucks „A ist fieller als B" gemeint ist, diese
Unterschiede, sage ich, sind unverkennbar. In den letzteren Fällen
finden wir abermals eine kategoriale Form, die auf eine eigen-
artige Function im Ganzen der Beziehung hinweist. Auf die Unter-
schiede solcher Formen, wie wir sie hier und im vorigen Para-
graphen kennen gelernt haben, führen sich olfenbar Begriffe wie
Betiefmngsglied, Bexiehungsfonn, Sitbjecl, Object und andere,
nicht immer deutlich ausgeprägte und jedenfalls bisher nicht hin-
reichend geklärte Begrifie zurück.
§ 51. CoUectiva und Disjunctiva.
Wir haben als Beispiele kategorialer und zwar synthetischer
Gegenstandsformen bisher nur einige der allereinfachsten Sach-
verhaltsformen in Erwägung gezogen, nämlich die totalen und
partialen Identitätsbeziehungen und die einfachen äufseren Rela-
tionen. Wii- fassen jetzt als weitere Beispiele zwei synthetische
Formen ins Auge, die, nicht selbst Sachverhalte, im Zusammen-
hange von Sachverhalten eine grofse Rolle spielen: die CoUec-
tiva und Disjunctiva. Die Acte, in welchen sie sich als
632 VI. Elemente einer phänomenohg. Außlärung der Erkenntnis.
Gegebenheiten constituiren, sind es, welche den Bedeutungen der
Gonjunctionen tind und oder die erfüllende Anschauung bieten.
Das, was den Worten und und oder, beides und eins von
beiden anschaulich entspricht, das lälst sich, so drückten wir es
oben in etwas roher Weise aus, nicht mit Händen greifen, mit
irgendeinem Sinn erfassen; wie es sich ja auch nicht eigentlich
im Bilde darstellen, etwa malen läTst. Ich kann A malen und B
malen, kann boide auch im selben Bildraume malen; aber das
beide, das A und B kann ich nicht malen. Hier giebt es nur
die eine und jederzeit offenstehende Möglichkeit, dals wir auf
Grund der beiden einzelnen Anschauungsacte den neuen Act des
Gonjungirens (Golligirens) vollziehen und hiedurch das Zusammen
der Objecto A und B meinen. In ihm constituirt sich in der
Sachlage, die wir eben als Beispiel vor Augen hatten, die bild-
liche Vorstellung des A und B, während dieser Inbegriff in der
Weise der Wahrnehmung „selbst" gegeben ist und nur gegeben
sein kann in einem eben solchen, blols conform modificirten Acte,
der aber in den Wahrnehmungen von A und B fundirt ist
Dafs wir von einem Acte sprechen, der diese Wahrnehmungen
einigt, und nicht von irgendeiner Verknüpfung oder gar von einem
Zusammen dieser Wahrnehmungen im BewuTstsein, liegt natürlich
daran, dafs hier eine einheitliche intentionale Beziehung ge-
geben ist und ihr entsprechend ein einheitlicher Gegenstand, der
sich auch nur in dieser Actverknüpfung constituiren kann, ganz so
wie sich nur in dem beziehenden Verbinden von Vorstellungen
ein Sachverhalt constituiren kann. Man erkennt hier zugleich den
wesentlichen Irrthum, der hervorragenden neueren Logikern dadurch
unterlaufen ist, dafs sie der conjunctiven Verbindung von Namen,
bezw. von Aussagen, ein blofses Zusammenbewufstsein der nomi-
nalen und propositionalen Acte glaubten unterlegen zu dürfen,
und somit das Und als objective logische Form dahingaben.^
' So lesen wir bei Siowart (Logik I*, 206): ,Die sprachliche Verknüpfung
der Sätze mit ,T7nd' . . . sagt zunächst nichts anderes als diese subjective That-
sache des Zusammenseins in Einem Bewu&tsein aus, und es kommt ihr darum
keine objective Bedeutung zu*. Vgl. auch a. a. 0. S. 278.
Auch davor mufs man sich hüten, die schlichten Wahr-
nehmungen von sinnlich-cinlieitiichen Mengen, Kcihen,
Scinvärnien u. dgl. mit den conjiiucti veu Wahrnohmungon zu
vorwechseln, in welchen sich allein das Vielheitsbewufstsein selbst
und eigentlich constituirt. Ich habe in meiner Philosophie der
Arithmetik nachzuweisen versucht, wie die sinnlichen Einheits-
charakterc (die ich dort figuralo oder quasi -qualitative Momente
der sinnüclien Anschauungen nannte) als sinnliche Mehrheitszeichen
dienen; das heifst als sinnliche Anhaltspunkte für das (durch sie
signitiv vermittelte) Erkennen der Mehrheit als solcher und als
Mehrheit der betreffenden Art; welehes Erkennen nun der gliedern-
den Eiuzelauffassung uml Einzelerkenntiüs nicht mehr bedarf, aber
<lHfür auch nicht den Charakter eigentlicher Intuition der Collcction
als solcher besitzL^
§ 52. Mli/emeitie Gegenstände sieh coristiluirertd in allgemeinen
Anncliauungen.
Die einfachen synthetischen Acte, mit denen wir uns bisher
beschäftigt haben , waren in schlichten Wahrnehmungon so fundirt,
dafs die synthetische Intention auf die Gegenstände der
fundirenden Wahrnehmungen niitgericbtet war, indem sie
diesölbou ideell zusammeubegriff („Inbegriff") oder zu beziehender
Eünheit brachte. Und dies ist ein allgemeiner Charakter der
synthetischen Acte überhaupt. Wir betrachten nun Beispiele aus
einer anderen Gruppe kategorialer Acte, bei denen die Gegen-
stände der fundirenden Acte in die Intention dos fundirten nicht
miteintreten und erst in beziehenden Acten ihr nahes Verhältnis
' Eben diese Frage: wie überhaupt Violbeits- und Anzahlsohätziuigeu in
Einem Blick, al.so in suhliobteu, statt in fiuKliittiu Acten iiiüglicli a'md, wiUiieud
doch wirkliche CWleetion und Zählung gegüedorto Acte höherer Stufe veraus-
setzt, hat mich von selbst auf die anschauliclien Einheitscharaktere aufmerk-
s*ni gemacht, die v. Ehrenfels in seiner etwas friiher erschienenen und von
ganz anderen Oosichts)tunktcn geleiteten Arbeit scharfsinnig behandelt und Ge-
staltqualitäton genannt hat. (Ueber Gestaltqualitäteu , Viertelj. f. wiss. Philos.
1890). Vgl. Philosophie d. Arithm. Kap. XL
634 VT. Ekniente einer phänomtnolog. Aufklärung der Erkenntnis.
zu demselben bekunden würden. Hieher gehört das Gebiet der
allgemeinen Anschauung — ein Ausdruck, der Manchem frei-
lich nicht besser klingen wird als hölzernes Eisen,
Auf Grund primärer Anschauungen bethätigt sich die Ab-
straction, und damit tritt ein neuer kategorialer Actcharakter aut
in dem eine neue Art von Objeetivität zur Erscheinung kommt,
die wieder nur in solchen fundirten Acten als wirklich oder bild-
lich gegeben zur Erscheinung kommen kann. Natürlich meine
ich hier nicht die Abstraction in dem blofsen Sinne der Hervor-
hebung irgendeines unselbstiindigen Moments an einem sinnlicheo
Objecto, sondern die ideironde Abstraction, in welcher statt des
unselbständigen Momentes seine „Idee", sein Allgemeines zum
Bowiifstsein, zum actuellon Gegebensein kommt. Dieser Act
ist vorausgesetzt, damit uns gegenüber der Mannigfaltigkeit von
oinzelueu Momenten einer und dei-selben Art, diese Art selbst,
und zwar als Eine und Dieselbe vor Augen stehen kann.
Denn wir werden uns im wiederholten Vollzuge eines solchen
Actes auf Grund mehrerer individueller Anschauungen der Iden-
tität des Allgemeinen bowufst, und dies offenbar in einem über-
greifenden, alle einzelnen Abstractionsacte zur Synthesis bringen-
den Acte der Identificirung. Mittelst solcher Absh-actionsacto
erwachsen uns dann weiter, in ihrer Verwebuug mit neuen Act-
formon, die Acte der allgemeinen Bestimmung, nämlich der Be-
stimmung von Gegenständen überhaupt als gewissen Arten A
unterstehend, ebenso die Acte, in welchen unbestimmte Einzel-
objecte einer Art A vorstellig werden u. s. w.
Im Abstractionsacte, der sich nicht etwa nothwendig mittels
einer Nennung vollziehen muss, ist uns das Allgemeine selbst
gegeben; wir denken es nicht in blofs significativex Weise, wie
im Falle des blofsen Verständnisses allgemeiner Namen, sondern
wir erfassen, wir erschauen es. Gewifs ist hier also die Rede
von der Anschauung und, näher, von der Wahrnehmung
dos Allgemeinen eine wolborechtigte.
Doch von einer anderen Seite erheben sich Bedenken. Die
Rede von einer Wahraehmimg setzt die Möglichkeit einer ent-
sprechenden Imagination voraus, and die Scheidung zwischen bei-
den gebort, sagten wir\ mit zum natürlichen Sinn der allgemeinen
Rede von Anschauung. Eben diese Unterscheidung vermissen
wir hier. Dies scheint daran zu liegen, dafs sich die abstrabiren-
den Acte nicht nach dem Charakter der fundirenden schlichten An-
schauungen differenziiren, dafs sie völlig unempfindlich dagegen
sind, ob diese fundirenden Acte setzende oder nichtsetzende, ob
sie percepttve oder imaginative Acte sind. Das Boih, das Drei-
eck der blofsen Phantasie ist specifisch dasselbe wie das Roth, das
Dreieck in der Wahrnehmung. Das AUgemeinLeitsbewufstsein
erbaut sich auf Grund der Wahrnehmung und der confurmen Ein-
bildung gleich gut, und erbaut es sieb überhaupt, so ist das All-
gemeine, die Idee Roth, die Idee Dreieck, selbst erfafst, es ist
angeschaut in der einen und einzigen Weise, die keine Unter-
schiede zwischen Bild und Original zulafst.
Indessen ist zu beachten, dafs die herangezogenen Beispiele
gerade von der Art adäquater Wahrnehmung des Allgemeinen
waren. Das Allgemeine war hier auf Grund wirklich entsprechen-
der Einzelfälle auch wirklich erfafst und gegeben. Wo sich die
Sache so verhält, da scheint in der Tbat eine parallele Imagination
mit demselben intuitiven Gehalt zu fehlen — wie in jedem Falle
adäquater Wahrnehmung. Wie sollte, auch auf individuellem
Gebiet, ein Inhalt sich selbst analogisiren , da er, genommen als
er selbst, doch nicht zugleich als Analogon von sich selbst gemeint
sein kann. Und wie .sollte der Charakter der Setzung fehlen,
wo der gemeinte Inhalt eben der erlebte und gegebene ist. Anders
verhält es sich, wo wir z. B, durch mathematische Analjsis die
Idee einer gewissen Gattung von Curven dritter Ordnung indirect
concipirt haben, ohne dafs uns eine Curvo dieser Gattung je an-
schaulich wai'. Dabei mag uns gleichwol eine anschauliche Figur,
etwa einer uns bekannten Besonderung von Curveu dritter Ord-
nung, gleichgiltig ob eine gezeichnete oder blofs imaginirte, als
intuitives Bild, als Analogon der intendirten Allgemeinheit dienen:
' Vgl. oben §45, 8.616.
636 VI. Elemente einer phänottienolog. Aufklärung der Erkenntnis.
d. b. das AUgemeinheitsbewulBtsein baut sich als intuitives aber
als analogisirendes auf der individuellen Anschauung auf. Und
wirkt nicht schon die gewöhnliche rohe Zeichnung im "Vergleich
zur idealen Figur analogisirend, den imaginativen Charakter
der allgemeinen Vorstellung mitbedingend? Ebenso schauen
wir auf Orund eines Modells einer Dampfmaschine die Idee der
Dampfmaschine an, wobei natürlich von einer adäquaten Abstrac-
tion, bezw. Gonception keine Rede sein kann. In solchen Fällen
haben wir es mit keinen blolsen Significationen zu thun, sondern
mit allgemeinen Repräsentationen durch Analogie, also mit all-
gemeinen Imaginationen. Fehlt aber, was z. B. bei der Anschau-
ung auf Grund des Modells vorkommen mag, das Bewulstsein
blofser Analogie, dann liegt oben ein Fall von Wahrnehmung
des Allgemeinen, wenn auch von inadäquater Wahrneh-
mung, vor.
Ebenso finden wir jetzt die vorhin vermi&ten unterschiede
zwischen setzendem und dahinstellendem Allgemeinheits-
bewufstsein. Wo wir einen allgemeinen Gegenstand bloJs ana-
logisch, imaginativ concipiren, können wir ihn in setzender Weise
meinen, und dieser Act kann sich, wie jede setzende Meinung in
künftiger angemessener Wahrnehmung bestätigen oder widerlegen.
Das Erstere, wenn sich die allgemeine Meinung in einer adäquaten
Wahrnehmung, d. i. in einem neuen Allgemeinheitsbewufstsein er-
füllt, welches sich auf Grund einer „wirklichen" Abstraction des
entsprechenden Einzelfalls constituirt Der allgemeine Gegenstand
ist dann nicht blols vorgestellt und gesetzt, sondern er ist selbst
gegeben. Wieder können wir das Allgemeine in analogischer
Weise vorstellen, aber ohne es zu setzen. Wir concipiren es,
lassen es aber dahingestellt Die auf intuitivem Gnmde erbaute
Intention auf das Allgemeine entscheidet sich jetzt nicht über
„Sein" oder „Nichtsein", also darüber ob ein Gtegebensein des
Allgemeinen in der Weise adäquater Abstraction möglich ist,
oder nicht
Siebentes Kapitel.
Studie über kategoriale Repräsentation.
§ 53. Rückhexiehung auf die Forschungen des ersten AhschniUs.
Die fundirten Acte, die wir in ausgewählten Beispielen ana-
lysirt haben, galten uns als Anschauungen, und zwar als Anschau-
ungen der neuartigen Gegenstände, die sie zur Erscheinung bringen,
und die auch nur in fundirten Acten der ihnen jeweils ent-
sprechenden Art und Form gegeben sein können. Der aufklärende
Werth dieser Erweiterung des Begriffes Anschauung kann otfenbar
nur darin bestehen, dafs es sich bei ihr nicht um eine aufserwesent-
licho, blots disjunctive Begriffserweiterung handelt, als welche die
Sphäre eines vorgegebenen Begriffs über die Sphären beliebiger
heterogener Begriffe auszuweiten gestattet', sondern um eine echte,
auf der Gemeinschaft wesentlicher Merkmale beruhende Verall-
gemeinening. Wir nennen die neuen Acte Anschauungen, weil
sie, unter blofser Dahingabe der „schlichten" Beziehung auf den
Gegenstand (also jener bestimmten Art von „Unmittelbarkeit",
welche wir als Schlichtheit definirten), alle wesentlichen Eigen-
thümlichkeiten der Anschauungen haben; wir finden bei ihnen
dieselben wesentlichen Scheidungen, wie sie sich auch als zu
wesentlich denselben Erfüllungsleistungen befähigt erweisen.
Dies Letzterwähnte ist für uns besonders wichtig, um dieser
' Stellt n die constitntiven Merkmale eines Begriffs vor und fl diejenigen
eines beliebigen anderen Begriffs, so kann man jederzeit die Form hildeu:
Etwas das a oder ß ist. Diese äulserliche Art der BogritTserweitemng, die ioh
die dJHJunctive nenne, kann unter Umständen immerhin recht nützlich worden;
sie spielt z. B. für die Ausgestaltiuig der kunstvollen mathematischen Technik
eine sehr wichtige ond von den Logikern bisher nicht genügend gewürdigte Rolle.
Freilich liegt die Logik der Mathematik noch in den Anfüngen und nur wenige
r.,ogiker scheinen es überhaupt bemerkt zu haben, dafs hier ein Feld grofaer,
für das Verständnis der Mathematik and somit auch der mathematischen Matnr-
wissensohoft fundamentaler und bei aller Schwierigkeit doch streng lösbarer
Probleme ist.
638 VI. ElunK^K/funomenolog. ÄufkläniHg der Erkenntnis.
Leistungen willen haben wir die ganze Untersuchung geführt
Die Erkenntnis als Erfülhingsoinheit vollzieht sich nicht auf dem
blofsen Grunde schlichter, sondern in der Regel auf dem Grunde
kategorialer Acte und dementsprechend kann , wenn wir dem Denken
(als Bedeuten) das Anschauen gegenübersetzen, unter dem An-
schauen nicht das blofse sinnliche Anschauen verstanden werden.
Erst durch die Auffassung kategorialer Acte als Anschauungen
wird das bisher von keiner Erkenntniskritik zu erträglicher Klar-
heit gebrachte Verhältnis zwischen Denken und Anschauen wirk-
lich durchsichtig, und somit die Erkenntnis selbst in ihrem Wesen
und ihrer Leistung verständlicli. Die vorläufigen Feststellungen
des ersten Abschnitts erhalten in Folge dieser Begriffserweiterung
erst ihre angemessene Bestätigung. Allen Anschauungen nach
dem jetzigen weitesten Sinne, wie nah oder fem sie der Sinnlich-
keit stehen mögen, entsprechen als ihre möglichen idealen Gegen-
bilder ausprägende Bedeutungen. Die Unterscheidungen , die wir
innerhalb des erkenutnismäfsigen Wesens gemacht, und die damit
zusammenhängenden Begriffe, die wir gebildet haben, behalten,
obschon im Hinblick auf eine engere Sphäre abgegrenzt, auch in
der weiteren ihre Geltung.
Also jeder kategoriale Act der Anschauung hat
1. seine Qualität,
2. seine (Intention ale) Materie, d. i. seinen Auffassungssinn,
3. seine Eopräsentanten.
Diese Unterscheidung reducirt sich nicht etwa auf die zu den
fundirenden Acten gehörigen Unterscheidungen. Die Qualitlit
des Gesammtacts kann eine andere sein als die eiaes Grundacts,
wie denn die Grundacte, wenn ihrer mehrere sind, verschieden
qualificirt sein können: z. B. bei der Vorstellung einer Relation
zwischen einem fictiven und einem für wirklich gehaltenen ObjecL
Ferner hat nicht nur jeder unter den fundirenden Acten eine
Materie, sondern der fundirte bringt eine eigene Materie, wobei
der Satz gilt, dafs diese neue Materie, oder wofern sie die
Materien der Grundacte einschliefst, das neu Hinzukommende
iu ihr, in den Materien der Grundacte fundirt ist.
Endlich bat der neue Act auch seine Ropräseutanten, Doch
in Beziehung auf diese finden wir — sowie es an die Frage geht,
ob zu der neuen Materie auch neue Repräsentnnton un-
genommeu werden müssen, und welches diese sind — ernste
Schwierigkeiten.
§ 54. Die Frage nach den R^räsentanten
der kaiegorialen Formen.
Wenn man an die Analyse der kategoriulen Acte herantritt,
so drängt sich zunächst als scheinbar unwidcrsprechlich die Be-
merkung auf, dafs sieh, vom Qualitativen abgesehen, alle Unter-
schiede der kategorialeu Acte auf die entsprechenden Unterschiede
der sie fundirendon Acte reduciren, d. h. dafs das Neue, das
die katcgorialo Function hereinbringt, ein Zuschufs an Inhalt ist,
der keine DifFerenziirung zuläfst. Wodurch sollte sich auch die
Phantasievorstellung einer Collection von der Wahrnehmung der-
selben CoUection sonst noch unterscheiden, als durch die inten-
tionale Weise, in der ihre Glieder gegeben sind? In der Ver-
knüpfungsforni ist, wird man sagen, beiderseits kein verständlicher
Unterschied mehr zu machen. Oder sollte sich die Collectionsform
(welche das Wörtchen und ausprägt) in dei- Erscheinungsart als
Wahrnehmung oder Einbildung diiferenzüren? Dann müfsten wir
68 aber für möglich hatten, dafs Phantasieerschciuungen durch die
Collectionsform der Wahrnehmung, Wahrnehniuugserschciuungon
durch die Collectionsform der Phantasie geeinigt wären, und zwar
in unterschiedener Weise. Das ist offenbar unausdenkbar, ja un-
verständlich.
Man könnte freilich einwenden, nichts sei leichter als das.
Wer hindert uns einige Wuhruehmuugsobjectc coUectiv zusannuen
zu denken, damit aber einen anderen Inbegriff imaginativ zu
meinen; und abermals einige Phantasieerscheinungen zusammen
zu denken, aber nur diesen Inbegrifl' von Phantasieerscheinungen
zu meinen, also ihn wahrzunehmen. — Gewil's hiudert uns in dieser
Hinsicht nichts. Aber dann sind jene Wuhrneinnungsolijeeto Bilder,
d. h. der CoUectivact ist dann direct nicht in den Wahrnehmungen,
r
vielmehr in den auf sie gebauten Imaginationen fundirt Und
ebenso sind im anderen Falle nicht die Gegenstände der Phantasie-
vorstellungen, sondern diese Vorstellungen selbst coUigirt, d. h.
der Collectionsact ist direct nicht in den Phantasievorstellungen,
sondern in den auf sie bezogenen inneren Wahrnehmungen fundirt
Zwischen dem „wirklichen" Colligiren auf Grund von wahr-
genommenen, und dem „eingebildeten" Colligiren auf Grund von
pbantasirten Objecten beweist dies keinen Unterschied, und ein
solcher besteht überhaupt nicht, es sei denn als Unterschied der
fiindirenden Acte.
Dasselbe scheint für alle sonstigen Modificationen zu gelten,
die das CoUectionsbewufstsoin aufweisen kann. Die Allgemeinheit
oder Besonderheit, die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit, und
was sonst an kategorialen Formen bei den fundirenden Gegen-
ständen in Betracht kommen mag, bestimmt auch den Charakter
der Collectivvorstellung, aber so, dafs im Verknüpfungscharakter
kein phänomenologischer Unterschied zu finden ist; es ist immer
dasselbe und. Je nach der Art der fundirenden Vorstellungen
creclieint uns darnach eine Collection von allgemeinen Gegenständen
(/.. B. Farbenspecies : roth und blau und gelb) oder von indivi-
duellen Gegenständen (Aristoteles und Piaion), von bestimmten
Gegenständen (wie in den bisherigen Beispielen) oder von un-
bestimmten (ein Mensch nnd ein anderer Mensch; eine Farbe
und ein Ton). Es ist nicht abzusehen, wie Differenzen der
Collectionsaete noch anders als durch solche der fundirenden Acte
möglieh sein sollen.
Eben dasselbe scheint dann auch bei den beziehenden An-
schauungen ohne Weiteros klar. Das Beziehen zeigt immerfort
dieselbe Form, aUe Aenderungen hängen an den unterliegenden
Acten.
Können wir aber bei dieser Sachlage noch constatirbare
Unterschiede zwischen Repräsentanten und Auffassungssinn
hinsichtlich dos im fundirten Acte neu Hinzukommenden,
also bei den synthetischen Acten liinsichtlich ihrer Verknüpfungs-
form erwarten? Bei den schlichten Anschauungen waren zwar
Aiiffassungssinn (Materie) und Repräsentant innig vereint, sie waren
autbinanrler bezogen untl in ihren Variationen aurii nieht ganz
imabhangig; aber dabei iionnten sie doch gegeneinander reich-
liche Verschiebungen erfahren. Bei wechselndem Auffassungssinn
konnte der sionliche Repräsentant derselbe bleiben, aber bei con-
stantem Auffassungssinn auch variiren; so kann z. B. eine Phan-
tasie vorstel hing nicht biofs der Materie, sondern sogar dem Umfang
der Fülle nach mit sich 'identisch bleiben und doch hinsichtlich
der Lebendigkeit aufrällig wechseln. In der Sphäre der Sinnlich-
keit ist also der Unterschied zwischen Materie und Repräsentant
leicht aufweisbar und als unzweifelhaft in Anspruch zu nehmen.
Wie jedoch bei den kategorialeu Acten, wo, von den fundirendeu
Acten abzusehen, Variabilität überJiaupt zu fehlen scheint? Sollen
wir sagen, sie entbehrten hinsichtlich der Form des fraglichen
Unterschiedes ganz, sie hätten keinerlei Repräsentanten, welche
über die Repräsentanten der fundirenden Acte hinaus reichten?
Und wo die fundirenden Acte selbst schon kategoriale, z. B. Acte
der Ideation sind, so fehlte auch diesen die Repräsentation, sie
läge nur in den letztfundirenden schlichton Anschauungen.
§ 55. Argumente für die Amtahme eigener kategorialer
liepräsentanien.
Behufs einer Stellungnahme zu dieser Frage ist vor Allem
zu beachten, dafs die völlige Unterscliiedslosigkeit der Formen
gegenüber den vielgestaltigen Aenderungen des Gesammtactes
und seiner Fundameuto in der obigen Darstellung vielleicht über-
trieben und gar mifsverstanden war. Denn wenn der Gesammtact
eiuo Wahrnohmungsvorstellung ist, so ist seine Form als Form
einer Wahrnehmungsvorstellung jedenfalls in anderer Weise charak-
terisirt als diejenige einer Phantasievorstellung. Ist die Form das
eigentlich Neue und Wesentliche in der kategoiialen Vorstellung,
80 mulJs sie von jedem wesentlichen Charakter, der das Ganze
durchdringt unri ihm als Ganzem eignet, mitergiiffen sein. Wenn
uns die Retle.xion die Unterschiede des Auflässungssinnos in der
Form nicht zeigt, oder mindestens nicht in der Form der synthe-
Hmisrl, Los. Unten, n. 41
I
tischen Acte (bei (ien abstractiven ist die Sache eigentlich schon
durch die üeberlegungen des § F»2 erledigt], so erklärt sich dies
wo) dadurch, dafs wir von diesen Auffassungscharakteren, da sie
das Moment der Synthese nicht auszeichnen und abgrenzen, son-
dern den vollständigen fundirten Act gleichniäfsig durchdringen,
unwillkürlich absfrahiren, um dafür auschiierslich auf das Geraein-
samo /.u achton, das sich in allen Gestaltungen, z. B. der collec-
tiven Synthesis entgegendrängt Und eben dieses Gemeinsame
könnte der gesuchte Repräsentant sein. Wie in der schlichten
sinnlichen Wahrnehmung der Walirnelimungssinn ein homogen
Einheitliches ist, das die gesammte Repväsentiition durchdringt,
wie es zwar bestimmte Beziehung hat zu jeden» abgrenzbaron Theil
des repräsentirenden Inhalts mid doch in der inneren Reflexion
nicht als Compositum abgegrenzter Theilauffassuugcn erscheint:
so durchdringt hier, bei den kategorialen Anschauungen, der Auf-
fassungssinn den Gesammtact und seine gesammte Repriisontation,
ohne sich nach den in der Reflexion unterscheidbaren Repräsen-
tanten deutlich abzugrenzen. In der obigen Darstellung aber läge,
wenn wir diese Intei-pretation zulassen, die wichtige Wahrheit,
dafs bei allem Wechsel fundirender Acte und Auffassungs-
formen der repräsentirende luiialt für jede Art fundirter
Acte ein einziger ist Der schlichten, sinnlichen Anschauung
steht die überreiche Mannigfaltigkeit der 8innesqualltäten, der
empfindbaren Formen u. s. w. zu Zwecken der Repräsentation zur
Verfügung. In der Sphäre der collectiven Anschauungen, oder
der Identjtätsanschauungen u. s. w. wären wir jo auf eine Art
beschränkt; die TJnd-Form ist überall dieselbe, ebenso die Ist-
Form u. s. w. Diese Formen wären hier aber verstanden als die
Analoga des sinnlichen Kerns, des Empfindbaren in der sinn-
lichen Anschauung, von der Qualität und dem Auffassungssinn
wäre abstrahirt
Man könnte den Verdacht hegen, dafs der Wunsch hier Vater
des Gedankens sei, und uns aufmerksam machen, wie doch aus
unseren frülieren Betraclitungen hervorgehe, dafs die Repräsen-
tanten keine durchaus wesentlichen Bestnudstttcke der Acte ans-
machen. Es ist ja das EigenthümlicLe aller signitiven Acte, dafe
sie der Repräsentanten entbehren — wnlgonierkt der eigentlichen
Repräsentanten, als welche zum inhaltlichf^n Bestände des Gegen-
standes selbst Beziehung iiahen. Denn uneigentliclie Repräsen-
tanten, die nicht den im Acte geraeinten Gegenstand, sondern
irgendeinen anderen, den Gegenstand eines fiindirenden Actes ver-
gegenwärtigen, haben auch die signitiven Acte. Genügen aber
uneigentliche Repräsentanten, so sind wir nicht mehr in Verlogen-
heit; denn an solchen fehlt es selbstverständlich in unserem Falle
nicht, die fundirenden Acte bieten sie uns jederzeit; ihre eigent-
lichen Repräsentanten künnteii in Ansehung des fundirten Actes als
uneigentliclie aufgefafst werden.
Indessen, eben der Vergleich mit den blofs signitiven Acten
bringt uns zu lebendigem Bewurstsoin, dafe bei den fundirten
Acten ohne eigentliche Repräsentation, und zwar hinsichtlich der
kategorialen Form, kein Auskommen ist; er erinnert uns an die
Verhältnisse möglicher Erfüllung, au die „Fülle", welche die in-
tuitiven Acte den signitiven bieten, an die Steigerungsreihen,
welche innerhalb der intuitiven Acte durch die wechselnde Fülle
bedingt werden, mit der letzten Adäquation als der idealen Grenze.
Die Repräsentanten sind es, welclie den Unterschied zwischen
„leerer" Signification und „voller" Intuition ausmachen, ihnen
wird die „Fülle" verdankt, weshalb sie geradezu den einen Wort-
sinn von Fülle bestimmten.' Nur die intuitiven Acte bringen den
Gegenstand zur „Erscheinung", zur „Anschauung", nämlich da-
durch dafs ein Repräsentant da ist, den der AutTassungssinn als
Analogen oder als das Selbst des Gegenstandes auffafst. Das ist
eine Sachlage, die im allgemeinen Wesen des Erfüll ungsverhält-
nisses gründet , sie mufs also auch in der jetzigen Sphäre nach-
weisbar sein. Auch in ihr finden wir ja den Gegensatz zwischen
signitiv und intuitiv: den Gegensatz zwischen objectivirenden
Acten, welche eine kategoriale Gegenständlichkeit signitiv meinen,
und parallelen Acten, welche dieselbe Gegenständlichkeit in dem-
' Vgl. § 22, S. 550.
41«
I
selben Auffassungssinn intuitiv vergegenwärtigen, sei es nun „im
Bilde" oder „selbst". Da die intentionale Materie beiderseits
dieselbe ist, so können wir das Neue auf Seiten der kategorialen
Anschauung wieder nur so fassen, dafe sie oben Repräsentation
ist, dafs sie das Gegenständliche inhaltlich vor uns hinstellt,
dafs sie erlebte Inhalte als Repräsentanten des gemeinten Gegen-
standes auffafst. Die Repräsentation kann aber nicht in den fun-
direnden Acten allein vollzogen sein, nicht blofs deren Objecto
sind vergegenwärtigt, sondern der ganze Sachverhalt, der ganze
Inbegriff u. s. w.
§ 56. Fortsetzung. Das psychische Band der verknüpften Acte und
die kaiegoriak Einlieit der entsprechenden Ohjede.
Man könnte für den Augenblick denken, es seien z. B. im Falle
einer Beziehung nur die Beziehungspunkte vergegenwärtigt, und
das Neue liege in einem blofeen psychischen Charakter, der die
beiden Erscheinungen verknüpfe. Aber eine Verknüpfung der
Acte ist ja nicht ohne Weiteres eine Verknüpfung der Objecto;
bestenfalls kann sie solch einer Verknüpfung zur Erscheinung ver-
helfen: sie selbst ist doch nicht die Verknüpfung, die in ilur er-
scheint. Das psychische Band zwischen den Acten kann herge-
stellt sein und hiedurch die gegenständliche Beziehung erscheinen,
während diese Beziehung, selbst wenn sie wirklich existirende
Objecto in Eins setzt, gamicht besteht. Urtlieilon wir significativ
und ohne anschauliche Vergegenwärtigung des beurtheilten Sach-
verhalts (wie etwa bei den gewöhnlichen arithmetischen Urtheilen),
so ist die beziehende Einheit des Actes eine gegliederte, sie hat
ihre psychische Verbindungsform und die genau analoge, wie im
Falle entsprechender Intuition. Aber der Sachverhalt „erscheint",
prägnant zu reden, nicht, er ist blofs bedeutet Nehmen wir da-
gegen den Fall intuitiver Vergegenwärtigung, wie wenn wir die
Farbe zweier wahrgenommener oder durch Gedächtnis wiederver-
gegenwärtigter Flächen identificiren, oder etwa die Person, die ii
zwei imaginativen Vorstellungen dargestellt ist: so ist die Identit
abermals gemeint, aber gemeint iti der Weise der Wahmehniun|
die den Gegenstand giobt, bezw. in der der Bildlichkeit, die ihn
verbildlicht. Was niaciit solche Unterschiede möglich? Sollen
wir sagen, der ganze unterschied liege in den fundirenden Acten?
Aber dagegen erhöbe sich unser Bedenken, dafs z.B. in der signi-
tiven Idontificirung nicht etwa die Identität der bedeuteten Gegen-
stände erlebt, sondern diese Identität blofs vermeint ist; ferner
dafs im Falle der Intuition der Gegenstände die Identität zwar
wahrgenommene oder imnginirte Identität, aber nur im Falle der
Adäquation im vollen und strengen Sinne gegebene und erlebte
Identität ist. Das psychische Band, das die Synthesis her-
stellt, ist also Meinung, und ist als solche mehr oder minder
erfüllt Sie ist zwar ein blofses und unselbständiges Bestandstück
der Gesammtmeinung, ein siguificatives einer significativen, ein in-
tuitives einer intuitiven Meinung; bei alldem aber ein Besttmdstiick,
das selbst den Charakter der Meinung theilt und damit auch die
Unterschiede der Fülle, üenigemäfs deuten wir, wol nicht unbe-
rechtigt, die Sachlage so, dafs auch dieses Bestandstück die
Function einer Repräsentation übt: das psychische Band,
das im actuellen Identificiren oder Colligiren u. dgl. erlebt ist
(im „actuellen", d. i. im eigentlichen, intuitiven), glauben wir in
der vergleichenden Betrachtung verschiedener Fälle und in der
Weise der oben erwogenen Möglichkeit auf ein überall Ge-
meinsames reduciren zu können, das von Qualität und Auf-
fassungssinu abgesondert zu denken ist und in dieser Ecduction
denjenigen Repräsentanten ergiebt, der speciell zum Moment der
kategorialen Form gehört.
§ 57. Die Repräaetitanien der fundirenden AnscJiauungen nicht unmittelbar
verknüpft durch die Repräsentanten der synlltelisclten Form.
Naturgemäfs fügen sich hier einige nicht ganz unwichtige Be-
merkungen an.
Objectiv betrachtet, gehört die Synthesis, z. B. die Synthesis
der Identität, der attributiven Beziehung u. s. w. zu den fundiren-
den Objecten; die Identität ist etwa Identität der Person, die attri-
butive Beziehung etwa Beziehung zwischen dem Subject Baum und
dem Prädicat früchtetragetid. Die verknüpften Objecto erscheinen
uns nun mittelst ihier Repräsentanten, und so möclite man denken,
dafs das synthetische Band, in dem uns (oder mittelst dessen utis^
gleichfalls iu der Weise eines Repräsentanten) die Verknüpfung
als Form erscheint, jene Repräsentanten der fundirenden Objocte
phänomenologisch einfach und direct aneinanderbinde.
Dem gegenüber stellen wir aber fest, dafs das Moment der
Synthesis keinerlei directe Vorbindung der zu den Grund-
acten gehörigen Repräsentanten herstellt, sondern dafs
z. B. die phänomenologische Form der Identificirung wesentlich in
den fundirenden Acten als solchen gründet, also in dem
gründet, was diese über ihre repriisentirenden Inhalte hinaus
sind und enthalten.
Wäre das erlebte Identitätsmoment, der psychische Charakter,
ein immittelbares Bimd der repräsentirenden sinnlichen Inhalte
(wir können uns ja auf den einfachsten FttU beschränken, wo die
fundirenden Acte, bezw. Objecto, sinnliche sind), so wäre auch
die durch dieses Moment hergestellte Einheit eine sinnliche
Einheit, so gut wie z. B. die räumlichen oder qualitativen Confi-
gurationen oder die sonstigen Einheitsarten, welche die beti'efFenden
sinnlichen Inhalte anderweitig noch begründen. Alle sinnliche
(reale) Einheit ist aber in den Inhaltsgattuugeu des Sinnlichen
fundirte Einheit, wie schon in der IU. Untersuchung ausgeführt
wurde. Die concreten Inhalte sind freilich vielseitig, sie tragen
verschiedene abstracto Momente in sich, sie begründen vielfache
Möglichkeiten der Veränderung und Verknüpfung. Domgemäfs
führen wir manche Verknüpfungsarten auf diese, manche auf jene
Momente zurück. Aber wenn die jeweiligen Einigungen auch
nicht immer in den Gattungen der complexen Ganzen, nach ihrem
vollen specifischen Gehalt fundirt sind, so doch jedenfalls in den
primitiven Gattungen, die den Momenten der jeweiligen Ganzen
entsprechen. Dagegen erweist sich die sachliche Beziehutigslosig-
keit der kategorialen Actformen zu den sinnlichen Inhalten ihrer
Grundlagen darin, dafs die Gattungen dieser Inhalte schrankenlos
variabel sind, mit andern Worten, dafs a priori keine Inhalts-
gattung möglich ist, welche nicht ini Fimdamoiit kategorialer
Acte jeder Art fungircn könnte. Das Kategoriale gehört eben
iiicht zu den repräsentirenden sianlichen Inhalten, sondern, und
zwar nothwendig, zu den Gegenständen, und dabei doch nicht
zu ihnen nach ihrem sinnlichen (realen) GehalL Daiin aber liegt:
der psychische Charakter, in dem sich die kategoriale
Form constituirt, gehört phänomenologisch zu den Acten,
in denen sich die Gegenstände constituiren. In diesen
Acten sind die sinnlichen Inhalte als Ropräsf'ntanton gegenwärtig,
und insofern gehören allerdings auch sie mit zu diesen Acten.
Aber sie bilden nicht das charakteristische Wesen der Acte, sie
können auch ohne die Auffassung sein, die sie allererst zu Re-
präsentanten macht; sie sind dann, aber mit ihnen erscheint
nichts, und folglich ist auch nichts da, was verknüpft, was als
Subject oder Frädicat u. s. w. in kategorialer Weise gefasst werden
könnte. Nicht diese aufserwesentlichen Elemente der fun-
(lironden Acte verknüpft das kategoriale Moment des synthe-
tisch fundirton Actes, sondern ihr beiderseitig Wesentliches; es
verknüpft unter allen Umständen ihre intentioualen Materien,
und ist in ihnen im wahren Sinne fundirt So haben wir es ja
oben schon allgemein ausgesprochen; in allen kategorialen Acten,
sagten wir, sei die Materie der fundirten Acte in den Materien der
fundironJen Acte fundirt. Die Identität z. B. ist unmittelbar keine
Einheitsform sinnlicher Inhalte, sondern eine „Einheit des Bewufst-
seins", die in dem einen oder anderen („wiederholten" oder inhalt-
lich verschiedenen) Bewufstsein vom selben Gegenstaude gründet.
Und so überall. Es ist nun freilieh richtig, dafs jederlei Arten
von Anschauungen, ob es nun schlichte oder kategoriale sind,
der Art nach die gleichen kategorialen Formungen erfahren können;
aber dimiit ist nur gesagt, dafe die kategoriale Formung phäno-
menologisch in dem Allgemeinen dos objectivirenden Actes fundii-t,
oder dafs es eine Function ist, die wesentlich an das Gattungs-
mäfsige der objectivirendeu Acte gebunden ist. Nur Erlebnisse
dieser Gattung lassen kategoriale Synthesen zu, und die Synthese
verknüpft direct die intentionaleu Wesen.
648 VL EUmettte einer phänomem^y. Aup,-iäntNg Jer Erkennlnis.
Zumal im Falle adäquater sjntfaedadier AnscbaauDgen , vrelcba
in individaeüen Anschauangen anmittelbar fandirt sind, mdJs
man sich den täuschenden Schein fernhalten, als ob mindestans
auf dieser untersten Stufe kategohaler S}'nthesis eine unmittelbare
phänomenologische Verbindung von den sinnlichen Repräsentanten
des einen fundirenden Actes zu denjenigen der anderen fortlaufe.
Yennoge der functionellen Abhängigkeit der Adäquation fEvidenz)
des Gesammtactes von der Adäquation der fundirenden Anschau-^H
UDgen scheint sich die Sachlage hier ja folgendermaiJsen zu go>f^H
stalten: da die fundirenden Acte adäquat sind, so fällt der repräsen-
tirende Inhalt mit dem rcpriisentirten Gegenstand zusammen.
Findet nun auf solcher Grundlage die Anschauung einer Beziehung
statt, z. B. einer Beziehung zwischen Theil imd Ganzem, so bat
auch der beziehende Act den Charakter der Evidenz; die Beziehung
ist mit den wahrhaft gegebenen Inhalten selbst wahrhaft gegeben.
Also verbindet hier das psychische Band des Beziehens, an den
sinnlichen Inhalten imd Objecten als Beziehung aufgefafst, in der
Weise eines directen Bandes diese erlebten sinnlichen Inhalte.
Mit Nichten, würden wir einwenden. Nicht die siunliclien
Inhalte, sondern die adäquaten Anschauungen dieser Inhalte sind
es, welche hier die Einheit des Beziehungsactes fundiren. Wie
überall, so müssen wir hier auf die Gegenstände, jene zugleich
repräsentirenden und repräsentirten sinnlichen Inhalte, hinblicken,
um den beziehenden Act vollziehen, um diesen Inhalt als Ganzes
zu jenem Inhalt als Theil in Verhältnis setzen zu können. Ver-
hältnisse können nur gegeben sein auf Grund gegebener Gegen
stände; gegeben sind uns Gegenstände aber nicht durch biolses
Erleben, das in sich blind ist, sondern einzig und allein durch
Wahrnehmen, und hier im Beispielsfallo durch Wahrnehmen
der erlebten und nicht mehr über sich hinaus repräsentirenden
Inhalte.
Damit bewährt sich aber nur unsere ursprüngliche Einführung
der katogorialen Acte als fundirter. Es ist diesen Acten, in
welchen sich alles Intellectuello constituirt, wesentlich, sich in
Stufen zu vollziehen; Objectivationen vollziehen sich auf Grund
von Objectiviitionen und constituiren Gegenstände, die als Gegen-
stände im orw eiterte 11 , inteliectuellen Sinne, als Gegenstände
höherer Ordnung, nur in solchen fundirten Acten erscheinen
können. Dies aber schliefst bei den synthetischen Acten un-
mittelbare Einheit der Repräsentation, wie sie alle Repräsentanten
der schlichten Anschauung einigt, aus. Die gesamrate synthetische
Anschauung kommt dann (wenn die oben versuchte und sorg-
samster Nachprüfung bediiiftige Interpretation richtig ist) in der
Weise zu Stande, dafs der die fundirendon Acte verbindende psy-
chische Inhalt aufgefafst wird als objective Einheit der fundirten
Gegenstände, als ihr Verhältnis der Identität, des Theils zum
Ganzen u. s. w.
§ 58. Das VerMUnis der beiden Unterschiede: äußerer und innerer
Sinn, sotvie Sinn und Kategorie.
Von grofser Wichtigkeit ist es, nun auch das Verhältnis jener
beiden, gleich zu Anfang unserer jetzigen üeborlegungen einge-
fitlirten* Unterschiede zur letzton Klarheit zu bringen, nämlich der
Untorechiedo zwischen äufserer und innerer Sinnliclikoit auf der
einen, und zwischen schlichtou und kategorialen Acten auf der
anderen Seite.
Die Vorstellung als psychisches Erlebnis, gleichgiltig, ob sie
sehliclit oder fundirt, also sinnlich oder kategorial ist, gehört in
die Sphäre des „inneren Sinnes". Aber liegt hierin nicht ein
Widerspruch? Ist eine innere Wahrnehmung, die auf einen Act
und gar auf einen fundirten Act „reflectirt", z. B. auf das actiielle
Einsehen der Identität 2 + 1 = 1+2, nicht eo ipso fundirte, also
nicht- sinnliche Wahrnehmung? Im Acte dieser Wahrnehmung ist
der fundirte Act mitsammt den ihn fundirendon gegeben, und ira
strengsten Sinne gegeben. Er gehört mit zu dem reellen Bestände
der Wahrnehmung. Sofern sie sich auf ihn dabei richtet, ist sie
auf ihn bezogen, sie ist also selbst fundirte Wahrnehmung.
Offenbar werden wir sagen müssen: das Wahrnehmen eines
wie immer beschaffenen Actes oder Actmomentes oder Actcom-
» Oben § 43, 8. 610 vmd § 46 ff., 8. 616 ff.
plexes heifst ein sinnliches Wahrnehmen, weil es ein schlichtes
Wahriiühmcu ist. Und das ist es zweifellos, weil die Beziehung
des wahrnelimendea Actes auf einen wahrgenommenen keine
Fimdirungsbeziehung ist und dazu selbst dann nicht wird, wenn
als wahrgenommener Act ein fundirter angenommen wird. Das
Fundirtsein eines Actes besagt nicht, dafser, gleichgiltig in welchem
Sinne, auf andere Acte gebaut ist, sondern dafs der fundirende
Act seiner Natur, d. i. seiner Gattung nach, nur als solcher mög-
lich ist, der sich auf Acte von der Gattung der fundirenden auf-
baut, und dafs folglicli das gegenständliche Correlat des fundiren-
den Actes ein Allgemeines, eine Form hat, mit welcher ein Gegen-
stand überhaupt nur in einem fundirten Acte dieser Gattung in-
tuitiv erscheinen kann. So kann das intuitive AUgemoinlieitsbe-
wiifstsein nicht bestehen ohne unterliegende imiivlduelle Anschauung.
eine Identification nicht bestehen ohne unterliegende Acte in Be-
treff der identifieirten Objecte u. s. w.
DasWahraehmen aber, das auf einen fundirten Act gerichtet ist,
kann genau ebenso auf einen nicht fundirten Act und auf beliebige
Objecte äufserer Sinnlichkeit gericlitet sein, auf Pferde, Farben u.s.w.
In jedem Falle besteht dies Wahrnehmen in dem schlichten Hin-
blicken auf das Object. Die Materie des Wahrnehmens (sein Auf-
fassungssinn) steht in keinem Nothwendigkeits7Aisararaenhang mit
der Materie des wahrgonomraonen Actes; vielmehr hat der gesammte
phünomenologische Inhalt dieses Actes den blofsen Charakter eines
Repräsentanten, er wird gemäfs dem Auffassungssinn der Wahr-
nehmung gegenständlich gedeutet, nämlich als dieser Act selbst.
Aus diesem Grunde ist auch jede Absti-action, die sich auf
dem Grunde innerer Sinnlichkeit, etwa im Hinblick auf einen
fundirten Act aufbaut, eine sinnliche Abstraction. Dagegen ist
eine Abstraction, die sich auf einem fundirten Acte selbst
aufbaut, sofern er selbst den Charakter einer Anschauung, obschon
einer kategorialen, besitzt, eine kategorialo Abstraction. Bücken
wir auf einen intuitiven Act der Identification — d. i. einer An-
schauung von Identität — hin, und abstrahiron wir hiobei das
Moment des Idontificirens, so haben wir eine sinnliche Ab-
stractioii vollzogen. Blicken wir aber, in der Identification
lebend, auf die übjective Identität bin und miiehou diese zur
Grundlage einer Absü'action, so haben wir eine kategoriule Ab-
straction vollzogen. ' Das objective Moment „Identität'' ist kein
Act und keine Actform, es ist eine gegenständliche, kategoriale
Form. Andererseits ist, und im Gegensatz dazu, das Moment dos
Identificirens, das die fundirteu Acte phänomenologisch einigt,
eine sinnliche und keine kategoriale Form. Im Wesen derselbe
Unterschied trennt auch sonst die Begriffe, die auf Grund der Re-
flexion auf irgendwelche intuitive Acte, und die ganz anderen Be-
griffe, die auf Grund dieser intuitiven Acte selbst gebildet werden.
Ich nehme ein Haus wahr, und auf die Wahrnehmung reflecti-
rend, bilde ich den Begriff Wahrnelimuny. Blicke ich aber einfach
auf das Haus hin, benütze ich also anstatt der Wahrnehmung von
dieser Wahrnehmung, vielmehr diese Wahmobmung selbst zum
fundircnden Act der Abstractiou, so entsteht der Begrifl" Haus.
Danach hat es nichts Auflfaüendes, wenn wir sagen: Die-
selben psychischen Momente, welche in innerer Wahr-
nehmung sinnlich gegeben sind (in ihr somit als sinnliche
Kepräsentunten fungirend), können in einem fuudirten Acte
vom Charakter der kategorialen Wahrnehmung, bezw.
Imagination, eine kategoriale Form constituiren, also hie-
bei eine ganz andere, kategoriale Repräsentation tragen.
Die Unselbständigkeit der kutegorialon Formen als Formen
spiegelt sich in dem Gebiete innerer Sinnlichkeit darin, dafs die
Momente, in welchen sich eine kategoriale Form constituiren kann
(und diese Momente sind* für jede Form so eng begrenzt, dafs
jeder Formspecies eine einzige Species solcher Momente entspricht),
unselbständige psychische Inhalte diu'stellen, welche in Actcharak-
teren fundirt sind. Da aber alle Actcharaktere letztlich in äufser-
lich sinnlichen Inhalten fundirt sind^, so bemerken wir, dafs auf
' Vgl. die nähere Erörterung im § 60, S. 054.
• Nach §55, S. 642.
* Natürlich nicht iu besonderen Gattungen derselben, sondern in der
Uesammtgattung solch er Inhalte überhaupt [cf. folg. 8.).
dem Gebiete der Sinnlichkeit eine wesentliche phänome-
nologische Scheidung bostohL Zunächst bestimmen sich
1) die Reflexiousinfuilte, als diejenigen Inhalte, welche selbst
Actcharaktere sind oder in Actcharakteren fundirt sind,
2) die primären Inhalte, d. i. diejenigen Inhalte, in welchen
alle Roflfxionsiuhalte unmittelbar odor mittelbar fundirt sind. Dies
wären die Inhalte der „äufseren" Sinnlichkeit, die hier aber
durch keine Beziehung auf den Unterschied von Aufsen und Innen
(als weiclier ein metaphysischer ist) definirt oreeheint, sondern durch
die Natur ihrer Repräsentanten, als letztfundirender psychischer In-
halte. Die primiiron Inhalte bilden eine einzige, obschon in vielerlei
Arten sich spaltende, oberste Gattung. Die Weise, in welcher die
Reflo-vionsinlialte durch primäre Inlialte Fundirung cifahron, ist
offenbar die denkbar loseste, nämlich eine solche, dafs die Reflexions-
inlialto nie an eine engere Gattung der primären gebunden sind.
Es entspricht dann dem Unterschied zwischen rein sinnlichen
und rein kategoriaien Objecten der Anschauung auch ein unter-
schied der repriisertirenden Inlialte: als rein kategoriale Re-
präsentanten könueu ausschliefslich Reflexionsinhalte
fungiren. —
Den Begriff der Kategorie könnte man nun auch versuchen
so zu bestimmen, dafs er alle gegenständlichen Formen in
sich begriffe, die aus den Auffassungsformen und nicht
aus den Auffassungsstoffen herstammen. Allerdings er-
wäcfist folgendes Bedenken. Hätte dann nicht auch die sinnliche
Anschauung den Charakter eines kategorialon Actes, sofern sie
die Form der Gegenständlichkeit eonstituirt? In der Wahrnehmung
ist das Wahrgenummeno nicht nur, sondern es ist gegen -wärtig,
Gegen-stand, gegeben. Vom zufälligen Subjecte dos Wahrnehmens
kann dabei immer noch abstrahirt sein. Indessen eonstituirt sich
der Begriff Gegenstand in Corrolation mit dem Begriff Wahr-
nehmung und setzt also nicht blofe einen Act der Abstraction,
sondern auch Acte der Beziehung voraus. Insofern ist auch dieser
Begriff ein kategorialer in dem bisherigen Sinn.
Achtes Kapitel.
Die apriorischen Gesetze des eigentlichen und uneigentlichen
Denkens.
§ 59.
Complicalion zu immer neuen Formen. lieiue Formenlehrt
möglicher Anscliauungen.
Die verscliierlenen Formen funtlirtor Acte, in weichen sicii
statt der sciilicbten, sinnlicii-anschauliciien Gegenstände, vielmeiir
die Ivategorial geformten und syntlictiscli vorknüpften constituiren,
gestatten mannigfaclie Complicationen zu neuen Formen, sofern
kategoriale Einheiten immer wieder (und zwar auf Grund gewisser
kategorialer Gesetzmäfsigkeiten apriorischer Art) zu Gegenständen
neuer verknüpfender, bezieiiender oder ideirender Acte worden
können. So kann man z. B. allgemeine Gegenstände collectiv ver-
knüpfen, die so gebildeten Collectionen wieder collectiv mit anderen
gleicher oder verschiedener Art verknüpfen , und so in infmitum.
Die Möglichkeit iinbegi-enzter Complieation ist Liebei a priori wxiA
evident. Ebenso kann man Saciiverlialte, übschon nur innerhalb
gesetzlicher Schranken, zu neuen Sachverhalten einigen, man kann
überhaupt und ins Unbegrenzte zwisclien allen möglichen Einheiten
die inneren oder äufseren Relationen aufsuchen, die Ergebnisse
dieser Feststellung wieder als Objecto neuer Beziehungen be-
nutzen u. s. w. Selbstverständlich vollzieht sich die Complieation
in fundirten Acten immer höherer Stufe. Die hier waltende Ge-
setzmäfsigkeit bildet das intuitive Gegenstück der rein gramma-
tischen Gesetzmäfsigkeit. Auch hier handelt es sich nicht um
Gesetze, welche das wahrhafte Sein der vorgestellten Gegenstände
verschiedener Stufe judiciren wollen. Diese Gesetze betrefTen jeilen-
falls nicht ideale Bedingungen der Möglichkeit adäquater Erfüllung.
Der reinen Formenlehre der Bedeutungen entspricht hier eine
reine Formenlehre der Anschauungen, in welcher die pri-
mitiven Typen von einfachen und coniplexen Anschauuiigou durch
intuitive Goneralisation als möglich aufgezeigt, und die Gesetz-
müfsiglieiten ihrer successiven Couipücation zu immer neuen und
compücirtcrcn Aiisolinuungen bestimmt werden müfsten. Sofern rtie
adäquate Anschauung selbst einen Typus von Anschauungen dar-
stellt, umfafst die reine Formenlehre der Anschauungen überhaupt
auch all die Gesetze, welche die Formen adäquater Anschauiuigen
betrcffon: und diese haben dann l)esondere Beziehung zu den Ge-
setzen der adäquaten Erfüllung significativer oder bereits in-
tuitiver Intentionen.
§ 60. Der relathm oder functiontlle Unterschied xu*ischm Materie
Form. Reiiic und mit Sinnlichkeit benungte Verslandesacte. Sintiliche
Begriffe und Kategorien.
Mit der Möglichkeit, kategoriale Anschaiuingen selbst wieder
zu Fundamenten neuer kategurialer Anschauungen zu machen und
dann ancii in entsprechenden Ausdrücken, bezw. Bedeutungen aus-
zudrücken, hängt der relative, blofs functionelle Unterschied
von Stoff und Form zusammen. Wir haben ihn üben* schon
flüchtig angedeutet. Im absoluten Sinne giebt eine fundirende
Sinuiichkeit den Stoff für die darauf gebauten Acte katogorialer
Form. Im relativen Sinn bilden die Objecte der fundiren-
den Acte überhaupt den Stoff, nämlich relativ zu den
ihnen in den fundirten Acten neu erwachsenden kategorialen
FoiTuen. Setzen wir zwei, bereits kategoriale Objecte, z.B. zwei
Sachverhalte, in eine Bezielmng, so sind diese Sachverhalte der
Stoff, relativ zu der sie beide in Eins setzenden Beziehungsforni.
Dieser Bestimmung der Begriffe Stoff' und Form entspricht genau
die traditionelle Unterscheidung zwischen Materie und Form
bei den Aussagen. Die Termini drücken eben die fundirenden
Acte des ganzen „beziehenden Vorstellens" aus, oder was das-
selbe, sie nennen die fundirenden Gegenstände, und darum
stellen sie auch den Ort dar, an welchem Beiträge der Sinn-
lichkeit allein gesucht werden können.' Die fundirenden Gegen-
• Vgl. § 42, S. Ü08.
' Vgl. 8. 607.
stände können aber selbst schon kategorialer Art sein. Oflfen-
bar vollzieht sicli die Erfüllirag dann in einer Ketto von Acten,
die uns die Stufenfolge der Fundirungen hinabführen; denn jeden-
falls spielen hiebei indirecto Vorstellungen eine wesentliche Rollo,
deren genaue Erforschung eine für die Klärung der compü-
cirten Formen des erkennenden Denkens sehr bedeutsame Auf-
gabe wäre.
Die Acte schlichter Anschauung nannten wir sinnliche, die
fundirten, unmittelbar oder mittelbar auf Sinnlichkeit zurückführen-
den Acte, kategoriale. Indessen ist es von Wichtigkeit innerhalb
der Sphäre der kategorialen Acte zwischen rein kategorialen
Acten, Acten dos „reinen Verstandes", und gemischten, mit
Sinnlichkeit „bemengten" Verstandesacten zu unterscheiden.
Es liegt in der Natur der Sache, dafs letztlich alles Katogorialo
auf sinnlicher Anschauung beruht, ja dafs eine katogoriale An-
schauung, also eine Verstandeseinsicht, ein Denken im höchsten
Sinne, ohne fundirende Sinnlichkeit ein Wiilorsinn ist Die Idee
eines „reinen Intellocts", interpretirt als ein „Vermögen" reinen
Denkens (hier: kategorialer Action) und völlig abgelöst von jedem
„Vermögen der Sinnlichkeit", konnte nur concipirt werden vor
einer Elementaranaiyse der Erkenntnis nach ihrem evident unauf-
hebbarcn Bestände. Gleichwol hat die angezeigte Unterscheidung,
also der Begriff des rein kategorialen Actes, und wenn nuui will,
der Begriff eines reinen Verstandes, einen guten Sinn. Betrachten
wir nämlich die Eigenthümlichkeit ideirender Abstrnction, zwar
nothwendig auf individueller Anschauung zu beruhen, aber darum
nicht das Individuelle dieser Anschauung zu meinen; beachten
wir, dafs sie vielmehr eine neue Auffassungsweise ist, welche
statt Individualität vielmehr Generalität constituirt: so erwächst
die Möglichkeit allgemeiner Anschauungen, welche nicht
nur alles Individuelle, sondern alles Sinnliche aus
ihrem intentionalen Qehalt ausschliefsen. Mit andern
Worten, wir unterscheiden zwischen sinnlicher Abstraction,
die uns sinnliche Begriffe giebt — und zwar rein sinn-
liche oder mit kategorialen Formen vermischte — und der rein
kategorialen Ahstraction, welche uns rein kategoriale Be-
griffe giebt Farbe, Haiis^ ürttieil, Wunsch sind rein sinn-
liche Begriffe, Farbigkeit (Farbig- sein), Tugend, Paralhlenaxiom
u. dgl. sind kategorial vermischte, Eitiheit, Mehrheit, Bexiehttng,
Begnff sind rein kategoriale. Wo wir schlechtlnn von kategorialen
Begriffen sprechen, sind immer rein kategoriale gemeint. Die
sinnlichen Begriffe finden iln-e unmittelbare Grundlage in Gegeben-
heiten sinnlicher Anschauung, die kategorialen aber in Bolchen
kategorialer Anschauung, und zwar mit reiner Beziehung auf die
kategoriale Form des gesamraten kategorial geformten Objects.
Liegt z. B. der Abstraction eine Beziehungsanschauung zu Grunde,
so richtet sich das Abstractionsbewufstsein vielleicht auf die Be-
ziehungsform in specie.y wobei alles Sinnliche der Beziehungs-
fimdnmente aufser Spiel bleibt. So erwachsen die Kategorien.
welcher Titel, im prägnanten Sinn verstanden, aber blofs die
primitiven hiehergehörigen Begriffe befafst.
Wir haben soeben, das lag im ganzen Sinne der vollzogenen
Erörterung, Begriff und Species identificirt. Versteht man jetloch
unter Begriffen die allgemeinen Vorstellungen anstatt der
allgemeinen Gegenstiinde, sei es die allgemeinen Anschau-
ungen oder die ihnen ent.sprechenden allgemeinen Bedeu-
tungen, so übertingt sich die Unterscheidung ohne Weiteres auch
auf sie; desgleichen auf Vorstellungen der Form ein -1, nämlich
mit Rücksicht darauf, dafs die Species A Sinnliches enthalten, oder
hingegen aussciitiefsen kann. Hein kategorial sind danach alle
logischen Formen und Formeln, wie alle S si}ui P, kein S ist
P, u. 8. w.; denn die Buchstaben S, P u. dgl. sind blofso indlrecte
Anzeigen für gewisse, unbestimmte und beliebige Begriffe, also
entspricht ihnen in der Oesammtbeileutung der Formel ein com-
plexer, aus lauter kategorialen Elementen gebauter Gedanke. Wie
die gesammte reine Logik, so ist die gesammte reine Arith-
metik, die reine Mannigfaltigkeitslehre, kurz die reine
Mathesis im nlleruiufassondsten Sinne, rein in dem Sinne, dafs
sie in ihrem ganzen theoretischen Bestände keinen sinn-
lichen Begriff enthält.
§ Gl. Die kategoriale Formung keifte reale Umgestaltung
des Oegeiistandes.
Dio Rede von der kategorialen Form verwenden wir, wie in
der letzten Reihe von Betrachhingen überall sichtlich ist, in einem
natürlichen, und bei unserer consequcnten Unterscheidung zwischen
Act und Gegenstand unschiidlichen Doppelsinn. Einerseits ver-
stehen wir darunter die fnndirten Actcharaktere, welche den
Acten schlichter, oder selbst schon fnndirter Anschauung Form
geben und sie in neue Objectivationen umwandeln. Diese Letzte-
ren constituiren eine, im Vergleich mit den fundirenden Acten in
oigenthümlicher Weise modificirte Gegenständlichkeit; die ursprüng-
lichen Gegenstände stellen sich nun in gewissen, sie in neuer
Weise fassenden und verknüpfenden Formen dar, und dies sind
die kategorialen Formen im zweiten, im gegenständlichen
Sinn. Die conjunctive Verknüpfung A und B, welche als ein-
heitlicher Act eine kategoriale Einheit von Gegenständen (den In-
begriff, das „alle beide") meint, kann uns als Beispiel dienen.
Der Ausdruck A und B ilhistrirt uns, und zwar in beson-
derem Hinblick auf die Bedeutung des „tind'\ übrigens noch einen
weiteren Sinn der Rede von kategorialer Form, demzufolge auch
die significativen Formen, welche in den fundirten Actcha-
rakteren ihre mögliche Erfüllung finden, als kategoriale Formen,
und vorsichtiger, als kategoriale Formen im uneigentlicheu
Sinn bezeichnet werden.
Dies vorausgesetzt, wollen wir uns einen bereits ausgesproche-
nen und im Hinblick auf unsere gesanunte Darstellung eigentlich
selbstverständlichen Satz um seiner Wichtigkeit willen zu voll ent-
falteter Klarheit bringen; nämlich dafs die kategorialen Functionen,
indem sie den sinnlichen Gegenstand „formen'^, ihn in seinem
realen Wesen unberührt lassen. Der Gegenstand wird durch den
Intellect und speciell durch die Erkenntnis (dio ja selbst eine kate-
goriale Function ist) intellectiv gefafst, aber nicht verfälscht. Dies
zu verdeutlichen erinnern wir uns an den schon im Vorbeigehen
berührten Unterschied zwischen den im gegenständlichen Sinn
Hniserl, Lo;. Untara. n. 42
verstandenen kategorialen Einheiten und den realen Einheiten, als
z. B. die Einheit der Theile eines Dinges, der Bäume einer Allee
11. dgl. Auch die Einheit der reellen Bestandstücke eines psychi-
schen Erlebnisses und desgleichen aller cooxistenten Erlebnisse im
individuellen Bewufstscin gehört zu den realen Einheiten. Alle
diese Einheiten, als Ganze betrachtet, sind gleich ihren Theilon
Gegenstände im primären und schlichten Sinn; sie sind in mög-
lichen schlichten Anschauungen anschaubar. Sie sind eben nicht
blofs katogorial geeinigt, sie constitniren sich nicht in irgendeinem
blofsen Zusaninienbe trachten durch ColligLren, Disjungiren, Be-
ziehen u. dgl.; sondern sie sind „an sich" einig, sie haben eine
Einheitsfomi, die am Ganzen in der Weise eines realen Einheits-
monicnts, also einer realen Bestimmung wahrnehmbar ist; und
wahrnehmbar im selben Siun, wie irgendwelche der verknüpften
Glieder und ihre inneren Bestimmtheiten es sind.
Ganz anders verhält es sich mit den kategorialen Formen.
Die neuen Gegenstände, die sie schaffen, sind nicht Gegenstände
im primären und ursprünglichen Sinne. Die kategorialen Formen
leimen, knüpfen, fügen die Theile nicht zusammen, dafs daraus
ein reales, ein sinnlich wahrnehmbares Ganzes würde. Sie formen
nicht in dem Sinn, in welchem der Töpfer formt. Sonst würde
das ursprünglich Gegebene der sinnlichen Wahrnehmung in seiner
eigenen Gegenständlichkeit moilifieirt, das beziehende und ver-
knüpfende Denken und Erkennen wäre nicht Denken und Er-
kennen dessen, was ist, sondern fälschendes Umgestalten in ein
Anderes. Aber die kategorialen Formen lassen die primären Gegen-
stände unberührt; und sie können ihnen auch nichts mithun, können
sie in ihrem eigenen Sein nicht ändern, weil das Ergebnis dann
ein neuer Gegenstand im primären und realen Sinn wäre, während
evidentermafsen das Ergebnis des kategorialen Actes (etwa dos
collectiven oder beziehenden) in einer objectiven Fassung des
primär Angeschauten besteht, die nur in einem solchen fun-
dirten Acte gegeben sein kann, so dass der Gedanke an eine
schlichte Wahrnehmung des Geformten, oder an ein Oegebensein
desselben in einem sonstigen schlichten AnstMiauen Widersinn ist.
Die aprior. Oeaetxe des eigentliehen und nncigcnlliehen Denken». 659
§ 62. Die FVeiJieii in der kategorialen Formung vorgegthenen Stoffes
und ihre Scltranken: die rein kategorialen Oesetxe (Oesetxe des
„eigentlichen" Denkens).
Reale, äurserlich oder innerlich sinnliche Einheitsfornien
sind durch die wesentliche Natur der zu verknüpfenden Theile
gesetzlich bestimmt, und bei voll genommener Individuation dieser
Theile absolut bestimmt. Aile Einheit weist auf Gesetzlichkeit hin,
reale Einheit auf reale Gesetzlichkeit. Was real eins ist, ranfs
auch real geeinigt sein. Wo wir von der Freiheit zu einigen
oder nicht zu einigen sprechen, da nehmen wir eben die Inhalte
nicht in ihrer vollen Realität, zu welcher j« die räundich-zeitlichen
Bestinmitheiton raitgehören. Während in dieser Art das Bewufst-
sein, und speciell das schlichte Anschauen der realen Inhalte,
eo ipso Bewufstsein ihrer realen Verknüpfungen oder Formen ist,
verhält es sich ganz anders hinsichtlich der kategorialen Formen.
Mit den realen Inhalten ist keine der ihnen anzupassenden kate-
gorialen Formen nothwendig gegeben, hier besteht im Verknüpfen
und Beziehen, im Generalisiren und Subsuniiren u. dgl. reichliche
Freiheit. Wir können eine sinnlich einheitliche Gruppe willkürlich
und auf vielfache Weise in Thoilgruppen zerlegen; wir können die
mannigfach unterscheidbaren Thoilgruppen willkürlich ordnen und
gleichstufig aneinander knüpfen, oder auch CoUectionen zweiter,
dritter . . . Stufe übereinander bauen. So ergeben sich viele Mög-
lichkeiten collecüver Formung auf Grund desselben sinnlichen
Stoffes. Ebenso können wir jedes beliebige Glied ein und der-
selben sinnlichen Comple.xion mit diesen oder jenen unter den
übrigen Gliedern vergleichen, oder von ihnen unterscheiden; wir
können jedes hiebei zum Subjectglied, oder durch willkürliche
Umkehrung der betreffenden Verhältnisse zum Objcctgliede machen;
wir können diese Verhältnisse dann selbst zueinander in Beziehung
setzen, miteinander collectiv verknüpfen, klassificiren u. s. w.
Aber so grofs diese Freiheit kategorialer Einigung und
ITormung ist, sie hat doch ihre gesetzlichen Schranken. Auch
hier sind Einheit und Gesetz voneinander unabtrennbar. Schon
darin, dafs die kategorialen Formen ßich in fundirten Actcharak-
toren, und nur in solchen constihiiren, liegt ein gewisser Noth-
wendigkeitszusanimenhang beschlossen. Wie wäre auch sonst von
kategorialer Wahrnehmung und Anschauung die Rede, %venn
sich jeder beliebige Stoff in jede beliebige Form bringen, also die
fundirenden schlichten Anschauungen mit den kategorialen Charak-
teren beliebig zusammenknüpfen liefsen. Wo wir z. B. ein Ver-
hältnis zwischen Ganzem und Tlieil intuitiv vollziehen, können
wir dieses Verhältnis zwar in der normalen Weise umkehren, aber
nicht etwa so, dafs wir nun den Theil, bei ungeändertem realen
Inhalt, als Ganzes und das Ganze als Tbeil anschauen könnten.
Es steht uns auch nicht frei, dieses Verhältnis als ein solches
totaler Identität oder totaler Exchision aufzufassen u. s. w. Aller-
dings „denken" können wir uns jederlei Verhältnis zwischen jeder-
lei Beziehungspunkten, und jederlei Form überhaupt auf Grund
jedes Stoffes — nämlich denken im Sinne blofser Signification. Aber
wirklich vollziehen können wir die Fundiningen nicht auf;
jeder Grundlage, wir können den sinnliciien Stoff nicht in be
liebiger kategorialer Form anschauen; zumal nicht wahrneh
men, und vor Allem nicht adäqnat wahrnehmen.
In der Prägung des erweiterten WahmebmungsbegrifFes be-
kundet sich eo ipso eine gewisse Gebundenheit. Nicht als ob der
Wahrneh mungscliarakter an den sinnlicheu Inhalt reell gebunden
wäre. Das ist er nie; denn das hiefse, dafs nichts ist, was nicht
wahrgenommen ist und wahrgenommen sein mufs. Aber sehr
wol ist nichts, was nicht wahrgenommen werden kann. Darin
liegt aber: der actueüe Vollzug der kategoriiden Acte auf Grund
gerade dieser Stoffe, oder, genauer, auf Grund gerade dieser schlich-
ten Anschauungen, ist im idealen Sinne möglich. Und diese
Möglichkeiten sind, wie ideale Möglichkeiten überhaupt, gesetz-
lich begrenzt, sofern ihnen gewisse Unmöglichkeiten, ideale Un-
verträglichkeiten, gesetzmäfsig zur Seite treten.
Die Idealgesetze, welche den Zusammenhang dieser Mög-
lichkeiten und Unmöglichkeiten regeln, gehören zu den katego-
rialen Formen in spccie, also zu den Kategorien im objec-
:
tiven Sinne. Sie bestimmen, welche Variationen irgend-
weicher vorgegebenen kategorialen Formen, bei voraiis-
gosetzter Identität des bestimmten, aber beliebigen
Stoffes möglich sind; sie umgrenzen die ideal geschlossene
Mannigfaltigkeit von ümordniingeii und Umgestaltungen der kate-
gorialen Formen auf Grund das identisch verbleibenden Stoffes.
Der Stoff kommt liiebei nur insofern in Frage, als er intentional
in Identität mit sich selbst festgehalten sein mulJs. Insofern abur
die Species der Stoffe völlig frei vaiiirbar sind und nur der selbst-
verständlichen ideellen Bedingung unterstehen, dafs sie als Träger
der jeweils vorangonomnienen Formen functionsfähig sind, so
haben die iu Rede stehenden Gesetze den Charakter völlig reiner
und analytischer Gesetze, sie sind von der Besonderheit
der Stoffe völlig unabhängig. Ihr allgemeiner Ausdruck ent-
hält daher nichts von stofflichen Species, vielmehr benützt er nur
algebraische Symbole als Träger unbestimmt- allgemeiner Vor-
stellungen von gewissen, im Uebrigen beliebigen, aber mit sich
identisch zu crhalteuden Stoffen überhaupt.
Zur Einsicht in diese Gesetze bedarf es daher auch nicht dos
actuellen Vollzugs einer kategorialen Wahrnehmung, die irgendeinen
Stoff selbst, und gar im eigentlichsten Siune, giebt; sondern es ge-
nügt irgendeine kategoriale Imagination, welche die Möglichkeit
der betreffenden kategorialen Coraplexionen vor Augen stellt. In der
generalisirenden Abstraction der gesammten complexen Möglichkeit
vollzieht sich die eiuheitliehe intuitive „Einsicht'' in das Gesetz,
uud diese Einsicht hat im Sinne unserer Lehre den Charakter
adäquater genereller Wahrnehmung. Der allgemeine Gegen-
stand, der in ihr selbst gegeben ist, ist das kategoriale Gesetz.
Wir dürfen sagen: Die idealen Bedingungen der Möglich-
keit der Gegenstände kategorialer Anschauung überhaupt
sind die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände
kategorialer Anschauung, und der Möglichkeit von kate-
gorialen Gegenständen schlechthin. Eine kategorial so und
so geformte Gegenständlichkeit ist möglich, das besagt ja im Wesent-
lichen dasselbe, wie dafs eine kategoriale Anschauung, sei es auch
662 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
«ine blofse Einbildung, eine derartige Gegenständlichkeit vollständig
angemessen vor Augen stellen kann; mit anderen Worten, dafs die
betreffenden kategorialen Synthesen und die sonstigen
kategorialen Acte auf Grund der betreffenden sinnlichen
Anschauungen (sei es auch Einbildungen) wirklich vollzieb-
bar sind.
Welche kategoriale Formung aber ein beliebiger, gleicbgildg
ob perceptiv oder imaginativ vorgegebener Stoff de facto zu-
lä&t, d. i. welche kategorialen Acte auf Grund der ihn co'nstituiren-
deu sinnlichen Anschauungen wirklich voilziehbar sind — darüber
besagen die in Rede stehenden idealen Bedingungen, die ana-
lytischen Gesetze, nichts. DaTs hier kein Belieben schrankenlos
walten kann, und dals die „wirkliche" VoUziehbarkeit nicht den
Charakter der empirischen Wirklichkeit, sondern der idealen Mög-
lichkeit hat, lehren die obigen Beispiele. Und sie lehren auch,
dals die jeweilige Besonderheit des Stoffes es ist, welche die Mög-
lichkeiten umgrenzt, so dafs wir z. B. sagen können, O ist wirk-
lich ein Ganzes von g^ oder y ist wirklich eine Beschaffenheit
von O u. dgl. — wobei allerdings die kategoriale Form, ungleich
der realen, nicht auf die Inhaltsgattungen der G, g, y u. dgl.
beschränkt ist, als ob sie für Inhalte anderer Gattungen überhaupt
nicht in Betracht käme. Im Gegen theil ist es evident, dafs
Inhalte aller Gattungen durch alle Kategorien geformt
sein können. Die kategorialen Formen sind eben nicht in den
stofflichen Inhalten fundirt — wie wir oben^ schon dargelegt
haben. Jene reinen Gesetze können also nicht vorschreiben, welche
Form ein gegebener Stoff annehmen kann; nur soviel lehren sie,
da&, wenn er, und ein beliebiger Stoff überhaupt, eine gewisse
Form angenommen hat oder anzunehmen fähig ist, ein festumgrenz-
ter Kreis weiterer Formen für diesen selben Stoff zu Gebote stellt;
bezw. dafs es einen ideal geschlossenen Kreis von mög-
lichen Umgestaltungen der jeweils statthabenden Form
in immer neue Formen giebt. Die ideale Möglichkeit der
■ Vgl. §57, S. 646f.
Die aprior. ücsetze des eigentlichen und uneiycnllichen Denkens. ü63
neuen Formen auf Grund desselben StofFs gewährleisten die be-
sagton „analytischen"' Ücsetze unter dieser Voraussetzung a priori.
Dies sind die reinen Gesetze des „eigentlichen Denkens",
verstanden als Gesetze der kategorialen Anschauungen nach
ihren rein kategorialen Formen. Die kategorialen Anschau-
ungen fungiren eben im theoretischen Denken als wirkliche oder
mögliche ßedeutungserfüllungeu, hezw. -eutttiuschungen, und ver-
leihen je nach ihrer Function den Aussagen den logischen Werth
der Wahrheit, bezw. Unwahrheit. Es hängt also die normative
Regelung des, sei es rein signitiven, sei es signitiv getrübten Den-
kens von den eben erörterten Gesetzen ab.
Doch es bedarf zur genaueren Darlegung dieses Sachverhalts
und zur Aufklärung der imtei'scheidendeu Rede von Gesetzen des
„ eigen Hiehen" Denkens eines näheren Hinblicks auf die Sphäre
der Bedeutungen, resp. Bedeutungsintentionen.
§ 63. Die reinen OeUungstjesetxe der sigtiüiven und signitiv getriiblen
Acic (Oesetxc des un eigentlichen Denkens).
Die kategorialen Acte dachten wir uns in den bisherigen Be-
trachtungen von allem significativen Beiwerk frei, also vollzogen,
aber keinerlei Acte der Erkennung und Nennung funiiirend. Und
sicherlich wird jeder vorurtheilsfreie Analyst zugestehen, dafs wir
z. B. Inbegriffe oder mancherlei primitive Sachverhalte anschauen
können, ohne sie zu nominalem oder propositionalom Ausdruck
zu bringen. Wir stellen nun dem Fall blofser Anschauung den
Fall bloJser Signification gegenüber, wir achten darauf, dafs all
den Acten katogorialer Anschauung mit ihren kategorial geformten
fTOgenstünden rein significative Acte entsprechen können. Dies
ist oflunbar eine apriorische Möglichkeit. Es giebt keine hieher-
gehörigo Actform, der nicht eine mögliche Bedeutungsform ent-
spräche; und jede Bedeutung kann ja ohne correhite Anschauung
vollzogen gedacht werden. Das Ideal der logisch angemessenen
Sprache ist dasjenige einer Sprache, welche allen raögliciien
Stoffen und allen möglichen kategorialen Formen eindeutigen Aus-
druck verschaiftn würde. Zu den Worten gehören dann eindeutig
gewisse significative Intentionen, die auch bei Abwesenbeit der
„entsprechenden" (d. h. natürlich der erfüllenden) Anschauung auf-
leben können. Es läuft dann parallel zu allen möglichen primären
und fimdirten Anschauungen das System der sie (möglicher weise)
ausdrückenden primären und fundirten Bedeutungen.
Aber das Gebiet der Bedeutung ist sehr viel umfassen-
der als das der Anschauung, d. i. als das Gesammtgebiet mög-
licher Erfüllungen. Denn auf Seite der Bedeutungen tritt noch
hinzu jene unbegrenzte Mannigfaltigkeit von complexen Be-
deutungen, die der „Realität'' oder „Möglichkeit" er-
mangeln; es sind Complexionon von Bedeutungen, die sich zwar
zu einheitlichen Bedeutungen zusammenschlielsen, aber zu
solchen, denen kein mögliches einheitliches ErfüUungs-
correlat entsprechen kann.
Demgemäfs besteht auch kein voller Parallelismus zwischen
den kategorialen Typen, bezw. den Typen kategorialer An-
schauung, und den Typen der Bedeutung. Jedem kategorialen
Typus niederer und höherer Stufe entspricht ein Bedeutungstypus;
aber es entspricht, bei unserer Freiheit die Typen signiticativ zu
complexen Typen zu verknüpfen, nicht jedem so erwachsenden
Typus ein Typus kategorialer Gegenständlichkeit. "Wir erinnern
an die Typen analytischer Widersprüche, wie ein A, welches nicfii
A ist; alle A sind B und irgendein A ist nicht B; u. s. w. Nur
in Hinsicht auf die primitiven Typen kann und mufs der Paral-
lelismus bestehen, da alle primitiven Bedeutungen überhaupt ihren
„Ursprung" haben in der Fülle correlater Anschauung; oder um es
deutlicher auszudrucken: Da von Verträglichkeit und Unverträg-
lichkeit nur in der Sphäre des Zusammengesetzten oder Zusam-
menzusetzenden die Rede ist, so kann auch die einfache Bedeu-
tung, als Ausdruck eines Einfachen, niemals imaginär sein; und
dies trifift somit auch jede einfache Bedeutimgsform. Während ein
zugleich A und nicht A Seiendes unmöglich ist, ist ein A und B
möglieh, die Und-Form hat als einfache einen „realen" Sinn.
Uebertragen wir den Terminus kategorial auf das Bedeutungs-
gebiet, so entspricht jeder eigentlichen kategorialen Form, sei
es einer solchen im gegenständlichen Sinn, sei es der zugehörigen
kategorialen Form der Anschauung (in welcher sich nämlich das
kaK'gorial Gegenständliche perceptiv oder imaginativ con-
stituirt), eine eigene significative Form, bezw. auch eine eigene
Bedeutungsfonn in spede. In dieser Form der Signification voll-
zieht sich das significative Meinen eines Collectivum oder Disjunc-
tivum, einer Ideutitiit oder Nicht-Identität u.dgl. Spricht man vom
Gegensatz eigentlicher und uneigentlicber Vorstellung, so
hat man gewöhnlich wol den Gegensatz von mtuitiv und signi-
ficaiiv im Auge (wofern es nicht, was gelegentlich auch vorkommt,
auf den anderen Gegensatz von adäquat und inadäquat abgesehen
ist). Demnach wären die jetaigeii Fälle diejenigen „uneigent-
licher" Collectiou, Disjuaetion, Identification, Abstraction u. s. w.
Befafst man all diese kategorialen Acte, durch welche sich
die Urtheile (als prüdicative Siguificationen) ihre Fülle und scliliefs-
licb ihren ganzen Erkountniswerth zueignen, unter dem Titel Denk-
acte, so hätten wir zwischen eigentlichen und uneigentlichen
Denkacton zu unterscheiden. Die uneigentücben Denkacte wären
die Bedeutungsintentionen der Aussagen, und in naturgemäfs
erweiterter Fassung all die significativen Acte, welche möglicher
Weise als Theile solcher prädicativen Intentionen dienen können:
so aber können, wie von selbst einleuchtet, alle significativen
Acte dienen. Die eigentlichen Denkacte wären die entsprechen-
den Erfüllungen; somit die Sachverhaltsanscbaiiungen und alle An-
schauungen, die als mögliche Theile von Sachverhaltsanscluiuungen
fungiren können: und das können wiederum alle Anschauungen
überhaupt; es giebt zumal keine kategoriale Form, die nicht Be-
standstück einer Sacbverhaitsform worden könnte. Die allgemeine
Lehre von den Formen der symbolischen ürtheilo (der Aus-
sagebedeutungon) befafst diejenige von den Bedeutungsformen
überhaupt (den rein grammatischen Formen); ebenso befafst die
allgemeine Lehre von den reinen Formen der Sacbverhalts-
anschauungen (bezw. von den reinen Sachverhaltsformen) diejenige
von den kategorialen Formen der Anschauungen (bezw. von
den objectiven kategorialen Formen) überhaupt
666 VI. Elemente einer phänomoiohg. Aufklärung der ErkentUnis.
Identificirt man, wie es öfters geschieht, Denken und Ur-
theiien, so wäre zwischen eigentlichem und uneigentlicheni
Urtheilon zu unterscheiden. Der Begriff des Urtheils wäre dann
durch das Gremeinsame der Aussageintention und der Aussage-
erfüilung, also durch das intentionale Wesen als Einheit von
Qualität und intentionaler Materie bestimmt Als Denkacte im
weiteren Sinn hätten naturgcmäfs nicht blofe die Urtheilsacte,
sondern alle möglichen Theilacte von Urtbeilen zu gelten, so daCs
wir auf eine der vorigen Abgrenzung des Begriffes Denkact gleich-
werthige Abgrenzung zurückkämen.
In der Sphäre des uneigentlichen Denkens, der blofsen Signi-
fication, sind wir von allen Schranken der kategorialen Gesetze
frei. In ihr läfst sich Alles und Jedes zur Einlieit bringen. Doch
genau besehen, unterliegt auch diese Freiheit gewissen Beschrän-
kungen. Wir haben davon in der IV. Untersuchung gesprochen,
wir haben auf die „rein-grammatischen" Gesetze hingewiesen,
welche als Gesetze der Complication und Modification die Sphären
des Sinns und Unsinns scheiden. In der uneigentlichen kategorialen
Formung und Umformung sind wir frei, sofern vrir nur nicht die
Bedeutungen unsinnig conglomeriren. Wollen wir aber auch den
formalen und realen Widersinn fernhalten, so engt sich die wei-
teste Sphäre des uneigentlichen Denkens, des significativ Yerknüpf-
baren, sehr ein. Es handelt sich nun um die objective Mög-
lichkeit der complexen Bedeutungen, also um die Möglichkeit
ihrer Anpassung an eine sie als Ganze einheitlich erfüllende An-
schauung. Die reinen Gesetze der Giltigkeit der Bedeu-
tungen, der idealen Möglichkeit ihrer angemessenen Ver-
anschaulichung, laufen offenbar den reinen Gesetzen parallel,
welche die Verknüpfung und Umwandlung der eigentlichen
kategorialen Formen regeln.
In den reinen Gesetzen der Bedeutungsgeltung handelt es sich
wieder nicht um Gesetze, in welchen die Giltigkeit beliebig vor-
gegebener Bedeutungen abgelesen werden könnte, sondern um
die rein kategorial bestimmten Möglichkeiten der Bedeutungsver-
knüpfung und Bedeutungsvorwandlung, die in jedem beliebig vor-
Die aprior. Qesetxe des cigmtlicfien uttd tineigenUicften Denkens. 667
gegebeneu Falle vorgenommen werden dürfen salva veritate,
d. li. ohne die Mögliciikeit der Bedeutungserfüllung, wofern sie von
vornlierein überhaupt bostandeu Ijattc, irgend zu schiidigeu. Ist
z. B. die Aussage, g ist ein Theil von O, giltig, so ist auch eine
Aussage der Form, O ist ein Oanxcs von g, giltig. Ist es wahr,
dafs es ein a giebl, weldies ß ist, so ist es auch wahr, dafs ein
gewisses a ß ist, oder dafs rtivlil alle a nicht ß sind u. s. w. In
derartigen Sätzen ist das Stoffliche schrankenlos variabel, daher
wir alle stofflichen Bedeutungen durch indirect und völlig un-
bestiuimt bedeutende algebraisclie Zeichen ersetzen. Iliedurch
aber sind diese Sätze als auulytische charakterisirt. Bei dieser
Sachlage kommt es wiederum nicht darauf an, ob sich der Stoff in
Wahrnehmungen oder Einbildungen constituirt. Die Möglichkeiten
und Unmöglichkeiten betreffen die Herstellung der die Bedeutungs-
form angemessen veranschaulichenden Acte auf einer beliebigen
stofflichen Unterlage; kui'zum es handelt sich um die reinen Be-
dingungen der Möglichkeit vollständig angemessener
Signification überhaupt, die ihrerseits auf die reinen Be-
dingungen der Möglichkeit kategorialer Anschauung
überhaupt zurückweisen. Natürlich sind also diese Geltungs-
gcsetze von Bedeutungen nicht identisch und selbst die eigent-
lichen kategorialen Gesetze, aber sie folgen diesen, auf Grund der
Gesetzmäfsigkeit, welche die Zusammenhänge von Bedeutungs-
intontion und BodeutungserfüUung regelt, getreulidi nach.
Die ganze soeben durehgefülirte Betrachtung verlangt nach
einer naturgemäfsen und selbstverständlichen Erweiterung. Wir
haben die Sachlage dadurch vereinfacht, dafs wir nur die beiden
Extreme in die Erwägung zogen, wir stellten einander gegenüber:
die durchaus intuitiv, also wirklich vollzogenen kategorialen Act-
gebilde auf der einen Seite, und die rein signitiv, also eigentlich
gamicht vollzogenen und erst in Processen möglicher Erfüllung
zu roalisirenden Actgobilde auf der anderen Seite. Die gewöhn-
lichen Fälle sind aber Mi-schungen; das Denken verläuft in man-
chen Strecken intuitiv, in manchen signitiv, liier wird eine kate-
gorialc Synthesis, eine Prädioation, Goneralisation u. dgl. wirklich
vollzogen, ikirt heftet sich an die intuitiv oder nur verbal vor-
stelligen Glieder eine blofs signitive Intention auf solch eine kate-
goriale Synthesis. Die hiedureh erwachsenden complexeu Acte
haben, als Ganze genommen, den Charakter unoigeiitlicher kato-
gorialer Anschauungen; ihr gesanirates gegenständliches Correlat
wird nicht wirklii'li, sondern nur „uneigeiitlich" vorstellig gemacht;
ihre „Möglichkeit, bezw. die objective ihres Correlats, wird nicht
gewährleistet. Die Sphäre des „uneigentlichen Denkens" mufs dem-
nach so weit gefafst werden, dafs sie auch diese gemi.schten Act-
gebilde aufnehmen kann. Alles, was wir ausgeführt haben, gilt
dann uiutait'.t tnutandis unter Voraussetzung dieser Erweiterung.
Statt von Geltungsgesetzen blofser Bedeutungen, blofs symbolischer
Urtheile u. s. w. haben wir dann von Oeltungsgesetzen signitiv ge-
trübter Vorstellungen oder Urtheile zu sprechen. Wo man vom
blofsen symbolischen Denken spricht, hat mau diese Mischungen
zumeist auch im Auge.
§ 64. Die rein logischen Oeseise als Oeselxe jedes titid nicht blo/s
des menschlichen Vet'standes überhaupt. Ihre psychologisch/! Bedeutung
und ihre normative Function hinsichtlich des inadäquaten Denkens.
Selbstverständlich sind die einen wie die andern Gesetze
idealer Natur. Dafs sich ein sinnliches Material nur in gewisse
Formen fassen und nur nach gewissen Formen verknüpfen läfst, und
dafs die mögliche Verwandlung derselben reinen Gesetzen unter-
steht, in welchen das Stoffliche frei variabel ist; dafs somit auch
die ausdrückenden Bedeutungen nur gewisse Formen annehmen,
bezw. ihre Formen nur nach vorgeschriebenen Typen umwandeln
können, wenn sie ihre eigentliche Ausdrucksfäbigkeit nicht ein-
büfsen sollen: das alles liegt nicht an den empirischen Zufällig-
keiten des Bewufstseinsverlaufs, auch nicht au denjenigen unserer
intellectuellen und sei es auch allgemein- menschlicheu Organisation.
Es liegt vielmehr an der specifischen Natur der bezüglichen
Actarten,an ihren intentionalon und erkenntnismäfsigon Wesen, es
gehört statt zur Natur gerade unserer (individuellen oder allgemein-
Die aprior. Gesetze des eigenllwhen und wueigentlichen Denkens. 669
mensclilichen) Sinnliclikeit, bezw. z\ir Natur gerade unseres Ver-
standes, violmeln- ku den Ideen Sinulichkeit und Verstand
überhaupt. Ein Verstand mit anderen als den rein logischen
Gesetzen wäre ein Verstand ohne Veretand; definiren wir den Ver-
stand im Gegensatz zur Sinnlichkeit als das Vermögen der kate-
gorialen Acte, und dazu allenfalls als das Vermögen des sich nach
diesen Acten richtenden und dann also „richtigen" Ausdrückeus
oder Bedeutens: so gehören die in den Species dieser Acte grün-
denden generellen Gesetze zum definitorischea Wesen des Ver-
standes. Andere Wesen mögen in andere „Welten" hineinschauen,
sie mögen auch mit anderen „Vermögen" ausgestattet sein als wir:
sind sie überhaupt psychische Wesen, und besitzen sie über-
haupt intentionale Erlebnisse mit all den hier in Frage kommenden
Unterschieden zwischen Wahrnehmen und Einbilden, schlichtem
Anschauen und kategorialem Anschauen, zwischen Bedeuten und
Anschauen, zwischen angemessenem und unangemessenem Erken-
nen — so haben sie sowol Sinnlichkeit als auch Verstand und
„unterstehen" den zugehörigen Gesetzen.
Natürlich gehören also dio Gesetze des eigentlichen Denkens
auch mit zum Bestände des menschlichen Bewulstseins, zur allge-
meiu-nienschlichen „psychischen Organisation". Andererseits sind
sie für diese Organisation hinsichtlich ihrer Eigenthümlichkeit
nicht charakteristisch. Die Gesetze gründen, sagten wir, in dem
rein Specifischen gewisser Acte; darin liegt: sie betreffen die Acte
nicht blofe insofern, als diese sieh gerade in einer menschlichen
Organisation zusammenfinden; sie gehören vielmehr zu allen mög-
lichen Organisationen überhaupt, welche aus so gearteten Acten
zu erbauen sind. Die differenziirenden Eigenthümlichkeiten dos
jeweiligen Typus einer psychischen Organisation, das was z. B. das
menschliche BewiiTstsein als solches, in der Weise einer natur-
historischen Art, abgrenzt, wird durch reine Gesetze, wie es die
Denkgesetze sind, garnicht berührt.
Die Beziehung auf „unsere" psychische Organisation oder
auf das „Bewufstsein überhaupt" (verstanden als das allge-
mein Menschliche des Bewufstaoins), defiiiirt nicht das reine
G70 17. EkinetUe eine»- phänomenobg. Aufklärung ilcr KrkenulMt*.
Qcd echte, sondern ein grßblicli verfälschtes Apriori. Der Be-
griff der allgemeinen psycliischen Organisation hat doch, wie der-
jenige der physischen Organisation, eine blofs „empirische" Be-
deutung, die Bedeutung eines blofsen matter of fad. Die reinen
Gesetze aber sind rein eben vom mntier of fact, sie besagen
nicht, was in dieser oder jener Provinz des Realen allgemeiner
Brauch ist, sondern was schleohtliiii allem Brauch und allen Ab-
grenzungen nach Realitätssphären entzogen ist, und es darum ist,
weil es zur ossenziellen Ausstattung des Seienden gehört. Und
so betriflt das echte logische Apriori all das, was zum idealen
Wesen dos Vorstandes überhaupt gehört, zu den Essenzen seiner
Actarten und Actformen, zu dem also, was nicht aufgehoben
werden kann, so lange der Vei"stand, bezw. die ihn definireuden
Acte sind, was sie sind; so und so geartet, ihr begrift'liches
Wesen identisch erhaltend.
Inwiefern demnach die logischen Gesetze und in erster Linie
die Idealgesetze des „eigentlichen" Denkens auch eine psycho-
logische Bedeutung beanspruchen, und inwiefern auch sie deu
Lauf des factischen psychischen Geschehens regeln, ist ohne
Weiteres klar. Jedes echte und reine Gesetz, das eine in der
Natur gewisser Species gründende Vereinbarkeit oder Unvereinbar-
keit ausdrückt, schränkt, wenn es sich auf Species psychisch
realisirbarer Inhalte bezieht, die empirischen Möglichkeiten der
psychologischen (phänomenologischen) Coexistenz und Succession
ein. Was in apecie als unverträglich eingoselien ist, kann im
empirischen Einzelfalle nicht vereint, also verträglich sein. Sofern
das empirisch logisclio Denken sich zu unvergleichlich gröfstem
Theile inadäquat und signitiv vollzieht, denken, vermeinen wir
nun Vieles, was in Wahrheit, d. h. in der Weise des eigentlichen
Denkens, des wirklichen Vollzuges der bloCs vermeinten Synthesen,
gai-nicht zu vereinen ist. Und eben darum werden die Gesetze
des eigentlichen Denkens und des eigentlichen Aus-
drückens zu Normen des blofs vermeinenden und un-
eigentlichon Denkens, bezw. Ausdrückens. Oder etwas
anders gewendet: auf die „eigentlichen" Denkgesetzo gründen sich
DU aprior. Gfsetxe des eigentlichm utid uneigentiiehen Denketts. 671
neue, eventuell als praktische Normen zu formulirende Gesetze,
welche der Sphäre des signitiven oder signitiv getrübten Vor-
stollens zugeeignet, die idealen Bedingungen einer möglichen Wahr-
heit überhaupt (= Richtigkeit überhaupt) aussprechen, nämlich
die idealen Bedingungen „logischer" (weil auf mögliche Ädäquation
bezogener) Verträglichkeit innerhalb dieser Sphäre des signitiv
getrübten Veniieinens. Psyeliologisch bewerthen sich die Üe-
setze „uneigeutlicben" Denkens wieder nicht als Naturgesetze des
Werdens und Wechselus solchen Denkens, sondern als rein ideal
l'undirte Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Adä(juntion von
Sil und so gefonnfen Afton uneigontlichen Denkens an ontspre-
chondo Acte eigentlichen Denkens.
§ 65. Das tmdersinnige Problem der realen Bedeutung
des Logischen.
Wir verstehen nun auch vollkommen, warum der Gedanke,
es könnte der Weltlauf die logischen Gesetze — jene analytischen
Gesetze des eigentlichen Denkens, bezw. die darauf gebauten Nor-
men uneigentliclien Denkens — je verleugnen, oder es müfste und
könnte die Erfahrung, dur matter of fad der Sinnliciikeit diese
Gesetze allererst begründen und ihnen die Grenzen ihrer Giltig-
keit vorschreiben, nichts als Widersinn ist. Wir sehen davon ab,
dals auch die Wahrscheinlichkeitsbegrüudung auf Thatsachen hin
eben Begründung ist, die als solche unter Idealge.setzen steht, Ge-
setzen, die (wie wir voraussehen) in den „eigentlichen" Wahr-
scheinlichkeitserlebnissen nach ihrem specitischen Bestände und
als genereUe Gesetze fundirt sind. Hier gilt es vielmehr, darauf
hinzuweisen, dals das sozusagen Thatsächliche der Thatsache zur
Sinnlichkeit gehört, und dals der Gedanke, durch Hilfe der Sinn-
lichkeit rein kategoriole Gesetze zu begründen — Gesetze, die von
aller Sinnlichkeit, also Thatsächlichkeit eigens abstrahiren und
blofs über Vereinbarkeit, bezw. Unvereinbarkeit der kategorialen
B'ormen generelle und evidente Aussagen macheu — die klai'ste
fierdßaaii elg uUlo yivog darstellt. Gesetze, die keine Thatsache
meinen, können durch keine Tiiatsache bestätigt oder widerlegt
werden. Das von grofsen Philosophen so ernsthaft und tiefsinnig
behandelte Problem der „realen oder formalen Bedeutung
des Logischen" ist also ein widersinniges Problem. Es be-
darf keiner metaphysischen und sonstigen Theorien, um
die ZusammenstJnimung des Laufes der Natur und der
dem „Verstände" „eingeborenen" Gesetzraäfsigkeit zu
erklären; statt der iTz-klürung bedarf es der blofsen phäno-
menologischen AufkUirang dos Bedeuteus, Denkens, Erken-
nens und der darin entspringenden Ideen und Gesetze^
Die Welt an sich ist eine sinnliche Einheit; denn Sein iui
individuellen Sinne ist gleichwerthig mit sinnlich Wahrnehmbar-
sein. Die Welt an sich ist uns aber nicht in schlichter Wahr-
nehmung gegeben; uns ist die Welt nur eine, ganz inadäquat,
partiell diu'cli schlichte und kategoriale Intuition, partioll durch
Siguification vermeinte Einheit des theoretischen Forschens. Je
mehr unser Wissen fortschreitet, umso besser und reicher bestimmt
sich die Idee der Welt, urasomehr scheiden sich auch Unver-
träglichkeiten aus ihr aus. Zweifeln, ob die Welt wirklich so ist,
wie sie uns ei"scheint, oder als welche sie in theoretischer Wissen-
schaft vermeint ist und in ihr begründeter Ueberzeugung gilt,
hat seinen guten Sinn; denn adäquat gestalten kann die inductivc
Wissenschaft die Weltvorstellung nie, wie weit sie uns auch bringen
mag. Widersinnig ist es aber zu zweifeln, ob nicht der wirkliche
Weltlauf, der reale Zusammenhang der Welt an sich, mit den
Formen des Denkens streiten könnte. Denn darin läge, dafs eine
bestimmte, significativ und hypothetisch supponirte Sinnlichkeit,
nämlich diejenige, welche uns die Welt an sich zur adäquaten
Selbstdarstellung bringen würde, zwar fähig wäre, die kategorialen
Formen anzunehmen, aber diesen Formen Vereinigungen auf-
nöthigen würde, die durch das allgemeine Wesen dei-selbon Formen
generell ausgeschlossen sind. Dafs sie es aber sind, und dais die
Gesetze der Kategorien als reine Gesetze gelten, die von allem
Stoff der Sinnlichkeit abstrahiren, also durch schrankenlose Va-
riation desselben garuicht betroffen werden können, das meinen
wir nicht blofs, das sehen wir ein, das ist uns in vollster Ad-
I
äquation gegeben. Die Einsicht vollzieht sich subjectiv natürlich
auf dem Grunde irgendoiuor zufälligen empirischen Anschauung;
aber sio ist generelle und rein auf die Form bezogene Ein-
sicht; das Abstractionsfundanieut birgt hier wie sonst keine Vor-
aussetzung für die ideale MöglicLkeit und Geltung der abstraliir-
ten Idee.
Wir könnten zum Ueberflufs noch darauf hinweisen, welche
Absurdität darin liegt, wenn man die Möglichkeit eines wider-
logibchen Weltlaufs im signitiven Denken ansetzt und damit den
Anspruch erhebt, dafs diese Möglichkeit statthaft sei, und wenn
man, sozusagen iu einem Athem, die Gesetze aufhebt, welche
dieser wie jeder Möglichkeit überhaupt Geltung verleihen. Wir
könnten femer darauf hinweisen, dafs doch vom Sinne des Seins
überhaupt die Corretation zum Wahrgenommen-, Angeschaut-,
Bedeutet-, Erkannt- werden- können unabtrennbar ist, und dafs
somit die Idealgesetze, die zu diesen Möglichkeiten in speeie ge-
hören, nimmermehr aufzuheben sind durch den zufiilligen Inhalt
des jeweilig Seienden selbst. Doch genug der Argumentationen,
die scbliefslich nur Wendungen einer und derselben Sachlage sind,
und die uns schon in den Prolegomena geleitet haben.
§ 66. So7iderting der mchlit/sten , in der lerniinoloffischen Oegenüber-
stellung von Anschauen und Denken sich mengenden Unterschiede.
Durch die vorstehenden Untersuchungen dürfte dem Allge-
meinen nach das so viel benutzte und so wenig geklärte Verhält-
nis zwischen Denken und Anschauen zu befriedigender Klarheit
gebracht sein. Wir stellen hier folgende Gegensätze zusammen,
deren Vermengung die erkenntnistheoretische Forschung in beson-
derem Mafso verwirrt hat, und deren Sonderung uns vollkommen
deutlich geworden ist:
1. Der Gegensatz zwischen Intuition und Signification.
Die Anschauung als Perccption oder Imagination (gleichgiltig
üb sio kategorial oder sensual, ob sie adäquat oder inadäquat ist)
wird in Gegensatz gebracht zum blofsen Denken, als dem
blofaen significativen Meinen. Die in Parenthese gestellten
aaiitri, Log. UoMn. II. 43
674 VI. Elemente einer phänomenolog. Aufklärung der EJrkermtnit.
Unterschiede werden allerdings im Gewöhnlichen ttberaehen; wir
legen auf sie das gröfste Gewicht und führen sie nun besonders auf:
2. Der Gegensatz zwischen sensualer und kategorialer
Intuition. Wir stellen also gegenüber: das sinnliche An-
schauen, das Anschauen in dem gemeinen, schlichten Sinne,
und das kategoriale Anschauen, das Anschauen im erweiterten
Sinne. Die fundirten Acte, die dasselbe charakterisiren, gelten
jetzt als das die sinnliche Anschauung intelleotuirende „Denken".
3. Der Gegensatz zwischen inadäquater und adäquater
Anschauung, oder allgemeiner, zwischen adäquater und inad-
äquater YorstelluDg, indem wir nämlich intuitives und signi-
ficatires Yorstellen zusammennehmen. In der inadäquaten Yor-
stellung denken wir uns blols, es sei so (es scheint so), in der
adäquaten erschauen wir die Sachlage selbst und schauen sie
eigentlich erst an.
4. Der Gegensatz zwischen individuellem Anschauen
(gewöhnlich und in sichtlich unbegründeter Enge als sinnliches
Anschauen gefaTst) und allgemeinem Anschauen. Nach Mafs-
gabe dieses Gegensatzes bestimmt sich ein neuer Begriff von An-
schauung; sie wird gegenübergesetzt der Generalisation, und dann
gleich weiter den kategorialen Acten, welche Generalisationen im-
pliciren, und in unklarer Yermengung damit auch den significa-
tivcn Gegenstücken eben dieser Acte. Das „Anschauen", so heifst
CS jetzt, giebt blofse Einzelheit, das „Denken", geht auf das
Allgemeine, es vollzieht sich durch „Begriffe". Man spricht
hier gewöhnlich von dem Gegensatz zwischen „Anschauung und
Begriff". —
Wie grofs die Neigung ist, diese Gegensätze ineinanderfliefsen
zu lassen, würde eine Kritik der Erkenntnistheorie Kants darthnn,
deren ganzes Gepräge durch den Mangel jeder festen Sonderung
dieser Gegensätze bestimmt ist. Kant entdeckt die kategorialen
Functionen; aber er gelangt nicht zu der fundamentalen Erwei-
terung der Begriffe Wahrnehmung und Anschauung über das
kategoriale Gebiet; und zwar deshalb nicht, weil er den grofsen
Unterschied zwischen Intuition und Signification, in ihrer mög-
Die aprior. Gesetze des eigentlichen und uneigentlicfien Denkens. 675
liehen Sonderang und gewöhnlichen Yerschmelznng, nicht würdigt,
und daher die Analyse des Unterschiedes zwischen inadäquater
und adäquater Anpassung des Bedeutens au das Anschauen nicht
Tollführt Er unterscheidet daher auch nicht zwischen Begriffen
als allgemeinen Wortbedeutungen, und Begriffen als Species des
eigentlichen allgemeinen Yorstellens, und wieder Begriffen als
allgemeinen Gegenständen, nämlich als den intentionalen Corre-
laten der allgemeinen Yorstellungen. Kant geräth von vornherein
in das Fahrwasser der metaphysischen Erkenntnistheorie dadurch,
dals er auf die kritische „Bettung" der Mathematik, Naturwissen-
schaft und Metaphysik ausgeht, ehe er die Erkenntnis als solche,
die Gesammtsphäre der Acte, in denen sich das logische Denken
vollzieht, einer aufklärenden Analyse und Kritik unterworfen, und
die primitiven logischen Begriffe und Gesetze auf ihren phänomeno-
logischen Ursprung zurückgeführt hat Es war verhängnisvoll, dais
Kaot (dem wir uns trotz alledem sehr nah fühlen) das rein logische
Gebiet im engsten Sinne mit der Bemerkung für abgethan hielt,
dafs es unter dem Princip vom Widerspruch stehe, und dafs er
nie bemerkt hat, wie wenig die logischen Sätze überall den
Charakter analytischer Sätze in dem Sinne besitzen, den er selbst
definitorisch festgesetzt hatte, und wie wenig mit dem Hinweis
auf ein Princip, sei es auch das allertrivialste, für eine Aufklärung
des analytischen Denkens geleistet sei.
43«
Dritter Abschnitt
Aufklärung des einleitenden Pi'oblenis.
Neuntes Kapitel.
Nichtobjectivirende Acte als scheinbare Bedeatungserfüllungen.
§ 67. Dass nicht jedes Bedeuten ein Erkennen tinsMiefst.
Nachdem wir im Zusammenhang mit viel allgemeineren Pro-
blemen das Verhältnis zwischen Bedeutung und correspondirender
Anschauung, und damit zugleich das Wesen des eigentlichen und
un eigentlichen Ausdrückeiis hinreichend erforscht haben, gelangen
die schwierigen Fragen zu völliger Klärung, vTelche uns am Ein-
gänge dieser Untersucbung beunruhigt, und welche für sie die erste
Anregung geboten haben.
Wir werden vor Allem der Versuchung nicht mehr unterliegen
können, die ein oben' schon berührter und sich in wichtigen
erkenntnistbeoretischen Zusammenhängen immer wieder aufdrän-
gender Gedankengang in sich birgt, nämlicli dals das Bedeuten
der Ausdrücke in gewisser Weise als ein Erkennen, und sogar
als ein Klassificiren angesehen werden müsse. Mau sagt: Ein
Ausdruck mufs doch irgendeinem Act des Sprechenden Ausdruck
geben; damit dieser Act aber die passende ßedeforni finde, mufs
er in einer zugehörigen Weise appercipirt, erkannt sein, des
Näheren, die Vorstellung als Vorstellung, die Attribution als
Attribution, die Negation als Negation u. s. w.
Wir antworten: Die Rede von der Erkeimtnis bezieht sich
auf ein Verhältnis zwischen Denkact und erfüllender Anschauung.
Denkacte kommen aber in Aussagen und Aussagetheilen, z. B. in
Namen, nicht dadurch zum Ausdruck, dafs sie wiederum gedacht
und erkannt werden. Sonst wären diese neuen Denkacte die
Bedeutungsti'äger, zunächst wären sie ausgedrückt, bedüiften also
' VgJ. §1, S. 480.
wieder neuer Denkacte und so in infinitum. Nenne ich diesen
anschaulichen Gegenstand ühi\, so vollziehe ich im Nennen einen
Denk- und Erkenntnisact, aber ich erkenne die Uhr, und nicht
das Erkennen. So verhält es sich natürlich bei allen bedeutung-
verleihenden Acten. Sage ich im Zusammenhang der ausdrücken-
den Rede orfer, so vollziehe ich eine Disjunetion, aber das Denken
(dessen Thoil das Disjungiren ist) bezieht sich nicht auf das Dis-
jungiren, sondern auf das Disjunctivum; so wie es zu der Einheit
des Sachverhalts gehört. Dieses Disjunctivum wird erkannt und
gegenständlich bezeichnet. Domgemäfs ist das Wörtchen oder kein
Name und auch keine unselbständige Bezeichnung für das Disjun-
giren, es giebt diesen Act nur kund. Natürlich gilt dies auch
von ganzen Urtheilen. Sage ich aus, so denke ich an die
Sachen; dafs sich die Sachen so und so verhalten, das drückeich
aus, und eventueU erkenne ich es auch, Nicht aber denke und
erkenne ich das Urtheilen, als ob ich es ebenfalls zum Qegon-
stando macheu, und nun gar als ürtheil klassificiren und durch
die Ausdrucksform nennen würde.
Aber weist nicht die grammatische Anpassung des Ausdrucks
an den auszudrückenden Act auf einen Act des Erkennons hin,
in dem sich diese Anpassung vollzieht? In gewisser Weise sicher-
lich, bezw. in gewissen Fällen, nämlich überall da, wo derjenige
Sinn der Rede vom Ausdrücken Anwendung findet, der uns zu
Beginn der vorliegenden Untersuchung beschäftigt hat. Nicht
aber wo es sich mit (lern Ausdrücken um das blofse Kundgeben
handelt, wonach also jederlei bedeutunggebenden Acte als durch
die Worte — die Wortlaute — ausgedrückt gelten; und abermals
nicht, wo Ausdrücken soviel wie Bedeuten sagt und das Aus-
gedrückte die identische Bedeutung ist Im letzteren doppelten
Sinne drückt jede, ob blofs signiticative oder intuitiv erfüllte
Aussage etwas aus, nämlich das ürtheil (die Ueberzeugung) oder
den „Urthoilstnhalt" (die identische Satzbedeutung). In dem zu-
erst angezeigten Sinne drückt aber nur die iutuitiv erfüllte
oder zu erfüllende Aussage etwas aus, wobei nicht der Wortlaut,
sondern die schon sinnbelebte Rede den „Ausdruck" darstellt für
die entsprechende Intuition. Die bedeutungverleihende Function
übt in erster Linie und in jedem Falle die einheitliche Compleiion
der an den Worten hängenden signitiven Intentionen. Diese
machen das blofse signitive Urtheilen aus, wo es ihnen an jeder
erfüllenden Anschauung gebricht; die Synthesis der Ueberein-
stimmung oder Nichtübereinstimmung, welche die signitive Ge-
sammtintendon „ausdrückt" (bezw. auszudrücken prätendirti,
wird hier nicht „eigentlich" vollzogen, sondern eben nur signitiv
gemeint Kommt es andernfalls zu diesem eigentlichen Vollzuge
der angezeigten Synthesis, dann deckt sich die „eigentliche" mit
der „uneigentlichen" Synthesis (der Synthesis in der Bedeutung):
Beide sind Eins im identischen intenüonalen Wesen, welches die
eine und selbe Bedeutung darstellt, das eine und selbe Urtheil,
ob nun blofs sigiiitiv oder intuitiv geurtheilt wird. Offenbar gilt
das Analogo für die Fälle, wo niu: einzelne der Wortintenüonen
mit intuitiver Fülle versehen sind. Die signitiven Acte befassen
dieselbe Meinung, wie die intuitiven, ohne deren Fülle; sie „drücken"
sie blofs „aus", und das Gleichnis pafst umso besser, als sie uns
auch nach Wegfall der intuitiven Acte den Sinn der Intuition aufbe-
wahren, als leere Hülle ohne den intuitiven Kern. DioDeckungseiu-
heit ist nun zwar, im Falle intuitiven Urtheilens, wirklich Erkenntnis-
einheit (wenn auch nicht Einheit des beziehenden Erkennens),
aber wir wissen, dafs in der Erkenntniseinheit überhaupt nicht
der erfüllende Act, hier also die „eigentiiche" Urthoilsynthesis,
das Erkannte ist, sondern ihr objecüves Correlat, der Sachverhalt.
In der Anschauung der Sachen vollziehen wir eine urtheilende
Synthesis, ein intuitives so ist es oder so ist es nicht; dadurch,
dafs sich diesem Acte der Sachverhaltsanschauung die ausdrückende
Intention mit den associirten Wortlauton (also der grammatische
Ausdruck) anmifst, vollzieht sich das Erkennen des angeschauten
Sacliverhalts.
§ 68. Der Streit um die Interpretation der eigenartigen grammatisdien
Formen xwn Ausdruck nicfUobjectivirender Acte.
Wir wenden uns jetzt zur letzten Erwägung der unschein-
baren, aber näher besehen, ebenso wichtigen wie schwierigen
Streitfrage', ob die bekannten grammatischen Formen, welche die
Sprache für Wünsche, Fragen, Willensmeinungen geprägt hat —
allgemein zu reden, für Acte, die nicht zur Klasse der objectivi-
renden gehören — als Urtheile über diese Acte anzusehen sind,
oder ob auch diese selbst und nicht blofs objectivirende Acte als
„ausgedrückte" d. i. als siongebende, bezw. sinnerfüllende fungiren
können. Es handelt sich also um Sätze, wie ist Ji eine traus-
scendente Zahl? Möge der Himmel uns beistehen.' u. dgl.
Die Verfänglicbkeit der Frage zeigt sich darin, dafs die be-
deutendsten Logiker seit AnisTOTELiis in ihrer Entscheidung nicht
einig werden konnten. Bekanntlich hat schon Aeistuteles gegen
die Gleichstellung solcher Sätze mit den Aussagen Einspruch er-
hoben. Aussagen sind Ausdrücke dafür, dals etwas ist oder nicht
ist, sie behaupten, sie urtheilen über etwas. Nur bei ihnen ist
von Wahr und Falsch die Rede. Ein Wunsch, eine Frage behauptet
nichts. Dem Sprechenden kann hier nicht eingewendet werden: was
du sagst, ist falscli. Er würde die Einrede garnicht verstehen.
BoLZANO wollte diese Argumentation nicht gelten lassen. Er
sagte: „Eine Frage, z. B. in welchem Verhältnisse steht der Durch-
messer eines Kreises xu seinem Umfange? sagt freilich über das,
worüber sie fragt, nichts aus; darum sagt sie aber gleichwo!
noch etwas aus: unser Verlangen nämlich, über den Gegenstand,
nach dem wir fragen, eine Belehrung zu erhalten. Sie kann eben
beides, wahr und falsch sein. Das Letztere ist sie, wenn jenes
Verlangen durch sie unrichtig angegeben wird.'
Es regt sich aber der Zweifel, ob BoLZiso hier nicht Zweierlei
durcheinander mengt, nämlich die Angemessenheit, bezw. Unange-
' Vgl oben § 1 ff.
' BoLz&Ko, Wissensctiaftslehra I, § 22, S. 88.
messenheit des Ausdrucks — d. h. hier des Wortlauts — an den Ge-
danken, und die Wahrheit, bezw. Falschheit, welche den Inhalt des
Gedankens und seine Angemessenheit an die Sache betrifft Von der
ünangeniessenlieit eines Ausdrucks (als Wortlautes) an den Gedanken
kann in doppeltem Sinne gesprochen werden; entweder im Sinn
der unpassenden Rede — der Redende wählt zum Ausdruck
des ihn erfüllenden Gedankens Worte, deren sprachübliche Bedeu-
tung mit diesem streitet — oder im Sinne der unwahrhaftigen
d. i. absichtlich täuschenden, lügenhaften Rede — der Redende
will garniclit die Gedanken ausdrücken, die ihn actuell erfüllen,
sondern gewisse andere, mit diesen streitende und von ihm nur
vorgestellte Gedanken; und zwar will er sie in der Weise aus-
drücken, als ob sie ihn erfüllten. Die Rede von der Wahrheit
hat mit dergleichen nichts zu thun. Ein passender und wahrhaftiger
Ausdruck kann noch beidos, Wahrheit uud Falschheit aussagen, je-
nachdom er nämlich durch seinen Sinn ausdrückt, was ist, bezw.
nicht ist; oder was dasselbe besagt, jenachdem sem Sinn durch
mögliche adäquate Wahrnehmung adäquat zu erfüllen oder zu ent-
täuschen ist
Man könnte Bolz.\>.'o nun entgegenhalten: Von Wahrhaftig-
keit oder ünwabrhaftigkeit, und überhaupt von Angemessenheit
und ünangemessenheit kann bei jedem Ausdruck gleichmäfsig
die Rode sein. Von Wahrheit und Unwahrheit aber nur bei Aus-
sagen. Dem Aussagenden kann mau also Mehrfaches einwenden:
Was du sagst, ist unwahr. — Dies ist die sachliche Einrede.
Und: Du sprichst nicht wahrhaftig; oder auch: Du drückst dich
unpassend aus. — Das ist der Einwurf der unwahrhaftigon
und der inadäquaten Rede. Dem Fragenden kann mau nur
Einwände der letzteren Art machen. Er veretelit sich vielleicht
oder gebraucht seine Worte unrichtig und sagt Anderes, als er
wirklich sagen will. Aber man wird ihm nicht die sachliche Ein-
rede machen, da er eben keine Sache vortritt Wollte man die
auf ünangemessenheit des Ausdruckes bezügliche Einrede als Be-
weis dafür gelten lassen, dafs der Fragesatz ein Urtheil aussagOj
nämlich das Urtheil, welches sich vollständig in der Form au
drücken würde, idt frage ob . . ., so niüfste man consequenter
Weise mit jedem Ausdruck überhaupt imgleiohen verfahren, also
auch bei jeder beliebigen Aussage als ihren eigentlichen Sinn den
unterlegen, welcher in der Redeforra, ich sage aus, dafs . . ., seinen
angemessenen Ausdruck fände. Dasselbe müfete aber für die um-
gewandelten Reden gelten, und so kämen wir auf unendliche
Regresse; dabei ist leicht einzusehen, dafs der Schwall immer
neuer Aussagen kein blofsor Wortschwall ist, vielmehr modificirte
Aussagen liefert, die mit den ursprünglichen nicht äquivalent, ge-
schweige denn bedeutuogsidentisch sind. — Zwingt uns die wider-
sinnige Consequenz also nicht, zwischen den einen und anderen
Satzformen einen wesentlichen unterschied anzuerkennen?'
Hier kann man aber noch eine doppelte Stellung einnehmen.
Entweder man sagt: Die Frage nach der Wahrhaftigkeit trifft jede
Rede; also gehört zu jeder Rede als solcher ein Urthcil, nämlich
das auf das kundzugebende Erlebnis des Sprechenden bezügliche.
Wer spricht, giebt etwas kund, und dem entspricht das kund-
gebende Urtheil. Aber was kundgegeben oder ausgedrückt wird,
ist ein Verschiedenes; im Fragesatz die Frage, im Befehlsatz der
Befehl, im Aussagesatz das Urtheil. Jeder Aussagesatz impücirt
danach ein doppeltes Urtheil, nämlich ein Urtheil über diesen
oder jenen Sachverhalt, und ein zweites Urtheil, welches der
Redende als solcher über dieses Urtheil als sein Erlebnis fällt.
Dies seheint Siowabts Position zu sein. Wir lesen': „Der Impe-
rativ schliefst allerdings auch eine Behauptung ein, nämlich die, dafs
der Redende die von ihm geforderte Handlung jetzt eben will, der Op-
tativ, dafs er das Ausgesprochene wünscht. Diese Behauptung liegt
aber in der Thatsache des Rodens, nicht in dem Inhalt des
Ausgesprochenen; ebenso enthält ja auch jeder Aussagesatz von der
Form A ist B blofs dm-ch die Thatsache des Redens die Behauptung,
dafs der Redende das denkt und glaubt, was er sagt. Diese Be-
' Wie dieser Untorschiod in AVahrboit zu fas.soa ist,
der nächste Paragraph (vgl. deu SchluTsabsatz) belehren.
' SiewiBT, Logik, 1», 17 f., Anm.
darSber wird ans
683 VI. Elemente einer phänamenolog. Aufklärung der Erkenntnis.
hauptungen über den subjectiven Zustand des Redenden,
welche in der Thatsache seines Bedens liegen und unter Vor*
aussetzung seiner Wahrhaftigkeit giltig sind, begleiten in gleicher
Weise alles Beden und können also keinen unterschied der ver-
schiedenen Sätze begründen."
Eine andere Auffassung wäre aber die, daJB man das kund-
gebende Urtheil und somit die ürtheilsrerdopplung im Falle des
Aussagesatzes als eine zufallige, nur ausnahmsweise hereinspielende
und im üebrigen erst durch die descriptire Reflexion hinein-
getragene Complication verwirft, und demgegenüber lehrt: In jedem
Falle angemessener und nicht gelegenheitlich verkürzter Bede sei
das Ausgedrückte wesentlich Eines, und zwar im Fragesatz die
Frage, im Wunschsatz der Wunsch, im Aussagesatz das ürtheil.
Diese Stellung hielt ich selbst vor der Durchführung dieser Unter-
suchungen für unvermeidlich, so schwer sie mit anderen phäno-
menologischen Thatsachen vereinbar erschien. Durch folgende
Argumentationen, die ich nun mit passender Kritik begleite, hielt
ich mich für gebunden.
§ 69. Argumente für und wider die Aristotelische Auffassung.
1. Nach der von Aristoteles sich abwendenden Lehre soll
z. B., wer eine Frage äulsert, dem Andern seinen Wunsch, in Be-
treff des fraglichen Sachverhaltes belehrt zu werden, mittheilen.
Diese auf das actuelle Erlebnis des Bedenden bezügliche Mittheilung,
ist, sagt man, wie jede Mittheilung ein Aussage. Nun ist in der
Frageform selbst allerdings nicht ausdrücklich gesagt: ich frage,
ob ...; sie kennzeichnet nur die Frage als Frage. Die Bede ist
eben eine gelegenheitlich verkürzte. Die Umstände der Aeulserung
machen es ja ohne Weiteres verständlich, dafs der Bedende selbst
es ist, der da fragt Also liegt die volle Bedeutung des Satzes
nicht in dem, was er selbst nach seinem Wortlaute bedeutet,
sondern sie ist durch die Gelegenheit, nämlich durch die Beziehung
zur augenblicklich redenden Person bestimmt
Zu Gunsten der Aristotelischen Auffassung lielse sich nun
Mehrfaches erwidern.
o) Das Argument würde doch nicht minder auf Aussagesätze
passen; also mülsten wir den Ausdruck 5 ist P als gelegenheit-
liche Verkürzung für den neuen Ausdruck, ich urlheile, dafs SP
ist^ interpretiren, und so in infmitum.
ß) Das Argument stützt sich darauf, dafe der ausdrückliche
Sinn des Fragosatzea ein anderer ist als der wirkliche. Es kann
ja auch nicht geleugnet werden, dafs sich im Frage- und Wunsch-
satz selbst die Beziehung des Wunsches zum Wünschenden nicht
uothwendig ausprägt, so wenig, wie im Aussagesatz die Beziehung
des üithoils zum Urtheiienden. Liegt aber diese Beziehung nicht
im ausdrücklichen Sinn des Satzes, sondern nur im gelegenheitlich
wechselnden, so ist schon so viel zugestanden, als man wünschen
könnte. Unter Umständen kann sich die ausdrückliche Bedeutung
modificiren, aber es wird doch auch Umstände geben, unter denen
die ausdrückliche Bedeutung genau die intendirte ist. Dann ist
eben die blofse frage (und ebenso die blofso Bitte, der blofso
Befehl u. s. w.) in voltständig angemessener Weise ausgedrückt
y) Für die Aristotelische Auffassung spricht der genauer durch-
geführte Vergleich mit den normalen Aussagesätzen. In communi-
cativer Rede giebt ein solcher Satz ein ürthoilen kund, und die
grammatische Form des Aussagesatzes ist es, welche das Urtheii
als solches zur Ausprägung bringt Daher ist mit der Aeufserung
einer Rede von solcher grammatischen Form ohne Weiteres die
Wirkiuig verknüpft, dafs der Angeredete den Redenden als Ur-
theilendeo auffafst Aber diese Wirkung kann nicht die Bedeu-
tung des Ausdruckes constituiren, da er doch in der einsamen
Rede dasselbe bedeutet, wie in der communicativen. Die Be-
deutung liegt vielmehr im ürtheilsact als der identische ürtheils-
inhalt
Dasselbe wird nun von den Fragesätzen gelten können. Die
Bedeutung des Fragesatzes bleibt dieselbe, ob es sich um eine
innerliche Frage oder um eine Anfrage handelt. Die Beziehung
zum Redenden und Angeredeten gehört hier, wie im Vergleichs-
fall, zur blofs communicativen Function. Und wie dort der
„ürtheilsinhalt", also ein gewisser specifischer Charakter des in-
684 VJ. Elemente einer pfiäno
»flUärung der Erkenniftis.
haltlich so und so bestimmten Urtheils, so macht hier der Frage-
inlialt die Bedeutung des Fragesatzes aus. In beiden Fällen kann
die normale Bedeutung gelegenheitliche Modification erfahren. Wir
können einen Aussagesatz aussprechen, während es nicht unsere
primäre Intention ist, den bezüglichen Sachverhalt, sondern die
Tliatsacho, dafs wir diese Ueberzeugung haben und zu vertreten
gedenken, zur Mittheilung zu bringen. Diese Intention mag.
vielleicht durch heterogrammatische Mittel (Betonung, Geste) unter-
stützt, verstanden werden. Hier liegt ein auf das ausdrückliche
Urtheil bezogenes Urtheil zu Grunde. Ebenso kann die primäre
Intention im Falle eines Frage- oder Wunschsatzes statt im blofsen
Wunsch, vielmehr in der Thatsache, dafs wir den Wunsch dem
Hörenden zum Ausdruck bringen wollen, liegen. Natürlich wird
diese Interpretation nicht überall zutreffen können. Sie kann
nicht zutreffen in Füllen, wo z. B. ein heifser Wunsch sich spontan
dem Herzen entringt. Der Ausdruck ist dann mit dem Wunsch
innig Eins, er schmiegt sich ihm schlicht und unmittelbar an.
Kritik. — Sehen wir näher zu, so ist durch diese Argumen-
tationen nur erwiesen, dafs nicht zum Sinn jedes Satzes ein Ge-
danke gehören kann, der auf das communicative Verhältnis
Beziehung hat. Das Gegenargument, das sich auf der falschen
Annahme aufbaut, jeder Ausdruck sei eine Mittheilung, und jede
Mittheilung sei ein Urtheil über die inneren (kundgegebenen) Erleb-
nisse des Sprechenden, ist widerlegt. Nicht aber seine These —
zum Mindesten nicht bei passender Modification. Die Möglichkeit
ist nicht ausgeschlossen, dafs die strittigen Sätze, die Wunsch-,
Bitt-, Befehlsätze u. s. w. darum doch ürtlieilo über die be-
ti'effenden Erlebnisse, die Acte des Wünschens, Bittens, WoUons
sind und nur dadurch, dafs sie es sind, diesen Erlebnissen ange-
messenen Ausdruck zu geben vermögen Findet sich kein Kaum
für Urtheile im engeren Sinne von Prädicationen (wofür Aristotfxes
die sti'ittigen Sätze allerdings ansah), so vielleicht für Urtheile im
weiteren Sinn von setzenden Objectivationen überhaupt
Zu Punkt a) merken wir noch an, dafs die Sachlage für Aus-
sagen und z. B. Fragen denn doch nicht dieselbe ist. Bei der
Umwandlung des Satzes 5 ist P in den Satz ich urtheile, dafs
SP ist, oder in irgendeineu verwandten Satz, der die Bezieliung
auf einen IJrtheilenden nocli so unbestimmt ausdrückt, erhalten
wir nicht blofs geänderte Bedeutungen, sondern solche, die den
ursprünglichen nicht einmal äquivalent sind; denn der schlichte
Satz kann wahr, der subjectivirte falsch sein, und umgekehrt.
Ganz anders im Vergleichsfalle. Mag man in ilun von Wahr und
Falsch zu reden ablehnen: man wird doch immer eine Aussage fin-
den, die „wesentlich dasselbe besagt", wie die ursprüngliche
Frage-, Wunschform u. dgl. z. B. Ist S P? — ich icünsche oder
man wütischt xu ivissen, ob S P sei u. s. w. Sollte in derartigen
Satzformen also nicht doch eine Beziehung, wenn auch eine unbe-
stimmte oder nur nebenbei mitbedeutete Beziehung zu dem Koden-
den iraplicirt sein? Weist die Erhaltung der „wesentlichen Meinung"
bei den Umwandlungen in Aussagosätze nicht darauf hin, dafs
die bedeutuoggebeuden Acte mindestens zui- selbeu Klasse wie die
Urtheile gehören müssen? Und dadurch wird sich auch Punkt/?)
erledigen; es wird eben nicht das blofse Wunsch- oder Willens-
erlebnis, sondern die ionere Anschauung davon (und die ihr an-
gepafste Signification) für die Bedeutung in Frage kommen. — Doch
eben diese Auffassung berührt das nächste Argument:
2. Noch in anderer Weise könnte man versuchen, die frag-
lichen Ausdrucksformeu als Urtheile zu interpretiren. Indem wir
einen Wunsch aussprechen, sei es auch ia einsamer Rede, fassen
wir ihn und den erwünschten Inhalt in Worte, stellen ihn und
was ihn constituirt, also vor. Der Wunsch ist aber nicht ein
beliebiger blofs vorgestellter, vielmehr der soeben wahrgenommene,
der lebendige Wunsch. Und von ihm wollen wir als solchem
Kunde geben. Folglich kommt nicht die blofse Vorstellung, son-
dern die innere Wahrnehmung — demnach wirklich ein Urtheil
— zum Ausdruck. Es ist freilich nicht ein Urtheil von der Art
der gewöhnlichen Aussagen, die prüdicativ über irgend etwas aus-
sagen. Im Wunsch ausdruck handelt es sich auch nur dämm, in
schlichter Setzung das innerlich wahrgenommene Erlebnis begrilf-
lich (= bedeutuugsraäfsig) zu fassen und sein schlichtes Dasein
aaszuprSgen; nicht aber darum, eine beziehende Prädication über
das Erlebnis zu vollziehen, weiche es zum erlebenden Subject in
Beziehung setzte. —
Gegen diese Auffassung erhebt sich der Einwand, dafe die
Sachlage für die ausgesagten Urtheile genau dieselbe ist, wie für
alle anderen ausdrücklieben Erlebnisse. Indem wir aussagen,
urtheilen wir; und in Worte fassen wir nicht nur die dem Ur-
theile zu Grunde liegenden Vorstellungen, sondern auch das Urtheil
selbst (näiiilich in der Form der Aussage). So müfeton wir auch
hier schliefsen: es sei das Urtheil innerlich wahrgenommen, und
die Bedeutung der Aussage liege in dem schlicht setzenden urtheile
über dieses Wahrgenommene, das ist über das Urtheil. Wird
Niemand im Falle der Aussage diese Auffassung annehmbar finden,
so kann sie auch nicht im Falle der übrigen selbständigen Sätze
ernstlich in Frage kommen. Wir erinnern uns an das im letzten
Paragraphen Ausgeführte. Die Ausdrücke, welche sich an die
ausgedrückten Erlebnisse anschliefsen, können sich auf sie nicht
als Namen, oder analog wie Namen beziehen: als ob die Erleb-
nisse erst gegenständlich vorgestellt und dann unter Begriffe
gebracht würden, als ob daher mit jedem neu eintretenden Wort
auch eine Subsumption und Prädication statthätte. Wer urtheilt,
dafs Gold gelb ist, urtheilt nicht, dafs die Vorstellung, die er zu-
sammen mit dem Worte Gold hat, Gold sei; er urtheilt nicht, dafs
die Urtheilsweise, die er beim Würtchen ist vollzieht, unter den
Begriff des isi falle u. s. w. In Wahrheit ist das ist kein Wort-
zeichen für das Urtheil, sondern ein Zeichen des Seins, das zum
Sachverhalte gehört Und wieder ist Gold kein Name für ein
Vorstellungserlebnis, sondern Name für ein Metall. Ausdrücke
sind Namen für Erlebnisse nur da, wo die Erlebnisse in der Re-
flexion zu Gegenständen der Vorstellung, bezw. Bourtheilung
werden, Dasselbe gilt für alle, auch für die synkategorematischen
Worte mit Beziehung auf das Gegenständliche, das sie nach ihrer
Art zeichnen, wenn auch nicht als Namen nennen.
Also zu dem Acte, der uns jeweils ausfüllt, in dem wir leben,
ohne ihn reflectiv zu beurtlieilen, tritt der Ausdruck nicht in der
A
NichtobjecHvirende Ade als scfieinbare
rfiiUungen. 687
Weise einer nominalen Signatur hinzu; vielmehr gehört der Aus-
druck zum concreten Bestände des Actes selbst. Ausdrüclilich ur-
theilen ist urtheilen, ausdrüciiiich wünschen ist wünschen. Ein
Urtheii oder einen Wunsch nennen, ist nicht urtheilen oder
wünschen, sondern eben nennen. Das genannte ürtheil braucht
vom Nennenden nie geurtheilt, der genannte Wunsch von ilim nie
gewünscht zu sein. Und auch im gegentheiligen Faile ist die Nen-
nung nicht Ausdruclc des ürtheils, bezw. Wunsches, sondern Aus-
druck einer darauf bezüglichen Vorstellung.
Kritik. — Auch dieser Einwand legt die Schwäche der voraus-
geschicliteu und zunächst so naheliegenden Argumentation blofs.
Es ist nach demselben, wie schon nach unseren früheren üeber-
legungen sicher, dafs nicht jeder Ausdruck als solcher ein ürtheil
oder einen sonstigen, das kundgegebene Erlebnis zum Gegenstande
machenden Act voraussetzt. Aber wieder ist damit die These
selbst nicht- widerlegt, es ist nicht bewiesen, dafs nicht gerade die
strittigen Satzformen doch Urtheile über die jeweiligen Wunsch-,
Frage-, ßitterlebnisse sind, bezw. Ausdrücke ihres schlichten Da-
seins im Sprechenden. Gewifs, einen Wunsch nennen, ist darum
noch nicht wünschen; ist einen Wunsch erleben und in Eins
damit ihn nennen, nicht doch auch wünschen? Also selbst wenn
ausdrücklich wünschen noth wendig ein nennendes oder aus-
sagendes Wünschen ist, gilt der Satz, dafs ausdrücklich wünschen
eben wünschen und nicht blofses nennen ist.
3. Die strittigen Ausdrücke haben die Form von Sätzen und
unter Umständen auch die von kategorischen Sätzen mit Subject
und Prädicat. Schon daraus geht hervor, dafs man sie auch in-
haltlich als Prädicationen fassen kann, und zwar nicht gerade als
Prädicatiouen in Bezug auf immer dasselbe, aber verschwiegene
Subject Ich. Z. B. Goit möge den Kainer schützen. Franx sollte
sich schonen. Der Kutscher soll anspannen. Ein Mögen oder
Sollen wird ausgesagt, das betrefi'ende Subject wird als unter einer
Forderung oder Verpflichtung stehend aufgefalst.
Man könnte hier erwideni: Wo das Sollen als objcctives Prä-
dicat gilt und als solches in der That beigelegt wird, da hat der
p
Sollenssatz nicht die Bedeutung eines Wunsches oder Befehls, oder
er hat nicht dies allein. Eine objective Verpflichtung kann ja als
geltend ausgesagt werden, ohne dafe der Aussagende selbst einen
Act von der Art zu erleben brauchte, welche das actuelie Be-
wufetsein der Verpflichtung ausmaclit. Weifs ich den Willen einer
Person durch ilu- Dienstverhältnis oder durch Sitte und Sittlichkeit
gebunden, so kann ich urtheilen, dafs sie irgend etwas thun soll
und nnifs. Aber damit drücke ich kein lebendiges Wünschen,
Begehren oder Sollen aus. Freilich können SoUens- Aussagen in
gelegenheitlicher Function auch dazu dienen, derartige Acte aus-
zudrücken, z. B. Johatm soU anspannen.' Es ist klar, dafs hier
nicht blofa die objective Verpflichtung, sondern mein Wille aus-
gedrückt ist. In den Worten selbst kommt er nicht zum Aus-
druck, wo! aber durcli den Ton und die Umstände, unzweifelhaft
surrogirt die prädicative Form unter solchen Umständen sehr oft
für die Wunsch- oder Befehlsform, d. h. die SoUens- Prädication,
die im Wortlaut liegt, wird gar nicht vollzogen oder wird zur
Nebensache. Schliefslich ist es auch unverkennbar, dafs die prä-
dicative Interpretation auch nur in einigen Fällen einen Anschein
hat Sicher nicht bei Fragen, wie denn B. Erdmann, der ihr sonst
zuneigt, sie bei den Fragen nicht empfohlen bat.^
Kritik. — Es ist fraglich, ob diese Widerlegung überhaupt
ausreicht. Dafs das Soilensprädicat häufig einen objectiven Sinn
und Weith hat, ist unzweifelhaft; dafs aber, wo dies nicht statt-
hat, auch nichts prädicirt und jedenfalls nichts geurtheilt werdei,
ist keineswegs erwiesen. Man könnte sagen: wenn wir an Jeman-
den einen Befehl richten, z. B. an den Kutscher Johann, dafs er
anspannen soll, so gilt er uns als ein unserem Willen Unter-
stehender, als solcher wird er von uns aufgefafst und demgemäfs
in der Ausdrucksform angesprochen. Wir sagen: Johann, spanne
an.' Als Anspannen -Sollender ist er hier prädicirt, und natürlich
ist er es in der Erwartung entsprechender praktischer Erfolge,
und nicht in Absiebt auf die blofse Feststellung dieser Thatsache,
' Vgl. B. ERDMA.H.N, Logik I, §40, S. 271 ff.
I
dafs er als ein solcher mir gilt. Der Ausdruck des Befehls ist
ein relativer. Wir köunen Niemanden als Befohlenen vorstellen,
ohne einen Befehlenden, sei es in bestimmter oder unbestimmter
Weise raitvorzustellen. Wo wir selbst befehlen, fassen wir uns
als Befehlende auf. Es bedarf aber hiefür, als einer Selbstver-
ständlichkeit, keines expliciten Ausdrucks. Statt der umständ-
lichen Form ich befehle . . . ., gebrauchen wir den kurzen, durch
seine Form auf das communicative Verhältnis hinweisenden Im-
perativ. Die Redeform mit Sollen (und Müssen) wird ursprünglich
nicht vom Befehlenden in der actuellen zu dem {ihm gegenüber
stehenden) Befohlenen, sondern überall da gebraucht, wo es auf
einen melir objectiven Ausdruck eigener oder fremder Willens-
nieinung ankommt; so z. B. von dritten, den Befehl übermittelnden
Personen, oder als Ausdruck des legislatorischen Willens im be-
setz. Aufserhalb der Comnmnication zwischen Befehlsliaber und
Befehtsempfänger verliert eben der Imperativ, welcher dabei der
Bewufstseinssituation des crsteren angepafst ist, seine Anwendbar-
keit. Diese Auffassung läfst sich überall durelifüliren. Man wird
sagen: im Optativ winl das Erwünschte als erwünscht vorgestellt,
genannt und dann jedenfalls aiLsgesagt. Ebenso in der Bittform
das Erbetene als erbeten, in der Frageform das Erfragte als er-
fragt u. s. w. Diese Acte werden vorstellungsmäfsig zu ihren in-
tentionalen Gegenständen in Beziehung gesetzt, und so als Re-
llexionsprädicate an ihnen selbst gegenständlich.
Im commnnicativon Verhältnis haben, wie die Befehle, so
manche anderen der fraglichen Ausdrücke die Function, in der
Weise wesentlich occasioneller Ausdrücke dem Hörenden zu
sagen, dafs der Redende die kundgegebenen Acte {der Bitte, des
Glückwunsches, des Beileides u. s. w.) in intentiunaler Beziehung
auf ihn, den Hörenden, vollziehe. Soweit auch jederlei Ausdrü.k.
von dem Wunsche, sich mit ihnen dem Anderen mitzutheilen, iura
von den eigenen Ueberzengungen, Zweifeln, Hoffnungen n. s. w.
Kenntnis zu geben, vollbewufst getragen sein können, sind sie
ev. alle von Acten der Reflexion auf diese inneren Erlebnisse be-
gleitet und, näher, von Acten ihrer, sie auf das Idi niul auf die
Hoiiert, hng. Ontars. II, 44
690 VI. Elemente einer phänomenolof/. Aufklärung der Erkenntnis.
angeredete Person beziehenden Anschauung. Dies gilt also auch
von communicativen Aussagen. Darum gehören diese Acte der
Reflexion und Beziehung noch nicht zur Bedeutung der Aussage
und aller sonstigen Ausdrücke überhaupt; aber sehr wol ist dies
von den Ausdrücken der strittigen Klasse zu sagen, als welche ja
durchaus auf innere Erlebnisse des Sprechenden gerichtet sind.
Im einsamen Seelenleben entfällt (von den Ausnahmsfällen
des zu sich selbst Bedens, sich selbst Fragens, Wünschens, Be-
fehiens abzusehen) die Beziehung zum Angeredeten, und die be-
trefienden subjectiven Ausdrücke, die dann noch anwendbar sind,
werden zu Ausdrücken des schlichten Seins der inneren Erlebnisse,
mit mehr oder minder deutlicher Beziehung auf das Ich. Die
monologische Frage besagt entweder: ich frage (mich) ob . . .;
oder es entfällt die Kücksicht auf das Ich wol ganz; der Frage-
ausdruck wird blofser Name, oder im Grunde genommen nicht
einmal das. Denn die normale £'unction weist dem Namen eine
Stelle in einer prädicativen oder attributiven Beziehung an , wovon
hier aber keine Bede ist. Indem der Ausdruck sich in der Weise
einer Erkenntnis mit dem angeschauten inneren Erlebnis in Eins
setzt, erwächst eine Comploxion, die den Gliarakter eines in sich
geschlossenen Phänomens hat. Sofern in dieser Complexion die
Frage der Act ist, in dem wir vorzugsweise leben, während der
Ausdruck sich ihm nur als besagender, ihn articulironder an-
schmiegt, nennen wir die ganze Complexion eine Frage. Die Er-
kenntnis fungirt hier nicht theoretisch — das thut sie nur in der
Prädication, während hier nicht prädicirt, die Frage zwar erkannt
und ausgedrückt, aber nicht subjicirt, nicht zum Subject oder
Object von prädicativen Acten gemacht wird. Offenbar ist dieser
direct ausprägende Sinn des Fragesatzes Bestandstück des prädi-
cativen Fragesatzes, bezw. der den geänderten Umständen ent-
sprechenden Bedeutung.
§ 70. Entscheidung.
Versteht man unter ürtheilen Prädicationon, so sind, nacli
diesen Ueberlegungen, die strittigen Sätze nicht in allen Fällen
Nichlohjeelivirende Acte als .
ngserfüUungen. 691
Ausdrucke von Urtheilen. Gloichwol trennt uns auch in diesen
Füllen eine uniiberbrückhare Kluft von den sich an Aristotkles
ansclilieisenden Logikern. Nach üinon wären Namen, Aussagen,
Wunschsätze, Fragesätze, Befehle u. s. w. gleichgeordnete Aus-
drucksformen, und zwar in folgendem Sinne: Namen geben Vor-
stellungen Ausdruck, Aussagen Urtheilen, Wunschsätze Wütischen
u. s. w. Als bedeutiingverloihende Acte können in genau gleiclier
Weise Vorstellungen, Urtheile, Wünsehe, Fragen u. s. w. fungiren,
kurzum Acte jeder Art; denn Acten Ausdruck gehen heifst hier
überall dasselbe, niinilich in diesen Acten seine Bedeutung finden.
Wir hingegen finden im Vergleich der Naraen und Aussagen mit
den Ausdrücken der strittigen Gruppe einen fundamentalen
Unterschied darin, dals die in Namen und Aussagen „aus-
gedrückten" Acte des Vorstellens, bezw. Urtheilens, zwai- bedeu-
tunggebend (bezw. bodeutungerfüUend), aber darum eben nicht
bedeutet, dafs sie im Nennen imd Prädiciren nicht gegenständlicii,
sondern Gegenstände constituirend sind. Auf der anderen
Seite und im geraden Gegensatz dazu finden wir bei all den um-
strittenen Ausdrücken, dafs uns die „ausgedrückten" Acte, ob-
schon sie angeblich bedoutunggebcnd sind, gegenständlich
werden. Dies aber geschieht, wie wir erkannten, einerseits ver-
möge innerer Anschauungen, die sich reflectiv auf diese Acte
richten, und zumeist auch vermöge beziehender Acte, die in diesen
Anschauungen fundirt sind; und andererseits vormöge gewisser,
eventuell nur theilwoiso ausgesprochener Significutionen, welche
sich den inneren Anschauungen und Beziehungen in der Weise
des Erkennens anschmiegen, so dafs deren Gegenstände, also die
Acte des Fragens, Wünschens, Befelilens u. s. w. zu genannten
und sonstwie besagten Gogeustütuien, eventuell zu BestJindstückon
priidicirtcr Sachverhalte werden. In diesen objectivirenden Acten
liegen nun die wahren Bedeutungen der strittigen Ausdrücke.
Nicht handelt es sich bei ihnen um bedeutungverleihende Acte
Von fundamental neuen Gattungen; vielmehr um zufällige Be-
sondfrungen der einen inui <'in7,igcu Gattung Bedeutungsintentiim.
Und ebenso gehören die Ivcdoutungurfüllenden Acte nicht zu ver-
44»
schiedenen Gattungen , vielmehr zu der einen und einzigen Gattung
Anschauung. Nicht sind die Wünsche, Befehle u. dgl. selbst
durch die grainmatischen Gebilde und ihre Significationen aus-
gedrückt, sondern die Anschauungen von diesen Acten sind es,
welche als Erfüllungen dienen. Wenn wir Aussagesatz und Wunsch-
satz vergleichen, dürfen wir nicht Urtheil und Wunsch ein-
ander coordiniren, sondern Sachverhalt und Wunsch.
Demnach ergiebt sich das Resultat:
Die angeblichen Ausdrücke nichtobjectivirender
Acte sind praktisch, und zumal communicativ, überaus
wichtige, im üehrigen zufällige Besonderungen von Aus-
sagen oder sonstigen Ausdrücken objectivirender Acte.
Darin liegt aber die fundamentale Wichtigkeit der behandelten
Streitfrage, dafs es von ihrer Entscheidung abhängt, ob man die
Lehre vertreten könne: alles Bedeuten in Intention und Er-
füllung sei von Einer Gattung — nämlich von der Gattung objec-
tivirender Act mit ihrer fundamentalen Sonderung in significative
und intuitive Acte — oder oh man sich vielmehr dazu entschliefsen
müsse, Acte jeder Gattung als bedeutunggebende, bezw. -erfüllende
zuzulassen. Und abermals wird diese Streitfrage von nicht geringer
Bedeutung dadurch, dafs sie zu allererst auf die fundamentale
Dreifältigkeit der äquivoken Rede von ausgedrückten Acten auf-
merksam macht, rait deren Analyse die vorliegende Untersuchung
eingesetzt hat.' Danach können unter „ausgedrückten Acten"
gemeint sein:
1. Die significativen Acte, welche dem Ausdruck überhaupt
Bedeutung verleihen und in ihrer significativen Weise eine gewisse
t Gegenständlichkeit meinen.
2. Die intuitiven Acte, welche öfters die signifieative Meinung
des Ausdru€ks eriiillen, also die siguificativ gemeinten Gegenstände
intuitiv, und zwar in einem gleichen intuitiven „Sinne" vergegen-
wärtigen.
' Vgl. §2, oben S. 482 f.
3. Die Acte, welche in jedem Falle, wo ein Ausdruck die
eigenen momentanen Erlebnisse des .Sprechenden ausdrückt
sc. im zweiten Sinne), die Gegenstäntie der .Signification und
zugleich Intuition sind. Gehören diese Acte nicht zu den übjec-
tivirenden, so können sie ihrer Natur nach niemals in den siib 1.
und 2. bezeichneten Functionen stehen.
Der Grund aller Schwierigkeit liegt aber darin, dafs in der
directen Anwendung der Ausdrücke, bozw. ausdrückenden Acte,
auf die intuitiv erfaßten inneren Erlebnisse, die signifieativen
Acte durch die ihnen zugehörigen inneren Anschauungen voll-
ständig erfüllt, also die beiden aufs innigste verschmolzen sind,
während zugleich die Anschauungen, als innere, in der schlichten
Präsentation der bedeuteten Acte aufgehen.
Schliefslich sei noch angemerkt, dals der oben gegen Bolzäno
gewendete unterschied — ob nur die subjoctive Einrede (die
auf Wahrhaftigkeit oder Angemessenheit des Ausdrucks bezügliche)
gemacht werden könne, oder auch die sachliche Einrede (welche
auf objective Wahrheit und Falschheit geht) — genau besehen mit
der hier strittigen Frage nicht wesentlich zusammenhängt. Denn er
betrifft ganz allgemein den Unterschied zwisclien Ausdrücken,
die sich auf die eigenen, intuitiv erfafsten Acterlobnisse beziehen,
und solchen, die es nicht tluin. Von den Ersteren sind aber
Viele ganz unbestrittene Prädicationen. So alle Aussagen der
Form ich frage, ob ich befehle oder wünsche, dafs . . ., u. dgl.
Und wolgemerkt: auch bei den so fornuilirten subjectiven Urtheileu
kann keine sachliche Einrede gemacht werden. Sie sind zwar
wahr oder falsch, aber Wahrheit füllt hier mit Wahrhaftig-
keit zusammen. Bei anderen Aussagen, die auf „Objectives"
gehen (d. i. nicht auf das sich aussprechende Subject und seine
Erlebnisse), betrifTt die sachliche Frage die Bedeutung; die Frage
der Wahrhaftigkeit hängt aber mit der Möglichkeit scheinbaren
Aussagens zusammen, wobei der eigentliche und normale Act des
Bedeutens fehlt. Es wird gai'nicht gourtheilt, sondern die Aussage-
bedeutung im ZiLsammenhang einer Täuschungsintention vorgestellt.
Beilage.
Aeufsere und ioDere Wahrnehmung. Physische nnd
psychische Phänomene.
1.
Die Begriffe äufsere und Selbstwahniehrnmig , sinnliche und
innere Wahrnehmung haben für den naiven Menschen folgenden
Gehali Aeufsere "Wahrnehmung ist die Wahrnehmung von
äulseren Dingen, ihren Beschaffenheiten und Verhältnissen, ihren
Veränderungen und Wechselwirkungen. Selbstwahrnehraung ist
die "Wahrnehmung, die Jeder von seinem eigenen Ich und dessen
Eigenschaften, Zuständen, Bethätigungen haben kann. Auf die
Frage, wer denn dieses wahrgenommene Ich sei, würde der naive
Mensch durch den Hinweis auf seine körperliche Erscheinung, durch
Aufzählung seiner vergangenen und gegenwärtigen Erlebnisse be-
antworten. Auf die weitere Frage, ob denn all das in der Selbst-
wahrnehmung mitwahrgenommen sei, würde er natürlich ant-
worten, dafe ganz so, wie das wahrgenommene Auibending viele
Eigenschaften habe und im Flusse der Veränderungen gehabt
habe, die augenblicklich nicht „in die "Wahrnehmung fallen", so
auch für das wahrgenommene Ich das Entsprechende gelte. In
die wechselnden Acte der Selbstwahrnehmung fielen vom Ich
je nach umständen diese oder jene Vorstellungen, Gefühle,
Wünsche, leibliche Bethätigungen u. dgl, wie z.B. vom Hause bald
das Aeufsere oder Innere, bald diese oder jene Seiten und Theile
in die äufsere Wahrnehmung fallen. Selbstverständlich sei darum
doch das Ich im einen, das Haus im anderen Falle der wahr-
genommene Gegenstand.
Aeufsere utid innere Währnelmmng u. s. w. 695
Für den naiven Menschen coincidirt das zweite Begriffspaar,
das der sinnlichen und inneren Wahrnehmung nicht ganz
mit dem eben erörterten, dem der äufserenundSelbstwahmehmung.
Sinnlich wahrgenommen ist, was durch Auge und Ohr, Geruch
und Geschmack, kurz durch die Sinnesorgane wahrgenommen ist
In diesen Bereich gehören für Jedermann nicht blofs die äufseren
Dinge, sondern auch der eigene Leib und die eigenen leiblichen
Bethätigungen , wie Gehen und Essen, Sehen und Hören. Anderer-
seits werden als innerlich wahrgenommen hauptsächlich die „geisti-
gen" Erlebnisse, wie Denken, Fühlen, Wollen bezeichnet, des-
gleichen freilich auch Alles, was wie diese, in das Innere des
Körpers localisirt und nicht auf die Aulsenorgane bezogen wird.
Im philosophischen Sprachgebrauch geben beiderlei Termini —
gewöhnlich bevorzugt man das Paar „innere und äufsere Wahr-
nehmung" — nur Einem Begriffspaare Ausdruck. Nachdem Dkscahtes
meiis und corpus schroff getrennt hatte, führte Locke unter dem
Titel Sensation und reflexion die beiden entsprechenden Wahr-
nehmungsklassen in die neuere Philosophie ein. Diese Scheidung
ist bis heute bestimmend geblieben. Die äufsere Wahrnehmung
ist nach Locke unsere Wahrnehmung von Körpern, die innere die
Wahrnehmung, die unser „Geist" oder die „Seele" von den eigenen
Bethätigungen (es sind die cogitationes im Caktesianischen Sinn)
besitzt So ist eine Scheidung der Wahrnehmungen be-
stimmt durch die Scheidung der Wahrnehmungsobjecte.
Ihr wird zugleich ein Untei-schied in der Entstehungsweiso
zugeordnet. Im einen Fall erwächst die Wahrnehmung aus den
Wirkungen , welche die physischen Dinge mittelst der Sinnesorgane
auf den Geist ausüben; im anderen Falle aus der Reflexion auf
die Bethätigungen, die der Geist auf Grund der bereits durch
Sensation gewonnenen „Ideen" vollzieht
2.
In der neuesten Zeit hat man sich um eine angemessono
Modification und Vertiefung der sichtlich rohen und vagen Be-
stimmungen Lockes viel bemüht.
Dazu trieben einerseits allgemeine erkenntnistheore-
tische Interessen. Wir erinnern an die althergebrachte Scliätzung
des relativen Erkenntiiiswertlies der beiden Wahriiehnuingsarten:
Die äuTsere Wahrnehmung ist trügerisch, die innere
evident In dieser Evidenz liegt einer der Grundpfeiler der Er-
kenntnis, au welchem die Skepsis nicht rütteln kann. Die innere
Wahmehnumg ist auch die einzige, in der dem Wulirnehumngs-
acte sein Object, und wahrhaft, entspricht, ja ihm innewohnt. Sie
ißt also, prägnant gesprochen, die einzige Wahrnehmung, die ihren
Namen verdient. — Im Interesse der WHlirnehmungstheorie niufsto
also da.s Wesen der inneren im Unterschied von der äufseren
Wahrnehmung genauer erfor-scht werden.
Andererseits kamenpsychologische Interessen in Betracht.
Es handelte sich um die vielumstritteno Fixirung der Domäne
der empirischen Psychologie, üuninl um den Nachweis ihrer
Eigenbereehtigimg gegenüber den Wissenschaften von der Natur,
durch Absteckung eines ihr eigenthümlichen Gebietes von Phäno-
menen. Schon die erkcniitnistheoretische Stellung, welche man
der Psychologie als der philosophischen Fundamentitliüsciplin ein-
zuräumen liebte, fordurto hierbei eine Definition ihrer Objecto,
die erkenntnistheoretisch möglichst unverbindlich war, also nicht
transcendeute Realitäten, zunml so umstrittener Art wie Seele und
Körper, in der Weise selbstverständlictier Gegebenheiten behandelte.
Eben diese Voraussetzung machte Locke's Klassifieation der Wahr-
nehmungen, sie war also unmittelbar nicht geeignet (freilich auch
nicht dazu bestimmt), eine Definition der Psychologie zu be-
gründen und den berührten Interessen zu genügen. Ueberdies
ist es klar: wurde auf Grund des vorausgenommenen Unterschiedes
zwischen körperlichen und geistigen Dingen, ein Unterschied der
Wahrnehmungen statuirt, so konnte dieser nicht dazu dienen,
seinerseits zwischen der Wissenschaft von den körperlichen und
derjenigen von den geistigen Erecheinungen einen Scheidungs-
grund abzugeben. Anders lag die Sache, wenn es gelang, unter
Beibehaltung der Klassenumfiinge, rein descriptive Merkmale
für die Sonderung der Wahrnehmungen, bezw. für die Son-
I
ficrung dor ihnen entspreclienrlen körperlicfien und seelischen
I'liihiiiiiienu zu gewinnen; also Merlcnialt.', welche keinerlei er-
koDiitiüsthooretisclio Vuravisaetziingen beanspruchten.
Eineil gangbaren Weg schien hier die Caktesünische Zweifels-
betritclitung zu eröffnen, vermöge iles iu ihr hervortretenden
erkenutnisthooretischen Charakters der inneren Wahrnehmung. Wir
luihen ihn oben schun berührt. Der Godaukengang, der sich hier
anspinnt, ist folgender:
Wie weit immer ich den orkenntniskri tischen Zweifel aus-
dehnen mag, daran, dafs ich bin und zweifle, und wieder, dafs
icli vitrstelle, urtheile, fiüdo, oder wie sonst die innerlieh wahr-
geniiinmenen Erscheinungen heilsen mögen — darau kann ich,
wälirend ich sie eben erlebe, nicht zweifeln; ein Zweifel in solchem
Falle wäre evident widervernünftig. Also vom Bestände derGegon-
stäudo der inneren Wahmehnumg haben wir „Evidenz", jene
klarste Erkenntnis, jene unanfechtbare Gewifshoit, welche das
Wissen im strengsten Sinne auszeichnet. Ganz anders verhält es
sich mit der äufsereu Wahruehuiung. Ihr mangelt die Evidenz,
und thatsachlich weist auch ein mannigfacher Widei-streit in den
ihr vertrauenden Aussagen darauf hin, dafs sie fähig sei, uns
Täuscluingon vorzuspiegeln. Wir haben also von vomlierein kein
Recht zu glauben, dafs die Gegenstände der äufseren Wahr-
nehmungen, so wie sie uns erscheinen, wahrhaft und wirklich
existiren. Ja wir haben sogar gute Gründe anzunehmen, dafs
sie in Wirklichkeit überhaupt nicht existiren, also nur eine
phänoraeuale oder „intentionale" Existenz beanspruchen können.
Rechnet man zum Begriff der Wahmehnumg das Wirklichsein
des wahrgenommenen Objects, so ist die äufsere, in diesem
strengen Sinne, überhaupt nicht Wahrnehmung. Jedenfalls liefert
uns der Charakter der Evidenz schon ein descriptives
Merkmal, welches die einen und anderen Wahrnehmungen unter-
scheidet und aller Voraussetzungen über metaphysische Realitäten
ledig ist. Es ist ein Charakter, der mit dem Wahrnehmungs-
erlebnis selbst gegeben ist, bezw. fohlt, und dies allein bestimmt
die Scheidung.
k
698 Beilaffe: Aeufsere und innere Wahmehmutig.
Betrachten wir nun auch die Phänomene, die uns in den
einen und anderen Wahrnehmungen dargeboten werden, so con-
stituiren sie unverkennbar wesentlich verschiedene Klassen.
Damit will nicht gesagt sein, dals die Gegenstände an sich, die
wir ihnen, ob mit Recht oder Unrecht, supponiren, also die Seelen
und Körper wesentlich verschieden sind; sondern rein descriptiv
betrachtet, unter Absehen von aller Transscendenz, ist zwischen
den Phänomenen ein unüberbrückbarer Unterschied zu consta-
tiren. Auf der einen Seite finden wir die Sinnesqualitäten,
die für sich schon eine descriptiv geschlossene £inheit bilden,
möge es nun so etwas wie Sinne und Sinnesorgane geben oder
nicht. Es ist eine Gattung im strengen Aristotelischen Sinne des
Wortes. Dazu treten die, sei es an Sinnesqualitäten überhaupt, sei
es an einzelne Qualitätskreise (wieder strenge Aristotelische Arten)
nothwendig geknüpften Momente, so wie umgekehrt Momente,
die ihrerseits nothwendig Qualitäten voraussetzen und nur mit
ihnen vereint, concretes Sein werden können. Hier kommen be-
kannte Sätze in Betracht, z. B. kein Bäumliches der Anschauung
ohne Qualität; nach Manchen soll auch die Umkehrung bestehen:
keine Qualität ohne Bäumllches. Andere lassen hier nur gewisse
Besonderungen gelten: keine Farbe, keine tactile Qualität ohne
Räumliches u. dgl. Weitere hierhergehörigo Sätze wären: keine
Tonqualität ohne Intensität, keine Klangfarbe ohne Tonqualitäten,
und sü weiter. 1
Auf der anderen Seite finden wir Phänomene wie Vorstellen,
Urtheileu, Vermuthen, Wünschen, Hoffen u. s. w. Wir treten hier
sozusagen in eine andere Welt. Die Phänomene mögen auf Sinn-
liches Beziehung haben, aber sie selbst sind mit dem Sinnlichen
„unvergleichbar"; genauer, sie sind nicht von ein und dei-selben
' Es ist auffallend, dafs man es nie versucht hat, auf diese an-
schaulichen Zusammengehörigkeiten eine positive Bestimmung für die r phy-
sischen Phänomene" zu gründen. Indem ich auf sie hinweise, falle ich freilich
aus der Rolle des Referenten etwas heraus. Natürlich müfate man zum Zwecke
ihrer ernstlichen Yerwendoog, auf den Doppelsinn der Rede von physischen
Phänomenen, den wir bald erörtern werden, passende Rücksicht nehmen.
(echten) Gattung. Hat man sich zunächst an Beispielen die de-
scriptivc Einheit dieser Khisse zur Klnrheit gebraclit, so findet sich
bei einiger Achtsamkeit auch ein positives Merkmal, welches sie
kennzeichnet; nämlich das Merkmal der „intentionalen TnexistenK".
Natürlich kann nun auch die obige descriptive Unterscheidung
der inneren und iiufseren Wahrnehmungen zu einer ebensolchen
der beiderlei Klassen von Phänomenen dienen. Es ist jetzt eine
gute Definition, zu sagen: die psychischeu Phänomene sind die
Phänomene der inneren, die physischen diejenigen der äufseren
Wahrnehmung. '
Auf solche Woi.se scheint eine genauere Betrachtung der
beiden Arten von Wahrnehnumgen nicht nur auf eine descriptive
und erkenntnistheoretisch bedeutsame Charakteristik dieser selbst,
sondern auch auf eine fundamentale und abermals descriptive
Scheidung der Phäiiumene iu zwei Klassen, in die der physischen
und psychischeu Phänoujcno, hiuznt'ühreii. Zugleich erscheint das
Ziel einer metaphysisch unverbindlichen, nicht durch die ver-
meintlichen Gegebenheiten der tnmscendenten Welt, sondern ihurli
die wahrhaften Gegebenheiten der Erscheinung orientirten De-
finition für Psychologie uud Naturwissenschaft erreicht.
Die physischen Phänomene sind nun nicht mehr als die Er-
scheinungen definirt, welche aus der Einwirkung der Körper auf
unsere Seele mittelst der Sinnesorgane herrühren; die psychischen
Phänomene nicht mehr als die Erscheinungen, welche wir in der
Wahrnehmung der Bothätigungen unserer Seele vorfinden. Beider-
seits ist jetzt einzig und allein der descriptive Charakter der Phäno-
mene, so wie wir sie erleben, mafsgebend. Demnach kann die
Psychologie nun als die Wissenschaft von den psychischen, die
' So bezeichnet os Bukntano (Psyohologia I, 118 u. f.) als ein „unter-
äcbeideiiJes Merkmiil" aller psycbisuben PbänoaieDe, „dab die aar in innerem
BewtiTstsein wabrgunommen worden, während bpi den physischen nur diilsero
Wahrnehmung möglich ist." Ausdrüi-kliuh hoifst es S. 119, durch diese Be-
stimmung seien die psychischen PhJinoniene „genügend cbarakterisirt."
Inneres Bewutstsoin ist hiebei nur ein anderer Ausdruck für innere "Wahr-
nehmung.
Naturwissetisohaft als diejenige von den physischen Erscheinungen'
definirt werden.
Diese Definitiimen bedürfen aber, um dem Bestände der ge-l
gobenen Wissenschaften wirklich zu entsprechen, gewisser Ein-
schränkungen, weiche auf die erklärenden metaphysischen Hypo-
thesen hinweisen; jedoch nur als erklärende Hypothesen, während
immer noch die Pliänomeno in ihren descriptiven ünterscbieden-
heiten als die wahren Ausgangspunkte und als die zu erklärenden
Objecte erscheinen.
„Vor Allem bedarf die Definition der Naturwissenschaft ein-
schränkender Boatiramungen. Denn sie handelt nicht von allen phy-
sischen Phänomenen; nicht von denen der Phantasie, sondern nur voo
denen, welche in der Empfindutig anftreten. Und auch fflr diese
stellt sie die Gesetze nur insoweit, als sie von der physischen Reizung
der Sinnesorgane ablifuigon, fest. Man könnte die wissenschaftliche
Aufgabe der Natnrwisson.schaft etwa so ausdrücken, dafs man sagte:
die Naturwissenschaft sei die Wissenschaft, welche die Aufeinander-
folge der physischen Phänomene normaler und reiner (durch keine be-
sonderen psychischen Zustände und Vorgänge beeiiiflufster) Sensationen
auf Orund der Annahme der Einwirkung einer niumähulich in drei
Dimensionen ausgebreiteten und zeitähnlich in einer Dimension ver-
laufenden "Welt auf unsere Sinnesorgane zu erklären suche. Ohne
über die absolute Beschalfonheit dieser Welt Aufschlufs zu geben,
begnüge sie sich damit, ihr Ki'äfte zn«uschreil>en, welche die Empfin-
dungen hervorbringen und sieh gegenseitig in ihrem Wirken beein-
flussen, und stelle für diese Kräfte die Gesetze der Coexistenz und
Succession fest. In ihnen giebt sie dann indiract die Gesetze der
Aufeinanderfolge der physischen Phänomene der Emjiflndungen, wie
diese, durch wissenschaftliche Abstraction von psychii-u-hen Mitbetlin-
gungen, als rein und bei unveränderlicher Empfindungsfäliigkeit .statt-
findend getlacht werden. — In dieser etwas oomplicirten Weise mufs man
also den Ausdruck 'Wissenschaft von den physischen Phänomenen' deuten,
wijnn mau ihn mit der Naturwissenschaft als gleichbedeutend setzt".'
Brwitano, Psych. I. 127 und 128.
„HiiiBichtliuh der Begriffstestimmung der Psychologie möchto es
zwar den Anschein haben, als ob der Begriff des psychischen Pliäno-
mens eher zu erweitern als zu verengen sei, indem die physischen
Phänomene der Pliantasie wenigstens ebenso wie die psychischen in
dem frQlier bestimmten Siuue ganz ihrer Betrachtuug auheiiiifalloii,
und auch diejenigen, welche in der Empfindung auftreten, in der
Lehre voa der Sensation nicht unberücksichtigt bleiben können. Allein
es ist offenbar, dafs sie nur als Inhalt psychischer Phänomene bei der
Beschreibung der Eigenlhilmlichkeit derselben in Betracht kommen.
Und dasselbe gilt von allen psycliischen Phänomeuen, die ausscldiefs-
lick phänomenale Existenz haben, Als eigentlichen Gegenstand der
Psychologie werden wir nur die psychischen l'hänoraene in dem Sinne
von wirklichen Zuständen anzusehen haben. Und sie ausschhelslieh
sind es, in Bezug auf welche wir sagen, die Psychologie sei dio
Wissenschaft von den psychischen Phänomenen".'
Die interessante Gedankenreihe, die ich soeben vorgetragen
habe, repräsentirt, wie schon aus den längeren Citutioneu ersicht-
lich ist, den Standpunkt Brenta.no's* und zugleich den einer ganzen
Reibe ihm wissenschaftlich nahestehender Forscher. Die innere
WahruehüQung spielt übrigens, wie bekannt, auch weiterhin in
Brentaa'o's Psycliologie eine bedeutsame Rolle. Ich weise hier
nur auf seine Lehre vom inneren Bewulstsein hin. Jedes psychi-
sche Phänomen ist nicht nicht nur Bewulstsein, sondern selbst
zugleich Inhalt eines Bevvufstseins, und zwar auch bewufst im
engeren Sinne der Wahrnehmung. Der Flufs der inneren Erleb-
nisse ist also zugleich ein contiuuiriicher Flufs innerer Wahr-
nehmungen, die aber mit den bezüglichen psychischen Erlebnissen
in besonders inniger Weise Eins sind. Die innere Wahrnehmung
' Brkntano a.a.O. S. 129 f.
* Bis auf das S. 698 angedeutete positive Merkmal für die physischen
I'hiiDomene. Im Debrigen hoffe ich bei der Heniusarbeituug der leitenden Ge-
siiihlspunkte, die für die Lehren dos von mir liouligeschätz-ten Denkers uinfs-
gebeud sein mouhteu, das Richtige getruITtiu zu haben.
702 Beilage: Aeußere wid innere Waltmelimung.
ist nämlich kein zweiter, selbständiger Act, der zu dem bezüg-
lichen psychischen Phänomen hinzutritt, sondern dieses enthält
neben seiner Beziehung auf ein primäres Object, etwa den äulser-
lieh wahrgenommenen Inhalt, „sich selbst seiner Totalität nach
als vorgestellt und erkannt" *. Indem der Act direct auf sein
primäres Object gerichtet ist, ist er nebenbei zugleich auf sich
selbst gerichtet. So wird die unendliche Verwicklung, zu welcher
das alle psychischen Phänomene begleitende Bewufstsein (dessen
Mehrfältigkeit geniäfs den drei Grundklassen auch eine innere
Wahrnehmung enthält) zu drängen scheint, vermieden. Auch soll
so die Evidenz und Untrüglichkeit der inneren Wahrnehmung er-
möglicht werden.^ Im üebrigen ist hier Brentano in einem
Hauptpunkte, in der Interpretation des Bewufstseins als continuir-
licher innerer Wahrnehmung, mit grofsen älteren Denkern in
Harmonie. Selbst Locke, ein treuer Schüler der Erfahrung, de-
finirt das Bewufstsein als Wahrnehmung dessen, was im eigenen
Geiste eines Menschen vor sich geht'
Brestano's Theorien haben vielfachen Widerstand erfahren.
Dieser richtet sich nicht nur gegen die zuletzt berührten Lehren
über das innere Bewufstsein mit seiner feinsinnig construirten,
aber jedenfalls durch keine Erfahrung zu begründenden Mehr-
föltigkoit; sondern schon gegen seine Scheidung der Wahrnehmungen
und Phänomene, und zumal auch gegen die darauf basirte Be-
stimmung der Aufgaben von Psychologie und Naturwissenschaft*
' A. a. 0. 182.
» A. a. 0. Buch n. 3. Kap. S. 182 ff.
° Lockb's Essay II, 1 , 19. Freilich ist T^ckr mit sich nicht ganz einig,
sofern er ausdrücklich die perception als Auffassung von Ideen bezeichnet, und
dann doch die Auffassung der Ideen von psycLisuben Thätigkeiten von beson-
deren Acten der reflexion abhängig macht, die zu diesen Thätigkeiten nur
gelegentlich hinzutreten. Dies hangt sichtlich mit dorn unseligen Zwitter-
begriff idea zusammen, der promiseue die Vorstellungen von erlebbarcn
Inhalten, und dann wieder die erlebten Inhalte selbst befafst. Vgl. unsere
Untersuchung II, § 10, 8. 127.
'' In der Kritik pflegt man sich, wie mir auflallt, allein an die erat«n
und nur vorläufigen Bestimmungen Brxntano's zu halten — der Psychologie
Physische und psychisclie Pliätwnnene. 703
Die einschlägigen Fragen sind im letzten Jahrzehnt wiederholt zu
(Gegenständen ernster Discussion geworden, und es ist beklagens-
werth, dafs trotz ihrer fundamentalen Wichtigkeit für Psychologie
und Erkenntnistheorie Einigung nicht erzielt werden konnte.
Im Ganzen wird man urtheilen müssen, dafs die Kritik nicht
tief genug drang, um die entscheidenden Punkte zu treflTen und
das unzweifelhaft Bedeutsame in Brentano's Gedankenraotivon von
dem Irrigen in ihrer Ausgestaltung zu sondern. Dies liegt daran,
dafs die in diesen Discussionen umstrittenen Fundaraentalfragen
der Psychologie und Erkenntnistheorie nicht genug geklärt sind,
eine natürliche Folge der Mangelhaftigkeit der phänomenologischen
Analysen. Beiderseits blieben die Begriffe, mit denen man operirte,
mehrdeutig, beiderseits verfiel man daher in trügerische Verwechs-
lungen. Dies wird in der nachfolgenden Kritik der lehrreichen
Ansichten Brentano's hervortreten.
Nach Brentano unterscheidet sich die innere von der äufseren
Wahrnehmung
1. durch die Evidenz und Untriiglichkeit und
2. durch die wesentlich verschiedenen Phänomene. In der
inneren Wahrnehmung erfahren wir ausschlielslich die psychischen,
in der äufseren die physischen Phänomene. Vermöge dieses ge-
nauen Parallelismus kann ja der an erster Stelle genannte Evidenz-
unterschied auch als charakteristisches Scheidungsmerkmal für die
wahrnehmbaren Phänomene dienen.
Demgegenüber will es mir scheinen, dafs innere und äufsero
Wahrnehmung, wofern man diese Termini naturgomäfs
versteht, von ganz gleichem erkenntnistheoretischen
Charakter sind. Ausführlicher gesprochen: es giebt zwar einen
als Wissenschaft von den psychischen , der Naturwissenschaft als Wissenscliaft
von den physischen Phänomenen — ohno der ^stillschweigenden Beschränkungen"
zu gedenken ,die Brentano selbst mit der ihm eigenen Klarheit und Schärf«
vorgetragen hat. Umso lieber habe ich sie oben duifh ausfuhrliche Üitate in
Erinnerung gebracht
wolbereohtigten Unterschied zwischen evidenter und nicbtevi-
donter, imtrügliclier uml tiüglicher "Wahrnehmung. Versteht ni«n
aber, wie es natürlich ist, und wie Brentano es wo! auch tJiut, unter
äufserer Wabrnehmung die Wahrnehmung von physischen Dingen,
Eigenschaften, Vorgängen u. s. w., »ind danach unter innerer
Wahrnehmung allo übrigen Waiirnehniuugen: dann coincidirt diese
Eintheilung durchaus nicht mit der vorigen. So ist jede Wabrneb-
muQg des Ich, oder jede auf das Ich bezogene Wahrnehmung eines
psychischen Zustandes gewifs nicht evident, wenn unter Ich ver-
standen ist, was Jedermann darunter versteht, und was Jerlerraann
in der Ichvvahrnehmung wahrzunehmen glaubt, nämiich die eigene
enipirisclie Persönlichkeit. Auch ist es klar, dafs die meisten
WahiTiehmungen psychischer Zustande nicht evident sein können.
da sie leiblich Incalisirt wahrgenomracn werde)). Dafs die Angst
mir die Kehle ntschnürt, dafs der Schnierx im Zahne bohrt, dafs
der Kwmner im Herxen nagt, das nehme ich genau in dem Sinne
wahr, wie dafs der Wind die Bäume schüttelt, dafs diese Schachtel
quadratisch taid braun gefärbt ist u. dergl. Hier sind freilich
)nit der inneren auch äufscre Wahrnehmungen vorhanden; aber
das ändert nichts daran, dafs die wahrgenommenen psychischen
Phänomene, so wie sie wahrgenommen sind, nicht existiren.
Oder sollen wir sagen, auch psychische Phänomene könnten äufser-
licli wahi'genommen werden? Damit wäre übrigens wenig ge-
wonnen. Denn auch wu Sinnliebes aufser Spiele bleibt, kann ein
psychisches Phänomen falsch wahrgenommen werden. Jede Schein-
evidenz ist ein Beispiel. Wir nehmen sie wahr, obschon sie gar-
nicht besteht.
Ich weifs wol, was mau hier einwenden wird: ob uns denn
der ünlei-schied zwischen Walirneh)nung und Interpretation
entgangen sei. Innere Wahrnehmung bedeute das schliclit-bewurste
Erleben der psychischen Acte, sie werden hier genommen als das,
was sie sind, und nicht als das, als was sie aufgefafst, inter-
pretirt werden. Indessen sollte man denken, dafe, was für die
innere Wahrnehmung recht, auch für die äufsere billig sein müsse.
Liegt das Wesen der Wahrnehmung nicijt in der Interpretation,
I
dann ist alles Reden von Wahrnehmung in Beziehung auf Aeufseres,
auf Berge, Wälder, Häuser u. dgl. verkehrt, der normale Sinn
dee Wortes Wahrnehmung, der sich doch vor Allem in diesen
Fällen klar bekundet, wäre ganz aulgegeben. Aeufsero Wahr-
nehmung ist Interpretation, also fordert die Einheit des Begriffs,
dafs es auch die innere sei. Zur Wahrnehmung gehört, dafs etwas
in ihr erscheine; aber die Interpretation macht aus, was
wir Erscheinen nennen, mag sie unrichtig sein oder nicht,
mag sie sich getreu und adäquat an den Rahmen des luuuittelbar
Gegebenen halten, oder ihn, künftige Wahrnehmung gleichsam
anticipirend, überschreiten. Das Haus erscheint mir — wodurch
anders, als dafs ich die wirklich erlebten Sinnosinhalte in ge-
wisser Weise interpretire. Ich höre einen Leierkasten — die
empfundenen Töne deute ich eben als Leierkastentöne. Ebenso
nehme ich intcrpretirend meine psychischen Erscheinungen wahr,
die „mich" durchschauertidv Seligkeit, den Kummer im Ilerxen
u. s. w. Sie heifsen „Erscheinungen", oder besser erscheinende
Inhalte, eben als Inhalte perceptiver Interpretation.
5.
Der Terminus Erscheinung ist freilich mit Aequivokationen
beschwert, die sich gerade hier äufsei-st uachtheilig erweisen. Es
wird nicht unnütz sein, diese Aequivocationen, die wir schon im
Texte der vorstehenden Untersuchungen im Vorbeigehen berührt
haben, hier explicite zusammenzustellen. Die Rede von Erschei-
nung hat vorzugsweise Beziehung zu den Acten des anschaulichen
Vorsteüens, also einerseits zu den Acten der Wahrnehmung,
und andererseits zu denjorügen der Imagination, d. i. der Phan-
tasievorstellung oder der (mit Wahrnehmung verwobencn) Bild-
vorstellung im gewöhnlichen Sinn. Erscheinung heifst dann:
1. das coucrete Erlebnis der Anschauung (das anschaulich-
gegenwärtig- oder vergegenwärtigt-Haben eines gewissen Gegen-
standes); also z. B. das concreto Erlebnis, wenn wir die vor uns
stehende Lampe wahrnehmen. Snfi-rn dabei der qualitative Cha-
rakter des Actes, ob wir den Gegenstand für seiend luiltcu oder
Butsorl, Lok. Untani. U. 45
nicht, keine Rolle spielt, können wir von ihm auch ganz absebeo,
und dann fallt die Erscheinung mit dem zusammen, was wir in
der letzten Untersuchung^ als Repräsentation definirt haben.
2. Der angeschaute (erscheinende) Gegenstand und zwar als der-
jenige, welcher hie et nimc erscheint; z. B. diese Lampe als das.
was sie dieser eben vollzogenen Wahrnehmung gilt
3. In beirrender Weise heifsen aber auch die reellen
Bestandstücke der Erscheinung im rsten Sinne, in dem des
concreten Erscheinungs- oder Anschauungsactes, selbst
wieder Erscheinungen. Vor Allem heifsen Erscheinungen die
präsentirenden Empfindungen, also die erlebten Momente Ton
Farbe, Form u. s. w., welche nicht unterschieden werden von
den ihnen entsprechenden und im Acte ihrer „Deutung" erschei-
nenden Eigenschaften des (farbigen, geformten) Gegen-
standes. Dafs es wichtig ist, zwischen beiden zu unterscheiden,
dafs es nicht angeht, die Farbenempfindung mit der erscheinenden
Eigenschaft der Färbung, die Formempfindung mit der gegen-
ständlichen Form U.S. w. zu vermengen, haben wir mehrfach betont.
Allerdings, die unkritische Erkenntnistheorie ignorirt diese Unter-
scheidung. Auch diejenigen, die es ablehnen würden, mit Schopen-
HAüEM zu sagen „die Welt ist meine Vorstellung", pflegen so zu
sprechen, als ob dio erecheinenden Dinge Complexionen von
Emptindungsinhalteu seien. Man mag mit Recht sagen, dafs die
Dinge der erscheinenden Welt nach allen ihren BeschafiFen-
lieiten aus demselben Stoff constituirt sind, den wir als Empfin-
dungen zum Bewulstseinsinhalt recimen. Aber das ändert nichts
daran, dafs die erscheinenden Eigenschaften der Dinge nicht selbst
Empfindungen sind, sondern nur als Empfindungen gleichartig
erscheinen. Denn nicht sind sie wie die Empfindungen im Bewufst-
suin vorhanden, vielmehr als erscheinende Eigenschaften in ihm
blofs vermeint, vorgestellt, angenommen. Und demgemäfs sind
auch die wahrgenommenen äufseren Dinge nicht Complexionen
von Empfindungen; sie sind viohuehr Gegenstände von Erschei-
Vgl. VI, §26, 8.663.
nungen. welche Gegenstände als Complexionen von Inhalten der-
selben Arten, wie solche als Empfindungen bestehen, eben erscheinen.
Etwas anders gewendet könnten wir das Gesagte auch so darlegen:
unter dem Titel Empfindungen befassen wir gewisse Gattungen
von sachlich so und so beatinunten Erlebnissen einer Bewufst-
seinseinbeit. Kommt es nun vor, dafs Realitäten derselben
Gattungen aufserhalb e.aer Bewufstseinseinheit auftreten, oder
vielmehr als aufserhalb aiiitretend erscheinen, dann mag man sie
nach den betreffenden Gattungen benennen, aber Empfindungen
sind sie nunmehr nicht. Und auf dieses aufserhalb, das selbst-
verständlich nicht räumlich zu verstehen ist, legen wir den Nach-
druck. Wie immer die Frage der E.\istenz oder Nichtexistenz
der phänomenalen äufseren Dinge entschieden werden mag, darüber
ist kein Zweifel, dafs die Realität des jeweils wahrgenommenen
Dinges nicht veretanden werden kann als Realität einer wahr-
genommenen Empfiudungscomplexion in dem wahraebmenden Be-
wufstsein. Denn es ist offenbar, und an jedem Beispiel ist es zu
bewähren, dafs diese angebliche Empfiudungscomplexion, die als
Ding wahrgenommen sein soll, als Ganzes verschieden ist und
unter allen Umständen verschieden ist von der in der betreffenden
Wahrnehmung factisch erlebten EmpfinduDgscomplexion, deren
objective, vergegenständlichende Apperception das Wesen der
Wahrnehmungserscheinung ausmacht.
Sind wir nun darüber im Klaren, dafa in der Anschauung
zwischen Empfindungen als Erlebnissen, somit als Bostiindstiieken
desSubjects, und phänomenalen Bestimmtheiten, als Bestaudstücken
des intentionalen Objects, untei-schiedeu werden mufs, und dafs ]
sich Beides nur in dem Idealfalt adäquater Anschauung (der für
uns nicht in Frage kommt) deckt: so sehen wir auch leicht ein,
dafs diese eingewobenen Empfindungen nicht selbst als Erschei-
nungen gelten können, weder als Erscheinungen im Sinne von
Acten, noch als Erscheinungen im Sinne von erscfieinenden Gegen-
ständen. Das Erstere nicht, denn unter dem Titel Empfindungen
fassen wie ja gewisse Nicht-Acte zusammen, die allenfalls in Acten
eine objectivirende Auffassung erfahren; das Letztere nicht, weil
zur phänomenalen Gegenständlichkeit der Empfindungen Acte
gehören würden, die auf sie ihre Intention richten müTsten. Solche
Acte sind zwar möglich; dafs sie aber zum Bestände jeder Wahr-
nehmung, und dies mit Beziehung auf ihre präsentirenden Empfin-
dungen gehören, wird man weder durch descriptive Analyse, noch
durch genetische Gründe je als nothwendig erweisen können. All
das gilt selbstverständlich auch fiir imaginative Anschauungen, in
Beziehung auf ihre imaginativ repräsentirenden Inhalte-
Ist man einmal so weit gegangen, alle Bestandstücke von
Erscheinungen im Sinne von 1. selbst als Erscheinungen anzu-
sehen, so ist ein weiterer, kaum noch zum Bewufstsein kommender
Schritt der, dafs man schlierslich alles Psychische überhaupt, alle
Erlebnisse in der ErlcbnJseinbeit des Ich als Phänomene ansiebt
Wie der Terminus Erecheinung, so ist, und in seinem Ge-
folge, auch der Terminus Wahrnehmung, und sind dann weiter
alle anderen Termini, die im Zusammenbang mit Wahrnehmung
gebraucht werden , vieldeutig. Diese Vieldeutigkeiten durchsetzen
die Wahmehmungstlieorien mit Irrthümern der Vermengung. Wahr-
genommen hoifst z. ß. was in der Wahrnehmung „erscheint", also
ihr Gegenstand (das Haus), und abermals der in ihr erlebte
Empfindungsinhalt, d.i. der Inbegriff der präsentirenden Inhalte,
die in ihrer Complexion als das Haus und einzeln als dessen
Eigenschaften „aufgefafst" werden.
6.
Wie täuschend sich diese Vieldeutigkeiten erweisen, das zeigt
gerade Brentjiko's Theorie mit ihrer Scheidung von innerer und
äufsorer Wahrnehmung nach Evidenzcharakter und gesonderten
Pbäuomengruppen. Wir hören;
Die äufsere Wahrnehmung ist nicht evident und sogar trüge-
risch. — Dies ist zweifellos, wenn wir unter den „physischen
Phänomenen", welche sie wahrnimmt, die physischen Dinge, bezw.
ihre Eigenschaften, Veränderungen u. s. w. verstehen. Indem nun
Bhestanü diesen eigentJichen und allein zulässigen Sinn des Wortes
wukrgenommen mit dem uneigenflichen vertauscht, der statt auf
die äufseren Gegenstände, vielmehr auf die der Wabrneliniung
reell angehörigen, präsentireiuicn Inhalte bezogen ist; und indem
er, hierin consequent, nicht nur jene iüifseren Gegenstände, sondern
auch diese Inhalte als „physische Phänomene" bezeichnet: erscheinen
nun auch diese letzteren durch die Trügüchkeit der äufseren Wahr-
nehmung betroffen. Ich mochte glauben, dafs man hier doch
strenger sondern kann. Ist ein äufserer Gegenstand wahrgenommen
(das Haus), so sind iu dieser Wahrnehmung die präsentirenden
Empfindungen erlebt, aber nicht wahrgenommen. Indem wir uns
über die Existenz des Hauses täuschen, täuschen wir* uns über
die Existenz des erlebten sinnlichen Inhalts schon darum nicht,
weil wir über ihn gai-nicht urtheilen, weil wir ihn in dieser
Wahrnehmung nicht wahrnehmen. Achten wir nachträglich auf
diese Inhalte, und Niemand wird unsere Fähigkeit hiezu (so.
innerhalb gewisser Grenzen) leugnen können, abstrahiren wir
von dem, was sie uns soeben und gewöhnlich bedeuteten, und
nehmen wir sie einfach als das, was sie sind, dann nehmen wir
sie allerdings wahr, aber nun nicht durch sie den äufseren
Gegenstand. Diese neue Wahrnehmung hat offenbar genau den-
selben Anspruch auf Untrüglichkeit und Evidenz, wie nur
irgendwelche „innere" Wahrnehmung. Was ist und so gemeint
ist, wie es ist, das zu bezweifeln wäre evident unvernünftig. Ich
mag zweifeln, ob irgendwie ein äufserer Gegenstand existirt, ob
also irgendeine auf solche Gegenstände bezügliche Wahrnehmung
richtig sei: aber an dem jeweilig erlebten sinnlichen Gehalt
der Wahrnehmung kann ich nicht zweifeln — natürlich wo immer
ich auf ihn „reflectire" und ihn einlach anschaue, als was er
ist Es giebt also evidente Wahrnehmungen „physischer" In-
halte, genau wie solche „psychischer".
Wollte man einwenden , es seien sinnliche Inhalte immer und
nothwendig gegenständlich aufgefafst; sie seien immer Träger einer
äufseren Anschauung, und wir könnten auf sie daher nur achten,
indem wir sie als Inhalte einer solchen Anschauung beachteten:
so brauchen wir hierüber nicht zu streiten; es änderte nichts an
der Sachlage. Die Evidenz des Daseins dieser Inhalte wäre nach
k
710 Beilage: Aeufsere und innere Wahrnehmung.
wie vor unbestreitbar, und wäre auch nun keine Evidenz der
„psychischen Phänomene" im Sinne der Acte. Die Seinsevidenz
des ganzen psychischen Phänomens implicirt zwar diejenige für
jeden seiner Theile; aber das Wahrnehmen des Theils ist eine
neue "Wahrnehmung mit einer neuen Evidenz, die mit Nichten
diejenige des ganzen Phänomens ist
Ein analoger Doppelsinn, wie ihn der Begriff des physischen
Phänomens trägt, mufe sich bei consequenter Passung der Be-
griffe auch im Begriff des psychischen Phänomens finden. Bei
Brkntano ist dies nicht der Fall. Er versteht unter psychischem
Phänomen ausschlielslich ein wirklich vorhandenes Acterlebnis, und
unter innerer Wahrnehmung die Wahrnehmung, welche dieses Er-
lebnis einfach auMmmt, wie es da ist Brentano übersieht aber, dafs
er sich unter dem Titel innere Wahrnehmung nur eine Klasse
von Wahrnehmungen psychischer Phänomene zurechtgelegt hat,
und dafs nuu von einer Auftheilung aller Wahrnehmungen durch
die beiden Gruppen der äufseren und inneren Wahrnehmung keine
Rede sein kann. Er übersieht auch, wie nur mit dem Umstand,
dafs er sich bezüglich der inneren, eines wesentlich abweichenden
Begriffs von Wahrnelimung bedient, nicht aber mit der Besonderheit
der innerlich wahrgenommenen „Phänomene", der Vorzug der
Evidenz zusammenhängt, den er seiner inneren Wahrnehmung
beimifst. Hätte er auch bei dem „physischen" Phänomen als
Wahrnehmung von vornherein nur solche gegenständliche Erfassung
oder Auffassung verstanden, die ihren Gegenstand einfach so nimmt,
wie er wirklich ist, so hätte er die äulsere Wahrnehmung im Sinne
der Wahrnehmung sinnlicher Erlebnisse ebenfalls durch Evidenz
auszeichnen, und hätte nicht von der inneren Wahrnehmung in
seinem Sinne sagen dürfen, sie sei „eigentlich die einzige Wahr-
nehmung im eigentlichen Sinne des Wortes".'
Es ist überhaupt sicher, dafs die Begriffspaare innere und
äufsere, evidente und nicht -evidente Wahrnehmung nicht coin-
cidiren können. Das erste Paar ist bestimmt durch die Begriffe
• A. a. 0. 119.
»nd psychische Ph
711
von Physischem und Psychischem, wie immer man sie mm sondern
mag; das zweite prägt den erkenntnistheoretisch fundamentalen
Gegensatz aus, den wir in der Untei-suchung VI studirt liaben: den
Gegensatz zwischen adäquater Wahrnehmung (oder Anschauung
im engsten Sinne), deren wahrnehmende Intention ausschlielslich
auf ihren präsenten Inhalt gerichtet ist, und der blofs ver-
meintlichen, inadäquaten Wahrnehmung, deren Intention im
präsenten Inhalt eine nur partielle, analogische, unvollkommene
Erfüllung findet und durch ihn über das Gegebene hinausweist.
Im ersten FuH ist der empfundene Inhalt zugleich der Gegenstand
der Wahrnehmung. Der Inhalt bedeutet nichts Anderes, es sei
denn sich selbst. Im zweiten Fall treten Inhalt und Gegenstand
auseinander. Der Inhalt repräsentirt, was in ihm selbst nicht oder
nicht ganz liegt, was ihm aber ganz oder theilweise analog ist
In dieser Scheidung liegt das Wesen der erkenntnis-
theoretisclien Differenz, die man zwischen der inneren und
äufseren Wahrnehmung gesucht hat. Sie ist schon die bestim-
mende in der Cabtesumschkn Zweiteisbetrachtung. An der Wahr-
heit der inadäquaten , blofs abschattenden Widumehmung kann ich
zweifeln; der intendirte, oder wenn man will, der intentionale
Gegenstand ist dem erscheinenden Acte nicht immanent; die In
Intention ist da, aber nicht der Gegenstand selbst, der sie letzlich
zu errullen bestimmt ist. Wie könnte mir evident sein, dafs er
ist? An der adäquaten Wahrnehmung kann ich andererseits nicht
zweifeln, eben weil in ihr kein Rest von Intention übrig ist, der
HPerst nach Erfüllung langen müfste. Alle Intention, oder die In-
tention nach allen ihren Momenten ist erfüllt. Oder, wie wir es
auch ausdrückten: das Object ist in der Wahrnehmung nicht blofs
als daseiend vermeint, sondern zugleich auch in ihr selbst
gegeben und genau als das, als was es vermeint ist. Gehört es
zum Wesen adäquater Wahrnehmung, dal's ihr das angeschaute
Object selbst wahr und wirklich einwohnt, so ist es nur ein anderer
Ausdruck zu sagen: unzweifelhaft, evident ist nur die Wahr-
nehmung der eigenen wirklichen Erlebnisse. Nicht jede
solche Wahrnehmung ist evident So ist in der Wahrnehmung
I
vom Zahnschmerz ein Mrirtliches Erlebnis wahrgenommen,
gleich wol ist die Wahrnehmung eine täuschende: der Schmerz
scheint als im Zahne bohrend. Der Grund der Täuschung ist klar
Der wahrgenommene Gegenstand ist nicht der Schmerz, so wie
er erlebt, sondern der Schmerz, so wie er transscendent gedeutet,
imd zwar dem Zahn zugodeutet ist. Zu der adäquaten Wahrneh-
mung gehört es aber, dafs in ihr das Wahrgenommene, so wie
es wahrgenommen ist (so wie die Wahrnehmung es meint, ai
fatst) erlebt sei. In diesem Sinn haben wir selbstverständlich uiir
von unseren Erlebnissen, aber von ihnen auch nur, so weit wir
sie einfach hinnehnien, statt deutend über sie hinauszugehen, eine
evidente Wahrnehmung.
jiir
Nun könnte man aber einwenden: Erlebnis ist doch wo!
dasselbe wie psychisches Phänomen, wozu also der Streit? Ich
antworte: Wenn man unier psychischen Phänomenen die realen
Bestandstücke unseres Bewurstseins vereteht, die Erlebnisse selbst,
die jeweils da sind; und wenn man weiter unter Wahrnehmungen
psychischer Phänomene oder inneren Wahrnehmungen, ad-
äquate Wahrnehmungen verstellt, deren Intention in den bezüg-
lichen Erlebnissen immanente Erfüllung findet: dann deckt sich
der Umfang der inneren Wiüirnohinimg allerdings mit dem der
adäquaten Wahrnehmung. Von Wichtigkeit ist es aber zu bi
achten, dals
1. die psychischen Phänomene in diesem Sinn nicht identisch
sind mit denjenigen im Sinuo Bre.stano's, auch nicht mit den
cogitatioHcs Descabtes' und mit den acts or operatioyis of mind
bei Locke; denn in die so begrenzte Sphäre der Erlebnisse über-
haupt gehören die sämmtlichen Sinnesinhalte (die Empfindungen
und Phantasmen).
2. Dafs dann die nicht-inneren Wahrnehmungen (die er-
gänzende Klasse) nicht coincidiren mit den äufsoren Wahr-
nehmungen im normalen Wortsinn, sondern mit dem viel weiteren
Umfang der inadäquaten Wahrnehmungen. Wird ein sinnlicher
M
-h
Inhalt, eine sinnliche Complexion oder ein Verlauf sinnlicher In-
halte aiifgefafst als ein dastehendes Ding, als eine Menge, eine
Verknüpfung, ein Verhältnis von Dingen, oder als eine dingliche
BosehafiFenheit, als eine dingliche Veränderung, ein äufseres Er-
eignis u. dgl., so liegt eine äufsere Wahrnehmung im gewöhn-
lichen Sinne vor. Es kann aber auch ein nichtsin niieher Inhalt
zum repräsentativen Gehalt einer Wahnielmuuig gehören, zumal
in Verbindung mit sinnlichen Inhalten. Als wahrgenommener
Gegenstand kann dann ebensowol ein äufserer Gegenstand mit
vermeintlich wahrgenommenen psychischen Bestimmtheiten da-
stehen — wie wir ja geneigt sind, das Sohöue, Angenehme, Gute,
Reizende, u. s. w. den Dingen selbst wahrnehmend einzulegen — oder
ein innerer Gegenstand, ein subjectives Erlebnis, mit vermeint-
lich an ihm wahrgenommenen physischen Bestimmtheiten.
3. Wenn wir unter Wahrnehmungen psycliischer Phänomene
oder unter inneren Wahrnehmungen correcter Weise alle Wahr-
nehmungen von eigenen Erlebnissen verstehen, so gibt es unter
ihnen ganz so, wie unter den änfseren Wahrnehmungen, solche, bei
welchen der walirgenununene (iegeustand überhaupt nicht e.xistirt,
z. B. so, dafs die wahrnehmende Intention nach einem Theüe zwar
einen correlaten Gegenstand trifft, während ihr im Ganzen doch
kein Gegenstand entspricht („der wahrgenommene Gegenstand
existirt, aber er ist nicht ganz so, wie er wahrgenommen wird").
Man kann also eigene Erlebnisse wahrnehmen, die gar-
nieht existiren. Der fundamentale Unterschied zwischen
der adäquaten und inadäquaten Wahrnehmung kreuzt
sich mit dem unterschied der inneren und äufseron Wahr-
nehmung und durchsetzt dabei auch die Sphäre der erstercn.
8.
Die Aequivocationen des Wortes Phänomen, die es gestatten,
bald die erscheinenden Gegenstände und Eigenschaften, bald die
den Erscheiuungsact constituirenden Erlebnisse (zumal die Inhalte
im Sinne von Empfindungen) und sehliefslich alle Erlebnisse über-
haupt als Phänomene zu bezeichnen, erklären überhaupt die nicht
geringe Versuchung, zwei wesentlich verschiedene Ein-
theilungsarten der „Phänomene" durcheinander zu mengen:
1. Eintheilungen der Erlebnisse; z. B. die Eintbeilung
derselben in Acte und Nichtacte. Solche Eintheiluugen fallen
natürlich ganz in die Sphäre der Psychologie, als welche es ja
mit allen Erlebnissen zu thun hat.
2. Kintheihiogen der phänomenalen Oegenstäude; z. B.
die Eintheilung der phänomenalen Gegenstände in solche, die als
zum Ichbewul'stsein gehörig erscheinen, und in solche, die es
nicht thun, m. a. W. die Eintheilung in psychische und physische
Gegenstände (Inhalte, Eigenschaften, Relationen u. dgl.)
Bei Breotaxo laufen die beiden Eintlieilungen in der That
durchoinander. Er stellt einfach gegenüber : physische und psychische
Phänomene, und delinirt sie unverkennbar als eine Eintheilung der
Erlebnisse in Acte und Nichtacte. Aber alsbald verwechselt er
unter dem Titel physisches Phänomen die empfundenen Inhalte'
und die erscheinenden äufseren Gegenstände, bezw. ihre phäno-
menalen Beschaffenheiten, so dafs die Eintheilung nun zugleich
als eine Eintheilung der phänomenalen Objecto in physische
und psychische (nach dem gemeinen, oder einem ihm verwandten
Wortsinn) dasteht; wobei die letztere dann sogar die Namen
hergiobt
In nahem Zusammenhang mit dieser Verwechslung steht die
irrige und von Brestaxo auch znr Scheidung der beiden Phänomen-
klassen benutzten Bestimmung, dafs die physischen Phänomene
„nur phänomenal und intentional" existiren, während den
' Bmntano versteht unter Empfindungen Acte des Empfindens und stellt
ihaeü die enipfundetieu Inhalte gegeaüber. In unserer Redeweise besteht ein
Botoher üntersühied nach früher Au.sgeführtem nicht. Wir nennen Empfinden
die blolae Thataache, dals ein Sinnesinhalt und -weiterhin ein Nichtact über-
haupt in der Erlebniscomplexion präsent ist. In Relation oder in Entgegensetzung
zum Erscheinen könnte uns die Rede vom Empfinden allenfalls dienen, um die
apperceptive Function solcher Inhalte anzuzeigen (nämlich, dafe sie als Träger
deijenigen Auffassung f ungiren , in welcher sieh das betraEfende Erscheinen ala
Wahrnehmen oder Imaginiren vollzieht).
Physische und psychische Phänomene. 715
psychischen Phänomenen „aufser den intentionalen auch eine
■wirkliche Existenz" zukommet Verstehen wir unter den phy-
sischen Phänomenen die phänomenalen Dinge, so ist es sicher, dais
sie zum Mindesten nicht zu existiren brauchen. Die Gebilde der
productiven Phantasie, die meisten Objecte der künstlerischen
Darstellung in Gemälden, Statuen, Poesien u. s. w., die halluci-
natorischen und illusorischen Objecte existiren nur phänomenal
und intentional, d. h. sie existiren, eigentlich zu reden,
überhaupt nicht, sondern nur die betreffenden Erscheinungsacte.
Ganz anders liegt die Sache in Betreff der physischen Phänomene,
verstanden im Sinne der empfundenen Inhalte. Die empfundenen
(erlebten) Farbeninhalte, Gestaltinhalte u. s. w., welche wir in der
Bildanschauug von Böckus's „Gefilden der Seligen" haben, und
welche, durch den Actcharakter der Verbildlichung beseelt, sich
zum Bewulstsein vom BUdobjecte ausgestalten, sind reelle Bestand-
stücke dieses Bewurstseins. Und sie existiren dabei keineswegs
phänomenal und intentional (als erscheinende und vermeinte In-
halte), sondern wirklich. Natürlich wird man nicht übersehen
dürfen, dafs wirklich nicht soviel besagt wie aufserbetvufstseiend,
sondern soviel wie nicht blofs vermeintlich.
' Vgl. Brbmiano, a. a. 0. § 7, S. 120. In Beispielen heilst es: Erkenntnis,
Freude, Begierde bestehen wirklich, Farbe, Ton, Wärme nur phänomenal und
intentional. A. a. 0. S. 104 wird unter den Beispielen für physische Phänomene
aufgeführt: Eine Figur, Landschaft, die ich sehe .... Wärme, Kälte,
Geruch , die ich empfinde.
Zusätze und Verbesserungen.
S. 28, letzte Zeile, statt Wahrnehmung I.: innere (= evidente, adäquate)
■Waliniohmung.
S. 59, Z. 2 V. u. 1.: garnicbt als existirender zu gelten braucht.
S. 83 und 85. Leider habe icli bei der letztun Revision dos § 26 und
noch während der Dmcklegung übersehen , dats in der vorliegenden Darstellnng
die ältere (im Fortgang meiner Forschungen verbesserte) Auffassung nicht liin-
roichend ausgemerzt sei und daher mit der Unters. VI, §5, nicht ganz zu-
sammenstimme. Zur Unterscheidung zwischen anzeigender und angezeigter
Bedeutung ist also die deutlichere und bessere Darstellung im Zusatz S. 494 f.
zu vergleichen. In Beziehung auf das Beispiel „Äter" 8. 85, Z. 5 v. o. muüs es
natürlich und in Uebereinstimmung mit der richtigen Fassung 8. 84 u. hoifsen:
„Dafs sich die eigentliche Bedeutung des Wortes [„hier''] erst auf Grund
der jeweiligen Vorstellung dieses Ortes constituire".
S. 06, Z. 3 V. o. 1.: Bedeutung, Anschauung (als Bcdeutungs-
erfüllung) und Gegenstand.
Ebendas. Z. 7 v. o. I.: der erfüllenden Anschauung und der durch
sie constituirten, kategorial gefafsten Gegenständlichkeit als solcher.
S. 109. Zur Unterscheidung zwischen individuellem Meinen und allge-
meinem Meinen: Nach der VI. Unters, handelt es sich bei dem individuellen
Meinen um einen schlichten Act, d. h. die , Erscheinung", das was im dritten
Kapitel, § 2G derselben Unters, als Repräsentation deßuirt wird, ist einfach mit
einer setzenden oder nichtsetzendcn Qualität verknüpft; im Falle des allge-
meinen Meinens baut sich aber auf dem schlichten Act, bezw. auf der schlich-
ten Repräsentation eine neue auf, mit einer neuen Auffassungsweise, in der
sich die Beziehung auf den allgemeinen Gegenstand constituirt.
S. 161, Z. 3 V. u. statt „gedankliche Formen in sich schlieEst" 1.: ,auf ge-
dankliche (— kategoriale) Formen bezogen ist". Vgl. zu der ganzen Aus-
führung VI, § 60, S. 654 ff.
S. 164, Z. II V. u. 1.: „mit seinen mannigfaltigen kategorialen Formen
id sich diesen anmessenden Bedoutungsformen".
Zusätxe und Verbesserungen. 717
S. 165, Z. 4 vor SchluTs des Absatzes, statt bedeutangsinSTsigen 1.: kate-
gorialen.
S. 180 ff., § 31. Selbstverständlich sind in diesem Paragraphen unter dem
Titel Bedeutung nicht blofe die intentionalon Wesen der ßedeutungsintentionen,
sondern auch diejenigen der Bedeutungserfüliungen befafst. Die Bequemlich-
keit der Ausdmcksweise würde einen ähnlich erweiterten Begriff der Bedeu-
tung foidem, wie wir ihn im achten Kapitel der VI. Unters, bei deu Terminis
Denken, Urtheilen, Vorstellen, Abstrahireu u. dgl. zugestehen, wonach also
zwischen , uneigentlichen " und „eigentlichen* Bedeutungen zu unterscheiden
wäre. (Freilich ist eine solche Rede, zumal bei den vorherrschenden Auf-
fassungsweisen der Bedeutungsfunction, nicht ganz unbedenklich.) Demgemäls
mulä auch im Fortgänge der Untersuchung der Begriff allgemeine Bedeutung
zumeist in dem weiteren Sinn genommen werden, er muts sowol das symbo-
lische Meinen als auch das intuitive Erschauen des Allgemeinen zusammen-
nehmen. So zumal im Schlufekapitel.
S. 183. Zum fünften Kapitel, und wol zur ganzen Unters, überhaupt, ist
V. MnuoNö's neueste Abhandlung über ,Abstrahiren und Vergleichen" (Z. f. Psych,
n. Physiol. Bd. XXIV) heranzuziehen. Leider war es mir seit Abschluß des
Buches und während der Drucklegung nicht mehr möglich, mich auf neue
Studien einzulassen. Die von Mxikono citirte Arbeit £. Mally's über „Abs-
traction und Aehnlichkeitserkenntnis" (Arch. f. syst. Philos. VI) habe ich bisher
nicht gesehen.
S. 188, Z. 1 — 2, 1.: „als Act der allgemeinen Bedeutung, bezw. Bedeu-
tungserfüllnng* (der allgemeinen Anschauung im Sinne der VI. Unters.
§52, S. 633).
S. 276 ff. Der hier fragliche Begriff der Materie, der seinen Gegensatz
in der Kategorie hat, wird in der VI. Unters. § 42, S. 608 unter dem Titel
des Stoffes von anderen Begriffen der Materie unterschieden.
8. 217. Statt V. 1.: VI. (§ 15, S. 525 ff.).
8. 218 ff. Für § 42 kommt die obige Note zu § 31 mit in Betracht.
8. 286 ff. Zur Unters. IV und speciell zum SchluJsabsatz der Einleitung:
Fassen wir den Begriff der erfüllenden Bedeutung hinreichend weit, so dafs er
die Oesammtsphäre der, sei es vollkommenen, sei es symbolisch getrübten An-
schauungen befalst, und nehmen wir dabei den Begriff der Anschauung in
dem Sinne der in der Unters. VI, § 45 vollzogenen Erweiterung über das Gebiet
des Kategorialen — dann dürfen wir das „zumeist' in der zweiten Zeile dos
citirten Schlu&absatzes ganz fortstreichen. „Bedeutung*^ ist dann ein Aequi-
valent für „intentionales Wesen eines objectivirenden Actes überhaupt" und
für diesen Bedeutungsbegriff würden alleErgebnis.se der IV. Unters, fortgelton
(von einigen selbstverständlichen ModiGcationen abzusehen). Vgl. den obigen
718 Ziuitutxe und Verbesserungen.
Zusatz ZQ § 31, S. 180, nnd zur n. Untere, äbeiiunipt; femer das adite Kapitd
der VI. Unters, (bes. §§ 62—65).
8. 333, Z. 17 V. o. ist nach ,'Wahmefainnng' der (sinnstöreDde) Strich-
pankt durch einen Beistrich zu ersetzen.
8. 426, Torietzter Absatz Z. 3, 5 and 7, statt Actchaiaktare L: Actqua-
lit&ten.
S. 426, letzte Zeile, statt verbildlichenden 1.: dahinstellenden.
S. 428, Z. 2 T. n. Oenau besehen ist hier zur Actmaterie der ganze Rest
des Actes gerechnet, der nach Ausschlub der ActqnalitSt übrig bleibt; also
nicht der bloüse Auflassongssinn, sondern die volle aBeprisentation" (nach VI.
S. 562 ff.); doch hat diese Differenz auf die fernere Betrachtang keinen Einflok
8. 447, Anm. 1.: § 49, 8. 628 ff.
8.478, Z. 10 des zweiten Absatzes ist nach .können* einzufügen: sovie
die Angemessenheit des vermischten, znm Theil rein intuitiven, zum Tbeil
signitiven Vorstellens der verschiedenen kat^;orialen Stufen.
Ebenda». Z. 11, 1.: der blolsen 8ignification, bezw. dos signitiv getrübten
Voratellens äbeihaupt
8.508, Anm. statt §48 1.: §47 (8. 619 ff.).
Zum I. Theile der Logischen Untersuchongen ist folgender sinnstörende
Druckfehler nachzutragen:
8. 251, Z. 7 V. n. statt „eine« 1.: „keine*.
Verlag von Max Nlemeyer in Halle a. S.
Abhandlungen
zur
Philosophie und ihrer Geschichte
herausgegeben
von
Benno Erdmann.
1893-1900. 8.
T. DaTtd Haines KansaUtUtstheorie nnd ihre Bedeutung Tür die Begründung
der Tlieorie der Induktion von Dr. Paul Richter. .4 1.2(1.
11. Andreas RUilisrers Moralphilosophie von Dr. Wilh. Carls. Jt 1,20.
III. Unmes nnd Berkeleys Philiosophie der Mathematik vergleichend und
kritisch dargestellt von Dr. Eugen Meyer. ^ 1,60.
IV. Thomas Ulli Green und der Utilitarismns von Dr. George Fr.
James. .A 1,00.
V. Znr Theorie der Anftnerksamkeit von Dr. Harry Kohn. .^ 1,20.
VI. Keplers Lehre von der GrarttAtton. Ein Beitrag zur Geschichte der
mechanischen WcltanschanuDg von Dr. Ernst Goldbeck. ^ 1,20.
VII. Der Unterschied der Lehren Unmes im Treatise und im Inqntry von
Wilhelm Brede. Jt 1,20.
VIII. Diemot«risehen1fortvor8teliangen von Dr. Raymond Dodge. ^ 2,00.
IX. Sehopenhaners Aesthetik und ihr Verhältnis zu den ästhetischen Lehren
Kants und Schellings von Dr. Ed. von Mayer. ^ 2,00.
X. Die Snbstanzenlehre Leckes von Dr. W. Freytag. ^ 2,00.
XI. Die Giltigkeit unserer Erkenntnis der obJektiTen Welt von Dr. Walter
T. Marvin. .S 2,40.
XII. Spinozas GottesltegrUT von Dr. Eimer E. Powell. JH 3,00.
Xin. Prolegomena znr Bestimmung des Gottesbegriffes bei Kant von
Eumetaro Sasao. .^ 2,00.
XIV. Beiträge zur Kritik des psychophystschen Parallelismus vom Stand-
punkte der Energetik von Edwaixl Gleason Spaulding. .A 3,00.
Uachdrnckerei dos Waiseuhtusps in Hall* a. 8.
STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES
CECIL H. GREEN LIBRARY
STANFORD, CALIFORNIA 94305-6004
(415) 723-1493
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