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Full text of "Logische Untersuchungen"

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LOGISCHE 

UNTERSUCHUNGEI^ 


VON 


EDMUND  HUSSERL 


ZWEITER  THEIL 

UNTERSUCHUNGEN  ZUR  PHÄNOMENOLOGIE- 
UND  THEORIE  DER  ERKENNTNIS  !' 


HALLE  A.S. 

MAX  NIEMETER 

1901 


110215 


•  • •••     •• 


Inhalt. 


Einleitung.  s«it. 

§  1.      Nothwendigkeit  phänomenologischer  Untersuchungen  zur  orkenntnis- 

In-itischen  Vorbereitung  und  Klärung  der  reinen  Logik    ....  3 

§  2.      Zar  Verdeatlichang  der  Ziele  solcher  Untersachongen     ....  5 

§  3.      Die  Schwierigkeiten  der  rein  phänomenologischen  Analyse    ...  10 
§  4.      Unentbebrlichkeit  einer    Mitberüuksichtigung  der   grammatischen 

Seite  der  logischen  Erlebnisse 12 

§  5.       Bezeichnung  der  Haaptziele  der  nachfolgenden  analytischen  Unter- 
suchungen    15 

§6.      Zusätze 17 

§  7.      Das    Princip    der   Voraussetzungslosigkeit    erkcnutnistheoretischer 

Untersuchungen 19 


I. 

Ausdruck  and  Bedeatung. 

Erstes  Kapitel. 

Die  wesentllelien  Untereeheidangen. 

§  1.       Ein  Doppelsinn  des  Terminus  Zeichen 23 

§  2.      Das  "Wesen  der  Anzeige 24 

§3.      Hinweis  und  Beweis 25 

§4.      Ebccors  über  die  Entstehung  der  Anzeige  aus  der  Association    .     .  29 
§5.      Ausdrücke  als  bedeutsame  Zeichen.    Absonderung  eines  nicht  hie- 

hergehörigen  Sinnes  von  Ausdruck 30 

§6.      Die  Frage  nach  den  phänomenologischen  und  intentionalen  Unter- 
scheidungen, die  zu  den  Ausdrücken  als  solchen  gehören    ...  31 
§7.      Die  Ausdrücke  in  communicativer  Fnnction 32 


Inhalt.  V 

Seite 
Viertes  Kapitel. 

D«r  pUaomenologlsehe  nnd  ideale  Inhalt  der  Bedentangserlebnisse. 

§  30.    Der  Inhalt  des  ausdrückenden  Erlebnisses  im  psychologischen  Sinne 

and  sein  Inhalt  im  Sinne  der  einheitlichen  Bedeatang  ....  97 
§31.  Der  Actcharakter  des  Bedentens  and  die  ideal-eine  Bedeatang  .  99 
§32.  Die  Idealität  der  Bedentangen  keine  Idealität  im  normativen  Sinn  101 
§  33.    Die  Begriffe  .Bedeatang*  and  „Begriff  im  Sinne  von  Species  decken 

sich  nicht 102 

§34.    Im  Acte  des  Bedeatens  wird  die  Bedeatang  nicht  gegenständlich 

bewafet 103 

§35.    Bedentangen  ,an  sich"  and  aasdrückliche  Bedeatangen  ....     104 


n. 

Die  ideale  Einheit  der  Species  and  die  neueren  Abstractionstheorien. 

Einleitung 106 

Erstes  EapiteL 

Die  allgemeinen  GegenstHnde  nnd  das  AIlgemeinlieitBbewnfetsein. 

§  1 .      Die  allgemeinen  Gegenstände  werden  ans  in   wesentlich   anderen 

Acten  bewuTst  als  die  individuellen 108 

§2.      ünentbehrlichkeit  der  Rede  von  allgemeinen  Oegenständen  .    .    .  110 
§  3.      Ob  die  Einheit  der  Species  als  eine  uneigentlicbe  za  verstehen  ist. 

Identität  und  Gleichheit 112 

§4.      Einwände  gegen  die  Reduction  der  idealen  Einheit  auf  die  zer- 
streute Mannigfaltigkeit * 113 

§  5.       Fortsetzung.    Der  Streit  zwischen  J.  St.  Mill  and  H.  Spencbr  .    .  1 16 

§6.      üeberleitang  za  den  folgenden  Kapiteln 119 

Zweites  Kapitel 
Die  psrehologlsehe  Hypostasimng  des  Ail^meinen. 

§7.      Die   metaphysische    and    psychologische    Hypostasirong   des   All- 
gemeinen.   Der  Nominalismus 121 

§8.      Ein  tänschender  Gedankengang 122 

§9.      Lockb's  Lehre  von  den  abstracten  Ideen 125 

§10.    Kritik 127 

§  11.    Locn's  allgemeines  Dreieck 132 

Anmerkung 134 

§  12.    Die  Lehre  von  den  Gemeinbildem 135 


VI  Inhalt. 

Saita 
Drittes  Kapitel. 

Abstraetion  und  Anfmerksamkeit. 

§13.    Nominalistische  Theorien,  welche  die  Abstraction  als  Leistung  der 

Aufmerksamkeit  fassen 13G 

§  14.    Einwände,  welche  zugleioh  jede  Form  des  Nominalismus  treffen. 

a)  Der  Mangel  einer  descriptiven  Fixirung  der  Zielpunkte    .    .    .     139 

§  15.  b)  Der  Ursprung  des  modernen  Nominalismus  als  überspannte 
Reaotion  gegen  Locxs's  Lehre  von  den  allgemeinen  Ideen.  Der 
wesentliche  Charakter  dieses  Nominalismus  und  die  Abstractions- 
theorie  durch  Aufmerksamkeit 142 

§  16.  c)  Allgemeinheit  der  psychologischen  Function  und  die  Allgemein- 
heit als  Bedeutungsform.  Der  verschiedene  Sinn  der  Beziehung 
des  Allgemeinen  auf  einen  Umfang 146 

§  17.    d)  Anwendung  auf  die  Kritik  des  Nominalismus 148 

§  18.    Die  Lehre  von  der  Aufmerksamkeit  als  generalisironder  Kraft  .    .     149 

§  19.    Einwände,   a)  Das  ausschliefsliche  Achten  auf  ein  Merkmalsmomont 

behebt  nicht  dessen  Individualität 152 

§20.    Widerlegung  des  Argumentes  aus  dem  geometrischen  Donkon  .    .    155 

§21.  Der  Unterschied  zwischen  dem  Aufmerken  auf  ein  ansei bständigus 
Moment  des  angeschauten  Gegenstandes  und  dem  Aufmerken  auf 
das  entsprechende  Attribut  in  specie 156 

§  22.  Fundamentale  Mängel  in  der  phänomenologischen  Analyse  der  Auf- 
merksamkeit     159 

§  23.    Die  sinngemälise  Rede  von  der  Aufmerksamkeit  umfafst  die  gesammte 

Sphäre  des  Denkens  und  nicht  blofs  die  dos  Ansohauens      .    .     .     162 

Viertes  Kapitel. 
Abstraction  nnd  Reprttsentation. 

§24.    Die  allgemeine  Vorstellung  als  denkökonomischer  Kunstgriff     .    .  165 
§  25.    Ob  die  allgemeine  Repräsentation  als  wesentliches  Charakteristikum 

der  allgemeinen  Vorstellung  dienen  könne 168 

§  26.    Fortsetzung.    Die  verschiedenen  Modificationen  des  Allgemeinheits- 

bewuiktseins  und  die  sinnliche  Anschauung 170 

§27.    Der  berechtigte  Sinn  der  allgemeinen  Repräsentation 172 

§28.    Die  Repräsentation  als  Stellvertretung.    Locke  und  Berkeley   .    .  174 

§29.    Kritik  der  BEiucEUEY'schen  Repi-äsentationstheorie 176 

§  30.  Fortsetzung.  Bebkeley's  Argument  aus  dem  geometrischen  Beweis- 
verfahren      179 

§31.    Die  Hauptquelle  der  aufgewiesenen  Verirrungen 180 


Inhalt.  vn 

Seit« 
Fünftes  Kapitel. 

PhXnomenoIosiaehe  Stndie  Aber  Hnme's  AbstraetloiistJieorie. 

§32.     Abhängigkeit  Hciu's  von  Bkrkkliy 183 

§  33.     Htnu's  KritUc  der  abstracten  Ideen  und  ihr  vermeintliches  E^ebnis. 

Sein  AuTserachtlassen  der  phänomenologischen  Hauptpunkte      .     .     184 
§34.    Rückbeziehang  der  Huiu'schen  Untersuchung  auf  zwei  Fragen     .     187 
§35.     Das  leitende  Princip,  das  Ergebnis  und  die  ausführenden  Haupt- 
gedanken Hma'scher  Abstractionslehre 189 

§36.    Hdib's  Lehre  von  der  distinctio  rationis  in  der  gemäßigten  und 

ladicalen  Interpretation 191 

§37.     Einwände  gegen  diese  Lehre  in  ihrer  radicalen  Interpretation    .     .     194 
§  38.     üebertragung  der  Skepsis  von  den  abstracten  Theilinhalten  auf  alle 

Theile  überhaupt 201 

§39.     Letzte  Steigerung  der  Skepsis  und  ihre  Widerlegung 203 

Anhang. 

Modemer  Hnmeanismus 205 

Sechstes  Kapitel. 
Sondemngr  TerseUedener  Begriffe  tob  Abetraetlon  nnd  Abstmet. 

§40.  VermcnguDgen  der  einerseits  auf  unselbständige  Theilinhaite  und 
andererseits  auf  Species  bezogenen  Begriffe  von  Abstraction  und 
Abstract 214 

§  41.    Sonderung  der  Begriffe,  die  sich  um  den  Begriff  des  unselbständigen 

Inhalts  gruppiren 215 

§  42.     Sondemng  der  Begriffe ,  die  sich  um  den  Begriff  der  Species  gruppiren    218 


m. 
Zur  Lehre  von  den  Ganzen  nnd  Theilen. 

Einleitung 222 

Erstes  Kapitel. 
Der  Untersehied  der  selbstXndlgren  nnd  nnselbstXndlgen  Gegenstände. 

§  1.       Zusammengesetzte    und    einfache,    gegliederte    und    ungegliederte 

Gegenstände 223 

§  2.       Einführung    der    Unterscheidung    zwischen    unselbständigen    und 

selbständigen  Gegenständen  (Inhalten) 224 

§  3.       Die  Unabtrennbarkeit  der  unselbständigen  Inhalte 227 


vm  Inhalt. 


§4.      Beispielsanalysen  nach  Stumpf 

§5.      Die  objeotire  Bestimmong  des  B^riffs  der  ÜDabtrennbarkeit 

§  6.      Fortsetzung.    Aulmüpfung  an  die  Kritilc  einer  beliebten  Bestimmuni 

§7.  Schärfere  Äusprfigang  unserer  Bestimmung  durch  Einführung  de 
Oesetzesgedanl^ens 

§8.  Absonderung  des  Unterschiedes  zwischen  selbständigen  um 
unselbständigen  Inhalten  von  dem  phänomenologischen  Unter 
schied  zwischen  anschaulich  sich  abhebenden  und  verschmol 
zenen  Inhalten 

§  9.  Fortsetzung.  Hinweis  auf  die  weitere  Sphäre  der  Yerschmelzungs 
Phänomene 

§  10.  Die  Mannigfaltigkeit  der  zu  den  verschiedenen  Arten  von  Unselb 
ständigkoiten  gehörigen  Gesetze 

§  11.  Der  Unterschied  dieser  ,materialen''  Gesetze  von  den  .formalen' 
oder  .analytischen"  Gesetzen 

§  12.  Concretiun  und  Ding.  Verallgemeinerung  der  Begriffe  Selbständig 
keit  und  Unselbständigkeit  durch  Uebertragung  auf  das  Gebiet  de 
Succession  und  Caosalität 

§13.    Relative  Selbständigkeit  und  Unselbständigkeit 

Zweites  Kapitel. 

Gedanken  zn  einer  Theorie  der  reinen  Formen  von  Ganzen 

und  TlieUen. 

§14.    Der  Begriff  der  Fnndirung  und  zugehörige  Theoreme  .... 
§  15.    Ueberleitung  zur  Betrachtung  der  wichtigeren  Theilverbältnisse 
§  16.    Wechselseitige  und  einseitige ,  mittelbare  und  unmittelbare  Fundirun{ 
§17.    Exacte  Bestimmung  der  Begriffe  Stack,  Moment,  physischer  Theil 

Abstractum,  Concretum 

§  18.    Der  Unterschied  der  mittelbaren  und  unmittelbaren  Theile  eine! 

Ganzen  

§19.    Ein  neuer  Sinn  dieses  Unterschiedes:  nähere  und  fernere  Theile 

des  Ganzen 

§20.    Nähere  und  fernere  Theile  relativ  zueinander 

§21.    Exacte  Bestimmung  der   prägnanten  Begriffe  Ganzes  und   Theil, 

sowie  ihrer  wesentlichen  Arten,  mittelst  des  Begriffes  der  Fnndirung 

§22.    Sinnliche  Einheitsformen  und  Ganze 

§23.    Kategoriale  Einheitsformen  und  Ganze 

§24.    Die  reinen  Typen  von  Ganzen  and  Theilen.     Das  Postulat  einer 

apriorischen  Theorie 

§25.    Zusätze  über  die  Zerstückung  von  Ganzen  durch  die  Zerstücknng 

ihrer  Momente 


Inhalt.  IX 

Seite 
IV. 

Der  Unterschied  der  selbständigen  and  anselbsUndigen  Bedentnngcn 
and  die  Idee  der  reinen  Grammatik. 

Einleitung 286 

§  1.       Einlache  and  znsammengesetzte  Bedentangen 287 

§  2.       Ob  die  Zasammengesetztbeit  der  Bedeatnngen  ein  blolser  Reflex  sei 

einer  Zosammengesetztheit  der  Gegenstände 288 

§  3.      Der   prägnante   Sinn  der  Zusammengesetztheit  von  Bedeutungen. 

Intplicirende  Bedentangen 289 

§  4.      Die  Frage  nach  der  Bedeutsamkeit  «synkategorematisoher*  Bestand- 

stflcke  complexer  Ausdrücke 293 

§  5.      SelbstSndige  und  anselbständige  Bedentangen.    Die  Unselbständig- 
keit der  sinnlichen  and  diejenige  der  ausdrückenden  Worttheile    .    296 
§  6.      Gegenüberstellung    anderer    Unterscheidungen,      üngeschlossene, 

anomal  verkante  and  lückenhafte  Ausdrücke 298 

§  7.       Die  Auffossung  der  anselbständigen  Bedeutungen  als  fundirte  Inhalte    300 
§  8.      Schwierigkeiten  dieser  Auffassung,    a)  Ob  die  Unselbständigkeit  der 
Bedentang  eigentlich  nur  in  der  Unselbständigkeit  des  bedeuteten 

Gegenstands  liege 303 

§9.  b)  Das  Verständnis  herausgerissener  Synkategorematica  ....  304 
§  10.  Apriorische  Gesetzmälsigkeiten  in  der  Bedeutangscouiplexion  .  .  307 
§11.     E^wand.     Die  »uppoaitio  materialis  und  ihr  Analogon  ....    309 

§  12.     Unsinn  und  Widersinn 312 

§13.  Die  Gesetze  der  Bedeutungscomplexion  und  die  logische  Formenlehre  314 
§  14.     Die  Gesetze  des  za  vermeidenden  Unsinns  and  diejenigen  des  za 

vermeidenden  Widersinns.    Die  Idee  der  reinen  Grammatik      .    .    317 


V. 

Ueber  intentionale  Erlebnisse  and  ihre  „Inhalte". 

Einleitung 322 

Erstes  Kapitel. 

B«wiibt8elB  als  phVnomenologiseher  Bestand  des  leh, 

ud  BewiLbtsein  als  Innere  Wahmehmnng. 

§  1.      Vieldeatigkeit  des  Terminus  BewuMsein 324 

§2.      Erstens:  Bewuisisein  als  phänomenologische  Einheit  der  Icherleb- 

nisae.    Der  B^iiff  des  Erlebnisses 326 


InhaU. 


§3.  Der  phänomenologische  und  populäre  Erlebnisbegriff    .... 

§4.  Die   Beziehung   zwischen   erlebendem   Bewulstsein    und   crlebl 

Inhalt  keine  phänomenologisch  eigeuthümliche  Beziehungsart 

§5.  Zweitens:  Das  , innere"  ßewulstsein  als  innere  Wahrnohniutig  . 

§  6.  Uisprung  des  ereten  Bewulstsoinsbegrifb  aus  dem  zweiten   .    , 

§  7.  Wechselseitige  Abgrenzung  der  Psychologie  und  Naturwisseusct 

§8.  Das  reine  Ich  und  die  Bewuistheit 

Zweites  Kapitel. 
BewnGstsein  als  psychischer  Act. 

§9.      Die  Bedeutung  der  BRENiANo'schen  Abgrenzung  der  „psycliisc 

Phänomene" 

§  10.    Descriptive  Chai^ikteristik  der  Acte  als  „intentionaler"  Erlebnis: 
§11.    Abwehrung    terminologisch   nahegelegter   Mifsdeutungen :    a) 

„mentale*  oder  „immanente"  Object 

§  12    b)  Der  Act  und  die  Beziehung  des  Bewußtseins  oder  des  Ich 

den  Gegenstand 

§  13.    Fixirung  unserer  Terminologie 

§  14.    Bedenken    gegen   die   Annahme    von   Acten   als   einer   descri 

fundirten  Erlebnisklasse 

§  15.    Ob  Erlebnisse  einer  und  derselben  descriptiveu  Gattung  (und  zi 

der  Gattung  Gefühl)  theils  Acte  und  theils  Nicht-Acto  sein  köt 
§  16.  Unterscheidung  zwischen  descriptivem  und  intentionalcm  Inha 
§  17.  Der  intentionale  Inhalt  im  Sinn  des  intentionalen  Gegenstaude 
§  18.  Einfache  und  zusammengesetzte,  fundirende  und  fundirtu  Act 
§  19.    Die  Function  der  Aufmerksamkeit  in  complexen  Acten.   Das  ph 

menologische  Verhältnis  zwischen  Wortlaut  und  Sinn  als  Bei 
§  20.    Der  Unterschied  der  Qualität  und  der  Materie  eines  Actes   . 
§21.    Das  intentionale  und  das  bedeutungsmälsige  Wesen      .    .    . 

Drittes  Kapitel. 
Die  Materie  des  Actes  nndl  die  za  Grande  liegende  Vorsteil 

§  22.    Die  Frage  nach  dem  Verhältnis  zwischen  Materie  und  Qualität  des . 
§  23.    Die  Auffassung  der  Materie  als  eines  fundirenden  Actes  „bl< 

Vorstellens" 

§  24.    Schwierigkeiten.     Das  Problem  der  Differenziirung  der  Qual 

.   gattungen 

§  25.  Genauere  Analyse  der  beiden  Lösungsmöglichkeiten  .  .  . 
§  26.  Abwägung  und  Ablehnung  der  proponirten  Auffassung  .  . 
§27.    Das  Zeugnis   der   inneren  Erfahrung.     Wahrnehmungsvorste) 

und  Wahrnehmimg 


Inhalt.  XI 

Seite 

§28.    Specielle  Erforschung  der  Sachlage  beim  ürtheil 416 

§29.     Fortsetzang.     .Anerkennaiig''  oder  nZastimmoog"  zu  der  bloCsen 

Vorstellang  des  Sachverhalts 418 

§30.     Die  Auffassong   des   ideotisohea  Wortverständiiisses   als    „blolson 

Vorstellens» 423 

§  31.     Ein  letzter  fSnwand  gegen  unsere  AufTassuog.    Blolke  YorsteUungen 

und  isolirte  Materien 425 

Viertes  EapiteL 

Stndle  ttber  ftudirende  YorBteUnngen  mit  besonderer  Bttebsieht 

anf  die  Lehre  Tom  Urtheil. 

§  32.     Ein  Doppelsinn  des  Wortes  Yorstel lang  und  die  vermeintliche  Evidenz 

des  Satzes  von  der  Fondirong  jedes  Actes  durch  einen  Vorstellungsact  427 
§  33.     Restitution  des  Satzes  auf  Orund  eines  nenen  Yorstellungsbegriffes. 

Nennen  und  Aussagen 429 

§34.     Schwierigkeiten.     Der  Begriff  des  Namens.    Setzende  und  nicht - 

setzende  Namen 432 

§  35.     Nominale  Setzung  und  ürtheil.    Ob  ürtheile  äberbaupt  Theile  von 

nominalen  Acten  weiden  können 436 

§  36.    Fortsetzung.    Ob  Aussagen  als  ganze  Namen  fungiren  können  .    .    440 

Fünftes  Kapitel. 

Weitere  Beitrüge  zur  Lehre  Tom  Urtheil.    „Yorstellnng*' 

als   qaalitatlT   einheltUehe  Oattnng  der   nominalen   und 

proposltlonalen  Acte. 

§37.     Das  Ziel  der  folgenden  Untersuchung.     Der  Begriff  des  objecti- 

virenden  Actes 445 

§38.     Qualitative  und  materiale  Differenziirung  der  objectivirenden  Acte    447 
§  39.    Die  Vorstellung  im  Sinne  des  objectivirenden  Actes  und  ihre  quali- 
tative Modification 450 

§40.     Fortsetzung.    Qualitative  und  imaginative  Modification      ....    454 
§  41.     Neue  Interpretation  des  Satzes  von  der  Vorstellung  als  Grundlage 

aller  Acte.    Der  objectivirende  Act  als  primärer  Träger  der  Materie    458 

§42.     Weitere  Ausführungen 459 

§  43.     Bückblick  anf  die  frühere  Interpretation  des  behandelten  Satzes    .    462 

Sechstes  Kapitel. 

Zasammensteilang  der  wichtigsten  Aequivocationen  der  Termini 

Toretellnng  und  Inhalt. 

§44.     .Voistellung» 463 

§45.     ,  Vorstellungsinhalt" 470 


Inhalt. 

Seite 
VI. 

lemente  einer  phänomenologischen  Auflclärung  der  Erkenntnis. 

Einleitung 473 

Erster  Abschnitt. 

Die  objectivirenden  Intentionen  und  Erfüllungen. 

Die  Erkenntnis  als  Synthesis  der  Erfüllung  und  ihre  Stufen. 

Erstes  Kapitel. 
Bedeatongsliitention  nnd  Bedentungserfillliiiig. 

§  1 .      Ob  alle  oder  nur  gewisse  Actarten  als  Bedeutongsträger  fungiren 

köonen 480 

§  2.      Die  Attsdräokbarlceit  aller  Acte  entscheidet  nicht.  Zwei  Bedeutungen 

der  Rede  vom  Ausdrücken  eines  Actes 4S2 

§  3.      Ein  dritter  Sinn  der  Rede  vom  Ausdruck  eines  Actes.    Formulirung 

unseres  Themas 484 

§  4.  Der  Ausdruck  einer  AVabmehmuDg  („Wabmehmungsurtheil').  Seine 
Bedeutung  kann  nicht  in  der  Wahrnehmung,  sondern  muls  in 
eigenen  ausdrückenden  Acten  liegen 486 

§  5.      Fortsetzung.  Die  'Wahrnehmung  als  Bedeutung  bestimmender,  aber 

nicht  als  Bedeutung  enthaltender  Act 489 

§6.  Die  statische  Einheit  zwischen  ausdrückenden  Gedanken  und  aus- 
gedruckter Anschauung.    Das  Erkennen 495 

§7.      Das  Erkennen  als  Actcharakter  und  die  ,  Allgemeinheit  dos  Wortes"    49P 

§8.      Die   dynamische   Einheit   zwischen    Ausdruck   und   ausgedrückter 

Anschauung.    Das  Erfüllungs-  und  Identitätsbewuistsein  .    .    .    .    5( 

§9.  Der  verschiedene  Charakter  der  Intention  in  und  aulserbalb  der 
Erfüllungseinhoit ' 

§11.  Die  umfassendere  Klasse  der  Erfüllungsertebnisse.  Anschauungen 
als  erfüllungsbedürftige  Intentionen 

§  12.    Enttäuschung  und  Widerstreit    Synthesis  der  Unterscheidung  .    . 

§  13.    Totale  und  partiale  Identificimng  nnd  Unterscheidung,  als  die  ge- 
meinsamen phänomenologischen  Fundamente  der  prädicativen  ur 
determinativen  Ausdrucksform 

Zweites  Kapitel. 
Indlre«te  Charakteristik  der  objeetivirenden  Intentionen  nnd 
wesentliehen  Abarten  doreb  die  Unterschiede  der  Erfailnngss; 

§  14.  Die  Synthesis  des  Erkennens  als  die  für  die  objectivirenden 
charakteristische  Form  der  Erfüllung.  Subsumption  der  Bedeu' 
acte  unter  die  Klasse  der  objectivirenden  Acte   .... 


Saite 
Plmnüinenologische   Charakteristik    der    Untei-scheidaug    zwischen 
BJgnitiven   und   intuitiven   Iiiteutioncn    durch    die  Eigenheiten    der 

Erfüllung,     a)  Zeichen,  Bild  und  Selbstdarstellung 525 

h)  Die  perceptive  uuj  imaginative  Äbscbattung  des  Gegenstandes    528 
§  I5b.  Siguitire  loteotiuDon  auIserhaJb  der  Bedeatungsfauction    ....    532 

Drittes  Kapitel. 
Zur  PhUuiiniciiulogrie  der  Krkenutulsstiireii. 

§  16.    Blobe  Identiflcirung  und  Erfüllung 536 

§  17.    Die   Frage    nach   dem    Verhäitais   zwischen   Erfüllung   und   Ver- 

aiiacbaulichung 539 

§  18.    Die  Stufeiireihoa  mittelbarer  Erfüllungen.    Mittelbare  Vorstellungen    541 
§  19.    Unterseheiduug  zwischen  mittelbaren  Vorstellungen  undVorstellungs- 

vorstellungen 543 

§20.    Echte  VeranachaulichuDgen  in  jeder  Erfüllung.     EigentUcbe  uud 

uneigenüichü  Veransuhaulichuog 544 

§21.    Die  „Fülle"  der  Vorstellung 647 

§22.    fülle  und  „intuitiver  Gebalt' 550 

§23.  Die  Gowichtsvarbiiltüisse  zwischen  intuitivem  und  signitivem  Gehalt 
ein  und  desselben  Acteü.  Reiue  lutuitioo  und  rüiiie  Signifieatiou. 
Wabrnebuiuugsinbolt  und  Bildiulialt,  reine  Wahraebmung  and  reine 

Imagination.    Die  Gradationen  der  Fülle 551 

§24.     ßteigerungsreihen  der  Errütluiig 556 

§  25.    Fülle  und  intentionale  Materie 558 

§  26.    Foitsetzung,    Repräsentation  oder  Auffassung.    Die  Materie  als  der 

Anffassungssinn,  die   AuffassungBronn   und  der  aufgefiiLste  liiLalt. 

UoterschtiideDdeCbarakteristikderintuitiven  und  signitiven  AuffaKsung    562 

§27.    Repräsentationen  als  nothweudige  Voratellungsgrundlageu  in  allen 

Acten.    Letzte  Klärung  der  Rede  von  den  verschiedenen  Weisen  der 

Beziehung  des  BewuTstseins  auf  einen  Gegenstand 566 

Intautiunales    Wesen   und    erfüllender   Sinn.      Erkenntnismötsiges 

Wesen.    Anschauungen  in  apecie 5157 

VoUstaadige   uud   lückenhafte  Anschauungen.     Angemessene  and 
objectiv  vullstandige  Veranschauiichung.    Essenz 569 


Viertes  Kapitel. 
YertrUrUelikett  und  UiivertrH^llchkett. 

§30.    Die  ideale  Unterscheidung  der  Bedeutungen  in  uiöghcho  (reale)  und 

unuiögliuhe  (ima^nnäre) 574 


.IV  Inhalt. 

Seite 
§31.    Vcroiubarkeit  oder  VerträgUchkeit  als  ein  ideales  Yerhältnis  in  der 
weitesten  Sphäre  der  Inhalte  überhaupt    Vereinbarkeit  von  „Be- 

griffon"  als  Bedeutungen 577 

§32.     Unvoroinbarkeit  ("Widerstreit)  von  Inhalten  überhaupt      ....  579 
§  33.     Wie   auch  Widerstreit  Einigkeit   fandiren  kann.     lielativität  der 

Reden  von  Vereinbarkeit  und  Widerstreit 580 

§34.    Einige  Axiome • 583 

§  3.').     l'nvereinbarkeit  von  Begriffen  als  Bedeutungen 585 

Fünftes  Kapitel. 
Bas  Ideal  der  AdXqnatioii.    Evidenz  and  Wahrheit. 

§3C.     Einleitung ■ 587 

§  37.    Die  ErfüUungsfanction  der  "WahrnehniuDg.     Das  Ideal  der  letzten 

Erfüllung 588 

§  38.    Setzende  Acte  in  ErrüUungsfanction.   Evidenz  im  laxen  und  strengen 

Sinne 592 

§39.     Evidenz  und  Wahrheit 594 


Zweiter  Absohniti 
Sinnlichkeit  und  Yerstand. 

Sechstes  Kapitel. 
Sinnliehe  und  Icategoriale  Ansehannngr. 

§40.    Das  Problem   der   Eifüllung   kategorialer   Bedeutungsformen   und 

.ein  leitender  Gedanke  für  dessen  Lösung 600 

§  41.    Fortsetzung.    Erweiterung  der  Beispielsphäre 604 

§42.    Der  Unterschied  zwischen  sinnlichem  Stoff  und  kategorialer  Form 

in  der  Oesammtsphäre  der  objectivirenden  Acte Gf 

%  43.  Die  objectiven  Correlate  der  kategorialen  Formen  keine  „realen" 
Momente 

§  44.  Der  Ursprung  des  Begriffes  Sein  und  der  übrigen  Kategorien  liegt 
nicht  im  Gebiete  der  inneren  Wahrnehmung 

§45.  Erweiterung  des  Begriffes  Anschauung,  specieller  der  Begriffe 
Wahrnehmung  und  Imagination.  Sinnliche  und  kategoriale  An- 
schauung   ....    - 

§46.    Phänomenologische  Analyse  des  Unterschiedes  zwischen  sinnlich' 
und  kategorialer  Wahrnehmung 

§47.     Fortsetzung.      Charakteristik    der    sinnlichen    Wahrnehmung 

"ohlichte"  Wahrnehmung 

-  ''«tfleorialen  Acte  als  fnndirte  Acte      .     . 


Inhalt.  XV 

Seite 

§49.    Zusatz  über  die  nominale  Formung CÜ8 

§50.    Sinnliche  Formen  in  katogorialer  Fassung,  aber  nicht  in  nominaler 

Function 631 

§  .51.    Collectiva  und  Disjnnctiva 631 

§52.  Allgemeine  Gegenstände  sich  constituirend  in  allgemeinen  An- 
schauungen        633 

Siebentes  Kapitel. 
Studie  Über  kategoriale  Repräsentation. 

§53.    Rückbeziehung  auf  die  Forschungen  des  ersten  Abschnitts  .    .    .  037 

§54.    Dio  Frage  nach  den  Kepriisentanten  der  katogorialen  Formen   .    .  639 

§.55.     Argumente  für  dio  Annalimo  eigener  kategorialor  Repräsentanten  .  641 
§  50.    Fortsetzung.    Das  psychische  Band  der  verknüpften  Acte  und  die 

kategorialo  Einheit  der  entsprechenden  Objocte 644 

§  57.    Die  Repräsentanten  der  fundirenden  Anschauungen  nicht  unmittel- 
bar verknüpft  durch  die  Repräsentanten  der  synthetischen  Form    .  045 
§58.     Das  Verhältnis    der  beiden    Dntei-schiede:    äufsercr   und   innerer 

Sinn,  sowie  Sinn  und  Kategorie 6'19 

Achtes  Kapitel. 

Die  apriorischen  Oesetzc  des  cigentliclicn  und  nneigentliclien 

Denicens. 

§  59.  Complication  zu  immer  neuen  Formen.  Reine  Formenlehre  mög- 
licher Anschauungen 653 

§  60.  Der  relative  oder  functionello  Unterschied  zwischen  Materie  und 
Form.  Reine  und  mit  Sinnlichkeit  bemengte  Veretandesacte.  Sinn- 
liche Begriffe  und  Kategorien 654 

§  61.    Die  kategoriale  Formung  keine  reale  Umgestaltung  des  Gegenstandes    057 

§  62.  Die  Freiheit  in  der  kategorialen  Formung  vorgegebenen  Stoffes  und 
ihre  Schranken:  dio  rein  kategorialen  Gesetze  (Gesetze  des  ,oigent- 
lichen"  Denkens) 659 

§63.    Dio  reinen  Geltungsgesotze  der  signitiven  und  signitiv  getrübten 

Acte  (Gesetze  dfs  un  eigentlichen  Denkens) 663 

§64.  Die  rein  logischen  Gesetze  als  Oe.setzo  jedes  und  nicht  blofs  des 
menschlichen  Verstandes  überhaupt.  Ihre  psychologische  Bedeutung 
und  ihre  normative  Function  hinsichtlich  des  inadäquaten  Denkens    668 

§  65.    Das  widersinnige  Problem  der  realen  Bedoutuiig  des  IjOgischen    .    071 

§  00.    Sonderung  der  wichtigsten ,  in  der  torminologisclien  Gegenüberstellung 

von  Anschauen  und  Denken  sich  mengenden  Unterschiede    .     .    .    673 


XVI  Inhalt. 

Seite 

Dritter  Absohniti 
Aufklärung  des  einleitenden  Problems. 

Neuntes  Kapitel. 
NichtobJeetlTlrende  Aete  als  sehelnbare  Bcdentiingserflllliuigreii. 

§67.    Da&  nicht  jedes  Bedeuten  ein  Erkennen  einschliesst 676 

§  68.    Der  Streit  um  die  Interpretation  der  eigenartigen  grammatischen 

Formen  znm  Ausdruck  nichtobjectivirender  Acte 679 

§  69.    Argumente  für  und  wider  die  Abistoieusohx  Auffassung      .    .    .  682 

§  70.    Entscheidung 690 


Beilage. 

Äenfsere  und  innere  Wahrnehmnng.    Physische  and 
psychische  Phänomene. 

§  1.      Die   populären   und  die  traditionell  philosophischen  Begriffe  von 

äuiserer  und  innerer  Wahrnehmung 694 

§  2  und  3.   Erkenntnistbeoretisohe  und  psychologische  Motive  zur  Vertiefang 

der  traditionellen  Scheidung;  Bbkntako's  Auffassung 695 

§4.  Kritik.  Aeu&ere  und  innere  Wahrnehmung  sind  bei  normaler 
Fassung  der  Begriffe  von  demselben  erkenntnistheoretischen  Charak- 
ter; Wahrnehmung  und  Interpretation 703 

§  5.      Die  Aequivocationen  des  Terminus  Erscheinung 706 

§  6.  Daher  Verwechslung  des  erkenntnistheoretisch  bedeutungslosen 
Gegensatzes  von  innerer  und  äufserer  Wahrnehmung  mit  dem  er- 
kenntnistheoretisch fundamentalen  Gegensatz  von  adäquater  und 
inadäquater  Wahrnehmung 708 

§  7.      Dafe  der  Streit  kein  Wortstreit  ist 71 

§8.  Verwechslung  zweier  fundamental  verschiedener  Eintheilungen. 
Dass  die  , physischen"  Inhalte  nicht  ,blofs  phänomenal",  sondern 
„wirklich"  ezistiren ' 

Zusätze  und  Verbesserungen 


Zweiter  TheiL 

Untersuchungen  zur  Phänomenologie 
und  Theorie  der  Erkenntnis. 

Erste  Seihe. 


Unsiail,  Log.  Unters.  II. 


Einleitung. 


§  1.     Nothwendigkeit  phänomenologischer  ünlersiichungcn  zur 
erketminiskrifisehe)/  Vorhcrciiwvj  imd  Kläninff  der  reinen  Logik. 

Die  Notlnventligkeit,  die  Lo^ik  mit  spraclilichen  Erörterungen 
7,it  beginnen,  ist  vom  Standpunkte  der  logischen  Kunstlolire  oft 
anerkannt  worden.  „Die  Sprache"  —  so  lesen  wir  bei  Mili-*  — 
„ist  augenscheinlich  eines  der  vorneiinisten  Hilfsmittel  und  Werk- 
zeuge des  Denkens,  und  jede  UavoUkommenheit  des  Werkzeuges 
und  der  Art  soincs  Gebrauches  mufs,  wie  Jedermann  einsieht, 
diese  Kunstilbung  noch  mehr  als  jode  andere  hemmen  und  ver- 
wirren und  jedes  Vertrauen  in  die  Güte  des  Ergebnisses  zerstören. 
...  An  das  Studium  wissenschaftlicher  Methoden  herantreten, 
bevor  man  mit  der  Bedeutung  und  dem  richtigen  Gebrauch  der 
verschiedenen  Arten  von  Worten  vertraut  ist,  dies  hiefse  nicht 
minder  verkehrt  handeln,  als  wollte  Jemand  astronomische  Be- 
obachtungen anstellen,  ehe  er  das  Femrohr  richtig  gebrauchen 
gelernt  hat".  Aber  einen  tieferen  Grund  für  die  Nothwendigkeit, 
in  der  Logik  mit  einer  Analyse  der  Sprache  zu  beginnen,  sieht 
MiLL  darin,  dafs  es  sonst  nicht  möglich  wäre,  die  Bedeutung  von 
Sätzen  zu  untersuchen,  ein  Gegenstand,  der  „an  der  Schwelle" 
unserer  Wissenschaft  selbst  stehe. 

Mit  dieser  letzteren  Bemerkung  rührt  der  ausgezeichnete 
Denker  an  den  Gesichtspunkt,  der  für  die  reine  Logik  der  mals- 
gebende ist     Sprachliche  Erörterungen  gehören  allerdings  zu  den 


'  Logik,  I.  Buch  Kap.  1  §  1. 


Einleitung. 


unerläfslichen  Vorbereitungen  für  den  Aufbau  der  reinen  Logik, 
weil  nur  durch  ihre  Mithilfe  die  eigentlichen  Objecto  der  logischen 
Forschung  und,  in  weiterer  Folge  die  wesentlichen  Arten  und 
Unterschiede  dieser  Objecto  zu  unmüsrerständlicher  Klarheit  her- 
auszuarbeiten sind.  Es  handelt  sich  dabei  aber  nicht  um  grammati- 
sche Erörterungen  im  speciellen,  auf  irgendeine  historisch  gegebene 
Sprache  bezogenen  Sinn,  sondern  um  Erörterungen  jener  allge- 
meinsten Art,  die  zur  weiteren  Sphäre  einer  objectiven  Theorie 
der  Erkenntnis  und,  was  damit  innigst  zusammenhängt,  einer 
rein  descriptiven  Phänomenologie  der  Denk-  und  Er- 
kenntniserlebnisse gehören.  Diese  ganze  Sphäre  ist  es,  die 
zum  Zweck  einer  erkenntniskritischen  Yorbereitui^  und  Klärung 
der  reinen  Logik  durchforscht  werden  mu&;  in  ihr  werden  sich 
daher  unsere  nächsten  Untersuchungen  bewegen. 

Die  reine  Phänomenologie  stellt  ein  Gebiet  neutraler  For- 
schungen dar,  in  welchem  verschiedene  Wissenschaften  ihre  Wur- 
zeln haben.    Einerseits  dient  sie  zur  Vorbereitung  der  Psycho- 
logie   als    empirischer   Wissenschaft      Sie    analysirt    und 
beschreibt   (speciell    als  Phänomenologie   des   Denkens   und  Er- 
kennens)  die  Vorstellungs-,  Urtheils-,  Erkenntniserlebnisse,  die  in 
der  Psychologie  ihre  genetische  Erklärung,  ihre  Erforschung  nach 
empirisch -gesetzlichen  Zusammenhängen  finden  sollen.     Anderer- 
seits erschliefst  sie  die  „Quellen",  aus   denen  die  Grundbegriffe 
und  die  idealen  Gesetze  der  reinen  Logik  „entspringen",  und 
bis  zu  welchen   sie  wieder  zurückverfolgt  werden  müssen,  un? 
ihnen    die   für   ein   erkenntniskritisches  Verständnis   der  reinr 
Logik  erforderliche  „Klarheit  und  Deutlichkeit"  zu  verschaF 
Die  erkenntnistheoretische,  bezw.  phänomenologische  Grundleg 
der  reinen  Logik  umfafst  Forschungen  von  grofser  Schwierigl 
aber  auch  von  unvergleichlicher  Wichtigkeit     Erinnern  wir 
an   die  im  L  Theile  dieser  Untersuchungen  gegebene  Darh 
der  Aufgaben  einer  reinen  Logik  ,^  so  ist  es  dabei  abgesehe; 
eine  Sicherung  und  Klärung  der  Begriffe  und  Gesetze,  dir 


'  Vgl.  das  Schlulskapitel  der  Prolegoraena,  bes.  §  66  n.  f. 


Erkenntnis    objective  Bedeutung    und    theoretische    Einheit  ver- 
schatfen. 

§  2.     Zur  VerdettUiehung  der  Ziele  solcher  Untersuchungen. 

Alle  theoretische  Forschung,  obschon  sie  sich  keineswegs  blofs 
in  ausdrücklichen  Acten  oder  gar  in  coinpleten  Aussagen  bewegt, 
terminirt  doch  zuletzt  in  Aussagen.  Nur  in  dieser  Form  wird 
die  Walirheit  und  specieil  die  Theorie  zum  bleibenden  Besitzthum 
der  Wissenschaft,  sie  wird  zum  urkundlich  verzeiclmeten  und 
allzeit  verfügbaren  Schatz  des  "Wissens  und  des  weiterstrebenden 
Forscbens.  Ob  die  Verbindung  von  Denken  und  Sprechen,  ob 
die  Erscheinungsweise  des  abschliefsenden  Urtheils  in  der  Form 
der  Behauptung  eine  absolut  nothwendige  ist  oder  nicht,  soviel 
ist  jedenfalls  sicher,  dalä  Urtheile,  die  der  höheren  intellectuellen 
Sphäre  angehören,  sich  ohne  sprachlichen  Ausdruck  nicht  voll- 
ziehen lassen. 

Darnach  sind  die  Objecto,  auf  deren  Erforschung  es  die  reine 
Logik  abgeselicn  hat,  zunächst  ira  grammatischen  Gewände  ge- 
geben. Genauer  zu  reden,  sie  sind  gegeben  als  Einbettungen  in 
concreten  psychischen  Erlebnissen,  die  in  der  Function  der  Be- 
deutung oder  Bedeutungserfüllung  {in  letzterer  Hinsicht  als 
illustrirende  oder  evidentniachendo  Anschauung)  zu  gewissen 
sprachlichen  Ausdrücken  gehören  und  mit  ihnen  eine  phäno- 
menologische Einheit  bilden. 

Aus  diesen  complexen  phänomenologischen  Einheiten  hat  der 
Logiker  die  ihn  interessirenden  Componenten,  in  erster  Linie  also 
_dio  Actcharaktere,  in  denen  sich  das  logische  Vorstellen,  Urtheilen, 
Ürkennon  vollzieht,  herauszuheben  und  sie  in  descriptiver  Analyse 
so  weit  zu  studiren,  als  es  zur  Förderung  seiner  eigentlich  logischen 
Aufgaben  vortheilhaft  ist  Unmittelbar  ist  aus  der  Thatsache,  dala 
das  Theoretische  sich  in  gewissen  psychischen  Erlebnissen  realisirt 
und  in  ihnen  in  der  Weise  des  Einzelfalls  gegeben  ist,  keines- 
wegs als  vermeintliche  Selbstverständlichkeit  zu  entnehmen,  dafs 
diese  psychischen  Erlebnisse  als  die  primären  Objecto  der  logischen 


Einleitung. 


Forschungen  gelten  müssen.  Den  Logiker  interessirt  nicht  das 
psychologische  Urtheil,  d.  i.  das  concrete  psychische  Phänomen, 
sondern  das  logische  Urtheil,  d.  i.  die  identische  Aussagebedeutung, 
welche  Eine  ist  gegenüber  den  mannigfaltigen,  descriptiv  sehr 
unterschiedenen  Urtheilserlebnissen.*  Natürlich  entspricht  dieser 
idealen  Einheit  ein  gewisser,  überall  gemeinsamer  Zug  in  den 
einzelnen  Erlebnissen,  in  welchem  sich  das  Wesen  des  ürtheils 
als  solchen  realisirt  Aber  da  es  dem  Logiker  nicht  auf  das 
Concrete  und  seine  Einzelzüge  ankommt,  sondern  auf  die  be- 
trefifende  Idee,  auf  das  in  der  Abstraction  erfaCäte  Allgemeine,  so 
hat  er  unmittelbar  keinen  Anlafs,  den  Boden  der  Abstraction  zu 
verlassen  und  statt  der  Idee  vielmehr  das  Einzelne,  dieses  sein 
concretes  Erlebnis,  zum  Zielpunkt  seines  forschenden  Interesses 
zu  machen. 

Indessen,  wenn  auch  die  ideale  und  nicht  die  phänomeno- 
logische Analyse  zu  der  ureigenen  Domäne  der  reinen  Logik  ge- 
hört, so   kann   doch   die  Letztere  zur  Förderung  der  Ersteren 
nicht  entbehrt  werden.    Denn  alles  Logische  mufs,  wofern  es  als 
Forschungsobject  unser  Eigen  werden  und  die  Evidenz  der  in  ihm 
gründenden  apriorischen  Gesetze  ermöglichen  soll,  in  subjectiver 
Realisation  gegeben  sein.    Zunächst  aber  ist  uns  das  Logische  in 
einer  unvollkommenen  Gestalt  gegeben:  der  Begriff  als  mehr  oder 
minder  schwankende  Wortbedeutung,  das  Gesetz,  weil  aus  Be 
griffen  sich  bauend,  als  nicht  minder  schwankende  Behauptung 
Zwar  fehlt  es  darum  nicht  an  logischen  Einsichten.    Mit  Evider 
erfassen  wir  das  reine  Gesetz  und  erkennen,  dafs  es  in  den  rein 
Denkformen  gründe.    Aber  diese  Evidenz  hängt  an  den  Wortl 
deutungen,  die  im  actuellen  Vollzug  des  Gesetzesurtheils  leben 
waren.     Vermöge   unbemerkter  Aeqoivocation   können   sich 
Worten  nachträglich  andere  Begriffe  unterschieben,  und  nun 
leicht  für  die  geänderten  Satzbedeutungen  die  früher  erfa 
Evidenz  fälschlich  in  Anspruch  genommen  werden.    Es  kann 


•  Vgl.  §  11  der  Unters.  I. 


umgekehrt  die  aus  Aequivocation  entsprungene  Mifsdeutung  den 
Sinn  der  rein -logischen  Sätze  (etwa  in  den  empirisch -psycho- 
llogischer  Sätze)  verkehren  und  zur  Dahingabe  der  früher  erfahrenen 
Evidenz  und  der  einzigartigen  Bedeutung  des  Reiulogischen  ver- 
führen. 

Also  dieses  Gegebensein  der  logischen  Ideen  und  der  sich 
mit  ihnen  constituirenden  reinen  Gesetze  kann  nicht  genügen.  So 
erwächst  die  grofse  Aufgabe,  die  logischen  Ideen,  die  Begriffe 
und  Gesetze,  zu  erkenntnistheoretischer  Klarheit  und  Deut- 
lichkeit zu  bringen. 

Und  hier  setzt  die  phänomenologische  Analyse  ein. 

Die  logischen  Begriffe  als  geltende  Denkeinheiten  müssen 
ihren  Ursprung  in  der  Anschauung  haben;  sie  müssen  durch 
Ahstraction  auf  Grund  gewisser  Erlebnisse  erwachsen  und  im 
Neuvollzuge  dieser  Abstraction  immer  wieder  neu  zu  bewähren, 
in  ihrer  Identitüt  mit  sich  selbst  zu  erfassen  sein.  Anders  aus- 
gedrückt: Wir  wollen  uns  schlechterdings  nicht  mit  „blofsen 
Worten",  das  ist  uiit  einem  blofe  symbolischen  Wortverständois 
zufrieden  geben.  Bedeutungen,  die  nur  von  entfernten,  ver- 
schwommenen, uueigentlichen  Anschauungen  —  wenn  überhaupt 
von  irgendwelchen  —  belebt  sind,  können  uns  nicht  genug  thun. 
Wir  wollen  auf  die  „Sachen  selbst"  zurückgehen.  An  vollent- 
wickelten Anschauungen  wollen  wir  uns  zur  Evidenz  bringen,  dies 
hier  in  actuell  vollzogener  Abstraction  Gegebene  sei  wahrhaft 
und  wirklich  das,  was  die  Wortbedeutungen  im  Gesetzesausdruck 
meinen;  und  die  Disposition  wollen  wir  in  uns  erwecken,  die 
Bedeutungen  durch  hinreichend  wiederholte  Messung  an  der  repro- 
duciblen  Anschauung  (bezw.  an  dem  intuitiven  Vollzug  der  Ab- 
straction) in  ihrer  unverrückbaren  Identität  festzuhalten.  Des- 
gleichen überzeugen  wir  uns  durch  Veranschaulichung  der 
wechselnden  Bedeutungen,  die  demselben  logischen  Terminus 
in  verschiedenen  Aussagezusammenhängen  zuwachsen,  eben  von 
dieser  Thatsache  der  Aequivocation;  wir  gewinnen  die  Evidenz,  dafs, 
was  das  Wort  hier  und  dort  meint,  in  wesentlich  verschiedenen 
Momenten  oder  Formungen  der  Anschauung,  bezw.  in  wesentlich 


8  Einleitung. 


verschiedenen  Allgemeinbegriffen  seine  Erfüllung  findet  Durch 
Sonderung  der  vermengten  Begriffe  und  durch  passende  Aendemog 
der  Terminologie  gewinnen  wir  dann  auch  die  erwünschte  „Klar- 
heit und  Deutlichkeit"  der  logischen  Sätze. 

Die  Phänomenologie  der  logischen  Erlebnisse  hat  also  den 
Zweck,  uns  ein  so  weitreichendes  descriptives  (nicht  etwa  ein  gene- 
tisch-psychologisches) Yerständuis  dieser  psychischen  Erlebnisse 
zu  verschaffen,  als  nöthig  ist,  um  allen  logischen  Fundamental- 
begriffen feste  Bedeutungen  zu  geben,  und  zwar  Bedeutungen, 
welche  durch  Bückgang  auf  die  analytisch  durchforschten  Zu- 
sammenhänge zwischen  Bedeutungsintention  und  Bedeutungser- 
füllung geklärt,  in  ihrer  möglichen  Erkenntnisfunction  verständlich 
und  zugleich  gesichert  sind;  kurzum  Bedeutungen,  wie  sie  das 
Interesse  der  reinen  Logik  selbst  und  vor  allem  das  Interesse  der 
erkenntniskritischen  Einsicht  in  das  Wesen  dieser  Disciplin  fordert. 
Die  logischen  Fundamentalbegriffe  sind  bislang  noch  sehr  unvoll- 
kommen geklärt;  sie  sind  mit  vielfältigen  Aequivocationen  behaftet, 
und  mit  so  schädlichen,  mit  so  schwierig  festzustellenden  und  in 
consequenter  Unterschiedenheit  festzuhaltenden,  dafs  hierin  der 
hauptsächlichste  Grund  für  den  so  sehr  zurückgebliebenen  Stand 
der  reinen  Logik  und  Erkenntnistheorie  zu  suchen  ist 

Wir  müssen  allerdings  zugestehen,   dafs  mancherlei  begriff- 
liche Unterscheidungen   und  Umgrenzungen   rein  objectiv,   ohne 
phänomenologische  Analyse  zur  Evidenz  kommen.    Indem  sie  sich 
in  adäquater  Anpassung  an  die  erfüllende  Anschauung  vollziehen, 
wird  über  die  phänomenologische  Sachlage  selbst  nicht  reflectirt. 
Aber  auch  vollste  Evidenz  kann  verwirrt,  sie  kann  falsch  inter 
pretirt,  ihre  sichere  Entscheidung  kann  abgelehnt  werden.    Zum 
die  Neigung  der  philosophischen  Reflexion,    die   objective   ui 
phänomenologische  Betrachtungsweise  ohne  erkenntnistheoretisc' 
Klarheit  ihrer  zweckvollen  Beziehungen  durcheinander  zu  men 
und  sich   durch  phänomenologische  Milsdeutungen  in  objecti 
Hinsicht  täuschen  zu  lassen,   bedingt  es,  dals  eine  hinreich 
durchgeführte  Phänomenologie  der  Denk-  und  Erkenntniserleb' 
in  Verbindung  mit  einer  Erkenntnistheorie,  welche  uns  das 


hältnis  zwischen  Objectivem  und  Subjectivem  zur  Klarheit  bringt, 
dio  Voraussetzung  für  die  zuverlässige  und  letzte  Festlegung  der 
allermeisten,  wo  nicht  aller  objectiv- logischen  Unterscheidungen 
und  Einsichten  ist. 

Die  eben  erörterten  Motive  der  phänomenologischen  Analyse 
sind,  wie  man  sich  Iciclit  überzeugt,  nicht  wesentlich  von  den- 
jenigen verschieden,  welche  aus  den  erkenntnistheorotischon 
Grundfragen  entspringen.  Denn  diese  selbst  ordnen  sich  mit 
in  den  Kreis  der  Fragen  ein,  welche  zu  einer  vollen  Klärung 
der  Idee  einer  reinen  Logik  gehören.  Die  Thatsache  nämlich, 
dafs  alles  Denken  und  Erkennen  auf  Gegenstände,  bezw.  Sach- 
verhalte geht,  deren  Einheit  relativ  zu  der  Mannigfaltigkeit  wirk- 
licher oder  möglicher  Denkacte  eben  „Einheit  in  der  Mannig- 
faltigkeit", also  idealen  Churakti;rs  ist;  die  weitere  Thatsache, 
dafs  allem  Denken  eine  Denk  form  innewohnt,  die  unter  idealen 
Gesetzen  steht,  und  zwar  unter  Gesetzen,  welche  die  Objectivität 
oder  Idealität  der  Erkenntnis  überhaupt  umschreiben  —  diese 
Thatsachen,  sage  ich,  regen  immer  von  Neuem  die  Fragen  auf: 
wie  denn  das  „an  sich"  der  Objectivität  zur  Voretellung  kommen, 
also  gewissermafsen  doch  wieder  subjectiv  werden  mag;  was  das 
heifst,  der  Gegenstand  sei  „an  sich"  und  in  der  Erkenntnis  „ge- 
geben " ;  wie  die  Idealität  des  Allgemeinen  als  Begriff  oder  Gesetz 
in  den  Flufs  der  realen  psychischen  Erlebnisse  eingehen  und  zum 
Erkenn tnisbositz  des  Denkenden  werden  kann;  was  dio  erkennende 
adaequcttio  rei  ac  inkllectns  in  den  verschiedenen  Fällen  bedeute, 
je  nachdem  das  erkennende  „Erfassen"  ein  individuolles  oder 
Allgemeines,  eine  Thatsache  oder  eüa  Gesetz  betreffe  u.  s.  w.  Es 
ist  nun  aber  klar,  dafs  diese  und  ähnliche  Fragen  durchaus  un- 
trennbar sind  von  den  oben  augedeuteten  Fragen  der  Aufklärung 
des  rein  IjOgischen.  Die  Aufgabe  der  Klärung  von  logischen  Ideen, 
wie  Begriff  und  Gegenstand,  Wahrheit  und  Satz,  Thatsache  und 
Gesetz  u.  s.  w.  führt  unvermeidlich  auf  oben  dieselben  Fragen,  die 
man  übrigens  schon  darum  in  Angriff  nehmen  mufs,  weil  sonst 
das  Wesen  der  Klärung  selbst,  die  man  in  den  phänomenologischen 
Analysen  anstrebt,  im  Unklaren  bliebe. 


10  Einleitung. 


§  3.     Die  Schwierigkeiten  der  rein  phänomenologischen  Analyse. 

Die  Schwierigkeiten  der  Elärung  der  logischen  Grundbegriffe 
haben  ihre  natürliche  Ursache  in  den  aufserordentlichen  Schwierig- 
keiten der  streng  pbänomenologischen  Analyse.  Von  den  Psycho- 
logen pflegen  diese  Schwierigkeiten  bei  der  Erwägung  der  inneren 
Wahrnehmung  als  Quelle  psychologischer  Einzelerkenntnis  erörtert 
zu  werden;  in  der  Regel  freilich  nicht  in  correcter  Weise,  schon 
um  der  falschen  Gegenüberstellung  der  äufseren  und  inneren 
Wahrnehmung  willen.^  Die  wesentliche  Schwierigkeit  liegt  in  der 
widernatürlichen  Anscbauungs-  und  Denkrichtung,  die  in  der 
phänomenologischen  Analyse  gefordert  wird.  Anstatt  im  Vollzuge 
der  mannigfaltig  aufeinander  gebauten  Acte  aufzugehen  und  somit 
ihren  Gegenständen  ausschlieislich  zugewendet  zu  sein,  sollen  wir 
vielmehr  „  reflectiren ",  d.  h.  diese  Acte  selbst  zu  Gegenständen 
machen.  Während  Gegenstände  angeschaut,  gedacht,  miteinander 
in  Beziehung  gesetzt,  unter  den  idealen  Gesichtspunkten  eines  Ge- 
setzes betrachtet  sind  u.  dgl.,  sollen  wir  unser  theoretisches  Interesse 
nicht  auf  diese  Gegenstände  richten  und  auf  das,  als  was  sie  in  der 
Intention  jener  Acte  erscheinen  oder  gelten,  sondern  im  Gegentheil 
auf  eben  jene  Acte,  die  bislang  gamicht  gegenständlich  waren; 
und  diese  Acte  sollen  wir  nun  in  neuen  Anschauungs-  und  Denk- 
acten  betrachten,  sie  analysiren,  beschreiben,  zu  Gegenständen 
eines  vergleichenden  und  unterscheidenden  Denkens  machen.  Das 
aber  ist  eine  Denkrichtung,  die  den  allerfestesten,  von  Anbeginn 
unserer  psychischen  Entwicklung  sich  immerfort  steigernden  Ge- 
wohnheiten zuwider  ist.  Daher  die  fast  unausrottbare  Neigunf 
immer  wieder  von  der  phänomenologischen  Denkhaltung  in  (* 
schlicht- objective  zurückzufallen,  Bestimmtheiten  der  primär  i 
scheinenden  Gegenstände  den  Erscheinungen  selbst,  also  den  fac 
sehen  psychischen  Erlebnissen,  zu  unterschieben,  ja  die  inter 
nalen  Gegenstände  überhaupt  als  phänomenologische  Bestandsti 
ihrer  Vorstellungen  anzusehen. 


'  Vgl.  die  Untersuchung  Y  und  die   erste  Beilage  am  Schlosse 
Bandes. 


Da  wir  in  dem  secundären  Acte  nuf  die  primären  aclitsani 
sein  sollen  und  dies  wieder  zur  Voraussetzung  hat,  dafs  wir  min- 
destens bis  zu  einem  gewissen  Grade  auf  deren  Gegenstände  acht- 
sam  sind,  so  kommt  hier  natürlich  auch  die  „Enge  des  Bewufst- 
seins"  als  erschwerender  Umstand  in  Betracht.  Bekannt  ist  ferner 
der  störende  Einflufs,  den  die  socundüren  Acte  der  Reflexion  auf 
den  phänomenologischen  Gehnlt  der  primären  Acte  nehmen,  wo- 
bei die  eintretenden  Veränderungen  von  dem  minder  Geühten 
leicht  zu  ühersohen,  aber  auch  von  dem  Erfahrenen  schwer  ein- 
zuschätzen sind. 

Der  Schwierigkeit  der  Gewinnung  haltbarer,  in  wiederholter 
Identiticirung  evidenter  Ergebnisse  steht  zur  Seite  die  Schwierig- 
keit ihrer  Dar.stellung  und  ihrer  Uebormittlung  an  Andere. 
Was  nach  genauester  Analyse  mit  vollster  Evidenz  festgestellt 
worden  ist,  soll  in  den  Ausdrücken  dargestellt  werden,  die  mit 
weitreichender  Difforenziirung  nur  der  primären  Objectivität  an- 
gemessen sind,  während  die  subjcctivcn  Erlebnisse  direct  nur 
mittelst  ein  paar  sehr  vieldeutiger  Worte  wie  Kmptindung,  Wahr- 
nehmung, Vorstellung  u,  dgl.  bezeichnet  werden  können,  und 
daneben  nuifs  man  sich  mit  Ausdrücken  behelfen,  die  das  in 
diesen  Acten  Intentionale,  die  Gegen.ständlichkeit,  worauf  sie  sich 
richten,  benennen.  Es  ist  schlechterdings  niclit  möglich,  die 
meinenden  Acte  zu  boschreiben,  ohne  im  Ausdruck  auf  die  ge- 
meinten Sachen  zu  recurriren.  Wir  bedürfen  der  uns  geläufigen 
Ausdrücke  für  das  Gegenständliche  zur  Herstellung  umschreiben- 
der Ausdrücke,  in  welchen  wir  sehr  indirecte  Hindeutiingen  auf 
die  ontsprecbeuden  Acte  und  ihre  descriptiven  Unterschiede  voll- 
ziehen. 

Sehen  wir  aber  von  diesen  Schwierigkeiten  ab,  so  erheben  sich 
Mono  in  der  überzeugenden  Uebermittlung  der  gewonnenen  Ein- 
sichten auf  Andere.  Nachgeprüft  und  bestätigt  können  diese  Ein- 
sichten nur  von  Demjenigen  werden,  der  die  wohlgeübte  Befähi- 
gung erlangt  hat,  sich  in  jenen  widernatürlichen  Habitus  der 
Reflexion  und  reüectiven  Forschung  zu  versetzen  und  die  phäno- 


12  Einleitung. 


menologischen  Verhältoisse  rein,  von  aller  Einmischung  der  inten- 
tionalen  Gegenständlichkeit  ungetrübt,  auf  sich  wirken  zu  lassen. 
Diese  Befähigung  ist  nicht  leicht  anzueignen,  und  ist  z.  B.  durch 
keine  noch  so  reiche  Schulung  im  psychophysischen  E:xperimeQt 
zu  ersetzen  oder  zu  gewinnen. 

Wie  grols  nun  auch  die  Schwierigkeiten  sind,  die  einer  reinen 
Phänomenologie  überhaupt  und  spcciell  einer  reinen  Phänomeno- 
logie der  logischen  Erlebnisse  im  Wege  stehen,  sie  sind  keines- 
falls von  einer  Art,  dafs  sie  den  Versuch  ihrer  Ueberwindung  als 
hoffnungslosen  erscheinen  lassen  könnten.  Das  entschlossene  Zu- 
sammenarbeiten einer  zielbewuisten,  der  greisen  Sache  ganz  hin- 
gegebenen Forschergeneration  würde  (so  wage  ich  zu  urtheilen) 
die  wesentlicheren  Fragen  des  Gebietes  zu  voller  Entscheidung 
bringen.  Hier  ist  ein  Kreis  erreichbarer  und  für  die  theoretische 
Philosophie  fundamentaler  Entdeckungen.  Freilich  sind  es  Ent- 
deckungen, denen  der  blendende  Glanz  fehlt;  es  fehlt  die  unmittel- 
bar greifbare  Nützlichkeitsbeziehung  zum  practischen  Leben  oder 
zur  Förderung  höherer  Gemüthsbedürfnisse;  es  fehlt  auch  der 
imponirende  Apparat  der  experimentellen  Methodik,  durch  den 
sich  die  aufblühende  physiologische  Psychologie  Vertrauen  und 
reiche  Mitarbeiterschaft  errungen  hat 

§  4.     Uhenibehrlichkeit  einer  Mitberücksichtiffung  der  grammatischen 
Seite  der  logischen  Erlebnisse. 

Die  analytische  Phänomenologie,  deren  der  Logiker  zu  seinen 
vorbereitenden  und  grundlegenden  Geschäfte  bedarf,  betrifft  „Vor 
Stellungen"  und  des  Näheren  ausdrückliche  Vorstellungen.    I 
diesen  Complexionen  aber  gehört  sein  primäres  Interesse  den 
den  „blofsen  Ausdrücken"  haftenden,  in  der  Function  der  I 
deutuHg  oder  Bedeutungserfüllung  stehenden  Erlebnissen.  Indes' 
wird  auch  die  sinnlich-sprachliche  Seite  der  Complexionen 
was  den  „blofsen"  Ausdruck  in  ihnen  ausmacht)  und  die  "V^ 
ihrer  Verknüpfung  mit  der  beseelenden  Bedeutung  nicht  ai 
Acht  bleiben  dürfen.     Es  ist  bekannt,  wie  leicht  und  gan 
vermerkt  sich  die  Bedeutungsanalyse  durch  die  gramma' 


I 

I 


Analyse  pflegt  gänpoln  zu  lassen.  Bei  der  Schwierigkeit  der 
dirocten  Bodciitiing^analyse  wird  freilich  jedes,  wenn  auch  unvoll- 
koninieno  Hilfsmittel,  ihre  Erlebnisse  indirect  vorwegzunehmen, 
nicht  unwillkommen  sein;  aber  mehrnoch  als  durch  diese  positive 
Hilfe  wird  die  grammatische  Analyse  durch  die  Tänschungen 
wichtig,  die  sie  bei  der  Unterschiebung  für  die  eigentliche  Be- 
doutungsanalyse  mit  sich  führt.  Die  rohe  Reflexion  auf  die 
Gedanken  und  ihren  sprachlichen  Ausdruck,  zu  der  wir  ohne 
besondere  Schulung  befähigt  sind,  und  deren  wir  auch  zu  practi- 
schen  Denkzwecken  öfters  bedürfen,  genügt,  um  uns  auf  einen 
gewissen  ParaUeüsmus  zwischen  Denken  und  Sprechen  aufmerksam 
zu  machen.  Wir  wissen  alle,  dafs  Worte  etwas  bedeuten,  und  dafs, 
allgemein  zu  reden,  auch  verschiedene  Worte  verschiedenen  Be- 
deutungen Ausprägung  geben.  Dürften  wir  diese  Correspondenz 
als  vollkommene  und  a  priori  gegebene  ansehen,  und  zumal  auch 
als  eine  solche,  die  den  wesentlichen  Bedeutiingskategorien  ihr 
vollkommenes  Gegenbild  in  den  grammatischen  Kategorien  ver- 
schafft, 80  würde  eine  Phänomenologie  der  sprachlichen  Formen 
zugleich  eine  Phänomenologie  der  Bedeutungserlcbnisse  {der  Denk-, 
Urtheilserlebnisse  u.  dgl.,  so  weit  sie  eben  Bedeutungsträger  sind) 
in  sich  schliefsen,  die  Bedeutungsanalyse  würde  sich  mit  der 
grammatischen  Analyse  docken. 

Es  bedarf  nicht  eben  tiefgehender  Ueberlegungen,  um  fest- 
zustellen, dafs  ein  ParaUeüsmus,  der  diesen  weitgehenden  An- 
forderungen genügte,  in  Wahrheit  nicht  statt  hat,  und  demgemäfs 
kann  sich  auch  schon  die  grammatische  Analyse  nicht  in  einer 
blofsen  Unterscheidung  von  Ausdrücken  als  sinnlich-äufseren  Er- 
scheinungen bethäügen;  sie  ist  vielmehr  nach  einem  erheblichen 
und  durchaus  nicht  entbehrlichen  Theile  bestimmt  durch  ständige 
Hinblicke  auf  die  Unterschiede  der  Bedeutungen.  Aber  diese 
grammatisch  relevanten  Bedeutungsunterschiede  sind 
bald  wesentliche  und  bald  zufällige,  je  nachdem  eben  die 
practischen  Zwecke  der  Rede  eigene  Ausdrucksforraen  für  wesent- 
liche oder  für  zufällige  {nur  eben  im  Wecbselverkebr  besonders 
oft  auftretende)  Bedeutungsunterschiede  erzwingen. 


14  Einleitung. 


Bekanntlich  sind  es  aber  nicht  blo&e  Bedeatongsuntetschiede, 
welche  die  Differenziirung  der  Ausdrücke  bedingen.  Ich  erinnere 
hier  nur  an  die  Unterschiede  der  Färbung,  sowie  an  die  ästheti- 
schen Tendenzen  der  Rede,  welche  der  kahlen  Einförmigkeit  der 
Ausdrucksweise  und  ihrem  lautlichen  oder  rythmischen  Mifsklang 
widerstreben  und  daher  eine  verfügbare  Fülle  gleichbedeutender 
Ausdrücke  fordern. 

Da  in  Folge  des  rohen  Zusammengehens  Ton  verbalen  und 
gedanklichen  Unterschieden  und  zumal  auch  von  Wertformen  und 
Gedanken  formen  eine  natürliche  Neigung  besteht,  hinter  jeder 
ausgeprägten  grammatischen  Unterscheidung  eine  logische  zu 
suchen,  so  wird  es  eine  logisch  wichtige  Angelegenheit, 
das  Verhältnis  von  Ausdruck  und  Bedeutung  zu  ana- 
lytischer Klarheit  zu  bringen,  und  in  dem  Rückgang  von 
der  Bedeutung  auf  die  erfüllende  Anschauung  das  Mittel 
zu  erkennen,  wodurch  die  Frage,  ob  eine  Unterscheidung  als 
logische  oder  als  blofs  grammatische  zu  gelten  habe,  in  jedem 
gegebenen  Falle  entschieden  werden  kann. 

Die  allgemeine,  an  passenden  Beispielen  leicht  zu  gewinnende 
Erkenntnis  des  Unterschiedes  zwischen  grammatischer  und  logischer 
Differenziirung  genügt  nicht     Diese  allgemeine  Erkenntnis,  dafs 
grammatische  Unterschiede  nicht  immer  mit  logischen  Hand  in 
Hand  gehen;  mit  anderen  Worten,  dafs  die  Sprachen  materiale 
Bedeutungsunterschiede  von  weitreichender  communicativer  Nütz- 
lichkeit in  ähnlich  durchgreifenden  Formen,  ausprägen,  wie  di 
fundamentalen  logischen  Unterschiede  (nämUch  die  Unterschiede 
die  im  allgemeinen  Wesen  der  Bedeutungen  a  priori  gründen)  - 
diese  allgemeine  Erkenntnis  kann  sogar  einem  schädlichen  Ra 
calismns  den  Boden  ebnen,  der  die  Sphäre  der  logiseben  Form 
übermäßig   beschränkt,    eine    breite  Fülle    logisch    bedeutsar 
Unterschiede    als  vermeintlich  blols  grammatische   verwirft 
nur  einige  wenige  übrig  behält,  die  eben  noch  ausreichend  i 
der  traditionellen  Syllogistik  irgend  einen  Inhalt  zu  belassen, 
kanntlich  ist  Bbentaho's,  trotz  alledem  sehr  werthvoller,  Te 
einer  Reformation  der  formalen  Logik  in  diese  Uebertreibur 


fallen.  Niir  eine  volle  Klarlegung  dos  rein  phänomenologischen 
Verhältnisses  zwischen  Ausdruck,  Bedeutung  und  Bedeutungs- 
erfüllung kann  uns  hier  die  sichere  Mittelstellung  verschaffen  und 
das  Verhältnis  zwischen  grammatischer  und  Bedeutungsanalyse  zur 
erforderlichen  Deutlichkeit  bringen. 

§  5.     Bezeichnung  der  Hauptziele  der  nachfolgenden 
analytischen   Untersuchungen. 

Wir  werden  damit  auf  eine  Reihe  analytischer  Vorarheiteu 
zur  Ermöglichung  einer  formalen  Logik  und  zunächst  der  Ermög- 
lichung einer  reinen  logischen  Formenlehre  hingewiesen,  die,  aus- 
gehend von  der  empirischen  Gebundenheit  der  Bedeutungserleb- 
nisse, an  „Ausdrücken"  festzustellen  sucht,  was  die  mehrfach 
äquivoke  Rede  vom  „Ausdrücken"  bezw.  Bedeuten  eigentlich 
meint;  welches  die  wesentlichen,  sei  es  phänomenologischen  oder 
logischen  Unterscheidungen  sind,  die  allgemein  zu  den  Ausdrücken 
gehören;  wie  dann  weiter  —  um  ;^unäehst  die  phänomenologische 
Seite  der  Ausdrücke  zu  bevorzugen  —  die  psychischen  Erlebnisse 
zu  beschreiben,  welchen  Gattungen  sie  einzuordnen  sind,  die  über- 
haupt zu  dieser  F'unction  des  Bedeutens  befähigt  sind;  wie  das 
in  ihnen  vollzogene  „Vorstellen"  und  „Urtheilen"  sich  zur  ent- 
sprechenden „Anschauung"  verhalte,  wie  es  sich  darin  „bekräftige" 
und  „erfülle",  dariu  seine  „Evidenz"  finde;  u.  dgl.  Es  ist  leicht 
einzusehen,  dafs  die  hierauf  bezüglichen  Untersuchungen  allen 
denen  voraufgehen  müssen,  welche  auf  die  Klärung  der  logischen 
Grundbegriffe,  der  Kategorien,  bezüglich  sind.  In  die  Reihe  dieser 
einleitenden  Untersuchungen  gehört  auch  die  fundamentale  Fi-age 
nach  den  Acten,  bezw.  den  idealen  Bedeutungen,  die  unter  dem 
Titel  Vorstellung  für  die  Logik  in  Betracht  kommen.  Die  Ana- 
lyse der  vielen,  Psychologie,  Erkenntnistheorie  und  Logik  ganz 
und  gar  verwirrenden  Begriffe,  die  das  Wort  Vorstellung  an- 
genommen hat,  ist  eine  wichtige  Aufgabe.  Aehnliche  Analysen 
betreffen  den  Begriff  des  Urtheils,  und  zwar  des  ürtheils  in  dem 
für  die  Logik  in  Betracht  kommenden  Sinne.  Darauf  ist  os  in  der 
sogenannten  „ Urtheilstheorie "  abgesehen,  die  aber  ihrem  Haupt- 


16  Einleitung. 

theil,  bezw.  ihren  wesentlichen  Schwierigkeiten  nach  „Yorstellnngs- 
theorie"  ist  Natürlich  handelt  es  sich  dabei  um  nichts  weniger 
als  um  eine  psychologische  Theorie,  sondern  um  eine,  durch  er- 
kenntniskritisohe  Interessen  umgrenzte  Phänomenologie  der  Vor- 
steUungs-  und  ürtheilserlebnisse. 

Wie  der  phänomenologische,  also  rein  descriptive,  Oehalt  der 
ausdrücklichen  Erlebnisse,  so  erfordert  dann  auch  ihr  objectiver 
Oehalt,  der  ideale  Sinn  ihrer  gegenständlichen  Intention,  d.  L 
die  Einheit  der  Bedeutung  und  die  Einheit  des  Gegenstandes,  eine 
nähere  Erforschung.  Vor  Allem  aber  auch  der  beiderseitige  Zu- 
sammenhang, die  zunächst  räthselbafte  Art,  wie  dasselbe  Erlebnis 
in  doppeltem  Sinne  einen  Inhalt  haben,  wie  ihm  neben  seinem 
eigentlichen,  actuellen  ein  idealer,  intentionaler  Inhalt  einwohnen 
soll  und  kann. 

In  diese  Richtung  gehört  die  Frage  nach  der  „Gegenständ- 
lichkeit", bezw.  „Gegenstandslosigkeit"  der  logischen  Acte,  die 
Frage  nach  dem  Sinn  der  Unterscheidung  zwischen  intentionalea 
und  wahren  Gegenständen,  die  Klarlegung  der  Idee  der  Wahrheit 
in  ihrem  Verhältnis  zur  Urtheilsevidenz,  desgleichen  die  Klarlegung 
der  übrigen,  innig  miteinander  zusammenhängenden  logischen 
Kategorien.  Zum  Tbeile  sind  diese  Untersuchungen  mit  den  auf 
die  Constitution  der  logischen  Formen  bezüglichen  identisch,  so- 
fern natürlich  die  Frage  der  Annahme  oder  Verwerfung  einer 
logischen  Form  (der  Zweifel  ob  sie  sich  von  den  bereits  erkannten 
Formen  blofs  grammatisch  oder  logisch  unterscheidet)  mit  der 
Klärung  der  formgebenden,  kategorialen  Begriffe  erledigt  ist 

Hiermit  sind  einigermaßen  die  Problemkreise  gekennzeichnet 
auf  welche  sich  die  nachfolgenden  Untersuchungen  beziehen.  Dies« 
erheben   im    Uebrigen   keinerlei   Ansprüche   auf  VoUständigkei 
Nicht  ein  System  der  Logik,  sondern  Vorarbeiten  zur  erkenntn 
theoretischen  Klärung  und  zu  einem  künftigen  Aufbau  der  Log 
will  ich  hier  bieten.    Und  natürlich  sind  die  Wege  einer  analj 
sehen  Untersuchung  auch  andere   als  die  einer  abschliefsen 
Darstellung  vollerreichter  Wahrheit  im  logisch  geordneten  Syst 


§  6,     Zusälxe. 

1.  Zusatz.  Unvermeidlich  führen  die  bezeichneten  Unter- 
suchungen vielfach  über  die  enge  phänoraenologisclie  Sphäre  hin- 
aus, deren  Studium  zur  KJiirung,  zur  directen  Evidentmachung 
der  logischen  Ideen  wirklich  erfordert  ist.  Eben  diese  Sphäre  ist 
ja  nicht  von  vornherein  gegeben,  sondern  begrenzt  sich  erst  im 
Laufe  der  Untersuchung.  Vieles  hat  zunächst  einen  starken  An- 
schein erkenntnistheoretischer  Wichtigkeit,  was  die  nachträgliche 
Analyse  als  erkenntnistbeoretisch  bedeutungslos  herausstellt.  Zu- 
mal aber  zwingt  die  Sondoning  der  vielen  und  verschwommenen 
Begrifie,  die  im  Verständnis  der  logischen  Termini  unklar  durch- 
einanderlaufen, und  die  Ausfindung  der  wahrhaft  logischen  unter 
ihnen,  zur  Erweiterung  des  Forschungskreises. 

2.  Zusatz.  Die  phänomenologische  Fundirung  der  Logik  kämpft 
auch  mit  der  Schwierigkeit,  dafs  sie  fast  alle  die  Begriffe,  auf 
deren  Klärung  sie  abzielt,  in  der  Darstellung  selbst  verwenden 
mufs.  Im  Zusammenhang  damit  steht  ein  gewisser  und  schlecht- 
hin nicht  auszugleichender  Mangel  hinsichtlich  der  systematischen 
Aufeinanderfolge  der  erkenntnistheoretischen  Voruntersuchungen. 
Gilt  uns  das  Denken  als  ein  allererst  zu  Klärendes,  so  ist  der 
unkritische  Gebrauch  der  fraglichen  Begriffe  (oder  vielmehr  Ter- 
mini) in  der  klärenden  Darstellung  selbst  unzulässig.  Nun  ist 
aber  zuvörderst  nicht  zu  erwarten,  dafs  die  kritische  Analyse  der 
betreffenden  Begriffe  erst  dann  nothwendig  würde,  bis  der  sach- 
liche Zusammenhang  der  logischen  Materien  zu  diesen  Begriffen 
hingeführt  habe.  Mit  anderen  Worten:  An  und  für  sich  betrachtet 
würde  die  systematische  Klärung  der  reinen  Logik,  sowie  die 
jeder  anderen  Disciplin,  fordern,  dafs  man  Schritt  für  Schritt  der 
Ordnung  der  Sachen,  dem  systematischen  Zusammenhang  der  zu 
klärenden  Wissenschaft  folge.  In  unserem  Falle  erfordert  es  aber 
die  eigene  Sicherheit  der  Untersuchung,  dafs  man  diese  systemati- 
sche Ordnung  immer  wieder  durchbreche;  dafs  man  begriffliche 
Unklarheiten,  welche  den  Gang  der  Untersuchung  selbst  gefährden 
würden,  beseitige,  ehe  die  natürliche  Folge  der  Sachen  zu  diesen 

Haiiarl,  Lob'.  Unten.  U.  2 


18  EitUeüung. 


Begriffen  hinführen  konnte.  Die  Untersuchung  bewegt  sich  gleich- 
sam im  Zick-Zack,  und  dieses  Gleichnis  palst  um  so  besser,  als 
man,  vermöge  der  innigen  Abhängigkeit  der  verschiedenen  Er- 
kenntnisbegriffe immer  wieder  zu  den  ursprünglichen  Analysen 
zurückkehren  und  sie  an  den  neuen,  sowie  die  neuen  an  ihnen 
bewähren  muTs. 

3.  Zusatz.  Phänomenologie  ist  descriptive  Psychologie.  Also 
ist  die  Erkenntniskritik  im  Wesentlichen  Psychologie  oder  min- 
destens nur  auf  dem  Bodea  der  Psychologie  zu  erbauen.  Also 
ruht  auch  die  reine  Logik  auf  Psychologie  —  wozu  also  der  ganze 
Streit  gegen  den  Psychologismus? 

Selbstverständlich  werden  wir  diesem  Einwände,  auf  den  kein 
aufmerksamer  Leser  der  Prolegomena  verfallen  kann,  entgegen- 
halten, was  wir  schon  in  §  2  angedeutet  haben: 

Die  Nothwendigkeit  einer  solchen  psychologischen  Fundirung 
der  reinen  Logik,  nämUch  einer  streng  descriptiven ,  kann  uns  an 
der  wechselseitigen  Unabhängigkeit  der  beiden  Wissenschaften, 
der  Logik  und  Psychologie,  nicht  irre  machen.    Denn  reine  Des- 
criptioD  ist  bloise  Vorstufe  für  die  Theorie,  nicht  aber  Theorie 
selbst    So  kann  eine  und  dieselbe  Sphäre  reiner  Description  zur 
Vorbereitung  sehr  verschiedener  theoretischer  Wissenschaften  dienen. 
Nicht  die  Psychologie  als  volle  Wissenschaft  ist  ein  Fundament 
der   reinen  Logik,  sondern  gewisse  Erlassen  von  Descriptionen, 
welche  die  Vorstufe  für  die  theoretischen  Forschungen  der  Psycho- 
logie bilden  (nämlich  sofern  sie  die  empirischen  Oegenstände  be- 
schreiben,   deren   genetische  Zusammenhänge  diese  Wissenschaß 
verfolgen  will)  bilden  zugleich  die  Unterlage  für  jene  fundame' 
talen  Abstractionen,   in  welchen   der  Logiker  das  Wesen  seil 
idealen  Gegenstände  und  Zusammenhänge  mit  Evidenz  erfalst 

Da  es  erkenntnistheoretisch  von  ganz  einzigartiger  Bedeut* 
ist,  die  rein  descriptive  Erforschung  der  Erkenntniserlebnisse, 
um  alle  theoretisch -psychologischen  Interessen  unbekümmert 
von  der  eigentlich  psychologischen,  auf  empirische  Erklärung 
Genesis  abzielende  Forschung  zu  sondern,  thun  wir  gut  daran 
statt  von  descriptiver  Psychologie  vielmehr  von  Phänomenol 


zu  sprechen.  Dies  eaiptiehlt  sich  auch  aus  dem  anderen  Grunde, 
weil  der  Ausdrucic  descriptive  Psychologie  in  der  Redeweise 
mancher  Forsclier  die  Sphäre  irissenschaftlicber  psychologischer 
Uutersuchungen  bezeichnet,  die  durch  die  methodische  Bevor- 
zugung der  inneren  Erfahrung  und  durch  Abstraction  von  aller 
psychophysischen  Erklärung  umgrenzt  wird. 

§  7.     Das  J^insip  der  Voranssetxungslosigkeit  erkenntnütheoretisctter 

Untersuchungen, 

Eine  erkenntnistheoretische  Untersuchung,  die  ernstlichen  An- 
spruch auf  Wissenschaftlichkeit  erhebt,  mufs,  wie  man  schon  oft 
betont  hat,  dem  Princip  der  Voraussetzungslosigkeit  ge- 
nügen. Das  Princip  kann  aber  unseres  Erachtens  nicht  mehr 
besagen  wollen  als  den  Ausschlafe  aller  Annahmen,  die  nicht 
phänomenologisch  voll  und  ganz  realisirt  werden  können.  Jede 
erkeuntnistheoretische  Untersuchung  mufs  sich  auf  rein  phäno- 
menologischem Orunde  vollziehen.  Die  „Theorie",  die  in  ihr  an- 
gestrebt wird,  ist  ja  nichts  Anderes,  als  Besinnung  und  evidente 
Verständigung  darüber,  was  Denken  und  Erkennen  überhaupt  ist, 
worin  sein  Rechtsanspruch  auf  Gegenständlichkeit  eigentlich  be- 
steht, welches  die  wesentlichen  Formen  sind,  die  zur  Idee  der 
Erkenntnis,  zumal  zur  Idee  der  Erkenntnis  a  priori  gehören,  in 
welchem  Sinne  die  in  diesen  Formen  gründenden  „formalen" 
Gesetze  Denkgesetze  sind,  und  in  welchem  Sinne  sie  die  ideale 
Möglichkeit  von  theoretischer  Erkenntnis  und  von  Erkenntnis  über- 
haupt umgrenzen.  Soll  diese  Besinnung  auf  den  Sinn  der  Er- 
kenntnis kein  blofses  Meinen  ergeben,  sondern  wie  es  hier  strenge 
Forderung  ist,  einsichtiges  Wissen,  so  mufs  sie  sich  rein  auf  dem 
Grunde  gegebener  Denk-  und  Erkenntniserlebnisso  vollziehen. 
Dals  sich  die  Denkacte  gelegentlich  auf  transscondente  oder  gar  auf 
nichtexistirende  und  unmögliche  Objecto  richten,  thut  dem  keinen 
Eintrag.   Denn  diese  gegenständliche  Richtung,  dies  Vorstellen  und 

L Meinen  eines  phänomenologieh  nicht  realisirten  Objects,  ist  natür- 
lich ein  descriptiver  Charakterzug  im  beti'effenden  Erlebnis,  und 
so  mufs  sich  der  Sinn  eines  solchen  Meineus  rein  auf  Grund  des 


I 


20  Einleitung. 


Erlebnisses  selbst  klären  und  feststellen  lassen;  ja  auf  andere  Weise 
wäre  dergleichen  auch  nicht  möglich. 

Von  der  Erkenntnistheorie  darchaus  geschieden  ist  die  Frage 
nach  der  Berechtigung,  mit  der  wir  von  unserem  eigenen  Ich 
unterschiedene  „psychische"  und  „physische"  Realitäten  annehmen, 
was  das  Wesen  dieser  Realitäten  ist  und  welchen  Gesetzen  sie 
unteretehen,  ob  zu  ihnen  die  Atome  und  Molekeln  der  Physiker 
gehören   u.  dgl.     Die  Frage   nach   der  Existenz  und  Natur   der 
„AuTsenwelt"  ist  eine  metaphysische  Frage.    Die  Erkenntnistheorie 
hingegen,  als  allgemeine  Aufklärung  über  das  ideale  Wesen  oder 
über  den  Sinn  des  erkennenden  Denkens,  umfafst  zwar  die  all- 
gemeine Frage,  ob  und  inwiefern  ein  Wissen  oder  vernünftiges  Ver- 
muthen  von  Gegenständen  möglich  ist,  die  im  Denkerlebnis  nicht 
selbst  gegeben ,  also  auch  nicht  im  prägnanten  Sinne  erkannt  sind ; 
nicht  aber  die  besondere  Frage,  ob  wir  auf  Grund  der  uns  factisch 
gegebenen  Daten  ein  solches  Wissen  wirklich  gewinnen  können, 
oder  gar  die  Aufgabe,  dieses  Wissen  zu  realisiren.    Nach  unserer 
Auffassung  ist  die  Erkenntnistheorie,  eigentlich  gesprochen,  gar 
keine  Theorie.   Und  sie  enthält  auch  nichts  von  Theorie.    Sie  ist 
keine  Wissenschaft  in  dem  prägnanten  Sinne  einer  Einheit  aus 
theoretischer  Erklärung.    Erklären  im  Sinne  der  Theorie  ist 
das  Begreiflichmachen  des  Einzelnen  aus  dem  allgemeinen  Gesetz 
und  dieses  letzteren  wieder  aus  dem  Grundgesetz.    Im  Gebiet  de 
Thatsachen  handelt  es  sich  dabei  um  die  Erkenntnis,  dafs,  was  un' 
gegebenen  GoUocationcn  von  Umständen  geschieht,  nothwend 
das  ist  nach  Naturgesetzen  geschieht  Im  Gebiet  des  Apriorisc) 
wieder  handelt  es  sich  um  das  Begreifen  der  Nothwendig' 
der  specifischen  Yerhältnis.se  niederer  Stufe  aus  den  umfasse; 
generellen  Nothwendigkeiten  und   letztlich  aus  den  primiti' 
und  allgemeinsten  Ycrhältnisgesetzen,  die  wir  Axiome  nf 
Die  Erkenntnistheorie  hat  aber  in  diesem  theoretischen  Sinn 
zu  erklären,  sie  baut  keine  deductiven  Theorien  und  ordnet 
unter  solche  Theorien.     Nach  den  Darlegungen  der  Prolef 
ist  sie  nichts  Anderes  als  die  philosophische  Ergänzv 
reinen  Mathesis  im  denkbar  weitesten  Verstände,  der  s 


rische  kategoriale  Erkenntnis  in  Form  systematischer  Tlieorien 
zusaramenschlierst.  Mit  dieser  Theorie  der  Theorien  liegt  die  sie 
aufklärende  Erkenntnistheorie  vor  aller  empirischen  Theorie:  also 
zumal  vor  aller  Metaphysik;  ferner  auch  vor  aller  erklärenden 
Realwissenschaft,  vor  der  Naturwissenschaft  auf  der  einen,  der 
Psychologie  auf  der  anderen  Seite.  Sie  will  nicht  die  Erkenntnis, 
das  zeitliche  Ereignis,  in  psychologischem  oder  psychophysischem 
Sinn  erklären,  sondern  die  Idee  der  Erkenntnis  nach  ilu-en  con- 
stitutiven  Elementen,  bezw.  Gesetzen  aufklären;  nicht  die  realen 
Zusammenhängo  der  Coexistenz  und  Successiou,  in  welche  die 
Erkenntnisacte  eingewoben  sind,  will  sie  verfolgen,  sondern  den 
idealen  Sinn  der  specifischen  Zusammenhänge,  in  welchen  sich 
die  Ohjectivität  der  Erkenntnis  docuraentirt,  verstehen;  die  reinen 
Erkenntnisfurmen  und  Gesetze  will  sie  durch  Rückgang  auf  die 
adäquat  erfüllende  Anschauung  zur  Klarheit  und  Deutlichkeit  er- 
heben. Diese  Aufklärung  erfordert,  wie  wir  sahen,  in  nicht  un- 
erheblichem Ausmaße  eine  Phänomenologie  der  Erkenntniserleb- 
nisse und  der  Anschauungs-  und  Denkerlebnisse  überhaupt,  eine 
Phänomenologie,  die  es  auf  blofse  descriptivo  Analyse  der  Erleb- 
nisse nach  ihrem  reellen  Bestände,  in  keiner  Weise  aber  auf  ihre 
genetische  Analyse  nach  Uirem  causalen  Zusammenhange,  ab- 
gesehen hat. 

Diese  metaphysische,  physische  und  psychologische  Voraus- 
setzungslosigkoit,  und  keine  andere,  wollen  auch  die  nachfolgonden 
Untersuchungen  erfüllen.  Selbstverständlich  mrd  sie  nicht  ge- 
schädigt durch  gelegentliche  Zwischenbemerkungen,  die  auf  Inhalt 
und  Charakter  der  Analysen  einflufslos  sind,  oder  gar  durch  die 
vielen  Aeulseruugen,  in  welchen  sich  der  Darsteller  an  sein  Publi- 
cum wendet,  dessen  Existenz  darum  noch  keine  Voraussetzung 
des  Inhaltes  der  Untersuchungen  bildet.  Die  uns  gesteckten 
Grenzen  überschreiten  wir  auch  nicht,  wenn  wir  z.  B.  von  dem 
Factum  der  Sprachen  ausgehen  und  die  blofs  communicative  Be- 
deutung mancher  unter  ihren  Ausdrucksformeu  erörtern,  und  was 
dergleichen  mehr.  Man  überzeugt  sich  überall  mit  Leichtigkeit, 
dals  die  angeknüpften  Analysen  ihren  Sinn  und  erkenntnistheoreti- 


22  Eirdeüung. 

sehen  Werth  behalten,  ob  es  wirklich  Sprachen  und  einen  Weehsd- 
verkehr  von  Menschen,  dem  sie  dienen  wollen,  giebt,  oder  ob  all 
das  nur  in  der  Einbildung  und  Möglichkeit  bestehe. 

Die  wahren  Prämissen  der  prätendirten  Ergebnisse  müssen 
in  Sätzen  liegen,  die  der  Forderung  genügen,  dals,  was  sie  aus- 
sagen, eine,  wenn  möglich  adäquate,  phänomenologische  Recht- 
fertigung, also  Erfüllung  durch  Evidenz,  zuläist;  femer  dafs  diese 
Sätze  allzeit  nur  in  dem  Sinne,  in  dem  sie  intuitiv  festgest^t 
worden  sind,  weiterhin  in  Anspruch  genommen  werden. 


§  1.     Ein  Doppelsinn  des  Temiinun  Zeichen. 

Die  Termini  Ausdruck  und  Zeichen  werden  nicht  selten 
wie  gloichbedentende  heimndelt.  Es  ist  nber  nicht  unnütz  zu  be- 
achten, dafs  sie  sich  in  allgemein  üblicher  Rode  keineswegs  über- 
all decken.  Jedes  Zeichen  ist  Zeichen  für  Etwas,  aber  nicht  jedes 
hat  eine  „Bedeutung",  einen  „Sinn",  der  mit  dem  Zeichen 
„ausgedrückt"  ist.  In  vielen  Fällen  kann  man  nicht  einmal 
sagen,  das  Zeichen  „bezeichne"  das,  wofür  es  ein  Zeichen  genannt 
wird.  Und  selbst  wo  diese  Sprechweise  statthaft  ist,  ist  zu  be- 
obachten, dals  das  Bezeichnen  nicht  immer  als  jenes  „Bedeuten" 
gelten  will,  welches  die  Ausdrücke  charakterisirt.  Nämlich  Zeichen 
im  Sinne  von  Anzeichen  (Kennzeichen,  Merkzeichen  ii.  dgl.) 
drücken  nichts  aus,  es  sei  denn,  dafs  sie  neben  der  Function 
des  Änzeigens  noch  eine  Bedeutungsfunction  erfüllen.  Beschränken 
wir  uns  zunächst,  wie  wir  es  bei  der  Rede  von  Ausdrücken  un- 
willkürlich zu  thun  pflegen,  auf  Ausdrücke,  die  im  lebendigen 
Wechselgespräch  fungiren,  so  erscheint  hiebei  der  Begriff  des 
Anzeichens  im  Vergleich  mit  dem  Begriff  des  Ausdrucks  als  der 
dem  Umfang  nach  weitere  Begriff.  Keineswegs  ist  er  darum  in 
Beziehung  auf  den  Inhalt  die  Gattung.  Das  Bedeuten  ist  nicht 
eine  Art  des  Zeichenseins  im  Sinne  der  Anzeige.  Nur 
dadurch  ist  sein  Umfang  ein  engerer,  daJs  das  Bedeuten  —   in 


24  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 

mittheilender  Bede  —  allzeit  mit  einem  Verhältnis  jenes  Anzeickem- 
seins  verflochten  ist,  und  dieses  wiederum  begründet  dadurch  «tuen 
weiteren  Begriff,  dais  es  eben  auch  ohne  solche  Yeiflechtung  auf- 
treten kann.  Die  Ausdrücke  entfalten  ihre  Bedeutungsfanctioii 
aber  auch  im  einsamen  Seelenleben,  wo  sie  nicht  mehr 
als  Anzeichen  fungiren.  In  Wahrheit  stehen  also  die  beiden 
Zeichenbegriffe  gar  nicht  im  Verhältnis  des  weiteren  und  engeren 
Begriffes. 

Doch  es  bedarf  hier  näherer  Erörterungen. 

§  2.     Das  Wesen  der  Anzeige. 

Von  den  beiden  dem  Worte  Zeichen  anhängenden  Begriffen 
betrachten  wir  vorerst  den  des  Anzeichens.  Das  hier  obwaltende 
Verhältnis  nennen  wir  die  Anzeige.  In  diesem  Sinne  ist  das 
Stigma  Zeichen  für  den  Sklaven,  die  Flagge  Zeichen  der  Nation. 
Hieher  gehören  überhaupt  die  „Merkmale"  im  ursprünglichen 
Wortsinn  als  „charakteristische"  Beschaffenheiten,  geschickt  die 
Objecto,  denen  sie  anhaften,  kenntlich  zu  machen. 

Der  Begriff  des  Anzeichens  reicht  aber  weiter  als  der  des 
Merkmals.  Wir  nennen  die  Marskanäle  Zeichen  für  die  Existenz 
intelligenter  Marsbewohner,  fossile  Knochen  für  die  Existenz  vor- 
sintfluthlicher  Thiere  u.  s.  w.  Auch  Erinnerungszeichen,  wie  der 
beliebte  Knopf  im  Tascbentucbe,  wie  Denkmäler  u.  dgl.  gehören 
hieher.  Werden  hiezu  geeignete  Dinge  und  Vorgänge,  oder 
Bestimmtheiten  von  solchen  in  der  Absicht  erzeugt,  um  als  An- 
zeichen zu  fungiren,  so  heifseu  sie  dann  Zeichen,  gleichgiltig  ob 
sie  gerade  ihre  Function  üben  oder  nicht  Nur  bei  den  willkürlich 
und  in  anzeigender  Absiebt  gebildeten  Zeichen  spricht  man  auch 
vom  Bezeichnen,  und  zwar  einerseits  im  Hinblick  auf  die  Action, 
welche  die  Merkzeichen  schafft  (das  Einbrennen  des  Stigma,  das 
Ankreiden  u.  dgl),  und  andererseits  im  Sinn  der  Anzeige  selbst, 
also  im  Hinblick  auf  das  anzuzeigende,  bezw.  das  bezeichnete 
Object 

Diese  und  ähnliche  Unterschiede  heben  die  wesentliche  Ein- 
heit in  Hinsicht  auf  den  Begriff  des  Anzeichens  nicht  auf.    Im 


I 


eigentlichen  Sinn  ist  Etwas  nur  Anzeichen  zu  nennen,  wenn  es 
und  wo  es  einem  denkenden  Wesen  thatsäclilich  als  Anzeige  für 
Irgendwas  dient  Wollen  wir  also  das  überall  Gemeinsame  er- 
fassen, so  müssen  wir  auf  diese  Fälle  der  lebendigen  Function 
zurückgehen.  In  ihnen  finden  wir  nun  als  dieses  Gemeinsame 
den  Umstand,  dafs  irgendwelche  Gegenstände  oder  Sachver- 
halte, von  deren  Bestand  Jemand  actuelle  Kenntnis  hat,  ihm 
den  Bestand  gewisser  anderer  Gegenstände  oder  Sach- 
verhalte in  dem  Sinne  anzeigen,  dafs  die  üeberzeugung  von 
dem  Sein  der  Einen  von  ihm  als  Motiv  (und  zwar  als  ein 
nichteinsichtiges  Motiv)  empfunden  wird  für  die  Üeber- 
zeugung oder  Vermuthung  vom  Sein  der  Anderen.  Die 
Motivirung  stellt  zwischen  den  Urtheilsacten,  in  denen  sich  für 
den  Denkenden  die  anzeigenden  und  angezeigten  Sachverhalte 
constjtuireu,  eine  descriptive  Einheit  her;  wenn  man  will: 
eine  „Gestaltqualität",  fundirt  in  Urtheilsacten;  in  ihr  liegt  das 
Wesen  der  Anzeige.  Deutlicher  gesprochen:  die  Motivirungseinheit 
der  ürtheilsacte  hat  selbst  den  Charakter  einer  Urtheilseinheit 
und  somit  in  ihrer  Gesamnitheit  ein  ei-scheincndos  gegenständ- 
liches Correlat,  einen  einheitlichen  Saciiverhalt,  der  in  ilir  zu  sein 
scheint,  in  ihr  vermeint  ist  Und  offenbar  besagt  dieser  Sachverhalt 
nichts  Anderes  als  eben  dies,  dals  die  einen  Sachen  bestehen 
dürften  oder  bestehen  müssen,  weil  jene  anderen  Sacheu  ge- 
geben sind.  Dieses  „weil"  als  Ausdruck  eines  sachlichen  Zu- 
sammenhanges aufgefafst,  ist  das  objective  Correlat  der  Motivirung 
als  einer  descriptiv  eigenthümlicheu  i?'orm  der  Verwobung  von 
Urtheilsacten  zu  Einem  ürthoilsact. 

§  3.     Hinweis  und  Beweis. 

Die  phänomenologische  Sachlage  ist  hiermit  aber  so  allgemein 
geschildert,  dafs  sie  mit  den  Hinweisen  der  Anzeige  auch  das 
Beweisen  der  echten  Folgerung  und  Begründung  mitbefafst  Die 
beiden  Begriffe  sind  aber  wol  zu  ti-ennen.  Wir  haben  den  Unter- 
schied bereits  oben  durch  die  Betonung  der  Uneinsichtigkeit 
der  Anzeige  angedeutet,     In  der  That  nennen  wir  in  Fällen,  wo 


26  I.   Aufdruck  und  Bedeutung. 

wir  die  Geltung  eines  Sachverhalts  aus  deijenigen  anderer  Sach- 
verhalte einsichtig  erschlielsen,  die  letzteren  nicht  Anzeigen  oder 
Zeichen  für  die  ersteren.    Und  umgekehrt  ist  von  einem  Beweisea 
im  eigentlichen  Sinn  der  Logik  nur  in  diesem  Fall  einsichtiger 
oder  möglicherweise  einsichtiger  Folgerung  die  Rede.    Gewils  ist 
Vieles  von  dem,  was  wir  als  Beweis,  im  einfachsten  Falle   als 
Scblufs,  ausgeben,  uneinsichtig,  ja  sogar  falsch.    Aber  indem  wir 
es  so  ausgeben,  erheben  wir  doch  den  Anspruch,  iaSs  die  Conse- 
quenz   eingesehen  werden   könne.     Damit  hängt  Folgendes  zu- 
sammen: dem  subjectiven  Schliefsen  und  Beweisen  entspricht  ob- 
jectiv   der  Schlufe   und   Beweis,  bezw.  das  objective  Verhältnis 
zwischen  Grund  und  Folge.    Diese  idealen  Einheiten  sind  nicht 
die  betreffenden  Urtheilserlebnisse,  sondern  deren  ideale  „Inhalte", 
die  Sätze.    Die  Prämissen  beweisen  den  Schlnfssatz,  wer  immer 
diese  Prämissen   und    den   Schlufssatz   und   die    Einheit   beider 
urtheilen  mag.    Es  bekundet  sich  hierin  eine  ideale  Gesetzmälsig- 
keit,  welche  über  die  hie  et  nunc  durch  Motivation  verknüpften 
Urtheile  hinausgreift  und  in   überempirischer  Allgemeinheit  alle 
Urtheile  desselben  Inhalts,  ja  noch  mehr,  alle  Urtheile  derselben 
„Form",  als  solche  zusammenfafst     Eben  diese  Gesetzmäfsigkeit 
kommt  uns  subjectiv  in  der  einsichtigen  Begründung  zum  Be- 
wufstsein,  und  das  Gesetz  selbst  durch  ideirende  Reflexion  auf  die 
Inhalte  der  im  actnollen  Motivirungszusammenhang  (im  actueilen 
Schlufs  und  Beweis)  einheitlich  erlebten  Urtheile,  also  auf  die 
jeweiligen  Sätze. 

Im  Falle  der  Anzeige  ist  von  alldem  keine  Rede.  Hier  ist 
die  Einsichtigkeit  und,  objectiv  gesprochen,  die  Erkenntnis  eines 
idealen  Zusammenhangs  der  bezüglichen  Urtbeüsinhalte  geradezu 
ausgeschlossen.  Wo  wir  sagen,  dafs  der  Sachverhalt  A  ein  An- 
zeichen für  den  Sachverhalt  B  sei,  dafs  das  Sein  des  Einen  darauf 
hinweise,  dafs  auch  der  Andere  sei,  da  mögen  wir  in  der  Er- 
wartung, diesen  letzteren  auch  wirklich  vorzufinden,  völlig  gewils 
sein;  aber  in  dieser  Weise  sprechend,  meinen  wir  nicht,  dafe 
ein  Verhältnis  einsichtigen,  objectiv  nothwendigen  Zusammen- 
hanges zwischen  A  und  B  bestehe;  die  Urtheilsinhalte  stehen  uns 


Die  wesentlichen  Unterseheülungm. 


27 


I 


hier  nicht  im  Verhältnis  von  Prämissen  und  Schlufssätzen.  Aller- 
dings kommt  es  vor,  dafs  wir  in  P'iillou,  wo  ein  (und  zwar  ein 
mittelbarer)  Begründungszusammenhang  objectiv  besteht,  gleich- 
wol  von  Anzeichen  sprechen.  Dem  Rechner  dient  (so  sagen  wir 
z.  B.)  der  Umstand,  dafs  eine  algebraische  Gleichung  von  ungeradem 
Grade  ist,  als  ein  Zeichen  dafür,  dafs  sie  mindestens  eine  reelle 
Wurzel  hat.  Aber  genau  besehen  beziehen  wir  uns  hiermit  nur 
auf  die  Möglichkeit,  dafs  die  Constatirung  der  üngeradzahligkeit 
des  Gleichungsgrades  dem  Rechner  —  ohne  dafs  er  den  einsichtig 
beweisenden  Gedankenzusamnicnhang  actuell  heretello  —  als  un- 
mittelbares, uneinsichüges  Motiv  diene  für  die  Inanspruchnahme 
der  gesetzlich  zugeordneten  Eigenschaft  der  Gleichung  für  seine 
rechnerischen  Zwecke.  Wo  dergleichen  also  vorliegt,  wo  gewisse 
Sachverbalte  wirklich  als  Anzeichen  dienen  für  andere,  an  sich 
betrachtet  aus  ihnen  zu  folgernde  Sachverhalte,  da  thun  sie  dies 
nicht  als  logische  Gründe,  sondern  vermöge  des  empirisch -psycho- 
logischen Zusammenhanges,  den  die  frühere  actuctle  Beweisfühning 
oder  gar  das  autorifätengläirbige  Lernen  zwischen  den  Uebor- 
zeugungen  als  psychischen  Erlebnissen,  bezw.  Dispositionen  ge- 
stiftet hat.  Daran  wird  natürlich  auch  nichts  geändert  durcli  das 
eventuell  begleitende,  aber  blofs  habituelle  Wissen  vom  objectiven 
Bestände  eines  rationalen  Zusammenhangs. 

Plat  danach  die  Anzeige  (bezw.  der  Mütivirungszusammenhang, 
in  dem  dies  sieh  als  objectiv  gebende  Verhältnis  zur  Erscheinung 
kommt)  auch  keine  wesentliche  Beziehung  zum  Nothwendigkeits- 
zusammenhang,  so  kann  allerdings  gefragt  werden,  ob  sie  nicht 
eine  wesentliche  Beziehung  zum  Wahrschoinlichkeitszusammenhang 
beanspruchen  müsse.  Wo  Eins  auf  das  Andere  hinweist,  wo  die 
Ueberzeugung  vom  Sein  des  Einen,  diejenige  vom  Sein  dos  Anderen 
empirisch  (also  in  zufälliger,  nicht  in  nothwendiger  Weise)  moti- 
virt,  mufs  dann  nicht  die  motivirende  Ueberzeugung  einen  Wahr- 
schoinlichkeitsgrund  für  die  motivirte  enthalten?  Es  ist  hier 
nicht  der  Ort,  diese  sich  aufdrängende  Frage  genauer  zu  erwägen. 
Nur  80  viel  sei  bemerkt,  dal's  eine  bejahende  Entscheidung  sicher- 
lich gelten  wird,  wofern  es  zutrifft,  dafs  auch  derartige  empirische 


28  7.   Ausdruck  und  Bedeutung, 


Motivirungen  einer  idealen  Bechtsprechong  unterstidlien,  weidM 
es  gestattet  von  berechtigten  und  unberechtigten  MotiTcw  so 
sprechen;  also  in  objcctiver  Hinsicht  von  wirklichen  (gdtenden, 
d.  i.  Wahrscheinlichkeit  und  eventuell  physische  Sicherheit  be- 
gründenden) Anzeichen  zu  sprechen,  im  Gegensatz  za  Bohänbareii 
(ungiltigen,  d.  i.  keinen  Wahrscheinlichkeitsgrund  abgebendfli^ 
Man  denke  beispielsweise  an  den  Streit,  ob  die  Tnlkanisohea 
Erscheinungen  wirklich  Anzeichen  dafür  seien  oder  nicht  seifln, 
dafs  das  Erdinnere  sich  in  einem  feurig-flüssigen  Zustande  ty^n^ff, 
oder  dergleichen.  Eins  ist  sicher,  dals  die  Bede  von  AnzeidieB 
eine  bestimmte  Beziehung  auf  Wahrscbeinlichkeitserwägungen  nicht 
voraussetzt.  In  der  Regel  liegen  ihr  ja  nicht  bloiJse  Yermothongen, 
sondern  fest  entschiedene  Urtheile  zu  Grunde;  daher  die  ideale 
Rechtsprechung,  der  wir  hier  eine  Domäne  zugebilligt  haben, 
vorerst  die  bescheidene  Einschränkung  der  gewissen  üeber- 
Zeugungen  in  blofse  Yermuthungen  wird  verlangen  müssen. 

Ich  bemerke  noch,  dafs  die  Bede  von  der  Motivirung  in  dem 
allgemeinen  Sinne,  der  die  Begründung  und  die  empirische  Hin- 
deutnng  zugleich  befafst,  meines  Erachtens  nicht  zu  umgehen  ist 
Denn  thatsächlich  besteht  hier  eine  ganz  unverkennbare  ph&nom«io- 
logische  Gemeinschaft,  die  sichtlich  genug  ist,  um  sich  sogar  in  der 
gewöhnlichen  Bede  zu  bekunden:  allgemein  ist  ja  von  Schliefsen  und 
Folgern  nicht  blofe  im  logischen  Sinne,  sondern  auch  im  empiiiscihen 
der  Anzeige  die  Bede.  Diese  Gemeinsamkeit  reicht  offenbar  nooh 
viel  weiter,  sie  umfafst  das  Gebiet  der  Gemütlis-  und  speciell  der 
Willensphänomene,  in  welchem  von  Motiven  vu^prünglich  allein  ge- 
sprochen wird.  Auch  hier  spielt  das  Weil  seine  Bolle,  das  sprach- 
lich überhaupt  soweit  reicht,  als  die  Motivation  im  allgemeinstea 
Sinne.  Ich  kann  daher  v.  Meihoito's  Tadel  der  BnENiAifo'sohen  Ter- 
minologie, der  ich  mich  hier  angeschlossen  habe,  als  berechtigten 
nicht  anerkennen.!  Darin  aber  stimme  ich  ihm  vollkommen  zu,  dab- 
es  sich  bei  der  Wahmehm\mg  der  Motivirtheit  um  nichts  weniger 
handelt  als  um  Wahrnehmung  von  Causation. 


'  A.  V.  Mbsmono,  Gott.  gel.  Anz.  1892.  8.  446. 


I 


I 


§  4.     Excurs  über  die  Entstehung  der  Anzeige  aus  der  Association. 

Die  psychischen  Thatsachen,  in  welchen  der  Begriff  des  An- 
zeichens seinen  „psychologischen  Ursprung"  hat,  d.  h.  in  denen 
er  abstractiv  zu  erfassen  ist,  gehören  in  die  weitere  Gruppe  von 
Thatsachen,  welche  unter  dem  historischen  Titel  „Idecnassociation" 
zu  befassen  sind.  Denn  unter  diesen  Titel  gehört  nicht  blofs, 
was  die  Associationsgesetze  ausdrücken,  die  Thatsachen  der  „Ver- 
gesellschaftung der  Ideen"  durch  „Wiedererweckung '\  sondern 
auch  die  weiteren  Thatsachen,  in  denen  sich  die  Association 
schöpferisch  erweist,  indem  sie  nämlich  descriptiv  eigen thiimlicho 
Charaktere  und  Einheitsformen  schafft.*  Die  Association  ruft  die 
Inhalte  nicht  blofs  ins  Bewufstsein  zurück  und  üborläfst  es  ihnen, 
sich  mit  den  gegebenen  Inhalten  zu  verknüpfen,  wie  es  das  Wesen 
der  einen  und  anderen  (ihre  Gattungsbostimnitheit)  gesetzlich  vor- 
schreibt Diese  rein  in  den  Inhalten  gründenden  Einheiten,  z.  B. 
die  Einheit  der  visuellen  Inhalte  im  Gesichtsfelde  u.  dgl,  kann 
sie  freilich  nicht  hindern.  Aber  sie  schafft  zudem  neue  phäno- 
menologische Charaktere  und  Einheiten,  die  eben  nicht  in  den 
erlebten  Inhalten  selbst,  nicht  in  den  Gattungen  ihrer  abstracten 
Momente,  ihren  nothwendigen  Gesetzesgrund  haben.*  Ruft  A 
das  B  ins  Bewufstsein,  so  sind  beide  nicht  blofs  gleichzeitig  oder 
nacheinander  bewufst,  sondern  es  pflegt  sich  auch  ein  fühlbarer 
Zusammenhang  aufzudrängen,  wonach  eins  auf  das  andere   hin- 


'  Natürlich  ist  die  personificirende  Rede  von  der  Association,  die  etwas 
«cbafft,  und  sind  ähnliche  bildliche  Ansdrüoke,  die  wir  weiterhin  gebrauchen, 
danun  nicht  schon  verwerflich,  weil  sie  Ausdrücke  der  Ber[ueiiilichkeit  sind. 
Wie  wichtig  eine  wissenschaftlich  genaue,  dann  aber  auch  sehr  umständliche, 
Beschreibung  der  hicher  gehörigen  Thatsachen  ist,  so  wird  doch  zu  Zwecken 
leichter  Verständigung  und  in  Richtungen,  wo  letzte  Genauigkeit  nicht  erforder- 
lich ist,  die  bildliche  Rede  niemals  entbehrlich  sein. 

'  loh  spreoho  oben  von  erlebten  Inhalten,  nicht  aber  von  ersoheinon- 
den,  vermeinten  Gegenständen  oder  Vorgängen.  AU  das,  woraus  sich  das 
individuelle  „erlebende"  BewuTstsein  reell  constituirt,  ist  erlebter  Inhalt 
Was  es  wahrnimmt,  erinnert,  vorstellt  u.  dgl.,  ist  vermeinter  (intenlionalor) 
Gegenstand.  Nur  ausDolimswoisc  coiocidirt  Beides.  Näheres  darüber  in  der 
Untersuchung  V. 


30  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


weist,  dieses  als  zu  jenem  gehörig  dasteht  Aus  blols  Zusammen- 
sciendem  Zusammengehöriges  zu  gestalten  —  oder  um  es  genauer 
anzudeuten:  aus  ihnen  zusammengehörig  erscheinende  intentionale 
Einheiten  zu  gestalten  —  das  ist  die  continuirliche  psychologische 
Leistung  der  associativen  Function.  Alle  Erfahrungseinheit,  als 
empirische  Einheit  des  Dinges,  des  Vorganges,  der  dinglichen 
Ordnung  and  Beziehung,  ist  phänomenale  Einheit  durch  die  fühl- 
bare Zusammengehörigkeit  der  sich  einheitlich  heraushebenden 
Thcile  und  Seiten  der  erscheinenden  Gegenständlichkeit  £«ins 
weist  in  der  Ei-scheinung  auf  das  Andere  hin,  in  bestimmter  Ord- 
nung und  Verknüpfung.  Und  das  Einzelne  selbst  in  diesen  Hin  - 
und  Bückweisungen  ist  nicht  der  blofse  erlebte  Inhalt,  sondern  der 
erscheinende  Gegenstand  (oder  sein  Tbeil,  sein  Merkmal  a.  dgl.), 
der  nur  dadurch  erscheint,  daß»  die  Erfahrung  den  Inhalten  einen 
neuen  psychischen  Charakter  verleiht,  indem  sie  nicht  mehr  für 
sich  gelten,  sondern  einen  von  ihnen  verschiedenen  Gegenstand 
vorstellig  machen.  In  den  Bereich  dieser  Thatsachen  gehört  nun 
aucli  die  der  Anzeige,  wonach  ein  Gegenstand,  bezw.  Sachverhalt 
nicht  nur  an  einen  anderen  erinnert  und  in  dieser  Weise  auf  ihn 
hinzeigt,  sondern  der  eine  zugleich  für  den  anderen  Zeugnis  ab- 
legt, die  Annahme,  dafs  er  gleichfalls  Bestand  habe,  empfiehlt, 
und  dies  unmittelbar  fühlbar,  in  der  beschriebenen  Weise. 

§  5.     Ausdrücke  als  bedeutsame  Zeichen. 
Absonderung  eines  nicht  hiehergehörigen  Sinnes  von  Ausdruck. 

Von  den  anzeigenden  Zeichen  unterscheiden  wir  die  be- 
deutsamen, die  Ausdrücke.  Den  Terminus  Atusdruck  nehmen 
wir  dabei  freilich  in  einem  eingeschränkten  Sinne,  dessen  Geltungs- 
bereich Manches  ausschliefst,  was  in  normaler  Rede  als  Aus- 
druck bezeichnet  wird.  In  dieser  Weise  muls  man  ja  auch  sonst 
der  Sprache  Zwang  anthun,  wo  es  gilt,  Begriffe  terminologisch 
zu  fixiren,  für  welche  nur  äquivoke  Termini  zu  Gebote  stehen. 
Zur  vorläufigen  Verständigung  setzen  wir  fest,  dafs  jede  Bede 
und  jeder  Bedetheil,  sowie  jedes  wesentlich  gleichartige  Zeichen 
ein  Ausdruck  sei,  wobei  es  darauf  nicht  ankommen  soll,  ob  die 


I 

I 


Rede  wirklich  geredet,  also  in  commimieutiver  Absicht  an  irgend- 
welche Personen  gerichtet  sei  oder  nicht.  Dagegen  schliefseti  wir 
das  Mienenspiel  und  die  Geste  aus,  mit  denen  wir  unser  Reden 
unwillkürlich  und  jedenfalls  nicht  in  mittheilender  Absicht  be- 
gleiten, oder  in  denen,  auch  ohne  mitwirkende  Rede,  der  Seelen- 
zustand  einer  Person  zu  einem  für  ihre  Umgebung  verständlichen 
„Ausdrucke"  kommt.  Solche  Aeufseniugeu  sind  keine  Ausdrücke 
im  Sinne  der  Reden,  sie  sind  nicht  gleich  diesen  im  Bewufstsein 
des  sich  Aeulsernden  mit  den  geäufserten  Erlebnissen  phänomenal 
Eins;  in  ihnen  theilt  der  Eine  dem  Anderen  nichts  mit,  es  fehlt 
ihm  bei  ihrer  Aeulseruug  die  Intention,  irgendwelche  „Gedanken" 
in  ausdrücklicher  Weise  hinzustellen,  sei  es  für  Andere,  sei  es 
auch  für  sich  selbst,  wo  er  mit  sich  allein  ist  Kurz,  derartige 
„Ausdrücke"  haben  eigentlich  keine  Bedeutung.  Daran  wird 
nichts  geändert  dadurch^  dafs  ein  Zweiter  unsere  unwillkürlichen 
Aeufsenmgen  (z.  B.  die  „Ausdrucksbowegungen")  zu  deuten,  und 
dafe  er  durch  sie  über  unsere  inneren  Gedanken  und  Gemüths- 
bewegungen  mancherlei  zu  erfahren  vermag.  Sie  „bedeuten"  ihm 
etwas,  sofern  er  sie  eben  deutet;  aber  auch  für  ihn  haben  sie 
keine  Bedeutungen  im  prägnanten  Sinne  sprachlicher  Zeichen, 
sondern  blofs  im  Sinne  von  Anzeichen. 

In   der  folgenden  Betrachtung  werden  die  üntei-scbiede  zur 
vollen  begrifflichen  Klarheit  zu  bringen  sein. 


§  6.     Die  Frage  nach  den  pfiänomenologischen  und  inientionalen 
Unter scJtciduti gen,  die  Mi  den  Ausdrücken  als  solchen  getiören. 

Man  pflegt  in  Beziehung  auf  jeden  Ausdruck  zweierlei  zu 
untei-scheiden : 

1.  den  Ausdruck  nach  seiner  physischen  Seite  (das  sinnliche 
Zeichen,  den  articulirten  Lautcomplex,  das  Schriftzeichen  auf 
dem  Papiere  u.  dgl.); 

2.  einen  gewissen  Belauf  von  psychischen  Erlebnissen,  die 
an  den  Ausdruck  assoeiativ  geknüpft,  ihn  hiedurch  zum  Ausdruck 
von  Etwas  machen.  Meistens  werden  diese  psychischen  Erlebnisse 
als  Sinn  oder  Bedeutung  des  Ausdruckes  bezeichnet  und  zwar 


32  /.   Ausdruck  und  Bedeutuftg, 

0 

in  der  Meinung,  durch  diese  Bezeichnung  das  zu  treffen,  was 
diese  Tennini  in  der  normalen  Rede  bedeuten.  Wir  werden  aber 
sehen,  dais  diese  Auffassung  unrichtig  ist,  und  dafs  die  bloiae 
Unterscheidung  zwischen  dem  physischen  Zeichen  und  den  sinn- 
verleihenden  Erlebnissen  überhaupt,  und  zumal  für  lo^sche  Zwecke, 
nicht  ausreicht 

Im  besonderen  Hinblick  auf  die  Kamen  ist  Hiehergehöriges 
auch  schon  längst  bemerkt  worden.  Man  hat  bei  jedem  Namen 
zwischen  dem,  was  er  „kundgiebt"  (d.  i.  jenen  psychischen.  Er- 
lebnissen) und  dem,  was  er  bedeutet,  unterschieden.  Und  aber- 
mals zwischen  dem,  was  er  bedeutet  (dem  Sinn,  dem  „Inhalt"  der 
nominalen  Vorstellung)  und  dem,  was  er  nennt  (dem  Gegenstand 
der  Vorstellung).  Wir  werden  ähnliche  Unterscheidungen  für 
alle  Ausdrücke  nothwendig  finden  und  ihr  Wesen  genau  erforschen 
müssen.  An  ihnen  liegt  es  auch,  dafs  wir  die  Begriffe  Ausdrack 
und  Anzeichen  trennen,  wogegen  nicht  streitet,  dals  die  Aas- 
drücke in  der  lebendigen  Rede  zugleich  auch  als  Anzeichen  fnn- 
giren,  wie  wir  sogleich  erörtern  werden.  Dazu  werden  später 
noch  andere  wichtige  Unterschiede  treten,  welche  die  möglichen 
Verhältnisse  zwischen  der  Bedeutung  und  der  illustrirenden  und 
vielleicht  evidentmachenden  Anschauung  betreffen.  Nur  durch 
Rücksichtnahme  auf  diese  Verhältnisse  ist  eine  reinliche  Ab- 
grenzung des  Begriffes  Bedeutung  und  in  weiterer  Folge  die 
fundamentale  Gegenüberstellung  der  symbolischen  Function  der 
Bedeutungen  und  ihrer  Erkenntnisfnnction  zu  vollziehen. 

§  7.     Die  Äusdrüeke  in  communicativer  Function. 

Betrachten  wir,  um  die  logisch  wesentlichen  Unterscheidungen 
herausarbeiten  zu  können,  den  Ausdruck  zunächst  in  seiner  commu- 
nicativen  Function,  welche  zu  erfüllen  er  ja  ursprünglich  berufen 
ist.  Zum  gesprochenen  Wort,  zur  mittheUenden  Rede  überhaupt 
wird  die  articulirte  Lautcomplexion  (bezw.  das  hingeschriebene 
Schriftzeichen  u.  dgl.)  erst  dadurch,  dafs  der  Redende  sie  in  der 
Absicht  erzeugt,  „sich"  dadurch  „über  Etwas  zu  äulsem",  mit  an- 
deren Worten,  dais  er  ihr  in  gewissen  psychischen  Acten  einen  Sinn 


verleiht,  den  er  dem  Hörenden  mittheilen  will.  Diese  Mittheilung 
wird  aber  dadurch  müglicli,  dafs  der  Hörende  nun  auch  die  In- 
tention des  Redenden  versteht.  Und  er  thut  dies,  sofern  er  den 
Sprechenden  als  eine  Person  auffalst,  die  nicht  blolse  Laute  her- 
vorbringt, sondern  zu  ihm  spricht,  die  also  mit  den  Lauten 
zugleich  gewisse  sinnverleihende  Acte  vollzieht,  welche  sie  ihm 
kundthun,  bezw.  deren  Sinn  sie  ihm  mittheileu  will.  Was  den 
geistigen  Verkehr  allererst  ermöglicht  und  die  verbindende  Rede 
zur  Retie  macht,  liegt  in  dieser  durch  die  physische  Seite  der 
Rode  vermittelten  Correlation  zwischen  den  zusammengehörigea 
physischen  und  psychischen  Erlebnissen  der  miteinander  ver- 
kehrenden Personen.  Sprechen  und  Hören,  Kundgabe  psychischer 
Erlebnisse  im  Sprechen  und  Kundnahme  derselben  im  Hören,  sind 
einander  zugeordnet 

Wenn  man  diesen  Zusammenliang  überschaut,  erkennt  man 
sofort,  dals  alle  Ausdrücke  in  der  communicativen  Rede  als 
Anzeichen  fungiren.  Sie  dienen  dem  Hörenden  als  Zeichen  für 
die  „Gedanken"  des  Redenden,  d.  h.  für  die  sinngebonden  psychi- 
schen Erlebnisse  desselben,  sowie  für  die  sonstigen  psychischen 
Erlebnisse,  welche  zur  mittheilendeu  Litention  gehören.  Diese 
Function  der  sprachlichen  Ausdrücke  nennen  wir  die  kund- 
ide    Function.      Den    Inhalt    der    Kundgabe    bilden    die 

Jgegebenen  psychischen  Erlebnisse.  Don  Sinn  des  Prädicates 
kundgegeben  können  wir  in  einem  engeren  und  weiteren  Sinne 
fassen.  Den  engeren  beschränken  wir  auf  die  sinngebenden 
Acte,  während  der  weitere  alle  Acte  des  Sprechenden  befassen 
mag,  die  ihm  auf  Grund  seiner  Rede  (und  eventuell  dadurch,  dafe 
sie  von  ilinen  aussagt)  von  dem  Hörenden  eingelegt  werden.  So 
ist  z.  B.,  wenn  wir  einen  Wunsch  aussagen,  das  ürtheil  über  den 
Wunsch  kundgegeben  im  engeren,  der  Wunsch  selbst  kundgegeben 
im  weiteren  Sinne.  Ebenso  im  Falle  einer  gewöhnlichen  Wahr- 
nehmungsaussage, die  vom  Hörenden,  als  zu  einer  actuollea 
Wahrnehmung  gehörig,  ohne  Weiteres  aufgefafst  wird.  Der  Wahr- 
uehmungsact  ist  dabei  im  weiteren,  das  sich  auf  ihn  erbauende 
Urtheil  im  engeren  Sinne  kundgegeben.     Wir  merken  gleich  an, 

Hsaserl,  Lug  Uut«ri>.  U.  3 


34  I.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


dafs  es  die  gewöhnliche  Sprechweise  erlaubt,  die  kundgegebenen 
Erlebnisse  auch  als  aasgedrückte  zu  bezeichnen. 

Das  Verständnis   der  Kundgabe  ist  nicht  etwa  ein  begriff- 
liches Wissen  von  der  Kundgabe,  nicht  ein  Urtheilen  von  der  Art 
des  Aussagens;  sondern  es  besteht  blols  darin,  dafs  der  Hörende  den 
Sprechenden  anschaulich  als  eine  Person,  die  dies  und  das  aas- 
drückt, auffafst  (appercipirt),  oder  wie  wir  geradezu  sagen  können, 
als  eiae  solche  wahrnimmt   Wenn  ich  Jemandem  zuhöre,  nehme 
ich  ihn  eben  als  Sprechenden  wahr,  ich  höre  ihn  erzählen,  be- 
weisen, zweifeln,  wünschen  u.  s.  w.     Die  Kundgabe  nimmt  der 
Hörende  in  demselben  Sinne  wahr,  in  dem  er  die  kundgebende 
Person  selbst  wahrnimmt  —  obschon  doch  die  psychischen  Phäno- 
mene, die  sie  zur  Person  machen  als  das,  was  sie  sind,  in  eines 
Anderen  Anschauung  nicht  fallen   können.     Die  gcmeinübliohe 
Rede  theilt  uns  eine  Wahrnehmung  auch  von  psychischen  Erleb- 
nissen fremder  Personen  zu,  wir  „sehen"  ihren  Zorn,  Schmerz  u.s.w. 
Diese  Rede  ist  vollkommen  corroct,  so  lange  man  z.  B.  auch  die 
äufseren  körperlichen  Dinge  als  wahrgenommen  gelten  läfst  und, 
allgemein  gesprochen ,  den  Begriff  der  Wahrnehmung  nicht  auf  den 
der  adäquaten  Wahrnehmung,  der  Anschauung  im  strengsten  Sinne 
einschränkt.    Besteht  der  wesentliche  Charakter  der  Wahrnehmung 
in  dem  anschaulichen  Vermeinen,  ein  Ding  oder  einen  Vorgang 
als  einen  selbst  gegenwärtigen  zu  erfassen  —  und  ein  solches  Ver- 
meinen ist  möglich,  ja  in  der  unvergleichlichen  Mehrheit  der  Fälle 
gegeben,  ohne  jede  begriffliche,  ausdrückliche  Fassung  —  dann 
ist  die  Kundnahme  eine  blofse  Wahrnehmung  der  Kundgabe.   Frei- 
lich besteht  hier  der  eben  schon  berührte  wesentliche  Unterschied. 
Der  Hörende  nimmt  wahr,  dafs  der  Redende  gewisse  psychische 
Erlebnisse  äufsert,  und  insofern  nimmt  er  auch  diese  Erlebnisse 
wahr;  aber  er  selbst  erlebt  sie  nicht,  er  hat  von   ihnen  keine 
„innere",  sondern  nur  eine  „äufeere"  Wahrnehmung.    Es  ist  der 
grofse  Unterschied  zwischen  dem  wirklichen  Erfassen  eines  Seins 
in  adäquater  Anschauung  und  dem  vermeintlichen  Erfassen  eines 
solchen   auf  Grund  einer  anschaulichen    aber   inadäquaten  Vor- 
stellung.   Im  ersteren  Falle  erlebtes,  im  letzteren  Falle  supponirtes 


I 


Sein,  dem  Wahrheit  überhaupt  nicht  entspricht.  Das  wechsel- 
seitige Verständnis  erfordert  eben  eine  gewisse  Correlation  der 
beiderseitigen  in  Kundgabe  und  Kiindnahme  sich  entfaltenden 
psychischen  Acte,  aber  keineswegs  ihre  volle  Gleichheit 

§  8.     Die  Auadrücke  im  einsamen  Seelenleben. 

Bisher  haben  wir  die  Ausdrücke  in  der  communicativen 
Function  betrachtet  Sie  beruht  wesentlich  darauf,  dafs  die  Aus- 
drücke als  Anzeichen  wirken.  Aber  auch  in  dem  sich  im  Ver- 
kehr nicht  mittheilenden  Seelenleben  ist  den  Ausdrücken  eine 
grofse  Rolle  beschieden.  Es  ist  khir ,  dafs  die  veränderte  Function 
nicht  das  trifft,  was  die  Ausdrücke  zu  Ausdrücken  macht  Sie 
haben  nach  wie  vor  ihre  Bedeutungen  und  dieselben  Bedeutungen 
wie  in  der  Wechselrede.  Nur  da  hört  das  Wort  auf  Wort  zu 
sein,  wo  sich  unser  ausschliefsliches  Interesse  auf  das  Sinnliche 
richtet,  auf  das  Wort  als  blofses  Lautgebild.  Wo  wir  aber  in 
seinem  Verständnis  leben,  da  drückt  es  aus  und  dasselbe  aus,  ob 
es  an  Jemanden  gerichtet  ist  oder  nicht 

Hiernach  scheint  es  klar,  dafs  die  Bedeutung  des  Ausdruckes, 
und  was  ihm  sonst  noch  wesentlich  zugehört,  nicht  mit  seiner 
kundgebenden  Leistung  zusammenfallen  kann.  Oder  sollen  wir 
etwa  sagen,  dals  wir  auch  im  einsamen  Seelenleben  mit  dem  Aus- 
druck etwas  kundgeben,  nur  dafs  wir  es  nicht  einem  Zweiten 
gegenüber  thun?  Sollen  wir  sagen,  der  einsam  Sprechende  spreche 
zu  sich  selbst,  es  dienten  auch  ihm  die  Worte  als  Zeichen,  näm- 
lich als  Anzeichen  seiner  eigenen  psychischen  Erlebnisse?  Ich 
glaube  nicht,  dals  eine  solche  Auffassung  zu  vertreten  wäre. 
Freilich  als  Zeichen  fungiren  die  Worte  hier  wie  überall;  und 
überall  können  wir  sogar  geradezu  von  einem  Hinzeigen  sprechen. 
Wenn  wir  über  das  Verhältnis  von  Ausdruck  und  Bedeutung 
reflectiren  und  zu  diesem  Ende  das  complexe  und  dabei  innig 
einheitliche  Erlebnis  des  sinnerfüllten  Ausdruckes  in  die  beiden 
Factoren  Wort  und  Sinn  zergliedern,  da  erscheint  uns  das  Wort 
selbst,  als  an  sich  gleichgilüg,  der  Sinn  aber  als  das,  worauf  es 
mit  dem  Worte  „abgesehen",  was  vormittelst  dieses  Zeichens  ge- 

3» 


36  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 

meint  ist;  der  Ausdruck  scheint  so  das  Interesse  von  sich  ab  und 
auf  den  Sinn  hinzulenken,  auf  diesen  hinzuzeigen.    Aber  dieses 
Hinzeigen  ist  nicht  das  Anzeigen  in  dem  von  uns  erörterten  Sinne. 
Das  Dasein  des  Zeichens  motivirt  nicht  das  Dasein  oder  genauer 
unsere  üeberzeugnng  vom  Dasein  der  Bedeutung.    Was  uns  als 
Anzeichen  (Kennzeichen)  dienen  soll,  mufs  von  uns  als  daseiend 
wahrgenommen  werden.     Dies  trifft  auch  zu  für  die  Ausdrücke 
in  der  mittheilenden,  aber  nicht  für  die  in  der  einsamen  Rede. 
Hier  begnügen  wir  uns  ja,  normaler  Weise,  mit  vorgestellten  an- 
statt mit  wirklichen  Worten.    In  der  Phantasie  schwebt  uns  ein  ge- 
sprochenes oder  gedrucktes  Wortzeichen  vor,  in  Wahrheit  existirt  es 
garnicht.    Wir  werden  doch  nicht  die  Phantasievorstellungen  oder 
gar  die  ihnen  zu  Grunde  Hegenden  Phantasieinhalte  mit  den  phanta- 
sirten  Gegenständen  verwechseln.    Nicht  der  phantasirte  Wortklang 
oder  die  phantasirte  Druckschrift  cxistirt,  sondern  die  Phantasie- 
vorstellung von  dergleichen.     Der  unterschied  ist  derselbe,  wie 
zwischen  dem  phantasirten  Centauren  und  der  Phantasievorstellung 
von  demselben.    Die  Nicht -Existenz  des  Wortes  stört  uns  nicht 
Aber  sie   intcressirt  uns   auch   nicht.     Denn   zur  Function  des 
Allsdrucks  als  Ausdruck  kommt  es  darauf  garnicht  an.    Wo  es 
aber  darauf  ankommt,  da  verbindet  sich  mit  der  bedeutenden 
eben  noch  die  kundgebende  Function:  der  Gedanke  soll  nicht  blola 
in  der  Weise  einer  Bedeutung  ausgedrückt,  sondern  auch  mittelst 
der  Kundgabe  mitgotheilt  werden;  was  freilich  nur  möglich  ist  im 
wirklichen  Sprechen  und  Hören. 

In  gewissem  Sinne  spricht  man  allerdings  auch  in  der  ein- 
samen Rede,  und  sicherlich  ist  es  dabei  möglich,  sich  selbst  als 
Sprechenden  und  eventuell  sogar  als  zu  sich  selbst  Sprechenden 
aufzufassen.  Wie  wenn  z.  B.  Jemand  zu  sich  selbst  sagt:  Das 
hast  du  schlecht  gemacht,  so  kannst  du  es  nicht  weiter  treiben. 
Aber  im  eigentlichen,  communicativen  Sinne  spricht  man  in  solchen 
Fällen  nicht,  man  theilt  sich  nichts  mit,  man  stellt  sich  nur  als 
Sprechenden  und  Mittheilenden  vor.  In  der  monologischen  Bede 
können  uns  die  Worte  doch  nicht  in  der  Function  von  Anzeichen 
für  das  Dasein  psychischer  Acte  dienen,  da  solche  Anzeige  hier 


ganz  zwecklos  wäre.  Die  fraglichen  Acte  sind  ja  im  selben  Augen- 
blick von  uns  selbst  erlebt. 


§  9.    Die  phänametwlog lachen  Unterscheidungen  zwiscken  physischer 
Aitsdnickserscheinung,  sinngebendem  und  sinner fülkndem  Act. 

Sehen  wir  nun  von  den  Erlebnissen,  die  specieli  zur  Kund- 
gebung gehören,  ab  und  beti-achten  den  Ausdruck  in  Hinsicht  auf 
Unterscheidungen,  die  ihm  in  gieietier  Weise  zukommen,  ob  er 
in  der  einsamen  oder  Wechselrede  fungirt,  so  scheint  zweierlei 
übrig  zu  bleiben:  der  Ausdruck  selbst  und  das,  was  er  als  seine 
Bedeutung  (als  seinen  Sinn)  ausdrückt  Indessen  hier  sind  mehr- 
fUltige  Relationen  miteinander  verflochten,  und  die  Rede  von 
dem  was  ausgedrückt  ist  und  von  Bedeutung  ist  dementsprechend 
eine  vieldeutige.  Stellen  vrir  uns  zunächst  auf  den  Boden  der 
psychologischen  Description,  so  gliedert  sich  das  concreto  Phäno- 
men des  sinnbelebten  Ausdrucks  einerseits  in  das  physische 
Phänomen,  in  welchem  sich  der  Ausdruck  nach  seiner  physi- 
schen Seite  constituirt,  und  andererseits  in  die  Acte,  welche  ihm 
die  Bedeutung  und  eventuell  die  anschauliche  Fülle  geben, 
und  in  welchen  sich  die  Beziehung  auf  eine  ausgedrückte  Gegen- 
ständlichkeit constituirt.  Vermöge  dieser  letzteren  Acte  ist  der 
Ausdruck  mehr  als  ein  biofser  Wortlaut  Er  meint  etwas,  und 
indem  er  es  meint,  bezieht  er  sich  auf  Gegenständliches.  Dieses 
Gegenständliche  kann  entweder  vermöge  begleitender  Anschau- 
ungen actuell  gegenwärtig  oder  mindestens  vergegenwärtigt  er- 
scheinen (z.  B.  im  Phantasiebilde).  Wo  dies  statthat,  ist  die  Be- 
ziehung auf  die  Gegenständlichkeit  realisirt  Oder  dies  ist  nicht 
der  Fall;  der  Ausdruck  fungirt  sinnvoll,  er  ist  noch  immer  mehr 
als  ein  leerer  Wortlaut,  obschon  er  der  fuudirenden,  ihm  den 
Gegenstand  gebenden  Anschauung  entbehrt  Die  Beziehung  des 
Ausdrucks  auf  den  Gegenstand  ist  jetzt  insofern  unrealisirt,  als  sie 
in  der  blofsen  Bedeutungsintention  beschlossen  ist.  Der  Name 
beispielsweise  nennt  unter  allen  umständen  seinen  Gegenstand, 
nämlich  sofern  er  ihn  meint.  Es  hat  aber  bei  der  blofsen 
Meinung  sein  Bewenden,  wenn  der  Gegenstand  nicht  anschaulioh 


38  /.    Ausdniek  und  Bedeutung. 


dasteht  and  somit  aach  nicht  als  genannter  (d.  i.  als  gemeinter) 
dasteht.  Indem  sich  die  zunächst  leere  Bedeutungsintention  er- 
füllt, realisirt  sich  die  gegenständliche  Beziehung,  die  Nennung 
wird  eine  actuell  bewufste  Beziehung  zwischen  Namen  and  Ge- 
nanntem. 

Legen  wir  diese  fundamentale  Unterscheidung  zwischen  an- 
schauungsleeren und  erfüllten  Bedeutungsintentionen  zu  Grunde, 
so  sind  auch  nach  Abscheidung  der  sinnlichen  Acte,  in  denen 
sich  das  Erscheinen  des  Ausdrucks  als  Wortlaut  vollzieht,  zweierlei 
Acte  oder  Actreihen  zu  unterscheiden:  Einerseits  diejenigen,  die 
dem  Ausdruck  wesentlich  sind,  wofern  er  überhaupt  noch  Aus- 
druck, d.  i.  sinnbelebter  Wortlaut  sein  soll.  Diese  Acte  nennen 
wir  die  bedoutungverleihenden  Acte  oder  auch  Bedeutungs- 
intentionen. Andererseits  die  Acte,  die  zwar  dem  Ausdruck 
als  solchem  aufserwosentlich  sind,  dafür  aber  in  der  logisch  fun- 
damentalen Beziehung  zu  ihm  stehen,  dafs  sie  seine  Bedeutungs- 
intention mit  gröfscrer  oder  geringerer  Angemessenheit  erfüllen 
(bestätigen,  bekräftigen,  illustriren)  und  damit  eben  seine  gegen- 
ständliche Beziehung  actualisiren.  Diese  Acte,  welche  sich  in  der 
Erkenntnis-  oder  Erfüllungseinheit  mit  den  bedeutungverleihenden 
Acten  verschmelzen,  nennen  wir  bedeutungerfüllende  Acte. 
Den  kürzeren  Ausdruck  Bedeutungserfüllung  dürfen  wir  nur 
da  verwenden,  wo  die  naheliegende  Verwechslung  mit  dem  ge- 
sammten  Erlebnis,  in  dem  eine  Bedoutimgsintention  in  dem 
correlaten  Acte  Erfüllung  findet,  ausgeschlossen  ist.  In  der  reali- 
sirten  Beziehung  des  Ausdrucks  zu  seiner  Gegenständlichkeit ^  eint 
sich  der  sinnbelebte  Ausdruck  mit  den  Acten  der  Bedeutungs- 
erfüllung. Der  Wortlaut  ist  zunächst  Eins  mit  der  Bedeutungs- 
intention, und  diese  wieder  eint  sich  (in  derselben  Weise  wie 
überhaupt  Intentionen  mit  ihren  Erfüllungen  es  thun)  mit  der  be- 
treffenden BedoutungserfüUung.    Unter  Ausdruck  schlechthin 


*  Ich  wähle  öfters  den  unbestimmtoreo  Ausdruck  GegeDständlichkeit,  weil 
es  sich  hier  überall  nicht  blols  um  Oogenstündo  im  engeren  Sinn,  sondern  auch 
um  Sachverhalte,  Merkmale,  um  unselbständige  reale  oder  kategoiiale  Formen 
u.  dgl.  handelt. 


Die  wesentlichen  Unterscheidungen. 


39 


I 


I 


befafst  man  nun ,  wofern  nicht  von  dem  „blofsen"  Ausdruck  die 
Rede  ist,  in  der  Regel  den  siunbelebten  Ausdrucic.  Somit 
dürfte  man  eigentlieb  (wiewol  es  öfters  geschieht)  nicht  sagen, 
der  Ausdruck  drücke  seine  Bedeutung  (die  luteution)  aus. 
Passender  ist  hier  die  andere  Rede  vom  Ausdrücken,  wonach  der 
erfüllende  Act  als  der  durch  den  vollen  Ausdruck  aus- 
gedrückte erscheint;  wie  wenn  es  z.  B.  von  einer  Aussage  heilst, 
sie  gebe  einer  Wahrnehmung  oder  Einbildung  Ausdruck. 

Es  braucht  kaum  darauf  hingewiesen  zu  werden,  dafs  sowol 
die  bedeutungverleihenden  als  die  bedeutungei-füUenden  Acte,  im 
Falle  einer  mitthoilenden  Rede,  mit  zur  Kundgabe  gehören  können. 
Die  Erstereu  bilden  sogar  den  wesentlichsten  Kern  der  Kundgabe. 
Gerade  sie  dem  Hörenden  kenntlich  zu  machen,  mufs  vor  allem 
das  Interesse  der  raitthcilenden  Intention  sein;  nur  dadurch,  dafs 
der  Höreade  sie  dem  Sprechenden  einlegt,  versteht  er  ihn. 

§  10.     Die  phänomeriohgiscfte  Einheit  dieser  Acte. 

Die  oben  unterschiedenen  Acte  der  Ausdrucksorscheinung  auf 
der  einen,  und  der  ßedcutungsintention,  eventuell  auch  der  Be- 
deutungserfüllung auf  der  andern  Seite  bilden  im  Bewufstsein 
kein  blofses  Zusammen,  als  wären  sie  blofs  gleichzeitig  gegeben. 
Sie  bilden  vielmehr  eine  innig  versclimolzene  Einheit  von  eigen- 
thümlichem  Character.  Jedermann  bekannt  ist  aus  seiner  inneren 
Erfalirung  die  Ungleichwertbigkeit  der  beiderseitigen  Bestandstücke, 
worin  sich  die  Ungleichseitigkeit  der  Relation  zwischen  dem  Aus- 
druck und  dem  mittelst  der  Bedeutung  ausgedrückten  (genannten) 
Gegenstand  spiegelt.  Erlebt  ist  beides,  Wortvorstellung  und  sinn- 
gebeuder  Act;  aber  während  wir  die  Wortvoi-stoUung  erleben, 
leben  wir  doch  ganz  und  gar  nicht  im  Vorstellen  des  Wortes, 
sondern  ausschUefslich  im  Vollziehen  seines  Sinnes,  seines  Be- 
deutens.  Und  iudecn  wir  dies  thun,  indem  wir  in  dem  Vollzuge 
der  Bedeutungsintention  und  eventuell  ihrer  Erfüllung  aufgehen, 
gehört  unser  ganzes  Interesse  dem  in  ihr  intendirten  und  mittelst 
ihrer  genannten  Gegenstände.   (Genau  besehen  sagt  Eines  und  das 


40  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 

Andere  dasselbe).  Die  Function  des  Wortes  (oder  vielmehr  der 
anschaulichen  Wortrorstellung)  ist  es  geradezu,  in  uns  den  sinn- 
verleihenden Act  zu  erregen  und  auf  das,  was  „in"  ihm  intendüt 
und  vielleicht  durch  erfüllende  Anschauung  gegeben  ist,  hin- 
zuzeigen, unser  Interesse  ausschlieüslich  in  diese  Richtung  su 
drängen. 

Dieses  Hinzeigen  ist  nicht  etwa  zu  beschreiben  als  das  blolse 
objective  Factum  der  geregelten  Ablenkung  des  Interesses  von 
dem  Einen  auf  das  Andere.  Der  Umstand,  dafs  ein  Paar  Yor- 
stellungsobjecte  AB  vermöge  einer  verborgenen  psychologischen 
Coordination  in  solcher  Beziehung  steht,  dafs  mit  dem  Vorstellen 
des  A  dasjenige  des.S  regelmäfsig  erweckt  wird,  und  dals  hiebei 
das  Interesse  von  dem  A  wog  und  auf  das  B  übergleitet  —  dieser 
Umstand  macht  noch  nicht  das  A  zum  Ausdruck  für  die  Vor- 
stellung des  B.  Vielmehr  ist  das  Ausdruck -sein  ein  descriptives 
Moment  in  der  Erlebniseinheit  zwischen  Zeichen  und  Bezeich- 
netem, genauer  zwischen  sinnbelebter  Zeichenerscheinung 
und  sinnerfüllendem  Act 

Was  den  descriptiven  Unterschied  zwischen  physischer  Zeichen- 
erscheinung und  ihrer  sie  zum  Ausdruck  stempelnden  Bedeutungs- 
intention anlangt,  so  tritt  er  am  klarsten  hervor,  wenn  wir  unser 
Interesse  zunächst  dem  Zeichen  für  sich  zuwenden,  etwa  dem  ge- 
druckten Wort  als  solchem.  Thun  wir  dies,  so  haben  wir  eine 
äufsere  Wahrnehmung  (bzw.  eine  äufsere,  anschauliche  Vorstellung) 
wie  irgend  eine  andere,  und  ihr  Gegenstand  verliert  den  Character 
des  Wortes.  Fungirt  es  dann  wieder  als  Wort,  so  ist  der  Cha- 
racter seiner  Vorstellung  total  geändert  Das  Wort  (als  äu&eres 
Individuum)  ist  uns  zwar  noch  anschaulich  gegenwärtig,  es  er- 
scheint noch;  aber  wir  haben  es  darauf  nicht  abgesehen,  im  eigent- 
lichen Sinne  ist  es  jetzt  nicht  mehr  der  Gegenstand  unserer 
„psychischen  Bethätigung".  Unser  Interesse,  unsere  Intention,  unser 
Vermeinen  —  bei  passender  Weite  lauter  gleichbedeutende  Aus- 
drücke —  geht  ausschliefslich  auf  die  im  sinngebenden  Act  ge- 
meinte Sache.  Rein  phänomenologisch  gesprochen  beiist  dies  aber 
nichts  Anderes  als:  Die  anschauliche  Vorstellung,  in  welcher  sich 


I 


die  physische  Worterscheinung  constituirt,  erfäiirt  eine  wesent- 
liche phänomenale  Modification,  wenn  ihr  Gegenstand  die  Geltung 
eines  Ausdrucks  aunimmt.  Während  das  an  ihr,  was  die  Er- 
scheinung des  Gegenstandes  ausmacht,  ungeändert  bleibt,  ändert 
sich  der  intentionale  Character  des  Erlebnisses.  Es  constituirt 
sich  hiedurch,  ohne  dafs  irgend  eine  erfüllende  oder  illustrirende 
Anschauung  auftreten  müfsto,  ein  Act  des  Bedeutens,  der  im  an- 
schaulichen Gehalt  der  Wortvorstellung  seine  Stütze  findet,  aber 
von  der  auf  das  Wort  selbst  gerichteten  anschaulichen  Intention 
wesentlich  verschieden  ist  Mit  diesem  Acto  sind  dann  öfters  jene 
neuen  Acte,  bezw.  Actcomplexe  eigenthümlich  verschmolzen,  die 
wir  die  erfüllenden  nannten,  und  deren  Gegenstand  als  derjenige 
erscheint,  welcher  in  der  Bedeutung  bedeutet,  bezw.  welcher 
mittelst  der  Bedeutung  genannt  ist. 

Wir  werden  im  näclisten  Kapitel  eine  ergänzende  Unter- 
suchung führen  müssen,  darauf  abzielend,  ob  die  „Bedeutungs- 
intention", die  nach  unserer  Darstellung  das  phänomenologische 
Characteristicum  des  Ausdrucks  im  Gegensatz  zum  leeren  Wort- 
laut ausmacht,  in  der  blüfseii  Anknüpfung  von  Phantasiebildern 
der  intendirten  Gegenstände  an  den  Wortlaut  bestehe,  bezw.  sich 
nothwendig  auf  Grund  solcher  Phantasieaction  constituire;  oder 
ob  die  begleitenden  Piiautasiebildcr  vielmehr  zum  aufserwesent- 
lichen  Bestände  des  Ausdrucks,  und  eigentlich  schon  zur  Function 
der  Erfüllung  gehören,  mag  die  Erfüllung  dabei  auch  den  blofsen 
Character  einer  partiellen,  indirecten,  vorläufigen  haben.  Im  Inter- 
esse einer  grofseren  Geschlossenheit  des  hauptsächlichen  Gedanken- 
zuges sehen  wir  hier  von  einem  tieferen  Eingehen  in  phänomeno- 
logische Fragen  ab,  wie  wir  denn  in  dieser  ganzen  Untersuchung 
überhaupt  nur  insoweit  auf  Phänomenologisches  einzugehen  haben, 
als  es  für  die  Feststellung  der  ersten  wesentlichen  Unterschei- 
dungen nöthig  ist 

Schon  aus  den  vorläufigen  Descriptionen ,  die  wir  bisher  ge- 
boten haben,  ist  zu  ersehen,  dafs  es  nicht  geringer  Umständlich- 
keiten bedarf,  wenn  man  die  phänomenologische  Sachlage  richtig 
beschreiben  will.    Sie  orscheinea  in  der  That  als  unvermeidlich. 


42  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 

wofern  man  sich  nur  klar  gemacht  hat,  dafs  alle  GFegenstände  und 
gegenständlichen  Beziehungen  für  uns  nur  sind,  was  sie  sind, 
durch  die  von  ihnen  wesentlich  unterschiedenen  Acte  des  Ver- 
meinens,  in  denen  sie  uns  Torstellig  werden,  in  denen  sie  eben 
als  gemeinte  Einheiten  uns  gegenüberstehen.  Für  die  descriptiT- 
psychologische  (rein  phänomenologische)  Betrachtungsweise  giebt 
es  nichts  als  Gewebe  solcher  intentionaler  Acte.  Wo  nicht  das 
phänomenologische,  sondern  das  naiv-gegenständliche  Interesse 
herrscht,  wo  wir  in  den  intentionalen  Acten  leben,  statt  über 
sie  zu  reflectiren,  da  wird  natürlich  alle  Bede  schlicht  und  klar 
und  ohne  Umschweife.  In  unserem  Falle  spricht  man  dann  ein- 
fach von  Ausdruck  und  Ausgedrücktem,  von  Namen  und  Ge- 
nanntem, von  dem  Überlenken  der  Aufmerksamkeit  von  dem  Einen 
auf  das  Andere  u.  s.  w.  Wo  aber  das  phänomenologische  Interesse 
mafsgebend  ist,  da  laboriren  wir  an  der  (in  der  Einleitung  er- 
örterten) Schwierigkeit,  phänomenologische  Verhältnisse  beschreiben 
zu  sollen,  die  zwar  unzählige  Male  erlebt,  aber  normaler  Weise 
nicht  gegenständlich  bewufst  sind,  und  sie  mitteist  Ausdrücken 
beschreiben  zu  müssen,  die  auf  die  Sphäre  des  normalen  Interesses, 
auf  die  erscheinenden  Gegenständlichkeiten  abgestimmt  sind. 

§  11.     Die  idealen  Unterscheidungen:  zunächst  xunschen  Ausdruck 
und  Bedeutung  als  idealen  Einlteiten. 

Wir  haben  bisher  den  verständnisvollen  Ausdruck  als  con- 
crctes  Erlebnis  betrachtet.  Statt  seiner  beiderseitigen  Factoren, 
der  Ausdruckserscheinung  und  den  sinnverleihenden,  bezw.  sinn- 
erfüllenden Erlebnissen,  wollen  wir  jetzt,  was  in  gewisser  Weise 
„in"  ihnen  gegeben  ist,  in  Betrachtung  ziehen:  den  Ausdruck 
selbst,  seinen  Sinn  und  die  zugehörige  Gegenständlichkeit  Wir 
nehmen  also  die  Wendung  von  der  realen  Beziehung  der  Acte 
zur  idealen  Beziehung  ihrer  Gegenstände,  bezw.  Inhalte.  Die 
subjective  Betrachtung  weicht  der  objectiven.  Die  Idealität  des 
Verhältnisses  zwischen  Ausdruck  und  Bedeutung  zeigt  sich  in  Be- 
ziehung auf  beide  Glieder  sofort  daran,  dafs  wir  nach  der  Be- 
deutung irgend  eines  Ausdrucks  (z.  B.  quadratischer  Rest)  fragend. 


I 


unter  Ausdruck  selbstverständlich  nicht  dieses  hie  et  nunc  ge- 
äußerte Lautgebilde  meiuen,  den  flüchtigen  und  identisch  nimmer 
wiederkehrenden  Schall.  Wir  meinen  den  Ausdruck  in  speeie. 
Der  Ausdruck  quadraUscher  Rest  ist  identisch  deiTselbe,  wer  immer 
ihn  äiiisern  mag.  und  wieder  dasselbe  gilt  für  die  Rede  von  der 
Bedeutung,  die  also  selbstverständhch  nicht  das  bedeutungver- 
leihende Erlebnis  meint. 

üafs  hier  in  der  That  ein  wesentlicher  Unterschied  zu  machen 
ist,  zeigt  jedes  Beispiel. 

Wenn  ich  (in  wahrliaftiger  Rede,  die  wir  immer  voraussetzen 
wollen)  aussage:  Die  drei  Hohen  eines  Dreiecken  schneiden  sieh 
in  einem  Punkte,  so  liegt  dem  natürlich  zu  Grunde,  dafs  ich  so 
urtheüe.  Wer  meine  Aussage  mit  Verständnis  hört,  weifs  dies 
auch,  uämlich  er  appercipirt  mich  als  den  so  ürtheilenden.  Ist 
aber  mein  Urtheilen,  das  ich  hier  kundgegeben  habe,  auch  die 
Bedeutung  des  Aussagesatzes,  ist  es  das,  was  die  Aussage  be- 
sagt und  in  diesem  Sinn  zum  Ausdruck  bringt?  Offenbar  nicht. 
Die  Frage  nach  Sinn  und  Bedeutung  der  Aussage  wird  normaler 
Weise  kaum  Jemand  so  verstehen,  dafs  ihm  einfallen  würde,  auf 
das  Urtheil  als  psychisches  Erlebnis  zu  recurriren.  Vielmehr  wird 
Jedermann  auf  diese  Frage  antworten:  Was  diese  Aussage  aus- 
sagt, ist  dasselbe,  wer  immer  sie  behauptend  aussprechen  mag, 
und  unter  welchen  Umständen  und  Zeiten  immer  er  dies  thun  mag; 
uud  dieses  Selbige  ist  eben  dies,  dafs  die  drei  Höhen  eines  Drei- 
eckes sich  in  einem  Punkte  sch7ieiden  —  nicht  mehr  und  nicht 
weniger.  Im  Wesentlichen  wiederholt  man  also  „dieselbe"  Aus- 
sage, und  man  wiederholt  sie,  weil  sie  eben  die  Eine  und  eigens 
angemessene  Ausdrucksform  für  das  Identische  ist,  das  ihre  Be- 
deutung heifst.  In  dieser  identischen  Be<leutung,  die  wir  uns  als 
identische  in  der  Wiederholung  der  Aussage  jederzeit  zu  evidentem 
BewuTstsein  bringen  können,  ist  von  einem  Urtheilen  und  ür- 
theilenden schlechterdings  nichts  zu  entdecken.  Der  objectiven 
Geltung  eines  Sachverhalts  glaubten  wir  versichert  zu  sein  und 
gaben  ihr  als  solcher  in  der  Form  des  Aussagesatzes  Ausdruck. 
Der  Sachverhalt  selbst  ist,  was  er  ist,  ob  wir  seine  Geltung  be- 


44  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 

haupten  oder  nicht  Er  ist  eine  Geltungseinheit  an  sich.  Aber 
diese  Geltung  erschien  uns,  und  objectiv,  wie  sie  uns  erschien, 
stellten  wir  sie  hin.  Wir  sagten:  so  ist  es.  SelbstTerstSndlich 
hätten  wir  dies  nicht  thun,  wir  hätten  nicht  aussagen  können, 
wenn  sie  uns  so  nicht  erschienen  wäre;  mit  anderen  Worten, 
wenn  wir  nicht  geurtheilt  hätten.  Dies  liegt  also  in  der  Aussage 
als  psychologischer  Thatsache  mitbeschlossen ,  es  gehört  zur  Kund- 
gabe. Aber  auch  nur  zur  Kundgabe.  Denn  während  diese  in 
psychischen  Erlebnissen  besteht,  ist  das,  was  in  der  Aussage  aus- 
gesagt ist,  schlechterdings  nichts  Subjectires.  Mein  Urtheilsact 
ist  ein  flüchtiges  Erlebnis,  entstehend  und  vergehend.  Nicht  ist 
aber  das,  was  die  Aussage  aussagt,  dieser  Inhalt  daß  die  drti 
Höhen  eines  Dreieckes  sich  in  einem  Punkte  sehneiden  ein  Ent- 
stehendes und  Vergehendes.  So  oft  ich,  oder  wer  auch  immer 
diese  selbe  Aussage  gleichsinnig  äufsort,  so  oft  wird  von  Neuem 
geurtheilt  Die  Urtheilsacte  sind  von  Fall  zu  Fall  verschieden. 
Aber,  was  sie  urtheilen,  was  die  Aussage  besagt,  das  ist  überall 
dasselbe.  Es  ist  ein  im  strengen  Wortverstande  Identisches,  es 
ist  die  eine  und  selbe  geometrische  Wahrheit 

So  verhält  es  sich  bei  allen  Aussagen,  mag  auch,  was  sie 
sagen,  falsch  oder  gar  absurd  sein.  Auch  in  solchen  Fällen  unter- 
scheiden wir  von  den  flüchtigen  Erlebnissen  des  Fürwahrhaltens 
und  Aussagens  ihren  idealen  Inhalt,  die  Bedeutung  der  Aussage 
als  die  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit  Als  Identisches  der  In- 
tention erkennen  wir  sie  auch  jeweils  in  evidenten  Acten  der 
Seflexion;  wir  legen  sie  nicht  willkürlich  den  Aussagen  ein,  sondern 
finden  sie  darin. 

Fehlt  die  „Möglichkeit"  oder  die  „Wahrheit",  so  ist  die  In- 
tention der  Aussage  freilich  „nur  symbolisch"  zu  vollziehen;  aus 
der  Anschauung  und  den  auf  ihrem  Grunde  zu  bethätigenden 
kategorialen  Functionen  kann  sie  nicht  die  Fülle  schöpfen,  die 
ihren  Erkenntniswerth  ausmacht  Es  fehlt  ihr  dann,  wie  man  zu 
sagen  pflegt,  die  „wahre",  „eigentliche"  Bedeutung.  Späterhin 
werden  wir  diesen  Unterschied  zwischen  intendirender  und  er- 
füllender Bedeutung  genauer  erforschen.  Die  verschiedenen  Acte  su 


charakterisiren,  in  welchen  sich  diese  zusammongehörigen  idealen 
Einbeiten  constituiren,  und  das  Wesen  iiirer  actuellen  „Deckung" 
in  der  Erkenntnis  zu  klären,  dies  wird  schwierige  und  umtassende 
Untersuchungen  erfordern.  Sicher  aber  ist,  dafs  jede  Aussage, 
ob  sie  nun  in  Erkenntnisfunction  steht  (d.  h.  ob  sie  ihre  Intention 
in  correspondironden  Anschauungen  und  iu  den  sie  formenden 
kategorialen  Acten  erfüllt  und  überhaupt  erfüllen  kann)  oder  uiclit, 
ihre  Meinung  hat,  und  dafs  sich  in  dieser  Meinung  als  ihr  ein- 
heitlicher specifischer  Charakter  die  Bedeutung  constituirt 

Diese  ideale  Einheit  hat  man  auch  im  Äuge,  wo  man  als  die 
Bedeutung  „des"  Aussagesatzes,  „das"  Urtbeil  bezeichnet  —  nur 
dafs  die  fundamentale  Aequivocation  dieses  Wortes  Urtheil  sofort 
dahin  zu  treiben  pflegt,  die  einsichtig  erfafste  ideale  Einheit  mit 
dem  realen  Urtheilsact,  also  das,  was  die  Aussage  kundgiebt,  mit 
dem,  was  sie  besagt,  zu  vermengen. 

Was  wir  hier  für  voUstäudigo  Aussagen  dargethan  haben, 
überträgt  sich  leicht  auf  wirkliche  oder  mögliche  Aussagentheile. 
Urtheile  ich  unin  die  Winkelsumtne  in  irgend  einem  Dreieck 
ungleich  ist  2  R,  so  gilt  auch  das  Parallelenaxiom  nicht,  dann 
ist  der  hypothetische  Vordersatz  für  sich  keine  Aussage;  ich  be- 
haupte ja  nicht,  dafs  solch  eine  Ungleichheit  bestehe.  Gleichwol 
besagt  auch  er  etwas,  und  zwar  ist  das,  was  er  besagt,  wieder 
durchaus  vei-schieden  von  dem,  was  er  kundgiebt  Was  er  be- 
t,  ist  nicht  mein  psychischer  Act  hypothetischen  Voraussetzens, 
bschon  ich  ihn  natürlich  vollzogen  haben  mufs,  um  wahrhaftig 
sprechen  zu  können,  wie  ich  es  thue;  vielmehr  ist,  während  dieser 
subjective  Act  kundgegeben  ist,  ein  Objectives  und  Ideales  zum 
Ausdruck  gebracht,  nämlich  die  Hypothese  mit  ibrem  begrifflichen 
Gehalt,  die  in  mannigfachen  möglichen  Denkerlebnissen  als  die- 
selbe intentionale  Einheit  aufti-eton  kann,  und  die  uns  in  der 
objectiv- idealen  Betrachtimg,  die  alles  Denken  characterisirt,  mit 
Evidenz  als  Eine  und  Selbige  gegenübersteht 

Und  wieder  dasselbe  gilt  von  den  übrigen  Aussagetheilen, 
auch  denjenigen,  die  nicht  die  Form  von  Sätzen  haben. 


46  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 

§  12.     Fbrtsäxung:  Die  ausgedrückte  Oegenständliehkeit. 

Die  Bede  Ton  dem,  tcas  ein  Ausdruck  ausdrückt,  hat  nach 
den  bisherigen  Betrachtungen  bereits  mehrere  wesentlich  ver- 
schiedene Bedeutungen.  Einerseits  bezieht  sie  sich  auf  die 
Kundgabe  überhaupt  und  darin  speciell  auf  die  sinngebenden,  zu- 
mal aber  auch  auf  die  sinnerfüllenden  Acte  (wofern  solche  übei^ 
haupt  vorhanden  sind).  In  einer  Aussage  z.  B.  geben  wir  unserem 
Urtheil  Ausdruck  (wir  geben  es  kund),  aber  auch  Wahrnehmungen 
und  sonstigen  sinnerfüUenden,  die  Meinung  der  Aussage  veran- 
schaulichenden Acten.  Auf  der  anderen  Seite  bezieht  sich  die 
fragliche  Rede  auf  die  „Inhalte"  dieser  Acte  und  zwar  zunächst 
auf  die  Bedeutungen,  die  ja  oft  genug  als  ausgedrückte  bezeichnet 
werden. 

Es  ist  zweifelhaft,  ob  die  Beispielsanalysen  des  letzten  Para- 
graphen auch  nur  zur  vorläufigen  Verständigung  über  den  Begriff 
der  Bedeutung  hinreichen  würden,  wenn  nicht  sofort  ein  neuer 
Sinn  des  Ausgedriicktseins  in  vergleichende  Erwägung  gezogen 
würde.  Die  Termini  Bedeutung,  Inhalt,  Sachverhalt,  sowie  alle 
verwandten  sind  mit  so  wirksamen  Aequivocationen  behaftet,  dala 
unsere  Intention,  bei  aller  Vorsicht  in  der  Ausdrucksweise,  doch 
Mifsdeutung  erfahren  könnte.  Der  jetzt  zu  erörternde  dritte  Sinn 
des  Ausgedrücktseins  betrifft  die  in  der  Bedeutung  gemeinte  und 
mittelst  ihrer  ausgedrückte  Gegenständlichkeit 

Jeder  Ausdruck  besagt  nicht  nur  Etwas,  sondern  er  sagt 
auch  über  Etwas;  er  hat  nicht  nur  seine  Bedeutung,  sondern  er 
bezieht  sich  auch  auf  irgendwelche  Gegenstände.  Diese  Be- 
ziehung ist  für  einen  und  denselben  Ausdruck  unter  umständen 
eine  mehrfache.  Niemals  fällt  aber  (von  einem  ganz  exceptio- 
nellen  und  logisch  wertblosen  Fall  abgesehen)  der  Gegenstand 
mit  der  Bedeutung  zusammen.  Natürlich  gehören  beide  zum 
Ausdruck  nur  vermöge  der  ihm  sinngebenden  psychischen  Acte; 
und  wenn  man  in  Hinsicht  auf  diese  „Vorstellungen"  zwischen 
„Inhalt"  und  „Gegenstand"  unterscheidet,  so  ist  damit  dasselbe 
gemeint,  was  hinsichtlich  des  Ausdrucks  als  das,  was  er  bedeutet 


I 


I 


oder  „besagt",  und  das,  worüber  er  etwas  sagt,  unterschie- 
den wird. 

Die  Nothvvendigkeit  der  Unterscheidung  zwischen  Bedeutung 
(Inhalt)  und  Gegenstand  wird  klar,  wenn  wir  uns  durch  Ver- 
gleich ung  von  Beispielen  überzeugen,  dafs  mehrere  Ausdrücke 
dieselbe  Bedeutung  aber  verschiedene  Gegenstände,  und  wieder 
dafs  sie  verschiedene  Bedeutungen  aber  denselben  Gegenstand 
haben  können.  Daneben  bestehen  selbstverständlich  auch  die  Mög- 
lichkeiten, dafs  sie  nach  beiden  Richtungen  differiren,  und  wierier 
dafs  sie  in  beiden  übereinstimmen.  D.'is  Letztere  ist  der  Fall  der 
tautologi.^schen  Ausdrücke,  z.  B.  der  in  vei-schiedenen  Sprachen 
miteinander  cürrespondirenden  Ausdrücke  gleicher  Bedeutung  und 
Nennung.     (London,  Londres;  xwei,  deux,  duo  u.  s.  w.) 

Die  klarsten  Beispiele  für  die  Sonderung  von  Bedeutung  und 
gegenständlicher  Beziehung  bieten  uns  die  Namen.  Bei  ihnen  ist 
in  der  letzteren  Hinsieht  die  Rede  von  der  „Nennung"  gebräuch- 
lich. Zwei  Namen  können  Verschiedenes  bedeuten,  aber  dasselbe 
nennen.  So  z.  B.  der  Sieger  von  Jena  —  der  Besiegte  von  Waler- 
loo;  das  gleichseitige  Dreieck  —  das  gleichwinklige  Dreieck.  Die 
ausgedrückte  Bedeutung  ist  in  den  Paaren  eine  offenbar  ver- 
schiedene, obwohl  beiderseits  derselbe  Gegenstand  gemeint  ist. 
Ebenso  verhält  es  sich  bei  Namen,  die  vermöge  ihrer  Unbestimmt- 
heit einen  „Umfang"  haben.  Die  Ausdrücke  eiw  gleichseitiges 
Dreieck  und  ein  gleichwinkliges  Dreieck  haben  dieselbe  gegen- 
ständliche Beziehung,   denselben   Umfang  möglicher  Anwendung. 

Es  kann  auch  umgekehrt  vorkommen,  dafs  zwei  Ausdrücke 
dieselbe  Bedeutung,  aber  verschiedene  gegenständliche  Beziehung 
haben.  Der  Ausdruck  ein  Pferd  hat,  in  welchem  Redezusammen- 
hang er  auch  erscheint,  dieselbe  Bedeutung.  Wenn  wir  aber  ein- 
mal sagen  Bucephalus  ist  ein  Pferd,  und  das  andere  Mal  dieser 
Xarrengaul  ist  ein  Pferd,  so  ist  im  Uebergang  von  der  einen 
zur  anderen  Aussage  mit  der  sinngebenden  Vorstellung  offenbar 
eine  Aenderung  vorgegangen.  Ihr  „Inhalt",  die  Bedeutung  des 
Ausdruckes  dn  Pferd  ist  z^var  ungeändert  geblieben,  aber  die 
gegenständliche  Beziehung  hat  sich  geändert     Mittels  derselben 


48  /.   Ausdruck  utid  Bedeutung. 

Bedeutung  stellt  der  Ausdruck  ein  Pferd  das  eine  Mal  den  Buce- 
phalus,  das  andere  Mal  den  Karrengaul  vor.  So  verhält  es  sich  mit 
allen  universellen  Namen,  d.  h.  Namen,  die  einen  Umfang  haben. 
Eins  ist  ein  Name  von  überall  identischer  Bedeutung,  aber  danuu 
darf  man  doch  nicht  die  verschiedenen  Einsen  in  einer  Rech- 
nung identisch  setzen;  sie  bedeuten  alle  dasselbe,  aber  sie  di£Fe- 
rircn  in  ihrer  gegenständlichen  Beziehung. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Eigennamen,  sei  es  für  in- 
dividuelle oder  generelle  Objecte.  Ein  Wort  vrie  Sokrates  kann 
Verschiedenes  nur  dadurch  nennen,  dafs  es  Verschiedenes  bedeutet; 
mit  anderen  Worten,  dafs  es  äquivok  wird.  Wo  immer  das  Wort 
in  Einer  Bedeutung  steht,  nennt  es  auch  Einen  Gegenstand. 
Ebenso  Ausdrücke  wie  die  Zwei,  die  Röthe  u.  s.  w.  Wir  untere 
scheiden  eben  die  vieldeutigen  (äquivoken)  von  den  viel- 
werthigen  (vielumfangenden,  universellen)  Namen. 

Aehnliches  gilt  von  allen  anderen  Ausdrucksformen,  obschon 
bei  ihnen  die  Bede  von  der  gegenständlichen  Beziehung,  vermöge 
ihrer  Mehrfaltigkeit,  einige  Schwierigkeiten  bietet.  Betrachten  wir 
z.  B.  die  Aussagesätze  der  Form  iS  ist  P,  so  wird  als  Gegenstand 
der  Aussage  in  der  Kegel  der  Subjectgegenstand ,  also  deijenige 
angesehen,  „von"  dem  ausgesagt  wird.  Es  ist  aber  auch  eine 
andere  Auffassung  möglich,  welche  den  ganzen  ausgesagten  Sach- 
verhalt als  Analogen  des  im  Namen  genannten  Gegenstandes  iaüt 
und  ihn  von  der  Bedeutung  des  Aussagesatzes  unterscheidet  Thut 
man  dies,  so  wird  man  Satzpaare  der  Art,  wie  a  ist  gröfser  als  h 
und  b  ist  kleiner  als  a  als  Beispiele  heranziehen.  Die  beiden 
Sätze  sagen  offenbar  Verschiedenes  aus.  Sie  sind  nicht  blols 
grammatisch,  sondern  auch  „gedanklich",  das  ist  eben  nach  ihrem 
Bedeutungsgehalt,  verschieden.  Sie  drücken  aber  denselben  Sach- 
verhalt aus,  dieselbe  Sache  wird  in  doppelter  Weise  prädlcatir 
aufgefafet  und  ausgesagt  Ob  wir  nun  die  Rede  vom  Gegen- 
stand der  Aussage  in  dem  einen  oder  anderen  Sinne  definiren 
(und  jeder  hat  sein  eigenes  Becht),  immer  sind  bedeutnngsver- 
schicdene  Aussagen  möglich,  die  sich  auf  denselben  „Gegenstand" 
beziehen. 


I 


Zusammenhang  zwischen  Bedeutttttg  »nd  gegenständlicher 
Beziehung. 

Nach  diesen  Beispielen  dürfen  wir  den  Unterschied  zwischen 
der  Bedeutung  eines  Ausdrucks  und  seiner  Eigenschaft,  sich  auf 
bald  dieses  oder  jenes  Gegenständliche  nennend  zu  richten  (und 
uatürlicli  auch  den  Unterschied  zwisclien  Bedeutung  und  Gegen- 
stand selbst)  für  gesichert  erachten.  Im  Uebrigen  ist  es  klar,  dafs 
zwischen  den  beiden  an  jedem  Ausdruck  zu  unterecheidenden 
Seiten  ein  naher  Zusammenhang  besteht;  uäniüch  dafs  ein  Aus- 
druck nur  dadurch,  dafs  er  bedeutet,  auf  Gegenständliches  Be- 
zielmng  gewinnt,  und  dafs  es  also  mit  Recht  heifst,  der  Ausdruck 
bezeichne  (nenne)  den  Gegenstand  mittelst  seiner  Bedeutung, 
bezw.  es  sei  der  Act  des  Bedeutens  die  bestimmte  Weise  des  den 
jeweiligen  Gegenstand  Meinens  —  nur  dafs  eben  diese  Weise  des 
bedeutsamen  Meinens  und  somit  die  Bedeutung  selbst  bei  identi- 
scher Festhaltung  der  gegenständlichen  Richtung  wechseln   kann. 

Eine  tiefer  dringende  phünoinenologische  Klärung  dieser  Be- 
ziehung wäre  nur  durch  die  Erforschung  der  Erkenntnisfiinction 
der  Ausdrücke  und  ihrer  Bedeutungsintentionen  zu  leisten.  Es 
würde  sich  dabei  ergeben,  dafe  die  Rede  von  xtcei  Seiten,  die 
an  jedem  Ausdruck  zu  unterscheiden  seien,  nicht  ernst  genommen 
werden  darf,  dafs  vieluiehr  das  Wesen  des  Ausdrucks  ausschliefs- 
lich  in  der  Bedeutung  liegt.  Aber  dieselbe  Anschauung  kann  (wie 
wir  später  nachweisen  werden)  verschiedenen  Ausdrücken  Er- 
füllung bieten,  sofern  sie  nämlich  in  verschiedenen  Weisen  katc- 
gorial  gefafst  und  mit  anderen  Anschauungen  synthetisch  verknüpft 
werden  kann.  Die  Ausdrücke  und  ihre  Bedeutungsintentionen 
messen  sich,  wie  wir  hören  werden,  im  Denk-  und  Erkenntuis- 
zusammenhange  nicht  blofs  den  Anschauungen  (ich  meine  den 
Erscheinungen  der  äufseren  und  inneren  Sinnlichkeit)  an,  sondern 
auch  den  verschiedeneu  intellectiven  Formen,  durch  welche  die 
blufs  angeschauten  Objecte  allererst  zu  verstandesinäfsig  bestimmten 
und  aufeinander  bezogenen  Objeeten  werden.  Und  demgemäfs 
deuten  die  Ausdrücke,  wo  sie  aufserhalb  der  Erkenntuisfunction 
stehen,  auch  als  synibolische  Intentionen   auf  die  kategorial   ge- 

Uasierl,  Log.  Unt«rs.  U.  4 


50  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


formten  Einheiten  hin.  So  können  zu  derselben  (aber  kategorial 
Terschieden  gefafsten)  Anschauung,  und  damit  auch  zu  demselben 
Gegenstande,  verschiedene  Bedeutungen  gehören.  Wo  andererseits 
Einer  Bedeutung  ein  ganzer  Umfang  von  Gegenständen  entspricht, 
da  liegt  es  im  eigenen  Wesen  dieser  Bedeutung,  dafs  sie  eine 
unbestimmte  ist,  das  heifst,  dafs  sie  eine  Sphäre  möglicher  Er- 
füllung zuläfsi 

Diese  Andeutungen  mögen  vorläufig  genügen;  sie  sollen  nur 
von  vornherein  dem  Irrthum  vorbauen,  als  wären  am  sinngeben- 
den Acte  ernstlich  zwei  Seiten  unterscheidbar,  deren  eine  dem 
Ausdruck  die  Bedeutung,  deren  andere  ihm  die  Bestimmtheit  der 
gegenständlichen  Richtung  gebe.* 

§  14.     Der  Inhalt  als  Gegenstand,  ah  erfüllender  Sinn 
und  als  Sinn  oder  Bedeutung  schlechthin. 

Die  beziehenden  Reden  von  Kundgabe,  liedeiitung  und 
Gegenstand  gehören  wesentlich  zu  jedem  Ausdruck.  Mit  einem 
jeden  ist  etwas  kundgegeben,  in  jedem  etwas  bedeutet  und  etwas 
genannt,  oder  sonstwie  bezeichnet  Und  all  das  heifst  in  äquivoker 
Rede  ausgedrückt.  Aufserwesen tlich  ist  dem  Ausdruck,  wie  wir 
oben  sagten,  die  Beziehung  auf  oine  actiiell  gegebene,  seine  Be- 
deutungsintention erfüllende  Gegenständlichkeit.  Ziehen  wir  diesen 
wichtigen  Fall  mit  in  Erwägung,  so  werden  wir  darauf  aufmerk- 
sam, dafs  in  der  realisirten  Beziehung  auf  den  Gegenstand  noch 
ein  Doppeltes  als  ausgedrückt  bezeichnet  werden  kann:  Einerseits 
der  Gegenstand  selbst  und  zwar  als  der  so  und  so  gemeinte. 
Andererseits  und  in  eigentlicherem  Sinne  sein  ideales  Correlat  in 
dem  ihn  constituirenden  Acte  der  Bedeutungserfüllung,  nämlich 
der  erfüllende  Sinn.  Wo  sich  nämlich  die  Bedeutnngsintention 
auf  Grund  correspondirender  Anschauung  erfüllt,  m.  a.  W.  wo  der 
Ausdruck   in   actueller  Nennung  auf  den  gegebenen  Gegenstand 


'  Vgl.  dagogcn  Twabdowski's  Annahme  einor  „in  doppelter  Richtung  sich 
bewegenden  Vorstelluugsthätigkoit"  in  der  Schritt:  Zur  Mire  vom  Inhalt  und 
Oegeustaud  der  Vorstellungen,  Wien  1894.  S.  14. 


bezogen  ist,  rta  constitiiirt  sicli  der  Gegenstand  nls  „gegebener" 
in  gewissen  Acten,  und  zwar  ist  er  uns  in  ilinen  —  wofern  sich 
der  Ausdruck  dem  anschaulich  Gegebenen  wiriiHch  anniilst  —  in 
derselhen  Wevie  gegeben,  in  welcher  ihn  die  Bedeutung  meint. 
In  fiicser  Deckungsoinhoit  zwisclien  Bedeutung  und  Bodeutungs- 
erfüliung  correspiindirt  der  Bedeutung,  als  dem  Wesen  des  Be- 
deuten», das  correlate  Wesen  der  BeiieutungserfüUung,  und  dieses 
ist  der  erfüllende,  und  wie  man  auch  sagen  kann,  der  durch  den 
Ausdruck  ausgedrückte  Sinn.  So  spi-icht  man  z.  B.  bei  der  Wuhr- 
nehniungsaussage  davon,  dafs  sie  der  Wahrnehmung,  aber  auch 
diifs  sie  dem  Wahrnehnuingsinhult  Ausdruck  gebe.  In  der  Watir- 
nehuiungsaussage  unterscheiden  wir,  wie  bei  jeder  Aussage,  zwi- 
schen Inhalt  und  Gegenstand  und  zwar  so,  dafs  unter  Inhalt 
die  identischeBedeutung  verstanden  wird,  welche  auch  der  Hörende, 
•ibsclion  nicht  selbst  Wulirneliniende,  richtig  erfassen  kann.  Genau 
die  entsprechende  Unterscheidung  müssen  wir  in  den  erfüllen- 
den Acten  vollziehen,  also  in  der  Wahrnehmung  und  ihren  kate- 
gorialen  Furraungen,  durch  welche  Acte  uns  die  bedeutungs- 
mäfsig  gemeinte  Gegenständlichkeit  als  diejenige,  als  welche  sie 
gemeint  ist,  anschaulich  gegenübersteht.  Wir  müssen,  sage  ich, 
in  den  erfüllenden  Acten  abermals  unterscheiden  zwischen  dem 
Inhalt,  das  ist  dem  sozusagen  Bedeiitungsmäfsigen  der  (kategorial 
geformten)  Wahrnehmung,  und  dem  walirgeuommenen  Gegen - 
Stande.  In  der  ErfüUungscinheit  „deckt"  sich  dieser  erfüllende 
mit  jenem  intendirenden  „Inhalt",  so  dafs  uns  im  Erleben  der 
Deckungseinheit  der  zugleich  intendirte  und  „gegebene"  Gegen- 
stand nicht  doppelt,  sondern  nur  nls  Einer  gegenübersteht. 

Wie  die  ideale  Fassung  des  intentiontden  Wesens  des  bedeu- 
tungverleiheuden  Actes  uns  die  intendirende  Bedeutung  als 
Idee  ergiebt,  so  ergiebt  die  ideale  Fassung  des  correlaten  Wesens 
des  bedeutungerfüllenden  Actes  eben  die  erfüllende  Be- 
deutung, gleichfixlls  als  Idee.  Es  ist  dies  bei  der  Wahrnehmung 
der  identische  Inhalt,  der  zu  der  Gesammtheit  möglicher 
Wahrnehmungsacte  gehört,  die  denselben  Gegenstand,  und  zwar 
wirklich  als  denselben,  in  wahrnehmender  Weise  meinen.    Dieser 


/.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


Inliait  ist  aiso  das  ideale  Oorrolat  zn  dem  Kinen  Gegenstande,  der 
übrigens  ganz  wol  ein  fictiver  sein  kann. 

Die  mehrfachen  Aequivocationen  der  Rede  von  dem,  was 
ein  Ausdruck  ausdrückt,  oder  vom  ausgedrückten  Inhalt,  kann 
man  so  ordnen,  dals  man  zwischen  dem  Inhalt  im  subjectiTen 
Sinn  (im  phänomenologischen,  descriptiv- psychologischen,  em- 
piriscli- realen  Sinn)  und  dem  Inhalt  im  objectiven  Sinn  (im 
logischen,  intentionalen,  idealen)  unterscheidet.  In  der  letzteren 
Hinsicht  mufe  auseinandergehalten  werden: 

der  Inhalt  als  intendirender  Sinn,  oder  als  Sinn,  Bedeutung 
schlechthin, 

der  Inhalt  als  erfüllender  Sinn  und 

der  Inhalt  als  Gegenstand. 

§  15.     Die  mit  diesen  Untersdieidungen  xusammenhängenden 
Aequivocationen  der  Rede  von  Bedeutung  und  Bedeutungslosigkeit. 

Die  Anwendung  der  Termini  Bedeutung  und  Sinn  nicht  blofs 
auf  den  Inhalt  der  Bedeutungsintention  (die  vom  Ausdruck  als 
solchem  unabtrennbar  ist),  sondern  auch  auf  den  Inhalt  der  Be- 
deutungserfüllung ergiebt  freilich  eine  sehr  unliebsame  Aequi- 
vocation.  Denn,  wie  schon  aus  den  vorläufigen  Andeutungen 
hervorgeht,  die  wir  der  Erfüllungsthatsacho  widmeten,  sind  die 
beiderseitigen  Acte,  in  welchen  sich  intendirender  und  erfüllender 
Sinn  constituiren,  keineswegs  dieselben.  Was  aber  zur  lieber- 
tragung  derselben  Termini  von  der  Intention  auf  die  Erfüllung 
geradezu  hindrängt,  ist  die  Eigenart  der  Erfüllungseinheit,  als 
Einheit  der  Identificirung  oder  Deckung;  und  so  ist  die  Aequi- 
vocation,  die  wir  durch  die  modificirenden  Adjectiva  unschädlich 
zu  machen  suchten,  kaum  zu  vermeiden.  Selbstverständlich  werden 
wir  aber  fortfahren  unter  Bedeutung  schlechthin  diejenige  Bedeutung 
zu  verstehen,  die  als  das  Identische  der  Intention  dem  Ausdruck 
als  solchem  wesentlich  ist 

lirdentung  gilt  uns  femer  als  gleichbedeutend  mit  Sinn. 
KiiiciHoits  ist  es  gerade  bei  diesem  Begriff  sehr  angenehm,  parallele 
TiTinini  zu  haben,  mit  denen  man  abwechseln  kann;  und  zumal 


in  Untorsitchungen  von  der  Art  der  vorliegenden,  wo  eben  der 
Sinn  dos  Terminus  Bedeutung  erforscht  werden  soll.  Viel  mehr 
aber  kommt  Anderes  in  Betracht,  nämlich  die  festgewurzelte  Ge- 
wohnheit, beide  Worte  als  gleichbedeutende  zu  gebrauchen.  Dieser 
umstand  läfst  es  nicht  als  unbedenklich  erscheinen,  ihre  Bedeu- 
tungen zu  differenziiren  und  (wie  dies  z.B.  G.  Fheoe'  vorgeschlagen 
hat)  den  einen  für  die  Bedeutung  in  unserem  Sinn  und  den 
anderen  für  die  ausgedrückten  Gegenstände  zu  verwenden.  "Wir 
fügen  gleich  bei,  dafs  beide  Termini  im  wissenschaftlichen  nicht 
minder  als  im  gemeinen  Sprachgebrauch  mit  denselben  Aequi- 
vocationen  behaftet  sind,  die  wir  oben  bei  der  Rede  vom  Aus- 
gedrücktsein unterschieden  liabcn,  wozu  sich  überdies  noch  andere 
hinzugesellen.  In  einer  der  logischen  Klarheit  sehr  nachträglichen 
Weise  falst  mau,  und  nicht  selten  innerhalb  einer  und  derselben 
Gedankonreiho,  bald  dio  kundgegebenen  Acte,  bald  den  idealen 
Sinn,  bald  dio  ausgedrückte  (iegeiistäudlichkeit  als  Sinn  oder 
Bedeutung  des  bezüglichen  Ausdrucks.  Da  es  an  einer  festen 
terminologischen  Sonderung  gebricht,  so  laufen  nun  die  Begriffe 
selbst  unklar  durcheinander. 

In  Zusammenhang  damit  stehen  fundamentale  Verwirrungen. 
Immer  wieder  sind  z,  B.  die  universellen  und  die  äquivoken  Namen 
zusammengo werfen  worden,  indem  man,  fester  Begriffe  ermangelnd, 
dio  Vieldeutigkeit  der  letzteren  von  der  Vielwerthigkeit  der 
ersteren,  nämlich  von  ihrer  Fähigkeit,  auf  eine  Vielheit  von 
Gegenständen  priidicativ  bezogen  zu  werden,  nicht  zu  scheiden 
wufste.  Abermals  hängt  damit  die  sich  nicht  selten  bekundende 
Unklarheit  über  das  eigentliche  Wesen  des  Unterschieds  zwischen 
collectiven  und  universellen  Naineu  zusammen.  Denn  in  Fallen 
wo  Collectivbedeutungen  sich  erfüllen,  kommt  eine  Mehrheit  zur 
Anschauung,  m.  a.  W.  die  Krfüllung  gliedert  sich  in  eine  Mehr- 
heit von  Einzelauschauungen,  und  so  kann  es,  wenn  hier  Inten- 
tion und  Erfüllung  nicht  gesondert  werden,  iu  der  That  sclieinen, 
der  betreffende  coliective  Ausdruck  habe  viele  Bedeutungen. 

'  0.  Fbeqk,  Ui'liier  Sinn  und  Bedeutung,  Zeitschrift  f.  Philoa.  u.  pbiloB. 
Kritik.    100.  Band.   S.2ö. 


54  /.   Ausdruck  und  Bedeutung. 


Doch  wichtiger  ist  es  für  uns,  die  in  ihren  Folgen,  sehr 
schädlichen  Aequivocationen  der  Bede  von  Bedeutung  und  Sinn, 
bezw.  der  Rede  von  bedeutungslosen  oder  sinnlosen  Aus- 
drücken genau  auseinander  zu  legen.  Sondern  wir  die  sich 
mengenden  Begrüfe,  so  ergiebt  sich  folgende  Reihe. 

1.  Zum  Begrüf  des  Ausdrucks  gehört  es,  eine  Bedeutung 
zu  haben.  Eben  dies  untei-schoidot  ihn  ja  von  den  sonstigen 
Zeichen,  wie  wir  oben  ausgeführt  haben.  Ein  bedeutungsloser 
Ausdruck  ist  also,  eigentlich  zu  reden,  überhaupt  kein  Ausdruck; 
bestenfalls  ist  er  ein  Irgendetwas,  das  den  Anspruch  oder  An- 
schein erweckt,  ein  Ausdruck  zu  sein,  während  es  dies,  näher 
besehen,  gar  nicht  ist.  Hierher  gehören  wortartig  klingende  articu- 
lirto  Lautgobilde,  wie  Abracadabra,  andererseits  aber  auch  Com- 
ploxionen  wirklicher  Ausdrücke,  denen  keine  einheitliche  Bedeutung 
entspricht,  während  sie  eine  solche,  bei  der  Art  wie  sie  sich 
äufserlich  geben,  doch  zu  prätendircn  scheinen.  Z.  B.  Grün 
ist  oder. 

2.  In  der  Bedeutung  constituirt  sich  die  Beziehung  auf  den 
Gegenstand.  Also  einen  Ausdruck  mit  Sinn  gebrauchen  und  sich 
ausdrückend  auf  den  Gegenstand  beziehen  (den  Gegenstand  vor- 
stellen) ist  einerlei.  Es  kommt  dabei  gar  nicht  darauf  an,  ob 
der  Gegenstand  existirt,  oder  ob  er  fictiv,  wo  nicht  gar  unmög- 
lich ist  Interpretirt  man  aber  den  Satz,  dafe  der  Ausdruck, 
dadurch  dafs  er  überhaupt  Bedeutung  habe,  sich  auf  einen 
Gegenstand  beziehe,  in  einem  eigentlichen  Sinne,  nämlich  in  dem, 
der  die  Existenz  des  Gegenstandes  einschliefst,  dann  hat  der  Ausj- 
druck  Bedeutung,  wenn  ein  ihm  entsprechender  Gegensttmd  existirt, 
und  er  ist  bedeutungslos,  wenn  ein  solcher  Gegenstand  nicht 
existirt.  In  der  That  hört  man  öfters  von  Bedeutungen  so 
sprechen,  dafs  darunter  die  bedeuteten  Gegenstände  gemeint 
sind;  ein  Sprachgebrauch,  der  schwerlich  je  consequent  festgehalten 
worden  ist,  wie  er  auch  aus  der  Vermengung  mit  dem  echten 
Bedeutungsbegriff  entsprungen  ist 

3.  Wird  die  Bedeutung,  wie  soeben,  mit  der  Gegenständlich- 
keit des  Ausdrucks  identificirt,  so  ist  ein  Name  wie  goldener  Berg 


bedeutungslos.  Allgemein  unterscheidet  man  liier  aber  die  Gcgen- 
standslüsigiceit  von  der  Bedeutungslosigkeit.  Dagegen  liobt  man 
es,  widorspruchsvolio  und  überbaupt  mit  einsichtigen  Unverträglich- 
keiten behaftete  Ausdrücke,  wie  rundes  Viereck,  als  sinnlose  zu 
bezeicbnen  oder  ihnen  in  gteichwerthigen  Wendungen  eine  Be- 
deutung abzustreiten.  So  drückt  z.  B.  nach  öiüwabt'  eine  wider- 
sprechende Formel,  wie  viereckiger  Kreis,  keinen  Begriff  aus, 
den  wir  denken  könnten,  sondern  er  stellt  nur  Worte  auf,  die 
eine  unlösbare  Aufgabe  enthalten.  Der  E.vistenzialsatz  es  ffiebt 
keinen  riereckif/en  Kreis,  verwirft  nach  ihm  die  Möglichkeit,  mit 
diesen  Worten  einen  Begnß'  zu  verbinden.  Dabei  will  Siqwakt 
imter  Begriff  ausdrücklich  „die  allgemeine  Bedeutung  eines  Wortes" 
verstanden  wissen,  also  (wenn  wir  es  recht  fassen)  genau 
das,  was  wir  darunter  verstehen.  In  ähnlicher  Weise  urtheilt 
Erdmann*  mit  Beziehung  auf  das  Beispiel  ein  viercckitjer  Kreis 
ist  leichtsinnif/.  Consequouter  Weise  müfsteu  wir  mit  den  un- 
mittelbar absurden  Ausdrücken  auch  die  mittelbar  absurden,  also 
die  Unzahl  von  Ausdrücken,  welche  von  den  Mathematikern  in 
umstiindliclieu  indirccteu  Beweisen  als  a  priori  gegenstandslos 
nachgewiesen  wurden,  sinnlose  nennen,  und  desgleichen  mül'sten 
wir  leugnen,  dals  Begriffe,  wie  reyeUnüfsiyes  Dekaeder  u.  dgl., 
überhaupt  Begriffe  seien. 

Mautv  wendet  den  genannten  Forechern  ein:  „Wären  die 
Worte  ohne  Sinn,  wie  könnten  wir  die  Frage  verstehen,  ob  es 
etwas  Derartiges  gebe,  und  sie  verneinen?  Selbst  um  sie  zu 
verwerfen,  müssen  wir  eine  solche  widerstreitende  Materie  doch 
irgendwie  vorstellen"*..  .  „Wenn  man  solche  Absurditäten  sinn- 
los nennt,  so  kann  dies  nur  heifsen,  sie  hätten  offenbar  keinen 
vernünftigen  Sinn  ..."■•     Diese  Einwände  sind  durchaus  treffend, 


'  SiiiWART,  Diu  linpereouatien,  S.  62. 

■  '  IJ.  Erbmans,  I,ogik  I,  2:i3. 

'  A.  Marty,  üeber  subjectiose  Sätze  und  das  Verbältnis  der  Orauiniatik 
zur  Logik  und  Psychologie,  VI.  Art.,  Vierteljahrssohrift  f.  wiss.  PhüoBophio, 

XIX,  6Üf. 

*  A.  a.  0.  S.  81 ,  Änni.    Vergl.  auch  den  V.  Artikel  a.  a.  U.  Bd,  XVIII,  464. 


56  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


sofern  die  Darstellungsweise  bei  jenen  Forschem  die  Yermuthnng 
nahelegt,  dals  sie  die  echte,  oben  sub  1  bezeichnete  Bedeatungs- 
losigkeit  mit  einer  ganz  anderen,  nämlich  mit  der  apriorischen 
Unmöglichkeit  eines  erfüllenden  Sinnes,  vermengen.  Ein 
Ausdruck  hat  also  in  diesem  Sinne  eine  Bedeutung,  wenn  seiner 
Intention  eine  mögliche  Erfüllung,  mit  anderen  Worten  die  Mög^ 
lichkeit  einheitlicher  Yeranscbaulichung  entspricht  Diese  Möglich- 
keit ist  offenbar  als  eine  ideale  gemeint;  sie  betriflt  nicht  die 
zufälligen  Acte  des  Ausdrückens  und  die  zufälligen  Acte  der 
Erfüllung,  sondern  ihre  idealen  Inhalte:  die  Bedeutung  als  ideale 
Einheit  (hier  als  intendircnde  Bedeutung  zu  bezeichnen)  und  die 
ihr  in  gewisser  Beziehung  genau  angemessene  erfüllende  Bedeutung. 
Erfafst  wird  diese  ideale  Beziehung  abstractiv  im  Acte  factischer 
Erfüllungseinhoit  Im  conträren  Falle  erfassen  wir  die  Unmöglich- 
keit der  Bcdeutungserfüllung  auf  (irund  des  Erlebnisses  der  „Un- 
verträglichkeit" der  partialcn  Bedeutungen  in  der  intendirten  £r- 
füUungseinhoit. 

Die  phänomenologische  Klärung  dieser  Verhältnisse  erfordert, 
wie  eine  weiter  unten  folgende  Untersuchung  zeigen  wird, 
schwierige  und  umständliche  Analysen. 

4.  Bei  der  Frage,  was  ein  Ausdruck  bedeutet,  werden  wir 
naturgemäfs  auf  die  Fälle  zurückgehen ,  in  welchen  er  eine  actuelle 
Erkenntnisfunction  übt,  oder,  was  dasselbe  besagt,  in  welchen  seine 
Bedeutungsintention  sich  mit  Anschauung  erfüllt.  Auf  diese  Weise 
gewinnt  die  „begriffliche  Vorstellung"  (d.  i.  eben  die  Bedeutungs- 
intention) ihre  „Klarheit  und  Deutlichkeit",  sie  bestätigt  sich  als 
„richtig",  als  „wirklich"  vollziehbar.  Der  AVcchsel  gleichsam,  der 
an  die  Anschauung  ausgestellt  ist,  wird  eingelöst.  Da  sich  nun  in  der 
Erfüllungseinheit  der  Act  der  Intention  mit  dem  erfüllenden  Acte 
deckt  und  so  in  der  allerinnigsten  Weise  mit  ihm  verechmolzen 
ist  (wofern  hier  überhaupt  noch  von  Unterechiedenheit  etwas  übrig 
ist),  so  erscheint  die  Sache  leicht  so,  als  ob  der  Ausdruck  hier 
allererst  Bedeutung  gewönne,  als  ob  er  sie  aus  dem  erfüllenden 
Acte  erst  schöpfe.  Es  onvächst  also  die  Neigung,  die  erfüllen- 
den Anschauungen  (die  sie  kategorial  formenden  Acte  pflegt 


man  dabei  zu  übereehen)  als  die  Bedeutungen  anzusehen.  Nicht 
immer  ist  aber,  wir  werden  lülo  diese  Vorhällnisso  oocli  gründ- 
licher Studiren  müssen,  die  Erfüllung  eine  vollkommene.  Die 
Ausdrücke  werden  oft  von  ganz  entfernten  oder  nur  partiell 
ilhistrirenden  Anschauunfien,  wenn  überhaupt  von  irgend  welchen, 
begleitet.  Da  man  aber  die  phänomenologischen  unterschiede  der 
verschiedeneu  Fülle  nicht  in  näliere  Erwägung  zog,  so  gelangte 
man  dahin,  die  Bedeutsamkeit  der  Ausdrücke  überhaupt,  auch 
derjenigen,  welche  auf  angemessene  Erfüllungen  keinen  Anspruch 
erheben  können,  in  die  begleitenden  Auscliauungsbilder  zu  ver- 
legen. Natürlich  erforderte  es  die  Conserjueiiz,  den  absurden  Aus- 
drücken die  Bedeutung  überhaupt  abzuleugnen. 

Der  neue  Bedeutnngsbegriö'  erwächst  also  aus  der  Vermengung 
von  Bedeutung  und  erfüllender  Anschauung.  Ihm  geniäfs  hat  ein 
Ausdruck  dann,  und  nur  dann,  eine  Bedeufuug,  wenn  seine 
Intention  (in  unserer  Kedeweise  seine  Bedeutungsintctition)  sich 
thatsächlich,  sei  es  auch  partiell  oder  entlegen  und  uneigentlich, 
erfüllt;  kurzum,  wenn  sein  Verständnis  von  irgendwelchen  „Be- 
deutungsvorstelluugen''  (wie  man  zu  sagen  pHegt),  das  ist  von 
irgendwelchen  illustrirenden  Bildern  belebt  ist. 

Die  endgiltige  Widerlegung  entgegenstehender  und  beliebter 
Auffassungen  ist  von  grolser  Wichtigkeit  und  erfordert  daher  um- 
fassendere Betrachtungen.  Wir  vorweisen  diesbezüglich  auf  das 
nächste  Kapitel  und  folgen  jetzt  der  Aufzählung  der  verachiodenen 
Bedeutungsbegrilfo. 


§  16.     Forlsetxung.     Bcdeulttug  und  Milbe teichnung. 

5.  Wieder  eine  andere  Aequivocation  der  Rede  von  Bedeu- 
tungslosigkeit, und  zwar  auf  Grund  eines  abermals  neuen,  des 
fünften  Begriffes  von  Bedeutung  führte  J.  St.  Mill  ein.  Er  setzt 
nämlich  das  Wesen  der  Bedeutsamkeit  von  Naraeu  iu  die  Mitbe- 
zeichnung (coittioiatioii)  und  stellt  demnach  die  nicht  mitbezeich- 
nenden Namen  als  bedeutungslose  hin.  (Mitunter  heilst  es  vor- 
sichtig, aber  nicht  eben  klar:  im  „eigentlichen''  oder  „strengen" 
Sinne  bedeutungslos.)   Bekanntlich  versteht  Mill  unter  mitbezeich- 


58  I.    Ausdruck  und-  Bedtulung. 


iicndcn  Namen  solche,  die  ein  Subject  bezeichucn  und  ein  Attribut 
in  sich  schliefsen;  unter  nicht- niitbezoichncnden  (not-connotative) 
solche,  die  ein  Subject  bezeichnen,  ohne  (wie  es  hier  deutlicher 
hcifst)  ein  Attribut  als  ihm  anhaftend  anzuzeigen.^  Nicht  mitbe- 
zcichnend  sind  die  Eigennamen,  sowie  die  Namen  für  Attribute 
(z.  B.  Weifse).  Die  Eigennamen  vergleicht  Mill*  mit  den  unter- 
scheidenden Kreidezeichen,  die  der  Räuber  in  dem  bekannten 
Märchen  aus  Tausend  und  Einer  Nacht  an  dem  Hause  anbrachte. 
Und  im  Anschlufs  daran  sagt  er:  „AVenn  wir  einen  Eigennamen 
crthoilcn,  so  vollzieiien  wir  eine  Verrichtung,  die  dem,  was  der 
l{äubor  mit  dorn  Kreidestrich  beabsichtigte,  einigerraalsen  analog 
ist.  Wir  heften  ein  Merkmal  zwar  nicht  an  den  Gegenstand  selbst, 
aber,  sozusagen,  an  die  A'^orstellung  des  Gegenstandes.  Ein  Eigen- 
name ist  nur  ein  bedeutungsloses  Zeichen,  das  wir  in  unserem 
Geiste  mit  der  Vorstellung  des  Gegenstandes  verknüpfen,  damit  wir, 
sobald  das  Zeichen  unserem  Auge  begegnet  oder  in  unseren  Ge- 
danken auftaucht,  an  den  individuellen  Gegenstand  denken  mögen." 
„Wenn  wir  (so  heifst  es  im  folgenden  Absatz  a.  a.  0.)  von 
iigendeinem  Dinge  seinen  Eigennamen  aussagen,  wenn  wir  auf 
einen  Mann  hinweisend  sagen,  dies  ist  Müller  oder  Mayer,  oder 
auf  eine  Stadt  hinwei.send,  das  ist  Köln,  so  theilen  wir  dem 
Hörer,  hierdurch  allein,  keine  Kenntnis  über  diese  Gegenstände 
mit,  aufser  dafs  jenes  ihre  Namen  sind.  .  . .  Andere  ist  es,  wenn  man 
von  (Jogenständen  in  mitbezeichnenden  Namen  spricht  Wenn  wir 
sugon :  die  Stadt  ist  aus  Mannor  gebaut,  so  geben  wir  dem  Hörer 
eine  Kenntnis,  die  ihm  völlig  neu  sein  kann,  und  dies  durch  die 
Hfdeutung  des  mehrwertigen,  mitbezeichnenden  Namens  von 
Mnnnor  gebaut''.  Solche  Namen  sind  „nicht  blofso  Zeichen, 
sondern  mehr,  d.  h.  Zeichen  von  Bedeutung;  und  die  Mitbezeich- 
nung ist  das,  was  ihre  Bedeutung  ausmacht."^ 

'  J.  St.  Mill's  Logik,  Buch  I,  Cap.  2  §  5.  Gompebz'  Uebersetzung  I, 
S.  1-1  und  16. 

-•  A.  a.  0.  S.  19f. 

'  Vgl.  dazu  a.a.O.  S.  18.  ,AVenn  immor  die  Namen,  die  man  Gegen- 
stiiiidui)  giubt,  irgendetwas  mittheilen,  das  heibt  wenn  sie  im  eigentlichen  Sinne 


Halten  wir  mit  diesen  Acufscrungen  Mills  unsere  eigenen 
Analysen  zusammen ,  so  ist  os  imverkeunbar,  dals  ]\Iil!,  gruntlver- 
scbiedene  und  wichtige  Unterscbiecie  vermengt  Vor  Allem  den 
Unterschied  zwischen  Anzeichen  und  Ausdrücken.  Der  Kreide- 
strich des  Räubers  ist  ein  blofees  Anzeichen  (Kennzeichen),  der 
Eigenname  ein  Ausdruck. 

Wie  jeder  Ausdruck  überhaupt,  so  wirkt  iukIi  der  Eigen- 
name, nämlich  in  seiner  kundgebenden  Function,  als  Anzeichen, 
liier  besteht  in  der  That  die  Analogie  mit  dem  Kreidestrich  dos 
Küubers.  Erblickt  dur  Kiluber  den  Kreidestiicb,  so  woifs  er;  dies 
ist  das  Haus,  das  beravibt  werden  soll.  Hören  wir  die  Aeufj^erung 
des  Eigennamens,  so  wird  in  uns  die  zugehörige  Vorstellung  er- 
weckt, und  wir  wissen:  diese  Vorstellung  ist  os,  wolclio  der 
Sprechende  in  sich  vollzieht,  und  welche  er  zugleich  in  uns  er- 
wof'keu  will.  Aber  der  Name  hat  überdies  die  Function  eines 
Ausdruckes.  Die  kuudgebeude  Function  ist  nur  ein  Hilfsmittel 
für  die  Bedeutungsfunction.  Frimär  kommt  os  nicht  auf  die  Vor- 
stellung an;  nicht  darum  handelt  es  sich,  das  Interesse  auf  sio, 
und  was  sio  irgend  betreuen  mag,  hinzulenken,  sondern  darauf, 
es  auf  den  vorgestellten  Uegcnstand  als  den  gemeinten  und  so- 
mit genannten  hinzulenken,  ihn  als  solchen  für  uns  hinzustellen. 
So  erst  erscheint  er  in  der  Aussage  als  der  Gegenstand,  von  dejn 
etwas  ausgesagt,  im  Wunschsätze  als  der,  von  dem  etwas  gewünscht 
ist  u.  s.  w.  Und  nur  um  dieser  Leistung  willen  ksmu  der  Eigen- 
name, wie  jeder  andere,  zum  Bestandstück  comjtle.ver  und  einheit- 
licher Ausdrücke,  zum  Bostandstück  von  Aussagesätzen,  Wunscli- 
sätzeu  und  dergleichen  werden.  In  Beziehung  auf  den  Gegen- 
stand ist  der  Eigenname  über  kein  Anzeichen.  Dies  ist  ohne 
Weiteres  klar,  wenn  wir  bedenken,  dufs  es  zum  Wesen  (ies  An- 
zeichens gehört,  eine  Thatsache,  ein  Dasein  anzuzeigen,  während 
der  genannte  Gegenstand  ja  garnicht  zu  existiren  braucht  Wenn 
Mill,  seine  Analogie  durchführend,  den  Eigennamen  mit  der  Vor- 


eine Bedeutung  haben,  liegt  die  Bedeutung  uidit  in  dem,  was  sie  bezeichnen, 
sondern  in  dem,  was  sie  mitbozoiobnen." 


60  /.    Ausdruck  u»d  ßedeutung. 


Stellung  der  genannten  Person  im  Wesentlichen  ebenso  Terknüpft 
sein  lärst,  wie  den  Kreidestrich  mit  dem  Hause,  zugleich  aber 
liinzufügt,  CS  geschähe  diese  Anknüpfung,  damit  wir,  sobald  das 
Zeichen  unserem  Auge  begegnet  oder  in  unseren  Gedanken  auf- 
taucht, au  den  individuellen  Gegenstand  denken  mögen  —  so 
bricht  die  Analogie,  eben  durch  diesen  Zusatz,  mitten  entzwei. 

MiLL  betont  mit  Recht  den  Unterschied  der  Namen,  die  uns 
eine  „Kenntnis''  in  Betreff  des  Gegenstandes  vermitteln,  und 
solcher,  die  es  nicht  thun;  aber  weder  dieser,  noch  der  gleich- 
wcrthigc  Unterschied  der  mitbezeichnenden  und  nicht  mitbezeich- 
ncnden  Namen  hat  etwas  zu  thun  mit  dem  Unterschied  des  Be- 
deutsamen und  Bedeutungslosen.  Im  Grunde  sind  übrigens  die 
beiden  erstgenannten  Unterschiede  nicht  blofs  im  logischen  Sinne 
gleichwerthig,  sondern  geradezu  identisch.  Es  handelt  sich  ein- 
fach lun  den  Untei-schied  von  attributiven  und  nicht  attributiven 
Namen.  „Kenntnis"  einer  Sache  vermitteln,  und  Attribute  von 
ihr  vermitteln,  meint  hier  ja  ein  und  dasselbe.  Es  ist  nun  sicher- 
lich ein  wichtiger  Unterschied,  ob  ein  Name  seine  Sache  direct 
nennt,  oder  ob  er  sie  unter  Vermittlung  ihr  zukommender  Attri- 
bute nennt  Aber  dies  ist  ein  Unterschied  innerhalb  der  einheit- 
lichen Gattung  Ausdruck,  genau  so  wie  der  parallele  und  höchst 
wichtige  Unterschied  der  nominalen  Bedeutungen,  bezw.  der  logi- 
schen „Vorstellungen",  welcher  die  attributiven  und  nicht- attri- 
butiven Bedeutungen  sondert,  ein  Unterschied  ist  innerhalb  der 
einheitlichen  Gattung  Bedeutung. 

MiLL  selbst  fühlt  den  Unterschied  in  gewisser  Weise  heraus, 
du  er  sich  gelegentlich  doch  genöthigt  sieht,  von  der  Bedeutung 
der  Eigennamen  und  dem  gegenüber  bei  den  mitbezeichnenden 
Namen  von  Bedeutung  im  „eigentlichen"  und  „strengen"  Sinn 
zu  sprechen;  wobei  er  freilich  besser  getban  hätte,  von  Bedeutung 
in  einem  total  neuen  (und  keineswegs  empfehlenswerthon)  Sinne 
zu  sprechen.  Jedenfalls  ist  die  Art,  wie  der  ausgezeichnete  Ijogiker 
seine  werthvollo  Unterscheidung  der  connotativen  und  nicht  conno- 
tativen  Namen  einführt,  sehr  dazu  angethan,  die  eben  berührten 
ganz  andersartigen  Unterschiede  zu  verwirren. 


Man  wird  übrigens  auch  beachten  müssen,  Hnfs  der  Mii,i.'s(?he 
ünterscliied  zwischen  dem,  was  ein  Name  bezeichnet,  und  dem, 
was  er  mitbezeichnet,  nicht  vermengt  werden  darf  mit  dem 
blofs  verwandten  Unterschied  zwischen  dem,  was  ein  Name  nennt, 
und  dem,  was  er  bedeutet.  Diese  Vermongung  wirti  durch  die 
Durstelluug  Mili.'s  besonders  gefördert. 

Wie  wichtig  alle  diese  Unterschiede  aber  sind,  und  wie  wenig 
es  angeht,  sie  als  „blofs  graramatisclie"  mit  Geringschätznng  und 
entsprechender  Obei-fläcldichkeit  zu  behandeln,  werden  die  weiteren 
Untersuchungen  zeigen,  s?ie  worden  es  hofl'entlich  zur  Klarheit 
bringen,  dafs  ohne  scharfe  Sonderung  der  schlichten  Untei-schei- 
dungen,  die  wir  proponirt  haben,  an  eine  zuverlässige  Heraus- 
arbeitung der  Begriffe  Vorstellung  und  Urtheil  im  logischen  Sinne 
nicht  zu  denken  wäre. 


Zweites  Kapitel. 
Zur  Charakteristik  der  bedeutnngverleihenden  Acte. 

§  17.   Die.  übuitrirendcn  Pltatitasiebilder  als  vermeinlliche  Bedeutungetu 

Wir  haben  den  Begriff  der  Bedeutung,  bezw.  Bedeutungsinten- 
tion, nach  dem  psychischen  Charakter  orientirt,  welcher  dem  Aus- 
druck als  solchem  wesentlich  ist  und  ihn  im  Bewul'stsein,  also 
descriptiv,  vom  blofsen  Wortlaut  unterscheidet.  Dieser  Charakter 
ist  nach  unserer  Lehre  möglich  und  oft  genug  wirklich,  ohne  dafs 
der  Ausdruck  in  einer  Erkenntuisfunctiun,  in  einer  noch  so  losen 
und  entfernteu  Beziehung  zu  versinuliehenden  Anscliauungen  steht. 
Es  ist  nun  an  der  Zeit  uns  mit  einer  verbreiteten,  wo  nicht  gar 
vorberi-schenden  Auffassung  auseinanderzusetzen,  welche  im  Gegen- 
satz zu  der  unseren  die  ganze  Leistung  des  lebendig  bedeutsamen 
Ausdruckes  in  die  Erwcckuug  gewisser,  ihm  constnnt  zugeordneter 
Phantasiebilder  setzt. 

Einen  Ausdruck  verstehen  hiefse  hiernach,  die  ihm  zugehörigen 
Phantasiebilder  voi-finden.    Wo  sie  ausbleiben,  wäre  der  Ausdruck 


(>!'  7.    Anüdruci:  und  Bedeutung. 


sinnlus.  Nicht  selten  liürt  man  diese  Pbantasiebilder  selbst  als 
die  Woitbedeutuiifren  bezeichnen  und  zwar  mit  dena  Anspruch, 
das  zu  treffen,  was  die  gemoinübliclie  Rede  unter  der  Bedeutung 
des  Ausdruckes  versteht. 

Es  ist  ein  Zeugnis  für  den  zurückgeji>Iiebenen  Stand  der  des- 
criptiven  Psychologie,  dafs  solche,  zunächst  wol  nabelief^nde 
rühren,  niöglicli  sind,  und  dafs  sie  es  sind  trotz  des  Einspruchs, 
den  vorurtheilslose  Beobachter  schon  längst  gegen  sie  erhoben 
liuben.  Gewifs  sind  in  vielen  Fällen  die  sprachlichen  Ausdrücke 
von  Phantasievoi-stellungen  begleitet,  die  zu  ihrer  Bedeutung  in 
niiliorer  oder  fernerer  Beziehung  stehen;  aber  es  widerspricht  den 
oiVonkundigsten  Thatsachen,  dafs  derartige  Begleitungen  für  das 
Voi-ständnis  überall  erforderlich  sind.  Damit  ist  gleichzeitig  gesagt, 
dafs  ihr  Dasein  niclit  die  Bedeutsamkeit  des  Ausdruckes  (oder  gar 
seine  Bedeutung  selbst)  ausmachen  und  ihr  Ausfall  sie  nicht  hemmen 
kann.  Es  lehrt  auch  die  vergleicliende  Betrachtung  der  gelegentlich 
vorf^efuntlencn  Phantasiebegleiter,  dafs  sie  bei  ungeänderter  Wort- 
bedeutung mannigfach  wechseln  und  zu  ihr  oft  nur  in  sehr  ent- 
legenen Beziehungen  stehen,  während  das  Herbeiziehen  der 
eigentlicheren  Veransohaulichungen,  in  welchen  sich  die  Bedeu- 
tungsintention des  Ausdrucks  erfüllt  oder  bekräftigt,  erst  nach 
einiger  Mühe  und  oft  garnicht  gelingen  will.  Man  lese  in  irgend- 
einem abstracto  Wissensgebiete  behandelnden  Werke  und  beobachte, 
wjis  man  —  den  Aussprüchen  des  Autors  mit  vollem  Verständnis 
f(ilgend  —  über  die  verstandenen  Worte  hinaus  vorfindet  Die 
Umstände  der  Beobachtung  sind  hier  der  gegnerischen  Auffassung 
sicherlich  möglichst  günstig.  Das  die  Beobachtung  leitende  Inter- 
esse, Phantasiebilder  vorzufinden,  ist  dem  Auftauchen  solcher 
Bilder  selbst  psychologisch  förderlich,  und  bei  unserer  Neigung, 
das  in  nachti'äglicher  Reflexion  Vorfindbare  ohne  Weiteres  dem 
uisprünglichen  Thatbestande  einzulegen,  würden  auch  alle  die 
während  der  Beobachtung  neu  zuströmenden  Phantasiebilder  für 
<!(;n  psychologischen  Gehalt  des  Ausdrucks  in  Anspruch  genommen 
werden.  Aber  trotz  dieser  Gunst  der  Umstände  wird  die  besti'ittene 
Auffassung,  die  das  Wesen  der  Bedeutsamkeit  in  solchen  Phantasie- 


begleihingon  sieht,  minrlpstons  in  der  bezeichneten  Klasso  von 
Fällen  davon  absehou  müssen,  scheinbare  Bestätigungen  in  der 
psychologischen  Beobachtung  zu  suchen.  Mau  nehme  beispiels- 
weise wolverstandene  algebraische  Zeichen  oder  ganze  Formeln 
oder  verbale  Sätze,  wie  jede  algebraisc/ic  Qleivhmuj  7inf)cra<kn 
Omars  hat  mindestens  eine  reelle  Wnrxel,  und  stelle  die  nöthigen 
Beobachtungen  an.  Referire  ich,  was  ich  selbst  soeben  vorfinde, 
so  fieJ  mir  im  letzten  Beispiel  ein:  ein  offenes  Buch  (ich  erkenne 
es  als  Serrkt's  Algeln-a),  darnach  der  sinnliche  Typus  einer  alge- 
braischen Function  im  Teubner'schon  Druck  und  bei  dem  Worte 
Wurzel  da.s  bekannte  Symbol  y/.  "Dazwischen  hal>e  ich  den  Satz 
wol  ein  Dutzendmal  gelesen  unti  völlig  vorstanden,  jedoch  ohne 
die  leiseste  Spur  von  begleiteuden  Phantasien  zu  finden,  die  irgend- 
wie zur  vorgestellten  Gegenständlichkeit  gehörten.  Ebenso  ergeht 
es  uns  bei  der  Verauschauliclumg  von  Ausdrücken  wie  f')dliir, 
MeUgion,    Wissenschaft,  Kunst,  Diffcrenticdrechnnny  u.  dgl. 

Es  sei  hier  noch  darauf  hingewiesen,  dafs  mit  dem  Gesagten 
nicht  blofs  Ausdrücke  sehr  abstracter  und  durch  complicirte  Be- 
ziehungen vermittelter  Gegonsländlichkeiteu  getroffen  sind,  son- 
dern auch  Namen  für  individuelle  (Jbjoctc,  für  bekannte  Personen, 
Städte,  Landschaften.  Die  Fähigkeit  der  anschaulichen  Vergegen- 
wärtigung mag  vorhanden  sein,  im  gegebenen  Moment  ist  sie 
nicht  realisirt. 


§  18.    Fortsetiung.     Ärffumenle  und  (fcgenargumente. 

Wendet  man  ein,  die  Phantasie  wirke  auch  in  solchen  Phallen, 
aber  in  grofser  Flüchtigkeit,  das  innere  Bild  tauche  auf,  um  als- 
bald wieder  zu  verschwinden;  so  antworten  wir,  dafs  .sicli  das* 
volle  Verständnis  der  Ausdrücke,  ihr  voller,  lebendiger  Sinn,  nach 
dem  Dahinschwindi'U  des  Bildes  noch  forterhalto,  imd  demnach 
nicht  in  eben  diesem  Bild  liegen  könne. 

Wendet  man  abermals  ein,  das  Phantasiobild  sei  vielleicht 
uumerklich  geworden  oder  sei  von  vornlieroin  unmerklich  gewesen; 
ob  merklich  oder  nicht,  es  sei  da  und  ermfigliche  das  fortdauernde 
Verständnis  —  so  können  wir  auch  hier  um  eine  Antwort  nicht 


t)4  /.   Ausdruck  und  Bedeutung. 


im  Zweifel  sein.  AVir  werden  sagen:  Ob  eine  solche  Annahme 
aus  genetisch-psycholügiscben  Gründen  nothwendig  oder  empfehlens- 
werth  ist,  haben  wir  hier  nicht  zu  untersuchen.  '  FOr  unsere  de- 
scriptive  Frage  ist  sie  offenbar  völlig  nutzlos.  Man  gesteht  zn,  dals 
das  Phantasiebild  öfters  unmerklich  ist  Man  wird  auch  nicht 
leugnen,  dafs  trotzdem  das  Verständnis  des  Ausdrucks  bestehen 
und  gar  sehr  merklich  sein  kann.  Ist  es  aber  nicht  verkehrt  an- 
zunehmen, es  sei  ein  abstractes  Erlebnismoment  (nfimlich  das 
Moment  an  der  Plinntasievorstellung,  das  den  Sinn  ausmachen 
soll)  merklich  und  das  ganze  Erlebnis  (die  concret  vollständige 
Phantasievorstellung)  unmerklich?  Und  wie  steht  es,  so  mü&ten 
wir  weiter  fragen,  mit  den  Fällen,  wo  die  Bedeutung  eine 
Absurdität  ist?  Hier  kann  die  Unmerklichkeit  nicht  auf  ZufiUlig- 
keiten  der  psychischen  Eraftfülle  beruhen,  vielmehr  kann  das  Bild 
überhaupt  nicht  existiren,  weil  es  sonst  die  Möglichkeit  des  be- 
züglichen Gedankens  (die  Einstimmigkeit  der  Bedeutung)  mit  Evi- 
denz verbürgte. 

Freilich  könnte  man  darauf  hinweisen,  dafs  wir  uns  in  ge- 
wisser Art  selbst  Absurditäten  versinnlichen,  wie  die  in  sich  ge- 
schlossenen Geraden,  die  Dreiecke  mit  einer  Winkelsumme  ^2R. 
In  metageometrischen  Abhandlungen  finden  wir  ja  auch  Zeich- 
nungen derartiger  Gebilde.  Indessen  wird  Niemand  ernstlich 
daran  denken,  Anschauungen  von  solcher  Art  als  wirkliche  Ver- 
anscliaulichungen  der  bezügliclien  Begiiffe  und  weiterhin  als  die 
Inhaber  der  Wortbedeutungen  gelten  zu  lassen.  Nur  da,  wo  das 
Phantasiebild  der  gemeinten  Sache  wirklich  als  ihr  Bild  angemessen 
ist,  liegt  die  Versuchung  nahe,  den  Sinn  des  Ausdrucks  in  diesem 
Bilde  zu  suchen.  Aber  ist  die  Angemessenheit,  selbst  wenn  wir 
die  absurden  Ausdrücke,  die  doch  nicht  minder  ihren  Sinn  haben, 
in  Abzug  bringen,  die  Regel?  Schon  Di'Soartes  wies  auf  das 
Beispiel  des  Tausendecks  hin  und  machte  an  ihm  den  Unterschied 
zwischen  imagitmtio  und  intellectio  klar.  Die  Phantasievorstellung 
vom  Tausendeck  ist  nicht  viel  angemessener  wie  jene  Bilder  ge- 
schlossener Geraden ,  sich  schneidender  Parallelen ;  beiderseits  finden 
wir  statt  vollzureichender  Exemplificirung,  rohe  und  blofs  partielle 


Sache  des  i-ein  symbolischen  Denkens  vor  einem  unlöslichen  Räthsel. 
Für  sie  wäre  das  anschaiiungslose  Sprechen  aucli  sinnlos.  Aber 
ein  walirhaft  sinnloses  Sprechen  wäre  überhaupt  iiein  Sprechen, 
es  stände  gleich  dem  Gerassel  einer  Maschine.  Dergleichen  kommt 
allenfalls  vor  beim  gedankenlosen  Hersagen  eingelernter  Verse, 
Gebetformeln  u.  s.  w.;  aber  es  betrifft  nicht  die  Fälle,  die  zu  er- 
klären sind.  Die  beliebten  Vergleichungen  mit  dem  Geplapper  des 
Papageien  oder  dem  Schnattern  der  Oänse,  das  bekannte  Citat 
„wo  Begriffe  fehle» ,  da  stellt  ein  Wort  zur  rechten  Zeit  si^h  ein" 
und  ähnliche  Wendungen  dürfen,  wie  die  nüchterne  Betrachtung 
lehrt,  keineswegs  strenge  genommen  werden.  Atisdrücke  wie 
urUmlsloses  oder  sinnloses  Gerede  wird  man  doch  wol  nach  Mafs- 
gabe  ähnlicher  Ausdrücke  wie  (jefiiklloser,  gedankenloser,  geist- 
loser Mensch  u.  dgl.  interpretiren  dürfen  und  müssen.  Unter 
einem  urtheilslosen  Gerede  meinen  wir  offenbar  nicht  ein  solches 
wo  das  Uilheilen  fehlt,  sondern,  wo  es  nicht  aus  eigener  und 
verständiger  Erwägung  hervorgegangen  ist.  Auch  die  als  Absur- 
dität ("Widei-sinn)  verstandene  „Sinnlosigkeit"  constituirt  sich  im 
Sinn:  es  gehört  zum  Sinn  des  widersinnigen  Ausdrucks,  objectiv 
Unvereinbarliches  zu  meinen. 

Für  die  Gegenseite  bleibt  nur  übrig  zur  Nothypothese  un- 
bewufster  und  unbemerkter  Anschauungen  die  Zuflucht  zu  nehmen. 
Aber  wie  wenig  dies  helfen  kann,  lehrt  der  Hinblick  auf  die 
Leistung  der  fundirenden  Anschauung  in  den  Fällen,  wo  sie  merk- 
lich vorhanden  ist.  In  der  unvergleichlichen  Mehrheit  der  Fälle 
ist  sie  ja  der  Bedcutungsintentiou  garuicht  angemessen.  Jedenfalls 
besteht  hier  für  unsere  Auffassung  keinerlei  Schwierigkeit.  Liegt 
die  Bedeutsamkeit  nicht  in  der  Anschauung,  so  wird  das  an- 
schauungslose Sprechen  darum  kein  gedankenloses  sein  müssen. 
Entfällt  die  Anschauung,  so  bleibt  am  Ausdruck  eben  ein  Act 
derselben  Art  hängen,  wie  derjenige,  der  anderenfalls,  auf  An- 
schauung bezogen,  die  Erkenntnis  ihres  Gegenstandes  vermittelte. 
So  ist  der  Act,  in  dem  sich  das  Bedeuten  vollzieht,  im  einen  und 
anderen  Falle  vorhanden,  oder  es  sind  mindestens  gleichartige 
Acte,  die  dasselbe  bedeutungsmälsige  Wesen  gemein  haben. 


66  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 

in  den  Fällen,  wo  wir  Symbole  ohne  Stütze  begleitender  Phan- 
tasiebilder verstehen,  das  blolse  Symbol  da;  Tielmehr  ist  das  Ver- 
ständnis da,  dieses  eigenthümliche,  auf  den  Ausdruck  bezogene, 
ihn  durchleuchtende,  ihm  Bedeutung  und  damit  gegenständliche 
Beziehung  verleihende  Acterlebnis.   Was  das  blolse  Wort  als  sinn- 
lichen Complei  vom  bedeutsamen  Wort  unterscheidet,  das  wissen 
wir  aus  eigener  Erfahrung  ganz  wol.     Wir  können  ja,  von  der 
Bedeutung  absehend,  uns  dem  sinnlichen  Typus  des  Wortes  exclu- 
siv  zuwenden.    Es  kommt  auch  vor,  daTs  ein  Sinnliches  zunächst 
für  sich  Interesse  erweckt  und  uns  erst  nachträglich  sein  Charakter 
als  Wort  oder  sonstiges  Symbol   bewufst  wird.     Der   sinnliche 
Habitus  eines  Objectes  ändert  sich  nicht,  wenn  es  für  uns  die 
Geltung  eines  Symbols  annimmt;  oder  umgekehrt,  wenn  wir  bei 
dem,   normaler  Weise   als  Symbol  fungirenden,  von  seiner  Be- 
deutsamkeit absehen.    Es  ist  auch  kein  neuer  psychischer  Inhalt 
zu  dem  alten  selbständig  hinzugetreten,  als  ob  nun  eine  Summe 
oder  Verknüpfung  gleichberechtigter  Inhalte  vorläge.  Wol  bat  aber 
der  eine  und  selbe  Inhalt  seinen  psychischen  Habitus  geändert, 
es  ist  uns  mit  ihm  anders  zu  Muthe,  es  erscheint  uns  nicht  bloüs 
ein  sinnlicher  Zug  auf  dem   Papier,  sondern  das  physisch  Er- 
scheinende gilt  als  ein  Zeichen,  das  wir  verstehen,    und  indem 
wir  in  seinem  Verständnis  leben,  vollziehen  wir  nicht  ein  Vor- 
stellen  oder  Urtheilen,   das  sich   auf  das  Zeichen  als  sinnliches 
Object  bezieht,  sondern  ein  ganz  anderes  und  andersartiges,  das 
sich   auf  die  bezeichnete  Sache  bezieht     Also  im  srnngebenden 
Actcharakter,  der  ein  ganz  anderer  ist,  je  nachdem  das  Interesse 
auf  das  sinnliche  Zeichen  oder  auf  das  mittels  des  Zeichens  vor- 
stcllig  gemachte  (wenn  auch  durch  keinerlei  Fhantasievorstellong 
verbildlichte)  Object  gerichtet  ist,  liegt  die  Bedeutung. 

§  19.     Verständnis  ohne  Anschauung. 

Im  Lichte  unserer  Auffassung  wird  es  also  völlig  begreiflich, 
wie  ein  Ausdruck  sinnvoll  und  doch  ohne  illustrirende  Anschauung 
fungiron  kann.  Diejenigen,  welche  das  Moment  der  Bedeutung 
in  die  Anschauung  hinein  verlegen,  stehen  angesichts  dieser  That- 


Sache  des  i-ein  symbolischen  Denkens  vor  einem  unlöslichen  Räthsel. 
Für  sie  wäre  das  anscbauungslose  Spreclien  auch  sinnlos.  Aber 
ein  wahrhaft  sinnloses  Sprechen  wäre  überhaupt  kein  Sprechen, 
es  stände  gleich  dem  Gerassel  einer  Maschine.  Dergleichen  kommt 
allenfalls  vor  beim  gedankenlosen  Hersagen  eingelernter  Verse, 
Gebettbrmeln  u.  s.  w. ;  aber  es  beti-ifft  nicht  die  Falle,  die  zu  er- 
klären sind.  Die  beliebten  Vergleichiingen  mit  dem  Geplapper  des 
Papageien  oder  dem  Schnattern  der  Gänse,  das  bekannte  Citat 
„wo  Begriffe  fekle»^  da  stellt  ein  Wort  zur  rechten  Zeit  sich  ein" 
und  ähnliche  Wendungen  dürfen,  wie  die  nüchterne  Betrachtung 
lehrt,  keineswegs  strenge  genommen  werden.  Ausdrücke  wie 
nrtheilshses  oder  sinnloses  öerede  wird  man  doch  wol  nach  Mafs- 
gabe  ähnlicher  Ausdrücke  wie  (jefühlloser,  gedankenloser,  geist- 
loser Mensch  u.  dgl.  interpretiren  dürfen  und  müssen.  Unter 
einem  nrtheilslosen  Gerede  meinen  wir  offenbar  nicht  ein  solcheB 
wo  das  Urtheilen  fehlt,  sondern,  wo  es  nicht  aus  eigener  und 
verständiger  Erwägung  hervorgegangen  ist.  Auch  die  als  Absur- 
dität (Widersinn)  verstandene  „Sinnlosigkeit"  constituirt  sich  im 
Sinn:  es  gehört  zum  Sinn  des  widersinnigen  Ausdrucks,  objectiv 
ünvereinbai'liches  zu  meinen. 

Für  die  Gegenseite  bleibt  nur  übrig  zur  Nothypothese  un- 
bewufster  und  unbemerkter  Anschauungen  die  Zuflucht  zu  nehmen. 
Aber  wie  wenig  dies  helfen  kann,  lehrt  der  Hinblick  auf  die 
Leistung  der  fundirenden  Anschauung  in  den  Fällen,  wo  sie  merk- 
lich vorhanden  ist.  In  der  unvergleichlichen  Mehrheit  der  Fälle 
ist  sie  ja  der  Bedeutungsintention  garnicht  angemessen.  Jedenfalls 
besteht  hier  für  unsere  Auifassung  keinerlei  Schwierigkeit.  Liegt 
die  Bedeutsamkeit  nicht  in  der  Anschauung,  so  wird  das  an- 
schauungslose Sprechen  darum  kein  gedankenloses  sein  müssen. 
Enttallt  die  Anschauung,  so  bleibt  am  Ausdruck  eben  ein  Act 
derselben  Art  hängen,  wie  derjenige,  der  anderenfalls,  auf  An- 
schauung bezogen,  die  Erkenntnis  ihres  Gegenstandes  vermittelte. 
So  ist  der  Act,  in  dem  sich  das  Bedeuten  vollzieht,  im  einen  und 
anderen  Falle  vorhanden,  oder  es  sind  mindestens  gleichartige 
Acte,  die  dasselbe  bedeutungsmäisige  Wesen  gemein  haben. 


68  /.   Atiadruck  und  Bedeutung. 

§  20.     Das  anschauungslose  Denken  und  die  „sieüvertreiende  FkmeUon" 

der  Zeichen. 

Man  muls  sich  durchaus  klar  machen,  dals  in  weitesten 
Strecken  nicht  blols  lässigen  und  alltäglichen,  sondern  streng 
wissenschaftlichen  Denkens  die  veranschaulichende  Bildlichkeit  eine 
geringe  oder  schlechterdings  keine  Rolle  spielt,  und  dals  wir  im 
actuellsten  Sinn  urthoilen,  schlieisen,  überlegen  und  widerlegen 
können  auf  Grund  von  „blois  symbolischen"  Vorstellungen.  Es 
ist  eine  sehr  unangemessene  Beschreibung  dieser  Sachlage,  wenn 
man  hier  von  einer  stellvertretenden  Function  der  Zeichen 
gesprochen  hat,  als  ob  die  Zeichen  selbst  für  irgend  Etwas  sorro- 
girten ,  und  das  Denkinteresse  im  symbolischen  Denken  den  Zeichen 
selbst  zugewendet  wäre.  In  Wahrheit  sind  diese  aber  in  keiner 
und  auch  nicht  in  stellvertretender  Weise  die  Gegenstände  der 
denkenden  Betrachtung,  vielmehr  leben  wir  ganz  und  gar  in  dem 
bei  allem  Mangel  an  begleitender  Anschauung  nicht  fehlenden 
Bedeutungs-  bzw.  Verständnisbewufstsein.  Man  mufs  sich  gegen-* 
wärtig  halten,  dafs  symbolisches  Denken  ein  Denken  nur  ist  um 
des  neuen  „intentionalen"  oder  Actcharakters  willen,  der  das 
Unterscheidende  des  bedeutsamen  Zeichens  ausmacht,  gegenüber 
dem  „blofsen"  Zeichen,  das  ist  dem  Wortlaut,  der  sich  als  physisches 
Object  in  den  blofsen  sinnlichen  Vorstellungen  constituirt  Dieser 
Actcharakter  ist  ein  descriptiver  Zug  im  Erlebnis  des  an- 
schauungslosen und  doch  verstandenen  Zeichens. 

Man  wird  gegen  die  hier  gegebene  Interpretation  des  sym- 
bolischen Denkens  vielleicht  einwenden,  dafs  sie  sich  mit  den 
sichersten  Thatsachen  in  Widerstreit  setze,  die  in  der  Analyse  des 
symbolisch-arithmetischen  Denkens  hervortreten  und  von 
mir  selbst  an  anderer  Stelle  (in  der  Philosophie  der  Arithmetik) 
betont  worden  seien.  Im  arithmetischen  Denken  surrogiren  doch 
wirklich  die  blofsen  Zeichen  für  die  Begriffe.  Die  „Theorie  der 
Sachen  auf  die  Theorie  der  Zeichen  zu  reduciren",  um  es 
mit  Lambert  auszudrücken,  ist  die  Leistung  jeder  Rechenkunst. 
Die  arithmetischen  Zeichen  sind  „so  gewählt  und  zu  solcher  Voll- 


ständigkeit  gebracht,  daliä  die  Theorie,  Combination,  Verwand- 
lung etc.  der  Zeichen  statt  dessen  dienen  kann,  was  sonst  mit  den 
Begriffen  vorgenommen  werden  müfste."^ 

Sieht  man  näher  zu,  so  sind  es  aber  nicht  die  Zeichen  im 
blofsen  Sinn  physischer  Objecto,  deren  Theorie,  Combina- 
tion u.  s.  w.  uns  das  Geringste  zu  nützen  vcrmöeiite.  DergleicJien 
fiele  in  die  Sphäi'e  der  physischeo  Wissenschaft,  bzw.  Praxis,  und  nicht 
in  die  der  Arithmetik.  Die  wahre  Meinung  der  fraglichen  Zeichen 
tritt  hervor,  wenn  wir  die  beliebte  Vergleich iing  der  rechnerLsehen 
Operationon  mit  denen  der  geregelten  Spiele,  z.  B.  des  Seiiach- 
spiels,  ins  Auge  fassen.  Die  Schaclifiguren  kommen  im  Spiel  nicht 
als  diese  so  und  so  geformten  und  gefäi-bten  Dinge  aus  Elfenbein, 
Holz  u.  dgl.  in  Betracht  Was  sie  phänomenal  und  physisch  con- 
.stitiiirt,  ist  ganz  gleichgiltig  und  kann  nach  Willkür  wechseln.  Zu 
Schachfiguren,  d.  i.  zu  Spielmarken  des  fraglichen  Spiels,  werden 
sie  vielmehr  durch  die  Spielregeln,  welche  ihneu  ihre  feste  Spiel- 
bedeutung geben.  Und  so  besitzen  auch  die  arithmetischen 
Zeichen  neben  ihrer  originären  Bedeutung  sozusagen  ihre  Spiel- 
bedeutung, welche  sich  nämlicli  orientirt  nach  dem  Spiel  der 
Rechenoperationen  und  seinen  bekannten  Keehenregeln.  Nimmt  man 
die  arithmetischen  Zeichen  rein  als  Spielmarken  im  Sinne  dieser 
Regeln,  so  führt  die  IjJsung  der  Aufgaben  des  rechnerischen  Spiels 
zu  Zahlzeichen,  bezw.  Zahlformeln,  deren  Interpretation  im  Sinne 
der  originären,  und  eigentlich  arithmetischen  Bedeutungen  zugleich 
die  Lösung  entsprechender  arithmetischer  Aufgaben  darstellen. 

Also  nicht  mit  bedeutungslosen  Zeichen  operirt  man  in 
den  Sphären  des  symbolisch -arithmetischen  Denkens  und  Rechnens. 
Nicht  sind  es  die  „blofsen''  Zeichen  im  Sinne  der  physischen, 
von  aller  Bedeutung  losgerissenen  Zeichen,  weiche  für  die  ui-sprüng- 
üchen,  mit  aritlimetischen  Bedeutungen  beseelten  Zeichen  surro- 
giren;  vielmehr  surrogiren  für  die  arithmetisch  bedeutsamen 
Zeichen   dieselben,   aber   in   einer   gewissen   Operations-   oder 


»  LxxBERT,  Neaea  Orgauun,  II.  Bd.  1764.    §23  u.  24.  8.  16.    (Lambkrt 
bezieht  sich  darin  nicht  ausdrüoklich  uuT  die  Arithmetik.) 


Spielbedeutung  genommenen  Zeichen.  Ein  System  von  natürlich 
und  sozusagen  unbewu&t  sich  herausbildender  Aequivocationen 
wird  unendlich  fruchtbar;  die  ungleich  gröfsere  Denkarbeit,  welche 
die  originäre  Bcgrifl'sreihe  erfordert,  wird  durch  die  leicliteren 
„syniboliscbeD"  Operationen  erspart,  welche  sich  in  der  parallelen 
Reihe  der  Spielbegriffe  vollziehen. 

Selbstverständlich  mufs  man  das  logische  Recht  eines  solchen 
Verfalu-ens  begründen  und  seine  Grenzen  zuverlässig  bestimmen; 
hier  kam  os  mir  darauf  an,  die  Verwirrung  zu  beseitigen,  in 
welche  man  durch  die  Verkoonung  dieses  „rein  symbolischen" 
Denkens  der  Mathematik  leicht  geräth.  Versteht  mau  den  oben 
dargelegten  Sinn  der  Rede  von  „blofsen  Zeichen",  die  in  der 
Arithmetik  als  „Surrogate"  für  die  ai-itbmetischen  Begriffe  (bezw. 
für  die  mit  ihren  arithmetischen  Bedeutungen  begabten  Zeichen) 
dienen,  so  ist  es  auch  klar,  dafs  der  Hinweis  auf  die  stell- 
vertretonde  Function  der  arithmetischen  Zeichen  die  Frage  eigent- 
lich gar  nicht  berührt,  die  uns  hier  beschäftigt;  nämlich  die 
Frage,  ob  ein  ausdrückUehes  Denken  ohne  begleitende  —  illu- 
strirende,  exemplificirende,  evidentmachende  —  Anschauung  mög- 
lich ist  oder  nicht.  Symbolisches  Denken,  im  Sinne  eines  derart 
unschauungslosen  Denkens,  und  symbolisches  Denken,  im  Sinne 
eines  mit  surrogirenden  Operationsbogriffen  sich  vollziehenden 
Denkens,  das  sind  verschiedene  Dinge. 

§  21.     Bedenken  mit  Rüekaicht  auf  die  Nothwendigkeil,  zur  Klärung 

der  Bedeutungen  und  zur  Erkennlnis  der  in  ihnen  gründenden  Wahr- 

heiiett  auf  correspondirende  Anschauung  zurückzugehen. 

Man  könnte  fragen;  "Wenn  die  Bedeutung  des  rein  symbolisch 
fungirenden  Ausdrucks  in  dem  Actcharakter  liegt,  der  das  ver- 
stehende Auffassen  des  Wortzeichens  vctr  dem  Auffassen  eines 
sinnleeren  Zeichens  unterscheidet,  wie  kommt  es,  dafs  wir,  um 
Bedeutungsuntei'schiede  festzustellen,  Vieldeutigkeiten  zu  evidenter 
Abhebung  zu  bringen  oder  das  Schwanken  der  Bedoutungsintention 
zu  begrenzen,  auf  die  Anschauung  zurückgehen  müssen? 


i 


Und  ■wieder  köonto  man  fragen:  Wenn  die  hier  vertretene 
Auft'assimg  des  Begriffes  Bedoutiiog  richtig  ist,  wie  kommt  es, 
dafs  wir  auch,  um  die  Erkenntnisse  einzusehen,  weiche  rein  in 
den  Begriffen  gründen,  und  das  heifst  docii  dureii  blofse  Analyse 
der  Bedeutungen  entspringen,  der  corrospoudiretiden  Anschauung 
nicht  entrathen  können?  In  der  Tliat  heifst  es  uligemein:  Um 
sich  den  Sinn  eines  Ausdruckes  (den  Inhalt  eines  Begriffes)  zu 
„klarem  Bewiüstsein"  zu  bringen,  müsse  man  eine  ontsprechondo 
Anschauung  herstellen;  in  ihr  erfasse  man,  was  mit  dem  Aus- 
druck „eigentlich  gemeint^  sei. 

Indessen  meint  doch  auch  der  symbolisch  fungirende  Aus- 
druck Etwas  und  nichts  Anderes  als  der  anschaulich  geklärte. 
Nicht  kann  sich  erst  mittelst  der  Anschauung  das  Bedeuten  voll- 
zogen haben;  sonst  müfsten  wir  sagen,  es  sei  das,  was  wir  im 
unvergleichlich  gröfsten  Theil  der  Rede  und  I^ecturo  erleben,  ein 
blofses  äufseres  Wahrnehmen  oder  Einbilden  akustischer  und 
optischer  Complexionen.  Wir  brauchen  nicht  aufs  Neue  zu  wieder- 
holen, dafs  dem  der  klare  Erfahrungsiuhalt  widerspricht,  nämlich 
dafs  wir  mit  dem  Laut-  und  Schriftzeicben  Dies  und  Jenes 
meinen,  und  dafs  dieses  Meinen  ein  descriptiver  Charakter 
des  verstehenden,  obschon  rein  symbolischen  Redens  und  Hörens 
ist.  Die  Antwort  aber  auf  die  zuerst  gestellte  Frage  giebt  uns 
die  Bemerkung,  dafs  sich  die  blol'sen  symbolischen  Bedeutungs- 
intentionen oft  nicht  deutlich  von  einander  absondern  und  nicht 
die  Ijfiichtigkeit  und  Sicherheit  der  Identificirungen  und  Unter- 
scheidungen emiöglicben,  die  wir  auch  nur  für  die  Zwecke  eines 
practisch  nutzbringenden,  obschon  nicht  evidenten  ürtheüens  be- 
nötbigen.  Um  Bedeutuogsunterschiede  derart  wie  zwischen  Mücke 
und  Elephnid  zu  erkennen,  braucht  es  keiner  besonderen  Ver- 
anstaltungen. Wo  die  Bedeutungen  aber  fliefsend  ineinander 
übergehen  und  ihr  unmerkliches  Schwanken  die  Grenzen  ver- 
wischt, deren  Innehaltung  die  Sicherheit  des  Urtlieilens  erfordert, 
da  bietet  die  Veranschaulich ung  das  naturgomäfse  Mittel  der  Ver- 
deutlichung. Indem  sich  die  Bedeutungsintention  des  Ausdrucks 
au  verschiedenen   und  begrifi'lich   nicht  zusammengehörigen  An- 


72  /.   Ausdruck  und  Bedeutung. 

schauungen  erfüllt,  tritt  mit  der  scharf  unterschiedenen  Erf&Ilung»- 
richtung  zugleich  die  Yerschiedenheit  der  Bedeutungsintention 
scharf  hervor. 

Mit  Beziehung  auf  die  zweite  Frage  aber  ist  zu  bedenken, 
dals  alle  Evidenz  des  ürtheilens  (alles  actuelle  Erkennen  im 
prägnanten  Sinn)  anschaulich  erfüllte  Bedeutungen  Toraussetsct 
Wo  von  Erkenntnissen  die  Rede  ist,  die  „aus  der  Analyse  der 
blofsen  "Wortbedeutungen  entspringen",  da  ist  eben  Anderes  ge- 
meint, als  die  Worte  nahelegen.  Es  sind  Erkenntnisse  gemeint, 
die  sich  aus  der  blofsen  Yergegenwärtigung  des  „begrifDichen 
Wesens"  allgemeiner  Wortbedeutungen  ergeben,  während  die  Frage 
nach  der  Existenz  der  Gegenstände,  die  den  Begriffen  entsprechen, 
aufser  Spiel  bleibt  Dieses  begriffliche  Wesen  ist  aber  nicht  die 
Wortbedeutung  selbst;  weshalb  die  beiden  Wendungen  „rein  in 
den  Begriffen  gründen"  und  „durch  blolse  Analyse  aus  den  Wort- 
bedeutungen entspringen"  nur  durch  Aequivocation  dasselbe  be- 
sagen können.  Vielmehr  ist  dieses  begriffliche  Wesen  nichts 
Anderes  als  der  erfüllende  Sinn  (als  Species  verstanden),  der 
„gegeben"  ist,  indem  die  Wortbedeutungen  in  entsprechenden 
sinnlich -anschaulichen  Yorstellungen  und  gewifsen  denkmä&igen 
Bearbeitungen  oder  Formimgen  derselben  terminiren.  Die  Ana- 
lyse betrifft  nicht  die  leeren  Bedeutungsintentionen,  sondern  diese 
erfüllenden  Vergegenständlichungen  und  Formungen.  Daher  liefert 
sie  auch  garnicht  Aussagen  über  blofee  Theile  oder  Verhältnisse 
der  Bedeutungen,  sondern  einsichtige  Nothwendigkeiten  in  Be- 
treff der  in  den  Bedeutungen  als  so  und  so  bestimmt  gedachten 
Gegenstände  überhaupt 

Freilich  weisen  uns  diese  Erwägungen  auf  eine  Sphäre,  schon 
wiederholt  als  unerlä&lich  erkannter,  phänomenologischer  Analysen 
hin,  welche  die  apriorischen  Beziehungen  zwischen  Bedeutung 
und  Erkenntnis,  bezw.  zwischen  Bedeutung  und  klärender  An- 
schauung zur  Evidenz  bringen,  und  somit  auch  unserem  Bedeu- 
tungsbegriff  durch  Unterscheidung  von  dem  erfüllenden  Sinn 
und  durch  Erforschung  des  Sinnes  dieser  Erfüllung  erst  zu  einer 
vollkommenen  Klarheit  verhelfen  müssen. 


Zur  Charakteristik  der  bedeutungverleihenden  Acte.  73 

§  22.     Die  differenten  Verständniseharaktere  und  die 
„  Bekanntheüsqtuilität ". 

Unsere  Auffassung  setzt  eine  gewisse,  wenngleich  nicht  voll- 
kommen scharfe  Sonderung  der  bedeutungverleihenden  Act- 
charaktere  auch  in  den  Fällen  voraus,  wo  diese  Bedeutungsinten- 
tionen der  Veranschaulichung  entbehren.  Und  wirklich  kann  man 
nicht  annehmen,  dais  die  „symbolischen  Vorstellungen",  die  dann 
das  Verständnis,  bezw.  die  sinnvolle  Verwendung  der  Zeichen  be- 
herrschen, descriptiv  gleichwerthig  sind,  dafs  sie  in  einem  unter- 
schiedslosen, für  alle  Ausdrücke  identischen  Charakter  bestehen: 
als  ob  nur  die  blofsen  Wortlaute,  die  zufälligen  sinnlichen  Be- 
deutungsträger, den  Unterschied  ausmachten.  Man  überzeugt  sich 
an  Beispielen  äquivoker  Ausdrücke  leicht,  dafs  wir  den  jähen 
Bedeutungswechsel  vollziehen  und  erkennen  können,  ohne  im 
Geringsten  begleitender  Veranschaulichungen  zu  bedürfen.  Der 
descriptive  Unterschied,  der  hier  evident  zu  Tage  tritt,  kann  nicht 
das  sinnliche  Zeichen,  das  ja  dasselbe  ist,  er  mufs  den  Actcharakter 
betreffen,  der  sich  eben  specifisch  verändert  Und  wieder  ist  auf 
Fälle  hinzuweisen,  wo  die  Bedeutung  identisch  bleibt,  während 
das  "Wort  sich  ändert,  z.  B.  wo  blofs  idiomatische  Unterschiede 
bestehen.  Die  sinnlich  verschiedenen  Zeichen  gelton  uns  hier  als 
gleichbedeutende  (wir  sprechen  ev.  sogar  von  „demselben"  nur 
verschiedenen  Sprachen  angehörigen  Worte),  sie  muthen  uns  un- 
mittelbar als  „dasselbe"  an,  noch  ehe  die  reproductive  Phantasie 
uns  Bilder  beistellen  mag,  die  sich  auf  Veranschaulichung  der 
Bedeutung  beziehen. 

Zugleich  macht  man  sich  an  solchen  Beispielen  die  Unhalt- 
barkeit  des  zunächst  plausibel  erscheinenden  Gedankens  klar,  dafs 
der  Verständnischarakter  am  Ende  nichts  weiter  sei  als  das,  was 
RiEHL*  als  „Charakter  der  Bekanntheit"  und  Höffding^  weniger 


*  A.  RiBHL,  Der  philosophische  Kriticismus,  IL  Bd.  1.  Th.  S.  199. 

*  H.  HöiTDiNO,  üeber  WiedererkenneD,  Association  und  psychische  Activitüt. 
Vierteljahrsschrift  f.  wiss.  Philos.  Bd.  Xin.  S.  425. 


74  /.   Atudruck  und  Bedeutung. 


passend  als  „Bekanntheitsqualität"  bezeichnet  hat^  Aach  un- 
verstandene Worte  können  uns  gleich  alten  Bekannten  gegenüber- 
treten; die  gut  memorirten  griechischen  Verse  haften  im  Gedächtnis 
viel  länger  als  das  Verständnis  ihres  Sinnes,  sie  erscheinen  noch 
als  wolbekannt  und  werden  doch  nicht  mehr  verstanden.  Das 
mangelnde  Verständnis  leuchtet  uns  dann  oft  nachträglich  aaf  (ev. 
lange  vor  Eintritt  der  übersetzenden  Ausdrücke  der  Muttersprache 
oder  sonstiger  Bedeutungsstützen),  und  zum  Bekanntheitscharakter 
tritt  nun  der  Verständnischarakter  als  ein  offenbar  Neues  hinzu, 
den  Inhalt  sinnlich  nicht  ändernd  und  ihm  doch  einen  neuen 
psychischen  Charakter  verleihend.  Man  erinnere  sich  auch  an 
die  Art,  wie  ein  zeitweis  gedankenloses  Lesen  oder  Recitiren  alt- 
bekannter Dichtungen  sich  in  verstehendes  verwandelt  So  bieten 
sich  noch  Beispiele  in  Fülle,  welche  die  Eigenheit  des  Ver- 
ständnischarakters zur  Evidenz  bringen. 

§  23.     DU  Apperception  im  Ausdruck  und  die  Ajtperc^tion  in  den 
anschauliclien   Vorstellungen. 

Die  verstehende^  Auffassung,  in  der  sich  das  Bedeuten  eines 
Zeichens  vollzieht,  ist,  insofern  eben  jedes  Auffassen  in  gewissem 
Sinne  ein  Verstehen  oder  Deuten  ist,  mit  den  (in  verschiedenen 
Formen  sich  vollziehenden)  objectivirenden  Auffassungen  verwandt, 
in  welchen  uns  mittelst  einer  erlebten  Empfindungscomplexion  die  im- 
schauliche  Vorstellung  (Wahrnehmung,  Einbildung,  Abbildung  u.8.  w.) 
eines  Gegenstandes  (z.  B.  „eines  äufseren"  Dinges)  erwächst  Doch 
ist  die  phänomenologische  Constitution  der  beiderseitigen  Auf« 
fassungen  eine  beträchtlich  unterschiedene.  Fingiren  wir  ein  Be> 
wul'stsein  vor  allen  Erfahrungen,  so  empfindet  es  der  Möglich- 
keit nach   dasselbe  wie  wir.    Aber  es  schaut  keine  Dinge   and 


*  Vgl.  dagegen  Volkeli,  Erfahrung  und  Denken,  S.  3()2. 

'  Ich  gebrauche  das  Wort  Vorstehen  nicht  etwa  in  dem  eiugeschrimktai 
Sinn,  der  auf  die  Beziehung  zwischen  einem  Sprechenden  und  Hörenden  hin- 
weist. Der  monologische  Denker  „Tersteht"  seine  Worte  und  dies  Verstehen 
ist  einfach  das  actuelle  Bedeuten. 


dinf^lichen  Ereignisse  an,  es  nimmt  niclit  Bäiirao  und  Häuser  wahr, 
nicbt  den  Flug  des  Vogels  oder  das  Bellen  des  Hundes.  Man 
fühlt  sich  hier  alsbald  versucht,  die  Sachlage  so  auszudrücken: 
Einem  solchen  Bewufstsein  bedeuten  die  Empfindungen  nichts, 
sie  gelten  ihm  nicht  als  Zeiciien  für  die  Eigenschafton  eines 
Gegenstandes,  ihre  Complexion  nicht  als  Zeichen  für  den  Gegen- 
stand selbst;  sie  werden  schlechthin  erlebt,  ermangeln  aber  einer 
(aus  „Erfahrung"  erwachsenden)  objectivirenden  Deutung.  Hier 
ist  also  von  Bedeutung  und  Zeichen  so  gut  die  Rede,  wie  bei 
den  Ausdrücken  und  verwandten  Zeichen. 

Indessen  duif  diese  Rede  im  Vergleichsfallo  der  Wahrnehmung 
(auf  den  wir  uns  der  Einfachheit  haibor  beschränken)  nicht  so 
raifeverstanden  werden,  als  ob  das  Bewufstsein  auf  die  Empfin- 
dungen hinblicke,  sie  selbst  zu  Gegenständen  einer  Wahr- 
nehmung und  einer  erst  darauf  zu  gründenden  Deutung  mache: 
wie  dies  bei  den  in  der  That  gegenständlich  bewufsten  physi- 
schen Objecten  statthat,  die,  wie  z.  B.  die  Wortlaute,  im  eigent- 
lichen Sinne  als  Zeichen  fungiron.  Die  Empfindungen  werden 
offenbar  nur  in  der  psychologischen  Reflexion  zu  Vorstellungs- 
objecten,  während  sie  im  naiven  anschaulichen  Vorstellen  zwar 
Componenten  des  Vorstellungserlebnisses  sind  (Theile  seines 
descriptiven  Inhaltes),  keineswegs  aber  dessen  Gegenstände.  Die 
Walirnchmimgsvorstellung  kommt  einfach  dadurch  zu  Stande,  dafs 
die  erlobte Empfiudungscomple.xion  von  einem  gewissen  Actcharakter, 
einem  gewissen  Auffassen,  Meinen  beseelt  ist;  und  indem  sie  es 
ist,  erscheint  der  wahrgenommene  Gegenstand,  während  sie  selbst 
so  wenig  erscheint  wie  der  Act,  in  dem  sich  der  wahrgenommene 
Gegenstand  als  solcher  coustituirte.  Die  phänomenologische  Ana- 
lyse lelirt  auch,  dafs  der  Inhalt  der  Empfindung  sozusagen  ein 
analogisches  Baumaterial  abgiebt  für  den  Inhalt  des  durch  sie  vor- 
gestellten Gegenstandes:  daher  die  Rede  von  einerseits  empfundenen, 
andererseits  wahrgenommenen  (bezw.  vorgestellten)  Farben,  Aus- 
dehnungen, Intensitäten  u.  s.  w.  Das  beiderseits  Entsprecliendo  ist 
keineswegs  ein  Identisches,  sondern  nur  ein  gattungsmäfsig  Ver- 
wandtes, wie  man  sich  an  Beispielen  leicht  überzeugt:  Die  gleich- 


76  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 


mäfsige  Färbung  der  Kugel,  die  wir  sehen  (wahrnehmen,  vor- 
stellen u.  dgl.),  haben  wir  nicht  empfunden. 

Bei  den  Zeichen  im  Sinne  von  Ausdrücken  liegt  nun  eine 
ebensolche  „Deutung" ,  aber  nur  als  erste  Auffassung  zu  Grunde. 
Betrachten  wir  den  einfacheren  Fall,  wo  der  Ausdruck  verstanden, 
aber  durch  keine  illustrirende  Anschauung  belebt  ist,  so  erwächst 
durch  die  erste  Auffassung  die  Erscheinung  des  blofsen  Zeichens 
als  des  hier  und  jetzt  gegebenen  physischen  Objectes  (z.  B.  des 
Wortlautes).  Diese  erste  Auffassung  fundirt  aber  eine  zweite,  die 
über  das  erlebte  Etnpfindungsniaterial  ganz  hinausgeht  and  in 
ihm  nicht  mehr  sein  analogisches  Baumaterial  für  die  nun  ge- 
meinte und  durchaus  neue  Gegenständlichkeit  findet.  Di^e  Letztere 
ist  in  dem  neuen  Acte  des  Bedeutens  gemeint,  aber  in  der 
Empfindung  nicht  präsentiri  Das  Bedeuten,  der  Charakter  des 
ausdrückenden  Zeichens  setzt  eben  das  Zeichen  voraus,  als  dessen 
Bedeuten  es  erscheint  Oder  rein  phänomenologisch  gesprochen: 
das  Bedeuten  ist  ein  so  und  so  tingirter  Actcharakter,  der  einen 
Act  anschaulichen  Vorstellens  als  nothwendiges  Fundament  voraus- 
setzt In  dem  Letzteren  constituirt  sich  der  Ausdruck  als  phy- 
sisches Objcct  Zum  Ausdruck,  im  vollen  und  eigentlichen  Sinn, 
wird  er  aber  erst  durch  den  fundirten  Act 

Was  in  dem  einfachsten  Fall  des  anschauungslos  verstandenen 
Ausdruckes  gilt,  mufs  auch  in  dem  complicirten  Falle  gelten,  wo 
der  Ausdruck  mit  correspondirender  Anschauung  verwoben  ist 
Ein  und  derselbe  Ausdruck,  bald  mit,  bald  ohne  illustrirende  An- 
schauung sinnvoll  gebraucht,  kann  die  Quelle  seiner  Bedeutsam- 
keit ja  nicht  aus  verschiedenartigen  Acten  schöpfen. 

Es  ist  allerdings  nicht  leicht,  die  descriptive  Sachlage  nach 
den  hier  nicht  berücksichtigten  feineren  Abstufungen  und  Ver- 
zweigungen zu  analysiren.  Zumal  bereitet  es  Schwierigkeiten, 
die  Function  der  veranschaulichenden  Vorstellungen  —  die  Be- 
kräftigung oder  sogar  Evidentmachung  der  Bedeutungsintention, 
die  sie  leisten,  ihr  Verhältnis  zu  dem  Verständnis-  oder  Bedeutungs- 
charakter,  der  schon  im  anschauungslosen  Ausdruck  als  sinn- 
vorleihendes  Erlebnis  dient  —  richtig  zu  fassen.  Hier  ist  ein  breites 


Das  Sehwanken  der  Wortbedeutungen.  77 

Feld  für  die  phänomenologische  Analyse  und  ein  Feld,  das  der 
Logiker  nicht  umgeben  kann,  wenn  er  die  Beziehung  zwischen 
Bedeutung  und  Gegenstand,  Urtheil  und  Wahrheit,  unklarer  Meinung 
und  bewährender  Evidenz,  zur  Klarheit  bringen  will.  Mit  den 
bezüglichen  Analysen  werden  wir  uns  weiter  unten  eingehend 
beschäftigen  müssen^. 


Drittes  Kapitel. 

Das  Schwanken  der  Wortbedeutungen  und  die  Idealität 
der  Bedentungseinheit 

§  24.     Einleitung. 

Im  letzten  Kapitel  beschäftigten  wir  uns  mit  dem  Acte  des 
Bedeutens.  In  den  Feststellungen  des  ersten  Kapitels  unterschieden 
wir  aber  vom  Bedeuten  als  Act,  die  Bedeutung  selbst,  die  ideale 
Einheit  gegenüber  der  Mannigfaltigkeit  möglicher  Acte.  Diese 
Unterscheidung,  sowie  die  andere  mit  ihr  zusammenhängenden 
Unterscheidungen:  zwischen  ausgedrücktem  Inhalt  in  subjectivem 
und  objectivem  Sinn  und  in  letzterer  Hinsicht  zwischen  Inhalt 
als  Bedeutung  und  Inhalt  als  Nennung,  sind  in  unzähligen  Fällen 
von  zweifelloser  Deutlichkeit.  So  bei  allen  Ausdrücken,  die  im 
Zusammenhang  einer  angemessen  dargestellten  wissenschaftlichen 
Theorie  stehen.  Daneben  giebt  es  aber  auch  Fälle,  wo  es  sich 
anders  verhält  Dieselben  erfordern  besondere  Aufmerksamkeit, 
weil  sie  die  Tendenz  haben,  die  gewonnenen  Unterscheidungen 
wieder  zu  verwirren.  Es  sind  die  hinsichtlich  der  Bedeutung 
schwankenden  und  zumal  die  wesentlich  occasionellen  und  vagen 
Ausdrücke,  die  hier  ernste  Schwierigkeiten  bieten.  Die  Lösung 
dieser  Schwierigkeiten  durch  die  Unterscheidung  zwischen  den 
schwankenden  Acten  des  Bedeutens  und  den  ideal -einheitlichen 
Bedeutungen,  zwischen  denen  sie  schwanken,  ist  das  Thema  des 
vorliegenden  Kapitels. 


'  Vgl.  die  Untersuchung  VT. 


78  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 


§  25.     DeckungsverfiäUnüse  xwiaehen  den  Inkalten  der  Kundgabe 
und  der  Nennung. 

Ausdrücke  können  ebensowol  wie  auf  andere  OegenstSnde, 
auch  auf  die  gegenwärtigen  psychischen  Erlebnisse  des  sich  Aeo&era- 
den  Beziehung  haben.    Darnach  zerfallen  die  Ausdrücke  in  solche, 
die  das  Gegenständliche,  das  sie  nennen  (oder  überhaupt  zeichnen), 
zugleich  kundgeben,  und  in  solche,  bei  denen  der  genannte 
und  der  kundgegebene  Inhalt  auseinandertreten.    Beispiele 
für  die   erste  Klasse  bieten   die  Frage-,  Wunsch-,   Befehlsätze; 
für  die  zweite  Klasse  die  Aussagesätze,  die  sich  auf  äufsere  Dinge, 
auf  vergangene  eigene  psychische  Erlebnisse,  auf  mathematische 
Relationen  u.  dgl.   beziehen.     Spricht  Jemand   den  Wunsch   aus 
ich  bitte  um  ein  Olas  Wasser,  so  ist  dies  für  den  Hörenden  ein 
Anzeichen  für  den  Wunsch  des  Sprechenden.    Zugleich  ist  dieser 
Wunsch  aber  auch  Gegenstand  der  Aussage.    Das  Kundgegebene 
und  Genannte  kommt  hier  zur  partiellen  Deckung.    Ich  sage  zur 
partiellen  Deckung,  denn  offenbar  reicht  die  Kundgebung  weiter. 
Zu  ihr  gehört  auch  das  ürtheil,  das  in  den  Worten  ich  bitte  u.  s.  w. 
zum  Ausdruck  kommt    Ebenso  verhält  es  sich  natürlich  auch  bei 
Aussagen,  die  über   das   Vorstellen,   ürtheilen,  Vermuthen   des 
Sprechenden  etwas  aussagen,  also  die  Form  haben  ich  stelle  mir 
vor,  ich  bin  der  Ansicht,  ich  urtheile,  ich  vennuthe  u.s.w.,  daß... 
Sogar  der  Fall  totaler  Deckung  scheint  möglich,  wie  in  dem  Bei- 
spiel die  psychischen  Erlebnisse,   die  ich  in  den  jetzt  eben  ge- 
äufserten    Worten   kundgebe;    obschon    die   Interpretation    dieses 
Beispiels  nicht  ganz  unbedenklich  ist.     Dagegen  sind  Kundgabe 
und  genannter  Sachverhalt  völlig  disjunct  in  Aussagen  wie  etwa 
2x2  =  4.   Dieser  Satz  besagt  keineswegs  dasselbe  wie  der  andere: 
ich  urtheile,  dafs  2x2 '=4  sei.    Ja  beide  sind  nicht  einmal  aequi- . 
valent;  der  eine  kann  wahr,  der  andere  falsch  sein. 

Allerdings  ist  zu  bemerken,  dafs  bei  der  engeren  Fassung 
des  Begriffs  der  Kundgabe  (in  dem  früher  begrenzten  Sinne*)  die 
genannten  Gegenstände  der  obigen  Beispiele  nicht  mehr  in  den 


'  Vgl.  oben  §  7,  S.  33. 


Bereich  der  kuncigegebenen  Erlebnisse  fallen  würden.  "Wer  über 
seine  augenhlicklichen  psychischen  Erlebnisse  aussagt,  thoilt  ihr 
Vorhandensein  durch  ein  Urtheil  mit.  Nur  dadurch,  dais  er  dieses 
ürtheil  (des  Inhalts  nämlich,  dafs  er  Dies  oder  Jones  wünsche, 
hoffe  u.  s.  w.)  kundgiebt,  wird  er  vom  Hörenden  als  Wünschender, 
Hoffender  u.  s.  w.  appercipirt.  Die  Bedeutung  einer  solchen  Aus- 
sage liegt  in  diesem  Urtheil,  während  die  betreffenden  inneren 
Erlebnisse  zu  den  .Gegenständen  gehören,  über  die  geurtheilt  wird. 
Rechnet  man  nun  zur  Kundgabe  im  engeren  Sinne  nur  die  an- 
gezeigten Erlebnisse,  welche  die  Bedeutung  des  Ausdrucks  in 
sich  tragen,  so  bleiben  die  Inhalte  der  Kundgabe  und  der  Nennung 
hier  und  überall  gesondert. 

Aehnliche  Verhältnisse  wie  zwischen  Kundgabe  und  Nennung 
bestehen  auch  zwischen  Nennung  und  Bedeutung.  Die  normalen 
und  für  die  objective  Erkenntnis  allein  wichtigen  Fälle  sind  die, 
wo  Bedeutung  und  Gegenstand  disjunct  sind.  Dafs  hier  Deckungs- 
verhältnisse überhaupt  möglich  sind,  zeigt  das  Beispiel:  die  Be- 
deutung des  ersten  Namens,  den  ich  jetzt  eben  (in  diesen  Worten) 
ausspreche. 

§  26.     Wesentlich  occasionelle  und  objective  Ausdrücke. 

Die  Ausdrücke,  welche  auf  den  augenblicklichen  Inhalt  der 
Kundgebung  eine  nennende  Beziehung  haben,  gehören  zu  dem 
weiteren  Bestände  von  Ausdrücken,  deren  Be<leutung  von  Fall 
zu  Fall  wechselt.  Aber  dies  geschieht  in  so  eigenthümlicher 
Weise,  dafs  man  Bedenken  tragen  wird,  hier  von  Aequivocation 
zu  sprechen.  Dieselben  Worte  ich  irüiische  Dir  Glüclc,  in  welchen 
ich  jetzt  einem  Wunsche  Ausdruck  gebe,  können  unzähligen  Anderen 
dienen,  um  Wünschen  „desselben"  Inhalts  Ausdruck  zu  geben. 
Jedoch  nicht  blofs  die  Wünsche  selbst  sind  von  Fall  zu  Fall  ver- 
schieden, sondern  auch  die  Bedeutungen  der  Wunsch  aussagen. 
Einmal  steht  die  Person  A  der  Person  B  und  das  andcremal  die 
Person  31  der  Person  N  gegenüber.  Wünscht  A  dem  B  „das- 
selbe" wie  M  den  N,  so  ist  der  Sinn  des  Wunschsatzes,  da  er 
die  Vorstellung  der  gegenüberstehenden  Personen  oinschliefst,  ein 


80  I.   AusdrtKk  und  Bedeutung. 


offenbar  verschiedener.  Diese  Vieldeutigkeit  ist  aber  eine  ganz  andere, 
als  die  etwa  des  Wortes  Hund,  welches  einmal  eine  Art  TonThieren, 
da  andere  Mal  eine  Art  vonWagen  (wie  solche  in  Bergwerken  fiblich 
sind)  bedeutet.  Die  Klasse  vieldeutiger  Ausdrücke,  welche  dieses 
letztere  Beispiel  vorstellig  macht,  pflegt  man  vorzugsweise  im  Ange 
zu  haben ,  wo  von  Aequivocation  die  Rede  ist.  Bei  ihr  ist  die  Viel- 
deutigkeit nicht  geeignet,  unsere  üeberzeugung  von  der  Idealität 
und  Objectivität  der  Bedeutiing  zu  erscbCittem.  Es  liegt  ja  auch  in 
unserer  Willkür,  einen  solchen  Ausdruck  auf  Eine  Bedeutung  zu 
beschränken,  und  jedenfalls  wird  die  ideale  Einheit  einer  jeden 
der  verschiedenen  Bedeutungen  nicht  durch  den  zubilligen  Um- 
stand berührt,  dafs  sie  gleichen  Bezeichnungen  anhängen.  Wie 
verhält  es  sich  aber  mit  den  anderen  Ausdrücken?  Ist  bei  ihnen 
die  identische  Bedeutungseinheit,  die  wir  uns  sonst  durch  den 
Gegensatz  zum  Wechsel  der  Personen  und  ihrer  Erlebnisse  klar 
gemacht  haben,  noch  festzuhalten,  da  jetzt  die  Bedeutungen  gerade 
mit  den  Personen  und  ihren  Erlebnissen  wechseln  sollen?  Offen- 
bar handelt  es  sich  hier  nicht  um  zufiillige,  sondern  um  unver^ 
meidliche  Vieldeutigkeiten ,  die  durch  keine  künstliche  Veranstaltung 
und  Convention  aus  den  Sprachen  zu  entfernen  wäre. 

Zur  gröfseren  Klarheit  definiren  wir  folgende  Unterscheidung 
zwischen  wesentlich  subjectiven  und  occasionellen  Aus- 
drücken auf  der  einen  und  objoctiven  Ausdrücken  auf  der  anderen 
Seite.  Der  Einfachheit  halber  beschränken  wir  uns  auf  normal 
fungirende  Ausdrücke. 

Wir  nennen  einen  Ausdruck  objectiv,  wenn  er  seine  Be- 
deutung blofs  durch  seinen  lautlichen  Erscbeinungsgehalt  bindet, 
bezw.  binden  kann  und  daher  zu  verstehen  ist,  ohne  dafs  es  noth- 
wendig  des  Hinblickes  auf  die  sich  äufsemde  Person  und  auf  die 
Umstände  ihrer  Aeufserung  bedürfte.  Ein  objectiver  Ausdruck 
kann,  und  in  verschiedener  Weise,  aequivok  sein;  er  steht  dann 
zu  mehreren  Bedeutungen  in  dem  eben  beschriebenen  VerhältniSj 
wobei  es  von  psychologischen  Umständen  (von  der  zufälligen  Gte- 
dankenrichtung  des  Hörenden,  von  der  inneren  Gonseqiienz  dee 
umfassenderen  Gedankenzusammenhanges  der  Rede  u.  dgl.)   ab- 


hängig  ist,  welclie  von  diesen  Bedeutungen  er  jeweils  tlmtsiiclilicli 
erregt  und  bedeutet.  Es  mag  sein,  dafs  der  Hinblick  auf  die 
redende  Person  uud  ihre  Lage  in  dieser  Beziehung  ebenfalls 
förderlich  wirkt  Aber  es  hängt  vun  diesem  Hinblick  nicht,  in 
der  Weise  einer  conditio  sine  qua  non  ab,  ob  das  Wort  über- 
haupt in  einer  dieser  Bedeutungen  verstanden  werden  kann 
oder  nicht. 

Auf  der  anderen  täeite  nennen  wir  wesentlich  subjectiv  und 
occasionell  oder  kurzweg  wesentlich  occasionell  jeden  Ausdruck, 
dem  eine  begrifflich -einheitliche  Gruppe  von  möglichen  Bedeu- 
tungen so  zugehört,  dafs  es  ihm  wesentlich  ist,  seine  jeweils  actuelle 
Bedeutung  nach  der  Gelegenheit,  nach  der  redenden  Person  und 
ihrer  Lage  zu  orientiren.  Erst  im  Hinblick  auf  die  thatsächlichen 
Umstände  der  Aeufserung  kann  sich  hier  eine  bestimmte  unter 
den  zusammengehörigou  Bedeutungen  üborhaupt  con&tituiren.  In 
der  Vorstellung  dieser  umstände  und  in  ihrem  geregelten  Ver- 
hältnis zum  Ausdruck  selbst  müssen  also,  da  das  Verständnis  sich 
unter  normalen  Verhältnissen  allzeit  einstellt,  für  Jedermann  fafs- 
bare  und  him-eicheud  zuverlässige  Anhaltspunkte  liegen,  welche 
den  Hörenden  auf  die  im  gegebenen  Fall  gemeinte  Bedeutung  hin- 
zulenken vermögen. 

Zu  den  objectiveu  Ausdrücken  gehören  z.  B.  alle  theoretischen, 
also  diejenigen  Ausdrücke,  auf  welchen  sich  Grundsätze  und  Lehr- 
sätze, Beweise  und  Theorien  aufbauen.  Auf  das,  was  z.  B.  ein 
mathematischer  Ausdruck  bedeutet,  hüben  die  Umstände  der  actu- 
ellen  Rede  nicht  den  leisesten  Einfluls.  Wir  lesen  und  ver- 
stehen ihn,  ohne  überhaupt  an  einen  Redenden  zu  denken.  Ganz 
anders  verhält  es  sich  mit  den  Ausdrücken,  welche  den  prac- 
tischen  Bedüiiuissen  des  gemeinen  Lebens  dienen,  sowie  auch 
mit  den  Ausdrücken,  welche  in  den  Wissenschaften  zur  Vor- 
bereitung der  theoretischen  Ergebnisse  mithelfen.  Ich  meine  in 
letzterer  Hinsieht  die  Ausdrücke,  durch  welche  der  Forscher  seine 
eigenen  Denkthätigkeiten  begleitet  oder  Anderen  vuu  seinen  Er- 
wägungen und  Bestrebungen,  von  seinen  methodischen  Veran- 
staltungen und  vorläufigen  Ueberzeugungen  Kunde  giebt 

Hmierl,  Log.  Unten.  U.  0 


82  /.    Ausdrtdck  und  Bedeutung. 


Schon  jeder  Ausdruck,  welcher  ein  Personalpronomen  ent- 
hält, entbehrt  eines  objectiven  Sinnes.  Das  Wort  ich  nennt  von 
Fall  zu  Fall  eine  andere  Person,  und  es  thut  dies  mittels  immer 
neuer  Bedeutung.  Welches  jeweilig  seine  Bedeutung  ist,  kann 
nur  aus  der  lebendigen  Bede  und  den  zu  ihr  gehörenden,  an- 
schaulichen Umständen  entnommen  werden.  Lesen  wir  das  Wort, 
ohne  zu  wissen,  wer  es  geschrieben  hat,  so  haben  wir,  wenn  nicht 
ein  bedeutungsloses,  so  zum  Mindesten  ein  seiner  normalen  Be- 
deutung entfremdetes  Wort.  Allerdings  muthet  es  sich  dann 
anders  an  als  eine  beliebige  Arabeske;  wir  wissen,  dais  es  ein 
Wort  ist,  und  zwar  ein  Wort,  mit  dem  der  jeweilig  Bedende  sich 
selbst  bezeichnet  Aber  die  so  angeregte  begriffliche  Vorstellung 
ist  nicht  die  Bedeutung  des  Wortes  ich.  Sonst  dürfen  wir  ja 
für  i^h  einfach  substituiren  der  jeiceilig  Redende,  der  sich  selbst 
bexeichnet.  Offenbar  würde  die  Substitution  nicht  blofe  zu  un- 
gewohnten, sondern  zu  bedeutungsyerschiedenen  Ausdrücken  führen. 
Z.  B.  wenn  wir  anstatt  ich  bin  erfreut  sagen  wollten  der  jeweilig 
sich  selbst  bezeichnende  Redende  ist  erfreut.  Es  ist  die  allgemeine 
Bedeutungsfunction  des  Wortes  ich,  den  jeweilig  Bedenden 
zu  bezeichnen,  aber  den  Begriff,  durch  den  wir  diese  Function 
ausdrücken,  ist  nicht  der  Begriff,  der  unmittelbar  und  selbst  seine 
Bedeutung  ausmacht. 

In  der  einsamen  Rede  vollzieht  sich  die  Bedeutung  des  «cA 
wesentlich  in  der  unmittelbaren  Vorstellung  der  eigenen  Persönlich- 
keit, und  darin  liegt  also  auch  die  Bedeutung  des  Wortes  in  der 
communicativen  Rede.  Jeder  Redende  hat  seine  IchTorstellnng 
(und  damit  seinen  Individualbegriff  von  ich),  und  darum  ist  bei 
Jedem  die  Bedeutung  des  Wortes  eine  andere.  Da  aber  Jeder, 
wo  er  von  sich  selbst  spricht,  ich  sagt,  so  besitzt  das  Wort  den 
Charakter  eines  allgemein  wirksamen  Anzeichens  für  diese  That- 
sache.  Mittels  dieser  Anzeige  kommt  für  den  Hörenden  das 
Verständnis  der  Bedeutung  zustande,  er  faist  nun  die  ihm  anschau- 
lich gegenüberstehende  Person  nicht  blofs  als  die  redende  auf, 
sondern  auch  als  den  unmittelbaren  Gegenstand  ihrer  Rede.  Das 
Wort  ich  hat  an  sich  nicht  die  Kraft,  direct  die  besondere  Ich- 


voretellung  zu  erwecken,  die  seine  Bedeutung  in  der  betreffenden 
Rode  bestimmt.  Es  wirkt  nicht  so  wie  das  "Wort  Löue,  weiches 
die  Löwenvorstellung  an  und  für  sich  zu  erwecken  vermag.  Viel- 
mehr vermittelt  bei  ihm  eine  anzeigende  Function,  welche  dem 
Hörenden  gleichsam  zuruft:  dein  Gegenüber  meint  sich  selbst. 

Doch  wir  müssen  hier  noch  eine  Ergänzung  beifügen.  Genau 
besehen  wird  man  die  Sache  nicht  so  auffassen  dürfen,  als  ob  die 
unmittelbare  Vorstellung  von  der  sprechenden  Person  die  volle 
und  ganze  Bedeutung  des  Wortes  ich  in  sich  fasse.  Sicherlich 
können  wir  dieses  Wort  nicht  als  ein  Aequivocum  ansehen ,  dessen 
Bedeutungen  mit  denjenigen  aller  möglichen  Eigennamen  von 
Pei-sonen  zu  identificiren  seien.  Es  gehört  offenbar  auch  die  Vor- 
stellung des  Sich-selbst-meinens  und  des  darin  liegenden  Eün- 
deutens  auf  die  directe  Individualvorstellung  von  der  redenden 
Person  in  gewisser  Weise  mit  zur  Bcdeutimg  des  Wortes.  In 
eigenthümlicher  Form  sind  hier,  so  werden  wir  wol  zugestehen 
müssen,  zwei  Bedeutungen  aufeinander  gebaut.  Die  Eine,  auf 
die  allgemeine  Function  bezügliche,  ist  mit  dem  Worte  derart  ver- 
knüpft, dafs  sich  im  actuellon  Vorstellen  eine  anzeigende  Function 
vollziehen  kann;  diese  ihrerseits  kommt  nun  der  anderen,  singu- 
lären  Vorstellung  zu  Gute  und  macht  deren  Gegenstand,  zugleich 
in  der  Weise  der  Snbsumption,  als  das  htc  et  nunc  Gemeinte 
kenntlich.  Die  erstere  Bedeutung  konnten  wir  daher  als  an- 
zeigende, die  zweite  als  die  angezeigte  Bedeutung  bezeichnen. 

Was  für  die  Personalpronomina  gilt,  das  gilt  natürlich  auch 
für  die  Domonstrativa.  Sagt  Jemand  dies,  so  erweckt  er  im 
Hörenden  nicht  direct  die  Vorstellung  dessen,  was  er  meint, 
sondern  zunächst  die  Vorstellung,  bezw.  Ueberzeugung,  dafs  er 
etwas  in  seinem  Anschauungs-  oder  Denkbereich  Ldegendes  meine, 
auf  das  er  den  Hörendon  hinweisen  wolle.  Unter  den  concreten 
Umstäuden  der  Rede  wird  dieser  Gedanke  zur  ausreichenden  Richt- 
schnur für  das,  was  wirklich  gemeint  ist  Das  vereinzelt  gelesene 
dies  entbehrt  wieder  seiner  eigentlichen  Bedeutung,  und  verstanden 
wird   es   nur   insofern,   als   es   den   Begriff  seiner   hinweisenden 


84  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 


P'uüction  (das  was  wir  die  anzeigende  Bedeutung  des  Wortes 
nennen)  erregt.  Die  volle  und  wirkliebe  Bedeutung  aber  kann 
sieb  in  jedem  Falle  seiner  normalen  Function,  nur  auf  Qruad  der 
sieb  zudrängenden  Yoi-stellung  dessen  entfalten,  worauf  es  sich 
gegenständlicb  bezieht. 

Allerdings  ist  zu  bemerken,  dalk  das  DemonstratiTum  vielfiu^ 
in  einer  Weise  fungirt,  die  wir  als  gleicbwertbig  mit  einer  ob- 
jectiven  in  Anspruch  nehmen  können.  Ein  dies  im  mathematiscben 
Zusammenbang  weist  auf  ein,  in  begrifflich  fester  Weise  so  und 
so  Bestimmtes  bin,  das  als  so  Gemeintes  verstanden  wird,  ohne 
dalB  es  irgendwelcher  Rücksicht  auf  die  actuelle  Aeulserung  be- 
dürfte. So  z.  B.  wenn  die  mathematische  Darstellung,  nach  aus- 
drücklicher Nennung  eines  Satzes,  fortfahrt:  dies  folgt  dtaraua, 
daß  .  .  .  Hier  könnte  für  das  dies  ohne  erhebliche  Sinnesänderung 
der  betreffende  Satz  selbst  substituirt  werden,  und  das  versteht  sich 
aus  dem  objectiven  Sinn  der  Darstellung  selbst  Auf  ihren  durch- 
gehenden Zusammenhang  muls  allerdings  geachtet  werden,  da  nicht 
die  iutendirte  Bedeutung,  sondern  nur  der  Gedanke  der  Hinweisung 
dem  Demonstrativum  an  und  für  sich  zugehört.  Die  Vermittlung 
durch  eine  anzeigende  Bedeutung  dient  hier  nur  der  Kürze  und 
der  leichteren  Kegierung  des  Hauptzuges  der  gedanklichen  Inten- 
tionen. Offenbar  läfst  sich  dasselbe  aber  nicht  von  den  gewöhn- 
lichen Fällen  sagen,  wo  das  hinweisende  dies  und  ähnliche 
Formen,  etwa  das  dem  Sprechenden  gegenüberstehende  Haus,  den 
vor  ihm  auffliegenden  Vogel  u.  dgl.  meinen.  Hier  muXs  die  (von 
Fall  zu  Fall  wechselnde)  individuelle  Anschauung  supponiren,  es 
genügt  nicht  der  Rückblick  auf  die  zuvor  geäulBerten  objectiven 
Gedanken. 

In  die  Sphäre  der  wesentlich  occasionellen  Ausdrücke  ge- 
hören ferner  die  auf  das  Subject  bezogenen  Bestimmungen  hier, 
dort,  oben,  unten,  bezw.  jeixt,  gestern,  morgen,  nächster  u.  s.  w. 
Hier  bezeichnet,  um  noch  ein  letztes  Beispiel  durchzudenken,  die 
vag  umgrenzte  räumliche  Umgebung  des  Redenden.  Wer  das 
Wort  gebraucht,  meint  seinen  Ort  auf  Grund  der  anschaulichen 
Vorstellung  und   Setzung  seiner  Person  mit  ihrer   Oertlichkeit 


Biese  wechselt  von  Fall  zu  Fall  und  wechselt  wieder  von  Person 
zu  Pei-son,  während  doch  eine  jede  hier  sagen  kann.  Es  ist 
wieder  die  allgemeine  Function  des  Wortes,  die  räumliche  Um- 
gebung der  redenden  Person  zu  nennen  und  zwar  so,  dafs  die 
primäre  Bedeutung  des  Wortes  in  der  jeweiligen  anschauliehen 
Vorstellung  dieses  Ortes  selbst  liegt.  Nach  einem  Tiieil  ist  die 
Bedeutung  allerdings  eine  allgemein  begriffliche,  sofern  hier 
überall  einen  Ort  als  solchen  benennt;  aber  an  dieses  Allgemeine 
schliefst  sich,  von  Fall  zu  Fall  wechselnd,  die  anschauliche  und 
jedenfalls  directe  Orts  Vorstellung,  die  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen der  Rede  durch  diese  anzeigende  begriffliche  Vorstellung 
des  hier  veretändlich  pointirt  und  ihr  untergeordnet  wird. 

Der  wasentlich  occasionelle  Charakter  überträgt  sich  natürlich 
auf  alle  Ausdrücke,  welche  diese  und  ähnliche  Vorstellungen  als 
Theilo  enthalten,  und  dies  befafst  alle  die  mannigfaltigen  Rede- 
formen, in  welchen  der  Redende  irgendetwas  ihn  selbst  Be- 
treffendes oder  durch  Beziehung  zu  ihm  selbst  Gedachtes  zu 
normalem  Ausdruck  bringt.  Also  die  sämmtltchen  Ausdrücke  für 
Wahrnehmungen,  Ueberzeugungen,  Bedenken,  Wünsche,  Hoff- 
nungen, Befürchtungen,  Befehle  u.  s.  w.  Auch  alle  Verbindungen 
mit  dem  bestimmten  Artikel,  in  welchen  dieser  auf  Individu- 
elles, nur  durch  Klassen-  oder  Beschaffenbeitsbegriffe  Bestimmtes 
bezogen  wird,  gehören  hieher.  Wenn  wir  Deutschen  von  dem 
Kaiser  sprechen,  so  meinen  wir  natürlich  den  gegenwärtigen 
deutschen  Kaiser.  Wenn  wir  am  Abend  die  Lampe  verlangen,  so 
meint  Jeder  seine  eigene. 

Anmerkung.  Die  in  diesem  Paragraphen  behandelten  Ausdrücke 
von  wesentlich  oecasioneUcr  Bedeutung  ordnen  sieh  nicht  in  Paul's 
nützliche  Eintheibmg  der  Ausdrücke  in  solche  von  usueller  und  solche 
von  occasioneller  Bedeutung  ein.  Diese  Eintheilung  hat  ihren  Grund 
darin,  „dafs  die  Bedeutung,  welche  ein  Wort  bei  der  jedesmaligen 
Anwendung  hat,  sich  mit  derjenigen  nicht  zu  decken  braucht,  die  ihm 
an    und  für  sich  dem  Usus  nach  zukommt."  •      Oleichwol  hat  aber 


*  H.  Patjl,  Prinoipien  der  Sprachgeschichte',  S.  68. 


t>Sl3  /.    Ausdntek  und  Bedndung. 


Paul  auch  die  wesentlich  occasioneUen  Bedeutungen  unseres  Sinnes 
in  seine  Erwägung  mit  einltczogcn.  Er  sagt  n&mlich*:  „Einige 
[Wörter  in  (Kxasioneller  Verwendung]  giebt  es,  die  ihrem  Wesen  nach 
dazu  bestimmt  sind  etwas  Concretes  zu  bezeichnen,  denen  aber  nichts- 
destüweniger  die  Beziehung  auf  etwas  bestimmtes  Goncretes  an  sich 
noch  nicht  anhaftet,  sondern  erst  durch  die  individuelle  "Verwendung 
gc'goljen  wonlcn  mufs.  Hielicr  gehören  die  Pronondna  Fersonalia, 
Possessi va,  Dcnioustrativa  und  die  Ad^-erbia  Demonstratira,  auch 
Wörter  wie  jcü/,  heute.,  (/estem.'^*  Es  will  mir  aber  scheinen,  dab 
das  Occasionelle  in  diesem  Sinn  aus  dem  definitorischen  Q^ensatz 
heri»\isfilllt.  Es  gehört  zur  usuellen  Bedeutung  dieser  Klassen  von 
Ausdrücken,  ilu-e  Bedeutungsbestimmtheit  eret  der  Gelegenheit  zu  ver- 
danken, also  in  einem  gewissen  anderen  Sinn  occasionell  zu  sein. 
Man  kann  Oberhaupt  die  Ausdrücke  usueller  Bedeutung  (im  PAVLSchen 
Sinne)  in  solche  von  usueller  Eindeutigkeit  und  solche  von  usueller 
Vieldeutigkeit  eintheilen;  die  Letzteren  wieder  in  AusdrQcke,  die  in 
usueller  Weise  zwischen  bestimmten  und  im  Voraus  angebbaren  Be- 
deutungen schwanken  (wie  die  zutUUigen  Aequivoca  Hahn,  Acht  u.  s.  w.), 
und  solche,  die  es  nicht  tlum.  Zu  den  Letzteren  gehören  unsere 
Ausdrücke  von  wesentlich  occasioneller  Betleutimg,  sofern  sie  ihre  je- 
weilige Bedeutung  erst  nach  dem  Einzelfall  Orientiren,  während  doch 
die  Weise,  in  der  sie  dies  thun,  eine  usuelle  ist. 

§  27.     Andere  Arten  schwankender  Ausdrücke. 

Das  Schwankon  der  wesentlich  occasioneUen  Ausdrücke  erhöbt 
sicli  noch  durch  Unvollständigkeit,  mit  der  sie  oft  die  Meinung 
des  Rodenden  ausprägen.  Ueberhaupt  kreuzt  sich  die  Unter- 
scheidung der  wesentlich  occasioneUen  und  objectiven  AusdrQcke 
mit  anderen,  zugleich  neue  Formen  der  Vieldeutigkeit  bezeich- 
nenden Unterscheidungen.  So  mit  den  Unterscheidungen  zwischen 
vollständigen   und  unvollständigen  (enthymematischen),   zwischen 


'  A.  a.  0.  im  letzton  Absatz. 

'  Die  BeschrSnkuiig  auf  Concreta  ist  freilich  nicht  wesentlich.    So  können 
l)cisiiielsw(.>isc  die  Dcoionstrativa  auch  auf  Abstractes  hinweisen. 


normal  und  anomal  fiingirenden,  zwischen  exacten  und  vagen  Aus- 
drücken. Die  Impersonalien  der  gewölinliciiea  Rede  bieten  gute 
Beispiele  dafür,  wie  scheinbar  feste  und  objective  Ausdrücke  ver- 
möge eivthymematischer  Verkürzung  in  Wahrheit  subjectiv  schwan- 
kende sind.  Niemand  wird  den  Satz  es  giebt  Kuchen  so  verstehen 
^vie  den  mathematischen  Satz  es  (fiebt  regelmäfsige  Körper.  Im 
ersten  Falle  ist  nicht  gemeint,  dafs  es  überhaupt  und  schlechtbin 
Kuchen  giebt,  sondern  hier  und  jetxi  —  xum  Kaffee  —  giebt  es 
Kuchen.  Es  regnet  meint  nicht,  dafs  es  überhaupt  regnet,  sondern 
dafs  es  jetzt  und  ärmifseii  regnet.  AVas  dem  Ausdruck  fehlt,  ist 
nicht  blofs  verschwiegen,  sondern  überhaupt  nicht  ausdrücklich 
gedacht;  es  gehört  aber  sicher  zu  dem,  was  in  der  Rede  gemeint 
ist  Die  Einfügung  der  Ergänzungen  läfat  offenbar  Ausdrücke 
hervorgehen,  die  als  wesentlich  occasionelle  in  dem  oben  definirten 
Sinn  zu  kennzeichnen  sind. 

Noch  gröfser  ist  die  Differenz  zwischen  dem  eigentlich  aus- 
gedrückten, nämlich  durch  die  überall  gleichartigen  Bedeutungs- 
functionen  der  bezüglichen  "Worte  ausgezeichneten  und  gefafsteu 
Inhalt  einer  Rede,  und  ihrer  gelegenheitlichen  Meinung,  wenn 
die  Ausdrücke  so  sehr  verkürzt  sind,  dafs  sie  ohne  die  Vor- 
ständnishilfen  der  zufälligen  Gelegenheit  ungeeignet  wären,  einem 
geschlossenen  Gedanken  Ausdruck  zu  geben.  Z.  B.  Fort!  Sie! 
Mann!  Aber  —  aber!  u.  s.  w.  Durch  die  anschauliche  Sachlage, 
in  welcher  der  Sprechende  und  Hörende  sich  gemeinsam  befinden, 
ergänzen  oder  differenziren  sich  die  theils  lückenhaften,  theils 
subjectiv  unbestimmten  Bedeutungen;  sie  machen  die  dürftigen 
Ausdrücke  verständlich. 


Unter  den  auf  die  Vieldeutigkeit  von  Ausdrücken  bezüglichen 
Unterscheidungen  nannten  wir  oben  auch  diejenigen  zwischen 
exacten  und  vagen  Ausdrücken.  Vage  sind  die  meisten  Aus- 
drücke des  gemeinen  Lebens,  wie  Baum  und  Strauch,  Thier 
und  Pjlanxe  u.  dgl.,  während  alle  Ausdrücke,  die  in  reinen 
Theorien  und  Gesetzen  als  Bestandstücko  auftreten,  exact  sind. 
Vage  Ausdrücke  besitzen  nicht  einen,  in  jedem  Falle  ihrer  An- 


Km  /.   Aundrtick  und  Bedeutung. 


wcrulung  identischen  Bedeutungsgehalt;  sie  orientiren  ihre  Be- 
deutung nach  typisch,  aber  nur  partiell  klar  nnd  beetimmt  auf- 
gefaTsten  Beispielen,  die  in  verschiedenen  Fällen,  ja  sogar  in 
einem  und  demselben  Gedankenzage  vielfach  zu  wechseln  pflegen. 
Diese  Beispiele,  aus  einer  sachlich  einheitlichen  (oder  mindestens 
für  den  Äugenschein  als  einheitlich  geltenden)  Sphäre  entnommen, 
bestimmen  verschiedene,  aber  in  der  Regel  verwandte  oder  be- 
ziehungsvolle BcgrifTe.  von  welchen  nun,  je  nach  den  umständen 
der  Rede  und  den  gedanklichen  Anregungen,  die  sie  erfährt,  bald 
der  eine  BegrifT  und  bald  der  andere  hervortritt;  dies  geschieht 
iiber  zumeist  ohne  die  Möglichkeit  sicherer  Identificirung  und 
Unterscheidung,  die  vor  unmerklichen  Verwechslungen  der  mit 
einander  zusammenhängenden  Begriffe  behütete. 

In  Zusammenhang  mit  der  Verschwommenheit  dieser  vagen 
Ausdrücke  steht  diejenige  der  Ausdrücke  für  relativ  einfache 
Gattungen  und  Arten  phänomenaler  Bestimmtheiten,  die  in  der 
Weise  der  räumlichen,  zeitlichen,  qualitativen,  intensiven  stetig 
ineinander  übergehen.  Die  auf  Grund  der  Wahrnehmung  und  Er- 
fahrung sich  aufdrängenden  typischen  Charaktere,  z.B.  der  Ranm- 
und Zeitgestalten,  der  Farben-  und  Tongostalten  u.  s.  w.,  bestimmen 
bedeutsame  Ausdrücke,  die  in  Folge  der  fliefsenden  üebeigänge 
dieser  Typen  (sc.  innerhalb  ihrer  oberen  Gattungen)  selbst  zu 
fliefsenden  werden  müssen.  Zwar  ist  ihre  Anwendung  innerhalb 
gewisser  Abstände  und  Grenzen  eine  sichere,  nämlich  in  den 
Sphären,  wo  das  Typische  klar  hervortritt,  wo  es  mit  Evidenz  zu 
identificiren  und  von  weit  abstehenden  Bestimmtheiten  mit  Evidems 
zu  unterscheiden  ist  (knaUroth  und  hohlschimrx ,  andante  und 
presto).  Aber  diese  Sphären  sind  von  vager  Umgrenzung,  tde 
flicfsen  in  die  correlaten  Sphären  der  umfassenden  Gattung  über 
und  bedingen  Uebergangssphären,  in  denen  die  Anwendung 
schwankend  und  ganz  unsicher  ist* 


'  Vgl.  B.  Erdmann,  Theorie  der  Typeneintheilungen.   Philos.  Monatshefte 
Bd.  XXX. 


Das  Schwanken  der  Wortbfdeutungm. 


89 


§  28.     Das  Schwanken  der  Bedeutungen  als  Schwanken  des  Bedmtens. 

Wir  haben  verschiedene  Klassen  von  Ausdrücken  kennen 
gelernt,  die  in  ihrer  Bedeutung  wechseln  und  sämmtüoh  insofern 
subjeetiv  und  gelegenheitlich  sind,  als  die  zufällig:en  Umstände 
der  Rede  auf  diesen  Wechsel  Einflufs  üben.  Ihnen  standen  jeweils 
andere  Ausdrücke  gegenüber,  die  in  einem  entsprechend  weiten 
Sinne  objectiv  und  fest  sind,  sofern  ihre  Bedeutung  durch  feste 
Association  an  das  Wort,  oder  zugleich  an  die  Form  der  zu- 
sammenhängenden Rede,  normaler  Weise  von  alier  Schwankung 
frei  ist  Nehmen  wir  dieses  Freisein  von  aller  Schwankung  ganz 
strenge,  so  stehen  auf  dieser  Seite  nur  die  exacten  Ausdrücke, 
auf  der  anderen  die  vagen  und  zudem  noch  ans  verschiedenen 
anderen  Gründen  gelegentlich  wechselnden  Ausdrücke. 

Es  ist  nun  aber  die  Frage  zu  erwägen,  ob  diese  wichtigen 
Thatsachen  der  Bedoutungsschwankung  geeignet  sind,  unsere  Auf- 
fassung der  Bedeutungen  als  idealer  (und  somit  starrer)  Einheiten 
zu  erschüttern,  oder  hinsichtlich  der  Allgemeinheit  wesentlich  ein- 
zuschränken. Zumal  die  vieldeutigen  Ausdrücke,  die  wir  oben  als 
wesentlich  subjeetiv  oder  occasionell  bezeichnet  haben,  und  des- 
gleichen die  Unterschiede  der  vagen  und  exacten  Ausdrücke 
könnten  uns  in  dieser  Hinsicht  zweifelhaft  stimmen.  Zerfallen 
also  die  Bedeutungen  selbst  in  objective  und  subjective,  in  feste 
und  gelegenheitlich  wechselnde,  und  ist  der  Unterschied,  wie  es 
zunächst  scheinen  möchte,  nur  mit  anderen  Worten  so  zu  fassen, 
dafs  Hie»  fmaif]   i"   '^/^-  HT^inn  fnntn-  u^p^jno  idealo  Einheiten  dar- 

n  Vorstellens  und  Denkens 
n  im  Flufs  der  suhjectiven 
id  als  vorübergehende  Er- 


m,  dafs  eine  solche  Auf- 
lohen der  subjective,  seine 
itironde  Ausdruck  im  be- 
n  Sinne  eine  ideal  einheit- 
festen Ausdruckes.     Dies 


90  /.    Alisdruck  utid  Bedevtung. 


zeigt  klärlich  der  umstand,  dals,  ideal  gesprochen,  jeder  sabjectiTe 
Ausdruck  bei  identischer  Festhaltung  der  ihm  augenblicklich  zu- 
kommenden BedeutungsintentioQ  durch  objectire  Ausdrücke  er- 
setzbar ist. 

Freilich  müssen  wir  dabei  zugestehen,  dals  diese  Ersetzbarkeit 
nicht  nur  aus  Gründon  des  practischen  Bedürfnisses,  etwa  wegen 
ihrer  Umständlichkeit,  unterbleibt,  sondern  dalk  sie  in  weitestem 
Ausmafse  factisch  nicht  ausführbar  ist  und  sogar  für  immer  un- 
ausführbar bleiben  wird. 

In  der  That  ist  es  klar,  dafs  unsere  Behauptung,  es  lielse 
sich  jeder  subjective  Ausdruck  durch  einen  objectiren  ersetzen, 
im  Grunde  nichts  Anderes  besagt  als  die  Schrankenlosigkeit 
der  objectiven  Vernunft  Alles,  was  ist,  ist  „an  sich"  e> 
keunbar,  und  sein  Sein  ist  inhaltlich  bestimmtes  Sein,  das  sich 
dokumentirt  in  deu  und  den  „Wahrheiten  an  sich".  Was  ist, 
hat  seine  an  sich  fest  bestimmten  Beschaffenheiten  und  Yei^ 
hältnisse,  seine  fest  bestimmte  Ausbreitung  und  Stellung  in  Baum 
und  Zeit,  seine  fest  bestimmten  Weisen  der  Verharrung  und  Ver- 
änderung. Was  aber  in  sich  fest  bestimmt  ist,  das  mala  sich 
objectiv  bestimmen  lassen,  und  was  sich  objectiv  bestimmen  lälst, 
das  läikt  sich,  ideal  gesprochen,  in  fest  bestimmten  Wortbedeutungen 
ausdrücken.  Dem  Sein  an  sich  entsprechen  die  Wahrheiten  an 
sich  und  diesen  wieder  die  festen  und  eindeutigen  Aussagen 
an  sich.  Allerdings,  um  sie  überall  wirklich  aussagen  zu  können, 
bedarf  es  nicht  blos  der  nöthigen  Zahl  wolunterschiedener  Wort- 
zeichen, sondern  vor  Allem  der  entsprechenden  Zahl  von  ezact 
bedeutsamen  Ausdrücken  —  dies  Wort  im  vollen  Sinne  ge- 
nommen. Es  bedarf  der  Fähigkeit,  alle  diese  Ausdrücke,  also  die 
Ausdrücke  für  alle  theoretisch  in  Frage  kommenden  Bedeutungen, 
zu  bilden  und  in  Beziehung  auf  diese  ihre  Bedeutungen  mit 
Evidenz  zu  identificiren,  bezw.  zu  unterscheiden. 

Aber  von  diesem  Ideal  sind  wir  unendlich  weit  entfernt 
Man  denke  nur  an  die  Mangelhaftigkeit  der  Zeit-  und  Ortsbe- 
stimmungen, an  unsere  Unfähigkeit,  sie  anders  als  durch  Relation 
zu  bereits  vorgegebenen  individuellen  Existenzen  zu  bestimmen, 


während  diese  selbst  einer  exacten,  durch  keineilei  Verwendung 
wesentlich  subjectiv  bedeutsamer  Ausdrücke  getrübten  Bestimmung 
unzugänglich  sind.  Man  streiche  die  wesentlich  occasionellen 
"Worte  aus  unserer  Sprache  heraus  und  versuche  irgendein  sub- 
jectires  Erlebnis  in  eindeutiger  und  objectiv  fester  Weise  zu  be- 
schreiben.    Jeder  Versuch  ist  offenbar  vergeblich. 

Gleichwol  will  es  mir  scheinen,  dafs  z.  B.  auch  jede  Orts- 
und Zeitbestimmung,  der  idealen  Möglichkeit  nach,  das  Substrat 
einer  ihr  zugehörigen  Eigenbedeutung  werden  kann.  An  sich  muTs 
jeder  Ort  von  jedem  anderen  unterschieden  sein,  so  gut  wie  jede 
Farbenqualität  von  jeder  anderen.  Und  wie  a  priori  eine  Vor- 
stellung möglich  ist,  welche  direct  {und  nicht  in  umschreibender 
Weise  und  gar  in  Relation  zu  einer  vorgegebenen  Individualität) 
die  mit  sich  identische  Qualität  meint;  wie  dann  weiter  eine 
mögliche  Wiederholung  dieser  Vorstellung  mit  fortgesetzter  Identi- 
ficirung  ihrer  Meinung,  endlich  die  Anknüpfung  dieser  identischen 
Meinung  als  Bedeutung  an  einen  Ausdruck  a  priori  denkbar  ist: 
so  mufs  dasselbe  auch  für  die  individualisirenden  Bestimmungen 
gelten,  mögen  sie  sich  von  den  übrigen  Bestimmungen  auch  sonst 
erheblich  unterscheiden. 

Jedenfalls  macht  uns  die  ideale  Möglichkeit,  die  wir  eben 
erwogen  haben,  und  die  durch  Evidenz  a  priori  gesichert,  ein 
Fundament  der  Erkenntnistheorie  darstellt,  soviel  klar,  dafe,  in 
sich  betrachtet,  zwischen  Bedeutungen  und  Bedeutungen  kein 
wesentlicher  Unterschied  besteht  Die  thatsächlichen  Wortbedeu- 
tungen sind  schwankend,  im  Laufe  derselben  Gedankenfolge  oft 
wechselnd;  und  zum  grofsen  Thoil  sind  sie  ihrer  Natur  nach  durch 
die  Gelegenheit  bestimmt.  Aber  genau  besehen  ist  das  Schwanken 
der  Bedeutungeu  eigentlich  ein  Schwanken  des  Bedeutens. 
Das  heifst  es  schwanken  die  subjectiven  Acte,  welche  den  Ausdrücken 
Bedeutung  verleihen,  und  sie  verändern  sich  hiebei  nicht  blofs 
individuell  sondern  zumal  auch  nach  den  spocifischen  Charakteren, 
in  welchen  ihre  Bedeutung  liegt.  Nicht  aber  verändern  sich  die 
Bedeutungen  seihst,  ja  diese  Rede  ist  geradezu  eine  widereinnige, 
vorausgesetzt,  dals  wir  dabei  bleiben,  wie  bei  den  univoken  und 


92  /.   Aufdruck  und  Bedeutung. 

objecÜT  festen,  so  bei  den  äquivoken  und  subjecÜT  getrübten 
Ausdrücken,  unter  Bedeutungen  ideale  Einheiten,  also  Species  zu 
verstehen.  Dies  aber  verlangt  nicht  nur  die  nach  den  festen  Aus- 
drücken orientirte,  normale  Rede  von  der  Einen  Bedeutung,  welche 
identisch  dieselbe  sei,  wer  immer  denselben  Ausdruck  äu&em 
mag,  sondern  vor  Allem  verlangt  es  der  leitende  Zweck  unserer 
Analysen. 

§  29.     Die  reine  Logik  und  die  idealen  Bedeutungen. 

In  der  Tbat  hat  es  die  reine  Logik  ausschliefslich  mit  diesen 
idealen  Einheiten,  die  wir  hier  Bedeutungen  nennen,  zu  thun, 
und  indem  wir  uns  bemühen,  das  ideale  Wesen  der  Bedeutungen 
aus  den  psychologischen  und  grammatischen  Verbänden  herauszu- 
lesen; indem  wir  weiterhin  darauf  abzielen,  die  in  diesem  "Wesen 
gründenden  apriorischen  Verhältnisse  der  Adaequation  an  die  be- 
deutete Gegenständlichkeit  zu  klären,  stehen  wir  schon  im  Bann- 
kreise der  reinen  Logik. 

Dies  ist  von  vornherein  klar,  wenn  wir  einerseits  an  die 
Stellung  denken,  welche  die  Logik  zu  den  mannigfaltigen  Wissen- 
schaften einnimmt  —  wonach  sie  die  nomologische  Wissenschaft 
ist,  die  auf  das  ideale  Wesen  der  Wissenschaft  als  solcher  geht; 
oder  was  dasselbe  ist,  die  nomologische  Wissenschaft  vom  wissen- 
schaftlichen Denken  überhaupt  und  zwar  rein  nach  seinem  theo- 
retischen Gehalt  und  Verband;  und  wenn  wir  andererseits 
beachten:  dafs  der  theoretische  Gehalt  einer  Wissenschaft  nichts 
Anderes  ist,  als  der  von  aller  Zufälligkeit  der  Urtheilenden  und 
TJrtheilsgelegenheiten  unabhängige  Bedeutungsgehalt  ihrer  theo- 
retischen Aussagen,  dafs  hiebei  die  Aussagen  Eins  sind  in  der 
Form  der  Theorie,  und  dals  wieder  die  Theorie  ihre  objective 
Geltung  verdankt  der  idealgesetzlichen  Angemessenheit  ihrer  Ein- 
heit als  Bedeutungseinheit  an  die  bedeutete  (und  uns  in  der  evi- 
denten Erkenntnis  „gegebene")  Gegenständlichkeit  Es  ist  unver- 
kennbar, dafs,  was  in  diesem  Sinne  Bedeutung  heilst,  durchaus 
nur  ideale  Einheiten  befafst,  die  in  mannigfaltigen  Ausdrücken 
ausgedrückt  und   in  mannigfaltigen  Acterlebnissen  gedacht  sind, 


I 


und  doch  wie  von  den  zufälligen  Ausdrücken,  so  von  den  zufälli- 
gen Erlebniäsen  der  Denkenden  wol  untei-schieden  werden  müssen. 

Ist  alle  gegebene  theoretische  Einheit  ihrem  Wesen  nach 
Bedeutungseinheit,  und  ist  die  Logik  die  Wissenschaft  von  der 
theoretischen  Einheit  überhaupt:  so  ist  zugleich  evident,  dafs  die 
Logik  Wissenschaft  von  Bedeutungen  als  solchen,  von  ihren  wesent- 
lichen Arten  und  Unterschieden,  sowie  von  den  rein  in  ihnen 
gründenden  (also  idealen)  Gesetzen  sein  muis.  Denn  zu  jenen 
wesentlichen  unterschieden  gehören  ja  auch  diejenigen  zmschen 
gegenständlichen  und  gegenstandslosen,  wahren  und  falschen  Be- 
deutungen, und  zu  diesen  Gesetzen  also  auch  die  reinen  „Denk- 
gesetze'', welche  den  apriorischen  Zusammenhang  der  kategoriaJen 
Form  der  Bedeutungen  und  ihrer  Gegenständlichkeit,  bezw.  Wahr- 
heit ausdrücken. 

Zwai'  steht  wider  diese  Auffassuüg  der  Logik  als  einer  Wissen- 
schaft von  Bedeutungen,  die  allgemeine  Rede-  und  Behandlungs- 
weiso  der  traditionellen  Logik,  welche  mit  psychologischen  oder 
psychologisch  zu  interpretirenden  Terminis,  wie  Vorstellung,  ür- 
theil,  Bejahimg,  Verueinimg,  Voraussetzung,  Folgerung  u.  dgl. 
operirt,  und  welche  damit  wirklich  blofse  psychologische  Unter- 
schiede festzustellen  und  die  auf  sie  bezüglichen  psychologischen 
Gesetzmäisigkeiten  zu  verfolgen  meint.  Aber  nach  den  kritischen 
Untersuchungen  der  Prolegomena  k^mn  uns  diese  AutTassung  nicht 
mehr  beirren.  Sie  zeigt  nur,  wie  weit  die  Logik  noch  von  dem 
richtigen  Verständnis  der  Objecto  entfernt  ist,  die  ihr  eigenstes 
Forschungsgebiet  ausmachen,  und  wieviel  sie  noch  von  den  ob- 
jectivon  Wissenschaften  zu  lernen  hat,  deren  Wesen  zum  theo- 
retischen Verständnis  zu  bringen  sie  doch  beansprucht. 

Wo  die  Wissenschaften  systematisclie  Theorien  entwickeln,  wo 
sie  statt  den  blofsen  Gang  der  subjectiven  Forschung  und  Begrün- 
dung mitzutheilen,  die  reife  Frucht  erkannter  Wahrheit  als  objective 
Einheit  darstellen,  da  ist  auch  von  Urtheilen  und  Vorstellungen 
und  sonstigen  psychischen  Acten  nie  und  nirgends  die  Rede.  Der 
objective  Forscher  definirt  allerdings  Ausdrücke.  Er  sagt:  MM<cr 
lebendiger  Kraft,  unter  Masse,  unter  einem  Integral,  eifiem  Sinus 


94  /.    Ausdruck  und  Bedeutung. 


it.  dgl.  versteht  man  dies  und  das.  Aber  er  weifst  damit  nur 
auf  die  objectiro  Bedeutung  seiner  Ausdrücke  hin,  er  signirt 
die  „Begriffe",  die  er  im  Auge  hat,  und  die  in  den  Wahrheiten 
des  Gebietes  als  eonstituirende  Momente  ihre  Bolle  spielen.  Nicht 
das  Verstehen  interessirt  ihn,  sondern  der  Begriff,  der  ihm  als 
ideale  Bedeutungseinheit  gilt,  sowie  die  Wahrheit,  die  sich  selbst 
aus  Begriffen  aufbaut. 

Der  Forscher  stellt  dann  Sätze  auf.  Natürlich  behauptet, 
urtheilt  er  hiebei.  Aber  er  will  nicht  von  seinen  oder  irgend 
Jemandes  Urtheilen  sprechen,  sondern  von  den  bezüglichen 
Sachverhalten  und  wenn  er  sich  in  kritischer  Erwägung  auf  die 
Sätze  bezieht,  so  meint  er  ideale  Aussagebedeutungen.  Nicht 
die  Urtheile,  sondern  die  Sätze  nennt  er  wahr  und  äklsch;  Sätze 
sind  ihm  Prämissen,  und  Sätze  sind  ihm  Folgen.  Sätze  bauen 
sich  nicht  auf  aus  psychischen  Acten,  aus  Acten  des  Vorstellens 
oder  Fürwahmehmens,  sondern  wenn  nicht  wieder  ans  Sätzen, 
so  letztlich  aus  Begriffen. 

Sätze  selbst  sind  Bausteine  von  Schlüssen.  Auch  hier  wieder 
der  Unterschied  zwischen  den  Acten  des  Schlicfsens  und  ihren  ein- 
heitlichen Inhalten,  den  Schlüssen,  das  ist  identischen  Bedeu- 
tungen gewisser  complexer  Aussagen.  Das  Verhältnis  der  noth- 
wendigen  Folge,  welches  die  Form  des  Schlusses  ausmacht,  ist 
nicht  ein  empirisch-psychologischer  Zusammenhang  von  Urtheils- 
erlebnissen,  sondern  ein  ideales  Verhältnis  von  möglichen  Aoa- 
sagebedeutungen,  von  Sätzen.  Es  oxistirt,  oder  besteht,  d.  h.  es 
gilt,  und  Geltung  ist  Etwas,  das  zum  empirisch  Urtheilenden  ohne 
alle  wesentliche  Beziehung  ist  Wenn  der  Naturforscher  aus  den 
Hebelgesetzen,  dem  Gesetz  der  Schwere  u.  dgl.  die  Wirkungsweise 
einer  Maschine  ableitet,  so  erlebt  er  in  sich  freilich  allerlei  sub- 
jective  Acte.  Das,  was  er  aber  einheitlich  denkt  und  verknüpft, 
das  sind  Begriffe  und  Sätze  mit  ihren  gegenständlichen  Beziehungen. 
Den  subjectiven  Gedankenverknüpfungen  entspricht  dabei  eine 
objective  (das  heifst,  sich  der  in  der  Evidenz  „gegebenen"  Objeo- 
tivität  adaequat  anmessende)  Bedeutungseinheit,  die  ist,  was  sie 
ist,  ob  sie  Jemand  im  Denken  actualisiren  mag  oder  nicht 


Das  Schwanken  der  Wortbedeutungen.  95 

Und  80  überall.  Wenn  der  wissenschaftliche  Forscher  hiebet 
nicht  Anlafe  nimmt,  das  Sprachliche  und  Signitivo  vom  objectiv 
Gedanklichen,  Bedeutungsmäfsigen  ausdrücklich  zu  sondern,  so 
weifs  er  doch  sehr  wol,  dafe  der  Ausdruck  das  Zufällige  ist  und 
der  Gedanke,  die  specifisch -identische  Bedeutung,  das  Wesentliche. 
Er  weils  auch,  dais  er  die  objective  Geltung  der  Gedanken  und 
gedanklichen  Zusammenhänge,  die  der  Begriffe  und  Wahrheiten 
nicht  macht,  als  handelte  es  sich  um  Zufälligkeiten  seines  oder  des 
allgemein  menschlichen  Geistes,  sondern  daik  er  sie  einsieht,  ent- 
deckt Er  weüs,  dafs  ihr  ideales  Sein  nicht  die  Bedeutung  eines 
psychischen  „Seins  in  unserem  Geiste"  hat,  da  ja  mit  der  echten 
Objectivität  der  Wahrheit  und  des  Idealen  überhaupt  auch  alles 
reale  Sein,  darunter  das  subjective  Sein  aufgehoben  wäre,  und 
wenn  einzelne  Forscher  über  diese  Dinge  gelegentlich  doch  anders 
urtheilen,  so  geschieht  dies  au&erhalb  ihrer  fachwissenschaftlichen 
Zusammenhänge  und  in  nachträglicher  Reflexion.  Dürfen  wir 
aber  mit  Hume  urtheilen,  dafs  sich  die  wahren  Ueberzeugungen 
der  Menschen  besser  in  ihren  Handlungen  als  in  ihren  Beden 
dokumentiren,  so  würden  wir  solchen  Forschern  vorhalten  müssen, 
dafs  sie  sich  selbst  nicht  verstehen.  Sie  achten  nicht  vorurtheils- 
los  auf  das,  was  sie  in  ihrem  naiven  Forschen  und  Begründen 
meinen;  sie  lassen  sich  in  die  Irre  führen  durch  die  vermeintliche 
Autorität  der  Logik  mit  ihren  psychologistischen  Trugschlüssen 
und  ihrer  subjectivistisch  verfälschten  Terminologie. 

Alle  Wissenschaft  ist  ihrem  objectiven  Gehalt  nach,  ist  als 
Theorie  aus  diesem  Einen  homogenen  Stoff  constituirt,  sie  ist  eine 
ideale  Complexion  von  Bedeutungen  in  specie.  Ja  wir  können 
sogar  noch  mehr  sagen:  dieses  ganze  noch  so  mannigfaltige  Ge- 
webe von  Bedeutungen,  theoretische  Einheit  der  Wissenschaft 
genannt,  gehört  selbst  wieder  unter  die,  alle  seine  Bestandstücke 
umspannende  Kategorie,  es  constituirt  selbst  eine  Einheit  der 
Bedeutung. 

Ist  also  Bedeutung  und  nicht  Bedeuten,  ist  Begriff  und  Satz, 
nicht  Vorstellung  und  Urtheil,  das  in  der  Wissenschaft  wesentlich 
Mafegebendo,  so  ist  es  nothwendig  in  der  Wissenschaft,  die  vom 


96  I.   Ausdruck  und  Bedeutung. 

Wesen  der  Wissenschaft  bandelt,  der  allgemeine  Gegenstand  der 
Forschung.  In  der  That  faUt  alles  Logische  unter  die  correlativ  zu- 
sammengehörigen Kategorien  Bedeutung  und  Gegenstand.  Sprechen 
wir  also  im  Plural  von  logischen  Kategorien,  so  kann  es  sich  nur 
um  reine  Artungen  handeln,  die  sich  a  priori  innerhalb  dieser 
Gattung  Bedeutung  scheiden,  oder  um  correlativ  zugehörige  For- 
men der  kategorial  gefalsten  Gegenständlichkeit  als  solcher.  In 
diesen  Kategorien  gründen  dann  die  von  der  Logik  zu  formulirenden 
Gesetze:  Auf  der  einen  Seite  die  Gesetze,  welche  absehend  von 
den  idealen  Beziehungen  zwischen  Bedeutungsintention  und  Be- 
deutungserfüllung, also  von  der  möglichen  Erkenntnisfiinction 
der  Bedeutungen,  die  blolsen  Gomplicationen  der  Bedeutungen  zu 
neuen  Bedeutungen  (gleichgiltig  ob  „realen"  oder  „imaginären*) 
betreffen.  Auf  der  anderen  Seite  die  im  prägnanteren  Sinn 
logischen  Gesetze,  die  sich  auf  die  Bedeutungen  hinsichtlich  ihrer 
Gegenständlichkeit  und  Gegenstandslosigkeit,  ihrer  Wahrheit  und 
Falschheit,  ihrer  Einstimmigkeit  und  Widersinnigkeit  beziehen, 
soweit  dergleichen  durch  die  bloJse  kategoriale  Form  der  Be- 
deutungen bestimmt  ist  Diesen  letzteren  Gesetzen  entsprechen  in 
äquivalenter  und  correlativer  Wendung  Gesetze  für  Gegenstände 
überhaupt,  sofern  sie  durch  blofse  Kategorien  bestimmt  gedacht 
sind.  Alle  giltigen  Aussagen  über  Existenz  und  Wahrheit,  die  sich 
unter  Abstraction  von  jedweder  Erkenntnismaterie  auf  Grund  der 
blofsen  Bedeutungsformeu  aufstellen  lassen,  sind  in  diesen  Gesetzen 
beschlossen. 


Viertes  Kapitel. 

Der  phänomenologische  und  ideale  Inhalt 
der  Bedeutiingserlebnisse. 

§  30.     Der  Inhalt  des  ausdrücketukn   Erlebnisses  im  psychologischen 
Sinne  und  sein  Inhalt  im  Sinne  der  einlieitlichen  Bedeutung. 

Das  Wesen  der  Bedeutung  sehen  wir  nicht  im  bedeiitung- 
verleihenden  Erlebnis,  sondern  in  seinem  „Inhalt",  der  eine  iden- 
tische intentionale'  Einheit  darstellt  gegenüber  der  verstreuten 
Mannigfaltigkeit  wirklicher  oder  möglicher  Erlebnisse  von  Sprechen- 
den und  Denkenden.  „Inhalt"  des  bezüglichen  Bedeutungserleb- 
nisses in  diesem  idealen  §inn  ist  nichts  weniger  als  das,  was  die 
Psychologie  unter  Inhalt  meint,  nämlich  irgendein  realer  Theil 
oder  eine  Seite  eines  Erlebnisses.  Verstehen  wir  einen  Namen  — 
gleichgiltig  ob  er  Individuelles  oder  Generelles,  Physisches  oder 
Psychisches,  Seiendes  oder  Nichtseiendes ,  Mögliches  oder  Unmög- 
liches nennt  —  oder  verstehen  wir  eine  Aussage  —  gleichgiltig 
ob  sie  inhaltlich  wahr  oder  falsch,  einstimmig  oder  widersinnig, 
geurtheilt  oder  fingirt  ist  —  so  ist  das,  was  der  eine  oder  andere 
Ausdruck  besagt  (mit  Einem  Worte  die  Bedeutung,  die  den 
logischen  Inhalt  ausmacht  und  die  in  reinlogischen  Zusammen- 
hängen geradezu  als  Vorstellung  oder  Begiiff,  als  Urtheil  oder 
Satz  u.  dgl.  bezeichnet  wird),  nichts  was  im  realen  Sinn  als  Theil 
des  betreffenden  Voi-ständnisactes  gelten  könnte.  Natürlich  hat 
dieses  Erlebnis  auch  seine  psychologischen  Componenten,  es  ist 
Inhalt  und  besteht  aus  Inhalten  —  im  gewöhnlichen  psychologischen 
Sinn.  Dahin  gehören  vor  Allem  die  sinnlichen  Bestandstücke  des 
Erlebnisses,  die  Worterscheinungen  nach  ihren  rein  visuellen,  akusti- 
schen, motorischen  Inhalten,  und  des  Weiteren  die  Acte  der  gegen- 
ständlichen, die  Worte  in  Raum  und  Zeit  einordnenden  Deutung. 


•  Dm  Wort  inientioiial  Idfst,  seiner  Bildung  goinüfa,  sowol  Anwendung 
Bof  die  Bedeutung,  als  auf  deu  Gegenstand  der  intentio  xu.    Intentionale  Ein- 
heit bedeutet  also  nicht  nothwendig  die  intendirte  Einheit,  die  des  Oegeostandes. 
Haaisrl,  Log.  Uotan.  U.  7 


I 


I 


Der  psychologische  Bestand  ist  in  dieser  Hinsicht  bekanntlich 
ein  sehr  mannigfaltiger,  von  Individuum  zu  Individuum  erheblich 
wechselnd;  desgleichen  aber  auch  wechselnd  für  dasselbe  Indivi- 
duum zu  verschiedenen  Zeiten,  und  zwar  in  Hinsicht  auf  „ein  und 
dasselbe"  Wort.  Dafs  ich  in  den  mein  stilles  Donken  begleitenden 
und  stützenden  Wortvorstellungen  jeweils  von  meiner  Stimme 
gesprochene  Worte  phantasire,  dafs  hierbei  auch  steüenweise  die 
Schriftzeichen  meiner  stenographischen  oder  nomTalen  Handschrift 
aufzutauchen  pflegen  u.  dgl.  —  das  sind  meine  individuellen 
Eigenheiten,  und  sie  gehören  nur  zu  dem  psychologischen  Inhalt 
meines  Voretellungserlebnisses.  Zum  Inhalt  im  psychologischen 
Sinn  gehören  weiter  mannigfache  und  descriptiv  nicht  immer  leicht 
zu  fassende  Unterschiede  in  Ansehung  des  Actcharakters,  der  die 
Meinung,  bzw.  das  Verständnis  in  subjectiver  Hinsicht  ausmacht. 
Wenn  ich  den  Namen  Bismarck  höre,  so  ist  es  für  das  Verständ- 
nis des  Wortes  in  seiner  einheitlichen  Bedeutung  völlig  gleich- 
giltig,  ob  ich  mir  den  grofsen  Mann  im  Sclilapphut  und  Mantel 
oder  in  Kürassioroniform,  ob  ich  mir  ihn  nach  Mafsgabe  dieser 
oder  jener  bildlichen  Darstellungen  in  der  Phantasie  vorstelle. 
Ja  selbst  der  Umstand,  ob  überhaupt  veranschaulichende  oder  das 
Bodeutungsbewufstsein  indirect  belebende  Phantasiebilder  gegen- 
wärtig sind  oder  nicht,  ist  von  keiner  Erheblichkeit. 

Im  Streit  gegen  eine  beliebte  Auffassung  haben  wir  begründet,  ^ 
dafs  das  Wesen  des  Ausdrückens  in  der  Bedeutuugsintention  liegt 
und  nicht  in  den  mehr  oder  minder  vollkommenen,  näheren 
oder  ferneren  Verbildlichungen,  die  sich  ihr  erfüllend  zugesellen 
mögen.  Sobald  sie  aber  vorhanden  sind,  sind  sie  auch  mit  der 
Bedeutimgsintention  innig  verschmolzen;  und  dadurch  ist  es  be- 
greiflich, dafs  das  einheitliche  Erlebnis  des  sinngemäfs  fungirenden 
Ausdrucks,  von  Fall  zu  Fall  betrachtet,  auch  auf  der  Bedeutungs- 
seite beträchtliche  psychologische Unterschiedenheiten  zeigt,  während  i 
doch  seine  Bedeutung  unverändert  dieselbe  bleibt.  Wir  haben 
auch  gezeigt*,  dafs  dieser  Selbigkeit  der  Bedeutung  in  den  zu- 

'  Vgl.  oben  das  zweite  Kap.  §  17,  8.  61  S. 
•  Vgl.  §  22,  S.  73. 


gehörigen  Acten  wirklich  etwas  Bestimmtes  entspricht;  dafs  also, 
was  wir  die  Bedeutimgsiiitention  nennen,  nicht  ein  unterschieds- 
loser, sich  erst  durch  den  Zusammenhang  mit  den  erfüllenden 
Anschauungen,  also  äufserlich  differenziirender  Charakter  ist. 
Vielmehr  gehören  zu  verschiedenen  Bedeutungen,  bezw.  zu  be- 
deutungsvei-schieden  fungirendcn  Ausdrücken,  auch  inhaltlich  ver- 
schieden charakterisirteBedeutungsiutentionen;  während  alle  gleich- 
sinnig verstandenen  Ausdrücke  mit  derselben  Bedeutungsintention, 
als  einem  gleichbestimmten  psychischen  Charakter,  ausgestattet 
sind.  Und  dui-ch  ihn  werden  die  in  ihrem  psychologischen  Ge- 
halt so  stark  diöerir-enden  Ausdruckserlebnisse  allererst  zu  Erleb- 
nissen von  derselben  Bedeutung.  Selbstverständlich  bedingt  das 
Schwanken  des  Bedeutens  hier  gewisse  Einschränkungen,  die  an 
dem  Wesen  der  Sache  nichts  ändern. 


§  31.     Der  Jetcharakter  des  Bedeutens  und  die  ideal-eitm  Bedeutung. 

Mit  dem  Hinweis  auf  dieses  psychologisch  Gemeinsame  gegen- 
über dem  psychologisch  Wechselnden  haben  wir  aber  noch  nicht 
die  Differenz  gekennzeichnet,  welche  wir  bei  den  Ausdrücken,  bezw. 
den  ausdrücklichen  Acten  klären  wollten,  nämlich  zwischen  ihrem 
psychologischen  und  logischen  Gehalt  Denn  zum  psychologischen 
Gehalt  gehört  natürlich  das  von  Fall  zu  Fall  Gleiche,  ebenso  wie 
das  gelegentlich  Wechselnde.  Und  so  ist  es  denn  auch  garnicht 
unsere  Lehre,  dals  der  überall  gleichbleibende  Actcharakter  selbst 
schon  die  Bedeutung  sei.  Was  beispielsweise  der  Aussagesatz 
fi  ist  eine  transcendente  Zahl  besagt,  was  wir  lesend  darunter 
verstehen  und  sprechend  damit  meinen,  ist  nicht  ein  individueller, 
nur  allzeit  wiederkehrender  Zug  unseres  Denkerlebnisses.  Von 
Fall  zu  Fall  ist  dieser  Zug  immerhin  ein  individuell  anderer, 
während  der  Sinn  des  Aussagesatzes  identisch  sein  soll.  Wieder- 
holen wir  oder  irgendwelche  anderen  Personen  denselben  Satz 
mit  gleicher  Intention,  so  hat  jode  ihre  Phänomene,  ihre  Worte 
und  Vei-ständuismomonte.  Aber  gegenüber  dieser  unbegrenzten 
Mannigfaltigkeit  individueller  Erlebnisse  ist  das,  was  in  ihnen 
ausgedrückt    ist,   überall    ein    Identisches,    es   ist   dasselbe   im 

7* 


strengsten  Sinne  des  Wortes.  Mit  der  Zahl  der  Personen  und 
Acte  hat  sich  die  Satzbedoutung  nicht  vervielfältigt,  das  Urtheil 
im  idealen  logischen  Sinne   ist  Eines. 

Dafs  wir  hier  auf  der  strengen  Identität  der  Bedeutung  be- 
stehen und  sie  von  jenem  constanten  psychischen  Charakter  des 
Bedeutens  unterscheiden,  entspringt  nicht  einer  subjectiven  Vor- 
liebe für  subtile  Unterscheidungen,  sondern  der  sicheren  theo- 
retischen Ueberzeugung,  dafs  man  nur  auf  diese  Weise  der  für  das 
Verständnis  der  Logik  fundamentalen  Sachlage  gerecht  zu  werden 
vermag.  Es  handelt  sich  dabei  auch  nicht  um  eine  blofse  Hypo- 
these, die  sich  erst  durch  ihre  Erklärungsergiebigkeit  recht- 
fertigen soll;  sondern  wir  nehmen  es  als  eine  unmittelbar  fafsliche 
Wahrheit  in  Anspruch  und  folgen  hierin  der  letzten  Autorität  in 
allen  Erkenn tnistVagen,  der  Evidenz.  Ich  sehe  ein,  dafs  ich  in 
wiederholten  Acten  des  Vorstellens  und  Urtheilens  identisch  das- 
selbe, denselben  Begriff,  bzw.  denselben  Satz  meine,  bzw.  meinen 
kann;  ich  sehe  ein,  dafs  ich,  wo  z.  B.  von  dem  Satze  oder 
der  Wahrheit  n  ist  eine  transcendente  Zahl  die  Rede  ist, 
nichts  weniger  im  Auge  habe  als  das  individuelle  Erlebnis  oder 
Erlebnismoment  irgendeiner  Person,  Ich  sehe  ein,  dafs  diese 
reflectircnde  Rede  wirklich  das  zum  Gegenstande  hat,  was  in  der 
schlichten  Rede  die  Bedeutung  ausmacht  Ich  sehe  endlich  ein, 
dafs,  was  ich  in  dem  genannten  Satze  meine  oder  (wenn  ich  ihn 
höre)  als  seine  Bedeutung  auffasse,  identisch  ist,  was  es  ist,  ob 
ich  denke  und  bin,  ob  überhaupt  denkende  Personen  und  Acte 
sind,  oder  nicht  Dasselbe  gilt  für  jederlei  Bedeutungen,  für 
Subjectbedeutungen,  Prädicatbedeutungen ,  Beziehungs-  und  Ver- 
knüpfungsbedeutungen u.  s.  w.  Es  gilt  vor  Allem  auch  für  die 
idealen  Bestimmtheiten,  welche  primär  nur  Bedeutungen  zu- 
kommen. Dahin  gehören,  um  an  einige  besonders  wichtige  zu 
erinnern,  die  Prädicate  wahr  und  falsch,  müglich  uud  unmöglich., 
generell  und  .mignl/ir,  bestimmt  und  unbestimmt  u.  s.  w. 

Diese  wahrhafte  Identität,  die  wir  hier  behaupten,  ist  nun 
keine  andere,  als  die  Identität  der  Species.  So,  aber  auch  nur 
so,  kann  sie  als  ideale  Einheit  die  verstreute  Mannigfaltigkeit  der 


Der  phänomenologische  u.  ideale  Inhalt  d. 


tisse.  101 


I 
I 


individuellen  Einzelheiten  umspannen  {^vpißäXXeiv  dg  ?»■).  Die 
mannigfaltigen  Eiuzellieiten  zur  ideal-einon  Bedeutung  sind  natür- 
lich die  entsprechenden  Acte  des  Bedeutens,  die  Bedeutungs- 
intentionen. Die  Bedeutung  verhält  sich  also  zu  den  jeweiligen 
Acten  des  Bedeutens  (die  logische  Voi'stelluug  zu  den  Vorstellungs- 
acten,  das  logische  Unheil  zu  den  Urtheiisacten,  der  logische 
Schlufs  zu  den  Schlufeacten),  wie  etwa  die  Röthe  in  specie  zu  den 
hier  liegenden  Papierstreifen,  die  alle  diese  selbe  Köthe  „haben". 
Jeder  Streifen  hat  neben  anderen  consfituirenden  Momenten  (Aus- 
dehnung, Form  u.  dgl.)  seine  individuelle  Röthe,  d.  i.  seinen 
Einzelfall  dieser  Farbenspecies,  während  sie  selbst  weder  in 
diesem  Streifen  noch  sonst  in  aller  Welt  real  existirt;  zumal  auch 
nicht  „in  unserem  Denken",  sofern  dieses  ja  mitgehört  zum  Bereich 
des  realen  Seins,  zur  Sphäre  der  Zeitlichkeit 

Die  Bedeutungen  bilden,  so  können  wir  auch  sagen,  eine 
Klasse  von  Begriffen  im  Sinne  von  „allgemeinen  Gegen- 
ständen". Sie  sind  darum  nicht  Gegenstände,  die,  wenn  nicht 
irgendwo  in  der  ,,\Velt",  so  in  einem  lünog  oiqäviQ<i  oder  im 
göttlichen  Geiste  existiren;  denn  solclio  metaphysische  HypostasLrung 
wäre  absurd.  Wer  sich  daran  gewöhnt  hat,  unter  Sein  nur  „reales" 
Sein,  unter  Gegenständen  reale  Gegenstände  zu  verstehen,  dem 
wird  die  Rede  von  allgemeinen  Gegenständen  und  ihrem  Sein  als 
grundverkehrt  erscheinen;  dagegen  wird  hier  keinen  Anstofs  finden, 
wer  diese  Reden  einfach  als  Anzeigen  für  die  Geltung  (sei  es  nur 
für  die  supponirte  Geltung)  gewisser  ürtheile  nimmt,  bzw.  sie  als 
Correlate  für  die  Subjecte  dieser  ürtheile  fafst.  Logisch  betrachtet 
sind  die  sieben  regelmäfsigon  Körper  sieben  Gegenstände,  ebenso 
wie  die  sieben  Weisen;  der  Satz  vom  Kräfteparallelogramm  ein 
Gegenstand  sogut  wie  die  Stadt  Paris.' 

§  32.    Die  Idealität  der  Bedeutungen  keine  Idealität  im  normativen  iSinn. 

Die  Idealität  der  Bedeutungen  ist  ein  besonderer  Fall  der 
Idealität  des  Specifischen  überhaupt.    Sie  hat  also  keineswegs  den 

'■  Bezüglich  der  Frage  oach  dem  Weseu  der  allgemeinen  Oegeostände 
vgl.  die  Untersuchung  II. 


102  /.   Atisdruck  und  Bedeutung. 

Sinn  der  normativen  Idealität,  als  ob  es  sich  um  ein  Voll- 
kommenheitsideal, um  einen  idealen  Grenzwerth  handelte,  der 
gegenübergesetzt  wird  den  Einzelfällen  seiner  mehr  oder  minder 
angenäherten  ßealisinmg.  (Jewifs,  der  „logische  Begriff",  d.  i.  der 
Terminus  im  Sinne  der  normativen  Logik,  ist  hinsichtlich  seines 
Bedeutens  ein  Ideal.  Denn  die  Forderung  der  Erkeimtniskunst 
lautet:  „Gebrauche  die  Worte  in  absolut  identischer  Bedeutung; 
schliefse  alles  Schwanken  der  Bedeutungen  aus.  Unterscheide  die 
Bedeutungen  und  sorge  für  die  Erhaltung  ihrer  Unterschiedenheit 
im  aussagenden  Denken  durch  sinnlich  scharf  unterschiedene  Zeichen". 
Aber  diese  Vorschrift  bezieht  sich  auf  das,  was  einer  Vorschrift 
nur  unterliegen  kann,  auf  die  Bildung  bedeutsamer  Termini,  auf 
die  Fürsorge  für  die  subjective  Aussonderung  und  den  Ausdruck 
der  Gedanken.  Die  Bedeutungen  „an  sich"  sind,  wie  immer  das 
Bedeuten  schwankt  (gemäls  dem  schon  Erörterten)  specifische  Ein- 
heiten; sie  selbst  sind  nicht  Ideale.  Die  Idealität  im  gewöhnlichen, 
normativen  Sinne  schlieist  die  Realität  ein.  Das  Ideal  ist  ein 
concretes  Urbild,  das  sogar  als  wirkliches  Ding  existiren  und  vor 
Augen  stehen  kann:  wie  wenn  sich  der  Kunstjünger  die  Werke 
eines  grofsen  Meisters  als  Ideale  vorsetzt,  welchen  er  in  seinem 
Schaffen  nachlebt  und  nachstrebt.  Und  selbst  wo  das  Ideal 
nicht  realisirbar  ist,  da  ist  es  mindestens  in  der  Vorstellungs- 
intention ein  Individuum.  Die  Idealität  des  Specifischen  ist  hin- 
gegen der  ausschliefsende  Gegensatz  zur  Realität  oder  Individualität; 
es  ist  kein  Ziel  möglichen  Strebens,  seine  Idealität  ist  die  der 
„Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit";  nicht  die  Species  selbst,  sondern 
nur  das  unter  sie  fallende  Einzelne  ist  eventuell  ein  practisches 
Ideal. 

§  33.     Die  Begriffe  „Bedeutung"  und  „Begriff"  im  Sinne 
von  Species  decken  sich  nicht. 

Die  Bedeutungen  bilden,  sagten  wir,  eine  Klasse  von  „all- 
gemeinen Gegenständen"  oder  Species.  Zwar  setzt  jede  Species, 
wenn  wir  von  ihr  sprechen  wollen,  eine  Bedeutung  voraus,  in 
der  sie  vorgestellt  ist,  und  diese  Bedeutung  ist  selbst  wieder  eine 


äpecies.  Aber  es  ist  nicht  etwa  die  Bedeutung,  in  der  eine  Species 
Bdacht  ist,  und  ihr  Gegenstand,  die  Species  selbst,  ein  und 
dasselbe.  Genau  so  wie  wir,  im  Gebiet  des  Individuellen  z.  B. 
zwischen  Bismarck  selbst  und  den  Vorstellungen  Ton  ihm,  etwa 
Bistnarck;  der  gröfste  deutsche  Staatsmann;  u.  dgl.  unterscheiden, 
so  unterscheiden  wir  auch  im  Gebiet  des  Specifischen  beispiels- 
weise zwischen  der  Zahl  4  selbst  und  den  Vorstellungen  (d.  i.  Be- 
deutungen), welche  die  4  zum  Gegenstande  haben,  wie  etwa  die 
Zahl  4;  die  x weite  gerade  Zahl  irt  der  Zahlenreihe;  n.  s.  f.  Also 
die  Allgemeinheit,  die  wir  denken,  löst  sich  nicht  in  die  All- 
gemeinheit der  Bedeutungen  auf,  in  denen  wir  sie  denken.  Die 
Bedeutungen,  unbeschadet  dafs  sie  als  solche  allgemeine  Gegen- 
stände sind,  zerfallen  hinsichtlich  der  Gegenstände,  auf  die  sie 
sich  bezielien,  in  individuelle  und  specielle,  oder  —  wie  wir 
aus  leicht  verständlich™  sprachlidien  Gründen  lieber  sagen  werden  — 
in  generelle.  Also  sind  z.  B.  die  individuellen  Vorstellungen 
als  Bedeutungseiaheiten  Generalia,  während  ihre  Gegenstände 
Individualia  sind. 


I 


§  34.     Im  Acte  des  Bedeutens  wird  die  Bedeutung  nicht 
gegenständlich  beurufst. 

Der  einheitlichen  Bedeutung  entspricht,  sagten  wir,  im  ac- 
tuellen  Be<leiitungserlebiiis  ein  individueller  Zug  als  Einzelfall 
jener  Species:  sowie  ilor  spectfischon  Differenz  Röthe  im  rothen 
Gegenstand  das  Rothmoment  entspricht.  Vollziehen  wir  den  Act, 
und  leben  wir  gleichsam  in  ihra,  so  meinen  wir  natürlich  seinen 
Gegenstand  und  nicht  seine  Bedeutung.  AVenn  wir  z.  B.  eine 
Aussago  machon,  so  urtlicilen  wir  über  die  botrcÖende  Sache  und 
nicht  über  die  Bedeutung  des  Aussagesatzes,  über  das  ürtheil  im 
logischen  Sinne.  Dieses  wird  uns  erst  gegenständlich  in  einem 
reflectiven  üenkact,  in  dem  wir  nicht  blofs  auf  die  vollzogene 
Aussage  zurückblicken,  sondern  die  erfonlerliclie  Abstraction  (oder 
besser  gesagt  Ideation)  vollziehen.  Diese  logische  Refle.xion  ist 
nicht  etwa  ein  Actus,  der  unter  künslicheii  Bedingungen,  also 
ganz  ausnahmsweise  statthat;  sondern  er  ist  ein  normales  Bestand- 


i 


stück  des  logischen  Denkens.  Was  dieses  eharakterisirt,  ist  der 
theoretische  Zusammenhang  und  das  auf  ihn  abzielende  theoretische 
Erwägen,  welches  sich  in  schrittweisen  Reflexionen  auf  die  Inhalte 
der  eben  vollzogenen  Denkacte  constituirt  Als  Beispiel  kann  uns 
eine  sehr  gemeine  Form  des  denkenden  Erwägens  dienen:  „Ist  SP? 
Das  könnte  wol  sein.  Aus  diesem  Satze  würde  aber  folgen, 
dass  M  sei.  Dieses  kann  nicht  sein;  also  nuifs  auch,  was  ich 
zuerst  für  möglich  hielt,  nämlich  dafs  SP  sei,  falsch  sein  u-s-w." 
Man  aclite  auf  die  betonten  Worte  und  die  in  ihnen  ausgedrückten 
Ideiruugen.  Dieser  Satz,  dafs  S  P  ist,  welcher  durch  die  Er- 
wägung als  das  Thema  hindurchzieht,  ist  offenbar  nicht  blofs  das 
flüchtige  Bedeutungsmoment  in  dem  ersten  Denkacte,  wo  uns  der 
Gedanke  zuerst  auftauchto,  sondoris  in  den  weiteren  Schritten 
wird  die  logische  Reflexion  vollzogen,  es  ist  weiterhin  fortgesetzt 
die  Satzbedoutung  gemeint,  die  wir  im  einheitlichen  üonkzusanimen- 
hange  ideirend  und  identificirend  als  dieselbe  und  Eine  auffassen. 
Ebenso  verhält  es  sich  überall  da,  wo  sich  eine  einheitliche  theo- 
retische Begründung  abwickelt.  Wir  können  kein  also  aussprechen, 
ohne  dafs  ein  Hinblick  auf  den  Bedeutungsgehalt  der  Prämissen 
statthätte.  Indem  wir  die  Prämissen  urtheilen,  leben  wir  nicht  nur 
in  den  Urtheilen,  sondern  wir  rctlectiren  auf  die  ürtheilsinhalte; 
nui'  im  Hinblick  auf  sie  erscheint  der  Schlulssatz  motivirt.  Eben 
dadurch  und  dadurch  allein  kann  die  logische  Form  der  Prämissen- 
sätze (die  alleidings  nicht  zu  derjenigen  allgemein-begrifl'lichen 
Abhebung  kommt,  welche  in  den  Schlufsformeln  ihren  Ausdruck 
findet)  einsichtig  bestimmend  werden  auf  die  Folgerung  des  Schlufs- 
satzes. 


§  35.     Bedeutungen  ,,an  sich"  und  ausdrückliche  Bedeutungen. 

Wir  haben  bisher  vorzugsweise  von  Bedeutungen  gesprochen, 
die,  wie  der  normaler  Weise  relative  Sinn  des  Wortes  Bedeutung 
es  schon  besagt,  Bedeutungen  von  Ausdrücken  sind.  An  sich  be- 
steht aber  kein  nothwendiger  Zusammenhang  zwischen  den  idealen 
Einheiten,  die  factisch  als  Bedeutungen  fungiren,  und  den  Zeichen, 
an  welche  sie  gebunden  sind,  d.  h.  mittels  welcher  sie  sich  im 


Der  phänomenoloffiache  u.  ideale  Inhalt  d.  Bedeutungserlebnisse.  105 

menschlichen  Seelenleben  realisiren.  Wir  können  also  auch  nicht 
behaupten,  dafs  alle  idealen  Einheiten  dieser  Art  ausdrückliche  Be- 
deutungen sind.  Jeder  Fall  einer  neuen  Begriffsbildung  belehrt 
uns,  wie  sich  eine  Bedeutung  realisirt,  die  vorher  noch  nie  realisirt 
war.  Wie  die  Zahlen  —  in  dem  von  der  Arithmetik  voraus- 
gesetzten idealen  Sinne  —  nicht  mit  dem  Acte  des  Zählens  ent^ 
stehen  und  vergehen,  und  wie  daher  die  unendliche  Zahlenreihe 
einen  objectiv  festen,  von  einer  idealen  Gesetzlichkeit  scharf  um- 
grenzten Inbegriff  von  generellen  Gegenständen  darstellt,  den 
Niemand  vermehren  und  vermindern  kann;  so  verhält  es  sich  auch 
mit  den  idealen,  rein -logischen  Einheiten,  den  Begriffen,  Sätzen, 
Wahrheiten,  kurz  den  logischen  Bedeutungen.  Sie  bilden  einen 
ideal  geschlossenen  Inbegriff  von  generellen  Gegenständen,  denen 
das  Gedacht-  und  Ausgedrücktwerden  zufällig  ist  Es  gibt  also 
unzählige  Bedeutungen,  die  im  gewöhnlichen  relativen  Sinne  des 
Wortes  blois  mögliche  Bedeutungen  sind,  während  sie  niemals 
zum  Ausdruck  kommen  und  vermöge  der  Schranken  menschlicher 
Erkenntniskräfte  niemals  zum  Ausdruck  kommen  können. 


IL 

Die  ideale  Einheit  der  Species  nnd  die  neueren 
Abstractionstheorien. 


Einleitung, 

Die  ideale  Einheit  der  Bedeutung  erfassen  wir,  gemäls  den 
Erörterungen  der  letzten  Untersuchung,  im  Hinblick  auf  den 
Aetcharakter  des  Bedeutens,  welches  in  seiner  bestimmten  Tinction 
das  Bedeutungsbewufstsein  des  gegebenen  Ausdrucks  von  dem  eines 
bedeutungsverschiedenen  unterscheidet.  Damit  soll  natürlich  nicht 
gesagt  sein,  dafs  dieser  Aetcharakter  das  Concretum  sei,  auf  dessen 
Grunde  sich  die  Bedeutung  als  Species  für  uns  constituirt  Das  zu- 
gehörige Concretum  ist  vielmehr  das  ganze  Erlebnis  des  verstandenen 
Ausdrucks,  dem  jener  Charakter  als  beseelende  Tinction  einwohnt 
Das  Verhältnis  zwischen  der  Bedeutung  und  dem  bedeutenden  Aus- 
druck, bezw.  seiner  Bedeutungstinction ,  ist  dasselbe,  wie  etwa  das 
Verhältnis  zwischen  der  Species  Roth  und  dem  rothen  Gegenstande 
der  Anschauung,  bezw.  dem  an  ihm  erscheinenden  Rothmoment. 
Indem  wir  das  Roth  in  specie  meinen,  erscheint  uns  ein  rother 
Gegenstand,  und  in  diesem  Sinne  blicken  wir  auf  ihn  (den  wir 
doch  nicht  meinen)  hin.  Zugleich  tritt  an  ihm  das  Rothmoment 
hervor,  und  insofern  können  wir  auch  hier  wieder  sagen,  wir 
blickten  darauf  hin.  Aber  auch  dieses  Moment,  diesen  individuell 
bestimmten  Einzelzug  an  dem  Gegenstande  meinen  wir  nicht,  wie 


wir  es  z.  B.  thun,  -wenn  wir  die  phänomenologischo  Bemerkung 
aussprechen,  die  Rothmomente  der  disjuncten  Fliicheutlieile  des 
erscheinenden  Gegenstandes  seien  ebenfalls  disjunct  Während  der 
rothe  Gegenstand  und  an  ihm  das  gehobene  Rothnioraent  erseheint, 
meinen  wir  vielmehr  das  eine  identische  Koth,  und  wir  meinen 
es  in  einer  neuartigen  BewuTstseins weise,  durch  tue  uns  eben  die 
Species  statt  des  Individuellen  gegenständlich  wird.  Das  Ent- 
sprechende wäre  also  auf  die  Bedeutung  im  Verhältnis  zum  Aus- 
druck und  seinem  Bedeuten  zu  übertragen,  gleichgiltig  ob  er  auf 
correspondircnilo  Anschauung  bezogen 'ist,  oder  nicht. 

Die  Bedeutung  als  Species  erwächst  also  auf  dem  angegebenen 
Untergrunde  durch  Abstraction;  aber  freilich  nicht  durch 
Abstraction  in  jenem  uneigentlichen  Sinn,  der  die  empirislische 
Psychologie  und  Erkenntnistheorie  belieri-scht,  und  der  das  Speci- 
fische  gar  nicht  zu  fassen  vermag,  ja  dem  man  es  als  Verdienst 
anreclinet,  dafs  er  dies  nicht  thut.  Für  eine  philosophische  Grund- 
legung der  reinen  Logik  kommt  die  Abstractionsfrage  doppelt  in 
Betracht.  Einmal,  weil  unter  den  kategorialen  Unterscheidungen 
der  Bedeutungen,  welche  die  reine  Logik  wesentlich  zu  berück- 
sichtigen hat,  sich  auch  die  Uutoi'scbeidung  findet,  welche  dem 
Gegensatz  der  individuellen  und  idlgenieinen  Gegenstände  ent- 
spricht. Fürs  Zweite  aber  und  ganz  besondere  darum,  weil  die 
Bedeutungen  überhaupt  —  niul  zwar  Bedeutungen  im  Sinne  von 
specifischen  Einheiten  —  die  Domäne  der  reinen  Logik  bilden, 
und  somit  jede  Verkennung  des  Wesens  der  Species  sie  selbst 
nach  ihrem  eigenen  Wesen  treffen  mufs.  Es  wird  daher  nicht 
unthunlich  sein,  gleich  hier  in  der  einleitenden  Reihe  von  Unter- 
suchungen das  Abstractionsproblem  in  Angriff  zu  nehmen  und  mit  der 
Vertheidigung  der  Eigenberecbtigung  der  specifischen  (oder  idealen} 
Gegenstände  neben  den  individuellen  (oder  realen)  das  Haupt- 
fundament für  die  reine  Logik  und  Erkenntnislehre  zu  sichern. 
Dies  ist  der  Punkt,  an  dem  sicii  der  relativistische  und  empiristischo 
Psychologismus  von  dem  Idealismus  unterscheidet,  welcher  die 
einzige  Möglichkeit  einer  mit  sich  einstimmigen  Erkenotnisthoorie 
darstellt. 


Natfirlieh  meint  hier  die  Re<le  von  Idealismus  keine  meta- 
physisclie  Doctrin,  sondern  die  Form  der  Erkemituistlieorie,  welche 
das  Ideale  als  Bedingung  der  Möijliehkeit  objectiver  Erkenntnis  über- 
haupt anerkennt  und  uicht  psychologistisch  wegdeutet 


Erstes  Kapitel. 

Die  allgemeinen  Gregenstände  und  das 
AllgemeiuheitsbewurBtsein. 

§  I.     Die  aUgemeinen   Geyenslämle  werden  uns  in  wesentlich  anderen 
Acten  beii'ußt  ah  die  individuelten. 

Unsere  eigene  Position  haben  wir  oben  schon  mit  einigen 
Worten  bezeichnet  Es  sollte  nicht  sehr  weiter  AnsfiiJirungen  be- 
dürfen, um  sie  zu  rechtfertigen.  Uenn  Alles,  wofür  wir  einstehen  — 
die  Celtiiiig  des  Unterschiedes  zwisclieu  specifisehen  iintl  indivi- 
duollen Gegenständen  und  die  unterschiedene  Weise  des  Vor- 
stellens,  in  der  uns  die  einen  und  nnderen  Gegenstände  zum  klaren 
Bewufstsein  kommen  —  ist  uns  durch  Evidenz  verbürgt  Und 
diese  Evidenz  ist  mit  der  Klärung  der  bezüglichen  Vorstellungen 
von  selbst  gegeben.  Wir  brauchen  blofs  auf  die  Fälle  zurück- 
zugeben, in  welchen  sich  individuelle  oder  specifische  Vorstellungen 
intuitiv  erfütlon,  und  wir  gewinnen  die  lichtvollste  Klariieit  damber, 
was  für  Gegenstände  sie  eigentlich  meinen,  und  was  in  ihrem 
Sinne  als  wesentlich  gleichartig  oder  verschieden  zu  gelten  hat 
Die  Reflexion  auf  die  beiderseitigen  Acte  bringt  uns  dann  vor 
Augen,  ob  in  der  Weise,  wie  sie  sich  vollziehen,  wesentliche  Unter- 
schiede bestehen,  oder  nicht 

In  letzterer  Hinsicht  lehrt  nun  die  vergleichende  Betrachtung, 
dafs  der  Act,  in  dem  wir  Specifisches  meinen,  in  der  That  wesent- 
lich verschieden  ist  von  demjenigen,  in  dem  wir  Individuelles 
meinen;  sei  es  nun,  dafs  wir  im  letzteren  Falle  ein  Concretum  als 
Ganzes,  oder  duTs  wir  an  ihm  ein  individuelles  Stück  oder  ein 


I 


individuelles  Merkmal  meinen.  GewiTs  besteht  beiderseits  auch 
eine  gewisse  phänomenale  Gemeinsamkeit.  Beidei'seits  erscheint 
ja  dasselbe  Concretum,  und  indem  es  erscheint,  sind  beiderseits 
dieselben  sinnlichen  Inhalte  in  derselben  Auffassungsweise  ge- 
geben; d.  h.  derselbe  Belauf  actuell  gegebener  Empfindungs-  und 
Phantasieinhalte  unterliegt  derselben  „Auffassung"  oder  ^.Deutung", 
in  welcher  sich  für  uns  die  Ersciieinung  des  Gegenstandes  mit 
den  durch  jene  Inhalte  präsentirten  Beschaffenheiten  constituirt. 
Aber  die  gleiche  Erscheinung  trägt  beiderseits  verschiedene  Acte. 
Das  eine  Mal  ist  die  Ei"sebeiuung  die  Vorstellungsgrundlage  für 
einen  Act  individuellen  Meinens,  d.  h.  für  einen  solchen  Act, 
in  dem  wir  das  Erscheinende  als  dieses  Ding,  als  dieses  Merkmal 
oder  dieses  Stück  im  Dinge  meinen.  Das  andere  Mal  ist  sie 
Vorstellungsgrundlage  für  einen  Act  specialisirenden  Meinens; 
d.  h.  während  das  Ding,  oder  vielmehr  das  Merkmal  am  Dinge 
erscheint,  meineu  wir  nicht  dieses  gegonstiindliebo  Merkmal,  dieses 
Hier  und  Jetzt,  sondern  wir  meinen  seinen  Inhalt,  seine  „Idee"; 
wir  meinen  nicht  dieses  Rothmoment  am  Hause,  sondern  das  Roth. 
Und  wie  durch  den  Charakter  dieser  Betrachtungsweise  die  Species 
als  der  allgemeine  Gegenstand  dasteht,  so  erwachsen,  innig  damit 
zusammenhängend,  Bildungen  der  Art,  wie  ein  Rothes  (d.i.  einen 
Fall  von  Rotli  in  sich  Habendes),  dieses  Roth  (das  Roth  dieses 
Hauses)  u.  dg!.  Es  tritt  das  primitive  Verhältnis  zwischen  Species 
und  Einzelfaü  hervor,  es  erwächst  die  Möglichkeit,  eine  Mannigfaltig- 
keit von  Einzelfällen  vergleichend  ku  überschauen  und  eventuell 
mit  Evidenz  zu  urtheilen:  In  allen  Fällen  sei  das  individuelle 
Moment  ein  anderes,  aber  „in"  jedem  sei  dieselbe  Species  realisirt; 
dieses  Roth  sei  dasselbe  wie  jenes  Roth  —  nämlich  specifisch  be- 
trachtet, sei  es  dieselbe  Farbe  —  und  doch  wieder  sei  dieses  von 
jenem  verschieden  —  nämlich  individuell  betrachtet,  sei  es  ein 
verschiedener  gegenständlicher  Einzelzug.  Wie  alle  fundamentalen 
erkenntnistlieoretischen  Unterschiede,  ist  auch  dieser  kategorial. 
Er  gehört  zur  „Form  des  Bewulstseins".  Sein  „Ursprung"  liegt 
in  der  „Bewufstseinsweise",  nicht  in  der  wechselnden  ^Materie 
der  Erkenntnis". 


§  2.      Unenthehrlichkeit  der  Rede  von  allgemeinen   Oegenständen. 

Die  Excesse  des  Begriflsrealismus  haben  es  mit  sich  gebracht, 
dafs  man  nicht  nur  die  Realität,  sondern  auch  die  Gegenständ- 
lichkeit der  Species  bestritten  hat  Gewifs  mit  Unrecht.  Die  Frage, 
ob  es  möglich  und  notLweodig  sei,  die  Species  als  Gegenstände 
zu  fassen,  kann  offenbar  nur  dadurch  beantwortet  werden,  dafis 
man  auf  die  Bedeutung  (den  Sinn,  die  Meinung)  der  Namen  zurück- 
geht, welche  Species  nennen,  und  auf  die  Bedeutung  der  Aus- 
sagen, welche  für  Species  Geltung  beanspruchen.  Lassen  sich 
diese  Namen  und  Aussagen  so  interpretiren,  bezw.  Uifst  sich  die 
Intention  der  ihnen  Bedeutung  gebenden  nominalen  und  proposi- 
tionalen  Gedanken  so  verstehen,  dafs  die  eigentlichen  Gegenstände 
der  Intention  individuelle  sind,  dann  müssen  wir  die  gegnerische 
Lehre  zulassen.  Ist  dies  aber  nicht  der  Fall,  zeigt  es  sieh  bei 
der  BedeutungsanaJjse  solcher  Ausdrücke,  dtds  ihre  directe  und 
eigentliche  Intention  evidentermafson  auf  keine  individuellen  Ob- 
jecto gerichtet  ist,  und  zeigt  es  sich  zumal,  dafs  die  ihnen  zu- 
gehörige Allgemeinheitsbeziehung  auf  einen  Umfang  individueller 
Objecto  nur  eine  indirecte  ist,  auf  logische  Zusammenhänge  hin- 
deutend, deren  Inhalt  (Sinn)  sich  erst  in  neuen  Gedanken  entfaltet 
und  neue  Ausdrücke  erfordert  —  so  ist  die  gegnerische  Lehro 
evident  falsch.  In  Wahrheit  ist  es  nun  durchaus  unvermeidlich 
zwischen  individuellen  Einzelheiten  zu  unterscheiden,  wie  es 
z.  B.  die  empirischen  Dinge  sind,  und  specifischen  Einzelheiten, 
wie  es  die  Zahlen  und  Mannigfaltigkeiten  in  der  Mathematik,  die 
Vorstellungen  und  Urtheile  (die  Begriffe  und  Sätze)  der  reinen 
Logik  sind.  Zahl  ist  ein  Begriff,  der,  wie  wir  mehrfach  betonten, 
als  Einzelheiten  1,  2,  3,  .  .  .  unter  sich  fafst.  Eine  Zahl  ist 
z.  B.  die  Zahl  2,  nicht  irgendeine  Gruppe  von  zwei  individuellen 
Einzelobjecten.  Meinen  wir  diese,  und  sei  es  ganz  unbestimmt, 
so  müssen  wir  es  auch  sagen,  und  jedenfalls  ist  dann  mit  dem 
Ausdi-uck  der  Gedanke  geändert 

Dem  Untei-schied  der  individuellen   und  specifischen  Einzel- 
heiten entspricht  der  nicht  minder  wesentliche  der  individuellen 


I 


and  specifischen  Allgeraeinheiten  (Universalität).  Diese  Untorschiode 
übertragen  sich  ohne  Weiteres  auf  das  Uitheilsgebiot  und  durch- 
setzen die  ganze  Logik:  die  singulären  Urtheile  zerfallen  in  indi- 
viduell singulare,  wie  Sokrates  ist  ein  Metisch,  und  specifisch 
singulare,  wie  2  ist  eine  gerade  Zihl,  rundes  Viereck  ist  ein 
widersinniger  Begriff;  die  universellen  Urthoilo  in  individuell- 
universelle wie  alle  Mensehen  sind  sterblich  un<l  specifisch -uni- 
verselle, wie  alle  analytischen  Functionen  sind  differenxiirbar , 
alle  rein- logischen  Sätxe  sind  apriorisch. 

Diese  und  ähnliche  Untei-schiedo  sind  schlechterdings  nicht 
auszugleichen.  Es  liandelt  sich  nicht  um  blofs  abkürzende  Aus- 
drücke; denn  sie  sind  durch  keine  Umständlichkeiten  der  Um- 
schreibung zu  beseitigen. 

Im  Uebrigen  kann  man  sich  an  jedem  Beispiele  durch  Augen- 
schein überzeugen,  dals  eine  Species  in  der  Erkenntnis  wirklich 
zum  Gegenstande  wird,  und  dafs  in  Beziehung  auf  sie  Urtheile 
von  denselben  logischen  Formen  möglich  sind,  wie  in  Beziehung 
auf  individuelle  Gegenstände.  Nelinien  wir  ein  Beispiel  aus  der 
uns  besonders  interessirendcn  Gruppe.  Lügische  Vorstellungen, 
einheitliche  Bedeutungen  überhaupt,  sind,  sagten  wir,  ideale  Gegen- 
stände, mögen  sie  selbst  nun  Allgemeines  oder  Lidividuelles  vor- 
stellen. Z.  B.  die  Stadt  Berlin  als  der  identische  Sinn  im  wieder- 
holten Reden  und  Meinen;  oder  die  directe  Vorstellung  des 
pythagoreischen  Lehrsatzes,  dessen  Ausspruch  wir  nicht  explicite 
hersetzen  müssen;  oder  auch  diese  Vorstellung  der  Pythagoreische 
Lehrsatz  selbst. 

Wir  auf  unserem  Standpunkt  würden  darauf  hinweisen,  wie 
jede  solche  Bedeutung  im  Denken  zweifello.s  als  Eiidieit  gilt  und 
über  sie  unter  Umstünden  sogar  mit  Evidenz  einlieitlicli  gourtheilt 
wird:  sie  kann  mit  anderen  Bedeutungen  verglichen  und  von  ihnen 
unterschieden  werden;  sie  kann  das  identische  Subject  für  vielerlei 
Prädicate,  der  identische  Bezioluingspunkt  in  mannigfaltigen  Re- 
lationen sein;  sie  kann  mit  anderen  Bedeutungen  euliigirt  und  als 
Einheit  gezählt  werden;  als  identische  ist  sie  selbst  wieder  Gegen- 
stand  in  Bezug  auf  mannigfaltige  neue  Bedeutungen  —  all  das 


genau  so  wie  andere  Gegenstände,  die  nicht  Bedeutungen  sind, 
wie  Pferde,  Steine,  psychische  Acte  u.  s.  f.  Nur  weil  die  Be- 
deutung ein  Identisches  ist,  kann  sie  wie  ein  Identisches  behandelt 
werden.  Dies  gilt  uns  als  ein  unanfechtbares  Argument,  und  es 
gilt  natürlich  für  alle  speciGschen  Einheiten,  auch  für  diejenigen, 
welche  Nicht- Bedeutungen  sind. 


I 


§  3.     Ob  die  Eüüieü  der  Species  als  eine  imeigentliehe  xu  verstehen  ist. 
IdenlitiU  und  Gleichheil. 

Während  wir  die  strenge  Identität  des  Specifischen  im  Sinne 
der  alten  Tradition  aufrecht  halten  wollen,  stützt  sich  die  hen-schende 
Lehre  auf  die  weite  Verbreitung  uneigentlicher  Reden  über  Identität. 
Bei  gleichen  Sachen  sprechen  wir  oft  genug  von  derselben  Sache. 
Wir  sagen  z.  B.  derselbe  Sehrank,  derselbe  Rock,  derselbe  Hut, 
wo  Erzeugnisse  vorliegen,  die  nach  demselben  Muster  gearbeitet, 
einander  vollkommen  gleichen,  d.  h.  in  allem  gleichen,  was  uns 
bei  Dingen  solcher  Art  von  Interesse  ist.  In  diesem  Sinn  spricht 
man  von  derselben  üeberxeu/fung ,  demselben  Zweifel,  derselben 
Frage,  demselben  Wunsch  u.  s.  w.  Solche  Uneigentliehkeit,  meint 
man,  liege  auch  bei  der  Rede  von  derselben  Speeies  und  im  Be- 
sonderen bei  der  Rede  von  derselben  Bedeutung  vor.  Im  Hinblick 
auf  ein  überall  gleiches  Bedeutungserlebnis  spreclien  wir  von 
derselben  Bedeutung  (von  demselben  Begriff  und  Satx),  im  Hin- 
blick auf  eine  überall  gleiche  Färbung  von  demselben  Roth  (dem 
Roth  im  Atlgeraeincn),  demselben  Blau  u.  s.  w. 

Gegen  dieses  Argument  wende  ich  ein,  dafs  die  uneigentliche 
Rede  von  der  Identität  bei  gleichen  Dingen,  eben  als  eine  uneigent- 
liche, auf  eine  entsprechende  eigentliche  zurückweist;  damit  aber 
auf  eine  Identität.  Thatsäclilich  finden  wir,  wo  immer  Gleichheit 
besteht,  auch  eine  Identität  im  strengen  und  wahren  Sinne.  Wir 
können  zwei  Dinge  nicht  als  gleiche  bezeichnen,  ohne  die  Hin- 
sicht anzugeben,  in  der  sie  gleich  sind.  Die  Hinsicht,  sagte  ich, 
und  hier  liegt  die  Identität  Jede  Gleichheit  hat  Beziehung  auf 
eine  Species,  der  die  Verglichenen  unterstehen;  und  diese  Species 
ist  beiderseits  nicht  abennals  ein  blolJä  Gleiches  und  kann  es  nicht 


I 


sein,  da  sonst  der  verkehrteste  reffressus  in  infinitnm  tinvemieid- 
lich  wäre.  Indem  wir  die  Hinsiciit  der  Verf^leichung  bezeichnen, 
weisen  wir  mittels  eines  allgemeineren  Gattungsterminus  auf  den 
Kreis  von  specifischen  Differenzen  hin,  in  dem  sich  die  in  den 
verglichenen  Gliedern  identisH»  auftretende  findet.  Sind  zwei  Dinge 
gleich  hin.'iichtlich  der  Form,  so  ist  die  betreffende  Formspecies 
das  Identische;  sind  sie  gleich  hinsichtlich  der  Farbe,  so  ist  es 
die  Farbenspecies  u.  s.  w.  Allerdings  ist  nicht  jede  Species  im 
Worte  eindeutig  ausgeprägt,  und  so  wird  es  gelegentlich  am 
passenden  Ausdruck  dor  Hinsicht  mangeln,  es  wird  violleicht  schwer 
sein,  sie  klar  anzugeben;  aber  wir  haben  .sie  doch  im  Auge  und 
sie  bestimmt  unsere  Rede  von  der  Gleichheit.  Natürlich  würde 
es  uns  als  eine  Umkehrung  des  wahren  Sachverhaltes  erscheinen, 
wollte  man,  und  sei  es  nur  auf  sinnlichem  Gebiet,  Identität  als 
Gronzfall  der  Gleichheit  essentiell  definiren.  Identität  ist  absolut 
undetinirbar,  nicht  aber  Gleichheit.  Gleichheit  ist  das  Verhältnis 
der  Gegenstände,  welche  einer  und  derselben  Species  unterstehen. 
Ist  es  nicht  mehr  erlaubt  von  der  Identität  der  Species  zu  sprechen, 
von  der  Hinsicht,  in  welcher  Gleichheit  statthat,  so  verliert  auch 
die  Rede  von  der  Gleicliheit  ihren  Boden. 


§  4.     Eimoände  gegen  die  Reduction  der  ideakn  Einheil  auf  die 
xerstreute  Mannigfaltigkeit. 

Auch  auf  Anderes  lenken  wir  die  Aufmerksamkeit.  Will 
Jemand  die  Rede  von  dem  Einen  Attribut  irgendwie  auf  den  Be- 
stand gewisser  (»leichheitsrolationen  zurückführen,  so  geben  wir 
den  in  der  folgenden  Gegenüberstellung  hervortretenden  Unter- 
schied zu  bedenken.     Wir  vergleichen: 

1.  Unsere  Intention,  wenn  wir  irgendeine  Gruppe  von  Ob- 
jecten  in  anschaulicher  Gleichheit  einheitlich  auffassen,  oder 
wenn  wir  ihre  Gleichheit  mit  einem  Schlage  als  solche  erkennen; 
oder  auch,  wenn  wir  in  einzelnen  Acten  der  Vergleichung 
die  Gleichheit  eines  bestimmten  Objectes  mit  den  einzelnen  übrigen 
nnd  schliefslich  mit  allen  Objecten  der  Gruppe  erkennen. 


Baiacrl,  Vog.  Unters.  U. 


8 


2.  Unsere  Intention,  wenn  wir,  vielleicht  sogar  auf  Grund  des- 
selben anschaulichen  Untergrundes,  das  Attribut,  welches  die  Hin- 
sicht der  Gleichheit,  bezw.  der  Vergleichung  ausmacht,  als  eine 
ideale  Einheit  erfassen. 

Es  ist  evident,  dafs  beiderseits  das  Ziel  unserer  Intention,  das 
Gegenstand  liehe,  welches  geraeint  und  als  Subject  unseres  Aussagens 
genannt  ist,  ein  total  Verschiedenes  ist.  Wieviele  gleiche  Objecto 
uns  in  der  Anschauung  oder  Vergleichung  vorschweben  mögen: 
sie  und  ihre  Gleichheiten  sind  im  zweiten  Falle  sicher  nicht  gemeint. 
Gemeint  ist  das  „Allgemeine",  die  ideale  Einheit  und  nicht  diese 
Einzelneu  und  Vielen. 

Die  beiderseitigen  intentionalen  Sachlagen  sind  nicht  nur 
logisch,  sondern  auch  psychologisch  durchaus  verschieden.  Im 
zweiten  Falle  ist  überhaupt  keine  Gleichheitsunschauung  oder  gar 
eine  Vergleichung  erforderlich.  Ich  erkenne  dieses  Papier  als 
Papier  und  als  weiXs  und  bringe  mir  biebei  den  allgemeinen  Sinn 
der  Ausdrücke  Papier  und  Weifs  überhaupt  zur  Klarheit,  oline 
irgendwelche  Gloichheitsansehauungen  und  Vergleichungen  voll- 
ziehen zu  müssen.  Uobrigens  mag  man  sagen,  dafs  die  begrift- 
lichen  Vorstellungen  psychologisch  nie  entstanden  wären,  ohne  das 
Zusammonerscheinon  gleicher  und  durch  die  Gleichheit  in  anschau- 
liche Beziehung  tretenden  Objecte.  Aber  diese  psychologische  That- 
sache  ist  doch  hier  ganz  irrelevant,  wo  die  Frage  schwebt,  als 
was  das  Atti-ibut  in  der  Erkenntnis  gilt  und  mit  Evidenz  zu 
gelten  hat 

Es  ist  schliefslich  auch  klar,  dafs  wenn  man  die  Intention 
auf  eine  Species  verständlich  machon  will  durch  ein  wie  iuuner 
gefafstes  Vorstellen  von  Einzelheiten  aus  Gleichheitsgruppon,  die 
jeweils  vorgestellten  Einzelheiten  nur  einige  wenige  Glieder  der 
Gruppen  umfassen,  also  nie  den  ganzen  Umfang  erschöpfen  können. 
Man  wird  daher  fragen  dürfen,  was  denn  die  Einheit  des  üm- 
fanges  hei'stellt,  was  sie  für  unser  ßowufstsein  und  Wissen  mög- 
lich macht,  wenn  uns  die  Einheit  der  Species  fehlt  und  zugleich 
mit  ihr  die  Denkform  der  Allheit,  die  ihr  Beziehung  gibt  auf  die 
gedanklich    vorgestellte   (im  Sinne  des  Ausdrucks  AUbeit  der  A 


gemeinte)  Allheit.  Der  Hinweis  auf  ^dasselbe"  überall  gemein- 
same Moment,  kann  natürlich  nichts  helfen.  Es  ist  numerisch  so 
vielmnl  lia,  als  einzelne  Objecte  des  ümfangs  vorstellig  sind.  Wie 
soll  einigen,  was  selbst  der  Einigung  erst  bedarf? 

Auch  die  objective  Möglichkeit,  alle  Glieder  des  ümfanges  als 
miteinander  gleich  zu  erkennen,  kann  nichts  helfen;  sie  kann 
dem  Umfang  für  unser  Denken  und  Erkennen  nicht  Einheit  geben. 
Diese  Möglichkeit  ist  ja  für  unser  Bewufstsein  nichts,  wenn  sie 
nicht  gedacht  und  eingesehen  ist  Aber  einerseits  ist  dabei  der 
Gedanke  der  Einheit  des  ümfanges  schon  vorausgesetzt;  und  an- 
dererseits steht  sie  selbst  uns  dann  als  ideale  Einheit  gegenüber. 
Offenbar  mufs  überhaupt  jeder  Vorsuch,  das  Sein  des  Idealen  in 
ein  mögliches  Sein  von  Realem  umzudeuten,  daran  scheitern,  dafs 
I Möglichkeiten  selbst  wieder  ideale  Gegenstände  sind.  So  wenig  in 
aller  Welt  Zahlen  im  Allgemeinen,  Dreiecke  im  Allgemeinen  zu 
finden  sind,  so  wenig  auch  Möglichkeiten. 

Die  empiristische  Auffassung,  welche  die  Annahme  der  speci- 
fischen  Gegenstäude  durch  Rückgang  auf  ihren  Umfang  ersparen 
will,  ist  also  undurchführbar.  Sie  vermag  uns  nicht  zu  sagen, 
was  dem  Umfang  Einheit  giebt.  Folgender  Einwand  macht  dies 
noch  besonders  klar.  Die  bestrittene  Auffassung  operirt  mit  „Aehn- 
lichkeitskreisen",  nimmt  aber  die  Schwierigkeit  etwas  zu  leicht, 
dafs  jedes  Object  in  eine  Vielheit  von  Aehnlichkeitskreisen  hinein- 
gebort, und  dafs  nun  die  Frage  beantwortet  werden  mufs,  was 
diese  Aehnlichkeitskreiso  selbst  voneinander  scheidet.  Man  sieht 
ein,  dafs  ohne  die  schon  gegebene  Einheit  der  Species  ein 
reff^ressiis  in  infinitum  unvermeidlich  wäre.  Ein  Object  A  ist 
älmiich  anderen  Objecten;  den  einen  nach  dem  Gesichtspunkt  ß, 
den  anderen  nach  dem  Gesichtspunkt  b  u.  s.  w.  Der  Gesichts- 
punkt selbst  soll  aber  nicht  besagen,  dafs  eine  Species  da  ist, 
welche  Einheit  schafft.  Was  macht  also  z.  B.  den  durch  Rüthe 
bedingten  Aehnlicbkeitskreis  einheitlich  gegenüber  dem  durch 
Dreieckigkeit  bedingten?  Die  empiristische  Auffassung  kann  nur 
sagen:  es  sind  diffei-ente  Aehnlichkeiten.     Sind  A  und  B  hinsicht- 

8» 


116  II.   Die  ideale  Einheit  der  Species. 

lieh  des  Roth  ähnlich,  und  sind  Ä  und  ü  hinsichtlich  der  Dreieckig- 
keit ähnlich,  so  sind  diese  Aehnlichkeiten  verschiedenartige.  Aber 
da  stofsen  wir  ja  wieder  auf  Arten.  Die  Aehnlichkeiten  selbst 
werden  verglichen  und  bilden  Gattungen  und  Arten,  wie  ihre 
absoluten  Glieder.  Wir  mülsten  also  wieder  auf  die  Aehnlich- 
keiten dieser  Aehnlichkeiten  zurückgehen  und  so  in  infinitum. 

§  5.     Fwtaetxung.    Der  Streu  xwischen  J.  St.  Mill  und  H.  Spencer. 

''afe  die  psychologistische  Auffassungsweise,  welche  die  Einheit 
.  r  Species  in  die  Mannigfaltigkeit  unter  sie  fallender  Gegenstände 
zersplittert,  nicht  ohne  Schwierigkeiten  sei,  hat  man  allerdings  oft 
genug  gefühlt;  aber  bei  ihrer  Lösung  beruhigte  man  sich  allzu 
früh.  Es  ist  interessant  zu  beobachten,  wie  J.  St.  MUiL,*  im 
Widerstreit  mit  seiner  psychologistischen  Doctrin,  die  Rede  von  der 
Identität  des  Attributs  festzuhalten  und  Spencer  gegenüber  zu 
rechtfertigen  sucht,  der,  hierin  consequenter,  nur  die  Rede  von 
völlig  gleichen  Attributen  zulassen  will.*  Der  Anblick  ver- 
schiedener Menschen  erweckt  in  uns  nicht  identische,  sondern  nur 
völlig  gleiche  Sinnesempfindungen,  und  so  sollte,  meint  Spencer, 
auch  das  Menschenthum  in  jedem  Menschen  als  ein  verschiedenes 
Attribut  bezeichnet  werden.  Dann  aber  auch,  so  wendet  nun 
MiLi.  ein,  'das  Menschenthum  desselben  Menschen  in  diesem  Augen- 
blick und  eine  halbe  Stunde  später.  Nein,  sagt  er',  „wenn  jede 
allgemeine  Vorstellung  nicht  als  das  ,Eine  im  Mannigfaltigen'  be- 
trachtet werden  soll,  sondern  als  ebenso  viele  verschiedene  Vor- 
stellungen, als  es  Dinge  giebt,  auf  welche  sie  anwendbar  ist,  so 
würde  es  keine  allgemeinen  Ausdrücke  geben.  Ein  Name  hätte 
überhaupt  keine  allgemeine  Bedeutung,  wenn  Mensch  in  seiner 
Anwendung  auf  Hans  ein  Ding  für  sich,  und   angewendet  auf 


'  Mill's  Logik  Bnch  II.  Kap.  II.  §  3  Schla&anmerkuiig.  (Gohpirz'  üeber- 
setzung  V.  185  f.) 

'  Vgl.  Spenoeb  Psychologie  ü.  §  294.  Anm.  (TJebersetzung  von  Victter 
n.  69f.) 

*  A.  a.  0.  a  186. 


Die  aUgevteinen  Gegenstände  u.  das  AllgemeM 


aein.   117 


Peter  wieder  ein  anderes  Ding,  wenn  auch  ein  durchaus  ähnliches, 
bezeichneu  sollte." 

Der  Eiuwaud  ist  richtig,  trifft  aber  nicht  weniger  die  eigene 
Lehre  Mill's.  Helfet  es  doch  einige  Zeilen  weiter:  „Die  Bedeu- 
tung eines  jeden  allgemeinen  Namens  ist  eine  äul'sore  oder  innere 
Erscheinung,  die  im  letzten  Grunde  aus  Gefühlen  besteht,  und 
diese  Gefühle,  wenn  ihr  Zusammenhang  einen  Augenblick  unter- 
brochen würde,  sind  nicht  mehr  dieselben  Gefühle  im  Sinne 
individueller  Identität".  Ueber  diese  hier  so  scharf  bezeichnete 
Schwierigkeit  glaubt  Hill  leicht  hinwegkommen  zu  können.  „Was 
ist  denn  nun'",  fi'agt  er,  „das  gemeinsame  Etwas,  welches  einem 
allgemeinen  Namen  seine  Bedeutung  giebl?  SpK.\CEat  kann  nur 
sagen,  es  ist  die  Aehnlichkeit  der  Gefühle,  und  ich  erwidere:  Das 
Attribut  ist  eben  diese  Aehnlichkeit.  Die  Namen  der  Attribute 
sind  in  letzter  Auflösung  Namen  für  die  Aehnlichkeiten 
unserer  Sinnesompfindungon  (oder  anderer  Gefühle).  Jeder 
allgemeine  Name,  ob  nun  abstracter  oder  concreter  Art  bezeichnet 
odoi'  bezeichnet  mit  eine  oder  mehrere  dieser  Aehnlichkeiten."* 

Eine  sonderbare  Lösung.  Also  die  „Mitbezoichnung"  besteht 
nicht  mehr  aus  Attributen  im  gewöhnlichen  Sinn,  sondern  aus 
diesen  Aehnlichkeiten.  Aber  was  ist  durch  diese  Umschaltung 
erreicht?  Jede  solche  Aehulichkeit  meint  ja  nicht  das  individuelle 
und  momentane  fceliiig  von  Aehnlichkeit,  sondern  das  identische 
„Eine  im  Mannigfaltigen'',  womit  eben  das  vorausgesetzt  ist,  was 
wegerklärt  werden  sollte.  Natürlich  ist  auch  nicht  etwa  eine  Kc- 
duction  auf  eine  kleinere  Zahl  solcher  Unerklärlichkeiten  geleistet 
Entspricht  doch  jedem  verschiedenen  Attribut  eine  verschiedene 
dieser  Aehnlichkeiten.  Aber  inwiefern  dürfen  wir  eigentlich  nur 
je  von  Einer  Aehnlichkeit  sprechen,  da  doch  jedem  einzelnen 
Vergleichsfatl  eine  besondere  Aelm^lichkeit  entspricht,  also  zu 
jedem  Attribut  eine  unbegrenzte  Anzahl  von  möglichen  Aehnlich- 
keiten geliört?  Dies  führt  auf  die  oben  discutirto  Frage  nach 
dem,  was  die  einheitliche  Zusammengehörigkeit  aller  dieser  Aehn- 


•  A.  a.  0.  S.  186. 


liclikeiten  begründen  soll,  eine  Frage,  die  man  nur  aufwerfen 
inuf's,  uni  die  Verkehrtlieit  der  relativistischen  Auffassung  zu  er- 
kennen. 

MiLL  selbst  fühlt  das  Bedenkliche  seiner  Erklärung;  denn  er 
fügt  folgende  Sätze  bei:  „Es  wird  schwerlich  in  Abrede  gestellt 
worden,  dafs  wenn  hundert  Sinnesemptindungen  ununtoi-scheidbar 
gleich  sind,  von  ihrer  Aehnlichkeit  als  von  einer  einzigen  und 
nicht  als  von  hundert  Aehnlichkeiten  gesprochen  werden  sollte, 
die  blofs  eine  der  anderen  ähnlich  sind.  Die  untereinander  ver- 
glichenen Dinge  sind  viele,  aber  das  Etwas,  das  ihnen  allen 
gemeinsam  ist,  muls  als  Eines  gefafst  werden,  gerade  sowie 
der  Name  als  Einer  aufgefalst  wird,  obwol  er,  so  oft  er  aus- 
gesprochen wii'd,  jedesmal  numerisch  verschiedenen Toneraptinduugen 
entspricht."  Sondorbare  Selbsttiiuschung.  Als  ob  wir  durch  die 
Dekretirnng  einer  Redeweise  bestimmen  könnten,  ob  einer  Maniüg- 
fulügkeit  von  Acten  Einheit  des  Gedachten  entspricht  oder  nicht, 
und  als  ob  nicht  die  ideale  Einheit  der  Intention  den  Roden  erst 
den  einheiüichen  Sinn  gäbe.  Oewife  sind  der  verglichenen  „Dinge" 
viele,  und  gewifs  niufs  das  ihnen  gemeinsame  Etwas  als  Eines 
aufgefafst  werden;  aber  doch  nur  darum  ist  es  ein  Mufs,  weil 
jenes  Etwas  eben  Eines  ist.  Und  gilt  dies  von  den  „Aehnlich- 
keiten",  so  gilt  68  von  den  unverkleideten  Attributen  selbst,  die 
somit  von  den  feeliiigs  wesentlich  zu  imterscheiden  sind.  Also 
darf  auch  nicht  melu'  so  gesprochen  werden,  als  treibe  man  Psycho- 
logie, wo  man  Begrifi'e  erforscht. 


„Der  Sheit  zwischen  Spencer  und  mir  ist,  sagt   Mii.i,  (a.  a.  0. 
S.  185),   blofs  ein  Wortstreit,  denu  keiner  von  uns  beiden  .  .  .  glaubt, 
daJJB  ein  Attribut  ein  reales  Ding  sei,  das  gogoustündliche  Existenz  be- 
sitzt; wir  erblicken  daiin  nur  oiue  besondere  Art  und  "Weise,  unsere 
Sinnesempfinduugen  (oder  imsere  Erwartungen  solcher)  zu  benennen, 
angesehen  von  Seite  ihrer  Beziehung  zu  oiDcm  äufseren  Gegenstiuide, 
■r  «ie  erregt.    Die  von  Si-ekceb  augeregte  Streitfrage  betrifft  also  nicht 
{OUBchaften  irgendeines  wirklich  existireudou  Dinges,  sondern  die 
»icUswelse  grOfeere  oder   geringere  Eignung   zu  philosophischen 


Zwecken,  welche  zwei  verschiedene  Gebrauchsarten  eines  Namens 
besitzen."  Natürlich  lehren  auch  wir  nicht  die  Realität  dei-  Attribut«, 
aber  wii-  foi-dern  eine  etwas  schärfere  Analyse  dessen,  was  hinter  diesen 
„Gebrauchsaiten  eines  Namens"  steckt,  und  was  die  „Eignung  der 
Namen  zu  iihilosophischen  Zwecken"  und  zum  Denken  überhaupt  bo- 
gi-ündct.  MiLi.  Übersicht,  dal's  dor  eiaheitlii.he  Siim  eines  Namens,  und 
jedes  Ausdruckes,  gleichfalls  eine  speciflsche  Einheit  ist,  und  dals 
das  Problem  also  nur  zurückgeschoben  wii-d,  wenn  man  die  Einheit 
der  Species  auf  Einheit  der  Wortbedeutung  reducirt 

§  6.      Ueberleüung  lu  den  folgenden  Kapiteln. 

Schon  in  der  letzten  Betrachtung  haben  wir  uns  genöthigt 
K  gesehen,  auf  eine  gegnerische  Auffassung  kritische  Rücksicht  zu 
V  nehmen.  Es  handelte  sich  dabei  um  eine  Gedankenroihe,  in  der 
H  alle  Formen  empiristischer  Abstractiunstheorie  übereiustimnien, 
H  wie  sehr  sie  in  iinom  Inhalt  sonst  unterschieden  sein  mögen. 
■  Es  erscheint  aber  unerläfslich,  der  Kritik  jetzt  einen  grölseren 
H  Spielraum  zu  gönnen,  um  unsere  Auffassung  vom  Wesen  der  all- 
H  gemeinen  Gegenstände  und  allgemeinen  Vorstellungen  für  die 
H  prüfende  Analyse  der  verschiedenen  Hauptformen  neuerer  Ab- 
H^  stractionstheorie  nutzbar  zu  macheu.  Die  kritische  Nachvveisung 
^^^^er  Irrtlüimer  fremder  Auffassungen  wird  uns  Gelegenheit  geben, 
^^^■nnsere  eigene  Auffassung  ergänzend  auszugestalten  und  zugleich  ihre 
^^^  Zuverlässigkeit  auf  die  Probe  zu  stellen. 

^^^B  Die  empinstischo„Abstractionstlieorie"^  leidet,  wie  die  meisten 
^^^  Lehrstücke  dor  neueren  Erkeantnisthoorie,  unter  der  Vermengung 
^  zweier  wesentlich  verschiedenen  wissenschaftlichen  Interessen,  von 
denen  das  eine  die  psychologische  Erklärung  der  Eilebnisse, 
das  andere  die  „logische"  Aufklärung  ihres  gedanklichen  In- 
haltes oder  Sinnes  und  die  Kritik  ihrer  möglichen  Erkenntnis- 
leistung betriöt  In  der  ersteren  Beziehung  handelt  es  sich  um 
die  Nachweisung  der   empirischen  Zusammenhänge,   die  das  ge- 


'  Mail  spriclit  hier  nicht  oben  passend  von  einer  Theorie,  wo  es  doch, 
noch  dem  im  Text  Weiterfulgeudeu ,  garniobts  zu  theoretigiren ,  d.  i.  zu  er- 
klären giebt. 


120 


//.    Die  ideale  Mftfteit  der  Species. 


I 


gebene  Denkerlebnis  mit  anderen  Thatsachen  im  Flusse  des  realen 
Geschehens  verknüpfen,  Thatsachen,  die  es  als  Ursachen  herbei- 
geführt haben,  oder  auf  die  es  Wirkunj^en  ausübt.  In  der  anderen 
Beziehung  ist  es  hingegen  auf  die  Analyse  der  „Begriffe"  ab- 
gesehen, die  zu  den  Wurton  gehören;  also  um  Klärung  der  Bedeu- 
tungen durch  evidente  Bestätigung  ihrer  Intention  im  erfülleuden 
Sinn,  den  wir  durch  Herbeiholung  passender  Verbildlichung  erst 
actualisiren.  Jede  Abstiactionslehre,  die  erkenntnistheoretisch, 
d.  i.  erkenntnisklärend  sein  will,  verfehlt  von  vornherein  ihr  Ziel, 
wenn  sie,  statt  die  unmittelbare  descriptive  Sachlago,  in  der  uns 
ispecitisches  zum  Bewufstsein  kommt,  zu  beschreiben,  mittelst  ihrer 
den  Sinn  der  Attributnamen  zu  klären,  und  in  weiterer  Folge  die 
vielfachen  Mifsdeutiingen,  die  das  Wesen  der  Species  erfahren  hat, 
zu  evidenter  Lösung  zu  bringen  —  sich  vielmehr  in  psych ologisohe 
Analysen  des  Abstractionsvorganges  nach  Ursachen  und  Wirkungen 
verliert,  ihr  Interesse  vorwiegend  den  unbewulsten  Dispositionen, 
den  hypothetischen  Associationsverflechtiuigen  zuwendet.  Gewöhn- 
lich finden  wir  dabei,  dafs  der  wesentliche  Kern  des  Allgemein- 
heitsbewulstseins,  mit  dem  die  gewünschte  Klärung  ohne  Weiteres 
zu  leisten  ist,  gamicht  beachtet  und  bezeichnet  wird. 

Und  ebenso  verfehlt  eine  Abstractionstheorie  von  vornherein 
ihr  Ziel,  wenn  sie  zwar  ihre  Absicht  auf  das  Feld  des  gelegent- 
lich joder  actiiellen  Abstraction  im  Bewufstsein  Vortindlichen  richtet 
und  somit  den  Fehler  der  Vermengung  zwischen  erkenntiiiskritisch 
aufklärender  und  psychologisch  erklärender  Analyse  meidet;  dafür 
aber  in  die  andere,  zumal  durch  die  Vieldeutigkeit  der  Rede  von 
der  allgemeinen  Repräsentation  nahegelegte  Verwechslung  verfällt, 
nämlich  in  die  Verwechslung  zwischen  phänomenologischer 
und  objectiver  Analyse:  Das,  was  die  Acte  des  Bedeutens  ihren 
Gegenständen  eben  nur  zudeuten,  wird  nun  den  Acten  selbst  als 
reelles  Constituons  beigemessen.  Unvermerkt  ist  so  die  vernünftiger 
Weise  allein  mafsgebliche  t>phäre  des  unmittelbar  Bewufston  wieder 
verlassen  und  alles  der  Verworrenlieit  anheimgegeben. 

Die  nachfolgenden  Analysen  werden  zeigen,  dafiä  diese  sum- 
marische Charakteristik  auf  die  einüulsreichsten  neueren  Abstrac- 


I 


Die  psycholofjUsche  Uyposlasirunij  des  Altgemeirten. 


121 


tionstheürien  pafst,  und  dafs  dioso  in  dor  That  aus  den  soeben 
iin  Allgenieineu  bezeicbueteu  Urütidea  ihr  Ziel  veri'eblen. 


Zweites  Kapitel. 
Die  psychologische  Eypostasirung  des  Allgemeinen. 

§  7.     Die  metaphysische  und  psychologisehe  Hypostasinmg  des 
AUgeniehun.     Der  NomiruUismus. 

Zwei  Mifsdeutungen  haben  die  Entwicklung  der  Lehren  von 
den  allgemeinen  Gegenständen  beherrscht.  Erstens  die  mota- 
physisclie  Hypostasiruag  des  Allgemeinen,  die  Annahme  einer 
realen  Existenz  von  tspecies  aufserhalb  des  Denkens. 

Zweitens,  die  psychologische  Hypostasirung  des  All- 
gemeinen, die  Annahme  einer  realen  E.vistenz  von  Species  im 
Denken. 

Gegen  die  erstere  Mifsdeutung,  die  dem  platonischen  Realismus 
zu  Grunde  liegt,  wendet  sich  der  ältere  Nominalismus  und  zwar 
sowol  der  extreme,  wie  der  conceptuallstischo  Nominalismus. 
Dagegen  hat  die  Bekämpfung  der  zweiten  Mifsdeutung,  speciell  in 
der  Form  von  Lockk's  abstraeten  Ideen,  die  Entwickhing  der 
neueren  Abstractionslehro  seit  Behjceijey  bestimmt  und  ihr  die 
entschiedene  Neigung  zum  extremen  Nominalismus  (den  man 
gegenwäi'tig  schlechtweg  als  Nominalismus  zu  bezeicbnen  und  dem 
Conceptualismus  gegenüberzustellen  pflegt)  gegeben.  Man  glaubte 
nämlich,  um  der  Absurdität  der  abstraeten  Ideen  Locke's  zu  ent- 
gehen, die  allgemeinen  üegenstäude  als  eigenartige  Denkeinheiten 
und  die  allgemeinen  Vorstellungen  als  eigenartige  Denkacte  über- 
haupt leugnen  zu  müssen.  Indem  man  den  Unterschied  der  all- 
gemeinen Anschauungen  (wohin  neben  jenen  abstraeten  Ideen  auch 
die  GemeinbiUler  der  traditionellen  Logik  gehören)  und  der  all- 
gemeinen Bedeutungen  verkannte,  verwarf  man,  wenn  auch  nicht 
dem  Wortlaut,  so  doch  dem  Sinne  nach,  diese  letzteren  „begriff- 


122 


//.    Die  ideale  Einheil  der  Speeiea. 


liehen  Vorstellungen"  mit  ihrer  eigenartigen  Vorstelhingsintention 
und  bciiob  iiinen  individuelle,  nur  psychologisch  eigenartig  fun- 
girende  Einzelvorstelluiigen  unter. 

So  schlielst  sich  an  jene  beiden  Mifsdeutungen  als  dritte  die 
des  Noniiualismus  an,  der  in  seinen  verschiedenen  Formen  das 
Allgemeine  in  Hinsicht  auf  Gegenstand  und  Denkact  in  Einzelnes 
glaubt  umdeuten  zu  können. 

Diese  Milsdeutungen  müssen  wir,  soweit  sie  noch  von  actiiellem 
Interesse  sind,  der  Reibe  nach  zergliedern.  Es  liegt  in  der  Natur 
der  Sache,  und  schon  unsere  bisherigen  üeberlegungen  machen 
es  ersichtlich,  dafs  die  Streitfragen  nach  dem  Wesen  der  allge- 
meinen Gegenstände  und  diejenigen  nach  dem  Wesen  der  allgemeinen 
Vorstellungen  nicht  zu  ti-eunen  sind.  Es  ist  aussichtslos,  die  Eigen- 
geltung der  Rede  von  allgeraetnon  Gegenständen  überzeugungs- 
kräftig darthun  zu  wollen,  wenn  man  nicht  den  Zweifel  behobt, 
wie  solche  Gegenstände  vuretellig  werden  können,  und  in  weiterer 
Folge,  wenn  man  nicht  die  Theorien  widerlegt,  die  durch  wissen- 
schaftliche psychologische  Analysen  den  Nachweis  zu  führen 
schienen,  dafs  os  blol's  Einzelvorstellungen  giebt,  dafs  uns  somit 
nur  Eiuzolobjecto  bovvufst  werden  können  und  je  bewufst  worden 
sind,  und  dafs  daher  auch  die  Rede  von  allgemeinen  Gegenständen 
nur  als  fictive,  oder  ganz  uneigontliche  verstanden  werden 
müsse. 

Die  Mifsdeutungen  des  platonisireuden  Kcatismus  können  wir, 
als  längst  erledigt,  auf  sieh  beruhen  lassen.  Dagegen  sind  die 
Gedankenmotive,  die  zum  psychologisirendeu  Realismus  zu  drängen 
scheinen,  noch  heute  sichtlich  wirksam,  wie  sich  zumal  an  der 
Art  zeigt,  in  der  Locke  kritisirt  zu  werden  pflegt.  Auf  diese 
Motive  gehen  wir  in  diesem  Kapitel  näher  ein. 


§  8.     Mn  lauschender  Gedankengang. 

Man  könnte  unserer  AutTassung,  nicht  so  sehr  in  ernsthafter 
Ueberzcugung,  als  um  die  Unhaltbarkeit  der  Rede  von  Specios 
als  allgemeinen  Gegenständen  apagogisch  zu  erweisen,  folgende 
Gedankenreihe  entgegenhalten: 


Sind  die  Species  nichts  Reales,  und  sind  sie  auch  nichts  im 
Denken,  so  sind  sie  überhaupt  nichts.  Wie  können  wir  von  Etwas 
reden,  ohne  dafe  es  mindestens  in  unserem  Denken  wäre.  Das 
Sein  des  Idealen  ist  also  selbstverständlich  Sein  im  Bewufstsein. 
So  heifst  es  mit  Recht:  Bowufstseinsinlialt.  Im  Gegensatz  dazu 
ist  das  reale  Sein  eben  nicht  blofses  Sein  im  Hownfstsein,  oder 
Inhalt-soin;  sondern  Ansich-sein,  transcondentes  Sein,  Sein  aufser- 
halb  des  Bewufstseins. 

Indessen  in  die  Irrgiinge  solcher  Metaphysik  wollen  wir  uns 
nicht  verlieren.  Als  real  gilt  uns  das  „Im"  Bewulstsein  genau 
so,  wie  das  „Aufsen".  Real  ist  dus  Individuum  mit  all  seinen 
Bestandstiicken;  es  ist  ein  Hier  und  Jetzt.  Als  charakteristisches 
Merkmal  der  Realität  genügt  uns  die  Zeitlichkeit  Reales  Sein 
und  zeitliches  Sein  sind  zwar  nicht  identische,  aber  urafungsgloiche 
Begriffe.  Natürlich  meinen  wir  nicht,  dal's  die  psychischen  Erleb- 
nisse Dinge  sind  im  Sinne  der  Metaphysik.  Aber  zu  einer  ding- 
lichen Einheit  gehörig  sind  auch  sie,  wenn  die  alte  metaphysische 
üeberzeugung  im  Rechte  ist,  dafe  alles  zeitlich  Seiende  nothwendig 
entweder  ein  Ding  ist  oder  Dinge  mitconstituirt.  Soll  aber  Meta- 
physisches ganz  ausgeschlüssen  bleiben,  so  definire  man  Kcitlität 
geradezu  durch  Zeitliehkeit  Denn  worauf  es  hier  allein  ankommt, 
das  ist  der  Gegensatz  zum  unzeitlichen  „Sein"  des  Idealen. 

Femer  ist  es  gowifs,  dal's  das  Allgemeine,  so  oft  wir  davon 
sprechen,  ein  von  uns  Gedachtes  ist;  aber  es  ist  darum  nicht 
Denkinhalt  im  Sinne  eines  realen  Bestaudstückos  im  Denkerlebuis, 
es  ist  auch  nicht  Denkinlialt  im  Sinne  des  Bedeutungsgehaltes, 
vielmehr  ist  es  dann  gedachter  Gegenstand.  Kann  man  über- 
sehen, dafs  ein  Gegenstand,  selbst  wenn  er  ein  realer  und  wahr- 
haft existirender  ist,  im  Allgemeinen  nicht  als  reales  Stück  des 
ihn  denkenden  Actes  aufgefafst  werden  kann?.  Und  ist  nicht  auch 
das  Fictive  und  Absurde,  so  oft  wir  davoii  sprechen,  ein  von 
uns  Gedachtes? 

Natürlich  ist  es  nicht  unsere  Absicht,  das  Sein  des  Idealen 
auf  eine  Stufe  zu  stellen  mit  dem  Godachtsein  des  Fictiven 


oder  "Widersi  nnigon.i  Das  Letztere  existirt  überhaupt  nicb 
kategoriscli  kann  vou  ihm  nichts  ausgesagt  worden;  und  wenn 
wir  doch  so  sprechen,  als  wäre  es,  als  hätte  es  seine  eigene  Seins- 
weise, die  „blofs  intentionale",  so  erweist  sich  die  Rede  bei  ge- 
nauerer Betrachtung  als  eine  uneigentliehe,  In  Wahrheit  bestehen 
nur  gewisse  gesetzlich  giltige  Zusammenhänge  zwischen  „gegen- 
standslosen Vorstellungen'',  die  vornuigo  ihrer  Analogie  mit  den 
auf  gegenständliche  Vorstellungen  bezüglichen  Wahrheiten  die 
Rede  von  den  blols  vorgestellten  Gegenständen ,  die  in  Wahrheit 
nicht  existiren,  nahelegen.  Die  idealen  Gegenstände  hingegen 
existiren  wahrhalt.  Es  hat  evidenter  Weise  nicht  blofs  einen  Sinn, 
von  solchen  Gegenständen  (z.  B.  von  der  Zahl  2,  von  der  Qualität 
Rüthe,  von  dem  Satz  des  Widerspruches  u.  dgl.)  zu  sprechen, 
und  sie  als  mit  Prädicaten  behaftet  vorzustellen,  sondern  wir  er- 
fassen auch  einsichtig  gewisse  Wahrheiten,  die  auf  solche  ideale 
Gegenstände  bezüglich  sind.  Gelten  diese  Wahrheiten,  so  mufs  all 
das  sein,  was  ihre  Geltung  objectiv  voraussetzt.  Sehe  ich  ein, 
dals  4  eine  gerade  Zahl  ist,  dafa  das  ausgesagte  Prädie^it  dem 
idealen  Gegenstand  4  wirklich  zukommt,  so  kann  auci)  dieser 
Gegenstand  nicht  eine  blo&e  Fiction  sein,  eine  blolsc  fa^tm  de 
■parier,  in  Wahrheit  ein  Nichts. 

Das  schliefst  nicht  aus,  dafs  der  Sinn  dieses  Seins  und  mit 
ihm  der  Sinn  der  Prädication  hier  nicht  ganz,  nicht  speciell,  der- 
selbe ist,  wie  in  den  Fällen,  wo  einem  realen  Subject  ein  reales 
Prädicat,  seine  Beschaffunheit  beigelegt  oder  abgesprochen  wird. 
Anders  ausgedrückt:  Wir  leugnen  es  nicht  und  legen  vielmehr 
Gewicht  darauf,  dals  innerhalb  der  begrifflichen  Einheit  des 
Seienden  <odor  was  dasselbe:  des  Gegenstandes  überhaupt)  ein 
fundamentaler  kategorialer  Untei"schied  bestehe,  dem  wir  eben 
Rechnung  tragen  durch  den  Unterschied  zwischen  idealem  Sein 
und  realem  Sein,  San  als  Species  und  Sein  als  Individuelles.  Und 
ebenso  spaltet  sich  die  begriffliche  Einheit  der  Prädication  in  zwei 


'  Vgl.  dagegec    B.   Erdhann  Ijogik  I,  81  u.  85.     E.  Twabdowski,    Zur 
Lehre  vom  lohalt  nud  Oegeoätand  der  Vorstellungen,  8.  106. 


wesentlich  unterschiedene  Arten :  je  nachdem  einem  Individuellen 
seine  Beschaffenheiten,  oder  einem  Specifischen  seine  generellen 
Bestimmtheiten  beigelegt  oder  abgesprochen  werden.  Aber  dieser 
Unterschied  hebt  nicht  die  oberste  Einheit  im  Begriffe  des  Gegen- 
standes und  in  dorn  der  kategorischen  Satzeinheit  auf.  In  jedem 
Falle  kommt  einem  Gegenstand  (Subjoct)  etwas  (ein  Prädicat)  zu 
oder  nicht  zu,  und  der  Sinn  dieses  allgemeinsten  Zukommens  mit 
den  ihm  zugehörigen  Gesetzen  bestimmt  auch  den  allgemeinen 
Sinn  des  Seins,  bezw.  des  Gegenstandes  überhaupt;  sowie  der 
speciellere  Sinn  der  generellen  Prädication  mit  den  ihr  zugeord- 
neten Gesetzen  den  Sinn  des  idealen  Gegenstandes  bestimmt  (bezw. 
voraussetzt).  Gilt  uns  alles,  was  ist,  mit  Recht  als  seiend  und 
als  so  seiend  vermöge  der  Evidenz,  mit  der  wir  es  im  Denken 
als  seiend  erfassen,  dann  kann  keine  Rede  davon  sein,  dafs  wir 
die  Eigenberechtigung  des  idealen  Seins  verweri'en  dürften.  In 
der  That  kann  keine  Interpretationskunst  der  Welt  die  idealen 
Gegenstände  aus  unserem  Sprechen  und  Denken  eliminiren. 

§  9.     LocKE's  Lehre  von  den  abslracien  Ideen. 

Von  besonderer  historischer  Wirkung  war,  wie  wir  hörten, 
die  psychologische  Hypostasining  des  Allgemeinen  in  der  Locke- 
schen  Philosophie.     Sie  erwuchs  in  folgender  Gedankenreihe: 

In  Wirklichkeit  oxistirt  nichts  dergleichen  wie  ein  Univei-sale, 
es  existiren  real  nur  individuelle  Dinge,  dio  sich,  nach  Gleich- 
heiten und  Aehnlichkeiten,  in  Arten  und  Gattungen  ordnen. 
Halten  wir  uns  an  die  Sphäre  des  unmittelbar  Gegebenen  un<l 
Erlebten,  an  die  „Ideen",  so  sind  die  Dingerscheinungen  Com- 
plexionen  von  „einfachen  Ideen",  derart,  dass  in  vielen  solchen 
Complexionen  dieselben  einfachen  Ideen,  dieselben  phänomenalen 
Merkmale,  einzeln  oder  gruppenweise,  wiederzukehren  pflegen. 
Wir  nennen  nun  die  Dinge,  und  nennen  sie  nicht  blofs  mittelst 
Eigennamen,  sondern  vorwiegend  mittelst  Gemein naraen.  Die  That- 
sache  aber,  dafs  wir  viele  Dinge  einsinnig  mittelst  eines  und  desselben 
allgemeinen  Namens  nennen  können,  beweist,  dafs  diesem  eben 
ein  allgemeiner  Sinn,  eine  „allgemeino  Idee"  entsprechen  mufs. 


Sehen  wir  näher  zu,  in  welcher  Weise  sich  der  allgemeine 
Name  auf  die  Gegenstände  der  zugehörigen  Klasse  bezieht,  so 
zeigt  es  sich,  dafs  er  dies  mittelst  eines  und  desselben,  allen 
diesen  Gegenständen  gemeinsamen  Merkmals  (oder  Morkmalcom- 
ploxes)  thut,  und  dafs  die  Einsinnigkeit  des  allgemeinen  Namens 
nur  soweit  reicht,  als  Gegenstände  mittelst  dieses  und  keines  an- 
deren Merkmals  (bezw.  mittelst  dieser  und  keiner  anderen  Merk- 
malsidec)  genannt  sind. 

Das  allgemeine  Denken,  das  sich  in  allgemeinen  Bedeu- 
tungen vollzieht,  setzt  also  voraus,  dafs  wir  die  Fähigkeit  der 
Abstraction  haben,  d.  h.  die  Fähigkeit  von  den  phänomenalen 
Dingen,  die  uns  als  Morkmalcomplexionen  gegeben  sind,  partiale 
Ideen,  Ideen  einzelner  Merkmale,  abzutrennen  und  sie  an  Worte 
als  deren  allgemeine  Bedeutungen  anzuknüpfen.  Die  Möglichkeit 
und  Wirklichkeit  solcher  Lostreunung  ist  durch  die  Thatsache  ge- 
währleistet, dals  jeder  allgemeine  Name  seine  eigene  Bedeutung 
hat,  also  eine  ausschliefslich  an  ihn  gebundene  Merkmalsidee  trägt; 
und  ebenso,  dafs  wir  nach  AVillkür  irgendwelche  Merkmale  her- 
ausgreifen und  sie  zu  .Sonderbedeutangen  neuer  allgemeiner  Namen 
machon  können. 

Freilich  ist  die  Bildung  der  „abstracten"  oder  „allgemeinen 
Ideen",  dieser  „Erdichtungen"  und  „Kunstgrille"  des  Geistes  nicht 
ohne  Sphwiongkoit,  nie  „bieten  sich  nicht  so  leicht  dar,  wie  wir 
zu  glaulxMi  geneigt  sind.  Erfordert  es  z.  B.  nicht  eine  gewisse 
Heniühung  und  (JoHchirklichkeit,  die  allgemeine  Idee  eines 
DroiockH  zu  bildon  (die  noch  nicht  zu  den  umfassendsten  und 
«cliwiiM-igKicu  gi'liöM);  di'tm  es  niufs  weder  schiefwinklig  noch 
roohtwtiiklig,  wnder  gleichseitig,  gleichschenklig  noch  un- 
gleloliHeitig  Hoin,  mimlorn  alles  das  und  keines  davon  auf 
njnnial.  In  dci  Tlutt  imI  sie  etwas  Unvollkommenes,  das  nicht 
oxistintti  kniiu,  «In«'  Mo«,  worin  gewisse  Theile  mehrerer  ver- 
Hcliirtdoner  und  uiivcrojubiiror  Idoon  zusammengefügt  sind.  Frei- 
lich hat  der  Gei'tl  in  ilio^'ni  hcitm'iii  unvollkommenen  Zustande 
Noifthn  Mnxii  hölliig  und  li)'oilt  hIoIi,  möglichst  ru  ihnen  zu  ge- 
litriKi«n,  lim  d^r  M<u|iinmll<'hk<>it  der  Mittheilung  und  der  Erweite- 


Tung  des  Wissens  willen  .  .  .  Gleichwol  läXst  sich  mit  Grund  ver- 
muthen,  dal's  solche  Ideen  Zeichen  unserer  UnvüUkomuieuheit 
sind." ' 

§  10.     Kritik. 

In  diesem  Gedankengange  verflechten  sich  mehrere  funda- 
mentale Irrthümer.  Ihi.'!  (irundgehrechen  der  Lx-KK'schen  und 
der  englischen  Erkenntnistheorie  überhaupt,  die  unklare  Idee  von 
der  Idee  macht  sich  in  seinen  Folgen  sehr  benierklich.  Wir 
notiren  folgende  Punkte: 

1.  Idee  wird  als  jedes  Object  innerer  Wahrnehmung  definirt: 
„Whaterer  the  mind  perceives  in  itself,  ar  is  ihc  immediatc  ob- 
ject of  perception,  thougiii  or  understanding ,  that  I  call  idea."'' 
In  naheliegender  Extension  —  die  Wahrnehmung  braucht  nicht 
gerade  actuel!  zu  erfolgen  —  wird  dann  jedes  mögliche  Object 
innerer  Wahrnehmung  und  schliefslich  jeder  Inhalt  im  psycho- 
logischen Sinne,  jedes  psychische  Erlebnis  überhaupt,  unter  dem 
Titel  Idee  bofafst. 

2.  Idee  hat  aber  bei  Locke  zugleich  die  engere  Bodontnng  von 
Yorstellung,  und  zwar  in  dem  Sinne,  der  eine  sehr  einge- 
schränkte Klasse  von  Erlebnissen,  und  näher  von  intentionulen 
Erlebnissen,  auszeichnet  Jede  Idee  ist  Idee  von  Etwas,  sie 
stellt  Etwas  vor. 

3.  Weiter  wird  bei  Locke  Vorstellung  und  Vorgestelltes  als 
solches  vermengt,  der  Act  mit  dem  intendirten  Gegenstand,  die 
Erscheinung  mit  dem  Erscheinenden.  So  wird  der  erscheinende 
Gegenstand  zu  einer  Idee,  seine  Merkmale  zu  Partialideen. 

4.  Die  letztere  Vermengung  hängt  wol  damit  zusammen, 
daFs  Ijocke  die  Merkmale,  die  dem  Gegenstande  zukommen,  mit 
den  Inhalten  verwechselt,  welche   den  sinnlichen  Kern   des  Vor- 


'  liOCKK'a  Essiiy  B.  IV.  ohap.  VII.  s.  9.  (In  der  sorgsamen  Uebersetrung 
TOD  Th.  Schdltzk  in  Reclam's  Dniversalbibl.  II,  273). 

*  Essay,  B.  II.  chap.  VIII.  s.  8.  Vgl.  auch  den  zweiten  Brief  an  den 
Bischof  von  Wohckstrr  (Philos.  works,  «d.  J.  A.  St.  John,  liondon  1882.  II. 
340  n.  343):  „he  that  thinks  musl  haee  soine  immedinte  object  of  hta  tiiind 
in  thinking:  i.  e.  nrnst  have  idea»." 


I 


stellungsactes  ausmachen,  nämlich  mit  den  Empfindungen, 
welche  der  auffassende  Act  gegenständlicii  deutet,  oder  mit  welchen 
er  die  gegenständlichen  Merkmale  wahrzunehmen  und  sonstwie  an- 
zuschauen vermeint. 

5.  Ferner  werden  unter  dem  Titel  „allgemeine  Idee"  die 
Merkmale  als  specifische  Attribute  und  die  Merkmale  als  gegen- 
ständliche Momente  vermengt. 

6.  Was  endlich  noch  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  es  fehlt 
bei  Locke  ganz  und  gar  der  Unterschied  zwischen  Vorstellung  im 
Sinne  von  anschaulicher  Vorstellung  (Ei-scheinung,  vorsehwebendes 
,Bild')  und  Vorstellung  im  Sinne  von  Bedeutungsvorstellung.  Man 
kann  dabei  unter  Bedoutungsvorstellung  ebensowot  die  Bedeutungs- 
intention als  die  BedoutungserfiUIung  verstehen;  denn  dies  Beides 
wird  von  Locke  gleichfalls  nie  geschieden. 

Nur  diese  Vermengungen  (an  denen  die  Erkenntnistheorie 
bis  zum  heutigen  Tage  krankt)  geben  Lockk's  Lehre  von  den 
abstracten  allgemeinen  Ideen  den  Anstrich  von  selbstverständ- 
licher Klarheit,  der  ihren  Urheher  täuschen  konnte.  Die  Gegen- 
stände der  anschaulichen  Vorstellungen,  die  Thiere,  Bäume  u.  s.  w., 
und  zwar  so  gefafst,  wie  sie  uns  gerade  erscheinen  (also  nicht 
als  die  Gebilde  von  „primären  Qualitäten"  und  „Kräften",  welche 
nach  Locke  die  wahren  Dingo  sind  —  denn  diese  sind  jedenfalls 
nicht  die  Dinge,  die  uns  in  den  anschaulichen  Vorstellungen  er- 
scheinen), werden  wir  keineswegs  als  Complexionen  von  Ideen 
und  somit  selbst  als  Ideen  gelton  lassen.  Sie  sind  nicht  Gegen- 
stände möglicher  „innerer  Wahrnehmung",  als  ob  sie  im  Bewufst- 
sein  einen  complexen  psychischen  Inhalt  bildeten  und  sich  dai'in 
nun  wirklich  vorfinden  liefsen.  Es  mag  sein,  dafs  diese  inten- 
tionalen  Gegenstände  sieh  (vermeintlich)  aus  Elementen  aufbauen, 
die  Bämratlich  aus  innerer  Wahrnehmung'  stammen  und  in  ge- 
wisser Art  auch  weiterhin  durch  solche  Wahrnehmung  realisirbar 


'  Warum  ich  von  innerer  'WahmolimuBg  spreche,  wo  es  sich  gamieht 
um  Reflexion  auf  p.syohisohe  Acte  handelt,  werdeu  die  Erörtpiungon  der  Bei- 
lage über  äurgere  und  innere  Wahrnehmung  am  Schlüsse  de.s  Bandes  aufklSren. 


I 


sind.  Aber  normaler  Weise  sind  diese  Elemente  garniobt  adäquat 
gegeben,  und  sind  sie  überhaupt  «däqiiat  reulisirbar  —  was  für 
ihre  Gesummtcomplexion  als  Ganzes  jedenfalls  ausgeschlossen  ist  — 
so  ist  diese  Mügliclikeit  bestenfHlls  diejenige  der  Wahrnehmung 
künftiger  Inhalte,  sie  bezieht  sich  nicht  auf  den  jeweilig  wirklichen 
und  vorfindlichen  Bewufstseinsgehalt,  es  handelt  sich  nicht  blofs 
darum,  auf  etwas  liinzublicken,  was  psychisch  präsent  ist.  Die 
„äufseren"  Anschauungsobjecte  und  ihre  Merkmale  sind  gemeinte 
Einheiten,  aber  nicht  „Ideen"  im  Sinne  der  LocKE'schen  Definition. 

Diese  Sachlage  macht  es  klar,  dafs  die  Möglichkeit  einer  auf 
ein  einzelnes  Merkmal  für  sich  gerichteten  Intention  keineswegs 
die  Abtrennung  dieses  Merkmals,  bezw.  sein  Gegebensein  als  ein 
Isolirtes  voraussetzt.  Ist  uns  der  gesaramte  Gegenstand  nur  in 
der  Weise  eines  Vermeinten  gegeben,  während  er,  als  das  was  er 
vermeint  ist,  im  Vermeinen  selbst  gamicht  real  ist:  so  wird  auch 
ein  Vermeinen,  das  sich  auf  die  Merkmale  des  Gegenstandes  richtet, 
möglich  sein,  ohne  dafs  diese  im  eigentüchon  Sinne  gegeben,  nämlich 
wieder  im  Vermeinen  selbst  real  sind.  Dies  wird  sowol  in  an- 
schaulicher Weise,  z.  B.  in  der  Weise  einer  Partialwahmehmung 
möglich  sein,  als  auch  in  der  Weise  einer  andersartigen  Intention, 
z.  B.  einer  gewissen  Bedeutuugsintention.  Ist  aber  das  Merkmal 
selbst  in  Wahrheit  gamicht  gegeben,  so  kann  davon  auch  keine 
Rede  sein,  dafe  es  als  losgetrenntes  gegeben  sei  oder  gegeben 
sein  müsse. 

Wir  können  ailgemein  sagen:  Worauf  sich  eine  Intention 
richtet,  das  wird  dadurch  zum  eigenen  Gegenstand  des  Actes. 
Es  wird  zum  eigenen  Gegenstand,  und  es  wird  zu  einem  von 
allen  anderen  Gegenständen  getrennten  Gegenstand,  das  sind 
zwei  grundvei-schiedeno  Behauptungen.  Die  Merkmale  sind,  wo- 
fern wir  unter  Merkmalen  attributive  Momente  verstehen,  von  dem 
concreten  Untergrunde  evident  unabtrennbar.  Inhalte  dieser  Art 
können  nicht  für  sich  sein.  Aber  darum  können  sie  für  sich  ge- 
meint sein.  Die  Intention  trennt  nicht,  sie  meint,  und  was  sie 
meint  schliefst  sie  eo  ipso  ab,  sofern  sie  eben  nur  Dieses  und 
nichts  Anderes  meint.     Dies  gilt   für  jederlei  Meinen    und   mau 

Hoiiarl,  Log.  unten,  n.  9 


murs  sich  darüber  klar  Rein,  dafs  nicht  jedes  Meinen  Anschauen 
und  niclit  jedes  Anseliauen  ein  adäquates,  seinen  Gegenstand  reell 
in  sich  schliefsendes  Anschauen  ist. 

Mit  all  dem  reichen  wir  aber  noch  nicht  aus.  Das  individuell 
einzelne  Moment  ist  noch  nicht  das  Attribut  in  specie.  Ist  das 
Erstere  gemeint,  flas  Moment,  so  ist  das  Meinen  vom  Charakter 
des  individuellen,  ist  das  Specifische  gemeint,  so  ist  es  vom  Cha- 
rakter des  specifischen  Meinons.  Selbstverständlich  bedeutet  auch 
hier  ■wieder  die  Pointiriing,  die  das  attributive  Moment  erfährt, 
keine  Abtrennung  desselben.  Zwar  richtet  sicli  das  Meinen  im 
letzteren  Falle  gewissermafsen  auch  auf  das  erscheinende  Mo- 
ment, aber  dies  geschieht  in  wesentlich  neuer  Weise;  nur  im 
Actcharakter  kann  ja  bei  der  Identität  der  Anschauimgsgrundiage 
der  ünterecbied  liegen.  Aehnliche  Unterschiede  sind  zwischen 
der  Gattuiigsvonsteilung  im  gewöhnlichen  Sinn  (wie  Baum,  Pferd 
u.  dgl.)  und  directen  Dingvorstellungen  (überhaupt  dirocten  Vor- 
stellungen von  Concretis)  zu  beachten.  Ueberall  werden  wir  unter- 
scheiden müssen  zwischen  den  schlichten  Total-  und  Partial- 
anschauungen,  welche  die  Grundlage  bilden,  und  den  wechselnden 
Actcharakteren,  die  sich  ais  gedankliche  darauf  bauen,  ohne  dafs 
sich  im  Sinnlich-Anschaulichen  das  Geringste  ändern  müfste. 

Für  die  genauere  Analyse  kämen  hier  natürlich  viel  mannig- 
faltigere Unterschiede  der  Acte  in  ßetraciit,  als  wir  zu  Zwecken 
der  Kritik  Locke's  in  Erwägung  zu  ziehen  brauchen.  Das  An- 
schaulich-Einzelne ist  einmal  direct  als  dieses  da  gemeint,  dann 
wieder  ist  es  als  Träger  eines  Allgemeinen,  als  Subject  eines 
Attributs,  als  Einzelne.s  einer  empirischen  Gattung  gemeint;  wieder 
ein  ander  Mal  ist  das  Allgemeine  selbst  gemeint,  z.  B.  die 
Speeies  des  in  einer  Partialauschauung  poiiitirten  Merkmals;  dann 
wieder  ist  eine  solche  Speeies  als  Art  einer  (idealen)  Gattung 
gemeint  u.  s.  w.  Bei  all  diesen  Auffassungsweisen  kann  unter 
Umständen  eine  und  dieselbe  sinnliche  Anschauung  als  Grundlage 
fungiren. 

Den  Unterschieden  des  „eigentlichen"  Denkens,  in  welchen 
sich   die  mannigfachen   kategoriaien  Formen  actuell  constituiren, 


folgen  nun  auch  die  symbolischen  Intentionen  der  Ausdrücke. 
In  der  Weise  des  Aussagens  und  Hedeutens  ist  al!  das  gesagt 
und  gemeint,  was  vielleicht  in  der  eigenUiehon,  intuitiv  erlullten 
Weise  garnicht  aotualisirt  ist  Das  „Denken"  ist  nun  ein  „hlofs 
symbolisches"  oder  „ii neigen tliehes". 

Diesem  pliiinonienologjschen  Sachverhalt  vermag  Lockk  nicht 
gerecht  zu  werden.  Das  sinnlich -anschauüclie  Bild,  mittelst  dessen 
sich  die  Bedeutungsintention  erfüllt,  wird,  sagten  wir  oben,'  vun 
Locke  für  die  Bedeutung  selbst  genommen.  Unsere  letzte  Betrach- 
tung bestätigt  und  klärt  diesen  Einwand.  Ueno  LoirKE's  Identification 
stimmt  weder,  wenn  wir  unter  Bedeutung  die  intendirende,  noch 
wenn  wir  darunter  die  erfüllende  Bedeutung  verstehen.  Die  Erstere 
liegt  im  Ausdruck  als  solchem.  Seine  Bedeutungsintention  macht 
das  allgemeine  Vorstellen  in  dem  Sinne  des  allgemeinen  Bedeutens 
aus,  und  ein  solches  ist  ohne  jede  actuelle  Anschanungsgrundlage 
möglich.  Tritt  aber  gegebenenfalls  eine  Erfüllung  ein,  so  ist,  wie 
aus  unseren  Erwägungen  hervorgeht,  nicht  etwa  das  sinnlicb-an- 
.schauliche  Bild  die  BodeutungserFülhing  selbst,  sondern  es  ist  die 
blofso  Grundlage  dieses  erfüllenden  Actes.  Dem  nur  „symbolisch" 
vollzogenen  allgemeinen  Gedanken,  d.  i.  der  blofsen  Bedeutung 
des  allgemeinen  Wortes,  entspricht  dann  der  „eigentlich"  voll- 
zogene Gedanke,  welcher  seinerseits  in  einem  Acte  sinnlicher 
Anschauung  fundirt,  aber  nicht  mit  ihm  identisch  ist. 

Und  nun  verstehen  wir  die  trügerischen  Verwechslungen  in 
e's  Gedankengang  vollkommen.  Aus  der  Selbstverständlich- 
keit, dafs  jeder  allgemeine  Name  seine  ihm  eigene  allgemeine  Be- 
deutung hat,  macht  er  die  Belmuptnng,  dafs  jedem  allgemeinen 
Namen  eine  aligemeine  Idee  zugohöre,  und  diese  Idee  ist  für 
ihn  nichts  Anderes  als  eine  anschauliche  Sondervorstellung 
(eine  Sondererscheinung)  eines  Merkmals.  Dies  ist  eine  noth- 
wendige  Folge  davon,  dafs  er  die  AVortbodeutung,  weil  sie  sich 
auf  Grund  der  Erscheinung  des  Merkmals  erfüllt,  mit  dieser 
Erscheinung  selbst  verwechselt;   so  wird  ja  aus  der  gesonderten 


'  Ygl.  obon  in  üor  AufzäliluDg  der  Locu'schen  VermongUQgen  die  letzte. 


Bedeutung  (sei  es  der  intendirenden  oder  erfüllenden)  die  geson- 
derte Anschauung  des  Merkmais.  Da  Lockk  nun  zugleich  die 
Merkmalserscheinung  und  das  erscheinende  Merkmal  nicht  aus- 
einanderhält,' so  wenig  als  das  Merkmal  als  Moment  und  das 
Merkmal  als  specifisches  Attrihut,-  so  ist  mit  seiner  „allgemeinen 
Idee"  in  der  That  eine  psychologische  Hjpostasirung  des 
Altgemeinen  vollzogen,  das  Allgemeine  wird  zum  reellen  Be- 
wufstseinsdatum. 

§  11.     LocKS-s  aUgemeiites  Dreieek. 

Diese  Irrthümer  rächen  sich  durch  die  Absurditäten,  in 
welchen  sie  den  grofseu  Denker  im  Beispiel  der  allgemeinen  Idee 
eines  Dreiecks  verwickeln.  Diese  Idee  ist  die  Idee  eines  Drei- 
ecks, welches  weder  rechtwinklig  noch  spitzwinklig  ist  u.  s.  w.  So 
kann  os  freilich  leicht  scheinen,  wenn  man  die  allgemeine  Idee 
des  Dreiecks  zunächst  als  die  allgemeine  Bedeutung  des  Namens 
fafst,  und  ihr  dann  die  anschauliche  Sondervorstellung,  bezw.  das 
anschiuiliohe  Sonderdasein  der  zugehörigen  Mcrkmalscomplexion 
im  Bewufstsein  unterschiebt.  Nun  hätten  wir  ein  inneres  Bild, 
welches  Dreieck  ist  und  nichts  weiter;  die  Gattungsmerkmule 
losgetrennt  von  den  specifischen  Differenzen  und  zu  einer  psychi- 
schen Realität  verselbständigt. 

Dafs  diese  Auffassung  nicht  nur  falsch,  sondern  widersinnig 
ist,  braucht  kaum  gesagt  zu  werden.  Die  Unabtrennbarkeit  des 
Allgemeinen,  bezw.  seine  Unrealisirbarkeit  gründet  a  priori  im 
Begriff  der  Gattung.  Speciell  mit  Beziehung  auf  das  Exempel 
wird  man  vielleicht  eindrucksvoller  sagen:  die  Geometrie  beweist 
a  priori  auf  Grund  der  Definition  des  Dreiecks,  dafs  jedes  Drei- 
eck entweder  spitzwinklig  oder  stumpfwinklig  oder  rechtwinklig 
ist  U.S. w.  Und  sie  kennt  keinen  Unterschied  zwischen  Dreiecken 
der  „Wirkliclikeit"  und  Dreiecken  der  ,,Idee",  d.  i.  Dreiecken 
die  als  Bilder  im  Geiste  schweben.  Was  a  priori  unverträglich 
ist,  ist  es  schlechthin,  also  auch  im  Bilde.     Das  adäquate  Bild 


'  Vgl.  oben  8.  127  sub  3. 
*  Vgl.  oben  8.  128  sab  5. 


eines  Dreiecks  ist  selbst  ein  Dreieck.  So  täuscht  sich  Locke, 
wenn  er  die  ausdrückliche  Anerkennung  der  evidenten  Nicht- 
existenz  eines  realen  allgemoineu  Dreiecks  mit  dessen  Existenz 
in  der  Vorstellung  glaubt  verbinden  zu  können.  Er  übersieht, 
dafs  psychisches  Sein  auch  reales  Sein  ist,  und  dafs,  wenn  man 
Vorgestellt-sein  und  Wirklich-sein  gegenüber  stellt,  damit  nicht 
auf  den  Gegensatz  von  Psyefiischem  und  Aufserpsychischem  ab- 
gezielt ist  und  abgezielt  sein  darf,  sondern  auf  den  Gegensatz 
zwischen  Vorgestelltem  in  dem  Sinne  von  blols  Gemeintem,  und 
Wahrem  in  dorn  Sinne  von  dem  der  Meinung  Entsprechenden, 
üemeint-sein  heifst  aber  nicht  Psychisch -real -sein. 

Vor  Allem  hätte  sich  Locke  auch  sagen  müssen:  Ein  Dreieck 
ist  etwas,  das  Dreieckigkeit  hat.  Die  Dreieckigkeit  ist  aber  nicht 
selbst  Etwas,  das  Dreieckigkeit  hat.  Die  allgemeine  Idee  vom  Drei- 
eck, als  Idee  der  Dreieckigkeit,  ist  also  Idee  von  dem,  was  von 
jedem  Dreieck  als  solchem  gehabt  wird;  nicht  ist  sie  aber  die  Idee 
von  einem  Dreieck  selbst.  Nennt  man  die  allgemeine  Bedeutung 
Begriff,  das  Attribut  selbst  Begriffsinhalt,  jedes  Subject  zu 
diesem  Attribut  Begriffsgegenstand,  so  kauu  man  dies  auch 
so  ausdrücken:  Es  ist  absurd,  den  Begriffsinhalt  zugleich  als 
Begriftkgegenstand  zu  fassen,  oder  den  Begriösinhalt  dem  Begriffs- 
umfang  einzuordnen.^ 

Man  bemerkt  übrigens,  dafs  Locke  die  Absurditäten  noch 
häuft,  indem  er  das  allgemeine  Dreieck  nicht  nur  als  ein  Dreieck 
fafst,  welches  aller  spocitisehen  DitTerenzen  bar  ist,  sondern  auch 
als  ein  Dreieck,  das  sie  alle  zugleich  vereinigt,*  also  dem  In- 
halt des  Dreieckbegril^'s  den  Umfang  der  ihn  eintheilenden  Arten 
unterschiebt.  Dies  ist  aber  bei  Locke  nur  ein  ganz  vorüber- 
gehender Lapsus.  Jedesfalls  bieten,  wie  ersichtlich,  die  „Schwierig- 
keiten" der  allgemeinen  Bedeutungen  keinen  AnlaCs  zu  ernstlichen 
Klagen  über  die  „UnvoUkommenheit''   des  menschlichen  Geistes. 


'  Ich  würiie  es  also  nicht  ganz  correct  finden,  mit  Mhnoso  zu  sagen, 
Locke  verwechsle  den  Inhalt  und  Umfang  de.s  Begriffs.  Vgl.  Hume-Studien  I,  5 
(Sitzungsber.  der  phil.-hist.  Klasse  der  Wiener  Ac.  d.  W.  Jhrg.  1877,  S.  187). 

*  Vgl.  das  ubige  Citat  iu  §  9,  S.  126  an  der  letzten  betonten  Stelle. 


134  n.    Die  ifUale  Einheit  der  Species. 


Anmerkung. 

Wie  wenig  dio  Irrtliiliner  der  LocKE'schen  Lehre  von  den  allge- 
meinen Ideen  liishcr  geklürt  sind,  zeigt  unter  Anderem'  die  neuere 
Beliandlung  der  Lcdiro  von  den  allgenioineti  Gegenständen,  die  man  nacli 
Erdmank's  Vorgange  wieder  aiifilngt  neben  den  individnelleii  Gegen- 
ständen gelten  zu  laBsen.  So  meint  TwAimowäKi ,  „was  diu-ch  die  All- 
genieiiivorstellnng  vorgestellt  wird,  sei  ein  ihr  specifiscli  eigentlitiinlicher 
Gegenstand'';*  luid  zwar  „eine  Gruppe  von  Bestandtheilen,  welche 
mehreren  Gegenständen  gemeinsam  sind".^  Der  Gegenstand  der  all- 
gemeinen Voi-stellung  sei  „ein  Theil  des  Gegenstandes  einer  ihr  unter- 
geordneten Vorstellnng,  der  zu  bestimmten  Theilen  von  Gegenständen 
anderer  Eiiizelvorstelhmgen  im  Verhältnis  der  Gleichheit  stehe''.*  Die 
allgemeine  Vorstellung  wni  eine  „in  dem  Grade  uiuMgentlicho'',  dafs  sie 
von  vielen  für  unvollziehbar  gehalten  worden  sei.  „Dafs  es  solche 
Vorstellungen  dennoch  giebt,  mufs  derjenige  zugeben,  der  einräumt,  dafs 
sich  über  ihre  Gegenstände  etwas  aussagen  läfst.  Dies  ist  offenbar 
der  Fall.  Anachaulicli  vermag  Niemand  ein  aligemeines  Drei- 
eck vorzustellen;  ein  Dreieck,  welches  weder  recht-,  nocli  stumpf-, 
noch  spitzwinklich  wäre,  keine  Farbe  und  keine  bestimmte  Gröfse 
hätte;  aber  eine  indirecte  Vorstellung  von  solchen  Dreiecken  gibt  es 
ebenso  gewiis,  als  es  indirecte  Vorstellungen  eines  weifson  Rappen, 
einer  hölzernen  Stahlkanone  u.  dgl.  giebt."  „Plato's  Ideen  sind",  so 
lesen  wir  weiter,  „nichts  Anderes  als  Gegenstände  allgemeiner  Vor- 
stellungen. Plato  schrieb  diesen  Gegenständen  Existenz  zu.  Heute 
thun  wir  dies  nicht  mehr.  Der  Gegenstand  der  allgemeinen  Vor- 
steUung  wird  von  uns  vorgestellt,  oxisttrt  aber  nicht  .  .  ."^ 

Es  ist  klar,  dafs  hier  Locke's  Widersinnigkeiten  zurtckkeliren. 
Dafö  wir  von  „einem  allgemeineii  Dreieck"  eine  „indirecte  Vorstellung" 


'  Vgl.  z.  B.  auch  den  .■Vnhang  zum  5.  Kiip.  liieser  üntersuohung. 
'  Vgl.  TwARüowsKj,   „Zur  Lehre  vom   Inhalt  und  Oegenatand  der  Vor- 
stellungen"' S.  109. 

»  a.  a.  0.  S.  105. 

*  Ebendaselbbt. 

'  Die  beiden  letzten  Citate  a.  a.  0.  S.  lOti. 


haben,  ist  gewifs;  denn  damit  ist  nur  die  Bedeutung  jenes  wider- 
sinnigen Äusilrucks  gemeint.  Aber  niit  Nichten  wird  mau  zugestehen, 
dafa  die  allgemeine  Vorstellung  das  Dreieck  jene  iiidiiecte  Vor- 
stellung eines  allgemeinen  Dreiecks  sei,  oder  dal's  sie  die  Vor- 
stellung eines  Dreiecks  sei,  das  iu  allen  Di-eiecken  stecke,  ohne 
aber  spitz-,  stumpfwinklig  u.  s.  w.  zu  sein.  Twakdowbki  leugnet  ganz 
oonsequent  die  Existenz  allgemeiner  Gegenstände  —  für  die  von  ihm 
unterschobenen  Äbsin-da  mit  Recht.  Aber  wie  steht  es  mit  walu-en 
Existen/ialsätzen  derart  wie  es  giebt  Begriffe,  Sät.ie;  es  ijiebl  alge- 
braiscfie  Zahlen  u.  s.  w.?  Bei  Twardowski  heilst  ja,  ganz  wie  bei 
uns,  Existenz  nicht  soviel  wie  reale  Elxistenz. 

Schwer  verständlich  ist  es  auch ,  wie  der  allgemeine  Gegenstand, 
der  docli  ein  „Bestandtheil"  des  untergeonlneten  Concretum  sein  soll, 
der  Anschaulichkeit  entbehren  kannte,  und  nicht  vielmehr  mit  diesem 
der  Anscliauuiig  theilhaftig  werdeu  mül'ste.  Ist  ein  GesummtinhiUt 
angeschaut,  so  sind  mit  und  in  ihm  alle  seine  Einzelzüge  angeschaut, 
und  viele  von  ihnen  werden  för  sich  merklich,  sie  „heben  aioh  ab" 
und  werden  so  zu  Objecten  eigener  Anschauungen.  Sollten  wir  nicht 
mehr  sagen  düi'feu,  dafs  wir  so  gut  wie  den  grünen  Baum,  auch  die 
grüne  i'iü-bung  an  ihm  sehen?  Freilich  den  Begriff  Grün  köunen 
wir  nicht  sehen,  weiler  dun  Begriff  im  Siim  der  Bedeutung,  uihjIi 
den  Begriff  im  Sinn  des  Attributs,  der  Speeres  Grün.  Aber  es  ist 
auch  absunl,  den  Begriff  als  Theil  des  individueUen  Objects,  des 
„Begriffsgegenstandes"  zu  fassen. 


§  12.     Die  Lehre  von  den  Oetneinbildem. 

Nach  diesen  üeberlegungen  ist  es  ohne  neue  Anal3''sen  klar, 
dafs  jene  andere  Form  der  Hypostasii'ung  des  Allgemeinen,  welche 
unter  dem  Titel  „tTemoinbilder"  in  der  traditionellen  Logik 
ihre  Rolle  spielt,  mit  gleichen  Absurditäten  behaftet  und  aus  ähn- 
lichen Vermengungen  erwachsen  ist,  wie  diejenige  Locke's.  Die 
Verschwommenheit  und  Flüchtigkeit  der  Gemeinbildcr  hinsichtlich 
der  specitisclien  Differenzen  ändert  nichts  an  ihrer  Coneretion. 
Verschwommenheit  ist  eine  Bestimmtheit  gewisser  Inhalte,  sie 
besteht  in  einer  gewissen  Form  der  Continuität  qualitativer  üeber- 


136  II.   Die  ideale  Einheit  der  Species. 

gänge.  Was  aber  die  Flüchtigkeit  betrifft,  so  ändert  sie  doch 
nichts  an  der  Concretion  jedes  einzelnen  der  wechselnden  Inhalte. 
Nicht  im  wechselnden  Inhalte,  sondern  in  der  Einheit  der  auf  die 
Constanten  Merkmale  gerichteten  Intention  liegt  das  Wesentliche 
der  Sache. 


Drittes  Kapitel. 

Abstraction  und  Anfinerksamkeit 

§  13.     Nominalistische  Theorien,  welche  die  Abstraction  als  Leistung 
der  Aufmerksamkeit  fassen. 

Wir  gehen  nun  zur  Analyse  einer  einfluisreichen ,  zuerst  wol 
von  J.  St.  Mha  in  seiner  Streitschrift  gegen  Hamilton  ausgebildeten 
Abstractionstheorie  über,  nach  welcher  das  Abstrabiren  eine  blo&e 
Leistung  der  Aufmerksamkeit  sein  soll.  Zwar  giebt  es,  sagt  man, 
weder  allgemeine  Vorstellungen,  noch  allgemeine  Gegenstände; 
aber  während  wir  individuelle  Concreta  anschaulich  vorstellen, 
können  wir  eine  ausschliefsliche  Aufmerksamkeit  oder  ein  aus- 
schliefsliches  Interesse  den  verschiedenen  Theilen  und  Seiten  des 
Gegenstandes  zuwenden.  Das  Merkmal,  das  an  und  für  sich, 
nämlich  losgetrennt,  weder  wirklich  sein,  noch  vorgestellt  werden 
kann,  wird  für  sich  beachtet,  es  wird  zum  Object  eines  aus- 
schliefslichen  und  somit  von  allen  mitverbundenen  Merkmalen  ab- 
sehenden Interesses.  So  versteht  sich  der  doppelte,  bald  positive, 
bald  negative  Gebrauch  des  Wortes  Abstrahiren. 

Die  Ergänzung  zu  diesen  Hauptgedanken  bieten  dann  Be- 
trachtungen über  die  associative  Anknüpfung  der  allgemeinen 
Namen  an  diese  pointirteu  Einzelzüge  der  anschaulichen  Gegen- 
stände und  über  die  Einflüsse,  welche  die  Namen  durch  repro- 
ductive  Erweckung  dieser  Züge  und  der  habituellen  Concentration 
der  Aufmerksamkeit  auf  sie  üben.  Man  weist  darauf  hin,  wie 
sie  den  Ablauf  der  weiteren  Associationen  vorzugsweise  durch  den 
Inhalt  der  pointirten  Merkmale  bestimmen  und  so  die  sachliche 


Einheitlichkeit  in  der  Gedankenbewegung  fördern.  Die  nähere 
Ausführung  dieser  Gudanken  entneiiuien  wir  am  besten  aus  der  oben 
erwähnton  Streitsciirift  Mill's,  der  übrigens  von  seinem  conceptua- 
listischen  Gegner  Hajülton  die  Auflassung  der  Abstraction  als  einer 
Function  der  Aufmerksamkeit  übernommen  hat.    Wir  lesen: 

„  The  formaiiwi ...  uf  a  Coiicept ,  lioex  uoi  coH»ist  in  seyaraiiny  the 
attributes  whielt  are  aaid  to  compoae  it,  from  all  other  attributes  of 
the  aatne  objeet,  and  ettabling  us  to  conceive  lliose  attributes^  disjoined 
from  any  othera.  We  tieUher  conceive  Ihcin ,  nur  think  them ,  nor  cognise 
titeln  in  any  way,  as  a  (hing  apart,  bul  solely  as  forming,  in  combinatioti 
with  numerous  other  attributes,  the  idea  of  an  individual  objeci.  But, 
tliough  thinking  tfiern  only  as  pari  of  a  larger  aggUmieration,  we  have  the 
power  of  fixing  our  attention  on  tfieni,  to  the  neglect  of  the  otlier  attri- 
butes with  which  we  think  them  vombined.  White  the  concentration 
of  attention  actually  lasts,  if  it  is  nitfficienily  intense,  ive  mag  be 
temporarily  uncotisciotis  of  any  of  the  other  attributes,  and  may  really, 
for  a  brief  interval,  have  nothing  present  to  our  mind  but  tlie  attri- 
butes eonstituent  of  the  concept.  In  gtneral,  liowever,  t}u  attention  ia 
not  so  completcly  cxcliisii'e  as  this:  it  leaves  room  in  consciousness  for 
otlier  elements  of  the  conerete  idea:  tlumgh  of  these  tlie  consciausness 
is  faint,  in  proportion  of  the  energy  of  the  concentrative  effort,  and 
the  momenl  tlte  attention  relaxes,  if  the  same  conerete  idea  continues 
to  be  contemplated ,  ils  otftcr  constituents  come  out  into  consciousness. 
General  coneepts,  therefore,  we  have,  proper ly  speaking,  none;  we  liave 
only  complex  ideas  of  objects  in  tlie  conerete:  but  we  are  able  to  attend 
exclusively  to  certain  parts  of  Ute  conerete  idea:  and  by  that  exclusive 
attention,  tve  enable  those  parts  to  determine  exclusively  t/ic  coiirse  of 
our  thoughts  as  subsequently  called  up  by  associatian ;  and  are  in  a  con- 
ditioti  to  carry  on  a  train  of  medilation  or  reasoning  relating  to  those 
parts  only,  exactly  as  if  we  were  able  to  coiuxive  them  separately  from 
the  rest. 

Wliat  pritwipally  enables  us  to  do  this  is  the  employment  of  signs, 
and  parlicularlg  the  must  e/fieienl  and  familiär  kind  uf  signs,  vix.  Nantes."  • 

•  J.  ST.MlLL,  An  Emmination  of  Sir.  W.  HAMILTONS  Philosophy'; 
pag.393f 


Und  weiter  lesen  wir,'  in  Beziehung  aiif  eine  Stelle  aus 
Uaidi.ton's  liectures:  The  ratiottale  of  this  w,  Ütat  when  we  wish  to 
he  able  to  think  of  objeds  in  respect  of  cerlain  of  their  altribules  — 
to  reeall  no  uhjects  but  such  as  are  invented  with  thosc  attribtUes,  and 
to  recall  thcm  with  our  attention  direcled  to  those  attributcs  cjcclitsi- 
vely  —  we  effcct  this  hy  'jiinnij  to  that  combinalion  uf  altributes,  or 
to  tlie  class  of  objects  which  possess  thcm,  a  specific  Name.  We  cre- 
ate  an  artifieial  association  hetween  those  atträmtes  and  a  ctrtain  com- 
bination  of  articiilate  sounds,  tohit-h  (juarante-es  to  tts  that  when  wc 
hear  thc  sound,  or  see  Ihe  wriltcn  characters  corrcspondiny  to  it, 
there  will  be  raised  in  the  tnind  an  idea  of  some  object  possessing 
those  altributes,  in  which  idea  those  attributes  nlone  will  be  sugijesled 
vividly  to  the  mind,  our  consoiousness  of  tlte  remainder  of  the  con- 
erele  idea  being  faint.  As  the  name  has  been  directly  associated  otily 
with  those  altributes,  it  is  as  likely ,  in  itself,  to  recall  them  in  any 
one  concrete  cmnbination  as  in  any  olher.  What  combinalion  it  shall 
recall  in  ttte  particular  case,  depends  on  recency  ofexperience,  aceidents 
of  memory,  or  the  inftuence  of  other  ihonghts  tchiek  have  been  passing, 
or  are  even  then  passing,  Ihrough  the  mind :  accordingly ,  the  combinalion 
is  far  from  being  always  the  same,  and  seldoin  gets  itself  strongly 
associated  with  the  name  which  suggests  it;  while  the  association  of 
Ute  name  with  the  altributes  that  form  ils  conventional  signification, 
is  constantlg  becoming  stronger.  The  association  of  that  particular 
sei  of  altributes  with  a  given  word,  is  wfiat  keeps  them  together  in 
the  mind  hy  a  stronger  tie  tlian  that  with  which  tlwy  are  associated 
with  tite  remainder  of  the  concrete  imaye.  To  express  tlie  meaning  in 
Sir  W.  Hamilton's  phraseology,  this  association  gives  them  an  unity 
in  our  consoiousness.  It  is  only  when  this  Itas  been  accomplislied, 
that  we  possess  whal  Sir  W.  Hamilton  terms  a  Concept;  and  this 
is  the  whole  of  the  mental  phaencnnenon  involved  in  the  matter.  We 
have  a  concrete  re/presentation ,  cerlain  of  Hie  component  elemenls  of 
which  are  diMinguishcd  by  a  mark,  designatiny  tliem  for  special 
attention;  and  this  attention,  in  cases  of  exceptional  intcnsily ,  excludes 
all  cotisciousness  of  the  others.'' 


*  a.a.O.  8.394!. 


§  14.     Einwände,  welcfie  zugleich  jede  Form  des  Nominalismtis  treffen. 
a)   Der  Mangel  einer  descriptiven  Fixirung  der  Zieljntnkte. 

An  diesen  und  ähniicheu  Dai'stelliingon  fallt  uns  zunächst  auf, 
ilars  trotz  aller  Ausfülirliclikoit  eigentlich  gar  kein  Vorsuch  ge- 
macht wird,  das  descriptiv  (Jegebene  und  das  zu  Klärende  genau 
zu  bezeichnen  und  Beides  zu  einander  in  Bezieliiiug  zu  setzen. 
Rekapituliren  wir  unseren  eigenen,  sicherlich  khu-en  und  nutur- 
gemäTsen  Oedankengjvng.  Gegeben  sind  uns  gewisse  Unterschiede 
im  Gebiete  der  Namen;  darunter  der  Unterschied  der  Nunien, 
die  ludividuelles  und  derjenigen,  die  Specifisches  nennen.  Be- 
schränken wir  uns  der  Einfachheit  halber  auf  directe  Namen 
(Eigennamen  in  einem  weiteren  Sinne),  so  stehen  einander 
gegenüber  Namen  der  Art  wie  Sakrales  oder  Aihen  auf  der 
einen  Seite,  und  Namen  wie  Vier  (die  Zahl  Vier  als  ein- 
zelnes Glied  der  Anzahlenreihe),  c  (der  Ton  e  als  ein  Glied 
der  Tonleiter),  Roth  (als  Name  einer  Farbe)  auf  der  anderen 
Seite.  Den  Namen  entsprechen  gewisse  Bedeutungen,  und  mittelst 
ihrer  beziehen  wir  uns  auf  Gegenstände.  Welches  diese  genannten 
Gegenstände  sind,  das  kann,  sollte  man  denken,  garnicht  strittig 
sein.  Es  ist  einmal  die  Person  des  Sokrates,  die  Stadt  Athen 
oder  sonst  ein  individueller  Gegenstand;  das  andere  Mal  die 
Zahl  Vier,  die  Tonstufe  c,  die  Farbe  Roth  oder  eine  sonstige 
Species.  Was  wir  im  sinnvollen  Gebrauch  der  Worte  meinen, 
welches  die  Gegenstände  sind,  die  wir  nennen,  und  als  was  sie 
uns  dabei  gelten,  das  kann  uns  Niemand  abstreiten.  Es  ist  also 
evident,  dafe,  wenn  ich  im  generellen  Sinn  Vier  sage,  wie 
z.  B.  im  Satze  Vier  i^t  relative  Primxakt  tu  Sieben,  ich  eben 
die  Species  Vier  meine,  sie  gegenständlich  vor  dem  logischen 
Blicke  habe,  das  heilst  über  sie  als  Gegenstand  (suhjectum)  ur- 
theile,  nicht  aber  über  irgendein  Individuelles.  Ich  urthoile  also 
auch  über  keine  individuelle  Gruppe  vun  vier  Sachen  oder  über 
irgendein  constitutives  Moment,  über  irgendein  Stück  oder  eine 
Seite  einer  solchen  Gruppe;  denn  jeder  Theil  ist  als  Theil  eines 
Individuellen  selbst  wieder  individuell.     Irgendetwas  gegenständ- 


lieh,  es  zum  Subjecte  von  Prädicntionen  oder  Attributionen  zu 
machen,  ist  aber  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  Vorstellen,  und 
zwar  von  Vorstellen  in  dem  Sinne,  der  in  aller  Logik  mafsgebend 
ist  Also  besagt  unsere  Evidenz:  Es  giebt  ebenso  gut  „allgemeine 
Vorstellungen",  näniüch  Vorstellungen  von  Specifischem,  wie  es 
VorstelluDgeu  von  Individuellem  giebt. 

Wir  spraclien  von  Evidenz.  Evidenz  hinsichtlich  gegen- 
ständlicher Unterschiede  der  Bedeutungen  setzt  voraus,  dafs  wir 
über  die  Sphiire  des  blofs  symbolischen  Gebrauchs  der  Ausdrücke 
hinausgehen  und  uns  an  die  eorrespondirende  Anschauung  zur 
endgiltigeu  Belehrung  wenden.  Wir  vollziehen  auf  dem  Grunde 
anschaulicher  Vorstellung,  die  den  blofsen  Bedeutungsinteutionen 
entsprechenden  Bedeutungserfüllungen,  wir  realisiren  ihre  „eigent- 
liche" Meinung.  Thun  wir  dies  in  unserem  Falle,  so  schwebt  uns 
im  Bild  allerdings  irgendeine  einzelne  Vierergruppe  vor,  und 
insofern  liegt  sie  unserem  Vorstellen  und  ürthoilen  zu  Grunde. 
Aber  über  sie  urtheilen  wir  nicht,  sie  meinen  wir  nicht  in  der 
Subjectvorstelluug  des  obigen  Beispiels.  Nicht  die  Bildgruppe, 
sondern  die  Zahl  Vier,  die  specitische  Einheit  ist  das  Subject, 
von  dem  wir  sagen,  es  sei  relativ  prini  zu  Siebeu.  Und  natür- 
lich ist  diese  specitische  Einheit,  eigentlich  zu  reden,  »ucli  nichts 
in  und  an  der  erscheinenden  Gruppe,  denn  dergleichen  wäre  ja 
wieder  ein  Individuelles,  ein  Jetzt  und  Hier.  Aber  unser  Meinen, 
obschon  selbst  ein  Jetzt -seiendes,  meint  doch  nichts  weniger  als 
ein  Jetzt,  es  meint  die  Vier,  die  ideale,  zeitlose  Einheit. 

In  Reflexion  auf  die  Erlebnisse  des  individuellen  und  speci- 
fischen  Meinens  —  des  rein  anschaulichen,  des  rein  symbolischen  und 
des  zugleich  symbolischen  und  seine  Bedcutungsintention  erfüllen- 
den —  wären  nun  die  weitergehenden  phänomenologischen  Des- 
criptionen  zu  vollziehen.  .Sie  hätten  die  Aufgabe,  die  für  die 
Klärung  der  Erkenntnis  fundamentalen  Verhältnisse  zwischen 
blindem  (d.  i.  rein  symbolischoni)  und  intuitivem  (eigentlichem) 
Meinen  aufzuzeigen,  und  im  Gcbifto  des  intuitiven  die  verschiedene 
Weise  klarzulegen,  wie  das  itidividuolle  Bild  als  Bewufstseins- 
grundlage  fungii-t,  je  nachdem  die  Intention  auf  Individuelles  oder 


auf  Specifisches  geht.  Hierdurch  würden  wir  z.  B.  in  den  Stand 
gesetzt,  die  Frage  zu  beantworten,  wie  und  in  welchem  Sinne  das 
AlJgemeine  im  einzehien  Denkact  zu  subjecdvem  Bewufstsein 
kommen  und  wie  es  zur  unbegrenzten  (und  daher  durch  keine 
angemessene  Bildlichkeit  vorstellbaren)  Sphäre  ihm  untergeordneter 
Einzelheiton  Beziehung  gewinnen  könne. 

In  Mtti,'s  Auseinandersetzung  ist,  wie  in  allen  ähnlichen,  von 
einer  schlichten  Anerkennung  des  durch  Evidenz  Gegebenen  und 
demgeniärs  auch  von  der  Beschreitung  der  eben  vorgezeichneten 
Gedankenbahn  keine  Rede.  Das  was  als  fester  Funkt  in  der 
reflectiven  Aufklärung  gelten  raüfste,  wird  unbeachtet  bei  Seite  ge- 
schoben, und  80  verfehlt  die  Theorie  ihr  Ziel,  das  sie  von  vorn- 
herein aus  dem  Auge  verloren,  oder  vielmehr  nie  scliarf  ins  Auge 
gefal'st  hat.  Was  sie  uns  sagt,  mag  lehrreich  sein  bezüglich  dieser 
oder  jener  psychologischen  VorbeJingungeu  oder  Compünonten  des 
intuitiv  realisirten  AUgeraeinheitsbewufstseins,  oder  bezüglich  der 
psychologischen  Function  der  Zeichen  in  der  Regierung  eines  ein- 
heitlichen Gediinkenzuges  u.  dgl.  Aber  den  ubjectiveu  Sinn  der 
allgemeinen  Bedeutungen  und  die  unzweifelhafte  Walu-heit,  die  in 
der  Rede  von  allgemeinen  Gegenständen  {Subjecten,  Einzelheiten) 
und  in  den  auf  sie  bezüglichen  Prädicationen  liegt,  geht  dies  un- 
mittelbar garnichts  an,  und  die  mittelbare  Beziehung  nnifste  erst 
klargelegt  werden.  Freilich  kann  Mii.i.'s,  wie  jede  erapiristische 
Auffassung  überhaupt  auf  jene  evidenten  Ausgangs-  bezw.  Ziel- 
punkte nicht  recurriren,  da  es  ihr  so  sehr  darauf  ankommt  als 
nichtig  zu  enveisen,  was  jene  Evidenzen  als  wahrhaft  bestehend 
einsehen  lassen:  nämlich  eben  die  allgemeinen  Gegenstände  sowie 
die  allgemeinen  Vorstellungen,  in  denen  solche  Gegenstände  sich 
constituircn.  Gewifs  rufen  diese  Ausdrücke  allgemeiner  Gegenstand, 
allgemeine  Vorstellung  Erinnerungen  an  alte,  schwere  Irrthümer 
wach.  Aber  wieviele  Mißdeutungen  sie  historisch  erfahren  haben 
mögen,  es  mufs  doch  eine  normale  Deutung  geben,  die  sie  recht- 
fertigt, und  diese  normale  Deutung  kann  uns  nicht  die  genetische 
Psychologie  lehren,  sondern  nur  der  Rückgang  auf  den  evidenten 


Sinn  der  Sätze,  die  sich  durch  generelle  Vorstellungen  aufbauen 
und  sich  auf  aligemeino  Gegenstände,  als  die  Subjecte  ihrer  Prä- 
dicationen  beziehen. 

§  1 5.     b)  Der  JJrsyrrung  des  moderMn  Nomhialiamus  als 
übempanuie  lieaclion  gegen  Lockes  Lettre  von  den  allgeinemen  Ideen. 
Der  we^entliclte  Ouirakter   dieses  Notninalismus  utul  die   Absiraelions- 
iheorie  durch  Aufmerksamkeit. 
Die  Abstraotionstheorie  Mn.i.'s  und  seiner  ompiristischen  Nach- 
folger verrennt  sich,  ganz  sowie  die  Abstractionatheorien  Beukelkys 
und  Hüme's,  in  die  Bekämpfung  des  Irrthums  der  „abstracten  Ideen". 
Sie  verrennt  sich  darin,   sofern    sie  sich   durch  den   zufälligen 
Umstand,  dals  L<h;ke  in  der  Interpretation   der  allgemeinen  Vor- 
stellnngen  auf  sein  ab.surdes  allgemeines   Dreieck    verfallen   war, 
zur  Meinung  verleiten   lUfst,  die  ernstgenominene  Rede   von  all- 
gemeinen Vorstellungen  verlange  nothvvendig  solch  absurde  Inter- 
pretation.   Man  übersieht,  dafs  dieser  Irrthiim  zumal  aus  der  un- 
gokUirten  Vieldeutigkeit  des  Wortes  idea  (und  ebenso  des  deutschen 
Wortes  VorsteMii ntj)  erwachsen  war,  und  dafs,  was  für  den  einen 
Begriff  absurd  ist,  für  den  anderen  möglich   und  berechtigt  sein 
kann.      Und    wie    konnte   man  dies   auf  Seiten   der    Bekämpfer 
Locke's   au<"h  sehen,  da   der  Begriff  der  Idee  bei    ihnen  in  der- 
selben Unklarheit  verblieb,  die  Lockk  irregeleitet  hatte.    In  Folge 
dieser   Sachlage   gerieth    man    in   den   neuen    Nominalismus, 
dessen  Wesen  nicht  mehr  durt^h  die  Verwerfung  des  Realismus, 
sondern  durch  die  des  (wolverstandenen)  Conceptuaüsmus  bestimmt 
ist:  man  verwai-f  nicht  nur  die  absurden  generellen  Ideen  Locke's, 
sondern   auch   die   Allgeraeiubegriffe   in    dem   vollen   und  echten 
Sinne  des  Wortes,  also  in  dem  Sinne,  den  die  Analyse  des  Denkens 
nach  seinem   objectiven   Bedeutungsgehalt  evident   aufweist,    und 
als  einen  solchen  aufweist,  der  für  die  Idee  der  Denkeinheit  con- 
stitutiv  ist 

Man  verfällt  auf  diese  Ansicht  durch  Mifsverständnisse  psycho- 
logischer Analyse.  Die  natürliche  Neigung,  den  Blick  immer  nur 
auf  das  primär  Anschauliche,  und  sozusagen  Greifbare  der  logischen 


Phänoniene  zn  richten,  verfülirt  iluzu,  die  iioben  den  Namen  vor- 
findliclieu  innoroii  Bilder  iils  die  Bodeutiiiigea  der  Namen  zu  fassen. 
Macht  man  sich  aber  nur  klar,  dafs  die  Bedeutung  doch  nichts 
Anderes  ist,  als  was  wir  mit  dem  Ausdrucic  meinen,  oder  als  was 
wir  ihn  verstehen,  so  kann  man  bei  dieser  Auffassung  nicht  bleiben. 
Dann  läge  die  Meinimg  iu  den  nnschaiiüchen  Ein/,elvorstellungen, 
welche  uns  den  Sinn  des  allgemeinen  Namens  „klar"  machen, 
dann  wären  die  Gegenstände  dieser  Vorstellungen,  und  zwar 
schlechthin,  sowie  sie  anschaulich  vorgestellt  sind,  das  Gemeinte, 
und  jeder  Name  wäre  ein  aequivoker  Eigenname.  Um  nun  dem 
Untei-schictl  gerecht  zu  werden,  sagt  mau:  die  luischaulichen  Einzel- 
vorstellungen  sind  hier,  wo  sie  im  Zusammenhang  mit  den  all- 
gemeinen Namen  auftreten,  Träger  neuer  psychologischer  Func- 
tionen, derart,  dafs  sie  andersartige  Voi-stelhingsverläufe  bestimmen, 
sich  dem  Ablauf  der  Uenkvorgänge  in  anderer  Weise  einfügen  oder 
ihn  in  anderer  Weise  regieren. 

Indessen  ist  damit  garnichts  gesagt,  was  irgendwie  zur  phä- 
nomenologischen Sachlage  gehören  würde.  Wir  meinen,  hier  und 
jetzt,  in  dem  Augenblick,  wu  wir  den  allgemeinen  Namen  sinn- 
voll aussprechen,  ein  Allgemeines,  und  dieses  Meinen  ist  ein  Anderes 
als  in  dem  Falle,  wo  wir  ein  Individuelles  meinen.  Dieser  Unter- 
schied mufs  im  descriptiven  Oelialt  des  vereinzelten  Er- 
lebnisses, im  einzelnen  actueilen  Vollzug  der  generellen  Aussago, 
nachgewiesen  werden.  Was  sich  causal  daran  knüpfen,  was  für 
psychologische  Erfolge  das  jeweilige  Erlebnis  nach  sich  ziehen 
mag,  das  geht  uns  hier  garnichts.  an.  Es  geht  die  Psychologie 
der  Absti'action,  nicht  aber  ihre  Phänomenologie  an. 

Unter  dem  Einflufs  dor  nominalistischen  Strömung  unserer 
Zeit  droht  sich  der  Begriff  des  Concoptualisnuis  allerdings  zu  ver- 
schieben, so  dafs  man  J.  St.  Mill,  der  sich  selbst  mit  solcher 
Entschiedenheit  als  Nominalisten  bezeichnet,  deu  Nominalisraus 
streitig  machen  will.'  Aber  nicht  dürfen  wir  dies  als  das  Wesent- 
liche des  Nominalismus  auffassen,  dafs  er  in  der  Absicht,  Sinn 


I 


und  tbooretische  Loistimg  des  Allgemeinen  aufzuklären,  sich  in 
das  blinde  associative  Spiel  der  Namen  als  bk>Iser  Wortlaute  ver- 
liert; sondern  dafs  er  überhaupt,  und  zwar  in  Absicht  auf  solche 
Aufklärung,  daseigenthümlicheBewufstseinübei-sieht,  welches 
sich  einerseits  im  lebendig  empfundenen  Sinn  der  Zeichen,  in  ihrem 
actuellen  Verstehen,  in  dem  verständigen  Sinn  des  Aussagens  be- 
kundet, und  andererseits  in  den  correlaten  Acten  der  Ei-füllung, 
welche  das  „eigentliche"  Vorstellen  des  Allgemeinen  ausmachen, 
mit  anderen  Worten  in  der  actuellen  Abstraction,  in  der  uns  das 
Allgemeine  „selbst"  gegeben  ist.  Dieses  Bewurstsein  bedeutet  uns, 
was  es  bedeutet,  ob  wir  von  aller  Psychologie,  von  den  psychi- 
schen Antecedentien  und  Consoquenzen,  von  associativen  Disposi- 
tionen u.  dgl.  etwas  wissen  oder  nicht.  Wollte  der  Nominalist 
dieses  AUgemeinheitsbewurstsein  genetisch  erklären,  wollte  er 
sagen,  dasselbe  hänge  causal  von  diesen  oder  jenen  Factoren  ab, 
von  den  oder  Jonen  vorgängigen  Erlebnissen,  unbewulsten  Dispo- 
sitionen u.  dgl.,  so  hätten  wir  dagegen  keinen  principiellen  Ein- 
wand. Wir  würden  nur  bemerken,  diese  genetischen  Thatsachen 
seien  für  die  reine  Logik  und  Erkenntnistheorie  ohne  Interesse. 
Statt  dessen  aber  sagt  der  Nominalist:  Die  unterscheidende  Rede 
von  allgemeinen  Vorstellungen  im  Gegensatz  zu  den  individuellen 
ist  eigentlich  bedeutungslos.  Es  giebt  keine  Abstraction  in  dem 
Sinne  eines  eigenartigen,  den  allgemeinen  Namen  und  Bedeutungen 
Evidenz  verschaffenden  Allgcmeinheitsbewul'stseins;  in  Wahrheit 
giebt  es  nur  individuelle  Anschauungen  und  ein  Spiel  von  be- 
wufsteu  und  unbewufsten  Vorgängen,  die  uns  über  die  Sphäre 
des  ludividuelSen  nicht  hinausführen  und  keine  wesentlich  neue 
Gegenständlichkeit  constituiren. 

Jedes  Denkerlebnis,  wie  jedes  psychische  Erlebnis,  hat  causal 
beti'aehtet,  seine  Ursachen  und  Folgen,  es  greift  irgendwie  in  das 
Getriebe  des  Lebens  hinein  und  übt  seine  genetischen  Functionen. 
In  die  Sphäre  der  Phänomenologie  und  vor  Allem  in  die  der 
Erkenntnistheorie  (als  der  phänomenologischen  Klärung  der 
idealen  Denk-  bezw.  Erkenntniseinheiten)  gehört  aber  nur  das, 
was  wir  meinen,  während  wii*  aussagen;  was  dieses  Meinen  als 


Abstraction  tmd  Aufmerksamkeit.  145 

solches,  nach  seinem  Sinne  constituirt;  wie  es  sich  aus  Theil- 
meinangen  aufbaut;  welche  wesentlichen  Formen  und  Unterschiede 
es  aufweist;  und  dergleichen  mehr.  Was  die  Erkenntnistheorie  inter- 
essirt,  mufs  aosschliefsiich  im  Inhalt  des  Bedeatungs-  und 
Erfüllungserlebnisses  selbst  aufgewiesen  werden.  Wenn  wir 
unter  diesem  evident  Aufweisbaren  auch  den  Unterschied  zwisclien 
allgemeinen  und  individuell -anschaulichen  Vorstellungen  vorfinden 
(was  doch  zweifellos  statthat),  dann  kann  keine  Rede  von  gene- 
tischen Functionen  und  Zusammenhängen  daran  etwas  ändern, 
oder  auch  nur  zu  seiner  Aufklärung  etwas  beitragen. 

In  diesen  Beziehungen  kommt  man  aber  nicht  erheblich  weiter 
und  entgeht  unseren  Einwänden  nicht,  wenn  man,  wie  Mill  es 
thut,  die  ausschliefsliche  Aufmerksamkeit  auf  eine  einzelne 
attributive  Bestimmtheit  (auf  einen  unselbständigen  Zug)  des  an- 
schaulichen Gegenstandes  als  den  im  actuellen  Bewufstsein  liegen- 
den Act  ansieht,  der  den  Namen,  bei  der  gegebenen  genetischen 
Sachlage,  seine  „allgemeine"  Bedeutung  verschafft  Wenn  neuere 
Forscher,  die  hier  Mill's  Auffassung  (obschon  nicht  seine  extrem 
empiristischen  Tendenzen)  theilen,  sich  selbst  Conceptualisten 
nennen,  sofern  ja  mit  dem  die  „Attribute"  vergegenständlichenden 
Interesse  der  Bestand  allgemeiner  Bedeutungen  gewährleistet  sei, 
so  ist  doch  und  bleibt  ihre  Lehre  eine  in  Wahrheit  nomina- 
listische. 

Die  Allgemeinheit  bleibt  dabei  die  Sache  der  associativen 
Function  der  Zeichen,  sie  besteht  in  der  psychologisch  geregelten 
Anknüpfung  „desselben  Zeichens"  an  „dasselbe"  gegenständliche 
Moment  —  oder  vielmehr  an  das  in  immer  gleicher  Bestimmtheit 
wiederkehrende  und  fallweise  durch  Aufmerksamkeit  betonte  Moment 
Aber  diese  Allgemeinheit  der  psychologischen  Function 
ist  nichts  weniger  als  die  Allgemeinheit,  die  zum  intentio- 
nalen  Inhalt  der  logischen  Erlebnisse  selbst  gehört; 
oder  objectiv  und  ideal  gesprochen,  die  zu  den  Bedeutungen 
und  Bedeutungserfüllungen  gehört  Diese  letztere  Allgemein- 
heit geht  dem  Nominalismus  ganz  verloren. 

Hasierl,  Log.  Untera.  n.  10 


§  1 6.     c)    Allgemeinheit  der  psychologischen  Function  und  die 

Allgemeinheit  als  Bedeutungsform.    Der  vrrsehiedefie  Sinn  der  Beziehung 

des  Allgemeinen  auf  eifien  umfang. 

Um  dioseii  wiclitif^en  üntei-schied  zwiscfien  der  AllKOnifinheit 
der  psyehologisflien  Function  uml  der  Allo;emeinlieil,  die  zum 
Bedeutungsgehalt  selbst  gehört,  zu  völliger  Deutlichkeit  zu  bringen, 
ist  es  durchaus  nöthig  auf  die  verschiedenen  logischen  Functionen 
der  allgemeinen  Namen  nnd  Bedeutungen  zu  achten,  und  im 
Zusammenhange  damit  auf  den  verecliicdeuen  Sinn  der  Rede  von 
ihrer  Allgemeinheit,  oder  von  ihrer  Beziehung  auf  einen  Umfang 
von  Einzelheiten. 

Wir  stellen  folgende  drei  Formen  neheneinander:  ein  A, 
alle  A,  (las  A  übahdiipf;  z.  B.  ein  Dreieck,  alte  Dreiecke,  das 
Dreieck,  letztei-es  nach  Mafsgabe  des  Satzes  das  Drciech  ist  eine 
Figur  intei7)retirt. ' 

In  priidicativor  Function  kann  der  Ausdruck  ein  A  in  un- 
begrenzt vielen  kategorischen  Aussagen  als  Prädicat  dienen,  und 
der  Inbegriff  der  wahren,  oder  in  sicli  mögliclien  Aussagen  dieser 
Art  bestimmt  alle  möglichen  Subjecte,  denen  es  wahrhaft  zu- 
kommt oder  ohne  Unverträglichkeit  zukommen  könnte,  ciit  A  zu 
sein;  also  mit  einem  Worte,  den  walrren  oder  möglichen  „Um- 
fang" des  „Begriffes"  A.  Die  allgemeine  Bedeutung  A,  bezw. 
eiti  A,  bezieht  sich  auf  alle  Gegenstände  des  Umfangs  (wir  nehmen 
der  Einfachheit  halber  den  Umfang  im  Sinne  von  Wahrheit),  das 
heilst,  es  gelten  die  Sätze  des  bezeichneten  Inbegriffs;  und  sxib- 
jectiv  gesprochen,  es  sind  die  Urtheilo  von  entsprechendem  Inhalt 

'  Das  Wort,  welches  der  Buchstabe  A  in  solchen  Vorbiudungen  aym- 
bolisirt,  sdieint  zunächst  als  synkategorematiscli  gelten  zu  müssen.  Die  Aus- 
drücke: der  Löwe,  ein  Löwe,  dieser  Löwe,  alle  Löwen  u.  s,  w.  hnben  siclieilich, 
und  sogar  evident,  ein  Büdeutungseleiiient  gemein;  aber  e.s  IHbt  sich,  könnt« 
man  denken,  nicht  isolireu.  Wir  können  zwar  blofs  sagen  „Uwe",  aber  einen 
selbständigen  Sitm  haben  kann  das  Wort  nur  nai;h  Mafsgabe  einer  jener  Formen. 
Ob  jedoch  nicht  die  eine  dieser  Bedeutungen  in  allen  anderen  enthalten  ist, 
ob  nicht  die  directe  Vorstellung  der  zu  A  geböiigeu  Species  in  all  den  übrigen 
Bedeutungen  steckt? 


hIs  evidente  möglich.  Diese  Allgemeinheit  gehört  also  zur  logi- 
schen Function  dos  Prädicatcs.  Im  ein/.olnen  Acte,  im  jeweiligen 
Vollziige  (ter  BtMleutung  ein  A,  oder  des  entsprei'heniloi)  luljec- 
tiviscben  Prädicutes,  ist  sie  nichts;  sie  wird  in  ihm  litirc!)  die 
Form  der  Unbestimmtheit  vertreten.  Wns  das  Wörtclien  ein  aus- 
drückt, ist  eine  Form,  die  evidenti»rm«rsen  dem  Actchanikter,  der 
Bedeutungsintention,  hezw.  ßcdentungserfüllimg  zugehört.  Es  ist 
ein  schlechthin  irrethictibles  Bewufstseinsraoment,  dessen  Eigenart 
man  nur  anerkennen,  iiber  durch  keinerlei  psychologisch -geneti- 
sche Betrachtungen  wegdeuten  kann.  Ideal  zu  letlen:  das  Ein 
drückt  eine  primitive  logische  Form  aus.  Aelinliches  gilt  offen- 
bar von  der  Weise  der  Verknüpfung  in  der  Complexion  ein  A^ 
die  eben  eine  primitive  logische  Comploxionsform  darstellt. 

Die  Allgemeinheit,  von  der  wir  hier  sprechen,  gehört,  sagten 
wir,  zur  logischen  Function  der  Prädicate,  sie  besteht  als  logi- 
sche Möglichkeit  von  Siit/.on  gewisser  Art.  Die  Betonung  des 
logischen  Charakters  dieser  Möglichkeit  besagt,  dafs  es  sich  um 
eine  o  priori  einzuseliende,  zu  den  Bedeutungen  als  specifisclien 
Einheiten,  nicht  aber  zu  den  p.sjchologisch  zufälligen  Acten  ge- 
hörige Möglichkeit  handelt.  Sehen  wir  ein,  dafs  roth  ein  allge- 
meines, d.  h.  au  viele  mögliche  Objecte  anzuknüpfendes  Priidicat 
ist,  so  geht  die  Meinung  nicht  auf  das,  was  im  realen  Sinne, 
nach  Naturgesetzen,  die  das  Koramen  und  Gehen  der  zeitlichen 
Erlebnisse  regeln,  sein  kann.  Von  Erlebnissen  ist  hier  gar  keine 
Rede,  sondern  v»)n  dem  Einen  und  identischen  Priidicat  rof/i  und 
von  der  Möglichkeit  gewisser,  im  selben  Sinne  einheitlicher  Sätze, 
in  welchen  dieses  selbe  Prädicat  auftritt. 

Gehen  wir  zur  Form  alte  A  über,  so  gehört  liier  die  Allge- 
meinheit zur  Form  des  Actes  selbst.  Ausdrücklich  meinen  wir 
ja  alk  Af  auf  sie  alle  bezieht  sich  im  univei-sollen  Urtheil  unser 
Vorstellen  und  Prädiciren,  obschon  wir  vielleicht  nicht  ein  ein- 
ziges A  „selbst"  oder  „direct"  vorstellen.  Diese  Vorstellung  des 
Umfangs  ist  eben  keine  Comple-xion  von  Vorstellungen  der  Glieder 
des  Umfangs,  und  ist  es  so  wenig,  dafs  die  etwa  vorschweben- 
den Einzelvorstellungen  überhaupt   nicht  zur  Bedeutungsintention 

10* 


des  alle  A  goliören.  Auch  hier  weist  das  Alle  auf  eine  eigen- 
thümliche  Bedeiitiingsforni  hin,  wobei  es  daliingestellt  bleiben 
kann,  ob  sie  in  einfachere  Formen   auflösbar  ist  oder  nicht. 

Betrachten  wir  schliefslich  die  Form  das  A  (in  specie),  so 
gehört  auch  jetzt  wieder  die  Allgenioinlieit  zu  dem  Bedeutungs- 
gehalt st'lbst.  Aber  hier  tritt  uns  eine  ganz  aiulersartigf  Allge- 
meinheit entgegen,  die  des  Specifischen,  die  nur  Umfangsulignnu-in- 
heit  in  sehr  nahen  logischen  Beziehungen  steht,  aber  von  ihr 
evident  unterschieden  ist.  Die  Formen  das  A  und  alle  A  (ebenso: 
irgend  ein  A  iilierhaitjd  -  gleichgiltig  welches)  sind  nicht  be- 
deutungs-identisch;  ihre  Verschieden iieit  ist  keine  „blul's  gram- 
matiseho"  und  am  Ende  gar  nur  durch  den  Wortlaut  be- 
stimmte. Es  sind  logisch  unterschiedene  Formen,  wesentlichen 
Bedeutungsunterschieden  Ausdruck  gebend.  Das  Bewufstsein  der 
specifischen  Altgetneinheit  mufs  als  eine  wesentlich  neue  Weise 
des  „Voi-stellens''  gelten,  und  zwar  als  eine  solche,  die  nicht  blofs 
eine  neue  Weise  der  Vorstellung  individueller  Einzelheiten  dar- 
stellt, sondern  eine  neue  Art  von  Einzelheiten  zum  Bewufstsein 
bringt,  nämlich  die  specifischen  Einzelheiten.  Was  das  für 
Einzelheiten  sind,  und  wie  sie  sich  n  prion  zu  den  individuellen 
Einzelheiton  verhalten,  bezw.  von  ihnen  untei-scheiden,  das  ist 
natürlich  aus  den  logischen  Wahrheiten  zu  entnehmen,  die  in  den 
reinen  Formen  gründend,  für  die  einen  und  anderen  Einzelheiten 
und  ihre  wechselseitigen  Beziehungen  a  prion  gelten.  Hier  giebt 
es  keine  Unklarheit  und  keine  mögliuhe  V^erirruug,  wofern  man 
sich  an  den  schlichten  Sinn  dieser  Wahrheiten,  oder  was  dasselbe 
ist,  an  den  schlichten  Sinn  der  betreffenden  Bedeutungsformen 
hält,  deren  evidente  Interpretationen  eben  logische  Wahrheiton 
heifsen.  Eret  die  fehlerhafte  Metabasis  in  psychologistische  und 
metaphysische  Gedankengänge  bringt  die  Unklarheit;  sie  sr'luifFt 
die  Scheinproblerae  und  die  Scheintheorien  zu  ihrer  Lösung. 


I 


§  17.     d)  Anwendung  auf  die  Kritik  des  Nominalismus. 

Keliren  wir  nun  zur  nominalistischen  Abstractjonstheorie  wieder 
zurück,  so  irrt  sie,  wie  wir  aus  dem  Vorstehenden  entnehmen,  vor 


Allem  darin,  dafs  sie  die  Bowiirstseiusformen  (die  Intentionsforraen 
und  die  ihnen  correlaten  Erfüll ungsfürniiju)  in  ihren  inL'diietibein 
Eigenheiten  ganz  übersieht.  Bei  der  Muiigelhuftigkoit  ilirer  descrip- 
tivun  Analyse  fehlt  ihr  die  Einsicht,  dafs  die  lugisohea  Furmon 
nichts  weiter  sind,  als  diese  ins  Einlieitsbowurstseiu  erhobenen,  also 
selbst  wieder  zu  idealen  Specics  ubjecüvirten  Formen  der  Bedeu- 
tungsintention. Und  zu  diesen  Formen  gehört  eben  auch  die  All- 
gemeinheit. Der  Nominalismus  vermengt  ferner  die  verschiedenen 
Begriffe  von  Allgemeinheit,  die  wir  oben  gesondert  haben.  Er  be- 
vorzugt einseitig  die  Allgemeinheit,  die  zu  den  Begriffen  in  ihrer 
prädicativen  Function  und  zwar  als  Möglichkeit  gehört,  denselben 
Begriff  an  mehrere  Subjecto  prädicativ  anzuknüpfen,  üa  er  aber  den 
logisch-idealen,  in  der  bedeutungsiiiäfsigün  Form  wurzelnden  Cha- 
rakter dieser  Möglichkeit  verkennt,  schiebt  er  ihr  psychologische 
Zusammenhänge  nuter,  die  dem  Sinn  der  betreffenden  Prädicato  und 
Sätze  uoth wendig  fremd,  ja  mit  iJim  incommensui'abel  sind.  Da 
er  zugleich  den  Anspruch  erhebt,  in  solchen  psychologischen  Ana- 
lysen das  Wesen  der  allgemeinen  Bedeutungen  vollständig  geklärt 
zu  haben,  wird  durch  seine  Vermengungen  in  besonders  crasser 
Weise  die  Allgemeinheit  des  univei-sellen  und  die  des  specifischeu 
VorsteUens  betroffen,  von  welchen  wir  erkannten,  dals  sie  zum 
bedeutungsniäfsigou  Wesen  tles  einzelnen  Actes  für  sich,  als  ihm 
einwohnende  ßedeutungsformen  gehören.  Das,  was  phänomeno- 
logisch den  einzelnen  Act  mitconstituirt,  erscheint  nun  in  ein 
psychologisches  Spiel  von  Ereignissen  umgedeutet,  die  für  den 
einzelnen  Act,  in  dem  doch  das  volle  und  ganze  AUgemeiuheits- 
bewufiätsein  lebendig  ist,  nichts  zu  sagen  haben,  es  sei  denn  in 
der  Weise  von  Wirkungen  oder  ürsaclien. 


§  18.     Die  Lehre  von  der  Aufmerksamkeit 
als  generalisireiuier  Kraß. 

Dutvii  die  letzte  kritische  Bemerkung  werden  allerdings  einige 
neuere,  an  Miu,  (oder,  weiter  zurückzugehen,  an  Berkeley)  an- 
knüpfende Forscher  nicht  betroffen,  sofern  sie  das  Problem,  wie 
die  Species  als  unterschiedslose   Einheit  gegenüber   der  Mannig- 


I 


faltigkeit  erwächst,  gesondert  stellen  und  es  ohne  Recurs  auf  die 
Allgemeinheit  der  associativen  Function,  bezw.  auf  die  allgemeine 
Verwendung  desselben  Namens  und  Begriffs  auf  alle  Gegenstände 
seines  Umfange«,  zu  lösen  versuchen. 

Der  Gedanke  ist  hiebei  folgender: 

Die  Abstraktion  als  ausschliefsendes  Interesse  be- 
wirkt eo  ipso  Verallgemeinerung.  De  facto  ist  das  abstrahirte 
Attribut  freilich  nur  ein  Be.standstück  in  der  Erscheinung  der 
individuellen  Ciiuii>le.\iyn  von  Attributen,  die  wir  den  phänome- 
nalen Gegenstand  nennen.  Aber  in  nn/.iihligen  solclien  Complexionen 
kann  „dasselbe"  Attribut,  d.  b.  ein  inhaltlich  völlig  gleiches  auf- 
treten. Was  die  Wiederholungen  dieses  selben  Attiibutes  von  Fall 
zu  Fall  unterscheidet,  ist  einzig  und  allein  die  individnalisirende 
Verknüpfung.  Somit  bewirkt  die  Abstracfion,  als  aussebüefsliches 
Interesse,  dafs  die  UntiTscIiiodenbeit  des;  Abstrabirten,  seine  In- 
dividualisation  verloren  geht.  Das  als  Kehreeite  der  concentrii-ten 
Zuwendung  gegebene  Absehen  von  allen  individualisirenden 
Momenten,  liefert  das  Attribut  als  Etwas,  das  in  der  Tbat  überall 
ein  und  dasselbe  ist,  weil  es  sich  in  allen  Fällen  zu  vollziebeudor 
Abstraction  nicht  als  nnterechieden  darstellen  kann. 

In  dieser  Auffassung,  sagt  man,  ist  zugleich  alles  enthalten, 
was  zum  Verständnis  des  allgemeinen  Denkens  nöthig  ist.  —  Wir 
lassen  hier  am  Besten  dem  genialen  Bischof  von  Ci.oyne  das  Wort, 
der  hinsichtlich  der  vorgetragenen  Lehre  der  erste  Anreger  war, 
obschon  er  in  seiner  eigenen  auch  noch  anderen  Gedanken  Eintlufs 
gönnt,  als  hier  berührt  worden  sind.  Es  erscheint,  meint  er,  zunächst 
als  eine  Schwierigkeit,  „wie  wir  anders  wissen  können,  dafs  ein  Satz 
von  allen  einzelnen  Dreiecken  wahr  sei,  als  wenn  wir  ihn  zuerst 
an  der  abstracten  Idee  eines  Dreiecks,  die  von  allen  einzelnen 
gleichmäfsig  gelte,  bewiesen  gesehen  haben.  Denn  daraus,  dafs 
gezeigt  sein  mag,  eine  Eigenschaft  komme  irgendeinem  einzelnen 
Dreieck  zu,  folgt  ja  doch  nicht,  dafs  dieselbe  gleicherweise  auch 
irgendeinem  anderen  Dreieck  zukomme,  welches  nicht  in  jedem 
Betracht  identisch  mit  jenem  ist.  Habe  ich  z.  B.  gezeigt,  dafs  die 
"'■^Val    eines    gleichschenkeligen    rechtwinkeligen    Dreiecks 


zwei  rechten  Winkeln  gleich  seien,  so  kann  ich  hieraus  nicht 
schliefsen,  dufs  das  Nänilii^ho  von  allen  anderen  Dreiecken  gelte, 
welche  weder  einen  rechten  Winkel,  noch  zwei  einander  gleiche 
Seiten  haben.  Es  scheint  demnach,  lials  wir,  um  gewifs  zu  sein, 
dals  dieser  Satz  allgctnein  wahr  sei,  entweder  einen  besonderen 
Beweis  für  jedes  einzelne  Dreieck  führen  müssen,  was  unmöglich 
ist,  oder  es  ein-  für  allemal  zeigen  müssen  an  der  allgemeinen 
Idee  eines  Dreiecks,  woran  alle  einzelnen  unterschiedslos  theil- 
haben,  und  wodurch  sie  alle  gleichmiifsig  rcpräsentirt  werden/' 

„Darauf  antworte  ich,  dals,  obsebon  die  Idee,  die  ich  im  Auge 
habe,  während  ich  den  Beweis  führe,  z.  B.  die  eines  gleich- 
schenkeligen  rechtwinkeligen  Dreiecks  ist,  dessen  Seiten  von  einer 
bestimmten  Länge  sind,  ich  nichtsdestoweniger  gewifs  sein  kann, 
dei-selbe  Beweis  finde  Anwendung  auf  alle  anderen  geradlinigen 
Dreiecke,  von  welcher  Form  oder  Grüfse  auch  inuner  dieselben 
sein  mögen,  und  zwar  darum,  weil  weder  der  rechte  Winkel,  noch 
die  Gleichheit  zweier  Seiten,  noch  auch  die  bestimmte  Dinge  der 
Seiten  irgendwie  bei  der  Beweistuhrung  in  Betracht  gezogen 
worden  sind.  Zwar  trägt  das  Gebilde,  welches  ich  vor  Augen 
habe,  alle  diese  Besonderheiten  an  sich,  aber  es  ist  durchaus  keine 
Erwähnung  derselben  in  dem  Beweise  des  Satzes  geschehen. 
Es  ist  nicht  gesagt  worden,  die  drei  Winkel  seien  darum  zwei 
rechten  gleich,  weil  einer  von  ihnen  ein  rechter  sei,  oder  weil  die 
Seiten,  welche  diesen  einschlielsen,  gleich  lang  seien,  was  aus- 
reichend zeigt,  dal's  der  Winkel,  der  ein  rechter  ist,  ein  schiefer 
hätte  sein  mögen  und  die  Seiten  ungleich,  tmd  dafs  nichtsdesto- 
weniger der  Beweis  giltig  geblieben  wäre.  Aus  diesem  Grunde 
und  nicht  darum,  weil  ich  von  der  nbstracten  Idee  eines  Dreiecks 
den  Beweis  geliefert  hätte,  scbliefse  ich,  dafs  das  von  einem  ein- 
zelnen rechtwinkeligen  gleichschenkeligen  Dreieck  Erwiesene  von 
jedem  schiefwinkeligen  und  ungleichseitigen  Dreieck  walir  sei.  Es 
muTs  hier  zugegeben  werden,  dafs  es  möglich  ist,  eine  Figur 
_blofs  als  Dreieck  zu  betrachten,  ohne  dafs  man  auf  die 
sonderen  Eigenschaften  der  Winkel  oder  Verhältnisse 
Fer  Seiten   achtet.     Insoweit  kann   man  abstrahiren;  aber  dies 


152  //.   Die  ideale  Einheit  der  Species. 

bev\reist  keineswegs,  dafs  man  eine  abstracte  allgemeine,  mit  inne- 
rem Widerspruch  behaftete  Idee  eines  Dreiecks  büden  könne.  In 
gleicher  Art  können  wir  Peter,  insofern  er  ein  Mensch  ist,  be- 
trachten, ohne  die  vorerwähnte  abstracte  Idee  eines  Menschen  oder 
eines  lebendigen  Wesens  zu  bilden,  indem  nicht  alles  Ferci- 
pirte  in  Betracht  gezogen  wird."' 

§  19.     Einwä/nde.   a)  Das  ausscJdiefsliche  Achten  auf  ein  Merkmals- 
motnent  behebt  nicht  dessen  Individualität. 

Dals  wir  diese,  zunächst  so  ansprechende  Auffassung  ablehnen 
müssen,  wird  uns  sofort  klar,  wenn  wir  uns  das  Ziel  vergegen- 
wärtigen, dem  die  Abstractionstheorie  zu  dienen  hat,  nämlich  den 
Unterschied  der  allgemeinen  und  individuellen  Bedeutungen  zu 
klären,  d.  i.  dessen  anschauliches  Wesen  herauszustellen.  Die  in- 
tuitiven Acte  sollen  wir  uns  vergegenwärtigen,  in  weichen  sich 
die  blofsen  Wortintentionen  (die  symbolischen  Bedeutungen)  mit 
Anschauung  erfüllen  und  sich  so  erfüllen,  dafs  wir  sehen  können, 
was  mit  den  Ausdrücken  und  Bedeutungen  „eigentlich  gemeint" 
sei.  Die  Abstraction  soll  hier  also  der  Act  sein,  in  dem  sich  das 
Allgemeinheitsbewufstsein  als  die  Erfüllung  der  Intention  all- 
gemeiner Namen  vollzieht  Dies  müssen  wir  im  Auge  behalten. 
Sehen  wir  nun  zu,  ob  die  auszeichnende  Aufmerksamkeit  zu  dieser 
eben  klargelegten  Leistung  befähigt  ist,  und  zumal  ob  sie  es  unter 
der  Voraussetzung  ist,  welche  in  der  Theorie  eine  wesentliche 
Rolle  spielt:  nämlich  dafs  der  Inhalt,  den  die  abstractive  Auf- 
merksamkeit auszeichnet,  ein  constitutives  Moment  des  con- 
creten  Gegenstandes  der  Anschauung  ist,  ein  Merkmal,  das  ihm 
reell  einwohnt 

Wie  immer  die  Aufmerksamkeit  charakterisirt  werden  mag, 
sie  ist  eine  Function,  die  in  descriptiv  eigenartiger  Weise  Gegen- 
stände des  Bewulstseins  bevorzugt  und  sich  (von  gewissen  graduellen 
Unterschieden  abgesehen)  von  Fall  zu  Fall  auch  nur  durch  die 


■  IJSREELET ,  A  Treatise  eoneeming  the  Principles  of  Human  Knmckdge. 
Eiulcitung,  §  16  (nach  Ueukrwkos  Uebersetzung  S.  12  f.). 


Geg:enstände  unterscheidet,  denen  sie  diese  Bevorzugung  ertheilt, 
Fülglicli  kann  nach  der  Theoriu,  die  das  Abstrahiren  mit  dem 
Aufmerken  identilicirt,  zwischen  dem  Meinen  des  Individuellen, 
wie  es  z.B.  zur  Intention  der  Eigennamen  gehört,  und  dem  Meinen 
des  Allgemeinen,  das  den  Namen  vi)n  Attributen  anliaftot,  kein 
wesentlicher  Unterschied  sein;  er  besteht  eben  nur  durin,  dafs 
einmal  der  ganze  individuelle  Gegenstand,  das  andere  Mal  das 
Atti'ibut  gleichsam  mit  dem  geistigen  Blick  fixirt  wird.  Nun  fragen 
wir  aber,  üb  denn  das  Attribut,  da  es  doch  im  Sinne  der  Theorie 
ein  coustituireudes  Moment  des  üegenstandes  sein  soll, 
nicht  genau  so  ein  individuell  ilinzelnes  sein  miifste,  wie  der  ganze 
Gegenstand.  Angenommen  wir  concentriren  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  das  Oriin  des  eben  vor  uns  stehenden  Baumes.  Wer  es  bei 
sich  zu  ermöglichen  vermag,  steigere  die  Concentration  gar  bis 
zu  der  von  Mill'  angenommenen  Hewufstlosigkeit  hinsichtlich  aller 
mit  verbundenen  Momente  Üunn  sind,  wie  man  sagt,  die  sämmt- 
lichen  irgend  fafsbai-en  Anlialtspunkte  für  den  Vollzug  der  indivi- 
dualisirenden  Untorschpidting  entsclnvuiideii.  Wüi-de  uns  plötzlieii 
ein  anderes  Object  von  genau  gleicher  Färbung  unterschoben, 
wir  würden  keinen  unterschied  merken,  das  Grün,  dem  wir  aus- 
schiiefslich  zugewendet  sind,  wäre  für  uns  eines  und  dasselbe. 
Lassen  wir  all  das  gelten.  Aber  wäre  nun  dieses  Grün  wirklich 
dasselbe  wie  jenes?  Kann  unsere  Vergefslichkeit  oder  unsere  ab- 
sichtliche Blindheit  für  alles  Unterscheidende  irgendetwas  daran 
ändern,  daJs,  was  objectiv  verschieden  ist,  nacli  wie  vor  ver- 
schieden bleibt,  und  dafa  das  gegenständliche  Moment,  das  wir 
beachten,  eben  dieses  hier  und  jetzt  seiende  ist  und  kein 
anderes? 

Wir  können  doch  nicht  bezweifeln,  dafs  die  Verschiodonhoit 
wirklich  besteht.  Mit  Evidenz  lehrt  die  Vergleichung  zweier  con- 
creter  getrennter  Ei-scheinungen  von  „derselben"  Qualität,  etwa  „dem- 
selben" Grün,  dafs  eine  jede  ihr  Grün  hat.  Die  beiden  Erschei- 
nungen sind  nicht  miteinander  verwachsen,  als  ob  sie  „dasselbe" 


■  Vgl.  z.  6.  die  Sciüulswortti  des  Citatü  obuu  S.  138. 


Grün  ais  individuell-Identisches  gemeinsam  hätten;  vielmehr  ist 
das  Grün  des  einen  von  deiujeiiigi.'ii  des  Aiulern  real  so  jjetrennt 
wie  die  concrettni  (Janzen,  denen  sie  einwohnen.  Wie  gäbe  es 
auch  sonst  einheitliche  (jnalitative  Configurationen,  in  welchen 
dieselbe  Qualität  wierlerhult  auftreten  kann,  und  welchen  Sinn 
hätte  noch  die  Rede  von  der  Ausbreitung  einer  Farbe  über  eine 
ganze  Fläche.  Jeder  geometrischen  Zerstückung  der  Fläche  ent- 
spricht evidentermafsen  auch  eine  Zeretückung  der  oinheitlicbon 
Fiirbung,  wahrend  wir  doch,  unter  Voraussetzimg  völlig  gleicher 
Färbung,  sagen  und  sagen  dürfen,  „die"  Farbe  sei  überall 
„dieselbe". 

Danach  giebt  uils  die  Theorie  gar  keinen  Aufschlufs  über  den 
Sinn  der  Rede  von  dem  identisch  Einen  Attribut,  von  der  Species 
als  Einheit  in  der  Manuigtaltigkcit.  Es  ist  evident,  dals  diese 
Rede  etwas  Anderes  nuiint  als  das  gegenständliche  Moment,  das 
als  Einzelfall  der  Species  in  die  sinnliche  Erscheinung  tritt.  Aus- 
sagen, die  für  den  Einzelfall  Sinn  und  Wahrheit  haben,  werden 
für  Species  falsch  und  geradezu  widersinnig.  Die  Färbung  hat 
ihren  Ort  und  ihre  Zeit,  sie  breitet  sich  aus  und  hat  ihre  Stärke, 
sie  entsteht  und  vergeht.  Auf  die  Farbe  als  Species  angewon<!et, 
geben  diese  Prädicate  lauter  Widersinn.  Wenn  ein  Haus  abbrennt, 
so  brennen  alle  Theile  ab;  die  individuellen  Formen  und  Quali- 
täten, alle  constituirendcn  Theile  und  Momente  überhaupt,  sind 
nun  dabin.  Sind  nun  etwa  die  UetrefTenden  geometrischen,  quali- 
tativen und  sonstigen  Species  verbrannt,  oder  ist  davou  zu  reden 
nicht  die  pure  Absurdität? 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen.  Ist  die  Aufiuerksumkeits- 
theorie  der  Abstraction  richtig,  und  ist  in  ihrem  Siune  das  Auf- 
merken auf  das  ganze  Objcct  und  das  Aufmerken  auf  seine  Theile 
und  Merkmale  im  Wesen  ein  und  derselbe  Act,  nur  eben  durch 
die  Objectc  untci-schieden,  auf  die  er  sich  richtet,  so  giebt  es  für 
unser  Bewufstscin,  für  unser  Wissen,  für  unser  Aussagen  keine 
Species.  Ob  wir  uutcrscheideii  nder  verwechseln,  das  Bewufstsein 
richtet  sich  dann  idlczeif  auf  itidividurll  Einzelnes,  und  als  .solches 
ist  dieses  ihm  gegenwärtig.  Da  man  es  nun  aber  nicht  leugnen  kann. 


I 


dafs  wir  in  distinctem  Sinn  von  Species  sprechen,  dals  wir  in 
unzähligen  Füllen  nicht  das  Einzelne,  sondern  seine  Idee  meinen 
und  nennen,  dafs  wir  über  dieses  ideal  Eine  als  Subject  genau 
so  Aussagen  niafhen  können,  wie  über  das  individuell  Einzelne, 
so  verfehlt  die  Theorie  ihr  Ziel;  sie  will  das  Äügenieinheits- 
bewufstaein  aufkliiren  und  giebt  es  im  Inhalt  ihrer  Aufklärungen 
preis. 

§  20.    b)    Widerlegung  rfcs  Argumentes  aus  dem  geometrischen  Denken. 

Wie  steht  es  nun  aber  mit  den  Viirtheilcn,  welche  die  Theorie 
für  das  Vefötiinduis  des  allgemeinen  Denkens  verspricht?  Ist  nicht 
richtig,  was  Behkxlky  so  eindringlich  ausführt,  dafs  wir  im  geo- 
metrischen Beweis  eines  auf  alle  Dreiecke  bezüglichen  Satzes  nur 
jeweils  ein  imlividiiellos  Dreieck,  das  der  Zeichnung,  im  Auge 
iuiben,  und  dafs  wir  dabei  nur  von  den  Bestimmungen  Gebrauch 
machen,  die  ein  Dreieck  überhaupt  als  Dreieck  kennzeichnen, 
während  wir  von  allen  anderen  absehen r*  Wir  machen  nur  von 
diesen  Bestimnuaigen  Gebrauch,  das  heilst,  nur  auf  sie  sind  wir 
achtsam,  wir  machen  sie  zu  Objecten  eines  auB.scliliefsendon  Auf- 
merkens.  Wir  kommen  also  ohne  die  Annahme  allgemeiner 
Ideen  aus. 

Das  Letztere  gowifs  —  wofern  wir  darunter  die  Ideen  der 
LocKE'schen  Lehre  verstehen.  Aber  diese  Klippe  zu  vurmeiden, 
brauchen  wir  uns  noch  lange  nicht  in  die  Irrwege  der  nomina- 
iistischcn  Lehre  zu  verlieren.  Bkrkeley's  Ausführung  können  wir 
im  Wesentlichen  durchaus  billigen;  aber  die  Deutung,  die  er  ihr 
unterlegt,  müssen  wir  ablehnen.  Er  verwechselt  die  Grundlage 
der  Abstraction  mit  dem  Abstrahirten,  den  concreten  Einzelfall, 
aus  dem  sich  das  Allgemeinheitsbewufstsein  seine  intiutive  Fülle 
schöpft,  mit  dem  Gegenstande  der  Denkintention.  BEitKELKV  spricht 
so,  als  üb  der  geometrische  Beweis  für  das  Tiutendivieck  auf  dorn 
Papier  oder  für  das  Kroidodreieck  auf  der  Tafel  geführt  würde, 
uml  als  ob  im  allgemeinen  Denken  überhaupt  die  uns  zufällig 
vorschwebenden  Einzelobjecte  statt  blofser  Stützen  unserer  Denk- 
intention, deren  Objecto  wären.    Ein  geometrisches  Verfahren,  das 


156  //.    Die  ideale  Einheit  der  Spedes. 

sich  in  Berkkley's  Sinne  nach  der  gezeichneten  Figur  richtete, 
würde  gar  merkwürdige  Resultate  ergeben,  aber  schwerlich  sehr 
erfreuliche.  Für  das  Gezeichnete  im  physischen  Sinn  gilt  kein 
geometrischer  Satz,  weil  es  eigentlich  keine  gerade,  keine  geometrische 
Figur  überhaupt  ist  und  je  sein  kann.  Die  idealen  geometrischen 
Bestimmtheiten  sind  in  ihm  nicht  vorfindlich,  sowie  es  etwa  in 
der  Anschauung  des  Farbigen  die  Farbe  ist.  Gewife  blickt  der 
Mathematiker  auf  die  Zeichnung  hin,  und  sie  erscheint  ihm  in 
der  Weise  eines  sonstigen  Anschauungsobjectes.  Aber  in  keinem 
seiner  Denkacte  meint  er  diese  Zeichnung,  und  meint  er  einen 
individuellen  Einzelzug  in  ihr;  sondern  er  meint,  wofern  er  nicht 
abschweift,  „eine  Gerade  überhaupt".  Dieser  Gedanke  ist  das 
Subjectglied  seines  theoretischen  Beweises. 

Das,  worauf  wir  also  achten,  ist  weder  das  concrete  Object 
der  Anschauung,  noch  ein  „abstracter  Theilinhalt"  (d.  h.  ein  un- 
selbständiges Moment)  desselben,  vielmehr  ist  es  die  Idee  im 
Sinne  der  specifischen  Einheit.  Sie  ist  das  Abstractum  im  logischen 
Sinne;  und  demgemäfs  ist  logisch  oder  erkenntnistheoretisch  als 
Abstraction  nicht  das  blofse  Hervorheben  eines  Theiliuhalts,  sondern 
das  eigenartige  Bewuistsein  zu  bezeichnen,  das  die  speciüsche  Ein- 
heit auf  dem  intuitiven  Grunde  direct  erfafst. 

§  21.     Der  Unterschied  xivischen  dem  Aufmerken 

auf  ein  unselbständiges  Moment  des  angeseliauten   Gegenstandes  und 

dem  Aufmerken  auf  das  cntsprecJiende  Attribut  in  specie. 

Es  dürfte  nicht  unnütz  sein ,  den  Schwierigkeiten  der  bestrittenen 
Theorie  noch  ein  wenig  nachzugehen.  Im  durchgeführten  Gegen- 
satz wird  unsere  eigene  Auffassung  an  Deutlichkeit  gewinnen. 

Das  concentrirte  Aufmerken  auf  ein  attributives  Moment  soll 
die  intuitive  Erfüllung  (die  „eigentliche"*  Meinung)  der  allgemeinen 
Bedeutung  ausmachen,  die  dem  Namen  des  zugehörigen  Attributs 
anhaftet.  Die  Species  intuitiv  meinen,  und  die  concentrirte  Auf- 
merksamkeit vollziehen,  soll  einerlei  sein.  Aber  wie  verhält  es 
sich,  fragen  wir  nun,  mit  den  Fällen,  wo  wir  es  ausdrücklich 


I 


auf  das  indi virlnelle  Moment  abgesehen  haben?  Was 
macht  beidereeits  don  unterschied  aus?  Wenn  uns  irgendein 
individueller  Zug  am  Gegenstande,  seine  eigenthümliche  Färbung, 
seine  edle  Form  u.  dgl.  auffällt,  so  achten  wir  speciell  auf  diesen 
Zug  und  doch  vollziehen  wir  keine  allgemeine  Vorstellung.  Die- 
selbe Frage  betrifft  die  vollen  Concreta.  Worin  liegt  der  Unter- 
schied zwischen  der  ausschliefslielien  Aufmerksamkeit  auf  die 
individuell  erscheinende  Statue  und  dem  intuitiven  Erfassen  der 
entsprechenden  Idee,  die  in  unzähligen  realen  Statuen  zu  ver- 
wirklichen wäre? 

Von  der  Gegenseite  wird  nuui  wol  antworten:  Bei  der  indivi- 
duellen Betrachtung  fallen  die  individualisirenden  Momente  in  den 
Bereich  des  Interesses,  bei  der  specifischen  Betrachtung  bleiben 
sie  ausgeschlossen;  „das  Interesse  gelit  nur  auf  das  Allgemeine",  d.  i. 
auf  einen  Inhalt,  der  für  sich  zur  individuellen  Unterscheidung 
nicht  ausreicht  Statt  hier  den  obigen  Einwand  zu  urgiren  — 
ob  denn  das  Achten  auf  die  individualisirenden  Bestimmungen 
die  Individualität  erst  macht,  und  das  Nicht-achten  sie  wieder 
aiifliebt  —  werfen  wir  vielmehr  die  Frage  auf,  nb  wir  in  der  in- 
dividuellen Betrachtung  die  individualisirenden  Momente,  die  wir 
doch  mitbeachten  sollen,  nothwendig  auch  meinen.  Nennt  der 
individuelle  Eigenname  implicite  auch  die  individualisirenden  Be- 
stimmungen, also  etwa  die  Zeitlichkeit  und  Oertlichkeit?  Hier 
steht  Freund  Hans  und  ich  nenne  ihn  Hans.  Zweifellos  ist  er 
individuell  bestimmt,  ihm  kommt  jeweils  ein  bestimmter  Ort,  eine 
bestimmte  Zeitstelle  zu.  Wären  diese  Bestimmtheiten  aber  mit- 
gemeint, so  änderte  der  Name  seine  Bedeutung  mit  jedem  Schritte, 
den  Freund  Haus  eben  macht,  und  mit  jedem  einzelnen  Falle, 
wo  ich  ihn  namentlich  nannte.  Schwerlich  wird  man  derartiges 
behaupten,  und  auch  zu  der  Ausflucht  wird  miin  sieh  nicht  wenden 
wollen,  dals  der  Eigenname  eigentlich  ein  allgemeiner  Name  sei: 
als  ob  die  ihm  eignende  AllgemeinLeit  in  Relation  zu  den  mannig- 
faltigen Erscheinungen  desselben  dinglichen  Individuums  nicht  in 
der  Form  verschieden  wäre  von  der  specifischen  Allgemeinheit  des 
Attributs  oder  der  dinglichen  Oattungsidee. 


Jedenfalls  ist  uns  das  Hier  und  Jetzt  bei  der  nnfmerksnmen 
Betrachtung  eines  Stückes  oder  chiirakteristisolien  Zuges  am  Ge- 
genstande oft  genug  gleicligiltig.  Wir  merken  also  nicht  speciell 
tlarauf,  während  wir  doch  nicht  daran  denken,  eine  Abstraction 
in  dem  Sinne  einer  allgemeinen  Vorstellung  zu  vollziehen. 

Vielleioht  sucht  man  sicli  hier  durch  die  Annahme  zu  helfen, 
dafs  die  intiiviciualisirenden  Bestimmungen  nebenbei  beachtet 
seien.  Aber  dies  kann  uns  wenig  nützen.  Nebenbei  ist  gar  Vieles 
bemerkt,  aber  darum  lange  noch  nicht  gemeint.  Wo  sich  das  All- 
gcmeinhi'itsbewurstsein  intuitiv,  als  wahre  und  echte  Abstraction 
vollzieht,  ist  der  individuelle  Oegensttuul  der  fundircnden  An- 
schauung sicherlich  mitboacbtet,  obschon  durchaus  nicht  gemeint. 
Miu/s  Rede  von  der  Bewufstlosigkeit  hinsiciitlicli  der  abstractiv 
ausgeschlossenen  Bestimmungen  ist  eine,  genau  genommen,  un- 
nütze und  sogar  absurde  Fiction. '  In  den  häufigen  Fällen,  wo 
wir  im  Hinblick  auf  eine  anschauliche  Einzeithatsache  die  ent- 
sprechende Allgemeinheit  aussprechen,  bleibt  das  Einzelne  vor 
unseren  Augen,  wir  sind  für  das  Individuelle  des  Falls  nicht 
plötzlich  blind  gewurden;  sicherlich  nicht,  wenn  wir  z.B.  auf  diesen 
blühenden  Jasmin  hinblicken  und,  seinen  üuft  einathmend,  aus- 
sagen:  Jasmin  hat  einen  berauschenden  Duft. 

Wollte  man  endlich  zu  der  neuen  Ausflucht  greifen,  dafs  das 
Individunlisirende  zwar  nicht  so  speciell  beachtet  sei.  wie  das, 
wofür  wir  vorzüglich  interessirt  sind,  auch  nicht  nebenbei  beachtet, 
wie  die  ganz  aufserhalb  des  herrschenden  Interesses  liegenden  Ob- 
jecte,  vielmehr  mitbeachtot,  als  mit  zu  diesem  Interesse  gehörig 
und  von  seiner  Intention  in  eigenthümlicher  Weise  implicirt  — 
so  verläfst  man  schon  den  Boden   der  Theorie.     Sie  erhob  doch 


'  Man  sieht  leicht,  iaSa  im  Gefolge  dieser  angeblicheo  ,Bewu£jtIosigkeit'' 
der  absurde  ^lüfitnftöi  dor  I/joKE'sohen  aUgemRinen  Idee  wiederkehrte.  Was 
nicht  „bewufet"  ist,  kann  uiclit  BewuIäteB  difforenziireD  Würo  ein  aussclilieüs- 
licheR  Aubtea  auf  das  Itreieckmoinent  überhaupt  derart  mögticb,  doTs  die 
difforenziirt'üdeu  Charaktyre  aus  dem  DewufstHeiu  ver.schwitniieii,  so  wäre  der 
„bewurstu"  (jegenstand,  der  aiiscliaiüiolie,  Dreieck  überhaupt  und  iiitihto 
weiter. 


den  Ansprncli  mit  dem  blofsen  pnintirenden  Hinblicken  auf  den 
gegebenen  concreteti  fieK''"stund  oder  auf  die  in  Ibiii  gegebene 
Besonderheit  auszukommen,  und  nun  endet  sie  damit,  unterschiedone 
Bewufstseinsformen  zu  supponiren,  die  sie  ersparen  sollte. 


§  22.     Fundamentale  Mängel  in  tler  phänomenologischen  Analyse 
der  Aufmerksamkeit. 

Dies  lenkt  uns  zugleich  auf  den  wundesten  Punkt  der  Theorie. 
Er  liegt  in  der  Frage:  Was  ist  Aufmerksamkeit?  Wir  machen  es 
ilerThem-ie  natürlich  nicht  zum  Vorwurfe,  dafs  .sie  uns  keine  durch- 
geführte Phänomenologie  und  Psychologie  der  Aufmerksamkeit 
bietet,  sondern  dafs  sie  nicht  in  dem  Mafse  das  Wesen  der  Auf- 
merksamkeit klart,  wie  es  für  ihre  Zwecke  durchaus  erforderlich 
ist.'  Dessen  mufste  sie  sich  vergewissem,  was  dem  Worte  Auf- 
merksamkeit den  einheitlichen  Sinn  giebt,  um  dann  zuzusehen  wie 
weit  der  Umfang  seiner  Anwendung  roieht,  und  welelies  jeweils 
die  Gegenstände  sind,  die  im  normalen  Sinn  als  die  beachteten  zu 
gelten  haben.  Und  sie  mufste  sich  vor  Allem  auch  fragen,  wie  sich 
das  Aufmerken  zum  Bedeuten  oder  Meinen  verhalte,  das  die  Namen 
und  die  sonstigen  Au.^idrücke  zu  sinnvollen  macht.  Eine  Abslrac- 
tionstheorie  der  bestrittenen  Art  wird  nur  dui-cli  das  schon  von 
Locke  eingeführte  Vorurtheil  möglich,  dafs  die  Gegenstände,  worauf 
sieh  das  Bevvufstsein  in  seinen  Acten  unmittelbar  und  eigentlich 
richtet,  und  speciell,  dafs  die  Gegenstände  des  Aufmerkens  notli- 
wendig  psychische  Inhalte,  reelle  Vorkommnisse  des  Bevvufstsoins 
sein  müfsten.  Es  scheint  ja  ganz  selbstverständlich:  Unmittelbar 
kann  sieh  der  Bewufstseinsact  nur  an  dem  betliätigen,  was  in  ihm 
wirklieb  gegeben  ist,  an  den  Inhalten,  die  es  constituiren.   Aufser- 


'  A.  V.  MeiNO.No  iirtheilte  (1877)  in  Rcineii  anregenden  Huma-Studien 
(T,  !fi  [IftB])  ander».  „Gohiirt',  sagte  or,  die  Aiifnierksaniki;it  nm:li  zu  jenen 
Tliafsachen  des  j^eistigen  Lebens,  für  deren  Erklärung  die  Psycliologie  nocli  am 
allerwenigsten  getlian  hat,  so  kennen  wir  sie  dock.  Dank  der  inneren  Erfahning, 
gut  genug,  dafs  die  Krage  nach  der  Abstraution  wenigstens  als  gelöst  zu  be- 
trachten ist,  subald  sich  diese,  wie  ...  kaum  zweifelhaft  sein  kann,  auf  die 
Phänuinene  der  Aufuierksainkeit  und  Ideenassociation  zurückfilbren  läfst.* 


160  //.    Die  ideale  Einheit  der  Species. 

bewufstes  kann  also  nur  mittelbarer  Gegenstand  eines  Actes  sein, 
und  dies  geschieht  einfach  dadurch,  dafs  der  unmittelbare  Inhalt 
des  Actes,  sein  erster  Gegenstand,  als  Repräsentant,  als  Zeichen 
oder  als  Bild  des  nicht  Bewufsten  fungiri 

Hat  man  sich  an  diese  Betrachtunpweise  gewöhnt,  so  kommt 
es  leicht,  dafs  man,  um  die  objectiven  Verhältnisse  und  Formen 
zu  klären,  die  zur  Intention  der  Acte  gehören,  vor  Allem  auf  die 
präsenten  Bewufstseinsinhalte  als  die  vermeintlich  unmittelbaren 
Gegenstände  hinblickt  und  dann,  durch  die  scheinbare  Selbst- 
verständlichkeit der  Rede  von  Repräsentanten  oder  Zeichen  ge- 
täuscht, die  eigentlichen,  angeblich  mittelbaren  Gegenstände  der 
Acte  ganz  aulser  acht  läfst.  Den  Inhalten  mifst  man  nun  un- 
vermerkt all  das  bei,  was  die  Acte,  nach  ihrer  schlichten  Meinung, 
in  den  Gegenstand  legen;  seine  Attribute,  seine  Farben,  For- 
men u.  8.  w.  werden  dann  ohne  Weiteres  als  Inhalte  bezeichnet  und 
wirklich  als  Inhalte  im  psychologischen  Sinn,  z.B.  als  Empfindungen, 
gedeutet. 

Wie  sehr  diese  ganze  Auffassung  den  klarsten  Aussagen  der 
Erfahrung  widerstreitet,  und  wieviel  Unheil  sie  in  der  Erkenntnis' 
theorie  angerichtet  hat,  werden  wir  noch  reichlich  zu  beobachten 
Gelegenheit  haben.  Hier  mag  es  genügen,  darauf  hinzuweisen, 
dafs,  wenn  wir  beispielsweise  ein  Pferd  vorstellen  oder  beurtheilen, 
wir  eben  das  Pferd  und  nicht  unsere  jeweiligen  Empfindungen 
vorstellen  und  beurtheilen.  Das  Letztere  thun  wir  offenbar  erst 
in  der  psychologischen  Reflexion,  deren  Auffassungsweisen  wir 
nicht  in  den  unmittelbaren  Thatbestand  hineindeuten  dürfen.  Dafs 
der  zugehörige  Belauf  an  Empfindungen  oder  Phantasmen  erlobt 
und  in  diesem  Sinne  bewufst  ist,  besagt  nicht  und  kann  nicht 
besagen,  dafs  er  Gegenstand  eines  Bewufstseins  in  dem  Sinne 
eines  darauf  gerichteten  Wahrnehmens,  Vorstellens,  ürtheilens  ist 

Diese  verkehrte  Auffassung  übt  nun  auch  auf  die  Abstractions- 
lehre  ihre  schädlichen  Einflüsse.  Durch  jene  vermeintlichen  Selbst- 
verständlichkeiten beirrt,  nimmt  man  als  die  normalen  Objecto, 
auf  die  wir  aufmerksam  sind,  die  erlebten  Inhalte.  Das  erschei- 
nende Concretum  gilt  als  eine  Complexion  zu  einem  Anschauungs- 


Ahstraelion  und  Aufmerksamkeit. 


161 


bild  verwachsener  Inhalte,  nämlich  der  Ath-ibute.  Und  von  diesen 
als  (erlebte,  psychische)  Inlialte  gefafsten  Attributen  heifst  es  dann, 
sie  könnten  vemiöge  ihrer  Unselbständigkeit  von  dem  concret  voll- 
ständigen Bilde  nicht  abgetrennt,  sondern  nur  an  ihm  beachtet 
werden.  Wie  durch  eine  solche  Abstraetionstheorio  die  absti-acten 
Ideen  jener  Klasse  attributiver  Bestimnuingen  erwachsen  sollen, 
die  zwar  wahrgenommen,  aher  ihrer  Natur  nach  niemals  adäquat 
wahrgenommen,  also  nie  in  Form  eines  psychischen  Inhalts  gegeben 
sein  können,  ist  unverständlich.  Ich  erinnere  nur  an  die  dreidimen 
sionalen  RaiimgesLilten,  zumal  an  die  geschlossenen  Körperflächen 
oder  die  vollen  Körper,  wie  Kugel  und  Würfel,  üod  wie  steht 
es  mit  der  Unzahl  begrifflicher  Yorstellungeu,  die  allenfalls  unter 
Mithilfe  der  sinnlichen  Anschauung  reaüsirt  werden  und  denen 
doch  kein  anschauliches  Moment,  auch  nicht  in  der  Sphäre  der 
inneren  Sinnlichkeit,  als  Einzelfall  entspricht?  Von  einem  blofsen 
Achten  anf  das  in  (sinnlicher)  Anschauung  Gegebene,  und  gar 
auf  die  erlebten  Inhalte,  kann  hier  gewifs  keine  Rede  sein. 

Wir  auf  unserem  Standpunkt  würden  zunächst  in  der,  bisher 
um  der  Einfachheit  willen  meist  bevorzugten,  Sphäre  der  sinn- 
lichen Abstraction  unterscheiden:  zwischen  den  Acten,  In  denen 
ein  attributives  Moment  anschaulich  „gegeben"  ist,  und  den  darauf 
gebauten  Acten,  die  statt  Acte  blofser  Aufmerksamkeit  auf  dieses 
Moment,  vielmehr  neuartige  Acte  sind,  welche  generalisirend  die 
zugehörigen  Species  meinen.  Ob  die  Anschauung  das  attributive 
Moment  in  adäquater  Weise  giebt  oder  nicht,  darauf  kommt  es 
hiebei  nicht  an.  Ergänzend  würden  wir  dann  unterscheiden;  die 
Fälle  der  sinnlichen  Abstraction.  d.  h.  der  sich  der  sinnlichen  An- 
schauung schlicht  und  eventuell  adäquat  anmessenden  Abstraction; 
und  die  Fälle  unsinnlicher,  oder  höchstens  partiell  sinnlicher 
Abstraction;  d.  h.  die  Fälle,  wo  sich  das  realisirte  AUgemeinheits- 
bewufstsein  höchstens  zum  Theil  auf  Acten  der  sinnlichen  An- 
schauung, und  dann  zum  anderen  Theil  auf  nichtsinnlichen  Acten 
autbaut  und  somit  gedankliche  Formen  in  sich  schliefst,  die  sich 
ihrer  Natur  nach  in  keiner  Sinnlichkeit  erfüllen  können.  Für  das 
Erstere  bieten  die  ungemischten  Begriffe  ans  äufserer  oder  innerer 


Bnsiorl,  Log.  Unten.  U. 


11 


Sinnlichkeit,  wie  Farbe,  Geräusch,  Schmerz,  Urtheil,  "Wille,  für 
das  Letztere  ßog^-iffe  wie  Reihe,  Summe,  Disjunctivum,  Identität, 
Sein  u.  dgl.  passende  Beispiele.  Dieser  Unterschied  wird  uns  in 
den  weiterfolgenden  Untersuchungen  noch  ernstlich  beschäftigen 
müssen. 

§  23.     Die  sinngemäfse  Hede  von  der  Aufmerksamkeit 
umfafst  die  gesammte  Sphäre  des  Denketis  und  nicht  blofs  die  des 

Ansehauens. 

Der  einheitliche  Sinn  der  Rode  vom  Aufmerken  fordert  so  wenig 
Inhalte  im  i>syc.hulogischeii  Sinn  als  die  Gegenstände,  auf  welclio  wir 
merken,  dals  er  über  die  Sphäre  der  Anschauung  liinansreicht  und 
die  gesammte  Sphäre  des  Denkens  umfafst.  Es  ist  dabei  gleich- 
gütig, wie  das  Denken  sich  vollzieht,  ob  anschaulieh  fundirt  uJer  rein 
symbolisch.  Sind  wir  mit  der  (iiHur  der  Rena issa nee,  der  Philo- 
sophie des  AUerthiivis,  dem  E>itmckliiinjs(/a>i(/e  der  nstronomi- 
schen  VorsieUungeit,  mit  elUpiischen  Functionen,  Curcen  n'" 
Ordnvmj,  Geselxen  algebraischer  Operationen  ii.  s.  w.  theoretiscli 
beschäftigt,  so  sind  wir  auf  all  das  aufmerksam.  Vollzielieu  wir 
einen  Gedanken  der  Form  irgemlcin  A,  so  sind  wir  darin  eben 
auf  irgendein  A  und  nicht  auf  dieses  da  aufmerksam.  Hat  unser 
Urtheil  die  Form  alk  A  sind  D,  so  gehört  unsere  Aufmerksam- 
keit diesem  allgemeinen  Sachverhalt,  es  handelt  sich  uns  um  die 
Allheit,  und  nicht  um  diese  oder  jene  Einzelheit.  Und  so  über- 
all. Nun  kann  ü'eilich  jeder  Gedanke,  oder  wenigstens  jeder  in 
sich  einstimmige,  evident  werden,  indem  er  sich  in  gewisser  Weise 
auf  „correspondirender"  Anschauung  aufbaut.  Aber  die  auf  ihrem 
Grunde,  auf  dem  der  inneren  oder  äufsereu  Sinnlichkeit  vültzogene 
Aufmerksamkeit  kann  nicht  Aufmerksamkeit  auf  ihren  phänomeno- 
logischen (descriptiv-psychologischen)  Inhalt  und  ebensowenig  auf 
lÜMi  in  ihr  erscheinenden  Gegenstand  besagen.  Das  irgendein 
mtn$gt«  oder  irgendein  beliebiges,  das  alle  oder  jedes,  das  und, 
mi^'^  mieht,  das  nenn  und  so  u.  dgl.  ist  nichts  an  einem  Gegen- 
4wr  ftuidironden  sinnlichen  Anschauung  Aufweisbares,  es  ist 
kttttod  on^ptinden  oder  gar  äufserlich  darstellen  und  malen 


liefse.  Natürlich  entsprechen  all  dem  gewisse  Acte;  die  Worte 
haben  ja  ihre  Bedeutung;  indem  wir  sie  verstehen,  vollziehen  wir 
gewisse  Foi-men,  die  zur  gegenständlichen  Intention  gehüren.  Aber 
nicht  sind  diese  Acte  (die  phänomenologiscli  betrachtet  ebenfalls 
Inhalte  sind)  das  Objective,  das  wir  meinen;  sie  sind  ja  das 
Meinen  (das  Vorstellen)  selbst,  sie  werden  nur  gegenständlich  in 
der  psychologischen  Reflexion.  Das  Objective  des  Meincns  ist 
jonachdera  der  universelle  Sachverhalt  alle  A  sind  B,  der  gene- 
relle das  A  (in  specie)  ist  B,  der  unbestimmt  singulare  irgend 
ein  A  ist  D  n.  s.  w.  "Weder  die  individuelle  Anschauung,  die 
etwa  zur  Fundirung  der  Evidenz  die  Denkvorstcllnugeu  begleitet, 
noch  die  Actcharaktere,  welche  die  Anschauung  formen  oder  sich 
in  der  geformten  intuitiv  erfüllen,  sondern  die  im  Vollzug  der 
Acte  auf  solcher  Grundlage  „einsichtig"  gewordenen  gedank- 
lichen Objecto,  die  gedanklich  so  und  so  gefafsten  Gegen- 
stände und  Sachverhalte  sind  das,  worauf  wir  aufmerksam 
sind.  Und  natürlich  besagt  die  „ Abstraction",  in  der  wir  statt 
blofs  auf  das  individuell  Anschauliche  hinzublicken  (es  aufmerk- 
sam wahrzunehmen  u.dgl.),  vielmehr  ein  Gedankliches,  Bcdeutungs- 
mäfsiges  erfassen,  gamichta  Anderes,  als  dafs  wir  in  diesem  ein- 
sichtigen Vollzug  der  gedanklichen,  bald  so  und  bald  anders 
geformten  Acte  leben. 

Der  Umfang  des  einheitlichen  Begriffes  Aufmerksamkeit 
ist  also  ein  so  weiter,  dafs  er  den  ganzen  Beroicli  des  anschauen- 
den und  denkenden  Meinens  umfafst,  also  das  des  Vorstellens 
in  einem  fest  begrenzten,  aber  hinreichend  weit  gefafsten  Sinne, 
der  Anschauen  und  Denken  gleichmäfsig  begreift  Statt  Vor- 
stellen könnten  wir  ungozvvuni^en  auch  sagen  „Bemerken''  —  wobei 
das  letztere  Wort  in  einem  entsprechend  weiten,  durchaus  sprach- 
gemäfsen  und  nicht  erst  künstlicli  erweiterten  Sinn  zu  nehmen  ist. 
(Abermals  synonym  ist  Bewufstsein,  ein  freilieh  sehr  vieldeutiges 
Wort.)  Die  unterscheidende  Rede  vom  Aufmerken,  als  einer  ge- 
wissen Bevorzugung  innerhalb  der  Sphäre  des  Bemerkens,  betrifft 
also  einen  gewissen  Uuterechied,  der  von  der  Species  der  Vor- 
stellungsart (von  der  Welse  des  Vorstellens)  unabhängig  ist.  Ge- 
ll* 


wisse  Vorstellungen  vollziehen  wir,  wahrend  wir  nicht  auf  ihre, 
sondern  auf  die  Gegenstände  anderer  Vorstellungen  „concen- 
trirt"  sind. 

Wenn  man  sich  das  Bemerken  als  eine  schlichte,  weiterer 
Beschreibung  nicht  fiiliige  "Weise  vorstellt,  wie  uns  Inhalte,  die  in 
der  Bewufstscinseinheit  sonst  zusamnienfliefsen,  zu  gesondertem 
Bewufstseiii  kommen,  wie  sie  von  uns  „herausgehoben"  oder  „vor- 
gefunden" werden;  wenn  man  in  ähnlichem  Sinne  alle  Unterschiede 
in  der  Weise  des  Vorstellens  leugnet  und  dann  die  Aufmerksam- 
keit als  eine  erhellende  und  pointirende  Function  ausiolit,  die  in 
diesem  Kreise  waltet:  so  verengt  man  in  excessiver  Weise  die 
Begriffe,  deren  weitere  Bedeutungen  man  doch  nicht  auflieben 
kann,  und  in  die  man  daher  unvermeidlicli  Kurückfallt.  Durch 
die  Verwechslung  von  Gegenstand  und  psychischem  Inhalt  ver- 
wirrt, übersieht  man,  dafs  die  Gegenstiinde,  die  uns  „bewufst" 
werden,  nicht  im  Bewufstsein  als  wie  in  einer  Schachtel  einfach 
da  sind,  dafs  man  sie  darin  blofs  vorfinden  und  nach  ihnen 
greifen  könnte;  sondern  dafs  sie  sich  in  verschiedenen  Formen 
gegenständlicher  Intention  als  das,  was  sie  uns  sind  und  gelten, 
allererst  constituiren.  Man  übersieht,  dafs  von  dem  ernstlichen 
Vorfinden  eines  psychischen  Inhalts,  d.  i.  von  dem  reinen  inneren 
Anschauen  eines  solchen,  bis  zur  äufseren  Wahrnehmung  und 
Imagination  von  wahrhaft  nicht  vorgefundenen  und  je  vorfind- 
baren Gegenständen,  und  von  da  bis  zu  den  höchsten  Gestaltungen 
des  Denkens  mit  seinen  mannigfaltigen  Bedeutungsformen ,  ein 
wesentlich  einheitlicher  Begriff  fortläuft;  dafs  überall,  ob  wir 
wahrnehmend,  phantasirend,  erinnernd  anschauen,  oder  ob  wir 
in  empirischen  und  logisch -mathematischen  Formen  denken,  ein 
Vermeinen,  lutendiren  vorhanden  ist,  das  auf  einen  Gegenstand 
abzielt.  Das  blolse  Dasein  eines  Inhalts  im  psychischen  Zu- 
sammenhang ist  aber  nichts  weniger  als  dessen  Gemeintsein.  Dies 
erwächst  zuerst  im  „Bemerken"  dieses  Inhalts,  das  als  ein  Absehen 
aif  dMselben,  eben  ein  Vorstellen  ist  Das  blofse  Erlebtsein 
^g^  lalttlts  als  dessen  Vorgestelltsein  zu  definiren,  und  in  Ueber- 
«mmm;  «Ue  erlebten  Inhalte  überhaupt  Vorstellungen  zu  nennen, 


das  ist  eine  Begriffsvei'talsclmng,  welche  in  der  Philosophie  kaum 
noch  ihresgleichen  hat.  Jedenfalls  ist  die  Zahl  der  erkenntnis- 
theoretischen und  psycliologisclien  Intliünier,  dio  sie  verschuldet 
hat,  Legion.  Halten  wir  uns  an  den  inten tionalen,  für  Erkountnis- 
theorie  und  Logik  allein  niafsgeblichen  VorstellungsbegrüT,  so 
werden  wir  nicht  mehr  urthcilen  können,  dals  aller  Unterschied 
zwischen  Vorstellen  und  Vorteilen  sich  auf  die  Unterechiede  der 
vorgestellten  „Inhalte"  reducire.  Im  Gegentheil  ist  es  evident, 
dafs  speciell  im  Gebiet  des  Reinlogischen  jeder  priiuitiven  logischen 
Form  eine  eigene  „Weise  des  Bewufstseius",  oder  eine  eigene 
„Weise  des  Vorstellens"  entspricht.  Insofern  allerdings  jede  neue 
Weise  intentionaler  Beziehung  in  gewisser  Art  immer  auch  die 
Gegenstände  betrifft,  nämlich  die  gedanklichen  Formen  schafft, 
in  welchen  die  Gegenständlichkeit  oben  gedacht  ist,  kann  man 
wo!  auch  sagen,  aller  Unterschied  des  Vorstellens  liege  im  Vor- 
gestellton. Dann  aber  mufs  man  woi  beachten,  dafs  die  Unter- 
schiede des  Vorgestellten,  der  Objectivität,  eben  zweierlei  sind, 
Unterschiede  der  bedeutangsnmfsigen  Form,  und  solche  der  Sache 
selbst,  die  in  einer  Mehrheit  von  Formen  als  eine  identische  er- 
scheinen kann.  Darüber  Näheres  in  den  weiter  folgenden  Unter- 
suchungen. 


Viertes  Kapitel. 
Abstraction  nnd  Repräsentation. 


§  24.     Die  allgeitieine   Vorsteüung  als  dmkökonomischcr  Kunstgriff. 

Es  ist  ein  vom  mittelalterlichen  Nominalismus  herstammender 
Trrthum,  wenn  man  die  allgemeinen  Begriffe  und  Namen  als  biofse 
Kunstgriffe  einer  Denkökonomie  hinzustellen  liebt,  welche  Kunst- 
griffe uns  die  Einzelbetrachtung  und  Einzelbenennung  aller  in- 
dividuellen Dinge  ersparen  sollen.  Durch  die  begriffliche  Function, 
sagt  man,  überwindet  der  denkende  Geist  die  ihm  durch  die  un- 


I 


übersehbare  Mannigfaltigkeit  der  individuellen  Einzelheiten  ge- 
steckten Schranken,  ihren  dcnkökononiischen  Leistungen  dankt  er 
die  indirecte  Erreichung  des  Erkenntnisziels,  das  auf  directem 
Wege  nimmermehr  erreichbar  wäre.  Die  allgemeinen  Begriffe 
geben  uns  die  Möglichkeit,  die  Dingo  gleichsam  bündelweise  zu 
betrachten,  mit  Einem  Schlage  für  ganze  Klassen,  also  für  Un- 
zahlen von  Objecten  Aussagen  zu  machen,  statt  jedes  Object  für 
sich  auffassen  und  beurtlieilen  zu  müssen. 

Der  neueren  Philosophie  führt  Locke  diesen  Gedanken  zu. 
So  heifst  es  z.  B.  in  den  Sclilufsworten  des  dritten  Kapitels  im 
in.  Buch  des  Essay:  „...t/iat  inen  tuaUhuj  abstract  idcas,  aitd  sdi- 
Utiff  them  in  their  minds  with  nnmes  annexed  to  tbem,  do  thereby 
enahlc  ihemselves  to  consider  thirigs,  and  discoursc  of  t/icm  as 
il  u'cre  in  Itnndlc.f,  for  llie  casicr  and  rendicr  hnprorcnicnt  and 
conununication  of  tbcir  Icnoickdijc;  uhich  ivoiild  adtance  bitt 
slowly  were  their  words  and  tlwnghts  confincd  onlij  to  parti- 
culars. " ' 

Diese  Darstellung  kennzeichnet  sich  als  eine  widersinnige, 
wenn  man  bedenkt,  dafs  sich  ohne  allgemeine  Bedeutungen  über- 
haupt keine  Aussage,  also  auch  keine  individuelle,  vollziehen 
läfst,  und  dafs  in  keinem  logisch  relevanten  Sinn  von  Denken, 
Urtheilon,  Erkennen  die  Rede  sein  kann  auf  Grund  blofs  directer 
Individualvorstclhingen.  Die  idealste  Anpassung  des  menschlichen 
Geistes  an  die  Mannigfaltigkeit  der  individuellen  Dinge,  die  wirk- 
liche und  sogar  mühelose  Durchführung  adiiquater  EinzolaulTassung 
würde  das  Denken  nicht  überllüssig  machen.  Denn  die  so  er- 
reichbaren Leistungen  sind  garnicht  die  Leistungen  des  Denkens. 

Auf  dem  Wege  der  Anschauung  liegt  z.  B.  kein  Gesetz.  Mag 
sein,  dafs  die  Kenntnis  von  Gesetzen  für  die  P^rhaltung  der  denken- 
den Wesen  förderlich,  dafs  sie  die  Bildung  anschaulicher  Er- 
wartungvorstelluugen  nützlich  regelt,  und  in  viel  nützlicherer  Weise 
regelt,  als  es  der  natürliche  Zug  der  Association  thut.     Aber  die 


'  Vgl.  auch  donScliluJs  des  Citates  im  §  9  der  vorliegsDiim  üoterauchnng, 
S.  126.  Unter  den  Neaoroii  erwäline  it-li  Rickrri  „Zur  Theorie  der  naturv^'issen- 
scbaftl.  Bogriffsl.nldung",  Viortoljahrsscbrift  f.  wiss.  Philos.  XVIII. 


Abstraetion  und  Rqträsentation. 


167 


Beziehung  der  Denkfunction  auf  die  Erhaltung  der  denkenden 
Wesen,  und  in  unserem  Falle  der  Menschheit,  geliört  in  die 
psychische  Anthropologie  und  nicht  iu  die  Erkenntniskritik.  Was 
das  Gesetz  als  ideale  Einheit  leistet,  nämlich  in  der  Weise  der 
allgemeinen  Aussagebcdoiitung  eine  Unzahl  von  niögliehon  Einzel- 
füllen logisch  in  sich  zu  befassen,  das  kann  keine  Anschauung, 
und  wäre  es  die  göttliche  Allerscbauung,  leisten.  Anschauen  ist 
Bn  nicht  denken.  Die  Vollkommenheit  des  Denkens  liegt  frei- 
Tich  im  intuitiven,  als  dem  „eigentlichen"  Denken;  bezw.  im  Er- 
kennen, wo  die  Denkinteutiou  gleichsam  befriedigt  in  Anschau- 
ung übergeilt.  Aber  schon  nach  den  kurzen  Ausführungen  im 
vorigen  Kapitel  dürfen  wir  es  als  eine  grundfalsche  Deutung  dieser 
Sachlage  bezeichnen,  wenn  man  das  Anschavien  —  verstanden  im 
gewöhnlichen  Hinne  von  Acten  der  äufseren  oder  inneren  Sinn- 
lichkeit  —  als  die  eigeutliche  intellectuelle  Function  fassen  will, 
deren  leider  allzu  enge  Schranken  durch  indirecte,  Anschauung 
sparende  Hilfsmittel  zu  überwinden,  die  wahre  Aufgabe  des  re- 
präsentativen Denkens  sei.  Allerdings  pflegt  uns  ein  allorschauonder 
Geist  als  logisches  Ideal  zu  gelten;  aber  dies  nur  darum,  weil 
wir  ihm  stillschweigend  mit  dem  Allerschauen  auch  das  Allwissen, 
das  Alldenken  und  Allerkennen,  unterlegen.  Wir  stellen  ihn  dem- 
nach als  einen  Geist  vor,  dor  sich  nicht  im  blofsen  {gedanken- 
leeren, wenn  auch  adäquaten)  Anschauen  bothätigt,  sondern  auch 
seine  Anschauungen  kategorial  formt  und  .synthetisch  verknüpft 
und  nun,  in  den  so  geformten  und  verknüpfton,  die  letzte  Er- 
füllung seiner  Denkintentionen  findet,  hierdurch  das  Ideal  der  An- 
erkenntnis realisircnd.  Wir  werden  daher  sagen  müssen:  Nicht 
blofse  Anschauung,  sondern  adäquate,  kategorial  geformte  und 
sich  so  dem  Denken  vollkommen  anmessende  Anschauung,  oder 
umgekehrt,  aus  der  Anschauung  Evidenz  schöpfendes  Denken  ist 
das  Ziel,  ist  wahres  Ii)rkennen.  Nur  innerhalb  der  Sphäre  des 
denkenden  Erkennens  hat  die  „Dcnkükonoraie'',  die  vielmehr  Er- 
kenntnisökonomie ist,  einen  Sinn  und  dann  auch  ihr  reiches  Gebiet^ 


Vgl.  auch  die  Prolegomena  zur  reineu  Logik,  Kap.  IX. 


§  25.   Ob  die  allgemeine  Repräsentation  als  wesentliches  Charakteristikum 
der  allgemeinen   Vorstellungen  dienen  könne. 

Die  ebcu  dinrakterisirtc  Auftassuug  iler  Allgenieinbegriife  als 
denkersparondor  Kuustgriffo  erhält  ilirc  iiäbcro  Ausgostaltung  durch 
die  Theorie  der  Repriiseutation:  In  Wahrheit  giebt  es,  sagt 
man,  nur  anschauliche  Einzelvorstelhingen ,  und  io  ilincn  geht 
alles  Denken  von  statten.  Aus  Noth  oder  Bequemlichkeit  sub- 
stituiren  wir  aber  den  eigentlich  z»  vollziehenden  Vorstellungen 
gewisse  andere  als  ihre  Stellvertreter.  Der  ingeniöse  Kunst- 
grüT  der  allgemeinen,  auf  eine  ganze  Klasse  bezüglichen 
Repräsentation  gestattet  Ergebnisse,  die  so  ausfallen,  als  ob 
immerfort  die  eigentlichen  Vorstellungen  gegenwärtig  wären;  oder 
vielmehr  Ergebnisse  von  concentrirter  Leistung,  welche  all  die 
Einzelergebnisse  zusammen  befassen,  die  wir  auf  Grund  wkkliclier 
Vorstellung  gewinnen  könnten. 

Selbstverständlich  wird  diese  Lehre  von  unseren  obigen  Ein- 
wänden niitbetroffen.  Der  Gedanke  der  Repräsentation  spielt  aber 
auch  in  Abstractionslehren  eine  Rolle,  die  auf  den  dcukökono- 
nüschen  Werth  der  stell  vortretenden  Function  kein  erhebliches 
oder  überhaupt  kein  Gewicht  legen.  Es  wird  sich  fragen ,  ob  nicht 
dieser,  von  den  Lehren  der  Denköbonoraie  abgelöste  Gedanke  zur 
wesentlichen  Charakteristik  der  allgemeinen  Bedeutungen  mit  Nutzen 
dienen  könnte.  Das  Wort  Repräsentation  ist  jedenfalls  von  schwan- 
kender Vieldeutigkeit.  Es  ist  zweifellos,  dafs  man  in  einem  guten 
Sinn  sagen  kann,  dafs  der  allgemeine  Name  oder  die  fundirende 
Einzelanschauimg  Reprii.sentant  der  Klasse  sei.  Aber  zu  überlegen 
ist,  ob  sich  die  verschiedenen  Bedeutuugeu  des  Wortes  nicht  in- 
einander mengen,  und  ob  daher  seine  Verwendung  zur  Chai-ak- 
teristik  statt  zu  klären,  nicht  vielmehr  vorwirre  oder  geradezu 
falsche  Lehren  begünstige. 

Nach  unseren  Darlegungen  kann  das  Unterscheidende  der 
allgemeinen  Vorstethingen  (gleichgiltig  ob  wir  hier  die  allgemeinen 
Bedeutungsintentionen  oder  die  entsprechenden  Bedeutungsert'ül- 
lungen  vorstehen)  von  den  anschaulichen  Einzelvorstellungon  nicht 


ein  blofser  Unterschied  der  psycliologisclien  Function  sein,  ein 
blofser  Unterscliied  der  Rollo,  welclie  gewissen  Einzel  Vorstellungen 
der  inneren  und  äufseren  Siiiiiliehkoit  im  Zusammenhange  unseres 
psychischen  Lebensprocesses  zugetheilt  ist.  Dem  entsprechend 
haben  wir  es  nicht  mehr  nöthig,  uns  mit  Darstellungen  der  Re- 
präsentationstheorie  auseinanderzusetzen,  welche  von  der  Repräsen- 
tation nur  als  von  einer  solchen  psychologischen  Function  sprechen, 
während  sie  das  fundamentale  phiinoraonologische  Factum,  die  neu- 
artigen Bowufstseinswoisen,  die  dem  einzelnen  Erlebnis  des  all- 
gemeinen Ausdrückens  und  Denkens  sein  ganzes  Gepräge  verleihen, 
gamicht  berühren.  Jlituiiter  wird  dieser  cardinale  Punkt  im  Vor- 
beigehen gestreift,  es  verräth  sich  an  einzelnen  Aeufseriingen,  dafs 
man  das  Phänomenologische  nicht  ganz  übersieht.  Vielleicht  werden 
sogar  die  Meisten  auf  unsere  Vorhaltungou  antworten,  es  sei,  was 
wir  betonen,  auch  ihre  Meinung.  Allerdings  bekunde  sich  die 
repräsentative  Function  in  eiuem  phänomenal  eigenthümlicben 
Charakter.  Aber  die  allgemeine  Vorstellung  sei  dabei  nichts  An- 
deres als  eine  Einzelvorstellung,  nur  in  etwas  anderer  Weise 
tingirt;  das  anschaulich  Vorgestellte  gelte  uns  in  dieser  Tinction 
als  Repräsentant  für  eine  ganze  Klasse  untereinander  ähnlicher 
Individuen.  Indessen  kann  dieses  Zugeständnis  doch  wenig  nützen, 
wenn  man  das  logisch  und  crkenntnistheorotisch  Wichtigst©  in 
dieser  Art  wie  eine  geringfügige  Beigabe  zur  individuellen  An- 
schauung behandelt,  die  am  doscriptiveu  Inhalt  des  Erlebnisses 
nichts  Erhebliches  ändere.  Obgleich  man  hier  den  neuen  Act- 
charakter,  der  den  Wortlaut  und  das  illustrirende  Bild  allererst 
ge<lanklich  beseelt,  nicht  ganz  übersieht,  hält  man  es  doch  nicht 
für  nöthig,  ihm  ein  specielles  descriptives  Interesse  zuzuwenden; 
mit  der  nicht  eben  sehr  klaren  Kode  von  der  Repräsentation  hält 
man  Alles  für  abgethan.  Man  bringt  es  sich  nicht  zum  Bewufst- 
sein,  dafs  in  diesem  und  älmlicheu  Actcharakteren  alles  Logische 
beschlossen  ist,  dafs,  wo  im  logischen  Sinn  von  „Vorstellungen"  und 
„Drtheilen"  und  deren  mannigfaitigen  Formen  die  Rede  ist,  nur  Acte 
dieser  Art  die  Begriffe  bestimmen.  Mim  sieht  auch  nicht,  dafs 
die  individuellen  Anschauungen  zwar  in  gewisser  Weise  die  Oruüd- 


lagen  tiir  die  neuartigen,  auf  sie  gebauten  Acte  des  gedankliciion 
Vorsteilens  (sei  es  des  „synibolischeu''  oder  „eigentliclien"  Vor- 
stellons)  iibgebon;  daJ^  sie  selbst  aber,  mit  ihrer  eigenen  sinn- 
lich-anschaii  liehen  Intention  in  den  Inhalt  des  Gedankens  gar 
nicht  eintreten,  und  dafs  somit  das  gerade  fehlt,  was  der  vor- 
wiegende und  von  den  Vertretern  der  Repräsentationstheorie  ge- 
meinte Sinn  der  Rode  von  der  Repräsentation  voraussetzt. 

§  26.     Fcnisdxiuiij.     Die  verschiedenen  Modificationen 
des  AUf/emcinlteitsbewußtseins  und  die  sinnliclic  Anschauung. 

Nähere  Äu.sführungen  werden  hier  nicht  unnütz  sein.  Jene 
neue  Auffassung,  welche  dem  Namen  oder  Bild  einen  repräsen- 
tativen Charakter  verleiht,  ist,  betonten  wir,  ein  neuartiger  Act 
des  Vorstellens;  es  vollzieht  sich  itn  Bedeuten  (und  nicht  blol's  im 
allgemeinen  Bedeuten)  eine  im  Vergleich  mit  der  hlofsen  Änsciiau- 
ung  des  „äufsoreu"  oder  „inneren  Sinnes"  neue  Weise  der  Meinung, 
die  einen  ganz  anderen  Sinn  und  oft  auch  einen  ganz  anderen 
Gegenstand  hat,  als  die  Meinung  in  blofser  Anschauung.  Und 
je  nacli  der  logischen  Function  des  allgemeinen  Namens,  je  nach 
dem  Bedeutungszusainmenliauge,  in  dem  er  anftritt,  und  den  er 
ausprägen  hilft,  ist  (wie  wir  schon  gelegentlich  bemerkt  haben)'  der 
Inhalt  dieser  neuen  Meinung  ein  verschiedener,  sich  nach  seinem 
descriptiven  Wesen  mannigfaltig  differenziirender.  Nicht  mehr  ist 
das  individuoll  Angescliaute  sclilechthin  gemeint,  sowie  es  da  er- 
scheint; sondern  bald  ist  die  Species  in  ihrer  idealen  Einheit  ge- 
meint (z.  B.  die  Toiisfuß  c,  die  Zahl  5),  bald  die  Klasse  als  Allheit 
der  am  Allgemeinen  theilhabenden  Einzellieiteu  (itUc  Töne  dieser 
Tonstufe:  formal;  nUc  A) ,  bald  ein  unbestimmt  Einzelnes  dieser  Art 
(ein  A)  oder  aus  dieser  Klasse  (irgend  Einet-  unter  den  Aj,  bald 
dieses  angeschaute  Einzebie,  aber  als  Träger  des  Attributs  gedacht 
(dieses  A  hier) ,  u.  s.  w.  Jede  solche  Modification  ändert  den  „In- 
halt" oder  ,,Sinn"  der  Intention;  mit  anderen  Worten,  es  ändert 
sich  mit  jedem  Schritte  das,   was  im  Sinne  der  Logik  die  Vor- 


I 


'  Vgl.  oben  im  lU.  Kapitel  §  16,  S.  Uüff. 


Stellung  heifst.  Ob  dio  jeweils  begleitende  iiidividiiello  Anschau- 
ung dieselbe  bleibt  oder  immerfort  wechselt,  ist  gleichgiltig;  die 
logische  Vorstellung  ändert  sieh,  wenn  sieh  die  Meinung  (der  Sinn 
des  Ausdrucks)  ändert,  und  sie  bleibt  identisch  dieselbe,  sü  lange 
ihre  Meinung  dieselbe  bleibt.  Wir  brauchen  hier  nicht  einmal 
darauf  Gewicht  zu  legen,  dufs  dio  fundirendo  Erscheinung  ganz 
fortfallen  kann. 

Die  Verschiedenheit  der  gedanklichen  und  sinnlichen  „Auf- 
fassung" ist  eine  wesentliche;  es  ist  nicht  so,  wie  wir  beispiels- 
weise „dasselbe  Object"  einmal  als  Wachsjuippe  und  das  andere 
Mal  (in  Täuschung  befangen)  als  lebendige  Person  auffassen:  als 
ob  nur  zwei  individuell -anschauliche  Auffassungen  miteinander 
wechselten.  Es  darf  auch  der  Umstand  nicht  täuschen,  dafs  die 
vorstellende  Intention  in  den  Formen  iler  gedanklichen  Einzel- 
vorstfllung,  Mebrheits-  und  Allheitsvorstellung  auch  auf  indivi- 
duelle Einzelheiten  (auf  eine,  mehrere  oder  alle  ihrer  Art)  ge- 
richtet sein  kann.  Es  ist  ja  evident,  dafs  der  Charakter  der  Intention, 
und  somit  der  Bedeutungsgehalt,  ein  total  anderer  ist  gegenüber 
irgendwelchen  anschaulichen  (sinnlichen)  Vurstollungen.  Ein  A 
meinen  ist  etwas  anderes,  als  ein  -'1  schlicht  anschaulich  (ohne  den 
Gedanken  ein  A)  vorstellen,  und  wieder  ein  Anderes  ist  es,  sich 
darauf  in  iliroctor  Bedeutung  und  Nennung,  also  durch  Eigen- 
namen, beziehen.  Die  Vorstellung  ein  Men.sch  ist  verschieden 
von  der  Vorstellung  iSol^ntfes,  und  ebenso  ist  von  beiden  auch 
verschieden  die  Vorstellung  der  Mensch  Soknitcji.  Die  Voretellung 
einige  A  ist  nicht  eine   Summe  von  Anschauungen   dieser   oder 

]äener  A,  auch  nicht  ein  coUigirender  Act,  der  vorgegebene 
Einzelanschauungcn  in  Eins  zusanimenfarsto  (obschon  bereits  diese 
Einigung  mit  ihrem  gegenständ! iclicn  Correlat,  dem  Inbegriff, 
eine  Mehrleistung  ist,  dio  über  die  Sphäre  der  sinnlichen  An- 
schauung hinausgeht).  Wo  dergleichen  als  exemplificirondo  An- 
schauung zu  Grunde  liegt,  da  sind  es  nicht  diese  erscheinen- 
den Einzelheiten  und  ihr  Inbegriff,  worauf  wir  es  abgesehen 
haben;    wir   meinen    eben    „eiiiiye'-''  A,    und    dies    läfst    sich   in 

kleiner  äufseren  oder  auch  inneren  Sinnlichkeit  erschauen.    Das- 


selbe  gilt  natürlich  von  anderen  allgemeinen  Bedeutungsfornien, 
80  von  den  Anzalilfortnen  wie  xivei  oder  drei,  und  wieder  von 
der  Allheitsform  wie  olle  A.  Die  Allheit  ist  im  logischen  Sinne 
vorgestellt,  sowie  wir  den  Ausdruck  alle  A  verstehen  und  sinn- 
gemiifs  verwenden.  Sie  ist  also  vorgestellt  in  der  Weise  des  ein- 
heitlichen Gedankens,  und  nur  so  oder  in  einer  entsprechenden 
„eigentlichen"  Form  kann  sie  überhaupt  als  Allheit  zum  Bewufst- 
sein  kommen.  Denn  anschauen  können  wir  nur  Dies  und  Jenes. 
Wieviele  Einzelheiten  wir  dabei  durchlaufen,  und  wie  eifrig  wir 
sie  colligiren  mögen,  bestenfalls  wären,  wenn  die  Erechöpfung  des 
Begriifsumfanges  wirklich  gelänge,  alle  A  vorgestellt,  und  doch 
wären  nicht  alle  A  vorgestellt,  die  logische  Vorstellung  wäre  nicht 
vollzogen.  Ist  sie  es  andererseits,  so  mag  sie  nach  Anschauung 
langen  und  von  ihr  Klärung  erhoffen  und  erfahren.  Aber  man 
.sieht,  dafs  nicht  die  sinnlich -anschauliche  Herstellung  der  vor- 
gestellten Gegenständlichkeit,  hier  der  sämmtlichen  A,  das  „was 
eigentlich  gemeint"  ist,  vor  Augen  zu  stellen  vermag.  Vielmehr 
mufs  sich  die  gedankliche  Intention,  in  der  Art,  wie  es  ihre  Form 
und  ihr  Inhalt  fordern,  auf  Anscliauung  beziehen  und  sich  in  ihr 
erfüllen,  und  so  erwächst  ein  comple.ver  Act,  der  den  Vorzug  der 
Klarheit  und  Einsichtigkeit  erlangt,  aber  nicht  etwa  den  Gedanken 
beseitigt  und  ihm  ein  blofses  Bild  substituirt  hat. 

Mit  diesen  vorläufigeti  und  noch  ziemlich  oberflächlichen  An- 
deutungen müssen  wir  uns  hier  begnügen.  Um  den  Unterschied 
zwischen  Doukou  und  An.scliaueu,  uneigentlichom  imd  eigentlichem 
Vorstellen  aufzuklaren,  werden  wir  in  der  letzten  Untersuchung  dieses 
Buches  umfassentie  Analysen  ansteUen,  wobei  sich  ein  neuer  Anschau- 
ungsVjegrifE  von  dem  gewöhnliehen,  dem  der  sinnlichen  Anschauung, 
abheben  wird. 

§  27.     Der  berecläüjte  Sinn  der  allgemeinen  Eepräsenlaliott. 

Nach  diesen  Ueberlegungen  worden  wir  nun  gar  wenig  ge- 
neigt sein  können,  uns  mit  der  altbeliebtcn  Rede  von  der  repräsen- 
tativen Function  der  allgemeinen  Zeichen  und  Anscbauungsbilder 
zu  befronnden.     Sie  ist  vermöge  der  Vieldeutigkeit  und  zumal  in 


I 


der  Iiiterpretation,  die  man  ihr  gemeiniglicli  giobt,  untiuiglich  zur 
klärenden  Charakteristik  des  sich  in  allgemeinen  Formen  bewegenden 
Denkens  irgendetwas  beizutragen. 

Die  Allgemeinheit  der  Vorstellung  soll  in  der  Allgemeinheit 
der  Repräsentation  liegen.  Dürften  wir  die  Letztere  als  jeno  nene 
Bewufstseinsweiso  veretchen,  die  sich  anf  Grund  der  Anschauung 
vollzieht,  oder  genauer,  als  jene  wechselnden  Müditicutionon,  in 
denen  das  Allgemeinheitsbewurstsein,  sei  es  als  BewufstseiQ  des 
Specifischen,  sei  es  als  AllheiLsbewufstsein,  sei  es  als  unbestimmtes 
Einheits-  oder  MehrheitsbewuTstsein  u.  s.  w.  charakterisirt  ist:  dann 
wäre  Alles  in  Ordnung.  Die  Kede  von  einer  repräsentativen  Function 
des  Anschanungsbildes  wäre  dann  insofern  anwendbar,  als  das 
Anschauungsbild  in  sich  nur  ein  Einzelnes  der  betreffenden  Species 
vorstellig  macht,  aber  als  Anhalt  für  das  daraufgebaute  begriffliche 
Bewufstsein  fuugirt,  so  dafs  mittelst  seiner  die  Intention  auf  die 
Species,  auf  die  Allheit  derBegriffsgegenständo,  auf  ein  unbestimmt 
Einzelnes  der  Art  u.  s.  w.  zu  Stande  kommt  In  gegenständlicher 
Hinsicht  könnte  dann  auch  der  anschauliche  Gegenstand  selbst 
als  Repräsentant  für  die  Species,  für  die  Klasse,  für  das  unbe- 
stimmt intendirte  Einzelne  u.  s.  w.  bezeicijnet  werden. 

Was  von  den  illustrirenden  Anschauungsbilderu  gilt,  gilt  auch 
von  den  Namen,  wo  sie  ohne  illusti-ative  Beihilfe  „repräsentativ" 
fungiren.  So  gut  das  Bedeutungsbewufstsein  sich  auf  Grund  in- 
adäquater und  schlie&lich  von  eigentlicher  E.xemplificiruiig  weit 
entfernter  Anschauung  entfalten  kann,  so  gut  auch  auf  Grund  der 
blofsen  Namen.  Der  Name  ist  Repräsentant,  das  lieifst  dann  nichts 
Anderes,  als  dafs  seine  physische  Erscheinung  Träger  der  be- 
treffenden Bedeutungsintention  ist,  in  welcher  das  begriffliche  Ob- 
ject  inteudirt  ist. 

Bei  dieser  Auffassung  bliebe  der  Nominalismus  ausgeschlossen. 
Denn  nun  reducirt  sich  das  Denken  nicht  mehr  auf  irgendwelche 
äufserlicho  Hantirungen  mit  Namen  und  Einzelideen  oder  gar  auf 
unbewufsto  associativo  Mecliaiiismon,  welctio  die  Einzelheiten  an 
ihren  Stellen  hervorspringen  lassen  wie  die  Ziffern  einer  Rechen- 
maschine; sondern  es  giebt  ein  von  dem  anschaulichen  Vorstellen 


(als  (1cm  (lirect  auf  den  erscheinenden  Gegenstand  bezogenen 
Meinen)  descriptiv  unterschiedenes  bcgriÜ'liches  Vorstellen:  ein 
Meinen  von  fundunioutal  neuer  Artung,  zu  dem  die  Formen  des 
Ein  und  Mehrere,  des  Ztvci  und  I>rei,  des  Irgendetwas  über- 
haupt, des  Alle  u.  s.  w.  gehören.  Und  darunter  findet  sich  dann 
auch  die  Form,  in  welcher  sich  die  Species  in  der  Weise  des 
vorgestellten  Gegenstandes  constitiiirt,  so  dafs  sie  als  Subject  mög- 
licher Attributionen  oder  Prädicationen  fungiren  kann. 

§  28.    Die  Rupräsentalion  als  Stellvertretung.    Locke  und  Berkeley. 

Die  Rede  von  der  allgemeinen  Repräsentation  hat  aber  in  der 
historischen  Abstractionslehro  nicht  den  eben  dargelegten  und  allein 
berechtigten  Inhalt,  für  den  der  Name  Repräsentation  freilich  gar 
wenig  pafste.  Gemeint  ist  vielmehr  die  Stellvertretung  des 
Zeichens  für  das  Bezeichnete. 

Schon  Locke  hat  der  Stellvertretung  im  Zusammenliang  niit 
seiner  Lehre  von  den  abstracten  Ideen  eine  wesentliche  Rolle  zu- 
gewiesen und  von  ihm  hat  die  Abstractionstheorie  Bekkelky's  und 
seiner  Nachfolger  diesen  Gedanken  übernommen.  So  lesen  wir 
z.  B.  bei  Locke':  „It  is  piain  .  .  .,  that  gencral  and  universal 
belong  not  io  tke  real  existence  of  ihings;  btit  are  the  inventions 
and  creatures  of  the  itnder.ttandiiig,  made  by  it  for  its  oum  ttse, 
and  concern  only  Signs,  ichelher  words  or  idcas.  Words 
are  generale  ■  ■  ■  ■  ivhen  n.tcd  for  .^it/n.s-  of  grnrrnl  idras,  nnd  so 
are  appJicnhk  iiidi/fereiitli/  to  inani/  pnrticiilar  lliings:  and  ideiis 
are  genrral  irlien  theg  are  sei  iip  a.s  the  representati- 
ves  of  many  ijarticular  ihings;  .  .  .  Ihrir  genrral  natiire 
heing  not  hing  hiit  ihc  capacity  they  tirc  put  inio  hg  the  nnder- 
standing,  of  signifging  or  rej)reseniing  mang  particii- 
lars;  for  tke  signi fication  they  havc  is  nothing  bat  a  relation, 
iJiai,  by  the  mind  of  man,  is  added  to  tliem." 

Bkiikei.ey'.s  lebhafte  Angriffe  gegen  Locke's  Abstractions- 
lebre  betreffen  dessen  „abstracto  Ideen";   aber  dieselbe  repräsen- 

B.  ra.  cbap.  m.  sect  11. 


tative  Function,  die  Locke  diesen  beimirst,  tiberträgt  Berkeley  den 
jeweilig  präsenten  Einzeiideen,  bezw.  den  allgemeinen  Nnnien  au 
und  für  sich.  Ich  erinnere  an  folgende  Ausführungen  in  der  Ein- 
leitung zu  den  „Pmieiples  of  Human  Knowledge":  ,, Wollen  wir 
mit  unseren  Worten  einen  bestimmten  Sinn  verknüpfen  und  nur 
vom  Begreiflichen  reden,  so  müssen  wir,  glaube  ich,  anerkennen, 
dafs  eine  Idee,  die  an  und  für  sich  eine  Einzelideo  ist, 
allgemein  dadurch  wird,  dafs  sie  dazu  verwendet  wird,  alle 
anderen  Einzolideen  derselben  Art  zu  repräsontiren  oder 
statt  derselben  aufzutreten.  Damit  dies  durch  ein  Beispiel 
klar  werde,  stelle  man  sieb  vor,  dafs  ein  Geonieter  den  Nach- 
weis führe,  wie  eine  Linie  in  zwei  gleiche  Theile  zu  zerlegen  sei. 
Er  zeichnet  etwa  eine  schwarze  Linie  von  der  Länge  eines  Zolls; 
diese  Linie,  die  an  und  für  sich  eine  einzelne  Linie  ist,  ist 
nichtsdestoweniger  mit  Rücksiebt  auf  das,  was  durch  sie 
bezeichnet  wird,  allgemein,  da  sie,  wie  sie  hier  gebraucht 
wird,  alle  einzelnen  Linien,  wie  auch  immer  dieselben  be- 
schaffen seien,  reprüsentirt,  so  dafs,  was  von  ihr  bewiesen 
ist,  von  allen  Linien  oder,  mit  anderen  Worten,  von  einer  Linie 
im  Allgemeinen  bewiesen  ist.  Ebenso,  wie  die  einzelne  Linie 
dadurch,  dafs  sie  als  Zeichen  dient,  allgemein  wird,  so  ist  der 
Name  Linie,  der  an  sich  particular  ist,  dadurch,  dafs  er  als 
Zeichen  dient,  allgemein  geworden.  Und  wio  die  Allgenieinbeit 
jener  Idee  nicht  darauf  beruht,  dafs  sie  ein  Zeichen  für  eine 
abstracte  oder  allgemeine  Linie  wäre,  sondern  darauf,  dafs  sie  ein 
Zeichen  für  alle  einzelnen  geraden  Linien  ist,  die  exi- 
ßtiren  künnen,  so  mufs  angenommen  werden,  dafs  das  Wort 
Linie  seine  Allgemeinheit  derselben  üreacho  verdanke,  nämlich 
dem  Umstände,  dafs  es  verschiedene  einzelne  Linien  unterschieds- 
los bezeichne.'" 

„Allgemeinheit   besteht,  soviel  ich  begreifen  kann,  nicht  in 
dem    absoluten   positiven    Wesen   oder   Begriffe   [nniiirc   or  ron- 


'  Ich   citiro  (mit  kleinen  Abwoichungen)  nach  UtBsttwco's  Uebereetzuog, 
I  B.  lOf.  (§  12). 


ceptiofi]  von  irgendetwas,  sondern  in  der  Beziehung,  in  welcher 
etwas  /u  anderem  Einzelnen  steht,  was  dadurch  bezeichnet  oder 
vertreten  wird,  wodurch  es  geschieht,  dafs  Namen,  Dinge  oder 
Begrifie/  die  ihrer  eigeneu  Natur  nach  particular  sind,  allgemein 
werden.  * 

„Es  scheint  .  .,  dtiTs  ein  Wort  allgemein  wird,  indem  os  als 
Zeichen  gebraucht  wird  nicht  für  eine  abstracto  allgemeine  Idee, 
sondern  für  mehrere  Einzelideon,  deren  jede  es  ohne  Bevor- 
zugung im  Geiste  erregt  [any  onc  of  which  it  indifferenÜij 
sugijcsts  io  Ihe  niindj.  Wird  z.  B.  gesagt:  die  Bewcgumisiindemntj 
ist  ptopoiiional  der  auft/eicemlcteu  Kraft,  oder:  alles  Aitsgcdelmfe- 
ist  theilbar,  so  sind  diese  Regeln  von  Bewegung  und  Ausdehnung 
im  Allgemeinen  zu  verstehen;  dennoch  folgt  nicht,  dafs  sie  in 
meinem  Geiste  eine  Vorstellung  von  Bewegung  ohne  bewegten 
Körper  oder  ohne  eine  bestimmte  Richtung  und  Geschwindigkeit 
anregen  ....  sondern  es  liegt  darin  niu',  dafs,  welche  Bewegung 
auch  immer  ich  betrachten  mag,  sei  dieselbe  schnell  oder  langsam, 
senkreclit,  wagrecht  oder  schräg,  sei  sie  die  Bewegung  dieses 
oder  jenes  Objeets,  das  sie  betreffende  Axiom  sich  gleich- 
mäfsig  bewahrheite.  Ebenso  bewahrheitet  sich  der  andere  Sata 
bei  jeder  besonderen  Ausdehnung . . ."* 

§  29.     Ktilik  der  Berkeley 'sdien  Repräsfniationslkeorie. 
Wir  werden  gegen  diese  Ausführungen  Folgendes  einwenden 
dürfen.     Mit  der  BERKELEY'schen  Behauptung,  dafs  die  Einzelidee 

'  Thitigs  or  noiions.  Man  weifs,  dafs  „Dißge"  für  Brrkelky  nichts 
weiter  sind  als  , Ideen".  Was  aber  die  „notions"  anbelangt,  so  sind  liier 
jedenfalls  die  Vorstellungen  gemeint,  die  sich  auf  den  Geist  und  seine  Thfitig- 
keitan  beziehen,  oder  auch  Vorstellnugon,  deren  Objacte,  wie  es  alle  Relationen 
thun,  solche  Tliiitigkeiten  „einschlielsen".  Diese  Vorstellungen,  die  Berkeley 
von  den  sinnlichen  Ideen  als  grundverschieden  sondert  und  nicht  Ideen  genannt 
wissen  will  (vgl.  sect.  142),  sind  also  identisch  mit  Locke's  Ideen  der  Reflexion 
und  zwar  umfassen  sie  sowol  dio  reinen  Ideen  der  Reflexion,  als  auctt  die 
gemischten  Ideen.  Der  BKRKRLST'seho  Begriff  der  »otion  ist  übrigens  kaum  ein- 
heitlich und  klar  zu  präcisirea. 

'  A.  a.  0.  §  15,  S.  12. 

•  A.a.O.  §11,  S.8f. 


dazu  verwendet  wird,  alle  anderen  Einzelideen  derselben  Art  zu 
vertreten,  ist,  mit  Rücksicht  auf  die  normale  Bedeutung  des 
Wortes  Stellvertretung,  kein  haltbarer  Sinn  zu  verbinden.  Von 
einem  Stellvertreter  sprechen  wir  da,  wo  ein  Gegenstand  Leistungen 
überiiinirat  {oder  auch  Objcct  von  Leistungen  ist),  die  sonst  ein 
anderer  zu  vollziehen  (oder  zu  eifabren)  hätte.  So  vollzieht  der 
bevolbnächtigte  Anwalt  als  Stellvertreter  die  Geschäfte  seines 
Clienton,  der  Gesandte  vertritt  den  Herrscher,  das  abkürzende 
Symbol  vertritt  den  eomplexen  algebraischen  Ausdruck  u.  s.  w. 
Uebt  nun,  fragen  wir,  auch  in  unserem  Falle  die  momentan 
lebendige  Einzelvorstellung  eine  Stellvertretung,  übernimmt  sie 
eine  Leistung,  welche  eigentlich  eine  andere  Einzelidee,  oder  gar 
eine  jede  Einzelidee  der  Klasse  zu  vollführen  berufen  wäre?  Nach 
dem  klaren  Wortlaut  der  BERKFiEv'schen  Aoufserungen  allerdings, 
aber  in  Wahrheit  kann  davon  doch  keine  Rede  sein.  Selbstver- 
ständlich ist  es  nur,  ditfs  die  Leistung,  welche  die  vorhandene 
Einzelidoe  vollzieht,  ebenso  gut  von  jeder  anderen  vollzogen 
werden  könnte;  nämlich  jede  könnte  gleich  gut  als  Grundlage 
der  Abstraction,  als  anschauliche  Fundirung  der  allgemeinen  Be- 
deutung dienen.  Der  Gedanke  der  Stellvertretung  erwächst  also 
erst  durch  die  Reflexion,  dafs  jede  Einzelidee  in  dieser  Function 
gleichwerthig  sei,  und  dafs,  wenn  wir  die  eine  gewählt  haben, 
jede  andere  ihre  Stelle  vertreten  könnte,  und  umgekehrt.  Wo 
immer  wir  eine  allgemeine  Bedeutung  anschaulich  vollziehen,  ist 
dieser  Gedanke  möglich,  aber  keineswegs  ist  er  darum  wirklich, 
zumal  er  ja  den  Allgeraoinbegriff,  den  er  ersetzen  sollte,  vielmehr 
selbst  voraussetzt.  Demgemüfs  sind  die  Einzelideen  auch  nur 
mögliche  und  nicht  wirkliche  Stellvertreter  für  ihresgleichen. 

Berkkley  nimmt  aber  die  Stellvertretung  ernsthaft  und  stützt 
sich  dabei  einerseits  auf  den  Sinn  der  allgemeinen  Aussagen  und 
andererseits  auf  die  Rolle  der  Figur  im  geometrischen  Beweise. 
Das  Ei-stere  gilt  für  das  obige  Citat  aus  dem  §  11  der  Einleitung 
zu  seinen  Prinripks.  ürtheilen  wir :  alles  ADsgedchnfc  Lit  theil- 
bar,  so  meinen  wir  ja,  dafs  sich  ein  jedes,  welches  wir  auch  be- 
trachten  mögen,   als   theilbar   erweisen   werde.      Der    allgemeine 

HoMorl,  Log.  Diiten.  n.  12 


Name  (bezw.  die  allenfalls  begleitentle  Einzelidee)  repräsentirt,  dem 
einfachen  Sinn  des  Satzes  gcmäfs,  jedes  einzelne  Ausgedehnte, 
gleichgiltig  welches  —  also  wird  durch  die  gegebene  Einzelidee 
jede  andere  Einzelideo  der  Klasse  Ausdehnung  „dem  Geiste  in 
indifferenter  Weise  suggerirt". 

Indessen  verwecliselt  Beukfxey  liier  zwei  wesentlich  ver- 
schiedene Dinge: 

1.  Das  Zeichen  (Namen  oder  Einzelidee)  ist  Repräsentant  für 
jedes  Einzelne  des  Begrifi'sumfangs,  dessen  Vorstellung  es  nach 
Berkeley  sogar  anregt  (sugffests) ; 

2.  das  Zeichen  hat  die  Bedeutung,  den  Sinn  alle  A  oder 
ein  A ,  welches  auch  immer. 

In  letzterer  Hinsicht  ist  von  Repräsentation  im  Sinne  von 
Stellvertretung  keine  Rede.  Es  mögen  ein  oder  meiirere  A  an- 
geregt oder  vollanschaulich  vorgestellt  sein;  aber  das  Einzelne, 
das  ich  gerade  betrachte,  weist  auf  kein  anderes  hin,  für  das  es 
als  Ersatz  stünde,  geschweige  denn,  dafs  os  auf  jedes  Einzelne 
derselben  Art  hinwiese.  In  einem  ganz  anderen  Sinne  sind  alle  A 
oder  ist  jedes  beliebige  A  repräsentirt,  nämlich  gedanklich  vor- 
gestellt. In  einem  einheitlichen  Pulse,  in  einem  homogenen 
und  eigenartigen  Acte  ist  das  Bewiifstsein  alle  A  vollzogen,  einem 
Acte,  der  keinerlei  Componenteu  hat,  die  sich  auf  all  die  ein- 
zelnen A  bezögen,  und  der  durch  keine  Summe  oder  Vernebung 
von  Einzelacten  oder  Einzelsuggestionen  herstellbar  oder  ersetzbar 
wäre.  Durch  seinen  „Inhalt",  seinen  ideal  zu  fassenden  Sinn  be- 
zieht sich  dieser  Act  auf  jedes  Glied  des  Umfangs;  aber  nicht  in 
realer,  sondern  in  idealer,  d.  i.  logischer  Weise.  Was  wir  von 
allen  j4  aussagen,  also  in  einem  einheitlichen  Satz  der  Form  alle  A 
sind  B  aussagen,  gilt  selbstverständlich  und  a  prion  von  jedem 
bestimmt  vorliegenden  A,,.  Der  Schlufs  vom  Allgemeinen  auf  das 
Einzelne  ist  in  jedem  gegebenen  Falte  zu  vollziehen,  und  von 
dem  Af)  das  Prädieat  B  mit  logischem  Recht  auszusagen.  Aber 
darum  schliefst  nicht  das  allgemeine  ürtheil  das  besondere,  die 
allgemeine  Vorstellung  die  darunter  fallende  Einzelvorstellung  reell. 


I 


in  wie  immer  zu  fassendem  psychologischen  oder  descriptiven  Sinne, 
in  sich;  und  somit  auch  nicht  in  der  Weise  eines  Bündels  von 
Stellvertretungen.  Schon  die  Unendlichkeit  des  Umfanges  aller 
unvermischten  Allgemeinbegriffe  kennzeiclmet  diese  Umdeutung 
als  Widersinn. 


§  30.     Fortsetzung. 


Bkrkklky's  Argummit  aus  dem  geometrisclun 
Beweisverfaltren. 


Berkeley  beruft  sich  fürs  Zweite  auf  das  Beispiel  der  ge- 
zeichneten Linie,  die  dem  Geometer  im  Beweise  dient.  Wie 
sehr  sich  Bctkei.et  durch  die  empiristische  Neigung  mifsleiten 
läfst,  die  anschauliche  Einzelheit  überall  vor  den  eigentlichen 
Denkacten  zu  bevorzugen,  zeigt  sich  darin,  dafs  er  hier,  wie  auch 
sonst,  den  sinnlichen  Einzelfall  (oder  vielmehr  das  sinnliche  Ana- 
logen des  idealen  Einzelfalls),  welcher  dem  mathematischen  Denken 
seine  Stütze  bietet,  als  das  Subject  des  Beweises  in  Anspruch 
nimmt.  Als  ob  der  Beweis  je  für  den  Strich  auf  dem  Papier, 
für  das  Kreidedreieck  auf  der  Tafel  geführt  würde  und  nicht  für 
die  Gerade,  für  das  Dreieck  schlechthin  oder  ,, überhaupt".  Wir 
haben  diesen  Irrthum  obeni  schon  berichtigt  und  gezeigt,  dafs 
der  Beweis  in  Wahrheit  nicht  für  die  gezeichnete  Einzelheit,  son- 
dern von  vornherein  für  die  Allgemeinheit  geführt  wird:  für  alle 
Geraden  überhaupt  und  in  Einem  Acte  gedacht  Daran  wird 
auch  nichts  geändert  durch  die  Redeweise  der  Geometer,  welche 
ihren  Satz  allgemein  aufstellen  und  den  Beweis  etwa  mit  den 
Worten  beginnen:  AB  sei  irgendeine  Gerade  .  .  .  Damit  ist  gar- 
nicht  gesagt,  dafs  der  Beweis  zunächst  für  diese  Gerade  A  B  (oder 
für  eine  bestiuimto  durch  sie  vertretene  ideal  Gerade)  geführt 
wird,  und  diese  dann  als  Stellvertreterin  für  jede  andere  Gerade 
fungire;  sondern  damit  ist  nur  gesagt,  dafs  AB  ia  anschaulicher 
Symbolisirung  ein  Exempel  vorstellig  machen  solle,  um  nun  als 
Anhalt  für  die  möglichst  intuitive  Constitution  des  Gedankens  eine 
Oerade  überhaupt  zu  dienen,   welcher  Gedanke  das  wahre  und 


Vgl.  §  20,  S.  155. 


12» 


I 


contiuuirlich  durchgehende  Bestandstück  des  logischen  Zusninmen- 
hangs  ausmaclit. 

Wie  wenig  die  Stellvertretung  zur  Klärung  des  allgemeinen 
Denkens  helfen  kann,  tritt  auch  in  der  Frage  hervor,  wie  es  sich 
denn  mit  den  mannigfaltigen  Allgemein  Vorstellungen  verhalte,  die 
in  dem  angeblichen  Beweis  für  die  Oerade  auf  dem  Papier 
auftreten  niufsten.  Die  ihnen  coriespondirenden  Anschaulichkeiten 
sind  doch  nicht  ebenfalls  als  Objecto  des  bowoisendon  Denkens 
zu  fassen.  Denn  sonst  käme  es  nicht  zur  Constitution  auch  nur 
eines  einzigen  Sat/.es;  wir  hätten  lauter  stellvertretende  Einzel- 
ideen, aber  kein  Denken,  (ilaubt  man  durch  irgendwelche  Cou- 
glomeration  solcher  Einzelheiten  eine  Priidication  zii  Stande  zu 
bringen?  Fi'eilich  ist  die  Function  des  allgemeinen  Namens  und 
seiner  allgemeinen  Bedeutung  im  Priidicat  eine  andere  als  im 
Subject,  und  sie  ist,  wie  wir  oben  schon  bemerkten,  überhaupt 
vielfaltig  unterschieden,  je  nach  den  logischen  Formen,  d.  i.  den 
Formen  der  gedanklichen  Zusammenhiinge,  denen  sich  die  Bedeu- 
tungen einschmelzen.  AVie  wollte  mau  all  diesen  Formen,  in  denen 
sich  die  Constitution  des  „Denkens"  als  solches  bekundet,  oder 
objectiv  gesprochen,  in  denen  sich  das  ideale  Wesen  der  Bedeutung 
o  priori  entfaltet  (so  wie  das  Wesen  der  Anzahl  in  den  Zahlforraen), 
wie  wollte  man  ihnen  mit  der  einen  Phrase  der  Stellvertretung 
beikommen? 

§  31.     Die  Havptqtielle  der  aufgewiesenen  Verirrungen. 

Es  wäre  zu  weit  gegangen,  würde  man  Locke  und  Berkei.et  den 
Vorwurf  machen,  sie  hätten  den  descriptiven  Unterschied  zwischen 
der  Einzelidee  in  der  individuellen  Intention,  und  derselben  Einzel- 
idee in  der  allgemeinen  Intention  (als  Fundament  eines  begriff- 
lichen Bewtifstseins)  ganz  übersehen.  Dafs  der  „Geist"  es  ist,  der 
ihnen  stellvertretende  Function  verleiht,  dafs  er  die  erscheinen- 
den Einzelheiten  als  Repräsentanten  verwendet,  wird  uns  in  ver- 
schiedenen Wendungen  versichert;  und  dafs  diese  Geistesthätig- 
keiten  bewufste  sind  und  somit  in  die  Sphäre  der  Reflexion  fallen, 
würden  diese  grofsen  Denker  sicherlich  zugestanden  haben.     Ihre 


fundamentalen  erkenntnistheoretisclieii  Irrtliümer  oder  Unklarheiten 
erwachsen  aber  aus  einem  bereits  oboni  biüfsgelegten  Motiv;  näm- 
lich daraus,  dafs  sie  sich  bei  der  phänomenologischen  Analyse 
fast  ausschliefslich  an  das  anschaulich  Einzelne,  sozusagen  an  das 
Greifbare  des  Denkerlebnisses  halten,  an  die  Namen  und  die 
exemplificirenden  Anschauungen,  während  sie  mit  den  Act- 
charakteren,  oben  weil  sie  nichts  Greifbares  sind,  nichts  anzufangen 
wissen.  Immerfort  suchen  sie  daher  nach  irgendwelchen  weiteren 
sinnlichen  Einzelheiten  und  irgendwelchen  sinnlieh  vorstoUbaren 
Hantirungen  an  denselben,  um  dem  Denken  die  Art  der  Eealität 
zu  geben,  für  die  sie  voreingenommen  sind,  und  die  es  im 
schlichten  Phänomen  nun  einmal  nicht  zeigen  will.  Man  bringt 
es  nicht  über  sich,  die  Denkacto  als  das  zu  nehmen,  als  was  sie 
sich  rein  phänomenal  darstellen,  sie  somit  als  völlig  neuartige 
Actcbaraktere  gelten  zu  lassen,  als  neue  „Bcwufstseinsweisen" 
gegenüber  der  direeteu  Anschauung.  Man  sieht  nicht,  was  für 
den,  der  die  Sachlage  ohne  die  Brillen  überlieferter  Vorurtheile 
betrachtet,  das  Offenkundigste  ist,  nämlich  dals  diese  Actcbaraktere 
Weisen  des  Meiuens,  Bedeutens  sind,  hinter  denen  man  schlechter- 
dings nichts  suchen  darf,  was  Anderes  wäre  und  Anderes  sein 
könnte  als  eben  Meinen  oder  Bedeuten. 

Was  „Bedeutung"  ist,  das  wissen  wir  so  unmittelbar,  wie 
wir  wissen,  was  Farbe  und  Ton  ist.  Es  lälst  sich  nicht  weiter 
definiren,  es  ist  ein  descriptiv  Letztes.  So  oft  wir  einen  Aus- 
druck verstehen,  bedeutet  er  uns  etwas,  wir  vollziehen  seinen  Sinn. 
Und  dies  Vei-stehen,  Bedeuten,  einen  Sinn  Vollziehen  ist  nicht  das 
Hören  des  Wortlauts  oder  das  Erleben  irgendeines  gleichzeitigen 
Phantasmas.  Und  so  gut  uns  Unterschiede  zwischen  Lauten  evident 
gegeben  sind,  so  gut  auch  Unterschiede  zwischen  Bedeutungen. 
Natürlich  hat  damit  die  Phänomenologie  der  Bedeutungen  aber 
nicht  ihr  Ende  erreicht,  sondern  hiermit  fangt  sie  an.  Man  wird 
einerseits  den  erkenntnistheoretisch  fundamentalen  Unterschied 
zwischen   den   symbolisch -leereu  Bedeutungen    und    den  intuitiv 


§  15,  8.  U2fr. 


I 


erfüllten  feststellen,  andererseits  die  wesentlichen  Arten  und  Ver- 
binduogsfornien  der  Bedeutungen  studiren  mtlsson.  Dies  ist  die 
Domäne  der  actuellen  Bedeutungstmalyse.  Man  löst  ihre  Probleme 
durch  Vergegenwärtigurl g  der  betießenden  Acte  oder  Actarten; 
und  in  rein  phänomenologischer  Identiticution  und  Unterscheidung, 
Verknüpfung  und  Sonderung,  sowie  durch  die  generalisirende 
Abstractiou,  gewinnt  man  die  wesentlichen  Bedeutungsarten  und 
Bedeutungsformen;  mit  anderen  Worten,  man  gewinnt  die  logi- 
schen Elementarbegriffe,  welche  eben  nirhts  Anderes  sind,  als  die 
idealen  Fassungen  der  primitiven  ßedeutungsunterschiede. 

Anstatt  aber  die  Bedeutungen  phänomenologisch  zu  aualysiren, 
um  die  logischen  Grundformen  zu  bestimmen,  oder  umgekehrt, 
anstatt  sich  klar  zu  machen,  dafs  die  logiseben  Grundformen  nichts 
Anderes  sind,  als  die  typischen  Charaktere  der  Acte  und  ihrer 
Verknüpf ungsi'ormen  (in  der  Bildung  complexer  Intentionen),  treibt 
man  logische  Analyse  im  gewöhnlichen  Sinne,  man  über- 
legt sich,  was  in  den  Bedeutungen  in  gegenständlicher  Hin- 
sicht intendirt  ist  und  sucht  dann  dies  für  die  Gegenstände  Ge- 
meinte reell  in  den  Acten.  Mau  denkt  in  den  Bedeutungen  statt 
über  die  Bedeutungen;  man  beschäftigt  sich  mit  den  vorgestellten 
und  beurtheilten  Sachverhalten,  statt  mit  den  Vorstellungen  und 
ürtheilen  (d.  i.  den  nominalen  und  propositionalen  Bedeutungen); 
man  prätendirt  und  glaubt  eine  descriptiv- psychologische  Analyse 
vollzogen  zu  haben,  vvähi'end  mau  den  Boden  der  psychologischen 
Reflexion  längst  verlassen  und  der  phänomenologischou  Analyse 
die  objective  untergeschoben  hat.  Und  objectiv  ist  auch  die 
rein-logische  Analyse,  die  erforscht  „was  in  den  blofseu  Be- 
griffen (oder  Bedeutungen)  liegt",  nämlich  was  a  priori 
Gegenständen  überhaupt  als  in  diesen  Formen  gedachten  zuüumessen 
ist  In  diesem  Sinne  erwachsen  die  Axiome  der  reinen  Logik 
und  reinen  Mathematik  „durch  blofse  Analyse  der  Begriffe".  In 
ganz  anderem  Sinne  erforscht  die  actuelle  Bedeutungsanalyse,  „was 
in  den  Bedeutungen  liegt".  Hier  allein  ist  die  Ausdrucks  weise 
eine  eigentliche:  es  werden  die  Bedeutungen  reflectiv  zu  Gegen- 
ständen der  Forschung  gemacht,  es  wird  nach  ihren  wirklichen 


Theilcn  und  Formen  gefragt  und  nicht  nach  dem,  was  für  ihre 
Gegenstände  gilt.  Die  Art,  wie  Locke  zu  seiner  Lehre  von  den 
altgemeinen  Ideen  kommt  und  unter  Anderem  auch  zu  seiner 
Lehre  von  der  Repräsentation;  ebenso  die  Art,  wie  Berkkllt  diese 
Lehre  wendet  nnd  vortheidigt,  wie  er  zumal  den  Sinn  der  allge- 
meinen Sätze  heranzieht  (man  vergleiche  seine,  oben  S.  176  cidrten 
Beispielsanalysen  aus  dem  §  11  der  Einleitung  zu  den  Principles), 
bietet  lauter  Beiego  für  das  Gesagte. 


Fünftes  Kapitel. 

Phünomenologische  Studie  über  Hume's 
Abstractionstheorie. 

§  32.     Abhängigkeit  Höhe's  von  Berkeley. 

Hojik's  Auffassung  der  Abstraction  ist,  wie  heute  nicht  mehr 
betont  werden  niufs,  keineswegs  mit  derjenigen  Bkrkülky's  iden- 
tisch.' Gleichwol  ist  sie  ihr  so  nahe  verwandt,  dafe  es  nicht  ganz 
unverständlich  ist,  wie  Huuk  zu  Beginn  seiner  Dai-stellung  im 
Vn.  Abschnitt  des  Tfeatise  dazu  kommen  konnte,  seine  These 
geradezu  Bkhkelkv  zuzuschreiben.  „Ein  grofser  Philosoph",  sagt 
er,'  „hat  die  herkönimlichü  Meinung  .  . .  bekämpft  und  behauptet, 
alle  allgemeinen  Ideen  seien  nichts  als  individuelle  Ideen,  ver- 
knüpft mit  einem  bestimmten  Namen,  der  ihnen  eine  umfassen- 
dere Bedeutung  gebe  und  bewirke,  dafs  im  gegebenen  Falle  andere 
ähnliche  Einzelideen  in  die  Erinnerung  gerufen  werden.  Ich  sehe 
in  dieser  Einsicht  eine  der  gröfsten  und  schätzenswerthesten  Ent- 
deckungen,   die  in   den   letzten  Jahren   im   Reiche   der  Wissen- 


I 


>  Vgl.  MöNONo's  Humestadien  I,  36  [218]. 

'  Ich  citire  aacli  Liprs'  verdienstvotier  deutscher  Ausgabe  des  Trealite 
(Traktat  über  die  menschliche  Natur,  I.  Tlieil,  Vll.  Abschnitt,  S.  30),  ersetze 
aber  „Voratellung"  durah  „Idee".  Hüme's  Ausdruck  mag  uns  auch  seinoa 
besoudereu  VorstellaugsbogriS  lol>endig  haltou. 


I 


Schäften  gemacht  worden  sind".  Gewifs  ist  dies  nicht  ganz  die 
Ansicht  Bekkelf.y's,  der  nicht,  wie  Hume  es  will,  erst  den  all- 
gemeinen Namen  die  Kraft  beimifst,  die  begleitenden  Einzelvor- 
stellungen zu  Kepräsentanten  der  übrigen  Einzelvorstellungen  der- 
selben Klasse  zu  machen.  Nach  BKRKrxEV  können  allgemeine 
Namen  für  sich  allein,  ohne  entsprechende  Einzelvorstellungen 
repräsentativ  fungireo,  es  können  aber  auch  die  Einzelvorstellungen 
ohne  Namen  so  fungiren,  und  es  kann  endlich  beides  zugleich 
statthaben,  wobei  aber  der  Name  in  der  Verknüpfung  mit  der 
repräsentativen  Vorstellung  keinen  Vorzug  erhiilt  Immerhin  bleibt 
aber  die  Hauptsache  bestehen,  die  Allgemeinheit  liegt  in  der  Re- 
präsentation, und  diese  fafst  Hume  ausdrücklich  als  Stellvertretung 
der  ei-scboinenden  Einzelheit  für  andere  Einzelheiten,  welche  durch 
die  eretere  psychisch  „suggerirt"  oder,  wie  Hujie  geradezu  sagt, 
in  die  Erinnerung  gerufen  worden. 

Somit  wird  Hcme  von  allen  unseren  Einwänden  mitgetrotten 
und  sogar  stärker  getroffen,  weil  bei  Bkrkelky  die  wörtliche 
Fassung  der  Stellvertretung  und  der  Anregung  der  repriisentirten 
Einzelvoretellungen  noch  ein  wenig  im  unklaren  zu  schweben 
scheint,  während  sie  bei  Huhk  in  unverbüUter  Schärfe  und  Klar- 
heit hervortritt 


Huiafs  Kritik  der  abslracten  Ideen  und  ihr  rcrmeiitUicltes  Eri/ebnis. 
iSein  Aufseraehtlassen  der  phütiomeitologischeit  Ilaujdpunkte. 

Also  in  der  Hauptsache  ist  der  Geist  der  BERKELEY'schen 
Lehre  in  Hume  lebendig.  Aber  Hume  ist  nicht  blols  reproductiv, 
er  führt  die  Lehre  weiter;  er  sucht  sie  genauer  auszugestalten  und 
zumal  sie  psychologisch  zu  vertiefen.  In  dieser  Hinsicht 
kommen  nicht  so  sehr  die  Argumente  in  Betracht,  die  Hume 
gegen  die  Lehre  von  den  abstracten  Ideen  richtet,  als  vielmehr 
die  associations- psychologischen  Betrachtungen,  die  er  an  sie 
knüpft  Jene  Argumente  gehen  im  Wesentlichen  nicht  über 
Bekkeley's  Gedankenkreis  hinaus  und  sind,  wenn  man  das  Be- 
weisziel richtig  fixirt,  durchaus  unanfechtbar.  Die  Unmöglichkeit 
der  abstracten  Ideen  im  Sinne  der  LocKE'schen  Philosophie, 


d.  i.  abstracter  Bilder,  erwachsen  durch  Lostrennung  der  Merkmal- 
ideen aus  conercten  Bildern,  ist  sicherlich  erwiesen.  Hume  selbst 
falst  aber  sein  Ergebnis  in  den  Satz:  „Abstracte  Vorstellungen 
(Ideen)  sind  danach  in  sich  individuell,  so  sehr  sie  hinsichtlich 
dessen,  was  sie  repräsentireu,  allgcraoin  sein  mögen.  Das  Bild  in 
unserem  Geiste  ist  lediglich  das  Bild  eines  einzelnen  Gegenstandes, 
wenn  auch  seiner  Verwendung  in  unseren  Urtheilen  so  sein  mag, 
als  ob  das  Bild  allgemein  wäre."'  Diese  Sätze  konnte  die  Humk- 
sche  Kritik  natürlich  nicht  erweisen.  Sie  bewies,  dars  abstracte 
Bilder  unmöglich  sind,  und  daran  durfte  sie  den  Schlufs  knüpfen, 
dafs,  wenn  wir  trotzdem  von  allgemeinen  Vorstellungen  spreclien, 
welche  zu  den  allgemeinen  Namen  als  ihre  Bedeutungen  (bezw. 
Bedeutungserfüllungon)  gehören,  zu  den  concreten  Bildern  noch 
etwas  hinzukommen  müsse,  was  diese  Allgemeinheit  der  Bedeutung 
Bchaffe.  Dieses  Hinzutretende  kann  (so  hätte  die  Uoboilegnng 
richtig  fortlaufen  müssen)  nicht  in  neuen  concreten  Ideen,  also 
auch  nicht  in  den  Namen -Ideen  bestehen;  ein  Conglomerat  von 
concreten  Bildern  kann  ja  nicht  mehr  leisten,  als  gerade  die  con- 
creten Objecto  vorstellig  zu  machen,  deren  Bilder  es  enthält. 
Uebei-sehen  wir  nun  nicht,  <lafs  die  Allgemeinheit  des  Bedeutens 
(sei  es  als  Allgemeinheit  der  Bedeutungsintention  oder  als  solche 
der  Bedeutungserfüllung)  etwas  ist,  was  in  jedem  einzelnen 
Falle,  wo  wir  den  allgemeinen  Namen  verstehen  und  sinugemäfs 
auf  Anschauung  beziehen,  fühlbar  einwohnt,  und  was  diese 
allgemeine  Vorstellung  in  unmiftclbar  evidenter  Weise  von  der 
individuellen  Anschauung  unterscheidet;  so  bleibt  nur  der  Schlufs: 
Die  Bewufstseinsweise,  die  Weise  der  Intention  mufs  es  sein,  die 
den  Unterschied  ausmacht.  Ein  neuer  Charakter  des  Meinens  tritt 
auf,  in  dem  nicht  der  anschaulich  erscheinende  Gegenstand  schlecht- 
hin, weder  derjenige  der  Wort- Idee,  noch  der  begleitenden  Sacli- 
Idee,  gemeint  ist,  sondern  etwa  die  in  der  letzteren  exemplificirte 
Qualität  oder  Form,  und  zwar  allgemein  verstanden  als  Einheit 
im  specifischen  Sinne. 


'  A.  a.  0.  S.  34  (GuBKN  and  Gaoai  I,  328). 


i 


HüjiE  abor  bleibt  an  dem  BERKELEY'schen  Gedanken  der  Re- 
präsentation häugen  und  vcräufserlicht  ihn  ganz  und  gar,  da  er, 
statt  auf  den  Bedeutungschai'akter  (in  Bedeutungsintontion  und 
Bedeutungserfüllung)  hinzublicken,  sich  in  die  genetischen  Zu- 
sammenhänge verliert,  die  dem  Namen  associative  Beziehung  zu 
den  Gegenständen  der  Klasse  verleihen.  Er  erwähnt  mit  keinem 
"Wort  und  bringt  sich  nicht  zu  wirksamer  Klarheit,  dafs  sich 
Allgemeinheit  im  subjectiveii  Erleben  bekundet  und  zwar,  wie 
vorhin  betont,  in  jedem  einzelnen  Vollzüge  einer  allgemeinen  Be- 
deutung. Und  noch  weniger  bemerkt  er,  dafs,  was  sich  hiebei 
bekundet,  scharfe  descriptive  Uutei-schiede  aufweist:  das  Bewufst- 
sein  der  „Allgemeinheit"  hat  bald  den  Charakter  der  generellen, 
bald  den  der  universellen  Allgemeinheit,  oder  es  tingirt  sich  sonst- 
wie in  den  oder  jenen  „logischen  Formen". 

Der  „ideologischen"  Psychologie  und  Erkenntnistheorie,  welche 
Alles  auf  „Eindrücke"  {Empfindungen)  und  associative  Zusammcn- 
reihungen  von  „Ideen"  (auf  Phantasmen,  als  abgeblaJste  Schatten 
der  „Eindrücke")  reduciren  will,  sind  Bewufstseinswoisen,  Acte  im 
Sinne  intentionalor  Erlebnisse,  freilieh  unbequem.  Ich  erinnere 
hier  daran,  wie  Hdme  sich  mit  dem  hclief  vergeblich  abmüht  und 
immer  wieder  darauf  verfällt,  diesen  Actcharakter  den  Ideen  als 
Intensität  oder  etwas  der  Intensität  Analoges  einzulegen.  So  mufs 
denn  auch  die  „Repräsentation"  irgendwie  auf  Greifbares  zurück- 
geführt werden.  Dies  soll  nun  die  genetisch-psychologische  Analyse 
leisten;  sie  soll  zeigen,  wie  wir  dazu  kommen,  das  blolso  Einzel- 
bild, das  wir  erleben,  „über  seine  eigene  Natur  hinaus"  in 
unseren  Urtheilon  so  zu  verwenden,  „als  ob  es  allgemein  wäre''.^ 

Die  soeben  betonte  Wendung  ist  für  die  Unklarheit  der 
HuMK'schen  Position  in  besonderem  Mafso  charakteristisch.  Mit 
dem  als  ob  giebt  Hume  seinem  grofsen  Vorgänger  Lockk  im  Grunde 
genommen  zu,  dafs  die  Theorie  der  allgemeinen  Ideen  —  wenn 
dergleichen  Ideen  möglich  wären  —  ihren  Zweck  erfüllen  würde. 
Er  bemerkt  nicht,  dafs  Locke's  allgonieine  Ideen,  als  losgerissene 
Partikeln  von  concreten  Inhalten,  selbst  wieder  individuolle  Einzel- 


A.a.0. 


heiten  darstellen  würden,  und  dafs  der  Umstand  ihrer  TJnunter- 
scheidbarkeit  von  anderen  ihresgloichen  (sei  es  lüsgotrcunteii,  sei 
es  den  concreten  Ideen  einwohnenden)  ihnen  noch  nicht  die  All- 
gemeinheit des  Gedankens  zu  verleihen  vermöchte.  Er  bemerkt 
nicht,  diifs  dazu  eigene  Acte,  eigeue  A\''eisen  des  Meinens  oder  des 
Bedeatens  nüthig  wären.  Auch  unter  der  Voraussetzung  Locke- 
scher  Abstracta  hedilrtte  es  der  Form  des  Allheitsgedankens,  um 
einen  unendlichen  Umfang  reell  nicht  vorgestellter  Einzelheiten  in 
einheitlicher  Weise  zu  intcudiron.  Ebenso  erwüchse  uns  das  Genus 
als  identische  Einheit  erst  durch  den  Act  dos  generellen  Ge- 
daukens.  U.  s.  w.  Das  objective  Gleichheitsverhältnis,  das  besteht, 
ohne  dals  es  sich  subjectiv  bekundet,  kann  doch  das  einzeln  er- 
lebte Gleiche  nichts  angehen;  die  gedankliche  Beziehung  auf  den 
Gleichheitskreis  kann  dem  Einzelnen  nichts  Anderes  geben  als 
eben  der  Gedanke. 

§  34.     I^kkbexkhung  der  üuuffsehen  Untersuchung 

auf  xwei  Fragen. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  in  den  Inhalt  der  psychologischen 
Analysen  Hume's,  so  können  wir,  was  er  mit  ihneu  leisten  will, 
durch  die  beiden  Fragen  zum  Ausdruck  bringen. 

1.  Wie  kommt  die  Einzelidec  zu  ihrer  repräsentativen  Func- 
tion; wie  wächst  ihr  psychologisch  dio  Fähigkeit  zu,  als  Stell- 
vertreteriu  anderer  ähnlichen  Ideen  und  schliefslich  aller  möglichen 
Ideen  dei'sotbeu  KJas.so  zu  fungireu? 

2.  Dieselbe  Einzelidee  ordnet  sich  vielen  Aehnlichkoitskreisen 
ein,  während  sie  in  jedem  bestimmten  Gedankenzusammenhange 
nur  Ideen  eines  solchen  Kreises  repräsentirt.  Woriin  liegt  es 
also,  dafs  gerade  dieser  Kreis  der  Repräsentation  in  diesem  Zu- 
sammenhange ausgezeichnet  ist,  was  schränkt  die  stellvertretende 
Function  der  Einzelidee  in  dieser  Weise  ein  und  macht  so  erst 
Einheit  dos  Sinnes  möglich? 

Es  ist  klai',  dafs  diese  p.sychologischen  Fragen  ihren  guten 
Sinn  behalten,  wenn  man  den  hier  mafsgebenden  Begriff  der 
Repräsentation   fallen  läfst   und  dafür  den  wolveretandeuen   und 


echten  Begriff  der  allgemeinen  Vorstellung  als  Act  der  allgemeinen 
Bedeutung  substituirt.  Dafs  die  allgemeinen  Vorstellungen  aus  den 
anschaulichen  genetisch  erwachsen  sind,  ist  sicher.  Wenn  sich 
aber  das  Bewufstseia  dos  Allgemeinen  an  der  individuollen  An- 
schauung immer  wieder  entzündet,  aus  ihr  Klarheit  und  Evidenz 
schöpft,  so  ist  OS  dariuii  nicht  diroct  aus  dem  einzelnen  Anschauen 
entsprungen.  Wie  sind  wir  also  dazu  gckommenj  über  die  in- 
dividuelle Anschauung  hinauszugehen  und,  statt  der  erscheinenden 
Einzelheit,  etwas  Anderes  zu  meinen,  ein  Allgemeines,  das  sich 
in  ihr  vereinzelt  und  doch  nicht  reeU  in  ihr  enthalten  ist?  Und 
wie  sind  all  die  Formen  erwachsen,  die  dem  Allgemeinen  wech- 
selnde gegenständliche  Beziehung  geben  und  die  Unterschiede  der 
logischen  Vorstellungsarten  ausmachen?  Sowie  dann  die  associa- 
tiven  Zusammenhängo  erklärend  herangezogen  worden,  stofscn  wir 
alsbald  auch  auf  die  dispositionellen  Achulichkoitsgruppen  und  die 
ihnen  äufserlich  angeknüpften  Zeichen.  Damit  wird  auch  die  zweite 
Frage  actuell,  wie  es  möglich  ist,  dafs  die  Aehnlichkeitskreiso 
ihren  festen  Zusammenhalt  bewahren  und  sich  im  Denken  nicht 
durcheinander  wirren. 

Bei  dieser  Sachlage  ist  es  kein  Widerspruch,  wenn  wir  einer- 
seits Hüme'.s  Behandlung  der  Abstraction  als  eine  extreme  Vor- 
irrung bezeichnen ,  und  ihr  andererseits  doch  den  Ruhm  vindiciren, 
der  psychologischen  Theorie  der  Abstraction  den  Weg  gevriescn 
7.11  haben.  Eine  e.xtremo  Verirrung  ist  sie  in  logischer  und  er- 
kenntnisthooretischer  Beziehung,  in  welcher  es  darauf  ankommt, 
die  Erkenntuiserlebnisso  rein  phänomenologisch  zu  erforschen,  die 
Denkacto  als  das,  was  sie  für  sich  sind  und  für  sich  enthalten, 
zu  betrachten,  um  den  fundamentalen  Erkenntnisbegriffen  Klarheit 
zu  verschaffen.  Was  aber  Hume's  genetische  Analyse  anbelangt, 
80  kann  sie  freilich  auf  theoretische  Vollkommenheit  und  End- 
giltigkeit  nicht  Anspruch  erheben,  da  ihr  eine  ausreichende  descrip- 
tive  Analyse  als  Unterlage  mangelt.  Dies  hindert  aber  nicht,  dafs 
sie  werthvolle  Gedankenreihen  enthält,  die  weiterhin  nicht  un- 
beachtet bleiben  konnten  und  ihre  fruchtbare  Wirkung  auch  geübt 
haben. 


Mil;  dem  völligen  Mangel  an  einer  streng  descriptiven  Analyse 
des  Denkens,  bezw.  mit  der  Unterschiebung  der  genetisch -psycho- 
logischen Untersuchung  an  die  Steile  der  erkenntnistheoretisclien 
hängt  es  übrigens  zusammen,  dafs  auch  Hume  in  der  Auffassung 
des  Denkens  als  einer  erkenntnis-ökonomischen  Function  einen 
Gesichtspunkt  für  dessen  erkenutnistlieorctisclie  Klärung  zu  besitzen 
meint.  Darin  ist  Humk  der  echte  Schüler  LocKK'scher  Pliilosophie. 
Was  dagegen  einzuwenden  ist,  haben  wir  im  vorigen  Kapitel' 
ausreichend  erörtert. 


§  35.     Das  leitende  Princip,  das  Ergebnis  und  die  ausführenden 
Hauptgedanken  HuuE'scher  Abstractianslehre. 

Das  leitende  Princip  seiner  psychologischen  Darlegungen 
spricht  HüME  mit  folgen«Ien  "Worten  aus: 

„Wenn  die  Vorstellungen,  [die  unserem  Geiste  gegenwärtig 
sind,  jederzeit]  ihrer  Natur  nach  individuell  und  zu  gleicher  Zeit 
ihrer  Zahl  nach  beschränkt  sind,  so  können  sie  nur  auf  Grund  der 
Gewöhnung  hinsichtlich  dessen,  was  sie  repräsentiren ,  allgemein 
werden  und  eine  unbeschrankte  Zahl  anderer  Vorstellungen  in  sich 
scliliefeen."  * 

Das  Ergebnis  lautet: 

„Eine  Einzelvorstellung  wird  allgemein,  indem  ein  allgemeiner 
Name  mit  ihr  verknüpft  wird,  d.  h.  ein  Name,  welcher  zugleich 
gewohnheitsmäfsig  mit  vielen  anderen  einzelnen  Vorstellungen  ver- 
bunden worden  und  dadurch  mit  ihnen  in  [associative}  Beziehung 
getreten  ist,  sodafs  er  diese  bereitwillig  der  Einbildungskraft  zu- 
führt."» 

Die  Hauptgedanken  der  Ausführung  konnzeichnet  das 
Citat: 

„Diese  Verwendung  von  Vorstellungen  über  ihre  eigene  Natur 
hinaus  beruht  nun  darauf,  dafs  wir  alle  möglichen  Grade  der 
Quantität  und  Qualität  in  einer  unvollkommenen  Welse,  die  aber 


'  Vgl.  §  24,  S.  165. 

»  A.  a.  0.  S.  39  (CJRKEN  aud  Gbose  I,  332). 

»  A.  a.  0.  S.  37  (Green  and  Ohosk  I,  330). 


den  Zwecken  des  Tjebens  entspriclit,  in  unserem  Geiste  zusammen- 
fassen können Wenn  wir  gefunden  haben,  dafs  mehrere  Gegen- 
stände, die  uns  oft  begegneten,  Aelinlicbkeit  liaben,  so  brauchen 
wir  für  alle  denselben  Namen,  was  wir  auch  für  Unterschiede  in 
den  Graden  ihrer  Quantität  und  Qualität  wahrnehmen,  und  was  für 
üntorechiede  sonst  an  ihnen  hervortreten  mögen.  Wenn  dies  nun 
für  uns  Sache  der  Gewohnheit  geworden  ist,  so  erweckt  der  Klang 
jenes  Namens  zunächst  die  Vorstellung  eines  jener  Gegenstände 
und  bewirkt,  dals  die  Einbildungskraft  diesen  mit  allen  seinen 
bestimmten  Eigenschaften  und  Gröfscnverhältnissen  erfafst.  Wie 
wir  voraussetzen,  ist  aber  dasselbe  Wort  häufig  auch  auf  andere 
Einzeldinge  angewandt  worden,  die  iu  manchen  Beziehungen  von 
jener  dem  Geiste  uumittolbar  gegenwärtigen  Vorstellung  verschieden 
sind.  Die  Vorstellungen  aller  dieser  Einzeldinge  nun  vermag  das 
Wort  nicht  wachzurufen.  Es  berührt  aber,  wenn  ich  so  sagen 
darf,  die  Seele,  und  ruft  jene  Gewöhnung  wach,  welche  wir  bei 
der  Betrachtung  derselben  erworben  haben.  Die  Einzeldinge  sind 
nicht  wirklich  und  thatsächlich  dem  Geiste  gegenwartig,  sondern 
nur  potentiell;  wir  heben  sie  nicht  alle  in  unserer  Einbildungs- 
kraft heraus,  sondern  halten  uns  nur  bereit,  beliebige  von  ihnen 
ins  Auge  zu  fassen,  wie  es  uns  eben  in  einem  gegebenen  Augen- 
blick Absicht  oder  Notliwendigkeit  eingeben  mögen.  Das  Wort 
ruft  eine  Einzel  Vorstellung  hervor,  und  mit  ihr  zugleich  eine  ge- 
wisse gewohnheitsmäfsige  Tendenz  des  Vorstellens.  Diese  gewohn- 
heitsmälsige  Tendenz  weckt  dann  eine  andere  Einzelvorstellung, 
wie  wir  sie  gerade  brauchen  mögen.  Da  die  Hervorrufuog  aller 
Vorstellungen,  für  die  der  Name  gilt,  in  den  meisten  Fällen  un- 
möglich ist,  so  kürzen  wir  jene  Arbeit  durch  eine  blofs  theilweise 
Betrachtung  ah.  Wir  überzeugen  uns  zugleich,  dafs  aus  solcher 
Abki5rzung  nur  geringe  Unzuträglichkeiten  für  unser  Denken  ent- 
stehen .  .  .' 

Diese  Citate  mögen   dazu  dienen,   ims  den  Hauptinhalt  der 
HüME'schen  Theorie  mit  einer  für   unsere  Zwecke  ausreichenden 


■nd  Orosk  I,  3281.) 


Vollständigkeit  zu  vergegenwärtigen.  Auf  üire  kritische  Analyse 
haben  wir  hier  nicht  einzugehen,  da  genetische  Probleme  nicht 
in  den  Rahmen  unserer  Aufgabe  fallen. 

§  36.     HuuE's  LeJire  von  der  dislinctio  rationis  in  der 
gemäfsifjten  und  radicalen  Interpretation. 

Von  besonderem  Interesse  ist  für  uns  Hümk's  Lehre  von  der 
distinctio  rationis,  durch  welche  mittelbar  zugleich  die  zweite  oben 
formulirte  Frage  ihre  Erledigung  findet.  Es  handelt  sich  um  die 
Frage,  wie  wir  abstracte  Momente,  die  doch  nicht  zu  Ideen  für  sich 
werden  können  (nämlich  durch  eine  Abstraction  in  dem  LocKE'schen 
Sinne  der  Abtrennung),  von  den  anschaulichen  Objecten  zu  unter- 
scheiden vermögen.  Wie  kommt  es  zur  Unterscheidung  zwischen 
der  soeben  angeschauten  weifsen  Kugel  und  der  Weiße,  bezw. 
der  Kugelform,  da  doch  „Weifse"  und  „Kugelform"  nicht  als 
Ideen  (im  LocKE'schen  Sinne)  gelten  können,  die  in  der  concreten 
Idee  als  besondere  und  aus  ihr  herauslösbare  Theile  enthalten  wären. 
Bekkklev  hatte  diese  Frage  durch  Hinweis  auf  die  pointircude 
Kraft  der  Aufmerksamkeit  beantwortet.  Hüme  sucht  hier  tiefer 
einzudringen  und  giebt  folgende  Hisung:* 

Vergleichen  wir  die  weifse  Kugel  mit  einer  schwarzen  Kugel 
und  andererseits  mit  einem  woifsen  Würfel,  so  bemerken  wir  zwei 
verschiedene.  Aelmlichkeiten.  Durch  öftere  Vergleichungeu  solcher 
Art  sondern  sich  für  uns  die  Objecto  in  Aehnlichkeit.skreise,  und 
wir  lernen  durch  die  erwachsenden  gewohnheitsmäfsigen  Tendenzen 
(habits)  jedes  Object  „nach  verschiedenen  Gesichtspunkten 
betrachten",  den  Aelmlichkeiten  entsprechend,  die  seine  Einord- 
nung in  verschiedene,  aber  bestimmte  Kreise  gestatten.  Wenn  wir 
unser  Augenmerk  gegebenenfalls  auf  die  blofse  Farbe  richten,  liegt 
darin  nicht,  dafe  wir  die  Farbe  absondern,  wol  aber  dafs  wir  die 
thatsächlich  einheitliche  und  untheiibaro  Anschauung  „mit  einer 
Art  Reflexion  begleiten,  von  welcher  wir  vermöge  der 
Gewöhnung  nur  ein  sehr  undeutliches  Bewufstsein 
haben".     In  diesem  undeutlichen  Bewufstsein  schwebt  uns  etwa 


'  A.  a.  0.  8.40  (Orbeh  and  Orosb  I,  332). 


I 


die  schwarze  Kii^cl  vur,  und  dadurch  tritt  eine  Aehnlichlioit  (sc.  die 
hinsichtlich  der  Farbe)  liervor,  auf  die  wir  unseren  inneren  Blick 
richten,  sodafs  die  wahrgonommeno  weifse  Kugel  nur  dem  Aehn- 
lichkeitskreis  der  Farbe  eingeordnet  ist.  Je  nach  der  Art  dieser 
Reflexion,  bezw.  der  Aehnlichkeiten,  die  in  ihr  mafsgebeod  sind, 
ist  an  demselben  Anschauungsübject  ein  verschiedenes  , Moment' 
beachtet;  oder,  was  im  Wesen  auf  Eins  hinauskommt,  dieselbe 
Anschauung  dient  als  Grundinge  für  die  sogenannte  Abstraction 
allgemeiner  Vorstellungen;  zu  jedem  AeUnlichkeitskreis  gehört 
associativ  ein  besonderer  Name,  so  dafs  durch  jene  innere  Re- 
flexion mit  der  , Hinsicht'  der  Betrachtung  auch  der  allgemeine 
Name  bestimmt  ist. 

Psychologische  Forschung  ist  hier  nicht  unsere  Sache,  imd 
somit  kommt  es  uns  eigentlich  nicht  zu,  das  Werthvolle  und 
andererseits  wieder  Unausgereiftc  dieses  theoretischen  Versuches 
kritisch  herauszustellen.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  müssen  wir 
uns  aber  mit  ihm  besclmftigen,  in  Rücksicht  auf  einen  paradoxen 
Gedanken,  der  Hdjie's  Darlegung  zu  bewegen  scheint,  während 
er  in  unverhüllter  Schroffheit  erst  von  modernen  Humeanern 
vertreten  worden  ist.  Dieser  Gedanke  spricht  sich  folgender- 
mafsen  aus: 

Merkmale,  innere  Beschaffenheiten,  sind  nichts  den  Gegen- 
ständen, die  sie  , haben',  im  wahren  Sinne  Einwohnendes.  Oder 
psychologisch  gewendet:  Die  verschiedenen,  von  einander  unab- 
trennbaren Seiten  oder  Momente  eines  anschaulichen  Inhalts,  wie 
die  Färbung,  Form  u. s. w.,  die  wir  doch  als  etwas  in  ihm  Vor- 
handenes zu  erfassen  vermeinen,  sind  in  Wahrheit  garnichts  in 
ihm.  Vielmehr  giebt  es  nur  eine  Art  von  wirklichen  Theilen, 
nämlich  die  Theile,  welche  auch  für  sich  gesondert  erscheinen 
können,  mit  einem  Worte;  die  Stücke.  Die  sogenannten  abstracten 
Theilinhalte,  von  denen  es  heilst,  dafs  sie  zwar-  nicht  fttr  sich 
sein  (bezw.  angeschaut  sein),  aber  für  sich  beachtet  werden  können, 
sind  gewissem)  afsen  blofse  Fictionen  cum  fimdaineido  in  rc.  Nicht 
ist  die  Farbe  in  dem  Farbigen,  die  Form  in  dem  Geformten,  son- 
dern es  giebt  in   Walirheit  nur  jene  Aehnlichkeitskreise,  denen 


sich  das  betreffende  Objoct  einreiht,  und  gewisse  zu  seiner  An- 
soüauuiig  geliürigc  liiibilf<,  unbewufsto  Dispositionen  oder  uniiierk- 
licho  psychisclie  Vorgänge,  die  durch  die  Anschauung  erregt,  bezw. 
inscenirt  werden. 

Genauer  gefafst  wäre  der  Zweifel  allerdings  ein  doppelter, 
ein  objoctivcr  und  .subjectiver.  In  objectivor  Hinsieht  betrifft  er 
die  Oegonstiinde  der  Erscheinung  in  Relation  zu  ihren  inneren 

^Beschaffenheiten;  in  subjectiver  oder  psychologischer  Hinsicht 
die  Erscheinung  selbst,  das  actuelle  psychische  Erlebnis  in 
Relation  zu  ihrem  Gehalt  an  Eniptinduiigen  und  überhaupt  an 
sinnlichen  Inhalten,  d.  h.  an  denjenigen  Inhalten,  welche  im  Acte 
der  Anschauung  die  objectivircndo  Deutung  erfahren.  In  dieser 
Deutung  vollzieht  sich  für  uns  das  Erscheinen  der  entsproclienden 
gegenstündlichen  Merkmale  oder  ßeschatfenheiten.  Also  auf  der 
einen  Seite  handelt  es  sich  um  die  Kugel  selbst  und  ihre  inneren 
Beschaffenheiten,  z.  B.  ihre  gleichraäfsig  weifse  Färbung;  auf  der 
anderen  Seite  um  die  Kugelorscheinung  (die  Kugelidee)  und 
die  ihr einwolinendeEmpfindungscomple.xion;  darunter  z.B. die  sich 
continuh'lich  abschattende  Wcifsempfiudnng  —  das  snbjective 
Correiat  der  in  der  Wahrnehmung  gleichmäfsig  erscheinenden 
objectiven  Wellso.  Aber  diesen  Untei-schied  hat  Hume  hier  wie 
überall  unbeachtet  gelassen.  Für  ihn  fliefst  Erscheinung  und  Er- 
scheinendes zusammen. 

Ich  bin  nicht  eben  sicher,  ob  Hume's  eigene  Ansicht  iu  den 
oben  formuürten  Thesen  getroffen  ist,  oder  ob  er  nicht  {gegen  die 
Lockeanor  gewendet)  blofs  meint,  es  sei  das  concrete  Object  in 
Betreff  seiner  Merkmale  schlechthin  einfach,  und  zwar  einfach  im 
Sinne  der  Unzerstückbarkcit  in  diese  Merkmale,  während 
die  Merkmale  als  „Momente  der  Uebereinstimmung"'  doch  etwas 
in  den  einzelnen  gleichartigen  Objecten  selbst  Yorhandenes  blieben. 

ilst  diese  Deutung  richtig,  dann  bleibt  Hümk  in  der  Sache  mit 
Berkelky  einig,  nur  dafs  er  darauf  ausgeht,  die  Weise,  in  der  die 
distincUo  ralionis  zu  Stunde  konunt,  psychologisch  aufzuklären. 


'  Vgl.  a.a.O.  S.35  (Oriiw  u.  Orose  I,  328,  Ajini.). 

Raisorl,  Log.  Dnteni.  tl. 


13 


Das  Problem  hat  offeßbar  einen  guten  Sinn,  auch  wenn  man 
die  abstracten  Momente  als  wahrhaft  innewolincnde  festhält.  Man 
fragt  eben,  wie  die  einzelnen  Merkmale,  da  sie  nur  in  innigster 
wechselseitiger  Durchdringung  und  nie  für  sich  allein  auftreten 
können,  doch  zu  ausschliofsücJien  Objecten  von  Anschauungs-  und 
Denkintentionen  werden  können;  und  in  ersterer  Hinsicht,  wie 
der  Vorzug  der  Aufmerksamkeit  zu  erklären  sei,  der  jetzt  gerade 
dem  und  dann  einem  anderen  Merkmal  die  Gunst  des  Bemerkens 
versdiafft. 

§  37.     Einwände  getfen  diese  Lehre  in  ihrer  radicalen 
Inlerprclation. 

Die  Einwände,  die  sich  unter  Voraussetzung  der  gemäfsigten 
Auffassung  der  HuME'schen  Darstellung  ergeben,  hahen  wir  hier, 
wo  uns  nicht  das  psychologische  Interesse  seitab  führen  darf,  nicht 
zu  erörtern.  Es  sei  nur  soviel  gesagt,  dafs  sich,  bei  passender 
Müdification,  auf  Grund  der  Huire'schen  Gedanken  eine  brauchbare 
Theorie  wol  ausbilden  läfst.  Vor  Allem  darf  man  die  mythische 
„innere  Reflexion"  nicht  ernst  nehmen.  In  sehr  klarer  und  scharf- 
sinniger Weise  hat  E.  Müi.u:r  (in  den  von  F.  ScnuMA\N'  veröffent- 
lichten Dictaten)  die  HüxiK'sche  Theorie  genauer  ausgestaltet,  und 
obschon  er  selbst  die  radicale  Deutung  zu  bevorzugen  scheint,  so 
tritt  in  dieser  Ausgestaltung  doch  die  Fruchtbarkeit  der  HcjiE'schen 
Ansätze  oder  Keime  deutlich  hervor. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Kritik  der  radicalen  Interpretation 
der  HuME'schen  Lehre.  Sie  ttillt  mitten  in  die  Sphäre  dos  er- 
kenntnistheoretischen Interesses.  Die  Schwierigkeiten,  in  die  sie 
sich,  bei  consequenter  Durchführung,  verwickelt,  sind  nicht  gering. 

Wenn  die  den  absoluten  Merkmalen  entsprechenden  abstracten 
Inhalte  in  der  concreten  Anschauung  selbst  nichts  sind,  so  sind 
die  Verknüpfungs-  und  Bezieh ungsinhalte  erst  recht  nichts  in  der 
Anschauung   eines   Inbegriffes  von    entsprechender   Einheitsform. 


'  F.  Schümann,  Zur  Psychologie  der  Zeitanschaaung,  Zeitsohr.  f.  Psycho- 
logJQ  uod  Physiologie  der  Sionesorgane,  Bd.  17,  S.  107  ff. 


I 


Selbstverständlich  ist  das  Problem  der  dislinctlo  rntionis  und  das 
Frincip  seiner  Lösung  füi-  alle  abstracten  Inhalte  dasselbe.  Es 
ist  für  Beziehungs-  und  Verknüpfungsinhalte  also  dasselbe,  wie 
für  die  absoluten  Inhalte.  Daher  kann  man  die  Frage,  wie  das 
scheinbare  Vorfinden  oder  Unterstdieidon  der  Farbe  an  dem  (oder 
von  dem)  farbigen  Gegenstände  zu  Staude  komme,  nicht  beant- 
worten durch  den  Recurs  auf  ein  Vorfinden  der  Achnliciikeit 
zwischen  dem  farbigen  Gegenstande  und  anderen  farbigen  Gegen- 
ständen. Denn  dieses  Vorfinden  würde,  in  consequenter  Fort- 
führung der  Erklärung,  auf  ein  Vorfinden  einer  Aehnlichkeit  dieser 
Aehnlichkeit  mit  anderen  Aehnliclikeiten  zurückleiten  (im  Beispiel 
der  Farbe:  Aehnlichkeitsgruppe  von  Aehulichkeiten,  wie  sie 
zwischen  farbigen  Objecten  bestehen);  auf  diese  Aehnlichkeit 
müfste  das  Erklärungsprineip  wieder  angewendet  werden,  u.  s.  w. 

Dieses  Argument  überträgt  sich  von  den  abstracten  Inhalten, 
worunter  wir  reell  erlobte  Momente  in  der  Einheit  der  concreten 
Anschauung  vorstehen,  auf  die  Voretellungen  von  Merkmalen  und 
Comple.\ionsformen  „äufserer"  Gegenstände.  Wir  lassen  also  die 
Unterscheidung  wirksam  werden,  die  wir  oben  Hüme  gegenüber 
betont  liaben;  nämlich  die  Unterscheidung  zwisclieu  der  concreten 
Anschauung  als  dem  reell  gegenwärtigen  psychischen  Erlebnis 
und  dem  angeschauten  (wahrgenommonen ,  phantasirten  u.  s.  w.) 
Gegenstand.  Hierbei  ist  zu  beachten,  dafs  diesem  Gegenstand 
nicht  untergeschoben  werden  darf  irgendeine  naturwissenschaftliche 
oder  metaphysische  Transscendenz,  sondern  dafs  der  Gegenstand 
als  derjenige  gemeint  ist,  als  welcher  er  in  dieser  Anschauung 
erscheint,  als  welcher  er  ihr  sozusagen  gilt.  Also  die  Kugel- 
erscheinung ist  gegenübergestellt  der  erecheinenden  Kugel. 
Ebenso  seien  wieder  gegenübergestellt  die  empfundenen  Inhalte 
der  Kugelerscheinung  (als  Momente,  welche  die  descriptive  psycho- 
logische Analyse  vorzufinden  vermag)  und  die  (wahrgenommenen, 
phanta.sirten)  Theile  oder  Seiten  der  erscheinenden  Kugel;  z.  B. 
die  Weilkempfindung  und  die  Weilse  der  Kugel. 

Dies  vorausgeschickt  können  wir  stxgen:  Wollte  Jemand  alle 
Rede   von    anschaulicher   Voi-stellung   abstracter   gegenständlicher 

13* 


Bestinimtlioiten  für  eine  blofse  Scheinrede  erklären  und  behaupten, 
wo  immer  wir  k.B.  eineßesoliaffeulieit  WeifswalirzuiifiitHeii  glauben, 
sei  eigentlich  nur  irgendeine  Aelmlichkeit  zwischen  dem  erschei- 
nenden Gegenstand  und  anderen  Gegenständen  wahrgenommen, 
oder  sonstwie  vorgestellt;  so  verwickelte  er  sich  in  einen  unend- 
lichen Regrefs,  da  die  Kode  von  der  vorgestellten  Aoljnlichkeit 
entsprechend  umzudeuten  wäre. 

Aber  hier  zeigt  sich  die  Absurdität  der  besti-ittenen  Auffassung 
auch  unmittelbar  darin,  dafs,  aller  Evidenz  zu  Trotze,  dem  intcn- 
tionalen  Object  ein  von  ihm  evident  verschiedenes  untergerfchobon 
wird.  Was  in  der  Intention  einer  Anschauung  Hegt,  was  ich  wahr- 
nehmend zu  erfassen,  phantasirend  mir  einzubilden  vermeine,  ist 
in  weitem  Umfange  allem  Streit  entlioben.  Uober  die  Existenz 
des  Gegenstandes  der  Wahrnehmung  kann  ich  mich  täuschen,  nicht 
aber  darüber,  dafs  ich  ihn  als  so  und  so  bestimmten  wahrnehme, 
und  dafis  er  in  der  Meinung  dieses  Wahrnehmeus  nicht  ein 
total  anderer  ist,  z.  B.  ein  Tannenbaum  statt  eines  Maikäfers.  Diese 
Evidenz  iu  der  bestimmenden  Beschreibung,  bezw.  Identi- 
ficirung  und  wechselseitigen  Unterscheidung  der  inten- 
tionalen  Gegenstände  bat  zwar,  wie  leicht  verständlich,  ihre 
Schranken,  aber  sie  ist  wahre  und  echte  Evidenz.  Ja  ohne  sie 
wäre  auch  die  viclgerühmte  Evidenz  der  inneren  Wahrnehmung, 
mit  der  sie  gewöhnlich  vermengt  wird,  schlechterdings  nutzlos; 
sowie  die  ausdrückende  Rede  anhebt,  imd  die  descriptive  Unter- 
scheidung der  innerlich  wahrgenommenen  Data  vollzogen  wird,  ist 
diese  Evidenz  schon  vorausgesetzt,  oder  es  ist  von  Evidenz  über- 
haupt niclit  mehr  die  Rede.i 

Diese  Evidenz  kommt  uns  hier  zu  Gute.  Es  ist  etwas  evident 
Verschiedenes,  das  Roth  dieses  Gegenstandes  anschauen  und  irgend 
eine  Aehnlichkeitsrelation  anschauen.  Wenn  man  diese  letztere 
Anschauung  ins  Unbemerkte  oder  Unbowufste  verlegt,  so  häuft 
sich  nur  die  Unzutiäglichkeit,  da  man  die  evident  gegebene  In- 
tention zu  Gunsten  eines  Uubemerkbaren  dahingiebt. 


'  Vgl.  dazu  die  Annierkung  2  ain  Schlüsse  dieses  Puragrapliun. 


Phättomenologisctte  Studie  üb 


tionstheorie.    197 


In  die  gegenwärtige,  auf  djo  erscheinenden  Objecto  bezüg- 
liche Ueberlegung  fiicfst  die  vorige  mit  ein,  solern  die  Inhalte  in 
der  psychologischen  Analyse  zu  Wahmehniungsobjecten  worden. 
Wenn  wir  auch  die  Kugelerscheinung  nicht  mehr  Ding  und  die 
ihr  einwohnenden  abstracten  Inhalte  nicht  mehr  Beschaffenheiten 
oder  Merkmale  nennen  werden  und  nennen  dürfen,  so  ist  die 
dcscriptive  Sachlage  bezüglich  der  hier  in  Frage  kommenden  Punkte 
doch  dieselbe.  Die  Unterschiede  sind  metaphysisch  (oder  wenn 
niuTi  will  naturwissenschaftlich);  dio  Dinglichkeit  ist  kein  phäno- 
menologischer Charakter,  sie  ist  niehLs  im  jeweilig  gegebenen 
Phänomen  selbst  Liegendes  und  Aufweisbaros;  sondern  sie  weist 
auf  empirische  Zusammenhänge  hin,  letztlich  und  objectiv  auf  die 
Einheit  der  NTaturgosetzlichkeit. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  Sachlage,  können  wir  die,  für  die 
Unterscheidung  der  inleiitioiuden  Gegenstände  überhaupt  geltende 
Evidenz,  auch  für  die  intoutionale  Unterscheidung  der  inneren 
Data  in  Anspruch  nehmen.  In  diesem  Grenzfall,  wo  der  intendirte 
Gegenstand  zum  reellen  Inhalt  dos  Erlebnisses  selbst  gehört,  tritt 
zugleich  auch  die  Evidenz  der  „inneren  Wahrnehmung"  in  Action, 
wir  haben  nicht  nur  die  Evidenz  der  ünterschiodonheit  der  inten- 
dirten  Data,  sondern  auch  die  von  ihrem  wirklichen  Dasein.  Wo 
wir  z.  B.  unser  analysirendes  Interesse  statt  der  erscheinenden  Kugel, 
vielmehr  der  Kugelerscheinung  zuwenden,  und  an  ihr  Theile  oder 
Seiten  nnterschoiden  und  dabei  von  dem,  was  uns  dio  empfundenen 
Inhalte  bedeuten,  willkürlich  absehen:  da  haben  wir  mit  der  Evidenz, 
dafs  dieser  Farbeninhalt,  dieser  Gestaltinhalt  u.  s.  w.  erscheint,  zu- 
gleich die  Evidenz,  dafs  er  wirkUch  da  ist.  Mag  auch  das  Ab- 
sehen von  der  Deutung  nicht  überall  gelingen,  und  noch  weniger 
eine  beliebig  weit  zu  treibende  Analyse  der  erlebten  Inhalte  ge- 
lingen; im  Groben  und  Rohen  ist  beides  jedenfalls  möglich.  So 
gut  die  Evidenz  bezüglich  der  Unterschiede  intontionaler  Gegen- 
stände auch  sonst  nicht  dadurch  aufgehoben  wird,  dafs  wir  uns 
über  unsere  Intentionen  leicht  täuschen,  sobald  wir  nämlich  über 
die  Sphäre  der  groben  Unterschiede  hinausgehen;  so  gut  also  z.B. 
der  Unterschied  zwischen  einem  Maikäfer  und  Tannenbaum  eine 


I 


echte  Evidenz  ist:  so  gut  ist  es  eine  echte  Evidenz,  welche  uns 
öfters  sagt,  es  sei  das  Farbenmonient,  die  Empfindung,  in  der 
einheitlichen  Anschauung  reell  vorhanden,  es  sei  etwas  sie  Mit- 
constituireudes  und  in  ihr  vom  (iestaltmonient  Unterecliiedenes. 
Dem  geschieht  gar  kein  Einti-ng  dadurch,  dafs  eine  Lostrennung 
dieser  Momente,  ein  Fiirsichsein  derselben  statt  des  blofsen  An- 
etwas-  oder  Gehabtseiiis  undenkbar  ist. 

Dieser  evidenten  Sachlage  wird  man  nicht  dadurch  gerecht, 
dafs  man  sagt:  Au  sich  bestehen  gewisse  psychische  Vorgänge, 
etwa  die  unbemerkton  Erregungen  der  Aehnlichkoitsreihen,  und 
hiedurch  erhält  das  bctrett'eude  absolut  einfache  Concretum  nur 
einen  gewissen  Charakter,  eine  gewisse  Färbung,  eine  JxjiKs'sche 
„{ringe".  Denn  fürs  Erste  liaben  die  fr'mgcs  ihre  Realität  so 
gut  wie  die  supponirten  unbewufsten  Vorgänge,  die  uns  in  rein 
phänomenologischer  Betrachtung  übrigens  garnichfs  angehen;  und 
zweitens  sind  fringe^  doch  eine  Art  Zugaben,  die  ebenso  gut 
da  sein,  wie  fehlen  können;  identiticiren  wir  also  die  hier 
supponirten  fringes  mit  den  am  Concretum  evident  merklichen 
Momenten,  so  würden  iliese  letzteren  insgosammt  zu  blofsen  An- 
hängseln an  einem  Träger,  und  dieser  Träger  hätte  ganz  den 
Charakter  der  wunderbaren  qualitätslosen  Substanz,  die  Niemand 
mehr  ernst  nimmt 

Die  Evidenz,  dafs  die  einheitüclie  Färbung,  Gestalt  und  der- 
gleichen innere  Bestimmtheiten  wirklich  zur  Einheit  der  An- 
schauung, als  sie  constituirende  Momente,  gehören,  ist  in  keiner 
"Weise  wegzudeuten.  Man  mag  sie  allenfalls  als  Ergebnisse  irgend- 
welcher Verschmelzungen  erklären  oder  auch  als  Producte,  die  ihre 
Factoren  noch  reell,  jedoch  in  unmerklicher  Weise,  in  sich  fassen; 
aber  so  interessant  und  wichtig  dies  in  psychologischer  Hinsicht 
sein  mag,  an  dem  descriptiven  unmittelbaren  Befund,  an  dem, 
was  für  die  Klärung  der  Begriffe  und  Erkenntnisse  allein  in  Be- 
tracht kommt,  wird  dadurch  nichts  geändert.  Die  abstracten  Inhalte 
und  mit  ihnen  die  abstracten  Begriffe  wegtheoretisiren ,  das  heifst 
als  fictiv  erweisen  wollen,  was  in  Wahrheit  die  Voraussetzung 
alles  einsichtigen  Denkens  und  Erweisens  überhaupt  ist. 


Vielleicht  wendet  man,  byperkritiscfien  Bedenken  nachgebend, 
noch  ein,  die  distindio  rationis  sei  nur  im  Urtlieil  gegeben.  Auf 
der  einen  Seite  stehe  das  absolut  einheitliche  Phänomen  und  dazu 
trete  dann  die  Aussage,  ihm  die  inneren  Unterschiede  zusprechend. 
Aber  dies  beweise  nicht,  dals  das  Phänomen  darum  wirklich  innere 
Unterschiede  habe. 

Wir  würden  antworten:  Selbstverständlich  ist,  wo  immer  wir 
über  ein  Erlebnis  urtheilen,  zweierlei  da,  das  Erlebnis  und  die 
Aussage.  Aber  die  Aussage  kann  ja  auch  richtig  sein,  und  sie 
ist  es  doch  wol,  wenn  sie  einsichtig  ist.  AVill  man  irgendje 
einen  Fall  gelten  lassen,  wo  ein  Enthaltensein  wahrhaft  gegeben 
und  erlebt  ist,  so  kann,  dafs  dem  so  ist,  doch  nur  auf  Grund  der 
Evidenz  behauptet  worden.  Und  wenn  jemals  Evidenz  für  ein 
Enthaltensei u  sprach,  so  thut  sie  es  sicherlich  hier.  Freilich  darf 
man  den  Begriff  des  Enthaltens  nicht  unnöthig  einschränken, 
nSmlieli  auf  den  Begriff  des  Gegliedertseins  in  abgesetzte  Stücke. 
Hält  man  sich  an  diesen  engeren  Begriff,  so  entfällt  das  Wort, 
die  Sache  aber  ist  klar. 

Anmerkungen. 
1.  Eine  Gedankenroiho,  (lerjeiiigon,  die  uns  eben  beschäftigte,  nahe 
vei'>*'aiidt ,  ist  uns  bereits  früher'  begegnet.  Es  handelte  sich  dort 
um  die  Frage,  ob  Species  als  Gegenst&udo  betrachtet  werden  können, 
oder  ob  es  nicht  richtiger  sei,  zu  sagen,  in  Wahrheit  gebe  es  nur 
individuelle  Gegenstände,  die  sich  nach  Aohnliehkeiten  mannigfach 
ordnen.  Dagegen  handelte  es  sich  in  den  letzten  Envägungen  nicht 
um  die  Speoies,  sondern  um  ihre  Einzelfälle.  Man  leugnet  oicht  nur, 
dafs  man  von  einem  Denkobject  Roth  im  Allgemeinen  sprechen  dürfe, 
sondern  auch,  dafe  man  von  einem  Einzelfall  von  Roth,  von  Roth  als 
hier  und  jetzt  auftretendem  Moment  einer  Anschauung  sprechen  dürfe. 
Natürlich  könnte  sich  das  evidente  Allgemeinheitsbewufstsein,  in  dein 
die  Species  gleichsam  .selbst  gegeben  ist,  nicht  bilden,  wenn  der  Einzel- 
fall, dessen  anschauliches  Gegebensein  für  den  wirklichen  Vollzug  der 


'  Vgl.  oben   das   erato  Kapitel  dieser  Unterauchuug,   besoudere  §  3  ff., 
8.  112—18. 


ATjstraüüon    vorausgesetzt    ist,    relativistisch    umgedeutet   würde.     So 
hängoti  iLio  parallelen  Argumente  auch  wesentlich  zuf*ammen. 

2.  "Wie  ich  nachträglich  bemerke,  hat  A.  v.  SEEnrnsG  in  seiner 
werthvollen  Arbeit  „lieber  Gegenstände  huherer  Oitlnung  und  deren 
Verhältnis  zur  inneren  Wahrnehmung"  (welche  leider  zu  b]iM  erscliiouen 
ist,  imi  mir  für  tnoino  logischen  Untereuchimgen  noch  hilfreich  sein 
zu  können)  dem  Verhältnis  zwischen  der  evidente»  Anerkennung  der 
immanenten  Gegenstände  als  solcher  und  der  inneren  Wahrnehmung 
einige  Erörterungen  gewidmet  (Zeitschr.  f.  Psych,  u.  Phys.  d.  S.  Bd.  21, 
2.  Abschnitt,  S.  205  ff.}.  Wenn  ich  recht  verstehe,  so  fällt  nach 
V.  Meinong  die  ci-stere  Evidenz  mit  derjenigen  der  inneren,  auf  die 
Existenz  der  betreffenden  Vorstellung  bezüglichen  Wahrnehmung 
znsanimen.  Dann  kann  er  aber  nicht  dieselbe  Evidenz  gemeint  haben, 
wie  wir  im  Texte.  Dafs  der  sogen,  immanente  Gegenstand  in 
keiner  ernstlichen  Weise  ein  Gegenstand  in  der  Vorstellung  it^l  (wie 
noch  TwARDowsKi'  die  Sache  darstellte),  ist  natürlich  auch  ganz 
meine  Auffassung;  auf  Seiten  der  Vorstellung  existirt  nichts,  als  das- 
diesen- Gegenstand -Meinen,  sozusagen  der  Bedeutungsgehalt  der  Vor- 
stellung. Die  Evideuz  aber,  dafs  ich  mit  der  Vorstellung  „Tannen- 
baum" eben  einen  Tannenbaum  meine,  einen  Baum  der  durch 
diese  oder  jene  Merkmale  bestimmten  Ai1,  und  nicht  etwa  einen 
Maikäfer  und  was  immer  sonst  —  wii-d  sich  niemals  einer  blofsen 
Wahrnehmung,  sei  es  auch  der  auf  das  blofso  Vorstcllungserlcbnis  be- 
züglichen, zuweisen  lassen.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  eine  Evidenz 
von  Aussagen,  deren  complexo  Bedeutungsinteution  sich  auf  Grund 
von  vielerlei  Acten,  von  melireren  Vorstellungen,  sie  verknüpfenden 
Idcnttficirungen  und  Untoi-schoidungen  erfüllt.  Und  selbst  wenn  wir 
die  Acte,  die  auf  Seiten  der  Intention  stehen,  nicht  rechnen:  auf 
Seite  der  Erfüllung  langen  wir  nicht  mit  blofsen  inneren  Wahr- 
nehmungen aus.  Dia  innere  Wahrnehmung  der  eben  genannten  Acte 
des  Identiflcirens  oder  ünterscheidens  kann  offenbar  nicht  aufkommen 
ftlr  die  Evidenz  des  Bestehens  der  Identitäten  und  ünterscshiede. 


'  In  der  oben  wiederholt  kritiairten,   übrigens  durchaus  sorgsamen  und 
tüchtigen  Abhandlung. 


§  38.     Uebcriragting  der  Skepsis  tw»  den  abslracten  Tftcüinhaltcn 
auf  alle  Theile  iiherhaiipl. 

Der  Skepsis  in  Betreff  der  abstractcn  Theilinhalto  entspriclit 
auch  eine  iiiügliclie  Skepsis  in  Betreff  der  concreton,  der  StüoJie. 
Eine  homogene  weifse  Eläclie  gilt  uns  als  ein  theilbares  Übject, 
und  all  die  in  actueller  Theüung  untei-scheidbaren  Theile  legen 
wir  ihr  als  von  vornherein  in  ihr  seiondo  Theile  ein.  Dies  über- 
tragen wir  auch  auf  die  Empfindung.  Der  psycliischo  Inhalt,  der 
bei  der  Betrachtung  der  weifsen  Flüche  «etuell  erlebt  ist,  enthält 
Stücke,  die  sich  zum  Gesammtinlialt  analog  verhalten,  wie  die 
objectiven  Flächenstückc  zur  gesainmten  Fläche.  Macht  nmn  uns 
aufmerksam,  dafs  wir  in  der  anschaulichen  Voretellung  der  Fläche 
„den  Blick  über  sie  hingleiten  lassen",  und  dafs  wir  hierdurch 
eine  Mannigfaltigkeit  verschiedener,  ineinander  fliefsendcr  Inhalte 
erleben,  so  macht  uns  dies  nicht  irre.  Wir  übertragen  diese  Auf- 
fassung dann  eben  auf  Joden  dieser  Inhalte. 

Woher  wissen  wir  aber,  dafs  der  Inhalt  wirklich  ein  Compo- 
situm ist?  rhantasiren  wir  in  die  einheitlich  weifsc  Fläche 
Theilungen  liinein,  so  mag  nun  der  entsprechende  Empfindungs- 
inhalt eine  Verbindung  von  Theilen  wirklich  aufweisen;  aber  durch 
das  Hineiuphautasiren  ist  ja  der  ursprüngliche  Inhalt  nicht  un- 
verändert geblieben.  Der  jetzt  gegebene,  complexe,  durch  Dis- 
continuitüten  zerstückte  Inhalt  ist  mit  dem  ursprünglichen,  völlig 
einheitlichen,  in  sich  ungeschiedenen  nicht  identisch.  „Die  Theile, 
in  die  man  sich  eine  solche  Einheit  zerlegt  denken  kann,  sind 
fingirte  Theile".^  Wir  üben  auf  Grund  des  unzertrennbaren  Be- 
wufstseinsinhalts  gewisse  Phantasie-  und  Urtheilsthätigkeiten,  und 
was  sie  allererst  erzeugen,  legen  wir  dem  ursprünglichen  Inhalt 
selbät  ein. 

Der  Zweifel  greift  aber  weiter  um  sich,  wenn  wir  uns  zur 
Erwägung  des  Falles  wenden,  der  zunächst  unangefochten  blieb, 
nämlich  des  Falles,  wo  der  Anschauungsiuhalt  bereits  Theilungen 


'  F.  ScuuioKN,  a.  a.  0.  Z.  f.  Psych.  Bd.  17,  S.  130. 


aufweist.  Haben  wir  nicht  auch  hier  zunächst  einen  gewissen ^ 
einheitlichen  Inhalt  erlebt,  den  wir  nachher  als  einen  aus  Theilon 
zusammengesetzten  bezeichnen,  indem  wir  neue  Operationen  voll- 
ziehen, die  oben  jenes  Bezeichnen  hervorgehen  lassen?  Wir  be- 
achten, wie  die  gewöhnliche  Rede  IieiTst,  an  dem  Inhalt  jetzt, 
diesen,  dann  einen  andern  und  wieder  einen  anderen  Theü.  Aber 
mit  jedem  Schritte  ändert  sicii  das  Erlebnis.  Durch  die  Neigung,  die 
empfundenen  Inhalte  mit  den  wahrgenommenen  oder  phantasirten 
Gegenständen  zu  verwechseln,  schieben  sich  dem  ursprünglichen 
Inhalt  Schritt  für  Schritt  sehr  stark  differcnte  unter;  der  jeweilig 
beachtete  Tlieil  liegt  nicht  blols  im  Blickpunkte  des  Bemerkens, 
sondern  auch,  und  mehr  wörtlich,  im  Blickpunkte  des  Sehens 
und  liefert  so  andere  Empfindungen  als  in  dem  Falle,  wo  er  im 
Hinterf,nMindo  verbleibt.  Halten  wir  uns  strenger  an  die  Inhalte, 
so  ist  jeweils  der  bevorzugte  Inhalt  nur  wie  mit  einer  von  ihm 
nicht  abgetrennten,  sondern  mit  ihm  verwobcnen,  unklaren,  völlig 
chaotischen  Masse  umgeben,  einer  fringe ,  einem  „Hof",  oder  wie 
man  das  Unnennbare  nun  doch  nennen  mag.  Von  Theil  zu  Theil 
übergehend,  ist  die  Sachlage  dem  Allgemeinen  nach  die  gleiche, 
aber  inhaltlich  immer  wieder  eine  verschiedene,  und  dies,  selbst 
wenn  wir  den  Blick  nicht  wandern  lassen.  Das  wäi-e  ja  eine 
rohe  Beschreibung  der  descriptivon  Sachlage,  wenn  man  das  Auf- 
merken auf  diesen  oder  jenen  Theil  des  indirect  Gesehenen  (bezw. 
des  entsprechenden  Erlebnistheils)  so  durstellen  wollte,  als  ob  in 
der  identischen  Inhaltseinheit  ein  einzelner  Theil  nur  merklich 
würde,  oline  dafs  hiebei  Aenderungen  im  Erlebnis  selbst  zu  be- 
fürchten wären.  Genetische  Gründe  weisen  uns  hier,  ebenso  wie 
bei  den  abstracten  Inhalten,  auf  gewisse  Erfahrungszusammen- 
hänge  zurück,  die  das  für  sich  Bemerken  ermöglichen  und  sich 
nach  ihren  Wirkungen  auch  sonst  im  Bewufstsein  ankündigen.  Das 
indirect  Gesehene  wirkt  als  Anzeichen  für  irgendetwas  aus  einer 
erfahrungsmiirsig  umgrenzten  Aehnlichkeitssphäre;  mit  der  Hobung 
durch  Aufmerksamkeit  ist  zugleich  auch  eine  Deutung  und  mit 
dieser  in  der  Regel  eine  Inhaltsänderung  (Hineinarbeiten  der 
Phantasie)  gegeben, 


Phänom  e  nolog  iscfi 


über  UuuE'a  Äbslraclionstheoiie.    203 


H  Wirft  man  aber  ein,  die  wiederholte  Vergegenwiirtie;iing  der 

H  erlebtea  lolialte  und  die  Vergleiclmng  belehre  uns,  dafs  die  Rede 

I  von  einer  Tbeilung  imch   bei  Inhalten  ein  gutes  Rocht  habe,  so 

I  wird  sich  der   Skeptiker   wol   auf  die   beständigen   Täuschungen 

H  zurückziehen,    denen   solche   Vergleiehuugen  uutorliegen,  auf  die 

■  Verwechslung  zwischen  erseboincndem  Ding  ntul   erlebtem  Inhalt, 

H  zwischen  gegenständlicher  und  Inhaltsvergleichuiig  u.  dgl. 

r 


§  39.     Letxte  Steigerung  der  SJcepsis  und  ihre  Widerlegung. 

Gehen  wir  in  dieser  skeptischen  Richtung  stetig  weiter,  so 
müssen  wir  zweifeln,  ob  es  überhaupt  Tbeile  irgendwelcher  Art 
giebt;  in  weiterer  Folge,  ob  es  überhaupt  Mehrheiten  von  con- 
creten  Inhalten  giebt,  da  schliefslich  (wenn  wir  hier  ein  Urtheil 
noch  wagen  dürfen)  die  in  Coexistenz  und  Succession  auftreten- 
den Inhalte  immer  in  gewisser  Weise  einheitlich  sind.  Die  Skepsis 
würde  zuletzt  in  der  Behauptung  culminiren:  das  Üewufstsein  sei 
ein  absolut  Einheitliches,  von  dem  wir  zum  Mindesten  nicht  wissen 
können,  ob  es  überhaupt  Theilinhalto  habe,  ob  es  sich  überhaupt 
in  irgendwelche,  sei  es  gleichzeitige,  sei  es  zeitlich  aufeinander- 
folgende Erlebnisse  entfalte. 

Es  ist  klar,  dafs  ein  solcher  Skepticismus  jede  Psychologie 
unmöglich  machen  würde.i  Wie  ihm  zu  begegnen  ist,  brauche 
ich  nach  den  obigen  Ausführungen  nicht  zu  sagen.  Aller  Flufs 
der  psychischen  Erscheinungen  hebt  nicht  die  Möglichkeit  auf,  sie 
zunächst  in  vage,  obschon  völlig  klare  (weil  direct  auf  ürund  der 
Anschauung  gebildete)  Begriffe  zu  fassen,  und  dann  auf  Grund 
dieser  Begriffe  miinnigfacbe,  sachlich  zwar  sehr  rohe,  aber  evidente 
Unterscheidungen  zu  vollziehen,  welche  für  rlie  Ermöglichung  einer 
psychologischen  Forschung  ganz  hinreichend  sind. 

Was  den  Fall  der  weifscn  Flüche  anbelangt,  so  merken  wir 
in   vergleichender  Betrachtung   des   Inhalts  „weilse  Fläche''   {ich 


'  Sehe  ich  rocht,  so  steuert  SciitMANN  in  seinem,  an  sich  gewilk  rühm- 
lichen Bestreben  nncli  möglichster  Strenge  und  Voraussetzungslosigkeit,  solcher 
Skepsis  zu.    (Vgl.  Uio  obea  citirte  sobützensweithe  Arbeit.) 


204  //.    Die  ideale  Einheit  der  Species. 

meine  hier  also  nicht  die  weifse  Fläche  selbst  in  der  dinglichen 
Betrachtung)  die  Veränderungen  sehr  wol,  aber  mit  den  Verände- 
rungen doch  auch  das  Gleiche,  ja  Identische.  Die  hineinphanta- 
sirten  Grenzen  machen  nicht  erst  die  Stücke,  sondern  umgrenzen 
sie  nur.  Es  ist  evident,  dafs  diese  Stücke  in  der  Einheit  des 
Inhalts  „weifee  Fläche"  wirklich  vorhanden  waren,  es  deckt  sich 
der  in  identischer  Intention  festgehaltene  Inhalt  ohne  Grenzen  mit 
demselben,  nur  durch  jenes  Hineinphantasiren  geänderten  Inhalt, 
er  deckt  sich  mit  diesem  hinsichtlich  der  umrandeten  Theile.  Die 
Theile  waren  und  sind  immerfort  im  Ganzen,  nur  eben  nicht  als 
abgesonderte  Einheiten  für  sich.  Ein  gewisses  Schwanken  und 
Flielsen  der  Inhalte,  die  Unsicherheit,  ja  Unmöglichkeit  ihrer  völlig 
identischen  Fosthaltung  hebt  die  Evidenz  dieser  Urtheile  nicht  auf. 
Sie  gelten  wie  alle  empirischen  Urtheile,  die  über  psychische  Erleb- 
nisse gefällt  werden,  innerhalb  einer  gewissen  Sphäre  möglichen 
Schwankens,  also  mit  einem  gewissen  Index  der  Vagheit*  Selbst- 
verständlich ziehen  wir  nur  Fälle  in  Betracht,  wo  alle  Verhält- 
nisse grobe  Unterschiede  zeigen,  also  wirklich  in  der  Sphäre  der 
groben  Evidenzen  liegen,  von  der  wir  oben  gesprochen  haben. 

Die  Evidenz  zeigt  sich  auch,  wenn  wir,  in  umgekehrter 
Sichtung  vorgehend,  eine  vorhandene  Zerstückung  aufgehoben 
denken.  Zerfällt  eine  Fläche  in  einen  weifsen  und  einen  rothen 
Abschnitt,  so  bleibt,  im  Falle  blofs  qualitativer  Veränderung,  die 
Identität  der  beiden  Ausdehnungstheile  erhalten.  Donken  wir  uns 
das  Weifs  des  einen  und  das  Roth  des  anderen  continuirlich 
ineinander  übergeführt,  so  fliefsen  die  beiden  Stücke  nun  in 
eine  innerlich  ungeschiedene  Einheit  zusammen;  aber  wie  immer 
dies  erfolgt,  es  ist  evident,  dafs  das  Ergebnis  nicht  ein  absolut 
einfacher  Inhalt  ist,  sondern  eine  homogene  Einheit,  in  welcher 
nur  alle  inneren  Absonderungen  verloren  gegangen  sind.  Die 
Theile  sind  evidentermafsen  da,  aber  obschon  jeder  seine  Qualität 
hat,  und  überhaupt  Alles,  was  zur  Concretion  gehört,  so  fehlt 
ihnen  doch  die  absetzende  qualitative  Discontinuität  und  damit  der 


'  Hier  bedürfte  es  freilich  noch  genauerer  Forschungen. 


I 

I 


Charakter  der  sich  gegen  die  mitrerschmolzenenTlieile  abscliliefsen- 
den  Süuderung. 

Verwandeln  wir  die  empirischen  Begriffe  und  Verhältnisse 
in  exaote,  bilden  wir  ideale  Begritfe  von  AusdebDung,  Fläche, 
qualitativer  Gleichheit  und  Continuität  u.  s.  w.,  so  erwachsen  apri- 
orische exacte  Sätze,  welcho  das,  was  in  den  Intentionen  der 
strengen  Begriffe  gründet,  auseinanderlogen.  Im  Vergleich  zu 
ihnen  sind  die  empirischen  Aussagen  ungenaue  Annäherungen. 
Obscbon  aber  das  Vage,  die  Empirie  überhaupt,  nicht  zur  Sphäre 
der  exacten  Erkenntnis  gehört  (welche  mit  lauter  Idealen  operirt), 
ist  sie  darum  keineswegs  aus  der  Sphäre  der  Erkenntnis  über- 
haupt ausgeschlossen. 

Danach  ist  es  auch  klar,  wie  wir  uns  zu  den  weitergehenden 
und  schließlich  zur  Leugnung  oller  Theile  und  Unterschiede  führen- 
den Zweifeln  verhalten  müssen.  Im  einzelnen  Fall  ist  bei  dem 
Flufs  der  psychischen  Erlebnisse  ein  Zweifel  sehr  wol  möglich; 
nicht  ist  er  aber  in  allen  Fällen  möglich.  Wo  die  Unterschiede 
grobe  sind,  ist  eine  Evidenz  erreichbar,  die  jedem  Zweifel  die  Be- 
rechtigung entzieht. 

Anhang. 
Moderner  Uumeauismus. 

Hüue'b  Philosophie  init  ihrom  Rcichthuni  an  genialen  psj'cho- 
logischen  Analysen,  sowie  mit  ihrem  überall  durchgofilhrten  Psycho- 
lijgismus  in  erkenntnistheoretischer  Hinsicht,  entspricht  den  in  unserer 
Zeit  herrschenden  Tendenzen  zu  sehr,  als  dals  ea  ihr  an  lebendiger 
Wiikung  fehlen  könnte.  Ja,  man  kann  vielleicht  sogen,  dals  HtruE 
nie  stärkere  EinflQssü  ausgcfibt  hal>o,  als  heute,  und  mit  RüeksiL'lit 
a,\d  eine  nicht  unbeträchtliche  Zald  von  Forschem,  möchte  man  ge- 
radezu von  modernen  Hmueanem  spi'eclien.  Dabei  kann  umn  auch 
hier  wieder  beobachten,  dafs  sich  in  der  Ausbreitung  der  historischen 
Wirkung,  die  Verimmgen  elionsoaelir,  ja  fast  noch  melir  steigern,  als 
die  Vorzüge.  Was  speciell  die  Lehre  von  der  distiuclio  Talionis  an- 
langt, 80  begegnen  wir  in  neuereu  Schriften  gamicht  selten  einzelnen 
Aeuiserungen  und  Ausfühnmgen,  die  dem  tadicalen  Sinne  dieser  Lehre 


204  //.   Die  ideale  Einheit  der  Species. 

meine  hier  also  nicht  die  weilse  Fläche  selbst  in  der  dinglichen 
Betrachtung)  die  Veränderungen  sehr  wol,  aber  mit  den  Verände- 
rungen doch  auch  das  Gleiche,  ja  Identische.  Die  hineinphanta- 
sirten  Grenzen  machen  nicht  erst  die  Stücke,  sondern  umgrenzen 
sie  nur.  Es  ist  evident,  daJs  diese  StUcke  in  der  Einheit  des 
Inhalts  „weifso  Fläche"  wirklich  vorhanden  waren,  es  deckt  sich 
der  in  identischer  Intention  festgehaltene  Inhalt  ohne  Grenzen  mit 
demselben,  nur  durch  jenes  Hincinphantasiren  geänderten  Inhalt, 
er  deckt  sich  mit  diesem  hinsichtlich  der  umrandeten  Thoile.  Die 
Theile  waren  und  sind  immerfort  im  Ganzen,  nur  eben  nicht  als 
abgesonderte  Einheiten  für  sich.  Ein  gewisses  Schwanken  und 
Fliefson  der  Inhalte,  die  Unsicherheit,  ja  Unmöglichkeit  ihrer  völlig 
identischen  Festhaltung  hebt  die  Evidenz  dieser  Urtheile  nicht  auf. 
Sie  gelten  wie  alle  empirischen  Urtheile,  die  über  psychische  Erleb- 
nisse gefällt  werden,  innerhalb  einer  gewissen  Sphäre  möglichen 
Schwankens,  also  mit  einem  gewissen  Index  der  Vagheit^  Selbst- 
verständlich ziehen  wir  nur  Fälle  in  Betracht,  wo  alle  Verhält- 
nisse grobe  Unterschiede  zeigen,  also  wirklich  in  der  Sphäre  der 
groben  Evidenzen  liegen,  von  der  wir  oben  gesprochen  haben. 

Die  Evidenz  zeigt  sich  auch,  wenn  wir,  in  umgekehrter 
Sichtung  vorgehend,  eine  vorhandene  Zerstückung  aufgehoben 
denken.  Zerfällt  eine  Fläche  in  einen  weifsen  und  einen  rothen 
Abschnitt,  so  bleibt,  im  Falle  blofs  qualitativer  Veränderung,  die 
Identität  der  beiden  Ausdehnungstheile  erhalten.  Denken  wir  uns 
das  Woifs  des  einen  und  das  Both  des  anderen  continuirlich 
ineinander  übergeführt,  so  flie&en  die  beiden  StUcke  nun  in 
eine  innerlich  ungeschiedene  Einheit  zusammen;  aber  wie  immer 
dies  erfolgt,  es  ist  evident,  dais  das  Ergebnis  nicht  ein  absolut 
einfacher  Inhalt  ist,  sondern  eine  homogene  Einheit,  in  welcher 
nur  alle  inneren  Absonderungen  verloren  gegangen  sind.  Die 
Theile  sind  evidentermafsen  da,  aber  obschon  joder  seine  Qualität 
hat,  und  überhaupt  Alles,  was  zur  Concretion  gehört,  so  fehlt 
ihnen  doch  die  absetzende  qualitative  Discontinuität  und  damit  der 


'  Hier  bedürfte  es  freUioh  noch  genauerer  Forsohuogen. 


Charakter  der  sich  gegen  die  initvcrschraolzcncnThcilo  abscbliel^en- 
den  Sonderung. 

Verwandeln  wir  die  empirischen  Begriffe  und  Verhältnisse 
in  exacte,  bilden  wir  ideale  Begriffe  von  Ausdehnung,  Fläche, 
qualitativer  Gleichheit  und  Continuität  u.  s.  w.,  so  erwachsen  apri- 
orische exacto  Sätze,  welcho  das,  was  in  den  Intentionen  der 
strengen  Begriffe  gründet,  auseinanderlegen.  Im  Vergleich  zu 
ihnen  sind  die  empirischen  Aussagen  ungenaue  Annäherungen. 
Obsclion  aber  das  Vage,  die  Empirie  überhaupt,  nicht  zur  Sphäre 
der  exacten  Erkenntnis  gehört  (welche  mit  lauter  Idealen  oporirt), 
ist  sie  darum  keineswegs  aus  der  Sphäre  der  Erkenntnis  über- 
liaupt  ausgeschlossen. 

Danach  ist  es  auch  klar,  wie  wir  uns  zu  den  weitergehenden 
und  schlierslich  zur  Leugnuug  aller  Theile  und  Unterschiede  führen- 
den Zweifeln  verhalten  müssen.  Im  einzelnen  Fall  ist  bei  dem 
Flufs  der  psychischen  Erlebnisse  ein  Zweifel  sehr  wol  möglich; 
nicht  ist  er  aber  in  allen  Fällen  möglich.  Wo  die  Unterschiede 
grobe  sind,  ist  eine  Evidenz  erreichbar,  die  jedem  Zweifel  die  Be- 
rechtigung entzieht 

Anhang. 
Moderner  Iluinean Ismus. 

Hüme's  Philosophie  mit  ihrem  Keiuhthum  aii  genialen  psycho- 
logischen Analysen,  sowie  mit  ihrem  überall  dnrthgeführten  Psycho- 
logismus  in  erkeuntnistheoretischer  Hinsicht,  entspricht  den  in  unserer 
Zeit  herrechenden  Tendenzen  zu  sehr,  als  dafs  es  ihr  an  lebendiger 
Wirkung  fehlen  könnte.  Ja,  man  kann  vielleicht  sagen,  dafs  Hfue 
nie  stärkere  Einflüsse  ausgeübt  habe,  als  heute,  und  mit  Rilcksidit 
auf  eine  nicht  imbeträchüiche  ZalU  von  Foretliem,  möchte  man  ge- 
radezu von  modernen  Uuraeauem  sprechen.  Dabei  kann  man  auch 
hier  wieder  beobachten,  dafs  sich  in  der  Ausbreitung  der  historischen 
Wirkung,  die  Verimuigen  ebensoselir,  ja  fast  noch  mehr  steigern,  als 
die  Vorzüge.  Was  specicU  die  Lehre  von  der  dislindio  riUionis  an- 
langt, 80  begegnen  wir  in  neueren  Schriften  garuicht  selten  einzelnen 
Aeufserungen  und  Ausführungen,  die  dem  radicalen  Sinne  dieser  J  ' 


204  II.    Die  ideale  Einheit  der  Species. 

meine  hier  also  niclit  die  weifse  Fläche  selbst  in  der  dinglichen 
Betrachtung)  die  Veränderungen  sehr  wol,  aber  mit  den  Verände- 
rungen doch  auch  das  Gleiche,  ja  Identisclie.  Die  hineinphanta- 
sirten  Grenzen  machen  nicht  erst  die  Stücke,  sondern  umgrenzen 
sie  nur.  Es  ist  evident,  dafs  diese  Stücke  in  der  Einheit  des 
Inhalts  „weifse  Fläche"  wirklich  vorhanden  waren,  es  deckt  sich 
der  in  identischer  Intention  festgehaltene  Inhalt  ohne  Grenzen  mit 
demselben,  nur  durch  jenes  Hineinphantasiren  geänderten  Inhalt, 
er  dockt  sich  mit  diesem  hinsichtlich  der  umrandeten  Thoilo.  Die 
Theüe  waren  und  sind  immerfort  im  Ganzen,  nur  eben  nicht  als 
abgesonderte  Einheiten  für  sicli.  Ein  gewisses  Schwanken  und 
Fliefsen  der  Inhalte,  die  Unsicherheit,  ja  Unmöglichkeit  ihrer  völlig 
identischen  Festlialtuug  hebt  die  Evidenz  dieser  Urtheile  nicht  auf. 
Sie  gelten  wie  alle  empirischcu  Urtheile,  die  über  psychische  Erleb- 
nisse gefällt  werden,  innerhalb  einer  gewissen  Sphäre  möglichen 
Schwankens,  also  mit  einem  gewissen  Index  der  Vagheit.^  Selbst- 
verständlich ziehen  wir  nur  Fälle  in  Betracht,  wo  alle  Verhält- 
nisse grobe  Unterschiede  zeigen,  also  wirklich  in  der  Sphäre  der 
groben  Evidenzen  liegen,  von  der  wir  oben  gesprochen  haben. 

Die  Evidenz  zeigt  sich  auch,  wenn  wir,  in  umgekehrter 
Richtung  vorgehend,  eine  vorhandene  Zerstückung  aufgehoben 
denken.  Zertallt  eine  Fläche  in  einen  weifsen  und  einen  rothen 
Abschnitt,  so  bleibt,  im  Falle  blofs  qualitativer  Veränderung,  die 
Identität  der  beiden  Ausdehnungsthoilo  erhalten.  Denken  wir  uns 
das  Weifs  des  einen  und  das  Roth  des  anderen  continuirlieh 
ineinander  übergeführt,  so  llielsen  die  beiden  Stücke  nun  in 
eine  innerlich  ungescbiedene  Einheit  zusammeu;  aber  wie  immer 
dies  erfolgt,  es  ist  evident,  dafs  das  Ergebnis  nicht  ein  absolut 
einlacher  Inhalt  ist,  sondeni  eine  homogene  Einheit,  in  welcher 
nur  alle  inneren  Absonderungen  verloren  gegangen  sind.  Die 
Theile  sind  evidentermafsen  da,  aber  obschon  jeder  seine  Qualität 
hat,  und  überhaupt  Alles,  was  zur  Concretion  gehört,  so  fehlt 
ihnen  doch  die  absetzende  qualitative  Discontinuität  und  damit  der 


'  liier  bedürfto  es  freilich  noch  geuitueror  Foi'scliungen, 


Charakter  der  sich  gegen  die  mitverschraolzcnonTheilo  abscliliefson- 
den  Sonderling. 

Vorwandeln  wir  die  empirischen  Begriffe  und  Vorliältnisso 
in  exacte,  bilden  wir  ideale  Begritt'e  von  Ausdehnung,  Fläche, 
qualitativer  Gleiciüioit  und  Contiuuitiit  u.  s.  w.,  so  erwachsen  apri- 
orische exacte  Sätze,  welchy  das,  was  in  den  Intentionen  der 
strengen  Begriffe  gründet,  auseinanderlegen.  Im  Vergleich  zu 
ihnen  sind  die  empirischen  Aussagen  ungenaue  Anniilierungeu. 
Obschou  aber  das  Vage,  die  Empirie  überliaupt,  nicht  zur  Sphäre 
der  exacten  Erkenntnis  gehört  (welclie  mit  lauter  Idealen  opcrirt), 
ist  sie  darum  keineswegs  aus  der  Sphäre  der  Erkenntnis  über- 
haupt ausgesc'lilossen. 

"Danach  ist  es  aucli  klar,  wie  wir  uns  zu  den  weitergehenden 
und  Schliefelich  zur  Leugnung  aller  Tbeüe  und  unterschiede  führen- 
(ien  Zweifeln  verhalten  müssen.  Im  einzelnen  Fall  ist  bei  dem 
Flufs  der  psychischen  Erlebnisse  ein  Zweifel  sehr  wol  möglich; 
nicht  ist  er  aber  in  allen  Fällen  möglich.  Wo  die  Unterschiede 
grobe  sind,  ist  eine  Evidenz  erreichbar,  die  jedem  Zweifel  die  Be- 
rechtigung entzieht. 

Anhang:. 

Moderner  Humeanis^mits. 

Hmm'e,  Philosophie  mit  ihrem  Reichthum  an  genialen  psycho- 
logieclien  Analysou,  sowie  mit  ihrem  übei^all  dun'ligoffthrten  Psycho- 
logismus  in  erkeimtnisüieoretischei*  Hinsicht,  entspricht  d«u  in  unserer 
Zeit  herrschenden  Tendenzen  zu  sehr,  als  dafs  es  ihr  an  lebendiger 
Wirkung  fehlen  könnte.  Ja,  mau  kann  vielleiclit  sagen,  dafs  Hüme 
nie  stärkere  Einüflssu  au.sgeübt  halu",  als  heute,  und  mit  Eilcksicht 
auf  eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  von  Forschern,  möchte  mau  ge- 
radezu von  modernen  Himieanem  sprechen.  Dabei  kann  man  auch 
hier  wieder  beobachten,  dafs  sich  in  der  Ausbreitung  der  historischen 
Wirkung,  die  Verirnmgeu  ebensosehr,  ja  fast  noch  mehr  steigern,  als 
die  Vorzüge.  Was  spcciell  die  Lehre  von  der  distinclio  radonis  an- 
langt, so  begegnen  wir  in  neueren  Sehi-iften  garuicht  selten  eiuiiehien 
Aeufaerungen  und  AusfCUinuigen ,  die  dem  radicalen  Sinne  dieser  Lehre 


goinärs  sind.'  Mit  Viosoiirlerer  Entschiedonhoit  und  Ansfdhrlichkeit  hat 
sie  aber  jüngst  H.  CmuiELius  vertreten,  dessen  „Psychologie"  oinon  Ver- 
Buch  darstellt,  eine  psychologistiache  Erkenntnistheorie,  so  extrem  wie 
sie  nur  je  gemeint  war,  auf  dem  Boden  der  modernen  Psychologie 
allseitif;  iliirchzu führen.  Soweit  dies  Werk  in  der  That  Psychologie 
ist,  enthält  es  niaucho  sehr  interessante  und  anregende  EiuKelaus- 
fülirungen;  soweit  es  aber  Erkenutnistlieorie  ist,  glaube  ich  die  Be- 
hauptung vertreten  zu  können:  Die  Verraengung  von  dem,  was  zum 
intentionalen  Inhalt  der  Erkenntnis  gehört  (nu  ihrem  idealen  Sinn, 
zu  dem,  was  sie  meint,  nnii  was  dadurch  notlnveiidig  mitgoselzt  ist) 
mit  dem,  was  zum  intentionalen  Gt^gcnslaude  der  Erkenntnis 
gehört,  uml  dieser  Beiden  wiedemm  mit  dem,  was  näher  oder  ferner 
zur  blofsen  psychologischen  Constitution  des  Erkcnntnisorleb- 
nisses  gehört  (eventuell  nur  zn  den  hlofsen  Begleiterscheinungen  der 
Intention  oder  zu  ihren  unbcwul'stcu,  bczw.  unmerklichen  genetischen 
Gründen)  —  diese  Vermengungon,  sage  ich,  sind  in  der  Litteratur 
kanm  nocli  in  solchem  Umfange  vollzogen  worden ,  und  nirgends  haben 
sie  der  ganzen  Behandlungswoise  der  erkeiuitriistheoreüschcn  Probleme 
in  solchem  Malsc  den  Stempel  aufgeprägt  wie  in  den  DarstoUungen 
von  CojRNELiüs.-  Dies  tritt  im  Besonderen  anch  in  der  Sphäre  der 
uns  liier  bcsi-häftigenden  Fragen  hervor.  Im  Interesse  der  Sache 
wollen  wir  hiebei  verweilen  und  es  an  der  Hand  einiger  (theils  der 
„Psycholog;ie",  theils  einer  ergänzenden  Abhandlnng  un.seros  Autora 
entnommenen)  Citate  ersichllifh  mache».  Für  den  Nachweis,  dafs  eine 
wisscnsohaflliche  Strömung  falsche  Bahnen  eingeschlagen  hat,  ist  ja 
nichts  lehrreicher,  als  bei  ihren  Vertretern  die  durchgeführte  Conse- 


i 


'  Vgl.  z,  IS.  auch  B.  ERDMiWN,  Logik  I,  80. 

'  Von  WiLLiAsi  Jamk-s  liiit  CoBNF.i.irs  die  BekiiuT|)fuDg  der  „  Mosaikpayeho- 
logio",  die  Ijohre  vim  den  fringes,  aber  nicht  die  voisichtigo  erkenutnistlieoreti- 
schc  Position  übernommen.  James  modercisirt  nicht,  wie  ich  es  von  Cornkuds 
sagen  wünio,  die  Hu.Mi['si;ho  Philosophie.  Und  wie  wenig  Jaües'  geniale  Reo- 
bachtuDgen  auf  dem  Gebiet  der  deaeriptiven  Psychologie  der  Vorstullungserteb- 
oisse  zum  Psychologismiis  zwingen,  ersieht  mau  aas  der  vorliegenden  Schrift. 
Denn  die  Forderungen ,  die  iL-h  diesem  aasgezeichueten  Foracher  in  der  des- 
criptiven  Analyse  verdanke,  haben  meine  Loslösung  vom  psychologistischen 
Standpunkto  nur  begviustigt. 


quenz  zu  studiren  und  sich  dabei  zu  ilbereeugen,  wie  die  abschlierscnde 
Theorie,  die  sie  en-eicht  zu  liaben  gliiuben,  sie  vielmehr  in  ovidente 
TJnzuträglichkeiten  verwickie. 

Mit  Beziehung  auf  die  E.  MüLLEn'schen  Dictate  und  ilirem  Inhalt 
ganz  zustimmend,  sagt  CoiurELnrs:  *  „die  üntei-scUeiduiig  verechiodener 
Merkmale  .  .  .  gründet  sich  .  .  .  darauf,  dafs  die  Inhalte  nach  ihren 
Aehnliehkeiten  in  Onippt^n  zueammengefalst  und  mit  geiiiLMiisamen 
Namen  bezeichnet  werden.  Nichts  anderes  als  die  Zugehörigkeit  eines 
Inhaltes  zu  verschiedenen  solchen  Gruppen  von  untereinander  ähn- 
lichen und  deslialb  gleiuhbonanntßii  Inhalten  ist  es  hienadi,  was  wir 
meinen,  •wo  wir  von  den  verschiedenen  Merkmalen  eines  Inhaltes 
sprechen".  So  ausdi-ücklich  hatten  wir  es  bei  Hume  nicht  gelesen, 
und  vielleicht  hätte  der  grofse  Denker  gezögert,  diesem  Satze  zu- 
zustimmen. „Was  wir  meinen"  ist  doch  der  Sinn,  und  kann  man 
auch  nur  für  einen  Augenblick  behaupten,  der  Sinn  des  Satzes,  dieser 
Ton  ist  schwach,  sei  derselbe  wie  der  Sinn  des  Satzes,  er  gehöre 
zu  einer,  wie  immer  zu  bezeichnenden  Aehnlichkeitsgruppe?  SJagt 
man,  dafs  wir  uns,  um  von  der  Schwäche  des  Tones  sprechen  zu 
können,  iiotliwendig  einige,  hinsiehüicli  der  Schwäche  ähidiclie  Tone 
vergegenwärtigen  müssen,  so  brauchen  wir  danim  iiiclit  zu  streiten. 
Es  mag  so  sein.  Aber  meinen  wir  die  Zugehörigkeit  zu  dieser 
Gruppe,  etwa  von  «  Objecten?  und  selbst  wenn  die  unendlich  vielen 
ähnlichen  Objecto  als  eine  Gruppe  ims  vor  Augen  stehen  könnten 
und  wirklich  ständen,  läge  der  Sinn  des  fraglichen  Ausdrucks  in  der 
Zugehöiigkeit  zu  dir-ser  Gruppe?  Natürlich  sind  die  Ausdrücke,  et» 
Ton  ist  sehwach,  und  er  gehört  titni  Inbegriff  der  Objecte,  die  ein- 
ander hinsicfülich  der  Schwäclie  gleichen,  der  Bedeutung  nach  äqui- 
valent. Aber  Aequivalenz  ist  nicht  Identität.  Sagt  man,  es  hätte 
die  Rede  von  der  Tonschwäche  nie  erwat'hsen  kötmen ,  wenn  uns  nicht 
Aehnliehkeiten  schwacher  Töne  aufgefallen  wären;  und  sagt  mau 
weiter,  die  Gedächtnisreste  solcher  früheren  Erlebnisse  seien,  wo  immer 
wir  sinnvoll  von  schwachen  Tönen   s{irächen,  in  gewisser  Weise  er- 


'  H. Cornelius,  lieber  QestaltqualitUten,  Z.  f.  Psycho!,  u.  Pbyaiol.  d.  Siones- 
organe.   Bd.  22,  S.  103. 


regt,  in  dispositioneller  Naelnvirkung  den  Charakter  des  jetzigen  Er- 
lebnisses bestirameiul:  so  werden  wir  gewifs  nicht  widersprecheti. 
Aber  was  Iint  all  das  mit  dem  Siuuo  zu  thun,  mit  dem,  was  wir  mit 
unseren  Worten  meinen?  Wie  die  jetzige  Meinung,  die  doch  ein 
unmittelbar  gegebenes  und  eigenartiges  Erlebnis  ist,  mit  ihrem  evidenten 
Inlialt  entstanden  sein  mag,  was  zu  ihr  in  goiieliscker  Hinsicht 
nothwendig  gohöi-t,  wa.s  ihr  im  Unbewui'steii  und  Unbemerkten,  phy- 
siologisch und  psychologisch  zu  Grunde  liegt  —  dies  zu  erforschen 
mag  sehr  interessant  sein.  Aber  auf  diesem  Wege  über  das,  was  wir 
meinen,  Auskunft  zu  suchen,  ist  widersinnig.  Es  ist  ein  Irrthnm, 
der  einige  Analogie  mit  demjenigen  des  Alltagsmaterialismus  liat,  der 
uns  versiehern  will,  Töne  seien  in  Wahrheit  Luftschwingungen,  Er- 
regungen des  Äcusticus  u.  dgl.  Auch  hier  wertlen  thcDretische  Snp- 
positionen  zur  geuetischen  Erklärung  des  Erlebnisses  mit  diesem  selbst 
verwechselt 

Dafs  es  sich  \m  Corhelius  nicht  um  eine  vorübergehende  Un- 
genauigkeit  des  Ausdruckes  handelt,  zeigen  die  weiteren  Ausführmigen. 
So  lesen  wir:^  „Es  Ixiilarf  kaum  der  Erwähnung,  ilafs  nach  der 
soeben  vorgetragenen  Theorie  die  „gomoinsamen  Merkmale"  einfacher 
Inhalte  nicht  etwa  allgemein  zur  Erklärung  der  zwischen  diesen  In- 
halten bestehenden  Aehnliclikeit  Anwendung  finden  können  —  in  der 
Weise,  wie  luan  iHe  Aehnliclikeit  einer  Tajjete  mit  einer  anderen  auf 
die  Gleichheit  der  Farbe  .  .  .  zurückzuführen  gewolmt  ist.  Denn  die 
Behauptung  jener  Gleichheit  der  Farbe  i.il  nat^h  der  vorge- 
tragenen Theortü  nichts  als  die  Behauptung  der  Aehnlichkeit 
beider  Inhalte  mit  von  früher  her  bekannten  anderweitigen 
Inhalten".  Die  eine  Bolianptung  ist  {und  das  Wort  ist  von  Corneuüs 
selbst  betont)  die  andere,  os  sijid  also  identische  Hehauptungen.  Im 
Sinne  dieser  Ausführung  würde  es  sugar  liegen,  dafs  die  fragliche 
Gleichheitsbehauptung  für  Jedermann  einen  verschiedenen  Sinn  habe, 
und  einen  verschiedenen  zu  verschiedenen  Zeiten.  Er  hienge  von  den 
„anderweitig  bekntinten",  also  von  den  frülier  erlebten  Inhalten  ab,  die 
doch  von  Person  zu  Person,  und  von  Zeitpunkt  zu  Zeitpunkt  wechseln. 


>  A.  a.  O.  S.  104. 


"Wenn  Corneuüs  beifügt, ^  tlafs  die  „Bedeutung  der  Pi-adicatworte 
nicht  jedesmal  in  Fonn  gesonderter  Vorstellungen  zu  ersflieinen  brauche, 
sondern  in  ,nidinientäi-er  Association'  .  .  .  gegeben  sein  könne",  so 
kann  dies  wenig  nQtzen;  was  die  actuelle  Association  nicht  leisten 
]rann,  wird  auch  die  „rudimentäre",  die  ja  nur  als  Ersatz  fungiren 
soll,  nicht  können.  So  sehr  unterlegt  Cokkeltos  seine  Theorie  den 
Thatsachen,  dafs  er  geradezu  sagt,*  die  Ausdrücke  absiracler  Inkalt 
oder  abstracle  Vorstellung  seien  „Abbreviaturen"  für  „Vorstellumj 
der  in  bestimmter  Hinsicht  bestehenden  AehnUchkeii  eines  Inhaltes  mit 
anderen  Inhalten".  Welches  der  vei-schie<leiion  Merkmale  eines  In- 
lialts  jedesmal  l»ezeichnet,  nach  welcher  Richtung  oder  Hinsicht 
der  Inhalt  betrachtet  werde,  hänge  davon  ab  „welche  jener  verscliie- 
denen  Aehnlichkeiten  uns  zum  Bewufstsein  komme  (vou  uns 
, innerlich  wahrgenommen')  werde".' 

CoRNELiTJS  will  seine  Auffassung  nicht  als  nominaUstische  bezeichnet 
wissen.  Indessen  hat  auch  der  extreme  Nominalismus  die  Beziehung  des 
allgemeinen  Namens  auf  die  zugehörige  Klasse  allzeit  durch  Aehnlichkeit 
vermittelt  gedacht,  und  so  gut  wie  bei  ihnen  stellt  auch  bei  Corweliub 
der  allgemeine  Name  eine  Art  bhifser  Aequivocation  her.  Aus  psycho- 
logischen Gründen  ist,  im  Sinne  dieser  Theorie,  die  Anwendung  des 
Namens  auf  die  Klasse  beschränkt,  aber  seine  Bedeutung  liegt  in  den 
jeweils  erlebten  sing^ilären  Aehnlichkeiten  und  ist  somit  eine  fallweise 
wechseliide.  Die  ideale  Einheit  der  Klasse  umschränkt  zwar  diese 
Mannigfaltigkeit  der  Bedeutungen,  aber  sie  schafTt  nicht  die  Eine  Be- 
deutung des  univoken  Begriffs  und  kann  sie  nicht  schaffen.  "Wie  wir 
übrigens  von  dieser  idealen  Einheit  etwas  wissen  sollten,  von  der 
Gruppe  durch  eine  Aehnlichkeit  umspanntor  Objeete,  bleibt  auf  dem 
Boden  dieser  Theorie  ein  Mysterium;*  die  Theorie  hebt  in  ihrem 
Inhalt  ihre  eigene  Voraussetzung  auf. 

'  A.  a.  0.  Amn.  3. 
»  A.  B.  0.  8. 108. 

•  A.  a.  0.  S.  107. 

*  Ini  Wesentlichen  dürfte  dies  Meisong's  Argument  sein  (a.  a.  0.  Z.  f.  Psych. 
Bd.  21,  S.  235),  übwol  auch  in  seiner  Lehre  das  ideale  Eiolieitsbewulstaein  fehlt. 
Nur  durch  BorücksicbtigaDg  der  Identität  der  Intention  und  ihrer  eigenthüm- 
licben  Form  wird  Mcoono's  Einwand,  wenn  ich  recht  sehe,  schlüssig. 

Butaerl,  Log.  Unten.  II.  14 


210  //.    Die  ideale  Einheit  der  SpecUa. 


I 


Ein  gewisses  Geh'llü  davon,  dafs  das  Allgemeiiiheitsbewurstsein 
(welches  nach  unserer  Auffassung  ein  eigentliOmlioher  Äctchaiiikter 
ist,  der  die  allgemeine  Vorstellung  wesentlich  constitiiirt)  auch  etwas 
ist,  das  sich  descriptiv  geltend  macht  und  den  Ansprach  auf  Er- 
klärung erhebt,  zeigt  sieh  hei  Cohneijüs  an  mehreren  Stellen.  So 
lesen  wir  z.  B.  „das  Prädicatwort  bezeichnet  seinem  Ursprung  und 
seiner  Bedeutung  nach  nicht  diesen  oder  jenen  einzelnen  Inhalt,  noch 
auch  eine  gewisse  Anzahl  particulärcr  Inlialte,  sondern  vielmehr  etwas, 
was  allen  diesen  Inhalten  gemeinsam  ist:  ,die  allgemeine  Vorstellung', 
die  an  das  Prädicat  associirt  ist  und  dessen  Bedeutung  bedingt,  ist 
die  (nicht  nälier  zu  beschreibende,  aber  Jedem  aus  innerer  Wahr- 
nehmung unmittelbar  bekannte)  Erinnerung  an  die  Aehnlichkeit, 
welche  alle  jene  Inhalte  untereinander  verbindet".  Natürlich 
ist  das  „nicht  näher  zu  Beschreibende  und  aus  innerer  Wahrnehmung 
unmittelbar  Bekannte''  eben  das  eigenartige  Bedeutungsbewufstsein, 
der  Act  des  allgemeinen  Deutens.  Mit  den  eben  citirten  Worten  ist 
dieses  Unbeschreibliche  in  gewisser  Weise  aber  doch  beschrieben  und, 
wie  mir  scheinen  wUl,  unrichtig  beschrieben,  weil  dem  Actcharakter 
ein  sinnlicher  Inhalt  substituirt  ist  und  noch  dazu  ein  fictiver,  der 
sich  durch  innere  Wahrnehmung  jedonfaUa  nicht  vorfinden  läfst. 

Suchen  wir,  wenn  diese  Stelle  nicht  ganz  beim  Worte  zu  nehmen 
ist,  genauere  Belehrung  in  Cornelius'  Darstellung  der  Psychologie; 
sehen  wir  in  ihr  nach,  wie  Cornelius  dem  bedoutungverleihenden 
Actcharakter  gerecht  wii-d ,  der  doch  als  das  eigentlich  zu  Erklärende 
scharf  flxirt,  in  seinen  wesentlichen  Abwandlungen  imterschiedea 
und  nach  diesen  festen  Unterschieden  aller  genetischen  Analyse  vor- 
leuchten  mQfste:  ao  beobachten  wir  zwei  fundamentale  Vorm  engungen. 
För's  Erste  die  Vennengung  der  objoctiven  Thatsache,  dafs  der 
allgemeine  Name  durch  die  associativen  Zusammenhänge  auf  den 
Aehnlichkeitskreis  beschränkt  ist,  mit  der  subjectiven  Thatsache, 
dafs  wir  im  einzelnen  Act  das  Allgemeine  meinen,  uns  also  in  Einer 
Intention  auf  die  Klasse,  auf  ein  unbestimmt  Einzelnes  als  Glied  der 
Klasse,  auf  die  einheitlicho  Species  u.  s.  w.  beziehen.  Es  ist  die  Ver- 
wechslung, von  der  sich  der  extreme  Noniinalismus  gleichsam  nährt; 
sie  allein  macht  ihn  möglich,  mit  ihr  steht  und  fällt  er.     Verwoben 


mit  dieser  Verwechslung  begegnet  uns  in  CoRHELirs'  Psychologie  eine 
zweite,  in  welcher  abermals  griindversclüedene  Dingo  durcheinander 
laufen,  nämlich  die  Verwechshmg  der  Ungenauigkeit  des  Qe<lächt- 
nisses,  bezw.  der  Verschwommenheit  und  Flüssigkeit  der  „duakel" 
reproducirten  Phantasmen,  mit  dem  Allgemeinheitscharakter,  der 
zur  Vorstelhmgsiutention  als  ihre  Actforni  gehört,  oder  auch  mit  der 
Unbestimmtheit  im  Inhalt  der  Intention,  welche  die  bestimmte 
Bedeutung  des  „unbestimmten"  Artikels  ausmacht  Zum  Belege 
mögen  folgende  Citate  dienen. 

„Je  häufiger  ähnliche  Inhalte  erlebt  worden  sind,  umsoweniger 
werden  .  .  .  ihre  Ge<l3chtnisbilder  auf  zeitlich  bestimmte  Inhalte  zu- 
rückweisen, umsomehr  werden  dieselben  den  Chai-akter  allgemeiner 
Vorstellungen  gewinnen,  und  als  Symbole  jedes  beliebigen  Inhaltes 
innerhalb  bestimmter  Aehnlichkeitsgrenzen  dienen  können".^  Daneben 
setzen  wir  folgende  Stelle:*  „Ein  zum  ersten  Mal  gehörtes  Wort  kann 
noch  nicht  verstanden  werden  .  .  .;  sobald  aber  irgendeiner  von  den 
mit  dem  gehurten  Lautcomplex  seinerzeit  verbundenen  anderweitigen 
Inhalten  bei  der  Erinnerung  an  das  Wort  gleichfalls  erinnert  wird, 
so  ist  damit  eine  erste  Bedeutung  des  Wortes  gegeben*  .  .  .  Ent- 
sprechend der  .  .  .  Ungenauigkeit  der  Erinnerung  wird  auch  die  Wort- 
bedeutung zunächst  eine  ungenaue  sein:  da  die  an  das  Wort  asso- 
ciirte  Gedächtnisvorstellung  nicht  blofs  als  Symbol  eines  völlig 
bestimmten  Erlebnisses  dient,  sondern  dessen  Eigenschaften 
innerhalb  gewisser  Grenzen  unbestimmt  läfst,  so  raufs  auch 
das  Wort  durch  die  Association  jener  Gedächtnis  Vorstellung  ein  viel- 
deutiges werden.  Umgekehrt  wird  demgemäfs  auch  ein  späterer 
Inhalt  das  Wort  zu  associiren  im  Stande  sein,  sobald  nur  seine  Ver- 
schiedenheit von  dem  frilher  mit  dem  Worte  verbundenen  Inhalte 
jene  Grenzen  nicht  überschreitet  ...  So  wird  also  mit  der  Entstehung 
der   Bedeutung    eines  Wortes  .  .  .  nothwendig   ein   abstractes    imd 


'  Psychologie  als  ErfahmngswisseDSchaft,  S,  68. 

»  A.a.O.  8.62—63. 

*  Macht  der  Umstand,  dafs  ein  ir  au  ein  ß  erinnert,  ß  schon  mr  .Be- 
deutung' des  .Ausdruckes'  a'f  Dann  wäre  die  Kiruhe  die  ,Bedeatimg'  des 
Pfarrhauses  u.  dgl. 


vieldeutiges  Symbol  geschaffen,  welches  eine  Reihe  verschiedener,  in 
bestimmter  Hinsicht  ähnlicher  Inhalte  in  gleicher  Weise  bezeichnet: 
das  Wort  erhält  begriffliche  Bedeutung,  indem  es  vermöge  der 
Entstehung  seiner  Bedeutung  dem  Individuum  för  sämmtliche  In- 
halte als  Symbol  dient,  welche  in  einer  bestimmten  Aehiilichkeitsreihe 
innerhalb  gewisser  Grenzen  liegen".'  Am  SchluTs  desselben  Abschnittes 
lesen  wir  noch : ' 

„Wir  finden . . .  dafs  niclit  blofs  Worte  sondern  auch  Vorstellungen 
in  dem  Sinne  allgemein  sein  können  (und  es  innerhalb  gewisser 
Grenzen  sogar  jederzeit  sind),  in  welchem  der  Conceptualismus  diese 
Allgemeinheit  beliauptet;  dafs  aber  diese  Allgemeinheit  in  gewissen, 
durch  die  erworbene  Feinheit  der  Unterscheidung  bestimmten  Grenzen 
eingeschlossen  bleibt,  während  die  Allgemein  heil  des  Wortes  durch 
diese  Grenzen  der  Allgemeinheit  des  assocürten  Phantasmas  in  keiner 
Weise  beschränkt  wird." 

„Dafs  es  keine  Vorstellung  eines  Dreiecks  giebt,  in  welcher  die 
EigeEBchaften  des  spitzwinkligen  imd  stumpfwinkligen  Dreiecks  ver- 
einigt wären,  können  wir  Berkeley  unbedingt  gegen  Locke  zugestehen: 
dafs  aber  in  jeder  Vorstellung  eines  Dreiecks  völlig  be- 
stimmte Verhältnisse  der  Seiten  und  Winkel  vorgestellt  würden, 
können  wir  ebenso  bestimmt  verneinen.  Wir  können  das  Phantasma 
eines  Dreiecks  mit  einer  bestimmten,  völlig  genauen  Seitenproportion 
ebensowenig  bilden,  als  wir  ein  solches  Dreieck  jemals  zu  zeichnen  im 
Stande  sind.  Jene  zuerst  genannte  Vorstellung  ist  deshalb  nicht  mög- 
lich, weil  die  Formunteracliiede  spitz-  und  stumpfwinkliger  Dreiecke 
zu  groüs  und  zu  bekannt  sind,  als  dafs  wir  bei  irgendeiner  Dreieck- 
form  über  die  entsprechenden  Eigenschaften  im  Zweifel  sein  könnten. 
Die  —  ausgeführte  —  Vorstellung  eines  völlig  bestimmten  Dreiecks  aber 
ist  aus  dem  anderen  Grunde  unmöglich,  weil  unsere  Untei'scheidung 


'  Im  Anachlufe  daran  wird  die  Bedeutung  als  Umfang  der  möglichen 
Nennung  definirt  —  im  Contrast  mit  der  Kede  von  der  „Entstclmag  der  Be- 
deutung", die  den  in  jedem  Einzelfall  lebendigen  Wortainii  betrifft.  Aber  der 
Unterschied  zwischen  Bedeutung  als  Sinn  und  Bedoutuiig  als  Nennung  kommt 
bei  CoBNzucs  überbaui^t  niuht  zu  deutUcher  Absonderung. 

•  A.n.  0.  S.66ff. 


der  Dreieckformen  niemals  eine  völlig  genaue  sein  kann,  sondern  kleine 
unterschiede  uns  zum  Mindesten  in  der  Erinnerung  stets  entgehen." 
Alis  diesen  Citaten  sind  die  ohen  markirten  Verwechslungen  ohne 
Weiteres  ersichtlich.  Ein  Symbol  füi'  ein  Einzelnes,  das  in  Folge 
unserer  st&ndigen  Vermischung  dieses  Einzelnen  mit  ähnlichen  Einzel- 
heiten jedes  Glied  einer  Aehnlichkeitsreihe  bezeichnet,  das  heilst  an 
jedes  vermeintlich  erinnern  kann,  ist  nach  ComrELrüs  schon  ein  allge- 
meines Symbol.  Die  Indifferenz  des  allgemeinen  Begriffs,  bezüglich 
der  nicht  zu  seinem  Inhalt  gehörigen  Bestimtutheiten  des  jeweiligen 
Begriffsgegenstandes,  wird  femer  mit  der  Vagheit  des  Erinnerungs- 
bildes identilicirt.  Und  im  Schlufspassus  glaubt  Corneltos  den  Streit 
zwischen  Berkeley  und  Locke  um  die  allgemeine  Dreieckidee  dadurch 
vermitteln  zu  können,  dafs  er  der  Frage  der  ainnliclien  Vorstellbar- 
keit  eines  Dreiecks  mit  \viderstreitendea  Bestimmtheiten  (nömlich  der 
LocKE'schen  Dreieckidee)  die  andere  Frage  unterlegt, ob  wir  ein  geometrisch 
bestimmtes  Dreieck  von  angegebenen  Verbältnissen  in  der  Phantasie 
genau  zu  entwerfen,  oder  ein  entworfenes  als  dem  geometrischen  Ideal 
entsprechend  zu  erkennen  und  von  wenig  differenten  zu  unterscheiden 
vermöchten;  wobei  zugleich  cUe  Unbestimmtheit  als  Vagheit  mit  der 
Ungenauigkeit  der  Exemplilicirung  des  Ideals  vermengt  erscheint.  Nach 
CoBNELius  ist  es  möglich,  da&  eine  sinnliche  Dreieekidee  wider- 
sprochende Eigenschaften,  und  zwar  unendlich  viele,  in  sich  ver- 
einige; nur  darf  sie  nicht  so  grobe  Unterschiede  vereinen  wollen,  wie 
es  die  Eigenschaften  der  Stumpfwinkligkeit  und  Spitzwinkligkeit  sind. 
Wir  wertlen  schwerlich  geneigt  sein,  dieser  psychologistischen  Re- 
habilitirung  der  LocKE'schen  Dreieckidee,  auch  nach  Uirer  Einschrankimg 
auf  die  feineren  Unterschiede,  zuzustimmen.  Wir  werden  uns  nicht  zu 
der  Uebcrzeugung  entscbliefsen,  es  sei  psychologisch  möglieh,  was 
logisch  und  geometrisch  widersinnig  ist. 


Sonderung  verschiedener  Begriffe  von  Abstraction 
und  Abstract 

§  40.     Vermengungen  der  einerseits  auf  unselbständige  TheilinhaUe  und 
andererseits  auf  Species  bezogenen  Begriffe  von  Abstraction  und  Abstraei. 

Die  Abstractionstheorie  durch  Aufmerksamkeit  setzt  voraus, 
was  die  Lehre  von  der  distinclio  ratioiüs  leugnet,  nämlich  dafs 
in  den  Inhalten  selbst  ein  gewisser  Unterschied  besteht, 
der  dem  Unterschied  des  Abstracten  und  Concreten  ent- 
spricht. Im  Sinne  dieser  genannten  Lehre  soll  es  nur  eine  Art 
von  Theilen  geben,  die  Stücke,  die  lostrennbnren  oder  als  getrennt 
verstellbaren  Theile,  Auf  der  Gegenseite  unterscheidet  man  aber 
von  diesen  „selbständigen"  Theilen  (in  Stdiipf's  Terminologie) 
die  unselbständigen  „Theilinhalte",  und  rechnet  zu  den  letzteren 
die  inneren  ßestinaratheiten  eines  Inhalts  mit  Ausschluß  der 
Stücke  und  darunter  auch  die  in  ihm  merkbaren  {objectiv  zu 
reden,  die  in  ihm  vorhandenen)  Einheitsformen,  durch  welche 
seine  Theile  verknüpft  werden  zur  Einheit  des  Ganzen.  Mit  Be- 
ziehung auf  diesen  selben  Unterschied  spricht  man  auch  von 
concreten  und  abstracten  Inhalten,  bezw.  Inhaltstheüen.' 

In  der  Abstractionslehre  seit  Locke  wird  nun  das  Problem 
der  Abstraction  im  Sinn  der  pointirenden  Hervorhebung 
dieser  „abstracten  Inhalte"  vermengt  mit  dem  Problem  der 
Abstraction  im  Sinne  der  Begriffsbildung.  In  letzterer 
Beziehung  handelt  es  sich  um  eine  descriptive  Analyse  des  Actes, 
in  dem  uns  eine  Species  zu  evidentem  Bewufstsein  kommt, 
bezw.  um  die  Klärung  der  Bedeutung  eines  allgemeinen  Namens 
durch  Rückgang  auf  die  erfüllende  Anschauung;  in  genetischer 
Hinsicht  aber  ist  es  abgesehen  auf  die  Erforschung  des  genetischen 
Ursprungs  solcher  Bedeutungen  im  natürlichen  Proceis  der  Er- 
fahrung oder  im  künstlicheu  der  willkürlichen  und  logischen  ße- 
griffebildung.    Die  abstracten  Vorstellungen,  die  hierbei  in  Frage 

'  Seiner  genaueren  ErforeehuDg  ist  die  Untersuchung  lU  gewidmet 


A  k. 


koramen,  sind  "Vorstoliungen,  deren  Intention  auf  Species  und 
nicht  auf  jene  unselbständigen  oder  abstracten  Inhalte  geht.  Sind 
diese  Bedeutungen  intuitiv  eifiillt,  so  liegen  ihnen  concrete  An- 
schauungen mit  pointirten  abstracten  Theilinhalten  zu  Grunde; 
aber  sie  sind  nicht  diese  Theilinhalte  selbst.  Beständig  werden 
jedoch,  wie  aus  der  vorliegenden  kritischen  Untersuchung  zu  ersehen 
ist,  die  abstracten  oder  tinselbstiindigen  Momente  im  Gegenstände 
mit  den  Species,  die  entsprechenden  subjectiv  erlebten  abs- 
tracten Inhalte  mit  den  abstracten  Begriffen  {den  Bedeu- 
tungen gewisser  Namen),  und  wieder  die  Acte  der  Beachtung 
dieser  abstracten  Inhalte  mit  den  Acten  der  allgemeinen  Vor- 
stellung vermengt  Bei  Locke  z.  B.  sollen  die  abstracten  Ideen 
die  allgemeinen  Bedeutungen  sein;  aber  beschrieben  werden  sie 
als  abstracte  Inhalte,  die  von  concreten  Anschauungen  losgetrennt 
werden.  Ebenso  zeigt  die  Aufmerksarakeitstheorie  die  Möglichkeit 
der  eigenen  Beachtung  abstracter  Inhalte  (ohne  deren  Lostrennung), 
und  damit  glaubt  sie  den  Ursprung  der  allgemeinen  Begriffe  (als 
Bedeutungen)  geklärt  zu  haben.  In  gleicher  Art  leugnet  man  die 
Anschaulichkeit  der  abstracten  Inhalte'),  obschon  dieselben  als 
Momente  concreter  Anschauungen  niitangeschaut  sind;  und  dies 
geschieht,  weil  man  sich  durch  die  ünanschaulichkeit  der  allge- 
meinen Begriffe  täuschen  läfst  Diese  lassen  sich  als  Bilder  freilich 
nicht  hinstellen,  so  wenig  wie  sich  Töne  malen  oder  Farben  durch 
Gerüche  und  so  allgemein  heterogene  Inhalte  durch  heterogene 
abbilden  lassen. 

Es  sind  überhaupt  verschiedene  Begriffe  von  Abstract  und 
Abstraction  zu  unterscheiden  und  diesen  Unterschieden  wollen  wir 
jetzt  nachgehen. 


§  41.     Sonderung  der  Begriffe,  die  sich  um  den  Begriff 
des  unselbständigen  hifialts  gruppiren. 

a)  „Abstracte"  Inhalte  sind  unselbständige  Inhalte,  „con- 
crete"  Inhalte    sind    selbständige.      Wir   denken    uns    diesen 

^  HöFLKR-MEmoNO,  Logik  8. 25.  Vgl.  auch  die  kritische  Aninerlnuig  gegea 
TwARDOWsKi  oben  S.  135. 


Unterschied  objectiv  bestimmt;  etwa  so,  dafs  die  concreten  Inhalte 
ihrer  eigenen  Natur  nach  an  und  für  sich  sein  können,  während 
die  abstracten  nur  in  oder  an  concreten  Inhalten  möglich  sind.» 
Es  ist  klar,  dafs  die  Rode  von  Inhalten  hier  weiter  ge- 
nommen werden  kann  und  genommen  werden  nuifs,  als  in  dem 
psychologischen  Sinne  von  erlebten  Bewufstseinselementen.  Der 
phänomenale  äufsero  Gegenstand,  welcher  erscheint,  aber  nicht  ein 
psychischer  Inhalt  ist  (so  zum  Mindesten,  wenn  man  den  „inten- 
tionalen'',  d.h.  blofs  intendirten  Gegenstand  nicht  fälschlich  als 
Bestandstück  desjenigen  psychischen  Erlebnisses,  in  dem  sich  die 
Intention  vollzieht,  deutet),  ist  als  Ganzes  concret;  die  ihm  inne- 
wohnenden Bestimmtheiten,  wie  Farbe,  Form  u.  s.  w.,  und  zwar 
als  constitutive  Momente  seiner  Einheit  verstanden,  sind  abstract 
Diese  gegenständliche  Unterscheidung  ist  die  altgemeinere;  denn 
psychische  Inhalte  sind  nur  eine  speciello  Klasse  von  Gegenständen 
(womit  natürlich  nicht  gesagt  ist:  von  Dingen).  Der  fragliche 
Unterschied  wäre  daher  eigentlich  passender  als  Unterschied 
zwischen  abstracten  und  concreten  Gegenständen,  bezvv.  Gegen- 
standstheilen  zu  bezeichnen.  Wenn  ich  hier  doch  fortfahre  von 
Inhalten  zu  sprechen,  so  geschieht  es,  um  nicht  bei  der  Mehrheit 
der  Leser  beständigen  Anstofs  zu  erregen.  In  dieser,  auf  dem 
Boden  der  Psychologie  erwachsenen  Unterscheidung,  wo  die  Veran- 
schaulichung naturgomäfs  immer  nach  sinnlichen  Beispielen  greifen 
wird,  ist  die  Interpretation  des  Wortes  Gegenstand  durch  Ding 
zu  sehr  vorwiegend,  als  dafs  die  Bezeichnung  einer  Farbe  oder 
Form  als  Gegenstand  nicht  als  störend  oder  gar  verwirrend  em- 
pfunden werden  könnte.  Doch  ist  scharf  im  Auge  zu  behalten, 
dafs  die  Eedo  von  Inhalten  hier  keineswegs  auf  die  Sphäre  der 
Bewufstseinsinhalte  im  reellen  Sinn  begrenzt  ist,  sondern  alle 
individuellen  Gegenstände  und  Gegenstandstheile  mitbefafet.  Selbst 
die  Sphäre  der  uns  anschaulich  werdenden  Gegenstände  schränkt 
uns  nicht  ein.     Die  Unterscheidung  hat  vielmehr  auch  metaphysi- 


'  Näheres   über  Berechtiguog  und  Gehalt    dieser  Bestiinmaag    in  der 
nächstfolgeudeo  üotersuchung. 


I 


sehen  Werth:  es  sind  Gegenstände  doch  niögjlich,  die  ihrer 
Gattung  nach  jenseits  der  allem  menschlichen  Bevvufstsein  über- 
haupt zugänglichen  Ei-scheinung  liegen.  Kurzum  die  Unter- 
scheidung betrifft  in  schrankenloser  Allgemeinheit  individuelle 
Gegenstände  überhaupt. 

b)  Legen  wir  nun  den  objectiven  Begriff  von  „abstracten 
Inhalten"  zu  Grunde,  so  wird  unter  Abstraction  der  Act  ge- 
meint sein,  durch  welchen  ein  abstracter  Inhalt  „unterschieden", 
d.  h.  durch  den  er  zwar  nicht  losgetrennt,  aber  doch  zum  eigenen 
Object  eines  auf  ihn  gerichteten  anschaulichen  Vorstellens  wird. 
Er  erscheint  in  und  mit  dem  betreuenden  Concretunj,  von  dem 
er  abstrahirt  ist,  aber  er  ist  speciell  gemeint  und  dabei  doch  nicht 
blofs  gemeint  (wie  in  einem  „indirecten",  blofs  symbolischen  Vor- 
stellen), sondern  als  das,  was  er  gemeint  ist,  auch  anschaulich 
gegeben. 

c)  Doch  wir  müssen  hier  noch  einen  wichtigen  und  schon 
mehrfach  betonten*  Unterschied  in  Rechnung  ziehen.  Wenn 
wir  auf  eine  der  „in  die  Erscheinung  fallenden"  Seitenflächen 
eines  Würfels  achten,  so  ist  dies  der  „abstnicte  Inhalt"  unseres 
anschaulichen  Vorstellens.  Jedoch  der  wahrhaft  erlebte  Inhalt, 
welcher  dieser  erscheinenden  Seitenfläche  entspricht,  ist  von 
dieser  selbst  verschieden;  er  ist  nur  die  Grundlage  einer  „Auf- 
fassung", vermöge  deren,  während  er  empfunden  wird,  die  von 
ihm  verschiedene  Würfelfläche  zur  Erscheinung  kommt.  Der  em- 
pfundene Inhalt  ist  dabei  nicht  das  Object  unseres  anschaulichen 
Vorstellens,  er  wird  zum  Object  erst  in  der  psychologischen  .,Re- 
flexion".  Gleichwol  lehrt  die  descriptive  Analyse,  daTs  er  nicht 
blofs  überhaupt  im  Ganzen  der  concreteu  Würfolerscheinung  mit- 
gegeben ist,  sondern  dafs  er  gegenüber  all  den  anderen,  in  diesem 
Vorstellen  der  betreffenden  Seitenfläche  nicht  repräsentativ  fun- 
girenden  Inhalten  in  gev^isser  Weise  gehoben,  pointirt  ist.  Dies 
ist  er  natürlich  auch  dann,  wenn  er  selbst  zum  Gegenstand  einer 
auf  ihn  eigens  gerichteten  vorstellenden  Intention  wird,  nur  dafs 


'  Vgl.  auch  die  V.  Unters.  Kap.  2. 


dann  (also  iii  der  psychologischen  Reflexion)  eben  diese  Intention 
noch  hinzutritt.  Somit  kann  auch  diese  Hebung  des  Inhalts, 
welche  selbst  kein  Act,'  aber  eine  descriptive  Eigenthünilichkeit 
jener  Acte  ist,  in  denen  der  Inhalt  zum  Träger  einer  eigenen 
Intention  wird,  als  Abstraotion  bezeichnet  werden.  Damit  ist 
also  ein  durchaus  neuer  Begriff  von  Abstraction  bestimmt. 

d)  Nimmt  man  an,  dafs  das  Abstrahiren  ein  eigenartiger  Act 
oder  überhaupt  ein  descriptiv  eigenartiges  Erlebnis  sei,  dem  die 
Hervorhebung  des  abstracteu  Inlialts  aus  seinem  concreten  Unter- 
grund verdankt  wird,  oder  sieht  man  in  der  Weise  der  Heraus- 
hebung geradezu  das  Wesentliche  des  abstracten  Inhaltes  als  solchen, 
so  erwächst  ein  abermals  neuer  Begriff  vom  Absti-acten.  Der 
Unterschied  gegenüber  dem  Concreten  wird  nicht  in  der  eige- 
nen Natur  der  Inhalte  gesucht,  sondern  in  der  Weise  des 
Gegebenseins;  abstract  heilst  ein  Inhalt,  sofern  er  abstrahirt, 
concret,  sofern  er  nicht  abstrahirt  ist. 

Man  wird  leicht  bemerken,  dafs  die  Neigung,  zur  Charak- 
teristik dos  Inhaltsuntersehiedcs  auf  die  Acte  zu  recurriren,  durch 
die  Verwechslung  mit  den  vveiterfolgenden  Begriften  von  Abstract 
and  Concret  hervorgerufen  wird,  bei  welchen  das  Wesen  der 
Sache  allerdings  in  den  Acten  liegt. 

e)  Versteht  man  unter  Abstrahiren  im  positiven  Sinn  das 
bevorzugende  Beachten  eines  Inhalts,  unter  Abstrahiren  im 
negativen  Sinn  das  Absehen  von  gleichzeitig  mitgegebenen  In- 
halten, so  verliert  das  Wort  seine  ausschliefsUche  Beziehung  zu 
den  abstracten  Inhalten  in  dem  Sinne  von  unselbständigen  In- 
halten. Auch  bei  concreten  Inhalten  spricht  man  ja,  allerdings 
nur  in  dem  negativen  Sinne,  vou  Abstraction;  man  achtet  z.  B. 
auf  sie  „in  Abstraction  vom  Hintergrunde". 

§  42.     Smderung  der  Begriffe,  die  s-ich  um  den  Betriff 
dir  Specks  gruppiren. 

a)  Man  unterscheidet  abstracto  und  concrete  Begriffe  und 
versteht  unter  Begriffen  die  Bedeutungen  von  Namen.     Dem- 

'  lu  dem  strengen  in  der  Untersucliong  Y  festzustelleudeo  Sinne. 


i 


gemäfs  entspricbt  dieser  Unterscheidung  zugleich  eine  solche  der 
Namen  und  in  der  nominalisHschen  Logik  pflegt  auch  nur  diese 
grammatische  Unterscheidung  aufgeführt  zu  werden.  Von  ihr 
können  wir  bequem  ausgehen.  Namen  können  Individuen  nennen, 
wie  Mensch,  Sokrates;  oder  auch  Attribute,  wie  Tttgend,  Weifse, 
AeknUchkeit.  Die  ersteren  nennt  mau  concreto,  die  letzteren  abs- 
tracte  Namen.  Die  den  letzteren  entsprechenden  Prädicatausdrücke, 
wie  tugendhaft,  tceifs,  ühnlic)i,  rocimet  man  zu  den  uoncretcn 
Namen.  Genauer  müfsten  wir  aber  sagen,  sie  seien  concret,  wenn 
die  möglichen  Subjecto,  auf  die  sie  sich  beziehen,  concreto  Sub- 
jecte  sind.  Dies  ist  nicht  immer  der  Fall:  Namen  wie  Atlribul, 
Farbe,  Zahl  u.  dgl.  beziehen  sich  prädicativ  auf  Attribute  {als 
specifische  Einheiten)  und  nicht  auf  Individuen,  oder  zum  Min- 
dosten auf  Individuen  nur  mittelbar  und  unter  Aenderung  des 
prädicativen  Sinnes. 

Hinter  dieser  grammatischen  Unterscheidung  liegt  offenbar 
eine  logische,  nämlich  die  Unterscheidung  der  Bedeutungen, 
welche  auf  Attribute  und  derjenigen,  welche  auf  Gegen- 
stände, sofern  sie  an  Attributen  Antheil  haben,  gerichtet 
sind.  Nennt  man  mit  Herb.'vht  alle  logischen  Vorstellungen  (und 
das  heilst,  sagten  wir,  alle  nominalen  Bedeutungen)  Begriffe,  so 
zerfallen  die  Bogriffe  in  dieser  Art  in  abstracto  und  concreto.  Be- 
vorzugt man  aber  einen  anderen  Sinn  der  Rede  von  Begriffen, 
welcher  Begriff  ■=  Attribut  ansetzt,  so  ist  es  der  Unterschied  der 
Bedeutungen,  welche  Begriffe,  und  derjenigen,  welche  Begriffsgegen- 
tstände  als  solche  vorstellen.  Dieser  Unterschied  ist  relativ,  sofern 
Begriffsgegenstände  selbst  wieder,  nämlich  in  Relation  zu  gewissen 
neuen  Gegenständen,  den  Charakter  von  Begriffen  liaben  können. 
Aber  dies  kann  nicht  in  infiitifitm  gehen,  und  letztlich  kommen 
wir  nothwendig  auf  den  absoluten  Unterschied  zwischen  Bogriffen 
und  Begriffsgegenständen,  die  nicht  mehr  als  Begiiffe  fungiren 
können;  einerseits  also  Attribute,  andererseits  Gegenstände,  die 
Attribute  „haben",  aber  selbst  keine  sind.  So  correspondirt  dem 
Unterschied  der  Bedeutungen  ein  Unterschied  im  gegenständlichen 
Gebiet,  es  ist,  mit  anderen  Worten,  der  Unterschied  der  indivi- 


duellen  und  specifischen  (der  „allgemeinen")  Gegenstände.  Aequi- 
vok  hoifsen  aber  sowol  die  allgemeinen  Gegenstände,  wie  die 
allgemeinen  Vorstellungen  («llgemeinen  Bedeutungen),  genauer,  die 
directon  Vorstellungen  allgemeiner  Gegenstände,  „Begriffe". 
Der  Bogriff  Rötlio  ist  entweder  die  Röthe  selbst  —  wie  wenn 
man  diesem  Begriff  seine  mannigfaltigen  Gegenstände,  die  rothen 
Dinge  gegen übei-stellt  —  oder  die  Bedeutung  des  Namens  Röthe. 
Beide  stehen  offenbar  in  demselben  Verhältnis,  wie  die  Bedeutung 
Sokraiex  und  Sokrates  selbst.  Freilich  wird  auch  das  Wort  Be- 
deidimg,  in  Folge  der  Vermongung  dieser  Unterschiede,  äquivok, 
so  dafs  man  sieh  nicht  scheut,  bald  den  Gegenstand  der  Vor- 
stellung, bald  ihren  „Inhalt"  (den  Sinn  des  Namens)  Bedeutung 
zu  nennen.  Sofern  Bedeutung  auch  Begriff  heifst,  wird  übrigens 
auch  die  bextehendo  Rede  von  Bogriff  und  Begriffsgegenstand 
zweideutig:  einmal  handelt  es  sich  um  das  (vorhin  mafsgebliche) 
Verhältnis  zwischen  dem  Attribut  (Röthe)  und  dem  Gegenstand,  dem 
dies  Attribut  zukommt  (das  rothe  Haus);  das  andere  Mal  um  das 
total  verschiedene  Verhältnis  zwischen  der  logischen  Vorstellung 
(z.  B.  der  Bedeutung  des  Wortes  Röthe,  oder  des  Eigennamens 
Tkelis)  und  dem  vorgestellten  Gegenstaude  (dem  Attribut  Eöthe, 
der  Göttin  Theüs). 

b)  Der  unterschied  von  concreten  und  abstraetenVorstellungea 
kann  aber  auch  in  anderer  Weise  gefafst  werden,  nämlich  so,  dafs 
eine  Vorstellung  concret  genannt  wird,  wenn  sie  einen  in- 
dividuellen Gegenstand  direct,  ohne  Vermittlung  begrifflicher 
(attributiver)  Vorstellungen  vorstellt;  und  abstract  im  gegen- 
theiligen  Falle.  Auf  der  einen  Seite  stehen  dann  im  Bedeutungs- 
gebiete die  Bedeutungen  der  Eigennamen,  auf  der  anderen 
Seite  alle  übrigen  Bedeutungen. 

c)  Den  oben  gekennzeichneten  Bedeutungen  des  Wortes 
Abstract  entspricht  auch  ein  neuer  Bedeutimgskreis  für  die  Rede 
von  Abstraction.  Er  wird  die  Acte  befassen,  durch  welche  die 
abstracten  „Begriffe"  erwachsen.  Genauer  gesprochen,  handelt  es 
sich  um  die  Acte,  in  welchen  allgemeine  Namen  ihre 
directe  Beziehung  auf  specifische  Einheiten  gewinnen; 


Sondenmg  verschiedener  Begriffe  von  Abstradion  und  Abstract.  221 

and  wiederam  nm  die  Acte,  \?e]cbe  zu  diesen  Namen  in  ihrer 
attribativen  oder  prädicativen  Function  gehören,  in  weichen  sich 
also  Formen  wie  ein  A,  aüe  Ä,  einige  A,  S  welches  A  ist  u.  dgl. 
constituiren;  endlich  um  die  Acte,  in  welchen  uns  die  in  diesen 
mannigfaltigen  Denkformen  gefaxten  Gegenstände  als  so  gefalzte 
evident  „gegeben"  sind,  mit  anderen  Worten,  um  die  Acte,  in 
welchen  sich  die  begrifflichen  Intentionen  erfüllen,  ihre  Evidenz 
und  Klarheit  gewinnen.  So  erfassen  wir  die  specifische  Einheit 
Ttöthe  direct,  „selbst"  auf  Grund  einer  singulären  Anschauung 
von  etwas  Rothem.  Wir  blicken  auf  das  Rothmoment  hin,  voll- 
ziehen aber  einen  eigenartigen  Act,  dessen  Intention  auf  die 
„Idee",  auf  das  „Allgemeine"  gerichtet  ist  Die  Abstraction  im 
Sinne  dieses  Actes  ist  durchaus  verschieden  von  der  blolsen  Be- 
achtung oder  Hervorhebung  des  Rothmomentes;  den  Unterschied 
anzudeuten,  haben  wir  wiederholt  von  ideirender  oder  generali- 
sirender  Abstraction  gesprochen.  Auf  diesen  Act  zielt  die 
traditionelle  Rede  von  der  Abstraction;  nicht  individuelle  Einzel- 
züge, sondern  Allgemeinbegriffe  (directe  Vorstellungen  von  Attri- 
buten als  Denkeinheiten)  gewinnen  wir  in  ihrem  Sinne  durch 
„Abstraction".  Allenfalls  erstreckt  sich  dieselbe  Rede  auch  auf 
die  begrifflichen  Vorstellungen  der  angedeuteten  complicirteren 
Formen;  in  der  Vorstellung  ein  A,  mehrere  A  u.  s.  w.  ist  von  allen 
sonstigen  Merkmalen  abstraliirt;  die  abstracto  Vorstellung  A  nimmt 
neue  „Formen"  an,  aber  keine  neue  „Materie". 


m. 

Zur  Lehre  Yon  den  Ganzen  nnd  Theilen. 


Einleitung. 

Der  Unterschied  zwischen  „abstracten"  und  „concreten" 
Inhalten,  der  sich  als  identisch  herausstellt  mit  dem  STüiiFF'schen 
unterschied  zwischen  unselbständigen  und  selbständigen  In- 
halten, ist  für  alle  phänomenologischen  Untersuchungen  von  grolser 
Wichtigkeit,  so  dafs  es  unerläfslich  erscheint,  ihn  vorweg  einer 
gründlichen  Analyse  zu  unterwerfen.  Ich  erwähnte  schon  in  der 
vorigen  Untersuchung,  dafs  dieser  Unterschied  als  Specialfall  eines 
allgemeinen  Unterschiedes  gefafst  werden  kann.  Er  reicht  dann 
über  die  Sphäre  der  Bewufstseinsinhalte  hinaus  und  wird  zu 
einem  theoretisch  höchst  bedeutsamen  Unterschied  im  Gebiete  der 
Gegenstände  überhaupt  Somit  wäre  die  systematische  Stelle 
seiner  Erörterung  in  der  reinen  (apriorischen)  Theorie  der  Gegen- 
stände als  solcher,  in  welcher  die  zur  Kategorie  Gegenstand  ge- 
hörigen Yerhältnisse  zwischen  Ganzem  und  Theil,  Subject  und  Be- 
schaffenheit, zwischen  coordinirten  Theilen  oder  Beschaffenheiten 
und  dergleichen  mehr  behandelt  werden.  Unsere  analytische  Unter- 
suchung kann  sich  auch  hier  wieder  nicht  durch  die  Systematik 
der  Sachen  bestimmen  lassen.  Schwierige  BegrifTe,  mit  denen  wir  in 
der  erkenntnisklärenden  Forschung  operiren,  und  die  in  ihr  ge- 
wissermaisen  als  Hebel  dienen  müssen,  dürfen  wir  nicht  ungeprüft 
lassen,  um  zu  warten,  bis  sie  im  systematischen  Zusammenhang 
des  logischen  Gebietes  selbst  auftreten.  Wir  arbeiten  hier  ja 
nicht  an  einer  *"  *i  Dant^ong  der  Logik,  sondern  an 


ihrer   erkenntniskridscheii    Klärung   und   zugleich   an  einer  Vor- 
bereitung für  jede  künftige  Darstellung  dieser  Art. 

Eine  tiefere  Ergründung  des  Unterschiedes  zwischen  den 
selbständigen  und  unselbständigen  Inhalten  führt  so  unmittelbar 
auf  die  Fundaraentalfragen  der  reinen  Lehre  von  den  Ganzen  und 

^Theilen,  dafs  wir  es  nicht  unterlassen  können,  auf  diese  Fragen 
mit  einiger  Aiisführliclikcit  einzugehen, 
sac 


§1- 


Erstes  Kapitel. 

Der  Unterschied  der  selbständigen  and  unselbständigen 
Gegenstände. 

Zusammengeselxte  und  einfache,  gegliederte  und  ungegliederte 
Gegenstände. 

Wir  schicken,  da  sich  die  folgende  Untersuchung  der  Haupt- 
sache nach  um  Theilverhültnisse  dreht,  eine  ganz  allgemeine  Er- 
örterung dieser  Verhältnisse  voraus. 

Gegenstände  können  zueinander  in  dem  Verhältnis  von 
Ganzen  und  Theilen,  oder  auch  in  dem  Verhältnis  von  coordi- 
nirten  Theilen  eines  Ganzen  stehen.  Dies  sind  in  der  Idee  des 
Gegenstandes  a  priori  gründende  Verhältnisarten.  Jeder  Gegen- 
stand ist  wirklicher  oder  möglicher  Theil,  d.  Ii.  es  giebt  wirkliche 
oder  mögliche  Ganze,  die  ihn  einschliefsen.  Andererseits  braucht 
vielleicht  nicht  jeder  Gegenstand  Theile  zu  haben,  und  so  ergiebt 
sich  die  ideelle  Scheidung  der  Gegenstände  in  einfache  und 
zusammengesetzte. 

Die  Termini  xttsammengeselxi  und  einfach  sind  somit  definirt 
durch  die  Bestimmungen:  Theile  habend  —  keine  Theile  habend. 
Sie  können  aber  in  einem  zweiten  und  vielleicht  natürlicheren 
Sinn  verstanden  werden,  in  welchem  die  Zusaramengesetztlieit, 
wie  es  die  Etymologie  des  Wortes  auch  nahelegt,  auf  eine  Mehr- 
heit disjuncter  Theile  des  Ganzen  hinweist,  so  dafs  als  einfach 
bezeichnet  werden  radlste,  was  sicli  nicht  in  eine  Mehrheit  von 


Theiien  „auseinfinderlegen"  läfst,  d.  li.  worin  nicht  mindestens 
zwei  disjuncte  Theile  zu  unterscheiden  sind,  DifFerenziirend  könnte 
man  hier  statt  von  einfachen  und  zusammengesetzten,  lieber  von 
un(;;egliederten  und  gegliederten  Gegenständen  sprechen. 
Dieser  zweite  unterschied  des  Einfachen  und  Zusammengesetzten 
bezieht  sieh  auf  ein  weniger  allgemeines,  obschon  immer  noch 
primitives Theilungsverhältnis;  nämlich  auf  das  Verhältnis  zwischen 
Verknüpfungsganzem  und  Vorknüpfungsglied.  Unter  einem 
Verknüpfungsganzen  oder  kurzweg  einer  Verknüpfung  verstehen 
wir  also  ein  Ganzes,  welches  mehrere  disjuncte  Theile  besitzt. 
Diese  selbst  heifsen  Glieder,  In  dem  weiten  Sinne  dieser  Defi- 
nition müssen  Farbe  und  Gestalt  als  die  in  der  Einheit  des  ge- 
färbten Ausgedehnten  verknüpften  Glieder  gelten.  In  einem  engeren 
Sinne  spricht  man  von  Gliedern  bei  disjuncten  Theiien,  die  relativ 
zueinander  „selbständig"  sind,  mit  anderen  Worten  bei  disjuncten 
„Stücken"  eines  Ganzen.  Die  Feststellung  dieser  Begriffe  wird 
uns  bald  ausführlich  beschäftigen. 

DaTs  die  beiden  unterschiedenen  Begritfspaare  wirklich  aus- 
einander zu  halten  sind,  lehrt  beispielsweise  das  dem  Verhältnis 
von  Aristotelischer  Gattung  und  Art  entsprechende  Verhältnis 
anschaulicher  Momente,  das  „logische"  Theüungs Verhältnis  in 
Bhentano's  Terminologie.  Ein  durch  niederste  Species  bestimmter 
Fall  von  Farbe  ist  im  zweiten  Sinne  einfach  (nämlich  unge- 
gliedert), im  ersten  zusammengesetzt:  Dieses  hier  vorliegende 
Roth  kann,  von  seiner  räumlichen  Ausbreitung  abgesehen,  nicht 
in  disjuncte  Theile  gegliedert  werden,  aber  es  enthält  doch  Theile. 
Im  Abstractum  Kotli  liegt  das  Moment  Farbe,  aber  was  Farbe  zu 
Kotli  ergänzt,  ist  nicht  die  Anknüpfung  eines  weiteren  und  neuen 
Momentes,  sondern  Fai-be  „specificirt"  sich  nur  zu  Roth,  welches 
Farbe  ist  und  doch  nicht  mit  Farbe  identisch  ist. 


§  2.     Einführung  der  Unterscheidung  zwischen  unselbständigen 
und  selbständigen   Gegenständen  (Inhaltenj. 

Den  Begriff  Tkeil  fassen  wir  in  dem  weitesten  Sinne,  der 
es  gestattet.  Altes  und  Jedes  Theil  zu  nennen,  was  „in"  einem 


i 


Gegenstände  unterscheidbar  oder,  objectiv  zu  reden ,  in  ihm  „vor- 
handen" ist.  Theil  ist  Alles,  was  der  Gegenstand  im  realen 
Sinne  „hat'',  und  zwar  der  Gegenstand  an  und  für  sich,  also  unter 
Abstraction  von  allen  Zusammenhängen,  in  die  er  eingewobon  ist. 
Danach  weist  jedes  nicht  bezüglicbo  „reale"  Prädicat  auf  einen 
Theil  des  Subjef-tgegenstaades  hin.  So  z.  B.  i-oih  und  rund, 
nicht  aber  existiretid  oder  Eticas.  Ebenso  gilt  jede  reale  Ver- 
knüpfungsforni,  z.  B.  das  Moment  der  räumlichen  Configuration, 
als  ein  eigener  Tlieil  des  Ganzen. 

In  so  weitem  Sinne  wird  der  Terminus  Tbeil  in  der  ge- 
wöhnlichen Eede  nicht  verstanden.  Versuchen  wir  die  Einschrän- 
kungen zu  präcisiren,  die  ihren  Theil-Begriff  von  dem  unsrigen 
unterscheiden,  so  stofsen  wir  auf  jenen  fundamentalen  Unterschied, 
welchen  wir  als  den  Unterschied  der  selbständigen  und  un- 
selbständigen Theile  bezeichnen.  Wo  von  Theilen  schlechthin 
die  Rede  ist,  pflegt  man  die  selbständigen  Theile  (wir  sagen 
bezeichnend:  die  Stücke)  im  Auge  zu  haben.  Da  jeder  Theil 
zum  eigenen  Gegenstand  (oder,  wie  man  auch  zu  sagen  pflegt, 
„Inhalt")  eines  auf  ihn  zielenden  Vorstellens  werden  und  somit 
als  Gegenstand  (oder  auch  Inhalt)  bezeichnet  werden  kann,  so 
weist  die  eben  berührte  Unterscheidung  der  Theile  auf  eine  solche 
der  Gegenstände  (Inhalte)  überhaupt  hin.  Der  Terminus  Gegen- 
stand ist  dabei  in  einem  angemessen  weiten  Sinne  genommen. 

Allerdings  pflegt  man  bei  der  gewöhnlichen  Rede  von  Gegen- 
ständen, ganz  so  wie  bei  der  von  Theilen,  unwillkürlich  an  selb- 
ständige Gegenstände  zu  denken.  In  dieser  Hinsicht  ist  der  Ter- 
minus Inhalt  weniger  bescliränkt.  Altgemein  spricht  man  ja  auch 
von  abstracten  Inhalten.  Dagegen  pflegt  sich  die  Rede  von  In- 
halten in  der  blofsen  psychologischen  Sphäre  zu  bewegen,  eine 
Einschränkung,  mit  der  wir  bei  der  jetzt  zu  erforechenden  Unter- 
scheidung zwar  anheben,  bei  der  wir  aber  nicht  vorbleiben  werden. ^ 


'  Die  Verwetlisluiig  zwischen  vorgestelltem  Inhnlt  im  Sinn  eines  belie- 
bigen vorgestellten  Gegenstandes  {in  der  paycbolof;ischen  Si)liäre:  jedes  psycho- 
logische Datum)  und  vorgestelltem  Inhalt  im  Sinn  des  bedeutungsmälsigeu  .Was'' 
der  Vorstellung  ist   in  dem  Kreise  der  jetzigen  Untersuchung  keine  Gefahr, 

Husterl,  Ixig.  Untora.  U.  15 


Der  Unterschied  der  selbständigen  und  unselbständigen  In- 
halte ist  auf  dem  psychologischen  Gebiet,  genauer  zu  reden,  auf 
dem  Gebiet  der  reinen  Phänomenologie  der  inneren  Erfahrung  er- 
wachsen. In  polemischer  Beziehung  auf  Locke  hatte  Berkeley* 
ausgeführt:  Wir  haben  die  Fähigkeit,  uns  die  früher  wahrgenom- 
menen einzelnen  Dinge  wieder  zu  vergegenwärtigen,  aber  auch 
sie  in  der  Einbildung  zusammenzusetzen  oder  zu  zertheilen.  Wir 
können  uns  einen  Mann  mit  zwei  Köpfen,  den  Oberleib  eines 
Menschen  verbunden  mit  dem  Unterleib  eines  Pferdes  vorstellen, 
oder  auch  einzelne  Stücke,  einen  Kopf,  eine  Nase,  ein  Ohr  für 
sich.  Dagegen  ist  es  unmöglich,  eine  „abstracte  Idee"  zu  bilden, 
z.  B.  die  „Idee"  einer  Bewegung  abzutrennen  von  der  eines  be- 
wegten Körpers.  Abstrahiren  in  dem  LocKt'schen  Sinn  des  Ab- 
ti'ennens  können  wir  nur  solche  Theüe  eines  vorgestellten  Ganzen, 
die  zwar  mit  anderen  Theilen  factisch  vereinigt  sind,  aber  auch 
ohne  sie  wirklich  existiren  können.  Da  aber  nach  Bphikelet  esse 
so  viel  heifst  wie  perdpi,  so  heifst  hier  dies  Nicht-existiren- 
können  nichts  weiter  als  Nicht-porcipirt-werden-köunen.  Zudem 
ist  zu  beachten,  dafs  das  Walirgenoramene  die  Ideen  sind,  also 
Bewufstseinsinhalte  im  Sinne  reell  erlebter  Inhalte. 

Danach  kann  die  wesentliche  Meinung  Berkeley 'scher  Unter- 
scheidung, unter  leicht  verständlicher  Aenderung  der  Terminologie, 
auch  in  die  Worte  gefafst  werden:* 

Unter  dem  Gesichtspunkt  der  Zusammengehörigkeit  scheiden 
sich  die  jeweils  zusammen  vorgestellten  (bzw.  im  Bewufstsein  zu- 
sammenseienden) Inhalte  in  zwei  Hauptklassen:  selbständige  In- 
halte und  unselbständige.^  Selbständige  Inimlte  sind  da  vorhanden, 
wo  die  Elemente  eines  Vorstell ungscomplex es  [Inhaltscomplexes] 
ihrer  Natur  nach  getrennt  vorgestellt  werden  können; 
unselbständige  Inhalte  da,  wo  dies  nicht  der  Fall  ist 


*  Prineiplea,  Einleitung  g  10. 

'  Und  zwar  nahezu  ■wüitlich  nach  C.  Stoupf,  Ueber  den  psychologischen 
Ursprung  der  ßaumvorstellung  1873.    S.  109. 

'  Stujut  gebrauchte  den  Ausdi-uck  Thoiliuhalt,  der  aber  in  diesem  be- 
stioimten  Sinne  kaum  festzuhalten  wäre. 


1 


§  3.     Die  Unablrenubarkeit  der  unselbständigen  Inhalte. 

Zur  näheren  Charakteristik  dieses  Getrennt- vorgestellt-werden- 
könnens,  bzw.  -nicht-könnens  wäre  unter  Benutzung  scharfsinniger 
und  niciit  liinreichend  beachteter  Bemerkungen  Stumpf's  Folgendes 
auszuführen.' 

Wir  haben  in  Ansehung  gewisser  Inhalte  die  Evidenz,  dafs 
die  Aenderung  oder  Aufhebung  mindestens  eines  der  zusammen 
mit  ihnen  gegebenen  (aber  nicht  in  ihnen  eingeschlossenen)  In- 
halte, sie  selbst  andern  oder  aufheben  müsse.  Bei  anderen  In- 
halten fehlt  uns  diese  Evidenz;  der  Gedanke,  dafs  sie  bei  belie- 
biger Aenderung  oder  Aufhebung  aller  mit  ihnen  coexistireuden 
Inhalte  selbst  unberührt  bleiben  würden,  schliefst  keine  Unver- 
träglichkeit ein.  Inhalte  der  ersteren  Art  sind  nur  als  Thetle  von 
umfassenderen  Ganzen  denkbar,  wülnend  die  letzteren  als  möglich 
erscheinen,  auch  wenn  aufser  ihnen  überhaupt  nichts  da  wäre, 
also  auch  nichts,  was  sich  mit  ihnen  zu  einem  Ganzen  vorbände. 

Getrennt  vorstellbar  in  diesem  soeben  präcisirten  Sinne 
ist  jedes  phänomenale  Ding  und  jedes  Stück  desselben.  Wir  können 
uns  den  Kopf  eines  Pferdes  „getrennt"  oder  „für  sich"  vorstellen, 
das  heifst,  wir  können  ihn  in  der  Phantasie  festhalten,  während 
wir  die  übrigen  Tlieile  des  Pferdes  imd  die  gesammte  anschau- 
liche Umgebung  beliebig  ändern  und  verschwinden  lassen.  Genau 
besehen,  wird  die  festgehaltene  Erscheinung  ihi-em  descriptiven 
Gehalte  nach  nie  absolut  identisch  verbleiben;  aber  jedenfalls 
liegt  im  Inhalt  der  Erscheinung  nichts,  was  eine  functionelle  Ab- 
hängigkeit ihrer  Veränderungen  von  denjenigen  der  coexistirenden 
Erscheinungen  mit  Evidenz  als  nothwendig  forderte.  Wir  können 
sagen,  es  gilt  dies  sowol  hinsichtlich  der  erscheinenden  dinglichen 
Objecto,  als  auch  hinsichtlich  der  erlebten  Erscheinungen,  sowie 
zugleich  hinsichtlich  der  in  diesen  letzteren  gegenständlich  gedeu- 
teten  Empfinduugscomplexionen.      Günstige    hiehergehörige   Bei- 


'  loh  benütze  in  den  niiehsten  Darlegungen  meinen  Aufsatz  Uebor  abstracte 
und  concrete  luhalto  (Nr  1  der  Psychologischen  Studien  zur  elementaren  Logik, 
PhUos.  Monatshefte,  1894,  Bd.  XXX). 


228  III.    Zur  Lehre  von  den  Ganzen  und  Theilen. 


spiele  bieten  Erscheinangen  von  Klängen  und  EJanggebilden,  von 
Gerüchen  und  anderen  subjectiven  Erlebnissen,  die  wir  leicht  von 
aller  Beziehung  auf  dingliches  Dasein  abgelöst  denken  können. 

§  4.    Beispielsanaiysen  nach  Stumpf. 

Betrachten  wir  nun  Beispiele  für  die  unabtrennbaren  Inhalte. 
Als  ein  solches  kann  uns  das  Verhältnis  zwischen  der  yisuellen 
Qualität  und  Ausdehnung,  oder  das  Verhältnis  beider  zu  der 
begrenzenden  Figur  dienen.  In  gewisser  Weise  gilt  es  sicherlich, 
dafs  diese  Momente  unabhängig  Toneinander  zu  variiren  sind. 
Die  Ausdehnung  kann  dieselbe  bleiben,  während  sich  die  Farbe, 
die  Farbe  kann  dieselbe  bleiben,  während  sich  die  Ausdehnung  und 
die  Figur  beliebig  ändert.  Aber  genau  genommen,  betrifft  diese 
unabhängige  Variabilität  nur  'die  Arten  der  Momente  in  ihren 
Gattungen.  Während  das  Farbenmoment  hinsichtlich  der  Farben- 
species  ungeändert  bleibt,  kann  sich  die  Ausbreitung  und  Form 
specifisch  beliebig  ändern,  und  umgekehrt.  Dieselbe  (specifisch 
dieselbe)  Qualität  und  qualitative  Abschattung  ist  über  jede  Aus- 
dehnung „auszudehnen"  oder  „auszubreiten",  und  umgekehrt 
ist  dieselbe  Ausdehnung  mit  jeder  Qualität  zu  „bedecken".  Aber 
noch  bleibt  Saum  für  functionelle  Abhängigkeiten  in  der  Verän- 
derung der  Momente,  welche,  wie  zu  beachten  ist,  nicht  durch 
das  erschöpft  werden,  was  die  Species  ideal  fassen.  Das  Farben- 
moment, als  unmittelbarer  Theilinhalt  der  concreten  Anschauung, 
ist  bei  zwei  concreten  Anschauungen  nicht  schon  dasselbe,  wenn 
die  Qualität,  die  niederste  Differenz  der  Gattung  Farbe,  dieselbe 
ist  Stumpf  hat  die  wichtige  Bemerkung  gemacht:  „die  Qualität 
participirt  in  gewisser  Weise  an  der  Aenderung  der  Aus- 
dehnung. Wir  drücken  dies  sprachlich  aus,  indem  wir  sagen, 
die  Farbe  nimmt  ab,  wird  kleiner,  bis  zum  Verschwinden.  Wachsen 
und  Abnehmen  ist  die  Bezeichnung  für  quantitative  Aenderungen." 

„In  der  That  wird  die  Qualität  durch  Aenderung  der  Ausdeh- 
nung mit  afficirt,  obgleich  die  ihr  eigenthümliche  Aendenmgs- 
weise  davon  unabhängig  ist  Sie  wird  dabei  nicht  weniger  grün 
oder  roth;  sie  selbst  hat  nicht  Grade,  sondern  nur  Arten,  kann 


an  sich  nicht  wachsen  und  abnehmen,  sondern  nur  wecliseln. 
Aber  trotzdem,  wenn  wir  sie  nach  dieser  ihrer  eigenthümlicheii 
Weise  ganz  unverändert,  z.  B.  grün  bleiben  lassen,  wird  sie  doch 
durch  die  quantitative  Aenderung  mit  afficirt.  Und  dafs  dies  nicht 
etwa  nur  ein  uneigentlicher  Ausdruck  der  Sprache  oder  eine 
täuschende  Uebertragung  ist,  zeigt  sich  daran,  dafs  sie  bis  zum 
Verschwinden  abnimmt,  dafs  sie  schliefslich  durch  blofse 
Aenderung  der  Quantität  Null  wird.'" 

Diese  Beobachtung  eignen  wir  uns  zu.  Wir  fänden  nur  zu 
erwähnen,  dafs  nicht  eigentlich  die  Qualität  afficirt  wird,  sondern 
das  ihr  zugehörige  unmittelbare  Moment  der  Anschauung.  Die 
Qualität  wird  man  wol  schon  als  Abstractum  zweiter  Stufe  fassen 
müssen,  obeuso  wie  Figur  und  Gröfso  der  Ausdehnung.  Aber 
gerade  wegen  der  Gesetzmälsigkeit,  die  wir  hier  erörtern,  kann 
das  bezügliche  Moment  nur  genannt  werden  mittelst  der  durch 
die  Gattungen  Qualität  und  Ausdehnung  bestinunten  Bcgrifi'e.  Wus 
die  Qualität  zu  dem  vorliegenden  Qualitätsmoment  difl'erenziirt, 
ist  nicht  mehr  durch  die  Gattung  Farbe  umgrenzt,  daher  wir  die 
Qualität,  z.  B.  die  bestimmte  Nuance  von  Roth,  mit  Recht  als 
niederste  Differenz  innerhalb  dieser  Gattung  bezeichnen.  Ebenso 
ist  die  bestimmte  Figur  letzte  Differenz  der  Gattung  Figur,  ob- 
schon  das  entsprechende  unmittelbare  Moment  der  Anschauung 
noch  weiter  difl'erenziirt  ist.  Aber  die  Verbindung  je  einer  der 
letzten  Difi'erenzen  innerhalb  der  Gattungen  Figur  und  Farbe  be- 
stimmt völlig  die  Momente,  sie  bestimmt  gesetzlich  mit,  was  fall- 
weise noch  gleich  und  ungleich  sein  kann.  Die  Abhängigkeit  der 
unmittelbaren  Momente  betrifO;  also  eine  gewisse  gesetzmäfsige  Be- 
ziehung derselben,  welche  rein  durch  die  nächst  übergeordneten 
Abstracta  dieser  Momente  bestimmt  wird. 

STTiMrF  fügt  noch  folgende  für  uns  werthvoUe  Ausführung  bei:* 

„Hieraus  mm  [nämlich  aus  der  oben  charakterisirten  functio- 

nellen  Abhängigkeit  der  Momente  Qualität  und  Ausdehnung] 


•  A.a.O.  S.  112. 
'  A.a.O.  S.  113. 


folgt,  dafs  beide  ihrer  Natur  nach  untrennbar  sind,  dalä  sie 
in  irgendeiner  Weise  einen  ganzen  Inhalt  bilden,  von  dem 
sie  nur  TheiiiniiaUe  sind.  Wären  sie  blofs  Glieder  einer  Summe, 
so  wäre  es  vielleicht  denkbar,  dafs  schlechthin  gesprochen,  wenn 
(He  Ausdehnung  hinwegfallt,  auch  die  Qualität  hinwegfällt  (dafs 
sie  nicht  unabhängig  existiren);  aber  dafs  die  Qualität  auf  solche  Art 
allmälig  abnimmt  und  verschwindet  durch  blofses  Abnehmen  und 
Verschwinden  der  Quantität,  ohne  sich  dabei  als  Qualität  in  ihrer 
Weise  zu  ändern,  wäre  unbegreiflich  . ..  Jedenfalls  können  sie  nicht 
selbständige  Inhalte  sein,  sie  können  ihrer  Natur  nach  nicht 
getrennt  und  unabhängig  voneinander  in  der  Vorstellung 
existiren". 

Aehnliches  wäre  für  das  Verhältnis  zwischen  Intensität  und 
Qualität  auszuführen.  Die  Intensität  eines  Tons  ist  nicht  etwas 
seiner  Qualität  Gleichgiltiges,  ihr  sozusagen  Fremdes.  Wir  können 
die  Intensität  nicht  für  sich  behalten  als  das,  was  sie  ist,  und  die 
Qualität  beliebig  ändern  oder  gar  annihiliren.  Mit  der  Aufhebung 
der  Qualität  ist  unausweichlich  die  Intensität  aufgehoben,  und 
ebenso  umgekehrt  mit  der  Aufhebung  der  Intensität  die  Qualität 
Und  dies  ist  nicht  eine  blofse  Thatsache,  sondern  eine  evidente 
Nothwendigkeit.  Auch  im  Verhalten  bei  der  Aenderung  zeigt 
sich  übrigens  Analogie  mit  dem  zuerst  discutirten  Falle:  Eine 
continuirliche  Annäherung  der  Intensität  gegen  die  Nullgrenze 
empfinden  wir  auch  als  eine  Minderung  des  qualitativen  Eindrucks, 
während  die  Qualität  als  solche  (specifisch)  ungeändert  bleibt 

Weitere  Beispiele  bieten  in  Fülle  die  Einheitsmomente 
der  anschaulichen  Inhatte,  also  Momente,  die  über  den  primär 
unterscheidbaren  Elementen  gebaut,  deren  bald  gleichartige,  bald 
verschiedenartige  Verknüpfung  zu  sinnlich-anschaulichen 
Oanzen  ausmachen.  In  Hinblick  auf  sie  gewinnen  wir  die  ersten 
und  engereu  Begriffe  von  Ganzes,  Verknüpfung  u. s.w.,  ferner  die 
untei-scheid enden  Begrifie  verschiedener  Gattungen  und  Arten  von 
äufserlich  oder  innerlich  sinnlichen  Ganzen. 

Selbstverständiicli  sind  die  Eiiiheitsmomente  nichts  Anderes  als 
diejenigen  Inhalte,  welche  von  Ehrentels  als  „Gestaltqualitäten'*,  von 


mir  selbst  als  „fig:iirale"  Momente  und  von  Meijtong  als  „fundlrte 
Inhalte''  bezeichnet  worden  sind.  Doch  bedurfte  es  hiebei  noch  der 
ergänzenden  Unterscheidung  zwischen  den  phänomenologischen 
Einheitsmomenten,  -welche  den  psychischen  Erlebnissen  oder  Erlebnis- 
theilen  Einheit  geben,  und  den  objectiven  Einheitsmonienten,  welche 
zu  den  intentionalen,  wnd  im  Allgemeinen  nicht -psychischen  Gegen- 
ständen und  Gegenstandstheilen  gehören.  — •  Der  mir  von  Riehl  vor- 
geschlagene Ausdruck  Einheitsmoment  hat  in  seiner  unmittelbaren 
Verständlichkeit  einen  so  einleuchtenden  Vorzug,  dafs  seine  aligomeiae 
Annahme  wüuschenswerth  wäre. 

■^  §  5.     Die  objeclive  Bestimmung  des  Begriffs  der  Unablrennharkeit. 

^^^^  Während  Stumpf  Ueberlegungen  dieser  Art  zu  dem  Zwecke 
^r  anstellt,  um  die  wet'hselseitige  Unabtrennbarkeit  der  Ausdehnung 
H  und  Qualität,  also  iliro  Uuselbständigkeit  zu  beweisen,  wollen 
H  wir  aus  ihnen  vielmehr  Nutzen  ziehen,  um  die  Unabtronnbarkoit 
■  oder  Unselbständigkeit,  bezw.  auf  der  anderen  Seite  die  Abtrenn- 
H  barkeit  oder  Selbständigkeit  zu  definiren.  Die  Handhaben  dazu 
H  bietet  uns  Stumpf  selbst  im  letzten  Passus  des  obigen  Citats.*  Was 
H  heifst  das,  wir  können  einen  Inhalt  „für  sich",  „getrennt"  vor- 
H  stellen?  Heifst  dies,  in  Beschränkung  auf  die  phänomenologische 
Sphäre,  auf  die  der  wirklich  erlebten  Inhalte,  dafs  solch  ein 
Inhalt  aus  aller  Verschmelzung  mit  coexistenten  Inhalten  heraus- 
gelöst, also  scbliefslich  aus  der  Einheit  des  Bowufstseins  heraus- 
gerissen werden  könne?  Offenbar  nicht.  In  diesem  Sinne  sind 
alle  Inhalte  unabtrennbar.  Stellen  wir  uns  den  Inhalt  Kopf  des 
Pferdes  für  sich  vor,  so  stellen  wir  ihn  darum  doch  im  Zusammen- 
bang des  Bewufstseins  vor,  der  Inhalt  hebt  sich  von  einem  Hinter- 
grunde ab,  er  ist  unausweichlich  mit  tausciidtultigen  anderen  In- 
halten zugleich  gegeben  und  mit  ihnen  in  gewisser  Weise  auch 
einig.  Was  besagt  also  die  Lostrennbarkeit  dieses  Inhalts  durch 
die  Vorstellung?  Wir  werden  darauf  keine  Antwort  finden,  wenn 
nicht  die  folgende: 


*  Vgl.  die  von  uns  betonten  TVorte. 


Die  Lostrennbarkeit  besagt  nichts  Anderes,  als  dafs  wir  diesen 
Inhalt  in  der  Vorstellung  festhalten  können  bei  schrankenloser 
(willkürlicher,  durch  kein  in  der  Natur  des  Inhalts  gründendes 
Gesetz  verwehrter)  Variation  der  mitverbundenen  und  überhaupt 
niitgegeheneu  Inhalte,  so  dafs  er  schiieMich  sogar  durch  ihre  Auf- 
hebung unberührt  bliebe. 

Darin  liegt  aber  evidentermafsen : 

dafs  die  Existenz  dieses  Inhalts  in  der  Vorstellung  und  über- 
haupt im  Bewufstsein  durch  die  Existenz  anderer  Inhalte  garnicht 
bedingt  ist,  dafs  er,  so  wie  er  ist,  existiren  könnte,  auch  wenn 
im  Bewufstsein  aufser  ihm  garoichts  du  wäre,  oder  wenn  sich 
Alles  um  ihn  herum  willkürlich,  d.  i.  gesetzlos  änderte. 

Freilich  wäre  zu  erwägen,  ob  wir  dergleichen  absolut  be- 
haupten dürfen.  In  unseren  Beispielen  vindicirten  wir  den  Fällen 
der  Selbständigkeit  keine  Evidenz,  wir  sprachen  vielmehr  von 
blofser  Nichtevidenz  der  Unselbständigkeit.  Man  mag  bezweifeln, 
ob  wir  je  ernstlich  die  positive  Evidenz  haben,  es  sei  ein  Inhalt 
relativ  zu  allen  mitverbundenen  unabhängig,  dafs  er,  identisch 
erhalten  als  das,  was  er  ist,  mit  der  willkürlichen  Variation  aller 
coexistenten  Inhalte  verträglich  sei.  Aber  zweifellos  supponiren 
wir  dem  Mangel  an  evident  merklicher  Abhängigkeit,  die  Unab- 
hängigkeit; der  Sinn  der  Trennbarkeit  liegt  nusschliefslich  in  dem 
Gedanken:  in  der  Natur  des  Inhalts  selbst  gründe  keine 
Abhängigkeit  von  anderen,  er  sei,  was  er  sei,  unbeküm- 
mert um  alle  anderen. 

Und  dementsprechend  liegt  der  Sinn  der  Unselbständig- 
keit in  dem  positiven  Gedanken  der  Abhängigkeit.  Der  Inhalt 
ist  seiner  Natur  nach  an  andere  Inhalte  nicht  gebunden,  er  kann 
nicht  sein,  wenn  nicht  mit  ihm  zugleich  andere  Inhalte  sind.  Dafs 
sie  Eins  mit  ihm  sind,  braucht  dabei  wol  nicht  hervorgehoben 
zu  werden.  Denn  giebt  es  Coexisteuz  ohne  eine  noch  so  lose 
Verbindung  oder  „Verschmelzung"?  Also  unselbständige  Inhalte 
können  nur  als  Inbaltstheile  sein. 

Wir  brauchen  blofs  anstatt  Inhalt  und  Inhaltstheil  Gegenstand 
und  Gegenstandstheil  zu  sagen  (wofern  wir  den  Terminus  Inhalt 


als  den  engeren,  auf  die  psychische  Sphäre  beschränlften  Terminus 
ansehen),  und  wir  haben  eine  objective  Unterscheidung  ge- 
wonnen, die  von  aller  Beziehung  zu  den  auffassenden  Acten  einer- 
seits, und  zu  irgendwelchen  aufzufassenden  psychischen  Inhalten 
andererseits  befreit  ist.  Es  bedarf  also  keiner  Rückbezie- 
hung auf  die  Weise  des  Vorstellens,  um  den  hier  fraglichen 
Unterschied  des  „Abstracten"  und  „Concreten'^  zu  bestimmen. 
Alle  Bestimmungen,  die  sich  solcher  Beziehung  bedienen,  sind 
entweder  (durch  Verwechslung  mit  anderen  Begriffen  von  Abstract) 
unrichtig,  oder  mifsverstäiidlich,  oder  sie  sind  nichts  weiter  als  sub- 
jectiv  gewendete  Ausdrücke  der  rein  objectiven  Sachlage,  wie  der- 
gleichen Wendungen  auch  sonst  naheliegen  und  gebräuchlich  sind. 

§  6.     Fortsetzung.     Anknüpfung  an  die  Kritik  einer  beliebten 
Bestimmung. 

So  hört  man  den  Unterschied  der  selbständigen  und  unselb- 
ständigen Inhalte  mitunter  durch  die  ansprechende  Formel  aus- 
drücken: Die  selbständigen  Inhalte  {bezw.  Inhaltstheile)  könnten 
für  sich  vorgestellt,  die  unselbständigen  nur  für  sich  bemerkt, 
nicht  aber  für  sich  vorgestellt  werden.  Gegen  diese  Formel  ist 
aber  einzuwenden,  dafs  das  für  sich  in  den  unterscheidenden 
Ausdrücken  für  sich  bemerkt  —  für  sich  vorgestellt  eine  sehr 
verschiedene  Rolle  spielt.  Für  sich  bemerkt  ist,  was  Gegenstand 
eines  eigens  darauf  gerichteten  Bemerkens  (eines  pointirenden 
Beachtens)  ist;  für  sich  vorgestellt,  was  Gegenstand  eines  eigens 
darauf  gerichteten  Vorstellens  ist  —  so  mindestens,  wenn  das  für 
sich  hier  die  analoge  Function  haben  soll,  wie  dort.  Unter  dieser 
Voraussetzung  ist  aber  der  Gegensatz  zwischen  dem,  was  nur  für 
sich  beachtet,  und  dem,  was  für  sich  vorgestellt  werden  kann,  un- 
haltbar. Soll  sich  etwa  in  der  einen  Klasse  von  Fällen  das  auszeich- 
nende Beachten  mit  dem  Vorstellen  nicht  vertragen  und  es  daher 
ausschliefsen?  Aber  unselbständige  Momente,  wie  Merkmale  oder 
Verhältnisformen  sind  (wie  oben  schon  bemerkt  wurde),  ebenso- 
gut Gegenstände  auf  sie  gerichteter  Voi-stellungen,  wie  selbständige 
Inhalte,  z.  B.  Fenster,  Kopf  u.  dgl.    Sonst  könnten  wir  von  ihnen 


garnicht  spreclien.  Für  sich  Beachten  und  für  sich  Vorstellen  (in 
dem  eben  vorausgesetzten  Sinne)  schliefsen  einander  überhaupt  so 
wenig  aus,  dafa  wir  sie  beiderseits  zusammonfindeu:  in  der  wahr- 
nehmenden „Auffassung"  wird  das  für  sich  Beachtete  eo  ipso 
zugleich  vorgestellt;  und  wieder  ist  der  für  sich  vorgestellte  complete 
Inhalt,  z.  B.  /vo;)/",  auch  für  sich  beachtet. 

In  Wahrheit  meint  das  für  sich  bei  dem  Vorstellen  ganz 
Anderes,  als  wir  soeben  angenommen  haben.  Darauf  weist  schon 
der  äquivalente  Ausdruck  losgetrennt  vorstellen  deutlich  hin. 
Offenbar  ist  die  Möglichkeit  gemeint,  den  Gegenstand  als  etwas 
für  sich  Seiendes,  in  seinem  Dasein  gegenüber  allem  Audoron 
Selbständiges  vorzustellen.  Ein  Ding  oder  ein  Stück  von 
einem  Dinge  kann  für  sich  vorgestellt  werden,  das  heilst,  es  ist, 
was  es  ist,  ob  auch  Alles  aufscr  ihm  zu  Nichte  würde;  stellen 
wir  es  vor,  so  werden  wir  also  nicht  uothwendig  hingewiesen  auf 
ein  Anderes,  in  oder  an  oder  in  Verknüpfung  mit  welchem 
es  wäre,  von  dessen  Gnaden  sozusagen  es  existirte;  wir  können 
uns  vorstellen,  dafs  es  für  sich  allein  existirte  und  aufser  ihm 
Nichts.  Stellen  wir  es  anschaulich  vor,  so  mag  immerhin  ein 
Zusammenhang,  ein  es  befassendes  Ganzes  mitgegeben  sein,  ja 
sogar  unausweichlich  mitgegeben  sein.  Den  visuellen  Inhalt  Kopf 
können  wir  nicht  vorstellen,  ohne  visuellen  Hintergrund,  von  dem 
er  sich  abhebt.  Dieses  Nicht-konnen  ist  aber  ein  ganz  Anderes 
als  dasjenige,  welches  die  unselbständigen  Inhalte  definiren  soll. 
Lassen  wir  den  Inhalt  Kopf  als  selbständigen  gelten,  so  meinen 
wir,  dafs  er,  trotz  des  unvermeidlich  mitgegebenen  Hintergrundes, 
als  für  sich  seiend  vorgestellt  und  derogemäfs  auch  für  sich  isolirt 
angeschaut  werden  könne;  nur  wir  brächten  es  nicht  zu  Stande, 
vermöge  der  Kraft  ureprünglicher  oder  erworbener  Associationen, 
oder  vermöge  sonstiger  Zusammenhänge  rein  tbatsächlicher  Art. 
Die  „logische"  Möglichkeit  bleibe  dadurch  unerschüttert,  es 
könnte  z.  B.  unser  Gesichtsfeld  auf  diesen  einen  Inhalt  zusammen- 
schrumpfen, u.  dgl. 

Was  das  Wort  vorsieUcn  hier  ausdrückt,  wird  etwas  präg- 
nanter als  denken  bezeichnet.    Ein   Merkmal,  eine  Verknüpfungs- 


form  und  Aehnliches  können  wir  nicht  als  an  und  für  sich  seiend, 
als  von  allem  Anderen  losgetrennt,  somit  als  ausschliefslich  exis- 
tirond  denken;  dergleichen  können  wir  nur  bei  den  dingartigen 
Inhalten.  Wo  immer  das  Wort  denken  in  diesem  eigenüiümlichon 
Sinn  auftritt,  da  ist  eine  jener  subjectiven  Wendungen  objectiver 
Sachlagen  zu  constatiren,  auf  die  oben  schon  angespielt  wurde. 
Unterschiede  wie  dieser,  dafs  ein  Gegenstand  (wir  wählen  nun 
wieder  den  allgemeineren  Terminus,  der  die  erlebbaren  Anschau- 
ungsinhalte niitbefafst)  an  und  für  sich  sein  kann,  ein  anderer 
mir  in  oder  an  einem  anderen  sein  kann,  betreffen  nicht  unser 
subjectives  Denken.  Es  sind  sachliche  Unterschiede,  die  aber, 
weil  sie  bestehen  und  wir  von  ihnen  wissen,  uns  zur  Aussage 
bestimmen:  es  sei  ein  davon  abweichendes  Denken  unmöglich, 
d.  h.  ein  davon  abweichendes  Urtheilen  sei  verkehrt.  Was  wir 
nicht  denken  können,  kann  nicht  sein,  was  nicht  sein  kann,  können 
wir  nicht  denken  —  diese  Aequivalenz  bestimmt  den  Unterschied 
des  prägnanten  Begriffes  Denken ,  von  dem  Vorstellen  und  Denken 
im  gewöhnlichen  nnd  subjectiven  Sinn. 


§  7.     ScMrfere  Äwtprägung  unserer  Bestimmung  durch  Einführung 
des  Gesetzesgedankens. 

Wo  also  im  Zusammenhang  mit  dem  prägnanten  Terminus 
denken  das  Wörtchen  können  auftritt,  ist  nicht  subjective  Noth- 
wendigkeit,  d.i.  subjective  Unfähigkeit  des  Sich-ntcht-andors- 
vorsteUen-köonens,  sondern  objective  Nothwendigkeit  des 
Nicht-anders-sein-könnens  gemeint.  Diese  kommt  uns  subjectiv 
(obschon  nur  ausnahmsweise)  zum  Bewufstsein  in  der  apodictischen 
Evidenz.  Halten  wir  uns  an  die  Aussagen  dieses  Bewufstseins, 
80  müssen  wir  feststellen :  das  Wesen  jeder  objectiven  Nothwendig- 
keit liegt  und  findet  seine  Definition  in  einer  jeweils  bestimmton 
Gesetzlichkeit  Mit  anderen  Worten:  objective  Nothwendigkeit 
tiberhaupt  bedeutet  nichts  Anderes  als  objective  Gesetzlich- 
keit, bezw.  Sein  auf  Grund  objectiver  Gesetzlichkeit  Eine  singu- 
lare Einzelheit  „für  sich"  ist  zufällig.  Sie  ist  nothwendig,  das 
heilst,  sie  steht  in  gesetzlichem  Zusammenhange.    Was  darin  das 


Anders-sein  verwehrt,  ist  eben  das  Gesetz,  das  sagt,  es  ist  nicht 
blofs  hier  und  jetzt  so,  sondern  übcrliaiipt,  in  gesetzlicher  All- 
gemeinheit. Das  Nicht-für-sich-existiren-können  eines  unselb- 
ständigen Theiles  besagt  demnach,  dafs  ein  Oeselx  bestehe,  wo- 
nach überhaupt  die  Existenz  eines  Inhalts  von  der  Art 
dieses  Thoiles  (z.B.  der  Art  Farbe,  Form  u.dgl.)  voraussetze 
die  Existenz  von  Inhalten  gewisser  zugehöriger  Arten, 
nämlich  (falls  dieser  Zusatz  noch  nöthig  ist)  von  Inhalten,  denen 
er  als  Theil  oder  etwas  ihnen  Anhaftendes,  an  sie  Angeknüpftes 
zukomme.  Einfacher  können  wir  sagen:  Unselbständige  Gegen- 
stände sind  Gegenstände  solcher  Arten,  in  Beziehung 
auf  welche  das  Gesetz  besteht,  dafs  sie,  wenn  überhaupt, 
so  nur  als  Theile  umfassenderer  Ganzen  von  gewisser 
Art  existiren.  Eben  dies  meint  der  knappere  Ausdruck,  sie 
seien  Theile,  die  nur  als  Theile  existiren,  die  nicht  als  etwas  für 
sich  Seiendes  gedacht  werden  können.  Die  Färbung  dieses  Papiere 
ist  ein  unselbständiges  Moment  desselben;  sie  ist  nicht  blofs 
factisch  Theil,  sondern  ist  ihrer  Art  nach  zum  Theil-sein 
prädestinirt;  denn  eine  Färbung  überhaupt  kann  nur  als 
Moment  in  einem  Getarbtcn  existiren.  Bei  selbständigen  Gegen- 
ständen mangelt  ein  solches  Gesetz,  sie  können,  aber  sie  müssen 
sich  nicht  in  umfassendere  Ganze  einordnen. 

Die  Verdeutlichung  dessen,  was  mit  dem  für  sirk  Vorstellen 
in  der  kritisirten  Formulirung  des  zu  bestimmenden  Unterschiedes 
gemeint  sein  mufs,  hat  uns  so  das  Wesen  dieses  Unterschiedes 
in  voller  Schärfe  ergeben.  Er  stellte  sich  dabei  als  ein  objectiver, 
in  der  Natur  der  bezüglichen  Objecto  (bezw.  Theilinbalte)  selbst 
begründeter  heraus.  Man  wird  nun  fragen,  wie  es  sich  mit  dem 
Rest  jener  Formulirung  verhalte,  was  also  mit  der  Aussage:  un- 
selbständigo  Gegenstände,  bezw.  Momente,  könnten  „nur"  für 
sich  bemerkt  oder  nur  von  den  mitverbundenen  durch  aus- 
schUefeende  Beachtung  unterschieden  [nicht  aber  für  sich  vor- 
gestellt] werden,  zu  ileron  Bestimmung  beigetragen  sei.  Wir  können 
hier  nur  antworten:  schlechterdings  nichts.  Denn  bezieht  sich  das 
„nur"  ausschliefsend  auf  jenes  „für  sich  Vorstellen",  so  ist  eben 


I 


mit  dem  ausschliefsenden  Gegensatz  zu  ihm  alles  geleistet,  was 
zu  leisten  ist.  Genau  besehen  liegt  freilich  die  positive  Bestimmung 
auf  Seite  des  Unselbständigen,  die  negative  auf  Seite  des  Selb- 
ständigen; wir  kehren,  indem  wir  das  Eretere  als  für  sich  nicht 
vorstellbar  bezeichnen,  nur  m  doppelter  N(»gation  zum  eigentlichen 
Ausgangspunkt  zurück.  Aber  wie  auch  immer,  eines  Recui-ses  auf 
das  pointirende  Beachten  bedürfen  wir  nicht,  und  es  ist  nicht 
abzusehen,  was  es  uns  nützen  soll.  Gewifs,  ein  Kopf  kann,  los- 
getrennt von  dem  Menschen,  der  ihn  hat,  vorgestellt  worden. 
Eine  Farbe,  Form  ii.  dgl.  ist  in  dieser  Weise  nicht  vorstellbar,  sie 
bedarf  eines  Substrats,  an  dem  sie  zwar  exclusiv  bemerkt,  von 
dem  sie  aber  nicht  abgelöst  werden  kann.  Aber  auch  der  Kopf 
als  visueller  Inhalt  kann  „nur  für  sich  bemerkt"  werden,  denn 
er  ist  unausweichlich  Bestandthoil  eines  gesammten  Gesichtsfeldes; 
und  wenn  wir  ihn  nicht  als  Bestandtheil  fassen,  wenn  wir  von 
dem  Hintergrund,  als  etwas  ihm  sachlich  Fremdes  und  Gteich- 
giltiges  „abstrahiren",  so  liegt  dies  nicht  an  der  Besonderheit  des 
Inhalts,  sondern  an  den  Umständen  der  Diugauffassung. 

§  8.    Absonderung  des  Unterschiedes  »toischen  selbständigen 
und  unselbständigen  Inhalten  von  dem  phänomenologischen  Unter- 
scliied  zwischen  anschaulich  sich  abhebenden  und  verschmolzenen 

Inhalten. 

Ich  mufs  noch  auf  einen  Einwand  gefafst  sein.  Man  wird  viel- 
leicht darauf  bestehen,  dais  in  der  Weise,  wie  sich  ein  selbständiger 
Inhalt  als  für  sich  geltende  und  von  Allem  ringsum  sich  ab- 
scheidende Einheit  durchsetzt,  und  wie  andererseits  ein  unselb- 
ständiger Inhalt  als  etwas,  nur  auf  Grund  anderer  und  zwar  selb- 
ständiger Inhalte  Gegebenes  charakterisirt  ist,  ein  phänomeno- 
logischer Unterschied  statthabe,  ein  unmittelbar  fühlbarer 
Unterschied,  dem  durch  unsere  Erwägung  nicht  hinreichend  Rech- 
nung getragen  sei. 

Hier  könnte  nun  zunächst  folgende  descriptive  Sachlage  in 
Betracht  kommen.  Die  unselbständigen  Momente  der  Anschau- 
ungen sind  nicht  blofs  Theile,  sondern  in  gewisser  (nämlich  be- 


I 


I 


grifflich  nicht  vermittelter)  Weise  müssen  wir  sie  auch  als  Theile 
erfassen;  für  sich  bemerkbar  siud  sie  nicht,  ohne  ein  vorgängiges 
Bemerken  gewisser  anderer  Inhalte,  in  denen  sie  sind,  oder  mit 
denen  sie  eins  sind.  Eine  Figur  oder  Farbe  können  wir  nicht 
für  sich  bemerken,  ohne  zunächst  das  ganze  Object,  das  diese 
Figur  oder  Farbe  hnt,  bemerkt  zu  haben.  Mitunter  scheint  sich 
zwar  eine  „auffallende"  Farbe  oder  Form  unmittelbar  entgegen- 
zudriingen;  doch  macht  es  die  Vergegenwärtigung  des  Vorgangs 
wahrscheinlich,  dafs  es  auch  hier  zunächst  das  ganze  Object  sei, 
das  uns  auffällt,  aber  eben  vermöge  jener  Besonderheit,  auf  die 
nun  das  Interesse  ohne  Aufenthalt  und  exclusiv  überfliefst.  Aehn- 
lich  verhält  sich  die  Heraushebung  eines  sinnlichen  Einheitsmoments 
—  z.  B.  des  Momentes  der  räumlichen  Configuration,  welches 
neben  anderen  Einheitsmomenten  die  innere  Geschlossenheit  der 
als  Einheit  sich  aufdrängenden  sinnlichen  Menge  begründet  — * 
zur  Erfassung  des  sinnlich -einheitlichen  Ganzen  selbst.  In  dieser 
Weise  ist  also  das  Bemerken  eines  Inhalts  mitunter  das  Fundament 
für  das  Bemerken  eines  anderen  ihm  innig  zugehörigen.* 

Forsuhen  wir  nach  den  tieferen  Gründen  dieser  Sachlage,  so 
werden  wir  darauf  aufmerksam,  dafs  sich  mit  dem  bisher  er- 
wogenen unterschied  der  selbständigen  und  unselbständigen  Inhalte 
auf  dem  phänomenologischen,  aber  auch  nur  auf  dem  phänomeno- 
logischen Gebiet  ein  zweiter,  mit  jenem  ersteren  vermengter  Unter- 
schied kreuzt:  nämlich  der  Unterschied  der  anschaulich  „ge- 
sonderten", sich  von  angeknüpften  Inhalten  „abhebenden" 
oder  „abscheidenden"  Inhalte,  und  der  mit  den  angeknüpften  ver- 
schmolzenen, in  sie  ohne  Scheidung  überfliefsenden  Inhalte. 
Die  Ausdrücke  sind  allerdings  vieldeutig,  aber  schon  ihro  Zu- 
sammenstellung wird  klarmachen,  dafs  es  sich  in  der  That  um 
einen  wesentlich  neuen  Unterschied  handelt 


I 


'  Vgl.  meiiie  Philosophie  der  Arithmetik  I  (1891),  Kap.  XI,  S.  228  (eine 
„Allee"  Bäume,  ein  „Schwärm"  Vögel,  ein  „Zug"  Enten  u.  dgl.) 

*  Aus  meinen  Psychologischen  Studien  zur  elementaren  Logik.  Philos. 
Monatshefte,  1694.   -XXX    ß.  1G2. 


I 


I 


Anschaulich  gesondert  ist  also  ein  Inlialt  in  Relation  zu  coexi- 
stirenden  Inhalten,  in  die  er  nicht  „unterschiedslos"  üherfliefst, 
so  dafs  er  sich  neben  ihnen  eine  eigene  Geltung  zu  verschaffen 
und  für  sich  bemerkt  zu  werden  vermag.  Der  anschaulich  un- 
gesonderte Inlialt  bildet  mit  anderen  coexislirenden  Inhalten  ein 
Ganzes,  in  dem  er  sich  nicht  in  dieser  Weise  abscheidet,  er  ist 
mit  seinen  Genossen  nicht  nur  verbunden,  sondern  „verschmolzen". 
Denken  wir  uns  selbständige  Inhalte  in  dem  vorigen  Sinn,  die 
sind,  was  sie  sind,  was  immer  mit  ihrer  Umgebung  vor  sich  gehen 
mag,  so  brauchen  sie  darum  nicht  die  ganz  andersartige  Selb- 
ständigkeit der  Sonderung  zu  haben.  Die  Theiie  einer  anschau- 
lichen Fläche  von  gleich mnfsiger  oder  sich  continuirlich  abschatten- 
der Weifse  sind  selbständig,  aber  nicht  gesondert. 

Fragen  wir,  was  zur  anschaulichen  Sonderung  gehört,  so 
leitet  das  Bild  vom  Ueberfliefsen  oder  Ineinanderlliefsen  zunächst 
auf  die  Fälle,  wo  sich  die  Inhalte  continuirlich  abstufen.  Dies 
gilt  zumal  im  Gebiete  der  sinnlichen  Concreta  (genauer:  für  die 
selbständigen  Inhalte  in  der  Sphäre  der  äufseron  Sinnlichkeit). 
Sonderung  beruht  hier  vielfach  auf  Discoutinuität.  Man  kann 
den  (stark  idealisirten)  Satz  aussprechen: 

Zwei  gleichzeitige  sinnliche  Concreta  bilden  noth- 
wendig  eine  „unterschiedslose  Einheit",  wenn  die  sämmt- 
lichen  unmittelbar  constitutiven  Momente  des  einen 
„stetig"  übergehen  in  entsprechende  constitutive  Momente 
des  anderen.  Der  Fall  der  Gleichheit  irgendwelcher 
entsprechenden  Momente  soll  hiebei  als  zulässiger  Grenz- 
fall der  Stetigkeit,  nämlich  als  stetig  „in  sich  selbst 
übergehen"  gelten. 

Dies  kann  in  leicht  verständlicher  Weise  auf  eine  Mehrzahl 
von  Concretis  übertragen  werden:  In  ihr  bleibt  jedes  einzelne 
Concretuni  uiigesondert,  wenn  sich  die  Concreta  des  Inbegriffs 
so  in  eine  Reihe  ordnen  lassen,  dafs  sie  sich  Schritt  für 
Schritt  stetig  aneinanderschliefsen,  d.  h.  dafs  für  die  angrenzen- 
den Paare  gilt,  was  wir  soeben  näher  bezeichnet  haben.  Ein 
Einzelnes     bleibt     aber    schon    ungesondert    von    allen 


240  UI.    Ziur  Lehre  von  den  Ganzen  und  TheiUn. 

anderen,  wenn  es  nur  von  einem  unter  ihnen  sich  nicht 
abbebt 

§  9.     Fortsetzung.     Hinweis  auf  die  weitere  Sphäre  der 
Verschm  elxungspkänomene. 

Allerdings  bieten  diese  Sätze  nur  idealisirte  Ausdrücke  der 
Thatsachen.  Continuität  und  Discontinuität  sind  natürlich  nicht 
in  mathematischer  Exactheit  zu  nehmen.  Die  Unstetigkeitsstellen 
sind  nicht  mathematische  Grenzen,  und  der  Abstand  mufs  nicht 
zu  klein  sein. 

Etwas  verfeinernd  -wäre  zwischen  scharfer  und  verschwommener 
Absonderung,  bezw.  Begrenzung,  zu  unterscheiden,  und  zwar  in  dem 
empirisch  vagen  Sinne,  in  welchem  man  etwa  im  gewöhnlichen  Leben 
von  scharfen  Spitzen  und  Kanten  im  Gegensatz  zu  stumpfen  oder 
gar  abgerundeten  spricht  Die  Ersteren  liegen  noch  in  der  Linie  der 
geometrischen  Idealbegriffe,  die  Letzteren  hingegen  lassen  sich  zu 
geometrisch  exacten  Begriffen  überhaupt  nicht  idealisiren.  Aber  in- 
direct  kann  man  sie  mittelst  exacter  Begriffe  ganz  wol  näher  charak- 
terisiren.  Die  vagen  Gebilde  der  Anschauung  mittelst  exacter  Be- 
griffe möglichst  deutlich  zu  charakterisiren,  ist  überhaupt  eine  phäno- 
menologische Aufgabe,  die  lange  nicht  genug  angegriffen  und  auch 
in  Beziehung  auf  die  vorliegende  Unterscheidung  nicht  gelOst  ist 

Es  ist  auch  sicher,  dals  diese  Sonderung  durch  Discontinuität, 
bezw.  Verschmelzung  durch  Continuität,  nur  ein  sehr  begrenztes 
Gebiet  umspannt 

Ich  erinnere  an  Stumpf's  lehrreiche  Forschungen  über  die  merk- 
würdigen Thatsachen  der  Verschmelzung,*  in  deren  Sphäre  wir 
uns  hier  offenbar  bewegen.  Freilich  spielen  die  von  uns  bevorzugten 
Fälle  im  Kreise  der  Verschmelzungsphänomene  eine  eigene  Rolle. 
Fassen  wir  diese  Fälle  näher  ins  Auge,  so  werden  wir  bei  ihnen 


*  Stumpf  definirt  bekanntlich  die  Verschmekung  zunächst  in  einem  engeren 
Sinne,  als  ein  Verhältnis  gleichzeitiger  Empfindungsqualitäten,  vermöge 
dessen  sie  als  Theile  eines  Empfindungsganzon  erecheinen.  Er  unterläßt  es 
aber  nicht,  aof  den  weiteren,  für  uns  hier  mafsgebenden  Begriff  hinzuweisen. 
Vgl.  Tonpsychologie  II,  §17,  S.  64  ff. 


I 


von  den  Concretis,  den  selbständigen  „ Empfind ungsganzen"  auf 
ihre  unmittelbaren  unselbständigen  Momente  zurückgeführt,  bezw. 
auf  die  ihnen  zunächst  zugehörigen  Species.  Die  Discontinuität 
als  solche  bezieht  sich  auf  die  niedersten  specifischen  Ditferenzen 
innerhalb  einer  und  derselben  nächst  übergeordneten  Gattung  (im 
Aristotelischen  Sinne);  also  z.  B.  auf  Farbenqualitäten  im  Ver- 
gleich mit  Farbenqualitüten.  Wir  definiren  aber  nicht  etwa  Dis- 
continuität als  biofsen  Abstand  coexistenter  Inhalte  hinsichtlich 
solcher  niederster  Differenzen.  Gleichzeitige  Töne  haben  Abstand, 
aber  es  fehlt  Discontinuität  im  prägnanten  Sinne.  Diese  bezieht 
sich  auf  die  specifi.sch  differirenden  Momente  nur  insofern,  als 
sie  über  ein  continuirlich  variirendes  Moment,  nämlich  auf  das 
räumliche  oder  zeitliche  „angrenzend  ausgebreitet"  sind.  „An" 
einer  Raum-  oder  Zeitgrenzo  springt  z.B.  die  visuelle  Qualität 
in  eine  andere  über.  Im  continuirlichen  Uebergang  von  Raum- 
theil  zu  Raunitheil  schreiten  wir  nicht  zugleich  auch  in  der  über- 
deckenden Qualität  continuirlich  fort,  sondern  mindestens  an  einer 
Raumstello  haben  die  „angrenzenden"  Qualitäten  einen  endlichen 
(und  nicht  zu  kleinen)  Abstand.  Und  ebenso  bei  einer  Discon- 
tinuität im  phänomenalen  Nacheinander.  Dabei  kommt  aber  nicht 
blofe  die  Qualität,  z.  B.  Farbe  von  Farbe,  zur  Sonderung,  viel- 
mehr grenzen  sich  die  ganzen  Conreta  voneinander  ab,  das  Gesichts- 
feld sondert  sich  in  Partien.  Der  Farbenabstand  in  diesem 
Deckungszusammenhango  (mit  Beziehung  auf  welchen  eret  von 
Discontinuität  die  Rede  ist)  erobert  eben  zugleich  den  mitver- 
bundenen Momenten,  in  unserem  Bei.spiol  den  überdeckten  Raum- 
theilen,  die  Sonderung.  Diese  könnten  sonst  aus  der  Verschmelzung 
überhaupt  nicht  luskummen.  Die  Räumlichkeit  variirt  nothwondig 
stetig.  Für  sich  merklich  kann  ein  Stück  dieser  Variation  nur 
werden,  wenn  eine  Discontinuität  durch  die  überdeckenden 
Momente  geschaffen  und  damit  das  ganze  ihm  entsprechende  Con- 
cretum  abgesondert  vk-orden  ist. 

Selbstverständlich  verstehen  wir  hier  unter  Räumlichkeit  das 
Moment  der  Empfindung,  dessen  objecüve  Apperception  die  erschei- 
nende und  eigentliclie  Räumlichkeit  erst  oonstituirt. 

Hussorl,  Log.  Dntara.  II.  16 


Verdankt  nun  auch  das  Concretuni  der  sinnlichen  Anschauung 
seine  Abtrennung  dem  Abstand  angrenzender  Municnte,  so  ist 
doch  in  phänomenaler  Hinsicht  das  für  sich  Bemerlsen  des  ganzen 
Concretum  das  frühere,  gegenüber  dem  für  sich  Bemerken  der 
voneinander  abstehenden  Momente  seines  Inhalts.  Das  hängt  wol 
an  der  besonders  innigen  Verschmelzung  der  verschiedenen  „Seiten" 
des  Concretum,  nämlich  ihrer  wechselseitigen  „Durchdringung", 
die  sich  in  der  wechselseitigen  Abhängigkeit  bei  der  Veriinderung 
und  Vernichtimg  bekiindei  Diese  Verschmelzung  ist  nicht  ein 
ineinander  Vei-schwimmen  in  der  Weise  der  Contiuuität  oder  in 
einer  anderen,  die  Sonderuug  aufhebenden  Weise;  aber  sie  ist 
immerhin  eine  Art  besonders  inniger  Zusammengehörigkeit,  welche 
mit  einem  Schlage  die  Gesanimtcomplexion  der  sich  durchdringenden 
Momente  zur  Abhebung  bringt,  sowie  nur  Ein  Moment  durch 
Discontinuität  die  Vorbedingung  dazu  schaift. 

Eine  tiefer  und  weiter  dringende  Analyse  würde  hier  noch 
eine  Fülle  interessanter  descriptiver  Unterschiede  nachweisen 
können;  füi*  unsere  Zwecke  genügen  diese  ziemlich  rohen  Dar- 
stellungen. Wir  sind  weit  genug  gegangen,  um  zu  sehen,  dals 
wir  uns  mit  dem  in  ihnen  behandelten  Unterschied  zwischen  sich 
abhebenden  und  nicht  abhebenden  Inhalten  (oder,  wenn  man  will, 
zwischen  für  sich  vorstellbaren  und  nicht  vorstellbaren,  selb- 
ständigen und  unselbständigen  Inhalten  —  denn  auch  diese  Aus- 
drücke drängen  sich  hier  auf)  in  der  Sphäre  der  vagen  subjectiven 
Erlebnisse  bewegen,  und  dafs  wir  also  mit  diesem  Unterscliiede 
gamicht  heranreichen  an  den  fundamentalen  objectiven  Unter- 
schied der  abstracteu  und  concreten  Inhalte;  oder  wie  wir  es  oben 
vorzogen  ihn  zu  nennen;  der  selbständigen  und  unselbständigen. 
Es  handelt  sich  in  dem  ersteren  Fall,  in  der  Unterscheidung  der 
sich  einheitlich  abscheidenden  und  der  im  Hintergrund  verechwim- 
menden  Inhalte,  um  blofee  Thatsachon  der  Analyse  und  Ver- 
schmelzung, wobei  die  zur  Abscheidung  kommenden  Inhalte  eben- 
so gut  selbständige  wie  unselbständige  sein  können.  Man  darf  die 
beiden  Unterschiede  also  nicht  vermengen,  wie  man  es  z.  B.  thut, 
wenn   man    die  Unselbständigkeit   der   ungeschiedenen   Theile 


einer  gleichmäfsig  gefärbten  Fläche  mit  der  descriptiv  ganz  anders- 
artigen Unselbständigkeit  der  abstracten  Momente  auf  eine 
Stufe  stellt;  oder  wenn  man  das  Wesen  des  Unterschiedes  zwischen 
concrel  und  ahslmd  durch  die  subjective  Thatsacho  begründen 
will,  dafe  der  Act  des  Vorstellens  beim  Concretura  ein  unmittel- 
barer, also  insofern  ein  selbständiger  sei,  als  er  keines  anderen 
Vorstellens  zur  Grundlage  bedürfe,  der  Act  des  Erfassens  eines 
abstracten  Inhalts  aber  ein  mittelbarer  und  unselbständiger  sei, 
sofern  das  Vorstellen  eines  zugehörigen  Concretum  die  Grundlage 
bilden  müsse.  Wir  aber  liaben  erkannt,  dafs  diese  descriptive 
Sachlage  noch  mit  ganz  anderen  Dingen  zusammenhängt  und  jeden- 
falls ungeeignet  ist,  auf  das  Wesen  des  objectiven  Unterschiedes 
Licht  zu  werfen. 


§  10.     Die  Mannig faUi^keit  der  xu  den  versciuedenen  Arten  von 
Unsclbständiijkeilen  gehörigeti  Gesetze. 

Zur  Unselbständigkeit  gehört  nach  den  bisherigen  Uober- 
legungen  allzeit  ein  Gesetz,  welches  in  dem  Allgemeinen  des 
bezüglichen  Theils  und  Ganzen  seine  begrifflicheu  Grundlagen  hat 
Dieses  Gesetz  kann  aber  in  gröfserer  oder  geringerer  Bestimmt- 
heit gefafet  und  ausgesprochen  werden.  Zur  Feststellung  des  Be- 
giiffes  der  Unselbständigkeit  genügt  es  schon  zu  sagen ,  es  könne 
ein  unselbständiger  Gegenstand  als  das,  was  er  ist  (d.  i.  vermöge 
seiner  allgemeinen  Bestimmtheiten),  nur  in  einem  umfassenderen 
Ganzen  sein.  Gegebenenflills  wird  er  aber  bald  von  dieser,  bald 
von  jener  Art  sein,  und  damit  wechselt  auch  die  Art  der  Er- 
Qzung,  deren  er,  um  bestehen  zu  können,  bedarf.  Sagen  vrir 
3un  beispielsweise:  Das  Moment  der  Qualität  sei  unselbständig, 
es  fordere  ein  Ganzes,  in  dem  es  sich  verkörpere,  so  ist  die  hier 
waltende  Gesetzlichkeit  nur  nach  der  einen  Seite  bestimmt,  nach 
der  des  Theils,  dessen  allgemeiner  Charakter  als  Qualität  angegeben 
ist  Unbestimmt  bleibt  hingegen  die  Art  des  Ganzen,  also  auch 
die  Art,  wie  eine  Qualität  Theil  ist,  und  die  Art  der  Ergänzung, 
deren  sie,  um  existiren  zu  können,  benöthigt.  Ganz  anders, 
wenn  wir  sagen:  Eine  Qualität  kann  nur  in  einem  Objecto  sein, 

16* 


das  sie  in  der  Weise  eines  inneren  Momentes,  näher,  eines  inneren 
Merkmals  in  sicli  trägt  Hier  ist  die  Gesetzlichkeit  auch  nach  der 
anderen  Seite  bestimmt;  der  Begriff  des  inneren  Merkmals  ist  ein 
gegebener,  und  er  bezeichnet  nur  Eine  unter  den  verschiedenen 
Möglichkeiten,  wie  ein  Unselbständiges  einem  Ganzen  gesetzlich 
einwohnt.  Dafs  die  Qualität  ihre  specißsch  bestimmte  Weise  hat, 
wie  sie  inneres  Merkmal  ist,  indem  die  allgemeine  Bestimmtheit 
innerem  Merkmal  xu  sein  sich  differenziirt ,  jenachdem  das 
Einwohnende  Qualität  ist  oder  Ausdehnung  u.  dergl.  —  das  macht 
die  Foraiulirung  des  Gesetzes  allerdings  zu  einer  nicht  absolut 
bestimmten;  aber  sie  reicht  so  weit,  als  es  überhaupt  uöthig  und 
niöglioh  ist.  Denn  auf  die  Frage,  was  die  Bestimmtheit  inneres 
Merkmal  xu  sein  zu  der  Bestimmtheit  in  der  Weise  der  Qualität 
inneres  Merkmal  xu  sein  differenziire,  lälst  sich  keine  weiter- 
führende Antwort  geben,  wir  können  nicht  eine  hinzutretende 
Bestimmtheit  aufweisen,  die  den  Begriff  der  Qualität  nicht  ein- 
schlösse: ganz  so,  wie  wir  auf  die  Frage,  was  zu  Farbe  hinzu- 
treten müsse,  damit  die  Species  Roth  resultire,  nur  wieder  ant- 
worten können  lioih. 

Jedenfalls  weist  der  Begriff  des  Unselbständigen  mit  der  ihn 
deünirenden,  jedoch  nur  indirect  und  allgemein  bezeichneten  Ge- 
setzlichkeit auf  sachlich  bestimmte  und  vielfach  wechselnde  Gesetze 
hin,  Es  ist  nicht  eine  Absonderlichkeit  gewisser  Theilarten,  dafs 
sie  nur  überhaupt  Theile  sein  müssen,  während  es  gleichgiltig 
bliebe,  was  sich  mit  ihnen  conglomerirt,  und  wie  die  Zusammen- 
hängo beschaffen  sind,  in  die  sie  sich  einfügen;  sondern  es  be- 
stehen festbostimmte  Nothwendigkeitsbcziehungen,  also  inhaltlich 
bestimmte  Gesetze,  welche  mit  den  Arten  der  unselbständigen 
Inhalte  wechseln  und  dcmgomäfs  den  Einen  Ergänzungen  dieser, 
den  Anderen  Ergänzungen  jener  Art  vorschreiben.  Die  in  diesen 
Gesetzen  verknüpften  Species,  welche  die  Sphären  der  (vom  Stand- 
punkte eben  dieser  Gesetze)  zufälligen  Einzelheiten  umgrenzen, 
sind  mitunter,  aber  nicht  immer,  niedei'ste  specißsche  Differenzen. 
Schreibt  beispielsweise  ein  Gesetz  Inhalten  der  Art  Farbe  Zusam- 
menhang  mit  solchen  der  Art  Ausdehnung  vor,   so  schreibt  es 


keiner  bestimmten  Farbe  eine  bestimmte  Ausdehnung  vor,  nnd 
ebenso  aucli  nicht  umgekehrt.  Die  Werthe  der  niedersten  Diffe- 
renzen stehen  hier  also  in  keiner  Functionalbeziehung  zueinander. 
Das  Gesetz  nennt  nur  niederste  Arten  (d.  i.  Arten,  welche  die 
Mannigfaltigkeit  der  letzten  specifischen  Differenzen  unmittelbar 
unter  sich  haben).  Betrachten  wir  andererseits  die  Abhängigkeit 
des  qualitativen  Abstandes  von  den  fundirenden  Qualitäten,  so  ist 
er  durch  die  niedersten  specifischen  Differenzen  der  letzteren  ein- 
deutig, also  wieder  als  niederste  Differenz,  bestimmt 

Im  Wesentlichen  deckt  sich  also  der  Begriff  der  Unselbständig- 
keit mit  dem  der  Gesetzlichkeit  in  einheitlichen  Zusammen- 
hängen. Steht  einTheil  in  gesetzlichem  und  nicht  blofs  factischem 
Zusammenhang,  so  ist  er  unselbständig;  denn  gesetzlicher  Zu- 
sammenhang besagt  ja  nichts  Anderes,  als  dafs  ein  so  gearteter 
Thei!  gesetzlich  nur  bestehen  könne  in  Verknüpfung  mit  gewissen 
anderen  Theilen  von  den  oder  jenen  zugehörigen  Arten.  Auch 
wo  ein  Gesetz  statt  von  der  Notb wendigkeit,  vielmehr  von  der 
Unmöglichkeit  einer  Verknüpfung  spricht,  wo  es  z.  B.  sagt, 
es  schliefse  das  Dasein  eines  Theiles  A  dasjenige  eines  Theiles  B 
als  mit  ihm  unverträglich  aus,  auch  da  werden  wir  auf  die 
Unselbständigkeit  zurückgeführt.  Denn  ein  A  kann  ein  B 
nur  ausschliefscn,  indem  sie  beide  dasselbe  in  ausschliefsender 
Weise  fordern.  Eine  Farbe  schliefet  eine  andere  aus,  nämlich  an 
demselben  Flächonstück,  das  sie  beide  ganz  überdecken  sollen, 
aber  es  beide  eben  nicht  können.  Jedem  gesetzlichen  Ausschlufs 
bestimmter  Umgrenzung  entspricht  eine  positive  gesetzliche  Foi- 
derung  von  correspondirender  Umgrenzung,  sowie  umgekehrt. 


§  11.     Der  UnlerscJiied  dieser  „materialen"   Gesetze  von  den 
„formalen"  oder  „analytischen"  Gesetzen. 

Die  Noth wendigkeiten  oder  Gesetze,  welche  irgendwelche 
Klassen  von  Unselbständigkeiten  definiren,  gründen,  so  betonten 
wir  mehrfach,  in  der  Besonderheit  der  Inhalte,  in  ihrer  Eigenart; 
oder  genauer  gesprochen,  sie  gründen  in  den  (Aristotelischen) 
Arten   oder  Differenzen,    unter   welche   die  betrefTenden  unselb- 


ständigen  und  ergänzenden  Inhalte  fallen.  Damit  ist  zugleich  der 
wesontliche  Unterschied  bezeichnet,  welcher  diese  „synthetischen 
Nothwendigkeiten"  von  den  „analjtischeu"  (in  gewissem 
Sinn:  die  „niaterialen"  von  den  „formalen")  trennt.  Gesetze  der 
Art  wie  das  Causalitätsgesetz,  welches  die  Unselhständigkeit  der 
Veränderungen  bestimmt,  oder  die  (in  der  Regel  nicht  zureichend 
formulirten)  Gesetze,  welche  die  Unselbständigkeit  von  blofsen 
Qualitäten,  Intensitäten,  Ausdehnungen,  Grenzen,  Beziehungs- 
formen u.  dgl  bestimmen,  wird  man  nicht  auf  eine  Stufe  stellen 
mit  analytischen  Allgemeinheiten  wie:  ein  Ganxes  kann  nicht 
ohne  Theile  existiren;  ein  König,  ein  Herr,  ein  Vater  kann  nicht 
sein,  wenn  es  nicht  Unterthanen,  Diener,  Kinder  giebt  u.  dgl. 
Allgemein  heifst  es  hier:  Correlativa  fordern  einander  gegenseitig, 
sie  können  ohne  einander  nicht  gedacht  werden,  bezw.  ohne  ein- 
ander nicht  sein.  Stellen  wir  daneben  irgendeinen  bestimmten 
Satz  von  der  Gegenseite,  z.  B.  ei7ie  Farbe  kamt  nicht  sein,  ohne 
Silvas  das  Farbe  hat,  oder  eine  Fai'be  kann  nicht  ohne  eine 
gewisse,  durch  sie  überdeckte  Ausdehnung  sein  u.  s.  w.  —  so 
springt  der  Unterschied  in  die  Augen.  Farbe  ist  nicht  ein  rela- 
tiver Ausdruck,  dessen  Bedeutung  die  Vorstellung  einer  Beziehung 
zu  Anderem  einschlösse.  Obschon  Farbe  nicht  ohne  Farbiges 
„denkbar"  ist,  so  ist  doch  die  Existenz  irgendeines  Farbigen,  näher 
einer  Ausdehnung,  nicht  im  Begriffe  Farbe  „analytisch"  begründet. 

Das  Wesen  des  Unterschiedes  macht  folgende  Ueberlegung  klar. 

Ein  Theil  als  solcher  kann  überhaupt  nicht  ohne  ein  Ganzes 
existiren,  dessen  Theil  er  ist  Andererseits  sagen  wir  aber 
{nämlich  mit  Beziehung  auf  die  selbständigen  Theile):  Ein  Theil 
kann  öfters  ohne  ein  Ganzes  existiren,  dessen  Theil  er  ist.  Darin 
liegt  natürlich  kein  Widerspruch.  Gemeint  ist  Folgendes:  Be- 
trachten wir  den  Theil  nach  seinem  inneren  Gehalt,  so  kann, 
was  diesen  selben  Gehalt  besitzt,  auch  sein  ohne  ein  Ganzes,  in 
dem  es  ist;  es  kann  für  sich,  ohne  Verknüpfung  mit  Anderem 
sein,  und  ist  dann  eben  nicht  Theil.  Die  Aenderung  und  völlige 
Aufhebung  der  Verknüpfungen  tangirt  hier  nicht  den  inneren 
Gehalt  des  Theils   und  hebt  seine  E.\istenz  nicht  auf,   nur  seine 


Relationen  fallen  fort,  sein  Theil-sein.  Bei  andersartigen  Tbeilen 
verhält  es  sich  umgekehrt;  aufser  aller  Yerknüpfung,  als  Nicht- 
Theile  sind  sie,  vermöge  der  Eigenart  ihres  Gehaltes,  un- 
denkbar. Diese  Unmöglichkeiten,  bezw.  Möglichkeiten,  gründen 
also  in  der  Besonderheit  der  Inhalte.  Ganz  andei"s  verhält  es  sich 
mit  der  „analytischen"  Trivialität,  dafs  ein  Theil  als  solcher  nicht 
ohne  Ganzes  bestehen  könne,  dessen  Theil  er  ist  Es  wäre  ein 
„Widersinn",  etwas  als  Theil  anzusprechen,  wo  es  an  einem  zu- 
gehörigen Ganzen  fehlt.  Eier  kommt  es  auf  den  inneren  Gehalt 
des  Theils  überhaupt  nicht  an,  die  hier  zu  Grunde  liegende 
„formale"  Gesetzlichkeit  hat  mit  der  obigen,  sachhakigen  nichts 
gemein  und  kann  sie  also  nicht  stören. 

Die  Wechselbedingtheit  der  Con'claüva  überhaupt  weist  aller- 
dings auf  gewisse  sich  wechselseitig  fordernde  Momente  hin,  näm- 
lich auf  die  bei  jeder  Relation  einander  notbwendig  zugehörigen 
Verhältnisse  und  Verhältnisbestimmungen.  Aber  sie  thut  es  nnr 
ganz  indirect  und  unbestimmt  Die  hier  waltende  Gesetzmäfsigkeit 
ist  Eine  für  alle  Relationen  überhaupt;  sie  ist  eben  eine  blofs  for- 
male Gesetzmäfsigkeit,  die  nichts  von  der  Besonderheit  der  Rela- 
tionen und  Relationsglieder  in  sich  aufnimmt  und  dieselben  nur 
als  „gewisse"  nennt.  Sie  sagt  etwa  im  einfachen  Falle  zweier 
Relationsglieder:  Ist  ein  gewisses  a  in  einer  gewissen  Relation  zu 
einem  gewissen  ß,  so  ist  dieses  selbe  ß  in  einer  ganissen  ent- 
sprechenden Relation  zu  jenem  c;  o  und  ß  sind  hierin  schranken- 
los Variable. 

Wir  werden  allgemein  definiren  dürfen: 

Analytische  Sätze  sind  solche  Sätzo,  welche  eine  von  der 
inhaUlichen  Eigenart  ihrer  Gegenstände  (und  somit  auch  der 
gegenständlichen  Verknüpfungsformen)  völlig  unabhängige  Geltung 
haben;  also  Sätze,  die  sich  vollständig  fomialisiren  und  als  Special- 
fälle  oder  blofse  Anwendungen  der  hiedurch  erwachsenden  for- 
malen oder  analytischen  Gesetze  fassen  lassen.  Die  For- 
malisirung  besteht  darin,  dafs  in  dem  vorgegebenen  analytischen 
Satze  alle  sachbaltigen  Bestimmungen  durch  Unbestimmte  ersetzt 
und  diese  dann  als  unbeschränkte  Variable  gefafst  werden. 


DaPs  beispielsweise  die  Existenz  dieses  Hauses  die  seines 
Daches,  seiner  Mauern  und  seiner  sonstigen  Tbeile  einscliliclst, 
ist  ein  analytischer  Satz.  Denn  es  gilt  die  analytische  Formel, 
dafs  die  Existenz  eines  Ganzen  G(ß,  ß,  y,  ■■■)  überhaupt  die  seiner 
Theile  «,  ^,  y  ...  einschliefst.  Dieses  Gesetz  iniplicirt  keine  Be- 
deutung, die  einer  inhaltlichen  Gattung  oder  Art  Ausdruck  gäbe; 
es  baut  sich  rein  aus  „Kategorien"  und  kategorialen  Formen  auf. 

Darüber  später  mehr.  Das  hier  Ausgeführte  dürfte  genügen, 
um  den  wesentlichen  Unterschied  ersichtlich  zu  machen  zwischen 
den  in  der  specifischen  Natur  der  Inhalte  gründenden  Gesetzen, 
an  welchen  die  Unselbständigkeiten  hängen,  und  analytischen  und 
formalen  Gesetzen,  welche,  als  in  den  reinen  „Kategorien"  grün- 
dend, gegen  alle  „Materie  der  Erkenntnis"  iinemplindlich  sind. 


§  12.     Concretum  und  Ding.     Verallgemeinerung  der  Begriffe 

Selbständigkeit    und    Unselbständigkeit  durch    Uebertragiing  auf  das 

Gebiet  der  Succession  und  Causalität. 

Der  Begriff  des  Concretum  als  selbständigen  Inhalts,  wobei  Inhalt 
im  weitesten  Sinn  von  Gegenstand  überhaupt  verstanden  werden 
kann,  fällt  nicht  etwa  mit  dem  Begriff  des  Dinges  zusammen,  sowie 
auch  die  unselbständigen  Inhalte  nicht  ohne  Weiteres  als  dingliche 
Eigenschaften  gelten  dürfen.  So  finden  wir  z.  B.  im  Empfindungs- 
gebiete wo!  Concreta  aber  keine  Dinge.  Zur  Dingeinheit  gehört 
mehr  als  ein  vereinzeltes  Concretum;  es  gehört  zu  ihr  (ideal  ge- 
sprochen) eine  der  Möglichkeit  nach  unendliche  Mannigfaltigkeit 
zeitlich  succedirendcr,  im  Sinne  der  Begriffe  Veränderung  und  Ver- 
harrung stetig  ineinander  übergehender  Concreta  einer  und  derselben 
Form,  welche  Mannigfaltigkeit  umspannt  wird  (sei  es  für  sich,  sei 
es  zusammen  mit  bestimmt  zugehörigen  Mannigfaltigkeiten  gleicher 
Constitution)  durch  die  Einheit  der  Causalität  Das  heifst, 
es  besteht  in  Beziehung  auf  diese  Mannigfaltigkeiten  eine  Ge- 
setzmäfsigkeit,  welche  die  cooxistirenden  Concreta  für  irgend- 
einen Zeitpunkt  eindeutig  abhängig  macht  von  den  ihnen  im 
Sinne  der  Veränderung  oder  Verharrung  zugeordneten  Concretis 
für  einen  bestimmten,  aber  beliebig  zu  wählenden  früheren  Zeit- 


I 

I 


punkt.  Sprechen  wir  in  Hinblick  auf  jeden  eoncreten  Ver- 
änderungs-  oder  Verliarrungsverlaiif  von  einem  und  demselben 
sich  verändernden  oder  verharrenden  Concretum,  so  werden  wir 
auch  sagen  können:  Dinge  seien  die  durch  eine  Causalgesetz- 
lichkeit  einheitücli  umspannten  Concreta,  sie  ständen  niirnlieh 
unter  einer  Gesetümäfsigkeit,  wonach  mittelst  der  Werthe  der 
Concreta  für  irgendeinen  Augenblick  (nämlich  der  die  Concreta 
im  gegebenen  Augenblick  constituirenden  Bestimmtheiten)  die 
Werthe  „derselben''  Concreta  für  jeden  späteren  Augenblick  be- 
stimmbar, somit  die  letzteren  Werthe  mittelst  der  ersteren  als 
eindeutige  Functionen  der  Zeit  darstellbar  sind. 

Wollen  wir  einen  derartigen  gesetzlichen  Zusammenhang,  welcher 
eine  Gruppe  von  Concretis  zu  einem  Inbegriff  oder  System  unter 
causaler  Gesetzlichkeit  stehender  Dinge  stempelt,  mehr  formelhaft 
und  mit  weitergehender  Genauigkeit  charakterisireu ,  so  haben  wir 
etwa  folgenden  Ansatz  zu  machen: 

Es  seien 

Gl  (ad),  /8<»,  .  .  .;  0,  G,{a'^,  ß^^,  . . .;  t)  .  . .  G„(aW,  ß<'\..  .;  0 
n  beliebige  Concreta.  In  ihnen  soll  die  Zeitbestimmtheit  t  überall 
denselben  Werth  haben ,  uod  bei  der  alsbald  vorzunehmenden  Variation 
sich  übereinstimmend  ändern.  Die  Symbole  a,  ß,  . . .  werden,  im  All- 
gemeinen verschiedene,  Arten  von  Bestimmtheiten  andeuten  müssen, 
ebenso  die  Symbole  ö,  öj  .  .  .  G„  im  Allgemeinen  verschiedene  Eiu- 
heitsformen  von  Concretis.  Doch  schliefst  dies  nicht  aus,  dafs  in  diesen 
Beziehungen  Gleichfijrmigkeit  besteht,  nur  dürfen  natürlich,  wenn 
etwa  die  sämmtlichen  0^  von  einem  und  demselben  Tj'pus,  z.  B.  G, 
sein  sollten,  die  con-espondireniien  Bestimmtheiten  in  den  verschie- 
denen O  nicht  soweit  identisch  sein,  dafs  statt  blofser  Aehnlichkeit 
oder  Gleichheit  individuelle  Identität  resulürte. 

Denken  wir  uns  nun  die  Symbole  a'^',  /9<''  .  .  .  a<^',  |SC-'  ...  als 
Variable,  dann  besteht  die  causale  Gesetzlichkeit  vor  Allem  darin, 
dafi9  eine  freie  Variation  nicht  möglich  ist,  sondern  dafs  durch 
einen  beliebigen,  aber  bestimmten  Werth  von  /,  etwa  Z,,  und  die 
ihnen  zugehörigen  Werthe  der  Variablen,  also  a^l\  ß^]^  ,  .  .  a'^'i/^o', .. . 


die  Werthe  dieser  Variablen  für  jeden  weiterfolgenden  Zeitpunkt 
eindeutig  bestimmt  sind.  Diese  Gesetzlichkeit  betrifft  nicht  nur  die 
n  betrachteten  0,  sondern  Concreta  der  Formen  Q  überhaupt,  d.  h. 
beliebige  Concreta  der  zur  Idee  der  Causalitfit  einheitlieh  gehörigen 
Klasse  von  Concretionsformen.  Die  elementaren  Gesetze,  aus  welchen 
sich  die  Gesetzmäfsigkeit  aufbaut,  sind  demnach  so  geartet,  dafs  auf 
Grund  deraelben  das  Aenderungaverhalten  jedes  vorzugebenden  ein- 
zelnen Concretum,  ob  es  nun  unter  Voraussetzung  seines  alleinigen 
Daseins  oder  seiner  Coexistenz  mit  beliebigen  anderen  Concretis  be- 
trachtet wird,  eindeutig  bestimmt  wenlen  kann.  Ergänzend  wäre 
allenfalls  noch  der  Begi-iff  des  wesentlich  einheitlichen  Causalsystems, 
bezw.  einer  durch  einheitliche  "Wechselwirkung  umspannten 
Dinggnippe  zu  fixiren.  Es  handelt  sicli  dabei  lun  den  Fall,  wo  eine 
specieUe  Gesetzniäfsigkeit  die  sümmtlichen  Dinge  der  betrachteten 
Gnippe  in  einheitlicher  Weise  verknüpft,  derart,  dafs  z.  B.  mit  dem 
Wegfall  auch  nur  eines  Dinges  alsbald  die  Aenderungsreihen  aller 
übrigen  sich  modificiren  müfsten,  und  dafs  überhaupt  eine  Zerlegung 
der  ganzen  Gruppe  in  mehrere  gegeneinander  gleichgiltige  Gruppen 
(also  in  Gruppen  mit  blofs  zeitlich  coexistirenden,  aber  relaüv  zu- 
einander independenten  Aendenmgsreihen)  unmöglich  wäre. 

In  der  Causalitfit  sind  die  Concreta  eines  Augenblicks,  sei 
08  für  sich,  sei  es  in  Verbindung  mit  anderen  coexistenten  Con- 
cretis, von  denen  früherer  Äugenblicke  abliängig  —  also  in  ge- 
wissem Sinne  unselbständig.  Es  ist  aber  zu  beachten,  dafs  der 
Begriß'  der  Selbständigkeit  von  uns  bisher  nur  als  Selbständigkeit 
in  der  Coexistenz  definirt  war.  "Wol  war  hiebei  auch  von  Ver- 
änderung die  Rede;  aber  dies  nur  in  ähnlichem  Sinne  wie  in  der 
Geometrie,  wo  die  functionellen  Zusammenhänge  in  der  Coexistenz 
durch  ideelle  Erwägung  der  concomittirenden  Variationen  klargelegt, 
jedoch  damit  keine  causalen  Abhängigkeiten  gemeint  werden.  Es 
handelt  sich  in  der  geometrischen  Veränderung  blofs  um  eine 
variirende  Substitution  von  bestimmten  Einzelwerthcn  in  das  Ge- 
setz und  um  eine  gedankliche  Verfolgung  der  Reihen  mitbestim- 
mender Werthe.     Und  so  ähnlich  auch    in    unserem    Falle.     In- 


dessen  ist  der  Begriff  der  selbständigen,  bezw.  unselb- 
ständigen Inhalte  leicht  derart  zu  verallgemeinern,  dafs 
zwischen  dem  Fall  der  Coexistenz  und  dem  der  Succeasion 
zu  unterscheiden  wäre.  Wir  brauchen  dazu  blofs  den  Begriff  des 
Ganzen  (und  die  analytisch  üii  ihm  gehörigen  Bogriffe)  passend 
zu  erweitern,  so  dafs  nicht  blofs  von  Ganzen  (Einheiten,  Ver- 
knüpfungen) der  Coexistenz,  sondern  auch  von  solchen  der  Suc- 
cession  gesprochen  werden  dürfte.  Unsere  Begriffe  sind  dann  ohne 
Weiteres  auch  auf  Dinge  übertragbar,  wobei  nur  der  eigenthüm- 
liche  Inhalt,  den  die  Rede  von  der  Existenz  und  Coexistenz  bei 
Dingen  annimmt,  zu  beachten  ist.  Die  Selbständigkeit  ist  ge- 
radezu ausgesprochen,  und  zwar  als  Selbständigkeit  im  absoluten 
Sinn,  in  der  Substanzdefinition  von  DESCARTts:  „re^  quae  iia 
adslit,  ut  nnlla  aliii  re  indigcai  ad  existettätim".  Doch  würde 
es  uns  hier  zu  weit  führen,  diese  durch  die  Causalbeziehung  herbei- 
geführten Complicationen  mit  zu  berücksichtigen.  Wir  werden  uns 
auf  die  von  Augenblick  zu  Augenblick  allein  wirkliclien  und  sich 
zu  zeitlichen  Ganzen  zusammenschliefsenden  Concreta,  welche  die 
Fundamente  für  die  dinglichen  Gesetze  abgeben,  beschränken.  Mit 
Dingen  also  haben  wir  es  weiterhin  nicht  zu  thun,  aber  es  können 
von  nun  an  die  allgemeinen,  auf  die  Einheiten  der  Succession 
erstreckten  Begriffe  mafsgebend  sein. 

§  13.     Relative  Selbständigkeit  und  ünselhsiändigkcit. 

Selbständigkeit  galt  uns  bisher  als  ein  Absolutes,  als  eine 
gewisse  Unabhängigkeit  von  allen  mitverbundenen  Inhalten;  Un- 
selbständigkeit als  das  contradictorische  Gegentheil,  als  ent- 
sprecheiule  Abhängigkeit  mindestens  von  einem  Inhalt.  Es  ist 
aber  von  Wichtigkeit,  die  Begiiffe  auch  als  relative  zu  definiren, 
derart,  dafs  sich  dann  die  absolute  Unterscheidung  als  Grenzfatl 
der  relativen  charakterisirL  Der  Anreiz  dazu  liegt  in  den  Sachen 
selbst.  Innerhalb  der  Sphäre  der  Bowufstseinsinhalte 
erscheint  uns  das  Moment  der  Ausdehnung  mit  allen  ihren  Theilen 
als  unselbständig,  aber  innerhalb  der  in  abstracto  betrach- 
teten Ausdehnung  jedes  ihrer  Stücke  als  relativ  selbständig; 


252  III.    Zur  Lehre  von  den  Ganzen  und  Theäen. 

jedes  ihrer  Momente,  z.  B.  die  von  Lage  und  Grölse  zu  unter- 
scheidende Form  als  relativ  unselbständig.  Also  hier  bezieht 
sich  eine  relative  Sede  von  Selbständigkeit,  die  absolut  oder  in 
einer  anderen  Relation  genommene  Unselbständigkeit  sein  könnte, 
auf  ein  Ganzes,  welches  durch  seinen  Gresamratinbegriff  von  Theilen 
(das  Ganze  selbst  dazu  gerechnet)  eine  Sphäre  herstellt,  innerhalb 
der  sich  die  früher  unbeschränkt  vollzogenen  Unterscheidungen 
zu  bewegen  haben.    Wir  könnten  also  definiren: 

Unselbständig  in  und  relativ  zum  Ganzen  O,  bezw. 
zu  dem  durch  Q  bestimmten  Gesammtinbegriff  von  In- 
halten, heifst  jeder  seiner  Theilinhalte,  der  nur  als 
Theil  existiren  kann,  und  zwar  nur  als  Theil  einer  Art 
von  Ganzen,  die  in  diesem  Inbegriff  vertreten  ist  Jeder 
Theilinhalt,  für  den  dies  nicht  gilt,  heifse  in  und  relativ 
zum  Ganzen  G  selbständig.  Kurzweg  sprechen  wir  auch 
von  unselbständigen  oder  selbständigen  Theilen  des 
Ganzen  und  in  entsprechendem  Sinn  von  unselbständi- 
gen und  selbständigen  Theilen  von  Theilen  (Theilganzen) 
des  Ganzen. 

Die  Bestimmung  läfst  sich  offenbar  noch  verallgemeinern. 
Man  kann  nämlich  die  Definition  leicht  so  ummodeln,  dais  nicht 
mehr  ein  Theilinhalt  zu  einem  umfassenderen  Ganzen  in  Relation 
gesetzt  wird,  sondern  ganz  allgemein  ein  Inhalt  zu  einem 
anderen  Inhalt,  mögen  beide  auch  disjunct  sein.  Wir  definiren 
demgemäfs: 

Ein  Inhalt  a  ist  relativ  unselbständig  zu  einem 
Inkalt  ß,  bezw.  zu  dem  durch  ß  und  alle  seine  Theile 
bestimmten  Gesammtinbegriff  von  Inhalten,  wenn  ein 
in  der  Besonderheit  der  betreffenden  Inhaltsgattungen 
gründendes  Gesetz  besteht,  wonach  überhaupt  ein  In- 
halt der  Gattung  a  nur  in  oder  zusammen  mit  anderen 
Inhalten  aus  dem  durch  ß  bestimmten  Gesammtinbegriff 
von  Inhaltsgattungen  bestehen  kann.  Mangelt  ein  solches 
Gesetz,  so  nennen  wir  a  relativ  zu  ß  selbständig. 


Das  Zusanimenbestehen,  von  dem  in  dor  Definition  die  Rede 
ist,  ist  entweder  zeitliclie  Coexistenz,  oder  es  ist  auch  Zu- 
sanimenbestehen in  einer  ausgedehnten  Zeit.  Im  letzteren  Falle 
ist  ß  ein  zeitliches  Ganzes,  und  die  zeitlichen  Bestimmtheiten 
figuriren  dann  {und  zwar  als  Zeitrelationen,  Zeitstrecken)  mit  in 
dem  durch  ,i  bestimmten  Inhaltsinhegriff.  Ho  kann  ein  Inlialt  x, 
der  die  Zeitbestimmimg  ^o  in  sich  enthält,  das  Sein  eines  anderen 
Inhaltes  X  mit  der  Zeitbestimmung  /^  =  <(,+./  fordern  und  in- 
sofern unselbständig  sein. 

Im  Sinne  unserer  Definition  ist  beispielsweise  in  und  relativ 
zu  dem  Ganzen  einer  visuellen  Momenfananscbauung  jedes  Stück, 
d.  h.  jeder  concret  erfüllte  Abschnitt  des  Gesichtsfeldes,  selbständig; 
jede  Farbe  eines  solchen  Stücks,  die  Farbenconliguration  des 
Ganzen  u.  dg),  unselbständig.  Wieder  sind  in  und  relativ  zu  dem 
Ganzen  der  momentanen  sinnlichen  Gesammtauschauung  das  er- 
füllte Gesichtsfeld,  das  erfüllte  Tastfeld  u.  dgl.  selbständig,  die 
Qualitäten,  Foraien  u.  s.  w.,  gleichgiltig  ob  sie  den  Ganzen  oder 
einzelnen  Gliedern  anliafton,  unselbständig;  wir  bemerken  zugleich, 
dafs  hier  alles,  was  i'cJativ  zu  dem  Ganzen  des  vorigen  Beispiels 
als  unselbständig  und  selbständig  galt,  auch  relativ  zu  dem  jetzt 
mafsgebenden  Ganzen  als  solches  zu  gelten  hat.  Es  gilt  nämlich 
die  allgemeine  Wahrheit: 

Was  selbständig  oder  unselbständig  ist  in  Relation  zu  einem 
Ganzes  O,  auch  in  eben  dieser  Eigenschaft  erhalten  bleibt  in 
Relation  zu  jedem  Ganzen  0\  in  Relation  zu  welchem  O  selb- 
ständig ist  —  ein  Satz  der  freilich  die  Umkehrung  nicht  zuläTst. 
Obschon  also  je  nach  der  Art,  in  der  wir  die  Grenzen  ziehen, 
die  Relation  wechselt;  und  obschon  damit  die  relativen  Begriffe 
wechseln:  so  vermittelt  das  eben  erwähnte  Gesetz  für  die  im  be- 
zeichneten Zusammenhang  stehenden  Gruppen  eine  gewisse  Be- 
ziehung. So  verhält  es  sich  z.  B.,  wenn  wir  irgendwelche  der  zu 
jedem  Zeitpunkt  geiiörigen  Coexistenzgruppen  mit  den  sie  um- 
fassenden Gruppen  der  Succession,  eventuell  auch  mit  dor  Ge- 
sammtgruppe  der  unendlichen  vollen  Zeit  vergleichen.  Das  Selb- 
ständige der  letzteren   Gruppe   ist   das  Umfassendere,   also  wird 


I 


nicht  Alles,  was  in  der  Ordnung  der  Coexistenz  als  selbständig 
gilt,  auch  in  der  Ordnung  der  Succession  als  solches  gelten 
mUssen;  woi  aber  umgekehrt  In  der  That  ist  ein  Selbständiges 
der  Coexistenz  (z.  B.  ein  abgegrenztes  Stück  des  Gesichtsfeldes  in 
seiner  concreten  Fülle)  relativ  zu  dem  Ganzen  der  erfüllten  Zeit 
unselbständig;  wofern  wir  seine  zeitliche  Bestimmtheit  als  blofsen 
Zeitpunkt  denken.  Denn  ein  Zeitpunkt  ist  als  solcher  unselbständig, 
er  kann  nur  concret  erfüllt  sein  in  einer  Zeitausdehnuug,  einer 
Dauer.  Ersetzen  wir  aber  den  Zeitpunkt  durch  eine  Zeitdauer,  in 
welcher  der  betreffende  concreto  Gehalt  absolut  unverändert  ge- 
dacht sei,  dann  könnte  diese  dauernde  Coe.\istenz  auch  in  der 
erweiterten  Sphäre,  ja  sogar  als  absolut  selbständig  gelten  —  wofern 
sie  nicht  durch  hinzutretende  Causalbeziehungeu  tangirt  würde. 


Zweites  Kapitel. 

Gedanken  zu  einer  Theorie  der  reinen  Formen 
von  Ganzen  und  Theilen. 

§  14.     Der  Begriff  der  Fundirung  und  zugehörige  Theoreme. 

Das  im  letzten  Absatz  des  vorigen  Paragraphen  ausgesprochene 
und  verworthete  Gesetz  ist  nicht  ein  Erfahrungssatz,  sondern 
Ififst,  sowie  manche  verwandte  Gesetze  einen  apriorischen  Beweis 
zu.  Nichts  kann  den  Werth  exacter  Bestimmungen  in  helleres 
Licht  setzen  als  die  Möglichkeit,  solche  uns  in  anderem  Gewände 
vortrauten  Satxe  doducttv  begründen  zu  können.  Mit  Rücksicht 
auf  das  grofse  wissenschaftliche  Interesse,  das  in  jedem  Gebiet  die 
Constitution  einer  deductiven  Theoretisirung  bean.sprucht,  wollen 
wir  hier  ein  wenig  verweilen. 

Definitionen.  —  Kann  ein  a  als  solches  (also  gesetzlich)  nur 
existiren  in  einer  umfassenden  Einheit,  die  es  mit  einem  /j  ver- 
knüpft, so  sagen  wir,  es  bedürfe  ein  a  al.s  solches  der 
Fundirung    durch    ein   /<,    oder   auch,    es   sei    ein    «    als 


solches  ergänzungsbedürftig  durch  ein  fi.  Sind  demgemäfs 
Oß,  |Uo  bestimmte  in  Einem  Ganzen  verwirldiciito  Einzelfälle 
der  im  angegebenen  Verhältnis  stehenden  Gattungen  a,  bezw.  ft, 
80  nennen  wir  a^  durch  ^/^  fundirt,  und  zwar  ausschliefsüch 
durch  fif,  fundirt,  wenn  die  Ergänzunssbedürftiskeit  von  a„  durch  ^^ 
aliein  gestillt  wird.  Natürlich  können  wir  diese  Tormiuologio  auf 
die  Arten  selbst  übertragen.  Die  Aequivocation  ist  hier  ganz 
unschädlich.  Unbestimmter  sagen  wir  femer,  dio  beiden  Inhalte, 
bezw.  dio  beiden  Arten,  ständen  in  einem  Fundirungsverhältnis 
oder  auch  im  Verhältnis  nothwondiger  Verknüpfung;  wobei 
es  freilich  offen  bleibt,  welches  der  beiden  aiöglicheu  und  einander 
nicht  ausschliofsenden  Verhältnisse  geraeint  sei.  Die  unbestimmten 
Ausdrücke:  a^  ist  ergänzungsbodürftig,  es  ist  in  einem 
gewissen  Moment  fundirt,  sind  offenbar  gleichbedeutend  mit 
dem  Ausdruck:  «j  ist  unselbständig. 

1.  Satz.  —  Bedarf  ein  a  als  solches  der  Fundirung 
durch  ein  fi,  so  bedarf  ebensolcher  Fundirung  auch  jedes 
Ganze,  welches  ein  a  aber  nicht  ein  (i  zum  Theile  hat. 

Der  Satz  ist  a.xiomatisch  einleuchtend.  Kann  ein  «  nicht 
sein  aufser  ergänzt  durch  ^,  so  kann  auch  ein  Ganzes  von  a, 
das  kein  ^i  in  sich  fafst,  die  Ergäuzungsbedürftigkeit  des  o  nicht 
stillen,  und  es  mufs  sie  nun  selbst  theiien. 

Als  Corollar  können  wir  mit  Rücksicht  auf  die  Definition  des 
vorigen  Paragraphen  aussprechen: 

2.  Satz.  —  Ein  Ganzes,  welches  ein  unselbständiges 
Moment  ohne  die  von  ihm  geforderte  Ergänzung  als 
Theil  einschliefst,  ist  ebenfalls  unselbständig,  und  ist  es 
relativ  zu  jedem  übergeordneten  selbständigen  Ganzen, 
in  welchem  jenes  unselbständige  Moment  mitenthalten  ist. 

3.  Satx.  —  Ist  G  ein  selbständiger  Theil  von  [also* 
relativ  zu]  F,  so  ist  jeder  selbständige  Theil  g  von  O, 
auch  ein  selbständiger  Theil  von  F. 


*  Nämlich  im  Sione  der  im  letzten  Paragraphea  definirten  abgekürztea 
Redeweise,  die  hier  überall  zu  beachten  ist 


256  ///.    Zur  Lehre  von  den  Ganzen  und  Theilen. 

Würde  nämlich  g,  relativ  zu  F  betrachtet,  einer  Ergänzung  fi 
bedürfen,  also  im  Bereiche  von  F  eine  Fundirung  [i^  besitzen, 
so  müfste  sie  in  G  mitenthalten  sein.  Denn  sonst  wäre  O  nach 
Satx  1  in  Hinsicht  auf  n  ergänzungsbedürftig,  und  da  /Iq  ein  Theil 
von  F  ist,  nach  Satx  2  unselbständig  relativ  zu  J";  was  der 
Voraussetzung  widerspricht  Ihr  gemäls  ist  aber  g  selbständiger 
Theil  von  ö,  also  auch  relativ  zu  ö;  es  kann  also  im  Bereiche 
von  0  nichts  bestehen,  was  g  zur  Fundirung  dienen  könnte;  folglich 
auch  nicht  im  gesammten  Bereiche  von  F. 

Der  vorliegende  Satz  VäSst  sich  bei  passend  geänderter  Buch- 
stabenbezeichnung auch  so  aussprechen: 

Ist  a  ein  selbständiger  Theil  von  /?,  ß  ein  selb- 
ständiger Theil  von  /,  so  ist  auch  a  ein  selbständiger 
Theil  von  y. 

Oder  noch  kürzer: 

Ein  selbständiger  Theil  eines  selbständigen  Theils 
ist  selbständiger  Theil  des  Oanzen. 

4.  Satx.  —  Ist  y  ein  unselbständiger  Theil  des  Ganzen 
Ö,  so  ist  es  auch  ein  unselbständiger  Theil  jedes  an- 
deren Ganzen,  von  welchem  O  ein  Theil  ist. 

y  ist  unselbständig  relativ  zu  ö,  d.  h.  es  besitzt  in  einem 
zum  Bereiche  von  O  gehörigen  (x^  eine  Fundirung.  Natürlich 
muTs  dieses  selbe  fi^  auch  im  Bereiche  eines  jeden  dem  O  über- 
geordneten, d.  i.  Ö  als  Theil  einschliefsenden  Ganzen  vorkommen; 
also  mufs  y  auch  relativ  zu  jedem  dieser  Ganzen  unselbständig 
sein.  (Dagegen  kann  y,  wie  wir  zusetzen,  sehr  wol  selbständig 
sein  hinsichtlich  eines  untergeordneten  Ganzen;  wir  brauchen 
dessen  Grenzen  nur  so  zu  ziehen,  dafs  die  nöthige  Ergänzung  (i 
von  ihm  ausgeschlossen  bleibt  So  ist  ein  Stück  einer  Ausdehnung 
in  abstracto  selbständig  relativ  zu  dieser  Ausdehnung;  diese  aber 
selbst  ist  unselbständig  relativ  zu  den  concreten  Ganzen  der  er- 
füllten Ausdehnung.) 

Unser  Satz  läfst  sich  in  analogen  Formen  aussprechen  wie 
der  vorige;  nämlich: 


I 


Ist  o  ein  unselbständiger  Theil  von  /J,  ß  ein  unselb- 
ständiger Tiieil  von  y,  so  ist  auch  c  ein  unselbständiger 
Theil   von  y. 

Ein  unselbständiger  Theil  eines  unselbständigen 
Theils  ist  ein  unselbständiger  Theil  des  Ganzen. 

5.  Satx.  —  Ein  relativ  unselbständiger  Gegenstand 
ist  auch  absolut  unselbständig,  dagegen  kann  ein  relativ 
selbständiger  Gegenstand  in  absolutem  Sinne  unselb- 
ständig sein. 

Für  den  Beweis  vergleiche  den  vorigen  Paragraphen. 

6.  Satx.  —  Sind  «  und  ß  selbständige  Theile  irgend- 
eines Ganzen  G,  so  sind  sie  auch  relativ  zueinander 
selbständig. 

Senn  wäre  a  ergänzungsbedürftig  durch  ß  oder  durch  irgend- 
einen Theil  von  /S,  so  gäbe  es  im  Inbegriff  der  durch  Q  be- 
stimmten Theile  solche  (nämlich  die  von  j**),  in  welchen  «  fundirt 
wäre;  also  wäre  c  nicht  selbständig  relativ  zu  seinem  Ganzen  G. 


§  15.      Ueherkiiung  xur  Betrachtung  der  wichtigeren  Theih-erhältnisse. 

Betrachten  wir  nun  einige  der  bemerkenswerthesten  Ver- 
schiedenheiten in  den  Verhältnissen  zwischen  Ganzem  und  Theil, 
sowie  zwischen  den  Thoilcn  eines  und  desselben  Ganzen.  Die 
Allgemeinheit  dieser  Verhältnisse  täfst  ja  reichliehen  Spielraum 
für  die  mannigfaltigsten  Unterschiede.  Nicht  jeder  Theil  ist  im 
Ganzen  in  gleicher  Weise  enthalten,  und  nicht  jeder  Theil  ist  mit 
jedom  anderen  in  der  Einlieit  des  Ganzen  gleicherweise  verwoben. 
Wir  tinden  bei  der  Vergleichung  der  Theilverhältnisse  in  ver- 
schiedenen Ganzen,  oder  schon  bei  der  Vergleichung  der  Theil- 
verhältnisse in  einem  und  demselben  Ganzen  auffallende  Unter- 
schiede, auf  welche  sich  die  gemeinübliche  Kode  von  verschiedenen 
Arten  von  Ganzen  und  Theilen  gründet.  Die  Hand  ist  z.  B.  in 
ganz  anderer  Weise  ein  Theil  des  Menschen,  als  es  die  Farbe  dieser 
Hand  ist,  als  es  die  Gesammtausdehnung  des  Körpers  ist,  als  es 
die  psychischen   Acte   und   wieder   die   inneren   Momente   dieser 

Hasaerl,  Lug.  Unten.  U. 


Ptiänoniene  sind.  Die  Tbeile  der  Ausdehnung  sind  in  anderer 
Weise  miteinander  vereint,  als  sie  selbst  es  mit  ihren  Farben 
sind  u.  s.  w.  Wir  werden  sofort  sehen,  dafs  diese  Unterschiede 
durchaus  in  den  Kreis  unserer  jetzigen  Untersuchungen  hinein- 
gehöre q. 

§  16.     Wechselseitige  und  einseitige,  mittelbare  und 
unmittelbare  Fundirung, 

Fassen  vnr  irgendein  Paar  von  Theilen  eines  Ganzen  ins 
Auge,  so  bestehen  iolgende  Mi'iglichkeiten : 

1.  Zwischen  beiden  Theilen  besteht  ein  Verhältnis  der  Fun- 
dirung, 

2.  es  besteht  dieses  Verhältnis  nicht  Im  ersteren  Falte  kann 
die  Fundirung 

a)  eine  gegenseitige, 

b)  eine  einseitige  sein,  je  nachdem  die  bezügliche  Gesetz- 
mäfsigkeit  eine  umkehrbare  ist  oder  nicht.  So  fundiren  sich  Farbe 
und  Ausdehnung  in  einer  einheitlichen  Anschauung  gegenseitig, 
du  keine  Farbe  ohne  eine  gewisse  Ausdehnung,  keine  Ausdehnung 
ohne  eine  gewisse  Farbe  denkbar  ist.  Dagegen  ist  ein  Urtheils- 
charakter  einseitig  fuudirt  in  den  zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen, 
da  diese  nicht  als  Urtheilsfundaraente  fungiren  müssen.  Brknta.no's 
Unterscheidung  von  Theilen  mit  „gegenseitiger"  und  solchen  mit 
„einseitiger  Ablüsbarkeit"  stimmt  dem  Umfang,  nicht  der  Detinition 
nach,  mit  der  vorliegenden  überein.  Dem  Ausfall  jeder  Fundirung 
entspricht  Bhentano's  ergänzende  Rede  von  „gegenseitiger  Ab- 
lösbarkeit". 

Von  einigem  Interesse  ist  noch  die  Frage,  wie  es  sich  hier 
mit  der  relativen  Selbständigkeit  oder  Unselbständigkeit  der  Theile 
verhält,  natürlich  relativ  zu  dem  Ganzen,  in  dem  sie  betrachtet 
werden.  Besteht  zwischen  zwei  Theilen  ein  gegenseitiges  Fun- 
dirungsverhiütnis,  so  ist  deren  relative  Unselbständigkeit  aufser 
Frage;  so  z.  B.  in  der  Einheit  von  Qualität  und  Ort.  Anders, 
wenn  es  blofs  einseitig  ist;  dann  kann  der  fundirende  (obschon 
selbstredend  nicht  der  fundirte)  Inhalt  selbständig  sein.     So   ist 


in  einer  Ausdeimnng  fiie  Figur  eines  Stückes  in  dem  Stücke  fundirt, 
also  ein  (sc.  relativ  zum  Ganzen  dieser  Ausdehnung)  Unselbständiges 
in  einem  Selbst«ändigen. 

Die  Fundirung  eines  Theils  in  einem  anderen  kann  ferner 

a)  eine  unmittelbare  oder 

ß)  eine  mittelbare  sein,  jenachdem  die  beiden  Tlieile  in  un- 
mittelbarer oder  mittelbarer  Verknüpf ung  stehen.  Dieses  Verhältnis 
ist,  ebenso  wie  das  vorige,  nicht  an  die  individuell  vorliegenden 
Momente  gebunden,  sondern  geht  das  Fundirungsverhältnis  nach 
seinem  allgemeinen  Bestände  an.  Ist  «(,  unmittelbar  in  /?„,  aber 
mittelbar  in  j'o  fundirt  (sofern  nämlich  /?<>  unmittelbar  in  y^  fun- 
dirt ist),  so  gilt  es  allgemein,  dafs  ein  a  überhaupt  in  einem  ß 
unmittelbar,  in  einem  y  mittelbar  fundirt  sei.  Dies  ist  die  Folge 
davon,  dafs  wenn  ein  a  und  ein  ß  überhaupt  verknüpft  sind,  sie 
es  unmittelbar  sind,  und  wieder,  dafs  wenn  ein  a  und  ein  y  ver- 
knüpft sind,  sie  es  nur  mittelbar  sind.  Die  Ordnung  der  Mittel- 
barkeit und  Unmittelbarkeit  ist  in  den  Gattungen  gesetzlich  be- 
gründet Beispielsweise  kann  das  Moment  Farbe  nur  realisirt  sein 
in  und  mit  einem  Speciesmoment,  wie  Roth,  Blau  u.  s.  w.  Dieses 
wieder  nur  im  Zusammenhang  mit  einer  gewissen  örtlichen  Be- 
stimmtheit. Diese  allzeit  unmittelbaren  Verknüpfungen  und  Fun- 
diruugen  bedingen  die  mittelbare  zwischen  dem  Momente  Farbe 
und  ürllirlie  Bestimmtheit.  Offenbar  sind  die  Zusaramenhangs- 
gesetze,  welche  zu  den  mittelbaren  Fundirungen  gehören,  analy- 
tische, und  zwar  schlufsartige  Folgen  derjenigen,  welche  zu  den 
unmittelbaren  Fundirungen  gehören. 

§  17.     ExacU  Bestimmung  der  Begriffe  Stück,  Moment,  physischer 
Theil,  Abstraetum,  Coneretum. 

Auf  die  oben  fi.virten  Begriffe  können  wir  nun  auch  eine 
weitere  Reihe  bekannter  und  fundamentaler  Begriffe  reduciren  und 
ihnen  hiedurch  exacte  Bestimmtheit  vorleihen.  Einzelne  der  Ter- 
mini mögen,  wie  vorweg  bemerkt  sein  mag,  bedenklich  sein;  die 
ihnen  im  Naclifolgenden  zugeordneten  Begriffe  sind  jedenfalls  von 
grofsem  Werthe. 

17* 


I 


Wir  fixiren  zunächst  eine  fundamentale  Eintboihing  des  Be- 
grifFes  Theil,  niiiiilich  die  Eintheilung  in  Stücke  oderTheile  im 
engsten  Sinne,  und  in  Momente  („Seiten")  oder  abstracto 
Theile  des  Ganzen.  Jeden  relativ  zu  einem  Ganzen  Ö  selb- 
ständigen Theil  nennen  wir  ein  Stück,  jeden  relativ  zu 
iiim  unselbständigen  Theil  ein  Moment  (eine  Seite  oder 
einen  abstracten  Theil)  dieses  selben  Ganzen  Ö.  Es  ist  hiebeil 
gleichgiltig,  ob  das  Ganze  selbst,  absolut  oder  relativ  zu  einem 
höheren  Ganzen  betrachtet,  selbständig  ist  oder  nicht.  Abstracte 
Theile  können  danach  wieder  Stücke  haben  und  Stücke 
wieder  abstracte  Theile.  Wir  sprechen  von  Stücken  einer 
Zeitdauer,  obschon  diese  etwas  Abstractes  ist,  ebenso  von  Stücken 
einer  Ausdehnung.  Die  Formen  dieser  Stücke  sind  ibnoa  inne- 
wohnende abstracto  Theile. 

Stücke,  die  kein  Stück  identisch  gemeinsam  haben,  nennen 
wir  sich  ausschiiefsende  (disjuncte)  Stücke.  Die  Eintheilung 
eines  Ganzen  in  eine  Mehrheit  sich  ausschliefsender  Stücke  nennen 
wir  eine  Zerstückung  desselben.  Zwei  solche  Stücke  können 
noch  ein  identisches  Moment  gemeinsam  haben.  So  ist  die  ge- 
meinsame Grenze  ein  identisches  Moment  für  die  angrenzenden 
Stücke  eines  eingetheilten  Continuum.  Stücke  heifsen  getrennt, 
wenn  sie  im  strengen  Sinn  disjunct  sind,  also  auch  kein  Mo- 
ment mehr  identisch  haben. 

Da  ein  abstracter  Theil  auch  abstract  ist  in  Relation  zu  jedem 
umfassenderen  Ganzen  und  überhaupt  zu  jedem  dieses  Ganze  um- 
fassenden Inbegriff  von  Inhalten, ^  so  ist  ein  Abstractes  in  rela- 
tiver Betrachtung  eo  ipso  abstract  in  absoluter.  Die  letztere  kann 
als  der  Orenzfall  der  relativen  Betrachtung  definirt  werden,  in 
welchem  die  Relation  durch  den  Gesammtinbegriff  von  In- 
halten (Gegenständen)  überhaupt  bestimmt  ist;  so  dafs  es  also 
nicht  einer  vorgängigen  Definition  des  Abstracten  oder  unselb- 
ständigen im  absoluten  Sinne  bedarf.  Demnach  ist  ein  Ab  st  r  ac- 
tum schlechthin  ein  Inhalt,  zu  dem  es  überhaupt  ein  Ganzes 
giebt,  bezüglich  dessen  er  ein  unselbständiger  Theil  ist 


'  Nach  Satz  4  8.  256. 


Gedanken  xu  einer  Theorie  ihrer  reinen  Formen. 


261 


I 


Wenn  ein  Abstractum  eine  derartige  Zerstiickung  zuläfst,  dafs 
die  Stücke  Abstracta  von  derselben  niedersten  Gattung  sind,  als 
welche  durch  das  ungetheilto  Ganze  bestimmt  wird,  so  nennen 
wir  es  ein  physisches  Qanzes,  seine  Stücke  physische  Theile. 
Hieher  gehört  beispielsweise  die  Theilung  einer  Ausdehnung  in 
Ausdehnungen,  specieller  einer  Kaumstrecke  in  Raumstrecken, 
einer  Zeitstrecke  in  Zeitstrecken  u.  dgl. 

Wir  können  hier  noch  folgende  Definitionen  anschliefsen: 
Ein  Inhalt  heifst  mit  Beziehung  auf  seine  abstracten  Momente 
ein  Concretum,  und  zwar  heifst  er  mit  Beziehung  auf  seine 
nächsten  Momente  ihr  nächstes  Concretum.  (Den  hier  vor- 
ausgesetzten Unterschied  der  näheren  und  ferneren  Momente  werden 
wir  gleich  in  den  folgenden  Paragraphen  genauer  bestimmen.)  Ein 
Concretum,  das  selbst  nicht  abstract  ist,  kann  absolutes  Con- 
cretum genannt  werden.  Da  der  Satz  gilt,  dafs  jeder  absolut 
selbständige  Inhalt  abstracte  Theile  besitzt,  so  kann  auch  jeder 
als  absolutes  Concretum  angesehen  und  bezeichnet  werden.  Beide 
Begriffe  sind  also  von  gleichem  Umfang.  Aus  gleichem  Grunde 
kann  man  für  Stück  auch  concreter  Theil  sagen,  wobei  natür- 
lich die  Concretiou  als  absolute  oder  relative  zu  verstehen  ist,  je- 
nachdem  das  Ganze  selbst  entweder  nur  abstracte  Theile  hat  oder 
selbst  abstract  ist.  Wo  das  Wort  Concretum  schlechthin  gebraucht 
wird,  ist  in  der  Regel  das  absolute  Concretum  gemeint. 


§  18.     Der  Unterschied  der  niUtelbaren  und  unmiltelbaren  Tlieile 

eines  Oanxen. 

Mit  dem  Unterschied  der  Stücke  und  der  abstracten  Theile 
hängt  innig  zusammen  der  Unterechied  der  mittelbaren  und 
unmittelbaren  Theile,  oder  deutlicher  gesprochen,  der  näheren 
und  ferneren.  Denn  die  Rede  von  Unmittelbarkeit  und  Mittel- 
barkeit kann  in  einem  doppolten  Sinne  verstanden  werden.  Wir 
besprechen  vorerst  den  nächstliegenden  Sinn  dieser  Rede. 

Ist  d-(G\  ein  Theil  des  Ganzen  ö,  so  ist  ein  Theil  dieses 
Theils,  etwa  ^(3'(0))  wieder  ein  Theil  des  Ganzen,  aber  ein 
mittelbarer  Theil.     3-(G)  mag  dann  ein  vergleichsweise  un- 


mittelbarer  Theil  des  Ganzen  heifsen.  Die  Unterscheidung  ist 
eine  relative,  tla  ^{6}  selbst  wieder  ein  mittelbarer  Theil  sein 
kann,  mit  Beziehung  nämlich  auf  einen  anderen  Theil  des 
Ganzen,  in  dem  es  als  Theil  enthalten  ist.  Die  relative  Unter- 
scheidung verwandelt  sich  in  eine  absolute,  wenn  wir  unter  ab- 
solut mittelbaren  Theilen  solche  verstehen,  in  Beziehung  auf 
welche  es  im  Ganzen  Tbeile  giebt,  denen  sie  selbst  als  Theile 
einwohnen;  unter  absolut  unmittelbaren  also  Theile,  die  von 
keinem  Tbeile  desselben  Ganzen  als  Theile  gelten  dürfen.  Mittel- 
bar in  diesem  absoluten  Sinne  ist  jeder  geometri.sehe  Theil  einer 
Ausdehnung;  denn  sie  hat  immer  wieder  (geometrische)  Theile, 
die  jenen  umfassen.  Schwieriger  ist  es,  passende  Beispiele  absolut 
unmittelbarer  Thoile  beizubringen.  Es  können  etwa  folgende  heran- 
gezogen werden:  Heben  wir  in  einer  visuellen  Anschaunng  die 
einheitliche  Complexion  aller  inneren  Momente  heraus,  die  bei 
blofser  Ortsveränderung  identisch  erhalten  bleiben,  so  ist  sie  ein 
Theil  des  Ganzen,  der  keinen  übergeordneten  Theil  mehr  besitzen 
kann.  Dasselbe  gälte  von  dem  Ganzen  ihrer  blofsen  Ausdehnungen 
in  Hinsicht  auf  den  geometrischen,  unabhängig  von  der  Lage  con- 
gruenten  Körper.  Schränken  wir  die  Unterscheidung  auf  Theile 
einer  und  derselben  Art  ein,  so  ist  schon  das  Moment  der  ein- 
heitlichen Fäi'bung  ein  absolut  unmittelbarer  Theil,  sofern  es  kein 
gleichartiges  Moment  des  Ganzen  giebt,  dem  jenes  wieder  als 
Theil  einzugliedern  wäre.  Dagegen  ist  die  Färbung,  die  einem 
Stücke  des  Ganzen  anhaftet,  als  mittelbar  zu  betrachten,  sofern 
sie  zur  Gesammtfärbung  des  Ganzen  beiträgt.  Dasselbe  gilt,  mit 
Beziehung  auf  die  Art  Ausdehnung,  von  der  Gosammtausdehnung, 
die  ein  absolut  unmittelbarer,  von  einem  Stücke  dieser  Ausdehnung, 
die  ein  absolut  mittelbarer  Theil  des  ausgedehnten  Dinges  ist. 

§  19.     Ein  neuer  Sinn  dieses  UnterscJiiedes :  nähere  und  fernere 
l'luile  des  Garnen. 

Einen  ganz  anderen  Inhalt  gewinnt  diese  Rede  von  unmittel- 
baren und  mittelbaren  Theilen,  wenn  wir  auf  gewisse  merkwürdige 
Unterschiede  achten,  die  sich  bei  der  vergleichenden  Betrachtung 


der  "Verhältnisse  zwischen  Ganzen  und  mittelbaren  Theilen  auf- 
drängen.' Wenn  wir  ein  physisches  Ganzes  zerstückt  denken,  so 
lassen  die  Stücke  wieder  Zerstüekungen  zu,  die  Stücke  der  Stücke 
abermals  u.  s.  w.  Hier  sind  die  Theile  der  Theile  in  genau  der- 
selben Weise  Theile  des  Ganzen,  wie  die  unmittelbaren  Theile; 
und  zwar  bemerken  wir  nicht  blofs  die  Gleichheit  in  Beziehung 
auf  die  Art  des  Thoilvorhältnisses,  die  rücksicbtlich  des  Ganzen 
die  Rede  von  gleichartigen  Tbeilen  bedingt  —  die  Stücke  der 
Stücke  sind  wieder  Stücke  des  Ganzen*  —  sondern  es  bekundet 
sich  auch  darin  eine  Oleicliheit  dieser  Verhältnisse  zwischen  dem 
Ganzen  und  den  mittelbaren  Theilen  auf  der  einen,  den  (relativ) 
unmittelbaren  Theilen  auf  der  anderen  Seite,  dafs  wir  keinen  An- 
Jafs  finden,  den  letzteren  vor  den  ersteren  irgendeinen  inneren 
Vorzug  beizumessen:  der  abstufenden  Ordnung  der  Theilungen 
entspricht  hier  nicht  eine  sachlich  bestimmte  und  feste  Abstufung 
in  der  Beziehung  der  Theile  zum  Ganzen.  Nicht  als  ob  die  Rede 
von  mittelbaren  und  unmittelbaren  Theilen  eine  ganz  willkürliche 
wäre,  die  des  objectiven  Fundamentes  ermangelte.  Das  physische 
Ganze  liat  wahrhaft  jene  erstbetracbteten  Theile,  und  diese  wiederum 
haben  nicht  minder  wahrhaft  die  in  ihnen  unterschiedenen,  in  Be- 
ziehung auf  das  Ganze  also  mittelbaren  Theile;  und  so  bei 
iem  Schritte  fortgesetzter  Theilung.  Aber  an  sich  stehen  die 
fernsten  dieser  Theile  dem  Ganzen  nicht  femer  als  die  nächsten. 
Die  Theile  verdanken  ihre  Stufenfolge  blofs  der  Stufenfolge  der 
Theilungen,  und  diese  letztere  ermangelt  des  objectiven  Funda- 
ments. Es  giebt  im  physischen  Ganzen  keine  an  sich  erste  Thei- 
lung und  auch  keine  festbegrenzte  Gruppe  von  Theilungen  als 
eine  erste  Theilungsstufe;  es  giebt  von  einer  gegebenen  Theilung 
aus  keinen  durch  die  Natur  der  Sache  bestimmten  Fortschritt  zu 
einer  neuen  Theilung,  bezw.  Theilungsstufe.  Mit  jeder  Theilung 
können  wir  beginnen,  oJme  einen  inneren  Vorzug  zu  mifsachten. 


•  Vgl.  BoLZAKo's  Wissenachaftslehro  I,  §58,  S.  251  f.  und  Twardowski, 
a.a.O.  §9,  S.49f. 

■  £iii  neuer  Ausdruck  des  Satzes  3  in  §  14,  oben  8.  255. 


264  III.    Zur  Lehre  von  den  Ganzen  und  T/teilen. 


Jeder  mittelbure  Tlieil  kann,  je  nach  der  beliebten  Theilungsweise, 
aucb  als  unmittelbarer,  jeder  un mittelbare  iils  mittelbarer  gelten. 

Ganz  anders  verhält  es  sich,  wenn  wir  andere  Beispiele  in 
Betracht  ziehen.  Eine  anschaulich  einheitlifhe  Tonfolge,  etwa 
eine  Melodie,,  ist  ein  Ganzes,  in  dem  wir  einzelne  Töne  als  Theilo 
finden.  Jeder  dieser  Töne  hat  abermals  Theile,  ein  lloment  der 
Qualität,  ein  Moment  der  Intensität  u.  s.  w.,  welche  als  Theile  von 
Theilen  auch  TheiJe  der  Melodie  sind;  es  ist;  hier  aber  klar,  dafe 
die  Mittclbarkeit,  in  der  etwa  das  Qualitiitsmoment  des  einzelnen 
Tons  dem  Ganzen  einwohnt,  nicht  auf  Rechnung  unserer  subjec- 
tiven  Theihingsfolge  oder  sonstiger  subjeotiver  Motive  zu  setzen 
ist  Zwar  ist  es  sicher,  dafs  wir,  um  das  Moment  der  Qualität 
des  einzelnen  Tons  für  sich  zu  bemerken,  vorerst  den  Ton  selbst 
herausheben  müssen;  die  Souderauffassung  des  mittelbaren  Theils 
setzt  hier  also  die  Sonderauffassung  des  unmittelbaren  voraus;  aber 
diese  subjective  Nöthigung  wird  man  nicht  mit  der  evidenten  ob- 
jectiven  Sachlage  verwechseln:  Es  ist  evident,  dafs  die  Qualität  an 
sich  nur  insofern  Theil  der  Melodie  ist,  als  sie  Theil  ist  i!es  ein- 
zelnen Tons;  zu  diesem  gehört  sie  unmittelbar,  dem  ganzen  Ton- 
gebilde nur  mittelbar.  Dieses  „mittelbar"  bezieht  sich  hier  also 
nicht  auf  eine  willklirtiche  oder  gar  durch  psychologischen  Zwang 
bedingte  Bevorzugung  eines  gewissen  Theilungsganges,  bei  dem 
wir  zuerst  auf  den  Ton  und  dann  aufsein  Qiialitiitsnioment  stofsen 
müfsten;  sondern  au  sich  ist  im  Ganzen  der  Melodie  der  Ton 
der  frühere  und  seine  Qualität  der  spätere,  mittelbare  Theil.  Ebenso 
verhält  es  sich  mit  der  Intensität  des  Tons;  ja  hier  möchte  es  fast 
scheinen,  als  führte  sie  uns  vom  Ganzen  der  Melodie  noch  um 
einen  Schritt  ab,  als  wäre  sie  nicht  unmittelbares  Moment  des 
Tones,  sondern  nälier  seiner  Qualität,  also  in  Beziehung  auf  ihn 
schon  socundärer  Theil  (eine  Auffassung,  die  freilich  nicht  ganz 
ohne  Bedenken  ist  und  daher  genauerer  Erwägimg  bedürfte).  Sind 
wir  berechtigt  in  der  Qualität,  etwa  c,  des  betrachteten  Tones  einen 
Theil  anzunehmen,  der  das,  was  ihm  mit  allen  Tonen  als  solchen 
gemeinsam  ist,  also  ihr  Gattungsmoment  darstellt:  so  wohnt  dieser 
Theil  der  Qualität  primär,  dem  Ton  secundär,  dem  ganzen  Ton- 


gebilde  mindestens  tertiär  ein;  u.  s.  w.  Ebenso  fügt  sich  das 
Farbenmoment  oder  Gestaitmoment,  das  einem  physisclien  Theil 
einer  visuellen  Ansciiauung  einwohnt,  zunächst  diesem  Theil  und 
erst  secundär  dem  Ganzen  der  Anschauung  ein.  Noch  mittel- 
barer verhält  sich  zu  dem  Ganzen  die  der  Gestalt  einwolineride 
„volumness",  das  ilir  primär  zugeiiörige  Gröfsenartige  (sc.  vor  aller 
quantitativen  Bestimmung). 

Nach  diesen  Erörteningen  dürfte  der  neue  und  bedeutsame 
Sinn  der  Unterscheidung  von  mittelbaren  und  unmiftelburen  Theilen 
klar  sein.  Der  Unterschied  ist  aber  keiu  blofs  relativer,  sofern 
es  in  jedem  Ganzen  Theile  giebt,  die  dircct  ihm  selbst  und  nicbt 
vorerst  einem  seiner  Theile  angehören.  Für  den  einzelneu  Theil 
ist  an  sich  fest  bestimmt,  ob  er  ein  im  jetzigen  Sinn  mittelbarer 
ist  oder  nicht,  und  im  ersten  Falle,  ob  er  ein  in  ereter,  zweiter 
und  weiterer  Stufe  mittelbarer  ist.  Um  terminologisch  zu  unter- 
scheiden, könnte  man  hier  von  näheren  und  ferneren  Theilen, 
zu  Zwecken  genauerer  Bestimmung  auch  von  primären,  secun- 
dären  .  .  .  Tbeüen  des  Ganzen  sprechen;  die  Termini  mittelbarer 
und  unmittelbarer  Theil  behalten  wir  in  dem  allgemeineren, 
auf  beliebige  Tboilo  anwendbaren  Sinn  bei.  Secundäre  Theile  sind 
primäre  von  primären,  tertiäre  Theile  sind  primäre  von  secun- 
dären  u.  s.  f  Eie  Begriffe  dieser  Reihe  sind  offenbar  miteinander 
unverträglich. 

Primäre  Theile  können,  ja  sie  werden  im  Allgemeinen  zu- 
gleich absolut  mittelbare  sein.  Indessen  giebt  es  auch  primäre 
Theile,  die  absolut  unmittelbar,  d.  h.  die  in  keinem  Theile  ihres 
Ganzen  als  Theile  enthalten  sind.  Jedes  Stück  einer  Ausdehnung 
ist  in  ihr  primär  enthdten,  obschon  es  immer  als  mittelbarer 
Theil  derselben  Ausdehnung  aufgefafst  werden  kann.  Objectiv  giebt 
es  immer  Theile,  deren  Theil  es  ist.  Dagegen  ist  die  Form  einer 
Ausdehnung  iu  keinem  ihrer  Theile  als  Tbeil  enthalten. 


§  20.     2^'ähere  und  fernere  Theile  relativ  zueinander. 

Wir  sprachen  oben  von  mittelbaren  und  unmittelbaren,   von 
näheren  und  ferneren  Theilen  in  Relation  zu  dem  Ganzen,  welchem 


sie  angehören.  Aber  auch  da,  wo  vnr  Theile  in  Relation  zu- 
oinaudor  betrachten,  pflegen  wir  diese  Termini,  obscfion  in  ganz 
anderem  Sinne,  zu  verwenden;  wir  sprechen  von  einem  unmittel- 
baren und  mittelbaren  Ziisnmmenhanf^o  der  Theile,  und  im  letzteren 
Falle  machen  wir  noch  Unterschiede.  Die  Einen,  sagen  wir,  ständen 
einander  nüher,  die  Anderen  ferner.  Hier  kommen  die  folgenden 
Verhältnisse  in  Betracht.  Es  ist  ein  gewöhnlicher  Fall,  dafs  eine 
Verknüpfungsform  zwei  Theile  a,  ß  eigens  zusammenfalst  zu  Einer 
Theileinheit,  die  andere  Theile  ausschliefst;  dos  Weiteren,  dafs  ;;/, 
nicht  aber  u  in  ebensolcher  Weise  mit  einem  ;'  verknüpft  ist.  Bei 
dieser  Sachlage  ist  nun  auch  a  mit  y  verknüpft,  nämlich  vermöge 
einer  complexen  Eiiiheitsform,  die  sich  aus  den  Verknüpfungen 
a'-'i'i  und  [i-^y  aufbaut.  Diese  Letzteren  nennen  wir  dann  un- 
mittelbare, die  Verknüpfung  von  a  und  y,  die  sieh  in  der  Fonii 
a'-ß'^y  vollzieht,  eine  mittelbare.  Bestehen  dann  weiter  eigene 
Verknüpfungen  y^ä,  ä^e  u.  s.  w.,  so  werden  wir  sagen,  deren 
Endglieder  (J,  e,  .  .  .  seien  in  fortgesetzt  gesteigerter  Mittelbarkeit 
mit  «  verknüpft,  d  sei  ein  fernerer  Theil  als  y,  e  ein  noch  fer- 
nerer wie  ä  u.  s.  w.  Offenbar  ist  damit  nur  ein  einfacher  SpeciaJ- 
fall  charakterisirt.  Jeder  Buclustabe  a,  //,  y  .  ■ .  könnte  z.  B.  eine 
complexe  Theileinheit,  also  eine  ganze  Gruppe  einheitlich  ver- 
knüpfter Glieder  zusammenfassen,  und  nun  erschienen  auch  die 
Glieder  der  vei-schiedeuen  Gruppen,  auf  Grund  der  die  Theilein- 
heiteu  als  Ganze  aneinanderschliefsenden  Verkettungen,  in  Ver- 
hältnissen näheren  und  ferneren  Zusammenhanges. 

Obnochanderweitige  Verknüpfungen,  und  speciell,  ob  zwischen 
den  mittelbar  verknüpften  Gliedern  noch  directe  Verknüpfungen 
(und  vielleicht  sogar  von  derselben  Gattung  wie  die  zwischen  den 
unmittelbar  verknüpften  Ghodern)  bestehen,  darüber  ist  in  dem 
Vorstehenden  nichts  gesagt.  Wir  betrachten  die  Glieder  ausschlieis- 
lich  nach  den  Formen  der  zusammengesetzten  Verhaltnisse,  welche 
durch  die  Elementarverkuüpfungen  bestimmt  sind.  Natürlich  wird 
die  Betrachtung  dieser  Formen  von  besonderer  Bedeutung  sein 
in  jener  ausgezeichneten  Klasse  von  Füllen,  die  theoretisch  wie 
practisch  zu  allermeist  in  Betracht  kommt,  und  deren  Eigenart  an 


den  Pimktverfcnüpfimgen  innerhalb  einer  Geraden  leicht  zu  ver- 
deutlichen ist  Heben  wir  eine  beliebige  Puiiklreihe  aus  einer 
Geraden  heraus,  so  bemerken  wir:  dafs  die  uinnittelbaren  Ver- 
knüpfungen der  mittelbar  verknüpften  Glieder  mit  den  Verknüpfungen 
der  uunüttelbaren  Naclibani  zu  einer  und  derselben  niedersten 
Verknüpfungsgattung  geliuien  und  zwar  so,  dafs  sie  sich  von 
ihnen  nur  durch  ihre  niederste  specifische  Differenz  unterscheiden, 
während  diese  Differenz  selbst  durch  die  Differenzen  der  jeweilig 
vermittelnden  Verknüpfungen  eindeutig  bestimmt  ist.  So  verhält 
es  sich  bei  Zeitfolgen,  bei  räiimücben  Configurationen,  kurz  über- 
all, wo  die  Verknüpfungen  durch  gerichtete  Strecken  einer  und 
derselben  Gattung  zu  cbarakterisiren  sind.  Mit  einem  Worte,  es 
besteht  überall  Strecke nuddition.  Indessen  von  alldem  können 
wir  hier  in  unserer  ganz  formalen  Betrachtung  absehen. 

Das  Wesentliche  lilfst  sicli  in  folgender  Weise  begrifflich 
fassen.  Zwei  Verknüpfungen  bilden  eine  Verkettung,  wenn  sie 
irgendwelche,  aber  nicht  alle  Glieder  gemein  haben  {sich  also 
nicht  decken,  wie  wenn  z.  B.  dieselben  Glieder  durcii  mebrrältige 
Verknüpfungen  einig  sind).  Jede  Verkettung  ist  danach  eine 
comploxe  Verknüpfung.  Die  Verknüpfungen  scheiden  sich  nun 
in  solche,  welche  Verkettungen  enthalten,  und  in  solche,  die  es 
nicht  thun;  und  die  Verknüpfungen  der  ersteren  Art  sind  Coni- 
ple.xionen  von  Verknüpfungen  der  letzteren  Art.  Die  Glieder  einer 
Verknüpfung,  welche  von  Verkettungen  frei  ist,  heifsen  unmittel- 
bar verknüpft  oder  benachbart.  In  jeder  Verkettung  und  so 
in  jedem  Verkettungen  enthaltenden  Ganzen  mufs  es  unmittelbar 
verknüpfte  Glieder  geben,  nämlich  die  zu  Theilverknüpfungen  ge- 
hören, welche  nicht  mehr  Verkettungen  einsehliefsen.  Alle  übrigen 
Glieder  eines  solchen  Ganzen  heifsen  miteinander  mittelbar  ver- 
knüpft. Das  gemeinsame  Glied  einer  einfachen  Verkettung 
(t'^ß'^y  (einfach,  weil  sie  keine  Verkettung  zum  Theile  hat)  ist,  im 
Sinne  dieser  Bestimmungen,  mit  seineu  Nachbarn  unmittelbar,  diese 
selbst  miteinauder  mittelbar  verknüpft;  u.  s.  w.  Die  Rede  voneinander 
näheren  und  ferneren  Tbeilen  bezieht  sich  immer  auf  Verkettungen: 
Die  Begrilfe  Nachbar  (=  unmittelbar  angeknüpftes  Glied),  Nach- 


bar  von  einem  Nachbarn  u.s. f.  geben,  nach  einer  formal  leicht 
bestinmibareii  Ergänzung,  die  Abstufung  der  „Entfernung"  und 
sind  dann  nichts  Anderes  als  die  Ordinalzahlen:  Erstes,  Zwei- 
tes, u.  s.  w.  Die  Ergänzung  zielt  natürlich  darauf,  für  die  Ein- 
deutigkeit dieser  Begriffe  durcli  Fixirung  einer  „Fortselirittsrichtung" 
Sorge  zu  tragen;  z.  B.  durch  Heranziehung  der  wesentlichen  ün- 
gleichseitigkeit  einer  Klasse  von  Relationen,  woraus  Begriffs- 
bildungen erwachsen,  wie  rechter  Nachbar  von  A  (rechts  von  A 
der  Erste),  rechter  Nachbar  des  rechten  Nachliars  von  A  (rechts 
von  A  der  Zweite)  u.  s.  w.  —  Die  wesentlichen  Ziele  der  vor- 
liegenden Untersuchung  erfordern  es  nicht,  auf  diesen  an  sich 
nicht  unwichtigen  Punkt  näher  einzugehen. 

§  21.     Exacle  Bestimmung  der  prägnanten  Begriffe  Qanxes  und 
Theil,  sowie  iltrer  wesentlichen  Arten,  mittelst  des  Begriffes  der 

Fundirung. 

"Wir  haben  bisher  wie  in  unseren  Definitionen,  so  in  den 
dediicirten  Sätzen  und  in  den  Beschreibungen  immer  von  Ganzen 
gesprochen,  in  welchen  wir  die  jeweiligen  Inhalte  als  Theilo  auf- 
fafsten.  Man  kann  nun  aber  den  Begriff  dos  Ganzen  überall 
entbehren,  man  kann  ihm  das  einfache  Zusammenbestehen 
der  Inhalte,  die  als  Theile  bezeichnet  waren,  substituiren.  So 
könnte  man  z.  B.  definiren : 

Ein  Inhalt  der  Art  c  sei  in  einem  Inhalt  der  Art  ß  fundirt, 
wenn  ein  a  seiner  Natur  nach  (d.  i.  gesetzlich,  auf  Grund  seiner 
specifischen  Eigenart)  nicht  bestehen  kann,  ohne  dafs  auch  ein  ß 
besteht;  wobei  es  offen  bleibt,  ob  noch  das  Mitbestehen  gewisser  y, 
d  erforderlich  ist,  oder  nicht. 

Aehulich  bei  den  übrigen  Definitionen.  Fafst  man  alles  in 
dieser  Allgemeinheit,  dünn  könnte  man  den  prägnanten  Begriff 
des  Ganzen  in  beachtenswerther  Weise  mittelst  des  Begriffes 
der  Fundirung  definiron,  wie  folgt: 

Unter  einem  Ganzen  verstehen  wir  einen  Inbegriff  von  In- 
halten, welche  durch  eine  einheitliche  Fundirung,  und  zwar 
ohne   Succurs    weiterer   Inhalte  umspannt    werden.     Die   Inhalte 


I 


A 


eines  solchen  Inbegriffs  nennen  wir  Theile.  Die  Rede  von  der 
Einiieitlichkeit  der  Fundirung  soll  besagen,  dafs  jeder 
Inhalt  mitj  jedem,  sei  es  direct  oder  indirect  durch 
Fundirung  zusammenhängt.  Dies  kann  so  statthaben,  dafs 
alle  diese  Inhalte  oline  äiifseren  Succurs  unmittelbar  oder  mittel- 
bar ineinander  fundirt  sind;  oder  auch  so,  dafs;  umgekehrt  alle 
zusammen  einen  neuen  Inhalt,  und  zwar  wieder  ohne  äufseren 
Succurs  fundiren.  Im  letzteren  Falle  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  dieser  einheitliche  Inhalt  sich  aus  Theilinbalten  aufbaue,  die 
ihrerseits  in  Theilgruppen  des  vorausgesetzten  InhogrifFs  in  ähn- 
licher Weise  fundirt  sind,  wie  der  Oesammtinhalt  im  ganzen  In- 
begriff. Endlich  sind  auch  vermittelnde  Fälle  möglich,  wo  die 
Einheit  der  Fundirung  z.  B.  so  zu  Stande  kommt,  dafs  o  mit  ß 
einen  neuen  Inhalt  fundirt,  ß  dann  wieder  mit  y,  •/  mit  S  u.  s.  w., 
kurzum  in  der  Weise  der  Verkettung. 

Man  bemerkt  sogleich,  wie  durch  derartige  Unterschiede 
wesentliche  Scheidungen  der  Ganzen  bestimmt  sind.  In 
den  erst  bezeichneten  Fällen  „durchdringen"  sich  die  „Theile" 
{definirt  als  die  Glieder  des  fraglichen  Inbegriffs);  in  den  anderen 
Falten  sind  die  Theile  „aufser  einander",  bestimmen  aber,  sei 
es  alle  zusammen  oder  paarweise  sich  verkettend,  reale  Ver- 
knüpfungsformen.  Wo  man  von  Yerbindung,  Verknüpfung 
u.  dgl.  in  engerem  Sinne  spricht,  meint  man  Ganee  der  zweiten 
Art;  d.  h.  relativ  zueinander  selbständige  Inhalte  (in  welche  das 
Ganze  dann  als  in  seine  Stücke  zu  zerfiLllen  ist)  fundiren  neue 
Inhalte  als  sie  „verbindende  Formen".  Auch  die  Rede  von  Ganzen 
und  Theilen  überhaupt  pflegt  nur  nach  diesen  Fällen  oriontirt 
zu  sein. 

Dasselbe  Ganze  kann  hinsichtlich  gewisser  Theile  Durchdringung, 
hinsichtlich  anderer  Verbindung  sein:  so  das  erscheinende  Ding 
hinsichtlich  seiner  „Seiten",  und  dasselbe  hinsichtlich  seiner  Stücke. 


§  22.     Sinnliche  Einheitsfarmen  und  Oanxe. 

Ehe  wir  weitergehen,  ist  es  gut,  ausdrücklich  darauf  hinzu- 
weisen,  dals   nach  Mafsgabe  unserer  Definition  nicht  zu 


jedem  Ganzen  eine  eigene  Form,  im  Sinne  eines  beson- 
deren, alle  Theile  verbindenden  Einheitsmomentes  zu 
gehören  braucht.  Erwächst  beispielsweise  die  Einheit  durch 
Verkettung  derart,  dais  jedes  Paar  Nachbarglieder  einen  neuen 
Inhalt  fundirt,  so  ist  der  Forderung  unserer  Definition  Genüge 
geschehen,  ohne  dals  ein  eigenes,  tu  allen  Tbeilen  zusammen 
fundirtes  Moment,  eben  ein  Einheitsmoment,  vorbanden  wäre;  und 
dafe  ein  solches  jeweils  supponirt  werden  müsse,  wird  man  a  priori 
kaum  behaupten  können.  Nach  unserem  Begriff  vom  Ganzen  ist 
es  nicht  einmal  erfordert,  dufs  die  Theilo  auch  nur  gruppen- 
oder  paarweise  durch  eigene  Einheitsmomente  verknüpft  werden. 
Nur  wenn  das  Ganze  ein  ^physisches"  und  überhaupt  in  Stücke 
zerlegbares  ist,  sind  solche  Momente  selbstveretändlich  und  a  priori 
unerlüfslich. 

Noch  befremdlicher  dürfte  es  erscheinen,  wenn  ich  den  Ge- 
danken ausspreche,  dafs  vielleicht  alle  Ganze  mit  blofser 
Ausnahme  der  zerstückbaren  sinnlich-formlos  sind,  z.B. 
dafs  die  Einheit  von  Ausdehnung  und  Färbung,  von  Tonqualität 
und  Tonintensität,  von  Empfindung  und  gegenständlicher  Deu- 
tung U.S.W,  auf  blofsen  einseitigen  oder  wechselseitigen  Fundirungen 
beruht,  ohne  dals  überdies  noch  durch  ihr  Zusammensein  ein 
eigener  Forminhalt,  ein  eigenes  Einheitsmoment  fundirt  würde. 
Es  ist  jedenfalls  eine  augenfällige  Thatsaclie,  dafs  wo  immer  sich 
verknüpfende  Formen  als  sinnliche  Momente,  also  durch  äufsere 
oder  innere  Wahrnehmung,  wirklich  aufweisen  lassen,  das  Ver- 
knüpfte relativ  zueinander  selbständige  Theile  sind;  z.  B.  Töne 
in  der  Einheit  der  Melodie,  oder  stückweise  gesonderte  Färbimgen 
in  der  Einheit  der  Farbenconfiguration,  oder  Partialfiguren  in  der 
Einheit  der  coraplexen  Figur  u.  dgl.  Vergeblich  mühen  wir  uns 
dagegen  in  der  Einheit  der  visuellen  Erscheinung  neben  den  Form- 
inhalten, welche  den  Stücken  Einheit  geben,  auch  solche  vorzu- 
finden, welche  die  „Seiten",  z.  B.  Färbung  und  Ausdehnung,  an- 
einander knüpfen,  oder  innerhalb  der  ersteren  Favbenton  und 
Helligkeit,  innerhalb  der  letzteren  die  Form  und  die  Massigkeit 
(volumness}  u.  dgl.     Nun  sind  wir  selbstredend  davon  weit  ent- 


J 


Gedanken  zu  einer  Theorie  ihrer  reinen  Fumten. 


271 


fernt,  dem  Nicht- vorfinden  ohne  Weiteres  ein  Nicht-sein  iinter- 
schieben  zu  wollen,  Aber  von  grofser  Wichtiglieit  ist  es  jeden- 
falls, die  Möglichkeit  von  sinnlichen  Einheiten  ohne 
abstrahirbare  sinnliche  Form  zu  erwägen,  und  sie  wena 
angängig  klarzustellen. 

Es  mag  in  dieser  Hinsicht  zunächst  sonderbar  anmuthen, 
dafs  blofso  Nothvvendigkoiten  der  Coexistenz,  dals  Ergänzungs- 
forderungen,  welche  in  nichts  Weiterem  als  darin  bestehen,  dafs 
das  Sein  von  Inhiilten  gewisser  Arten  das  blofse  Zugleichsein  von 
Inhalten  gewisser  zugeordneten  Arten  bedinge,  dafs  so  beschafl'eno 
Porderungon,  sage  ich,  eiuheitgebend  fungiren  sollen.  Man  wird 
sofort  einwenden:  könnten  die  Inhalte  nicht  bei  all  dem  beliebig 
in  aller  Welt  verstreut  sein,  statt  uns,  wie  sie  es  wirklich  thun, 
in  anschaulicher   Einheit  vorzuschweben? 

Demgegenüber  würden  wir  darauf  hinweisen,  daJs  wo  immer 
ein  ß  in  einem  ß  fundirt  ist,  kein  selbständiges  Sein,  also  auch 
kein  selbständiges  Bewuüstsein,  kein  selbständiges  abgeschlossenes 
Acterlebnis  möglich  ist,  welches  a  enthielte  und  nicht  ß.  Wie 
enge  wir  die  Grenzen  eines  psychischen  Für-sich-sein  P  auch 
ziehen,  realisirt  es  a,  so  muis  es  zugleich  ß  realisiren.  Sein  Für- 
sich-sein,  seine  Selbständigkeit,  besteht  ja  darin,  dafs  es  bliebe, 
was  es  ist,  auch  wenn  alles  Reale  sonst  zu  Nichte  würde.  Aboi 
mit  dem  ß  wäre  auch  «  zu  Nichte,  somit  F  verändert. 

Zugestanden,  wird  man  von  der  Oegeuseito  antworten.  Aber 
damit  ist  noch  keine  reale  Einheit,  im  psychischen  Gebiet  nicht 
die  Einheit  der  Anschauung  gegeben.  Im  letzteren  Falle  könnten 
die  beiden  Inhalte  zwar  nothwendig  im  selben  Bewufstscin  und 
doch  gänzlich  gesondert  nebeneinander  liegen. 

Unsere  Antwort  ist  klar.  Die  Rede  von  der  Sonderuug,  gleich- 
giltig  ob  es  eine  Sonderung  ist,  die  durch  verschiedene  Bowofst- 
seine  hergestellt  wird,  oder  ob  eine  Sonderung  innerhalb  desselben 
BevFulJstseins,  implicirt  den  Gedanken  der  relativen  Selbständig- 
keit der  gesonderten  Inhalte;  und  eben  diese  haben  wir  ausge- 
schlossen. Das  Bild  vom  Nebeneinander  giebt  für  uns  Zeugnis; 
es  setzt  offenbar  relativ  selbständige  Inhalte  voraus,  die  auch  nur 


darum,  weil  sie  es  sind,  diese  sinnliche  Form  des  Nebeneinander 
zu  fiindiren  vormögen.  Was  dieses  unpassende  Bild  (unpassend 
schon  deshalb,  weil  es  die  sinnliche  Formlosigkeit  durch  einen 
Fall  siunlicher  Form  illustriren  will)  so  sehr  empfiehlt,  ist  die 
Gleichgiltigkeit  der  im  blofsen  räumlichen  Zusammen  gegebenen 
Inhalte  gegeneinander.  Man  schiebt  damit  den  Gedanken  unter: 
wo  nicht  einmal  eine  so  lose,  sondern  überhaupt  keine  Form 
einigt,  da  hätten  die  Inhalte  erst  recht  nichts  miteinander  zu  thun: 
sie  kämen  also  nie  und  nimmer  zusammen,  sie  blieben  ewig  ver- 
einzelt. Und  ist  es  nicht  ein  Widersinn,  Inhalte  verbinden  zu 
wollen  ohne  ein  Band?  —  Natürlich  ist  dies  alles  durchaus  richtig 
für  die  Inhalte,  welche  das  Bild  voraussetzt.  Diejenigen  aber, 
von  welchen  wir  sprechen,  haben  sehr  viel  miteinander  zu  thun, 
sie  sind  ja  ineinander  fundjrt,  und  eben  darum  brauchen  sie  keine 
Ketten  und  Bänder,  um  aneinander  gekettet  oder  geknüpft,  zu- 
einander gebracht  zu  werden  u.  s.  w.  Ja  alle  diese  Ausdrücke 
haben  für  sie  eigentlich  gar  keinen  Sinn.  Wo  es  keinen  Sinn 
giebt,  von  Trennung  zu  sprechen,  da  ist  auch  das  Problem,  wie 
wo)  die  Tiennung  überwunden  werden  solle,  ein  unsinniges. 

Selbstvei-ständlich  überträgt  sich  diese  Auffassung  von  dem 
Gebiet  der  phänomenalen  Gegenstände  (speciell  der  phänomeno- 
logischen Inhalte),  die  wir  bisher  im  Auge  Imtten,  auf  das  Gebiet 
der  Gegenstäiule  überhaupt.  Alles  wahrhaft  Einigende,  so 
würden  wir  geradezu  sagen,  sind  die  Verhältnisse  der  Fun- 
dirung.  Folglich  kommt  auch  die  Einheit  selbständiger  Gegen- 
stände nur  durch  Fuudirung  zu  Stande.  Da  sie.  als  selbständige, 
nicht  ineinander  fundirt  sind,  so  bleibt  nur  übrig,  dafs  sie  selbst, 
und  zwar  zusammen,  neue  Inhalte  futidiren,  welche  nun  um  eben 
dieser  Sachlage  willen  hinsichtlich  der  fundirenden  „Glieder"  ein- 
heJtgebende  Inhalte  heifsen.  Einheit  haben  jedoch  —  und  eine  un- 
gleich innigere,  weil  weniger  vermittelte  —  auch  die  Inhalte,  die 
ineinander  (sei  es  wechselseitig  oder  einseitig)  fundirt  sind.  Die 
„Innigkeit"  liegt  gerade  daran,  dals  ihre  Einheit  nicht  erst  durch 
einen  neuen  Inhalt  hergestellt  wird,  der  ja  seinerseits  Einheit  nur 
dadurch  „herstellt",   dafs  er  in  den   vielen,  an  sich   gesonderten 


t 


I 


I 


Gliedern  zusamtnen  fimdirt  ist.  Nennt  man  solch  einen  Inhalt 
„Einheit",  dann  ist  Einheit  freilich  ein  „reales  Priidicat"',  ein 
„positiver",  „realer",  „sinnlicher"  Inhalt;  und  dann  haben,  in 
diesem  Sinne,  andere  Ganze  keine  Blinheit;  und  dann  können 
wir  nicht  einmal  mehr  sagen,  das  sinnliche  Einheitsmoment  sei 
mit  jedem  der  geeinigten  Gh'eder  Eins.  Wollen  wir  aber  eine  so 
verkehrte  und  practisch  zur  Aerjuivocation  zwingende  Terminologie 
nicht  annehmen,  so  werden  wir  eben  von  Einheiten  und  Ganzen 
soweit  sprechen  müssen,  als  eine  einheitliche  Fundirung  reicht. 
Ton  jedem  in  dieser  Art  geeinigten  InhaltsinbegritT  werden  wir 
dann  sagen  düifen,  er  habe  Einheit,  obschon  das  ihm  so  zuge- 
schriebene Priidicat  kein  „reales"  ist,  wie  wenn  im  Ganzen  irgend- 
wo ein  Bestandstück  „Einheit"  herausgehoben  werden  könnte. 
Einheit  ist  eben  ein  kategoriales  Prädicat. 

Man  wird  auch  den  nicht  geringen  theoretischen  Vortheil  in 
Anschlag  bringen  müssen,  den  unsere  Auffassung,  durch  Be- 
seitigung einer  von  altersher  bekannton  und  drückend  empfundenen 
Schwierigkeit  in  der  Lehre  von  den  Ganzen,  verspricht.  Es  handelt 
sich  um  die  unendliche  Verwicklung  der  Theil Verhältnisse,  die 
eine  unendliche  Verwicklung  von  Einheitsmomenten,  und  zwar 
in  jedem  Ganzen  zu  fordern  scheint  Die  Ansicht,  gegen  die 
sich  unsere  Bedenken  richten,  geht  von  der  vermeintlichen  Selbst- 
verständlichkeit aus,  dafs  wo  immer  zwei  Inhalte  ein  reales  Ganzes 
bilden,  ein  eigener  Theil  (das  Einheitsmoment)  da  sein  müsse,  der 
sie  aneinander  knüpfe.  Gehört  nun  zu  «  und  b  das  Einheits- 
moment e,  so  gehört  zu  «  und  e  —  denn  auch  diese  beiden  sind 
ja  Eins  —  ein  neues  Moment  Ci;  zu  b  und  s  wieder  ein  neues,  e,; 
zu  e  und  f,,  ebenso  zu  e  und  c,  die  neuen  Momente  £,'  und  Cj'; 
und  so  2«  hif.  Macht  man  nun  auch  nicht  den  Unterschied 
zwischen  Verknüpfung  und  Beziehung,  zwischen  Unterschieden 
„sinnlicher  Materie"  und  „kategorialer  Form",  deutet  man  viel- 
mehr die  unbegrenzte  Mannigfaltigkeit  a  priori  möglicher,  sich 
nach  einer  idealen  Gesetzmäfsigkoit  ins  Unendliche  complicirendea 
Auffassungsunterschiedo  in  die  Gegenstände,  als  reale  Momente, 
hinein:  so  ergeben  sich  jene  ebenso  subtilen,  wie  absonderlichen 

Uuiserl,  Log.  Coten.  II.  lg 


Analysen,  die  uns  Twardowski  in  seiner  „psychologischen"  Unter- 
suchung dargeboten  hat.' 

Unsere  Auffassung  erspart  diese,  in  immer  neue  Reihen  sich 
spaltenden  unendlichen  Regresse  von  Theilen.  Real  (in  einer 
möglichen  Sinnlichkeit  percipirbar)  existirt  nichts  weiter,  als  der 
Inbegriff  der  Stücke  des  Ganzen,  sowie  die  sinnlichen  Einheits- 
formen, welche  im  Zusammen  der  Stücke  gründen.  Was  aber  den 
Momenten  innerhalb  der  Stücke,  sowie  den  Eiuheitsmonienten 
mit  den  Stücken  Einheit  giebt,  sind  die  Fundirungen  im  Sinne 
iinserer  Definition. 

Was  schliefslich  den  Begriff  des  Einhoitsmomentes  an- 
belangt, den  wir  also  noch  von  dem  der  „Form",  die  einem 
Ganzen  Einheit  giebt,  unterscheiden,  so  haben  wir  ihn 
oben  im  Vorbeigehen  schon  definirt  Ausdrücklich  gefafst,  verstehen 
wir  darunter  einen  Inhalt,  der  durch  eine  Mehrheit  von 
Inhalten  fundirt  ist,  und  zwar  so,  dafs  er  nur  durch  alle 
zusammen  und  nicht  blois  durch  einzelne  unter  ihnen  fundirt  ist. 
(Selbstverständlich  setzen  wir  dabei  unseren  Fundirnugsbegriff 
voraus).  Beschränken  wir  uns  auf  die  phänomenale  Sphäre,  so 
kann  dieser  Inhalt,  je  nach  der  Natur  seiner  Fundamente,  ebenso- 
wol  ein  Inhalt  der  äufseren  als  der  inneren  Sinnlichkeit  sein. 

Anmerkung.  Die  Einheitsmoraeute  ordnen  sich,  wie  alle  anderen 
abstracten  Inhalte,  in  echte  (Aristotelische)  Gattungen  imd  Arten. - 
So  differeuziirt  sich  die  Gattung  räumlicho  Figur  ziu"  Art  Dreieck, 
nzid  diese  wieder  zur  niederen  Art  bestimmtes  Dreieck,  letzteres  in 
dem  Sinne,  wie  es  „dasselbe"  ist  bei  jeder  Vei-schiebung  imd  Drehung. 
Die  letztmögliche  Differenziirung  liefert  das  Herabsteigen  zu  dem  auch 
seiner  absoluten  Lage  nach  bestimmten  Dreieck,  das  ja  immer  noch 
ein  Abstractes  und,  in  Beziehung  auf  alle  übergeordneten  Arten,  ein 
relatives  Concrotum  ist.  Man  niaclit  sich  an  solchen  Beispielen  auch 
klar,  dafs  die  Gattung  der  Einheitsraomonte  durch  die  Gattung  der 
sie  fundirenden  Inhalte,   und  dafs  ebenso  die  niedereta  Differenz  der 


ersteren  durch  dio  der  letzteren  eindeutig  bestimmt  ist.  Man  bemerkt 
ferner,  dafs  bei  den  Einheitsmomenten  zu  unterscheiden  sind  Momente 
oder  Formen  erster,  zweiter,  dritter  .  .  .  Stufe,  Jenachdem  die  Form 
unmittelbar  in  absoluten  Inhalten  fundirt,  oder  bereits  in  solchen 
Formen  erster  Stufe  fundirt  ist,  oder  weiter  in  Formen,  dio  selbst 
wieder  in  Formen  erster  Stufo  fundirt  sind,  und  so  fort.  Man  sieht 
femer,  dafs  die  Forminlialte  höherer  Stufe  mit  der  ganzen  absteigen- 
den Reihe  der  Formen  niederer  Stufen  nothwendig  zu  einem  Ganzen 
verwoben  sind  und  somit  in  dieser  Verwobung  allzeit  complexe 
Formen  relativ  zu  den  letztfundircnden  absoluten  Elementen 
darstellen.  In  der  Sphäre  der  coraplexon  sinnlichen  Gestalten,  zumal 
der  visuellen  und  akustischen,  kann  man  dies  leicht  exemplificiren, 
während  die  allgemeine  Sachlage  a  priori  aus  den  Begriffen  einzu- 
sehen ist. 

§  23.  •   Katet/oriak  Einheitsfofmen  utui  Ganze. 

Im  Sinn  der  hier  versuchten  Bestimmung  des  Begriffs  vom 
Ganzen,  ist  ein  blofser  Inbegriff  von  irgendwelchen  Inhalten 
(ein  blofses  Zusaninicn-scin,  bezw.  -gemointsein)  kein  Ganzes  zu 
nennen,  so  wenig  als  eine  Gleichheit  {aJs  ein  von  derselben  Art  Sein) 
oder  Verschiedenheit  (von  verschiedener  Art  Sein,  bezw.  im  anderen 
Sinne:  nicht  identisch  Sein).i  „lubegi'iff"  ist  der  Ausdruck  für  eine 
„kategoriale"  oder  eine  „reine  Denkforni",  er  bezeichnet  eine  ge- 
wisse, auf  all  dio  jeweiligen  Objecte  bezogene  Einheit  der 
Meinung.  Die  Objecte  selbst  fundiren,  sofern  sie  nur  gedanklich 
zusammengegriffen  werden,  weder  gruppenweise  noch  alle  zu- 
sammen, einen  neuen  Inhalt;  es  wächst  ihnen  durch  die  einheit- 
liche Intention  keine  sachliche  Verkniipfungsform  zu,  sie  sind 
vielleicht  „an  sich  unverbunden  und  beziehungslos".  Dies  zeigt 
sich  darin,  dafe  die  Inbegriffsform  gegen  ihre  Materie  völlig  gleich- 


'  Von  der  Gleiclilieit  als  kategorialor  Einheit  iat  wol  zu  unter- 
scheiden das  sinnliche  Gleichheitsmoment,  welch  letzteres  sich  zu  jener 
genau  so  verhält,  wie  sich  dio  siunlichen  Meugencliaraljtero,  die  uns  als  in- 
directe  Anzeichen  für  Vielheit  und  Nichtidentitiit  dienen,  zur  Vielheit,  bezw. 
NichtidcntitHt  selbst  verhalten.    Vgl.  die  Philosophie  der  Arithmetili  I,  S.  23.3. 

18* 


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jiaC-~~- 


Gedanken  zu  einer  Theorie  ihrer  reinen  Formen.  277 

der  fandirenden  und  fundirten  Inbaltsarten  bestimmt,  und  dieses 
inhaltlich  bestimmte  Gesetz  ist  es,  das  dem  Ganzen  seine  Einheit 
giebt  Daher  nennen  wir  diese  Einheit  mit  Becht  eine  materiale 
oder  auch  reale.  Andererseits  sagt  dies  aber  nicht,  sie  sei  eine 
Einheit  mit  sinnlich -abstrahirbarer  Form. 

§  24.     Die  reinen  Typen  von  Ganzen  und  Theilen.     Das  Postulat 
einer  apriorischen  Theorie. 

Nach  der  reinen  Form  der  Gesetze  bestimmen  sich  die 
reinen  Formen  von  Ganzen  und  Theilen.  Dabei  kommt  nur 
das  formal  Allgemeine  des  Fundirungsverhältnisses,  wie  es  in  der 
Definition  ausgeprägt  ist,  zur  Geltung,  sowie  auch  die  apriorischen 
Gomplexionen,  die  es  ermöglicht.  Wir  erheben  uns  bei  irgend- 
einer Art  von  Ganzen  zu  ihrer  reinen  Form,  ihrem  kategorialen 
Typus,  indem  wir  von  der  Besonderheit  der  betreffenden  Inhalts- 
arten „abstrahiren".  Deutlicher  zu  reden,  wir  setzen  an  die  Stelle 
der  sie  bezeichnenden  Namen  unbestimmte  Ausdrücke,  wie  eine 
gewisse  Inhaltsart,  eine  gemsse  andere  Inhaltsart  u.s.  w.;  und 
damit  zugleich  finden  auf  der  Bedeutungsseite  die  entsprechenden 
Substitutionen  rein  kategorialer  Gedanken  für  die  materialen  statt 

Formal,  in  diesem  Sinne  rein  kategorial  zu  vollziehender 
Charakteristiken,  sind  die  Unterschiede  zwischen  abstracten  Theilen 
und  Stücken,  wie  man  aus  unseren  obigen  Bestimmungen  ohne 
Weiteres  ersieht  Nur  müfsten  diese  Bestimmungen  gemäfs  un- 
serer jetzigen  Tendenz  auf  letzte  Formalisirung,  passend  inter- 
pretirt,  es  müfste  ihnen  der  reine  Begriff  des  Ganzen  im  Sinne 
unserer  letzten  Definition  zu  Grunde  gelegt  werden.  Auch  der 
Unterschied  zwischen  näheren  und  ferneren  Theilen,  den  wir  früher 
(im  §  19)  blofs  descriptiv,  nach  Beispielen,  klargemacht  haben,  läfst 
sich  jetzt  auf  die  blolse  Form  gewisser  Fundirungsverhältnisse 
reduciren  und  dadurch  formalisiren. 

In  unseren  Beispielen  sahen  wir  oben,  dafs  in  einer  Stufen- 
folge von  Zerstückungen  mancher  anschaulichen  Ganzen  immer 
wieder  Stücke  des  Ganzen  selbst  resultirten,  die  dem  Ganzen  alle 
gleich    nahestanden  und  ebensogut   als  Ergebnisse  einer  ersten 


gilti^  ist,  d.  h.  daTs  sie  bei  völlig  willkürlicher  Variation  der  befafetea 
Inhalte  fortbestehen  kann.  Ein  fundiiter  Inhalt  aber  hängt  aa 
der  besonderen  „Natur''  der  fiindirenden  Inhalte;  es  besteht  ein 
Gesetz,  das  die  Gattung  des  fundirteu  Inhalts  abhängig  macht  von 
den  bestimmt  bezeichneten  Gattungen  der  fitndirenden  Inhalte, 
üeberhaupt  ist  ein  Ganzes  in  vollem  und  eigentlichem  Sinne  ein 
durch  die  niedersten  Gattungen  der  „Theile"  bestimmter  Zusammen- 
hang. Zu  jeder  sachlichen  Einheit  gehört  ein  Gesetz.  Nach  den 
veisehiedenen  Gesetzen,  Fuit  anderen  Worten,  nach  den  ver- 
schiedenen Arten  von  Inhalten,  die  als  Theile  fungiren  sollen, 
bestimmen  sich  verschiedene  Arten  von  Ganzen.  Derselbe  Inhalt 
kann  also  nicht  nach  freier  Willkür  einmal  als  Theil  dieser,  das 
andere  Mal  als  Theil  jener  Art  von  Ganzen  fungiren.  Das  Theil- 
sein  und  näher,  das  Theil-dieser-bestimmten-Art-sein  (der  Art 
metaphysischer,  physischer,  logischer  Theil,  und  was  immer  noch 
unterschieden  werden  mag)  gründet  in  der  Gattungsbestimmtheit 
der  betreffenden  Inhalte  nach  Gesetzen,  die  in  gewissem  Sinne 
sogar  apriorische  sind.  Dies  ist  eine  fundamentale  Einsicht,  die 
durchaus  ihrer  Bedeutung  gemäfs  behandelt  und  daher  auch  einmal 
formulirt  werden  mufs.  Mit  ihr  ist  zugleich  das  Fundament  für 
eine  systematische  Theorie  der  Verhältnisse  von  Ganzen  und 
Thoilen  nach  ihren  reinen  Formen  gegeben,  nach  ihren  kategorial 
definirbaren  und  von  der  „sinnlichen"  Materie  der  Ganzen  abs- 
trahirenden  Typen. 

Ehe  wir  diesem  Gedanken  nachgehen,  müssen  wir  noch  ein 
Bedenken  fortschaffen.  Die  Inbegriffsform  ist  eine  rein  kategoriale, 
und  im  Gegensatz  zu  ihr  erschien  uns  die  Form  des  Ganzen,  der 
Fundirungseinheit,  als  eine  materiale.  Aber  hiefs  es  nicht  im 
vorigen  Paragi-aphen ,  Einheit  (und  es  war  gerade  von  der  Einheit 
aus  Fundirung  die  Rede)  sei  ein  kategoriales  Prädicat?  Hier  ist 
indessen  zu  beachten,  dafs  die  Form  des  Gesetzes  überhaupt 
eine  kategoriale  ist  {Gesetz  ist  nichts  Wahrnehmbares),  und  dafs 
insofern  also  auch  der  Begriff  des  Fundirungsganzeu  ein  kate- 
gorialer  Begriff  ist.  Aber  der  Inhalt  des  zu  jedem  solchen 
Ganzen  gehörendeu  Gesetzes  ist  durch  die  materiale  Besonderheit 


der  fundirenden  und  fimdirteo  Inhaltsarten  bestimmt,  und  dieses 
inhaltlich  bestimmte  Gesetz  ist  es,  das  dem  Ganzen  seine  Einheit 
giebL  Daher  nennen  wir  diese  Einheit  mit  Recht  eine  materialo 
oder  auch  reale.  Andererseits  sagt  dies  aber  nicht,  sie  sei  eine 
Einheit  mit  sinnlich -abstrahirbarer  Form. 


§  24.     Die  reinen  Typen  von  Ganzen  und  Titeilen.     Das  Postulat 
einer  apriorischen  Theorie. 

Nach  der  reinen  Form  der  Gesetze  bestimmen  sich  die 
reinen  Formen  von  Ganzen  und  Theilen.  Dabei  kommt  nur 
das  formal  Allgemeine  des  Fiindirungsrerhältnisses,  wie  es  in  der 
Definition  ausgeprägt  ist,  zur  Geltung,  sowie  auch  die  apriorischen 
Complexionen,  die  es  ermöglicht.  "Wir  erheben  uns  bei  irgend- 
einer Art  von  Ganzen  zu  ihrer  reinen  Form,  ihrem  kategorialen 
Typus,  indem  wir  von  der  Besonderheit  der  betreffenden  Inhalts- 
arten  „abstrahiren".  Deutlicher  zu  reden,  wir  setzen  an  die  Stelle 
der  sie  bezeichnenden  Namen  unbestimmte  Ausdrücke,  wie  eine 
gewisse  Inhaltsnri,  eine  gcicisse  andere  InhaUsart  u. s.  w.;  und 
damit  zugleich  linden  auf  der  Hedeulungsseite  die  entsprechenden 
Substitutionen  rein  kategorialer  Gedanken  für  die  materialen  statt. 

Formal,  in  diesem  Sinne  rein  kategorial  zu  vollziehender 
Charakteristiken,  sind  die  Unterschiede  zwischen  abstracten  Theilen 
und  Stücken,  wie  man  aus  unseren  obigen  Bestimmungen  ohne 
Weiteres  eraieht  Nur  müfsten  diese  Bestimmungen  gemäfs  un- 
serer jetzigen  Tendenz  auf  letzte  Formalisirung,  passend  inter- 
pretirt,  es  nüifste  ihnen  der  reine  Begriff  des  Ganzen  im  Sinne 
unserer  letzten  Definition  zu  Grunde  gelegt  werden.  Auch  der 
Unterschied  zwischen  nithoren  und  ferneren  Theilen,  den  wir  früher 
(im  §  19)  blofs  deseriptiv,  nacli  Beispielen,  klargemacht  haben,  läfst 
sich  jetzt  auf  die  blofse  Form  gewisser  Fundirungsverhältnisse 
reduciren  und  dadurch  formalisiren. 

In  unseren  Beispielen  sahen  wir  oben,  dafs  in  einer  Stufen- 
folge von  Zorstückungon  mancher  anschaulichen  Ganzen  immer 
wieder  Stücke  des  Ganzen  selbst  resultirten,  die  dem  Ganzen  alle 
gleich    nahestanden   und   ebensogut   als   Ergebnisse   einer   ersten 


giltig  ist,  d.  h.  dafs  sie  bei  völlig  willkürlicher  Variation  der  befafeten 
Inhalte  fortbestehen  kann.  Ein  fiuidirter  Inhalt  aber  hängt  an 
der  besonderen  „Natur"  der  fundirenden  Inhalte;  es  besteht  ein 
Gesetz,  das  die  Gattung  des  fundirten  Inhalts  abhängig  macht  von 
den  bestimmt  bezeichneten  Gattungen  der  fundirenden  Inhalte, 
üeberhaupt  ist  ein  Ganzes  in  vollem  und  eigentlichem  Sinne  ein 
durch  die  niedersten  Gattungen  der  „Theile"  bestimmter  Zusammen- 
hang. Zu  jeder  sachlichen  Einheit  gehört  ein  Gesetz.  Nach  den 
veischiedenen  Gesetzen,  mit  anderen  Worten,  nach  den  ver- 
schiedenen Arten  von  Inhalten,  die  als  Theile  fungiren  sollen, 
bestimmen  sich  verschiedene  Arten  von  Ganzen.  Derselbe  Inhalt 
kann  also  nicht  nach  freier  Willkür  einmal  als  Theil  dieser,  das 
andere  Mal  als  Thcil  jener  Art  von  Ganzen  fungiren.  Das  Theil- 
sein  und  näher,  das  Theil-dieser- bestimmten- Art-sein  (der  Art 
metaphysischer,  physischer,  logischer  Theil,  und  was  immer  noch 
unterschieden  werden  mag)  gründet  in  der  Gattungsbestim nitheit 
der  betreffenden  Inhalte  nach  Gesetzen,  die  in  gewissem  Sinne 
sogar  apriorische  sind.  Dies  ist  eine  fundamentale  Einsicht,  die 
durchaus  ihrer  Bedeutung  gemäfs  behandelt  und  daher  auch  einmal 
formulirt  werden  mufs.  Mit  ihr  ist  zugleich  das  Fundament  für 
eine  systematische  Theorie  der  Verhältnisse  von  Ganzen  und 
Theilen  nach  ihren  reinen  Formen  gegeben,  nach  ihren  kategorial 
definirbwren  und  von  der  „sinnlichen"  Materie  der  Ganzen  abs- 
traliirenden  Typen. 

Ehe  wir  diesem  Gedanken  nachgehen,  müssen  wir  noch  ein 
Bedenken  fortschaffen.  Die  Inbegriffsform  ist  eine  rein  kategoriale, 
und  im  Gegensatz!  zu  iiir  erschien  uns  die  Form  des  Ganzen,  der 
Fundirungseinheit,  als  eine  niateriale.  Aber  hiefs  es  nicht  im 
vorigen  Paragraphen,  Einheit  (und  es  war  gerade  von  der  Einheit 
aus  Fundirung  die  Rede)  sei  ein  kategoriales  Prädicat?  Hier  ist 
indessen  zu  beachten,  dafs  die  Form  des  Gesetzes  überhaupt 
eine  kategoriale  ist  (Gesetz  ist  nichts  Wahrnehmbares),  und  dafs 
insofern  also  auch  der  Begriff  des  Fundirungsganzen  ein  kato- 
gorialer  Begriff  ist.  Aber  der  Inhalt  des  zu  jedem  solchen 
Ganzen  gehörenden  Gesetzes  ist  durch  die  materiale  Besonderheit 


der  fundirenden  und  fundirteu  Inhaltsarten  bestimmt,  und  dieses 
infialtlich  bestimmte  Gesetz  ist  es,  das  dem  Ganzen  seine  Einlieit 
giebt.  Daher  nennen  wir  diese  Einheit  mit  Recht  eine  materiale 
oder  auch  reale.  Andererseits  sagt  dies  aber  nicht,  sie  sei  eine 
Einheit  mit  sinnüch-abstrabirbarer  Form. 

§  24.     Die  reinen  Typen  von  Ganzen  und  Tlieilen.     Das  Postulat 
einer  apriorischen  Tlieorie. 

Nach  der  reinen  Form  der  Gesetze  bestimmen  sich  die 
reinen  Formen  von  Ganzen  und  Tlieilen.  Dabei  kommt  nur 
das  formal  Allgemeine  des  Fimdirungsverhältnisses,  wie  es  in  der 
Definition  ausgeprägt  ist,  zur  Geltung,  sowie  auch  die  apriorischen 
Complexionen,  die  es  ermöglicht.  "Wir  erheben  uns  bei  irgend- 
einer Art  von  Ganzen  zu  ihrer  reinen  Form,  ihrem  "kategorialen 
Typus,  indem  wir  von  der  Besonderheit  der  betreffenden  Inhalts- 
arten „abstrahiren".  Deutlicher  zu  reden,  wir  setzen  an  die  Stelle 
der  sie  bezeichnenden  Namen  unbestimmte  Ausdrücke,  wie  eine 
gewisse  Inhaltsart,  eine  gewisse  andere  hihaUsart  u.s.  w.;  luid 
ilamit  zugleich  finden  auf  der  Bedeutungsseite  die  entsprechenden 
Substitutionen  rein  kategorialer  Gedanken  für  die  niaterialen  statt. 

Formal,  in  diesem  Sinne  rein  kategorial  zu  vollziehender 
Charakteristiken,  sind  die  Unterschiede  zwischen  abstracten  Theilen 
und  Stücken,  wie  man  aus  unseren  obigen  Bestimmungen  ohne 
Weiteres  ersieht  Nur  müfsten  diese  Bestimmungen  geuiäfs  un- 
serer jetzigen  Tendenz  auf  letzte  Fornialisirung,  passend  inter- 
pretirt,  es  müfste  ihnen  der  reine  Begriff  des  Ganzen  im  Sinne 
unserer  letzten  Definition  zu  Grunde  gelegt  werden.  Auch  der 
Unterschied  zwi.schen  näheren  und  ferneren  Theilen,  den  wir  früher 
{im  §  19)  blofs  descriptiv,  nach  Beispielen,  klargemacht  haben,  läfst 
sich  jetzt  auf  die  blofse  Form  gewisser  Fundirungsverhältnisse 
reduciren  und  dadurch  formalisiren. 

In  unseren  Beispielen  sahen  wir  oben,  dafs  in  einer  Stufen- 
folge von  Zerstückungen  mancher  anschaulichen  Ganzen  immer 
wieder  Stücke  des  Ganzen  selbst  resultirten,  die  dem  Ganzen  alle 
gleich    nahestanden    und    ebensogut   als   Ergebnisse   einer   ersten 


I 


Zei-stückung  gelten  konnten.  Die  Folge  der  Zerstückungen  war 
in  diesen  Beispielen  etwas  blofs  Subjectives,  in  der  Sache  gab  es 
keine  natürliche  Ordnung.  Was  hierbei  in  Frage  kommt,  ist 
erstens  der  Satz,  dafs  Stücke  von  Stücken  des  Ganzen  wieder 
Stücke  des  Ganzen  sind  —  ein  Satz,  den  wir  oben '  nur  mit 
anderen  Worten  rein  formal  erwiesen  haben.  Zweitens  handelt 
es  sich  dabei  um  Stücke,  für  welche  die  Folge  der  Abstückungen 
bedeutungslos  war,  da  ihr  keine  Stufenfolge  in  der  Fundirung 
entsprach.  Alle  Stücke  standen  zum  Ganzen  immerfort  in  dem- 
selben Fundirungsverhiiltnis.  So  fehlte  joder  Unterschied  in  der 
Form  der  Beziehung  zum  Ganzen,  alle  Theile  waren  „in  gleicher 
Weise  im  Ganzen  enthalten''.  Ganz  anders  läge  die  Sache  schon, 
wenn  wir  ästhetische  Einheiten  zerstückten,  z.  B.  eine  Sternfigur, 
die  sich  wieder  aus  Sternfiguren  aufbaut,  welch  letztere  dann 
aus  Strecken  und  schliefslicli  aus  Punkten  componirt  sind.  Die 
Punkte  fundircn  Strecken,  die  Strecken  fiindiren,  als  neue  ästhe- 
tische Einheiten,  die  einzelnen  Sterne,  und  diese  wieder  fundiren, 
als  die  im  gegebenen  Falle  höchste  Einheit,  das  Sterngebildo.  Die 
Punkte,  Strecken,  Sterne  und  endlich  das  Sterngcbiide  sind  ein- 
ander jetzt  nicht  coordinirt,  sowie  etwa  die  Theilstrecken  einer 
Strecke;  zu  ihnen  gehört  eine  feste  Stufenfolge  der  Fuudirungen, 
in  welcher  das  Fundirte  der  einen  Stufe  zum  Fundirenden  der 
nächsthöheren  wird,  und  zwar  so,  dafs  auf  jeder  Stufe  neuartige 
und  nur  auf  dieser  Stufe  erreichbare  Formen  bestimmt  werden. 
Wir  können  hier  den  allgemeinen  Satz  auschhofsen: 

Stücke  sind  wesentlich  mittelbare  oder  fernere 
Theile  dos  Ganzen,  dessen  Stücke  sie  sind,  wenn  sie  mit 
anderen  Stücken  durch  verbindende  Formen  zu  Ganzen 
geeinigt  sind,  die  selbst  wieder  durch  neuartige  Formen 
Ganze  höherer  Ordnung  constituiren. 

Der  Unterschied  der  relativ  zum  Ganzen  näheren  und  ferneren 
Theile  hat  hier  also  seinen  wesentlichen  Grund  in  der  formell 
ausdrückbaron  Verschiedenheit  der  Fundirungsverhältnisse. 


'  S.  255,  Satz  3. 


Aehnliches  zeigt  sich  im  Kreise  der  unselbstäinligen  Momente, 
wenn  wir  nämlich  den  wesentlichen  formalen  Unterschied  in 
Eechnung  ziehen  zwischen  solchen  Momenten,  die  nur  im  vollen 
Ganzen  ihre  Ergänzungsbedürftigkeit  stillen  können,  und  solchen, 
die  es  schon  in  Stücken  des  Ganzen  können.  Wieder  ergiebt 
dies  in  der  Weise  der  Zusammengehörigkeit,  in  der  Form  der 
Fundirung  einen  Unterschied:  ihm  gemäfs  gehören  die  einen 
Tlieile,  wie  z.  B.  die  Gesammtausdehnung  des  angeschauten  Dinges, 
ausschliefsHch  zum  Dinge  als  Ganzen,  die  anderen  Theile,  wie 
z.  B.  die  Ausdehnung  eines  Stückes,  speciell  zu  diesem  Stücke 
und  erst  entfernter  zum  Ganzen.  Diese  Mittelbarkeit  ist  nicht 
mehr  eine  au fser wesentliche,  wie  die  der  Stücke  zweiter  Stufe  in 
dfr  Theihing  einer  Strecke,  sondern  eine  wesentliche,  durch  die 
formale  Natur  des  Verhältnisses  zu  charakterisirende.  Wieder 
stehen,  und  aus  ersichtlich  ähnlichen  Gründen,  Stücke  von 
unselbständigen  und  dem  Ganzen  zunächststehenden 
Momenten  dem  Ganzen  ferner  als  eben  diese  Momente; 
so  zum  Mindesten  falls  der  Satz  zutrifft,  den  wir  im  Gebiet  der 
Anschauung  geltend  finden,  dafs  solche  Stücke  unmittelbar  nur  in 
einem  Stücke  des  Ganzen  fundirt  sein  können.  Auch  der  weitere 
Satz  läfst  sicli  formal  ausprägen:  dafs  abstracte  Theile  von 
abstracten  Theilen  dem  Ganzen  ferner  stehen  als  diese 
selbst.  Formiil  können  wir  überhaupt  sagen :  Abstracte  Theile 
sind  dem  Ganzen  fernere,  sind  wesentlich  mittelbare 
Theile,  wenn  ihre  Ergänzungsbedürftigkeit  in  der  Sphäre 
eines  blofsen  Thcils  gestillt  wird.  Dieser  Theil  kann  dann 
entweder  selbst  schon  ein  Stück  des  Ganzen,  oder  noch  weiterer 
Ergänzung  bedürftig  sein.  Die  Mittelbarkeit  liegt  im  letzteren 
Falle  darin,  dafs  das  Ergänzungsgesetz,  in  dem  die  Form  der 
Fundirung  liegt,  bei  dem  ursprünglich  betrachteten  abstracten 
Theil  auf  ein  Ganzes  hinweist,  das  vermöge  eines  neuen  Ergänzungs- 
gesetzes Theil  eines  umfassenderen  Ganzen  ist  und  sein  muüs: 
eben  des  vollen  Ganzen,  das  somit  den  ersteren  Theil  nur  mittel- 
bar enthält  Demnach  können  wir  auch  sagen:  Abstracte  Theile 
des   Ganzen,    die   nicht    abstracto   Theile    seiner   Stücke 


sind,  stehen  dem  Ganzen  näher,  als  die  abstracten  Tbeile 
der  Stücke. 

Diese  Gedanken  wollen  und  können  nur  als  blofse  An- 
deutungen zu  einer  künftigen  Behandlung  der  Ijehre  von  den 
Ganzen  und  Theilen  gelten.  Eine  wirkliche  Durchführung  der 
reinen  Theorie,  die  wir  hier  im  Auge  haben,  müfsto  alle  Begriffe 
mit  mathematischer  Exactheit  definiren  und  die  Lehrsätze  durch 
argumenta  m  fonua,  d.  i.  mathematisch  deduciren.  So  -würde 
eine  gesetzmäfsige  vollständige  Uebersicht  über  die  a  priori  müg- 
lichen  Complicationen  in  den  Formen  der  Ganzen  und  Theile, 
und  eine  exacte  Erkenntnis  der  in  dieser  Sphäre  möglichen  Ver 
hältnisse  erwachsen.  Dafs  das  Ziel  ein  greifbares  ist,  haben  die 
kleinen  Ansätze  rein  formaler  Behandlung  in  diesem  Kapitel  er- 
wiesen. Jedenfalls  ist  der  Fortschritt  von  den  vagen  zu  den 
mathenintisch  exacten  Begriffsbildungen  und  Theorien  hier  wie 
überall  die  Vorbedingung  voller  Einsicht  und  die  unabweisbare 
Forderung  der  Wissenschaft. 


§  25.     Zusätze  über  die  Zersiikktmg  von  Ganxen  durch  die 
Zerstückwig  ihrer  Momente. 

Eine    vielleicht    nicht    uninteressante    Bemerkung    sei    zum^ 
Schlufs  angereiht 

Dafs  Stücke,  relativ  zu  dem  Ganzen  betrachtet,  dessen  Stücke 
sie  sind,  nicht  ineinander  fundirt  sein  können,  weder  ein- 
seitig noch  wechselseitig,  weder  als  Ganze  noch  ihren  Theilen 
nach,  ist  ein  analytischer  Satz.  A  priori  steht  aber  nichts  im 
Wege,  dals  sie  in  Rücksicht  auf  ein  umfassenderes  Ganzes,  in 
dem  sie  alle  nur  die  Geltung  unselbständiger  Momente  haben, 
ein  Fundirungsveihältnis  begründen.  Wir  finden  allerdings  kein 
Beispiel  in  dem  GeUiete  reiner  Anschauung  und  Evidenz,  und 
damit  hängen  in  eben  diesem  Gebiete  merkwürdige  Theilverhält- 
nisse  zusammen.  Wir  können  nämlich  den  phänomenologischen 
Satz  aussprechen:  Jedem  Stücke  in  einem  relativen  Abs- 
tractum  entspricht  ein  Stück  in  jedem  seiner  relativen 


I 


Concreta  und  zwar  so,  dafs  die  sich  ausschliefsenden 
Stücke  des  ersteren,  sich  ausschliefsende  Stücke  in 
jedem  der  letzteren  begründen.  Mit  anderen  Worten:  die 
Zerstückung  eines  unselbständigen  Moments  bedingt  eine  Zer- 
stückung des  concreten  Ganzen,  indem  die  sich  ausscliüefsenden 
Stücke,  ohne  selbst  in  ein  Fundirungsverhältnis  zueinander  zu 
treten,  neue  Momente  an  sich  ziehen,  durch  die  sie  nun  einzeln 
zu  Stücken  des  Ganzen  supplirt  werden. 

Einige  Beispiele  zur  Erläuterung.  Die  Zerstüekung  der 
räumlichen  Ausbreitung  eines  visuellen,  unverändert  dauernden, 
aber  in  Abstraction  von  dem  zeitlichen  Moment  betrachteten 
Inhalts  bestimmt  auch  eine  Zerstückung  dieses  Inhalts  selbst  Die 
gesonderten  räumlichen  Stücke  fundiren  voneinander  unabhängige 
Ergänzungsmomente:  Die  Färbung  eines  Stückes  wird  niclit  etwa 
fundirt  durch  die  Färbung  irgendeines  anderen;  und  insofern 
kann  man  auch  sagen,  dafs  diese  ergänzenden  Momente  durch 
die  Zerstückung  des  sie  fundirenden  Räumlichen  selbst  iierstückt 
werden,  oder  dafs  sie  sich  auf  die  Stücke  des  Räumlichen  stück- 
weise atit'tiieilen.  Die  Färbungen  der  Stücke  stehen  in  den- 
selben Theilungsverliältnissen  (Exclusion,  Inclusiou,  Kreuzung) 
wie  die  Stücke  selbst.  Diese  eigenthümliche  Sachlage,  dafs  hier 
die  Zerstückung  eines  Momentes  zugleich  eine  Zerstückung  des 
Ganzen  mit  sich  führt,  beruht  offenbar  darauf,  dafs  die  Stücke 
des  Moments  einander  auch  in  dem  umfassenderen  Ganzen 
nicht  fundiren,  sondern  jeweils  neuer  Momente  zu  ibrer  Fun- 
dirung  benolbigen;  zugleich  jeduch  auch  darauf,  dafs  diese  neuen 
Momente  selbst  wieder  nur  in  jenen  Stücken  ihre  nötliige  Fun- 
dirung  finden,  nicht  aber  wocliselsoltig  ineinander. 

Ebenso  verhält  es  sieh  bei  zeitlichen  Ganzen  der  An- 
schauung: Zerstücken  wir  die  Dauer  eines  concreten  Verlaufs, 
so  haben  wir  ihn  selbst  zerstückt:  den  Abschnitten  der  Zeit  ent- 
sprechen Abschnitte  der  Bewegiuig  (wobei  wir  diesen  Terminus 
im  weitesten  Aristotelischen  Sinne  verstehen  dürfen).  Dasselbe 
gilt  im  Falle  der  Ruhe;  auch  sie  hat  ihre  Abschnitte,  die  als 
Stücke  im  Sinne  unserer  Bestimmung  gelten  müssen,  da  die  Ruhe 


wiilireiid  einer  Theildauer  und  diejenige  während  irgendeiner 
anderen  Theildauer  in  keiner  Hinsicht  in  evidentem  Fundiriings- 
verhältais  stehen. 

Ganz  anders,  wenn  wir,  statt  uns  auf  die  anschaulichen  In- 
halte und  die  in  ihnen  evident  gründenden  Gesetzlichkeiten  zu 
beschränken,  vielmehr  die  realen  Zusammenhänge  in  Coexistenz 
und  Succession  in  Erwägung  ziehen,  zu  deren  Erkenntnis  wir 
nur  auf  dem  aposteriorischen  AVege  der  Induction  kommen,  Dafs 
hier  eine  Zerstiickung  des  räumlichen  und  zeitlichen  Moments 
nicht  ohne  Weiteres  die  Zei'stückung  des  concreten  Ganzen  (des 
Dinges  oder  des  realen  Aenderungsverlaufs)  mit  sich  führt,  wird 
deutlich,  wenn  wir  den  Sinn  dieser  nicht  evident  einleuchtenden, 
aber  mit WahrscheinliclikeitsupponirtenNothweudigkeitsbezichungen 
überlegen,  wolclio  räumlich  und  zeitlich  Gesondertes  miteiuander 
verknüpfen.  Wenn  nach  einem  bestimmten  Causalgesetz  an  die 
in  einem  Zeitabschnitt  ti  — t^  sich  vollziehende  concrete  Aende- 
ruugsfolge  eine  gewisse  neue  in  dem  angrenzenden  Zeitabschnitt 
L,  —  ti  mit  Nothwendigkeit  angeschlossen  wird,  so  verliert  eben 
dadurch  die  erstere  ihre  Selbständigkeit  gegenüber  der  letzteren. 
Gehören  nun  zu  jedem  concreten  Aenderungsverlauf  derart  be- 
stimmte Gesetze,  die  ihm  gewisse  nothwondige  zeitlich  an- 
grenzende Consequenzen  zuweisen,  und  mufs  zum  Ueberflufs  ein 
jeder  selbst  wieder  ein  nothwendiges  Cousequeus  voraufgehender 
Antecedenzien  sein:  so  ist  damit  schon  ausgesprochen,  dafs  jeder 
concrete  Aenderungsverlauf  unselbständig  ist  in  Ansehung  der 
umfassenderen  Zeitganzeu,  in  denen  er  reidisirt  ist,  und  dafs  also 
auch  keine  Zerstückung  einer  Zeitstrecke  eine  Zerstückung  des 
zugehörigen  concreten  Zeitganzen  bedingt.  Doch  die  Beschrän- 
kung auf  Aendorungsverläufe  ist  unnöthig,  ja  strenge  betrachtet, 
garnicbt  zulässig.  Sowie  die  Mechanik  Ruhe  und  Bewegung 
unter  Einem  Gesichtspunkt  betrachtet;  sowie  sie  die  Kuho  als 
Grenz-  und  Specialfall  der  Bewegung  in  ihren  Gesetzen  niitbofafst: 
80  muCs  man  analog  verfahren  mit  den  im  Sinne  der  Aristotelischen 
Terminologie  erweiterten  Begriffen.  Auch  der  fictive  Fall  einer 
von  aller  Welt  isolirten  starren  Ruhe  ist  dem  gehörig  l'ormulirten 


Causalitätsgesetze  nicht  entzogen.  Denken  wir  eine  noch  so 
kleine  Zeitstrecke  mit  einem  concreton  Gehalt  in  starrer  Aende- 
rungslosigkeit  erfüllt,  und  denkeo  wir  die  ganze  reale  Wirklich- 
keit während  dieser  Zeit  auf  dieses  änderungslose  Sein  redueirt, 
80  besteht  sicherlich  ein  Causalgesetz,  demgemüfs  es  a  parte  post 
in  alle  Ewigkeit  unverändert  verharren  niufs  (während  es  a  parte 
mite,  sei  es  aus  ewiger  Ruhe,  sei  es  aus  gesetziichor  Yeränderung 
hervorgegangen  ist).  Mit  Rücksicht  auf  die  causalen  Zusammen- 
hänge, denen  kein  zeitliches  Sein  entzogen  ist,  dürfen  wir  also 
behaupten,  dafs  niemals  eine  Zerstückung  des  Zeitmomentes  eine 
Zerstückung  des  concreten  Zeitganzen  mit  sich  führt.  Die  zu 
den  Zeitstücken  gehörigen  Ergänzungsmomente  sind  zwar  nach 
den  Zeitstücken  gfsoudert,  aber  diese  Sonderung  bringt  im  zeit- 
lichen Concretum  noch  keine  Zerstückung  fertig;  das  wird  eben 
durch  die  wechselseitige  causale  Fundirung  der  zeitlich  gesonderten 
Inhalte  gehindert 

Aehnlicb  muls  es  sich  natürlich  mit  der  räumlichen  Zer- 
stückung mindestens  bei  den  Ganzen  verhalten,  in  welchen  räum- 
liche und  zeitliche  Ausdehnung  zur  Deckung  gebracht  sind, 
derart  dafs  mit  jeder  Zerstückung  des  einen  Moments  eine  Zer- 
stlickung  des  anderen  gegeben  ist,  und  umgekehrt.  Die  Zer- 
stückung des  räumlichen  Moments  einer  Bewegung  bedingt  so 
wenig,  wie  diejenige  ihres  zeitlichen  Moments  eine  Zerstückung 
der  Bewegung  .selbst. 

Aus  diesen  üeberlegungen  geht  auch  hervor,  dafs  die  Zeit- 
strecken, welche  in  Ansehung  einer  jeden  sie  umfassenden  Zeit- 
ausdehuuug  in  abstracto  den  Charakter  von  Stücken  besafsen, 
mit  diesem  Charakter  auch  die  wechselseitige  Unabhängigkeit  ver- 
lieren, wenn  wir  sie  in  Relation  zu  einer  concret  erfüllten  zeit- 
lichen Einheit  betrachten,  der  sie  als  unselbständige  Momente  ein- 
wohnen. Der  Satz,  dafs  jede  Zeitstrecke  ein  blofser  Zeittheil  ist, 
welcher  die  beiderseitige  Erweiterung  in  infiniturn  nicht  blofs 
zuläfst,  sondern  auch  fordert,  ist  wie  leicht  zu  übersehen,  eine 
blofse  Folge  der  Causalität  und  hat  somit  Beziehung  auf  die 
Zeiterfülhuig.     Durch   sie   wird   der  Zeittheil   zu  einem   Dnselb- 


I 


ständigen  niebt  blofs  in  Ansehung  seiner  Erfüllung  für  sich, 
sondern  auch  in  Ansehung  angrenzender  Zeittheile  und  ihrer 
Erfüllungen.  Diese  Unselbständigkeit  der  Zeittheile  und  ihre 
wechselseitige  Fundirung  ist  eine  mittelbare,  sofern  keine  Gesetze 
bestehen,  welche  ausschliefslich  Zeitstrecken  mit  Zeitstrecken, 
sondern  nur  solche,  welche  coticret  erfüllte  Zeitganze  mit  eben- 
solchen Zeitganzen  verknüpfen.  Da  in  diesen  Gesetzen  neben 
den  sonstigen  Variablen,  welche  Momente  des  erfüllenden  Zeit- 
iuhalts  darstellen,  auch  die  Zeiten,  bezw.  Zeitstrecken  als  ein- 
ander wechselseitig  beeinflussende  Variable  fungiren,  so  gewinnen 
mittelbar  auch  diese  Zeitstrecken  in  Relation  zu  der  umfassen- 
deren concreten  Einheit  ein  Verhältnis  der  Fundirung.  Aehnlich 
vorhält  es  sich  natürlich  mit  Raumstücken  im  Verhältnis  zu  um- 
fassenderen Raumeinheiten  und  schliefsücli  zum  ganzen  unend- 
lichen Raum.  Auch  der  Satz,  dafs  jedes  Raurastück  allseitige 
Erweiterung,  oder  wie  wir  hier  genauer  sagen  müssen,  die  reale 
Möglichkeit  zu  allseitiger  Enreiterung,  und  zwar  bis  zur  Unend- 
lichkeit des  Einen  Raumes  fordert,  ist  eine  Folge  gewisser  causaler 
Gesetze,  näher,  gewisser  Naturgesetze.  Die  Thatsache,  dafs  wir 
räumliche,  wie  zeitliche  Strecken  in  der  Phantasie  beliebig  er- 
weitem, dafs  wir  uns  an  jede  imaginirto  Grenze  des  Raumes  oder 
der  Zeit  in  der  Phantasie  versetzen  können,  wobei  immer  neue 
Räume  und  Zeiten  vor  unserem  inneren  Bück  auftauchen  würden 
—  all  das  beweist  nicht  die  relative  Fundirung  der  Raum-  und 
Zeitstücke,  es  beweist  nicht  die  Nothwendigkeit,  dafs  Raum  und 
Zeit  realiter  unendlich  sein  müssen  oder  auch  nur  realiter  unend- 
lich sein  können.  Beweisen  kann  dies  nur  eine  causale  Gesetz- 
lichkeit, welche  die  Fortsetzbarkeit  über  jode  gegebene  Grenze 
voraussetzt  und  somit  fordert. 

Die  causalen  Zusammenhänge  nimmt  man  a  jtosieriori  auf 
dem  Wege  der  Induction  und  Wahrscheinlichkeit  an;  jedenfalls 
sind  sie  a  priori  möglich,  sie  sind  als  Möglichkeiten  evident. 
Wollen  wir  tms  hier  also  auf  das  beschränken ,  was  special  wissen- 
schaftlicher Untersuchung  vorausgehen  kann,  sie  also  nicht  vor- 
aussetzt,  80    werden    wir   mindestens   als   mögliche   Fälle   unter- 


I 


Oedanken  xu  einer  Theorie  ihrer  reinen  Formen.  285 

scheiden  müssen,  die  wir  soeben  noch  als  wirkliche  hingestellt 
haben:  nämlich  Fälle,  wo  die  Stücke  eines  unselbständigen  Moments, 
vom  Standpunkt  eines  umfassenderen  und  concreteren  Ganzen  be- 
trachtet, in  ein  Fundirungsrerhältnis  treten  können,  im  Gegensatz 
zu  den  Fällen,  wo  dies  nicht  statthat,  and  wo  eventuell  die  Zer- 
stückung des  unselbständigen  Moments  eine  Zerstückung  des 
concreten  Ganzen  nach  sich  ziehen  kann. 


In  den  folgenden  Ueberlegungen  wollen  wir  unsere  Aufmerk- 
samkeit einem  fundamentalen  Unterscliied  im  Bedeutungsgebiet 
zuwenden,  der  sich  hinter  unscheinbaren  grammatischen  Unter- 
scheidungen, nämlich  denjenigen  zwischen  kategorematischen  und 
synkategoreraatischen,  geschlossenen  und  ungeschlossenen  Aus- 
drücken verbirgt  Die  Klärung  solcher  Unterscheidungen  führt  auf 
eine  Anwendung  unserer  allgemeinen  Untersc!>cidung  zwischen 
selbständigen  und  unselbständigen  Inhalten  auf  das  Bedeutungs- 
gebiet, so  dafs  der  in  der  vorliegenden  Untersuchung  intendirte 
Unterschied  als  derjenige  zwischen  selbständigen  und  unselbstän- 
digen Bedeutungen  zu  charakterisiren  ist.  Er  bildet  das  nothwendige 
Fundament  für  die  Feststellung  der  wesentlichen  Bedeufungskate- 
gorien,  in  welchen,  wie  wir  in  Küi-ze  zeigen  werden,  eine  Mannig- 
faltigkeit apriorischer,  von  der  objectiven  Gütigkeit  (realen 
oder  formalen  Wahrheit,  bezw.  Gegenständlichkeit)  der  Bedeu- 
tungen absehender  Bedeutungsgesetzo  wurzelt  Diese  Ge- 
setze, welche  in  der  Sphäre  der  Bedeutimgscoraplexionen  walten 
und  die  Function  haben,  in  ihr  Sinn  von  Unsinn  zu  trennen, 
sind  noch  nicht  die  im  prägnanten  Sinn  sogenannten  logischen 
Gesetze;  sie  geben  der  reinen  Logik  die  möglichen  Bedeu- 
tungsformen, d.  h.  die  apriorischen  Formen  complexer,  einheit- 


lieh  sinnvoller  Bedeutungen,  deren  „formale"  Wahrheit,  bezw. 
Gegonständlichkeit  dnnn  die  im  prägnanten  Sinne  „logischen 
Gesetze"  regeln.  Während  jene  ersteron  Gesetze  dem  Unsinn, 
wehren  diese  letzteren  dem  Widersinn,  d.  i.  dem  formalen  Wider- 
spruch, der  formalen  Absurdität.  Sagen  diese  rein-logischen  Ge- 
setze, was  a  priori  und  auf  Grund  der  reinen  Form  die  mögliche 
Einheit  des  Gegenstandes  fordert,  so  bestimmen  jene  Gesetze  der 
Bedeutungscomplexion,  was  die  blofse  Einheit  dos  Sinnes  fordert, 
d.  i.  nach  welchen  apriorischen  Formen  Bedeutungen  der  verschie- 
denen Bedeutungskategorien  sich  zu  Einer  Bedeutung  vereinen, 
statt  einen  chaotischen  Unsinn  zu  ergeben. 

Die  moderne  Grammatik  glaubt  ausschliefslich  auf  Psycho- 
logie und  sonstigen  empirischen  Wissenschaften  bauen  zu  müssen. 
Demgegenüber  erwächst  uns  hier  die  Einsicht,  dafs  die  alte  Ideo 
einer  allgemeinen  und  sogar  apriorischen  Grammatik  durch 
unsere  Nachweisung  apriorischer,  die  möglichen  Bedeutungsformen 
bestimmender  Gesetze  ein  zweifelloses  Fundament  erhält  und  zu- 
gleich eine  bestimmt  umgrenzte  Sphäre  der  Giltigkeit.  Innerhalb 
der  reinen  Logik  giebt  es  eine  Sphäre  von  aller  Gegenständlichkeit 
absehender  Gesetze,  die,  im  Unterschiede  von  den  logischen  Ge- 
setzen im  üblichen  und  prägnanten  Sinn,  mit  guten  Gründen  als 
rein  grammatische  zu  bezeichnen  wären. 

Die  Natur  der  zu  erörternden  Unterscheidungen  bringt  es  mit 
sich,  dafs  in  ihrem  Kreise  unter  dem  Titel  Bedeutungen  zumeist 
ebensowül  intendirendo,  als  erfüllende  Bedeutungen  verstanden 
werden  können.  Dies  liegt  an  der  bereits  angedeuteten  und  in 
den  späteren  Theilen  d.  W.  genauer  zu  umgrenzenden  Correspon- 
denz  zwischen  den  Acten  der  Intention  und  Erfüllung,  bezw. 
zwischen  deren  idealen  Inhalten. 

§  1.     Einfacfte  und  zusammengeselxie  Bedeutungen. 

Unseren  Ausgang  nehmen  wir  von  der  zunächst  selbstver- 
ständlichen Eiutheilung  der  Bedeutungen  in  einfache  uud  zu- 
sammengesetzte. Sie  entspricht  der  grammatischen  Unterschei- 
dung der  einfachen  und  zusammengesetzten  Ausdrücke  oder  Reden. 


Ein  zusammengesetzter  Ausdruck  ist  ein  Ausdruck,  sofern  er  eine 
Bedeutung  liat;  als  zusammengesetzter  Ausdruck  baut  er  sich 
aus  Theilen  auf,  die  selbst  wieder  Ausdrücke  sind,  und  die  als 
solche  wieder  ihre  eigenen  Bedeutungen  haben.  Lesen  wir  z,  B. 
ein  Mann  wie  von  Eisen;  ein  König,  der  die  Liebe  seiner 
Unlerliianen  erwirbt  und  dg!.,  so  drängen  sich  uns  als  Theil- 
Ausdrücke,  bezw.  Theil- Bedeutungen  entgegen  Mann,  Eisen, 
König,  Liebe  u.  s.  w. 

Finden  wir  nun  in  einer  Theil- Bedeutung  abermals  Theil - 
Bedeutungen,  so  mögen  auch  in  diesen  wieder  Bedeutungen  als 
Theile  auftretuu;  aber  offenbar  kann  dies  nicht  in  inftnilum  fort- 
gehen. Schließlich  werden  wir  in  fortgesetzter  Theüung  überall 
auf  einfache  Bedeutungen  als  Elemente  stofsen  müssen.  Dafs  es 
wirklich  einfache  Bedeutungen  giebt,  lehrt  das  unzweifelhafte  Bei- 
spiel Etwas.  Das  Vorstetlungserlebnis,  das  sich  im  Verständnis 
des  Wortes  vollzieht,  ist  sicherlich  componirt,  die  Bedeutung  ist 
aber  ohne  jeden  Schatten  von  Zusammensetzung. 

§  2.      Ob  die  Ziisammengesetxtheit  der  Bedeutungen  ein  blofser 
Beflex  sei  einer  Zusammengesehtlieii  der  Oegenstände. 

So  klar  dies  Alles  erscheint,  so  drängen  sich  doch  allerlei 
Fragen  und  Bedenken  auf. 

Zunächst  die  Frage,  ob  die  Zusammengesetztheit  oder  Ein- 
fachheit der  Bodeutungou^  ein  blofser  Reflex  sei  der  Zusammen- 
gesetztheit oder  Einfachheit  der  in  ihnen  vorgestellten  Gegenstände. 
Im  ersten  Augenblick  wird  man  dies  vielleicht  annehmen.  Die 
Vorstellung  stellt  ja  den  Gegenstand  vor  und  ist  sein  geistiges 
Abbild.  Indessen  zeigt  die  kürzeste  Besinnung,  dafs  dies  Gleichnis 
vom  Abbilde  hier,  wie  in  manciien  anderen  Fällen  trügt,  und  dafs 
der  vorausgesetzte  Parallelismus  nach  keiner  Seite  besteht.  Für's 
Erste:  zusammengesetzte  Bedeutungen  können  einfache  Gegen- 
stände vorstellen.     Ein  ebenso  klares  als  entscheidendes  Beispiel 


•  Wir  könnten  ebensogut  sagen:  der  Vorstellungen.  Denn  offenbar  ist 
mit  der  Bpeciellereu  Frage  aach  die  allgemeinere,  auf  Vurütellungen  überhaupt 
bezügliche,  beantwortet 


liefert  unser  Ausdruck  einfacher  Gegetistand  selbst  Es  ist  dabei 
ganz  gleichgiltig,  ob  es  solch  einen  Gegenstand  giebt  oder  nicht.* 

Es  gilt  aber  auch  umgekehrt,  dafs  einfache  Bedeutungen  zu- 
sammengesetzte Gegenstände  vorstellen  können.  Man  mag  zweifeln, 
ob  in  den  obigen  Beispielen  die  einfachen  Namen  (Mann,  Eisen, 
König  u.  dgl.)  wirklich  „einfachen  Vorstellungen'*  Ausdruck  geben; 
aber  Namen  wie  Etwas  und  Eins  wird  man  gelten  lassen  müssen. 
Bei  diesen  ist  es  klar,  dafs  sie  in  ihrer  Unbestimmtheit  alles  Mög- 
liche, also  jeden  zusammengesetzten  Gegenstand  meinen  können, 
obschon  freilich  in  der  al lorunbestimmtesten  Weise,  eben  als 
blofee  Etwas. 

Es  ist  ferner  klar,  dafs,  auch  wo  eine  zusammengesetzte  Be- 
deutung einem  zusammengesetzten  Gegenstand  entspricht,  nicht 
jedem  Theil  der  Bedeutung  ein  Theil  des  Gegenstandes  zugehört, 
geschweige  denn  umgekehrt  Bolzano's  treffendes  Beispiel  „Ijund 
ohne  Berge"  hat  Twardowski  allerdings  bestritten;  aber  dies  er- 
klärt sich  daraus,  dafs  er  als  Bedeutung  die  direct- anschauliche 
Voretelliing  des  bedeuteten  Gegenstandes  ansieht,  während  ihm 
der  fundamentale  und  lügisch  allein  niafsgebüche  Begriff  der  Be- 
deutung ganz  entgeht  Daher  verlällt  er  darauf,  Bostamlstücke 
der  Bedeutung  („ohne  Berge**)  als  „Hilfsvorstellungon  nacl>  Art 
der  Etyma"  zu  fassen.^ 


§  3.     Der  jrrägiianle  Sinn  der  Ziisammemjeselxiheil  von 
liedetäungen.     Implicirende  Ikdeulungen. 

Noch  von  einer  anderen  Seite  drängen  sich,  und  zwar  in 
weiten  Klassen  von  Fällen,  Bedenken  auf;  nämlich  zweifellos  zu 
entscheiden,  ob  eine  vorgegebene  Bedeutung  als  zusammen- 
gesetzte oder  als  einfache  gelten  müsse.    Wollen  wir  z.  B. 


■  TwiinoowsEi  vorläTst  (a.  a.  0.  S.  94)  offenbar  den  ganzen  Boden  der  vor- 
zuiiebuienden  Entsoheidnugen,  wenn  er  Bolzako  (dem  wir  hier  folgoo)  einwendet, 
es  gebe  Iceiiie  eiiifaclien  UogeDstilDdo.  Vgl.  Twaruowbki'b  eigene  Fragestellung 
«i.  IX.  0.  8.92,  wo  er  ausdrücklicli   von  vorgustellton  Ocgenstiiudeu  spricht. 

'  TwARDowsKi  a.  a.  0.  «.  98. 

Hasaerl,  Loi;.  Uotoni.  U.  19 


die  den  Eigennamen  zugehörigen  Bedeutungen,  kurzweg  die  Eigen- 
bedeutuugen,  als  einfache  fassen,  so  scheint  dagegen  der  Um- 
stand zu  sprecheu,  dafs  wir  in  einem  gewissen  und  offenbar  be- 
rechtigtem Sinne  aussagen  dürfen,  wir  stellten  beispielsweise  mit 
dem  Eigennamen  Schnltxe  (als  Namen  einer  uns  wolbokannten 
Person  verstanden)  einen  gewissen  Menschen  vor,  also  ein  Wesen, 
das  all  die  Theile  und  Beschaffenheiten  besitae,  die  wir,  als  einem 
Menschen  überhaupt  zukommend,  vorstellen,  sowie  mancherlei 
iudividueile  Eigenthümliclikeiten,  welche  diese  Person  vor  anderen 
auszeichnen.  Andererseits  wird  man  aber  Bedenken  tragen,  die 
suecessiv  herauszuhebenden  attributiven  Bestimmungen  der  Eigen- 
bedeutung als  Theil- Bedeutungen  einzulegen,  oder  gar  anzunehmen, 
diese  Eigenbedeutung  sei  mit  der  comploxen  Bedeutung  identisch, 
die  wir,  den  Inhalt  der  Vorstellung  Schnitte  in  gegenständlicher 
Richtung  analjsirend,  schrittweise  in  der  Form  ein  A,  nelchcs 
a,  ß,  y....  ist,  componiren.  Bei  näherer  Ueberlegung  bemerken 
wir,  dafs  hier  ein  doppelter  Sinn  von  Einfachheit  und  Zu- 
sammengesetztheit zu  unterscheiden  ist,  derart,  dafs  Einfach- 
heit in  dem  einen  Sinn  Zasammengosetztheit  in  dem  anderen  nicht 
ausschliefst.  Wir  werden  es  zweifellos  ablehnen  müssen,  die  Eigen- 
bedeutung als  eine  in  Bedeutungen  gegliederte  und  in  dieser 
Art  complexe  Bedeutung  aufzufassen;  zugleich  werden  wir  aber 
zugestehen  müssen,  dafs  sie  wirklich  eine  gewisse  Coniplexion  in 
sieh  trage.  Da  die  Eigeubedeutung  gerade  nur  diese  Person  und 
zwar  direct  vorstellt,  so  müssen  sich  die  mannigfaltigen  Bestimmt- 
heiten dieser  Person  in  der  vorstellenden  Intention  bekunden; 
sie  sind  also  in  gewisser  Weise  vorgestellt;  aber  sie  sind  es  so- 
zusagen in  Einem  Pulse,  sie  sind  es  nur  iinplicite,  nicht  explicite. 
Die  Eigenbedeutuug  ist  nicht  aus  den  Bedeutungen  zusammen- 
gesetzt, die  auf  die  gegenständlichen  Bestimmtheiten  {nämlicfi  auf 
diejenigen,  welche  den  vorgestellten  Gegenstand  als  solchen 
constituiron)  als  gesonderte  Intentionen  gerichtet  sind.  Erst  die 
schrittweisen  Analysen  und  die  ihnen  nachfolgenden  Acte  der 
Attribution  oder  Prädication  liefern  zu  jedem  implicite  intendirten 
Merkmal  eine  abgesonderte  Bedeutung. 


Die  auf  solche  Woiso  ontstehonde  gegliederte  Vorstellung  ist 
aber  nicht  blofs  subjectiv  von  der  ursprünglich  ungegliederten  ver- 
schieden: als  ob  die  einzelnen  Momente  der  letzteren  nur  für  unser 
subjectives  Bemerken  auseinandertreten  würden;  vielmehr  zeigt 
uns  die  Vcrgleichung,  dafs  die  beiderseitigen  Acte  nach  ihrem 
wesentlicheu  Inlialt,  d.  i.  nach  den  Bedeutungen  verschieden  sind. 
Uie  Eigenbedeutung  ist  als  Bedeutung  einfach,  sie  ist  ohne  be- 
deutungsmiifsige  Gliederung  und  Form,  möge  sie  auch  unterscheid- 
bnre  Momente  in  sich  tragen,  die  gewissen,  als  Thoilen  der  ex- 
plicirenden  Bedeutung  fungirenden  Bedeutungen  entsprechen.  Der 
Unterschied  zeigt  sich  uueh  darin,  dafs  es  zu  einer  und  derselben 
einfachen  Bedeutung  sehr  viele  der  logischen  Form  und  somit 
dem  Bedeutungsgehalt  nach  verschiedene  Explicationen  giebt.  Mau 
beachte,  dafs  schon  unmittelbar  äquivalente  Formen,  wie  ein  a, 
ivelches  ßyä  .  .  .  ist,  ein  aß,  ivvlehcs  y^  •  ■  ■  '*',  ci>i  ß,  ivelches 
ayö  .  .  .  ist  u.  dgl.  bedeutimgsmäfsig  verschieden  sind. 

Wir  setzten  oben  voraus,  dafs  der  Eigenname  in  unserem 
Beispiel  der  einer  bekannten  Person  sei.  Darin  liegt,  dafs  er 
normal  fungire,  also  nieiit  blofs  in  einem  indirecton  Sinne,  als 
eint^  getcisse,  SchiiUte  yenannie  Person  verstanden  wird.  Diese 
letztere  Bedeutung  wäre  natürlich  zusammengesetzt 

Schwierigkeit  und  Lösungsversuch  sind  olFenbar  analog  in  den 
Fällen,  wo  es  sich  um  mancherlei  andere  substantivische  und 
schliel'slich  auch  um  gewisse  adjectivische  und  sonstige  Wort- 
bedeutungen handelt;  z.  B.  Mensch,  Tugend,  gerecht  u.  dgl.  Es 
nmfs  ferner  noch  erwälint  werden,  dafs  die  logische  Definition, 
in  welcher  wir  den  Schwierigkeiten  gliedernder  Analyse,  vor  Allem 
aber  dem  Schwanken  der  Wortbodeutimg  eine  Grenze  setzen, 
natürlich  blofs  ein  practisch- logischer  Kunstgriff  ist,  durch  welchen 
die  Bedeutung  nicht  im  eigentlichen  Sinne  begrenzt  und  innerlich 
gegliedert  wird.  Vielmehr  wird  hiobei  der  Bedeutung,  sowie  sie 
ist,  eine  neue  Bedeutung  von  gegliedertem  Gehalt  gegenüber- 
gesetzt, nämlich  als  die  Norm,  nach  der  wir  uns  in  den  auf  die 
botreßende  Bedeutung  gestützten  Urtheilen  richten  sollen,  [jogischü 
Gefährden  zu  vermeiden,  schliefsen  wir  eben  die  Urthoile  als  un- 

19* 


zulässig  aus,  in  welchen  die  betreffenden  Bedeutungen  nicht  er- 
setzbar sind  durch  ihre  nurmalen  Aequivalente,  und  zugleich 
empl'ehleu  wir  die  Regel,  in  der  Erkenntnisthätigkeit  möglichst 
diese  normalen  Wortbedeutungen  zu  benutzen,  oder  die  gegebenen 
durch  öftere  Messung  an  den  normalen  und  durch  passende  Ge- 
brauebsdispositioücu  in  ihrer  Erkeniitniswirkung  zu  reguliren. 

Als  wichtiges  Resultat  dieser  Erwägungen  drängt  sich  uns 
ein  doppelter  Begriff  der  Zusammengesetztheit  und  somit  auch  der 
Einfachheit  auf.  In  Einem  Sinne  besteht  Ziisammengesetztheit  aus 
Theilen,  die  selbst  wieder  den  Charakter  von  Bedeutungen 
besitzen.  Es  ist  eben  eine  letzte  Tliatsache,  dafs  eine  Mehrheit 
von  Bedeutungen  sich  zu  Einer  Bedeutung  verknüpfen  kann.  Ich 
sage  ^kann",  denn  nicht  bei  jeder  Mehrheit  von  Bedeutungen  triift 
dies,  wie  wir  sehen  worden,  zu;  wir  haben  dann  einen  Bedeu- 
tungshaufen, aber  keine  einheitliche  Bedeutung.  Wo  auf  der  an- 
deren Seite  die  Einheit  der  Bedeutung  derartiger  Zu.sanimengesetzt- 
heit  ermangelt,  gilt  sie  als  einfache.  lu  diesem  normalen  Sinne 
spricht  man  von  zusammengesetzten  Bedeutimgen  analog  wie  von 
zusammengesetzten  Maschinen,  Zahlen,  Figuren  u.  dgl.:  worunter 
man  ja  Maschinen  versteht,  die  aus  Maschinen,  Zahlen,  die  aus 
Zahlen,  Figuren,  die  aus  Figuren  zusammengesetzt  sind.  Ist  es 
nöthig,  den  besomieren  Sinn  dieser  Zusammengesetztheit  zu  be- 
tonen, daim  werden  wir  aiso  am  passendsten  von  Bedeutungen 
sprechen,  die  als  Bedeutungen  zusuiumengesetzt  sind. 

Für's  Zweite  giebt  es  Bedeutungen,  die  gewisse  unterscheid- 
bare Momente  in  sich  tragen,  aber  nicht  in  Form  von  gegliederten 
Sonderbeiloutungen;  sie  sind  nicht  als  Bedeutungen,  aber  aller- 
dings als  Inhalte  zusammengesetzt.  Von  solchen  Bedeutungen 
sagen  wir,  sie  seien  implicireud  oder  hätten  einen  implicirten 
Inhalt     Offenbar  gilt  dann  der  Satz: 

Zu  jeder  implicirenden  Bedeutung  giebt  es  eine  andere,  ihren 
Inhalt  gliedernde  oder  explicireade. 

Die  Rede  von  zusammengesetzten  und  einfachen  Bedeutungen 
könnte  in  einem  allgemeinen  Sinne  verstanden  werden,  der  die 
eben  vollzogenen  Unterscheidungen  gleichmäfsig  umfafst,  uämÜch 


so,  dafs  nur  überhaupt  Bedeutungen  mit  Theilen  und  solche  ohne 
Theile  gegenübergestellt  würden.  Diese  Allgemeinheit  liefse  es 
dann  unentschieden,  ob  die  Theile  selbst  wieder  Bedeutungen  sind 
oder  nicht.  (Einfach  in  diesem  allgemeinsten,  also  in  jederlei 
Sinne,  wäre  offenbar  die  Bedeutung  Etwas;  sie  ist  nicht  nur  ein- 
fach als  Bedeutung,  sondern  auch  ohne  Spur  von  impücirtem 
Inhalt.)  Indessen  in  diesem  allgemeinsten  Sinne  von  Zusamnion- 
gesetatheit  und  Einfachheit  zu  sprechen,  wäre  hier,  wie  sonst  nicht 
empfehlenswerth.  Wir  werden  weiterhin  den  normalen  Sinn 
dieser  Rede  zu  Grunde  legen,  wonach  also  die  zusammengesetzten 
Bedeutungen  aus  Bedeutungen  zusammengesetzt  sind. 


§  4.     Die  Frage  nacft  der  Fkdeutsamkeü  „synkalegorematischtr" 
Bestandslücke  complexer  Ausdrücke. 

Die  Betrachtung  der  zusammengesetzten  Bedeutungen  führt 
sofort  auf  eine  neue  und  fundamentale  Scheidung.  Gegeben  sind 
uns  solche  Bedeutungen  in  der  Regel  als  Bedeutungen  gegliederter 
Wortcomplexionen.  Hinsichtlich  dieser  erhebt  sich  aber  die  Frage, 
üb  Jedem  Worte  der  Complexion  eine  eigene  Bedeutung 
zuzuordnen  sei,  und  üb  überhaupt  alle  GUedorung  und  Form 
des  sprachlichen  Ausdrucks  als  das  Gepräge  einer  entspreclienden 
Gliederung  oder  Form  d«r  Bedeutung  zu  gelten  habe.  Nach 
BoiJSANo  dient  „jedes  Wort  in  der  Sprache  zur  Bezeichnung  einer 
eigenen  Vorstellung,  einige  wol  auch  zur  Bezeichnung  ganzer 
Sätze";'  er  weist  also  (nhne  sich  übrigens  auf  nähere  Erörterungen 
einzulassen)  auch  jeder  Conjunction  oder  Präposition  eine  eigene 
Bedeutung  zu.  Auf  der  anderen  Seite  hört  man  nicht  selten  von 
Worten  und  Ausdrücken  sprechen,  die  „blofs  mitbedoutend" 
sind,  d.  h.  die  für  sich  keine  Bedeutung  besitzen,  sondern  erst 
im  Zusammenhang  mit  anderen  Bedeutung  gewinnen.  Man  unter- 
scheidet vollständige  und  unvollständige  Ausdi-ücke  von  Vor- 
stellungen und  des  Weiteren  auch  von  Urtheilon,  Gefühls-  und 
Willensphänomcnen  und  gründet  auf  diesen  Unterschied  den  Be- 


B.  BoLZiiNo's  Wissenschaf tsleliro,  Subsbaob  1837.  1.  §57. 


griff  des  kategorematischen,  bezw.  synkategorematischen 
Zoichons.  So  bezeichnet  Marty  mit  dem  Ausdruck  kategore- 
matisches  Zeichen  oder  Namen  „alle  sprachlichen  Bezeichnungs- 
mittel, die  nicht  blofs  mitbedeutend  sind  (wie  des  Vaters,  tim, 
nichtsdcstoiceuicicr  u.dgl.),  aber  auch  für  sich  nicht  den  vollständigen 
Ausdruck  eines  ürthoils  (Aussagen)  oder  eines  Gefühls  und  "Willens- 
outschlusses u.  dgl.  (Bitten,  Befehle,  Fragen  u.  s.  w.),  sondern  blofs 
den  Ausdruck  einer  Vorstellung  bilden.  Der  Bcffründer  der  Ethik, 
Ein  Sohn,  der  seinen  Vater  beleidigt  hat  sind  Namen."  ^  Da 
Mabty  und  mit  ihm  auch  andere  Autoren  die  Termini  Synkate- 
gorematisoli  und  Mitbedeutend  in  gleichem  Sinne  verstehen,  und 
zwar  in  dem  Sinne  von  Zeichen  „welche  nur  mit  anderen  Rede- 
bestandtheilon  zusammen  eine  vollständige  Bedeutung  haben,  sei 
es  dufs  sie  einen  BegrifS'  erwecken  helfen,  also  blofs  Theil  eines 
Namens  sind,  oder  zum  Ausdruck  eines  Urtheils  (einor  Aussage) 
oder  zur  Kundgabe  einer  Gemüthsbewegung  oder  eines  Willens 
(zu  einer  Bitt-,  Befehlsformel  u.  dgl.)  beitragen",*  so  wäre  es 
eigentlich  consequenter  gewesen,  wenn  sie  den  Begriff  des  kate- 
gorematischen Ausdrucks  entsprechend  weit  gofafst,  somit  auf 
alle  für  sich  bedeutsamen  oder  vollständigen  Austiriicke  irgend- 
welcher psychischen  Phänomene  ausgedehnt  hätten,  um  dann  ein- 
zeln zu  sondern:  katogorematische  Ausdrücke  von  Vorstellungen 
oder  Namen,  kategorematische  Ausdrücke  von  Urthcilon  oder 
Aussagen  u.  s.  w.^  Doch  wie  immer  die  Terminologie  hier  ge- 
wählt werden  mag,  die  Unterscheidung  selbst  entbehrt  sicherlich 


'  A.  Martt,  Uober  Biibjectlose  Sätze  u.  .s.  w.  II!,  Art.  Vieilolj.  f.  wiss. 
Philos.  Tin.  Jahrg.  S.  203,  Aimi. 

'  A.  Martv,  Ueber  das  Verhältni.s  von  Grnmnintik  und  I^^gik;  iu  don  Sym- 
bolae  Pragenses.  Festgabe  der  deutschen  Gesellschaft  fQr  Altci-tliuinsikunde  in 
Prag  zur  42.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner,  1893,  8. 121, 
Anm.  2. 

*  Ob  freilich  diese  Nebeootdnung  berechtigt,  ob  z.  B.  Namen  in  dem- 
Rolbou  Sinn  Aiisdrüclce  von  Voi-stotlungon  sind,  wie  Bittsiitze  Ansdriicko  von 
Bittoti,  Wuiisohsützü  solche  von  WiiiMuhen  u.  s.  w.  —  die.so  Frage  wird  uns 
noch  orastliuh  zu  beschäftigen  haben. 


nicht  einer  gewissen  Berechtigung,  imd  so  wird  uns  in  Hinsicht 
auf  die  synkategorematischen  Worte  eine  Auffassung  nahegelegt, 
die  der  oben  erwähnten  Lehre  Bolzaxo's  widerstreitet.  Niiiulieh 
da  der  unterschied  zwischen  Kategorematischem  und  Synkategore- 
nintischem  ein  grammatischer  ist,  so  möchte  es  scheinen,  dafs 
auch  die  Sachlage,  die  ihm  zu  Grunde  liegt,  eine  „hiofs  gramma- 
tische" sei.  Wir  bedienen  uns  des  öfteren  mehrerer  Worte,  um 
Eino  Vorstellung  auszudrücken  —  das  liegt,  könnte  man  denken, 
an  zufiilligen  Eigenlieiten  der  jeweiligen  Sprache.  Die  Gliederung 
im  Ausdruck  ist  ohne  alle  Beziehung  zu  irgendwelchen  Gliede- 
rungen in  der  Bedeutung.  Die  synkategorematischen  Worte,  die 
ihn  aufbauen  helfen,  sind  also  eigentlich  ganz  bedeutungslos,  und 
nur  dem  gesaramten  Au.sdruck  kommt  wahrhaft  eine  Bedeutung  zu. 
Die  grammatische  Unterscheidung  liifst  aber  noch  eino  andero 
Interpretation  zu,  wofern  man  sich  nur  entschliefst,  die  VolLstäniiig- 
keit,  bezw.  ünvoilständigkeit  der  Ausdrücke  als  Ausprägung  einer 
gewissen  Vollständigkeit,  bezw,  ünvoilständigkeit  der  Bedeutun- 
gen, also  den  grammatischen  Unterschied  als  Ausprägung  eines 
gewissen  wesentlichen  Bedeutungsunterschiedes  zu  fassen.'  Nicht 
aus  Zufall  und  Laune  bedient  sich  die  Sprache  z.  B.  der  mehr- 
wortigen  Namen  zum  Ausdrucke  Einer  Vorstellung,  sondern  um 
einer  Mehrheit  zueinander  gehöriger  Thoil -Vorstellungen  und  un- 
selbständiger VorstcUungsformen  innerhalb  der  selbständig  ge- 
schlossenen Vorstelhmgseinheit  angemessenen  Ausdruck  zu  ver- 
schaflen.  Auch  ein  unselbständiges  Moment,  z.  B.  eine  intentionale 
Verknüpfungsform,  durch  welche  sich  zwei  Vorstellungen  zu  einer 
neuen  zusammonschliefsen,  kann  ihren  bcdeutiingsmäfsigen  Aus- 
druck  finden,   sie   kann  die   cigenthümliche  Bedeutungsintention 


'  In  der  zuletzt  citirten  AbliandluDg  deQnli-t  Marty  eiu  kategoreinatisuhes 
Zeichen  als  ein  solcties,  das  für  skli  allein  eiue  voUstiiiidigo  Vorstellung 
erweckt  und  durch  ihre  Vormittlung  eioen  Gegenstaud  nennt.  Duch  dinickt  es 
die  darangofügte  Definition  des  synkategorematischen  Zeichens  (s,  oben)  nicht 
ganz  deutlich  aus,  dafs  dio  gratnmatisuhe  Scheidung  auf  eino  wesentliche 
^Buheidung  im  Bedoutungsgebiet  gegründet  werden  solle-,  wie  es  sicherlich 
llurry'a  Meinvmg  war. 


eines  Wortes  oder  einer  Wortconiplexion  ausmachen.  Es  ist  klar: 
wenn  sich  die  „eigentlichen"  VorstoHiingen  in  der  Spliäre  der  Bo- 
doutungsintentionen  (der  „symbolischen"  Vorstellungen)  getreu 
spiegeln  sollen,  dann  mufs,  wie  es  o  priori  auch  statthat,  joder 
Form  auf  der  Vorstellungsseite  (derjenigen  der  möglichen  Erfüllung) 
eine  Form  auf  der  Bedeutungsseito  (derjenigen  der  Intention)  ent- 
sprechen. Und  soll  nun  weiter  die  Sprache  in  ihrem  verbalen 
Material  die  a  priori  möglichen  Bedeutungen  getreu  wiederspiegeln, 
80  niufs  sie  über  die  grammatischen  Formen  verfiigen,  welche 
allen  untorscheidlwron  Formen  der  Bedeutungen  einen  unter- 
scheidbaren „Ausdruck''  zu  verleihen  gestatten. 

§  5.     Selbständige  und  unselbständige  Bedeutungen.     Die   Unselhstäti~ 
digkeit  der  sinnlichen  und  diejenige  der  ausdrückenden    IVorttheile. 

Offenbar  ist  diese  Auffassiuig  die  einzig  richtige.   Wir  müssen 

nicht  blofs  zwischen  kategoromatiscben  und  synkategorematischen 
Ausdrücken,  sondern  auch  zwischen  kategoromatischen  und  syn- 
kategorematischen Bedeutungen  unterscheiden;  doch  wirsprochen 
bo7.eichnouder  von  selbständigen  und  unsclbstiindigen  Be- 
deutungen. Das  natürlich  ist  nicht  ausgeschlossen,  dafs  im 
Procefs  der  Bedeutungsvorscliiobung  an  Stelle  einer  ursprünglich 
gegliederten  Bedeutung  eine  ungegliederte  tritt,  so  dafs  nun  den 
Ausdrucksgliedem  in  der  Bedeutung  des  ganzen  Ausdrucks  nichts 
mehr  entspricht  In  diescnv  Falle  hat  aber  der  Ausdruck  den 
Charakter  eines  im  echten  Sinne  zusammengesetzten  Ausdrucks 
verloren,  wie  er  denn  auch  in  der  Sprachentwicklung  in  Ein 
Wort  zu  verschmelzen  pflegt  Seine  Glieder  werden  wir  jetzt  nicht 
mehr  als  synkategorematische  Ausdrücke,  weil  überluuipt  nicht 
als  Ausdrücke,  gelten  lassen.  Nur  bedeutsame  Zeichen  uenucn 
•wir  Ausdrücke,  und  zusammengesetzt  neimon  wir  Ausdrücke  nur 
dann,  wenn  sie  aus  Ausdrücken  zusaiiimongesetzt  sind.  Niemand 
wird  das  Wort  König  als  cincu  zusammengesetzten  Ausdruck  be- 
zeichnen, weil  es  aus  mehreren  Lauten  und  Silben  besteht.  Da- 
gegen lassen  wir  mehrwertige  Ausdrücke  als  zusammengesotzto 
gelten,   weil   es   zum    Begriff   des  Wortes   geliört,    etwas   auszu- 


drücken;  nur  braucht  die  Bedeutung  des  Wortes  nicht  gerade  eine 
selbständige  zu  sein.  Sowie  unselbständige  Bedeutungen  nur  als 
Momente  gewisser  selbständiger  Bestand  haben  können,  so  können 
auch  sprachliche  Ausdrücke  unselbständiger  Bedeutungen  nur  als 
Formbestandtheile  der  Ausdrücke  selbständiger  Bedeutungen  fiin- 
glren,  sie  werden  also  zu  sprachlich  unselbständigen,  zu  „un- 
vollständigen" Ausdrücken. 

Die  zunächst  sich  aufdrängende  und  rein  äufserlicho  Auf- 
fassung des  Unterschiedes  kategorematischer  und  syukategorema- 
tischer  Ausdrücke  stellt  die  synkategorematisohen  Theile  von 
Ausdrücken  auf  eine  Stufe  mit  ganz  andersartigen  Ausdrucks- 
theilen,  mit  den  im  Allgemeinen  bedeutungslosen  Buchstaben, 
Lauten  und  Silben.  Ich  sage:  im  Allgemeinen;  denn  auch  unter 
diesen  Ausdruckstheilen  giebt  es  viele  echte  Sjnkategorematica, 
wie  die  Klexionspräfixe  und  -suffi.xe.  Aber  in  der  unvergleich- 
lichen Mehrheit  der  Fälle  sind  sie  nicht  Theile  des  Ausdrucks  als 
Ausdrucks,  d.  i.  bedeutende  Theile,  sondern  nur  Theüe  des  Aus- 
drucks als  einer  .sinnlichen  Erscheinung.  Synkatogorematica  werden 
daher  verstanden,  selbst  wenn  sie  vei'einzelt  stehen;  sie  werden 
als  Träger  inhaltlich  bestimmter  Bedeutungsmomente  aufgefalst, 
die  nach  einer  gewissen  Ergänzung  verlangen,  und  zwar  einer 
Ergänzung,  die,  obschon  der  Materie  nach  unbestimmt,  doch  ihrer 
Form  nach  durch  den  gegebenen  Inhalt  mitbestimmt  und  somit 
gesetzlich  umschrieben  ist.    Wo  das  Synkategorematicum  aiiderer- 

»■seits  normal  fiingirt,  also  im  Zusammenhang  eines  selbständig  ab- 
geschlossenen Ausdrucks  auftritt,  da  hat  es,  wie  die  Vergegon- 
wärtigung  jedes  Beispiels  lehrt,  zu  dem  gesammten  Gedanken 
allzeit  eine  bestimmte  Bedeutungsbeziehung,  es  ist  Bedeutungs- 
träger für  ein  gewisses  unselbständiges  Glied  des  Gedankens  und 
leistet  so  zum  Ausdruck  als  solchem  seinen  bestimmten  Beitrag. 
Die  Richtigkeit  dieser  Bemerkung  wird  evident,  wenn  wir  erwägen, 
dafs  derselbe  synkatcgoremati.scho  Ausdruck  in  unzähligen  ver- 
schiedenen Compositionen  auftreten  und  überall  dieselbe  Bedeu- 
timgsfunction  entfalten  kann;   daher  können  wir,  im   Falle  syn- 

I  kategorematischer  Aequivoca  vernünftig  überlegen,  zweifeln  oder 


darüber  streiten,  ob  dieselbe  Partikel,  dasselbe  Beziehungswort 
oder  Prädicat  hier  und  dort  dasselbe  bedeute  oder  nicht.  Von 
einer  Partikel  wie  aber,  von  einem  Genitiv  wie  des  Vaters  sagen 
wir  also  in  gutem  Sinne,  sie  hätten  eine  Bedeutung;  nicht  so  bei 
einem  Wortstück  wie  bi.  Zwar  als  ergänzungsbedürftig  steht  Eines 
wie  das  Andere  uns  gegenüber;  aber  die  Ergänzungsbedürfdgkeit 
ist  beiderseits  eine  wesentlich  verschiedene:  dort  trifft  sie  nicht 
blofs  den  Ausdruck,  sondern  vor  Allem  den  Gedanken;  hier  nur 
den  Ausdruck  oder  vielmehr  das  Ausdruckstück,  dafs  es  zum 
Ausdruck  erst  werde,  zum  möglichen  Anreger  eines  Gedankens. 
Mit  der  succosstven  Bildung  des  complicirten  Wortgefüges  baut 
sich  die  Gesammtbedeutung  schrittweise  auf; '  in  der  successiven 
Bildung  des  Wortes  baut  sich  blofs  das  Wort  auf,  und  erst  dem 
fertigen  fliegt  der  Gedanke  zu.  Zwar  in  einer  Art  regt  schon 
das  Wortstück  einen  Gedanken  an,  eben  dafs  es  Wortstück  sei, 
und  wie  etwa  die  Ergänzung  lauten  müsse;  aber  natürlich  ist  das 
nicht  die  Bedeutung  des  Stückes.  Und  tritt  bald  diese  oder  jene 
Ergänzung  ein  (bi — billig,  bissig,  Bimslein,  Birne,  QehiUle  .  .  .), 
so  wechselt  die  Bedeutung,  aber  nichts  Gemeinsames  ist  in  der 
Bedoutungsraannigfaltigkeit  zu  entdecken,  das  dem  gemeinsamen 
Worttheil  als  seine  Bedeutung  zuzuordnen  wäre;  keine  Gliederung 
finden  wir  auch  in  der  einzelnen  Wortbedeutung,  die  dem  Einen 
Gliedo  nach  auf  der  Bedentsamkoit  des  Worttheils  beruhte:  er  ist 
eben  bedeutungslos. 

§  6.     GeijcnühersteHuiKj  anderer   Untei'scheidungen.     Vngcschlossene, 
anomal  vcrkiirite  und  liidcenhafle  Ausdrücke. 

Ehe  wir  nun  daran  gehen,  den  unterschied  der  selbständigen 
und  unselbständigen  Bedeutungen  durch  Anknüpfung  an  allgemei- 
nere Begriife  genauer  zu  cliarakterisireu,  und  im  Ansciilufs  daran 
die  wichtigste  Thutsache  des  Bedeutuugsgebietes,  die  Existenz  der 
in  ihm  herrschenden  Oesotzmnfsigkeit,  zu  ti.xiren,  wird  es  nütz- 
lich sein,  den  fraglichen  Unterschied  von  anderen,  sich  mit  ihm 
kreuzenden  Unterschieden  abzusondern. 


'  Mabtt,  Symbulae  Prag.  S.  105,  Anin. 


Die  synkategorematischen  Ausdrücke  sind  als  unselbständige 
in  gewisser  Weise  oi-gänztingsbedürftig,  und  insofern  nennt  man 
sie  auch  unvollständige  Ausdrücke.  Aber  die  Rede  von  der  Un- 
vollständigkoit  iiat  noch  einen  anderen  Sinn,  der  nicht  mit  der 
hier  hl  Betracht  kommenden  Ergänzungsbedürftigkeit  vermengt 
worden  daif.  Dies  klarzulegen,  bemerken  wir  vorerst,  dufs  sich 
die  Eintheilung  der  Bedeutungen  in  selbständige  und  unselbstän- 
dige mit  derjenigen  in  einfache  und  zusammengesetzte  kreuzt. 
Bedeutungen,  wie  z.  B.  ffröfser  als,  unter  Qottes  freiem  Himmcly 
den  KüMmenmscn  des  Lebens  u.  dgl.  sind  unselbstiindigo  und 
trotz  der  Mehrheit  untorseheidbaror  Bestandtheilo  einheitliche 
Bedeutungen.  Es  können  sich  also  mehrere  unselbständige,  oder 
theils  selbständige  und  theils  unselbständige  Bedeutungen  zu 
relativ  geschlossenen  Einheiten  verweben,  die  als  Ganze 
doch  nur  den  Charakter  unselhständigor  Bedeutungen  haben. 
Diese  Thatsache  zusammengesetzter  unselbständiger  Bedeutungen 
prägt  sich  grammatisch  aus  in  der  relativ  geschlossenen  Einheit 
zusammengesetzter  synkategorematischer  Ausdrücke.  Jeder  von 
diesen  ist  Ein  Ausdruck,  weil  ihm  Eine  Bedeutung  zugehört, 
und  er  ist  zusammengesetzter  Ausdruck,  weil  er  einer  zusammen- 
gesetzten Bedeutung  gliedweise  Ausdruck  verleiht.  In  Ansehung 
dieser  Bedeutung  ist  er  ein  vollständiger  Ausdruck.  Nennen 
wii  ihn  nun  gleich wol  unvollständig,  so  liegt  dies  daran,  dafs 
seine  Bedeutung,  unbeschadet  ihrer  Einheitlichkeit,  der  Vervoll- 
ständigung bedürftig  ist.  Da  sio  nur  in  einem  umfassenderen 
Bedeutungszusammenhang  Bestand  haben  kann,  so  weist  auch  ihr 
sprachlicher  Ausdruck  auf  einen  umfassenderen  sprachlichen  Zu- 
sammenhang, nämlich  auf  eine  Ergänzung  zu  einer  selbständig 
geschlossenen  Rede  hin. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  anomal  verkürzton  Reden, 
welche  dem  Gedanken,  mag  er  nun  ein  selbständiger  oder  unselb- 
ständiger sein,  einen  unvollständigen,  wenn  auch  unter  den  gegebenen 
umstünden  der  Rede  voll  verstand  liehen,  Ausdruck  verleihen.  Wir 
können  hierauch  die  lückenhaften  Ausdrücke  heranziehen,  in 
welchen  aus  der  Continuität  eines  Satzzusammenhanges  einzelne  syn- 


300  IV.  Der  Unterschied  d.  selbständigen  u.  unseWständ.  Bedeutungen 

taktische  Glieder  fehlen,  während  immerhin  noch  eine  gewisse  Zu- 
sammengehörigkeit der  disjecta  membra  kenntlich  bleiben  mag.  Die 
Ergänziingsbedürftigkeit  solcher  lückenhaften  Beden  hat  offenbar 
einen  ganz  anderen  Charakter  als  die  Ergänzungsbedürftigkeit  der 
Synkategorematica.  Nicht  weil  die  zugehörige  Bedeutung  unselb- 
ständig ist,  sondern  weil  es  an  einer  einheitlichen  Bedeutung  über- 
haupt gebricht,  kann  die  lückenhafte  Bede  nicht  als  geschlossene 
Bede,  ja  überhaupt  nicht  als  eine  Bede  fungiren.  Lesen  wir  bei 
Entzifferung  einer  lückenhaften  Inschrift  Caesar  . . .  qui  . . .  dtia- 
biis  . .  .,  so  mögen  äufsere  Anhaltspunkte  darauf  hindeuten,  dafs 
es  sich  um  eine  gewisse  Satzeinheit  handle;  aber  dieser  indirecte 
Gedanke  ist  nicht  die  Bedeutung  des  vorliegenden  Bruchstücks, 
und  so,  wie  es  ist,  besitzt  es  überhaupt  keine  einheitliche  Bedeu- 
tung und  bildet  daher  auch  keinen  Ausdruck;  ein  zusammen- 
hangsloses Nebeneinander  von  theils  selbständigen,  theils  unselb- 
ständigen Bedeutungen,  und  darauf  bezogen  ein  ihnen  fremder 
Nebengedanke,  dafs  sie  zu  einer  gewissen  Bedeutungseinheit  ge- 
hören dürften  —  das  ist  alles,  was  gegeben  ist 

Die  Bede  von  ungeschlossenen,  unvollständigen,  ergänzungs- 
bedürftigen Ausdrücken  umfafst,  wie  ersichtlich,  gar  Verschiedenes. 
Einerseits  die  synkategorematischen  Ausdrücke,  andererseits  die 
anomal  verkürzten  und  endlich  die  lückenhaften  Ausdrücke,  die 
eigentlich  garnicht  Ausdrücke,  sondern  nur  Bnichstücke  von  Aus- 
drücken sind.  Diese  verschiedenen  Begriffe  kreuzen  sich.  Ein 
verkürzter  Ausdruck  kann  kategorematisch,  ein  sjnkategorema- 
tischer  lückenlos  sein  u.  dgl. 

§  7.     Die  Auffassung  der  unselbständigen  Bcdeiäungen 
als  fundirte  InJtalte. 

Wir  haben  erkannt,  dafs  der  scheinbar  so  glcichgiltigen 
Untei-scheidung  der  Ausdrücke  in  kategoroniatische  und  synkate- 
gorematische  eine  fundamentale  Scheidung  im  Gebiete  der  Be- 
deutungen entspricht.  Hatten  wir  auch  die  erstero  zum  Aus- 
gangspunkt genommen,  so  zeigte  sich  doch  die  letztere  als  die 


ursprüngliche,  nämlich  als  die  jene  grammatischo  Unterscheidung 
allererst  begründende. 

Schon  der  Begriff  des  Ausdrucks,  bezw.  der  Unterschied 
der  blofs  lautliclien  und  überlinupt  sinnlichen  Ausdrucktiieilo 
von  den  Theiiausdrücken  im  echten  Sinne  des  Wortes,  oder  wie 
wir  prägnanter  anch  sagen  könnten,  von  den  syntaktischen 
Theilen  (Stammsilben,  Piüfixe,  Suffixe,'  Worte,  zusammen- 
passende Wortcomplexe),  kann  nur  fixirt  werden  durch  Recurs  auf 
einen  Unterschied  der  Bedeutungen.  Zerfallen  diese  in  einfache 
und  Kusaniniengesotzte,  so  müssen  anch  die  ihtion  angemessenen 
Ausdrücke  entweder  einfache  oder  zusammengesetzte  sein,  und 
diese  Zusammengesetzthoit  führt  notliwendig  auf  letzte  bedeut- 
same Theile,  auf  syntaktische,  zurück  und  somit  wieder  auf  Aus- 
drücke. Hingegen  ergiebt  die  Zerlegung  der  Ausdrücke,  als 
blofs  sinnlicher  Erscheinungen,  allzeit  auch  blofs  sinnliclie  und 
nicht  mehr  bedeutsame  Theüo.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  der 
darauf  gebauten  Unterscheidung  der  Ausdrücke  in  kategore- 
matische  un<!  synkategoromatischo.  Man  mag  sie  allenfalls  da- 
durch beschreiben,  diifs  die  Einen  für  sich  allein  als  vollständige 
Ausdrücke,  als  abgeschlossene  Reden  dienen  können,  die  Anderen 
nicht.  Will  man  aber  die  Vieldeutigkeit  dieser  Charakteristik  be- 
grenzen und  den  hier  fraglichen  Sinn  derselben  und  damit  zu- 
gleich den  inneren  Orund  bestimmen,  warum  gewisse  Ausdrücke 
als  abge.schlüsseno  Reden  für  sich  allein  stehen  können,  andere 
nicht,  so  mufs  man,  wie  wir  sahen,  auf  das  Bedontungsgebiet 
zurückgehen  und  in  ihm  diejenige  Ergänzungsbodürftigkeit  nach- 
weisen, die  gewissen  Bedeutungen,  als  „unselbständigen",  anhaftet. 

Mit  der  Bezeichnung  der  synkategorcmatischcn  Bedeutungen  als 
unselbständiger  ist  bereits  gesagt,  worin  wir  das  Wesen  dieser 
Bedeutungeji  sehen.  In  unseren  Versuchen  über  die  unselb- 
ständigen Inhalte  überhaupt,  haben  wir  den  BegritT  der  Unselb- 
ständigkeit allgemein  bestimmt,  und  diese  selbe  Unselbständigkeit 


'  Diese  und  die  vorbergonaunten ,  soweit  sie  im  Entwicklungsprovels  der 
Spmclie  ihre  urticulirten  Bedeutungen  nicht  eiugebüEst  haben. 


.!••• 


Litr  '.  ••<r.yrnua  -L .teHb^htiii'jeH  M. itn^mlbatäHd.  Bedeutungnn 


-x.     T.    .:•;    Tir  -Avr  :ni  BctieutuniTi^biet  glauben  annehmea  c.. 

...^rKZ.      ."zMT.Nsräij'i:^   I:üial:e  sind,  so  führten  wir  aus,^  la- 

.j--.h.  -'.•  .-■:u\  :ür  -:<.ii.  sondern  nur  als  Theile  von  umfas.send».T»rt. 

raiii..-n  ji«ti::i  ^-.»i  k.tEen.     Ditses  Nicht- können  hat  sein>:;n 

..-:•:•.;:•• -.n    j-:-«:-:^-:^^^'!  is.  der  Natur  der   betrefPenden  Inhalte. 

1.1    -^i-zt    .'iTi;!  i^racii^iTi:  priiOn  ein  Gesetz,  wonach  überhaupt 

i::  1-^u.:    iT-r   .T^-i^-i'.-iirE  Ar:,  sa^n  wir  der  Art  a,  nur  sein 

-.i^ii    .u    I...sij::::;-.2.!JCi  -i.~ts  Ganzen    (i'(a(i.  ../«)?  wo  (i  .  .  .  ti 

l's.'.:-tu  -i:.-    "LT   .vsT.oi::::;  l::halt!<arten.     Für  bestimmte,  be- 

■  U.-.K'..  «;.-:    i-r^i^  loa  ■.'•lÄ-'a  ":-**it  blofs,  dafs  zwischen  der  Art  « 

,u-.        :  r  •> .  i-.  T   aitinna.  \v^t\  Zusammenhang  bestehe,  dafs  also 

.-:    ;     ^.-    L  T -la.j.yc  jLi-i  i-.Ticiiiiltig  welcher  Ergänzung  bedürfe, 

-,.u'..-ri".   .  .:   ••.xzij.ica.iii.z  isi-Or:  Bt-stimmtheit  in  der  Artung  des 

..^j.i^.:;M.;..iaJ:^-5-.  iOüäiXii:;!^  'oud  uuabhimgigo  Variable  haben  ihre 

....-•-u    .TS.-     'az'.tia^-  .«i.fr  Artt-haraktere  umgronzto  Sphäre.    Mit 

.'.u    '.i'za    >i    i-u:  I    .v   ',4Ä    u:;d   gesetzlich   auch  die  gattun_-s- 

.u.>^--  .";'-    J  Msi.iv.;v«r.iv«nsv.>s    bestinmit.     Als   Uei^|>icle 

..-.u.  ■■.:    ..;rv    •..!;.«    i;!;  i"..ii>iT:"-,'r*  .it^T  sinuHohon  Anschauuug.    Aber 

,>...     -.j'.'.  -    ....:v:'K     ri'!    .ifc   ii>< ethischen  Acte   und   ihrer  ab- 

-,..»1.  ti.     •■\u-.    !.s.:^:^l,  V  :  !iicj.'..!.;;'iu>r.  können. 

'.  •..     j  t.-,>i». MT.   i.ji>  I...:  .•;.■;■  KfJcuTunsren.     Wir  fafsteu  sie 
•„,,  .  ^v    ..^    •.•..!.'.•    •-..iil'ü  fiC. .  *fn"5:   j'O.hstvon.tiindlich   überträgt 

V.V >;.i-.   .  : -;>j.'>>.'..ijii<  »..;..  jMiiüfr.  auf  das  ivleale  Gebiet.    Der 

^■uvv..,i^»«.     u  >„•..•■. -I      .:i    .•>..^.■.:v^(■n   .\iM   div  Bedeuteus    ein  ge- 
,>s^s.  'l. ...... ^.   -VC  -•..'.    <«;Ts;-;.:..s!:i>n  Oharakier  dieses  Actes  aus- 

,^ ui   •-*  .>iv.v.*.v.;  .NC  ,!ai-aVtorisirt.    Mit  Rücksicht  auf 

.     u\,  *...uiiä,    .M   v.-t   -j   .v.-iÄ.-Jio  und  zusjunmougesetzto,  kiuin 

,,^ •  „-v.iti    A,->:   r;;'i-.TxMv  Thoilacto   enthalten,    und 

,  .     -',.i^.f    v-.-uv^   .iciti  v.:jt:L«x'n  bald  als  selbständige,  bald 

t      ^..>v»-..^,.„-,    .r!».i.',  .»ü*ViUi^«     Sptviell  kann  auch  ein  Act 

>-   x...,   -.*     .^v.  .,av.    ..i>iCi;*Ji:^£5^'^»tzt,  nämlich  aus  ßedcu- 

,^^  .;..      ^»«»»...B.-i.tst.iti  M-iii.     LVm  Gjuizen  gehört  dann  eine 

>^,.       ^. ..•.-....  ^     ^.    ^'-^i*«   lVt.a^'1  eine  Thoilbodeutung  (ein 


und  die  Idee  der  reinen  Grammaiik.  303 

Bedeutimgstheil ,  der  selbst  wieder  eine  Bedeutung  ist).  Dem- 
gemäls  werden  wir  eine  Bedeutung  selbständig  nennen,  wenn 
sie  die  volle  und  ganze  Bedeutung  eines  concreten  Be- 
deutungsactes  ausmachen  kann,  und  unselbständig,  wenn  dies 
nicht  der  Fall  ist  Sie  kann  dann  nur  in  einem  unselbständigen 
Theilact  eines  concreten  Bedeutungsactes  realisirt  sein,  nur  in 
Verknüpfung  mit  gewissen  anderen,  sie  ergänzenden  Bedeutungen 
kann  sie  Concretion  gewinnen,  nur  in  einem  Bedeutimgsganzen 
kann  sie  „sein".  Die  so  definirte  Unselbständigkeit  der  Bedeutung 
als  Bedeutung  bestimmt  nach  unserer  Auffassung  das  Wesen  der 
Synkategorematica. 

§  8.  Scltwierigkeiteti  dieser  Auffassung,  a)  Ob  die  Unselbsländ^keit 
der   Bedeutung  eigenilidi  nur  in  der  Unselbständigkeit  des  bedeuteten 

Gegenstands  liege. 

Wir  wollen  nun  aber  auch  die  Schwierigkeiten  unserer  Auf- 
fassung überlegen.  Zunächst  erörtern  wir  das  Verhältnis  zwischen 
der  Selbständigkeit  und  Unselbständigkeit  der  Bedeutungen,  und 
der  Selbständigkeit  und  Unselbständigkeit  der  bedeuteten  Gegen- 
stände. Für  den  Augenblick  könnte  man  nämlich  glauben,  die 
erstere  Unterscheidung  reducire  sich  auf  die  letztere.  ^  Die  be- 
deutungverleihenden Acte  beziehen  sich  als  Vorstellungen  auf 
Gegenstände.  Ist  nun  irgendein  Bestandtheil  des  Gegenstandes 
unselbständig,  so  kann  er  nicht  für  sich  allein  vorgestellt  werden ; 
also  fordert  die  entsprechende  Bedeutung  eine  Ergänzung,  sie  ist 
selbst  unselbständig.  Es  scheint  sich  als  selbstverständliche  Be- 
stimmung zu  ergeben:  Kategorematischo  Ausdrücke  gehen  auf 
selbständige,  synkategorematische  auf  unselbständige  Gegenstände 
(d.  i.  auf  gegenständliche  Momente,  sei  es  Merkmale  oder  Relations- 
formen). 

Man  überzeugt  sich  sofort,  dafs  eine  solche  Auffassung  falsch 
wäre.  Gleich  der  Ausdruck  unselbständiges  Moment  giebt  eine 
entscheidende  Gegeninstanz.     Er  ist  ein  kategorematischer  Aus- 

'  Eine  analoge  und  sachlich  nahe  verwandte  Frage  beschäftigte  uns  vor- 
hin, im  §  2,  S.  288ff. 


ist  es,  die  wir  hier  im  Bedeutungsgebiet  glauben  aanebmen  zu 
niüsseu.  Unselbständigo  Inhalte  sind,  so  fühi-ten  wir  aus,'  In- 
halte, die  niobt  für  sich,  sondern  nur  als  Theile  von  umfassenderen 
Ganzen  Bestand  haben  können.  Dieses  Nicht- können  hat  seineu 
objectivfn  Gesetzesgrund  in  der  Natur  der  betreireuden  Inhalte. 
Zu  jeder  Unselbständigkeit  gehört  ein  Gesetz,  wonacli  überhaupt 
ein  Inhalt  der  bezügliehen  Art,  sagen  wir  der  Art  o,  nur  sein 
kann  im  Zusammenhang  eines  Ganzen  ü(aß.  .  .fi),  wo  ß  ...  fi 
Zeiehen  sind  für  bestimmte  Inlialtsarten.  Für  bestimmte,  be- 
tünteu  wir;  denn  kein  Gesetz  besagt  blofs,  dafs  zwisciion  der  Art  a 
und  beliebigen  anderen  Arten  Zusammenliang  bestehe,  dals  also 
ein  a  luii'  überhaupt  und  gleicbgiltig  welcher  Ergänzung  bedürfe, 
sondern  zur  Gesetzlichkeit  geiiört  Bestimmtheit  in  der  Artung  des 
Zusammenhanges;  abhängige  und  unabhängige  Variable  haben  ihre 
durch  feste  Gattungs-  oder  Artcharaktere  umgrenzte  Sphäre.  Mit 
den  Arten  ist  dann  tv  ipso  und  gesetzlich  auch  die  gattungs- 
mäfsige  Form  des  Zusammenhanges  bestimmt  Als  Beispiele 
dienten  uns  zumal  die  Goncreta  der  sinnlichen  Anschanuug.  Aber 
auch  an<lero  Gebiete,  die  der  psychischen  Acte  und  ihrer  ab- 
stracten  Inhalte  hätten  wir  heranziehen  können. 

Hier  interessiren  uns  niu-  die  Bedeutungen.  Wir  fafsten  sie 
allerdings  als  ideale  Einheiten;  aber  selbstverständlich  überträgt 
sich  unsere  Unterscheidung  vom  realen  auf  das  ideale  Gebiet.  Der 
Bedeutung  entspricht  im  concreten  Act  des  Bedeutons  ein  ge- 
wisses Moment,  das  den  wesentlichen  Charakter  dieses  Actes  nus- 
maciit,  d.  i.  ihn  als  bedeutenden  charaktcrisirt.  Mit  Rücksicht  auf 
die  Eintheilung  der  Acte  in  einfache  und  zusammengesetzte,  kann 
nun  aber  ein  concreter  Act  mehrere  Theilacte  euthalteu,  und 
solche  Theilacte  können  dem  Ganzen  bald  als  selbständige,  bald 
als  unselbständigo  Theito  einwohnen.  Speciell  kann  auch  ein  Act 
des  Bedeutens  als  solcher  zu.sammengesetzt,  nämlich  aus  Bedeu- 
tuugsacten  zusammengesetzt  sein.  Dem  Ganzen  gehört  dünn  eine 
Gesammtbedeutung  zu,  jedem  Theilact  eine  Theilbedeutung  (ein 


'  Vgl.  oben  Ifl,  §  5—7,  S.  233ff. 


und  die  Idee  der  reinen  (Jrmnmatik. 


303 


Bodeutungsthell ,  der  selbst  wieder  eine  Bedeiitnnp;  ist).  Dcm- 
gemiils  werden  wir  ciue  Bedeutung  selbständig  nonnen,  wenn 
sie  die  volle  und  ganze  Bedeutung  eines  concreten  Be- 
deutungsactos  luisniaclien  kann,  und  unselbständig,  wenn  dies 
nk'lit  di'i-  FiiH  ist.  Sie  kann  dann  nur  in  einem  unselbständi^^en 
Theiliiet  eines  concreten  Bedoututigsactes  realisirt  sein,  nur  in 
Verknüpfung  mit  gewissen  anderen,  sie  ergänzenden  Bedeutungen 
kann  sie  Concretion  gewinnen,  nur  in  einem  Bedeutungsganzen 
kann  sie  „sein".  Die  su  detinirte  Unselbständigkeit  der  Beileutuug 
als  Bedeutung  bostiuiTuf  nueli  unserer  AuH'assuug  das  Wesen  der 
Synkategoreniatica. 

§  8.  Schwierigkeiten  dieser  Auffassung,  a)  Ob  die  Unselbsiändigkeit 
der    Bedeutung  eigenÜieh  nur   in  der   Unselbständigkeit  des  bedeuteten 

Gegenstands  liege. 

ri  Wir  wullen  nun  aber  aueh  die  Schwierigkeiten  unserer  Auf- 
fassung überlegen.  Zunächst  orörtcm  wir  das  Verhältnis  zwischen 
der  Selbständigkeit  und  Unselbständigkeit  der  Bedeutungen,  und 
der  Selbständigkeit  und  Unselbständigkeit  der  bedeuteten  üegou- 
stände.  Für  den  Augenblick  konnte  man  uänilicii  glauben,  die 
erstere  Unterscheidung  reducire  sieh  auf  die  letztere.'  Die  be- 
deutungverleihenden Acte  beziehen  sieb  als  Vorstellungen  auf 
(iegenständc.  Ist  nun  irgendein  Bestandtheil  des  Gegeustiiudes 
unselbständig,  so  kann  er  nicht  für  sich  allein  vorgestellt  werden; 
also  fordert  die  entsprechende  Bedeutung  eine  Ergänzung,  sie  ist 
selbst  unselbständig.  Es  scheint  sich  als  selbstverständliche  Be- 
stimmung zu  ergeben:  Kategorematisciie  Ausdrücke  gehen  auf 
selbständige,  synkategoroniatische  auf  unselbständige  Gegenstände 
(d.  i.  auf  gegenständliche  Momonto,  sei  es  Merkmale  oder  Reiations- 
formen). 

Man  überzeugt  sich  sofort,  dafs  eine  solche  Auffassung  falsch 
wäre.  Gleich  der  Ausdruck  Hriselbslöndigcs  Moment  giebt  eine 
entscheidende   Gegeninstanz.     Er  ist  ein   kategorematischer  Aus- 

'  Eine  aoologo  uuil  »achlich  nahe  verwandte  Frage  besuhüftigte  uns  vor- 
hin, im  §2,  S.  288ff. 


druck  und  stellt  doch  ein  Unselbständiges  vor.  Und  so  läfst 
sich  überhaupt  jedes  Unselbständige,  and  zwar  auch  in 
directeror  Weise,  zum  Gegenstand  einer  selbständigen  Vor- 
stellung machen,  z.h.Rülhe,  Figur,  Qleichheity  Oriifse,  Eiu- 
keit,  Sein.  Man  ersieht  aus  diesen  Beispielen,  dafs  nicht  nur 
den  materiaieu  gegenständlichen  Momenten,  sondern  auch  den 
kategorialea  Formen  selbständige  Bedeutungen  entsprechen, 
die  eigens  auf  diese  Formen  gerichtet  sind  und  sie  insofern  zu 
Gegenständen  für  sicli  machen;  während  letztere  darum  nicht  für 
sich  sind  im  Sinne  der  Unselbständigkeit.  Die  Möglichkeit  selb- 
ständiger, auf  unselbständige  Momente  gericliteter  Bedeutungen 
hat  nichts  Verwunderliches,  wenn  wir  daran  denken,  dafe  die 
Bedeutung  zwar  ein  Gegen-ständUchos  „vorstellt",  aber  darum  noch 
nicht  den  Charakter  eines  Abbildes  hat;  sundern  dafs  ihr  Wesen 
vielmehr  in  einer  gewissen  Intention  liegt,  die  eben  In  der  Weise 
der  Intention,  der  abzielenden  Meinung,  auf  Alles  und  Jedes,  auf 
Selbständiges  und  Unselbständiges  „gerichtet"  sein  kann.  Und 
.so  kann  Alles  und  Jedes  gegenständlich,  d.  i.  zum  intentionaleu 
Object  werden. 

§  9.     b)  Das   Verständnia  herausgerissener  Synkategorematica. 

Eine  ernstliche  Schwierigkeit  bereitet  das  Verständnis  der 
aus  jeder  Verknüpfung  herausgerissenen  Synkategorematica.  Ist 
unsere  Auflassung  richtig,  dann  kann  es  dergleichen  jii  guniicht 
geben;  ihr  genüifs  sind  die  unselbständigen  Elemente  der  kate- 
gorematiseh  geschlossenen  Rede  (iöyog)  unablösbar.  Wie  wäre  es  also 
müglich,  diese  Elemente,  was  duch  schon  AaisroTKuos  that,  aufser- 
halb  aller  Verknüpfung  zu  betrachten?  Unter  den  Titeln  r« 
avEv  avfiTcXo'Äljg,  tä  Tunot  ftijdefiiav  avfi/cXoxijv  keyufisra  begreilt: 
er  alle  Wortarten,  auch  die  Synkategorematica. 

Diesem  Einwände  könnten  wir  zunächst  in  der  Weise  be- 
gegnen, dafs  wir  auf  den  Unterschied  der  „eigentlichen"  und 
„unejgenüichen"  Vorstellungen  hinwiesen,  oder,  was  hier  dasselbe 
meint,  auf  den  Unterschied  der  blofs  intendirendeu  und  der  er- 
ftillenden  Bedeutungen.     Wir  könnten  nämlich  sagen: 


Herausgerissene  Synkategorematica,  me  gleich,  in  Verbindung 
mit,  lind,  oder  können  kein  intuitives  Verständnis,  keine  Be- 
deutungserfüllung  gewinnen,  es  sei  denn  im  Zusammenbang  eines 
umfassenderen  Bedeutungsganzen.  Wollen  wir  uns  „  klarmaclien", 
was  das  Wort  gleich  bedeutet,  so  müssen  wir  auf  eine  anscbau- 
licbe  Gleicblieit  hinbiicken,  wir  müssen  eine  Yergieicbung  actuell 
(„eigentlicli")  vollziehen  und  auf  ibrem  Grunde  einen  Satz  der 
Form  a  =  i  zu  erfüllendem  Verständnis  bringen.  Wollen  wir  uns 
die  Bedeutung  des  Wortes  und  klar  macben,  so  müssen  wir  irgend- 
einen Collectionsact  wirklich  vollzieben  und  in  dem  so  zu  eigent- 
licher Vorstellung  kommenden  Inbegriif  eine  Bedeutung  der  Form 
a  und  b  zur  Erfüllung  bringen.  Und  so  überall.  Die  Unselb- 
ständigkeit der  erfüllenden  Bedeutung,  die  also  nothwendig  in 
jeder  vollzogenen  Erfüllung  als  Bestandstück  einer  erfüllenden 
Bedeutung  von  umfassenderem  Gehalt  fungirt,  bedingt  nun  die 
übertragene  Rede  von  der  Unselbständigkeit  der  intendirenden 
Bedeutung. 

Zweifellos  liegt  hier  ein  richtiger  und  werthvoller  Gedanke 
vor.  Wir  können  ilm  auch  so  ausdrücken,  dafs  keine  syn- 
kategorematische  Bedeutung,  nämlich  kein  Act  von  un- 
selbständiger Bedeutungsinteutiou,  in  der  Erkenntnis- 
functioB  stehen  kann,  wenn  nicht  im  Zusammenbang 
einer  kategorematischen  Bedeutung.  Und  statt  Bedeutung 
könnten  wir  natürlich  auch  sagen  Ausdruck,  normal  verstanden 
als  Einheit  von  Wortlaut  und  Bedeutung  oder  Sinn.  Es  er- 
hebt sich  nun  aber  die  Frage,  ob  in  Erwägung  der  Deckungs- 
einheit, die  im  Status  der  Erfüllung  zwischen  intendirender  und 
erfüllender  Bedeutung  obwaltet,  angenommen  werden  kann,  dafs 
die  erfüllende  Bedeutung  unselbständig,  die  intendireude  selb- 
ständig sei;  mit  anderen  Worten,  ob  angenommen  werden  kann, 
dafs  die  Rede  von  der  Unselbständigkeit  bei  den  intuitiv  un- 
erfüllten Bedeutungsintentionen  und  Ausdrücken  nur  eine  im- 
eigentliche  sei,  nämlich  nur  bestimmt  durch  die  Unselbständigkeit 
der  Erfüllung.  Das  ist  kaum  annehmbar,  und  so  werden  wir 
darauf  zurückgewiesen,  dafs  auch  die  leeren  Bedeutungsiutontionen 


Baiierl,  Log.  Unter».  U. 


20 


—  die  „uneigeDtiichen",  „symbüüsclien  Vorstellungen",  welche 
dem  Ausdruck  aufserhalb  jeder  Erkenutnisfunction  Sinn  ver- 
leihen —  den  Unterschied  der  Selbständigkeit  und  Unselbständig- 
keit in  sich  tragen.  Dann  aber  kehrt  die  eingangs  aufgeworfene 
Zweifelsfrage  wieder:  wie  erkläi-t  sich  die  unanfechtbare  That- 
sache,  dass  vereinzelte  Synkategoreniatica,  z.  B.  das  vereinzelte 
Wort  und,  verstanden  werden?  Sie  sind  hinsichtlich  ihrer 
Bedeutungsintentionen  unselbständig,  heilst  doch,  dais  solche  In- 
tentionen nur  in  kategoremaüscben  Zusammenhängen  Bestand 
haben  können;  also  nüifste  die  lierausgerissene  Partikel,  das  ver- 
einzelte und  ein  leerer  Schall  sein. 

Die  Schwierigkeit  kann  sich  nur  in  folgender  Weise  lösen: 
Das  herausgerissene  Synkategorematicum  hat  entweder  gar- 
nicht  dieselbe  Bedeutung  wie  in  einem  kategorematischen  Zu- 
sammenhang, oder  es  hat  sie,  erfährt  aber  eine,  wenn  auch 
sachlich  ganz  unbestimmte  Bedeutungsorgänzung,  so  dafs  es 
dann  zu  einem  unvollständigen  Ausdruck  der  momentan  leben- 
digen und  vervollständigten  Bedeutung  wird.  Das  isoUrto  und 
vei-stehen  wir  entweder  dadurch,  dafs  sich  ihm  der  indirecto, 
obschon  wörtlich  nicht  articulirte  Gedanke  „einer  gewissen  uns 
wolbekannten  Partiicel"  als  anomale  Bedeutung  zugesellt;  oder 
wir  vorstehen  es  dadurch,  dais  sich  unter  Beihilfe  vager  Sach- 
vorstellungen und  ohne  jode  wörtliche  Ergänzung  ein  Gedanke 
des  Typus  Ä  und  B  einstellt.  In  letzterem  Falle  fungirt 
das  Wörtchen  und  normal,  sofern  es  eigentlich  nur  zu  einem 
Moment  der  innerlich  vollzogenen  completen  Bedeutungsintention 
gehört,  und  zwar  zu  demselben  Moment  wie  im  Zusammenhang 
kategorematischer  Ausdrücke  von  CoUcctionen;  anomal  aber  inso- 
fern, als  es  nicht  im  Zusammeuliang  mit  anderen  Ausdi-ückon 
steht,  die  den  ergänzenden  Theilen  der  vorhandenen  Bedeutung 
normale  Ausprägung  geben. 

Auf  solche  Weise  beheben  sich  die  Schwierigkeiten,  und  wir 
dürfen  annehmen,  dafs  der  Unterschied  selbständiger  und  unselb- 
ständiger Bedeutungen  genau  so  das  Gebiet  der  Bedeutuugsinten- 
tion  betrifft  wie  das  der  Erfüllung,  und  dafs  somit  die  Sachlage 


wirklich   besteht,  welche  durch  die  Möglichkeit  der  Ädaequation 
zwischen  Intention  und  Eilülluug  als  nothwendig  gefordert  ist. 

§  10.     Apriorische  Qesdxmäfsigkeiten  in  der  Bedeutungscomplexion. 

Wird  der  Unterschied  der  selbständigen  und  unselbständigen 
Bedeutungen  auf  den  allgemeineren  Unterschied  der  selbständigen 
und  unselbständigen  Inhiüto  bezogen,  so  ist  hierin  eine  der  funda- 
mentalsten Thatsachen  des  Bedeutungsgebietes  eigentlich  schon 
mit  eingeschlossen,  nämlich  dafs  die  Bedeutungen  unter 
Gesetzen  stehen,  welche  ihre  Verknüpfung  zu  neuen 
Bedeutungen  regeln.  Zu  jedem  J"all  einer  unselbständigen  Be- 
deutung gehört,  nach  dem,  was  wir  ganz  allgemein,  für  unselb- 
ständige Inhalte  überhaupt,  erörtert  haben,  ein  gewisses  Gesetz, 
welches  ihre  Ergänzungsbedürftigkeit  durch  neue  Bedeutungen 
regelt,  also  die  Arten  und  Formen  von  Zusammenhängen  nach- 
weist, in  denen  sie  eingeordnet  sein  muTs.  Da  es  keine  Zusammen- 
setzung von  Bedeutungen  zu  neuen  Bedeutungen  giebt  ohne 
verknüpfende  Formen,  die  selbst  wieder  den  Charakter  von  Be- 
deutungen, und  zwar  unselbständigen,  besitzen,  so  ist  es  ein- 
leuchtend, dafs  in  aller  Bedeutungsverknüpfung  Geset^mäfsigkeiten 
wii'ksam  sind.  Freilich  ist  die  wichtige  Thatsache,  die  hier  vorliegt, 
nicht  dem  Bedeutungsgebiet  allein  eigenthümlich,  sondern  spielt 
ihre  Rolle,  wo  immer  Verknüpfung  statthat.  Alle  Verknüpfung 
überhaupt  untersteht  Gesetzen,  zumal  alle  materiale,  auf  ein  sach- 
lich einheitliches  Gebiet  beschränkte  Verknüpfung,  bei  welcher  die 
VerknüpfuQgsergebnisse  in  dasselbe  Gebiet  fallen  müssen  wie  die 
Verknüpfnngsglieder.  Niemals  können  wir  alle  und  jede  Einzel- 
heiten durch  alle  und  jede  Formen  einigen,  sondern  das  Gebiet 
der  Emzclheiten  beschränkt  die  Zahl  möglicher  Formen  und  be- 
stimmt die  Gesetzmäfsigkoiten  ihrer  Ausfüüung.  Die  Allgemein- 
heit dieser  Thatsache  entbindet  aber  nicht  von  der  Pflicht,  sie  in 
jedem  gegebenen  Gebiet  nachzuweisen  und  die  bestimmten  Gesetze, 
in  denen  sie  sich  entfaltet,  zu  erforschen. 

Was  speciell  das  Bedeutungsgebiet  anbelangt,  so  lehrt  schon 
die  flüchtigste  Uoberlegiuig,  dafs  wir  in  der  Verknüpfung  von  Be- 

20* 


deutuDgen  zu  Bedeutungen  nicht  frei  sind,  und  daher  in  sinnvoll 
gegebener  Verknüpfungseinheit  die  Elemente  nicht  willkürlich 
durcheinander  würfeln  dürfen.  Nur  in  gewissen,  im  voraus  be- 
stimraton  Weisen  passen  die  Bedeutungen  zusammen  und  consti- 
tuiren  wieder  sinnvoll  einheitliche  Bedeutungen,  während  die 
übrigen  combinatorischen  Möglichkeiten  gesetzlich  ausgeschlossen 
sind:  sie  ergeben  nur  einen  Bedeutungshaufen  statt  Einer  Be- 
deutung. Die  Unmöglichkeit  der  Verknüpfung  ist  eine  gesetz- 
liche, d.  h.  zunächst,  sie  ist  keine  blofs  subjective,  es  liegt  nicht 
blofs  an  unserer  factischen  Unfaliigkeit  (an  dem  Zwange  unserer 
„geistigen  Organisation"),  dals  wir  die  Einheit  nicht  vollziehen 
können.  In  den  unzähligen  Fällen,  die  wir  hier  im  Auge  haben, 
ist  die  Unmöglichkeit  vielmehr  eine  objective,  in  der  Natur  des 
Bedeutungsgebietes  a  jmori  gründende;  und  als  solche  ist  sie 
durch  apodictische  Evidenz  zu  erfassen.  Diese  Unmöglichkeit 
haftet,  genauer  zu  reden,  nicht  an  der  singulären  Besonderheit  der 
zu  einigenden  Bedeutungen,  wol  aber  an  den  wesentlichen 
Gattungen,  unter  welche  sie  fallen,  d.  i.  an  den  Bedcutungs- 
katogorien.  Zwar  ist  die  einzelne  Bedeutung  selbst  schon  ein 
Specifisches,  aber  relativ  zu  der  Bedeutungskategorie  ist  sie  eben 
nur  eine  zufällige  Einzelheit.  So  ist  ja  auch  in  der  Arithmetik 
die  numerisch  bestimmte  Zahl  eine  zufällige  Einzelheit  relativ  zu 
den  Zahlformen  imd  Zahlgosetzen.  Also,  wo  immer  wir  bei  ge- 
gebenen Bedeutungen  die  Unmöglichkeit  der  Verknüpfung  ein- 
sehen, da  weist  diese  Unmöglichkeit  auf  ein  allgemeines  Gesetz 
hin,  wonach  überhaupt  Bedeutungen  der  entsprechenden  Beden- 
tungskategorien ,  in  gleicher  Ordnung  und  nach  Mafsgabe  derselben 
reinen  Formen  verknüpft,  eines  einheitlichen  Ergebnisses  entbehren 
mtissen.  Der  Ausdruck  ivenn  ist  grün  ist  beispielsweise  ein  be- 
deutungsloser, und  indem  wir  dies  einsehen,  erkennen  wir  auch, 
dals  überhaupt  aus  der  Form  S  ist  P  eine  Sinnlosig- 
keit resultirt,  wenn  für  S  statt  wenn  ein  beliebiges  Syn- 
kategorematicum  substituirt  wird.  Wenn,  obschon  sonst 
ein  Formausdruck,  fungirt  hier  eben  nicht  als  Formausdruck,  son- 
dern als  variables  Element,  für  welches  im  Sinne  der  zu  Grunde 


liegenden  Gesetzmärsigkeit  jedes  gleichartige  (aus  der  Kategorie 
der  unselbständigen  Bedeutungen)  gesetzt  werden  kann.  Schreiben 
wir  aber  wenn  der  Baum  grün  ist,  so  fungirt  das  wenn  zusammen 
mit  dem  ist  als  invariable  Form,  während  die  übrigen  Bedeutungen 
die  variable  Materie  bilden;  dies  nämlich  im  Hinblick  auf  die  Ge- 
setzmäfsigkeit,  dafs  Jede  Verknüpfung  der  Form  wenn  S  P  ist 
dann  und  nur  dann  eine  sinnvolle  Bedeutung  ergiebt,  wenn  S 
und  P  auf  den  Umfang  gewisser  Bcdeutuiigsklassen  (wofür  hin- 
reichend allgemeine  und  dabei  eindeutige  Namen  bisher  fehlen) 
bescliränkt  bleiben. 

§  11.     Einwand.     Die  suppositio  malerialis  und  ihr  Analogon. 

Man  wird  sieh  hier  kaum  durch  den  Einwand  beirren  lassen, 
doch  jedes  Synkategorematieum  au  die  SubjoetsteUe  zu  bringen 
ist,  nämlich  in  Sätzen  derart  wie  „tve?in"  ist  eine  Partikel, 
,und"  ist  eine  unselbständige  Bedeutung.  Gewifs,  die  Worte 
stehen  hier  an  der  Subjectstelle,  aber  ihre  Bedeutung  ist,  wie 
ohne  Weiteres  ersichtlich,  nicht  dieselbe,  als  welche  ihnen  im 
normalen  Zusammenhange  eignet.  Dafs  sich  auf  dem  Wege  der 
Bedeutungsänderung  jedes  Wort  und  jeder  Ausdruck  über- 
haupt an  jede  Stelle  eines  kategorematischou  Ganzen  bringen  läfst, 
ist  nicht  verwunderlich.  Was  wir  hier  im  Auge  haben,  ist  aber 
nicht  die  Composition  der  Worte,  sondern  die  der  Bedeutungen, 
allenfalls  die  der  Worte  bei  constanter  Erhaltung  ihrer  Bedeu- 
tungen. Logisch  betrachtet  ist  aller  Bedeutungswochsel  als  Ab- 
normität zu  beurtheilen.  Las  logische  Interesse,  das  auf  die 
identisch -einheitlichen  Bedeutungen  geht,  fordert  Constanz  der 
Bedeutungsfunction.  Aber  die  Natur  der  Sache  bringt  es  mit 
sich,  dafs  gewisse  Bcdeutungsändorungen  sogar  zum 
grammatisch  normalen  Bestände  jeder  Sprache  gehören. 
Durch  den  Zusammenhang  der  Rede  kann  die  modificirte  Be- 
deutung immerhin  leicht  verständlich  sein,  und  sind  die  Motive 
der  Modification  von  durchgreifender  Allgemeinheit,  wurzeln  sie 
z.  B.  im  allgemeinen  Charakter  der  Ausdrücke  als  solcher  oder 
gar  in  der  reinen  Natui*  des  Bedeutungsgebiotes  an  sich,  so  werden 


i 


die  betreffenden  Klassen  von  Abnormitäten  überall  wiederkehren, 
das  log^isch  Abnorme  erscheint  dann  grammatisch  als  sanctionirt. 

Hierher  gehört  nun  die  s-upposifio  materialis  in  der  Rede- 
weise der  Scholastiker.  Jeder  Ausdruck,  gloichgiltig  ob  er  —  in 
seiner  normalen  Bedeutung  —  ein  kategorematischor  oder  sjn- 
kategorematischer  ist,  kann  danach  als  Name  von  sich  selbst  auf- 
treten, d.  h.  er  nennt  sich  selbst  als  grammatische  Erscheinung. 
Sagen  wir  „die  Erde  ist  rund"  ist  eine  Aussage,  so  fungirt  als 
Subjectvorstellung  nicht  die  Bedeutung  der  Aussage,  sondern  eine 
Vorstellung  der  Aussage  als  solcher;  nicht  über  den  Sachver- 
halt, dafs  die  Erde  rund  ist,  sondern  über  den  Aussagesatz 
wird  geurtheilt,  und  dieser  Satz  selbst  fungirt  anomal  als  sein 
eigener  Name.  Sagen  wir  und  ist  eine  Cotijunction,  so  haben 
wir  nicht  das  Bedeutungsmoment,  das  dem  Worte  Und  normaler 
Weise  entspricht,  an  die  Subjoctstelle  gebracht,  sondern  hier  steht 
die  selbständige,  auf  das  Wort  Und  gerichtete  Bedeutung.  In 
dieser  anomalen  Bedeutung  ist  das  Und  in  Wahrheit  kein  sya- 
kategorematischer,  sondern  ein  kategorematischer  Ausdruck,  es 
nennt  sich  selbst  als  Wort. 

Ein  genaues  Analogen  der  siippositio  materialis  liegt  vor, 
wo  der  Ausdruck  statt  seiner  normalen  Bedeutung  eine 
Vorstellung  dieser  Bedeutung  (d.  h.  eine  Bedeutung,  die 
auf  diese  Bedeutung  als  auf  ihren  Gegenstand  gerichtet  ist)  trägt. 
So  verliält  es  sich  z.  B.,  wenn  wir  sagen:  „ujid",  „aber",  „(/röfser"^ 
sind  unselbständige  Bedeutungen.  In  der  Regel  werden  wir  hier 
sagen:  die  Bedeutungen  der  Wörter  „und",  „aber",  gröfser"  sind 
unselbständig.  Ebenso  fungiren  in  dem  Ausdruck  „Mensch", 
„Tisch",  „Pfprd"'  sind  Ditigbegriffe  Vorstelhmgen  dieser  Begriffe, 
und  nicht  die  Begriffe  selbst  als  die  Subjectvorstellungen.  In  diesen, 
wie  in  den  vorigen  Füllen  wird  dio  Bedoutuugsiinderung  mindestens 
im  schriftlichen  Ausdruck  in  der  Regel  angezeigt,  etwa  durch  An- 
führungszeichen oder  andere  (wie  wir  es  passend  nennen  könnten) 
heterogrammatische  Ausdrucksmittel.  Alle  mit  „modifi- 
cirenden"  statt  mit  „düterminirendon"  Prädicaten  behafteten 
Ausdrücke  fungiren  in  der  zuletzt  bezeichneten  oder  in  einer  ahn- 


liehen  "Weise  anomal:  in  mehr  oder  minder  cnmplicirter  "Weise  ist 
der  normale  Siun  der  ganzen  Rede  durch  einen  anderen  zu  er- 
setzen, der,  wie  immer  er  sonst  gebaut  sein  mag,  an  Stelle  des 
scheinbaren  Sabjects  nach  Mafsgabo  der  normalen  Interpretation 
vielmehr  eine  in  dieser  oder  jener  "Weise  darauf  bezügliche  Vor- 
stellung, und  zwar  bald  eine  Vorstellung  im  logisch -idealen, 
bald  eine  solche  im  empirisch -psychologischen  Sinn  enthält.  Z.B. 
der  Centnnr  int  eine  Fidimi  der  Poeten.  Wenig  umschreibend 
können  wir  dafür  sagen:  unsere  Vorstellungen  von  Centauren 
(sc.  subjectivo  Vorstollungon  des  Bedeutungsgehalts  „Centaur") 
sind  Fictionen  der  Poeten.  Modificirend  sind  die  Prädicate  iM,  ist 
nicht,  ist  wahr  oder  falsch  u.  dgl.  Sie  drücken  nicht  Beschaffen- 
heiten der  scheinbaren  Subjecte  aus,  sondern  solche  der  ent- 
sprechenden Sübjectbedeutungen.  Z.B.  dafs  2x2=5  ist,  ist 
falsch;  das  heilst  der  Gedanke  ist  ein  falscher,  „leerer"  Gedanke. 
Scheiden  wir  unter  den  Beispielen  des  letzton  Absatzes  die- 
jenigen aus,  in  welchen  die  modificirendo  Vorstellung  eine  sub- 
jective  ist,  und  verstehen  wir  das  Analogen  der  siipposiiio 
materialis  in  dem  beschränkten  Sinne,  in  dem  wir  es  oben  von 
vornherein  erklärt  haben,  so  bemerken  wir,  dafs  es  sich  liiebei 
um  Bedeutungsänderungen  oder,  genauer  zu  reden,  um  Aende- 
rungen  des  Bedeutens  handelt,  die  in  der  idealen  Natur 
des  Bedeutungsgebietes  selbst  wurzeln.  Sie  wurzeln  näm- 
lich in  Bedcutungstnoditicationcn  in  oinem  gewissen  anderen,  von 
den  Ausdrücken  abstrahirenden  Sinne,  der  einigermafsen  analog 
ist  der  arithmetischen  Rede  von  „Transformationen"  arithmetischer 
Gebilde.  Es  giebt  im  Bedeutungsgebiete  apriorische  Gesetzmäfsig- 
keiten,  wonach  Bedeutungen  bei  Erhaltung  eines  wesentlichen 
Kerns  in  neue  Bedeutungen  umzuwandeln  sind.  Und  dahin  ge- 
hört auch  die  Umwandlung,  welche  a  priori  jede  beliebige  Be- 
deutung in  die  auf  sie  bezügliche  „directe  Vorstellung"  erfahren 
kann.  Sie  bedingt  vermöge  ihrer  apriorischen  Allgemeinheit  jene 
grofse  Klasse  allgemeingrammatischer  Aequivocationen,  als 
von  Modificationen  des  verbalen  Bedeutens,  die  über  die  Be- 
sonderheiten der  einzelnen  Sprachen  hinausreichen. 


§1S 


Unsinn  und  Widersinn. 


Natürlich  muTs  man  die  gesetzlichen  Unverträglichkeiten,  auf 
welche  uns  das  Studium  der  Synkategorcmatica  geführt  hat,  wol 
unterscheiden  von  jenen  anderen,  welche  das  Beispiel  ein  rundes 
Viereck  illustrirt.  Man  darf,  wie  wir  in  der  Unters.  I  schon 
betont  haben,  1  das  Sinnlose  (das  Unsinnige)  nicht  zusammen- 
werfen mit  dem  Absurden  (dem  Widersinnigen),  welches  die 
übertreibende  Rede  ebenfalls  als  sinnlos  zu  bezeichnen  liebt,  ob- 
schon  es  vielmehr  ein  Theilgebiet  des  Sinnvollen  ausmacht.  Die 
Verknüpfung  ein  nmdes  Viereck  liefert  wahrhaft  eine  einheitliche 
Bedeutung;  aber  es  ist  eine  apodictische  Evidenz,  dafs  der  existi- 
renden  Bedeutung  kein  existirender  Gegenstand  entsprechen  kann. 
Sagen  wir  hingegen  ein  rundes  oder,  ein  Mensch  und  ist  u.  dgl., 
80  eiistiren  gar  keine  Bedeutungen,  welche  diesen  Verbindungen 
als  ihr  ausgedrückter  Sinn  entsprächen.  Die  zusammongeordneten 
Worte  erregen  zwar  in  uns  die  indirecte  Vorstellung  einer  ge- 
wissen durch  sie  ausgedrückten  einheitlichen  Bedeutung;  aber 
wir  haben  zugleich  die  apodictische  Evidenz,  dafs  solch  eine  Be- 
deutung nicht  existiren  kann,  dafs  so  geartete  und  verknüpfte 
Bedeutungstheüe  in  einer  einheitlichen  Bedeutung  unverträglich 
sind.  Diese  indirecte  Voi-stellung  selbst  wird  man  nicht  als  die 
Bedeutung  jener  Wortcomplexionen  in  Anspruch  nehmen  wollen. 
In  normaler  Function  erweckt  der  Ausdruck  seine  Bedeutung;  wo 
aber  das  Verständnis  unterbleibt,  da  wird  er,  etwa  vermöge  seiner 
sinnlichen  Aehnlichkeit  mit  bedeutsamen,  bezw.  veretandenen  Aus- 
drücken, die  uneigentliche  Vorstellung  einer  „gewissen"  zugehö- 
rigen Bedeutung  herbeiführen,  während  man  die  Bedeutung  selbst 
gerade  vermiTst 

Der  Unterschied  der  beidoreeitigen  Unverträglichkeiten  ist 
also  klar:  im  einen  Falle  vertragen  sich  in  der  Einheit  der  Be- 
deutung gewisse  Theilbedeutungen  insofern  nicht,  als  dadurch  die 
Gegenständlichkeit,  bezw.  Wahrheit  der  ganzen  betroffen  ist.  Ein 
Gegenstand  (z.  B.  ein  Ding,  ein  Sachverhalt),  in  dem  all  das  ver- 


'  Vgl.  oben  S.  54  £f.  ßub  3. 


einigt  ist,  was  die  einheitliche  Bedeutung  vermöge  der  mit  ein- 
ander „unverb'ägiiclien"  Bedeutungen  als  ihm  einheitlich  zukom- 
mend vorstellt,  existirt  nicht  und  kann  überhaupt  nicht  existiren; 
aber  die  Bedeutung  selbst  existirt  Namen  wie  höhernes  Eisen 
und  rundes  Viereck,  oder  Sätze  wie  alle  Vierecke  haben  5  Ecken, 
das  sind  so  ehrliche  Namen,  bezw.  Sätze,  wie  irgendwelche.  Im 
iuulcren  Falle  verträgt  es  die  Möglichkeit  der  einheitliclien  Be- 
deutung selbst  nicht,  dafs  gewisse  Theilbedcutungen  in  ihr  coexi- 
stiren.  Wir  besit^sen  dann  nur  eine  indirecto,  auf  die  Synthesis 
solcher  Theilbedeutungen  zu  Einer  Bedeutung  abzielende  Vor- 
stellung und  damit  zugleich  die  Einsicht,  dafs  solch  einer  Vor- 
stellung nimmermehr  ein  Gegenstand  entsprechen,  d.  h.  dafs  eine 
Bedeutung  von  der  Art,  wie  sie  liier  intendirt  ist,  nicht  existiren 
kann.  Bas  Unverträglichkeitsurtheil  geht  hier  auf  YorstoUungen, 
dort  auf  Gegenstände,  wo  hier  {mit  Bolzaxo'  zu  roden)  Vorstel- 
iungsvorstellungeu,  ti'eten  dort  schlichte  Vorstellungen  in  die  ür- 
theilseinheit  ein. 

Ihre  grammatische  Ausprägung  finden  die  hier  behandelten 
Unverträglichkeiten,  bezw.  Gesetzmäfsigkeiten  der  Bedeutungsver- 
knüpfung, wenigstens  theilweiso  in  den  Regeln,  welche  die  gram- 
matische Verknüpfung  der  Redetheüe  beherrschen.  Fragen  wir 
nach  den  Gründen,  warum  in  unserer  Sprache  gewisse  Ver- 
knüpfungen gestattet  sind  und  andere  verwehrt,  so  werden  wir 
allerdings  zu  einem  sehr  erheblichen  Theil  auf  zufällige  Sprach- 
gewohnheiten imd  überhaupt  auf  Thatsächlichkciten  der  bei  einer 
Sprachgenossenschaft  so,  bei  einer  andern  anders  vollzogenen 
Sprachentwicklung  hingewiesen.  Zum  andern  Theil  stofsen  wir 
aber  auf  den  wesentlichen  Unterschied  der  selbständigen  und  un- 
selbständigen Bedeutungen,  sowie  auf  die  innig  damit  zusammen- 
hängenden Gesetze  der  Bedeutungsverknüpfung,  Gesetze,  die  sich 
in  jeder  entwickelten  Sprache  in  der  grammatischen  Formenlehre 
und  in  einer  zugeliörigon  Klasse  von  grammatischen  Unverträg- 
lichkeiten dokumentiren  müssen. 


'  Wissenschaftslehre  I,  §  f)0.  (Bolzano  nennt  sie  auoh  eSymbolische  Vor- 
steUoBgon"). 


§  13.     Die  Gesetze  der  BedetäungscompUaxion  und  die  logische 

Formenlehre. 

Die  Aufgabe  einer  duroligeführton  Wissenschaft  von  den  Bo- 
doutimgon  wäre  es  min,  die  Ciesetzo  der  Bedoutiingsverlinüpfiing 
(tinil  die  eng  zu  ihnen  gehörigen  der  Bedeutungsmüdification) 
zu  erforschen  und  sie  auf  eine  Minimnizahl  unabhängiger  Ele- 
mcntargesetzo  zurückzuführen.  Dazu  aber  wäi-e  es  selbstver- 
ständlich nöthig,  vorher  die  wesentlichen  Bedontungskategorien, 
welche  in  diesen  Gesetzen  als  die  Unbestimmten  (oder,  in  einem 
der  Mathematik  analogen  8inn,  als  dio  Variahlen)  hguriren, 
zu  sondern.  Was  hier  verlangt  ist,  kann  uns  die  Arithmetik 
einigermafsen  verdeutlichen.  Es  giebt  gewisse  Formen  der  Sjn- 
thcsis,  nach  welchen,  sei  es  allgemein  oder  nur  tinter  bestimmt 
angobbaren  Bedingungen,  aus  je  zwei  Zahlen  neue  Zahlen  erwachsen. 
Die  „directen  Operationen"  a-\-b.,  «i»,  a'  u.  s.  w.  liefern  unbe- 
schränkt, die  „inversen"  a  —  fe,  -y,  yn,  ''loga  u.  s.  w.   nur  unter 

gewissen  Beschränkungen  Zahlen  als  Ergebnisse.  Dafs  sich  »lies 
nun  so  vorhält,  muls  jeweils  durch  einen  Existenzialsatz  oder 
besser:  durch  ein  Existenzialgesetz  festgestellt  und  eventuell  aus 
gewissen  primitiven  Axiomen  demoiistrirt  werden.  Schon  aus  dem 
Wenigen,  das  wir  bis  nun  andeuten  konnten,  ist  es  klar,  dafs 
ähnliche,  nämlich  auf  Existenz,  bezw.  Nichtoxistenz  von  Bedeu- 
tungen bezügliche  Gesetze  im  Bedeutungsgebiot  Bestand  haben, 
und  dafs  in  diesen  Gesetzen  die  Bedeutungen  nicht  freie  Variable, 
sondern  auf  den  Umfang  der  oder  jener,  in  der  Natur  des  Be- 
deutungsgebietes gründenden  Kategorien  beschränkt  sind. 

In  der  reinen  Logik  ist  die  natürliche  Sphäre,  welcher  die 
Durchführung  der  soeben  angedeuteten  Probleme  obliegt,  die 
Lehre  von  den  Bedeutungsformen,  oder,  wie  wir  auch 
sagen  dürfen,  dio  Lehre  von  den  Formen  der  logischen  Urtheile 
oder  Sätze.  (Denn  offenbar  schliefst  diese  dio  Lehre  von  den 
logischen  Vorstellungen  —  genommen  in  dem  engsten  Sinno  als 
mögliche  Subjectbedoutungen  —  voll  und  ganz  in  sich  ein.)     Es 


I 


handelt  sich  dabei  um  eine  Feststellung  der  primitivon  Fonucn 
und  um  eine  systemntische  Ueborsicht  über  die  unbeg^renzte  Mannig- 
faltigkeit weiterer  Formen,  welche  aus  ihnen  durch  Complioation 
bezw.  Modification  abzuleiten  sind.  Selbstverständlich  sind 
die  festzustellenden  Formen  giltige;  also  gehört  zu  jodor 
primitiven  Form  zugleich  ein  gewisses  Existenzialgesetz, 
wolclies  aussagt,  dafs  jede  Eedeutungsvorknüpfung,  die  solcher 
Form  folgt,  aucli  wirklich  eine  einheitliche  Bedeutung  ergiebt, 
wofern  nur  die  Termini  (die  Unbestimmten,  die  Variablen  dci' 
Form)  zu  gewissen  Bodeutungskategorien  gehören.  Was  aber  die 
Dcduction  der  abgeleiteten  Formen  anbelangt,  so  will  sie 
zugieicli  die  Doduction  ihrer  Giltigkeit  sein;  also  müssen  aucli 
zu  ihnen  Existenzialgosetze  gehören,  welche  aber  aus  denjenigen 
der  primitiven  Formen  deducirt  sind. 

Beispielsweise  gehört  zur  primitiven  Form  M  niid  N  das 
Existonzialgcsetz,  dafs  jedes  Paar  nominaler  Bedeutungen  (mög- 
licher Subjectbedeutungen)  durch  das  und  verknüpft  wieder  eine 
nominale  Bedeutung  ergiebt.  Substituirt  man  schrittweise  und 
immer  wieder  fiii'  einen  einfachen  Terminus  eine  Verknüpfimg 
von  diesen  Formen,  und  wendet  man  dabei  allzeit  das  primitive 
Existenzialgesetz  an,  so  resultiren  neue,  in  beliebiger  Compli- 
cation  ineinander  geschachtelte  Formen  von  deductiv  gesicherter 
Giltigkeit.     Z.  B. 

{M  und  X)  und  P 

{M  und  N)  und  (P  und  Q) 

\{M  und  N)  und  P]  und  Q 
u.  s.  w.  Man  versteht  ohne  Weiteres,  dafs  die  Complicationcn  in 
combinatorisch  überschaubarer  Weise  in  infmitnm  fortschreiten, 
dafs  jede  neue  Form  an  dieselbe  Bedeutungskategorie,  als  Sphäre 
der  Variabilität  für  ihre  Termini,  gebunden  bleibt,  und  dafs  so- 
lange diese  Sphäre  eingehalten  wird,  alle  danach  zu  bildenden 
Bedeutungsvcrbindimgen  nothwendig  existiren,  d.i.  einen  oinheit- 
lietien  Sinn  darstellen  müssen.  Man  sieht  auch,  dafs  die  zugehö- 
rigen Existenzialsätze  selbstverständliche  deductivc  Folgen  des  zu 
der  primitiven  Form  gehörigen  Satzes  sind.    Indem  wir  uns  diese 


Trivialitäten  zum  formulirten  Bewufstsein  bringen,  erwächst  uns 
die  Einsicht  in  die  apriorische  Constitution  des  Bedeutungsgebietes 
nach  Seiten  all  derjenigen  Formen,  die  in  der  schlichten  Grund- 
furm  zweigliedriger  collectiver  Verknüpfung  ihren  apriorischen 
Ursprung  haben. 

Und  natürlich  ist  diese  Einsicht,  oder  vielmehr  die  voll- 
umfassende Einsicht  in  die  formale  Constitution  des  gesammten 
Bedeutungsgebietes,  der  einzige  Zweck  derartiger  Untersuchungen. 
Es  wäre  unverständig,  an  die  Formulirung  der  Bedeutungstypen 
und  der  ihnen  zugehörigen  Existenzialgesetze  die  Hoffnung  zu 
knüpfen,  damit  auch  practisch  wcrthvolle  Regeln  der  Bodcutungs- 
compkwion,  bezw.  der  grammatischen  Complexion  von  Ausdrücken 
gewinnen  zu  können.  Es  besteht  hier  keine  Versuchung,  die  Linie 
des  Richtigen  zu  verfehlen,  also  kein  practischcs  Interesse,  dieselbe 
Linie  wissenschaftlich  zu  bestimmen.  Der  Unsinn  springt  bei 
jeder  Abweichung  von  den  normalen  Formen  so  unmittelbar  in 
die  Augen,  dafs  wir  in  der  Praxis  des  Denkens  und  Sprechens 
auf  solche  Abweichungen  gai-nicht  verfallen  können.  Umso  gröfser 
ist  aber  das  theoretische  Interesse,  das  an  diesen  Trivialitäten 
haftet.  Es  handelt  sieh  ja,  genauer  ausgedrückt,  um  die  Einsicht, 
dafs  sich  alle  möglichen  Bedeutungen  überhaupt  festen,  katego- 
rialen  Formen  einordnen,  und  dafs  im  Bedeutung-sgebiet  eine 
apriorische  Gesetzmäfsigkeit  waltet,  wonach  alle  möglichen  Formen 
in  systematischer  Abhängigkeit  von  einer  kleinen  Anzahl  primi- 
tiver, durch  Existenzialgesetze  festgelegter  Formen  stehen.  Mit 
dieser  Gesetzmäfsigkeit  kommt  uns,  da  sie  eine  apriori- 
sche und  rein  kategoriale  ist,  ein  Grund-  und  Haupt- 
stück von  der  Constitution  der  „theoretischen  Vernunft" 
zum   wissenschaftlichen  Bewufstsein. 

Zusatx.  Ich  sprach  oben  von  Coraplication  und  Modifica- 
tion.  In  der  Tliat  gehören  in  iHo  abzugrenzeudo  Sphäre  auch 
die  Gesetzmöfsjgkeiten  der  Modification.  Was  gemeint  ist,  ver- 
deutliclit  das  oben  besprochene  Änalogon  der  svpponitio  tnuterialis. 
Andere  Beispiele  liefern  die  garnicht  leicht  zu  klärenden  Unter- 


schiede  der  Zusammenhangsfunction,  wie  wenn  etwa  der 
Subjectname  an  dio  Objoctstelle  gebraclit  wird;  also  Unterschiode, 
die  vielfach  vennengt  mit  empirischen,  in  die  Casusformen  ein- 
fliefsen.  Auch  der  Unterschied  zwischen  attributiver  und  prädica- 
tiver  li'iinction  der  adjectivischen  Bedeutungen  und  Aehnliches 
dieser  Art  gehört  hieher.* 


§   14.     Die  Oeseixe  des  xu  vet-nieideiiden  Unsinns  und  diejenigen  des 
XU  i)ermeidenden  Widersinns.     Die  Idee  der  reinen  Orammatik. 

Im  Uebrigen  wollen  wir  keineswegs  behaupten,  dafs  diese  Ge- 
setze, welche  die  blofse  Scheidung  der  Gebiete  des  Sinnvollen  und 
Sinnlosen  besorgen,  und  welche  im  weiteren  Wortsinn  gowifs 
als  logische  Gesetze  gelten  müssen,  den  Umkreis  der  logischen 
Gesetze  abschliersen.  Im  Gegentheil  wird  man,  wo  von  logischen 
Gesetzen  die  Rede  ist,  an  sie  am  allerwenigsten  denken,  sondern 
an  die  ganz  anderen,  unseren  Erkenntnisintoresseo  ungleich  näher- 
stehenden Gesetze,  die  auf  sinnvolle  Bedeutungen  beschränkt,  deren 
gegenständliche  Möglichkeit  und  Wahrheit  betreffen.  Ueberlegen 
wir  das  Verhältnis  der  beiden  Arten  von  Gesetzen  etwas  näher. 

Die  apriorischen  Gesetze,  welche  zur  Constitution  der  wesent- 
lichen Bedeutungsformen  gehören,  lassen  es  ganz  offen,  ob  die  in 
solchen  Formen  zu  bildenden  Bedeutungen  „gegenständlich"  sind 
oder  „gegenstandslos",  ob  sie  (wenn  es  sich  um  Satzformen  handelt) 
mögliche  Wahrheit  orgeben  oder  nicht.  Diese  Gesetze  haben  ja 
nach  dem  Gesagten  die  blofse  Function,  Sinn  von  Unsinn  zu 
scheiden.  Das  Wort  Unsinn  ist  hiebei  (um  es  wiederholt  zu 
betonen)  eigentlich  und  streng  zu  nehmen;  ein  Worthaufen,  wie 
König  aber  oder  ähnlich  ttwl,  ist  oinlieitlicli  ültorhaupt  nicht  zu 
verstehen;  jedes  Wort  für  sich  hat  einen  Sinn,  nicht  aber  die 
Composition.  Diese  Gesetze  des  Sinnes,  normativ  zu  reden, 
des  zu  vermeidenden  Unsinns,  weisen  der  Logik  die 
möglichen  Bedeutungsformen  zu,  deren  objectiven  Werth 


'  In  den  Untersuchungen  zur  Formenlehre  der  Bedentangen,  welche  die 
Fortsetzung  il.  W.  bringen  soll,  werde  ich  auf  alle  diese  Fragen  näher  eingehen. 


318  IV.  Der  ünlersekkd  d.  selbständigen  u.  unseJbstätui.  Bedeutungeth 


sie  allererst  zu  bestimmen  hat  und  sie  tbut  dies  in  der 
Weise,  dafs  sie  die  ganz  andersartigen  Gesetze  aufstellt, 
welche  den  formalen  (formal  „möglichen")  Sinn  vom  formalen 
Widersinn  scheiden.  Dieser  Widersinn  heifst  zvvai-  öfters  auch 
Unsinn,  wie  wir  denn  seliliefslicL  selbst  eine  allzustarke  Ver- 
letzung empirischer  Wahrheit  als  Unsinn  bezeichnen  hören;  aber 
dieser  Unsinn  meint  jetzt  objective  und  näher  formale,  rein 
in  den  logischen  Kategorion  gründende  Unverträglich- 
keit, als  welche  gegen  alle  „Materie  der  Erkenntnis"  gleichgütig 
ist  Gesetze  wie  der  Satz  vom  Widerspruch,  von  der  doppelten 
Negation,  wie  der  modus  ponens,  sind,  normativ  gewendet,  Ge- 
setze des  zu  vermeidenden  formalen  Widersinns.  Sie 
zeigen  uns,  was  für  Gegenständliches  überhaupt  vermöge  der 
reinen  Denkform  gilt,  bezw.  was  sich  für  die  Objectivität  der  Be- 
deutungen a  jjriori  aller  Materie  der  bedeuteten  Gegenständlich- 
keit auf  Grund  der  reinen  Bedeutungsform,  in  der  sie  gedacht 
sind,  aussagen  läfst  Diese  Gesetze  düi-fen  nicht  verletzt  werden, 
wenn  nicht  Falschheit  resultiren  soll,  ehe  wir  das  Gegenständliche 
seiner  Besonderheit  nach  überhaupt  angesehen  haben. 

Die  apriorischen  Bedeutungsgesetze,  deren  Wesen  jede  „Form" 
im  Sinne  der  Logik  verdeutlicht,  sind  es,  welche  den  vom  Ratio- 
nalismus des  17.  und  18.  Jahrhunderts  concipirten  Gedanken  einer 
universellen  Grammatik  einen  sicheren  Halt  geben.  Was  wir 
in  dieser  Hinsicht  schon  in  der  Einleitung  andeutend  gesagt  haben, 
bedarf  kaum  einer  niiheren  Ausführung.  Instinctiv  hatten  die 
älteren  Grammatiker  vor  Allem  wol  die  bezeichnete  Gesetzessphäre 
im  Auge,  wenn  sie  sie  auch  nicht  zu  begrifflicher  Klarheit  zu 
bringen  vermochten.  Es  giebt  auch  in  der  grammatischen  Sphäre 
ein  festes  Mafs,  eine  apriorische  Norm,  die  nicht  überschritten 
werden  darf.  Wie  sich  in  der  eigentlich  logischen  Sphäre  das 
Apriorische  als  „reine  IjOgik"  vom  empirisch  und  practisch  Logischen 
sondert,  ebenso  sondert  sich  in  der  grammatischen  Sphäre  das  so- 
zusagen „rein"  Grammatische,  d.  h.  eben  das  Apriorische  (die  „ide- 
alische Form"  der  Sprache,  wie  man  vortrefflich  sagte)  vom 
Empirischen.    Beiderseits  ist  das  Erapii'ische  theils  diu'ch  die  all- 


gemeinen  und  doch  nur  factischen  Züge  der  Menschennatur  be- 
stimmt, thoils  auch  durch  die  zululligen  Besonderungen  der  Rasse, 
näher  des  Volks  und  seiuer  Geschichte,  des  Individuums  und  seiner 
individuellen  Lebenserfahrung.  Das  Apriorische  aber  ist  mindestens 
in  seinen  primitiven  Gestaltungen  hier  und  dort,  wie  überall  sonst, 
„selbstverständlich'',  ja  geradezu  trivial;  und  doch  ist  seine  Nach- 
weisung und  theoretische  Verfolgung  wissenschaftlich  und  philo- 
sophisch von  allergröüsteiu  Interesse. 

Natürlich  kann  man  den  Gedanken  der  universellen  Grammatik 
über  die  apriorische  Sphäi-e  hinaus  erweitern,  indem  mau  die  etwas 
vage  Sphäre  des  allgemein  Menschliclien  im  empirischen  Sinne 
heranzieht.  Aber  das  mufs  man  sich  klar  machen,  dafs  aller  Tadel 
der  alten  Lehre  von  einer  grammaire  ginörale  et  raUonnee  nur 
die  Unklarheit  ihrer  historischen  Gestaltungen  und  die  Vermeu- 
gung  von  Apriorischem  und  Empirischem  trifft.  Sehe  ich  recht, 
so  ist  es  für  die  Sprachforschung  von  fundamentaler  Bedeutung, 
sich  die  hier  vorläufig  nur  angedeuteten  Unterschiede  zu  klarem 
BewuHstsein  zu  bringen  und  die  Einsicht  zu  erwecken,  dafs  die 
Sprache  nicht  blofs  ein  physiologisches,  psychologisches  und  kultur- 
historisches, sondern  auch  ein  apriorisches  Fundament  hat  Es 
betrifft  die  wesentlichen  Bedeutungsformen  und  die  apriorischen 
Gesetze  ihrer  Complexion,  bozw.  Modification,  und  keine  Sprache 
ist  denkbar,  die  gerade  durch  diese  Gesetze  nicht  wesentlich  mit- 
bestimmt wäre.  Mit  den  aus  diesem  Gebiet  stammenden  Begriifen 
operirt  jeder  Sprachforscher,  ob  er  sich  über  die  Sachlage  klar 
ist  oder  nicht 

Wir  können  abschliefsend  sagen:  Innerhalb  der  reinen  Logik 
grenzt  sich  als  eine,  an  sich  betrachtet  erste  imd  grundlegende 
Sphäre,  die  reine  Formenlehre  der  Bedeutungen  ab;  das  ist  die 
Lehre  von  den  reinen  Bedeutungskategorien  und  den  o  priori  in 
ihnen  gründenden  Gesetzen  der  Complexion,  bezvv.  Modification. 
Sie  legt  das  ideale  Gerüst  blofs,  das  jede  factischo  Sprache,  theils 
allgemein  menschlichou,  theils  zulultig  wechselnden  empirischen 
Motiven  folgend,  in  verschiedener  Weise  mit  empirischem  Material 
ausfüllt  und  umkleidet.     Wie  viel  vom  thatsiichlichen  Inhalt  der 


historischen  Sprachen,  sowie  von  ihren  grammatischen  Formen  in 
dieser  Weise  empirisch  bestimmt  sein  mag,  an  dieses  ideale  Ge- 
rüst ist  jede  gebunden;  und  so  mufs  die  theoretische  Erforschung 
desselben  eines  der  Fundamente  für  die  letzte  wissenschaftliche 
Klärung  aller  Sprache  überhaupt  ausmachen.  Mit  Rücksicht  darauf, 
doTs  in  diesem  unteren  logischen  Gebiete  die  Fragen  nach  der 
Wahrheit,  Oegcoständliclikeit,  objectiven  Möglichieit  noch  aufser 
dem  Spiele  bleiben,  und  mit  Rücksicht  auf  die  eben  charakterisirte 
Function  dieses  Gebietes  zur  Verständlichung  des  idealen  Wesens 
aller  Sprache  als  solcher,  könnte  man  dieses  fiindirende  Gebiet 
der  reinen  Logik  als  „reine  Grammatik"  bezeichnen. 

Anmerkungen. 

1.  Nach  den  vorstehenden  Ausfüliningen  wird  uns  Niemand  den 
Gedanken  zuschreiben,  wir  hielten  eiuo  „allgemeine"  Grammatik  im 
Siim  einei-  aUgemeiuen  Wissenschaft  für  möglich,  die  alle  besonderen 
Grammatiken  als  zufällige  Speciali täten  in  sich  fasse:  etwa  so,  wie 
die  allgemeine  mathematische  Theorie  alle  möglichen  Einzelfälle  a  priori 
in  sich  schliefst  und  mit  Einem  Schlage  erledigt.  Natürlich  ist  liier 
von  allgemeiner  Grammatik  in.  demselben  Sinne  die  Rede,  wie  sonst 
von  allgemeiner  Sprachwissenschaft.  Sowie  diese  überhaupt  die  allge- 
meinen Lehren  behandelt,  die  den  Wissenschaften  von  den  bestimmten 
Sprachen  vorhergehen  können,  zumal  also  die  Voraussetzungen  oder 
Fundamente,  die  für  sie  alle  gleichmäfsig  in  Betracht  kommen:  so  in 
ihrem  engeren  Kreise  die  allgemeine  Grammatik,  die  eben  nur  eines 
dieser  Fimdamente  erforscht  und  zwar  jenes,  dessen  theoretisches 
Heimathsgebiet  die  reine  Logik  ist  Seine  Einoi-dnung  in  dit>  Sprach- 
wissenschaft  dient  natürlich  dem  blofsen  Interesse  der  Anwendung, 
ebenso  wie  in  anderer  Eichtung  diejenige  mancher  Kapitel  der  Payclio- 
logie.  Wir  selbst  bevorzugen  übrigens  den  Namen  reine  Grammatik, 
der  als  Analogen  zu  Kast's  „reiner  Naturwissensclmft"  auf  das  apri- 
orische Fundament  aller  Grammatik  hinweist. 

2.  Nichts  hat  die  Discussion  der  Frage  nach  dem  richtigen  Voi"- 
hältnis  zwischen  Logik  und  Grammatik  so  sehr  verwirrt,  als  die  l>e- 
ständige  Vermengmig  der  beiden   logischen  Sphären,  die  wir  als  die 


untere  und  obere  scharf  untersehiedeu  iind  durch  ihre  negativen  Gegen- 
stücke —  die  Sphären  dos  ünsians  und  des  Widersinns  —  chai-ak- 
terisirt  haben.  Das  Logische  im  Sinne  der  oberen ,  auf  die  formale 
"Wahrheit,  bezw.  Gegenständlichkeit  lendirten  Sphäi-e  ist  für  die  Gram- 
matik sicherlich  gleichgiltig.  Nicht  so  das  Logisehe  Oberliaupt.  Will 
man  aber  dio  untere  Sjihäre  wegen  ihrer  vermeintlichen  Enge,  ihrer 
Selbstverständlichkeit  imd  practischen  Nutzlosigkeit  discreditii-eu,  so 
wäre  zunächst  darauf  zu  antworten,  dafs  es  dem  Pliilosophen ,  dem 
berufenen  Vertreter  dos  Interesses  der  reinen  Theorie,  schlecht  an- 
[  Blande,  sich  durch  die  Frage  des  practischen  Nutzens  bestimmen  zu 
lassen.  Er  weifs  ja  auch,  dafs  sich  gerade  hinler  dem  „Selbstver- 
ständlichen" die  schwierigsten  Probleme  verbergen.  FQr's  Zweite  wäre 
aber  zu  bedenken,  dafs  eine  auch  nur  im  Rohen  zureichende  Fonnen- 
lehre  bisher  noch  felilt;  genauer  zu  reden,  daJJs  eine  wissenschaftlich 
strenge  und  pliänoniciiologisch  geklärte  Unterselioidung  der  primitiven 
Bedeutungselemente  uud  eine  wissenscliaftliche  üebersicht  über  dio 
Mannigfaltigkeit  abgeleiteter  Formen,  in  ihrer  Verknüpfung  und  Um- 
bildung, bisher  Niemandem  gehmgen  ist,  also  jedenfalls  keine  allzu 
leicht«  Aufgabe  darstellt. 

3.  Ueber  verwandte  «nd  gegensätzhclie  Auffassungen  vergleiche 
man  H.  Steinthal's  Einleitung  in  die  Psychologie  und  Sprachwissen- 
schaft (Einl.  IV  „Sprechen  und  Denken,  Grammatik  imd  Logik"  S.  44 ff.). 
Zumal  sei  hingewiesen  auf  die  schöne  Präcisirung  der  Auffassung 
W.  V.  Humboldt '3  (a.  a.  0.  S.  63  ff.),  aus  welcher  hervorgeht,  dafs  wr 
uns  mit  dem  hier  Vorgetragenen  dem  grofsen  und  auch  von  Steutthal 
hochverehrten  Forscher  einigermafsen  annähern.  Was  Steikthal,  der 
selbst  auf  der  Gegenseite  steht,  einwendet,  seheint  durch  unsere 
Unterscheidungen  eine  so  klare  Erledigung  zu  finden,  dafs  von  ein- 
gehender Kiitik  hier  abgesehen  wenlen  kann. 


Haiaerl,  Lok.  ünton.  11. 


V. 
lieber  intentiouale  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 


Einleitung. 

Wir  haben  in  der  ü.  Untersuchung  den  Sinn  der  Idealität 
der  Species  überhaupt  klargelegt  und  damit  zugleich  denjenigen 
Sinn  der  Idealität  von  Bedeutungen,  der  für  die  reine  Logik  in 
Betracht  kommt  Wie  allen  idealen  Einheiten,  so  entsprechen 
den  Bedeutungen  reale  Möglichkeiten  und  eventuell  Wirklichkeiten, 
den  Bedeutungen  in  specie  entsprechen  die  Acte  des  Bedeutens, 
und  jene  sind  nichts  Anderes  als  die  ideal  gefalsten  Actcharaktere 
dieser.  Es  erheben  sich  nun  aber  neue  Fragen  mit  Beziehung 
auf  die  Gattung  von  psychischen  Erlebnissen,  in  welchen  die 
'oberste  Gattung  Bedeutung  ihren  Ursprung  nimmt,  und  desgleichen 
mit  Beziehung  auf  die  niederen  Arten  dieser  Erlebnisse,  in 
welchen  sich  die  wesentlich  verschiedenen  Bedeutungsarten  ent- 
falten. Es  handelt  sich  also  um  die  Beantwortung  der  Frage  nach 
dem  Ursprung  des  Begriffes  Bedeutung  und  seiner  wesentlichen 
Abartungen,  oder  um  eine  tiefer  und  weiter  dringende  Beant- 
wortung dieser  Frage,  als  sie  unsere  bisherigen  Untersuchungen 
dargeboten  haben.  Im  innigsten  Zusammenhang  damit  stehen 
weitere  Fragen:  die  Bedeutungen  sollen  in  Actintentionen  liegen, 
die  zur  Anschauimg  in  gewisse  Beziehung  treten  können.  Wir 
sprachen  mehrfach  von  der  Erfüllung  der  Bedeutungsintention 
durch  correspondirende  Anschauung,  und  dafe  die  höchste  Form 
dieser  Erfüllung  in  der  Evidenz  gegeben  sei.  Es  erwächst  also 
die  Aufgabe,  dieses  merkwürdige  phänomenale  Verhältnis  zu  be- 


schreiben  und  seino  logische  Rolle  zu  bestimmen,  d.  h.  die  in 
ihm  gründenden  Erkenntnisbegriffe  zu  klären.  Für  die  analyti- 
sche Untersuchung  sind  diese  und  die  vorigen,  auf  das  Wesen 
der  Bedeutung  (speciell  der  logischen  Vorstellung  und  des  logischen 
Urtheils)  bezüglichen  Aufgaben  garniebt  zu  trennen. 

Mit  diesen  Autgaben  wird  sich  die  vorliegende  Untersuchung 
noch  nicht  beschäftigen;  denn  ehe  wir  sie  selbst  in  Angriff  nehmen 
können,  bedarf  es  einer  sehr  viel  allgemeineren  phänomenologischen 
Untersuchung.  „Acte"  sollen  die  Erlebnisse  des  Bedeutens  sein, 
und  das  Bedeutungsmilfsige  im  jeweiligen  Einzolacto  soll  gerade 
im  Actcharakter  und  nicht  im  Gegenstande  liegeu,  es  soll  in 
dem  liegen,  was  ihn  zu  einem  „inten tionalen",  auf  Gegen- 
stände „gerichteten"  Erlebnis  macht.  Ebenso  liegt  das  Wesen  der 
erfüllenden  Anschauung  in  gewissen  Acten:  üenken  und  An- 
schauen sollen  als  Acte  verschieden  sein.  Und  natürlich  soll  das 
sich  Erfüllen  selbst  eine  speciell  zu  den  Actcharaktercn  gehörige 
Beziehung  sein.  Nun  ist  in  der  descriptiven  Psychologie  keine 
Rode  bestrittener  als  die  von  „Acten";  und  Zweifel,  wo  nicht 
gar  schnelle  Ablehnung,  mögen  sich  an  all  die  Stellen  der  bis- 
herigen Untersuchungen  geknüpft  haben,  wo  der  ActbegrifT  zur 
Charakteristik  und  zum  Ausdruck  unserer  Auffassung  diente.  Es 
ist  also  eine  wichtige  Vorbedingung  für  die  Lösung  der  bezeich- 
neten Aufgaben,  dirfs  dieser  Begriff  vor  allen  anderen  geklärt  werde. 
Es  wird  sich  herausstellen,  dafs  der  Begriff  des  Actos  im  Sinne 
des  intentionalen  Erlebnisses  eine  wichtige  Gattungseinheit  in 
der  Sphäre  der  psychischen  Erlebnisse  begrenzt,  und  dafs  somit 
die  Einordnung  der  Bedeutungserlebnisso  in  diese  Gattung  in  der 
Tliat  eine  werthvolle  Charakteristik  derselben  liefert. 

Selbstverständlich  gehört  zur  Erforschung  des  phänomeno- 
logischen Wesens  der  Acte  als  solcher  auch  die  Klärung  des  Unter- 
schiedes zwischen  Actcharakter  und  Actiuhalt  und  in  letzterer 
Hinsicht  die  Nachweisung  der  fundamental  verschiedenen  Bedeu- 
tungen, in  welchen  von  dem  „Inhalt"  eines  Actes  die  Rede  ist. 

Das  Wesen  der  Acte  als  solcher  kann  nicht  ausreichoud  er- 
örtert werden,  ohne  dafs  man   in   ziemlich  erheblichem  Mafse  in 

21* 


die  Phänomenologie  der  „Vorstellungen"  eingeht.  An  den  innigen 
Zusammenhang  erinnert  uns  der  bekannte  Satz,  dafs  jeder  Act 
entweder  eine  Vorstellung  ist  oder  Voi-stellungen  zur  Grundlage 
hat.  Indessen  fragt  es  Bich  dabei,  welcher  von  den  sehr  ver- 
schiedenen Begriffen  von  Vorstellung  heranzuziehen  ist,  und  so 
wird  die  Scheidung  der  sich  ineinander  mengenden  Phänomene, 
welche  den  Aequivocationen  hier  zu  Grunde  liegen,  zu  einem 
wesentlichen  Stück  der  Aufgabe. 

Die  Behandlung  der  soeben  im  Rohen  angezeigten  Probleme 
(an  welche  sich  einige  andere  innig  anscliliefsen  werden)  knüpfen 
wii-  nicht  unpassend  an  die  Unterscheidung  mehrerer  ineinander 
fliefsender  Begriffe  von  BewuTstsein.  Psychische  Acte  bezeichnet 
man  ja  oft  als  „Bethätigungen  des  Bewufstseins",  als  „Beziehungen 
des  Bewulfitaeins  auf  einen  Inhalt  (Gegenstand)",  und  mitunter 
definirt  man  „BewuTstsein"  geradezu  als  einen  zusammenfassenden 
Ausdruck  für  psychische  Acte  jeder  Art 


Erstes  Kapitel. 

BewuTstsein  als  phänomenologischer  Bestand  des  Ich, 
tmd  Bewiifstsein  als  innere  Wahrnehmung. 

§  1.     Vieldeutigkeit  des  Tennimis  Beten fstsc in. 

In  der  Psychologie  ist  von  BewuTstsein  und  ebenso  von 
Bowufstseinsinhalten  und  Bewufstscinserlebnissen  (gewöhnlich 
spricht  man  schlechthin  von  Inluilten  und  Erlebnissen)  hauptsäch- 
lich viel  die  Rede  im  Zusammenhange  mit  der  Sonderung  der 
psychischen  und  physischen  Phänomene,  womit  auf  der  einen 
Seite  die  zum  Bereich  der  Psychologie,  auf  der  anderen  die  zum 
Bereich  der  physischen  Wissenschaften  gehörigen  Piiänomene  be- 
zeichnet sein  sollen.  Mit  der  Frage  dieser  Sondorung  hängt  das 
uns  gestellte  Problem,  den  Begriff  dos  psychischen  Actes  passend 


oloffischer  Bestand  des  Ich  u.s.w.   325 


zu  umgrenzen,  sehr  nalie  zusammen,  insofern  dieser  Begriff  gerade 
in  diesem  Zusammenhange,  nämlich  als  vermeintliche  Umgrenzung 
der  psychologiscben  Doniiino,  erwachsen  ist.  Auf  den  richtigen 
Vollzug  dieser  Umgrenzung  hat  nun  ein  Begriff  von  Bewufstsein 
berechtigte  Anwendung,  die  Bestimmung  des  Begriffs  psychischer 
Act  liefert  ein  anderer.  Jedenfalls  gilt  es,  mehrere  sachlich 
verwandte,  und  sich  darum  leicht  vermengende  Begriffe  zu  unter- 
scheiden. 

Wir  werden  im  Folgenden  drei  Begriffe  von  Bewufstsein,  als 
für  unsere  Interessen  in  Betracht  kommend,  erörtern: 

1.  Bewufstsein  als  der  gesammte  phänomenologische  Bestand 
des  geistigen  Ich.  (Bewufstsein  -=  das  phänomenologische  Ich, 
als  „Bündel"  oder  Verwebung  der  psychischen  Erlebnisse.) 

2.  Bewufstsein  als  inneres  Oewahrwerden  von  eigenen  psychi- 
schen Erlebnissen. 

3.  Bewufstsein  als  zusammenfassende  Bezeichnung  für  jederlei 
„psychische  Acte"  oder  „intentionale  Erlebnisse". 

Dafs  damit  nicht  alle  Aequivocntionen  dos  fraglichen  Terminus 
erschöpft  sind,  braucht  kaum  gesagt  zu  werden.  Beispielsweise 
erinnere  ich  an  die  zumal  im  aufserwissenschaftlichen  Sprach- 
gebrauch umlaufenden  Redensarten  von  dem  „in's  Bewufstsein 
treten"  oder  „zum  Bewufstsein  kommen",  vom  „hochgespannten" 
oder  „herabgedrückten  Sclbstbewufstsein",  vom  „Erwachen  des 
Selbstbewufstseins"  (die  letztere  Rede  auch  in  der  Psychologie,  aber 
in  ganz  anderem  Sinne  als  im  gemeinen  Leben  gebräuchlich)  und 
dergleichen  mehr. 

Bei  der  Vieldeutigkeit  aller  Termini,  die  für  die  unterschei- 
dende Bezeichnung  irgend  in  Frage  kommen  können,  ist  die  ein- 
deutige Bestimmung  der  voneinander  abzuhebenden  Begriffe  nur 
auf  indirecteui  Wege  möglich,  nämlich  nur  durch  Zusammen- 
stellung gleichbedeutender  und  Eutgegenstullung  zu  sondernder 
Ausdrücke,  sowie  durch  passende  Umschreibungen  und  Erläute- 
rungen. Von  diesen  Hilfsmitteln  werden  wir  also  Gebrauch  zu 
machen  haben. 


§  2.     Erstens:    Deunifstsein  als  phänovicnologische  Einheit 
der  Icherlebnisse.     Der  Begriff  rfes  Erlebnisses. 

Wir  beginnen  mit  folgender  Zusammenstellung:  Wenn  der 
moderne  Psychologe  seine  Wissenschaft  als  Wissenschaft  von  den 
psychischen  Individuen  als  concreten  Bewufstseinen  (oder  Bewufst- 
scinseinheiteu),  oder  als  Wissenschaft  von  den  Bewufstsoinserlcb- 
nissen,  oder  als  solche  von  den  Bewufstseinsinhalten  definirt, 
bezw.  definiren  kann:  so  bestimmt  die  Nebeneinandereetzung  der 
Termini  in  diesem  Zusammenhang  einen  gewissen  Begriff'  von 
Bewufstsein  und  zugleich  gewisse  Begriffe  vou  Erlebnis  und  Inhalt. 
Unter  diesen  letzteren  Titeln  Erlebnis  und  Inhalt  meint  der 
moderne  Psychologe  die  realen  Vorkommnisse  (Wüxdt  sagt  mit 
Recht:  Ereignisse),  welche  von  Moment  zu  Moment  wechselnd,  in 
mannigfacher  Verknüpfung  und  Durchdringung  die  reale  Bewufst- 
seinseinheit  des  jeweiligen  psychischen  Individuums  constituiren. 
In  diesem  Sinne  sind  die  Wahrnehmungen,  Phantasie-  und  Bild- 
vorstellungen, die  Acte  des  begrifflichen  Denkens,  dicVermuthungeu 
und  Zweifel,  die  Freuden  und  Schmerzen,  die  Hoffnungen  und 
Befürchtungen,  die  Wünsche  und  Wolliingen  u.  dgl.,  sowie  sie  in 
unserem  Bewufstsein  von  Statten  gehen,  Erlebnisse  oder  Be- 
wufstseinsinhalto.  Und  mit  diesen  Erlebnissen  in  ihrer  Ganz- 
heit und  concreten  Fülle  sind  auch  die  sie  cümponiremlen  Thcile 
und  abstracfcn  Momente  erlebt,  sie  sind  reelle  Bewufstscinsinhalte. 
Natürlich  kommt  es  darauf  nicht  an,  ob  die  betreffenden  Theile 
für  sieh  irgendvrie  gegliedert,  ob  sie  durch  eigens  auf  sie  bezogene 
Acto  abgegrenzt  sind,  und  speciell  ob  sie  für  sich  Gegenstände 
„innerer",  sie  in  ihrem  evidenten  Bewufstseinsdasein  erfassender 
Wahrnehmungen  sind  und  es  überhaupt  sein  können,  oder  nicht 

Beispielsweise  ist  also  im  Falle  der  äufseren  Wahrnehmung 
das  Farbenmomont,  das  ein  reales  Bestandstück  meines  concreten 
Sehens  (in  dem  psychologischen  Sinn  der  visuellen  Wahrnehmungs- 
erschüinung)  ausmacht,  ebenso  gut  ein  „erlebter"  oder  „bewufster 
Inhalt",  wie  der  Charakter  des  Wahrnehmens  und  wie  die  volle 
Wahnich mungsei-scheinung   des   farbigen   Gegenstands.      Dagegen 


ist  dieser  Gegenstand  selbst,  obgleich  er  wahrgenommen  ist,  nicht 
erlebt  oder  bewiiTst;  und  desgleichen  auch  nicht  die  an  ihm  wahr- 
genommene Färbung.  Wenn  der  Gegenstand  nicht  existirt,  wenn 
also  die  Wahrnehmung  erkenntniskritisch  als  Trug,  psychologisch 
als  Hallucination,  Illusion  u.  dgl.  zu  bewerthen  ist,  so  existirt 
auch  die  wahrgenommene,  gesehene  Farbe,  die  des  Gegenstandes, 
nicht.  Diese  Unterschiede  zwischen  normaler  und  anomaler,  rich- 
tiger und  trügerischer  Wahrnehmung  gehen  den  inneren,  rein 
descriptiven  oder  phänomenologischen  Charakter  der  Wahrneh- 
mung nicht  an.  Während  die  gesehene  Farbe  —  d.  i.  die  in  der 
visuellen  Wahrnehmung  dem  erscheinenden  Gegenstande  als  seine 
Beschaffenheit  zugedeutete  Farbe  —  wenn  überhaupt,  so  gewils 
nicht  als  Erlebnis  des  Sehenden  existirt,  so  entspricht  ihr  in 
diesem  Erlebnis,  d.  i.  in  der  Wahriiehmuiigserscheinung,  ein  reelles 
Bestandstück.  Es  entspricht  ihr  die  Farbenompfindung,  das 
qualitativ  bestimmte  subjective  Farbenmoaient,  welches  in  der 
Wahruelimung,  bezw.  in  einer  ihm  eigens  zugeliörigen  Coraponente 
der  Wahrnehmimg  („Erscheinung  der  gegenständlichen  Färbung") 
objectiviren<le  „Auffassung''  erföhrt.  Nicht  selten  mengt  man 
Beides,  Farbenempfindung  und  objective  Farbigkeit  des  Gegen- 
standes zusammen.  Gerade  in  unseren  Tagen  ist  eine  Darstellung 
sehr  beliebt,  dio  so  spricht,  als  wäre  das  Eine  und  Andere  das- 
selbe, nur  unter  verschiedenen  „Gesichtspunkten  und  Interessen" 
betrachtet;  psychologisch  oder  subjectiv  betrachtet,  heifse  es  Em- 
pfindung, physisch  oder  objectiv  betrachtet,  Beschaffenheit  des 
äufseren  Dingos.  Es  genügt  hier  aber  der  Hinweis  auf  den  leicht 
fafslichcn  Unterschied  zwischen  dem  objectiv  als  gleichmäfsig  ge- 
sehenen Roth  dieser  Kugel  und  der  gerade  dann  in  der  Wahr- 
nehmung selbst  unzweifelhaften  Abschattung  der  subjectiven  Farben- 
ompfindungen  —  ein  Unterschied,  der  sich  in  Beziehung  auf  alle 
Arten  von  gegenständlichen  BesdiafFenhoiten  und  die  ihnen  corre- 
spondirenden  Empfindungscomplexionen  wiederholt,  und  der  nur 
in  OrenzföUen  auszugleichen  ist 

Was   wir   von  den  einzelnen  Bestimmtheiten  gesagt  haben, 
überträgt  sich  auf  die  concreten  Ganzen.     Dio  Behauptung:  der 


Unterschied  zwischen  dem  in  der  Wahrnehmung  bewufeten  Inhalt 
und  dem  in  ilir  wahrgenommenen  äufseren  Gegenstand  sei  ein 
blofser  ünterscliicd  der  Betrachtungsweise,  welche  dieselbe  Er- 
scheinung einmal  im  subjectivcn  Zusammenhang  (im  Zusammen- 
hang der  auf  das  Ich  bezogenen  Erscheinungen)  und  das  andere 
Mal  im  objectiven  Zusammenhang  (im  Zusammenhang  der  Sachen 
selbst)  betrachte,  ist  phänomenologisch  falsch.  Die  Aequivoc^tion, 
welche  es  gestattet,  als  Erscheinung  nicht  nur  das  Erlebnis, 
in  dem  das  Erscheinen  des  Objectes  besteht  (z.  B.  das 
conorete  Wahrnehmungserlebnis,  in  dem  uns  das  Ohject  vermeint- 
lich selbst  gegenwärtig  ist),  sondern  auch  das  erscheinende 
Object  zu  bezeichnen,  kann  nicht  scharf  genug  betont  werden. 
Der  Ti-ug  dieser  Aeqaivocation  verschwindet  sofort,  sowie  man 
sich  phänomenologische  Rechenschaft  darüber  giebt,  was  denn 
vom  erscheinenden  Object  im  Erlebnis  der  Erscheinung  reell  vor- 
findlich  sei.  Die  Dingerscheinung  (das  Erlebnis)  ist  nicht  das 
erscheinende  Ding  (das  uns  vermeintlich  ..Gegenüberstehende"); , 
in  dem  Bewufstseinszusammenhang  erleben  wir  die  Erecheinungen, 
als  in  der  phänomenalen  Welt  seiend  erscheinen  uns  die  Dinge. 
Die  Erscheinungen  selbst  erscheinen  nicht,  sie  werden  erlebt. 

Erscheinen  wir  uns  selbst  als  Glieder  der  phänomeniüen  Welt, 
so  erscheinen  die  physischen  und  psychischen  Dinge  (Körper  und 
Personen)  in  physischer  und  psychischer  Beziehung  zu  unserem 
phänomenalen  Ich.  Diese  Beziehung  des  phänomenalen 
Objects  (das  man  ebenfalls  Bewufstseinsinhalt  zu  nennen  liebt) 
auf  das  phänomenale  Subject  (Ich  als  empirische  Person, 
als  Ding)  ist  selbstverständlich  zu  trennen  von  der  Beziehung 
des  Bewufstseinsinhalts  in  unserem  Sinn  zum  Bewufst- 
sein  im  Sinne  der  Einheit  der  BewuTstseinsinhalte  (dem 
phänomenologischen  Ich).  Dort  handelt  es  sich  um  das  Ver- 
hältnis zweier  Dinge,  hier  um  das  Verhältnis  eines  einzelnen  Er- 
lebnisses zur  Erlebniscomplexion.  Ebenso  ist  natürlich  umgekehrt 
die  Beziehung  der  Person  Ich  zum  äufserlich  erscheinenden  Dinge 
zu  trennen  von  der  Beziehung  zwischen  der  Dingerschei- 
nung als  Erlebnis  und  dem  erscheinenden  Ding.    Sprechen 


wir  von  dieser  letzteren  Beziehung,  so  bringen  wir  uns  nur  zur  Klar- 
heit, dafs  das  subjective  Erlebnis  nicht  selbst  das  ist,  was  „in" 
iliin  vermeintlich  gegenwärtig  ist;  wie  wenn  wir  z.  B.  feststellen, 
dafs  die  Prädicate  der  Erscheinung  nicht  zugleich  Prädicato 
des  in  ihr  Erscheinenden  sind.  Und  eine  abermals  neue  Be- 
ziehung ist  die  übjectivirende  Beziehung,  die  wir  der  in  der 
Ersclieiniing  erlebten  Empfindungscomploxion  zu  dem  er- 
scheinenden Gegenstand  zusciireiben ;  nämlich  wenn  wir  sagen: 
im  Acte  des  Erscheinens  werde  die  P^miifindiingsconiplexion  er- 
lebt, aber  in  gewisser  Weise  „aufgefelst",  „appercipirt",  und  in 
dieser  deutenden  Auffassung  der  Empfindungen  bestelle  das,  was 
wir  Erscheinen  des  Gegenstandes  nennen. 

Aehnlicho  Untoi-scheidungen,  wie  wir  sie  eben  in  Betreff  der 
Wahrnehmung  uothwendig  fanden,  um  das,  was  in  ihr  Erlebnis 
ist,  niimiich  was  sie  reell  constituirt,  von  dem  zu  unterscheiden, 
was  in  einem  unoigentlichen  (dem  „intentionalen")  Sinn  in  ilir 
ist,  sind  auch  bei  den  anderen  „Acten"  zu  machen.  Wir  worden 
diese  Unterscheidungen  bald  allgemeiner  behandeln  müssen.  Hier 
kommt  es  nur  darauf  an,  von  vornherein  gewisse  beirrende  Ge- 
dankenrichtungon  zu  verbauen,  welche  den  schlichten  Sinn  der 
zu  klärenden  Begriffe  verwirren  könnten. 

§  3.     Der  phänonienoloffiscfie  und  jmpuläre  ErUbnisbegriff. 

In  gleicher  Absiebt  weisen  wir  noch  darauf  hin,  dafs  unser 
Begriff  von  Erlebnis  nicht  übereinstimmt  mit  dem  popu- 
lären, wobei  wieder  die  oben  angedeutete  Unterscheidung  zwischen 
reollem  und  intentionalem  Inhalt  ihre  Eolle  spielt. 

Sagt  Jemand,  ich  habe  die  Kriege  von  1866  und  1870  er- 
lebt, so  ist  das,  was  in  diesem  Sinne  „erlebt''  heifst,  eine  Com- 
plexion  äufserer  Vorgänge,  und  das  Erleben  besteht  hier  aus 
Wahrnehmungen,  Beurtheüungen  und  sonstigen  Acten,  in  welchen 
die  Vorgänge  zu  gegenständlicher  Erscheinung  und  öftere  zu  Ob- 
jecten  einer  gewissen,  auf  das  empirisdie  Ich  bezogenen  Setzung 
werden.  Das  erlebende  Ich  oder  Bewufstsein,  in  dem  für  uns 
mafsgcbenden  phänomenologischen  Sinne,  hat  diese  Vorgänge,  wie 


die  an  ihnen  botheiligten  Dingo  natürlich  nicht  in  sich  als  seino 
„ps^-chischen  Erlebnisse",  als  soine  reollen  Bestandstücke 
oder  Inhalte.  Was  es  in  sich  findet,  was  in  ihm  reell  vorhanden 
ist,  das  sind  die  betreffenden  Acte  des  Wahrnehmens,  Urtheilens 
u.  8.  w.  mit  ihrem  wechselnden  Erapfindung^smnterial.  Und  so 
bedeutet  hier  auch  das  Erleben  etwas  ganz  Anderes  als  dort.  Dio 
äufseren  Vorgänge  erleben,  das  hiefs:  gewisse  auf  diese  Vor- 
gänge gerichtete  Acte  des  Wahi-nehraens,  des  (wie  immer  zu  be- 
stimmenden) Wissens  ii.  dgl.  haben.  Dieses  Haben  ist  sogleich 
ein  Beispiel  für  das  ganz  andersartige  Erloben  in  dem  innerlichen 
Sinne.  Es  besagt  nicht  mehr,  als  dafs  gewisse  Inhalte  Bestand- 
stücko  in  einer  Bewufstseinseinheit,  in  einem  „erlebenden"  psy- 
chischen Subject  sind.  Dieses  selbst  ist  ein  reales  Ganzes,  das 
sich  aus  mannigfachen  Theilen  reell  zusammensetzt,  und  jeder 
solche  Theil  heifst  „erlebt".  In  diesem  Sinne  ist  das,  was  das 
Ich  oder  das  Bewufstsein  erlobt,  eben  sein  Erlebnis.  Zwischen 
dem  orlobten  oder  bewulsteu  Inhalt  und  dem  Erlebnis  selbst  ist 
kein  llntersciiied.  Das  Empfundene  z.  B.  ist  nichts  Anderes  als 
die  Empfindung.  „Bezieht  sich"  aber  ein  Erlebnis  auf  einen 
von  ihm  selbst  zu  unterscheidenden  Gegenstand,  wie  z.  B.  die 
äiifsere  Wahrnehmung  auf  den  wahrgenommenen,  die  nominale  Vor- 
steünng  auf  den  genannten  Gegenstand  u.  dgl.,  so  ist  dieser  Gegen- 
stand in  dem  hier  festzulegenden  Sinne  nicht  erlebt  oder  bowufst, 
sondern  eben  wahrgenommen,  genannt  u.  s.  f. 

Diese  Sachlage  berechtigt  ja  zu  der  Rede  von  Inhalten, 
die  hier  eine  durchaus  eigentliche  ist.  Der  normale  Sinn  des 
Wortes  Inhalt  ist  ein  rehitiver,  er  weist  ganz  allgemein  auf  eine 
umfassende  Einheit  hin,  die  in  dem  Inbegriff  der  zugehörigen 
Theile  ihren  Inhalt  besitzt  Was  immer  an  einem  Ganzen  sich 
als  Theil  auffassen  liifst  und  es  in  Wahrheit  mitconstituirt,  gehört 
zum  Inhalte  dos  Ganzen.  In  der  üblichen  psychologischen  Rede 
von  Inhalten  ist  der  verschwiegene  Beziehuugspunkt,  d.  h.  das 
outsprcchendo  Ganze,  die  reelle  Bewufstsoiusoinheit.  Ihr  Inhalt 
ist  fler  Gesammtinbogriff  der  präsenten  „Erlebnisse"  und  unter 
Inhulton    im    Plural    versteht   man    dann  diese  Erlebnisse  selbst; 


Beimifslsein  als 


des  Ich  U.8.W.   331 


d.  i.  Alles,  was  als  reeller  Theil  das  jeweilige  Ich  oder  Bewrifst- 
sein  consütuii-L 


§  4.     Die  Bexiehung  xunsdun  erlehendem  Bemufstsein  und  erlebtem 
Inhalt  keine  phäncmienologisch  cirjenthümliche  Bcxiehungsari. 

Nach  der  vorstehenden  Darstellung  ist  es  klar,  dafs  die  Be- 
ziehung, in  weicher  wir  die  Erlfbnisse  zu  einem  erlebenden  Be- 
wufstst'in  oder  psychischen  Individuum  oder  Ich  denken,  auf 
keinen  eigenthünilichen  phänomenologischen  Befund 
zurückweist.  Das  Ich  im  Sinne  der  gewöhnlidicu  Rede  ist  ein 
empirischer  Gegenstand,  Jas  eigene  Ich  ist  es  ebenso  gut  wie  das 
fremde,  und  jedwedes  Ich  ebenso  wie  ein  beliebiges  physisches 
Ding,  wie  ein  Haus  oder  Batmi  u.  s.  w.  Die  wissenschaftliche 
Bearbeitung  mag  dann  den  Ichbegriff  noch  so  sehr  modificiren, 
hält  sie  sich  nur  von  Fictionen  fern,  so  bleibt  das  Ich  ein  indi- 
vidueller Gegenstand,  der  wie  alle  solche  Gegenstände  phänome- 
nologisch keine  andere  Einheit  hat,  als  welche  ihm  durch  die 
geeinigten  Beschaffenheiten  gegeben  wird,  und  welche  in  deren 
eigenem  inhaltlichen  Bestände  eo  ipso  gründet.  Scheiden  wir  den 
Ichleib  vom  empirischen  Ich  ab,  und  beschränken  wir  dann  das 
rein  psychische  Ich  auf  seinen  phänomenologischen  Gehalt,  so 
reducirt  es  sich  auf  die  Bewufstseinseinheit,  also  auf  die  reale  Er- 
lebniscomplexion,  die  wir  {d.  li.  jeder  für  sein  Ich)  zu  einem  Theile 
mit  Evidenz  als  in  uns  vorhanden  finden  und  zum  ergänzenden 
Theile  mit  guten  Gründen  annehmen.  Es  ist  setbstvei-ständlich, 
dafs  das  Ich  nichts  Eigenartiges  ist,  das  über  den  mannigfaltigen 
Erlebnissen  schwebte,  sondern  dafs  es  einfach  mit  ihrer  eigenen 
Verknüpfungseinheit  identisch  ist.  In  der  Natur  der  Inhalte 
und  in  den  Gesetzen,  denen  sie  unterstehen,  gründen  gewisse 
Verknüpfungsformen.  Sie  laufen  in  vielttiltiger  Weise  von  Inhalt 
zu  Inhalt,  von  Inbaltsconiplexion  zu  Inhaltsconiplexion,  und 
schliefsüch  constituirt  sich  eine  einheitliche  Inhaltsgesamratheit, 
die  nichts  Anderes  ist,  als  das  Ich  selbst.  Die  Inhalte  haben 
eben,  sowie  reale  Inhalte  überhaupt,  ihre  gesetzlich  bestimmten 
Weisen   miteinander  zusammenzugehen,   zu   umfassenderen   Ein- 


332         V.  mPIpfentMmafa  Erlebnüae  und  ihre  „Inhalte". 

heiton  zu  verschmelzen,  und  indem  sie  so  Eins  worden  und  Eins 
sind,  bat  sicli  schon  das  Ich  oder  die  ßewufstseinseinlieit  constitiiirt, 
ohne  dafs  es  darüber  hinaus  eines  eigenen,  alle  Inhalte  tragenden, 
sie  alle  nocli  einmal  einigenden  Ichprincips  bedürfte.  Und  liier 
wie  sonst  wäre  die  Leistung  eines  solchen  Princips  unverständlieli. 
Wollen  wir  genauer  sein,  so  hätten  wir  zwischen  dem 
phäaomeuülogischon  Ich  des  Augoublicks,  dem  phänomenologischen 
Icli  in  der  ausgedehnten  Zeit  und  dem  Ich  als  verharrendem 
Gegenstand,  a!s  dem  Bleibenden  im  Wechsel,  zu  unterscheiden. 
Sowie  das  äufsere  Ding  uiclit  die  vereinzelte  Merkmalcomplexion 
des  Augenblicks  ist,  sondern  sich  als  das  im  Wechsel  Ver- 
harrende eret  in  der  durch  die  Mannigfaltigkeit  der  wirklichen 
und  möglichen  Veränderungen  hindurchgehenden  Einheit  con- 
stituirt,  so  constituirt  sich  das  Ich  als  subsistirendor  Gegenstand 
erst  in  der  alle  wirklichen  und  möglichen  Veränderungen  der  Er- 
lobnisconiploxiüu  übergreifenden  Einheit.  Und  diese  Einlieit  ist  nicht 
mehr  phänomenologische  Einheit,  sie  liegt  in  causaler  Gesetzlich- 
keit. Freilich  müssen  wir  die  Frage  hier  offen  lassen,  ob  wirklich 
zur  blofsen  einheitlichen  Continuität  der  Bowufstseinsinhalte,  ver- 
möge deren  sie  in  der  Weise  einheitlicher  Veriindorung  ineinander 
übergehen  und  zunächst  natürlich  in  jedem  Augenblick  für  sich 
contiouirlieh-einheitlich  sind,  ein  causal -gesetzliches  Band  gehöre, 
welches  hier  eine  dingliche  Einheit  im  metaphysischen  Sinne 
(nicht  in  einem  mystischen)  herstelle.  Wir  müssen  es  überhaupt 
offen  lassen,  ob  und  wie  psychische  und  physische  Dinge  neben- 
einander als  gleichberechtigte  dingliche  Einheiten  zu  unterscheiden 
sind.  Hier  kommt  es  nur  auf  das  Phänomenologische  an,  und 
da  ist  es  sicher,  dafs  das  phänomenologi.sch  rediicirto  Ich,  also 
das  Ich  nach  seinem  von  Moment  zu  Moment  sich  fortentwickelnden 
Bestand  an  Erlebnissen,  seine  Einheit  in  sich  selbst  trägt,  mag  es 
in  der  causalen  Betrachtung  als  ein  Ding  gelten  oder  nicht 

§  5.     Zweiletis      Das  „innere"-  Beunifsisein  als  innere   Wahrnehmung. 

Nach   den  Betrachtungen   der   drei    letzten  Paragraphen   ist 
Ein  Sinn    der  Termini  Bewufstsein,    Erlebnis,  Inhalt  bestimmt. 


An  diesem  Sinn  wollen  wir  weiterhin  festhalten,  es  sei  denn,  dafs 
andere  Begriffe  ausdrücklich  angezeigt  werden. 

Ein  zweiter  Begriff  von  Bewufstsein  prägt  sich  in  der  Rede 
vom  inneren  Bewufstsein  aus.  Es  ist  dies  die  „innere  Wahr- 
nehmung", welche  die  präsenten  Erlebnisse,  sei  es  im  Allgemeinen, 
sei  es  in  gewissen  Klassen  von  Fällen,  begleiten  und  auf  sie  als 
ihre  Gegenstände  bezogen  sein  soll.  Die  Evidenz,  welche  man 
der  inneren  Wahrnehmung  gewöhnlieh  beimifst,  weist  darauf  hin, 
dals  man  sie  dann  als  adäquate  Wahrnehmung  versteht,  welche 
ihren  Gegenständen  niclits  zudeutet,  was  nicht  im  Wabruebmuugs- 
erlebnis  selbst  anschaulich  vorgestellt  und  reell  gegeben  ist;  und 
umgekehrt,  welche  sie  genau  so  anschaulich  vorstellt  und  setzt, 
wie  sie  factisch  in  und  mit  der  Wahrnehmung  erlebt  sind.  Jede 
Wahrnehmung  ist  durch  die  Intention  chanikterisirt,  ihren  Gegen- 
stand als  selbst  gegenwärtigen,  genau  so  wie  er  ist,  daseienden 
und  gemeinten  zu  erfassen.  Dieser  Intention  ent.spricht  die 
Wahrnehmung;  sie  ist  adäquat,  wenn  der  Gegenstand  wirklich 
als  das,  was  er  ist,  „da"  ist,  leibhaftig  gegenwärtig,  also  im 
Wahrnehmen  selbst  gegenwärtig  und  mit  ilim  Eins.  Somit  ist  es 
selbstverständlich,  ja  aus  dorn  blofsen  Begrifl"  der  Wahrnehmung 
evident,  dafs  adäquate  Wahrnehmung  nur  innere  Wahrnehmung 
sein,  dafs  sie  nur  auf  gleichzeitig  mit  ihr  gegebene,  mit  ihr  zu 
Einem  Bewurstsein  gehörige  Erlebnisse  gehen  kann;  während 
keineswegs  umgekehrt  jede  auf  eigene  Erlebnisse  gerichtete  Wahr- 
nohuuing  (die  dem  natürlichen  Wortsinn  gemäfs  als  innere  zu  be- 
zeichnen wäre)  eine  adäquate  sein  raufs.  Bei  der  eben  hervorge- 
tretenen Zweideutigkeit  des  Ausdrucks  innere  Wahrnehmung  wäre 
es  besser,  zwischen  innerer  Wahrnehmung  (als  Wahrnehmung  eigener 
Erlebnisse)  und  adäquater  (evidenter)  Wahrnehmung  einen  termi- 
nologischen Unterschied  festzuhalten.  Es  würde  dann  auch  der 
schiefe  erkenntnistheoretisehe  und  auch  psychologisch  verwerthete 
Gegensatz  zwischen  innerer  und  äufserer  Wahrnehmung  ver- 
sciiwinden,  der  dem  echten  Gegensatz  zwisclion  adäquater  und 
nichtadäquater  Wahrnehmimg  untergeschoben  wird.' 

*  Vgl.  dazu  die  Beilage  über  ionero  und  äuäere  Wahi-nehmung. 


Eine  nahe  Beziehung  der  beiden  bisher  behandelten  Begrifle 
von  Bewufstsein  kommt  bei  manchen  Forschern,  wie  z.  B.  bei 
Bkentano,  dadurch  zu  Stande,  d&k  sie  das  Bewulstsem  (oder  Erlebt- 
sein)  von  Inhalten  im  ersten  Sinne  zugleich  als  ein  Bewulstsein  im 
zweiten  Sinne  glauben  fassen  zu  dürfen.  In  diesem  letzteren  ist 
bewufst  oder  erlebt,  was  innerlich  (und  das  bedeutet  bei  Brentano 
immer  zugleich  adäquat)  wahrgenommen  ist;  bewufst  im  ersteren 
Sinne  hiefs,  was  psychisch  überhaupt  präsent  ist  Die  Acqui- 
vocation,  die  dahiu  drängt,  Bowufstsein  als  eine  Art  von  Wissen, 
und  zwar  von  anschaulicliem  Wissen,  zu  verstehen,  dürfte  hier  eine 
Auffassung  empfohlen  haben,  welche  mit  allzu  harten  Unzuträg- 
lichkeiten  behaftet  ist.  Ich  erinnere  au  den  unendlichen  Kegrefe, 
der  aus  dem  Umstand  erwächst,  dafs  die  innere  Wahrnehmung 
selbst  wieder  ein  Erlebnis  ist,  also  neuer  Wahi'nehmung  bedarf, 
für  welche  dann  wieder  dasselbe  gilt,  u.  s.  w.;  ein  Regrefs,  den 
Brentano  durch  die  Unterscheidung  zwischen  primärer  und  seeun- 
därer  Wahrnehmungsrichtung  zu  lösen  versuchte.  Man  wird  künst- 
liche Theorien  dieser  Art  wol  entbehren  können,  so  lange  die 
Nothwendigkeit  einer  Annahme  der  continuirlichen  Action  innerer 
Wahrnehmung  empirisch  nicht  nachzuweisen  ist 


§  6.     Ursprung  des  ersten  Betcufstseinsbegriffs  atis  dem  zweiten. 

Es  ist  unverkennbar,  dafs  der  zweite  Bewulstsoinsbcgriff  der 
ursprüngliciiere,  und  zwar  auch  der  „an  sich  frühere"  ist.  In 
wissenschaftlich  geordneter  Weise  wird  man  von  ihm,  dem 
engeren,  zu  dem  ersten  und  weiteren  durch  folgende  Ueberlcgung 
fortschreiten  können:  Nehmen  wir  das  cogito,  ergo  siim,  oder 
vielmehr  das  einfache  sum  als  eine  Evidenz  in  Anspruch,  die 
allen  Zweifeln  gegenüber  ihre  Geltung  behaupten  dürfe,  so  ist  es 
selbstverständlich,  dafs  hierbei  als  Ich  nicht  das  volle  empirische 
Ich  passiren  kann.  Da  wir  aber  andererseits  werden  zugestehen 
müssen,  dafs  die  Evidenz  des  Satzes  icfi  hin  von  der  Kenntnis 
und  Annahme  der  immer  fragwürdig  gebliebenen  philosophischen 
Ichbegriffe  nicht  abhängig  sein  kann,  so  werden  wir  am  besten 
wol  sagen:  im  Urtheil  ich  bin  hängt  die  Evidenz  an  einem  ge- 


wissen,  in  begrifflicher  Schärfe  nicht  umgrenzten  Kern  der  empi- 
rischen Ichvorstellung.  Werfen  wir  nun  weiter  die  Frage  auf, 
was  zu  diesem  begriffiicli  ungefafsten  und  daher  unsagbaren  Kern 
wol  gehören  mag,  was  also  jeweils  mit  evidenter  Sicherheit  das 
Ich  ausmacht,  so  liegt  es  am  Nächsten  auf  die  Urtheile  der  inneren 
(=  adäquaten)  Wahrnehmung  hinzuweisen.  Niclit  nur  das  ich  bin 
ist  evident,  sondern  ungezählte  Urtheile  der  Form  ich  nehme 
dies  oder  jenes  wahr  —  nämlich  sofern  ich  dabei  nicht  blofs 
vermeine,  sondern  dessen  mit  Evidenz  versichert  bin,  dafs  das 
Wahrgenommene  als  das,  was  es  vermeint  ist,  auch  gegeben  ist; 
dafs  ich  es  selbst  erfasse  als  das,  was  es  ist.  Z.  B.  diese  Lust,  die 
mich  erfüllt;  diese  Phantasieerscheinung,  die  mir  eben  voi-schwebt 
u.  dgl.  Alle  diese  Urtheile  theilen  das  Schicksal  des  Urtheils  ich 
bin,  sie  sind  begriffUch  nicht  vollkommen  fafsbar  und  ausdrück- 
bar,  sie  sind  nur  in  ihrer  lebendigen,  aber  durch  Worte  nicht 
angemessen  mittheilbaren  Intention  evident.  Das  adiiijuat  Wahr- 
genommene, gleicbgiltig  ob  es  in  deraitigen  vagen  Aussagen  zum 
Ausdruck  kommt,  oder  ob  es  unausgedrückt  bleibt,  macht  nun 
den  erkenntnistheoretisch  ersten  und  absolut  sicheren  Bereich 
dessen  aus,  was  im  betreffenden  Augenblick  zum  Ich  gehört; 
wie  es  auch  umgekehrt  richtig  sein  wird,  dafs  im  Urtheil  ich 
bin  unter  dem  Ich  das  adäquat  Wahrgenommene  eben  den  die 
Evidenz  ermöglichenden  und  begründenden  Kern  ausmacht.  Zu 
diesem  Boreich  tritt  nun  weiterhin  das,  was  die  Erinnerung  sds 
früher  uns  evident  gegenwärtig  Gewesenes,  somit  als  zum  eigenen 
gewesenen  Ich  Gehöriges  darstellt.  (Evidenz,  bezw.  evidente  Wahr- 
scheinlichkeit des  ich  war.)  Dann  weiter  all  das,  was  wir  auf 
empirische  Gründe  hin  als  coexistirend  mit  dem  adäquat  Wahr- 
genommenen jedes  Augenblicks,  und  zwar  als  mit  ihm  con- 
tinuirlich  einheitlich  zusammenhängend  annehmen  dürfen. 
Wenn  ich  hiebei  sage  „coatinuirlich  einheitlich  zusammenhängend", 
so  meine  ich  hiebei  die  Einheit  des  concreten  Ganzen,  dessen 
Theile  entweder  Momente  sind,  die  sich  in  der  Coexistonz 
wechselseitig  fundiren,  also  fordern,  oder  Stücke,  die  durch  ihre 
eigene  Natur  in   der  Coexistenz  Einheitsformen   fundiren,    und 


zwar  reale  Formen,  die  wirklicli  mit  zum  Inhalt  des  Ganzen  als 
ihm  reell  einwohnende  Momente  gehören.  Und  die  Einheiten 
der  Coexistenz  gehen  von  Zeitpunkt  zu  Zeitpunkt  stetig  inein- 
ander über,  sie  constituiren  eine  Einheit  der  Veninderung,  welche 
ihrerseits  stetiges  Verharren  oder  stetiges  Aendera  mindestens 
eines  für  die  Einheit  des  Ganzen  wesentlichen,  also  von  ihm  als 
Ganzem  unablusbaren  Moments  fordert.  Diese  Rolle  spielt  vor 
Allem  auch  das  subjoctive  Zeitbewufstsein,  als  Abschattung  der 
„Zeitempfindurigon"  verstanden,  welches,  so  paradox  es  klingt,  eine 
allübergreifende  Form  des  Bewufstseinsaugenblicks,  also  eine  Form 
der  in  einem  objuctivcn  Zeitpunkt  coexi.stenten  Erlebnisse  darstellt 
Dies  macht  also  den  lohalt  des  Ich  als  der  seelischen  Einheit, 
als  der  real  in  sich  geschlossenen,  sich  zeitlich  fortentwickelnden 
Einheit  aller  seiner  „Erlebnisse"  aus.  Der  Begriff  des  Erlebnisses 
hat  sich  vom  „innerlich  Wahrgenommenen"  und  in  diesem  Sinn 
Bewufsten  erweitert  zum  Begriff  des  die  Seele  oder  das  bleibende 
Ich  reell  Constituirenden;  damit  also  auch  zu  dem  Begriff,  der 
das  Gebiet  der  Psychologie  als  der  Lehre  von  den  „psychischen" 
Erlebnissen  oder  „Bewurstseinsinhalten"  bestimmt.  Es  ist  hier 
der  passende  Ort,  um  zu  der  vielverliandelten  und  nächste  or- 
kenntnistheoretischo  Interessen  berührenden  Streitfrage  nach  der 
wechselseitigen  Abgrenzung  der  Psychologie  und  der  Wissenschaft 
von  der  physischen  Natur  Stellung  zu  nehmen. 


§  7.     Wechselseitige  Abgretixung  der  PsycJwlogie  und  Natuneissenschaß. 

Die  Psychologie  hat  —  descriptiv  —  die  Icherlebnis.se  (oder 
Bewufstseinsinhalte)  nach  ihren  wesentlichen  Arten  und  Com- 
plexionsformen  zu  studiren,  um  dann  —  genetisch  —  ihr  Ent- 
stehen und  Vergehen,  die  causalcn  Formen  und  Gesetze  ihrer' 
Bildung  oder  Umbildung  aufzusuchen.  Die  Bevmlstsoinsinhalte 
sind  ihr  Inhalte  von  Ich,  und  so  hat  sie  auch  die  Aufgabe,  das 
reale  Wesen  der  Ich  (kein  mystisches,  sondern  nur  ein  empirisch 
zu  begründendos  An- sich),  die  Zusammenbildung  von  psychischen 
Elementen  zu  Ich,  weiterhin  deren  Entwicklung  und  Verfall  zu 
erforschen. 


Den  empirischen  Ich  stehen  gegenüher  die  empirischen 
physisciien  Dinge,  die  Xicht-ioh,  ebenfnlls  Einheiten  der  Cooxistenz 
und  Succession  und  mit  dem  Anspruch  dingliclier  Existenz.  Uns, 
die  wir  Ich  sind,  sind  sie  nur  als  intentionale  Einheiten  gegeben, 
das  ist  als  in  psychischen  P^rletmissen  vermeinte,  als  vorgestellte 
oder  beurtheilto  Einheiten.  Darum  sind  sie  aber  .selbst  nicht  blofse 
Vorstellungen,  so  wenig  als  es  die  relativ  zu  uns  fremden  Ich 
sind,  von  denen  ja  dasselbe  gilt.  Die  physischen  Dinge  sind  uns 
gegeben,  sie  stehen  vor  uns,  sie  sind  Gegenstände  —  das  heifst, 
wir  haben  gewisse  Wahrnehmungen  und  ihnen  angepafste  Urtheile, 
welche  „auf  diese  Gegenstände  gerichtet''  sind.  Dom  System  aller 
solcher  Wahrnehmungen  und  Urthoile  entspricht  als  intentionales 
Correlat  die  physische  Welt.  Näher  wäre  zu  unterscheiden,  je 
nachdem  wir  das  System  dieser  Urtheile  bei  Einzelnen ,  bei  einer 
Geraeinschaft  von  Einzelnen  (als  ihnen  gemeinsames  Urthoilsystem) 
und  in  der  Einheit  der  Wissenschaft  betrachten:  die  Welt  des 
einzelnen  Ich,  die  Welt  der  empirischen  socialen  Gemeinschaft 
und  ev.  die  Welt  einer  idealen  Gemeinschaft  Wissender;  die  Welt 
der  (idea!  vollendeten)  Wi.'ssenschaft,  die  Welt  an  sich.  Auch  die 
psychischen  Erlebnisse  und  die  Ich  dokumentiron  sich  nach  ihrem 
Sein  und  ihren  gesetzlichen  Zusammenhängen  nur  in  der  Wissen- 
schaft als  einem  System  objectiv  giltiger  Vorstellungen  und  urtheile, 
und  gegeben  sind  sie  nur  als  Zielpunkte  intentianaler  Erlebnisse 
in  Ich.  Aber  sie  sind  in  einer  gewissen  engeren  Sphäre  wahr- 
haft als  das,  was  sie  sind,  gegeben,  während  dies  für  die  phy- 
sischen Dinge  überhaupt  nie  statthat.  Die  Berkeley -HüMi'sche 
Lehre,  welche  die  erscheinenden  Körper  auf  Bündel  von  „Ideen" 
reducirt,  wird  der  Thatsache  nicht  gerecht,  dafs,  wenn  auch  die 
Elementarideen  dieser  Bündel  psychisch  realisirbar  sind,  doch  die 
Bündel  selbst,  die  intendirten  Complexionen  der  Elemente  in  keinem 
menschlichen  Bewufstsein  je  als  complexe  Ideen  reell  gegen- 
wärtig waren  und  es  je  sein  werden.  Kein  Körper  ist  innerlich 
wahrnehmbar  —  nicht  weil  er  „physisch"  ist,  sondern  weil  z.  B. 
die  dreidimensionale  Raumform  in  keinem  Bewußtsein  adäquat 
anschaubar    ist.     Adäquate   Anschauung    ist    aber    dasselbe    wie 


Haiierl,  Log.  Unters.  II. 


22 


innere  Wahrnehmung.  Es  ist  das  fundamentale  Gebrechen  der' 
pbänomenalistisclien  Tlieorien ,  dafs  sie  zwischen  der  Ersclieinung, 
als  intentionalem  Erlebnis,  und  dem  erscheinenden  Gegenstand 
(dem  Subject  der  objectiven  Pradicate)  nicht  unterscheiden  und 
daher  die  erlebte  Enipfindungscompiexion  mit  der  Complexion 
gegenständlicher  Merkmale  ideutificiren.  Jedenfalls  sind  die  ob- 
jectiven Einheiten  der  Psychologie  und  diejenigen  der  Natur- 
wissenschaft nicht  identisch,  zum  Mindesten  nicht  so,  wie  sie  als 
erste  Gegebenheiten  der  wissenschaftlichen  Bearbeitung  harren. 
Ob  sich  die  beiden  Wissenschaften  in  vollendeter  Entwicklung 
als  getrennte  darstellen  werden,  hängt  davon  ab,  ob  es  sich 
beiderseits  wirklich  um  getrennte,  oder  wenigstens  relativ  gegen- 
einander selbständige  Realitäten  bandelt  (und  die  Selbständigkeit 
bedeutet  dabei  natürlich  nicht,  dafs  die  boidei-seitigen  Realitäten 
durch  irgendwelche  mystische  Abgründe,  durch  ganz  unerhörte 
Unterschiede  getrennt  sein  müfsten).  Wir  werden  besser  vielleicht 
umkehren:  ob  solch  eine  Trennung  besteht,  das  kann  nur  der 
Fortsehritt  der  beiden  Wissenschaften  lehren.  Sieher  ist,  dafs  sie 
nach  ihren  Ausgangspunkten,  nämlich  nach  der  originären  Sphäre 
von  Thatsacben,  die  sie  zu  bearbeiten  unternehmen,  und  auch 
weiterhin  in  ihrem  aufsteigenden  Fortschreiten  in  erheblichem 
Mafse  voneinander  unabhängig  sind. 

Freitich  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  welche  der 
Phänomenalismus  als  begründete  Theorie  hinstellt  (meines  E räch tens 
ist  er  nicht  über  vage,  obschon  keineswegs  wertblose  Gedanken- 
reihen hinausgekommen),  dafs  die  objectiven  Gründe  aller  Rede  von 
physischen  Dingen  und  Ereignissen  in  blofsen  gesetzraSfsigen 
Correlationen  liegen,  die  zwischen  den  psychischen  Erlebnissen 
der  mannigfaltigen  Bewufstseine  gestiftet  sind.  Die  Sonderung  der 
Wissenschaften  wäre  durch  Annahme  dieser  Theorie  aber  nicht 
aufgehoben.  Die  Unterscheidung  der  Erlebnisse  {Bewufstseins- 
inhalte)  von  den  in  Erlebnissen  vorgestellten  (und  sogar  wahr- 
genommenen, bezvv.  urtheilsniäfsig  für  existirend  gehaltenen)  Nicht- 
Erlebnissen bliebe  nach  wie  vor  das  Fundament  für  die  Scheidung 
der  Wissenschaften   als  Forschungsgebiete,   also  für  diejenige  Art 


von  Scheidung,  die  bei  der  jetzigen  Entwicklungsstufe  der  Wissen- 
schaften allein  in  Frage  kommen  kann.  Mit  der  Forderung  einer 
„Psychologie  ohne  Seele",  d.  i.  einer  Psychologie,  die  von 
allen  metaphysischen  Präsuniptionen  betreffs  der  Seele  absieht  — 
und  von  ihnen  absieht,  da  sie  doch  erst  in  der  vollendeten  Wissen- 
schaft zu  Einsichten  werden  könnten  —  con-espondirt  die  Forde- 
rung einer  „Naturwissenschaft  ohne  Körper",  d.  h.  einer 
Naturwissenschaft,  die  alle  Theorien  über  die  metaphysische  Natur 
des  Physischen  vorerst  ablelmt.  Eine  solche,  metaphysisch  im 
voraus  bindende  Theorie  ist  aber  auch  die  phänomenalistische. 
Sie  darf  der  Frage  nach  der  Scheidung  der  beiden  Wissenschaften 
nicht  vorangehen.  Diese  Scheidung  mufs  auf  rein  phänomeno- 
logischem Grunde  ruhen,  und  in  dieser  Hinsicht  glaube  ich,  dafs 
die  obigen  Erörterungen  wolgeeignet  sind,  die  viel  umstrittene 
Frage  in  befriedigender  Weise  zu  erledigen.  Sie  benutzen  allein 
den  fundamentalsten  phänomenologischen  Unterechied,  den  zwischen 
descriptivem  Inhalt  und  intendirtem  Gegenstand  der  Wahrnehmungen 
und  der  „Acte"  überhaupt. 

Den  P,sychologen  ist  dieser  Unterschied  selbstverständlich 
nicht  entgangen.  Wir  finden  ihn  schon  bei  Hobdes,  Descartes  und 
LocKK.  Man  kann  sagen,  dafs  ihn  alle  gröfseren  Denker  der  neueren 
Zeit  gelegentlieh  berührt  oder  behandelt  haben.  Nur  leider,  dafs 
sie  dies  eben  blofs  gelegentlich  thun,  statt  mit  diesem  Unterschied 
zu  beginnen  und  auf  ihn  in  jedem  Sehritte  genaueste  Rücksicht 
zu  nehmen;  mit  anderen  Worten,  statt  ihn  zum  Fundament 
der  wissenschaftlichen  Erkenntnistheorie  und  Psycho- 
logie zu  machen.  Nur  so  wird  die  Rede-  und  Denkweise  wissen- 
schaftlich correct,  obschon  freilich  sehr  umständlich  und  unbequem. 

Das  Bewufste  in  dem  engeren  Sinne  ist  Erscheinendes,  also, 
wenn  man  solches  überhaupt  in  usueller  Weise  Phänomen  nennen 
will,  psychisches  Phänomen.  Dagegen  ist  weitaus  der  gröisteTheil 
des  im  weitereu  Sinne  Bewufsten  nicht  eigentlich  Erscheinendes. 
Denn  sicherlich  wird  man  nicht  behaupten  dürfen,  dafs  alles 
Seelische  wahrgenommen  oder  auch  nur  wahrnehmbar  ist  (sc.  im 
Sinne   realer   Möglichkeit).     Die   Definition    der   Psychologie    als 


Wissenschaft  von  den  psychischen  Phänomenen  ist  also  nicht 
anders  zu  verstehen,  als  die  der  Naturwissenschaft  als  Wissenschaft 
von  den  physischen  Phänomenen.  Die  betrefifenden  Pliänomene 
bezeichnen  beiderseits  nicht  das  durch  sie  zu  erschöpfende  Object- 
gobiet  der  Wissenscliaft,  sondern  nur  die  nächsten  Angriffspunkte 
der  wissenschaftlichen  Forschungen.  So  verstanden  hätten  wir 
natürlich  gegen  diese  Definitionen  nichts  einzuwenden. 


§  8.     Das  reine  Idt  und  die  Betcufslheii. 

Wir  haben  bisher  des  reinen  Ich  (des  Ich  der  „reinen  Äpper- 
ception")  garnicht  gedacht,  welches  niich  den  Kant  nahestehenden, 
aber  auch  nach  manchen  empiristischen  Forschern  den  einheit- 
liehen Bcziehimgspunkt  abgeben  soll,  auf  den  sich  in  ganz  einzig- 
artiger Weise  aller  Bewufstseinsinhalt  als  solcher  beziehe.  Zur 
Thatsache  des  „subjectiven  Erlebens"  oder  Bewufstseins  gehöre 
dies  reine  Ich  also  wesentlich.  „Bowufst-sein  ist  Beziehung  auf 
das  Ich",  und  was  in  dieser  Beziehung  steht,  ist  Bewufstseins- 
inhalt. „Inhalt  nennen  wir  alles,  was  nur  immer  im  BewuTstsein 
auf  ein  Ich  bezogen  ist,  es  habe  übrigens  welche  Beschaffenheit 
es  wolle."  „Diese  Beziehung  ist  fiii-  allen  noch  so  mannigfach 
wechselnden  Inhalt  offenbar  eine  und  dieselbe;  sie  ist  es  eigent- 
lich, welche  das  Gemeinsame  und  Specifische  des  Bewufstseins 
ausmacht.  Wir  raarkiren  sie  [sagt  Natokp,  den  ich  hier  ständig 
citire],'  um  sie  von  der  Gesammtthatsache  des  Bewufstseins  zu 
unterscheiden,  durch  den  besonderen  Ausdruck  der  Bewufstheit." 
„Das  Ich  als  das  subjective  Beziehungscentrum  zu  allen 
mir  bewufston  Inhalten,  steht  diesen  Inhalten  unvergleichlich 
gegenüber,  es  hat  zu  ihnen  nicht  eine  Beziehung  gleicher  Art, 
wie  sie  zu  ihm,  es  ist  nicht  seinen  Inhalten  bewufst,  Avie  der 
Inhalt  ihm;  es  zeigt  sich  eben  darin  nur  sicli  selber  gleich,  dafs 
wol  Anderes  ihm,  aber  nie  es  selbst  einem  Anderen  bewufst  sein 
kann.    Es  kann  selbst  nicht  Inhalt  werden  und  ist  in  nichts  dem 


'  Vgl.  den  ganzen  §  4  in  Natobp'8  Einleitung  in  die  Psychologie  nach 
kiitischor  Methode,  S.  11  ff. 


gleichartig,  was  irgend  Inhalt  des  Bewiifstseins  sein  mag.  Es 
iäfst  sich  eben  darum  aucli  garnicbt  näher  boschreiben;  denn 
alles,  wodurcii  wir  das  Ich  oder  die  Beziehimg  darauf  zu  be- 
schreiben versuchen  könnten,  würde  doch  nur  aus  dem  Inhalt 
des  Bewufstseins  genommen  werden  können  und  also  es  selbst, 
das  Ich,  oder  die  Beziehung  auf  dasselbe,  nicht  treffen.  Anders 
ausgedrückt:  jede  Vorstellung,  die  wir  uns  vom  Ich  machen 
würden,  würde  dasselbe  /um  Gegen  stände  macheu.  \Vk  haben 
aber  bereits  aufgehört,  es  als  Ich  zu  denken,  indem  wir  es  als 
Gegenstand  denken.  Ich-sein  heifst  nicht  Gegenstand,  sondern, 
allem  Gegenstand  gegenüber  dasjenige  sein,  dem  etwas  Gegenstand 
ist  Dasselbe  gut  von  der  Beziehung  auf  das  Ich.  Bewufst-sein 
heilst  Gegenstand  für  ein  Ich  sein:  dies  Gegenstand- sein  lafat  sich 
nicht  selbst  wiwlerum  zum  Gegenstand  machen." 

„Die  Tliutsacho  der  Bevvufsthoit,  obwol  die  Grundthatsache 
der  Psychologie,  kann  wol  als  vorhanden  constatirt,  durch  Aus- 
sonderung bemerklich  gemacht,  aber  sie  kann  nicht  dofinirt,  noch 
von  etwas  Anderem  abgeleitet  werden." 

So  eindrucksvoll  diese  Ausfüiu'ungen  auch  sind,  ich  vermag 
sie  bei  genauer  Erwägung  nicht  zu  bestätigen.  Wie  sollten  wir 
jene  „Grundthatsache  der  Psychologie"  feststellen,  wenn  wir  sie 
nicht  denken,  und  wie  sollten  wir  sie  denken  ohne  Ich  und  Be- 
wufstsein  als  Objecto  der  Feststellung  „zu  Gegenständen  zu 
machen?"  Dies  würde  schon  gelten,  wenn  wir  uns  auf  eben 
diese  Thatsache  nur  durch  indirecte,  symbolische  Gedanken  be- 
ziehen könnten;  aber  nach  Natobp  soll  sie  ja  „Grundthatsache" 
sein,  die  uns  als  solche  also  doch  wol  gegeben  sein  mufs  in 
directer  Anschauung.  In  der  That  lehrt  er  ausdrücklich,  sie 
könnten  „als  vorhanden  constatirt  und  durch  Aussonderimg  merk- 
lich" werden.  Ist  das  Constutirte,  Bemerkte  nicht  Inhalt?  Wird 
es  da  nicht  gegenständlich?  Nun  mag  allenfalls  ein  engerer  Be- 
griff am  Gegenstand  ausgeschlossen  sein;  aber  zimächst  kommt  es 
auf  den  weiteren  an.  So  gut  die  Hinwendung  des  Merkens  auf 
einen  Gedanken,  auf  eine  Emptindung,  auf  eine  Regung  des  Un- 
behagens u.  s.  w.  diese  Erlebnisse  zu  Gegenständen  innerer  Wahr- 


342 


V,    üeber  inteniionale  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 


nebmuDg  macht,  ohne  sie  darum  zu  Gegenständen  im  Sinne  von 
Dingen  zu  niadien,  so  gut  wäre  jem-s  Beziehungscentrum  Ich  und 
Jede  bestimmte  Beziehung  des  Ich  auf  einen  Inhalt,  als  bemerkt, 
auch  gegenständlich  gegeben. 

Nun  mufs  ich  freilich  gestehen,  dafs  ich  dieses  primitive  Ich 
als  nothwendiges  Beziehungscentrum  schlechterdings  nicht  zu  finden 
vermag.  Was  ich  allein  bemerken,  also  wahrzunehmen  im  Stande 
bin,  ist  das  empirische  Ich  und  seine  empirische  Beziehung  zu 
denjenigen  eigenen  Erlebnissen  oder  äuTseren  Objecten,  die  ihm 
im  gegebenen  Augenblick  gerade  zu  Gegenständen  besonderer 
„Zuwendung"  geworden  sind,  während  „aufsen",  wie  „innen" 
vielerlei  übrig  bleibt,  was  dieser  Beziehung  auf  das  Ich  ermangelt. 

Ich  kann  hier  keinen  anderen  Weg  zur  Klärung  der  Saoh- 
lage  finden,  als  das  empirische  Ich  mit  seiner  empirischen  Be- 
ziehung auf  Objecte  einer  phänomenologischen  Analyse  zu  unter- 
werfen, und  dann  ergiebt  sich  nothwendig  die  oben  vertretene 
Auffassung.  Wir  schieden  den  Ich-körper  aus,  der  als  physisches 
Ding  erscheint  wie  irgendein  anderes,  und  betrachteten  das 
empirisch  an  ihn  gebundene,  als  zu  ihm  gehörig  erscheinende 
geistige  Ich.  Auf  das  actiiell  Gegebene  reducirt,  liefert  es  die 
oben  beschriebene  Complexion  von  psychischen  Erlebnissen.  Diese 
Comple.\ion  verhält  sich  zum  seelischen  Ich  ebenso,  wie  die  „in 
die  Wahrnehmung  fallende  Seite''  eines  wahrgenommenen  äufseron 
Dinges  zu  dem  ganzen  Dinge.  Die  bowufsto  intentionale  Be- 
ziehung des  Ich  auf  seine  Gegenstände  kann  ich  nicht  andere 
verstehen,  als  dafs  zur  Complexion  der  Erlebnisse  eben  auch 
intentionale  gehören,  und  dafs  solche  intentionale  Erlebnisse  den 
wesentlichen  phänomenologischen  Kern  des  phänomenalen  „Ich" 
ausmachen. 

Damit  stehen  wir  aber  vor  dem  dritten  Bewufstseinsbegriff, 
der  gerade  durch  die  Acte  oder  inten tionalea  Erlebnisse  umgrenzt 
ist,  und  den  wir  sogleich  im  nächsten  Kapitel  analysiren  werden. 
Wer  die  Eigenart  der  intentionalen  Erlebnisse  bestreitet,  wer  nicht 
anerkennen  will,  was  uns  als  das  Allersichersto  gilt,  dafs  das 
Gegenstand -sein,  phänomenologisch  gesprochen,  in  gewissen  Acten 


liegt,  in  welchen  etwas  als  Gegenstand  erecbeint  oder  gedacht  ist: 
der  wird  freilich  nicht  verstehen  liönnen,  wie  das  Gegenstand -sein 
selbst  wieder  gegenständlich  werden  Itnnii.  Nach  uns  ist  die  Saclio 
ganz  klar:  Acte  „richten  sich"  auf  die  Eigenheit  von  Acten,  in 
denen  etwas  erscheint;  oder  Acte  richten  sich  auf  die  empirische 
Beziehung  des  Ich  auf  den  Gegenstand;  und  den  phänomeno- 
logischen Kern  des  Ich  (des  enipirisclien)  bilden  hiebei  Acte,  die 
ihm  Gegenstände  „zum  Bevviifstsein  bringen",  „in"  ihnen  „richtet 
sich"  das  Ich  auf  den  bütrefleiiden  Gegenstand. 

Ich  kann  auch  nicht  einsehen,  wie  die  Rede  gelten  kann, 
dafs  die  Beziehung  des  Ich  auf  den  Bewufstseinsiiihalt  aller  Unter- 
schiede baar  sei;  denn  wenn  unter  Inhalt  das  Erlebnis  (das  reelle 
Constituens  des  phänomenologischen  Ich)  vei-standen  ist,  so  hängt 
doch  die  Weise,  in  der  sich  die  Inhalte  in  die  Erlebniseioheit 
einfügen,  durchaus  von  der  Besonderheit  der  Inhalte  ab,  ganz 
80  wie  bei  der  Einfügung  von  Theilen  in  Ganze  überhaupt. 
Ist  aber  unter  Inhalt  irgendwelcher  Gegenstand  gemeint,  auf  den 
sich  das  Bewufstsein  als  Wahrnehmen,  als  Einbilden,  als  Erinnern 
oder  Erwarten,  als  begriffliches  Vurstollen  oder  I'rädiciren  u.  s.  w. 
richtet,  dann  bestehen  erst  reclit  offeiisichtliche  Unterschiede,  die 
schon  in  der  Aneinanderreihung  der  eben  gebrauchten  Ausdrücke 
hervortreten. 

Vielleicht  nimmt  man  Anstofs  an  unserer  obigen  Behauptung, 
dafs  das  Ich  von  sich  selbst  Wahrnehmung  habe.  Aber  die  Selbst- 
wahrnehüiung  des  empirischen  Ich  ist  die  alltägliche  Saciie,  die 
dem  Verständnis  keine  Schwierigkeiten  bietet.  Das  Ich  wird  so 
gut  wahrgenommen,  wie  irgendein  aufseres  Ding.  Dafs  der  Gegen- 
stand nicht  mit  allen  Theilen  und  Seiton  in  die  Wahrnehmung 
fallt,  thut  hier,  wie  dort  nichts  zur  Sache.  Denn  wesentlich  ist 
es  dem  Wahrnehmen,  ein  vermeintlichos  Erfassen  des  Gegen- 
standes zu  sein ,  nicht  aber  ein  adäquates  Anschauen.  Das  Wahr- 
nehmen selbst,  obschon  es  zum  Ich  nach  seinem  phänomeno- 
logischen Bestand  gehört,  fällt  selbstverständlich,  wie  so  vieles 
Andere,  das  „bewufst"  aber  nicht  bemerkt  ist,  nicht  mit  in  die 
Wahrnehmung;  ähnlich  wie  etwa  die  Bückseite  eines  wabrgenom- 


laenen  Aufsotidinges  nicht  in  die  'Wahroehmung  fällt.  Gleichwol 
heilst  duit  das  Ich  und  liier  das  Diiiy_  wahrgenomraeii,  und  wahr- 
genommen ist  es  ja  in  der  That 


Zweites  Kapitel. 
fiewuTstsein  als  psychischer  Act. 


Die  Analyse  de 


5  dritten  Begriffs   von  Bewufstsein,   der  nun 
„psychischer    Act"    übereinkommt,    orfordert 


mit  dem  Begriffe 
aiisführlichprc  Erörterungen.  Im  Zusammenhang  mit  ihm  gewmnt 
auch  die  Rede  von  bowiifsteu  Inhalten,  spcciell  von  Inhalten 
unserer  Vorstellungen,  Urtheile  u.  s.  w.  mehrfache  Bedeutung, 
welche  zu  sondern  und  auf  das  genaueste  zu  erforschen,  von 
gröfster  Wichtigkeit  ist. 

§  9,     Die  Bedeutung  der  BiiENTANo'schen  Abgretixung  der 
„psychischen  Phänomene". 

unter  den  Klassenbegrenzungen  der  descriptiven  Psychologie 
ist  keine  merkwürdiger  und  in  philosophischer  Beziehung  bedeut- 
samer als  diejenige,  welche  Bhentano  unter  dem  Titel  der  „psy- 
chischen Phiinomone"  vollzogen  und  zu  seiner  bekannten  Ein- 
theilung  der  Phänomeno  in  psychische  und  physische  benützt  hat 
Nicht  als  ob  ich  die  üeberzeugung  billigen  wollte,  die  den  aus- 
gezeichneten Forscher  hiebei  leitete,  und  welche  sich  schon  in  den 
gewählten  Teimini  ausprägte:  nämlich  eine  erschöpfende  Klassi- 
fication  der  „Phänomeno"  gewonnen  zu  haben,  durch  welche  die 
Forschungsgebiete  der  Psychologie  und  Naturwissenschaft  ge- 
sondert und  die  Streitfi-age  nach  der  richtigen  Bestimmung  dieser 
Disciplinen  in  gar  einfacher  Weise  erledigt  werden  könnte.  Es 
mag  ja  sein,  dafs  sich  der  Definition  der  Psychologie  als  Wissen- 
schaft von  den  psychischen,  und  der  coordinirton  Definition  der 
Naturwissenschaft    als  Wissenschaft  von   den  physischen  Phäno- 


raeuen,  ein  guter  Sinn .  untorlegcn  lälst,  und  wir  selbst  haben 
einen  solclien  oben  angedeutet;  aber  mit  ernsten  Gründen  läfst 
sich  bestreiten,  dafs  die  Be^'riffo  der  HKK>TAXü'schcu  Scheidung 
diejenigen  sind,  die  gleichnamig  in  den  fraglichen  Definitioneu 
auftreten.  Es  liefae  sich  zeigen,  dafe  keineswegs  alle  psychischen 
Phänomene  im  Sinne  einer  möglichen  Definition  der  Psychologie 
ebensolche  im  Sinne  Bu>:ntaxu's,  also  psychische  Acte  sind,  und 
dafs  auf  der  anderen  Seite  unter  dem  bei  Brentano  aequivok 
fungirenden  Titel  „pliysisches  Phänomen"  sich  ein  guter  Theil 
von  walirhaft  psychischen  Pliänomenen  tindet.'  Indessen  der  Werth 
der  BRENTAXo'scIien  Conception  des  BegriÖes  „psychisches  Phii- 
numen"  hängt  von  den  Zwecken,  die  er  mit  ihr  verfolgte,  durch- 
aus nicht  ab.  Eine  scharf  abgegrenzte  Klasse  von  Erlebnissen 
tritt  uns  hier  entgegen,  die  Alles  in  sich  fafst,  was  in  einem  ge- 
wissen prägnanten  Sinne  psychisches,  bewufstes  Dasein  charak- 
terisirt.  Ein  Wesen,  das  solcher  Erlebnisse  ermangelte,  das  etwa 
blofs  Inhalte  der  Art,  wie  es  die  Empfindungserlebnisse  sind,  in 
sich  hätte,*  während  es  unfähig  wäre,  sie  gegenständlich  zu  inter- 
pretiren  oder  sonstwie  durch  sie  Gegenstände  vorstellig  zu  machen 
—  also  erst  recht  unfähig,  sich  in  weiteren  Acten  auf  Gegen- 
stände zu  beziehen,  über  sie  zu  urtheilen  und  vermuthen,  sich  zu 
freuen  oder  betrüben,  zu  hoffen  und  fürchten,  zu  begehren  und 
verabscheuen  —  ein  solches  Wesen  würde  Niemand  raclu"  ein 
psychisches  Wesen  nennen  wollen.  Es  wäre  ja  ein  Wesen  der- 
selben Art,    wie  die  phänomenalen  äufseron  Dinge,   die  uns  als 


'  Dafs  meino  abweicheude  Auffa-ssung  aicb  Dicht  in  dor  Richtung  von 
EinschriiakuDgon  bewegt,  wie  sio  Bhentano  selbst,  der  Unaugemcssenheit  der 
schlichten  Bestimmungen  wol  bewufst,  beizafügea  für  nöthig  hielt  (Vgl.  die 
Psychologie  vom  emp.  Standp.  I,  127  ff.),  zeigen  die  Erörteruugen  der  Beilage 
am  Scblusso  d.  Bandes. 

*  "Wir  könnten  nicht  mehr  sagen:  erlebte.  Der  Ursprung  des  Begriffes 
Erlebnis  liegt  ja  im  Gebiet  der  „psychischen  Acte",  und  wenn  die  Extension 
desselben  uds  zu  einem  Erlebnisbegriff  geführt  hat,  der  auch  Nicht- Acte  be- 
faftt,  so  bleibt  doch  die  Beziehung  auf  einen  realen  Zusammenhang,  der  sie 
Acteu  einoi"duet  oder  augüodert,  kurz  .luf  eine  Bewufetseinseiubeit,  s^o  weseut- 
lieh,  doCi  wir,  wo  dorgleiehen  fehlte,  vou  Eiieben  nicht  mehr  sprechen  würden. 


blofse  Complexionen  von  sinnlichen  Inhalten  erscheinen,  und  die 
wir  bewufstlose  Wesen  oder  Körper  darum  nennen,  weil  sie  aller 
psychischen  Erlebnisse  im  Sinne  jener  Beispiele  entbehren.  Und 
sehen  wir  von  der  Psychologie  ab,  und  treten  wir  in  den  Kreis 
der  engeren  philosophischen  Disciplioen,  so  bezeugt  sich  die  fun- 
damentale Wichtigkeit  dieser  Erlebnisklasse  darin,  dafs  nur  die 
ihr  zugehörigen  Erlebnisse  für  die  obersten  normativen  Wissen- 
schaften in  Betracht  kommen;  denn  in  ihnen  allein  sind  die  con- 
creten  Grundtagen  für  die  Abstraclion  der  fundamentalen  Begriffe 
zu  finden,  welche  in  Logik,  Ethik,  Aesthetik  ihre  systematische 
Rolle  spielen,  nünilieh  als  Begriffe,  welche  die  idealen  Gesetze 
dieser  Discipünen  aufbauen.  Indem  wir  hiebei  auch  die  Logik 
nannten,  haben  wir  zugleich  an  das  besondere  Interesse  erinnert, 
das  uns  zur  genaueren  Betrachtung  dieser  Erlebnisse  veranlafst 


§  10.     Descriptive  Charakteristik  der  Acte  als  „intentionaler" 

Erlebnisse. 

Doch  es  ist  an  der  Zeit,  das  Wesen  der  BBEJiTANo'schen 
Klassenabgrenzung,  also  das  Wesen  des  Begriffes  Bewufstsein  im 
Sinne  von  psychischem  Act  zu  bestimmen.  Von  dem  oben 
erwähnten  klassificatorischon  Interesse  geleitet,  führt  Brentano 
selbst  die  bezügliche  Untersuchung  in  der  Form  einer  wechsel- 
seitigen Abscheidung  der  zwei  von  ihm  angenommenen  Hanpt- 
klassen  von  „Phänomenen",  der  psychisclien  und  physischen.  Er 
gewinnt  sechs  Bestimmungen,  von  weichen  für  uns  von  vorn- 
lierein  nur  zwei  in  Betracht  kommen  können,  da  bei  allen  übrigen 
gewisse  täuschende  Aequivocationen,  welche  die  BRENTANo'schen 
Begriffe  von  Phänomen,  speciell  von  physi.schem  Pliänomen,  dann, 
von  innerer  und  äufseror  Wahrnehmung  zu  unhaltbaren  machen, 
in  destructiver  Weise  mitspielen.' 

Ton  den  beiden  bevorzugten  Bestimmungen  zeigt  die  eine 
direct  das  Wesen  der  psychischen  Phänomene  oder  Acte  auf. 
Es  drängt  sich  an  beliebigen  Beispielen   unverkennbar  entgegen. 


< 


'  Näheres  in  der  vorhin  citiiten  Beilage. 


In  der  Wahrnehmung  wird  etwas  wahrgenoiumon ,  iu  der  Bild- 
vorstellung  etwas  bildlich  vorgestellt,  iu  der  Aussage  etwas  aus- 
gesagt, in  der  Liebe  etwas  geliebt,  im  Hasse  etwas  gehafst,  im 
Begehren  etwas  begehrt  u.  s.  w.  Das  Gemeinsame,  das  an  solchen 
Beispielen  zu  erfassen  ist,  hat  Brentano  im  Auge,  wenn  er  sagt: 
„Jedes  psychische  Pliänomon  ist  durch  das  charakterlsirt,  was  die 
Scholastiker  des  Mittelidters  die  intcntionidc  (auch  wo!  mentiile) 
Inexistenz  eines  Gegenstandes  genannt  haben,  und  was  wir,  üb  wo! 
mit  nicht  ganz  unzweideutigen  Ansdrücken,  die  Boziebung  auf 
einen  Inhalt,  die  Richtung  auf  ein  Object  (worunter  liier  nicht 
eine  Realität  zu  verstellen  ist)  oder  ilie  immanente  Gegensfsind- 
lichkeit  nennen  würden.  Jedes  cntliält  etwas  als  Object  in  sich, 
obwol  nicht  jedes  in  gleicher  Weise".'  Diese  „Weise  der  Be- 
ziehung des  Bewufstseins  auf  einen  Inhalt"  (wie  Brextano  sich 
an  anderen  Stellen  öfters  ausdrückt)  ist  in  der  Vorstellung  eben 
die  vorstellende,  im  ürtheil  die  urtbeilende  u.  8.  w.  Bekanntlich 
gründet  sich  BEE.\TAis'o's  Klassificationsversuch  der  psycbischen 
Phänomene  in  Vorstellungen,  ürtbeile  und  Gemüthsbowegungen 
(„Phänomene  der  Liebe  nnd  des  Hasses")  auf  diese  Beziehungs- 
weise, von  welcher  Bre.nta.\o  eben  drei  grundvei-schiedene  (sich 
eventuell  mannigfach  speciticirende)  Arten  unterscheidet. 

Ob  man  Bhentako's  Klassification  der  „psychischen  Phäno- 
mene" für  zutreffend  erachtet,  und  ob  man  ihr  sogar  jene  grund- 
legende Bedeutung  für  die  ganze  Behandlung  der  Psychologie 
zuerkennt,  welche  BRKxrA.vo  für  sie  in  Anspruch  genommen  hat, 
darauf  kommt  es  hier  nicht  an.  Nur  Eins  halten  wir  als  für  uns 
wichtig  im  Auge:  dafs  es  wesentliche  specifische  Verschiedenheiten 
der  intentionalen  Beziehung,  oder  kurzweg  der  Intention  (die  den 
descriptiven  Gattungscharakter  des  „Actes"  ausmacht)  giebt.  Die 
Weise,  iu  der  eine  hlofso  Vorstellung  eines  Sachverhalts  diesen 
ihren  „Gegenstand"  meint,  ist  eine  andere,  als  die  Weise  des 
Urtheils,  das  den  Sachverbalt  für  wahr  oder  falsch  hält.  Wieder 
eine  andere  ist  die  Weise  der  Vermuthung  und  des  Zweifels,  die 


'  Psychologie  I,  116. 


Weise  der  Hoffnung  oder  Furclit,  die  Weise  des  Wolgefallens  und 
Mifsfallens,  des  Begehrens  und  Fliehons;  der  Entscheidung  eines 
theort'tisclicn  Zweifels  (Urtheilsentschoidung)  oder  eines  practischen 
Zweifels  (Willensentscheidung  im  Falle  einer  abwägenden  Wahl); 
der  Bestätigung  einer  theoretischen  Meinung  (Erfüllung  einer 
Urtheilsintention)  oder  einer  Willensmeinung  {Erl'üllungderWiüens- 
intentiou).  U.  s.  w.  Gewifs  sind,  wo  nicht  alle,  so  die  meisten 
Acte  complexe  Erlebnisse,  und  sehr  oft  sind  dabei  die  Intentionen 
selbst  mehrfältige.  Gemüthsintentionen  bauen  sich  auf  Vorstellungs- 
oder Urtbeiisintentionen  u.  dgl.  Aber  zweifellos  ist  es,  dafs  wir 
bei  .der  Auflösung  dieser  Complexe  immer  auf  primitive  inten- 
tionale  Charaktere  kommen,  die  sich  descriptiv  nicht  auf  anders- 
artige psychische  Erlebnisse  reduciren  lassen;  und  wieder  ist  es 
zweifellos,  dafs  die  Einheit  der  descriptiven  Gattung  „Intention" 
{„Actcbarakter")  specifische  Verechiedeuheiten  aufweist,  die  im 
Wesen  dieser  Gattung  gründen,  und  somit  nicht  als  blofse  Unter- 
schiode der  diese  Momente  zu  concreten  Einheiten  ergänzenden 
Erlebnisse  aufzufassen  sind.  Es  giebt  wesentlich  verschiedene 
Arten  und  Unterarten  der  Intention.  Zumal  ist  es  auch  unmög- 
lich, alle  Untorschieile  der  Acte  auf  Unterschiede  der  eingewobenen 
Vorstellungen  und  Urtheile  zu  reduciren,  unter  blolsem  Succurs 
von  Elementen,  die  nicht  zur  Gattung  Intention  gehören.  So  ist 
z.  B.  die  ästhetische  Billigung  oder  Mifsbilligung  eine  Weise  inten- 
tionalor  Beziehung,  die  sich  als  cvideut  eigenartig  erweist  gegen- 
über dem  blofsen  Voi'stellen  oder  theoretischen  Beurtheilen  des 
ästhetischen  Objects.  Die  ästhetische  Billigung  kann  zwar  aus- 
gesagt werden,  und  die  Aussage  ist  ein  Urtheil  und  schliefst  als 
solches  Vorstellungen  ein.  Aber  dann  ist  die  ästhetische  Intention, 
ebenso  wie  ihr  Object,  Gegenstand  von  Vorstellungen  und 
Urtheilen;  sie  selbst  bleibt  von  diesen  theoretischen  Acten  wesent- 
lich verschieden.  Ein  Urtheil  als  wahr,  ein  Gomüthserlebnis  als 
gut,  hochsinnig  u.  dgl.  anerkennen  oder  billigen,  das  setzt  gewife 
analoge  und  verwandte,  nicht  aber  spocifisch  identische  Intentionen 
voraus.  Ebenso  im  Vergleiche  zwischen  Urtheilsentscheidungen 
und  Willonsentscheiduiigen,  u.  s.  w. 


Die  intentionale  Beziehung,  rein  descriptiv  verstanden,  als 
innere  Eigenthümücliiieit  gewisser  Erlebnisse,  fassen  wir  als 
"Wesensbestini nitheit  der  „psychischen  Phänomene"  oder  „psy- 
chischen Acte",  so  dafs  wir  in  Brektaso's  Definition,  sie  seien 
„solche  Phänomene,  welche  intentional  einen  Gegenstand  in  sich 
enthalten",*  eine  essentielle  Definition  sehen,  deren  Realität  (im 
alten  Sinne)  natürlich  durch  die  Beispiele  gesichert  ist.'  Dafs 
nicht  alle  Erlebnisse  „psychische  Phänomene"  in  dieser  Wort- 
bedeutung sind,  zeigen  die  Empfindungen  und  Empfindungs- 
complexionen,  Irgendein  Stück  des  empfundenen  Gesichtsfeldes, 
wie  immer  es  dui-ch  visuelle  Inhalte  erfüllt  sein  mag,  ist  ein  Er- 
lebnis, das  vielerlei  Theiliohalte  in  sich  fassen  mag,  aber  diese 
Inhalte  sind  nicht  etwa  von  dem  Ganzen  intendiite,  in  ihm  ge- 
meinte Gegenstände. 

Die  weiter  folgenden  Ueberlegungen  werden  den  fundamen- 
talen Unterschied  zwischen  der  einen  und  anderen  Rede  von  Ent- 
haltensein genauer  klarstellen. 

Eioe  zweite  für  uns  werthvollo  Bestimmung  der  psychischen 
Phänomene  fafst  Brentano  dahin,  „dafs  sie  entweder  Vorstellungen 
sind  oder  auf  Vorstelhuigen  als  ihrer  Grundlage  beruhen"^  „Nichts 
kann  beurtheilt,  nichts  kann  aber  auch  begehrt,  nichts  kann  ge- 
hofft und  gefürchtet  werden,  wenn  es  nicht  vorgestellt  wird".* 
Unter  Vorstellung  ist  in  der  Bestimmung  natürlich  nicht  der 
vorgestellte  Inhalt  (Gegenstand),  sondern  das  Vorstellen,  der  Act 
verstanden. 

Was  diese  Bestimmung  nicht  als  geeigneten  Ausgangspunkt 
für  unsere  Untereuchungen  erscheinen  läfst,  ist  der  Umstand,  dsSs 


•  A.  a.  0.  S.  116. 

'  Für  UDS  gicbt  es  daher  keine  Streitfragen  wie  die,  ob  wirklich  alle 
psychischen  Phänomene,  z.  B.  die  Güfülilsphänomene,  die  bezeichuete  Eigen- 
thiiinlichkeit  haben.  Statt  dessen  wäre  zu  fragen,  ob  die  betreifendeD  Phänomene 
„psychische  Pbünomene"  sind.  Die  Sonderboi'keit  dieser  Frage  entspringt 
ans  der  UnaDgemessenheit  der  Worte,    üeber  die  Letztere  weiter  unten  Näheres. 

'  A.  a.  0.  S.  111  (Schlafe  des  §  3). 

*  A.  a.  0.  S.  109. 


F.    Ucher  inlenlionak  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 


sie  einen  Begriff  von  Voi-stetliing  voraussetzt,  der  bei  den  viel- 
fachen und  garniclit  leiclit  zu  unterscheidenden  Aequivocationen 
dieses  Terminus  erst  lierausgearbeitet  werden  niüfste.  Hiebei  aber 
bildet  die  Erörterung  des  Begriffes  psychischer  Act  den  natur- 
gemärsen  Anfang.  Immerhin  ist  mit  dieser  Bestimmung  zugleich 
ein  wichtiger  und  seinem  Inhalt  nach  zu  weiteren  Forschungen 
anregender  Satz  ausgesprochen,  auf  den  wir  noch  werden  zurück- 
greifen müssen. 

Abwehrung  lerminologisch  nahtgtttgUr  Mifsdeuiungen: 
a)  Das  „mentale"  oder  .,immanente"  Objed. 

Während  wir  Brektano's  wesentliche  Bestimmung  festhalten, 
nöthigeii  unti  die  angedeuteten  Abweicliungen  von  seinen  Ueber- 
zeugungen,  seine  Terminologie  abzulelincn.  Wir  werden  gut  daran 
thun,  weder  von  psychischen  Phänomenen,  noch  überhaupt  von 
Phänomenen  nu  sprechen,  wo  es  sich  um  die  Erlebnisse  der  in 
Rede  stehenden  Klasso  handelt.  Das  Erstere  hat  nur  Berechtigung 
auf  dem  Standpunkt  Brknt.\no's,  wonach  mit  dieser  Klasse  (der 
Hauptsache  nach)  das  Forschungsgebiet  der  Psychologie  umgrenzt 
sein  soll,  während  auf  dem  unseren  alle  Erlebnisse  überhaupt 
in  dieser  Hinsicht  gleichberechtigt  sind.  Was  aber  den  Terminus 
Phänomen  anbelangt,  so  ist  er  nicht  nur  mit  sehr  nachtlieiligon 
Vieldeutigkeiten  behaftet,  sondern  iraputirt  auch  eine  selir  zweifel- 
hafte theoretische  üeberzeugung,  die  wir  bei  Brentano  ausdrücklich 
hingestellt  finden,  nämlich  dafs  Jedes  intentionale  Erlebnis  eben 
Phänomen  ist.  Da  Phänomen  in  der  vorwiegenden  und  auch  von 
Brentano  angenommenen  Rede  einen  erscheinenden  Gegenstand 
als  solchen  bezeichnet,  so  liegt  darin,  dafs  jedes  intentionale  Er- 
lebnis nicht  nur  auf  Gegenstände  Beziehung  hat,  sondern  selbst 
ein  Gegenstand  gewisser  intentionaler  Erlebnisse  ist;  zumal  denkt 
man  hiebei  an  diejenigen  Erlebnisse,  die  uns  etwas  im  einge- 
schränktesten Sinne  y.ur  Erscheinung  bringen,  nämlich  an  Wahr- 
nehmungen: '„jedes  psychische  Phänomen  ist  Gegenstand  des 
inneren  Bewufstseins" ,  Wir  haben  aber  schon  gesagt,  dafs  wir 
ernstlich  Bedenken  tragen,  diesem  Satze  zuzustimmen. 


Btuntfstsein  als  jisychischer  Act. 


351 


Weitere  Einwände  treffen  die  Ausdrücke,  welche  Brkxtano 
parallel  mit  dem  Terminus  psychisches  Phänomen  uder  die  er  iu 
umschreibender  Weise  verwendet,  und  die  auch  sonst  gebräuch- 
lich sind.  Es  ist  jedenfalls  sehr  bedenklich  und  oft  genug  irre- 
führend, davon  zu  sprechen,  dafs  die  wahrgenommenen,  phanta- 
sirton,  beurtheilten,  gewünschten  Gegenstände  u.  s.  w.  (beziehungs- 
weisG  in  wahrnehmender,  vorstellender  Weise  u.  s.  f.)  „ins  Be- 
wufstsein  treten",  oder  umgekehrt,  dafs  „das  Bewufstsein" 
zu  ihnen  in  dieser  oder  jener  Weise  „in  Beziehung  trete", 
dafs  sie  in  dieser  oder  jener  Weise  „ins  Bewufstsein  auf- 
genommen werden"  u.  s.  w.;  ebenso  aber  auch  davon  zu 
sprechen,  dafs  die  intentionalen  Erlebnisse  „etwas  als  Object 
in  sich  enthalten"  u.  dgl.'  Derartige  Ausdrücke  legen  zwei 
Mifsdeutungen  nahe,  erstens,  dnfs  es  sich  um  eine  reelle 
Action  des  Bewufstseins  oder  Ich  an  der  „bewufsten"  Sache,  zum 
Mindesten  ujn  ein  descriptiv  bei  jedem  Acte  vorfiiidliches  Verhältnis 
zwischen  Beiden  handle;  zweitens,  dafe  es  sich  um  ein  reelles 
Verhältnis  zwischen  zwei  gleicherweise  im  Bewufstsein  zu  finden- 
den Sachen,  Act  und  intentionalos  Object,  handle,  um  so  etwas 
wie  eine  reale  loeinauderschachtelung  eines  psychischen  Inhalts 
in  den  anderen.  Wird  sich  die  Rede  von  einer  Beziehung  hier 
nie  vermeiden  lassen,  so  müssen  doch  die  Ausdrücke  vermieden 
werden,  welche  zur  Mifsdeutung  des  Verhältnisses,  als  eines  de- 
scriptiv zu  nehmenden,  förmlich  einladen.* 

Erwägen  wir  des  Näheren  zunächst  die  zweitgenannte  Mifs- 
deutung. Ganz  besonders  empfohlen  wird  sie  auch  durch  den 
Ausdruck  immanente  Gegenständlichkeit  zur  Bezeichnung 
der  wesentlichen  Eigenthünilichkeit  der  intentionalen  Erlebnisse, 
und  ebenso  durch  die  gleichbedeutenden  scholastischen  Ausdrücke 
intentionale  oder  mentale  Inexistenz  eines  Gegenstandes. 
Die  intentionalen  Erlebnisse  haben  das  Eigenthümliche,  sich  auf 
vorgestellte  Gegenstände  in  verschiedener  Weise  zu  beziehen.    Das 


'  Vgl.  Brkntaso  a.  a.  0.  266,  267,  295  u.  ö. 

'  Zum  Weiteren  vergleiche  die  Beilage  am  SchluTs  d.  Kap.  S.  396  ff. 


thun  sie  eben  im  Sinne  der  Intention.  Ein  Gegenstand  ist  in 
ihnen  gemeint,  auf  ihn  ist  abgezielt  und  zwar  in  der  Weise  der 
Vorstellung,  oder  zugleicli  der  Beurtheilung  u.  s.  w.  Darin  liegt 
aber  nichts  Anderes,  als  dafs  eben  gewisse  Erlebnisse  präsent 
sind,  welche  einen  Charakter  der  Intention  haben  und  speciell  der 
vorstellenden,  urtheilonden,  bekehrenden  Intention  u.  s.  w.  Es 
sind  (von  gewissen  Ausnahmsfiüten  sehen  wir  hier  ab)  nicht  zwei 
Sachen  psychisch  präsent,  es  ist  nicht  der  Gegenstand  erlebt  und 
daneben  der  inteutionale  Act,  der  sich  auf  ihn  richtet;  es  sind 
auch  nicht  zwei  Sachen  in  dem  Sinne,  wie  Theii  und  umfassenderes 
Ganzes,  sondern  nur  Eine  Sache  ist  präsent,  das  intentionale  Er- 
lebnis, dessen  wesentlicher  descriptiver  Charakter  eben  die  bezüg- 
liche Intention  ist.  Je  nach  ihrer  specifischen  Besonderung 
macht  sie  das  diesen  Gegenstand  Vorstellen  oder  das  ihn  Be- 
urtheüen  u.  s.  w.  voll  und  allein  aus.  Ist  dieses  Erlebnis  in 
seiner  psychischen,  concreten  Fülle  präsent,  so  ist  eo  ipso  die 
intentionale  „Beziehung  auf  einen  Gegenstand"  vollzogen,  eo  ipso 
ist  ein  Gegenstand  „intentional  gegenwärtig":  denn  das  Eine  und 
Andere  besagt  genau  dasselbe.  Und  natürlich  kann  solch  ein  Er- 
lebnis im  Bewufstsein  vorluinden  sein  mit  dieser  seiner  Intention, 
ohne  dafs  der  Gegenstand  überhaupt  existirt  und  vielleicht  gar 
existiren  kann;  der  Gegenstand  ist  gemeint,  d,  h.  das  ihn  Meinen 
ist  Erlebnis;  aber  er  ist  dann  blofs  vermeint  und  in  Wahrheit 
Nichts. 

Stelle  ich  den  Gott  Juppiter  vor,  so  ist  dieser  Gott  vor- 
gestellter Gegenstand,  er  ist  in  meinem  Acte  „immanent  gegen- 
wärtig", hat  in  ihm  „mentale  Inexisteuz",  und  wie  die  in  eigent- 
licher Interpretation  verkelirten  Redeweisen  sonst  lauten  mögen. 
Ich  stelle  den  Gott  Juppiter  vor,  das  heifst,  ich  habe  ein  gewisses 
Vorstellungserlebnis,  in  mir  (meinem  Bewufstsein)  vollzieht  sich 
das  den- Gott -Juppiter- Vorstellen.  Man  mag  dieses  intentionale 
Erlebnis  in  descriptiver  Analyse  zergliedern,  wie  man  will,  so 
etwas  wie  der  Gott  Juppiter  kann  man  darin  natürlich  nicht 
finden;  der  „immanente",  „mentale"  Gegenstand  gehört  also  nicht 
zum  descriptiven  Bestände  des  Erlebnisses,  er  ist  also  in  Wahr- 


heit  garnicht  immanent  oder  mental.  Er  ist  fi-eilich  auch  niclit 
extra  mentem,  er  ist  überhaupt  niclit.  Aber  das  hindert  nicht, 
dafs  jenes  dea- Gott- Juppiter- Vorstellen  real  ist,  ein  so  geartetes 
Erlebnis,  eine  so  bestimmte  Weise  des  Zumutheseins,  dafs, 
wer  es  in  sich  erfährt,  mit  Recht  sagen  kann,  er  stelle  sich  jenen 
mythischen  Gütterkönig  vor,  von  dem  dies  und  jenes  gefabelt 
werde.  Existirt  andererseits  der  intendirte  Gegenstand,  so  braucht 
in  psychischer  Hinsieht  nichts  geändert  zu  sein.  Für  das  Be- 
wiifstsein  ist  das  Gegebene  ein  wesentlich  Gleiches,  ob  der  vor- 
gestellte Gegenstand  existirt,  oder  ob  er  fingirt  und  vielleicht 
gar  wider-sinnig  ist.  Juppiter  stelle  ich  nicht  anders  vor  als 
Bismank,  den  Babylonische)/  Turm  nicht  anders  als  den  Kölner 
Dom,  ein  regelmäfsiges  Tausendeck  nicht  anders  als  einen  regel- 
müfsigen  Tausend  flächner.  * 

Sind  die  sogenannten  immanenten  Inhalte  vielmehr  bloJs  in- 
tentionalo  (intendirte),  so  sind  andererseits  die  wahrhaft  im- 
manenten Inhalte,  die  zum  reellen  Bestände  der  intontionalen 
Erlebnisse  gehörigen,  nicht  intentional:  sie  bauen  den  Act  auf, 
ermöglichen  als  die  nothwendigcn  Anhaltspunkte  die  Intention, 
aber  sie  sind  nicht  selbst  intendiit,  sie  sind  nicht  die  Gegen- 
stände, die  im  Act  vorgestellt  sind.  Ich  sehe  nicht  Farben- 
empfindungeu  sondern  gefärbte  Dinge,  ich  höre  nicht  Ton- 
eniptindungen  sondern  das  Lied  der  Sängerin  u.  s.  w.* 

Und  was  von  den  Vorstellungen  gilt,  gilt  auch  von  den  auf 
sie  gebauten  sonstigen  intentionalen  Erlebnissen.  Sich  ein  Object, 
z.  B.  das  Berliner  Scklofs,  vorteilen,  das  ist,  sagten  wir,  eine 
de.scriptiv  so  und  so  bestimmte  Art  des  Zumutheseins.  Heber 
dieses  Schlofs  urtheilcn,  sich  an  seiner  architektonischen  Schön- 


'  Von  den  eventuellen  Setzungscharaktcren,  welche  die  Ueberzengung 
vom  Sein  des  Voi^ostelUen  implicireu,  können  wir  hier  absehen.  Die  Ueber- 
zengung kann  ja  fehlen  oder  falsch  sein. 

'  In  Betroff  jene)-  scheinbar  .selbstveratändlichen  Unterscheidung  zwischen 
iniraauonteu  utid  traiisscoudenten  Oegentjtäudeu,  die  sich  nach  dem  altüb«r- 
liefertoii  Schoiiia:  innerlich  bewuTstes  Bild  —  aufseibewuMes  Axi-sioh-sein 
orientirt,  vgl.  die  Beilage  am  Schlüsse  dieses  Kapitels,  S.  396ff. 

Hnsserl,  Log.  üntan.  n.  2^ 


heit  freuen,  oder  den  Wunsch  hegen,  dies  thun  zu  können 
u.  dgl.,  das  sind  neue  Erlebnisse,  phänonienologiscii  in  neuer  Weise 
charakterisirt.  Alle  haben  sie  das  Gemeinsame,  dafs  sie  Weisen 
der  gegenständlichen  Intention  sind,  die  wir  in  normaler  Rede 
nicht  anders  ausdrücken  können,  als  dafs  wir  sagen,  es  sei  das 
Schlols  wahrgenommen,  phantasirt,  im  Bilde  vorgestellt,  bem-theilt, 
es  sei  Gegenstand  Jener  Freude,  jenes  Wunsches  u.  s.  w. 

Es  wird  noch  ausführliclier  Untersuchung  bedürfen,  heraus- 
zustellen, was  die  bildliche  Rede  von  dem  in  der  Vorstellung  vor- 
gestellten, im  Urtheil  beurtheilten  Gegenstande  rechtfertigt,  und 
wie  die  Ohjectivität  der  intentionalen  Acte  überhaupt  zu  verstehen 
ist;  aber  soweit  wir  bis  nun  gedrungen  sind,  ist  es  jedenfalls 
klar,  dafs  wir  gut  daran  thun,  die  Rede  von  immanenten  Gegen- 
ständen ganz  7-u  vermeiden.  Sie  ist  übrigens  leicht  zu  entbehren, 
da  wir  im  Ausdruck  „iutentionaler  Gegenstand"  einen  solchen 
haben,  der  ähnlichen  Bedenken  nicht  unterliegt. 

Mit  Rücksiebt  auf  die  Uneigentlichkejt  der  Rede  vom  inten- 
tionalen „Enthaltensein"  des  Gegenstandes  im  Acte  ist  es  un- 
verkennbar, daJs  die  pai'allelen  und  gleichwerthigen  Reden,  der 
Gegenstand  sei  bewufst,  im  Bewufstsein,  dem  Bewufstsein  imma- 
nent u.  dgl.,  an  einer  sehr  schädlichen  Aequivocation  leiden;  denn 
das  „Bewufst-seiu"  meint  hier  ein  ganz  Anderes,  als  es  nach 
Mafsgabo  der  beiden  früher  erörterten  Bedeutungen  von  Bewufstsein 
meinen  kann.  Die  ganze  neuere  Erkenntnistheorie  ist  von  diesen 
und  nahe  mit  ihnen  verwandten  Aequivocationen  in  Verwirrung 
gesetzt.  Bei  dem  vorherrschenden  Einflufs  der  psychologischen 
Denkweise  und  Terminologie  würden  wir  übel  daran  thun,  unsere 
eigenen  Termini  in  Widerstreit  mit  denen  der  heutigen  Psycho- 
logie zu  setzen.  Da  unser  erster  Bewufstseinsbegriff  —  welcher  die 
zur  realen  Einheit  des  psychischen  Individuums  gehörigen  Erleb- 
nisse, nämlich  alle  ihm  reell  einwohnenden,  es  reell  constituirendea 
Momente  gleicherniafsen  als  bewufst  bezeichnet  —  die  Tendenz 
zeigt  durchzudringen,  so  haben  wir  uns  schon  im  vorigen  Kapitel 
dafUr  entschieden,  diesen  Begriff  festzuhalten,  und  somit  müssen 
wir    die  Beden    vom   Bewufstsein   im   Sinn  der  inneren  Wahr- 


I 


nehnning  und  im  Sinn  der  intentionalen  Bezielning  in  allen  Fällen, 
die  terminologische  Strenge  erfordern,  vermeiden. 

§  12.     b)  Der  Act  und  die  Bexiekung  des  Beiinifsiseins  oder  des 
Ick  auf  den  Gegenstand. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  ersterwähnten  Mifsdeutung,' 
als  ob  das  Bewufstsein  auf  der  einen  und  die  bewufste  Sache  auf 
der  anderen  Seite  in  einem  eigentlichen  Sinne  zueinander  in  Be- 
ziehung treten  würden.  Anstatt  das  Bewufstsein  sagt  man  oft 
geradezu  das  Ich.  In  der  That  erscheint  in  der  natürlichen 
Reflexion  nicht  der  einzelne  Act,  sondern  das  Ich  als  der  Eine 
Beziehuugspunkt  der  fraglichen  Beziehung,  deren  zweiter  im 
Gegenstand  liegt.  Achtet  man  dann  auf  das  Acterlebnis,  so 
scheint  sich  das  Ich  nothwendig  durch  dasselbe  oder  in  dem- 
selben auf  den  Gegenstand  zu  beziehen,  und  in  letzterer  Auf- 
fassung möchte  man  sogar  geneigt  sein,  jedem  Acte  das  Ich  als 
■wesentlichen  und  überall  identischen  Einheitspunkt  einzulegen. 
Damit  kämen  wir  nun  doch  auf  die  früher  abgewiesene  Annahme 
eines  reinen  Ich  als  Beziehungscentrums  zurück. 

Aber  leben  wir  sozusagen  im  betreffenden  Acte,  gehen  wir 
z.  B.  in  einem  wahrnehmenden  Betrachten  eines  erecheinenden 
Vorganges  auf,  oder  im  Spiele  der  Phantasie,  in  der  Leetüre  eines 
Märchens,  im  Vollzuge  eines  mathematischen  Beweises  u.  dgl.,  so 
ist  von  dem  Ich  als  Beziehungspunkt  der  vollzogenen  Acte  nichts 
zu  merken.  Die  Ichvorstellung  mag  „in  Bereitschaft"  sein,  sich 
mit  besonderer  Leichtigkeit  hervordrängen,  oder  vielmehr  sich 
neu  vollziehen ;  aber  nur  wenn  sie  sich  wirklich  vollzieht  und 
sich  in  Eins  mit  dem  betreffenden  Acte  setzt,  beziehen  „wir" 
„uns"  so  auf  den  Gegenstand,  dafs  diesem  sich  Beziehen  des  Ich 
etwas  descriptiv  Aufzeigbares  entspricht.  Was  dann  descriptiv 
im  wirklichen  Erleben  vorhegt,  ist  ein  entsprechend  zusammen- 
gesetzter Act,  der  die  Ichvorstellung  als  einen  und  das  je- 
weilige Vorstellen,  Urtheilen,  Wünschen  u.  s.  w.  der  betreffenden 


Vgl.  oben  S.  361. 


23* 


Sache  als  zweiten  Theil  in  sich  enthält.  Natürlich  ist  es  objectiv 
betrachtet  (also  auch  von  dem  Standpunkte  der  natürlichen  ße- 
flexion  aus)  richtig,  dafs  sich  das  Ich  in  jedem  Acte  auf  einen 
Gegenstand  intentional  bezieht.  Dies  ist  ja  eine  pure  Selbstver- 
ständlichkeit, wiifern  uns  das  Ich  als  nichts  weiter  gilt,  denn  als 
die  „Bewiifstseinseinheit",  als  das  jeweilige  „Bündel''  der  Erleb- 
nisse, oder  besser  noch  als  die  contiiuiirliche,  dingliche  Einheit, 
welche  sich  in  den  zu  dem  Einen  „Ich"  gehörigen  Erlebnissen 
constituirt,  weil  sie  durch  die  specifische  und  causale  Besonderheit 
dieser  Erlebnisse  gesetzlich  gefordert  ist.  Zu  dieser  Einheit  ge- 
hört als  ein  solcher  constitutivor  Theil  auch  das  betreß'cude  in- 
ten tionale  Erlebnis,  die  betreffende  Wahrnehmung,  das  Urtheil  u.8.w. 
Ist  ein  Erlebnis  von  der  und  der  Intention  darin  präsent,  so 
hat  eo  ipso  das  Ich,  als  das  umfassende  Ganze,  diese  Intention, 
sowie  das  psychische  Ding  die  BeschatTeuheiten  hat,  die  es  als 
Theilinhaite  constituiren.  Wird  der  Theil  auf  das  einheitliche  Ganze 
bezogen,  so  resultirt  die  Beziehung  des  Habens:  das  Ganze  „hat" 
den  Theil;  und  so  „liat"  auch  das  Ich  die  intentionale  Beziehung, 
es  ist  das  vorstellende,  urtheilende  Ich  u.  s.  w. 

Also  der  Satz:  das  Ich  stellt  einen  Gegenstand  vor,  es  bezieht 
sich  in  vorstellender  Weise  auf  einen  Gegenstand,  es  hat  ihn  als 
intentiouales  Object  seiner  Vorstellung  —  besagt  genau  dasselbe  wie 
der  Satz:  in  dem  Ich,  dieser  concreten  Complexion  von  Erleb- 
nissen, ist  ein  gewisses,  nach  seiner  specifischen  Eigenthümlich- 
keit  „Vorstellen  des  bezüglichen  Gegenstandes"  benanntes  Erleb- 
nis reell  gegenwärtig.  Ebenso  besagt  der  Satz:  das  Ich  urtheilt  I 
über  den  Gegenstand,  soviel  wie:  es  ist  in  ihm  ein  so  und  so 
bestimmtes  Urtheilserlebnis  gegenwärtig  u.  s.  w.  In  der  Be- 
schreibung ist  die  Beziehung  auf  das  erlebende  Ich  natür- 
lich nicht  zu  umgehen;  aber  das  jeweilige  Erlebnis  selbst 
besteht  nicht  in  einer  Complexion,  welche  die  Ichvorstellung  als 
Theilerlebnis  enthielte.  Die  Beschreibung  vollzieht  sich  auf 
Grund  einer  objectivirenden  Reflexion;  in  ihr  verknüpft  sich  die 
Reüexiou  auf  das  Ich  mit  der  Reflexion  auf  das  Acterlebnis  zu 
einem  beziehenden  Acte,  in  dem  das  Ich  selbst  als  sich  mittelst 


seines  Actes  auf  dessen  Gegenstand  Beziehendes  erscheint.  OtTenbar 
hat  sieh  damit  eine  wescDtlicho  descriptive  Aemlerung  vollzogen. 
Zumal  ist  der  ursprüngliche  Act  nicht  mehr  blofs  einfach  da,  in 
ihm  leben  wir  nicht  mehr,  sondern  auf  ihn  achten  und  über 
ihn   urtheilen  wir. 

Das  MißäverstäoilLiis  raufs  also  fem  bleiben  und  ist  durch  die 
vollzogene  Erwiigung  nun  auch  ausgosclilossen,  dafs  die  Bezieiiung 
auf  das  Icli  etwas  zum  wesentlichen  Bestände  des  inteutionalen 
Erlebnisses  selbst  Gehöriges  sei. 


'O'- 


§  13.     Fixiruntj  unserer  Terminologie. 

Wir  tixiren  nach  diesen  kritischen  Vorbereitungen  unsere 
eigene  Terminologie,  die  wir  ihnen  gemäfs  so  wählen,  dafs  strittige 
Voraussetzungen  und  störende  Vieldeutigkeiten  möglichst  ausge- 
schlossen bleiben.  Wir  werden  also  den  Ausdruck  psychisches 
Phänomen  ganz  vermeiden,  und  wo  immer  Genauigkeit  erforder- 
lich ist,  von  intentioualen  Erlebnissen  sprechen.  „Erlebnis" 
ist  dabei  in  dem  oben  fixirten  Sinne  zu  nehmen,  einfacii  als  reelles, 
constitutives  Stück  oder  Moment  in  der  Einheit  des  psychischen 
Individuums.  Das  determiuirendo  Beiwort  „intentional"  nennt  den 
gemeinsamen  generischen  Charakter  der  abzugrenzenden  Erlebnis- 
klasse, die  Eigenheit  der  Intention,  das  sich  in  der  Weise  der 
Meinung  oder  in  einer  irgend  analogen  Weise  auf  ein  Gegen- 
ständliches Beziehen.  Als  kürzeren  Ausdruck  werden  wir,  um 
fremden  und  eigenen  Sprachgewohnheiten  entgegenzukommen,  das 
Wort  Act  gebrauchen. 

Freilich  sind  diese  Ausdrücke  auch  nicht  ganz  ohne  Bedenken. 
Von  einer  Intention  sprechen  wir  öfters  im  Sinne  des  auf  etwas 
speciell  Achtens,  des  Äufmerkens.  Doch  nicht  immer  ist  der 
intentionale  Gegenstand  vorzugsweise  bemerkter,  beachteter.  Mit- 
unter sind  mehrere  Acte  zugleich  gegenwärtig  und  verwoben, 
aber  die  Aufmerksamkeit  „bethätigt"  sich  in  Einem  von  ihnen  in 
auszeichnender  Weise.  Wir  erleben  alle  gleichzeitig,  aber  in  diesem 
Einen  gehen  wir  gleichsam  auf.  Immerhin  ist  es  vielleicht  mit 
Rücksicht   auf  die   historisch   überkommene   und   seit  Brentano 


wieder  vielgebrauchte  Kede  von  intentiunalen  Gegenständen  nicht 
impasseud,  in  einem  correlaten  Sinn  von  Intention  zu  sprechen, 
zumal  wii-  ja  für  die  Intention  im  Sinne  des  Aufmerkens  (welches 
wir  nach  dem  Früheren  nicht  geneigt  sind,  als  einen  eigenai-tigen 
Act  gelten  zu  lassen)  eben  diesen  Terminus  Aufmerken  haben. 
Aber  noch  eine  andere  Aequivocation  kommt  hier  in  Betracht 
Der  Ausdruck  hdention  stellt  die  Eigenheit  der  Acte  unter  dem 
Bilde  dos  Abzielens  vor  und  pofst  daher  sehr  gut  auf  die  mannig- 
faltigen Acte,  die  sich  ungezwungen  und  allgemeinverständlich 
als  theoretisches  oder  practisches  Abzielen  bezeichnen  lassen.  DiesesJ 
Bild  pafst  aber  nicht  auf  alle  Acte  gleich  gut,  und  achten  wir* 
auf  die  im  i;  10  zusammengestellten  Beispiele  genauer,  so  kann 
uns  nicht  entgehen,  dafs  ein  engerer  und  ein  weiterer  Begriff 
von  Intention  unterschieden  werden  mufs.  Im  Bilde  entspricht 
der  Thätigkeit  des  Abzielens  als  Correlat  diejenige  des  Erzielens 
(das  Abschiefsen  und  Trefl'eu).  Genau  ebenso  entsprechen  gewissen 
Acten  als  „Intentionen"  (z.  B.  Urtheils-,  Begehrungsintentionen) 
andere  Acte  als  „Erzielungon"  oder  „Erfüllungen".  Und  darum 
eignet  sich  das  Bild  für  die  ersteren  Acte  so  vollkommen;  aber 
die  Erfüllungen  sind  ja  aucli  Acte,  also  auch  „Intentionen",  ob- 
schon  sie  (wenigstens  im  Allgemeinen)  nicht  abermals  Intentionen 
in  jenem  engeren  Sinne  sind,  der  auf  eine  entsprechende 
Erfüllung  liinweist.  Die  Aequivocation  ist,  einmal  erkannt, 
ungeföhrlich.  Selbstverständlich  mufs,  wo  der  engere  Begriff  in 
Frage  ist,  dies  ausdrücklich  gesagt  werden.  Im  üebrigen  hilft 
uns  auch  der  parallele  Ausdruck  Actcharakter,  um  etwaige 
MiTsverständnisse  fernzuhalten. 

Was   anderei-seits  die  Rede  von   Acten    anbelangt,   so   darf' 
man  hier  an  den   ursprünglichen   Wortsinu   von   actus   natürlich 
nicht   mehr   denken,    der   Gedanke   der   ßothätigung   mufs 
schlechterdings    ausgeschlossen    bleiben.'      Im   Sprachge- 

'  Wenn  Natobp  (a.  a.  0.  S.  21)  gegen  üia  enistgenominene  Rede  von 
psychischeQ  Acten  ak  Betliätiguiigen  des  Bewulätseius  oder  des  luh  einwendet: 
„nur  weil  BewuJBtsein  oft  oder  inuuor  von  Strebeu  begleitet  ist,  ersuheint  es 
als  ein  Thun  und  aoin  Subjuct  als  Ibäter"  —  so  stimmen  wii-  ilim  voUkonuneu 


brauch  einer  grofsen  Reihe  von  Psychologen  ist  der  Ausdruck 
Act  aber  so  festgewurzelt,  andererseits  so  abgegriffen  und  von 
seinem  ursprünglichen  Sinn  so  klai'  abgelöst,  dafs  wir  ihn,  zumal 
nach  diesem  ausdrücklichen  Vorbehalt,  unbesorgt  beibehalten 
können.  Wollen  wir  nicht  ganz  neue,  allem  lebendigen  Sprach- 
gefühl und  aller  historischen  Ueberüeferung  fremde  Kunstworte 
einführen,  so  werden  wir  Unzuträglichkeiten  der  eben  besprochenen 
Art  kaum  je  vermeiden  können. 

§  14.     Bedenken  gegen  die  Annahme  von  Aden  als  einer  descriptiv 
fwtdirten  Erlehnisklasse. 

In  all  diesen  terminologischen  Erörterungen  sind  wir  schon 
recht  tief  in  descriptive  Analysen  der  Art  eingetreten,  wie  sie  durch 
unsere  logisch-erkenntnistheoretischen  Interessen  gefordert  sind. 
Ehe  wir  sie  fortsetzeu,  wird  es  aber  nothwemlig  sein,  gewisse  Ein- 
wände zu  berücksichtigen,  welche  die  Fundamente  unserer  Descrip- 
tionen  betreffen. 

Für's  Erste  wird  die  Abgrenzung  der  Erlebni.sklasse,  die  wir 
unter  dem  Titel  Act  oder  intentionales  Erlebnis  beschrieben  haben, 
von  einer  Gruppe  von  Forschern  schlechthin  bestritten.  In  dieser 
Hinsicht  haben  die  ursprüngliche  Art  der  Einführung  dieser  Ab- 
grenzung durch  Brentano,  die  Ziele,  die  er  mit  ihr  verfolgt,  und 
einige  Mifsdeutnngen,  die  ihm  dabei  unterlaufen,  beirrend  gewirkt, 
sie  haben  den  überaus  werthvollen  descriptiven  Gehall  der  Ab- 
grenzung nicht  zur  Geltung  kommen  lassen.  Entschieden  bestritten 
wird  sie  z.  B.  durch  Natorp.  Wenn  dieser  Forscher  aber  einwendet:^ 
„ich  kann  zwar  wol  den  Ton  für  sich  oder  im  Verhältnis  zu 
anderen  Bewufstseinsinhalten  betrachten,  ohne  sein  Dnsein  für  ein 
Ich  weiter  zu  berücksichtigen,  aber  ich  kann  nicht  mich  und  mein 
Hören  für  sich  betrachten,  oline  an  den  Ton  zu  denken",  so 
finden  wir  darin  nichts,  was  uns  beirren  könnte.  Dafe  sich  vom 
Hören  des  Tones  das  Hören  nicht  abtrennen  läfst,  als  ob  es  ohne 


SU.    Die  „Mythologie  der  Tbätigkeiten"  lehnen  auch  wir  ab;  nicht  als  psychi- 
sche BethätiguDgea,  sondern  als  iuteutionale  Erlebnisse  dcfiniren  wir  die  „Acte". 
'  P.  Naiorf,  Einleitung  io  die  Psychologie,  S.  18. 


den  Ton  noch  etwas  wäre,  ist  sicher.  Damit  aber  ist  nicht  gesagt, 
dafs  nicht  ein  Doppeltes  zu  unterscheiden  sei:  der  gehörte  Ton, 
das  Wahrnehm ungsobject,  und  das  Hören  des  Tons,  der  Wahr- 
nehmungsact.  Gowifs  ist  es  richtig,  wenn  Natorp  vom  gehörten 
Tone  sagt:  „Sein  Dasein  für  mich,  dies  ist  mein  Bewufstsesn  von 
ihm.  Wer  sein  Bewufstsein  noch  sonst  irgendwie  zu  ertappen 
vermag  als  im  Dasein  eines  Inhalts  für  ihn,  dem  kann  ich  es  .  .  . 
nicht  nachthun".  Aber  freilich  will  es  mir  scheinen,  dafs  das 
„Dasein  eines  Inhalts  für  mich"  eine  Sache  ist,  die  eine  weitere 
Analyse  zuläfst  und  fordert.  Zunächst  die  Unterschiede  in  der 
Weise  des  Bemerkens.  Der  Inhalt  ist  für  mich  in  anderer  Weise 
da,  jenachdem  ich  ihn  nur  impücirt  oder  nur  nebenbei  bemerke, 
oder  ihn  bevorzugend  im  Auge,  es  besonders  auf  ihn  abgesehen 
habe.  Wichtiger  für  uns  sind  die  Unterschiede  zwischen  dem 
Dasein  des  Inhalts  im  Sinne  der  bewufsten,  aber  selbst  nicht 
zum  Wahrnehmungsobject  werdenden  Empfindung  und  des  Inhalts 
im  Sinne  eben  des  Wahrnehmungsobjects.  Die  Wahl  des 
Beispiels  vom  Tone  verdeckt  den  Unfer.sehicd  ein  wonig,  ohne 
ihn  doch  ganz  aufzuheben.  Ich  höre,  das  kann  in  der  Psychulogie 
heifsen,  ich  empfinde;  in  der  üblichen  Rede  heifst  es,  ich  nehme 
wahr:  ich  höre  das  Adagio  des  Geigers,  das  Zwitschern  der 
Vögel  u.  dgl.  Verschiedene  Leute  können  dasselbe  empfinden 
und  doch  ganz  Verschiedenes  wahrnehmen.  Wir  selbst  „deuten" 
gleiche  Empfindungsiuhalto  einmal  .so  und  das  andere  Mal  anders. 
Gewöhnlich  legt  man  in  der  Lehre  von  der  „Apperception"  vor- 
wiegenden Nachdruck  auf  den  Umstand,  dafs  unter  Voraussetzung 
gleicher  Reize,  der  empfundene  Inhalt  nicht  überall  derselbe  sei, 
indem  vermöge  der  von  früheren  Erlebnissen  zurückgebliebenen 
Dispositionen,  das  wirklick  durch  den  Reiz  Bediugte  überwuchert 
werde  durch  Momente,  die  aus  der  Actualisiruug  jener  Dispositionen 
(gleichgiltig  ob  aller  oder  einiger)  herstammen.  Aber  mit  der- 
gleichen reicht  man  keineswegs  aus,  und  vor  Allem  kommt  es 
phänomenologisch  darauf  garnicht  an.  Wie  immer  die  im  Be- 
wufstsein präsenten  (die  erlebten)  Inhalte  entstanden  sein  mögen, 
es  ißt  denkbar,    dafs    in    ihm   gleiche   Euvpfindungsinhalte    vor- 


banden  und  doch  verschieden  aufgefärbt,  ra.  a.  W.  dafs  auf  Grund 
derselben  Inhalte  rerseiiiedene  Gegenstände  wahrgenommen  wären. 
Die  Deutung  selbst  läfst  sicii  aber  nie  und  nimmer  auf  einen 
Zuflufe  neuer  Empfindungen  reduciren,  sie  ist  ein  Äctcharakter, 
eine  „Weise  des  Bewufstseins",  des  „Zumulheseins'':  wir  nennen 
sie  Walirnehmung  des  betreffenden  Gegenstandes. 

Das  Dasein  des  empfundenen  Inhalts  ist  also  ein  ganz  Anderes 
als  das  Dasein  des  wahrgenommenen  Gegenstandes,  der  durch  den 
Inhalt  präsentirt,  aber  nicht  reell  bewufst  ist 

Man  sieht  dies  viel  besser  noch  durch  einen  passenden  'Wechsel 
des  Beispiels,  durcli  Uebergang  in  die  Sphäre  der  Gesicbtswalir- 
nehmung.  Stellen  wir  hier  dem  Zweiflor  folgende  Erwägungen  vor 
Augen.  Ich  sehe  ein  Ding,  z.  B.  diese  Schachtel,  ich  sehe  nicht 
meine  Enipfiiuhingen.  Ich  sehe  immerfort  diese  eine  und  selbe 
Schachtel,  wie  immer  sie  gedreht  und  gewendet  werden  mag. 
Ich  habe  dabei  immerfort  denselben  „Bewufstseinsinhalt''  — 
wenn  es  mir  beliebt,  den  wahrgenommenen  Gegenstand  als  Bc- 
wufstseinsiuhalt  zu  bezeichnen.  Ich  habe  mit  jeder  Drehung  einen 
neuen  Bewufstseinsinhalt,  wenn  ich,  in  sehr  viel  passenderem 
Sinne,  die  erlebten  Inhalte  so  bezeichne.  Also  sehr  ver- 
schiedene Inhalte  werden  erlebt,  um!  ducli  wird  derselbe  -Gegen- 
stand wahrgenommen.  Also  ist  weiter  der  erlebte  Inhalt,  all- 
gemein zu  reden,  nicht  selbst  der  wfdu-günommeno  Gegenstand. 
Dafe  wir  im  Wechsel  der  erlebten  Inhalte  einen  und  denselben 
Gegenstjiud  wahrnehmend  zu  erfassen  vermeiaen.  ist  selbst  wieder 
etwas  zum  Erlobnisbereich  Gehöriges.  Wir  erleben  ja  das  „Iden- 
titätsbewufstsein",  d.  h.  dieses  Vermeinen,  Identität  zu  erfassen. 
Ich  frage  nun,  was  liegt  diesem  Bowufstsein  zu  Grunde?  Sollte 
da  die  Antwort  nicht  zutreffend  sein,  dats  zwar  beiderseits  ver- 
schiedene Empfindungsinhalte  gegeben,  dafs  sie  aber  in  „demselben 
Sinne"  gedeutet  (uufgefafst,  appercipirt)  sind,  und  dafs  die 
Deutung  nach  diesem  „Sinne"  ein  Erlebni.scharakter  ist, 
der  allererst  das  „Daseiu  des  Gegenstandes  für  mich" 
ausmacht?  Des  Weiteren,  dafs  das  Identitätsbewufstsein  sich 
auf  Grund  dieser   beiderseitigen  Erlebnischaraktere  vollzieht,  als 


unmittelbares  Bewiifstsein  davon,  dafs  sie  beide  eben  dasselbe 
moinon?  Und  ist  dieses  Bevvufstsein  nicht  abermals  ein  Act 
im  Sinne  unserer  Definition,  dessen  gegenständliches  Correlat 
in  der  bezeichneten  Identität  liegt?  Ich  würde  glauben,  dafs 
alle  diese  Fragen  ihre  bejahende  Beantwortung  mit  Evidenz 
fordern.  Nichts  kann  ich  evidenter  finden,  als  den  hiebei  hervor- 
tretenden Unterschied  zwischen  Inhalten  und  Acten,  specieller 
zwischen  Wahrnehmungsinhalten  im  Sinne  von  präsentirenden 
Empfindungen  und  Wahrnehraungsacten  im  Sinn  der  auffassenden 
Intention;  welche  Intention  in  Einheit  mit  der  aufgefafsten  Em- 
pfindung den   vollen  concreten  Act  der  Wahrnehmung  ausmacht. 

Natürlich,  Bewufstseinsinhalte,  im  weitesten  descriptiven  Sinn 
von  Erlebnissen,  sind  auch  die  intontionalen  Charaktere  und  des- 
gleichen die  vollen  Acte;  insofern  sind  alle  Unterschiede,  die  wir 
überhaupt  constatiren  können,  eo  ipso  Unterschiede  des  Inhalts. 
Aber  innerhalb  dieser  weitesten  Sphäre  des  Erlebbaren  glauben 
•wir  den  evidenten  Unterschied  vorzufinden  zwischen  intentionalen 
Erlebnissen,  in  welchen  sich  gegenständliche  Intentionen  und 
zwar  durch  immanente  Charaktere  des  jeweiligen  Erlebnisses 
constituiren,  und  solchen,  bei  denen  dies  nicht  der  Fall  ist,  also 
Inhalten,  die  zwar  als  Bausteine  von  Acten  fungiren  können,  aber 
nicht  selbst  Acte  sind. 

Günstige  Beispiele  zur  weiteren  Verdeutlichung  dieser  Unter- 
scheidung und  zugleich  zur  wechselseitigen  Abhebung  versclüedener 
Actchiu'aktere  liefert  die  Vergleichuug  der  Wahrnehmung  mit  der 
Phantasievorstellung  und  beider  wieder  mit  der  Vorstellung  durch 
physische  Bilder  (Gemälde,  Statuen  u.  dgl).  Die  allergünstigsten 
Beispiele  liefern  aber  die  Ausdrücke.  Denken  wir  uns'  z.  B.,  es 
hätten  gewisse  Figuren  oder  Arabesken  zunächst  rein  ästhetisch  auf 
uns  gewirkt,  und  nun  leuchte  plötzlich  das  Verständnis  auf,  dafs  es 
sich  um  Symbole  oder  Wortzeichen  handeln  dürfte.  Worin  liegt 
da  der  Unterschied?  Oder  nehmen  wir  den  Fall,  dafs  Jemand 
ein  ihm  ganz  fremdes  "Wort  als  blofsen  Lautcomplex  achtsam  hört, 


'  Vgl.  meine  Psycho!.  Studien  u.  s.  w,    Fhilos.  MouatsL  XXX,  S.  182. 


ohne  auch  nur  zu  ahnen,  dal's  es  ein  "Wort  sei;  und  vergleichen 
wir  damit  den  Fall,  dafs  er  spätorliin  das  "Wort,  mit  seiner  Be- 
deutung vertraut  geworden,  inmitten  eines  Gesprächs  mit  Ver- 
ständnis aber  ganz  ohne  begleitende  Voranschaulich un gen  iiöre. 
"Worin  liegt  allgemein  der  Ueberschufs  des  verstandenen,  aber  blofs 
symbolisch  fungirendeii  Ausdrucks  gegenüber  dem  gedankenlosen 
Wortlaut?  "Was  macht  den  Unterschied,  oh  wir  ein  Concretum  A 
einfach  anschauen,  oder  ob  wir  es  als  „Repräsentanten"  für  „ein 
beliebiges  ^"  auffassen?  In  diesen  und  unziihligon  äluiliehen  Fällen 
liegt  die  Modification  iu  den  Actcharakteren.  Alle  logischen  Unter- 
schiede und  zumal  alle  kategoriale  Form  liegt  in  den  logischen 
Acten  im  Sinne  von  Intentionen. 

In  derartigen  Beispielsanalj'sen  tritt  es  hervor,  dafs  die 
moderne  Apperceptionslehre  nicht  ausreicht,  ja  dafs  sie  die  für 
das  logisch -erkenntnistheorctische  Interesse  entscheidenden  Punkte 
übereieht.  Dom  phänomenologischen  Sachverhalt  wird  sie  nicht 
gerecht,  auf  seine  Analyse  und  Beschreibung  iäfst  sio  sich  gar- 
nicht  ein.  Die  Unterschiede  der  Auffassung  sind  über  vor  allem 
descriptivo  Unterschiede;  und  nur  solche  allein,  nicht  irgend- 
welche verborgenen  und  tiypothctisch  angenommenen  Yoi-gänge  in 
den  unbowufsten  Tiefen  der  Seele  oder  in  der  Sphäre  des  physio- 
logischen Geschehens,  gehen  den  Erkenntniskritiker  etwas  an. 
Apperception  ist  uns  der  Ueberschufs,  der  im  Erlebnis  selbst,  in 
seinem  doscriptiven  Inhalt  gegenüber  dem  rohen  Dasein  der 
Empfindung  besteht,  es  ist  der  Actcharakter,  der  die  Empfindung 
gleichsam  beseelt  und  es  macht,  dafs  wir  dieses  oder  jenes  Gegen- 
ständliche wahrnehmen,  z.  B.  diesen  Baum  sehen,  jenes  Kliugeln 
hören,  den  Blüthenduft  riechen  u.  s.  w.  Die  Empfindungen  und 
desgleichen  die  sio  „auffassenden"  oder  „appercipirenden"  Acte 
werden  hiebei  erlebt,  aber  sie  erscheinen  nicht  gegenständ- 
lich; sio  werden  nicht  gesehen,  gehört,  mit  irgendeinem  „Sinn" 
wahrgenommen.  Die  Gegenstände  andererseits  erseheinen, 
werden  wahrgenommen,  aber  sie  sind  nicht  erlebt.  Selbstver- 
ständlich schliefsen  wir  hiebei  nur  den  Grennfall  der  adäquaten 
"Wahrnehmung  aus. 


Aebriiiches  gilt  offenbar  auch  sonst;  es  gilt  z.  B.  hinsichtlich 
der  EmpfiniJiingeii  (oiler  wie  immor  wir  die  nls  die  Fundameute 
der  Auffassung  fnngirendcn  Inhalte  nennen  mögen),  welche  zu 
den  Acten  der  Phantasie  und  der  Imagination  überhaupt  gehören. 
Die  verbildlichende  Auffassung  macht  es,  dafs  wir  nun  statt  einer 
Wahrnehmungserscbeinung  vielmehr  eine  Büderscheiniing  habou, 
in  welcher  auf  Grund  der  erlebten  Empfiridungen  der  bildlich 
vorgestellte  Gegenstand  (der  Centaur  in  der  Phantasie,  auf  dem 
gemalten  Bilde)  erscheint'  Man  versteht  zugleich,  dals  dasselbe, 
was  in  Beziehung  auf  den  intcntionalen  Gegenstand  Vorstellung 
(wahrnehmende,  einbildende,  abbildende  Intention  auf  ihn)  heifst, 
in  Beziehung  auf  die  zum  Acte  reell  gehörigen  Empfindungen 
Auffassung,  Deutung,   Apperception  heifst. 

Ich  nehme  es  in  Hinblick  auf  die  betrachteten  Beispiele  auch 
als  Evidenz  in  Anspruch,  dafs  es  in  der  That  wesentlich  ver- 
schiedene „Weisen  des  Bewufstseins",  nämlich  der  intcntionalen 
Beziehung  auf  Gegenständliches  giebt;  der  Charakter  der  Inten- 
tion ist  ein  specifisch  verschiedener  im  Falle  der  Wahrnehmung, 
der  Phantasievorstellung,  der  Bildvorstellung  im  gewöhnlichen 
Sinne  der  Autfassung  von  Statuen,  Gemälden  u.  s.  w.,  und  wieder 
im  Falle  der  Vorstellung  im  Sinne  der  reinen  Logik.  Jeder  logisch 
unterschiedenen  Weise,  einen  Gegenstand  gedanklich  vorzustellen, 
entspricht  eine  Verschiedenheit  in  der  Intention.  Ich  halte  es  auch 
für  unanfechtbar,  dafs  wir  von  all  diesen  Unterschieden  nur  wissen, 
weil  wir  sie  im  Einzelfalle  erschauen  (d.  i.  unmittelbar  erfassen), 
sie  vergleichend   unter  Begrifie  bringen  und  somit  selbst  wieder 

'  Der  vielverhandelte  Streit  über  das  Verhältnis  zwischen  "VVjilirnehmungs - 
tiiid  Pboutasievorstellung  konnte  bei  dem  Mangel  einer  gehörig  vorbereiteten 
phänünictiologiscbeu  Untorlago  uod  dem  daraus  folgenden  Mangel  au  lilaivu 
Begriffen  und  FragosteOangeu ,  zu  keinem  rechten  Ergebnis  führen.  Dafs  die 
Actoharaktore  beiderseits  vcrscbicdon  siud,  dafs  mit  der  Bildlichkeit  eine 
wosendich  neue  >AVise  der  Juteiition  Erlebnis  wird,  glaube  ich  zweifellos  nach- 
weisen zu  können.  Ist  man  damit  im  Reinen,  so  wird  man  sich  kaum  dazu 
entschliefsen,  überflüssiger  Weise  auch  noch  einen  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  Eitipfindaugen  und  Fhactasmeu  (als  den  sioaUchen  Anhalten 
der  Auffassung  in  der  Fhantasiobildliohkeit)  zu  statuireu. 


in  verscliiedonartigen  Acten  zu  Änschauungs-  imd  Denkobjecten 
machen.  Wenn  Nator!«  (Ingegen  sagt':  „Aller  Reiclithum,  alle 
Mannigfaltigkeit  des  Bewiifstseins  liegt  vielmehr  ausschliefslich  am 
Inhalte.  Das  Bewufstsein  einer  einfachen  Empfindung  unter- 
scheidet sich  der  Art  nach,  als  Bewufstsein,  in  nichts  vom  Bewufst- 
sein einer  Welt;  das  Moment  der  ßewufstheit  ist  in  Beiden  durch- 
aus dasselbe,  der  Unterschied  liegt  ausschliefslich  am  Inhalt"  — 
so  will  es  mir  scheinen,  dafs  er  die  verschiedenen  Begriffe  von 
Bewufstsein  und  Inhalt  nicht  auseinanderhält,  ja  ihre  Identificirung 
zum  erkenntnistheoretisehen  Princip  erheben  \viil.  In  welchem 
Sinne  wir  selbst  lehren,  dafs  alle  Mannigfaltigkeit  des  Bewufst- 
seins  am  Inhalte  Hegt,  haben  wir  oben  dargelegt.  Inhalt  ist  dann 
Erlebnis,  das  Bewufstsein  reell  constituirend;  das  Bewufstsein 
selbst  ist  die  Complexion  der  Erlebnisse.  Die  Welt  aber  ist 
nimmermehr  Erlebnis  des  sie  Denkenden.  Erlebnis  ist  das  die 
Weit  Meinen,  die  Welt  selbst  ist  der  intendirte  Gegenstand.  Für 
diese  Unterscheidung  ist  es,  wie  ich  noch  ausdrücklich  betonen 
will,  gleichgiltig,  wie  man  sich  zu  den  Fragen  stellt,  was  das 
objective  Sein,  das  wahre,  wirkliche  An-sich-sein  der  Welt  oder 
eines  beliebigen  sonstigen  Gegenstandes  ausmacht,  und  wie  man 
das  objective  Sein  als  „Einheit"'  zum  subjectiven  Gedacht-sein  mit 
seiner  „Mannigfaltigkeit"  bestimmt;  desgleichen  in  welchem  Sinne 
immanentes  und  transscendentes  Sein  gegenübergestellt  werden 
dürfe  u.  s.  w.  Es  handelt  sich  hier  vielmehr  um  eine  Unterschei- 
dung, die  vor  aller  Metaphj'sik  und  an  der  Pforte  der  Erkenntnis- 
theorie steht,  also  auch  keine  Fragen  als  beantwortet  voraussetzt, 
die  eben  die  Erkenntnistheorie  allererst  beantworten  soll. 


§  15.      Ob  Erlebnisse  einer  utid  derselben  deseriptiven   Gattung 
(und  xumal  der  Gattung  Gefühl)  theils  Acte  und  theils  Nichl'Aete 

sein  können. 

Eine  neue  Scliwierigkeit  erhebt  sich  mit  Beziehung  auf  die 

gattungsmäfsige  Einlieit  der  iutentionalen  Erlebnisse. 


•  A.  a.  0.  S.  ig. 


996 


V.    Ucber  inlentionak  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 


Man  könnte  nümlicli  zweifelo,  ob  nicht  der  Gesichtspunkt  der 
Abgrenzung  der  Erlebnisse  in  intentionale  und  nicht- intentio- 
nale  ein  blofs  Sufserlicher  sei,  derart,  dals  dieselben  Erlebnisse 
oder  dafs  Erlebnisse  einer  und  dei-selben  descriptiven  Gattung  bald 
intentionale  Beziehung  auf  Gegenständliches  haben  und  bald  nicht 
Die  belegenden  Beispiele  für  die  eine  um!  andere  Auffassung, 
sowie  zum  Theil  auch  die  Gedanken  zur  Lösung  des  Zweifels 
sind  literarisch  bereits  erörtert  worden,  nämlich  im  Zusammenhang 
mit  der  Streitfrage,  ob  das  Merkmal  der  intentionalon  Beziehung- 
zur  Abgrenzung  der  „psychischen  Phänomene"  (als  der  Domäne 
der  Psychologie)  ausreiche  oder  niclit  Zumal  betraf  der  letztere 
Streit  gewisse  Phänomene  aus  der  Sphäre  der  Gefühle.  Da  bei 
den  übrigen  Gefühlen  die  Intentionalität  ofTenkundig  schien,  so 
war  ein  doppelter  Zweifel  möglich;  entweder  man  ward  auch  bei 
diesen  Gefülilsaoten  bedenklich,  nämlich  ob  ihnen  die  intentionale 
Beziehung  nicht  blofs  uneigentlich  anhafte,  ob  sie  nicht  viel- 
mehr direct  und  eigentlich  den  ihnen  oingewobenen  Vorstellungen 
zugehöro;  oder  man  zweifelte  nur  an  der  Wesentlichkeit  des 
intentionalen  Charakters  für  die  Klasse  der  Gefühle,  indem  man 
diesen  Charakter  den  einen  zugestand  und  den  anderen  ableugnete. 
So  ist  der  Zusammenhang  der  gewöhnlich  behandelten  Streitfrage 
mit  der  von  uns  hier  aufgeworfenen  klar. 

Wir  wollen  zunächst  überlegen,  ob  sich  in  der  Klasse  der 
Gefühle  überhaupt  Arten  von  Erlebaissen  vorfinden,  welchen 
eine  intentionale  Beziehung  wesentlich  zukommt,  und  nachher  zu- 
sehen, ob  diese  Beziehung  anderen  Erlebnissen  derselben  Klasse 
mangeln  kann. 


I 


aj    Ob  es  überJiaupt  intentionale   Qeftihle  giebt. 

Bei  vielen  Erlebnissen,  die  wir  allgemein  als  Gefühle  bezeich- 
nen, ist  es  ganz  unverkennbar,  dafs  ihnen  wirklich  eine  inten- 
tionale Beziehung  auf  Gegenständliches  zukommt.  So  verhält  es 
sich  z.  B.  mit  dem  Gefallen  an  einer  Melodie,  mit  dem  Mifsfallen 
an  einem  schrillen  Pfiff  u.  dgl.  Ueberhaupt  scheint  jede  Freude 
oder  Unfreude,  die  ja  Freude,  bezw.  Unfreude  über  irgendein  Vor- 


gestelltes  ist,  selbstverständlich  ein  Act  zu  sein.  Statt  Freude 
können  wir  dabei  auch  sagen  liistvojles  Wolgefallcn  an  Etwas, 
davon  Angezogensein,  ihm  lustvoU  Zugeneigtsein;  statt  Uut'reude 
auch  unlustiges  oder  peinvolles  Mifsfalien  an  Etwas,  davon  Ab- 
gestofsensein  u.  s.  w. 

Die  Bestreiter  der  Intentionaütät  der  Gefühle  sagen:  Gefühle 
sind  bhjfse  Zustande,  nicht  active  Intentionen.  Wo  sie  sich  auf 
Gegenstände  beziehen,  da  verdanken  sie  diese  Beziehnng  nur  der 
Complication  mit  Vorstellungen. 

Das  Letztere  enthielte  an  sich  noch  keinen  Einwand.  Bbex- 
TANO,  der  die  Inten tionalitiit  der  Gefühle  vcrtheidigt,'  lehrt  anderer- 
seits selbst  und  ohne  mit  sich  in  Widerstreit  zu  kommen,  dafs 
Gefühle  wie  alle  Acte,  die  nicht  blofse  Vorstellungen  sind,  Vor- 
stellungen zur  Grundlage  haben.'  Nur  auf  solche  Gegenstände 
können  wir  uns  gefühlsmäfsig  beziehen,  die  uns  durch  mitver- 
wobene  Vorstellungen  vorstellig  gev^orden  sind.  Eine  Differenz 
tritt  zwischen  den  streitenden  Parteien  erst  dadurch  hervor,  dais 
man  auf  der  einen  Seite  eigentlich  sagen  will;  das  Gefühl,  an 
sich  selbst  betrachtet,  enthalte  nichts  von  Intention,  es  weise  nicht 
über  sich  hinaus  auf  einen  gefühlten  Gegenstand;  nur  durch 
Vereinheitlichung  mit  einer  Vorstellung  gewinne  es  eine  gewisse 
Beziehung  zu  einem  Gegenstande,  aber  eine  Beziehung,  die  nur 
durcli  dieses  Verknüpfnngsverhältnis  mit  einer  inteutionalen  Be- 
ziehung bestimmt  und  nicht  selbst  als  eine  intentionale  Beziehung 
zu  fassen  sei.     Eben  dies  bestreitet  die  Gegenpartei. 

Nach  Brentano  sind  hier  zwei  Intentionen  aufeinander  gebaut, 
die  fundirende  liefert  den  vorgestellten,  die  fundirte  den  ge- 
fühlten Gegenstand;  die  erstere  ist  von  der  letzteren,  nicht  aber 
die  letztere  von  der  ersteren  ablösbar.  Nach  der  entgegengesetzten 
Auffassung  besteht  hier  nur  eine  Intention,  die  vorstellende. 

Die  aufmerksame  Vergegenwärtigung  der  Sachlage  in  der 
inneren  Erfahrung  scheint  Brentano 's  Auffassung  entschieden  zu 
bevorzugen.     Wenn    wir   uns   mit   Wolgefallen   einer   Sache   zu- 

'  Psychologie  I,  116  ff. 
»  A.a.O.  I,  107 «F. 


weiultMi,  oder  sio  uns  als  mifsfüllig  abstöfst,  so  stollon  wir  sie  vor. 
Aber  wir  liaben  nicht  blofe  die  Vorstellung  und  dazu  das  Gefühl, 
als  etwas  zur  Sache  an  und  für  sich  Beziehungsloses  und  dann 
wol  blofs  associativ  Angeknüpftes,  sondern  Gefallen  oder  Mifsfallen 
richten  sich  auf  dcu  vorgestellten  Gegenstand,  und  ohne  solche 
Richtung  können  sie  überhaupt  nicht  sein.  Wenn  zwei  psychische 
Erlebnisse,  z.  B.  zwei  Vorstellungen,  sich  vergesellschaften,  können 
sie  eine  sehr  innige  Verknüpfung  eingehen;  aber  um  ihretwillen 
wird  noch  nicht  die  eine  Vorstellung  zur  Vorstellung  des  Gegen- 
standes der  zweiten;  die  Verknüpfung,  sei  sie  auch  noch  so  innig, 
wirrt  nicht  die  intentioualen  Beziehungen  ineinauder.  Wie  sollte 
sie  also  dem,  was  nicht  in  sich  Intention  ist,  eine  Intention 
verschaffen?  Die  Vorstellung  Neapels  führt  die  des  Vesuvs  mit 
sich;  die  erste,  sagen  wir,  erinnere  uns  an  den  Gegenstand  der 
zweiten.  Aber  Jedermann  sieht,  dafs  dies  eine  äufserliche  Be- 
ziehung ist,  die  nicht  etwa  auf  eine  Stufe  zu  stellen  wäre 
mit  der  Beziehung  des  Gefallens  auf  das  Gefällige.  Die  reprodu- 
cirende  Voi-stellung  ist  auch  aufser  dieser  reproductiven  Function 
möglich.  Aber  ein  Gefallen  ist  ohne  Gefälliges  nicht  denkbar. 
Und  nicht  etwa  blofs  darum  ist  Gefallen  ohne  Gefälliges  nicht 
denkbar,  weil  wir  es  hier  mit  correlativen  Ausdrücken  zu  thun 
haben;  also  derart,  wie  wir  z.  B.  sagen,  eine  Ui-sache  ohne  Wir- 
kung, ein  Vater  ohne  Kind  sei  nicht  denkbar:  sondern  weil  das 
specifische  Wesen  des  Gefallens  die  Beziehung  auf  ein 
Gefallendes  fordert.  Genau  so  ist  das  Moment  der  Ueber- 
zeugung  undenkbar,  es  sei  denn  at.s  üeberzeugung  von  Etwas. 
Wieder  ebenso  kein  Begehren  (dem  specifischen  Charakter  nach) 
ohne  Begehrtes,  kein  Zustimmen  oder  Billigen  ohne  Etwas,  dem 
die  Zustimmung,  Billigung  gilt  u.  s.  w.  AH  das  sind  Intentionen, 
echte  Acte  in  unserem  Sinn.  Sie  alle  „verdanken"  ihre  inten- 
tionale  Beziehung  gewissen  ihnen  unterliegenden  Vorstellungen. 
Aber  ini  Sinn  der  Rede  vom  Verdanken  liegt  ja  ganz  richtig,  dafs 
sie  selbst  nun  auch  das  haben,  was  sie  den  Anderen  verdanken. 
Man  sieht  auch,  dafs  das  Verhältnis  zwischen  fundireuder  Vor- 
stellung und  fundirtem  Act  nicht  ausreichend  beschrieben  ist  da- 


I 


Bnoufstsein  als  psychischer  Act. 


369 


durch,  dafs  das  Eine  das  Andere  bewirke.  Wir  sagen  zwar, 
der  Gegenstand  errege  unser  Wolgefallen,  wie  wir  in  den  anderen 
Fällen  sagen,  ein  Sachverhalt  errege  unseren  Zweifel,  zwinge  uns 
zur  Zustimmung,  reize  unser  Begehren  u.  s.  w.  Aber  das  jeweilige 
Resultat  dieser  erscheinenden  Causation,'  also  das  erregte  Wol- 
gefallen, die  erregte  Bezweiflung  oder  Zustimmung  haben  voll 
und  ganz  die  intentionale  Beziehung  in  sich.  Es  ist  kein  äuJser- 
liches  Causalverhältnis,  wonach  die  Wirkung,  als  das  was  sie  in 
sich  betrachtet  ist,  denkbar  wäre  auch  ohne  die  Ursache,  oder  die 
Leistung  der  Ursache  in  dem  Hinzutreten  von  Etwas  bestände, 
das  auch  für  sich  sein  könnte. 


h)   Ob  es  niciä- intentionale   Gefühle  giebt.      Untersclieidung  der 
Oefühlsempßndungen  und  Qefuhlsacle. 

Die  weitere  Frage  ist  nun  die,  ob  es  neben  den  Arten  von 
Gefühlen,  die  intentionale  Erlebnisse  sind,  nicht  andere  Gefühls- 
arten giebt,  die  es  niclit  sind.  Auch  diese  Frage  müssen  wir,  so 
könnte  es  zunächst  scheinen,  mit  einem  selbstverständlichen  Ja 
beantworten.  In  der  weiten  Sphäre  der  sogenannten  sinnlichen 
Gefühle  ist  von  intentionalen  Charakteren  nichts  zu  finden.  Wenn 
wir  uns  brennen,  so  ist  der  sinnliche  Schmerz  gewifs  nicht  auf 
gleiche  Stufe  zu  stellen  mit  einer  üeberzeugung,  Vermuthung, 
Wollnng  u.  s.  w.,  sondern  mit  Empfindungsinhalten  wie  Rauhigkeit 
oder  Glätte,  Roth  oder  Blau  u.  s,  w.  Vergegenwärtigen  wir  uns 
derartige  Schmerzen  oder  irgendwelche  sinnliche  Lüste  (wie  den 
Wolgeruch  einer  Rose,  den  Wolgeschmack  einer  Speise  u.  dgl.), 
so  finden  wir  ja  auch,  dais  die  sinnlichen  Gefühle  mit  den  zu 
diesen  oder  jenen  Sinnesfeldem  gehörigen  Empfindungen  ganz 
ähnlich  verschmolzen  sind,  wie  diese  untereinander. 


'  Damit  soll  uatürlioli  üicht  gesagt  sein,  es  komme  hier  eioe  Causation 
zu  „innerer  WahrneLmuiig".  Eine  Cnasation  erscheint  in  dei-artigen  Fällen 
thatsächlioh ,  sie  ist  in  ilioen  das  intentionale  Object.  Darin  liegt  aber  hier  so 
wenig  wie  in  anderen  Fiiilen,  dols  das  Intentionale  eiü  wirklicli  Gegebenes, 
dals  die  Erscheinung  adäquate  Anschauong  sei. 

Hniaail,  Log.  Unten.  11.  24 


I 


In  gewisser  Weise  wird  nun  freilich  jedes  sinnliche  Gefühl, 
z.  B.  der  Schmerz  des  sich  Brennens  und  (Jebranntwerdens,  auf 
Gegenständliches  bezogen;  einerseits  auf  das  Ich,  näher  auf  das 
gebrannte  Leibesglied,  andererseits  auf  das  brennende  Object.  Aber 
darin  zeigt  sich  nun  wieder  die  Gleichförmigkeit  mit  anderen 
Empfindungen.  Genau  so  werden  ja  beispielsweise  die  Berüh- 
rungsenipfiiidungen  auf  das  berührende  Leibesglied  und  den  be- 
rührten Frenulkürper  bezogen.  Obwol  sich  diese  Beziehung  in 
intentionalen  Erlebnissen  vollzieht,  so  wird  darum  doch  Niemand 
daran  denken,  die  Empfindungen  selbst  als  solche  Erlebnisse  zu 
bezeichnen.  Die  Sachlage  ist  vielmehr  die,  dafs  die  Empfindungen ' 
hier  als  präsentirende  Inhalte  von  Wahrnehmungsacten  fungiren, 
oder  (wie  es  nicht  ganz  unmifsverständlich  heilst)  dafs  die  Em- 
pfindungen hier  eine  gegenständliche  ,,Deutung"  oder  „Auffassung" 
erfahren.  Sie  selbst  sind  also  nicht  Acte,  aber  mit  ihnen  con- 
stitttiren  sich  Acte,  nämlich  wo  sich  intentionale  Charaktere  von 
der  Art  der  wahrnehmenden  Auffassung  ihrer  bemächtigen.  In 
eben  dieser  Weise  scheint  der  brennende,  stechende,  bohrende 
Schmerz,  sowie  er  von  vornherein  mit  gewissen  Berührungs- 
empfindungen verschmolzen  auftritt,  selbst  als  Empfindung  gelten 
zu  müssen;  und  jedenfalls  scheint  er  in  der  Weise  sonstiger 
Empfindungen  zu  fungiren,  nämlich  als  Anhalt  für  eine  empi- 
rische, gegenständliche  Deutung. 

Dagegen  wird  sicherlich  nichts  einzuwenden  sein,  und  somit 
möchte  man  die  gestellte  Frage  für  erledigt  erachten.  Es  scheint 
erwiesen,  dafs  ein  Theit  der  Gefühle  den  intentionalen,  der  andere 
den  nicht-intentionalen  Erlebnissen  zuzurechnen  sei. 

Doch  hier  wird  sich  der  Zweifel  regen,  ob  denn  die  beider- 
seitigen „Gefühle"  wirklich  zu  Einer  Gattung  gehören.  Wir 
sprachen  früher  von  „Gefühlen"  des  Gefallens  oder  Mifsfallens, 
der  Billigung  oder  Mifsbilligung,  der  Werthschätzung  und  Ab- 
schätzung —  Erlebnissen,  die  evidentermafsen  verwandt  sind  mit 
den  theoretischen  Acten  der  Zustimmung  und  Ablehnung,  des 
Für- wahrscheinlich-  und  Für-unwahrscheinlich -haltens,  oder  mit 
den  Acten  der  erwägenden  Urtheilsentscheidung  und  WiUensent- 


Scheidung  u.  dg!.  In  die  offenbare  Einheit  dieser  Gattung,  die 
aussfbliefslich  Acte  unifafst,  wird  man  jene  Schmerz-  und  Lnst- 
erapfindungen  nicht  einordnen  Ivönnen;  sie  sind  vielmehr  mit  den 
Berührungs-,  Geschmacks-,  Geruohsempfindungen  u.  s.  w.  descriptiv 
zusammengehörig.  Darin,  dafs  sie  bestenfalls  präsontirende  In- 
halte oder  auch  Ohjecte  von  Intentionen,  ober  nicht  selbst  Inten- 
tionen sind,  bekundet  sich  ein  .so  wesentlicher  descriptivor  Unter- 
schied, dafs  wir  nicht  ernstlich  daran  denken  können,  die  Eiuheit 
einer  echten  Gattung  festzuhalten.  Allerdings  ist  beiderseits,  bei 
den  oben  genannten  Acten  des  Gefallens  und  diesen  vorliegenden 
Empfindungen  gleichmäfsig  von  „Gefühlen"  die  Rede.  Aber  dieser 
Umstand  kann  uns  nicht  bedenklich  machen,  so  i. enig  wir  uns 
durch  die  gewöhnliche  Rede  vom  Fühlen  im  Sinne  von  Tasten  in 
Betreff  der  tactilen  Empfindungen  täuschen  lassen  werden. 

Schon  BnK.NTANO  weist,  in  seiner  Erörterung  der  Frage  nach 
der  Intentionalität  der  Gefühle,  auf  die  hier  besprochene  Aequi- 
vocation  hin.'  Er  unterscheidet  Schmerz-  und  Lustempfin- 
dungen {Gefühlsempfindungen)  von  Schmerz  und  Lust  im  Sinne 
von  Gefühlen.  Die  Inhalte  der  ersteren  —  oder  wie  ich  geradezu 
sagen  würde  die  ersteren*  —  gelten  ihm  (in  seiner  Terminologie) 
als  „phy,sische",  die  letzteren  als  „psychische  Phänomene"  und  damit 
als  zu  wesentlich  verschiedenen  oberen  Gattungen  gehörig.  Diese 
Auffassung  erscheint  mir  als  vollkommen  zutreffend,  während  ich 
nur  zweifle,  ob  nicht  die  vorwiegende  Bedeutungstendenz  des 
"Wortes  Gefühl  auf  jene  Gefühlsempfindungen  abzielt,  und  ob 
dann  nicht  die  mannigfaltigen  Acte,  die  als  Gefühle  bezeichnet 
werden,  diesen  Namen  den  ihnen  wesentlich  eingewobenen  Ge- 
fühlsempfindungen verdanken.  Natürlich  darf  man  aber  nicht  die 
Frage  der  Angemessenheit  der  Terminologie  mit  der  Frage  nach 


'  A.a.O.  S.  111. 

'  loh  identilicire  hier  wie  sonst,  Bchmerzempfinduog  und  , Inhalt"  der 
SohmerzempfinduDg ,  da  ich  eigeno  Empfinduugsacto  überhaupt  nicht  anerkenne. 
Selbstireretäadlich  kann  ich  also  Brsntjlko's  Lehre ,  daJä  den  Qefühlsacten  Acte 
der  Uattong  Vorstellen  iu  Form  von  Acten  der  Oef ühlsempfindung  zu 
Orande  liegen,  nicht  zustimmen. 

24* 


der  sachlichen  Richtigkeit  der  BRENT.c>o'schen  Unterscheidung  ver- 
mengen. 

Diese  Unterscheidung  müiste  nun  aber  auch  bei  der  Analyse 
aller  Complexionen  von  Gefühlsempfindungen  und  Grefühlsacten 
beständig  im  Auge  behalten  und  fruchtbar  gemacht  werden.  So 
ist  z.  B.  die  Freude  über  ein  glückliches  Ereignis  sicherlich  ein 
Act.  Aber  dieser  Act,  der  ja  nicht  ein  blofser  intentionaler  Cha- 
rakter, wol  aber  ein  concretes  und  eo  ipso  complexes  Erlebnis 
ist,  befalst  in  seiner  Einheit  nicht  nur  die  Vorstellung  des  freu- 
digen Ereignisses  und  den  darauf  bezogenen  Actcharakter  des 
Gefallens;  sondern  an  die  Vorstellung  knüpft  sich  eine  Lust- 
empfindung, die  einerseits  als  Gefühlserregung  des  fühlenden 
psychophysischen  Subjects  und  andererseits  als  objective  Eigen- 
schaft aufgefafst  und  localisirt  wird:  das  Ereignis  erscheint  als 
wie  von  einem  rosigen  Schimmer  umflossen,  die  Lust  erscheint 
als  etwas  an  dem  Ereignis.  Das  in  dieser  Weise  lustgefarbte  Er- 
eignis als  solches  ist  nun  erst  das  Fundament  für  die  freudige 
Zuwendung,  für  das  Grefallen,  Angemuthetwerden,  und  wie  man 
es  sonst  nennen  mag.  Ebenso  ist  ein  trauriges  Ereignis  nicht 
blofs  vorgestellt  nach  seinem  dinglichen  Gehalt  und  Zusammen- 
hang, nach  dem  was  ihm  au  und  für  sich,  als  Ereignis  gehört; 
sondern  es  erscheint  als  mit  der  subjectiven  Färbung  der  Trauer 
umkleidet.  Dieselben  ünlustenipfindungen,  die  das  empirische  Ich 
auf  sich  (als  Wehe  im  Herzen)  bezieht  und  localisirt,  werden  in 
der  Zuwendung  zu  dem  Ereignis  auf  dieses  selbst  bezogen.  Diese 
Beziehungen  sind  rein  vorstelhingsmäfsig;  eine  neue  Weise  der 
Intention  liegt  erst  in  dem  feindlichen  Abgestofsenwerden,  in  dem 
activen  Mifsfallen  u.  s.  w.  Die  Lust-  und  Schmerzempfindungen 
können  andauern,  während  die  auf  sie  gebauten  Aetcharaktere 
fortfallen.  Wenn  wir  den  lusten-egenden  Thatsachen  nicht  mehr 
zugewandt  sind,  so  dauert  die  Lusterregung  noch  längere  Zeit 
fort;  sie  wird  eventuell  selbst  als  wolgefällig  empfunden;  statt  als 
Repräsentant  einer  gefälligen  Eigenschaft  am  Gegenstande  zu  fun- 
giren,  wird  sie  jetzt  blofs  auf  das  fühlende  Subject  bezogen  oder 
ist  selbst  vorgestelltes  und  gefallendes  Object. 


Bewufstaein  als  psychischer  Act. 


373 


Aehnliches  wäre  auch  in  der  Sphäre  des  Begehrons  und 
WoUens  auszuführen.'  Findet  man  eine  Schwierigkeit  darin,  dafs 
nicht  jedes  Begehren  eiue  bewufste  Beziehung  auf  ein  Begehrtes 
zu  fordern  scheine,  da  wir  doch  oft  vun  einem  dunkeln  Langen  und 
Drängen  bewegt  und  einem  un vorgestellten  Endziel  zugetrieben 
werden;  und  weist  man  zumal  auf  die  weite  Sphäre  der  natürliclien 
Instincte  hin,  denen  mindestens  ursprünglich  die  bewufste  Zielvor- 
stellung  mangle,  so  würden  wir  antworten:  entweder  es  liegen 
hiebei  blofse  Empfindungen  vor  (wir  könnten  nach  Analogie  von 
BegehrungsempÖndungen  sprechen,  ohne  aber  behaupten  zu  müssen, 
ttafs  sie  zu  einer  wesentlich  neuen  Gattung  von  Empfindungen  ge- 
hören), also  Erlebnisse,  die  wirklich  der  intentionalen  Bezieliung 
ermangeln  und  daher  auch  dem  wesentlichen  Charakter  des 
intentiouaJen  Begetirens  gattungsfrenul  sind.  Oder  wir  sagen: 
es  handle  sich  zwar  um  intentiunale  Erlebnisse,  jedoch  um  solche, 
die  sich  als  unbestimmt  gerichtete  Intentionen  constituirt  haben, 
wobei  die  „üubestimmtheit"  der  gegenständlichen  Richtung  nicht 
die  Bedeutung  einer  Privation  hat,  sondern  einen  descriptiven 
Charakter  und  zwar  einen  VorstoUungscharakter  bezeichnen  müfste. 
So  ist  ja  auch  die  Vorstellung,  die  wir  vollziehen,  wenn  sich 
„etwas"  regt,  wenn  „es"  raschelt,  wenn  „Jemand"  klingelt  u.  s.  w., 
und  zwar  die  vor  allem  Aussprechen  und  verbalen  Ausdrücken 
vollzogene  Vorstellung,  eine  „unbestimmt"  gerichtete,  und  die 
„Unbestimmtheit"  gehört  hiobei  zum  Wesen  der  Intention,  deren 
Bestimmtheit  es  eben  ist,  ein  unbestimmtes  „Etwas"  vorzustellen. 

Natürlich  mag  für  manche  Fälle  die  eine  und  für  andere  die 
andere  Auffassung  passen,  und  wir  würden  also  auch  hier  zwischen 
den  intentionalen  und  nicht- intentionalen  Trieben  oder  Begeh- 
rungen kein  Verhältnis  der  Gattungsgemeinschaft,  sondern  nur 
ein  Verhältnis  der  Aequivocation  zugestehen. 

Es  ist  auch  zu  beachten,  daJs  sich  unsere  klassificirende  Rede 
nach  den  concreten  Complexionen  richtet,  und  dais  der  Gesammt- 

'  Auf  H.  Schwarz'  Psychologie  des  Willens  (I.flipzig  1900),  welche  im  §  12 
ähnlicho  Fragen  bohondelt,  kaon  ich  hier  zum  Vergleiche  und  vielleiolit  siir 
Ergänzung  eben  noch  Liiiweiseu. 


Charakter  dieser  Einheiten  bald  durch  Emptindiingsmomente  (z.  B. 
Lust-  oder  Triebcmpfindungen),  bald  durch  die  auf  sie  gestützten 
Actintentionen  bestimmt  erscheinen  kann.  Demgemäfs  werden  sich 
die  Ausdrücke  in  der  Bildung  und  Anwendung  bald  nach  den 
Empfindungsinhalten  orientiren,  bald  nach  den  Actintentionen  und 
sonach  zu  den  fraglichen  Aequivocationen  Anlafs  geben. 

Zusatz.  In  der  selhstverständUchen  Tendenz  dieser  Auffassung 
liegt  es,  alle  unterschiede  der  Intensität  primär  iind 
eigentlich  den  fundirenden  Empfindungen  zuzuerkennen,  den 
concreten  Acten  aber  nur  im  secundären  Sinn,  sofern  nämlich  ihr 
concreter  Gesammtclmrakter  durch  die  Intensitätsiinterschiede  ihrer 
EJmprindungsgruudliige  mitbestimmt  ist.  Die  Actintentionen,  jene 
unselbständigen  Momente,  die  den  Acten  üiro  wesentliche  Eigen- 
thümlichkeit  als  Acte  erst  ertheileii,  sie  speciell  als  Drtheile,  Ge- 
fühle n.  s.  w.  charakterisiren ,   wären   in   sich  intensitätslos. 


§  16.     Unlerscheiduntf  xmschen  descriptivem  und  mlettlionalem  Inhalt. 

Nachdem  wir  unsere  Auffassung  vom  Wesen  der  Acte  gegen 
Einwände  gesichert  und  ihnen  im  Chai-akter  der  Intention  (Be- 
wufstheit  in  dem  einzigen  descriptiven  Sinne)  wesentliche  gattunga- 
mäfsige  Einfielt  zugestanden  haben,  führen  wir  eine  wichtige 
Unterscheidung  ein,  die  nacli  den  hisiiorigou  Ausführungen  ohne 
Weiteres  verständlich  ist,  uämUch  die  Unterscheidung  zwischen 
dem  roellon  oder  phänomenologischen  (descriptiv -psycho- 
logischen) Inhalt  eines  Actes  und  seinem  intentionulen  Inhalt 

Unter  dem  reellen  oder  phänomenologischen  Inhalt  eines  Actes 
verstehen  wir  den  GesammtinbegriH*  seiner,  gleichgiltig  ob  concreten 
oder  abstracten  Theilo,  mit  anderen  Worten,  den  Gesanimtinbegriff 
der  ihn  reell  constituirenden  Theilerlobnisse.  Solehe  Theiie 
aufzuzeigen  und  zu  beschreiben,  ist  die  Aufgabe  der  rein  descrip- 
tiven psychologischen  Analyse.  Diese  geht  ja  auch  sonst  und 
überhaupt  darauf  aus,  die  innerlich  wahrgenommenen  Erlebnisse 
an  und  für  sich,  sowie  sie  in  der  Wahrnehmung  reell  gegeben 
sind,   zu  zergliedern,  und  zwar  ohne  Rücksicht  auf  genetische 


Zusammenhänge,  aber  auch  ohne  Rücksicht  auf  das,  was  sie 
aufser  sich  selbst  bedeuten,  und  wofür  sie  gelten  mögen.  Die 
rein  phänomenologische  Analyse  eines  articulirten  Lautgebildes 
findet  Laute  und  abstracte  Theile  oder  Einheitsformen  von  Lauten, 
sie  findet  nicht  so  etwas  wie  Tonschwingungen,  Gehörsorgan  u.  s.  w.; 
andererseits  auch  nichts  dergleichen  wie  den  idealen  Sinn,  der 
das  Lautgebildo  zum  Namen  macht,  oder  gar  die  Person,  die 
durch  den  Namen  genannt  sein  mag.  Dies  Beispiel  kann  ver- 
deutlichen, was  wif  im  Auge  haben.  Natürlich  wissen  wir  von 
den  phänomenologischen  Inhalten  der  Acte  nur  durch  phänomeno- 
logische Analyse.  Dafs  dabei,  mit  Volkelt  zu  reden,  allerlei 
„erfundene  Empfindungen"  mit  unterlaufen  mögen,  ist  nicht  zu 
leugnen.  Aber  dies  betrifft  nur  die  Zulässigkeit  der  bezüglichen 
deseriptiven  Analysen  im  einzelnen  Falle.  Wenn  irgendetwas,  so 
ist  ja  dies  evident,  dafs  inlentionale  Erlebnisse  Theile  und  Seiten 
unterscheidbar  enthalten,  und  darauf  allein  kommt  es  hier  an. 
Inhalt  in  diesem  reellen  Sinn  ist  die  schlichte  Anwendung  des 
allgemeinsten,  in  allen  Gebieten  gütigen  Inhal tsbegriffes  auf  die 
intentionalen  Erlebnisse.  Wenn  wir  dem  reellen  Inhalt  nun  gegen- 
übersetzen den  intentionalen,'  so  deutet  das  Wort  schon  an, 
dafs  nun  die  Eigenheit  der  intentionalen  Erlebnisse  (oder  Acte)  als 
solcher  in  Frage  kommen  soll.  Aber  hier  bieten  sich  verschiedene 
Begriffe  dar,  welche  sämmtlich  in  der  specifischen  Natur  der  Acte 
gründen  und  in  gleicher  Weise  unter  dem  Titel  „intentionalor 
Inhalt"  gemeint  sein  können,  und  des  üftera  auch  gemeint  sind. 
Wir  worden  drei  Begriffe  von  intentionalem  Inhalt  unterscheiden 
müssen:  den  intentionalen  Gegenstand  des  Actes,  seine  Materie 
{im  Gegensatz  zu  seiner  Qualität),  endlich  sein  intentionales 
Wesen.  Wir  werden  diese  Uuterscheidougon  im  Zusammenhang 
der  nachfolgenden  Reihe  sehr  allgemeiner,  auch  für  die  einge- 
Hchränkteren  Zwecke  der  Erkenntnisklärung  unerläfslicher  Analysen 
kennen  lernen. 


'  „Real"  würde  nebeu  „intentional"  sehr  \-iel  besser  jdingen,  aber  gar 
zu  leicht  metaphysisch  Blatt  phäDomenologisch  gedeutet  werden. 


§  17.     Der  intetitmnale  Inhalt  im  Sinn  des  intentionalen 

fiegenslandcs. 

Ein  erster  Begrifl"  von  intcntionalem  Inhalt  bedarf  keiner 
umständlichen  Vorbereitungen.  Er  betrifft  den  intentionalen  Gegen- 
stand, z.  B.  wenn  wir  ein  Haus  vorstellen,  eben  dieses  Haus. 
Dafs  der  inteotionale  Gegenstand  im  Allgemeinen  nicht  in  den 
reellen  Inhalt  des  bezüglichen  Actes  fällt,  vielmehr  ganz  und  gar 
von  ihm  differirt,  haben  wir  schon  erörtert.  Dies  gilt  nicht  blofs 
von  Acten,  die  sich  auf  „Sufsere"  Dinge,  sondern  zum  Tlieil  auch 
von  Acten,  die  sich  intentional  auf  die  eigenen  präsenten  Erlebnisse 
beziehen:  wie  wenn  ich  z.  B.  von  meinen  actuell  gegenwärtigen, 
aber  zum  Bewufstseinshintcrgrunde  gehörigen  Erlebnissen  spreche. 
Nur  in  den  Fällen  tritt  partielle  Deckung  ein,  wo  die  Intention 
wirklich  auf  etwas  geht,  was  im  intentionalen  Acte  selbst  erlebt 
ist,  wie  z.  B.  in  den  Acten  innerer  (adäquater)  Wahrnehmung; 
demgemäfe  also  in  jedem  Falle,  wo  eine  phänomenologische 
Einzelanalyso  wirklich  ihr  Ziel  erreicht. 

In  Beziehung  auf  den  als  Gegenstand  des  Actes  veretandenen 
intentionalen  Inhalt  ist  Folgendes  zu  unterscheiden:  der  Gegen- 
stand, sowie  er  intendirt  ist,  und  schlechthin  der  Gegen- 
stand, welcher  intendirt  ist  In  jedem  Acte  ist  ein  Gegenstand 
als  so  und  so  bestimmter  „vorgestellt",  und  als  ebensolcher  ist  er 
eventuell  Zielpunkt  wechselnder  Intentionen,  urtheiieuder,  fühlen- 
der, begehrender  u.  8.  w.  Dem  Acte  selbst  ganz  fremde  (wirkliche 
oder  mögliche)  Erkenntniszusamnienhönge  können  nun  aber  dem 
vorgestellten  Gegenstande  objective  Beschaffenheiten  zutheilen, 
welche  ^die  Intention  des  vorliegenden  Actos  garnicht  berührt, 
bezw.  es  können  mannigfache  neue  Vorstellungen  erwachsen,  die 
alle,  eben  vermöge  der  objectiveu  Erkenntniseinheit,  den  An- 
spruch erheben  dürfen,  denselben  Gegenstand  vorzustellen.  In 
ihnen  allen  ist  dann  der  Gegenstand,  welcher  intendirt  ist,  der- 
selbe, aber  in  jeder  ist  die  Intention  eine  verschiedene,  jede 
meint  den  Gegenstand  in  anderer  Weise.  So  stellt  z.  B.  die  Vor- 
stellung  Deutschlands  Kaiser   ihren  Gegenstand   als  Kaiser   und 


zwar  als  denjenigen  Deutschlands  vor.  Dieser  selbe  ist  der  Sohn 
Kaiser  Friedrichs  III.,  der  Enkel  der  Königin  Victoria  und  hat 
sonst  vielerlei  hier  nicht  genannte  und  vorgestellte  Eigenschafteu, 
Demgemäfs  könnte  man,  mit  Beziehung  auf  eine  gegebene  Vor- 
stellung, ganz  consequent  von  dem  intentioniilen  und  aufserintcn- 
tionaten  Inhalt  ihres  Gegenstandes  sprechen;  doch  finden  sich  auch 
ohne  besondere  Terminologie  hier  manche  passende  und  unmifs- 
verständliche  Ausdrücke,  z.B.  das Intendirte  am  Gegenstande  u. s.  w. 
Im  Zusammenhange  mit  der  eben  behandelten  Unterscheidung 
steht  eine  andere  und  noch  wichtigere,  nämlich  die  Unterscheidung 
zwischen  der  Gegenständlichkeit,  auf  die  sich  ein  Act  voll 
und  ganz  genommen  richtet,  und  den  Gegenständen,  auf 
die  sich  die  verschiedenen  Theilacte  richten,  welche  den- 
selben Act  aufbauen.  Jeder  Act  beziefit  sich  intentional  auf  eine 
ihm  zugehörige  Gegenständlichkeit.  Dies  gilt  wie  für  einfiiche, 
so  für  zusammengesetzte  Acte.  Wie  immer  ein  Act  aus  Tlieil- 
acten  zusammengesetzt  sein  mag,  ist  es  überhaupt  Ein  Act, 
so  hat  er  sein  Correlat  in  Einer  Gegenständlichkeit. 
Und  diese  ist  es,  von  welcher  wir  im  vollen  und  primären 
Sinne  aussagen,  dafs  er  sich  auf  sie  beziehe.  Auch  die  Theil- 
acte (wenn  es  wirklich  nicht  blofs  überhaupt  Theile  des  Actes, 
sondern  Acte  süad,  die  dem  complexen  Acte  als  Theile  einwohnen) 
bezichen  sich  auf  Gegenstände;  diese  werden  im  Allgemeinen  nicht 
mit  dem  Gegenstand  des  ganzen  Actes  identisch  sein,  obschon  sie 
es  gelegentlich  sein  können.  Natürlich  kann  man  in  gewisser 
Weise  auch  von  dem  ganzen  Acte  sagen,  dais  er  sich  auf  diese 
Gegenstände  beziehe,  aber  dies  gilt  doch  nur  in  einem  secun- 
dären  Sinn;  nur  insofern  geht  seine  Intention  auch  auf  sie,  als 
er  sich  eben  aus  Acten  aufbaut,  die  primär  sie  intendii'en.  Oder 
von  der  anderen  Seite  angesehen:  sie  sind  nur  insofern  seine 
Gegenstände,  als  sie  seinen  eigentlichen  Gegenstand  in  der  Weise, 
wie  er  intendirt  ist,  constituiren  helfen.  Sie  fungiren  etwa  als 
Beziehungspunkte  von  Beziehungen,  mittelst  welcher  der  primäi-e 
Gegenstand  als  corrolater  Beziohuugspunkt  vorgestellt  wird.  Z.  B. 
der  Act,  der  dorn  Namen  das  Messer  auf  dem  Tische  entspricht, 


ist  offenbar  zusammengesetzt  Der  Gegenstand  des  Gesammtactes 
ist  ein  Mossor,  der  Gegenstand  eines  Tlieilactes  ist  ein  Tisch.  So- 
fern aber  der  erstere  das  Messer  gerade  als  auf  dem  Tische  seien- 
des meint,  es  also  in  dieser  Lagenbeziehung  zum  Tische  vorstellt, 
kann  man  nucli  in  einem  secuiidärcu  Sinne  sagen,  der  Tisch  sei 
intentionaler  Gegenstand  des  uumiiialen  Gesammtactes.  Wieder 
ist,  um  eine  andere  wichtige  Klasse  von  Fällen  zu  illustriren, 
in  dem  Satze  das  Messer  liegt  auf  dem  lösche  das  Messer  zwar 
der  Gegenstand,  „über"  den  geurtheilt  wird,  oder  „von"  dem  aus- 
gesagt wird;  aber  gleieliwul  ist  es  nicht  der  primäre  Gegenstand, 
nämlich  nicht  der  volle  des  Urtbeils,  sondern  nur  derjenige  des 
Urtheilsubjects.  Dem  ganzen  Urtheil  entspricht  als  voller  und 
ganzer  Gegenstand  der  geurtheilte  Sachverhalt,  der  als  identisch 
derselbe  in  oiiior  blüfseu  Vorstellung  vorgestellt,  in  einem  Wunsch 
gewünscht,  in  einer  Frage  gefragt,  in  einem  Zweifel  bezweifelt 
sein  kann  u.  s.  w.  In  letzterer  Hinsicht  betrifft  der  dem  ürtheil 
gleich stinmi ige  Wunsch,  das  Messer  sollte  attf  dem  Tische  liegen, 
zwar  das  Messer,  aber  in  ihm  wünsche  ich  nicht  das  Messer,  sondern 
dies,  dafs  das  Messer  auf  dem  Tische  liege,  dafs  sich  die  Sache  so 
verhalte.  Und  dieser  Sachverhalt  ist  ofi'enbar  nicht  zu  verwechseln 
mit  dem  bezüglichen  Urtheil  oder  gar  mit  der  Vorstellung  des  Ur- 
theils  —  ich  wünsche  Ja  nicht  das  Urtheil  oder  irgendeine  Vor- 
stellung. Ebenso  gebt  die  entsprechendo  Frage  das  Messer  an,  aber 
erfragt  ist  nicht  das  Messer  (was  ja  gar  keinou  Sinn  giebt),  sondern 
das  auf  dem  Tische  Liegen  des  Messers,  es  ist  gefragt,  ob  es  so  sei. 

Soviel  vorläufig  über  den  ersten  Sinn  der  Rede  von  intentio- 
nalen  Inhalten.  Mit  Rücksicht  auf  die  Vieldeutigkeit  dieser  Rede 
werden  wir  am  besten  thun.  in  allen  Fällen,  wo  der  intontionale 
Gegenstand  gemeint  i.st,  überhaupt  nicht  vom  intentionalen  Inhalt, 
sondern  eben  vom  intentionalen  Gegenstand  des  betrefifendcn  Actes 
zu  sprechen. 

§  18.     Einfache  und  xusammengeselxte ,  futidirende  und  fundirte  Acte. 

Wir  haben  bisher  nur  Eine  Bedeutung  der  Rede  von  den 
intentionalen  Inhalten  kennen  gelernt.    Ihre  weiteren  Bedeutungen 


werden  uns  in  den  folgenden  Untersuchungen  erwachsen,  in  welchen 
wir  einige  wichtige  Eigenthünilichkeiten  des  phUnomenologischen 
Inhaltu  der  Acte  ins  Auge  fassen  und  die  in  ihnen  gründenden 
idealen  Einheiten  klären  wollen. 

Wir  knüpfen  an  den  schon  berührten  Unterschied  der  ein- 
fachen und  zusammengesetzten  Acte  an.  Nicht  jedes  einheitliche 
Erlebnis,  das  aus  Acten  zusammengesetzt  ist,  ist  darum  schon  ein 
zusammengesetzter  Act,  sowie  nicht  jede  beliebige  Aneinander- 
kettung  von  Maschinen  eine  zusammengesetzte  Maschine  ist.  An 
dem  Vergleiche  verdeutlichen  wir,  was  noch  erforderlich  ist.  Eine 
zusammengesetzte  Maschine  ist  Eine  Maschine,  die  selbst  aus 
Maschinen  zusammengesetzt  ist,  und  zwar  ist  diese  Verbindung 
eine  derartige,  dafs  die  Leistung  der  Gesammtmaschine  eben  eine 
fiesammÜei.stung  ist,  in  welche  die  Leistungen  der  Theilmaschinen 
einfliefsen.  Aehnlich  verhält  es  sich  bei  den  zusammengesetzten 
Acten.  Jeder  Theiiact  hat  seine  besondere  intentionale  Beziehung, 
jeder  hat  seinen  einheitlichen  Gegenstand  und  seine  Weise,  sich 
auf  ihn  zu  beziehen.  Aber  diese  mannigfachen  Theilacte  schliefsen 
sich  zu  Einem  Gcsammtacte  zusammen,  dessen  GesammUeistung 
in  der  Einheitlichkeit  der  intontionalen  Beziehung  besteht.  Und 
dazu  tragen  auch  hier  die  Einzelacte  durch  ihre  einzelnen 
Leistungen  bei;  die  Einheit  der  vorsteiligen  Gegenständlichkeit 
und  die  ganze  Weise  der  intentionalen  Beziehung  auf  sie  consti- 
tuirt  sich  nicht  neben  den  Tbeilacten,  sondern  in  ihnen,  sowie 
zugleich  in  der  Weise  ihrer  Verbindung,  die  den  einheitlichen 
Act  und  nicht  blofse  Einheitlichkeit  eines  Erlebnisses  überhaupt 
zu  Stande  bringt.  Der  Gegenstand  des  Gesammtactes  könnte  nicht 
erscheinen  als  solcher,  wie  er  factisch  erscheint,  virenn  die  Theil- 
acte nicht  ihre  Gegenstände  in  ihrer  Art  vorstellig  machten:  sie 
sollen  ja  im  Ganzen  die  Function  haben,  sei  es  Theile  des  Gegen- 
standes, sei  es  äu&ere  Beziehungsglieder  zu  ihm,  sei  es  Be- 
ziebungsformen  u.  dgl.  darzustellen.  Dasselbe  gilt  von  denjenigen 
Actmomenten,  die  über  das  Vorstelligmachen  hinaus  das  sozu- 
sagen Qualitative  der  Theilacte  und  ihre  Einheit  zur  Qualität  des 
Gesammtactes  ausmachen,  und  somit  die  specifisch  unterechiedenen 


Weisen  bestimmen,  wie  die  einen  und  anderen  Gegenständlich- 
keiten „ins  Bewufstsein  aufgenommen"  sind. 

Als  Beispiel  kann  die  Einheit  der  kategorischen  oder  hypo- 
thetischen Priidication  dienen.  Deutlich  gliedern  sich  hier  die 
Gesammtacte  in  Theilacte.  Das  Subjectglied  der  beziehenden  Aus- 
sage ist  ein  zu  Grunde  liegender  Act,  auf  den  sich  die  Prädicat- 
setzung,  das  Zusprechen  oder  Absprechen  des  Prädicafs,  aufbaut. 
Ebenso  constituu-t  sich  die  Voraussetzung  der  hypothetischen  Aus- 
sage in  einem  deutlich  abgegrenzten  Theilacte,  auf  den  die  be- 
dingte Setzung  der  Folge  gebaut  ist.  und  diibei  ist  das  jeweilige 
Gesamuiterlebnis  offenbar  Ein  Act,  es  ist  Ein  Urtheil,  mit  Einer 
Gesammtgegenständliclikeit,  nämlich  Einem  Sachverhalte.  Wie  das 
Urtheil  nicht  neben  oder  zwischen  den  Subject-  und  Prädicat- 
acten,  den  voraussetzenden  und  folgernden  Acten  ist,  sondern  in 
ihnen  als  die  durchwaltende  Einheit,  so  ist  auf  der  correlaten 
Seite  der  geurtheilte  Sachverbalt  die  objective  Einheit,  die  als  das, 
was  sie  hier  erscheint,  aus  Subject  und  Prädicat,  aus  Vorausge- 
setztem und  darauf  hin  Gesetztem  sich  aufbaut. 

Die  Sachlage  kann  auch  complicirter  sein.  Es  kann  sich  auf 
solch  einem  mehrgliedrigen  Acte  (dessen  Glieder  übrigens  selbst 
wieder  gegliedert  zu  sein  pflegen)  ein  neuer  Act  aufbauen,  z.  B. 
auf  die  Coustatirung  eines  Sachverhalts  eine  Freude,  die  hiedurch 
Fi'eude  über  den  Sachverhalt  ist  Die  Freude  ist  nicht  ein  con- 
creter  Act  für  sich  und  das  Urtheil  ein  daneben  liegender  Act, 
sondern  das  Urtheil  ist  der  fimdirende  Act  für  die  Freude,  es  be- 
stimmt ihren  lulialt,  es  realisirt  iiire  abstracto  Möglichkeit:  denn 
ohne  solche  Fundirung  kann  Freude  überhaupt  nicht  sein.'  Wieder 
können  Urtheile,  sei  es  Vermuthungen  oder  auch  Zweifel,  Fragen, 
Wünsche,  Wiüensacte  u.  dgl.  fundiren;  und  ebenso  auch  umge- 
kehrt, es  können  Acte  der  letzteren  Art  als  Fundirungen  auf- 
treten. So  giebt  es  mannigfaltige  Combinationen,  in  welchen  Acte 
sich  zu  Gesammtacteu  zusammenschliefsen,  und  schon  die  flüch- 


'  Es   ist   hier   also    von    Fiuidiruog   im   streagen  Sinne  unBerer  unter- 
üudiung  Jll  die  Hede. 


tigste  Betrachtung  lehrt,  dafs  in  der  Weise  der  Verwebung,  bezw. 
der  Fundirung  von  Acten  durcli  unterliegende  und  sie  erbauende 
Acte  merkwürdige  Unterschiede  bestellen,  von  deren  systematischer 
Erforschung  bisher  kaum  noch  die  dürftigsten  Anfänge  zu  finden  sind. 

§  19.     Dk  Function  der  Aufmerkmmkeü  in  compkxen  Acten. 
Das  phänmnenologisclie  Verluüinis  zwischen    Wortlaut  und  Sinn  als 

Beispiel. 

"Wie  weit  die  Verschiedenheiten  in  dieser  Hinsicht  gehen, 
wird  ein  Beispiel  zeigen,  das  uns  nicht  weniger  interessirt  als  die 
oben  zergliederten,  icfi  meine  das  einmal  schon  in  Erwägung  ge- 
zogene' Ganze  von  Ausdruck  und  Sinn.  Es  wird  auch  eine  weitere 
Beobachtung  illustriren,  die  hier  Niemandem  entgehen  kann,  näm- 
lich daJs  sozusagen  hinsichtlich  der  Activität,  mit  welcher  sich 
Acte  einer  Complexion  geltend  machen,  sebr  erhebliche  Unter- 
schiede möghch  sind.  Normaler  Weise  wird  der  Actcharakter, 
der  die  Einheit  aller  Theilacte  umspannt,  sie  alle  unter  sich  hat 
—  gleichgiltig  ob  es  sich  um  eine  eigene  Actintention  handelt 
wie  im  Beispiel  der  Freude,  oder  um  eine  sich  durch  alle  Theile 
hindurchziehende  Einheitsform  —  die  gröfste  Activität  entfalten. 
In  diesem  Acte  leben  wir  vorzugsweise,  in  den  untergeordneten 
Acten  aber  nur  nach  Mafsgabe  der  Bedeutsamkeit  ihrer  Leistung 
für  den  Gesamratact  und  seine  Intention.  Doch  wenn  wir  soeben 
von  Unterschieden  der  Bedeutsamkeit  in  der  Leistung  sprachen,  so 
ist  das  offenbar  selbst  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  eine  gewisse 
Bevorzugung  hiehergehöriger  Art,  die  den  einen  Theilacten  zu 
Gute  kommt  und  den  anderen  nicht 

Betrachten  wir  nun  das  angezeigte  Beispiel.  Es  handelt 
sieb  um  die  Einheit  der  Acte,  in  denen  sich  ein  Ausdruck, 
physisch  genommen,  constituirt,  mit  den  ganz  anderen  Acten,  in 
denen  sich  die  Bedeutung  constituirt;  eine  Verbindung,  die  offen- 
bar eine  wesentlich  andere  ist,  als  weiterhin  die  Einheit  der  letzt- 
erwähnten Acte  mit  denjenigen,  in  welchen  sie  ihre  nähere  oder 


'  Unters.  I,  §  9  und  lü. 


I 


fernere  Erfiilliing  durch  Anschauung  finden.  Und  nicht  nur  die 
Vorknüpfimgsweise  ist  eine  wesentlich  verschiedene,  sondern  auch 
die  Activitiit,  mit  der  die  einen  und  anderen  Acte  vollzogen 
werden.  Der  Ausdruck  wird  etwa  wahrgenommen,  doch  in  diesem 
Wahruehniou  lebt  nicht  un.'ier  Interesse;  wir  achten,  wenn  wir 
nicht  abgelenkt  werden,  statt  auf  die  Zeichen,  viebnehr  auf  den 
Sinn;  den  sinnverleihenden  Acten  kommt  also  die  vorherrschende 
Activitiit  zu.  Was  dann  die  eventuell  begleitenden  und  in  die 
Einheit  des  Gesammtactes  rait  eingewobenen  Acte  der  evident 
machenden  oder  illustrirenden  oder  sonstwie  fungirenden  An- 
schauungen anlangt,  so  nehmen  sie  das  herrschende  Interesse  in 
verschiedenem  Malse  in  Anspruch.  Sie  können  vorwalten,  wie 
im  Wahrnehmungsui'theil  oder  in  dem  analog  gebauten  Bildlich- 
keitsurtheil,  wo  wir  die  Wahrnehmung  oder  Imagination,  in  der 
wir  leben,  nur  zum  Ausdruck  bringen  wollen,  oder  wie  ebenfalls 
in  dem  von  Evidenz  voll  durchleuchteten  Gesetzesurtheil ;  sie  können 
mehr  zurücktreten  und  schliofslich  ganz  nebensächlich  erscheinen, 
wie  in  Füllen  unvollkommener  oder  gar  völlig  uneigentlicher  Ver- 
bildlichuug  des  herrschenden  Gedankens,  es  sind  dann  flüchtige 
Phantasmen,  an  denen  kaum  noch  ein  Interesse  haftet.  (Doch 
mag  man  in  dem  extremen  Falle  zweifeln,  ob  die  begleitenden 
Bildvorstelluogen  überhaupt  noch  zur  Einheit  des  ausdrücklichen 
Actes  gehören,  oder  ob  sie  nicht  eben  blofse  Begleiter  seien,  rait 
den  fraglichen  Acten  coexistirend,  aber  nicht  mit  ihnen  zu  Einem 
Acte  verknüpft) 

Vermöge  des  eigenen  Werthes,  den  die  möglichste  Kläi-ung 
der  Sachlage  bei  den  Ausdrücken  für  uns  besitzt,  wollen  wir  einige 
Punkte  näher  ausführen. 

Ausdruck  und  Sinn  siud  zwei  objective  Einheiten,  die  sich 
für  uns  in  gewissen  Acten  darstellen.  Der  Ausdruck  an  sich, 
z.  B.  das  geschriebene  Wort  ist,  wie  wir  schon  in  der  Unter- 
suchung I  ausgeführt  haben,'  ein  physisches  Object  so  gut  wie 
irgendein  beliebiger  Federzug  oder  Tintenfleck   auf  dem  Papier; 


es  ist  uns  also  in  demselben  Sinne  wie  irgendein  physisches  Object 
sonst  „gegeben",  d.  h.  es  orsclieint,  und  dafs  es  erscheint  heifst 
hier  wie  dort  nichts  Anderes,  als  dafs  ein  gewisser  Act  Erlebnis 
ist,  in  dem  die  und  die  Empfind iiugserlebnisse  in  gewisser  Weise 
„appercipirt"  werden.  Die  hier  fraglichen  Acte  sind  natürlich 
Wahrnehmiings-  oder  Phantasievorstellungen;  in  ihnen  constituirt 
sich  der  Ausdruck  im  physischen  Sinne.  Unwesentlich  sind  diese 
Acte  für  den  Ausdruck  als  solchen  insofern,  als  sie  genau  so  bei 
Nicht-Ausdrücken  auftreten  könnten. 

Was  nun  aber  den  Ausdruck  zum  Ausdruck  macht,  das  sind, 
wie  wir  wissen,  die  ihm  angeknüpften  Acte.  Sie  sind  nicht  äußer- 
lich neben  ihm,  etwa  nur  gleichzeitig  bewufst,  sie  sind  vielmehr 
mit  ihm  eins  und  so  eins,  dafs  wir  schwerlich  werden  umhin 
können  zuzugestehen,  dafs  die  Verknüpfung  der  einen  und  anderen 
Acte  (denn  unter  dem  Titel  Ausdruck  meinen  wir  natürlich  in 
bequemer  Lässigkeit  die  ihn  dai^tellende  Acteinheit)  wirklich  einen 
einheitlichen  Gesammtact  ergiebt.  So  ist  z.  B.  eine  Aussage, 
eine  Behauptung,  ein  streng  einheitliches  Erlebnis,  und  zwar  von 
der  Gattung  Urtheil,  wie  wir  geradehin  zu  sagen  lieben.  Wir  finden 
in  uns  nicht  eine  blofse  Summe  von  Acten,  sondern  Einen  Act, 
an  dem  wir  gleichsam  eine  leibliehe  und  eine  geistige  Seite  unter- 
scheiden. Ebenso  ist  ein  ausdrücklicher  Wunsch  nicht  ein  Bei- 
einander von  Ausdruck  und  Wunsch  (und  zwischen  beiden  noch 
ein  Urtheil  über  den  Wunsch  —  was  freilich  strittig  ist),  sondern 
ein  Ganzes,  Ein  Act;  und  wir  nennen  ihn  geradezu  einen  Wunsch. 
Mag  immerhin  der  physische  Ausdruck,  der  Wortlaut,  in  dieser 
Einheit  als  unwesentlich  gelten,  Das  ist  er  auch  insofern,  als 
anstatt  seiner  ein  beliebiger  anderer  Wortlaut  und  in  gleicher 
Function  hätte  stehen  können;  ja  er  könnte  sogar  gänzlich  in 
Fortfall  kommen.  Aber  ist  er  einmal  da,  so  verschmilzt  er  doch 
mit  den  beigegebenen  Acten  zu  Einem  Act.  Auch  dies  ist  sicher, 
dafe  der  Zusammenhang  hier  gewissermafsen  ein  ganz  äufserlicher 
ist,  da  der  Ausdruck  selbst,  d.  h.  der  erscheinende  Wortlaut  (das 
objective  Schriftzeichen  u.  dgl.)  nicht  als  Bestaudstück  der  im  Ge- 
sammtact intendirten  Gegenständlichkeit  und  überhaupt  nicht  als 


etrras  ^sachlich"  zu  ihr  Gehöriges,  sie  irgendwie  Bestimmendes 
gelten  soll.  Also  der  Beitrag,  den  die  verbalen  Acte  zum  ge- 
sammten  Act,  etvc»  der  Behauptung,  leisten,  ist  von  total  ver- 
schiedener Art,  als  der  Beitrag  der  fundirenden  Acte  nach  Mafs- 
gabe  der  oben  discutirten  Beispiele.  Andererseits  müssen  wir  aber 
nicht  verkennen,  dafs  ein  gewisser  phänomenaler  Zusammenhang 
zwischen  Wort  und  Sache  bei  all  dem  übrig  bleibt.  Indem  z.  B. 
das  Wort  die  Sache  nennt,  legt  es  sich  ihr  in  gewisser  Weise 
auf,*  erscheint  in  gewisser  Art  doch  wieder  mit  ihr  einig,  als 
etwas  an  ilir,  nur  freilich  nicht  als  sachlicher  Theil  oder  als  sach- 
liche Bestimmtheit.  Also  die  sacliliche  Bezieh ungslosigkeit  schlielst 
nicht  eine  gewisse  phänomenale  Einheit  aus,  die  auf  eine  Yer- 
knüpfung  der  entsprechenden  Acte  zu  einem  einzigen  Acte  hin- 
deutet. Zur  Bestätigung  kann  wol  auch  die  Erinnerung  an  den 
schwer  ausrottbaren  Hang  dienen,  die  Einheit  zwischen  Wort  und 
Sache  zu  übertreiben,  ihr  einen  objectiven  Charakter,  etwa  gar  in 
Form  einer  mystischen  Einheit,  zu  unterschieben. 

In  diesem  verknüpften  Acte  nun,  der  Ausdructserscheinung 
und  sinngehende  Acte  befafst,  sind  es  offenbar  die  letzteren  Acte, 
oder  ist  es  die  in  ihnen  selbst  herrschende  Acteinheit,  die  den 
Charakter  des  Gesammtactes  wesentlich  bestimmt.  Danach  nennen 
wir  ja  das  ausdrückliche  und  das  entsprechende  nichtausdrückliche 
Erlebnis  mit  demselben  Namen:  Urtbeil,  Wunsch  u.  dgl.  In  der 
Complexion  prüvaliren  also  die  einen  Acte  in  eigenthümlicher 
"Weise.  Wir  drückten  dies  gelegentlich  so  aus;  indem  ein  Aus- 
druck als  solcher  fungirt,  „leben  wir"  nicht  in  den  Acten,  die 
ihn  als  physisches  Object  constituiren;  nicht  diesem  Object  gehört 
unser  „Interesse",  vielmehr  leben  wir  in  den  sinngebenden  Acten, 
wir  sind  ausschliefslich  dem  Gegenständlichen  zugewendet,  das  in 
ihnen  erscheint.  Wir  wiesen  auch  darauf  hin,  wie  die  besondere 
Zuwendung  zu  dem  physischen  Ausdruck  wol  möglich  ist,  aber 
auch  den  Charakter  des  Erlebnisses  total  verändert,  es  hört  auf, 
noch  ein  Ausdruck  zu  sein. 


'  Vgl.  B.  Erduuin's  Besohreibung  des  aaBdrüoUichea  Wabmetimuiigs- 
vtheils,  Logik  I,  205. 


i 


Offenbar  tiaben  wir  es  liier  mit  einem  Falle  einer  allgemeinen 
und  trotz  aller  Bemühungen  noch  nicht  hinreichend  klargelegten 
Thatsaclie  zu  thun,  mit  der  Thatsache  der  Aufmerksamkeit. 
Sicherlich  hat  hier  nichts  so  sehr  die  richtige  Erkenntnis  ver- 
baut, wie  die  Verkennung  des  Umstandes,  dafs  die  Aufmerk- 
samkeit eine  auszeichnende  Function  ist,  die  zu  Acten 
in  dem  oben  präcisirten  Sinne  vim  iiiteniionalen  Erleb- 
nissen gehört,  und  dafs  somit  von  ihrem  doscriptiven  Ver- 
ständnis so  lange  keine  Rede  sein  kann,  als  man  das  Erlebtsein, 
im  Sinne  des  schlichten  Daseins  eines  Inhaltes  im  Bewufstsein, 
mit  der  intentionalen  Gegenständlichkeit  vermengt.  Acte  müssen 
da  sein,  damit  wir  in  ihrem  Vollzüge  ,,autgehen",  in  ihnen  „leben" 
können,  und  indem  wir  dies  thun,  achten  wir  auf  die  Gegen- 
stände dieser  Acte.  Das  Eine  und  das  Andere  ist  dasselbe,  nur 
von  verschiedenen  Seiten  ausgedrückt. 

Demgegenüber  spricht  man  von  der  Aufmerksamkeit  so,  als 
wäre  sie  eine  Art  bevorzugender  Hebung,  die  den  jeweils  erlebten 
Inhalten  zutheil  würde  und  beliebigen  solchen  Inhalten  ohne  Wei- 
teres zutheil  werden  könnte.  Zugleich  spricht  man  noch  so,  als 
wären  diese  Inhalte  (die  jeweiligen  Erlebnisse  selbst)  das,  wovon 
wir  in  normaler  Rede  sagen,  dafs  wir  darauf  aufmerksam  seien. 
Die  Möglichkeit  einer  Aufmerksamkeit  auf  erlebte  Inhalte  be- 
streiten wir  natürlich  nicht,  aber  wo  wir  auf  erlebte  Inhalte  auf- 
merksam sind,  da  sind  sie  eben  Gegenstände  einer  (sc.  inneren) 
Wahrnehmung,  und  Wahrnehmung  ist  hiebei  nicht  das  blofse 
Dasein  des  Inhalts  im  Bewufstsein,  sondern  vielmehr  ein  Act,  in 
dem  uns  der  Inhalt  gegenständlich  wird.  Und  so  sind  es  denn 
überhaupt  intentionale  Gegenstände  irgendwelcher  Acte,  und  nur 
intentionale  Gegenstände,  worauf  wir  jeweils  aufmerksam  sind  und 
aufmerksam  sein  können.  Damit  harmonirt  die  normale  Rede- 
weise, über  deren  wirklichen  Sinn  die  kürzeste  Reflexion  hätte 
Auskunft  geben  können.  Ihr  gemäfs  sind  die  jeweiligen  Gegen- 
stände der  Aufmerksamkeit  Gegenstände  innerer  oder  äufserer 
Wahrnehmung,  Erinnerung,  Erwartung,  oder  auch  Sachverhalte 
einer  wissenschaftlichen  Erwägung  u.  dgl.    G-ewifs,  von  Aufmerk- 


flnsterl,  Los.  Unters.  II. 


samkeit  kann  nur  die  Rede  sein,  wo  unser  „BewuTstsein"  auf  das, 
■worauf  wir  aufmerksam  sind,  „gerichtet''  ist  Diese  Selbstver- 
ständlichkeit besagt  aber  nicht,  dafs  Aufmerksamkeit  ein  Act  ist, 
der  sich  nothwendig  auf  Bewufstseinsinhalte  (Erlebnisse)  richten 
müsse  und  auf  solche  ohne  Weiteres  richten  könne;  sondern  es 
heifst,  dafs  irgendein  Act  zu  Grunde  liegen  nuifs,  in  dem  uns 
das,  worauf  wir  aufmerksam  sein  sollen,  im  weitesten  Sinne  des 
Wortes  gegenständlich  bczw.  vorstellig  wird.  Dieses  Vorstellen 
kann  ebensowol  ein  symbolisches  wie  ein  anschauliches,  es  kann 
ein  noch  so  inadäquates  so  gut  wie  ein  adäquatps  sein.  In  anderer 
Hinsicht  wäre  freilich  zu  erwägen,  ob  die  BovorKUgung,  die 
ein  Act  vor  anderen  gleichzeitigen  erfährt,  indem  wir  „in  ihm 
leben"  und  so  mit  seinen  Gegenständen  „speciell  beschäftigt"  sind, 
selbst  als  ein  Act  zu  gelten  habe,  der  folglich  alle  prävalirenden 
Acte  eo  ipso  zu  complexen  machte. 

Doch  wir  wollten  hier  nicht  eine  „Theorie''  der  Aufmerk- 
samkeit durchführen,  sondern  nur  die  wichtige  Function  erörtern, 
die  sie  als  hebender  Factor  von  Actcharakteren  in  zusammen- 
gesetzten Acten  spielt,  und  durch  die  sie  auf  die  phänomenale 
Gestaltung  der  letzteren  wesentlich  einwirkt. 


§  20.     Der  Unterschied  der  Qualität  und  der  Materie  eines  Actes. 

Wichtiger  als  der  zuletzt  behandelte  Unterschied  zwischen 
Acten,  in  denen  wir  leben,  und  Acten,  die  nebenherlaufen,  ist  ein 
anderer  und  zunächst  ganz  selbstverständlicher  Unterschied,  näm- 
lich der  Unterschied  zwischen  dem  allgemeinen  Charakter  des 
Actes,  der  ihn  jenachdem  als  vorstdleudcn ,  oder  als  urtheilenden, 
fühlenden  u.  s.  w.  kennzeichnet,  und  seinem  Inhalt,  der  ihn  als 
diese  Vorstellung,  dieses  Urtheil  u.  s.  w.  kennzeichneL  So  sind 
z.  B.  die  beiden  Behauptungen  2x2 "4  und  Ibsen  ffili  als  Haupt- 
begründer  des  modernen  Realismus  in  der  dramatischen  Kunst, 
als  Behauptungen  von  Einer  Art,  jedes  ist  als  Urtheil  qualificirt. 
Dieses  Gemeinsame  nennen  wir  die  Urthoilsquaiität.  Das 
Eine  ist  aber  Urtheil  dieses,  das  Andere  ein  Urtheil  eines 
anderen  „Inhalts",  wir  sprechen,  zur  Unterscheidung  von  anderen 


Bewußlsein  als  psychischer  Act. 


Inhaltsbegriffen,  hier  von  der  ürthoilsmaterie.  Aehnliche  Unter- 
scheidungen zwischen  Qualität  und  Materie  vollziehen  wir  bei 
allen  Acten. 

Es  handelt  sich  bei  dem  letzteren  Titel  nicht  um  eine  Ab- 
theiliing  und  sanimeludo  Wiedervereinigung  von  Bestandstücken 
des  Actes,  wie  Subject,  Prädicat  u.  dgl.  Danach  wäre  der  ge- 
einigte Gesaramtinhait  der  Act  selbst.  Was  wir  hier  aber  im  Auge 
haben,  ist  etwas  ganz  Anderes.  Inhalt  im  Sinne  von  Materie  ist 
eine  Componente  des  concreten  Acterlebnisses,  welche  dieses  mit 
Acten  ganz  anderer  Qualität  gemeinsam  haben  kann.  Sie  tritt 
also  am  klarsten  hervor,  wenn  wir  eine  Reihe  von  Identitäten 
herstellen,  in  welchen  die  Äctqualitaten  wechseln,  während  die 
Materie  identisch  dieselbe  bleibt.  Dazu  bedarf  es  keiner  grofsen 
Veranstaltungen.  Wir  erinnern  an  die  übliche  Rede,  dais  der- 
selbe Inhalt  das  eine  Mal  Inhalt  einer  Vorstellung,  das  andere 
Mal  Inhalt  eines  Drtheils,  wieder  in  anderen  Fällen  Inhalt 
einer  Frage,  eines  Zweifels,  eines  Wunsches  und  dergleichen 
sein  kann.  Wer  sich  vorstellt,  es  gebe  auf  dem  Mars  intelligmte 
Wesen,  stellt  dasselbe  vor,  wie  derjenige,  der  aussagt,  es  giebt 
auf  dem  Älars  intelligente  Wesen,  und  abermals  wie  derjenige, 
der  fragt,  giebt  es  auf  dem  Mars  intelligente  Wesen?  oder  wie 
derjenige,  der  wünscht,  möge  es  doch  auf  dem  Mars  intelligente 
Wesen  geben,  u.  s.  w.  Mit  Bedacht  stellen  wir  hier  die  genau  ent- 
sprechenden Ausdrücke  explicite  auf.  Die  Gleichheit  des  „Inhalts" 
bei  Verschiedenheit  der  Actqualität  findet  ihre  sichtliche  gram- 
matische Ausprägung,  und  so  kann  die  Harmonie  der  gramma- 
tischen Bildungen  die  Richtung  unserer  Analyse  andeuten. 

Was  heifst  hier  also  derselbe  Inhalt?  Offenbar  ist  die  inten- 
tionale  Gegenständlichkeit  in  den  verschiedenen  Acten  dieselbe. 
Ein  und  derselbe  Sachverhalt  ist  in  der  Vorstellung  vorgestellt, 
im  Drtheil  als  geltender  gesetzt,  im  Wunsche  erwünscht,  in  der 
Frage  erfragt  Aber  mit  dieser  Bemerkung  langen  wir  nicht  aus, 
wie  die  folgende  Ueberlegung  herausstellen  wird.  Für  die  phä- 
nomenologische Betrachtung  ist  die  Gegenständlichkeit  selbst  nichts; 
sie  ist  ja,  allgemein  zu  reden,  dem  Acte  transscendent.     Gleich- 

25* 


giltig  in  welchem  Sinne  und  mit  welchem  Rechte  von  ihrem 
„Sein"  die  Rede  ist,  gleicbgiltig  ob  sie  real  oder  ideal,  ob  sie 
wahrhaft,  möglich  oder  unmöglich  ist,  der  Act  ist  „auf  sie  ge- 
richtet". Fragt  man  nun,  wie  es  zu  verstehen  sei,  dafs  das  Nicht- 
seieiide  oder  Transscendt'nte  in  einem  Acte,  in  welchem  es  gar- 
nicht  ist,  als  intentionaler  Gegenstand  gelten  könne,  so  giebt  es 
darauf  keine  andere  Antwort  als  diese  eine  und  in  der  That  voll 
ausreichende,  die  wir  oben  gegeben  hoben:  der  Gegenstand  ist  ein 
intentionaler,  das  heifst,  es  ist  ein  Act  da  mit  einer  bestimmt 
charakterisirten  Intention,  die  in  dieser  Bestimmtheit  eben  das  aus- 
macht, was  wir  die  Intention  auf  diesen  Gegenstand  nennen.  Das 
sich  auf  den  Gegenstand  Beziehen  ist  eine  erlebbare  Eigenthiim- 
lichkeit,  und  die  Erlebnisse,  die  sie  zeigen,  heifsen  (nach  Definition) 
intentionale  Erlebnisse  oder  Acte.'  Alle  Unterschiede  in  der 
Weise  der  gegenständlichen  Beziehung  sind  descriptive 
Unterschiede  der  bezüglichen  intentionalen  Erlebnisse. 
Nun  ist  aber  zunächst  zu  beachten,  dafs  die  im  phänomeno- 
ogischen  Wesen  des  Actes  sich  bekundende  Eigenheit,  sich  auf 
"eine  gewisse  Gegenständlichkeit  und  keine  andere  zu  beziehen, 
nicht  das  ganze  phänomenologische  Wesen  des  Actes  erschöpfen 
kann.  Wir  sprachen  soeben  von  Unterschieden  in  der  Weise 
der  gegenständlichen  Beziehung.  Darunter  sind  aber  grundver- 
schiedene und  völlig  unahhängig  voneinander  variirende  Unter- 
schiede zusammengefafst.  Die  Einen  betreffen  die  Act  quäl  i- 
täten;  so  wenn  wir  von  den  Unterschieden  sprechen,  nach  welchen 
Gegenständlichkeiten  bald  in  der  Weise  vorgestellter,  bald  in  der- 
jenigen beurtheilter,  erfragter  u.  s.  w.  intentional  sind.  Mit  dieser 
Variation  kreuzt  sich  eine  andere,  von  ihr  ganz  unabhängige, 
nämlich  die  Variation  der  gegenständlichen  Beziehung;  der  eine 
Act  kann  sich  auf  dieses,  der  andere  auf  jenes  Gegenständliche 
beziehen,  wobei  es  gleichgiltig  ist,  ob  es  sich  um  Acte  gleicher 
oder  verschiedener  Qualität  handelt:  Jede  Qualität  ist  mit 
jeder  gegenständlichen  Beziehung  zu  combiniren.     Diese 


'  Vgl.  dazu  die  Beilage  am  Schlüsse  dieses  Eapitels  8.  396  ff. 


zweite  Variation  trifft  also  eine  zweite  von  der  Qualität  ver- 
schiedene Seite  im  phiinomenolögischen  luiialt  des  Actes. 

Bei  dieser  letzteren  Variation,  welche  die  wechselnde  Bicbtung 
auf  Gegenständliches  betrifft,  pflegt  man  aber  gerade  nicht  von  unter- 
schiedenen „Weisen  der  gegenständlichen  Beziehung"  zu  sprechen, 
wiewol  das  Unterechoidonde  dieser  Richtung  im  Acte  selbst  ge- 
legen sein  muJs. 

Näher  zugeseben ,  merken  wir  bald,  dafs  sieb  hier  noch  eine 
andere,  von  der  Qualität  unabhängige  Variationsniöglich- 
keit  herausstellen  läi'st,  in  Hinsicht  aufweiche  von  unterschiedenen 
Weisen  der  Beziehung  auf  Gegenständliches  sehr  wol  die  Rede  ist; 
und  zugleich  damit  fallt  uns  auf,  daiJs  die  soeben  vollzogene  doppelte 
Variation  noch  nicht  vollkommen  geeignet  ist,  das,  was  wir  als 
Materie  definiren  müssen,  von  der  Qualität  klar  abzuscheiden.  Ihr 
gemilfs  hätten  wir  zwei  Seiten  tm  jedem  Acte  zu  sondern:  die 
Qualität,  die  den  Act  z.  ß.  als  Vorstellung  oder  Urtheil  kennzeichnet, 
und  die  Materie,  die  ihm  die  bestimmte  Richtung  auf  ein  Gegen- 
ständliches verleiht,  also  es  z.B.  macht,  dafs  die  Vorstellung  gerade 
(lies  und  nichts  Anderes  vorstellt.  Das  ist  zweifellos  richtig  und 
doch  in  gewisser  Hinsicht  mifsverständlich.  Im  ersten  Augenblick 
wird  man  nämlich  geneigt  sein,  die  Sachlage  einfach  so  zu  inter- 
protiren:  die  Materie  ist  dasjenige  am  Acte,  was  ihm  die  Richtung 
gerade  auf  diesen  und  keinen  anderen  Gegenstand  ertheilt  —  also 
ist  der  Act  durch  seinen  qualitativen  Charakter  und  durch  den 
Gegenstand,  den  er  intendiren  soll,  eindeutig  bestimmt.  Eben  diese 
vermeintliche  Selbstverständliohkcit  erweist  sich  als  unrichtig.  In 
der  That  ist  es  leicht  zu  sehen,  dafs,  wenn  wir  zu  gleicher  Zeit 
die  Qualität  und  die  gegenständliche  Richtung  fixiren, 
noch  gewisse  Variationen  möglich  sind.  Es  können  zwei 
identisch,  z.  B.  als  Voi-stellungen  qualificirte  Acte,  als  auf  dasselbe 
Gegenständliche,  und  zwar  mit  Evidenz,  gerichtet  erscheinen,  ohne 
dafs  die  Acte  nach  ilirem  vollen  intentionalen  Wesen  übereinstimmen. 
So  sind  die  Vorstellungen  das  gleichseitige  Dreieck  und  das  gleich- 
ivinklige  Dreieck  inhaltlich  verschieden,  und  doch  sind  sie  beide,  wie 
sich  ja  evident  nachweisen  lälst,  auf  denselben  Gegenstand  gerichtet 


390         V.   lieber  intenlionale  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 


Sie  stellen  denselben  Gegenstand,  aber  noch  „in  verschiedener  Weise" 
vor.  Aebiiliches  gilt  für  Vorstellungen,  wie  eine  Länge  voti  a  -^-  b 
und  eine  Lätige  von  b  -{■  a  Einheiten,  und  selbstveratändlieh  dann 
auch  für  Aussagen,  welche,  im  üebrigen  bedeutuiigsidentisch, 
sich  nur  durch  solche  „üquivalonto"  Begriffe  unterscheiden.  Ebenso 
im  Vergleich  von  andersartig  äquivalenten  Aussagen;  z.  B.  es  ifird 
Regenwetter  geben  und  das  Wetter  wird  regneriseh  werden.  Nehmen 
wir  aber  eine  Actreihe  wie  die  folgende :  das  ürtheil  es  toird  heute 
regnen;  die  Venmitbnng  heute  wird  es  wol  regnen;  die  Frage  wird  es 
heute  regnen?  den  Wunsch  nenn  es  doch  heute  regnen  iHirde!  u.s.  w.; 
so  exompliflcirt  sie  die  Müglichkeit  der  Identität  nicht  blofs  hin- 
sichtlich der  gegenständlichen  Beziehung  überhaupt,  sondern  auch 
hinsichtlich  der  im  neuen  Sinn  verstandenen  Weise  der 
gegenständlichen  Beziehung,  einer  Weise,  die  also  nicht  durch 
die  Qualität  des  Actes  vorgeschrieben  ist 

Die  Qualität  bestimmt  nur,  ob  das  in  bestimmter  Weise 
bereits  „vorstellig  Gemachte"  als  Erwünschtes,  ErQ-agtes,  urtheils- 
mäfsig  Gesetztes  u.  dgl.  intentiona!  gegenwärtig  sei.  Danach  niufs 
uns  die  Materie  als  dasjenige  im  Acte  gelten,  was  ihm 
allererst  dio  Beziehung  auf  oiu  Gegenständliches  vor- 
leiht, und  zwar  diese  Beziehung  in  so  vollkommener  Bestimmt- 
heit, dafs  durch  dio  Materie  nicht  nur  das  Gegenständliche  über- 
haupt, welches  der  Act  meint,  sondern  auch  dio  Weise,  in  welcher 
er  es  meint,  fest  bestimmt  ist.  Dio  Materie  —  so  können  wir 
noch  weiter  verdeutlichend  sagen  —  ist  die  im  phänomenologischen 
Inhalt  des  Actes  liegende  Eigenheit  desselben,  die  es  bestimmt, 
als  was  der  Act  die  jeweilige  Gegenständlichkeit  auffafst, 
welche  Merkmale,  Formen,  Beziehungen  er  ihr  zumisst.  An  der 
Materie  des  Actes  liegt  es,  dafs  der  Gegenstand  dem  Acte  als 
dieser  und  kein  anderer  gilt,  sie  ist  gewissermafsen  der  die  Qualität 
fundirende  (aber  gegen  deren  Untoi-schiodo  gleichgiltige)  Sinn  der 
gegenständlichen  Auffassung.  Gleiche  Materien  können  nie- 
mals eine  verschiedene  gegenständliche  Beziehung  geben;  wol  aber 
können  verschiedene  Materien  gleiche  gegenständliche  Beziehung 
geben.     Letzteres  zeigen  die  obigen  Beispiele;  wie  denn  überhaupt 


die  Unterschiede  äquivalenter,  aber  nicht  taiitologischer  Aus- 
driiclte  die  Materie  betreffen.  Solchen  Untorschioden  entspricht 
natürlich  keine  denkbare  Zei"stückiing  der  Materie,  als  ob  ein 
Stück  dem  gleichen  Gegenstande,  ein  anderes  der  verechiedenen 
Weise  seiner  Vorstellung  entspräche.  OfTenbar  ist  die  gegenständ- 
liche Be/iclumg  «  priofi  nur  niüglieh  als  bostinimto  "Weise  der 
gegenständlichen  Beziehung;  sie  kann  nur  zu  Stande  kommen  in 
einer  voUbestimmten  Materie. 

Wir  fügen  noch  eine  Bemerkung  bei:  die  Actqualität  ist 
zweifellos  ein  abstractes  Moment  des  Actes,  das  von  jedweder 
Materie  abgelöst  schlechterdings  undenkbar  wäre.  Oder  sollten 
wir  etwa  ein  Erlebnis  für  möglich  halten,  das  Urtheilsqualitiit 
wäre,  aber  nicht  ürtheil  einer  bestimmten  Materie?  Damit  ver- 
löre ja  das  ürtheil  den  Charakter  eines  intentionalen  Erlebnisses, 
der  ihm  als  wesentlicher  evident  zugeeignet  ist. 

Aehnliches  wird  fiu-  die  Materie  gelten.  Auch  eine  Materie, 
die  weder  Materie  eines  Vorstell  ens,  noch  die  eines  ürthoilens  u.dgl. 
wäre,  wird  man  für  undenkbar  erachten. 

Auf  den  Doppelsinn  der  Rede  von  der  „Weise  der  gegen- 
ständlichen Beziehung",  die  sich  nach  den  eben  durchgeführten 
Betrachtungen  bald  auf  die  Verschiedenheiten  der  Qualität  und  bald 
auf  die  der  Materie  bezieht,  ist  von  nun  ab  zu  merken;  wir  werden 
ihm  durch  passende,  die  Termini  Qualität  und  Materie  heran- 
ziehende Wendungen  begegnen.  Dafs  dieselbe  Rede  noch  andere 
wichtige  Bedeutungen  bat,  wird  sich  später  herausstellen'. 


§  21.     Das  inientionale  und  das  bederUungsmäfsige  Wesen. 

Die  näliere  Erforschung  der  einschlägigen  und  recht  schwie- 
rigen Probleme  wollen  wir  für  den  Augenblick  noch  aufschieben 
und  uns  sogleich  zur  Behandlung  einer  neuen  Unterscheidung 
wenden,  in  welcher  uns  ein  abermals  neuer,  aus  dem  vollen 
descriptiven  Inhalt  des  Actes  zu  sondernder  Begriff  von  seinem 
-intentionalen  Inhalt"  zuwächst. 


'  Vg).  die  Aufzählung  in  Unters.  VI,  §  27. 


Im  descriptivon  Inhalt  jedes  Actes  hnbpu  wir  Qualität  und 
Materie  als  zwei  einander  wecliselseitig  fordernde  Momente  unter- 
schieden. Nehmen  wir  nun  beide  wieder  zusammen,  so  scheint 
es  zunächst,  dafa  wir  damit  nur  den  betreffenden  Act  restituirt 
haben.  Genauer  zugesehen,  drängt  sioh  uns  jedoch  eine  andere 
Auffassung  entgegen,  wonach  die  beiden  Momente,  zur  Einheit 
gebracht,  den  concret  vollständigen  Act  nicht  ausmachen.  In  der 
That  können  zwei  Acte  sowol  in  Hinsicht  auf  ihre  Qualität,  als 
in  Hinsicht  auf  ihre  Materie  einander  gleich  und  trotzdem  noch 
descriptiv  verscliieden  sein.  Sofern  uns  nun  (wie  wir  hören 
v^erden)  Qualität  und  Materie  als  die  durchaus  wesentlichen  und 
daher  nie  zu  entbehrenden  Bestandstücke  eines  Actes  gelten  müssen, 
würde  es  passend  sein,  die  ?]inheit  beider,  die  nur  einen  Theil 
des  vollen  Actes  ausmacht,  als  das  inienHonale  Wesen  des  Actes 
zu  bezeichnen.  Indem  wir  diesen  Terminus  und  die  ihm  zu- 
gehörige Auffassung  der  Sachlage  festziihnlton  gedenken,  führen 
wir  zugleich  einen  zweiten  Terminus  ein.  Soweit  es  sich  nämlich 
um  Acte  handelt,  die  als  bedeutungverleihende  Acte  bei  Aus- 
drucken fungiren  oder  fungiren  könnten  —  ob  dies  alle  können, 
werden  wir  späterhin  zu  erforschen  haben  —  .soll  specieller  von 
dem  bedeittungsmäfsigen  Wesen  des  Actes  gesprochen  werden. 
Seine  ideirende  Abstraction  ergiebt  die  Bedeutung  in  unserem 
idealen  Sinn. 

Zur  Rechtfertigung  unserer  Begriffsbestimmung  kann  zunächst 
der  Hinweis  auf  die  folgende  neue  Koihe  von  Identificirungen 
dienlich  sein.  Wir  sagen  allgemein  und  im  guten  Sinne,  es 
könne  Ein  Individuum  zu  verschiedenen  Zeiten,  oder  es  könnten 
mehrere  Individuen,  sei  es  zur  selben  oder  zu  verschiedenen 
Zeiten,  dieselbe  Vorstellung,  Erinnerung,  Erwartung  haben,  die- 
selbe Wahrnehmung  machen,  dieselbe  Behauptung  aussprechen, 
denselben  Wunsch,  dieselbe  Hoffnung  hegen  u.  s.  w. 

Dieselbe  Vorstellung  haben,  besagt  zwar  auch,  aber  besagt  nicht 
gleich  viel  wie,  denselben  Gegenstand  vorateHen.  Die  Vorstellung, 
die  ich  von  GrünJands  Eiswüsten  habe,  ist  sicherlich  eine  andere 
als  diejenige,  die  Nansen  von  ihnen  hat;  aber  der  Gegenstand  ist 


derselbe.  Ebenso  sind  die  idealen  Gegenstände  „Gerade"  und 
„kürzeste  Linie"  iiJentisch,  die  Vorstellungen  aber  (bei  passender 
Definition  der  Geraden)  verschieden. 

Die  Rede  von  derselben  Vorstellung,  bezw.  demselben  ürtLeil 
u.  dergl.,  meint  forner  nicht  individuelle  Identität  der  Acte,  als  wäre 
mein  Bewufstsein  gewisserniafsen  zusamniongüwaclisen  mit  dem 
eines  Anderen.  Sie  meint  ebensowenig  das  V'orbiiltnis  vollkom- 
mener Gleichbeit,  also  Ummtorscboidbarkeit  binsicbtlich  aller 
inneren  Constituentien  der  Acte,  als  ob  der  eine  ein  blofses 
Duplicnt  des  anderen  wäre.  Wir  haben  dieselbe  Voi-steliung  von 
einer  Sache,  wenn  wir  Vorstellungen  haben,  in  denen  sich  uns 
die  Sache  nicht  blofs  überhaupt,  sondern  als  genau  dieselbe  vor- 
stellt; (1.  h.  nach  den  obigen  Ausflihrungen:  in  demselben  Auf- 
fassungssinne oder  auf  Grund  derselben  Materie.  Im  „Wesen" 
Laben  wir  dann  in  der  Tbat  dieselbe  Vorstellung  trotz  sonstiger 
phünomeuologischer  Differenzen.  Am  klarsten  tritt  die  Bedeutung 
solcher  wesentlichen  Identität  hervor,  wenn  wir  an  die  Function 
der  Vorstellungen  als  Fundirungen  für  höhere  Acte  denken.  Denn 
gleichwertiiig  können  wir  diese  Wosensidentität  auch  so  bezeichnen: 
zwei  Vorstellungen  sind  im  Wesen  dieselbe,  wenn  sich  auf 
(Jrund  einer  jeden  unter  ihnen,  und  zwai-  rein  für  sich  genommen 
(also  analytisch),  über  die  vorgestellte  Sache  genau  dasselbe  und 
nichts  Anderes  aussagen  liefse.  Und  ähnlich  in  Betreff  der 
anderen  Äctarten.  Zwei  ürtheilo  sind  wesentlich  dasselbe  Urthcil, 
wenn  alles,  was  vum  beurtheilten  Sachverhalt  nach  dem  einen 
Urtlieil  gelten  würde,  von  ihm  auch  nach  den  anderen  gelten 
müfsto  und  nichts  Anderes.  Ihr  Wahrhoitswerth  ist  derselbe, 
und  er  ist  es  offenbar,  wenn  „das"  Urtheil,  ilas  intentionale 
Wesen  als  Einheit  von  Urthoilsiiualität  und  Urtheilsmaterio  das- 
selbe ist 

Machen  wir  uns  nun  auch  k^ar,  dafs  das  intentionale 
Wesen  den  Act  phänomenologisch  nicht  erschöpfL  Bei- 
spielsweise ändert  sich  eine  als  blolse  Einbildung  rjualificirte 
Phantasievorstellung  in  der  betrachteten  Hinsicht  unwesentlich, 
wenn   die  Fülle   und    Lebendigkeil   der  sie   mitaufbauenden   sinn- 


lichou  Inhalte  zu-  oder  abnimmt;  oder  auf  den  Gegenstand  be- 
zogen: wenn  der  Gegenstand  bildlich  bald  mit  gröfscrer  Klarheit 
und  Deutlichkeit  erscheint,  bald  wieder  in  nebelhafter  V*er- 
schwommenheit  zerfliefst,  in  seinen  Färbungen  verblafst  u.  dergl. 
Oh  man  hier  Intensitätsnndorungen  annehmen,  ob  man  Gleichheit 
der  hier  auftretenden  Empfindungen  mit  denen  der  Wahrnehmung 
principiell  leugnen  mag  oder  nicht,  jedenfalls  kommt  es  auf  die 
absohlten  Qualitäten,  Formen  u.  s.  w.  wenig  an,  wofem  eben  nur 
die  Intention  des  Actes,  sozusagen  seine  Meinung,  ungeändert 
bleibt.  Bei  all  den  phänomenologisch  so  erheblichen  Veränderungen 
der  l'hantasieerseheinung  steht  der  Gegenstand  selbst  immerfort 
als  der  Eine  und  selbe  vor  unserem  Bewuistsein  (Identität  der 
Materie),  nicht  ihm,  sondern  der  Bildei-scheinung  messen  wir  die 
Veränderungen  zu,  wir  meinen  ihn  als  constant  vorharrenden; 
und  wir  meinen  ihn  so  in  der  Weise  blolser  Einbildung  (Identität 
der  Qualität).  Dies  natürlich  unter  der  Voraussetzung,  dafe  die 
betreffende  Vorstellung  eben  einen  constanten  Gegenstand  ver- 
bildlichen will.  Ist  es  aber  auf  einen  sich  verändernden  ab- 
gesehen, so  breitet  sich  die  Vorstellung  in  einem  Flufs  von 
Vorstellungen  mit  entsprechend  variirender  Vorstellungsintention 
aus;  und  von  dieser  fliefsenden  Vorstellung  wäre  dann  dasselbe 
zu  sagen,  was  wir  in  Botreff  der  Vorstellung  von  Constantem 
gesagt  haben. 

Auch  bei  der  Wahrnehmung  verhält  es  sich  nicht  anders. 
Auch  hier  handelt  es  sich,  wenn  wir  geraeinsam  „dieselbe"  Wahr- 
nehmung machen  oder  die  gemachte  blofs  „mederholen",  nui' 
um  die  identische  Einheit  der  Materie,  und  somit  auch  des  in- 
tentionalon  Wesens,  die  einen  Wechsel  im  doscriptiven  Gehalt 
des  Erlebnisses  keineswegs  ausschliefst  Dies  geht  schon  aus 
dem  Antheil  hervor,  den  die  Phantasie  an  der  Wahrnehmung 
hat  oder  haben  kann.  Ob  in  mir  von  der  Rückseite  dieser  vor 
mir  liegenden  Tnbaksbüchso  überhaupt  Phantasiedarstollungen  auf- 
leben, ob  sie  dann  nach  Fülle,  Stetigkeit,  Lebeniiigkeit  u.  s.  w. 
sich  so  oder  so  verhalten:  das  berührt  nicht  den  wesentlichen 
Inhalt   der   Wahrnehmung,   also   dasjenige  an   ihr,    was  die  voll- 


berechtigte  Rede  von  derselben  Wnhmebmung  f^egenüber  einer 
Melirlieit  phäuomoiiologisch  dilTerenter  Wahrnelimungsacte  orkliirt. 
Bei  alledem  wird  der  Gegenstand  als  derselbe,  mit  denselben  Be- 
stimmtlieiten  ausgestattete  wahrgonoramen,  nämlich  in  wahrnehmen- 
der Weise  „gemeint"  oder  „aüfgofafst"  und  gesetzt. 

Im  üebrigen  kann  eine  Wahrnehmung  auch  mit  einer  Phan- 
tasievorstellung die  Materie  gemein  haben,  wofern  diese  Vorstellung 
den  Gegenstand  oder  Sachverhalt  „als  genau  denselben"  imaginativ 
auffafst,  als  welchen  ihn  die  Wahrnehmung  percoptiv  autlafct,  so 
dafs  ihm  die  Eine  objcctiv  nichts  zudeutet,  was  ihm  nicht  auch 
die  Andere  zudeutct.  Da  die  Vorstelhiiig  nun  auch  gleich  quuüfi- 
cirt  sein  kann  (Erinnerung),  so  sehen  wir  schon,  daüs  die  Artunter- 
schiede der  intuitiven  Acte  sich  nicht  dnrch  das  intentionale 
Wesen  bestimmen. 

Analoges  gilt  natürlich  für  Acte  jeder  Art.  Denselben 
Wunsch  hegen  mehrere  Personen,  wenn  ihre  wünschende  Inteulion 
dieselbe  ist.  Bei  dorn  Einen  mag  der  Wunsch  voll  ansdrücklich 
sein,  bei  dem  Andern  nicht,  bei  dem  Einen  mit  Beziehung  auf 
den  fundirenden  Vorstellungsgehalt  anschaulich  klar,  bei  dem 
Andern  mehr  oder  minder  imanschanlich  u.  s.  w.  h\  jedem  Falle 
liegt  die  Identität  des  „Wesentlichen"  offenbar  in  den  beiden 
oben  unterschiedenen  Momenten,  in  derselben  Actqualität  und 
in  derselben  Materie.  Dasselbe  nehmen  wir  also  auch  für  die 
ausdrücklichen  und  speciell  die  bedeutungvorleihonden  Acte 
in  Anspruch  und  zwar  so,  dafs,  wie  wir  es  oben  vorweg  aus- 
gesprochen haben,  ihr  Bedeutungsmäfsiges,  d.  h.  das  in  ihnen, 
was  das  phänomenologische  Correlat  der  idealen  Bedeutung  bildet, 
mit  ihrem  intontionalen  Wesen  zusammenfällt. 

Zur  Bestätigung  unserer  Auffassung  vom  bedeutungsmäfsigen 
Wesen  (Bedeuten  in  concreto)  erinnern  wir  an  die  Identitäts- 
reihen, durch  die  wir  die  Einheit  der  Bedeutung  von  der  Ein- 
heit der  Gegenständlichkeit  abscliieden  (S.  46  ff.),  sowie  an  die 
ölteren  Beispiele  von  ausdrückliclien  Erlebnissen,  die  uns  zur 
Illustration  unserer  allgemeinen  Auffassung  vom  intentionaien 
Wesen  dienten.     Die  Identität  „des"  Urtheils  oder  „der"  Aussage 


396         V.    lieber  intenlUmate  Erlebnisse  und  ihre  „Inhalte". 

liegt  in  der  identischen  Bedeutung,  die  sieb  in  den  niannigfaldgeo 
Einzeincten  eben  nls  dieselbe  wiederholt  und  in  ihnen  durch  das 
bedeutungsmäTsige  Wesen  vertreten  ist.  Dals  biebei  ein  Spiel- 
raum für  sehr  erhebliche  doscriptive  Unterschiede  hinsichtlich 
anderer  Bestandstücke  der  Acte  offen  bleibt,  haben  wir  ausführ- 
lich dargethau.  ^ 

Beilage  zu  den  Paragraphen  11  und  20. 

Vor  zwei  fundanientaleii  und  scliier  unaiiarottlmren  Irrthümern 
niiils  man  sich  boi  dor  phänomenologischen  Interpretation  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Act  und  Subject  hüten: 

1.  Vor  dem  Irrthum  der  Bildertheorie,  welche  die  (in  jedem 
Acte  beschlossene)  Thataache  des  Vorstellens  hinreichend  aufgeklärt 
zu  Irnbon  glaubt,  indem  sie  sagt:  „Draufsen"  ist,  oder  ist  mindestens 
unter  Umständen,  das  Ding  selbst;  iui  Bcwufetscin  ist  als  sein  Stell- 
veitreter  ein  Bild.  —  Hiegegen  ist  zu  bemerken,  dafs  diese  Auffassung 
den  wichtigsten  Punkt  völlig  übersieht,  nämlich  dafs  wir  im  bild- 
lichen Vorstellen,  auf  Qrund  des  erscheinenden  Bildobjects  das  ab- 
gebildete Objoct  (das  Bildsujet)  meinen.  Nun  ist  aber  die  Bildlich- 
keit des  als  Bild  fungirondcn  Objects  offenbar  kein  innerer  Charakter 
(kein  „i-eales  Prädicat");  als  ob  eua  Object  so  wie  es  beispielsweise  I 
roth  und  kugelförmig,  auch  bildlich  sei.  Woran  liegt  es  also,  dafs 
wir  über  das  im  Bewufstsoin  allein  gegebene  „Bild"  hinauskommen  und 
es  als  Bild  auf  ein  gewisses  bcwulstseinsfremdos  Object  zu  beziehen  _ 
vermögen?  Der  Hinweis  auf  die  Aelmlichkeit  zwischen  Bild  und  Sache  \ 
bringt  uns  nicht  weiter.  Sie  ist,  mindestens  wenn  die  Sache  wirklich 
oxistirt,  als  ein  objectives  Factum  zweifellos  vorhanden.  Aber  für 
das  Bewuistsein,  das  vorausgcsetzterniafseii  nur  das  Bild  hat,'  ist 
dieses  Factum  schlochterdiugs  nichts;  es  kann  also  nicht  dazu  dienen, 
das  Wesen  der  vorstellenden,  näher  der  imaginativen  Beziehung  auf 
das  ihr  äufserliche  Object  (das  Bildsujet)  zu  klären.    Die  Aehulichkeit 


'  Vgl.  a.  a.  0.  §  17,  S.  »31  f.  und  §  30,  S.  97 ff. 

'  Wir  la.sson  die,  genau  besohen,  unelgentlicho  unii  iu  dor  Bildertheorie 
unrichtig,  weil  eigeatUoh,  iaterpretirte  Rode  vorläufig  possiron. 


( 


zwischen  zwei  Gegenstaiiden ,  und  sei  sie  auch  noch  so  grofs,  macht 
den  einen  noch  nicht  zum  Bilde  des  anderen.  Erst  diiit-h  die  Fähig- 
keit eines  vorstellenden  Wesens,  sich  des  Aehnlichen  als  Bildrepräseu- 
tanten  für  ein  Aehnliehes  zu  betlienen,  blofs  das  Eine  anschaulich 
gegenwärtig  zu  haben  nnd  statt  seiner  doch  das  Andere  zu  meinen, 
wird  das  Bild  fibeiliaupt  zum  Bilde.  Darin  kann  aber  nur  liegen, 
dafs  sieh  das  Bild  als  solches  in  einem  eigenartigen  intentioiialen  ße- 
wuJstsein  constituirt,  und  dals  der  innere  Charakter  dieses  Actes,  die 
innere  Eigenthtbnlichkeit  dieser  „Apporceptionsweise''  nicht  nur  über- 
haupt das  ausmacht,  was  wir  bildlich  Vorstellen  nennen,  sondern  je 
nach  der  besonderen  und  ebenfalls  innerlichen  Bestimmtheit  auch 
weiter  das  macht,  was  wir  das  bildliche  Vorstellen  dieses  oder  jenes 
bestimmten  Obief;tes  nennen.  Die  reflective  und  beziehende  Rede, 
welche  Bildobject  und  Bildsujet  einander  gegen  übersetzt,  weist  aber 
nicht  auf  zweierlei  erscheinende  Objecte  in  dem  imag^inativen  Acte 
selbst  hin,  sondern  auf  m5gliche  nnd  in  neuen  Acten  voretellige  Er- 
kenntniszusammenhänge, in  welchen  die  bildliche  Intention  sieh  er- 
füllen und  somit  die  Synthesis  zwischen  Bild  imd  vergegenwärtigter 
Sache  sich  realisiren  würde.  Die  rohe  Sprechweise  von  inneren 
Bildern  {im  Gegensatz  zu  äufseren  Gegenständen)  darf  in  der  descrip- 
tiven  Psychologie  nicht  geduldet  werden.  Sowie  das  GemSlde  nur 
Bild  ist  für  den  disponirten  Zuschauer,  der  ihm  durch  seine  (hier  in 
einer  Wahniehmung  fundirte)  imaginative  Apperception  erst  die 
Geltung  oder  Bedetitung  eines  Bildes  verleiht:  so  ist  auch  das 
Phantasiebild  ntu-  Bild  im  phantasirenden  Vorstellen,  d.  h.  vermöge 
des  eigenartigen  intentionalen  Charakters  der  Phantasievorstellung. 

Man  darf  nicht  so  reden  und  denken,  als  ob  das  Phantasiebild 
sich  zum  Bewnfstsein  ähnlieh  verhalte,  wie  das  Bild  zu  dem  Zimmer, 
in  dem  es  aufgestellt  ist,  und  als  ob  mit  dem  Ineinander  zweier 
Objecte  alles  erledigt,  ja  auch  nur  das  Mindeste  erklärt  wäre.  Man 
muTs  sich  zu  der  fundamentalen  Einsicht  erheben,  dafs  der  Acfc- 
charakter  der  Imagination  ein  schlechthin  irreductibles  phänomeno- 
logisches Factiun  ist,  imd  dafs  seine  einzigartige  Besonderheit  eben 
darin  besteht,  dafs  in  ihm  „ein  Object  erscheint",  und  zwar  so  er- 
scheint, dafs  ea  nicht  fflr  sich,  sondern  als  „bildliche  Vergegenwärti- 


gung"  eines  ihm  ähnlichen  Objectes  gilt.  Dabei  ist  nun  auch  nicht 
zu  übersehen,  dafs  sich  das  repräsentirende  Bildobject  selbst  -wieder, 
sowie  jedes  erscheinende  Object,  in  einem  (den  Bildlichkeitscharakter 
allererst  fundirenden)  Acte  constituirt. 

OEFenbfir  überträgt  sich  diese  Ausführung  nmtatis  mutandia  auf 
dio  Rqiräsentationstlieorie  im  weiteren  Sinne  der  Zeichentheorie. 
Audi  das  Zeichen -sein  ist  kein  reales  Prädicat,  es  bedarf  ebenfalls 
des  BQckganges  auf  gewisse  neuartige  Actcharaktere,  die  das  phäno- 
menologisch allein  Mafsgebliche  und,  in  Ansehung  dieses  Prädicates, 
das  allein  Reale  sind. 

Alle  .solche  „Theorien"  trifft  zudem  der  Einwand,  dafs  sie  die 
Fülle  der  wesentlich  versehiedeneu  Vorstell ungs weisen,  die  sich  inner- 
halb der  Klassen  intuitive  und  symbolische  "Vorstellung  ohne  besondere 
Kunst  der  Analyse  aufzeigen  lassen,  einfach  ignoriren. 

2.  Es  ist  ein  nicht  minder  schwerer  Irrthum,  wenn  man  den 
Unterschied  zwischen  den  „blols  immanenten"  oder  „ inten tionalen" 
Gegenständen  auf  der  einen  und  den  „tranascendenten"  Gegenständen 
auf  der  anderen  Seite,  mit  dem  unterschied  zwischen  dem  im  Be- 
■wufstsein  (venueintlich)  vorhandenen  Zeichen  oder  Bild  und  der 
bezeichneten  oder  abgebildeten  Sache  identificirt;  oder  wenn  man  in 
beliebig  anderer  Weise  dem  „immanenten"  Gegenstand  irgendein  reelles 
Bewuüatseinsdatum ,  etwa  gar  den  Inhalt  im  Sinne  des  Bedeutung 
gebenden  Moments,  unterschiebt.  Solche  durch  die  Jahrhunderte  sich 
fortschleppende  Irrthtimor  (man  denke  an  das  ontologische  Argument 
des  ÄNSELMTJs)  sind  der  Aequivocation  der  Rede  von  der  Immanenz 
und  von  Reden  ähnlichen  SchLiges  zu  danken.  Man  braucht  es  nur 
auszusprechen  und  Jedermann  mufs  es  anerkennen:  dafs  der  inten- 
tionale  Gegenstand  der  Vorstellung  derselbe  ist  wie  ihr 
■wirklicher  und  gegebenen  Falls  ihr  äufserer  Gegenstand,  und 
dafs  es  widersinnig  ist,  zwischen  beiden  zu  unterscheiden. 
Der  transBcendente  Gegenstand  wäre  gamicht  Gegenstand  dieser 
Vorstellung,  wenn  er  niciit  ihr  intentionaler  Gegenstand  wäre.  Und 
selbstverständlich  ist  das  ein  blofser  analytischer  Satz.  Der  Gegenstand 
der  Vorstellung,  der  „Intention",  das  ist  und  besagt  der  gemeinte 
Gegenstand.     Stelle  ich  Gott  oder  einen  Engel,  oder  ein  intelligibles 


Sein  an  sich  oder  ein  physisches  Ding,  oder  ein  nindes  Viereck  u.  s.w. 
vor,  so  ist  dieses  Wer  Genannte  und  Transscendente  eben  gemeint, 
also  (nur  mit  anderem  Worte)  intentionales  Object;  dabei  ist  es  gleich- 
giltig,  ob  dieses  Object  existirt,  ob  es  fingirt  oder  absurd  ist.  Der 
Gegenstand  ist  ein  „blofs  intentionaler",  heifst  natürlich  nicht:  er  existirt, 
jedoch  nur  in  der  intentio  (somit  als  ihr  reelles  Bestandstück),  oder 
es  existirt  darin  irgendein  Schatten  von  ihm;  sondern  es  heifst:  die 
Intention,  das  einen  so  beschaffenen  Gegenstand  Meinen  existirt,  aber 
nicht  der  Gegenstand.  Existirt  andererseits  der  intentionale  Gegen- 
stand, so  existirt  nicht  blofs  die  Intention,  das  Meinen,  sondern  auch 
das  Gemeinte.  —  Doch  genug  über  diese  noch  heutigen  Tags  und 
von  nicht  wenigen  Forschem  so  sehr  uiLIsdeuteten  Truismea. 


I 


Drittes  Kapitel. 

Die  Materie  des  Actes  und  die  zu  Grande  liegende  Vorstellung. 

§  22.     Die  Frage  naeli  dem  Verltältnis  xuHschen  Materie  und 
Qualität  des  Actes. 

Die  allgemeinen,  auf  die  Constitution  der  intentionalen  Erleb- 
nisse überhaupt  bezüglichen  üntei'sucbungen  beschliefsen  vvir  mit 
einer  Erwägung,  die  für  die  Klärung  unserer,  speciell  dem  Be- 
deutungsgebiet zugehörigen  Probleme  von  nicht  geringer  Wichtig- 
keit ist  Es  bandelt  sich  um  das  Verhältnis  von  Qualität  und 
Materie,  sowie  um  den  Sion,  in  dem  jeder  Act  einer  Vor- 
stellung als  seiner  Grundlage  bedarf  und  eine  solche  auch 
einschliefst.  Wir  stofsen  hier  sofort  auf  fundamentale  Schwierig- 
keiten, die  bisher  kaum  beachtet  und  jedenfalls  nicht  formulirt 
worden  sind.  Diese  Lücke  in  unseren  phänomenologischen  Er- 
kenntnissen ist  eine  umso  empfindlichere,  als  man  urtheilen  mufs, 
daüä  ohne  ihre  Ausfüllung  von  einem  wirklichen  Verständnis  des 
inneren  Baues  der  intentionalen  Erlebnisse  und  somit  auch  der 
Bedeutungen  keine  Rede  sein  kann. 


Qualität  und  Materie  hatten  wir  als  zwei  Momente  unter- 
schipileii,  nls  zwei  innere  Constituentien  von  allen  Acten.  Sicher- 
lich mit  Recht.  Wenn  wir  beispielsweise  ein  Erlebnis  als  Urtheil 
bezeichnen,  so  mufs  es  eine  innere  Bestimmtheit  haben  und  nicht 
etwa  ein  äufserlich  anhängendes  Merkzeichen,  das  es  als  Urtheil 
von  Wünschen,  Hoffnungen  und  anderen  Actarten  unterscheidet. 
Diese  Bestimmtheit  hat  es  mit  allen  Urtheilen  gemeinsam;  was 
es  aber  von  jedem  anderen  (bezw.  wesentlich  anderen)  unter- 
scheidet, ist  die  Materie.  Und  auch  sie  stellt  ein  inneres  Moment 
des  Actes  dar.  Dies  zeigt  sich  nicht  so  sehr  auf  directem  Wege 
—  denn  Niemand  wird  daran  denken  im  isolirt  einzelnen  Urtheil 
Qualität  und  Materie  analysirend  auseinanderzulegen  —  als  viel- 
mehr auf  dem  Wege  der  Vergleich ung,  also  im  Hinblick  auf  die 
entsprechenden  Identitäten,  in  welchen  wir  uns  qualitativ  ver- 
schiedene Acte  nebeneinanderstellen  und  nun  in  jedem  Acte  als 
gemeinsames  Moment  die  identische  Materie  finden,  ähnlich  etwa 
wie  auf  dem  sinnlichen  Gebiet  die  gleiche  Intensität  oder  Farbe. 
Die  Frage  ist  nur  die,  was  dieses  Identische  sei,  und  wie 
es  sich  zu  dem  Qualitätsmomente  verhalte.  Ob  es  sich 
dabei  um  zwei  disjuncte,  wenn  auch  abstracte  Bestand- 
st Ucke  von  Acten  bandle,  so  etwa  wie  Farbe  und  Gestalt  in  der 
sinnlichen  Anschauung,  oder  ob  sie  in  einem  anderen  Verhältnis 
stehen,  in  dem  von  (»attung  und  Differenz  u.  dgl.  Diese  Frage 
ist  umso  wichtiger,  nls  die  Materie  das  am  Acte  sein  soll,  was 
ihm  die  bestimmte  gegenständliche  Beziehung  verleibt 
Ueber  das  Wesen  dieser  Beziehung  möglichste  Klarheit  zu  ge- 
winnen ist  aber,  in  Erinnerung  daran,  dafs  sich  alles  Denken  in 
Acten  vollzieht,  von  grofsem  erkenntnistheoretischen  Interesse. 


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I 

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§  23.    Die  Auffassung  der  Materie  als  eines  fundirenden 
Actes  „blofsen  VorstelUns". 

Die   nächstliegende   Antwort   giebt   der   bekannte   Satz,   di 
Bbkntano  zur  Bestimmung  seiner  „psychischen  Phänomene"  mit- 
benutzt hat,  nämlich  dafs  jedes  solche  Phänomen,  oder  in  unserer 
Begrenzung    und    Benennung,    dafs    jedes    intentionale    Er 


lit-     I 

rer     \ 

J 


Die  Materie  des  Ades  und  die  xtt  Grunde  lügende  Vorstellung.   401 

iebnis  entweder  eine  Vorstellung  ist,  oder  auf  Vorstel- 
lungen als  seiner  ürundlage  beruht.  Genauer  ausgeführt, 
ist  der  Sinn  dieses  merkwürdigen  Satzes  der,  dafs  in  jedem 
Acte  der  intentionale  Gegenstand  ein  in  einem  Acte  des  Vor- 
stellens  vorgestellter  Gegenstand  ist,  und  dafs,  wo  es  sicli 
nicht  von  vornherein  um  ein  „blofses"  Vorstellen  handelt,  allzeit 
ein  Vorstellen  mit  einem  oder  mehreren  weitereu  Acten,  oder 
vielmehr  Actquali täten,  so  eigentliümlich  und  innig  verwoben 
ist,  dafs  hiedurch  der  vorgestellte  Gegenstand  zugleich  als  beur- 
theilter,  erwünschter,  erhoffter  u.  dgl.  dasteht.  Diese  Mehrfältigkeit 
der  inteutionalen  Beziehung  vollzieht  sich  also  nicht  in  einem  ver- 
knüpften Neben-  und  Naclieinander  von  Acten,  wobei  der  Gegen- 
stand mit  jedem  Acte  von  Neuem,  also  wiederholt,  intentionai 
gegenwärtig  wäre,  sondern  in  Einem  streng  einheitlichen  Acte, 
als  welchem  Ein  Gegenstand  ein  einziges  Mal  erscheint,  aber  in 
liiesem  einzigen  Gegenwärtigsein  Zielpunkt  einer  complexou  In- 
tention ist  Mit  anderen  Worten  können  wir  den  Satz  auch  so  aus- 
einanderlegen: ein  intentionalos  Erlebnis  gewinnt  überhaupt  seine 
Beziehung  auf  ein  Gegenständliches  nur  dadurch,  dafs  in  ihm  ein 
Acterlebnis  des  Vorstelleus  präsent  ist,  welches  ihm  den  Gegen- 
stand vorstellig  macht.  Für  uns  wäre  der  Gegenstand  nichts, 
wenn  ihn  kein  Vorstellen  uns  eben  zum  Gegenstande  machte  und 
es  80  ermöglichte,  dafs  er  nun  auch  zum  Gegenstand  eines  Fühlens, 
Begehrens  u.  dgl.  worden  kann. 

Diese  neuen  intentionalen  Charaktere  sind  offenbar  nicht 
als  volle  und  selbständige  Acte  zu  fassen.  Sie  sind  ja  nicht 
denkbar  ohne  den  objectivirenden  Vorstellungsact,  also  in  ihm 
fiindirt.  Ein  begehrter  Gegenstand,  bezw.  Sachverhalt,  der  nicht 
in  und  mit  dem  Bogohren  zugleich  vorgestellter  wäre,  kommt 
nicht  nur  thiitsächlich  nicht  vor,  sondern  er  ist  schlecliterdings 
undenkbar.  Und  so  in  jedem  Falle.  Das  ist  eine  Sachlage,  die 
sogar  Anspruch  auf  Apriorität  erhebt;  der  allgemeine  Satz,  der 
sie  aussagt,  ist  ein  mit  Evidenz  einleuchtendes  Gesetz.  Dem- 
gemäfs  haben  wir  zum  Beispiel  das  Hinzutreten  der  Be- 
gehrung  zu    der   fundirenden  Voretellung   nicht   als   Hinzutreten 


I 


von  etwas  anzusehen,  das  als  das,  was  es  hier  ist,  auch  für  sich 
sein,  und  vor  Allem,  das  für  sich  schon  Intention  auf  ein  Gegen- 
ständliches sein  könnte;  vielmehr  als  Hinzutreten  eines  unselb- 
ständigen Factors  müssen  wir  es  ansehen,  der  ein  intentionalor 
ist,  sofern  er  wirklich  Beziehung  auf  ein  Gegenständliches  hat  und 
ohne  solche  Beziehung  a  priori  nicht  denkbar  wäre,  aber  diese 
Beziehung  eben  nur  entfalten,  oder  sie  nur  gewinnen  kann  durch 
innige  Verwebung  mit  einer  Vorstellung.  Diese  Letztere  ist  jedoch 
mehr  als  eine  blofse  Actqualität,  sie  kann  im  Gegensatz  zu 
der  durch  sie  tündirten  Begehrungsqualität  als  „blofse"  Vorstellung 
sehr  wol  für  sich  sein,  d.  h.  als  ein  concretes  iutentionales  £r- 
lobois  füi'  sich  bestehen. 

Wir  fügen  diesen  Erläuterungen  noch  eine  Bemerkung  bei, 
die  für  die  folgenden  Botrachtuugeu  im  Auge  zu  behalten  ist, 
nämlich  dafs  im  Sinne  Buentanos  als  belegende  Beispiele  für  die 
„blofsen  Vorstellungen''  zu  gelten  haben:  alle  Fälle  blofser  Ein- 
bildungsvorstellung,  in  welchen  der  erscheinende  Gegenstand  weder 
als  seiender,  noch  als  nichtseiender  gemeint  ist  und  bezüglich 
dessen  alle  sonstigen  Acte  entfallen;  oder  auch  die  Fälle,  in 
welchen  wir  einen  Ausdruck,  etwa  einen  Aussagesatz,  verstehend 
aufnehmen,  ohne  uns  in  Glauben  oder  Unglauben  zu  entscheiden. 
Zumal  in  diesem  Gegensatz  zu  dem  Charakter  des  bclicf,  des.sen 
Hinzutreten  das  Urtheil  erst  vollenden  soll,  wird  der  Begriö'  der 
blofsen  Vorstellung  klargelegt,  und  es  ist  bekannt,  welch  wichtige 
Bolle  gerade  dieser  Gegensatz  in  der  neueren  Urtheilsthoorie  spielt. 

Kehren  wir  nun  zu  unserem  Satze  zurück,  so  liegt  es,  wie 
eingangs  berührt  worden,  sehr  nahe,  die  in  ihm  ausgodrückto 
und  soeben  dargelegte  Sachlage  auf  die  Interpretation  des  Ver- 
hältnisses von  Materie  und  Qualität  anzuwenden,  und  es  danach 
so  zu  bestimmen:  die  Identität  der  Materie  bei  wechselnder  Qualität 
besagt  Identität  in  der  zu  Grunde  liegenden  Vorstellung.  Anders 
ausgedrückt:  wo  Acte  denselben  „Inhalt"  haben  und  sich  wesent- 
lich nur  dadurch  unterecheiden ,  dals  der  eine  ein  ürtheil,  der 
andere  ein  Wunsch ,  der  dritte  ein  Zweifel  u.  s.  w.  eben  dieses 
Inhaltes  ist,  da  besitzen  sie  ein  und  denselben  Act  der  Vorstellung 


als  Oruntilage.  Liegt  die  Vorstellung  einem  ürthoil  zu  Grunde, 
so  ist  sie  {im  jetzigen  Sinne)  ürtheilsinhalt  Liegt  sie  einem  Be- 
gehren zu  Orunde,  so  ist  sie  Begehrungsinlialt;  u.  s.  w. 

Ist  danach  also  Vorstellung  und  Vorstellungsinhalt  ein  und 
dasselbe,  und  ist  somit  bei  einer  blofsen  Vorstellung  zwischen 
Qualität  und  Materie  kein  Unterschied  zu  machen?  In  gewissem 
Sinne,  ja.  Doch  wir  müssen  genauer  sein.  „Dieselbe"  Vor- 
stellung kann  nach  unseren  früheren  Erwägungen  von  Fall  zu 
Fall  noch  phänomenologische  Unterschiede  zeigen.  Die  Identität, 
die  in  solcher  Rede  von  „derselben"  Vorstellung  wirklich  besteht 
und  sie  fundirt,  ist  die  Identität  dos  intentionalen  Wesens  der 
Vorstellung,  kurzweg  des  Vorstellungswesens.  Meinen  wir  geradezu 
dieses,  wenn  wir  von  der  zu  Grunde  liegenden  Vorstellung  und 
in  vergleichender  Betrachtung  mehrerer  Acte,  von  derselben  oder 
von  verschiedenen  zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen  sprechen, 
80  ist  in  der  That  die  Materie  des  Actes  und  die  ihm  zu  Grunde 
liegende  Vorstellung  einerlei. 

Es  resultirt  also  folgende  Sachlage. 

Während  jedes  andere  intontionale  Wesen  eine  Complexion 
von  Qualität  und  Materie  ist,  ist  das  intentionale  Wesen  der 
Vorstellung  blofso  Materie  —  oder  blofso  Qualität,  wie  man  es 
nun  nennen  will.  Anders  ausgedrückt:  nur  der  Umstand,  dafs 
die  intentionalen  Wesen  aller  anderen  Acte  complex  sind,  und 
zwar  so,  dafs  sie  noth wendig  ein  Voretellungswesen  als  das  eine 
ihrer  Bestandtheile  in  sich  fassen,  würde  jetzt  die  Rede  von  dem 
Unterschiede  zwischen  Qualität  und  Materie  begründen;  wobei 
imter  dem  letzteren  Titel  eben  dieses  nothwendig  fundirende  Vor- 
stelUmgswesen  verstanden  wäre.  Eben  darum  fiele  bei  einfachen 
Acten,  die  co  ipso  biofse  Vorstellungen  wären,  der  ganze  Unter- 
schied fort  Man  müTste  also  auch  sagen:  der  Unterschied  zwischen 
Qualität  und  Materie  bezeichne  keinen  Unterscliied  grundverschie- 
dener Gattungen  von  abstracten  Momenten  der  Acte.  An  und 
für  sich  betrachtet  seien  die  Materien  selbst  nichts  Anderes 
als  „Qualitäten",  nämlich  Vorstellungsqualitäten.  Was 
wir  als  das  intentionale  Wesen  der   Acte  bezeichnet  haben,   sei 

26* 


oben  das  gesammte  Qualitative  in  iiinen;  dies  sei  in  der  That 
das  in  ihnen  Wesentliche,  gegenüber  dem  zufällig  Wechselnden. 
Doch  besser  sagen  wir  mit  Rücksicht  auf  die  geänderte  Auffassung, 
nach  welcher  nun  „Qualität"  terminologisch  nicht  mehr  im  Gegen- 
satz zu  „Materie"  zu  fungiren  hat,  anstatt  Qualität  Intention 
oder  Actcharakter.  In  der  That  stimmt  ja  Beides,  nachdem 
jede  innere  Scheidung  im  Actcharakter  aufgegeben  ist,  überein. 
Die  Sachlage  spräche  sich  dann  in  folgender  Weise  aus: 

Ist  ein  Act  ein  einfacher,  also  blofse  Vorstellung,  so  fallt 
seine  Intention  mit  dem,  was  wir  intentionales  Wesen  genannt 
haben,  zusammen.  Ist  er  ein  zusammengesetzter  —  und  dahin 
würde  jeder  von  einer  blofsen  Vorstellung  verschiedene  Act  ge- 
hören und  daneben  noch  die  zusammengesetzten  Vorstellungen  — 
so  gilt  dasselbe  von  der  complexen  Gesammtintention.  Diese  zer- 
fällt ihrerseits  in  mehrere  Theilintontionon,  unter  welchen  sich 
immer  eine  Vorstellungsintention  finden  muls.  Letztere  macht 
den  Theil  des  intentionalen  Wesens  aus,  der  früher  als  Materie 
bezeichnet  war,  und  der  uns  zunächst,  fast  wie  selbstverständlich, 
als  ein  im  Vergleich  zu  den  übrigen  Intentionen  —  den  früher 
sogenannten  Qualitäten  —  Heterogenes  erschien. 

§  24.  Sdimerifflceüen.  Das  Problem  der  Differenxnning  der 
Qualitätsgattitngen. 
So  einleuchtend  diese  ganze  Auffassung  erscheint  und  auf 
eine  so  unzweifelhafte  Evidenz  sie  sich  stützt,  sie  ist  doch  keines- 
wegs von  einer  Art,  die  andere  Möglichkeiten  ausschlösse.  Gewifs 
die  angezeigte  Evidenz  {die  des  BRENTANo'schcn  Satzes)  besteht,  aber 
die  Frage  ist,  ob  man  nicht  in  sie  hineindeutet,  was  in  ihr  selbst 
garnicht  liegt.  Auffallend  ist  jedenfalls  die  eigenthümliche  Be- 
vorzugung der  Vorstellungen,'  als  der  einzigen  Gattung  intentio- 
naler    Erlebnisse,    deren    Intention    eine   wirklich    einfache   sein 


'  Jeuer  „blofsen"  und  den  Acten  dos  bdief  gegeoübergesetzten  Vor- 
stellungOD,  wie  wir  iioclimals  betonen.  Wie  es  sich  mit  anderen  VorstoUungs- 
b^griffec  verhält,  worden  wir  in  den  beiden  niichsten  Kapiteln  ausführliuh 
nnfersnchen. 


Die  Materie  des  Actes  und  die  xu  i 


ende  Vorstellung,   405 


könnte;  und  im  Zusammenhang  damit  steht  die  Schwierigkeit, 
wie  (ienu  die  letzte  specit'ischo  Lifforenziirung  der  ver- 
schiedenartigen Gattungen  von  Intentionen  ku  verstehen 
sei.  Beispielsweise  wenn  wir  urtheilen,  soll  die  volle  Urtheils- 
intention,  das  der  Bedeutung  des  Aussagesatzes  entsprechende 
Moment  im  Acte  des  Aussagens,  compiex  sein,  aufgebaut  aus 
einer  Vorstellungsintention,  die  den  Sachverhalt  vorstellig  macht, 
und  aus  einer  ergänzenden  Intention,  als  dem  eigentlichen  Urtheüs- 
charakter,  wodurch  der  Sachverhalt  in  der  Weise  des  seienden 
dasteht.  Wie  verhält  es  sich  nun,  fragen  wir,  mit  der  letzten 
specifisclien  Differenz  solcher  hinzutietenden  Intentionen?  Die 
überate  Gattung  Intention  besondert  sich,  gleichgiltig  ob  unmittel- 
bar oder  mittelbar,  zur  Art  Urtheilsintention ,  wobei  wir  diese 
natürlich  rein  für  sich,  in  Abstraction  von  der  angeblich  fundi- 
renden  Vorstellungsintention,  nehmen  müssen.  Ist  diese  Art  nun 
schon  die  letzte  specifische  Difi'erenz? 

Ziehen  wir,  um  klare  Begriffe  zu  behalten,  ein  sicheres  Bei- 
spiel echter  Ai-istotelischer  Differenziirung  in  die  vergleichende  Be- 
traclitting.  In  AristoteOscliem  Sinne  besondert  sich  die  Gattung 
Qualität  in  die  Art  Farbe,  diese  wieder  in  das  darunterliegende 
Rotb,  und  zwar  in  die  bestimmte  Rothnuance;  diese  ist  die  letzte 
specifische  Differenz,  sie  läfst  keine  echte,  innerhalb  dieser  Gattung 
liegende  Differenziirung  zu;  vvas  hier  nur  möglich  ist,  ist  die  Ver- 
webung mit  anderen,  zu  anderen  Gattungen  gehörigen  Bestimmt- 
heiten, die  selbst  wieder  letzte  Differenzen  in  Hinsicht  auf  ihre 
Gattungen  sind.  Diese  Verwebung  wirkt  zwar  noch  inhaltüch 
bestimmend,  aber  nicht  mehr  im  echten  Sinn  difi'ereuziirend.' 
So  kann  „dasselbe"  Roth  eine  Ausbreitung  von  dieser  oder  joner 
geometi'ischen  Form  annehmen.  Das  Rothmoment  ändert  sich,  aber 
nicht  als  Qualität,  es  ändert  sich  nach  Mafsgabe  des  wesentlich 
ihm  zugehörigen  Moments  der  neuen  Gattung  Ausdehnung.  Ich 
sage:  hinsichtlich  dos  wesentlich  zugehörigou  Moments.  Es 
gründet  ja  im  Wesen  von  Farbe  überhaupt,  dafs  sie  ohne  räum- 
liche Bestimmtheit  nicht  sein  kann. 


'  Vgl.  Unters.  IH,  §  4,  S.  2281. 


I 


Kehren  wir  nun  zu  unserem  Fall  zurück.  Wie  verhält  es 
sich,  fragen  wir,  mit  dem  im  coucreton  Urtheil  zu  der  fundirenden 
Vorstellung  hinzutretenden  Urtheilscharnkter?  Ist  er  bei  allen  ür- 
theilen  etwas  völlig  Gleiches;  ist  also  die  Art  ürtheiisinteution 
(und  zwar  die  einfache,  nicht  mit  Vorstellung  complicirte  Art) 
eigentlich  schon  niederste  specifischo  Diö'oroiiz?»  Wir  werden  doch 
nicht  schwanken  können,  dies  anzunehmen.  Nehmen  wir  es  aber 
an,  und  versuclien  wir,  es  dann  cousequeuter  Weise  auch  für  alle 
Arten  derlntentiun  nnzunelnnen,  so  stofsen  wir  bei  den  Vor- 
stollungeu  auf  ernste  Schwierigkeiten.  Denn  ist  auch  innerhalb 
der  Art  Vürstolkmg  keine  Düferenzilrung  mehr  vurliaudeu,  so  be- 
trilft  der  Unterscliied  zwischen  dieser  und  jener  Vorstellung  in  specie, 
z.  B.  der  Unterschied  zwischen  der  Vorstellung  Kaiser  und  der 
Vorstellung  Papst,  nicht  die  vorstellende  Intention  als  solche. 
Was  ist  also  das  Dißerenziiiendo  dieser  Vorstellungen,  oder  besser 
gesprochen:  dieser  inten tionalen  Wesen,  dieser  Vorstellungs- 
bedeutungen? Sie  müfsten  nun  Complexionen  sein  zwischen 
dem  Charakter  {der  Qualität)  „Vorstellung"  und  einem  zweiten 
Charakter  von  einer  ganz  anderen  Gattung;  und  da  offensichtlich 
ionerhalb  des  erstereu  alle  Uutersehiedenheit  in  der  gegenständ- 
lichen Beziehung  verloren  gegangen  wäre,  so  wäre  es  dieser  zweite 
Charakter,  der  sie  in  die  volle  Bedeutung  einführte.  Mit  andern 
Worten,  es  könnte  nun  nicht  das  der  Vorstellung  zugehörige 
intentionale  Wesen  (in  den  Beispielen:  die  Bedeutung)  die  letzte 
specifische  Differenz  von  Voi-stellungsintention  überhaupt  sein, 
sondern  es  mütste  zur  letztdifferenziirten  Vorstellungsintention  noch 
eine  ganz  neue  Bestimmtheit  von  ganz  anderer  Gattung  hinzuti*eten. 
Jede  Vorstellungsbedeutung  wäre  eine  Complexion  von  „Vor- 
stellungsintentiou"  uud  „Inhalt",  als  zwei  mitehiander  verflochtenen 
idealen  Einheiten  verschiedener  Gattung.   Mit  Rückgang  auf  unsere 


•  Ich  habe  Lier  auf  die  strittigen  UuterarteD  , bejahendes"  und  „ver- 
nemendes  Urtheil"  nicht  Rücksicht  uehnicu  wollüti.  Wur  diese  Arten  annimmt, 
mag  in  der  jetzigen  Discussion  statt  Urtheil  siblochthin  überall  etwa  „bejahuu- 
des  Urthoil"  substituiren;  war  sie  leugnet  tielime  unsure  Kodewoiso  leim  Wort 
—  für  das  AVesentliche  der  Ausfüliruiig  kommt  es  darauf  nicht  au. 


Die  Materie  dei  Actes  und  die  zu  Grunde  liegende  Vorslellung.   407 

alten  Namen  niiifsten  wir  sagen:  wenn  wir  es,  wie  es  oben  ge- 
schah, als  selbstverständlich  betrachten,  dafs  sicli  alle  Arten  von 
Intentionen  in  gleicher  Weise  differenziiren ,  so  müssen  ynr  uns 
wieder  entschliofsen,  einen  wesentlichen  Untorscliied  von  Act- 
qualitat  und  Materie  zu  statuiren.  Die  Ansicht,  wonach  die  Materie, 
im  Sinne  unserer  früheren  Bestimniuiig,  mit  dem  iutentiüiialen 
Wesen  einer  zu  Grunde  liegenden  Vorstellung,  und  dieses  selbst 
wieder  mit  einer  blofsen  Voi-stelhiiigsintention  identisch  wäre, 
könnte  nicht  aufrecht  erhalten  werden. 

§  25.      Genauere  Analyse  der  beiden  Lösungstniiglichkeilen. 

Mancher  wird  hier  verwundert  fragen,  wozu  es  so  vieler  Um- 
ständlichkeiten bedürfe,  es  sei  denn  um  Schwierigkeiten,  die  wir 
uns  selbst  in  den  Weg  gelegt,  zu  beseitigen.  Es  sei  ja  Alles  ganz 
einfach.  Jeder  Vorstellungsact  liabe  natürlich  den  allgemeinen 
Actcharakter  der  Art  Vorstellung,  und  dieser  lasse  keine  weitere 
echte  Differenziirung  mehr  zu.  Was  aber  Vorstellung  von  Vor- 
stellung unterscheide?  Natürlich  der  Inhalt.  Die  Vorstellung  Papst 
stelle  eben  den  Papst,  die  Vorstellung  Kaiser  den  Kiüser  vor. 

Aber  mit  derartigen  „Selbstvei-ständlichkeiten"  mag  sich  ab- 
finden, wer  sich  die  hier  obwaltenden  phänomenologischen  (und 
von  Seiten  der  idealen  Einheiten,  die  specifischen)  Unterschiede 
nie  klargemacht  und  vor  Allem  die  fundamentale  Sonderung 
zwisclien  Inhalt  als  Gegenstand  und  Inhalt  als  Bedeutung  nie  voll- 
zogen hat;  und  desgleichen  wer  gerade  an  dieser  Stelle,  wo  es 
so  sehr  darauf  ankommt,  die  Wahrheit  nicht  wirksam  werden 
läfst,  dafs  der  Gegenstand  im  eigentlichen  Sinn  ,,iu"  der  Vor- 
stellung nichts  ist 

Es  bedarf  also  gar  sehr  der  Umständlichkeiten.  Gegen- 
stände, die  in  der  Vorstellung  nichts  sind,  können  auch 
keine  Differenz  zwischen  Vorstellung  und  A''orstellung 
bewirken,  also  speciell  auch  nicht  die  uns  aus  dem  eigenen 
Gehalt  der  jeweiligen  Vorstellungen  so  wolvertraute  Diöercnz  hin- 
sichtlich dessen,  was  sie  vorstellen.  Fassen  wir  nun  dieses  was 
als  den   vom  intendirten  Gegenstande  zu  untei'schcidendeu  imd 


der  Vorstellung  selbst  einwohnenden  „Inhalt",  so  fra^t  sich  eben, 
als  was  wir  ihn  verstehen  sollen.  Wir  sehen  hier  keine  anderen 
Möglichkeiten  als  die  beiden,  die  wir  oben  bereits  angedeutet 
haben  und  hier  nochmals  in  möglichster  Schärfe  klarlegen  wollen : 

Entweder  wir  nehmen  an,  dafe,  was  das  wechselnde  intentio- 
nale  Wesen  und  damit  zugleich  die  wechselnde  gegenständliche 
Beziehung  im  descriptiven  Inhalt  der  Vorstellung  ausmacht,  die 
Vorstelhingsqualität  selbst  ist,  die  sich  einmal  so,  das  andere  Mal 
anders  differenziirt.  Die  Vorstellungen  Papst  und  Kaiser  (nicht 
Papst  und  Kaiser  selbst)  untei-seheiden  sich  in  genau  analoger 
Art,  wie  sich  die  Farben  Eoih  und  Biau  (beiderseits  als  be- 
stimmte Differenzen,  als  „Nuancen"  gedacht)  tmtcrscheiden.  Das 
Allgemeine  ist  Vorstellung,  das  Besondere  „inhaltlich"  bestimmte, 
niimlich  letzt- differenziirte  Vorstellung.  Ebenso  ist  im  Ver- 
gleichsfalie  das  Aügomeine  Farbe,  das  Besondere  diese  und  jene 
Farbe,  diese  Nuance  Roth,  jene  Nuance  Blau.  Dafs  sich  eine 
Vorstellung  auf  einen  gewissen  Gegenstand  und  in  gewisser  Weise 
bezieht,  das  verdankt  sie  ja  nicht  einem  sich  Betbätigen  an  dem 
aufser  ihr,  an  und  für  sich  seienden  Gegenstande;  als  ob  sie  sich 
auf  ihn  in  ernst  zu  nehmendem  Sinne  „richtete"  oder  sich  sonst 
mit  ihm  oder  an  ihm  zu  schaffen  machte,  etwa  wie  die  schreibende 
Hand  mit  der  Feder;  sio  verdankt  dies  überhaupt  nicht  irgend- 
einem, ihr  gleichwie  äufscrlich  Bleibonden,  sondern  ausschliefslich 
ihrer  inneren  Besonderheit.  Dies  Letztere  gilt  für  jede  Auffassung; 
die  jetzt  vorliegende  bestimmt  dies  aber  so:  die  jeweilig  gegebene 
Vorstellung  ist  blols  vermöge  ihrer  so  und  so  differenziirten 
Vorstellungsqualität  (oder  -Intention)  eben  eine  Vorstellung, 
die  diesen  Gegenstand  in  dieser  Weise  vorstellt 

Oder  wir  nehmen  an,  als  die  zweite  Möglichkeit,  die  sich 
uns  hier  darbietet,  dafs  das  volle  intentionale  (bezw.  in  den  Bei- 
spielon,  das  volle  bedeutungsmiifsige)  Wesen,  das  in  der  fiede 
von  der  (ideal-einen)  Vorstellung  „Papst'\  oder  von  der  Be- 
deutung des  Wortes  Papst  generalisireude  Abstraction  erfährt, 
etwas  wesentlich  Comple-xes  ist,  das  sich  in  zwei  abstracto  Momente 
zerfallen  läfst;  das  eine  die  Vorstellungsqualität,  der  rein  für  sich 


mä  ikenB  ^ekte  Aetebirdrter  des  YonlaUwM;  das 
aodere  der  ,lrihJl*  (fit  VaMrie),  der  nidit  sau  iaaerea  W«s«n 
jenes  ChmkteB  «ds  seine  UäkmoM  griiQit,  soodeni  eben  hinzutritt 
und  die  toB«  Dedwitiing  oomi^etirt  Jetit  Terbilt  sich  ^ns  zum 
Anderen,  wie  im  T«^leidisfaUe  die  fteiii'imiiii  Flarbe  zur  Au»- 
dehnung.  Jede  Ytihe  ist  Farbe  einer  gewissen  Ausdcfannn.);;  so 
ist  jede  Vorstellung  Vorstellung  eines  gewissen  Inhalts.  Beiderseits 
ist  der  Zusammenhang  kein  zufälliger,  sondern  nothwendiger  und 
zwar  apriorischer. 

Der  Vergleich  deutet  auch  an,  wie  wir  die  Art  der  Coin- 
plexiun  gefafst  wissen  wollen  und  auf  dem  jetzigen  Standpunkte 
gefafst  wissen  müssen.  Es  ist  eine  Complexionsfonn ,  für  die  oa 
noch  an  einem  recht  passenden  Namen  gebricht.  Brkntano  und 
einige  ihm  näherstehende  Forscher  sprechen  hier  von  der  Ver- 
knüpfung metaphysischer  Theile;  SniirF  zieht  den  Namen  psycho- 
logische  Theile  vor.  Die  Verbindungen  von  inneren  Kigenschnften 
zur  Einheit  der  phänomenalen  äufsoren  Dingo  geben  die  typischen 
Beispiele,  auf  Grund  welcher  die  Ideo  dieser  Complexioiisform  su 
concipiren  ist.  Doranacli  ist  es  wol  zu  beachten,  dafs  der  er- 
gänzende Charakter,  der  als  der  bestimmende  Inhalt  zu  dt>m  reinen, 
vom  Inhalt  nur  durch  Abstraction  zu  sondernden  Cluiraktor  der 
vorstellenden  Intention  hinzutritt,  wirklich  als  zu  einer  neuen 
Gattung  gehörig  angesehen  werden  niufs.  Penn  sowie  mtiii  ihn 
selbst  wieder  als  intentionaleu  Charnkter  fassen  wciUto,  würden 
sich  von  Neuem  die  Schwierigkeiten  nut'türmen,  um  deren  Be- 
seitigung wir  uns  jetzt  mühen,  und  nur  die  Namon  hätten  ge- 
wechselt. 

Dürften  wir  uns  also  entschliefsen,  den  „Inhnlt"  oder  die 
„Materie"  aus  der  Gattung  Actintontion  auszuscheiden,  so  milfston 
wir  sagen:  der  qualitative  Charakter,  welcher  an  und  für  sich  das 
Vorstellen  zum  Vorstellen,  und  consequenter  Weise  dann  auch 
das  Urtheilen  zum  ürtheilen,  das  Begehren  zum  Begehren  u.  s.  w. 
macht,  hat  in  seinem  inneren  Wesen  keine  Beziehung  auf  einen 
Gegenstand.  Aber  wol  gründet  in  diesem  Wesen  eine  ideal- 
gesetzliche Beziehung,  nämlich  die,  dafs  solch  ein  Charakter  nicht 


sein  kanD  ohne  ergänzende  „Materie",  mit  der  die  Beziehung  auf 
den  Gegenstand  erst  in  das  volle  intentionale  Wesen  und  so  in 
das  eonerete  intentionale  Erlebnis  selbst  bineinkommt.  Dies  über- 
trägt sich  £'0  ipso  auf  das  bedeiUungsniiirsige  Wesen  der  ausdrück- 
lichen Erlebnisse,  also  dasjenige,  um  dessentwillen  wir  z.  B.  vom 
selben  Urtlieil  sprechen,  welches  verechiedene  Personen  aussagend 
fiillen.  Dieses  Bedeutungsmäl'sige,  ideal  gesprochen  die  Bedeutung. 
ist  beim  concreten  Urthoilserlobnis  der  Actcharakter  der  urth eilenden 
Setzung  (die  abstracto  Urthcilsqualität)  in  „metaphysischer"  Ver- 
webmig  mit  dem  „Inhalt"  (der  Urtbeüsmuterie),  wodurch  sich 
die  Beziehung  auf  den  „Gegenstand",  d.  i.  den  Sachverhalt,  voll- 
endet. Und  diese  urtheilende  Setzung  ist,  man  wird  dann  wol 
sagen  müssen  a  pn'ari,  ohne  einen  Inhalt  überhaupt  nicht  denkbar, 
so  wonig  wie  eine  Farbe  ohne  Ausdehnung. 

§  26.     Abwägung  und  Ablehnung  der  proponirtcn  Auffassung. 

Wie  sollen  wir  nun  zwischen  diesen  streitenden  und  mit 
gleicher  Sorgfalt  erwogenen  Möglichkeiten  die  eigene  Entscheidung 
treuen  ? 

Nehmen  wir  die  erste  Möglichkeit  an,  so  steht  in  der  Reihe 
der  intentionalon  Erlebnisse  die  Vorstellung  als  anstöfsige  Aus- 
nalnne  da.  Denn  während  innerhalb  der  Gattung  intentionale  Quali- 
tät, wolcbe  als  gleichgeordnete  Arten  die  Qualitäten  Voi-stellung, 
ürtheil,  Wimsch  u.  s.  w.  umfafst,  die  Art  Vorstellung  sich  noch 
difl'erenziirt,  niimlirli  in  all  die  ünterechiede  differenziirt,  die  wir 
Vorstellungen  dieses  oder  jenes  „Inhalts"  (dieser  oder  jener  Materie) 
nennen,  sind  Urtlieilo,  Wünsche  u.  dgl.  letzte  üiffereuzen;  Unter- 
schiede des  Inhalts  sind  hei  ihnen  nur  Untei'scliiedü  der  sich  mit 
der  jeweiligen  Qualität  complicirenden  oder  „zu  Grunde  liegenden" 
Vorstellungen.  Anders  kann  die  Sache  ja  auch  nicht  gefafst 
werden.  Denn  nicht  ist  es  etwa  möglieh,  die  Gleichförmigkeit 
dadurch  herzustellen,  dafs  man  die  unterscheidenden  Inhalte  der 
verschiedenen  Urtlieile,  ebenso  die  unterscheidenden  Inhalte  der 
verschiedenen  Gefühle,  Fragen,  Wünsche  u.  s.  w.  obeutalls  als 
DilTerenzen  der  Arten  Urtheil,  GofüliI,  Erage  u.  dgl.  auft'afst.    Ver- 


schiedene  Aristotelische  Arten  können  ja  nicht  dieselben  letzten 
Differenzen  haben.  Wird  die  üuziitrüglichkeit  nicht  durch  eine 
neue  ersetzt,  wenn  wir  jetzt  verschiedene  Arten  derselben  Stufe 
annehmen  sollen^  von  denen  die  einen  noch  letzte  Differenzen 
unter  sich  haben,  alle  anderen  aber  selbst  schon  letzte  Diffe- 
renzen sein  sollen? 

Befreunden  wir  uns  demnach  mit  der  zweiterörterten  Mög- 
lichkeit, so  drängt  sie  uns,  wie  es  scheinen  will,  sofort  zu  weiteren 
Aouderuugen  unserer  Auffassung.  Denn  haben  wir  noch  ernstlich 
Grund,  an  dem  Satze,  es  sei  jedes  intentionale  Erlebnis  entweder 
eine  „blofse"  Voi-stellung,  oder  es  iniplicii'e  Vorstellungen  als 
seine  nothwendige  „Grundlage",  überhaupt  festzuhalten?  Eine 
solche  Bevorzugung  der  Vorstellungen  —  als  Acte  —  eine  solche 
Complicatiou  aller  Acte,  die  nicht  selbst  Voi-steüuugen  sind,  sieht 
ja  fast  wie  eine  zwecklose  Annahme  aus.  Sind,  im  Sinne  der 
jetzt  mafsgebenden  Ueberzeugiing,  die  als  Erlebnisse  einer  eigenen 
Gattung  gefafsten  „Inhalte"  nur  durch  Coraplication  (sei  es  auch 
durch  die  innigste,  durch  diejenige  positiver,  innerer  Eigen- 
schaften) mit  dem  ActchiU'aktcr  des  Vorstellens  geeinigt,  und  er- 
weist sich  diese  Complicationsvveise  hier  als  fähig,  das  zu  Stande 
zu  bringen,  was  wir  Act  dieses  Inhalts  nennen,  warum  sollte  sich 
die  Sache  bei  den  andersartigen  Acten  anders  vorhalten  oder  zum 
Mindesten  andere  verhalten  müssen?  Die  besagte  Complexions- 
form  von  Vorstelhingsqunlität  und  „Inhalt"  bedingt  auf  der  einen 
Seite  das  Ganze:  Vorstollung  dieses  Inhalts.  Warum  sollte  nicht 
bei  anderen  Acten,  z.  B.  beim  Urtheil,  dieselbe  Coraplexionsform 
in  Beziehung  auf  Urtheilsqualität  und  Inhalt  das  Ganze  zu  Stande 
bringen:   Urtheil  dieses  Inhalts? 

Es  mag  durch  die  Besonderheit  mancher  Actarton  eine 
Vermittlung  gesetzlich  gefordert  sein;  es  mag  vorkommen,  dafs 
manche  Actqualitäten  nur  in  Complexion  auftreten  können,  derart, 
dafs  ihnen  im  Actganzen  andere,  und  zwar  auf  dieselbe  Materie 
bezogene  Actqualitäten,  z.  B.  ein  Vorstellen  dieser  Materie,  noth- 
wendig  zu  Grunde  liegen,  somit  ihre  Anknüpfung  an  die  Materie 
eine  mittelbare  sein  muls.    Dafs  sich  dies  aber  immer  und  überall 


so  verhalten  müsse,  vor  Allem  dafs  die  hier  fragliche  Actait  des 
„I)lorsen  Vorstellens"  eine  so  bedeutsame  Rolle  spiele,  iind  dafs 
nun  joder  Act,  der  nicht  selbst  ein  blofses  Vorstellen  ist,  nur 
durch  das  Medium  eines  solchen  Voi-stellens  seine  Materie  gewinnen 
könne  —  das  erecheint  nun  nicht  als  selbstverständlich  und  von 
vornherein  auch  nicht  als  wahrscheinlich. 

§  27.     Das  Zeugnis  der  inneren  Erfafu-uni/.      Wahrnehmwigs- 
vorstellung  und  Wahrnehmung. 

Wir  beschliefsen  diese  Argumentationen  mit  dem,  was  in 
der  Erforschung  derartiger  descriptiver  Streitfragen  das  Erste 
sein  mufs,  mit  dem  „Zeugnis  der  inneren  Wahrnehmung",  oder 
wie  wir  lieber  sagen,  mit  dem  Zeugnis  der  unmittelbaren  descrip- 
tiven  Analyse  der  intentionalen  Erlebnisse.  Diese  Umkehrung  in 
der  Darstellung  ist  zulässig  und  unter  Umständen  nothwendig. 
Der  Evidenz  der  (wolverstandenen)  inneren  "Wahrnehmung  wollen 
wir  sicherlich  alle  ihr  in  erkcnntnistheoretischcr  Beziehung  ge- 
bührenden Ehren  erweisen.  Aber  dies  hindert  gnrnicht,  dafs  ihr 
Zeugnis,  sowie  es  angerufen,  also  in  begriffliche  Fassung  gebracht 
und  ausgesagt  ist,  an  Kraft  sehr  viel  einbiifsen  und  daher  berechtigte 
Zweifel  zidas-sen  kann.  Mit  Berufung  auf  dieselbe  innere  Wahr- 
nehmung kommen  die  Einen  zu  dieser,  die  Anderen  zur  entgegen- 
gesetzten Ansieht;  die  Einen  losen  oben  dies,  die  Anderen  jenes  in 
sie  hinein  oder  aus  ihr  heraus.  So  auch  in  unserem  Falle.  Gerade 
die  durchgeführten  Analysen  setzen  uns  in  den  Stand,  dies  hier 
zu  erkennen,  und  die  Täuschungen  aus  der  Interpretation  der 
inneren  Wahrnehmung  einzeln  zu  unterscheiden  und  abzuschätzen. 
Dasselbe  gilt  von  der  Evidenz  der  allgemeinen  Sätze,  die  auf 
Grund  innerer  Walu-nehmung  von  Einzelfällen  erwachsen,  diese 
Evidenz  im  Gegensatz  betrachtet  zu  den  intorpretirenden  Ein- 
legungen. 

Natürlich  ist  es,  um  nun  ins  Einzelne  zu  gehen,  evident, 
dafs  jedes  intentionale  Erlebnis  eine  „Voi-stellung"  zur  Grunfllage 
habe;  es  ist  evident,  dafs  wir  niclit  urthoilen  können,  ohne  dals 
uns  der  Sachverhalt,  über  den  wir  urtheilen,  vorstellig  sei;  und 


I 

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ebenso  beim  Fragen,  Zweifeln,  Verinuthen,  Begehren  u.  s.  w.  Aber 
heifst  hier  „Vorstellung"  dasselbe,  wie  das,  was  wir  aufserhalb 
solcher  Zusamnienhäuge  als  Vorstellung  bezeichnen?  Könnte  es 
nicht  sein,  dafs  wir  den  Versuchungen  der  Aequivocation  unter- 
liegen, zumal  wenn  wir  jene  Evidenz  auswaehsen  lassen  zu  dem 
Gesetze:  jedes  Acterlebnis  sei  entweder  „blofse  Vorstellung"  oder 
habe  „Vorstellungen"  zur  Grundlage?  Was  uns  von  vornherein 
stutzig  machen  kann,  ist  der  Umstand,  dafs  wenn  wir  uns  wirk- 
lich in  streng  descriptiver  Weise  an  die  Erlebnisse  halten,  eine 
Analyse  der  Acte,  die  nicht  „blofse  Vorstellungen"  sind,  in  die 
sie  angeblich  constituirenden  Theilacte  keineswegs  überalt  gelingen 
will.  Setzen  wir  doch  einen  Fall  wahrhafter  Goraplexiou  in  dor 
intentionalen  Beziehungsweise,  und  zwar  bei  voller  Identität  der 
Materie,  neben  irgendeinen  der  zweifelhaften  Fälle.  Ich  kann 
mich  nicht  über  Etwas  freuen,  ohne  dafs  mir  das,  worüber  ich 
mich  freue,  in  der  Seinsweise  gegenübei-steht,  in  der  Weise  der 
Wahrnehmung,  der  Erinnerung,  ev.  auch  in  der  Weise  des 
Urtbeilens  im  Sinne  des  Aussagens  u.  dgl.  Hier  ist  die  Com- 
plexion  ganz  unverkennbar.  Wie  ich  mich  beispielsweise  wahr- 
nehmend freue,  so  gründet  der  Actcharakter  der  Freude  in  der 
Wahrnehmung;  diese  hat  ihren  eigenen  Actcharakter  und  stellt 
durch  ihre  Materie  zugleich  die  Materie  für  die  Freude  her.  Dor 
Charakter  der  Freude  kann  ganz  fortfallen,  aber  die  Wahrnehmung 
bleibt,  in  sich  ungeändert,  bestehen.  Sie  ist  also  zweifellos  ein 
Bestandstück  im  coucret- vollständigen  Erlebnis  der  Freude. 

Die  Wahrnehmung  bietet  uns  sogleich  ein  Beispiel  zweifel- 
hafter Actconiplexion.  Wir  unterscheiden  hier,  wie  bei  allen  Acten, 
die  Qualität  und  die  Materie.  Der  Vei'gleich  mit  einer  ent- 
sprechenden blofsen  Vorstelliuig,  etwa  einer  blofsen  Phantasie, 
zeigt,  wie  derselbe  Gegenstand  als  derselbe  (im  selben  „Auf- 
fassungssinne") und  doch  noch  in  ganz  anderer  „Weise"  vergegen- 
wärtigt sein  kann.  In  der  Wahrnehmung  schien  der  Gegenstand 
sozusagen  in  eigener  Person  gegenwärtig  zu  sein.  In  der  Vor- 
stellung erscheint  er  nur  im  Bilde,  er  ist  vergegenwärtigt,  aber 
nicht   selbst   gegenwärtig.      Indessen,    das   ist   nicht   der  Unter- 


scbied,  dor  für  uns  hier  in  Betracht  kommt;  os  ist  ein  unter- 
schied durch  Momente,  die  weder  Materie  noch  Qualität  angehen, 
ebenso  wie  z.  B.  auch  der  Unterschied  zwischen  der  Wahrnehmung 
und  der  Erinnerung  ein  und  desselben  und  im  selben  Auffassungs- 
sinne  vorstolligfn  Gegenstandes,  u.  s.  w.  Vergleichen  wir  also  die 
Wahriiolimung  mit  irgendeiner  ihr  entsprechenden  „blofsen"  Vor- 
stellung unter  Abstraction  von  derartigen  Unterscliieden.  Nach 
unserer  Auffassung  ist  ein  abstract  Gemeinsames,  die  Materie, 
beiderseits  in  difTerenter  Weise,  in  verschiedener  Actqualität  ge- 
geben. Nach  der  anderen,  uns  zweifelhaft  erecheinenden  Auf- 
fassung soll  die  Materie,  die  dem  Wahrnehmen  zu  Grunde  liegt, 
selbst  wieder  eine  Actqualität  sein,  nämlich  die  eines  fundirenden 
Actes  blofsen  Vorstollens.  Ist  davon  in  der  Analyse  irgendetwas 
zu  finden?  Läfst  sich  die  Waliniclimimg  danach  als  eine  Act- 
coraplexion  ansehen  und  von  ihr  wirklich  eine  blofse  Voretellung 
als  ein  selbständiger  Act  ablösen? 

Vielleicht  weist  man  hier  auf  die  Möglichkeit  einer  genau 
entsprechenden  Illusion  hin  und  meint,  dafs  diese,  nach  der  Ent- 
larvung ihres  Truges,  als  die  isolirte  blofse  Vorstellung  zu  fassen 
sei,  die  ganz  so  in  der  Wahrnehmung  eingewoben  war  und  ihr 
die  Materie  beistellte.  Die  Illusion  war,  so  lange  sie  noch  nicht 
als  Trug  erkannt  war,  schlechthin  Wahrnehmung.  Danach  aber 
fiel  der  Wahmehmungscharakter,  die  Acttjualität  dos  belief,  fort, 
und  die  blofso  Wahmobmungsvorstellung  blieb  übrig.  Die  gleiche 
Complexion  sei  weiterhin  bei  allen  Wahrnehmungen  anzunehmen; 
tiberall  werde  die  zu  Grunde  liegende  Wahrnehmungsvorstellung 
—  deren  Qualität  die  Materie  der  Wahrnehmung  ausmache  — 
durch  den  ie/j'e/"- Charakter  ergänzt. 

Betrachten  wir  zum  Zweck  genauerer  Erwägung  ein  con- 
cretea  Beispiel.  Im  Panopticum  lustwandelnd  begegnen  wir  auf 
der  Treppe  einer  liebenswürdig  winkenden,  fremden  Dame  — 
der  bekannte  Panopticnmscherz.  Es  ist  eine  Puppe,  die  uns 
einen  Augenblick  täuschte.  So  lange  wir  in  der  Täuschung  be- 
fangen sind,  haben  wir  eine  Wahrnehmung,  so  gut  wie  irgend- 
eine andere.     Wir  sehen  eine  Dame,  nicht  eine  Puppe.     Haben 


I 


I 


wir  den  Trug  erkannt,  so  verhält  es  sich  umgekehrt,  nun  sehen 
wir  eine  Puppe  (wir  haben  also  noch  immer  eine  Walimehmiiug), 
und  zwar  eine  Pupiie,  die  eine  Dame  vorstellt.  Natürlich  heilst 
diese  Rede  vom  Voi-steüou  nicht,  dafs  die  Wahrnehmung  die  Vor- 
stellung 8ei,  sondern  dafs  das  Wuhrgonomniene  die  praktische 
Function  habe,  die  beüügliche  blofse  Vorstellung  zu  erregen.  Im 
Uebrigen  ist  das  Wahrgonunimene  (die  Puppe)  hier  aucli  verschieden 
von  dem,  was  venuittolst  der  Wahrnehmung  voi-stellig  werden 
soll  (der  Dame). 

Nun  könnte  man  sagen:  wenn  hier  die  ursprüngliche  Wahr- 
nehmungsvorstellung auch  nicht  zu  ganz  losgelöstem  Dasein  ge- 
langt, sondern  im  Zusammenhang  einer  neuen  Waliniehnumg 
auftritt,  so  dient  sie  in  dieser  doch  nicht  mehr  als  fundirende 
Wahrnchniungsvorstellung;  also  ist  die  Ablösung  in  einer  Art 
geglückt,  die  für  den  vorliegenden  Zweck  vöUig  ansioicht.  In- 
dessen ausreichend  wäre  diese  Ablösung  doch  nur  dann,  wenn 
wir  in  Wahrheit,  hier  von  Ablösung  zu  sprechen,  ein  Recht  hätten; 
mit  anderen  Worten,  wenn  die  Voi'stollüng  der  Dame  im  zweiten 
Falle  wirklich  in  der  Wahrnehmung  dorsolbon  Dame  im  Ausgangs- 
fallo  als  enthalten  angenommen  werden  dürfte.  Aber  \^}rstellnng 
heifst  dort  soviel  wie  Bildlicbkeitsbewufstsein.  Steckt  in  der  Wahr- 
nehmung die  Bildvorstellung  dos  Wahrgenommenen?  Gewifs  haben 
Beide  ein  Gemeinsames;  sie  sind  einander  in  unsoren»  Beispiel, 
das  iu  dieser  Hinsicht  nicht  günstiger  gewählt  seLa  konnte,  in 
solchem  Mafse  gleich,  als  es  zwischen  Wahrnehmung  und  ent- 
sprechender Vorstellung  überhaupt  möglich  ist.  Gewifs  haben 
Beide  (wozu  eine  so  weitgehende  Gleichheit  keineswegs  nöthig 
wäre)  dieselbe  Materie.  Es  ist  dieselbe  Dame,  die  beiderseits 
erscheint,  und  sie  thut  dies  hier  und  dort  mit  identisch  denselben 
phänomenalen  Bestimmtheiten.  Aber  auf  der  einen  Seite  steht  sie 
vermeintlich  „selbst"  vor  uns,  auf  der  anderen  ist  sie  nur  im 
Bilde,  sei  es  auch  im  genauesten  Bilde,  vor  uns.  Es  ist  uns 
allerdings  „fast"  so  zu  Muthe,  als  wäre  sie  selbst  da,  eine  wahr- 
hafte und  wirkliche  Person.  Die  ungewöhnliche  Gleichheit  hin- 
sichtlich der  Materie  und  der  übrigen  descriptiven  Constituontion 


Di$  Materie  des  Aäet  und  die  xu  Orunde  liegende  VorsteUwig.   415 

wir  den  Trag  erkannt,  so  verhält  es  sich  umgekehrt,  nun  sehen 
wir  eine  Pappe  (wir  haben  also  noch  immer  eine  Wahrnehmung), 
und  zwar  eine  Puppe,  die  eine  Dame  vorstellt  Natürlich  heilst 
diese  Bede  vom  Vorstellen  nicht,  dafs  die  Wahrnehmung  die  Vor- 
stellong  sei,  sondern  dtSa  das  Wahrgenommene  die  praktische 
Function  habe,  die  bezügliche  bloise  Vorstellung  zu  erregen.  Im 
üebrigen  ist  das  Wahi^enommene  (die  Puppe)  hier  auch  verschieden 
von  dem,  was  vermittelst  der  Wahrnehmung  vorstellig  werden 
soll  (der  Dame). 

Nun  könnte  man  sagen:  wenn  hier  die  ursprüngliche  Wahr- 
nehmangsvorstellung  auch  nicht  zu  ganz  losgelöstem  Dasein  ge- 
langt,  sondern   im   Zusammenhang    einer    neuen   Wahrnehmung 
auftritt,  so  dient  sie  in  dieser  doch  nicht  mehr  als  fundirende 
Wahrnehmungsvorstellung;   also   ist   die   Ablösung  in   einer  Art 
geglückt,  die  für  den  vorliegenden  Zweck  völlig  ausreicht    In- 
dessen  ausreichend  wäre  diese  Ablösung  doch  nur  dann,   wenn 
wir  in  Wahrheit,  hier  von  Ablösung  zu  sprechen,  ein  Recht  hätten; 
mit  anderen  Worten,  wenn  die  Vorstellung  der  Dame  im  zweiten 
Falle  wirklich  in  der  Wahrnehmung  derselben  Dame  im  Ausgangs- 
falle als  enthalten  angenommen  werden  dürfte.    Aber  Vorstellung 
heifst  dort  soviel  wie  Bildlichkeitsbewufstsein.    Steckt  in  der  Wahr- 
nehmung die  Bildvorstellung  des  Wahrgenommenen?   Gewife  haben 
Beide  ein  Gemeinsames;  sie  sind  einander  in  unserem  Beispiel, 
das  in  dieser  Hinsicht  nicht  günstiger  gewählt  sein  konnte,   in 
solchem  Malse  gleich,  als  es  zwischen  Wahrnehmung  und  ent- 
sprechender Vorstellung  überhaupt  möglich   ist     Gewifs   haben 
Beide  (wozu  eine  so   weitgehende  Gleichheit  keineswegs  nöthig 
wäre)  dieselbe  Materie.     Es  ist  dieselbe  Dame,   die  beiderseits 
erscheint,  und  sie  thut  dies  hier  und  dort  mit  identisch  denselben 
phänomenalen  Bestimmtheiten.    Aber  auf  der  einen  Seite  steht  sie 
vermeintlich  „selbst"   vor  uns,   auf  der  anderen  ist  sie  nur  im 
Bilde,  sei  es  auch  im  genauesten  Bilde,   vor  uns.     Ea  ist  uns 
allerdings  „fast"  so  zu  Mutbe,  als  wäre  sie  selbst  da,  eine  wahr- 
hafte und  wirkliche  Person.    Die  ungewöhnliche  Gleichheit  hin- 
sichtlich der  Materie   und  der  übrigen  descriptiven  Constituentien 


der  Acte  erregt  in  der  That  die  Neigung,  vom  Bildlichkeitsbewulst- 
sein  in  das  Wahrnehraungsbewufstsein  zu  verfallen.  Nur  der 
lebendige  Widerstreit  zwischen  dieser  intendirten  Wahrnehmung 
(der  winkenden  Dame)  und  der  mit  ihr  sich  partiell  deckenden, 
aber  sie  nach  den  anderen  Momenten  ausschliofsenden  Wahr- 
nehmung der  Puppe  <des  Dinges  aus  Wachs  u.  s.  w.)  hindert  uns, 
dieser  Neigung  wirklich  nachzugeben.  Bei  alldem  ist  aber  die 
Differenz  von  einer  Art,  dafs  der  Gedanke  ausgeschlossen  bleibt, 
als  ob  diese  Voretellung  in  der  Wahrnehmung  enthalten  sein 
könnte.  Dieselbe  Materie  ist  einmal  Materie  einer  Wahrnehmung 
lind  das  andere  Mal  Materie  einer  blofsen  Einbildung.  Beides  zu- 
gleich kann  evidentermafsen  nicht  vereinigt  sein.  Eine  Wahrneh- 
mung kann  nie  Eiubildung  des  Wahrgenommenen,  eine  Einbildung 
nie  Wahrnohinuug  des  Eingebildeten  sein. 

Danach  scheint  die  deseriptivo  Analyse  keineswegs  die  Ansicht 
zu  bevorzugen,  die  Vielen  fast  selbstverständlich  erscheint,  nämlich 
dafs  jede  Wahrnehmung  eine  Complexion  sei,  in  welcher  sich  ein 
Moment  des  heUef,  der  das  Qualitative  des  Wahrnehmons  aus- 
mache, auf  einen  vollen,  also  mit  eigener  Qualität  begabten  Act 
der  „Wahrnehmungsvorstoliung"  aufbaue. 


t 


§  28.     Specielk  E^rforsdiung  der  SaeJUage  beim   Urtheil. 

Eine  ähnliche  Sachlage  finden  wir  bei  einer  Klasse  von  Acten, 
die  uns  Logiker  besonders  interessirt,  bei  den  ürtheilen.  Dies 
Wort  nehmen  wir  hier  in  der  vorherrschenden  Bedeutung,  die 
sich  nach  den  Aussagen  (Prädicationen)  orientirt  und  demgemäfs 
die  Wahrnehmungen,  Erinnerungen  und  ähnliche  Acte  (trotz  der 
nicht  unwesentlichen  dcscriptiven  Verwandtscluift)  ausschliefst  Im 
Urtheil  „erscheint"  uns  ein  Sachverhalt  Ein  Saeliverhalt,  auch 
wenn  er  ein  sinnlieh  Wahrgenommenes  betrifft,  ist  aber  nicht  ein 
Gegenstand,  der  uns  in  der  Weise  eines  wahrgenommenen  sinn- 
lich (gleichgiUig  ob  in  „iiufserer"  oder  „innerer  Sinnlichkeit")  er- 
scheinen könnte.  In  der  Wahrnelmiung  stellt  sich  uns  ein  Gegen- 
stand als  selbst  gegenwärtiger  dar.  Wir  nennen  ihn  einen 
gegenwärtig  seienden,  sofern  wir  auf  Grund  dieser  Wahrnehmung 


das  Urtheil  fallen,  ciafs  er  sei.  In  diesem  ürtheil,  das  als 
wesentlich  dasselbe  bestehen  bleiben  kann,  auch  wenn  die 
Wahrnehmung  entfallt,  ist  das  „Erscheinende"  nicht  der  seiende 
sinnliche  Gegenstand,  sondern  die  Thatsachc,  dafs  er  ist  Im 
Urtheil  scheint  es  uns  ferner,  dafs  etwas  so  oder  so  beschaffen 
ist,  und  überhaupt  vollzieht  sich  dieses  Scheinen,  dos  natürlich 
nicht  als  zweifelndes  Vermuthen,  sondern  als  festes  Meinen,  Ge- 
wifsheit,  üeberzeugtsein  versianden  werden  soll,  inhaltlich  in  ver- 
schiedenen Formen;  es  ist  ein  Vermeinen,  dafs  S  ist  oder  nicht 
ist;  dafs  S  P  ist  oder  nickt  P  ist;  dafs  entweder  S  P  oder  Q  R 
ist  u.  s.  w. 

Das  Objective  des  urtheilenden  Vermeinens  nennen  wir 
den  beurtheilten  Sachverhalt;  wir  unterscheiden  ihn  in  der 
reflectirendeu  Erkenntnis  vom  Urtheilen  selbst,  als  dem  Acte, 
in  dem  uns  dies  oder  jenes  so  oder  andere  zu  sein  scheint; 
genau  so,  wie  wir  bei  der  Wahrnehmung  den  wahrgenommenen 
Gegenstand  unterscheiden  vom  Wahrnehmen  als  Act.  Dieser  Ana- 
logie entsprechend  ist  nun  auch  hier  die  Streitfrage  zu  erwägen, 
ob  das,  was  im  Acte  des  Urtheils  die  Materie  ausmacht,  also 
dasjenige,  was  das  Urtheil  zum  Urtheil  dieses  Sachverhalts 
deterrainirt,  in  einem  fundirenden  Acte  des  Vorstellens  be- 
stehe. Vermöge  dieser  Vorstellung  wäre  der  Sachverhalt  zunächst 
vorgestellt,  und  auf  dieses  Vorgestellte  bezöge  sich  die  urtheilendo 
Setzung  als  der  neue  Act,  oder  genauer,  als  neu  darauf  gebaute 
Actqualität. 

Dafs  es  nun  zu  jedem  Urtheil  eine  Vorstellung  giebt,  die  mit 
ihm  die  Materie  gemeinsam  hat,  und  die  also  genau  dasselbe  in 
genau  entsprechender  Weise  vorstellt,  wie  das  Urtheil  es  iirtheilt, 
wird  Niemand  bezweifeln.  So  entspricht  beispielsweise  dem  Urtheil 
die  Erdmasse  ist  ungefähr  g^sooo  ^'  Sonnenmasse  als  die  ihm 
entsprechende  „blofao"  Vorstellung  der  Act,  den  Jemand  vollzieht, 
der  diesen  Ausspruch  hört,  vorsteht,  aber  kein  Motiv  findet,  sich 
urtheileud  zu  entscheiden.  Wir  fragen  nun:  ist  dieser  selbe  Act 
Bestandstück  auch  des  Urtheils  und  difterirt  dieses  blofa  durch 
das  ui-theilende  Entscheiden,  das  zu  einem  blofsen  Vorstellen  als 

HsKorl,  hat.  Unten.  U.  27 


ein  Ph»  hinzatritt?  Icli  för  meiiien  Jbäl  bonühe  mich  rer- 
geblidi,  detgleicben  in  descnptirer  Atuüjse  beetitigt  zu  finden. 
Die  hier  geforderte  Doppelhett  in  der  Actqiulität  vennisse  ich 
ganz  and  gar.  Natürlich  dArf  man  in  der  Meinung  zu  analy&iren, 
nicht  TJdmehr  aus  der  Rede  von  der  blufsf^n  Vorstellnng  aigu- 
mentiren.  Das  blofs  (die  Blöfse)  weist  hier:  wie  überhaupt,  auf 
einen  Mangel  bin;  aber  nicht  immer  Ut  ein  Mangel  durch  eine 
Ergänzung  zu  beheben.  So  setzen  wir  ja  der  Wahrnehmung 
die  „blobe"  Einbildong  gegenüber.  Das  Unterscheidende  liegt 
in  einem  Vorzug  auf  Seiten  der  Wahrnehmung,  aber  nicht  in 
einem  Plus.  Ebenso  entspricht  bei  der  Rede  vom  blolsen  Vor- 
stellen im  Gegensatz  zum  Drtheilen  dem  Mangel  des  Ersteren  ein 
Vorzug  des  Letzteren,  nämlich  der  Vorzug  artheilsmä£siger  Ent- 
Hchiedenbeit  in  Betreff  der  vorgestellten  Sachlage. 


P 


§  29.     Fortsetzung.     „Anerkennung"  oder  „Zustimmung"  zu  der 
blofsen   Vorstellung  des  Sae/iverlialts. 

Violleicht  finden  Andere,  es  trete  die  Complexion,  die  wir 
vermissen,  in  gewissen  Fällen  klar  zu  Tage.  Sie  erinnern  nämlich 
an  die  bekannten  Erlebnisse,  wo  in  uns,  ohne  daüä  wir  sogleich 
urtheilsmäfsig  entschieden  wären,  die  blofse  Vorstellung  schwebt, 
zu  welcher  erst  nachträglich  die  Zustimmung  (Anerkennung, 
bezw.  die  Ablehnung,  Verwerfung)  als  ein  evident  neuer  Act 
hinzutritt. 

Diese  Evidenz  werden  wir  natürlich  nicht  in  Zweifel  ziehen; 
aber  wol  dUrfen  wir  es  unternehmen,  sie  und  die  ganze  Sach- 
lage anders  zu  deuten.  Gewifs,  iin  die  „blolse  Vorstellung" 
Kchliefst  sich  ein  neuer  Act  an,  uämlicL  er  folgt  ihr  nach  und 
büliiuiptot  üicli  duna  im  Bovvulstsein.  Aber  nun  ist  die  Frage, 
ob  der  neue  Act  den  alten  wirklich  ganz  in  sich  schliefst, 
und  dos  Näheren,  ob  der  neue  aus  dem  alten  einfach  so  erwächst, 
dufs  sich  zu  ihm  uls  der  blofsen  Vorstellung  die  specifische 
Urthoilaquulität,  der  Charakter  des  belicf  hinzugesellt  und 
(liitnit  dos  concreto  Urtbeilserlebnis  coiupletirt  —  etwa  so,  wie 
sich  zu  üinoni  Wahrnehmungsact  die  Aclyualität  der  Freude  ge- 


seilt  und  so  den  concreten  Act  Freude  completirt.  Kein  Zweifel, 
dafs  in  diesem  Hervorg-ehen  des  neuen  Actes  aus  dem  alten  ein 
IdentiscLes,  das,  was  wir  die  Materie  nannten,  erhaiten  bleibt. 
Aber  dieses  Identische  braucht  nicht  ein  voller  Act  des  Vor- 
stollens  zu  seiu,  und  die  einzige  Aenderung,  das  Hinzutreten 
einer  durch  ihn  fundirten  neuen  Qualität  Der  Vorgang  wäre 
auch  so  KU  deuten,  dafs  bei  dem  ursprünglichen  Act  des  blofsen 
Vorstellens  der  specifische  Charakter  des  Vorstellens  durch  den 
ürtheilscharakter  abgelöst  wird,  während  das  Identische,  die 
Materie,  in  einem  abstracten  Moment  bestehen  könnte,  das  für 
sich  keinen  vollen  Act  und  auch  keine  Actqualität  ausmacht. 

Doch  wir  müssen  genauer  sein.  Nur  ein  Theil  der  Sachlage 
ist  mit  dem  eben  versuchten  Gedanken  einigermafsen  beschrieben; 
es  fehlt  zumal  gerade  das,  was  die  Rede  von  der  Zustimmung 
begründet.  Einer  sorgsameren  Description  legen  wir  ein  Beispiel 
zu  Grunde,  wo  von  Zustimmung  mit  Vorliebe  gesprochen  wird: 
Wir  stimmen  einem  Urtlieil  zu,  das  ein  Anderer  ausspricht.  Seine 
Rede  erweckt  dann  nicht  unmittelbar  das  gleichstimmige  Urtheil 
auf  unserer  Seite:  ein  gleichstimmiges  Urtheil  vollziehen,  eine 
Mittheilung  einfach  übernehmen,  das  heifst  nicht  zustimmen.  Dazu 
gehört  vielmehr,  dal's  wir  die  Aussage  zunächst  vei-stehen,  ohne 
selbst  zu  urtheilen;  dafs  uns  das  Ausgesagte  als  „blofs  dahingestellt" 
erscheint,  und  wir  es  nun  erwägen  oder  überlegen.  Denn 
offenbar  um  all  diese  Acte  handelt  es  sich  hier  bei  dem  blofsen 
Vorstellen,  auf  dem  sich  die  Zustimmung  aufbaut.  Wir  vertiefen 
uns  nachsinnend  in  das,  was  der  Andere  meint;  was  uns  zuerst 
blofs  dahingestellt  ist,  soll  nicht  dahingestellt  bleiben,  wir  setzen 
es  in  Frage,  wir  intendiren  eine  Entscheidung.  Und  dann  tritt 
die  Entscheidung,  die  anerkennende  Beistimmung  selbst  ein,  wir 
urtheilen  nun  selbst  und  gieichstimraig  mit  dem  Anderen.  In 
diesem  Urtheil  steckt  nun  sicherlich  nicht  die  vorgängige  „blofee 
Voi-stellung",  jene  Actreiho  sinnender  Dahin-  und  In-Frage- 
Stellung.  Vielmehr  ist  ein  Urtheil  gegeben,  das  einerseits  mit  dem 
Urtheil  des  Redenden  und  andererseits  mit  der  sinnenden  Frage 
„gleichstimmig",  d.  h.  von  derselben  Materie  ist;  und  so  vollzieht 

27* 


420 


V.    Ueber  inientiotiale 


„InheUte". 


sich  die  Zustimmung.  Ich  stimme  dem  Urtheile  zu,  nämlich 
ich  urtheile  genau  ebenso,  ich  iirtlieile  auf  Grund  derselben 
Materie.  Ich  stimme  der  Frage  zu,  nämlich  ich  halte  genau  das 
für  wahr,  was  in  der  Frage  für  fraglich  gehalten  war;  der  Act 
vollzieht  sicii  also  wieder  auf  Grund  derselben  Materie. 

Aber  näher  besehen  ist  die  Analyse  noch  immer  uuvollständig, 
ja  es  fehlt  eigentlich  noch  das  Specifische  der  Zustimmung.  Das 
Nacheinander  von  Frage  und  gleichstimniigem  ürtheil,  oder  auch 
von  Urtheil  und  gloichstimraigem  Urtheil  macht  noch  nicht  das 
Ganze;  zustimmendes  Urtheil  zur  Frage,  bezw.  zum  Urtheil.  Offen- 
bar vermittelt,  oder  vielmehr  verknüpft  ein  gewisses  Ueber- 
gangserlebnis  die  beiden  unterschiedenen  Glieder.  Die  er- 
wägende oder  fragende  „Intention"  findet  in  der  gleichstimmigeu 
Entscheidung  ihre  Erfüllung,  und  in  dieser  Erfülhingseinheit  (die 
den  phänomenologischen  Charakter  eines  Einheitsmomentes,  einer 
„Gestaltquatität"  hat)  sind  die  beiden  Acte  nicht  ein  blofses  Nach- 
einander, sondern  innig  einheitlich  aufeinander  bezogen;  die  Ant- 
wort pafst  auf  die  Frage,  die  Entscheidimg  sagt:  so  ist  es,  genau 
80,  wie  es  in  der  erwägenden  Betrachtung  vor  Augen  stand. 

"Wo  die  Erwägung  eine  auf  und  ab  schwankende  ist,  ganz  dem 
Bilde  der  Wage  entsprechend,  wo  Fi-age  in  Gegenfrage  mnsL-lilägt  imd 
diese  wieder  in  jene  (isl  es  so  oder  nicht?),  da  ist  eben  auch  die  In- 
tention eine  zwiefältige,  und  das  gesammte  Erwagungserlebnis  findet 
seine  Erfüllung  durch  jede  der  beiden  möglichen  Entscheidungen: 
es  ist  so  —  es  ist  niclit  so.  Natürlich  betrifft  dann  die  Erfüllung 
speciell  die  ihr  entsprechende  Hälfte  der  erwägenden  Frage.  Im 
einfacheren  Falle  hingegen  iiat  die  Entscheidung  mit  gegensätzlicher 
Materie  den  Charakter  der  negativen  Erfüllung,  sozusagen  der  Ent- 
täuschung. Dies  fiberträgt  gich  von  selbst  auf  vielfältige,  also  nicht 
blofs  auf  Ja  imd  Nein  gestellte  Disjimctionen.  Die  negative  Erfüllung 
liegt  dann  in  der  Entscheidung:  weder  A,  noch  ß,  noch  C  u.  s.  w. 

Offenbar  liegt  in  diesem,  auf  die  erwägende  Frage  bezogenen 
Erfüllungserlebnis,  in  dieser  Lösung  einer  Art  Spannung,  auch  die 
ursprüngliche  Quelle  für  die  Rede  von  zustimmendem  Urtheil  — 


I 

I 

I 


I 
I 


zustimmend  in  Beziehung  auf  ein  anderes  und  von  irgendeinem 
Sprechenden  ausgesagtes  Urtheil.  Der  Aussagende  stellt  den  Zu- 
hörer, wenn  er  niclit  ohne  Weiteres  auf  ein  gleichstiraniiges  Urtheil 
rechnen  kann,  als  Erwägenden  vor  und  wünscht  dessen  Zustimmung 
zu  erlangen;  or  fafst  dann,  selbst  wo  das  gleiche  Urtheil  ohne 
Erwilgung  eingetreten  ist,  die  Uebereinstimmung  als  Zustimmung, 
zumal  ihr  Wertli,  wenn  sie  durch  Erwügung  hindurchgegangen 
ist,  höher  eingeschätzt  wird.  Der  Hörende  wieder  stellt  sich, 
selbst  wenn  er  zur  Erwägung  gamicht  Anlafs  nahm,  dem  Anderen 
gegenüber  gerae  als  Erwägenden  und  danach  Zustimmenden  hin, 
um  ihm  nämlich  die  Freude  der  abgewonnenen  Zustimmung  zu 
Theil  werden  zu  lassen.  So  wird  der  schlichten  Uebereinstimmung 
öfters  der  Gedanke  der  Zustimmung  suggerirt,  während  die  wirk- 
liche Zustimmung  sich  in  dem  complexen  Erlebnis  constituirt,  in 
dem  ein  wahrgenommenes  oder  vorgestelltes  Urtheil  zu  einem  In- 
fragestellen  führt,  das  seinerseits  im  entsprechenden  actuellen 
Urtheil  seine  Erfüllung  (und  im  gegensätzlichen  Falle  seine  Ent- 
täuschung, Ablehnung)  findet. 

Nach  diesen  Ueberlegungen  müssen  wir  die  Zustimmung 
als  ein  Uebergangserlebnis  ganz  ähnlicher  Art  ansehen, 
wie  die  Erfüllung  einer  Vormuthung,  einer  Erwartung, 
einer  Hoffnung,  eines  Wunsches  u.  dgl.  Beispielsweise 
haben  wir  auch  bei  der  Wunscherfüllung  nicht  das  biofse  Nach- 
einander von  Wunschintention  und  Eintreten  des  Erwünschten, 
sondern  Einheit  im  charakteristischen  ErfüllungsbowuTstsein.  Auch 
hier  finden  wir  die  Uebereinstimmung  hinsichtlich  der  Materie; 
aber  die  Uebereinstimmung  allein  kann  es  nicht  machen,  sonst 
brächte  sio  zwei  beliebige  Acte  dieser  Art  zur  EifüllungseinheiL 
Erst  das  Erfüllungshcwurstsein  coordinirt  (in  gesetzlich  beschrän- 
kender Weise)  den  Wunsch  dafs  S  P  sei  und  das  urtheilsraäfsige 
Erfahren  es  sei  S  P,  und  giebt  nun  dem  letzteren  den  relativen 
Charakter  des  erfüllenden,  wie  dem  Wunsche  selbst  den  Cha- 
rakter des  (in  dem  prägnanten  Sinne)  intendirenden  Actes. 

Diese  Analyse  macht  es,  was  wir  zugleich  für  unsere  späteren 
Untersuchungen  anmerken  wollen,  völlig  klar,  dafs  eine  „Urtiieils- 


theorie",  oder  passender  gesprochen,  dals  eine  rein  phänonieno- 
logisclie  Charakteristik  des  Urthoils,  welche  die  eigentliümliche 
Qualität  des  Urtheilens  mit  dem  Zustimmen  oder  Anerkennen, 
bezw.  mit  dem  Ablehnen,  Verwerfen  eines  vorgestellten  Sachver- 
halts (oder  gar  eines  vorgestellten  Gegenstandes)  idontificirt,  auf 
unrechtem  Wege  ist.  Die  hinzutretende  Zustimmung  ist 
uicht  eine  zum  vorgängigen  Acte  blofser  Vorstellung 
hinzutretende  Actqualität;  was  die  Analyse  wirklich  vor- 
findet, ist  zunächst  die  blofso  Vorstellung  (und  das  befafste  hier 
das  Ineinander  der  Acte  des  Dahingestellt- Erecheinens,  der  In- 
Frage-Stellung  und  Erwägung)  mittelst  des  Erfüllungscharakters 
übergehend  in  ein  Urtheil  gleicher  Materie.  Nicht  ist  etwa  das 
Urtheil  für  sich  und  in  sich  Anerkennung  jener  zunächst  gegebenen 
blofsen  Vorstellung;  sondern  anerkennend,  Kustinimond  ist  das  Ur- 
theil nur  hier  und  jetzt,  in  diesem  ErfüUuugszusammeuhang,  nur 
in  ihm  erhält  es  dieses  relative  Prädicat,  sowie  die  Vorstellung 
(bezw.  Erwägung)  nur  in  ihm  den  relativen  Charakter  der  Intention 
auf  diese  Zustimmung  erhält.  Die  Analogie  mit  anderen  Arten 
der  Erfüllung,  etwa  der  Wunscherfüllung  ist  hier  sehr  lehrreich. 
So  hat  ja  auch  das  Eintreten  der  erwünschten  Thatsache,  oder 
besser,  das  Urtlieil  über  dieses  Eintreten  (es  handelt  sich  ja  nicht 
um  das  objectivo  Eintreten,  sondern  um  unser  Wissen,  Ueber- 
zeugtsein  davon)  nicht  für  sich  genommen  und  in  sich  selbst  den 
Charakter  der  Wunschcrfüllung,  sondern  es  hat  ihn  nur  für  den, 
der  eben  wünscht  und  seinen  Wunsch  als  in  Erfüllung  gehenden 
erlebt.  Niemand  wird  hier  das  Erfüllungserlebnis  beschreiben 
wollen  als  ein  blofses  Hinzutreten  einer  neuen  Actqualität  zu  dem 
ursprünglichen  Wunsche  oder  gar  daran  denken,  das  Endziel  des 
Processes,  die  orfüllondc  Ueberzeugung,  als  eine  Comploxion  zu 
deuten,  die  den  Wunsch  als  zu  Grunde  liegenden  Theilact  ein- 
schlösse. 

Nach  all  dem  kann  also  das  Erlebnis  nachträglicher  Zu- 
stimmung zu  einer  blofsen  Vorstellung  nicht  mehr  als  Argument 
dienen,  um  die  von  uns  angezweifelte  Constitution  der  intentio- 
nalen  Erlebnisse  mindestens  im  ürtheilsgebieto  nachzuweisen. 


Zusatz.  Wir  haben  es  selbstverständlich  nicht  übersehen,  dafs 
in  der,  einer  Zustimmung  vorangehenden  Erwägung  zumeist  anch 
eine  Wunschintention  oingoflochten  ist,  die  sich  auf  die  Urtheils- 
entschcidung  richtet.  \\"\v  wtlrden  os  aber  für  diirchaus;  unrichtig 
halten,  wollte  man  die  beantworiende  ErffiUung  der  sozusagen  theo- 
retischen Frage  (in  welcher  sich  das  als  fraglicli  Erscheinen  couRtituirt) 
mit  der  Erfüllung  des  in  ihr  fiindirtcu  Wunsches  (der  Wunschfi-age) 
idontificiron.  Es  will  uns  scheinen,  dafs  FVage  ein  doppelsinniges 
Wort  ist.  In  dem  einen  Sinn  ist  ein  gewisser  Wiuisch  gemeint,  im 
anderen  ein  Act  eigenthümlicher  Art,  wie  ihn  jeder  solche  Wnnsch 
voraussetzt.  Der  Wunsch  geht  auf  „Urtheilsentscheiduiig",  d.  h.  er 
geht  aJif  ein  Urthoil,  das  die  Frage,  und  wo  sie  disjunctiv  ist,  den 
Zweifel  {„zwei  Ffillo")  entscheidet.  Kurzum  der  Wunsch  zielt  auf 
die  Beantwortung  der  „Frage",  die  hier  also  nicht  selbst  der 
Wunsch  ist.  Ebenso  ist  jener  Zweifel  kein  Gemüthsact.  Es  ist  ü!)er- 
liaupt  kein  von  der  theoretischen  Fmgo  unterschiedener,  sich  nur  ge- 
legentlich mit  ihr  verwebender  Act,  sondern  geradezu  der  Specialfall 
der  disjunctiven  Fragen,  in  dem  jetzigen  theoretischen  Sinn. 

§  30.     Die  Auffassung  des  idenlisehen  Wortverständnisses 
als  „blofsen  Vorstellens" . 

Es  liegt  nun  vielleicht  nahe,  unserem  Zweifel  folgendes  all- 
gemeine Argument  entgegenzuhalten: 

Dieselben  Worte  und  Wortgebildc  bewahren  ihren 
identischen  Sinn  in  den  verschiedensten  Zusammen- 
hängen und  als  Ausdrnckstheile  für  ganz  verschiedene  Acte.  Es 
nnifs  ihnen  somit  ein  überall  gleichartiges  Erlebnis  ent- 
sprechen, welches  nur  als  ein  überall  zu  Grunde  liegendes  Vor- 
stellen gefafst  werden  kann. 

Der  Eine  sagt  urtheilend  S  ist  P;  ein  Anderer  hört  dieselben 
Worte  und  versteht  sie,  ohne  selbst  zu  urtheilen.  Dieselben  Worte 
fungiren  in  gleichem  Sinn,  sie  werden  mit  gleichem  Verständnis 
gebraucht  und  aufgenommen.  Das  Unterscheidende  ist  klar:  im 
zweiten  Falle  vollzieht  sich  das  blofse  Verständnis  der  Worte, 
im  ersten  noch  ein  Mehr.     Das  Verständnis  ist  das  gleiche,  aber 


wir  urtheilen  überdies.  Erweitern  wir  den  Kreis  der  Beispiele. 
Verschiedene  Personen  mögen  eben  dieses  selbe,  dafs  SP  sei, 
wünschen,  hoffen,  vermuthen,  bezweifeln  u. s.  w.  und  zwar  in  den 
zugehörigen  ausdrücklichen  Acten.  Sie  alle  verstehen  die  gemein- 
samen Worte,  sie  alle  haben  auch  mit  dem  Urtheilenden  das  ge- 
mein, was  dieser  mit  dem,  das  „S  ti^t  P"  blofs  Verstehenden 
gemein  hat  Offenbar  liegt  bei  dem  Letzteren  isolirt  vor,  was 
bei  dem  Ersteren  noch  mit  dem  Charakter  der  Ueberzeugung,  des 
Wunsches,  der  Hoffnung  u.  s.  w.  behaftet  erscheint.  Das  blofse* 
Verstehen  ist  hier  das  blofso  Vorstellen,  welches  die  über- 
all gleiche  Grundlage  abgiebt  für  die  Serie  von  Acten  derselben 
„Materie".  Natürlich  überträgt  sich  dann  dieselbe  Auffassung 
von  den  ausdrücklichen  Acten  auf  die  nichtausdrücklichen. 

Dies  ist  sicherlich  ein  bestechendes  Argument.  Zweifellos 
weist  die  Rede  vom  selben  Sinn,  vom  gleichen  Wort-  und  Satz- 
verständnis auf  ein  überall  Gleiches  in  den  verschiedenartigen 
Acten  hin,  welche  hiebei  zum  Ausdruck  kommen;  ja  sogar  auf 
ein  solches,  das  wir  uns  ganz  in  der  Weise  von  Acten  eben  als 
eine  actio,  als  ein  subjectives  Thun  zuschreiben.  Indessen  ist 
wol  zu  beachten,  dafs  wir  den  Begriff  des  Actes  nicht  etwa  durch 
eine  Activität  definirteu,  sondern  das  Wort  einfach  als  Abkürzung 
für  den  Ausdruck  intentiotiales  Erlebtm  gebrauchen  wollten. 
Unter  dem  Letzteren  aber  veretanden  wir  jedes  concreto  Erlebnis, 
das  sich  „intentionaP  auf  eine  Gegenständlichkeit  „bezieht",  in 
den  bekannten  und  nur  durch  Beispiele  zu  verdeutlichenden  „Be- 
wufstseinsweisen".  Somit  läfst  jenes  identische  Verständnis  für 
die  Interpretation  wieder  die  zwei  Möglichkeiten  offen:  Entweder 
es  handelt  sich  um  ein  Gemeinsames,  das  kein  vollständiger  Act, 
aber  wol  dasjenige  in  dem  betreflenden  Acte  ist,  was  ihm  die 
Bestimmtheit  der  gegenständlichen  Beziehung  verleiht.  Dieses 
Gemeinsame  ist  dann  in  verschiedenen  Actqualitätcn  gegeben, 
wodurch  sich  das  volle  intentionale  Wesen  der  jeweiligen  Acte 
completirt.  Oder  das  Gemeinsame  besteht  in  einem  vollen  inten- 
tionalen  Wesen;  somit  liegt  allen  Acten  einer  zusammengehörigen 
Gruppe  ein  eigener  Act  des  Veretäudnisses  zu  Grunde,  der  dann 


I 


I 


I 


bald  diese,  bald  jene  weiteren  Acte  oder  vielmehr  Actqualitäten 
fimdirt;  dadurch  erwächst  z.  B.  das  Urtheil  (nämlich  durch  Be- 
reicherung des  blofsen  Vorstellens  um  die  Urtheüsqualität)  oder 
der  Wunsch  (Bereicherung  um  die  Wunschqualität)  u.  s.  w. 

Jedenfalls  können  wir  es  keineswegs  als  gesichert  anseilen, 
dafs  jene  angebliche  Isolirung  der  hindirenden  Vorstellung  im 
„blofsen  Verständnis"  des  Aussagesatzes  wirklich  eine  Isolirung 
ist,  und  zwar  in  dem  Sinne,  der  hier  in  Anspruch  genommen  wird. 
Bei  genauerer  Beti-achtung  zeigt  es  sich  vielmehr,  dafe  sich  dieses 
Erlebnis  zum  actuellen  Urtheil  analog  verhält,  wie  die  blofse 
Phantasievorstellung  zur  Wahrnehnnmg.  Es  sind  verschiedene 
Weisen  intentionaler  Beziehung  auf  einen  und  denselben  Gegen- 
stand, und  das  besagt,  es  sind  zwei  Acte  gleicher  Materie  und 
verschiedener  Qualität,  Keiner  von  ihnen  ist  blofse  Materie  oder 
ist  im  andern  reell  eingeschachtelt,  so  dafs  er  als  dessen  Materie 
in  Anspruch  zu  nehmen  wäre. 

§  31.     Ein  letzter  Einwand  f/egen  unsere  Äuffaamng. 
Blofse   Vorstellungen  und  isolirte  Materien. 

Wer  sich  hier  unbefangen  in  die  descriptiven  Verhältnisse 
vertieft,  wer  sich  weder  durch  Vorurtheile,  noch  durch  Aequi- 
vocationen  beirren  läfst,  wird  mit  uns  wol  zur  Ueberzeugung 
kommen,  dafs  die  Vorstellungen,  im  Sinne  der  Acte,  die  als 
„blofse"  Vorstellungen  isolirt  und  zumal  den  Urtheilen  als  specifisch 
eigenartige  Acte  gegenübergesetzt  sind,  in  der  Erkenntnis  keine 
80  beherrschende  Rolle  spielen,  wie  man  anzunehmen  pflegt,  und 
dafe,  was  man  ihnen  aufbürdet  —  nämlich  in  allen  Acten  die 
intentionale  Gegenständlichkeit  voretellig  zu  machen  —  durch 
unselbständige  Erlebnisse  besorgt  wird,  die  zu  allen  Acten  noth- 
wendig  gehören,  weil  sie  als  abstracto  Momente  zu  ihrem  inten- 
üonalen  Wesen  gehören. 

Die  Gegenseite  läfst  sich  immer  wieder  durch  folgendes 
Argument  bestechen;  Damit  ein  intentionaler  Charakter  sich  auf 
ein  Gegenständliches  beziehen  kann,  mufs  dieses  uns  vorstellig 
werden.     Wie    kann    ich    einen    Sachverhalt    für    wahr    halten, 


426  V.    Uehf.r  inlentionak  Erlebnisxr.  und  ihre  „Inlialte". 

wünschen,  bezweifeln  u.  dgl.,  wenn  ich  ihn  gamicht  vorstelle.  Das 
vorstellig  Machende  ist  eben  die  zu  Grunde  liegende  Vor- 
stellung, ob  man  es  nun  Vorstellung  oder  Materie  nennen  mag. 

Daran  ist  sachlich  nichts  auszusetzen;  was  hier  gesagt  wird, 
ist  vollkommen  wahr;  nur  ist  es  kein  Einwand  gegen  unsere 
Auffassung.  Gewifg  wohnt  jedem  intentionalen  Erlebnis  eine 
Componcnte  oder  Seite  ein,  die  das  Vorstelligwerden  der  Sache 
besorgt.  Aber  eine  Compimente,  dio  seihst  ein  ganzer  Act 
ist  —  das  ist  eben  die  Frage.  Und  vor  Allem  ist  es  dio  Frage 
mit  Beziehung  auf  den  uns  besonders  interessirenden  Fall  des 
Urtlieils  und  der  ihm  als  Vorstellung  des  geurtheilten  Sachverbalts 
innewohnenden  Componento.  Uns  schien  es  sich  als  unabwei-sbar 
ant/iidrängcn,  dafs  dieses  Theilcrlcbnis  von  einer  wesentlich  anderen 
fiattiuig  sein  müsse  als  die  Charaktere,  dio  wir  sonst  als  Act- 
qualitäten  bezeichnen,  mit  anderen  Worten,  als  die  bekannten 
Charaktere,  denen  es  die  vorgestellte  Sache  verdankt,  dafs  sie 
beiirtlieilte,  gewünschte  sei  u. s.w.  Zu  diesen  Charakteren  rechnen 
wir  auch  jenes  „blofse"  Vorstellen,  von  dem  oben  die  Eedo  war, 
nicht  aber  den  identischen  „Inhalt"  oder  dio  Materie,  mag  sie 
auch  Vorstellung  oder  Vorstellen  genannt  werden. 

Unsere  Auffassung  könnte  allenfails  in  dem  folgenden,  im' 
Gi'unde  nebensächlichen  Punkt  Zweifel  erregen.  Hat  man  zu- 
gestanden, dafs  die  „Inhalte"  nicht  Actcharaktere  sind,  so  könnte 
es  doch  als  möglich  erscheinen,  dafs  eben  dieselben  Inhalte,  die 
in  Acten,  also  in  ergänzender  Verwobung  mit  Actcharakteron  auf- 
treten, unter  anderen  Umstiinflen  auch  für  sich,  hezw.  in  concreten 
Erlebnissen,  dio  von  allen  Actcliarakteron  frei  sind,  auftreten. 
Und  auf  letzterem  Wege  kämen  die  echten  Fälle  blofser  Vor- 
stellungen zu  Stande,  als  concreto  Erlebnisse,  die  doch  garnicht 
„Acte"  sind. 

Indessen  scheint  es  bei  aufmerksamer  Betrachtung  der  hioher- 
gehörigen  Erlebnisse  richtiger,  das  blofse  Vorstollen  wirklich  als 
einen  Act  zu  fassen.  Der  durch  den  Inhalt  vergegenwärtigte  Gegen- 
stand ist  zugleich  Oegen.stand  einer  gewissen  Zuwendimg,  einer 
gewissen  verbüdüehenden  Betrachtung,  oder  einer  wie  immer  zu 


L 


beschreibeDden  „psychischen  Bethätigung",  die  von  derselben 
Gattung  ist,  wie  Urtbeüen,  Zweifeln,  Vermutheii  u.  dgl.  Aller- 
dings ist  damit  die  Möglicbkeit  nicht  ganz  abgeschnitten,  dafs 
Inhalte  gelegentlich  doch  für  sich,  nämlich  aufserbalb  intentionaler 
Erlebnisse  auftreten.  Denn  unsere  Description  bewegt  sich  noth- 
wendig  innerhalb  des  „Blickfeldes"  der  Aufmerksamkeit.  Was 
dieses  überschreitet,  was  im  weiteren,  nicht  aber  in  dem  engeren 
Sinne  zur  „Einheit  des  Bewufstseins"  gehört,  das  liegt  aufserhalb 
der  Grenzen  unserer  Betrachtungen.  Jedenfalls  trifft  dies  aber 
nicht  die  uns  wolvertrauten  Erlebnisse  des  „blofsen"  Vorstellens. 


Viertes  Kapitel. 

Studie  über  fundirende  Vorstellungen  mit  besonderer  Rück- 
Bicht  auf  die  Lehre  vom  Urtheil. 

§  32.     Ein  Doppelsinn  des  Wortes   Vorstellung  und  die  vemieintlicfie 
Evidenx,  des  Salzes  von  der  Futidiining  jedes  Actes  durch  einen  Vor- 

sielliingsact. 

Dürfen  wir  die  Ergebnisse  des  letzten  Kapitels  für  gesichert 
erachten,  so  wäre  ein  doppelter  Begriff  der  Vorstellung  zu 
unterscheiden.  Voi-steHung  in  dem  ersten  Sinne  ist  ein  Act 
(bezw,  eine  eigenartige  Actqualitüt)  so  gut  wie  ürtheil,  Wunsch, 
Frage  u.  s.  w.  Beispiele  für  diesen  Begriff  bieten  all  die  Fälle,  wo 
vereinzelte  Worte  —  xara  ftr,(hi.ti'a)'  fft'p/riozij»'  Xeyöfteva  — 
ebenso  ganze  Sätze  aufserhalb  ihrer  normalen  Function  verstanden 
werden:  wir  vorstehen  Aussage-,  Frage-,  Wunschsätze,  ohne 
selbst  zu  urtheilen,  zu  fragen,  zu  wünschen. 

In  dem  anderen  Sinn  wäre  Vorstellung  kein  Act,  sondern 
die  Actmaterie,  welche  die  eine  Seite  des  intentionalen  Wesens 
in  jedem  voüständigen  Acte  ausmacht.  Diese  „Vorstellung"  liegt 
wie  jedem  Acte,  so  auch  dem  Acte  des  Vorstellens  (nach  dem 
ersten  Sinn)  zu  Grunde.    Dann  ist  die  Materie,  die  als  identische 


in  verschiedenartigen  Acten  fungiren  kann,  in  einer  eigeiiartigi 
Actqualität  „Vorstellen"  gegeben,  in  einer  eigenthüm liehen  „Weise 
intentionaler  Beziehung".  ^H 

Orientirt  man  die  Bedeutung  der  Rede  von  Acten  blofsen^ 
Voi-stellons  nach  den  obigen  Beispielen,  so  ist  die  Möglichkeit, 
bei  ihnen  ebenso  wie  bei  anderen  Acten  die  Analyse  in  Qualität 
und  Materie  zu  vollziehen,  unzweifelhaft.  Genau  so  wie  wir  beim 
Urtheil  zwischen  dem  specifischen  Charakter  der  üeberzeugung 
und  dem  Inlmlt  der  üeberzeugung  unterscheiden,  so  auch  hier 
zwischen  dem  eigenartigen  Zumuthesein  jenes  blofsen  Verstehens 
und  der  Bestimmtheit,  die  das  Was  dieses  Vei-stehens  ausmacht. 
Dasselbe  gilt  offenbar,  wie  immer  man  den  Kreis  der  Beispiele, 
die  das  hlorse  Vorstellen  verdeutlichen,  bezw.  seinen  BegrifF  zur 
Abhebung  bringen  sollen,  wählen  mag.  Es  sei  aber  noch  aus- 
drücklich daran  erinnert,  dafs  vnr  bei  der  vorliegenden  Analyse 
nicht  von  einer  möglichen  Zerstückung  der  Acte  sprechen, 
sondern  von  einer  Unterscheidung  zwischen  Bestimmtheiten  oder 
Seiten  dieser  Acte.  Sie  treten  in  der  vergleichenden  Betrachtung 
hervor,  sie  sind  die  im  Wesen  der  Acte  selbst  liegenden  Gründe 
oder  Momente,  welche  die  Möglichkeit  bestimmen,  die  Acte  in 
gewisse  Reihen  der  Gleichheit  und  Verschiedenheit  zu  ordnen. 
Das  in  solchen  Reihen  aufweisbare  Gleiche,  bezw.  Verschiedene, 
das  sind  eben  jeno  Seiten,  wie  Qualität  und  Materie.  So  kann 
auch  Niemand  irgendeine  Bewegung  in  Richtung,  Beschleunigung 
u.  dgl,  zerlegen,  wol  aber  diese  Bestimmtheiten  an  ihr  unter- 
scheiden. 

Der  Satz,  es  sei  jedes  intentionalc  Erlebnis  entweder  selbst 
eine  (blofse)  Vorstellung,  oder  habe  eine  Vorstellung  xur  Grund- 
lage, stellt  sich  nach  den  vorstehenden  Untersuchungen  als  eine 
vermeintliche  Evidenz  heraus.  Die  Täuschung  gründet  in  dem 
erörterton  Doppelsinn  von  Vorstellung,  in  seinem  ersten  Theii 
spricht  der  Satz,  richtig  verstanden,  von  Vorstellung  im  Sinne 
einer  gewissen  Actart,  im  zweiten  von  Voi-stellung  im  Sinne 
der  blofsen  Actmaterie.  Dieser  zweite  Theil  für  sich,  also 
der  Satz,  jedes  inteniionnle  Erlebnis  habe  eine  Vorstellung  xur 

L d 


» 


Grundlage,  wäre,  wofern  Vorstellung  als  Materie  gedeutet 
würde,  eine  echte  Evidenz.  Der  fulsche  und  von  uns  bekämpfte 
Satz  erwächst,  wenn  Vorstellung  auch  hier  als  Act  gedeutet  wird. 

Doch  hier  mahnt  uns  ein  Bedenben  zur  Vorsicht.  Giebt  es  nur 
eine  "Weise,  „Vorstellung"  als  Act  zu  deuten?  Läfst  der  fragliche 
Satz  nicht  Tielleicht  andere  Interpretationen  zu,  die  von  unseren 
Einwänden  unberührt  bleiben?  In  diesem  Falle  wäre  unsere 
Darstelliuig  zwar  ganz  zutreifend  mit  Beziehung  auf  jenen  Begriff 
des  Vorstellens,  den  sie,  den  gewöhniichon  Erläuterungen  des 
Wortes  folgend,  voraussetzte;  nicht  aber  mit  Beziehung  auf  an- 
dere Vorstellungsbegriffe  und  die  dadurch  zu  erzielenden  neuen 
Interpretationen  des  mehrsinnig  schillernden  Satzes. 

§  33.     Reslitulion  des  Satzes  auf  Orund  eines  neuen  VorsteUnngs- 
begriffes.     Nennen  und  Aussagen. 

Es  erhebt  sich  also  die  Frage,  ob  der.  Satz  nicht  auf  Grund 
eines  anderen  Vorstellungsbegriffes  voll  und  ganz  aufrecht 
erhalten  werden  kann. 

Der  Einheit  des  Actes  entspricht  jeweils  die  zu  ihm  gehörige 
objective  Einheit,  die  Einheit  der  {im  weitesten  Sinne  zu  ver- 
stehenden) Gegenständlichkeit,  auf  die  er  sich  „intentional''  be- 
zieht. Den  in  Erwägung  stehenden  Satz  fanden  wir  nun  bedenk- 
lich, wofern  er  unter  Vorstellung  einen  gewissen  Act  verstand, 
der  sich  auf  diese  gesummte  gegenstiiudliche  Einheit  des  jeweiligen 
Actes  beziehen  und  ihm  zu  Grunde  liegen  sollte:  der  Sachver- 
halt, der  im  TJrtheü  vermeint,  im  Wunsehe  erwünscht,  in  der 
Vennuthung  vermuthet  ist  u.  s.  w.,  sei  notliwondig  vorgestellter, 
und  zwar  in  einem  eigenartigen  Act  Vorstellen  vorgestellter  Sach- 
verhalt. Dabei  befafste  der  Titel  Voretellen  das  „blofse"  Vor- 
stellen, eine  Actart,  die  wir  uns  durch  das  blofse  Verständnis 
herausgerissener  Worte  u.  dgl.  exemplarisch  verdeutlichten,  oder 
auch  durch  das  blofse  Verständnis  von  gehörten  Aussagesätzen, 
zu  denen  wir  uns  selbst  völlig  neutral  verhalten.  Der  Satz  ge- 
winnt aber  sofort  einen   neuen   und  unbedenkliclien  Sinn,   wenn 


wir  ilem  Terminus  Vorstellen  einen  neuen  Begriff  unterlegen  und 
zwar  denjenigen,  welcher  insofern  besondere  nahe  liegt,  als  die 
Rede  von  den  Namen  als  Ausdrücken  von  Vorstellungen, 
auf  iliu  hinleitet.  Freilich  dürfen  wir  dann  nicht  mehr  verlangen, 
dafs  dieses  Vorstollen  die  gesammte  objective  Einheit  des  jeweiligen 
Actes  intentional  umspanne.  "Wir  können  nämlich  unter  dem 
Titel  Vorstellung  jeden  Act  befassen,  in  welchem  uns 
Etwas  in  einem  gewissen  engeren  Sinne  gegenständlich 
wird,  nach  Mafsgabe  etwa  der  sinnlichen  Wahrnehmung  oder 
Einbildung,  oder  auch  nach  Mafsgabe  der  Subjectsacte  in 
kategorischen  Aussagen  u.  dgl. 

"Wir  haben  hier  folgenden  und  höchst  wichtigen  descriptiven 
Unterschied  im  Auge. 

Vollziehen  wir  ein  ürtheil,  so  scheint  uns  irgendetwas  zu 
sein  oder  nicht  zu  sein,  z.  B.  S  ist  P.  Aber  dasselbe  Sein,  das  uns 
hiebei  vorstellig  ist,  wird  uns  offenbar  in  ganz  anderer  Weise 
vorstellig,  wenn  wir  sagen:  das  P-sein  des  S.  Ebenso  kommt 
uns  der  Sachverhalt  S  ist  P  in  ganz  anderer  Weise  in  einem 
Urtheil  zum  Bewufstsein,  in  dem  wir  schlechthin  aussagen  S  ist 
P,  und  im  Subjectsacte  eines  anderen  Drtheils,  wie  wenn 
wir  sagen  die  Tkaisaekc,  dafs  S  Pisi,  oder  einfach,  dafs  S  Pist  — 
hat  zur  Folge  .  .  .,  ist  erfreulich,  ist  zweifelhaft  n.  s.  w.  Des- 
gleichen auch,  wenn  wir  im  Vordersatze  eines  hypothetischen  oder 
causalen  Satzes  sagen  wenn,  bezw,  weil  S  P  ist;  im  disjunctiven 
Satze  entweder  es  ist  S  P  n.  s.  vf.  In  all  diesen  Fällen  ist  uns 
der  Sachverhalt  —  nicht  etwa  das  Urtheil  —  in  einem  anderen 
Sinne  gegenständlich,  und  demgemäfs  auch  in  geänderten  Be- 
deutungen vorstellig,  als  in  dem  Urtheil,  dessen  volles  objectives 
Correlat  er  bildet;  und  er  ist  dann  offenbar  gegenständlich  in 
einem  ähnlichen  Sinne,  wie  das  Ding,  auf  das  wir  in  der  Wahr- 
nehmung hinblicken,  oder  das  Phantasieobject,  mit  dem  wir  uns 
imaginireud  beschäftigen,  oder  das  gemalte  Ding,  das  wir  im 
Gemälde  betrachten  u.  dgl.  —  obschon  ein  Sachverhalt  kein  Ding 
ist  imd  überhaupt  nichts  ist,  das  sich  im  eigentlichen  und  engeren 
Sinne  wahrnehmen,  einbilden  und  abbilden  liefse. 


1 


i 


I 

I 


Mit  Beziehung  auf  die  als  Subjecto  fungirenden  Sätze, 
sagte  ich  oben  in  Parenthese,  dafs  sie  nicht  etwu  Vorstel- 
lungen von  Urtheilen,  souderu  von  den  entsprechenden  Sach- 
verhalten seien.  Dies  ist  wol  zu  beachten,  ürtheile,  als  con- 
crete  Erlebnisse,  sind  natürlich  so  gut  wie  Dinge  Gegenstände 
mögliclier  Wahrnehmung,  Einbildung  und  eveutueil  einer,  wenn 
auch  nicht  pliysischeu  Abbildung.  Sie  können  dann  auch  als 
Subjectgegenständo  in  Urtheilen  fungiren.  Dies  ist  der  Fall  der 
Ürtheile  über  ürtheile.  In  ihrem  Ausdruck  wird,  wenn  die 
beurtheilten  ürtheile  nicht  blofs  indirect  bezeichnet  sind  (wie  z.  B. 
als  dies,  dein  Urtheil),  ein  Satz  an  der  Subjectstelle  stehen. 
Aber  nicht  immer,  wo  ein  Satz  an  solcher  Stelle  steht,  steht  er, 
wie  hier,  auch  in  der  Function,  ein  Urtheil  zu  nennen.  Ueber 
ein  urtheil  urtheilen,  ist  ja  ein  Anderes,  als  über  einen 
Sachverhalt  urtheilen;  und  demgemäfs  ist  es  auch  ein  Anderes, 
ein  Urtheil,  und  wieder  ein  Anderes,  einen  Sachverhalt 
subjectivisch  vorzustellen,  bezw.  zu  nennen.  Wenn  ich 
z.  B.  sage,  dafs  S  Pist,  ist  erfreulick,  so  meine  ich  doch  nicht,  es 
sei  das  Urtheil  erfreulich.  Es  ist  dabei  auch  gleichgiltig,  ob  mau 
unter  Urtheil  den  singuläreu  Act  oder  den  Satz,  das  Urtheil  im 
specifischen  Sinne,  meint.  Erfreulich  ist  vielmehr  dies,  dafs  es 
sich  so  verhält,  der  objective  Sachverhalt,  die  Thatsache.  Dies 
lehrt  auch  die  objectiv  äquivalente,  obschon  die  Bedeutung  modi- 
ficirende  Wendung  das  F  sein  des  S  (das  Siegen  der  gerechten 
Sache  u.  dgl.)  ist  erfreulich. 

Legt  man  den  geänderten  Vorstellungsbegrifl'  zu  Grunde  und 
läfet  dann,  wie  wir  oben  schon  erwähnt  haben,  auch  den  An- 
spruch fallen,  dafs  die  Vorstellung  als  fuudirender  Act 
die  ganze  Materie  des  fundirteu  umspanne,  so  scheint  der 
vorhin  abgelehnte  Satz,  dafs  jeder  Act,  der  nicht  selbst  eine  Vor- 
stellung sei,  in  einer  Vorstellung  fundirt  sein  müsse,  wirklich 
einen  werthvoUeu  Inhalt  zu  gewinnen  —  den  wir  wol  auch 
wagen  dürfen,  als  Evidenz  in  Anspruch  zu  nehmen.  Genauer 
müfsten  wir  ihn  jetzt  freilich  so  formuliren:  Jeder  Act  ist  ent- 
weder selbst  eine  Vorstellung,  oder  er  ist  in  einer  oder 


TW eArcren  Vorstellungen  fundirt.  Beispiele,  wo  die  erste  Hälfte 
des  Satzes  zutrifft,  liefern  eingliedrige  (einfältige)  Acte  der  Wahr- 
nehmung, der  (rein  intuitiven)  Erinnerung  oder  Erwartung,  der 
Einbildung  u.  dgl.  Das  wären  nun  die  „blofsen"  Vox-stellungen. 
Beispiele  zur  zweiten  Hälfte  des  Satzes  bieten  die  Urtheile  (Prä- 
dicationen),  sowie  die  ihnen  als  Gegenbilder  entsprechenden  blolsen 
Vorstellungen  nach  dem  früheren  Wortsinne.  Ein  Urtheil  hat 
mindestens  eine  Vorstellung  zur  Grundlage,  sowie  jede  voll  aus- 
gesprochene Aussage  mindestens  einen  „Namen"  enthält  Ist  die 
vorherrschende  Ansicht  richtig,  welche  dem  einfachen  Urtheil  die 
Normalform  S  ist  P  zutheilt,  so  hätten  wir  als  Minimum  sogar 
zwei  Vorstellungen,  bezw.  zwei  Namen  anzunehmen.  Die  Maxi- 
malzahl aber  ist  unbegrenzt,  es  sind  beliebig  viele  Vor- 
stellungen in  einem  einzigen  Urthoil  möglich,  und  schiebt  man 
dies  einer  Zusammensetzung  des-selbeu  zu,  so  ist  dies  hier  gleich- 
giltig:  denn  jedes  zusammengesetzte  Urtheil  ist  auch  ein  Urtheil. 

Dasselbe  scheint  für  alle  anderen  Acte,  soweit  sie  überhaupt 
volle  und  ganze  Acte  sind,  zu  gelten.  Der  Wunsch,  es  möge  S 
P  sein,  es  möffe  die  Wahrheit  biegen  n.  dgl.  hat  in  dem  S  und 
P  seine  Vorstellungen,  rlie  Wahrheit  ist  Gegenstand  einer  Sub- 
jectsetzung,  und  das  Wünschen  gründet  sich  auf  das  an  ihr  prä- 
dicativ  vorgestellto  Siegen.  Ebenso  verhält  es  sich  bei  allen  ähnlich 
gebauten  Acten,  sowie  bei  den  einfacheren,  z.  B.  auf  eingliedrige 
Anschauungen  sich  gründenden  Acten,  wie  etwa  eine  Freude  über 
ein  Wahrgenommenes. 

Was  die  Vorstellungen  selbst  anbelangt,  so  läfst  es  unser 
Satz  offen,  ob  auch  sie  gegebenen  Falls  in  Vorstellungen  fundirt 
sind  oder  nicht.  Beides  ist  möglich,  und  zugleich  dürfen  wir 
hinzufügen,  dafs  die  letztfundirenden  Acte  in  jeder  Act- 
coraplexion  nothwendig  Vorstellungen  sind. 

§  34.     Sehtvierigktiten.     Der  Begriff  des  Natnens. 

Setiende  und  nicht -setsende  Namen. 

Der  neue  Vorstellungsbegriff  ist  allerdings  von  Schwierigkeiten 
uicht  frei.  Dafs  jene  zur  letzten  Fundirung  berufenen  Acte  insofern 


ein  Gemeinsames  haben,  als  sie  ein  Gegenständliches  in  einem  ge- 
wissen prägnanten  Sinne  vorstellig  machen,  ist  unverkennbar.  Ob 
aber  Vorstellung  in  diesem  Sinne  eine  wesentliche 
Gattung  intentionaler  Erlebnisse  bezeichne,  und  zwar  so,  dafs 
die  gattungsmäfsige  Einheit  rein  durch  die  Actqualitfit  be- 
stimmt und  die  von  der  Sphäre  der  Vorstellung  ausgeschlos- 
senen Acte  durchaus  von  qualitativ  anderen  Gattungen  sein 
müfsten  —  das  sind  Zweifelsfragen,  die  gamicht  leicht  zu  ent- 
scheiden sind. 

In  diesen  Beziehungen  wäre  etwa  Folgendes  näher  auszu- 
führen. Wenn  man,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  Namen  als 
Ausdrücke  von  Vorstellungen  bezeichnet,  so  ist  hiebei  der 
jetzige  Begriff  der  Vorstellung  mafsgebend.  Der  verechiedene  Sinn 
der  Rede  vom  Ausdrücken  bringt  es  allerdings  mit  sich,  dafs 
hiebei  unter  Vorstellung  cbensowol  die  nominalen  Bedeutungs- 
intentionen, als  auch  die  entsprochenden  Bedeutungserfüilungen 
gemeint  sein  können.  Aber  die  Einen  und  Anderen,  die  sym- 
bolischen und  anschaulichen  Acte  fallen  hier  gleichraäfsig  unter 
den  abgesteckten  Vorstellungsbogriff  und  füllen  ihn  zusammen 
auch  aus.  Unter  Namen  dürfen  wir  hier  nicht  blofse  Haupt- 
wörter verstehen,  die  ja  für  sich  allein  keinen  vollen  Act  aus- 
prägen. Wollen  wir  klar  erfassen,  was  Namen  sind  und  bedeuten, 
so  thun  wir  am  besten,  auf  Zusammenhänge  hinzublicken,  zumal 
auf  Aussagen,  in  welchen  Namen  in  normaler  Bedeutung  fungiren. 
Hier  sehen  wir  nun,  dafs  Wörter  oder  Wortcomplexionen,  die 
als  Namen  gelten  sollen,  nur  dann  einen  abgeschlossenen  Act 
ausdrücken,  wenn  sie  entweder  ein  completes  Aussagesubject 
darstellen  (wobei  sie  einen  comploten  Subjectsact  ausdrücken)  oder 
so,  wie  sie  sind,  die  Subjectfunction  in  einer  Aussage  ausfüllen 
können.  Demgemäfs  macht  nicht  das  blofse  Hauptwort,  auch 
nicht  zusammen  mit  dem  eventuell  begleitenden  Adjectiv  oder 
Relativsatz,  einen  vollen  Namen;  vielmehr  müssen  wir  den  be- 
stimmten oder  unbestimmten  Artikel,  der  eine  sehr  wichtige  Be- 
deutungsfunction  trägt,  noch  hinzunehmen.  Das  Pferd;  ein 
Blülenstraufs ;  ein  Haus,  icelches  ans  Sandstein  gebaut  ist;  die 


Hua>»rl,  Log.  Uutens.  U. 


28 


Eröffnung  des  Reichstages  —  aber  auch  Ausdrücke,  wie  dafs  der 
Reicftstag  eröffnet  ist,  sind  Namen. 

Nun  boacfiten  wir  einen  merkwürdigen  unterschied.  In 
vielen,  aber  offenbar  nicht  in  allen  Fällen  sind  die  Namen  von 
einer  Art,  dafs  sieden  Gegenstand  als  einen  wirklich  seienden 
intendiren  und  nennen,  ohne  dafs  sie  darum  mehr  wären  als 
blofse  Namen,  mit  anderen  Worten,  ohne  dafs  sie  als  volle  Aus- 
sagen gelten  dürfton.  Das  Letztere  ist  schon  dadurch  aus- 
geschlossen, dafs  Aussagen  niemals  in  unmodificirter  Bedeutung 
an  die  Subjectstelle  treten  können,  ürtheile  können  zwar  als 
Urtheilsubjecto  im  Sinne  bourtheilter  Gegenstände,  niemals 
aber  als  Subjectsacte  anderer  Urtheilo,  als  „Vorstellungen" 
fungiren.  Freilich  wird  man  uns  diesen  wichtigen  Satz  ohne 
nähere  Begründung  nicht  zugestehen  wollen.  Sie  soll  im  Weiter- 
fulgenden  auch  nachgeholt  werden.  Sehen  wir  vorläufig  also  von 
den  Fällen,  wo  scheinbar  volle  Aussagen  im  Subjecte  stehen,  ab,  so 
kommen  für  uns  Namen  in  Betracht,  wie  der  Prinz  Heinrich,  die 
Eolandstatne  auf  dem  Markte,  der  vorüher eilende  Postbote  u.  s.  w. 
Wer  diese  Namen  in  wahrhaftiger  Rede  und  in  normalem  Sinne 
gebraucht,  „woifs",  dafs  Prinz  Heinrich  eine  wirkliche  Person  und 
kein  Fabelwesen  ist,  dafs  auf  dem  Markte  eine  Rolandstatue  steht, 
dafs  der  Postbote  vorübereilt.  Ja  noch  mehr.  Sicherlich  stehen 
ihm  die  genannten  Gegenstände  anders  vor  Augen  als  eingebildete, 
und  sie  erscheinen  ihm  niciit  nur  als  seiende,  er  drückt  sie  auch 
als  solche  aus.  Gloichwol  prädicirt  er  im  nennenden  Acte  nichts 
von  alledem;  ausnahmsweise  mag  er  das  Sein  mindestens  attributiv 
ausdrücken,  nämlich  in  der  Form  das  irirklich  existirende  S 
(wie  er  in  gegensätzlichen  Fällen  vielleicht  sagt:  das  vermeintliche 
S,  das  eingebildete  S  u.  dgl.).  Aber  trotz  der  logischen  Aequi- 
valenz  des  so  bereicherten  Namens  mit  dem  schlichten,  ist  die 
Bedeutungsdifferenz  beider  unverkennbar.  Die  Setzung  ist  auch 
in  dem  bereicherten  Namen  durch  dasjenige  Moment  des  Actes 
vollzogen,  das  im  bestimmten  Artikel  ausgedrückt  ist,  und  nur 
die  Materie  ist  erweitert.  Jedenfalls  ist  auch  dann  nicht  ausgesagt 
(prädicirt),    dafs    S  exisiirt,    sondern    das    Ä   ist   attributiv    als 


wirklich  existirendes  vorgestellt,  zudem  gesetzt  und  daher  in 
der  Form  das  wirklich  exisiirende  S  genannt;  und  Nennen  ist 
dem  Sinne  nach  auch  hier  nicht  identisch  mit  Aussagen. 

Giebt  man  dies  zu,  so  haben  •wir  zweierlei  Namen,  bezw. 
nominale  Acte  zu  unterscheiden,  solche  die  dem  Genannten 
den  Werth  eines  Seienden  zuertheilen,  und  solche,  die  es 
nicht  thun.  Ein  Beispiel  für  die  Letzteren,  falls  es  überhaupt 
eines  solchen  bedarf,  bietet  uns  die  nominale  Materie  eines  jeden 
negativen  Existenzialurtheils,  wie  etwa  ein  Dreieck  mit  zwei 
rechten  Winkeln  —  giebt  es  nicht.  Einen  ähnlichen  Unterschied 
finden  wir  auch  bei  anderen  fundirenden  Acten,  wie  der  Ver- 
gleich eines  hypothetischen  und  causalen  Vordersatzes  lehrt;  doch 
dies  ist  nicht  anders  zu  erwarten,  da  diese  Acte  mit  den  nominalen 
wesentlich  verwandt  sind.  Ueberhaupt  erstreckt  sich  der  Unter- 
schied zwischen  setzenden  und  nichtsetzenden  Acten  über  das 
ganze  Gebiet  der  Vorstellung  in  dem  jetzigen  Sinne.  In  der 
engeren  Sphäre  der  anschaulichen  Vorstellungen,  welche  nicht 
selbst  nominal  fiingiren,  aber  den  logischen  Beruf  haben,  nominale 
Bedeutiingsintontionen  zu  erfüllen,  sind  setzende  Acte:  die  sinn- 
liche WaliruehniuDg,  Erinnerung  und  Erwartung.  Nichtsetzend 
ist  die  anomale,  weil  ihrer  Seinswerthung  beraubte  Wahrnehmung, 
z.  B.  die  mit  dem  Zweifel  an  der  Wirklichkeit  des  Erscheinenden 
auftretende  Illusion,  und  ebenso  jeder  Fall  einer  blofsen  Ein- 
bildung. Zu  jedem  setzenden  Acte  gehört  ein  möglicher 
nichtsetzender  Act  von  derselben  Materie,  und  um- 
gekehrt 

Dieser  charakteristische  Unterschied  ist  nun  offenbar  ein 
Unterschied  der  Actqualität,  und  so  liegt  im  Vorstellungs- 
begriffe eine  gewisse  Zwiespältigkeit.  Dürfen  wir  von  einer 
Gattung  Vorstellung  im  strengen  Sinn  noch  sprechen,  dürfen 
wir  annehmen,  dafs  setzende  und  nichtsetzende  Vorstellungen 
Arten  oder  Differenzen  dieser  oinboitlichen  Gattung  sind?  Und 
drängt  sich  nicht  der  Gedanke  auf,  der  bedeutenden  Forschern 
als  gesicherte  Wahrheit  gilt,  dafs  die  setzenden,  einen  Seinswerth 
zutheilenden  Acte  den   ürtheilen  qualitativ  nahe  verwandt   sind. 


J 


also  mit  ihnen  zu  Einer  Qualitätsgattung  gehören,  während  wir 
sie  doch  aus  der  Sphäre  der  Vorstellung  ausgeschlossen  haben? 

Die  Schwierigkeit  der  ersten  Frage  wäre  mit  einem  Schlage 
behoben,  wenn  man  die  setzenden  Acte  als  schon  fundirte  fassen 
und  somit  annehmen  dürfte,  sie  seihst  seien  garnicht  biofse  Yor- 
stoUungen,  sondern  in  Vorstellungen  fundirt,  zur  blolson  Vor- 
stellung trete  der  Setzimgscharakter  (in  Betreff  dessen  man  dann 
streiten  mag,  ob  er  mit  den  Urtheilen  in  eine  Klasse  rangire, 
oder  nicht)  neu  hinzu. 

Aber  nach  unseren,  oben  durchgeführten  Analysen  erscheint 
diese  Auffassung  als  recht  bedenklieh.  So  wenig  von  einer  Wahr- 
nehmung ein  Act  blofser  Vorstellung,  oder  von  einer  actuellen 
Aussage  ein  Act  blofs  verstandener,  aber  nicht  geurtheilter  Aus- 
sage abfällbar  ist,  so  wenig  von  dem  seti^enden  Acte  nominaler 
Bedeutungsintention  ein  setzungsloser.  Die  Analogie  der  nomi- 
nalen und  propositionalen  Acte  mufs  nothwendig  eine  vollkommene 
sein,  da  a  priori  jedem  setzenden  und  vollständigen  Nominalacte 
eine  mögliche  selbständige  Aussage,  und  jedem  nichtsetzenden  ein 
correhiter  Act  modificirter  Aussago  (blofsen  Aussageverständnisses) 
entspricht.  Die  Analyse  würde  also  auch  in  der  weiteren  Sphäre 
zu  dem  Ergebnis  führen,  dafs  das  Gemeinsame  des  setzenden  und 
nichtsetzenden  Namens  von  gleichem  Inhalt  nicht  in  einem  vollen 
Act  bestehe,  sondern  in  einer  blofsen  Aotmatorie,  die  in  den  beiden 
Fällen  in  verschiedener  Actqualität  gegeben  ist.  Man  kann  einen 
Namen  blofs  verstehen,  aber  dieses  biofse  Verstehen  ist  nicht  in 
dem  setzenden  Gebrauch  des  Namens  enthalten.  Somit  ist  hier 
kein  Weg,  um  die  fragliche  Spaltung  in  der  Klasse  der  Vorstel- 
lungen im  jetzigen  Sinne  der  nominalen  Acte  zu  beseitigen. 


F 


§  35.     Nominale  Setzung  und  Urtheil.     Ob   Urlheik  über}iaupt  Ttieile 
von  nominalen  Acten  werden  können. 

Schwierigkeit  bereitet  zumal  die  andere  oben  berührte  Frage 
nach  der  Verwandtschaft  und  überhaupt  nach  dorn  richtigen  Ver- 
hältnis zwischen  setzenden  Vorstellungen  und  Urtheilen. 
Vielleicht   versucht   man    es,   den   oben   abgewiesenen  Gedanken, 


welcher  die  nominale  Setzung  geradezu  als  eine  Form  desUrtheilens 
zu  fassen  sucht,  irgendwie  neuzugestalten  und  festzuhalten.  Man 
sagt  etwa:  der  setzende  Name  ist  freilich  keine  Aussage,  d.  h.  keine 
selbständige  Prädication,  keiu  Ausdruck  eines  sozusageu  selbst- 
genugsamen  ürtheils.  Ein  Urtheil  ist  es  darum  doch,  nur  soll  es 
jetzt  als  Voraussetzung  oder  Grundlage  für  einen  anderen,  darauf 
zu  bauenden  Act  dienen.  Diese  den  intontionalen  Gehalt 
des  Ürtheils  nicht  ändernde  Function  ist  es,  welche  die 
sprachliche  Form  unterscheidend  bestimmt.  Sagt  Jemand  der 
vonibenjehende  Postbote  ...  so  liegt  darin  doch  das  Urtheil  der 
Postbote  geht  vorüber.  Die  nominale  Form  ist  eine  blofse  An- 
zeige für  die  Subjectfunction,  die  auf  die  weiter  folgende  Prädicat^ 
Setzung  hindeutet 

Indessen  diese  Art,  den  fraglichen  Unterschied  völlig  zu  ver- 
äufeerlichen  —  als  ob  sich  an  das  identisch  verbleibende  Urtheil 
blofs  neue  Acte  anknüpften  und  die  grammatische  Form  des  Namens 
blofs  den  Charakter  einer  indirecten  Anzeige  für  die  Art  dieser 
Anknüpfung  sei  —  werden  wir  kaum  billigen  können.  Die  meisten 
Logiker,  darunter  so  tiefdenkende  wie  Bolzano,  haben  den  Unter- 
schied zwischeu  Namen  und  Aussagen  für  einen  wesentlichen 
gehalten,  und  die  reifere  Wissenschaft  wird  ihnen,  wie  ich  glaube, 
dereinst  Recht  geben.  Ein  Gemeinsames  im  Actcharakter  mag 
beidereeits  wol  bestehen,  aber  dafs  der  Unterechied  ein  blofe 
äufserlicher  sei ,  mufs  bestritten  werden. 

Was  hier  täuschend  beirrt,  dürfte  am  meisten  der  Umstand 
sein,  dafs  in  der  That  echte  Prädicationen ,  volle  Aussagen,  in 
gewisser  Weise  subjectivisch  fungiren  können.  Sind  sie 
hiebei  auch  nicht  die  Subjectsacte  selbst,  so  fügen  sie  sich  diesen 
doch  in  gewisser  Weise  ein,  nämlich  als  determinirende  Ur- 
theile  in  Beziehung  auf  die  anderweitig  schon  vorgestellten  Sub- 
jecte.  Z.  B.  der  Minister  —  er  fährt  soeben  vor  —  mrd  die 
Entscheidung  treffen.  Statt  der  Aussage  in  der  Parenthese  kann 
es  auch  ohne  Aenderung  des  Sinnes  heifsen  der  Minister,  welcher 
soeben  vorfahrt  oder  der  —  soeben  vorfahrende  —  Minister. 
Man   sieht  aber,   dafs   eine  solche  AuJfassung  nicht  überall  aa- 


gemessen  ist.  Die  Attribution  mag  des  Oeftern  eine  determinative 
Prädication  darstellen;  aber  selbst  wenn  sie_dies  allzeit  thäte,  was 
zweifellos  niclit  statthat,  so  betrifft  sie  doch  nur  einen  Theil  des 
Subjectnamens.  Nach  Abstrich  all  solcher  determinativen  Beigaben 
bleibt  noch  ein  voller  Narao  übrig,  dem  ein  nur  subjectivisch 
fuujrirendes  Urtheilon  zu  supponiren,  vergebliche  Bemühung  wäre. 
In  unserem  Beispiel  lehnt  sich  die  deterniiuirende  Prädication  an 
den  Namen  der  Minister,  von  dem  sich  eine  zweite  Prädication 
nicht  mehr  abscheiden  läfst.  Was  sollte  hier  das  zu  Grunde 
liegende  Urthell  sein,  wie  lautet  es  in  selbständiger  Fassung? 
Heilst  der  Minister  etwa  soviel,  wie  der  —  es  ist  ein  Minister? 
Dann  wäre  aber  der  ein  voller  Name  und  beanspruchte  ein 
eigenes  ürtheil  für  sich.  Aber  wie  spricht  sich  dieses  aus?  Ist 
es  etwa  das  Urtheil,  welches  selbständig  gefafst  lautete:  der 
existirt?  Aber  darin  stedst  ja  wieder  dasselbe  Subject  der,  und 
80  kämen  wii-  auf  einen  unendlichen  Regrefs. 

Es  ist  unzweifelhaft,  dafs,  genetisch  betrachtet,  ein  grolser 
Theil  der  Namen,  darunter  sogar  alle  attributiven  Namen,  un- 
mittelbar oder  mittelbar  aus  Urthoilen  entsprungen  sind.  Aber 
mit  dieser  Rede  vom  Eutspringen  ist  schun  gesagt,  dafs  die  Einen 
und  Anderen  verschieden  sind.  Der  Unterschied  ist  so  scharf  aus- 
geprägt, dafs  wir  iljn  nicht  um  theoretischer  Vorurtheile  oder  auch 
um  der  gröfseren  Einfachheit  willen,  die  in  der  Lehre  vom  Vor- 
stellen und  Urtlieilen  zu  erboffen  wäre,  bei  Seite  schieben  dürfen. 
Das  vorgängigo  Urtheilen  ist  noeh  nicht  die  nominale  Bedeutung, 
die  aus  ihm  erst  erwächst  Was  im  Namen  als  Niederschlag 
des  CTrtheils  gegeben  ist,  ist  statt  des  Urtheils  eine  von 
ihm  scharf  unterschiedene  Modificalion.  Haben  wir  als 
Ergebnis  einer  wissenschaftlichen  Deberlegung  erkannt,  dafs  durch 
je  zwei  Zahlen  n,  b  eine  Potenz  a''  eindeutig  bestimmt  ist,  so 
dürfen  wir  in  jedem  weiteren  mathematischen  Urthoilen  und  üeber- 
legen  sagen  die  Potenz  a'.  Haben  wir  erkannt,  dafs  n  eine 
transscendente  Zahl  ist,  so  sagen  wir  ebenso  die  transscendente 
Zahl  n.  Das  ürtheil  reproduciren  wii-  dabei  nicht  mehr,  zum 
Mindesten    ist    das  kein   Erfordernis,    und   es   leistet,    wo   es 


sich  nebenher  einstellt,  keinen  Beitrag  zum  Acte  des 
nominalen  Bedoutens.     Und  so  in  jedem  Falle. 

Allerdings  haben  wir  oben  davon  gosprochen,  dafs  Urtheile 
iu  determinirender  Function  auftreten  können;  das  darf  aber 
nicht  ganz  streng  und  eigentlich  genommen  werden.  Denn  ge- 
nauer zugesehen,  besteht  diese  Function  nur  darin,  sozusagen 
vor  unseren  Augen  die  den  Namen  bereichernde  Determination 
erstehen  zu  lassen.  Das  Urtheil  selbst  ist  keine  adjectivi- 
sehe  Function  und  kann  eine  solche  auch  nie  über- 
nehmen; es  stellt  nur  den  Boden  her,  aus  dem  die  adjectivische 
Bedeutung  erwächst.  Ist  diese  Leistung  vollzogen,  so  kann  das 
Urtheil  wieder  fortfallen,  und  das  Adjectiv  mit  seiner  Bedeutungs- 
function  wirkt  fort.  In  jenen  Ausnahmefällen  hoben  wir  es  also 
mit  Compie-xionen  zu  thun;  die  attributive  Function  ist 
mit  der  prüdicativen  verwoben;  diese  läfst  jene  aus  sich 
hervorgehen,  will  aber  nebenbei  zugleich  für  sich  zur 
Geltung  kommen  —  daher  der  normale  Ausdruck  in  Paren- 
these. Die  gewöhnlichen  Fälle  atti-ibutiver  Function  sind  von 
dieser  Verwicklung  frei.  Wer  von  dem  deutschen  Kaiser  oder 
von  der  Irunssceudenten  Zahl  ■/[  spricht,  meint  nicht  der  Kaüer 
—  es  ist  der  Kaiser  Deutschlands,  oder  n  —  es  ist  eine  trans- 
scendenle  Zahl. 

Es  ist  also  klar,  dafe  es  sich  hier  um  zwei  wesentlich  ver- 
schiedene Arten  von  Erlebnissen  handelt,  und  so  dürfen  wir  ganz 
allgemein  behaupten,  dafs  zwischen  Namen  und  Aussagen 
Unterschiede  bestehen,  die  das  bedeutungsmäfsige  Wesen 
angehen,  oder  die  auf  „Vorstellungen"  und  „ürtheilen"  als 
wesensverschiedenen  Acten  beruhen.  Sowie  es  im  inten- 
tionalen  Wesen  nicht  auf  dasselbe  hinauskommt,  ob  man  ein 
Seiendes  wahrnehmend  erfal'st,  oder  urtheilt,  dafs  es  ist;  so  kommt 
es  auch  nicht  auf  dasselbe  hinaus,  ob  man  ein  Seiendes  als 
solches  nennt,  oder  von  ihm,  dafs  es  ist,  aussagt  (prädicirt). 
Beachten  wir  nun,  dafs  evidenterraafsen  jedem  setzenden 
Namen  ein  mögliches  Urtheil  entspricht,  jeder  Attribution 
eine    mögliche  Frädication,   und   umgekehrt:    so   bleibt,   nachdem 


I 


r 


wir  die  Identität  der  Acte  hinsichtlich  ihres  Wesens  geleugnet 
haben,  üur  die  Annahme  übrig,  dafs  hier  gesetzliche,  und  offenbar 
idealgesetzlicbe  Zusammeohänge  bestehen.  Als  idealgesetz- 
liche meinen  sie  nicht  das  causale  Hervorgehen  oder  das  empirische 
Zusammenbestehen  der  einander  zugeordneten  Acte;  sondern  sie 
meinen,  dafs  mau  mit  Rücksicht  auf  das  specifische  Bedeutungs- 
weseu  der  betreffenden  Acte  die  Einen  nicht  vollziehen  „könne", 
ohne  die  ihnen  zugeordneten  ais  berechtigte  anzuerkennen;  dafe 
man  —  vernünftiger  Weise  —  z.  B.  nicht  anheben  könne  mit 
dies  iS,  ohne  damit  „potonziell"  zuzugestehen,  dafs  es  S  gebe. 
Mit  anderen  Worten:  dafs  ein  Satz  mit  irgendwelchen 
setzenden  Namen  gilt  und  die  diesen  Namen  ent- 
sprechenden Seinsurtheile  nicht  gelten,  ist  eine  aprio- 
rische Unverträglichkbit  Es  ist  eines  aus  jener  Gruppe  von 
Idealgesetzen,  die  in  der  „blofsen  Form"  des  Denkens  gründen, 
bezw.  in  den  Kategorien,  als  den  specifischen  Ideen,  welche  zu 
den  möglichen  Formen  actuellen  Denkens  gehören. 

§  36.     Fortsetzung.     Ob  Aussagen  als  ganze  Namen 
fungiren  können. 

Noch  eine  wichtige  Klasse  von  Beispielen  wollen  wir  erwägen, 
um  auch  an  ihr  unsere  Auffassung  vom  Verhältnis  zwischen  nomi- 
nalen Acten  und  Urtheilen  zu  bewähren.  Es  handelt  sich  um 
die  Fälle,  wo  Aussagesätze  nicht  nur  in  determinativer  Absicht 
Verwendung  finden  und  dabei  —  als  actnelle  Aussagen  —  Theile 
von  Namen  zu  bilden  scheinen,  sondern  wo  sie  geradezu  als 
Namen,  als  volle  und  ganze  Namen  zu  fungiren  scheinen. 
Z.  B.  dafs  endlich  Regen  eingetreten  ist,  inrd  die  Landwirthe 
freuen.  Der  Subjectsatz  ist,  das  Zugeständnis  scheint  hier  un- 
umgänglich, eine  volle  Aussage.  Es  ist  ja  gemeint,  dals  wirklich 
Regen  eingetreten  ist.  Der  modificirte  Ausdruck,  den  das  Urtheil 
durch  die  Form  eines  Nebensatzes  erfahren  hat,  kann  hier  also 
nur  dazu  dienen,  den  Umstand  anzudeuten,  dafs  die  Aussage 
hier  in  Subjectfunction  stehe,  dafs  sie  den  Grundact  für  eine 
darauf  zu  bauende  Frädioatsetzimg  abgeben  solle. 


Das  alles  klingt  sehr  anmutheiid.  Fände  die  bestrittene  Auf- 
fassung an  dieser  Klasse  von  Fällen  aber  eiuo  wirkliebe  Stütze, 
und  wäre  sie  bei  ihnen  wirklich  zulässig,  dann  würde  sich  sofort 
■  auch  der  Zweifel  regen,  ob  sie  nicht,  unseren  Einwänden  zu  Trotze, 
auch  im  weiteren  Kreise  zu  halten  sei. 

üeberlegen  Avir  uns  das  Beispiel  näher.  Auf  die  Frage,  wo- 
rüber sich  die  Landwirthe  freuen  würden,  antwortet  man:  darüber, 
dafs  .  .  .  oder,  über  die  Thatsache,  dafs  endlich  Regen  gefallen 
ist.  Also  die  Thatsache,  der  in  der  Seiusweise  gesetzte  Sachver- 
halt ist  der  Gegenstand  der  Freude,  ist  das  Subject,  von  deui  aus- 
gesagt wird.  Diese  Thatsache  können  wir  verschieden  benennen. 
Wii-  können,  so  gut  wie  bei  allen  anderen  Gegenständen,  einfach 
sagen  dies,  wir  können  aber  auch  sagen,  diese  Thatsache,  oder 
näher  bestimmend,  die  Thatsache  des  eingetretenen  Regens,  das 
Eintreten  des  Regens  u.  s.  w.;  darunter  nun  auch,  sowie  im  Bei- 
spiel, „diifs  Regen  eingetreten  ist"'.  Es  ist  in  dieser  Nebenein- 
anderetellung  klar,  dafs  dieser  Satz  ein  Name  ist,  genau  in  dem 
Sinne  all  der  anderen  nominalen  Ausdrücke  für  Tliatsaclien,  und 
sich  von  anderen  Namen  überhaupt  in  den  sinugebenden  Acten 
nicht  wesentlich  unterscheidet.  Genau  wie  sie  nennt  er,  und 
nennend  stellt  er  vor,  und  wie  andere  Namen  anderes,  Dinge, 
Eigenschaften  u.  dgl.  nennen,  so  nennt  er  eben  (bezw.  stellt  er 
vor)  einen  Sachverhalt,  speciell  eine  empirische  Thatsache. 

"Was  ist  nun  der  ünlorschied  zwisclien  diesem  Nennen  und 
dem  Aussagen  des  Sachverhalts  in  der  selbständigen  Aus- 
sage, also  in  unserem  Beispiel  der  Aussage:  endlich  ist  Regen 
eingetreten. 

Es  kommt  vor,  dafs  wir  zunächst  schlechthin  aussagen  und 
uns  dann  auf  den  Sachverhalt  nennend  beziehen:  endlich  ist  u.s.iv. 
—  das  nnrd  die  Landwirthe  freuen.  Hier  können  wir  den 
Contrast  studiren;  er  ist  ja  unverkennbar.  Der  Sachverhalt  ist 
auf  der  einen  und  anderen  Seite  derselbe,  aber  er  wird  uns  in 
ganz  anderer  Weise  gegenständlich.  In  der  schlichten  Aussage 
urtheilen  wir  über  den  Regen  und  sein  Eingotretensein ;  dieses  ist 
uns  im  prägnanten  Sinne  des  Wortes  gegenständlich,  es  ist  vor- 


p 


gestellt.  \\'ii'  \oll/.ieben  aber  nicht  ein  blolses  Nacheinander  von 
Vorstellungen,  sondern  ein  Urtheil,  eine  eigentliümliche  „Einheil 
des  Bewufstseins",  das  die  Vorstellungen  „verknüpft",  und  in 
dieser  Verknüpfung  constituirt  sich  für  uns  das  Bewufstsein  vom 
Sachverhalte.  Das  Urtheil  vollziehen,  und  in  dieser  Weise 
eines  Sachverhalts  „bewulst''  sein,  ist  einerlei.  Aber  dieses 
Bevrufstsein  ist  offenbar  ein  ganz  anderes  als  das  Oegen- 
ständlichhaben,  das  sich  ein  Etwas  Gegentibersetzen  in 
einem  möglichen  Subjectsacte.  in  einer  Vorstellung.  Man 
achte  vergleichend  auf  die  Art,  wie  der  Regen  „bewulst"  wird, 
und  vor  Allem,  man  vergleiche  das  Urtbeilsbewufstsein,  das  Aus- 
gesagtsein des  Sachverbalts,  mit  dem  in  unserem  Beispiel  un- 
mittelbar angrenzenden  VorstoUinigsbewulstsein,  dem  Genannt- 
sein desselben  Sachverhaltes:  Jas  wird  die  LundwirOw  freuen. 
Das  weist  auf  den  ausgesagten  Sachverhalt  wie  mit  dem  Finger 
hin.  Es  meint  also  diesen  selben  Sachverhalt.  Aber  dieses  Meinen 
ist  nicht  das  Urthoilen  selbst,  welches  ja  vorangegangen,  als 
das  so  und  su  constituirte  psychische  Ereignis  abgetlossen  ist; 
sondern  es  ist  ein  neuer  und  neuartiger  Act,  welcher  als  hin- 
weisender sich  den  Sachverhalt  subjectivisch  gegenüberstellt, 
ihn  also  in  ganz  anderem  Sinne  zum  Gegenstände  bat  als  das 
Urtheil.  Zwar  in  gewisser  Weise  kommt  dieser  Sachverhalt  auch 
im  Urtheil  zum  Bewufstsein;  über  nicht  so,  dafs  er  in  ihm,  präg- 
nant zu  reden,  ein  Gegenstand  wäre.  Die  „Weise  des  Bewufst- 
seins", die  Art,  wie  das  Object  intentional  wird,  ist  eine  ver- 
schiedene —  das  ist  aber  nur  ein  anderer  Ausdruck  dafür,  dafs 
wir  es  mit  wesentlich  unterschiedenen  Acten,  mit  Acten  von 
verschiedenem  inteutiunalen  Wesen  zu  thun  haben. 

Sehen  wir  nun  vom  eigentlichen  Hinweisen  ab,  so  steckt 
das  Wesentliche  dieses  das  auch  im  Gedanken  des  blofsen  Satzes 
an  der  Subjectstelle  (und  an  jeder  anderen  Stelle  in  irgend- 
einem Zusammenhang,  welche  oben  nominale  Vorstellungen  fordert), 
wie  es  anderei"seits  im  Gedanken  der  selbständigen  und  eigent- 
lichen Aussage  nothwendig  fehlt.  Sobald  das  dem  bestimmten 
Artikel  zu  Grunde  liegende  Bedeutungsmoment  lebendig 


it,  hat 


!tell( 


5t2 


)11- 


zogen.    Der  bestimmte  Artikel  deutet  ja  die  „Bestimmtheit"  der 

gegenständlichen  Beziehung  an,  sowie  der  unbestimmte  die  „Un- 

I   bestimmtheit".      Ob   Sprache   oder    Dialect   den   Artikel    wirklieli 

gebraueben  oder  nicht,  ob  man  der  Mensch  sagt  oder  homo,  ob 

(Karl  oder  der  Karl,  ist  dabei  gleichgiltig. 
Dieses  Bedeutungsmoment  ist  nun  auch  im  subjectivisch 
fungirenden  Satze  dafs  SP  ist  vorhanden.  Somit  ist  es  klar,  diifs 
alles,  was  wir  soeben  von  dem  blofson  das  ausgeführt  haben,  auch 
von  dem  subjectivischen  Satze  gilt,  der  schon  durch  seine 
gnimmatischo  Form  auf  ein  Anderes,  und  hier  auf  einen  Namen 
zurückdoutet,  dem  er  anhängen  soll.  Ist  dieser  nominale  Träger 
im  Ausdruck  fortgefallen,  so  ist  sein  Bedeutungsgehalt  für  den  voll- 
ständigen Namen  doch  unentbehrlich,  und  so  bedeutet  dafs  SP  ist 
in  Wahrheit  so  viel  wie  dies,  dafs  SP  ist  oder,  nur  wenig  um- 
schreibend, wie  die  Thatsache,  der  Umstand  u.  dgL,  dafs 
SPüt. 

Nach  all  dem  ist  die  Sachlage  keineswegs  von  einer  Art,  die 
uns  nahülogen  würde,  hier  von  einem  Urtheil,  von  einer  actuellon 
Prädication,  die  ein  Subject  oder  überhaupt  ein  nominaler 
Act  sein  könnte,  zu  sprechen.  Vieiraehr  sehen  wir  mit  voller 
Klarheit,  dafs  zwischen  Sätzen,  die  als  Namen  von  Sach- 
verhalten fungiren,  und  zwischen  den  entsprechenden  Aus- 
sagen von  gleichem  Sachverhalte  hinsichtlich  des  intcntionalen 
Wesens  ein  Unterschied  besteht,  der  nur  durch  idealgesetzliche 
Beziehungen  vermittelt  ist  Niemals  kann  eine  Aussage  als 
Name,  oder  kann  ein  Name  als  Aussage  fungiren,  ohne 
seine  wesentliche  Natur  zu  ändern,  d.  h.  ohne  Aende- 
rung  seines  bedeutungmäfsigen  Wesens  und  mit  ihm  der  Bedeu- 
tung selbst. 

Natürlich  will  damit  nicht  gesagt  sein,  dafs  die  correspon- 
direnden  Acte  einander  descriptiv  total  fremd  seien.  Die  Materie 
der  Aussage  ist  mit  derjenigen  des  nominalen  Actes  partiell 
identisch,  beiderseits  ist  derselbe  Sachverhalt  mittelst  derselben 
Termini,  obschon  in  verschiedener  Form,  intendirt.     Demnach  ist 


444         V.    lieber  intentianeUe  Eirlebnisae  und  ihre  „Inhalte". 


die  grolse  Verwandtschaft  der  Ausdrucksform  nicht  zufällig,  sou- 
dera  in  den  Bedeutungen  begründet.  Erhält  sich  gelegentlich, 
trotz  der  veränderten  Bedeutungsfunction,  der  Ausdruck  unver- 
ändert, so  haben  wir  es  eben  mit  einem  besonderen  Fall  der 
Aequivocation  zu  thim.  Er  gehört  zu  der  weitumfassenden  Klasse 
von  Fällen,  wo  Ausdrücke  in  anomaler  Bedeutung  fungiren. 
Offenbar  ist  diese  Anomalie,  als  im  reinen  Wesen  des  Bedeu- 
tungsgebiets wurzelnd,  von  der  Art  der  rein  grammatischen 
Anomalien.  1 

So  läfst  sich  unsere  Auffassung  überall  consequent  durch- 
führen, wir  unterscheiden  überall  Vorstellungen  von  ürtheilen, 
und  innerhalb  der  Vorstellungen  setzende,  Seinswerth  zutheiiendo 
Vorstellungen  von  solchen,  die  es  nicht  thun.  Wir  werden  dann 
aucli  nicht  schwanken ,  den  causalen  Vordersätzen ,  Sätzen  der  Art 
weil  SP  ist  den  Urtheüscliarakter  abzustreiten  und  sie  mit  den 
hypothetischen  Vordersätzen  in  dasselbe  Verhältnis  zu  bringen,  wie 
wir  es  sonst  zwischen  setzenden  und  nichtsetzenden  Namen  erkannt 
haben.  Das  iveil  mag  auf  ein  Urtheil  /.urück weisen,  das  aussagte, 
es  sei  SP;  aber  im  Causalsatze  selbst  wird  dieses  Urtheil  nicht 
mehr  vollzogen,  es  wird  nicht  mehr  ausgesagt  S  ist  P,  sondern 
es  wird  ausgesagt,  dafs  das  Sein  dieses  Sachverhaltes  das  dos  er- 
folgenden bedinge.  Nur  in  der  Weise  der  Complexion  kann 
hier  Vordersatz  und  Nachsatz  überdies  als  Urtheil  fungiren,  wie 
es  z.  B.  im  Falle  der  Aufnahme  duixh  Mittheilung  öfters  vor- 
kommen mag. 

Wol  zu  beachten  ist  die  hier  mafsgebende  Terminologie,  wonach 
unter  Urtheil  die  Betleutung  einer  selbständig  abgeschlossenen  Aussage 
verstanden  ist.  Dafs  diese  Bedeutung  nicht  ohne  innere  Modiiication 
zur  Bedeutung  eines  hypothetischen  oder  causalen  Voixlersatzes,  wie 
zu  einer  nominalen  Bedeutimg  überhaupt  wenlen  kann,  ist  die  These, 
die  wir  eben  festgestellt  haben. 


Vgl.  Uutera.  IV,  §  11,  bos.  S.311  und  doa  Zusatz  zu  §  13,  S.316£. 


Weitere  Beiträge  zur  Lehre  vom   Uriheil  u.  s.  w.  445 


Fünftes  Kapitel. 

Weitere  Beiträge  ziir  Lehre  vom  Urtheil.    „Vorstellung"  als 

qualitativ  eiBbeitliche  Gattung  der  nominalen  und 

propositionalen  Acte. 

§  37.     Das  Ziel  der  folgenden  Untersuchung.     Der  Begriff  des 
objedivirenden  Actes. 

Die  soeben  durchgeführten  Untersuchungen  haben  die  zu 
Eingang  des  §  34 '  aufgeworfene  Frage  noch  nicht  erledigt.  Unser 
Ergebnis  lautet,  dafs  „Vorstellung"  und  ,,Urtheil"  wesensverschie- 
dene Acte  sind.  Darin  ist  —  die  Vieldeutigkeit  der  Worte  ver- 
langt immer  wieder  den  Recurs  auf  die  gerade  mafsgebenden  Be- 
griffe —  von  „Vorstellung"  die  Rede  im  Sinne  des  nominalen 
Actes,  und  von  „Urtheil"  im  Sinne  der  Aussage,  und  zwar  der 
nomialen,  in  sich  geschlossenen  Aussage.  Nennen  und  Aussagen 
sind  also  nicht  „blofs  grammatisch",  sondern  „wesensverschieden", 
und  dies  wiederum  heifst,  dafs  die  beiderseitigen,  sei  es  bedeu- 
tungverleihenden, sei  es  bedeutungerfüllenden  Acte  nach  ihrem 
intentionalen  Wesen  verschieden  und  in  diesem  Sinn  als  Act- 
arten  verschieden  sind.  Haben  wir  damit  erwiesen,  dafs  Vor- 
stellung und  Urtheil,  dafs  die  Acte,  die  dem  Nennen  und  Aus- 
sagen Bedeutung  und  erfüllenden  Sinn  verleihen,  zu  „verschiedenen 
Grundklassen "  intentionaler  Erlebnisse  gehören? 

Selbstverständlich  nuifs  die  Antwort  verneinend  ausfallen.  Von 
dergleichen  war  ja  keine  Rede.  Wir  müssen  bedenken,  dafs  das 
intentionale  Wesen  sich  aus  d«n  beiden  Seiten  Materie  und  Qua- 
lität aufbaut,  und  dafs  die  Unterscheidung  von  „Grundklassen" 
der  Acte  sich,  wie  ohne  Weiteres  klar  ist,  nur  auf  die  Actquali- 
täton  bezieht.  Wir  müssen  weiter  bedenken,  dafs  aus  unseren 
Darlegungen  nicht  einmal  soviel  hervorgeht,  dafs  nominale  und 
propositionale  Acte  überhaupt  von  verschiedener  Qualität, 
geschweige  denn  von  verschiedener  Qualitätsgattung  sein  müfsten. 


'  S.  433. 


An  dem  zuletzt  betonten  Punkt  darf  man  nicht  Anstoß 
nehmen.  Die  Actmatcrie  in  unserem  Sinne  ist  ja  nichts  dem 
Acte  Fremdes  oder  äulserlich  Angeheftetes,  sondern  ein  inner- 
liclies  Moment,  eine  unabtrennbare  Seite  der  Actintention,  des 
intcntionalen  Wesens  selbst.  Die  Rede  von  „verschiedenen  Be- 
wurstseinsweisen",  in  welchen  uns  derselbe  Sachverhalt  bewuCst 
werden  könne,  darf  uns  nicht  täuschen.  Sie  weist  auf  verschieden- 
artige Acte,  aber  darum  noch  nicht  auf  verschiedenartige  Act- 
qualitäten  hin.  Bei  identischer  Qualität  kann,  wir  haben  von 
vornherein  darauf  liingewiesen,'  dieselbe  Gegenständlichkeit  noch 
in  vorsohiedeoer  Weise  bewufst  sein.  Man  denke  z.  B.  an  äquiva- 
lente setzende  Voretelhingen.  Sie  richten  sich  eben  mittelst  ver- 
schiedener Materien  auf  denselben  Gegenstand.  Ond  so  mag  auch 
jene  wesentliche  Bedeutungsmodification  beim  Uebergang  einer 
Aussage  in  die  nominale  Function,  auf  deren  Nachweis  wir  oben 
Gewicht  legten,  keinen  anderen  Inhalt  haben  als  den  einer  Aende- 
rung  der  Materie,  bei  Identität  der  Qualität  oder  mindestens 
(je  nach  Art  der  nominalen  Modification)  der  Qualitätsgattuug. 

Dafs  hiermit  die  wirkliche  Sachlage  beschrieben  ist,  zeigt 
schon  die  aufmerksame  Betrachtung  der  Materien  selbst  Die  in 
den  oben  discutirten  Beispielen  als  nothwendig  erkannte  Ergänzung 
durch  den  nominal  bedeutsamen  Artikel  oder  durch  nominale  Aus- 
drücke, derart  wie  der  Umstand ,  dafs  .  .,  die  T/iutsache,  dafs  .  ., 
im  Falle  einer  Uebertragung  der  propositionalen  Bedeutung  in  die 
Subjectfunction,  weist  uns  Stellen  nach,  wo  zu  der  identisch  über- 
tragenen Materie  materielle  Momente  hinzutreten,  die  in  der  ur- 
sprünglichen Aussage  fehlen,  bezw.  in  ihr  durch  andere  Momente 
vertreten  sind.  Die  beidereeits  übereinstimmenden  Bestandstücke 
erfahren,  wie  wir  überall  sehen  können,  eine  verschiedene  kate- 
goriale  Formung.  Man  vergleiche  z.  B.  auch  die  Form  ein  S  ist  P 
mit  ihrer  nomimalen  Modification  ein  S,  welches  P  ist. 

Andererseits  werden  es  die  folgenden  Betrachtungen  klar 
machen,  dafs  in  Ansehung  der  Qualitäten  zwischen  nominalen 


Vgl.  ohea  Eip.  2,  §  23,  S.  391. 


und  propositionaJon  Acten  Gathingsgemeinsphaft  bestellt,  und  dnmit 
zugleich  werden  wir  zur  Abgrenzung  eines  abermals  neuen, 
gegenüber  dem  zuletzt  betrachteten  weiteren  und  unvergleich- 
lich bedeutsameren  Vorstellungsbegriffes  gelangen,  durch 
welchen  auch  der  Satz  von  der  Gründung  jedes  Actos  in  Vor- 
stellungen eine  neue  und  besonders  wichtige  Interpretation  er- 
fahren wird.  Der  erweiterte  Begriff  wird  binsicbtlich  seiner  inne- 
ren Einheitlichkeit  auch  von  Zweifeln  frei  bleiben,  die  uns  bei  dem 
nominalen  Vorstelkmgsbegriff  beunruhigen,  nämlich  ob  dieser  letz- 
tere von  uns  ganz  natnrgeniäfs  begrenzt  worden  sei,  und  ob  er, 
um  echte  Einheitlichkeit  zu  bewahren,  nicht  auf  die  Sphäre  der 
fnndirenden  Acte  von  complexen  und  kategorial  fundirten  Acten 
beschränkt  werden  müsse:  worüber  wir  in  der  VI.  Untersuchung 
Beti-achtungen  anstellen  worden.' 

Um  die  beiden  jetzigen  Begriffe  von  Vorstellung  unterschie- 
den zu  erhalten,  wollen  wir  {ohne  übrigens  endgiltige  termino- 
logische Vorschläge  zu  machen)  In  Beziehung  auf  den  engeren 
Begriff  von  noinhialen  Aden,  in  Beziehung  auf  den  weiteren  von 
objectivirenden  Acten  sprechen,  üafs  unter  dem  erstoren  Titel 
nicht  blofs  Acte  gemeint  sind,  die  nominalen  Ausdrücken  als  Be- 
deutungen anhängen  oder  zu  diesen  als  Erfüllungen  hinzutreten, 
sondern  auch  eben  solche  Acte,  wo  sie  aufserhalb  einer  gramma- 
tischen Function  stehen,  braucht  nach  der  ganzen  Einführung  des 
bisherigen  Vorstellungsbegriffes  kaum  hervorgehoben  zu  werden. 


§  38.     Qualitative  uttd  materiale  Differenxiirung  der 

objeciimrenikn  Acte. 

Wir  unterschieden  innerhalb  der  nominalen  Acte  die  setzen- 
den" und  nichtsetzonden.  Die  Ersteren  sind  gewissermafsen  Seins- 
meinungen; sie  sind  sei  es  sinnliche  Wahmohmungen,  sei  es 
Wahrnehmungen  in  dem  weiteren  Sinn  vermeintlicher  Seins- 
erfassungen überhaupt,  sei  es  sonstige  Acte,  die,  auch  ohne  dafs 
sie  den  Gegenstand  selbst  zu  erfassen   vermeinen,  ihn  doch  als 


'  a.  a.  0.  im  2.  AUsulinitt ,  Kap.  6,  §  50. 


seienden  meinen.'  Die  anderen  Acte  lassen  das  Sein  ihres  Gegen- 
standes dahingestellt;  der  Gegenstand  mag  objectiv  betrachtet 
existiren,  aber  in  ihnen  selbst  erscheint  er  nicht  in  der  Seins- 
weise, oder  gilt  er  nicbt  als  wirklicher,  er  wird  vielmehr  „blofs 
vorgestellt".  Dabei  gilt  das  Gesetz,  dafs  jedem  setzenden  Nomi- 
naiacte  ein  setznngsloser,  eine  solche  „blofse  "Vorstellung"  dersel- 
ben Materie  entspricht,  und  umgekehrt;  wobei  dieses  Entsprechen 
natürlich  im  Sinne  idealer  Möglichkeit  zu  verstehen  ist 

Eine  gewisse  Modification,  so  können  wir  die  Sache  auch 
ausdrücken,  führt  jeden  setzenden  Nominalact  in  eine  blofse  Vor- 
stellung von  derselben  Materie  über.  Genau  dieselbe  Modification 
finden  wir  bei  den  Urtheilen  wieder.  Zu  jedem  Urtheil  gehört 
seine  Modification,  ein  Act,  welcher  genau  das,  was  das  Urtheil 
für  wahr  hält,  blofs  voi-stellt,  d.  i.  ohne  Entscheidimg  über  Wahr 
und  Falsch  gegenständlich  hat  Phänomenologisch  betrachtet  ist 
die  Modification  der  Urtheile  eine  völlig  gleichartige  mit  derjenigen 
der  setzenden  nominalen  Acte.  Die  Urtheile  als  setzende  pro- 
positionale  Acte  haben  also  ihre  Correlate  in  blofsen  Vor- 
stellungen als  nichtsetzendcn  propositionalen  Acten.  Beider- 
seits sind  die  correspondirendeu  Acte  von  derselben  Materie,  aber 
von  verschiedener  Qualität.  Sowie  wir  nun  bei  den  nominalen 
Acten  die  setzenden  und  nichtsetzenden  zu  einer  Qiialitätsgattung 
rechnen,  so  auch  bei  den  propositionalen  Acten  die  Urtheile  und 
ihre  setzungslosen  Gegenstücke.  Die  qualitativen  Unterschiede 
sind  beiderseits  dieselben  und  sind  nicht  in  Anspruch  zu  nehmen 
als  Unterschiede  oberer  Qualitütsgattungen.  Wir  treten  beim  Ueber- 
gang  vom  setzenden  zum  modificirten  Act  nicht  in  eine  heterogene 
Klasse  ein,  sowie  etwa  beim  üebergang  von  irgendeinem  nomi- 
nalen Acte  zu  einem  Begehren  oder  Wollen.  Was  aber  den  üeber- 
gang von  einem  setzenden  Nominalacte  zu  einem  Acte  behaupten- 
der Aussage  anbelangt,  so  finden  wir  keinen  Anlafs,  überhaupt  1 
einen  qualitativen  Unterschied  anzunehmen.  Und  ebenso  natür- 
lieh   im  Vergleiche   der  entsprechenden   „bloEsen  Vorstellungen". 


t 


•  Vgl.  die  Beispiele  im  §  34,  S.  434. 


Die  Materie  aüein  (wolgemerkt  die  Materie  in  dorn  für  die  vor- 
liegende Untersuchung  mafsgebenden  Sinne)  macht  den  einen  und 
anderen  Unterschied  aus;  sie  allein  bestimmt  also  die  Einheit  der 
nominalen  und  wieder  <iie  Einheit  der  propositionalen  Acte. 

Danach  grenzt  sich  eine  umfassendere  Gattung  intentionaler 
Erlebnisse  ab,  welche  all  die  betrachteten  Acte  nach  ihrem  qiiali- 
tativon  Wesen  Kusamnienbefafst  und  den  weitesten  Begriff  be- 
stimmt, den  der  Terminus  Vorstellung  innerhalb  der  Oesammt- 
klasse  der  intentionalen  Erlebnisse  bedeuten  kann.  Wir  selbst 
wollten  diese  qualitativ  einheitliche  und  in  ihrer  natürlichen  Weite 
genommene  Gattung  als  die  der  ohjoctivirenden  Acte  be- 
zeichnen.    Sie  ergiebt,  um  es  klar  gegenüberzustellen, 

1}  durch  qualitative  Differenziirung  die  Eintheilung  in  die 
setzenden  Acte  —  die  Acte  des  helief,  des  Urtheüs  im  Sinne 
Miij^'s  und  Brektaxo's  —  nnd  in  die  setzungslosen  Acte,  die  ent- 
sprechenden „blofsen  Vorstellungen". 

2}  Durch  Differenziirung  der  Materie  ergiebt  sich  der  Unter- 
schied der  nominalen  und  propositionalen  Acte  —  doch  bleibt 
hier  zu  erwägen,  ob  dieser  Unterschied  nicht  ein  einzelner  ist 
unter  einer  Reihe  gleichberechtigter  materieller  Unterschiede. 
Jedenfalls  kann  der  Satz  ausgesprochen  werden,  dafs  jede  mögliche 
Materie  entweder  eine  volle  propositionale  Materie  ist,  oder  ein 
möglicher  Theil  einer  aolchen.  Im  Zusammenhang  der  jetzigen 
Untersuchung  interessirt  uns  aber  gerade  der  Unterschied  nomi- 
naler und  propositionaler  Materien,  bezw.  Acte,  der  sich  mit  dem 
erstgenannten  qualitativen  Unterschiede  kreuzt. 

Bezüglich  dieser  Kreuzung  ist  ergänzend  zu  bemerken,  dafs 
wir  es  im  vorigen  Paragraplien  allerdings  nur  mit  Modificationen 
des  Urtheils,  also  des  setzenden  propositionalen  Actes,  in  einen 
nominalen  zu  thun  hatten.  Es  ist  aber  unverkennbar,  dafs  sich 
auch  Jodes  zur  blofsen  Vorstellung  modificirte  ürtheil  in  einen 
entsprechenden  nominalen  Act  verwandeln  läfst,  z.  B.  2  x  2  ist 
gleich  5  (im  Aussprechen  glauben  wir  dies  ja  nicht)  in  den  Namen 
dafs  2x2  gleich  5  ist.  Da  wir  auch  bei  solchen  Umwand- 
lungen  von  Sätzen  in  Namen,    dei   welche  Qualitäten   unberührt 


Huütorl,  lAUf.  Utiten.  n, 


29 


lassen,  und  so  überhaupt  bei  Umwandlungen  propositionaler  in 
nominale  Materien,  von  Moditication  sprechen,  ist  es  gut,  jene 
ganz  andersartige  Modifieation,  welche  die  setzenden  Namen  oder 
Aussagen  in  setzungslose  umwandelt,  ausdrücklich  als  qualita- 
tive zu  bezeichnen.  Da  hiebei  die  allein  formgebende  oder 
Formunterschiede  begründende  Materie  erhalten  bleibt  (der  Name 
bleibt  Name,  die  Aussage  Aussage,  und  nach  allen  inneren  Glie- 
derungen und  Formen),  so  können  wir  auch  von  conformer 
Modification  des  setzenden  Namens,  bezw.  der  Aussage  spre- 
chen. Indessen,  wenn  der  Begriff  der  conformen  Modification 
in  naturgemäfser  Allgemeinheit,  nämlich  so  gefafst  wird,  dafs  er 
sich  auf  jede,  die  Materie  des  Actes  nicht  berührende 
Modification  erstreckt,  dann  ist  er,  wie  wir  noch  erörtern  wer- 
den',  weiter  als  der  hier  in  Frage  stehende  Begriff  der  quali- 
tativen Modification. 


§  39.     Die  Vorstellung  im   Sinne  des  objectivirenden  Actes  und  ihre 
qualitative  Modifikation. 

Für  die  Zusammenfassung  der  nominalen  und  propositionalen 
Acte  in  Eine  Klasse  fiel  für  uns  der  umstand  entscheidend  ins 
Gewicht,  dafs  diese  ganze  Klasse  durch  einen  qualitativen  Gegen- 
satz charakterisirt  war,  dafs  also,  wie  zu  jedem  nominalen  belief, 
so  zu  jedem  propositionalen,  zu  jedem  vollen  ürtheil,  eine  bloEse 
Vorstellung  als  ihr  Gegenstück  gehöre.  Es  erhebt  sich  jetzt  das 
Bedenken,  ob  diese  qualitative  Modification  überhaupt  geeignet  sei, 
eine  Klasse  intentionaler  Erlebnisse  zu  charakterisiren ,  und  ob 
sie  nicht  vielmehr  in  der  Gesammtsphäre  dieser  Erlebnisse  als 
Theilungsmotiv  ihre  Geltung  habe.  Jedem  intentionalen  Erlebnis 
überhaupt  entspricht  ja  eine  blofee  Vorstellung:  dem  Wunsche  die 
blofse  Vorstellung  des  Wunsches,  dem  Hasse  die  blofse  Vorstellung 
des  Hasses,  dem  Wollen  die  blofse  Vorstellung  des  Wollens  u.  s.  w. 
—  ganz  sowie  dem  actuellen  Nennen  und  Aussagen  die  entsprechen- 
den blofsen  Vorstellungen. 


'  Vgl.  §  40  8.  464  ff. 


Indessen,  hier  darf  man  grunil verschiedene  Dinge  nicht  zu- 
sammenmengen. Zu  jedein  mögliclien  Act,  wie  zu  jedem  mög- 
lichen Erlebnis,  ja  wie  ganz  aligemein  zu  jedem  niüglichen  Ob- 
ject,  gehört  eine  auf  ihn  bezügliche  Voi-stellung,  und  diese  kann 
ebensowol  als  setzende,  wie  als  nichtsetzende  (als  „blofse"  Vor- 
stellung) qualificirt  sein.  Doch  im  Grunde  genommen  ist  es 
gar  nicht  Eine,  sondern  eine  ganze  Mannigfaltigkeit  verschieden- 
artiger Voreteilungen,  und  dies  gilt  selbst  dann,  wenn  wir  uns 
dabei  (wie  wir  es  stillschweigend  gethan  haben  werden)  auf  Vor- 
stellungen vom  Typus  der  nominalen  beschränken.  Diese  Vor- 
stellung kann  als  anschauliche  und  gedankliche,  als  directe  oder 
attributiv  vermittelte  ihr  Object  vorstellen,  und  all  das  in  mannig- 
facher Weise.  Es  genügt  aber  für  unsere  Zwecke,  von  Einer  Vor- 
stellung zu  reden,  oder  irgend  Eine  von  ihnen,  etwa  die  imagi- 
native herauszuheben,  da  doch  alle  Arten  Vorstellungen  überall 
in  gleicher  Weise  möglich  sind. 

Also  jedem  Object  entspricht  die  Vorstellung  des  Objects, 
dem  Hause  die  Voretellung  des  Hauses,  der  Vorstellung  die  Vor- 
stellung der  Vorstellung,  dem  Urtheil  die  Vorstellung  des  Urtheils 
u.  s.  w.  Aber  hier  ist  zu  beachten,  dafs  die  Voretellung  des  Ur- 
theils, wie  wir  oben'  schon  ausgeführt  haben,  nicht  die  Vor- 
stellung des  geurtheilten  Sachvorhalts  ist.  Und  ebenso  ist  all- 
gemeiner die  Vorstellung  einer  Setzung  nicht  die  Voretellung  des 
in  der  Weise  der  Setzung  vorgestellten  Gegenstandes.  Die  beider- 
seitig vorgestellten  Gegenstände  sind  andere.  Daher  ist  z.  B.  der 
Wille,  der  einen  Sachverhalt  realisiren  will,  ein  anderer  als  der 
Wille,  der  ein  Urtheil  oder  eine  nominale  Setzung  dieses  Sach- 
verhalts realisiren  will.  Dem  setzenden  Acte  entspricht  sein  quali- 
tatives Gegenstück  in  total  anderer  Weise,  als  ihm  und  irgend- 
einem Act  überhaupt  die  Voi-stelUing  von  diesem  Acte  entspricht 
Die  qualitative  Modification  eines  Actes  ist  gleichsam 
eine  ganz  andere  ..Operation"  als  die  Erzeugung  einer 
auf  ihn    bezüglichen   Vorstellung.     Der   wesentliche  ünter- 


■  §  33  S.  431. 


29* 


schied   dieser  beiden  Operationen  zeigt  sich  auch  darin,   dafs  die 
letztere  nach  Mafsgabe  der  Symbole 

0,  V{0),  V[V{0)],  .... 
wobei  O  irgend  ein  Objeet,  V(0)  die  Torstelliing  von  O  bezeichne, 
in  infiiiitnm  iterirbar  ist,  die  erstere  aber  nicht;  und  wieder  dafs 
die  letztere  auf  alle  Acte  und  alle  Objecte  überhaupt  anwendbar  ist, 
während  die  erstere,  jene  qualitative  Modificatiun,  nur  für  setzende 
Acte  einen  Sinn  hat.  Jedem  Acte  des  belicf  entspricht  als  Gegen- 
stück eine  „blofse"  Vorstellung,  welche  dieselbe  Gegenständlichkeit 
und  in  genau  gleicher  Weise,  d.  i.  anf  Grund  einer  identischen 
Materie  vorstellig  macht,  wie  joner  Act  des  belief^  und  welche  sich 
von  ihm  nur  dadurch  unterscheidet,  dafs  sie  die  vorgestellte  Gegen- 
ständlichkeit, statt  sie  in  der  Weise  der  Seinsmeinung  zu  setzen, 
vielmehr  dahingestellt  sein  liifst.  Diese  Modification  läfst  sich 
natürlich  nicht  iteriren,  ebensowenig  als  sie  bei  Acten  einen 
Sinn  gäbe,  die  nicht  unter  den  Begriff  des  beUef  fallen.  Sie 
schafft  also  in  der  That  zwischen  Acten  dieser  Qualität  und  ihren 
Gegenstücken  einen  einzigartigen  Zusammenhang.  Beispielsweise 
hat  die  setzende  Wahrnehmung  oder  Erinnerung  ihr  Gegenstück 
in  einem  entsprechenden  Acte  l>lorser  Eiubildiuig  von  derselben 
Materie.  Natürlich  hat  der  Letztere  nicht  wieder  ein  Gegenstück, 
es  ist  hier  ganz  unverständlich,  was  dies  meinen  und  leisten  sollte. 
Hat  sich  das  „Glauben"  in  „blofses  Vorstellen"  verwandelt,  so 
können  wir  höchstens  zum  Glauben  zurückkehren;  aber  eine 
sich  in  gleichem  Sinne  wiederholende  und  fortführende  Modifi- 
cation giebt  es  nicht. 

Anders  wenn  wir  die  Operation  der  qualitativen  Modification 
mit  derjenigen  der  vorstellenden  Objectiviriing  vertauschen.  Hier 
ist  die  Möglichkeit  der  Iteration  evident,  .'^m  einfachsten  zeigen 
wir  dies  in  der  Beziehung  der  Acte  auf  das  Ich  und  ihrer  Ver- 
theilung  auf  verschiedene  Zeitpunkte  oder  Pei-sonen.  Einmal 
nehme  ich  etwas  wahr,  das  andere  Mal  stelle  ich  mir  vor,  dafs 
ich  dies  wahrnehme,  ein  drittes  Mal  stelle  ic!i  wieder  vor,  dafs  ich 
mir  vorstelle,  dafs  ich  wahrnehme  u.  s.  w.  Oder  ein  anderes  Bei- 
spiel.   A  wird  gemalt.     Ein  zweites  Gemälde  stellt  abbildend  das 


erste  dar,  ein  drittes  dann  das  zweite  u.  s.  w.  Hier  sind  die  Unter- 
schiede unverkennbiir.  Natürlich  sind  es  nicht  Unterschiede  der 
Emptindungsiulialte,  sondern  Unterschiede  der  auffassenden  Act- 
charaktere  (und  zumal  der  intentionalen  Materien),  ohne  welche  die 
Rede  von  Phautasiebild,  Gemälde  u.s.  w.  ja  auch  sinnlos  wäre.  Und 
diese  Unterschiede  erlebt  man,  ist  ihrer  phänomenologisch 
gewife,  sowie  man  die  entsprechenden  Erlebnisse  vollzieht  und  sich 
dabei  ihrer  intentionalen  Unterschiede  bewufst  wird.  Dies  ist 
z.B.  voll  und  ganz  der  Fall,  wenn  mau  unterscheidend  aussagt; 
von  Ä  habe  ich  jetzt  eine  Wnlu-nehmung,  von  B  eine  Phantasie- 
vorstellung, C  ist  hier,  in  diesem  Gemälde,  dargestellt  u.  s.  w. 
"Wer  sich  diese  Verhältnisse  klar  gemacht  hat,  wird  nicht  in  den 
Fehler  derjenigen  verfallen  können,  welche  die  Vorstellungen 
von  Vorstellungen  als  phänomenologisch  nicht  nachweisbar,  ja 
als  blofse  Fiettouen  erklären.  Wer  so  iirtheilt,  vermengt  die 
beiden  hier  unterschiedenen  Operationen,  er  unterschiebt  der  Vor- 
stellung von  einer  blofsen  Vorstellung  die  allerdings  unmögliche 
([uaütative  Modification  zu  dieser  Vorstellung;  oder  er  unterschiebt 
der  ei-steren  Operation  vielleicht  jene  andere,  ebenfalls  nicht  iterir- 
bare  conforrae  Modification,  von  welcher  wir  im  nächsten  Para- 
graphen sprechen  werden. 

Wir  glauben  nun  hinsichtlich  der  einander  durch  conforme 
ModificatioD  coordinirten  Qualitäten  eine  Gattungsgemeinschaft  an- 
nehmen zu  dürfen,  und  halten  es  auch  für  richtig,  dafs  die  eine 
oder  andere  dieser  Qualitäten  allen  Acten  zukommt,  aus  welchen 
sich  die  Einheit  eines  jeden  qualitativ  unmodificirten  oder  modi- 
ficirten  Urtheils  wesentlich  aufbaut,  gleichgiltig  ob  wir  auf  die 
Acte  der  blofsen  Bedeutnngsinfontion,  oder  auf  die  der  Bedeutungs- 
erfüllung liinblickcn.  Im  Uebrigen  ist  es  selbstverständlich,  dafs 
jene  blofsen  V'orstellungeu  von  ganz  beliebigen  Acten,  die  wir 
oben  von  den  nur  bei  setzenden  Acten  möglichen  qualitativen 
Gegenstücken  untui-srhiwlen,  als  blofse  Vorstellungen  selbst  solche 
Gegenstücke  sind,  nur  sind  sie  es  nicht  zu  ihren  originären  Acten, 
die  vielmehr  ihre  Vor'stellungsobjecto  sind.  Die  blofse  Vorstellung 
eines  Wunsches  ist  nicht  das  Gegenstück  des  Wunsches,  sondern 


irgendeines  auf  denselben  bezogenen  setzenden  Actes,  z.  B.  einer 
Wahrnehmung  des  Wunsches.  Dieses  Paar,  Wahrnehmung  und 
blofse  Vorstellung  des  Wunsches,  ist  von  Einer  Gattung,  beides 
sind  objectivirende  Acte;  während  der  Wunsch  selbst  und  seine 
Wahrnehmung,  bezw.  auch  seine  Einbildung  oder  eine  sonstige 
auf  ihn  bezügliche  Vorstellung,  von  verschiedener  Gattung  sind. 

§  40.     Fortsetxung.     Qualitative  und  imaginative  Modißeation. 

Sehr  nahe  liegt  es,  die  setzenden  Acte  als  fürwahrhaltende, 
ihre  Gegenstücke  als  einbildende  Acte  zu  bezeichnen.  Beide 
Ausdrücke  haben,  neben  dorn,  was  sie  sichtlich  empfiehlt,  auch 
ihre  Bedenken,  welche  zumal  der  terminologischen  Fi.xirimg  des 
letzteren  entgegentreten.  Wir  nehmen  die  Erwägung  dieser  Be- 
denken als  Anlnfs,  um  einige  nicht  unwichtige  Ergänzungen  aus- 
zuführen. 

Von  einem  Fürwahrlialten  spricht  die  ganze  logische  Tra- 
dition nur  bei  ürtheilen,  d.  i.  Aussagebedoutungen.  Jetzt  aber 
wären  alle  Wahrnehmungen,  Erinnerungen,  Erwartungen,  alle 
Acte  symbolisch-nominaler  Setzung  n.  dgl.  als  Fürwahrhaltungen 
bezeichnet.  Was  ferner  das  Wort  Einbildung  anbelangt,  so  meint 
es  in  der  üblichen  Rede  zwar  einen  Dichtsetzenden  Act;  aber  es 
müfste  seinen  originären  Sinn  über  die  Sphäre  der  sinnlichen 
Einbüdung  in  dem  Mafse  erweitern,  dafs  sein  Umfang  alle  mög- 
lichen Gegenstücke  der  Fürwahrhaltungen  in  sich  fafste.  An- 
dererseits bedürfte  das  Wort  auch  der  Einschränkung,  insofern 
der  Gedanke  ausgeschlossen  bleiben  müßäte,  als  ob  Einbildun- 
gen, sei  es  bewufste  Fictionen,  sei  es  gegenstandslose  Tor- 
stellungen, oder  gar  falsche  Meinungen  seien.  Erzähltes  nehmen 
wir  oft  genug  auf,  ohne  uns  in  Wahrheit  oder  Falschheit  irgend- 
wie zu  entscheiden.  Und  selbst  wenn  wir  einen  Roman  lesen, 
verhält  es  sich  normaler  Weise  nicht  anders.  Wir  wissen,  dafs 
es  sich  um  eine  ästhetische  Fiction  handle;  aber  dieses  Wissen 
bleibt  bei  der  rein  ästhetischen  Wirkung  blofs  dispositionell.  Alte 
Ausdrücke  sind  in  diesen  Fällen  sowol  nach  Seiten  der  Be- 
deutungsintentionon,  als  der  sich  einstellenden  Phantasieerfülhingen 


Träger  von  setziingslosea  Acten,  von  „Einbildungen",  Dies  be- 
trifft also  auch  die  ganzen  Aussagen.  Die  Urtlieile  werden  zwar 
in  gewisser  Weise  vollzogen,  aber  sie  haben  nicht  den  Charakter 
wirklicher  ürtbeile;  wir  glauben  nicht,  wir  leugnen  und  bezweifoln 
aber  auch  nicht,  was  da  erzählt  wird;  ohne  jedes  Fürwahrhalten 
lasset!  wir  es  auf  uns  wirken,  wir  vollziehen  statt  der  wirklieben 
Urtheilo  blofs  Einbildungen.  Nicht  als  ob  die  Ürtbeile  nun  zu 
Gegenständen  von  Einbildungen  würden.  Wir  vollziehen  vielmehr 
statt  des  Urtbeils  als  der  „Fürwahrhaltuug"  seines  Sachverhalts, 
eine  „Einbildung"  geuau  desselben  Sachverhalts. 

Der  Name  Einbildung  ist  aber  noch  mit  einer  Unzuträglich- 
keit behaftet,  die  seiner  terminologischen  Einführung  ernstlicher 
im  Wege  steht:  er  weist  auf  eine  bildliehe  Auffassuug  hin,  wäh- 
rend wir  doch  nicht  sagen  können,  alle  nichtsetzeuden  Acte 
seien  iraaginirende,  alle  setzenden  nicht  imaginirende. 
Mindestens  das  Letztere  ist  ohne  Weiteres  klar.  Ein  bildlich  vor- 
gestellter Gegenstand  kaim  uns  ebensowol  in  der  Weise  der  Setzung 
als  seioader  gegenüberstehen,  wie  in  der  modificirten  Weise  als 
eingebildeter.  Und  er  kann  dies  sogar,  während  der  repräsenta- 
"tive  Uelmlt  seiner  Anschauung  identisch  bleibt,  also  dasjenige 
identisch  bleibt,  was  der  Anschauung  nicht  nur  überliaupt  die 
Bestimmtheit  der  Beziehung  auf  diesen  Gegenstand,  sondern 
zugleich  den  Charakter  einer  bildlichen  Repräsentation  verleiht, 
welche  den  Gegenstand  in  bestimmter  Fülle  und  Lebendigkeit 
verbildlicht.  Der  Erscheiuutigsgebalt  des  Gemäldes  bleibt  z.  B. 
derselbe,  ob  wir  es  als  Vorstellung  eines  wirklichen  Objectes 
nehmen,  oder  es  rein  ästhetisch,  ohne  Setzung  auf  uns  wirken 
lassen.  Ob  die  parallele  Sachlage  bei  der  normalen  Wabniehnuing 
anzunehmen  ist,  ist  allerdings  zweifelhaft;  nämlich  ob  die  Wahr- 
nehmung bei  vollständiger  Identität  ihres  sonstigen  phänomeno- 
logischen Bestandes  qualitativ  modificirt  werden,  und  so  ihren 
normalen  Setzungscharakter  einbüfsen  kann;  es  fi-agt  sich,  ob  die 
für  die  Wahrnelimung  charakteristische  perceptive  Auffassung  des 
Gegenstandes  als  eines  „selbst  gegenwärtigen"  nicht  alsbald  über- 
geht iu  die  imaginative  Auffassung,  iu  welcher  der  Gegenstand, 


analog  wie  im  Falle  der  Phantasie  und  der  physischea  Bildlich- 
keit (Gemälde  u.  dgl.)  als  bildlich  und  nicht  mehr  als  selbst  ge- 
geben erscheint.  Jedenfalls  kann  aber  die  Wahrnehmung  in  eine 
correspondirendo  Bildlichkeit  übergehen  (also  in  einen  Act  von 
gleicher  Materie,  ubschon  von  verschiedener  Aut'tassungsform), 
auch  ohne  Veränderung  ihres  Setzungscharakters. 

Wir  sehen,  dafs  sich  hier  zweierlei  conforrae  Modificationen 
unterscheiden  lassen,  die  qualitative  und  die  repräsentatire. 
In  beiden  bleibt  die  Materie  ungciindert.  Bei  Identität  der  Materie 
ist  es  eben  nicht  blofs  die  Qualität,  welche  im  Acte  noch  wechseln 
kann.  Qualität  und  Materie  haben  wir  zwar  als  das  „durühauts 
Wesentliche",  weil  Bedeutungsmäfsige  und  von  keinem  Acte  Ab- 
trennbare, gefafst;  wir  haben  aber  von  vornherein  darauf  hinge- 
wiesen, dafs  noch  andere  Momente  in  den  Acten  »interscheidbar  sind. 
Eben  diese  kommen,  wie  die  nächste  Untersuchung  genauer  zeigen 
wird,  für  die  Unterschiede  zwischen  Sigiiification  und  Intuition, 
und  wieder  zwischen  Perception  und  Imagination  in  Betracht. 

Die  zu  diesem  letzteren  Unterschiede  gehörige  imaginative 
Modificatiou  —  welche  eine  Wahrnehmung  in  eine  Imagination 
von  gleicher  Materie  überführt,  unangesehen  der  beiderseitigen 
Setzungscharaktere  —  läfst  ebenfalls  keine  Iteration  zu.  Es  giebt 
zwar  viele  Bildvorstellungen,  welche  in  conformer  Weise  densel- 
ben Gegenstand  mit  denselben  Bestimmtheiten  zur  Ersclieiuung 
bringen,  wie  die  vorgegebene  Wahmelimung;  aber  sie  verhalten 
sich  zueinander  nicht  etwa  so,  wie  die  Wahrnehmung  zu  einer 
Jeden  von  ihnen.  Die  Umwandlung,  welche  die  Wahrnehmung 
erfährt,  wenn  sie  in  Bildlichkeit  übergeht,  die  Umwandlung  der 
percoptiven  in  die  imaginative  Auffassung,  läfst  sich  an  der  Ima- 
gination selbst  natürlich  nicht  mehr  vollziehen. 

Man  darf  auch  diese  conforme  Modification  nicht  verwechseln 
mit  der  Bildung  übereinander  gebauter  Vorstelluogsvorstellungen; 
wie  wenn  z.  B.  Bilder  andere  Bilder  zu  Gegenständen  haben,  diese 
wieder  u.  s.  w.  Vielleicht  hat  gerade  diese  Verwechslung,  und  mehr 
noch  als  die  im  vorigen  Paragraphen  besprochene,  den  Irrthum  be- 
günstigt, Vorstellungen  von  Vorstellungen  seien  logische  Fictionen. 


n 


Sind  die  descriptiveu  Verhältnisse  einmal  geklärt,  so  ist  es 
offenbar  eine  blofs  terminologische  Streitfrage,  ob  man  das  Wort 
Urlheil,  wie  wir  es  im  Sinue  der  Tradition  thun,  auf  die  (un- 
modificirten)  Aussage bedeutunyen  einschränkt,  oder  ob  man  ihm 
die  gauze  Sphäre  der  Acte  des  belkf  als  Anwendungsgebiet  zu- 
erkennt. Dafs  im  ersten  Falle  keine  „GrundkJasse"  von  Acten, 
ja  nicht  einmal  eine  niedei-ste  qualitative  Differenz  voll  umspannt 
ist,  soferu  die  Materie  —  wozu  bei  unserem  Begriff  von  Materie 
süwol  das  ist  wie  ist  nicht  gehört  —  für  die  Umgrenzung  mitbe- 
stimmend ist,  tbut  nichts  zur  Sache.  Da  Urtlieil  ein  logischer  Ter- 
minus ist,  so  hat  allein  das  logische  Interesse  und  die  logische  Tra- 
dition zu  entscheiden,  was  für  ein  Begriff  ihm  Bedeutung  zu  geben 
hat.  In  dieser  Hinsicht  wird  man  wol  sagen  müssen,  dafs  ein  so 
fundamentaler  Begriff ,  wie  derjenige  der  (ide»don)  Aussagebedeutung, 
als  welche  doch  die  letzte  Einheit  ist,  auf  die  alles  Logische  zurück- 
bozogen  sein  mufs,  seinen  natürlichen  und  angestammten  Ausdruck 
behalten  mufs.  Der  Terminus  ürthoilsact  wäre  also  auf  die  ent- 
sprechendeu  Actarten,  auf  die  Bodeutungsintentionen  completer  Aus- 
sagen und  auf  die  ihnen  angemessenen,  dasselbe  bedoutungsmäfsige 
Wesen  besitzenden  Erfüllungen  zu  beschränken.  Die  Bezeichnung 
aller  setzenden  Acte  als  Urtheile  hat  die  Tendenz,  den  wesentlichen 
Unterschied,  der  die  nominalen  und  propositionalen  Acte  bei  aller 
qualitativen  Gemeinsamkeit  trennt,  zu  verhüllen  und  damit  eine 
Reihe  wichtiger  Verhältnisse  zu  verwirren.  Aohnlich  wie  mit  dem 
Terminus  ürthoil  verhält  es  sich  mit  dem  Terminus  VorsteUiaig. 
Was  die  Logik  darunter  verstehen  soll,  mufs  ihr  eigenes  Bedürf- 
nis entscheiden.  Sicherlich  ist  dann  Rücksicht  zu  nehmen  auf 
die  ausschliefsende  Sonderung  zwischen  Vorstellung  und  Urthoil 
und  auf  den  Umstand,  dafs  die  Vorstellung  als  etwas,  das  volle 
ürtheil  möglicherweise  Aufbauendes  gelten  will.  Ob  man  dann 
jenen  Vorstellungsbegriff  annehmen  soll,  den  Bolzano,  alle  mög- 
lichen Theilbedeutungen  von  logischen  ürtheilen  zu- 
sammenfassend ,  seiner  Behandlung  der  Wissenschaftslehi'o  zu 
Grunde  gelegt  hat,  oder  ob  man  sich  auf  die  relativ  selbständigen 
Bedeutungen   dieser  Art,   phänomenologisch  gesprochen,   auf  die 


V.    Ueber  itUettliotuile  Erk 


ihre  „Inhalte". 


nominalen  Acte  beschränken  soll  (falls  man  die  Prädicate  zu 
diesen  rechnet);  oder  weiter,  ob  man  nicht  vielmehr,  eine  andere 
Theiiungsrichtung  bevorzugend,  tils  Vorstellungen  die  blofse  Re- 
präsentation fassen  niufe,  d.  h.  den  Gesanimtinhalt  der  jewei- 
ligen Acte,  der  nach  Abstraction  von  der  Qualität  übrig  bleibt 
und  in  sich  also  vom  intentionalen  Wesen  nur  die  Materie  ent- 
hält —  das  sind  schwierige  und  jedenfalls  nicht  an  dieser  Stelle 
zu  entscheidende  Fragen.  Soviel  aber  ist  sicher,  dafs  nicht  alle 
zur  phänomenologischen  Klärung  der  logischen  Begriffe  förder- 
lichen oder  unerläfslichen  Unterscheidungen  darum  sclion  in  den 
Zusammenhang  der  Logik  selbst  als  apriorischer  Doctriu  gehören. 


§  41.     AlsMf  Inlcf-pretalion  des  Sattes  von  der  Vorstellung  als 
Grundlage  aller  Acte.     Der  objectinrende  Act  als  primärer  Träger 

der  Materie. 

Eine  Anzahl  Forscher  in  älterer  und  neuerer  Zeit  fafst  den 
Terminus  Vorstellung  so  weit,  dafs  er  mit  den  „blofs  vorstellenden" 
Acten  auch  die  fürwalirbultenden,  und  zumal  die  Urtheile  in 
sich  begreift,  kurzum  die  Gesammtsphäre  der  objectivireo- 
deo  Acte.  Unter  Zugrundelegung  dieses  wichtigen,  eine  ge- 
schlossene Qualitätsgattung  ausprägenden  Begriffes  gewinnt  der 
Satz  von  der  Vorstellungsgrundlage  —  wir  haben  dies  oben  bereits 
angekündigt  —  einen  neuen  und  besonders  bedeutsamen  Sinn,  von 
welchem  der  vorige,  sich  auf  den  nomiunlon  Vorstellungsbegriff 
aufbauende,  blofs  eine  secundäre  Abzweigung  ist  Wir  dürfen 
nämlich  sagen:  jedes  iutentionale  Erlebnis  ist  entweder 
ein  objectivirender  Act  oder  hat  einen  solchen  Act  zur 
„Grundlage",  d.  h.  er  hat  in  diesem  letzteren  Falle  einen  ob- 
jectivirendon  Act  nothwendig  als  Bestnndstück  in  sich,  dessen 
Oesammtmaterie  zugleich  und  zwar  individuell  identisch 
seine  Gesamnitmaterie  ist.  All  das,  was  wir,  den  Sinn  des  noch 
ungeklärten  Satzes  auseinanderlegend,  im  §  23  (S.  400  ff.)  gesagt 
haben,  können  wir  fast  wortgetreu  liier  in  Anspruch  nehmen  und 
hierdurch  zugleich  dem  Terminus  objectivirender  Act  seine  Recht- 
fertigung verleihen.     Denn  wenn  sich   kein  Act,  oder  vielmehr 


keine  Actqualitat,  die  nicht  selbst  von  der  Art  der  objecHvirenden 
ist,  ihre  Materie  zueignen  kann,  es  sei  denn  mittelst  eines,  mit 
ilir  zu  einem  einlieitliclien  Act  verwobenen  objectivirenden  Actes: 
so  haben  die  objectivirenden  Acte  eben  die  einzigartige  Function, 
allen  übrigen  Acten  die  Gegenständlichkeit  zu  allererst  vorstellig 
zu  machen,  auf  die  sie  sich  in  ihren  neuen  Weisen  beziehen 
sollen.  Die  Beziehung  auf  eine  Gegenständlichkeit  constituirt  sich 
überhaupt  in  der  Materie.  Jede  Materie  ist  aber,  so  sagt  unser 
Gesetz,  Materie  eines  objectivirenden  Actes  und  kann  nur 
mittelst  eines  solchen  zur  Materie  einer  neuen,  in  ihm  fundirten 
Actqualitat  werden.  Wir  haben  gewissermafsen  primäre  und 
secundäro  Intentionen  zu  unterscheiden,  von  welchen  die 
letzteren  ihre  Intentionalität  nur  der  Fundirung  durch  die  ersteren 
verdanken.  Ob  im  üebrigen  die  primären,  objectivirenden  Acte 
den  Charakter  der  setzenden  (fürwahrhaltenden)  oder  nichtsetzen- 
den  („blofs  vorstellemion")  haben,  ist  für  diese  Function  gleidi- 
giltig.  Manche  secuudäre  Acte  verlangen  durchaus  Fürwahrhal- 
tungen, wie  z.  B.  Freude  und  Trauer,  für  andere  genügen  blofse 
Einbildungen,  wie  z.B.  für  den  Wunsch.  Sehr  oft  ist  der  unter- 
liegende objectivirende  Act  eine  Complexion,  welche  Acte  von 
beiderlei  Art  in  sich  fafst. 

§  42.      Weitere  Atts fuhrungen. 

Zur  näheren  Beleuchtung  der  merkwürdigen  Sachlage  fügen 
wir  noch  folgende  Bemerkungen  hinzu. 

Jeder  zusammengesetzte  Act  ist  eo  ipso  qualitativ  complex; 
er  liat  so  viele  Qualitäten  {ob  nun  von  verschiedener  oder  von 
derselben  Art  oder  Differenz),  als  in  ihm  einzelne  Acte  unter- 
scheidbar sind.  Jeder  zusammengesetzte  Act  ist  ferner  ein  fun- 
dirter  Act;  seine  Gesammtqualität  ist  nicht  eine  blofse  Summe 
der  Qualitäten  der  Theilacte,  sondern  eben  eine  Qualität,  deren 
Einheit  in  diesen  aufbauenden  Qualitäten  fundirt  ist,  ebenso  wie 
die  Einheit  der  Gesammtmaterie  nicht  eine  blofse  Summe  der 
Materien  der  Theilacte  ist,  sondern,  wofern  eine  Vertheilung  der 
Materie  nach  den  Theilacteu  überhaupt  statthat,  in  den Tlieilmateriou 


460         V.    Ueber  intentio>iak  Erkbnüae  und  ihre  „Inhalte' 


fundirt  ist.  Es  giebt  aber  in  der  Weise,  wie  ein  Act  qualitativ 
complex  und  in  anderen  Acten  fundirt  ist,  wesentliche  Unter- 
schiede, und  dies  mit  Rücksicht  auf  die  verschiedene  Weise,  in 
der  sich  die  verschiedenen  Qualitäten  zueinander  und  zur  einheit- 
lichen Gesammtmaterie  und  zu  den  eventuellen  Theilniaterien  ver- 
halten, und  in  der  sie  durch  verschiedene  elementare  Fundirungen 
Einheit  gewinnen. 

Ein  Act  kann  in  der  Art  complex  sein,  dafs  seine  complexe 
Güsammtqualität  in  mohroro  Qualitäten  zerstiickbar  ist,  deren 
jede  eine  und  dieselbe  Materie  individuell -identisch  gemein 
hat;  so  z.  B.  in  der  Freude  über  eine  Thatsache  die  Complexion 
der  specifisclion  Qualität  der  Freude  und  derjenigen  der  Fürwahr- 
haltung, in  welcher  uns  die  Thatsache  vorstellig  ist  Danach 
möchte  man  denken,  dafs  jede  dieser  Qualitäten  mit  Ausnahme 
einer  einzigen  und  beliebigen  unter  ihnen  fortfallen  könnte,  wäh- 
rend immer  noch  ein  concret  vollständiger  Act  übrig  bliebe.  Man 
möchte  ferner  auch  denken,  dafs  Qualitäten  beliebiger  Gattung 
mit  einer  einzigen  Materie  in  angegebener  Art  verbunden  sein 
könnten.  Unser  Oesctü  besagt,  dafs  all  das  nicht  möglich  ist, 
nämlich  dafs  in  jeder  solchen  Complexion  und  in  jedem  Acte 
überhaupt  noth wendig  eine  Actqualität  von  der  Gattung  der  ob- 
jectivirenden  vorhanden  sein  mufs,  weil  eine  Materie  überhaupt 
nicht  rcalisirbar  ist,  es  sei  denn  als  Materie  eines  objectiviren- 
den  Actes. 

Qualitäten  anderer  Gattung  sind  folglich  immer  in  objecti- 
virendon  Qualitäten  fundirt;  niemals  können  sie  mit  einer  Materie 
unmittelbar  und  für  sich  allein  verknüpft  sein.  Wo  sie  auftreten, 
da  ist  der  gesammte  Act  nothwendig  ein  qualitativ  mehrförmiger, 
d.  h.  Qualitäten  verschiedener  Qualitütsgattungen  enthaltender;  und 
des  Näheren  so,  dafs  von  ihm  allzeit  ein  voller  objectivirender  Act 
(sc.  einseitig  1)  ablösbar  ist,  der  die  gesammte  Materie  des  Gesammt- 
actes  auch  als  seine  Gesammtmaterie  besitzt  Im  entsprechenden 
Sinne  einförmige  Acte  brauchen  übrigens  nicht  einfache  zu  sein. 


'  Vgl.  Uiitm,  §16,  S.  258. 


Alle  einförmigen  Acte  sind  objcctivirend,  und  wir  dürfen  sogar  um- 
kehren, alle  objectivirenden  Acte  sind  einförmig;  aber  auch  ob- 
jectivirende  Acte  ijönnen  noch  complex  sein.  Die  Materien  der 
Theilacte  sind  jetzt  blolse  Theile  der  Materie  des  Gesammtactes; 
in  diesem  constituirt  sich  die  Gesamratniaterie  dadurch,  dafs  zu 
den  Theilacten  Theile  der  Materie  gehören,  und  dafs  zum  Einheit- 
lichen der  Gesammtqualität  das  Einheitliche  der  Gesammtmaterie 
gehört.  Jeder  Aussagesatz  bietet  uns,  ob  er  nun  in  normaler  Be- 
deutung (als  behauptender)  oder  in  modificirter  Bedeutung  fungirt, 
ein  hiehergehöriges  Beispiel.  Den  „Terminis"  entsprechen  unter- 
liegende Theilacte  mit  Theilmaterien ,  den  verbindenden  Formen, 
dem  ist  oder  ist  nicht,  dem  wenn  und  so,  dem  entweder  und 
oder  u.  dgl.  entsprechen  fundirte  Actcharaktere,  aber  zugleich  fun- 
dirte  Momente  der  Gesammtmaterie.  Bei  all  dieser  Complexion 
ist  der  Act  ein  einförmiger;  wir  finden  auch  nur  Eine  objectivi- 
rende  Qualiöt,  welche  zu  der  Gesammtmaterie  gehört;  und  mehr 
als  Eine  objectivirende  Qualität  kann,  wir  werden  dies  wol 
allgemein  behaupten  dürfen,  auf  eine  einzige  und  als  Ganzes 
genommene  Materie  nicht  bezogen  sein. 

Aus  solcher  Einförmigkeit  erwächst  nun  Mehrförmigkeit,  sei 
es  dadurch,  dafs  der  objectivirende  Gesammtact  sich  mit  neuartigen, 
auf  die  Gesammtmaterie  bezüglichen  Qualitäten  verbindet,  oder 
auch  dadurch,  dafs  die  neuen  Qualitäten  sich  blofs  einzelnen 
Theilacten  zugesellen;  wie  wenn  sich  auf  Grund  einer  einheitlichen 
gegliederten  Anschauung,  bezüglich  des  einen  Gliedes  Gefallen, 
bezüglich  des  anderen  Mifsfallen  einstellt  umgekehrt  ist  es  selbst- 
verständlich, dafs  in  jedem  complexen  Act,  der  wie  immer,  ob 
auf  die  Gesammtmaterie  oder  auf  deren  Theile  gegründete  Act- 
qualitäten  von  nichtobjectivirender  Art  enthält,  diese  Act- 
qualitäten  sämmtlich  sozusagen  herausgestrichen  werden  können; 
es  bleibt  dann  ein  voller  objectivirender  Act  übrig,  der  noch  die 
gesammte  Materie  des  ursprünglichen  Actes  in  sich  enthält. 

Eine  weitere  Folge  der  hier  waltenden  Gesetzmäfsigkeit  ist 
auch  die,  dafs  die  letztfundirenden  Acte  eines  jeden  com- 
plexen  Actes   objectivirende   Acte  sein  müssen.      Dieselben  sind 


460         V.   Ueber  intenlionale-^^^^^^KKKmre  „bümlte". 


I 


t 


fundirt  ist.  Es  giebt  aber  in  der  Weise,  wie  ein  Act  qualitativ 
complex  und  in  anderen  Acten  fundirt  ist,  wesentliche  unter- 
schiede, und  dies  mit  Riicksiclit  auf  die  verschiedene  Weise,  in 
der  sich  die  verschiedenen  Qualitäten  zueinander  und  zur  einheit- 
lichen Gesammtmaterie  und  zu  den  eventuellen  Thciiuiaterien  ver- 
halten, und  in  der  sie  durch  verschiedene  elementare  Fimdirungeu 
Einheit  gewinnen. 

Ein  Act  kann  in  der  Art  complex  sein,  dafs  seine  coiuplexe 
Gesammtqualität  in  mehrere  Qualitäten  zeretückbar  ist,  deren 
jede  eine  und  dieselbe  Materie  individuell -identisch  gemein 
hat;  so  z.  B.  in  der  Freude  über  eine  Tbatsache  die  Complexion 
der  specifischen  Qualität  der  Freude  und  derjenigen  der  Fürwahr- 
haltuug,  in  welcher  uns  die  Ttiatsaohe  vurstellig  ist.  Danach 
möchte  mau  denken,  dafs  jede  dieser  Qualitäten  mit  Ausnahme 
einer  einzigen  und  beliebigen  unter  ihnen  fortfallen  könnte,  wäh- 
rend immer  noch  ein  concret  vollständiger  Act  übrig  bliebe.  Man 
möchte  ferner  auch  denken,  dafs  Qualitäten  beliebiger  Gattung 
mit  einer  einzigen  Materie  in  angegebener  Art  verbunden  sein 
könnten,  unser  Gesetz  besagt,  dafs  all  das  nicht  möglich  ist, 
nämlich  dafs  in  jeder  solchen  Complexion  und  in  jedem  Acte 
überhaupt  noth  wendig  eine  Actqualität  von  der  Gattung  der  ob- 
jeetivirendon  vorhanden  sein  mufs,  weil  eine  Materie  überhaupt 
nicht  realisirbar  ist,  es  sei  denn  als  Materie  eines  objectiviren- 
den  Actes. 

Qualitäten  anderer  Gattung  sind  folglich  immer  in  objecti- 
virenden  Qualitäten  fundirt;  niemals  können  sie  mit  einer  Materie 
unmittelbar  und  für  sich  allein  verknüpft  sein.  Wo  sie  aufti-eten, 
da  ist  der  gesammte  Act  notliwendig  ein  qualitativ  melirförmiger, 
d.  h.  Qualitäten  verschiedener  Qualitätsgattungen  enthaltender;  und 
des  Näheren  so,  dais  von  ihm  allzeit  ein  voller  objectivirender  Act 
(sc.  einseitig ')  ablösbar  ist,  der  die  gesammte  Materie  des  Gesammt- 
actes  auch  als  seine  Gesammtmaterie  besitzt,  Im  entsprechenden 
Sinne  einförmige  Acte  brauchen  übrigens  nicht  einfache  zu  sein. 


'  Vgl.  Unt.m,  §16,  8.258. 


Alle  einförmigen  Acte  sind  objoctivirend,  und  wir  dürfen  sogar  um- 
kehren, alle  objectivireuden  Acte  sind  einförmig;  aber  auch  ob- 
jectivirende  Acte  können  noch  complex  sein.  Die  Materien  der 
Theilacte  sind  jetzt  blofse  Theile  der  Materie  des  Gesammtactes; 
in  diesem  constituirt  sich  die  Gesammtiiiaterie  dadurch,  dafs  zu 
den  Theilacten  Theile  der  Materie  gehöreu,  und  dafs  zum  Eiuheit- 
liohen  der  Gesammtqualitiit  das  Einlipitlicbe  der  Gesamiutmaterie 
gehört.  Jeder  Aussagesatz  bietet  uns,  ob  er  nun  in  normaler  Be- 
deutung (als  behauptender)  oder  in  modificirter  Bedeutung  fungirt, 
ein  hi ehergehöriges  Beispiel.  Den  „Termiuis"  entsprechen  unter- 
liegende Theilacte  mit  Theilmaterien,  den  verbindenden  Formen, 
dem  üi  oder  ist  nicht,  dem  wenn  und  so,  dem  enttveder  und 
oder  u.  dgl.  entsprechen  fundirte  Actcharaktere,  aber  zugleich  fun- 
dirte  Momente  der  Gesammtmaterie.  Bei  all  dieser  Comple.\ion 
ist  der  Act  ein  einförmiger;  wir  finden  auch  nur  Eine  objectivi- 
rende  Qualität,  welche  zu  der  Gesammtmaterie  gehört;  und  mehr 
als  Eine  objectivirende  Qualität  kann,  wir  werden  dies  wol 
allgemein  behaupten  dürfen,  auf  eine  einzige  und  als  Ganzes 
genommene  Materie  nicht  bezogen  sein. 

Aus  solcher  Einförmigkeit  erwächst  nun  Mehrformigkeit,  sei 
es  dadurch,  dafs  der  objectivirende  Gesammtact  sich  mit  neuartigen, 
auf  die  Gesammtmaterie  bezüglichen  Qualitäten  verbindet,  oder 
auch  dadurch,  dafs  die  neuen  Qualitäten  sich  blofs  einzelnen 
Theilacten  zugesellen;  wie  wenn  sich  auf  Grund  einer  einheitlichen 
gegliederten  Anschauung,  bezüglich  des  einen  Gliedes  Gefallen, 
bezüglich  des  anderen  Mifsfallen  einstellt.  Umgekehrt  ist  es  selbst- 
verständiich,  dafs  in  jedem  coraplexeu  Act,  der  wie  immer,  ob 
auf  die  Gesammtmaterie  oder  auf  deren  Theile  gegründete  Act- 
qualitäten  von  nichtobjectivireuder  Art  euthält,  diese  Act- 
qualitäten  säramtlich  sozusagen  herausgestrichen  werden  können; 
es  bleibt  dann  ein  voller  objectivirender  Act  übrig,  der  noch  die 
gesammte  Materie  des  ursprünglichen  Actes  in  sich  enthält. 

Eine  weitere  Folge  der  hier  waltenden  Gosetzmäfsigkeit  ist 
auch  die,  dafs  die  letztfundirenden  Acte  eines  jeden  com- 
plexen  Actes   objectivirende   Acto  .sein  müssen.      Dieselben  sind 


alle  von  der  Art  der  nominalen  Acte,  und  zwar  sind  es  einfache 
nüniiiiitle  Acte,  schlichte  Verbindungen  einer  einfachen  Qualität 
mit  einer  eingliedrigen  Materie.  Denn  wir  können  den  Satz 
ausspreciien,  dals  alle  einfachen  Acte  nominale  sind.  Natürlich 
gilt  nicht  die  Umkehrung;  nicht  alle  nominalen  Acte  sind  ein- 
fach. Sowie  in  einem  objectivireuden  Acte  eine  gegliederte  Materie 
auftritt,  findet  sich  darin  auch  eine  kategoriale  Form,  und  allen 
kategorialen  Formen  ist  es  wesentlich,  sich  in  fundirten  Acten  zu 
constituiren,  wie  wir  noch'  genauer  erörtern  werden. 

In  den  vorstellenden  und  den  nächstfolgenden  Ausfühnmgea 
braucht  man  uuter  Materie  nicht  das  blofse  abstracto  Moment  dee 
iutentionaleu  Wesen»  zu  vei-stehen;  man  kt'lnute  ihr  auch  das  Oanze 
dee  Actes,  nur  unter  Abstraetion  von  der  QiialitSt  —  also  das,  wasj 
wii  in  der  nächsten  Untersuchung  die  Repräsentation  nennen  wer- 
den —  Bubstituirea:  alles  Wesentliche  bliebe  dann  bestehen. 


§  43.     Rückblick  auf  die  frühere  Interpretation 
des  behandelten  Satxea. 

Man  versteht  nun  auch,  warum  wir  oben*  behaupten  durften, 
der  auf  Grund  des  nominalen  Vorstellungsbegriffes  inter- 
pretirte  SatK  Brentano's  sei  eine  blofse  secundäre  Folge 
desselben  Satzes  in  der  neuen  Interpretation.  Ist  jeder 
nicht  selbst  schon  (bezw.  nicht  rein)  objectivirendo  Act  in  obj'ec- 
tivirenden  fundirt,  so  mufs  er  selbstverständlich  zuletzt  auch  in 
nominalen  Acten  fundirt  sein.  Denn  jeder  objectivirende  Act  ist, 
wie  wir  besprachen,  entweder  einfach,  also  eo  ipso  nominal,  oder 
zusammengesetzt,  also  in  einfachen,  d.i.  wieder  in  nominalen  Acten 
fundirt.  Die  neue  Interpretation  ist  offenbar  sehr  viel  bedeutsamer, 
weil  nur  bei  ihr  die  wesentlichen  Grundverhältnisse  eine  reine 
Ausprägung  erfahren.  In  der  anderen  Interpretation,  ob- 
schon  sie  nichts  Unriclitiges  aussagt,  mengen  oder  kreuzen  sich 
zwei  grundverschiedene  Fundirungsarten: 


'  Im  zweiton  Abschnitt  der  VI.  Untersuchung. 
•  §  41,  8. 458. 


1.  Die  Fundirung  nicht -objectivirender  Acte  (wie  Freuden, 
Wünsche,  Wollungen)  in  übjectivirendon  (Vorstellungen,  Fürwahr- 
haltuugen),  wobei  primär  eine  Actqualität  in  einer  anderen  Act- 
quaütät  und  erst  mittelbar  in  einer  Materie  fundirt  ist. 

2.  Die  Fundirung  objecfivirender  Acte  in  anderen  objecti- 
virenden  Acten,  wobei  primär  eine  Actniaterie  in  anderen  Act- 
materien  fundirt  ist  (z.  B.  die  einer  prädicativen  Aussage  in  den- 
jenigen der  fundirenden  Nominnlacte).  Denn  so  können  wir  die 
Sache  auch  ansehen.  Der  umstand,  dnTs  keine  Materie  ohne  ob- 
jeetivirende  Qualität  möglich  ist,  niufs  dann  von  selbst  die  Folge 
haben,  dafs  wo  eine  Materie  in  anderen  Materien  fundirt  ist,  auch 
ein  objectivirender  Act  der  ersten  Materie  in  eben  solchen  Acten 
der  letzteren  Materien  fundirt  ist  Sonach  hat  die  Thatsache, 
dafs  jeder  Act  allzeit  in  nominalen  fundirt  ist,  verschie- 
dene Quellen.  Die  ursprüngliche  Quelle  liegt  überall  darin,  dafs 
jede  einfache,  also  keine  materiale  Fundirung  mehr  einschltefsende 
Materie  eine  nominale,  also  jeder  letztfundirende  objectivirende 
Act  ein  nominaler  ist  Da  aber  alle  andersartigen  Actqualitaten 
in  objectivirenden  fundirt  sind,  so  überträgt  sich  die  letzte  Fun- 
dirung durch  nominale  Acte  von  den  objectivirenden  auf  alle 
Acte  überhaupt 


Sechstes  Kapitel. 

ZnBammenstellung  der  wichtigsten  Aeqnivocationen 
der  Termini  Vorstellung  und  Inhalt. 

§  44.     „Vorstellung." 

Wir  sind  in  den  letzten  Kapiteln  auf  eine  vier-,  bezw.  fünf- 
fache Aequivocation  des  Wortes  Vorstellung  gestofsen. 

1.  und  2.  Vorstellung  als  Actmaterie;  oder  wie  wir  in 
naheliegender  Modification  auch  sagen  können:  Vorstellung  als 
die  dem  Acte  zu  Grunde  Liegende  Repräsentation,  d.  h.  als 
das  Ganze   des  jeweiligen   Actes  mit  Ausschlufs  aller  Qualität; 


I 


denn  auch  dieser  BegrifiF  spielte  in  unseren  Ausführungen  mit, 
obschon  es  bei  unserem  speoielien  Interesse  für  das  Verhältnis 
zwischen  Qualität  und  Materie  nicht  darauf  ankam,  ihn  überall 
zu  betonen.  Die  Materie  sagt  gleichsam,  als  was  der  Gegenstand 
im  Acte  geraeint  ist,  welche  Bestimmtheiten  ihm  zugedeutet  werden 
sollen;  die  Repräsentation  aber  zieht  überdies  die  Momente  heran, 
die  aufserhnlb  des  intentionalen  Wesens  liegen  und  die  (in  ihrer 
Auffassung  durch  die  Materie)  es  machen,  dafs  der  Gegenstand 
gerade  in  der  Weise  der  perceptiven  oder  imaginativen  Anschauung 
oder  des  blofsen  symbolisc-hon  Bedeutens  gemeint  ist  Darüber 
folgen  umfassende  Analysen  im  ersten  Abschnitt  der  nächsten 
Untersuchung. 

3.  Vorstellung  als  „blofse  Vorstellung",  z.  B.  als  blofses 
Satzverständnis,  ohne  innere  Entscheidung  in  Zustimmung  oder 
Verwerfung,  ohne  Vermuthung  oder  Bezweiflung  u.  s.  w. 

4.  Vorstellung  als  nominaler  Act,  z.  B.  als  Subjectvor- 
stellimg  eines  Aussageactes. 

5.  Vorstellung  als  objectivirender  Act,  d.  i.  im  Sinne  der 
Actklasse,  die  nothwendig  in  einem  jeden  vollständigen  Acte  ver- 
treten ist,  weil  jede  Materie  (bozw.  Repräsentation)  primär  als 
Materie  (bezw.  Repräsentation)  eines  solchen  Actes  gegeben  sein 
mufs.  Diese  qualitative  „Grundklasse"  befafst  sowol  die  Acte  des 
belief,  des  nominalen  und  propositionalen,  als  auch  deren  „Gegen- 
stücke", so  dafs  alle  Vorstellungen  im  obigen  dritten  und  vierten 
Sinne  mit  hiehergeliören. 

Die  genauere  Analyse  dieser  Begriffe  von  Vorstellung,  bezw. 
der  durch  sie  umfafsten  Erlebnisse,  und  die  endgiltige  Feststellung 
ihres  Verhältnisses  zueinander  wird  noch  die  Aufgabe  weiterer 
descriptiver  Forschungen  sein  müssen.  Was  wir  hier  nur  noch 
versuchen  wollen,  ist  eine  Anreihnng  von  anderen  Aequivoca- 
tionen  des  in  Rede  stehenden  Terminus.  Sie  scharf  auseinander- 
zuhalten, ist  für  unsere  logisch -erkenntnistlieoretisclien  Bemühungen 
von  fundamentaler  Wichtigkeit.  Die  phänomenologischen  Analysen, 
welche  für  die  Auflösung  dieser  Aequivocationen  die  unerläfs- 
lichen  Voraussetzungen   bilden,  haben  wir  in   unseren  bisherigen 


Darlegungen  allerdings  nur  zum  Theil  in  exteyiso  kennen  gelernt; 
aber  das  noch  fehlende  war  schon  mehrfach  berührt  und  zumeist 
soweit  angedeutet,  dafs  wir  die  Hauptpunkte  in  Kürze  bezeichnen 
können.     Wir  setzen  die  Aufzählung  also  fort,  wie  folgt: 

6.  Das  Vorstellen  wird  häufig  dem  blofsen  sich  Denken 
gegenübergesetzt.  Es  ist  dann  derselbe  Unterschied  mafsgebend, 
der  auch  als  Gegensatz  von  Anschauung  und  Begriff  be- 
zeichnet wird.  Von  einem  Eliipsoid  habe  ich  eine  Voi-stoUung, 
von  einer  Kummer' sehen  Fläche  nicht;  aber  durch  passende  Zeich- 
nungen, durch  Modolle  oder  durch  theoretisch  geleitete  Bewegungen 
der  Phantasie  kann  ich  auch  von  ihr  eine  Vorstellung  gewinnen. 
Ein  rundes  Viereck,  ein  regelmäßiger  Zivauxigflächner  und  der- 
gleichen apriorische  Unmögliclikeiten  sind  in  diesem  Sinne  „un- 
vorstellbar". Ebenso  auch  ein  vollständig  begrenxtes  Stück  einer 
Enldidischen  Mfinnigfaltiglceit  von  mehr  alu  drei  THinensionen, 
die  Zahl  7C  und  äiinliehe,  von  aller  Unverträglichkeit  freie 
Bildungen.  In  all  diesen  Fallen  der  Unvorstellbarkoit  sind  uns 
„blofse  Begriffe"  gegeben;  genauer  zu  reden,  wir  haben  nominale 
Ausdrücke  und  diese  belebt  von  Bedeutungsintentionen,  in 
welchen  die  bedeuteten  Gegenstände  in  mehr  oder  minder  unbe- 
stimmter Weise  —  zumal  et%va  in  der  unbestimmt  attributiven 
Form  ein  A  als  blofse  Träger  bestimmt  genannter  Attribute  — 
„gedacht"  sind.  Dem  blofsen  Denken  steht  nun  gegenüber  das 
,, Vorstellen":  offenbar  ist  es  die  der  blolsen  Bedeutungsintention 
Erfüllung,  und  zwar  angemessene  Erfüllung  verleihende  An- 
schauung. Die  neue  Klasse  von  Fällen  ist  also  dadurch  be- 
günstigt, dafs  sich  den  für  das  letzte  Erkenntnisinteresse  unbe- 
friedigenden Denkvorstellungen  —  sei  es  den  rein  symbolischen 
Bedeutungsinteutionen,  sei  es  den  mit  stückweiser  und  wie  immer 
inadäquater  Anschauung  vormischten  —  eine  correspondirende 
Anschauung  allseitig  und  gliedweise  anschmiegt:  Genau  als  das 
steht  uns  das  in  Wahrnehmung  oder  Imagination  Angeschaute 
vor  Augen  („selbst"  oder  „im  Bilde"),  als  weiches  es  auf  der 
Seite  des  Denkens  intendirt  war.  Sich  etwas  VorstoUon,  heifst 
jetzt  also:  sich  eine  entsprechende  Anschauung  von  dem 

Hniierl,  Log.  Cntsn.  II.  30 


verschaffen,  was  blofs  gedacht  (d.  i.  blofs  bedeutet)   und 
bestenfalls  nur  inadäquat  veranschaulicht  war. 

7.  Ein  sehr  gewöhnlicher  Begrifl'  von  Vorstellung  betrifft  den 
innerhalb  der  Sphäre  der  Anschauung  (der  Vorstellung  im  vorigen 
Sinn)  liegenden  Gegensatz  der  Imagination  zur  Wahrnehmung. 
Dieser  Vorstellimgsbegi-iff  herrscht  in  der  gevvölmlichen  Rede  vor. 
Sehe  ich  die  Peterskirche,  so  stelle  ich  sie  nicht  vor.  Ich  stelle 
sie  aber  vor,  wenn  ich  sie  mir  im  Erinnerungsbild  vergegen- 
wärtige, oder  wenn  ich  sie  im  gemalten ,  gezeichneten  Bilde  u.  dgl. 
vor  Augen  habe. 

8.  Vorstellung  war  soeben  der  concrete  Act  der  Imagina- 
tion. Näher  besehen,  heilst  aber  auch  das  Bild  als  physisches 
Ding  Vorstellung  des  Abgebildeten,  wie  z.  B.  in  den  Worten:  diese 
Photographie  sletll  die  Peterskirche  var.  Vorstellung  heifst  dann 
weiter  auch  das  hiebei  erscheinende  Bildobject  (im  Unterschied 
vom  Bildsujet,  vom  abgebildeten  Object):  das  hier  in  den 
photograpliischen  Farben  erscheinende  Ding  ist  nicht  die  photo- 
giaphirte  Kirche  (Bildsujet),  sondern  stellt  sie  nur  vor.  Diese 
Aequivocationen  übertragen  sich  auf  die  Phantasiebildlichkeit. 
In  begreiflicher  Täuschung  wird  das  innere  Erlebnis,  in  dem  das 
Phantasiebild  erscheint,  als  Sein  eines  Bildobjectes  im  Bewurstsein 
interpretirt:  als  ob  in  ihm  so  etwas  wie  ein  Photographiebild 
stäke.  So  gilt  also  auch  das  innere  Bild  als  Vorstellung,  ob- 
schon  die  genauere  Analyse  dessen  Untei-schiede  vom  Phuntasie- 
erlebnis  (in  welchem  sich  dieses  Bild  und  mittelst  seiner  der 
abgebildete  Gegenstand  intentional  constituirt,  ohne  dafs  Bild 
oder  Gegenstand  im  Erlebnis  reell  vorhanden  wären)  sicher  nach- 
zuweisen vermag. 

Dieser  Aequivocation  liegt  folgender,  allgemeiner  zu  fassende 
Gedanke  zu  Grunde: 

Das  oft  sehr  inadäquate  Bild  „repräsentirt"  die  Sache  und 
erinnert  zugleich  an  sie,  ist  für  sie  Zeichen.  Letzteres  so,  dafs 
es  sich  als  geeignet  erweist,  eine  adäquatere  Vorstellung  von  ihr 
herbeizuziehen.  Die  Photographie  erinnert  an  das  Original  und 
ist  zugleich  sein  Repräsentant,  in  gewisser  Weise  sein  Steliver- 


treter.  Ihre  Bildvorstellung  ermöglicht  mancherlei  Urtheile,  die 
sonst  auf  Grund  der  Wahrnehmung  des  Originals  zu  fällen  wären. 
Aelinlich  fiingirt  oft  mich  oiu  der  Sache  inhaltlich  fremdes  Zeichen, 
z.  B.  ein  algebraisches  Symbol.  Es  erregt  die  Vorstellung  des 
Bezeichneten  (mag  dieses  auch  ein  Unanschauliches  sein,  ein 
Integral  ii.  dgl.),  führt  darauf  unsere  Gedanken  (wie  wenn  wir 
uns  den  vollen  defiuitorischen  Sitin  des  Integrals  vergegenwärti- 
gen); zugleioli  kann  das  Zeichen  im  Zusammenhang  mathematischer 
Operationen  „repräsentativ",  als  Stellvertreter  fungiren,  man  operirt 
damit  additiv,  multiplicativ  u.  s.  w.,  als  ob  in  ihm  das  Symboli- 
sirto  direct  gegeben  wäre.  Wir  wissen  nach  früheren  Erörterungen, 
dafs  diese  Ausdrucksweise  ziemlich  roh  ist,'  aber  sie  prägt  die 
Auffassung  ans,  die  für  die  jetzige  Rede  von  Yorstelluug  be- 
stimmend ist.  Danach  heilst  nämlich  Vorstellung  soviel  wie  Re- 
präsentation in  dem  doppelten  Sinne  der  Vorstollungs- 
auregung  und  Stellvertretung.  So  sagt  der  Mathematiker  an 
der  Tafel  zeichnend,  OX  stelle  die  Asymptote  der  Hyperbel  vor; 
oder  rechnend:  x  stelle  die  Wurzel  der  Oleichimg  f(x)'=  0  vor.* 
llebcrhaupt  heifst  das  Zeichen,  gleichgiltig  ob  es  Bildzeichen  oder 
Nennzeichf>n  ist,  „Vorstellung"  des  Bezeichneten. 

Die  jetzige  Rede  von  der  Kepräsentatiun  {die  wir  nicht  etwa 
terminologisch  fixiren  wollen)  bezieht  sich  auf  Objecte.  Diese 
„repräsentirenden  Objecte"  constituiren  sich  in  gewissen  Acten 
und  erhalten  durcfi  gewisse  neue  Acte  beziehenden  Voratellens 
den  Charakter  als  „Repräsentanten"  für  neue  Objecte.  Ein  anderer 
und  primitiverer  Sinn  von  Repräsentation  ist  der  unter  Punkt  1) 
angedeutete,  wobei  die  Repräsentanten  erlebte  Inhalte  sind,  die 
in  der  Repräsentation  objectivironde  Auffassung  erfalu'cu  und 
auf  diese  Weise  {ohne  selbst  gegenständlich  zu  werden)  dazu 
helfen,  dafs  uns  ein  Object  vorstellig  werde. 

Dies  leitet  sogleich  zu  einer  neuen  Aequivocation  über. 


•  Vgl.  Unt.  I,  §  20,  S.  68  ff.     Dazu  auch  Unt  II,  §  20,  S.  155  f.  und  das 
Kapitel  über  AbstrnctiuD  und  Repräsentation  S.  165  ff. 

*  Diese  Redeweisen  sind  in   neuerer  Zeit  immer  mehr  abgekommen;  in 
älterer  waren  sie  recht  gewühiiliuh. 

30» 


9.  Der  Unterschied  zwischen  Wahrnehmung  und  Ima- 
gination (welch  letztere  selbst  wieder  bedeutsame  descriptive 
Unterschiede  zeigt)  wird  immer  wieder  vermengt  mit  dem  Unter- 
schied zwischen  den  Empfindungen  und  Phantasmen.  Der 
erstere  ist  ein  Unterschied  von  Acten,  der  letztere  ein  Unterschied 
von  Nicht-Acten,  nämlich  von  erlebten  Inhalten,  welchen  in  Acten 
des  Wahraehmens  oder  Phantasirens  deutende  Auffassung  zu- 
theil  wird.  (Will  man  alle  in  diesem  Sinne  repräsentirenden  Inhalte 
Empfindungen  nennen,  so  mütste  man  terminologisch,  etwa  zwi- 
schen inipressiven  und  roprodiictiven  Empfindungen  unterschei- 
den.) Ob  es  zwischen  Empfindungen  und  Phantasmen  überhaupt 
wesentliche  descriptive  Unterschiede  giebt,  ob  die  gewöhnlich 
angeführten  Unterschiede  der  Lebendigkeit,  der  Stetigkeit,  bezw. 
Flüchtigkeit  u.  dgl.  zu  den  Inhalten  selbst  gehören  oder  zu  ihrer 
Auffassung:  darauf  können  wir  liier  niclit  eingehen.  Jedenfalls 
ist  es  sicher,  dals  die  eventuell  zwischen  ihnen  bestehenden  in- 
haltlichen Untei^schiede  nicht  schon  den  Unterschied  zwischen 
Wahrnehmung  und  Imagination  ausmachen,  der  vielmehr,  wie 
die  Analyse  mit  zweifelloser  Klarheit  lehrt,  ein  Unterschied  der 
Acte  als  solcher  ist.  Wir  werden  iiiclit  daran  denken  können, 
das  in  der  Wahrnehmung  oder  Phantasie  desscriptiv  Gegebene  als 
die  blofee  Complexion  der  erlebten  Empfindungen  oder  Phantas- 
men anzusehen.  Andererseits  bedingt  es  die  nur  zu  gewöhnliche 
Vermengung  zwischen  den  Einen  und  Anderen,  dafs  man  unter 
Vorstellung  bald  die  (gemäfs  7.  und  8.  verstandene)  Phantasie- 
vorstellung, bald  das  entsprechende  Phantasma  (die  Comple.xioa 
der  repräsentirenden  Inhalte  der  Phantasiebildlichkeit)  versteht,  so 
dafs  hieraus  eine  neue  Aequivocation  erwächst. 

10.  Vermöge  der  Verwechslung  zwi.schen  der  Erscheinung 
(z.  B.  dem  concreten  Phantasieerlobnis,  oder  aber  dem  repräsen- 
tirenden Bild)  und  dem  Erscheinenden,  heifst  auch  der  vorge- 
stellte Gegenstand  Vorstellung.  Ebenso  bei  den  Wahrneh- 
mungen und  so  überhaupt  bei  den  Vorstellungen  im  Sinne  von 
blofsen  oder  schon  logisch  gofafsten  Anschauungen.  Z.  B.  „die 
Welt  ist  meine  Vorsiellung". 


IL  Die  Meinung,  dafs  alle  Bowurstseinsinhalte  (=  Erlebnisse, 
Inhalte  im  pliänomenologischen  Sinn)  bewufst  seien  im  Sinn  der 
inneren  Wahrnehmung  oder  einer  sonstigen  inneren  Zuwendung 
(Bewufstheit,  ursprüngliche  Apperception),  und  dafe  mit  dieser 
Zuwendung  eo  ipso  eine  Vorstellung  gegeben  sei  (das  Bowufstsein 
oder  Ich  stellt  den  Inhalt  vor  sich  hin),  führte  dahin,  alle  Bewufst- 
soinsinhalto  als  Vorstellungen  zu  bezeichnen.  Es  sind  die  ideati 
der  englischen  empiristischen  Philosophie  seit  Locke.  Eine  Vor- 
stellung haben,  und  einen  Inhalt  erleben,  diese  Ausdrücke 
werden  vielfach  als  gleichwerthige  gebraucht. 

12.  Innerhalb  der  Logik  ist  es  von  grofsor  Wichtigkeit,  die 
specifisch  logischen  Vorstellungsbegriffo  von  anderen  Vorstellungs- 
bogriffen gesondert  zu  halten.  Dafs  hiefür  mehrere  Begriffe  in 
Frage  kommen,  davon  haben  wir  oben  im  Vorbeigehen  schon 
gesprochen.  Als  in  der  bisherigen  Aufzählung  nicht  berührt,  sei 
spociell  der  BoLZANo'scho  Begriff  der  „Vorstellung  an  sich"  nocli- 
mals  genannt,  den  wir  als  jede  selbständige  oder  unselbständige 
Theilbedeiitung  innerhalb  einer  vollen  Aussage  iiiterpretirten. 

Hinsichtlich  aller  rein  logischen  Begriffe  von  Vorstellung  ist 
einerseits  zu  untorscheiden:  das  Ideale  vom  Realen,  z.B.  die  nomi- 
nale Vorstellung  im  rein-logischen  Sinne  von  den  Acten,  in  wel- 
chen sie  sich  constituirt.  Andererseits  sind  zu  untei'scheiden;  die 
blofsen  Bedeutiingsintentionen  von  den  ihnen  mehr  oder  minder 
jmgemcsscno  Erfüllung  bietenden  Wahrnehmungen  uUer  Imagina- 
tionen, d.  i.  von  den  Vorstellungen  im  Sinne  von  Anschauungen. 

13.  Neben  den  aufgezählten  Aequivocationen ,  deren  Schäd- 
lichkeit Jeder  erfahren  mnfs,  der  sich  in  die  Phänomenologie  der 
Denkcrlehnisse  ernstlich  vertieft,  giebt  es  wol  noch  andere,  minder 
erhebliche.  Ich  erwähne  beispielsweise  die  Rede  von  der  Vor- 
stellung im  Sinne  der  Meinung  (dd^a).  Es  ist  eine  Aequivocation, 
die  durch  dieselbe  Uebertragung  aus  der  Sphäre  der  Anschaulich- 
keit erwachsen  ist,  wie  wir  sie  bei  allen  verwandten  Terminis 
finden.  Ich  erinnere  an  die  verbal  vieltaltige,  aber  immer  wieder 
gleichbedeutende  Wendung:  es  ist  eine  vetbrcitelc  Meinung^  Vor- 
stellung, Ansicht,  Anschauung,  Auffassung  u.  s.  tu. 


i 


§  45.     „Vorstellungsinhall" 

Selbstverstäudlicli  sind  die  zu  „Vorstellung"  correlativen 
Ausdrücke  entsprecbend  vieldeutig.  Zumal  trifft  dies  die  Rede 
von  dem  „was  eine  Vorstellung  vorstollt'%  d.  i.  vom  „In- 
halt" der  Vorstellung.  Dafs  die  blofise  Cutersclieidung  zwischen 
Inhalt  lind  Gegenstand  der  Vorstellung,  wie  sie  Twabdowski  im 
Anschluls  an  Zuimkrm\n.v  befürwortet  hat,  nicht  entfernt  ausreicht 
(obschon  es  verdienstlich  war,  hier  überhaupt  auf  feste  unter- 
schiede zu  dringen),  ist  schon  aus  den  bisherigen  Analysen  klar. 
In  der  logischen  Sphäre  (welche  diese  Autoren,  ohne  Bewulstsein 
der  Einschränkung,  im  Äuge  haben)  ist  neben  dem  genannten 
Gegenstand  niclit  blofs  Eines  als  „Inhalt"  zu  unterscheiden, 
sondern  es  kann  noch  und  raufs  Mehreres  unterschieden  werden. 
Vor  Allem  kann  unter  Inhalt,  z.  B.  der  nominalen  Vorstellung, 
die  Bedeutung  als  ideale  Einheit  gemeint  sein:  die  Vorstellung 
in  einem  rein-logischen  Sinne.  Ihr  entspricht  als  reales  Moment 
im  descriptivon  Inhalt  des VorstHliingsactes  das  intentionale 
Wesen  mit  Vorstellimg-squalität  und  Materie.  Weiter  unterschei- 
den wir  im  descriptivon  Inhalt  die  ablösbaren,  nicht  zum  inten- 
tionalen  Wesen  gehörigen  Bestandstücke:  die  „Inhalte",  welche 
im  Actbewufstsein  (im  intentionalen  AVesen)  ihre  Auffassung  oder 
Deutung  erfuhren,  d.  i,  die  Empfindungen  und  Phantasmen. 
Dazu  kommen  bei  manchen  Vorstellungen  die  abermals  mehr- 
deutigen Unterschiede  von  Form  und  Inhalt;  zumal  ist  da 
wichtig  der  Unterschied  von  Materie  (in  einem  total  neuen  Sinne) 
und  kategori.aler  Form,  womit  wir  uns  noch  viel  werden  be- 
schäftigen müssen.  Damit  hängt  z.  B.  zusammen  die  selbst  nicht 
eindeutige  Rede  vom  Inhalt  der  Begriffe:  Inhalt  =  Inbegriff 
der  „Merkmale"  und  unterschieden  von  ihrer  Verknüpfungsform. 
Wie  bedenklich  die  einheitliche  Rodo  von  Inhalt,  in  blofser 
Gegenüberstellung  von  Act,  Inhalt  und  Gegenstand  ist,  zeigen 
die  (oben  zum  Theil  nachgewiesenen)  Schwierigkeiten  und  Ver- 
irrungen,  in  die  Twardowsju  geräth,  so  in  seiner  Rede  von  der 
„in  doppelter  Richtung  sich  bewegenden  Vorstcllungsthätigkeit", 


Zusammenstellung  der  wichtigsten  Aequivocationen  u.s.w.     471 

in  seinem  vöUigon  üebersehen  der  Bedeutung  im  idealen  Sinu, 
in  seiner  psychologistischen  VerflücSitiguug  evidenter  Bedeututigs- 
unterschiedo  durch  Recurs  auf  die  Uutci-sohiedo  der  Etyma,  in 
seiner  Behandlung  der  Lehre  von  der  „intentionalen  Inexistenz", 
und  der  Lehre  von  den  allgemeinen  Gegenständen. 

Anmerkung. 

In  neuerer  Zeit  ist  die  Ansicht  öftei-s  ausgesprochen  wonluii, 
dafs  zwischen  Vorstellen  und  vorgestelltem  Inhalt  kein  ITnteisriiicd 
bestehe,  oder  mindestens  ein  solcher  piiiluomenologiseh  nicht  nach- 
weisbar sei.  Wie  man  hiezu  Stellung  nimmt,  wird  natftrhch  davon 
abhängen,  was  man  unter  diesen  Worten  VorsteUeu  und  Inhalt  ver- 
steht. Wer  sie  durch  das  blufse  Haben  von  Empfindungen  und  Phan- 
tasmen, unter  Absti-actiou  von  aller  Auffassung,  interpretirt,  sagt 
sichorhuli  mit  Recht:  einen  eigenen  Act  Vorstellen  giebt  es  nicht, 
Vorstellen  und  Vorgestolltos  ist  ein  und  dasselbe.  Jenes  blofse  Haben 
des  Inhalts,  als  ein  bloiscs  Erleben  des  Erlebnisses,  ist  ja  nicht  notli- 
weudig  ein  darauf  Achten  mid  es  Wahrnehmen;  daher  ideutiflcirten 
auch  wir  Empfindung  unti  Empfinduugsinhalt.  Kanu  aber,  wer  je 
die  verschiedenen  ßegriffe  von  Vorstellung  gesondert  hat,  zweifeln, 
dafe  ein  so  umgrenzter  Bogriff  nicht  festgehalten  werden  kann  und 
auch  nie  festgehalten  wonlen  ist,  und  dafs  deraelbe  nur  dnreli  Mifs- 
deutung  der  ui-sprflnglicheren ,  intentionalen  Vorstelltingsbegi-iffe  er- 
wachsen ist?  Wie  immer  der  Begriff  Vorstellung  bestimmt  werden 
mag,  darin  sind  alle  einig,  dafs  damit  ein  nicht  blofs  fdr  die  Psycho- 
logie, sondern  auch  flh'  die  Erkenntniskritik  und  Logik,  und  speciell 
auch  füi-  die  reine  Logik,  mafsgeblicher  BegrilT  getroffen  sein  soll. 
Somit  ist,  wer  dies  zugesteht  und  doch  den  oben  bezeichneten  Be- 
griff zu  Grunde  legt,  eo  ipso  schon  in  die  Vermengung  gerathen. 
Denn  in  der  Erkenntniskritik  und  reinen  Logik  hat  dieser  Begriff 
Qlierhaupt  keine  Function. 

Nur  aus  der  Vermengung  kann  ich  mir  es  auch  erklären,  dafs 
ein  sonst  so  scharfsinniger  Forscher  wif  v.  EunENFEi^  gelegentlich 
(Z.  f.  Psychol.  u.  Physiol.  XVI.  18Ü7)  meinte:  wir  könnten  der  Än- 
nalime  eines  vom  Vorstellungsinhalt  imtersohiedenen  Vorstellungsactes 


472         V.   Ueber  intentionale  Erlebnisae  tmd  ihre  „Inhalte". 

nicht  entrathen,  hauptsächlich  deswegen,  weil  wir  sonst  keinen  psycho- 
logischen Unterschied  zwischen  der  Yorstellung  eines  Gegenstandes  A 
und  der  Yorstellung  von  einer  Yorstellung  desselben  anzugeben  ver- 
mochten; direct  dagegen  habe  er  sich  noch  nie  von  der  Existenz  jenes 
Ph&nomens  zu  Qberzeugen  vermocht  loh  wOrde  hier  sagen,  da&  uns 
ein  Yorstellungsact  als  solcher  direct  anschaulich  wird,  wo  wir  ge- 
rade diesen  Unterschied  zwischen  Yorstellung  und  Yorstellung  dieser 
Yorstellung  phänomenologisch  constatiren.  Gäbe  es  aber  solche 
I^lle  nicht,  dann  dürfte  sich  in  aller  Welt  kein  Argument  finden 
lassen,  welches  die  Berechtigung  eines  solchen  Unterschiedes  indirect 
begrOnden  konnte.  Ebenso  haben  wir,  meine  ich,  die  Existenz  eines 
Yorstellungsactes  direct  constatirt,  wenn  wir  ims  den  Unterschied 
zwischen  einem  blolsen  Lautgebild  und  demselben  Laatgebild  als  ver- 
standenen Namen  klar  machen.     U. s.w. 


VI 

Elcmt>nte  einer  pliäuomeuologisclien  Anfkläruug 
der  Erkonntüis. 


Einleitung. 

Die  vorige  Untersuchung,  die  sich  zunächst  in  feroabliegende 
Fragen  der  descriptiven  Psychologie  zu  verlieren  schien,  hat  unsere 
erkenntnislclürenden  Interessen  nicht  unerheblich  gefördert  Aliea 
Donken,  zumal  altes  tlieoretisolio  Denken  und  Erkennen,  vollzieht 
sich  in  gewissen  „Äcten^,  die  im  Zusararaenhange  der  ausdrücken- 
den Rede  auftreten.  In  diesen  Acten  liegt  die  Quelle  all  der 
Oeltungseinheiten ,  die  als  Denk-  und  Erkenntnisohjecte  oder  als 
deren  erklärende  Gründe  und  Gesetze,  als  deren  Theorien  und 
Wissenschaften  dem  Denkenden  gegenüberstehen.  In  diesen  Acten 
liegt  also  auch  die  Quelle  für  die  zugehörigen  allgemeinen  und 
reinen  Ideen,  deren  idealgesetzlichen  Zusammenhänge  die  reino 
Logik  herausstellen  und  deren  Klärung  die  Erkenntniskritik  voll- 
ziehen will.  OlTenbar  ist  nun  schon  durch  die  Feststellung  der 
phänomenologischen  Eigenart  der  Acte  als  solcher,  dieser  viel- 
umstrittonen  und  vielvorkannton  Erlebnisklasse,  für  die  erkenntnis- 
klärende Arbeit  viel  gewonnen.  Durch  die  Einordnung  der  logi- 
schen Erlebnisse  in  diese  Klasse  ist  ein  erster  wichtiger  Schritt 
zur  Abgrt.'nziing  und  analytischen  Verstand lichung  der  logischen 
Sphäi-e  und  der  fundamentalen  Erkenntnisbegriffe  gethan.  Der  Fort- 
gang unserer  Untersuchung  führte  »ms  aber  auch  zur  Absonde- 
ning  verschiedener  Begriffe  von  Inhalt,  die  überall,  wo  Acte  und 
ihnen  zugehörige  ideale  Einheiten  in  Frage  sind,  verwirrend  in- 


einander  zu  laufen  pflegen,  unterschiede,  die  uns  im  engeren 
Kreise  der  Bedoutungcu  und  bedeutungverleihenden  Acte  schon  in 
der  ersten  Untersurliung  aufgefallen  waren,  kehrten  jetzt  im  wei- 
teren Gebiet  und  in  allgemeinster  Form  wieder.  Auch  der  in  der 
letzten  Untersuchung  als  neuer  gewonnene  und  besonders  merk- 
würdige Inlialtsbogrift',  der  des  intentionaten  Wesens,  entbehrte 
dieser  Beziehung  zum  logiseben  Gebiete  nicht;  denn  dieselbe 
Reihe  von  Identitäten,  die  uns  früher  zur  Illustrirung  der  Ein- 
heit der  Bedeutung  gedient  hatte,  ergab,  passend  verallgemei- 
nert, eine  gewisse  auf  beliebige  Acte  zu  beziehende  Identität  als 
die  des  „intentionalen  Wesens".  Durch  diese  Anknüpfung,  bezw. 
Unterordnung  der  phänoiuonologischeu  Charaktere  und  idealen 
Einheiten  des  logischen  Gebietes  unter  die  ganz  allgonieinen  Ciia- 
raktere  und  Einheiten,  die  im  Actgebiet  überhaupt  ihre  Domäne 
haben,  gewannen  die  ersteren  ein  erhebliches  Mafs  an  phänome- 
nologischem und  kritischem  Verständnis. 

Die  in  den  letzton  Kapiteln  durchgeführton  Untersuchungen, 
sich  iinschliefsend  an  tlic  Unterscheidung  von  Actqualitiit  und  .Act- 
matorio  innerhalb  des  einheitlichen  iotentionalon  Wesens,  führten 
abermals  tief  in  die  logische  Interessensphäre  hinein.  Die  sich  auf- 
drängende Fi-age  nach  dem  Verhältnis  dieser  intentionalen  Materie, 
zu  der  jedem  Acte  wesentlichen  Vorstellungsgrimdlage,  zwang  uns, 
mehrere  wichtige  und  allzeit  vermengte  Begriffe  von  Vorstellung 
zu  sondern,  womit  zugleich  ein  Fundamcn talstück  der  „Urtheils- 
theorie"  herausgearbeitet  wurde.  Allerdings  blieben  dabei  die 
specifisch  logischen  Begriffe  von  Vorstellung  und  der  Begriff  des 
Urtheils  ohuo  nbschliefsende  Klärung.  Hier  und  überhaupt  ist 
uüch  ein  grofses  Stück  Weges  vor  uns.  Wir  stehen  immer  noch 
in  den  Anfängen. 

Selbst  das  näherliegende  Ziel,  den  Ureprung  der  Idee  Bedeu- 
tung klarzulegen,  haben  wir  noch  nicht  zu  erreichen  vcrmocliL 
Unverkennbar  liegt,  und  das  ist  eine  werth volle  Einsicht,  die  Be- 
deutung der  Ausdrücke  im  intentionalen  Wesen  der  betreffenden 
Acte;  aber  die  Frage,  was  für  Arten  von  Acten  zur  Bedeutung»-] 
function  überhaupt  befähigt,  oder  ob  nicht  vielmehr  Acte  jederlei 


Art  in  dieser  Hinsicht  gleichgestellt  sind,  ist  noch  garnicht  er- 
wogen. Sowie  wir  diese  Frage  aber  in  Angriff  nehmen  wollen, 
stofsen  wir  (dies  werden  die  nächsten  Paragraphen  gleich  zeigen) 
auf  das  Verhältnis  von  Bedeutungsintention  und  Bedou- 
tungserfüllung,  oder  in  traditioneller,  aber  freilieh  äquivoker 
Ausdrucksweise,  auf  dos  Verhältnis  von  „Begriff"  oder  „Ge- 
danke" {hier  eben  als  anschauüi-h  unerfüllte  Meinung  verstanden) 
und   „correspondirender  Anschauung". 

Die  genaueste  Erforschung  dieses,  schon  in  der  üntei"suchung  I 
angezeigten  Unterschiedes  ist  von  ausnehmender  Wichtigkeit-  In 
der  Durchführung  der  zugfliörigou  und  zunächst  an  die  allerein- 
fachsten  nominalen  Intentionen  angeknüpften  Analysen  werden  wir 
bald  darauf  aufmerksam,  dals  die  ganze  Betrachtung  nach  einer 
naturgeraäfsen  Erweiterung  und  Umgrenzung  verhmgt. 
Die  weiteste  Klasse  der  Acte,  bei  welchen  wir  Unterschiede  der 
Intention  und  Erfiiliung,  bezw.  Enttäuschung  der  Intention  vor- 
finden, reicht  weit  über  das  logische  Gebiet  hinaus.  Dieses 
selbst  grenzt  sich  durch  die  Besonderheit  eines  Erfülkingsverhält- 
nisses  ab.  Eine  Klasse  von  Acten  —  die  objoctivircnden  — 
sind  nämlich  gegenüber  allen  anderen  dadurch  ausgezeichnet,  dafs 
die  in  ihre  Sphäre  gehörigen  Erfülhingssynthesen  den  Charakter 
der  Erkenntnis,  der  Identificirung,  der  „In-Eins-Setzung"  von 
„Uebereinstinunendem"  haben,  und  demgemäfs  die  Enttäuschungs- 
synthesen  den  corrolaten  Cliarakter  der  „Trennung"  von  „Wider- 
streitendem". Innerhalb  dieser  weitesten  Sphäre  der  objectiviren- 
den  Acte  werden  wir  nun  alle,  auf  die  Erkenntniseinheit  be- 
züglichen Verhältnisse  studiren,  und  zwar  nicht  nur  soweit 
es  sich  um  eine  Flrfiillung  jener  besonderen  Intentionen  handelt, 
die  den  Ausdrücken  als  Bedeutungsintentionen  anhängen.  Ana- 
loge Intentionen  treten  auch  unabhängig  von  grammatischer  An- 
knüpfung auf  Ferner  haben  auch  die  Anschauungen,  und  sogar 
in  der  Rege!,  den  Charakter  vun  Intentionen,  welche  noch  weitere 
Erfüllung  fordern  und  solche  oft  erfidiren. 

Wir  werden  die  ganz  allgemeinen  Begriffe  von  Signification 
und  Intuition  phänomenologisch,   und   zwar  in  Recurs  auf  die 


Erfülliingsphänomone,  charakterisiren  und  die  fiir  die  Klärung 
der  Erkenntnis  fundamentale  Analj'so  der  verschiedenen  Arten 
von  Anschauung,  zunächst  der  sinnlichen  Anschauung,  erfor- 
schen. Wir  werden  dann  in  die  Phänomenologie  der  Erkennt- 
nisstiifen  eintreten  und  einer  Reihe  auf  sie  bezügllciier  Grund- 
begriffe der  Erkenntnis  Klarheit  und  feste  Bestimmtheit  verleiiicn. 
Hierbei  worden  auch  neue,  in  den  vorangegangenen  Analysen 
iiiir  nebenbei  berührte  Inhaltsbegriffe  hervortreten:  der  Begriff  des 
intuitiven  Inhalts  und  der  Begriff  des  repräsentirendon 
(aiifgefafston)  Inhalts.  Dem  bisherigen  Begriff  des  intentionalen 
Wesens  wird  sich  das  erkenntnisniäfsige  Wesen  anreihen,  und 
innerhalb  des  letzteren  werden  wir  die  intentionale  Qualität,  die 
intentionalc  Materie  als  den  Auffassungssinn,  die  Auffassungs- 
form und  den  aiifgefnrsten  (appercipirten,  bezw.  repräsentirendon) 
Inhalt  unterscheiden.  Es  wird  dabei  der  Begriff  der  Auffassung 
oder  Repräsentation,  als  Einheit  von  Materie  und  repräsenti- 
reudera  Inhalt  durch  die  Auffassuugsfurm,  bestimmt  werden. 

Was  nun  die  Stufeureihe  der  Intention  und  Erfüllung  anbe- 
langt, so  werden  wir  die  Unterschiede  gröfserer  oder  geringerer 
Mittelbarkeit  in  der  Intention  selbst,  die  eine  schlichte  Er- 
füllung ausschliefst,  vielmehr  eine  abgestufte  Folge  von  Erfüllungen 
fordert,  kennen  und  damit  den  wichtigsten,  bisher  noch  unge- 
klärten Sinn  der  Rede  von  indirecten  Vorstellungen  verstehen 
lernen.  Wir  verfolgen  dann  die  Untei^schiede  gröfserer  oder  gerin- 
gerer Angenies.senhoit  der  Intention  an  das  sich  ihr  in  der  Er- 
kenntnis als  Erfüllung  anschmelzende  Anschauungserlebnis,  und 
bestimmen  den  Fall  der  objectiv  vollständigen  Anraessung. 
Im  Zusammenhang  damit  streben  wir  eine  letzte  phänomenologi- 
scho  Klärung  der  Begriffe  Möglichkeit  und  Unmöglichkeit 
(Einigkeit,  Verträglichkeit  —  Widerstreit,  Unverträglichkeit)  und 
der  auf  sie  bezüglichen  idealen  Axiome  an.  Unter  Mitberück- 
sichtigung der  bislang  aufser  Spiel  gebliebenen  Aetqualitäten,  be- 
trachten wir  dann  den  auf  die  setzenden  Acte  bezogenen  Unter- 
schied vorläufiger  und  letzter  Erfüllung.  Die  letzte  Erfüllung 
repräsentirt  ein  Vollkommenheitsideal.    Sie  liegt  allzeit  in  einer  ent- 


sprecheudon  „Wahnieliinimg"  (wobei  allerdings  eiue  nothwendige 
Erweiterung  des  Wahrnelumingsbegriffs  über  die  Scbrauken  der 
Sinnlichkeit  hinaus  vorausgesetzt  ist).  Die  Erfüllungssynthesis 
dieses  Falls  ist  die  Evidenz  oder  Erkenntnis  im  prägnanten 
Wortsinn.  Eier  ist  das  Sein  im  Sinne  der  Wahrheit,  der 
recht  verstandenen  „Uebereinstiramung",  der  „adaequntio  rei  ac 
inielkcttis''  realisirt,  liier  ist  sie  selbst  gegeben,  direct  zu  erschauen 
und  zu  ergreifen.  Die  verschiedenen  Begriffe  von  Wahrheit, 
die  auf  Grand  der  einen  und  selben  phänomenologischen  Sachlage 
KU  constituiren  sind,  finden  hier  <lie  vollkoinmeno  Klärung.  Das 
Analoge  gilt  für  das  correlate  Ideal  der  Unvollkommenheit,  also 
für  den  Fall  der  Absurdität,  und  zwar  in  Hinsicht  des  „Wider- 
streites" und  des  darin  erlebten  Nichtseins,  der  Unwahrheit 

Der  natürliche  Gang  unserer,  ursprünglich  nur  für  die  Be- 
deutungsintentionen interessirton  Untersuchung  bringt  es  mit  sich, 
dafs  alle  diese  Betrachtungen  zunächst  die  einfachsten  Bedeutungen 
als  Ausgang  nehmen,  und  somit  von  den  Formunterschieden 
der  Bedeutungen  abstrahiren.  Die  ergänzende,  diese  Unterschiede 
in  Rücksicht  ziehende  üntereucliung  des  zweiten  Abschnitts  leitet 
uns  sofort  auf  einen  völlig  neuen  Begriff  von  Materie,  näm- 
lich auf  die  fundamentale  Gegenüberstellung  von  sinnlichem 
Stoff  und  kategorialer  Form,  oder,  um  die  objective  mit  der 
phänomenologischen  Stellung  zu  vertauschen,  zwischen  sinnlichen 
und  katogorialen  Acten.  In  nahem  Zusammenhang  damit  steht 
die  wichtige  Unterscheidung  zwischen  sinnlichen  (realen)  und  kate- 
goriiden  Gegenständen ,  Bestimmtheiten,  Verknüpfungen;  wobei  es 
sich  als  für  die  kategorialen  charakteristisch  erweist,  dafs  sie  in 
der  Weise  der  „Wahrnehmung"  nur  in  Acten  „gegeben"  sein  können, 
welche  in  anderen  Acten,  letztlich  in  Acten  der  Sinnlichkeit  fun- 
dirt  sind.  Ueberhaupt  ist  die  intuitive,  also  auch  die  imaginative 
Erfüllung  kategorialer  Acte  in  sinnlichen  Acten  fundirt.  Nie- 
mals kann  aber  blofse  Sinnlichkeit  katogorialen,  genauer:  katego- 
riale  Formen  einschliefsonden,  Intentionen  Erfüllung  bieten;  viel- 
mehr liegt  die  Erfüllung  jederzeit  in  einer  dui'ch  kategoriule  Acte 
geformten  Sinnlichkeit    Damit  hängt  eine  durchaus  unentbehr- 


L 


liehe  Erweiterung  der  ursprünglich  sinnlichen  Begriffe, 
Anschauung  und  Wuhrnehniung  zusammen,  welche  es  ge- 
stattet, von  kategorialer  und  speciell  von  allgemeiner  An- 
schauung zu  sprechen.  Die  Unterscheidung  zwischen  sinn- 
licher und  rein  kategorialer  Äbstraction  bedingt  dann  die 
Unterscheidung  der  Aligemeinbogriffe  in  sinnliche  Begriffe  und 
Kategorien.  Der  alte  erkeniitnistheoretische  Gegensatz  zwischen 
Sinnlichkeit  und  Verstand  findet  durch  die  Unterscheidung 
zwischen  schlichter  oder  sinnlicher,  und  fundirter  oder  kategorialer 
Anschauung  alle  erwünschte  Klarheit  Ebenso  der  Gegensatz 
zwischen  Denken  und  Anschauen,  welcher  im  philosophischen 
Sprachgebrauch  die  Verhältnisse  von  Significntion  und  erfüllender 
Intuition  mit  den  Verhältnissen  sinnlicher  und  kategorialer  Acte 
vermengt.  Alle  Rede  von  logischer  Form  betrifft  das  rein  Kate- 
goriale  der  betreffenden  Bedeutungen  und  BedeutuugserfüUungen. 
Die  logische  „Materie",  der  Inbegrifl'  der  „Termini",  kann  aber 
vermöge  einer  stutenweisen  Uobereinanderlagcrung  kategorialer 
Intentionen,  selbst  noch  Unterecliiede  zwischen  Stoff  und  Form 
zulassen,  so  dafs  die  logische  Gegenüberstellung  von  Stoff  und 
Form  auf  eine  gewisse,  leicht  vei-stäudliche  Relativirung  unseres 
.  absoluten  Unterschiedes  hinweist 

Den  Hnnptstock  dieser  Untersuchung  beschliefsen  wir  mit 
einer  Erwägung  der  Schranken,  welche  die  Freiheit  der  actuellen 
kategorialen  Formung  eines  Stoffes  eindämmen.  Wir  werden  auf 
die  analytischen  Gesetze  des  eigentlichen  Denkens  auf- 
merksain,  welche  in  den  reinen  Kategorien  gründend,  von  aller 
Besonderheit  der  Stoffe  unabhängig  sind.  Parallele  Schranken 
umgrenzen  das  uneigontlicho  Denken,  d.  i.  die  blofse  Signi- 
fioation,  wofern  sie  zum  Ausdruck  im  eigentlichen  Sinne,  «  priori 
und  unabhängig  von  den  auszudrückenden  Stoffen,  soll  befähigt 
sein  können.  Aus  dieser  Forderung  entspringt  die  Function  der 
eigentlichen  Denkgesetze  als  Normen  der  blolsen  Signification. 

Die  zu  Beginn  der  Untersuchung  aufgeworfene  Frage  nach 
einer  natürlichen  Umgrenzung  der  sinngebenden  und  sinnerfüllen- 
den Acte,  ist  durch  deren  Einordnung  in  die  Klasse  der  objecti- 


virenden  Acte,  und  durch  die  Einthcilung  der  objeetivirenden  Acte 
in  significative  und  intuitive  erledigt.  Erst  die  im  Ganzen  der 
Untoreuclmug  vollzogene  Klärung  der  die  Erfüllung  angehenden 
phänomenologischen  Verhältnisse  setzt  uns  in  den  Stand,  die  Argu- 
mente kritisch  zu  würdigen,  welche  für  und  gegen  die  Aristote- 
lische Auffassung  der  Wunsch-,  Befehlsätze  u.  dgl.  als  Prädi- 
cationen  sprechen.  Der  vollen  Aufklänuig  dieser  Streitfrage  ist  der 
Schhifsabschnitt  der  vorliegenden  Untersuchung  gewidmet. 

Die  soeben  geachilderteu  Ziele  unserer  Bemühungen  sind  nicht 
die  lützten  und  höchsten  einer  phänomenologischen  Aufklärung  der 
Erkenntnis  überhaupt.  Das  so  überaus  frnchtbare  Qeiiiet  des  mittel- 
baren Denkens  und  Erkeunous  lassen  unsere  Analysen,  so  umfassend 
sie  auch  sind,  noch  fast  ganz  unbeai'beitet;  das  Wesen  der  mittelbaren 
E\'idenz  und  ihrer  idealen  Cori-elate  bleibt  ohne  zureichende  Aufklärung. 
Inmierhia  glauben  wir  nicht  zu  Oeringes  angestrebt,  wir  hoffen  die 
untersten  imd  ihrer  Natm-  nach  ereten  Fundamente  der  Erkenntnis- 
kritik blofsgelegt  zu  haben.  Auch  in  der  Erkenntniskritik  lieii'st  es, 
jene  Selbstbeseheidimg  üben,  welche  im  Wesen  aller  streng  wisaen- 
schaftlichen  Forschung  liegt.  Richtet  sich  ilir  Abseheu  auf  wirkliche 
und  endgUtige  Erledigung  der  Sachen,  täuscht  sie  sich  nicht  mehr 
vor,  die  grofaen  Erkenntnisprobleme  durch  blolse  Kritik  überlieferter 
Phüosopheme  und  probables  Raisonnement  lösen  zu  können;  ist  sie 
sich,  dessen  endlich  bewufst,  dafs  die  Sachen  nur  in  handanlegender 
Arbeit  von  der  Stelle  gebracht  und  gestaltet  werden:  so  rauls  sie  sich 
auch  darein  finden,  die  Erkenntiiisprobleme  vorerst  nicht  in  ihren 
höheren  und  höchsten  Ausgestaltungen  anzufassen,  in  denen  sie  ims 
am  interessantesten  sind,  sondern  in  ihren  relativ  einfachsten  Formen, 
in  den  niediigsten  der  ihr  zugänglichen  Bildungsstufen.  Dafs  eine 
sich  in  dieser  Weise  bescheidende  erkenntnistheoretisohe  Arbeit  noch 
ein  überreiches  Mals  von  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  ja  fast  noch 
Alles  zu  leisten  hat,   werden  die  jetzt  folgenden  Analysen  beweisen. 


Erster  Abschnitt. 

Die  objectivirenden  Intentionen  und  Erfüllungen. 

Die  Erkenntnis  als  Synthesis  der  Erfüllung  luid  ihre  Stufen. 


Erstes  Kapitel. 
Bedeutung^intention  und  BedeutungserfdUung. 

§  1.     Ob  alle  oder  nur  yeifisse  Adartcn  als  Bedeutungslrüger 
fungiren  können. 

Wir  knüpfen  an  die  in  der  Einleitung  angeregte  Frage  an,  ob 
sich  das  Bedeuten  nur  in  Acten  gewisser  eingeschränkten  Gattungen 
vollziehe.  Zunächst  möchte  es  als  ganz  selbstverständlicli  erecheinen, 
dals  derartige  Schranken  nicht  bestehen,  und  jedweder  Act  als 
sinngebender  fungiren  könne.  Wir  können  doch  Acte  jeder  Art  — 
Vorstellungen,  Urtheile,  Verrauthungon,  Fragen,  Wünsche  u.  s.  w. 
—  zum  Ausdruck  bringen,  und  indem  wir  dies  thun,  liefern 
sie  uns  die  Bedeutungen  der  bezüglichen  Eedeformen,  der  Namen, 
der  Aussagen,  der  Frage-,  Wunschsätze  u.  s.  w. 

Aber  auch  für  die  gegentheilige  Auffassung  kann  man  Selbst- 
verständlichkeit in  Anspruch  nehmen,  und  speciell  dafür,  dafs 
sich  alle  Bedeutungen  auf  eine  engbegrenzte  Klasse  von  Acten 
beschränken.  Qewifs  ist  jeder  Act,  sagt  man  nun,  nusdrückbar; 
aber  seinen  jeweiligen  Ausdruck  findet  er  in  einer  ihm  (bei  hin- 
reichend entwickelter  Sprache)  eigens  angepafsten  Redeform;  wir 
haben  beispielsweise  bei  den  Sätzen  die  Unterschiede  der  Aus- 
sagesätze, der  Fragesätze,  der  Befehlsätze  u.  s.  w.  Bei  den  Erst- 
genannten wieder  den  unterschied  der  kategorischen,  hypothe- 
tischen, disjuuctiven  u.  a.  Sätze.  Jedenfalls  mufs  der  Act,  indem 
er  in  dieser  oder  jener  Redeform  zum  Ausdruck  kommt,  in  seiner 
Artbestimmtheit  erkannt  sein,  die  Frage  als  Frage,  der  Wunsch 
als  Wunsch,  das  Urthoil  als  Urtlieil  u.  s.  w.  Dies  erstreckt  sich 
auf  die  aufbauenden  Tiieilacte,  soweit  der  Ausdruck  sich  ihnen 
anmifst.     Die  Acte  könnten  nicht  die  zu  ihnen  passenden  Formen 


d 


Bedaäungsintention  und  BedeuUingserfüllung.  481 


finden,  ohne  dafs  sie  nach  Form  und  Inhalt  appercipirt,  erkannt 
würden.  Das  Ausdrücken  der  Rede  liegt  also  nicht  in  blolsen 
Worten,  sondern  in  ausdrückenden  Acten;  diese  prägen  die 
correlaten,  durch  sie  auszudrückenden  Acte  in  einem  neuen  Stoff 
aus,  sie  schaffen  von  ihnen  einen  gedanklichen  Ausdruck, 
dessen  allgemeines  Wesen  die  Bedeutung  der  betreffenden  Rede 
ausmacht. 

Eine  treffliche  Bestätigung  dieser  Auffassung  scheint  in  der 
Möglichkeit  der  rein  symbolischen  Function  der  Ausdrücke  zu 
liegen.  Der  geistige  Ausdruck,  jenes  gedankliche  Gegenbild  des 
auszudrückenden  Actes,  haftet  am  sprachlichen  Ausdruck  und  kaun 
mit  diesem  aufleben,  auch  wenn  jener  Act  selbst  von  dem  Ver- 
stehenden nicht  vollzogen  wird.  Wir  verstehen  den  Ausdruck 
einer  Wahrnehmung,  ohne  selbst  wahrzunehmen,  den  Ausdruck 
einer  Frage,  ohne  selbst  zu  fragen  u.  s.  w.  Wir  haben  nicht  die 
blofsen  Worte,  sondern  auch  die  gedanklichen  Formen  oder  Aus- 
drücke. Im  gegen theiligen  Falle,  wo  die  intendirten  Acte  wirk- 
lich gegenwärtig  sind,  kommt  der  Ausihuck  mit  dem  Auszu- 
drückenden zur  Deckung,  die  den  Worten  anhaftende  Bedeutung 
pafst  sich  dem,  was  sie  bedeutet,  an,  ihre  gedankliche  Intention 
findet  darin  die  erfüllende  Anschauung. 

In  offenbar  innigem  Zusammenhang  mit  diesen  gegensätz- 
lichen Auffassungen  steht  der  alte  Streit,  ob  die  eigenthüm- 
lichen  Formen  der  Frage-,  Wunsch-,  Befehlsätze  u.  dgl.  als  Aus- 
sagen, ihre  Bedeutungen  somit  als  Urtheile  gelten  dürfen  oder 
nicht.  Nach  der  Aristoteli.scben  Lehre  liegt  die  Bedeutung  aller 
selbständig  geschlossenen  Sätze  in  verschiedenartigen  psychischen 
Erlebnissen,  in  Erlebnissen  des  Urtheilens,  Wünschens,  Befeh- 
lens  u.  s.  w.  Hingegen  vollzieht  sich  nach  der  anderen,  sich  in 
neuerer  Zeit  immermehr  verbreitenden  Lehre,  das  Bedeuten  aus- 
schliefsllch  in  ürtheilen,  bezw.  in  deren  vorstellungsmäfsigen  Modi- 
ficationen.  Im  Fragesatz  sei  zwar  in  gewissem  Sinne  eine  Frage 
ausgedrückt,  aber  nur  dadurch,  dafs  die  Fi-age  als  Frage  aufge- 
fafst,  in  dieser  gedankliclien  Fassung  als  Erlebnis  des  Sprechen- 
den   hingestellt   und   somit   als   sein  Erlebnis  beurtheilt  sei.     So 

Hnaaerl,  Loir.  Unt«ra.  H,  31 


überall.  Jede  Bedeutung  ist  im  Sinne  dieser  Lehre  entweder  nomi- 
nale oder  propositionale  Bedeutung,  oder,  wie  wir  noch  besser 
sagen  können,  jede  ist  entweder  die  Bedeutungeines  ganzen  Aus- 
sagesatzes oder  ein  möglicher  Tbeil  einer  solchen  Bedeutung.  Aus- 
sagesätze sind  hierbei  prädicative  Sätze.  Denn  allgemein  wird 
auf  dieser  Seite  ürtheil  als  prädicirender  Act  verstanden,  wäh- 
rend freilich,  wie  wii-  noch  hören  werden,  der  Streit  seinen  Sinn 
behält,  wenn  ürtheil  als  setzender  Act  überhaupt  verstan- 
den wird. 

um  die  richtige  Stellung  zu  den  aufgeworfenen  Fragen  zu 
finden,  wird  es  genauerer  Erwägungen  bedürfen,  als  sie  in  den 
obigen,  zuniichstliegenden  Argumentationen  vorgenommen  sind. 
Es  wird  sich  zeigen,  dafs,  was  auf  der  einen  und  anderen  Seite 
als  Selbstverständlichkeit  hingestellt  wird,  bei  näherer  Beti'achtung 
sich  als  unklar  und  sogar  als  irrig  herausstellt 


§  2.     Die  Ausdrückbarkeit   aller  Acte  entscheidet  nidii.     Zwei  Bedeu- 
tungen der  Rede  vom  Ausdrücken  eines  Actes. 

Alle  Acte,  so  sagte  man  uns  vorhin,  sind  ausdrückbar. 
Das  ist  natürlich  aufser  Zweifel,  aber  es  liegt  darin  nicht,  was 
man  uutei-schieben  möchte,  nämlich  dafs  alle  Acte  darum  auch  in 
der  Function  von  Bedeutungsträgern  stehen  können.  Die  Rede 
vom  Ausdrücken  ist,  wie  wir  früher'  besprachen,  eine  mehrfaltige, 
und  sie  ist  es  auch  noch,  wenn  wir  sie  auf  auszudrückende  Acte 
beziehen.  Als  ausgedrückt  kann  man  die  Bedeutung  verleihenden, 
die  im  engeren  Sinne  „kundgegebenen"  Acte  bezeichnen.  Aber  noch 
andere  Acte  können,  und  danu  natürlich  in  anderem  Sinne,  ausge- 
drückte heifsen.  Ich  meine  hier  die  sehr  gewöhnlichen  Fälle,  wo 
wir  Acte,  die  wir  gerade  erleben,  nennen  und  mittelst  der 
Nennung  aussagen,  dafs  wir  sie  erleben.  In  diesem  Sinne  gebe 
ich  einem  Wunsche  Ausdruck  in  der  Fonn  ich  imitiscfie,  dafs  . . ., 
einer  Frage  iu  der  Form  ich  frage  ob  .  .  .,  einem  Ürtheil  in  der 
Form    ich   urtheile,   dafs  ...  u.  s.  w.     Selbstverständlich    können 


•  Vgl.  Dut.  1,8.  46. 


wir  ja  so  gut  wie  über  äufsere  Dinge,  auch  über  eigene  innere 
Erlebnisse  urtheilen,  und  thun  wir  dies,  so  liegen  die  Bedeutungen 
der  betreffenden  Sätze  in  den  Urtheilen  über  diese  Erlebnisse, 
und  nicht  in  den  Erlebnissen  selbst,  den  Wünschen,  Fragen  u.  dgl. 
Genau  so  liegen  ja  auch  die  Bedeutungen  der  Aussagen  über  die 
äufsern  Dinge  nicht  in  diesen  Dingen  (den  Pferden,  Häusern  u.  s.  w.), 
sondern  in  den  Urtheilen,  die  wir  über  sie  innerlich  fällen,  bezw. 
in  den  Vorstellungen,  welche  diese  Urtheile  aufbauen  helfen.  Dafs 
die  beurtheilten  Objecto  in  einem  Falle  dem  Bewufstsein  trans- 
scendent  sind  (oder  als  das  gelten  wollen),  im  anderen  als  dem 
Bewufstsein  immanent,  bedingt  hier  keinen  wesentlichen  Unter- 
schied. Allerdings  ist  der  mich  erfüllende  Wunsch,  indem  ich  ihn 
ausspreche,  mit  dem  Urtheilsact  concret  Eins.  Aber  zum  Urtheil 
trägt  er  nicht  eigentlich  bei.  Der  Wunsch  wird  in  einem  Acte 
reflectiver  Wahrnehmung  aufgefafst,  dem  Begriffe  Wunsch  unter- 
geordnet, mittelst  dieses  Begriffes  und  der  determinirendeu  Vor- 
stellung des  Wunschinhatts  genannt;  und  so  liefert  direct  die 
begriffliche  Vorstellung  vom  Wunsche  ihren  Beitrag  zum  Urtheil 
über  den  Wunsch,  und  der  entsprechende  Wunschiiame  den  seinen 
zur  Wunschaussage,  ganz  wie  die  Vorstellung  vom  Menschen  ihren 
Beitrag  zum  Urtheil  über  den  Menschen  (bezw.  der  Name  Mensch 
den  seinen  zur  Aussage  über  den  Menschen)  liefert.  Denken  wir 
uns  im  Satze  ich  wünsche,  dafs  .  .  .  statt  des  Subjectwortes  ich 
den  bezüglichen  Eigennamen  substituirt,  so  leidet  darunter  der 
Sinn  des  Satzes  nach  den  unmodificirten  Theilen  sicherlich  nicht. 
Es  ist  aber  unverkennbar,  dafs  die  Wunschaussago  nun  von  einem 
Hörenden  in  identischem  Sinn  verstanden  und  urtheilend  nach- 
erlebt sein  kann,  der  selbst  den  Wunsch  garnicht  theilt.  Man 
ersieht  daraus,  dafs  der  Wunsch,  auch  da,  wo  er  gelegentlich  mit 
dem  auf  ihn  gerichteten  Urtheilsact  Eins  ist,  wirklich  nicht  zur 
Urtheilsbedeutung  gehört.  Ein  wahrhaft  sinngebendes  Erlebnis 
kann  nie  fortfallen,  wenn  der  lebendige  Sinn  des  Ausdrucks  sich 
unverändert  erhalten  soll. 

Danach  ist  es  auch  klar,  dafs  die  Ausdrückbarkeit  aller  Acte  für 
die  Ifrage,  ob  sie  alle  auch  in  der  Weise  sinngebender  fungiren 

31* 


484    VJ.  EUvtetüo  ^fjffjfßnomenoloff.  Aufklärung  der  Erkertnlnis. 

können ,  irrelevant  ist,  wofern  nämlich  unter  dieser  Ausdrückbar- 
keit  nichts  weiter  verstanden  wird  als  die  Möglichkeit,  über  die 
Acte  gewisse  Aussagen  zu  machen.  Gerade  dann  fungiren  die 
Acte  überhaupt  nicht  als  Bedeutungsträger. 

§  3.     Mn  dritter  Sinn  der  Bede  vom  Ausdruck  eines  Acies. 
Fornmlirung  unseres  Themas. 

Wir  haben  soeben  einen  doppelten  Begriff  der  Rede  von  aus- 
gedrückten Acten  unterschieden.  Entweder  es  sind  Acte  gemeint, 
in  welchen  sich  der  Sinn,  die  Bedeutung  des  betreffenden  Aus- 
drucks constituirt,  oder  andererseits  Acte,  die  der  Redende,  als 
von  ihm  soeben  erlebte,  prädicativ  hinstellen  will.  Diesen  letzte- 
ren Begriff  können  wir  passend  erweitert  denken.  Selbstredend  ist 
die  von  ihm  gefafste  Sachlage  nach  dem,  was  hier  wesentlich  in 
Betracht  kommt,  dieselbe,  wenn  der  ausgedrückte  Act  nicht  auf 
das  erlebende  Ich,  sondern  auf  andere  Objecto  prädicativ  bezogen 
wird;  und  sie  ist  wieder  dieselbe  für  alle  etwa  anzunehmenden 
Ausdrucksfomien,  die  diesen  Act  als  erlebten  reell  nennen,  ohne 
es  gerade  in  derjenigen  Weise  zu  thun,  welche  ihn  zum  Sub- 
ject-  oder  Objectglied  einer  Prädlcation  stempelt.  Die  Haupt- 
sache ist,  dais  der  Act,  indem  er  genannt  oder  sonstwie  „aus- 
gedrückt" wird,  als  der  aotuell  gegenwärtige  Gegenstand  der 
Rede,  bezw.  der  ihr  zu  Grunde  liegenden  objectivirenden  Setzung 
erscheint;  während  dies  bei  den  si angebenden  Acten  niciit  der 
Fall  ist. 

In  einem  dritten  Sinn  derselben  Rede  handelt  es  sich,  wie 
im  zweiten,  um  ein  zu  den  betreffenden  Acten  gehöriges  Urtheilen 
oder  sonstiges  Objectiviren;  aber  nicht  um  ein  Urtheilen  über 
diese  Acte  —  also  nicht  um  eine  Objectivirung  dei-selben  mittelst 
auf  sie  bezogener  Vorstellungen  und  Nennungen  —  sondern 
um  ein  Urtheilen  auf  Grund  dieser  Acte,  welches  deren  Objec- 
tivirung nicht  erfordert.  Z.  B.  dafs  ich  meinm-  Wahrnehmung 
Ausdruck  gebe,  kann  hoifsen,  dafs  ich  von  meiner  Wahrnehmung 
prädicire,  sie  habe  den  oder  jenen  Inhalt.  Es  kann  aber  auch 
lieifsen,  dafs  ich  mein  Urtheil  aus  der  Wahrnehmung  schöpfe,  dafe 


ich  die  betreffeade  Thatsaclie  nicht  nur  behaupte,  sondern  wahr- 
neiinie  und  sie  so  behaupte,  wie  ich  sie  wahrnehme.  Nicht  über 
die  WahrneLmung,  sundern  über  das  Walirgenommene  wird 
hierbei  das  Urtbeil  gefüllt.  Wo  man  kurzweg  von  Wahrneh- 
mungsurtheilea  spricht,  sind  in  der  Kegel  Urtheile  dieser  eben 
charakterisirten  Klasse  gemeint. 

In  ähnhcher  Weise  können  wii-  anderen  anschaulichen  Acten, 
Einbildungen,  Erinnerungen,  Erwartungen  Ausdruck  geben. 

Bei  den  Aussagen  auf  Grund  der  Einbildung  ist  es  allerdings 
zu  bezweifeln,  ob  darin  ein  wirkliches  ürtheil  vorliege,  oder  viel- 
mehr es  ist  sicher,  daTs  es  dann  nicht  vorliegt.  Wir  denken  hier 
an  die  Falle,  wo  wir,  einem  Zug  der  Phantasie  hingegeben,  das, 
was  uns  dabei  erscheint,  in  regulären  Aussagen  so  nennen,  als 
wäre  es  wahrgenommen;  oder  auch  an  die  Form  berichtender  Er- 
zählung, in  welcher  der  Märchendichter,  der  Novellist  u.  s.  w.  nicht 
wirklichen  Begebenheiten,  sondern  den  Gestaltungen  seiner  künst- 
lerischen Phantasie  „Ausdruck  giebt".  Nach  den  Ausführungen 
der  letzten  Untersuchung '  handelt  es  sich  dabei  um  conform  modi- 
ficirte  Acte,  die  den  in  gleichen  Worten  auszudrückenden  wirk- 
lichen Urtheilen  als  Gegenstücke  in  ähnlicher  Weise  entsprechen, 
wie  die  anscIiauHclien  Einbildungen  den  Wahrnehmungen,  even- 
tuell auch  den  Erinnerungen  und  Erwartungen.  Zunächst  wollen 
wir  solche  Unterschiede  aufser  Acht  lassen. 

Anknüpfend  an  die  bezeichnete  Klasse  vou  Fällen  und  den 
durch  sie  umgrenzten  neuen  Sinn  der  Rede  von  ausgedrückten 
Acten,  wollen  wir  das  Verhältnis  zwischen  Bedeutung  und  aus- 
gedrückter Anschauung  zur  Klarheit  bringen.  Wir  wollen  erwägen, 
ob  diese  Anschauung  selbst  der  die  Bedeutung  constituirende  Act 
ist,  und  wenn  nicht,  wie  das  Verhältnis  Beider  sonst  zu  verstehen 
und  gattungsmäl'sig  einzuordnen  sei.  Hierbei  steuern  wir  zumal 
auf  die  allgemeinere  Frage  hin,  ob  sich  die  Acte,  die  überhaupt 
Ausdruck  geben,  und  die  Acte,  die  überhaupt  Ausdruck  erfahren 
können,  iu  den  Sphäi-en   wesentlich  verschiedener  und  dabei  fest 


'  V,  Kap.  5,  §4U,  ä.4ö4  unten. 


bestimmter  Actarten  bewegen,  und  ob  bei  alldem  eine  Ober- 
greifende Gattuugseinheit  mafsgebend  sei,  welche  die  Gesammtheit 
der  Acte,  die  zu  einer  Bedeutungsfunction  im  weiteren 
Sinne  befähigt  sind  —  sei  es  zu  der  Function  der  Eedeutung 
selbst,  sei  es  zu  derjenigen  der  „Bedeutungserfällung"  —  befasse 
und  abschliesse,  so  dafs  die  Acte  aller  anderen  Gattungen  von 
solchen  Functionen  eo  ipso  und  gesetzlich  ausgeschlossen  blieben. 
Damit  ist  unser  nächstes  Ziel  bezeichnet.  Im  Fortgang  der  üeber- 
legungen  wird  die  selbstverständliche  Erweiterung  der  Betrach- 
tungssphäro  die  Bedeuttmg  der  angeregten  Fragen  für  eine  Ver- 
ständigung der  Erkenntnis  überhaupt  evident  machen,  und  es 
werden  dann  alsbald  neue  und  höhere  Ziele  in  unseren  Gesichts- 
kreis treten. 


I 


§  4.    Der  Ausdrtick  einer  Walimehmung  („WaltmeJintuytgsttrtheil"). 

Seine  Bedeutung  kann  nicht  in  der  Wahrnehmung,  sondern  mufs  in 

eigenen  ausdrückenden  Acten  liegen. 

Wir  betrachten  ein  Beispie!.  Ich  bÜcke  soeben  in  den  Garten 
hinaus  und  gebe  meiner  Wahrnehmung  mit  den  Worten  Ausdruck : 
eine  Amsel  fliegt  auf.  Welches  ist  hier  der  Act,  in  dem  die 
Bedeutung  liegt?  Im  Einklang  mit  den  Ausführungen  der 
I.  Untersuchung  glauben  wir  sagen  zu  dürfen:  die  Wahrnehmung 
ist  es  nicht,  und  zum  Mindesten  nicht  sie  allein.  Es  will  uns 
scheinen,  dafs  die  vorliegende  Sachlage  nicht  so  beschrieben  werden 
könne,  als  ob  neben  dem  Wortlaut  niclits  weiter  gegeben  und  für 
die  Bedeutsamkeit  des  Ausdrucks  entscheidend  sei  als  die  Wahr- 
nehmung, an  die  er  sich  knüpft.  Auf  Grund  dieser  selben 
Wahrnehmung  könnte  ja  die  Aussage  noch  ganz  anders  lauten 
und  dabei  einen  ganz  anderen  Sinn  entfalten.  Ich  liätte  z.  B. 
sagen  können:  dies  ist  schwarz.,  ist  ein  schwarxer  Vogel;  diese»\ 
schwärze  Thier  fliegt  auf,  schwingt  sich  auf  u.  dgl.  Und  umge- 
kehrt, es  könnte  der  Wortlaut  und  sein  Sinn  derselbe  bleiben, 
während  die  Wahrnehmung  mannigfach  wechselt.  Jede 
zufaltige  Aenderung  der  relativen  Stellung  des  Wahrnehmenden 
ändert  die  Wahrnehmung  selbst,  und  verschiedene  Personen,  die 


dasselbe  zugleich  wahrnehmen,  hüben  niemals  genau  dieselbe 
Wahrnehmung.  Für  die  Bedeutung  der  Wahrnehmungsaussage 
sind  Unterschiede  der  soeben  angedeuteten  Art  irrelevant  Es 
kann  natürlich  auch  auf  sie  gelegentlich  abgesehen  sein,  aber 
dann  mUfste  auch  die  Aussage  ganz  anders  lauten. 

Freilich  könnte  man  nun  sagen,, der  Einwand  sei  blofs  dafür 
ein  Beweis,  dafs  die  Bedeutung  gegen  derartige  Unterschieden- 
heiten  der  einzelnen  Wahrnehmungen  unempfindlich  sei;  sie 
liege  eben  in  einem  Gemeinsamen,  das  die  mannigfaltigen,  zu 
Einem  Gegenstand  gehörigen  Wahrnehmungsacte  sämmtlich  in  sich 
tragen. 

Dem  gegenüber  merken  wir  aber  an,  dafs  die  Wahrnehmung 
nicht  blofs  wechseln,  sondern  auch  ganz  fortfallen  kann,  ohne 
dafs  der  Ausdruck  aufhörte,  bedeutsam  zu  bleiben.  Der  Hörende 
vorsteht  meine  Worte  und  den  ganzen  Satz,  ohne  in  den  Garten 
zu  blicken,  er  erzeugt,  meiner  Wahrhaftigkeit  vertrauend,  dasselbe 
ürtheil  ohne  die  Wahrnehmung.  Vielleicht  dient  ihm  eine  ge- 
wisse Verbildlichuog  durch  Phantasie,  vielleicht  fehlt  auch  diese; 
oder  sie  ist  so  lückenhaft,  so  inadäquat,  dafs  sie  nicht  einmal 
als  Gegenbild  der  WahrnehmungserscheiBung  nach  den  in  der 
Aussage  „ausgedrückten"  Zügen  gelten  kann. 

Verbleibt  aber  bei  Wegfall  der  Wahrnehmung  für  die  Aus- 
sage noch  ein  Sinn  übrig  und  sogar  derselbe  Sinn  wie  vordem, 
so  werden  wir'  nicht  annehmen  können,  dal's  die  Wahrnehmung 
der  Act  sei,  in  welchem  sich  der  Sinn  der  Wahrnehmungsaussage, 
ihr  ausdrückendes  Meinen  vollzieht.  Die  Acte,  welche  mit  dem 
Wortlaut  geeinigt  sind,  jenachdem  dieser  rein  symbolisch  oder 
intuitiv,  auf  Grund  blofser  Phantasie  oder  reahsirender  Wahr- 
nehmung, bedeutsam  ist,  sind  phänomenologisch  zu  sehr  different, 
als  dafs  wir  glauben  könnten,  das  Bedeuten  spiele  sich  bald  in 
jenen,  bald  in  diesen  Acten  ab;  >Tir  werden  eine  Auffassung  bevor- 
zugen müssen,  welche  diese  Function  des  Bedeutens  einem  überall 


'  Auch  abgesehen  von  den  kategorialen  Formen,  die  wir  in  diesem  Ab- 
schnitt mit  Vorbedacht  ignoriren. 


gleichartigen  Acte  zuweist,  der  von  den  Schranken  der  ixns  so 
oft  versagten  Wahrnehmung  und  selbst  Phantasie  frei  ist  und  sich, 
wo  der  Ausdruck  im  eigentlichen  Sinne  „außdrilckt",  mit  dem  aus- 
gedrückten Acte  nur  vereint 

Bei  alldem  ist  es  aber  unbestreitbar,  dafs  in  den  „Wahrneh- 
mungsurtheilen"  die  Wahrnehmung  in  einer  inneren  Beziehung 
zum  Sinn  der  Aussage  steht.  Nicht  umsonst  heifst  es  ja:  die  Aus- 
sage drückt  die  WaJimehmung  aus,  bezw.  drückt  das  aus,  was 
in  der  Wahrnehmung  „gegeben"  ist.  Dieselbe  Wahrnehmung  mag 
verschiedenen  Aussagen  zu  Grunde  liegen,  aber  wie  immer  der 
Sinn  dieser  Aussagen  wechseln  mag,  er  „richtet"  sich  doch  nach 
dem  Erscheinungsgehalt  der  Walimehmung;  es  shad  einmal  diese 
und  einmal  jene  Theihvahrnehmungen  (wenn  auch  vielleicht  unselb- 
ständige Theile  der  einheitlichen  und  vollen  Wahrnehmungen),  die 
dem  Urtheil  die  specielle  Unterlage  bieten,  ohne  dafs  sie  darum 
die  eigentlichen  Bedeutungsträger  wären;  wie  eben  die  Möglich- 
keit des  Fortfallens  aller  Wahrnehmung  lehrte. 

Man  wird  also  sagen  müssen:  dieses  „Ausdrücken'^  einer 
Wahrnehmung  (oder  objectiv  gewendet;  eines  Wahrgenommenen 
als  solchen)  ist  nicht  Sache  des  Wortlautes,  sondern  Sache 
gewisser  ausdrückender  Acte;  Ausdruck  bedeutet  in  diesem 
Zusammenhange  den  von  seinem  ganzen  Sinn  belebten  Ausdruck, 
welcher  hier  in  eine  gewisse  Beziehung  gesetzt  wird  zur  Wahrneh- 
mung, die  ihrerseits  um  eben  dieser  Beziehung  willen  ausgedrückt 
heifst.  Zugleich  liegt  darin,  dafs  zwischen  Wahrnehmung  und 
Wortlaut  noch  ein  Act  (bezw.  ein  Actgebilde)  eingeschoben  ist 
Ich  sage  ein  Act:  denn  das  Ausdruokserlebnis  hat,  ob  von  Wahr- 
nehmung begleitet  oder  nicht,  eine  intentionalo  Beziehung  auf 
Gegenständliches.  Dieser  vermittelnde  Act  mufs  es  sein,  der 
eigentlich  als  sinngebender  dient,  er  gehört  zum  sinnvoll  fun- 
girenden  Ausdruck  als  das  wesentliche  Bestimdstück  und  bedingt 
es,  dais  der  Sinn  identisch  derselbe  ist,  ob  zu  ihm  belegende  Wahr- 
nehmung sich  gesellen  mag  oder  nicht 

Die  Durchführbarkeit  dieser  Auffassung  wird  die  nachfolgende 
tJntersuchimg  immerfort  bestätigen. 


BedeuiungaintetUion  und 


§  5.     Fortsetzung.      Die   Wahrnehmung  als  Bedeutung  bestimmender, 
aber  nicht  als  Bedeutung  entftaltcnder  Act. 

Wir  dürfen  nicht  weitergehen,  ohne  einen  naheliegenden 
Zweifel  zu  erwägen.  Unsere  Darstellung  scheint  eine  gewisse 
Einschränkung  zu  erfordern,  es  scheint  in  ihr  mehr  zu  liegen,  als 
wir  vollkommen  rechtfertigon  können.  Macht  die  Wahrnehmung 
auch  niemals  die  volle  Bedeutung  einer  auf  Grund  von  Wahr- 
nehmung vollzogenen  Aussage,  so  trägt  sie  doch,  und  zwar  gerade 
in  Fällen  der  eben  erörterten  Klasse,  zur  Bedeutung  einiges  bei. 
Dies  tritt  klarer  hervor,  wenn  wir  das  Beispiel  zunächst  modificiron 
und  statt  ganz  unbestimmt  von  einer  Amsel,  von  dieser  sprechen. 
Dies  ist  ein  wesentlich  occasioneller  Ausdruck,  der  nur  durch 
Hinblick  auf  die  Umstände  der  Aeufserung  und  hier  auf  die  voll- 
zogene Wahrnehmung  voll  bedeutsam  wird.  Das  wahrgenommene 
Object  ist,  so  wie  es  in  der  Wahrnelimung  gegeben  ist,  mit  dem 
dies  gemeint  Uebrigens  drückt  auch  das  Tempus  Präsens  in  der 
grammatischen  Form  des  Verbum  eine  Beziehung  auf  die  actuelle 
Gegenwart,  also  wieder  auf  die  Wahrnelimung  aus.  Offenbar  gilt 
nun  dasselbe  von  dem  uumodificirten  Beispiel;  denn  wer  sagt  „e/we" 
Amsel  /liegt  auf,  meint  ja  nicht,  dals  eine  Amsel  überhaupt,  son- 
dern dafs  eine  Amsel  jetzt  und  hier  auffliege. 

Allerdings  hängt  die  intendirte  Bedeutung  nicht  am  Wortlaut, 
sie  gehört  nicht  zu  den  durch  ihn  allgemein  und  fest  gebundenen 
Bedeutungen.  Aber  da  nicht  davon  abzugehen  ist,  dafs  der  Sinn 
der  einheitlichen  Aussage  in  dem  gesammten  Acte  des  Meinons 
gelegen  ist,  der  ihr  gegebenenfalls  zu  Grunde  liegt  —  mag  er  sich 
nun  in  den  Worten  vermöge  ihrer  allgemeinen  Bedeutungen  voll 
ausprägen  oder  nicht  —  so  werden  wir,  scheint  es,  wol  zugestehen 
müssen,  dafs  die  Wahrnehmung,  wo  sie  den  Sachverhalt  zur  An- 
schauung bringt,  welchen  die  Aussage  nrtheilsmälsig  ausdrückt, 
zu  dem  Bedeutungsgehalt  dieses  ürtheils  einen  Beiti-ag  leiste. 
Es  ist  allerdings  ein  Beitrag,  der  eventuell  auch  durch  andere 
Acte  in  wesentlich  übereinstimmender  Weise  geleistet  werden 
kann.    Der  Hörende  nimmt  den  Garten  nicht  wahr,  aber  er  kennt 


ihn  vielleicht,  stellt  ihn  anschaulich  vor,  versetzt  die  vorgestellte 
Amsel  und  den  ausgesagten  Vorgang  in  ihn  hinein  und  erzeugt 
so,  der  Intention  des  Sprechenden  folgend,  mittelst  der  blofsen 
Phantasiebildlichkeit  ein  gleichsinniges  Verständnis. 

Die  Sachlage  läfst  aber  noch  eine  zweite  Beutung  zu.  In 
gewissem  Sinne  ist  es  ja  zu  sagen,  dafs  die  Anschauung  zur  Be- 
deutung der  Wahrnehmungsaussage  einen  Beitrag  leiste:  in  dem 
Sinne  nämlich ,  dafs  sich  die  Bedeutung  ohne  Succurs  der  An- 
schauung in  ihrer  bestimmten  Beziehung  auf  die  gemeinte 
Gegenständlichkeit  nicht  enfalten  könnte.  Andererseits  ist  damit 
nicht  gesagt,  dafs  der  Act  der  Anschauung  selbst  Bedeutungs- 
träger sei,  oder  dafs  er  im  eigentlichen  Sinne  Beiträge  zur  Be- 
deutung hergebe,  Beiträge,  die  dann  als  Bestandstücke  in  der 
fertigen  Bedeutung  vorgefunden  werden  könnten.  Die  wesent- 
lich occasionelleu  Ausdrücke  haben  zwar  eine  von  Fall  zu  Fall 
wechselnde  Bedeutung;  aber  in  allem  Wechsel  bleibt  ein  Gemein- 
sames übrig,  das  solche  Vieldeutigkeit  von  derjenigen  zufalliger 
Aequivocation  unterscheidet^  Der  Hinzutritt  der  Anschauung  hat 
nun  die  Wirkung,  dafs  sich  dieses  Gemeinsame,  jedoch  in  seiner 
Abstractheit  Unbestimmte  der  Bedeutung  bestimmt.  Die  Anschauung 
giebt  ihm  nämlich  die  Bestimmtheit  der  gegenständlichen  Richtung 
und  damit  seine  letzte  Differenz.  Diese  Leistung  erfordert  es 
nicht,  dafs  ein  Theil  der  Bedeutung  selbst  in  der  Anschauung 
liegen  müsse. 

Ich  sage  dies  und  meine  soeben  das  vor  mir  liegende  Papier. 
Die  Beziehung  auf  diesen  Gegenstand  verdankt  das  Wörtchen 
der  Wahrnehmung.  Nicht  liegt  aber  in  dieser  selbst  die  Be<leutung. 
Ich  nehme,  wenn  ich  dies  sage,  nicht  blofs  wahr;  sondern  auf 
Grund  der  Wahrnehmung  baut  sich  ein  neuer,  sich  nach 
ihr  richtender,  in  seiner  Differenz  von  ihr  abhängiger 
Act  auf,  der  Act  des  Dies-Meinens.  In  diesem  hin- 
weisenden Meinen  liegt  und  liegt  ganz  allein  die  Bedeutung. 
Ohne  die  Wahrnehmung  —  oder  einen  entsprechend  fungirenden 


'  Vgl.  Unt  I,  §  26,  S.  80. 


Bedeulungsintention  und  BedeulungserfüUung.  491 


Act  —  wäre  das  Hinweisen  loer,  ohne  bestimmte  Düferonzürung, 
in  concreto  gamictit  möglich.  Denn  natürlich  ist  der  unbestimmte 
Gedanke,  der  Redende  wei.H  auf  „etwas"  hin  —  welcher  sich 
beim  Hörenden  einstellen  mag,  während  er  noch  nicht  erkannt 
hat,  was  für  ein  Object  wir  mit  dem  dies  aufzeigen  wollten  — 
durchaus  nicht  der  Gedanke,  den  wir  selbst  in  der  actuellen 
Hinwoisung  vollzogen  haben:  als  ob  sich  bei  uns  nur  noch  die 
bestimmte  Vorstellung  des  Aufgezeigten  hinztigesellte.  Man  wird 
nicht  den  allgemeinen  Charakter  des  actuellen  Hinweisens  als 
solchen  verwechseln  mit  der  unbestimmten  Vorstellung  von  einer 
gewissen  Hinweisung. 

Die  Walirnehmung  realisirt  also  die  Möglichkeit  für  die 
Entfaltung  des  Dies-Meinens  mit  seiner  bestimmten  Beziehung  auf 
den  Gegenstand,  z.  B.  auf  dieses  Papier  vor  meinen  Augen;  aber 
sie  constituirt,  so  will  es  uns  scheinen,  nicht  selbst  dio  Bedeutung, 
auch  nicht  einem  Theile  nach. 

Indem  sich  der  Actcharakter  der  Hinweisung  nach  der  An- 
schauung richtet,  nimmt  er  eine  Bestimmtheit  der  Intention  an,  welche 
sich  in  der  Anschauung,  nach  einem  allgemeinen  Bestände,  der 
als  das  inten tionale  Wesen  zu  charakterisiren  ist,  erfüllt.  Denn  das 
hinweisende  Meinen  ist  dasselbe,  welche  Wahrnehmung  aus  der 
Mannigfaltigkeit  zusammengehöriger  Wahrnehmungen  zu  Grunde 
liegen  mag,  in  denen  immer  derselbe,  und  erkennbar  derselbe, 
Gegenstand  erscheint.  Dio  Bedeutung  des  dies  ist  abermals  dieselbe, 
wenn  für  die  Wahrnehmung  irgendein  Act  aus  der  Mannigfaltigkeit 
imaginativer  Vorstellungen  eintritt,  die  in  erkennbar  identischer 
Weise  denselben  Gegenstand  im  Bilde  vorstellen.  Sie  ändert  sich 
aber,  wenn  Anschauungen  aus  anderen  Wahmohraungs-  oder  Bild- 
lichkeitskreisen supponirt  werden.  Wir  meinen  wieder  dies,  aber 
der  gemeinsame  Charakter  des  hier  obwaltenden  Meinens,  nämlich 
des  direct  (d.  i.  ohne  jede  attributive  Vermittlung)  auf  den  Gegen- 
stand Hinzielens  ist  verschieden  diflerenziirt,  ihm  haftet  nun  eine 
Intention  auf  einen  anderen  Gegenstand  an,  ähnlieh  wie  sich  das 
physische  Hinweisen  mit  der  Aenderung  der  räumlichen  Richtung 
eben  räumlich  differenziirt 


492    VI.  Elemenie  einer  phätwmaiolog.  Aiifldärung  der  Erkenntnis. 

Eine  Bestätigung  für  diese  Auffassung,  welche  die  Wahr- 
nehmung zwar  als  Bedeutung  bestimmenden,  aber  nicht 
als  Bedeutung  enthaltenden  Act  gelten  liÜBt,  bietet  der  um- 
stand, dafs  auch  wesentlich  occasionelle  Ausdrücke  der  Art  wie 
dies.,  vielfach  ohne  angemessene  Anschauungsunterlage  gebraucht 
und  verstanden  werden.  Es  kann  die  einmal  auf  Grund  passen- 
der Anschauimg  concipirte  Intention  auf  den  Gegenstand  wiederholt 
oder  gloichstimmig  nacherzeugt  werden,  ohne  dafs  eine  irgend 
angemessene  Wahrnehmung   oder   Imagination   vermitteln   würde. 

Die  wesentlich  occasion eilen  Ausdrücke  wären  danach  den 
Eigennamen  nahe  verwandt,  wofem  die  letzteren  in  ihrer  eigent- 
lichen Bedeutung  fungiren.  Denn  auch  der  Eigenname  nennt  den 
Gegenstand  „direct".  Er  meint  ihn  nicht  in  atb-ibutiver  Weise  als 
Träger  dieser  oder  joner  Merkmale,  sondern  ohne  solche  „begriff- 
liche" VermittJung,  als  denjenigen,  der  er  „selbst"  ist,  so  wie  ihn 
die  Wahrnehmung  vor  Augen  stellen  würde.  Die  Bedeutung  des 
Eigennamens  liegt  also  in  einem  direct- diesen -Gegenstand-Meineu, 
einem  Meinen,  das  sieh  lediglich  durch  Wahrnehmung  und  in 
„vorläufiger"  (illustrironder)  Weise  durch  Imagination  erfüllt, 
aber  nicht  mit  diesen  Anschauungsacten  identisch  ist.  Genau  so 
giebt  die  Wahrnehmung  dem  dies  (wo  es  auf  Gegenstände  mög- 
licher Wahrnehmung  gerichtet  ist)  den  Gegenstand;  das  Dies- 
Meinen  erfüllt  sich  iu  der  Wahrnehmung  und  ist  nicht  sie  selbst 
Und  natürlich  erwächst  auch  boidereeits  die  Bedeutung  dieser 
direct  nennenden  Ausdrücke  ui-sprünglich  aus  der  Anschauung, 
nach  welcher  die  nominalen  Intentionen  ihre  Richtung  auf  den 
individuellen  Gegenstand  ursprünglich  orientiren.  In  anderen 
Punkten  besteht  Unterschied:  dem  dies  hattet  der  Gedanke  einer 
Hinweisung  an,  der  in  früher  erörterter  Weise  eine  gewisse  Mittel- 
barkeit und  Verwicklung,  also  eine  gewisse  Form  hineinbringt, 
die  beim  Eigennamen  fehlt.  Andererseits  gehört  der  Eigenname 
als  feste  Benennung  zu  seinem  Gegenstände.  Dieser  constauten 
Zugehörigkeit  entspricht  auch  etwas  in  der  Weise  der  Beziehung 
auf  den  Gegenstand;  das  bezeugt  sich  durch  die  Tbatsache  des 
namentlichen  Eikeuueus   der   so  heilsenden  Person   oder  Sache: 


J 


ich  erkenne  Hans  als  Han3,  Berlin  als  Berlin.  —  Offenbar  siebt 
diese  Aiisfühnmg  jedoch  von  den  Eigennamen  ab,  die  in  abge- 
leiteter Bedeutuugsfiinction  stehen.  Sind  einmal  irgend- 
welche Eigennamen  in  directer  Anknüpfung  an  gegebene  Gegen- 
stände (also  auf  Grund  gebender  Anschauungen)  gebildet,  so  kann 
der  in  Retlexion  auf  das  Eigen-Nennen  gebildete  Begriff  des 
Heifsens  dazu  dienen,  Gegenstände,  die  uns  nicht  gegeben  und 
direct  bekannt,  sondern  nur  als  Träger  gewisser  Merkmale  indireet 
charakterisirt  sind,  mit  Eigennamen  zu  belegen,  bezw.  von  ihren 
Eigennamen  Kenntnis  zu  nehmen.  Z.  B.  die  Hauptstadt  Spaniens 
keifst  (hat  den  Eigennamen)  Madrid.  Wer  die  Stadt  Madrid 
„selbst"  nicht  kennt,  gewinnt  daraus  die  Kenntnis  ihres  Namens 
und  die  Möglichkeit,  ihn  angemessen  zu  verwenden,  und  dabei 
doch  nicht  die  Eigen bedeutung  des  Wortes  Madrid.  Statt  des 
directen  Meinens,  das  nur  die  Anschauung  dieser  Stadt  zu  er- 
regen vermag,  dient  ihm  die  indirecte  Anzeige  solchen  Meinens, 
nämlich  vermittelt  durch  charakteristische  Merkmalvorstellungen 
und  den  Begriff  des  So -heifsens. 

Dürfen  wir  diesen  Betrachtungen  Vertrauen  schenken,  so  ist 
nicht  blofs  überhaupt  zwischen  Wahrnehmung  und  Bedeutung  der 
Wahrnehmungsaussago  zu  unterscheiden,  sondern  es  liegt  auch 
kein  Theil  dieser  Bedeutung  in  der  Wahrnehmung  seihst 
Die  Wahrnehmung,  welche  den  Gegenstand  giebt  und  die 
Aussage,  die  ihn  mittelst  des  Urtheils,  bezw.  mittelst  der 
zu  der  Einheit  des  Urtheils  verwobenen  „Denkacte",  denkt  und 
ausdrückt,  sind  völlig  zu  sondern,  obschon  sie  im  vor- 
liegenden Falle  des  Wahrnehmungsurtheils  in  der  innigsten  Auf- 
einanderbeziehung, im  Verhältnis  der  Deckung,  der  Erfüllungs- 
einheit  stehen. 

Es  braucht  kaum  ausgeführt  zu  werden,  dafs  dasselbe  Er- 
gebnis auch  für  alle  anderen  Anschauungsurtheile  gelten  wird,  also 
für  Aussagen,  die  in  einem  analogen  Sinne,  wie  es  die  Wahrueh» 
mungsurtheile  thun,  den  anschaulichen.  Gehalt  einer  Imagination, 
einer  Erinnerung,  Erwartung  u.  s.  w.  „ausdrücken''. 


Zuaatx.    In  der  Darstellung  des  §  26  der  I.  Untersuchung  unter- 
schieden wir',  ausgelietul   vom  "Verständnis  des  Hörenden,    die  (.an- 
zeigende" und  „angezeigte"  Bedeutung   des  wesentlich  occasionellen 
Ausdrucks    und    si>eeiell    des    dies.      In    dem   Hörenden,    in    dessen 
momentanen  Gesichtakreis  das  Aufzuweisende  vielleicht  gamicht  fällt, 
ist  nämlich  zunächst  nur  der  unbestimmt  allgemeine  Gedanie  erweckt, 
es  sei  auf  etwas  hingewiesen;  erst  mit  der  ergänzenden  Vorstellung 
(einer  anschaulichen,   wenn   es  sich  eben   um  ein   anschaulich  Aufzu- 
weisendes   handelt)    constituirt    sich    für   ihn    die    Bestimmtheit    der 
Hinweisuug,  und  so  die  volle  und  eigentliche  Bedeutimg  des  Demon- 
strativ mn.     Pflr  den  Sprechenden   besteht  die  Aufeinanderfolge  nichtj 
er    bedarf   der    unbestimmt    hinweisenden   Vorstellung    nicht,    welche 
beim    Hörenden    als   „Anzeige"   fungirte.     Nicht   die   Vorstellung   der 
Hinweisung,    sondern    die    Hinweisung  selbst    ist    bei    ihm    gegeben, 
imd  sie  ist  eo  ipso  die  sachlich  bestimmt  gerichtete;   von  vornherein 
hat  der  Sprechende  die  „angezeigte"  Bedeutung  und  hat  sie  in  der 
unmittelbaren,  sich  nach  der  Anschauung  orientirenden  Vorstellungs- 
intenüon.     Ist  die  Sache  keine  anschaulieh  vorfindüche,   wie  bei  der 
Rückweisung  auf  einen  Lelirsatz  in  der  mathematischen  Beweisführung, 
so  vertritt  der  betreffende  begrifl'Uche  Gedanke  die  Function  der  An- 
schauung:  die  hinweisende  Intention  würde  auf  Grund  der  actuellen 
Wiederherstellung  jenes  abgelaufenen  Gedankens  ihre  Erfilllung  finden. 
In  jedem  Falle  constntiren  wir  eine  gewisse  Doppelheit  in  der  liin- 
weisenden  Intention:  der  Charakter  der  Hinweisung  vermalt  sich  im 
ersten  Falle  mit  der  directen  gegenständlichen  Intention,  und  zwar  so, 
dafs  hiedurch  die  Hinweisung  auf  den  bestimmten,  liier  und  jetzt  an- 
geschauten Gegenstand  erwächst.     Ebenso  im  anderen  Falle.     Ist  der 
frühere    begriffliche    Gedanke  just   auch    nicht   aetuell    vollzogen,    so 
bleibt  doch  in  der  Erinnerung  eine  ihm  entsprechende  Intention  zurück, 
und  diese  verbindet  sich  mit  dem  Actcharakter  der  Hinweisimg,  ihm 
die  Bestimmtheit  der  Richtimg  verleihend. 

Wenn  somit  von  anzeigender  und  angezeigter  Bedeutung 
gesprochen  wird,  so  kann  Zweierlei  gemeint  sein.     1.  Die  beiden 

'  Vgl.  8.  83. 


einander  ablösenden  Gedanken,  welche  das  successive  Verständnis  des 
Hörenden  charakterisiren :  zunächst  die  unljostiminte  Vorstellung 
eines  gewissen  mit  dem  dies  Gemeinten,  dann  die  sich  durch  die 
ergänzende  Vorstellung  herausbildende  Moilification,  der  Act  der 
bestimmt  gerichteten  Hinweisung.  Im  letzteren  Act  läge  ilie  angezeigte, 
im  ersteren  die  anzeigende  Bedeutung.  2.  Halten  wir  uns  an  die 
fertige,  bestimmt  gerichtete  Hinweisung,  die  im  Sprechentlen  von 
vornherein  gegeben  ist,  so  kann  in  ihr  selbst  wieder  Doppeltes  unter- 
schieden werden:  der  allgemeine  Charakter  der  Hinweisung,  und  das 
sie  Bestimmeiide,  das  was  sie  zur  Hinweisung  auf  Dieses  da  einschränkt. 
Ersteres  kann  wieder  als  anzeigende  Bedeutung,  oder  be.s.ser  als  das 
Anzeigende  an  der  untrennbar  einheitlichen  Bedeutung  bezeichnet 
werden,  sofern  es  dasjenige  ist,  was  der  Hörende  vermöge  seiner 
ausdrückbaren  Allgemeinheit  unmittelbar  erfassen  und  was  ihm  nun 
zur  Anzeige  des  Gemeinten  dienen  kann.  Sage  ich  dies,  so  weifs  der 
Hörende  mindestens,  dafs  auf  etwas  hingewiesen  sei.  (Ebenso  bei 
anderen  wesentlich  occasionellen  Ausilrücken.  Sage  ich  hier,  so 
handelt  es  sich  um  „etwas"  in  meiner  näheren  oder  ferneren  räum- 
lichen Umgebung;  u.  s.  w.)  Andererseits  liegt  das  eigentliche  Ziel 
der  Rede  nicht  in  diesem  Allgemeinen,  sondern  in  der  directen 
Intention  auf  den  betreffenden  Gegenstand.  Auf  ilm  und  seine 
Inhaltsfülle  ist  es  abgesehen,  und  zu  ihrer  Bestimmung  tragen  jene 
leeren  Allgemeinheiten  nichts  oder  so  gut  wie  niclits  bei.  In  diesem 
Sinne  ist  die  directe  Intention  die  primäre  und  angezeigte  Bedcutiuig. 
Diesen  zweiten  unterschied  legte  die  Definition  in  der  frfliieren 
Darstellung  (S.  83)  zu  Grunde.  Die  hier  vollzogene  Unterscheidung  und 
nähere  Ausführung  dürfte  zu  einer  weiteren  Klänmg  der  schwierigen 
Sacldage  beigetragen  haben.' 


§  6.     Die  statische  Einheit  xunschen  ausdrückendem  Oedanken  und 
ausgedrückter  Anschauung.     Das  Ejrkennen. 

Wir  vertiefen  uns  jetzt  in  eine  nähere  Erforschung  der  Ver- 
bältnisse, die  zwischen  den  anschautichen  Acten  auf  der  einen  und 


'  Vgl.  auch  die  Zusätze  am  Scblula  d.  Bandes. 


den  ausdrückenden  Acten  auf  der  anderen  Seite  obwalten.  Vor- 
erst beschränken  wir  uns,  und  in  diesem  Abschnitt  überhaupt,  auf 
einen  Kreis  möglichst  einfacher  Fälle,  also  naturgemäß  auf  Aus- 
drücke, bezw.  Bedeutungsintentionen,  welche  dem  nominalen 
Gebiet  entnommen  sind.  Wir  erheben  damit  übrigens  keinen 
Anspruch,  dieses  ganze  Gebiet  zu  umfassen.  Es  handelt  sich  um 
nominale  Ausdrücke,  die  sich  in  möglichst  durchsichtiger  Weise 
auf  „entsprechende"  Wahrnehmung  und  sonstige  Anschauung 
beziehen. 

In  diesem  Kreise  fassen  wir  zunächst  das  ruhende  Ein- 
heitsverbältnis  ins  Auge:  der  bedeutungverleihende  Ge- 
danke sei  auf  Anschauung  gegründet  und  dadurch  auf 
ihren  Gegenstand  bezogen.  Z.  B.  Ich  spreche  von  meinem 
Tintenfnfs,  und  es  steht  zugleich  das  Tintenfafs  selbst  vor  mir, 
ich  sehe  es.  Der  Name  nennt  den  Gegenstand  der  Wahrnehmung 
und  nennt  ihn  mittelst  des  bedeutenden,  seiner  Art  und  Form 
nach  sieh  in  der  Form  des  Namens  auspiägenden  Actes.  Die 
Beziehung  zwischen  Namen  und  Genanntem  zeigt  in  diesem  Elin- 
heitsstande  einen  gewissen  descriptiven  Charakter,  auf  den 
wir  schon  aufmerksam  wurden:  der  Name  mein  Tintenfafs  „\Qgt 
sich"  gleichsam  dem  wahrgenommenen  Gegenstande  „auf",  ge- 
hört sozusagen  fühlbar  zu  ihm.  Aber  diese  Zugehörigkeit  ist 
von  eigener  Art  Die  Worte  gehören  ja  nicht  zu  dem  objectiven 
Zusammenhang,  hier  dem  physisch -dinglichen,  den  sie  ausdrücken, 
in  ihm  haben  sie  keinen  Ort,  sie  sind  nicht  als  etwas  in  oder  an 
den  Dingen,  die  sie  nennen,  gemeint.  Gehen  wir  auf  die  Erlebnisse 
zurück,  so  finden  wir  auf  der  einen  Seite,  wie  bereits  beschrieben,' 
die  Acte  der  Worterecheinung,  auf  der  anderen  Seite  die  ähn- 
lichen Acte  der  Sacherscheinung.  In  letzterer  Hinsicht  steht  uns 
in  der  Wahrnehmung  das  Tintenfafs  gegenüber.  Gemäfs  unserer 
wiederholten  Geltendmachung  des  descriptiven  Wesens  der  Wahr- 
nehmung, besagt  (lies  phänomenologisch  nichts  Anderes,  als  dafs 
wir  einen  gewissen  Belauf  von  Erlebnissen  aus  der  Klasse  Eropfia- 


'  Vgl.  ünt.  I,  §§9  und  10. 


Bedeutungsmlention  und  BedeutungserfuUung. 


497 


(lung  habe,  sinnlieh  vereinheitlicht  in  ihrer  so  und  so  bestimni- 
,en  Aneinanderreihung  und  durchgeistigt  von  einem  gewissen, 
ihnen  objectiven  Sinn  verleihenden  Actcharaliter  der  „AutTassung". 
Dieser  Actcharakter  macht  es,  dafs  uns  ein  Gegenstand,  eben 
dieses  Tintenfars,  in  der  Weise  der  Walimehmung  erscheint  Und 
in  ähnlicher  Weise  constituirt  sich  natürlich  das  orecheinende  Wort 
in  einem  Acte  der  Wahrnehmung  oder  Pliantasie Vorstellung. 

Also  nicht  Wort  und  Tintenfafs,  sondern  die  beschriebenen 
Acterlebnisso,  in  denen  sie  erscheinen,  während  Bie  „in"  ihnen 
garnichts  sind,  ti-eten  in  Beziehung.  Aber  wie  nun  dies?  Was 
bringt  die  Acte  zur  Einheit?  Die  Ant\%'ort  scheint  klar.  Diese 
Bezieimng  ist  als  nennende  vermittelt  durch  Acte  nicht  blofe 
des  Bedeutens,  sondern  des  Erkennens,  und  zwar  sind  es  hier 
Acte  der  Klassif'ication.  Der  wahrgenommene  Gegenstand  wird 
als  Tintenfafs  erkannt,  und  sofern  der  bedeutende  Ausdruck  in 
besonders  inniger  Weise  mit  dem  klassificatorischen  Acte  Eins  ist, 
und  dieser  wieder  als  Erkennen  des  wahrgenommenen  Gegenstandes 
mit  dem  Wahrnehmungsacte  Eins  ist,  erscheint  der  Ausdruck 
gleichsam  als  dem  Dinge  aufgelegt  und  als  wie  sein  Kleid. 

Normaler  Weise  sprechen  wir  von  Erkenntnis  und  Klassi- 
tication  des  Wahrnehnuingsgogenstandes,  als  ob  der  Act  sich 
am  Gegenstande  bethätigte.  Im  Erlebnis  selbst  aber  ist 
sagten  wir,  kein  Gegenstand,  sondern  dio  Wahrnehmung,  das  so 
und  so  bestimmte  Zumuthesein;  also  ist  der  Erkeuntnisact  im 
Erlebnis  auf  den  Wahruehmungsact  gegründet.  Natürlich 
darf  man  da  nicht  mifsverstehend  einwenden,  wir  stellten  die  Sache 
so  hin,  als  sei  die  Wahrnehmung  klassificirt  anstatt  ihres  Gegen- 
standes. Das  thun  wir  keineswegs.  Dergleichen  setzte  ja  Acte 
ganz  anderer  und  compücirterer  Constitution  voraus,  die  sich  in 
Ausdrücken  von  entsprechender  Complexion,  wie  z.  B.  die  Wahr- 
nehmung  des  Tintenfasses,  ausprägen  würden.  Also  ein  in  be- 
stimmter und  schlichter  Weise  das  Ausdruckserlebnis  auf  der  einen, 
mit  der  beti-offenden  Wahrnehmung  auf  der  anderen  Seite  ver- 
schmelzendes Erkennen  constituirt  das  Erlebnis:  Erkennen  dieses 
Dinges  als  mein  Tintenfafs. 

UusBsrl,  (<og.  Unton.  n.  32 


Ganz  ebenso  verhält  es  sich  in  den  Fällen,  wo  statt  der  Wahr- 
nehmung eine  Bildvorstellung  dient  Das  bildlich  erscheinende 
Object,  z.  B.  dasselbe  Tintenfafs  in  der  Phantasie  oder  Erinnerung, 
ist  fühlbarer  Träger  des  nominalen  Ausdrucks.  Phänomenologisch 
gesprochen  heifst  das,  ein  Act  des  mit  dem  Ausdruckserlebnis  ver- 
einten Erkennens  ist  auf  den  Act  der  Verbildlichung  in  der  Weise 
bezogen,  die  wir  objectiv  als  Erkennen  des  bildlich  Vorgestell- 
ten, z.B.  als  unseres  Tintenfasses,  bezeichnen.  Auch  das  bildliche 
Object  ist  ja  in  der  Vorstellung  schlechterdings  nichts,  Erlebnis 
ist  vielmehr  ein  gewisser  Verein  von  Phantasmen  (Phantisie- 
Empfindungen),  durchgeistigt  von  einem  gewissen  auffassenden 
Actcharakter.  Diesen  Act  erleben,  und  eine  Phantasievorstellung 
von  dem  Gegenstande  haben,  ist  einerlei.  Sagen  wir  dann  aus- 
drückend: wb  habe  ein  Phantasiebild,  und  zwar  das  eines  Tinten- 
fasses, so  haben  wir  offenbar  mit  den  Ausdrücken  zugleich  neue 
Acte  vollzogen  und,  speciell  auch  einen  mit  dem  Act  der  Ver- 
bildlichung innig  einheitlichen  Act  des  Erkennens. 

§  7.     Das  Erkennen  als  Actcharakter  und  die  „Allgemeinheit 
des  Wortes". 

Dafs  wir  wirklich  berechtigt  sind,  in  allen  Fällen  der  Nennung 
eines  anschaulich  Gegebenen  zwischen  der  Erscheinung  des  Wort- 
lauts, bezw.  des  ganzen  sinnbelebten  Wortes,  und  der  Sachanscliauimg 
das  Erkennen  als  einen  vermittelnden  Actcharakter  anzunehmen, 
dessen  scheint  uns  folgende  genauere  Ueberlegung  völlig  zu  ver- 
sichern. Man  hört  oft  von  der  Allgemeinheit  der  Wortbedeu- 
tungen sprechen  und  meint  in  dieser  vieldeutigen  Rede  zumeist 
die  Thatsacho,  dafs  das  Wort  nicht  an  die  vereinzelte  Anschauung 
gebunden  ist,  sondern  zu  einer  imendlichen  Mannigfaltigkeit  mög- 
licher Anschauung  gehört. 

Was  liegt  nun  in  dieser  Zugehörigkeit? 

Betrachten  wir  ein  möglichst  einfaches  Beispiel,  etwa  den 
Namen  Roth.  Indem  er  ein  erscheinendes  Object  als  roth  benennt, 
gehört  er  zu  diesem  Object  vermöge  des  an  ihm  erecheinenden 
Rothmomentes.     Und  jedes  Object,  das  ein    gleichartiges  Moment 


in  sich  trägt,  berechtigt  zur  selben  Nennung,  zu  jedem  gehört 
dieser  selbe  Name,  und  er  gehört  zu  ilira  vermöge  des  identischen 
Sinnes. 

Was  liegt  nun  wieder  in  dieser  Nennung  vermöge  eines 
identischen  Sinnes? 

Wir  bemerken  zunächst:  das  Wort  hängt  nicht  äufserlich, 
blofs  auf  (irund  verborgener  psychischer  Mechanismen  an  den 
gleichartigen  Eiazelzügen  der  Anschauungen,  Vor  Allem  reichen 
wir  nicht  mit  der  blofsen  Thatsache  aus,  dafs,  wo  immer  ein 
solcher  Einzelzug  in  der  Anschauung  auftritt,  sich  ihm  nun  auch 
das  Wort,  als  blofses  Lautgebild,  zugesellt.  Das  blofse  Zusam- 
men, das  blofs  äufserliche  Miteinander  oder  Aneinander  dieser 
beiden  Erscheinungen  schafft  zwischen  ihnen  keine  innerliche  Be- 
ziehung und  gewüs  keine  intentionale.  Und  eine  solche  liegt  doch 
oft"enbar  als  eine  phänomenologisch  durchaus  eigenartige 
vor.  Das  Wort  nennt  das  Rothe  als  roth.  Das  erscheinende 
Roth  ist  das  mit  dem  Namen  Gemeinte  und  zwar  als  roth  Oe- 
meinte.  In  dieser  Weise  des  nennenden  Meinens  erscheint  der 
Name  als  zu  dem  Genannten  geliörig  und  mit  ihm  Eins. 

Andererseits  hat  das  Wort  seinen  Sinn  auch  aufserhalb  der 
Verknüpfung  mit  dieser  Anschauung,  ja  ohne  Verknüpfung  mit  einer 
„entsprechenden"  Anschauung  überhaupt.  Da  der  Sinn  überall  der- 
selbe ist,  so  ist  es  klar,  dafs  wir  für  die  nennende  Beziehung  an  Stelle 
des  blofsen  Wortlautes  das  eigentliche  und  volle  Wort,  nämlich 
das  mit  dem  überall  gleichartigen  Charakter  des  Sinnes  begabte, 
zu  Grunde  legen  müssen.  Aber  auch  dann  dürften  wir  uns  nicht 
begnügen,  die  Einheit  des  sinnvollen  Wortes  und  der  entsprechenden 
Anschauung  als  ein  blolses  Zusammen  zu  be.schreiben.  Denken 
wir  uns  das  Wort,  etwa  so  \vie  es  aufserhalb  aller  actuellen 
Nennung  als  blofs  symbolisch  verstandenes  bewufst  ist,  und 
nun  dazu  die  entsprechende  Anschauung:  so  mag  es  sein,  dafe 
sich  die  beiden  Erscheinungen  aus  genetischen  Gründen  alsbald 
zur  phänomenologischen  Einheit  der  Nennung  zusaranienschliefsen; 
aber  an  sich  ist  das  Zusammen  noch  nicht  diese  Einheit,  sie 
erwächst  erst  als  ein  offenbar  Neues.     Es  wäre  a  ^w^'on  denkbar, 

32* 


I 


dafs  sie  nicht  erwüchse;  dann  wären  die  coexistirenden  Erschei- 
nungen phänomenologisch  beziehungslos:  das  Erscheinende  stünde 
nicht  als  das  im  sinnvollen  Worte  Gemeinte,  also  Oenannte  da. 
und  das  Wort  nicht  als  das  in  der  Weise  des  Namens  zu  ihm 
Gehörige,  es  Nennende. 

Da  wir  nun  phänomenologisch  statt  der  blofsen  Summe  die 
innigste  Einheit,  und  zwar  eine  intentionale  Einiieit  vorfinden, 
so  werden  wir  wol  mit  Recht  sagen  dürfen:  die  beiden  Acte, 
deren  einer  uns  das  volle  Wort  und  deren  anderer  die  Sache 
constituirt,  schliefsen  sich  intentional  znr  Acteinheit  zusammen. 
Naturgemäfs  beschreiben  wir  das  Vorliegende  ebenso  gut  mit  den 
Worten:  det-  Name  Roth  nennt  das  rothe  Object  roth,  als  mit 
den  Worten:  das  rothe  Object  «v/'d  als  roth  erkannt  und 
mittelst  dieses  Ericennens  roth  genannt.  Roth  Kennen  —  in 
dem  actuellen  Sinn  von  Nennen,  der  die  unterliegende  An- 
schauung des  Genannten  voraussetzt  —  und  als  roth  Erkenneti 
sind  im  Grunde  genommen  bedeutungs-identische  Ausdrücke; 
nur  dafe  der  letztere  deutlicher  zur  Ausprägung  bringt,  dafs  hier 
keine  blofse  Zweiheit,  sondern  eine  durch  einen  Actcharakter 
hergestellte  Einheit  gegeben  ist.  Bei  der  Innigkeit  der  Verschmel- 
zung treten,  wie  wir  allerdings  zugestehen  müssen,  die  implicirten 
Momente  dieser  Einheit  —  die  physische  Worterscheinung  mit 
dem  beseelenden  Moment  der  Bedeutung,  das  Moment  der  Er- 
kennung und  die  Anschauung  des  Genannten  —  nicht  mit  deut- 
licher Abhebung  auseinander;  aber  nach  dem  Ausgefährten  wer- 
den wir  sie  wol  »He  annehmen  müssen.  Ergänzende  Erwägungen 
sollen  diesem  Punkt  übrigens  noch  gewidmet  werden.^ 

Offenbar  ist  der  Actcharakter  des  Erkennens,  dem  das  Wort 
seine  sinngemiifse  Beziehung  auf  das  Gegenständliche  der  An- 
schauung verdankt,  nichts  zum  Wortlaut  wesentlich  Zugehöriges; 
68  gehört  vielmehr  zum  Worte  nach  seinem  sinnvollen  (bedeu- 
tungsmäfsigen)  Wesen.  Bei  den  verschiedensten  Wortlauten, 
man  denke  an  „dasselbe"  Wort  in  verschiedenen  Sprachen,  kann 


'  Vgl.  8.  509  ff. 


die  Erkenntnisbeziehung  identisch  dieselbe  sein;  das  Object  wird 
wesentlich  als  dasselbe  erkannt,  obschon  unter  Beihilfe  verschiede- 
ner Wortlaute.  Freilich  schliefst  das  volle  als  roth  Erkennen,  sowie 
es  mit  dein  actuellen  Namen  gloichwerthig  ist,  auch  den  Wortlaut 
mit  ein.  Mitglieder  verschiedener  Sprachgemeinschaften  erleben 
die  Zugehörigkeiten  verschiedener  Wortlaute  und  befassen  diese 
letzteren  mit  in  die  Einheit  des  Erkennens.  Indessen  erhält  sich 
die  Bedeutung,  die  zu  dein  Wortlaut  gehört,  und  der  Erkennungs- 
act,  in  welchem  sie  sich  mit  dem  Bedeuteten  actuell  einigt,  überall 
imverändert,  so  dafs  die  Differenzen  selbstveretändüch  als  aulser- 
wesentliche  gelten  müssen. 

Die  Allgemeinheit  des  Worts  besagt  danach,  dal's  ein  und 
dasselbe  Wort  durch  seinen  einheitlichen  Sinn  eine  ideell  fest- 
begrenzte Mannigfaltigkeit  möglicher  Anschauungen  so  umspannt 
(und,  wenn  es  widersinnig  ist,  zu  umspannen  „prätendirt"),  dafs 
jede  dieser  Anschauungen  als  Grundlage  eines  gleichsinnigen 
nominalen  Erkenntnisactes  fungiren  kann.  Zu  dem  Worte  ßoth 
gehört  beispielsweise  die  Möglichkeit,  alle  in  möglichen  An- 
schauungen zu  gebeniien  rotheu  Objecto  eben  als  roth  zu  erkennen 
und  zu  nennen.  Daran  knüpft  sich  aber  weiter  die  a  ^/rtart 
gewährleistete  Möglichkeit,  durch  identificirende  Synthesis 
solcher  Erkennungen  sich  dessen  bewufst  zu  werden,  es  sei  das 
Eine  und  Ändere  bedeutungsmäfsig  dasselbe,  es  sei  dieses  A  roth 
und  jenes  .4  sei  dasselbe,  nämlich  auch  rotli;  die  beiden  Einzel- 
heiten der  Anschauung  gehörton  unter  denselben  „Begriff". 

Eine  Zweifelsfrage  drängt  sich  hier  auf.  Das  Wort,  sagten 
wir  oben,  könnte  vei-standen  werden,  ohne  etwas  actuell  zu  nennen. 
Müssen  wir  ihm  aber  nicht  mindestens  die  Möglichkeit  zubilli- 
gen, in  der  Function  actueller  Nennung  zu  stehen,  also  actuelle 
Erkenntnisbeziehung  auf  entsprechende  Anschauung  zu  gewinnen? 
Müssen  wir  nicht  sagen:  ohne  diese  Möglichkeit  wäre  es  über- 
haupt kein  Wort?  Natürlich  lautet  die  Antwort;  diese  Möglichkeit 
hängt  an  der  Möglichkeit  der  bezüglichen  Erkenntnisse.  Aber 
nicht  alle  intendirte  Erkenntnis  ist  möglich,  nicht  alle  nominale 
Bedeutung   ist   zu   realisireu.     „Imaginäre''   Namen   sind   eben 


auch  Namen,  aber  sie  können  in  keiner  actuellen  Nennung 
stehen,  sie  haben,  eigentlich  gesprochen,  keinen  Umfang,  sie 
haben  keine  Allgemeinheit  im  Sinne  der  Möglichkeit  und 
Wahrheit.  Ihre  Allgemeinheit  ist  leere  Prätention.  Wie 
diese  Reden  aber  ihrerseits  zu  klären  sind,  was  pbäuomenologisch 
hinter  ihnen  liegt,  wird  der  Verlauf  der  weiteren  Untersuchung 
noch  herausstellen. 

Was  wir  dargelegt  haben,  gilt  überall  und  nicht  etwa  blofs 
bei  den  Ausdrücken,  welche  eine  allgemeine  Bedeutung  haben  in 
der  Weise  von  Allgemeiubegriffen.  Es  gilt  auch  bei  den 
Ausdrücken  individueller  Bedeutung,  wie  es  dieEigenuamen 
sind.  Die  Thatsache,  die  man  als  die  „Allgemeinheit  der  Wort- 
bedeutung" zu  bezeichnen  pflegt,  meint  keineswegs  diejenige  All- 
gemeinheit, die  man  Gattungsbegriffen  im  Gegensatz  zu  Individual- 
begriffen  beimifst;  sie  umfafst  im  Gt^genthei!  die  Eine  und  Andere 
in  gleicher  Weise.  Demgemäfs  ist  das  „Erkennen",  von  dem  wir 
in  der  Beziehung  eines  sinnvoll  fungirenden  Ausdrucks  auf 
correspondirendo  Anschauung  sprechen,  auch  nicht  gerade  als  ein 
actuelles  Klassificiren  aufzufassen,  das  sich  in  der  Einordnung 
eines  anschaulich  oder  schon  gedanklich  vorgestellten  Gegenstandes 
in  einer  Klasse  —  also  nothwendig  auf  Grund  allgemeiner  Begriffe 
und  sprachlich  mittelst  allgemeiner  Namen  —  vollzieht  Auch 
die  Eigennamen  haben  ihre  „Allgemeinheit",  obschon  bei  ihnen, 
wo  sie  in  der  Function  actueller  Nennung  stehen,  von  Klassilication 
eo  ipso  keine  Rede  ist.  Auch  die  Eigennamen,  wie  alle  sonstigen 
Namen,  können  nichts  nennen,  ohne  nennend  zu  erkennen.  Dafs 
in  der  That  ihre  Beziehung  zu  einer  entsprechenden  Anschauung 
nicht  minder  eine  mittelbare  ist,  als  bei  anderen  Ausdrücken, 
zeigt  eine  ganz  analoge  Betrachtung  wie  diejenige,  die  wir 
oben  durchgeführt  haben.  Der  jeweilige  Name  gehört  offenbar 
weder  zu  einer  bestimmten  Wahrnehmung,  noch  zu  einer  bestimmten 
Einbildung  oder  sonstigen  Verbildlichung.  In  unzähligen  möglichen 
Anschauungen  kommt  dieselbe  Person  zur  Erscheinung,  und  alle 
diese  Erscheinungen  haben  nicht  blofs  intuitive,  sondern  auch 
erkenntnismälsige    Einheit      Jede    Einzelerechoinung    aus    einer 


solcben  intuitiTen  Mannigfaltigkeit  kann  der  gleichsinnigen  Nen- 
nung durch  den  Eigennamen  mit  gleichem  Fug  zu  Grunde 
liegen.  Welche  immer  gegeben  ist,  der  Nennende  meint  die  eine 
und  selbe  Person  oder  Sache.  Und  er  meint  sie  nicht  in  der 
blofsen  Weise  anschaulichen  Zugewendetseins,  wie  in  der  Be- 
trachtung eines  ihm  individuell  fremden  Objectes;  sondern  er  er- 
kennt sie  als  diese  bestimmte  Peraon  oder  Sache,  im  Nennen 
erkennt  er  Hans  als  Hatis,  Berlin  als  Berlin.  Das  als  diese 
Person,  als  diese  Stadt  Erkennen  ist  wiederum  ein  Act,  der  nicht 
an  den  bestimmten  sinnlichen  Gehalt  der  jeweiligen  Worterschei- 
nung gebunden  ist.  Es  ist  identisch  derselbe  Act  bei  verschie- 
denen (und  der  Möglichkeit  nach  unendlich  vielen)  Wortlauten; 
so  z.  B.  wenn  sich  Mehrere  für  dieselbe  individuelle  Sache  ver- 
schiedener Eigennamen  bedienen. 

Natürlich  ist  nun  diese  Allgemeinheit  des  Eigennamens  und 
der  ihm  entsprechenden  Eigenbedeutung  von  ganz  anderem 
Charakter  als  diejenige  des  Klassenuamens. 

Die  Erstere  besteht  darin,  dals  zu  einem  individuellen  Ob- 
jeck  eine  Synthesis  möglicher  Anschauungen  gehört,  die  Eins  sind 
durch  einen  gemeinsamen  iuteutioualen  Charakter,  nämlich  durch 
den  Charakter,  der,  unbeschadet  der  sonstigen  phänomenalen  Unter- 
schiede zwischen  den  einzelnen  Anschauungen,  einer  Jeden  Be- 
ziehung auf  denselben  Gegenstand  verleiht.  Dieses  Einheitliche 
ist  dann  das  Fundament  für  die  Erkenntniseinheit,  die  zur 
„Allgemeinheit  der  Wortbedeutung",  zum  Umfange  ihrer  ideell 
möglichen  Realisirung  gehört.  So  hat  das  nennende  Wort  Er- 
kenntnisbeziehung zu  einer  unbegrenzten  Mannigfaltigkeit  von  An- 
schauungen, deren  einen  und  selben  Gegenstand  es  erkennt 
und  dadurch  nennt. 

Ganz  anders  bei  den  Klassennamen.  Ihre  Allgemeinheit 
umspannt  einen  Umfang  von  Gegenständen,  zu  deren  jedem, 
an  und  für  sich  betrachtet,  eine  mögliche  Synthesis  von 
Wahrnehmungen,  eine  mögliche  Eigeubedeutung,  ein  möglicher 
Eigenname  gehört  Der  allgemeine  Name  „umspannt"  diesen 
Umfang  in  der  Weise  der  Möglichkeit,  jedes  Glied  dieses  Urafangs 


allgemeia  zu  nennen ,  d.  b.  es  nicht  in  der  Weise  der  Eigennamen 
durch  Eigenerkennen,  sondern  in  der  Weise  der  Oemeinnanien 
durch  Klassification  zu  nennen:  das  entweder  direet  Angeschaute, 
oder  bereits  in  seiner  Eigenheit,  oder  gar  schon  durch  Merkmaie 
Erkannte  wird  nun  als  ein  A  erkannt  und  genannt 

§  8.     Die  djfnamische  Einheit  xwischeti  Ausdrttck  und  ausijedi 
Anschauung.     Das  ErfiiUungs-  und  Idcnlitäisbewußlsein. 

Statt  der  ruhenden,  gleichsam  statischen  Deckung  zwischen' 
Bedeutung  und  Anschauung  nehmen  wir  jetzt  die  dynamische 
an;  dem  vorerst  blofe  symbolisch  fungirenden  Ausdruck  geselle 
sich  nachher  die  (mehr  oder  minder)  entsprechende  Anschauung 
bei.  Wird  dies  Ereignis,  so  erleben  wir  ein  descriptiv  eigenthüm- 
liches  ErfülUingsbewufstsein':  der  Act  des  puren  Bedeutons 
findet  in  der  Weise  einer  abzielenden  Intention  seine  Erfüllung 
in  dem  veranschaulichenden  Acte.  In  diesem  Uebergangserlebnis 
tritt  zugleich  die  Zusammengehörigkeit  beider  Acte,  der 
Bedeutungsintention  und  der  ihr  mehr  oder  minder  vollkommen 
entsprechenden  Anschauung,  nach  ihrer  phiiuomenologischen  Be- 
gründung deutlich  hervor.  Wir  erleben  es,  wie  in  der  Anschauung 
dasselbe  Gegenständliche  intuitiv  vergegenwärtigt  ist,  welches 
im  symbolischen  Acte  „blofs  gedacht''  war,  und  dafs  es  gerade 
als  das  so  und  so  Bestimmte  anschaulich  wird,  als  was  es  zunächst 
blofs  gedacht  (blols  bedeutet)  war.  Es  ist  nur  ein  anderer  Aus- 
druck dafür,  wenn  wir  sagen,  das  iutentionale  Wesen  des 
Anschauungsactes  passe  sich  (mehr  oder  minder  vollkommen) 
dem  bedeutungsmäfsigen  Wesen  des  ausdrückenden 
Actes  an. 

In  dem  zuerst  beti'achteten  statischen  Verhältnis  zwischen 
den  Acten  der  Bedeutung  und  Anschauung  sprachen  wir  von 
Erkenaeu.    Dieses  stellt,  sagten  wir,  die  sinngemäfse  Beziehung 

■  Vgl.  meine  Psych.  Studien  z.  olera.  Logik,  11.  Ueber  Anschauungen 
u.  EepiÄsentationon ,  Philos.  Monatshefte,  Jalirg.  1894,  8.176.  Den  dort  bevor- 
lagten  Begriff  der  Anschauung  habe  ioh,  wie  aus  dem  vorliegenden  Werke 
ersichtlich,  aufgegeben. 


des  Namens  auf  das  in  der  Anschauung  Gegebene  als  Genanntes 
her.  Aber  das  Bedeuten  ist  darin  niolit  selbst  das  Erkennen.  In 
dem  rein  symbolischen  Wortverständnis  wird  ein  Bedeuten  voll- 
zogen (das  "Wort  bedeutet  uns  etwas),  aber  es  wird  nichts  erkannt. 
Der  Untei-schied  liegt,  nach  dem  im  vorigen  Paragraphen  Er- 
örterten, nicht  in  dem  blofsen  Mitgegebensein  der  Anschauung 
des  Genannten,  sondern  in  der  piiänomenologisch  eigenartigen 
Einheitsform.  Das  Charakteristische  dieser  Erkenntniseinheit 
macht  uns  nun  das  dynamische  Verhältnis  klar.  Zunächst  ist 
dabei  die  ßedeulungsintention,  und  zwar  für  sich  gegeben;  dann 
erst  tritt  entsprechende  Anschauung  hinzu.  Zugleich  stellt  sich 
die  phänomenologisclie  Einheit  her,  die  sich  jetzt  als  Erfüllungs- 
bewuTstsein  bekundet  Die  Reden  von  Erkenntnis  des  Gegen- 
standes und  Erfüllung  der  Bedeutungsintention  drücken  also,  blofs 
von  veitichiedenen  Standpunkten,  dieselbe  Sachlage  aus.  Die 
Erstere  stellt  sieb  auf  den  Staudpunkt  des  gemeinten  Gegenstandes, 
während  die  LeUtero  nur  die  beiderseitigen  Acte  zu  Boziehungs- 
punktcn  nimmt.  Phänomenologisch  oxistiren  jedenfalls  die  Acte, 
nicht  immer  die  Gegenstände.  Somit  giebt  die  Kode  von  der  Er- 
füllung dem  phänomenologischen  Wesen  derErkenntnisbezieliung 
den  besser  charakterisirenden  Ausdruck.  Es  ist  eine  primitive  phä- 
nomenologische Thatsache,  dafs  Acte  der  Signification '  und  Intui- 
tion in  dieses  eigenartige  Verliältnis  treten  können.  Und  wo  sie 
es  thun,  wo  gegebenen  Falls  ein  Act  der  ßedeutungsinteution  sich 
in  einer  Anschauung  erfüllt,  da  sagen  wir  auch,  es  werde  „der 


'  Ich  benutze  diesen  Ausdruck  obne  besondere  terminologische  An- 
kündigung, weil  er  die  blofse  Uebersetzung  von  Bedeutung  ist.  Ebenso  werde 
ich  öfters  von  significativen  oder  auch  kurzweg  signitiren  Acten  sprechen, 
statt  von  Acten  der  Bedeutungsinteution,  des  Bedeutena  u.dgl.  .Bedeutende 
Acte'  kauu  man,  da  normaler  "SVeiKe  die  Ausdrücke  als  Subjecte  des  Be- 
dentens  bezeichnet  werden,  nicht  gut  sogen.  Signitiv  giobt  auch  einen  passen- 
den teroiinologischen  Gegensatz  zu  intuitiv.  Ein  Synonym  für  signitiv  ist 
symbolisch,  sofern  in  neuerer  Zeit  der  schon  von  Kant  gerügte  Mifsbrauch 
um  sich  gegriffen  hat,  das  Wort  Symbol,  entgegen  seinem  ursprünglichen  und 
auch  jetzt  noch  uuentbehrlichen  Sinne,  als  Aequivalent  für  Zeichen  zu  ver- 
wenden. 


506    VI.  Ekfuienle  einer  pltänontenolog.  Atifklärung  der  Erkenntnis. 


I 


GFegenstand  der  Anschauung  durch  seinen  Begriff  erkannt",  oderi 
es  „finde  der  betreffende  Name  auf  den  erscheinenden  Gegenstand] 
seine  Anwendung". 

Dem  unzweifelhaften  phänomenologischen  Unterschied  zwischen 
der  statischen  und  dynamischen  Erfüllung  oder  Erkennung  werden 
wir  leicht  gerecht.  Im  dynamischen  Verhältnis  sind  die  Verhältnis- 
glieder und  der  sie  beziehende  Erkenntnisact  zeitlich  auseinander- 
gezogen, sie  entfalten  sich  in  einer  Zeitgestalt.  Im  statischen 
Verhältnis,  das  als  bleibendes  Ergebnis  dieses  zeitlichen  Vorganges 
dasteht,  sind  sie  in  zeitlicher  und  sachlicher  Deckung.  Dort 
haben  wir  im  ersten  Schritte  das  „blofse  Denken"  (=  den  blolsen 
„Begriff"  =  die  blofse  Signification)  als  schleclithin  unbefriedigte 
Bedeutungsintention,  die  sich  im  zweiten  Schritte  mehr  oder 
minder  angemessene  Erfüllung  zueignet;  die  Gedanken  ruhen 
gleichsam  befriedigt  in  der  Anschauung  des  Gedacliten,  das  sich 
eben  vermöge  dieses  Einheitsbewufstseins  als  das  Gedachte  dieses 
Gedankens,  als  das  in  ihm  Gemeinte,  als  das  mehr  oder  minder 
vollkommen  erreichte  Denkzie!  ankündigt  In  dem  statischen  Ver- 
hältnis andererseits  haben  wir  dieses  Einheitsbewufstsein  allein, 
eventuell  ohne  dafs  ein  merklich  abgegrenztes  Stadium  unerfüllter 
Intention  vorangegangen  wäre.  Die  Erfüllung  der  Intention  ist  hier 
nicht  ein  Vorgang  des  sich  Erfüllens,  sondern  ein  ruhendes  Er- 
fülltsoin,  nicht  ein  sich  Decken,  sondern  das  in  Deckung  Sein. 

In  gegenständlicher  Hinsieht  sprechen  wir  hier  auch  von  Iden- 
titätseinbeit  Vergleichen  wir  überhaupt  die  beiden  Gomponen- 
ten  einer  Erfüllungseinheit  (gleichgiltig  ob  wir  sie  im  dynamischen 
üebergehen  ineinander  betrachten,  oder  ob  wir,  die  statische  Ein- 
heit analysireiid,  die  Componenten  auseinanderhalten,  um  sie  als- 
bald ineinander  überlliefsen  zu  sehen),  so  constatiren  wir  gegen- 
ständliche Identität  Wir  sagten  ja,  und  dies  durften  wir 
mit  Evidenz,  dafs  der  Gegenstund  der  Anschauung  derselbe  sei, 
wie  der  Gegenstand  des  sich  in  ihr  erfüllenden  Gedankens,  und 
im  Falle  der  genauen  Anpassung  sogar,  dafs  der  Gegenstand  genau 
als  derselbe  angeschaut,  als  welcher  er  gedacht  (oder  was  hier 
immer  dasselbe  sagt:  bedeutet)  sei.    Es  ist  klar,  dafs  die  Identität 


nicht  erst  durch  die  vergleichende  und  gedanklich  vermittelte  Re- 
flexion hereingebracht  wird,  sondern  dafs  sie  von  vornherein  da, 
dafs  sie  Erlebnis,  unausdrückiiches,  unbegriffenes  Erlebnis  ist.  Mit 
anderen  Worten:  was  wir  phänomenologisch,  mit  Beziehung  auf 
die  Acte,  als  Erfüllung  charakterisiren,  ist  mit  Beziehung  auf  die 
beiderseitigen  Objecte,  auf  das  angeschaute  Object  einerseits 
und  dos  gedachte  Object  andererseits,  als  Identitiitserlebnis,  Idon- 
titätsbewufstsein,  Act  der  Identificirung  auszudrücken;  die  mehr 
oder  minder  vollkommene  Identität  ist  das  Objective,  das  dem 
Acte  der  Erfüllung  entspricht,  oder  das  in  ihm  „erschoinf*. 
Eben  darum  dürfen  wir  nicht  blofs  die  Signification  und  Intui- 
tion, sondern  auch  die  Adäquation,  d.  i.  die  Erfullungseinheit,  als 
einen  Act  bezeichnen,  weil  sie  ein  ihr  eigenthümliches  intentio- 
nalos  CoiTelat  hat,  ein  Gegenständliches,  worauf  sie  „gerichtet" 
ist.  Wieder  eine  andere  Wendung  derselben  Sachlage  ist,  nach 
dorn  oben  Gesagten,  in  der  Rode  vom  Erkennen  ausgedrückt. 
Der  Umstand,  dafs  sich  die  Bedeutungsintention  in  der  Weise 
der  Erfüllung  mit  der  Anschauung  einigt,  giebt  dem  in  der  letz- 
teren erscheinenden  Objecte,  wo  wir  ihm  primär  zugewendet 
sind,  den  Charakter  des  Erkannten.  Zur  genaueren  Bezeichnung 
des  „als  was"  des  Erkanntseins  weist  die  objective  Reflexion  statt 
auf  den  Act  des  ßedeutens,  auf  die  Bedeutung  selbst  hin  (den 
identischen  „Begriff"),  und  die  Rede  vom  Erkennen  drückt  so 
die  Auffassung  derselben  Einheitslage  vom  Standpunkt  des  An- 
schauuugsobjocts  (bezw.  des  Objects  des  erfüllenden  Actes)  und  in 
Relation  zum  Bedeutungsgehalt  des  signitiven  Actes  aus.  In  um- 
gekelu-ter  Relation  sagt  man  allenfalls  auch,  obschon  zumeist  in 
engerer  Sphäre,  der  Gedanke  „begreife"  die  Sache,  er  sei  ihr 
„Begriff'''.  Selbstverständlich  kann  man  nach  dieser  Darlegung 
wie  die  Erfüllung  auch  das  Erkennen  —  was  ja  nur  ein  anderes 
Wort  ist  —  als  einen  identificirenden  Act  bezeichnen. 

Zusaix.  Ich  darf  nun  auch  ein  Bodenken  niclit  unterdrücken, 
welches  sich'g'egen  die  sonst  so  einleuchtende  Auffassung  der  hier 
auftretenden  Identitäts-  oder  Erkenntiiiseinheit  als  eines  Actes  der 
Identificatioa  oder  des  Erkennens,  richtet;    und  ich  darf  dieses  Be- 


I 

I 


denken  umsoweniger  unteiilrücken,  als  es  sich  im  spätereu   Verlaufe 
der    Untersuchung   und    im   Fortschritt   der    uns    erwaohsenden   Auf- 
klärungen als  ein  ernstliches  erweisen  und  zu  fruchtbaren  Erwägungen 
anregen  yrird.     Bei  genauerer  Analyse  fällt  es  uns  nämlich   auf,  dat> 
wir  doch  in  den  vorliegenden  FäUen ,  wobei  sich  ein  Name  iu  actueller 
Nennung  auf  ein  Object  der  AnäJ.'hauung  bezieht,  wol  den  angeschauten 
uiiil  in  Eins  damit  genannten  Gegenstand  meinen,  keineswegs  aber 
die    Identität   dieses  Gegenstandes,   als   des   zugleich   angeschauten 
und  genannten,   meinen.     Sollen  wir  sagen,  es  sei  die  Bevoi-zugung 
der  Aufmerksamkeit,  die  hier  entscheide?     Oder  sollen  wir  nicht  >iel- 
mehr  zugestehen,  es  sei  der  Act  der  Identificirung  eigentlich   noch 
nicht  voll  und  ganz  oonstituirt:  das  Hauptstück  dieses  Actes,  das  Mo- 
ment der  verknüpfenden  Einigung  von  Bedeutungsintention  imd  corr©- 
spondirender  Anschauuug  sei  zwar  reell  vorhanden;  aber  dieses  Einheilfi- 
monient  fungire  nicht  als  „Repi-äsentant"  einer  objectiviremlen  „Auf- 
fassung"; die  erlebte  Deckungseiuheit  begründe  keinen  Act  beziehen- 
den Identificirens,   ketu    intentionates   Be\mrstsein    von  Identitäta^H 
in   welchem  uns  die  Identität  als  gemeinte  Einheit  allererst  gegon-^^ 
stündlich    werde.     In   der  Reflexion    über   die   Eriüllungseiiiheit    voll- 
zögen wir  naturgemäfs ,  ja  nothwendig,  mit  der  Gliedeniug  und  Gegen- 
überstellung der  miteinander  verknüpften  Acte  auch  jene  beziehende 
Auffassiuig,  welche  die  Form  ihrer  Einheit  a  priori  zulasse.  —  In  der 
allgemeinsten,  auf  die  kategorialen  Actcharaktere  überhaupt  bezogenen" 
Gestalt  wird  uns  diese  Frage  im  zweiten  Abschnitt  beschäftigen.  ^    Vor- 
läufig fahren  wir  fort,  den  bezeichneten  Einlieitscharakter  wie  einen 
vollen  Act  zu  behanilelu,  oder  ihn  von  dem   vollen  Act   nicht   aus- 
drücklich abzuscheiden.     Das  Wesentliche  unserer  Betrachtungen  wii-d 
hierdurcli   insofern   nicht   betroffen,   als  der  Uobergang  vom  Einheits- 
erlebnis zur   beziehenden  IdcntiQcirung   jederzeit  offen  steht,  da 
seine  apriorische  Möglichkeit  gewährleistet  ist,  so  dafs  wir 
mit  Recht  sagen   dürfen:   ideutificircndo   Deckung   sei   erlobt,   mag 
auch  die  bewufste  Intention  auf  Identität,  «bis  beziehende  Iden- 
tiüciren  unterblieben  sein. 


n 


■  Vgl.  Kap.  0,  §  48  und  das  ganzo  Kap.  7. 


§  9.     Dtr  versdiiedefte  Charakter  der  Intention  in  und  aufserhalb 
der  ErfüUuHi/seinheit. 

Die  Heranziehung  der  dynamischen,  sich  in  Form  eines  ge- 
gliederten Processes  abspielenden  Ei-füiiung  zum  Zwecke  der 
Interpretation  des  statischen  Erkenntnisactes  beliebt  auch  eine 
Schwierigkeit,  welche  die  klare  Erfassung  des  Verhältnisses 
zwischen  der  Bedeutimgsintention  und  dem  vollen  Erkenntnisact 
zu  beirren  droht.  Dürfen  wir  wirklich  behaupten,  dafs  in  der 
Einheit  der  Erkenntnis  sich  viererlei  untorscheiden  lasse,  der  ver- 
bale Ausdruck,  der  Act  des  Bedeutens,  der  des  Anschanens  und 
endlich  der  übergreifende  Einheitseharakter  des  Erkennens,  bezw. 
der  Erfüllung?  Man  könnte  einwenden,  was  die  Analyse  wirklich 
vorfinde,  das  sei  einerseits  der  sprachliche  Ausdruck,  speciell 
der  Name,  andererseits  die  Anschauung,  und  bei<lo  geeinigt  durcli 
den  Charakter  des  erkennenden  Nennons.  üals  aber  mit  dem 
sprachlichen  Ausdruck  noch  ein  Act  des  Bedeutens  verknüpft 
sei,  als  etwas  vom  Erkenntnischarakter  und  der  erfüllenden  An- 
schauung Untersclieidbaros  und  mit  dem  Verständuischarakter 
desselben  Ausdrucks  auliserhalb  seiner  Erkenntnisfunction  Identi- 
fieirbares,  das  müsse  geleugnet  werden;  zum  Mindesten  sei  es 
eine  überflüssige  Annahme. 

Dieser  Zweifel  richtet  sich  also  gegen  die  leitende  Auffassung, 
die  sich  uns  in  §  4,  noch  vor  dor  Analyse  der  Erkenntniseinheit, 
als  die  verständlichste  dargeboten  hatte.  Was  wir  uns  bei  der 
Erwägung  zu  vergegenwärtigen  haben,  ist  Folgendes: 

Fürs  Erste  zeigt  die  Vorgleichung  des  in  der  Erkenntnis- 
function und  des  aufserhalb  derselben  stehenden  Ausdrucks,  dafs 
die  Bedeutung  beidereeits  wirklich  dieselbe  sei.  Ob  ich  das  Wort 
Baum  blofs  symbolisch  verstehe,  oder  ob  ich  es  auf  Oruud  der 
Anschauung  eines  Baumes  gebrauche,  beide  Male  meine  ich 
evidentermafsen  mit  dem  Worte  etwas  und   beide  Male  dasselbe. 

Fürs  Zweite  ist  es  evident,  dafs  es  im  Procefs  der  Er- 
füllung die  Bedeutungsintentiüu  des  Ausdrucks  ist,  die  sich  „er- 
füllt"  und   dabei   mit   der  Anschauung   zur  „Deckung"    kommt, 


und  (laTs  somit  die  Erkenntnis  als  das  Ergebnis  des  Deckungs- 
processes  diese  Deckungseinbeit  selbst  ist  Es  liegt  aber  schon 
im  Begriff  einer  Deckungseinheit,  daTs  es  sich  hier  nicht  um 
eine  auseinandertretende  Zweiheit  handelt,  sondern  um  eine  in 
sich  ungesciiiedene  Einheit,  die  sich  erst  durch  Verschiebung  in 
der  Zeit  gliedert  Also  werden  wir  sagen  müssen:  der  gleiche 
Act  der  Bedeutungsintention,  der  das  leere  symbolische  Vorstellen 
ausmachte,  wohut  auch  dem  complexen  Erkenntnisacte  ein;  aber 
die  Bedeutungsintention,  die  früher  eine  „freie"  war,  ist  im 
Stadium  der  Deckung  „gebunden",  zur  „Indifferenz"  gebracht 
Sie  ist  dieser  Complexion  so  eigenthümlich  eingewoben  oder  ein- 
geschmolzen, dafs  ihr  bedeutungsmäfsiges  Wesen  darunter  zwar 
nicht  leidet,  aber  ihr  Charakter  in  gewisser  Weise  doch  eine 
Moditication  erfährt 

Aehnliches  gilt  Ja  allgemein,  wo  immer  wir  Inhalte  einmal 
fär  sich  und  das  andere  Mal  in  Verknüpfung  mit  anderen,  als 
eingewobene  Theile  von  Ganzen  betrachten.  Die  Verknüpfung 
würde  nichts  verknüpfen,  wenn  die  verknüpften  Inhalte  durch  sie 
nichts  erfahren  würden.  Es  ergeben  sich  nothwendig  gewisse 
Aenderungen,  und  natürlich  sind  es  diejenigen,  welche  als  Ver- 
knüpfungsbestimmtheilen  die  phänomenologischen  Correlate  der 
relativen  gegenständlichen  BeschaÖenheiten  ausmachen.  Man 
denke  sich  eine  Linienstrecke  für  sich,  etwa  auf  einem  leeren 
weifsen  Hintergrunde,  und  dann  dieselbe  Strecke  als  Bestandstück 
einer  Figur.  Im  letzteren  Falle  stöfst  sie  mit  anderen  Linien  zu- 
sammen, sie  wird  von  ihnen  berührt,  geschnitten  u.s.w.  Das 
sind,  wenn  wir  uns,  von  den  mathematischen  Idealen  absehend, 
an  die  Strecken  der  empirischen  Anschauung  lialten,  phäuünieno- 
loglsche  Charaktere,  die  den  Eindruck  der  Streckeaerschcinung 
mitbestimmen.  Dieselbe  Strecke  (nämlich  nach  ihrem  inneren 
Gebalt  dieselbe)  erscheint  uns  immer  wieder  anders,  je  nachdem 
sie  in  den  oder  jenen  phänomenalen  Zusammenhang  eintritt;  und 
fügen  wir  sie  einer  qualitativ  mit  ihr  identischen  Linie  oder  Fläche 
ein,  so  geht  sie  sogar  in  diesen  Hintergrund  „unterschiedslos" 
ein,  sie  verliert  die  phänomenale  Sonderung  und  Eigengeltung. 


§  11.     Die  mnfasseiidere  Klasse  der  ErfüUungserlebHisse. 
Atuicfiauungen  als  erfüllungsbetlürßige  Inlentionen. 

Zur  weiteren  Charakteristik  des  Erfüllungsbewurstseins  sei 
darauf  liingewiesen ,  dafs  es  sich  dabei  um  einen  Erlebiiiscliarukter 
liandett,  der  auch  sonst  in  unserem  Seelenleben  eine  grofse  Rolle 
spielt.  Wir  brauchen  blofs  an  die  Gegensätze  von  Wunschintention 
und  Wunscherfüllung,  Willensintention  und  Willenserfiillung  zu 
erinnern,  oder  an  die  Erfüllung  von  Hoffnungen  oder  Befürchtungen, 
an  die  Lösung  von  Zweifeln,  an  die  Bestätigung  von  Ver- 
muthungen  u.  dgl.,  so  wird  es  alsbald  klar,  dafs  innerhalb  ver- 
schiedener Klassen  von  intentionalen  Erlebnissen  im  Wesen  der- 
selbe Gegensatz  zu  Tage  tritt,  der  uns  hier  speciell  als  der 
Gegensatz  zwischen  Bedeutungsintention  und  Bedeutungserfüllung 
entgegentrat.  Wir  haben  diesen  Punkt  schon  früher^  berührt 
und  unter  dem  prägnanteren  Titel  Intentionen  eine  Klasse  von 
intentionalen  Erlebnissen  abgegrenzt,  welche  durch  die  Eigen- 
tliüralichkeit  charakterisirt  sind,  Erfüllungsverhältnisse  fundiren 
zu  können.  In  diese  Klasse  ordnen  sich  alle  zur  engeren  oder 
weiteren  Sphäre  dos  Logischen  gehörigen  Acte  ein,  darunter  auch 
die  Acte,  die  in  der  Erkenntnis  zur  Erfüllung  anderer  Intentionen 
berufen  sind,  die  Anschauungen. 

Wenn  z.  B.  der  Anfang  einer  bekannten  Melodie  ertönt,  so 
erregt  er  bestimmte  Intentionen,  die  in  der  schrittweisen  Ausge- 
staltung der  Melodie  ihre  Erfüllung  finden.  Aehnlielies  findet 
auch  dann  statt,  wenn  uns  die  Melodie  fremd  ist.  Die  im  Me- 
lodischen obwaltenden  Gesetzmäfsigkeiten  bedingen  Intentionen, 
die  zwar  der  vollen  gegenständlichen  Bestimmtheit  ermangeln, 
aber  doch  auch  Erfüllungen  finden  oder  finden  können.  Natüi-lich 
sind  diese  Intentionen  selbst  als  concrete  Erlebnisse  vollbestimmt; 
die  „Unbestimmtheit"  hinsichtlich  dessen,  was  sie  intendiren,  ist 
offenbar  eine  descriptive  Eigenthümlichkeit,  die  zum  Charakter  der 
Intention   gehört,  so  dafs  wir,  ganz  so  wie  wir  es  in  analogen 


'  Vgl.  §  13  der  vorigen  Untersuchung,  S.  358. 


Fällen  früher  getlian  liaben,  paradox  und  doch  richtig  sagen 
könneo,  die  ^UnbestinimÜieit*'  {d.i.  die  Eigenheit,  eine  nicht  voll- 
bestimmte  Ergänzung,  soudem  nur  eine  solche  aus  einer  gesetz- 
lich umschriebenen  Sphäre  zu  fordern)  sei  eine  Bestimmtheit  dieser 
Intention.  Und  iiir  entspricht  dann  nicht  nur  eine  gewisse  Weite 
möglicher  Erfüllung,  sondern  für  jede  actuelle  Erfüllung  aus  dieser 
Weite  ein  Gemeinsames  im  Erfülhingscharakter.  Es  ist  phäno- 
menologisch etwas  Anderes,  ob  sich  Acte  mit  bestimmter  oder 
unbestimmter  Intention  erfüllen,  und  in  letzterer  Hinsicht  wieder, 
ob  sich  Intentionen  erfüllen,  deren  Unbestimmtheit  auf  diese  oder 
jene  Richtung  möglicher  Erfüllung  liinweist. 

In  dem  vorliegenden  Beispiel  haben  wir  es  zugleich  mit 
einem  Verhältnis  von  Erwartung  und  Erfüllung  der  Er- 
wartung zu  thun.  Es  wäre  aber  offenbar  unrichtig,  nun  auch 
umgekehrt  jedes  Verhältnis  einer  Intention  zu  ihrer  Erfüllung  als 
Erwartungsvorhältnis  zu  deuten.  Intention  ist  nicht  Er- 
wartung, es  ist  ihr  nicht  wesentlich ,  auf  ein  künftiges  Eintreten 
gerichtet  zu  sein.  Wenn  ich  ein  unvollständiges  Muster  sehe, 
z.  ü.  das  dieses  Teppichs,  der  durch  Möbelstücke  theilweise  ver- 
deckt ist,  so  ist  gleichsam  das  gesehene  Stück  mit  Intentionen 
behaftet,  die  auf  Ergänzungen  hinweisen  (wir  fühlen  sozusagen, 
dafs  die  Linien  und  Farbengestalten  im  „Sinne"  des  Gesehenen  fort- 
gehen); aber  wir  erwarten  nichts.  Wir  würden  erwarten  können, 
wenn  Bewegung  uns  weiteres  Sehen  verhiefse.  Aber  mögliche 
Erwartungen  oder  Anlässe  möglicher  Erwartungen  sind  ja  nicht 
selbst  Erwartungen. 

Eine  Unendlichkeit  von  hiehergehörigen  Beispielen  liefern  über- 
haupt die  äufseren  Wahrnehmungen.  Die  jeweils  in  die  Wahr- 
nehmung fallenden  Bestimmtheiten  weisen  auf  die  ergänzenden,  in 
neuen  möglichen  Wahrnehmungen  selbst  in  die  Erscheinung  tre- 
tenden Bestimmtheiten  hin,  und  dies,  je  nach  dem  Mafse  unserer 
flErfahrungskenntnis"  des  Gegenstandes,  bald  in  bestimmter,  bald 
in  graduell  unbestimmter  Weise.  Genauere  Analyse  zeigt,  dafs 
sich  jede  Wahmehnumg  und  jeder  Wahrnehnuingszusammenhang 
aus  Componenten  aufbaut,  die  unter  diesen  beiden  Gesichtspunkten 


Bedeulung^intenlioH  und  Bedeutungserfülhiug. 


513 


Intention  und  {wirtliche  oder  mögliche)  Erfüllung  zu  verstehen 
sind;  eine  Sachlage,  die  sich  auf  parallele  Acte  der  Phantasie, 
der  Bildlichkeit  überhaupt,  ohne  Weiteres  überträgt.  Normaler 
"Weise  haben  hier  überall  die  Intentionen  nicht  den  Charakter  von 
Erwartungen,  sie  haben  ihn  nicht  in  jedem  Falle  ruhender  Wahr- 
nehmung  oder  Bildlichkeit,  sie  gewinnen  ihn  erst,  wo  die  Wahr- 
nehmung in  Fhifs  kommt  und  sich  in  eine  continuirlicho  Serie 
von  Wahrnehmungen  aus  der  zu  dem  Einen  und  selben  Gegen- 
stand gehörigen  Wahrnehmungs-Mannigfaltigkeit  ausbreitet  Ob- 
jectiv  gesprochen :  der  Gegenstand  zeigt  «ich  von  verschiedenen 
Seiten;  was  von  der  einen  Seite  gesehen  nur  bildliche  Andeutung 
war,  kommt  von  der  anderen  zu  bestätigender  und  voll  zu- 
reicliender  Wahrnehmung;  oder  was  auf  jener  nur  indirect  durch 
Angrenzung  mitgemeint,  nur  vorgedoutet  war,  kommt  auf  dieser 
mindestens  zu  bildlicher  Andeutung,  es  erscheint  perepectivisch  ver- 
kürzt und  abgeschattet,  um  erst  von  einer  neuen  Seite  „ganz  so 
wie  es  ist"  zu  erscheinen.  Nach  unserer  Auffassung  ist  jede 
Wahrnehmung  und  Imagination  ein  Gewebe  von  Partialintentionen, 
verschmolzen  zur  Einheit  einer  Gesammüntention.  Das  Correlat 
dieser  Letztei'en  ist  das  Ding,  während  die  Correlate  jener  Partial- 
intentionen dingliche  Theile  und  Momente  sind.  Nur  so  ist 
es  zu  verstehen,  wie  das  Bewufstseiu  über  das  wahrhaft  Erlebte 
hinausreichen  kann.  Es  kann  sozusagen  hinausmeinen,  und  die 
Meinung  kann  sich  erfüllen. 


§  12.     Enttäuschung  und  Widerstreit.     Sifntke»is 
der  Unterscheidung. 

In  der  weiteren  Sphäre  der  Acte,  welche  überhaupt  Unter- 
schiede der  Intention  und  Erfüllung  zulassen,  reiht  sich  der  Er- 
füllung, als  ihr  ausschliefeender  Gegensatz,  die  Enttäuschung 
an.  Der  zumeist  negative  Ausdruck,  der  hierbei  zu  dienen  pflegt, 
wie  z.  B.  auch  der  Ausdruck  Nichterfüllung,  meint  keine  blofso 
Frivation  der  Erfüllung,  sondern  ein  neues  descriptives  Factum, 
eine  so  eigenartige  Form  der  Synthesis,  wie  die  Erfüllung.  Dies 
gilt  überall,   also   auch    in   der  engeren  Sphäre  der  Bedeutungs- 

Uusserl,  Log.  Unten.  U.  33 


514    VI.  Elemente  einer  phänamenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

intentionen  in  ihrem  Verhältnis  zu  intuitiven  Intentionen.  Die  Syn- 
thesis  der  Erkenntnis  war  Bewufstsein  einer  gewissen  „Ueberein- 
stimmung".  Der  Uebereinstimmung  entspricht  aber  als  correlate  Mög- 
lichkeit die  „Nicht- Uebereinstimmung",  der  „Widerstreit".  Die 
Anschauung  „stimmt"  zur  Bedeutungsintention  nicht,  sie  „streitet" 
mit  ihr.  Widerstreit  „trennt",  aber  das  Erlebnis  des  Widerstreites 
setzt  in  Beziehung  und  Einheit,  es  ist  eine  Form  der  Syntbesis. 
War  die  frühere  Synthesis  von  der  Art  der  Identificirung,  so  ist 
die  jetzige  von  der  Art  der  Unterscheidung  (über  einen  anderen 
positiven  Namen  verfügen  wir  hier  leider  nicht).  —  Diese  „Unter- 
scheidung" darf  nicht  verwechselt  werden  mit  deijenigen,  welcher 
die  Vergleichung  gegenübersteht.  Die  Gegensätze  zwischen  „Identi- 
ficirung und  Unterscheidung"  und  „Vergleichung  und  Unterschei- 
dung" sind  nicht  einerlei.  Dafs  übrigens  eine  nahe  phänomeno- 
logische Verwandtschaft  die  Verwendung  der  gleichen  Ausdrücke 
erklärt,  ist  offensichtlich.  —  In  der  hier  fraglichen  „Unterscheidung" 
erscheint  der  Gegenstand  des  enttäuschenden  Actes  als  „nicht- 
derselbe",  als  „anders"  wie  der  Gegenstand  des  intendirenden 
Actes.  Diese  Ausdrücke  weisen  jedoch  auf  allgemeinere  Sphären 
von  Fällen  hin,  als  welche  wir  bislang  bevorzugt  haben.  Nicht 
blofs  die  significativen,  sondern  auch  die  anschaulichen  Intentionen 
erfüllen  sich  in  der  Weise  der  Identification  und  enttäuschen  sich 
in  der  Weise  des  Widerstreits.  Die  Frage  nach  der  natürlichen 
Umgrenzung  der  Gesammtklasse  von  Acten,  zu  welcher  das  der- 
selbe und  das  anders  (wir  können  gleich  auch  sagen:  das  ist 
und  ist  nicht)  gehört,  werden  wir  bald  ^  einer  genaueren  Erwägung 
unterziehen. 

Völlig  gleichgeordnet  sind  die  beiden  Synthesen  allerdings 
nicht.  Jeder  Widerstreit  setzt  etwas  voraus,  was  der  Intention 
überhaupt  die  Richtung  auf  den  Gegenstand  des  widerstreitenden 
Actes  giebt,  und  diese  Richtung  kann  ihr  letztlich  nur  eine  Er- 
füllungssynthesis  geben.  Der  Streit  setzt  gleichsam  einen  gewissen 
Boden   der  Uebereinstimmung  voraus.      Meine  ich  A  sei  roth, 


•  Vgl.  §  14,  8.  521  ff. 


während  es  sich  „in  Wahrheit"  als  (jrün  herausstellt,  so  streitet 
in  diesem  sich  Herausstellen,  d.  h.  in  der  Anmessung  an  die 
Anschauung,  die  Rothintention  mit  der  Orünanschauung.  Es  ist 
aber  unverkennbar,  dafs  dergleichen  nur  möglich  ist  auf  dem 
Grunde  der  Identification  des  A  in  den  Acten  der  Signification 
und  Intuition.  Nur  so  kann  die  Intention  an  diese  Anschauung 
überhaupt  heran.  Die  Gesammtintention  geht  auf  ein  rothseiendes 
A,  und  die  Anschauung  zeigt  ein  grünseiendes  A.  Indem  sich 
Bedeutung  und  Anschauung  hinsichtlich  der  Richtung  auf  das- 
selbe A  decken,  treten  allererst  die  beiderseits  einheitlich  mitge- 
gebenen intentionalen  Momente  in  Widerstreit,  das  vormeinte  Roth 
(das  vermeint  ist  als  Roth  dos  A)  stimmt  nicht  zu  dem  erschauten 
Grün.  Durch  die  Identitätsbeziehung  entsprechen  sich  erst  die 
nicht  zur  Deckung  gekommenen  Momente;  statt  sich  durch  Er- 
füllung zu  „verknüpfen",  „trennen"  sie  sich  vielmehr  durch  Wider- 
sti-eit,  die  Intention  wird  auf  das  ihm  nun  zugeordnete  der  An- 
schauung hingewiesen,  wird  von  diesem  jedoch  abgewiesen. 

Was  wir  hier  in  specieller  Beziehung  auf  die  Bedeutungs- 
intentionen und  die  ihnen  widerfahrenden  Enttäuschungen  ausge- 
führt haben,  gilt  offenbar  für  die  ganze,  vorhin  angedeutete  Klasse 
von  objectivirenden  Intentionen.  Allgemein  werden  wir  danach 
sagen  dürfen:  Eine  Intention  enttäuscht  sich  in  der  Weise 
des  Widerstreites  nur  dadurch,  dafs  sie  ein  Theil  einer 
umfassenderen  Intention  ist,  deren  ergänzender  Theil 
sich  erfüllt.  Bei  einfachen,  bezw.  vereinzelten  Acten  ist  also 
von  Widerstreit  keine  mögliche  Rede. 


§  13.     Totale  und  partiale  Ideniificirung  und  Unterscheidung, 

als  die  gemeitisatnoi  phänunwnologischen  I'hmdamenle  der  prädicativen 

und  detenninativen  Ausdrucksform. 

Das  bisher  betrachtete  Verhältnis  zwischen  Intention  (speciell 
Bedeutungsintention)  und  Erfüllung  war  das  der  totalen  Ueber- 
oinstimmung.  Darin  liegt  eine  Beschränkung,  die  sich  von 
selbst  daraus  ergab,  dafs  wir,  um  möglichste  Einfachheit 'zu  er- 
zielen, von  aller  Form,  und  zumal  von  der  im  Wörtchen  ist  sich 

33* 


ankündigenden,  abstrahirten,  und  in  der  Beziehung  des  An^?dra<^ks 
auf  die  äufsere  oder  innere  Anschauung  jeno  AusdrucksUieilo  allein 
berücksichtigten,  die  sich  dem  Angeschauten  als  wie  ein  Kleid  an- 
pafsten.  Durch  die  Heranziehung  der  zum  Falle  totaler  üebor- 
einstimmung  entgegengesetzten  Möglichkeit  des  Widerstreites  — 
den  wir  demnach  (obschon  nicht  ganz  unmifsverstiindlich)  als 
totalen  Widerstreit  bezeichnen  küniiteu  —  werden  wir  zugleich 
auf  neue  Möglichkeiten  aufmerksam,  nämlich  auf  die  wichtigen 
Fälle  partialer  Uebereinstimmung  und  Nichtübereinstim- 
mung zwischen  der  Intention  luul  dem  sie  erfüllenden,  bezw.  ent- 
täuschenden Acte. 

Ihre  nähere  Betrachtung  halten  wir  von  vornherein  so  allge- 
mein, dafs  die  Giltigkeit  aller  wesentlichen  Feststellungen  filr  die 
Intentionen  des  oben  angezeigten  weiteren  Ki-eises,  also  nicht  blofe 
für  Bedeutungsintentionen  von  selbst,  einleuchtet 

Aller  Widerstreit  führte  darauf  zurück,  dafs  die  vorgegebene 
sich  enttäuschende  Intention  ein  Theil  einer  unifussenderen  Inten- 
tion war,  welche  sich  partiell,  d.  i.  nach  den  ergänzenden  Theilen, 
erfüllte  und  zugleich  nach  jenem  ersteren  Theil  entfremdete.  Bei 
jedem  Widerstreit  liegt  also  in  gewisser  Weise  auch  partielle 
Uebereinstimmung  und  partieller  Widerstreit  vor.  Auf  diese  Mög- 
lichkeiten hätte  uns  übrigens  auch  der  Uinblick  auf  die  gegen- 
ständlichen Beziehungen  führen  müssen;  denn  wo  von  Deckung 
die  Rede  ist,  da  bieten  sich  von  selbst  als  correlate  Möglichkeiten 
die  der  Exchision,  Inclusion  und  Kreuzung  dar. 

Bleiben  wir  zunächst  bei  dem  Fall  des  Widerstreites  stehen, 
80  giebt  er  zu  folgender  ergänzenden  Uoberleguag  Anlals. 

Wenn  ein  3-  sich  in  einem  .'>  dadurch  enttäuscht,  dafs  d^  mit 
anderen  Intentionen  ^,  i  .  .  verwoben  ist,  welche  sich  erfüllen, 
so  brauchen  diese  letzteren  mit  i^  nicht  so  geeinigt  zu  sein,  dafis 
das  Ganze  0  (^;  tj,  i  .  .)  die  Auszeichnung  eines  für  sich  heraus- 
gestellten Oosammtactes  habe,  eines  Actes,  „in  dem  wir  leben", 
auf  dessen  einheitlichen  Gegenstand  wir  „achten".  Im  Gewebe 
der  intentionalen  Erlebnisse  unseres  Bewufstseins  giebt  es  viele 


n 


Möglichkeiten  der  pointirenden  Aussonderung  von  Acten  und  Act- 
complexionen,  aber  sie  bleiben  im  Allgemeinon  imrealisirt.  Und 
nur  solch  pointirte  Einlieiten  konimeu  in  Betraclit,  wo  wir  von 
einzelnen  Acten  und  ihren  Synthesen  sprechen.  Der  Fall  der 
totalen  und  reinen  Enttäuschung  besteht  nun  darin,  dafs  das 
blofse  ^,  nicht  aber  0,  für  sich  hervortritt  oder  mindestens  primlir 
hervortritt,  und  dafs  ein  pointirtes  Widerstxeilbewufstsein  ausschliefs- 
lich  zwischen  ^  und  tf  die  Einheit  herstellt;  mit  anderen  Worten, 
das  Interesse  ist  speciell  auf  die  Beziehung  der  den  9^  und  0- 
entsprechenden  Objecto  gerichtet.  So  wenn  eine  Grün -Intention 
in  einem  angeschauten  Roth  sich  enttäuscht,  und  dabei  nur  auf 
das  Grün  und  Ruth  geachtet  ist  Kommt  die  widerstreitende  An- 
schauung des  Roth  irgendwie  zum  Ausdruck,  nämlich  durch  eine 
VVortintention,  die  sich  in  ihr  erfüllt,  und  kommt  ebenso  die  Ent- 
täuschung als  solche  zum  Ausdruck,  so  hätten  wir  etwa:  dies  [dies 
'Roth]  ist  nicht  (jrün.  [Selbstverständlich  bedeutet  dieser  Satz  aber 
nicht  dasselbe,  wie  der  uns  eben  im  Gedanken  liegende  Satz: 
„Die  Wortintenlion  Grün  enttäuscht  sich  in  der  Anschauung  des 
Roth."  Denn  der  neue  Ausdruck  macht  ja  das  uns  hier  intor- 
cssirende  Verhältnis  der  Acte  gegenständlich  und  schmiegt  sich 
diesem  mit  seinen  neuen  Bedeutungsintentionen  in  totaler  Er- 
füllung an,] 

Es  kann  andererseits  aber  auch  sein,  dafs  ein  0  {&;  ij,  t  .  .) 
als  Ganzes  in  die  Synthesis  eintritt  und  zwar  so,  dafs  es  hiebei 
entweder  mit  einem  correlaten  Ganzen  0  (i^;  ij,  <  .  .)  oder  mit 
dem  blofsen,  vereinzelten  Theil  ^  aus  demselben  in  specielle  Be- 
ziehung tritt.  Im  erstgenannten  Falle  besteht  den  verwobenen 
Elementen  nach  zum  Theil  Deckung  (hinsichtlich  der  tj,  i  .  .)  und 
zum  Theil  totaler  Streit  {fl-  —  S).  Die  ganze  Synthesis  hat  hier 
den  Charakter  eines  totalen  Widerstreites,  aber  nicht  den  eines 
reinen,  sondern  vermischten  Widerstreites.  Im  anderen  Falle 
hebt  sieh  das  blofse  i>  als  correlater  Act  heraus,  eventuell  auch 
dadurch,  dafs  im  gemischten  Widerstreite  sich  die  Einheit  des 
©  (9\  fj,  i  .  .)  auflöst;  die  specielle  Synthesis  des  Widerstreites 
verknüpft  nun  als  Glieder:  0  (i)-^  //,  i  .  .}  und  ^;  bei  passendem 


Ausdmck  etwa:  dies  [das  ganze  Object,  das  rothe  Ziegeldach] 
ist  nicht  grün.  Dieses  wichtige  Verhältnis  können  wir  das  der 
Ausscheidung  nennen.  Offen bai"  bleibt  der  hauptsächliche  Cha- 
rakter desselben  bestehen,  wenn  ^  uns  d^  selbst  schon  complex 
wären;  so  dafs  wir  zwischen  reiner  und  vermischter  Aus- 
scheidung differenzüren  könnten.  Im  Rohen  mag  die  Letztere 
durch  das  Betspiel  dies  [das  rothe  Ziegeldach]  ist  kein  grünes 
Ziegeldadi  jllustrirt  werden. 

Betrachten  wir  nun  noch  den  Fall  der  Inclusion.  Eine 
Intention  kann  sich  in  einem  Acte  ert'iilleu,  der  mehr  eiitliält, 
als  zu  ihrer  Eri'üllung  von  Nöthen  ist,  sofern  er  einen  Gegen- 
stand voi'stellt,  der  ihren  Gegenstand  raitenthält,  sei  es  als  Theil 
im  gemeinen  Sinne,  sei  es  als  ihm  zugehöriges,  explicite  oder 
implicite  mitgemeintes  Moment.  Selbstverständlich  sehen  wir 
wieder  von  den  Acten  ab,  in  welchen  sich  eine  umfassendere 
Gegenständlichkeit  in  der  Weise  des  gegenständlichen  Hintergrun- 
des constituirt,  Acten,  die  sich  nicht  einheitlich  abgrenzen  und 
nicht  als  Träger  der  Aufmerksamkeit  bevorzugt  sind.  Anderen- 
falls kämen  wir  wieder  auf  die  Synthesis  der  totalen  Deckung 
zurück.  Es  sei  also  z.  B.  die  Voi-stellung  eines  rothen  Ziegel- 
daches gegeben,  und  in  ihr  erfülle  sich  die  Bedeutnngsintention 
des  Wortes  Roth.  Die  Wortbedeutung  erfüllt  sich  hierbei  in 
deckender  Weise  mit  dem  angeschauten  Roth;  aber  in  eine  syn- 
thetische Einlieit  eigentbümlicher  Art  tritt  darum  doch  die  Ge- 
sammtanschauung  des  rothen  Ziegeldaches,  in  ihrer  durch  die 
Function  der  Aufmerksamkeit  sich  scharf  vom  Hintergrunde  ab- 
hebenden Einheit,  mit  der  Bedeutungsintention  Roth:  [dies] 
ist  roth.  Wir  sprechen  hier  von  dem  Verhältnis  der  „Einord- 
nung", die  ihren  Gegensatz  in  der  obigen  Ausscheidung  besitzt 
Die  Einordnuug  kann  oßenbar  nur  eine  reine  sein. 

Der  Act  der  einordnenden  Synthesis,  und  zwar  als  der  den 
intendirenden  und  erfüllenden  Act  in  Eins  setzende  Oesammtact, 
hat  sein  gegenständliches  Gorrelat  in  dem  Verhältnis  partieller 
Identität  der  entsprechenden  Gegenstände.  Darauf  weist 
auch  die  Rede  von  der  Einordnung  hin,  welche  das  Erfassen  des 


Verhältnisses  unter  dem  Bilde  der  Thiitigkeit  ausdrückt:  der  Theil 
wird  dem  Ganzen  eingeorduct.  Oifenbar  ist  dasselbe  objective 
Verhältnis  jo  nach  dem  Standpunkt  der  Auffassung  (dies  weist 
natürlich  auf  unberücksichtigte  und  sich  in  der  Ausdrucksform 
mitbekundendo  phänomenologische  ünterechiedo  hin)  auch  durch 
die  Ausdrücke  bezeichnet:  ©^  hat  tf^,  bezw.  &g  kommt  dem  &g  lu. 
Der  Index  g  mag  darin  aufmerksam  machen,  daTs  es  die  inten- 
tionalen  Gegenstände  der  angezeigten  Acte  sind,  welche  in  diese 
Verhältnisse  eintreten;  wir  betonen  die  intentionalen  Gegen- 
stüudo,  nämlieli  die  Gegenstände,  so  wie  sie  in  diesen  Acten  ge- 
meint sind. 

Die  üebertragung  des  eben  Ausgeführten  auf  den  Fall  der 
Ausscheidung  und  auf  die  Ausdrücke  hat  tiicht,  kommt  nicht  xu, 
ergiebt  sich  von  selbst. 

Zum  blolsen  int  gehört  überall  die  objective  Identität  über- 
haupt, zum  ist  nielit  die  Nichtidentität  (der  Widerstreit).  Dafe  es 
sich  specieller  um  ein  Verhältnis  der  Einordnung  oder  Ausschei- 
dung handelt,  bedarf  anderer  Ausdrucksmittel,  wie  z.  B.  der  ad- 
jectiviscben  Form,  die  das  Gehabte,  das  Zukommende  als 
solches  kennzeichnet,  ebenso  wie  die  substantivische  Form 
das  Corrolativum,  das  Habende  als  solches,  d.  i.  in  der 
Function  das  „Subject"  einer  Identificirung  zu  bilden,  ausprägt. 
In  der  attributiven,  oder  allgemeiner,  determinativen  Äusdrucks- 
form  (auch  volle  Identität  kann  determinireu)  steckt  das  Sein  in 
der  adjectivischen  Flexion,  wofern  es  nicht  im  Relativsatz  explicite 
und  gesondert  ausgedrückt  oder  im  Gegentheil  nicht  ganz  unter- 
drückt ist  (dieser  Philosoph  Sokrates).  Ob  der  allzeit  mittelbare 
Ausdruck  der  Nicht-Identität,  süwol  in  Prädication  und  Attri- 
bution, als  auch  in  don  substantivischen  Formen  (Nicht -Identität, 
Nicht-Uebereinstimniung)  eine  nothwendige  Beziehung  der  actuellen 
„Negation"  aut'  eine,  wenn  auch  nicht  actuelle,  so  doch  modifi- 
cirte  Affirmation  ausdrückt,  führt  auf  Discussionen,  in  welche  wir 
hier  noch  nicht  eintreten  wollen. 

In  der  normalen  Aussage  ist  also  Identität  oder  Nichtidentität 
ausgesagt  und  im  Falle   der  Beziehung  auf  „entsprechende  An- 


520    VI.  Elemenle  einer  phänomenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 


schauung"  ausgedrückt,  d,  h.  die  Intention  auf  Identität  oder  Nicht- 
identitiit  orfüUt  sich  in  der  actuell  vollzogenen  Identificirung  oder 
Scheidung.  Das  Ziegeldach,  heifst  es  im  obigen  Beispiel,  falls  die 
blofse  Intention  vorhergieng,  ist  wirklich  roth.  Die  Prädicat- 
intention  pafst  zu  dem  (z.B.  in  der  Weise  ,,di€ses  Ziegeldach* 
vorgestellten  und  angesi^hauten)  Subject.  Im  entgegengesetzten 
Falle  hiefse  es:  „in  Wirklichkeit"  ist  es  nicht  roth;  das  Prädicat 
kommt  dem  Subject  nicht  zu. 

Wenn  aber  die  Bedeutung  dos  »^/  nun  auf  Grund  einer 
actuellen  Identificirung  (die  selbst  oft  den  Charakter  einer  Erfüllung 
hat)  seine  Erfüllung  findet,  so  ist  zugleich  klar,  dafs  wir  damit 
iiber  die  Sphäre  hinausgeführt  werden,  welche  wir,  ohne  uns  über 
ihre  Grenze  recht  klar  zu  werden,  bisher  immer  im  Augo  hatten, 
nämlich  über  die  Sphäre  der  Ausdrücke,  die  sich  wirklich  durch 
correspoudirende  Anschauung  zu  erfüllen  vermögen.  Oder  viel- 
mehr, wir  werden  darauf  aufmerksam,  dafs  die  Anschauung  im 
gewöhnlichen,  von  uns  als  selbstverständlich  zu  Grunde  gelegten 
Sinne  der  äulsereu  oder  inneren  „SNJnnlichkeit"  nicht  die  einzige 
Functiou  ist,  die  auf  den  Titel  Anschauung,  auf  die  Befähigung 
zu  echter  Erfüllungsleistung  Anspruch  erheben  darf.  Wir  sparen 
uns  die  nähere  Erforschung  des  hier  zu  Tage  tretenden  Unter- 
schiedes für  den  zweiten  Abschnitt  dieser  Untei-suchung  auf. 

Schliefslicb  sei  noch  ausdrücklii'li  bemerkt,  dafs  mit  dem 
oben  Ausgeführten  keine  vullstiindige  Urtheilsanalyse,  sondern  nur 
ein  Bruchstück  einer  solchen  vollzogen  ist.  Auf  die  Qualität  des 
synthetischen  Actes,  auf  die  Untei-schiede  zwischen  Attribution 
und  Prädication  u.  dergl.  ist  ja  garkeine  Rücksicht  genommen 
worden. 


^ 


I 


Zweites  Kapitel. 

Indirecte  Charakteristik  der  objectivirenden  Intentionen 

und  ihrer  wesentlichen  Abarten  durch  die  Unterschiede  der 

Erfüllungssynthesen. 

§  14.    Die  Syntltesis  des  Bkkennens  als  die  für  die  objectivirenden 
Ade  charakteristische  Form  der  Erfüllung.    Subsumption  der  Bedeutungs- 
ade unter  die  Klasse  der  objectivirenden  Acte. 

Die  Beiloutungsintentionen  liabon  wir  obon*  dem  weiteren 
Kreise  der  „Intentionen"  in  dem  prägnanten  Wortsinu  eingeordnet. 
Allen  Intentionen  entsprechen  der  Möglichkeit  nach  Erfüllungen 
<bozw.  iiiro  negativen  Gegenstücko:  Enttäuschungen),  eigenartige 
Uebergang-serlebnisso,  welche  selbst  uls  Acte  charaktorisirt  sind, 
und  welche  den  jeweils  intendirenden  Act  in  einem  correlaten  Act 
gleichsam  sein  Ziel  erreichen  lassen.  Der  Letztere,  sofern  er  die 
Intention  erfüllt,  heifst  der  erfiiilende  Act,  aber  er  heifst  so  nur 
vermöge  des  synthetischen  Actes  der  Erfüllung,  in  dem  Sinne  des 
sieh  Erfüllons.  Dieses  üebergangserlebnis  liat  nicht  über- 
all denselben  Charakter.  Beiden  significativen  und  nichtnünder 
offenbar  bei  den  intuitiven  Intentionen  hat  es  den  Charakter  dei' 
Erkenntniseinheit,  die  in  Ansehung  der  Gegenstände  Einheit  der 
Idontificirung  ist.  Dies  gilt  aber  nicht  im  weiteren  Kreise  der  Inten- 
tionen überhaupt.  Zwar  von  einer  Deckung  können  wir  überall 
sprechen,  und  überall  werden  wir  sogar  eine  Idontificirung  vorfin- 
den. Aber  diese  entspringt  oft  nur  vermöge  eingewobener  Acte 
aus  derjenigen  Gruppe,  welche  eine  Identiticirungseinheit  zulassen 
und  in  diesen  Zusammenhängen  eine  solche  auch  fundiren. 

Ein  Beispiel  wird  die  Sachlage  sogleich  verdeutlichen.  Das 
sich  Erfüllen  eines  Wunsches  vollzieht  sieh  in  einem  Acte,  der 
eine  Idontificirung  und  zwar  als  nothwondiges  Bestiindstück  ein- 
schliefst. Denn  es  besteht  die  Oesetzmäfsigkeit,  dafs  die  Wunsch- 
qualität in  einer  Vorstellung,  d.  h.  in  einem  objectivirenden  Acte, 


'  Vgl.  §11,  S.  511. 


522    VI.  Elemente  einer  pitänomenolog.  Aufklärung  der  Erlcenntnis. 

und  des  Näheren  in  einer  „blofsen"  Vorstellung  fundirt  ist; 
und  dazu  besteht  die  ergänzende  Gesetzmäßigkeit,  dals  auch 
die  Wunscherfüilung  fundirt  ist,  nämlich  in  einem  Acte,  der  die 
fundirende  Vorstellung  identificireud  einspannt:  die  Wunschinten- 
tion kann  nur  dadurch  ihre  erfüllende  Befriedigung  finden,  daJs 
die  ihr  zu  Grunde  liegende  blofse  Vorstellung  des  Gewünschten 
sich  in  die  conforme  Fürwahmehmung  verwandelt  Was  vorliegt, 
ist  aber  nicht  die  blofse  Wandlung,  also  die  blofee  Thatsache,  dafe 
die  Einbildung  durch  die  Fürwahrnehmung  abgelöst  wird,  sondern 
beide  sind  Eins  im  Charakter  der  identificirenden  Deckung.  In 
diesem  synthetischen  Charakter  constituirt  sich  das  es  ist  wirklich 
und  wahrhaft  so  [sc.  wie  wir  es  vordem  blofs  vorgestellt  und 
gewünscht  hatten];  was  freilich  nicht  ausschliefst,  dafs  dieses 
Wirklichsein  nur  ein  vermeintliches,  zumal  es  in  den  meisten 
Fällen  ein  inadäquat  Vorstelliges  ist.  Ist  der  Wunsch  in  einer 
rein  signitivcn  Vorstellung  fundirt,  so  kann  die  Identificiruug 
natürlich  auch  den  Charakter  jener  specielleren,  die  Signification 
durch  eine  conforme  Intuition  erfüllenden  Deckung  besitzen,  die 
wir  oben  beschrieben  haben.  —  Aehnliches  wäre  offenbar  für  jederlei 
Intentionen  auszuführen,  die  in  Vorstellungen  (als  objectivirenden 
Acten)  ihre  Grundlage  haben;  und  zugleich  ist  das,  was  von  der 
Erfüllung  gilt,  mutatis  mutandis  auf  den  Fall  der  Enttäuschung 
zu  übertragen. 

Dies  vorausgeschickt,  ist  es  nun  klar,  dafs,  wenn  die  Wunsch- 
erfüllung, um  bei  diesem  Beispiel  zubleiben,  auch  in  einer  Iden- 
tificirung  und  eventuell  in  einem  Act  des  intuitiven  Erkennens 
fundirt  ist,  dieser  Act  die  Wunscherfüllung  nicht  erschöpft,  son- 
dern eben  nur  fundirt  Das  sich  Befriedigen  der  specifischon 
Wunschqualität  ist  ein  eigener  und  andersartiger  Actcharakter. 
Es  ist  nur  Gleichnis,  wenn  wir  auch  aufserhalb  der  Sphäre  der 
Gemüthsintentionen  von  Befriedigung,  ja  auch  schon  von  Er- 
füllung zu  sprechen  lieben. 

Also  mit  dem  besonderen  Charakter  der  Intention  hängt  der 
besondere  der  erfüllenden  Deckung  zusammen.  Nicht  nur,  dafs 
jeder   Abschattuug    der  Intention    eine    ebensolche   der 


Indireete  Charakteristik  der  objectimre^uien  Intentionen  u.  s.  w,    523 


correlaten  Erfüllung  und  zugleich  des  sich  Erfüllens  iin  Sinne 
des  synthetischen  Actes  entspricht;  sondern  os  entsprechen  auch 
den  wesentlich  unterschiedenen  Klassen  von  Intentionen 
durchgreifende  Klassenunterschiede  der  Erfüllung  in 
dem  erwähnten  doppelten  Sinne.  Offenbar  gehören  in  diesen 
parallelen  Reihen  die  zugehörigen  Glieder  irauier  in 
Eine  Actklasso.  Die  Erfüllungssyntheseu  bei  den  Wunsch-  und 
Willensintentionen  sind  sicherlich  nalio  verwandt  und  z.  B.  von 
den  in  den  Bedeutungsintentionen  auftretenden  scharf  unterschieden. 
Sicherlich  sind  jinderereeits  die  ErfüMuugeii  von  Bodeutuugsinten- 
tionen  und  von  intuitiven  Acten  von  demselben  Chaiakter,  und 
80  überhaupt  für  all  die  Acte,  welche  wir  unter  dem  Titel  der 
objectivirondeu  befassen.  Für  diese  uns  hier  allein  inter- 
essirende  Klasse  können  wir  sagen,  dafs  ihre  ErfüUungs- 
einhoit  den  Charakter  der  Idcntificirungseiuheit,  und 
eventuell  den  engeren  der  Erkenntniseinhoit  hat,  somit  den 
eines  Actes,  welchem  gegenständliche  Identität  als  iutentionales 
Correlat  entspricht. 

Wir  müssen  hier  Folgendos  beachten:  Es  wurde  oben  nach- 
gewiesen, dafs  jede  Erfülhing  einer  signitivon  Intention  durch 
eine  intuitive,  den  Charakter  einer  Synthesis  der  Identificinmg  hat. 
Aber  nicht  vollzieht  sicli  umgekehrt  in  jeder  Synthesis  der  Identi- 
ficirung  die  Erfüllung  gerade  einer  Bedeutungsintention,  und  die 
Erfüllung  gerade  durch  eine  correspondireude  Anschauimg.  Und 
noch  mehr:  wir  werden  kaum  geneigt  sein,  bei  jeder  Identiticirung 
auch  schon  von  der  Erfüllung  einer  Intention  zu  sprechen  und 
demgemäfs  von  einer  Erkennung.  Im  weitesten  Sinn  freilich  heifst 
in  der  gewöhnlichen  Rode  jedes  aetueilo  Idootificiren  ein  Erkennen. 
Im  engeren  aber  handelt  es  sich,  wir  iulilcn  dies  klar,  um  eine 
Annäherung  an  ein  Erkenutnisziel ,  im  engsten  Sinn  der  Erkennt- 
niskritik sogar  um  die  Erreichung  dieses  Erkenntnisziels  selbst. 
Das  blo&e  Gefülil  in  deutliche  Einsicht  zu  verwandeln  und  den 
Sinn  dieser  Annäherung,  bezw.  Erreichung,  genau  zu  umgrenzen, 
wird  noch  unsere  Aufgabe  sein.  Vorläufig  halten  wir  nur  fest, 
dols  die  Einheit  der  Identificirung  und  damit  zugleich  alle 


Erkenntniseinheit  im  engeren  iind  engsteu  Sinne,   ihre  ür- 
sprungstätte  in  der  Sphäre  der  objectivirondeu  Acte  hat. 

Die  Eigenartigkeit  der  Erfülhmg  kann  dazu  dienen,  die  ein- 
heitliche Klasse  von  Acten,  in  die  sie  wesentlich  gehört,  zu 
charakterisiren.  Demnach  könnten  wir  die  objectivirenderi  Acte 
geradezu  als  diejenigen  ilet'iniren,  deren  Erfüllungssynthesis  den 
Charakter  der  Identification,  deren  Enttäuschungssyntheeis  also 
den  der  Unterscheidung  hat;  oder  auch  als  diejenigen  Acte,  welche 
phänomenologisch  als  Glieder  einer  möglichen  Synthesis  der  Iden- 
tification oder  Unterscheidung  fuugiren  können;  oder  endlich,  unter 
Vorwegnähme  einer  noch  zu  formulirondou  Gesetzmäfsigkeit,  als 
diejenigen  Acte,  welche,  sei  es  als  intendirende  oder  erfüllende 
bezw.  enttäuschende  Acte,  in  einer  möglichen  Erkenntnisfunction 
stehen  können.  Zu  dieser  Klasse  gehören  dann  die  syn- 
thetischen Acte  der  Identification  und  Unterscheidung 
selbst;  sie  sind  ja  selbst  entweder  ein  blofses  Vermeinen,  Iden- 
tität oder  Nichtidontität  zu  erfassen,  oder  das  entsprechende  wirk- 
liche Erfassen  des  Einen  oder  Anderen.  Jones  Vermeinen  kann 
sich  in  einer  Erkenntnis  (im  prägnanten  Sinn)  „bestätigen"  oder 
„widerlegen";  und  im  ersten  Fall  ist  Identität,  bezw.  Nichtiden- 
tität,  wirklich  erfafst,  d.  i.  „adäquat  wahrgenommen". 

Die  soeben  mehr  angedeuteten  als  durcligeführteu  Analysen 
leiten  also  zu  dem  Ergebnis,  dafs  die  Acte  der  Bcdoutungs- 
intention  so  gut  wie  die  der  Bedeutungsorfüllung,  die 
Acte  des  „Denkens"  so  gut  wie  die  des  Anschauens,  zu  einer 
einzigen  Klasse  von  Acten  gehören,  zu  den  objectivi- 
rendon.  Damit  ist  festgestellt,  dafs  andersartige  Acte  nie- 
mals in  der  Weise  sinngebender  fungiren  und  nur  dadurch 
„zum  Ausdruck  kommen"  können,  dafs  die  den  Worten  anhaftenden 
significntiven  Intentionen  ihre  Erfüllung  finden  mittelst  Wahrneh- 
mungen oder  Einbildungen,  welche  auf  die  auszudrückenden  Acte 
als  Gegenstände  gerichtet  sind.  Während  also  in  den  Fällen, 
wo  Acte  in  Bedeutungsfunction  stellen  und  in  diesem  Sinn  Aus- 
druck finden,  eich  in  eben  diesen  Acten  die  .-'ignitive  oder  intui- 
tive Beziehung  auf  irgendwelche  Gegenstände  constituirt,  sind  in 


i 


den  anderen  Fällen  die  Acte  blofse  Gegenstände,  und  dies 
natürlich  liinsiclitlicli  auderor,  hierbei  als  eigentliche  Bedeutungs- 
träger fungirenden  Acte. 

Doch  ehe  wir  auf  die  genauere  Erörterung  dieser  Sachlage, 
zumal  auf  dif  Widerlegung  der  an  sich  recht  scheinbaren  Gegen- 
argumente eingehen',  müssen  wir  den  merkwürdigen  Thatsiichen 
der  Erfüllung,  und  zwar  in  der  Sphäre  der  objeetiviieudeu  Acte 
etwas  sorgsamer  nachforschen. 


§  15.     Phänometwlogische  Cliarakleristik  der  Unter  Scheidung 
zwischen  signiliven  und  intuitiven  Intentionen  durch  die  Eigenheiten 

der  Erfüllung, 
a)   Zeichen,  Büd  und  Selhstdar Stellung. 

Innerhalb  der  letzten  Betraclitungen  drängte  sich  uns  die  Be- 
merkung auf,  dafs  mit  dem  Gattungscharakter  der  Intentionen  der- 
jenige der  Erfülhragssynthesis  innig  zusammenhängt,  und  dies  so 
sehr,  dafs  sich  die  Klasse  der  übjectivirenden  Acte  geradezu  durch 
den  als  bekannt  vorausgesetzten  üattungscbarakter  der  ErfüUungs- 
synthesis,  als  einer  identificirenden ,  definiren  läfst.  In  Fortführung 
dieses  Gedankens  regt  sich  die  Frage,  ob  nicht  auch  die  wesent- 
lichen Artunterscheidungon  innerhalb  dieser  Kla.sso  der  Objecti- 
vationen  durch  die  zugehörigen  Unterschiede  der  Erfüilungsweisen 
bestimmbar  sind.  Durch  eine  fundamentale  Eintheilung  zerfallen 
die  objectivironden  Intentionen  in  die  significativen  und  in- 
tuitiven. Versuchen  wir  uns  über  den  Unterschied  der  beiden 
Actarten  Rechenschaft  zu  geben. 

Die  signitiven  Intentionen  fafsten  wir,  vermöge  unseres 
Ausgangs  von  den  ausdrücklichen  Acten,  als  Significationen,  als 
Bedeutungen  von  Ausdrücken.  Steüen  wir  die  Frage  vorläufig 
zurück,  ob  dieselben  Acte,  die  als  sinngebende  fungiren,  auch 
aufserhalb  der  Bedeutuug-sfunction  auftreten  können,  so  haben 
diese  signitiven  Intentionen  jeweils  einen  intuitiven  Anhalt,  näm- 
lich am  Sinnlichen  des  Ausdrucks,  aber  sie  haben   darum  nicht 


'  Vgl.  deu  Sohlaraabscbnitt  dieser  Untenachung. 


einen  intuitiven  Inhalt:  sie  sind  mit  intuitiven  Acten   nur  in  ge- 
wisser Weise  Eins,  sind  aber  von  ihnen  der  Art  nach  verschieden. 

Der  leicht  farslicho  Unterschied  der  ausdrüclclichen  gegenüber 
den  rein  intuitiven  Intentionen  tritt  hervor,  wenn  wir  Zeichen 
und  Bilder  miteinander  vergleichen. 

Das  Zeichen  hat  mit  dem  Bezeichneten  inhaltlich  zumeist 
nichts  gemein,  es  kann  ihm  Heterogenes  ebensowol  bezeichnen, 
als  ihm  Homogenes.  Das  Bild  hingegen  bezieht  sich  auf  die  Sache 
durch  Aehnlichkeit,  und  fehlt  sie,  seist  auch  von  einem  Bilde 
nicht  mehr  die  Hede.  Das  Zeichen  als  Object  constituirt  sich  uns 
im  Acte  des  Erscheinens.  Dieser  Act  ist  noch  kein  bezeichnender, 
es  bedarf  im  Sinne  unserer  früheren  Analysen  der  Anknüpfung 
einer  neuen  Intention,  einer  neuen  Auffassungsweise,  durch  welche 
statt  des  intuitiv  Erscheinenden,  ein  Neues,  das  bezeichnete  Object 
gemeint  ist.  Ebenso  ist  auch  das  Bild,  etwa  die  Büste  aus  Marmor, 
ein  Ding  wie  irgendein  anderes;  ei-st  die  neue  Auffassungsweise 
macht  es  zum  Bilde,  es  erscheint  nun  nicht  blofs  das  Ding  aus 
Marmor,  sondern  es  ist  zugleich  und  auf  Grund  dieser  Erscheinung 
eine  Person  bildlich  geraeint. 

Die  beiderseits  anhängenden  Intentionen  sind  an  den  Er- 
scheinungsgehalt nicht  äulserlich  angeheftet,  sondern  wesentlich  iu 
ihm  fundirt,  derart  also,  dals  der  Charakter  der  Intention  durch  I 
ihn  bestimmt  ist.  Es  wäre  eine  descriptiv  unrichtige  Auffassung 
der  Sachlage,  wenn  man  denken  würde,  der  ganze  unterschied 
bestehe  darin,  dafs  dieselbe  Intention,  dio  einmal  an  die  Erschei- 
nung eines  dem  gemeinten  Object  ähnlichen  Objectes  geknüpft 
ist,  ein  andermal  an  die '  Erscheinung  eines  ihm  unähnlichen 
Objectes  geknüpft  sei.  Denn  auch  das  Zeichen  kann  dem  Be- 
zeichneten ähnlich  sein,  ja  vollkommen  älnilicli.  Die  Zeichenvor- 
stellung wird  dadurch  aber  nicht  zur  ßildvorstellung.  Die  Photo- 
graphie dos  Zeichens  A  fassen  wir  ohne  Weiteres  als  Bild  dieses 
Zeichens  auf  Gebrauchen  wii-  aber  das  Zeichen  A  als  Zeichen 
für  das  Zeichen  A,  wie  wenn  wir  schreiben:  A  ist  ein  römisches 
Schriftxeichen,  so  fassen  wir  A  trotz  bildniäfsiger  Aehnlichkeit 
nicht  als  Bild,  sondern  eben  als  Zeichen. 


I 
I 

I 

I 


Also  die  objective  Thatsache  der  Aclmliclikeit  zwischen  Er- 
scheinendem und  Gemeintem  bestimmt  keinen  Unterscliied.  Gleich- 
wol  ist  sie  für  den  Füll  der  Bildvorstollung  nicht  belanglos.  Dies 
zeigt  sich  in  der  möglichen  Elrluilung;  und  es  ist  ja  nur  die 
Erinnerung  an  diese  Möglichkeit,  welclie  uns  die  „objective" 
Aehniichkeit  hier  heranziehen  liefs.  Die  Bildvorstollung  hat 
offenbar  die  Eigenthümlichkeit,  dals,  wo  immer  ihr  Erfüllung  zu 
theil  wird,  ihr  als  „Bild"  erscheinender  Gegenstand  sich  mit  dem 
im  erfüllenden  Acte  gegebenen  Gegenstand  durch  Aehniichkeit 
identificirt  Indem  wir  dies  als  Eigenthümlichkeit  der  Bildvor- 
stellimg  bezeichnet  haben,  ist  schon  gesagt,  dals  hier  die  Er- 
füllung des  Aehnlichen  durch  Aehnliches  den  Charakter 
der  Erfüllungssynthesis  als  einer  imaginativen  inner- 
lich bestimmt.  Wenn  sich  auf  der  anderen  Seite,  in  Folge  einer 
zufälligen  Aehnliclikeit  zwischen  Zeichen  und  Bezeichnetem,  eine 
Erkenntnis  ihrer  beiderseitigen  Aehniichkeit  einstellt,  so  gehört 
diese  Erkenntnis  nicht  zur  Erfüllung  der  signitiven  Intention  — 
abgesehen  davon,  dafs  diese  Erkenntnis  keineswegs  von  der  Art 
jenes  eigenthünilichen  Identificirungsbewufstseins  ist,  welches  Aehn- 
liches und  Aelmlichos  in  der  Weise  von  Bild  und  Sache  zur  be- 
ziehenden Deckung  bringt.  Vielmehr  gehört  es  zum  eigenthüm- 
lichen  Wesen  einer  significatijen  Intention,  dafs  bei  ihr  der 
erscheinende  Gegenstand  des  intendironden  Actes  und  derjenige 
des  erfüllenden  Actes  (z.  B.  Name  und  Genanntes  in  der  realisir- 
ten  Einheit  beider)  miteinander  „nichts  zu  thun  haben". 
Danach  veird  es  klar,  dafs  in  der  That  die  descriptiv  verschiedene 
Weise  der  Erfüllung,  so  wie  sie  im  verschiedenen  descriptiven 
Charakter  der  Intention  gründet,  auch  umgekehrt  auf  die  Ver- 
schiedenheit dieses  Charakters  aufmerksam  machen  und  ihn  dofiui- 
torisch  bestimmen  kann. 

Wir  haben  bisher  nur  den  Untei-schied  der  signitiven  und 
imaginativen  Intentionen  in  Erwägung  gezogen.  Uebergohen  wir 
die  hier  weniger  bedeutsamen  Unterschiede  innerhalb  der  weite- 
ren Sphäre  der  imaginativen  Acte  (wir  haben  ja  oben  die  Vor- 
stellungen durch  physische  Bilder  bevorzugt,  statt  auch  auf  die 


Pliantasievorstelliingen  einziigelien),  so  bleiben  noch  die  Wahr- 
nehnuingen  übrig. 

Uegenüber  der  Iroaginatiou  ist  die  Wahrnehmung,  wie 
wir  es  auszudrücken  pflegen,  dadurch  charakterisirt,  dals  in  ihr 
der  Gegenstand  „selbst"  und  nicht  blüfs  „im  Bilde"  erscheint. 
Darin  erkennen  wir  sofort  die  charakteristischon  Verschiedenheiten 
der  Erfüllungssynthesen.  Die  Imagination  erfüllt  sich  durch 
die  eigenartige  Synthesis  der  Bildälmlichkeit,  die  Wahrnehmung 
durch  die  Synthesis  der  sachlichen  Identität,  die  Sache  be- 
stätigt sich  durch  sich  „selbst",  indem  sie  sich  von  verachiedenen 
Seiten  zeigt  und  dabei  immerfort  die  eine  und  selbe  ist 

bj  Die  perceptive  und  imag^inadve  Abscliatlung  des  Gegenstatuies. 

Doch   wir  müssen  hier  folgenden  Untei*schied   beachten:   die 
Wahrnohmimg,  indem  sie  den  Gegenstand   „selbst"  zu  geben  prä- 
tendirt,  präteudirt  damit  eigentlicli,  überliaupt  keine  blofse  Intention 
zu  sein,    vielmehr  ein  Act,   der  anderen  Erfüllung  bieten    mag, 
aber  selbst  keiner  Erfüllung  mehr  bedarf.     Zumeist,  und  z.  B.  in 
allen  Fällen  der  „äufseren"  Wahrnehmung,  bleibt  es  bei  der  Prä- 
tention.    Der  Gegenstand  ist  nicht  wirklich  gegeben,  er  ist  näm- 
lich nicht  voll  und  ganz  als  derjenige  gegeben,  welcher  er  selbst 
ist.     Er  erscheint  nur  „von  der. Vorderseite ",  nur  „perspectivisch 
verkürzt  und  abgeschattet"  n.  dgl.     Während  manche  seiner  Be- 
stimnithoiteu  mindestens  in  der  Weise,  welche  die  letzteren  Aus- 
drücke e.xemplificiren,  im  Kerngehalt  der  Wahrnehmung  verbildlicht 
sind,  fallen  andere  nicht  einmal  in  dieser  bildlichen  Form  in  die 
Wahrnehmung;  die  Bestandstücke  der  unsichtigen  Rückseite,   des 
Innern  u.  s.  w.  sind  zwar  in  mehr  oder  minder  bestimmter  Weise 
mitgemeint,  sie  sind  durch   das  primär  Erscheinende  symbolisch 
angedeutet,  aber  selbst  fallen  sie  gamicht  in   den  anschaulichen 
(perceptiven  oder  imaginativen)  Gehalt  der  Wahrnehmung.     Damit 
hängt  die  Möglichkeit  unbegrenzt  vieler,   inhaltlich  verscliiedener 
Wahrnehmungen    eines    und    desselben    Gegenstandes    zusammen. 
Wäre  die  Wahrnehmung  überall,  was  sie  prätendirt,  wirkliche  und 
echte  Selbstdarstellung  des  Gegenstandes,  so  gäbe  es,  da  ihr  eigen- 


thiimlicliGs  Wesen  sich   in   diesem   Selbstdarstellen  erschöpft,   für 
jeden  Gegenstand  tiur  eine  einzige  Wahrnelimuug. 

Andererseits  ist  nun  aber  zu  beachten,  dafs  der  Gegenstand, 
so  wie  er  an  sich  ist  —  an  sich  in  dem  hier  allein  fraglichen 
und  verständigen  Sinne,  weichen  die  Erfüllung  der  Wahrnehmungs- 
intention realisiren  würde  —  nicht  ein  total  anderer  ist,  als 
welchen  ihn  die  Wahrnehmung,  wenn  auch  unvollkoinmon,  reali- 
sirt.  Dies  liegt  sozusagen  im  eigenen  Sinne  der  Wahrnehmung, 
Selbsterscheinung  des  Gegenstandes  zu  sein.  Mag  also  auch,  um 
auf  das  Phänomenologische  zurückzugehen,  die  gemeine  Wahr- 
nehmung aus  vielfachen,  theils  rein  wahrnehmungsmüfsigen,  theils 
blofs  imaginativen  und  sogar  signitiven  Intentionen  aufgebaut  sein: 
als  Gesaramtact  erfafst  sie  den  Gegenstand  selbst,  sei  es  auch 
nur  in  der  Weise  der  Ahschattung.  Denken  wir  uns  die  jeweilige 
Wahrnehmung  in  Erfüllungsbeziehung  gesetzt  zur  adäquaten,  d.  i. 
zu  deijenigen  Wahrnehmung,  welche  uns  den  Gegenstand  im  ideal 
strengen  und  eigentlichsten  Sinn  selbst  geben  würde,  so  können 
wir  sagen:  die  Wahrnehmung  intendirt  den  Gegenstand  so,  dafs 
die  ideale  Erfüllungssynthesis  den  Charakter  einer  partiollen 
Deckung  des  rein  perceptiven  Gehaltes  des  intendirenden  Actes 
mit  dem  rein  perceptiven  des  erfüllenden  Actes,  und  zugleich  den 
Charakter  einer  vollen  Deckung  der  beiderseitigen  vollen  Wahmeh- 
mungsintentionen  besitzen  würde.  Der  „rein  perceptive"  Gehalt 
in  der  gemeinen  Wahrnehmung  ist  das,  was  wir  übrig  behalten, 
nach  Abstraction  von  allen  blofs  imaginativen  und  symbolischen 
Componenten;  es  ist  also  der  „empfundene"  Inhalt  in  der  un- 
mittelbar zu  ihm  gehörigen  rein  perceptiven  Auffassung,  die  alle 
seine  Tlieile  und  Momente  als  Solbstdarstcllungen  entsprechender 
Theile  und  Momente  des  Wahrnehmungsgegenstandes  bewerthet, 
und  so  dem  ganzen  Inhalt  den  Charakter  des  „Wahrnehmungs- 
bildes", der  perceptiven  Abschattung  des  Gegenstandes  ertheilt 
Im  idealen  Grenzfalle  der  adäquaten  Wahrnehmung  fallt  dieser 
empfundene  oder  selbstdarstelk-ndo  Inhalt  mit  dem  wahrgenomme- 
nen Gegenstand  zusammen.  —  Diese  gemeinsame  und  zum  Siun  aller 
Wahrnehmung  gehörige  Beziehimg   auf  den  Gegenstand  an  sich 


Haiserl,  Log.  Unton.  n. 


84 


selbst,  somit  auf  das  Ideal  der  Adäquation,  bekundet  sich  auch  in 
der  phänomenologischen  Zusammengehörigiteit  der  mannigfaltigen 
zu  dem  Einen  Gegenstand  gehörigen  Wahrnehmungen.  In  d«r 
Einen  Wahrnehmung  erscheint  der  Gegenstand  von  dieser,  in  der 
anderen  von  joner  Seite,  einmal  nah,  das  andere  Mal  fern  u.  s.  w. 
In  jeder  ist  bei  alledem  der  Eine  und  selbe  Gegenstand  „da",  in 
jeder  ist  er  nach  dem  Gesammtbelauf  dessen,  als  was  er  uns  be- 
kannt und  in  dieser  Wahrnehmung  gegenwärtig  ist,  intendirt.  Dem 
entspricht  phänomenologisch  der  continuirliche  Flufs  der  Ei-füilung 
oder  Identificirung,  in  der  stetigen  Aneinanderreihung  der  „zu  dem- 
selben Gegenstand  gehörigen"  Wahrnehmungen.  Jede  einzelne  ist 
darin  ein  Gemisch  von  erfüllton  und  unerfüllten  Intentionen.  Den 
Ersteren  correspondirt  am  Gegenstande  dasjenige,  was  von  ihm 
in  dieser  einzelnen  Wahrnehmung  als  mehr  oder  minder  voll- 
kommene Abschattung  gegeben,  den  Letzteren  dasjenige,  was  von 
ihm  noch  nicht  gegeben  ist,  also  in  neuen  Wahrnehmungen  zur 
actuellen  und  erfüllenden  Präsenz  kommen  würde.  Und  alle  der- 
artigen Erfüllungssynthesen  sind  durch  einen  gemeinsamen  Charak- 
ter ausgezeichnet,  eben  als  Identificirungen  von  Selbsterscheinun- 
gen  eines  Gegenstandes  mit  Selbsterscheinungen  desselben  Gegen- 
standes. 

Es  ist  ohne  Weiteres  klar,  dafs  parallele  unterschiede  auch 
für  die  imaginative  Vorstellung  gelten.  Auch  sie  bildet  den- 
selben Gegenstand  bald  von  dieser,  bald  von  jeuer  Seite  ab; 
der  SynÜiesis  mannigfaltiger  Wahrnehmungen,  in  denen  immer 
derselbe  Gegenstand  zur  S  e  1  b  s  t  darstellung  kommt,  entspricht 
die  parallele  Synthesis  mannigfaltiger  Imaginationen,  in  denen 
dieser  selbe  Gegenstand  zur  bildlichen  Darstellung  kommt. 
Den  wechselnden  perceptiven  Abschattungen  des  Gegenstandes 
entsprechen  hier  die  parallelen  imaginativen  Abschattungen,  und 
im  Ideal  der  vollständigen  Abbildung  fiele  die  Abschattung  mit 
dem  vollständigen  Bilde  zusammen.  Erfüllen  sich  imaginative 
Acte  bald  im  imaginativen  Zusammenhange,  bald  durch  entspre- 
chende Wahrnehmungen,  so  ist  der  Unterschied  im  Charakter 
der  Erfüllungssyntliosis   unverkennbar,   der  üebergang  von  Bild 


zu  Bild    ist   anders   charakterisirt,    als   derjenige   vom    Bild    zur 
Sache  selbst. 

Diese,  aueli  für  unsere  weitere  üntei'sucliung  nützlichen  und 
im  nächsten  Kapitel  fortzuführenden  Analysen,  belehren  uns  über 
die  Zusammengehörigkeit  der  Wahrnehmungen  und  Imaginationen 
und  über  ihren  gemeinsamen  Gegensatz  zu  den  signitiven  Inten- 
tionen. Ueberall  unterscheiden  wir  von  dem  gemeinten  —  dem 
bezeichneten,  abgebildeten,  wahrgenommenen  ^  Gegenstand  einen 
in  der  Erscheinung  actuell  gegebenen,  aber  nicht  gemeinten  In- 
halt; den  Zeichoninhalt  auf  der  einen  Seite,  die  imaginative  und 
die  perccptive  Abschattung  des  Gegenstandes  auf  der  anderen  Seite. 
Während  aber  Zeichen  und  Bezeichnetes  „miteinander  nichts  zu 
thun  haben",  bestehen  zwischen  den,  sei  es  imaginativen  oder 
perceptiven  Abschattungen  und  der  Sache  selbst  innere,  im  Sinne 
dieser  Worte  beschlossene  Zusammengehörigkeiten.  Und  diese 
Verhältnisse  dokumentiren  sich  phänomenologisch  in  Unterschie- 
den der  coustituirendcn  Intentionen,  und  niclit  minder  in  Unter- 
schieden der  ErfüUungs-synthesen. 

Selbstverständlich  stört  diese  Darstellung  unsere  Interpreta- 
tion jeder  Erfüllung  als  einer  Identifieining  nicht.  Die  Intention 
kommt  überall  mit  dem  ihr  Fülle  bietenden  Acte  zur  Deckung, 
d.  h.  der  Gegoustaud,  der  in  ihr  gemeint  ist,  ist  derselbe  wie 
derjenige,  welcher  im  erfüllenden  Acte  gemeint  ist  Aber  nicht 
auf  diese  gemeinten  Gegenstände,  sondern  auf  Zeichen  und  Ab- 
schattung in  ihren  Verhältnissen  zu  den  gemeinton  Gegenständen, 
bozw.  auf  das,  was  diesen  Verhältnissen  phänomenologisch  eut 
spricht,  bezog  sich  unsere  Vergleichung. 

Unser  Interesse  gehörte  im  vorliegenden  Paragrajjlion  primär  den 
Eigenthümliclikeiten  der  Erfüllungssynthesen;  durch  sie  erfuhren  die 
unterschiede  der  intuitiven  und  signitiven  Acte  eine  blofs  indirecte 
Charakteristik.  Erst  im  weiteren  Fortgang  der  Untersuchung  —  im 
§  26  —  werden  wir,  auf  Grund  der  Analyse  der  für  sich  und  ohne 
Rücksicht  auf  die  mögliclien  Krffllhmgen  betrachteten  Intentionen,  eine 
directe  Charakteristik  liefern  können, 

34* 


I 


§  15*.     Si(;niiive  Intentionen  außerluilb  der  Bedeututiffsfunclion. 

In  den  letzten  Betrachtungen  haben  wir  gewisse  Componenten 
intuitiver  Acte  als  signitivo  Intentionen  in  Anspruch  genommen. 
Aber  in  der  ganzen  Reihe  bisheriger  Untersuchungen  galten  uns 
die  signitiven  Acte  als  Acte  des  Hedeutens,  als  sinngobonde 
Factoren  bei  den  Ausdrücken.  Die  Worte  Signification  und 
signitive  Intention  galten  uns  als  bedeutungsidentische.  Es  ist 
also  an  der  Zeit  die  Frage  zu  erwägen:  können  nicht  dieselben 
oder  wesentlich  gleichartige  Acte,  als  welche  wir  sonst  in  der 
Bedeutungsfunction  finden,  auch  au&er  dieser  Function,  von  ollen 
Ausdrücken  losgelöst,  auftreten? 

Dafe  diese  Frage  bejahend  zu  beantworten  ist,  zeigen  gewisse 
Fälle  wortlosen  Erkennens,  welche  durchaus  den  Charakter  vörbalen 
Erkennens  haben,  wälirend  doch  die  Worte  nach  ihrem  sinnlich- 
signitiven  Inhalt  garnicht  actualisirt  sind.  W^ir  erkennen  beispiels- 
weise einen  Gegenstand  als  antiken  römischen  Wegstein,  seine 
Furcbungen  als  verwitterte  Inschriften,  ohne  dafs  sich  sogleich 
oder  überhaupt  Worte  einstellten;  wir  erkennen  ein  Werkzeug  als 
Drillbohrer,  aber  das  Wort  will  uns  überhaupt  nicht  einfallen;  u.dgl. 
Genetisch  gesprochen,  es  wird  durch  die  gegenwärtige  Anschauung 
eine  Association  dispositionell  erregt,  die  auf  den  bedeutenden  Aus- 
druck gerichtet  ist;  aber  die  blofse  Bedcutungecompouente  dessel- 
ben wird  actualisirt,  welche  nun  in  umgekehrter  Richtung  in  die 
erregende  Anschauung  zurückstrahlt  und  in  sie  mit  dem  Charak- 
ter erfüllter  Intention  überflicfst.  Diese  Fälle  wortlosen  Erkennens 
sind  also  nichts  Anderes  als  Erfüllungen  von  Bedeutungsintentio- 
nen, nur  von  solchen,  die  sich  phaiiomenologiscli  von  den  sonst 
zu  ihnen  gehörigen  signitiven  Inhalten  abgelöst  haben.  Hieher- 
zurechnende  Beispiele  liefert  auch  die  Refle.xion  auf  die  gewöhn- 
lichen Zusammenhänge  wissenschaftlichen  Nachdenkens.  Man  be- 
merkt dabei,  dafs  sich  die  vorwärts  stürmenden  Gedankonreihen 
zu  sehr  erheblichem  Tlieile  nicht  an  die  zu  üinen  gehörigen  Worte 
binden,  sondern  durch  den  Flufs  anschaulicher  Bilder  oder  durch 
ihre  eigenen  associativen  Verflechtungen  erregt  werden. 


Damit  hängt  auch  zusammen,  dafe  das  ausdrücken do 
Sprechen  so  weit  über  das  hiuausgeht,  was  zum  Zwecke  wirklicher 
Angemessenheit  des  erkennenden  Ausdrucks  anschaulich  gegeben 
sein  müfste.  Dals  dies  zum  Theil  einen  entgegengesetzten  Grund 
hat  in  der  besonderen  Leichtigkeit,  mit  der  sich  die  Wortbiider 
durch  die  gegebenen  Anschauungen  i-eproduciren  hissen,  um  dann 
ihrerseits  die  symbolischen  Gedanken,  aber  nicht  die  diesen  ent- 
sprechenden Anschauungen,  herbeizuziehen,  wird  Niemand  be- 
zweifeln. Es  ist  aber  auch  umgekehrt  zu  beobachten,  wie  die 
Reproduction  der  Wortbiider  liinter  den  durch  die  jeweilige  An- 
schauung reproductiv  erregten  Gedankenreihen  oft  recht  weit 
zurückbleibt.  In  der  einen  und  anderen  Art  kommen  die  un- 
zähligen inadäquaten  Ausdi'ücke  zu  Stande,  welche  sich  den 
actuoU  vorhandenen  primären  Anschauungen  und  den  auf  sie 
wirkUch  gebauten  synthetischen  Formungen  nicht  in  schlichter 
Weise  anmessen,  sondern  über  das  so  Gegebeue  weit  hinausgehen. 
Es  erwachsen  merkwürdige  Mischungen  von  Acten.  Eigentlich 
erkannt  sind  die  Gegenstände  nur  als  die  in  der  actuellen  An- 
schutumgsgruiidlage  gegebenen;  aber  da  die  Einheit  der  Intention 
weiter  reicht,  erscheinen  die  Gegenstände  auch  als  diejenigen 
erkannt,  welche  in  der  Gesanimtintention  intendii't  sind.  Der 
Erkenntnischarakter  breitet  sich  gewissermafsen  aus. 
So  erkennen  wir  beispielsweise  eine  Person  als  den  Adjutanten 
des  Kaisers,  eine  Handschrift  als  die  Goethes,  einen  mathematischen 
Ausdruck  als  die  C'ARüAn'sche  Formel  u.  dgl.  Hier  kann  sich  das 
Erkennen  dem  in  der  Wahrnehmung  Gegebenen  natürlich  nicht 
anmessen,  sondern  bestenfalls  besteht  die  Möglichkeit  der  An- 
passung an  Anschauungsverläufe,  die  aber  selbst  gamicht  actualisirt 
zu  werden  brauchen.  Auf  diese  Weise  sind  auf  Grund  partieller 
Anschauung  sogar  Erkenntnisse  und  Erkenntnisreihen  möglich, 
die  auf  Grund  voller  actueller  Anschauung  überhaupt  und  a  priori 
nicht  möglich  wären,  weil  sie  in  sich  Unverträgliches  in  Eins 
setzen.  Es  giebt,  und  in  nur  zu  grofsem  Maise,  falsche  und 
selbst  absurde  Erkenntnisse.  Aber  „eigentlich"  sind  es 
keine   Erkenntnisse   —   nämlich   nicht   logisch   werthvolle,    voll- 


koiumene  Erkenntnisse,  nicht  Erkenntnisse  im  prägnanten  Sinne. 
Doch  damit  greifen  wir  künftigen  Ueberlegungen  vor.  Denn  noch 
sind  die  hier  berührten  Stufenreihen  der  Erkenntnis  und  die  sie 
begrenzenden  Ideale  nicht  klargelegt. 

Wir  hatten  bisher  mit  signitiven  Intentionen  zu  thun.,  die 
identisch,  so  wie  sie  sind,  bald  innerhalb  bald  auTserhalb  der  Be- 
deutungsfunction  auftieten.  Aber  unzählige  signitive  Intentionen 
entbehren  jeder,  sei  es  festen,  sei  es  vorübergehenden  Beziehung 
zu  Ausdrücken,  während  sie  doch  ihrem  wesentlichen  Charakter 
nach  mit  den  Bedeutiingsintentionon  zu  Einer  Klasse  gehören. 
Ich  erinnere  hier  an  den  perceptiven  oder  imaginativen  Ablauf 
einer  Melodie,  oder  eines  sonstigen,  uns  der  Art  nach  bekannten 
Ereignisses  und  iui  die  hiebei  auftretenden  {bestimmten  oder  un- 
bestimmten) Intentionen,  bezw.  ErfüUungou.  Desgleichen  an  die 
empirische  Ordnung  und  Verknüpfung  der  Dinge  in  ihrer  phäno- 
menalen Coexistenz,  und  zwai-  mit  Hinweis  auf  das,  was  den 
erscheinenden  Dingen  in  dieser  Ordnung,  und  vorerst  den  Theilen 
in  jeder  einzelnen  dinglichen  Einheit,  den  Charakter  einer  gerade 
in  dieser  Anordnung  und  Form  zusammengehörigen  Einheit 
giebt  Die  Repräsentation  und  Erkennung  durch  Analogie  kann 
nur  Bild  und  Sache  (Analogon  und  Analogisirtes)  zur  Einheit 
bringen  und  somit  als  zusammengehörig  erscheinen  lassen,  nicht 
aber  was  in  der  Contiguität  nicht  bJofs  zusaniraengegeben 
ist,  sondern  als  zusammengeheh-ig  erscheint.  Selbst  wo  in 
der  Realisirung  von  Contiguitätsrepräsentationen  sich  zunächst 
Bilder  einstellen,  die  das  signitiv  Repräsentirte  im  voraus 
imaginiren,  und  sich  dann  bei  der  Erfüllung  in  ihren  Sachen 
bestätigen ,  kann  die  Einheit  zwischen  dem  Contiguitätsrepräscntanten 
und  dem  dadurch  Reprä-sentiiten  nicht  durch  das  Bildverhältnis 
gegeben  werden  (da  es  ja  nicht  zwischen  diesen  Beiden  wirksam 
ist),  sondern  nur  durch  das  schlechthin  eigenartige  Verhältnis  der 
signitiven  Repräsentation  als  derjenigen  durch  Contiguität. 

Uenigemäfs  werden  wir  in  den  inadäquaten  Wahruehmungettfl 
und  Einbildungen  ganz  richtig  Comploxioneu  von  primitiven  In- 
MiÜonen  mehoa  müssen,  unter  welchen  sich  neben  perceptiven  undj 


imaginativen  Elementen,  auch  solclie  von  der  Art  der  signitiven 
Intentionen  finden.  Uoberliaupt  werden  wir  urtheilen  dürfen,  dafe 
alle  phänomenologischen  Unterschiede  der  objectivirenden  Acte  sicli 
zurückl'ühren  lassen  auf  die  sie  aufl>auenden  Elementarintentionen 
und  Erfüllungen,  die  Einen  und  Andern  geeinigt  durch  ErfüUungs- 
sjmthesen.  Auf  Seite  der  Intentionen  bleiben  dann  als  die  einzigen 
letzten  Unterschiede  die  zwischen  signitiven  Intentionen  als  Inten- 
tionen durch  Contiguität,  und  imaginativen  Intentionen  als  solchen 
dnrch  Analogie,  jede  schlicht  und  rein  in  ihrer  Art.  Auf  Seite  der 
Erfüllung  fungireu  als  Componcnten  theils  wieder  Intentionen  der 
einen  und  andern  Art;  unter  Umstanden  aber  (wie  im  Falle  der 
Wahrnehmung)  auch  solche,  die  nicht  mehr  als  Intentionen  anzu- 
sprechen sind:  Compononten,  die  nur  erfüllen,  doch  nicht  mehr  nach 
Erfülhiiig  langen,  Selbstdarstellungcn  des  von  ihnen  gemeinten 
Ubjectes  im  strengsten  Wortsinn.  Durch  den  Charakter  der  Elo- 
mentaracto  sind  dann  die  Charakteix)  der  die  homogene  Einheit 
des  complexen  Actes  bestimmenden  ErfüUuugssynthesen  bestimmt, 
und  zugleich  überti'ägt  sich,  unter  Mithilfe  der  bevorzugenden 
Kraft  der  Aufmerksamkeit,  der  Charakter  dieser  oder  joner  Ele- 
mentaracto  auf  die  Einheit  des  gesammten  Actes:  der  ganze  Act 
ist  Imagination  oder  Signitication  oder  Perception  (Walirnehmung 
schlechthin);  und  wo  zwei  solche  einheitliche  Acte  in  Beziehung 
treten,  erwachsen  Verhältnisse  der  Uebereinstimmung  und  des 
Widerstreiis,  deren  Charakter  durch  die  fundirenden  üesamnitacte, 
letztlich  aber  durch  deren  Elemente  bestimmt  ist. 

Im  nächsten  Kapitel  sollen  diese  Verhältnisse  in  den  Grenzen, 
in  denen  sie  phänomenologisch  zu  sichern  und  daher  orkenntnis- 
krttisch  zu  verwerthen  sind,  weiter  verfolgt  werden.  Wir  wollen 
uns  dabei  rein  an  die  phänomenologisch  gegebenen  Einheiten 
halten,  an  den  Sinn,  den  sie  in  sich  tragen,  und  den  sie  in  der 
Erfüllung  verkündigen.  So  meiden  wir  die  Versuchung,  den  Weg 
hypothetischer  Construction  zu  beschreiten,  mit  deren  Zweifeln  die 
Erkountnisklärung  keineswegs  beschwert  zu  werden  braucht 


I 


Zur  Phänomenologie  der  Erkenntnisstofen. 
§  16.     Blofsc  Identificirung  uttd  Erfüllung. 

Als  wir,  ausgehend  vom  sprachlichen  Ausdruck  einer  Wahr- 
nehmung, das  Verhältnis  von  Bedeutungsintentioa  und  erfüllender 
Anschauung  beschrieben,  sagten  wir*,  das  intentionale  Wesen  des 
anschaulichen  Actes  passe  oder  gehöre  zu  dem  bedeutungs- 
mäfsigen  Wesen  des  significativen  Actes.  Dasselbe  gilt  sichtlich  ^Jj 
in  jedem  Falle  einer  totalen  Identificirung,  welche  qualitativ  gleiche,  ^^ 
also  setzende  und  setzende,  oder  niehtsetzeude  und  nichtsetzende 
Acte  zur  Synthesis  bringt;  während  bei  der  Verschiedenheit  der 
Qualitäten  die  Identificirung  aussohliefslich  in  den  Materien  der 
beiderseitigen  Acte  gründet.  Dies  überträgt  sich  mit  passenden 
Aenderungen  auf  die  Fälle  partieller  Identificirung,  so  dafe  wir 
aussprechen  dürfen,  dafs  die  Materie  das  für  die  Identificirung  (und 
dann  selbstverstuudHch  auch  für  die  üntei-scheidung)  wesentlich 
in  Betracht  kommende  Moment  im  Actcharakter  der  jeweils  zur 
Synthese  kommenden  Acte  ist. 

Für  den  Fall  der  Identificirung  sind  die  Materien  die  spe- 
cielleu  Trüger  der  Synthese,  aber  nicht  etwa  selbst  identificirt 
Denn  die  Rede  von  der  Identificirung  bezieht  sieh  ja  ihrem  Sinne 
nach  auf  die  durcli  die  Materie  vorgestellten  Objecto.  Anderer- 
seits kommen  die  Materien  im  Acte  der  Identificirung  selbst  zur 
Deckung.  Dafs  damit,  wenn  auch  Gleichheit  der  Qualitäten  vor- 
ausgesetzt wird,  keine  vollständige  Gleichheit  der  beidcrseitigea 
Acte  erzielt  ist,  zeigt  jedes  Beispiel,  und  dies  liegt  daran,  dafs 
das  intentionale  Wesen  den  Act  nicht  erschöpft.  Das  Uebrig- 
bleibende  wird  sich  in  der  sorgsamen  Dui'chforschung  der  Phäno- 
menologie der  Erkenntnisstufen,  die  unsere  nächste  Aufgabe  ist, 
als  überaus  bedeutsam  herausstellen.  Von  vornherein  leuchtet 
hier  Folgendes  ein.  Wenn  das  Erkennen  VoUkommenheitsstufeu, 
und  dies  bei  gleicher  Materie,  zuläfst,  so  kann  die  Materie  fftr 
die  Unterschiede  der  Vollkommenheit  nicht  aufkommen,  also  auch 


nicht  das  eigentbiimliclie  Wesen  der  Erkenntnis  gegenüber  jeder 
beliebigen  Identiäcinmg  bestimmen.  Wir  knüpfen  die  weitere 
Untersuchung  an  die  Erwägung  eben  dieses,  von  uns  bereits 
früher  beachteten  Unterschiedes  zwischen  blofsor  Identificirung 
und  Erfüllung  an. 

Wir  hatten  1  Plrfüllung  mit  Erkennung  (im  engeren  Sinn) 
gleichgesetzt  und  angedeutet,  dafs  hiermit  uur  gewisse  Formen  der 
Identificirung  bezeichnet  seien,  welche  uns  nämlich  dem  Erkennt- 
nisziel näher  bringen.  Was  das  besagen  will,  können  wir  etwa 
so  zu  vordeutlichen  suchen:  in  joder  Erfüllung  tindet  eine  mehr 
oder  minder  vollkommene  Verarischaulichung  statt.  Was  die 
Intention  zwai'  meint,  aber  in  mehr  oder  minder  uneigentlicher 
oder  unangemessener  Weise  vorstellig  macht,  das  stellt  die  Er- 
fülhitig,  (1.  h.  der  sich  in  der  Erfüllungssynthosis  anschmiegende, 
der  Intention  seine  „Fülle"  bietende  Act,  direct  vor  uns  hin; 
oder  mindestens  relativ  directer  als  die  Intention.  In  der  Erfüllung 
erleben  wir  gleichsam  ein  das  ist  es  selbst.  Dieses  selbst  ist 
freilich  nicht  im  strengen  Sinn  zu  nehmen:  als  ob  eine  Wahrneh- 
mung gegeben  sein  müfste,  die  uns  das  Objcct  selbst  zur  actuellen 
phänumeualen  Gegenwart  brächte.  Es  mag  sein,  dafs  wir  im 
Fortschritt  der  Erkenntnis,  im  stufen  weisen  Emporsteigen  von 
Acten  geringerer  zu  solchen  von  reicherer  Erkenntnisfülle,  schliefs- 
lich  immer  zu  erfüllenden  Wahrnehmungen  gelangen  müssen; 
darum  braucht  aber  nicht  jede  Stufe,  d.  h.  jede  einzelne  für  sieh 
schon  als  Erfüllung  charakterisirle  Identificirung,  eine  Wahrnehmung 
als  den  erfüllenden  Act  zu  enthalten.  Immerhin  deutet  uns  die  rela- 
tive Rede  vom  „mehr  oder  minder  direct"  und  vom  „selbst"  die 
Hauptsache  oinigormafsen  an:  dafs  die  Erfüllungssynthosis  eine 
üngleiehworthigkeit  der  verknüpften  Glieder  zeigt,  derart  dafs  der 
erfüllende  Act  einen  Vorzug  herbeibringt,  welcher  der  blofsen 
Intention  mangelt,  nämlich  dafs  er  ihr  die  Fülle  des  „selbst" 
ortheilt,  sie  mindestens  directer  an  die  Sache  selbst  heran- 
führt.   Und  die  Relativität  dieses  direct  und  selbst  deutet  wieder 


>  Obeu  §  14,  Ij.  523. 


h 


darauf  hin,  dafs  die  Erfilllimgsrelation  etwas  vom  Charakter  eina^^ 
Stoigerungsrolation  aa  sich  hat.  Eiue  Yoikettung  solcher  Relatione^^ 
erscheint  danach  als  möglich,  iu  denen  sich  der  Vorzug  schrittweise 
steigert;  wobei  aber  jede  solche  Steigerungsreihe  auf  eine  ideale 
Grenze  hinweist  oder  sie  sclion  in  ihrem  Endglied  realisirt, 
welche  aller  Steigerung  ein  unüberschreitbares  Ziel  setzt:  das 
Ziel  der  absoluten  Erkenntnis,  der  adäquaten  Selbst- 
darstellung des  Erkenntnisobjects.  ^M 

Damit  ist  nun  die  charakteristische  Auszeichnung  der" 
Erfüllungen  innerhalb  der  weiteren  Klasse  der  Identificatioueu 
zum  Mindesten  in  vorläutiger  Andeutung  ^  formulirt  Denn  nicht 
in  jeder  Identification  vollzieht  sich  solch  eine  Annäherung  an  ein 
Erkonntnisziel,  und  demgemäl's  sind  ziellos  ins  Unendliche  fort- 
lauft-nde  Irtentificationen  sehr  wol  möglich.  Beispielsweise  giebt 
es  uuendlich  viele  arithmetische  Ausdrücke,  die  den  identischen 
Zahlen werth  2  haben,  und  so  können  wir  dabei  in  infimtum  Iden- 
tificirung  an  Identificirung  reihen.  Ebenso  mag  es  unendlich  viel 
Bilder  einer  nnd  derselben  Sache  geben,  und  dadurch  bestimmt 
sich  wieder  die  Möglichkeit  unendlicher,  keinem  Erkenntuisziel  zu- 
strebender Identilicirungskctten.  Ebenso  für  die  unendliche  Mannig- 
faltigkeit möglicher  Wahrnehmungen  einer  und  derselben  Sache. 

Achten  wir  bei  diesen  intuitiven  Beispielen  auf  die  constitui- 
rendtm  Eiementarintentionen,  so  finden  wir  allerdings,  dals  dem 
Ganzen  der  Ideutificirung  zumeist  auch  Mumeute  echter  Erfüllung 
eingewüben  sind.  So  wenn  wir  Bildvorstellungen  in  Eins  setzen, 
die  nicht  gerade  von  völlig  gleichem  intuitiven  Gehalt  sind,  so  dals 
uns  das  neue  Bild  manches  zu  klarer  Vorstellung  bringt  und  viel- 
leicht „ganz  so  wie  es  ist",  vor  Augen  stellt,  was  uns  das  frühere 
blofs  abgeschattet  oder  gar  symbolisch  andeutete.  Denken  wir 
uns  in  der  Phantasie  einen  Gegenstand  sich  allseitig  drehend  nnd 
wendend,  so  ist  die  Bilderfolge  immerfort  durch  Erfüllungssyn- 
thesen hinsicbtlich  der  Partialintentionen  verknüpft;  aber  die  je- 
weilig  neue  Bildvorstellung   ist   als  Ganzes   keine  Erfüllung   der 


Vgl.  dio  tiefergehendeu  Analysen  des  §  24,  S.  556  ff. 


vorhergellenden,  und  die  gesaiumte  Vorstellungsreihe  ohne  fort- 
schreitende Annäherung  an  ein  Ziel.  Ebenso  bei  der  Mannig- 
faltigkeit zu  demselben  äufseren  Ding  gehöriger  Wahrnehmungen. 
Gewinn  und  Verlust  halten  sich  eben  bei  jedem  Schritt  die  Wage, 
der  neue  Act  ist  in  Hinsicht  auf  die  Einen  Bestimmtheiten  an 
Fülle  reicher,  in  Hinsicht  auf  Andere  niufste  er  dafür  an  Fülle 
einbüfsen.  Dagcgun  küunL-n  wir  sagen,  die  gesannuto  Syntliesis 
der  Folge  von  Imagiuatiouen,  bezw.  von  Wahrnehmungen,  reprä- 
sentire  im  Vergleich  mit  dem  vereinzelten  Act  aus  solch  einer 
Folge  einen  Zuwachs  an  Krkenntnisfülle,  die  Unvollkommenheit 
der  einseitigen  Darstellung  werde  relativ  überwunden  in  der  all- 
seitigen Darstellung.  Wir  sagten  blofs  „relativ  überwunden": 
denn  die  allseitige  Darstellung  vollzieht  sich  in  solch  einer  syn- 
tbetisi'hou  Mannigfaltigkuit  nicht,  wie  es  das  Ideal  der  Adäquation 
fordert,  in  Einem  Schlage,  als  reine  Selbstdarstolhing  und  ohne 
Zusatz  von  Analogisirung  und  Symbolisiruug,  sunderii  stück- 
weise un<l  immerfort  durch  solche  Zusätze  getrübt.  Ein  anderes 
Beispiel  einer  intuitiven  Erfüllungsreihe  bietet  etwa  der  üeber- 
gaiig  von  einer  rohen  Umrifszeieluiung  zu  einer  genauer  ausge- 
führten Bleistiftskizze,  von  dieser  zu  einem  fertigen  Bild,  bis  zum 
lebensvoll  ausgeführten  Gemälde,  und  zwar  für  denselben  und 
sichtlich  denselben  Gegenstand. 

Derartige  Beispiele  aus  der  Sphäre  der  blofsen  Einbildung 
zeigen  uns  zugleich,  dafs  der  Charakter  der  Erfüllung  nicht  vor- 
aussetzt, was  zum  iugisuhen  Erkenutnisbegriff  mitgorechnet  wird, 
nämlich  die  Setzungsqualität  sowol  bei  den  intendirenden  als  bei 
den  erfüllenden  Acten,  Von  einer  Erkenntnis  sprechen  wir  vor- 
zugsweise da,  wo  ein  Vermeinen  im  normalen  Sinn  des  Glau- 
bens sich  bekräftigt  oder  bestätigt. 


§  17.     Die  Frage  nach  dem   Vcrhällnis  rwisclien  Erfüllung 
und  Veratmchaulichung. 

Es  wird  sich  nun  fragen,  welche  Rolle  die  verschiedenen 
Gattungen  objectivirender  Acte  —  die  signitiven  und  intuitiven 
Acte,  und  unter  dem  letzteren  Titel,  die  perceptiven  und  imagi- 


man 
baqfl 


r] 


nativen  —    in  der  Erkenntnisfimction   spielen.    Hier    erscheine 
die  intuitiven  Acte  sichtlich  bevorzugt,  und  dies  so  sehr,  dais  man 
zunächst  geneigt  sein  wird,  alle  Erfüllung  (sowie  es   im  Vorl 
gehen  auch  obon  geschah)  als  Veranschaulichung   zu  bezeich 
nen,  oder  ihre  Leistung,  wo  es  sich  von  vornherein  um  anscban 
liehe  Intentionen  handelt,  als  blofse  Steigerung  in   der  Anschac 
ungstulle  zu  charakterisiren.    Sicherlich  bildet  nun  das  Verhältnis 
zwischen  Intention  und  Erfüllung  die  Grundlage  für  die  Bildung 
des  Begiiffspauros  Gedanke  (enger  gofafst:  Begriff)  und  corre- 
spondirende  Anschauung.     Es  darf  uns  aber  nicht  entgehen, 
dafs  ein  blols  nach  diesem  Verhältnis  orientirter  Bogriff  der  An- 
auuug  keineswegs  mit  dem  des  intuitiven  Actes  zusammen- 
■fiele,  obschon  er  vermöge  der  so7,usagen  im  Sinn  aller  Erfüllung 
liegenden  Tendenz  zur  Intuition  mit  ihm  nahe  zusammenhängec 
ja  ihn  voraussetzen  würde.    Sich,  wie  mau  hier  auch  sagt,  einei 
Gedanken    „klar   machen",   das  heifst  zunächst,   dem    Inhalt    d< 
Gedankens   erkenntnisraäfsige  Fülle  verschaffen.     Dies  kann   aber 
in  gewisser  Weise  auch  eine  signitive  Vorstellung  leisten.    Frei- 
lich wenn  wir   dio  Forderung   nach    evident   machou<ier   Klarlieit 
stellen,  als  welche  uns  „die  Sache  selbst"    klar,    und   damit  ihre 
Möglichkeit   und  Wahrheit   kenntlich   mache,  werden  wir   an    die 
Anschauung  im  Sinne    unserer  intuitiven  Acte    gewiesen.     Eben 
darum  hat  in  erkenntniskritisclien  Zusammenhängen  die  Rede  voa. 
Klarheit  ohne  Weiteros  diesen  engeren  Sinn,  sie  meint  den  RücId^ 
gang  auf,  die  erfüllende  Intuition,  auf  den  „Ursprung"  der  Be- 
griffe und  Sätze  aus  der  Anschauung   ihrer  Sachen  selbst.  ^1 
Sorgsame  ßei-spielsanalyscn  sind  jetzt  nöthig,  das  soeben  An-^" 
gedeutete  zu  bewähren  uiu!  weiter  fortzuführen.     Sie  werden  uns 
helfen,  das   Verhältnis  zsvischen  Erfüllung  und  Voranschaulichung 
aufzuhellen,  und  dio  Rolle,  welche  die  Anschauung  in  jeder  Er-^ 
füllung  spielt,  genau  zu  präcisiren.    Die  Unterecliiede  eigentlicher 
und   uueigentlicher  Veranschaulichung,   bezw.  Erfüllung,    werden 
sich  deutlich  absondern,  und  zugleich  damit  wird  der  Unterschied  ^ 
zwischen  blolser  Identificirung  und  Erfüllung  seine  letzte  Klärung  ■ 
erfahren.     Indem  die  Leistung  und  Anschauung  sich  dadurch  be- 


stimmen  wird,  dafs  sie  in  der  eigentliciien  Ei-füllung,  unter  dem 
Titel  „Fülle",  dem  intendirenden  Acte  wirklieli  etwas  Neues  bei- 
bringt, werden  wir  auf  eine  bisher  nicht  pointirte,  für  die  Er- 
Jfonntnis  fundamentale  Seite  im  phänumenologischen  Inhalt  der 
Acte  aufmerksam:  die  „Fülle"  wird  sich  als  ein  gegenüber  der 
Qualität  und  Materie  neues,  in  der  Weise  einer  Ergänzung 
speciell  zur  Materie  gehöriges  Moment  der  intuitiven  Acte  her- 
ausstellen. 


§  18.     Die  StufenreHien  mittelbarer  Erfüllungen. 
Mitielbare    Vorstellungen. 

Jede  in  einer  Definitionskette  sich  entfaltende  mathematische 
Begriftsbildung  zeigt  uns  die  Mügüchkeit  von  ErfüUungsketten, 
die  sicli  Glied  für  Glied  aus  signitiven  Intentionen  auf- 
bauen. Wir  machen  uns  den  Begrift'  (5*)*  klar  durch  Küekgang 
auf  die  dofinitorische  Vorstellung:  „Zahl,  welche  entsteht,  wenn 
man  das  Product  B'-S'-S'-S"  bildet".  Wollen  wir  diese  letztere 
Vorstellung  wieder  klar  machen,  so  müssen  wir  auf  den  Sinn  von 
5^  zurückgehen,  also  auf  die  Bildung  5-5-5.  Noch  weiter  zurück- 
gehend, hätten  wir  dann  5  durch  die  Definitionskette  5>=4-|-l, 
4  =  3  +  1,  3  =  2-1-1,  2  =  l-f-l  zu  erklären.  Nach  jedem  Schritt 
hätten  wir  aber  die  Substitution  in  den  zuletzt  gebildeten  com- 
plexeii  Ausdruck,  bezw.  Gedanken,  zu  vollziehen,  und  wäre  dieser 
Gedanke  immer  wieder  hei-stellbar(an  sich  ist  eres  gewifs,  obschon 
ebenso  gewifs  nicht  für  uns),  so  kämen  wir  schliefslich  auf  die 
vollständig  explicirte  Summe  von  Einern,  von  der  es  hieCse;  das 
ist  die  Zahl  (5*)*  „selbst".  Offenbar  entspräche  nicht  nur  dem  End- 
resultat, sondern  schon  jedem  einzelnen  Schritte,  welcher  von  einem 
Ausdruck  dieser  Zahl  zu  dem  nächst  aufklärenden  und  ihn  inhalt- 
lich bereichernden  überleitete,  wirkhch  ein  Act  der  Erfüllung.  In 
dieser  Art  ist  übrigens  auch  jede  schlichte  dekadische  Zahl  eine 
Anweisung  auf  eine  mögliche  Erfüllungskette,  deren  Gliederzahl 
durch  die  um  1  verminderte  Zalil  ihrer  Einheiten  bestimmt  ist, 
80  dafs  derartige  Ketten  von  unbegrenzt  vielen  Gliedern  a  priori 
möglich  sind. 


Man  spricht  gewöhnlich  so,  als  oh  in  der  mathematischen 
Sphäre  die  schiiclite  Wortbedeutung  identisch  sei  mit  dorn  Inhalt 
des  complexen  deiinitorischen  Ausdrucks.  Dann  wäre  hier  aller- 
dings von  Erfüilungsketten  keine  Rede;  wir  bewegten  uns  ja  in 
lauter  Identitäten  von  der  Art  der  Tautologien.  Indessen  wer  aoi 
die  Complication  der  durch  Substitution  erwachsenden  Gedanken- 
bildungen hiublickt,  wer  sie  auch  nur  in  den  allereinfachsten 
Fällen,  in  denen  sie  %virklich  durchführbar  sind,  mit  der  ur- 
sprünglich erlebten  Bedeutungsintention  vergleicht,  wird  kaum 
ernstlich  annehmen,  dnfs  in  dieser  letzteren  all  die  Complication 
von  vornherein  enthalten  war.  Es  ist  ganz  unverkennbar,  dafe 
hier  wirklich  Unterschiede  der  Intention  bestehen,  die,  wie  immer 
man  sie  näher  charakterisiren  mag,  durch  total  identificirende 
Erfüllungsverhältnisse  miteinandor  verknüpft  sind. 

Eine  merkwürdige  Eigenthümlichkeit  der  eben  besprochenen 
Beispiele,  bezw.  der  Klasse  signitiver  Vorstellungen,  welche  diese 
Beispiele  illustriren,  liegt  darin,  dafs  in  ihnen  der  Inhalt  der 
Vorstellungen  —  deutlicher  gesprochen,  die  Materie  —  einen  be- 
stimmten Stufengang  der  Erfüllung  n  priori  vorzeichnet 
Die  Erfüllung,  die  hier  mittelbar  erfolgt,  kann  nie  zugleich  un- 
mittelbar erfolgen.  Zu  jeder  signitiven  Intention  dieser  Klasse 
gehört  eine  bestimmte  Erfüllung  (bezw.  eine  bestimmte  Gruppe 
von  Erfüllnngou)  als  nächste,  zu  dieser  wieder  eine  bestimmte 
als  nächste  u.  s.  w.  Diese  Eigenthümlichkeit  finden  wir  auch  bei 
gewissen  intuitiven  Intentionen.  So  wenn  wir  uns  eine  Sache 
durch  das  Bild  eines  Bildes  vorstellig  machen.  Die 
Materie  der  Vorstellung  schreibt  auch  hier  eine  erste  Erfüllung 
vor,  welche  uns  niimlich  das  primäre  Bild  „selbst"  vor  Augen 
stellen  würde.  Zu  diesem  Bild  gehört  aber  eine  neue  Intention, 
deren  Erfüllung  uns  auf  die  Sache  selbst  führt  Offenbar  ist  das 
Gemeinsame  all  dieser  mittelbaren,  ob  signitiven  oder  intuitiven 
Vorstellungen  dadurch  charakterisirt,  dafs  es  Vorstellungen  sind, 
welche  ihre  Gegenstände  nicht  in  schlichter  Welse,  sondern  durch 
übei-eiuauder  gebaute  Voi-stellungen  niederer  und  höherer  Stufe  vor- 
stellig machon;  oder,  um  es  schärfer  auszudrücken,  es  sind  Vor- 


Stellungen,  die  ihre  Gegenstände  als  Gegenstände  anderer 
"Vorstellungen,  oder  als  zu  so  vorgestellten  Gegenstän- 
den in  Beziehung  stehend,  vorstellen.  So  wie  Gegenstände  in 
Kelation  zn  beliebigen  anderen  Gegenständen,  so  können  sie  eben 
auch  in  Relation  zu  Vorstellungen  vorgestellt  werden;  und  diese 
Vorstellungen  sind  dann  in  der  Relationsvorstellung  selbst  vor- 
gestellte Vorstellungen;  sie  gehören  zu  ihren  intentionalen 
Objecten,  nicht  zu  ihren  Bestandstücken. 

Mit  Rücksicht  auf  die  eben  charakteri-sirte  Klasse  von  Fällen 
sprechen  wir  von  mittelbaren  (oder  übereinander  gebauten)  In- 
tentionen, bezw.  Erfüllungen,  also  auch  von  mittelbaren  Vor- 
stellungen. Es  gilt  dann  der  Satz,  dafs  jede  mittelbare  In- 
tention eine  mittelbare  Erfüllung  fordert,  welche  selbst- 
vei-ständlich  nach  einer  endlichen  Anzahl  von  Schritten  in  einer 
unmittelbaren  Intuition  endet 


§  19.      Unterscheidung  zwisclun  mittelbaren   VorsleUtingcn 
Wirf   VorstellungsvoTstcllungen. 

Von  diesen  mittelbaren  Vorstellungen  wol  zu  untei'scbeiden 
sind  die  Vorstellungen  von  Vorstellungen,  also  diejenigen 
Vorstellungen,  die  sich  eiufach  auf  andere  Vorstellungen  als  auf 
ihre  Gegenstände  beziehen.  Obschon  die  vorgestellten  Vorstellungen, 
allgemein  zu  reden,  selbst  wieder  Intentionen  sind,  also  ErfüUuug 
zulassen,  verlaugt  hier  die  Natur  der  gegebenen,  der  vorstellen- 
den Vorstellung  keineswegs  eine  mittelbare  Erfüllung  durch  Er- 
füllung der  vorgestellten  Vorstellimgen.  Die  Intention  der  Vor- 
stellungsvorstellungen Fl  (V^)  geht  auf  F,.  Liese  Intention  ist 
also  erfüllt  und  schlechtbin  erfüllt,  wenn  eben  Fj  „selbst"  auf- 
tritt; sie  wird  nicht  etwa  bereichert,  wenn  sich  ihrerseits  die  In- 
tention der  F,  erfüllt,  wenn  ihr  Gegenstand  im  Bilde,  oder  im 
relativ  reicheren  Bilde,  oder  gar  in  der  Wahrnehmung  erscheint 
Denn  F,  meint  ja  nicht  diesen  Gegenstand,  sondern  schlechthin 
seine  Vorstellung  V^.  Selbstverständlich  wird  daran  nielit.s  ge- 
ändert bei  complicirterer  Ineinanderschachtelung,  etwa  nach  Mafs- 
gabe  des  Symbols  Fj  /F,  (V^J  u.  s.  w. 


544    VI.  Eletnente  einer  phänotnenolog.  Äufkliining  der  Erkrnntnis. 


Beispielsweise  findet  der  Gedanke  signitive  Vmstellung  seine 
Erfüllung  in  der  Anschauung  von  einer  signitiven  Vorstellung, 
z.  B.  der  Vorstellung  Integial  (wenn  wir  wollen,  auch  der  Vor- 
stellung sigvitive  Vorstellung  selbst).  Man  darf  diese  Fälle  nicht 
inifsvei'stehen ,  nämlich  so,  als  ob  hier  die  signitive  Vorstellung 
Integral  selbst  den  Charakter  der  Anschauung  beanspruchte,  als 
ob  somit  hier  die  Begriffe  Anschauung  und  signitiver  Act 
(Bedeutungsintention)  ineinandergiengen.  Nicht  die  signitive  Vor- 
stellung Integral,  sondern  die  innere  Wahrnehmung  von  dieser 
Vorstellung  ist  die  erfüllende  Anschauung  für  den  Gedanken  signi- 
tive Vorstellung]  statt  als  erfüllende  Anschauung  fungirt  diese  Vor- 
stellung als  Gegenstand  der  erfüllenden  Anschauung.  So  wie  das 
Denken  einer  Farbe  im  Acte  der  Ajischauung  dieser  Farbe  seine 
Erfüllung  findet,  so  das  Denken  eines  Denkens  in  einem  Acte  der 
Anschauung  dieses  Denkens,  also  letzterfüilende  Anschauung  in 
einer  adäquaten  Wahrnehnuing  desselben.  Und  natürlich  ist  hier, 
wie  sonst,  das  blofse  Sein  eines  Erlebnisses  noch  keine  An- 
schauung'und  speciell  "Wahrnehmung  von  ihm.  Es  ist  zu  beachten, 
dafs  überhaupt  in  unserem  Gegensatz  zwischen  Gedanke  oder  In- 
tention und  erfüllender  Anschauung,  unter  Anschauung  keineswegs 
die  blofse  äufsere  Anschauung,  die  Wahrnehmung  oder  Imagination 
von  äufeeren,  physischen  Gegenständlichkeiten,  zu  verstehen  ist 
Auch  die  „innere"  Wahrnehmung  oder  Bildlichkeit  kann,  wie 
aus  dem  eben  discutirten  Beispiel  zu  ersehen,  und  übrigens  nach 
dem  Wesen  des  Vorstellens  selbstverständlich  ist,  als  erföUende 
Anschauung  fungiren. 

§  20.     Echtt  Veranschaulichungen  in  jeder  Erfüllung. 
Eigentliche  und  uneigenlliche  Veranschaulichung. 

Nachdem  wir  den  Unterschied  der  mittelbaren  Vorstellungen 
und  der  Voretellungsvorstellungon  hinreichend  betont  und  geklärt 
haben,  wird  es  gut  sein,  andererseits  auch  auf  ihr  Gemeinsames 
hinzublicken.  Jede  mittelbare  Vorstellung  schliefst,  nach  der 
obigen  Analyse,  Vorstellungsvorstellungen  ein,  nämlich  dadurch, 
dafs  sie   ihren  Gegenstand  als  Gegenstand  gewisser  in    ihr  vor- 


gestellter  Vorstellungen  meint  So  z.  B.  wenn  wir  1000  als  10', 
d.  h.  als  die  Zahl  vorstellen,  welche  als  Gegenstand  derjenigen 
Torstellung  charaktensirt  ist,  die  ihrerseits  in  der  Ausführung 
der  angezeigten  Potenzirung  erwachsen  wüi-de.  Daraus  geht  aber 
hervor,  dafs  echte  Veranschaulichungen  die  wesentliche 
Rollo  bei  jeder  Erfüllung  mittelbarer  Intentionen,  und 
bei  jedem  Schritte  dieser  Erfüllung,  spielen.  Die  Cha- 
rakteristik eines  Gegenstandes  als  Gegenstandes  einer  vorgestell- 
ten Vorstellung  (oder  als  eines,  zu  so  definirten  Gegenständen 
in  gewisser  Beziehung  Stehenden)  setzt  in  der  Erfüllung  die  Er- 
füllung der  Vorstellungsvorstellungen  voraus,  und  diese  einge- 
wobeuen  intuitiven  Erfüllungen  geben  der  gesammten  Iden- 
tification allererst  den  Charakter  einer  Erfüllung.  Die  Zunahme 
an  „Fülle"  besteht  schrittweise  in  nichts  Anderem,  als  dafs  nach 
und  nach  alle  Vorstellungsvorstellungen,  sei  es  die  von  vornherein 
eingewobenen,  sei  es  die  in  der  Erfüllung  neu  auftretenden, 
durch  realisirende  „Construction"  der  jeweils  vorgestellten  Vor- 
stellungen und  durch  Anschauung  dieser  realisirten,  erfüllt 
werden,  so  dafs  schliefslich  die  herrschende  Gesammtintention 
mit  ihrem  Ueber-  uad  Ineinander  von  Intentionen,  mit  einer  un- 
mittelbaren Intention  identificirt  erscheint.  Dabei  hat  diese  Iden- 
tification auch  als  Ganzes  den  Charakter  der  Erfüllung.  Wir 
werden  diese  Art  der  Erfüllung  aber  zu  den  uneigentlichen 
Veranschaulichungen  rechnen  müssen;  denn  als  eigentliche  Ver- 
anschaulichung werden  wir  mit  Grund  eine  solche  bezeichnen, 
welche  nicht  in  beliebiger  Weise  Fülle  herbei schafi't,  sondern  aus- 
schliefslich  so,  dafs  sie  dem  von  der  Oesainmtvorstellung  vor- 
gestellten Gegenstande  den  Zuwachs  an  Fülle  ertheilt,  d.  h.  ihn 
mit  gröfserer  Fülle  voi-stellig  macht.  Im  Grunde  besagt  dies  aber 
nichts  Anderes,  als  dafs  eine  blofse  signitive  lutention  überhaupt 
keine  Fülle  hat,  vielmehr  alle  Fülle  in  der  actuellen  Vergegen- 
wärtigung von  Bestimmtheiten  liegt,  die  dem  Gegenstand  selbst 
zukommen. 

Wir  werden  diesen  letzteren  Gedanken  bald  weiter  verfolgen. 
Hier  setzen   wir   fort,   dafs   der  genannte    Unterschied   zwischen 

Bnsiarl,  Lof.  Unten.  II.  3g 


I 


eigentlicher  und  uueigentliclier  Veranschaulicliuug  auch  als  eiu 
solcher  zwischen  eigentlicher  und  uneigentlicher  Erfüllung 
bezeichnet  werden  kann,  sofern  die  Intention  auf  ihreu  Gegenstand 
abzielt,  nach  ihm  gleichsam  begehrend  langt,  und  Erfüllung  im 
prägnanten  Sinne  nun  als  Ausdruck  dafür  gelten  kann,  dals 
der  Intention  mindestens  etwas  von  der  Fülle  des  Gegenstandes 
zugeführt  wird.  Indessen  müssen  wir  dabei  festhalten,  dafs  die 
uneigentllchcu  und  eigentlichen  Erfüllungen  innerhalb  der  Identi- 
ficirungssynthesen  durch  einen  gemeinsamen  phänomenologischen 
Charakter  (der  Erfüllung  im  weiteren  Sinne)  ausgezeichnet  sind, 
und  dufs  es  ein  eigener  Satz  ist,  welclier  lehrt,  dafs  alle  un- 
eigentliche Erfüllung  eigentliche  Erfüllungen  implicire, 
also  den  Erfülhuigscharakter  diesen  eigentlichen  „verdanke". 

Um  den  Uutoi-schied  zwischen  eigentlicheu  und  uneigentlichen 
VeranschauÜchungeu  etwas  genauer  zu  umschreiben  und  zugleich 
eine  Beispielsklasse  zu  erledigen,  bei  welcher  uneigentliche  Ver- 
anschauliuhuiigen  ganz  mit  dem  Anschein  wahrhafter  auftreten, 
führen  wir  noch  Folgendes  aus. 

Nicht  immer,  wenn  die  Erfüllung  einer  signitiven  Intention 
sich  auf  Grund  einer  Anschauung  vollzieht,  sind  die  Materien 
der  beiderseitigen  Acte,  wie  es  oben  vorausgesetzt  war,  im  Ver- 
hältnis der  Deckung,  so  dafs  der  intuitiv  erscheinende  Gegen- 
stand selbst  als  der  in  der  Bedeutung  gemeinte  dasteht  Nur 
wo  dies  zutrifft,  ist  aber  im  wahren  Sinn  von  Veranschau- 
lichuug  zu  sprechen,  nui"  dann  ist  der  Gedanke  in  der  Weise 
der  Wahrnehmung  realisirt,  in  der  Weise  der  Imagination  illustrirt 
Anders  wenn  die  erfüllende  Anschauung  einen  Gegenstand  er- 
scheinen läfst,  der  den  Charakter  eines  indirecten  Repräsentanten 
hat;  z.  B.  wenn  bei  der  Nennung  eines  geographischen  Namens 
die  Phantasievorstellung  einer  Landkarte  auftaucht  und  mit  der 
Bedeutungsintention  dieses  Namens  verschmilzt;  oder  wenn  eine 
Behauptung  in  Betrefl'  gewisser  Strafsen Verbindungen,  Flufe- 
läufe,  Gebirgszüge  durch  die  Einzeichnungeu  einer  vorliegenden 
Karte  bestätigt  werden.  Hier  ist  die  Anschauung  iu  wahrem 
Sinne  garnicht  als  erfüllende  zu  bezeichnen,  ihre  eigene  Materie 


tritt  garnicht  in  Action;  das  wirkliclio  Erfüllungsfundament  liegt 
nicht  in  ihr,  sondern  in  einer  mit  ihr  verwobunen  und  offenbar 
signitiven  Intention.  Dafs  der  ersclieiuende  (iegenstuiid  hier 
als  indirecter  Repräsentant  für  den  bedeuteten  und  genannten 
Gegenstand  fungirt,  das  besagt  ja  phäuomenolugisch,  dafs  die  ihn 
constituirende  Anschauung  Trägerin  einer  neuen  Intention  ist, 
welche  über  ihn,  den  ei'scheinenden  Gegenstand,  hinausweist  und 
ihn  eben  dadurch  als  ein  Zeichen  charukterisirt.  Die  eventuell 
vorhandene  Analogie  des  Erscheinenden  und  des  Gemeinten  be- 
stimmt hier  nicht  eine  schlichte  Bildvorsteilung,  sondern  eine  auf 
die  Bildvorstellung  aufgebaute  Zeichenvorstollung.  Der  Umrifs  von 
England,  wie  ihn  die  Landkarte  malt,  mag  die  Form  des  Landes 
selbst  abbilden;  aber  die  bei  der  Rede  von  England  auftauchende 
Phantasievorstellung  der  Karte  meint  nicht  England  selbst  in 
bildlicher  Weise,  auch  nicht  mittelbar,  in  der  Weise  des  durch 
diese  Karte  Abgebildeten;  sondern  sie  meint  England  in  der 
Weise  des  blofseu  Zeichens,  dank  den  äufserlichen  Beziehungen 
der  Association,  die  all  unsere  Kenntnisse  über  Land  und  Leute  an 
das  Kartenbild  angeknüpft  hat.  Daher  gilt,  indem  die  nominale 
Intention  sich  auf  Grund  dieser  Phantasievorstellung  erfiiUt,  nicht 
das  in  der  letzteren  imaginirte  Object  (die  Landkai-te),  sondern 
das  von  diesem  erst  repräsentirte  Object  als  dasselbe,  wie  das 
mit  dem  Namem  Gemeinte. 


§  21.     Die  „Fülle"  der   VorsUllung. 

Doch  es  wii'd  jetzt  noth wendig  sein,  die  Leistung  der  intuitiven 
Intentionen  näher  ins  Auge  zu  fassen.  Nachdem  die  Erfüllung 
der  mittelbaren  Intentionen  auf  die  Erfüllung,  und  zwar  auf  die 
intuitive  ErfiUlung  unmittelbarer  Intentionen  zurückführt,  und  sich 
auch  herausgestellt  hat,  dafs  das  leti;te  Ergebnis  des  ganzen 
mittelbaren  Processes  eine  unmittelbare  Intention  ist,  so  interessirt 
uns  jetzt  die  Frage  nach  der  intuitiven  Erfüllung  unmittelbarer 
Intentionen  und  nach  den  hiebei  waltenden  Erfüllungsverhältnissen 
und  -gesetzen.  Diese  Frage  nehmen  wir  tdsu  in  Angrifl".  Bei 
den  folgenden  Untersuchungen  soU,  worauf  wir  gleich  aufmerksam 

3ä* 


inacben,  bezüglich  der  intentioiialen  Wesen  die  Materie  allein  mafs- 
gebend  sein  für  die  festzustellenden  Verhältnisse.  Die  Qualitäten 
(Setzung  und  „blofse"  Vorstellung)  können  also  beliebig  ange- 
nommen werden. 

Wir  beginnen  mit  folgendem  Satze: 

Zu  jeder  intuitiven  Intention  gehört  —  im  Sinne  idealer 
Möglichkeit  gesprochen  —  eine  sich  der  Materie  nach  ihr  genau 
anmessende  signitive  Intention.  Diese  Einheit  der  Identificirung 
besitzt  nothwendig  den  Charakter  einer  Erfülhingseinheit,  in  wel- 
cher das  intuitive,  nicht  das  signitive  Glied  den  Charakter  des 
erfüllenden,  und  dann  auch  des  im  eigentlichsten  Sinne  Fülle 
gebenden  hat. 

Den  Sinn  dieses  Letzteren  drücken  wir  nur  anders  aus, 
wenn  wir  sagen,  dafs  die  signitiven  Intentionen  in  sich  „leer" 
und  „der  Fülle  bedürftig"  sind.  Im  üebergang  von  einer  signi- 
tiven  Intention  zur  entsprechenden  Anschauung  erleben  wir  nicht 
nur  eine  blofse  Steigerung,  wie  beim  Uebergang  von  einem  abge- 
blafsten  Bilde  oder  einer  blofsen  Skizze  zu  einem  voll-lebendigen 
Gemälde.  Vielmehr  fehlt  der  signitiven  Vorstellung  für  sich  jedwede 
Fülle,  erst  die  intuitive  Vorstellung  bringt  sie  an  sie  heran  und 
durch  die  Identificirung  in  sie  hinein.  Die  signitive  Intention 
weist  blofs  auf  den  Gegenstand  hin,  die  intuitive  macht  ihn  im 
prägnanten  Sinne  vorstellig,  sie  bringt  etwas  von  der  Fülle  des 
Gegenstandes  selbst.  Wie  weit  das  Bild  im  Falle  der  Imagination 
hinter  dem  Gegenstande  zurückbleiben  mag,  es  hat  mancherlei 
Bestimmtheiten  mit  ihm  gemein;  und  mehr  als  das,  es  „gleicht" 
ihm,  es  bildet  ihn  ab,  und  so  ist  er  „wirklich  vorstellig".  Die 
signitive  Vorstellung  aber  stellt  nicht  durch  Analogie  vor,  sie  ist 
„eigentlich"  garnicht  „Vorstellung",  vom  Gegenstande  wird  in 
ihr  nichts  lebendig.  Die  completo  Fülle  als  Ideal  ist  also  die 
Fülle  des  Gegenstandes  selbst,  als  Inbegriff  der  ihn  constituirenden 
Bestimmtheiten.  Die  Fülle  der  Vorstellung  aber  ist  der  In- 
begriff derjenigen  ihr  selbst  zugehörigen  Bestimmtheiten,  mittelst 
welcher  sie  ihren  Gegenstand  analogisirend  vergegenwärtigt  oder 
ihn  als  selbst   gegebenen  eifafst.     Diese  Fülle   ist  also  nebeni 


Qualität  und  Materie  ein  charakteristisches  Moment  der 
Vorstellungen;  ein  positives  Bestandstück  freilich  nur  bei  den 
intuitiven  Vorstellungen,  ein  Manko  bei  den  signitiven.  Je  „klarer" 
die  Vorstellung  ist,  je  gröfser  ihre  „Lebendigkeit",  je  höher 
die  Stiifo  der  Bildlichkeit,  die  sie  ei-stcigt:  umso  reicher  ist 
sie  an  Fülle.  Das  Ideal  der  Fülle  wäre  demnach  in  einer 
Vorstellung  erreicht,  die  ihren  Gegenstand,  den  volten  uud  ganzen, 
in  ihrem  phänomenologischen  Inhalt  beschlösse.  Das  vermag 
sicherlich ,  wenn  wir  zur  Fülle  des  Gegenstandes  auch  die  indivi- 
du.alisirondon  Bestimmtheiten  rechnen,  keine  Imagination,  vielmelir 
nur  die  Wnhrnelinumg.  .Sehen  wii'  von  diesen  Bestimmtheiten 
jedoch  ab,  so  ist  hiemit  auch  für  die  Imagination  ein  Ideal 
bestimmt  bezeichnet. 

Wir  hätten  also  auf  die  Merkmale  des  vorgestellten  Gegen- 
standes zurückzugehen:  je  mehr  dieser  Merkmale  an  der  analogi- 
schen Repräsentation  betheiligt  sind,  und  für  jedes  einzelne: 
je  gröfeer  die  Steigerung  der  Aehnlichkeit  ist,  mit  welcher  die 
Vorstellung  dieses  Merkmal  in  ihrem  eigenen  Inhalt  repräsentirt  — 
umso  gröfser  ist  die  Fülle  der  Vorstellung.  In  gewisser  Weise 
ist  allerdings,  wie  in  jeder,  so  in  der  bildlichen  Vorstellung  jedes 
Merkmal  ihres  Gegenstandes  mitgemeint;  aber  nicht  jedes  ist 
analogisch  repräsentirt,  nicht  zu  jedem  gehört  im  phänome- 
nologischen Inhalt  der  Vorstellung  ein  eigenes,  es  sozu- 
sagen analogisirendes  (verbildlichendes)  Moment.  Der 
Inbegriff  dieser  miteinander  innig  verschmolzenen 
Momente,  als  Fundamente  der  rein  intuitiven  (hier  rein  imagi- 
nativen) Auffassungen  gedacht,  die  ihnen  erst  den  Charakter  von 
Repräsentanten  der  entsprechenden  gegenständlichen  Momente  gebem 
macht  die  Fülle  der  imaginativen  Voretellung  aus.  Ebenso  bei 
der  Wahrnehmongsvorstellung.  Hier  kommen  neben  den  imagi- 
nativen Repräsentationen  auch  perceptive  Präsentationen,  Selbst- 
erfassungen, Selbstdarstellungen  gegonstäiidlieher  Momente  in  Be- 
tracht. Nehmen  wir  den  Inbegril!  der,  sei  es  imaginativ  oder 
perceptiv  fungirenden  Momente  der  Wahmehmungsvorstellung  zu- 
sammen, so  haben  wir  damit  die  Fülle  derselben  abgegrenzt. 


I 


§  22.     F^ille  und  „intuitiver  Geholt". 

Genau  besehen  ist  tier  BegrifF  der  Fülle  noch  mit  einer  Doppel- 
deiitigkeit  hebaftet.  Man  kann  die  oben  bezeichneten  Momente 
nach  ihrem  eigenen  inhaltliclieu  Bestände  ins  Auge  fassen,  unter 
Abstraction  von  den  Functionen  reiner  Imagination  und  Perception, 
die  ihnen  erst  den  Werth  der  Bildlichkeit  oder  Selbstabschattung, 
und  somit  ihren  Werth  für  die  Erfiillungsfunction.  geben.  Man 
kann  andererseits  diese  Momente  in  ihrer  Auffassung,  also  nicht 
diese  Momente  allein,  sondern  die  vollen  Bilder  oder  Selbstabscbat- 
tungen  betrachten;  also,  unter  blofsem  Ausschluss  der  intentionalen 
Qualitäten,  die  ganzen  rein  intuitiven  Acte,  welche  diese  Momente, 
indem  sie  sie  gegenständlich  deuten,  zugleich  in  sich  schliefsen. 
Diese  „rein  intuitiven"  Acte  verstehen  wir  als  blofse  Bestandstücko 
der  vorgegebenen  Anschauungen,  nämlich  als  dasjenige  in  den 
Anschauungen,  was  den  vorhin  näher  bezeichneten  Momenten  die 
Beziehung  zu  ihnen  entsprechenden  und  durch  sie  darge- 
stellten gegenständlichen  Bestimmtheiten  verleiht;  mr  schliefsen 
somit  (abgesehen  von  den  Qualitäten)  die  etwa  zudem  nocli  ein- 
geknüpften aignitiven  Beziehungen  auf  weitere,  nicht  zu 
eigentlicher  Darstellung  kommenden  Theile  oder  Seiten  des 
Gegenstandes  aus. 

Offenbar  sind  es  diese  rein  intuitiven  Bestandstücke,  welche 
den  Acten  als  Ganzen  den  Charakter  von  Wahrnehmungen  und 
Bildvorstellungen,  kurz  den  intuitiven  Charakter  ertheilen,  und 
welche  im  Zusammenhang  der  Erfüllungsreihen  als  Fülle  gebend 
und  vorhandene  B'ülle  steigernd  oder  bereichernd  fungiren.  Wir 
werden,  um  der  Doppeldoutigkeit  der  Rede  von  der  Fülle  zu  be- 
gegnen, unterscheidende  Termini  einführen: 

Unter  darstellenden  oder  inlnitiv  repräsentirenden 
Inhalten  verstehen  wir  diejenigen  Inhalte  intuitiver  Acte,  welche 
vermöge  der  rein  imaginativen  oder  perceptiven  Auffassungen, 
deren  Träger  sie  sind,  auf  ihnen  bestimmt  entsprechende  Inhalte 
des  Gegenstandes  eindeutig  hinweisen,  sie  in  der  Weise  von 
imaginativen  oder  perceptiven  Abschattungen  darstellen.     Die  sie 


in  dieser  Weise  charakterisirenden  Actmomente  schliefsen  wir 
jfidi)ch  aus.  Da  der  Charakter  der  Imagination  in  der  analogisi- 
renden  Abbildung,  in  der  „Re-präsentetion"  in  einem  engeren  Sinne 
liegt,  der  Charakter  der  Wahrnehmung  aber  auch  als  Präsentation 
bezeichnet  werden  kann,  so  bieten  sich  als  untersclieidende  Namen 
für  die  darsteHemlen  Inhalte  im  einen  und  anderen  Fall  die  Namen: 
nnalogisirendc  oder  abbildende  und  präsentirende  oder 
selbstdarstellende.  Auch  die  Ausdrücke  imaginativ  and  per- 
reptir  abschattende  Inhalte  sind  recht  bezeichnend.  Die  dar- 
stellenden Inhalte  der  äufseren  Wahrnehmung  definiren  den  Be- 
grifT  der  Empfinditnfi  im  gewöhnlichen,  engen  Sinn.  Die  dar- 
.stellenden  Inhalte  der  äufseren  Phantasie  sind  die  sinnlichen 
Phayitasmen. 

Die  darstellenden  oder  intuitiv  repräsentirenden  Inhalte  in 
und  mit  der  ihnen  zugehörigen  Auffassung  nennen  wir  den 
intuitiven  Oehalt  des  Actes  und  sehen  dabei  immernoch  von 
der  Qualität  des  Actes  (ob  sie  setzende  ist  oder  nicht),  als  für 
alle  hier  fraglichen  Unterscheidungen  gleichgiltig,  ab.  Vom  intui- 
tiven Gehalt  ausgeschlossen  sind  nach  dem  Obigen  ferner  alle 
signitiven  Componenten  des  Actes. 


§  23.     Die    Oemchtsverhälinisse   zwischen    intuitit>em    und  signitivem 

GehaH  ein  und  desselben  Actes.    Reine  Intuition  und  reine  Sitfnification. 

Walirnehmungainhalt  und  BUdinlialt,  reine   Wahrnehmung  und  reine 

Imagination.     Die   ffradalionen  der  Fülle, 

Zur  vollen  Klärung  der  eben  abgegrenzten  Begriffe  und  zur 
leichteren  Abgrenzung  einer  Reihe  neuer,  im  selben  Boden  wur- 
zelnder Begriffe  stellen  wir  folgende  Ueberlegung  an. 

In  einer  anschaulichen  Vorstellung  ist  ein  Gegenstand  in  der 
Weise  der  Imagination  oder  Perception  gemeint;  er  „kommt"  in 
ihr,  mehr  oder  minder  vollkommen  „zur  Erscheinung".  Nothwendig 
müssen  jedem  Theil,  überhaupt  jeder  Bestimmtheit  des  Gegenstandes, 
und  zwar  als  des  hie  et  nunc  gemeinton,  gewisse  Momente  oder 
Stücke  des  Actes  entsprechen.  Worauf  sich  kein  Meinen  bezieht, 
das  ist  für  die  Vorstellung  niciit  vorhanden.     Nun  finden  wir  im 


p 


Allgemeinen   die  Möglichkeit  zur  folgenden   pbänomenologiscben 

Unterscheidung  gegeben : 

1.  der  rein  intuitive  Oehalt  des  Actes,  als  dasjenige,  vras 
im  Acte  dem  Inbegriff  der  „in  die  Ei-scheinung  fallenden" 
Bestimmtheiten  des  Objectes  entspricht; 

2.  der  signitive  Gehalt  des  Actes,  imgleichen  entsprechend 
dem  Inbegriff  der  übrigen,  zwar  mitgemeinten,  aber  nicht 
selbst  in  die  Erscheinung  fallenden  Bestimmtheiten. 

So  machen  wir  ja  alle,  und  zwar  rein  phänomenologisch,  in 
der  Anschauimg  einer  Dingwahrnehmung  oder  eines  Bildes  den 
Unterschied  zwischen  dem,  was  darin  vom  Objecto  wirklich  zur 
Erscheinung  komme,  zwischen  der  blofsen  „Seite",  von  welcher 
es  sich  uns  zeige,  und  dem,  was  der  Darstellung  ermangle,  was 
durch  andere  phänomenale  Objecto  verdeckt  sei  u.  dergl.  Offenbar 
liegt  im  Sinn  dieser  Rede,  was  die  phänomenologische  Analyse 
in  gewissen  Grenzen  sicher  bewährt,  dafs  auch  Nicht-Dargestelltes 
in  der  anschaulichen  VorsteHung  mitgemeint  ist,  und  ihr  somit 
ein  Gehalt  an  signitiven  Componenten  zugeschrieben  werden  mufs. 
Von  ihm  müssen  wir  erst  abstrahiren,  wenn  wir  den  intuitiven 
Inhalt  rein  erhalten  wollen.  Dieser  Letztere  giebt  dem  darstellen- 
den Inhalt  seine  directe  Beziehung  zu  entsprechenden  gegenständ- 
lichen Momenten,  und  erst  durch  Contiguität  knüpfen  sich  an  ihn 
die  neuen,  iusofem  also  mittelbaren  Intentionen  signitiver  Art. 

Definireu  wir  nun  als  das  Geivicht  des  intuitiven,  bezw.  signi- 
tiven  Inhalts  den  Inbegriff  der  intuitiv,  bezw.  signitiv  vorgestellten 
gegenständlichen  Momente,  so  ergänzen  sich  die  beiden  Gewichte 
in  jeder  Vorstellung  zur  Einlieit  des  Gesammtgewichts,  d.  i.  zum 
Gesammtinbegriff  der  gegenständlichen  Bestimmtheiten.  Es  gilt 
also  jederzeit  die  symbolische  Gleichung 

i  +  s—\. 
Die  Gewichte?'  und  s  können  offenbar  vielfach  variiren:  derselbe, 
intentional  derselbe  Gegenstand  kann  mit  versciiiedenen,  und  bald 
mit  weniger,  bald  mit  mehr  Bestimmtheiten  intuitiv  werden;  dem- 
entsprechend ändert  sich  auch  der  signitive  Inhalt,  er  wächst  oder 
nimmt  ab. 


:^ 


Zur  Phänomenologie  der  Erksnntnisstufen.  553 

Ideell  ergiebt  sich  nun  die  Mcigliclikeit  zweier  Grenzfälle: 
i  ^  0  s  =  i, 

i=  1  8  =  0. 

Tm  ersten  Fall  hätte  die  Vorstellung  nur  einen  signitiven  Inhalt;  von 
ihrem  intentioralen  Gegenstände  bliebe  keine  Bestimmtheit  übrig, 
die  sie  in  ihrem  Inhalte  zur  Darstellung  brächte.  Die  uns  speciell 
als  reine  Bedeutungsintentionen  wolbekannten  rein  signitiven  Vor- 
stellungen erscheinen  also  hier  als  firenztalle  der  intuitiven. 

Im  zweiten  Falle  enthält  die  Vorstellung  gar  keinen  signi- 
tiven Inhalt.  Alles  an  ihr  ist  Fülle;  keinTheil,  keine  Seite,  keine 
Bestimmtheit  ihres  Gegenstandes,  die  nicht  intuitiv  dargestellt, 
keine,  die  blofs  indirect  mitgemeint  wäre.  Nicht  nur  ist  alles, 
was  dargestellt  ist,  gemeint  (was  ein  analytischer  Satz  ist),  sondern 
es  ist  auch  alles  Gemeinte  dargestellt.  Diese  uns  neuen  Vorstellun- 
gen definiren  wir  als  reine  Anschanungen.  Wir  gebrauchou 
übrigens  diesen  Ausdruck  in  einem  unseluidlichen  Doppelsinn: 
bald  80  dafs  der  volle  Act  befafst  ist,  bald  unter  Abstraction  von 
der  Qualität.  Unterscheidend  können  wir  von  qualificirten  und 
nicht -iiualificirlen  reinen  Anschauungen  sprechen.  Ebenso 
auch  bei  allen  verwandten  Acten. 

Nim  können  wir  doch  in  jeder  Vorstellung  von  den  signitiven 
Componenten  abstrahiren,  indem  wir  uns  auf  das  beschränken, 
was  in  ihrem  repräsentativen  Inhalt  wirklich  zur  Repräsentation 
kommt.  "Wir  können  also  eine  reducirtc  Vorstellung  bilden, 
mit  einem  derart  rcdiicirten  Gegenstande,  dafs  sie  in  Beziehung 
auf  ihn  reine  Anschauung  ist.  Demgemäi's  können  wir  auch 
sagen,  der  intuitive  Gehalt  einer  Vorstellung  befasse  dasjenige, 
was  in  ihr  reine  Anschauung  sei;  wie  wir  dann  auch  hin- 
sichtlich des  Gegenstandes  von  seinem  rein  intuitiven,  nämlich 
in  dieser  Vorstellung  zu  reiner  Intuition  kommenden  Inhalt 
sprechen  dürfen.  Dies  überträgt  sich  auf  den  signitiven  Gehalt 
der  Vorstellung,  wir  können  ihn  als  dasjenige  bezeichnen,  was  an 
ihr  reine  Signification  ist. 

Der  gesammte  jeweilige  Act  der  Anschauung  besitzt  nun 
entweder  den  Charakter  der  Wahrnehmung  oder  den  der  Bildvor- 


Stellung.  Der  intuitive  Gehalt  höifst  dann  specioU  pereeptiver 
oder  Wnhrnehmungsinhnlt,  bezw.  imaginativer  oder  Bild- 
inhalt. Er  ist  niclit  zu  verwechseln  mit  dem  imnginativ  dar- 
stellenden, abhildenden  Inhalt  im  oben  definirten  Sinne. 

Dor  Wahr)iehmun£;sinhalt  befafst,  obsolion  in  der  Retrel  nicht 
anssrhliefelioli,  präsentirendo  Inhalte;  der  Bildinbalt  nur  analogi- 
sirende  Inhatte.  Dafs  diese  leteteron  Inhalte  mitunter  noch  eine 
andere  Auffassung  zulassen,  in  der  sie,  wie  im  Falle  der  physischen 
Bilder,  als  präsentirende  fungiren,  thut  nichts  zur  Sache. 

Vermöge  der  Mischung  zwischen  perceptiven  und  imaginativen 
Componenten,  welche  der  intuitive  Inhalt  einer  "Wahrnehmung 
znläfst  und  in  der  Regel  aufweist,  können  wir  wieder  eine 
Sonderung  vorgenommen  denken,  wonach  nämlich  der  Wahr- 
nohmungsinhaU  in  den  reinen  WakrnfhmungsinhaU  und  einen 
ergänzenden  Bildinbalt  zerfällt  wird. 

Ebenso  in  jeder  reinen  Anschauung.  Sind  Wr  und  ü»,  die  Ge- 
wichte ihrer  rein  perceptiven,  bezw.  imaginativen  Componenten, 
so  können  wir  die  symbolische  Gleichung  ansetzen 

wobei  1  das  Gewicht  des  intuitiven  Gesammtinhalts  der  reinen  An- 
schauung, also  den  Gesammtinhalt  ihres  Gegenstandes  symbolisirt. 
Ist  nun  hr  =  ö,  d.  h.  die  reine  Anschauung  von  allem  Bild- 
inbalt frei,  so  heifst  sie  reine  Wahrnehnuing,  oder  besser  reine 
Pcrcepfion.;  denn  vom  qualitativen  Charakter,  den  der  Sinn 
des  Terminus  Wahrnehmung  als  setzenden  mitzubefassen  pflegt, 
soll  hier  abgesehen  bleiben.  Ist  umgekehrt  ?r,  =  fl,  so  heifst  die 
Anschauung  reine  Bild  Vorstellung  frri)ie  Imagination).  Die  „Rein- 
heit" der  reinen  Wahniehmung  bezieht  sich  also  nicht  nur  auf 
signitive,  sondern  auch  auf  imaginative  Zuthaten.  Die  Einschrän- 
kung einer  unreinen  WahrnebmuDg  durch  Ausscheidung  der  symbo- 
lischen Componenten  liefert  die  ihr  einwohnende  reine  Anschauung, 
und  erst  ein  weiterer  Schritt  der  Redurtion,  die  Ausscheidung 
alles  Bildlichen,  liefert  den  Gebalt  an  reiner  Wahrnehmung. 

Ist  nicht  in  der  reinen  Wahiuebmung  der  darstellende  Inhalt 
identisch    mit  dem  Gegenstande  selbst?     Das  Wesen  der  reinen 


Präsentation  besteht  doch  darin,  reine  Selbstdarstellung  des  Gegen- 
standes zu  sein,  also  den  diu-stel! enden  Inhalt  direct  (in  der  Weise 
des  „selbst")  als  ihren  Gegenstand  zu  meinen.  Doch  das  wäre 
ein  Trugschlufs.  Die  Wahrnehmirng,  als  Präsentntion,  fafst  den 
darstellenden  Inhalt  so,  dafs  mit  und  in  ihm  der  Gegenstand  als 
selbst  gegeben  erscheint.  Rein  ist  die  Priisentatiou  dann,  wenn 
jeder  Theil  des  Gegenstandes  im  Inhalte  wirklich  priisentirt  und 
keiner  blofs  imaginirt  oder  symbolisirt  ist.  So  wie  im  Gegen- 
stände nichts  ist,  was  nicht  präsentirt,  so  im  Inhalte  nichts,  was 
nicht  präsentirend  ist.  Trotz  dieser  genauen  Correspondenz  kann 
die  Selbstdarstelhing  den  Charnkter  einer  blofsen,  wenn  aucli  all- 
seitigen Äbschattung  (eines  vollständigen  „Wahniehmungsbildes") 
haben,  sie  braucht  nicht  an  das  Ideal  der  Adäquation  heranzu- 
reichen, bei  dem  der  darstellende  Inhalt  zugleich  der  dargestellte 
ist.  Die  reine  Bildvorstellung,  die  ihren  Gegenstand  vermöge  ihrer 
Reinheit  von  allen  signitiven  Zuthaten  vollständig  verbildlicht,  be- 
sitzt in  ihrem  darstellenden  Inhalt  ein  vollständiges  Analogen  des 
Gegenstandes.  Dieses  Analogon  kann  sich  dem  Gegenstand  mehr 
oder  minder  annähern,  bis  zur  Grenze  der  vollen  Gleichheit  Genau 
dasselbe  kann  auch  von  der  reinen  Wahrnehmung  gelten.  Nur 
darin  besteht  der  Unterschied,  dafs  die  Imagination  den  Inhalt 
als  Analogon,  als  Bild  auffafst,  die  Wahrnehmung  aber  als  Selbst- 
erscheinung des  Gegenstandes.  Nicht  blofs  die  reine  Imagination, 
auch  die  reine  Wahrnehmung  läfst  darnach  bei  Festhaltung  ihres 
Intention alen  Gegenstandes  noch  Unterschiede  der  Fülle  zu. 


Hinsichtlich  der  Gradationen  der  Fülle  an  intuitivem 
Inhalt,  mit  welchen  die  Gradationen  der  Fülle  an  ropräsentiren- 
dem  Inhalt  eo  ipso  parallel  laufen,  können  wir  unterscheiden: 

1.  den  Umfang  oder  Reichthum  an  Fülle,  wechselnd, 
je  nachdem  der  Inhalt  dos  Gegenstandes  mit  gröfserer  oder 
geringerer  Vollständigkeit  zur  Darstellung  kommt. 

2.  die  Lebendigkeit  der  Fülle  als  Grad  der  Annäherung 
der  primitiven  Aebniichkeiten  der  Darstellung  an  die  ent- 
sprechenden Inhaltsmomente  des  Gegenstandes, 


3.  den  Realitatsgohalt  der  Fülle,  ihr  Mehr  oder  "Weniger 
an  präsentirenden  Inhalten. 

In  allen  diesen  Beziehungen  stellt  die  adäquate  Wahrnehmung 
das  Ideal  dar,  sie  hat  das  Maximum  des  ümfangs,  der  Lebendig- 
keit und  der  Realität,  eben  als  Selbsterfassung  des  vollen  nnd 
ganzen  Objects. 

§  24.     Steigerungsreihen  der  Erfüllung. 

Die  Rede  von  der  „Fülle"  fürmten  wir  mit  Beziehung  am 
die  Verhältnisse  der  „Erfftlhing",  dieser  eigenthümlichen  Form 
der  Synthesis  der  Identiticirung.  In  den  letzten  Feststellungen 
haben  wir  aber  nicht  nur  den  Begriff  der  Fülle,  sondern  auch 
die  Unterschiede  ihrer  gröfseren  oder  geringeren  Vollständigkeit, 
Lebendigkeit,  Realität,  und  somit  auch  die  Abstufungen  der  Bild- 
lichkeit und  Abscliattung,  durch  Verhältnisse  innerer  Momente 
der  Vorstellungen  zu  einander  und  zu  den  intendirten  gegenständ- 
lichen Momenten  erklärt.  Es  ist  jedoch  evident,  dafs  diesen 
Verhältnissen  mögliche  Steigerungsreihen,  gebaut  aus  Er- 
füll ungs  Synthesen,  entsprechen. 

Erfüllung  stellt  sich,  auf  Grund  erster  Zuwendung  einer 
Fülle  überhaupt,  in  der  identificirenden  Anpassung  „correspon- 
dirender"  Anschauung  an  eine  signitive  Intention  ein.  Der  in- 
tuitive Act  „giebt"  dem  signitiven  im  Deokungszusammenhang 
seine  Fülle.  Das  Steigorungsbewufstsein  gründet  hier  in  der 
Partialdeckung  der  Fülle  mit  dem  correlaten  Theil  der  signitiven 
Intention,  während  der  Identificirung  der  einander  entsprechenden 
Leerstücke  der  beiderseitigen  Intentionen  kein  Antheil  am  Steige- 
rungsbewufstsein  wird  zugeschrieben  werden  können. 

Coutinuiiliche  Steigerung  der  Erfüllung  vollzieht  sich 
dann  weiter  in  der  Continuität  intuitiver  Acte,  bezw.  Erfüllungs- 
reiben, welche  den  Gegenstand  mit  immer  mehr  erweiterter  und 
gesteigerter  Bildlichkeit  vorstellen.  Dafs  B.^  ein  „vollkommeneres" 
Bild  als  Bi  ist,  besagt,  dafs  im  synthetischen  Zusammenhang 
der  zugehörigen  Bildvorstellungen  Erfüllung,  und  nach  Seiten  des 
jB,  Steigerung  statthat.     Zu  Steigerungen  gehören,  wie  überhaupt, 


so  auch  hier  Abstände,  und  in  der  Verkettung  der  Verhältnisse 
„Transitivität".  Ist  also  zugleich  Z?,  >  2?j  und  i?3>i?2,  so  ist 
Sä>ß,,  und  dieser  letztere  Abstand  ist  gröfeer  als  die  ihn  ver- 
mittelnden Abstände.  So  zum  Mindesten,  wenn  wir  die  drei  oben 
unterschiedenen  Momente  der  Fülle:  Umfang,  Lebendigkeit  und 
Realität  gesondert  in  Rechnung  ziehen. 

Diesen  Steigerungen  und  Steigerungsreihen  entssprechen,  wie 
die  Analyse  lehrt,  Aehnlichkeiten  und  Aehnüchkeitsreihen  hin- 
sichtlich der  darstellenden  Inhalte  der  Füllen.  Die  Aehnlich- 
keit  der  Repräsentanten  ist  allerdings  nicht  ohne  Weiteres  als 
Steigerung,  die  Aelrnlichkeitsverkettnng  nicht  als  Steigerungsreihe 
in  Anspruch  zu  nehmen;  nämlich  nicht,  wenn  diese  „Füllen" 
nach  ihrem  eigenen  inhaltlichen  Bestände  und  unter  Abstraction 
Ton  ihrer  repräsentirenden  Function  in  den  zugehörigen  Acten 
betrachtet  werden.  Eist  vermöge  dieser  Fiuiction,  also  vermöge 
der  Thatsache,  daTs  in  der  Ordnung  der  ErfüUungsreihc  und  der 
zwischen  ihren  Acten  waltenden  Steigerungen,  jeder  spätere  Act 
der  Fülle  noch  als  reicher  erscheint,  gewinnen  auch  die  repräsen- 
tirenden Inhalte  der  Acte  eine  aufsteigende  Ordnung;  schrittweise 
ei-scheinen  sie  selbst  nicht  nur  überhaupt  als  Fülle  gebend,  son- 
dern als  immer  reichere  Fülle  gebend.  Die  Bezeichnung  dieser 
Bestandstücke  als  Füllen  ist  eben  eine  relative,  functionelle,  sie 
drückt  eine  Charakteristik  aus,  die  dem  Inhalt  durch  den  Act 
und  durch  die  Rolle  dieses  Actes  in  möglichen  ErfüUungssynthesen 
zuwächst.  Es  verhält  sich  hier  ähnlich  wie  bei  der  Bezeichnung 
„Gegenstand".  Gegenstand  zu  sein,  ist  kein  positives  Merkmal, 
keine  positive  Art  eines  Inhalts,  es  bezeichnet  den  Inhalt  nur  als 
intentionales  Correlat  einer  Vorstellung.  Im  Uebrigen  gründen 
die  ErfüUungs-  und  Steigorungsverhältnisse  offenbar  in  dem  phä- 
nomenologischen Gehalt  der  Acte  rein  nach  seinem  specilischen 
Bestände.  Es  handelt  sich  durchaus  um  ideale,  durch  die  be- 
treffenden Species  eindeutig  bestimmte  Verhältnisse. 

In  der  Synthese  intuitiver  Acte  findet  aber  nicht  immer 
Steigerung  der  Fülle  statt;  denn  es  kann  partielle  Erfüllung  und 
partielle   EntfüUung   Hand   in   Hand   gehen,   worüber   wir   oben 


558    VI.  Elemente  einer  phänomenolog.  Aufklärung  der  Erkenninis. 

schoa  gesprochen  haben.  Letztlich  ftlhrt,  so  können  wir  danach 
sagen,  die  Unterscheidung  zwischen  blofser  Identification 
und  Erfüllung  darauf  zurück,  dais  bei  der  ersteren  entweder 
überhaupt  keine  ErfiÜluug  im  wahren  Sinn  statthat,  weil  es  sich 
um  Identitätssynthesen  von  Acten  handelt,  die  sämmtlich  ohne 
Fülle  sind;  oder  es  findet  zwar  Erfüllung,  bezw.  Bereicherung 
der  Fülle  statt,  aber  unter  gleichzeitiger  Entleerung,  unter  Dahin- 
gabe  bereits  vorhandener  Fülle,  so  dalJs  kein  ausgeprägtes  und 
reines  Steigerungsbewufstsein  zu  Stande  kommt  Die  primitiven, 
auf  die  Elementarintentionen  bezüglichen  Verhältnisse  sind  jeden- 
falls: Erfüllung  einer  leeren,  d.  i.  rein  signitiven,  und  Zufüllung 
einer  bereits  einigermafsen  gefüllten,  d.  i.  Steigerung  und  Reali- 
sirung  einer  imaginativen  Intention. 

§  25.     JFVilk  und  intentionale  Materie. 

Wir  wollen  jetzt  das  Verhältnis  des  unter  dem  Titel  Fülle 
befalsten  neuen  BegrifTes  von  Vorstellungsinhalt  zu  dem  Inhalt 
im  Sinne  der  Materie  erwägen,  welch  letzterer  in  der  bisherigen 
Untersuchung  eine  so  grolse  Bolle  gespielt  hat  Die  Materie  galt 
uns  als  dasjenige  Moment  des  objectivirenden  Actes,  welches  macht, 
dafs  der  Act  gerade  diesen  Gegenstand  und  gerade  in  dieser 
Weise,  d.  h.  gerade  in  diesen  Gliederungen  und  Formen,  mit 
besonderer  Beziehung  gerade  auf  diese  Bestimmtheiten  oder  Ver- 
hältnisse vorstellt  Vorstellungen  von  übereinstimmender  Materie 
stellen  nicht  nur  überhaupt  denselben  Gegenstand  vor,  sondern 
sie  meinen  ihn  ganz  und  gar  als  denselben,  nämlich  als 
völlig  gleich  bestimmten.  Die  Eine  theilt  ihm  in  ihrer  In- 
tention nichts  zu,  was  ihm  nicht  auch  die  Andere  zu  theilt.  Jeder 
objectivirenden  Gliederung  und  Form  auf  der  einen  Seite  ent- 
spricht eine  Gliederung  und  Form  auf  der  andern  Seite,  derart 
dafs  die  übereinstimmenden  Vorstellungselemente  objectiv  dasselbe 
meinen.  In  diesem  Sinne  sagten  wir  in  der  V.  Untersuchung,*  in 
den  Erläuterungen  zum  BegrifT  der  Materie  und  des  bedeutungs- 

'  S.  393. 


mäJsigeu  Wesens;  „Zwei  Uitheile  sind  wesentlicL  dasselbe  UrtLeil 
[nämlieli  ürtheile  dei-selben  Materie],  wo  Alles,  was  vom  beur- 
theilteu  Sachverhalt  nach  dem  eiueu  Urtbeil  gelten  würde,  von 
ihm  auch  nach  dein  andern  gelten  milfste,  und  nichts  Anderes. 
Ihr  Wahrbeitswertb  ist  derselbe."  Sie  meinen  eben  bezüglich 
des  Oegenstandes  dasselbe,  mögen  sie  sonst  auch  recht  erheblich 
unterschieden  sein;  i.  B.  das  eine  nur  siguificativ  vollzogen,  das 
andere  von  mehr  oder  weniger  Anschauung  durchleuchtet. 

Was  mir  für  diese  Begriöibilduiig  ui-sprünglich  die  Kichtung 
gab,  war  das  Identische  im  Aussagen  und  Verstehen  eines  und  des- 
selben Ausdrucks,  wobei  der  Eine  den  Aussageinhalt  „glauben"  und 
der  Andere  ihn  „dahingestellt  lassen"  kann,  ohne  diese  Identität 
zu  stören;  wobei  es  ferner  nicht  darauf  ankommt,  ob  sich  das 
Ausdrücken  in  Anmessuug  an  correspondirende  Anschauungen 
vollzieht,  und  überhaupt  vollziehen  kann,  oder  nicht.  Daher 
könnte  man  sogar  geneigt  sein  (und  ich  selbst  habe  in  diesem 
Punkte  lange  geschwankt),  die  Bedeutung  geradezu  als  diese 
„Materie"  zu  detiniren;  was  aber  die  Unzutiägliclikeit  hätte,  dals 
z.  £.  in  der  pradicireuden  Aussage  das  Moment  des  actuellen 
Behaupten»  von  der  Bedeutung  ausgeschlossen  wäre.  [Jeden- 
falls könnte  man  den  Bedeutungsbegrifi'  zunächst  so  beschränken 
und  dann  zwischen  ijualificirten  und  unqualificirten  Be- 
deutungen unterscheiden.)  Die  Vergleichung  von  Bedeutungs- 
intenüonen  und  ihren  correlaten  Anschauimgeu  in  der  statischen 
und  dynamischen  Einheit  der  identiticirendeu  Deckung  ergab 
dann,  dals  dieses  Selbe,  was  als  Materie  der  Bedeutung  abgegrenzt 
war,  sich  in  der  correspondirendeu  Anschauung  wiedertinde  und 
die  Identification  vermittle,  und  dal's  somit  die  Freiheit  in  der 
Hinzunahnie  oder  Weglassung  anschaulicher  Elemente  und  sogar 
der  ganzen  correspoudii'enden  Anschauungen,  wo  es  sich  nur  um  die 
identische  Bedeutsamkeit  des  Jeweiligen  Ausdrucks  handelt,  darauf 
beruhe,  dafs  der  dem  Wortlaut  angehängte  Gesammtaet  auf  der 
Anschauuugsseite  dieselben  Materien  hat,  wie  auf  der  Bedeutungs- 
seite;  nämlich  nach  all  den  Bedeutuugstheileu,  die  überhaupt  zur 
Yeranschaulichung  kommen. 


Danach  ist  es  klar,  dufs  der  Begriff  der  Materie  durch  die 

Eillheit  der  totalen  Identiticirung,  und  zwar  als  dasjenige  in 
den  Acten,  was  in  ihnen  als  Fundament  der  Identifici- 
rung  dient,  definirt  ist,  und  dofs  folglich  die  über  die  blo&e 
Identificirung  hinausgehenden,  die  Eigenheiten  der  Erfüllung  und 
ErtüUungssteigennig  mannigfaltig  bestimmenden  Unterschiede  der 
Fülle  in  dieser  BegrifFsbiiduiig  nicht  berücksichtigt  sind.  Wie 
immer  die  Fülle  einer  Vorstellung  innerhalb  ihrer  möglichen  Er- 
füUungsreihen  variirt,  ihr  intentionaler  Gegenstand,  welcher  und 
sowie  er  intendirt  ist,  bleibt  derselbe;  mit  andern  Worten,  seine 
Materie  bleibt  dieselbe.  Anderei-seits  sind  aber  Materie  und  Fülle 
nicht  beziehungslos,  und  wo  wir  einem  rein  signitiven  einen  ihm 
Fülle  zuführenden  Act  der  Anschauung  an  die  Seite  stellen,  da 
unterscheidet  sich  dieser  von  jenem  nicht  etwa  dadurch,  dafs  sich 
der  gemeinsamen  Qualität  und  Materie  noch  die  Fülle  als  ein 
drittes,  von  diesen  Beiden  gesondertes  Moment  augegliedert  bat 
So  zum  Mindesten  nicht,  wenn  wir  unter  Fülle  den  intuitiven 
Inhalt  der  Anschauung  verstehen.  Denn  der  intuitive  Inhalt  be- 
fafst  selbst  schon  eine  ganze  Materie,  nämlich  hinsichtlich  des  auf 
eine  reine  Anschauung  reducirten  Actes.  Ist  der  vorgegebene 
Anschauungsact  von  vornherein  ein  Act  reiner  Anschauung,  so 
ist  seine  Materie  zugleich  ein  Bestaudstück  seines  intuitiven 
Inhalts. 

Am  passendsten  werden  wir  die  hier  obwaltenden  Verhält- 
nisse, durch  Pai-allelibirung  der  signitiven  und  intuitiven  Acte, 
in  folgender  Art  fassen  können: 

Der  rein  signitive  Act  bestände  als  eine  blofse  Complexion 
von  Qualität  und  Materie,  wenn  er  überhaupt  für  sich  sein,  d.  i. 
für  sich  eine  concrete  Erlebniseinheit  bilden  konnte.  Das  kann 
er  nicht;  wii'  finden  ihn  immer  als  Anhang  einer  fundirenden 
Anschauung.  Diese  Anschauung  des  Zeichens  hat  aüordings  mit 
dem  Gegenstande  des  significativen  Actes  „nichts  zu  thun",  d.  h. 
sie  tritt  zu  diesem  Acte  iu  keine  Erfüllungsbeziehung;  aber  sie 
realisirt  seine  Möglichkeit  in  concreto  als  die  eines  schlechthin 
unerfüllten   Actes.     Es    scheint    also    folgender   Satz    zu   gelten: 


Eine  StKiiification  ist  nur  darltirrli  niögrlich,  rlafs  eine  Intuition 
mit  einem  neuen  intentionalen  AVeson  behaftet  ist,  wodurcii  der 
intuitive  Gegenstand  in  der  Weise  eines  Zeichens  {gleich giltig  ob 
eines  festen  oder  nur  momentan  sich  darbietenden)  über  sich  hiii- 
ausweist.  Genauer  erwogen,  drückt  dieser  Satz  den  hier  walten- 
den Nothwendigkeitsznsaninienhang  nicht  mit  der  erforderlichen 
analytischen  Klarheit  aus  und  sagt  vielleicht  sogar  mehr,  als  sieli 
überhaupt  rechtfertigen  läfst.  Wir  werden  wol  behaujiten  dürfen, 
dafs  es  nicht  die  fundirende  Anschauung  als  Ganzes,  son- 
dern nur  ihr  repriisentirender  Inhalt  ist,  was  dem  signitiven 
Acte  wesentlich  die  Stütze  verleiht.  Denn  was  über  diesen  In- 
halt hinausgeht  und  das  Zeichen  als  Gegenstand  bestimmt,  kann 
willkürlich  variiren,  ohne  die  signittve  Function  zu  stören. 
Ob  z.  B.  die  Buchstaben  eines  Wortzeichens  aus  Holz,  Eisen, 
Druckerschwärze  sind  u.  s.  w.,  bezw.  ob  sie  objectiv  als  dergleichen 
erscheinen,  ist  gleichgiltig.  Es  kommt  nur  die  überall  wieder 
erkennbare  Gestalt  ha  Betracht,  aber  auch  nicht  als  die  objec- 
tive  Gestalt  des  Dinges  aus  Holz  u.  s.  w.,  sondern  als  die  im 
darstellenden  siuulicbeu  Inhalt  der  Atischauuog  wirklich  vor- 
handene Gestalt.  Besteht  der  Zusammenhang  nur  zwischen  dem 
signitiven  Act  und  dem  darstellenden  Inhalt  der  Anschauung,  sind 
also  Qualität  und  Materie  dieser  Auscbauimg  für  die  signitive 
Function  bedeutungslos,  so  werden  wir  auch  nicht  sagen  können, 
jeder  signitive  Act  bedürfe  einer  fundireiideu  Anschauung,  son- 
dern er  bedürfe  eines  fundirenden  Inhalts.  Als  solcher  kann  jedes 
beliebige  Erlebnis  fungiren,  wie  ja  auch  jedes  als  darstellender 
Inhalt  einer  Anschauung  fungiren  kann. 

Ziehen  wir  nun  den  parallelen  Fall  in  Erwägung,  den  des 
rein  intuitiven  Actes,  so  ist  auch  seine  Qualität  und  Materie 
(sein  intentionales  Wesen)  nicht  für  sich  abtrennbar;  auch  hier 
bedarf  es  einer  nothwendigen  Ergänzung.  Diese  liefert  der  reprä- 
sentireude  Inhalt,  d.  h.  der  (im  Falle  der  sinnlichen  Anschauung 
sinnliche)  Inhalt,  welcher  in  der  vorliegenden  Verwebung  mit 
einem  intentionalen  Wesen  den  Charakter  eines  intuitiven  Re- 
präsentanten angenommen  hat.     Beachten  wir,  dafs  dei-selbe  (z.  B. 

Hniiarl,  Lo(.  U&ten.  H.  36 


sionliche)  Inhalt  einmal  als  Träger  einer  Signification ,  das  andere 
Mal  als  Träger  einer  Intuition  dienen  kann  (hindeutend  —  ab- 
bildend), so  liegt  es  nahe,  den  Begriff  des  repräsentirenden  Inhalts 
zu  erweitem,  und  zwischen  signitiv  und  intuitiv  repräsen- 
tirenden Inhalten  (oder  kurzweg:  signitiven  und  intnitiv^en 
Repräsentanten)  zu  unterscheiden. 

Diese  Eintheilung  ist  aber  unvollständig.  Wir  haben  bisher 
nur  die  rein  intuitiven  und  rein  signitiven  Acte  berücksichtigt. 
Ziehen  wir  nun  auch  die  gemischten  Acte  heran,  die  man  ali- 
gemein unter  dem  Titel  Anschauung  mitbefalst,  so  ist  ihre  Eigen- 
heit damit  bezeichnet,  dais  sie  einen  repräsentirenden  Inhalt 
haben,  welcher  in  Hinsicht  auf  den  einen  Theil  der  vorgestellten 
Gegenständlichkeit  als  abbildender  oder  selbstdarstellender  Reprä- 
sentant, in  Hinsicht  auf  den  ergänzenden  Theil  als  blolse  Hin- 
deutung fungirt.  Wir  müssen  also  den  rein  signitiven  und  rein 
intuitiven  Bepräseutimten  die  gemischten  beiordnen,  welche  zu- 
gleich signitiv  und  intuitiv  repräseutiren,  und  zwar  iu 
Beziehung  auf  dasselbe  intentionale  Wesen.  Wir  können 
jetzt  sagen: 

Jeder  concret  vollständige  objectivirende  Act  hat 
drei  Componenten;  die  Qualität,  die  Materie  und  den 
repräsentirenden  Inhalt.  Je  nachdem  dieser  Inhalt  als 
rein  eignitiver  oder  rein  intuitiver  Repräsentant  oder 
als  Beides  zugleich  fungirt,  ist  der  Act  ein  rein  signi- 
tiver,  rein  intuitiver  oder  gemischter. 


I 


§  26.     Fortsetzung.     Repräsentation  oder  Auffassung. 

Die  Materie  als  der  Auffassungssinn,  die  Auffassungsform  und  der 

aufgefafste  Mialt.      Unterscfieidende  Charakteristik  der  intuitiven  lend 

sipiitiven  Auffassung. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  dieses  Fungiren  zu  verstehen 
ist,  da  doch  ö  priori  die  Möglichkeit  besteht,  dafs  derselbe  In- 
halt in  Verbindung  mit  derselben  Qualität  und  Materie  in  dieser 
dreifachen  Weise  fungire.     Es  ist  klar,  dafs  es  nur  die  phäno- 


raenologische  Eigenart  der  Einheitsform  sein  kann,  die  dem 
Unterschied,  als  einem  pbänomenülügisch  vorfindlichen,  seinen 
Inhalt  giebt.  Diese  Form  verknüpft  aber  speciell  die  Materie 
und  den  Repräsentanten.  Die  repräsentative  Function  leidet  ja 
nicht  durch  den  Wechsel  der  Qualität.  Oh  uns  z.  B.  die  Phan- 
tasieerscheinimg als  die  Vergegenwärtigung  eines  wirklichen  Ob- 
jects  gilt,  oder  als  blol'se  Einbildung,  ändert  daran  nichts,  dafs 
sie  Bildvorstellung  ist,  dafs  ihr  Inhalt  also  die  Function  eines 
Bildiuhalts  trägt  Wir  nennen  daher  die  phänomenologische 
Einheit  zwischen  Materie  und  Repräsentanten,  sofern  sie 
dem  letzteren  den  Charakter  als  Repräsentanten  verleiht,  die 
Form  der  Repräsentation,  und  das  durch  sie  hergestellte 
Ganze  jener  beiden  Momente  Repräsentaiioti  .schlechtkt?i. 
Diese  Bezeichnung  prägt  die  Beziehung  zwischen  repräsentirendem 
und  repräsentirteni  Inhalt  (dem  Gegenstand,  oder  Gegenstandstheil, 
welcher  repräsentirt  ist)  nach  seinem  phänomenologischen  Grunde 
aus.  Lassen  wir  den  phänomenologisch  nicht  gegebenen  Gegen- 
stand aufser  Spiel,  um  nur  auszudrücken,  dafs  uns,  wo  der  In- 
halt als  Repräsentant,  und  näher  als  Repräsentant  dieser  oder 
jener  Art  und  für  dieses  oder  jenes  Gegenständliche,  fungirt,  mit 
ihm  immer  wieder  anders  „zu  Muthe"  ist,  so  sprechen  wir  von 
dem  Wechsel  der  Auffassung.  Wir  können  also  die  Form 
der  Repräsentation  auch  als  Auffassuugsform  bezeichnen. 
Da  die  Materie  sozusagen  den  Sinn  augiebt,  nach  dem  der 
repräsentii-ende  Inhalt  aufgefafst  wird,  so  können  wir  auch  von 
Auffassungssinn  sprechen;  wollen  wir  die  Erinnerung  an  den 
alten  Terminus  festhalten  und  zugleich  den  Gegensatz  zur  Form 
andeuten,  so  sprechen  wir  auch  von  Auffassungsmaterie. 
Demnach  hätten  wir  bei  jeder  Aui^fassung  phänomenologisch  zu 
unterscheiden:  Auffassungsmaterie  oder  Auffassungssinn, 
Auffassungsform  und  aufgefafsten  Inhalt;  welch  letzterer 
vom  Gegenstande  der  Auffassung  zu  unterscheiden  ist.  — 
Der  Ausdruck  Apperception  palst,  obschon  historisch  gegeben, 
durch  seinen  falschen  terniinulogischen  Gegensatz  zu  Perception, 
nicht;  brauchbar  wäre  dagegen  Apprehension. 

36  ♦ 


Die  nächste  Frage  betrifft  ilie  unterscheidende  Charakt«ristik 
der  verschiedenen  Weisen  der  Repräsentation  oder  Äuffiissung, 
die  nach  dem  oben  Gesagten  auch  verschieden  sein  können  bei 
Identität  der  Auffassungsmaterie  (des  „als  was"  der  Auffassung). 
Ira  vorigen  Kapitel  haben  wir  die  Unterschiede  der  Repräsenta- 
tionen durch  die  Unterschiede  der  Erfüllungsformen  charakterisirt; 
im  jetzigen  Zusammeniiang  ist  es  auf  eine  innere  Charakteristik, 
die  sich  auf  den  eigenen  descriptiven  Gehalt  der  Intentionen  be- 
schränkt, abgesehen.  Benützen  wir  die  Ansätze  einer  analytisclien 
Verdeutlichung,  die  sich  uns  in  der  früheren  Behandlung  geboten, 
und  zugleic!)  die  Fortschritte,  die  wir  inzwischen  im  allgemeinen 
Verständnis  der  Repräsentationen  gemacht  haben,  so  ergiebt  sich 
folgende  Ideenreihe: 

Den  Ausgang  nehmen  wir  von  der  Bemerkung,  dafs  die 
signitive  Repräsentation  zwischen  der  Materie  und  dem  Re- 
präsentanten eine  zufällige,  äufserliche  Beziehung  herstellt, 
die  intuitive  Repräsentation  aber  eine  wesentliche,  innerliche. 
Die  Zufälligkeit  liestelit  im  ersten  Falle  darin,  dafs  identisch  die- 
selbe Signiticatioii  jedem  beliebigen  Inhalt  angehängt  zu  denken 
ist.  Die  significative  Materie  bedarf  nur  überhaupt  eines 
stützenden  Inhalts,  aber  zwischen  seiner  specifiscben  Beson- 
derheit und  ihrem  eigenen  specifischen  Bestände  finden 
wir  kein  Band  der  Nothwondigkeit.  Die  Bedeutung  kann 
sozusagen  nicht  in  der  Luft  hängen,  aber  für  das,  was  sie  be- 
deutet, ist  das  Zeichen,  dessen  Bedeutung  wir  sie  nennen,  völlig 
gleichgiltig. 

Ganz  anders  im  Falle  der  rein  intuitiven  Repräsentation. 
Hier  besteht  ein  innerer,  nothwendiger  Zusammenhang 
zwischen  der  Materie  und  dem  Repräsentanten,  durch 
den  specifischen  Gehalt  der  Beiden  bestimmt  Als  intuitiver  Re- 
präsentant eines  Gegenstandes  kann  nur  ein  Inhalt  dienen,  der 
ihm  ähnlich  oder  gleich  ist.  Phänomenologisch  ausgedrückt:  als 
was  wir  einen  Inhalt  auffassen  (in  welchem  Auffassungssinne),  das 
steht  uns  nicht  ganz  frei;  und  nicht  blofe  aus  empirischen  Grün- 
den —  denn  empirisch  nothwendig  ist  jede,  auch  die  significative 


Auffassung  —  sondern  weil  uns  der  aufzufassende  Inhalt  durch 
eine  gewisse  Sphäre  der  AebnJichkeit  und  Gleichheit,  also  durch 
seinen  specifischen  Gehalt,  Grenzen  setzt.  Diese  Innerlichlieit 
der  Beziehung  knüpft  nicht  nur  die  Äuffassungsmaterie  als 
ganze  und  den  ganzen  Inhalt  aneinander,  sondern  ihre  beider- 
seitigen Thcile  Stück  für  Stück.  So  in  dem  vorausgesetzten 
Falle  reiner  Intuition.  Im  Falle  der  unreinen  Intuition  ist 
die  specifische  Einheit  eine  partielle:  ein  Theil  der  Materie  —  die 
Materie  der  reducirten  und  dann  natürlich  reinen  Anschauung  — 
giebt  deu  intuitiven  Sinn  an,  in  dem  der  Inhalt  aufgefafst  ist;  der 
übrige  Theil  der  Materie  erfahrt  keine  Repräsentation  durch  Gleich- 
heit oder  Aehulichkeit,  sondern  durch  blofse  Contiguität,  d.  h.  in 
der  gemischten  Anschauung  fungirt  der  repräsentirende  Inhalt 
nach  einem  Theile  der  Materie  als  intuitiver,  nach  dem  ergänzen- 
den als  signltiver  Repräsentant. 

Fragt  man  nun  schliefslich,  was  es  macht,  dafs  derselbe  In- 
halt im  Sinne  derselben  Materie  einmal  in  der  Weise  des  intuitiven, 
das  andere  Mal  in  der  eines  signitiven  Repräsentanten  aufgefaTst 
werden  kann,  oder  worin  die  verschiedene  Eigenart  der  Auf- 
fassungsform besteht,  so  vermag  icii  darauf  eine  weiteiführeude 
Antwort  nicht  zu  geben.  Es  handelt  sich  vvol  um  einen  phäno- 
menologisch irreductibehi  Unterschied. 

Wir  haben  in  diesen  Ueberlegungen  die  Repräsentation  als 
Einheit  von  Materie  und  repräsentirendem  lohidt  für  sich  be- 
trachtet. Gehen  wir  wieder  auf  die  vollen  Acte  zurück,  so  stellen 
sie  sich  als  Verknüpfungen  zwischen  der  Actqualität  und  der,  sei 
es  intuitiven  oder  signitiven  Repräsentation  heraus.  Die  ganzen 
Acte  nennt  man  intuitive  oder  signitive,  ein  Dnterschied,  der 
also  durch  die  eingowubeuen  Repräsentatiünen  bestimmt  ist.  Das 
Studium  der  ErfQlIuugs Verhältnisse  hatte  uns  oben  zum  Begriff 
des  üituitiven  Gehalts  oder  der  Fülle  eines  Actes  geführt.  Ver- 
gleichen wir  diese  Begrif^sbildung  mit  der  jetzigen,  so  grenzt  sie 
die  einem  Act  unreiner  Anschauung  zugehörige  rein  intuitive 
Repräsentation  {■=  reine  Anschauung)  ab.  Die  „Fülle"  war  ein  Be- 
griff, der  speciell  für  die  vergieiclieu<le  Betrachtung  der  Acte  in 


ihrer  erfüllenden  Function  geprägt  war.  —  Der  gegensätzliche 
Grenzfall  zu  reiner  Anschauung,  die  reine  Signification ,  ist  natür- 
lich dasselbe  wie  rein  signitive  Repräsentation. 

§  27.     Repräsenlationeti  als  nothwemlige   Vorslellungsffrundlagen 

in  allen  Aelen.    Letzte  Klärung  der  Rede  von  den  verschiedenen  Weisen 

der  Beziehung  des  Bewnfstseins  auf  einen  Oegenstand. 

Jeder  objectivirende  Act  schliefst  eine  Repräsentation  in  sich. 
Jeder  Act  überhaupt  ist,  nach  den  Darlegungen  der  V.  Unter- 
suchung,' entweder  selbst  ein  objectivirender,  oder  hat  einen  sol- 
chen Act  zur  Grundlage.  Also  die  letzte  Grundlage  aller  Acte 
sind  „Vorstellungen"  im  Sinne  von  Repräsentationen. 

Die  Rede  von  der  verschiedenen  Weise  der  BexiehuHij 
eines  Actes  auf  seinen  Oegenstand  hat  nach  den  bisherigen 
Ueberlegungeu  folgende  wesentlichen  Vieldeutigkeiten.   Sie  betrifft: 

1.  Die  Qualität  der  Acte,  die  Weisen  des  Glaubens,  blofsen 
Dahingestclltseinlassens,  Wiinschens,  Zweifeins  u.  s.  w. 

2.  Die  zu  Grunde  liegende  Repräsentation,  und  zwar 

a)  die  Auffassungsform:  ob  der  Gegenstand  blüfs  signitiv, 
oder  intuitiv,  oder  in  gemischter  Weise  vorstellig  ist. 
Hierher  gehören  auch  die  Unterschiede  zwischen  Wahr- 
n eh niungs Vorstellung,  Phantasievorstellung u.8.w.; 

b)  die  Auffassungsmaterie:  ob  der  Gegenstand  in  diesem 
oder  jenem  „Sinne"  vorgestellt  ist,  z.  B.  signifit-ativ  durch 
verschiedene,  diesen  selben  Gegenstand  vorstellenden,  aber 
ihn  verschieden  bestimmenden  Bedeutungen; 

c)  die  aufgefafsten  Inhalte:  ob  der  Gegenstand  mittelst 
dieser  oder  jener  Zeichen  vorgestellt  ist,  oder  mittelst 
dieser  oder  jener  darstellenden  Inhalte.  Genau  besehen, 
handelt  es  sich  in  diesem  zweiten  Falle,  vermöge  der 
gesetzlichen  Beziehung  zwischen  intuitiven  Repräsentanten, 
Materie  und  Form,  zugleich  um  Unterschiede,  die  selbst 
bei  gleicher  Materie  die  Form  betreffen. 


Vgl.  ihr  vorlotztos  Kapitel,  bes.  §  41,  S.  458  f. 


§  28.     Intentionales  Wesen  und  erfüllender  Sitm.    Eh-ketintnismäfsigea 
Wesen.     Anschauungen  in  apeeie. 

Wir  haben  in  der  I.  üntorsucliung  der  Bedeutung  den  er- 
füllenden Sinn  {oder  auch  der  intendireuden  Bedeutung  die 
erfüllendo)  gegenübergestellt,  indem  wir  darauf  hinwiesen,  dafs  in 
der  Erfüllung  der  Gegenstand  in  derselben  Weise  intuitiv  ^ge- 
geben" sei,  in  welcher  ihn  die  blofse  Bedeutung  meine.'  Wir 
nahmen,  was  sich  dabei  mit  der  Bedeutung  deckt,  ideal  concipirt, 
als  den  erfüllenden  Sinn,  und  sagten,  durch  diese  Deckung  ge- 
winne die  blofso  Bedeutungsintention,  bezw.  der  Ausdruck,  Be- 
ziehung auf  den  intuitiven  Gegenstand  (drücke  der  Ausdruck  ihn 
und  gerade  ihn  aus). 

Darin  liegt,  wenn  wir  die  später  eingeführten  Begriffsbil- 
dungen verwenden,  dafs  der  erfüllende  Sinn  als  das  intentionale 
Wesen  des  vollständig  angemessen  erfüllenden  Actes  gefafst  wird. 

Diese  Begriffsbildung  ist  durchaus  correct  und  ausreichend  für 
den  Zweck,  das  ganz  Allgemeine  der  Sachlage,  wo  eine  signitive 
Intention  zu  ihrem  intuitiv  vorgestellten  Gegenstand  Beziehung 
gewinnt,  zu  bezeichnen,  also  die  wichtige  Einsicht  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  dafs  das  bedeutungsmäfsige  Wesen  des  signitiven  (aus- 
drückenden) Actes  sich  identisch  im  entsprechenden  intuitiven 
Acte,  trotz  der  phänomenologischen  Verschiedenheit  der  beider- 
seitigen Acte,  wiederfinde,  und  dafs  die  lobendige  Identificirungs- 
einheit  die  Deckung  selbst  und  zugleich  damit  die  Beziehung  des 
Ausdrucks  zum  Ausgedrückten  realisire,  Andererseits  ist  es  klar, 
dafs  eben  vermöge  dieser  Identität  der  erfüllende  Sinn  nichts  von 
der  Fülle  impiioirt,  dafs  er  also  nicht  den  gesaraniten  Inhalt 
des  intuitiven  Actes,  soweit  dieser  erkenntniskritisch  in 
Betracht  kommt,  zusamraenfafst.  Man  könnte  daran  Anstofs 
nehmen,  dafs  wir  das  intentionale  Wesen  so  enge  gefafst  haben, 
wodurch  ein  so  wichtiges,  ja  für  die  Erkenntnis  Ausschlag  geben- 
des   Bestandstück    des    Actes    ausgeschieden    bleibe.      Was    uns 


•  I,  §  14,  8.  51. 


leitete,  war  der  Gedanke,  es  müsse  doch  als  Wesen  einer  objecti- 
virenden  Intention  dasjenige  gelten,  was  keine  Intention  dieser  Art 
überhaupt  entbehren  könne,  oder  was  in  keiner  solchen  Intention 
frei  varürbar  sei,  ohne  dafs  sie  nach  idealer  Nothwendigkcit,  hin- 
sichtlich ihrer  Beziehung  auf  Gegenständliches  tangirt  würde.  Die 
rein  signitivon  Acte  sind  aber  „leere"  Intentionen,  ihnen  fehlt 
das  Moment  der  Fülle,  und  somit  kann  für  die  objectivirenden 
Acte  überhaupt  nur  die  Einheit  von  Qualität  und  Materie  als 
Wesen  gelten.  Nun  könnte  man  einwenden,  dofs  die  signitiven 
Intentionen  ohne  sinnlichen  Anhalt  nicht  möglich  sind,  dals  sie 
in  ihrer  Art  also  auch  intuitive  Fülle  Labeu.  Indessen  ist  dies, 
im  Sinne  sowol  unserer  Ausführungen  über  siguitive  Repräsen- 
tanten, als  auch  im  Sinne  der  früheren  über  uneigeutliche  und 
eigentliche  Veranschaulich uug,  in  Wahrheit  gar  keine  Fülle.  Oder 
vielmehr,  es  ist  zwar  Fülle,  aber  nicht  die  des  siguitiven,  son- 
dern des  ihn  fundirenden  Actes,  in  welchem  sich  das  Zeichen  als 
anschauliches  Object  constituirt.  Diese  Fülle  kann,  salien  wir, 
schrankenlos  variiren,  ohne  die  signitive  IntüUtion  und  all  das, 
was  ihren  Gegenstand  angeht,  zu  berühren.  Mit  Rücksicht  auf 
diese  Saclilage  und  zugleich  in  Beachtung  des  ümstaudes,  dafs 
auch  bei  den  intuitiven  Acten  die  Fülle,  obschon  beschränkt, 
variiren  kann,  während  sie  fortfährt,  immerfort  denselben  Gegen- 
stand, mit  denselben  Bestimmthoiteu  und  qualitativ  in  derselben 
Weise  zu  meinen,  ist  es  klar,  dufs  es  jedenfalls  eines  Terminus 
bedarf,  welcher  die  blofse  Einlieit  von  Qualität  und  Materie  be- 
zeichnet 

Andererseits  ist  es  nun  auch  nützlich,  einen  Bogriff  um- 
fassenderen Inhalts  zu  bilden.  Wir  definiren  demnach  das 
erkenntnismäfsige  Wesen  eines  objectivirenden  Actes 
(im  Gegensatz  zum  blofs  bedeutungsmäfsigen  Wesen  desselben)  als 
den  gesammten,  für  die  Erkenntnisfunctiou  in  Betracht 
kommenden  Inhalt.  Ihm  gehören  dann  die  drei  Compouenteu 
Qualität,  Materie  und  Fülle  oder  intuitiver  Inhalt  zu;  oder  wenn 
wir  die  üeberschiebung  der  beiden  letzteren  vermeiden  und  dis- 
juncte    Compononten   haben    wollen:    Qualität,    Materie    und    in- 


tuitiv  ropräsontirender  Inhalt,  wovon  letzterer  und  mit  ihm 
diu  „Fülle"  bei  den  leeren  Intentionen  entfallt, 

Alle  objectivirenden  Acte  von  demselben  erkeuntnismäfsigen 
Wesen  sind  für  das  ideale  Interesse  der  Erkenntniskritik  „der- 
selbe" Act.  Wenn  wir  von  objectivirenden  Acten  in  speeie 
sprechen,  haben  wir  die  entsprechende  Idee  im  Auge.  Ebenso  bei 
der  oinschrÄukenden  Rede  von  Anschauungen  in  speeie  u.  dgl. 

§  29.     VolLständitje  und  lückenhafte  Anschauungen.    Angetnesaette  uttd 
ohjcrüv  vollständige  VeransehauUcliung.     Es8cnz. 

In  einer  intuitiven  Vorstelhing  ist  ein  verschiedenes  Mafs 
intuitiver  Fülle  möglich.  Diese  Rede  von  einem  verechiedenen 
Mafs,  weist,  wie  wir  erörtert  Laben,  auf  möghche  ErfüUuugsreihen 
hin;  in  ihnen  fortschreitend,  lernen  wir  den  Gegenstand  immer 
besser  können,  mittelst  eines  darstellenden  Iniialts,  der  dem  Gegen- 
stand immer  iihnliclier  ist  und  ihn  immer  lebendiger  oder  voller 
orfafst.  Wir  wissen  aber  auch,  data  Anschauung  statthaben  kann, 
wo  ganze  Seiten  und  Theile  des  gemeinten  Objects  garnicht  in  die 
Erscheinung  fallen,  d.  h.  die  Vorstellung  ist  mit  einem  intuitiven 
Inhalt  ausgestattet,  der  von  diesen  Seiten  und  Theilen  keine  dar 
stellenden  Repräsentanten  enthält,  so  dafs  sie  nur  mittelst  ein- 
gewobener signitiver  Intentionen  „uneigentlich"  vorstellig  sind. 
Mit  Beziehung  auf  diese  Unterschiede,  die  noch  sehr  differente 
Weisen  der  Vorstellung  für  ein  und  denselben,  und  nach  Mafs- 
gabe  derselben  Materie  gemeinten  Gegenstand  bestimmen,  sprachen 
wir  oben  von  Unterschieden  des  ürafangs  der  Fülle.  Es  sind 
hier  nun  zwei  wichtige  Möglichkeiten  zu  unterscheiden: 

1.  Die  intuitive  Vorstellung  stellt  ihren  Gegenstand  an- 
gemessen vor,  d.  h.  mit  einem  intuitiven  Gehalt  von  solcher 
Fülle,  dafs  jedem  Bestandstück  des  Gegenstaudes,  sowie  er  in 
dieser  Vorstellung  gemeint  ist,  ein  repriisentirendes  Bestandstück 
des  intuitiven  Inhalts  entspricht. 

2.  Oder  dies  ist  nicht  der  Fall;  die  Vorstellung  enthält  nur 
eine  unvollständige  Abschattung  des  Gegenstandes,  sie  stellt  ihn 
unangemessen  vor. 


Hier  ist  von  Angemessenheit  und  Unangoraessenheit  einer 
Vorstellung  au  ihren  Gegenstand  die  Rede.  Da  aber  von  An- 
gemessenlieit  im  Erfüliungszusammenhange  auch  in  einem  weite- 
ren Sinne  gesprochen  wird,  füliren  wir  noch  eine  andere  Termi- 
nologie ein:  wir  wollen  von  vollständigen  und  lückenhaften 
Anschauungen  (specieller  Wahrnehmungen,  bezw.  Einbildungen) 
sprechen.  Alle  reinen  Anschauungen  sind  vollständig.  Dafs  aber 
nicht  das  Umgekehrte  gilt,  die  vorgenommene  Eintheilung  also 
nicht  einfach  mit  derjenigen  in  reine  und  unreine  Anschauun- 
gen zusaramenfiillt,  zeigt  sogleich  das  Folgende. 

Ob  nämlich  die  Vorstellungen  einfach  oder  complex  sind, 
darüber  ist  in  der  vollzogenen  Unterscheidung  nichts  vorausge- 
setzt. Die  intuitiven  Vorstellungen  können  aber  in  doppel- 
ter Weise  zusammengesetzt  sein: 

A)  so,  dafs  die  Beziehung  auf  den  Gegenstand  oinfuc.h  ist,  so- 
fern der  Act  (specieller  zu  reden,  die  Materie)  keine  Theil-Acte 
aufweist  (bezw.  keine  gesonderten  Materien),  die  für  sich  schon 
denselben  ganzen  Gegenstand  vorstellen.  Dies  schliefst 
nicht  aus,  dafs  der  Act  aus  Partialintentionen,  obschon  homogen 
verschmolzenen,  aufgebaut  ist,  die  sich  auf  die  einzelnen  Theile 
oder  Seiten  des  Gegenstandes  beziehen.  Solche  Zusammensetzung 
anzunehmen,  wird  man  bei  den  „äufseren"  Wahrnehmungen  und 
Imaginationen  wol  kaum  vermeiden  können,  und  demgcmäfs  sind 
wir  verfahren.     Auf  der  anderen  Seite  steht 

B)  die  Art  der  Zusammensetzung,  welche  den  Gesammtact  aus 
Theilacten  aufbaut,  deren  jeder  für  sich  schon  eine  volle 
intuitive  Vorstellung  dieses  selben  Gegenstandes  ist.  Dies 
betrifft  die  überaus  merkwürdigen  continuirlichen  Synthesen, 
die  eine  Mannigfaltigkeit  zu  demsolben  Gegenstand  gehörigei 
Wahrnehmungen  zu  einer  einzigen  „vielseitigen"  oder  „allseitigen", 
den  Gegenstand  „in  wechselnder  Lage"  continuirlich  betrachtenden 
Wahrnehmung  zusanimensehliefsen;  und' desgleichen  die  entsprechen- 
den Synthesen  der  Imagination.  In  der  Continuität  fortgesetzter, 
aber  nicht  in  getrennte  Acte  zerfallender  Identitätsverschmelzung 
erscheint  hiebei  der  identisch  Eine  Gegenstand  nur   ein 


einziges^H 


I 


Ji[»!,  iintl  Dicht  so  oft,  als  Einzelacte  unterscbeidbar  sind,  Aber  er 
ci"sc(jeint  in  foitgesotzt  sicli  ändernder  Inhaltsfüllo;  und  zugleich 
bleiben  die  Materien  und  dosgleichen  die  Qualitäten  in  fort- 
dauernder Identität,  so  zum  Wenigsten,  wenn  der  Gegenstand 
allseitig  bekannt  ist  und  als  dieser  bekannte,  ohne  sich  zu  berei- 
cfiern,  immer  wieder  zu  Tage  tritt. 

Auf  diese  continuirlichen  Synthesen  bezieht  sich  die  Unter- 
scheidung zwischen  Angemessenheit  und  Unangemessenheit  mit. 
Beispielsweise  ist  von  einem  äufseron  Ding  hinsichtlich  der  all- 
seitigen Oberflächen gestaltung  eine  angemessene  Vorstellung  in 
Form  der  Synthesis  möglieh,  in  Form  der  objectiv -einfachen  Vor- 
stellung unmöglich. 

Von  den  vollständigen  Anschauungen  sind  nun  offenbar  die 
objectiv  einfachen,  nicht  immer  jedoch  die  objectiv  zusammen- 
gesetzten reine  Anschauungen.  Die  einem  empirischen  Ding 
entsprechende  und  uns  versagte  reine  Anschauung  steckt  zwar  in 
gewisser  Weise  in  der  vollständigen  synthetischen  Anschauung 
desselben  darin,  aber  sozusagen  in  verstreuter  Weise  und  immer 
wieder  vermengt  mit  signitiven  Repräsentanten.  Reduciren  wir 
aber  diese  synthetische  Anschauung  auf  ihre  reine,  so  ergiebt  sich 
nicht  die  reine  Anschauung  der  objectiv  einfachen  Vorstellung, 
sondern  eine  Continuitiit  von  intuitiven  Inhalten,  in  welcher  jedes 
gegenständliche  Moment  nicht  einmal,  sondern  öfters  zur  dar- 
stellenden Repräsentation,  zur  immerfort  wechselnden  Abschattung 
kommt,  und  nur  die  Continuität  der  Idontitätsverschmelzung  das 
Phänomen  der  Einzigkeit  des  Gegenstandes  ausmacht.  — 

Wenn  ein  intuitiver  Act  als  Fülle  gebender  fungirt,  und 
zwar  in  Ansehung  eines  signitiven,  etwa  einer  ausdrücklichen  Be- 
deutungsintention, so  stellen  sich  analoge  Möglichkeiten  heraus. 
Es  kann  der  Gegenstand,  sowie  er  bedeutet  ist,  angemessen, 
bezw.  unangemessen  veranschaulicht  sein.  Zum  Ersteren  ge- 
hören im  Falle  complexer  Bedeutungen  zwei  trennbare  Vollkom- 
menheiten, nämlich: 

Erstens,  dafs  allen  Theilen  {Gliedern,  Momenten,  Formen) 
der  Bedeutung,   welche   selbst  den  Charakter  von  Bedeutungen 


haben,   Erfiillung  zuwächst   durch  entsprechende  Theile    der  er- 
tüUenden  Anschauung. 

Zweitens,  dafs  nun  auf  Seiten  der  erfüllendun  Anschauung 
für  sich  Angemessen lieit  hinsichtlich  des  Gegenstandes  statthat, 
so  weit  er  irgend  in  den  zur  Erfülhingsfunction  herangezogenen 
Gliederungen  und  Furmen  dieser  Bedeutung  gemeint  ist. 

Das  Erste  bestimmt  also  die  Vollständigkeit  der  Anpassung 
signitiver  Acte  an  correspondirende  Anschauungen;  das 
Zweite  die  Vollständigkeit  der  Anpassung  signitiver  Acte  — 
mittelst  vollständiger  Anschauungen  —  an  den  Gegenstand 
selbst. 

So  kann  der  Ausdruck  ein  grünes  Haus  dadurch  veranschau- 
licht sein,  dals  ein  Huus  uns  wirklich  als  ein  grünes  intuitiv 
vorstellig  ist.  Dies  wäre  die  erste  Vollkommenheit.  Zur  zweiten 
bodtiifto  es  einer  adäquaten  Vorstellung  eines  grünen  Hauses. 
Nur  die  Erstere  wird  man  zumeist  im  Auge  haben,  wo  von  an- 
gemessener Verauschaulichung  von  Ausdrücken  die  Rede  ist. 
Um  aber  die  doppelte  Vollkommenheit  terminologisch  zumarkiren, 
wollen  wir  von  objectiv  vollständiifer  Veranschaulichung 
der  signitiven  Vorstellung,  im  Gegensatz  zu  iiirer  zwar  an- 
gemessenen, aber  objectiv  lückenhaften  V eranschaulich ung 
sprechen. 

Aehnliche  Verhältnisse  bestehen  auch  im  Falle  der  wider- 
streitenden statt  erfüllenden  Veranschaulichung,  Wenn 
eine  signitive  Intention  sich  auf  Grand  der  Anschauung  enttäuscht, 
etwa  dadurch,  dafs  sie  ein  grünes  Ä  meint,  während  dasselbe  A 
(und  vielleicht  sogar  ein  A  überhaupt)  rolh  ist  und  soeben  als 
roih  angeschaut  ist:  so  verlangt  die  objective  Vollständigkeit 
der  anschaulichen  Realisiruug  des  Widerstreites,  dafs  alle  Be- 
standstücke der  Bedeutungsintontion  ihre  objectiv  vollständige 
Veranschaulichung  finden.  Es  ist  also  uöthig,  dala  sich  nicht 
nur  die  ^4- Intention  in  der  gegebenen  Anschauung  des  A 
objectiv  vollständig  erfülle,  souderu  auch  dals  sich  die  Grün- 
Intention  —  obschou  natüi'Uch  in  einer  anderen,  mit  jener  An- 
schauung rothes  A  eben  „unvereinbaren"   —  Anschauung  erfülle. 


J 


Dann  tritt  nicht  die  blofee  signitive,  vielmehr  die  objectiv  vollständig 
erfüllte  ßrww-Intention  in  Widerstreit  mit  der  TJo/A- Anschauung, 
wobei  zugleich  diese  beiden  Anschauungsmomente  selbst  in  totalen, 
und  die  zugehörigen  Anschauungsganzen  in  partialen  „Wettstreit" 
treten.  Vor  Allem  trifft  dies,  wie  man  wol  wird  sagen  dürfen, 
die  intuitiven,  bezw.  die  darstellenden  Inhalte  dieser  erfüllen- 
den Acte. 

Wo  nicht  besonders  angegeben,  sind  im  Folgenden  unter  dem 
Titel  Veranschaulichungen  solche  von  der  Art  der  Erfüllungen 
gemeint. 

Die  Unterschiede  der  Fülle  bei  gleicher  Qualität  und  Materie 
geben  noch  zu  einer  wichtigen  Begriffsbildung  Ajalafs: 

Wir  sagen  zwei  intuitive  Acte  besitzen  dieselbe  Essenx, 
wenn  ihre  reinen  Anschauungen  dieselbe  Materie  haben. 
Üo  hat  eine  Wahrnehmung  und  die  ganze,  der  Möglichkeit  nach 
unbegrenzte  Reihe  von  Phantasievorstellungen,  deren  jede  densel- 
ben üegenstand  mit  demselben  Umfang  der  Fülle  vorstellt,  eine 
und  dieselbe  Essenz.  Alte  objectiv  vollständigen  Anschauungen 
einer  und  derselben  Materie  haben  dieselbe  Essenz. 

Eine  signitive  Vorstellung  hat  in  sich  keine  Essenz. 
Indessen  schreibt  mau  ihr  im  uneigentlicheu  Sinne  eine 
gewisse  Essenz  dann  zu,  wenn  sie  durch  eine  Anschauung  aus 
der  möglichen  Manniglaltigkeit  von  Anschauungen  dieser  Essenz 
vollständige  Erfüllung  zuläfst;  oder  was  dasselbe  ist,  wenn  sie 
einen  „erfüllenden  Sinn''  hat. 

Damit  dürfte  die  walire  Meinung  des  scholastischen  Terminus, 
der  ja  die  „Möglichkeit^'  eines  Begriffes  trelleu  will,  klargelegt  sein. 


574    VI. 


fklärung  der  Erkenntnis. 


Viertes  Kapitel. 
Verträgliclikeit  und  Unverträglichkeit 

§  30.     Die  ideale  Unterscheidung  der  Bedeutungen  in  jiiögliche  (reale) 
und  unmögliche  (imaginäre). 

Nicht  jeder  signitiven  Intention  können  sich  intuitive  Acte 
in  der  Weise  „objectiv  vollständiger  Veranschaulichung"  '  anpassen. 
Danach  zerfallen  die  signitiven  Intentionen  in  mögliche  (in  sich 
verträgliche)  und  unmögliche  (in  sich  unverträgliche,  imaginäre). 
Diese  Eintheilung,  bezw.  das  ihr  zu  Grunde  liegende  Gesetz,  be- 
trifft —  was  genau  ebenso  für  aüe  hier  sonst  aufgestellten  Sätze 
gilt  —  nicht  die  vereinzelten  Acte,  sondern  generell  ihre 
erkenntnismäfsigen  Wesen,  und  darin  ihre  allgemein  zu 
fassenden  Materien.  Denn  nicht  ist  es  etwa  möglich,  dafs  eine 
signitive  Intention  der  Materie  M  die  Möglichkeit  der  Erfüllung 
irgendeiner  Anschauung  fände,  und  eine  andere  signitive  Intention 
derselben  Materie  3/ dieser  Möglichkeit  entbehrte.  Die  Möglich- 
keiten und  Unmöglichkeiten  sprechen  nicht  von  den  in  irgend- 
welchen empirischen  BewuPstseinscomple-xionen  thatsächlich  vor- 
findlichen  Anschauungen;  es  sind  nicht  reale,  sondern  ideale 
Möglichkeiten,  sie  gründen  rein  in  den  specifischen  Charakteren. 
In  der  Sphäre  der  Ausdrücklichkeit,  auf  welche  man  sich  ohne 
wesentliche  Ernbufse  beschränken  kann,  lautet  daher  das  Axiom: 
Die  Bedeuiiuigeii  (in  specie  die  Begriffe  und  Sätze)  zer- 
fallen in  mögliche  und  unmögliche  (reale  und  imaginäre). 

Die  Möglichkeil  (Realität)  einer  Bedeutung  läfst  sich,  wenn 
wir  die  oben  vollzogenen  BegrifTsbildungeu  heranziehen,  dadurch 
definiren,  dafs  ihr  in  der  Sphäre  der  objectivirenden  Acte 


'  Das  VerstäDdois  der  in  diesem  und  den  folgenden  Kapiteln  versuoh- 
Utn  niidlytischen  AufkläniDgen  uod  die  Bemessimg  ibrcr  etwaigen  I^eifitungen 
liKngt  durcbauH  davon  ab,  dafs  die  im  Bisherigen  festgelegten  strengen  Be- 
grlRW  Niober  im  Auge  beLaiteii  und  ibueii  uii'ht  die  vagen  VorsteUungeu  der 
M>|>iilllivu  UtKle  untergesubobec  weitleD. 


IM  specte  eine  angemessene  Essenz  entspricht,  nämlich 
eine  solche,  deren  Materie  mit  der  ihren  identisch  ist; 
oder,  was  dasselbe  ist,  dafs  sie  einen  erfüllenden  Sinn  hat, 
oder  auch,  dafs  es  eine  vollständige  Anschauung  in  specte 
giebt,  deren  Materie  mit  der  ihren  identisch  ist.  Dies 
„CS-  giebt"'  hat  hier  denselben  idealen  Sinn  wie  in  der  Mathematik; 
es  auf  die  Möglichkeit  entsprechender  Einzelheiten  zurückführen, 
heifst,  es  nicht  auf  ein  Anderes  zurückführen,  sondern  es  durch 
eine  blofse  äquivalente  Wendung  ausdrücken.  (So  zum  Mindesten, 
wenn  die  Möglichkeit  überhaupt  richtig,  somit  nicht  als  „reale 
Möglichkeit"  verstanden  wird.) 

Die  Idee  der  Müglifhkeit  einer  Bedeutung  drückt,  wenn  wir 
näher  zusehen,  eigentlich  die  Generalisirung  des  Erfüllungs- 
verhältnisses in  dem  Falle  objectiv  vollständiger  Veran- 
schaulichung aus,  und  die  obigen  Definitionen  sind  statt  blofser 
Worterklärungen,  vielmehr  als  die  idealen  nothwendigen  und 
hinreichenden  Kriterien  der  Möglichkeit  anzusehen.  In  ihnen 
liegt  das  besondere  Gesetz,  dafs,  wo  jenes  Verhältnis  zwischen 
Materie  einer  Bedeutung  und  Materie  einer  Essenz  besteht,  auch 
die  ,, Möglichkeit"  statthat;  wie  umgekehi-t,  dafs  in  jedem  Falle 
von  Möglichkeit  dies  Verhältnis  besteht 

Femer:  dafs  ein  solches  ideales  Verhältnis  überhaupt  vor- 
kommt, d.  h.  dafs  jene  Generalisirung  objectiv  statthat,  also  ihrer- 
seits „möglich"  ist,  darin  liegt  wieder  eine  Gesetzlichkeit,  die 
sich  einfach  in  den  Worten  ausprägt:  Es  giebt  „mögliche" 
Bedeutungen  (wobei  zu  beachten  ist,  dafe  „Bedeutung"  nicht 
„Act  des  Bedeutens"  meint).  Nicht  jedes  empirische  Verhältnis 
gestattet  solche  Generalisirung.  Finden  wir  dieses  angeschaute 
Papier  rauh,  so  küunen  wir  nicht  generell  aussprechen:  Papier  ist 
rauh,  so  wie  wir  auf  Grund  eines  gewissen  actuellen  Bedeutens 
aussprechen  dürfen:  diese  Bedeutung  ist  möglich  (real).  Eben 
darum  liegt  auch  in  dem  Satze,  jede  Bedeutung  ist  entweder 
möglich  oder  unmöglich,  nicht  ein  einzelner  Fall  des  Satzes 
vom  ausgeschlossenen  Dritten  vor,  in  dem  bekannten  Sinn,  welcher 
den  Ausschlufs  contradictorischer  Prädicate  individueller Subjecte 


ausspricht,  und  einen  solchen  Ausschlnfs  auch  nur  für  solche 
Subjecte  schlechthin  aussprechen  kann.  Der  Ausschhifs  contra- 
dictorischer  Prädicate  in  einer  idealen  Sphäre  (z.  B.  der  arith- 
metischen, der  Bedeutungssphäre  u.s.w.)  ist  gamicht  selbstverständ- 
lich, sondern  niufs  in  jeder  solchen  Sphäre  von  Neuem  bewiesen 
oder  axiomatisch  aufgestellt  werden.  Wir  erinnern  daran,  dafs 
wir  nicht  etwa  sagen  dürfen,  jede  Art  Papier  ist  entweder  rauh 
oder  ist  nicht  rauh;  denn  darin  läge,  das  jedes  einzelne  Papier 
einer  beliebigen  Art  rauh,  oder  jedes  einzelne  nicht  rauh  sei,  und 
derartige  Behauptungen  sind  natürlich  nicht  für  beliebige  Art- 
bildungen richtig.  Derageninrs  liegt  wirklich  hinter  der.  EinÜiei- 
lung  der  Bedeutungen  in  mögliche  und  unmögliche  ein  eigenes, 
inhaltreiches  generelles  Gesetz,  ein  Gesetz,  das  in  idealer  Weise 
die  phiiuomenologischon  Momente  beherrscht,  nämlich  dadurch, 
dafs  es  in  der  Weise  genereUer  Sätze  ihre  Species  verknüpft. 

Um  ein  solches  Axiom  aussprechen  zu  dürfen,  mufs  man 
es  einsehen,  und  dafs  wir  in  unserem  Falle  Evidenz  be- 
sitzen, ist  siciier.  Indem  wir  z.  B.  die  Bedeutung  des  Ausdrucks 
iveifse  Fläche  auf  Grund  der  Anschauung  realisiren,  erleben  wir 
die  Realität  des  Begriffs,  die  intuitive  Erscheinung  stellt  wirklich 
etwas  Weifses  und  eine  Fläche,  und  zwar  gerade  als  eine  weilse 
Fläche  vor;  und  darin  liegt,  dafs  die  erfüllende  Anschauung  nicht 
blofs  überhaupt  eine  weifse  Fläche  vorstellt,  sondern  sie  durch 
ihren  Inhalt  so  vollständig,  als  die  Bedeutungsintention  es  fordert, 
zu  intuitiver  Erscheinung  bringt 

Der  Möglichkeit  reiht  sich  die  Unmöglichkeit  als  eine 
gleichberechtigte  Idee  an,  die  nicht  blofs  als  Negation  der  Möglich- 
keit zu  definiren,  sondern  durch  ein  eigenes  phänomenologisches 
Factum  zu  realisiren  ist  Dies  ist  ja  ohnehin  die  Voraussetzung 
dafür,  dafs  der  Begriff  der  Unmöglichkeit  je  Anwendung  finden, 
und  zumal  dafs  er  in  einem  Axiom  —  darunter  auch  in  dem  Axiom: 
es  giebt  unmögliche  Bedeutungen  —  vorkommen  könne.  Die 
Gleichwerthigkeit  der  Reden  von  Unmöglichkeit  und  Unverträg- 
lichkeit weist  uns  darauf  hin,  dafs  dieses  phänomenologische 
Factum  im  Gebiete  des  Widerstreits  zu  suchen  sei. 


• 


§  31.     Vereinbarkeil  oder  Verträglichkeit  als  ein  ideales 

Verhältnis  in  der  weitesten  Sphäre  der  Inhalte  überhaupt.     Vereinbarkeit 

von  „Begriffen"  als  Bedeutungen. 

Wir  gehen  aus  von  dem  Begriffe  der  "Verträglichkeit  oder 
Vereinbarkeit,  der  in  den  weitesten  Sphären  der  Inhalte  über- 
haupt Sinn  hat. 

Zwei  Inhalte,  welche  Theile  irgendeines  Ganzen  sind,  sind  in 
ihm  vereint,  sie  sind  also  aueh  vereinbar,  in  der  Einheit  eines 
Ganzen  verträglich.  Das  scheint  eine  leere  Selbstverständlich- 
keit. Aber  vereinbar  wären  diese  selben  Inhalte  auch  dann,  wenn 
sie  zufallig  nicht  vereint  wären.  Sicher  hat  es  einen  guten  Sinn, 
von  der  Vereinbarkeit  von  Inhalten  zu  sprechen,  deren  that- 
sächlielie  Vereinigung  immer  ausgeschlossen  blieb  und  ausge- 
schlossen bleiben  wird.  Sind  aber  zwei  Inhalte  vereint,  so  be- 
weist ihre  Einheit  nicht  nur  ihre  eigene  Vereinbarkeit,  sondern 
auch  diejenige  einer  ideellen  Unzahl  anderer,  nämlich  aller  Paare 
ihnen  gleicher  und  gattungsmäfsig  ähnlicher.  Es  ist  klar,  worauf 
dies  altzielt,  und  was  als  Axiom  ausgesprochen,  keineswegs  eine 
leere  Behauptung  i.'^t:  dafs  die  Vereinbarkeit  nicht  zu  den 
verstreuten  Einzelheiten  gehört,  sondern  zu  den  Inhalt- 
speeies;  dafs  wenn  z.  B.  die  Momente  Rüthe.  und  Rundung  ein- 
mal vereint  gefunden  worden  sind,  nun  durch  ideirende  Abs- 
traction  eine  complexe  Species  gewonnen  und  somit 
gegeben  werden  kann,  welche  die  beiden  Species  Rötbc  und 
Riaiduny  in  ihrer  ebenfalls  specifisch  getalsten  Verbindungsform 
umschliefst.  Die  idesde  „Existenz"  dieser  eomplexen  Species  ist 
es,  welche  n  jiriori  die  Vereinbarkeit  von  Röthe  und  Rundung 
in  jedem  denkbaren  Einzelfalle  begründet,  eine  Vereinbarkeit,  die 
somit  ein  ideal  giltiges  Verhältnis  ist,  ob  in  aller  Welt  empirische 
Einigung  vorkommt  oder  niclit.  Bestimmt  sich  danach  der  werth- 
volle  Sinn  der  Rede  von  Vereinbarkeit  überall  als  das  ideale  Sein 
der  zugehörigen  eomplexen  Species,  so  ist  aber  noch  ein  wichtiger 
Punkt  zu  beachten,  nämlich  dafs  die  Rede  von  der  Vereinbar- 
keit allzeit  Beziehung  hat  zu  irgendeiner  (für  das  logische 

Hniicrl,  Log.  Dnton.  II.  37 


Interesse  gerade  mafegebendeu)  Art  von  Ganzen.  Diese  Rede  ge- 
brauchen wir  doch  im  Zusammenhang  mit  der  Erwägung,  ob  sich  vor- 
gegebene Inhalte  nach  Mafsgabe  gewisser  Formen  zusammenpassen 
lassen  oder  nicht,  eine  Frage,  die  sich  bejahend  entscheidet  mit  der 
intuitiven  Aufweisung  eines  Ganzen  von  der  betreffenden  Art. 

Das  Correlat  dieser  inhaltliehen  Vereinbarkeit  ist  die  „Mög- 
lichkeit" der  complexen  Bedeutungen.  Dies  ergiebt  sich  au.« 
den  obigen  Kriterien  der  Möglichkeit.  Die  angemessene  Essenz, 
bezw.  die  vollständige  VeranschauHcluing  des  entsprechenden  com- 
plexen Inhalts,  begründet  ja  die  Vereinbarkeit  seiner  Theile,  wie 
es  umgokelirt  zu  dieser  Vereinbarkeit  eine  Essenz  und  eine  ent- 
sprechende Bedeutung  giebt.  Die  Realität  einer  Bedeutung  besagt 
also  dasselbe  wie:  die  Bedeutung  ist  ein  objectiv  vollständiger 
„Ausdruck"  einer  intuitiven  inhaltlichen  Vereinbarkeit.  Im  Grenz- 
falle eines  einfachen  Inhitlts  mag  man  die  Geltung  der  einfachen 
Species  als  Vereinbarkeit  „mit  sich  selbst"  definiren.  Dafs  die 
Verknüpfung  zwischen  Ausdruck  und  Ausgediücktem  (Bedeutung 
und  correspondirender,  d.  i.  „objectiv  vollständig  angemessener 
Anschauung)  selbst  wieder  eine  Verknüpfung  der  Vereinbarkeit  ist., 
deren  besonderen  specifisclien  Gehalt  wir  oben  bestimmt  haben,  ist 
selbstverständlich.  Andererseits  handelt  es  sich  bei  der  Rede  von 
der  Vereinbarkeit  hinsichtlieh  der  Bedeutungen  („Begriffe") 
nicht  blofs  überhaupt  um  ihre  Vereinbarkeit  zu  einem  Ganzen, 
und  sei  es  auch  zu  einem  Bedeutungsgaiizen  —  das  wäre  vielmehr 
die  rein-grammatisclio  Vereinbarkeit  im  Sinne  der  IV.  Unter- 
suclmng  —  sondern  nach  dem  oben  Dargelegten  um  die  Verein- 
barkeit der  Bedeutungen  zu  einer  „möglichen"  Bedeutung,  d.i. 
zu  einer  Bedeutung,  welche  mit  correspondirender  Anschauung 
zur  Einiieit  objectiv  angemessener  Erkenntnis  vereinbar  ist  Dem- 
gemäfs  handelt  es  sich  hier  um  eine  übertragene  Rede.  Dasselbe 
wird  man  von  der  „Möglichkeit"  sagen  müssen.  Die  originäre 
Möglichkeit  (oder  Realitiit)  ist  die  Geltirng,  die  ideale  E-tistenz 
einer  Species;  zum  Mindesten  ist  sie  dadurch  völlig  gewährleistet 
Dann  heifst  die  Anschauung  einer  ihr  entsprechenden  Einzelheit, 
und  wieder  das  anzuschauende  Einzelne  selbst,  möglich.     Endlich 


heifst  die  in  solch  einer  Anschauung  sich  mit  objectiver  Voll- 
ständigkeit erfüllende  Bedeutung  möglich.  Der  unterschied  der 
Reden  von  Vereinbarkeit  und  Möglichkeit  liegt  blofs  dnrin,  dal's, 
während  die  letztere  die  schlichte  Geltung  einer  Species  bezeich- 
net, die  erstere  (vor  der  Erweiterung  des  Begriffs  um  den  Grenz- 
fnll)  das  Verhältnis  der  Theilspocies  einer  einheitlich  gelten- 
den Species  bezeichnet  —  und  mit  Beziehung  darauf  nun  auch 
das  Verhältnis:  der  Tlieiliinsebauungen  einer  einheitlichen  An- 
schauung; der  anzuschauenden  Theilinhalte  innerhalb  eines  als  ein- 
heitlich anzuschauenden  Gesammtinlialts;  der  zu  erfüllenden  Theil- 
bedeutungen  innerhalb  einer  einheitlich  zu  erfüllenden  Gesammt- 
bedeutung. 

Schliefslich  merken  wir  noch  an,  dafs  wie  die  Begriffe  Mög- 
lichkeit und  Vereinbarkeit,  so  auch  der  Begriff  der  Essenz  seinen 
originären  Sinn  dem  Bedeutungsgebicte  durch  üebertragung  erst 
leiht.  Dieser  originäre  Begriff  der  Essenz  wird  durch  den 
Satz  ausgedrückt:  Jede  giltige  Species  ist  eine  Essenz. 

§  32.     Unvereinbarkeit  (Widerstreit)  von  Inhalten  nberfiaupt. 

Unvereinbar  sind  nun,  um  den  entgegengesetzten  Fall  in 
seine  allgemeinen  Gründe  zu  verfolgen,  Inhalte  dann,  wenn  sie 
sich  in  der  Einheit  eines  Ganzen  nicht  vertragen.  Phänomeno- 
logisch gesprochen,  soll  keine  einheitliche  Anschauung  möglich 
sein,  die  ein  solches  Ganzes  in  vollständiger  Angemessenheit  giebt. 
Woher  sollen  wir  dies  aber  wissen?  In  empirischen  Einzoirällea 
versuchen  wir  es,  Inhalte  zur  Einheit  zu  bringen,  mitunter  gelingt 
es,  mitunter  nicht  —  wii-  erfahren  einen  unüberwindlichen  Wider- 
Btand.  Aber  das  factische  Mifslingen  beweist  nicht  das  noth- 
wendige  Mifslingen.  Könnte  nicht  gröfsero  Kraft  den  Widerstand 
schliefslich  überwinden?  Indessen,  im  empirischen  Bemühen  um  die 
fraglichen  Inhalte  und  um  Beseitigung  ihres  „Wettsti-eits"  erfaha-en 
wir  ein  einzigartiges  Verhältnis  der  Inhalte,  das  wieder  in  ihrem 
specifischen  Bestände  gründet  und  in  seiner  Idealität  von  allem 
empirischen  Bemühen  und  von  allem  Sonstigen  des  Einzelfalls 
unabhängig  ist.     Es  ist  das  Verhältnis  des  Widerstreites. 

37* 


Dieses  Verhältnis  setzt  also  ganz  bestimmte  Inhaltsarten,  und 
zwar  innerhalb   ganz  bestimmter  Inhaltsverbämle   in    Be- 
ziehung.    Farben   streiten  miteinander   nicht  überhaupt,    sondern 
nur   in   bestimmten   Zusammenhängen:    mehrere    Farbenmoniente 
von  verschiedener  specifischer  Differenz  sind  als  gleichzeitige  voll- 
ständige Ueberdeckiingen  einer  und  derselben  Körperausdehnung 
unverträglich,  während  sie  in  der  Weise  des  Nebeneinander  inner- 
halb der  einheitlichen  Ausdehnung  sehr  wol  verträglich  sind.     Und 
dies  gilt  allgemein.     Niemals  ist  ein  Inlialt  der  Art  q  mit  einem 
Inhalt  der  Art  p  schlechthin  unverträglich,  sondern  immer  be- 
zieht sich  die  Rede  von  ihrer  Unverträglichkeit  auf  eine  Inhalts- 
verbiuduug   bestimmter  Art  O  (a,  ß,  ...;  p)^    welche  p   enthält, 
und  welcher  sieh  nun  auch  q  einknüpfen  soll.     In  dem  soll  liegt 
allerdings  der  Hinweis  auf  eine  Intention,  eine  Vorstellungs-  und 
zumeist  auch  Willensintention,  welche  das  (jr,  das  in  einer  beliebi- 
gen Anschauung  ylff/ji  gegeben  ist,  in  die  vorliegende  Anschauung 
des  Q  hineingetragen  denkt,  d.  i.  in  ihi*  siguiüv  vorstellt.     Aber 
von  dieser  Intention  sehen  wir  jetzt  ab,  ebenso  wie  wir  bei  der 
Vereinbarkeit  absahen  von  der  Intention  auf  Vereinigung,  desglei- 
chen  von   dem   Prncefs  der  Hinübertragung  und  Einigung.     Wir 
halten   blofs  fest,   dals   hier  ein   descriptiv  eigenartiges  Verhältnis 
zwischen   dem  q  —   der  Rest  des  A  ist  willkürlich  variabel   und 
spielt  weiter  keine  Rolle  —  und  dem  p  des  Inhaibsganzen  G  eintritt, 
und  dafs  dieses  Verhältnis  vom  Individuellen  des  Falles  unabhängig 
ist:  mit  anderen  Worten,  »Jals  es  rein  in  den  Species  G,  p,  q  grün- 
det.   Das  Specifische  des  WiderBtreithowufstseins  gehört  zu  diesen 
Species,  d.  h   die  General isirung  der  Sachlage  ist  wirklich,  ist  in 
einem  intuitiv -einheitlichen  Allgemoinheitsbewufstsein  realisirbar; 
sie  ergiebt  eine  einheitliche,  giltige  („mögliche")  Species,  welche 
auf  Grund  des  G  das  p  und  q  durch  Widerstreit  vereint. 


§  33.     Wie  auch   Widerstreit  Einigkeit  fundiren  kann.     Relativität 
det-  Reden  von   Vereinbarkeit  und   Widerstreit. 

An  diesen  letzteren  Ausdi-uck  und  Satz  knüpft  sich  eine  Kette 
beunruhigender  Zweifelsfragen.    Ein  Widerstreit  vereint?    Die  Ein- 


heit  des  Widerstroits  eine  Einheit  der  Möglicbkeit?  Gewifs,  Ein- 
heit übeiliaupt  begründet  Möglichlieit,  aber  schliefst  diese  nicht 
schlechterdings  den  Widerstreit,  die  Unverträglichkeit  aus? 

Die  Schwierigkeiten  lösen  sich,  wenn  wir  daran  denken,  dafe 
nicht  nur  die  Rede  von  einer  Unvereinbarkeit,  sondern  auch  die- 
jenige von  einer  V'ereinbai'keit  nothwendig  Bozioiiung  hat  auf  ein 
gewisses,  subjectiv  zu  reden,  die  Intention  beherrschendes  Ganzes  <}. 
Auf  seinen  specifischen  Gehalt  hinbliokend,  nennen  wir  die  Theile 
verträglich.  Wir  würden  dieselben  Inhalte  p,  </...,  die  hier  als 
Theile  fungiren,  unverträglich  nennen,  weiui  wir  in  der  syuibo- 
lisL-hen  Intention  auf  ihre  Einheit  innerhalb  eines  ebensolchen 
Ganzen,  statt  intuitive  Einheit,  vielmehr  intuitiven  Widerstreit  er- 
lebten. Die  Correlation  der  beiden  möglichen  Fälle  in  ihrer  Be- 
ziehung auf  die  jeweils  bestimmte  Art  von  Ganzen  oder  Ver- 
kuüpfuugen  der  verü-ägiichen,  bezw.  unverträglichen  Inhalte  ist 
klar.  Diese  Beziehung  bestimmt  auch  mit  den  Sinn  dieser  Termini. 
Verträglich  nennen  wir  die  p,  y  ...  nicht  schlechthin  und  mit 
blofser  Rücksicht  darauf,  dafs  sie  überhaupt,  gleichgiltig  wie,  ge- 
einigt, sondern  mit  Rücksicht  darauf,  dafs  sie  in  der  Weise  des 
ö  geeinigt  sind,  und  dafs  diese  Einigung  der  p,  q  . . .  den  Wider- 
streit derselben  p,  q  . . .  mit  Beziehung  auf  dasselbe  0 
ausschliefst.  Und  wieder  heil'sen  Inhalte  p,  q  ...  unverträglich 
nicht  schlechthin,  sondern  mit  Rücksicht  darauf,  dafs  sie  sich  im 
Rahmen  irgendeiner  Einheit  aus  der  uns  gerade  interessirenden 
Einheitsiut  ö  „nicht  vertragen";  d.  h.  weil  die  Intention  auf  eine 
solche  Einheit  einen  Widerstreit  anstatt  solcher  Einheit  herbei- 
führt; wobei  der  Ausschlufe  correlater  Einheit  durch  correlaten 
Widerstreit  auch  wieder  seine  Rolle  spielt. 

Das  Widerstreitbewufstsein  begründet  „Uneinigkeit",  da  es 
die  Ö-Einheit  der  p,  7  ...,  die  hier  in  Frage  steht,  ausschliefst. 
Bei  dieser  Richtung  des  Interesses  gilt  der  Widerstreit  selbst 
nicht  als  eine  Einheit,  sondern  als  Geschiedenheit,  nicht  als  „Ver- 
knüpfung", sondern  als  „Trennung".  Wechseln  wir  aber  die  Be- 
zielmngen,  so  kann  auch  eine  Unverti'äglichkeit  als  Einheit  fungiren, 
z.  B.  als  Einheit  zwischen  dem  Charakter  des  Widerstreits   und 


r 


den  Inhalten,  die  durch  ihn  „getrennt"  werden.  Dieser  Charakter 
ist  mit  diesen  Inhalten  rerträglich  und  mit  anderen  vielleicht  un- 
verträglich. Geht  die  herrschende  Intention  auf  das  Widerstreit- 
ganze als  Ganzes  der  eben  genannten  Theile,  so  besteht,  wo  wir 
es  finden,  wo  der  Widerstreit  also  statthat,  Verträglichkeit  dieser 
Theile,  d.  i.  der  p,  q  ...  in  ihrem  Zusammenhange  und  in  dem 
des  sie  trennenden  Widerstreits.  Wo  der  Widerstreit  fehlt  und 
dies  Fehlen  intuitiv  wird,  knüpft  sich  an  die  nun  in  verschiedenen 
Anschauungen  verstreuten  Elemente  ein  neues  Widerstreitbewufst- 
sein.  Dieser  Widerstreit  ist  nicht  Widerstreit  zwischen  den 
Gliedern  des  intendirten  Widerstreits,  dessen  Fehlen  er  ja  gerade 
anzeigt,  sondern  ein  Widerstreit,  der  sich  an  die  in  einer  An- 
schauung widerstreitlos  geeinigton  Inhalte  p,  q  ...  und  an  das  in 
einer  anderen  Anschauung  intuitiv  werdende  Moment  Wider- 
streit anknüpft. 

Die  Paradoxie  der  Rede  von  einer  Einigung  durch  Wider- 
streit klärt  sich  also  durch  die  Beachtung  der  Relativität  dieser 
Begriffe  auf.  Man  darf  jetzt  nicht  mehr  einwenden:  Widerstreit 
schliefse  Einheit  schlechthin  aus;  in  der  Form  des  Widerstreits 
sei  schliefslich  Alles  und  Jedes  zu  „einigen";  wo  Einheit  fehle, 
da  bestehe  eben  Widerstreit,  und  ihn  wieder  als  Einheit  gelten 
lassen,  das  hiefse,  den  absolut  starren  Gegensatz  zwischen  Einheit 
und  Widei"streit  verflüssigen  und  seinen  echten  Sinn  entwerthen 
wollen,  —  Nein,  würden  wir  jetzt  sagen  dürfen,  Wideretreit  und 
Einheit  schheTsen  sich  nicht  „schlechthin",  sondern  in  einer 
jeweils  bestimmten,  nur  von  Fall  zu  Fall  wechselnden  Corre- 
lation  aus.  In  dieser  schüefsen  sie  sich  als  starre  Gegensätze 
aus;  nur  wenn  man  das  schlechthin  auf  eine  solche,  immer  still- 
schweigend vorausgesetzte  Correlation  einschränkt,  können  wir  uns 
mit  der  gegnerischen  Behauptung  zufrieden  geben.  Fenier:  in  der 
Form  des  Widerstreites  läfst  sich  nicht  Alles  einigen,  sondern 
nur  all  das,  was  eben  einen  Widerstreit  fundirt,  und  nichts  von 
dem,  was  vereint  und  vereinbar  ist.  Denn  im  Sinne  dieser  Rede 
von  Einigung  in  Form  eines  Widerstreites  liegt  es,  dafs  die  Form 
des  Widerstreites  irgendwelcher  in  einer  gewissen  Verbindung 


ß„  gedachten  p,  q...  als  Einheit  gelten  soll,  die  als  Einheit 
wirklich  Einigkeit,  Verträglichkeit  herstellt  und  somit  unserem 
obigen  O  entspricht.  Besteht  aber  zwischen  den  /^,  q  ...  hinsicht- 
lich der  Verbindung  Öq  Einheit,  so  lassen  sich  diese  p,  q  ... 
hinsichtlich  dieser  Verbindung  niclit  iti  ein  Verhältnis  des  Wider- 
streits bringen,  da  Verbindung  überhaupt  Einigkeit  ist. 

Also  in  der  Form  des  Widerstreits  ist  in  Wahrheit  nicht  Alles 
zu  vereinen,  und  am  Wonigsten  etwa  darum,  weil  (wie  es  weiter 
hiefs)  wo  die  Einheit  fehle,  sich  dies  ja  durch  einen  Widerspruch 
bekunde,  der  also  Einheit  durch  Widerstreit  herstellen  würde. 
Wir  verstehen  die  hier  begangene  Venvechsiung,  bezw.  die  Dureh- 
einandorwerfung  der  fundirenden  Relationen.  Das  Fehlen  der 
Einheit  fi^  charakterisirt  der  sich  an  die  p,  q,  .  .  .  —  in  dem 
durch  die  Idee  G^  hestinimten  Zusammenhang  —  anknüpfende 
Widersti-eit.  Dieser  Widerstreit  schafft  abei-  nicht  die  Einheit  0^, 
sondern  eine  andere  Einheit.  Hinsichtlich  der  ersteren  hat  er 
den  Charakter  der  „Trennung",  hinsichtlich  der  neuen  Einheit  den 
der  „Verbindung".  Da  ist  Alles  in  Ordnung.  Ein  Beispiel  zur 
Erläuterung.  In  Hinsicht  auf  einen  bekannten  phänomenalen  Zu- 
sammenhang heifsen  mlfi  und  grün  unverträglich,  roth  und  rund 
verträglich.  Der  Charakter  des  Widerstreits  bestimmt  im  ersten 
Fall  die  Unverträglichkeit,  er  stellt  zwischen  rotk  und  y^rün  „Tren- 
nung" her.  Dessen  uncrachtet  hilft  er  in  Hinsicht  auf  eine  andere 
Zusammenhangsart  eine  Einheit  herstellen,  nämlich  in  Hinsicht  auf 
die  Zusammenhangsart  „  Withrslreit  xwhckeu  sinnlichen  Merk- 
malen eines  phänomenalen  Objecta".  Jetzt  ist  also  Widerstreit 
zwischen  roth  und  grün  Einheit,  und  natürlich  Einheit  bezüglich 
der  Elemente  Widerstreit,  Roth,  Grün.  Dagegen  ist  jetzt  „Wider- 
streit von  roth  und  rnnd^  Uneinigkeit,  und  zwar  hiusichtlich 
dieser  Elemente  Widerstreit^  roth,  rund. 

§  34.     Einige  Axiome. 

Nach  dieser  für  unsere  Fu  n  d  u  mental  anal  yse  sehr  wichtigen  Auf- 
hellung des  Sinnes  der  Vertriigliclikeit.'srelationon,  können  wir  die 
primitiven  Axiome  fixiren  und   ihre  piiänomenologische  Klärung 


vollziehen.  Zunächst  käme  das  Axiom  der  UmkeUrbarkeit 
der  Verträglichkeitsrelationen  (Verträglichkeit,  bezw.  Unver- 
träglichkeit) in  Betracht,  welches  nach  unserer  Analyse  der  zu 
Grunde  liegenden  phänomenologischen  Verhältnisse  ohne  Weiteres 
klar  ist. 

Nähere  Uoberlegimg  erfordert  das  nächst  aufzustellende  Axiom, 
dafs  sich  Einheit  und  Widerstreit,  bezw.  Vereinbarkeit 
und  Unvereinbarkeit  —  die  jeweiligen  Paare  auf  das- 
selbe Fundament  der  Correlation  bezogen  —  wechsel- 
weise ausschliüfsen  (d.  h.  wieder:  dafs  sie  miteinander  unver- 
einbar sind).     Es   braucht  jetzt   nicht  mehr  betont  zu  werden, 

die  ünvereinbiukeit  nicht  die  blofee  Privation  der  Vereinbar- 
ireit,  also  nicht  die  blofse  Thatsache  meint,  es  komme  irgendeine 
Vereinigung  objeotiv  nicht  vor.  Einigung  und  Widerstreit  sind 
phänomenologisch  verschieden  fundirtö  Ideen,  und  es  ist  daher 
wii'klich  fin  inhaltsvoller  Satz  damit  ausgesprochen,  dafs,  wenn 
ein  p  mit  einem  q  gemäfs  der  Einheitsform  0  (p,  7,...)  streitet 
(und  das  Sti-eiten  ist  ein  pliänomenologisch  positiver  Charakter), 
nicht  zugleich  die  Einigung  des  p  mit  dem  q  im  Sinne  desselben 
Ö  „möglich"  ist  Und  umgekehrt:  wenn  diese  Einigung  statthat, 
ist  der  entsprechende  Widerstreit  „unmöglich".  Phänomenologisch 
liegt  dem  zu  Grunde,  was  schon  in  der  obigen  Discussion  zu 
Tage  getreten  ist,  nämlich  dafs  der  actuelle  Widerstreit  zwischen 
p,  ?,...  wenn  wir  versuchen,  ihn  mit  der  entsprechenden  Ein- 
heit p,q,  ■■■  zu  vereinen  —  also  die  irgendwo  mittelst  gewisser 
tn,  «,  ...  wirklich  angeschaute  Einheitsart  G  in  dem  Falle  des 
zugehörigen  Widei-streites  den  p,  q,  ...  actueli  unterzulegen  —  ein 
neuer  Widerstreit  erwächst,  welcher  seine  Fundamente  in  dem 
ersten  Widerstreit  und  dem  anderwärts  angeschauten  Einheits- 
charakter besitzt.  Das  Analoge  zeigt  sich  im  umgekehrten  Falle, 
der  übrigens  auch  als  eine  Anwendung  des  ersten  Axioms  zu  er- 
kennen ist 

Der  Satz,  es  besteht  ein  Widerstreit,  und  es  besteht  ntcA/ 
Einheit  zwischen  denselben  aber  beliebigen  p,  q,  ...,  besagt  ein 
und  dasselbe.     Jedes  nickt  drückt  einen  Widerstreit  aus. 


Wenn  der  Widerstreit  sich  daran  knüpft,  dafs  p,  q  einander 
widerstreiten  sollen,  also  dafs  p,  7,  ...  in  der  Form  des  Wider- 
streits eins  sind,  so  sind  p,  q,  ...  einig,     Mit  andern  Worten: 

Wenn  p,  q   nicht  widerstreiten,   nicht  nicht  einig 
sind,  so  sind  sie  einig  (Axiom   von   der  doppelten 
Verneinung); 
daraus  folgt: 

Eins  von  Beiden  hat  statt,  entweder  Einigung  oder 
Widerstreit  —  ein  „Drittes"  giebt  es  nicht. 
Es  sind  hier  ja  vier  Möglichkeiten  zu  unterscheiden,  die  sich 

so  ausdrücken:    Es  hat  |,„.,       ".1  statt;   es   hat  nicht  statt. 

I  Widerstreit  ( 

Nicht-Einigung  ist  aber  ein  anderes  Wort  für  Widerstreit,  und 

Nicht-Widerstreit  nach  dem  vorigen  Axiom  ein  Aequivalent  für 

Einigung. 

Die  letzte  Klärung  dieser  Axiome  und  ihr  Verhältnis  zu  den 

rein   logischen  geht  über  die  Grenze  der  jetzigen  Untersuchung 

hinaus.     Was  wir  angeführt  haben,  soll  nur  auf  die  inneren  Be- 

üiehungen  hindeuten,  die  wir  späterhin  verfolgen  wollen,  und  uns 

t'in  lebendiges  Bewui'stseiii  davon  geben,  dafs  wir  liier  schon  an  der 

phänomenologischen  Fundameutirung  der  reinen  Logik  arbeiten. 


§  35.    Unvereinbarkeit  von  Begriffen  als  Bedeutungen. 

Wie  die  Vereinbarkeit,  tritt  die  Unvereinbarkeit  für  uns  nur 
im  Zusammenhang  mit  siguitiven,  auf  gewisse  Verknüpfun- 
gen gerichteten  Intentionen  auf,  und  somit  im  Zusammenhang 
mit  signitiven  und  intuitiven  Identificationen.  Der  in  den  letz- 
ten Paragraphen  abgegrenzte  Begriff  der  Unvereinbarkeit  bezieht 
sich  jedoch  nicht  auf  Intentionen,  vielmehr  ist  der  auf  Intentio- 
nen bezogene  und  gleichnamige  Begriff  von  ünvereiivharkeit  ein 
übertragener,  er  ist  ein  Specialfall  des  ursprünglichen,  aber  von 
ganz  bestimmtem,  auf  die  Enttäuschungsverhältoisse  eingeschränk- 
tem GehalL     Es  gilt  hier  das  Analoge  von  dem,  was  wir  oben' 


'  Vgl.  §  31. 


h 


bezüglich  der  Vereinbarkeit  oder  Verträglichkeit  dargethan  haben. 
Wieder  besngt  die  Rede  von  der  Unvereinbarkeit  in  Anwen- 
dung auf  Bedeutungen  („Begrifle")  nicht  jede  beliebige  ideale 
Unvereinbarkeit  derselben,  z.  B.  nicht  die  roin-granunatische;  sie 
betrifft  allein  das  Verhältnis  von  Tlietlbedeutungen  einer  coni- 
plexon  Bedeutung,  welche  sich  nicht  in  übjeetiv  vollständiger  Ver- 
anschauüchiing  erfüllt,  sondern  enttiiusclit,  bezvv.  cnttiiiischen  kann. 
Offenbar  liegt  der  Enttäuschung  Widersti-eit  der  veranschaulichten 
Inlialte  zu  Grunde,  wobei  zu  achten  ist,  dafe  der  Widerstreit  selbst 
nicht  bedeutet  und  ausgedrückt  ist:  anderenfalls  gehörte  der  Wider- 
streit zui-  erfüllenden  „Anschauung",  und  der  Ausdruck  drückte, 
als  ein  durchaus  möglicher,  die  objective  Unmöglichkeit  ange- 
messen aus. 

Der  Zusammenbang  zwischen  der  Bedeutung  und  jeder  der 
einheitlichen  Atisclinuungen,  die  im  Processe  intuitiven  Wider- 
streits einander  ablösen,  ist  ebenfalls  derjenige  des  Widerstreits 
(sc.  unter  partieller  Deckung). 

Die  für  die   Bedeutungen  aufzustellenden  idealen  Gesetze 
der  Möglichkeit  gründen  sich  auf  die  originären  und  allgemeineren 
Begriffe,  bezw.  auf  die  für  diese  selben  oben  aufgestellton  (und  noch 
weiter  zu  vervollständigenden)  Axiome.  Hierher  gehören  Sätze,  wie: 
dafs  sich  Unvereinbarkeit  und  Vereinbarkeit  derselben  Bedeu- 
tungen und  mit  Beziehung  auf  dieselben  Zusammenhänge 
ausschliefsen; 
dafs  von  einem  Paar  contradictorischer  Bedeutungen  (d.  i.  sol- 
cher, von  denen  die  Eine  als  unvereinbar  dasselbe  meint, 
was  die  andere  als  in  sich  einig  meint)  Eine  möglich  und 
die  Andere  unmöglich  ist; 
dafs  das  Negative  eines  Negativen  —  d.  h.  eine  Bedeutung, 
welche  die  Unvereinbarkeit  einer  gewissen  Sache  M  selbst 
wieder  als  eine  Unvereinbarkeit  vorstellt  —  dem  entspre- 
chenden Positivum  gleichwerthig  ist.     Dieses  Positivum  ist 
hiebei   als  die  Bedeutung  definirt,  welche  die  innere  Ein- 
stimmigkeit desselben  M  mitteli-t  derselben  (nach  Abstrich 
der  Negationen  verbleibenden)  Vorstellungsmaterie  vorstellLj 


Solbstverstiindlich  erfordert  es  eine  wirkliche  Theorie  der  Be- 
deiitiinf^on  nach  iliren  logischen  Vorhäjtnissen ,  üal's  alle  derartigen 
Sätze  in  systematischer  Ordnung  aufgestellt  und  erwiesen  werden. 

Wir  brechen  diese  lüekenliaften  Ueberlegungen  ab,  ihre  Er- 
gänzung späteren  Untersuchungen  vorbehaltend.  Zumal  wird  im 
liigisehen  Interesse  eine  viel  weiter  und  vollständiger  durcligefüln-te 
IMiiinoinenolügio  und  Theorie  der  Mcntificirungen  und  Unter- 
scheidungen (und  ganz  besonders  der  partialen)  und  ihrer  sicht- 
lich nahen  Beziehungen  zur  Lehre  von  Kitiigkeit  und  Widersti-eit 
erforderlich  sein. 


Fünftes  Kapitel. 
Das  Ideal  der  Adäquation.    Evidenz  und  Wahrheit. 

§  36.     Einleitung. 

Von  den  Qualitäten  der  Acte  war  in  den  bisherigen  Ueber- 
legungen keine  Rede,  es  war  von  ihnen  nichts  vorausgesetzt.  Die 
Möglichkeit  und  Unmöglichkeit  hat  eben  zu  den  Qualitäten 
keine  besondere  Beziehung.  Auf  die  Möglichkeit  z.  B.  eines  Satzes 
hat  es  keinen  Einflufs,  ob  wir  die  Satzmaterie  als  Materie  eines 
setzenden  Actes  (nicht  eines  zustimmenden,  in  der  Weise  der 
Billigung  anerkennenden  oder  annehmenden ,  sondern  eines  schlicht 
nehmenden  Glaubensaotes)  realisiren,  oder  ob  wir  sie  in  qualitativ 
raodificirter  Weise  ais  Materie  eines  blofsen  Vorstellens  ge- 
geben haben;  es  gilt  immer,  dafe  der  Satz  „möglich"  ist,  wenn 
der  concrete  Act  des  propositionalen  Bedentens  die  erfüllende 
Identifioation  mit  einer  objectiv  vollständigen  Anschauung  von 
gleicher  Materie  zuläfst.  Und  ebenso  ist  es  irrelevant,  ob  diese 
erfüllende  Anschauung  eine  Wahrnehmung  ist,  oder  eine  blofse 
Pluxntasiebildung  u.  dgl.  Da  die  Herstellung  von  Phantasiebil- 
dern in  ungleich  gröfserem  Mafse  unserer  Willkür  unterliegt,  als 
die  von  Wahrnehmungen  und  Setzungen  überhaupt,  so  pflegen 
wir  die  Möglichkeit  mit  Vorliebe  auf  die  Phantasiebildlichkeit  zu 


beziehen.  Als  möglich  gilt  uns  dann,  was  sich  —  objectiv  ge- 
redet —  in  der  Weise  eines  angemossenen  Pliautasiebildcs  realisiren 
läfst,  es  mag  uns  selbst,  dem  empirisch  einzelnen  Individuum,  je 
gelingen  oder  nicht  Vermöge  des  idealen  Zusammenhanges  zwischen 
Wahrnehmung  und  BildvorstGÜung,  wonach  jeder  Wahrnehmung 
o  priori  eine  mögliche  Büdvorstcllung  entspricht,  ist  dieser  Satz 
aber  äquivalent  mit  dem  unseren,  und  die  Einschränkung  des  Be- 
griffes auf  die  Einbildung  unwesentlich. 

Es  wird  sich  jetzt  darum  handeln,  in  aller  Kürze  den  Eiu- 
flufs  der  eben  angedeuteten  Unterschiede  auf  die  Erfüllungsver- 
hältnisse zu  erwägen,  um  für  unsere  Betrachtangen  wenigstens 
einen  vorläufigen  Abschluüs  und  für  die  weiteren  üntei-suchungeo  ] 
einen  Ausbück  zu  gewinnen. 


§  37.     IHe  Erfüllungsfunction  der  Wakmehmung. 
Das  Ideal  der  letzten  Erfüllung. 

Bezüglich  der  Art,  wie  das  Gegenständliche  in  der  Voi-stellung 
voi-stellij;;  wird,  haben  sich  die  Voilkomnienheitsunlerschiede  der 
Fülle  als  bedeutsam  erwiesen.  Die  unterste  Stufe  bilden  die 
signitiven  Acte;  sie  haben  überhaupt  keine  Fülle.  Die  intuitiven 
Acte  liabeu  Fülle,  doch  in  graduellen  Unterschieden  des  Mehr  und 
Minder,  und  zwar  schon  innerhalb  der  Sphäre  der  Imagination. 
Aber  die  noch  so  grofse  Vullkümmeuheit  einer  Imagination  liifst 
eine  Difforeaz  gegenüber  der  Wahrnehmung  bestehen;  sie  giebt 
nicht  den  Gegenstand  selbst,  auch  nicht  zum  Theile,  sie  giebt 
nur  sein  Bild,  das,  solange  es  Überhaupt  Bild,  nie  die  Sache 
selbst  ist.  Diese  verdanken  wir  der  Wabrnehmung.  Auch  sie 
„giebt"  den  Gegenstand  iu  versuhiedeuen  Abstufungen  der  Voll- 
komnionhoit,  in  vei^schiedeuen  Graden  der  „  AbscUattung".  Der 
intentionate  Charakter  der  Wahrnehmung  ist  im  Gegensatze  zum 
biolsen  Vergegenwärtigen  der  Imagination,  das  Gegenwärtigen 
{Prisen tireu).  Dies  ist,  wie  wir  wissen,  ein  innerer  Unterschied 
der  Acte  und,  näher,  ein  solcher  der  Form  iiirer  Repräsen- 
tation (Aiiffassuugsform).  Aber  das  Fräsentiren  macht  im  Allge- 
meinou   nicht  ein  wahrhaftes  Gegenwärtigsein,   sondern  nur  ein 


Las  Ideal  der  Adäquation.     Evidenz  utid  Wahrheit. 


589 


iils  gegenwärtig  Erscheinen,  in  welchem  rfie  gegenständliche  Gegen- 
wart und  mit  ihr  die  Vollkommenheit  der  Wahr-nehmung  Ab- 
stufungen zeigt.  Dies  lehrt  <ier  Hinblick  auf  entsprechende 
Stufenreihen  der  Erfüllung,  auf  welche  hier,  wie  sonst,  alle  Exenipli- 
licirung  der  Vollkomiaenheit  in  der  Vorstelligmachung  des  Gegen- 
standes angewiesen  ist.  Wir  bringen  uns  dabei  zur  Klarheit, 
dafs  sich  über  die  Wahrnehmungsfülle  ein  Unterschied  ausbreitet, 
dem  wir  durch  die  Rede  von  der  porceptiven  Abschattung  gerecht 
zu  werden  versuchten,  ein  Unterschied,  der  aber  nicht  die  Fülle 
nach  ihrejn  Empfindungsgehalt,  nach  ihrem  inneren  Charakter  be- 
trifft, sondern  eine  abgestufte  Ausbreitung  ihres  Charakters  als 
„Fülle",  also  des  auffassenden  Actcbaiakters,  bedeutet.  Dunach 
gilt  uns  [immer  unabhängig  von  allem  Genetischen,  denn  dafs  diese, 
wie  alte  ähnlichen  Unterschiede  associativ  erwachsen  sind ,  wissen 
wir  sehr  vvol|  manches  Element  der  Fülle  als  endgiltige  Präsen- 
tation dos  entsprechenden  gegenständlichen  Elementes:  es  giebt 
sich  als  mit  ihm  identisch,  nicht  als  sein  blofser  Repräsentant, 
sondern  als  es  selbst  im  absoluten  Sinne.  Anderes  wieder  gilt 
als  blofse  „Farbenabsohattung",  „perspectiv ische  Verkürzung"  u.  dgl., 
wobei  es  klar  ist,  dafs  solchen  Reden  auch  im  phänomenologischen 
Inhalt  des  Actes  und  vor  aller  Rotlexion  etwas  entspricht  Wir 
haben  diese  Unterschiede  der  Abschattung  schon  berührt  und  sie 
auch  bei  der  Imagination,  nur  ins  Bildliche  übertragen,  vorge- 
funden. Alle  Abschattung  hat  repräsentativen  Charakter,  und  zwar 
repräsentirt  sie  durch  Aehnlichkeit;  aber  die  Weise  dieser  Reprä- 
sentation durch  Aehnlichkeit  ist  eine  verschiedene,  je  nachdem  die 
Repräsentation  den  abschattenden  Inhalt  als  Bild  oder  als  Selbst- 
darstellung (Selbst- Abschattung)  des  Objects  auffafst  (vgl.  S.  555). 
Die  ideale  Grenze,  welche  die  Steigerung  der  Abschattungsfülle 
zuläfst,  ist  im  Falle  der  Wahrnehmung  das  absolute  Selbst  (wie 
in  der  Imagination  das  absolut  gleichende  Bild),  und  zwar  für  jede 
Seite,  für  jedes  präsentirte  Element  des  Gegenstandes. 

So  weist  die  Erwägung  der  möglichen  ErfüUungsverliältnisse 
auf  ein  abschliefsendes  Ziel  der  Erfüllungssteigerung  hin, 
in  dem  die  volle  und  gesammte  Intention  ihre  Erfüllung 


590    VI.  Elemente  einer  pfiärwmenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

und  zwar  nicht  eine  intermediäre  und  partielle,  sondern  eine 
endgiltige  und  letzte  Erfüllung  erreicht  bat  Der  intuitive 
Gehalt  dieser  abschliefsenden  Vorstellung  ist  die  absolute  Summe 
möglicher  Fülle;  der  intuitive  Repräsentant  ist  der  Gegenstand 
selbst,  so  wie  er  an  sich  ist  Repräsentirender  und  repräsentirter 
Inhalt  sind  hier  identisch  Eines,  und  wo  sich  eine  Vorstellungs- 
intention  durch  diese  ideal  vollkommene  Wahrnehmung  letzte 
Erfüllung  verschafft  hat,  da  hat  sich  die  echte  adaequatio  rei  et 
intellectus  hergestellt:  das  Gegenständliche  ist  genau  als 
das,  als  welches  es  intendirt  ist,  wirklieh  „gegenwärtig" 
oder  „gegeben''^;  keine  Partialintention  ist  mehr  implicirt,  die 
ihrer  Erfüllung  ermangelte. 

Und  damit  ist  eo  ipso  auch  das  Ideal  jeder,  und  somit  auch 
der  significativen  Erfüllung  gezeichnet:  der  intellectus  ist  hier 
die  gedankliche  Intention ,  die  der  Bedeutung.  Und  die  adaequatio 
ist  realisirt,  wenn  die  bedeutete  Gegenständlichkeit  in  der  An- 
schauung im  strengen  Sinne  gegeben  und  genau  als  das  gegeben 
ist,  als  was  sie  gedacht  und  genannt  ist  Keine  gedankliche 
Intention,  die  nicht  ihre  Erfüllung  fände,  und  zwar  ihre  letzte 
Erfüllung,  sofern  das  Erfüllende  der  Anschauung  selbst  nichts 
mehr  von  unbefriedigten  Intentionen  implicirt. 

Man  bemerkt,  dafs  die  Vollkommenheit  der  Adäquation  des 
„Gedankens"  an  die  „Sache"  eine  doppelte  ist:  einerseits  ist  die 
Anpassung  an  die  Anschauung  eine  vollkommene,  da  der  Gedanke 
nichts  meint,  was  die  erfüllende  Anschauung  nicht  als  ihm  zu- 
gehörig vollständig  vorstellig  macht.  Offenbar  sind  darin  die 
früher  (S.  571)  unterschiedenen  beiden  Vollkommenheiten  zusammen- 
gefafst:  sie  ergeben  das,  was  wir  als  „objective  Vollständigkeit*  der 
Erfüllung  bezeichneten.  Andererseits  liegt  in  der  vollständigen  An- 
schauung selbst  eine  Vollkommenheit  Die  Anschauung  erfüllt 
die  in  ihr  terminirende  Intention  nicht  selbst  wieder  in  der  Weise 
einer  Intention,  die  noch  der  Erfüllung  bedürftig  wäre,  sondern 
sie  stellt  die  letzte  Erfüllung  dieser  Intention  her.  Wir  müssen 
also  unterscheiden:  die  Vollkommenheit  der  Anpassung  an  die 
Anschauung   (der  Adäquation    im    natürlichen   und  weiteren 


Das  Ideal  der  Adäquation,     Evidenz  und  Wahrheit. 


591 


Sinn)  von  der  sie  voraussetzenden  Vollkommenheit  der  letzten 
Erfüllung  (der  Adiiquatioii  an  die  „Sache  selbst").  Jede  getreue 
und  pure  Beschreibung  eiaes  anschaulichen  Gegenstiindes  oder 
Vorganges  bietet  ein  Beispiel  für  die  erstere  Vollkommenheit.  Ist 
das  Gegenständliche  ein  innerlieh  Erlebtes  und  in  reflectiver  Wahr- 
nehmung, so  wie  es  ist,  Erfafstes,  dann  kann  sich  die  zweite 
Vollkommenheit  hinzugesellen;  wie  wenn  wir  z.  B.  in  Hinblick 
auf  ein  kategorisches  Urtheil,  das  wir  gerade  fällen,  von  der 
Subjectvorstelhing  dieses  Urtheils  sprechen.  Dagegen  fehlt  die 
erstere  Vollkommenheit,  wenn  wir  den  vor  nns  stehenden  Baum 
einen  „veredelten"  Apfelbaum  nennen,  oder  von  „der  Schwingungs- 
zahl"  des  eben  erklingenden  Tons  sprechen,  und  überhaupt  von 
Bestimmtheiten  eines  Wahrnehmungsobjects,  die,  selbst  wenn  sie 
in  der  Wahrnehmungsintention  mitgemeint  sind,  doch  nicht  wenig- 
stens in  abgeschatteter,  analogischer  W^ei.se  in  die  Erscheinung 
fallen. 

Wir  merken  hier  noch  Folgendes  an.  Da  die  letzte  Erfüllung 
schlechterdings  nichts  von  unerfüllten  Intentionen  einschliefsen 
darf,  mufs  sie  auf  Grund  einer  reinen  Wahrnehnuing  erfolgen; 
eine  objectiv  vollständige  Wahrnehmung,  die  sich  aber  in  der 
Weise  einer  coutinuirlichen  Sjnthesis  unreiner  Wahrnehmungen 
vollzieht,  kann  ihr  tucht  genügen. 

Gegen  diese  Betrachtungsweise,  welche  die  letzte  Erfüllung 
aller  Intentionen  in  Wahrnehmungen  setzt,  wird  sich  das  Bedenken 
erheben,  dafe  das  realisirte  Allgemeinheitsbewufstsein,  welches  den 
allgemein  begrifflichen  Vorstellungen  ihre  Fülle  giebt  und  den 
„allgemeinen  Gegenstand"  „selbst"  vor  Augen  stellt,  sich  auf 
Grund  blofser  Imaginationen  aufbaue,  oder  zum  Mindesten  gegen 
den  Unterschied  zwischen  Wahrnehmung  und  Imagination  un- 
empfindlich sei.  Dasselbe  gilt  offenbar,  und  in  Folge  des  eben 
Gesagten,  für  alle  evidenten  generellen  Aussagen,  die  in  aiioma- 
tischer  Art  „auf  Grund  der  blofsen  Begrifle"  einleuchten. 

Dieser  Einwand  weist  auf  eine  gelegentlich  schon  be- 
rührte Lücke  in  unserer  Untersuchung  hin.  Wahrnehnuiug  galt 
uns,  zunächst  wie  selbstverständlich,  als  gleich  mit  sinnlicher 


Wahrnehmung,  Anschauung  als  gleich  mit  sinnlicher  Anschauung. 
Stillschweigend,  ohne  es  uns  recht  zum  Bewufstsein  zu  brin- 
gen, hiiben  wir  öfters  und  z.  B.  auch  im  Zusammenhang  der 
Erwägungen  über  Verträglichkeit,  die  Schranken  dieser  Begriffe 
überscliritteu :  es  geschah  überall  da,  wo  wir  von  Anschauung 
eines  Widerstreits  oder  einer  Einigkeit  oder  einer  sonstigen  Syn- 
these als  sülciier  sprachen.  Wir  werden  im  nächsten  Kapitel, 
welches  die  kategorialen  Formen  überhaupt  betrifft,  die  Noth- 
wendigkeit  einer  Erweiterung  der  Begriffe  von  Wahrnehmung  und 
sonstiger  Anschauung  erweisen.  Zur  Beseitigung  des  Einwandes 
bemerken  wir  jetzt  nur  soviel,  dafs  die  Iningination ,  welche  die 
Orundlage  der  generalisirendeii  Ahstraction  ist,  darum  nicht  die 
wirkliche  und  eigentliche  Function  der  Erfüllung  übt,  also  nicht 
die  „correspondirende"  Anschauung  darstellt.  Das  individuell 
Einzelne  der  Erscheinung  ist  ja,  wie  wir  mehrfach  betont  haben, 
nicht  selbst  das  Allgemeine  und  enthält  es  auch  nicht  in  der 
Weise  eines  reellen  Stückes  in  sich. 


§  38.     Setzende  Acte  in  Erfüllungsfunction.     Evidenx  im  laxen 

und  sirenijeu  Sintie. 

Unter  dem  Titel  Intentionen  haben  wir  bisher  gleichmäfsig 
setzende  und  nichtsetzende  Acte  befafst.  Indessen,  obschon  das 
Allgemeine  des  Erfülhiugscharakters  wesentlich  durch  die  Materie 
bestimmt  ist,  und  für  eine  Reihe  wichtigster  Verhältni.sse  auch 
nur  die  Materie  in  Betracht  kommt,  so  zeigt  sich  doch  in  anderen 
die  Qualität  als  mitbestimmend  und  dies  so  sehr,  dafs  die  Rede 
von  einer  Intention,  von  einem  Abzielen,  eigentlich  nur  auf  die 
setzenden  Acte  zu  passen  scheint.  Die  Meinung  zielt  auf  die 
Sache,  und  sie  erreicht  ihr  Ziel  oder  en-eicht  es  nicht,  je  nach- 
dem sie  zur  Wahrnehmung  (die  hiebei  ein  setzender  Act  ist) 
in  gewisser  Weise  stimmt  oder  nicht  stimmt.  Und  dann  stimmt 
Setzung  mit  Setzung  überein,  der  intemürende  und  erfüllende  Act 
sind  in  dieser  Qualität  gleich.  Das  blofse  Vorstellen  aber  ist 
passiv,  „es  läfst  die  Sache  dahingestellt".  Wo  sich  dem  blofsen 
Vorstellen  zufällig  eine  angemessene  Wahrnehmung  beigesellt,  da 


Das  Ideal  der  Adäqualion.     Bmdenx  und  Wahrheit. 


593 


tritt  allerdinars,  auf  Grund  der  zusammenpassenden  Materien,  er- 
füllende Decliiing  ein;  aber  schon  im  Uebergange  eignet  sich 
wol  die  Vorstellung  den  Setzungscharakter  zu,  und  die  Deckungs- 
einbeit  selbst  hat  ihn  sicher  in  homogener  Weise.  Jede  actuelle 
Identificrrung,  bezw.  Unterscheidung  ist  ein  setzender 
Act,  mag  sie  selbst  in  Setzungen  fundirt  sein  oder  nicht;  und 
(lieser  Satz  fügt  in  den  wenigen  Worten  eine  fundamentale,  alle 
Ergebnisse  der  letzten  Untersuchungen  über  die  Verhältnisse  der 
Verträghchkeit  bestimmende  Charakteristik  bei,  durch  welche  sich 
die  Theorie  der  Identtficirungen  und  Unterscheidungen  in  noch 
viel  höherem  Mal'se  als  bisher  als  ein  Hauptstück  der  Urtheils- 
theorie  herausstellt.  Mit  Beziehung  darauf,  ob  gerade  setzende 
oder  oh  auch  nichtsetzende  Acte  als  intendirende  und  erfüllende 
fungiren,  klären  sich  Unterschiede  wie  die  zwischen  Illustrirung, 
eventuell  Exemplificirung,  und  Bestätigung  (Bewährung  und  im 
gegensätzlichen  Falle  Widerlegung).  Der  Begriff  Bestätigung  be- 
zieht sich  ausschliefslich  auf  setzende  Acte  im  Verhältnis  zu 
ihrer  setzenden  Erfüllung  und  letztlich  zu  ihrer  Erfüllung 
durch  Wahrnehmungen. 

Diesem  besonders  ausgezeichneten  Falle  widmen  wir  eine 
nähere  Ueberlegung.  In  ihm  liefert  das  Ideal  der  Adäquation  die 
Evidenx.  Im  laxeren  Sinne  sprechen  wir  von  Evidenz,  wo 
immer  eine  setzende  Intention  (zumal  eine  Behauptung)  ihre  Be- 
stätigung durch  eine  correspondirende  und  vollangepafste  Wahr- 
nehmung, sei  es  auch  eine  passende  Synthesis  zusammenhängender 
Einzel  Wahrnehmungen,  findet.  Von  Graden  und  Stufen  der 
Evidenz  zu  sprechen,  giebt  dann  einen  guten  Sinn.  Es  kommen 
in  dieser  Hinsicht  die  Annäherungen  der  Wahrnehmung  an  die 
objective  Vollständigkeit  ilirer  gegenständlichen  Präsentation  in 
Betracht,  und  dann  weiter  die  Fortschritte  zum  letzten  Vollkora- 
menheitsideal :  dem  der  adäquaten  Wahrnehmung,  der  vollen 
Selbstersclieinung  des  Gegenstandes  —  soweit  er  irgend  in  der 
zu  erfüllenden  Intention  gemeint  war.  Der  erkenntuiskritisch 
prägnante  Sinn  von.  Evidenz  beti-ifft  aber  ausschliefslich  dieses 
letzte,  unüberschreitbare  Ziel ,  den  Act  dieser  vollkommensten 

Bnsi*rl,  Log.  Untan.  n.  3g 


594    VI.  Eleme 


inomenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 


Erfüllungssyntliosis,  welcher  der  Intention,  z.B.  der  Urtheils- 
intention,  die  absolute  Inhnltsffllle,  die  des  Gegenstandes  selbst, 
giebt.  Der  Gegenstand  ist  nicht  blofs  gemeint,  sondern  so  wie  er 
gemeint  ist  und  in  Eins  gesetzt  mit  dem  Meinen,  im  strengsten  ■ 
Sinn  gegeben;  im  Uebrigen  ist  es  gleichgiltig,  ob  es  sich  um 
einen  individuellen  oder  allgemeinen  Gegenstand,  um  einen  Gegen- 
stand im  engeren  Sinn  oder  um  einen  Sachverhalt  (dem  Correlat 
einer  identificirenden  oder  unterscheidenden  Synthesis)  handelt. 

Die  Evidenz  selbst  ist,  sagten  wir,  der  Act  jener  vollkom- 
mensten Deckungssynthesis.  Wie  jede  Idendficirung  ist  sie  ein 
objectivirender  Act,  ihr  objectives  Correlat  heifst  Sein  im  Sinne 
der  Wahrheit  oder  auch  Wahrheit  —  falls  man  diesen  letz- 
teren Terminus  nicht  lieber  einem  anderen  aus  der  Reihe  der  Be- 
griffe zutheilen  will,  die  alle  in  der  besagten  phänomenologischen 
Sachlage  wurzeln.     Dnch  hier  bedarf  es  genauerer  Erörterung. 


I 


r 


I 


§  39.     Evidenz  und  Wahrheit. 

1.  Halten  wir  zunächst  den  eben  angedeuteten  Begriff  der 
Wahrheit  fest,  so  ist  die  Wahrheit  als  Correlat  eines  identifici- 
renden Actes  ein  Sachverhalt,  und  als  Correlat  einer  deckenden 
Identificiruug  eine  Identität;  die  volle  Uebereinstimmung 
zwischen  Gemeintem  und  Gegebenem  als  solchem.  Diese 
Uebereinstimmung  wird  in  der  Evidenz  erlebt,  sofern  die  Evidenz 
der  actuelle  Vollzug  der  adäquaten  Identificirung  ist.  Andererseits 
kann  man  den  Satz,  die  Evidonz  sei  „Erlebnis"  der  Wahr- 
heit, nicht  ohne  Weiteres  dahin  interpretiren,  sie  sei  (wenn  wir  den 
Begriff  der  Wahrnehmung  weit  genug  fassen)  Wahrnehmung  und 
bei  der  strengen  Evidenz:  adäquate  Wahrnehmung  der  Wahr- 
heit. Denn  mit  Rücksicht  auf  den  früher'  geüufserten  Zweifel 
werden  wir  zugestehen  müssen,  dafs  der  Vollzug  der  identifici- 
renden Deckung  noch  keine  actuelle  Wahrnehmung  der  gegen- 
ständlichen Uebereinstimmung  ist,  sondern  dafs  sie  dazu  erst  wird 
durch   einen  eigenen  Act  objectivirender  Auffassung,   durch    ein 


'  Vgl.  den  Zusatz  zu  §8,  8.  507  f.  imd  dos  Kapitel  7. 


eigenes  Hinblicken  auf  die  vorhandene  Walirheit.  Und  ^vorhan- 
den" ist  sie  in  der  Tliat.  vi  priori  besteht  liier  die  Möglichkeit, 
jederzeit  auf  die  Uebereinstinimung  liitizublickeu  und  sie  sich  in 
einer  adilquaten  Wahnielunung  zum  intentionalen  Bewufatseiu  zu 
bringen. 

2.  Ein  anderer  Begriff  von  Wahrheit  betrifft  das  ideale  Ver- 
häUnis,  welches  in  der  als  Evidenz  definirten  Deckungseinheit 
zwischen  den  erkenntnismäfsigen  Wesen  der  sich  decken- 
den Acte  obwaltet.  Während  die  Wahrheit  im  vorigen  Sinn  das 
Gegenständliche  war,  das  dem  Acte  der  Evidenz  entsprach,  ist 
die  Wahrheit  im  jetzigen  Sinn  die  zur  Actforiu  gehörige  Idee, 
niinilieh  das  erkenutnismäfsige  und  als  Idee  gofafste  Wesen 
des  empirisch  zufiilligen  Actes  der  Evidenz,  oder  die  Idee  der 
absoluten  Adäquation  als  solcher. 

3.  Wir  erleben  femer  auf  Seite  des  Fülle  gebenden  Actes  in 
der  Evidenz  den  gegebenen  Gegenstand  in  der  Weise  des 
gemeinten:  er  ist  die  Fülle  selbst.  Auch  dieser  kann  als  das 
Sein,  die  Wahrheit,  das  Wahre  bezeichnet  worden ,  und  zwar  in- 
sofern, als  er  hier  nicht  so  wie  in  der  blofsen  adäquaten  Wahr- 
nehmung, sondern  als  ideale  Fülle  für  eine  Intention,  als  wahr- 
machender erlebt  ist;  bezw.  als  ideale  Fülle  des  specifischen 
erkenntnismäfsigen  Wesens  der  Intention. 

4.  Endlich  vom  Standpunkte  der  Intention  ergiebt  die  Auf- 
fassung des  Evidenzverhältnisses  die  Wahrheit  als  Richtigkeit 
der  Intention  {speciell  z.  B.  Urtheilsrichtigkoit),  als  ihr  Ad- 
äquatsein  an  den  wahren  Gegenstand;  bezw.  als  die  Richtigkeit 
des  erkenntnismäfsigen  Wesens  der  Intention  in  specie. 
In  letzterer  Hinsicht  z.  B.  die  Richtigkeit  des  Urtheils  im  logischen 
Sinn  des  Satzes:  der  Satz  „richtet''  sich  nach  der  Sache  selbst; 
er  sagt,  so  ist  es,  und  es  ist  wirklich  so.  Darin  ist  aber  die 
ideale,  also  generelle  Möglichkeit  ausgesprochen,  daik  sich  über- 
haupt ein  Satz  solcher  Materie  im  Sinne  sti'enger  Adäquation  er- 
füllen läfst. 

Wir  müssen  noch  besonders  darauf  achten,  dals  das  Sein,  wel- 
ches (als  obiger  erster  Sinn  von  Wahrheit)  hier  in  Frage  kommt, 

38* 


nicht  zu  verwechseln  ist  mit  dem  Sein  der  Copula  der  „affirma- 
tiven" kategorischen  Aussage.  In  der  Evidenz  handelt  es  sieb  um 
totale  Deckung,  dieses  Sein  aber  entspricht,  wenn  nicht  immer, 
so  zumeist  (Beschaffenheitsurtheil),  partiellen  Identificiriingen. 

Doch    selbst   wo   eine    totale   Identificirung   zur   Prädication 
kommt,   fällt   das   eine  Sein   mit   dem  anderen   nicht  zusammen. 
Denn   wir   bemerken,   dafs  bei  einer  Urtheilsevidenz  (Urtheil   =- 
prädicative  Aussage)  das  Sein   im  Sinne  der  Urtheilswahr- 
hoit  erlobt,   aber   nicht   ausgedrückt   ist,    also  niemals   mit 
dem   in   dem   „«("   der   Aussage    gemeinten    und    erlebten  Sein 
coincidirt.     Dieses  Sein  ist  das  synthetische  Moment  des  Seien- 
den im  Sinne  des  Wahren  —  wie   sollte   es   dessen   Wahrsein 
ausdrücken?    Wir  finden  hier  eben  mehrfache  Uebereinstim- 
mungen  zur  Synthesis  gebracht:   die  Eine,  partielle,  prädi- 
cative ist  behauptend  gemeint  und  adäquat  wahrgenommen,  also 
selbst   gegeben.     (Was    dieses    heifst,    wird    schon   im   nächsten 
Kapitel  durch  die  allgemeinere  Lehre  von  den  kategorialen  Ob- 
jectivationen    an   Klarheit   gewinnen.)     Dies   ist   die  üeberein- 
stimmung    zwischen    Subject    und    Prädicat,    das    Fassen 
dieses   zu   jenem.      Fürs   Zweite    haben   wir    aber   die  Ueber- 
einstimmung,   welche   die  synthetische  Form   des  Actes 
der    Evidenz    ausmacht,    also    die    totale    Deckung    zwischen 
der  Bedeutungsintention  der  Aussago  und  der  Wahrnehmung  des 
Sachverhalts  selbst,  eine  Deckung,  die  sich  natürlich  schrittweise 
vollzieht;  worauf  es  hier  nicht  weiter  ankommt.     Diese  üeber- 
einstimmung   ist   offenbar   nicht   ausgesagt,   sie   ist   nicht  gegen- 
ständlich wie  jene  erstere,  zum  beurtheilten  Sachverhalt  gehörige. 
Zweifellos   kann   sie  jederzeit   ausgesagt,   und  mit  Evidenz  aus- 
gesagt werden.     Sie  wird  dann  zum  wahrmachenden  Sachverhalt 
einer  neuen  Evidenz,  von  welcher  das  Gleiche  gilt,  und  so  weiter. 
Aber  bei  jedem  Schritte  mufs  man  zwischen  dem  wahrmachenden 
und  dem  die  Evidenz  selbst  constituirenden  Sachverhalte  unter- 
scheiden, zwischen  dem  objectivirten  und  dem  nicht  objectivirten. 

Die  soeben  vollzogenen  Untorecheidungen  leiten  uns  zu  fol- 
gender allgemeinen  Erörterung. 


In  unserer  Darstellung  des  Verhältnisses  der  Begriffe  Evi- 
denz und  Wahrheit  haben  wir  auf  der  gegenständlichen  Seite 
der  Acte,  welche  in  der  Evidenz,  sei  es  in  der  Function  der 
Intention  oder  der  der  Erfüllung,  ihre  strenge  Adiiquation  finden, 
nicht  unterschieden  zwischen  Sachverbalten  und  sonstigen  Gegen- 
ständen. Und  dementsprechend  haben  wir  auch  auf  den  phäno- 
menologisoben  Unterschied  zwischen  beziebendeu  Acten  — 
Acten  der  üebereinstimmung  und  Nichtübereinstimmung,  prädica- 
tiven  Acten  —  und  nichtbeziehonden  Acten  keine  Rücksicht 
genommen;  also  auch  nicht  auf  den  Unterschied  zwischen  be- 
ziehenden und  nichtbezichenden  Bedeutungen  und  ideal  gefa&ten 
intentionalen  Wesen  überhaupt.  Die  strenge  Adäquation  kann 
eben  nichtbeziehende  Intentionen,  so  gut  wie  beziehende j  mit  ihren 
vollkommenen  Erfüllungen  in  Eins  setzen;  es  brauchen,  um  speciell 
das  Gebiet  der  Ausdrücke  herauszuheben,  nicht  gerade  Urtheile  als 
Aussagointentioueu  oder  Aussageerfüllungen  in  Frago  zu  kommen, 
auch  nominale  Acte  können  in  eine  Adäquation  treten.  Zumeist 
werden  die  Begriffe  Wahrheit,  Richtigkeit,  Wahres  jedoch  ein- 
geschränkter gefafst,  als  wir  es  danacli  gethan  haben,  sie  werden 
auf  Urtheile  und  Sätze,  bezw.  auf  deren  objective  Correlate,  die 
Sachverhalte  bezogen;  zugleich  ist  von  Sein  vorwiegend  in  Be- 
ziehung auf  absolute  Objecte  (Nicht-Sachverhalte),  obschon  ohne 
sichere  Begrenzung,  die  Rede.  Das  Recht  unserer  allgemeineren 
Fassung  der  Begriffe  ist  unanfechtbar.  Die  Natur  der  Sache  selbst 
fordert  es,  dafs  die  Begriffe  Wahrheit  und  Fatscbbeit,  mindestens 
vorerst,  bo  weit  gesteckt  werden,  dafs  sie  die  Gesammtsphäre  der 
objectivirenden  Acte  umspannen.  Dabei  erscheint  es  als  das 
Paissendste,  die  Begriffe  Wahrheit  und  Sein  so  zu  differenziiren, 
dafs  die  Begriffe  von  Wahrheit  (ein  gewisser  Spielraum  der 
Aequivocation  wird  unvermeidlich,  aber  nach  Kläi-ung  der  Begriffe 
kaum  schädlich  bleiben)  auf  die  Seite  der  Acte  selbst  und  ihrer 
ideal  zu  fassenden  Momente  bezogen  werden,  die  Begriffe  von  Sein 
(Wahrhaft-sein)  auf  die  zugehörigen  gegenständlichen  Corre- 
late. Dementsprechend  hätten  wir  die  Wahrheit  nach  2}  und  4) 
zu  detiniren  als  Idee  der  Adäquation,  oder  aber  als  Richtigkeii 


I 


der  objectivirenden  Setzung  und  Bedeutung.  Das  Sein  im  Sinne 
der  Wahrheit  wiü-o  dann  nach  1)  nnd  3)  zu  bestimmen  als  Iden- 
tität des  in  der  Adä(iuatinn  zugleich  gemeinten  und  gegebenen 
Gegenstandes,  oder  aber  (dem  natüilichen  Wortsinn  entsprechender) 
als  das  adäquat  Wahrnehmbare  überhaupt  in  unbestimmter  Be- 
ziehung auf  irgendeine  dadurch  wahrzumachende  (adäquat  zu  er- 
füllende) Intention. 

Nachdem  die  Begriffe  in  dieser  Weite  gefafst  und  phänomeno- 
logisch gesichert  sind,  kann  man  dazu  übergehen,  in  Rücksicht- 
nahme auf  den  Unterschied  der  beziehenden  und  nichtl)eziehenden 
Acte  (Prädicationen  —  absolute  Positionen)  engere  Begriffe  von 
Wahrheit  und  Sein  abzugrenzen.  Der  engere  Wahrbeitsbegriff 
würde  sich  dann  auf  die  ideale  Adäquation  eines  beziehenden 
Actes  an  die  zugehörige  adäquate  Sacliverhaltwahrnehmung  be- 
schränken; ebenso  würde  der  engere  Seinsbegritf  das  Sein  von  ab- 
soluten Gegenständen  betreuen  und  dasselbe  vom  „Bestehen"  der 
Sachverhalte  abscheiden. 

Danach  ist  Folgendos  klar:  Definirt  man  Urtheil  als  setzenden 
Act  überhaupt,  so  deckt  sich,  subjectiv  geredet,  die  Sphäre  des 
ürtheils  mit  den  vereinigten  Sphären  der  Begrifle  Wahrheit  und 
Falschheit  im  weitesten  Sinne.  Definirt  man  es  durch  die  Aus- 
sage imd  ihre  möglichen  Erfüllungen,  befafst  man  unter  Urtheil 
also  nur  die  Sphäre  der  beziehenden  Setzungen,  so  besteht  die- 
selbe Deckung  wieder,  wofern  nur  auch  die  engeren  Begriffe  von 
Wahrheit  und  Falschheit  zu  Grunde  gelegt  werden.  — 

Einseitig  haben  wir  bisher  den  Fall  der  Evidenz,  also  den 
als  totale  Deckung  beschriebenen  Act  bevorzugt.  Der  Evidenz 
entspricht  aber  mit  Rücksicht  auf  den  correlaten  Fall  des  Wider- 
streits die  Absurdität,  als  Erlebnis  des  völligen  Widerstreits  zwi- 
schen Intention  und  Quasi-Erfüllung.  Es  entsprechen  dann  den  Be- 
griffen Wahrheit  und  Sein  die  correlaten  Begriffe  Falschheit  und 
Nichtsein.  Die  phänomenologische  Klärung  dieser  Begriffe  ist, 
nachdem  wir  alle  Fundamente  vorbereitet  haben,  ohne  besondere 
Schwierigkeiten  zu  vollziehen.  Es  müfste  vorerst  das  negative 
Ideal  der  letzten  Enttäuschung  genau  imischrieben  werden. 


* 


Bei  der  strengen  Fassung  des  EvidenzbegrifFes,  die  wir  hier 
mi  Grunde  gelegt  haben,  ist  es  oftenbar,  dals  Zweifel  derart, 
wie  sie  in  neuerer  Zeit  zu  gelegentlicher  Aeufserung  kamen, 
absurd  sind:  uäuilich  ob  nicht  mit  derselben  Materie  A  bei  dem 
Einen  das  Erlebnis  Evidenz  imd  bei  dem  Andern  das  der  Ab- 
surdität vorknüpft  sein  konnte.  Dergleichen  Zweifel  waren  nur 
so  lange  möglich,  als  man  Evidenz  und  Absurdität  als  eigenartige 
(positive,  bezw,  negative)  Gefühle  deutete,  welche,  dem  ürtheils- 
ueto  ziitiillig  anhängend,  ihm  jene  besondere  Äuszeiebnung  ertheilen, 
die  wir  logisch  als  Wahrheit,  bezw.  Falschheit  bewertheu.  Erlebt 
Jemand  die  Evidenz  J,  so  ist  es  evident,  dafs  kein  Zweiter  die 
Absurdität  desselben  A  erleben  kann;  denn,  dafs  A  evident  ist, 
heifst:  A  ist  nicht  blols  gemeint,  sondern  genau  als  das,  was  es 
geraeint  ist,  auch  wahrhaft  gegeben;  es  ist  im  strengsten  Sinne 
selbst  gegenwärtig.  Wie  soll  nun  für  eine  zweite  Person  dieses 
selbe  A  gemeint,  aber  die  Meinung,  es  sei  .4,  durch  ein  wahrhaft 
Gegebenes  non-.-l  wahrhaft  ausgeschlossen  sein?  Man  sieht,  es 
handelt  sich  um  die  Sachlage,  die  der  Satz  vom  Widerspruch  zum 
Ausdruck  bringt  — 

Aus  unseren  Analysen  geht  mit  zuverlässiger  Klarheit  hervor, 
dafs  Sein  und  Nichtsein  keine  Begriffe  sind,  die  ihrem  Ursprung 
nach  zu  den  Urtheils(juaH täten  gehören.  Im  Sinn  unserer  Auf- 
fassung der  phänomenologischen  Verhältnisse  ist  jedes  ürtheil 
setzend,  und  Setzung  kein  Charakter  des  «/,  der  im  nicht  ist 
sein  qualitatives  Gegenstück  fände.  Das  qualitative  Gegenstück 
zu  ürtheil  ist  bloise  Vorstellung  derselben  Materie.  Die  Unter- 
schiede zwischen  ist  und  nicht  ist  sind  Unterechiode  der  inten- 
tionalen  Materie.  So  wie  das  ist  in  der  Weise  der  Bedeutungs- 
intention die  prädicative  Uebereinstimmung  ausdrückt,  so  drückt 
das  nicht  ist  den  pradicativen  Widerstreit  aus. 


Zweiter  Abschnitt 
Sinnlichkeit  und  Verstand. 


Sechstes  Kapitel. 
Sinnliclie  und  kategoriale  Anschauungen. 

§  40.     Das  Problem  der  Erfiillung  kaiegoriaier  Bedtutungafornteri  und 
ein  leitender  Gedanke  für  dessen  Lösung. 

In  unseren  bisherigen  Darlegungen  ward  uns  eine  grofse 
Lücke  wiederholt  recht  empfindlich.  Sie  betraf  die  kategorialen 
objectiven  Formen,  bezw.  die  „synthetischen"  Functionen  in  der 
Sphäre  der  objectivirenden  Acte,  durch  welche  sich  diese  objec- 
tiven Formen  constituiren,  durch  welche  sie  zur  „Anschauung"* 
und  doiugemärs  auch  zur  ^Erkenntnis"  kommen  sollen.  Wir  wollen 
den  Versuch  wagen,  diese  Lücke  einigermafsen  auszufüllen  und 
knüpfen  wieder  an  die  Untersuchung  des  ersten  Kapitels  an,  die 
auf  ein  beschränktes  Ziel  der  Erkenntnisklärung  gerichtet  war, 
nämlich  auf  das  Verhältnis  ausdrückender  Bedeutungsintention 
und  ausgedrückter  sinnlichen  Anschauung.  Wir  legen  vorläufig 
auch  wieder  die  einfachsten  Fälle  von  Wahrnehmungs-  und  sonsti- 
gen Anschauungsaussagen  zu  Grunde  und  machen  uns  auf  Grund 
derselben  das  Thema  der  nächsten  Betrachtungen  klar,  wie  folgt: 

Im  Falle  der  Wahrnehmungsaussage  erfüllen  sich  nicht  nur 
die  ihr  eingellochtenen  nominalen  Vorstellungen;  Erfüllung  durch 
die  unterliegende  Wahrnehmung  findet  die  Aussagebedeutung  im 
Ganzen.  Von  der  ganzen  Aussage  heifst  es  ja  gleichfalls,  daGä  sie 
unserer  Wahrnehmung  Ausdruck  gebe;  wir  sagen  nicht  blofs,  ich 
sehe  dieses  Papier,  ein  Tiiilenfaß,  mehrere  Bücker  u.  dgl.,  son- 
dern auch  ich  sehe,  dafs  dieses  Papier  beschrieben  ist,  dafs  hier 
ein  Tintenfafs  aus  Bronce  sieht,  dafs  mehrere  Bücher  aufge- 
schlagen sind  u.  s.  w.  Erscheint  Jemandem  die  Erfüllung  nomi- 
naler Bedeutungen  als  hinreichend  klar,  so  stellen  wir  die  Frage, 


J 


wie  die  Ei-füllung  der  ganzen  Aussagen,  zumal  nach  dem,  was 
über  ihre  „Materie",  d.  li.  hier  über  die  nominalen  Termini  hin- 
ausreicht, zu  verstehen  ist?  Was  soll  und  kann  den  Bedeutuogs- 
momenten,  welche  die  Satzform  als  solche  ausmachen,  und  wozu 
beispielsweise  die  Copula  gehört  —  den  Momenten  der  „katego- 
rialen  Form"  —  Erfüllung  verschafien? 

Näher  besehen,  überträgt  sich  diese  Frage  aber  auch  auf  die 
nominalen  Bedeutungen,  wofern  sie  nicht  gerade  formlos  sind  wie 
die  Eigenbedeutungen.  Wie  die  Aussage,  so  besitzt  der  Name 
schon  in  der  grammatischen  Erscheinung  seine  „Materie"  und 
seine  „Form".  Zerfällt  er  in  Worte,  so  liegt  die  Form  theils  in 
der  Weise  der  Aneinanderreihung,  theils  in  eigenen  Formworten, 
theils  in  der  Bildiingsweise  des  einzelnen  Wortes,  das  dann  in 
sich  selbst  noch  Momente  der  „Materie"  und  Momente  der  „Form" 
unteischeiden  läfst.  Derartige  grammatische  Unterscheidungen 
weisen  auf  Bedeutungsunterselieidungon  zurück;  mindestens  im 
Rohen  drücken  die  grammatischen  Gliederungen  und  Formen  die 
im  Wesen  der  Bedeutung  gründenden  Gliederungen  und  Formen 
aus;  wir  finden  also  in  den  Bedeutungen  Theile  von  sehr  ver- 
schiedenem Charakter,  und  unter  ihnen  fallen  uns  hier  spociell 
diejenigen  auf,  welche  durch  Formworte  wie  das,  ein,  einige^ 
viele,  u'enige,  xieei,  ist,  nicht,  ivelches,  und,  oder  u.  s.  w.  ausge- 
drückt werden;  ferner  durch  die  substantivische  und  adjectivische, 
singulare  und  plurale  Bildungsform  der  Worte  u.  s.  w. 

Wie  verhält  sich  nun  all  das  in  der  Erfüllung?  Ist  das  im 
dritten  Kapitel  formulirto  Ideal  vollständig  angemessener  Erfüllung 
aufrecht  zu  halten?  Entsprechen  allen  Theilen  und  Formen 
der  Bedeutung  auch  Theile  und  Formen  der  Wahrneh- 
mung? Diesenfalls  bestände  also  zwischen  dem  bedeutenden 
Meinen  und  dem  erfüllenden  Anschauen  jener  Parallelismus, 
den  die  Rede  vom  Ausdrücken  nahelegt.  Der  Ausdruck  wäre 
ein  bildartiges  Gegenstück  der  Wahrnehnumg  (sc.  nach  all  ihren 
Theilen  oder  Formen,  die  eben  ausgedrückt  sein  sollen),  obsclion 
hergestellt  aus  einem  neuen  Stoff  —  ein  „Aus-druck''  in  dem 
Stoffe  des  Bedeutens. 


Das  Prototyp  für  die  Interpretation  des  Verhältnisses  zwischen 
Bedeuten  uud  Anscliaueu  wäre  also  das  Verhältnis  der  Eigenbe- 
deutung zu  den  entsprechenden  WaLroehnuingen.  Wer  Köln  selbst 
kennt  uud  demgemäl's  die  wahre  Eigonbedeutuug  des  Wortes  Kö/n 
hat,  besitzt  in  dem  jevveiligcu  «etuellen  Bedeutungserlebnis  ein 
der  künftig  bestätigenden  Wuhrnobmung  genau  Entsprechendes. 
Es  ist  nicht  eigentliches  Gegenbild  der  Wahrnehmung,  wie  etwa 
die  entsprechende  Phantasie;  aber  wie  in  der  Wahmehniung  die 
Stadt  (vermeiotlicli)  selbst  gegenwärtig  ist,  so  meint,  nach  dem 
früher  Erürtortun,  der  Eigenname  Köln  in  seiner  Eigenbedeutiing 
dieselbe  Stadt  „direct",  sie  selbst,  so  wie  sie  ist.  Die  schlichte 
Wahrnehmung  bringt  hier  ohne  Hilfe  weiterer,  auf  sie  gebauter 
Acte  den  Gegenstand  zur  Erscheinung,  welchen  die  Bedeutuugs- 
intentioa  meint,  und  so  wie  sie  ihu  meint.  Die  Bedeutungsinten- 
tion findet  darum  in  der  blofseu  Wahrnehmung  den  Act,  in  dem 
sie  sich  vollständig  angemessen  erfüllt. 

Betrachten  wir  statt  der  direct  nennenden,  formlosen,  viel- 
mehr geformte  und  gegliederte  Ausdrücke,  so  scheint  die  .Sache 
zunächst  ebenso  zu  liegen.  Ich  sehe  weifees  Papier  und  sage 
weifses  Papier,  damit  drücke  ich,  genau  anmessend,  nur  das 
aus,  was  ich  sehe.  Ebenso  bei  ganzen  Urtheilen.  Ich  sehe, 
dafs  dieses  Papier  weifs  ist,  und  genau  dies  drücke  ich  aus,  ich 
sage  aus:  dies  Papier  ist  weifs. 

Wir  werden  uns  durch  solche,  in  gewisser  Weise  richtigen  und 
doch  leicht  mifsverstäudlichen  Reden  nicht  täuschen  lassen.  Damit 
könnte  man  ja  sogar  begründen  wollen,  dafs  die  Bedeutung  liier 
in  der  Wahrnehmung  liege,  was,  wie  wir  festgestellt  haben,  nicht 
zutrifft.  Das  Wort  weifs  meint  sicherlich  etwas  am  weifsen  Papier 
selbst,  und  somit  deckt  sich  im  Status  der  Erfüllung  dieses  Mei- 
nen mit  der  auf  das  Weifemomeut  des  Gegenstandes  bezüglichen 
Partialwahrnehmung.  Aber  die  Anuahme  einer  blofseu  Deckungfd 
mit  dieser  Partiahvahrnchumng  will  nicht  auslangen.  Man 
pllegt  hier  zu  sugeu,  das  erscheinende  Weifs  werde  als  weifs 
erkannt  und  geuaunt.  Indessen  die  normale  Rede  vom  Erken- 
nen bezeichnet  vielmehr  den  Subjectgegenstand  als  den  „er* 


kannton".  In  diesem  Erkennen  lie^  offenbar  ein  anderer  Act 
vur,  der  jenen  erstoren  vielleicht  einschliefst,  jedenfalls  aber  von 
ihm  verschieden  ist.  Das  Fnpier  wird  als  weifs,  oder  vielmehr 
als  weifsos  erkannt,  wo  wir,  die  Wahrnehmung  ausdrückend,  sagen 
weißes  Papier.  Die  Intention  des  Wortes  weifses  deckt  sich  nur 
partiell  mit  dem  Farbenmoment  des  erscheinenden  Gegenstandes, 
es  bleibt  ein  Uoberschiiis  in  der  Bedeutung,  eine  Form,  die  in 
der  Erscheinung  selbst  nichts  findet,  sich  darin  zu  bestätigen. 
Weifses,  d.  h.  weifs  seiendes  Papier.  Und  wiederholt  sich  diese 
Form  nicht  auch,  obschon  verborgener  bleibend,  bei  dem  Haupt- 
wort Papier?  Nur  die  in  seinem  „Begriff"  vereinten  Merkmal- 
bedeutungen terminiren  in  der  Wahrnehmung;  auch  hier  ist  der 
ganze  Gegenstand  als  Papier  erkannt,  auch  hier  eine  ergänzende 
Form,  die  das  Sein,  obschon  nicht  als  einzige  Form,  enthält.  Die 
Erfüllungsleistuug  der  schlichten  Wahrnehmung  kann  an  solche 
Formen  offenbar  nicht  hinanreichen. 

Wir  brauchen  des  Weiteren  nur  zu  fragen,  was  dem  Unter- 
schiede der  beiden,  auf  Grund  derselben  Wahrnehmung  vollzoge- 
nen Beispielsausdrücke  dieses  ifeifse  Papier  und  dieses  Papier  ist 
weifs  —  also  dem  Unterschied  der  attributiven  und  prädicativen 
Aussageform  —  auf  Seite  der  Wahrnehmung  entspricht,  was  er 
au  ihr  eigentlich  ausprägt,  und  im  Falle  adäquater  Anmessung 
mit  besonderer  Genauigkeit  ausprägt:  so  merken  wir  dieselbe 
Schwierigkeit.  Kurzum  wir  sehen  ein,  so  einfach  wie  bei  der 
Eigenbedeutung  mit  ihrer  scMichton  Deckungsbeziehung  zur  Wahr- 
nehmung liegt  die  Sache  bei  den  geformten  Bedeutungen  nicht. 
Gewiis  kann  man  verständlich  und  für  den  Hörenden  eindeutig 
sagen,  ich  sehe,  da/s  dieses  Papier  weifa  ist;  aber  die  Meinung 
dieser  Rode  mufs  es  nicht  sein,  dafs  die  Bedeutung  des  ausge- 
sprochenen Satzes  einem  blofsen  Sehen  Ausdruck  gebe.  Es 
kann  ja  auch  sein,  dafs  das  erkenntnismäfsige  Wesen  des  Sehens, 
in  dem  sich  die  erscheinende  Gegenständlichkeit  als  selbst  gegebene 
bekundet,  gewisse  verknüpfende  oder  beziehende  oder  sonstwie 
formende  Acte  begründet,  und  dafs  diese  es  sind,  denen  sich 
der  Ausdruck  mit  seinen  wechselnden  Formen  anmiist,   und  in 


604    VI.  Element^f/^flänoTneTtolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 


denen  er,  hinsichtlich  dieser  Formen,  als  auf  Grund  actueller 
Wahrnehmung  vollzogenen,  seine  Erfüllung  findet.  Nehmen  wir 
diese  fundirten  Acte  oder  vielmehr  Actformen  mit  ihren  fundiren- 
den  Acten  zusammen,  und  befassen  wir  unter  dem  Titel  fnndir- 
ter  Act  die  ganzen  complexon  Acte,  die  durch  jene  formale  Fun- 
dirung  erwachsen,  so  können  wir  sagen:  unter  Voraussetzung  der 
eben  angezeigten  Möglichkeit  stellt  sich  der  Ptuulleüsmus  wieder 
her,  nur  ist  es  kein  Parallelismus  zwischen  den  Bedeutungsinten- 
tionon  der  Ausdrücke  und  ihnen  entsprechenden  blofsen  Wahr- 
nelmuingen,  sondern  zwischen  den  Bedeutiingsiutentionen  und 
jenen  in  Wahrnobmuugeü  fundirten  Acten. 


§  41.     FOrtseixung.     Erweiterung  der  Beispielsphäre. 

Denken  wir  uns  den  Kreis  der  Beispiele  so  weit  ausgedehn 
dafs  er  das  Gesammtgebiet  des  priidicirenden  Denkens  uoifa&t, 
so  ergeben  sich  die  analogen  Schwierigkeiten  und  analoge  Mög- 
lichkeiten zu  deren  Ueberwindung.  Es  treten  dann  zumal  auch 
die  Urtheile  hinzu,  welche  keine  bestimmte  Beziehung  auf  eine 
individuelle,  durch  irgendwelche  Anschauung  zu  gebende  Einzel- 
heit haben,  sondern  in  genereller  Weise  Beziehungen  zwischen 
idealen  Einheiten  ausdrücken.  Auch  die  generellen  Bedeutungen 
solcher  Urtheile  können  sich  auf  Grund  „correspondirender"  An- 
schauung vollziehen,  wie  ja  auch  ihr  Ursprung  unmittelbar  oder 
mittelbar  in  der  Anschauung  liegt.  Aber  das  anschaulich  Einzelne 
ist  hiebei  nicht  das  Gemeinte,  es  fungirt  bestenfalls  als  singu- 
lärer  Fall,  als  Beispiel,  oder  nur  als  rohes  Analogen  eines  Bei- 
spiels, des  Allgemeinen,  auf  das  es  allein  abgesehen  ist.  So  mag 
uns  z.  B.,  wenn  wir  generell  von  Farbe  oder  specicil  von  Böthe 
sprechen,  die  Erscheinung  eines  siugulären  rothen  Dinges  die 
belegende  Anschauimg  liefern. 

Gelegentlich  kommt  es  hier  übrigens  auch  vor,  dala  man  die 
generelle  Aussage  geradezu  als  Ausdruck  der  Anschauung  be- 
zeichnet. So  wie  man  z.  B.  sagt,  ein  arithmetisches  Axiom  drücke 
aus,  was  in  der  Anschauung  liege;  oder  wenn  man  einem  Geometer 
den  Vorwurf  macht,  er  drücke,  statt  formal  zu  deduciren,  blofs 


fi 


JUIS 

d 


aus,  was  er  an  der  Figur  sehe,  er  entnehme  ans  der  Zeichnung 
und  unterschlage  Beweisschritte.  Solche  Rede  hat  ihren  guten 
Sinn  (wie  denn  der  Einwand  in  nicht  unerheblichem  Umfang  die 
formale  Schlüssigkeit  der  Euclidischen  Geometrie  triift);  nur  meint 
das  Ausdrucken  hierin  etwas  Anderes  als  in  den  früheren  Fällen. 
Ist  schon  bei  jenen  der  Ausdruck  kein  b!o&es  Gegenbild  der 
Anschauung,  so  hier  erst  recht  nicht,  wo  die  Intention  den  Ge- 
danken garnicht  auf  die  anschaulich  gegebene  Erscheinung  und 
ihre  anschaulichen  Eigenschaften  oder  Verhältnisse  geht,  ja  im 
Beispiele  garnicht  gehen  kann:  die  Figur  im  geometrischen  Sinn 
ist  bekanntlich  eine  ideale  Grenze,  die  in  concreto  überhaupt  nicht 
anschaulich  nachweisbar  ist.  Bei  alldem  hat  aber  die  Anschauung 
auch  hier,  und  im  generellen  Gebiet  überhaupt,  eine  wesent- 
liche Beziehung  zum  Ausdruck  und  zu  seiner  Bedeutung;  diese 
bilden  daher  ein  Erlebnis  auf  Anschauung  bezogener  Allgemein- 
erkenntnis, kein  blofses  Zusammen,  sondern  eine  fühlbar  zusammen- 
gehörige Einheit.  Auch  hier  orientirt  sich  Begriff  und  Satz  nach 
der  Anschauung,  und  nur  dadurch  erwächst,  bei  entsprechender 
Anpassung,  die  Evidenz,  der  Werth  der  Erkenntnis.  Andererseits 
bedarf  es  keiner  langen  üeberlegung,  um  einzusehen,  dals  die 
Bedeutung  der  hiehergehörigen  Ausdrücke  ganz  und  garnicht  in 
der  Anschauimg  liegt,  sondern  dafs  diese  ihr  nur  die  Fülle  der 
Klarheit  und  günstigen  Falls  der  Evidenz  ertheiU.  Es  ist  ja  zu  be- 
kannt, daia  die  unvergleichliche  Mehrheit  der  generellen  Aussagen, 
zumal  der  wissenschaftlichen,  ohne  jedwede  klärende  Anschauung 
bedeutsam  fungiren,  und  dafs  nur  ein  verschwindender  Theil  {auch 
der  wahren  und  begründeten)  einer  vollen  Durclileuchtung  mit 
Anschauung  zugänglich  ist  und  bleibt. 

Aehnlich  wie  im  individuellen  Gebiet  bezieht  sich  die  natiii'- 
liche  Rede  von  Erkenntnis  auch  im  generellen  Gebiet  auf  die 
anschaulich  fundirten  Denkacte.  Entfällt  die  Anschauung  ganz 
und  gar,  so  erkennt  das  UrtheU  zwar  nichts,  immerhin  meint  es 
aber  in  seiner  rein  gedanklichen  Art  genau  das,  was  durch  Hilfe 
der  Anschauung  zur  Erkenntnis  käme  —  wenn  das  Urtheil  über- 
haupt ein  wahres  ist.    Die  Erkenntnis  aber  hat,  wir  können  dies 


in  jedem  Falle  nachträglicher  Bewährung  des  generellen  Urtheils 
an  der  Anschauung  beobachten,  so  wie  jede  sonstige  Erkenntnis 
den  Charakter  der  Erfüllung  und  Identificirung. 

Zur  Lösung  der  Schwierigkeit,  wie  Identificirung  hier  zn 
Stande  kommen  soll,  da  die  Form  des  generellen  Satzes,  zumal 
die  Form  der  Allgemeinheit,  in  der  individuellen  Anschauung  ihr 
sympathische  Elemente  vergeblich  suchen  würde,  bietet  sich  dann, 
analog  wie  oben,  die  Möglichkeit  der  fundirten  Acte,  die,  näher 
ausgeführt,  etwa  so  zu  gestalten  wäre: 

Wo  generelle  Gedanken  in  Anschauung  ihre  Erfüllung  finden, 
da  bauen  sich  auf  den  Wahrnehmungen  oder  sonstigen  Erschei- 
nungen gleicher  Ordnung  gewisse  neue  Acte  auf,  und  zwar  Acte, 
welche  sich  auf  den  erscheinenden  Gegenstand  in  ganz  anderer 
Weise  beziehen,  als  diese  ihn  jeweils  constituirenden  Anschau- 
ungen. Die  Verschiedenheit  der  Beziehungsweise  spricht  sich  in 
der  selbstverständlichen  und  oben  schon  gebrauchten  Wendung  aus, 
dafs  hier  der  anschauliche  Gegenstand  nicht  selbst  als  der  gemeinte 
dastehe,  sondern  nur  als  klärendes  Beispiel  für  die  eigentliche, 
generelle  Meinung  fungire.  Indem  nun  die  ausdrückenden 
Acte  diesen  Unterschieden  folgen,  geht  auch  ihre  significative 
Intention  statt  auf  ein  anschaulich  Vorzustellendes  vielmehr  auf 
ein  Allgeraeines,  durch  Anschauung  nur  zu  Belegendes.  Und  wo 
sich  die  neue  Intention  durch  unterliegende  An.schauung  adäquat 
erfüllt,  erweist  sie  ihre  objective  Möglichkeit,  bezw.  die  Möglich' 
keit  oder  „Realität"  des  Allgemeinen. 

§  42.     Der  Unterschied   zwischen   sinnlichem   Stoff  und   kategorialer 
Fonn  in  der  Oesammtsphäre  der  objectivirenden  Acte. 

Nachdem  diese  vorläufigen  Betrachtungen  uns  die  Schwierig- 
keit kennen  gelehrt  und  uns  sogleich  einen  leitenden  Gedanken 
für  ihre  mögliche  Ueberwindung  an  die  Hand  gegeben  haben, 
versuchen  wir  die  eigentliche  Durchführung  der  Erwägung. 

Wir  giengen  davon  aus,  dafs  die  Idee  eines  gewissermafsen 
bildartigen  Ausdrückens  ganz  unbrauchbar  ist,  um  das  Verhältnis 
zu  beschreiben,  das  zwischen   den   ausdrückenden  Bedeutungen 


und  den  nusgedriickteu  Anscliauungen  im  Falle  geformter  Aus- 
drücke statthat.  Dies  ist  zweifellos  richtig  und  soll  jetzt  nur  nocli 
eine  näliere  Bestimmung  erfahren.  Wir  brauchen  uns  blofs  erust- 
lich  zu  überlegen ,  was  ruögUcher  Weise  Sache  der  Wahrnehmung  und 
was  Sache  des  Bedeutens  ist,  und  wir  müssen  aufmerksam  werden, 
dafs  jeweils  nur  gewissen,  in  der  blofsen  Urtheilsforra  im 
voraus  angebbaren  Aussagetheilen  in  der  Anschauung 
etwas  entspricht,  während  den  anderen  Aussagetheilen 
in  ihr  überhaupt  nichts  entsprechen  kann. 

Sehen  wir  uns  diese  Sachlage  etwas  näher  an. 

Die  Wahrnehmutigsaiissagon  sind,  einen  normalen  vollstän- 
digen Ausdruck  vorausgesetzt,  gegliederte  Reden  von  wechselnder 
Gestalt.  Wir  untei-scheiden  leicht  gewisse  Typen  wie  E  ist  P 
(wo  E  als  Anzeige  eines  Eigennamens  stehen  mag),  ein  S  ist  P, 
das  S  ist  P,  alle  S  sind  P  u.  s.  w.  Mannigfache  Verwicklungen 
entstehen  durch  den  moderirenden  Eintlufs  der  Negation,  durch 
Einführung  des  Unterschiedes  zwischen  absoluten  und  relativen 
Prädicaten,  bezw.  Attributen,  durch  conjunctive,  disjunctive,  deter- 
minative Anknüpfungen  u.  s.  w.  In  der  Verschiedenheit  dieser 
Typen  prägen  sich  schade  Bedeutungsunterschtede  aus.  Den  ver- 
schiedenen Buchstabenzeichen  und  Wörtern  in  diesen  Typen  ent- 
sprechen tlieils  Glieder,  theils  verbindende  Formen  in  den  Bedeu- 
tungen der  zu  diesen  Typen  gehörigen  actuellen  Aussagen.  Es 
ist  nun  leiciit  zu  sehen,  dafs  ausschliefslich  an  den  durch 
Buchstabensymbole  angezeigten  Stellen  solcher  „Urtheils- 
formen"  Bedeutungen  stehen  können,  die  sich  in  der  Wahrneh- 
mung selbst  erfüllen,  während  es  für  die  ergänzenden  Fonnbe- 
deutiingen  aussichtslos,  ja  grundverkehrt  wäre,  in  der  Wahrnehmung 
direct  das  zu  suchen,  was  ihnen  Erfüllung  zu  geben  vermag. 
Freilich  können  die  Buchstaben,  vermöge  ihrer  blofs  functionellen 
Bedeutung,  auch  den  Werth  complexer  Gedanken  annehmen;  es 
können  eben  sehr  verwickelt  gebaute  Aussagen  unter  dem  Gesichts- 
punkt sehr  einfacher  Urtheilstypen  aufgefafst  werden.  Demgemäfs 
wiederholt  sich  bei  dem,  was  wir  einheitlich  als  Terminus  ins 
Auge  fassen,  derselbe  Unterschied  zwischen  „Stoff"  und  „Form'*. 


608    VI.  Elemente  einer  pliätiotnenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 


Aber  schliefslich  kommen  wir  in  jeder  Wabmebmungsaussage  und 
desgleichen  natürlicb  bei  jeder  anderen,  Anschaaang  in  einem 
gewissen  primären  Sinn  Ausdruck  gebenden  Aussage,  auf  letzte  in 
den  Terminis  vorhandenen  Elemente  —  wir  nennen  sie  die  stoff- 
lichen Elemente  —  welche  in  der  Anschauung  (Wahrnehmung, 
Einbildung  u.dgl.)  directe  Erfüllung  finden,  wilhrend  die  ergänzen- 
den Formen,  obschon  sie  als  Bedeutungsformen  gleichfalls  Er- 
fQllnng  heischen,  in  der  Wahrnehmung  und  den  gleichgeordneten 
Acten  unmittelbar  nichts  finden,  was  ihnen  je  gemäfs  sein  könnte. 

Diesen  fundamentalen  Unterschied  bezeichnen  wir,  in  der 
naturgemäfson  Erweiterung  über  die  ganze  Sphäre  des  objectivi- 
renden  Vorstellens,  als  den  Jcategorialen,  und  zwar  absoluten 
Unterschied  zwischen  Form  und  Stoff  des  Vorstellens, 
und  sondern  ihn  zugleich  von  dem  innig  mit  ihm  zusammen- 
hängenden rc/a/tve»  oder  /'Mnc/«one/2^en  Unterschied,  welcher 
im  Obigen  ebenfalls  schon  mitangedeutet  war. 

Wir  sprachen  soeben  von  der  naturgemäfson  Erweiterung 
dieses  Unterschiedes  über  die  ganze  Sphäre  des  objectivirenden 
Vorstellens.  Wir  fassen  nämlich  die  den  stofiFiichen ,  resp.  formalen 
Bestandstücken  der  Bedeutungsintentionen  entsprechenden 
Bestandstücke  der  Erfüllung  ebenfalls  als  „stoffliche",  resp.  „for- 
male"; und  damit  ist  klar,  was  in  der  Sphäre  der  objectirirenden 
Acte  überhaupt  als  stofflich  und  als  formal  zu  gelten  habe. 

Von  Stofif  (oder  auch  Materie)  und  Form  ist  sonst  noch  in 
vielfachem  Sinne  die  Rede.  Ausdrücklich  weisen  wir  darauf  hin, 
dafs  die  übliche  Rede  von  der  Materie,  die  ihren  Gegensatz  in 
der  kategorialen  Form  findet,  garnichts  zu  thun  hat  mit  der  Rede 
von  der  Materie  im  Gegensatz  zur  Actqualität;  so  z.  B.  wenn  wir 
in  den  Bedeutungen  von  der  setzenden  oder  blofe  dahinstellenden 
Qualität  die  Materie  unterscheiden,  welche  uns  sagt,  als  was,  als 
wie  bestimmte  und  gefafste,  die  Gegenständlichkeit  in  der  Be- 
deutung gemeint  ist  Zur  leichteren  Sonderung  sprechen  wir  im 
kategorialen  Gegensatze  nicht  von  Materie,  sondern  von  Stofif  und 
sagen  andererseits,  wo  die  Materie  im  bisherigen  Sinn  gemeint 
ist,  accentuirend  intentionale  Materie  oder  auch  Auffassungssinn. 


§  43.     Die  objectiven  Correlate  der  kaiegorialen  Formen  keine 
„realen"  Momente. 

Es  kommt  jetzt  darauf  an,  dem  soeben  bezeichneten  Unter- 
schied Klarlieit  zu  verschaffen.  Wir  ifnüpfen  zu  diesem  Zwecke 
an  unsere  früheren  Beispiele  an. 

Die  formgebendo  Flexion,  das  Sein  in  der  attributiven  und 
prädicativen  Function,  erfüllt  sich,  sagten  wir,  in  keiner  Wahr- 
nehmung. Hier  erinnern  wir  uns  an  den  KAxr'sclien  Satz:  Das 
Sein  ist  kein  reales  Prädicat.  Bezieht  er  sich  auch  auf  das 
existenziale  Sein,  auf  das  Sein  der  „absoluten  Position",  wie  es 
später  Hjerbart  genannt  hat,  so  können  wir  ihn  doch  nicht  minder 
für  das  prädicative  und  attributive  Sein  in  Beschlag  nehmen. 
Jedenfalls  meint  er  genau  das,  was  wir  hier  klarlegen  wollen. 
Die  Farbe  kann  ich  sehen,  nicht  das  Farbig-sein.  Die  Glätte 
kann  ich  fühlen,  nicht  aber  das  Glatt-soin.  Den  Ton  kann  ich 
hören,  nicht  aber  das  Tünend-soin.  Das  Sein  ist  nichts  im 
Gegenstande,  kein  Theü  desselben,  kein  ihm  einwohnendes  Mo- 
ment; keine  Qualität  oder  Intensität,  aber  auch  keine  Figur,  keine 
innere  Form  überhaupt,  kein  wie  immer  zu  fassendes  constitutives 
Merkmal.  Das  Sein  ist  aber  auch  nichts  an  einem  Gegenstande, 
es  ist  wie  kein  reales  inneres,  so  auch  kein  reales  äufseres  Merk- 
mal'und  darum  im  realen  Sinne  überhaupt  kein  „Merkmal". 
Denn  es  betrifft  auch  nicht  die  sachlichen  Einheitsformen,  welche 
Gegenstände  zu  umfassenderen  Gegenständen  verknüpfen,  Farben 
zu  Farbengestalten,  Töne  zu  Harmonien,  Dinge  zu  umfassenderen 
Dingen  oder  Dingordnungen  (Garten,  Strafee,  phänomenale  Aufseu- 
welt).  In  diesen  sachlichen  Einheitsfonnen  gründen  die  äufseren 
Merkmale  der  Gegenstände,  das  Rechts  und  Links,  das  Hoch  imd 
Tief,  das  Laut  und  Leise  u.  s.  w.,  worunter  sich  so  etwas  wie  das 
7s/  natürlich  nicht  findet. 

Wir  sprachen  jetzt  von  Gegenständen,  ihren  constitutiven 
Merkmalen,  ihrem  sachlichen  Zusammenhang  mit  anderen  Gegen- 
ständen, der  umfassendere  Gegenstände  schafft  und  zugleich  an 
den  Theilgegenständen  äufsere  Merkmale;   wir  sagten,  dafs  etwas 

Hniaerl,  Ijoft.  Dnton.  H,  39 


de  B«- 
nander   J 

:endM^ 


dem  Sein  Entsprechendes  anter  Urnen  nicht  za  suchen  sei.  All 
das  sind  aber  Wabrnehmbarkeiten ,  und  sie  erschöpfen  den  Um- 
fang möglicher  Wahrnehmungen  so,  dafe  hiemit  zugleich  gosigt 
und  constatirt  ist,  das  Sein  sei  schlechterdings  nichts  Wahr- 
nehmbares. 

Doch  hier  bedarf  es  einer  klärenden  Ei^änzung.  Wahr- 
nehmung und  Gegenstand  sind  innigst  zusammenliängeode  Be- 
griffe, die  sich  wechselseitig  ihren  Sinn  anweisen,  ihn  miteinander 
erweitern  und  verengen.  Es  muCs  nun  aber  herroigehoben  we 
dafs  wir  hier  einen  gewissen  natürlich  begrenzten  nächstliegende 
aber  sehr  engen  Begriff  Ton  Wahrnehmung,  bezw.  ron 
Gegenstand  benutzt  haben.  Bekanntlich  spricht  man  ron  Wahr- 
nehmen und  zumal  von  Sehen  auch  in  einem  sehr  erweiterten 
Sinn,  der  das  Erfassen  ganzer  Sachverhalte  und  sehliefsiich  sogar 
die  apriorische  Evidenz  von  Gesetzen  (als  «Einsehen")  in  sich 
begreift.  Im  engeren  Sinn  wahrgenommen  ist,  populär  und  rok 
gesprochen,  alles  Gegenständliche,  das  wir  mit  Augen  sehen,  mit 
den  Ohren  hören,  mit  irgendeinem  „äufsern"  —  oder  auch 
„inneren  Sinn"*  erfassen  können.  „Sinnlich  wahrgenommen* 
heifsen  allerdings  nach  gemeinem  Sprachgebrauch  nur  die  äufseren 
Dinge  und  dinglichen  Verknüpfungsformen  (nebst  den  unmittelbar 
zugehörigen  Merkmalen).  Consequenter  Weise  hätte  man  aber 
nach  Einführung  der  Rede  vom  „inneren  Sinn"  auch  den  Begriff 
der  sinnlichen  Wahrnehmung  passend  erweitern  müssen,  so  dafs 
auch  alle  innere  Wahrnehmung,  und  unter  dem  Titel  sinji- 
Uches  Object  der  correlate  Bereis  innerer  Objecto  —  also  die 
Ich  und  ihre  inneren  Erlebnisse  —  befafst  wäre. 

In  der  Sphäre  der  so  verstandenen  sinnlichen  Wahrnehmung, 
und  entsprechend  der  sinnlichen  Anschauung  überhaupt  — 
diese  Weite  der  Rede  von  der  Sinnlichkeit  halten  wir  fest  —  findet 
nun  eine  Bedeutung,  wie  die  des  Wortes  Sein,  kein  mögliches 
objectives  Correlat  und  danini  in  den  Acten  solcher  Wahr- 
nelimung  keine  mögliche  KrtÜlliing.  Was  vom  Sein  gilt,  gilt 
offenbar  von  den  übrigen  kategorialen  Formen  in  den  Aussagen, 
mögen  sie  nun  Bestandstücke  der  Termini  untereinander  oder  die 


Termini  selbst  zur  Einheit  des  Satzes  verknüpfen.  Das  Ein  und 
das  DftH,  das  Und  und  das  Oder,  das  Wenn  und  das  So,  das 
Alle  und  das  Act'«,  das  Etwas  und  Nichts,  die  Quantiiätsformen 
und  die  Än\ahfbesti))iwungen  n.  s.  w.  —  all  das  sind  bedeutende 
Satzeleuiente,  aber  ihre  gegenständlichen  Correlate  (falls  wir  ihnen 
solche  überhaupt  zuschreiben  dürfen)  suchen  wir  vergeblich  in 
der  Sphäre  der  realen  Gegenstände,  was  ja  nichts  anderes  hei  Pst, 
als  der  Gegenstände  möglicher  sinnlichen  Wahrnehmung. 

§  44.     Der  Ursprung  des  lierp-iffes  Sein  und  der  übrigen  Kategorien 
liegt  niciH  im  Gebiete  der  inneren  Wahrnehmung. 

Dies  gilt  aber  —  wir  betonen  es  ausdrücklich  —  sowol  von 
der  Sphäre  der  „äufseren"  Sinne,  als  von  der  des  „inneren" 
Sinnes.  Es  ist  eine  naheliegende,  seit  Locke  allgemein  verbreitete, 
aber  grundirrige  Lehre,  dafs  die  fraglichen  Bedeutungen,  bezw. 
die  ihnen  entsprechenden  nominal  vei-selbständigten  Bedeutungen 
—  die  logischen  Kategorien,  wie  Sein  und  Nichtsein,  Einheit, 
Mehrheit,  Allheit,  Anzahl,  Grund,  Folge  u.  s.  vv.  —  durch  Re- 
flexion auf  gewisse  psychische  Acte,  also  im  Gebiete  des 
inneren  Sinnes,  der  „inneren  Wahrnehmung"  entspringen. 
Auf  solchem  Wege  entspringen  wol  Begritte  wie  Wahrnehmung, 
Urtheil,  Bejahung,  Verneinung,  CoUigiren  und  Zählen,  Voraus- 
setzen und  Folgern  —  welche  daher  iusgesammt  „sinnliche" 
Begriffe  sind,  nämlich  zur  Sphäre  des  „inneren  Sinnes"  gehörige 
^  niemals  aber  die  Bogriffe  der  früheren  Reihe,  die  nichts  weniger 
denn  als  Begriffe  von  psychischen  Acten  oder  deren  descriptiven 
Inhalten  gelten  können.  Der  Gedanke  Urtheil  erfüllt  sich  in  der 
inneren  Anschauung  eines  actuellen  Urtheils;  aber  nicht  erfüllt 
sich  darin  der  Gedanke  des  ist.  Das  Sein  ist  kein  Urtheil  und 
kein  reales  Bestandstück  eines  Urtheils.  So  wenig  das  Sein  ein 
reales  Bestandstück  irgendeines  äufseren  Gegenstandes  ist,  so  wenig 
ist  es  ein  reales  Bestandstück  irgendeines  inneren;  also  auch  nicht 
des  Urtheils.  Im  Urtheil  —  der  prädicirenden  Aussage  —  kommt 
das  ist  als  Bedeutungsmoment  vor,  so  wie  etwa,  nur  in  anderer 
Stellung   und  Function,  Gold  und  yeih.     Das  «.<<  seihst  kommt 

39* 


darin  nicht  vor,  es  ist  in  dem  Wörtchen  ist  nur  bedeutet,  d.  i. 
signitiv  gemeint.  Selbst  gegeben  oder  zum  Mindesten  vermeint- 
lich gegebea  ist  es  aber  in  der,  sich  dem  ürtheil  unter  Umständen 
anschmiegenden  Erfüllung:  der  Gewahrwerdung  des  ver- 
meinten Sachverhalts.  Nicht  nur  das  im  Bedeutungstlieil  Gold 
Gemeinte  erscheint  nun  selbst,  und  imgleichen  das  gelb,  sondern 
es  erscheint  Gokl-ül-ijclb;  ürtheil  und  ürtheilsintuition  einen 
sich  dabei  zur  Einheit  des  evidenten  Urtlieils,  günstigen  Falls  des 
evidenten  im  Sinne  der  idealen  Grenze. 

Versteht  man  unter  ürtheilen  nicht  nur  die  zu  den  actuellen 
Aussagen  gehörigen  Bedeutungsintentionen,  sondern  auch  die  even- 
tuellen, ihnen  vollständig  zugepaEsten  Eifüllimgen,  so  ist  es  sicher- 
lich richtig,  dafs  ein  Sein  nur  im  ürtheilen  erfafsbar  ist; 
aber  damit  ist  keineswegs  gesagt,  dals  der  Begrifi'  des  Seins 
„in  Reflexion"  auf  gewisse   ürtheile  gewonnen   worden   müsse 
und  je  gewonnen  werden  könne.     Reflexion  ist  sonst  ein  ziemlich 
vages  Wort.      In   der   Erkenntnistheorie   hat   es   den   wenigstens 
relativ  festen  Sinn,  den  ihm  Locke  gegeben  hat,  den  der  inneren 
Walirnehmuog;  also  nur  an  diesen  können  wir  uns  bei  der  Inter- 
pretation der  Lehre  halten,  welclie   den   Ursprung   des  Begriffes 
Sein   in  der  Reflexion  auf  das  ürtheil  glaubt  finden  zu  können. 
Einen  solchen  Ursprung  also  leugnen  wir.     Das  beziehende  Sein, 
das  die  Prädication  zum  Ausdruck  bringt,  z.  B.  als  „ist",   „sind" 
u,    dgl.,   ist   ein    Unselbständiges;    gestalten   wir   es   zum    vollen 
Concretum  aus,  so  erwächst  der  jeweilige  Sachverhalt,  das  ob- 
jective  Correlat   des   vollen   ürtheils.     Wir   können   dann    sagen: 
wie  der  sinnliche  Gegenstand  zur  sinnlichen  Wahrneh- 
mung, so  verhält  sich  der  Sachverhalt  zu  dem  ihn  (mehr 
oder  minder  angemessen)  „gebenden"  Act  der  Gewahrwerdung 
(wir  fühlen  uns  gedrängt,  schlechtweg  zu  sagen:  so  verhält  sich 
der   Sachverhalt    zur   Sach Verhaltwahrnehmung).      Wie    nun 
der  Begriff  sinnlicher  Gegenstand  (Reales)  nicht  durch  „Reflexion" 
auf  die  Wahrnehmung  entspringen  kann,  weil  dann  oben  der  Be- 
gritf  Wiüirnebmung,    oder  ein   Begriff  von    irgendwelchen  realen 
Constituontien  von  Wahrnehmungen  resultirte,   so  kann  auch  der 


I 


Sinnlielie  und  kaUgoriak  Anschauungen.  613 

Begriff  Sachverhalt  nicht  aus  der  Reflexion  auf  Urtheile  entspringen, 
weil  wir  dadurch  nur  Begrifi'e  von  Urtheilen  oder  von  realen 
Constituentien  von  Urtheilen  erhalten  könnten. 

Dafs  dort  Wahrnehmungen,  hier  Urtheile,  bezw.  Urtheils- 
intuitionen  (Sachvorhaltvvahruehiiumgeu)  erlebt  sein  müssen,  da- 
mit die  jeweilige  Abstraction  von  Statten  gehe,  ist  selbstveretänd- 
lich.  Erlebtseio  ist  nicht  Gegenständlicbsein.  Die  „Reflexion" 
besagt  aber,  dafs  das,  worauf  wir  retlectiren,  der  psychische  Zu- 
stJtnd,  uns  gegenständlich  (von  uns  innerlich  wahrgenommen) 
werde,  und  dafs  er  aus  diesem  gegenständlichen  Inhalt  die  zu 
generalisirenden  Bestimmungen  real  hergebe. 

Nicht  in  der  Reflexion  auf  Urtheile,  oder  vielmehr 
auf  Urtheilserfüllungen,  sondern  in  den  Urtheilscrfülluji- 
(jeu  seihst  liegt  wahrhaft  der  Ursprung  der  Begriffe  Sach- 
verhalt und  Sein  (im  Sinne  der  Copula);  nicht  in  diesen  Acten 
als  Gegenständen,  sondern  in  den  Gegenständen  dieser 
Acte  finden  wir  das  Abstractionsfundament  für  die  Realisirung 
der  besagten  Begrifi'e;  und  natürlich  liefern  uns  dann  ein  ebenso 
gutes  auch  die  conformen  Moditicationen  dieser  Acte. 

Es  ist  ja  von  vornherein  selbstverständlich:  wie  ein  sonstiger 
Begriff  (eine  Idee,  eine  specifische  Einheit)  nur  „entspringen", 
das  ist  uns  selbst  gegeben  werden  kann  auf  Grund  eines  Actes, 
welcher  irgendeine  ihm  entsprechende  Einzelheit  mindestens  bild- 
lich vor  unser  Auge  stellt,  so  kann  der  Begriti' des  Seins  nur  ent- 
springen, wenn  uns  irgendein  Sein,  sei  es  wirklich  oder 
bildlich,  vor  Augen  gestellt  wird.  Gilt  uns  Sein  als  prädi- 
catives  Sein,  so  muls  uns  also  irgendein  Sachverhalt  gegeben 
werden  und  dies  natürlich  durch  einen  ihn  gebenden  Act  — 
das  Analogen  der  gemeinen  sinnlichen  Anschauung. 

Dasselbe  gilt  von  allen  kategorialen  Formen,  bezw. 
von  allen  Kategorien.  Ein  Inbegriff  z.  B.  ist  gegeben  und  kann 
nur  gegeben  sein  in  einem  actuellen  Zusammenbegreifen,  also  in 
einem  Acte,  der  in  der  Form  der  conjunctiven  Verbindung  .1  und 
B  U7id  C  .  .  .  zum  Ausdruck  kommt.  Aber  der  Begriff  des  In- 
begriffs erwächst  nicht  durch  Reflexion  auf  diesen  Act;  statt  auf 


614    VI.  Elemttüe  einer  phätiomauilog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

den  gebenden  Act,  haben  wir  vielmehr  auf  das,  was  er  giebt, 
auf  den  Inbegriff,  den  er  in  coticreto  zur  Ereclieinung  bringt, 
zu  achten  und  seine  allgemeine  Fomi  ins  allgenieinbegrifflicüe 
Bewufstsein  zu  erheben. 

§  45.  Enveiterung  des  Degiiffes  Atisetuxuung ,  apeeieller  der  Begriffe 
Wahrnehmung  und  Imagination,    tiinnliche  und  kalegoriale  Anschauung. 

Wird  nun  die  Frage  gestellt:  Worin  finden  die  kategorialen 
Formen  der  Bedeutungen  ihre  Erfüllung,  wenn  nicht  durch  Wahr- 
nehmung oder  Anschauung  in  jeueni  engeren  Verstände,  den  wir 
in  der  Rode  von  der  „Sinnlichkeit"  vorläufig  anzudeuten  versucht 
haben  —  so  ist  uns  die  Antwort  schon  durch  die  eben  vollzogenen 
Erwägungen  klar  vorgozeichnet. 

Zunächst,   dafs  wirklich    auch   die    Formen   Erfüllung 
finden,  wie  wir  es  ohne  Weiteres  vorausgesetzt  haben,  bezw.  dals 
die  ganzen,  so   und  so   geformten  Bedeutungen  und  nicht  etwa 
blofe  die  „stofflichen"  Bedeutungsmomente  Erfüllung  finden,  macht 
die  Vergegeuwärtigung  je<les    Beispiels   einer   getreuen  Wahrneh- 
mungsaussago zweifellos;   und  so  erklärt  es  sich  auch,  dafs   man 
die   ganze  Wahrnehmungsaussago   einen  Ausdruck   der  Walirneh- 
mung  und,  im  übertragenen  Sinn,  einen  Ausdruck  dessen  nennt, 
was  in  der  Wahrnohraung  nugesehaut  und  selbst  gegeben  ist.    Wenn 
aber  die  neben  den  stütt'liclion  Momenten  vorliaudenen  „kategoria- 
len Formen"  des  Ausdrucks  nicht    ia  der  Wahmolimuug,    sofern 
sie  als  blofse   sinnliche  Wahrnehmung  verstanden  wird,   termi- 
niren,  so  mufs  der  Rede  vom  Ausdruck  der  Wahrnehmung  hier 
ein  anderer  «Sinn   zu  Grunde  liegen,    es  mufs  jedenfalls  ein  Act 
da  sein,  welcher  den  kategorialen  Bedeutungselementen  dieselben 
Dienste  leistet,  wie  die  blolse  sinnliche  AVahmehmung  den  stoff- 
lichen.   Die  wesentliche  Gleichartigkeit  der  Eifülhingsfunction  und 
aller  mit  ilir  gesetzlich  zusammenbängonden  idealen  Beziehungen 
macht  es  eben  unvermeidlich,  jedeu  in  der  Weise  der  bestätigen- 
den Selbstdarstellung  edullendeu  Act  als  Wahrnehmung,  jeden 
erfüllenden  Act  überhaupt  als  Anschauung  und  sein  intentionales 
Correlat  als  Gegenstand  zu  bezeichnen.    In  der  That  können  wir 


I 


auf  die  Frage,  was  das  heifst,  die  kategorial  geformten  Be- 
(leutunpen  fänden  Erfiillimg,  sie  bestätigten  sich  in  der  Wahr- 
nc'limuug,  mir  antworten:  es  lieilse  nichts  Anderes,  als  dafs  sie 
auf  den  Gegenstand  selbst  in  seiner  kategorialen  Formung 
bezogen  seien.  Der  Gegenstand  mit  diesen  kategorialen  Formen 
sei  nicht  blofs  gemeint,  wie  im  Falle  einer  blofs  symbolischen 
Function  der  Bedeutungen,  sondern  er  sei  uns,  in  eben  diesen 
Furmon  selbst  vor  Augen  gestellt;  mit  anderen  Worten:  er  sei 
nicht  blofs  gedacht,  sondern  eben  angeschaut,  bezw.  wahrge- 
nommen. Demnach,  sowie  wir  auseinanderlegen  wollen,  worauf 
hier  die  Rede  von  der  Erfiilhmg  zielt,  was  die  geformten  Be- 
deutungen und  in  ihnen  die  Formelemente  ausdrücken,  was  die 
ihnen  correspondirende,  einheitliche  oder  Einheit  schaffende  Ob- 
jectivität  ist,  stofsen  wir  unvermeidlich  auf  ,,  Anschauung",  bezw. 
„Wahrnehmung'"  und  „Gegenstand".  Wir  können  diese  Worte, 
deren  erweiterter  Sinn  freilieh  unverkennbar  ist,  nicht  entbehren. 
Wie  sollten  wir  denn  noch  sonst  das  Correlat  einer  nicht-sinn- 
lichen, bezw.  nicht  sinnliche  Formen  enthaltenden  Subjectvor- 
stelhing  bezeichnen,  wenn  uns  das  Wort  Gegenstand,  und  wie  sein 
actuclles  „Gegebensein",  bezw.  als  „gegeben"  Erscheinen,  nennen, 
wenn  uns  das  Wort  Wahrnehmung  versagt  bliebe?  So  werden, 
und  in  allgemein  gebräuchlicher  Rede,  Inbegriffe,  unbestimmte 
Vielheiten,  Allheiten,  Anzahlen,  Disjunctiva,  Prädicate 
(fbts  Gerecht -sein),  Sachverhalte  zu  „Gegenständen",  die  Acte, 
durch  die  sie  als  gegeben  erscheinen,  zu  „Walirnehmungen". 

Sichtlich  ist  der  Zusaramenliaiig  des  weitereu  und  engeren, 
des  übersinnlichen  {d.  i.  über  Sinnlichkeit  sich  erbauenden, 
oder  kategorialen)  und  sinnlichen  Wahrnehmungsbegriffs  kein 
äulserlicher  oder  zurälliger,  sondern  ein  in  der  Sache  gründender. 
Er  wird  durch  die  grofse  Klasse  von  Acten  umspannt,  deren 
Eigonthümliches  es  ist,  dafs  in  ihnen  irgend  etwas  als  „wirklich'-, 
und  zwar  als  „selbst  gegeben"  erscheint.  Offenbar  charakterisirt 
sich  dies  als  wirklich  und  .seihst  gegeben  Erscheinen  (das  sehr 
wol  ein  ti-ügerisches  sein  kann)  überall  durch  seinen  Unterschied 
von  den  wesentlich  verwandten  Acten  und  gewinnt  nur  dadurch 


seine  volle  Klarheit;  nämlich  durch  den  Untersclüed  vom  bild- 
lichen Vergegenwärtigen  und  vom  rein  significativen  Darandenken, 
welche  beide  das  Gegenwäi-tigsein  (das  sozusagen  i?i  persona  Er- 
scheinen) ausschliefsen,  obschon  nicht  das  für  seiend  Halten.  Was 
das  Letztere  anlangt,  so  ist  ja  die  bildliche  wie  die  symbolische 
Repräsentation  iu  doppelter  Weise  möglich:  in  setzender  Weise, 
als  bildlich  oder  symbolisch  für  seiend  halten,  und  in  nicht-setzen- 
der,  als  „blofses"  Imaginiren  oder  Sich-denken  ohne  für  seiend 
halten.  Auf  die  nähere  Erörterung  dieser  Unterschiede  haben  wir, 
nach  den  hinreichend  allgemein  zu  interpretirenden  Analysen  des 
vorigen  Abschnitts,  nicht  mehr  nöthig  einzugeben.  Jedenfalls  ist 
es  klar,  dafs  mit  dem  Begriff  der  Wahrnehmung  auch  der  der 
Imagination  (in  seinen  mehrfachen  Besonderungen)  eine  entspre- 
chende Extension  erfahren  mufs.  Wir  könnten  nicht  von  einem 
übersinnlich  oder  kategorial  Wahrgenommenen  sprechen,  wenn 
nicht  die  Möglichkeit  bestände,  dasselbe  auch  „in  derselben  Weise"' 
(also  nicht  bloFs  sinnlich)  einzubilden.  Wir  werden  daher  ganz 
allgemein  zwischen  sinnlicher  und  kategorialer  Anschauung 
unterscheiden,  bezw.  die  Möglichkeit  einer  solchen  Unterschei- 
dung aufweisen  müssen. 

Der  erweiterte  Wahrnehmungsbegriff  läfst  übrigens  wieder  eine 
engere  und  weitere  Fassung  zu.  Im  weitesten  Sinn  heifsen  auch 
allgemeine  Sachverhalte  wahrgenommen  (,,eiiiges6hen",  in  der 
Evidenz  „erschaut").  In  dem  engeren  Sinn  geht  Wahrnehmung 
nur  auf  individuelles,  also  zeitliches  Sein. 


§  46.     Phänomenologische  Analyse  des   Unterschiedes  xwischefi 
sinnlkher  und  kategorialer   [Vahmehinung. 

In  unseren  nächsten  Betrachtrmgen  kommen  voreret  nur  in- 
dividuelle Wahrnehmungen  und  in  weiterer  Folge  die  gleichge- 
ordneten individuellen  Anschauungen  zur  Erwägung. 

Die  Scheidung  zwischen  „siunüchen"  und  „übersinnlichen" 
Wahrnehmungen  war  oben  nur  oberflächlich  angedeutet  und  mit 
ganz  roher  Charakteristik  vollzogen.  Die  veraltete  Rede  von 
äofeeren  und  inneren  Sinnen,  die  den  Ursprung  aus  dem  Alltags- 


leben  mit  seiner  naiven  Metaphysiic  und  Anthropologie  nicht  ver- 
leugnet, mochte  für  den  Augenblick  dienlich  sein,  um  das  Gebiet 
anzuzeigen,  das  ausgeschlossen  werden  sollte;  aber  die  wirkliche 
Bestimmung  und  Umgrenzung  der  Sphäre  der  Sinnlichkeit  ist 
damit  nicht  vollzogen,  und  so  entbehrt  auch  der  Begriff  der 
kategoriulou  Wahrnehmung  noch  des  deserijitiven  Unterbaues.  Die 
Sicherung  und  Klärung  der  fraglichen  Unterscheidung  ist  umso 
wichtiger,  als  von  ihr  so  fundamentale  Scheidungen,  wie  diejenige 
zwischen  kategorialer  Form  und  sinnlich  fundirter  Materie  der 
Erkenntnis,  und  desgleichen  die  Scheidung  zwischen  Kategorien 
und  allen  anderen  BegrilTen  ganz  und  gar  abhängig  sind.  Es 
handelt  sieh  also  darum,  tieferliegende  descriptive  Charakteristiken 
zu  suchen,  die  uns  einige  Einsicht  in  die  wesentlich  unterschie- 
dene Constitution  der  sinnlichen  und  kategoriiden  Wahruehmungen, 
bezw.  Anschauungen  überhaupt,  eröffnen. 

Es  ist  für  unseren  nächsten  Zweck  aber  nicht  nöthig,  eine 
erschöpfende  Analyse  der  hierher  gehörigen  Phänomene  durclizu- 
führen.  Dies  wäre  eine  Arbeit,  die  aufserordentlich  umfassende  Be- 
trachtungen erfordern  würde.  Es  reicht  hier  aus,  auf  einige  wich- 
tigeren Punkte  zu  achten,  welche  dazu  dienen  können,  die  beider- 
seitigen Acte  in  ihrem  Verhältnis  zu  einander  zu  kennzeichnen. 

Von  jeder  Walu*nehmung  heifst  es,  dals  sie  ihren  Gegenstand 
selbst  oder  direct  erfasse.  Aber  dieses  directe  Erfassen  hat 
einen  verschiedenen  Sinn  und  Charakter,  jenachdom  es  sich  lun 
eine  Wahrnehmung  im  engern  oder  eine  solche  im  erweiterten  Sinn 
handelt,  bezw.  je  nachdem  die  „direct"  erfa&te  Gegenständlich- 
keit ein  sinnlicher  oder  ein  kategorialer,  anders  au.sgedrückt: 
jenachdem  er  ein  realer  oder  idealer  Gegenstand  ist.  Die  sinn- 
lichen oder  realen  Gegenstände  werden  wir  nämlich  als  Gegen- 
stände der  untersten  Stufe  möglicher  Anschauung  charak- 
terisiren  können,  die  kategorialen  oder  idealen  als  die  Gegen- 
stände der  höheren  Stufen. 

Im  Sinn  der  engeren  „sinnlichen"  Wahrnehmung  ist  ein 
Gegenstand  direct  erfafst  oder  selbst  gegenwärtig,  der  sich  im 
Wahrnehm ungsacte  in  schlichter  Weise  constituirt     Damit 


618    VI.  ElertienU  einer  phäntnnenolog.  Auf 


Erkenntnis. 


r 


ist  aber  Folgendes  gemeint:  der  Gegenstand  ist  auch  in  dem  Sinne 
unmittelbar  gegebener  Gegenstand,  duk  er,  als  dieser  mit 
diesem  bestimmten  gogenständlichenlnbaltErscheinende, 
sich  nicht  in  bezieiienden  oder  verkaiipfeuden  Acten  und  sich  über- 
haupt nicht  in  Acten  constituirt,  die  in  anderen,  ander- 
weitige Gegenstände  zur  Erscheinung  bringenden  Acten 
fundirt  sind.  Sinnliche  Gegenstände  sind  in  der  Wahrnehmung 
in  Einer  Actstufe  da;  sie  unterliegen  nicht  der  Nothwendigkeit, 
sich  in  Acten  höherer  Stufe  constituiren  zu  müssen,  Acten,  die 
ihre  Gegenstiindo  mittelst  anderer,  in  anderen  Acten  bereits  con- 
stituirten  Gegenstände  constituiren. 

Jeder  schlichte  Wahraehraungsact  kann  nun  aber,  sei  es  für 
sich  allein,  sei  es  mit  anderen  Acten  zusammen,  als  Grundact 
von  neuen,  ihn  bald  einschliofsenden,  bald  nur  voraussetzenden 
Acten  fungiren,  die  in  ihrer  neuen  Bewufstseinsweise  zugleich 
ein  neues,  das  ursprüngliche  wesentlich  voraussetzendes 
Objoctivitätsbewufstsein  zeitigen.  Indem  sich  die  neuen 
Acte  der  Conjuuction,  der  Disjunction,  der  bestimmton  und  un- 
bestimmten Einzelauffassung  {dm  —  etwas),  der  (Jeneralisation,  des 
schiichteu,  beziehenden  und  verknüpfenden  Erkennens  einstellen, 
erstehen  damit  nicht  beliebige  subjective  Erlebnisse,  auch  nicht 
Acte  überhaupt,  die  an  die  ursprünglichen  angeknüpft  sind;  sondern 
Acte,  welche,  wie  wir  sagten,  neue  Objectivitiiten  constitu- 
iren; es  erstehen  Acte,  iu  denen  etwas  als  wirklich  und  als 
selbst  gegeben  erscheint,  derart  dafs  dasselbe,  als  was  es  hier 
erscheint,  in  den  fundirenden  Acten  allein  noch  niciit  gegeben 
war  und  gegeben  sein  konnte.  Andererseits  aber  gründet  die 
neue,  oder  in  neuer  Wei-se  erscheinende  Gegenständlichkeit  in  der 
alten;  sie  hat  zu  der  in  den  Grundacten  erscheinenden  gegen- 
ständliche Beziehung,  und  ihre  Erscheinungsweise  ist  durch  diese 
Beziehung  wesentlich  bestimmt.  Es  handelt  sich  hier  um  eine 
Sphäre  von  Objectivitiiten,  die  nur  in  fundirten  Acten  „selbst" 
zur  Erscheinung  kommen  können. 

In    sofohen   fundirten   Acten    liegt   das  Kategoriale   des  An- 
schauens  und  Erkennens,  in  ihnen  findet  das  aussagende  Denken, 


wo  es  als  Aus(iruck  fungirt,  seine  Kifüllung;  die  Möglichkeit 
voUkoinmenor  Anmessuug  au  solche  Acte  bestimmt  tiiü  Wahrheit 
der  Aussage  als  ihre  Kichtigkcit  Allerdings  haben  wir  bisher  nur 
die  Sphäre  der  Wahrnehmung  und  in  ihr  nur  dio  primitivsten 
Fälle  in  Betracht  gezogen.  Man  sieht  ohne  Weiteres,  dafs  sich 
unsere  Unterscheidung  zwischen  schlichten  und  fumlirteu  Acten 
von  den  Wahrnuhmuugen  auf  alle  Anschauungen  überträgt.  Es 
leuchtet  auch  schon  die  Älöglichkeit  von  complexen  Acten  sol- 
cher Art  ein,  welche  in  gemischter  Weise  theils  auf  schlichten 
Wahrnehmungen,  theils  auf  schlichten  Imaginationen  gegründet 
sind;  ferner  auch  die  Möglichkeit,  dafs  sich  auf  fundirten  An- 
schauungen neue  Fundirungen  constituiren,  also  ganze  Stufenfolgen 
der  Fundirung  übereinander  bauen;  weiter,  dafs  sich  die  signi- 
tiven  Intentionen  nach  Mafsgabe  sulcher  Fundirungen  niederer 
oder  höherer  Stufe  gestalten,  und  dafs  sich  dann  abermals 
Mischungen  zwischen  signitiven  uud  intuitiven  Acten  durch  Fun- 
dinuig  gestalten,  nämlich  fundirte  Acte,  die  auf  Acten  der  einen 
und  anderen  Art  gebaut  sind.  Zunäclist  kommt  es  aber  auf  dio 
primitiven  Fälle  an  und  auf  ihre  vollzureichende  Klarung. 

§  47.     Fortsetxumj.     Charakieristik  der  sinnlicMn   Wahrnehmutnj 
als  ^,sc)ilichte"   Wahrnehmung. 

Wir  fassen  also  die  Acte  näher  ins  Auge,  in  welchen  sich 
sinnliche  Concretu  und  ihre  sinnlichen  Bestandstücke  als  gegeben 
darstellen;  im  Gegensatz  zu  ihnen  nachher  die  ganz  andersartigen 
Acte,  durch  welche  coneret  bestimmte  Sachverhalte,  CoUoctiva,  Dis- 
junctiva  als  complexe  „Denkobjecte'*  gegeben  werden,  als  „Gegen- 
stände höherer  Ordnung",  die  ihre  fundirenden  Gegenstände 
in  sich  schliefsen;  und  wieder  Acte  von  der  Art  der  Generali- 
sation  oder  der  unbestimmten  Einzelauffassung,  deren  Gegenstände 
zwar  auch  von  höherer  Stufe  sind,  aber  ihre  fundirenden  Gegen- 
stände nicht  in  sieh  schliefsen. 

In  der  sinnlichen  Wahrnehmimg  erecheint  uns  das  „äufsore" 
Ding  in  Einem  Schlage,  sowie  unser  Blick  darauf  fällt.  Ihre  Art, 
dos  Ding  als  gegenwärtiges  erscheinen  zu  lassen,  ist  eine  schlichte, 


sie  bedarf  nicht  des  Apparates  fimdirender  oder  fimdirter  Acte. 
Aus  weiclien  iind  aus  wie  coniplicirten  psychischen  Processen  sie 
genetisch  entstanden  sein   mag,  ist  hiefür  natürlich  ohne  Belang. 

Wir  übersehen  auch  nicht  die  offenbare  Complexjon ,  die  sich 
im  descriptiven  Inlialt  des  schlichten  Wahmebmungsactes  und  zumal 
in  seiner  einheitlichen  Intention  nachweisen  läfst. 

Gowifs  gehören  zum  Dinge,  als  dem  inhaltlich  so  und  so 
erscheinenden,  mannigfaltige  constitutive  Eigenschaften,  von  denen 
ein  Theil  „selbst  in  die  'Vrahniohmung  fiillt",  während  ein  anderer 
blofs  intendirt  ist.  Aber  wir  erloben  keineswegs  all  die  «rti- 
culirten  Wahrnehmungsacte,  dio  erwachsen  würden,  wenn  wir 
auf  all  die  dinglichen  Einzelheiten,  näher,  auf  die  Bestimmtheitrn 
der  „uns  zugewendeten  Seite"  für  sich  achten,  wenn  wir  sie  zu 
Gegenständen  für  sich  machen  würden.  GewlTs  sind  auch  die 
Vorstellungen  der  ergänzenden,  nicht  selbst  in  die  Wahrnehmung 
fallenden  Bestimmtheiten  „dispositionell  erregt",  gewifs  fUefsen 
die  auf  sie  bezüglichen  Intentionen  in  die  Wahrnehmiuig  mit  ein 
und  bestimmen  ihren  ganzen  Charakter.  Aber  wie  das  Ding  in 
der  Ei'scheinung  nicht  als  eine  blofse  Summe  der  unzähligen 
Einzelbestinimtheiten  dasteht,  welche  die  nachträgliche  Kinzelbe- 
trachtiing  untei-scheiden  mag,  und  wie  auch  sie  das  Ding  nicht 
in  Einzelheiten  zersplittern,  sondern  sie  nur  an  dem  immer  ferti- 
gen und  oinheitlichon  Dingo  zu  beachten  vermag:  so  ist  auch  der 
Walirnohniungsact  allzeit  eine  homogene  Einheit,  die  den  Gegen- 
stand in  einfacher  und  unmittelbarer  Weise  gegenwärtigt  Die 
Einheit  der  Wahrnehmung  erwächst  also  nicht  durch  eigene 
synthetische  Acte,  als  ob  nur  die  Form  der  Synthesis  durch 
fundirto  Acte  den  Partialintentionen  dio  Einheitlichkeit  der  gegen- 
ständlichen Beziehung  verschaffen  könnte.  Der  Articulirimg  und 
somit  auch  der  actuellen  Verknüpfung  bedarf  es  nicht  Die 
Wahrnehmungseinheit  kommt  als  schlichte  Einheit,  als  un- 
mittelbare Verschmolzung  der  Partialintontionen  und 
ohne  Hinzutritt  neuer  Actintontiouen  zu  Stande. 

Es  mag  ferner  sein,  dafs  wir  uns  mit  „Einem  Blick"  nicht 
genug  sein  lassen,  dafs  wir  vielmehr  in  einem  continuirlicben 


Wahriiehmungsverlauf  das  Ding  allseitig  betrachten,  es  mit 
den  Sinnen  gleichsam  abtastend.  Aber  jede  einzelne  Wahrnehmung 
dieses  Verlaufs  ist  schon  Wahrnehmung  dieses  üinges.  Ob  ich 
dieses  Buch  hier  von  oben  oder  unten,  von  innen  oder  uufsen 
ansehe,  immer  sehe  ich  dieses  Buch.  £s  ist  immer  die  eine 
und  selbe  Sache,  und  zwar  dieselbe  nicht  im  blofsen  physikali- 
schen Sinne,  sondern  nach  der  Meinung  der  Wahrnehmungen  selbst. 
Herrschen  einzelne  Bestimmtheiteu  dabei  auch  vor  im.d  bei  jedem 
Schritt  wechselnde,  so  constituii't  sich  das  Ding  selbst,  als  wahr- 
genommene Einheit,  nicht  wesentlich  durch  eineu  übergreifenden, 
in  den  Sonderwahrnehmungen  fundirten  Act. 

Doch  genau  besehen,  dürfen  wir  die  Sache  nicht  so  darstellen, 
als  ob  sich  das  Eine  sinnliche  Object  in  einem  fundii'ten  Acte 
zwar  darstellen  könne  (nämlich  im  continuirlich  verlaufenden 
Wahrnehmen),  während  es  blofs  nicht  noth wendig  sei,  dafs  es  sich 
in  solch  einem  Acte  darstellen  müsse.  Auch  der  continuirliehe 
Wahrnehmungsverlauf  erweist  sich  bei  genauerer  Analyse  als  eine 
Verschmelzung  von  Partialacten  zu  Einem  Act,  nicht  als  ein 
in  den  Partialacten  fundirter  Act. 

Dies  zu  zeigen,  stellen  wir  folgende  Erwägung  au. 

Die  einzelnen  Wahrnehmungen  des  Verlaufs  sind  continuirlich 
einig.  Diese  Contiuuitiit  meint  nicht  blofe  die  objective  Tiiatsache 
zeitlicher  Angrenzung;  vielmehr  hat  der  Verlauf  von  Eiuzelacton 
den  Charakter  einer  phünomonologiachon  Einheit,  in  welche  die 
einzelnen  Acte  vei-schmoizen  sind.  In  dieser  Einheit  sind  die 
vielen  Acte  nicht  nur  überhaupt  zu  eiuem  phänomenologischen 
Ganzen  verschmolzen,  sondern  zu  Einem  Act  und,  näher,  zu  Einer 
Wahrnehmung.  Im  coutinuirlichen  Ablauf  der  Eiuzehvahrnehmungen 
nehmen  wir  ja  continuirlich  diesen  Einen  und  selben  (iegenstand 
wahr.  Dürfen  wir  nun  die  contiuuirliche  Wahrnehmung,  da  sie 
sich  aus  den  Einzelwahmehmungen  aufbaut,  als  in  ihnen  fundirte 
Wahrnehmung  bezeichnen?  Fundirt  ist  sie  natürlich  in  dem 
Sinne,  in  welchem  ein  Ganzes  durch  seine  Theile  fundirt  ist;  nicht 
aber  in  dem  hier  für  uns  mafsgebenden  Sinuc,  wonach  der  fun- 
dirte Act  einen  neuen  Actcharakter  herstellen  soll,  der  in  den 


622    VI.  EietnetUe  einer  phänofneuolog.  Aufklänmg  der  Erkenntnis. 


unterliegenden  Actcharakteren  gründet  und  ohne  sie  nicht  denkbar 
ist.  Im  vorliegenden  Falle  ist  die  Wahrnehmung  gleichsam  nur 
gedehnt;  sie  läfst  von  sich  Tbeile  abstücken,  die  für  sieb  schon 
als  volle  Wahrnehmungen  fungiren  könnten.  Aber  die  Einheit 
dieser  Wahrnehmungen  zur  continuirlichen  Wahrnehmung  ist  nicht 
Einheit  durch  einen  eigenen  Act,  als  welcher  ein  neues  Objec- 
tivitätsbewufstsein  constituiren  würde.  Statt  dessen  finden  wir, 
dafs  im  gedehnten  Acte  objectiv  schlechterdings  nichts  Neues  ge- 
meint ist,  sondern  immerfort  dieser  selbe  Gegenstand,  den  schon 
die  Thcihvahrnehmungen,  einzeln  genommen,  meinten. 

Man  konnte  nun  auf  diese  Selbigkeit  Gewicht  legen  und 
sagen:  die  Einheit  sei  doch  Einheit  der  Identificirung.  Die 
Intention  der  aneinandergereihten  Acte  decke  sich  fortgesetzt,  und 
so  komme  die  Eiuiieit  zu  Stande.  Dies  ist  sicherlieh  richtig. 
Aber  Einheit  der  Identificirung  —  es  ist  unausweichlich, 
diesen  Unterschied  zu  machen  —  besagt  nicht  dasselbe  wie 
Einheit  eines  Actes  der  Identificirung.  Ein  Act  meint 
etwas,  der  Act  der  Identificirung  meint  Identität,  stellt  sie  vor. 
In  unserem  Falle  ist  nun  Identificirung  vollzogen,  aber  keine 
Identität  gemeint.  Der  in  den  verschiedenen  Acten  des  continu- 
irlichen Wahrnehmungsverlaufs  gemeinte  Gegenstand  ist  zwar 
immerfort  derselbe,  und  die  Acte  sind  durch  Deckung  einig;  aber 
was  in  diesem  Verlauf  wahrgenommen,  was  in  iliin  objectiv  wird, 
ist  ausschliefslich  der  sinnliche  Gegenstand,  niemals  seine  Identität 
mit  sich  selbst.  Erst  wenn  wir  den  Wahmehnuingsverlauf  zum 
Fundament  eines  neuen  Actes  machen,  erst  wenn  wir  die  Einzol- 
wahrnehmungen  articuliren  und  ihre  Gegenstände  in  Beziehung 
setzen,  dient  die  zwischen  den  Einzelwahrnehnuingen  waltende 
Einheit  der  Continuität  (d.  i.  der  Verschmelzung  durch  Deckung 
der  Intentionen)  als  Anhalt  für  ein  Bewufstsein  von  Identität;  die 
Identität  wird  nun  selbst  gegenständlich;  das  Moment  der  die 
Actcharaktere  verknüpfenden  Deckung  dient  jetzt  als  repräsen- 
tirender  Inhalt  einer  neuen  Wahrnehmung,  die  in  den  articu- 
lirten  Einzehvahrnehraungen  fundirt  ist  und  uus  zum  intentiona- 
len  Bewufstsein  bringt:  das  jetzt  und  vordem  Wahrgenommene  sei 


ein  und  dasselbe.  Natürlicl»  haben  wir  es  dann  mit  einem  regulären 
Acte  der  zweiten  Uriippe  zu  tluui.  Der  Act  der  Identificirung 
ist  in  der  That  ein  neues  Objectivitätsbewufstseiu,  das  uns  einen 
neuen  „Gegenstand"  zur  Ei-scheinung  bringt,  einen  Gegenstand, 
welolier  nur  in  einem  fundirten  Acte  dieser  Art  „selbst  erfafst" 
oder  „gegeben"  sein  kann. 

Doch  ehe  wir  auf  die  neue  Klasse  von  Acten  und  Objecten 
näher  eingehen,  müssen  wir  die  Betrachtung  der  schlichten  Wahr- 
nehmungen zu  Ende  führen.  Dürfen  wir  den  Sinn  des  schlich- 
ten, oder  was  uns  als  dasselbe  gilt,  des  sinnlichen  Wahrnehtiiens 
für  gekliirt  erachten,  so  ist  damit  auch  der  Bogriö"  des  sinn- 
lichen oder  realen  Gegenstandes  {real  im  m-sprünglichsten 
Sinn)  geklärt.  Wir  definiren  iljn  geradezu  als  möglichen  Gegen- 
stand einer  sciilichten  Wahrnehmung.  Vermöge  desnotiiwendigen 
Parallelismus  zwischen  Wahrnehunmg  und  Imagination,  wonach 
jeder  möglichen  Wahrnehmung  eine  mögliche  Imagination  (genauer 
zu  reden,  eine  ganze  Serie  von  Imaginationen)  von  derselben 
Essenz  entspricht,  coordinirt  sich  auch  jeder  schlichten  Wahrneh- 
mung eine  schlichte  Imagination,  womit  zugleich  der  weitere  Be- 
griff der  sinnlichen  Anschauung  gesichert  ist.  Dal's  wir  da- 
nach die  sinnlichen  Gegenstände  als  die  möglichen  Gegenstände 
sinnlicher  Imagination  und  sinnlicher  Anschauung  überhaupt  defi- 
niren  können,  bedeutet  selbstverständlich  keine  wesentliche  Ver- 
allgemeinerung der  vorigen  Definition.  Auf  Grund  des  oben 
betonten  Parallelismus  sind  beide  Definitionen  äquivalent. 

Durch  den  Begriff  des  realen  Gegenstandes  ist  auch  der  Be- 
griff realer  Theil,  specieller,  die  Begriffe  reales  Stück,  reales 
Moment  (reales  Merkmal),  reale  Form  bestimmt.  Jeder  Theil 
eines  realen  Gegenstandes  ist  ein  realer  Theil. 

In  der  schlichten  Wahrnehmung  heilst  der  ganze  Gegenstand 
„explicite",  jeder  seiner  Theile  (Theil  im  weitesten  Sinne)  „im- 
plicite"  gegeben.  Die  Gosanimtheit  der  Gegenstände,  welche 
in  schlichten  Wahrnelmiungeu  explicite  oder  iniplicite  ge- 
geben sein  können,  macht  die  weitest  gefafste  Sphäre  der 
sinnlichen  Gegenstände  aus. 


Jeder  concrete  sinnliche  Gegenstand  ist  in  der  "Weise  eines 
expliciten  sclilicht  wahrnehmbar;  und  somit  auch  jedes  Stück  eines 
solchen  Gegenstandes.  Wie  verhält  es  sich  aber  bei  den  abstracten 
Momenten?  Ihrer  Natur  nach  können  sie  nicht  für  sich  sein;  es 
ist  also  evident,  dais  ihre  Wahrnehmung  und  Imagination  ein 
Unselbständiges  ist,  sofern  der  repräsentirende  Inhalt,  auch  wo 
blofse  Repräsentation  durch  Analogie  statthat,  nicht  für  sich,  son- 
dern nur  in  einem  umfassenderen  Coucretura  erlebt  sein  kann. 
Aber  damit  ist  noch  nicht  gesagt,  dafs  die  Anschauung  ein  fuu- 
dirter  Act  sein  müsse.  Sie  wäre  es,  wenn  der  Erfassung  eines 
absti'acten  Momentes  nothwendig  die  Erfassung  des  concreten 
Ganzen,  bezw.  diejenige  der  ergänzenden  Momente  —  die  Erfassung 
als  ein  Act  intuitiver  Zuwendung  —  vorangehen  müsste:  und  dies 
halle  ich  nicht  für  selbstverständlich.  Dagegen  ist  es  sicher,  dafs 
die  Erfassung  eines  Moments  und  überhaupt  eines  Theils  als 
Theil  des  gegebenen  Ganzen,  somit  auch  die  Erfassung  eines 
sinnlichen  Merkmals  als  Merkmal,  einer  sinnliehen  Form  als  Form, 
auf  lauter  fundirte  Acte  hinweist,  und  zwar  auf  solche  von  der  Art 
der  beziehenden;  damit  wäre  also  die  Sphäre  der  „Sinnlichkeit" 
verlassen  und  die  des  „Verstandes"  betreten.  Die  eben  bezeich- 
nete Gruppe  fundirter  Acte  wollen  wii-  sogleich  einer  näheren  Be- 
trachtung unterziehen. 


t 


§  48.     Charakteristik  der  kalegorialen  Acte  als  fundirte  Acte. 

Einen  sinnlichen  Gegenstand  können  wir  in  verechiodener 
Weise  auffassen.  Zunächst  naturlich  in  schlichter  Weise.  Diese 
Möglichkeit,  die  wie  alle  hier  in  Rede  stehenden  Möglichkeiten 
durchaus  als  ideale  zu  interpretii-en  ist,  charakterisirt  ihn  ja  als 
siuulichen  Gegenstand.  So  aufgefafst,  steht  er  gleichsam  einfältig 
vor  uns  da:  die  Theile,  die  ihn  constituiren ,  sind  zwar  in  ihm, 
sie  werden  uns  aber  im  schlichten  Acte  nicht  zu  e.xpliciten  Gegen- 
ständen. Denselben  Gegenstand  können  wir  aber  auch  in  expli- 
cirender  Weise  auffassen;  in  gliedernden  Acten  „heben"  wir  die 
Theiie  „heraus",  in  beziehenden  Acten  setzen  wir  die  heraus- 
gehobenen   in    Beziehung,   sei   es   zu    einander,   sei   es   zu   dem 


Ganzen.  Und  erst  durch  diese  neuen  Auffassungsweisen  gewinnen 
die  verlinüpften  und  bezogeneu  Glieder  den  Charaicter  von  „Tliei- 
len",  bozw.  von  „Ganzen".  Die  articulirenden  Acte,  und  in  der 
Rüdjbeziehung  der  schlichte  Act,  sind  nicht  blofe  im  Nacheinander 
erlebt;  vielnsehr  sind  jeweils  übergreifende  Acteioheiten  da, 
in  welchen  sich,  als  neue  Objecto,  die  Theilverhältnisse 
constituiren. 

Fassen  wir  zunächst  die  Verhältnisse  zwischen  Theil  und 
Ganzem  ins  Auge,  also,  in  Beschränkung  auf  die  einfachsten  Fälle, 
die  Verhältnisse  A  ist  (hat)  a  und  a  ist  in  A.  Die  fundirten 
Acte  nachweisen,  in  denen  sich  diese  typischen  Sachverhalte  als 
gegeben  constituiren,  nnd  die  eben  gebrauchten  Fonnim  kategori- 
scher Aussagen  klären  (d.  i.  eben  auf  ihren  intuitiven  Ursprung 
zurückführen,  auf  ihre  adäquate  Erfüllung)  ist  einerlei.  Doch 
kommt  es  uns  hier  nicht  auf  die  Actqualitäteu,  sondern  uusschliels- 
lich  auf  die  Constitution  der  Auftassungsformen  an,  und  soweit  wird 
unsere  Analyse,  als  ürtheilsanalyse  betrachtet,  unvollständig  sein. 

Ein  walu-nehraender  Act  erfafst  A  als  ein  Ganzes,  in  Einem 
Schlage  und  in  schlichter  Weise.  Ein  zweiter  Wahrnehmungsact 
richtet  sich  auf  das  a,  den  Thei!  oder  das  unselbständige  Moment, 
das  dem  A  constitutiv  zugehört.  Diese  zwei  Acte  vollziehen  sich 
aber  nicht  bloFs  zugleich  oder  nacheinander  in  der  Weise  „zusam- 
menhangsloser" Erlebnisse,  vielmehr  knüpfen  sie  sich  zu  einem 
einzigen  Acte  zusammen,  in  dessen  Synthesis  das  ,1  erst  als  das 
a  in  sich  habend  erscheint.  Ebenso  kann  auch  bei  umgekehrter 
„Richtung"  der  beziehenden  Wahrnehmung  das  a  als  dem  A  zu- 
kommend erscheinen. 

Suchen  wir  nun  etwas  tiefer  einzudringen. 

Das  anschauliche  Gesammtiueinen  des  Gegenstandes  befafst 
implicito  die  Intention  auf  das  a.  Die  Wahrnehmung  meint  ja 
den  Gegenstand  selbst  zu  erfassen,  und  so  mufs  ihr  „Erfassen" 
in  und  mit  dem  ganzen  Gegenstand  alle  seine  Constituenticn 
treffen. 

Natürlich  handelt  es  sich  dabei  nin*  um  die  Gonstituentien  des 
Gegenstandes,  so  wie  er  in  der  Wahrnehmung  eracheint,  als  was  er 
Haaierl,  hof.  Untan.  n.  40 


I 


in  ihr  selbst  dasteht,  iind  nicht  etwa  um  solche,  die  zu  dem  in  „ob- 
jectiver  Wirklichkeit"  seiendeu  Gegenstände  gehören,  den  erst  nach- 
ti-ägliche  Erfahrungen,  Erkenntnisse,  Wissenschaften  herausstellen. 

In  der  Einschränkung  der  Gesammtwahmehmung  zur  Sonder- 
wahmehmung  wiid  nun  die  Partialintention  auf  das  a  nicht  aus 
der  Gesammtorsclieuiung  des  A  herausgerissen,  als  ob  dessen  Ein- 
heit in  Brüche  gionge;  sondern  in  einem  eigenen  Act  wird  das 
a  zum  eigenen  Wahmehmungsobject.  Zugleich  „deckt"  sich  aber 
das  fortwirkende  Gesaramtwahmehmen  gemäfs  jener  implicirten 
Partialintention  mit  dem  Sonderwahrnehmen.  Der  auf  das  a  bezüg- 
liche Repräsentant  fungirt  als  identisch  derselbe  in  doppelter  Weise, 
und  indem  er  es  thut,  vollzieht  sich  die  Deckung  als  die  eigen- 
tbümliche  Einheit  der  beiden  repräsentativen  Functionen,  d.  i.  es 
decken  sich  die  beiden  Auffassungen,  deren  Träger  dieser  Reprä- 
sentant ist  Aber  diese  Einheit  nimmt  nun  selbst  die  Function 
einer  Repräsentation  an;  sie  gilt  dabei  nicht  für  sich,  als  dieser 
erlebte  Verband  der  Acte;  sie  wird  nicht  selbst  als  Gegenstand 
constituirt,  sondern  sie  hilft  einen  anderen  Gegenstand  constitui- 
ren;  sie  repräsentirt,  und  in  solcher  Weise,  dafs  nun  das  .1  als 
das  a  in  sich  habend  erscheint,  bezw.  in  umgekehrter  Richtung: 
das  a  als  in  jS  seiend. 

Je  nach  dem  „Standpunkt  der  Auffassung",  bezw.  je  nach 
der  „Richtung  des  üebcrganges"  vom  Theil  zum  Ganzen  oder 
umgekehrt  —  und  das  sind  neue  zur  intentionalon  Gesammt- 
materie  des  beziehenden  Actes  beitragende  phänomenologische 
Charaktere  —  giebt  es  zwei  a  priori  vorgezeichnete  Möglichkeiten, 
nach  welchen  „dieselbe  Relation"  zum  actuellen  Gegebensein 
kommen  kann.  Dem  entsprechen  die  beiden  a  priori  möglichen 
Verhältnisse  als  verschiedene,  aber  nach  idealer  Gesetzlichkeit 
nothwendig  zusammengehörige  Objectivitäten,  die  sich  direct  nur 
in  fundirten  Acten  der  angedeuteten  Art  constituiren, 
d.h.  nur  in  so  gebauten  Acten  „selbst"  zur  Wahrnehmung 
kommen  können. 

Diese  Darstellung  pafst  sichtlich  auf  alle  Besondorungen  des 
Vcrtiiüluisses  zwischen  einem  Ganzen  und  seinen  Theilen.   Alle 


diese  Verhiiltnisse  sind  kategorialer,  also  idealer  Natur.  Es  wäre 
\'erkehrt,  sie  in  das  schlichte  Ganze  einzulegen  iind  in  ihm  durch 
Analyse  finden  zu  wollen.  Im  Ganzen  steckt  zwar  der  Theii  vor 
aller  Gliederung  und  ist  darin  im  wahrnehmenden  Erfassen  des 
Ganzen  niiterfafst;  aber  diese  Thatsachc,  dafs  er  darin  steckt,  ist 
zunächst  blofs  die  ideelle  Möglichkeit,  ihn  uud  sein  Theil-seiu  in 
den  entsprechenden  gegliederten  und  fundirten  Acten  zur  Wahr- 
nehmung zu  bringen. 

Aehnlich  Hegt  die  Sache  offenbar  bei  den  äufseren  Rela- 
lationen,  aus  denen  die  Prädicationen  der  Art  wie  A  rechts  von 
B,  A  gröfser,  heller,  lauter  als  B  u.  dgt.  entstammen.  Wo  immer 
sinnliche  Gegenstände  —  schlichte  Wahmehmbarkeiteu  für  sich  — 
nnerachtet  ihrer  sich  abscheidenden  Geschlossenheit  zu  Verbänden, 
zu  mehr  oder  minder  innigen  Einheiten,  also  im  Grunde  zu  um- 
fassenderen Gegenständen  sich  zusammenfinden,  da  erwächst  die 
Möglichkeit  äufseror  Relationen.  Sie  sind  insgesammt  unter  den 
Typus  der  Relation  von  Theil  zu  Theilen  eines  Ganzen  zu  be- 
fassen. Wieder  sind  es  fundirte  Acte,  in  welchen  sich  die 
primäre  Erscheinung  der  hiehergeliörigen  Sachverhalte, 
der  äufseren  Verhältnisse,  vollzieht.  Es  ist  ja  klar,  dafs  weder 
die  schlichte  Wahrnehmung  der  ganzen  Complexion,  noch  die  zu 
ihren  Gliedern  gehörigen  Sonderwahmehmungen  an  sich  schon 
die  Beziehungswahrnehmungen  sind,  die  in  dieser  Complexion  nur 
möglich  sind.  Erst  wenn  ein  Glied  als  Hauptglied  bevorzugt  und 
unter  Festhaltung  der  übrigen  Glieder  betrachtet  wird,  tritt  sein 
phänomenales,  und  |e  nach  Besonderheit  der  obwaltenden  Ein- 
heitsart wechselndes  Bestimmfsein  durch  die  correlaten  Glieder 
hervor,  diehiebei  offenbar  selbst  zur  Heraushebung  kommen  müssen. 
Auch  hier  bestimmt  im  Allgemeinen  die  Wahl  des  Hauptgliedes, 
bezw.  die  Richtung  der  beziehenden  Auffassung,  phiinomenologisoh 
verschiedene  und  in  correlater  Weise  charakterisirte  Verhältnis- 
formen, die  in  der  ungegliederten  Wahrnehmung  des  Verbandes 
(also  in  dem  Verbände,  wie  er  als  schlichter  Gegenstand  erscheint) 
nicht  wahrhaft,  sondern  nur  als  blofse  Möglichkeiten  beschlossen 
sind,  nämlich  die  bezüglichon  fundirten  Acte  zu  vollziehen. 

40* 


Die  reelle  Einlegung  dieser  Tbeilvcrhältnisse  in  das  Ganze 
würde  eine  Yermengung  von  grundverschiedenen  Dingen  bedeu- 
ten: von  sinnlichen  oder  realen  Verknüpfungsfornien  und 
kategorialen  oder  idealen.  Die  sinnlichen  Verknüpfungen 
sind  Momente  des  realen  Gegenstandes,  wirkliche  Momente  des- 
selben, in  ihm  wenn  auch  nur  implicite  vorhanden  und  durch 
eine  abstractive  Wahrnehmung  aus  ihm  herauszuheben.  Dagegen 
sind  die  Formen  der  kategorialen  Verknüpfung  zur  Weise  der  Act- 
Synthesis  gehörige  Formen,  also  Formen,  die  sich  in  den  synthe- 
tischen, auf  Sinnlichkeit  aufgebauten  Acten  objectiv  constituiren. 
In  der  Bildung  äufserer  Relationen  mag  die  sinnliche  Form  das 
Fundament  abgeben  zur  Constitution  einer  ihr  entsprechenden  kate- 
gorialen Form;  wie  wenn  wir  das  in  der  Anschauung  eines  um- 
fassenden 0  gegebene  sinnliche  Angrenzen  der  Inhalte  A  und  B 
in  den  synthetischen  Formen  A  grenxt  an  B,  oder  B  r/retizt  an  A 
auffassen  und  eventuell  ausdrücken.  Mit  der  Constitution  der 
letzteren  Formen  sind  aber  neue  Gegenstände  erwachsen,  zuge- 
hörig zur  Klasse  Sachverhalt,  welche  nur  „Gegenstände  höherer 
Oidnung"  befafst.  Im  sinnlichen  Ganzen  sind  die  Theile  A  und 
B  durch  das  sie  sinnlich  verknüpfende  Moment  der  Angrenzung 
einig.  Die  Heraushebung  dieser  Theile  und  Momente,  die  Bildung 
der  Anschauungen  von  A,  B  und  vom  Angrenzen,  liefert  aber 
noch  nicht  die  Vorstellung  A  graut  an  B.  Diese  erfordert  einen 
neuen,  sich  dieser  Vorstellungen  bemächtigenden,  sie  passend 
formenden  und  verknüpfenden  Act. 


§  49.     Zusatz  über  die  nominale  Formung. 

Wir  fügen  hier  unserer  bisherigen  Analyse  einen  wichtigen' 
Zusatz  an,  die  Formung  betreöend,  welche  die  synthetisch  ver- 
knüpften Vorstellungen,  jede  für  sich  genommen,  erfahren.  In 
einer  speciellen  Klasse  von  Fällen  haben  wir  diesen  wichtigen 
Punkt  schon  studirt;  wir  haben  in  dor  V.  üntei-suchung  bemerkt, 
dafs  eine  Aussage  niemals  in  unmoditicirter  Form  zum  Fundament 
eines  darauf  gebauten  synthetischen  Actos,  zum  Subject-  oder 
Objectgliod    einer   neuen   Aussage   worden    könne.     Die   Aussage 


mufs,  sagten  wü',  erst  die  nominale  Form  annehmen,  wodurch 
ihr  Saclivcrlialt  in  neuer,  in  nominaler  Weise  gegenständlich  wii-d.' 
In  dieser  Tliatsache  prägt  sich  eben  der  intuitive  unterschied  aus, 
den  wir  hier  im  Äuge  haben,  und  der  nicht  blols  für  die  Be- 
xiehungsglioder  der  bisher  betrachteten  Synthesen  niederster,  un- 
mittclbai-  auf  Sinnlichkeit  gebauter  Stufe  gilt,  sondern  für  alle 
Vurstel hingen,  deren  sich  Synthesen  beliebiger  Art  und  Stufe 
bemächtigen. 

Wir  können  zunächst  vielleicht  allgemein  sagen:  objeclivi- 
rende  Acte  rein  für  sich  und  „dieselben"  objectivirenden 
Acte  in  der  Function,  Beziehungspuncte  irgendwelcher 
Beziehungen  zu  constituiren,  sind  nicht  wahrhaft  dieselben, 
sie  unterscheiden  sich  phänomenologisch,  und  zwar  in 
Hinsicht  auf  das,  was  wir  die  intentionale  Materie  ge- 
nannt haben.  Der  Auffassungssinn  hat  sich  geändert,  und 
daher  die  Bedeutungsänderung  im  angemessenen  Ausdruck. 
Es  ist  nicht  so,  als  ob  zwischen  den  ungeänderten  Vorstellungen 
nur  ein  Zwischenstück  eingeschoben  würde,  als  ein  Band,  das  die 
Vorstellungen  nur  äufserlich  aneiuanderknüpfte.  Die  Function 
dos  synthetischen  Denkens  (die  intellective  Function)  thut  ihnen 
etwas  an,  formt  sie  neu,  obschon  als  kategoriale  Function  in  kato- 
gorialer  Weise;  demnach  so,  dafs  hierdurch  der  sinnliche  Gehalt 
des  erscheinenden  Gegenstandesungeändertbleibt.  Der  Gegenstand 
erscheint  nicht  mit  neuen  realen  Bestimmtheiten,  er  steht  als  dieser 
selbe,  aber  in  neuer  Weise  da.  Die  Einordnung  in  den  kate- 
gorialen  Zusammenhang  giebt  ihm  darin  eine  bestimmte  Stelle 
und  KoUe,  die  ßolle  eines  Beziehungsgliedos,  speciell  eines 
Subjoct-  oder  Objectgliedes;  und  das  sind  Unterschiede,  die 
sich  phänomenologisch  bekunden. 

Freilich  ist  es  leichter,  die  Bedeutungsänderungen  der  aus- 
prägenden Ausdrücke,  als  die  Modification  der  directen  Vorstel- 
lungen selbst  zu  bemerken;  zumal  ist  die  Sachlage  im  Kreise  der 
schlichten  Anschauungen,  bei  Vergleich  derselben  in  und  aufser- 


'  A.  a.  0.  Kap.  4,  §  35  u.  36,  S.  436—444. 


halb  einer  Bezieh ungsfunction,  nicht  ganz  klar.    Ich  habe  sie  da- 
her in   der  vorigen  Untersuchung  nicht  gewagt  in  Anspruch  zu 
nehmen:  die  schlichten  vereinzelten  Wahrnehmungen  der  Sinnlich- 
keit wui'den  mit   den  nominal  fungirenden   Acten  gleichgestellt.' 
Aelinlich  wie  uns  der  Gegenstand  in  der  schlichten  Wahrnehmung 
direct  gegenübergesetzt  ist,  so  im  nominalen  Acte  der  Sachverhalt 
oder   ein   kategorial   geformter  Gegenstand   sonst     Die   alimähge 
Constitution  des  Gegenstandes  hat  sich  vollzogen,  als  fertiger  wird 
er  jetzt  zum  Beziehungsglied  gemacht  und  fast  wie  ein  schlichter 
behandelt     Das  war  der  leitende  Gedanke.    Vielleicht  kann  man 
sagen,  bei  der  Wahrnehmung  entgehe  uns  zunächst  die  phänome- 
nologische Aenderung,  die  auch  sie  mit  dem  Eintritt  in  den  be- 
ziehenden Act   erfahre,   darum,   weil   die   neue  Form   etwas  sei, 
was  die  ganze  alte  Auffassungsweise   in   sich  schliefse    und   sich 
ihr  nur  anschmelze.    Die  sinnliche  Wahruohuuing  bleibt  sinnliche 
Wahrnehm img,   der  Gegenstand  ist,   so  wie  er  es  war,   gegeben, 
nur  dafs  er  eben  „in  Beziehung  gesetzt",  dafs  er  verglichen  und 
unterschieden  wird  u.  s.  w.     Diese  Formungen    der  synthetischen 
Function  gelten    uns  nicht  als  zimi  Gegenstand,   sondern  als  zu 
unserem   subjoctiven  Bethätigen   gehörig,   und   so  übersehen   wir 
sie  auch  leicht  bei  der  phüaoraenologischen ,  auf  Erkenntnisklärung 
gerichteten  Reflexion.    Gousequent  müfsten  wir  dann  sagen:  auch 
der  Sachverhalt  sei  in  der  subjectivischen  und  überhaupt  nomi- 
nalen Function  nicht  nur  derselbe  Sachverhalt,  sondern  zu  unter- 
stem Grunde  auch  durch  denselben  Act  constituirt,  durch 
den  er  in  der  isolirten  Function  constituirt  war  —  beiderseits 
natürlich  den  Fall  der  Anschauung  vorausgesetzt;  nur  sei  er  in  dem 
Falle,  wo  er  als  Beziehungsglied  fungire,  mit  einer  neuen  Form, 
sozusagen  mit  dem  chai'akterisirenden  Costüm  seiner  Rolle  be- 
kleidet, die  sich  im  angemessenen  Ausdruck  durch  die  nominale 
Ausdrucksform    bekunde.  —  Hier   bedarf  es   wiederholter   Nach- 
prüfung der   erwogenen  Möglichkeiten   und   zur   letzten  Klärung 
weiterer  Forschungen. 


Z.  B.  S.  430  0. 


§  50.     Sinnlielie  Formen  in  kategorialer  Fassung,  aber  nicht  in 
nominaler  Funciion. 

Wir  habeu  bisher  nur  von  den  Fürmungen  gesprochen,  welche 
die  Beziehungsglieder  erfahren,  etwa  Ganzes  und  Theil.  Aber 
in  den  äufseren  Relationen  sehen  wir,  wie  sinnliche  Formen  in 
die  Einheit  der  Relation  (in  ihr  Prädicat)  einti-eten  und  die  Rela- 
tionsform sinnlich  bestimmen,  ohne  die  nominale  Verselb- 
ständigung zu  erfahren.  Z.  B.  Ä  heller  als  B,  A  rechts 
von  B  u.  s.  w.  Die  phänomenologischen  Unterschiede  —  Unter- 
schiede des  Aufi'assvingsäinnes  —  zwischen  den  Fällen,  wo  sozu- 
sagen auf  die  Helligkeitsform  schlicht  geachtet,  und  dieselbe  dann 
in  der  Weise  des  Ausdrucks  „dieses  Helligkeiisverhältnis 
[zwischen  Ä  und  B]  ist  leichter  merklich  ak  jenes  [zwischen  M 
und  N\"  zum  nominalen  Gegenstände  gemacht  wird,  und  den 
ganz  anders  gearteten  Fallen,  wo  dieselbe  Heliigkeitsform  in  der 
"Weise  des  obigen  Ausdrucks  „A  ist  fieller  als  B"  gemeint  ist,  diese 
Unterschiede,  sage  ich,  sind  unverkennbar.  In  den  letzteren  Fällen 
finden  wir  abermals  eine  kategoriale  Form,  die  auf  eine  eigen- 
artige Function  im  Ganzen  der  Beziehung  hinweist.  Auf  die  Unter- 
schiede solcher  Formen,  wie  wir  sie  hier  und  im  vorigen  Para- 
graphen kennen  gelernt  haben,  führen  sich  olfenbar  Begriffe  wie 
Betiefmngsglied,  Bexiehungsfonn,  Sitbjecl,  Object  und  andere, 
nicht  immer  deutlich  ausgeprägte  und  jedenfalls  bisher  nicht  hin- 
reichend geklärte  Begrifie  zurück. 

§  51.     CoUectiva  und  Disjunctiva. 

Wir  haben  als  Beispiele  kategorialer  und  zwar  synthetischer 
Gegenstandsformen  bisher  nur  einige  der  allereinfachsten  Sach- 
verhaltsformen in  Erwägung  gezogen,  nämlich  die  totalen  und 
partialen  Identitätsbeziehungen  und  die  einfachen  äufseren  Rela- 
tionen. Wii-  fassen  jetzt  als  weitere  Beispiele  zwei  synthetische 
Formen  ins  Auge,  die,  nicht  selbst  Sachverhalte,  im  Zusammen- 
hange von  Sachverhalten  eine  grofse  Rolle  spielen:  die  CoUec- 
tiva und  Disjunctiva.     Die  Acte,    in    welchen    sie   sich   als 


632    VI.  Elemente  einer  phänomenohg.  Außlärung  der  Erkenntnis. 

Gegebenheiten  constituiren,  sind  es,  welche  den  Bedeutungen  der 
Gonjunctionen  tind  und  oder  die  erfüllende  Anschauung  bieten. 

Das,  was  den  Worten  und  und  oder,  beides  und  eins  von 
beiden  anschaulich  entspricht,  das  lälst  sich,  so  drückten  wir  es 
oben  in  etwas  roher  Weise  aus,  nicht  mit  Händen  greifen,  mit 
irgendeinem  Sinn  erfassen;  wie  es  sich  ja  auch  nicht  eigentlich 
im  Bilde  darstellen,  etwa  malen  läTst.  Ich  kann  A  malen  und  B 
malen,  kann  boide  auch  im  selben  Bildraume  malen;  aber  das 
beide,  das  A  und  B  kann  ich  nicht  malen.  Hier  giebt  es  nur 
die  eine  und  jederzeit  offenstehende  Möglichkeit,  dals  wir  auf 
Grund  der  beiden  einzelnen  Anschauungsacte  den  neuen  Act  des 
Gonjungirens  (Golligirens)  vollziehen  und  hiedurch  das  Zusammen 
der  Objecto  A  und  B  meinen.  In  ihm  constituirt  sich  in  der 
Sachlage,  die  wir  eben  als  Beispiel  vor  Augen  hatten,  die  bild- 
liche Vorstellung  des  A  und  B,  während  dieser  Inbegriff  in  der 
Weise  der  Wahrnehmung  „selbst"  gegeben  ist  und  nur  gegeben 
sein  kann  in  einem  eben  solchen,  blols  conform  modificirten  Acte, 
der  aber  in  den  Wahrnehmungen  von  A  und  B  fundirt  ist 

Dafs  wir  von  einem  Acte  sprechen,  der  diese  Wahrnehmungen 
einigt,  und  nicht  von  irgendeiner  Verknüpfung  oder  gar  von  einem 
Zusammen  dieser  Wahrnehmungen  im  BewuTstsein,  liegt  natürlich 
daran,  dafs  hier  eine  einheitliche  intentionale  Beziehung  ge- 
geben ist  und  ihr  entsprechend  ein  einheitlicher  Gegenstand,  der 
sich  auch  nur  in  dieser  Actverknüpfung  constituiren  kann,  ganz  so 
wie  sich  nur  in  dem  beziehenden  Verbinden  von  Vorstellungen 
ein  Sachverhalt  constituiren  kann.  Man  erkennt  hier  zugleich  den 
wesentlichen  Irrthum,  der  hervorragenden  neueren  Logikern  dadurch 
unterlaufen  ist,  dafs  sie  der  conjunctiven  Verbindung  von  Namen, 
bezw.  von  Aussagen,  ein  blofses  Zusammenbewufstsein  der  nomi- 
nalen und  propositionalen  Acte  glaubten  unterlegen  zu  dürfen, 
und  somit  das  Und  als  objective  logische  Form  dahingaben.^ 

'  So  lesen  wir  bei  Siowart  (Logik  I*,  206):  ,Die  sprachliche  Verknüpfung 
der  Sätze  mit  ,T7nd' . . .  sagt  zunächst  nichts  anderes  als  diese  subjective  That- 
sache  des  Zusammenseins  in  Einem  Bewu&tsein  aus,  und  es  kommt  ihr  darum 
keine  objective  Bedeutung  zu*.    Vgl.  auch  a.  a.  0.  S.  278. 


Auch  davor  mufs  man  sich  hüten,  die  schlichten  Wahr- 
nehmungen von  sinnlich-cinlieitiichen  Mengen,  Kcihen, 
Scinvärnien  u.  dgl.  mit  den  conjiiucti veu  Wahrnohmungon  zu 
vorwechseln,  in  welchen  sich  allein  das  Vielheitsbewufstsein  selbst 
und  eigentlich  constituirt.  Ich  habe  in  meiner  Philosophie  der 
Arithmetik  nachzuweisen  versucht,  wie  die  sinnlichen  Einheits- 
charakterc  (die  ich  dort  figuralo  oder  quasi -qualitative  Momente 
der  sinnüclien  Anschauungen  nannte)  als  sinnliche  Mehrheitszeichen 
dienen;  das  heifst  als  sinnliche  Anhaltspunkte  für  das  (durch  sie 
signitiv  vermittelte)  Erkennen  der  Mehrheit  als  solcher  und  als 
Mehrheit  der  betreffenden  Art;  welehes  Erkennen  nun  der  gliedern- 
den Eiuzelauffassung  uml  Einzelerkenntiüs  nicht  mehr  bedarf,  aber 
<lHfür  auch  nicht  den  Charakter  eigentlicher  Intuition  der  Collcction 
als  solcher  besitzL^ 


§  52.     Mli/emeitie  Gegenstände  sieh  coristiluirertd  in  allgemeinen 
Anncliauungen. 

Die  einfachen  synthetischen  Acte,  mit  denen  wir  uns  bisher 
beschäftigt  haben ,  waren  in  schlichten  Wahrnehmungon  so  fundirt, 
dafs  die  synthetische  Intention  auf  die  Gegenstände  der 
fundirenden  Wahrnehmungen  niitgericbtet  war,  indem  sie 
diesölbou  ideell  zusammeubegriff  („Inbegriff")  oder  zu  beziehender 
Eünheit  brachte.  Und  dies  ist  ein  allgemeiner  Charakter  der 
synthetischen  Acte  überhaupt.  Wir  betrachten  nun  Beispiele  aus 
einer  anderen  Gruppe  kategorialer  Acte,  bei  denen  die  Gegen- 
stände der  fundirenden  Acte  in  die  Intention  dos  fundirten  nicht 
miteintreten  und  erst  in  beziehenden  Acten  ihr  nahes  Verhältnis 


'  Eben  diese  Frage:  wie  überhaupt  Violbeits-  und  Anzahlsohätziuigeu  in 
Einem  Blick,  al.so  in  suhliobteu,  statt  in  fiuKliittiu  Acten  iiiüglicli  a'md,  wiUiieud 
doch  wirkliche  CWleetion  und  Zählung  gegüedorto  Acte  höherer  Stufe  veraus- 
setzt, hat  mich  von  selbst  auf  die  anschauliclien  Einheitscharaktere  aufmerk- 
s*ni  gemacht,  die  v.  Ehrenfels  in  seiner  etwas  friiher  erschienenen  und  von 
ganz  anderen  Oosichts)tunktcn  geleiteten  Arbeit  scharfsinnig  behandelt  und  Ge- 
staltqualitäton  genannt  hat.  (Ueber  Gestaltqualitäteu ,  Viertelj.  f.  wiss.  Philos. 
1890).    Vgl.  Philosophie  d.  Arithm.  Kap.  XL 


634    VT.  Ekniente  einer  phänomtnolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 


zu  demselben  bekunden  würden.  Hieher  gehört  das  Gebiet  der 
allgemeinen  Anschauung  —  ein  Ausdruck,  der  Manchem  frei- 
lich nicht  besser  klingen  wird  als  hölzernes  Eisen, 

Auf  Grund  primärer  Anschauungen  bethätigt  sich  die  Ab- 
straction,  und  damit  tritt  ein  neuer  kategorialer  Actcharakter  aut 
in  dem  eine  neue  Art  von  Objeetivität  zur  Erscheinung  kommt, 
die  wieder  nur  in  solchen  fundirten  Acten  als  wirklich  oder  bild- 
lich gegeben  zur  Erscheinung  kommen  kann.  Natürlich  meine 
ich  hier  nicht  die  Abstraction  in  dem  blofsen  Sinne  der  Hervor- 
hebung irgendeines  unselbstiindigen  Moments  an  einem  sinnlicheo 
Objecto,  sondern  die  ideironde  Abstraction,  in  welcher  statt  des 
unselbständigen  Momentes  seine  „Idee",  sein  Allgemeines  zum 
Bowiifstsein,  zum  actuellon  Gegebensein  kommt.  Dieser  Act 
ist  vorausgesetzt,  damit  uns  gegenüber  der  Mannigfaltigkeit  von 
oinzelueu  Momenten  einer  und  dei-selben  Art,  diese  Art  selbst, 
und  zwar  als  Eine  und  Dieselbe  vor  Augen  stehen  kann. 
Denn  wir  werden  uns  im  wiederholten  Vollzuge  eines  solchen 
Actes  auf  Grund  mehrerer  individueller  Anschauungen  der  Iden- 
tität des  Allgemeinen  bowufst,  und  dies  offenbar  in  einem  über- 
greifenden, alle  einzelnen  Abstractionsacte  zur  Synthesis  bringen- 
den Acte  der  Identificirung.  Mittelst  solcher  Absh-actionsacto 
erwachsen  uns  dann  weiter,  in  ihrer  Verwebuug  mit  neuen  Act- 
formon,  die  Acte  der  allgemeinen  Bestimmung,  nämlich  der  Be- 
stimmung von  Gegenständen  überhaupt  als  gewissen  Arten  A 
unterstehend,  ebenso  die  Acte,  in  welchen  unbestimmte  Einzel- 
objecte  einer  Art  A  vorstellig  werden  u.  s.  w. 

Im  Abstractionsacte,  der  sich  nicht  etwa  nothwendig  mittels 
einer  Nennung  vollziehen  muss,  ist  uns  das  Allgemeine  selbst 
gegeben;  wir  denken  es  nicht  in  blofs  significativex  Weise,  wie 
im  Falle  des  blofsen  Verständnisses  allgemeiner  Namen,  sondern 
wir  erfassen,  wir  erschauen  es.  Gewifs  ist  hier  also  die  Rede 
von  der  Anschauung  und,  näher,  von  der  Wahrnehmung 
dos  Allgemeinen  eine  wolborechtigte. 

Doch  von  einer  anderen  Seite  erheben  sich  Bedenken.  Die 
Rede  von  einer  Wahraehmimg  setzt  die  Möglichkeit  einer  ent- 


sprechenden  Imagination  voraus,  and  die  Scheidung  zwischen  bei- 
den gebort,  sagten  wir\  mit  zum  natürlichen  Sinn  der  allgemeinen 
Rede  von  Anschauung.  Eben  diese  Unterscheidung  vermissen 
wir  hier.  Dies  scheint  daran  zu  liegen,  dafs  sich  die  abstrabiren- 
den  Acte  nicht  nach  dem  Charakter  der  fundirenden  schlichten  An- 
schauungen differenziiren,  dafs  sie  völlig  unempfindlich  dagegen 
sind,  ob  diese  fundirenden  Acte  setzende  oder  nichtsetzende,  ob 
sie  percepttve  oder  imaginative  Acte  sind.  Das  Boih,  das  Drei- 
eck der  blofsen  Phantasie  ist  specifisch  dasselbe  wie  das  Roth,  das 
Dreieck  in  der  Wahrnehmung.  Das  AUgemeinLeitsbewufstsein 
erbaut  sich  auf  Grund  der  Wahrnehmung  und  der  confurmen  Ein- 
bildung gleich  gut,  und  erbaut  es  sieb  überhaupt,  so  ist  das  All- 
gemeine, die  Idee  Roth,  die  Idee  Dreieck,  selbst  erfafst,  es  ist 
angeschaut  in  der  einen  und  einzigen  Weise,  die  keine  Unter- 
schiede zwischen  Bild  und  Original  zulafst. 

Indessen  ist  zu  beachten,  dafs  die  herangezogenen  Beispiele 
gerade  von  der  Art  adäquater  Wahrnehmung  des  Allgemeinen 
waren.  Das  Allgemeine  war  hier  auf  Grund  wirklich  entsprechen- 
der Einzelfälle  auch  wirklich  erfafst  und  gegeben.  Wo  sich  die 
Sache  so  verhält,  da  scheint  in  der  Tbat  eine  parallele  Imagination 
mit  demselben  intuitiven  Gehalt  zu  fehlen  —  wie  in  jedem  Falle 
adäquater  Wahrnehmung.  Wie  sollte,  auch  auf  individuellem 
Gebiet,  ein  Inhalt  sich  selbst  analogisiren ,  da  er,  genommen  als 
er  selbst,  doch  nicht  zugleich  als  Analogon  von  sich  selbst  gemeint 
sein  kann.  Und  wie  .sollte  der  Charakter  der  Setzung  fehlen, 
wo  der  gemeinte  Inhalt  eben  der  erlebte  und  gegebene  ist.  Anders 
verhält  es  sich,  wo  wir  z.  B,  durch  mathematische  Analjsis  die 
Idee  einer  gewissen  Gattung  von  Curven  dritter  Ordnung  indirect 
concipirt  haben,  ohne  dafs  uns  eine  Curvo  dieser  Gattung  je  an- 
schaulich wai'.  Dabei  mag  uns  gleichwol  eine  anschauliche  Figur, 
etwa  einer  uns  bekannten  Besonderung  von  Curveu  dritter  Ord- 
nung, gleichgiltig  ob  eine  gezeichnete  oder  blofs  imaginirte,  als 
intuitives  Bild,  als  Analogon  der  intendirten  Allgemeinheit  dienen: 


'  Vgl.  oben  §45,  8.616. 


636    VI.  Elemente  einer  phänottienolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

d.  b.  das  AUgemeinheitsbewulBtsein  baut  sich  als  intuitives  aber 
als  analogisirendes  auf  der  individuellen  Anschauung  auf.  Und 
wirkt  nicht  schon  die  gewöhnliche  rohe  Zeichnung  im  "Vergleich 
zur  idealen  Figur  analogisirend,  den  imaginativen  Charakter 
der  allgemeinen  Vorstellung  mitbedingend?  Ebenso  schauen 
wir  auf  Orund  eines  Modells  einer  Dampfmaschine  die  Idee  der 
Dampfmaschine  an,  wobei  natürlich  von  einer  adäquaten  Abstrac- 
tion,  bezw.  Gonception  keine  Rede  sein  kann.  In  solchen  Fällen 
haben  wir  es  mit  keinen  blolsen  Significationen  zu  thun,  sondern 
mit  allgemeinen  Repräsentationen  durch  Analogie,  also  mit  all- 
gemeinen Imaginationen.  Fehlt  aber,  was  z.  B.  bei  der  Anschau- 
ung auf  Grund  des  Modells  vorkommen  mag,  das  Bewulstsein 
blofser  Analogie,  dann  liegt  oben  ein  Fall  von  Wahrnehmung 
des  Allgemeinen,  wenn  auch  von  inadäquater  Wahrneh- 
mung, vor. 

Ebenso  finden  wir  jetzt  die  vorhin  vermi&ten  unterschiede 
zwischen  setzendem  und  dahinstellendem  Allgemeinheits- 
bewufstsein.  Wo  wir  einen  allgemeinen  Gegenstand  bloJs  ana- 
logisch, imaginativ  concipiren,  können  wir  ihn  in  setzender  Weise 
meinen,  und  dieser  Act  kann  sich,  wie  jede  setzende  Meinung  in 
künftiger  angemessener  Wahrnehmung  bestätigen  oder  widerlegen. 
Das  Erstere,  wenn  sich  die  allgemeine  Meinung  in  einer  adäquaten 
Wahrnehmung,  d.  i.  in  einem  neuen  Allgemeinheitsbewufstsein  er- 
füllt, welches  sich  auf  Grund  einer  „wirklichen"  Abstraction  des 
entsprechenden  Einzelfalls  constituirt  Der  allgemeine  Gegenstand 
ist  dann  nicht  blols  vorgestellt  und  gesetzt,  sondern  er  ist  selbst 
gegeben.  Wieder  können  wir  das  Allgemeine  in  analogischer 
Weise  vorstellen,  aber  ohne  es  zu  setzen.  Wir  concipiren  es, 
lassen  es  aber  dahingestellt  Die  auf  intuitivem  Gnmde  erbaute 
Intention  auf  das  Allgemeine  entscheidet  sich  jetzt  nicht  über 
„Sein"  oder  „Nichtsein",  also  darüber  ob  ein  Gtegebensein  des 
Allgemeinen  in  der  Weise  adäquater  Abstraction  möglich  ist, 
oder  nicht 


Siebentes  Kapitel. 

Studie  über  kategoriale  Repräsentation. 

§  53.     Rückhexiehung  auf  die  Forschungen  des  ersten  AhschniUs. 

Die  fundirten  Acte,  die  wir  in  ausgewählten  Beispielen  ana- 
lysirt  haben,  galten  uns  als  Anschauungen,  und  zwar  als  Anschau- 
ungen der  neuartigen  Gegenstände,  die  sie  zur  Erscheinung  bringen, 
und  die  auch  nur  in  fundirten  Acten  der  ihnen  jeweils  ent- 
sprechenden Art  und  Form  gegeben  sein  können.  Der  aufklärende 
Werth  dieser  Erweiterung  des  Begriffes  Anschauung  kann  otfenbar 
nur  darin  bestehen,  dafs  es  sich  bei  ihr  nicht  um  eine  aufserwesent- 
licho,  blots  disjunctive  Begriffserweiterung  handelt,  als  welche  die 
Sphäre  eines  vorgegebenen  Begriffs  über  die  Sphären  beliebiger 
heterogener  Begriffe  auszuweiten  gestattet',  sondern  um  eine  echte, 
auf  der  Gemeinschaft  wesentlicher  Merkmale  beruhende  Verall- 
gemeinening.  Wir  nennen  die  neuen  Acte  Anschauungen,  weil 
sie,  unter  blofser  Dahingabe  der  „schlichten"  Beziehung  auf  den 
Gegenstand  (also  jener  bestimmten  Art  von  „Unmittelbarkeit", 
welche  wir  als  Schlichtheit  definirten),  alle  wesentlichen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Anschauungen  haben;  wir  finden  bei  ihnen 
dieselben  wesentlichen  Scheidungen,  wie  sie  sich  auch  als  zu 
wesentlich  denselben  Erfüllungsleistungen  befähigt  erweisen. 
Dies   Letzterwähnte    ist   für   uns   besonders   wichtig,    um    dieser 


'  Stellt  n  die  constitntiven  Merkmale  eines  Begriffs  vor  und  fl  diejenigen 
eines  beliebigen  anderen  Begriffs,  so  kann  man  jederzeit  die  Form  hildeu: 
Etwas  das  a  oder  ß  ist.  Diese  äulserliche  Art  der  BogritTserweitemng,  die  ioh 
die  dJHJunctive  nenne,  kann  unter  Umständen  immerhin  recht  nützlich  worden; 
sie  spielt  z.  B.  für  die  Ausgestaltiuig  der  kunstvollen  mathematischen  Technik 
eine  sehr  wichtige  ond  von  den  Logikern  bisher  nicht  genügend  gewürdigte  Rolle. 
Freilich  liegt  die  Logik  der  Mathematik  noch  in  den  Anfüngen  und  nur  wenige 
r.,ogiker  scheinen  es  überhaupt  bemerkt  zu  haben,  dafs  hier  ein  Feld  grofaer, 
für  das  Verständnis  der  Mathematik  and  somit  auch  der  mathematischen  Matnr- 
wissensohoft  fundamentaler  und  bei  aller  Schwierigkeit  doch  streng  lösbarer 
Probleme  ist. 


638    VI.  ElunK^K/funomenolog.  ÄufkläniHg  der  Erkenntnis. 


Leistungen  willen  haben  wir  die  ganze  Untersuchung  geführt 
Die  Erkenntnis  als  Erfülhingsoinheit  vollzieht  sich  nicht  auf  dem 
blofsen  Grunde  schlichter,  sondern  in  der  Regel  auf  dem  Grunde 
kategorialer  Acte  und  dementsprechend  kann ,  wenn  wir  dem  Denken 
(als  Bedeuten)  das  Anschauen  gegenübersetzen,  unter  dem  An- 
schauen nicht  das  blofse  sinnliche  Anschauen  verstanden  werden. 

Erst  durch  die  Auffassung  kategorialer  Acte  als  Anschauungen 
wird  das  bisher  von  keiner  Erkenntniskritik  zu  erträglicher  Klar- 
heit gebrachte  Verhältnis  zwischen  Denken  und  Anschauen  wirk- 
lich durchsichtig,  und  somit  die  Erkenntnis  selbst  in  ihrem  Wesen 
und  ihrer  Leistung  verständlicli.  Die  vorläufigen  Feststellungen 
des  ersten  Abschnitts  erhalten  in  Folge  dieser  Begriffserweiterung 
erst  ihre  angemessene  Bestätigung.  Allen  Anschauungen  nach 
dem  jetzigen  weitesten  Sinne,  wie  nah  oder  fem  sie  der  Sinnlich- 
keit stehen  mögen,  entsprechen  als  ihre  möglichen  idealen  Gegen- 
bilder ausprägende  Bedeutungen.  Die  Unterscheidungen ,  die  wir 
innerhalb  des  erkenutnismäfsigen  Wesens  gemacht,  und  die  damit 
zusammenhängenden  Begriffe,  die  wir  gebildet  haben,  behalten, 
obschon  im  Hinblick  auf  eine  engere  Sphäre  abgegrenzt,  auch  in 
der  weiteren  ihre  Geltung. 

Also  jeder  kategoriale  Act  der  Anschauung  hat 

1.  seine  Qualität, 

2.  seine  (Intention ale)  Materie,  d.  i.  seinen  Auffassungssinn, 

3.  seine  Eopräsentanten. 

Diese  Unterscheidung  reducirt  sich  nicht  etwa  auf  die  zu  den 
fundirenden  Acten  gehörigen  Unterscheidungen.  Die  Qualitlit 
des  Gesammtacts  kann  eine  andere  sein  als  die  eiaes  Grundacts, 
wie  denn  die  Grundacte,  wenn  ihrer  mehrere  sind,  verschieden 
qualificirt  sein  können:  z.  B.  bei  der  Vorstellung  einer  Relation 
zwischen  einem  fictiven  und  einem  für  wirklich  gehaltenen  ObjecL 

Ferner  hat  nicht  nur  jeder  unter  den  fundirenden  Acten  eine 
Materie,  sondern  der  fundirte  bringt  eine  eigene  Materie,  wobei 
der  Satz  gilt,  dafs  diese  neue  Materie,  oder  wofern  sie  die 
Materien  der  Grundacte  einschliefst,  das  neu  Hinzukommende 
iu  ihr,  in  den  Materien  der  Grundacte  fundirt  ist. 


Endlich  bat  der  neue  Act  auch  seine  Ropräseutanten,  Doch 
in  Beziehung  auf  diese  finden  wir  —  sowie  es  an  die  Frage  geht, 
ob  zu  der  neuen  Materie  auch  neue  Repräsentnnton  un- 
genommeu  werden  müssen,  und  welches  diese  sind  —  ernste 
Schwierigkeiten. 

§  54.     Die  Frage  nach  den  R^räsentanten 
der  kaiegorialen  Formen. 

Wenn  man  an  die  Analyse  der  kategoriulen  Acte  herantritt, 
so  drängt  sich  zunächst  als  scheinbar  unwidcrsprechlich  die  Be- 
merkung auf,  dafs  sieh,  vom  Qualitativen  abgesehen,  alle  Unter- 
schiede der  kategorialeu  Acte  auf  die  entsprechenden  Unterschiede 
der  sie  fundirendon  Acte  reduciren,  d.  h.  dafs  das  Neue,  das 
die  katcgorialo  Function  hereinbringt,  ein  Zuschufs  an  Inhalt  ist, 
der  keine  DifFerenziirung  zuläfst.  Wodurch  sollte  sich  auch  die 
Phantasievorstellung  einer  Collection  von  der  Wahrnehmung  der- 
selben CoUection  sonst  noch  unterscheiden,  als  durch  die  inten- 
tionale  Weise,  in  der  ihre  Glieder  gegeben  sind?  In  der  Ver- 
knüpfungsforni  ist,  wird  man  sagen,  beiderseits  kein  verständlicher 
Unterschied  mehr  zu  machen.  Oder  sollte  sich  die  Collectionsform 
(welche  das  Wörtchen  und  ausprägt)  in  dei-  Erscheinungsart  als 
Wahrnehmung  oder  Einbildung  diiferenzüren?  Dann  müfsten  wir 
68  aber  für  möglich  hatten,  dafs  Phantasieerschciuungen  durch  die 
Collectionsform  der  Wahrnehmung,  Wahrnehniuugserschciuungon 
durch  die  Collectionsform  der  Phantasie  geeinigt  wären,  und  zwar 
in  unterschiedener  Weise.  Das  ist  offenbar  unausdenkbar,  ja  un- 
verständlich. 

Man  könnte  freilich  einwenden,  nichts  sei  leichter  als  das. 
Wer  hindert  uns  einige  Wuhruehmuugsobjectc  coUectiv  zusannuen 
zu  denken,  damit  aber  einen  anderen  Inbegriff  imaginativ  zu 
meinen;  und  abermals  einige  Phantasieerscheinungen  zusammen 
zu  denken,  aber  nur  diesen  Inbegrifl'  von  Phantasieerscheinungen 
zu  meinen,  also  ihn  wahrzunehmen.  —  Gewil's  hiudert  uns  in  dieser 
Hinsicht  nichts.  Aber  dann  sind  jene  Wuhrneinnungsolijeeto  Bilder, 
d.  h.  der  CoUectivact  ist  dann  direct  nicht  in  den  Wahrnehmungen, 


r 


vielmehr  in  den  auf  sie  gebauten  Imaginationen  fundirt  Und 
ebenso  sind  im  anderen  Falle  nicht  die  Gegenstände  der  Phantasie- 
vorstellungen, sondern  diese  Vorstellungen  selbst  coUigirt,  d.  h. 
der  Collectionsact  ist  direct  nicht  in  den  Phantasievorstellungen, 
sondern  in  den  auf  sie  bezogenen  inneren  Wahrnehmungen  fundirt 
Zwischen  dem  „wirklichen"  Colligiren  auf  Grund  von  wahr- 
genommenen, und  dem  „eingebildeten"  Colligiren  auf  Grund  von 
pbantasirten  Objecten  beweist  dies  keinen  Unterschied,  und  ein 
solcher  besteht  überhaupt  nicht,  es  sei  denn  als  Unterschied  der 
fiindirenden  Acte. 

Dasselbe  scheint  für  alle  sonstigen  Modificationen  zu  gelten, 
die  das  CoUectionsbewufstsoin  aufweisen  kann.  Die  Allgemeinheit 
oder  Besonderheit,  die  Bestimmtheit  oder  Unbestimmtheit,  und 
was  sonst  an  kategorialen  Formen  bei  den  fundirenden  Gegen- 
ständen in  Betracht  kommen  mag,  bestimmt  auch  den  Charakter 
der  Collectivvorstellung,  aber  so,  dafs  im  Verknüpfungscharakter 
kein  phänomenologischer  Unterschied  zu  finden  ist;  es  ist  immer 
dasselbe  und.  Je  nach  der  Art  der  fundirenden  Vorstellungen 
creclieint  uns  darnach  eine  Collection  von  allgemeinen  Gegenständen 
(/..  B.  Farbenspecies :  roth  und  blau  und  gelb)  oder  von  indivi- 
duellen Gegenständen  (Aristoteles  und  Piaion),  von  bestimmten 
Gegenständen  (wie  in  den  bisherigen  Beispielen)  oder  von  un- 
bestimmten (ein  Mensch  nnd  ein  anderer  Mensch;  eine  Farbe 
und  ein  Ton).  Es  ist  nicht  abzusehen,  wie  Differenzen  der 
Collectionsaete  noch  anders  als  durch  solche  der  fundirenden  Acte 
möglieh  sein  sollen. 

Eben  dasselbe  scheint  dann  auch  bei  den  beziehenden  An- 
schauungen ohne  Weiteros  klar.  Das  Beziehen  zeigt  immerfort 
dieselbe  Form,  aUe  Aenderungen  hängen  an  den  unterliegenden 
Acten. 

Können  wir  aber  bei  dieser  Sachlage  noch  constatirbare 
Unterschiede  zwischen  Repräsentanten  und  Auffassungssinn 
hinsichtlich  dos  im  fundirten  Acte  neu  Hinzukommenden, 
also  bei  den  synthetischen  Acten  liinsichtlich  ihrer  Verknüpfungs- 
form erwarten?     Bei  den  schlichten  Anschauungen  waren  zwar 


Aiiffassungssinn  (Materie)  und  Repräsentant  innig  vereint,  sie  waren 
autbinanrler  bezogen  untl  in  ihren  Variationen  aurii  nieht  ganz 
imabhangig;  aber  dabei  iionnten  sie  doch  gegeneinander  reich- 
liche Verschiebungen  erfahren.  Bei  wechselndem  Auffassungssinn 
konnte  der  sionliche  Repräsentant  derselbe  bleiben,  aber  bei  con- 
stantem  Auffassungssinn  auch  variiren;  so  kann  z.  B.  eine  Phan- 
tasie vorstel  hing  nicht  biofs  der  Materie,  sondern  sogar  dem  Umfang 
der  Fülle  nach  mit  sich  'identisch  bleiben  und  doch  hinsichtlich 
der  Lebendigkeit  aufrällig  wechseln.  In  der  Sphäre  der  Sinnlich- 
keit ist  also  der  Unterschied  zwischen  Materie  und  Repräsentant 
leicht  aufweisbar  und  als  unzweifelhaft  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Wie  jedoch  bei  den  kategorialeu  Acten,  wo,  von  den  fundirendeu 
Acten  abzusehen,  Variabilität  überJiaupt  zu  fehlen  scheint?  Sollen 
wir  sagen,  sie  entbehrten  hinsichtlich  der  Form  des  fraglichen 
Unterschiedes  ganz,  sie  hätten  keinerlei  Repräsentanten,  welche 
über  die  Repräsentanten  der  fundirenden  Acte  hinaus  reichten? 
Und  wo  die  fundirenden  Acte  selbst  schon  kategoriale,  z.  B.  Acte 
der  Ideation  sind,  so  fehlte  auch  diesen  die  Repräsentation,  sie 
läge  nur  in  den  letztfundirenden  schlichton  Anschauungen. 


§  55.     Argumente  für  die  Amtahme  eigener  kategorialer 

liepräsentanien. 

Behufs  einer  Stellungnahme  zu  dieser  Frage  ist  vor  Allem 
zu  beachten,  dafs  die  völlige  Unterscliiedslosigkeit  der  Formen 
gegenüber  den  vielgestaltigen  Aenderungen  des  Gesammtactes 
und  seiner  Fundameuto  in  der  obigen  Darstellung  vielleicht  über- 
trieben und  gar  mifsverstanden  war.  Denn  wenn  der  Gesammtact 
eiuo  Wahrnohmungsvorstellung  ist,  so  ist  seine  Form  als  Form 
einer  Wahrnehmungsvorstellung  jedenfalls  in  anderer  Weise  charak- 
terisirt  als  diejenige  einer  Phantasievorstellung.  Ist  die  Form  das 
eigentlich  Neue  und  Wesentliche  in  der  kategoiialen  Vorstellung, 
80  mulJs  sie  von  jedem  wesentlichen  Charakter,  der  das  Ganze 
durchdringt  unri  ihm  als  Ganzem  eignet,  mitergiiffen  sein.  Wenn 
uns  die  Retle.xion  die  Unterschiede  des  Auflässungssinnos  in  der 
Form  nicht  zeigt,  oder  mindestens  nicht  in  der  Form  der  synthe- 

Hmisrl,  Los.  Unten,  n.  41 


I 


tischen  Acte  (bei  (ien  abstractiven  ist  die  Sache  eigentlich  schon 
durch  die  üeberlegungen  des  §  F»2  erledigt],  so  erklärt   sich  dies 
wo)  dadurch,  dafs  wir  von  diesen  Auffassungscharakteren,  da  sie 
das  Moment  der  Synthese  nicht  auszeichnen  und  abgrenzen,  son- 
dern den   vollständigen   fundirten  Act  gleichniäfsig  durchdringen, 
unwillkürlich  absfrahiren,  um  dafür  auschiierslich  auf  das  Geraein- 
samo  /.u  achton,  das  sich  in  allen  Gestaltungen,  z.  B.  der  collec- 
tiven    Synthesis   entgegendrängt     Und  eben    dieses  Gemeinsame 
könnte   der   gesuchte  Repräsentant   sein.     Wie  in   der  schlichten 
sinnlichen    Wahrnehmung   der  Walirnelimungssinn    ein    homogen 
Einheitliches  ist,   das  die   gesammte  Repväsentiition    durchdringt, 
wie  es  zwar  bestimmte  Beziehung  hat  zu  jeden»  abgrenzbaron  Theil 
des  repräsentirenden  Inhalts  mid   doch  in  der  inneren  Reflexion 
nicht   als  Compositum    abgegrenzter  Theilauffassuugcn    erscheint: 
so  durchdringt  hier,  bei  den  kategorialen  Anschauungen,  der  Auf- 
fassungssinn den  Gesammtact  und  seine  gesammte  Repriisontation, 
ohne  sich   nach  den  in   der  Reflexion  unterscheidbaren  Repräsen- 
tanten deutlich  abzugrenzen.     In  der  obigen  Darstellung  aber  läge, 
wenn   wir  diese  Intei-pretation    zulassen,   die  wichtige  Wahrheit, 
dafs  bei  allem  Wechsel  fundirender  Acte  und  Auffassungs- 
formen der  repräsentirende  luiialt  für  jede  Art  fundirter 
Acte  ein  einziger  ist     Der  schlichten,  sinnlichen  Anschauung 
steht   die   überreiche    Mannigfaltigkeit   der   8innesqualltäten,    der 
empfindbaren  Formen  u.  s.  w.  zu  Zwecken  der  Repräsentation   zur 
Verfügung.     In  der  Sphäre   der  collectiven  Anschauungen,   oder 
der  Identjtätsanschauungen   u.  s.  w.  wären    wir  jo   auf  eine  Art 
beschränkt;    die  TJnd-Form   ist  überall  dieselbe,  ebenso  die  Ist- 
Form  u.  s.  w.     Diese  Formen  wären  hier  aber  verstanden  als  die 
Analoga  des  sinnlichen  Kerns,  des  Empfindbaren  in  der  sinn- 
lichen Anschauung,    von    der  Qualität  und   dem  Auffassungssinn 
wäre  abstrahirt 

Man  könnte  den  Verdacht  hegen,  dafs  der  Wunsch  hier  Vater 
des  Gedankens  sei,  und  uns  aufmerksam  machen,  wie  doch  aus 
unseren  frülieren  Betraclitungen  hervorgehe,  dafs  die  Repräsen- 
tanten keine  durchaus  wesentlichen  Bestnudstttcke  der  Acte  ans- 


machen.  Es  ist  ja  das  EigenthümlicLe  aller  signitiven  Acte,  dafe 
sie  der  Repräsentanten  entbehren  —  wnlgonierkt  der  eigentlichen 
Repräsentanten,  als  welche  zum  inhaltlichf^n  Bestände  des  Gegen- 
standes selbst  Beziehung  iiahen.  Denn  uneigentliclie  Repräsen- 
tanten, die  nicht  den  im  Acte  geraeinten  Gegenstand,  sondern 
irgendeinen  anderen,  den  Gegenstand  eines  fiindirenden  Actes  ver- 
gegenwärtigen, haben  auch  die  signitiven  Acte.  Genügen  aber 
uneigentliche  Repräsentanten,  so  sind  wir  nicht  mehr  in  Verlogen- 
heit; denn  an  solchen  fehlt  es  selbstverständlich  in  unserem  Falle 
nicht,  die  fundirenden  Acte  bieten  sie  uns  jederzeit;  ihre  eigent- 
lichen Repräsentanten  künnteii  in  Ansehung  des  fundirten  Actes  als 
uneigentliclie  aufgefafst  werden. 

Indessen,  eben  der  Vergleich  mit  den  blofs  signitiven  Acten 
bringt  uns  zu  lebendigem  Bewurstsoin,  dafe  bei  den  fundirten 
Acten  ohne  eigentliche  Repräsentation,  und  zwar  hinsichtlich  der 
kategorialen  Form,  kein  Auskommen  ist;  er  erinnert  uns  an  die 
Verhältnisse  möglicher  Erfüllung,  au  die  „Fülle",  welche  die  in- 
tuitiven Acte  den  signitiven  bieten,  an  die  Steigerungsreihen, 
welche  innerhalb  der  intuitiven  Acte  durch  die  wechselnde  Fülle 
bedingt  werden,  mit  der  letzten  Adäquation  als  der  idealen  Grenze. 
Die  Repräsentanten  sind  es,  welclie  den  Unterschied  zwischen 
„leerer"  Signification  und  „voller"  Intuition  ausmachen,  ihnen 
wird  die  „Fülle"  verdankt,  weshalb  sie  geradezu  den  einen  Wort- 
sinn von  Fülle  bestimmten.'  Nur  die  intuitiven  Acte  bringen  den 
Gegenstand  zur  „Erscheinung",  zur  „Anschauung",  nämlich  da- 
durch dafs  ein  Repräsentant  da  ist,  den  der  AutTassungssinn  als 
Analogen  oder  als  das  Selbst  des  Gegenstandes  auffafst.  Das  ist 
eine  Sachlage,  die  im  allgemeinen  Wesen  des  Erfüll ungsverhält- 
nisses  gründet ,  sie  mufs  also  auch  in  der  jetzigen  Sphäre  nach- 
weisbar sein.  Auch  in  ihr  finden  wir  ja  den  Gegensatz  zwischen 
signitiv  und  intuitiv:  den  Gegensatz  zwischen  objectivirenden 
Acten,  welche  eine  kategoriale  Gegenständlichkeit  signitiv  meinen, 
und  parallelen  Acten,  welche  dieselbe  Gegenständlichkeit  in  dem- 


'  Vgl.  §  22,  S.  550. 


41« 


I 


selben  Auffassungssinn  intuitiv  vergegenwärtigen,  sei  es  nun  „im 
Bilde"  oder  „selbst".  Da  die  intentionale  Materie  beiderseits 
dieselbe  ist,  so  können  wir  das  Neue  auf  Seiten  der  kategorialen 
Anschauung  wieder  nur  so  fassen,  dafe  sie  oben  Repräsentation 
ist,  dafs  sie  das  Gegenständliche  inhaltlich  vor  uns  hinstellt, 
dafs  sie  erlebte  Inhalte  als  Repräsentanten  des  gemeinten  Gegen- 
standes auffafst.  Die  Repräsentation  kann  aber  nicht  in  den  fun- 
direnden  Acten  allein  vollzogen  sein,  nicht  blofs  deren  Objecto 
sind  vergegenwärtigt,  sondern  der  ganze  Sachverhalt,  der  ganze 
Inbegriff  u.  s.  w. 

§  56.      Fortsetzung.     Das  psychische  Band  der  verknüpften  Acte  und 
die  kaiegoriak  Einlieit  der  entsprechenden   Ohjede. 

Man  könnte  für  den  Augenblick  denken,  es  seien  z. B.  im  Falle 

einer  Beziehung  nur  die  Beziehungspunkte  vergegenwärtigt,  und 
das  Neue  liege  in  einem  blofeen  psychischen  Charakter,  der  die 
beiden  Erscheinungen  verknüpfe.  Aber  eine  Verknüpfung  der 
Acte  ist  ja  nicht  ohne  Weiteres  eine  Verknüpfung  der  Objecto; 
bestenfalls  kann  sie  solch  einer  Verknüpfung  zur  Erscheinung  ver- 
helfen: sie  selbst  ist  doch  nicht  die  Verknüpfung,  die  in  ilur  er- 
scheint. Das  psychische  Band  zwischen  den  Acten  kann  herge- 
stellt sein  und  hiedurch  die  gegenständliche  Beziehung  erscheinen, 
während  diese  Beziehung,  selbst  wenn  sie  wirklich  existirende 
Objecto  in  Eins  setzt,  gamicht  besteht.  Urtlieilon  wir  significativ 
und  ohne  anschauliche  Vergegenwärtigung  des  beurtheilten  Sach- 
verhalts (wie  etwa  bei  den  gewöhnlichen  arithmetischen  Urtheilen), 
so  ist  die  beziehende  Einheit  des  Actes  eine  gegliederte,  sie  hat 
ihre  psychische  Verbindungsform  und  die  genau  analoge,  wie  im 
Falle  entsprechender  Intuition.  Aber  der  Sachverhalt  „erscheint", 
prägnant  zu  reden,  nicht,  er  ist  blofs  bedeutet  Nehmen  wir  da- 
gegen den  Fall  intuitiver  Vergegenwärtigung,  wie  wenn  wir  die 
Farbe  zweier  wahrgenommener  oder  durch  Gedächtnis  wiederver- 
gegenwärtigter  Flächen  identificiren,  oder  etwa  die  Person,  die  ii 
zwei  imaginativen  Vorstellungen  dargestellt  ist:  so  ist  die  Identit 
abermals  gemeint,  aber  gemeint  iti  der  Weise  der  Wahmehniun| 


die  den  Gegenstand  giobt,  bezw.  in  der  der  Bildlichkeit,  die  ihn 
verbildlicht.  Was  niaciit  solche  Unterschiede  möglich?  Sollen 
wir  sagen,  der  ganze  unterschied  liege  in  den  fundirenden  Acten? 
Aber  dagegen  erhöbe  sich  unser  Bedenken,  dafs  z.B.  in  der  signi- 
tiven  Idontificirung  nicht  etwa  die  Identität  der  bedeuteten  Gegen- 
stände erlebt,  sondern  diese  Identität  blofs  vermeint  ist;  ferner 
dafs  im  Falle  der  Intuition  der  Gegenstände  die  Identität  zwar 
wahrgenommene  oder  imnginirte  Identität,  aber  nur  im  Falle  der 
Adäquation  im  vollen  und  strengen  Sinne  gegebene  und  erlebte 
Identität  ist.  Das  psychische  Band,  das  die  Synthesis  her- 
stellt, ist  also  Meinung,  und  ist  als  solche  mehr  oder  minder 
erfüllt  Sie  ist  zwar  ein  blofses  und  unselbständiges  Bestandstück 
der  Gesammtmeinung,  ein  siguificatives  einer  significativen,  ein  in- 
tuitives einer  intuitiven  Meinung;  bei  alldem  aber  ein  Besttmdstiick, 
das  selbst  den  Charakter  der  Meinung  theilt  und  damit  auch  die 
Unterschiede  der  Fülle,  üenigemäfs  deuten  wir,  wol  nicht  unbe- 
rechtigt, die  Sachlage  so,  dafs  auch  dieses  Bestandstück  die 
Function  einer  Repräsentation  übt:  das  psychische  Band, 
das  im  actuellen  Identificiren  oder  Colligiren  u.  dgl.  erlebt  ist 
(im  „actuellen",  d.  i.  im  eigentlichen,  intuitiven),  glauben  wir  in 
der  vergleichenden  Betrachtung  verschiedener  Fälle  und  in  der 
Weise  der  oben  erwogenen  Möglichkeit  auf  ein  überall  Ge- 
meinsames reduciren  zu  können,  das  von  Qualität  und  Auf- 
fassungssinu  abgesondert  zu  denken  ist  und  in  dieser  Ecduction 
denjenigen  Repräsentanten  ergiebt,  der  speciell  zum  Moment  der 
kategorialen  Form  gehört. 


§  57.  Die  Repräaetitanien  der  fundirenden  AnscJiauungen  nicht  unmittelbar 
verknüpft  durch  die  Repräsentanten  der  synlltelisclten  Form. 

Naturgemäfs  fügen  sich  hier  einige  nicht  ganz  unwichtige  Be- 
merkungen an. 

Objectiv  betrachtet,  gehört  die  Synthesis,  z.  B.  die  Synthesis 
der  Identität,  der  attributiven  Beziehung  u.  s.  w.  zu  den  fundiren- 
den Objecten;  die  Identität  ist  etwa  Identität  der  Person,  die  attri- 
butive Beziehung  etwa  Beziehung  zwischen  dem  Subject  Baum  und 


dem  Prädicat  früchtetragetid.  Die  verknüpften  Objecto  erscheinen 
uns  nun  mittelst  ihier  Repräsentanten,  und  so  möclite  man  denken, 
dafs  das  synthetische  Band,  in  dem  uns  (oder  mittelst  dessen  utis^ 
gleichfalls  iu  der  Weise  eines  Repräsentanten)  die  Verknüpfung 
als  Form  erscheint,  jene  Repräsentanten  der  fundirenden  Objocte 
phänomenologisch  einfach  und  direct  aneinanderbinde. 

Dem  gegenüber  stellen  wir  aber  fest,  dafs  das  Moment  der 
Synthesis  keinerlei  directe  Vorbindung  der  zu  den  Grund- 
acten  gehörigen  Repräsentanten  herstellt,  sondern  dafs 
z.  B.  die  phänomenologische  Form  der  Identificirung  wesentlich  in 
den  fundirenden  Acten  als  solchen  gründet,  also  in  dem 
gründet,  was  diese  über  ihre  repriisentirenden  Inhalte  hinaus 
sind  und  enthalten. 

Wäre  das  erlebte  Identitätsmoment,  der  psychische  Charakter, 
ein  immittelbares  Bimd  der  repräsentirenden  sinnlichen  Inhalte 
(wir  können  uns  ja  auf  den  einfachsten  FttU  beschränken,  wo  die 
fundirenden  Acte,  bezw.  Objecto,  sinnliche  sind),  so  wäre  auch 
die  durch  dieses  Moment  hergestellte  Einheit  eine  sinnliche 
Einheit,  so  gut  wie  z.  B.  die  räumlichen  oder  qualitativen  Confi- 
gurationen  oder  die  sonstigen  Einheitsarten,  welche  die  beti'efFenden 
sinnlichen  Inhalte  anderweitig  noch  begründen.  Alle  sinnliche 
(reale)  Einheit  ist  aber  in  den  Inhaltsgattuugeu  des  Sinnlichen 
fundirte  Einheit,  wie  schon  in  der  IU.  Untersuchung  ausgeführt 
wurde.  Die  concreten  Inhalte  sind  freilich  vielseitig,  sie  tragen 
verschiedene  abstracto  Momente  in  sich,  sie  begründen  vielfache 
Möglichkeiten  der  Veränderung  und  Verknüpfung.  Domgemäfs 
führen  wir  manche  Verknüpfungsarten  auf  diese,  manche  auf  jene 
Momente  zurück.  Aber  wenn  die  jeweiligen  Einigungen  auch 
nicht  immer  in  den  Gattungen  der  complexen  Ganzen,  nach  ihrem 
vollen  specifischen  Gehalt  fundirt  sind,  so  doch  jedenfalls  in  den 
primitiven  Gattungen,  die  den  Momenten  der  jeweiligen  Ganzen 
entsprechen.  Dagegen  erweist  sich  die  sachliche  Beziehutigslosig- 
keit  der  kategorialen  Actformen  zu  den  sinnlichen  Inhalten  ihrer 
Grundlagen  darin,  dafs  die  Gattungen  dieser  Inhalte  schrankenlos 
variabel  sind,    mit  andern   Worten,   dafs  a  priori  keine  Inhalts- 


gattung  möglich  ist,  welche  nicht  ini  Fimdamoiit  kategorialer 
Acte  jeder  Art  fungircn  könnte.  Das  Kategoriale  gehört  eben 
iiicht  zu  den  repräsentirenden  sianlichen  Inhalten,  sondern,  und 
zwar  nothwendig,  zu  den  Gegenständen,  und  dabei  doch  nicht 
zu  ihnen  nach  ihrem  sinnlichen  (realen)  GehalL  Daiin  aber  liegt: 
der  psychische  Charakter,  in  dem  sich  die  kategoriale 
Form  constituirt,  gehört  phänomenologisch  zu  den  Acten, 
in  denen  sich  die  Gegenstände  constituiren.  In  diesen 
Acten  sind  die  sinnlichen  Inhalte  als  Ropräsf'ntanton  gegenwärtig, 
und  insofern  gehören  allerdings  auch  sie  mit  zu  diesen  Acten. 
Aber  sie  bilden  nicht  das  charakteristische  Wesen  der  Acte,  sie 
können  auch  ohne  die  Auffassung  sein,  die  sie  allererst  zu  Re- 
präsentanten macht;  sie  sind  dann,  aber  mit  ihnen  erscheint 
nichts,  und  folglich  ist  auch  nichts  da,  was  verknüpft,  was  als 
Subject  oder  Frädicat  u.  s.  w.  in  kategorialer  Weise  gefasst  werden 
könnte.  Nicht  diese  aufserwesentlichen  Elemente  der  fun- 
(lironden  Acte  verknüpft  das  kategoriale  Moment  des  synthe- 
tisch fundirton  Actes,  sondern  ihr  beiderseitig  Wesentliches;  es 
verknüpft  unter  allen  Umständen  ihre  intentioualen  Materien, 
und  ist  in  ihnen  im  wahren  Sinne  fundirt  So  haben  wir  es  ja 
oben  schon  allgemein  ausgesprochen;  in  allen  kategorialen  Acten, 
sagten  wir,  sei  die  Materie  der  fundirten  Acte  in  den  Materien  der 
fundironJen  Acte  fundirt.  Die  Identität  z.  B.  ist  unmittelbar  keine 
Einheitsform  sinnlicher  Inhalte,  sondern  eine  „Einheit  des  Bewufst- 
seins",  die  in  dem  einen  oder  anderen  („wiederholten"  oder  inhalt- 
lich verschiedenen)  Bewufstsein  vom  selben  Gegenstaude  gründet. 
Und  so  überall.  Es  ist  nun  freilieh  richtig,  dafs  jederlei  Arten 
von  Anschauungen,  ob  es  nun  schlichte  oder  kategoriale  sind, 
der  Art  nach  die  gleichen  kategorialen  Formungen  erfahren  können; 
aber  dimiit  ist  nur  gesagt,  dafe  die  kategoriale  Formung  phäno- 
menologisch in  dem  Allgemeinen  dos  objectivirenden  Actes  fundii-t, 
oder  dafs  es  eine  Function  ist,  die  wesentlich  an  das  Gattungs- 
mäfsige  der  objectivirendeu  Acte  gebunden  ist.  Nur  Erlebnisse 
dieser  Gattung  lassen  kategoriale  Synthesen  zu,  und  die  Synthese 
verknüpft  direct  die  intentionaleu  Wesen. 


648    VL  EUmettte  einer  phänomem^y.  Aup,-iäntNg  Jer  Erkennlnis. 


Zumal  im  Falle  adäquater  sjntfaedadier  AnscbaauDgen ,  vrelcba 
in  individaeüen  Anschauangen  anmittelbar  fandirt  sind,  mdJs 
man  sich  den  täuschenden  Schein  fernhalten,  als  ob  mindestans 
auf  dieser  untersten  Stufe  kategohaler  S}'nthesis  eine  unmittelbare 
phänomenologische  Verbindung  von  den  sinnlichen  Repräsentanten 
des  einen  fundirenden  Actes  zu  denjenigen  der  anderen  fortlaufe. 
Yennoge  der  functionellen  Abhängigkeit  der  Adäquation  fEvidenz) 
des  Gesammtactes  von  der  Adäquation  der  fundirenden  Anschau-^H 
UDgen  scheint  sich  die  Sachlage  hier  ja  folgendermaiJsen  zu  go>f^H 
stalten:  da  die  fundirenden  Acte  adäquat  sind,  so  fällt  der  repräsen- 
tirende  Inhalt  mit  dem  rcpriisentirten  Gegenstand  zusammen. 
Findet  nun  auf  solcher  Grundlage  die  Anschauung  einer  Beziehung 
statt,  z.  B.  einer  Beziehung  zwischen  Theil  imd  Ganzem,  so  bat 
auch  der  beziehende  Act  den  Charakter  der  Evidenz;  die  Beziehung 
ist  mit  den  wahrhaft  gegebenen  Inhalten  selbst  wahrhaft  gegeben. 
Also  verbindet  hier  das  psychische  Band  des  Beziehens,  an  den 
sinnlichen  Inhalten  imd  Objecten  als  Beziehung  aufgefafst,  in  der 
Weise  eines  directen  Bandes  diese  erlebten  sinnlichen  Inhalte. 

Mit  Nichten,  würden  wir  einwenden.  Nicht  die  siunliclien 
Inhalte,  sondern  die  adäquaten  Anschauungen  dieser  Inhalte  sind 
es,  welche  hier  die  Einheit  des  Beziehungsactes  fundiren.  Wie 
überall,  so  müssen  wir  hier  auf  die  Gegenstände,  jene  zugleich 
repräsentirenden  und  repräsentirten  sinnlichen  Inhalte,  hinblicken, 
um  den  beziehenden  Act  vollziehen,  um  diesen  Inhalt  als  Ganzes 
zu  jenem  Inhalt  als  Theil  in  Verhältnis  setzen  zu  können.  Ver- 
hältnisse können  nur  gegeben  sein  auf  Grund  gegebener  Gegen 
stände;  gegeben  sind  uns  Gegenstände  aber  nicht  durch  biolses 
Erleben,  das  in  sich  blind  ist,  sondern  einzig  und  allein  durch 
Wahrnehmen,  und  hier  im  Beispielsfallo  durch  Wahrnehmen 
der  erlebten  und  nicht  mehr  über  sich  hinaus  repräsentirenden 
Inhalte. 

Damit  bewährt  sich  aber  nur  unsere  ursprüngliche  Einführung 
der  katogorialen  Acte  als  fundirter.  Es  ist  diesen  Acten,  in 
welchen  sich  alles  Intellectuello  constituirt,  wesentlich,  sich  in 
Stufen  zu   vollziehen;   Objectivationen   vollziehen  sich  auf  Grund 


von  Objectiviitionen  und  constituiren  Gegenstände,  die  als  Gegen- 
stände im  orw eiterte  11 ,  inteliectuellen  Sinne,  als  Gegenstände 
höherer  Ordnung,  nur  in  solchen  fundirten  Acten  erscheinen 
können.  Dies  aber  schliefst  bei  den  synthetischen  Acten  un- 
mittelbare Einheit  der  Repräsentation,  wie  sie  alle  Repräsentanten 
der  schlichten  Anschauung  einigt,  aus.  Die  gesamrate  synthetische 
Anschauung  kommt  dann  (wenn  die  oben  versuchte  und  sorg- 
samster Nachprüfung  bediiiftige  Interpretation  richtig  ist)  in  der 
Weise  zu  Stande,  dafs  der  die  fundirendon  Acte  verbindende  psy- 
chische Inhalt  aufgefafst  wird  als  objective  Einheit  der  fundirten 
Gegenstände,  als  ihr  Verhältnis  der  Identität,  des  Theils  zum 
Ganzen  u.  s.  w. 


§  58.     Das   VerMUnis  der  beiden  Unterschiede:  äußerer  und  innerer 
Sinn,  sotvie  Sinn  und  Kategorie. 

Von  grofser  Wichtigkeit  ist  es,  nun  auch  das  Verhältnis  jener 
beiden,  gleich  zu  Anfang  unserer  jetzigen  üeborlegungen  einge- 
fitlirten*  Unterschiede  zur  letzton  Klarheit  zu  bringen,  nämlich  der 
Untorechiedo  zwischen  äufserer  und  innerer  Sinnliclikoit  auf  der 
einen,  und  zwischen  schlichtou  und  kategorialen  Acten  auf  der 
anderen  Seite. 

Die  Vorstellung  als  psychisches  Erlebnis,  gleichgiltig,  ob  sie 
sehliclit  oder  fundirt,  also  sinnlich  oder  kategorial  ist,  gehört  in 
die  Sphäre  des  „inneren  Sinnes".  Aber  liegt  hierin  nicht  ein 
Widerspruch?  Ist  eine  innere  Wahrnehmung,  die  auf  einen  Act 
und  gar  auf  einen  fundirten  Act  „reflectirt",  z.  B.  auf  das  actiielle 
Einsehen  der  Identität  2  +  1  =  1+2,  nicht  eo  ipso  fundirte,  also 
nicht- sinnliche  Wahrnehmung?  Im  Acte  dieser  Wahrnehmung  ist 
der  fundirte  Act  mitsammt  den  ihn  fundirendon  gegeben,  und  ira 
strengsten  Sinne  gegeben.  Er  gehört  mit  zu  dem  reellen  Bestände 
der  Wahrnehmung.  Sofern  sie  sich  auf  ihn  dabei  richtet,  ist  sie 
auf  ihn  bezogen,  sie  ist  also  selbst  fundirte  Wahrnehmung. 

Offenbar  werden  wir  sagen  müssen:  das  Wahrnehmen  eines 
wie  immer  beschaffenen   Actes   oder  Actmomentes  oder  Actcom- 


»  Oben  §  43,  8.  610  vmd  §  46  ff.,  8.  616  ff. 


plexes  heifst  ein  sinnliches  Wahrnehmen,  weil  es  ein  schlichtes 
Wahriiühmcu  ist.  Und  das  ist  es  zweifellos,  weil  die  Beziehung 
des  wahrnelimendea  Actes  auf  einen  wahrgenommenen  keine 
Fimdirungsbeziehung  ist  und  dazu  selbst  dann  nicht  wird,  wenn 
als  wahrgenommener  Act  ein  fundirter  angenommen  wird.  Das 
Fundirtsein  eines  Actes  besagt  nicht,  dafser,  gleichgiltig  in  welchem 
Sinne,  auf  andere  Acte  gebaut  ist,  sondern  dafs  der  fundirende 
Act  seiner  Natur,  d.  i.  seiner  Gattung  nach,  nur  als  solcher  mög- 
lich ist,  der  sich  auf  Acte  von  der  Gattung  der  fundirenden  auf- 
baut, und  dafs  folglicli  das  gegenständliche  Correlat  des  fundiren- 
den Actes  ein  Allgemeines,  eine  Form  hat,  mit  welcher  ein  Gegen- 
stand überhaupt  nur  in  einem  fundirten  Acte  dieser  Gattung  in- 
tuitiv erscheinen  kann.  So  kann  das  intuitive  AUgemoinlieitsbe- 
wiifstsein  nicht  bestehen  ohne  unterliegende  imiivlduelle  Anschauung. 
eine  Identification  nicht  bestehen  ohne  unterliegende  Acte  in  Be- 
treff der  identifieirten  Objecte  u.  s.  w. 

DasWahraehmen  aber,  das  auf  einen  fundirten  Act  gerichtet  ist, 
kann  genau  ebenso  auf  einen  nicht  fundirten  Act  und  auf  beliebige 
Objecte  äufserer  Sinnlichkeit  gericlitet  sein,  auf  Pferde,  Farben  u.s.w. 
In  jedem  Falle  besteht  dies  Wahrnehmen  in  dem  schlichten  Hin- 
blicken auf  das  Object.  Die  Materie  des  Wahrnehmens  (sein  Auf- 
fassungssinn) steht  in  keinem  Nothwendigkeits7Aisararaenhang  mit 
der  Materie  des  wahrgonomraonen  Actes;  vielmehr  hat  der  gesammte 
phünomenologische  Inhalt  dieses  Actes  den  blofsen  Charakter  eines 
Repräsentanten,  er  wird  gemäfs  dem  Auffassungssinn  der  Wahr- 
nehmung gegenständlich  gedeutet,  nämlich  als  dieser  Act  selbst. 

Aus  diesem  Grunde  ist  auch  jede  Absti-action,  die  sich  auf 
dem  Grunde  innerer  Sinnlichkeit,  etwa  im  Hinblick  auf  einen 
fundirten  Act  aufbaut,  eine  sinnliche  Abstraction.  Dagegen  ist 
eine  Abstraction,  die  sich  auf  einem  fundirten  Acte  selbst 
aufbaut,  sofern  er  selbst  den  Charakter  einer  Anschauung,  obschon 
einer  kategorialen,  besitzt,  eine  kategorialo  Abstraction.  Bücken 
wir  auf  einen  intuitiven  Act  der  Identification  —  d.  i.  einer  An- 
schauung von  Identität  —  hin,  und  abstrahiron  wir  hiobei  das 
Moment  des  Idontificirens,   so   haben   wir   eine   sinnliche  Ab- 


stractioii  vollzogen.  Blicken  wir  aber,  in  der  Identification 
lebend,  auf  die  übjective  Identität  bin  und  miiehou  diese  zur 
Grundlage  einer  Absü'action,  so  haben  wir  eine  kategoriule  Ab- 
straction  vollzogen. '  Das  objective  Moment  „Identität''  ist  kein 
Act  und  keine  Actform,  es  ist  eine  gegenständliche,  kategoriale 
Form.  Andererseits  ist,  und  im  Gegensatz  dazu,  das  Moment  dos 
Identificirens,  das  die  fundirteu  Acte  phänomenologisch  einigt, 
eine  sinnliche  und  keine  kategoriale  Form.  Im  Wesen  derselbe 
Unterschied  trennt  auch  sonst  die  Begriffe,  die  auf  Grund  der  Re- 
flexion auf  irgendwelche  intuitive  Acte,  und  die  ganz  anderen  Be- 
griffe, die  auf  Grund  dieser  intuitiven  Acte  selbst  gebildet  werden. 
Ich  nehme  ein  Haus  wahr,  und  auf  die  Wahrnehmung  reflecti- 
rend,  bilde  ich  den  Begriff  Wahrnelimuny.  Blicke  ich  aber  einfach 
auf  das  Haus  hin,  benütze  ich  also  anstatt  der  Wahrnehmung  von 
dieser  Wahrnehmung,  vielmehr  diese  Wahmobmung  selbst  zum 
fundircnden  Act  der  Abstractiou,  so  entsteht  der  Begrifl"  Haus. 

Danach  hat  es  nichts  Auflfaüendes,  wenn  wir  sagen:  Die- 
selben psychischen  Momente,  welche  in  innerer  Wahr- 
nehmung sinnlich  gegeben  sind  (in  ihr  somit  als  sinnliche 
Kepräsentunten  fungirend),  können  in  einem  fuudirten  Acte 
vom  Charakter  der  kategorialen  Wahrnehmung,  bezw. 
Imagination,  eine  kategoriale  Form  constituiren,  also  hie- 
bei  eine  ganz  andere,  kategoriale  Repräsentation  tragen. 

Die  Unselbständigkeit  der  kutegorialon  Formen  als  Formen 
spiegelt  sich  in  dem  Gebiete  innerer  Sinnlichkeit  darin,  dafs  die 
Momente,  in  welchen  sich  eine  kategoriale  Form  constituiren  kann 
(und  diese  Momente  sind*  für  jede  Form  so  eng  begrenzt,  dafs 
jeder  Formspecies  eine  einzige  Species  solcher  Momente  entspricht), 
unselbständige  psychische  Inhalte  diu'stellen,  welche  in  Actcharak- 
teren  fundirt  sind.  Da  aber  alle  Actcharaktere  letztlich  in  äufser- 
lich  sinnlichen  Inhalten  fundirt  sind^,  so  bemerken  wir,  dafs  auf 


'  Vgl.  die  nähere  Erörterung  im  §  60,  S.  054. 

•  Nach  §55,  S.  642. 

*  Natürlich  nicht  iu  besonderen  Gattungen  derselben,  sondern  in  der 
Uesammtgattung  solch  er  Inhalte  überhaupt  [cf.  folg.  8.). 


dem  Gebiete  der  Sinnlichkeit  eine  wesentliche  phänome- 
nologische Scheidung  bostohL     Zunächst  bestimmen   sich 

1)  die  Reflexiousinfuilte,  als  diejenigen  Inhalte,  welche  selbst 
Actcharaktere  sind  oder  in  Actcharakteren  fundirt  sind, 

2)  die  primären  Inhalte,  d.  i.  diejenigen  Inhalte,  in  welchen 
alle  Roflfxionsiuhalte  unmittelbar  odor  mittelbar  fundirt  sind.  Dies 
wären  die  Inhalte  der  „äufseren"  Sinnlichkeit,  die  hier  aber 
durch  keine  Beziehung  auf  den  Unterschied  von  Aufsen  und  Innen 
(als  weiclier  ein  metaphysischer  ist)  definirt  oreeheint,  sondern  durch 
die  Natur  ihrer  Repräsentanten,  als  letztfundirender  psychischer  In- 
halte. Die  primiiron  Inhalte  bilden  eine  einzige,  obschon  in  vielerlei 
Arten  sich  spaltende,  oberste  Gattung.  Die  Weise,  in  welcher  die 
Reflo-vionsinlialte  durch  primäre  Inlialte  Fundirung  cifahron,  ist 
offenbar  die  denkbar  loseste,  nämlich  eine  solche,  dafs  die  Reflexions- 
inlialto  nie  an  eine  engere  Gattung  der  primären  gebunden  sind. 

Es  entspricht  dann  dem  Unterschied  zwischen  rein  sinnlichen 
und  rein  kategoriaien  Objecten  der  Anschauung  auch  ein  unter- 
schied der  repriisertirenden  Inlialte:  als  rein  kategoriale  Re- 
präsentanten könueu  ausschliefslich  Reflexionsinhalte 
fungiren.  — 

Den  Begriff  der  Kategorie  könnte  man  nun  auch  versuchen 
so  zu  bestimmen,  dafs  er  alle  gegenständlichen  Formen  in 
sich  begriffe,  die  aus  den  Auffassungsformen  und  nicht 
aus  den  Auffassungsstoffen  herstammen.  Allerdings  er- 
wäcfist  folgendes  Bedenken.  Hätte  dann  nicht  auch  die  sinnliche 
Anschauung  den  Charakter  eines  kategorialon  Actes,  sofern  sie 
die  Form  der  Gegenständlichkeit  eonstituirt?  In  der  Wahrnehmung 
ist  das  Wahrgenummeno  nicht  nur,  sondern  es  ist  gegen -wärtig, 
Gegen-stand,  gegeben.  Vom  zufälligen  Subjecte  dos  Wahrnehmens 
kann  dabei  immer  noch  abstrahirt  sein.  Indessen  eonstituirt  sich 
der  Begriff  Gegenstand  in  Corrolation  mit  dem  Begriff  Wahr- 
nehmung und  setzt  also  nicht  blofe  einen  Act  der  Abstraction, 
sondern  auch  Acte  der  Beziehung  voraus.  Insofern  ist  auch  dieser 
Begriff  ein  kategorialer  in  dem  bisherigen  Sinn. 


Achtes  Kapitel. 
Die  apriorischen  Gesetze  des  eigentlichen  und  uneigentlichen 


Denkens. 


§  59. 


Complicalion    zu  immer  neuen   Formen.      lieiue   Formenlehrt 
möglicher  Anscliauungen. 

Die  verscliierlenen  Formen  funtlirtor  Acte,  in  weichen  sicii 
statt  der  sciilicbten,  sinnlicii-anschauliciien  Gegenstände,  vielmeiir 
die  Ivategorial  geformten  und  syntlictiscli  vorknüpften  constituiren, 
gestatten  mannigfaclie  Complicationen  zu  neuen  Formen,  sofern 
kategoriale  Einheiten  immer  wieder  (und  zwar  auf  Grund  gewisser 
kategorialer  Gesetzmäfsigkeiten  apriorischer  Art)  zu  Gegenständen 
neuer  verknüpfender,  bezieiiender  oder  ideirender  Acte  worden 
können.  So  kann  man  z.  B.  allgemeine  Gegenstände  collectiv  ver- 
knüpfen, die  so  gebildeten  Collectionen  wieder  collectiv  mit  anderen 
gleicher  oder  verschiedener  Art  verknüpfen ,  und  so  in  infmitum. 
Die  Möglichkeit  iinbegi-enzter  Complieation  ist  Liebei  a  priori  wxiA 
evident.  Ebenso  kann  man  Saciiverlialte,  übschon  nur  innerhalb 
gesetzlicher  Schranken,  zu  neuen  Sachverhalten  einigen,  man  kann 
überhaupt  und  ins  Unbegrenzte  zwisclien  allen  möglichen  Einheiten 
die  inneren  oder  äufseren  Relationen  aufsuchen,  die  Ergebnisse 
dieser  Feststellung  wieder  als  Objecto  neuer  Beziehungen  be- 
nutzen u.  s.  w.  Selbstverständlich  vollzieht  sich  die  Complieation 
in  fundirten  Acten  immer  höherer  Stufe.  Die  hier  waltende  Ge- 
setzmäfsigkeit  bildet  das  intuitive  Gegenstück  der  rein  gramma- 
tischen Gesetzmäfsigkeit.  Auch  hier  handelt  es  sich  nicht  um 
Gesetze,  welche  das  wahrhafte  Sein  der  vorgestellten  Gegenstände 
verschiedener  Stufe  judiciren  wollen.  Diese  Gesetze  betrefTen  jeilen- 
falls  nicht  ideale  Bedingungen  der  Möglichkeit  adäquater  Erfüllung. 
Der  reinen  Formenlehre  der  Bedeutungen  entspricht  hier  eine 
reine  Formenlehre  der  Anschauungen,  in  welcher  die  pri- 
mitiven Typen  von  einfachen  und  coniplexen  Anschauuiigou  durch 
intuitive  Goneralisation   als  möglich   aufgezeigt,   und    die  Gesetz- 


müfsiglieiten  ihrer  successiven  Couipücation  zu  immer  neuen  und 
compücirtcrcn  Aiisolinuungen  bestimmt  werden  müfsten.  Sofern  rtie 
adäquate  Anschauung  selbst  einen  Typus  von  Anschauungen  dar- 
stellt, umfafst  die  reine  Formenlehre  der  Anschauungen  überhaupt 
auch  all  die  Gesetze,  welche  die  Formen  adäquater  Anschauiuigen 
betrcffon:  und  diese  haben  dann  l)esondere  Beziehung  zu  den  Ge- 
setzen der  adäquaten  Erfüllung  significativer  oder  bereits  in- 
tuitiver Intentionen. 


§  60.     Der  relathm  oder  functiontlle  Unterschied  xu*ischm  Materie 
Form.     Reiiic  und  mit  Sinnlichkeit  benungte  Verslandesacte.     Sintiliche 
Begriffe  und  Kategorien. 

Mit  der  Möglichkeit,  kategoriale  Anschaiuingen  selbst  wieder 
zu  Fundamenten  neuer  kategurialer  Anschauungen  zu  machen  und 
dann  ancii  in  entsprechenden  Ausdrücken,  bezw.  Bedeutungen  aus- 
zudrücken, hängt  der  relative,  blofs  functionelle  Unterschied 
von  Stoff  und  Form  zusammen.  Wir  haben  ihn  üben*  schon 
flüchtig  angedeutet.  Im  absoluten  Sinne  giebt  eine  fundirende 
Sinuiichkeit  den  Stoff  für  die  darauf  gebauten  Acte  katogorialer 
Form.  Im  relativen  Sinn  bilden  die  Objecte  der  fundiren- 
den  Acte  überhaupt  den  Stoff,  nämlich  relativ  zu  den 
ihnen  in  den  fundirten  Acten  neu  erwachsenden  kategorialen 
FoiTuen.  Setzen  wir  zwei,  bereits  kategoriale  Objecte,  z.B.  zwei 
Sachverhalte,  in  eine  Bezielmng,  so  sind  diese  Sachverhalte  der 
Stoff,  relativ  zu  der  sie  beide  in  Eins  setzenden  Beziehungsforni. 
Dieser  Bestimmung  der  Begriffe  Stoff'  und  Form  entspricht  genau 
die  traditionelle  Unterscheidung  zwischen  Materie  und  Form 
bei  den  Aussagen.  Die  Termini  drücken  eben  die  fundirenden 
Acte  des  ganzen  „beziehenden  Vorstellens"  aus,  oder  was  das- 
selbe, sie  nennen  die  fundirenden  Gegenstände,  und  darum 
stellen  sie  auch  den  Ort  dar,  an  welchem  Beiträge  der  Sinn- 
lichkeit allein  gesucht  werden  können.'     Die  fundirenden  Gegen- 


•  Vgl.  §  42,  S.  Ü08. 
'  Vgl.  8.  607. 


stände   können   aber  selbst  schon   kategorialer  Art  sein.    Oflfen- 

bar  vollzieht  sicli  die  Erfüllirag  dann  in  einer  Ketto  von  Acten, 
die  uns  die  Stufenfolge  der  Fundirungen  hinabführen;  denn  jeden- 
falls spielen  hiebei  indirecto  Vorstellungen  eine  wesentliche  Rollo, 
deren  genaue  Erforschung  eine  für  die  Klärung  der  compü- 
cirten  Formen  des  erkennenden  Denkens  sehr  bedeutsame  Auf- 
gabe wäre. 

Die  Acte  schlichter  Anschauung  nannten  wir  sinnliche,  die 
fundirten,  unmittelbar  oder  mittelbar  auf  Sinnlichkeit  zurückführen- 
den Acte,  kategoriale.  Indessen  ist  es  von  Wichtigkeit  innerhalb 
der  Sphäre  der  kategorialen  Acte  zwischen  rein  kategorialen 
Acten,  Acten  dos  „reinen  Verstandes",  und  gemischten,  mit 
Sinnlichkeit  „bemengten"  Verstandesacten  zu  unterscheiden. 
Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  letztlich  alles  Katogorialo 
auf  sinnlicher  Anschauung  beruht,  ja  dafs  eine  katogoriale  An- 
schauung, also  eine  Verstandeseinsicht,  ein  Denken  im  höchsten 
Sinne,  ohne  fundirende  Sinnlichkeit  ein  Wiilorsinn  ist  Die  Idee 
eines  „reinen Intellocts",  interpretirt  als  ein  „Vermögen"  reinen 
Denkens  (hier:  kategorialer  Action)  und  völlig  abgelöst  von  jedem 
„Vermögen  der  Sinnlichkeit",  konnte  nur  concipirt  werden  vor 
einer  Elementaranaiyse  der  Erkenntnis  nach  ihrem  evident  unauf- 
hebbarcn  Bestände.  Gleichwol  hat  die  angezeigte  Unterscheidung, 
also  der  Begriff  des  rein  kategorialen  Actes,  und  wenn  nuui  will, 
der  Begriff  eines  reinen  Verstandes,  einen  guten  Sinn.  Betrachten 
wir  nämlich  die  Eigenthümlichkeit  ideirender  Abstrnction,  zwar 
nothwendig  auf  individueller  Anschauung  zu  beruhen,  aber  darum 
nicht  das  Individuelle  dieser  Anschauung  zu  meinen;  beachten 
wir,  dafs  sie  vielmehr  eine  neue  Auffassungsweise  ist,  welche 
statt  Individualität  vielmehr  Generalität  constituirt:  so  erwächst 
die  Möglichkeit  allgemeiner  Anschauungen,  welche  nicht 
nur  alles  Individuelle,  sondern  alles  Sinnliche  aus 
ihrem  intentionalen  Qehalt  ausschliefsen.  Mit  andern 
Worten,  wir  unterscheiden  zwischen  sinnlicher  Abstraction, 
die  uns  sinnliche  Begriffe  giebt  —  und  zwar  rein  sinn- 
liche oder  mit  kategorialen  Formen  vermischte  —  und  der  rein 


kategorialen  Ahstraction,  welche  uns  rein  kategoriale  Be- 
griffe giebt  Farbe,  Haiis^  ürttieil,  Wunsch  sind  rein  sinn- 
liche Begriffe,  Farbigkeit  (Farbig- sein),  Tugend,  Paralhlenaxiom 
u.  dgl.  sind  kategorial  vermischte,  Eitiheit,  Mehrheit,  Bexiehttng, 
Begnff  sind  rein  kategoriale.  Wo  wir  schlechtlnn  von  kategorialen 
Begriffen  sprechen,  sind  immer  rein  kategoriale  gemeint.  Die 
sinnlichen  Begriffe  finden  iln-e  unmittelbare  Grundlage  in  Gegeben- 
heiten sinnlicher  Anschauung,  die  kategorialen  aber  in  Bolchen 
kategorialer  Anschauung,  und  zwar  mit  reiner  Beziehung  auf  die 
kategoriale  Form  des  gesamraten  kategorial  geformten  Objects. 
Liegt  z.  B.  der  Abstraction  eine  Beziehungsanschauung  zu  Grunde, 
so  richtet  sich  das  Abstractionsbewufstsein  vielleicht  auf  die  Be- 
ziehungsform in  specie.y  wobei  alles  Sinnliche  der  Beziehungs- 
fimdnmente  aufser  Spiel  bleibt.  So  erwachsen  die  Kategorien. 
welcher  Titel,  im  prägnanten  Sinn  verstanden,  aber  blofs  die 
primitiven  hiehergehörigen  Begriffe  befafst. 

Wir  haben  soeben,  das  lag  im  ganzen  Sinne  der  vollzogenen 
Erörterung,  Begriff  und  Species  identificirt.  Versteht  man  jetloch 
unter  Begriffen  die  allgemeinen  Vorstellungen  anstatt  der 
allgemeinen  Gegenstiinde,  sei  es  die  allgemeinen  Anschau- 
ungen oder  die  ihnen  ent.sprechenden  allgemeinen  Bedeu- 
tungen, so  übertingt  sich  die  Unterscheidung  ohne  Weiteres  auch 
auf  sie;  desgleichen  auf  Vorstellungen  der  Form  ein  -1,  nämlich 
mit  Rücksicht  darauf,  dafs  die  Species  A  Sinnliches  enthalten,  oder 
hingegen  aussciitiefsen  kann.  Hein  kategorial  sind  danach  alle 
logischen  Formen  und  Formeln,  wie  alle  S  si}ui  P,  kein  S  ist 
P,  u.  8.  w.;  denn  die  Buchstaben  S,  P  u.  dgl.  sind  blofso  indlrecte 
Anzeigen  für  gewisse,  unbestimmte  und  beliebige  Begriffe,  also 
entspricht  ihnen  in  der  Oesammtbeileutung  der  Formel  ein  com- 
plexer,  aus  lauter  kategorialen  Elementen  gebauter  Gedanke.  Wie 
die  gesammte  reine  Logik,  so  ist  die  gesammte  reine  Arith- 
metik, die  reine  Mannigfaltigkeitslehre,  kurz  die  reine 
Mathesis  im  nlleruiufassondsten  Sinne,  rein  in  dem  Sinne,  dafs 
sie  in  ihrem  ganzen  theoretischen  Bestände  keinen  sinn- 
lichen Begriff  enthält. 


§  Gl.     Die  kategoriale  Formung  keifte  reale  Umgestaltung 
des  Oegeiistandes. 

Dio  Rede  von  der  kategorialen  Form  verwenden  wir,  wie  in 
der  letzten  Reihe  von  Betrachhingen  überall  sichtlich  ist,  in  einem 
natürlichen,  und  bei  unserer  consequcnten  Unterscheidung  zwischen 
Act  und  Gegenstand  unschiidlichen  Doppelsinn.  Einerseits  ver- 
stehen wir  darunter  die  fnndirten  Actcharaktere,  welche  den 
Acten  schlichter,  oder  selbst  schon  fnndirter  Anschauung  Form 
geben  und  sie  in  neue  Objectivationen  umwandeln.  Diese  Letzte- 
ren constituiren  eine,  im  Vergleich  mit  den  fundirenden  Acten  in 
oigenthümlicher  Weise  modificirte  Gegenständlichkeit;  die  ursprüng- 
lichen Gegenstände  stellen  sich  nun  in  gewissen,  sie  in  neuer 
Weise  fassenden  und  verknüpfenden  Formen  dar,  und  dies  sind 
die  kategorialen  Formen  im  zweiten,  im  gegenständlichen 
Sinn.  Die  conjunctive  Verknüpfung  A  und  B,  welche  als  ein- 
heitlicher Act  eine  kategoriale  Einheit  von  Gegenständen  (den  In- 
begriff, das  „alle  beide")  meint,  kann  uns  als  Beispiel  dienen. 

Der  Ausdruck  A  und  B  ilhistrirt  uns,  und  zwar  in  beson- 
derem Hinblick  auf  die  Bedeutung  des  „tind'\  übrigens  noch  einen 
weiteren  Sinn  der  Rede  von  kategorialer  Form,  demzufolge  auch 
die  significativen  Formen,  welche  in  den  fundirten  Actcha- 
rakteren  ihre  mögliche  Erfüllung  finden,  als  kategoriale  Formen, 
und  vorsichtiger,  als  kategoriale  Formen  im  uneigentlicheu 
Sinn  bezeichnet  werden. 

Dies  vorausgesetzt,  wollen  wir  uns  einen  bereits  ausgesproche- 
nen und  im  Hinblick  auf  unsere  gesanunte  Darstellung  eigentlich 
selbstverständlichen  Satz  um  seiner  Wichtigkeit  willen  zu  voll  ent- 
falteter Klarheit  bringen;  nämlich  dafs  die  kategorialen  Functionen, 
indem  sie  den  sinnlichen  Gegenstand  „formen'^,  ihn  in  seinem 
realen  Wesen  unberührt  lassen.  Der  Gegenstand  wird  durch  den 
Intellect  und  speciell  durch  die  Erkenntnis  (dio  ja  selbst  eine  kate- 
goriale Function  ist)  intellectiv  gefafst,  aber  nicht  verfälscht.  Dies 
zu  verdeutlichen  erinnern  wir  uns  an  den  schon  im  Vorbeigehen 
berührten    Unterschied    zwischen    den    im    gegenständlichen   Sinn 

Hniserl,  Lo;.  Untara.  n.  42 


verstandenen  kategorialen  Einheiten  und  den  realen  Einheiten,  als 
z.  B.  die  Einheit  der  Theile  eines  Dinges,  der  Bäume  einer  Allee 
11.  dgl.     Auch  die  Einheit  der  reellen  Bestandstücke  eines  psychi- 
schen Erlebnisses  und  desgleichen  aller  cooxistenten  Erlebnisse  im 
individuellen  Bewufstscin  gehört  zu  den   realen  Einheiten.      Alle 
diese  Einheiten,  als  Ganze  betrachtet,  sind  gleich  ihren  Theilon 
Gegenstände  im  primären  und  schlichten  Sinn;  sie  sind  in   mög- 
lichen schlichten  Anschauungen  anschaubar.     Sie  sind  eben   nicht 
blofs  katogorial  geeinigt,  sie  constitniren  sich  nicht  in  irgendeinem 
blofsen    Zusaninienbe trachten    durch    ColligLren,   Disjungiren,    Be- 
ziehen u.  dgl.;  sondern  sie  sind  „an  sich"   einig,  sie  haben   eine 
Einheitsfomi,  die  am  Ganzen  in  der  Weise  eines  realen  Einheits- 
monicnts,   also   einer   realen  Bestimmung  wahrnehmbar  ist;    und 
wahrnehmbar  im  selben  Siun,   wie  irgendwelche  der  verknüpften 
Glieder  und  ihre  inneren  Bestimmtheiten  es  sind. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  den  kategorialen  Formen. 
Die  neuen  Gegenstände,  die  sie  schaffen,  sind  nicht  Gegenstände 
im  primären  und  ursprünglichen  Sinne.  Die  kategorialen  Formen 
leimen,  knüpfen,  fügen  die  Theile  nicht  zusammen,  dafs  daraus 
ein  reales,  ein  sinnlich  wahrnehmbares  Ganzes  würde.  Sie  formen 
nicht  in  dem  Sinn,  in  welchem  der  Töpfer  formt.  Sonst  würde 
das  ursprünglich  Gegebene  der  sinnlichen  Wahrnehmung  in  seiner 
eigenen  Gegenständlichkeit  moilifieirt,  das  beziehende  und  ver- 
knüpfende Denken  und  Erkennen  wäre  nicht  Denken  und  Er- 
kennen dessen,  was  ist,  sondern  fälschendes  Umgestalten  in  ein 
Anderes.  Aber  die  kategorialen  Formen  lassen  die  primären  Gegen- 
stände unberührt;  und  sie  können  ihnen  auch  nichts  mithun,  können 
sie  in  ihrem  eigenen  Sein  nicht  ändern,  weil  das  Ergebnis  dann 
ein  neuer  Gegenstand  im  primären  und  realen  Sinn  wäre,  während 
evidentermafsen  das  Ergebnis  des  kategorialen  Actes  (etwa  dos 
collectiven  oder  beziehenden)  in  einer  objectiven  Fassung  des 
primär  Angeschauten  besteht,  die  nur  in  einem  solchen  fun- 
dirten  Acte  gegeben  sein  kann,  so  dass  der  Gedanke  an  eine 
schlichte  Wahrnehmung  des  Geformten,  oder  an  ein  Oegebensein 
desselben  in  einem  sonstigen  schlichten  AnstMiauen  Widersinn  ist. 


Die  aprior.  Oeaetxe  des  eigentliehen  und  nncigcnlliehen  Denken».   659 


§  62.     Die  FVeiJieii  in  der  kategorialen  Formung  vorgegthenen  Stoffes 

und  ihre  Scltranken:  die  rein  kategorialen  Oesetxe  (Oesetxe  des 

„eigentlichen"  Denkens). 

Reale,  äurserlich  oder  innerlich  sinnliche  Einheitsfornien 
sind  durch  die  wesentliche  Natur  der  zu  verknüpfenden  Theile 
gesetzlich  bestimmt,  und  bei  voll  genommener  Individuation  dieser 
Theile  absolut  bestimmt.  Aile  Einheit  weist  auf  Gesetzlichkeit  hin, 
reale  Einheit  auf  reale  Gesetzlichkeit.  Was  real  eins  ist,  ranfs 
auch  real  geeinigt  sein.  Wo  wir  von  der  Freiheit  zu  einigen 
oder  nicht  zu  einigen  sprechen,  da  nehmen  wir  eben  die  Inhalte 
nicht  in  ihrer  vollen  Realität,  zu  welcher  j«  die  räundich-zeitlichen 
Bestinmitheiton  raitgehören.  Während  in  dieser  Art  das  Bewufst- 
sein,  und  speciell  das  schlichte  Anschauen  der  realen  Inhalte, 
eo  ipso  Bewufstsein  ihrer  realen  Verknüpfungen  oder  Formen  ist, 
verhält  es  sich  ganz  anders  hinsichtlich  der  kategorialen  Formen. 
Mit  den  realen  Inhalten  ist  keine  der  ihnen  anzupassenden  kate- 
gorialen Formen  nothwendig  gegeben,  hier  besteht  im  Verknüpfen 
und  Beziehen,  im  Generalisiren  und  Subsuniiren  u.  dgl.  reichliche 
Freiheit.  Wir  können  eine  sinnlich  einheitliche  Gruppe  willkürlich 
und  auf  vielfache  Weise  in  Thoilgruppen  zerlegen;  wir  können  die 
mannigfach  unterscheidbaren  Thoilgruppen  willkürlich  ordnen  und 
gleichstufig  aneinander  knüpfen,  oder  auch  CoUectionen  zweiter, 
dritter  .  .  .  Stufe  übereinander  bauen.  So  ergeben  sich  viele  Mög- 
lichkeiten collecüver  Formung  auf  Grund  desselben  sinnlichen 
Stoffes.  Ebenso  können  wir  jedes  beliebige  Glied  ein  und  der- 
selben sinnlichen  Comple.xion  mit  diesen  oder  jenen  unter  den 
übrigen  Gliedern  vergleichen,  oder  von  ihnen  unterscheiden;  wir 
können  jedes  hiebei  zum  Subjectglied,  oder  durch  willkürliche 
Umkehrung  der  betreffenden  Verhältnisse  zum  Objcctgliede  machen; 
wir  können  diese  Verhältnisse  dann  selbst  zueinander  in  Beziehung 
setzen,  miteinander  collectiv  verknüpfen,  klassificiren  u.  s.  w. 

Aber  so  grofs  diese  Freiheit  kategorialer  Einigung  und 
ITormung  ist,  sie  hat  doch  ihre  gesetzlichen  Schranken.  Auch 
hier  sind  Einheit  und  Gesetz  voneinander  unabtrennbar.    Schon 


darin,  dafs  die  kategorialen  Formen  ßich  in  fundirten  Actcharak- 
toren,  und  nur  in  solchen  constihiiren,  liegt  ein  gewisser  Noth- 
wendigkeitszusanimenhang  beschlossen.  Wie  wäre  auch  sonst  von 
kategorialer  Wahrnehmung  und  Anschauung  die  Rede,  %venn 
sich  jeder  beliebige  Stoff  in  jede  beliebige  Form  bringen,  also  die 
fundirenden  schlichten  Anschauungen  mit  den  kategorialen  Charak- 
teren beliebig  zusammenknüpfen  liefsen.  Wo  wir  z.  B.  ein  Ver- 
hältnis zwischen  Ganzem  und  Tlieil  intuitiv  vollziehen,  können 
wir  dieses  Verhältnis  zwar  in  der  normalen  Weise  umkehren,  aber 
nicht  etwa  so,  dafs  wir  nun  den  Theil,  bei  ungeändertem  realen 
Inhalt,  als  Ganzes  und  das  Ganze  als  Tbeil  anschauen  könnten. 
Es  steht  uns  auch  nicht  frei,  dieses  Verhältnis  als  ein  solches 
totaler  Identität  oder  totaler  Exchision  aufzufassen  u.  s.  w.  Aller- 
dings „denken"  können  wir  uns  jederlei  Verhältnis  zwischen  jeder- 
lei Beziehungspunkten,  und  jederlei  Form  überhaupt  auf  Grund 
jedes  Stoffes  —  nämlich  denken  im  Sinne  blofser  Signification.  Aber 
wirklich  vollziehen  können  wir  die  Fundiningen  nicht  auf; 
jeder  Grundlage,  wir  können  den  sinnliciien  Stoff  nicht  in  be 
liebiger  kategorialer  Form  anschauen;  zumal  nicht  wahrneh 
men,  und  vor  Allem  nicht  adäqnat  wahrnehmen. 

In  der  Prägung  des  erweiterten  WahmebmungsbegrifFes  be- 
kundet sich  eo  ipso  eine  gewisse  Gebundenheit.  Nicht  als  ob  der 
Wahrneh mungscliarakter  an  den  sinnlicheu  Inhalt  reell  gebunden 
wäre.  Das  ist  er  nie;  denn  das  hiefse,  dafs  nichts  ist,  was  nicht 
wahrgenommen  ist  und  wahrgenommen  sein  mufs.  Aber  sehr 
wol  ist  nichts,  was  nicht  wahrgenommen  werden  kann.  Darin 
liegt  aber:  der  actueüe  Vollzug  der  kategoriiden  Acte  auf  Grund 
gerade  dieser  Stoffe,  oder,  genauer,  auf  Grund  gerade  dieser  schlich- 
ten Anschauungen,  ist  im  idealen  Sinne  möglich.  Und  diese 
Möglichkeiten  sind,  wie  ideale  Möglichkeiten  überhaupt,  gesetz- 
lich begrenzt,  sofern  ihnen  gewisse  Unmöglichkeiten,  ideale  Un- 
verträglichkeiten, gesetzmäfsig  zur  Seite  treten. 

Die  Idealgesetze,  welche  den  Zusammenhang  dieser  Mög- 
lichkeiten und  Unmöglichkeiten  regeln,  gehören  zu  den  katego- 
rialen Formen   in  spccie,    also  zu   den  Kategorien   im  objec- 


: 


tiven  Sinne.  Sie  bestimmen,  welche  Variationen  irgend- 
weicher vorgegebenen  kategorialen  Formen,  bei  voraiis- 
gosetzter  Identität  des  bestimmten,  aber  beliebigen 
Stoffes  möglich  sind;  sie  umgrenzen  die  ideal  geschlossene 
Mannigfaltigkeit  von  ümordniingeii  und  Umgestaltungen  der  kate- 
gorialen Formen  auf  Grund  das  identisch  verbleibenden  Stoffes. 
Der  Stoff  kommt  liiebei  nur  insofern  in  Frage,  als  er  intentional 
in  Identität  mit  sich  selbst  festgehalten  sein  mulJs.  Insofern  abur 
die  Species  der  Stoffe  völlig  frei  vaiiirbar  sind  und  nur  der  selbst- 
verständlichen ideellen  Bedingung  unterstehen,  dafs  sie  als  Träger 
der  jeweils  vorangonomnienen  Formen  functionsfähig  sind,  so 
haben  die  iu  Rede  stehenden  Gesetze  den  Charakter  völlig  reiner 
und  analytischer  Gesetze,  sie  sind  von  der  Besonderheit 
der  Stoffe  völlig  unabhängig.  Ihr  allgemeiner  Ausdruck  ent- 
hält daher  nichts  von  stofflichen  Species,  vielmehr  benützt  er  nur 
algebraische  Symbole  als  Träger  unbestimmt- allgemeiner  Vor- 
stellungen von  gewissen,  im  Uebrigen  beliebigen,  aber  mit  sich 
identisch  zu  crhalteuden  Stoffen  überhaupt. 

Zur  Einsicht  in  diese  Gesetze  bedarf  es  daher  auch  nicht  dos 
actuellen  Vollzugs  einer  kategorialen  Wahrnehmung,  die  irgendeinen 
Stoff  selbst,  und  gar  im  eigentlichsten  Siune,  giebt;  sondern  es  ge- 
nügt irgendeine  kategoriale  Imagination,  welche  die  Möglichkeit 
der  betreffenden  kategorialen  Coraplexionen  vor  Augen  stellt.  In  der 
generalisirenden  Abstraction  der  gesammten  complexen  Möglichkeit 
vollzieht  sich  die  eiuheitliehe  intuitive  „Einsicht''  in  das  Gesetz, 
uud  diese  Einsicht  hat  im  Sinne  unserer  Lehre  den  Charakter 
adäquater  genereller  Wahrnehmung.  Der  allgemeine  Gegen- 
stand, der  in  ihr  selbst  gegeben  ist,  ist  das  kategoriale  Gesetz. 
Wir  dürfen  sagen:  Die  idealen  Bedingungen  der  Möglich- 
keit der  Gegenstände  kategorialer  Anschauung  überhaupt 
sind  die  Bedingungen  der  Möglichkeit  der  Gegenstände 
kategorialer  Anschauung,  und  der  Möglichkeit  von  kate- 
gorialen Gegenständen  schlechthin.  Eine  kategorial  so  und 
so  geformte  Gegenständlichkeit  ist  möglich,  das  besagt  ja  im  Wesent- 
lichen dasselbe,  wie  dafs  eine  kategoriale  Anschauung,  sei  es  auch 


662    VI.  Elemente  einer  phänomenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

«ine  blofse  Einbildung,  eine  derartige  Gegenständlichkeit  vollständig 
angemessen  vor  Augen  stellen  kann;  mit  anderen  Worten,  dafs  die 
betreffenden  kategorialen  Synthesen  und  die  sonstigen 
kategorialen  Acte  auf  Grund  der  betreffenden  sinnlichen 
Anschauungen  (sei  es  auch  Einbildungen)  wirklich  vollzieb- 
bar  sind. 

Welche  kategoriale  Formung  aber  ein  beliebiger,  gleicbgildg 
ob  perceptiv  oder  imaginativ  vorgegebener  Stoff  de  facto  zu- 
lä&t,  d.  i.  welche  kategorialen  Acte  auf  Grund  der  ihn  co'nstituiren- 
deu  sinnlichen  Anschauungen  wirklich  voilziehbar  sind  —  darüber 
besagen  die  in  Rede  stehenden  idealen  Bedingungen,  die  ana- 
lytischen Gesetze,  nichts.  DaTs  hier  kein  Belieben  schrankenlos 
walten  kann,  und  dals  die  „wirkliche"  VoUziehbarkeit  nicht  den 
Charakter  der  empirischen  Wirklichkeit,  sondern  der  idealen  Mög- 
lichkeit hat,  lehren  die  obigen  Beispiele.  Und  sie  lehren  auch, 
dals  die  jeweilige  Besonderheit  des  Stoffes  es  ist,  welche  die  Mög- 
lichkeiten umgrenzt,  so  dafs  wir  z.  B.  sagen  können,  O  ist  wirk- 
lich ein  Ganzes  von  g^  oder  y  ist  wirklich  eine  Beschaffenheit 
von  O  u.  dgl.  —  wobei  allerdings  die  kategoriale  Form,  ungleich 
der  realen,  nicht  auf  die  Inhaltsgattungen  der  G,  g,  y  u.  dgl. 
beschränkt  ist,  als  ob  sie  für  Inhalte  anderer  Gattungen  überhaupt 
nicht  in  Betracht  käme.  Im  Gegen  theil  ist  es  evident,  dafs 
Inhalte  aller  Gattungen  durch  alle  Kategorien  geformt 
sein  können.  Die  kategorialen  Formen  sind  eben  nicht  in  den 
stofflichen  Inhalten  fundirt  —  wie  wir  oben^  schon  dargelegt 
haben.  Jene  reinen  Gesetze  können  also  nicht  vorschreiben,  welche 
Form  ein  gegebener  Stoff  annehmen  kann;  nur  soviel  lehren  sie, 
da&,  wenn  er,  und  ein  beliebiger  Stoff  überhaupt,  eine  gewisse 
Form  angenommen  hat  oder  anzunehmen  fähig  ist,  ein  festumgrenz- 
ter Kreis  weiterer  Formen  für  diesen  selben  Stoff  zu  Gebote  stellt; 
bezw.  dafs  es  einen  ideal  geschlossenen  Kreis  von  mög- 
lichen Umgestaltungen  der  jeweils  statthabenden  Form 
in  immer  neue  Formen  giebt.    Die  ideale  Möglichkeit  der 


■  Vgl.  §57,  S.  646f. 


Die  aprior.  ücsetze  des  eigentlichen  und  uneiycnllichen  Denkens.  ü63 

neuen  Formen  auf  Grund  desselben  StofFs  gewährleisten  die  be- 
sagton „analytischen"'  Ücsetze  unter  dieser  Voraussetzung  a  priori. 

Dies  sind  die  reinen  Gesetze  des  „eigentlichen  Denkens", 
verstanden  als  Gesetze  der  kategorialen  Anschauungen  nach 
ihren  rein  kategorialen  Formen.  Die  kategorialen  Anschau- 
ungen fungiren  eben  im  theoretischen  Denken  als  wirkliche  oder 
mögliche  ßedeutungserfüllungeu,  hezw.  -eutttiuschungen,  und  ver- 
leihen je  nach  ihrer  Function  den  Aussagen  den  logischen  Werth 
der  Wahrheit,  bezw.  Unwahrheit.  Es  hängt  also  die  normative 
Regelung  des,  sei  es  rein  signitiven,  sei  es  signitiv  getrübten  Den- 
kens von  den  eben  erörterten  Gesetzen  ab. 

Doch  es  bedarf  zur  genaueren  Darlegung  dieses  Sachverhalts 
und  zur  Aufklärung  der  imtei'scheidendeu  Rede  von  Gesetzen  des 
„ eigen Hiehen"  Denkens  eines  näheren  Hinblicks  auf  die  Sphäre 
der   Bedeutungen,  resp.  Bedeutungsintentionen. 

§  63.   Die  reinen  OeUungstjesetxe  der  sigtiüiven  und  signitiv  getriiblen 
Acic  (Oesetxc  des  un eigentlichen  Denkens). 

Die  kategorialen  Acte  dachten  wir  uns  in  den  bisherigen  Be- 
trachtungen von  allem  significativen  Beiwerk  frei,  also  vollzogen, 
aber  keinerlei  Acte  der  Erkennung  und  Nennung  funiiirend.  Und 
sicherlich  wird  jeder  vorurtheilsfreie  Analyst  zugestehen,  dafs  wir 
z.  B.  Inbegriffe  oder  mancherlei  primitive  Sachverhalte  anschauen 
können,  ohne  sie  zu  nominalem  oder  propositionalom  Ausdruck 
zu  bringen.  Wir  stellen  nun  dem  Fall  blofser  Anschauung  den 
Fall  bloJser  Signification  gegenüber,  wir  achten  darauf,  dafs  all 
den  Acten  katogorialer  Anschauung  mit  ihren  kategorial  geformten 
fTOgenstünden  rein  significative  Acte  entsprechen  können.  Dies 
ist  oflunbar  eine  apriorische  Möglichkeit.  Es  giebt  keine  hieher- 
gehörigo  Actform,  der  nicht  eine  mögliche  Bedeutungsform  ent- 
spräche; und  jede  Bedeutung  kann  ja  ohne  correhite  Anschauung 
vollzogen  gedacht  werden.  Das  Ideal  der  logisch  angemessenen 
Sprache  ist  dasjenige  einer  Sprache,  welche  allen  raögliciien 
Stoffen  und  allen  möglichen  kategorialen  Formen  eindeutigen  Aus- 
druck verschaiftn  würde.    Zu  den  Worten  gehören  dann  eindeutig 


gewisse  significative  Intentionen,  die  auch  bei  Abwesenbeit  der 
„entsprechenden"  (d.  h.  natürlich  der  erfüllenden)  Anschauung  auf- 
leben können.  Es  läuft  dann  parallel  zu  allen  möglichen  primären 
und  fimdirten  Anschauungen  das  System  der  sie  (möglicher weise) 
ausdrückenden  primären  und  fundirten  Bedeutungen. 

Aber  das  Gebiet  der  Bedeutung  ist  sehr  viel  umfassen- 
der als  das  der  Anschauung,  d.  i.  als  das  Gesammtgebiet  mög- 
licher Erfüllungen.  Denn  auf  Seite  der  Bedeutungen  tritt  noch 
hinzu  jene  unbegrenzte  Mannigfaltigkeit  von  complexen  Be- 
deutungen, die  der  „Realität''  oder  „Möglichkeit"  er- 
mangeln; es  sind  Complexionon  von  Bedeutungen,  die  sich  zwar 
zu  einheitlichen  Bedeutungen  zusammenschlielsen,  aber  zu 
solchen,  denen  kein  mögliches  einheitliches  ErfüUungs- 
correlat  entsprechen  kann. 

Demgemäfs  besteht  auch  kein  voller  Parallelismus  zwischen 
den  kategorialen  Typen,  bezw.  den  Typen  kategorialer  An- 
schauung, und  den  Typen  der  Bedeutung.  Jedem  kategorialen 
Typus  niederer  und  höherer  Stufe  entspricht  ein  Bedeutungstypus; 
aber  es  entspricht,  bei  unserer  Freiheit  die  Typen  signiticativ  zu 
complexen  Typen  zu  verknüpfen,  nicht  jedem  so  erwachsenden 
Typus  ein  Typus  kategorialer  Gegenständlichkeit.  "Wir  erinnern 
an  die  Typen  analytischer  Widersprüche,  wie  ein  A,  welches  nicfii 
A  ist;  alle  A  sind  B  und  irgendein  A  ist  nicht  B;  u.  s.  w.  Nur 
in  Hinsicht  auf  die  primitiven  Typen  kann  und  mufs  der  Paral- 
lelismus bestehen,  da  alle  primitiven  Bedeutungen  überhaupt  ihren 
„Ursprung"  haben  in  der  Fülle  correlater  Anschauung;  oder  um  es 
deutlicher  auszudrucken:  Da  von  Verträglichkeit  und  Unverträg- 
lichkeit nur  in  der  Sphäre  des  Zusammengesetzten  oder  Zusam- 
menzusetzenden die  Rede  ist,  so  kann  auch  die  einfache  Bedeu- 
tung, als  Ausdruck  eines  Einfachen,  niemals  imaginär  sein;  und 
dies  trifift  somit  auch  jede  einfache  Bedeutimgsform.  Während  ein 
zugleich  A  und  nicht  A  Seiendes  unmöglich  ist,  ist  ein  A  und  B 
möglieh,  die  Und-Form  hat  als  einfache  einen  „realen"  Sinn. 

Uebertragen  wir  den  Terminus  kategorial  auf  das  Bedeutungs- 
gebiet, so  entspricht  jeder  eigentlichen  kategorialen  Form,  sei 


es  einer  solchen  im  gegenständlichen  Sinn,  sei  es  der  zugehörigen 
kategorialen  Form  der  Anschauung  (in  welcher  sich  nämlich  das 
kaK'gorial  Gegenständliche  perceptiv  oder  imaginativ  con- 
stituirt),  eine  eigene  significative  Form,  bezw.  auch  eine  eigene 
Bedeutungsfonn  in  spede.  In  dieser  Form  der  Signification  voll- 
zieht sich  das  significative  Meinen  eines  Collectivum  oder  Disjunc- 
tivum,  einer  Ideutitiit  oder  Nicht-Identität  u.dgl.  Spricht  man  vom 
Gegensatz  eigentlicher  und  uneigentlicber  Vorstellung,  so 
hat  man  gewöhnlich  wol  den  Gegensatz  von  mtuitiv  und  signi- 
ficaiiv  im  Auge  (wofern  es  nicht,  was  gelegentlich  auch  vorkommt, 
auf  den  anderen  Gegensatz  von  adäquat  und  inadäquat  abgesehen 
ist).  Demnach  wären  die  jetaigeii  Fälle  diejenigen  „uneigent- 
licher" Collectiou,  Disjuaetion,  Identification,  Abstraction  u.  s.  w. 
Befafst  man  all  diese  kategorialen  Acte,  durch  welche  sich 
die  Urtheile  (als  prüdicative  Siguificationen)  ihre  Fülle  und  scliliefs- 
licb  ihren  ganzen  Erkountniswerth  zueignen,  unter  dem  Titel  Denk- 
acte,  so  hätten  wir  zwischen  eigentlichen  und  uneigentlichen 
Denkacton  zu  unterscheiden.  Die  uneigentücben  Denkacte  wären 
die  Bedeutungsintentionen  der  Aussagen,  und  in  naturgemäfs 
erweiterter  Fassung  all  die  significativen  Acte,  welche  möglicher 
Weise  als  Theile  solcher  prädicativen  Intentionen  dienen  können: 
so  aber  können,  wie  von  selbst  einleuchtet,  alle  significativen 
Acte  dienen.  Die  eigentlichen  Denkacte  wären  die  entsprechen- 
den Erfüllungen;  somit  die  Sachverhaltsanscbaiiungen  und  alle  An- 
schauungen, die  als  mögliche  Theile  von  Sachverhaltsanscluiuungen 
fungiren  können:  und  das  können  wiederum  alle  Anschauungen 
überhaupt;  es  giebt  zumal  keine  kategoriale  Form,  die  nicht  Be- 
standstück einer  Sacbverhaitsform  worden  könnte.  Die  allgemeine 
Lehre  von  den  Formen  der  symbolischen  ürtheilo  (der  Aus- 
sagebedeutungon)  befafst  diejenige  von  den  Bedeutungsformen 
überhaupt  (den  rein  grammatischen  Formen);  ebenso  befafst  die 
allgemeine  Lehre  von  den  reinen  Formen  der  Sacbverhalts- 
anschauungen  (bezw.  von  den  reinen  Sachverhaltsformen)  diejenige 
von  den  kategorialen  Formen  der  Anschauungen  (bezw.  von 
den  objectiven  kategorialen  Formen)  überhaupt 


666    VI.  Elemente  einer  phänomoiohg.  Aufklärung  der  ErkentUnis. 

Identificirt  man,  wie  es  öfters  geschieht,  Denken  und  Ur- 
theiien,  so  wäre  zwischen  eigentlichem  und  uneigentlicheni 
Urtheilon  zu  unterscheiden.  Der  Begriff  des  Urtheils  wäre  dann 
durch  das  Gremeinsame  der  Aussageintention  und  der  Aussage- 
erfüilung,  also  durch  das  intentionale  Wesen  als  Einheit  von 
Qualität  und  intentionaler  Materie  bestimmt  Als  Denkacte  im 
weiteren  Sinn  hätten  naturgcmäfs  nicht  blofe  die  Urtheilsacte, 
sondern  alle  möglichen  Theilacte  von  Urtbeilen  zu  gelten,  so  daCs 
wir  auf  eine  der  vorigen  Abgrenzung  des  Begriffes  Denkact  gleich- 
werthige  Abgrenzung  zurückkämen. 

In  der  Sphäre  des  uneigentlichen  Denkens,  der  blofsen  Signi- 
fication,  sind  wir  von  allen  Schranken  der  kategorialen  Gesetze 
frei.  In  ihr  läfst  sich  Alles  und  Jedes  zur  Einlieit  bringen.  Doch 
genau  besehen,  unterliegt  auch  diese  Freiheit  gewissen  Beschrän- 
kungen. Wir  haben  davon  in  der  IV.  Untersuchung  gesprochen, 
wir  haben  auf  die  „rein-grammatischen"  Gesetze  hingewiesen, 
welche  als  Gesetze  der  Complication  und  Modification  die  Sphären 
des  Sinns  und  Unsinns  scheiden.  In  der  uneigentlichen  kategorialen 
Formung  und  Umformung  sind  wir  frei,  sofern  vrir  nur  nicht  die 
Bedeutungen  unsinnig  conglomeriren.  Wollen  wir  aber  auch  den 
formalen  und  realen  Widersinn  fernhalten,  so  engt  sich  die  wei- 
teste Sphäre  des  uneigentlichen  Denkens,  des  significativ  Yerknüpf- 
baren,  sehr  ein.  Es  handelt  sich  nun  um  die  objective  Mög- 
lichkeit der  complexen  Bedeutungen,  also  um  die  Möglichkeit 
ihrer  Anpassung  an  eine  sie  als  Ganze  einheitlich  erfüllende  An- 
schauung. Die  reinen  Gesetze  der  Giltigkeit  der  Bedeu- 
tungen, der  idealen  Möglichkeit  ihrer  angemessenen  Ver- 
anschaulichung, laufen  offenbar  den  reinen  Gesetzen  parallel, 
welche  die  Verknüpfung  und  Umwandlung  der  eigentlichen 
kategorialen  Formen  regeln. 

In  den  reinen  Gesetzen  der  Bedeutungsgeltung  handelt  es  sich 
wieder  nicht  um  Gesetze,  in  welchen  die  Giltigkeit  beliebig  vor- 
gegebener Bedeutungen  abgelesen  werden  könnte,  sondern  um 
die  rein  kategorial  bestimmten  Möglichkeiten  der  Bedeutungsver- 
knüpfung und  Bedeutungsvorwandlung,  die  in  jedem  beliebig  vor- 


Die  aprior.  Qesetxe  des  cigmtlicfien  uttd  tineigenUicften  Denkens.  667 


gegebeneu  Falle  vorgenommen  werden  dürfen  salva  veritate, 
d.  li.  ohne  die  Mögliciikeit  der  Bedeutungserfüllung,  wofern  sie  von 
vornlierein  überhaupt  bostandeu  Ijattc,  irgend  zu  schiidigeu.  Ist 
z.  B.  die  Aussage,  g  ist  ein  Theil  von  O,  giltig,  so  ist  auch  eine 
Aussage  der  Form,  O  ist  ein  Oanxcs  von  g,  giltig.  Ist  es  wahr, 
dafs  es  ein  a  giebl,  weldies  ß  ist,  so  ist  es  auch  wahr,  dafs  ein 
gewisses  a  ß  ist,  oder  dafs  rtivlil  alle  a  nicht  ß  sind  u.  s.  w.  In 
derartigen  Sätzen  ist  das  Stoffliche  schrankenlos  variabel,  daher 
wir  alle  stofflichen  Bedeutungen  durch  indirect  und  völlig  un- 
bestiuimt  bedeutende  algebraisclie  Zeichen  ersetzen.  Iliedurch 
aber  sind  diese  Sätze  als  auulytische  charakterisirt.  Bei  dieser 
Sachlage  kommt  es  wiederum  nicht  darauf  an,  ob  sich  der  Stoff  in 
Wahrnehmungen  oder  Einbildungen  constituirt.  Die  Möglichkeiten 
und  Unmöglichkeiten  betreffen  die  Herstellung  der  die  Bedeutungs- 
form angemessen  veranschaulichenden  Acte  auf  einer  beliebigen 
stofflichen  Unterlage;  kui'zum  es  handelt  sich  um  die  reinen  Be- 
dingungen der  Möglichkeit  vollständig  angemessener 
Signification  überhaupt,  die  ihrerseits  auf  die  reinen  Be- 
dingungen der  Möglichkeit  kategorialer  Anschauung 
überhaupt  zurückweisen.  Natürlich  sind  also  diese  Geltungs- 
gcsetze  von  Bedeutungen  nicht  identisch  und  selbst  die  eigent- 
lichen kategorialen  Gesetze,  aber  sie  folgen  diesen,  auf  Grund  der 
Gesetzmäfsigkeit,  welche  die  Zusammenhänge  von  Bedeutungs- 
intontion  und  BodeutungserfüUung  regelt,  getreulidi  nach. 


Die  ganze  soeben  durehgefülirte  Betrachtung  verlangt  nach 
einer  naturgemäfsen  und  selbstverständlichen  Erweiterung.  Wir 
haben  die  Sachlage  dadurch  vereinfacht,  dafs  wir  nur  die  beiden 
Extreme  in  die  Erwägung  zogen,  wir  stellten  einander  gegenüber: 
die  durchaus  intuitiv,  also  wirklich  vollzogenen  kategorialen  Act- 
gebilde  auf  der  einen  Seite,  und  die  rein  signitiv,  also  eigentlich 
gamicht  vollzogenen  und  erst  in  Processen  möglicher  Erfüllung 
zu  roalisirenden  Actgobilde  auf  der  anderen  Seite.  Die  gewöhn- 
lichen Fälle  sind  aber  Mi-schungen;  das  Denken  verläuft  in  man- 
chen Strecken  intuitiv,  in  manchen  signitiv,  liier  wird  eine  kate- 


gorialc  Synthesis,  eine  Prädioation,  Goneralisation  u.  dgl.  wirklich 
vollzogen,  ikirt  heftet  sich  an  die  intuitiv  oder  nur  verbal  vor- 
stelligen Glieder  eine  blofs  signitive  Intention  auf  solch  eine  kate- 
goriale  Synthesis.  Die  hiedureh  erwachsenden  complexeu  Acte 
haben,  als  Ganze  genommen,  den  Charakter  unoigeiitlicher  kato- 
gorialer  Anschauungen;  ihr  gesanirates  gegenständliches  Correlat 
wird  nicht  wirklii'li,  sondern  nur  „uneigeiitlich"  vorstellig  gemacht; 
ihre  „Möglichkeit,  bezw.  die  objective  ihres  Correlats,  wird  nicht 
gewährleistet.  Die  Sphäre  des  „uneigentlichen  Denkens"  mufs  dem- 
nach so  weit  gefafst  werden,  dafs  sie  auch  diese  gemi.schten  Act- 
gebilde  aufnehmen  kann.  Alles,  was  wir  ausgeführt  haben,  gilt 
dann  uiutait'.t  tnutandis  unter  Voraussetzung  dieser  Erweiterung. 
Statt  von  Geltungsgesetzen  blofser  Bedeutungen,  blofs  symbolischer 
Urtheile  u.  s.  w.  haben  wir  dann  von  Oeltungsgesetzen  signitiv  ge- 
trübter Vorstellungen  oder  Urtheile  zu  sprechen.  Wo  man  vom 
blofsen  symbolischen  Denken  spricht,  hat  mau  diese  Mischungen 
zumeist  auch  im  Auge. 


§  64.     Die   rein   logischen  Oeseise  als   Oeselxe  jedes  titid  nicht  blo/s 

des  menschlichen  Vet'standes  überhaupt.    Ihre  psychologisch/!  Bedeutung 

und  ihre  normative  Function  hinsichtlich  des  inadäquaten  Denkens. 

Selbstverständlich  sind  die  einen  wie  die  andern  Gesetze 
idealer  Natur.  Dafs  sich  ein  sinnliches  Material  nur  in  gewisse 
Formen  fassen  und  nur  nach  gewissen  Formen  verknüpfen  läfst,  und 
dafs  die  mögliche  Verwandlung  derselben  reinen  Gesetzen  unter- 
steht, in  welchen  das  Stoffliche  frei  variabel  ist;  dafs  somit  auch 
die  ausdrückenden  Bedeutungen  nur  gewisse  Formen  annehmen, 
bezw.  ihre  Formen  nur  nach  vorgeschriebenen  Typen  umwandeln 
können,  wenn  sie  ihre  eigentliche  Ausdrucksfäbigkeit  nicht  ein- 
büfsen  sollen:  das  alles  liegt  nicht  an  den  empirischen  Zufällig- 
keiten des  Bewufstseinsverlaufs,  auch  nicht  au  denjenigen  unserer 
intellectuellen  und  sei  es  auch  allgemein- menschlicheu  Organisation. 
Es  liegt  vielmehr  an  der  specifischen  Natur  der  bezüglichen 
Actarten,an  ihren  intentionalon  und  erkenntnismäfsigon  Wesen,  es 
gehört  statt  zur  Natur  gerade  unserer  (individuellen  oder  allgemein- 


Die  aprior.  Gesetze  des  eigenllwhen  und  wueigentlichen  Denkens.  669 


mensclilichen)  Sinnliclikeit,  bezw.  z\ir  Natur  gerade  unseres  Ver- 
standes, violmeln-  ku  den  Ideen  Sinulichkeit  und  Verstand 
überhaupt.  Ein  Verstand  mit  anderen  als  den  rein  logischen 
Gesetzen  wäre  ein  Verstand  ohne  Veretand;  definiren  wir  den  Ver- 
stand im  Gegensatz  zur  Sinnlichkeit  als  das  Vermögen  der  kate- 
gorialen  Acte,  und  dazu  allenfalls  als  das  Vermögen  des  sich  nach 
diesen  Acten  richtenden  und  dann  also  „richtigen"  Ausdrückeus 
oder  Bedeutens:  so  gehören  die  in  den  Species  dieser  Acte  grün- 
denden generellen  Gesetze  zum  definitorischea  Wesen  des  Ver- 
standes. Andere  Wesen  mögen  in  andere  „Welten"  hineinschauen, 
sie  mögen  auch  mit  anderen  „Vermögen"  ausgestattet  sein  als  wir: 
sind  sie  überhaupt  psychische  Wesen,  und  besitzen  sie  über- 
haupt intentionale  Erlebnisse  mit  all  den  hier  in  Frage  kommenden 
Unterschieden  zwischen  Wahrnehmen  und  Einbilden,  schlichtem 
Anschauen  und  kategorialem  Anschauen,  zwischen  Bedeuten  und 
Anschauen,  zwischen  angemessenem  und  unangemessenem  Erken- 
nen —  so  haben  sie  sowol  Sinnlichkeit  als  auch  Verstand  und 
„unterstehen"  den  zugehörigen  Gesetzen. 

Natürlich  gehören  also  dio  Gesetze  des  eigentlichen  Denkens 
auch  mit  zum  Bestände  des  menschlichen  Bewulstseins,  zur  allge- 
meiu-nienschlichen  „psychischen  Organisation".  Andererseits  sind 
sie  für  diese  Organisation  hinsichtlich  ihrer  Eigenthümlichkeit 
nicht  charakteristisch.  Die  Gesetze  gründen,  sagten  wir,  in  dem 
rein  Specifischen  gewisser  Acte;  darin  liegt:  sie  betreffen  die  Acte 
nicht  blofe  insofern,  als  diese  sieh  gerade  in  einer  menschlichen 
Organisation  zusammenfinden;  sie  gehören  vielmehr  zu  allen  mög- 
lichen Organisationen  überhaupt,  welche  aus  so  gearteten  Acten 
zu  erbauen  sind.  Die  differenziirenden  Eigenthümlichkeiten  dos 
jeweiligen  Typus  einer  psychischen  Organisation,  das  was  z.  B.  das 
menschliche  BewiiTstsein  als  solches,  in  der  Weise  einer  natur- 
historischen Art,  abgrenzt,  wird  durch  reine  Gesetze,  wie  es  die 
Denkgesetze  sind,  garnicht  berührt. 

Die  Beziehung  auf  „unsere"  psychische  Organisation  oder 
auf  das  „Bewufstsein  überhaupt"  (verstanden  als  das  allge- 
mein Menschliche  des  Bewufstaoins),   defiiiirt  nicht  das  reine 


G70     17.  EkinetUe  eine»- phänomenobg.  Aufklärung  ilcr  KrkenulMt*. 


Qcd  echte,  sondern  ein  grßblicli  verfälschtes  Apriori.  Der  Be- 
griff der  allgemeinen  psycliischen  Organisation  hat  doch,  wie  der- 
jenige der  physischen  Organisation,  eine  blofs  „empirische"  Be- 
deutung, die  Bedeutung  eines  blofsen  matter  of  fad.  Die  reinen 
Gesetze  aber  sind  rein  eben  vom  mntier  of  fact,  sie  besagen 
nicht,  was  in  dieser  oder  jener  Provinz  des  Realen  allgemeiner 
Brauch  ist,  sondern  was  schleohtliiii  allem  Brauch  und  allen  Ab- 
grenzungen nach  Realitätssphären  entzogen  ist,  und  es  darum  ist, 
weil  es  zur  ossenziellen  Ausstattung  des  Seienden  gehört.  Und 
so  betriflt  das  echte  logische  Apriori  all  das,  was  zum  idealen 
Wesen  dos  Vorstandes  überhaupt  gehört,  zu  den  Essenzen  seiner 
Actarten  und  Actformen,  zu  dem  also,  was  nicht  aufgehoben 
werden  kann,  so  lange  der  Vei"stand,  bezw.  die  ihn  definireuden 
Acte  sind,  was  sie  sind;  so  und  so  geartet,  ihr  begrift'liches 
Wesen  identisch  erhaltend. 

Inwiefern  demnach  die  logischen  Gesetze  und  in  erster  Linie 
die  Idealgesetze  des  „eigentlichen"  Denkens  auch  eine  psycho- 
logische Bedeutung  beanspruchen,  und  inwiefern  auch  sie  deu 
Lauf  des  factischen  psychischen  Geschehens  regeln,  ist  ohne 
Weiteres  klar.  Jedes  echte  und  reine  Gesetz,  das  eine  in  der 
Natur  gewisser  Species  gründende  Vereinbarkeit  oder  Unvereinbar- 
keit ausdrückt,  schränkt,  wenn  es  sich  auf  Species  psychisch 
realisirbarer  Inhalte  bezieht,  die  empirischen  Möglichkeiten  der 
psychologischen  (phänomenologischen)  Coexistenz  und  Succession 
ein.  Was  in  apecie  als  unverträglich  eingoselien  ist,  kann  im 
empirischen  Einzelfalle  nicht  vereint,  also  verträglich  sein.  Sofern 
das  empirisch  logisclio  Denken  sich  zu  unvergleichlich  gröfstem 
Theile  inadäquat  und  signitiv  vollzieht,  denken,  vermeinen  wir 
nun  Vieles,  was  in  Wahrheit,  d.  h.  in  der  Weise  des  eigentlichen 
Denkens,  des  wirklichen  Vollzuges  der  bloCs  vermeinten  Synthesen, 
gai-nicht  zu  vereinen  ist.  Und  eben  darum  werden  die  Gesetze 
des  eigentlichen  Denkens  und  des  eigentlichen  Aus- 
drückens zu  Normen  des  blofs  vermeinenden  und  un- 
eigentlichon  Denkens,  bezw.  Ausdrückens.  Oder  etwas 
anders  gewendet:  auf  die  „eigentlichen"  Denkgesetzo  gründen  sich 


DU  aprior.  Gfsetxe  des  eigentlichm  utid  uneigentiiehen  Denketts.  671 


neue,  eventuell  als  praktische  Normen  zu  formulirende  Gesetze, 
welche  der  Sphäre  des  signitiven  oder  signitiv  getrübten  Vor- 
stollens zugeeignet,  die  idealen  Bedingungen  einer  möglichen  Wahr- 
heit überhaupt  (=  Richtigkeit  überhaupt)  aussprechen,  nämlich 
die  idealen  Bedingungen  „logischer"  (weil  auf  mögliche  Ädäquation 
bezogener)  Verträglichkeit  innerhalb  dieser  Sphäre  des  signitiv 
getrübten  Veniieinens.  Psyeliologisch  bewerthen  sich  die  Üe- 
setze  „uneigeutlicben"  Denkens  wieder  nicht  als  Naturgesetze  des 
Werdens  und  Wechselus  solchen  Denkens,  sondern  als  rein  ideal 
l'undirte  Möglichkeiten  oder  Unmöglichkeiten  der  Adä(juntion  von 
Sil  und  so  gefonnfen  Afton  uneigontlichen  Denkens  an  ontspre- 
chondo  Acte  eigentlichen  Denkens. 


§  65.     Das  tmdersinnige  Problem  der  realen  Bedeutung 
des  Logischen. 

Wir  verstehen  nun  auch  vollkommen,  warum  der  Gedanke, 
es  könnte  der  Weltlauf  die  logischen  Gesetze  —  jene  analytischen 
Gesetze  des  eigentlichen  Denkens,  bezw.  die  darauf  gebauten  Nor- 
men uneigentliclien  Denkens  —  je  verleugnen,  oder  es  müfste  und 
könnte  die  Erfahrung,  dur  matter  of  fad  der  Sinnliciikeit  diese 
Gesetze  allererst  begründen  und  ihnen  die  Grenzen  ihrer  Giltig- 
keit  vorschreiben,  nichts  als  Widersinn  ist.  Wir  sehen  davon  ab, 
dals  auch  die  Wahrscheinlichkeitsbegrüudung  auf  Thatsachen  hin 
eben  Begründung  ist,  die  als  solche  unter  Idealge.setzen  steht,  Ge- 
setzen, die  (wie  wir  voraussehen)  in  den  „eigentlichen"  Wahr- 
scheinlichkeitserlebnissen nach  ihrem  specitischen  Bestände  und 
als  genereUe  Gesetze  fundirt  sind.  Hier  gilt  es  vielmehr,  darauf 
hinzuweisen,  dals  das  sozusagen  Thatsächliche  der  Thatsache  zur 
Sinnlichkeit  gehört,  und  dals  der  Gedanke,  durch  Hilfe  der  Sinn- 
lichkeit rein  kategoriole  Gesetze  zu  begründen  —  Gesetze,  die  von 
aller  Sinnlichkeit,  also  Thatsächlichkeit  eigens  abstrahiren  und 
blofs  über  Vereinbarkeit,  bezw.  Unvereinbarkeit  der  kategorialen 
B'ormen  generelle  und  evidente  Aussagen  macheu  —  die  klai'ste 
fierdßaaii  elg  uUlo  yivog  darstellt.  Gesetze,  die  keine  Thatsache 
meinen,  können   durch   keine  Tiiatsache  bestätigt   oder  widerlegt 


werden.  Das  von  grofsen  Philosophen  so  ernsthaft  und  tiefsinnig 
behandelte  Problem  der  „realen  oder  formalen  Bedeutung 
des  Logischen"  ist  also  ein  widersinniges  Problem.  Es  be- 
darf keiner  metaphysischen  und  sonstigen  Theorien,  um 
die  ZusammenstJnimung  des  Laufes  der  Natur  und  der 
dem  „Verstände"  „eingeborenen"  Gesetzraäfsigkeit  zu 
erklären;  statt  der  iTz-klürung  bedarf  es  der  blofsen  phäno- 
menologischen AufkUirang  dos  Bedeuteus,  Denkens,  Erken- 
nens  und  der  darin  entspringenden  Ideen  und  Gesetze^ 

Die  Welt  an  sich  ist  eine  sinnliche  Einheit;  denn  Sein  iui 
individuellen  Sinne  ist  gleichwerthig  mit  sinnlich  Wahrnehmbar- 
sein. Die  Welt  an  sich  ist  uns  aber  nicht  in  schlichter  Wahr- 
nehmung gegeben;  uns  ist  die  Welt  nur  eine,  ganz  inadäquat, 
partiell  diu'cli  schlichte  und  kategoriale  Intuition,  partioll  durch 
Siguification  vermeinte  Einheit  des  theoretischen  Forschens.  Je 
mehr  unser  Wissen  fortschreitet,  umso  besser  und  reicher  bestimmt 
sich  die  Idee  der  Welt,  urasomehr  scheiden  sich  auch  Unver- 
träglichkeiten aus  ihr  aus.  Zweifeln,  ob  die  Welt  wirklich  so  ist, 
wie  sie  uns  ei"scheint,  oder  als  welche  sie  in  theoretischer  Wissen- 
schaft vermeint  ist  und  in  ihr  begründeter  Ueberzeugung  gilt, 
hat  seinen  guten  Sinn;  denn  adäquat  gestalten  kann  die  inductivc 
Wissenschaft  die  Weltvorstellung  nie,  wie  weit  sie  uns  auch  bringen 
mag.  Widersinnig  ist  es  aber  zu  zweifeln,  ob  nicht  der  wirkliche 
Weltlauf,  der  reale  Zusammenhang  der  Welt  an  sich,  mit  den 
Formen  des  Denkens  streiten  könnte.  Denn  darin  läge,  dafs  eine 
bestimmte,  significativ  und  hypothetisch  supponirte  Sinnlichkeit, 
nämlich  diejenige,  welche  uns  die  Welt  an  sich  zur  adäquaten 
Selbstdarstellung  bringen  würde,  zwar  fähig  wäre,  die  kategorialen 
Formen  anzunehmen,  aber  diesen  Formen  Vereinigungen  auf- 
nöthigen  würde,  die  durch  das  allgemeine  Wesen  dei-selbon  Formen 
generell  ausgeschlossen  sind.  Dafs  sie  es  aber  sind,  und  dais  die 
Gesetze  der  Kategorien  als  reine  Gesetze  gelten,  die  von  allem 
Stoff  der  Sinnlichkeit  abstrahiren,  also  durch  schrankenlose  Va- 
riation desselben  garuicht  betroffen  werden  können,  das  meinen 
wir  nicht  blofs,  das  sehen  wir  ein,  das  ist  uns  in  vollster  Ad- 


I 


äquation  gegeben.  Die  Einsicht  vollzieht  sich  subjectiv  natürlich 
auf  dem  Grunde  irgendoiuor  zufälligen  empirischen  Anschauung; 
aber  sio  ist  generelle  und  rein  auf  die  Form  bezogene  Ein- 
sicht; das  Abstractionsfundanieut  birgt  hier  wie  sonst  keine  Vor- 
aussetzung für  die  ideale  MöglicLkeit  und  Geltung  der  abstraliir- 
ten  Idee. 

Wir  könnten  zum  Ueberflufs  noch  darauf  hinweisen,  welche 
Absurdität  darin  liegt,  wenn  man  die  Möglichkeit  eines  wider- 
logibchen  Weltlaufs  im  signitiven  Denken  ansetzt  und  damit  den 
Anspruch  erhebt,  dafs  diese  Möglichkeit  statthaft  sei,  und  wenn 
man,  sozusagen  iu  einem  Athem,  die  Gesetze  aufhebt,  welche 
dieser  wie  jeder  Möglichkeit  überhaupt  Geltung  verleihen.  Wir 
könnten  femer  darauf  hinweisen,  dafs  doch  vom  Sinne  des  Seins 
überhaupt  die  Corretation  zum  Wahrgenommen-,  Angeschaut-, 
Bedeutet-,  Erkannt- werden- können  unabtrennbar  ist,  und  dafs 
somit  die  Idealgesetze,  die  zu  diesen  Möglichkeiten  in  speeie  ge- 
hören, nimmermehr  aufzuheben  sind  durch  den  zufiilligen  Inhalt 
des  jeweilig  Seienden  selbst.  Doch  genug  der  Argumentationen, 
die  scbliefslich  nur  Wendungen  einer  und  derselben  Sachlage  sind, 
und  die  uns  schon  in  den  Prolegomena  geleitet  haben. 

§  66.     So7iderting  der  mchlit/sten ,  in  der  lerniinoloffischen  Oegenüber- 
stellung  von  Anschauen  und  Denken  sich  mengenden   Unterschiede. 

Durch  die  vorstehenden  Untersuchungen  dürfte  dem  Allge- 
meinen nach  das  so  viel  benutzte  und  so  wenig  geklärte  Verhält- 
nis zwischen  Denken  und  Anschauen  zu  befriedigender  Klarheit 
gebracht  sein.  Wir  stellen  hier  folgende  Gegensätze  zusammen, 
deren  Vermengung  die  erkenntnistheoretische  Forschung  in  beson- 
derem Mafso  verwirrt  hat,  und  deren  Sonderung  uns  vollkommen 
deutlich  geworden  ist: 

1.  Der  Gegensatz  zwischen  Intuition  und  Signification. 
Die  Anschauung  als  Perccption  oder  Imagination  (gleichgiltig 
üb  sio  kategorial  oder  sensual,  ob  sie  adäquat  oder  inadäquat  ist) 
wird  in  Gegensatz  gebracht  zum  blofsen  Denken,  als  dem 
blofaen   significativen  Meinen.     Die  in  Parenthese  gestellten 

aaiitri,  Log.  UoMn.  II.  43 


674    VI.  Elemente  einer  phänomenolog.  Aufklärung  der  EJrkermtnit. 

Unterschiede  werden  allerdings  im  Gewöhnlichen  ttberaehen;  wir 
legen  auf  sie  das  gröfste  Gewicht  und  führen  sie  nun  besonders  auf: 

2.  Der  Gegensatz  zwischen  sensualer  und  kategorialer 
Intuition.  Wir  stellen  also  gegenüber:  das  sinnliche  An- 
schauen, das  Anschauen  in  dem  gemeinen,  schlichten  Sinne, 
und  das  kategoriale  Anschauen,  das  Anschauen  im  erweiterten 
Sinne.  Die  fundirten  Acte,  die  dasselbe  charakterisiren,  gelten 
jetzt  als  das  die  sinnliche  Anschauung  intelleotuirende  „Denken". 

3.  Der  Gegensatz  zwischen  inadäquater  und  adäquater 
Anschauung,  oder  allgemeiner,  zwischen  adäquater  und  inad- 
äquater YorstelluDg,  indem  wir  nämlich  intuitives  und  signi- 
ficatires  Yorstellen  zusammennehmen.  In  der  inadäquaten  Yor- 
stellung  denken  wir  uns  blols,  es  sei  so  (es  scheint  so),  in  der 
adäquaten  erschauen  wir  die  Sachlage  selbst  und  schauen  sie 
eigentlich  erst  an. 

4.  Der  Gegensatz  zwischen  individuellem  Anschauen 
(gewöhnlich  und  in  sichtlich  unbegründeter  Enge  als  sinnliches 
Anschauen  gefaTst)  und  allgemeinem  Anschauen.  Nach  Mafs- 
gabe  dieses  Gegensatzes  bestimmt  sich  ein  neuer  Begriff  von  An- 
schauung; sie  wird  gegenübergesetzt  der  Generalisation,  und  dann 
gleich  weiter  den  kategorialen  Acten,  welche  Generalisationen  im- 
pliciren,  und  in  unklarer  Yermengung  damit  auch  den  significa- 
tivcn  Gegenstücken  eben  dieser  Acte.  Das  „Anschauen",  so  heifst 
CS  jetzt,  giebt  blofse  Einzelheit,  das  „Denken",  geht  auf  das 
Allgemeine,  es  vollzieht  sich  durch  „Begriffe".  Man  spricht 
hier  gewöhnlich  von  dem  Gegensatz  zwischen  „Anschauung  und 
Begriff".  — 

Wie  grofs  die  Neigung  ist,  diese  Gegensätze  ineinanderfliefsen 
zu  lassen,  würde  eine  Kritik  der  Erkenntnistheorie  Kants  darthnn, 
deren  ganzes  Gepräge  durch  den  Mangel  jeder  festen  Sonderung 
dieser  Gegensätze  bestimmt  ist.  Kant  entdeckt  die  kategorialen 
Functionen;  aber  er  gelangt  nicht  zu  der  fundamentalen  Erwei- 
terung der  Begriffe  Wahrnehmung  und  Anschauung  über  das 
kategoriale  Gebiet;  und  zwar  deshalb  nicht,  weil  er  den  grofsen 
Unterschied  zwischen  Intuition  und  Signification,  in  ihrer  mög- 


Die  aprior.  Gesetze  des  eigentlichen  und  uneigentlicfien  Denkens.  675 

liehen  Sonderang  und  gewöhnlichen  Yerschmelznng,  nicht  würdigt, 
und  daher  die  Analyse  des  Unterschiedes  zwischen  inadäquater 
und  adäquater  Anpassung  des  Bedeutens  au  das  Anschauen  nicht 
Tollführt  Er  unterscheidet  daher  auch  nicht  zwischen  Begriffen 
als  allgemeinen  Wortbedeutungen,  und  Begriffen  als  Species  des 
eigentlichen  allgemeinen  Yorstellens,  und  wieder  Begriffen  als 
allgemeinen  Gegenständen,  nämlich  als  den  intentionalen  Corre- 
laten  der  allgemeinen  Yorstellungen.  Kant  geräth  von  vornherein 
in  das  Fahrwasser  der  metaphysischen  Erkenntnistheorie  dadurch, 
dals  er  auf  die  kritische  „Bettung"  der  Mathematik,  Naturwissen- 
schaft und  Metaphysik  ausgeht,  ehe  er  die  Erkenntnis  als  solche, 
die  Gesammtsphäre  der  Acte,  in  denen  sich  das  logische  Denken 
vollzieht,  einer  aufklärenden  Analyse  und  Kritik  unterworfen,  und 
die  primitiven  logischen  Begriffe  und  Gesetze  auf  ihren  phänomeno- 
logischen Ursprung  zurückgeführt  hat  Es  war  verhängnisvoll,  dais 
Kaot  (dem  wir  uns  trotz  alledem  sehr  nah  fühlen)  das  rein  logische 
Gebiet  im  engsten  Sinne  mit  der  Bemerkung  für  abgethan  hielt, 
dafs  es  unter  dem  Princip  vom  Widerspruch  stehe,  und  dafs  er 
nie  bemerkt  hat,  wie  wenig  die  logischen  Sätze  überall  den 
Charakter  analytischer  Sätze  in  dem  Sinne  besitzen,  den  er  selbst 
definitorisch  festgesetzt  hatte,  und  wie  wenig  mit  dem  Hinweis 
auf  ein  Princip,  sei  es  auch  das  allertrivialste,  für  eine  Aufklärung 
des  analytischen  Denkens  geleistet  sei. 


43« 


Dritter  Abschnitt 
Aufklärung  des  einleitenden  Pi'oblenis. 


Neuntes  Kapitel. 

Nichtobjectivirende  Acte  als  scheinbare  Bedeatungserfüllungen. 

§  67.     Dass  nicht  jedes  Bedeuten  ein  Erkennen  tinsMiefst. 

Nachdem  wir  im  Zusammenhang  mit  viel  allgemeineren  Pro- 
blemen das  Verhältnis  zwischen  Bedeutung  und  correspondirender 
Anschauung,  und  damit  zugleich  das  Wesen  des  eigentlichen  und 
un eigentlichen  Ausdrückeiis  hinreichend  erforscht  haben,  gelangen 
die  schwierigen  Fragen  zu  völliger  Klärung,  vTelche  uns  am  Ein- 
gänge dieser  Untersucbung  beunruhigt,  und  welche  für  sie  die  erste 
Anregung  geboten  haben. 

Wir  werden  vor  Allem  der  Versuchung  nicht  mehr  unterliegen 
können,  die  ein  oben'  schon  berührter  und  sich  in  wichtigen 
erkenntnistbeoretischen  Zusammenhängen  immer  wieder  aufdrän- 
gender Gedankengang  in  sich  birgt,  nämlicli  dals  das  Bedeuten 
der  Ausdrücke  in  gewisser  Weise  als  ein  Erkennen,  und  sogar 
als  ein  Klassificiren  angesehen  werden  müsse.  Mau  sagt:  Ein 
Ausdruck  mufs  doch  irgendeinem  Act  des  Sprechenden  Ausdruck 
geben;  damit  dieser  Act  aber  die  passende  ßedeforni  finde,  mufs 
er  in  einer  zugehörigen  Weise  appercipirt,  erkannt  sein,  des 
Näheren,  die  Vorstellung  als  Vorstellung,  die  Attribution  als 
Attribution,  die  Negation  als  Negation  u.  s.  w. 

Wir  antworten:  Die  Rede  von  der  Erkeimtnis  bezieht  sich 
auf  ein  Verhältnis  zwischen  Denkact  und  erfüllender  Anschauung. 
Denkacte  kommen  aber  in  Aussagen  und  Aussagetheilen,  z.  B.  in 
Namen,  nicht  dadurch  zum  Ausdruck,  dafs  sie  wiederum  gedacht 
und  erkannt  werden.  Sonst  wären  diese  neuen  Denkacte  die 
Bedeutungsti'äger,  zunächst  wären  sie  ausgedrückt,  bedüiften  also 


'  VgJ.  §1,  S.  480. 


wieder  neuer  Denkacte  und  so  in  infinitum.  Nenne  ich  diesen 
anschaulichen  Gegenstand  ühi\,  so  vollziehe  ich  im  Nennen  einen 
Denk-  und  Erkenntnisact,  aber  ich  erkenne  die  Uhr,  und  nicht 
das  Erkennen.  So  verhält  es  sich  natürlich  bei  allen  bedeutung- 
verleihenden Acten.  Sage  ich  im  Zusammenhang  der  ausdrücken- 
den Rede  orfer,  so  vollziehe  ich  eine  Disjunetion,  aber  das  Denken 
(dessen  Thoil  das  Disjungiren  ist)  bezieht  sich  nicht  auf  das  Dis- 
jungiren,  sondern  auf  das  Disjunctivum;  so  wie  es  zu  der  Einheit 
des  Sachverhalts  gehört.  Dieses  Disjunctivum  wird  erkannt  und 
gegenständlich  bezeichnet.  Domgemäfs  ist  das  Wörtchen  oder  kein 
Name  und  auch  keine  unselbständige  Bezeichnung  für  das  Disjun- 
giren, es  giebt  diesen  Act  nur  kund.  Natürlich  gilt  dies  auch 
von  ganzen  Urtheilen.  Sage  ich  aus,  so  denke  ich  an  die 
Sachen;  dafs  sich  die  Sachen  so  und  so  verhalten,  das  drückeich 
aus,  und  eventueU  erkenne  ich  es  auch,  Nicht  aber  denke  und 
erkenne  ich  das  Urtheilen,  als  ob  ich  es  ebenfalls  zum  Qegon- 
stando  macheu,  und  nun  gar  als  ürtheil  klassificiren  und  durch 
die  Ausdrucksform  nennen  würde. 

Aber  weist  nicht  die  grammatische  Anpassung  des  Ausdrucks 
an  den  auszudrückenden  Act  auf  einen  Act  des  Erkennons  hin, 
in  dem  sich  diese  Anpassung  vollzieht?  In  gewisser  Weise  sicher- 
lich, bezw.  in  gewissen  Fällen,  nämlich  überall  da,  wo  derjenige 
Sinn  der  Rede  vom  Ausdrücken  Anwendung  findet,  der  uns  zu 
Beginn  der  vorliegenden  Untersuchung  beschäftigt  hat.  Nicht 
aber  wo  es  sich  mit  (lern  Ausdrücken  um  das  blofse  Kundgeben 
handelt,  wonach  also  jederlei  bedeutunggebenden  Acte  als  durch 
die  Worte  —  die  Wortlaute  —  ausgedrückt  gelten;  und  abermals 
nicht,  wo  Ausdrücken  soviel  wie  Bedeuten  sagt  und  das  Aus- 
gedrückte die  identische  Bedeutung  ist  Im  letzteren  doppelten 
Sinne  drückt  jede,  ob  blofs  signiticative  oder  intuitiv  erfüllte 
Aussage  etwas  aus,  nämlich  das  ürtheil  (die  Ueberzeugung)  oder 
den  „Urthoilstnhalt"  (die  identische  Satzbedeutung).  In  dem  zu- 
erst angezeigten  Sinne  drückt  aber  nur  die  iutuitiv  erfüllte 
oder  zu  erfüllende  Aussage  etwas  aus,  wobei  nicht  der  Wortlaut, 
sondern  die  schon  sinnbelebte  Rede  den  „Ausdruck"  darstellt  für 


die  entsprechende  Intuition.  Die  bedeutungverleihende  Function 
übt  in  erster  Linie  und  in  jedem  Falle  die  einheitliche  Compleiion 
der  an  den  Worten  hängenden  signitiven  Intentionen.  Diese 
machen  das  blofse  signitive  Urtheilen  aus,  wo  es  ihnen  an  jeder 
erfüllenden  Anschauung  gebricht;  die  Synthesis  der  Ueberein- 
stimmung  oder  Nichtübereinstimmung,  welche  die  signitive  Ge- 
sammtintendon „ausdrückt"  (bezw.  auszudrücken  prätendirti, 
wird  hier  nicht  „eigentlich"  vollzogen,  sondern  eben  nur  signitiv 
gemeint  Kommt  es  andernfalls  zu  diesem  eigentlichen  Vollzuge 
der  angezeigten  Synthesis,  dann  deckt  sich  die  „eigentliche"  mit 
der  „uneigentlichen"  Synthesis  (der  Synthesis  in  der  Bedeutung): 
Beide  sind  Eins  im  identischen  intenüonalen  Wesen,  welches  die 
eine  und  selbe  Bedeutung  darstellt,  das  eine  und  selbe  Urtheil, 
ob  nun  blofs  sigiiitiv  oder  intuitiv  geurtheilt  wird.  Offenbar  gilt 
das  Analogo  für  die  Fälle,  wo  niu:  einzelne  der  Wortintenüonen 
mit  intuitiver  Fülle  versehen  sind.  Die  signitiven  Acte  befassen 
dieselbe  Meinung,  wie  die  intuitiven,  ohne  deren  Fülle;  sie  „drücken" 
sie  blofs  „aus",  und  das  Gleichnis  pafst  umso  besser,  als  sie  uns 
auch  nach  Wegfall  der  intuitiven  Acte  den  Sinn  der  Intuition  aufbe- 
wahren, als  leere  Hülle  ohne  den  intuitiven  Kern.  DioDeckungseiu- 
heit  ist  nun  zwar,  im  Falle  intuitiven  Urtheilens,  wirklich  Erkenntnis- 
einheit (wenn  auch  nicht  Einheit  des  beziehenden  Erkennens), 
aber  wir  wissen,  dafs  in  der  Erkenntniseinheit  überhaupt  nicht 
der  erfüllende  Act,  hier  also  die  „eigentiiche"  Urthoilsynthesis, 
das  Erkannte  ist,  sondern  ihr  objecüves  Correlat,  der  Sachverhalt. 
In  der  Anschauung  der  Sachen  vollziehen  wir  eine  urtheilende 
Synthesis,  ein  intuitives  so  ist  es  oder  so  ist  es  nicht;  dadurch, 
dafs  sich  diesem  Acte  der  Sachverhaltsanschauung  die  ausdrückende 
Intention  mit  den  associirten  Wortlauton  (also  der  grammatische 
Ausdruck)  anmifst,  vollzieht  sich  das  Erkennen  des  angeschauten 
Sacliverhalts. 


§  68.    Der  Streit  um  die  Interpretation  der  eigenartigen  grammatisdien 
Formen  xwn  Ausdruck  nicfUobjectivirender  Acte. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zur  letzten  Erwägung  der  unschein- 
baren, aber  näher  besehen,  ebenso  wichtigen  wie  schwierigen 
Streitfrage',  ob  die  bekannten  grammatischen  Formen,  welche  die 
Sprache  für  Wünsche,  Fragen,  Willensmeinungen  geprägt  hat  — 
allgemein  zu  reden,  für  Acte,  die  nicht  zur  Klasse  der  objectivi- 
renden  gehören  —  als  Urtheile  über  diese  Acte  anzusehen  sind, 
oder  ob  auch  diese  selbst  und  nicht  blofs  objectivirende  Acte  als 
„ausgedrückte"  d.  i.  als  siongebende,  bezw.  sinnerfüllende  fungiren 
können.  Es  handelt  sich  also  um  Sätze,  wie  ist  Ji  eine  traus- 
scendente  Zahl?     Möge  der  Himmel  uns  beistehen.'  u.  dgl. 

Die  Verfänglicbkeit  der  Frage  zeigt  sich  darin,  dafs  die  be- 
deutendsten Logiker  seit  AnisTOTELiis  in  ihrer  Entscheidung  nicht 
einig  werden  konnten.  Bekanntlich  hat  schon  Aeistuteles  gegen 
die  Gleichstellung  solcher  Sätze  mit  den  Aussagen  Einspruch  er- 
hoben. Aussagen  sind  Ausdrücke  dafür,  dals  etwas  ist  oder  nicht 
ist,  sie  behaupten,  sie  urtheilen  über  etwas.  Nur  bei  ihnen  ist 
von  Wahr  und  Falsch  die  Rede.  Ein  Wunsch,  eine  Frage  behauptet 
nichts.  Dem  Sprechenden  kann  hier  nicht  eingewendet  werden:  was 
du  sagst,  ist  falscli.     Er  würde  die  Einrede  garnicht  verstehen. 

BoLZANO  wollte  diese  Argumentation  nicht  gelten  lassen.  Er 
sagte:  „Eine  Frage,  z.  B.  in  welchem  Verhältnisse  steht  der  Durch- 
messer eines  Kreises  xu  seinem  Umfange?  sagt  freilich  über  das, 
worüber  sie  fragt,  nichts  aus;  darum  sagt  sie  aber  gleichwo! 
noch  etwas  aus:  unser  Verlangen  nämlich,  über  den  Gegenstand, 
nach  dem  wir  fragen,  eine  Belehrung  zu  erhalten.  Sie  kann  eben 
beides,  wahr  und  falsch  sein.  Das  Letztere  ist  sie,  wenn  jenes 
Verlangen  durch  sie  unrichtig  angegeben  wird.' 

Es  regt  sich  aber  der  Zweifel,  ob  BoLZiso  hier  nicht  Zweierlei 
durcheinander  mengt,  nämlich  die  Angemessenheit,  bezw.  Unange- 


'  Vgl  oben  §  1  ff. 

'  BoLz&Ko,  Wissensctiaftslehra  I,  §  22,  S.  88. 


messenheit  des  Ausdrucks  —  d.  h.  hier  des  Wortlauts  —  an  den  Ge- 
danken, und  die  Wahrheit,  bezw.  Falschheit,  welche  den  Inhalt  des 
Gedankens  und  seine  Angemessenheit  an  die  Sache  betrifft  Von  der 
ünangeniessenlieit  eines  Ausdrucks  (als  Wortlautes)  an  den  Gedanken 
kann  in  doppeltem  Sinne  gesprochen  werden;  entweder  im  Sinn 
der  unpassenden  Rede  —  der  Redende  wählt  zum  Ausdruck 
des  ihn  erfüllenden  Gedankens  Worte,  deren  sprachübliche  Bedeu- 
tung mit  diesem  streitet  —  oder  im  Sinne  der  unwahrhaftigen 
d.  i.  absichtlich  täuschenden,  lügenhaften  Rede  —  der  Redende 
will  garniclit  die  Gedanken  ausdrücken,  die  ihn  actuell  erfüllen, 
sondern  gewisse  andere,  mit  diesen  streitende  und  von  ihm  nur 
vorgestellte  Gedanken;  und  zwar  will  er  sie  in  der  Weise  aus- 
drücken, als  ob  sie  ihn  erfüllten.  Die  Rede  von  der  Wahrheit 
hat  mit  dergleichen  nichts  zu  thun.  Ein  passender  und  wahrhaftiger 
Ausdruck  kann  noch  beidos,  Wahrheit  uud  Falschheit  aussagen,  je- 
nachdom  er  nämlich  durch  seinen  Sinn  ausdrückt,  was  ist,  bezw. 
nicht  ist;  oder  was  dasselbe  besagt,  jenachdem  sem  Sinn  durch 
mögliche  adäquate  Wahrnehmung  adäquat  zu  erfüllen  oder  zu  ent- 
täuschen ist 

Man  könnte  Bolz.\>.'o  nun  entgegenhalten:  Von  Wahrhaftig- 
keit oder  ünwabrhaftigkeit,  und  überhaupt  von  Angemessenheit 
und  ünangemessenheit  kann  bei  jedem  Ausdruck  gleichmäfsig 
die  Rode  sein.  Von  Wahrheit  und  Unwahrheit  aber  nur  bei  Aus- 
sagen. Dem  Aussagenden  kann  mau  also  Mehrfaches  einwenden: 
Was  du  sagst,  ist  unwahr.  —  Dies  ist  die  sachliche  Einrede. 
Und:  Du  sprichst  nicht  wahrhaftig;  oder  auch:  Du  drückst  dich 
unpassend  aus.  —  Das  ist  der  Einwurf  der  unwahrhaftigon 
und  der  inadäquaten  Rede.  Dem  Fragenden  kann  mau  nur 
Einwände  der  letzteren  Art  machen.  Er  veretelit  sich  vielleicht 
oder  gebraucht  seine  Worte  unrichtig  und  sagt  Anderes,  als  er 
wirklich  sagen  will.  Aber  man  wird  ihm  nicht  die  sachliche  Ein- 
rede machen,  da  er  eben  keine  Sache  vortritt  Wollte  man  die 
auf  ünangemessenheit  des  Ausdruckes  bezügliche  Einrede  als  Be- 
weis dafür  gelten  lassen,  dafs  der  Fragesatz  ein  Urtheil  aussagOj 
nämlich  das  Urtheil,   welches  sich  vollständig  in   der  Form  au 


drücken  würde,  idt  frage  ob  . . .,  so  niüfste  man  consequenter 
Weise  mit  jedem  Ausdruck  überhaupt  imgleiohen  verfahren,  also 
auch  bei  jeder  beliebigen  Aussage  als  ihren  eigentlichen  Sinn  den 
unterlegen,  welcher  in  der  Redeforra,  ich  sage  aus,  dafs  . . .,  seinen 
angemessenen  Ausdruck  fände.  Dasselbe  müfete  aber  für  die  um- 
gewandelten Reden  gelten,  und  so  kämen  wir  auf  unendliche 
Regresse;  dabei  ist  leicht  einzusehen,  dafs  der  Schwall  immer 
neuer  Aussagen  kein  blofsor  Wortschwall  ist,  vielmehr  modificirte 
Aussagen  liefert,  die  mit  den  ursprünglichen  nicht  äquivalent,  ge- 
schweige denn  bedeutuogsidentisch  sind.  —  Zwingt  uns  die  wider- 
sinnige Consequenz  also  nicht,  zwischen  den  einen  und  anderen 
Satzformen  einen  wesentlichen  unterschied  anzuerkennen?' 

Hier  kann  man  aber  noch  eine  doppelte  Stellung  einnehmen. 
Entweder  man  sagt:  Die  Frage  nach  der  Wahrhaftigkeit  trifft  jede 
Rede;  also  gehört  zu  jeder  Rede  als  solcher  ein  Urthcil,  nämlich 
das  auf  das  kundzugebende  Erlebnis  des  Sprechenden  bezügliche. 
Wer  spricht,  giebt  etwas  kund,  und  dem  entspricht  das  kund- 
gebende Urtheil.  Aber  was  kundgegeben  oder  ausgedrückt  wird, 
ist  ein  Verschiedenes;  im  Fragesatz  die  Frage,  im  Befehlsatz  der 
Befehl,  im  Aussagesatz  das  Urtheil.  Jeder  Aussagesatz  impücirt 
danach  ein  doppeltes  Urtheil,  nämlich  ein  Urtheil  über  diesen 
oder  jenen  Sachverhalt,  und  ein  zweites  Urtheil,  welches  der 
Redende  als  solcher  über  dieses  Urtheil  als  sein  Erlebnis  fällt. 

Dies  seheint  Siowabts  Position  zu  sein.  Wir  lesen':  „Der  Impe- 
rativ schliefst  allerdings  auch  eine  Behauptung  ein,  nämlich  die,  dafs 
der  Redende  die  von  ihm  geforderte  Handlung  jetzt  eben  will,  der  Op- 
tativ, dafs  er  das  Ausgesprochene  wünscht.  Diese  Behauptung  liegt 
aber  in  der  Thatsache  des  Rodens,  nicht  in  dem  Inhalt  des 
Ausgesprochenen;  ebenso  enthält  ja  auch  jeder  Aussagesatz  von  der 
Form  A  ist  B  blofs  dm-ch  die  Thatsache  des  Redens  die  Behauptung, 
dafs  der  Redende  das  denkt  und  glaubt,  was  er  sagt.     Diese  Be- 


'  Wie  dieser  Untorschiod   in  AVahrboit  zu  fas.soa   ist, 
der  nächste  Paragraph  (vgl.  deu  SchluTsabsatz)  belehren. 
'  SiewiBT,  Logik,  1»,  17  f.,  Anm. 


darSber  wird  ans 


683    VI.  Elemente  einer  phänamenolog.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

hauptungen  über  den  subjectiven  Zustand  des  Redenden, 
welche  in  der  Thatsache  seines  Bedens  liegen  und  unter  Vor* 
aussetzung  seiner  Wahrhaftigkeit  giltig  sind,  begleiten  in  gleicher 
Weise  alles  Beden  und  können  also  keinen  unterschied  der  ver- 
schiedenen Sätze  begründen." 

Eine  andere  Auffassung  wäre  aber  die,  daJB  man  das  kund- 
gebende Urtheil  und  somit  die  ürtheilsrerdopplung  im  Falle  des 
Aussagesatzes  als  eine  zufallige,  nur  ausnahmsweise  hereinspielende 
und  im  üebrigen  erst  durch  die  descriptire  Reflexion  hinein- 
getragene Complication  verwirft,  und  demgegenüber  lehrt:  In  jedem 
Falle  angemessener  und  nicht  gelegenheitlich  verkürzter  Bede  sei 
das  Ausgedrückte  wesentlich  Eines,  und  zwar  im  Fragesatz  die 
Frage,  im  Wunschsatz  der  Wunsch,  im  Aussagesatz  das  ürtheil. 
Diese  Stellung  hielt  ich  selbst  vor  der  Durchführung  dieser  Unter- 
suchungen für  unvermeidlich,  so  schwer  sie  mit  anderen  phäno- 
menologischen Thatsachen  vereinbar  erschien.  Durch  folgende 
Argumentationen,  die  ich  nun  mit  passender  Kritik  begleite,  hielt 
ich  mich  für  gebunden. 

§  69.   Argumente  für  und  wider  die  Aristotelische  Auffassung. 

1.  Nach  der  von  Aristoteles  sich  abwendenden  Lehre  soll 
z.  B.,  wer  eine  Frage  äulsert,  dem  Andern  seinen  Wunsch,  in  Be- 
treff des  fraglichen  Sachverhaltes  belehrt  zu  werden,  mittheilen. 
Diese  auf  das  actuelle  Erlebnis  des  Bedenden  bezügliche  Mittheilung, 
ist,  sagt  man,  wie  jede  Mittheilung  ein  Aussage.  Nun  ist  in  der 
Frageform  selbst  allerdings  nicht  ausdrücklich  gesagt:  ich  frage, 
ob  ...;  sie  kennzeichnet  nur  die  Frage  als  Frage.  Die  Bede  ist 
eben  eine  gelegenheitlich  verkürzte.  Die  Umstände  der  Aeulserung 
machen  es  ja  ohne  Weiteres  verständlich,  dafs  der  Bedende  selbst 
es  ist,  der  da  fragt  Also  liegt  die  volle  Bedeutung  des  Satzes 
nicht  in  dem,  was  er  selbst  nach  seinem  Wortlaute  bedeutet, 
sondern  sie  ist  durch  die  Gelegenheit,  nämlich  durch  die  Beziehung 
zur  augenblicklich  redenden  Person  bestimmt 

Zu  Gunsten  der  Aristotelischen  Auffassung  lielse  sich  nun 
Mehrfaches  erwidern. 


o)  Das  Argument  würde  doch  nicht  minder  auf  Aussagesätze 
passen;  also  mülsten  wir  den  Ausdruck  5  ist  P  als  gelegenheit- 
liche Verkürzung  für  den  neuen  Ausdruck,  ich  urlheile,  dafs  SP 
ist^  interpretiren,  und  so  in  infmitum. 

ß)  Das  Argument  stützt  sich  darauf,  dafe  der  ausdrückliche 
Sinn  des  Fragosatzea  ein  anderer  ist  als  der  wirkliche.  Es  kann 
ja  auch  nicht  geleugnet  werden,  dafs  sich  im  Frage-  und  Wunsch- 
satz selbst  die  Beziehung  des  Wunsches  zum  Wünschenden  nicht 
uothwendig  ausprägt,  so  wenig,  wie  im  Aussagesatz  die  Beziehung 
des  üithoils  zum  Urtheiienden.  Liegt  aber  diese  Beziehung  nicht 
im  ausdrücklichen  Sinn  des  Satzes,  sondern  nur  im  gelegenheitlich 
wechselnden,  so  ist  schon  so  viel  zugestanden,  als  man  wünschen 
könnte.  Unter  Umständen  kann  sich  die  ausdrückliche  Bedeutung 
modificiren,  aber  es  wird  doch  auch  Umstände  geben,  unter  denen 
die  ausdrückliche  Bedeutung  genau  die  intendirte  ist.  Dann  ist 
eben  die  blofse  frage  (und  ebenso  die  blofso  Bitte,  der  blofso 
Befehl  u.  s.  w.)  in  voltständig  angemessener  Weise  ausgedrückt 

y)  Für  die  Aristotelische  Auffassung  spricht  der  genauer  durch- 
geführte Vergleich  mit  den  normalen  Aussagesätzen.  In  communi- 
cativer  Rede  giebt  ein  solcher  Satz  ein  ürthoilen  kund,  und  die 
grammatische  Form  des  Aussagesatzes  ist  es,  welche  das  Urtheii 
als  solches  zur  Ausprägung  bringt  Daher  ist  mit  der  Aeufserung 
einer  Rede  von  solcher  grammatischen  Form  ohne  Weiteres  die 
Wirkiuig  verknüpft,  dafs  der  Angeredete  den  Redenden  als  Ur- 
theilendeo  auffafst  Aber  diese  Wirkung  kann  nicht  die  Bedeu- 
tung des  Ausdruckes  constituiren,  da  er  doch  in  der  einsamen 
Rede  dasselbe  bedeutet,  wie  in  der  communicativen.  Die  Be- 
deutung liegt  vielmehr  im  ürtheilsact  als  der  identische  ürtheils- 
inhalt 

Dasselbe  wird  nun  von  den  Fragesätzen  gelten  können.  Die 
Bedeutung  des  Fragesatzes  bleibt  dieselbe,  ob  es  sich  um  eine 
innerliche  Frage  oder  um  eine  Anfrage  handelt.  Die  Beziehung 
zum  Redenden  und  Angeredeten  gehört  hier,  wie  im  Vergleichs- 
fall, zur  blofs  communicativen  Function.  Und  wie  dort  der 
„ürtheilsinhalt",  also  ein  gewisser  specifischer  Charakter  des  in- 


684    VJ.  Elemente  einer  pfiäno 


»flUärung  der  Erkenniftis. 


haltlich  so  und  so  bestimmten  Urtheils,  so  macht  hier  der  Frage- 
inlialt  die  Bedeutung  des  Fragesatzes  aus.  In  beiden  Fällen  kann 
die  normale  Bedeutung  gelegenheitliche  Modification  erfahren.  Wir 
können  einen  Aussagesatz  aussprechen,  während  es  nicht  unsere 
primäre  Intention  ist,  den  bezüglichen  Sachverhalt,  sondern  die 
Tliatsacho,  dafs  wir  diese  Ueberzeugung  haben  und  zu  vertreten 
gedenken,  zur  Mittheilung  zu  bringen.  Diese  Intention  mag. 
vielleicht  durch  heterogrammatische  Mittel  (Betonung,  Geste)  unter- 
stützt, verstanden  werden.  Hier  liegt  ein  auf  das  ausdrückliche 
Urtheil  bezogenes  Urtheil  zu  Grunde.  Ebenso  kann  die  primäre 
Intention  im  Falle  eines  Frage-  oder  Wunschsatzes  statt  im  blofsen 
Wunsch,  vielmehr  in  der  Thatsache,  dafs  wir  den  Wunsch  dem 
Hörenden  zum  Ausdruck  bringen  wollen,  liegen.  Natürlich  wird 
diese  Interpretation  nicht  überall  zutreffen  können.  Sie  kann 
nicht  zutreffen  in  Füllen,  wo  z.  B.  ein  heifser  Wunsch  sich  spontan 
dem  Herzen  entringt.  Der  Ausdruck  ist  dann  mit  dem  Wunsch 
innig  Eins,  er  schmiegt  sich  ihm  schlicht  und  unmittelbar  an. 

Kritik.  —  Sehen  wir  näher  zu,  so  ist  durch  diese  Argumen- 
tationen nur  erwiesen,  dafs  nicht  zum  Sinn  jedes  Satzes  ein  Ge- 
danke gehören  kann,  der  auf  das  communicative  Verhältnis 
Beziehung  hat.  Das  Gegenargument,  das  sich  auf  der  falschen 
Annahme  aufbaut,  jeder  Ausdruck  sei  eine  Mittheilung,  und  jede 
Mittheilung  sei  ein  Urtheil  über  die  inneren  (kundgegebenen)  Erleb- 
nisse des  Sprechenden,  ist  widerlegt.  Nicht  aber  seine  These  — 
zum  Mindesten  nicht  bei  passender  Modification.  Die  Möglichkeit 
ist  nicht  ausgeschlossen,  dafs  die  strittigen  Sätze,  die  Wunsch-, 
Bitt-,  Befehlsätze  u.  s.  w.  darum  doch  ürtlieilo  über  die  be- 
ti'effenden  Erlebnisse,  die  Acte  des  Wünschens,  Bittens,  WoUons 
sind  und  nur  dadurch,  dafs  sie  es  sind,  diesen  Erlebnissen  ange- 
messenen Ausdruck  zu  geben  vermögen  Findet  sich  kein  Kaum 
für  Urtheile  im  engeren  Sinne  von  Prädicationen  (wofür  Aristotfxes 
die  sti'ittigen  Sätze  allerdings  ansah),  so  vielleicht  für  Urtheile  im 
weiteren  Sinn  von  setzenden  Objectivationen  überhaupt 

Zu  Punkt  a)  merken  wir  noch  an,  dafs  die  Sachlage  für  Aus- 
sagen und  z.  B.  Fragen  denn  doch   nicht  dieselbe  ist.     Bei  der 


Umwandlung  des  Satzes  5  ist  P  in  den  Satz  ich  urtheile,  dafs 
SP  ist,  oder  in  irgendeineu  verwandten  Satz,  der  die  Bezieliung 
auf  einen  IJrtheilenden  nocli  so  unbestimmt  ausdrückt,  erhalten 
wir  nicht  blofs  geänderte  Bedeutungen,  sondern  solche,  die  den 
ursprünglichen  nicht  einmal  äquivalent  sind;  denn  der  schlichte 
Satz  kann  wahr,  der  subjectivirte  falsch  sein,  und  umgekehrt. 
Ganz  anders  im  Vergleichsfalle.  Mag  man  in  ilun  von  Wahr  und 
Falsch  zu  reden  ablehnen:  man  wird  doch  immer  eine  Aussage  fin- 
den, die  „wesentlich  dasselbe  besagt",  wie  die  ursprüngliche 
Frage-,  Wunschform  u.  dgl.  z.  B.  Ist  S  P?  —  ich  icünsche  oder 
man  wütischt  xu  ivissen,  ob  S  P  sei  u.  s.  w.  Sollte  in  derartigen 
Satzformen  also  nicht  doch  eine  Beziehung,  wenn  auch  eine  unbe- 
stimmte oder  nur  nebenbei  mitbedeutete  Beziehung  zu  dem  Koden- 
den  iraplicirt  sein?  Weist  die  Erhaltung  der  „wesentlichen  Meinung" 
bei  den  Umwandlungen  in  Aussagosätze  nicht  darauf  hin,  dafs 
die  bedeutuoggebeuden  Acte  mindestens  zui-  selbeu  Klasse  wie  die 
Urtheile  gehören  müssen?  Und  dadurch  wird  sich  auch  Punkt/?) 
erledigen;  es  wird  eben  nicht  das  blofse  Wunsch-  oder  Willens- 
erlebnis, sondern  die  ionere  Anschauung  davon  (und  die  ihr  an- 
gepafste  Signification)  für  die  Bedeutung  in  Frage  kommen.  —  Doch 
eben  diese  Auffassung  berührt  das  nächste  Argument: 

2.  Noch  in  anderer  Weise  könnte  man  versuchen,  die  frag- 
lichen Ausdrucksformeu  als  Urtheile  zu  interpretiren.  Indem  wir 
einen  Wunsch  aussprechen,  sei  es  auch  ia  einsamer  Rede,  fassen 
wir  ihn  und  den  erwünschten  Inhalt  in  Worte,  stellen  ihn  und 
was  ihn  constituirt,  also  vor.  Der  Wunsch  ist  aber  nicht  ein 
beliebiger  blofs  vorgestellter,  vielmehr  der  soeben  wahrgenommene, 
der  lebendige  Wunsch.  Und  von  ihm  wollen  wir  als  solchem 
Kunde  geben.  Folglich  kommt  nicht  die  blofse  Vorstellung,  son- 
dern die  innere  Wahrnehmung  —  demnach  wirklich  ein  Urtheil 
—  zum  Ausdruck.  Es  ist  freilich  nicht  ein  Urtheil  von  der  Art 
der  gewöhnlichen  Aussagen,  die  prüdicativ  über  irgend  etwas  aus- 
sagen. Im  Wunsch ausdruck  handelt  es  sich  auch  nur  dämm,  in 
schlichter  Setzung  das  innerlich  wahrgenommene  Erlebnis  begrilf- 
lich  (=  bedeutuugsraäfsig)   zu   fassen   und  sein   schlichtes  Dasein 


aaszuprSgen;  nicht  aber  darum,  eine  beziehende  Prädication  über 
das  Erlebnis  zu  vollziehen,  weiche  es  zum  erlebenden  Subject  in 
Beziehung  setzte.  — 

Gegen  diese  Auffassung  erhebt  sich  der  Einwand,  dafe  die 
Sachlage  für  die  ausgesagten  Urtheile  genau  dieselbe  ist,  wie  für 
alle  anderen  ausdrücklieben  Erlebnisse.  Indem  wir  aussagen, 
urtheilen  wir;  und  in  Worte  fassen  wir  nicht  nur  die  dem  Ur- 
theile zu  Grunde  liegenden  Vorstellungen,  sondern  auch  das  Urtheil 
selbst  (näiiilich  in  der  Form  der  Aussage).  So  müfeton  wir  auch 
hier  schliefsen:  es  sei  das  Urtheil  innerlich  wahrgenommen,  und 
die  Bedeutung  der  Aussage  liege  in  dem  schlicht  setzenden  urtheile 
über  dieses  Wahrgenommene,  das  ist  über  das  Urtheil.  Wird 
Niemand  im  Falle  der  Aussage  diese  Auffassung  annehmbar  finden, 
so  kann  sie  auch  nicht  im  Falle  der  übrigen  selbständigen  Sätze 
ernstlich  in  Frage  kommen.  Wir  erinnern  uns  an  das  im  letzten 
Paragraphen  Ausgeführte.  Die  Ausdrücke,  welche  sich  an  die 
ausgedrückten  Erlebnisse  anschliefsen,  können  sich  auf  sie  nicht 
als  Namen,  oder  analog  wie  Namen  beziehen:  als  ob  die  Erleb- 
nisse erst  gegenständlich  vorgestellt  und  dann  unter  Begriffe 
gebracht  würden,  als  ob  daher  mit  jedem  neu  eintretenden  Wort 
auch  eine  Subsumption  und  Prädication  statthätte.  Wer  urtheilt, 
dafs  Gold  gelb  ist,  urtheilt  nicht,  dafs  die  Vorstellung,  die  er  zu- 
sammen mit  dem  Worte  Gold  hat,  Gold  sei;  er  urtheilt  nicht,  dafs 
die  Urtheilsweise,  die  er  beim  Würtchen  ist  vollzieht,  unter  den 
Begriff  des  isi  falle  u.  s.  w.  In  Wahrheit  ist  das  ist  kein  Wort- 
zeichen für  das  Urtheil,  sondern  ein  Zeichen  des  Seins,  das  zum 
Sachverhalte  gehört  Und  wieder  ist  Gold  kein  Name  für  ein 
Vorstellungserlebnis,  sondern  Name  für  ein  Metall.  Ausdrücke 
sind  Namen  für  Erlebnisse  nur  da,  wo  die  Erlebnisse  in  der  Re- 
flexion zu  Gegenständen  der  Vorstellung,  bezw.  Bourtheilung 
werden,  Dasselbe  gilt  für  alle,  auch  für  die  synkategorematischen 
Worte  mit  Beziehung  auf  das  Gegenständliche,  das  sie  nach  ihrer 
Art  zeichnen,  wenn  auch  nicht  als  Namen  nennen. 

Also  zu  dem  Acte,  der  uns  jeweils  ausfüllt,  in  dem  wir  leben, 
ohne  ihn  reflectiv  zu  beurtlieilen,  tritt  der  Ausdruck  nicht  in  der 


A 


NichtobjecHvirende  Ade  als  scfieinbare 


rfiiUungen.   687 


Weise  einer  nominalen  Signatur  hinzu;  vielmehr  gehört  der  Aus- 
druck zum  concreten  Bestände  des  Actes  selbst.  Ausdrüclilich  ur- 
theilen  ist  urtheilen,  ausdrüciiiich  wünschen  ist  wünschen.  Ein 
Urtheii  oder  einen  Wunsch  nennen,  ist  nicht  urtheilen  oder 
wünschen,  sondern  eben  nennen.  Das  genannte  ürtheil  braucht 
vom  Nennenden  nie  geurtheilt,  der  genannte  Wunsch  von  ilim  nie 
gewünscht  zu  sein.  Und  auch  im  gegentheiligen  Faile  ist  die  Nen- 
nung nicht  Ausdruclc  des  ürtheils,  bezw.  Wunsches,  sondern  Aus- 
druck einer  darauf  bezüglichen  Vorstellung. 

Kritik.  —  Auch  dieser  Einwand  legt  die  Schwäche  der  voraus- 
geschicliteu  und  zunächst  so  naheliegenden  Argumentation  blofs. 
Es  ist  nach  demselben,  wie  schon  nach  unseren  früheren  üeber- 
legungen  sicher,  dafs  nicht  jeder  Ausdruck  als  solcher  ein  ürtheil 
oder  einen  sonstigen,  das  kundgegebene  Erlebnis  zum  Gegenstande 
machenden  Act  voraussetzt.  Aber  wieder  ist  damit  die  These 
selbst  nicht- widerlegt,  es  ist  nicht  bewiesen,  dafs  nicht  gerade  die 
strittigen  Satzformen  doch  Urtheile  über  die  jeweiligen  Wunsch-, 
Frage-,  ßitterlebnisse  sind,  bezw.  Ausdrücke  ihres  schlichten  Da- 
seins im  Sprechenden.  Gewifs,  einen  Wunsch  nennen,  ist  darum 
noch  nicht  wünschen;  ist  einen  Wunsch  erleben  und  in  Eins 
damit  ihn  nennen,  nicht  doch  auch  wünschen?  Also  selbst  wenn 
ausdrücklich  wünschen  noth wendig  ein  nennendes  oder  aus- 
sagendes Wünschen  ist,  gilt  der  Satz,  dafs  ausdrücklich  wünschen 
eben  wünschen  und  nicht  blofses  nennen  ist. 

3.  Die  strittigen  Ausdrücke  haben  die  Form  von  Sätzen  und 
unter  Umständen  auch  die  von  kategorischen  Sätzen  mit  Subject 
und  Prädicat.  Schon  daraus  geht  hervor,  dafs  man  sie  auch  in- 
haltlich als  Prädicationen  fassen  kann,  und  zwar  nicht  gerade  als 
Prädicatiouen  in  Bezug  auf  immer  dasselbe,  aber  verschwiegene 
Subject  Ich.  Z.  B.  Goit  möge  den  Kainer  schützen.  Franx  sollte 
sich  schonen.  Der  Kutscher  soll  anspannen.  Ein  Mögen  oder 
Sollen  wird  ausgesagt,  das  betrefi'ende  Subject  wird  als  unter  einer 
Forderung  oder  Verpflichtung  stehend  aufgefalst. 

Man  könnte  hier  erwideni:  Wo  das  Sollen  als  objcctives  Prä- 
dicat gilt  und  als  solches  in  der  That  beigelegt  wird,  da  hat  der 


p 


Sollenssatz  nicht  die  Bedeutung  eines  Wunsches  oder  Befehls,  oder 
er  hat  nicht  dies  allein.  Eine  objective  Verpflichtung  kann  ja  als 
geltend  ausgesagt  werden,  ohne  dafe  der  Aussagende  selbst  einen 
Act  von  der  Art  zu  erleben  brauchte,  welche  das  actuelie  Be- 
wufetsein  der  Verpflichtung  ausmaclit.  Weifs  ich  den  Willen  einer 
Person  durch  ilu-  Dienstverhältnis  oder  durch  Sitte  und  Sittlichkeit 
gebunden,  so  kann  ich  urtheilen,  dafs  sie  irgend  etwas  thun  soll 
und  nnifs.  Aber  damit  drücke  ich  kein  lebendiges  Wünschen, 
Begehren  oder  Sollen  aus.  Freilich  können  SoUens- Aussagen  in 
gelegenheitlicher  Function  auch  dazu  dienen,  derartige  Acte  aus- 
zudrücken, z.  B.  Johatm  soU  anspannen.'  Es  ist  klar,  dafs  hier 
nicht  blofa  die  objective  Verpflichtung,  sondern  mein  Wille  aus- 
gedrückt ist.  In  den  Worten  selbst  kommt  er  nicht  zum  Aus- 
druck, wo!  aber  durcli  den  Ton  und  die  Umstände,  unzweifelhaft 
surrogirt  die  prädicative  Form  unter  solchen  Umständen  sehr  oft 
für  die  Wunsch-  oder  Befehlsform,  d.  h.  die  SoUens- Prädication, 
die  im  Wortlaut  liegt,  wird  gar  nicht  vollzogen  oder  wird  zur 
Nebensache.  Schliefslich  ist  es  auch  unverkennbar,  dafs  die  prä- 
dicative Interpretation  auch  nur  in  einigen  Fällen  einen  Anschein 
hat  Sicher  nicht  bei  Fragen,  wie  denn  B.  Erdmann,  der  ihr  sonst 
zuneigt,  sie  bei  den  Fragen  nicht  empfohlen  bat.^ 

Kritik.  —  Es  ist  fraglich,  ob  diese  Widerlegung  überhaupt 
ausreicht.  Dafs  das  Soilensprädicat  häufig  einen  objectiven  Sinn 
und  Weith  hat,  ist  unzweifelhaft;  dafs  aber,  wo  dies  nicht  statt- 
hat, auch  nichts  prädicirt  und  jedenfalls  nichts  geurtheilt  werdei, 
ist  keineswegs  erwiesen.  Man  könnte  sagen:  wenn  wir  an  Jeman- 
den einen  Befehl  richten,  z.  B.  an  den  Kutscher  Johann,  dafs  er 
anspannen  soll,  so  gilt  er  uns  als  ein  unserem  Willen  Unter- 
stehender, als  solcher  wird  er  von  uns  aufgefafst  und  demgemäfs 
in  der  Ausdrucksform  angesprochen.  Wir  sagen:  Johann,  spanne 
an.'  Als  Anspannen -Sollender  ist  er  hier  prädicirt,  und  natürlich 
ist  er  es  in  der  Erwartung  entsprechender  praktischer  Erfolge, 
und  nicht  in  Absiebt  auf  die  blofse  Feststellung  dieser  Thatsache, 


'  Vgl.  B.  ERDMA.H.N,  Logik  I,  §40,  S.  271  ff. 


I 


dafs  er  als  ein  solcher  mir  gilt.  Der  Ausdruck  des  Befehls  ist 
ein  relativer.  Wir  köunen  Niemanden  als  Befohlenen  vorstellen, 
ohne  einen  Befehlenden,  sei  es  in  bestimmter  oder  unbestimmter 
Weise  raitvorzustellen.  Wo  wir  selbst  befehlen,  fassen  wir  uns 
als  Befehlende  auf.  Es  bedarf  aber  hiefür,  als  einer  Selbstver- 
ständlichkeit, keines  expliciten  Ausdrucks.  Statt  der  umständ- 
lichen Form  ich  befehle  .  .  .  .,  gebrauchen  wir  den  kurzen,  durch 
seine  Form  auf  das  communicative  Verhältnis  hinweisenden  Im- 
perativ. Die  Redeform  mit  Sollen  (und  Müssen)  wird  ursprünglich 
nicht  vom  Befehlenden  in  der  actuellen  zu  dem  {ihm  gegenüber 
stehenden)  Befohlenen,  sondern  überall  da  gebraucht,  wo  es  auf 
einen  melir  objectiven  Ausdruck  eigener  oder  fremder  Willens- 
nieinung  ankommt;  so  z.  B.  von  dritten,  den  Befehl  übermittelnden 
Personen,  oder  als  Ausdruck  des  legislatorischen  Willens  im  be- 
setz. Aufserhalb  der  Comnmnication  zwischen  Befehlsliaber  und 
Befehtsempfänger  verliert  eben  der  Imperativ,  welcher  dabei  der 
Bewufstseinssituation  des  crsteren  angepafst  ist,  seine  Anwendbar- 
keit. Diese  Auffassung  läfst  sich  überall  durelifüliren.  Man  wird 
sagen:  im  Optativ  winl  das  Erwünschte  als  erwünscht  vorgestellt, 
genannt  und  dann  jedenfalls  aiLsgesagt.  Ebenso  in  der  Bittform 
das  Erbetene  als  erbeten,  in  der  Frageform  das  Erfragte  als  er- 
fragt u.  s.  w.  Diese  Acte  werden  vorstellungsmäfsig  zu  ihren  in- 
tentionalen  Gegenständen  in  Beziehung  gesetzt,  und  so  als  Re- 
llexionsprädicate  an  ihnen  selbst  gegenständlich. 

Im  commnnicativon  Verhältnis  haben,  wie  die  Befehle,  so 
manche  anderen  der  fraglichen  Ausdrücke  die  Function,  in  der 
Weise  wesentlich  occasioneller  Ausdrücke  dem  Hörenden  zu 
sagen,  dafs  der  Redende  die  kundgegebenen  Acte  {der  Bitte,  des 
Glückwunsches,  des  Beileides  u.  s.  w.)  in  intentiunaler  Beziehung 
auf  ihn,  den  Hörenden,  vollziehe.  Soweit  auch  jederlei  Ausdrü.k. 
von  dem  Wunsche,  sich  mit  ihnen  dem  Anderen  mitzutheilen,  iura 
von  den  eigenen  Ueberzengungen,  Zweifeln,  Hoffnungen  n.  s.  w. 
Kenntnis  zu  geben,  vollbewufst  getragen  sein  können,  sind  sie 
ev.  alle  von  Acten  der  Reflexion  auf  diese  inneren  Erlebnisse  be- 
gleitet und,  näher,  von  Acten  ihrer,  sie  auf  das  Idi  niul  auf  die 

Hoiiert,  hng.  Ontars.  II,  44 


690    VI.  Elemente  einer  phänomenolof/.  Aufklärung  der  Erkenntnis. 

angeredete  Person  beziehenden  Anschauung.  Dies  gilt  also  auch 
von  communicativen  Aussagen.  Darum  gehören  diese  Acte  der 
Reflexion  und  Beziehung  noch  nicht  zur  Bedeutung  der  Aussage 
und  aller  sonstigen  Ausdrücke  überhaupt;  aber  sehr  wol  ist  dies 
von  den  Ausdrücken  der  strittigen  Klasse  zu  sagen,  als  welche  ja 
durchaus  auf  innere  Erlebnisse  des  Sprechenden  gerichtet  sind. 

Im  einsamen  Seelenleben  entfällt  (von  den  Ausnahmsfällen 
des  zu  sich  selbst  Bedens,  sich  selbst  Fragens,  Wünschens,  Be- 
fehiens  abzusehen)  die  Beziehung  zum  Angeredeten,  und  die  be- 
trefienden  subjectiven  Ausdrücke,  die  dann  noch  anwendbar  sind, 
werden  zu  Ausdrücken  des  schlichten  Seins  der  inneren  Erlebnisse, 
mit  mehr  oder  minder  deutlicher  Beziehung  auf  das  Ich.  Die 
monologische  Frage  besagt  entweder:  ich  frage  (mich)  ob  .  .  .; 
oder  es  entfällt  die  Kücksicht  auf  das  Ich  wol  ganz;  der  Frage- 
ausdruck wird  blofser  Name,  oder  im  Grunde  genommen  nicht 
einmal  das.  Denn  die  normale  £'unction  weist  dem  Namen  eine 
Stelle  in  einer  prädicativen  oder  attributiven  Beziehung  an ,  wovon 
hier  aber  keine  Bede  ist.  Indem  der  Ausdruck  sich  in  der  Weise 
einer  Erkenntnis  mit  dem  angeschauten  inneren  Erlebnis  in  Eins 
setzt,  erwächst  eine  Comploxion,  die  den  Gliarakter  eines  in  sich 
geschlossenen  Phänomens  hat.  Sofern  in  dieser  Complexion  die 
Frage  der  Act  ist,  in  dem  wir  vorzugsweise  leben,  während  der 
Ausdruck  sich  ihm  nur  als  besagender,  ihn  articulironder  an- 
schmiegt, nennen  wir  die  ganze  Complexion  eine  Frage.  Die  Er- 
kenntnis fungirt  hier  nicht  theoretisch  —  das  thut  sie  nur  in  der 
Prädication,  während  hier  nicht  prädicirt,  die  Frage  zwar  erkannt 
und  ausgedrückt,  aber  nicht  subjicirt,  nicht  zum  Subject  oder 
Object  von  prädicativen  Acten  gemacht  wird.  Offenbar  ist  dieser 
direct  ausprägende  Sinn  des  Fragesatzes  Bestandstück  des  prädi- 
cativen Fragesatzes,  bezw.  der  den  geänderten  Umständen  ent- 
sprechenden Bedeutung. 

§  70.     Entscheidung. 

Versteht  man  unter  ürtheilen  Prädicationon,  so  sind,  nacli 
diesen  Ueberlegungen,  die  strittigen  Sätze  nicht  in  allen  Fällen 


Nichlohjeelivirende  Acte  als . 


ngserfüUungen.    691 


Ausdrucke  von  Urtheilen.  Gloichwol  trennt  uns  auch  in  diesen 
Füllen  eine  uniiberbrückhare  Kluft  von  den  sich  an  Aristotkles 
ansclilieisenden  Logikern.  Nach  üinon  wären  Namen,  Aussagen, 
Wunschsätze,  Fragesätze,  Befehle  u.  s.  w.  gleichgeordnete  Aus- 
drucksformen, und  zwar  in  folgendem  Sinne:  Namen  geben  Vor- 
stellungen Ausdruck,  Aussagen  Urtheilen,  Wunschsätze  Wütischen 
u.  s.  w.  Als  bedeutiingverloihende  Acte  können  in  genau  gleiclier 
Weise  Vorstellungen,  Urtheile,  Wünsehe,  Fragen  u.  s.  w.  fungiren, 
kurzum  Acte  jeder  Art;  denn  Acten  Ausdruck  gehen  heifst  hier 
überall  dasselbe,  niinilich  in  diesen  Acten  seine  Bedeutung  finden. 
Wir  hingegen  finden  im  Vergleich  der  Naraen  und  Aussagen  mit 
den  Ausdrücken  der  strittigen  Gruppe  einen  fundamentalen 
Unterschied  darin,  dals  die  in  Namen  und  Aussagen  „aus- 
gedrückten" Acte  des  Vorstellens,  bezw.  Urtheilens,  zwai-  bedeu- 
tunggebend (bezw.  bodeutungerfüUend),  aber  darum  eben  nicht 
bedeutet,  dafs  sie  im  Nennen  imd  Prädiciren  nicht  gegenständlicii, 
sondern  Gegenstände  constituirend  sind.  Auf  der  anderen 
Seite  und  im  geraden  Gegensatz  dazu  finden  wir  bei  all  den  um- 
strittenen Ausdrücken,  dafs  uns  die  „ausgedrückten"  Acte,  ob- 
schon  sie  angeblich  bedoutunggebcnd  sind,  gegenständlich 
werden.  Dies  aber  geschieht,  wie  wir  erkannten,  einerseits  ver- 
möge innerer  Anschauungen,  die  sich  reflectiv  auf  diese  Acte 
richten,  und  zumeist  auch  vermöge  beziehender  Acte,  die  in  diesen 
Anschauungen  fundirt  sind;  und  andererseits  vormöge  gewisser, 
eventuell  nur  theilwoiso  ausgesprochener  Significutionen,  welche 
sich  den  inneren  Anschauungen  und  Beziehungen  in  der  Weise 
des  Erkennens  anschmiegen,  so  dafs  deren  Gegenstände,  also  die 
Acte  des  Fragens,  Wünschens,  Befelilens  u.  s.  w.  zu  genannten 
und  sonstwie  besagten  Gogeustütuien,  eventuell  zu  BestJindstückon 
priidicirtcr  Sachverhalte  werden.  In  diesen  objectivirenden  Acten 
liegen  nun  die  wahren  Bedeutungen  der  strittigen  Ausdrücke. 
Nicht  handelt  es  sich  bei  ihnen  um  bedeutungverleihende  Acte 
Von  fundamental  neuen  Gattungen;  vielmehr  um  zufällige  Be- 
sondfrungen  der  einen  inui  <'in7,igcu  Gattung  Bedeutungsintentiim. 
Und  ebenso  gehören  die  Ivcdoutungurfüllenden  Acte  nicht  zu  ver- 

44» 


schiedenen  Gattungen ,  vielmehr  zu  der  einen  und  einzigen  Gattung 
Anschauung.  Nicht  sind  die  Wünsche,  Befehle  u.  dgl.  selbst 
durch  die  grainmatischen  Gebilde  und  ihre  Significationen  aus- 
gedrückt, sondern  die  Anschauungen  von  diesen  Acten  sind  es, 
welche  als  Erfüllungen  dienen.  Wenn  wir  Aussagesatz  und  Wunsch- 
satz vergleichen,  dürfen  wir  nicht  Urtheil  und  Wunsch  ein- 
ander coordiniren,  sondern  Sachverhalt  und  Wunsch. 

Demnach  ergiebt  sich  das  Resultat: 

Die  angeblichen  Ausdrücke  nichtobjectivirender 
Acte  sind  praktisch,  und  zumal  communicativ,  überaus 
wichtige,  im  üehrigen  zufällige  Besonderungen  von  Aus- 
sagen oder  sonstigen  Ausdrücken  objectivirender  Acte. 

Darin  liegt  aber  die  fundamentale  Wichtigkeit  der  behandelten 
Streitfrage,  dafs  es  von  ihrer  Entscheidung  abhängt,  ob  man  die 
Lehre  vertreten  könne:  alles  Bedeuten  in  Intention  und  Er- 
füllung sei  von  Einer  Gattung  —  nämlich  von  der  Gattung  objec- 
tivirender  Act  mit  ihrer  fundamentalen  Sonderung  in  significative 
und  intuitive  Acte  —  oder  oh  man  sich  vielmehr  dazu  entschliefsen 
müsse,  Acte  jeder  Gattung  als  bedeutunggebende,  bezw.  -erfüllende 
zuzulassen.  Und  abermals  wird  diese  Streitfrage  von  nicht  geringer 
Bedeutung  dadurch,  dafs  sie  zu  allererst  auf  die  fundamentale 
Dreifältigkeit  der  äquivoken  Rede  von  ausgedrückten  Acten  auf- 
merksam macht,  rait  deren  Analyse  die  vorliegende  Untersuchung 
eingesetzt  hat.'  Danach  können  unter  „ausgedrückten  Acten" 
gemeint  sein: 

1.  Die  significativen  Acte,  welche  dem  Ausdruck  überhaupt 
Bedeutung  verleihen  und  in  ihrer  significativen  Weise  eine  gewisse 

t  Gegenständlichkeit  meinen. 
2.  Die  intuitiven  Acte,  welche  öfters  die  signifieative  Meinung 
des  Ausdru€ks  eriiillen,  also  die  siguificativ  gemeinten  Gegenstände 
intuitiv,  und  zwar  in  einem  gleichen  intuitiven  „Sinne"  vergegen- 
wärtigen. 


'  Vgl.  §2,  oben  S.  482  f. 


3.  Die  Acte,  welche  in  jedem  Falle,  wo  ein  Ausdruck  die 
eigenen  momentanen  Erlebnisse  des  .Sprechenden  ausdrückt 
sc.  im  zweiten  Sinne),  die  Gegenstäntie  der  .Signification  und 
zugleich  Intuition  sind.  Gehören  diese  Acte  nicht  zu  den  übjec- 
tivirenden,  so  können  sie  ihrer  Natur  nach  niemals  in  den  siib  1. 
und  2.  bezeichneten  Functionen  stehen. 

Der  Grund  aller  Schwierigkeit  liegt  aber  darin,  dafs  in  der 
directen  Anwendung  der  Ausdrücke,  bozw.  ausdrückenden  Acte, 
auf  die  intuitiv  erfaßten  inneren  Erlebnisse,  die  signifieativen 
Acte  durch  die  ihnen  zugehörigen  inneren  Anschauungen  voll- 
ständig erfüllt,  also  die  beiden  aufs  innigste  verschmolzen  sind, 
während  zugleich  die  Anschauungen,  als  innere,  in  der  schlichten 
Präsentation  der  bedeuteten  Acte  aufgehen. 

Schliefslich  sei  noch  angemerkt,  dals  der  oben  gegen  Bolzäno 
gewendete  unterschied  —  ob  nur  die  subjoctive  Einrede  (die 
auf  Wahrhaftigkeit  oder  Angemessenheit  des  Ausdrucks  bezügliche) 
gemacht  werden  könne,  oder  auch  die  sachliche  Einrede  (welche 
auf  objective  Wahrheit  und  Falschheit  geht)  —  genau  besehen  mit 
der  hier  strittigen  Frage  nicht  wesentlich  zusammenhängt.  Denn  er 
betrifft  ganz  allgemein  den  Unterschied  zwisclien  Ausdrücken, 
die  sich  auf  die  eigenen,  intuitiv  erfafsten  Acterlobnisse  beziehen, 
und  solchen,  die  es  nicht  tluin.  Von  den  Ersteren  sind  aber 
Viele   ganz   unbestrittene  Prädicationen.      So    alle   Aussagen    der 

Form  ich  frage,  ob ich  befehle  oder  wünsche,  dafs  . . .,  u.  dgl. 

Und  wolgemerkt:  auch  bei  den  so  fornuilirten  subjectiven  Urtheileu 
kann  keine  sachliche  Einrede  gemacht  werden.  Sie  sind  zwar 
wahr  oder  falsch,  aber  Wahrheit  füllt  hier  mit  Wahrhaftig- 
keit zusammen.  Bei  anderen  Aussagen,  die  auf  „Objectives" 
gehen  (d.  i.  nicht  auf  das  sich  aussprechende  Subject  und  seine 
Erlebnisse),  betrifTt  die  sachliche  Frage  die  Bedeutung;  die  Frage 
der  Wahrhaftigkeit  hängt  aber  mit  der  Möglichkeit  scheinbaren 
Aussagens  zusammen,  wobei  der  eigentliche  und  normale  Act  des 
Bedeutens  fehlt.  Es  wird  gai'nicht  gourtheilt,  sondern  die  Aussage- 
bedeutung im  ZiLsammenhang  einer  Täuschungsintention  vorgestellt. 


Beilage. 

Aeufsere  und  ioDere  Wahrnehmung.    Physische  nnd 
psychische  Phänomene. 

1. 

Die  Begriffe  äufsere  und  Selbstwahniehrnmig ,  sinnliche  und 
innere  Wahrnehmung  haben  für  den  naiven  Menschen  folgenden 
Gehali  Aeufsere  "Wahrnehmung  ist  die  Wahrnehmung  von 
äulseren  Dingen,  ihren  Beschaffenheiten  und  Verhältnissen,  ihren 
Veränderungen  und  Wechselwirkungen.  Selbstwahrnehraung  ist 
die  "Wahrnehmung,  die  Jeder  von  seinem  eigenen  Ich  und  dessen 
Eigenschaften,  Zuständen,  Bethätigungen  haben  kann.  Auf  die 
Frage,  wer  denn  dieses  wahrgenommene  Ich  sei,  würde  der  naive 
Mensch  durch  den  Hinweis  auf  seine  körperliche  Erscheinung,  durch 
Aufzählung  seiner  vergangenen  und  gegenwärtigen  Erlebnisse  be- 
antworten. Auf  die  weitere  Frage,  ob  denn  all  das  in  der  Selbst- 
wahrnehmung mitwahrgenommen  sei,  würde  er  natürlich  ant- 
worten, dafe  ganz  so,  wie  das  wahrgenommene  Auibending  viele 
Eigenschaften  habe  und  im  Flusse  der  Veränderungen  gehabt 
habe,  die  augenblicklich  nicht  „in  die  "Wahrnehmung  fallen",  so 
auch  für  das  wahrgenommene  Ich  das  Entsprechende  gelte.  In 
die  wechselnden  Acte  der  Selbstwahrnehmung  fielen  vom  Ich 
je  nach  umständen  diese  oder  jene  Vorstellungen,  Gefühle, 
Wünsche,  leibliche  Bethätigungen  u.  dgl,  wie  z.B.  vom  Hause  bald 
das  Aeufsere  oder  Innere,  bald  diese  oder  jene  Seiten  und  Theile 
in  die  äufsere  Wahrnehmung  fallen.  Selbstverständlich  sei  darum 
doch  das  Ich  im  einen,  das  Haus  im  anderen  Falle  der  wahr- 
genommene Gegenstand. 


Aeufsere  utid  innere  Währnelmmng  u.  s.  w.  695 

Für  den  naiven  Menschen  coincidirt  das  zweite  Begriffspaar, 
das  der  sinnlichen  und  inneren  Wahrnehmung  nicht  ganz 
mit  dem  eben  erörterten,  dem  der  äufserenundSelbstwahmehmung. 
Sinnlich  wahrgenommen  ist,  was  durch  Auge  und  Ohr,  Geruch 
und  Geschmack,  kurz  durch  die  Sinnesorgane  wahrgenommen  ist 
In  diesen  Bereich  gehören  für  Jedermann  nicht  blofs  die  äufseren 
Dinge,  sondern  auch  der  eigene  Leib  und  die  eigenen  leiblichen 
Bethätigungen ,  wie  Gehen  und  Essen,  Sehen  und  Hören.  Anderer- 
seits werden  als  innerlich  wahrgenommen  hauptsächlich  die  „geisti- 
gen" Erlebnisse,  wie  Denken,  Fühlen,  Wollen  bezeichnet,  des- 
gleichen freilich  auch  Alles,  was  wie  diese,  in  das  Innere  des 
Körpers  localisirt  und  nicht  auf  die  Aulsenorgane  bezogen  wird. 

Im  philosophischen  Sprachgebrauch  geben  beiderlei  Termini  — 
gewöhnlich  bevorzugt  man  das  Paar  „innere  und  äufsere  Wahr- 
nehmung" — nur  Einem  Begriffspaare  Ausdruck.  Nachdem  Dkscahtes 
meiis  und  corpus  schroff  getrennt  hatte,  führte  Locke  unter  dem 
Titel  Sensation  und  reflexion  die  beiden  entsprechenden  Wahr- 
nehmungsklassen in  die  neuere  Philosophie  ein.  Diese  Scheidung 
ist  bis  heute  bestimmend  geblieben.  Die  äufsere  Wahrnehmung 
ist  nach  Locke  unsere  Wahrnehmung  von  Körpern,  die  innere  die 
Wahrnehmung,  die  unser  „Geist"  oder  die  „Seele"  von  den  eigenen 
Bethätigungen  (es  sind  die  cogitationes  im  Caktesianischen  Sinn) 
besitzt  So  ist  eine  Scheidung  der  Wahrnehmungen  be- 
stimmt durch  die  Scheidung  der  Wahrnehmungsobjecte. 
Ihr  wird  zugleich  ein  Untei-schied  in  der  Entstehungsweiso 
zugeordnet.  Im  einen  Fall  erwächst  die  Wahrnehmung  aus  den 
Wirkungen ,  welche  die  physischen  Dinge  mittelst  der  Sinnesorgane 
auf  den  Geist  ausüben;  im  anderen  Falle  aus  der  Reflexion  auf 
die  Bethätigungen,  die  der  Geist  auf  Grund  der  bereits  durch 
Sensation  gewonnenen  „Ideen"  vollzieht 

2. 

In  der  neuesten  Zeit  hat  man  sich  um  eine  angemessono 
Modification  und  Vertiefung  der  sichtlich  rohen  und  vagen  Be- 
stimmungen Lockes  viel  bemüht. 


Dazu  trieben  einerseits  allgemeine  erkenntnistheore- 
tische Interessen.  Wir  erinnern  an  die  althergebrachte  Scliätzung 
des  relativen  Erkenntiiiswertlies  der  beiden  Wahriiehnuingsarten: 
Die  äuTsere  Wahrnehmung  ist  trügerisch,  die  innere 
evident  In  dieser  Evidenz  liegt  einer  der  Grundpfeiler  der  Er- 
kenntnis, au  welchem  die  Skepsis  nicht  rütteln  kann.  Die  innere 
Wahmehnumg  ist  auch  die  einzige,  in  der  dem  Wulirnehumngs- 
acte  sein  Object,  und  wahrhaft,  entspricht,  ja  ihm  innewohnt.  Sie 
ißt  also,  prägnant  gesprochen,  die  einzige  Wahrnehmung,  die  ihren 
Namen  verdient.  —  Im  Interesse  der  WHlirnehmungstheorie  niufsto 
also  da.s  Wesen  der  inneren  im  Unterschied  von  der  äufseren 
Wahrnehmung  genauer  erfor-scht  werden. 

Andererseits  kamenpsychologische  Interessen  in  Betracht. 
Es  handelte  sich  um  die  vielumstritteno  Fixirung  der  Domäne 
der  empirischen  Psychologie,  üuninl  um  den  Nachweis  ihrer 
Eigenbereehtigimg  gegenüber  den  Wissenschaften  von  der  Natur, 
durch  Absteckung  eines  ihr  eigenthümlichen  Gebietes  von  Phäno- 
menen. Schon  die  erkcniitnistheoretische  Stellung,  welche  man 
der  Psychologie  als  der  philosophischen  Fundamentitliüsciplin  ein- 
zuräumen liebte,  fordurto  hierbei  eine  Definition  ihrer  Objecto, 
die  erkenntnistheoretisch  möglichst  unverbindlich  war,  also  nicht 
transcendeute  Realitäten,  zunml  so  umstrittener  Art  wie  Seele  und 
Körper,  in  der  Weise  selbstverständlictier  Gegebenheiten  behandelte. 
Eben  diese  Voraussetzung  machte  Locke's  Klassifieation  der  Wahr- 
nehmungen, sie  war  also  unmittelbar  nicht  geeignet  (freilich  auch 
nicht  dazu  bestimmt),  eine  Definition  der  Psychologie  zu  be- 
gründen und  den  berührten  Interessen  zu  genügen.  Ueberdies 
ist  es  klar:  wurde  auf  Grund  des  vorausgenommenen  Unterschiedes 
zwischen  körperlichen  und  geistigen  Dingen,  ein  Unterschied  der 
Wahrnehmungen  statuirt,  so  konnte  dieser  nicht  dazu  dienen, 
seinerseits  zwischen  der  Wissenschaft  von  den  körperlichen  und 
derjenigen  von  den  geistigen  Erecheinungen  einen  Scheidungs- 
grund  abzugeben.  Anders  lag  die  Sache,  wenn  es  gelang,  unter 
Beibehaltung  der  Klassenumfiinge,  rein  descriptive  Merkmale 
für  die  Sonderung  der  Wahrnehmungen,    bezw.    für   die  Son- 


I 


ficrung  dor  ihnen  entspreclienrlen  körperlicfien  und  seelischen 
I'liihiiiiiienu  zu  gewinnen;  also  Merlcnialt.',  welche  keinerlei  er- 
koDiitiüsthooretisclio  Vuravisaetziingen  beanspruchten. 

Eineil  gangbaren  Weg  schien  hier  die  Caktesünische  Zweifels- 
betritclitung  zu  eröffnen,  vermöge  iles  iu  ihr  hervortretenden 
erkenutnisthooretischen  Charakters  der  inneren  Wahrnehmung.  Wir 
luihen  ihn  oben  schun  berührt.  Der  Godaukengang,  der  sich  hier 
anspinnt,  ist  folgender: 

Wie  weit  immer  ich  den  orkenntniskri tischen  Zweifel  aus- 
dehnen mag,  daran,  dafs  ich  bin  und  zweifle,  und  wieder,  dafs 
icli  vitrstelle,  urtheile,  fiüdo,  oder  wie  sonst  die  innerlieh  wahr- 
geniiinmenen  Erscheinungen  heilsen  mögen  —  darau  kann  ich, 
wälirend  ich  sie  eben  erlebe,  nicht  zweifeln;  ein  Zweifel  in  solchem 
Falle  wäre  evident  widervernünftig.  Also  vom  Bestände  derGegon- 
stäudo  der  inneren  Wahmehnumg  haben  wir  „Evidenz",  jene 
klarste  Erkenntnis,  jene  unanfechtbare  Gewifshoit,  welche  das 
Wissen  im  strengsten  Sinne  auszeichnet.  Ganz  anders  verhält  es 
sich  mit  der  äufsereu  Wahruehuiung.  Ihr  mangelt  die  Evidenz, 
und  thatsachlich  weist  auch  ein  mannigfacher  Widei-streit  in  den 
ihr  vertrauenden  Aussagen  darauf  hin,  dafs  sie  fähig  sei,  uns 
Täuscluingon  vorzuspiegeln.  Wir  haben  also  von  vomlierein  kein 
Recht  zu  glauben,  dafs  die  Gegenstände  der  äufseren  Wahr- 
nehmungen, so  wie  sie  uns  erscheinen,  wahrhaft  und  wirklich 
existiren.  Ja  wir  haben  sogar  gute  Gründe  anzunehmen,  dafs 
sie  in  Wirklichkeit  überhaupt  nicht  existiren,  also  nur  eine 
phänoraeuale  oder  „intentionale"  Existenz  beanspruchen  können. 
Rechnet  man  zum  Begriff  der  Wahmehnumg  das  Wirklichsein 
des  wahrgenommenen  Objects,  so  ist  die  äufsere,  in  diesem 
strengen  Sinne,  überhaupt  nicht  Wahrnehmung.  Jedenfalls  liefert 
uns  der  Charakter  der  Evidenz  schon  ein  descriptives 
Merkmal,  welches  die  einen  und  anderen  Wahrnehmungen  unter- 
scheidet und  aller  Voraussetzungen  über  metaphysische  Realitäten 
ledig  ist.  Es  ist  ein  Charakter,  der  mit  dem  Wahrnehmungs- 
erlebnis selbst  gegeben  ist,  bezw.  fohlt,  und  dies  allein  bestimmt 
die  Scheidung. 


k 


698  Beilaffe:  Aeufsere  und  innere  Wahmehmutig. 

Betrachten  wir  nun  auch  die  Phänomene,  die  uns  in  den 
einen  und  anderen  Wahrnehmungen  dargeboten  werden,  so  con- 
stituiren  sie  unverkennbar  wesentlich  verschiedene  Klassen. 
Damit  will  nicht  gesagt  sein,  dals  die  Gegenstände  an  sich,  die 
wir  ihnen,  ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  supponiren,  also  die  Seelen 
und  Körper  wesentlich  verschieden  sind;  sondern  rein  descriptiv 
betrachtet,  unter  Absehen  von  aller  Transscendenz,  ist  zwischen 
den  Phänomenen  ein  unüberbrückbarer  Unterschied  zu  consta- 
tiren.  Auf  der  einen  Seite  finden  wir  die  Sinnesqualitäten, 
die  für  sich  schon  eine  descriptiv  geschlossene  £inheit  bilden, 
möge  es  nun  so  etwas  wie  Sinne  und  Sinnesorgane  geben  oder 
nicht.  Es  ist  eine  Gattung  im  strengen  Aristotelischen  Sinne  des 
Wortes.  Dazu  treten  die,  sei  es  an  Sinnesqualitäten  überhaupt,  sei 
es  an  einzelne  Qualitätskreise  (wieder  strenge  Aristotelische  Arten) 
nothwendig  geknüpften  Momente,  so  wie  umgekehrt  Momente, 
die  ihrerseits  nothwendig  Qualitäten  voraussetzen  und  nur  mit 
ihnen  vereint,  concretes  Sein  werden  können.  Hier  kommen  be- 
kannte Sätze  in  Betracht,  z.  B.  kein  Bäumliches  der  Anschauung 
ohne  Qualität;  nach  Manchen  soll  auch  die  Umkehrung  bestehen: 
keine  Qualität  ohne  Bäumllches.  Andere  lassen  hier  nur  gewisse 
Besonderungen  gelten:  keine  Farbe,  keine  tactile  Qualität  ohne 
Räumliches  u.  dgl.  Weitere  hierhergehörigo  Sätze  wären:  keine 
Tonqualität  ohne  Intensität,  keine  Klangfarbe  ohne  Tonqualitäten, 
und  sü  weiter.  1 

Auf  der  anderen  Seite  finden  wir  Phänomene  wie  Vorstellen, 
Urtheileu,  Vermuthen,  Wünschen,  Hoffen  u.  s.  w.  Wir  treten  hier 
sozusagen  in  eine  andere  Welt.  Die  Phänomene  mögen  auf  Sinn- 
liches Beziehung  haben,  aber  sie  selbst  sind  mit  dem  Sinnlichen 
„unvergleichbar";  genauer,  sie  sind  nicht  von  ein  und  dei-selben 


'  Es  ist  auffallend,  dafs  man  es  nie  versucht  hat,  auf  diese  an- 
schaulichen Zusammengehörigkeiten  eine  positive  Bestimmung  für  die  r  phy- 
sischen Phänomene"  zu  gründen.  Indem  ich  auf  sie  hinweise,  falle  ich  freilich 
aus  der  Rolle  des  Referenten  etwas  heraus.  Natürlich  müfate  man  zum  Zwecke 
ihrer  ernstlichen  Yerwendoog,  auf  den  Doppelsinn  der  Rede  von  physischen 
Phänomenen,  den  wir  bald  erörtern  werden,  passende  Rücksicht  nehmen. 


(echten)  Gattung.  Hat  man  sich  zunächst  an  Beispielen  die  de- 
scriptivc  Einheit  dieser  Khisse  zur  Klnrheit  gebraclit,  so  findet  sich 
bei  einiger  Achtsamkeit  auch  ein  positives  Merkmal,  welches  sie 
kennzeichnet;  nämlich  das  Merkmal  der  „intentionalen  TnexistenK". 

Natürlich  kann  nun  auch  die  obige  descriptive  Unterscheidung 
der  inneren  und  iiufseren  Wahrnehmungen  zu  einer  ebensolchen 
der  beiderlei  Klassen  von  Phänomenen  dienen.  Es  ist  jetzt  eine 
gute  Definition,  zu  sagen:  die  psychischeu  Phänomene  sind  die 
Phänomene  der  inneren,  die  physischen  diejenigen  der  äufseren 
Wahrnehmung. ' 

Auf  solche  Woi.se  scheint  eine  genauere  Betrachtung  der 
beiden  Arten  von  Wahrnehnumgen  nicht  nur  auf  eine  descriptive 
und  erkenntnistheoretisch  bedeutsame  Charakteristik  dieser  selbst, 
sondern  auch  auf  eine  fundamentale  und  abermals  descriptive 
Scheidung  der  Phäiiumene  iu  zwei  Klassen,  in  die  der  physischen 
und  psychischeu  Phänoujcno,  hiuznt'ühreii.  Zugleich  erscheint  das 
Ziel  einer  metaphysisch  unverbindlichen,  nicht  durch  die  ver- 
meintlichen Gegebenheiten  der  tnmscendenten  Welt,  sondern  ihurli 
die  wahrhaften  Gegebenheiten  der  Erscheinung  orientirten  De- 
finition für  Psychologie  uud  Naturwissenschaft  erreicht. 

Die  physischen  Phänomene  sind  nun  nicht  mehr  als  die  Er- 
scheinungen definirt,  welche  aus  der  Einwirkung  der  Körper  auf 
unsere  Seele  mittelst  der  Sinnesorgane  herrühren;  die  psychischen 
Phänomene  nicht  mehr  als  die  Erscheinungen,  welche  wir  in  der 
Wahrnehmung  der  Bothätigungen  unserer  Seele  vorfinden.  Beider- 
seits ist  jetzt  einzig  und  allein  der  descriptive  Charakter  der  Phäno- 
mene, so  wie  wir  sie  erleben,  mafsgebend.  Demnach  kann  die 
Psychologie  nun  als  die  Wissenschaft   von   den  psychischen,  die 


'  So  bezeichnet  os  Bukntano  (Psyohologia  I,  118  u.  f.)  als  ein  „unter- 
äcbeideiiJes  Merkmiil"  aller  psycbisuben  PbänoaieDe,  „dab  die  aar  in  innerem 
BewtiTstsein  wabrgunommen  worden,  während  bpi  den  physischen  nur  diilsero 
Wahrnehmung  möglich  ist."  Ausdrüi-kliuh  hoifst  es  S.  119,  durch  diese  Be- 
stimmung seien  die  psychischen  PhJinoniene  „genügend  cbarakterisirt." 
Inneres  Bewutstsoin  ist  hiebei  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  innere  "Wahr- 
nehmung. 


Naturwissetisohaft  als  diejenige  von  den  physischen  Erscheinungen' 
definirt  werden. 

Diese  Definitiimen  bedürfen  aber,  um  dem  Bestände  der  ge-l 
gobenen  Wissenschaften  wirklich  zu  entsprechen,  gewisser  Ein- 
schränkungen, weiche  auf  die  erklärenden  metaphysischen  Hypo- 
thesen hinweisen;  jedoch  nur  als  erklärende  Hypothesen,  während 
immer  noch  die  Pliänomeno  in  ihren  descriptiven  ünterscbieden- 
heiten  als  die  wahren  Ausgangspunkte  und  als  die  zu  erklärenden 
Objecte  erscheinen. 

„Vor  Allem  bedarf  die  Definition  der  Naturwissenschaft  ein- 
schränkender Boatiramungen.  Denn  sie  handelt  nicht  von  allen  phy- 
sischen Phänomenen;  nicht  von  denen  der  Phantasie,  sondern  nur  voo 
denen,  welche  in  der  Empfindutig  anftreten.  Und  auch  fflr  diese 
stellt  sie  die  Gesetze  nur  insoweit,  als  sie  von  der  physischen  Reizung 
der  Sinnesorgane  ablifuigon,  fest.  Man  könnte  die  wissenschaftliche 
Aufgabe  der  Natnrwisson.schaft  etwa  so  ausdrücken,  dafs  man  sagte: 
die  Naturwissenschaft  sei  die  Wissenschaft,  welche  die  Aufeinander- 
folge der  physischen  Phänomene  normaler  und  reiner  (durch  keine  be- 
sonderen psychischen  Zustände  und  Vorgänge  beeiiiflufster)  Sensationen 
auf  Orund  der  Annahme  der  Einwirkung  einer  niumähulich  in  drei 
Dimensionen  ausgebreiteten  und  zeitähnlich  in  einer  Dimension  ver- 
laufenden "Welt  auf  unsere  Sinnesorgane  zu  erklären  suche.  Ohne 
über  die  absolute  Beschalfonheit  dieser  Welt  Aufschlufs  zu  geben, 
begnüge  sie  sich  damit,  ihr  Ki'äfte  zn«uschreil>en,  welche  die  Empfin- 
dungen hervorbringen  und  sieh  gegenseitig  in  ihrem  Wirken  beein- 
flussen, und  stelle  für  diese  Kräfte  die  Gesetze  der  Coexistenz  und 
Succession  fest.  In  ihnen  giebt  sie  dann  indiract  die  Gesetze  der 
Aufeinanderfolge  der  physischen  Phänomene  der  Emjiflndungen,  wie 
diese,  durch  wissenschaftliche  Abstraction  von  psychii-u-hen  Mitbetlin- 
gungen,  als  rein  und  bei  unveränderlicher  Empfindungsfäliigkeit  .statt- 
findend getlacht  werden.  —  In  dieser  etwas  oomplicirten  Weise  mufs  man 
also  den  Ausdruck  'Wissenschaft  von  den  physischen  Phänomenen'  deuten, 
wijnn  mau  ihn  mit  der  Naturwissenschaft  als  gleichbedeutend  setzt".' 


Brwitano,  Psych.  I.  127  und  128. 


„HiiiBichtliuh  der  Begriffstestimmung  der  Psychologie  möchto  es 
zwar  den  Anschein  haben,  als  ob  der  Begriff  des  psychischen  Pliäno- 
mens  eher  zu  erweitern  als  zu  verengen  sei,  indem  die  physischen 
Phänomene  der  Pliantasie  wenigstens  ebenso  wie  die  psychischen  in 
dem  frQlier  bestimmten  Siuue  ganz  ihrer  Betrachtuug  auheiiiifalloii, 
und  auch  diejenigen,  welche  in  der  Empfindung  auftreten,  in  der 
Lehre  voa  der  Sensation  nicht  unberücksichtigt  bleiben  können.  Allein 
es  ist  offenbar,  dafs  sie  nur  als  Inhalt  psychischer  Phänomene  bei  der 
Beschreibung  der  Eigenlhilmlichkeit  derselben  in  Betracht  kommen. 
Und  dasselbe  gilt  von  allen  psycliischen  Phänomeuen,  die  ausscldiefs- 
lick  phänomenale  Existenz  haben,  Als  eigentlichen  Gegenstand  der 
Psychologie  werden  wir  nur  die  psychischen  l'hänoraene  in  dem  Sinne 
von  wirklichen  Zuständen  anzusehen  haben.  Und  sie  ausschhelslieh 
sind  es,  in  Bezug  auf  welche  wir  sagen,  die  Psychologie  sei  dio 
Wissenschaft  von  den  psychischen  Phänomenen".' 


Die  interessante  Gedankenreihe,  die  ich  soeben  vorgetragen 
habe,  repräsentirt,  wie  schon  aus  den  längeren  Citutioneu  ersicht- 
lich ist,  den  Standpunkt  Brenta.no's*  und  zugleich  den  einer  ganzen 
Reibe  ihm  wissenschaftlich  nahestehender  Forscher.  Die  innere 
WahruehüQung  spielt  übrigens,  wie  bekannt,  auch  weiterhin  in 
Brentaa'o's  Psycliologie  eine  bedeutsame  Rolle.  Ich  weise  hier 
nur  auf  seine  Lehre  vom  inneren  Bewulstsein  hin.  Jedes  psychi- 
sche Phänomen  ist  nicht  nicht  nur  Bewulstsein,  sondern  selbst 
zugleich  Inhalt  eines  Bevvufstseins,  und  zwar  auch  bewufst  im 
engeren  Sinne  der  Wahrnehmung.  Der  Flufs  der  inneren  Erleb- 
nisse ist  also  zugleich  ein  contiuuiriicher  Flufs  innerer  Wahr- 
nehmungen, die  aber  mit  den  bezüglichen  psychischen  Erlebnissen 
in  besonders  inniger  Weise  Eins  sind.    Die  innere  Wahrnehmung 


'  Brkntano  a.a.O.  S.  129 f. 

*  Bis  auf  das  S.  698  angedeutete  positive  Merkmal  für  die  physischen 
I'hiiDomene.  Im  Debrigen  hoffe  ich  bei  der  Heniusarbeituug  der  leitenden  Ge- 
siiihlspunkte,  die  für  die  Lehren  dos  von  mir  liouligeschätz-ten  Denkers  uinfs- 
gebeud  sein  mouhteu,  das  Richtige  getruITtiu  zu  haben. 


702  Beilage:  Aeußere  wid  innere  Waltmelimung. 

ist  nämlich  kein  zweiter,  selbständiger  Act,  der  zu  dem  bezüg- 
lichen  psychischen  Phänomen   hinzutritt,  sondern   dieses  enthält 
neben  seiner  Beziehung  auf  ein  primäres  Object,  etwa  den  äulser- 
lieh  wahrgenommenen  Inhalt,   „sich  selbst  seiner  Totalität  nach 
als  vorgestellt   und   erkannt"  *.     Indem  der  Act  direct  auf  sein 
primäres  Object  gerichtet  ist,  ist  er  nebenbei  zugleich  auf  sich 
selbst  gerichtet.    So  wird  die  unendliche  Verwicklung,  zu  welcher 
das  alle  psychischen  Phänomene  begleitende  Bewufstsein  (dessen 
Mehrfältigkeit  geniäfs  den   drei   Grundklassen  auch  eine   innere 
Wahrnehmung  enthält)  zu  drängen  scheint,  vermieden.    Auch  soll 
so  die  Evidenz  und  Untrüglichkeit  der  inneren  Wahrnehmung  er- 
möglicht   werden.^     Im    üebrigen    ist   hier  Brentano   in    einem 
Hauptpunkte,  in  der  Interpretation  des  Bewufstseins  als  continuir- 
licher   innerer   Wahrnehmung,    mit  grofsen  älteren  Denkern   in 
Harmonie.    Selbst  Locke,  ein  treuer  Schüler  der  Erfahrung,  de- 
finirt  das  Bewufstsein  als  Wahrnehmung  dessen,  was  im  eigenen 
Geiste  eines  Menschen  vor  sich  geht' 

Brestano's  Theorien  haben  vielfachen  Widerstand  erfahren. 
Dieser  richtet  sich  nicht  nur  gegen  die  zuletzt  berührten  Lehren 
über  das  innere  Bewufstsein  mit  seiner  feinsinnig  construirten, 
aber  jedenfalls  durch  keine  Erfahrung  zu  begründenden  Mehr- 
föltigkoit;  sondern  schon  gegen  seine  Scheidung  der  Wahrnehmungen 
und  Phänomene,  und  zumal  auch  gegen  die  darauf  basirte  Be- 
stimmung der  Aufgaben  von  Psychologie  und  Naturwissenschaft* 


'  A.  a.  0.  182. 

»  A.  a.  0.  Buch  n.    3.  Kap.  S.  182  ff. 

°  Lockb's  Essay  II,  1 ,  19.  Freilich  ist  T^ckr  mit  sich  nicht  ganz  einig, 
sofern  er  ausdrücklich  die  perception  als  Auffassung  von  Ideen  bezeichnet,  und 
dann  doch  die  Auffassung  der  Ideen  von  psycLisuben  Thätigkeiten  von  beson- 
deren Acten  der  reflexion  abhängig  macht,  die  zu  diesen  Thätigkeiten  nur 
gelegentlich  hinzutreten.  Dies  hangt  sichtlich  mit  dorn  unseligen  Zwitter- 
begriff idea  zusammen,  der  promiseue  die  Vorstellungen  von  erlebbarcn 
Inhalten,  und  dann  wieder  die  erlebten  Inhalte  selbst  befafst.  Vgl.  unsere 
Untersuchung  II,  §  10,  8.  127. 

''  In  der  Kritik  pflegt  man  sich,  wie  mir  auflallt,  allein  an  die  erat«n 
und  nur  vorläufigen  Bestimmungen  Brxntano's  zu  halten  —  der  Psychologie 


Physische  und  psychisclie  Pliätwnnene.  703 


Die  einschlägigen  Fragen  sind  im  letzten  Jahrzehnt  wiederholt  zu 
(Gegenständen  ernster  Discussion  geworden,  und  es  ist  beklagens- 
werth,  dafs  trotz  ihrer  fundamentalen  Wichtigkeit  für  Psychologie 
und  Erkenntnistheorie  Einigung  nicht  erzielt  werden  konnte. 

Im  Ganzen  wird  man  urtheilen  müssen,  dafs  die  Kritik  nicht 
tief  genug  drang,  um  die  entscheidenden  Punkte  zu  treflTen  und 
das  unzweifelhaft  Bedeutsame  in  Brentano's  Gedankenraotivon  von 
dem  Irrigen  in  ihrer  Ausgestaltung  zu  sondern.  Dies  liegt  daran, 
dafs  die  in  diesen  Discussionen  umstrittenen  Fundaraentalfragen 
der  Psychologie  und  Erkenntnistheorie  nicht  genug  geklärt  sind, 
eine  natürliche  Folge  der  Mangelhaftigkeit  der  phänomenologischen 
Analysen.  Beiderseits  blieben  die  Begriffe,  mit  denen  man  operirte, 
mehrdeutig,  beiderseits  verfiel  man  daher  in  trügerische  Verwechs- 
lungen. Dies  wird  in  der  nachfolgenden  Kritik  der  lehrreichen 
Ansichten  Brentano's  hervortreten. 


Nach  Brentano  unterscheidet  sich  die  innere  von  der  äufseren 
Wahrnehmung 

1.  durch  die  Evidenz  und  Untriiglichkeit  und 

2.  durch  die  wesentlich  verschiedenen  Phänomene.  In  der 
inneren  Wahrnehmung  erfahren  wir  ausschlielslich  die  psychischen, 
in  der  äufseren  die  physischen  Phänomene.  Vermöge  dieses  ge- 
nauen Parallelismus  kann  ja  der  an  erster  Stelle  genannte  Evidenz- 
unterschied auch  als  charakteristisches  Scheidungsmerkmal  für  die 
wahrnehmbaren  Phänomene  dienen. 

Demgegenüber  will  es  mir  scheinen,  dafs  innere  und  äufsero 
Wahrnehmung,  wofern  man  diese  Termini  naturgomäfs 
versteht,  von  ganz  gleichem  erkenntnistheoretischen 
Charakter  sind.    Ausführlicher  gesprochen:  es  giebt  zwar  einen 


als  Wissenschaft  von  den  psychischen ,  der  Naturwissenschaft  als  Wissenscliaft 
von  den  physischen  Phänomenen  —  ohno  der  ^stillschweigenden  Beschränkungen" 
zu  gedenken  ,die  Brentano  selbst  mit  der  ihm  eigenen  Klarheit  und  Schärf« 
vorgetragen  hat.  Umso  lieber  habe  ich  sie  oben  duifh  ausfuhrliche  Üitate  in 
Erinnerung  gebracht 


wolbereohtigten  Unterschied  zwischen  evidenter  und  nicbtevi- 
donter,  imtrügliclier  uml  tiüglicher  "Wahrnehmung.  Versteht  ni«n 
aber,  wie  es  natürlich  ist,  und  wie  Brentano  es  wo!  auch  tJiut,  unter 
äufserer  Wabrnehmung  die  Wahrnehmung  von  physischen  Dingen, 
Eigenschaften,  Vorgängen  u.  s.  w.,  »ind  danach  unter  innerer 
Wahrnehmung  allo  übrigen  Waiirnehniuugen:  dann  coincidirt  diese 
Eintheilung  durchaus  nicht  mit  der  vorigen.  So  ist  jede  Wabrneb- 
muQg  des  Ich,  oder  jede  auf  das  Ich  bezogene  Wahrnehmung  eines 
psychischen  Zustandes  gewifs  nicht  evident,  wenn  unter  Ich  ver- 
standen ist,  was  Jedermann  darunter  versteht,  und  was  Jerlerraann 
in  der  Ichvvahrnehmung  wahrzunehmen  glaubt,  nämiich  die  eigene 
enipirisclie  Persönlichkeit.  Auch  ist  es  klar,  dafs  die  meisten 
WahiTiehmungen  psychischer  Zustande  nicht  evident  sein  können. 
da  sie  leiblich  Incalisirt  wahrgenomracn  werde)).  Dafs  die  Angst 
mir  die  Kehle  ntschnürt,  dafs  der  Schnierx  im  Zahne  bohrt,  dafs 
der  Kwmner  im  Herxen  nagt,  das  nehme  ich  genau  in  dem  Sinne 
wahr,  wie  dafs  der  Wind  die  Bäume  schüttelt,  dafs  diese  Schachtel 
quadratisch  taid  braun  gefärbt  ist  u.  dergl.  Hier  sind  freilich 
)nit  der  inneren  auch  äufscre  Wahrnehmungen  vorhanden;  aber 
das  ändert  nichts  daran,  dafs  die  wahrgenommenen  psychischen 
Phänomene,  so  wie  sie  wahrgenommen  sind,  nicht  existiren. 
Oder  sollen  wir  sagen,  auch  psychische  Phänomene  könnten  äufser- 
licli  wahi'genommen  werden?  Damit  wäre  übrigens  wenig  ge- 
wonnen. Denn  auch  wu  Sinnliebes  aufser  Spiele  bleibt,  kann  ein 
psychisches  Phänomen  falsch  wahrgenommen  werden.  Jede  Schein- 
evidenz ist  ein  Beispiel.  Wir  nehmen  sie  wahr,  obschon  sie  gar- 
nicht  besteht. 

Ich  weifs  wol,  was  mau  hier  einwenden  wird:  ob  uns  denn 
der  ünlei-schied  zwischen  Walirneh)nung  und  Interpretation 
entgangen  sei.  Innere  Wahrnehmung  bedeute  das  schliclit-bewurste 
Erleben  der  psychischen  Acte,  sie  werden  hier  genommen  als  das, 
was  sie  sind,  und  nicht  als  das,  als  was  sie  aufgefafst,  inter- 
pretirt  werden.  Indessen  sollte  man  denken,  dafe,  was  für  die 
innere  Wahrnehmung  recht,  auch  für  die  äufsere  billig  sein  müsse. 
Liegt  das  Wesen  der  Wahrnehmung  nicijt  in  der  Interpretation, 


I 


dann  ist  alles  Reden  von  Wahrnehmung  in  Beziehung  auf  Aeufseres, 
auf  Berge,  Wälder,  Häuser  u.  dgl.  verkehrt,  der  normale  Sinn 
dee  Wortes  Wahrnehmung,  der  sich  doch  vor  Allem  in  diesen 
Fällen  klar  bekundet,  wäre  ganz  aulgegeben.  Aeufsero  Wahr- 
nehmung ist  Interpretation,  also  fordert  die  Einheit  des  Begriffs, 
dafs  es  auch  die  innere  sei.  Zur  Wahrnehmung  gehört,  dafs  etwas 
in  ihr  erscheine;  aber  die  Interpretation  macht  aus,  was 
wir  Erscheinen  nennen,  mag  sie  unrichtig  sein  oder  nicht, 
mag  sie  sich  getreu  und  adäquat  an  den  Rahmen  des  luuuittelbar 
Gegebenen  halten,  oder  ihn,  künftige  Wahrnehmung  gleichsam 
anticipirend,  überschreiten.  Das  Haus  erscheint  mir  —  wodurch 
anders,  als  dafs  ich  die  wirklich  erlebten  Sinnosinhalte  in  ge- 
wisser Weise  interpretire.  Ich  höre  einen  Leierkasten  —  die 
empfundenen  Töne  deute  ich  eben  als  Leierkastentöne.  Ebenso 
nehme  ich  intcrpretirend  meine  psychischen  Erscheinungen  wahr, 
die  „mich"  durchschauertidv  Seligkeit,  den  Kummer  im  Ilerxen 
u.  s.  w.  Sie  heifsen  „Erscheinungen",  oder  besser  erscheinende 
Inhalte,  eben  als  Inhalte  perceptiver  Interpretation. 

5. 

Der  Terminus  Erscheinung  ist  freilich  mit  Aequivokationen 
beschwert,  die  sich  gerade  hier  äufsei-st  uachtheilig  erweisen.  Es 
wird  nicht  unnütz  sein,  diese  Aequivocationen,  die  wir  schon  im 
Texte  der  vorstehenden  Untersuchungen  im  Vorbeigehen  berührt 
haben,  hier  explicite  zusammenzustellen.  Die  Rede  von  Erschei- 
nung hat  vorzugsweise  Beziehung  zu  den  Acten  des  anschaulichen 
Vorsteüens,  also  einerseits  zu  den  Acten  der  Wahrnehmung, 
und  andererseits  zu  denjorügen  der  Imagination,  d.  i.  der  Phan- 
tasievorstellung oder  der  (mit  Wahrnehmung  verwobencn)  Bild- 
vorstellung im  gewöhnlichen  Sinn.     Erscheinung  heifst  dann: 

1.  das  coucrete  Erlebnis  der  Anschauung  (das  anschaulich- 
gegenwärtig-  oder  vergegenwärtigt-Haben  eines  gewissen  Gegen- 
standes); also  z.  B.  das  concreto  Erlebnis,  wenn  wir  die  vor  uns 
stehende  Lampe  wahrnehmen.  Snfi-rn  dabei  der  qualitative  Cha- 
rakter des  Actes,  ob  wir  den  Gegenstand  für  seiend   luiltcu  oder 

Butsorl,  Lok.  Untani.  U.  45 


nicht,  keine  Rolle  spielt,  können  wir  von  ihm  auch  ganz  absebeo, 
und  dann  fallt  die  Erscheinung  mit  dem  zusammen,  was  wir  in 
der  letzten  Untersuchung^  als  Repräsentation  definirt  haben. 

2.  Der  angeschaute  (erscheinende)  Gegenstand  und  zwar  als  der- 
jenige, welcher  hie  et  nimc  erscheint;  z.  B.  diese  Lampe  als  das. 
was  sie  dieser  eben  vollzogenen  Wahrnehmung  gilt 

3.  In  beirrender  Weise  heifsen  aber  auch  die  reellen 
Bestandstücke  der  Erscheinung  im  rsten  Sinne,  in  dem  des 
concreten  Erscheinungs-  oder  Anschauungsactes,  selbst 
wieder  Erscheinungen.  Vor  Allem  heifsen  Erscheinungen  die 
präsentirenden  Empfindungen,  also  die  erlebten  Momente  Ton 
Farbe,  Form  u.  s.  w.,  welche  nicht  unterschieden  werden  von 
den  ihnen  entsprechenden  und  im  Acte  ihrer  „Deutung"  erschei- 
nenden Eigenschaften  des  (farbigen,  geformten)  Gegen- 
standes. Dafs  es  wichtig  ist,  zwischen  beiden  zu  unterscheiden, 
dafs  es  nicht  angeht,  die  Farbenempfindung  mit  der  erscheinenden 
Eigenschaft  der  Färbung,  die  Formempfindung  mit  der  gegen- 
ständlichen Form  U.S.  w.  zu  vermengen,  haben  wir  mehrfach  betont. 
Allerdings,  die  unkritische  Erkenntnistheorie  ignorirt  diese  Unter- 
scheidung. Auch  diejenigen,  die  es  ablehnen  würden,  mit  Schopen- 
HAüEM  zu  sagen  „die  Welt  ist  meine  Vorstellung",  pflegen  so  zu 
sprechen,  als  ob  dio  erecheinenden  Dinge  Complexionen  von 
Emptindungsinhalteu  seien.  Man  mag  mit  Recht  sagen,  dafs  die 
Dinge  der  erscheinenden  Welt  nach  allen  ihren  BeschafiFen- 
lieiten  aus  demselben  Stoff  constituirt  sind,  den  wir  als  Empfin- 
dungen zum  Bewulstseinsinhalt  recimen.  Aber  das  ändert  nichts 
daran,  dafs  die  erscheinenden  Eigenschaften  der  Dinge  nicht  selbst 
Empfindungen  sind,  sondern  nur  als  Empfindungen  gleichartig 
erscheinen.  Denn  nicht  sind  sie  wie  die  Empfindungen  im  Bewufst- 
suin  vorhanden,  vielmehr  als  erscheinende  Eigenschaften  in  ihm 
blofs  vermeint,  vorgestellt,  angenommen.  Und  demgemäfs  sind 
auch  die  wahrgenommenen  äufseren  Dinge  nicht  Complexionen 
von  Empfindungen;  sie  sind  viohuehr  Gegenstände  von  Erschei- 


Vgl.  VI,  §26,  8.663. 


nungen.  welche  Gegenstände  als  Complexionen  von  Inhalten  der- 
selben Arten,  wie  solche  als  Empfindungen  bestehen,  eben  erscheinen. 
Etwas  anders  gewendet  könnten  wir  das  Gesagte  auch  so  darlegen: 
unter  dem  Titel  Empfindungen  befassen  wir  gewisse  Gattungen 
von  sachlich  so  und  so  beatinunten  Erlebnissen  einer  Bewufst- 
seinseinbeit.  Kommt  es  nun  vor,  dafs  Realitäten  derselben 
Gattungen  aufserhalb  e.aer  Bewufstseinseinheit  auftreten,  oder 
vielmehr  als  aufserhalb  aiiitretend  erscheinen,  dann  mag  man  sie 
nach  den  betreffenden  Gattungen  benennen,  aber  Empfindungen 
sind  sie  nunmehr  nicht.  Und  auf  dieses  aufserhalb,  das  selbst- 
verständlich nicht  räumlich  zu  verstehen  ist,  legen  wir  den  Nach- 
druck. Wie  immer  die  Frage  der  E.\istenz  oder  Nichtexistenz 
der  phänomenalen  äufseren  Dinge  entschieden  werden  mag,  darüber 
ist  kein  Zweifel,  dafs  die  Realität  des  jeweils  wahrgenommenen 
Dinges  nicht  veretanden  werden  kann  als  Realität  einer  wahr- 
genommenen Empfiudungscomplexion  in  dem  wahraebmenden  Be- 
wufstsein.  Denn  es  ist  offenbar,  und  an  jedem  Beispiel  ist  es  zu 
bewähren,  dafs  diese  angebliche  Empfiudungscomplexion,  die  als 
Ding  wahrgenommen  sein  soll,  als  Ganzes  verschieden  ist  und 
unter  allen  Umständen  verschieden  ist  von  der  in  der  betreffenden 
Wahrnehmung  factisch  erlebten  EmpfinduDgscomplexion,  deren 
objective,  vergegenständlichende  Apperception  das  Wesen  der 
Wahrnehmungserscheinung  ausmacht. 

Sind  wir  nun  darüber  im  Klaren,  dafa  in  der  Anschauung 
zwischen  Empfindungen  als  Erlebnissen,  somit  als  Bostiindstiieken 
desSubjects,  und  phänomenalen  Bestimmtheiten,  als  Bestaudstücken 
des  intentionalen  Objects,  untei-schiedeu  werden  mufs,  und  dafs  ] 
sich  Beides  nur  in  dem  Idealfalt  adäquater  Anschauung  (der  für 
uns  nicht  in  Frage  kommt)  deckt:  so  sehen  wir  auch  leicht  ein, 
dafs  diese  eingewobenen  Empfindungen  nicht  selbst  als  Erschei- 
nungen gelten  können,  weder  als  Erscheinungen  im  Sinne  von 
Acten,  noch  als  Erscheinungen  im  Sinne  von  erscfieinenden  Gegen- 
ständen. Das  Erstere  nicht,  denn  unter  dem  Titel  Empfindungen 
fassen  wie  ja  gewisse  Nicht-Acte  zusammen,  die  allenfalls  in  Acten 
eine  objectivirende  Auffassung  erfahren;  das  Letztere  nicht,  weil 


zur  phänomenalen  Gegenständlichkeit  der  Empfindungen  Acte 
gehören  würden,  die  auf  sie  ihre  Intention  richten  müTsten.  Solche 
Acte  sind  zwar  möglich;  dafs  sie  aber  zum  Bestände  jeder  Wahr- 
nehmung, und  dies  mit  Beziehung  auf  ihre  präsentirenden  Empfin- 
dungen gehören,  wird  man  weder  durch  descriptive  Analyse,  noch 
durch  genetische  Gründe  je  als  nothwendig  erweisen  können.  All 
das  gilt  selbstverständlich  auch  fiir  imaginative  Anschauungen,  in 
Beziehung  auf  ihre  imaginativ  repräsentirenden  Inhalte- 
Ist  man  einmal  so  weit  gegangen,  alle  Bestandstücke  von 
Erscheinungen  im  Sinne  von  1.  selbst  als  Erscheinungen  anzu- 
sehen, so  ist  ein  weiterer,  kaum  noch  zum  Bewufstsein  kommender 
Schritt  der,  dafs  man  schlierslich  alles  Psychische  überhaupt,  alle 
Erlebnisse  in  der  ErlcbnJseinbeit  des  Ich  als  Phänomene  ansiebt 
Wie  der  Terminus  Erecheinung,  so  ist,  und  in  seinem  Ge- 
folge, auch  der  Terminus  Wahrnehmung,  und  sind  dann  weiter 
alle  anderen  Termini,  die  im  Zusammenbang  mit  Wahrnehmung 
gebraucht  werden ,  vieldeutig.  Diese  Vieldeutigkeiten  durchsetzen 
die  Wahmehmungstlieorien  mit  Irrthümern  der  Vermengung.  Wahr- 
genommen hoifst  z.  ß.  was  in  der  Wahrnehmung  „erscheint",  also 
ihr  Gegenstand  (das  Haus),  und  abermals  der  in  ihr  erlebte 
Empfindungsinhalt,  d.i.  der  Inbegriff  der  präsentirenden  Inhalte, 
die  in  ihrer  Complexion  als  das  Haus  und  einzeln  als  dessen 
Eigenschaften  „aufgefafst"  werden. 

6. 

Wie  täuschend  sich  diese  Vieldeutigkeiten  erweisen,  das  zeigt 
gerade  Brentjiko's  Theorie  mit  ihrer  Scheidung  von  innerer  und 
äufsorer  Wahrnehmung  nach  Evidenzcharakter  und  gesonderten 
Pbäuomengruppen.     Wir  hören; 

Die  äufsere  Wahrnehmung  ist  nicht  evident  und  sogar  trüge- 
risch. —  Dies  ist  zweifellos,  wenn  wir  unter  den  „physischen 
Phänomenen",  welche  sie  wahrnimmt,  die  physischen  Dinge,  bezw. 
ihre  Eigenschaften,  Veränderungen  u.  s.  w.  verstehen.  Indem  nun 
Bhestanü  diesen  eigentJichen  und  allein  zulässigen  Sinn  des  Wortes 
wukrgenommen  mit  dem  uneigenflichen  vertauscht,  der  statt  auf 


die  äufseren  Gegenstände,  vielmehr  auf  die  der  Wabrneliniung 
reell  angehörigen,  präsentireiuicn  Inhalte  bezogen  ist;  und  indem 
er,  hierin  consequent,  nicht  nur  jene  iüifseren  Gegenstände,  sondern 
auch  diese  Inhalte  als  „physische  Phänomene"  bezeichnet:  erscheinen 
nun  auch  diese  letzteren  durch  die  Trügüchkeit  der  äufseren  Wahr- 
nehmung betroffen.  Ich  mochte  glauben,  dafs  man  hier  doch 
strenger  sondern  kann.  Ist  ein  äufserer  Gegenstand  wahrgenommen 
(das  Haus),  so  sind  iu  dieser  Wahrnehmung  die  präsentirenden 
Empfindungen  erlebt,  aber  nicht  wahrgenommen.  Indem  wir  uns 
über  die  Existenz  des  Hauses  täuschen,  täuschen  wir*  uns  über 
die  Existenz  des  erlebten  sinnlichen  Inhalts  schon  darum  nicht, 
weil  wir  über  ihn  gai-nicht  urtheilen,  weil  wir  ihn  in  dieser 
Wahrnehmung  nicht  wahrnehmen.  Achten  wir  nachträglich  auf 
diese  Inhalte,  und  Niemand  wird  unsere  Fähigkeit  hiezu  (so. 
innerhalb  gewisser  Grenzen)  leugnen  können,  abstrahiren  wir 
von  dem,  was  sie  uns  soeben  und  gewöhnlich  bedeuteten,  und 
nehmen  wir  sie  einfach  als  das,  was  sie  sind,  dann  nehmen  wir 
sie  allerdings  wahr,  aber  nun  nicht  durch  sie  den  äufseren 
Gegenstand.  Diese  neue  Wahrnehmung  hat  offenbar  genau  den- 
selben Anspruch  auf  Untrüglichkeit  und  Evidenz,  wie  nur 
irgendwelche  „innere"  Wahrnehmung.  Was  ist  und  so  gemeint 
ist,  wie  es  ist,  das  zu  bezweifeln  wäre  evident  unvernünftig.  Ich 
mag  zweifeln,  ob  irgendwie  ein  äufserer  Gegenstand  existirt,  ob 
also  irgendeine  auf  solche  Gegenstände  bezügliche  Wahrnehmung 
richtig  sei:  aber  an  dem  jeweilig  erlebten  sinnlichen  Gehalt 
der  Wahrnehmung  kann  ich  nicht  zweifeln —  natürlich  wo  immer 
ich  auf  ihn  „reflectire"  und  ihn  einlach  anschaue,  als  was  er 
ist  Es  giebt  also  evidente  Wahrnehmungen  „physischer"  In- 
halte, genau  wie  solche  „psychischer". 

Wollte  man  einwenden ,  es  seien  sinnliche  Inhalte  immer  und 
nothwendig  gegenständlich  aufgefafst;  sie  seien  immer  Träger  einer 
äufseren  Anschauung,  und  wir  könnten  auf  sie  daher  nur  achten, 
indem  wir  sie  als  Inhalte  einer  solchen  Anschauung  beachteten: 
so  brauchen  wir  hierüber  nicht  zu  streiten;  es  änderte  nichts  an 
der  Sachlage.     Die  Evidenz  des  Daseins  dieser  Inhalte  wäre  nach 


k 


710  Beilage:   Aeufsere  und  innere  Wahrnehmung. 

wie  vor  unbestreitbar,  und  wäre  auch  nun  keine  Evidenz  der 
„psychischen  Phänomene"  im  Sinne  der  Acte.  Die  Seinsevidenz 
des  ganzen  psychischen  Phänomens  implicirt  zwar  diejenige  für 
jeden  seiner  Theile;  aber  das  Wahrnehmen  des  Theils  ist  eine 
neue  "Wahrnehmung  mit  einer  neuen  Evidenz,  die  mit  Nichten 
diejenige  des  ganzen  Phänomens  ist 

Ein  analoger  Doppelsinn,  wie  ihn  der  Begriff  des  physischen 
Phänomens  trägt,  mufe  sich  bei  consequenter  Passung  der  Be- 
griffe auch  im  Begriff  des  psychischen  Phänomens  finden.  Bei 
Brkntano  ist  dies  nicht  der  Fall.  Er  versteht  unter  psychischem 
Phänomen  ausschlielslich  ein  wirklich  vorhandenes  Acterlebnis,  und 
unter  innerer  Wahrnehmung  die  Wahrnehmung,  welche  dieses  Er- 
lebnis einfach  auMmmt,  wie  es  da  ist  Brentano  übersieht  aber,  dafs 
er  sich  unter  dem  Titel  innere  Wahrnehmung  nur  eine  Klasse 
von  Wahrnehmungen  psychischer  Phänomene  zurechtgelegt  hat, 
und  dafs  nuu  von  einer  Auftheilung  aller  Wahrnehmungen  durch 
die  beiden  Gruppen  der  äufseren  und  inneren  Wahrnehmung  keine 
Rede  sein  kann.  Er  übersieht  auch,  wie  nur  mit  dem  Umstand, 
dafs  er  sich  bezüglich  der  inneren,  eines  wesentlich  abweichenden 
Begriffs  von  Wahrnelimung  bedient,  nicht  aber  mit  der  Besonderheit 
der  innerlich  wahrgenommenen  „Phänomene",  der  Vorzug  der 
Evidenz  zusammenhängt,  den  er  seiner  inneren  Wahrnehmung 
beimifst.  Hätte  er  auch  bei  dem  „physischen"  Phänomen  als 
Wahrnehmung  von  vornherein  nur  solche  gegenständliche  Erfassung 
oder  Auffassung  verstanden,  die  ihren  Gegenstand  einfach  so  nimmt, 
wie  er  wirklich  ist,  so  hätte  er  die  äulsere  Wahrnehmung  im  Sinne 
der  Wahrnehmung  sinnlicher  Erlebnisse  ebenfalls  durch  Evidenz 
auszeichnen,  und  hätte  nicht  von  der  inneren  Wahrnehmung  in 
seinem  Sinne  sagen  dürfen,  sie  sei  „eigentlich  die  einzige  Wahr- 
nehmung im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes".' 

Es  ist  überhaupt  sicher,  dafs  die  Begriffspaare  innere  und 
äufsere,  evidente  und  nicht -evidente  Wahrnehmung  nicht  coin- 
cidiren  können.    Das  erste  Paar  ist  bestimmt  durch  die  Begriffe 

•  A.  a.  0.  119. 


»nd  psychische  Ph 


711 


von  Physischem  und  Psychischem,  wie  immer  man  sie  mm  sondern 
mag;  das  zweite  prägt  den  erkenntnistheoretisch  fundamentalen 
Gegensatz  aus,  den  wir  in  der  Untei-suchung  VI  studirt  liaben:  den 
Gegensatz  zwischen  adäquater  Wahrnehmung  (oder  Anschauung 
im  engsten  Sinne),  deren  wahrnehmende  Intention  ausschlielslich 
auf  ihren  präsenten  Inhalt  gerichtet  ist,  und  der  blofs  ver- 
meintlichen, inadäquaten  Wahrnehmung,  deren  Intention  im 
präsenten  Inhalt  eine  nur  partielle,  analogische,  unvollkommene 
Erfüllung  findet  und  durch  ihn  über  das  Gegebene  hinausweist. 
Im  ersten  FuH  ist  der  empfundene  Inhalt  zugleich  der  Gegenstand 
der  Wahrnehmung.  Der  Inhalt  bedeutet  nichts  Anderes,  es  sei 
denn  sich  selbst.  Im  zweiten  Fall  treten  Inhalt  und  Gegenstand 
auseinander.  Der  Inhalt  repräsentirt,  was  in  ihm  selbst  nicht  oder 
nicht  ganz  liegt,  was  ihm  aber  ganz  oder  theilweise  analog  ist 

In  dieser  Scheidung  liegt  das  Wesen  der  erkenntnis- 
theoretisclien  Differenz,  die  man  zwischen  der  inneren  und 
äufseren  Wahrnehmung  gesucht  hat.  Sie  ist  schon  die  bestim- 
mende in  der  Cabtesumschkn  Zweiteisbetrachtung.  An  der  Wahr- 
heit der  inadäquaten ,  blofs  abschattenden  Widumehmung  kann  ich 
zweifeln;  der  intendirte,  oder  wenn  man  will,  der  intentionale 
Gegenstand  ist  dem  erscheinenden  Acte  nicht  immanent;  die  In 

Intention  ist  da,  aber  nicht  der  Gegenstand  selbst,  der  sie  letzlich 
zu  errullen  bestimmt  ist.  Wie  könnte  mir  evident  sein,  dafs  er 
ist?  An  der  adäquaten  Wahrnehmung  kann  ich  andererseits  nicht 
zweifeln,  eben  weil  in  ihr  kein  Rest  von  Intention  übrig  ist,  der 

HPerst  nach  Erfüllung  langen  müfste.  Alle  Intention,  oder  die  In- 
tention nach  allen  ihren  Momenten  ist  erfüllt.  Oder,  wie  wir  es 
auch  ausdrückten:  das  Object  ist  in  der  Wahrnehmung  nicht  blofs 
als  daseiend  vermeint,  sondern  zugleich  auch  in  ihr  selbst 
gegeben  und  genau  als  das,  als  was  es  vermeint  ist.  Gehört  es 
zum  Wesen  adäquater  Wahrnehmung,  dal's  ihr  das  angeschaute 
Object  selbst  wahr  und  wirklich  einwohnt,  so  ist  es  nur  ein  anderer 
Ausdruck  zu  sagen:  unzweifelhaft,  evident  ist  nur  die  Wahr- 
nehmung der  eigenen  wirklichen  Erlebnisse.  Nicht  jede 
solche  Wahrnehmung  ist  evident     So  ist  in  der   Wahrnehmung 


I 


vom  Zahnschmerz  ein  Mrirtliches  Erlebnis  wahrgenommen, 
gleich wol  ist  die  Wahrnehmung  eine  täuschende:  der  Schmerz 
scheint  als  im  Zahne  bohrend.  Der  Grund  der  Täuschung  ist  klar 
Der  wahrgenommene  Gegenstand  ist  nicht  der  Schmerz,  so  wie 
er  erlebt,  sondern  der  Schmerz,  so  wie  er  transscendent  gedeutet, 
imd  zwar  dem  Zahn  zugodeutet  ist.  Zu  der  adäquaten  Wahrneh- 
mung gehört  es  aber,  dafs  in  ihr  das  Wahrgenommene,  so  wie 
es  wahrgenommen  ist  (so  wie  die  Wahrnehmung  es  meint,  ai 
fatst)  erlebt  sei.  In  diesem  Sinn  haben  wir  selbstverständlich  uiir 
von  unseren  Erlebnissen,  aber  von  ihnen  auch  nur,  so  weit  wir 
sie  einfach  hinnehnien,  statt  deutend  über  sie  hinauszugehen,  eine 
evidente  Wahrnehmung. 


jiir 


Nun  könnte  man  aber  einwenden:  Erlebnis  ist  doch  wo! 
dasselbe  wie  psychisches  Phänomen,  wozu  also  der  Streit?  Ich 
antworte:  Wenn  man  unier  psychischen  Phänomenen  die  realen 
Bestandstücke  unseres  Bewurstseins  vereteht,  die  Erlebnisse  selbst, 
die  jeweils  da  sind;  und  wenn  man  weiter  unter  Wahrnehmungen 
psychischer  Phänomene  oder  inneren  Wahrnehmungen,  ad- 
äquate Wahrnehmungen  verstellt,  deren  Intention  in  den  bezüg- 
lichen Erlebnissen  immanente  Erfüllung  findet:  dann  deckt  sich 
der  Umfang  der  inneren  Wiüirnohinimg  allerdings  mit  dem  der 
adäquaten  Wahrnehmung.  Von  Wichtigkeit  ist  es  aber  zu  bi 
achten,  dals 

1.  die  psychischen  Phänomene  in  diesem  Sinn  nicht  identisch 
sind  mit  denjenigen  im  Sinuo  Bre.stano's,  auch  nicht  mit  den 
cogitatioHcs  Descabtes'  und  mit  den  acts  or  operatioyis  of  mind 
bei  Locke;  denn  in  die  so  begrenzte  Sphäre  der  Erlebnisse  über- 
haupt gehören  die  sämmtlichen  Sinnesinhalte  (die  Empfindungen 
und  Phantasmen). 

2.  Dafs  dann  die  nicht-inneren  Wahrnehmungen  (die  er- 
gänzende Klasse)  nicht  coincidiren  mit  den  äufsoren  Wahr- 
nehmungen im  normalen  Wortsinn,  sondern  mit  dem  viel  weiteren 
Umfang  der  inadäquaten  Wahrnehmungen.     Wird  ein  sinnlicher 


M 

-h 


Inhalt,  eine  sinnliche  Complexion  oder  ein  Verlauf  sinnlicher  In- 
halte aiifgefafst  als  ein  dastehendes  Ding,  als  eine  Menge,  eine 
Verknüpfung,  ein  Verhältnis  von  Dingen,  oder  als  eine  dingliche 
BosehafiFenheit,  als  eine  dingliche  Veränderung,  ein  äufseres  Er- 
eignis u.  dgl.,  so  liegt  eine  äufsere  Wahrnehmung  im  gewöhn- 
lichen Sinne  vor.  Es  kann  aber  auch  ein  nichtsin niieher  Inhalt 
zum  repräsentativen  Gehalt  einer  Wahnielmuuig  gehören,  zumal 
in  Verbindung  mit  sinnlichen  Inhalten.  Als  wahrgenommener 
Gegenstand  kann  dann  ebensowol  ein  äufserer  Gegenstand  mit 
vermeintlich  wahrgenommenen  psychischen  Bestimmtheiten  da- 
stehen —  wie  wir  ja  geneigt  sind,  das  Sohöue,  Angenehme,  Gute, 
Reizende,  u.  s.  w.  den  Dingen  selbst  wahrnehmend  einzulegen  —  oder 
ein  innerer  Gegenstand,  ein  subjectives  Erlebnis,  mit  vermeint- 
lich an  ihm  wahrgenommenen  physischen  Bestimmtheiten. 

3.  Wenn  wir  unter  Wahrnehmungen  psycliischer  Phänomene 
oder  unter  inneren  Wahrnehmungen  correcter  Weise  alle  Wahr- 
nehmungen von  eigenen  Erlebnissen  verstehen,  so  gibt  es  unter 
ihnen  ganz  so,  wie  unter  den  änfseren  Wahrnehmungen,  solche,  bei 
welchen  der  walirgenununene  (iegeustand  überhaupt  nicht  e.xistirt, 
z.  B.  so,  dafs  die  wahrnehmende  Intention  nach  einem  Theüe  zwar 
einen  correlaten  Gegenstand  trifft,  während  ihr  im  Ganzen  doch 
kein  Gegenstand  entspricht  („der  wahrgenommene  Gegenstand 
existirt,  aber  er  ist  nicht  ganz  so,  wie  er  wahrgenommen  wird"). 
Man  kann  also  eigene  Erlebnisse  wahrnehmen,  die  gar- 
nieht  existiren.  Der  fundamentale  Unterschied  zwischen 
der  adäquaten  und  inadäquaten  Wahrnehmung  kreuzt 
sich  mit  dem  unterschied  der  inneren  und  äufseron  Wahr- 
nehmung und  durchsetzt  dabei  auch  die  Sphäre  der  erstercn. 


8. 

Die  Aequivocationen  des  Wortes  Phänomen,  die  es  gestatten, 
bald  die  erscheinenden  Gegenstände  und  Eigenschaften,  bald  die 
den  Erscheiuungsact  constituirenden  Erlebnisse  (zumal  die  Inhalte 
im  Sinne  von  Empfindungen)  und  sehliefslich  alle  Erlebnisse  über- 
haupt als  Phänomene  zu  bezeichnen,  erklären  überhaupt  die  nicht 


geringe   Versuchung,    zwei    wesentlich    verschiedene    Ein- 
theilungsarten  der  „Phänomene"  durcheinander  zu  mengen: 

1.  Eintheilungen  der  Erlebnisse;  z.  B.  die  Eintbeilung 
derselben  in  Acte  und  Nichtacte.  Solche  Eintheiluugen  fallen 
natürlich  ganz  in  die  Sphäre  der  Psychologie,  als  welche  es  ja 
mit  allen  Erlebnissen  zu  thun  hat. 

2.  Kintheihiogen  der  phänomenalen  Oegenstäude;  z.  B. 
die  Eintheilung  der  phänomenalen  Gegenstände  in  solche,  die  als 
zum  Ichbewul'stsein  gehörig  erscheinen,  und  in  solche,  die  es 
nicht  thun,  m.  a.  W.  die  Eintheilung  in  psychische  und  physische 
Gegenstände  (Inhalte,  Eigenschaften,  Relationen  u.  dgl.) 

Bei  Breotaxo  laufen  die  beiden  Eintlieilungen  in  der  That 
durchoinander.  Er  stellt  einfach  gegenüber :  physische  und  psychische 
Phänomene,  und  delinirt  sie  unverkennbar  als  eine  Eintheilung  der 
Erlebnisse  in  Acte  und  Nichtacte.  Aber  alsbald  verwechselt  er 
unter  dem  Titel  physisches  Phänomen  die  empfundenen  Inhalte' 
und  die  erscheinenden  äufseren  Gegenstände,  bezw.  ihre  phäno- 
menalen Beschaffenheiten,  so  dafs  die  Eintheilung  nun  zugleich 
als  eine  Eintheilung  der  phänomenalen  Objecto  in  physische 
und  psychische  (nach  dem  gemeinen,  oder  einem  ihm  verwandten 
Wortsinn)  dasteht;  wobei  die  letztere  dann  sogar  die  Namen 
hergiobt 

In  nahem  Zusammenhang  mit  dieser  Verwechslung  steht  die 
irrige  und  von  Brestaxo  auch  znr  Scheidung  der  beiden  Phänomen- 
klassen  benutzten  Bestimmung,  dafs  die  physischen  Phänomene 
„nur  phänomenal  und  intentional"  existiren,  während  den 


'  Bmntano  versteht  unter  Empfindungen  Acte  des  Empfindens  und  stellt 
ihaeü  die  enipfundetieu  Inhalte  gegeaüber.  In  unserer  Redeweise  besteht  ein 
Botoher  üntersühied  nach  früher  Au.sgeführtem  nicht.  Wir  nennen  Empfinden 
die  blolae  Thataache,  dals  ein  Sinnesinhalt  und  -weiterhin  ein  Nichtact  über- 
haupt in  der  Erlebniscomplexion  präsent  ist.  In  Relation  oder  in  Entgegensetzung 
zum  Erscheinen  könnte  uns  die  Rede  vom  Empfinden  allenfalls  dienen,  um  die 
apperceptive  Function  solcher  Inhalte  anzuzeigen  (nämlich,  dafe  sie  als  Träger 
deijenigen  Auffassung  f ungiren ,  in  welcher  sieh  das  betraEfende  Erscheinen  ala 
Wahrnehmen  oder  Imaginiren  vollzieht). 


Physische  und  psychische  Phänomene.  715 

psychischen  Phänomenen  „aufser  den  intentionalen  auch  eine 
■wirkliche  Existenz"  zukommet  Verstehen  wir  unter  den  phy- 
sischen Phänomenen  die  phänomenalen  Dinge,  so  ist  es  sicher,  dais 
sie  zum  Mindesten  nicht  zu  existiren  brauchen.  Die  Gebilde  der 
productiven  Phantasie,  die  meisten  Objecte  der  künstlerischen 
Darstellung  in  Gemälden,  Statuen,  Poesien  u.  s.  w.,  die  halluci- 
natorischen  und  illusorischen  Objecte  existiren  nur  phänomenal 
und  intentional,  d.  h.  sie  existiren,  eigentlich  zu  reden, 
überhaupt  nicht,  sondern  nur  die  betreffenden  Erscheinungsacte. 
Ganz  anders  liegt  die  Sache  in  Betreff  der  physischen  Phänomene, 
verstanden  im  Sinne  der  empfundenen  Inhalte.  Die  empfundenen 
(erlebten)  Farbeninhalte,  Gestaltinhalte  u.  s.  w.,  welche  wir  in  der 
Bildanschauug  von  Böckus's  „Gefilden  der  Seligen"  haben,  und 
welche,  durch  den  Actcharakter  der  Verbildlichung  beseelt,  sich 
zum  Bewulstsein  vom  BUdobjecte  ausgestalten,  sind  reelle  Bestand- 
stücke dieses  Bewurstseins.  Und  sie  existiren  dabei  keineswegs 
phänomenal  und  intentional  (als  erscheinende  und  vermeinte  In- 
halte), sondern  wirklich.  Natürlich  wird  man  nicht  übersehen 
dürfen,  dafs  wirklich  nicht  soviel  besagt  wie  aufserbetvufstseiend, 
sondern  soviel  wie  nicht  blofs  vermeintlich. 


'  Vgl.  Brbmiano,  a.  a.  0.  §  7,  S.  120.  In  Beispielen  heilst  es:  Erkenntnis, 
Freude,  Begierde  bestehen  wirklich,  Farbe,  Ton,  Wärme  nur  phänomenal  und 
intentional.  A.  a.  0.  S.  104  wird  unter  den  Beispielen  für  physische  Phänomene 
aufgeführt:  Eine  Figur,  Landschaft,  die  ich  sehe  ....  Wärme,  Kälte, 
Geruch ,  die  ich  empfinde. 


Zusätze  und  Verbesserungen. 


S.  28,  letzte  Zeile,  statt  Wahrnehmung  I.:  innere  (=  evidente,  adäquate) 
■Waliniohmung. 

S.  59,  Z.  2  V.  u.  1.:  garnicbt  als  existirender  zu  gelten  braucht. 

S.  83  und  85.  Leider  habe  icli  bei  der  letztun  Revision  dos  §  26  und 
noch  während  der  Dmcklegung  übersehen ,  dats  in  der  vorliegenden  Darstellnng 
die  ältere  (im  Fortgang  meiner  Forschungen  verbesserte)  Auffassung  nicht  liin- 
roichend  ausgemerzt  sei  und  daher  mit  der  Unters.  VI,  §5,  nicht  ganz  zu- 
sammenstimme. Zur  Unterscheidung  zwischen  anzeigender  und  angezeigter 
Bedeutung  ist  also  die  deutlichere  und  bessere  Darstellung  im  Zusatz  S.  494  f. 
zu  vergleichen.  In  Beziehung  auf  das  Beispiel  „Äter"  8. 85,  Z.  5  v.  o.  muüs  es 
natürlich  und  in  Uebereinstimmung  mit  der  richtigen  Fassung  8.  84  u.  hoifsen: 
„Dafs  sich  die  eigentliche  Bedeutung  des  Wortes  [„hier'']  erst  auf  Grund 
der  jeweiligen  Vorstellung  dieses  Ortes  constituire". 

S.  06,  Z.  3  V.  o.  1.:  Bedeutung,  Anschauung  (als  Bcdeutungs- 
erfüllung)  und  Gegenstand. 

Ebendas.  Z.  7  v.  o.  I.:  der  erfüllenden  Anschauung  und  der  durch 
sie  constituirten,  kategorial  gefafsten  Gegenständlichkeit  als  solcher. 

S.  109.  Zur  Unterscheidung  zwischen  individuellem  Meinen  und  allge- 
meinem Meinen:  Nach  der  VI.  Unters,  handelt  es  sich  bei  dem  individuellen 
Meinen  um  einen  schlichten  Act,  d.  h.  die  , Erscheinung",  das  was  im  dritten 
Kapitel,  §  2G  derselben  Unters,  als  Repräsentation  deßuirt  wird,  ist  einfach  mit 
einer  setzenden  oder  nichtsetzendcn  Qualität  verknüpft;  im  Falle  des  allge- 
meinen Meinens  baut  sich  aber  auf  dem  schlichten  Act,  bezw.  auf  der  schlich- 
ten Repräsentation  eine  neue  auf,  mit  einer  neuen  Auffassungsweise,  in  der 
sich  die  Beziehung  auf  den  allgemeinen  Gegenstand  constituirt. 

S.  161,  Z.  3  V.  u.  statt  „gedankliche  Formen  in  sich  schlieEst"  1.:  ,auf  ge- 
dankliche (—  kategoriale)  Formen  bezogen  ist".  Vgl.  zu  der  ganzen  Aus- 
führung VI,  §  60,  S.  654  ff. 

S.  164,  Z.  II  V.  u.  1.:  „mit  seinen  mannigfaltigen  kategorialen  Formen 
id  sich  diesen  anmessenden  Bedoutungsformen". 


Zusätxe  und  Verbesserungen.  717 


S.  165,  Z.  4  vor  SchluTs  des  Absatzes,  statt  bedeutangsinSTsigen  1.:  kate- 
gorialen. 

S.  180  ff.,  §  31.  Selbstverständlich  sind  in  diesem  Paragraphen  unter  dem 
Titel  Bedeutung  nicht  blofe  die  intentionalon  Wesen  der  ßedeutungsintentionen, 
sondern  auch  diejenigen  der  Bedeutungserfüliungen  befafst.  Die  Bequemlich- 
keit der  Ausdmcksweise  würde  einen  ähnlich  erweiterten  Begriff  der  Bedeu- 
tung foidem,  wie  wir  ihn  im  achten  Kapitel  der  VI.  Unters,  bei  deu  Terminis 
Denken,  Urtheilen,  Vorstellen,  Abstrahireu  u.  dgl.  zugestehen,  wonach  also 
zwischen  , uneigentlichen "  und  „eigentlichen*  Bedeutungen  zu  unterscheiden 
wäre.  (Freilich  ist  eine  solche  Rede,  zumal  bei  den  vorherrschenden  Auf- 
fassungsweisen der  Bedeutungsfunction,  nicht  ganz  unbedenklich.)  Demgemäls 
mulä  auch  im  Fortgänge  der  Untersuchung  der  Begriff  allgemeine  Bedeutung 
zumeist  in  dem  weiteren  Sinn  genommen  werden,  er  muts  sowol  das  symbo- 
lische Meinen  als  auch  das  intuitive  Erschauen  des  Allgemeinen  zusammen- 
nehmen.   So  zumal  im  Schlufekapitel. 

S.  183.  Zum  fünften  Kapitel,  und  wol  zur  ganzen  Unters,  überhaupt,  ist 
V.  MnuoNö's  neueste  Abhandlung  über  ,Abstrahiren  und  Vergleichen"  (Z.  f.  Psych, 
n.  Physiol.  Bd.  XXIV)  heranzuziehen.  Leider  war  es  mir  seit  Abschluß  des 
Buches  und  während  der  Drucklegung  nicht  mehr  möglich,  mich  auf  neue 
Studien  einzulassen.  Die  von  Mxikono  citirte  Arbeit  £.  Mally's  über  „Abs- 
traction  und  Aehnlichkeitserkenntnis"  (Arch.  f.  syst.  Philos.  VI)  habe  ich  bisher 
nicht  gesehen. 

S.  188,  Z.  1 — 2,  1.:  „als  Act  der  allgemeinen  Bedeutung,  bezw.  Bedeu- 
tungserfüllnng*  (der  allgemeinen  Anschauung  im  Sinne  der  VI.  Unters. 
§52,  S.  633). 

S.  276  ff.  Der  hier  fragliche  Begriff  der  Materie,  der  seinen  Gegensatz 
in  der  Kategorie  hat,  wird  in  der  VI.  Unters.  §  42,  S.  608  unter  dem  Titel 
des  Stoffes  von  anderen  Begriffen  der  Materie  unterschieden. 

8.  217.    Statt  V.  1.:  VI.  (§  15,  S.  525  ff.). 

8.  218  ff.    Für  §  42  kommt  die  obige  Note  zu  §  31  mit  in  Betracht. 

8.  286  ff.  Zur  Unters.  IV  und  speciell  zum  SchluJsabsatz  der  Einleitung: 
Fassen  wir  den  Begriff  der  erfüllenden  Bedeutung  hinreichend  weit,  so  dafs  er 
die  Oesammtsphäre  der,  sei  es  vollkommenen,  sei  es  symbolisch  getrübten  An- 
schauungen befalst,  und  nehmen  wir  dabei  den  Begriff  der  Anschauung  in 
dem  Sinne  der  in  der  Unters.  VI,  §  45  vollzogenen  Erweiterung  über  das  Gebiet 
des  Kategorialen  —  dann  dürfen  wir  das  „zumeist'  in  der  zweiten  Zeile  dos 
citirten  Schlu&absatzes  ganz  fortstreichen.  „Bedeutung*^  ist  dann  ein  Aequi- 
valent  für  „intentionales  Wesen  eines  objectivirenden  Actes  überhaupt"  und 
für  diesen  Bedeutungsbegriff  würden  alleErgebnis.se  der  IV.  Unters,  fortgelton 
(von  einigen  selbstverständlichen  ModiGcationen  abzusehen).    Vgl.  den  obigen 


718  Ziuitutxe  und  Verbesserungen. 

Zusatz  ZQ  §  31,  S.  180,  nnd  zur  n.  Untere,  äbeiiunipt;  femer  das  adite  Kapitd 
der  VI.  Unters,  (bes.  §§  62—65). 

8.  333,  Z.  17  V.  o.  ist  nach  ,'Wahmefainnng'  der  (sinnstöreDde)  Strich- 
pankt  durch  einen  Beistrich  zu  ersetzen. 

8.  426,  Torietzter  Absatz  Z.  3,  5  and  7,  statt  Actchaiaktare  L:  Actqua- 
lit&ten. 

S.  426,  letzte  Zeile,  statt  verbildlichenden  1.:  dahinstellenden. 

S.  428,  Z.  2  T.  n.  Oenau  besehen  ist  hier  zur  Actmaterie  der  ganze  Rest 
des  Actes  gerechnet,  der  nach  Ausschlub  der  ActqnalitSt  übrig  bleibt;  also 
nicht  der  bloüse  Auflassongssinn,  sondern  die  volle  aBeprisentation"  (nach  VI. 
S.  562 ff.);  doch  hat  diese  Differenz  auf  die  fernere  Betrachtang  keinen  Einflok 

8. 447,  Anm.  1.:  §  49,  8.  628  ff. 

8.478,  Z.  10  des  zweiten  Absatzes  ist  nach  .können*  einzufügen:  sovie 
die  Angemessenheit  des  vermischten,  znm  Theil  rein  intuitiven,  zum  Tbeil 
signitiven  Vorstellens  der  verschiedenen  kat^;orialen  Stufen. 

Ebenda».  Z.  11,  1.:  der  blolsen  8ignification,  bezw.  dos  signitiv  getrübten 
Voratellens  äbeihaupt 

8.508,  Anm.  statt  §48  1.:  §47  (8. 619  ff.). 


Zum  I.  Theile  der  Logischen  Untersuchongen  ist  folgender  sinnstörende 
Druckfehler  nachzutragen: 

8.  251,  Z.  7  V.  n.  statt  „eine«  1.:  „keine*. 


Verlag  von  Max  Nlemeyer  in  Halle  a.  S. 


Abhandlungen 

zur 

Philosophie  und  ihrer  Geschichte 

herausgegeben 
von 

Benno  Erdmann. 

1893-1900.    8. 

T.  DaTtd  Haines  KansaUtUtstheorie  nnd  ihre  Bedeutung  Tür  die  Begründung 

der  Tlieorie  der  Induktion  von  Dr.  Paul  Richter.  .4  1.2(1. 

11.  Andreas  RUilisrers  Moralphilosophie  von  Dr.  Wilh.  Carls.      Jt  1,20. 

III.  Unmes  nnd  Berkeleys  Philiosophie  der  Mathematik  vergleichend  und 
kritisch  dargestellt  von  Dr.  Eugen  Meyer.  ^  1,60. 

IV.  Thomas   Ulli    Green    und   der    Utilitarismns    von    Dr.  George  Fr. 
James.  .A  1,00. 

V.  Znr  Theorie  der  Anftnerksamkeit  von  Dr.  Harry  Kohn.         .^  1,20. 

VI.  Keplers  Lehre  von  der  GrarttAtton.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 

mechanischen  WcltanschanuDg  von  Dr.  Ernst  Goldbeck.  ^  1,20. 

VII.  Der  Unterschied  der  Lehren  Unmes  im  Treatise  und  im  Inqntry  von 

Wilhelm  Brede.  Jt  1,20. 

VIII.  Diemot«risehen1fortvor8teliangen  von  Dr.  Raymond  Dodge.  ^  2,00. 

IX.  Sehopenhaners  Aesthetik  und  ihr  Verhältnis  zu  den  ästhetischen  Lehren 

Kants  und  Schellings  von  Dr.  Ed.  von  Mayer.  ^  2,00. 

X.  Die  Snbstanzenlehre  Leckes  von  Dr.  W.  Freytag.  ^  2,00. 

XI.  Die  Giltigkeit  unserer  Erkenntnis  der  obJektiTen  Welt  von  Dr.  Walter 
T.  Marvin.  .S  2,40. 

XII.  Spinozas  GottesltegrUT  von  Dr.  Eimer  E.  Powell.  JH  3,00. 
Xin.  Prolegomena   znr  Bestimmung   des   Gottesbegriffes   bei  Kant    von 

Eumetaro  Sasao.  .^  2,00. 

XIV.  Beiträge  zur  Kritik  des  psychophystschen  Parallelismus  vom  Stand- 
punkte der  Energetik  von  Edwaixl  Gleason  Spaulding.        .A  3,00. 


Uachdrnckerei  dos  Waiseuhtusps  in  Hall*  a.  8. 


STANFORD  UNIVERSITY  LIBRARIES 

CECIL  H.  GREEN  LIBRARY 

STANFORD,  CALIFORNIA  94305-6004 

(415)  723-1493 

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