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Full text of "L. R. Farnell, The cults of the Greek states [microform]"

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MA S TER 

NEGA  TIVE 

NO.  92-80620-21 


MICROFILMED  1992 
COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES/NEW  YORK 


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A  UTHOR : 


LUDWIG  ,  ZIEHEN 


TITLE: 


L.  R.  FARNELL,  THE 

CULTS  OF  THE  GREEK 


PLACE: 


BERLIN 

DATE: 

1911 


COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES 
PRESERVATION  DEPARTMENT 


Master  Negative  # 


».« 


BIBLIOGRAPHIC  MICROFORM  TARCRT 


Original  Material  as  Filmed  -  Existing  Bibliographie  Record 


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8K3/PRÜD   Books       FUL/BIB   NYCG92-B3510Ü 

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g   Ziehen. 

Berl  in,  t-bWeidmannsche   Bucfihandlunq, t:cl911. 
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QD  05-21-92 


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TECHNICAL  MICROFORM  DATA 


FILM     SIZE:„3.5^:r^^^  REDUCTION     RATIO: //X 

IMAGE  PLACEMENT:    lAMIA     ID     IIB 

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HLMEDBY:    RESEARCH  PUBLICATIONS.  INC  WOODDRIDGE.  CT 


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BY  fiPPLIED  IMAGE,    INC. 


Gröttingische 


gelehrte  Anzeigen 


unter  der  Aufsicht 


der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
173.  Jahrgang 


Nr.n 


19U 

Februar 


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I  n  halt 


S.  Sudhaus,   Der  Aufbau   der  plautinischen  Cantica.    Von  Friedrich 

X^l^' * 65-104 

l/L.K  Farn  eil,  The  cults  of  the  Greek  states.    Von  Ludwig  Ziehen.     105-119 
Mitteilungen    aus    dem    Naturhistorischen   Museum    in   Hamburg 

Jahrg.  XXV.    Von  H.  Augener '     ng^iso 

Carolusü.  Clark,  Ammiani  Marcellini  libri  XI V— XXV.  Von  Friedrich 

^^^^:    •    \  , : 142-134 

Charles  PI  es  ent,   Le  Culex,   Etüde  sur  PAlexandrinisme  latin.  - 

Ders.,  Le  Culex.   Edition  crit.  et  explic.    Von  i^^tcdncÄ  ieo.    .    .     135—136 


f. 


Berlin  1911 
Weidmannsche  Buchhandlung 


SW.  Zimmerstraße  94. 


Farneil,  The  cults  of  the  Greek  states 


105 


L.  R.  Farnell,    The  cults   of  the  Greek  states.    Vol.  IH— IV.    Oxford 
1907,  Clarendon  Press.   Xir,393  u.  VIII,  454  S. 

Den  beiden  ersten  Bänden  des  großen  Famellschen  Werkes  über 
die  griechischen  Kulte,  die  1896  erschienen,  sind  erst  nach  langer 
Pause  der  dritte  und  der  vierte  gefolgt^),  deren  Besprechung  mir  hier 
obliegt.  Da  jene  ersten  Bände  seiner  Zeit  hier  nicht  angezeigt  und  auch, 
soweit  ich  sehe,  bei  uns  in  Deutschland  nicht  so  bekannt  wurden,  wie 
sie  es  eigentlich  verdienten,  empfiehlt  es  sich  wohl  ein  kurzes  Wort 
über  die  äußere  Anlage  des  Werkes  vorauszuschicken,  zumal  der  von 
Farnell  gewählte  Titel  leicht  falsche  Vorstellungen  erweckt.    Denn 
nach  dem  Titel   > cults   of  the  Greek  states«   könnte  man  erwarten, 
daß  Farnell  seinem  Werke  eine  geographische  Einteilung  zu  Grunde 
lege  und  nach   einander  die  Kulte   der  einzelnen  Staaten  behandle. 
Dies  ist  aber  keineswegs  der  Fall,  vielmehr  hält  sich  F.  durchaus  an 
die  in  den  früheren  > Mythologien«   übliche  Einteilung  und  gliedert 
also  den  Stoff  nach  den  Hauptgottheiten.    So  hat  er  in  den  beiden 
ersten  Bänden  Zeus  und  Hera,  Athene,  Artemis  und  Aphrodite  behandelt, 
im  dritten  jetzt  Demeter,  Kore-Persephone,  Hades  und  die  verwandten 
Gottheiten,  im  vierten  Poseidon  und  Apollon.  Die  praktischen  Vorzüge 
dieser  Einteilung  liegen  auf  der  Hand,  so  daß  sie  keiner  Rechtferti- 
gung bedarf.    Damit  will  ich  aber  nicht  sagen,   daß  jene  andere  An- 
ordnung,  richtig  verstanden  und  durchgeführt,  nicht  auch  berechtigt 
sei.  Im  Gegenteil,  mir  scheint  die  geographisch-historische  Bearbeitung 
der  griechischen  Religion,   die  von  dem  Boden  der  einzelnen  Land- 
schaft und  Stadt  ausgeht  und  uns  vor  allem  die  Wandlungen  zeigt, 
die  hier  seit  ältester  Zeit  vor  sich  gegangen  sind  —  womöglich  unter 
Beifügung  religionsgeschichtlicher  Karten!  — ,  ein  dringendes  Be- 
dürfnis unserer  Wissenschaft  zu  sein.  Freilich  ist  es  die  Frage,  ob  heute 
schon  die  Zeit  dafür  gekommen   ist   und  nicht  eine  Reihe  von  Vor- 
arbeiten nötig  sind,  durch  die  wenigstens  die  Grundlinien  einer  rich- 
tigen Auffassung  und  Behandlung  sicher  gestellt  werden.    Das  zeigt 
gerade  Farnells  Werk,  das  nach  dieser  Seite  hin  meiner  Ueberzeugung 
nach  an  schweren,  prinzipiellen  Irrtümern  leidet,   so  daß  es  nur  gut 
ist,   daß  er  nicht  darauf  seine  ganze  Behandlung  aufgebaut,   sondern 
die  herkömmliche  Einteilung   nach  Hauptgottheiten  beibehalten  hat. 
Doch  unterscheidet  er  sich  von   einem  Werke   wie  Preller-Roberts 
Griechischer  Mythologie  einmal  dadurch,   daß  er  die  bildliche  Ueber- 
lieferung  ausführlicher  —  in  besonderen  Kapiteln  —  behandelt  und 
verwertet  sowie  das  Verständnis  durch  meist  gute.  Abbildungen  unter- 

1)  Inzwischen  ist  auch  der  V.  Bd.,  der  Schlußband,  erschienen,   der  hier 
aber  nicht  mehr  berücksichtigt  werden  konnte. 


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Gott.  gel.  Anz.  1911.   Nr.  2 


stützt.  Wichtiger  noch  ist  Folgendes:  Preller-Robert  gibt  in  seiner 
Darstellung  die  Resultate  der  Forschung,  nicht  die  Forschung  selbst, 
und  nur  in  den  Anmerkungen  wird  kurz  auf  gegnerische  Ansichten 
Rücksicht  genommen;  Famell  dagegen  führt  uns  im  Text  selbst  in 
die  wissenschaftliche  Debatte  ein  und  setzt  sich  hier  mit  den  ver- 
schiedenen Ansichten  auseinander,  ein  Verfahren,  das  mir,  so  wie 
heute  die  Dinge  stehen,  den  Vorzug  zu  verdienen  scheint.  Dagegen 
sind  wiederum  die  in  Betracht  kommenden  Zeugnisse  nicht  etwa  unter 
dem  Text  zitiert,  sondern  alle  am  Schluß  jedes  Abschnittes  vereinigt. 
Dies  Verfahren,  das  soviel  ich  weiß  besonders  in  Amerika  beliebt  ist, 
hat  den  großen  Vorzug,  daß  man  auf  den  Abdruck  des  Wortlautes 
der  Zeugnisse  nicht  zu  verzichten  braucht  und  dadurch  dem  Benutzer 
viel  Zeit  erspart,  ohne  deshalb  —  die  andere  Klippe  —  die  Ueber- 
sichtlichkeit  der  Darstellung  selbst  durch  den  Umfang  der  An- 
merkungen zu  beeinträchtigen.  Doch  sollte  man,  meine  ich,  zu 
Gunsten  solcher  Stellen,  deren  Wortlaut  für  die  Auseinandersetzung 
von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  eine  Ausnahme  machen  und  sie  auch 
vorne  im  Urtext  abdrucken. 

Und  nun  zu  dem  Inhalt,  der  ebenfalls  in  einer  Hinsicht  für  viele 
eine  Ueberraschung  bedeuten  dürfte.  Das  Buch  Farnells  ist  ein  Werk 
der  englischen  Schule;  England  aber  ist  heute  der  Hauptsitz  der 
sogen,  anthropologischen  Methode;  von  dort  hat  sie  ihren  Ausgang 
genommen  und  dort  hat  sie  gerade  auch  in  den  Jahren,  die  zwischen 
dem  Erscheinen  der  beiden  ersten  und  der  beiden  neuen  Bände 
liegen,  Jhre  konsequenteste  und  —  wenn  man  vielleicht  von  Salomon 
Reinach  absieht  —  extremste  Vertretung  gefunden.  So  lag,  we- 
nigstens für  den,  der  die  früheren  Arbeiten  Farnells  nicht  verfolgt 
hatte,  die  .Erwartung  nahe,  daß  das  Werk  uns  eine  systematische 
Bearbeitung  der  Religion  und  des  Kultus  der  Griechen  von  diesem 
anthropologisch-ethnologischen  Standpunkte  aus  bringen  werde.  Dem 
ist  nun  —  glücklicher  Weise  —  nicht  so:  Famell  hat  sich  gar 
keinem  »Standpunkt«  und  keiner  Theorie  verschrieben,  weder  dem 
Animismus  noch  dem  Totemismus  noch  dem  Fetischismus,  und  darin 
sehe  ich  —  um  dies  gleich  hier  vorwegzunehmen  ~  den  Hauptvorzug 
des  ^Werkes.  Kein  vernünftiger  Mensch  wird  heute  mehr  die  Bedeu- 
tung ^der  anthropologischen  Methode  im  allgemeinen  wie  im  beson- 
deren auch  ihren  Wert  für  das  Gebiet  der  antiken  Religionsgeschichte 
bestreiten.  Aber  ebenso  sicher  ist,  daß  sie  gerade  hier  in  dem  letzten 
Jahrzehnt  zu  argen  Uebertreibungen  und  vorschnellen  Uebertragungen 
und  Gleichsetzungen  geführt  hat,  denen  gegenüber  man  versucht  ist 
nicht  mehr  von  Methode  sondern  von  Mode  zu  sprechen.  Es  ist  be- 
zeichnend,  daß  in  jüngster  Zeit  es  gerade  Vertreter  der  Ethnologie 


Farneil,  The  cults  of  the  Greek  states 


lOT 


selbst  waren,  die  vor  diesen  Mißgriffen  warnten  0.  Famell  steht  nun 
nicht  etwa  wie  Gruppe  der  neuen  Methode  prinzipiell  ablehnend 
gegenüber,  er  ignoriert  auch  nicht  die  darauf  beruhenden  Erklärungen 
griechischer  Riten,  aber  er  tritt  unbefangen  an  die  Probleme  heran, 
geleitet  nicht  von  der  Vorliebe  für  eine  Theorie,  sondern  von  einer  nüch- 
ternen, methodischen  Kritik  der  antiken  Ueberlieferung  selbst.  Zu 
diesem  »methodisch«  aber  rechne  ich  vor  allem  eines:  F.  bleibt 
—  eben  in  Folge  seiner  Unbefangenheit  —  vor  dem  Fehler  bewahrt, 
dem  alle  die,  die  darauf  aus  sind,  für  eine  bestimme  Theorie  nach 
Beweisen  zu  suchen,  so  leicht  verfallen,  daß  sie  nämlich  ein  einzelnes 
Zeugnis  herausgreifen  und  ihm  einen  übertriebenen  Wert  beilegen, 
statt  es  im  Rahmen  der  gesamten  Ueberlieferung  zu  betrachten  und 
zu  bewerten.  Diese  Prüfung  nun,  die  Farneil  vornimmt,  fällt  zwar 
nicht  immer,  aber  doch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ungünstig  für  die 
kühnen  »anthropologischen«  Erklärungen  und  Hypothesen  aus,  zu  Un- 
gunsten vor  allem  der  Annahme  eines  griechischen  Totemismus. 
Darüber  seien  zunächst  einige  Worte  gestattet. 

Der  Totemismus  ist  gewiß  ein  äußerst  wichtiges  und  interessantes, 
aber  auch  ein  sehr  schwieriges  Problem,  das  mit  der  vordiingenden 
Forschung  sogar  nur  noch  verwickelter  geworden  ist.  Denn  es  stellt 
sich  heraus,  daß  der  Totemismus  bei  den  einzelnen  Völkern,  bei 
denen  er  überhaupt  heute  vorkommt,  starke  Abweichungen  aufweist, 
daß  z.  B.  nicht  nur  der  Totemismus  der  Australneger  ganz  verschieden 
ist  von  dem  der  Nordamerikaner,  sondem  auch  innerhalb  der  Austral- 
neger sich  wiederum  wesentlich  verschiedene  Arten  von  Totemismus 
finden,  die  sich  nicht  aufeinander  zurückführen  lassen  2).  Zur  Zeit 
scheint  also  eine  einfache  und  scharfe,  dabei  allseitig  erschöpfende 
Definition  des  Totemismus  nicht  möglich.  Um  so  dringender  aber  ist 
es  notwendig,  soll  der  Begriff  nicht  jeden  wissenschaftlichen  Wert 
verlieren,  wenigstens  die  wenigen  Züge,  die  als  gemeinsame  Eigen- 
tümlichkeiten gesichert  sind,  im  Auge  zu  behalten  und  die  Unter- 
schiede gegenüber  anderen  sich  in  gewisser  Hinsicht  damit  berühren- 
den Erscheinungen  nicht  zu  verwischen.  Vor  allem  ist  so  unbedingt 
Totemismus  und  Tierkult  auseinander  zu  halten.  Daß  in  Griechen- 
land einmal  auch  Tierkult  geherrscht,  in  dem  Sinne,  daß  man  ge- 
wisse Tiere  als  Inkarnation  einer  Gottheit  auffaßte,  wird  heute  wohl 

1)  Besonders  beherzigenswert  sind  die  Ausführungen  von  M'Lennan  in  dem 
zweiten,  aus  s.  Nachlaß  herausgegebenen  Bande  seiner  Studies  in  Ancient  History 
Chap.  2,  auf  die  ich  hier  nachdrücklich  aufmerksam  mache,  auch  die  Ethnologen. 
Vgl.  jetzt  auch  A.  von  Gennep,  Rdligions,  Moeurs  et  Legendes,  Ileme  Serie,  S. 
34  ff.  u.  68  ff. 

2)  A.  V.  Gennep  a.'a.  0.  S.  13. 


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Gott.  gel.  Anz.  1911.  Nr.  2 


Farnell,  The  cults  of  the  Greek  states 


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meist  zugestanden,  und  ich  möchte  darin  sogar  noch  weiter  gehen  als 
Famell,  aber  mit  diesem  Tierkult  ist  noch  keineswegs  die  Existenz 
des  Totemismus  gegeben.  Von  diesem  kann  erst  dann  die  Rede  sein, 
wenn   drei  Eigentümlichkeiten   dazukommen,   einmal   der  Glaube  an 
eine  Blutsverwandtschaft   des    betreffenden  Stammes    mit    dem    be- 
treffenden Tiere,  sodann  daß  das  Totemtier  tabu  ist  und  endlich  daß 
der  betreffende  Stamm  sich  nach  dem  Totemtiere  nennt  ^).  Untersucht 
man   darauf  hin  die  angeblichen  Beispiele  von  griechischem  Totem- 
ismus, so  wird  man  Famell  durchaus  zugeben  müssen,  daß  sie  jeder 
sicheren  Grundlage   entbehren.    Wenn  z.  B.  Frazer  den   bekannten 
Kult  der  pferdeköpfigen  Demeter  von  Phigalia  als  ursprünglich  tote- 
mistisch  erklären  wollte,  so  ist  allerdings  einstiger  Tierkult  durchaus 
wahrschemlich  —  die  Erklärung  Farnells,  der  den  Pferdekopf  dem 
Einfluß  des  Poseidon  Inmog  zuschreibt,   scheint  mir  recht  künstlich 
— ,   aber  von  jenen  spezifisch  totemistischen  Zügen  findet  sich  in  der 
üeberiieferung   über   Phigalia    keine   Spur,    nicht    einmal    der    ent- 
sprechende Tabu-Ritus,  der  sich  doch,  wenn  auch  abgeschwächt,  leicht 
hätte  erhalten  können.    Auch  in  dem  Kult  des  ApoUon  Lykeios,  wo 
doch  die  üeberiieferung  verhältnismäßig  reichlich  fließt,   fehlen  jene 
Züge,   wie  F.  mit  Recht   feststellt,   durchaus  2).    In  anderen  Fällen 
aber,   wo  F.   selbst  die  Möglichkeit   einer  totemistischen  Grundlage 
eher  anzuerkennen  geneigt  wäre,  wie  z.  B.  beim  ApoUon  Smintheus, 
handelt  es  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  um  vorgriechische  Kulte, 
so  daß  damit  für  die  hellenistische  Religion  jedenfalls  nichts  Sicheres 
gewonnen  würde.  Meiner  Ansicht  nach  ist  übrigens  auch  beim  Smin- 
theus der  Totemismus  sehr  zweifelhaft:  dieser  Mäusegott  scheint  mir 
unmöglich  getrennt  werden  zu  können  von  dem  Fliegenabwehrer,  dem 
MoiaYpoc  und  den  verwandten  Gestalten;   wenn   man   aber  diese  ge- 
meinsam betrachtet,   scheint  mir  doch  eine  einfachere  Erklärungs- 
weise, wie  sie  Usener,  Götternamen  S.  260f.,  stillschweigend  voraus- 
setzt, viel  näher  zu  liegen. 

Nun  gibt  es  aber  dieser  > philologischen«  Behandlung  des  Problems 
gegenüber  einen  prinzipiell-theoretischen  Einwand,  auf  den  Famell 
freilich  nicht  eingegangen  ist,  wie  überhaupt  wohl  die  prinzipielle 
Erörterung  bei  ihm  ein  wenig  zu  kurz  gekommen  ist,  der  mir 
aber  so  wichtig  erscheint,  daß  ich  hier  doch  kurz  zu  ihm  Stellung 
nehmen  möchte.  Man  wird  nämlich  entgegnen:  das  Versagen  der 
üeberiieferung  könne  in  diesem  Falle  nichts  beweisen,  weil  eine 
totemistische  Vergangenheit  der  Griechen  a  priori  anzunehmen  sei, 

1)  Gennep  a.  a.  0.  S.  55  ff. 

2)  Vgl.  dazu  übrigens  jetzt  vor  aUem  auch  die  wichtigen  Bemerkungen 
Gruppes  (Griech.  Mythol.  S.  918),  die  F.  noch  nicht  kannte. 


da  gemäß  den  Voraussetzungen  der  anthropologischen  Methode  der 
Totemismus  eine  Stufe  gewesen  ist,  die  jedes  Volk  einmal  betreten 
haben  muß.  Auf  den  ersten  Blick  erscheint  dieser  Einwand  wahr- 
scheinlich manchem  befremdlich  und  sein  Ziel  verfehlend,  denn  man 
kann  ja  sehr  wohl  die  prinzipielle  Voraussetzung  der  anthropolo- 
gischen Methode,  d.  h.  die  Annahme  einer  gleichen  religiösen  Veran- 
lagung der  Menschen  für  richtig  halten  und  deshalb  doch  annehmen, 
daß  die  Entwicklung  im  Laufe  der  Jahrhunderte  und  Jahrtausende 
sich  außerordentlich  verschieden  gestaltet  hat  und  deshalb  eine  ge- 
meinsame Totemismus-Stufe  keineswegs  a  priori  gefolgert  werden  darf. 
Wenn  trotzdem  viele,  wenn  nicht  die  meisten  Anhänger  der  totem- 
istischen Theorie  diese  Folgerung  ziehen^),  so  wirkt  m.  E.  bewußt 
oder  unbewußt  eine  andere  Annahme  mit,  daß  nämlich  die  heutigen 
totemistischen  Völker  dem  gemeinsamen  Ausgangspunkt  der  Entwick- 
lung ganz  nahe  stünden,  daß  sie  eine  ganz  frühe,  jugendliche  Epoche 
der  Menschheit  repräsentierten,  gewissermaßen  ihre  Kindheitsstufe,  auf 
der  sich  die  Entwicklung  noch  nicht  so  stark  differenziert  haben 
konnte,  dessen  Eigentümlichkeiten  also  allen  Zweigen  mehr  oder 
minder  gemeinsam  gewesen  sein  müßten.  Aber  gerade  in  dieser  An- 
nahme der  Jugendlichkeit  der  sog.  primitiven  oder  Naturvölker  scheint 
mir  ein  ganz  verhängnisvoller  Fehler  zu  liegen,  den  wohl  die  von 
England  eingeführte,  sonst  ja  sehr  brauchbare  Bezeichnung  >primitiv< 
begünstigt.  Daß  unsere  heutigen  Naturvölker  >jugendlich<  sind,  ist 
eine  ganz  unbewiesene  und  unbeweisbare  Annahme.  Sie  sind  genau 
so  alt  wie  wir;  ihre  Entwicklung  hat  sie  nicht  denselben  Weg  wie 
uns,  nicht  zu  der  alle  höhere  Zivilisation  und  Kultur  bedingenden 
Kenntnis  und  Beherrschung  der  Natur  geführt,  aber  eine  Entwicklung 
haben  sie  auch  gehabt,  die  sie  bisweilen  —  von  unserem  Gesichts- 
punkt aus  —  gar  nicht  aufwärts,  sondern  abwärts  geführt  haben 
mag,  also  ganz  wohl  mit  dem  Worte  > Entartung«  bezeichnet  werden 
kann.  Auch  mit  dem  Begriff  >Entartung<  freilich  und  dem  Verhalten 
mancher  Forscher  dazu  hat  es  eine  eigene  Bewandtnis,  die  ich  mir 
überhaupt  nur  aus  historischen  Gründen  erklären  kann.  Als  nämlich 
Tylor  u.  a.  zuerst  die  anthropologisch-ethnologische  Methode  begrün- 
deten, da  hatten  sie  ihre  Gesamtauffassung  von  der  menschlichen  Ent- 
wicklung vor  allem  gegen  eine  streng  kirchliche  Auffassung  zu  ver- 
treten^) —  man  denke  an  englische  Verhältnisse  — ,  die  auf  Grund 

1)  Nicht  trifft  dies  für  Gennep  zu,  der,  wie  ich  zu  meiner  Genugtuung  sehe, 
ganz  ähnlich  über  diese  Frage  urteilt  wie  ich. 

2)  Höchst  bezeichnend  ist  die  Art,  in  der  ein  Mann  wie  Jevons,  sonst  einer 
der  radikalsten  Vertreter  der  anthropologischen  Methode,  sich  mit  dieser  Auf- 
fassung abfinden  zu  müssen  glaubt,  s.  seine  Introduction  to  the  history  of  reli- 
gion  S.  4  ff. 


110 


Gott.  gel.  Anz.  1911.   Nr.  2 


der  Bibel  den  Urzustand  der  Menschen  als  vollkommen  ansah,  vor 
allem  ja  gerade  in  religiöser  Hinsicht,  und  deshalb  die  Zustände 
der  sog.  Naturvölker  durchweg  und  prinzipiell  als  >  Entartung  <  auf- 
faßte. Wenn  Tylor  und  seine  Anhänger  gegen  diese  Entartungstheorie 
protestierten,  so  hatten  sie  vollkommen  Recht,  aber  nun  wirkt  offen- 
bar die  Erinnerung  an  diese  alte  Kampfesstellung  heute  noch  bei 
manchen  nach  und  läßt  sie,  sowie  jemand  von  einer  Entartung  der 
Naturvölker  spricht,  sofort  wieder  Front  dagegen  machen,  auch  wenn 
das  Wort  in  ganz  anderem  Sinne  wie  einst  gebraucht  wird.  Uebrigens 
bedarf  es  für  die  uns  hier  beschäftigende  Frage  des  Begriffes  >Ent- 
artung«  keineswegs,  hier  handelt  es  sich  nur  darum,  dem  Vorurteil 
zu  begegnen,  als  seien  Völker  wie  die  Indianer  und  Australneger  be- 
sonders jugendlich,  und  Folgerungen,  die  aus  dieser  hinfälligen  Prä- 
misse zu  Gunsten  eines  griechischen  Totemismus  gezogen  werden,  ab- 
zulehnen. So  läßt  sich  also  jene  Auffassung  von  der  gleichen  reli- 
giösen Veranlagung  der  Menschen  mit  den  Ergebnissen  der  >  philolo- 
gischen <  Behandlung  wohl  vereinigen,  was  ich  kurz  so  ausdrücken 
möchte:  die  Keime  des  Totemismus  sind  auch  in  der  griechischen 
Religion  vorhanden  gewesen,  aber  unter  dem  Einfluß  der  besonderen 
griechischen  Verhältnisse  sind  sie  entweder  gar  nicht  zur  Entwicklung 
gekommen  oder  wenigstens  bald  verkümmert  und  abgestorben. 

Neben  dem  Totemismus  und  z.  T.  im  Zusammenhang  mit  ihm  spielt 
in  der  modernen  Religionswissenschaft  das  >sakramentalec  Mahl 
eine  besonders  große  Rolle,  und  in  der  Tat  ist  das  der  Begriff,  dessen 
Bedeutung  für  das  Verständnis  auch  der  antiken  Religionen  heute 
wohl  allgemein  zugegeben  wird.  Auch  Farneil  wendet  den  Begriff 
wiederholt  an,  warnt  aber  andrerseits  mit  Recht  vor  Uebertreibungen, 
die  auch  hier  Vertreter  der  > anthropologischen«  Methode  begehen. 
Mit  am  wichtigsten  ist  in  dieser  Hinsicht  die  von  Jevons  vorge- 
tragene*) Erklärung  der  eleusinischen  Mysterien:  ganz  erfüllt  näm- 
lich von  der  bekannten  Theorie  von  Robertson  Smith  über  das  Opfer, 
das  ursprünglich  keine  Gabe  oder  Tribut,  sondern  ein  heiliges  Mahl 
gewesen  sei,  wobei  die  Teilnehmer  durch  den  Genuß  der  göttlichen 
Substanz  des  Opfertieres  mit  der  Gottheit  ein  Fleisch  und  Blut 
wurden,  meint  Jevons,  daß  in  den  Mysterien,  den  öffentlichen  wie 
den  privaten,  eben  dieser  alte  Charakter  des  Opfers  sich  erhalten 
habe  oder  in  Verbindung  mit  der  religiösen  Bewegung  des  VI.  Jahr- 
hunderts neu  zur  Geltung  gekommen  sei.  Farnell  ist  auf  diese  Hypo- 
these, soweit  sie  das  Mysterienwesen  im  allgemeinen  betrifft,  nicht 
eingegangen  —  meiner  Ansicht  nach  schwebt  sie  völlig  in  der  Luft  — 
und  hat  sich  darauf  beschränkt  festzustellen,  daß  jedenfalls  die  Ueber- 

1)  Introduction  S.  327  tf. 


Farnell,  The  cults  of  tbe  Greek  states 


111 


lieferung  über  die  eleusinischen  Mysterien  nicht  damit  in  Einklang 
steht.  Allerdings  heißt  es  in  dem  bekannten  a6v^ir][ia  der  eleusini- 
schen Mysten  Ittiov  töv  xoxfewva,  worauf  sich  Jevons  beruft,  aber  ganz 
abgesehen  davon,  daß  vom  >Essen«  —  und  das  sollte  doch  das  wich- 
tigste sein  —  nicht  die  Rede  ist,  so  liegt  hier  ein  besonders  deutliches 
Beispiel  für  den  oben  erwähnten  methodischen  Fehler  vor,  nämlich 
einen  einzelnen  Zug  der  Ueberlieferung  isoliert  zu  betrachten.  Ueber- 
blickt  man  sie  im  ganzen,  so  ergibt  sich  ein  anderes  Bild:  Im  De- 
meterhymnus, der  als  älteste  Quelle  und,  wie  F.  ganz  mit  Recht  be- 
tont, als  eine  Art  von  Propagandadichtung  besondere  Bedeutung  be- 
ansprucht, ist  mit  keiner  Silbe  diese  besondere  Art  und  Heiligkeit 
gerade  des  Opfers  angedeutet,  geschweige  denn  erwähnt;  vielmehr 
wenn  auf  etwas  Nachdruck  gelegt  wird,  ist  es  schon  hier  wie  in  den 
bekannten  Zeugnissen  von  Pindar  und  Sophokles^)  das  >Schauen<  und, 
worauf  F.  ebenfalls  mit  Recht  hinweist,  die  oberste  Klasse  der  Mysten 
hieß  nicht  Tcapaattot  oder  ähnlich  sondern  iTcöTCTat.  Das  Schauen  also, 
nicht  das  Speisen  hat,  soweit  wir  überhaupt  die  Mysterienfeier  zurück- 
verfolgen können,  die  entscheidende  Rolle  gespielt.  Freilich,  auf  die 
Frage,  was  eigentlich  Gegenstand  des  Schauens  war,  darauf  vermag 
auch  Farnell  keine  genauere  und  sicherere  Antwort  zu  geben  als  die 
bisherigen  Forscher;  ja  er  hält  unser  Wissen  sogar  für  geringer,  als 
ein  Teil  von  diesen  behauptet.  Daß  unter  den  Spwjisva  der  eleusini- 
schen Weihenacht  dramatische  Darstellungen^),  vor  allem  die  n&^ri 
der  Demeter  zu  verstehen  seien,  das  ist  ja  wohl  sicher  und  wird  auch 
von  Farnell  nicht  angezweifelt;  die  Schwierigkeiten  beginnen,  sowie 
wir  versuchen  über  diesen  allgemeinen  Begriff  hinauszukommen  und 
Einzelheiten  zu  erkennen.  Neuere  und  gerade  auch  deutsche  Forscher 

1)  Früher  hatte  ich  vermutet,  daß  der  Wortlaut  der  Pindar-  und  Sophokles- 
steUe  durch  den  des  Hymnus  beeinflußt  sei.  Dem  hat 'Wendland  widersprochen 
(Berl.  Phil.  Wochenschr.  1900,  306)  und  ihre  üebereinstimmung  durch  das  Zurück- 
gehen auf  die  liturgische  Formel  zu  deuten  gesucht,  mit  großer  Wahrscheinlich- 
keit, wie  ich  gern  zugebe.  Aber  um  so  größer  ist  dann  die  Bedeutung  der  Stellen. 

2)  Ich  füge  hinzu:  in  historischer  Zeit,  in  deren  Verlauf  sich  dieses  Brama 
wohl  immer  mehr  entwickelt  und  —  vor  aUem  technisch  —  verfeinert  hat.  Des- 
halb scheint  es  mir  schon  bedenklich,  aus  Schilderungen  der  christlichen  Autoren 
auf  das  V.  und  IV.  Jahrh.  vor  Christus  zu  schließen.  Wie  nun  gar  die  Sache  im 
VII.  Jahrhundert  war,  entzieht  sich  durchaus  einer  sichern  Kenntnis.  Farnell 
scheidet  (p.  182  f.)  von  dem  6pa(jLa  {xuatixdv  das  aus  dem  Wort  Upocpa'vxr]?  ja  unbe- 
dingt zu  erschließende  lepd  «pafveiv:  soUte  sich  nicht  vielmehr  eben  daraus  das 
Späfxa  entwickelt  haben,  das  lepd  «pa^veiv  also  auch  später  noch  ein  Teil  des  8p5|xa 
gewesen  sein? 

3)  Zuletzt  Kern,  Eleusinische  Beiträge,  Halle  1909  S.  8  f.,  der  die  Hypothese 
wohl  am  besten  vertreten  hat,  Famells  Ausführungen  aber  nicht  kannte.  Vgl. 
auch  meine  Besprech.  Berl.  phil.  Wchschr.  1910,  1074  f. 


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Gott.  gel.  Anz.  1911.  Nr.  2 


Farneil,  The  ci\lts  of  the  Greek  states 


113 


1 


li 


haben  bekanntlich  durch  eine  Kombination  gewisser  bildlicher  Dar- 
stellungen  mit   der   berühmten   Hippolytstelle   (Ref.   omn.   haer.  V8 

p.  164  Schneidewin-Duncker)   6  tspo^avTY]<; voxtöc  Iv  'EXsocjtvt 

ßo<^  xal  xsxpaYs  'k^'^tüV   Ispöv   Itsxe  irötvta  xoöpov  Bpt[jLa>  Bpi[i.öv 

zu  erweisen  gesucht,  daß  eine  der  Hauptszenen  der  Weihenacht  die 
Geburt  des  lakchos-  oder  des  Plutosknaben  war,  den  die  Mysterien- 
sprache Bptjiöc  nenne.  Dieser  Hypothese  steht  Farneil  sehr  skeptisch 
gegenüber  und  hat  ausführlich  seine  Bedenken  dagegen  begründet, 
Bedenken,  die  ich  in  der  Tat  für  berechtigt  halte  und  auch  hier  der 
Beachtung  dringend  empfehle.  Doch  das  sind  schließlich  Einzelheiten, 
bei  denen  es  sich  nicht  um  einen  prinzipiellen  Gegensatz  handelt. 
Dagegen  für  die  wichtigere  Frage,  welche  Vorstellung  wir  uns  von 
dem  allgemeinen  Charakter  und  Eindruck  der  eleusinischen  Weihe- 
nacht machen  sollen,  dafür  ist  der  prinzipielle  Standpunkt  Farnells, 
von  dem  hier  zunächst  die  Rede  war,  wieder  von  großer  Wichtigkeit. 
Denn  mit  Entschiedenheit  wendet  er  sich  gegen  den  Gedanken,  als 
könne  etwa  die  Beobachtung  indianischer  oder  australischer  Bräuche 
uns  dem  Verständnis  der  eleusinischen  5p(0[isva  und  der  damit  ver- 
bundenen religiösen  Gefühle  und  Vorstellungen  näher  bringen;  dann 
seien  mittelalterliche  Passionsspiele  noch  eher  dazu  geeignet,  >and  if, 
after  a  careful  review  of  the  evidence,  we  wish  to  gain  for  our  own 
imagination  a  warm  and  vital  perception  of  the  emotions  inspired  by 
the  Eleusinian  spectacle,  we  probably  should  do  better  to  consult 
some  Christian  experiences  than  the  folk-lore  of  Australia,  though  we 
will  welcome  any  new  light  from  this  or  any  other  quarter  of  the 
World,  when  it  comes<  (p.  129)  — Worte,  die  mir  den  Nagel  auf  den 
Kopf  zu  treffen  scheinen,  vorausgesetzt,  daß  es  uns  auf  die  eleusini- 
schen Mysterien  der  historischen  Zeit  ankommt,  auf  die  es  uns  doch 
in  diesem  Fall  allein  ankommen  kann.  Daß,  wenn  ich  irgend  welche 
agrarischen  Urmysterien  des  U.  Jahrtausends  v.  Chr.  konstruiere, 
diese  freilich  australischen  oder  indianischen  Bräuchen  näher  stehen 
als  den  christlich-mittelalterlichen,  ist  klar,  aber  diese  hypothetischen 
Urmysterien  haben  dann  mit  der  besonderen  eleusinischen  Gestaltung 
nichts  mehr  zu  tun  und  kommen  höchstens  für  das  Verständnis  des 
Ursprungs  der  Mysterien  im  allgemeinen  in  Betracht. 

Um  so  weniger  kann  ich  mich  nun  aber  einverstanden"  erklären 
mit  der  Stellungnahme  Farnells  gegenüber  einer  andern,  besonders 
durch  Useners  Sondergötter  bekannt  gewordenen  Theorie,  daß  näm- 
lich in  den  Beinamen  der  großen  olympischen  Götter  sehr  oft  früher 
selbständige  Gottheiten  stecken,  die  aus  irgend  einem  Grunde^)  von 

1)  Für  üsener  ist  der  Hauptgrund  der,  daß  die  begrifflich  durchsichtigen 
Namen  den  nicht  oder  nicht  mehr  durchsichtigen  und  deshalb  zur  Personifikation 


jenen  absorbiert  wurden.  Famell  gibt  wohl  theoretisch  die  Möglichkeit 
dieser  Erklärung  zu,  aber  in  praxi  verhält  er  sich  fast  immer  ab- 
lehnend dagegen.  Um  zu  sehen,  wie  weit  er  darin  geht,  genügt 
eigentlich  ein  Beispiel:  bekanntlich  wurde  in  Epidaurus  und  andern 
Orten  mit  Asklepios  zusammen  ein  Apollon  Maleates  verehrt;  an- 
drerseits besitzen  wir  aus  dem  Asklepieion  im  Piraeus  eine  Ur- 
kunde, in  der  Apollon  und  Maleates  getrennt  erscheinen  und  jeder 
sein  besonderes  Opfer  erhält  ^).  Daraus  ist  bisher  wohl  von  allen,  die 
überhaupt  der  Frage  näher  getreten  sind,  die  einfache  und,  wie  ich 
freilich  meine,  notwendige  Folgerung  gezogen  worden,  daß  Apollon 
und  Maleates  ursprünglich  verschiedene  Gottheiten  waren,  die  dann 
an  den  meisten  Orten  ineinander  verschmolzen.  Farneil  will  nicht 
einmal  diese  Urkunde  gelten  lassen  und  sucht  ihr  Zeugnis  durch  eine 
überaus  künstliche  Argumentation,  von  der  fast  jedes  Glied  morsch 
und  brüchig  ist,  zu  entkräften.  Ich  erwähne  nur,  daß  er  schließlich, 
um  das,  was  nun  doch  einmal  auf  dem  Steine  steht,  zu  erklären,  sich 
zu  folgender  Hypothese  genötigt  sieht:  der  Priester,  der  den  Stein 
gesetzt  und  zuerst  das  Ritual  des  Voropfers  > vermutet <  habe*),  der 
habe  auch  vermutet,  daß  Maleates  eine  von  Apollon  verschiedene 
Persönlichkeit  sei.  Die  Erklärung  beruht  auf  einer  falschen  Interpre- 
tation des  Wortes  IS-^ixdiaato,  was  hier  nicht  > vermutet«,  sondern  nur 
»abgebildet«  (nämlich  iv  zcd^  0T7]Xat<;)  bedeuten  kann,  aber  ganz  ab- 
gesehen davon  —  wie  kann  man  denken,  daß  bald  nach  400  v.  Chr., 
wo  doch  der  überlieferte  Kult  noch  in  voller  Blüte  stand,  der  Priester 
eine  solche  > Vermutung«  als  bindendes  Gesetz  auf  Stein  im  Heilig- 
tum hätte  aufstellen  dürfen? 

Wenn  Farneil  in  dieser  Weise  einer  Urkunde  der  besten  Zeit 
gegenüber  verfährt,  dann  ist  es  kein  Wunder,  daß  er  in  den  Fällen, 
wo  es  an  einem  solchen  Zeugnis  fehlt,  erst  recht  nichts  von  einem 
>Sondergott«  wissen  will,  nichts  von  einem  Htcötoc  oder  Kdpvo<;,  einer 
MsXatva  oder  Asa;cotva.  Selbst  da,  wo  die  Annahme  eines  solchen 
Sondergottes  die  einfachste  und  fast  von  selbst  sich  aufdrängende 
Lösung  bietet,  sträubt  er  sich  dagegen,  wie  z.  B.  bei  der  athenischen 
Demeter  XXöy].  Richtig  fühlt  Farnell,  daß  wir  es  bei  dem  Namen 
XXöY]  mit  dem  Produkt  einer  rein  animistischen,  präanthropomorphen 
—  also  doch  uralten  —  Eeligionsepoche  zu  tun  haben,  und  vergleicht 
mit  Recht  den  bekannten  Zeus  Kspaovö(;.    Ebenso   ist  er   sich  wohl 

geeigneteren  sich  unterordnen ;  aber  ebenso  wichtig,  wenn  nicht  wichtiger  scheinen 
mir  historisch-politische  Gründe  zu  sein:  wie  die  Stämme,  so  verschmelzen  ihre 
Götter. 

1)  Leg.  sacr.  n.  18  xaxd  xocSe  7rpo&6ea&af  MaXeaTYjt  Tcdirava  Tp^a*  'A7t(JX>vü)vi 
Tcdirava  xpfa  xtX. 

2)  Z.  12  ff.  der  Inschrift:  EuduSr^fio?  'EXeuafvio?  Upeus  'AixXtjttio')  xd;  axi^Xa; 
dv^drjxe  xd;  Trpd;  xoT;  ß(j)[jLoT?,   h  aU  xd  TtOTrava  TrpÄxo«  d$T)ixaaaxo,   3  X9h  '^po^e'J^*!« 

OÖU.  gol.  Anz.  1911.  Nr.  2  8 


U4 


öött.  gel.  Anz.  1911.   Nr.  2 


Farneil,  The  cults  of  the  Greek  states 


115 


II 


ili 


bewußt,  daß  Demeter  in  Athen  nicht  ursprünglich  zu  Hause  ist.  Aber 
statt  nun  daraus,  gestützt  zumal  auf  das  von  ihm  selbst  zitierte 
Zeugnis  des  marathonischen  Kalenders,  wo  der  XXötq,  nicht  der  Atj- 
(lYjtpt  XXöTQ  geopfert  wird  ^),  die  Folgerung  zu  ziehen,  daß  diese  XXötj 
eine  uralte,  längst  vor  Demeter  verehrte  selbständige  Göttin  war, 
zieht  Farnell  die  Vermutung  vor,  daß  der  Kult  der  Demeter  XXöt] 
nachträglich  von  Eleusis  aus  verbreitet  sei  (III  S.  33). 

Es  ist  schließlich  nur  folgerichtig,  daß  dann  Farnell  auch  solche 
göttliche  Gestalten,  die  in  der  Ueberlieferung  wohl  als  selbständig, 
aber  als  wesensgleich  mit  einer  der  Hauptgottheiten  erscheinen,  erst 
aus  diesen  entwickelt  glaubt.  Ein  bezeichnendes  Beispiel  dafür  bietet 
die  eleusinische  Adstpä,  über  die  Pherekydes  die  interessante  Nach- 
richt aufbewahrt  hat,  daß  sie  als  Feindin  der  Demeter  gelte:  Stav 
^ap  düstat  aoT-^,  oo  irapsottv  i^  t*^?  ATf]|iY]Tpo<;  i^psta  xal  oh^k  iwv  tsdo- 
li^vwv  Ysoso^at  aotYjv  ootov  (cf.  Serv.  ad  Aen.  IV  58).  Daraus  hat 
V.  Prott  in  seinem  bekannten  Aufsatz  über  den  tepö?  vöjioc  der  Eleu- 
sinien  (MAJ.  XXIV,  241  ff.)  geschlossen,  daß  in  diesem  Verhältnis  das 
Ergebnis  eines  Götterkampfes  vorliegt,  durch  den  Adstpa  aus  ihrer 
ehemals  herrschenden  Stellung  als  Königin  der  Unterwelt  verdrängt 
wurde  —  eine  Erklärung,  die,  wie  man  auch  über  die  Einzelheiten 
denken  mag,  doch  das  wesentliche  der  Frage  m.  E.  richtig  gelöst  hat. 
Daß  Farnell  anderer  Ansicht  ist,  brauche  ich  dem  Leser  kaum  mehr 
zu  sagen:  von  einem  Götterkampf  will  er  nichts  wissen  und  möchte 
in  AAstpa  ebenso  wie  in  dem  vielbehandelten  Paar  Sb6<;  und  Osa  das 
Produkt  einer  späteren  Entwicklung,  spätere  Gestaltungen  sehen,  die 
sich  nach  der  festen  Einrichtung  der  Mysterien,  nach  der  Fixierung 
der  persönlichen  Gottheiten  Demeter  und  Persephone  vom  öffent- 
lichen Kult  abgezweigt  hätten.  Deutlicher  kann  sich  kaum  zeigen,  zu 
welch  tiefgreifenden  Folgerungen  die  Abneigung  Farnells  gegen  die 
Annahme  von  Sondergöttern  führt,  aber  zugleich  auch  m.  E.  zu  welch 
schweren  Irrtümern.  Gewiß  mag  man  im  einzelnen  Fall  schwanken 
und  soll  nicht  hinter  jedem  Beinamen  gleich  eine  einst  selbständige 
Gottheit  suchen,  aber  das  scheint  mir  doch  sicher,  daß  wir  im  Prinzip 
es  mit  einem  besonders  wichtigen  und  fruchtbaren  Gedanken  zu  tun 
haben  und  daß  wer  wie  Farnell  sich  dagegen  ablehnend  verhält,  sich 
selbst  eines  der  wichtigsten  Mittel  zum  Verständnis  der  ältesten 
griechischen  Religionsgeschichte  beraubt,  vor  allem  insofern  es  sich 
um  ihren  Zusammenhang  mit  der  Stammesgeschichte  handelt.  In  der 
Tat  befriedigt  nach  dieser  Seite  hin  Farnells  Darstellung  wenig,  die 
Aufgabe,  die  Kulte  der  Hauptgottheiten,  wie  sie  sich  in  historischer 
Zeit  darstellen,  als  das  Produkt  meist  mehrmaliger  Stammesverschie- 
bungen und  Stammesverschmelzungen  zu  verstehen  und  die  einzelnen 

1)  V.  Prott,  Fasti  n.  26  Z.  49. 


dementsprechenden  Schichten  zu  sondern,  ist  von  ihm  überhaupt  nur 
selten  versucht,  noch  seltener  gelöst. 

Freilich  wirkt  darauf  noch  ein  anderer  Umstand  ungünstig  ein. 
Farnell  operiert  nämlich  viel  mit  solchen  Stämmen  wie  den  Minyern 
und  Dryopern.  Nun  bin  ich  weit  davon  entfernt,  etwa  mit  Beloch 
die  Minyer  für  rein  sagenhafte  Gebilde  zu  halten  und  stimme  Farnell 
durchaus  zu,  wenn  er  daran  festhält,  daß  wirklich  einmal  ein  Volk 
dieses  Namens  existiert  hat;  aber  diese  Existenz  ist  doch  so  unbe- 
stimmt und  schattenhaft,  daß  es  sehr  gewagt  ist,  auf  dieser  schwan- 
kenden Grundlage  ein  religionsgeschichtliches  Gebäude  zu  errichten. 
Selbst  mit  dem  loniernamen  muß  man  vorsichtig  sein  —  das  beweist 
gerade  Farnell  selbst,  der  über  die  Urheimat  der  lonier  eine  recht 
kühne  Hypothese  aufstellt.  Veranlassung  bietet  dazu  das  Kapitel  über 
Poseidon,  das  mir  überhaupt  das  schwächste  der  beiden  Bände  zu 
sein  scheint.  Die  Heimat  des  Poseidonkultes  —  so  argumentiert 
Farnell  —  ist  bei  den  Minyern  in  Thessalien  und  Böotien  zu  suchen ; 
aber  auch  für  die  lonier  ist  ja  Poseidon  die  gemeinsame  Stammes- 
gottheit, Minyer  und  lonier  müssen  also  einmal  nahe  beieinander 
gesessen  haben ;  das  kann  nur  in  Böotien  gewesen  sein,  und  der  ent- 
scheidende Beweis  dafür  sei  der  Beiname  jenes  panionischen  Poseidon, 
nämlich  'EXtxwvtoc.  Denn  die  einfachste  etymologische  Erwägung  lehre, 
daß  dieser  Beiname  nicht,  wie  heute  noch  meist  (?)  angenommen  werde, 
von  der  Stadt  *EXtx7]  in  Achaia  abzuleiten  sei,  sondern  von  dem  Namen 
'EXixwv  wie  Mapa^wvtoc  von  Mapa^tov;  Poseidon  'EXixwvtoc  sei  also 
der  Poseidon  des  Berges  Helikon,  hier,  wo  sie  mit  den  Minyern  in 
Berührung  traten,  der  Ursitz  der  lonier.  Was  zunächst  die  Herleitung 
des  Beinamens  "EXtxcovtoc  betrifft,  so  ist  sie  keineswegs  neu:  sie  ist 
schon  von  antiken  Gelehrten  wie  z.  B.  Aristarch  vorgebracht  ^)  und 
auch  von  Neueren  wie  Gruppe  nur  in  umgekehrter  Richtung  vertreten 
worden,  allein  sie  muß,  wie  zuletzt  Nilsson  mit  Recht  hervorgehoben 
hat,  starken  Zweifel  erregen,  da  von  einem  Poseidonkult  auf  dem 
Helikon  sich  keine  Spur  erhalten  hat^),  während  sich  doch  sonst  ge- 
rade in  Böotien  die  ältesten  Kulte  gut  erhalten  haben.  Um  trotzdem 
den  ionischen  Poseidon  von  dort  herzuleiten,  müssen  also  doch  schon 
schwerwiegende  Gründe   vorliegen,   aber  einen   solchen  kann  ich  in 

1)  Et.  Magn.  547  ^EXixwviov  tov  IloaetSwva  el'prjxev  dTTO  ^EXixiSvos,  w; 'Apfaxapj^os 
ßouXeTat  xtX. 

2)  Einen  nicht  ausreichenden  Ersatz  dafür  bildet  die  von  F.  beigebrachte 
''Ittttou  xpTjVTj  auf  dem  Helikon,  die  der  Sage  nach  Pegasos  geschlagen  hat,  und  der 
Vers  des  Hom.  Hymn.  an  Poseidon,  den  tt'Jvtiov,  o;  d'  'EXixÄva  xal  cipe^a;  l^^et 
Aiya«.  Daß  später,  vor  allem  in  der  Sage,  der  Helikon  mit  dem  Poseidon  TiXtxwvio? 
in  Verbindung  gebracht  wurde,  ist  nicht  wunderbar,  das  Gegenteil  wäre  vielmehr 
wunderbar.  Sagen  wandern  leicht  von  Ort  zu  Ort  und  beweisen  für  sich  allein 
noch  nicht  die  Existenz  eines  Kultes. 

8* 


116 


Gott.  gel.  Anz.  1911.    Nr.  2 


jener  etymologischen  Feststellung  nicht  erkennen.  Diese  ist  gewiß 
an  sich  richtig,  jedoch  —  um  zunächst  auf  dem  Boden  der  von  Farnell 
angewandten  geographischen  Herleitung  zu  bleiben  —  hat  es  einen 
'EXtxcüv  nur  in  Böotien  gegeben?  Faraell  selbst  zitiert  in  dem  Anhang 
das  Zeugnis  über  den  attischen  Helikon^),  und  so  mag  es  noch  an 
manchen  Orten,  vielleicht  auch  in  jenem  Helike,  eine  Oertlichkeit 
dieses  Namens  gegeben  haben.  Nun  scheint  es  mir  aber  überhaupt 
nicht  angängig,  in  jedem  Falle,  wo  der  Beiname  eines  Gottes  einem 
Ortsnamen  gleich  oder  ähnlich  ist,  ohne  weiteres  jenen  von  diesem 
abzuleiten.  Es  gibt  natürlich  manche  Fälle,  in  denen  diese  Erklärung 
richtig  ist,  aber  viele  andere,  und  ich  glaube  fast  die  Mehrzahl,  liegen 
verwickelter,  als  es  beim  ersten  Blick  den  Anschein  hat.  Ich  erinnere 
z.  B.  an  ApoUon  MaXsdTY]<;.  Soll  man  den  Beinamen  etwa  von  dem 
Kap  Malea  ableiten,  wie  in  der  Tat  es  Farnell  tut?  In  stillschweigen- 
der Abwehr  solcher  Erklärungsversuche  habe  ich  in  meinen  Leges 
sacrae  n.  18  S.  72  zusammengestellt,  wie  viele  andere  Namen  noch 
mit  demselben  Stamm  gebildet  sind.  Deshalb  braucht  nun  aber  auch 
das  Umgekehrte  nicht  stets  richtig,  d.  h.  der  Ort  nach  dem  Gott  ge- 
nannt zu  sein,  wie  das  offenbar  Gruppe  für  die  meisten  dieser  Fälle 
voraussetzt  und  auch  z.  B.  beim  Helikon  annimmt.  Es  gibt  eine  dritte 
Möglichkeit,  daß  ein  und  derselbe  Begriff  zur  Bildung  des  Gottes- 
wie  des  Ortsnamens  verwandt  ist.  Bei  "EXixy],  'EXtxwv,  "EXixcovtoc 
könnte  sie  z.  B.  wohl  vorliegen,  wenn  die  von  Fick  und  Solmsen  ^) 
vorgeschlagene  Ableitung  von  (0)2X1x7]  =  salix  > Weide«  richtig  sein 
sollte.  Uebrigens  zwingt  auch  die  von  Gruppe  vorgeschlagene,  freilich 
sonst  nicht  gerade  wahrscheinliche  Herleitung  von  >iXt£<  >Rind<  und 
die  Erklärung  des  Gottes  als  Helik[aJon(ios)  =  Stiergott  an  sich 
keineswegs  zu  der  Annahme,  daß  der  Ortsname  erst  sekundär,  in 
Anlehnung  an  den  Gottesnamen  entstanden  ist.  Auch  hier  könnte 
jene  dritte  Möglichkeit  vorliegen.  Aber  was  nun  auch  die  richtige 
Erklärung  von  'EXtxwvtoc  sein  mag,  jedenfalls  kann  die  von  Farnell 
vorgeschlagene  keinen  Anspruch  auf  irgendwelche  Sicherheit  machen 
und  eignet  sich  sehr  wenig  dazu,  um  weiter  darauf  zu  bauen.  Farnell 
aber  hat  nicht  nur  seine  Ansicht  von  der  Urheimat  der  lonier  darauf 
begründet,  die  ja  auch  historisch  klaren  Bedenken  unterliegt^),  son- 
dern ist  auch  sonst  in  der  Behandlung  des  Poseidonkultes  dadurch 
beeinflußt.  Wenigstens  schreibe  ich  es  dem  zu,  wenn  der  peloponne- 
sische  Poseidonkult  bei  Farnell  etwas  zu  kurz  kommt  und  in  seiner 

1)  Bekk.,    Anecd.  Graec.  I  p.  326 :    xd^   U   oy%o^   iraXai    ovofxa    tojto),    8«   vuv 
Aypa    xaXetToi,  'EXixwv,  xal  1^  ^a^^ctpa  toü  IloaeiSuivo«  xou  *EXtxü)v(ou  in'  otxpou. 

2)  Rhein.  Mus.  LIII  S.  147. 

3)  Ich   hetone,   daß   der  bekannte  Aufsatz  von  Kretschmer  über  lonier  und 
Achäer  (Glotta  I  S.  9  ff.),  mit  dem  sich  jeder,  der  über  diese  Fragen  schreibt,  aus- 

e  inandersetzen  muß,  Farnell  noch  nicht  bekannt  war. 


Farnell,  The  cults  of  the  Greek  states 


117 


Bedeutung  m.  E.  nicht  genug  gewürdigt  wird.  Und  sollte  mit  der 
Ansicht  von  dem  minyisch-ionischen  Ursprung  des  Poseidonkultes  es 
nicht  auch  zusammenhängen,  wenn  Farnell  sich  so  lebhaft  gegen  die 
>chthonische<  Natur  des  Gottes  wendet?^)  Mit  dem  Wort  chthonisch 
wird  heute  ja  vielleicht  zu  viel  und  oft  unvorsichtig  operiert,  aber 
gerade  der  Poseidon  mancher  Orte  läßt  sich  m.  E.  ganz  gut  damit 
charakterisieren  —  ich  erinnere  nur  an  Phigalia,  wo  er  neben  der 
MeXaiva  steht  — ,  und  die  Stelle  bei  Dionys.  Hai.  II 31,  auf  die  sich 
Farnell  als  ein  Zeugnis  beruft,  daß  Poseidon  nie  mit  chthonischen 
Riten  verehrt  sei,  besagt  in  Wirklichkeit  keineswegs  so  viel,  sondern 
leugnet  nur  eine  besondere  Eigentümlichkeit,  nämlich  den  unter- 
irdischen a(pavT3<;  ß^l^oc,  für  den  Kult  dieses  Gottes. 

Soviel  über  die  prinzipiellen  Gesichtspunkte,  die  für  die  Dar- 
stellung Farnells  und  ihre  Beurteilung  in  Betracht  kommen.  Es 
gibt  aber  natürlich  eine  Fülle  von  Einzelfragen,  vor  allem  auf  dem 
Gebiete  der  eigentlichen  Sakralaltertümer,  deren  Lösung  davon  unab- 
hängig ist,  und  wo  es  nur  oder  fast  nur  auf  richtige  Interpretation 
und  Divination  ankommt.  Nun  können  bei  einem  solchen  Werke  wie 
dem  Farnellschen  nicht  alle  Dinge  gleichmäßig  behandelt  sein,  und 
ganz  naturgemäß  macht  sich  bemerkbar,  daß  F.  sich  mit  der  einen 
Frage  spezieller  und  eindringender  als  mit  der  andern  beschäftigt 
hat.  Aber  nachdrücklich  möchte  ich  betonen,  daß  es  kaum  einen 
wichtigeren  Abschnitt  in  diesen  beiden  Bänden  gibt,  der  nicht  auch 
nach  dieser  Richtung  hin  Förderung  und  Anregung  gewährt.  Ich  will 
wenigstens  einige  Beispiele  anführen  und  nenne  zunächst  aus  dem 
Demeter-Kore-Band  den  Abschnitt  über  die  Thesmophorien :  nicht  daß 
Farnell  nun  die  verwickelten  Probleme,  die  mit  diesem  Fest  und 
seinem  Namen  verknüpft  sind,  sicher  gelöst  hätte,  aber  seine  ruhige, 
methodische  Erörterung  wirkt  klärend  und  —  wenn  ich  so  sagen 
darf  —  aufräumend ;  z.  B.  scheint  mir  der  Versuch,  die  Bedeutung 
von  ^eo(xö(;  hier  durch  das  bekannte  homerische  Xsx-cpoio  TcaXatoö  ^-sa- 
(löv  txovTo  zu  erklären  und  den  Kult  mit  der  Institution  der  Ehe  in 
Verbindung  zu  bringen,  durch  Farnell  endgültig  widerlegt  und  er- 
ledigt zu  sein.  Er  selbst  erklärt  übrigens  ^so[io^öpoc  als  the  bringer 
of  treasure  or  riches,  wofür  er  außer  dem  schon  von  Nilsson  ange- 
führten Anakreonzeugnis  (fr.  58  Bergk  *)  noch  zwei  freilich  nicht  ganz 
sichere  inschriftliche  Belege  (Collitz  GGDI1154  und  Cauer  Del.  ^295 
Z.  65)  beibringt.  —  Aus  dem  Abschnitt  über  die  eleusinischen  My- 
sterien habe  ich  oben  schon  (S.  111  f.)  die  wichtigen  Ausführungen  über 
die  Weihenacht  und  das  8pa[xa  (jLoauxöv  erwähnt;  hier  verweise  ich 
noch  auf  das,  was  F.  über  das  Verhältnis  des  Dionysoskultes  zu  den 

1)  Auch  daß  F.  die  chthonische  Bedeutung  des  Pferdes  nirgends  anerkennt, 
hängt,  fürchte  ich,  damit  zusammen. 


118 


GOtt.  gel.  Anz.  1911.  Nr.  2 


Mysterien,  über  ihre  angebliche  Herkunft  aus  Aegypten  und  über  die 
irpöppYjotc  zu  Beginn  des  Festes  sagt.  In  den  beiden  letzten  Punkten 
berühren  sich  Farnells  Ausführungen  z.  T.  nahe  mit  dem,  was  ich 
selbst  einst  dargelegt  habe;  jedoch  wenn  F.  geneigt  scheint,  auf 
Grund  der  bekannten  Aristophanesverse  (Frösche  356  flf.)  anzunehmen, 
daß  schon  um  400  v.  Chr.  die  moralische  Reinheit  zwar  nicht  ge- 
prüft, aber  ihre  Notwendigkeit  feierlich  proklamiert  wurde,  so  möchte 
ich  doch  zur  Vorsicht  mahnen  und  wiederholen,  woran  ich  in  meinen 
Leges  sacrae  erinnert  habe  (zu  n.  148  p.  364),  daß  nämlich  die  Lesart 
^vwii-fl  xa^apsost  nicht  durchaus  sicher  ist,  Plutarch  statt  dessen  viel- 
mehr YXwaa-^  las.  Natürlich  liegt  die  Lesart  YvwfjL-o  näher,  aber  eben 
deshalb  wäre  ihr  späteres  Eindringen  auch  sehr  begreiflich,  und  un- 
möglich scheint  mir  y^^öoo-o  keineswegs;  vergleichen  ließe  sich  viel- 
leicht, wie  ich  hier  nachtragen  möchte,  der  Vers  des  Rheaepigramms 
aus  Phaistos:  Ädvtsg  soosßss?  xe  xal  euY>^(ö^<t>ot  Tüdpid'  dc^vot  (GGDI 
5112). 

Während  dann  das  Poseidonkapitel,  wie  schon  oben  erwähnt, 
weniger  befriedigt,  bietet  wieder  der  Abschnitt  über  ApoUon,  wo  F. 
in  zwei  Kapiteln  gesondert  die  einzelnen  Kulte  und  dann  das  Ritual 
behandelt,  des  Guten  und  Anregenden  viel.  Auch  in  der  Behandlung 
mancher  religions-  und  stammesgeschichtlicher  Probleme  ist  Farneil 
hier  glücklicher.  Die  Kulttatsachen  und  die  Ueberlieferung  selbst 
wie  die  über  Delphi  reden  bei  diesem  Gotte  eben  doch  eine  so  ein- 
dringliche Sprache,  daß  oft  auch  Farnell  nicht  anders  kann  als  in 
ApoUon  den  späteren  Eindringling  zu  erkennen  und  damit  sich  erst 
den  Weg  zum  richtigen  Verständnis  öffnet.  Aus  dem  den  Kulten  ge- 
widmeten Kapitel  hebe  ich  hervor  seine  Bemerkungen  über  die  Hyper- 
boreer, wo  er  sich  durchaus  auf  Seiten  der  Ahrensschen  Etymologie 
(oTüspßspstot  =  oTcsp^sp^tat)  stellt,  über  Apollon  Aöxsioc,  den  »Wolfs- 
gott«, und  seine  Beziehungen  zu  Lykien,  über  Apollon  UoLzpC^oq  in 
Athen,  vor  allem  aber  den  Abschnitt  über  das  delphische  Orakel  mit 
den  vortrefflichen  Ausführungen  über  die  delphische  Mantik,  die  Rolle 
der  Pythia  und  der  ^'Oatot,  den  religiösen  und  politischen  Einfluß,  den 
Delphi  auf  Griechenland  ausübte.  Im  einzelnen  kann  man  auch  hier 
abweichender  Ansicht  sein,  z.  B.  zweifle  ich  sehr,  ob  er  mit  Recht 
gegenüber  Rohde  den  Einfluß  des  Dionysoskultes  auf  das  Empor- 
kommen der  Ekstase  in  der  delphischen  Mantik  leugnet.  Aber  abge- 
sehen davon,  daß  andrerseits  gerade  hier  Farnell  auch  Einzelfragen 
erfolgreich  behandelt  ^),  als  Ganzes  genommen  gehört  dieser  Abschnitt 

1)  So  hat  das  für  die  Auffassung  der  TrpofAavxefa  entscheidende  Zeugnis  schon 
Farnell,  wie  ich  im  Nachtrag  zu  meinem  Bericht  über  Sakralaltertümer  S.  76  noch 
bemerken  konnte,  gefunden  (IV  S.  214).  Opp^s  Aufsatz  über  »the  Chasm  at 
Delphic  hat  er  erst  nachträglich  kennen   gelernt,   aber   die  kurzen  Bemerkungen 


Farnell,  The  cults  of  the  Greek  states 


119 


zum  Besten,  was  in  letzter  Zeit  zusammenhängend  über  Delphi  ge- 
schrieben worden  ist. 

In  dem  Kapitel  über  das  Apolloritual  endlich  beweist  Farnell, 
wie  sehr  er  doch  bereit  ist,  die  sicheren  Ergebnisse  und  Erkenntnis- 
fortschritte, die  wir  der  sog.  >anthropologischen<  Methode  verdanken, 
sich  zu  eigen  zu  machen.  Z.  B.  steht  er  in  der  Auffassung  solcher 
Feste  wie  der  öapYTiJXtä,  SisTcxT^pia  u.  ä.  durchaus  auf  dem  Boden  der 
modernen  Anschauung,  daß  wir  es  hier  mit  Vegetations-  und  Sühne- 
riten einer  früheren,  primitiven  Religionsschicht  zu  tun  haben,  die 
erst  später  in  dem  Apollokult  aufgegangen  sind.  So  zeigt  gerade 
dieses  Kapitel  noch  einmal  deutlich  das,  worin  m.  E.  die  Stärke  des 
Farnellschen  Werkes  liegt,  und  was  ich  zum  Schluß  hier  zusammen- 
fassend charakterisieren  möchte  als  die  Verbindung  anthropologischer 
und  philologischer  Wissenschaft  —  ich  gestehe  offen,  daß  ich  dabei, 
so  wie  die  Dinge  heute  liegen,  den  Nachdruck  auf  diese  letztere 
lege,  da  ohne  sie  wohl  geistreiche  und  interessante  Hypothesen,  aber 
nie  positive  und  sichere  Fortschritte  der  Erkenntnis  erzielt  werden 
können. 

Frankfurt  am  Main  Ludwig  Ziehen 


Mitteilungen  aus  dem  Naturhistorischen  Museum  in  Hamburg 
XXV.  Jahrgang  (2.  Beiheft  zum  Jahrbuch  der  Hamburgischen  Wissenschaftlichen 
Anstalten.  XXV.  1907).  Hamburg:  L.  Gräfe  &  Sillem  i.  Komm.  1908.  291  S. 
Lex.  8».   M.  8,50. 

1)  Syngnathiden-Studien.  I.  Variation  und  Modifikation  bei  Siphonostoma 
typhle  L.  Von  Georg  Duncker.  Mit  20  Tabellen,  3  Tafeln  und  4  Figuren  im 
Text.   p.  1—115. 

Die  vorstehend  genannte  Arbeit  von  Dr.  Duncker  ist  eine  Unter- 
suchung der  individuellen  und  lokalen  Variationen  von  Siphonostoma 
typhle  L.,  eines  an  fast  allen  europäischen  Küsten  häufigen  kleinen 
Fisches  aus  der  Familie  der  Lophobranchier,  und  hat  sich  als  haupt- 
sächlichstes Ziel  gesetzt  das  Studium  der  Beziehungen  zwischen  Be- 
stimmungswerten und  Korrelationskoeffizienten  homologer  Merkmale 
bei  den  verschiedenen  Lokalformen  einer  und  derselben  Art.  Der 
Autor  stellt  für  später  gleichartige  Untersuchungen  in  Aussicht,  welche 
sich  auf  andere  Siphonostomaarten  und  Vertreter  anderer  Gattungen 
der  Lophobranchier  erstrecken  soll. 

Die  Arbeit  Dunckers,  welche  einerseits  biologisch-morphologische, 
andererseits  biostatistische  Untersuchungsergebnisse  liefert,  ist  folgen- 
dermaßen eingeteilt: 

S.  181  Anm.  a  zeigen  doch,  daß  er  auch  hier  sich  der  für  die  Frage  entscheiden- 
den Momente  wohl  bewußt  ist;  zu  vergleichen  ist  freilich  hier  noch  das,  was  ich 
im  Jahresbericht  S.  34  ff.  eingehender  auseinandersetzen  konnte.