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Full text of "Madhva's Philosophie des Vishnu-Glaubens; mit einer Einleitung über Madhva und seine Schule. Ein Beitrag zur Sektengeschichte des Hinduismus"

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HELMUTH  VON  GLASENAPP 

MADHVA'S  PHILOSOPHIE 
DES  VISHNÜ-GLAÜBENS 

MIT  EINER  EINLEITUNG  ÜBEE 
MADHVA  UND  SEINE  SCHULE 

EIN  BEITEAG 
ZUE  SEKTENGESCHICHTE  DES  HINDUISMUS 


1923 
KÜRT  SCHEOEDEE  /  VEELAG  /  BONN  UND  LEIPZIG 


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GEISTESSTRÖMUNGEN 

DES  OSTENS 


HERAUSaEGEBEN 


VON 


W.  KIRFEL 


BAND  n 

HELMUTE  VON  GLASENAFP: 

MADHVA'S 

PHILOSOPHIE  DES  VISHNU- GLAUBENS 


1923 
KURT  SCHROEDER  •  VERLAG  •  BONN  UND  LEIPZIG 


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MADHVA'S 
PHILOSOPHIE  DES  VISHNU- GLAUBENS 

MIT  EINER  EINLEITUNG 
ÜBER  MADHYA  UND  SEINE  SCHULE 

EIN  BEITRAG  ZUR  SEKTENGESCHICHTE  DES  HINDUISMUS 


VON 


HELMUTE  VON  GLASENAPP 


1923 
KURT  SCHROEDER  •  VERLAG  •  BONN  UND  LEIPZIG 


HERRN 

PROFESSOR  DR.  RICHARD  SIMON 

IN  DANKBARKEIT 
ZUGEEIGNET 


VORWORT. 

Die  philosophischen  Systeme  der  hinduistischen  Sekten  sind 
von  der  europäischen  Indien-Forschung  bisher  nur  in  geringem 
Maße  zum  Gegenstand  wissenschaftlicher  Untersuchungen  gemacht 
worden.  Sehr  zu  Unrecht.  Denn  wenn  die  abendländische  Indo- 
logie dem  Westen  das  Verständnis  für  die  Kultur  der  indischen 
Völker  vermitteln  soll,  darf  sie  sich  nicht  auf  das  Studium  der 
Erzeugnisse  der  ältesten  Perioden  der  indischen  Geistesgeschichte 
beschränken,  sondern  sie  muß  bestrebt  sein,  alle  Erscheinungen 
des  kulturellen  Lebens  des  Gangeslandes,  bis  auf  unsere  Tage  hin 
mit  gleicher  Hingabe  zu  erfassen  und  darzustellen.  Bei  aller  Be- 
wunderung für  die  ehrwürdigen  Denkmäler  einer  entfernten  Ver- 
gangenheit darf  nicht  das  Studium  dessen  versäumt  werden,  was 
im  heutigen  Indien  noch  Kraft  und  Leben  besitzt,  mag  dieses  auch 
vom  Standpunkt  des  Altertumsforschers  weniger  interessant  und 
minder  gewichtig  erscheinen. 

Die  vorliegende  Schrift  unternimmt  den  Versuch,  die  Lehren 
der  noch  heute  in  Südindien  verbreiteten  visnuitischen  Sekte  der 
Mädhvas  auf  Grund  der  Werke  ihres  Stifters  erstmalig  quellen- 
mäßig darzustellen;  sie  will  damit  für  ihren  Teil  dazu  beitragen, 
unsere  Kenntnis  der  religiösen  Strömungen  innerhalb  des  heutigen 
Hinduismus  zu  ergänzen  und  zu  erweitern.  Dementsprechend  be- 
handelt sie  vor  allem  die  religiöse  Gedankenwelt  Madhvas;  seine 
Exegetik,  Logik  und  Erkenntnislehre  sowie  seine  Polemik  gegen 
andere  Schulen  sind  nur  soweit  erörtert  worden,  als  dies  für  den 
beabsichtigten  Zweck  als  notwendig  erschien.  Bei  meiner  Dar- 
stellung habe  ich  mich  nicht  darauf  beschränkt,  das  eine  oder  andere 
Hauptwerk  des  Meisters  zu  Grunde  zu  legen,  sondern  alle  ihm 
zugeschriebenen  37  Werke,  wenn  auch  naturgemäß  nicht  alle  in 
gleichem  Maße,  zu  Rate  gezogen.  Daß  im  Hinblick  auf  den  großen 
Umfang  von  Madhva's  Schriften  —  in  der  von  mir  benutzten  Aus- 
gabe umfassen  sie  2350  Seiten  in  oblongem  Groß-Oktav,  wobei 
jedoch  die  Texte  der  Bhagavadgltä  und  von  10  Upanisaden  mit- 
einbegriffen sind  —  in  einem  Buch  wie  dem  vorliegenden  nur  das 
Wichtigste  hervorgehoben,  Vieles  nur  kurz  gestreift  werden  konnte, 
versteht  sich  von  selbst.  Um  jedoch  sicher  zu  sein,  daß  kein 
wesentlicher  Punkt  meiner  Aufmerksamkeit  entgangen  ist,  habe  ich 
die  beste  indische  Zusammenfassung  von  Madhva's  Lehre,  Pad- 
manäbha's  „Madhva-siddhänta-sära"'  durchgängig  verglichen.  Der 
Tatsache,    daß   meiner   Interpretation   von   Madhva's   Philosophie 


Vorwort  VII 

trotzdem  noch  mancherlei  Mängel  anhaften,  bin  ich  mir  voll  be- 
wußt; lehrt  doch  der  Vergleich  zwischen  den  Originalquellen  und 
allen  bisher  unternommenen  europäischen  Darstellungen  von  meta- 
physischen Systemen  der  Brahmanen,  daß  es  uns  bei  der  großen 
Verschiedenheit  unseres  Denkens  von  dem  der  Hindus  nur  in  be- 
grenztem Maße  möglich  ist,  den  eigenartigen  Ideengängen  indischer 
Scholastiker  gerecht  zu  werden. 

Meine  Arbeit  wurde  im  Sommer  1915  begonnen  und  Ende  1917 
zu  vorläufigem  Abschluß  gebracht.  Auf  Grund  ihrer  wurde  ich 
im  Mai  1918  von  der  Philosophischen  Fakultät  der  Bonner  Uni- 
versität als  Privatdozent  zugelassen.  In  veränderter  Gestalt  lag 
sie  auch  der  Philosophischen  Fakultät  der  Universität  Berlin  vor, 
als  ich  zwei  Jahre  später  meine  Umhabilitierung  dorthin  vollzog. 
Seitdem  habe  ich  die  Schrift  wesentlich  erweitert  und  umgestaltet, 
der  größte  Teil  der  Einleitung  und  mehrere  Abschnitte  des  Textes 
sind  neu  geschrieben  worden  und  im  Einzelnen  habe  ich  viele  Zu- 
sätze und  Verbesserungen  vorgenommen. 

Unter  Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  Madhva's  Werke 
unter  den  heutigen  Verhältnissen  in  Deutschland  schwer  zu  be- 
schaffen sind,  habe  ich  besonders  markante  Stellen  aus  ihnen  des 
öfteren  in  der  Originalsprache  beigefügt,  um  denen,  die  philosophische 
Sanskrit -Werke  zu  lesen  gewohnt,  denen  aber  die  Urtexte  nicht 
zugänglich  sind,  wenigstens  in  gewissem  Umfange  einen  Einblick 
in  Madhva's  Schreibweise  und  eine  Nachprüfung  meiner  Darstellung 
zu  ermöglichen. 

Seiner  Form  und  seinem  Inhalt  nach  wendet  sich  das  vor- 
liegende Buch  in  erster  Linie  an  Indologen,  doch  hoffe  ich,  daß 
es  auch  das  Interesse  aller  derjenigen  beanspruchen  darf,  die  sich 
mit  der  Geschichte  und  den  Problemen  indischer  Religiosität  be- 
schäftigen. Bietet  doch  gerade  das  System  Madhva's  überraschende 
Analogien  zu  manchen  Anschauungen  hervorragender  Kirchenlehrer 
des  christlichen  Mittelalters. 

Herrn  Geheimrat  Professor  Dr.  H.  Jacobi  (Bonn),  Herrn  Pro- 
fessor Dr.  F.  0.  Schrader  (Kiel)  und  Herrn  Professor  Dr.  S.  N. 
Dasgupta  (Chittagong)  danke  ich  auch  an  dieser  Stelle  für  freund- 
liche Auskünfte  und  Ratschläge,  Herrn  Professor  Dr.  R.  Simon 
(Berlin)  für  die  liebenswürdige  Hilfe  beim  Lesen  der  Korrektur, 
der  Verwaltung  der  Preußischen  Staats-Bibliothek  zu  Berlin  und 
insbesondere  meinem  Kollegen  Herrn  Dr.  Nobel  für  die  Bereit- 
willigkeit, mit  welcher  mir  die  von  mir  benötigten  Werke  für 
lange  Zeit  zur  Verfügung  gestellt  wurden. 

Berlin  im  Mai  1923. 

Dr.  Helmuth  v.  Glasenapp 
Privatdozent  an  der  Universität  Berlin. 


INHALT. 

Seite 

Vorwort VI 

Inhalts-Verzeichnis VIII 

Erklärung  der  Abkürzungen X 

EINLEITUNG. 

Madhva  und  seine  Schule. 

1.  Die  mythische  Vorgeschichte  Madhras *1 

2.  Die  legendarische  Lebensgeschichte  Madhvas *2 

3.  Der  historische  Madhva *7 

4.  Die  Werke  Madhvas *13 

5.  Die  Herkunft  der  Lehre  Madhvas *17 

6.  Madhvas  Nachfolger *36 

7.  Die  heutigen  Madhvas *39 

8.  Freunde  und  Gegner  Madhvas *42 

9.  Die  Madhva-Literatur *48 

a)  Madhvas  Werke *48 

a)  Text-Ausgaben *48 

ß)  Übersetzungen *49 

b)  Werke  aus  Madhvas  Schule *50 

c)  Schriften  und  Aufsätze  über  Madhva  in  abendländischen  Sprachen  *64 

MADHVAS  PHILOSOPHIE  DES  VISNU-GLAUBENS. 

Erster  Abschnitt:  Erkenntnislehre. 

I.  Die  Erkenntnismittel 1 

II.  Die  Methode  der  Ermittelung  der  Wahrheit 10 

Zweiter  Abschnitt:  Metaphysik. 

I.  Die  Grundprinzipien 14 

1.  Die  drei  Entitäten 14 

2.  Die  fünf  Unterschiede  (pancabheda) 14 

3.  Die  Dvaita-Lehre 16 

IL  Das  Wesen  Gottes 27 

1.  Definition  Gottes 27 

2.  Gottes  Dasein  ist  beweisbar  und  sein  Wesen  erforschbar      ....  27 

3.  Gott  ist  Vispu 28 

4.  Die  Eigenschaften  Vispus 31 

5.  Der  Leib  Visnus 33 

6.  Die  Entfaltungen  (vyüha)  Vis^us 34 

7.  Die  irdischen  Erscheinungsformen  (avatära)  Visijius 36 

8.  Andere  Manifestationen  Visnus 38 

9.  Transzendenz  und  Immanenz  Visnus 39 


Inhalt  IX 

Seite 

III.  Das  Weltgeschehen 40 

1.  Gottes  Verhältnis  zur  Welt 40 

2.  Die  Evolution  der  Welt 43 

3.  Der  Weltbestand 50 

4.  Die  Reabsorption  der  Welt 51 

5.  Die  Weltalter 53 

IV.  Die  Seelen 54 

1.  Allgemeines 54 

2.  Seelen  und  Leiber 55 

3.  Das  Verhältnis  Gottes  zu  der  Seele 57 

4.  Das  Wirken  Gottes  in  der  Seele 58 

5.  Die  Klassen  der  jivas 61 

V.  Die  Seelen  (Fortsetzung):  Die  Götter 67 

1.  Das  Wesen  der  Götter 67 

2.  Die  einzelnen  Götter 72 

Dritter  Abschnitt:  Heilslehre. 

I.  Die  Ursachen  des  Saipsära      . 76 

II.  Die  Mittel  zur  Heüsgewinnung 80 

1.  Gute  Werke 80 

2.  Wissen 87 

3.  Gottesliebe 91 

III.  Die  Meditation,  der  Weg  zur  Vervollkommnung 95 

IV.  Das  Schauen  Gottes 97 

V.  Das  Verhalten  der  Lebend-Erlösten 99 

Vierter  Abschnitt:  Eschatologie. 

I.  Das  Schicksal  der  Seelen  nach  dem  Tode 101 

II.  Der  Weg  der  Saipsärins  zur  Wiedergeburt       102 

III.  Die  Höllenfahrt  der  Verdammten 103 

IV.  Der  Weg  zur  Erlösung 105 

V.  Der  Zustand  der  Erlösten 108 

INDICES. 

1.  Indische  Wörter 113 

2.  Namen  (mit  Ausschluß  der  im  1.  Index  enthaltenen) 118 

3.  Schlagwörter 118 

NACHTRÄGE  UND  BERICHTIGUNGEN ...  119 


ERKLÄRUNG  DER  ABKÜRZUNGEN. 

Stellen  aus  den  Werken  Madhvas  werden  nach  der  großen  in  Kumbhakona, 
Sake  1833,  erschienenen  Gesamtausgabe  (vollständiger  Titel  unten  S.  *48)  an- 
geführt, wenn  möglich  nach  Sütra  oder  Vers,  sonst  nach  Blatt  oder  Seite.  Die 
Stellen  aus  der  Brh-Up.  werden  nach  der  allgemein-üblichen  Zählweise  angeführt, 
nicht  nach  der  in  der  Gesamtausgabe  verwendeten,  bei  welcher  III,  2  dem  ge- 
bräuchlichen I,  1  entspricht  u.  s.  f.  Ähnlich  bin  ich  auch  bei  der  Mu.  Up.  und 
in  einigen  anderen  Fällen  verfahren.  Die  Abkürzungen,  die  zur  Verwendung  ge- 
langten, sind  fast  alle  unschwer  erkennbar  (Pramäpa  =  Pramä^a-laksapa  u.  ä.), 
doch  bedürfen  die  folgenden  noch  einer  Erklärung. 

Ait.  =  Aitareya 

Anuvy  =  (Brahmasütra-)  Anuvyäkhyäna 

bh  =  bhäsya 

Bhäg.  P  =  Bhägavata-Puräija  (Bombay  1916,  Nirpaya  Sägara  Press) 

BhG  =  Bhagavad-Gitä 

Brh.  üp  =  Brhadära^yaka-Upanisad 

BS  =  Brahma-Sütra 

C  =  Commentar 

Chä.  Up.  =  Chändogya-Upanisad  « 

ERE  =  Encyclopaedia  of  Religion  and  Ethics 

Ind.  Antq  =  Indian  Antiquary 

JRAS  =  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society 

Mä.  Up  =  Märidük(y)a-Upanisad 

Mbh  =  Mahäbhärata 

Mu.  Up  =  Mupdaka-Upanisad 

MVBD  =  Madhva  Vilas  Book  Depot 

Mvij  =  Näräya^ia's  Madhva-vijaya  (Ausgabe  mit  Öesas  C,  Bombay  1883) 

P  =  Puräpa 

p  =  pagina  (Seite) 

Ps  =  Padmanäbhasüri's  „Padärtha-sangraha"  mit  dem  C  „Madhva-siddhänta- 
sära"  (Ausgabe  des  MVBD,  sake  1815) 

Taitt.  Up  =  Taittiriya-Upanisad 

tp  =  tätparya-nirpaya 

üp  =  Upanisad 

Z,  z  =  zu 

ZDMG  =  Zeitschrift  der  Deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft. 


EINLEITUNG. 

MADHVA  UND  SEINE  SCHULE. 

1.    Die  mythische  Vorgeschichte  Madhvas  ^). 

Visijiu,  der  unvergängliche  Herr  des  Alls,  der  in  ewigem  Spiel 
Entstehung,  Bestand  und  Untergang  der  Welt  hervorruft,  hat  in 
seiner  unendlichen  Güte  den  zahllosen  Seelen,  die  seit  anfangsloser 
Zeit  rast-  und  ruhelos  in  der  Welt  umherirren,  beständig  die 
Wahrheit  über  Sein  und  Leben  offenbar  gemacht  und  ihnen  den 
Weg  zur  Erlösung  durch  das  gläubige  Vertrauen  auf  seine  Macht 
immer  aufs  Neue  gezeigt  und  gewiesen.  In  den  heiligen  Veden 
hat  er  fromme  Seher  die  höchste  Heilswahrheit  schauen  lassen, 
und  in  den  Werken  der  göttlichen  Überlieferung  hat  er  selbst  sie 
in  der  Gestalt  des  Vyäsa  verkündet.  Als  im  Laufe  der  Weltalter 
Irrtum  und  Sünde  immer  mehr  die  Menschheit  verblendeten,  erschien 
er  als  Räma  und  als  Krsna  auf  Erden,  um  hier,  unterstützt  von 
seinem  liebsten  Sohn  Väyu,  der  sich  in  Hanumat  und  Bhima  in- 
kamierte,  der  Sache  des  Rechts  und  der  Wahrheit  zum  Siege  zu 
verhelfen  im  Kampf  gegen  Bosheit  und  Lüge.  Kraftvoll  richtete 
er  die  Herrschaft  des  Gesetzes  auf  und  verscheuchte  die  Mächte 
der  Finsternis,  die  versucht  hatten,  alle  Wesen  zu  umgarnen.  So- 
bald aber  Krsna  und  Bhima  von  der  Welt  geschieden  waren,  da 
fehlten  ihr  die  starken  Arme,  die  der  Schutz  der  Guten  im  Kampf 
gegen  die  Bösen  gewesen  waren,  und  das  Kali-yuga  begann,  das 
Zeitalter  der  Schlechtigkeit  und  Verblendung.  Die  Asuras,  die 
Feinde  Gottes,  hatten  jetzt  leichte  Arbeit.  Sie  setzten  eine  Reihe 
von  Irrlehren  in  die  Welt,  den  Materialismus,  die  Atomistik,  den 
Siva-  und  Jainaglauben  und  machten  dadurch  Viele  dem  Dienste 
Visnus  abtrünnig.  Als  die  Verwirrung  allgemein  geworden  war, 
erschien  Visnu  in  der  Gestalt  des  Buddha  in  der  Welt^),  um  das 
Ketzertum  selbst  auf  die  Spitze  zu  treiben  xmd  dadurch  die  Feinde 
des  Veda  von   den  Frommen  zu  trennen   und   dem   sicheren  Ver- 


1)  Die  folgende  Darstellung   faßt  den  Inhalt  von  Näräyaijas  Manimanjari 
kurz  zusammen. 

2)  Die  hier  wiedergegebene  Anschauung  ist  die  im  heutigen  Hinduismus  all- 
gemein übliche,  die  auch  von  Madhva  selbst  geteilt  wurde  (unten  S.  37,  Anm.  4). 

V,  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie.  a 


*2  Einleitung 

derben  entgegenzuführen.  Die  falsche  Lehre  fand  viel  Anhang, 
doch  blieb  eine  kleine  Schar  dem  alten  Griauben  treu  und  wider- 
stand den  Verlockungen  der  von  Visnu  irregeführten  Dämonen. 
Auf  die  Dauer  vermochten  die  Bauddhas  es  nicht,  sich  siegreich 
zu  behaupten,  die  Mimämsakas  unter  Kumärila  traten  gegen  sie 
auf  und  verhalfen  den  Vorschriften  des  Veda  zu  neuem  Ansehen. 
Als  nun  die  Asuras  sahen,  daß  ihre  Macht  dahinschwand,  da  er- 
sannen sie  ein  neues,  teuflisches  Mittel,  um  gegen  die  wahre  Lehre 
anzukämpfen:  sie  sandten  einen  der  ihrigen  aus,  in  der  Grestalt 
eines  Brahmanen  die  buddhistische  Häresie  durch  falsche  Auslegung 
in  die  heiligen  Schriften  hineinzudeuten  und  dadurch  die  lern- 
begierigen Vedengläubigen  der  Wahrheit  zu  entfremden.  Der 
Dämon  Manimat,  der  von  Bhima  getötet  worden  war^),  nahm  als 
der  Brahmanen-Bastard  Sankara^)  irdische  Grestalt  an  und  trat 
als  Verkündiger  falscher  Vedänta-Lehren  auf.  Durch  Zuhilfenahme 
magischer  Künste  gelang  es  Sankara,  Viele  seinem  verkappten 
Buddhismus  zu  gewinnen.  Nach  seinem  Tode  setzten  seine 
Schüler  seine  Tätigkeit  fort  und  zwangen  selbst  die  Anhänger  des 
Visnu- Grlaubens  dazu,  sich  zum  Mäyäväda  zu  bekehren.  Der  Gre- 
walt  weichend  mußten  sich  die  treuen  Verehrer  des  Visnu  der 
trügerischen  Alleinheitslehre  anschließen;  insgeheim  aber  hingen 
manche  von  ihnen  auch  weiter  noch  der  allein  wahren  Lehre  von 
der  Verschiedenheit  von  Gott  und  Seelen  an  und  überlieferten 
diese  weiter  im  Kreise  vertrauter  Schüler. 

Als  die  Götter  einsahen,  daß  es  an  der  Zeit  sei,  der  Schreckens- 
herrschaft der  Dämonen  ein  Ende  zu  setzen  und  der  Wahrheit 
freie  Bahn  zu  schaffen,  beteten  sie  zu  Visnu  und  baten  ihn,  der 
Welt  einen  Propheten  der  rechten  Lehre  zu  senden.  Auf  sein 
Geheiß  erschien  Väyu  zum  dritten  Mal  auf  Erden  als  Madhva,  „der 
Korallenbaum  im  Hause  des  Madhya"  (Madhya-mandära). 

2.    Die  legendarische  Lebensgeschicbte  Madhvas^). 

Madhva,  oder  wie  er  ursprünglich  hieß,  Väsudeva,  wurde  (nach 
der  Tradition  seiner  Anhänger)  am  4.  Tage  der  dunklen  Hälfte 
des  Monats  Äsädha  im  Jahre  1040  der  Saka-Ära  —  nach  unserer 


1)  Die  Legende  von  der  Tötung  Mariimats  wird  Mahäbhärata  III,  160  f.  erzählt. 

2)  Der  Name  steht  für  Sankara,  was  „Heilbringer"  bedeutet,  und  soll  gleich- 
zeitig darauf  hindeuten,  daß  dieser  von  Madhva  glühend  gehaßte  Philosoph  ein 
aus  einer  illegitimen  Verbindung  hervorgegangener  Mischling  und  ein  Irrlehrer 
war,  der  Gott  und  Seele  nicht  auseinander  hielt. 

8)  Nach  Näräyauas  „Madhvavijaya". 


Madhva  und  seine  Schule  *3 

Zeitrechnung  Samstag,  28.  Juni  1119  nach  Chr.  (alten  Stils)  —  im 
Dorfe  Päjakaksetra  unweit  der  Stadt  Rajatapitha  im  Karnäta- 
Lande  an  der  Westküste  Indiens  geboren^).  Sein  Vater,  der 
Brahmane  Madhyagehabhatta  ^)  und  seine  Mutter  VedavatT  hatten 
zwei  Söhne  gehabt,  die  ihnen  durch  den  Tod  entrissen  worden 
waren,  und  sich  deshalb  aufs  Sehnlichste  einen  Stammhalter  ge- 
wünscht, der  ihr  Geschlecht  fortsetzen  könnte.  Nach  zwölf  Jahren 
erhörte  Vispu  ihre  Gebete  und  schenkte  ihnen  einen  Knaben,  Vä- 
sudeva,  dessen  zukünftige  Größe  schon  im  Tempel  des  Anantesvara 
in  Udipi  prophezeit  wurde,  bevor  er  zur  Welt  kam.  Bereits  als 
Kind  vollbrachte  der  kleine  Väsudeva  Dinge,  die  seine  übernatür- 
liche Herkunft  erkennen  ließen,  seine  Kraft  und  sein  außerordent- 
licher Appetit  gemahnten  an  Hanumat  und  Bhlma,  während  seine 
erstaunliche  Auffassungsgabe  und  seine  Vorliebe  für  alles  Religiöse 
schon  früh  den  zukünftigen  großen  Theologen  verrieten.  Wunder- 
geschichten wissen  zu  berichten,  wie  er  einen  Gläubiger  seines 
Vaters  dadurch  befriedigte,  daß  er  Tamarinden-Kömer  in  seine 
Hand  legte,  die  sich  in  Münzen  verwandelten,  und  wie  er  einst  bei 
einem  Feste  seinen  Eltern  verloren  ging  und  von  ihnen  nach  langem 
Suchen  im  Heiligtum  des  Anantesvara  wiedergefunden  wurde, 
gleich  dem  Jesusknaben  im  Tempel  zu  Jerusalem  (Lucas  2, 41  f.). 
Mit  5  Jahren  schon  wurde  an  ihm  die  Initiations-Zeremonie 
(upanayana)  vollzogen,  dann  wurde  er  aufs  gründlichste  in  der 
heiligen  und  profanen  Literatur  unterwiesen.  Frühzeitig  regte  sich 
in  ihm  der  Wunsch,  der  Welt  zu  entsagen  und  sich  als  Sannyäsin 
ganz  einem  heiligen  Leben  zu  widmen,  doch  fand  er  für  diese  seine 
Neigung  keine  Gegenliebe  bei  seinem  Vater,  der  nicht  seinen  ein- 
zigen Sohn  für  eine  Lebensstellung  hergeben  wollte,  die  es  un- 
möglich machte,  die  Linie  des  Geschlechtes  fortzuführen  und  die 
heiligen  Totenopfer  zu  vollbringen.  Erst  nach  langen  Kämpfen 
gelang  es  Madhva  seinen  Willen  durchzusetzen,  wozu  vor  allem 
der  Umstand  beitrug,  daß  seinen  Eltern  noch  ein  Sohn  geboren 
wurde,  der  später  unter  dem  Namen  Vis^iutirtha  berühmt  geworden 
ist.  Im  Alter  von  9,  nach  andern  erst  von  11 — 12  Jahren  erhielt 
Madhva  unter  dem  Namen  Pürnabodha  oder  Pürijaprajna  die 
Mönchsweihe.  Sein  Guru,  Acyutaprek§a,  unterrichtete  ihn  in  der 
Advaita-Philosophie,  doch  war  er  selbst  vielfach  mit  den  monisti- 
schen Anschauungen  des  Lehrers  nicht  einverstanden  und  trat  ihnen 

1)  Über  das  Geburtsjahr  und  die  Lage  des  Geburtsorts  vergl.  unten  S.  *  8  ff. 

2)  Nach  Padmanabha  Char  „Life  and  Teachings  of  Sri  Madhva"  p.  16  ent- 
spricht der  Name  Madhyagehabhatta  der  Tuluva-Bezeichnung  Naduvantillaya  „the 
oceupier  of  a  central  house  in  the  village". 

a* 


*4  Einleitung 

entgegen,  ohne  daß  dadurch  die  Herzlichkeit  der  gegenseitigen 
Beziehungen  getrübt  wurde.  Durch  seine  Gelehrsamkeit  und  seine 
Redegewandtheit  schuf  sich  der  junge  Asket  bald  eine  geachtete 
Stellung.  Acyutapreksa  übertrug  ihm  daher  die  Leitung  eines 
Zweigklosters  und  verlieh  ihm  den  Namen  „Änandatirtha",  während 
ihm  bald  nachher  für  das  Obsiegen  in  Disputationen  auch  noch 
der  Titel  „Anumänatirtha"  zuteil  wurde. 

Bisher  war  Madhva  nicht  über  die  Umgebung  von  Udipi 
hinausgekommen;  da  jedoch  jeder  Sannyäsin  umherwandern  und 
die  bedeutendsten  heiligen  Stätten  Indiens  besuchen  soll,  gab 
Acyutapreksa  schließlich  dem  Drängen  seines  Schülers  nach  und 
unternahm  mit  ihm  eine  Reise  nach  dem  Süden.  Durch  Rede- 
kämpfe, Predigten  und  Wundertaten  feierte  Madhva  an  vielen 
Orten  Triumphe;  in  Anantapura  (Trivandrum)  hatte  er  einen 
heftigen  Zusammenstoß  mit  dem  Nachfolger  Sankaras  auf  dem 
Hochsitz  von  Sringeri;  der  Gegensatz  zwischen  beiden  verschärfte 
sich  noch,  als  sie  einige  Zeit  nachher  mehrere  Monate  zusammen 
in  Rämesvara  zubrachten.  Diese  Ereignisse  führten  zu  einer 
dauernden  heftigen  Feindschaft  zwischen  Madhva  und  dem  Jagad- 
guru,  zu  einer  Feindschaft,  die  sich  auch  späterhin  auf  ihre  An- 
hänger übertragen  hat.  Von  Rämei^vara  kehrte  Madhva  dann  über 
Srirahga  nach  Udipi  zurück. 

Nach  längerem  Aufenthalt  in  der  Heimat,  während  welcher 
Zeit  er  seinen  Kommentar  zur  Bhagavadgitä  schrieb,  nahm  Madhva 
dann  von  Acyutapreksa  Abschied  und  zog,  von  Satyatirtha  und 
andern  Schülern  begleitet,  gen  Norden.  Er  passierte  den  Ganges 
und  kam  zu  einem  Tempel  des  Naranäräyana.  Als  er  dort  dem 
Gotte  seinen  Bhagavadgitä-Kommentar  mit  den  an  ihn  gerichteten 
Anfangsworten  darbrachte,  ertönte  eine  überirdische  Stimme,  die 
ihm  die  Richtigkeit  seiner  Interpretation  bestätigte.  Nachdem  sich 
Madhva  dann  durch  Kasteiungen  genügend  vorbereitet  hatte,  stieg 
er  allein  den  Himälaya  hinauf  und  gelangte  schließlich  nach  Bada- 
rikäsrama,  der  heiligen  Einsiedelei,  wo  Vyäsa,  der  Ordner  des 
Veda  und  Urheber  der  Werke  der  religiösen  Überlieferung,  um- 
geben von  Rsis  und  Jüngern  weilt.  Der  uralte  Weise,  ein  avatära 
Visnus,  belehrte  ihn  längere  Zeit  hindurch  über  den  wahren  Inhalt 
der  heiligen  Schriften  und  entließ  ihn  dann  wieder  mit  dem  Auf- 
trage, das  Gelernte  in  einem  Kommentar  zu  den  Brahma-Sütren 
zusammenzufassen,  welcher  Aufforderung  Madhva  bereits  auf  dem 
Rückwege  zu  seinen  Schülern  entsprach^). 


1)  Nach    Mvij  IX,  12    soll    es    zu    Madhväs    Zeit    21    falsche    Kommentare 


Madhva  und  seine  Schule  *5 

Mit  seinen  Anhängern  zog  Madhva  dann  zur  Grodävarl,  wo- 
selbst er  hervorragende  Pandits  im  Redekampf  besiegte  und  für 
seine  Anschauungen  gewann,  darunter  Sobhanabhatta  (später  Pad- 
manäbhatirtha  genannt)  und  kehrte  dann  nach  längerer  Reise  nach 
Udipi  zurück.  Hier  gelang  es  ihm,  seinen  Gruru  Acyutapreksa 
ganz  von  der  Wahrheit  seiner  Lehren  zu  überzeugen,  so  daß 
dieser  sein  Schüler  wurde ;  bisher  hatte  er  sich  nämlich  trotz 
seiner  Hinneigung  zum  Visnu-Grlauben  und  seiner  Bewunderung 
für  Madhva  nicht  vom  Advaita  abbringen  lassen.  Den  Aufenthalt 
in  der  Heimat  benutzte  Madhva  dazu,  um  den  dortigen  Tempelkult 
neu  zu  ordnen  und  Schüler  heranzubilden. 

Von  Udipi  zog  Madhva  dann,  von  einer  größeren  Zahl  von 
Jüngern  umgeben,  wieder  nach  Norden.  Als  er  durch  das  Reich 
des  Königs  Isvaradeva  reiste,  wurde  er  mit  seinen  Anhängern  von 
diesem  Herrscher  dazu  gepreßt,  an  einem  Wasserbau  als  Arbeiter 
mitzuwirken.  Er  forderte  den  König  auf,  das  Grraben  zuerst  durch 
sein  Beispiel  zu  zeigen.  Unter  dem  suggestiven  Einfluß  der  Rede 
des  Heiligen  ließ  sich  der  Fürst  auch  dazu  herbei  und  war  bald 
so  eifrig  am  Werke,  daß  er  garnicht  bemerkte,  wie  der  Gruru  mit 
seinen  Jüngern  ungehindert  von  dannen  schlich.  Am  Granges,  zu 
welchem  die  fromme  Reisegesellschaft  dann  gelangte,  fand  sie 
keinerlei  Boot  zum  Übersetzen  vor,  denn  die  Furcht  vor  feind- 
lichen Angriffen  hatte  den  Herrscher  des  Landes  diesseits  des 
heiligen  Flusses  dazu  veranlaßt,  jeden  Verkehr  mit  dem  gegenüber- 
liegenden Ufer  zu  unterbinden.  Den  Heiligen  focht  dies  jedoch 
nicht  an,  er  wehrte  die  Wächter,  die  ihm  den  Weg  versperrten, 
ab,  sprach  einen  Mantra  und  passierte  mit  seinem  Gefolge  zu  Fuß 
den  tiefen  Strom.  Auf  der  andern  Seite  der  Grangä  wurden  die 
pilgernden  Vaisnavas  von  den  Soldaten  des  dortigen  mohammeda- 
nischen Fürsten  angehalten^).  Madhva  verlangte  sofort  vor  den 
König  geführt  zu  werden,  und  als  er  mit  diesem  sprach^),  machte 

(kubhäsya)  der  BS.  gegeben  haben;  nach  dem  Komm.  Sesas  zu  dieser  Stelle 
waren  die  Verfasser  derselben:  Bhärativijaya,  Saipvidänanda,  Brahmaghosa,  Öatä- 
nanda,  Uddhata,  Vijaya,  Rudrabhatta,  Vämana,  Yädavaprakäsa,  Rämänuja,  Bhartr- 
prapanca,  Dravida,  Brahmadatta,  Bhäskara,  Pisäca,  Vrttikära,  Vijayabhatta,  Visuu- 
kränta,  Vädindra,  Mädhavadäsa,  Sankara  —  Garidiräva  Tälapadatüra  liest  („§ri- 
krs^a-bhakti"  p.  40  der  Prastävanä)  einige  Namen  anders:  Dramija,  Visäkha  (st, 
Pisäca)  Väjindra. 

1)  §esa  erklärt  Mvij  X,  13  „krüra-kimkara-sahasratayena"  als  „kiipkaränäqi 
räjabhrtyänäip  Turuskä^iäip  sahasratayam". 

2)  Nach  Mvij  X,  17  fand  die  Unterhaltung  in  persischer  Sprache  statt : 
tarn  . . .  äha  ...  tad-bhäsayä  citraväkyam  (nach  §esa :  Turuska-räjasya  bhä- 
sayä ;  cf.  auch  Komm,  zu  X,  19). 


*6  Einleitung 

er  einen  so  tiefen  Eindruck  auf  ihn,  daß  der  Herrscher  ihm  die 
Hälfte  seines  Reiches  schenken  wollte.  Der  Heilige  zog  es  aber 
vor,  seinen  Weg  fortzusetzen,  und  gelangte  nach  mancherlei  Fähr- 
lichkeiten,  wie  Kämpfen  mit  Räubern  und  wilden  Tieren,  die  mit 
Zauberkräften  zu  siegreichem  Ende  geführt  wurden,  zum  Himälaya. 
Wie  das  erste  Mal  stieg  er  wieder  zu  Vyäsa  nach  Badari  hinauf, 
um  sich  von  ihm  belehren  zu  lassen.  Die  Quintessenz  des  Gelernten 
legte  Madhva  später  in  seinem  Werke  „Mahäbhärata-tätparya- 
nirpaya"  nieder. 

Von  Vyäsa  huldvoll  entlassen,  begab  sich  Madhva  wieder  zu 
seinen  Jüngern  und  zog  mit  ihnen  weiter.  Die  Gangä  überschritt 
er  noch  einmal  in  wunderbarer  Weise,  ohne  auch  nur  seine  Kleidung 
zu  benetzen,  während  seine  Schüler  auf  Befehl  des  ob  dieses 
Wunders  höchlichst  erstaunten  Königs  auf  Kähnen  hinübergeführt 
wurden.  Nachdem  er  die  Regenzeit  in  Hastinäpura  zugebracht, 
diskutierte  er  in  Benares  mit  Advaitins.  Auf  dem  Kuru-Felde 
erinnerte  er  sich  der  Taten,  die  er  dort  einst  als  Bhima  vollbracht 
hatte,  in  Hrsike^a  wurde  ihm  auf  Sivas  Veranlassung  von  Saivas 
ein  Fest  gegeben.  Über  Isupäta,  wo  Parasurämas  Pfeil  nieder- 
gefallen war,  begab  sich  Madhva  dann  nach  Govä  (Goa),  wo  er 
wieder  einige  Wunder  zum  Besten  gab  und  kehrte  hierauf  nach 
Udipi  zurück. 

Der  Ruhm  Madhvas  und  die  Ausbreitung,  welche  seine  Lehre 
gewonnen  hatte,  erfüllte  die  Advaitins  mit  Besorgnis.  Sie  schmie- 
deten deshalb  Ränke,  um  seinen  Siegeslauf  zu  hemmen.  Da  es 
ihrem  Abte  Padmatirtha  und  dem  gelehrten  Punqlarikapuri  nicht 
gelang,  ihn  in  U(Jipi  in  einer  Disputation  zu  besiegen,  nahmen  sie 
zu  einem  Diebstahl  ihre  Zuflucht:  sie  entwendeten  die  wertvolle 
Bibliothek  ihres  Gegners,  um  ihn  so  der  heiligen  Schriften  zu  be- 
rauben, denen  er  die  Argumente  für  seine  Lehre  entnahm.  Das 
nützte  ihnen  aber  nichts,  denn  Madhva  rief  die  Vermittelung  des 
Königs  Jayasirnha  an,  auf  dessen  Veranlassung  hin  ihm  die  Bücher- 
schätze zurückerstattet  wurden.  »Das  leidige  Vorkommnis  hatte 
insofern  für  Madhva  auch  eine  gute  Seite,  als  er  in  Visnumangala 
dem  König  Jayasirnha  persönlich  näher  trat  und  von  ihm  aufs 
Ehrenvollste  ausgezeichnet  wurde.  Dort  lernte  er  auch  den  großen 
Advaita-Lehrer  Trivikrama  kennen,  den  er  nach  langem  Redekampf 
bekehrte  und  dessen  Sohn  sein  Biograph  wurde.  Auf  Veranlassung 
Trivikramas  verfaßte  er  zur  Erleichterung  des  Verständnisses  der 
Brahmasütren  das  Anuvyäkhyäna,  indem  er  dessen  vier  Adhyäyas 
vier  Schülern  zu  gleicher  Zeit  diktierte. 

Während  sich  Madhva  im  Reiche  Jayasimhas  aufhielt,  starben 


Madhva  und  seine  Schule  *7 

sein  Vater  und  seine  Mutter.  Sein  jüngerer  Bruder  faßte  nun 
auch  den  Entschluß,  Asket  zu  werden.  Madhva  entsprach  seiner 
Bitte,  er  ging  zuerst  zu  ihm  nach  Päjakaksetra  und  weihte  ihn 
dann  unter  dem  ITamen  „Visnutirtha"  zum  Sannyäsin.  Die  Or- 
dination, die  in  Känvatirtha  stattfand,  wurde  zugleich  auch  an 
einer  Reihe  von  andern  Schülern  vollzogen,  die  sich  später  aus- 
zeichneten. 

Madhva  wanderte  dann  noch  längere  Zeit  in  Südindien  umher, 
überall  seine  Lehre  mit  Erfolg  verkündend  und  wunderbare  Taten 
verrichtend.  So  soll  er  z.  B.,  als  er  einst  nachts  seinen  Schülern 
einen  Text  auslegte  und  die  Lampe  erlosch,  den  Unterricht  bei  dem 
Lichte,  das  den  Nägeln  seines  großen  Zehes  entströmte,  fortgesetzt 
haben. 

Als  Madhva  79  Jahre  alt  geworden  war,  kam  die  Zeit  heran, 
wo  er  seinen  Schülern  entrissen  werden  sollte.  Als  er  ihnen  am 
9.  Tage  der  hellen  Hälfte  des  Monats  Mägha  die  Aitareya-Upanisad 
erklärte,  entrückten  ihn  die  Grötter,  während  ein  Blumenregen  fiel 
und  himmlische  Musik  ertönte,  aus  ihrer  Mitte.  Madhva  entschwand 
dem  Blick  der  Irdischen;  nach  dem  Glauben  seiner  Anhänger  weilt 
er  bis  zum  Ende  unseres  Weltalters  in  Badarikäi§rama,  der  Ein- 
siedelei Vyäsas,  um  dann,  wenn  Väyu,  dessen  avatära  er  ist,  seine 
Existenz  als  solcher  endet,  zu  Brahma  zu  werden. 

3.   Der  historische  Madhva. 

Die  Lebensgeschichte  Madhvas,  die  im  vorigen  Abschnitt  ihren 
Hauptpunkten  nach  mitgeteilt  worden  ist,  trägt  einen  durchaus 
mythischen  Charakter.  Obwohl  der  Verfasser  der  beiden  Werke, 
deren  Hauptinhalt  wir  wiedergegeben  haben,  der  „Manimanjari" 
und  des  „Madhvavijaya",  der  Panditäcärya  Näräyapa  der  Sohn 
des  von  Madhva  selbst  bekehrten  Trivikrama  war  und  für  seine 
Schriften  noch  die  Mitteilungen  von  andern  Schülern  Madhvas 
benutzt  hat  ^),  machen  seine  Werke  von  Anfang  bis  zu  Ende  voll- 
ständig den  Eindruck  von  erbaulichen  Legendensammlungen.  Alles 
Geschichtliche  tritt  zurück  hinter  dem  Wunderbaren ;  die  Angaben 
über  die  Zeitumstände,  über  die  Könige,  mit  denen  Madhva  zu- 
sammentraf, über  die  Gelehrten  der  Advaita-Schule,  mit  denen  er 
zu  kämpfen  hatte,  sind  so  ungenau  und  dürftig,  daß  es  schwer 
ist,  im  Einzelnen  Wahrheit  und  Phantasie  zu  trennen.  Der  Hang 
zum  Mirakelhaften,  der  durch  den  Geist  des  wundersüchtigen  Zeit- 

1)  ;,Dasamati-sisyah  kascic  chubha-janatäyai  kutühalanatäyai  |  vividha-suvrttam 
väkyain  kävyam  ivoce  sa  näyaka-stavakam"  (Mvij  X,  2). 


*8  Einleitung 

alters,  in  welchem  Näräjana  schrieb  und  durch  die  ganze  Anlage 
seiner  Werke  bedingt  wurde  ^),  ist  zudem  so  stark,  daß  er  den 
Autor  ganz  in  seinen  Bann  zieht.  Näräyana  will  nicht  nur  den 
so  hoch  verehrten  Lehrer  als  den  überall  siegreichen  Verkünder 
eines  von  dem  heiligen  Vyäsa  persönlich  approbierten  Vedänta- 
systems  darstellen,  sondern  zugleich  als  eine  irdische  Erscheinungs- 
form des  Gottes  Väyu.  Überall  macht  sich  daher  bei  ihm  die 
Tendenz  geltend,  Heldentaten,  die  von  Väyus  Inkarnationen  Ha- 
numat  und  Bhima  erzählt  werden,  auch  von  Madhva  zu  berichten. 
Das  Bestreben,  seinen  Meister  als  einen  von  Visnu  besonders  be- 
gnadeten Menschen  zu  erweisen  und  ihn  anderen  Heiligen  vor  ihm 
nicht  nachstehen  zu  lassen,  hat  ihn  weiterhin  dazu  veranlaßt,  dem 
Bilde,  das  er  von  Madhva  entwirft,  allerlei  Züge  aus  anderen 
Legendenkreisen  einzufügen. 

Bei  dieser  Beschaffenheit  unserer  Hauptquelle  für  die  Lebens- 
geschichte Madhvas  bedarf  es  keiner  weiteren  Ausführungen  dafür, 
daß  sie  nur  in  geringem  Umfange  und  mit  großer  Vorsicht  als 
historische  Urkunde  angesehen  werden  kann.  Aber  auch  andere 
Traditionen,  welche  bei  den  Anhängern  Änandatirthas  im  Umlauf 
sind,  müssen  mit  größter  Zurückhaltung  behandelt  werden. 

Die  erstaunliche  Sorglosigkeit,  welche  die  Überlieferung  der 
Mädhvas  der  Feststellung  historischer  Fakten  in  der  Geschichte 
ihres  Meisters  entgegenbringt,  äußert  sich  am  deutlichsten  in  dem 
Umstände,  daß  über  Madhvas  Lebenszeit  die  widersprechendsten 
Anschauungen  verbreitet  sind.  In  Madhvas  „Mahäbhärata-tät- 
parya-nirnaya"  wird  an  zwei  Stellen^)  Madhvas  Geburtsjahr  mit 
4300  der  Kali-Ära  (1199  A.  D.)  angegeben.  In  Listen,  welche  sich 
in  Mädhva-Klöstern  finden,  wird  hingegen  als  Geburtsdatum  der 
4.  Tag  der  dunklen  Monatshälfte  von  Äsädha  im  Jahre  Vilambi, 
dem  4220.  des  Kali-Yuga,  dem  1040.  der  Saka-Ära  (28.  Juni  1119 
A.  D.)  bezeichnet,  während  als  Tag  seines  Verschwindens  von 
dieser  Welt  der  9.  Tag  der  hellen  Hälfte  des  Mägha  im  Jahre 
Pingala,    Saka    1119    (18.  Januar   1198   A.  D.)   gilt.     Da  nun  in 


1)  Die  „Mapimafijarl",  welche  die  Vorgeschiclite  Madhvas  erzählt,  ist  inhalt- 
lich in  der  Hauptsache  eine  Schmähschrift  gegen  Sankara;  die  eigentliche  Bio- 
graphie Madhvas,  der  „Madhva-vijaya"  aber  bezeichnet  sich  selbst  als  ein  „großes 
Kunstepos"  (mahäkävya).  In  einem  solchen  sind  aber  nach  Dandin,  Kävj'ädarsa 
I,  14  f.  Schilderungen  bestimmter  Zustände  und  Vorgänge  vorgeschrieben,  welchem 
Gebot  auch  Näräyana  so  weit  als  angängig  nachzukommen  bemüht  ist. 

2)  Mbhtp  IX,  100  und  XXXII,  131.  Die  letztere  Stelle  lautet:  „catuh-sahasre 
trisattottare  gate  saqivatsaränäm  tu  Kalau  prthivyäm  |  jätah  punar  vipra-tanuh 
sa  Bhimo  daityair  nigüdhaqi  Hari-tattvam  äha". 


Madhva  und  seine  Schule  *9 

Klosterlisten  mitunter  als  Geburtsjahr  das  Jahr  der  geistigen  Gre- 
burt,  d.  h.  des  Eintritts  in  den  Orden  betrachtet  wird,  so  nimmt 
S.  Subba  Rau  an,  daß  die  Greburt  Madhvas  einige  Jahre  vor  1040 
6aka,  etwa  zwischen  1025  und  1029  Saka  (1103  oder  1109  A.  D.) 
anzusetzen  sei^). 

Mit  beiden  Daten  stimmen  nun  aber  epigraphische  Zeugnisse 
nicht  überein,  Inschriften,  in  welchen  ein  Zeitgenosse  und  Schüler 
Madhvas,  Näraharitirtha,  als  lebend  genannt  wird,  und  die  aus 
den  Jahren  1186 — 1212  t^aka  stammen.  C.  M.  Padmanabha  Char 
schließt  aus  diesem  und  andern  Grründen,  daß  die  Angaben  im 
Mbhtp  und  in  der  Klosterliste  unrichtig  seien  und  nimmt  als 
Lebenszeit  des  Meisters  die  Jahre  1237—1317  A.D.  an 2). 

R.  Gr.  Bhandarkar  kommt  bei  der  Prüfung  des  Verhältnisses 
der  beiden  traditionellen  Daten  und  der  Aussage  der  Inschriften 
zu  einem  anderen  Ergebnis,  das  insofern  viel  für  sich  hat,  als  es 
die  verschiedenen  Zahlenangaben  mit  einander  in  Verbindung  zu 
setzen  vermag.  Er  schreibt  „If  Näraharitirthas  active  period 
extended  from  Saka  1186  to  1215,  his  master  could  not  have  died 
in  Öaka  1119,  i.  e.  fuUy  67  years  before.  It  seems  therefore  rea- 
sonable  to  take  the  date  given  in  Madhva's  Mbhtp,  which  is  4300 
of  the  Kali  age,  to  be  the  correct  date  of  his  birth.  It  corresponds 
to  Öaka  1121,  which,  bearing  in  mind  the  fact  that  some  use  the 
current  year  of  an  era  and  some  the  past,  we  must  regard  as 
equivalent  to  Saka  1119,  the  date  given  in  the  lists  for  Änanda- 
tirtha's  death.  But  instead  of  taking  it  as  the  date  of  his  death, 
we  shall  have  to  regard  it  as  the  date  of  his  birth.  He  lived  for 
79  years  according  to  the  current  account,  so  that  his  death  must 
be  placed  in  Saka  1198.  This  agrees  with  the  tradition  existing 
in  the  Matha  at  Phalmäru,  near  Mulki  in  South  Canara,  to  the 
effect  that  Änandatirtha  was  born  in  Saka  1119  and  died  in  Saka 
1199  (Ep.  Ind.  Vol.  VI,  p.  263,  note)"^).  Zu  einem  ähnlichen  Er- 
gebnis kommt  auch  Gr.  Vencoba  Rao,  der  das  Geburtsdatum  Madh- 
vas mit  Saka  1118  (oder  1120),  den  Tod  mit  Saka  1197  ansetzt*). 
Mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  wird  man  demnach  annehmen 
können,   daß  Madhva   von   um  1199  bis  1278  n.  Chr.  gelebt  habe. 


1)  S.  Subba  Rau  „The  Bhagavadgita"  p.  XVIII. 

2)  C.  M.  Padmanabha    Char    „The    Life   and   Teachings    of    Sri    Madhva" 
pp.  27  f.,  69. 

3)  R.  G.  Bhandarkar  „Vaispavism,  Öaivism  etc.'^  p.  59. 

4)  G.  Vencoba  Rao,  „Sketch  of  the  History  of  the  Madhva  Acharyas".    In- 
dian  Antiquary  43  (1914)  p.  262  ff. 


*10  Einleitung 

Wenn  diese  ZaUen  richtig  sind,  wäre  er  also  ein  Zeitgenosse  von 
Albertus  Magnus  (1193—1280)  oder  von  Franz  von  Assisi  (1182— 
1226)  und  Thomas  von  Aquino  (1225 — 1274)  gewesen. 

Auch  über  die  genaue  Lage  von  Madhvas  Greburtsort  herrscht 
Meinungsverschiedenheit.  Die  Stadt  Rajatapitha,  in  deren  Nähe 
das  Dorf  Päjakaksetra  gelegen  haben  soll,  in  welchem  Madhva 
geboren  wurde,  wird  vom  Imperial  Gazetteer^)  und  auf  seiner 
Angabe  fußend  auch  von  R.  Gr.  Bhandarkar  ^)  und  andern  Grelehrten 
mit  Kalliänpur  identifiziert.  Nach  der  gewöhnlichen  Anschauung 
ist  jedoch  Rajatapitha  ein  Name  von  Udipi  selbst,  ebenso  wie  6i- 
valli.  C.  M.  Padmanabha  Char  schreibt  darüber:  „TJdupi  is  a 
short  designation  for  Chandra  Mouleeswara,  Udupa  being  the 
Sanskrit  word  for  the  Moon.  In  the  temple  of  Ananteswara,  the 
deity  is  seated  on  a  pedestal  of  silver.  Hence  the  town  is  known 
as  Rajata  Peetapura.  Shivalli  is  a  corrupt  form  of  the  Canarese 
expression  Siva  Belli,  the  silver  of  Siva,  in  allusion  to  the  silver 
pedestal  aforesaid"  ^).  Päjakaksetra  muß  demnach  in  der  Umgegend 
von  U(Jipi  gelegen  haben ;  nach  C.  H.  Krishnaswami  Aiyar  ist  es 
das  heutige  Dorf  Belle,  sechs  Meilen  südöstlich  von  Udipi*). 

Über  die  politischen  Zustände  zu  Madhvas  Zeit  ^)  erfahren  wir 
aus  dem  Mvij  nur  spärliche  Einzelheiten;  auch  die  Orte,  an  denen 
sich  die  verschiedenen  Ereignisse  im  Leben  des  Propheten  abgespielt 
haben  sollen,  lassen  sich  nicht  immer  mit  Sicherheit  feststellen. 
Krishnaswami  Aiyar  und  Padmanabha  Char  haben  versucht,  in 
ihren  Biographien  Madhvas  die  Angaben  des  Mvij  mit  historischen 
Geschehnissen  in  Zusammenhang  zu  bringen,  doch  können  ihre 
Untersuchungen  nicht  als  abschließend  gelten,  zumal  da  sie  in 
ihren  Ergebnissen  vielfach  von  einander  abweichen,  weil  sie  über 
Madhvas  Lebenszeit  und  über  die  von  ihm  besuchten  Gegenden 
z.  T.  verschiedenen  Anschauungen  folgen.  Eine  kritische  Behand- 
lung des  Mvij  durch  einen  mit  der  Geschichte  Kanaras  vertrauten 
Forscher  wäre  deshalb  erwünscht. 


1)  „Kalliänpur.  —  Village  in  the  Udipi  täluk  of  South  Kanara  District, 
Madras,  situated  in  13"  24'  N  and  74"  44'  E.  It  is  conjectured  to  have  been  the 
Kalliana  mentioned  by  Cosmas  Indicopleustes  as  the  seat  of  a  bishop  in  the  sixth 
Century.  It  is  also  the  reputed  birthplace  of  Madhvächärya,  the  Vaishnavite  re- 
former,  who  was  born  about  A.D.  1199.  The  Portuguese  established  a  factory 
here  in  1678"  (Imperial  Gazetteer  of  India^.  Vol.  XIV  p.  314.    Oxford  1908). 

2)  R.  G.  Bhandarkar  „Vaisriayisra,  Saivism  etc."  p.  58  Anm.  1. 

3)  C.  M.  Padmanabha  Char,  1.  c.  p.  11. 

4)  C.  H.  Krishnaswami  Aiyar,  „Sri  Madhwacharya"  p.  14. 

5)  Einen  kurzen  Überblick  gibt  Vencoba  Rao  zu  Beginn  seines  Artikels  Ind. 
Antq  43  (1914)  p.  233. 


Madhva  und  seine  Schule  *11 

Wenn  somit  auch  Manches,  was  der  Mvij  über  Madhvas  Leben 
mitteilt,  fraglich  bleibt  und  viele  von  den  Wnndergeschichten,  die 
er  berichtet,  in  das  Gebiet  der  Legende  verwiesen  werden  müssen, 
so  liegt  darum  aber  m.  E.  noch  kein  Grund  vor,  alles,  was  Närä- 
yana  bietet,  in  Zweifel  zu  ziehen.  Man  darf  wohl  annehmen,  daß 
seine  Mitteilungen  über  die  Herkunft  und  Heimat  des  großen 
Theologen  und  die  allgemeinen  Umrisse  des  von  ihm  gegebenen 
Lebenslaufes  den  Tatsachen  entsprechen,  und  daß  auch  das  Cha- 
rakterbild, das  er  von  dem  Meister  entwirft,  trotz  der  starken 
Übermalung  mit  dem  Firnis  des  Glaubens,  in  vielem  Wesentlichen 
richtig  ist. 

Madhva  hat  in  seinen  Kommentaren  mehrfach  die  äußeren 
Merkmale  (laksana)  eines  großen  Lehrers  aufgezählt  ^) ;  es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  er  die  Maße,  die  er  für  den  Körper  eines 
idealen  Guru  gibt,  denen  seines  eigenen  Leibes  angepaßt  hat,  zumal 
da  die  Tradition  behauptet,  daß  er  die  von  ihm  angegebenen 
Kennzeichen  eines  großen  Mannes  besessen  habe.  Danach  muß 
Madhva  außergewöhnlich  groß  und  kräftig  gebaut  gewesen  sein. 
Im  Einklang  hiermit  steht  die  Überlieferung,  welche  ihn  Proben 
außerordentlicher  Stärke  geben  läßt.  Belustigend  ist  die  Mvij 
X,  37  f.  berichtete  Geschichte  von  dem  Ringkampf  mit  15  Schülern, 
die  sich  ihrer  Kraft  gerühmt  hatten  und  die  der  Guru  allesamt 
zu  Boden  warf.  Eine  Erzählung  von  einem  schweren  Stein,  den 
er  allein  zu  heben  vermochte  (Mvij  XVI,  7),  scheint  auch  durch  eine 
Inschrift  in  gewissem  Umfange  eine  Bestätigung  zu  finden^).  Die 
große  physische  Kraft,  die  Madhva  innewohnte,  äußerte  sich,  der 
Tradition  zufolge,  auch  in  der  außerordentlichen  Eßlust,  die  er 
bei  Gelegenheit  entfaltete.  Einmal  aß  er  5  oder  6  Mahlzeiten, 
die  ihm  Verehrer  darboten,  auf  einmal,  weil  er  seinen  Aufenthalt 
nicht  auf  mehrere  Tage  ausdehnen  konnte  und  keinen  seiner  gütigen 
Gastgeber  verletzen  wollte  (Mvij  IX,  7).  Ein  anderes  Mal  soll  er 
nach  einem  Diner  noch  200  Bananen  verzehrt  und  seinem  Wirte 
diese  seine  erstaunliche  Befähigung  damit  erklärt  haben,  daß  das 
Verdauungsfeuer  in  seinem  Bauche  daumendick  sei  und  deshalb 
jede  Speise  schnell  und  mühelos  verbrenne  (Mvij  V,  32  f.).    Wenn 


1)  S.  unten  S.  74  Anm.  1. 

2)  Lewis  Kice,  Epigraphia  Carnatica  VI  p.  27  schreibt  zu  der  Inschrift 
Mg  89,  welche  in  Mävinakere  gefunden  wurde  und  die  nach  ihm  aus  dem  Jahre 
1240  stammt :  „It  is  an  inscription  on  the  top  of  a  big  boulder  called  the  Bhimana- 
kallu  at  the  Ambätirtha  in  the  Tungä  river,  It  states  that  the  rock  was  brought 
there  and  set  up  with  one  band  by  Madhväcärya,"  Die  Inschrift  lautet  „Sri- 
Madhväcäryair  eka-hastenäniya  sthäpitä  silä". 


*  12  Einleitung 

Madhva  wirklich  einen  so  gewaltigen,  selbst  für  einen  Brahmanen 
erstaunlichen  Appetit  besaß  ^),  wie  die  Überlieferung  behauptet, 
so  erscheint  die  Energie  doppelt  bewunderungswürdig,  mit  welcher 
er  sein  asketisches  Leben  durchführte  und  sich  von  Zeit  zu  Zeit 
langwierige  Hungerkuren  auferlegte. 

Nach  allem,  was  wir  von  Madhva  wissen,  muß  sich  bei  ihm 
mit  einem  gesunden  Körper  auch  ein  reger  Geist  verbunden  haben. 
Die  zahlreichen  auf  uns  gekommenen  Schriften,  die  seinen  Namen 
tragen,  die  Bewunderung  und  Verehrung,  die  ihm  seine  Schüler 
zollten  und  die  aufs  deutlichste  in  den  vielen  "Werken  seiner  An- 
hänger fühlbar  ist,  schließlich  die  Erfolge,  die  seine  Lehrtätigkeit 
aufzuweisen  hatte  —  all  dieses  beweist,  daß  er  ein  Grenius  von 
nicht  alltäglicher  Begabung  war,  der  nicht  nur  über  eine  reiche 
Belesenheit  und  eine  große  Neigung  zum  selbständigen  Denken 
verfügte,  sondern  auch  imstande  war,  seine  Gredanken  in  klarer 
und  ansprechender  Form  schriftlich  niederzulegen  und  in  über- 
zeugender Weise  vorzutragen.  Mit  der  ihm  innewohnenden  Sicher- 
heit und  der  fanatischen  Überzeugung  von  der  Richtigkeit  der 
von  ihm  verkündeten  Lehren,  mit  welchen  er  bei  literarischen 
Fehden  und  Wortgefechten  in  die  Schranken  trat,  mag  er  seinen 
Jüngern  als  der  Meister  erschienen  sein,  dem  sich  alle  Zweifel 
gelöst  haben  und  der  deshalb  andern  alle  Zweifel  zu  nehmen  ver- 
mag ^).  Wenn  wir  auch  berechtigten  Grund  zu  der  Annahme  haben, 
daß  Madhva  nicht  überall  bei  den  Disputationen  mit  anderen  Phi- 
losophen so  glänzend  abgeschnitten  hat,  wie  Näräyana  es  darstellt 
—  selbst  bei  seiner  Schilderung  des  E-edekampfes  in  Trivandrum 
hatte  Madhva  keinen  Sieg  auf  der  ganzen  Linie  zu  verzeichnen  — 
so  hat  er  doch  zweifellos  auf  das  geistige  Leben  seines  Heimat- 
landes einen  tiefgehenden  Einfluß  ausgeübt,  einen  Einfluß,  der  bis 
in  unsere  Zeit  fortgewirkt  hat.  Hierzu  hat  zweifellos  nicht  allein 
der  Umstand  beigetragen,  daß  Madhva  ein  philosophischer  Kopf 
war,  der  seine  Lehren  scharfsinnig  zu  begründen  und  durch  ge- 
wandte, wiewohl  spitzfindige  Interpretationen  von  Stellen  aus 
heiligen  Texten  zu  belegen  wußte,  sondern  auch  die  Tatsache,  daß 
er  durch   sein   sittliches  Vorbild  und  durch  die  ethischen  Gebote, 


1)  Die  Brahmanen   sind  seit  jeher   als   starke  Esser  berühmt.    Vergl.  den 
folgenden   Spruch,   Subhäsitärnava  130  (Böhtlingk,  Indische   Sprüche  ^  Nr.  2552): 

„tävad  viprena  bhoktavyaqi  yävat  patati  mürchitah 
punar  utthäya  bhokta\7arn  yävat  pränair  na  mucyate" 
„Ein  Brahmane,  der  soll  essen,  bis  er  fällt  in  Ohnmacht,  dann  — 
Soll  er  aufstehn,  weiteressen,  bis  er  nicht  mehr  atmen  kann." 

2)  asaipsayah  samsayacchid  gurur  ukto  mamsibhih  (Mbhtp  I,  124). 


Madhva  und  seine  Schule  *13 

die  er  seinen  Anhängern  einschärfte,  auch  auf  breitere  Volks- 
schichten einzuwirken  verstand.  Die  Reformen,  die  er  im  Ritual 
des  Tempels  von  Udipi  einführte,  die  straffe  Klosterzucht,  die  er 
schuf,  der  enge  Zusammenhalt  unter  den  Laien,  den  er  dadurch 
erzielte,  daß  er  ihnen  das  Tragen  von  äußern  Erkennungszeichen 
vorschrieb  und  ihnen  die  peinliche  Befolgung  gewisser  Gebote 
(Fasten  am  Ekädasl-Tag  u.  ä.)  zur  Pflicht  machte,  dies  alles  zeigt, 
daß  Madhva  kein  weltfremder  Ideologe,  sondern  ein  tatkräftiger 
Organisator  war,  der  auch  dem  Leben  seiner  Anhänger  feste 
Normen  aufzuprägen  wußte.  Wenn  wir  weiter  noch  hören,  daß 
Madhva  ein  erfolgreicher  Dichter  und  Sänger  war  und  gelegentlich 
durch  Yogi-Kunststücke  Ungläubige  zu  überzeugen  vermochte  ^), 
so  begreifen  wir  die  Beliebtheit,  deren  er  sich  bei  seinen  Lebzeiten 
in  weiten  Kreisen  erfreute  und  die  Yolkstümlichkeit ,  die  sein 
Name  noch  heute  in  seinem  Heimatlande  besitzt. 

4.    Die  Werke  Madhvas. 

Madhva  ist  nach  der  indischen  Tradition  der  Verfasser  von 
37  Werken.    Die  Titel  derselben  sind  folgende: 

L    Kommentare  und  Erläuterungsschriften 
a.  zu  vedischen  Hymnen  und  Opferwerken: 
,1.  Rg-bhäsya,  Kommentar  zu  Rgveda  I,  1 — 40. 
2.  Karmanirnaya,   Erörterungen  im  Anschluß  an  Aitareya-Bräh- 
mana  4, 1 — 4 ;  Aitareya-Äranyaka  4, 1  und  die  darin  behandelten 
Veda-Hymnen. 

b.  zu  den  Upanisaden  ^) : 

1.  Aitareya-Upanisad-bhäsya, 

2.  Brhadäranyaka-upanisad-bhäsya, 

3.  Chändogya-upanisad-bhäsya, 

4.  Taittiriya-upanisad-bhäsya, 

5.  Isäväsya-upanisad-bhäsya, 

6.  Käthaka-upanisad-bhäsya, 

7.  Ätharvana-[Mun4aka-]upani§ad-bhäsya, 

8.  Män4üka-[Mändükya-]upanisad-bhäsya, 

9.  Satprasna-upanisad-bhäsya, 

10.  Talavakära-[Kena]  upanisad-bhäsya. 


1)  So  wird  Mvij  X,  53  erzählt,  wie  Madhva  durch  die  Macht  seines  Gesanges 
ans  Samenkörnern  Blumen  wachsen  ließ.  Dasselbe  Wunder  wurde  nach  Mvij 
XVI,  2  später  noch  einmal  vor  einem  ungläubigen  König  wiederholt.  Möglicher- 
weise handelt  es  sich  hier  um  hypnotische  Experimente. 

2)  In  der  Reihenfolge  der  Gesamtausgabe. 


*  14  Einleitung 

c.    zu  epischen  und  puränischen  Werken: 

1.  Mahäbhärata-tätparyanirnaya, 

2.  Bhagavadgitä-bhäsya, 

3.  Bhagavadgitä-tätparyanirnaya, 

4.  Bhägavata-[puräna-]tätparyamrnaya. 

d.    zu  den  Vedäntasütren. 

1.  Brahmasütra-bhäsya, 

2.  Brahmasütra-anubhäsya, 

3.  Brahmasütra-anuvyäkhyäna, 

4.  Brahmasütra-anuvyäkhyänyäyavivarana. 

II.    Selbständige  Schriften, 

1.  Pramänalaksana,  über  die  Erkenntnisnormen, 

2.  Kathälaksana,  über  die  Mittel  des  Redekampfes, 

3.  Upädhikhanc^ana,  Widerlegung  der  upädhi-Lehre  der  Advaitins, 

4.  Mäyävädakhan^ana,  Widerlegung  der  Mäyä-Lehre  der  Advaitins, 

5.  Prapancamithyätvänumänakhandana,   Widerlegung    der    Lehre 
der  Advaitins,  daß  die  vielheitliche  Welt  nur  Trug  sei, 

6.  Tattvodyota,  Verteidigung  der  Dvaita-Lehre, 

7.  Tattvaviveka,  über  die  verschiedenen  Weltprinzipien, 

8.  Tattvasamkhyäna,  Aufzählung  der  Weltprinzipien, 

9.  Visnutattvanirnaya,  über  das  Wesen  Visnus, 

10.  Tantrasärasamgraha  über  Mantras,  Götterbilder,  Meditation  u.a., 

11.  Krsnämrtamahärnava,  über  gute  Werke  und  Riten, 

12.  Sadäcärasmrti,  über  die  täglichen  religiösen  Pflichten, 

13.  Yatipranavakalpa,   Belehrung   des  Schülers   durch  den  Lehrer 
über  die  rechte  Meditation, 

14.  Jayantlnirnaya,  über  die  Feier  von  Krsnas  Greburtsfest, 

15.  Yamakabhärata,  Lobpreis  auf  Krsna, 

16.  Narasimhanakhastotra,  Hymnus  auf  Visnu, 

17.  Dvädasastotra,  12  Hymnen  auf  Visnu. 

Neben  diesen  Werken,  die  allgemein  als  von  Madhva  verfaßt 
gelten,  werden  ihm  in  Handschriften-Katalogen  noch  eine  große 
Anzahl  anderer  zugeschrieben.  Mit  Ausnahme  einiger,  bei  welchen 
eine  derartige  Tradition  betr.  seiner  Autorschaft  zu  bestehen  scheint, 
handelt  es  sich  jedoch  nur  um  Schriften  von  Autoren,  deren  Namen 
an  den  seinen  anklingen,  die  aber  nichts  mit  ihm  zu  tun  haben. 
So  identifiziert  z.  B.  Aufrecht  in  seinem  Catalogus  Catalogorum 
fälschlich  den  bekannten  Advaitin  Änandagiri  mit  Änandatirtha 
und  führt  deshalb  eine  große  Reihe  von  Werken  jenes  Mannes  als 
von  Madhva  verfaßte  auf. 


Madhva  und  seine  Schule  *15 

Ob  die  genannten  37  Werke  tatsächlich  alle  von  Madhva  ver- 
faßt worden  sind,  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit  feststellen.  Ein 
innerer  Grund  scheint  nicht  gegen  Madhvas  Autorschaft  zu  sprechen  ; 
denn  wenn  auch  in  den  37  Büchern  vielfach  "Widersprüche  zutage 
treten,  indem  z.  B.  dieselben  Stellen  aus  Öruti  und  Smrti  ver- 
schieden ausgelegt  werden,  so  ist  dies  darum  noch  kein  Beweis 
gegen  ihre  Echtheit,  da  es  nur  natürlich  ist,  daß  ein  Schriftsteller 
zu  verschiedenen  Zeiten  seines  Lebens  dieselben  Dinge  etwas  anders 
ansieht  und  da  Madhva  zudem  auch  in  seinen  Kommentaren  mit- 
unter mehrere  Interpretationen  neben  einander  gibt.  Den  gelegent- 
lich vorkommenden  Differenzen  in  einzelnen  nebensächlicheren 
Lehrpunkten  wird  man  bei  einem  indischen  Denker  umso  weniger 
Grewicht  beilegen  dürfen,  weil  in  Indien  vieles,  das  uns  unvereinbar 
erscheint,  nicht  als  zueinander  im  Gegensatz  stehend  empfunden 
wird.  Für  die  Verfasserschaft  Madhvas  kann  hingegen  angeführt 
werden,  daß  Näräyana,  der  Sohn  von  Madhvas  Zeitgenossen  Tri- 
vikrama,  von  fast  allen  an  den  entsprechenden  Stellen  seines 
„Madhva-vijaya"  erzählt,  wann  sie  Madhva  verfaßt  haben  soll, 
daß  Jayatirtha,  der  etwa  zwei  Menschenalter  nach  Madhva  schrieb, 
schon  viele  von  ihnen  kommentiert  hat  und  daß  sie  alle  in  einem 
alten  Memorialverse,  dem  „Grantha-mälikä-stotra"  angeführt 
werden '). 

>  Zweifelhaft  bleibt  es,  ob  die  Form,  in  der  uns  die  Werke 
vorliegen,  wirklich  überall  die  ursprüngliche  ist.  Der  Umstand, 
daß  hie  und  da  Partien  aus  einer  Schrift  in  ähnlicher  Form  auch 
in  einer  anderen  wiederkehren,  macht  es  möglich,  daß  ein  Schüler 
oder  Kommentator  in  ein  Werk  Stücke  aus  einem  anderen  eingefügt 
haben  kann,  auch  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  Abschreiber 
und  Bearbeiter  Interpolationen  vorgenommen  haben.  Eine  Prüfung 
der  Echtheit  der  Überlieferung  muß  späteren  Untersuchungen 
vorbehalten  bleiben. 

Madhvas  Schriften  zerfallen,  ihrer  Anlage  nach  betrachtet,  in 
zwei  Gruppen:  in  Kommentare  oder  andere,  der  Erläuterung  von 
heiligen  Texten  gewidmete  Werke  und  in  selbständige  Traktate. 
In  den  Schriften  der  ersten  Gruppe  unternimmt  es  Madhva  in 
mehr  oder  weniger  engem  Anschluß  an  Abschnitte  aus  der  Sruti 
oder  Smrti  seine  Lehre  darzustellen.  Das  Verhältnis  von  Text 
und  Kommentar  zu  einander  ist  sehr  verschieden.  Während  in 
einigen  Werken   der  Wortlaut   des  Textes   selbst   zum  Ausgangs- 


1)  Derselbe  ist  abgedruckt  bei  R.  G.  Bhandarkar,  Report  1882  83  (Bombay 
1884)  p.  203  f. 


*  16  Einleitung 

pnnkt  genommen  und  aus  ihm  heraus  interpretiert  wird,  hängt  in 
anderen  das,  was  im  Kommentar  ausgeführt  wird,  nur  lose  mit  dem 
Text  zusammen,  und  zuweilen  begnügt  sich  Madhva  überhaupt  nur 
damit,  das,  was  er  für  die  Quintessenz  eines  Textes  hält,  in  seinen 
eigenen  Worten  oder  durch  Zitate  zu  geben.  Madhvas  Auslegung 
zeugt  von  bedeutendem  Scharfsinn  und  großer  Originalität ;  sie  ist 
darum  aber  zumeist  von  großer  Künstlichkeit  und  Willkür.  Madhva 
geht  bei  der  Deutung  sehr  selbständig  vor  und  weicht  namentlich 
in  seinen  Bhäsyas  zu  vedischen  Texten  und  zu  den  Brahmä-Sütren 
von  aller  Tradition  völlig  ab.  Ein  Vergleich  seiner  Erklärungen 
mit  denen  anderer  Kommentatoren  lehrt  dies  auf  den  ersten  Blick. 
Mit  Recht  hat  daher  schon  P.  T.  Srinivasa  lyengar  über  Madhvas 
Brahma- sütra-bhäsya  gesagt:  „By  comparing  Öankara's  and  Rä- 
mänuja's  Bhäshyas,  Sütra  by  Sütra,  a  comparative  study  of  their 
common  points  and  divergences  can  be  made.  But  Madhva's  Bhäshya 
strikes  such  original  lines,  that  therein  is  visible  most  plainly 
how  the  traditional  interpretations  of  the  Sütras  having  become 
lost,  the  Bhäshyakäras,  commentators,  were  untramelled  and  could 
make  out  whatever  they  wanted  from  the  Sütras '^  ^).  Vom 
Standpunkt  des  Historikers  und  Philologen  kann  man  in  der  Tat 
nur  feststellen  „que,  la  plupart  du  temps,  ses  explications  sont 
forc^es,  fantaisistes  et  trop  sectaires",  wie  V.  S.  Grhate  sagt^). 
Ihm  aus  der  Art  seines  Vorgehens  einen  Vorwurf  zu  machen  — 
etwa  wie  dies  0.  Böhtlingk  mit  Saiikara  getan  hat  — ,  wäre  natür- 
lich ganz  verfehlt,  denn  Madhva  ist  Theologe,  nicht  Philologe, 
und  seine  Absicht  ist  es  nicht,  den  ursprünglichen  Sinn  einer 
Textstelle  zu  ermitteln,  sondern  darzutun,  daß  sie  seine  Lehre 
bestätigt.  Einige  Beispiele  für  Madhvas  Interpretationsweise 
werden  uns  unten  bei  Behandlung  seiner  Lehre  begegnen;  im 
Einzelnen  brauche  ich  auf  dieses  Thema  nicht  näher  einzugehen, 
da  V.  S.  Grhate  in  seinem  Werke  „Le  Vödanta,  Etüde  sur  les 
Brahma-Sütras  et  leurs  cinq  commentaires"  das  Verhältnis  von 
Madhvas  Bhä§ya  zu  den  Sütras  Vyäsas  eingehend  behandelt  hat 
und  für  Madhvas  Upanisaden-Kommentare  das  gilt,  was  Betty 
Heimann  in  ihrer  Studie  über  „Madhvas  Kommentar  zur  Käthaka- 
TJpanisad"  S.  6f.  ausgeführt  hat.  Bei  Madhvas  Erläuterungs- 
schriften zur  Bhagavad-gitä  und  zum  Bhägavata-puräna  tritt,  in 
der  Hauptsache  wenigstens,   kein  so   scharfer  Glegensatz  zwischen 


1)  P.  T.  Srinivasa  lyengar   „Outlines    of  Indian   Philosophy"   Benares  and 
London,  1909,  p.  96. 

2)  V.  S.  Ghate  „Le  Vedanta"  p.  128. 


Madhva  und  seine  Schule  *17 

dem  Sinn  des  ursprünglichen  Textes  und  dem  seiner  Auslegung 
hervor.  Dies  hat  seinen  Grund  darin,  daß  diese  Werke  in  ihren 
wesentlichen  Anschauungen,  vor  allem  in  dem  visnuitischen  Mono- 
theismus, den  sie  predigen,  mit  den  seinigen  schon  von  sich  aus 
übereinstimmen.  Im  Einzelnen  herrschte  aber  auch  hier  bei  Madhva 
natürlich  die  Tendenz  vor,  seine  Dvaita-Lehre  überall  deutlich 
ausgesprochen  zu  finden.  Dies  zwingt  ihn  des  öfteren  dazu,  dem 
Sinn  dieser  Werke  Grewalt  anzutun,  da  diese,  obwohl  spezifisch 
visnuitisch,  doch  monistischen  Anschauungen  nicht  fernstehen. 

In  seinen  selbständigen  Traktaten  wie  in  seinen  Kommentaren 
erweist  sich  Madhva  als  ein  geschickter  Schriftsteller,  der  die 
Sprache  mit  großer  Grewandtheit  handhabt.  Er  versteht  es  oft 
meisterhaft,  in  wenigen  Worten  viel  zu  sagen  und  große  Gedanken- 
ketten knapp  zusammenzudrängen.  Die  Kürze  des  Ausdrucks, 
deren  er  sich  befleißigt,  macht  es  begreiflich,  daß  sich  schon  früh- 
zeitig eine  reiche  Kommentatorentätigkeit  seiner  Hauptwerke  an- 
genommen hat  und  daß  seine  Gedanken  vielfach  erst  in  der  aus- 
führlichen Darlegung  der  Erklärer  einen  tiefgehenden  Einfluß  auf 
das  geistige  Leben  Indiens  ausgeübt  haben.  Im  Mahäbhärata-tät- 
parya-nirnaya,  in  welchem  Madhva  in  gebundener  Rede  den  Inhalt 
des  ganzen  Epos  erzählt,  und  in  andern  metrisch  abgefaßten 
Schriften,  zeigt  der  Philosoph,  daß  es  ihm  auch  nicht  an  dichte- 
rischer Befähigung  fehlte.  Seine  Vorliebe  für  Verse  tritt  übrigens 
z.  T.  auch  in  seinen  Prosaschriften  und  Kommentaren  hervor,  die 
durch  die  Überfülle  von  metrischen  Zitaten,  welche  sie  enthalten, 
fast  wie  ein  poetisches  Florilegium  mit  eingeschobenen  Prosastellen 
wirken. 

5.   Die  Herkunft  der  Lehre  Madhvas. 

Gleich  ßämänuja  und  anderen  Reformatoren  ist  Madhva  nicht 
in  der  Lehre  aufgezogen  worden,  deren  Prophet  er  später  war. 
Näräya^a  berichtet,  daß  Madhvas  Lehrer  Acyutapreksa  der  Ad- 
vaita-Lehre  anhing  und  erst  später  durch  den  Einfluß  seines 
Schülers  dem  Dvaita-mata  gewonnen  wurde.  Nach  der  Darstellung 
dieses  Autors  sollen  die  Vi snu- Anhänger  in  U^ipi  durch  den  von 
den  Advaitins  ausgeübten  Terror  so  eingeschüchtert  worden  sein, 
daß  sie  sich  der  monistischen  Philosophie  angeschlossen  hatten, 
wenn  sie  auch  den  Visnu-Glauben  noch  hochhielten  und  manche 
von  ihnen  insgeheim  dualistische  Überzeugungen  nicht  aufgegeben 
hatten. 

In  welcher  Weise  diese  Verbindung  von  Advaita  und  Vispuis- 
mus  im  Einzelnen   zu  denken   ist,   läßt  sich  aus  Näräyanas  ße- 

V.  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie.  1) 


*18  Einleitung 

merkungen  nicht  mit  voller  Deutlichkeit  ersehen.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  gehörte  der  Kreis,  in  dem  Madhva  aufwuchs, 
dem  Bhägavata-Sampradäya  an.  Die  Bhägavatas  ^)  sind  Angehörige 
einer  Religionsgemeinde,  welche  eine  Zwischenstellung  zwischen 
den  Anhängern  Sankaras  und  den  visnuitischen  Sekten  einnimmt. 
Sie  gelten  als  Smärtas,  weil  sie  das  von  der  Tradition  gelehrte 
Ritual  verwenden  und  Sankaras  akosmistischem  Theopanismus  an- 
hängen. Sie  verehren  gleicher  Weise  Visnu  und  Siva,  die  sie  für 
identisch  halten,  haben  aber  eine  besondere  Vorliebe  für  Visnu, 
was  äußerlich  schon  darin  zum  Ausdruck  kommt,  daß  ihr  Haupt- 
werk das  Bhägavata-Puräna  ist.  Die  Sekte  ist  in  Südindien  ver- 
schiedentlich vertreten,  am  zahlreichsten  aber  seit  jeher  im  kana- 
resischen  Sprachgebiet.  Es  scheint,  daß  die  bedeutendsten  Tempel, 
welche  Madhva  in  seiner  engeren  Heimat  vorfand,  in  ihrem  Besitz 
waren,  wie  sich  aus  der  für  sie  charakteristischen  Verbindung 
von  visnuitischen  und  sivaitischen  Kultelementen  ergibt^).  Im 
Anantesvara-Tempel  in  Udipi  befindet  sich  z.  B.  ein  Linga  als 
Kultobjekt,  das  als  heiliger  Sitz  des  Parasuräma  gilt,  und  an 
andern  Orten  heißt  die  dort  verehrte  Grottheit  Öankara-Näräyana 
oder  Hari-Hara.  Das  Tempelritual  steht  stark  unter  dem  Einfluß 
der  Vorschriften  der  Sivaitischen  Ägamas;  das  Siva-sahasranäman 
wird  ebenso  oft  rezitiert  als  die  Litanei  der  tausend  Namen 
Visnus.  Spezifisch  visnuitisch  ist  es  hingegen  wieder,  wenn  auf 
das  Fasten  an  den  Ekädasi-Tagen  der  größte  Wert  gelegt  wird. 
Der  Umstand,  daß  der  Bhägavata-Sampradäya  gerade  in  Madhvas 
Heimat  Boden  gefaßt  hatte,  legt  es  nahe,  anzunehmen,  daß  auch 
Madhva  ihm  ursprünglich  angehörte.  Hierzu  paßt  es  auch  gut, 
daß  Madhvas  Anhänger  dasselbe  Stirnzeichen  tragen  wie  die  Mit- 
glieder des  Bhägavata-Sampradäya^)  und  daß  die  Madhvas  im 
Gegensatz  zu  anderen  visnuitischen  Sekten*)  dem  Sivaismus  nicht 
direkt  feindlich  gegenüberstehen^). 

1)  Das  Wort  „Bhägavata"  ist  hier  in  einem  speziellen  Sinne  zu  fassen;  in 
weiterem  Sinne  wird  es  bekanntlich  als  Bezeichnung  für  alle  Vais9avas  angewandt. 
—  Über  den  Bhägavata-Sampradäya  vergl.  Farquhar  „Outlines  of  the  Rel.  Lit. 
of  India"  p.  142,  181,  233,  297. 

2)  Padmanabha  Char,  1.  c.  12 

3)  ib.  p.  12,  395. 

4)  Vergl.  die  Nachweise  in  meinem  Buch  „Der  Hinduismus"  S.  383. 

5)  Padmanabha  Char,  1.  c.  258.  Padmanabha  Char  hält  es  deshalb  auch  für 
möglich,  daß  Madhvas  Vorfahren  und  Standesgenossen  Sivaiten  waren.  So  sagt 
er,  1.  c.  12  „It  is  a  matter  for  conjecture,  whether  the  Shivalli  Brahmins  of  the 
period  prior  to  Sri  Madhva's  avatar,  were  Sivites  pure  and  simple,  or  belonged 
to  the  subdivison  of  Brahmins  known  as  the  foUowers  of  the  Bhägavata  Sampra- 


Madhva  und  seine  Schule  *19 

Madhvas  eigenes  religiöses  System  unterscheidet  sich  von  dem 
des  Bhägavata-Sampradäya  im  Wesentlichen  durch  zwei  Punkte: 
einmal  durch  die  ausschließliche  Verehrung  Vi§nus  als  des  höchsten 
Gottes  und  sodann  durch  die  völlige  Verwerfung  der  Advaita- 
Lehre.  Diesen  beiden  Hauptpunkten  gegenüber  kommen  alle  anderen 
Momente  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht.  Wodurch  die  Abkehr 
Madhvas  von  den  Lehren  seines  Gruru  bedingt  war,  läßt  sich 
schwer  feststellen.  Anscheinend  sind  ihm  bei  der  Lektüre  des 
Bhägavata-Puräna  und  anderer  heiliger  Schriften  Zweifel  an  der 
Richtigkeit  der  Advaita-Theorie  aufgestiegen,  die  ihn  schließlich 
dazu  führten,  sie  ganz  aufzugeben  und  ein  eigenes  System  auf- 
zustellen. 

Madhva  trat  nun  aber  nicht  als  der  Erfinder  einer  neuen 
Philosophie  und  Theologie  auf,  sondern  als  der  Verkündiger  ur- 
alter Wahrheiten,  die  im  Laufe  der  Zeit  in  Vergessenheit  geraten 
seien.  Die  Dvaita-Lehre  ist  nach  der  Anschauung  ihrer  Anhänger 
anfangslos,  wie  der  Veda,  dessen  echte  und  allein  richtige  Aus- 
legung sie  ist.  Bei  der  Weltschöpfung  teilte  sie  Visnu  in  seiner 
Inkarnation  als  Hamsa  dem  Gotte  Brahma  mit  und  von  diesem 
pflanzte  sich  die  Tradition  durch  guruparamparä  auf  Madhva  fortj^). 

Die  Legitimation  für  die  Richtigkeit  der  von  Madhva  ver- 
kündeten Lehre  ist  nach  der  Meinung  der  Madhvas  eine  dreifache : 
die  überirdische  Herkunft  Madhvas,  die  Belehrung,  die  er  durch 
Vyäsa  erhalten  und  die  große  Zahl  von  alten  Texten,  die  er  selbst 
als  Beweis  für  die  alte  Herkunft  seiner  Lehre  anführt. 

Madhva  gilt  seinen  Anhängern  als  avatära  des  Väya,  Ebenso 
wie  in  Kumärila  Skanda,  in  Sankara  Siva,  in  Rämänuja  Sesa,  in 
Nimbärka  der  Diskus  Sudarsana,  in  Vallabha  Agni,  in  seinen 
Söhnen  Krsna,  in  Caitanya  Krsna,  in  Basava  Sivas  Stier  Nandin 
irdische  Gestalt  angenommen  haben  sollen,  soll  sich  in  Madhva  der 
nächst  Visnu  bedeutendste  Gott  seines  Systems,  Väyu,  inkarniert 
haben.  Ob  Madhva  sich  selbst  für  eine  Menschwerdung  des  Wind- 
gottes gehalten  hat,  oder  ob  ihn  erst  seine  Verehrer  dazu  gemacht 
haben,  steht  nicht  mit  Sicherheit  fest,  denn  die  Stellen  in  Madh- 
vas Werken,  in  denen  er  selbst  auf  seine  göttliche  Herkunft  hin- 


dayam".  Schon  "Wilson,  „Religious  Sects  of  the  Hindus"  (London  1862),  p.  149 
hielt  es  für  möglich,  daß  Madhva  ursprünglich  ein  Öaiva  gewesen  sei.  Die  An- 
nahme, daß  Madhva  zuerst  ein  Anhänger  des  Bhägavata-Sampradäya  war,  hat 
aber  zweifellos  viel  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 

1)  Dvaita-Catechism  §  26  nennt  als  Madhvas  Gurus:  Brahma,  Sanaka,  Dur- 
väsas,  Jnänanidhi,  Garudavähana,  Kaivalyatirtha,  Jnänesatirtha,  Varatirtha,  Satya- 
prajna,  Präjna,  Acyutapreksa. 

b* 


*20  Einleitung 

zuweisen  scheint,  können  spätere  Einschübe  sein,  wiewohl  es  nicht 
einzusehen  ist,  weshalb  er  sich  nicht  selbst  für  einen  avatära 
Väyus  gehalten  haben  sollte. 

Seine  Lehre  will  Madhva  von  Visnu  selbst  bekommen  haben. 
Der  zweimalige  Aufenthalt  des  Propheten  bei  Vyäsa^)  bürgt  den 
Mädhvas  dafür,  daß  seine  Schriften  die  richtige  Auslegung  des 
Gotteswortes  enthalten.  Ob  den  beiden  Reisen  Madhvas  nach 
Vyäsas  Einsiedelei  irgend  welche  Tatsachen  zugrunde  liegen,  sind 
wir  heute  natürlich  nicht  in  der  Lage  festzustellen.  Vielleicht 
hat  sich  Madhva  längere  Zeit  in  der  Einsamkeit  Kontemplations- 
übungen hingegeben,  bei  welchen  er  schließlich  mit  Vyäsa  in  Ge- 
dankenaustausch getreten  zu  sein  glaubte  —  bei  der  großen  Be- 
deutung, die  Madhva  den  ihm  im  Zustande  des  samädhi  zuteil 
gewordenen  Eingebungen  für  die  Erklärung  von  Textstellen  bei- 
legte, ist  diese  Erklärung  nicht  unwahrscheinlich.  Die  spätere 
Legende  müßte  dann  seine  rein  geistigen  Erlebnisse  ausgeschmückt 
und  in  die  Außenwelt  verlegt  haben. 

Der  Glaube,  daß  es  möglich  sei,  mit  Weisen  der  Vorzeit  in 
persönlichen  Verkehr  zu  treten,  ist  auch  heute  noch  in  Indien 
allgemein,  denn  nicht  nur  Vyäsa,  sondern  auch  Parasuräma,  sowie 
Dattätreya,  Matsyendra,  Goraksanätha  und  andere  Vollendete 
(Siddha)  sollen  in  gewöhnlichen  Sterblichen  nicht  zugänglichen 
Einsiedeleien  in  den  Gebirgen  leben  und  besonders  begnadeten 
Menschen  Rat  erteilen  können^).  Da  in  Indien  nur  eine  Lehre, 
welche  sich  einer  uralten  Herkunft  rühmt,  auf  Anerkennung  rechnen 
kann,  hat  fast  jeder  Reformator  in  dieser  oder  jener  Weise  seinen 
neuen  Lehren  das  Ansehen  hohen  Alters  zu  geben  versucht.  Ein 
charakteristisches  Beispiel  hierfür  bietet  Vasugupta,  der  Über- 
mittler der  Siva-Sütras,  welche  im  Gegensatz  zu  den  früher  in 
Kasmir  herrschend  gewesenen  pluralistischen  Anschauungen  einen 
monistischen  Sivaismus,  das  Pratyabhijüä-darsana  oder  Trika-ääsana 
lehren.  Vasugupta  soll  die  Sütras  (die  wahrscheinlich  doch  wohl 
von  ihm  selbst  herrühren)  nach  einer  Version  von  einem  Siddha 
erhalten^),  nach  einer  anderen  Überliefernng  auf  dem  Mahädeva- 


1)  Vyäsa  wird  schon  im  Mahäbhärata  XII,  349  als  Inkarnation  Vispus  be- 
zeichnet. Eine  bildliche  Darstellung  des  zu  Vyäsas  Füßen  sitzenden  Madhva  habe 
ich  auf  Tafel  11  meines  „Hinduismus"  (S.  96)  wiedergegeben. 

2)  Dieser  indische  Glaube  ist  die  Quelle  der  Lehre  von  den  Mahätmäs, 
welche  in  dem  theosophischen  System  der  Frau  Blavatsky  eine  so  große  Rolle 
spielen.  Es  nimmt  daher  Wunder,  daß  ein  Indologe  erklären  konnte,  einen 
Glauben  an  Mahätmäs  gäbe  es  in  Indien  nicht! 

3)  J.  C.  Chatterji  „Kashmir  Shaivaism"  (Srinagar  1914),  Fasciculus  1,  p.  29. 


Madhva  und  seine  Schule  *21 

Berge  auf  einem  Stein  eingegraben  gefunden  haben,  auf  welchen 
ihn  Siva  im  Traum  hingewiesen  hatte  ^). 

Von  dem  Alter  der  Lehre  Madhvas  könnten  uns  mehr  als 
diese  Legenden  die  Zitate  überzeugen,  die  er  aus  alten  Schriften 
als  Belege  für  die  Richtigkeit  seiner  Lehre  anführt.  Die  üblichen 
Stellen  aus  der  Sruti  und  Smrti  ^),  die  er  beibringt,  können  freilich 
nicht  als  ausreichende  Zeugen  gelten,  da  Madhvas  spezielle  An- 
schauungen nur  unter  Zuhilfenahme  indischer  Interpretationskünste 
aus  ihnen  herausgelesen  werden  können.  Hingegen  zitiert  Madhva 
außer  diesen  noch  eine  gewaltige  Menge  von  anderen  Werken,  die 
zumeist  der  Ägama-Literatur  anzugehören  scheinen  und  die,  soweit 
man  nach  den  Auszügen  urteilen  kann,  z.  T.  seiner  Lehre  sehr 
nahe  stehen.  Ich  gebe  im  Folgenden  eine  Liste,  die  auf  Notizen 
beruht,  die  ich  mir  bei  der  Lektüre  gemacht  habe. 

1.  Schriften  mit  vedischen  Namen  ^). 
a)  Als  „Sruti''  bezeichnet: 
Anabhimläna-,  Ägnivesya-,  Ädyä,  Äruni-,  Indradyumna,  Udära- 
§än(j.ilya-,  Uddälaka-,  Kamatha-,  Käsäyana-,  Kauntharavya-,  Kaun- 
dinya-,  Kausika-,  Kausärava-,  Gaupavana-,  Cäkräyana-,  Jäbäla-, 
Deva-,  Dharma-,  Näräyana-,  Parama-,  Pärääaryäyana-,  Pippaläda-, 
Paingi-,  Pauträyana-,  Pausyäyana-,  Präcinasäla-,  Barka-,  Brhat-, 
Bhällaveya-,  Mahärava-,  Mahäsälina-,  Mäthara-,  Mändavya-,  Mä- 
dhyandina-  (Mädhyandinäyana-),  Maudgalya-,  Vatsa-,  Vimada-,  Viä- 
vambhara-,  Sändilya-,  Särkaräksa-,  Saukaräyana-,  Sauträyana-, 
Sauparna-,  Hiranyanäbha-. 


1)  S.  die  Einleitung  von  Ksemaräjas  Sivasütravimarsinl. 

2)  Bemerkt  werden  möge  hierzu,  daß  Madhva  von  Upanisaden  außer  den 
von  ihm  kommentierten  Arurieya,  Kausitaki,  Garbha,  Parama  (?  zu  Visuutattva 
p.  18  b),  Mahä  und  Övetäsvatara  zitiert;  von  den  Epen  steht  das  Mahäbhärata 
ganz  im  Vordergrunde ;  außer  der  Bhagavadgltä  wird  namentlich  der  Moksadharma 
und  der  Harivamsa  oft  angeführt.  Von  den  Purä^ias  fand  ich  alle  außer  Linga 
erwähnt,  von  den  üpapurauas  nur  Aditya  und  Narasiipha. 

3)  Obwohl  diese  Werke  zumeist  Namen  von  vedischen  Schulen  tragen,  ist 
ihr  Inhalt  doch,  nach  den  Zitaten  zu  urteilen,  anscheinend  rein  visuuitisch.  Der 
alte  Ursprung  dieser  Schriften  ist  deshalb  auch  in  Indien  in  Zweifel  gezogen 
worden,  und  die  Madhvas  bemühen  sich  darum  noch  heute,  zu  zeigen,  daß  sie 
einem  Veda  angehören.  So  schreibt  Gaijdiräva  Tälpadatür  "§ri-Krsua-bhakti" 
p.  75  „täh  sarvä  anupalabdhä  iti  kecid  vadanti.  täh  kutra  santiti.  visayo  yathä- 
mati  likhyate".  Es  folgt  dann  eine  Aufzählung  einer  Reihe  von  diesen  Werken 
mit  Angabe  ihres  Veda.  Danach  gehören:  zum  Säma-veda:  Bhällaveya-  und 
Jäbäla-Sruti,  sowie  Caturveda-sikhä ;  zum  Yajur-veda:  Paingi- sruti ;  zum  Atharva- 
veda:  6ä9dilya-sruti.  Paingi-  und  Bhällaveya-  werden  auch  von  Sankara  erwähnt 
(s.  Deußen,  System  des  Vedänta,  Anhang  III  s.  v.). 


*22  Einleitung 

b)  Als  „Säkhä"  bezeichnet: 

Ägnivesya-,  Indradyumma-,  G-aupavana-,  Pippaläda-,  Bäbhravya-, 
Mädhuchandasa-,  Värupa-,  Sändilya-. 

c)  Als  „Kbila"  bezeichnet: 
Gautama-,  Jäbala-,  Paingi-. 

d)  Andere. 
Catur  veda- äikhä. 

2.  Samhitäs. 
Adhyätma-,  Antaryämi-,  Ätma-,  Uddäma-,  Kala-,  Gräyatri-, 
Jyotib-,  Tattva-,  Dharma-,  Näma-,  Näräyana-^),  Parama-*),  Pra- 
kääa-^),  Prajäpati- *) ,  Präna-,  Pramäna-,  Pravrtti-,  Brhat-^), 
Brahma-^},  Bhägavata-''),  Mahä-^),  Mäna-,  Mänasa-,  Mänya-, 
Mnkti-,  Yajuh-,  Ramä-,  Loka-,  Varäha-^),  Vimala-,  Visva-^°), 
Vis^u-^^),  Vyoma-,  Sasvat-,  Satya-^^),  Säma-,  Hayagriva- ^^), 
Hari^*). 

3.  Tantras. 
Karma-,  Näräyana-^),  Purusottama- ^^),  Brhat-^),  Bhägavata'), 
Visnu-^^),   Vyäsa-^^).  —   Tantranirukta,    Tantranirnaya,    Tantra- 
bhägavata,  Tantramälä. 


1)  Schrader  „Introduction  to  the  Päncaratra"  nennt  in  seiner  Liste  der 
Saiphitäs  (p.  6  ff.)  unter  Nr.  72  ein  Werk  dieses  Namens. 

2)  Schrader  Nr.  79?  Ein  Werk  dieses  Namens  zitiert  Rämänuja  zu  BS.  II, 
2,  43,  wie  schon  sein  Vorgänger  Yämuna  (s.  Schrader,  1.  c.  p.  17). 

3)  Schrader  nennt  (in  der  Liste  Nr.  218)  eine  Parama-tattva-nirriaya-pra- 
käsa-saijihitä,  aus  der  er  in  der  „Introduction"  viele  Stellen  anführt;  manches 
hiervon,  so  namentlich  das  über  die  drei  Klassen  von  Wesen  Gesagte  (Schrader, 
p.  86)  stimmt  ganz  mit  Madhvas  Lehren  überein.  Ob  aber  dieses  Werk  wirklich 
mit  dem  von  Madhva  zitierten  identisch  sein  kann,  ist  sehr  ungewiß,  da  es  keinen 
alten  Eindruck  macht  (Schrader,  1,  c,  p.  11,  86). 

4)  Schrader,  1.  c.  p.  20. 

5)  Schrader,  Nr.  215  nennt  eine  Brhad-brahma-sainhitä  (vgl.  Schrader  p.  13). 
Einige  Stellen  aus  letzterer  übersetzte  R.  Otto  „Vischnu-Näräyana"  *  (Jena  1923). 

6)  Schrader,  Nr.  103,  vergl.  Schrader  p.  5  und  das  in  Note  5)  genannte  Werk. 

7)  Schrader  Nr.  105. 

8)  Schrader  nennt  (Nr.  110 — 113)  eine  Mahä-purusa-,  Mahä-präjna-,  Mahä- 
laksmi-,  Mahä-sanatkumära-saiphitä. 

9)  Schrader  Nr.  146  (s.  auch  Schrader,  p.  18,  20). 

10)  Schrader  Nr.  153. 

11)  Schrader  Nr.  155  ff. 

12)  Schrader  Nr.  192. 

13)  Schrader  Nr.  206  (vergl.  Schrader  p.  5,  18). 

14)  Schrader  Nr.  207. 

15)  Schrader  Nr.  91. 

16)  Schrader  Nr.  171. 


Madhva  und  seine  Schule  *23 

4.   Mit  „Tattva"  bezeichnet^): 
Dharma-,  Parama-,  Brahma-,  Bhäva-,  Mukti-,  Vastu-,  Sabda-,  Sat-. 

5.    Mit  „Viveka"  bezeichnet : 
Amsa-,  Ä^rama-,  Karana-,  Guru-,  Caitanya-,  Tattva-,  Dharma-, 
Priya-,  Bhäva-,  Bhakti-,  Mahätattva-,  Mukta-,  Sakti-,  Svätantrya-. 

6.   Mit  „Nirnaya"  bezeichnet: 
Upäsanä-,   Jiva-,   Tantra-,   Bhoga-,    Linga-,    Väkya-,   Vidyä-, 
Sabda-,  Sruti-,  Sära-. 

7.   Mit  „Sära"  bezeichnet: 
Gati-,  Tattva-,  Brahnja-. 

8.  Mit  „Kalpa"  bezeichnet: 
Gitä-,  Näräyanästäksara-,  Näräyanagopäla-. 

9.  Mit  „Vidyä"  bezeichnet: 
Traividyä-,  Vaiävänara-. 

10.  Mit  ,,Yoga"  bezeichnet: 
Triyoga-,  Dhyäna-,  Vyäsa-, 

11.   Mit  „Nirukta"  bezeichnet: 
Abhaya-,  Näma-,  Vyäsa-. 

Andere  Werke. 

Ädhara,  Upäsanä-laksana,  Karmänupürvi,  Kälakiya^),  Käpi- 
leya^),  Kriyävidhäna,  Guna-parama,  Tattva-pratipatti,  Tattvödaya, 
Tattvodyoga,  Traikälya,  Devatä-mlmänisä,  Näma-mahödadhi,  Nä- 
räyanädhyätma,  Nivrtta,  Nairgunya,  Paryankopäsanä,  Pavana- 
vijaya,  Prakäsikä,  Prakrsta,  Pratyaya,  Pratyähära,  Pradhyäna, 
Prabhanjana,  Prabhäva,  Prabhävali,  Prabhäsaka,  Pravrtta,  Brahma- 
tarka,  Brahma-darsana,  Mähätmya,  Mahä-mimärpsä,  Mahä-vyäka- 
rana,  Mänasa,  Mäyä-vaibhava*),  Väyu-prokta^),  Väsudevädhyätma, 
Vijnäna,  Visnudharma,  Vaibhava^),  Vaisäradya,  Vyäsa-smrti,  Sa^- 
ganya,  Sandhäna  (Sandhyäna),  Samanvaya,  Srstiviksepa,  Sväbhävya. 

Die  hier  gegebene  Liste  bedarf  zweifellos  noch  der  Ergänzung 
und  zwar  nicht  nur,  weil  mir  bei  der  Lektüre  einige  Titel  von 
Schriften  entgangen  sein  können,  sondern  auch  weil  Madhva  selbst 
eine  Reihe  von  Zitaten  mit  „iti"  anführt,  ohne  seine  Quellen  zu 
nennen.    Aber   auch   in  dieser   unvollkommenen  Gestalt  läßt  die 


1)  Die  Werke  der  Klassen  4 — 11  konnten  auch  Kapitel  je  eines  Werkes  sein. 

2)  Schrader  Nr.  30  (Käliki)?  3)  Schrader  Nr.  28. 

4)  Schrader  Nr.  120.  5)  cf.  Hopkins  „Epic  Mythology«  p.  218. 

6)  Schrader  Nr.  170. 


♦24  Einleitung 

Tabelle  Schlüsse  über  die  von  Madhva  benutzte  Literatur  zu.  Mögen 
von  den  angeführten  Titeln  einige  ausscheiden,  weil  sie  ver- 
schiedene Namen  des  gleichen  Werkes  sind,  andere,  weil  sie  nur 
Teile  von  bekannten  oder  unbekannten  Schriften  bezeichnen,  oder 
schließlich  etliche,  die  zu  Büchern  der  grammatischen,  lexiko- 
graphischen u.  ä.  Literatur  gehören  —  die  Mehrzahl  aller  Titel 
wird  zweifellos  der  Ägama-Literatur  zugewiesen  werden  müssen. 
Man  sollte  nun  erwarten,  unter  diesen  den  Namen  vieler  von  den 
Samhitäs  zu  begegnen,  welche  F.  0.  Schrader  zusammengestellt 
hat.  Eigentümlicher  "Weise  ist  dies  nun  aber  nicht  der  Fall.  Nur 
eine  kleine  Anzahl  der  Titel  kann  mit  solchen  aus  Schraders  Liste 
als  identisch  gelten^);  ob  die  Zitate  aber  wirklich  aus  den  von 
Schrader  angeführten,  z.  T.  noch  gar  nicht  zugänglichen  Werken 
stammen,  ist  ungewiß.  So  bleibt  denn  eine  große  Fülle  von  Titeln 
übrig,  die  Werken  zugehören,  von  denen  wir  nur  aus  den  Zitaten 
Madhvas  wissen.  Das  ist  sehr  bedauerlich,  denn  es  handelt  sich 
bei  diesen  gerade  um  Schriften,  aus  denen  —  nach  den  von  Madhva 
angezogenen  Stellen  zu  urteilen  —  sich  ergeben  würde,  daß  die 
wesentlichsten  Punkte  der  speziellen  Lehre  Madhvas  schon  vor 
ihm  in  Ägama- Werken  verkündet  worden  sind^). 

Zur  Erklärung  dieses  merkwürdigen  Umstandes  bieten  sich 
zwei  Möglichkeiten  dar:  entweder  handelt  es  sich  bei  diesen 
Schriften  um  eine  ganze  große  Literatur,  welche  uns  entweder 
bisher  unbekannt  geblieben  oder  in  den  Jahrhunderten  seit  Madhva 
verloren  gegangen  ist,  oder  die  Zitate  sind  (ganz  oder  zum  Teil) 
von  Madhva  fingiert  worden,  um  seiner  Lehre  ein  größeres  An- 
sehen zu  geben.  Beides  kann  der  Lage  der  Dinge  nach  der  Fall 
sein,  und  für  die  eine  wie  die  andere  Eventualität  lassen  sich 
Beispiele  aus  der  indischen  Religionsgeschichte  anführen.  Eine 
Lösung  des  Rätsels  ist  aber  zur  Zeit  nicht  möglich.  Wir  werden 
seiner  Aufhellung  näher  kommen,  wenn  einmal  alle  Zitate  in 
Madhvas  Werken  zusammengestellt  und  die  aus  bekannten  Texten 
herrührenden  verifiziert  sein  werden.  Vor  allem  aber  darf  man 
von   einer    Erweiterung   unserer   bis   jetzt    noch    so    überaus    be- 


1)  Ihre  Zahl  würde  sich  noch  etwas  vergrößern,  wenn  man  auch  mit  "sruti 
usw.  bezeichnete  Werke  mit  den  von  Schrader  aufgezählten  Saiiihitäs  gleich- 
setzen und  Schriften  mit  ähnlichen  Titeln  für  identisch  halten  könnte. 

2)  So  beruht  Madhvas  Erklärung  des  großen  Wortes  „tat  tvam  asi"  nach 
seinen  Angaben  auf  der  Säma-samhitä,  der  Komm,  zur  Kena-Upanisad  z.  T.  auf 
dem  Brahma-sära,  der  zur  Kath  üp  auf  einer  Anzahl  von  in  metrischer  Form 
abgefaßten  Schriften ;  sehr  häufig  zitiert  Madhva  den  Brahma-tarka  als  Autorität 
in  theologischen  Fragen  usw. 


Madhva  und  seine  Schule  *25 

schränkten  Kenntnis  der  visnuitischen  Ägama-Literatur  Aufklärung 
über  das  wahre  Wesen  der  von  Madhva  zitierten  Werke  erwarten 
und  eine  Beantwortung  der  Frage,  ob  die  Hauptlehren  des  Brahma- 
Sampradäya  schon  vor  Madhva  vorhanden  gewesen  sind,  oder  erst 

von  ihm  ihren  Ausgang  genommen  haben. 

*  * 

* 

Wenn  wir  Madhvas  System  auf  die  in  ihm  enthaltenen  Lehren 
hin  untersuchen,  so  stellt  es  sich  uns  als  ein  organisch  gewachsenes 
Gebilde  aus  verschiedenen  Elementen  dar.  Es  rechnet  sich  zu 
den  Vedänta-Systemen  und  erhebt  dementsprechend  den  Anspruch, 
ganz  und  gar  auf  dem  Veda  zu  beruhen  und  die  richtige  Aus- 
legung desselben  zu  bieten.  Obwohl  aber  Madhva  in  seinen  vielen 
Kommentaren  zu  vedischen  Schriften  seine  eigenen  Anschauungen 
aus  der  heiligen  Offenbarung  herauszulesen  sucht,  spielt  der  Veda 
in  seinem  System  doch  keine  ausschlaggebende  Rolle.  Seine  Lehre 
ist  weniger  durch  die  vier  Veden,  die  ßrähmanas  und  Upanisaden 
bestimmt,  als  vielmehr  durch  religiöse  Werke  einer  späteren  Zeit, 
durch  die  Epen,  die  Puränas  und  Ägamas  —  die  letzteren  freilich 
nur  soweit  sie  „echt  und  gut",  d.  h.  visnuitisch,  sind.  Diese  Werke, 
die  er  gern  als  den  „fünften  Veda"  bezeichnet  und  damit  den 
vier  Veden  gleichstellt,  bilden  die  Grundlage  seines  ganzen  Lehr- 
gebäudes. In  dieser  Hinsicht  stimmt  Madhvas  System  mit  denen 
anderer  visnuitischen  Sekten  überein ;  die  Bewertung  und  Benutzung 
der  verschiedenen  Werke  dieser  Gruppe  bedingt  aber  im  Einzelnen 
die  Sonderstellung,  die  seine  Lehre  unter  den  visnuitischen  ein- 
nimmt. Die  Hauptquelle  von  Madhvas  Glauben  ist  das  Bhägavata- 
Puräpa,  obwohl  er  dieses  heilige  Buch  nicht,  wie  Vallabha,  ge- 
radezu als  einen  vierten  ,,prasthäna"  den  Upanisaden,  der  Bhaga- 
vadgitä  und  den  Brahmasütren  an  die  Seite  stellt.  Entsprechend 
dem  Charakter  dieses  Werkes  ist  Madhvas  Visnuismus  vor  allem 
eine  Verehrung  Krsnas.  Trotzdem  ist  aber  der  Krsnakult  in 
seinen  Schriften  bei  weitem  nicht  so  ausgeprägt  wie  bei  Nimbärka 
oder  Vallabha,  sondern  erscheint  nur  als  eine  konkrete  Ausdrucks- 
form seines  Visnuglaubens,  nicht  als  dieser  selbst.  Das  erotische 
Element  im  Kr§nadienst  tritt  bei  Madhva  ganz  zurück.  Rädhä, 
die  bei  manchen  krsnaitischen  Sekten  eine  so  hervorragende  Rolle 
spielt^),    hat   keinen  Platz   in   Madhvas   System.     Sri,    als    deren 

1)  Am  stärksten  betont  Harivaipsa,  der  Gründer  der  Sekte  der  Kädhä-val- 
labhis,  die  Bedeutung  Rädhäs.  S.  Growse  „Mathurä"  p.  199,  Farquhar  „Rel.  Lit." 
p.  318  und  meinen  Aufsatz  „Neuer  Orient"  VII  S.  84.  —  Nach,  einigen  soll  Ha- 
rivaipsa ursprünglich  ein  Anbänger  Madhvas  gewesen  sein,  bevor  er  sich  dem 
visnuitischen  Säktismus  zuwandte. 


*26  Einleitung 

Erscheinungsformen  alle  die  göttlichen  Frauen  gelten,  die  "Visnu 
in  seinen  avatäras  zur  Seite  stehen,  wird  zwar  als  die  ewig  dem 
Samsära  entrückte  himmlische  Gemahlin  des  höchsten  "Weltenherrn 
verehrt,  doch  wird  ihr  eine  im  Verhältnis  zu  Visnu  selbst  nur 
geringe  Bedeutung  zugemessen.  Vergleicht  man  Madhvas  Lehren 
mit  denen  der  Päncarätras,  wie  sie  F.  0.  Schrader  dargestellt 
hat '),  so  fällt  das  Zurücktreten  vieler  Spekulationen  auf,  die  in 
den  alten  visnuitischen  Samhitäs  einen  großen  E.aum  einnehmen, 
wie  der  Lehre  von  den  Vyühas  und  Saktis  Grottes,  u.  a.  Gregen- 
über  den  andern  großen  Sampradäyas  der  Vaisnavas  wird  der 
Madhvas  besonders  charakterisiert  durch  seine  völlige  Ablehnung 
theopanistischer  Tendenzen  —  so  weit  dies  auf  religiösem  Gebiete 
für  einen  Inder  überhaupt  möglich  ist  —  durch  seinen  erkenntnis- 
theoretischen  Realismus  sowie  durch  einige  spezielle  Lehren,  wie 
die  von  der  ewigen  gottgewollten  Ungleichheit  der  Seelen,  von 
der  Ewigkeit  der  Höllenstrafen,  von  der  bevorzugten  Stellung 
Väyus  u.  a. 

Gleich  den  anderen  visnuitischen  Vedänta-Systemen  weist  auch 
dasjenige  Madhvas  zahlreiche  Elemente  auf,  die  ursprünglich  dem 
Sämkhya  und  Yoga  angehörten.  Da  diese  Lehren  jedoch  schon 
in  den  Epen  und  Puränas  mit  Vedänta -Anschauungen  vermischt 
erscheinen,  läßt  sich  schwer  entscheiden,  was  Madhva  aus  den 
Systemen  selbst  entlehnte  und  was  nicht  schon  in  dieser  oder 
jener  Form  in  visnuitischen  Schriften  seiner  Zeit  enthalten  war^). 
Von  den  Einwirkungen  anderer  philosophischer  Systeme  sind  am 
deutlichsten  spürbar  die  vom  Nyäya  und  Vaisesika  ausgehenden. 
Der  Einfluß  namentlich  des  Nyäya  tritt  äußerlich  schon  darin 
klar  zutage,  daß  Madhva  und  seine  Schüler  sich  besonders  gern 
und  ausführlich  mit  ihm  beschäftigen  und  das  ganze  System  in 
einer  dem  Nyäya  entlehnten  Reihenfolge  darstellen.  Auch  inhalt- 
lich hat  Madhvas  Lehre  mit  ihrer  scharfen  Trennung  von  Gott, 
Seelen  und  Materie  mit  dem  Nyäya  manches  gemein,  so  daß  man 
sie  in  dieser  Hinsicht  als  einen  Kompromiß  zwischen  Nyäya  und 
Vedänta  ansehen  kann. 

Während  Madhva  aus  den  Lehren  der  von  ihm  heftig  be- 
fehdeten Sekten  der  Saivas,  Säktas,  Skändas,  Sauras  und  Gäna- 
patyas ')  und  der  Buddhisten  nichts  übernommen  zu  haben  scheint, 

1)  F.  0.  Schrader  „Introduction  to  the  PäiBcarätra"  pp.  27—93. 

2)  Nach  Madhva  hat  nur  das  th eistische  Säipkhya  der  Puränas  das  Recht, 
als  echtes  Sämkhya  zu  gelten :  „kevalaip  bhagavaj-jnänam  säipkhyam  ity  abhidhi- 
yata"  ity  Adhyätme  (zu  Bhäg  Pur.  III,  3,  19). 

3)  Von  diesen  handelt  er  BS.  II,  2,  37  ff. ;  Anuvy  p.  33  a. 


Madhva  und  seine  Schule  *27 

kann  es  als  ziemlich  sicher  gelten,  daß  er  der  Lehre  der  von  ihm 
ebenfalls  energisch  bekämpften  Jainas  einiges  entlehnt  hat,  zumal 
da  die  Jainas  in  seiner  engeren  Heimat  eine  bedeutende  Stellung 
einnahmen^).  Die  Anschauung,  daß  jeder  Raumpunkt  von  un- 
endlich vielen  lebenden  Wesen  erfüllt  sei,  und  das  Gebot,  lebende 
Wesen  zu  schonen,  kann  auf  jainistischen  Einfluß  zurückgehen. 
Ob  hingegen  auch  die  Praxis,  bei  Opfern  anstelle  wirklicher  Tiere 
aus  vegetabilischen  Substanzen  hergestellte  Nachbildungen  von 
solchen  darzubringen,  der  Einwirkung  der  Jainas  zugeschrieben 
werden  darf,  muß  als  zweifelhaft  gelten,  da  bei  den  Jainas  sogar 
das  Schlachten  und  Essen  von  aus  Mehlteig  hergestellten  Tieren 
als  sündhaft  angesehen  wird^).  Hingegen  ist  möglicher  Weise  die 
Klassifizierung  der  Götter  und  jivas,  welche  Madhva  im  Gegen- 
satz zu  anderen  brahmanischen  Systemen  bis  ins  Einzelne  durch- 
geführt hat,  nach  dem  Vorbild  der  Jainas  entstanden.  Über  eine 
Beeinflussung  von  Madhvas  Lehre  durch  die  jainistische  Theorie 
von  den  „abhavyas"  wird  weiter  unten  gesprochen  werden. 

Schließlich  bleibt  noch  die  Frage,  ob  die  fremden  Religionen, 
die  zu  Madhvas  Zeit  in  Indien  heimisch  geworden  waren,  auf  die 
Ausbildung  seines  Systems  von  Einfluß  gewesen  sind.  Aus  der 
Tatsache,  daß  er  nicht-indischer  Religionen^)  in  seinen  Werken 
nicht  gedenkt,  darf  man  nicht  darauf  schließen,  daß  er  sie  nicht 
gekannt  hat,  denn  es  gilt  hier  offenbar  dasselbe,  was  Schomerus 
für  den  südiadischen  Saiva-siddhänta  ausgeführt  hat: 

„Anzunehmen,  daß  die  Systematiker  des  Saiva-Siddhänta  ganz 
achtlos  an  den  Religionen  der  Völker,  mit  denen  die  Politik  und 
der  Handel  ihre  Heimat  in  Verbindung  brachten,  an  der  Religion 
der  Muhammedaner,  die  damals  eine  Gefahr  für  Indien  bedeuteten, 


1)  Vergl.  Imperial  Gazetteer  of  India  (1908)  II,  170,  XV,  43,  XVIII,  10. 

2)  Haribhadra's  Samaräiccakahä,  p.  237  ff.,  besonders  p.  248—250  der  Aus- 
gabe von  Jacobi;  im  Saqiksepa  IV,  260  ff.,  besonders  v.  323  ff.  und  330  (nach  einer 
freundlichen  Mitteilung  von  Herrn  Geheimrat  Jacobi).  Vergl.  auch  M.  Bloomtield 
„The  Life  and  Stories  of  the  Jaina  Savior  Pär§vanätha"  (Baltimore  1919)  p.  195. 

3)  Ich  spreche  hier  im  Folgenden  nur  von  Mohammedanern  und  Christen, 
weil  eine  Einwirkung  zoroastrischer  und  jüdischer  Lehren  auf  Madhvas  Theologie 
nicht  in  Frage  kommt,  meines  Wissens  auch  nie  von  jemandem  behauptet  worden 
ist.  Auch  die  Frage,  ob  sich  Spuren  des  Mänichäismus  bei  Madhva  nachweisen 
lassen,  soll  hier  nicht  erörtert  werden,  da  die  bisher  hierfür  angeführten  Gründe 
(man  findet  sie  in  G.  A.  Grierson's  Aufsatz  ERE  8,  235)  in  keiner  Weise  stich- 
haltig sind.  Eine  Beeinflussung  von  Madhvas  Lehren  durch  die  des  Mäni  ist  bei 
der  großen  Verschiedenheit  derselben  wenig  glaubhaft  (vergl.  die  letzte  zu- 
sammenfassende Darstellung  von  0.  G.  v.  Wesendonk  „Die  Lehre  des  Mäni"  Leip- 
zig 1922). 


*28  Einleitung 

und  an  der  christlichen  Religion,  die  sich  bereits  an  der  Westküste 
Südindiens,  dem  Aus-  und  Einfallstor  ihrer  Heimat,  festgesetzt 
hatten,  vorübergegangen  sind,  heißt  sie  für  geistig  weniger  inter- 
essiert zu  erklären,  als  sie  offenbar  waren.  Männern,  die  alle 
geistigen  Strömungen  Indiens  kannten,  sich  auch  kritisch  mit  ihnen 
auseinandersetzten,  die  also  über  eine  nicht  geringe  Bildung  ver- 
fügten, zuzutrauen,  daß  sie  keinerlei  Kenntnis  von  Religionen 
hatten,  die  gewissermaßen  vor  ihrer  Tür  lagen,  scheint  mir  eine 
Ungerechtigkeit  zu  sein.  Nicht  völlige  Unbekanntschaft  mit  nicht- 
indischen Religionen  ist  der  Grund,  daß  wir  sie  in  den  siddbäntischen 
Schriften  nicht  erwähnt  finden,  sondern  vielmehr  ihre  durch  nichts 
erschütterte  Überzeugung  von  der  Unübertrefflichkeit  und  der 
Einzigartigkeit  der  Weisheit  Indiens.  Dazu  kommt  noch  ein 
weiterer  Gesichtspunkt,  der  nicht  übersehen  werden  darf.  Es  war 
ebensowenig  ihre  Aufgabe,  in  ihren  für  Indier  geschriebenen  dog- 
matischen Schriften  die  Position  des  Saiva-Siddhänta  gegen  nicht- 
indische Religionen  zu  verteidigen,  als  es  für  die  Aufgabe  der 
nur  Dogmatiker  sein  wollenden  christlichen  Dogmatiker  gehalten 
werden  kann,  sich  mit  allen  ihnen  bekannten  nichtchristlichen 
Religionen  auseinanderzusetzen"  ^). 

Der  Umstand,  daß  Madhva  Islam  und  Christentum  in  seinen 
Schriften  nicht  erwähnt,  vermag  daher  die  Annahme,  daß  er  is- 
lamische und  christliche  Anschauungen  gekannt  habe,  nicht  un- 
glaubhaft zu  machen.  Daß  Madhva  mit  Anhängern  beider  Reli- 
gionen auf  seinen  Reisen  in  Berührung  gekommen  sein  kann,  ist 
durchaus  möglich,  ja  wahrscheinlich.  Die  Mohammedaner  hatten 
zu  seiner  Zeit  schon  einen  großen  Teil  von  Indien  in  ihrem  Besitz, 
er  konnte  daher  nicht  an  ihnen  vorübergehen.  Der  Madhvavijaya 
berichtet  sogar  von  einem  Zusammentreffen  Madhvas  mit  Moslems  ; 
ob  wir  aber  seiner  Angabe,  Madhva  sei  der  Turuska-Sprache 
mächtig  gewesen^),  Glauben  beimessen  dürfen,  erscheint  immerhin 
bei  dem  vielen  Wunderbaren,  das  er  von  seinem  Helden  zu  er- 
zählen weiß,  sehr  zweifelhaft.  Christliche  Gemeinden  hat  es  zu 
Madhvas  Zeit  in  Indien  sicher  gegeben,  wir  sind  aber  nur  wenig 
über  sie  unterrichtet,  und  in  der  Frage,  ob  sie  eine  mehr  als  lokale 
Bedeutung  besessen  und  die  Anschauungen  der  Hindus  beeinflußt 
haben,  sind  wir  nur  auf  Vermutungen  angewiesen  ^).   Die  Annahme, 


1)  H.  W.  Schomerus,  Der  ^aiva-Siddhänta  (Leipzig  1912)  p.  2. 

2)  Oben  Seite  *5  Anm.  2. 

3)  über  die   christlichen  Gemeinden  in  Indien   vergl.   man:   Charbot    „Les 
Chr^tiens  du  Malabar"  (Rev.  de  l'Orient  Chr^tien  I,  407);  Michael  Geddes  „History 


Madhva  und  seine  Schule  *29 

daß  sich  in  unmittelbarer  Nähe  von  Madhvas  Geburtsort  ein 
christlicher  Bischofssitz  befunden  habe'),  kann  in  keiner  "Weise 
als  gesichert  gelten.  Denn  erstens  ist  es  zweifelhaft,  ob  das 
Kaliana,  von  dem  Kosmas  Indikopleustes  (um  530)  erzählt,  daß 
dort  ein  von  Persien  aus  ernannter  Bischof  gesessen  habe,  mit 
dem  33  Meilen  nordöstlich  von  Bombay  gelegenen  Kalyäna  oder 
mit  dem  in  der  Nähe  von  Udipi  befindlichen  Kalliänpur  zu  iden- 
tifizieren ist.  Sollte  die  zweite  Möglichkeit  der  Wirklichkeit 
entsprechen,  so  bleibt  noch  die  Frage  offen,  ob  in  dem  Kalliän- 
pur bei  Udipi  noch  zu  Madhvas  Zeit  (also  sieben  Jahrhunderte 
nach  Kosmas!)  eine  christliche  Gemeinde  bestand.  Es  ist  aber 
natürlich  denkbar,  daß  Madhva  an  anderen  Orten  mit  Christen 
zusammengekommen  sein  kann,  wenn  wir  davon  auch  keine  Kunde 
besitzen.  Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  Gründe  dafür  vorliegen, 
an  eine  Beeinflussung  von  Madhvas  Ideenwelt  durch  islamische 
oder  christliche  Lehren  zu  glauben.  Jeder,  dem  die  Exklusivität 
der  südindischen  Brahmanen  bekannt  ist,  wird  sich  zu  einer  An- 
erkennung fremder  Einwirkungen  auf  ihr  Denken  nur  dann  ent- 
schließen können,  wenn  keine  Möglichkeit  vorhanden  ist,  gewisse 
Anschauungen  aus  rein-indischen  Voraussetzungen  zu  erklären. 

Bei  vielen  Lehren  Madhvas,  die  mit  solchen  der  Mohammedaner 
oder  der  Christen  übereinstimmen,  besteht  eine  Nötigung,  sie  für 
fremden  Ursprungs  zu  halten,  zweifellos  nicht.  Der  Monotheismus, 
die  Lehre  von  der  Gottesliebe  u.  a.  religiöse  Vorstellungen  visnui- 
tischer  Sekten  lassen  sich  hinsichtlich  ihrer  Herkunft  zwanglos 
aus  der  indischen  Gedankenwelt  herleiten  und  weit  einfacher  als 
indische  Parallel-  und  Konvergenzbildungen  zu  entsprechenden 
Anschauungen  anderer  Religionen  auffassen  denn  als  Entlehnungen 
aus  einem  fremden  Kulturkreise  ^).  Eine  Erörterung  der  Frage, 
ob  manche  krsnaitische  Legenden  und  Zeremonien  christlichen 
Vorbildern  nachgeahmt  wurden^),   braucht  uns   an  dieser   Stelle 

of  the  Church  of  Malabar"  (London  1694);  W.  Germann  „Die  Kirche  der  Thomas- 
Christen"  (Gütersloh  1877);  Hough  „History  of  Christianity  in  India"  5  vols 
(London  1839);  G.  B.  Howard  „The  Christians  of  St.  Thomas"  (London  1864); 
Medlycott  „India  and  the  Apostle  Thomas"  (London  1905);  E.  Philipos  „The 
Syrian  Christians  of  Malabar"  ed  by  Howard  (London  1869);  Milne  Rae  „Syrian 
Church  in  Malabar"  (London  1892).  Weiteres  bei  R.  Garbe  „Indien  und  das 
Christentum"  (Tübingen  1914). 

1)  Grierson  ERE  2,  549  b,  Anm. ;  Garbe  1.  c.  273  Anm. 

2)  Vergl.  den  geistvollen  Aufsatz  „Das  Gesetz  der  Parallelen  in  der  Reli- 
gionsgeschichte" von  Rudolf  Otto  im  Anhang  zu  seiner  Schrift  „Vischnu-Näräyana" 
(Jena  1917;  2.  Aufl.  1923). 

3)  S.  darüber  R.  Garbe  „Indien  und  das  Christentum"  S.  255  ff. 


*30  Einleitung 

nicht  zu  beschäftigen,  da  Madhva  diese,  mögen  sie  nun  echt-indisch 
oder  von  den  Indern  anderswoher  entlehnt  worden  sein,  der  in- 
dischen Tradition  entnommen  hat,  eine  direkte  Beeinflussung  durch 
fremde  Religionen  bei  ihm  also  nicht  angenommen  zu  werden 
braucht.  Anders  steht  es  mit  einigen  speziellen  Lehren,  die 
Madhvas  System  von  dem  anderer  visnuitischer  Philosophen  unter- 
scheiden. Diese  muten  uns  auf  den  ersten  Blick  so  fremdartig 
an,  daß  ein  fremder  Ursprung  in  Frage  zu  ziehen  ist.  Es  handelt 
sich  vor  allem  um  die  folgenden  beiden  Anschauungen: 

1)  Alle  Seelen  sind  von  Gott  seit  Ewigkeit  dazu  prädestiniert, 
entweder  a)  nach  langem  Umherwandern  in  der  Welt  die  Erlösung 
zu  erreichen,  oder  b)  unaufhörlich  im  Samsära  zu  verbleiben,  oder 
schließlich  c)  am  Ende  ihres  Weltdaseins  für  alle  Zeiten  in  die 
Hölle  der  ewigen  Finsternis  einzugehen. 

2)  Eine  Erlösung  ist  nur  möglich  durch  die  Vermittelung  von 
Väyu,  den  „liebsten  Sohn  Visnus",  der  den  Erlösungsvorgang  in 
den  zum  Heil  berufenen  Seelen  wirkt  und  sie,  wenn  die  Zeit  ge- 
kommen ist,  der  Seligkeit  entgegenführt.  Der  Gregenspieler  von 
Väyu  ist  Kali,  der  Teufel,  der  die  Seelen  zum  Bösen  verlockt 
und  mit  ihnen  schließlich  in  die  ewige  Hölle  herabfährt. 

Bei  der  ersten  Betrachtung  scheinen  diese  beiden  Lehren  von 
denen  aller  anderen  indischen  Systeme  so  verschieden  zu  sein,  daß 
man  fast  mit  Sicherheit  hier  deutliche  Spuren  fremden  Einflusses 
wahrzunehmen  glaubt.  Eine  nähere  Untersuchung  zeigt  jedoch, 
daß  auch  diese,  anscheinend  so  unindischen  Anschauungen  sich  sehr 
wohl  aus  indischen  Gredankengängen  entwickelt  haben  können. 

Wenn  man  einen  Gedanken  als  „echt  indisch*  oder  „unindisch" 
bezeichnet,  so  läßt  man  sich  dabei  zu  leicht  von  dem  Glauben 
leiten,  daß  sich  das  Denken  der  Inder  in  den  im  Vordergrunde 
ihrer  Geistesgeschichte  stehenden  Vorstellungen  erschöpft,  über- 
sieht aber,  daß  es  außer  diesen  zu  allen  Zeiten  eine  große  Zahl 
von  anderen  gegeben  hat,  die  nicht  so  hervortraten.  Ein  charak- 
teristisches Beispiel  bietet  die  Karman-Lehre.  Gewöhnlich  gilt 
der  Satz,  daß  jeder  nur  für  Taten  Lohn  oder  Strafe  empfangen 
könne,  die  er  selbst  begangen  hat.  In  der  Kausitakibrähmana- 
Upanisad  hingegen  wird  I,  4  von  dem  in  die  Erlösung  Eingehenden 
gesagt,  der  den  Fluß  Virajä  überschritten  hat  „tat  sukrta-duskrte 
dhünute  tasya  priyä  jßätayah  sukrtam  upayanty  apriyä  duskrtam" 
„dort  schüttelt  er  gute  und  böse  Werke  ab.  Die  Verwandten, 
die  ihm  lieb  sind,  erlangen  sein  gutes  Werk,  die,  welche  ihm  un- 
lieb sind,  sein  böses  Werk."  Der  hier  zugrunde  liegende  Gedanke, 
daß  die  Werke  des   Heiligen  nicht  völlig  zunichte,   sondern   von 


Madhva  und  seine  Schule  *31 

ihm  auf  ihm  nahestehende  Personen  übertragen  werden,  wird  auch 
in  der  späteren  Zeit  festgehalten.  Sankara  setzt  sich  in  seinem 
Kommentar  zu  BS.  III,  3,  26  ausführlich  mit  dieser  Stelle  aus- 
einander und  führt  noch  einen  Spruch  aus  der  Überlieferung  der 
Sätyäyanins  an,  welcher  dasselbe  besagt:  „tasya  puträ  däyam 
upayanti,  suhrdah  sädhukrtyäip  dvisantah  päpakrtyäm"  „die  Söhne 
übernehmen  seine  Erbschaft,  die  Freunde  sein  gutes  "Werk,  die 
Feinde  sein  böses."  Auch  Madhva  zitiert  beide  Stellen  (z.  BS. 
IV,  1, 17)  und  Padmanäbha  erklärt  im  Madhvasiddhäntasära  (Ps  352) 
die  karman- Vernichtung  der  Erlösten  bestände  darin,  daß  einiges 
gute  Werk  (punya)  Freunden,  einiges  böse  Feinden  übertragen 
werde,  während  anderes  von  selbst  schwinde.  Die  Vorstellung, 
daß  gute  Werke  anderer  jemandem  gewissermaßen  gutgeschrieben 
werden  könnten,  finden  wir  auch  sonst  in  der  indischen  Literatur  ; 
ich  erinnere  an  die  Greschichte  vom  König  Vipascit  im  Märkan- 
4eya-Puräna  14^).  Man  ersieht  aus  diesem  Beispiel,  daß  die  reli- 
giösen Lehren  der  Inder  sehr  viel  mannigfaltiger  sind,  als  vielfach 
geglaubt  wird.  Ahnlich  verhält  es  sich  auch  mit  den  Theorien 
von  der  Erlösungsfähigkeit.  Gewiß  herrscht  bei  vielen  indischen 
Philosophen  die  (ausgesprochene  oder  stillschweigend  anerkannte) 
Anschauung,  daß  jede  Seele  die  Möglichkeit  habe,  das  Heü  zu 
erreichen.  Diese  Vorstellung  wird  jedoch  nachweislich  nicht  von 
allen  Indern  geteilt.  Die  Jainas  z.  B.  unterscheiden  seit  alter 
Zeit  ausdrücklich  zwei  Grruppen  von  Seelen,  nämlich  solche,  die 
erlöst  werden  können  (bhavya)  und  solche,  die  nicht  erlöst  werden 
können  (abhavya)^).  Wenn  somit  unzweifelhaft  lange  vor  Madhva 
in  Indien  der  Grlaube  vorhanden  gewesen  ist,  daß  nur  ein  Teil 
der  Seelen  die  Seligkeit  erreichen  könne,  dann  haben  wir  keine 
Veranlassung  anzunehmen,  daß  Madhva,  wenn  er  ähnliche  An- 
sichten vertrat,  dies  unter  der  Einwirkung  nicht-indischer  Ideen 
getan  haben  müsse.  Es  ist  vielmehr  glaubhafter,  daß  Madhva, 
oder  vielleicht  schon  Vaisnavas  vor  ihm,  bei  der  Ausbildung  ihrer 
Prädestinations-Theorie  von  der  Dogmatik  der  Jainas  beeinflußt 
worden  sind.  Dies  hat  umso  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich, 
als  auch  andere  Punkte  in  Madhvas  System  von  Jaina-Lehren  ab- 
hängig zu  sein  scheinen  (vergl.  oben  S.  *27). 

Wenn  Madhva  nun  auch  mit  den  Jainas  darin  übereinstimmt, 
daß  er  einem  Teil  der  Seelen  die  Erlösungsfähigkeit  abspricht,  so 


1)  Vergl.  mein  Buch  „Hinduismus",  S.  247. 

2)  Vergl.  meine  Schrift   „Die  Lehre  vom  Karman   in   der  Philosophie  der 
Jainas"  (Bonner  Dissertation,  Leipzig  1915)  S.  79  f. 


*32  Einleitung 

geht  er  aber  darin  noch  weiter  als  sie,  daß  er  einen  Teil  der 
nichterlösungsfähigen  Seelen  zu  ewigen  Höllenstrafen  verdammt 
werden  läßt.  Wenn  die  von  Mrs.  Stevenson  wiedergegebenen 
Mitteilungen  eines  Svetämbara- Mönches  ^)  richtig  sind  und  sich 
auf  Anschauungen  beziehen,  die  schon  zu  Madhvas  Zeit  bei  den 
Jainas  bestanden,  so  hätte  man  Grund  zu  der  Annahme,  daß 
Madhva  auch  in  Hinsicht  auf  seine  Dreiteilung  der  Wesen  dem 
Vorbild  der  Jainas  gefolgt  sei.  Solange  aber  die  Anschauung  von 
der  Ewigkeit  der  Verdammnis  in  alten  Texten  der  Jainas  noch 
nicht  zweifelsfrei  festgestellt  worden  ist,  wäre  eher  anzunehmen, 
daß  es  sich  bei  Madhvas  Lehre  von  der  Ewigkeit  der  Höllenstrafen 
um  eine  Ausgestaltung  der  Lehre  von  den  Nichterlösungsfähigen 
handelt.  Für  ein  System,  das  alle  Seelen  in  Klassen  ordnet, 
mußte  es  schon  von  vornherein  naheliegen,  als  Gregenstiick  zu  den 
ewig-erlösten  auch  ewig-verdammte  Seelen  als  eine  besondere 
Gruppe  aufzustellen.  Eine  derartige  Lehre  ließ  sich  ohne  Schwie- 
rigkeit aus  der  Bhagavadgitä  herleiten,  in  der  es  XVI,  19 f.  heißt: 
^  Diese  hassenden,  grausamen,  bösen,  schlechtesten  Menschen  im 
Sainsära  stoße  ich  ohne  Aufhören  in  dämonische  Mutterschöße.  In 
dämonischen  Mutterschoß  geraten,  verblendet  von  Existenz  zu  Exi- 
stenz, sinken  sie,  nicht  zu  mir  gelangend,  zur  niedrigsten  Stufe 
des  Daseins  herab."  Madhva  führt  eine  Reihe  von  Textstellen  an, 
aus  welchen  hervorgehen  soll,  daß  die  Ewigkeit  der  Verdammnis 
allgemeine  Anschauung  der   Rechtgläubigen  sei^).    Leider  ist  es 


1)  Mrs.  Sinclair  Stevenson  „The  Heart  of  Jainism"  (Oxford  1915)  p.  271 : 
„A  Övetämbara  sädhu  told  the  writer  of  a  still  worse  place  (d.  h.  einem  Ort  der 
schlimmer  ist  als  die  7  Höllen),  Nigoda,  situated  below  the  feet  of  the  figure 
(des  Weltmenschen),  in  which  are  thrown  evil  jlva  who  have  committed  specially 
heinous  sins  like  murder,  and  who  have  no  hope  of  ever  Coming  out.  They  suffer 
excruciating  tortures,  such  as  having  millions  of  red-hot  needles  thrust  into  them, 
and  know  that  their  pain  is  unending.  So  many  jiva  are  condemned  to  Nigoda 
that  there  is  an  endless  procession  of  them  passing  thither  like  a  long,  long  train 
of  black  ants,  of  which  we  can  see  neither  the  end  nor  the  beginning."  —  Daß 
auch  die  Anschauung  mancher  Digambaras  den  Aufenthalt  tjewisser  Nigodas 
(kleiner,  sinnlich  nicht  wahrnehmbarer  Wesen  mit  einem  willkürlich  nicht  beweg- 
lichen Leibe  und  nur  einem  Sinne)  in  eine  zwischen  der  untersten  Hölle  und  dem 
Ende  der  Welt  befindliche  Zone  verlegt,  ergibt  sich  aus  der  folgenden  Bemerkung 
in  Brahmadeva's  (16.  Jh.  ?)  Kommentar  zu  Nemicandra's  Davvasamgaha,  Gäthä  35 : 
„tasmäd  adhobhäge  rajju-pramäriaip  ksetraip  bhümi-rahitaip  nigodädi-panca-sthä- 
vara-bhrtaiii  ca  tisthati"  (The  Sacred  Books  of  the  Hindus,  vol  I,  Arrah  1917 : 
p.  48  des  Sanskrit-Textes). 

2)  Deutlich  ergibt  sich  die  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  aus  den  Zitaten  aus 
dem  „Bhärata"  (zu  BS.  HI,  1,16),  dem  „Pädma-(purä^a)«  (zu  BS.  HI,  1,21),  der 


Madhva  und  seine  Schule  *33 

bisher  nicht  möglich  gewesen,  diese  Zitate  nachzuprüfen.  Sollten 
sie  tatsächlich  echt  sein,  so  würde  sich  daraus  ergeben,  daß  die 
Lehre  von  der  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  schon  vor  Madhva  bei 
hinduistischen  Theologen  Anhänger  gefunden  hat.  Es  wäre  ja 
auch  nicht  einzusehen,  wieso  eine  solche  Lehre  nicht  in  Indien 
selbst  entstehen  konnte,  da  dort  doch  sogar  die  eigenartige  Theorie 
von  der  nicht-ewigen  Dauer  der  Erlösung  Anhänger  gefunden  hat  ^). 


Kauijitharavya-Sruti  (zu  BS.  III,  1,14),  der  „Prä^ia-Saiphitä"  (zu  Bhägtp  p.  90  b). 
Außer  diesen  Texten  werden  noch  andere  mit  „iti"  ohne  Angabe  eines  Titels  an- 
geführt. Vergl.  auch  Anuvy  p.  65  a,  b,  Brh  Up  IV,  4, 11  (p.  59  b).  Nicht  so  klar 
ist  die  zu  BS.  III,  1,  23  zitierte  Stelle  aus  dem  „Kaurma"  u.  a. 

1)  Nach  Brahmadeva's  Vrtti  zu  Nemicandra's  Dawasaipgaha  14  (1.  c.  p.  19) 
ist  dies  die  Anschauung  der  Sadäsiva-Sekte.  Bei  Erklärung  des  von  den  Jainas 
den  Erlösten  beigelegten  Prädikats  „nitya"  (ewig)  sagt  er  nämlich :  „nityä"  iti 
visesanarp  tu  muktätmanäip  kalpa-sata-pramita-käle  gate  jagati  sünye  jäte  sati 
punar  ägamanam  bhavatiti  Sadäsiva-vädino  vadanti  tan-nisedhärthaqi  vijneyam." 
In  unserer  Zeit  wurde  die  Lehre  von  der  zeitlich-begrenzten  Dauer  der  Erlösung 
von  Sväml  Dayänand  Sarasvatl  (1824 — 1883),  dem  Begründer  des  Arya  Samäj 
vertreten.  Da  sie  für  die  Geschichte  des  Hinduismus  von  großem  Interesse  ist, 
sei  hier  Näheres  über  sie  mitgeteilt.  Auf  seiner  Auslegung  von  Rgveda  I,  24, 1  f. ; 
Sänkhya-Sütra  I,  159 ;  Nyäya-Sütra  I,  22,  2 ;  Mundaka-Up  3,  2,  6  fußend,  begründet 
Dayänand  seine  Ansicht,  daß  die  Seelen  der  Erlösten,  nachdem  sie  sich 
311040000000  000  Jahre  (einen  Mahäkalpa)  der  Seligkeit  erfreut  haben,  wieder 
in  den  Samsära  zurückkehren  müssen,  damit,  daß  die  Seelen  für  ihr  endliches 
Tun  nicht  einen  unendlichen  Lohn  ernten,  und  daß  sie,  da  sie  nur  endliche 
Fähigkeiten  besitzen,  kein  unendliches  Glück  auf  die  Dauer  ertragen  könnten. 
Sie  würden  eine  unendliche  Seligkeit  aus  Mangel  an  Kontrasten  nicht  als  eine 
Wohltat,  sondern  als  ein  Übel  empfinden  („duhkh  ke  anubhav  ke  vinä  sukh  kuch 
bhi  nahim  ho  saktä,  jaise  katu  na  ho  to  madhur  kyä,  jo  madhur  na  ho  to  katu 
kyä  kahäve?  kyoinki  ek  sväd  ke  ek  ras  ke  viruddh  hone  se  donoin  kl  pariksä 
hoti  hai,  jaise  koi  manusya  mithä  madhur  hi  khätä  pitä  jäy  usko  vaisä  sukh 
nahini  hotä  jaisä  sab  prakär  ke  rasoqi  ke  bhogneväle  ko  hotä  hai").  Eine  ewige 
Erlösung  wäre  ebenso  unerfreulich  wie  lebenslängliches  Gefängnis  (kärägär),  und 
unterschiede  sich  von  letzterem  Zustande  nur  dadurch,  daß  man  im  Himmel  nicht 
zu  arbeiten  brauche.  Der  Wohnsitz  der  Seligen  würde  zudem  bald  überfüllt  sein, 
da  nur  ein  immer  erneuter  Zuzug,  kein  Abgang  von  Seelen  in  ihm  stattfinden 
würde.  Auf  der  andern  Seite  aber  würde  die  Welt  im  Laufe  der  Zeit  sich  leeren 
und  schließlich  ganz  frei  von  Seelen  sein.  Der  Einwurf,  an  die  Stelle  der  er- 
lösten Seelen  könnten  neue,  von  Gott  geschaffene  treten,  sei  nicht  stichhaltig, 
weil  die  Seelen  dann  ja  nicht  ewig  sein  würden,  weil  alles,  was  einen  Anfang  in 
der  Zeit  hat,  auch  in  ihr  ein  Ende  finden  müßte.  Außerdem  würde  Gott  nach 
und  nach  auch  das  Material  ausgehn,  aus  welchem  er  die  neuen  Seelen  herstellen 
könnte,  weil  bei  einer  Bank,  von  der  man  beständig  etwas  Geld  abhebt,  ohne 
neues  hinzutragen,  schließlich  doch  nach  und  nach  der  Bankerott  eintreten  würde. 
Weiterhin  wäre  es  auch  kein  Beweis  für  Gottes  Weisheit  und  Gerechtigkeit,  wenn 
er  den  Seelen  mit  ihren  begrenzten  Kräften  mit  der  ewigen  Erlösung  eine  Last 
aufbürden  würde,  die  sie  nicht  tragen  können.  Auch  die  erlöste  Seele  bliebe 
V,  Glasenapp,  Madhva's  Philosophie.  C 


*34  Einleitung 

Meines  Erachtens  besteht  demnach  kein  Grund  dafür,  anzunehmen, 
daß  bei  der  Grenesis  von  Madhvas  Lehre  von  der  Prädestination 
und  von  der  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  mohammedanische  oder 
christliche  Einflüsse  am  Werke  gewesen  sind. 

In  Madhvas  Lehre  von  Väyu,  dem  Sohn  Visnus  und  Ver- 
mittler der  Erlösung  erblicken  manche  Forscher  christliches  Lehn- 
gut, das  dem  indischen  Vorstellungskreis  angepaßt  sei.  So  sagt 
Sir  G.  A.  Grierson:  „This  is  evidently  an  idea  borrowed  from 
Christianity,  quite  possibly  promulgated  as  a  rival  to  the  central 
doctrine  of  that  faith"  ^).  Bei  näherem  Zusehen  zeigt  sich  jedoch, 
daß  die  Vergleichspunkte  zwischen  Väyu  und  Christus  ganz 
minimale  sind.  Väyu  ist  nach  Madhva  weder  mit  Visnu  identisch, 
noch  wird  er  es  jemals  werden;  er  ist  nicht  der  einzige  Sohn  des 
höchsten  Gottes,  sondern  steht  Brahma  an  Alter  und  Rang  nach. 
Väyu  ist  auch  nicht  der  einzige  Mittler  zwischen  Gott  und  den 
Seelen,  denn  er  führt  nur  einen  Teil  derselben  zu  Visnu,  die  meisten 
aber  zu  Brahma,  der  ihnen  erst  noch  Belehrung  erteilt  und  dann 
mit  ihnen  zu  Visnu  geht.  Väyu  macht  auch  keine  Passion  auf 
Erden  durch,  um  die  "Wesen  zu  erlösen,  ja  er  geht  nicht  einmal 
selbst  direkt  zur  Erlösung  ein,  sondern  muß  erst  noch  einmal  in 
seiner  nächsten  Existenz  als  Brahma  wiedergeboren  werden,  bevor 
er  das  Heil  erlangen  kann.  Die  Stellung  Väyus  in  der  visnuitischen 
Theologie  läßt  sich  demnach  mit  der  Jesu  in  der  christlichen  gar- 
nicht  vergleichen.  Eher  könnte  man  schon  Väyu  als  das  in  den 
Seelen  wirkende  Prinzip  der  Wahrheit  mit  dem  „inwendigen 
Christus"  der  christlichen  Mystiker  in  Parallele  stellen,  wobei  es 
sich  jedoch  nur  um  eine  innere  Übereinstimmung,  nicht  um  eine 
äußere  Abhängigkeit  handeln  könnte,  doch  sind  die  hierüber  von 
Theosophen  angestellten  Spekulationen  zu  uferlos,  als  daß  ich  hier 
auf  sie  einzugehen  brauchte^). 


trotz  ihrer  Reinheit  stets  „alpajna  aur  parimit-gun-karm-svabhävavälä"  und  könne 
in  keiner  Weise  mit  Gott  verglichen  werden  (paramesvar  ke  sadrs  kabhl  nahim 
hotä).  Deshalb  sei  eine  zeitlich  begrenzte  Erlösung  für  sie  allein  richtig.  Der 
Einwurf,  eine  solche  Seligkeit  sei  nicht  besser  als  der  Wechsel  von  Geburt  und 
Tod,  es  habe  daher  keinen  Zweck,  nach  ihr  zu  streben,  wird  damit  beantwortet, 
daß  der  ununterbrochene  Genuß  der  Seligkeit  und  der  Freiheit  von  Schmerzen 
für  eine  lange  Zeit  doch  auch  etwas  Wünschenswertes  sei,  und  daß  man  auf 
Erden  auch  danach  trachte,  Hunger  und  Durst  zu  stillen  und  Besitz  zu  erwerben, 
obwohl  durch  alles  dieses  nur  ein  zeitlich-begrenztes  Wohlbefinden  erzielt  würde 
(Satyärthaprakäs,  Ajmer  saipvat  1976,  p.  252  ff.). 

1)  G.  A.  Grierson,  ERE  8  p.  235  a. 

2)  Als  Beispiel  führe  ich  hier  nur  eine  Stelle  aus  Örisa  Chandra  Vasus  Ein- 
leitung zu  seiner  englischen  Übersetzung  von  Madhvas  Kommentar  zur  Chändogya- 


Madhva  und  seine  Schide  *35 

Die  hohe  Wertung  Väyus  in  Madhvas  System  ist  zwar  eigen- 
artig, läßt  sich  aber  aus  rein-indischen  Vorstellungen  erklären. 
Sehr  häufig  wird  in  der  vedischen  Literatur  von  dem  Vorrang 
gesprochen,  den  der  Präna  unter  den  Gröttem,  Wesen  und  Organen 
behauptet^),  und  auch  in  den  Epen,  Puränas  und  Ägamas  wird 
seine  Grröße  immer  aufs  Neue  gepriesen.  Das  von  Präna,  dem 
Lebensodem  Ausgesagte  wird  schon  in  den  Upanisaden  auf  den 
Wind  (Väyu)  als  kosmisches  Prinzip  und  auf  seine  Personifikation, 
den  ihn  beherrschenden  Gott  Väyu  übertragen^).  In  weitesten 
Volksschichten  populär  wurde  Väyu  vor  allem  aber  seit  den  Epen 
als  Vater  (bezw.  Urform)  der  Helden  Hanumat^)  und  Bhima*). 
Es  hat  daher  durchaus  nichts  Auffälliges,  wenn  Madhva  gerade 
Väyu  eine  so  bedeutende  Stellung  in  seinem  System  einräumte. 

Kali  verdankt  seinen  Rang  als  Führer  der  Verdammten  wohl 
Madhvas  Bedürfnis,  in  seinem  Gedankenbau  architektonische  Sym- 
metrie durchzuführen  und  das  „täratamya"  der  Wesen  nicht  nur 
nach  oben,  sondern  auch  nach  unten  zum  Abschluß  zu  bringen. 
Daß  gerade  Kali  für  diese  Stellung  ausersehen  wurde,  erklärt  sich 
wohl  aus  den  Legenden,  die  über  ihn  im  Mahäbhärata  und  Bhä- 
gavata-Puräna  erzählt  werden. 

Ich  glaube  durch  die  vorhergegangenen  Erörterungen  gezeigt 


Upanisad  an  (p.  XV) :  „The  functions  assigned  by  Sri  Madhva  to  Väyu  correspond 
very  closely  to  the  Christ  principle  of  the  Christian  theology.  I  have,  therefore, 
not  hesitated  in  translating  Väyu  and  Praija  by  Christ.  Some  may  think  that 
Madhva's  idea  of  Väyu  is  not  the  same  as  the  Christian  idea  of  Christ.  No  one 
can  expect  exact  similarities  in  such  cases,  but  the  approach  is  still  remarkable. 
But  more  remarkable  than  this,  is  the  claim  of  Madhva  that  he  is  an  incarnation 
of  Väyu.  Other  authors  have  been  more  modest,  and  left  it  to  their  disciples  to 
deify  them,  but  Madhva,  like  Jesus,  boldly  lays  claim  to  be  the  incarnation  of 
Väyu,  the  son  of  God.  Those  who  believe  in  the  doctrine  of  reincarnation,  will 
find  no  difficulty  in  accepting  this  view.  Mrs.  Besant  has  declared  that  Jesus 
was  reborn  in  India  as  Rämänuja.  May  it  not  be  that  Sri  Madhva,  the  greatest 
Vais9ava  reformer,  in  the  direct  line  of  whose  disciples  we  may  count  Rämänanda, 
Kabir,  Nänak,  Tulsidäs  and  the  great  Caitanya  of  Bengal,  was  himself  the  in- 
carnation of  what  he  claims  himself  to  be,  namely  of  Väyu  or  Christ?  May  it  not  be 
that  the  modern  Hindus  are  really  Christians  in  its  better  and  truer  sense,  and 
need  not  be  ashamed  to  call  themselves  Vaisnavas,  the  worshippers  of  one  True 
God,  and  Christians  or  adorers  of  His  beloved  Son." 

1)  S.  die  Stellensammlung  bei  Deussen   „Allgemeine  Geschichte  der  Philo- 
sophie" (Leipzig  1906  f.)  I,  1,  pp.  294—304;  1,2,  pp.  93—101. 

2)  Diese  Ansicht  vertritt  auch  Sir  Charles  Eliot  „Hinduism  and  Buddhism" 
(London  1921)  II,  p.  240. 

8)  Kämäyana  VII,  35. 
4)  Mahäbhärata  I,  123. 

n* 


*36  Einleitung 

zu  haben,  daß  die  beiden  Hauptpunkte  in  Madhvas  System,  in 
denen  man  mohammedanische  oder  christliche  Einflüsse  hat  nach- 
weisen wollen,  sich  sehr  wohl  auch  ohne  Zuhilfenahme  derselben 
erklären  lassen  ^).  Solange  aber  indische  Lehren  sich  aus  indischen 
Vorstellungen  ableiten  lassen,  haben  wir  keinen  Anlaß,  an  eine 
Herübernahme  von  fremdem  Grut  zu  glauben'^).  Eine  endgültige 
Lösung  der  Frage  ist  nach  der  Lage  der  Dinge  freilich  zur  Zeit 
nicht  möglich  und  wird  vielleicht  überhaupt  nicht  möglich  sein, 
da  es  uns  bei  unserer  unvollkommenen  Kenntnis  der  indischen 
Vergangenheit  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  gelingt,  ein  lückenloses 
Bild  von  der  Herkunft  der  Gedanken  eines  Religionssystems  zu 
gewinnen. 

6.   Madhva's  Nachfolger^). 

Durch  seine  Predigten  hatte  Madhva  seiner  Lehre  zahlreiche 
Anhänger  gewonnen.  Die  bedeutendsten  von  diesen  machte  er  zu 
den  Vorstehern  der  8  BuLöster  in  der  Umgebung  des  Krsna-Heilig- 
tums  von  U(Jipi.    Die  Namen  dieser  Abte  und  ihrer  Klöster  sind: 

1.  Visnu-tirtha  Svädi  (Sode)  Matha 

2.  Janärdana-tirtha    Krsnapura  Matha 

3.  Vämana-tirtha        Konur  (Kanoor)  Matha 

4.  Narasi^iha-tirtha    Adhamär  Matha 


1)  Wenn  als  Beweis  für  das  Vorhandensein  von  christlichen  Einflüssen  an- 
geführt wird,  Madhva  habe  einmal  gesagt,  er  wolle  Seelen  fischen,  so  ist  dies 
nicht  beweiskräftig,  da  dieses  an  das  Neue  Testament  anklingende  Gleichnis  (wenn 
es  wirklich  bei  Madhva  vorkommt)  sich  schon  in  indischen  Schriften  vor  Madhva 
findet,  denn  auch  Buddha  wird  in  Mahäyäna-Texten  mit  einem  Fischer  verglichen 
(Garbe,  1.  c.  p.  179). 

2)  Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  sich  in  den  von  Näräyana  erzählten  Legenden 
von  Madhva  christliche  Einflüsse  nachweisen  lassen.  Einige  Wunder,  die  Christus 
zugeschrieben  werden,  werden  in  der  Tat  auch  von  Madhva  berichtet :  seine  Größe 
wurde  schon  vor  seiner  Geburt  vorausgesagt,  bei  einem  Feste  geht  der  Knabe 
seinen  Eltern  verloren  und  wird  im  Tempel  wiedergefunden,  er  fastet,  um  sich 
auf  seine  Mission  vorzubereiten,  er  vervielfacht  Speise,  er  wandelt  über  Wasser, 
er  besänftigt  die  See  durch  seinen  Blick;  wie  Moses  läßt  er  durch  einen  Schlag 
seines  Stabes  Wasser  aus  der  Erde  hervorgehn  u.  a.  Mit  solchen  und  ähnlichen 
Geschichten  ist  aber  auch  das  Leben  anderer  indischer  Heiliger  ausgeschmückt 
worden,  so  daß  keine  Ursache  vorliegt,  einen  direkten  Einfluß  christlicher  Vor- 
bilder auf  die  Mädhva-Gemeinde  anzunehmen. 

3)  Die  Angaben  in  diesem  Abschnitt  beruhen  hauptsächlich  auf  dem  „Ga- 
zetteer  of  the  Bombay  Presidency«  vol.  XXII  Dhärwär  (Bombay  1884)  S.  56  ff. 
und  auf  C.  M.  Padmanabha  Char's  „Life  and  Teachings  of  Sri  Madhvacharyar". 
Da  mir  kein  weiteres  Material  zur  Verfügung  stand,  muß  ich  diesen  beiden  Quellen 
die  Verantwortung  für  die  Richtigkeit  der  folgenden  Angaben  überlassen. 


Madhva  und  seine  Schule  *37 

5.  Upendra-tirtha  Putagi  (Puttugey)  Matha 

6.  Räma-tirtha  Sirur  (Seeroor)  Matha 

7.  Hrsikesa-tirtha  Palvär  (Palimar)  Matha 

8.  Aksobhya-tTrtha  Pejavär  Matha. 

Außer  diesen  Heiligtümern  bei  Udipi  begründete  Madhva  noch 
zwei  weitere  in  Madhyatala  und  in  Subrahmanya  unter  seinem 
Bruder  Visnu-tTrtha. 

Solange  Madhva  lebte,  behielt  er  sich  die  Oberleitung  seiner 
Gremeinde  vor.  Nach  seinem  Tode  wurde  sein  bedeutendster 
Schüler  Padmanäbha  sein  Nachfolger  und  regierte  die  Kirche 
7  Jahre  lang.  Während  einige  von  dessen  Freunden  nach  seinem 
Tode  ein  besonderes  Heiligtum  unter  eigener  Leitung  stifteten, 
wählte  die  übrige  Gemeinde  einen  andern  Lieblingsschüler  Madh- 
vas,  Narahari-tirtha,  zum  Oberhaupt.  Dieser,  ein  Mann  aus  edlem 
Hause,  war  von  Madhva  selbst  bekehrt  worden,  hatte  sich  aber 
auf  seinen  Rat  hin  dem  Orden  nicht  sogleich  angeschlossen,  sondern 
war  zunächst  in  Kaiinga  (Orissa)  geblieben,  woselbst  er  am  Königs- 
hofe eine  hervorragende  Stellung  innehatte.  Später  gab  er  diese 
auf  und  widmete  sich  ganz  dem  Mönchsleben,  in  welchem  er  sich 
so  auszeichnete,  daß  er  bald  zu  hohem  Range  aufstiegt).  Auf 
Narahari-tirtha  folgten  Mädhava-tirtha  und  Aksobhya-tirtha,  die 
auch  noch  zu  den  Jüngern  des  Meisters  gehört  hatten.  Die  Freunde 
die'ser  drei  letztgenannten  Abte  begründeten,  ebenso  wie  diejenigen 
Padmanäbha  -  tirtha's ,  besondere  Niederlassungen  unter  eigenen 
Svämins,  so  daß  also  bald  nach  Aksobhya-tirthas  Tod  10  von 
Madhva  gestiftete  und  4  andere,  im  ganzen  also  14  Ellöster  be- 
standen. 

Der  5.  Nachfolger  Madhvas  war  Jayatirtha.  Dieser  war  der 
größte  Kommentator  der  Mädhvas  und  wird  von  ihnen  nächst  dem 
Meister  selbst  am  höchsten  geehrt.  Er  hieß  eigentlich  Dhondo 
Raghunätha  und  stammte  aus  der  Familie  der  Despändes^)  von 
Mangalvedhe  bei  Pandharpur.  Der  Legende  zufolge  soll  er  zu 
Madhvas  Lebzeiten  ein  Stier  gewesen  sein,  der  ihm  seine  Bücher 
nachtrug  und  deshalb  alle  seine  Predigten  mitanhörte.  Als 
jemand  einst  Madhva  fragte,  wer  die  maßgebenden  Erläuterungen 
zu  seinen  Schriften  schreiben  würde,  soll  Madhva  auf  den  Stier 
gewiesen  haben.    Ein  ehrgeiziger  Schüler  wurde  darüber  so  zornig. 


1)  Vergl.  über  ihn  Epigr.  Indica  VI,  262  und  Bhandarkar  „Vaispavism  etc." 
p.  58  ff. 

2)  Das  Wort  Desa-pä^dye  stammt  nach  Kittel  aus  dem  Maräthl  und  bedeutet 
im  Kanaresischen  „an  hereditary  officer  of  a  mahäl". 


*38  Einleitung 

daß  er  den  Fluch  aussprach,  der  Bulle  möge  von  einer  Schlange 
zu  Tode  gebissen  werden.  Madhva  veränderte  den  Fluch  dahin, 
daß  der  Stier  zwar  von  einem  Reptil  verletzt,  jedoch  durch  Rezi- 
tieren von  seinem  „Dvädasa-stotra"  wieder  geheilt  wurde,  die 
Schlange  aber  sofort  starb.  Madhva  soll  seinen  Schülern  dann 
auseinandergesetzt  haben,  der  Stier  werde  als  ein  Despände  wieder- 
geboren werden  und  sei  als  solcher  zu  seinem  Nachfolger  aus- 
ersehen. Man  werde  ihn  als  Krieger  in  einem  islamischen  Heere 
mit  langgewachsenem  Barte  zu  Pferde  beim  Überschreiten  eines 
Flusses  antreffen,  wie  er  "Wasser  trinke,  das  ihm  mohammedanische 
Soldaten  darreichten.  Als  Aksobhya-tirtha  einst  im  Lande  umher- 
zog, soll  er  ihn  entsprechend  der  "Weissagung  in  diesem  Zustande 
gefunden,  ihn  zu  sich  genommen,  ihm  das  Haar  geschoren  und  ihn 
zu  seinem  Nachfolger  ernannt  haben.  Jayatirtha  soll  21  Jahre 
an  der  Spitze  der  Mädhvas  gestanden  haben;  als  er  starb,  wurde 
er  in  Mälkhed  beigesetzt;  sein  Grab  wird  noch  heute  von  Wall- 
fahrern besucht. 

Nach  Jayatirthas  Tode  bestieg  Vidyädhiräja  den  Thron  von 
Udipi,  den  er  angeblich  64  Jahre  innehatte.  Streitigkeiten  zwischen 
ihm  und  Schülern  Jayatirthas  hatten  zur  Folge,  daß  diese  Räjen- 
dratirtha  zu  ihrem  Oberhaupte  wählten.  Der  Nachfolger  des 
letzteren,  Vyäsaräja,  erlangte  im  Reiche  des  Begründers  des 
Staates  von  Vijayanagar  großen  Einfluß  (um  1330)  und  war  ein 
bedeutender  Mann;  der  Matha,  dem  er  angehörte,  wird  deshalb 
gewöhnlich  nach  ihm  bezeichnet. 

In  der  Leitung  der  Mädhva-Sekte  folgten  auf  Vidyädhiräja 
die  Hohenpriester  Kavindra-tirtha,  Vägisa-tirtha  und  Rämacandra- 
tirtha.  Zu  des  letzteren  Zeit  entstand  ein  neuer  Matha,  der  von 
einigen  mit  seiner  Amtsführung  unzufriedenen  Mönchen  gegründet 
wurde,  die  Vibudhendra-tirtha  zu  ihrem  Oberhaupt  wählten.  Dieses 
Kloster  wird  heute  zumeist  Räghavendrasvämi  -  matha  genannt, 
nach  einem  berühmten  Abte,  der  1671  starb. 

Auf  Rämacandra-tirtha  folgten  eine  Reihe  von  anderen  Hohen- 
priestern. Der  bedeutendste  von  diesen  war  Satyabodha-tirtha 
(1744 — 1782),  der  sich  als  "Wundertäter  eines  großen  Rufes  er- 
freute. Nach  ihm  erhielt  der  Uttarädi-matha  in  Savanür  den 
Namen  Satyobodha-svämi-matha. 

Von  den  Klöstern  der  Mädhva-Gemeinde  erkennen  heute  die 
meisten  die  Nachfolger  Madhvas^)  als  höchste  Autorität  an,  wenn 

1)  Vollständige  Listen  derselben  geben:  Mackenzie  „Account  of  the  Marda 
Gooroos"  (Asiatic  Annual  Register  1804  p.  39);  Bhandarkar  „Report  on  the  Search 
for  Sanskrit  Mss.  for  the  year  1882—1883"  p.  203  ff. ;  Bombay  Gazetteer  XXII  p.  59, 


Madhva  und  seine  Schule  *39 

sie  auch  z.  T.  in  Einzelheiten  ziemlich  selbständig  schalten.  Die 
beiden  des  Räjendra-tirtha  und  Yibudhendra-tirtha  hingegen 
nehmen  eine  unabhängige  Stellung  ein. 


7.    Die  heutigen  Madhvas^). 

In  der  Gegenwart  wie  in  früherer  Zeit  bewohnen  die  Mädhvas 
in  ihrer  ganz  überwiegenden  Mehrheit  das  „Tulu"-Land  an  der 
indischen  Westküste,  ein  Grebiet,  welches  etwa  die  Distrikte  Dhär- 
vär  und  North  Canara  der  heutigen  Präsidentschaft  Bombay,  den 
Distrikt  South  Canara  der  Präsidentschaft  Madras  und  den  west- 
lichen Teil  des  Staates  Maisür  umfaßt.  In  andern  Landesteilen 
sind  sie  nur  in  geringer  Anzahl  vorhanden.  Ihre  Gesamtzahl  wird 
von   Sir   George  Grierson   auf  70000   geschätzt  (ERE  8  p.  233  a). 

Die  Mädhvas  sind  strenge  Anhänger  des  Kastenwesens  und 
befolgen  aufs  Genaueste  seine  Vorschriften.  In  der  Mehrzahl  ge- 
hören sie  der  Brahmanenkaste  an.  Während  ein  Teil  von  ihnen 
priesterliche  Funktionen  ausübt,  sind  die  meisten  Regierungsbeamte, 
Kaufleute  oder  Landbesitzer;  die  letzteren  bestellen  ihre  Acker 
jedoch  nicht  mit  eigener  Hand.  Die  üblichen  brahmanischen  Zere- 
monien bei  der  Geburt,  Initiation,  Hochzeit  und  Bestattung  werden 
beobachtet,  die  Kinderheirat  ist  gebräuchlich,  die  Polygamie  er- 
laubt, die  Wiederverheiratung  der  Witwen  verboten.  Wie  die 
meisten  Visnuiten  leben  die  Mädhvas  vegetarisch  und  meiden  den 
Alkoholgenuß;  Fasten,  zumal  an  vielen  der  zahlreichen  Festtage, 
gUt  als  religiös  verdienstlich.  Dem  milden  Geist  des  Visnu- Glaubens 
entspricht  es,  wenn  sie  der  Gottheit  keine  Tieropfer  darbringen, 
sondern  letztere  durch  solche  aus  pflanzlichen  Bestandteilen  er- 
setzen. Als  unterscheidendes  Sektenzeichen  tragen  die  Mädhvas 
auf  der  Stirn  zwei  weiße  von  oben  nach  unten  laufende  Striche, 
die  an  der  Nasenwurzel  miteinander  verbunden  sind  und  mit  dem 
Gopicandana  genannten  Lehm  aufgemalt  werden.  Zwischen 
diese  wird'  mit  Holzkohle  eine  schwarze  Linie  gezogen,  die  in 
einen  rotgelben  Kreis  ausläuft.  Auf  den  Schultern,  den  Armen 
und  andern  Körperteilen  tragen  sie  mit  Gopicandana  aufgeschmierte 


1)  Vergl.  hierzu  Bombay  Gazetteer  XXII  p.  56—90  (wo  sich  detaillierte 
•weitere  Angaben  finden),  Mackenzie  „Account  of  the  Marda  Gooroos"  (Asiatic 
Annual  Register,  1804) ;  H.  H.  Wilson  „Relig.  Sects  of  the  Hindus"  (London  1862) 
p.  139—150;  K.  Graul  „Reise  nach  Ostindien"  (Leipzig  1854)  III,  187;  IV,  139; 
F.  Kittel  „Indian  Antiquary«  II  p.  307;  IV  p.  20;  Census  of  India  1891  vol.  XXV: 
„Mysore"  Bd.  1  p.  61 ;  Jogendra  Nath  Bhattacharya  „Hindu  Gastes  and  Sects" 
(Calcutta  1896)  p.  440. 


*40  Einleitung 

Bilder  des  Diskus,  der  Muschel  und  anderer  Attribute  Visnus ; 
diese  Zeichen  werden  ihnen  bei  festlichen  Grelegenheiten  von  ihren 
Gurus  ^uch  mit  Metallstempeln  eingebrannt.  Auch  in  der  Namen- 
wahl  bringen  die  Mädhvas  mit  Vorliebe  ihre  Verehrung  für  Visnu 
zum  Ausdruck,  indem  sie  ihren  Kindern  Namen  aus  der  heiligen 
Legende  ihres  Gottes  beilegen. 

Die  Lehre  Madhvas  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  von  seinen 
Anhängern  in  allen  Hauptpunkten  treu  bewahrt  worden,  wenn 
auch  eine  außerordentlich  reiche  exegetische  und  theologische 
Literatur  sie  erweitert  und  ausgebaut  hat.  In  Einzelheiten  frei- 
lich sind  unter  den  Mädhvas  über  dogmatische  Fragen  Meinungs- 
verschiedenheiten entstanden,  so  namentlich  über  das  Problem  des 
Monergismus  und  Synergismus,  indem  nämlich  die  einen  entsprechend 
dem  Satze  „tena  vinä  trnam  api  na  calati"  (ohne  ihn  [d.  h.  Gott] 
kann  nicht  einmal  ein  Grashalm  sich  bewegen)  der  Lidividualseele 
die  Handlungsfreiheit  absprechen,  während  sie  hingegen  andere 
ihr  in  gewissem  Umfange  zuschreiben  —  ein  Streit,  der  dem 
zwischen  den  Tengalais  und  Vadagalais  innerhalb  der  Schule  des 
ßämänuja  entspricht.  Zu  diesen  dogmatischen  Differenzen  treten 
noch  solche  sozialer  und  sprachlicher  Natur  hinzu.  Die  erst- 
genannte Gruppe  der  Mädhvas,  der  sog.  „Vyäsa-küta"  ^),  hält  sich 
streng  an  die  brahmanischen  ßitualgebote  und  läßt  nur  die  in 
Sanskrit  abgefaßten  religiösen  Werke  als  autoritativ  gelten;  die 
andere  Gruppe,  der  „Däsa-küta",  befolgt  eine  etwas  laxere  Praxis 
und  erkennt  auch  hervorragende  kanaresische  Bücher  als  maßgebend 
an.  Die  Anhänger  der  zuletzt  genannten  Richtung  besitzen  eine 
große  Anzahl  von  volkstümlichen  Liedern,  in  denen  Madhva,  der 
Diener  (kinakara,  däsa)  Visnus  gepriesen  und  der  Dualismus  von 
Gott  und  Seele  als  die  echte  Lehre  der  wahren  Visnuiten  (Sad- 
vaisnava,  auch  Suddha-  oder  Vira-vaisnava)  dargelegt  wird. 

Die  Leitung  der  Sekte  liegt  in  der  Hand  von  Brahmanen,  die 
zumeist  schon  in  jugendlichem  Alter  in  die  Mathas  als  Schüler 
eintreten  und  ein  eheloses,  weitabgewandtes  Leben  führen.  Die 
Mädhva- Asketen  (samnyäsin)  sind  angetan  mit  einem  Lendentuch 
(kaupina)  und  einem  mit  rotem  Oker  gefärbten  Gewände  (kasäya- 
vastra),  scheren  ihr  Haupt  bis  auf  einen  Haarbüschel  (sikhä)  und 
tragen  einen  Büßerstab  (danda)  und  einen  Wassertopf  (kamandalu). 


1)  Das  kanaresische  Wort  „küta"  (=  tarn,  „küttam"  usw.)  ist  eine  Ableitung 
von  der  Wurzel  „küdu"  „zusammenkommen"  und  bedeutet  demgemäß  „Gesell- 
schaft, Vereinigung",  ist  also  nicht  identisch  mit  Sanskrit  „küta"  (Mitteilung  von 
Herrn  Prof.  F.  0.  Schrader). 


Madhva  und  seine  Schule  *41 

Wie  Sankara's  Dasnämins  führen  sie  besondere  Namen,  die  meisten 
sind  Tirthas,  doch  kommen  auch  Puris,  Bhäratis  u.  a.  vor. 

Mittelpunkte  des  religiösen  Lebens  der  Mädhvas  sind  die  von 
Madhva  und  seinen  Nachfolgern  gegründeten  Klöster,  vor  allem 
die  acht  in  der  Umgebung  von  Udipi.  In  dieser  Stadt  befindet 
sich  das  Hauptheiligtum  der  Sekte,  der  von  Madhva  errichtete 
Krsna-Tempel.  Die  Aufsicht  über  dieses  Grotteshaus  führt  für  je 
zwei  Jahre  der  Vorsteher  einer  der  8  Klöster.  Dieses  Amt  geht 
reihum,  so  daß  also  nach  Ablauf  von  16  Jahren  der  erste  wieder 
diese  Funktion  auszuüben  hat.  Anläßlich  des  Wechsels  in  dieser 
Ehrenstellung  findet  alle  zwei  Jahre  im  Januar  ein  Fest  (pariyäya) 
statt,  zu  welchem  zahlreiche  Pilger  herbeiströmen.  Trotzdem  der 
Tempel  an  sich  reich  ist,  sind  die  Unterhaltungskosten  so  beträcht- 
lich, daß  die  Abte  der  Klöster  während  der  Zeit,  zu  welcher  sie 
nicht  das  Amt  des  Tempelobersten  bekleiden  (während  ihrer  Amts- 
periode dürfen  sie  den  Tempel  nicht  verlassen),  genötigt  sind, 
umherzureisen  und  von  den  Laien,  deren  Seelsorger  sie  sind,  Ab- 
gaben zu  erheben. 

Außer  dem  Krsna-Tempel  in  U^ipi  besuchen  die  Mädhvas  noch 
eine  Reihe  von  andern  Heiligtümern,  vornehmlich  natürlich  solche, 
die  dem  Visnu  geweiht  sind,  doch  scheuen  sie  sich  nicht,  auch  dem 
Siva  und  andern  Grottheiten  ihre  Verehrung  darzubringen,  im 
Gegensatz  zu  andern  Sektierern,  welche  den  Kult  jedes  Gottes 
mit  Ausnahme  dessen,   den  sie  für  den  höchsten  halten,   ablehnen. 

Die  Mädhvas  werden  von  den  meisten  Autoren  als  tatkräftige 
und  religiös  sehr  stark  interessierte  Leute  geschildert. 

Die  Propaganda  der  Mädhvas  für  die  Verbreitung  ihres 
Glaubens,  die  von  jeher  ziemlich  rege  gewesen  zu  sein  scheint, 
erfuhr  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahrhunderts  einen 
neuen  Aufschwung:  1877  stiftete  Kanci  Sabba  Raoji,  ein  englisch 
gebildeter  Madhva,  der  die  Stellung  eines  Deputy-CoUector  of  the 
First  Grade  bei  der  Regierung  von  Madras  innehatte,  die  Mädhva- 
Siddhäntonnahinl  Sabhä  (Gesellschaft  für  die  Förderung  der 
Mädhva-Lehre).  Diese  sucht  zu  dem  Studium  der  Madhva-Lite- 
ratut  anzuregen  und  tritt  für  die  Erhaltung  der  Mädhva-Tempel 
ein.  Sie  hält  alljährlich  in  Chirtanur  bei  Tirupati  (in  der  Präsi- 
dentschaft Madras)  eine  Jahresversammlung  ab,  über  welche  ein 
Annual  Report  (verlegt  bei  Thompson  &  Co.,  Madras)  Bericht  er- 
stattet. Auf  der  Konferenz  werden  Reden  und  Vorträge  abge- 
halten, Examina  veranstaltet  und  Preise  verteilt.  Mit  der  Ge- 
sellschaft, der  fast  alle  prominenten  Mädhvas  sowie  eine  Reihe 
anderer  hervorragender  Persönlichkeiten  angehören,  ist  eine  Bank 


*42  Einleitung 

verbunden,  deren  Einnahmen  zur  Unterstützung  der  Zwecke  der 
Gesellschaft  beitragen^).  In  wachsendem  Maße  werden  jetzt  von 
den  Mädhvas  auch  Textausgaben,  sowie  englische  Übersetzungen 
von  Madhvas  Werken  und  Werbeschriften  herausgegeben.  Unter 
den  Verlagshandlungen,  welche  sich  die  Herausgabe  von  Werken 
der  Dvaitaphilosophie  zur  Aufgabe  gemacht  haben,  ist  in  erster 
Linie  das  Madhva  Vilas  Book  Depot  in  Kumbakonam  zu  nennen, 
das  unter  der  Leitung  von  T.  R.  Krisbnacharya  die  Werke  Madh- 
vas, zahlreiche  Kommentare  zu  ihnen  sowie  sonstige  madhvaistische 
Literatur  erscheinen  ließ.  Die  erste  von  einem  Madhva  verfaßte 
Schrift  über  die  Dvaita-Lehre  in  englischer  Sprache  ist  meines 
Wissens  der  von  P.  Sreenevas  Row  in  Gemeinschaft  mit  dem 
amerikanischen  Theosophen  H.  St.  Oleott  herausgegebene  „Dwaita- 
Catechism"  (Madras  1886),  der  in  77  Fragen  und  Antworten  die 
Hauptpunkte  des  Systems  ganz  kurz  behandelt  und  von  Mädhva- 
Pandits  als  richtige  Darstellung  der  Lehre  beglaubigt  wurde.  In 
jüngster  Zeit  haben  sich  Subba  Rau,  C.  M.  Padmanabha  Charyar 
u.  a.  durch  Übersetzungen  einzelner  Werke  Madhvas  und  durch 
Abfassung  kleinerer  Schriften  über  ihn  Verdienste  erworben.  Als 
bedauerlich  muß  es  bezeichnet  werden,  daß  die  meisten  dieser  des 
Englischen  kundigen  Mädhvas  ihre  Darstellung  der  Gedanken  ihres 
Meisters  mit  einem  Rankenwerk  von  theosophischen  Anmerkungen 
versehen,  die  vielfach  die  Treue  der  Wiedergabe  der  Ideen  Madh- 
vas beeinträchtigen. 

8.   Freunde  und  Gegner  Madhvas. 

Bei  der  Verbreitung,  die  Madhvas  Lehre  in  Indien  gefunden 
hat,  ist  anzunehmen,  daß  sie  auch  auf  die  Anschauungen  anderer 
hinduistischer  Sekten  nicht  ohne  Einfluß  gewesen  ist.  Infolge  des 
Dunkels,  in  welchem  heute  noch  die  Geschichte  der  meisten  neueren 
Religionsgemeinden  des  Gangeslandes  liegt,  ist  es  vorläufig  noch 
nicht  möglich,  hierüber  viel  zu  sagen.  Mit  Sicherheit  wissen  wir 
nur,  daß  der  bengalische  Reformator  Caitanya  (1486 — 1534)  zu 
Madhvas  Sampradäya  gerechnet  wird,  weil  sein  Guru,  Isvara-puri, 
ein  Madhva   war^).     In    seinem   vom  Standpunkte  Caitanyas   aus 


1)  J.  N.  Farquhar  „Modern  Religious  Movements  in  India"  New  York  1915, 
p.  291  ff. 

2)  Dies  lehrt  z.  B.  Pratäpa-siqihas  „Bhakta-kalpadruma"  (Lucknow  1884) 
p.  46  (s.  Grierson,  ERE  8,  p.  233  a).  —  Andererseits  nehmen  ihn  auch  die  An- 
hänger Rämänujas  als  den  ihrigen  in  Anspruch,  denn  im  Calcutta  Review,  Januar 
1898  p.  86  heißt  es  in  dem  Aufsatz  „The  Diary  of  Govinda  Das" :  „Kesava  Bhä- 


Madhva  und  seine  Schule  *43 

geschriebenen  „Govinda"-bhäsya"  zu  den  Brahma-Sütren  und  der 
diesem  beigegebenen  „Prameya-ratnävali"  ^)  hebt  Baladeva  Vidyä- 
bhüsana  (Anfang  des  18.  Jh.)  hervor,  daß  Caitanya  als  dem  Brahma- 
Sampradäya  angehörig  zu  betrachten  sei.  In  der  Prameya-ratnä- 
vali  wird  Madhva  „der  Wohnsitz  der  Wonne,  das  Schiff,  das  über 
den  Ozean  des  Samsära  hinüberträgt"  gepriesen  (I,  3)  und  dann 
die  folgende  Liste  der  Personen  gegeben,  welche  das  heilige  Wissen 
einander  in  ununterbrochener  Kette  überliefert  haben  sollen: 
1)  Krsna,  2)  Brahma,  3)  Devarsi  [Närada],  4)  Bädaräyana,  5) 
Madhva,  6)  Padmanäbha,  7)  Nrhari,  8)  Mädhava,  9)  Aksobhya, 
10)  Jayatirtha,  11)  Jnänasindhu,  12)  Dayänidhi,  13)  Vidyänidhi, 
14)  ßäjendra,  15)  Jayadharma,  16)  Purusottama,  17)  Brahmanya, 
18)  Vyäsatirtha,  19)  Laksmipati,  20)  Mädhavendra.  Der  letztere 
hatte  3  Schüler,  die  Jagadgurus  (Weltenlehrer),  Isvaräcärya,  Ad- 
vaitäcärya  und  Nityänanda.  Isvaräcärya' s  Schüler  war  Caitanya. 
In  der  Strophe  I,  8  desselben  Werkes  werden  neun  Lehrsätze  als 
grundlegend  sowohl  bei  Madhva  als  bei  Caitanya  bezeichnet: 

„Sri  Madhvah  präha  Visnum  paratamam,  akhilämnäyavedyam 
ca,  viävam 

satyam,  bhedam  ca,  jivän  Hari-cara^ajusas,  täratamyam  ca  tesäm, 

moksam  Visnv-anghriläbham,  tad-amalabhajanam  tasya  hetum 
pramänam 

pratyaksäditrayam  cety  upadisati  Harih  Krsnacaitanyacandrah." 
„Der  erhabene  Madhva  hat  erklärt:  1)  Visnu  ist  das  höchste 
Wesen,  2)  er  ist  durch  alle  heiligen  Texte  zu  erkennen,  3)  das 
Weltall  ist  real,  4)  ebenso  der  Unterschied  [zwischen  Gott  und 
Welt],  5)  die  Seelen  sind  Diener  der  Füße  Haris,  6)  unter  ihnen 
besteht  eine  Stufenfolge,  7)  Erlösung  ist  das  Erlangen  der  Füße 
Visnus,  8)  die  Ursache  derselben  ist  die  Verehrung  (Visnus),  9)  Er- 
kenntnismittel gibt  es  drei :  Perzeption  [Schlußfolgerung  und  auto- 
ritative ÜberlieferungJ.     So  lehrt  Hari  Krsnacaitanyacandra"^). 

Obwohl  hier   eine   Übereinstimmung    Caitanyas    mit  Madhva 
festgestellt   wird,   und   beide  Lehrer   in  vielen  Punkten   derselben 


rati,  eighth  in  succession  of  Rämänuja,  the  great  founder  of  the  Sri-sect  of  Vais- 
pavas  initiated  him  and  gave  Sri  Krspa  Caitanya  as  bis  monastic  name,  a  name 
by  which  he  has  become  famous"  (A.  Govindächärya  „Sri  Bhagavad-Gitä  with 
Sri  Rämänujächärya's  Visistädvaita-Commentary,  translated  into  English"  (Madras 
1898)  p.  XV,  note  2). 

1)  Beide  Werke  sind  in  englischer  Übersetzung  (die  Prameya-ratnävall  mit 
Beifügung  des  Originaltextes)  in  den  „Sacred  Books  of  the  Hindus*  vol.  5  (Alla- 
habad 1912)  erschienen. 

2)  Vergl.  auch  den  drittletzten  Vers  des  Werkes  Cunten  S.  1). 


*  44  Einleitung 

Ansicht  sind^),  steht  doch  Caitanyas  Ansicht  über  das  Verhältnis 
der  Einzelseele  zu  Grott  dem  Bhedäbheda-väda  Nimbärkas  an- 
scheinend näher  als  dem  Bheda-väda  Madhvas.  Baladeva  bezeichnet 
seinen  philosophischen  Standpunkt  geradezu  als  „acintya-bhedä- 
bheda^-Lehre  „thus  confessing  that  the  relation  between  Grod  and 
the  soul  is  in  the  last  analysis  inconceivable"  ^). 

Die  Beziehungen  der  einzelnen  visnuitischen  Sekten  zu  ein- 
ander und  die  Einwirkungen,  welche  die  Lehren  einer  Schule  auf 
die  Dogmatik  einer  andern  ausgeübt  haben,  bedürfen  noch  der 
Untersuchung.  Fest  steht,  daß  Madhvas  Sampradäya  schon  seit 
alter  Zeit  als  eines  der  vier  wesentlichen  Grlieder  der  großen 
Vaisnava-Gemeinde  angesehen  worden  ist,  was  in  Werken  wie 
dem  Sakaläcärya-mata-samgraha  ^)  deutlich  zum  Ausdruck  kommt. 
Daß  dieser  Zusammenhang  zwischen  den  4  Kirchen  auch  heut- 
zutage noch  besteht,  lehren  die  „Vereinigten  Vaisnava-Konferenzen", 
die  seit  Mai  1911  abgehalten  werden*). 

Ob  Madhvas  Philosophie  diejenige  von  nicht  -  visnuitischen 
Hindulehrern  beeinflußt  hat,  wie  dies  bei  der  Rämänujas  der  Fall 
ist,  welche  von  dem  Saiva-Theologen  Srikantha  in  sivaitischem 
Sinne  nachgebildet  wurde  ^),  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Der 
Versuch  Dharmdev  Siddhäntälankär's,  Madhva  als  eine  Art  von 
Vorläufer    Dayänand    Sarasvati's    darzustellen^),    kann   nicht    als 

1)  So  wird  von  Baladeva  im  Govinda-bhäsya  (III,  1, 16)  im  Anschluß  an 
einen  auch  von  Madhva  zitierten  Vers  aus  dem  Mbh.  zwischen  zeitlichen  und 
ewigen  Höllen  unterschieden. 

2)  J.  N.  Farquhar  „Outline  of  the  Religious  Literature  of  India"  p.  311  — 
Die  beste  Vorstellung  von  Caitanyas  Lehren  gibt  Krsnadäsa  Kaviräja's  bengalische 
Biographie  „Caitanya-caritämrta".  Im  9.  Abschnitt  dieses  Werkes  wird  von  einem 
Besuch  Caitanyas  in  Udipi  erzählt,  bei  welcher  Gelegenheit  Caitanya  mit  Madhvas 
disputierte  und  abweichende  Anschauungen  über  den  Wert  der  Erlösung  und  der 
Werke  als  Erlösungsmittel  äußerte.  Er  sagte:  „The  votary  of  work  and  the 
votary  of  knowledge  are  alike  lacking  in  faith.  In  your  order  I  see  signs  of  these 
two.  I  see  only  one  merit  in  your  order:  you  have  fixed  upon  the  true  God." 
(Chaitanya's  Life  and  Teachings.  From  bis  contemporary  Bengali  biography  the 
Chaitanya-charit-amrita  translated  into  English  by  Jadunath  Sarkar.  2.  edition 
Calcutta  &  London  1922,  p.  86.) 

3)  Benares  Sanskrit  Series  No.  133,  fasc.  2.  Deutsch  von  R,  Otto  „Vischnu- 
Näräyana"  2.  Aufl.  S.  91. 

4)  J.  N.  Farquhar  ,,Modern  Religious  Movements  in  India"  (New  York 
1915)  p.  298. 

5)  Örikaritha's  Saiva-bhäsya  ist  nach  Inhalt  und  Form  so  stark  von  Rämä- 
nujas  Schriften  beeinflußt,  daß  Srikantha  geradezu  als  ein  Plagiator  (caura)  be- 
zeichnet wurde.    A.  Guha  „Jivätman  in  the  Brahma-Sütras"  (Calcutta  1914)  p.  2. 

6)  In  dem  Aufsatz  „Rsi  Dayänand  aur  Sri  Madhväcärya"  im  Aryya  Pratinidhi 
Sabhä  Panjäb  ke  mäsik  patr  „Aryya"  bhäg  3,  ank  10  (Lähaur,  Pharvarl  1923)  p.  15. 


Madhva  und  seine  Schule  *45 

geglückt  angesehen  werden,  denn  wenn  auch  der  letztere  gleich 
Madhva  die  Verschiedenheit  von  Gott,  Seelen  und  Materie  lehrt, 
so  nimmt  er  doch  in  der  Frage  der  Bilderverehrung  ^),  des  Kasten- 
wesens, der  Anerkennung  von  autoritativen  Schriften  außerhalb 
des  eigentlichen  Veda  und  in  vielem  anderen  einen  dem  Madhvas  so 
völlig  entgegengesetzten  Standpunkt  ein,  daß  es  nicht  angeht,  an 
der  Hand  von  einigen  aus  dem  Zusammenhang  gerissenen  Zitaten 
aus  Madhvas  Schriften  eine  Übereinstimmung  zu  konstruieren. 

Gegner  der  Lehre  Madhvas  waren  von  jeher  namentlich  die 
Anhänger  von  Sankara's  (Kevala~)Advaita-Vedänta  und  zwar  nicht 
nur,  weil  sie  mit  ihrem  illusionistischen  Theopanismus  im  schärfsten 
Gegensatz  zu  Madhvas  realistischem  Dualismus  und  konsequenten 
Theismus  stehen,  sondern  gewiß  auch  wegen  der  den  meisten  An- 
hängern Sankaras  eigenen  Hinneigung  zum  Siva-Glauben.  Schon 
bald  nach  Madhvas  Tode  fand  sein  System  eine  Darstellung  und 
Kritik  in  dem  Werke  eines  Smärta,  in  dem  „Sarva-dar^ana-sam- 
graha"  (Zusammenfassung  aller  Systeme),  von  Mädhava,  der  um 
1380  geschrieben  ist^).  Mädhava  behandelt  die  Lehre  des  „Pürna- 
prajna",  wie  er  sie  nennt,  im  5.  Kapitel  seines  Werkes  in  ziemlich 
übersichtlicher  Weise,  wenn  er  auch  manche  Einzelheiten  übergeht. 
Sein  Urteil  über  sie  legt  er  in  den  Mund  eines  Vertreters  der 
Nakulisa-päsupata,  einer  Saiva-Sekte,  die,  da  er  sie  nach  der  der 
Dvaita-vädins  bespricht,  der  Anlage  seines  Buches  entsprechend, 
seiner  Meinung  nach  der  Wahrheit  näher  kommt  als  Madhva.  Er 
sagt:  „Diese  Theorie  der  Anhänger  des  Visnu,  welche  sich  nur 
als  eine  Knechtschaft  usw.  bezeichnen  läßt  und  mit  den  Leiden, 
welche  die  Abhängigkeit  von  einem  andern  mit  sich  bringt,  be- 
haftet bleibt,  kann  uns  als  der  erstrebte  Standort  der  Beendigung 
aller  Leiden  usw.  nicht  befriedigen,  da  es  doch  die  volle  Gott- 
herrlichkeit ist,  welche  wir  begehren.  Vielmehr  können  diejenigen, 
welche  noch  von  einem  anderen  überragt  werden,  nicht  für  erlöst 


1)  Es  besteht  kein  Zweifel,  daß  Madhva  ein  richtiger  Bildverehrer  war;  es 
ist  daher  eine  Verkennung  dieser  Tatsache,  wenn  Dharmdev  darzutun  sucht  „ki 
Sri  Madhväcärya  svayaip  mürti  püjä  ke  paksapäti  na  the,  yadyapi  apne  samay 
mein  mürti-püjä  meqi  logoqi  kä  drdh  visväs  dekhkar,  unhom  ne  samajhautä  (com- 
promise)  karte  hue  kai  sthänoip  par  „pratimäsv  aprabuddhänäm"  jaise  väkya  likh 
diye  haiqi  jin  kä  abhipräy  yah  hai  ki  atyant  nyün  buddhi  ke  log  mürti  püjä  kar 
sakte  haiip". 

2)  Text -Ausgaben :  Bibliotheca  Indica  (Calcutta  1858)  und  Anandäsrama 
Series  (Puna  1906),  Englisch  von  E.  B.  Cowell  und  A.  E.  Gough  (2.  Aufl.,  London 
1894) ;  die  Kapitel  1 — 9  deutsch  von  P,  Deussen  „Allg.  Geschichte  der  Philosophie" 
I,  3  p.  190  ff.  (Leipzig  1908). 


*46  Einleitung 

gelten,  weil  sie  abhängig  sind  und  ebensogut  wie  unsereiner  der 
vollen  Gottherrlichkeit  ermangeln.  Die  erlösten  Seelen  hingegen 
müssen  die  Eigenschaften  des  höchsten  Grottes  an  sich  tragen, 
denn  da  sie  rein  geistige  Wesen  sind,  so  müssen  sie  ebensosehr 
wie  der  höchste  Gott  der  Möglichkeit  alles  Leidens  enthoben  sein"  ^). 

Einen  Höhepunkt  erreichte  die  Diskussion  der  Anhänger  San- 
kara's  und  Madhva's  über  die  Frage  der  Realität  der  Welt  im 
15.  Jahrhundert.  Der  Dualist  Vyäsa-räja  hatte  in  seinem  »Nyä- 
yämrta"  mit  großem  Scharfsinn  die  Lehre  vom  „dvaita-satyatva" 
gegen  die  Illusionisten  vertreten.  Ihn  suchte  Madhusüdana  Saras- 
vatl  zu  widerlegen,  indem  er  in  seiner  „Advaita-siddhi"  den 
Standpunkt  des  „dvaita-mithyätva"  verteidigte.  Auf  Vyäsa-räjas 
Veranlassung  antwortete  ihm  ßämäcärya  in  seiner  „Nyäyämrta- 
tarangiiii".  Gegen  ihn  wandten  sich  dann  wieder  Brahmänanda- 
bhiksu  in  seiner  „Laghucandrikä"  (auch  Gauda-brahmänandi  ge- 
nannt) und  andere  Kommentatoren.  Auch  der  Advaita-  und  Saiva- 
Philosoph  Appaya-dlksita  (1552 — 1624)  trat  in  seinen  Schriften 
gegen  die  Mädhvas  auf.  Er  widmete  der  Bekämpfung  der  Dvaita- 
Lehre  ein  besonderes  Werk,  betitelt  „Madhva-tantra-mukha-mar- 
dana",  das  aus  77  Strophen  besteht  und  zu  dem  er  einen  eigenen 
Kommentar  „Madhva-mata-vidhvamsana"  schrieb  (Textausgabe  in 
Grantha-Schrift  Chidambaram  1887).  In  einer  kleinen  Schrift 
„Tapta-mudrä-khandana"  trat  er  gegen  den  bei  den  Mädhvas 
üblichen  Brauch  auf,  am  Körper  Symbole  des  Yisnu  einzubrennen  ^). 

Auch  sonst  haben  eine  Reihe  von  Autoren  Mädhvas  Lehre  zu 
widerlegen  versucht,  so  schrieb  Kumbhakona  Tätäcärya  einen 
„Vijaymdra-paräjaya",  der  gegen  Appayadiksitas  Zeitgenossen, 
den  Mädhva  Vijayindra  gerichtet  ist,  und  später  verfaßte  der  My- 
sorer  Pandit  Triyambaka-Sästrin  eine  Advaitasiddhäntavaijayanti. 

Sogar  in  einem  Puräna  hat  die  Polemik  der  Anhänger  San- 
karas  gegen  Madhva  und  seine  Schule  Ausdruck  gefunden.  In 
d  em  zu  den  Upapuränas  gehörigen,  sivaitischen  Saura-Puräna  wird 
in  den  Kapiteln  38 — 40  in  Form  einer  Prophezeiung  scharf  gegen 
die  Mädhvas  vorgegangen.  „Im  Kali -Zeitalter"  —  so  heißt  es 
dort  — ,  „wenn  die  Erde  mit  Ketzern  erfüllt  ist  und  die  Menschen 
vom  frommen  Wandel   abgefallen   sind,   wird   ein    widerwärtiger 


1)  Übersetzung  von  P.  Deussen,  a.  a.  0.  p.  302. 

2)  Rice,  Cat.  Sanskr.  Mss.  Mysore  no  2923.  Ebendort  no  2924  und  2925 
werden  noch  zwei  andere  Schriften  gleichen  Inhalts  aufgeführt,  die  Bhäskara 
Pa^dita  bezw.  Bhäskara  Diksita  zum  Verfasser  haben  und  „Tapta-mudrä-ndalana" 
bezw.  „Tapta-mudrä-vidrävana"  betitelt  sind. 


Madhva  und  seine  Schule  *47 

Brahmane  aus  dem  Süden  mit  einer  Brahmanenwitwe  Unzucht 
treiben,  sein  Sohn  jedoch  sich  unter  dem  Namen  Madhuäarman 
zum  Vedalehrer  Padmapäduka  begeben,  ihm  anfangs  Freude  machen, 
so  daß  er  zu  dessen  erstem  Schüler  avanziert,  doch  dann  einmal 
seine  Observanzen  vernachlässigen,  worauf  ihn  der  Lehrer  zur 
Rede  stellt.  Madhusarman  verantwortet  sich,  er  habe  das  all- 
gemeine Gesetz  befolgt.  Padmapäduka,  nachdem  er  seine  Herkunft 
erfahren,  flucht  ihm,  er  solle  ohne  Organ  sein  für  den  Siddhänta 
des  Vedänta-Systems  und  beim  Pürva-paksa  stehen  bleiben.  —  So 
wird  es  auch  geschehen.  Er  wird  sich  in  den  Lehrbüchern  nur 
an  den  Pürvä-pak^a  halten  und  den  Vedänta  zu  fälschen  trachten. 
Je  weiter  das  Kali-Zeitalter  vorrückt,  desto  mehr  wird  die  Irrlehre 
dieses  Sivahassers  sich  ausbreiten,  auch  in  der  dravidischen  Gegend 
auftreten.  Wenn  das  Kali-Zeitalter  auf  der  Höhe  steht,  wird  sie 
sich  im  Ärya-varta  bewegen"  ^).  Madhva  wird  stets  Madhu  ge- 
nannt und  als  Inkarnation  eines  Dämons,  des  Frühlings  (Madhu  = 
Vasanta)  bezeichnet;  er  ist  ein  verkappter  Materialist,  der  den 
Samsära  für  wirklich  erklärt,  seine  Schüler  sind  nur  ihrer  Tracht 
nach  Sannyäsins,  streben  aber  danach,  Reichtum  anzusammeln, 
geben  sich  zu  Fürstendienst  her,  wohnen  Frauen  aus  niederen 
Kasten  bei  und  schwelgen  in  den  verschiedensten  verbotenen  Ge- 
nüssen. Sie  studieren,  bloß  um  in  anderen  Büchern  Fehler  zu 
finden,  beschimpfen  die  Alleinheitslehre  und  tun  sich  mit  ihren 
geheimen  Büchern  wichtig.  Besser  sind  noch  die  Buddhisten  und 
Jainas,  die  die  Autorität  des  Yeda  offen  leugnen,  als  Leute  dieses 
Schlages,  die  sich  auf  den  Veda  berufen,  aber  die  reine  Lehre 
verfälschen!  Nur  dem  Aussehen  nach  sind  sie  Menschen,  und  zur 
Hölle  reif.  Schon  wenn  man  mit  ihnen  spricht,  geht  man  des 
Glanzes  der  Brahmanen  verlustig ;  schon  bei  ihrem  bloßen  Anblick 
soll  man  bekleidet  baden! 

Diese  Schmähungen  zeigen,  welche  Animosität  die  Advaitins 
gegen  die  Anhänger  des  dualistischen  Vedänta  beseelte  und  daß 
die  sivaitischen  Monisten  an  Fanatismus  und  Gehässigkeit  den 
visnuitischen  Dvaita-vädins  nicht  nachstanden,  die,  wie  wir  oben 
S.  *2  gesehen  haben,  Sankara  für  einen  Bastard  und  die  Inkar- 
nation eines  Dämons  erklärten  und  ihm  und  seinen  Schülern  die 
Verfälschung  des  Vedänta  und  andere  Laster  und  Verbrechen  zur 


1)  Saura-Puräpa  39,  37  ff,  in  der  Zusammenfassung  von  W.  Jahn  „Das 
Saurapuränam"  (Straßburg  1908)  p.  95  ff.  Die  auf  die  Mädhvas  bezüglichen  Ka- 
pitel sind  übersetzt  von  A.  Barth  „Deux  chapitres  du  Saurapuräna"  in  „Melanges 
Charles  de  Harlez"  (Leiden  1896)  p.  12—25. 


*48  Einleitung 

Last  legten.  Daß  Werke  der  heiligen  Überlieferung  von  den 
Philosophen  verschiedener  Richtungen  zu  temperamentvollen  Aus- 
einandersetzungen mit  ihren  Gegnern  benutzt  wurden,  steht  nicht 
vereinzelt  da,  wird  doch  im  Padma-Puräpa  die  Mäyä-Lehre  als 
Irrlehre  und  verkappter  Buddhismus  heftig  angegriffen^}. 

9.    Die  Madhva-Literatur. 
a)  Die  Werke  Madhyas. 

a)  Textausgaben. 

Eine  Gesamtausgabe  der  Werke  Madhvas  (1175  Blatt,  gr.  8", 
oblong)  wurde  von  T.  R.  Krishnacarya  im  Madhvavilas  Book  Depot 
Kumbhakonam  Sake  1833  publiziert.  Der  vollständige  Titel  des 
Werkes  lautet:  AnandatTrtha,  Sarvamülagranthab.  Sri  Madhvä- 
cärya-krtänäm  sütrabhäsya-gitäbhäsya-upanisadbhäsya-prabhrtinäm 
saptatrimääd  granthänäiii  samudäyah  (Sarvamoola,  a  complete  work 
of  Sri  Madhvacharya).  Einzelne  Werke  hieraus  erschienen  auch 
als  Sonder- Ausgaben.  Der  gleiche  Verlag  veröffentlichte  auch  eine 
Reihe  von  Kommentaren  zu  den  einzelnen  Schriften  Madhvas.  (Alle 
diese  Texte  sind  in  schönen  Typen  bei  der  Nirnaya-sägara  Press 
in  Bombay  gedruckt.) 

Außer  dieser  großen  Ausgabe,  auf  welche  sich  alle  Zitate  im 
vorliegenden  Buche  beziehen,  sind  von  einer  Reihe  von  Werken 
Madhvas  noch  andere  Ausgaben  erschienen.  Ich  führe  hier  die- 
jenigen auf,  die  mir  bekannt  geworden  sind,  doch  ist  die  Zahl  der 
erschienenen  gewiß  noch  größer. 

Brahmasütra-bhäsya,  1)  ed.  Jibänanda  Vidyäsägara.  Calcutta 
1873,  2.  ed.  Calcutta  1883;  2)  ed.  Sedambi  Subrahmanya  Sarmä. 
Madras  1898.  3)  mit  Jagannätha's  Kommentar  und  verschiedenen 
Beigaben.  Madras  1900.  4)  mit  den  Kommentatoren  des  Jaya- 
tirtha,  Vyäsatirtha,  Räghavendratirtha,  ed.  R.  Räghavendräcärya. 
Mysore  1911  (Government  Oriental  Series,  Bibliotheca  Sanscrita, 
No.  39).  5)  „The  BS.  construed  literally  according  to  the  Com- 
mentary  of  Sri  Madhväcärya."     Kumbakona  1902. 

Anu-bhäsya  lith.  Bombay  1886. 

Gitä-bhäsya  in  Bhagavadgitä  mit  den  Kommentaren  des  San- 
kara,  Rämänuja,  Änandatirtha  ....  sowie  Jayatirtha  Prameya- 
dipikä  ...  ed.  A.  V.  Narasimha  (Vedänta-grantha-ratnamälä  2) 
Madras,  Venkatesvara  Press  1910. 


1)  Padma-purä^a,   Üttara-Kha^da  43  (Aufrecht,  Catalogue  of  Sanskrit  Mss. 
in  Oxford,  p.  14,  note  1),  vgl.  unten  S.  21. 


Madhva  und  seine  Schule  *49 

Upanisad-bhäsyas  in  „108  Upanisads,  printed  in  Telugu-cha- 
racters,  followed  by  Tamil  translation  of  the  commentaries  of 
Sankara  . . .  and  Änandatirtha,  ed.  by  Sriniväs  Räghaväcärya  and 
others."     Madras  1887. 

Sadäcära-smrti  mit  Kommentar  des  Nrhari  Äyi.   Bombay  1887. 

Dväda^a-stotra  mit  anonymem  Kommentar.     Poona  1880. 

Dasselbe  „with  an  elaborate  word-by-word  commentary  and 
notes,  in  Sanskrit,  with  a  paraphrase  of  the  verses  in  Canarese 
by  C.  M.  Padmanabha  Char.  Coimbatore." 

Sandhyä-vandana,  followed  by  the  Purusasükta  .  . .  with  ex- 
tracts  in  a  Tamil  translation,  from  the  commentaries  of  Änanda- 
tirtha and  others.     1901. 

Madhva-devatärcana-vidhi  „A  ritual  for  the  worship  of  the 
Mädhva  sect"  Bezwada  1895. 

^)  Übersetzungen. 

Die  erste  Übersetzung  eines  vollständigen  Werkes  von  Madhva 
in  eine  europäische  Sprache  ist  die  Übertragung  des  „Brahma- 
sütra-bhäsya"  ins  Englische  durch  S.  Subba  Rau,  M.A.  Dieselbe 
erschien  Madras  1904  (printed  at  the  „Minerva"  Press)  unter  dem 
Titel  „The  Vedanta-Satras  with  the  Commentary  by  Sri  Madhwa- 
charya.  A  complete  Translation";  auf  dem  Buchrücken  steht  an- 
stelle dieses  Titels  „Purna-pragna-darsana.  Translation.  Dwaita 
Philosophy". 

Zwei  Jahre  später  veröffentlichte  S.  Subba  ßau  eine  Über- 
setzung der  Bhagavad-Gritä  mit  umfangreichen  Erläuterungen,  die 
sich  z.  T.  an  Madhvas  Gitä-bhäsya  und  Gitä-tätparya-nirnaya  an- 
schließen, hauptsächKch  aber  auf  den  Erklärungen  Räghavendras 
beruhen  (s.  Preface,  p.  III).  Der  Titel  des  Buches  lautet:  „The 
Bhagavad-Grita.  Translation  and  Commentaries  in  English  accord- 
ing  to  Sri  Madhwacharya's  Bhashyas"  Madras  1906. 

Von  den  TJpanisaden-Kommentaren  Madhvas  sind  acht  in  der 
Sammlung  „The  Sacred  Books  of  the  Hindus.  Translated  by 
various  Sanskrit  Scholars,  edited  by  Major  B.  D.  Basu,  I.  M,  S. 
(Retired),  published  by  the  Pänini  Office,  Bhuvanesvari  Äärama, 
Bahadurganj,  Allahabad,  printed  at  the  Indian  Press"  in  englischer 
Wiedergabe  erschienen,  und  zwar  als  Band  1,  3,  14.  Die  Titel 
lauten  im  Einzelnen:  (Band  1:)  „The  Upanisads  with  the  Com- 
mentary of  Madhwächärya.  Part  I:  I^a,  Kena,  Katha,  Praäna, 
Mup^aka  and  Mäpdüka.  Translated  by  Srisa  Chandra  Vasu.  1909." 
(Band  3:)  „  Chhändogya-Upanisad  with  the  Commentary  of  Öri 
Madhwächärya   called    also   Änandatirtha.     Translated    by   SriSa 

i-  Glasenapp,  Madhva's  Philosophie.  d 


*50  Einleitung 

Chandra  Vasu."  1909.  (Band  14:)  „The  Brihadäranyaka  Upanisad 
with  the  Commentary  of  Sri  Madhwächärya  called  also  Änanda- 
tirtha.  Translated  by  ßai  Bahadur  Sris  Chandra  Vasu  with  the 
assistance  of  Pandit  Rämäksya  Bhattächärya,  Vidyäbhüsana.    1916." 

Der  Kommentar  zur  Käthaka- Upanisad  erschien  deutsch  in 
der  Kieler  Promotionsschrift.-  „Madhva's  (Änandatirtha's)  Kommen- 
tar zur  Käthaka-TJpanisad.  Sanskrit-Text  in  Trans  skr  iption  nebst 
Übersetzung  und  Noten,  herausgegeben  von  Betty  Heimann". 
Leipzig  1922,  Otto  Harrassowitz. 

Eine  deutsche  Übertragung  des  Tattva-samkhyäna  gab  H.  von 
Grlasenapp  unter  dem  Titel  „Lehrsätze  des  dualistischen  Vedänta, 
übersetzt  und  erklärt"  in  dem  Werke  „Aufsätze  zur  Kultur-  und 
Sprachgeschichte,  vornehmlich  des  Orients,  Ernst  Kuhn  zum  70. 
Geburtstage  am  7.  Februar  1916  gewidmet  von  Freunden  und 
Schülem^  Breslau,  M.  &  H.  Marcus,  1916.     S.  326— 33L 

b)  Werke  aus  Madhvas  Schule. 

Im  Folgenden  gebe  ich  eine  alphabetisch  geordnete  Liste  der 
Madhvas  Schule  angehörenden  Autoren  alter  und  neuer  Zeit.  Ich 
vermerke  bei  den  einzelnen  Namen  die  spärlichen  biographischen 
Nachrichten,  die  ich  habe  finden  können  und  verzeichne  die  Titel 
aller  ihnen  zugeschriebenen  Werke,  soweit  sich  diese  aus  den  mir 
zugänglichen  Handschriftenverzeichnissen ,  Bibliothekskatalogen, 
Buchhändlerpreislisten  und  bibliographischen  Notizen  ermitteln 
ließen.  Daß  diese  Liste  keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit  er- 
heben kann,  bedarf  nicht  der  Erörterung.  Die  Verantwortung  für 
die  Richtigkeit  der  Angaben,  die  sie  enthält,  muß  ich  den  an- 
geführten Quellen  überlassen,  da  eine  Nachprüfung  in  den  meisten 
Fällen  unmöglich  war.  Im  Einzelnen  mögen  in  ihr  auch  dadurch 
Irrtümer  untergelaufen  sein,  daß  verschiedene  Autoren  oder  Werke 
mit  ähnlichen  Namen  fälschlich  miteinander  identifiziert  oder  daß 
dieselben  Personen  oder  Schriften  unter  verschiedenen  Titeln  zwei- 
mal aufgeführt  wurden.  Obwohl  ich  mir  über  die  Mängel  der 
nachstehenden  Zusammenstellung  klar  bin,  entschloß  ich  mich  nach 
anfänglichem  Zögern  doch,  dieselbe  hier  zu  veröffentlichen,  weil 
Beiträge  dieser  Art,  so  unvollkommen  sie  an  sich  auch  sein  mögen, 
erfahrungsgemäß  doch  von  Nutzen  sein  können,  insofern  als  sie 
den  vorbereitenden  Grundstock  für  eine  zukünftige  vollständige 
und  berichtigte  Bibliographie  darstellen. 

Zu  den  Abkürzungen  bemerke  ich  Folgendes :  Bhand  =  Bhan- 
darkar's  „Report  on  the  Search  for  Sanskrit  Manuscripts";  es 
folgt  die  abgekürzte  Jahreszahl  (84  =  1884  etc.) ;  Burneil  =  A.  C. 


Madhva  und  seine  Schule  *51 

Burneil  „Classified  Index  to  the  Sanskrit  Mss.  in  the  Palace  at 
Tanjore"  (London  1879);  Farquhar  =  J,  N.  Farquhar's  „Outline 
of  the  ßeligious  Literature  of  India"  (Oxford  1920);  Hall  =  Fitz- 
edward Hall  „A  Contribution  towards  an  Index  of  the  Biblio- 
graphy  of  the  Indian  Philosophical  Systems"  (Calcutta  1859); 
MVBI)  bedeutet,  daß  eine  gedruckte  Ausgabe  des  betr.  Werkes  im 
Verlage  des  Madhva  Vilas  Book  Depot  in  Kumbhakonam  erschienen 
ist;  Oppert  =  Oppert  „List  of  Sanskrit  Mss.  in  Private  Libraries 
of  Southern  India"  (Madras  1880,  1885);  Rice  =  P.  Lewis  Rice 
„Catalogue  of  Sanskrit  Mss.  in  Mysore  and  Coorg"  (Bangalore 
1884).  Die  Ortsnamen  (Adyar,  Madras  u.  a.)  bezeichnen  in  üblicher 
Weise  die  Handschriften-Kataloge.  Zitiert  wird,  wo  nicht  anders 
vermerkt,  nach  Seiten. 

Ananta-bhatta 
„Paddhati-prakäsikä'^    a    tippani   to    Jayatirtha's    „Pramäna- 
paddhati"    (Burnell   p.  107).     „Paratattva-prakääikä"    (Oppert  I 
no  5571). 

Änanda-tirtha-vara,  Sohn  von  Vitthaläcärya 
„Sattattva-ratnamälä",   a  treatise  in  verse   on   the  nature  of 
the    various    categories    accepted    by    Madhva    and   his    followers 
(Madras  X  no  4844). 

Appannäcärya 
„Taittiriyopanisad-bhäsya-vivarana" ;    this    must    be    quite   a 
recent  work  (Burnell  p.  99). 

Uttamasloka-tirtha 
„Laghu-nyäya-sudhä^    C.   zu  „Sata-sloki"   which  is  described 
as  being  a  metrical  version,   in  consonance  with  the   views   pro- 
pounded  by  Madhu'^  (Hall,  p.  97). 

Kanaka-däsa, 
kanaresischer  Dichter  des  16.  Jahrhunderts. 
„Mohana-tarangini"  consisting  of  Puränic  stories  chiefly  about 
Krsna  (Rice,  Kanarese  Literature  ^  p.  80). 
„Nala-caritre"  (ib). 

„Hari-bhakti-sära"   treats   of  morals,   devotion  and  renuncia- 
tion  (ib.). 

„Räma-dhänya-caritre"  the  story  of  Räma's  chosen  grain  (ib.). 
Krsna-däsa, 
kanaresischer  Liederdichter  des  16.  Jahrh. 
Krsnäcärya,  Sohn  des  Mrttikä-Näräyana 
„Aitareyopanisat-khandärtha-sangraha"  (Burnell  p.  109). 
„Gruru-näma-ratna-mälä"   intended,   apparently,   to   show   the 
writers  familiarity  with  unusual  metres  (Burnell,  ib.). 

d* 


*  52  Einleitung 

Krsnäcärya-süri,  Sohn  des  Tirumaläcärya-süri 
„Bhäva-prakäi§a"  C  zu  Jayatirtha's  „Prameya-dlpikä" 
C  zu  Muiidaka-Upanisad  (MVDB). 
„Täratamya-vivrti"  (Triennial  Madras  no  2386). 

Krsna  Panditäcärya 
C  zu  Näräyanas  „Mani-manjarT"  (Puna  1881). 

Kei§ava-yati 
„Tätparya-candrikä-prakä^a^   C  zu  Vyäsatirthas   „Tätparya- 
candrikä  (Bumell  p.  101). 

^Visnu-tattva-nirnaya-tikä"  (ßhand  84  p.  76). 

Cettu  Koneri 
„Sarva-tikänusärini"  C  zu  Mbhtp.  (Trien.  Madras  no  1244). 

G-ajendra-bhiksu 
„Änandatäratamyavädärtha"  (Oppert  II  no  4401). 

Giri-süri,  Sohn  des  Kon^u-bhatta 
„Nyäyämrta-vivrti"  (Trien.  Madras  no  861). 

Guru-räja 
„Candrikä-tippana"  (Oppert  II  no  79). 

Gopälakrsnäcärya,  Sohn  des  Venkatakrsnäcärya 
„Nyäya-kärikävali"  a  work  in  verse  giving  a  summary  of  the 
various  logical  arguments  adopted  in  the  Mädhva  bhäsya  (Madras 
X  no  4793). 

Grovinda-miära 
C  zu  Madhva's  „Dvädaäa-stoträni"  (Deccan  p.  298). 

Cidänanda  (18.  Jh.). 
„Hari-bhakti-rasäyana"  i.  e.  the  „Sweets  of  devotion  to  Krsna" 
(Kanarese),  E.  P.  Rice  „Kanarese  Literature"  (Calcutta  1921)  p.  82. 
Jagannätha-tirtha 
„Süträrtha-dTpikä"  an  easy  explanation  of  the  „Brabma-sütras", 
well  adapted  for  beginners  (MVDß). 

„Brahma-sütra-bhäsya-vyäkhyä-dipikä"  (gedruckt  Madras  1900). 

Janärdana-bhatta 
C  zu  „Bhärata-tätparya-nirnaya"  (Bumell  p.  103). 
Jayatirtha, 
vor   seiner  Initiation  DhoiKJlo  Raghunätha  genannt,   aus   Mangala- 
vedhem  bei  Pan(Jharpur  gebürtig,   Schüler  des  Padmanäbhatirtha 
und   Aksobhyatirtha ,    6.  Nachfolger  Madhvas,   gestorben  Vibhava 
1190  Äsä^ha  5  v.  (1268  n.  Chr.)  der  Tradition  zufolge,  wahrschein- 
lich aber  erst  80  Jahre  später,  sodaß  er  in  der  ersten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts   blühte.     Er   ist   der  bedeutendste   Schriftsteller 
der  Mädhvas;   seine   Kommentare   zu    den    Werken   des   Meisters 
erfreuen  sich  der  größten  Autorität. 


Madhva  und  seine  Schule  *53 

„Rg-bhäsya-tikä."  _ 

„Vyäkhyäna-vivara^a"  C  zu  lsäväsy6paiiisad-bhä§ya. 

„  Praänopanisad-bhäsya-tikä. " 

„Prameya-dipikä"  C  zq  Gltä-bhäsya. 

„Nyäya-dipikä"  C  zu  Gitä-tätparya-nirnaya  (MVBD  1905). 

„Tattva-prakääikä"  C  zu  Brahma- sütra-bhäsya  (gedr.  Bombay 
1883). 

„Nyäya-sodhä"  C  zu  Brahma-sütränuvyäkliyäna.  Dieses  Werk 
gilt  bei  den  Mädhvas  als  die  tiefgründigste  Darstellung  der  Lehre 
Madhvas;  so  schreibt  Padmanabha  Char  (p.  197)  von  ihm:  „A  more 
masterly  commentary  is  unknown  in  the  whole  ränge  of  Sanskrit 
literature.  It  is  an  immortal  work,  worthy  of  the  great  author, 
and  worthy  too  of  the  great  Master  (Sri  Madhva)  whose  hidden 
thoughts  it  has  sought  to  unearth  for  the  benefit  of  the  Sishya 
World.  One  does  not  know  what  to  admire  most  in  this  book, 
so  remarkably  perfect  is  it  in  every  way,  that  it  is  without  a 
peer  of  its  kind.  No  Madhva  lays  claim  to  be  a  Pandit  without 
a  mastery  of  Nyäya  Sudhä,  and  he  who  has  drunk  of  this  deli- 
cious  fountain  of  knowledge,  needs  little  eise  to  finish  his  edu- 
cation"  (gedruckt  erschienen  MVBD). 

„Anuvyäkhyäna-nyäya-vivarana-panjikä  (Barnell  p.  102). 

;,Nyäya-kalpa-latä"  C  zu  Pramäna-laksana  (Madras  X  no  4808). 

„Pramäna-paddhati"  composed  because  Änandatirthä's  Pramäna- 
lak§ana  was  found  to  be  difficult  and  too   concise  (Bumell  p.  107). 

„Tattva-sankhyäna-tlkä"  (MVBD). 

„Tattva-viveka-tikä''  (MVBD). 

„Tattvodyota-tikä"  (MVBD). 

„Upädhi-khandana-tikä"  (MVBD). 

;,Mäyäväda-khandana-tikä"  (MVBD). 

„Prapanca-mithyätvänumäna-tikä"  (MVBD). 

„Karma-nirnaya-tikä"  (Burnell  p.  107). 

„Visnu-tattva-nirnaya-vyäkhyä"  (Madras  X  no  4843). 

„Kathä-laksana-vivara^a"  (Adyar  p.  227). 

„Püjä-pathya-mälä"  compiled  from  the  Tantra-sära  (Bumell 
p.  107). 

;,Visama-pada-väkyärtha-vivrti"  (Adyar  p.  228). 

„Vädävali"  a  controversial  pamphlet  (Madras  X  no  4839). 

^jSatpaiicäsatikä"  (Oppert  I  no  3698). 

G-andIräv  Hanumant  Tälapadatür, 
(lebte  1922  in  Dharwar) 

„Sri-Krsna-bhakti"  (Abhandlung  in  Sanskrit;  gedruckt  Dhärväd 
1918).     „Upädhi-khandana",   „Mäyä-väda-khan^ana",   „Prapanca- 


*B4  Einleitung 

mithyätvänumäna-khandana"  (written  in  Sanskrit,  in  questions 
and  answers)  „Bhedojjivana"  „Tatvodyota"  (beides  Translations 
in  Canarese,  Balabodha  characters). 

„Sruty-artha-vicära"  (Interpretation  of  the  Vedas),  „Dvait- 
ärtha-manjarl"  (Parts  11 — IV,  in  separate  vols).  Diese  beiden  sind 
„Lectures  on  Dvaita  Philosophy  in  Marathi*^. 

„Refutation  of  the  remarks  made  by  Anant  Keshava  Shastri, 
Professor  of  the  University  of  Calcutta,  on  Shri  Krishna  Bhakti" 
(Englisch;  Dharwar  1920). 

AUe  diese  "Werke  sind  gedruckt  im  Selbstverlag  des  Verfassers 
(Kamanakatta,  House  No  3007,  Dharwar)  erschienen. 
Käsi-Timmanäcärya 

„Bhedojjivana-tippani"  C  zu  Vyäsatirthas  Bhedojjivana  (Tri- 
ennial  Madras  no  454). 

Varkhedi-  Timmannäcärya 

"Dipikä"  C  zu  Visnu-tattva-nirnaya  (Burnell  p.  106). 

C  zu  „Krsnämrta-mahärnava"  (Burnell  p.  107). 

„Candrikä-nyäya-vivarana"  C  zu  Vyäsatirthas  „Tätparya- 
candrikä"  (Burnell  p.  101). 

„Pa^u-purodäsa-mimämsä"  (The  foUowers  of  Madhva  teach  that 
the  sacrifice  of  animals  is  illegal  in  the  present  age,  and  direct 
the  Substitution  of  a  dough  image)  (Burnell  p.  109). 

„Gaja-pancänana"  (Burnell  p.  109). 

„Äksepasära"  (Burnell  p.  109). 

Trivikrama  Panditäcärya  (Zeitgenosse  Madhvas) 

„Tattva-pradlpikä"  C  zu  ßS-bhäsya  (Farquhar  p.  375). 

„Väyu-stuti"  („Väyu-stotra"),  gedruckt  1880,  obl  8",  mit  Komm. 

„Anu-Väyu-stuti"  („Laghu-Väyu-stuti")  (Burnell  p.  108). 

„Usä-harana"  a  high  class  kävya  treating  of  the  marriage  of 
Usä,  the  daughter  of  Bänäsura,  and  Aniruddha,  the  grandson  of 
Krsna,   based  upon  the  lOth  Skandha  of  Sri  Bhägavata  (MVBD). 

Narasimha-deva 

„Bheda-dhikkära-nyakkära-nirüpana",  a  polemical  tract  against 
the  foUowers  of  Rämänuja  (Burnell  p.  110). 

Narasiiiiha-yati,  Schüler  des  Vidyädhisanätha  (14.  Jahrb.?) 

„Ätharvanopanisat-khandärtha-prakäsa"  (Burnell  p.  llö). 

„Aitareyopanisat-khandärtha-prakäsa''  (Burnell  p.  110). 

;,Satprasna-mantra-kha9därtha-prakäsikä''  C  zu  Praäna-Up, 
written  in  accordance  with  the  teachings  of  Jayärya  (Trien. 
Madras  no  2320). 

Narasiirihäcärya  (identisch  mit  dem  vorhergehenden?) 

C  zu  Näräyanas   „ Madhva- vijaya"   (Rice  no  2179). 


Madhva  und  seine  Schule  *55 

„Manda-prabodha"    a   tippa-ni    to    Jayatirthas    „Tattvödyota- 
vivarana"   (ßurnell  p.  106). 

Narasiinhäranya 
„Visnu-bhakti-candrodaya"  (Burnell  p.  109). 

Vätiväla  Narasimha 
Sohn  des  Upendra-bhatta,  Schüler  des  Rämacandra-bhatta 
„Bhävacandrikä" ,  Tattva-prakäsikä-vivrti(Trien.  Madras  no  866). 
Naraharitirtha,  persönlicher  Schüler  Madhvas  (s.  S.  *37) 
Tippani  zum  BS-bhäsya,  die  noch  erhalten  sein  soll  (Ep.  Ind. 
VI,  262,  Anm.  3). 

Narahari,  Sohn  des  Varadäcärya 
Dipikä  zu  „Bhägavata-tätparya-nirnaya"  (Burnell  p.  104). 
Naräyana  Panditäcärya,  Sohn  des  Trivikrama  (um  1350). 
„Madhva- vijaya"   (über  diesen  vergl.  oben  S.  *1,  *7f.),   öfters 
gedruckt,  so  Bombay  1883  (mit  dem  Komm,  des  Sesa),  eine  andere 
Ausgabe  MVBD,   eine   dritte   „edited   with  a  verbal   explanation, 
Canaresein  Telugu  character  by  Räghavendrächärya"  Punganur  1888. 
„Anu-Madhva- vijaya"  oder  „ Aprameya-nava-mälikä"  33  stanzas, 
a  romance  (Burnell  p.  109). 

„Mani-manjari"  (über  diese  vergl.  oben  S.*2f.,  *7f.),  MVBD, 
gedruckt  auch  Annikkarachatram  1898. 

„Sangraha-rämäyana"  (Burnell  p.  109;  Madras  X  no  4846). 
„Siva-stuti"  mit  anonymem  Komm,  gedruckt  Puna  1881. 
„Manträrtha-manjari"  an  explanation  of  the  texts  used  in  the 
rites  practised  by  the  followers  of  the  Dvaita  persuasion.    Vidyä- 
ranya  is  the  authority  followed  (Burnell  p.  108).   Es  erscheint  mir 
fraglich,  ob  dieses  Werk  hierher  gehört. 

„Pärijätäpaharana"  a  poem  in  3  cantos  on  Krsna's  theft  of 
the  celestial  tree,  with  a  commentary  by  the  author  (gedruckt 
Punganur  1890). 

Naräyana,  Sohn  des  Vittbaläcärya 
„Pramäna-paddhati-vyäkhyä"    zu   dem  "Werk   des  Jayatirtha 
(Madras  X,  no  4805). 

C  zu  Jayatirthas  „Nyäya-sudhä"  (Bhand.  84  p.  74). 

Naräyana  Yatisvara 
„Artha-pancaka-nirüpana"   a  statement  of  the  Vedänta  faith 
as  set  forth  by  Madhu  Äcärya  (Hall,  p.  113). 

Nirmaläcärya,  Schüler  des  Sriniväsa 
„Dvaita-siddhi",    auch    „Dvaita- vidyä"    genannt   (India   Office 
IV  p.  800). 

Nrsimha 
„Bhäva-prakääa"  C  zum  Anu-bhäsya  (Bhand.  82  p.  112). 


*56  Einleitung 

Chaläri  Nrsimha,  Sohn  des  Näräyana  (um  1700). 
„Smrty-artha-sägara"  (Oxford  p.  285b). 

Nrsiinhäranya  (Nrsimhayäran), 
vielleicht  mit  dem  Vorhergehenden  identisch 
„Visnu-bhakti-candrodaya"   (Bhand.  82  p.  76;  Deccan  p.  264). 

Äyi  Nrhari 
Vyäkhyä  zu  „Sadäcära-smrti"  gedruckt  Bombay  1886. 

Äryä  (richtiger  wohl  Äyi)  Nrhari 
„Madhva-väkyärtha-vivrti"   (Stein,   Cat.  Kashmir  MSS,  p.  98). 

Padmanäbha-tirtha, 
Nachfolger  Madhvas  (vergl.  oben  S.  *37),  gestorben  Raktäksi  1126 
Kärtika  14  v,    wahrscheinlich  aber  erst  80  Jahre  später,   sodaß  er 
also  in  das  Ende  des  13.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist,  bestattet  in 
Änegundi 

„Sanyäya-ratnävali"  C  zu  B-S-Anuvyäkhyäna  (Bhand.  84  p.  76). 

Veda-garbhänanta  Padmanäbha, 
Schüler  des  Raghunäthäcärya 
„Padärtha-samgraha"  (605  Lehrsätze)  mit  eigenem  Kommentar, 
genannt  „Madhva-siddhänta-sära"   gedruckt  MVBD  (Bombay,  Nir- 
naya-sägara  Press)  Sake  1815. 

C.  M.  Padmanäbhäcärya  (Padhmanabha  Char), 
High  Court  Vakil  (Madras),  residing  at  Coimbatore,  lebte  1900 

„Bhü-vaikuntha"  or  „Grovardhanesa-viläsa"  a  Sanskrit  Drama 
in  7  Acts,  with  an  English  Translation  by  the  Author  himself. 

„Dhruva's  Penance"  a  Sanskrit  Drama  in  5  Acts,  with  English 
Translation  by  the  Author  himself. 

„A  Life  of  Sri  Madhvacharya  in  Canarese"  (Devanagari  Cha- 
racter)  consists  of  10  Chapters  with  Illustrations. 

„Dväda^a-stotra"  of  Sri  Madhvacharya  with  an  elaborate 
word-by-word  commentary  and  notes,  in  Sanskrit,  with  a  para- 
phrase  of  the  Verses  in  Canarese. 

„Life  and  Teachings  of  Sri  Madhvacharyar"  in  English  (Ja- 
nuary  1909)  a  thick  volume  of  about  500  (genauer  VI  +  455)  pages, 
consists  of  Two  Parts  bound  together  (illustrated). 

Alle  diese  Werke  erschienen  im  Selbstverlage  des  Verfassers. 
Pänini-süri 

„Nyäyämrta-vivrti"  (Adyar  p.  227). 
Päricjuraiiga 

^.Visnu-tätparya-nirnaya-Ükä",  C  zu  „Visnu-tattva-nirnaya" 
(Burnell  p.  106). 


Madhva  und  seine  Schule  *57 

Purandara-däsa, 

kanaresischer  Mädhva-Dichter,   geb.   in  Parandara-gada,   war  erst 

Smärta,  wurde  dann  Vaisnava  (Kittel,  Ind.  Antiq.  II,  308). 

Gauda-Pürnänanda,  genannt  Kavi-cakravartin 
„Tattva-muktävali"   a  treatise  of  the  Mädhva  school  in  121 
stanzas.    Pandit,   Old   Series,   VI  p.  89  ff.   (Benares   1866);   edited 
and   translated  by  E.  B.  Cowell,   JRAS.    New-Series  XV,   1883 
p.  138  ff. 

Bhimäcärya 
C  zu  „Narasimha-stuti"  (BurneU  p.  HO). 

Madha-mädhava-sahäya 
„Tantra-sära-vyäkhyäna"  (Bumell  p.  106).  •• 

Madhva-däsa, 

kanaresischer  Hymnen-Dichter  des  18.  Jahrhunderts.    Kittel,  Ind. 

Antq.  II,  308;  E.  P.  Rice  „Kanarese  Literature" 

S.  M.  S.  Tämbraparni  Madhvacharyar, 

Vater  und  G-uru  von  C.  M.  Padmanabhacharyar,  lebte  in  der  Mitte 

des  19.  Jahrb. 
„Nyäyämrta-kalädhara"  being  a  philosophical  discourse  dealing 
with  the   chief  arguments   of  „Advaita-siddhi"   and   ;,Brahmänan- 
diya",   and  refuting  them,  herausgegeben  im  Selbstverlage  seines 
Sohnes. 

Mahädevänanda  Sarasvati, 
Schüler  des  Svayamprakäsänanda  Sarasvati 
„Dvaita-cintä-kaustubha"  C  zu  „Tattvänusandhäna",  a  treatise 
on  the  Dvaita  System  (Calcutta  III  no  43). 

Bhatta  Mudgala 

„Bhäva-kalpa-latä"  C  zu  „Bhavanä-viveka",  commentary  on 
a  metrical  treatise  on  the  nature  of  injunction,  according  to  the 
theory  of  Madhu  (Hall  p.  140). 

„  Bhävanä-sära-samgraha. " 

Da  diese  Werke  zusammen  mit  einer  „Kha-puspa-tikä"  von 
Madhväcärya  und  Avekäcärya  genannt  werden  und  weiter  bemerkt 
wird  „Mudgala  refutes  Man^ana's  theory  and  advocates  that  of 
Kumärila  Bhatta"  (Hall  p.  205)  erscheint  es  fraglich,  ob  Mudgala 
hierher  gehört. 

Yadupati 
Schüler  des  Vedesatirtha 

„Tattva-samkhyäna-tippani"  (Bumell  p.  105). 

„Nyäya-sudhä-tippani"  zu  Jayatirtha's  Werk  (BurneU  p.  102 ; 
Bikaner  No  1198). 


*  58  Einleitung 

Raglninätha-yati, 
11.  Nachfolger  Madhvas,   früher  Krsna-sästrin  genannt,   gestorben 
Saka  1364  oder  1424,  wahrscheinlich  A.D.  1502 
„Püjä-vidhi"  a  treatise  on  Ähnika  rites  (BumeU  p.  108). 
Raghüttama-yati, 
13.  Nachfolger  Madhvas,  früher  Rämacandrasästrin  genannt,  Schüler 
des   Raghu-varya-tirtha,   gestorben   Saka  1457   oder   1517,   wahr- 
scheinlich A.D.  1595 
„Para-brahma-prakäsikä"    C.    zum    ßrhadäranyaka-Upani§ad- 
bhäsya  (Burnell  p.  99). 

„Tattva-prakäsikä-bhäva-bodha"  C  zu  Jayatirthas  „Tattva- 
prakäsikä"  (Burnell  p.  101). 

„Tattva-prakäsikä-gata-nyäya-vivarana"  (Burnell  p.  101). 
Rahga-nätha 
son   of  King   Vedäjibhäskara   and   brother   of  Subhänu  Rao   and 
disciple  of  Venkatärya 
„Bheda-tarangini"  (Trien.  Madras  no  1298). 
Räghavendra-svämin, 
Schüler  des  Sudhindra,  gestorben  1671 
CC  zu  Isa-,   Katha-,   Kena,  Taittiriya-,   Prasna-,   Mändükya-, 
Mundaka-Upanisad  (MVBD). 

„Gitä-vivrti«  C  zur  Bhagavadgitä  (MVBD). 
„Gitärtha-sangraha"  (Burnell  p.  109). 
„Gritärtha-vivarana"  (Burnell  p.  109). 

CC  zu  Jayatirtha's  CC  zu  Tattvasamkhyäna,  Tattvodyota 
(„Bhäva-dipa"),  Prapanca-mithyätva,  Upädhi-khan^ana,  Tattva-vi- 
veka,  Mäyä-väda-khan(Jana,  Pramäna-paddhati,  und  vor  allem  zu 
seiner  „Nyäya-sudhä"  („Parimala")  (MVBD). 

CC  zu  Jayatirthas  CC  zu  Brahma-sütra-bhäsya,  Karmaniri^aya, 
Visnu-tattva-nirnaya  („Bhäva-dipa")  (Burnell  p,  106). 

CC  zu  Vyäsaräja's  „Tätparya-candrikä''  (Burnell  p.  106)  (MVBD) 
und  „Tarka-täiKJlava"  (Burnell  p.  106,  108). 

„Nyäya-muktävali"  a  brief  exposition  of  Dvaita  - Vedänta 
(Madras  X  no  4794). 

Rämäcärya, 
Sohn  des  Visvanätha,  jüngerer  Bruder  des  Näräyanäcärya,  Schüler 
des  Sälikäcärya  (Hall  p.  113)  16.  Jahrh. 
„Nyäyämrta-tarangini"  C  zu  Vyäsatirthas  „Nyäyämrta"  (Bhand. 
82  p.  110). 

„Sadäcära-smrti-vivarana"  (Burnell  p.  107). 
S.  Subba  Rau,  M.A. 
Übersetzungen  von  Madhvas  Kommentaren  ins  Englische  (oben  S.  *49). 


Madhva  und  seine  Schule  *69 

Laksmi-nätha 
Schüler  von  Yädavendra  und  Laksmlvallabhayogin 
„Nyäyämrta-vyäkhyäna"  (Trien.  Madras  no  1302). 

LaksmI-nrsimha 
„Sarvato-viläsa"    C  zu  Sriniväsas  „Satya-nidhi-viläsa"    (Bur- 
neU  p.  109). 

Jambu-khandi  Laksmi-narasimha, 
Schüler  von  Kotiramanäcärya 
^Bhärata-tätparya-nirnaya-tikä"  (Madras  X  no  4833). 
„Bhärata-tätparya-nirnaya-tippani-padärtha-vivrti"  (Madras  X 
no  4831). 

Laksmipati  Bhattöpädhyäya 
C  zu  Vädiräja's  „Yukti-mallikä"  (MVBD). 
C  zu  Vädiräja's  „Tirtha-prabandha"  (MVBD). 

Vana-mälin 
;,Advaita-siddhi-khan(iana"  (Bhand.  82,  p.  108). 
„Bhakti-ratnäkara"  (Bhand.  82,  p.  111). 
„Märata-man(Jana"  (Bhand.  82,  p.  113). 
„Nyäyämrta-saugandha"  (Adyar  p.  227). 
„Sruti-siddhänta"  (Bhand.  84,  p.  73). 
Varada-räja 
„Manda-subodhini"   C  zu   „Bhärata-tätparya-nirnaya  (Burnell 
p.*103,  Madras  X  no  4830). 

Varäha  Timmappa  Däsa  (18.  Jh.), 
kanaresischer  Liederdichter  (Kittel,  Ind.  Antq.  II,  308) 
Vädiräja-svämin  (°tirtha) 
„Bhäva-prakäsikä"  C  zu  Bhärata-tätparya-nirnaya  (Madras  X 
no  4832);   anderes  Werk   gleichen  Namens  Trien.  Madras  no  857. 
„BhedojjTvana"  (Rice  no  1509). 
„Yukti-mallikä"  (Rice  no  1536). 
„Vivarana-vra^a"  (Rice  no  1572). 

„Tirtha-prabandha"    description   of  the   various   holy   places 
visited  by  him  in  bis  travels  (MVBD). 

„Sarasa-bhärati"    a   eulogistic    poem    on   God   Visnu    (Trien. 
Madras  no  858  b). 

„Rukminiäa-vijaya"    a   kävya   treating   of   the    marriage    of 
Kr^^a  and  Rukmini  (MVBD). 

;,Laksäbharana"  C  zum  Mahäbhärata  (MVBD). 
gJaina-mata-khandana''  (Rice  no  1346). 

Väsudeva,  Sohn  des  Näräyanäcärya 
„Bheda-candrikä^    C  zu  Vyäsa-räjas   „Bhedojjivana"   (Bhand. 
84,  p.  75). 


*60  Einleitung 

Vijaya-däsa, 

kanaresischer  Liederdichter  des  16.  Jahrh. 

Vijaya-dhvajäcärya 

C  zum  „Bhägavata-Puräna"  („Vijaya-dhvaji")  gedruckt  in 
Bombay. 

Vijayindra-yati  (°-yatmdra,  "-bhiksu), 
Schüler   von  Vyäsadesika,   Schülers    des  Brahmanya-muni  (Madras 
X  no  4795) ;  Schüler  von  Püjanendratirtha  (Trienn.  Madras  34)  von 
Surendra  (Hall  p.  113).  Vielleicht  auch  zwei  Autoren  gleichen  Namens 

„Ämoda"  C  zu  Vyäsatirthas  „Nyäyämrta"  (Burneil  p.  108, 
Adyar  p.  227). 

„Candrikodährta-nyäya-vivarana"  C  zu  Vyäsatirthas  „Tätparya- 
candrikä"  (Bumell  p.  101). 

„Nyäya-mauktika-mälä"  C  zu  Jayatirthas  Tlkä  zu  den 
Brahma-Sütren  (Trienn.  Madras  no  20  c). 

„Sudhä"  C  zu  Anuvyäkhyäna  (Adyar  p.  228). 

„Nyäyädhva-dipikä"  a  summary  of  the  various  logical  argu- 
ments  adopted  in  the  Mädhva-bhäsya  (Madras  X  no  4795). 

„Para-tattva-prakäsikä"  (Hall  p.  113,  Adyar  p.  227). 

„Pranava-darpana-khandana"  an  unfavourable  criticism  of  the 
„Pranava-darpana"  of  Sriniväsäcärya  wherein  the  Pranava  „Om" 
is  not  considered  to  form  an  essential  part  of  the  first  Sütra  in 
the  Vedänta-Sütras  (Madras  X  no  4798). 

;,Appaya-kapola-capetikä"  (Oppert  II  no  9803). 

„Änanda-täratamya-väda"  (ib.  9806). 

„Upasamhära-vijaya"  (ib.  9384). 

„Siddhänta-sära-sära-vivecana"  (Trien.  Madras  no  1293). 

„Cakra-mimämsä"  (über  die  Zeremonie  der  Stigmatisierung. 
Trienn.  Madras  no  38). 

Vitthala-däsa, 
kanaresischer  Liederdichter  des  16.  Jahrh. 

Vitthala-bhatta 
C  zu  Jayatirthas  „Pramäna-paddhati"  (Bumell  p.  107). 

Vitthaläcäry  a 
(vielleicht  mit  dem  Vorhergehenden  identisch). 
„Täratamya"    a   Visnu-mähätmya,    und    zwar    „Anu-t""    und 
„Brhat-t°"  (BumeU  p.  109). 

Vidyädhiräja, 
eigentlich  Krsna-bhatta,  6.  Nachfolger  Madhvas,  der  Tradition  nach 
Saka  1254  (A.  D.  1332)  gestorben. 
„G-itä-tikä"  (Deccan,  p.  297). 


Madhva  und  seine  Schule  *61 

„Väkyärtha-candrikä'^  C  zu  Jayatirtha's  „Nyäyä-sudhä"  (Bhand. 
84,  p.  74). 

Vi^vapadi  (Visvapati) 
C  zu  Näräyana's  „  Madhva- vijaya"  (Rice  no  2180). 

Visveävara 
„Aitareyopanisad-bhäsya-tikä"  (Burnell  p.  99). 

Visnu-tirtha 
„Samnyäsa-vidhi"  (Burnell  p.  109). 
Visnu-puri 
stammte  aus  Tirhut,   lebte  wahrscheinlich  in  der  zweiten  Hälfte 
des  14.  Jahrb.    Er  soll  ein  Schüler  des  Mädhva  Jaya-dharma  ge- 
wesen sein.   Andere  machen  ihn  zum  Zeitgenossen  Caitanya's,  der 
mit  ihm  in  Benares  zusammengetroffen  sein  soll. 
„Bhakti-ratnävall",   eine  Sammlung  von  ausgewählten  Versen 
aus  dem  ;,Bhägavata-puräpa".     Das  Buch  hatte  so  großen  Erfolg, 
daß   es  Anfang  des  15.  Jahrb.   von  Lauriya  Krsna-däsa  ins  Ben- 
galische  übersetzt  wurde  (Farquhar,  p.  303).  —  Textausgabe  und 
englische  Übersetzung   des   Originals    in   der    Sammlung    „Sacred 
Books  of  the  Hindus"  vol.  7  (Allahabad  1912). 

Venkata-däsa, 
kanaresischer  Liederdichter  des  16.  Jahrh. 
Venkata-bhatta 
„Gü^ha-bhäva-prakä^ikä"    C    zu   Näräyana's    „Prameya-nava- 
mälikä"  (gedruckt  Bombay  1884). 

Räyasa  Venkatädri 
(His  name  shows  that  he  was  a  clerk  in  some  public  office) 
„Smrti-kaustubha"  (Burnell  p.  109). 

Venkäya  Ärya  (17.  Jahrh.?). 
„Krspa-liläbhyudaya",   Übersetzung   des  10.  Buches  des   Bhä- 
gavata-puräna  ins  Kanaresische  (Farquhar  p.  303). 

Vedänga-tirtha 
C  zu  Trivikrama's   „Väyu-stuti-stotra"  (Ind.  Office  V  p.  801). 
C  zu  Näräyana's  „ Madhva- vijaya"  (Burnell  p.  109). 

Vedätma-tirtha 
^Väyu-stuti-vyäkhyä"  (Trien.  Madras  no  856). 
Vedänta-vägisa, 
8.  Nachfolger  Madhva's,  eigentlich  Rangäcärya  (Raghunäthäcärya)  ge- 
nannt, nach  der  Tradition  gestorben  Saka  1265  (1269),  A.  D.  1343 
„Känti-mälä"  C  zu  „Prameya-ratnävali"  (Bhand.  87  p.  52). 

Vedesa-tirtha,  Schüler  des  Vyäsa-tirtha 
CG  zu  den  bhäsyas  zu  „Aitareya-",  „Chändogya-",  „Käthaka-", 
„Kena-Upanisad«  (MVBD). 


*62  Einleitung 

„Tattvodyota-vivarana-tikä"  (MVBD). 

„Pramäna-paddhati-bliäva-vivarana"  (Bhand.  84,  p.  75). 

„Karma-nirnaya-tikä"  (Rice  no  1189). 
Vyäsa-tirtha,  -desika,  -yati,  -räjasvämin. 

Bedeutende  Theologen  mit  dem  Namen  Vyäsa  (Veda-vyäsa) 
scheint  es  mehrere  gegeben  zu  haben,  doch  werden  diese  in  den 
Handschriften-Katalogen  nicht  hinreichend  auseinandergehalten. 
Ein  Vyäsaräja  wurde  oben  S.  *38  erwähnt  und  soll  nach  Burnell 
(p.  108)  im  Jahre  1339  gestorben  sein.  Ein  anderer  war  der 
14.  Nachfolger  Madhvas  und  starb  nach  einer  Tradition  Saka  1481, 
nach  einer  anderen  Saka  1541  (1619).  Er  könnte  der  Autor  des 
„Nyäyämrta"  und  Lehrer  des  Vijayindra-svämin  sein,  der  ein 
Zeitgenosse  des  berühmten  Appaya  -  diksita  (1552 — 1624)  war 
(MVBD).  Wenn  er,  wie  J.  N.  Farquhar  (Outlines  of  the  Religious 
Literature  p.  303)  schreibt,  zur  Zeit  Caitanyas  (1484 — 1533)  lebte, 
so  hätte  das  erstgenannte  Datum  an  sich  höhere  Wahrscheinlich- 
keit. Der  Verfasser  des  „Nyäyämrta"  wird  als  Schüler  des 
Brahmanya-tirtha  (Subrahmanya-tirtha)  bezeichnet,  ein  Vyäsa- 
räjasvämin  als  Schüler  des  Laksmi-näräyana,  ein  Vyäsa-tIrtha  als 
Schüler  des  Jayatirtha  (dies  könnte  vielleicht  der  1339  gestorbene 
sein?).  Da  die  einzelnen  Autoren  nach  dem  mir  vorliegenden 
Material  mehrfach  miteinander  verwechselt  werden,  muß  ich  mich 
damit  begnügen,  die  Werke  hier  anzuführen  und  eine  etwa  not- 
wendige Scheidung  späteren  Untersuchungen  überlassen. 

CC  zu  Madhva's  bhäsyas  zu  „Käthaka-",  „Kena-",  „Chän- 
dogya-",  „Taittiriya-",  „Brhadäranyaka-",  „Mundaka-",  „Män- 
dükya-Upanisad"  (MVBD,  Rice  no  444,  522,  551). 

„Tätparya-candrikä",  C  zu  Jayatirtba's  „Tattva-prakäsikä*' 
(Burnell  p.  101b). 

„Mandära-manjari"  C  zu  Jayatirtha's  CC  zu  „Mäyäväda- 
khan^ana",  „Prapanca-mithyätva",  „Upädhi-khandana",  „Kathä- 
laksana",  „Tattvaviveka'^  (MVBD). 

„Nyäyämrta"  (MVBD). 

„ Tarka- tändava"  Kritik  des  Nyäya  (Burnell  p.  108). 

„Bhedojjivana"  (Rice  no  1508). 

„Anu-jayatirtha-vijaya"  a  mythical  and  poetical  romance 
(Bumeli  p.  108). 

„Kantaköddhära"  (Oppert  I  no  5005). 

Vyäsädri 

„TaranginI"  (Oppert  II  no  7774). 

Sesa,  Schüler  des  Narasimhäcärya  (Chaläri  Nrsimhäcärya) 
„Mandopakärinl",  C  zu  Närayana's  „Madhva-vijaya"  (gedruckt 
Bombay  Sake  1805). 


Madhva  und  seine  Schule  *63 

Chaläri  Sesäcärya 
(wohl  identisch  mit  dem  vorhergehenden?) 
„Tantra-sära-tikä"  (Burneil  p.  106). 

Srini väsa- tirtha 

Den  Namen  Sriniväsa  tragen  mehrere  Autoren  aus  Madhva's 
Schule.  Drei  von  diesen  werden  durch  besondere  Beinamen  unter- 
schieden; sie  können  deshalb  gesondert  aufgeführt  werden.  Ein 
Sriniväsa,  Schüler  des  Yadupati,  entfaltete  eine  große  Kommen- 
tatoren-Tätigkeit; ob  die  im  Folgenden  aufgeführten  Werke  alle 
von  diesem  herrühren,  bedarf  noch  der  Feststellung. 

„Bhäva-candrikä"  C  zum  „Bhärata-tätparya-nirnaya"  (Burnell 
p.  104). 

„Taittiriyöpanisad-bhäsya-vivarana"  (Burnell  p.  99). 

CC  zu  Jayatirtha's  „Nyäya-sudhä"  (Rice  no  1663),  „Mäyä- 
väda-khandana-vivarana",  „TJpädhi-khandana-vyäkhyä",  „Prapanca- 
mithyätvänumäna  -  khandana  -  tikä",  „  Visnu  -  tattva  -  nirnaya  -  tikä" 
( Vädärtha-  dlpikä) ,  „  Tattva-  samkhy äna-tlkä  " ,  „  Tattva- viveka-  tikä  " , 
„Tattvodyota-tikä",  „Nyäya-dipikä"  („Nyäya-dipa-kiranävali") 
(MVBD),  Nyäyämrta-vyäkhyä"  (Trien.  Madras  no  855). 

Sriniväsa,  Schüler  des  Mahidhräcärya 
(eines  Sohnes  des  Vitthaläcärya,  Schülers  des  Näräyanärya,  Schülers 

des  Nrsimhärya) 
„Prameya-mani-mälä"     Bhärata-tätparya-nirnaya-tikä    (Trien. 
Madras  no  1433). 

Sriniväsa,  Schüler  des  Satyanätha 
„Tattva-samgraha"  (Burnell  p.  109). 

„Satya-nidhi-viläsa"  this  is  called  a  kävya,  it  contains  the 
story  of  Räma  (Burnell  p.  109). 

Sarkara  -Sriniväsa, 
Sohn  des  Änandäcärya,  Schüler  des  Ragbüttama-tirtha 
„Tattva-subodhinI"     C     zu    Jayatirtha's     „Tattva-prakäiSikä" 
(Trienn.  Madras  no  754). 

Srimusta  (richtiger  wohl  Srimusna)  Örlniväsa, 
Sohn  des  Vitthaläcärya,  Schüler  des  Tirthäcärya 
„Prameya-muktävall"    C   zu    Jayatirtha's    „Tattva-prakääikä" 
(Rice  no  1447,  Trienn.  Madras  no  449). 

„Taranga-mälä"  C  zu  „Krsnämrta-mahärnava*  (gedruckt  Bom- 
bay 1886). 

Safikarsana,  Sohn  des  Öesäcärya 
„Jayatirtha-vijaya"  (Trien.  Madras  no  858  a). 


*  64  Einleitung 

Saty  anätha-tlrtha, 
19.  Nachfolger  Madhvas,  früher  Raghunäthäcärya  genannt,  gestorben 
Öaka  1595  (A.  D.  1674) 

„Abhinava-candrikä*  C  zu  Jayatirtha's  „Tattva-prakääikä" 
(Bhand.  82  p.  108). 

„Abhinavämrta"  C  zu  Jayatirtha's  „Pramäna-paddhati"  (Bur- 
nell  p.  107). 

„Abhinava-tarka-tändava"  imitation  of  Vyäsatirtha's  „Tarka- 
tändava".  The  author  refutes  especially  the  Cintäma^ii,  Prabhä- 
kara,  Rämänuja  and  the  Vai^esikas.  He  quotes  Rucidatta  (Bur- 
nell  p.  108). 

„Abhinava-gadä"  an  argumentative  and  controversial  work 
(Burnell  p.  108). 

„Karma-prakäsikä"  C  zu  Jayatirtha's  „Karma-nirnaya-tikä" 
(Burnell  p.  107). 

Satyanidhi-tirtha, 
18.  Nachfolger  Madhvas,    früher   Raghunäthäcärya   (Raghupatyä- 
cärya)   genannt,   Schüler   des   Satyavrata,    gestorben   Saka    1582, 
A.D.  1661 

„Väyu-bhärati-stotra"  (Burnell  p.  108). 

Mädhavaräva  Rämacandra  Satya-panavar 

„Madhva-vijaya-bhämini"  a  paraphrastic  commentary  in  Cana- 
rese,  printed  in  NägarT  character.     Gredruckt  Gradag  1888. 

Satyäbhinava-yati,  Schüler  des  Satyanätha 
„Durghatärtha-prakäsikä"    C    zu    „Bhärata-tätparya-nirnaya" 
(Burnell  p.  104). 

Sumatindra-svämin,  Schüler  des  Sudhindra-tirtha 
„Bhäva-ratna-koäa"  C  zum  „Gritä-bhäsya"  (Trienn.  Madras  no  8). 
„Rasika-ranjana"  C   zu   Trivikrama's    „Usä-harana"   (MVBD). 

Surottama-tirtha 
„Bhäva-viläsini"  C  zu  Vädi-räjas  „Yukti-mallikä". 

c)  Schriften  und  Aufsätze  Über  Madhva  iu  abendländischen  Sprachen. 

Das  folgende  Verzeichnis  führt  nur  Arbeiten  auf,  die  auf 
selbständiger  Forschung  beruhen,  verzichtet  also  darauf,  die  zahl- 
reichen ,  zumeist  aus  zweiter  Hand  gewonnenen  längeren  und 
kürzeren  Abschnitte  aufzuzählen,  die  sich  in  Darstellungen  der 
indischen  Religionsgeschichte  und  ähnlichen  Büchern  finden.  Die 
Übersetzungen  von  Werken  Madhvas  und  von  Schriften  seiner 
Freunde  und  Gregner  enthalten  zumeist  auch  einleitende  Bemer- 
kungen über  Madhva  und  seine  Lehre;  sie  sind  auf  S.  *44ff*,  *49f. 


Madhva  und  seine  Schule  *65 

genannt  worden.  Auf  weitere  Literatur  wurde  entsprechenden 
Ortes  in  Anmerkungen  hingewiesen. 

Mackenzie  „ Account  of  the  Marda  Gooroos,  coUected  while 
Major  Mackenzie  was  at  Hurryhurr,  24*^  August  1800".  Asiatic 
Annual  Register  1804,  Characters  p.  33—39. 

Horace  Hayman  Wilson  „Brahma  Sampradayis  or 
Madhwachäris".  Asiatic  Researches,  vol  XVI  (Calcutta  1828) 
p.  100 ff.;  wiederabgedruckt  in  desselben  Autors  Buche  „A  Sketch 
of  the  religious  Sects  of  the  Hindus"  (Vol  I  seiner  Essays  and 
Lectures  chiefly  on  the  Religion  of  the  Hindus,  collected  and 
edited  by  Dr.  Reinbold  Rost,  London  1862)  p.  139—150. 

G-azetteer  of  the  Bombay  Presidency.  Volume 
XXII  Dharwär.  Under  Government  Orders  (Bombay  1884)  s.  v. 
„Vaishnavs  or  Madhva  Brahmans",  p.  56 — 90. 

P.  Sreenevas  Row  and  Henry  S.  Oleott  „Dwaita 
Catechism"  (anderer  Titel:)  „Om!  Hinduism.  The  Dwaita  Philo- 
sophy  of  Sriman  Madhwacharyar,  compiled  from  original  Sanscrit 
and  other  works"  (Madras  1886).    Vergl.  oben  S.  *42. 

C.  N.  Krishnaswami  Aiyar,  M.  A.  „ Madhwacharya  the 
Founder  of  the  Dwaita  System  of  Philosophy.  A  short  historic 
sketch"  (Coimbatore  1900).  Die  Arbeit  kam  später  anscheinend 
neu  heraus  unter  dem  Titel  „Sri  Madhwa  and  Madhwaism.  A 
historical  and  critical  sketch"  (Madras,  G.  A.  Natesan).  —  (Beide 
Arbeiten  habe  ich  nicht  gesehen;  eine  erweiterte  neue  Auflage 
derselben  ist  anscheinend  das  mir  vorliegende  Werk)  „Sri  Madhwa- 
charya. A  Sketch  of  his  Life  and  Times"  2"*  edition,  Madras, 
G.  A.  Natesan  (ohne  Jahr;  anscheinend  während  des  Weltkriegs 
herausgekommen),  kl.  8°,  76  SS.    Dem  Werkchen  ist  beigebunden: 

S.  Subba  Rau,  M.  A.  „The  Philosophy  of  Madhwacharya'', 
kl.  8",  74  SS.  (Madras,  o.  J.). 

C.  M.  Padmanabha  Char,  BA.  BL.  „The  Life  and  Tea- 
chings  of  Sri  Madhvacharyar"  (Coimbatore,  Selbstverlag  des  Ver- 
fassers) 1909  (8",  VI  u.  455  SS.). 

Sir  R.  G.  Bhandarkar  „Madhva  or  Anandatirtha"  in  dem 
Buche  „Vaisnavism,  Saivism  and  minor  religious  Systems"  (Grund- 
riß der  indo- arischen  Philologie  und  Altertumskunde  III,  6 ;  Straß- 
burg 1913)  p.  57—62. 

G.  VencobaRao  „A  Sketch  of  the  History  of  the  Madhva 
Acharyas"  Indian  Antiquary  43  (1914)  p.  233—237;  262—266  (un- 
vollendet). 

Sir  George  Grierson  „Mädhvas,  MadhvächärTs"  Encyclo- 
paedia  of  ReUgion  and  Ethics,  vol.  8,  p.  232—235  (1915). 

V.  Glasenapp,  Madhva' s  Philosophie.  e 


*66  Einleitung,  Madhva  und  seine  Schule 

V.  S.  Grhate  „Le  Vedänta.  Etüde  sur  les  ßrahma-Sütras 
et  leurs  cinq  commentaires"  (Paris  1918). 

Helmuth  von  Glasenapp  „Eine  hinduistische  Theologie 
(Madhva's  System  des  Vishnuismus)".  Der  Neue  Orient  III  p.  235 
bis  237  (1918).  Dasselbe  erschien  in  erweiterter  Form  englisch 
unter  dem  Titel  „The  Teachings  of  Sri  Madhvächarya"  The  Mo- 
dern Review  (Calcutta)  1922,  p.  463 — 466.  Beide  Aufsätze  geben 
eine  ganz  kurze  Zusammenfassung  der  Ergebnisse  der  vorliegenden 
Arbeit. 

Anmerkung.  Aus  Angaben  in  anderen  Schriften  ersehe  ich,  daß  sich 
Material  über  Madhva  und  seine  Sekte  noch  in  den  folgenden  Werken  findet,  die 
mir  nicht  zugänglich  waren:  Dr.  Buchanan  „Mysore"  (um  1800)  und  „District 
Manual  of  South  Canara"  (1894). 


MADHVA'S 
PHILOSOPHIE  DES  VISNU- GLAUBENS. 


Sriman-Madhva-mate  Harih  parataras,  satyaip  jagat,  tattvato 
bhedo,  jiva-gapä  Harer  anucarä,  nicöcca-bhävaip  gatäh, 
muktir  naija-sukhänubhütir,  amalä  bhaktis  ca  tat-sädhanam 
aksädi-tritayaip  pramäpam,  akhilämnäyaika-vedyo  Harih. 

Nach  der  Lehre  des  ehrwürdigen  Madhva  ist  Visiju  der 
höchste  Gott,  die  Welt  real,  die  Verschiedenheit  von  Gott 
und  Seele  tatsächlich  vorhanden;  alle  lebenden  Wesen  sind 
Visriu  Untertan  und  zerfallen  in  höhere  und  niedrigere  Klassen; 
die  Erlösung  besteht  darin,  daß  die  Seele  die  ihr  von  Natur 
eigene  Wonne  empfindet;  das  Mittel  zur  Heilsgewinnung  ist 
reine  Gottesliebe;  Erkenntnismittel  sind  sinnliche  Wahrneh- 
mung, Schlußfolgerung  und  heilige  Überlieferung;  Visriu  ist 
durch  alle  heiligen  Schriften  in  seinem  Wesen  zu  erkennen, 
und  nur  durch  diese  ^). 


ERSTER  ABSCHNITT. 

ERKENNTNISLEHRE. 

I. 

Die  ErkenntnismitteL 

,  In  dem  end-  und  anfangslosen  Ozean  der  Zeit  wird  der  Mensch 
unaufhörlich,  ruhelos  umhergetrieben,  bedrängt  von  den  Kroko- 
dilen Alter  und  Tod,  immer  von  neuem  der  Erduldung  dreifachen 
Schmerzes  ausgesetzt.  Von  Verwandten  und  Freunden,  von  Hab 
und  Gut  und  allem,  was  ihm  teuer  ist,  muß  er  sich  trennen,  nach- 
dem er  nur  wenige  Augenblicke  mit  ihnen  vereint  gewesen  ist, 
wie  ein  Stück  Holz,  das  sich  im  Weltmeer  für  eine  kurze  Spanne 
Zeit  mit  anderen  zusammengefunden  hat^). 


1)  Der  Memorialvers,  der  die  Quintessenz  von  Madhvas  Philosophie  in  neun 
Punkte  (nava  prameya-ratnäni)  zusammenfaßt,  wird  von  Baladeva  Vidyäbhüsana 
am  Schluß  seiner  Prameya-ratnävali  angeführt.  Einen  andern,  inhaltlich  fast 
genau  übereinstimmenden  Vers  gibt  derselbe  Autor  am  Anfang  (Strophe  I,  8) 
seines  Werkes. 

2)  Mahäbhärata  XII  174,15;  322,8;  vergl.  den  Eingang  von  Madhvas 
Krspämrta.  „täpa-trayeija  saiptaptaip  yad  etad  akhilaip  jagat".  Unter  dem  drei- 
fachen Schmerz  ist,  wie  in  der  indischen  Philosophie  auch  sonst  (vergl.  Sämkhya- 
kärikä  1)  der  Schmerz  zu  verstehen,  der  in  der  eigenen  Person  durch  körperliche 
und  psychische  Leiden  verursacht  wird  (ädhyätmika),  derjenige,  der  von  anderen 
Wesen  zugefügt  wird  (ädhibhautika)  und  schließlich  derjenige,  der  durch  über- 
natürliche Gewalten  veranlaßt  wird  (ädhidaivika).  Vergl.  auch  Bhäg  Ptp  117  a 
und  Sesas  Komm,  zu  Mvij  XI  23. 

T.  Glasenapp,  .Madhva's  Philosophie.  1 


2  Erster  Abschnitt 

Wenn  der  Sterbliche  so  sich  abmüht,  mit  seinen  Armen  die 
Wogen  des  Meeres  des  Samsära  zu  zerteilen  und  sich  doch  immer 
wieder  zurück  in  den  Strudel  gezogen  sieht,  dann  besinnt  er 
sich  schließlich  auf  sich  selbst,  er  fragt  sich,  warum  er  dieses  Da- 
sein der  Wiedergeburten,  der  Krankheiten  und  der  Schrecknisse, 
das  ihm  wenig  Lust  und  viel  Leid  bringt,  ertragen  muß ;  er  sucht 
nach  einem  rettenden  Nachen,  mit  dem  er  das  Wasser  des  Todes 
überqueren  und  sich  an  ein  besseres  Ufer  retten  kann.  Das  Be- 
dürfnis, eine  Arznei  zu  finden,  welche  die  durch  den  Samsära  ver- 
ursachten Brandwunden  heilt  ^),  veranlaßt  ihn  dazu,  die  ihm  zu- 
gänglichen Erkenntnismittel  daraufhin  zu  prüfen,  ob  sie  ihm  einen 
Ausweg  aus  seinem  unseligen  Zustande  zeigen-). 

Als  erstes  und  unmittelbarstes  Erkenntnismittel  (pramä^a) 
findet  er  in  sich  die  Perzeption  (pratyaksa)  vor.  Dieselbe  be- 
dient sich  der  Organe  des  Sehens,  Hörens,  ßiechens,  Schmeckens, 
Fühlens  und  Denkens  (manas)  als  ihrer  Instrumente  und  gelangt 
dadurch  zur  Erfahrung  von  außerhalb  des  Ichs  befindlichen  Ob- 
jekten^) oder  von  in  ihm  vorhandenen  Erinnerungsbildern*),  oder 
sie  kommt,  ohne  Verwendung  der  sechs  Sinne  direkt  (säksi)  zur 
Wahrnehmung  der  Natur  der  Seele,  ihrer  Eigenschaften,  von  Lust 
und  Leid  sowie  von  Raum  und  Zeit.  So  brauchbar  aber  auch  die 
durch  sie  gewonnenen  Erkenntnisse  im  gewöhnlichen  Leben  sein 
mögen,  —  auf  die  Fragen,  die  den  Menschen  im  Innersten  be- 
wegen, erteilen  sie  ihm  keine  Antwort.  Er  ist  daher  genötigt, 
sich  nach  einer  anderen  Hilfe  umzusehen. 

Als  solche  bietet  sich  die  Schlußfolgerung  (anumäna), 
d.  h.  der  fehlerlose  Beweis  ^)  dar,  die  ja  von  manchen  Philosophen 
als  ein  zur  Erreichung  der  Erkenntnis  von  Welt  und  Überwelt 
nützliches  Mittel  empfohlen  wird.  Sie  sucht  durch  Anwendung 
von   3  Arten   von   Schlüssen*^)   Wissen  über   Dinge   zu   erlangen. 


1)  Z.  Tait.  Up  II  2  (p.  3  b) ;  die  anderen  Gleichnisse  aus  Krs^ämrta  4, 33, 70. 

2)  Anuvy.  III  3  (p.  47  a). 

3)  „nirdosärthendriyasamnikarsah  pratyaksam'-.   (Pramäna,  p.  1  b). 

4)  Erinnerung  ist  eine  von  manas  vollzogene  Perzeption:  „mänasa-pratyak- 
sajä  smrtih"  (Pramäna  p.  2  a). 

5)  nirdosopapattir  anumänam  (Pramäna  1  b). 

G)  Madhva  unterscheidet  3  Arten  von  Schlüssen:  den  nur  Konkomitanz  be- 
sitzenden (kevalänvayin),  den  nur  Ausschließung  besitzenden  (kevalavyatirekin) 
und  den  sowohl  Konkomitanz  wie  Ausschließung  besitzenden  (anvaya-vyatirekin) 
Schluß.  Die  von  Anderen  als  besondere  Erkenntnismittel  betrachteten  logischen 
Verhältnisse  der  Analogie  (upamäna),  der  Selbstverständlichkeit  (arthäpatti),  des 
Nichtseins  (abhäva)  u.  a.  rechnet  Madhva  zur  Schlußfolgerung.  (Pramä9a  1  b ; 
Ps.  851). 


Erkenntnislehre  3 

welche  in  der  Wahrnehmung  nicht  gegeben  sind.  Allein  auch 
diese  vermag  keinerlei  wahre  Einsicht  in  das  Wesen  des  Trans- 
zendenten zu  geben,  und  jeder  Versuch,  das  Welträtsel  nur  mit 
ihrer  Hilfe  lösen  zu  wollen,  ist  zur  Erfolglosigkeit  verdammt. 
Darum  sagte  Indra  in  der  Gestalt  eines  Schakals  zu  Käsyapa: 
„Ich  war  ein  Anhänger  der  argumentierenden  Dialektik,  die  nichts 
taugt.  Ich  argumentierte  mit  Gründen,  und  trat  in  den  Versamm- 
lungen als  Redner  auf  in  räsonierender  Weise,  ein  lauter  Schreier 
war  ich,  und  einer,  der  in  den  Reden  über  brahman  die  Zweige- 
borenen niederredete,  ein  Nihilist,  ein  Allbezweifler,  ein  Narr, 
der  sich  für  einen  Gelehrten  hielt.  Dafür  ist  mir  dies  als  Frucht 
erwachsen,  daß  ich  ein  Schakal  bin"  ^)  und  warnt  so  eindringlich 
davor,  auf  dem  Wege  der  bloßen  Schlußfolgerung  zu  einer  Welt- 
anschauung gelangen  zu  wollen.  Gewiß  ist  die  Schlußfolgerung 
zu  vielen  Dingen  nützlich,  und  es  wäre  verblendet,  ihr,  wie  es  die 
Materialisten  tun^),  jeden  Erkenntniswert  abzusprechen,  doch  steht 
sie  wieder  in  vielen  Dingen  der  Perzeption  nach  und  darf  deshalb 
nicht,  wie  die  Logiker  meinen,  ohne  weiteres  als  wertvoller  als 
jene  angesprochen  werden,  da  sie  wertlos  ist,  wenn  sie  ihr  wider- 
spricht^). 

Eine  umfassende,  vollkommene  und  befriedigende  Erklärung 
der  mannigfachen  Erscheinungen  der  Welt  und  dessen,  was  über 
ihr  ist,  läßt  sich  weder  mit  Hilfe  der  Perzeption  noch  durch  die 
Schlußfolgerung  erreichen;  sie  ist  nur  möglich  vermittels  einer 
Erkenntnisquelle,  die  größer  und  bedeutender  ist  als  diese  beiden, 
vermittels  der  autoritativen  Überlieferung  (ägama).  Unter 
„Überlieferung"  ist  ein  fehlerloser  Ausspruch  *)  der  heiligen 
Schriften  zu  verstehen.  Nur  ein  solcher  vermag  das  Dunkel  des 
Daseins  aufzuhellen  und  das  Wesen  Gottes  begreiflich  zu  machen^); 
er  muß  daher  allen  philosophischen  Erörterungen  zugrunde  gelegt 
werden.  Perzeption  und  Schlußfolgerung  haben  der  Überlieferung 
gegenüber   nur   eine   sekundäre  Bedeutung,   ihre  Aufgabe   besteht 

1)  Mbh  XII,  180,  47—49  in  der  Übers,  v.  Deussen  und  Strauß.  Madhva 
z.  BS.  II,  2,  17. 

2)  „pratyaksam  eva  pramäpam"  (s.  die  Nachweise  bei  A.  Hillebrandt  „Zur 
Kenntnis  der  indischen  Materialisten",  Festschrift  Kuhn,  S.  25f.). 

3)  Z.  Brh.  Up  I,  5  (p.  18a).  Vergl.  Madhvas  Disputation  in  Madhva vijaya 
V  7,  in  welcher  nachdrücklich  betont  wird,  daß  die  Schlußfolgerung  als  Er- 
kenntnismittel der  Perzeption  und  der  Überlieferung  nachsteht  und  nur  Wert 
hat,  wenn  sie  sich  auf  diese  gründet  („pratyaksägamänanugrhitasy  änumänasya 
prämä^yäbhävam  sädhayan"  §esas  Komm,  zu  der  zit.  Stelle). 

4)  nirdosah  sabda  ägamah,    (Pram.  Ib). 

5)  ägamaip  vinesvarasyatväsiddheh  (Yisnutattva  3  a). 


4  Erster  Abschnitt 

lediglich  darin,  den  Sinn  der  Tradition  festzustellen  und  schein- 
bare "Widersprüche  innerhalb  derselben  mit  einander  in  Einklang 
zu  bringen,    (z.  BS.  1,  1,  3). 

Die  Aussprüche  der  heiligen  Schriften  sind  mit  großer  Auf- 
merksamkeit zu  studieren,  weil  in  ihnen  in  verschiedener  Sprache 
(vicitrabhäsä,  Bhäg  P.  XI,  21,  40)  geredet  wird  und  ihr  Sinn  dem- 
entsprechend ein  verschiedener  ist.  Drei  Redeweisen  sind  die 
hauptsächlichsten  (müla-bhäsä) :  die  guhya-bhäsä  verkündet  Wahr- 
heiten in  verhüllter,  allegorischer  oder  symbolischer  Gestalt;  die 
darsana-bhäsä  spricht  Dinge  aus,  die  in  dieser  Form  falsch  sind 
und  deshalb  falsche  Lehren  (darsana,  wie  die  der  Saivas)  zu 
stützen  scheinen;  die  samädhi-bhäsä  übermittelt  dasjenige,  was 
sich  in  Harmonie  mit  dem  wahren  Grlauben  befindet.  Eine  jede 
dieser  Redeweisen  zerfällt  wieder  in  eine  Reibe  von  Unterabtei- 
lungen, sodaß  im  Ganzen  81  unterschieden  werden  können.  Will 
man  den  Sinn  der  Aussprüche  in  richtiger  Weise  verstehen,  so 
hat  man  das  in  samädhi-bhäsä  Vorgetragene  insgesamt  anzunehmen, 
das  in  guhya-bhäsä  Gesagte  in  angemessener  Weise  zu  erklären, 
und  von  dem  in  daräana-bhäsä  Verkündeten  nur  das  zu  akzep- 
tieren, was  mit  dem  rechten  Glauben  übereinstimmt,  mag  es  auch 
eine  andere  Auslegung  erfordern  ^). 

Die  autoritative  Überlieferung  ist  enthalten  in  den  heiligen 
Schriften.  Diese  zerfallen  in  zwei  Gruppen:  die  einen  sind 
ewig  und  übermenschlicher  Herkunft  (apauruseya),  die  anderen 
sind  ewig  nur  im  Hinblick  darauf,  daß  sie  ewige  Wahrheiten  ent- 
halten, in  der  uns  vorliegenden  Gestalt  sind  sie  selbst  jedoch  ver- 
gänglich und  gehen  auf  menschliche  Verfasser  zurück  (pauruseya). 
Zur  ersten  Gruppe  gehören  die  Veden,  zur  zweiten  die  Puränas 
und  alle  die  anderen  Werke,  denen  eine  maßgebliche  Stellung  in 
Glaubensdingen  zuerkannt  wird. 

Ewig  sind  die  4  Veden  mit  allen  ihren  ritualistischen  und 
theosophischen  Anhängen,  die  bei  allen  Hindus  schon  seit  langem 
kanonisches  Ansehn  erlangt  hatten.     Der  Veda  ist  Visnus  geoffen- 

1)  Mbhtp  II  123 ff.;  Bhäg  Ptp  1.  c.  (p.  130a);  vergl.  auch  Ga^diräva  Täla- 
padatüras  „Sri-Krsoabhakti"  p.  20.  Samädhi-bhäsä  ist  es  z.B.,  wenn  es  heißt: 
„Vis^uh  paramah";  darsanabhäsä  wird  Bhäg.  Ptp.  1.  c.  erläutert:  „bhasmasnäna- 
vidhänaqi  tu  sruty-uktaip  darsanänugaip,  bhasma-snänam  tato  grähyaip  vidhänaqi 
tu  nrsiiphagam".  Nach.  G.  Tälapadatür  gehört  hierzu  auch,  wenn  in  den  Epen 
erzählt  wird,  Räma  sei  von  Leid  erfüllt  durch  die  Wälder  gezogen  u.  ä.,  weil 
Gott  kein  Leid  erduldet,  sondern  „loka-vidaipbanärtham  athavä  daityamohanärthaiii 
loka-siksanärtham  vä  Öri-Haris  tathä  cariträpi  karoti''.  Um  guhya-bhäsä  handelt 
es  sich,  wenn  von  Körperteilen  Visnus  gesprochen  wird,  aber  damit  geistige 
Eigenschaften  oder  Elemente  u.  a.  gemeint  werden. 


Erkenntnislehre  5 

bartes  Wort ;  bei  jeder  Weltentstehung  läßt  ihn  Brahma  in  Visnus 
Auftrage  aus  sich  herausgehen  (utsrsta)  und  die  heiligen  Seher 
(rsi)  schauen  ihn,  kraft  der  von  ihnen  geübten  Kasteiungen  und 
des  in  früheren  Existenzen  erlangten  guten  karman  und  wahren 
Wissens.  Die  Rsis  teilen  ihn  ihren  Schülern  mit  und  diese  geben 
ihn  wieder  an  ihre  eigenen  Schüler  weiter,  so  daß  er  in  perma- 
nenter Sukzession  von  Lehrer  und  Schüler  dauernd  von  Greschlecht 
zu  Geschlecht  weiter  übermittelt  wird.  DerVeda  ist  unveränder- 
lich, jeder  Laut  (varna),  jedes  Wort  (pada)  in  ihm  ist  ewig  *).  Als 
Ganzes  bleibt  er  von  allen  Wechselfällen,  welchen  die  Welt  und 
die  lebenden  Wesen  in  ihr  ausgesetzt  sind,  unberührt.  Hinsicht- 
lich seiner  Einteilung  ist  er  jedoch  gewissen  Veränderungen  unter- 
worfen, weil  er  sich  in  den  verschiedenen  Weltperioden  ^)  dem 
Verständnis  der  einzelnen  Wesen  anpassen  mußte.  Im  Krta- 
Zeitalter  gab  es  nur  einen  Veda,  den  Wurzel-Veda  (mülaveda), 
der  nicht  nur  die  heutigen  4  Veden,  Rgveda  usw.  umfaßte,  sondern 
auch  autoritative  Werke,  wie  das  Pancarätra,  die  uns  heute  in 
anderer  Gestalt  vorliegen.  Die  Bezeichnungen  Rg-  usw.  für  die 
einzelnen  Teile  existierten  damals  noch  nicht,  und  die  Götternamen 
Brahma,  Rudra,  Indra  usw.  wurden  damals  nur  als  Namen  Vignus 
gebraucht.  Die  Götter,  die  später  diese  Namen  führten,  wurden 
damals  nicht  wegen  ihrer  Göttlichkeit  verehrt,  sondern  nur  als 
Verkündiger  der  Wahrheit,  als  die  Väter  der  Menschen  und  als 
ausführende  Organe  des  göttlichen  Willens.  Im  Tretä-Yuga, 
als  die  Wesen  schlechter  geworden  waren,  wurde  der  Veda  in 
3  Teile  zerlegt,  um  von  ihnen  entsprechend  ihrem  eigenen  Cha- 
rakter —  je  nachdem  bei  ihnen  einer  der  3  ganas  der  Materie 
(sattva,  rajas,  tamas)  überwog  —  verwendet  zu  werden.  Damals 
begann  man  Indra  u.  a.  als  selbständige  Götter  anzubeten,  wenn 
man  auch  noch  Visnu  als  Oberherrn  allgemein  anerkannte.  Im 
Dväpara-Zeitalter  wurde  das  Wissen  wieder  schlechter  und 
vielfach  geradezu  in  sein  Gegenteil  verkehrt.  Um  diesem  traurigen 
Zustande  zu  steuern,  wandten  sich  Brahma,  Rudra  und  die  an- 
deren Götter  an  Visnu  und  baten  ihn  um  Hilfe.  Visnu  inkar- 
nierte  sich  daraufhin  als  Krsna  Dvaipäyana,  genannt  Vyäsa,  und 
ordnete  den  Veda  definitiv  in  5  Teile,  nämlich  in  Rg-,  Säma-, 
Yajur-  und  Atharva-veda  sowie  in  den  „5.  Veda",  d.  h.  das  Pan- 
carätra, Mahäbhärata  und  ähnliche  Werke,  von  denen  weiter  unten 
die  Rede  sein  wird.    Die  4  Veden  wurden  ihrerseits  wieder  weiter 


1)  Visijutattva  3  a. 

2)  Über  diese  s.  S.  53. 


6  Erster  Abschnitt 

geteilt  in  einzelne  „Zweige^  (ääkhä),  die  in  den  verschiedenen 
Schulen  gelernt  werden;  dies  war  notwendig,  weil  es  sich  heraus- 
stellte, daß  es  für  die  Menschen  unmöglich  geworden  war,  den 
ganzen  Veda  in  sich  aufzunehmen  und  alle  in  ihm  vorgeschriebenen 
Pflichten  zu  erfüllen^). 

Der  ganze  Veda  handelt  von  Visnu  und  erklärt  sein  "Wesen. 
In  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  befassen  sich  daher  alle  in  ihm 
enthaltenen  Aussprüche  nur  mit  Visnu.  Weil  sich  jedoch  in  der 
"Welt  das  Bedürfnis  ergab,  auch  anderes,  von  ihm  verschiedenes, 
mit  Worten  auszudrücken,  wurden  die  meisten  Namen  Visnus 
dazu  benutzt,  um  die  einzelnen  Grötter  und  alle  Dinge  auf 
Erden  zu  bezeichnen.  Da  nun  im  gewöhnlichen  Leben  mehr  von 
weltlichen  Dingen  als  von  Gott  gesprochen  wird,  haben  sich  viele 
Worte  als  Bezeichnungen  von  Personen,  Sachen  usw.  so  einge- 
bürgert, daß  ihr  ursprünglicher  Sinn  in  Vergessenheit  geraten  ist. 
Madhva  betrachtet  es  daher  als  seine  Aufgabe,  die  eigentliche  Be- 
deutung der  vedischen  Textstellen  aufzudecken  und  darzulegen, 
daß  sie  sich  alle  auf  Visnu  beziehen^).  Man  könnte  entgegnen, 
daß  im  Veda  zahlreiche  Opfer,  verdienstliche  Handlungen  u.  dergl. 
vorgeschrieben  werden;  wollte  man  diese  Stellen  insgesamt  nur 
als  Erläuterungen  des  Wesens  Grottes  auffassen,  so  würden  also 
die  empfohlenen  Werke  nutzlos  sein?  Das  ist  jedoch  nicht  der 
Fall,  denn  auch  diese  Stellen  sprechen  von  Grott  und  schildern, 
wie  man  ihn  erlangt,  insofern  als  1)  die  Beschreibung  des  ver- 
gänglichen Lohns  der  guten  Werke  dazu  führt,  nach  der  Errei- 
chung des  Wissens  über  Gott  zu  streben,  um  einen  über  den  ver- 
gänglichen Lohn  hinausgehenden  unvergänglichen  Lohn  zu  ernten ; 
insofern  als  2)  die  Erwerbung  eines  guten  karman  notwendig  ist, 
um  die  richtige  Erkenntnis  sich  aneignen  zu  können,  und  insofern 
als  schließlich  3)  alles  Tun  letzten  Endes  durch  Gott  geschieht 
und  deshalb  in  der  Schrift  behandelt  werden  muß^). 

Daß  der  Veda  tatsächlich  übermenschlichen  Ursprungs  ist, 
ergibt  sich  daraus,  daß  ein  menschlicher  Urheber  desselben  unbe- 
kannt ist  und  es  auch  ganz  unmöglich  wäre,  daß  ein  Mensch  ein 
derartiges  Werk  schaffen  könnte.  Die  übernatürliche  Herkunft 
des  Veda  erweist  sich  vor  allem  aber  dadurch,  daß  er  die  Grund- 
lage aller  Sittlichkeit  in  der  Welt  ist;  wäre  er  nicht  apauruseya, 
so  wäre  der  allen  Pflichten   zugrunde  liegende  dharma  *)  hinfällig, 

1)  Z.  BS.  I,  1,  1 ;  III,  3,  3  f. ;  z.  Mu.  Up  I,  1,5;  II  2,  6  ;  Ps.  376. 

2)  Beispiele  s.  unten  S.  30. 

3)  Z.  BS.  I,  4,  16—23. 

4)  Über  diesen  Begriff  vergl.  „Hinduismus"  S.  8. 


Erkenntnislehre  7 

es  würde  keine  Gerechtigkeit  in  der  "Welt  geben  und  keinen  Lohn 
im  Jenseits.  Wäre  der  Veda  von  Menschen  verfaßt,  so  würde  er 
dem  Irrtum  unterworfen  sein;  um  aber  die  Herkunft  des  ewigen 
Gesetzes  zu  erklären,  sähe  man  sich  genötigt,  nach  einem  anderen 
autoritativen  Werke  zu  suchen,  das  die  Quelle  aller  ethischen  Ge- 
bote und  Verbote  ist,  man  würde  aber  keines  finden,  das  sich  mit 
dem  Veda  messen  könnte^). 

Die  Kenntnis  des  Wesens  Gottes  läßt  sich  nicht  nur  aus  dem 
Veda  gewinnen,  sondern  auch  aus  einer  Reihe  von  anderen  Werken, 
aus  dem  „pauruseya  ägama",  der  „menschlichen  Überliefe- 
rung". Zu  dieser  gehören  das  Mahäbhärata,  das  ursprüngliche 
ßämäyana  (Mülarämäyana),  die  visnuitischen  Puränas,  die  Werke 
des  Pancarätra,  die  Brahmasütras  u.  a.  Sie  wurden  von  Adepten 
verfaßt  (äptokta),  vornehmlich  von  Vyäsa,  einer  Inkarnation  Vis- 
nus,  und  stimmen  nicht  nur  in  allem  wesentlichen  mit  den  4  Veden 
überein,  sondern  sind  geradezu  ein  Teil  derselben,  ein  „fünfter 
Veda"  ^),  der  von  Visnu  verkündet  wurde,  um  auch  denen,  die 
kein  Recht  haben,  die  4  Veden  zu  studieren,  den  Weg  zum  Heil 
zu  ermöglichen.  (BhGbh,  Einl.).  Diesen  Werken  der  smrti  wird 
sogar  ein  so  hoher  Wert  beigelegt,  daß  geradezu  gesagt  wird, 
jemand,  der  die  Veden  nebst  ihren  Angas  und  Upanisads  studiert 
habe,  aber  jene  nicht  kenne,  könne  nicht  als  gebildet  gelten^). 

Während  der  (eigentliche)  Veda  bis  auf  den  heutigen  Tag 
vollkommen  überliefert  ist,  wurde  die  smrti  nicht  immer  genau 
übermittelt,  in  sie  haben  sich  daher  allerlei  Irrtümer  und  Inter- 
polationen eingeschlichen.  Außerdem  treten  eine  Menge  Schriften 
mit  der  Prätension  auf,  die  Wahrheit  zu  lehren,  während  sie  in 
Wirklichkeit  von  .Siva  u.  a.  verfaßt  worden  sind,  um  die  Mensch- 
heit zu  verwirren*).  Bei  der  Benutzung  der  Werke,  die  als  der 
smrti  zugehörig  angesehen  werden,  ist  deshalb  Kritik  erforderlich; 
das  Fehlerhafte,  das  in  tatsächlich  autoritative  Schriften  einge- 
drungen ist,  ist  auszuscheiden,  und  Werke,  die  sich  nur  fälschlich 

1)  Visnutattva  Ibff. 

2)  „rg-yajuh-sämätharväs  ca  mülarämäyanam  tathä  | 
bhärataip  pancarätrain  ca  vedä  ity  eva  sabditäh  | 

pu^ä^äni  ca  yänilia  vaisiiaväni  vido  viduh"  (ßhavisyatpuräpa  zu  BS.  II 1, 5.) 
„paScarätram  bhärataip  ca  mülarämäyariam  tathä  |  tathä  puräpaip  bhägavatam 
vispuveda  itiritah"  (z.  BhG  II  72),  s.  auch  die  Zitate  z.  Brh  Up  p.  18  b. 

3)  „yadi  vidyäc  caturvedän  sängopanisadän  dvijah  |  na  cet  puräriaip  saijivi- 
dyän  naiva  sa  syäd  vicak§aiiah"  (BhGbh.  p.  2  a). 

4)  „aksapäda-kanädau  ca  sämkhya-yogärhatäs  tathä  |  siva-sakti-mahäyäna- 
lokäyata-purahsaräh  |  gänapatyäs  ca  sauräs  ca  sarve  proktä  durägamäh"  (Brh 
Up  p.  18  b). 


8  Erster  Abschnitt 

eine  Autorität  anmaßen,  sind  als  Irrwege  (kavartman,  z.  BS.  I, 
1,  3)  zu  brandmarken  und  bei  der  Erklärung  der  reinen  Lehre 
nicht  zu  berücksichtigen.  Als  Kriterium  der  Echtheit  eines  Textes 
hat  dabei  zu  gelten,  ob  er  sich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Veda 
befindet  (BS.  II,  1,  If.). 

Die  Werke  der  Überlieferung  stellen  die  Wahrheiten  der 
Heilslehre  in  anderer  Weise  dar,  als  der  Veda.  Während  dieser 
sie  in  starrer,  sich  ewig  gleichbleibender  Gestalt  ein-  für  allemal 
hinstellt,  so  daß  man  nur  durch  ausführliches  und  langjähriges 
Studium  ihren  Sinn  erfassen  kann,  sucht  die  smrti  sie  entweder 
in  anziehender  Form,  in  Erzählungen  oder  leicht  verständlichen 
Lehrgedichten  darzulegen  oder  systematisch  zusammenzufassen. 
Die  Werke  der  Überlieferung  lassen  sich  hiernach  scheiden  in 
Nirneya-grantha  und  Nirnäyaka-grantha. 

Von  den  Nirneya-granthas  ist  der  bedeutendste  das 
Mahäbhärata.  Madhva  findet  kaum  Worte,  um  der  Bedeutung 
dieses  Epos  gerecht  zu  werden,  von  dem  er  sagt,  daß  man  wohl 
außerhalb  von  ihm  etwas  finden  könne,  das  in  ihm  stehe,  daß  es 
aber  nichts  gäbe,  das  nicht  in  ihm  enthalten  sei  ^).  Im  2.  Adhyäya 
seines  Mahäbhäratatätparyanirnaya  (v.  129  ff.)  zeigt  Madhva,  wie 
aus  ihm  die  ewigen  Wahrheiten  erforscht  werden  können.  Das 
Mahäbhärata  birgt,  so  sagt  er,  einen  dreifachen  Sinn^)  in  sich. 
Soweit  es  die  historischen  Tatsachen  über  Krsna,  die  Pän^avas 
usw.  der  Reihe  nach  berichtet,  ist  es  ästika  (geschichtlich).  So- 
weit es  von  Religion  (dharma),  Gottesergebenheit,  Schriftstudium, 
dem  richtigen  Benehmen  (^ila),  der  Disziplin  und  den  Göttern 
handelt,  ist  es  manvädi  (auf  die  von  Manu  gelehrten  ethisch-reli- 
giösen Lehren  bezüglich).  Soweit  es  schließlich  die  Namen  Gottes 
und  dessen  Eigenschaften  enthält,  ist  es  auparicara  (auf  Transzen- 
dentes bezüglich).  In  seiner  Gesamtheit  hat  es  ganz  und  gar  eine 
geistige,  metaphysische  Bedeutung  (adbyätmanistha),  die  in  engster 
Beziehung  zu  den  im  Veda  über  die  verschiedenen  Wesen  über- 
mittelten Erkenntnissen  steht.  Gottesergebenheit,  Wissen,  Ent- 
sagung, Einsicht,  Weisheit,  Entschlossenheit,  Standhaftigkeit,  Auf- 
merksamkeit, Lebenskraft  (präna)  und  Stärke  sind  bei  Bhlma  vor- 
handen; alle  diese  zehn  Eigenschaften  sind  wesentlich  für  Väyu, 
deshalb  ist  Bhlma  ein  avatära  Väyus.     Alles  Wissen  besitzt  Drau- 

1)  yad  ihästi  tad  anyatra  |  yan  nehästi  na  kutracit.  (BhGbh,  2  a), 

2)  An  anderer  Stelle  heißt  es,  das  Mbh.  habe  einen  zehnfachen  Sinn.  — 
Mvij  VI  4  wird  dies  auch  ausgesprochen  und  des  weiteren  gesagt,  jeder  Aus- 
spruch der  Sruti  habe  einen  dreifachen  Sinn,  jedes  Wort  des  Visnusahasranäma 
einen  hundertfachen. 


Erkenntnislehre  9 

padi,  deswegen  ist  sie  mit  Sarasvati  identisch.  Duryodhana  ist 
der  böse  Dämon  Kali,  der  seiner  Natur  nach  unwissend  ist. 
Duh^äsana  ist  das  verkehrte  Wissen.  Öakuni  ist  die  Ketzerei 
(nästikya).  Die  andern  Söhne  des  Dhrtarästra  sind  alle  anderen 
schlechten  Eigenschaften.  Asvatthäman  (Drau^i)  ist  der  aham- 
kära,  weil  er  mit  Rudra  identisch  ist.  Drona  und  andere  reprä- 
sentieren die  Sinnesorgane.  Die  anderen  Kriegsleute  versinnbild- 
lichen die  Sünden,  die  Pändavas  hingegen  die  verdienstlichen  Hand- 
lungen und  Visnu  ist  ihr  Lenker.  So  läßt  sich  vom  Mahäbhärata 
sagen,  daß  es  etwas  Geistiges  symbolisiert  und  daß  es  selbst  für 
Götter  schwer  ist,  all  den  in  ihm  enthaltenen  Tiefsinn  vollständig 
zu  erfassen. 

Neben  dem  Mahäbhärata  steht  bei  den  Vaisnavas  in  höchster 
Achtung  das  Bhägavata-Puräna,  das  selbst  von  sich  aussagt, 
daß  alle  anderen  Puränas  im  Vergleich  zu  ihm  ihren  Glanz  ver- 
lören (Bhäg.  P.  XII,  13,  14). 

Unter  den  Nirnäyaka-granthas,  welche  den  Inhalt  des 
religiösen  Wissens  ordnen  und  zusammenfassen,  stehen  die  Br  ahma- 
Sütras  an  erster  Stelle.  Sie  erfüllen  im  höchsten  Maße  alle  An- 
forderungen, die  man  überhaupt  an  Lehrsprüche  stellen  kann^): 
sie  sind  konzis,  klar,  enthalten  alles  Wesentliche,  nehmen  auf  alle 
Dinge  Bezug,  vermeiden  überflüssige  Wiederholungen  und  sind  frei 
von  Fehlern.  Sie  geben  die  Lösung  aller  theologischen  Fragen 
und  bilden  die  entscheidende  Autorität  für  alles,  was  mit  der  hei- 
ligen Offenbarung  zusammenhängt.  Deshalb  haben  sie  als  die 
Lehrsprüche  y.ax  «|o;t^^  zu  gelten  (z.  BS.  I,  1,  1).  Während  die 
Werke  Jaiminis,  Asmarathya's,  Audulomi's,  Kääakritsna's  und  an- 
derer Weiser  vielfach  eine  an  sich  zwar  wahre,  aber  doch  einsei- 
tige Ansicht  vertreten,  gibt  Yyäsa,  der  der  Lehrer  all  dieser  hei- 
ligen Männer  gewesen  ist,  stets  allumfassende  Belehrung:  das, 
was  er  in  den  Brahmasutren  niedergelegt  hat,  verhält  sich  zu  den 
Meinungen  dieser  Gelehrten  wie  der  unendliche  Weltraum  zu  den 
begrenzten  Räumen  eines  Klafters,  eines  hasta,  einer  Spanne,  die 
sämtlich  zwar  auch  alle  Charakteristika  des  Weltraums  aufweisen, 
aber  nur  Teile  von  ihm  und  in  ihm  enthalten  sind  (z.  BS.  I.  4,  23, 
III,  4,  9). 

Zu  diesen,  auch  von  anderen  hinduistischen  Richtungen  als 
grundlegend  betrachteten  Werken  kommt  für  Madhva  als  gleich- 
wertig hinzu  noch  die  reichhaltige  Literatur  der  Agamas,  das  sog. 


1)  „alpäksaram  asaipdigdham  saravad  visvatomukhai|i  |  astobham  anavadyam 
ca  sütram  sütravido  viduh"  (z.  BS.  I,  1,  1). 


10  Erster  Abschnitt 

Pancarätra  und  andere  derartige  Schriften,  in  denen  dieVaisnavas 
ihre  sektarischen  Anschauungen  niedergelegt  hatten^). 


n. 

Die  Methode  der  Ermittelung  der  Wahrheit. 

Das  gewaltige  von  der  gesamten  Tradition  überlieferte  Mate- 
rial, welches  alle  metaphysischen  Erkenntnisse  in  sich  birgt,  be- 
darf einer  tiefschürfenden  Analyse  und  gliedernder  Synthese,  da- 
mit die  in  ihm  enthaltene  Fülle  der  Wahrheit  klar  und  eindeutig 
ans  Licht  treten  kann.  Eine  ausführliche  Exegese  und  Erläute- 
rung der  heiligen  Schriften  ist  um  so  mehr  die  Voraussetzung  und 
das  wichtigste  Erfordernis  aller  Wahrheitsforschung,  als  die 
dunkle  Ausdrucksweise  mancher  Stellen  vielfach  zu  Mißverständ- 
nissen geführt  hat.  Um  daher  über  die  wirkliche  Bedeutung  eines 
Schriftausspruchs  ins  Klare  zu  kommen,  ist  es  notwendig,  1)  den 
in  der  Schrift  allgemein  vorherrschenden  Gebrauch  der  in  ihm 
vorkommenden  Worte  festzustellen,  2)  zu  sehen,  ob  in  ihm  charak- 
teristische Merkmale  vorhanden  sind,  welche  für  die  eine  oder  an- 
dere Erklärung  den  Ausschlag  geben,  3)  gleichlautende  Schrift- 
worte aus  andern  Abschnitten  heranzuziehen,  4)  den  Ausspruch 
selbst  hinsichtlich  dessen,  was  er  besagen  will  und  5)  den  allge- 
meinen Zusammenhang,  in  dem  er  steht,  ins  Auge  zu  fassen.  Von 
diesen  Untersuchungen,  die  man  vorzunehmen  hat,  ist  die  vorher- 
gehende immer  wichtiger  als  die,  welche  ihr  folgen,  und  darf  daher 
für  sich  eine  erhöhte  Beweiskraft  in  Anspruch  nehmen  (z.  BS.  I, 
3,  24).  Sind  auf  Grund  derartiger  Erörterungen  mehrere  Erklä- 
rungen möglich,  so  ist  diejenige  vorzuziehen,  welche  am  wenigsten 
voraussetzt  (z.  BS.  I,  3,  14).  Scheinen  zwei  Schriftstellen  mitein- 
ander in  Widerspruch  zu  stehen,  so  ist  der  ihnen  innewohnende 
Sinn  in  einer  Weise  zu  erklären,  die  beiden  gerecht  wird  und 
ihren  Gegensatz    aufhebt;    denn   der   Veda   selbst   kann,   da  nur 


1)  Die  Namen  der  Agama-  und  sonstigen  Werke,  vrelche  für  Madhva  Autori- 
täten sind,  ergeben  sich  aus  den  Zitaten,  welche  sich  bei  ihm  finden.  An  ver- 
schiedenen Stellen  seiner  Schriften  gibt  er  auch  namentliche  Aufzählungen.  So 
heißt  es  z.  Brh.  Up.  IV,  1  (p.  47  a) :  „amitäksaram  pancarätraqi  vidyetyähur  mani- 
si^ah  I  mitäksarairi  sloka-väcyam  ubhayaip  veda  iryata  iti  Brahmände  |  sütram  tu 
brahmasüträkhyaip  mahämimäinsikä  tathä  |  tathä  säqikarsanaip  sütraip  brahma- 
tarkädayas  tathä  |  prakäsikä  nirpayas  ca  tattvanirnaya  eva  ca  |  vyäkhyeti  kathitäh 
sarväh  svayam  bhagavatä  krtäh  |  brhattarkädayah  sarvä  anuvyäkhyäh  prakirtitä 
iti  Pratisamkhyäne".  S.  auch  die  ausführliche  Auseinandersetzung  zu  Brh  Up 
p.  19  a. 


Erkenntnislehre  11 

Wahres  enthaltend,  natürlich  keine  Widersprüche  in  sich  bergen 
(z.  BS.  II,  1,  18).  Als  Hilfsmittel  zur  Feststellung  des  Sinnes 
einer  Stelle  können  die  empirische  Erfahrung  und  die  Schlußfol- 
gerung herangezogen  werden,  doch  ist  ein  für  allemal  daran  fest- 
zuhalten, daß  diese  weltlichen  Erkenntnismittel  wohl  fähig  sind, 
die  Erklärung  der  Schrift  zu  fördern,  daß  sie  aber  nimmermehr 
imstande  sind,  einen  Schriftausspruch  zu  modifizieren  oder  umzu- 
stoßen (z.  BS.  II,  1,  28). 

Die  Methode,  nach  welcher  Madhva  die  Bedeutung  einer 
Schriftstelle  ermittelt,  ist  die  bei  den  indischen  Kommentatoren 
allgemein  übliche.  Es  wird  zunächst  eine  Behauptung  als  zu  be- 
handelnder Gregenstand  (visaya)  aufgestellt,  sodann  werden  die 
gegen  sie  sich  erhebenden  Zweifel  (saipsaya)  und  die  gegen  sie 
geltend  gemachten  gegnerischen  Ansichten  (pürvapaksa)  vorge- 
führt; dann  wird  der  Opponent  widerlegt  und  dadurch  die  end- 
gültige Ansicht  (uttarapaksa,  siddhänta)  festgestellt,  die  dann  in 
ihrer  allgemeinen  Bedeutung  und  in  ihrem  Zusammenhang  mit  an- 
deren erwiesenen  Wahrheiten  (samgati)  gewürdigt  wird. 

Zur  Bekräftigung  der  aufgestellten  Ansichten  werden  allent- 
halben Stellen  aus  autoritativen  Werken  herangezogen.  Madhva 
und  seine  Schüler  überschütten  den  Leser  geradezu  mit  einer  un- 
endlichen Fülle  von  Zitaten,  um  zu  zeigen,  daß  allein  das  von 
ihnen  vertretene  System  das  wahre  sei  und  im  vollen  Einklänge 
mit  der  Überlieferung  stehe. 

Es  genügt  nun  aber  nicht,  daß  ein  Philosoph  seine  Anschau- 
ungen literarisch  fixiert  und  durch  Kommentare  als  mit  der  hei- 
ligen Schrift  übereinstimmend  nachweist;  er  muß  auch  in  der 
Lage  sein,  sie  in  Disputationen  mit  Gegnern  verteidigen  und 
Vertreter  von  anderen  Ansichten  für  sie  gewinnen  zu  können. 
Der  Redekampf  zwischen  gelehrten  Theologen  spielte  in  Indien 
seit  alters  eine  hervorragende  Rolle.  Madhva  sah  sich  daher  dazu 
veranlaßt,  ausführliche  Vorschriften  darüber  zu  geben,  wie  man 
sich  bei  einem  solchen  Wettstreit  der  Greister  zu  benehmen  habe, 
um  ihn  siegreich  zu  bestehen.  Es  werden  (vergl.  Nyäya-Sütra 
I,  42 — 44)  drei  Arten  des  Redekampfes  (kathä)  unterschieden: 
1)  väda,  die  loyal  durchgeführte  Disputation  zwischen  Lehrer  und 
Schülern  oder  zwischen  anderen,  die  alle  als  gleichberechtigt 
(sabrahmacärin)  mit  denselben  Waffen  kämpfen,  und  deren  Ziel  es 
lediglich  ist,  die  Wahrheit  zu  ermitteln,  2)  jalpa,  die  Rechthaberei, 
d.  h.  die  Diskussion  zwischen  zwei  gelehrten  Leuten,  die  zeigen 
wollen,  daß  ihnen  niemand  an  Redegewandtheit  und  Wissen  über- 
legen ist;  ihr  Ziel  ist  es,  den  Sieg  über  den  Gegner  und  dadurch 


12  Erster  Abschnitt 

großen  Ruhm  zu  erlangen,  3)  vitandä,  die  Schikane,  bei  welcher 
der  eine  der  Diskutierenden  seinen  Gregner  garnicht  von  seinen 
Anschauungen  überzeugen  will,  sondern  es  nur  darauf  absieht, 
ihm  Verlegenheiten  zu  bereiten  und  die  Hinfälligkeit  von  allem, 
was  er  für  wahr  hält,  darzutun.  Alle  drei  Arten  des  Redekampfes 
sind  bei  sich  bietender  Grelegenheit  in  Anwendung  zu  bringen. 

Bei  dem  väda  hat  der  Madhva-Anhänger  zuerst  die  „guten 
Beweise"  (subham  mänam)  vorzubringen,  also  Stellen  aus  den 
Veden,  den  Itihäsas,  den  Puränas,  aus  Pancarätra,  Mimämsä  und 
Smrti;  hingegen  sind  „schlechte  Autoritäten"  (asubham  proktam), 
d.  h.  Schriften,  die  mit  den  ebengenannten  in  Widerspruch  stehen, 
nicht  anzuführen.  Stellt  sich  eine  Meinungsverschiedenheit  über 
den  Sinn  der  zitierten  Texte  heraus,  so  muß  mit  Zuhilfenahme 
der  Erfahrung,  die  mit  Hilfe  der  Perzeption  gemacht  wurde  und 
der  Schlußfolgerung  der  wahre  Sinn  der  Textstellen  ergründet 
werden.  Der  Disputant  sucht  die  Behauptungen  des  Opponenten 
zu  widerlegen  und  seine  eigene  Ansicht  als  die  allein  richtige 
darzutun,  bis  schließlich  der  eine  von  ihnen  von  der  Ansicht  des 
anderen  überzeugt  worden  ist  und  ihn  als  Meister  anerkennt. 

Ein  jalpa  findet  vor  einem  Grremium  von  fünf  oder  mehr  weisen 
Männern  statt,  die  in  allen  Wissenschaften  erfahren  und  fromme 
Verehrer  des  Visnu  sein  müssen.  Diese  Unparteiischen  (pariksaka, 
präsnika)  haben  vorher  die  Fähigkeiten  der  beiden  Kämpfenden 
daraufhin  zu  prüfen,  ob  sie  sich  einigermaßen  die  Wage  halten, 
denn  ein  Redekampf  hat  nur  Zweck,  wenn  die  Parteien  ungefähr 
über  die  gleichen  Kenntnisse  verfügen;  die  Kampfrichter  haben  das 
Recht,  mit  Fragen  in  die  Diskussion  einzugreifen,  und  fällen  am 
Schluß  das  Urteil.  Der  Unterlegene  hat  sich  diesem  zu  fügen 
und  muß  bei  dem  Obsiegenden  in  die  Lehre  gehen;  eine  Wieder- 
aufnahme des  Kampfes  ist  nur  mit  Zustimmung  der  Kampfrichter 
angängig. 

Bei  der  vitandä,  welche  von  einem  „Gutgesinnten",  d.  h.  also 
Vaisnava,  gegen  einen  Ketzer  geführt  wird,  braucht  der  erstere 
garnicht  mit  seiner  eigenen  Anschauung  hervorzutreten  and  diese 
auch  nicht  in  der  richtigen  Weise  (durch  Veda-Zitate)  zu  be- 
gründen, sondern  er  hat  nur  darauf  bedacht  zu  sein,  die  Halt- 
losigkeit der  Lehren  des  Gegners  darzutun,  indem  er  nach  Mög- 
lichkeit bestrebt  ist,  ihn  mit  seinen  eigenen  Waffen  zu  schlagen. 
Hier  besteht  bei  den  beiden  Streitenden  also  eine  verschiedene 
Anschauung  über  die  Art  des  Redekampfes,  in  dem  sie  sich  be- 
finden :  der  Ketzer  glaubt,  es  handele  sich  um  einen  jalpa,  während 


Erkenntnislehre  13 

der  „Gutgesinnte'^  ilin  als  eine  vitandä  führt*).  Unter  „Ketzern" 
(pä§anda)  sind  hierbei  nicht  nur  Materialisten,  Buddhisten,  sondern 
auch  Hindus  zu  verstehen,  welche  von  der  Wahrheit  abweichen 
(tattvaviplava)  ^).  Grelingt  es  dem  Vaisnava  nicht,  seinen  Oppo- 
nenten zu  schlagen,  dann  sollen  alle  „Gutgesinnten",  die  anwesend 
sind,  zusammenwirken,  um  zu  verhindern,  daß  der  Ketzer  obsiegt. 
Der  im  Kampfe  Unterliegende  hat,  wie  schon  bemerkt,  die  An- 
sicht des  Siegers  anzunehmen;  tut  er  dies  nicht,  so  ist  er  zu  be- 
strafen. Der  Schüler  hat  in  diesem  Fall  von  seinem  Lehrer 
Scheltworte  zu  gewärtigen,  oder  eine  Buße,  z.  B.  Fasten  auf 
sich  zu  nehmen;  bei  öifentlichen  Diskussionen  verurteilt  der 
König  den  Besiegten,  der  seine  falschen  Anschauungen  nicht  wider- 
ruft, zu  einer  Geldstrafe,  oder  noch  härter:  „einem  Ketzer,  der 
von  „Gutgesinnten"  besiegt  wurde  (und  nicht  bereut),  soll  er  die 
Zunge  spalten,  ihn  mit  einem  Krähenmal  (käkänka)  brandmarken 
und  aus  dem  Reiche  heraustreiben  lassen",  ja  wenn  der  Ungläu- 
bige ein  Südra,  Vaiäya  oder  Ksatriya  ist,  soll  er  ihn  ohne  Be- 
denken iöten  lassen,  doch  genügt  es  bei  einem  Brahmanen,  ihm 
die  Zunge  auszureißen.  Da  es  nun  aber  denkbar  ist,  daß  einmal 
in  einer  Disputation  der  Vaisnava  von  einem  Ketzer  niederge- 
rungen wird,  ist  es  natürlich  notwendig,  auch  hierüber  eine  An- 
ordnung zu  treifen.  Madhva  löst  diese  Fragen  sehr  einfach:  er 
rät  dem  König,  sich  zunächst  neutral  zu  verhalten,  bis  es  dem 
„Gutgesinnten"  (bezw.  seinen  Freunden)  gelingt,  der  Wahrheit 
zum  Siege  zu  verhelfen,  dann  soll  er  den  Ketzer  bestrafen^). 


1)  „satäm  eva  vitapdä   syät,   asatäip  jalpa  eva  tu"  z.  Brh-Up  III,  8  p.  41  b. 

2)  „Visiju-bhakty-anya-dharmäkhyas  tattva-viplava"  ib. ;  vorher  (ib.  41  a) 
wurden  5  Arten  des  tattva-viplava  unterschieden:  „anya-sämyam,  abhedo  vä, 
nicatä  vä  kutascana  |  visnoh  sri-pürvakänäqi  ca  vyatyäso  gu^a-dosatah  |  tad-bhakter 
anya-dharmatvam  paScaite  tattva-viplaväh".  Bhäg  Ptp,  p.  124b  sagt:  „yoga- 
sämkbya-kaijädäksapädä  vai  hetuvädinah  |  pasvisa-säkta-buddhädyäh  päsaridä  iti 
kirtitäh". 

3)  Die  Lehre  vom  Redekampf  wird  dargelegt  im  Kathälaksana,  sowie  zu 
Brh  Up  III,  8,  p.  40  b  ff.,  Anuvy  II,  1,  p.  19  a. 


14  Zweiter  Abschnitt 


ZWEITER  ABSCHNITT. 
METAPHYSIK. 

I. 

Die  Grundprinzipien. 

1.   Die  drei  Entitäten. 

Nach  der  Lehre  Madhvas  gibt  es  drei  von  Ewigkeit  und  in 
Ewigkeit  bestehende,  von  Grund  aus  von  einander  verschiedene 
Entitäten,  die  durch  ihr  Zusammenwirken  das  Weltgeschehen  be- 
dingen^).    Diese  drei  Entitäten  sind: 

1)  Der  persönliche,  allgegenwärtige  Grott  Visnu,  der  die 
W^elt  und  alles  was  in  ihr  ist,  als  absoluter  Herrscher  nach  seinem 
WiUen  lenkt. 

2)  Die  unendKche  Vielheit  der  individuellen  Seelen  (jiva), 
die  potentiell  höchstes  Wissen  und  vollkommene  Seligkeit  besitzen, 
infolge  ihrer  anfanglosen  Verbindung  mit  einem  materiellen  Leibe 
jedoch  so  lange  in  Unwissenheit  verharren  und  dem  Leid  immer 
neuer  Daseinsformen  unterworfen  sind,  bis  bei  ihnen  ihre  latenten 
Eigenschaften  aktuell  und  sie  dadurch  von  dem  Wirrsal  des  Welt- 
treibens erlöst  werden. 

3)  Die  Menge  der  materiellen  Produkte,  welche  die 
Leiber  und  Organe  der  jivas  und  alle  Gregenstände  der  unbelebten 
Welt  bilden  und  die  sämtlich  in  bestimmter  gesetzmäßiger  Weise 
periodisch  aus  der  einen  Urmaterie  (prakrti)  entstehen  und  wieder 
in  sie  zurückgebildet  werden. 

2.   Die  fünf  Unterschiede  (pancabheda). 

Die  absolute  Verschiedenheit  dieser  Entitäten  untereinander 
wird  zusammengefaßt  in  der  Formel  von  den  fünf  Unterschieden. 
Nach  Madhva  sind  real  und  ewig  die  folgenden  Unterschiede: 

1)  Der  Unterschied  von  Gott  und  Einzelseelen. 

2)  Der  Unterschied  von  Gott  und  den  leblosen  Dingen. 

3)  Der  Unterschied  der  Seelen  voneinander. 

4)  Der  Unterschied  der  Seelen  von  den  leblosen  Dingen. 

5)  Der  Unterschied  der  leblosen  Dinge  voneinander. 


1)  trisargah  (Bhag  P.  I,  1,  2)  =  jivesrarajadänaip  sargah. 


Metaphysik  15 

Die  Lehre  von  diesen  fünf  Unterschieden  ist  die  Grundlage  von 
Madhvas  Weltanschauung ;  ihre  Kenntnis  ist  die  Vorbedingung  für 
das  Erreichen  des  überirdischen  Heils  ^). 

Die  Tatsächlichkeit  der  meisten  dieser  Unterschiede  folgt  für 
Madhva  aus  ihrem  empirischen  Vorhandensein  in  der  von  ihm  als 
real  angenommenen  Welt  und  bedarf  deshalb  keiner  ausführlichen 
Begründung.  Die  Unmöglichkeit  einer  Welterklärung  lediglich 
aus  V^eränderungen  der  Materie  und  ohne  Zuhilfenahme  geistiger 
Wesenheiten  ergibt  sich  ihm  aus  der  Erfahrungstatsache,  daß  un- 
belebte Dinge  nicht  von  sich  aus  eine  Tätigkeit  entfalten  können, 
sondern  des  Anstoßes  durch  etwas  Belebtes  bedürfen;  aus  einem 
abseits  zu  Boden  liegenden  Reiskorn  schließt  man  auf  eine  Ameise, 
die  es  dorthin  gebracht  hat  (z.  Chä  Up  VII,  4  f.).  Die  Unter- 
schiede vom  zweiten  bis  zum  fünften  waren  für  jeden,  der  auf 
dem  Boden  einer  realistischen  Weltanschauung  stand  und  der  die 
Veden  als  die  Vermittler  aller  ewigen  Wahrheiten  anerkannte, 
so  selbstverständlich,  so  einleuchtend,  daß  es  unnötig  gewesen 
wäre,  sie  in  vorzugsweise  religiös  -  orientierten  Büchern  zu  be- 
handeln. Anders  stand  es  mit  der  Lehre  von  dem  Unterschied 
zwischen  Gott  und  Einzelseelen.  Hier  hatte  der  große  Samkara 
mit  dem  ganzen  Rüstzeug  seiner  vedischen  Schriftgelehrsamkeit 
und  seines  metaphysischen  Scharfsinns  Lehren  aufgestellt,  die  in 
den  weitesten  Kreisen  der  philosophisch  denkenden  Inder  ein  Echo 
gefunden  hatten.  Die  religiöse  Kernfrage  aller  Zeiten  „Wie  ver- 
hält sich  die  Seele  zu  Gott"  mußte  Madhva  deshalb  ausführlich 
erörtern,  um  hier  seinen  abweichenden  Standpunkt  klarzustellen 
und  gegenüber  dem  „Irrglauben"  seines  großen  Gegners  als  allein 
richtig  und  schriftgemäß  zu  erweisen. 

Bevor  wir  daher  zu  einer  Darstellung  der  metaphysischen 
Lehren  Madhvas  übergehen,  wollen  wir  kurz  zusammenfassend 
seine  Ansichten  über  die  fundamentale  Verschiedenheit  von  Gott 
und  Seelen  darlegen,  denn  diese  sind  für  sein  System  von  so 
grundlegender  Bedeutung,  daß  es  nach  ihr  „dvaita-mata",  die  An- 
sicht vom  Dualismus  von  Gott  und  Seele,  genannt  wird. 


1)  „jivesvara-bhidä  caiva  jadesvara-bhidä  tathä  |  jiva-bhedo  mithas  caiva 
jada-jiva-bhidä  tathä  |  mithas  ca  jada-bhedo'  yaiii  prapanco  bheda-pancakah  |  so 
'yaip  satyo  hy  anädis  ca  sädis  cen  näsam  äpnuyät  |  „dvaitaiji  na  vidyata"  iti 
tasmäd  ajnäninäip  matam".  Anuvy  p.  17a.  Vergl.  zu  Chä  Up  II,  21  (p.  IIb) 
und  Mbhtp  I  69  ff.,  sowie  Sarvadarsanasaingraha,  p.  55. 


16  Zweiter  Abschnitt 

3.   Die  Dvaita-Lehre. 

Die  Realität  der  Außenwelt  ist  für  Madhva  eine  Tatsache, 
deren  Richtigkeit  sich  schon  daraus  ergibt,  daß  sie  kein  unver- 
bildeter Geist  bezweifelt.  Sie  ist  jedem  evident,  weil  jeder  in 
seinem  praktischen  Verhalten  mit  dem  Vorhandensein  einer  Außen- 
welt rechnet.  Da  jedoch  die  Erkenntnislehre  der  Buddhisten  und 
Mäyävädins  diesen  allen  Wesen  angeborenen  naiven  Realismus  be- 
kämpft und  scharfsinnige  Grründe  dafür  vorgebracht  hat,  daß  die 
Vielheit  der  Weltausbreitung  nur  Schein  sei,  sieht  er  sich  genö- 
tigt, die  Anschauungen  der  idealistisch  orientierten  Systeme  zu 
bekämpfen.  Er  tut  dies  in  fast  allen  seinen  Schriften  mit  größerer 
oder  geringerer  Ausführlichkeit  ^).  Eine  umfassende  Wiedergabe 
seiner  Beweisführung  würde  weit  über  den  Rahmen  dieser  Arbeit 
hinausgehen,  da  sie  auch  die  Erörterungen  der  Gregner  bis  ins 
Einzelnste  darzustellen  hätte.  Ich  begnüge  mich  daher  an  dieser 
Stelle  damit,  die  Hauptargumente  Madhvas  kurz  zusammenzufassen, 
wobei  ich  die  aus  dem  Bereich  der  Sinneswahrnehmung,  der 
Schlußfolgerung  und  der  Überlieferung  entnommenen  Beweise  der 
Reihe  nach  vorführe. 

Wäre  die  Außenwelt  nur  ein  Schein  oder  nichts  anderes  als 
eine  Fülle  von  Perzeptionen,  die,  in  jedem  Moment  miteinander 
wechselnd,  ins  Bewußtsein  kommen  und  wieder  aus  ihm  ver- 
schwinden, ohne  daß  ihnen  ein  adäquates  Reales  außerhalb  des 
Denkens  entspräche,  so  würde  es  unmöglich  sein,  längere  Zeit 
hindurch  dasselbe  wahrzunehmen  und  etwas  einmal  Gesehenes  nach 
Verlauf  einiger  Zeit  wiederzuerkennen.  Gerade  die  Tatsache,  daß 
ein  Wesen  oder  Ding  uns  unter  gegebenen  Voraussetzungen  immer 
aufs  neue  entgegentritt,  zwingt  zu  der  Annahme,  daß  ihm  Realität 
zukommt ;  die  Nötigung,  die  wir  empfinden,  etwas,  was  wir  heute 
erblickt  haben,  für  identisch  zu  halten  mit  dem,  was  wir  vorher 
wahrnahmen,  beruht  nicht  auf  einer  bloßen  Ähnlichkeit  (sädräya) 
unserer  Perzeptionen,  und  ist  nicht  ein  Irrtum  (bhränti).  Jeder 
vollsinnige  Mensch  weiß  genau  zu  scheiden  zwischen  seinem  Ich 
und  der  Außenwelt;  er  verwechselt  sein  Selbst  (ätman)  nicht  mit 
dem  eines  anderen  oder  mit  etwas,  was  nicht  sein  ätman  ist,  er 
hält  es  auch  nicht  für  doppelt,  wie  der  Augenkranke  den  Mond, 
sondern  er  nimmt  es  als  ein  Einzelwesen  wahr  und  erweist  durch 
sein  ganzes  praktisches  Verhalten,  daß  er  die  Kluft  (bheda),  die 
ihn  von  allen  änderen  Wesen  trennt,  für  wirklich  hält. 


1)  Vornehmlich   der  Begründung  der  Dvaita-Lehre   gewidmet   sind:   Visnu- 
tattvanirpaya,    Tattvödyota,  Mäyävädakharidana,  Upädhikharidana,   Karmanirriaya. 


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Daß  die  Sinneswahmelunung  uns  mitunter  tänscht,  ist  kein 
Argument  dafür,  daß  alles,  was  wir  durch  sie  gewinnen,  trügerisch 
ist.  Daß  der  Mond  uns  nur  eine  Spanne  groß  erscheint,  oder  daß 
ein  Baum  in  der  Feme  kleiner  aussieht  als  in  der  Nähe,  rührt 
lediglich  von  der  begrenzten  Fähigkeit  der  Sinne  her,  erbringt 
aber  nicht  den  Beweis,  daß  alles  "Wahrgenommene  Schein  ist. 
Wenn  man  einen  Strick  für  eine  Schlange  oder  Perlmutter  für 
Silber  hält,  so  hält  man  nicht  etwas  Irreales  für  etwas  Seiendes, 
sondern  verwechselt  etwas  tatsächlich  Vorhandenes  mit  etwas,  das 
nicht  da  ist,  das  aber  an  sich  doch  auch  real  ist,  nicht  unwirklich 
wie  ein  Hasenhorn  oder  etwas  ähnliches.  Der  Irrtum,  dem  man 
hierbei  unterliegt,  beruht  nicht  allein  auf  einer  falschen  Schluß- 
folgerung ,  sondern  auch  auf  falscher  "Wahrnehmung,  die  durch 
einen  Fehler  im  Auge,  durch  schlechte  Beleuchtung  u.  ä.  hervor- 
gerufen wird.  Wenn  die  Wahrnehmung  einer  niehtrealen  Vielheit 
damit  verglichen  wird,  daß  der  an  sich  nicht  blaue  Himmelsraum 
von  uns  blau  gesehen  wird,  so  hinkt  dieser  Vergleich.  Denn  die 
falsche  Vorstellung,  daß  der  Himmel  blau  ist,  hat  zur  Voraussetzung, 
daß  die  blaue  Farbe  als  solche  an  anderen  Objekten  wahrgenommen 
wurde,  beruht  also  auf  einem  falschen  Analogieschluß.  Ebenso 
kann  man  auch  aus  der  häufig  anzutreffenden  Tatsache,  daß  zwei 
verschiedenartige  Dinge  (z.B.  Wasser  und  Milch,  wenn  sie  mit- 
einander vermischt  sind)  nicht  auseinanderzuhalten  sind,  unmög- 
lich darauf  schließen,  daß  die  Verschiedenheit  der  Dinge  an  sich 
nicht  vorhanden  ist,  sondern  nur,  daß  der  Erkenner  auf  Grrund 
von  unzureichenden  Daten  oder  individuellen  Unzulänglichkeiten 
zu  falschen  "Urteilen  veranlaßt  wurde.  Ungereimt  ist  es  femer, 
wenn  man  die  irdischen  Dinge  deshalb,  weil  sie  unbeständig  und 
vergänglich  sind,  als  Phantasmagorien  ohne  realen  Kern  ansieht; 
jedes  aus  Materie  gebildete  Einzelding  ist  nur  insofern  der  Ver- 
nichtung unterworfen,  als  | seine  Form  keinen  dauernden  Bestand 
hat ;  der  Stoff  aber,  aus  dem  es  zusammengesetzt  ist,  verliert  durch 
eine  Zerstörung  der  Form  nichts  von  seiner  Existenz,  sondern 
nimmt  eine  andere  Gestalt  an.  So  ist  auch  das  ganze  Weltall  in 
einer  unaufhörlichen  Veränderung  begriffen,  darum  aber  nicht  un- 
wirklich, und  nur  des  Vergleiches  wegen,  wird  gelegentlich  gesagt, 
die  Welt  sei  unwirklich  wie  ein  Traum  ^).  Denn  die  Wahrneh- 
mung der  Außendinge  im  Wachzustand  kann  nicht  mit  derjenigen 


1)  „sainsärastham  idaip  sarvam  anityatväd  vrthä  yatah  \  atah  prähuh  svapna- 
samam   präjnä   jagad   idam  mrsä"   iti  Vispusamhitäyäin   (z.  Bhäg  P.  IV,  29,  83; 
p.  56  a). 
V.  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie.  2 


18  Zweiter  Abschnitt 

der  Objekte  des  Traumes  auf  eine  Stufe  gestellt  werden.  Aus 
dem  Traume  erwacht  man  und  ist  sich  dessen  bewußt,  ein  Traum- 
bild, nicht  aber  eine  wirkliche  Schlange  usw.  gesehen  zu  haben, 
während  man  den  Objekten  der  wachen  Sinnes  Wahrnehmung  tat- 
sächliches Vorhandensein  zuschreibt.  Würde  das  Weltleben  einem 
Traum  gleichen,  so  müßten  alle  Handlungen,  die  man  vornimmt, 
ebenso  wirkungslos  sein,  wie  es  die  Traumhandlungen  sind,  und 
es  wäre  daher  unsinnig,  die  Übeltaten,  die  jemand  begangen  hat, 
zu  bestrafen.  Zudem  beweist  auch  der  Traum  in  gewissem  Sinne 
das  tatsächliche  Vorhandensein  der  Vielheit,  denn  das,  was  man 
im  Traum  wahrnimmt,  sind  Vorstellungen  (väsanä)  von  Dingen, 
die  in  der  Welt  Realität  haben;  den  väsanäs  selbst  aber  kommt 
auch  Wirklichkeit  zu,  insofern  als  sie  von  Grott  in  der  Seele  ge- 
wirkt werden. 

Was  nun  aber  schließlich  die  Theorie  von  der  absoluten  und 
der  konventionellen  Wahrheit  betrifft^),  so  ermangelt  sie  jeder 
empirischen  Bestätigung.  Wenn  alle  Vielheit  nur  eine  Illusion 
wäre,  die  durch  eine  höhere  Erkenntnis  aufgehoben  werden  kann, 
so  würde  irgend  jemand  dies  doch  an  sich  einmal  erfahren  haben; 
es  gab,  gibt  und  wird  aber  niemals  einen  geben,  der  die  angeblich 
nur  konventionelle  (vyavahärika)  Verschiedenheit  der  Außendinge 
als  nicht-existent  wahrnimmt. 

Die  Advaita-Lehre  steht,  wie  aus  dem  Gresagten  ersichtlich 
ist,  im  Widerspruch  zu  der  Erfahrung;  in  ihren  logischen  Konse- 
quenzen aber  führt  sie  geradezu  zu  Ergebnissen,  die  zu  allen 
Lehren  der  Religion  und  Moral  im  Gegensatz  stehen.  Ist  alles 
Schein,  Gott  aber  mit  der  Welt  identisch,  wie  die  Theopanisten 
wollen,  so  müßte  er  ja  auch  Schein  sein;  wenn  man  mit  dem  Illu- 
sionismus Ernst  macht,  dann  kann  man  auch  nicht  beim'  ätman 
stehen  bleiben,  sondern  muß  auch  diesen  für  unreal  erklären.  Aber 
auch  wenn  man  diese  extremen  Folgerungen  nicht  zieht,  ergeben 
sich  Schwierigkeiten.  Ist  die  Verschiedenheit  von  Gott  und  Seelen 
nur  eine  scheinbare,  so  ist  jedes  Wesen  schon  ein  erlöstes;  es  wäre 
also  sinnlos,  sich  überhaupt  um  die  Erlösung  zu  bemühen,  da  ja 
ein  Unterschied  zwischen  dem  Erlösten  und  Unerlösten  nicht  be- 
steht. Die  ganze  auf  Belehrung  verwendete  Zeit  wäre  außerdem 
verschwendet,  denn  Lehrer  sowohl  wie  Schüler  sind  ja  nur  Schein. 
Der  Veda  müßte  dann  auch  unreal  sein  und  würde  somit  jede  Be- 


1)  Die  Lehre  von  der  „höheren"  und  „niederen"  Wahrheit  findet  sich  in 
Sankaras  Vedänta  und  im  Mahäyäna  -  Buddhismus ;  vergl.  „Hinduismus"  S.  171, 
270,  308,  461. 


Metaphysik  19 

weiskraft  verlieren ;  mit  dem  Augenblick  aber,  wo  auch  die  Heilige 
Schrift,  auf  welche  die  Mäyävädins  ihre  Lehren  stützen,  für  illu- 
sorisch erklärt  wird,  verliert  die  ganze  Theorie  ihre  Begründung. 
Wenn  alles  unwirklich  ist,  dann  muß  sie  es  auch  selbst  sein;  der 
Mäyäväda  hebt  sich  also  selber  auf  (vergl.  Anuvy  40  a). 

Der  akosmistische  Theopanismus  schlägt  zudem  allen  Forde- 
rungen des  religiösen  Bewußtseins  in's  Gresicht.  Wenn  der  bheda 
zwischen  Grott  und  Seelen  nur  durch  Nichtwissen  hervorgerufen 
ist,  Grott  aber  vom  Nichtwissen  frei  ist,  so  müßte  er  sich  logischer 
Weise  seiner  Identität  mit  dem  samsärins  bewußt  seiu  und  somit 
auch  Leid  empfinden.  Jedoch  auch,  wenn  man  diesen  radikalen 
Schluß  nicht  anerkennt,  bleibt  doch  jedenfalls  soviel  bestehen,  daß 
Gott  als  jlva  mit  Unwissenheit  behaftet  ist  und  Leid  erduldet. 
Was  für  eine  Blasphemie  liegt  nicht  in  dieser  Vorstellung! 

„Diejenigen,  welche  glauben,  mit  dem  ewig- wissenden  Grott 
identisch  zu  sein,  die  erniedrigen  Visnu  dadurch;  sie  erklären  ihn 
dadurch  für  unwissend  und  dem  Leid  unterworfen,  wie  sie  selbst 
unwissend  und  unglücklich  sind.  Wer  Grott  Eigenschaften  zuschreibt, 
die  er  nicht  hat,  welche  Sünde  wird  von  dem  nicht  begangen?  er 
ist  ein  Dieb,  der  der  Gottheit  ihren  Glanz  stiehlt!  Die  Toren, 
die  von  einem  Ätman  sprechen,  haben  die  Heilige  Schrift  falsch 
verstanden.  Von  Begierde  und  Zorn  überwältigt,  dem  Stolz  Unter- 
tan, sind  sie  Diebe  an  Brahman,  und  deshalb  freudlos,  unreifen 
Sinnes,  unselig.  Den  rechten  Inhalt  der  Heiligen  Schrift  nicht 
kennend,  werden  sie  zu  Frevlern  am  Veda.  Sie  sehen  an  Gott 
eine  Mangelhaftigkeit  und  erlangen  deshalb  selbst  keine  Vorzüge. 
Finster  wie  sie  selbst  sind,  nehmen  sie  zur  Finsternis  ihre  Zuflucht. 
Gott  ist  seiner  Natur,  seiner  Art,  seinem  Wesen  nach  und  der 
Schrift  zufolge  vom  jiva  verschieden;  wie  kann  man  da  sagen 
„Ich  bin  er?"i). 

Nun  sagen  die  Advaitins  allerdings,  das  brahman  und  der  jlva 
wären  nur  für  die  parä  vidyä  identisch,  für  die  aparä  vidyä  aber 
verschieden;  auf  dem  niedern  Standpunkt,  solange  Mäyä  herrsche, 
dürften  sie  nicht  miteinander  ohne  weiteres  gleichgesetzt  werden. 
Was  ist  aber  Mäyä?  Nach  der  Meinung  der  Illusionisten  etwas, 
das  zwischen  dem  Seienden  und  Nichtseienden  hin  und  herschwankt. 
Die  Theorie,  daß  es  etwas  gäbe,  daß  weder  ist,  noch  nicht  ist,  ist 
aber  ganz  abwegig,  da  sie  mit  der  Erfahrung  in  Widerspruch 
steht.  Es  bleibt  daher  nur  die  Möglichkeit,  entweder  Mäyä  für 
etwas  Seiendes  oder  für  etwas  Nichtseiendes  zu  erklären.   Kommt 


1)  z.  Chä  Up  VI,  16  vergl.  Brh.  Up  I,  5, 11  p.  IIb. 

2* 


20  Zweiter  Abschnitt 

der  Mäyä  Sein  zu,  so  ist  dadurch  erwiesen,  daß  die  Lehre  der 
Advaitins,  daß  es  nur  das  all-eine  brahman  gäbe,  falsch  ist,  denn 
außer  diesem  ist  eben  noch  Mäyä.  Ist  hingegen  Mäyä  nicht,  so 
ist  der  ganze  Mäyäväda  überhaupt  gegenstandslos,  weil  er  sich 
mit  etwas  befaßt,  das  gamicht  existiert. 

"Wenn  man  weiterhin  annimmt,  daß  Gott  und  Einzelseele  eines 
sind  und  Grott  Wissen  von  sich  selbst  (svajnäna)  besitzt,  dann  ist 
es  ungereimt  zu  behaupten,  daß  nur  der  jlva,  der  seinem  Wesen 
nach  mit  Grott  identisch  ist,  unwissend  ist.  Denn  wenn  der  jiva 
infolge  der  upädhis  die  Vorstellung,  von  Gott  verschieden  zu  sein, 
erhält,  so  müßten  die  upädhis  auch  Gott  affizieren,  so  daß  alle  beide 
gleiches  Nichtwissen  besäßen.  Sie  würden  alle  beide  an  den  durch 
upädhis  bedingten  Fehlern  teilhaben,  weil  die  Verbindung  mit  den 
upädhis  bei  beiden  die  gleiche  ist.  Nun  sagt  man :  die  Verbindung 
mit  den  upädhis  ist  nötig,  um  zu  erkennen,  daß  bei  „diesem"  die 
speziellen  Eigenschaften  anders  sind  als  bei  ;, jenem".  Aber  die 
(primäre)  Verschiedenheit  „dieser"  „jener"  hat  keine  upädhis  zur 
Voraussetzung,  sondern  ist  an  sich  (svatah)  gegeben.  Nur  an  et- 
was, das  an  sich  schon  verschieden  ist,  wird  durch  upädhis  ein 
Unterschied  hervorgebracht;  etwas,  das  an  sich  verschieden  ist, 
wie  Räume  usw.,  an  dem  kann  die  Verschiedenheit  durch  upädhis 
für  Unwissende  erkennbar  werden;  upädhis  können  aber  nimmer- 
mehr Unterschiede  schaifen  in  etwas,  das  identisch  ist.  (z.  Chä  Up 
II,  14—21  p.  10  b). 

Eine  andere  Schwierigkeit  der  upädhi- Theorie  ist  diese:  be- 
trifft der  upädhi  das  ganze  brahman  oder  nur  Teile  desselben? 
Wenn  nur  Teile  des  Allwesens,  so  muß  dieses  Teile  besitzen,  ist 
darum  veränderlich  und  folglich  nicht-ewig,  also  kein  unvergäng- 
liches Absolutum.  Betrifft  der  upädhi  aber  das  brahman  in  seiner 
Totalität,  so  würde  die  Aufhebung  desselben  bei  einem  Einzel- 
wesen gar  keinen  Effekt  haben  und  der  samsära  wäre  ein  natur- 
gemäßer Dauerzustand  und  eine  Erlösung  überhaupt  unmöglich. 
( Visnut attva  p.  17  a). 

Fragt  man  nun  weiter,  wie  beschaffen  das  Absolute  sei,  das 
in  allen  Erscheinungen  sich  manifestieren  soll,  so  sagen  die  Advai- 
tins, es  wäre  ein*  „anirvacaniya",  etwas  das  man  mit  Worten 
nicht  ausdrücken  könne ,  es  sei  nirguna,  nirvisesa  „qualitätslos, 
unterschiedslos".  Wie  will  man  aber  die  Existenz  von  etwas  der- 
artigen beweisen,  wenn  man  selbst  zugibt,  daß  es  keine  Merkmale 
besitzt,  die  es  deutlich  von  etwas  anderem  scheiden?  Etwas  vöUig 
eigenschaftsloses  ist  eine  bloße  Abstraktion;  es  existiert  in  Ge- 
danken, aber  nicht  in  Wirklichkeit,  wie  ein  Hasenhorn.   Die  ganze 


Metaphysik  21 

Heilige  Schrift  spricht  zudem  überall  und  immerzu  von  den  Eigen- 
schaften Gottes,  davon  daß  er  reiner  Q-eist  sei,  daß  ihm  Wonne 
eigen  sei  usw.  Die  Auffassung  der  Advaitins,  daß  mit  diesen  Prä- 
dikaten nur  gesagt  werden  solle,  Grott  sei  nicht  materiell,  nicht 
dem  Leid  unterworfen  und  so  fort,  ist  künstlich  und  führt  außer- 
dem zu  nichts,  denn  die  Negation  eines  Negativums  ist  selbst  ein 
Positivum. 

Deutlich  tritt  die  Unhaltbar keit  der  Advaita  -  Theorie  in  die 
Erscheinung,  wenn  man  ihren  Gredankengängen  im  einzelnen  auf 
den  Grrund  geht.  In  Gott  soll  Wissen  (jnäna)  vorhanden  sein,  ein 
Objekt  des  Wissens  (jneya)  ist  aber  nicht  vorhanden;  ein  Zu- 
sammenfallen von  Erkenner,  Erkenntnis  und  zu  Erkennendem  ist 
jedoch  praktisch  unmöglich^). 

Wenn  im  brahman  keine  mit  Worten  ausdrückbaren  Kenn- 
zeichen sind,  dann  ist  es  überhaupt  durch  Belehrung  nicht  zu  er- 
reichen, dann  ist  es  unausdrückbar  und  unerkennbar,  dann  ist  es 
„leer"  (sünya);  wenn  ein  Erkenner  und  ein  zu  Erkennendes  nicht 
vorhanden  ist,  dann  ist  auch  die  Erkenntnis  „leer".  Damit  aber 
erweist  sich,  daß  die  Advaita-Lehre  im  letzten  Grunde  überein- 
stimmt mit  dem  Buddhismus:  das  letzte  Prinzip  beider,  das  brah- 
man und  das  sünya  sind  eins,  wie  auch  die  Theorie,  durch  welche 
beide  Systeme  die  Vielheit  der  Welt  der  Erfahrung  und  die  Ein- 
heit des  Absoluten  miteinander  zu  vereinigen  streben,  —  die  Lehre 
von  der  doppelten  Wahrheit  —  die  nämliche  ist.  Damit  aber  ist 
erwiesen,  daß  der  Mäyäväda  nur  ein  verschleierter  Buddhismus 
ist  ^).  Wie  dieser  steht  er  im  Widerspruch  mit  der  Heiligen  Schrift, 
mag  er  auch  versuchen,  seine  falschen  Lehren  aus  den  Veda  heraus- 
zulesen. 

Veda  und  heilige  Überlieferung  stimmen  nach  Madhva  darin 
überein,  daß  sie  die  Welt  für  real  erklären  und  den  bheda  zwischen 
Gott  und  Einzelseele  als  einen  wirklich  vorhandenen  lehren.    Isä- 


1)  Anuvy  p.  61a,  Visnutattva  p.  17  b. 

2)  „yac  chünya-vädinah  sunyam  tad  eva  brahma  mäyinah"  (Anuvy  p.  31a) 
ist  das  Endurteil,  zu  dem  Madhva  auf  Grund  eines  Vergleichs  der  Mahäyäna-  und 
Advaita-Lehre  gelangt,  „na  ca  sünya-vädinah  sakäsäd  vailaksanyaiji  mäyä-vädi- 
nah  I  vyävahärika-sattvasya  tenäpy  angikriyamänatvät"  führt  Madhva  Tattvödyota 
p.  3  a  aus,  indem  er  Zitate  aus  der  Mahäyäna-Literatur  mit  den  Lehren  der  Mä- 
yävädins  vergleicht.  Vergl.  auch  Visnutattva  p.  17  b,  Brh  Up  p.  49  b  und  Madhva- 
vijaya  I,  50  f:  „avaidikam  mädhyamikam  nirastaip  niriksya  tat  -  paksa  -  supaksa- 
päti  I  tarn  eva  paksarp  pratipädiko'  sau  nyarürupan  märgam  ihänurüpam  ||  asat- 
pade'  san  sad-asad-viviktaip  mäyäkhyayä  saqivrttim  abhyadhatta  |  brahmäpy  akhan- 
daip  bata  sünya-siddhyai  pracchanna-bauddho'  yam  atah  prasiddhah". 


22  Zweiter  Abschnitt 

väsya  Up  8  sagt,  Grott  habe  die  Dinge  je  nach  ihrer  Art  für  ewige 
Zeiten  geschaffen,  Chä  Up  VIII  zeigt,  daß  die  Mäyä-Lehre,  der 
der  Dämon  Virocana  anhängt,  falsch  ist.  Nach  BhGr  XVI,  8  glauben 
nnr  Asuras,  die  Welt  sei  unreal  (asatya).  In  B.  S.  II,  2,  29 1)  wird 
dargetan,  die  Welt  sei  nicht  unreal  wie  ein  Traum.  Die  Puränas 
und  Ägamas  sind  derselben  Ansicht.  So  kann,  wie  Madhva  glaubt, 
kein  Zweifel  daran  herrschen,  daß  alle  autoritativen  Schriften  die 
Dvaita-Lehre  verkünden. 

Der  Umstand  freilich,  daß  andere  Kommentatoren  die  monisti- 
schen Theorien  aus  den  Texten  der  Ofienbarung  und  der  Überlie- 
ferung herausgelesen  haben,  zeigt,  daß  es  notwendig  ist,  in  den 
Sinn  jeder  Schriftstelle  tief  einzudringen.  In  seinen  umfangreichen 
Kommentaren  zu  den  Upanisaden,  zur  BhGr,  zum  BhägP.  versucht 
Madhva  diese  seine  Überzeugung  zu  beweisen.  Im  Folgenden  sei 
nur  an  ein  paar  berühmten  Schriftworten  gezeigt,  wie  er  sie  dua- 
listisch auslegt. 

Wenn  Gott  als  das  „ekam  eva  advitiyam",  das  Eine  ohne  ein 
Zweites  charakterisiert  wird,  soll  damit  nur  gesagt  werden,  daß 
Grott  1)  frei  ist  von  jedwedem  Unterschied  innerhalb  seiner  selbst 
(svagata-bheda-varjita),  d,  h.  daß  sich  nicht  ein  Teil  von  ihm  zur 
Welt  entfaltet  hat  und  ein  Teil  Gott  geblieben  ist,  (wie  einige 
Vaisnavas  glauben)  und  2)  daß  ihm  nichts  Gleichartiges  zur  Seite 
gestellt  werden  kann  (sajätiya-bheda-varjita).  Gott  ist  hingegen 
nicht  frei  von  dem  vijätiya-bheda,  dem  Unterschied,  der  zwischen 
heterogenen  Dingen  (z.  B.  zwischen  einem  Baum  und  einem  Stein) 
besteht.  Das  ergibt  sich  klar  aus  Chä  Up  VI,  1,  2,  wo  Uddälaka 
fragt:  „Was  ist  das,  durch  welches  das  Nichtgehörte  gehört  wird 
etc."  und  so  die  Existenz  von  etwas  anderem  außer  Gott  voraus- 
setzt. Gäbe  es  überhaupt  nichts  außer  Gott,  so  wäre  die  Kenntnis 
eines  jeden  Dinges  die  Kenntnis  Gottes,  das  Nichtwissen  wäre  mit 
dem  Wissen  identisch  und  es  gäbe  keinen  Unterschied  zwischen 
Trug  (mithyä)  und  Wahrheit  (satya).  Dann  müßte  der  (von  den 
Illusionisten  als  Trug  bezeichnete)  Unterschied  von  Gott  und  Welt 
auch  wahr  sein,  und  die  Behauptung,  daß  Gott  die  einzige  Realität 
sei,  ist  demnach  nach  den  eigenen  Prinzipien  der  Advaitins  falsch 
(z.  Chä  Up  VI,  2).  Wenn  Gott  also  auch  nicht  frei  von  vijätiya- 
bheda  ist,  insofern,  als  es  außer  ihm  noch  andre  Realitäten  gibt, 
so  kann  er  dennoch  in  dem  Sinne  als  vijätiya-bheda-varjita  be- 
zeichnet werden,  als  es  wenigstens  nichts  gibt,  das  größer  ist  als  er. 

Die  bekannten  Vergleiche  von  dem  Tonklumpen,  dem  kupfernen 


1)  „vaidharmyäc  ca  na  svapnädivat". 


Metaphysik  23 

Knopf  und  der  Nagelschere  sollen  Visnus  Verhältnis  zur  Welt 
folgendermaßen  klarstellen:  „Wie  durch  die  Erkenntnis  des  Ton- 
klumpens, allein  infolge  der  Ähnlichkeit,  die  aus  Ton  bestehenden 
Dinge  erkannt  werden,  so  wird  aus  der  Ähnlichkeit  mit  Visnu 
auch  die  Welt  als  real  erkannt.  So  wie  durch  die  Kenntnis  des 
Goldes  alles  aus  [anderem]  Metall  Bestehende  als  geringwertiger 
als  Grold  erkannt  wird,  so  wird  durch  die  Erkenntnis  Visnus,  weil 
er  allem  überlegen  ist,  immerdar  die  Welt  als  ihm  unterlegen,  er- 
kannt. Wenn  etwas,  das  sehr  klein  ist,  erkannt  worden  ist,  so 
kann  man  dadurch  vermöge  der  Ähnlichkeit  etwas  ihm  ähnliches 
Großes  erkennen,  so  wie  durch  eine  Nagelschere  alles  aus  Eisen 
bestehende  erkannt  wird;  um  wieviel  mehr  muß  man  dann  nicht, 
wenn  man  den  großen  Visnu  erkannt  hat,  die  im  Vergleich  zu 
ihm  so  kleine  Welt  erkennen  können.  Wenn  man  das,  was  von 
nichts  abhängig  ist,  erkannt  hat,  dann  ist  auch  das  von  ihm  ab- 
hängige erkannt,  so  wie  durch  die  Kenntnis  der  ewigen  Sanskrit- 
Worte  „mrd,  ayas,  loha"  die  aus  diesen  abgeleiteten  Wörter  der 
Konventionssprache  (sämketika)  erkannt  sind"  ^). 

In  ähnlicher  Weise  wie  hier,  findet  Madhva  auch  überall  dort 
einen  deutlichen  Dualismus,  wo  Sankara  einen  klaren  Monismus 
sieht.  In  Chä  Up  VI,  9  z.  B.  wird  gesagt:  „Wie  die  Bienen,  o 
Teurer,  den  Honig  herstellen,  indem  sie  die  Säfte  von  mannig- 
fachen Bäumen  sammeln  und  den  Saft  zur  Einheit  zusammen- 
bringen, und  wie  diese  dort  keine  Unterscheidung  besitzen,  so  daß 
sie  sagen  könnten  „Ich  bin  der  Saft  von  diesem  Baum,  ich  bin  der 
Saft  von  jenem  Baum",  so,  o  Teurer,  wissen  alle  diese  Geschöpfe 
nicht,  wenn  sie  mit  dem  Sat  vermischt  sind,  daß  sie  mit  dem  Sat 
vermischt  sind".  Madhva  erklärt  das  folgendermaßen:  „Der  Sohn 
fragte :  „Wenn  in  meinem  Körper  ein  von  mir  selbst  verschiedenes 
höchstes  Wesen  [Vi§nu  als  antaryämin]  sich  befindet,  warum  ist 
es  nicht  sichtbar?"  Der  Vater  antwortete:  „Von  Unwissenden 
wird  es  nicht  gesehen,  aber  trotzdem  besteht  ein  Unterschied 
[zwischen  Visiiu  und  der  Seele],  o  Sohn.  So  wie  die  vereinigten 
Blumensäfte,  obwohl  sie  es  nicht  wissen,  verschieden  sind,  so  sind 
auch  die  Seelen,  auch  wenn  sie  es  nicht  wissen,  von  Visnu  ver- 
schieden". In  ähnlicher  Weise  verfährt  Madhva  auch  bei  den  anderen 
Gleichnissen  des  betr.  Abschnittes.  Das  zu  wiederholten  Malen 
wiederkehrende  „große  Wort" :  „sa  ya  e§o  *nimaitadätmyam  idam 
sarvam  tat  satyam  sa  ätmätattvam  asi"  aber  legt  er  in  einer  von 


1)  Chä  Up  VI  1,  p.  27  b.    Die  Ausführungen  werden  als  Zitate  aus  der  Sä- 
masaiphitä  gegeben. 


24  Zweiter  Abschnitt 

den  Advaitins  so  verschiedenen  Weise  aus,  daß  man,  wenn  man 
beide  Übersetzungen  vergleicht,  kaum  glaubt,  daß  ihnen  derselbe 
Text  zugrunde  liegt.  Sankara  faßt  die  Stelle  so,  daß  das  Feine, 
Reale  des  Brahman  die  allen  Erscheinungen  gemeinsame  Seele  ist 
und  bezeichnet  durch  die  berühmte  Formel  „tat  tvam  asi"  die 
Identität  zwischen  der  Individualseele  des  Svetaketu  und  Grott. 
„Was  diese  feine  Substanz  ist,  aus  der  besteht  dieses  Weltall,  das 
ist  das  Reale,  das  ist  der  ätman,  das  bist  du  (tat  tvam  asi)". 
Madhva  hingegen  kommt  auf  Grund  seiner  Exegese  ^)  zu  der  fol- 
genden Erklärung:  „[Gott  ist]  die  Quintessenz,  der  Lenker,  der 
(von  den  jivas)  erstrebte,  der  nur  durch  subtile  Untersuchung  er- 
kennbare. Dieses  Weltall  ist  unter  seiner  Herrschaft.  Er  durch- 
dringt es,  er  ist  der  Gute,  er  ist  der  Zerstörer,  der  Vollendete. 
Das  bist  du  nicht".  Dieses  letzte  klare  Bekenntnis  zum  Dualis- 
mus erhält  er,  indem  er  die  Worte  sa  ätmätattvam  asi,  die  ent- 
sprechend der  Gepflogenheit  der  Devanägari-Schrift  ohne  Zwischen- 
raum geschrieben  werden,  nicht  wie  üblich  in  ätmä  tat  tvam  asi 
auflöst,  sondern  in  ätmä  atat  tvam  asi.  Dadurch  bekommt  er  das 
für  seine  Auffassung  erforderliche  a  privativum,  wie  man  zugeben 
muß,  in  einer  zwar  gezwungenen,  philologisch  aber  unanfechtbaren 
Weise. 

Auch  das  andere  „große  Wort"  des  Vedänta,  „aham  brah- 
mäsmi"  (nach  der  üblichen  Auffassung:  „ich  bin  Gott")  hat  nach 
Madhva  durchaus  nicht  den  Sinn,  den  ihm  die  monistischen  Er- 
klärer beilegen.  Die  Stelle  (Brh  Up  I,  4, 10)  heißt  in  Deußens  Über- 
setzung : 

„Wahrlich,  diese  Welt  war  am  Anfang  Brahman,  dieses  wußte 
allein  sich  selbst.  Und  es  erkannte  „Ich  bin  Brahman"  (aham 
brahmäsmi)  —  dadurch  ward  es  zu  diesem  Weltall  (sarvam).  Und 
wer  immer  von  den  Göttern  dieses  [durch  die  Erkenntnis:  „Ich 
bin  Brahman'']   inne  ward,    der   ward  eben  zu  demselbigen;    und 


1)  Madhvas  Interpretation  der  einzelnen  Worte  erfolgt  auf  Grund  eines  von 
ihm  am  Schluß  des  Kommentars  zum  VI.  Adhyäya  der  Chä  Up  (p.  35  a)  zitierten 
Verses  aus  der  Sämasainhitä: 

„Säratvät  sa  iti  prokto,  jnänatv<äd  ya  itiritah. 
sarvasyesta  iti  hyesa,  mänänäm  anako'nimä, 
tattantratväd  aitadätmyaqi,  sa  satyah  sädhurüpatah, 
tat  tateh,  pürnatas  cä  t  m  ä ,  sädanäd  s  a  itiritah 
atat  tvam  asi  putreti  ya  ukto  Gautamena  tu 
nava-krtvah  sadrstäntam  sarva-bhedena  Kesavah" 
Zu  VI,  8  (p.  30  a)  sagt  Madhva :  y  o  sau  niyamanäd  Visnuh,  säratvät  s  a  iti  smrtah  | 
a n i m ä  süksmato  gamya,  aitadätmyaip  ca  tadvasaiji |  paränandatvatah  s  a t y  a m, 
ätmä  pürnagunatvatah". 


Metaphysik  25 

ebenso  von  den  Rsis,  und  ebenso  von  den  Menschen.  —  Dieses  er- 
kennend hub  Vämadeva,  der  Rsi,  an  (Rgv.  4,26,1);  „Ich  war 
einst  Manu,  ich  war  einst  die  Sonne".  Und  auch  heutzutage,  wer 
eben  dieses  erkennt:  „Ich  bin  Brahman!",  der  wird  zu  diesem 
Weltall;  und  auch  die  Götter  haben  nicht  Macht,  zu  bewirken, 
daß  er  es  nicht  wird.     Denn  er  ist  die  Seele  (ätman)    derselben". 

Madhva  sucht  (Brh  üp,  p.  9  a)  nachzuweisen,  daß  „aham  brah- 
mäsmi"  hier  nicht  die  gewöhnlich  ihm  zugeschriebene  Bedeutung 
hat;  nach  ihm  ist  vielmehr  aham  =  aheyam  „das  nicht  aufzuge- 
bende, das  nicht  zu  eliminierende,  das  Absolute" ;  brahma  =  pari- 
pürnam,  „das  Volle";  asmi  =  sarvadästiti  meyam  „das  von  dem 
zu  erkennen  ist,  daß  es  immer  ist".  Nach  Madhvas  Auffassung 
erkannte  also  das  Brahman  sich  als  das  allgegenwärtige,  ewig- 
volle und  ewig  bestehende.  Darum  ist  es  immer  vollkommen  (sar- 
vam  =  paripürnam).  Wer  immer  das  Brahman  als  „aham,  brahma 
und  asmi"  erkennt,  der  wird,  so  weit  dies  für  ein  endliches  Wesen 
möglich  ist,  auch  vollkommen,  und  selbst  die  Grötter  können  ihn 
daran  nicht  hindern,  denn  das  Brahman  ist  der  innere  Lenker  von 
ihnen  ^). 

Sogar  einigen  von  denKärikäs  Graudapädas  zur  Mändüka-Upa- 
nisad  versteht  Madhva  einen  dualistischen  Sinn  zu  geben.  Wenn 
es  z.  B.  heißt  „mäyä-mätram  idam  dvaitam",  so  bedeutet  dies 
nicht  „diese  Zweiheit  (von  Gott  und  Seele")  ist  nur  Blendwerk*^ 
sondern  „diese  Zweiheit  wird  (von  Gott)  durch  sein  Wissen  er- 
kannt und  genossen"  ^). 

Verhältnismäßig  geringe  Schwierigkeiten  boten  sich  Madhva 
bei  der  Interpretation  der  Bhagavad-Gitä.  Denn  in  diesem  Werke, 
das  vielleicht  von  allen  heiligen  Schriften  den  Anschauungen  Madh- 
vas in  vieler  Hinsicht  am  nächsten  steht,  lassen  sich  die  Stellen, 
in  denen  davon  gesprochen  wird,  daß  Gott  in  allen  Wesen  ent- 
halten sei,  dahin  auffassen,  daß  Vi§nu  als  antaryämin  alle  Einzel- 
seelen durchdringt,  ohne  doch  mit  ihnen  identisch  zu  sein  (z.  B. 
BhG  XIII  28  f.). 

Im  Bhägavata  -  Puräna,  von  dem  J.  N.  Farquhar  mit  Recht 
sagt,    daß    „its   philosophical  teaching  Stands   nearer  to  Sankara's 


1)  Vgl.  hiermit  die  Erklärungen  von  Brh  Up  V  15  =  Isa  üp  17,  wo  der 
Satz  ,yo'säv  asau  purusah,  so'  ham  asmi"  erklärt  wird;  das  eine  „asau"  ist  Lo- 
cativ  von  asu  (Leben)  und  bedeutet  „prärie  sthitah".  Der  Satz  heißt  also:  „Dieser 
Geist,  der  Väyu  durch  waltet,  der  ist  aham  und  asmi". 

2)  „mäyayä  bhagavat-prajnänena  mäta-ratam  ca  mätram;  bhagavän  jä- 
näti  ramate  cäsmin  bheda  iti"  (nach  dem  Komm,  zu  Chä  Up  II,  14 ff.,  p.  IIb). 
Andere  Erklärungen  Anuvy  p.  17  a;  Visriutattva  p.  14  a;  Mäijd-Üp  p.  6  b. 


M 


26  Zweiter  Abschnitt 

System  than  to  the  theistic  Sämkhya  which  dominates  earlier  Pu- 
ränic  works"  ^)  mußte  Madhva  hingegen  häufig  auf  Ausführungen 
stoßen,  in  denen  alle  Zweiheit  als  Schein  und  Grott  als  das  all- 
eine ens  realissimum  bezeichnet  wird.  Bei  seiner  Auslegung  ver- 
fährt er  zumeist  in  der  Weise,  daß  er  unter  Mäyä  die  Schöpfungs- 
kraft Gottes,  die  prakrti  oder  ähnliches  versteht^),  denn  davon, 
daß  die  Welt  eine  mäyä  ist,  kann  nicht  die  Rede  sein,  weil  Visnu 
durch  seine  Allmacht  ja  alles  Blendwerk  niederschmettern  könnte 
(p.  la).     Wenn  es  z.  B.  I,  2,  30  heißt 

„sa  evedam  sasarjägre  bhagavan  ätmamäyayä 
sadasadrüpayä  cäsau  gunamayyä  'guno  vibhuh" 
so  ist  hier  ätmamäyayä  =  svecchayä,  sadasadrüpayä  =  prakrtyä. 

Wenn  Visnu  XI,  16,9  von  sich  sagt:  „aham  sarväni  bhütäni" 
(ich  bin  alle  Wesen),  so  ist  dies  nur  dahin  zu  erklären,  daß  Grott 
alle  Wesen  schafft,  erhält  und  zerstört,  nicht  aber,  daß  er  mit 
ihnen  identisch  ist^). 

So  gibt  es  für  Madhva  keine  Stelle  in  den  heiligen  Schriften, 
die  nicht  nach  seiner  Auslegung  deutlich  und  klar  den  Dualismus 
lehrt.  Daß  die  Dvaita-Lehre  tatsächlich  die  einzige  richtige  Auf- 
fassung von  Sruti  und  Smrti  bietet,  ergibt  sich  ihm  mit  zwingender 
Gewißheit  aber  vor  allem  daraus,  daß  in  sämtlichen  Texten  immer 
wieder  gefordert  wird,  man  solle  Gott  verehren. 

Verehren  kann  man  aber  nur  jemanden,  der  von  einem  ver- 
schieden ist  und  dem  ein  Vorrang  vor  einem  zukommt.  Ein  Fürst 
z.  B.  kann  von  seinen  Untertanen  verehrt  werden.  Jemanden  aber 
zu  verehren,  der  mit  mir  auf  einer  Stufe  steht,  oder  der  gar  mit 
mir  identisch  ist,  liegt  kein  Grund  vor. 

Wenn  man  nun  Visnu  verehrt,  dann  wird  man  nicht  gut  daran 
tun,  zu  behaupten,  man  sei  ihm  ebenbürtig.  So  wie  ein  König 
diejenigen,  die  sich  die  ihm  allein  gebührende  Stellung  anmaßen, 
bestraft,  die  aber,  die  ihm  dienstbar  sind  und  ihn  preisen,  belohnt, 
so  wird  auch  Visnu  den,  der  behauptet,  mit  ihm  gleich  zu  stehen, 
in  die  blinde  Finsternis  der  Hölle  verstoßen,  den  aber,  der  in 
Demut  seine  eigene  Niedrigkeit  der  Erhabenheit  Gottes  gegen- 
überstellt, seiner  Gnade  teilhaftig  machen.  Wer  daher  in  der 
Absicht,  das  Leid   des  Daseins   zu  enden   und   mit  Gott  vereinigt 


1)  J.  N.  Farquhar  „An  Outline  of  the  Religious  Literature  of  India"  p.  231. 

2)  „mukhyä  mäyä  Harerliaktir,  amukhyä  prakrtir  raatä  |  athämukhyatamä 
caiva  mäyä  hinä  prakirtitä"  Bhäg  Ptp  p.  16a;  „mukhyato  Visnu-saktir  M  mäyä- 
sabdena  bhariyate  |  upacäratas  tu  prakrtir  jivas  caiva  hi  bhanyate"  ib.  22  b. 

3)  „srsti-sthity-ädi-hetutväd  bhütäni  Harir  ucyate  |  na  tu  bhüta-svarüpatvät 
ßa  hi  sarvesvaresvara"  iti  Vastutattve  (Bhäg  Ptp  121  b). 


Metaphysik  27 

zu  werden,  behauptet,  die  Verschiedenheit  von  Gott  und  Seele  sei 
nur  scheinbar  wie  eine  Wüstenspiegelung,  der  verfährt  ebenso 
töricht  wie  einer,  der  eine  große  Banane  essen  will,  statt  dessen 
aber  sich  selbst  in  die  Zunge  beißt. 

IL 

Das  Wesen  Gottes. 

1.    Definition  Gottes. 

Gott  ist  dasjenige  "Wesen,  durch  welches  Schöpfung,  Erhaltung, 
Zerstörung  und  Regierung  der  Welt,  Wissen,  Unwissenheit,  Bin- 
dung und  Erlösung  bewirkt  wird  (z.  B.  S.  I,  1,  2),  das,  was  voll- 
kommen ist  und  anderes  vollkommen  macht  (bmhati  brrnhayati  ca, 
z.  B.  S.  II,  3,  5,  cf.  Atharvasira-Up.  4),  das,  in  welchem  alle  Voll- 
kommenheiten in  höchster  Vollendung  vorhanden  sind  („brhanta 
hy  asmin  gunä"  ity  sruteh,  BS-Nyäyavivarana  I,  1). 

2.    Gottes  Dasein  ist  beweisbar  und  sein  Wesen  erforschbar. 

Aus  der  Tatsache ,  daß  Gott  mit  den  Sinnen  nicht  wahrge- 
nommen wird,  kann  man  nicht,  wie  es  die  Materialisten  tun,  dar- 
auf schließen,  daß  es  keinen  Gott  gibt.  Denn  zahlreiche  Gescheh- 
nisse, die  jedem  alltäglich  gegenübertreten,  wie  die  Samenkraft 
der  Feigenbaumkerne,  die  merkwürdigen  Eigenschaften  des  Magnet- 
und  Sonnen-Steins,  das  Verdampfen  des  Wassers,  das  Aufhören 
aller  Aktivität  bei  einem  Leichnam ,  die  Erinnerung  an  frühere 
Existenzen,  der  allgemein  übliche  Gebrauch,  die  (sinnlich  nicht 
wahrnehmbaren)  Götter  anzurufen,  die  empirische  Tatsache,  daß 
Askese  ihren  Lohn  bringt  u.  a.  m. ')  beweisen,  daß  etwas,  das  sinn- 
lich nicht  wahrgenommen  wird,  darum  nicht  weniger  wirklich  ist. 

Das  Dasein  Gottes  ist  jedoch  nicht  nur  etwas,  das  wahrschein- 
lich, weil  unwiderlegbar  ist,  sondern  etwas,  das  durch  die  Vernunft 
gefordert  wird.  Es  ist  unmöglich  aus  einer  ungeistigen  (acetana) 
Urmaterie  die  Welt  berzuleiten,  wie  die  Sämkhyas  es  tun.  Denn 
erfahrungsgemäß  kann  nur  etwas  Geistiges  aus  sich  selbst  eine 
Tätigkeit  entfalten.  Wenn  dagegen  angeführt  wird,  daß  die  Flüsse 
fließen  und  die  Milch  gerinnt,  ohne  daß  die  Wirkung  einer  Intelli- 
genz dabei  erkennbar  ist,  so  ist  dies  nicht  richtig,  weil  in  der 
Heiligen  Schrift  an  vielen  Stellen,  wie  Brh-Up  III,  8,  9  Rgv  X, 
112,  9  c  u.  a.   ausdrücklich  dargelegt  wird,    daß    ohne  Gott   nichts 


1)  Madhva  zitiert  zu  B.  S.  I,  1,  3  eine  Stelle  aus   dem  Moksadharma  (Mbh 
XII  218,  29.  30).    Man  vergl.  hierzu  auch  BS.  II,  1, 26. 


28  Zweiter  Abschnitt 

geschieht.  Ohne  Einwirkung  Gottes  wäre  jede  Aktivität  der  Ma- 
terie ausgeschlossen  (z.  BS.  II,  2,  1 — 4).  Alle  Systeme ,  welche 
das  Dasein  Gottes  leugnen,  widersprechen  dadurch  der  Sruti,  der 
Smrti  und  der  Vernunft,  und  sind  darum  falsch.  Das  Padma-Pu- 
räna  sagt  hierüber:  „Die  Heilige  Schrift,  die  Tradition  und  die 
Vernunft  verkünden  den  höchsten  Gott ;  keiner  ist  niedriger  als 
der,  welcher  etwas  diesem  widersprechendes  annimmt"  (z.  BS.  II, 
2,  10). 

Über  das  V^esen  und  die  Eigenschaften  Gottes  kann  man 
weder  durch  sinnliche  W^ahrnehmung^  noch  auch  durch  Schlußfol- 
gerung zu  wahren  Erkenntnissen  kommen  (z.  BS.  I,  1,  3).  Das 
einzige  Mittel,  um  über  Gott  etwas  zu  erfahren,  ist  die  Heilige 
Schrift,  denn  „Durch  alle  Veden  bin  ich  zu  erkennen"  sagt  Krs]Qa, 
Bhag.  Gitä  XV,  15  und  in  der  Kath-Up.  11,  15  heißt  es  von  ihm 
„Dessen  Wesen  alle  Veden  verkünden". 

In  der  Heiligen  Schrift  wird  nun  aber  Gott  selbst  an  vielen 
Stellen  als  unerkennbar  und  unerklärbar  dargetan.  So  bezeichnet 
Tait.  Up.  II,  4  Gott  als  das,  „vor  dem  die  Worte  umkehren,  samt 
dem  Denken,  ohne  es  zu  erfassen"  und  Kena-Üp  I,  4  als  das,  „was 
durch  die  Rede  nicht  ausgedrückt  werden  kann".  Gott  ist  also 
außerhalb  des  Bereiches  menschlicher  Worte ;  wie  kann  man  da 
über  ihn  überhaupt  eine  Aussage  machen?  Die  Antwort  gibt  auch 
hier  wieder  die  Schrift,  indem  sie  in  Worten  wie:  „Von  diesem 
höchsten,  erhabenen  jlva  [d.  h.  dem  vierköpfigen  Gott  Brahma]  er- 
hält er  [der  auf  dem  Weg  zur  Erlösung  befindliche  jiva]  Beleh- 
rung über  den  höchsten,  im  Herzen  aller  Seelen  wohnenden  Gott" 
(Prasna  -  Up  V,  5)  Aussagen  über  Gott  für  durchaus  möglich  er- 
klärt. Die  Veda-Stellen,  von  denen  oben  gesprochen  wurde,  sollen 
daher  nicht  besagen,  daß  Gott  überhaupt  unerkennbar  ist,  sondern 
sollen  nur  dartun,  daß  Gott  im  ganzen  Umfange  seines  Wesens 
nicht  erfaßt  werden  kann,  so  wie  auch  weise  Leute,  wenn  sie  den 
Berg  Meru  sehen,  ihn  in  seinem  ganzen  Umfange  nicht  sehen  können, 
(z.  BS.  I,  1,  5). 

3.  Gott  ist  Visnu. 
Wenn  man  nun  die  Heilige  Schrift  über  Gott  befragt,  so  er- 
hält man  nach  Madhva  überall  zur  Antwort:  „Das  Wort  Gott 
wird  nur  auf  Visnu  angewandt"  (brahma-sabdam  ca  Visnäv  eva; 
z.  BS.  I,  1, 1).  „Im  Veda,  im  Rämäyana,  in  den  Puränas,  im  Ma- 
häbhärata:  am  Anfang,  in  der  Mitte  und  am  Ende,  überall  wird 
nur  Visnu  besungen".  „Der  erhabene  Visnu  büdet  den  eigentlichen 
Inhalt  aller  heiligen  Lehrbücher"   (Anuvy  zu  BS.  I,  1,  4,  p.  5b). 


Metaphysik  29 

Madhva  führt  eine  große  Fülle  von  Zitaten  an^),  die  dartun,  daß 
alles,  was  in  den  Veden,  den  TJpanisaden  und  sonst  im  Kanon 
von  Brahman  ausgesagt  wird,  einzig  und  allein  auf  Vi^^u  hinzielt, 
daß  Visnu  und  niemand  anders  der  einzige  Gegenstand  aller  Schrift- 
stellen sein  kann,  weil  er  allein  ewig  und  uranfänglich  derselbe  ist. 
Im  Veda  wird  nun  aber  an  vielen  Orten  von  vielen  anderen 
Göttern,  nicht  aber  von  Visnu  gehandelt  und  in  manchen  Puränas 
werden  andere  Götter,  vornehmlich  Siva  als  das  höchste  Wesen 
bezeichnet  und  so  an  den  Platz  gesetzt,  den  Visnu  im  System  des 
Madhva  einnimmt.  Diese  nicht  wegzuleugnenden  Tatsachen,  die 
Madhva  sicher  oft  genug  bei  seinen  Redekämpfen  entgegengehalten 
worden  sind,  veranlassen  ihn,  sich  wiederholt  mit  diesem  Problem 
zu  beschäftigen.  Der  Weg,  den  er  einschlägt,  um  die  aus  diesen 
Werken  sich  gegen  seine  Lehre  erhebenden  Bedenken  zu  besei- 
tigen, ist  ein  doppelter. 

1)  Diejenigen  Schriften,  die  deutlich  dem  Visnutum  wider- 
streiten, werden  für  unautoritativ  erklärt.  Siva  hat  im  Auftrage 
Visnus  diese  Werke  verfaßt,  um  die  Menschen  zu  verwirren  und 
so  eine  reinliche  Scheidung  der  wahren  Gottesgläubigen  und  der 
Irrgläubigen  hervorzurufen  (z.  BS.  I,  1,  1). 

2)  In  denjenigen  Schriften,  die  als  autoritativ  angesehen  werden 
—  sei  es,  weil  ihr  Ansehn  ein  so  großes  war,  daß  niemand,  der 
dem  Brahmanismus  angehörte,  ihre  Heiligkeit  in  Zweifel  ziehen 
konnte,  oder  sei  es,  weil  sie  sich  für  Madhva's  Zwecke  aus  an- 
deren Gründen  empfahlen  —  wird  nach  einer  besonderen  exege- 
tischen Methode  alles  in  der  Weise  umgedeutet,  daß  Visnu  als 
der  höchste  Gott  erscheint. 

Alles,  was  in  den  Heiligen  Schriften  steht,  bezieht  sich  auf 
Visnu;  was  für  Götternamen  daher  im  Kanon  auch  gebraucht 
werden  mögen,  sie  sind  sämtlich  Bezeichnungen  für  Visnu.  Visnu 
ist  der  „von  dem  allein  die  Götter  ihren  Namen  haben"  (Rgv.  X, 
82,  3),  er  hat  von  seinen  unendlich  vielen  Namen  nur  einige,  wie 
Näräyapa  usw.  für  sich  behalten,  alle  anderen  aber  an  die  anderen 
Wesen  gegeben,  so  wie  ein  König  seine  Vasallen  mit  Land  belehnt 
und  nur  seine  Hauptstadt  sich  selbst  vorbehält  (z.  BS.  I,  3, 3). 
Alle  Worte,  deren  man  sich  im  gewöhnlichen  Leben  bedient,  be- 
zeichnen in  Wahrheit  daher  Visnu.  Die  Tatsache,  daß  sie  in  der 
Welt  eine  andere  Bedeutung  erlangt  haben,  beruht  darauf,  daß 
die  Menschen  Ausdrücke  brauchten,  um  weltliche  Dinge  und  Ver- 


1)  Namentlich   zu  Chänd.  Up.  III,  1-5;   BS.  I,  1,17;   Kath.  Up.  II,  16,  z. 
BhG.  IT,  72  (p.  13  b),  Anuvy  p.  47  a. 


30  Zweiter  A.bsclinitt 

hältnisse  zu  benennen  und  deshalb  Visnus  Namen  benutzten,  so 
da£  sie  schließlich  für  die  Bezeichnung  irdischer  Dinge  gang  und 
gäbe  wurden  (z.  BS.  I,  4,  15,  17).  Bei  jeder  Interpretation  der 
Heiligen  Schrift  ist  deshalb  vor  allem  daran  festzuhalten,  daß 
Visnu  mit  allen  Worten  bezeichnet  wird.  Dort,  wo  kein  "Wider- 
spruch entsteht  und  andere  Dinge  auch  gemeint  sein  können,  da 
kann  ein  Wort  auch  von  etwas  anderem  als  Visnu  in  sekundärer 
Bedeutung  gebraucht  sein.  Wo  sich  aber  ein  Widerspruch  er- 
geben würde,  da  wird  mit  allen  Worten  nur  von  Gott  gesprochen 
(z.  BS.  II,  1,  13). 

Zur  Illustration  der  exegetischen  Methode  Madhvas  seien  hier 
ein  paar  Beispiele  angeführt. 

Kath-Up  IV,  7  heißt  es :  „yä  pränena  sambhavaty  ^)  Aditir, 
devatämayi  |  guhäm  pravisya  tisthanti  yä  bhütebhir  vyajäyata, 
etad  vai  tad",  nach  Geldner's  Übersetzung:  „Die  Aditi,  die  sich 
mit  dem  Lebenshauch  begattet,  die  alle  Gottheiten  in  sich  trug, 
die  sich  selbst  im  Dunkel  verborgen  haltend,  in  allem  Gewor- 
denen fortpflanzt  —  dies  ist  das".  Madhva  erklärt  Aditi  —  ob- 
wohl feminini  generis  ^)  —  für  einen  Namen  Visnus  und  sagt : 
„adanäd  Aditir  Visnur  yah  pränasahitah  sthitah  |  uttamo  devatä- 
bhyas  ca  so'  tmänam  vividhätmanä  |  matsya-kürmädi-rüpena  gu- 
häsarnstham  ajijanat,  |  bhütais  saha  mahä-Visnuh  paramätmä  yuge 
yuga  iti  ca".  Wegen  seines  Essens  (ad)  ist  Visnu  Aditi.  Von 
präpa  begleitet  wohnt  er  und  erhaben  über  die  Gottheiten  erzeugte 
er  sich  selbst,  den  in  der  Höhle  wohnenden,  durch  sein  mannig- 
faches Selbst,  das  die  Gestalt  von  Fisch,  Schildkröte  usw.  hat, 
umgeben  von  den  Elementen,  der  große  Visnu,  der  höchste  Gott 
in  jeder  Weltperiode. 

Chänd  Up  II,  6  werden  die  Ziegen,  Schafe,  Kühe,  Pferde  und 
Menschen  mit  dem  fünffachen  Säman  und  damit  auch  mit  den  fünf 
Gestaltungen  Visnus  in  Beziehung  gesetzt.  ;,Weil  Visnu  beschützt 
(pa)  und  Glück  bringt  (su)  heißt  er  Vieh  (pasu).  Weil  er  durch 
Opfer  verehrt  wird  (auc)  heißt  er  Ziege  (aja);  weil  er  behütet  (av) 
wie  die  Wolle  des  Schafes  vor  Kälte,  heißt  er  Schaf  (avi);  weil 
er  eine  gute  Zuflucht  ist  (go  =  sadgati)  heißt  er  Kuh  (go);  weil 
er  rasch  (ääu)  sich  bewegt,  heißt  er  Pferd  (asva) ;  weil  er  die  Voll- 
endung (pürti)  verursacht,  heiß  er  Mensch  (purusa).  Der  Plural 
„Ziegen"  usw.  steht,  weil  der  Erhabene  viele  Gestalten  hat". 


1)  Madhva  liest  saqivisaty. 

2)  cf. :  „sabdaih  prakrtir  ity  ädyaih  strilingair  abhidhiyate"  (nämlich  Visriu) 
Anuvy  16  a. 


Metaphysik  31 

Ähnliche  Erklärungen  finden  sich  in  allen  Kommentaren  in 
großer  Menge.  Ein  Florilegium  wird  im  Kommentar  zu  Chä-Up 
IV,  11 — 15  an  der  Hand  eines  Zitates  aus  der  Tattvasamhitä  ge- 
geben. „Visnu  heißt  Erde  (prthivi),  weil  er  ausgebreitet  ist  (prthu); 
Feuer  (agni),  weil  er  die  Griieder  führt  (anga  +  netr) ;  Speise  (anna), 
weil  er  beständig  der  Esser  (attr)  ist ;  Sonne  (äditya),  weil  er  der 
Anfang  (ädi)  ist;  Wasser  (äpas),  weil  er  alle  schützt  (ä+pä),  Him- 
melsrichtungen (disas),  weil  er  zeigt  (dis);  Mondhaus  (naksatra), 
weil  er  keines  anderen  Herrschaft  (na  +  ksatra)  über  sich  hat; 
Mond  (candra),  weil  er  voll  Wonne  ist  (cand);  Atem  (präna),  weil 
er  voll  Kraft  (pran)  ist ;  Raum  (äkäsa),  weil  er  alles  erfüllt  (kas) ; 
Himmel  (dyaus),  weil  er  leuchtend  (div)  ist;  Blitz  (vidyut),  weil 
er  wissend  (vid)  ist  usw.". 

4.    Die  Eigenschaften  Visnus. 

Auf  Grund  eingehender  Untersuchung  einer  gewaltigen  Fülle 
von  Textstellen  gelangt  Madhva  zu  einer  ungefähren  Vorstellung 
von  dem  Wesen  und  den  Eigenschaften  Visnus.  Diese  Vorstellung 
ist  keine  absolute,  sondern  nur  eine  approximative,  weil  alle  Attri- 
bute, welche  die  Menschen  der  Gottheit  beilegen,  nur  annähernd 
seine  Eigenschaften  wiederzugeben  vermögen.  Wenn  es  daher 
von  Gott  heißt  „er  ist  selig",  so  ist  darunter  nicht  das  zu  ver- 
stehen, was  man  in  der  Welt  „selig"  nennt,  sondern  etwas  mit 
der  menschliehen  Wonne  gar  nicht  vergleichbares.  Die  Wonne 
Gottes  übersteigt  eben  alle  irdischen  Begriffe.  Gottes  Eigen- 
schaften sind  von  allen,  die  man  in  der  Welt  sehen  kann,  durchaus 
verschieden,  weil  die  Eigenschaften  der  irdischen  Wesen  wahrge- 
nommen werden  können,  während  die  Seligkeit,  das  Wissen,  die 
Macht  und  die  Kraft  Gottes  unerkennbar,  unbeschreiblich  und  un- 
erklärlich sind.  Wenn  man  daher  auf  Visnu' s  göttliche  Attribute 
die  in  der  Welt  gebräuchlichen  Worte  anwendet,  so  geschieht 
dies,  um  das  Wesen  Gottes  den  Menschen  zu  erschließen,  nicht 
aber  weü  die  mit  dem  heiligen  Veda-Wort  auf  Erden  verbundenen 
Begriffe  der  unermeßlichen  Herrlichkeit  Visnus  adäquat  sind.  (BS. 
III,  2,  32—34). 

Visnu  hat  unendlich  viele  Eigenschaften  (Ps.  59).  Diese  sind 
jedoch  nicht  etwas  Akzidentelles,  sondern  sie  sind  mit  seinem 
Wesen  selbst  identisch.  Er  ist  zugleich  „Wonnebesitzer"  (änan- 
davant)  und  „Wonne"  (änanda),  so  wie  eine  Schlange  „Ringelungen 
besitzend"  (kundalin)  und  die  Ringelung  selbst,  wie  die  Sonne 
„Lichtbesitzer"  und  „Licht",  oder  wie  die  verflossene  Zeit  „Be- 
stimmendes" (avaccheda)  und   „zu  bestimmendes"  (avacchedya)  ist. 


32  Zweiter  Abschnitt 

(BS.  III,  2,  28—30).  Die  unendliche  Fülle  der  göttlichen  Attri- 
bute, welche  unser  beschränkter  Intellekt  sich  nur  getrennt,  einzeln 
vorstellig  machen  kann,  bedingt  es,  daß  viele  Prädikate  sich  unter- 
einander zu  widersprechen  scheinen,  so  wenn  es  heißt  „er  ist  kleiner 
als  das  Kleinste  und  größer  als  das  Größte"  (Kath  Up  II,  20). 
Die  Widersinnigkeit  solcher  Aussagen  ist  jedoch  nur  eine  schein- 
bare, weil  in  Grott  die  coincidentia  oppositorum  statthat,  (z.  BS.  II, 
1,  38,  BhG.  II,  24). 

Suchen  wir  nach  einem  Einteilungsprinzip  für  die  zahllosen 
Prädikate  Visnus,  so  finden  wir  ein  solches  in  den  drei  Attributen, 
die  in  der  gesamten  Vedänta-Philosophie  aller  Richtungen  von 
jeher  als  solches  gedient  haben:  Sat  (Sein),  Cit  (Denken)  und 
Änanda  (Wonne).     <cf.  Ps.  504). 

Grott  ist  ewig,  unentstanden,  unveränderlich  und  unvergänglich. 
Er  ist  unendlich  und  unermeßbar  (BS.  II,  3,  23),  wie  es  in  der 
Schrift  heißt:  „Dieses  ist  voll,  jenes  ist  voll,  aus  Vollem  emaniert 
Volles.  Wenn  Volles  von  Vollem  genommen  wird,  so  bleibt  doch 
das  Volle  noch  übrig".  (Brh  Up  V,  1, 1).  Er  ist  absolut  voll- 
kommen, sich  selbst  genügend,  und  autonom.  Sein  göttlicher  Wille 
ist  identisch  mit  seiner  Substanz,  er  ist  durch  nichts  außer  ihm 
bedingt  oder  ursächlich  beeinflußt.  Gott  ist  daher  in  seinem  Wollen 
frei  und  unabhängig  (sarva-svatantra,  Ps.  65),  er  handelt  ohne 
Motive,  zum  Spiel  (BS.  11,  1,  33  f.).  Er  ist  die  Ursache  aller  Ak- 
tivität in  der  Welt;  die  Weltentstehung  und  die  Weltvernichtung 
geschehen  durch  ihn,  ohne  ihn  könnte  die  Welt  nicht  von  Bestand 
bleiben  (BS.  III,  2, 22),  an  allen  Orten,  zu  allen  Zeiten  und  in 
allen  Dingen  bewirkt  er  alles  durch  die  seine  Natur  ausmachende 
ewige  Kraft  (mäyä;  s.  S.  26).  Weil  diese  durch  nichts  bedingt 
wird,  ist  sein  Tun  frei  von  Ungerechtigkeit  (vaisamya)  und  — 
trotz  der  schweren  Strafen,  die  er  gegen  Sünder  verhängt  —  auch 
frei  von  Grausamkeit  (nairghrnya)  (BS.  II,  1,  35 — 37) ;  sogar  sein 
Zorn  ist  voll  Nachsicht  und  seinem  Wesen  nach  Geist  und  Wonne, 
(z.  Brh  Up.  IV,  4,  5). 

Gott  ist  allwissend  (sarvajna)  und  allweise  (Mund-Up  II,  2,  7). 
Sein  Erkennen  ist  absolut  vollkommen,  ewig,  unveränderlich  und 
unerschöpflich.  Da  Gottes  Erkenntnis  nicht  durch  Objekte  her- 
vorgerufen wird,  sondern  immerdar  in  seinem  Wissen  vorhanden 
ist,  existieren  in  ihm  nur  permanente  (nitya),  adäquate  (yathär- 
tha),  direkt-wahrgenommene  (pratyaksa)  Vorstellungen  (anubhava), 
hingegen  keine  durch  Schlüsse  oder  sabda  hervorgerufenen  und 
keine  Erinnerungs-Erkenntnisse  (Ps.  277,  280,  282). 

Gott  ist  selig,  weil  er  absolut  vollkommen  ist.    Seine  Wonne 


Metaphysik  33 

übersteigt  alle  Begriffe  (Tai.  Up  11,  4),  durch  ein  kleines  Teilchen 
von  ihr  leben  alle  andern  Wesen  (Brh  TJp  IV,  3,  32),  und  von  Sri 
(avyakta)  bis  zu  den  Pflanzen  besitzen  alle  "Wesen  nur  einen  Bruch- 
teil der  "Wonne,  die  ihm  eigen  ist  (z.  BS.  I,  2,  15).  Wegen  der 
Vollkommenheit  der  Herrlichkeit  Grottes  kann  sie  keine  Steigerung 
erfahren;  Grott  kann  daher  nie  eine  Vermehrung  derselben  be- 
zwecken —  wie  diejenigen  annehmen,  die  glauben,  daß  Gott  aus 
einem  Gefühl  des  Unbefriedigtseins  heraus  die  Welt  geschaffen 
habe  (z.  Män^  Up  I,  15)  —  sondern  nur  eine  Mitteilung  derselben 
an  andere. 

Der  Pancarätra-Lehre  gemäß  ^),  werden  von  Madhva  sechs 
„Kräfte"  Visnus  unterschieden,  die  als  seine  „6  Glieder"  (sadan- 
gäni)  bezeichnet  werden:  jnäna  (Wissen),  aisvarya  (Herrschaft), 
prabhä  (Glanz),  änanda  (Wonne),  tejas  (Licht),  äakti  (Kraft)  ^); 
anstelle  von  prabhä  und  änanda  werden  in  anderen  Vaisnava- 
Werken  bala  (Stärke)  und  virya  (Energie)  genannt,  die  auch  von 
Madhva  angeführt  werden^).  Als  äaktis  werden  ferner  noch  be- 
zeichnet kriyä  (Tun)  und  icchä  (Wunsch)^). 

5.  Der  Leib  Visnus. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  für  Madhva  die  Frage,  ob 
Vi^nu  einen  Körper  besitze  oder  nicht.  Besäße  Gott  keinen  Leib, 
so  könnte  er  nicht  die  Welt  schaffen  und  regieren  (Ps.  64)  und 
würde  ebensowenig  wie  Siva,  den  seine  Anhänger  als  körperlos 
bezeichnen,  zu  der  Welt  in  eine  Beziehung  treten  könne  (BS.  II, 
2,  38).  Wird  jedoch  Gott  ein  Körper  zugeschrieben,  so  wäre  er 
auch  allen  durch  die  Leiblichkeit  bedingten  Folgeerscheinungen, 
wie  Geburt  und  Tod,  Gefühlen  von  Lust  und  Unlust  unterworfen. 
(BS.  II,  2,40).  Beiden  Einwänden  entgeht  Madhva  dadurch,  daß 
er,  wie  schon  andere  Vaisnava-Lehrer  vor  ihm,  darauf  hinweist, 
daß  Visnu  einen  ewigen  Leib  hat,  der  nicht  aus  der  Materie,  son- 
dern aus  seinen  überirdischen  Eigenschaften  besteht^).  „Er  hat 
einen  Kopf  aus  Sein,  Wissen  und  Wonne,  er  hat  Arme  aus  Sein, 
Wissen  und  Wonne,  er  hat  einen  Leib  aus  Sein,  Wissen  und  Wonne, 


1)  F.  0.  Schrader,  „Introduction  to  the  Päncarätra"  p.  32. 

2)  Tantrasära  IV,  8. 

3)  ib.  IV,  13. 

4)  Anuvy   p.  IIa;    z.  Bhäg  P.  II,  4,12    (icchä  jnänaiji   kriyä   Ceti   nityäh 
saktaya  isituh). 

5)  „sa  cäpräkrtarüpatväd    arüpali,    svagunätmakam  |  rüpam  asya  sirah-pä- 
riipädädyätmakam  isyate"  (Anuvy  p.  44  a). 

V.  Glasenapp,  Madhva's  Philosophie,  3 


34  Zweiter  Abschnitt 

er  hat  Füße  aus  Sein,  Wissen  und  Wonne"  (Varäha-Puräna  zu  Is. 
Up.  8).  Visnus  Körper  und  Glieder  sind  von  den  stofflichen  Kör- 
pern und  Grliedern  durchaus  verschieden,  so  daß,  wenn  die  Heilige 
Schrift  ihn  als  körperlos  (Kath  Up  II,  22)  und  organlos  (Svet-Up 
III,  19;  z.  BS.  II,  1,  32)  bezeichnet  und  an  anderen  Stellen  wieder 
von  den  Grliedern  Gottes  spricht  (Mund-Up  II,  1,  4),  dies  keinen 
Widerspruch  enthält,  da  einzig  und  allein  die  Übematürlichkeit 
des  göttlichen  Leibes  damit  ausgedrückt  wird  (vergl.  BS.  III,  2, 15). 

Dem  Körper  Gottes  werden  eine  Reihe  guter  Eigenschaften 
zugeschrieben:  süßer  Geschmack  (Ps.  215),  angenehmer  Geruch 
(Ps.  219),  die  Fähigkeit  sich  je  nach  den  Umständen  heiß,  kalt 
oder  weder  heiß  noch  kalt  anzufühlen  (Ps.  222)  und  riesig,  mittel- 
groß oder  atomkleiQ  zu  sein  (Ps.  230).  Die  Farbe  Gottes  wird 
verschiedentlich  ausführlich  behandelt.  Ps.  207  erklärt,  daß  Visnu 
sieben  ewige  Farben  hat :  weiß,  blauschwarz,  gelb,  rot,  grün,  braun 
und  bunt.  In  den  Upanisads  werden  diese  Farben  Visnu  an  ver- 
schiedenen Stellen  zugesprochen:  er  ist  dunkel  und  bunt  (Chänd. 
Up  VIII,  13);  rot,  weiß,  braun,  gelb  und  blauschwarz  (Chänd. 
Up  VIII,  6, 1) ;  goldfarbig  (Mu.  Up  III,  1,  3).  Die  Verschiedenartig- 
keit der  Farben  Visnus  erklärt  sich  daraus,  daß  ihm  in  seinen  ver- 
schiedenen Gestaltungen  und  Manifestationen  verschiedene  Farben 
eignen. 

Der  Leib  Gottes  ist  mit  den  Sinnesorganen  nicht  wahrnehmbar ; 
er  ist  zu  fein  (süksma)  um  Objekt  der  irdischen  Erkenntnis  werden 
zu  können,  und  bleibt  daher  stets  unoffenbar.  Daran  können  auch 
die  glühendsten  Huldigungen  seiner  Verehrer  nichts  ändern;  auch 
im  Zustand  der  Meditation  kann  er  nicht  erblickt  werden,  denn 
das,  was  der  Yogin  dort  sieht,  ist  nur  ein  durch  Gott  hervorge- 
rufenes Abbild  (BS.  III,  2,  37).  Die  wahre  Gestalt  Visnus  bleibt 
ewig  unerkennbar;  weil  es  in  Visnu  nicht  wie  bei  den  Elementen 
den  Unterschied  zwischen  „feiner"  und  „grober"  Form  gibt  — 
welche  es  bedingt,  daß  das  Feuer  als  tanmätra  unerkennbar,  als 
grobes  Element  aber  wahrnehmbar  ist  —  kann  sich  seine  „subtile" 
Gestalt  auch  nicht  zu  eiuer  wahrnehmbaren  verdichten  (BS.  III, 
2,  25).  Ein  direktes  Schauen  Gottes  ist  darum  nur  möglich  wenn 
Gott  dieses  höchste,  unmittelbare  Wissen  einem  Wesen  aus  freier 
Gnade  schenkt.     (BS.  IH,  2,  27). 

6.    Die  Entfaltungen  (vyüha)  Visnus. 
Visnus    göttliche    Machtfülle   offenbart   sich   in   einer  Anzahl 
von  Entfaltungen  (vyüha  ^)).    Diese  bilden  untereinander  eine  Kette, 

1)  Vergl.  hierüber  Bhandarkar   „Vaisnavism  etc."  p.  8, 12 f.;  Deußen  „Allg. 


Metaphysik  35 

derart,  daß  eine  jede  von  ihnen,  mit  Ausnahme  der  ersten,  aus 
einer  früheren  hervorgeht.  Die  vyühas  führen  Namen  von  Per- 
sonen, welche  in  der  heiligen  Legende  Krsnas  eine  Rolle  spielen. 
Der  Urgrund  aller  vyühas,  Väsudeva,  ist  Krsna  selbst,  Pradyumna 
ist  ein  Sohn  Krsnas,  Aniruddha  ein  Sohn  Pradyumnas  und  Sam- 
kar§ana  (Balaräma)  der  ältere  Bruder  Krsnas.  Als  Krsna- Väsu- 
deva mit  dem  Allgott  Visnu  (als  dessen  8.  avatära)  identifiziert 
wurde,  da  wurden  auch  die  Namen  dieser  drei  ihm  nahestehenden 
Männer  in  eine  göttliche  Sphäre  gerückt.  Die  Pancarätra-Lehre 
läßt  Sarakarsana,  Pradyumna  und  Aniruddha  zusammen  mit  Vä- 
sudeva die  „Viereinigkeit"  Visnus  bilden  und  machte  diese  zum 
Gegenstand  ausgedehnter  Spekulationen.  Den  Anfängen  der  letzteren 
begegnen  wir  im  Mahäbhärata,  im  Näräyaniya-Abschnitt  des  Mo- 
ksadharma.  Dort  werden  die  einzelnen  vyühas  zu  kosmischen  Po- 
tenzen in  Beziehung  gesetzt,  und  zwar  so,  daß  Väsudeva  die 
höchste  Realität  (ksetrajna)  ist ;  aus  ihm  geht  hervor  Samkarsana, 
der  dem  jiva  bezw.  der  Urmaterie  entspricht;  aus  Samkarsana 
entfaltet  sich  Pradyumna,  d.  h.  manas,  aus  Pradyumna  Aniruddha, 
d.  i.  ahamkära.  Die  Lehre  von  der  „Vierfaltigkeit"  Visnus  wurde 
später  in  der  Samhitä-Literatur  in  verschiedener  Richtung  weiter 
ausgebildet  ^) ;  den  einzelnen  vyühas  wurden  ethische  Eigenschaften 
und  Handlungen  zugeschrieben  und  es  wurden  noch  weitere  „Unter- 
vyühas"  (vyühäntara)  angenommen,  die  aus  ihnen  hervorgehen. 
In  den  großen  visriuitischen  Vedänta-Systemen  verlieren  die  vyühas 
viel  von  der  Bedeutung,  die  sie  im  älteren  Pancarätra  besessen 
hatten  ^). 

Madhva  kennt  4  oder  5  vyühas  ^),  nämlich  außer  den  genannten 
vier  noch  als  5.  vyüha  Näräyana.  Die  vyühas  haben  gewisse  Funk- 
tionen bei  der  Weltschöpfung  zu  erfüllen  (s.  S.  44)  und  werden 
auch  mit  kosmischen  Prinzipien  in  Verbindung  gebracht;  nach 
Anuvy  33  b  ähnlich  wie  im  Mahäbhärata,  nach  Bhäg  Ptp  p.  41a 
herrscht  Väsudeva  über  mahattattva,  Samkarsana  über  den  feinen 
ahamkära,  Pradyumna  über  den  groben  ahamkära,  Aniruddha  über 
manas  und  die  jivas.  Die  vyühas  haben  verschiedene  Farben : 
Väsudeva  ist  weiß,  Aniruddha  dunkelblau,  Samkarsana  gelb,  Pra- 
dyunma  grün,  Näräyana  rot.    (z.  Brh.  Up  IV,  4,  9 ;  p.  59  b).    Nach 

Geschichte  der  Philosophie"  I,  3  p.  36 f.;  Farquhar  „Outlines  of  the  Religious 
Literature  of  India"  p.  98;  R.  Otto  „Visriu-Näräyaija"  (Jena  1923)  p.  145. 

1)  S.  Schrader  „Introduction  to  the  Pancarätra"  p.  35 — 42. 

2)  Vergl.  R.  Otto  „Dipikä  des  (Sri-)  Niväsa«  (Tübingen  1916)  p.  73. 

3)  „eko  Näräya^o  devo  .  .  .  Väsudevädi-rüpe^ia  caturmürtis  ca   sarvasah 
athavä  pancamürtih  sa  prokto'  dhikaraijiain  prati"  Anuvy,  p.  10  b. 

3* 


36  Zweiter  Abschnitt 

einem  zu  BS.  I,  1, 15  angeführten  Zitat  aus  der  Brhat-Sarnhitä 
ist  Näräyana  das  Haupt,  Väsudeva  der  Rumpf,  Sainkarsana  der 
Schweif  (puccha,  d.  h.  das  ganze  untere  Ende)  Visnus.  Diese  Ver- 
gleiche sollen  nur  ausdrücken,  daß  die  vyühas  alle  zusammenge- 
hören und  Erscheinungsformen  Visnus  sind,  durch  welche  er  in 
der  Welt  sich  manifestiert^)  nicht  aber  wirkliche  Teile  Gottes, 
denn  Gott  ist  ohne  Teile.  Die  Entfaltung  des  Ewig-unveränder- 
lichen in  der  Fünfheit  der  vyühas  ist  ein  Mysterium;  Gott  bleibt 
stets  derselbe  und  läßt  diese  Formen  nur  aus  sich  entstehen,  um 
sich  in  der  Welt  zu  betätigen^). 

Die  vyühas  werden  zu  den  verschiedensten  Dingen  sinnbildlich 
in  Beziehung  gesetzt;  zu  den  einzelnen  Teilen  des  säman  (Chä 
Up  II),  zu  den  Opferfeuern  (Chä  Up  V,  4—8),  zu  den  Adern  (Chä 
Vm,  6,  1)  und  zu  vielen  andern  (vergl.  z.  B.  z.  Ait.  Up  II,  4  p. 
35  b;  Brh  Up  I,  5,  III,  1,  VI,  2  u.  a).  Wenn  die  vyühas  nicht 
ausreichen,  um  die  Fülle  der  Symbole  zu  beschaffen,  die  nötig 
sind,  um  alles  auf  Visnu  zu  beziehen,  so  werden  noch  weitere 
hinzugefügt,  wie  Varäha,  Nrsirpha,  Ksiräbdhisäyin  usw.  (z.  Chä 
Up  II,  8-10,  p.  8  b  f.). 

Die  vyühas  werden  mit  Vorliebe  zum  Gegenstand  der  Medi- 
tation gemacht,  das  Sichversenken  in  sie  wird  als  sicherer  Weg 
zur  Erlösung  gepriesen  (z.  Brh  Up  I,  5,  11  (I,  4,  17)  p.  27  a). 


7.    Die  irdischen  Erscheinungsformen  (avatara)  Visnus. 

Von  Zeit  zu  Zeit  erscheint  Visnu  auf  Erden,  um  die  Guten 
zu  schirmen  und  die  Bösen  zu  vernichten  (BhG.  IV,  8).  Diese  ir- 
dischen Manifestationen  heißen  prädurbhäva  oder  avatära.  In 
ihnen  erscheint  Gott  als  Tier  oder  Mensch,  doch  bleibt  sein  wahres 
Wesen  dadurch  unverändert.  Visnu  teilt  sich  nicht,  sondern  bleibt 
beständig  ganz  derselbe,  wenn  er  auch  an  verschiedenen  Orten 
weilt  oder  miteinander  im  Widerspruch  stehende  Handlungen  vor- 
nimmt; jede  einzelne  seiner  Gestalten,  ist  ebenso  voll  (pürna)  wie 
die  ewige  Grundform,  der  sie  entstammt^),  sie  ist  deshalb  weder 
in  Raum  noch  in  Zeit   noch  der  Vollkommenheit   nach  geringwer- 


1)  „angäügitvena  bhagavän  kridate  purusottomah"  z.  BS.  I,  1,  15. 

2)  „svagatäkhilabhedena  vihino'pi  sa  sarvadä  |  sarvesäm  vyavahäräpäip  bhe- 
dotthänäm  sa  isvarah  |  abhinno  'pi  hy  ato  bhinnah  paScabhedädinä  'mrsä"  z.  Brh 
üp  IV,  4,9  p.  59  b. 

3)  Krs9a-Rämädi-rüpäni  paripür^ä^i  sarvadä  |  na  capumätra-bhinnäni  .  .  . 
(zu  BhG.  il,  72,  p.  14  b;  cf.  BS.  IV,  2,  14;  Ps.  68). 


Metaphysik  37 

tiger  als  die  Urform^).  Ihr  Leib  ist  nicht  aus  irdischem  Stoff, 
sondern  aus  göttlicher  ßeinessenz  ^).  Alle  avatäras  sind  versehen 
mit  den  Kennzeichen  der  Wesen,  welche  für  die  Stellung  Väyus 
befähigt  sind,  haben  außerdem  aber  noch  4  spezielle  Merkmale, 
nämlich  an  der  rechten  Hand  ein  tausend-speichiges  Rad  und  eine 
Keule  mit  8  Kanten,  an  der  linken  eine  Muschel  mit  100  "Win- 
dungen und  einen  Lotus  mit  1000  Blättern  (z.  Brh  Up  I,  3,  28 
p.  6b).  Wenn  alle  Menschen,  die  zur  Zeit,  da  Visnu  auf  Erden 
wandelt ,  mit  ihm  in  Berührung  kommen ,  ihn  auch  sehen ,  so 
erkennen  sie  ihn  doch  nicht  ohne  weiteres,  da  er  ganz  nach  ir- 
discher Weise  auftritt;  in  Wahrheit  ist  aber  Visnu  natürlich  von 
allen  Wesen  so  toto  genere  verschieden  wie  das  Weltzerstörungs- 
feuer vom  Feuer  des  Leuchtkäfers,  der  Ozean  vom  Urin,  der  Me- 
ruberg  vom  Kot  (z.  BS.  II,  3,  46).  Alle  Fehler  und  Grebrechen, 
welche  an  den  avätaras  vorhanden  sind,  sind  nur  scheinbar  und 
von  Visnu  beabsichtigt.  „Obwohl  er  sich  bewußt  war,  der  höchste 
Visnu  zu  sein,  zeigte  Räma  doch  Mangel  an  Einsicht,  um  die  Dä- 
monen zu  verwirren''^  (Padma-P,  z.  Chä  Up  VI,  16).  Wenn  ein 
avatära  seine  Funktionen  erfüllt  hat,  dann  wird  er  unsichtbar  für 
die  Augen  der  Welt;  eine  Auflösung  (laya)  der  avatära-Form  in 
die  Wurzelform  [vergleichbar  etwa  derjenigen  der  jlvas  in  Brahma 
zur  Zeit  des  pralayaj  findet  nicht  statt  (Brh  Up  V,  1,  1  p.  61b). 

Man  könnte  sich  nun  fragen,  warum  Vis^u  irdische  Gestalten 
annimmt,  da  ein  Zwang  natürlich  für  ihn  hierzu  nicht  bestehen 
kann  und  man  doch  annehmen  müßte,  daß  er  auch  andere  Mittel 
und  Wege  fände,  um  die  Güter  auf  der  Welt  zu  beschützen.  Die 
Antwort  hierauf  ist :  Visnu  tut  dies  alles  seiner  Natur  (svabhäva) 
zufolge,  aus  Spiel  (lilä),   so  wie  ein  Knabe  (z.  BhG.  IV,  6,  p.  20  a). 

Die  Zahl  der  avatäras  Visnus  ist  sehr  groß.  Die  bedeutendsten 
sind  die  bekannten  10  ^) :  Fisch,  Schildkröte,  Eber,  Mannlöwe,  Zwerg, 
Parasuräma,  Rämacandra,  Krsna,  Buddha*),  Kalkin.  Zu  diesen 
kommen  aber  noch  eine  Reihe  anderer.  Zu  Brh.  Up  I,  5,  p.  12  b 
gibt  Madhva  folgende  Aufzählung : 


« 

1)  na  desa-käla-sämarthyaih  päräväryam  kathaqi  cana  (z.  Brh.  Up  V,  1, 
p.  61b). 

2)  „naiväsya  präkrtitanuh  .  .  .  pürnacitsukharüpo'pi  sadä  sarvävatäraga" 
ity  ädi  Skände  (z.  Ait  Up  II,  2,  p.  38  a). 

3)  Dieselben  werden  vielfach  aufgezählt,  u.  a.  z.  BS.  II,  3,  48  Tantrasära 
I,  62. 

4)  Von  Buddha  wird  Bhäg  Ptp  I,  3,  24  (p.  6  a)  gesagt,  Visriu  habe  die  Ge- 
stalt des  „Jina"  angenommen,  um  die  Asuras  durch  seine  Lehren  von  der  ahiqisä 
zu  verwirren. 


38  Zweiter  Abschnitt 

„Matsya-Kürma-Kro^a-Simha-Vatu-Bhärgava-Räghaväh 

Kr§9a-Buddhau  Kalki-Datta-Hayasirs-Aitareyakäh 

Päräsarya^  ca  Kapilo  Vaikuntha  Rsabhas  tathä 

Yajfio  Dhanvantaris  caiva  StrTrüpas  Täpaso  Manuh 

Näräyano  Harih  Krsna  Upendrah  Sarva  eva  ca 

evam  ädyä  Hareh  säksät-prädarbhäväh  praklrtitäh". 

Die  Liste  ßhäg  P  I,  3,  gibt  22   avatäras ,  bemerkt  aber ,   die 

avatäras  Visnus  seien  unzählbar,   wie  Ströme,    die   aus   einem  nie 

versiegenden  Teiche  fließen  ^). 

8.    Andere  Manifestationen  Visnus. 

Außer  in  diesen  allgemein  „sichtbaren"  (pratyaksa)  Erschei- 
nungsformen der  göttlichen  Machtfülle  offenbart  sichj  diese  „ver- 
borgen" (tirohita)  noch  in  den  vibhütis  oder  vibhavas,  d.  h.  in 
Personen  oder  Dingen,  denen  Visnu  dadurch,  daß  er  sie  durch- 
dringt, einen  besonderen  Grlanz  verleiht  2).  Die  Zahl  der  vibhütis 
ist  unendlich  (BhGr  X,  19),  denn,  sagt  Krsna  zu  Arjuna :  „Ein  jedes 
Ding,  das  machtvoll,  schön  oder  gewaltig  ist,  das  erkenne  als  ent- 
sprossen aus  einem  Teile  meines  Glanzes".  Eine  Reihe  derartiger 
vibhütis  wird  Bhag.  Gr.  X,  20 — 40  und  im  Anschluß  hieran  auch 
Bhäg  P.  XI,  16  aufgezählt.  Zu  diesem  „mit  Glanz  versehenen" 
(tejo-yukta)  gehören  nach  dem  Komm,  zu  BhG.  X,  41  auch  die 
Bhäg  P.  I,  3,  27  genannten  überirdischen  Wesen,  die  Rsis,  Manus, 
Devas,  Manuputras  und  Prajäpatis,  welche  alle  Teile  (kalä)  oder 
Bruchteile  (amsakalä)  Visnus  sind. 

Nach  dieser  Lehre  sind  Brahma,  Siva^)  und  alle  G-ötter  von 
Visnu  darchwohnt  und   einer  Verehrung  würdig,   wenn   man   sich 


1)  Über  die  einzelnen  avatäras  findet  man  nähere  Angaben:  „Hinduismus" 
S.  120 — 131,  in  Dowsons  „Classical  Dictionary  of  Hindu  Mythologj'^  and  Religion", 
F.  0.  Schrader     „Intr.  to  the  Päficarätra"  p.  42  ff. 

Die  Geschichte  der  bedeutendsten  avatäras  gibt  Madhva  im  Mbhtp.  HI  40 
und  den  folgenden  Kapiteln,  ausführlich  werden  besonders  Räma,  Vyäsa,  Krspa 
behandelt;  einen  Lobpreis  der  wichtigsten  avatäras  gibt  er  im  6  adhy.  des  Dvä- 
dasaatotra.  Über  einzelne  avatäras  findet  man  Angaben  Bhäg  Ptp  I,  3 ;  U,  7 ; 
Chä  üp  III,  12;  16,  7;  IV,  17,  6. 

2)  „dvividhaip  vaibhavam  rüpaip  pratyaksaip  ca  tirohitaip  |  Kapila- Vyäsa- 
Krsnädyaqi  pratyaksam  vaibhavam  smrtaip  i  bhinnaip  Brahmädi-jivebhyo  jadebhyas 
cäpi  tadgataip  |  svajätyädhikyadaip  tesäm  tat  tirohita  vaibhavam"  Gitätätp,  X 
(p.  26  b). 

8)  cf.  Bhäg.  P.  I,  2,  24  und  die  Erkl.  Bhäg.  Ptp.  (p.  4  b) :  „Visnor  eva  tri- 
samjnäh.  Vämane  ca  „Brahma- Vispv-Isa-rüpäni  tripi  Vis^tor  mahätmanah  |  Brah- 
ma^ii  Brahma-rüpo'saUj  Siva-rüpi  Sive  sthitah  |  prthag  eva  sthito  devo  Vispu-rüpi 
Janärdana"  iti. 


Metaphysik  39 

dieses  Umstandes  bewußt  bleibt.  Man  darf  sie  jedoch  nicht  mit 
Visnu  identifizieren  oder  ihm  gleichstellen,  denn  dies  führt  ins 
Verderben  (z.  Brh.  TJp.  I,  5,  p.  23  a). 

Als  weitere  Manifestationen  Vis^ius  sind  die  sakramentalen 
Kultobjekte  (arcä)  anzusehen.  Es  sind  dies  entweder  Säligräma- 
Steine  und  andere  leblose  Dinge,  die  Visnu  von  jeher  heilig  sind, 
oder  von  Künstlerhand  gefertigte  Idole  aus  Stein,  Ton,  Metall, 
die  durch  das  Hersagen  von  Mantras  und  die  Ausführung  eines 
bestimmten  Rituals  geweiht  worden  sind.  In  der  arcä  wohnt  die 
Gottheit,  wirkt  in  ihr  übernatürliche  Kräfte  und  spendet  denen, 
die  sie  in  angemessener  Weise  verehren,  ihre  Gnade. 

Schließlich  können  an  dieser  Stelle  als  einer  besonderen  Ma- 
nifestation Visnus  noch  die  symbolischen  Formen  genannt  werden, 
in  welchen  er  seinen  Bekennern  in  der  Versenkung  erscheint.  Denn 
ebensowenig,  wie  Visnu  mit  dem  physischen  Auge  erblickt  werden 
kann,  kann  er  in  der  Meditation  in  seiner  wahren  Gestalt  ge- 
schaut werden.  Auch  hier  erscheint  er  deshalb  nur  als  Abbild. 
„So  wie  Brahman  [und  seine  Seligkeit]  verschieden  ist  von  der 
Seligkeit  usw.  des  jiva,  so  ist  es  auch  verschieden  von  der  Form, 
in  der  es  in  der  Meditation  zur  Erscheinung  kommt.  Denn  die 
Hlg.  Schrift  sagt  ausdrücklich:  „Was  durch  das  Denken  nicht  ge- 
dacht werden  kann,  durch  das  aber,  wie  man  sagt,  das  Denken 
gedacht  wird,  das  allein  wisse  als  Brahman,  aber  nicht  das,  was 
hier  in  der  Meditation  vor  dir  steht".  (Kena  Up  I,  5)  i)  und  im 
Brahma-tarka  heißt  es:  „Das  was  im  Denken  sich  spiegelt,  das 
sehen  sie  als  das  höchste  brahman  an,  weil  Brahman  ihnen  in 
dem  Reflex  einen  Lohn  gewährt.  So  ist  die  Verehrung  Gottes  im 
Geiste  ebenso  wie  die  durch  Symbole.  Das  Höchste  kann  nur 
durch  transzendentes  Wissen  geschaut  werden.  Die  Verehrung 
aber  führt  zu  diesem  durch  seine  Gnade"  (z.  BS.  III,  2,  37).  Bei 
jeder  Symbol- Verehrung  muß  man  sich  daher  stets  gegenwärtig 
halten,  daß  man  Visnu  nicht  im  Symbol  schauen,  sondern  ihn  nur 
zum  Zwecke  der  Verehrung  als  in  ihm  gegenwärtig  sich  vorstellen 
kann.  (z.  BS.  IV,  1,  4). 

9.    Transzendenz  und  Immanenz  Visnus. 

Visnu  weilt  in  ewiger,  überirdischer  Herrlichkeit  in  seiner 
Himmelsstadt  Vaikuntha.     Von  den  Seligen  umgeben  und   immer- 


1)  Im  Komm,  zu  dieser  Stelle  erklärt  Madhva   das   yad  idam  upasate   als 
tava  samipe  vartate. 


40  Zweiter  Abschnitt 

während  gepriesen  liegt  er  auf  einem  von  Sri  gebildeten  Ruhe- 
bett (Ps.  603),  angetan  mit  Diadem,  Muschel,  Diskus  und  den 
himmlischen  Waffen,  mit  herrlichen  Kränzen  und  Kleidern  ge- 
schmückt, glänzender  als  tausend  Sonnen. 

Während  er  so  über  der  Welt  in  ununterbrochener  Seligkeit 
thront,  alle  Genüsse  genießend  und  von  den  Heiligen  in  seiner 
göttlichen  Gegenwart  genossen,  bleibt  er  doch  gleichzeitig  in  engster 
Verbindung  mit  der  Welt.  Zur  Zeit  der  Weltenruhe  liegt  er  auf 
einem  von  Sri  gebildeten  Feigenblatt,  in  seinem  Bauche  alle  Seelen 
bergend  (Ps.  467  f.),  bei  der  Weltschöpfung  dringt  er  in  die  Ma- 
terie ein  und  schafft  das  All  und  was  es  enthält  (Ps.  418),  zur 
Zeit  des  Weltbestandes  nimmt  er  mannigfache  Gestalt  an,  um  die 
Frommen  zu  schirmen  und  die  Schlechten  zu  bestrafen  und  weilt 
als  „innerer  Lenker"  (antaryämin)  in  den  Herzen  aller  Wesen. 
(BhG.  X,  20). 

So  ist  Visnu  transzendent  und  immanent  zugleich.  „Derselbe 
Visnu,  der  in' Vaikuntha  wohnt  über  den  sieben  Welten,  der  ist  auch 
in  allen  Welten,  sowohl  in  den  höchsten  und  obersten  des  Brahma 
Visva,  wie  auch  in  den  niederen.  Und  auch  in  allen  Seelen  ist 
dieser  Eine  gegenwärtig",  (z.  Chä.  Up  III,  13,  p.  20b).  Für  den 
beschränkten  Verstand  der  jivas  ist  es  zwar  ein  offener  Wider- 
spruch, daß  Visnu  an  so  verschiedenen  Orten  in  so  verschiedener 
Form  sein  soll;  aus  der  Tatsache  jedoch,  daß  der  Mensch  mit  der 
geringen  Kraft  seines  Intellekts  die  Allgegenwart  Gottes  nicht 
erfassen  kann,  ergibt  sich  nichts  gegen  die  Richtigkeit  dieser  durch 
die  heiligen  Schriften  unzweideutig  ausgesprochenen  Glaubens- 
wahrheiten. Im  Überschwang  mystischer  Ekstase  findet  der  Gläu- 
bige den  überweltlichen  Gott  zu  dem  er  betet  in  seinem  Herzen 
und  überbrückt  so  auf  dem  Kulminationspunkt  der  Meditation  die 
Gegensätze,    welche   ein  unzureichendes  Denken  geschaffen  hatte. 


III. 

Das  Weltgeschehen. 

1.    Gottes  Verhältnis  zur  Welt. 

Gott  ist  die  Weltursache.  Diese  fundamentale  Forderung  des 
religiösen  Bewußtseins  wird  von  Madhva  wie  von  allen  Vedäntins 
als  ein  wesentlicher  Bestandteil  alles  theologischen  Wissens  be- 
trachtet. Nicht  nur  die  Offenbarung  bezeugt  an  allen  Stellen  die 
Richtigkeit  dieses  Satzes,  sondern  auch  die  Schlußfolgerung  nötigt 
dazu,  ihn  anzuerkennen.    Der  gesamte  Weltprozeß  kann  nicht  in 


Metaphysik  41 

der  Urmaterie  von  selbst  vor  sich  gehen,  weil  sie  an  sich  jeder 
Aktivität  entbehrt;  die  Vielheit  der  individuellen  Seelen  kann  ihn 
nicht  hervorrufen,  weil  diese  keine  absolute  Macht  besitzen  (z.  BS. 
II,  2,  If.).  So  lehrt  auch  die  Vernunft,  daß  Gott  die  Welt  her- 
vorgebracht hat  und  alles  Geschehen  in  ihr  bestimmt. 

In  welcher  Weise  kann  aber  die  Welt  durch  Gott  verursacht 
worden  sein?  Er  kann  sie  nicht  aus  dem  Nichts  erschaffen  haben, 
weü  man  dann  konsequenter  Weise  annehmen  müßte,  daß  sie 
beim  Weltuntergang  auch  wieder  restlos  vernichtet  würde  —  eine 
Ansicht,  die  folgerichtig  dazu  führen  würde,  die  Religion  über- 
haupt für  nutzlos  zu  erklären,  da  ja  dann  eine  Erlösung  unnötig 
und  widersinnig  wäre.  Gott  kann  die  Welt  aber  auch  nicht  als 
Blendwerk  wie  ein  Yogin  hervorgezaubert  haben,  weil  sie  real  ist 
und  die  Anschauungen  der  Illusionisten  als  irrig  erwiesen  wurden. 
Gott  kann  sich  auch  nicht  durch  Selbstentzweiung  (dvividhabhüti) 
oder  Umgestaltung  (vikrti)  in  die  vielheitliche  Welt,  in  Materie 
und  Seelen  verwandelt  haben,  weil  er  unveränderlich  ist  und  es 
logisch  unmöglich  und  dem  religiösen  Gefühl  widerstreitend  wäre, 
anzunehmen,  daß  der  fehlerfreie  und  absolut  vollkommene  Gott 
sich  in  die  schlechte  und  mit  zahllosen  Mängeln  behaftete  Welt 
umgewandelt  habe  (z.  Mänd-Up  I,  7  ff.).  Die  Theorien  Samkaras, 
Rämänujas  und  anderer,  welche  in  dieser  oder  jener  Form  Gott 
als  die  causa  efficiens  und  causa  materialis  der  Welt  annehmen, 
beruhen  im  übrigen  auf  der  Lehre  des  satkäryaväda,  auf  der  An- 
schauung, daß  die  Wirkung  bereits  vor  ihrem  Entstehen  in  der 
Ursache  präformiert  liege,  daß  also  eine  durchgängige  und  allge- 
meine Identität  von  Ursache  und  Wirkung  bestehe^).  Madhva 
aber  lehrt,  daß  ein  Produkt  vor  seiner  Entstehung  in  Hinsicht 
auf  seine  Ursache  seiend,  in  Hinsicht  auf  seinen  Zustand  als  Pro- 
dukt nichtseiend  ist,  daß  es  nach  seiner  Entstehung  hingegen  als 
Produkt  seiend,  als  Ursache  nichtseiend  ist.     (Ps.  342  ff.). 

So  wie  in  der  Welt  jedes  Ding  eine  materielle  Ursache  (upa- 
dänakärana)  und  eine  bewirkende  Ursache  (nimitta-kärana)  hat, 
so  wie  z.  B.  bei  einem  Goldschmuck  das  Gold  die  causa  materialis, 
der  Goldschmied  die  causa  efficiens  ist,  so  muß  auch  die  Welt  als 
Ganzes  beide  Ursachen  haben.  Aus  dem  Grundprinzip  der  An- 
nahme von  drei  Entitäten  Gott,   Seelen,   Materie  ergibt  sich   hin- 


1)  Deußen,  System  des  Vedänta,  275;  Sukthankar,  The  Teachings  of  Ve- 
dänta  according  to  Rämännja,  p.  22;  Suali,  Introduzione  allo  Studio  della  Phi- 
losophia  Indiana,  p  263;  S.  N.  Dasgupta  „History  of  Indian  Philosophy"  (Cam- 
bridge 1922)  1,  257. 


42  Zweiter  Abschnitt 

sichtlich  der  Erklärung  der  Weltentstehung  mit  Notwendigkeit 
die  Feststellung,  daß  Grott  nur  die  bewirkende  Ursache  der  Welt 
sein  kann,  während  die  beiden  anderen,  ewigen  Entitäten,  die  Ma- 
terie, bezw.  die  Seelen  ihre  materielle  Ursache  sind.  Grott  ist 
denmach  nicht  eigentlich  der  Weltschöpfer,  sondern  der  Weltbau- 
meister —  er  gleicht  einem  Töpfer,  der  aus  dem  vorhandenen  Ton 
Grefäße  formt,  nicht  jemandem,  der  aus  sich  selbst  heraus  oder  aus 
dem  Nichts  etwas  in  die  Erscheinung  ruft.  „Grott  ist  die  Ursache 
(müla)  der  Welt,  jedoch  nur  die  bewirkende,  weil  er  keiner  Um- 
wandlung fähig  ist.  Wie  die  Seele  eines  Keimes  (bija-jiva)  die 
Ursache  eines  Schößlings  ist,  ohne  sich  umzuwandeln,  so  ist  Visnu 
die  Ursache  der  Welt,  nicht  aber  so  wie  der  Vater  die  Ursache 
für  den  Leib  des  Sohnes  ist",  (z.  Chä.  Up  VI,  8). 

Obwohl  Gott  von  der  Welt  durchaus  verschieden  ist,  ist  er 
doch  dauernd  mit  ihr  aufs  engste  verbunden.  Diese  Verbindung 
ist  ewig  (nitya,  Ps.  237)  und  unlöslich  (avinäbhäva),  wie  die  zwischen 
einem  Baum  und  seinem  Saft,  also  nicht  trennbar,  wie  diejenige 
zwischen  einem  Menschen  und  seinem  Kleide.  Trotz  seines  engen 
Zusammenhanges  mit  der  Welt  steht  Grott  ihr  ganz  unparteiisch 
gegenüber  (udäsina),  da  er  nicht  an  seinem  Werke  hängt  und 
durch  dieses  nicht  gebunden  wird.  (BhG.  IX,  9).  Jedoch  ist  die 
deistische  Lehre,  daß  Grott  nur  den  ersten  Anstoß  zum  Welt- 
prozeß gegeben  habe  und  alles  weitere  dann  von  selbst  vor  sich 
gehe,  zu  verwerfen,  ebenso  der  Gedanke,  daß  er  das  Weltge- 
schehen nur  fördere  ohne  es  zu  bedingen,  etwa  wie  der  Regen 
das  Wachsen  des  Grases  aus  dem  Erdboden  fördert.  Nach  dem 
Zeugnis  der  Heiligen  Schrift  ist  vielmehr  die  Welt  und  alles,  was 
in  ihr  vorgeht,  ganz  und  gar  von  Visnu  abhängig.   (BS.  II,  2,  5). 

Wenn  Gott  die  unbeschränkte  Herrschaft  über  die  Welt  be- 
sitzt, fragt  es  sich,  warum  er  das  ganze  Geschehen  in  ihr  wirkt. 
Unter  einem  Zwange  kann  er  nicht  gehandelt  haben,  weil  dies 
seiner  Allmacht  widersprechen  würde.  Der  Zweck  aber,  der  den 
meisten  irdischen  Bestrebungen  zu  Grunde  liegt,  die  Erlangung 
eines  Genusses,  kann  von  ihm  dabei  auch  nicht  verfolgt  worden 
sein,  denn  dann  müßte  er  sich  ja  vor  der  Weltschöpfung  in  einem 
relativ  unbefriedigten  Zustande  befunden  haben,  es  würde  ihm  also 
an  der  vollen  Seligkeit  etwas  gefehlt  haben  und  er  wäre  nicht 
ewig-vollkommen,  wie  die  Schrift  lehrt,  (z.  Mänd.  Up.  1, 15).  Gott 
hat  vielmehr  keinerlei  Motiv  für  sein  Handeln.  Er  schafft  und 
zerstört  die  Welt  nur  zum  Spiel,  so  wie  in  der  Welt  ein  freudig 
Erregter  im  Überschwang  der  Lust  tanzt  und  singt,  ohne  ein  be- 
stimmtes Ziel  zu  verfolgen  (z.  BS.  II,  1,  33  f.). 


Metaphysik  43 

Hier  und  da  scheint  jedoch  Madhva  auch  ein  Motiv  vorzu- 
schweben, das  Gott  zu  immer  neuen  Weltschöpfungen  veranlaßt: 
die  Notwendigkeit,  die  lebenden  "Wesen  des  Lohnes  für  ihre  Taten 
in  untergegangenen  Welten  zuteil  werden  zu  lassen  i).  Würde 
Visnu  nicht  immer  auf's  Neue  Welten  entstehen  lassen,  in  denen 
das  vor  dem  letzten  Weltuntergang  angehäufte  aber  noch  nicht 
zur  Auswirkung  gelangte  karman  sich  realisieren  kann,  so  würde 
damit  das  eherne  Gresetz  der  Vergeltung  alles  Tuns  durchbrochen 
—  das  wäre  aber  ein  Gedanke,  der  nicht  nur  an  der  Gerechtig- 
keit Gottes  zweifeln  ließe,  sondern  auch  die  moralische  Bedeutung 
des  ganzen  Weltprozesses  in  Frage  stellen  würde.  Die  Anerken- 
nung der  Tatsache,  daß  Gott  Welten  schaffen  muß,  um  das  noch 
nicht  zur  Realisation  gelangte  karman  zur  Auslösung  seiner  Wir- 
kungen zu  bringen,  läßt  sich  freilich  schwer  vereinigen  mit  dem 
Satze  von  der  absoluten  Allmacht  Gottes  —  dies  beunruhigt  Madhva 
aber  ebensowenig  wie  andere  Theologen,  die  mit  Recht  in  ihren 
religiös  orientierten  Systemen  Schwierigkeiten  unbeachtet  lassen, 
welche  nur  den  grübelnden  Verstand,  nicht  das  religiöse  Gemüt 
bewegen. 

2.   Die  Evolution  der  Welt. 

Wie  für  alle  Philosophen  der  Hindus  ist  auch  für  Madhva  die 
Welt  als  Ganzes  ewig  und  unzerstörbar.  Die  Zustände,  in  denen 
sie  sich  befindet,  wechseln  hingegen  in  regelmäßig  wiederkehrendem 
Turnus.  Unaufhörlich  folgt  auf  eine  Weltschöpfung  wieder  ein 
Weltuntergang,  an  den  sich  dann  nach  einer  langen  Ruhepause 
wieder  eine  neue  Weltschöpfung  anschließt.  (BhG.  IX,  7).  Wenn 
im  Folgenden  von  einer  Evolution  und  Reabsorption  der  Welt  ge- 
sprochen wird,  so  sind  darunter  nicht  einmalige  Ereignisse  zu 
verstehen,  sondern  solche,  die  sich  seit  Ewigkeit  schon  unzählige 
Male  abgespielt  haben  und  in  Ewigkeit  immer  wieder  abspielen 
werden,  und  zwar  stets  in  derselben  ein  für  allemal  feststehenden 
Weise. 

In  den  heiligen  Schriften  der  Hindns,  vornehmlich  in  den 
Upanisads  und  den  Puränen  finden   sich  zahlreiche  kosmogonische 


1)  Es  lag  nahe,  diesen  Gedanken  so  zu  fassen,  daß  gelehrt  wird,  Gott  schaffe 
neue  Welten  nicht  aus  egoistischen  Motiven,  sondern  aus  Liebe  zu  den  Seelen, 
die  nur  dadurch,  daß  sie  am  Weltprozeß  teilnehmen,  ihre  Bestimmung  erfüllen 
und  ihr  Ziel  (Erlösung  usw.)  erreichen  können.  Dies  tut  der  Kommentator  Sri- 
niväsa  wenn  er  schreibt:  „tathä  ca  bhagavat-srsteh  sva-prayojanäbhäve'pi  para- 
prayojanäpeksatvam  asty  eva". 


44  Zweiter  Abschnitt 

Erzählungen.  Diese  Schöpfungsberichte  weichen  oft  stark  von 
einander  ab  und  lassen  sich  auch  durch  die  Deutekunst  der  Kom- 
mentatoren nicht  immer  miteinander  in  Einklang  bringen.  Das 
abendländische  Denken,  mit  seinem  stark  ausgeprägten  Bedürfnis, 
alle  seine  Inhalte  organisch  einzuordnen,  würde  hier  überall  be- 
strebt sein,  durch  Auslegung  und  Forterklärung  in  jedem  Text 
eine  bestimmte  Theorie  festzustellen  und  diese  dann  für  die  allein 
richtige  zu  erklären.  Nicht  so  der  Inder.  Er  wird  nicht  in  diesem 
Maße  von  dem  Wunsche  beherrscht,  alle  Denkinhalte  zu  verbinden 
und  logisch  auszugleichen,  sondern  erkennt  oft  Verschiedenartiges 
als  relativ  gleichberechtigt  an,  ohne  an  offenbaren  Gegensätzen 
im  Einzelnen  Anstoß  zu  nehmen.  Auch  Madhva  trägt,  namentlich 
in  den  Kommentaren  zu  den  Upanisaden,  Schöpfungslehren  vor, 
die  sich  nur  schwer  miteinander  in  Harmonie  bringen  lassen.  Es 
kann  meine  Aufgabe  nicht  sein,  hier  auf  alle  Spekulationen  ein- 
zugehen; ich  begnüge  mich  daher  mit  einer  Darstellung  des  Wich- 
tigsten. 

Von  der  komplizierten  Paficarätra-Lehre  von  den  ver- 
schiedenen Stadien  der  Weltschöpfung,  die  von  Visnu  durch  seinen 
vyühas  vorgenommen  wird^),  finden  sich  bei  Madhva  nur  verein- 
zelte Spuren;  am  ausführlichsten  spricht  Madhva  hierüber  Mbhtp. 
I,  2 — 12  und  III,  10  ff.,  doch  lassen  sich  schon  diese  beiden  Stellen 
nicht  leicht  miteinander  in  Einklang  bringen.  Nach  Mbhtp.  I 
existiert  zur  Zeit  der  Weltenruhe  nur  Visnu  als  Näräyana,  die 
Welt  und  alle  Seelen  in  seinem  Leibe  bergend,  umschlungen  von 
Sri,  der  ihm  ewig  konkomitanten  Personifikation  seiner  Schöpfungs- 
kraft. Am  Ende  des  „Augenschließens"  (nimesakänte),  d.  h.  wenn 
eine  neue  Weltperiode  anbricht,  bemerkte  er  die  in  ihn  eingegan- 
genen Scharen  von  Wesen  und  beschloß,  die  Welt  ins  Dasein  zu 
rufen,  um  ihnen  Lust  und  Leid  zuteil  werden  zu  lassen.  Er  wurde 
selbst  zu  Väsudeva,  Sri  zu  Mäyä,  dann  wurde  er  zu  Samkarsana, 
sie  zu  Jayä,  hierauf  er  zu  Pradyumna,  sie  zu  Krti,  schließlich  er 
zu  Aniruddha,  sie  zu  Sänti.  Als  Aniruddha  versah  er  die  bisher 
körperlosen  Seelen  in  seinem  Leibe  mit  den  ihnen ,  auf  Grund 
ihres  in  früheren  Existenzen  erworbenen  karman,  zustehenden  Lei- 
bern und  machte  sie  dadurch  zu  Brahma,  Väyu,  Sesa,  Garuda, 
öiva  usw.  Dann  nahm  Visnu  noch  weitere  Formen  an,  blieb  dabei 
aber  immer  derselbe,  eine,  unveränderliche^). 

1)  Eine  ausführliche  Darstellung  derselben  gibt  F.  0.  Schrader  „Introduc- 
tion"  p.  27—86. 

2)  paiicätmakah  sa  bhagavän  dvi-sad-ätmako  'bhüt  pafica-dvayi-sata-sahasra- 
paromitas  ca  |  ekah  samo  'pi  ,  .  ."  Mbhtp.  I,  10. 


Metaphysik  45 

Mahäbhtp.  III  schildert  die  Entstehung  der  Götter  in  an- 
derer Weise.  Zuerst  läßt  diese  Textstelle  die  bedeutendsten  Gott- 
heiten Brahma,  Väyu.  Sesa,  Garuda  u.  a.  aus  der  Vereinigung 
Visnus  in  seinen  4  Formen  Väsudeva,  Samkarsana,  Pradyumna, 
Aniruddha  mit  den  entsprechenden  Formen  Laksmis  hervorgehen, 
dann  gibt  sie  aber  nacheinander  noch  eine  Reihe  von  Beschrei- 
bungen des  Ursprungs  von  Brahma,  Siva  usw.,  wobei  diese  zu 
kosmische  Potenzen  wie  mahat,  ahamkära,  buddhi  und  nachher  zu 
den  gunas  in  Beziehung  gesetzt  werden  ^).  Schließlich  wird  be- 
schrieben, wie  die  Götter  Visnu  zur  Weltschöpfung  aufforderten 
und  wie  dann  Sri  das  Ei  schuf.  In  dieses  drang  Visnu  mit  allen 
Göttern  ein,  worauf  aus  seinem  Nabel  der  Weltlotus  erwuchs,  auf 
welchem  Brahma  geboren  wurde,  der  dann  die  anderen  Götter 
und  Wesen  entstehen  ließ.  Offenbar  wird  hier  der  Versuch  unter- 
nommen, die  verschiedensten  Schöpfungsmythen  miteinander  zu 
verbinden,  es  scheint  dabei  die  Vorstellung  zu  Grunde  zu  liegen, 
daß  es  eine  Stufenfolge  von  Schöpfungen  höherer  und  niederer 
Ordnung  gebe,  in  denen  jedesmal  ein  Brahma  usw.  entsteht,  doch 
wird  über  das  Verhältnis  der  einzelnen  Schöpfungen  zueinander 
ebensowenig  etwas  ausgesagt  wie  über  die  Beziehungen,  in  wel- 
chen die  einzelnen  Brahmas  zueinander  stehen^). 

Die  vielen  Schöpfungsmythen  der  Upanisaden  werden 
von  Madhva  in  seinen  Kommentaren  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
dadurch  miteinander  in  eine  gewisse  Harmonie  gebracht,  daß  er 
die  verschiedensten  Elemente,  Potenzen  usw.  die  entstehen,  als 
Götternamen  faßt,  wobei  er  natürlich  recht  willkürlich  verfährt. 
Von  den  Mythen  Brh.  Up  I,  2  gibt  er  z.  B.  folgende  Erklärung : 
Am  Ende  der  Weltruheperiode  begehrte  der  Weltenherr  ^)  einen 
Leib  zu  haben.  Da  verehrte  er  sein  Selbst  und  es  entstand  das 
Wasser.  Aus  dessen  festgewordenem  Schaum  wurde  die  Erde*), 
auf  dieser  legte  er  sich  nieder  °)  und  überlegte  %  dadurch  wurde 
Väyu '')  ins  Leben  gerufen,  der  die  Essenz  aller  Kraft  ist  ^). 

1)  „punas  ca  mäyä  trividhä  babhüva  satvädirüpair  atha  Väsudevät  j  satvät- 
mikäyäqi  sa  babhüva  tasmät,  sa  Visiju-nämaiva  nirantaro  'pi  j|  rajas-tanau  caiva 
Viriöca  äsit  tamas-tanau  Sarva  iti  trayo  'smät".    (Mbhtp.  III,  21  f.). 

2)  Über  mehrere  Brahmas,  Sivas  usw.  s.  Schrader  „Introduction"  p.  81. 

Über  die  Entstehung  der  Götter  werden  überhaupt  die  verschiedensten  My- 
then erzählt,  so  soll  Brahma  aus  Visiius  Gnade,  §iva  aus  seinem  Zorn  entstanden 
sein  (cf.  Bhäg.  P.  III,  12). 

3)  asanäyä,  eigentlich  Hunger. 

4)  tasyäm  prthivyäm  svetäkhye  dvJpe  muktair  upäsyate. 

5)  tasyäm  asrämyat,  eig.  ermüdete  er ;  da  Gott  nie  ermüdet,  paßt  nur  die 
Bedeutung  sich  hinlegen! 


4:6  Zweiter  Abschnitt 

Väyu  teilte  sich  in  drei  Teile:  Äditya,  die  Sonne,  Agni,  das 
Feuer  und  Väyu,  den  "Wind.  Väyu  hat  die  Gestalt  einer  Schild- 
kröte, die  sich  in  den  Wassern  des  Welteis  befindet,  auf  dem 
Schweif  Visnus  als  der  großen  Schildkröte  ruhend  (die  das  Weltei 
trägt). 

Visnu  wünschte  dann  „Möge  mir  Brahma^)  als  zweiter^)  (Sohn) 
geboren  werden.  Er  paarte  sich  mit  Sri^)  nach  seinem  Willen 
und  sie  gebar  nach  einem  Jahr  Brahma.  Gregen  diesen  sperrte 
Visnu  den  Mund  auf  wie  um  ihn  zu  verschlingen,  da  machte  dieser 
aus  Furcht  „bhän"  und  aus  seinem  Munde  entstand  Sarasvati.  Visnu 
dachte,  wenn  ich  Brahma  wieder  in  mich  zurücknehme*),  dann 
wird  das  zu  Genießende  (die  Schöpfung)  nur  klein  sein.  Da  schuf 
er  durch  Sarasvati  und  Brahma  alles,  was  immer  vorhanden,  die 
Schutzgottheiten  der  Veden  und  Opfer,  die  Menschen  und  Tiere". 

Trotzdem  Madhva  hier  schon  den  Text  durch  seine  Interpre- 
tation sehr  wesentlich  umgestaltet  hat,  kann  von  einer  Überein- 
stimmung mit  dem  vorhin  mitgeteilten  Schöpfungsgeschichten  keine 
Rede  sein.  Zu  keinem  besseren  E-esultat  gelangt  man,  wenn  man 
Madhvas  Kommentare  zu  anderen  Upanisadstellen ,  welche  die 
Weltschöpfung  behandeln,  vergleicht;  wenn  auch  die  allgemeinen 
Grundlinien  nach  Madhvas  Umdeutungen  einigermaßen  harmonieren, 
bleiben  doch  so  viele  Unstimmigkeiten  bestehen,  daß  sich  ein  System 
daraus  nicht  gewinnen  läßt. 

Philosophischer  und  darum  für  uns  auch  interessanter  als  diese 
theo-  und  kosmogonischen  Mythen  ist  das,  was  Madhva  über  die 
Entstehung  der  materiellen  Welt  sagt.  Eine  zusammenhängende 
Darstellung  seiner  Evolutionstheorie  gibt  Madhva  nicht,  wiewohl 
er  an  vielen  Orten  Einzelnes  mitteilt,  aus  dem  sich  seine  An- 
schauungen ergeben.  Eine  auf  seinen  Angaben  fußende  Zusammen- 
fassung bietet  jedoch  Padmanäbhas  „Madhvasiddhäntasära"(Ps.  417  ff.), 
dessen  Führung  wir  uns  deshalb  hier  anvertrauen  wollen. 

6)  taptasya  nicht  „er  erhitzte  sich"  oder  „empfand  Schmerz"  denn  das  ist 
auf  Gott  nicht  anwendbar. 

7)  eig.  Agni,  nach  Madhva  ist  aber  Väyu  gemeint  (agrajatväd  agranitväd 
Väyor  agnitvam  isyate). 

8)  tejorasah  =  sämarthya-sära-bhütah. 

1)  Eigentlich:  ätman  „ätmä  virincah  sumanäh  sudhautas  ceti  kathyate". 

2)  Eigentlich  werden  Väyu  und  Brahma  gleichzeitig  geboren.  Da  jedoch 
Väyu  (in  seiner  letzten  Inkarnation)  zu  Brahma  wird,  ist  er  hier  vor  Brahma 
genannt  worden,  um  dies  anzudeuten.  An  anderen  Stellen  wird  die  Geburt  Brahmas 
vor  der  Väyus  erzählt,  weil  die  Stellung  Brahmas  höher  ist  als  die  Väyus. 

3)  Eigentlich  mit  väc  =  vedäbhimänini  devi  Sri. 

4)  abhimamsye  =  linam  karisye. 


Metaphysik  47 

Die  kosmogonischen  Vorstellungen  die  hier  entwickelt  werden, 
sind  dem  Sämkhya  entlehnt,  wie  es  in  den  Puränas  gelehrt  wird. 
Die  termini  technici  dieses  Systems  werden  benutzt  und  erfahren 
nur  hier  und  da  eine  geringe  Bedeutungsänderung.  In  der  fol- 
genden kurz  gefaßten  Darstellung  der  Evolutionslehre  ist  die  von 
Garbe  in  seinem  berühmten  Werke  über  die  Sämkhya-Philosophie 
gegebene  Verdeutschung  der  philosophischen  Ausdrücke  durch- 
gängig angewandt  worden;  auf  Garbes  Buch  verweise  ich  auch 
betreffs  näherer  Erläuterung  der  in  Betracht  kommenden  Begriffe. 

Zur  Zeit  der  Weltenruhe,  in  der  Periode  zwischen  einem 
Weltuntergang  und  vor  einer  neuen  Weltschöpfung  befindet  sich 
die  Urmaterie  (prakrti)  in  einem  ganz  feinen,  sinnlich  nicht  wahr- 
nehmbaren, unentfalteten  (avyakta)  Zustande.  Einheitlich  und  un- 
teilbar besteht  sie  aus  drei  Konstituenten  (guna),  die  sich  in  ihr 
das  Gleichgewicht  halten :  sattva,  dem  Reinen,  Lichten,  Leichten, 
Freudigen;  rajas,  dem  Beweglichen,  Aktiven,  Leidenschaftlichen 
und  tamas  dem  Schweren,  Starren,  Dunklen,  Apathischen.  Diese 
drei  Substanzen  ruhen  in  der  Urmaterie  nebeneinander  in  völliger 
Harmonie,  wie  die  Bäume  in  einem  Walde, 

Wenn  dann  die  Evolution  beginnen  soll,  entsteht  in  Gott  der 
Schaffensdrang  (sisrksä).  Visnu  dringt  in  die  prakrti  ein  und  ruft 
in  ihr  eine  Erschütterung  (ksobha)  hervor.  Dadurch  wird  das  ur- 
sprüngliche Aquilibrium  der  gunas  aufgehoben,  sie  teilen  sich  und 
bilden  drei  Gruppen  (räsi),  die  in  ihrer  Gesamtheit  die  materielle 
Ursache  der  Welt  sind.  Die  so  entstandenen  kosmischen  Sub- 
stanzen sind  nicht  von  gleichem  Umfang,  sondern  sattva  ist  doppelt 
so  groß  als  rajas  und  dieses  wieder  zweimal  so  groß  als  tamas. 
Nur  sattva  geht  aus  der  Urmaterie  rein  und  unvermischt  hervor, 
während  rajas  mit  sattva  und  tamas,  tamas  mit  sattva  und  rajas 
vermengt  ist. 

Sobald  die  Urmaterie  einmal  in  Bewegung  versetzt  worden 
ist,  nimmt  der  Evolutionsprozeß  unaufhaltsam  seinen  Lauf.  Aus 
dem  Feinen  entsteht  das  Gröbere,  aus  der  Urmaterie  entwickeln 
sich  nach  und  nach  die  feinen  Organe,  welche  späterhin  für  die 
Seelen  das  materielle  Substrat,  den  Apparat  des  Erkennens  und 
Denkens  bilden,  und  die  groben  Elemente,  die  ihnen  als  Objekte 
ihrer  Wahrnehmung  und  Empfindung  dienen.  Die  Evolution  geht 
hierbei  in  der  Weise  vor  sich,  daß  zunächst  die  feinen  Organe, 
welche  späterhin  für  die  Individuen  zu  den  Hilfsmitteln  ihrer 
Geistestätigkeit  werden,  als  subtile  kosmische  Substanzen  ent- 
stehen. Zuerst  bildet  sich  und  zwar  direkt  aus  den  drei  gunas 
das  oberste  Denkprinzip,  das  mahattattvam,   der  kosmische  Intel- 


48  Zweiter  Abschnitt 

lekt,  welcher  die  Voraussetzang  aller  Erkenntnistätigkeit  ist.  Aus 
dem  mahat  entstellt  sodann  der  ahamkära  „der  Ichmacher",  das- 
jenige Organ,  daß  bei  den  Individuen  das  Ich-Bewußtsein  hervor- 
ruft und  sie  dazu  veranlaßt,  die  gewonnenen  Erkenntnisse  mit 
ihrer  Seele  in  Verbindung  zu  setzen.  Der  ahamkära  wird  ent- 
sprechend dem  Überwiegen  eines  der  in  ihm  enthaltenen  gunas 
über  die  beiden  anderen  in  drei  Teile  geteilt:  den  „modifizierten" 
(vaikärika),  der  vorzugsweise  unter  dem  Einfluß  von  sattva  steht, 
den  „wirksamen",  (taijasa),  bei  welchem  rajas  überwiegt,  und  den 
„dunklen"  (tämasa),  tamas-artigen.  Als  nächstes  Prinzip  geht  so- 
dann buddhi  aus  mahat,  verstärkt  durch  taijasa  ahamkära ')  her- 
vor, das  Organ  der  Unterscheidung  und  Entschließung^). 

Aus  dem  vaikärika  -  ahamkära  entsteht  sodann  manas,  das 
Organ  des  „inneren  Sinns",  des  Wünschens  und  Überlegens.  Mit 
der  Hervorbringung  des  manas  ist  die  Entwicklung  der  materiellen 
Basen  für  die  spätere  intellektuelle  Aktivität  der  jivas  abge- 
schlossen. Den  Übergang  zur  Erschaffung  der  Objekte  bildet  die 
Entstehung  der  Sinnesorgane.  Im  ganzen  werden  10  indriyas 
unterschieden,  5  Erkenntnissinne :  Gresicht  (caksus),  Grehör  (ärotra), 
Greruch  (ghräna),  Geschmack  (rasa),  Grefühl  (tvac)  und  5  Tatsinne: 
die  vom  Reden  (väc),  Greifen  (päni),  Gehen  (päda),  Entleeren  (päyu) 
und  Zeugen  (upastha).  Die  indriyas  gehen  aus  dem  taijasa-aham- 
kära  hervor,  sie  sind  selbst  im  Individuum  etwas  Unerkennbares, 
das  nur  durch  die  Tätigkeit,  die  es  in  den  sichtbaren  Organen, 
welche  ihm  als  Rezeptakulum  dienen,  entfaltet,  erschlossen  werden 
kann. 

Aus   dem  tämasa-ahamkära   entwickeln   sich    darauf   die   fünf 


1)  buddhir  .  .  .  mahattattvajanyä  taijasähamkärei;i6pacitä  (Ps.  112f.). 

2)  Im  klassischen  Sänkhya  ist  mahat  mit  buddhi  identisch,  letztere  wird 
deshalb  in  der  Evolutionsreihe  vor  ahamkära  aufgeführt.  Madhva  unterscheidet 
hingegen  deutlich  zwischen  beiden;  so  sagt  er  Tattvasankhyäna  9  „asamsrstaqi 
mahän,  aham,  |  buddhir,  manah,  khäni  dasa,  |  mäträbhütäni  panca  ca".  Zu  BhG. 
VII,  4  wo  von  den  8  Bestandteilen  der  prakrti  gesprochen  wird  (bhümir  äpo  'nalo 
väyuh  khaqi  mano  buddhir  eva  ca  |  ahaqikära  itiyam  me  bhinnä  prakrtir  astadhä) 
bemerkt  er  ausdrücklich  „mahato  'haipkära  eväntarbhävah".  Die  Unterscheidung 
von  mahat  und  buddhi  ist  in  Pancarätra- Werken  die  Regel;  sie  geht  auf  eine 
alte  Tradition  zurück,  die  uns  in  Kath.  Up  III,  10  erhalten  ist  (vergl.  auch  Prasna 
Up  IV,  8,  Cülikä  Up  14,  Sarvöpanisatsära  5.  Mbh  XII,  204,  10;  XIV,  50,  54. 
Vielleicht  kann  auch  daran  erinnert  werden,  daß  in  Sadänandas  Vedäntasära  §  85 
eine  Vierteilung  des  Erkenntnisapparats  gelehrt  wird,  insofern]  als  neben  buddhi 
und  manas  noch  citta  und  ahaipkära  genannt  werden,  die  in  den  ersten  beiden 
enthalten  sein  sollen).  Schrader  („Introduction"  p.  69—75)  ist  dem  Problem 
mahat-buddhi  nachgegangen  und  zu  bedeutungsvollen  Schlüssen  gelangt. 


Metaphysik  49 

Grundstoffe  (tanmätra)  des  Tons  (§abda),  des  Gefühls  (spar^a),  der 
Farbe  (rüpa),  des  Geschmacks  (rasa)  nnd  des  Gerachs  (gandha), 
aus  denen  dann  weiterhin  die  5  groben  Elemente  (bhüta)  ent- 
stehen :  aus  dem  Grundstoff  des  Tons  das  grobe  Element  des  Äthers 
(äkäsa),  aus  dem  des  Gefühls  die  Luft  (väyu),  aus  dem  der  Farbe 
das  Feuer  (tejas),  aus  dem  des  Geschmacks  das  Wasser  (ap),  und 
aus  dem  des  Geruchs  die  Erde  (prthivi). 

Gleichzeitig  mit  den  tattvas  schafft  Visou  die  diese  regie- 
renden Gottheiten  Brahma  usw.  (Ps.  418). 

Die  durch  Evolution  aus  der  Urmaterie  entstandenen  24  tattvas 
befinden  sich  zunächst  in  einem  unvermischten  Zustande,  sie  sind 
„unkombiniert"  (asamsrsta).  Damit  die  Welt  zustandekommt,  ist 
es  notwendig,  daß  sie  sich  miteinander  verbinden.  Aus  ihrer  Ver- 
mengung (samsrsti)^)  entsteht  das  Weltei  (brahmända).  Damit  ist 
der  erste  Teil  des  Schöpfungsdramas,  der  „sarga"  abgeschlossen, 
und  es  beginnt  der  zweite  Akt  desselben,  der  „anusarga"  ^). 

Visnu  dringt  in  das  Weltei  ein,  Teile  von  allem  Belebten 
und  Unbelebten  in  seinem  Innern  bergend.  Nach  tausend  Götter- 
jahren wächst  aus  seinem  Leibe  ein  Lotus  hervor.  In  diesem  wird 
der  vierköpfige  Brahma  geboren.  Brahma  übt  tausend  Götterjahre 
lang  Askese  und  erinnert  sieb  dadurch  an  die  Einrichtung  der 
Welt,  wie  sie  vor  der  letzten  Reabsorption  bestanden  hatte.  Durch 
seine  Bußübungen  gnädig  gestimmt,  läßt  Visnu  aus  seinem  Körper 
die  5  groben  Elemente  hervorgehen,  dann  geht  er  in  Brahma  ein 
und  schafft  aus  ihnen  die  14  Welten.  Hierauf  entstehen  alle  ver- 
gänglichen Götter  innerhalb  des  Welteis,  während  an  der  ewigen 
Laksmi  ihre  charakteristischen  Merkmale  offenbar  werden.  Die 
im  Samsära  befindlichen  Seelen  gehen  sodann  in  die  von  dem  De- 
miurgen  Brahma  ihren  Werken  in  früheren  Inkarnationen  ent- 
sprechend geschaffenen  Leiber  ein.  Gleichzeitig  damit  geht  die 
Entstehung  der  Unwissenheit  (avidyä)  vor  sich,  die,  aus  tamoguna 
bestehend,  in  jeder  Seele  gesondert  ihren  Sitz  aufschlägt  wie  ein 
Pisäca,  der  sie  besessen  macht  ^),  und  ihr  die  wahre  Erkenntnis 
verbirgt  (Ps.  170—174)*). 


1)  Vergl.  Alamkärasarvasva ,    ed.   Kävyamälä,   p.    192:    „esäip  tila-taiidula- 
nyäyena  misratvaiii  sainsrstih". 

2)  mahad-ädy-aijda-paryantah   sargo,   'ride  brahmarias   tu  yah  |  anusarga  iti 
proktah  .  .  ."  (Bhäg  Ptätp,  22  b) 

3)  Bhäg  Ptp.  108  a  „pisäcavat  sthitä  mäyä  .  .  .   sä  ca  prätisviki  nara"  iti 
Vaibhävye. 

4)  Daß  die  hier  ausführlich  behandelte  Evolutionslehre ,   wie  sie  im  Ps.  zu- 
sammengefaßt ist,  noch  heute  den  Mädhvas  als  authentische  Darstellung  der  kos- 
V,  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie.  4 


50  Zweiter  Abschnitt 

3.    Der  Weltbestand. 

Die  durch  den  Evolutionsprozeß  aus  der  Urmaterie  hervorge- 
gangene Welt  hat  die  Grestalt  eines  großen  Eis  (brabmända).  Die 
Hüllen  desselben  werden  gebildet  von  den  tattvas,  der  Reihe  nach 
anfangend  mit  der  Erde  (prthivi)  und  schließlich  endigend  mit  der 
feinen  Materie  (avyakta).  In  der  Mitte  des  Eis  befindet  sich  die 
Erdenwelt  (Bhü-loka)  mit  ihren  Kontinenten  und  Meeren,  unter 
dieser  liegen  die  von  Asuras  bewohnten  7  Unterwelten,  ganz  in 
der  Tiefe  die  7  Höllen.  Über  der  Erdenwelt  befindet  sich  der 
Bhuvar-loka,  der  sich  bis  zum  Sonnenkreis  erstreckt,  über  ihm  der 
Svar-Ioka  (die  Himmelswelt),  der  von  Tndra  und  den  Gröttein  be- 
wohnt wird  und  die  Sphären  der  Grestirne  umfaßt.  Jenseits  des 
Svar-Ioka  liegt  Mahar-loka,  die  Welt  der  pädayogins,  d.  h.  der 
Wesen,  die  eine  teilweise  Beherrschung  des  yoga  erlangt  haben. 
Dann  folgen  Jana-loka,  die  Welt  der  yogins,  Tapoloka,  die  Welt 
der  Asketen  (tapasvin)  und  schließlich  Satya-loka,  die  Welt  des 
vierköpfigen  Brahma  und  der  Rsis.  Die  sieben  Welten  bestehen 
aus  den  5  Elementen,  jedoch  so,  daß  immer  eines  von  diesen  dabei 
dominiert,  und  zwar  in  Bhü-loka  Erde,  in  Bhuvar-loka  Wasser, 
in  Svar  und  Mahar  Feuer,  in  Jana-  und  Tapo-loka  Feuer,  in  Sa- 
tya-loka Äther;  je  höher  eine  Welt  liegt,  desto  subtiler  sind  also 
die  Stoffe ,  die  bei  ihr  vorherrschen.  Die  Wesen ,  welche  die 
Welten  von  Jana  an  bewohnen,  brauchen  nie  wieder  in  den  Sam- 
sära  zurückzukehren,  sondern  gehen  nach  längerer  oder  kürzerer 
Zeit  in  die  Erlösung  ein  (z.  BhGr  VIII,  16,  bhäsya  p.  33  a).  Hoch 
über  allen  Welten  liegt  Vaikuntha,  der  himmliche  Sitz  Visnus  und 
der  Erlösten. 

Die  Welt  mit  allen  ihren  materiellen  Produkten  und  den 
zahllosen  jlvas,  die  sie  bewohnen,  wird  von  Visnu  regiert  und  ist 
ganz  und  gar  seiner  Gewalt  unterworfen.  Sie  ist  so  vollkommen 
abhängig  von  ihm,   daß  ihr  Bestand  (sthiti)  nur  durch  einen  fort- 


mogonischen  Anschauungen  ihres  Meisters  gilt,  ergibt  sich  aus  §  44  des  Dvaita- 
Catechism,  in  welchem  die  Schöpfungsgeschichte  ganz  kurz  in  systematischer 
Form  behandelt  wird.  Danach  verläuft  die  Weltentstehung  in  10  Stufen.  Es 
entstehen  1)  mahat,  2)  ahaipkära,  3)  die  tanmätras,  4)  die  indriyas,  5)  die  Götter 
(devatä),  6)  avidyä,  7)  die  Pflanzen  (sthävara),  8)  die  Tiere,  9)  die  Menschen, 
10)  die  Erscheinungsformen  Vis^us,  die  die  Welt  regieren.  1 — 6  bilden  den 
präkrta-sarga,  7 — 9  den  vaikrta-sarga. 

1)  Über  die  indischen  Vorstellungen  vom  Weltgebäude  vergl.  „Hinduismus" 
S.  227  und  ausführlich  W.  Kirfel  „Die  Kosmographie  der  Inder"  (Bonn  1920). 
—  Angaben  über  die  Maße  der  Welt  macht  Madhva  Brh  üp  (am  Ende  des  Komm, 
zum  Bhujyu-Brähma^a,  p.  36  a)  und  Mbh.  tp  XXI,  47  f. 


Metaphysik  51 

gesetzten  Akt  Gottes  möglich  ist.  Visnu  erfüllt  sie  beständig 
und  ergötzt  sich  in  ihr.  Sie  ist  gleichsam  sein  Körper  (BS.  I, 
2,  20).  In  mystischer  Weise  wird  die  Welt  zu  ihm  in  Beziehung 
gesetzt,  wenn  es  heißt:  „In  seinem  Bauche  ist  der  Luftraum,  die 
Erde  in  seiner  Füße  Sohlen.  Der  Himmel  ist  in  der  Spalte  seines 
Hauptes,  die  Himmelsrichtungen  sind  in  seinen  Armen . . .  Sein  oberer 
rechter  Arm  enthält  den  Osten  und  heißt  juhü,  weil  er  die  Opfer 
bringt  (hu)  und  Visnu  mit  ihm  zu  essen  (hu)  pflegt.  Der  untere 
rechte  Arm  enthält  den  Süden;  er  heißt  sahamänä,  denn  mäna 
heißt  Wissen  und  Visnu  hält  in  ihm  die  Muschel,  das  Symbol  des 
Wissens  oder  er  heißt  juhü,  weil  Visnu  mit  dem  Diskus  die  Feinde 
tötet  (hu).  In  seinem  linken  unteren  Arm  befindet  sich  der  Westen; 
er  heißt  räjiii,  weil  Visnu  darin  die  Keule  (räji)  hält.  Der  linke 
obere  Arm  enthält  den  Norden;  er  heißt  subhütä,  weil  Visnu  in 
ihm  den  Lotus  trägt,  das  Symbol  des  Grlückes  (Sri)",  (z.  Chä  Up 
III,  15,  1).  Als  „innerer  Lenker"  (antaryämin)  weilt  er  immerdar 
in  den  Herzen  aller  Wesen,  wandert  in  vielerlei  Grestalt  in  ihnen 
umher  und  leitet  sie  von  innen  ^). 

4*   Die  Reabsorption  der  Welt. 

So  wie  die  Evolution  und  die  Erhaltung  der  Welt  durch 
Visnu  geschieht,  so  auch  die  Eeabsorption  (pralaya).  Die  Welt- 
vernichtung  ist  eine  partielle  oder  eine  totale.  Die  partielle  er- 
folgt regelmäßig,  wenn  ein  Tag  des  Brahma  (dainandina-pralaya) 
oder  eine  Manu-Periode  zu  Ende  gegangen  ist  (Manu-pralaya). 
Der  dainandina-pralaya  erstreckt  sich  nur  auf  die  drei  Welten  Bhü, 
Bhuvar-  und  Svarloka  und  nicht  auf  die  in  diesen  Welten  woh- 
nenden Götter,  die  unter  Indras  Führung  nach  Maharloka  aus- 
wandern. Beim  Manu-pralaya  wird  die  Dreiwelt  von  einer  Sint- 
flut heimgesucht,  der  jedoch  nur  die  Menschen  in  Bhüloka  und  die 
im  Götterhimmel  befindlichen  Werkfrommen  (karmin)  zum  Opfer 
fallen,  während  die  Bewohner  von  Bhuvar  und  Svarloka  sich  nach 
Maharloka  retten. 

Der  „große  pralaya"  (mahäpralaya)  hingegen  ist  eine  voll- 
kommene Eeabsorption  der  Welt.  In  Visnu  entsteht  dann  der 
Zerstörungsdrang  (samjihirsä).   Daraufhin  dringt  aus  Saiiikarsanas  ^) 


1)  „hrdaya-sthah  sadä  Visriur  bahudhä  caikadhä  bhavan  |  carati  svecchayai- 
väntah  sarva-jivän  niyämayan"  (z.  Mu  Up  II,  2,  7). 

2)  Samkarsana  wird  als  vyüha  der  Zerstörung  bezeichnet  (samhära-kärana- 
vapu,  Mbhtp.  1,7)  vielfach  aber  auch  mit  Rudra  identifiziert,  zu  BhG  VIII,  4 
mit  Brahma. 

4* 


52  Zweiter  Abschnitt 

Mnnde  ein  Feuerbrand,  der  das  ganze  Weltei  verbrennt.  Es  er- 
folgt eine  allgemeine  Involution  aller  tattvas,  bis  schließlich  nur 
noch  die  Urmaterie  übrig  ist,  in  welcher  die  gunas  sich  im  Grleich- 
gewicht  befinden.  Die  Reihenfolge  der  Rückbildung  der  einzelnen 
Produkte  in  die  tattvas,  aus  denen  sie  ihren  Ursprung  nahmen,  ist 
genau  die  umgekehrte  derjenigen,  welche  bei  der  Weltentstehung 
stattfand  (anurüpah  kramah  systau,  pratirüpo  laye  kramah.  Pädma- 
Puräna).  Symbolisch  wird  dies  in  der  Weise  gedeutet,  daß  je 
früher  etwas  geschaffen  ist,  es  desto  früher  auch  ein  Aufenthaltsort 
von  Visnus  Ruhm  und  darum  widerstandsfähiger  ist  als  das  später 
geschaffene,  so  daß  es  erst  später  der  Vernichtung  anheimfällt, 
(z.  BS.  II,  3,  14).  Die  einzelnen  Seelen  gehen  alle^)  in  Visnus 
Leib  ein.  Visnu  selbst  ruht  auf  einem  von  Lak§mi  gebildeten 
Feigenblatt  in  dem  in  Laksmi  bestehenden  großen  Ozean,  bis 
er  von  neuem  mit  der  Weltschöpfung  beginnt.  Von  der  Vernich- 
tung nicht  betroffen  werden  die  Wohnsitze  der  Seligen  in  Sveta- 
dvipa,  Anantäsana  und  Vaikuntha,  da  diese  die  Wesenheit  Laksmis 
(laksmyätmakatva)  haben  ^),  ebenso  auch  nicht  die  ewigen  Höllen  ^) 
Tämisra  und  Andhatämisra  *). 

1)  Mbhtp  I,  3 ;  Ps.  468  „sarve'  pi  jiväs  tad-udaraqi  pravisanti". 

2)  Gitätätp  XVIII,  62:  „säsvataip  sthänaip  Vaiku^thädi  |  „Srir  eva  loka-rü- 
peria  Visi;ios  tisthati  sarvadä  |  ato  hi  Vaisi;iavä  lokä  nityäs  te  cetanä  apiti  Agneye". 

Über  die  Lage  dieser  3  Paradiese  macht  Madhva  Angaben  im  Komm,  zu 
Chä  Up  III,  13,  7  wo  er  die  Stelle  erläutert :  „Nun,  das  Licht,  das  jenseits  von 
diesem  Himmel  scheint,  jenseits  der  Brahmäwelt,  jenseits  von  allen  Welten,  in 
den  höchsten  Welten,  über  denen  es  keine  höhern  mehr  gibt,  —  das  ist  fürwahr 
dasselbe  Licht,  das  innerhalb  dieses  Menschen  ist".  Auf  der  Erde  ist  der  Himmel 
(dyaus):  Meru,  im  Äther  (äkäsa):  der  Sonnenkreis,  im  Himmel  (divi):  der  Sitz 
Indras.  Für  die  auf  Erden  befindlichen  ist  die  höchste  Welt  Anantäsana,  für 
die  im  Luftraum  Svetadvipa,  für  die  im  Himmel  (dyaus)  Vaikuntha.  So  ist  auch 
der  Sitz  Visuus  dreifach  wie  die  Welt. 

3)  Nach  BS.  III,  1, 16  gibt  es  5  zeitliche  (anitya)  Höllen :  Raurava,  Mahä- 
raurava,  Vahni,  Vaitaranl  und  Kumbhipäka,  in  welchen  kleinere  Sünden  von  den 
Missetätern  durch  zeitlich-begrenzte  Strafen  verbüßt  werden,  und  2  ewige  (nitya) 
Höllen,  Tämisra  und  Andhatämisra,  in  denen  die  für  alle  Ewigkeit  Verdammten 
wohnen.  —  Nach  Chä  Up  VI,  16  (p.  31a)  zerfällt  Andhatamas  in  drei  Abtei- 
lungen. Die  Strafe  in  der  ersten  Abteilung  entspricht  dem  Gefängnis.  Die  in 
der  zweiten  der  Verstümmelung,  die  in  der  dritten  der  Todesstrafe. 

4)  Zu  Brh  Up  I,  2,  1  (p.  2  b)  führt  Madhva  den  „Brahmatarka"  an,  nach 
welchem  Werke  die  folgenden  10  Dinge  beim  pralaya  nicht  vergehen:  1)  Visnu, 
2)  Laksmi,  3)  die  jtvas,  4)  die  Zeit,  5)  prakrti  im  Zustande  des  Gleichgewichts 
der  gunas  (trigupa-sämya),  6)  die  karmans,  7)  prä9a,  8)  die  indriyas,  9)  die  Werk- 
residuen (saipskära),  10)  die  Veden.  —  Zur  Zeit  der  Weltenruhe  sind  alle  diese 
von  Visnu  bedeckt,  so  daß  es  darum  kein  Widerspruch  ist,  wenn  es  in  der  Schrift 
heißt:  „naiveha  kiipcanägra  Esit". 


.  Metaphysik  .g$ 

5.   Die  Weltalter. 

Die  Zeit  ist  ebenso  wie  die  Urmaterie  als  Ganzes  ein  ewiges 
Weltprinzip;  ihre  Teile  hingegen  sind  vergänglich;  sie  wird  des- 
halb als  nityänitya  (ewig-nicht-ewig  *))  bezeichnet.  Ihren  Ursprung 
nimmt  sie  aus  der  prakrti  (kälopadänain  prakrtir  eva,  z.  Ps.  188) 
und  zwar  permanent,  also  auch  zur  Zeit  der  Weltenruhe  (Ps.  470). 
Die  Zeit  besitzt  in  sich  selbst  Unterschiede  (svata  eva  käle  vi^e- 
sängikrte^ca,  z.  BS.  II,  2,  12)  und  erhält  diese  nicht  erst  durch 
die  Vorfälle,  die  sich  zufällig  in  ihr  abspielen.  Sie  ist  insofern 
als  Ursache  für  die  Entstehung  aller  Produkte  anzusehen  (Ps.  192), 
so  daß  die  Worte  der  käla-cintakas  ((xaudapädakärikä  I,  8)  in  dieser 
Hinsicht  richtig  sind,  wofern  man  die  Zeit  als  von  Visnu  abhängig 
ansieht.     (Mänd-Up  I,  14). 

Das  Weltgeschehen  vollzieht  sich  in  genau- bestimmten  Zeit- 
räumen^). Zur  Zeit  des  Weltbestandes  folgen  in  regelmäßigem 
Turnus  die  4  Weltalter  aufeinander:  das  Krta-yuga,  in  welchem 
die  Rechtschaffenheit  allgemein  war  und  Visnu  allein  verehrt 
wurde  (1.728.000  Jahre);  das  Tretä-yuga,  in  welchem  die  Tugend 
schon  Einbuße  erlitt  und  die  Menschen  anfingen,  zur  Erreichung 
von  bestimmten  Zwecken  Opfer  darzubringen  und  andere  Grötter 
anzubeten  (1.296.000  Jahre);  das  Dväpara-yuga,  in  dem  der  Ab- 
fall vom  wahren  Grlauben  weiter  zunahm  und  der  Veda,  der  vorher 
einer  gewesen  war,  in  vier  Teile  zerlegt  wurde  (864.000  Jahre) 
und  schließlich  das  böse  Kali-yuga,  in  dem  wir  jetzt  leben  und 
in  welchem  die  Schlechtigkeit  und  Gottlosigkeit  ihren  Höhepunkt 
erreicht  (432.000  Jahre).  Das  zu  Ende  gehende  yuga  geht  nicht 
unmittelbar  in  das  folgende  über,  sondern  jedes  alte  yuga  wird 
beschlossen,  jedes  neue  eingeleitet  durch  eine  Periode  der  Dämme- 
rung (sandhyä  und  sandhyäinsa),  welche  je  ^lio  der  Dauer  des  yuga 
beträgt  und  in  die  oben  gegebenen  Zahlen  eingerechnet  ist.  Die 
vier  yagas  zusammen,  d.  h.  4.320.000  Jahre  heißen  mahäynga. 
1000  mahäyugas  heißen  ein  kalpa  und  bilden  einen  Tag  Brahmas. 
Am  Ende  eines  jeden  solchen  Tages  erfolgt  ein  dainsmdinapra- 
laya,  durch  welchen  die  drei  Welten  zerstört  werden.  Nach  einer 
Periode  der  Ruhe,  der  sog.  „Nacht  Brahmas",  die  ebenfalls  einen 
kalpa  währt,  erfolgt  dann  bei  Tagesanbruch  eine  Neuschöpfung. 
Während  eines  Brahmätages  folgen  14  Manus  in  der  Menschenwelt 


1)  Tattvasamkbyäna,  v.  8.  Komm. :  „yan  na  sarvathä  kütasthaiji  nä'py  anityam 
eva,  tad  ucyate  nityänityam". 

2)  Ps.  423  ff.,   z.  Mupd  Up  I,  2,6.     Vergl.   H,  Jacobi  „Ages  of  the  World 
(Indian)«  in  E.R.  E.  vol.  1,  p.  200  ff.,  „Hinduismus«  S.  230  f. 


64  Zweiter  Abschnitt 

aufeinander,  jeder  71  mahäyugas  lang  sein  Amt  ausübend.  Über 
die  Himmelswelt  herrschen  während  dieser  Zeit  14  Indras  nach- 
einander^). Aus  den  Tagen  und  Nächten  Brahmas  setzt  sich  in 
entsprechender  Weise  das  Brahma -Jahr  zusammen.  100  Brahmä- 
Jahre  sind  die  Lebenszeit  eines  Brahma  und  damit  die  Zeit  des 
Weltbestandes,  von  der  Entstehung  Brahmas  auf  der  Lotusblume  bis 
zum  großen  Weltuntergang;  diese  Zeit  heißt  „para".  Nach  einer 
Periode  der  allgemeinen  Weltruhe  erfolgt  dann  die  Neuschöpfung, 
und  zwar  umfaßt  die  Zeit  von  der  Evolution  des  mahat  bis  zur 
Fertigstellung  des  Welteis  einen  „mahäkalpa",  die  Zeit  von  dort 
bis  zur  Entstehung  Brahmans  auf  der  Lotosblume  einen  „pädma- 
kalpa''. 


IV. 
Die  Seelen. 
1.    Allgemeines. 

Die  Seele  (jiva)  ist  ein  ewiges,  immaterielles,  rein-geistiges, 
erkennendes  und  tätiges  Wesen.  Sie  ist  ohne  Teile  und  deshalb 
unzerstörbar.  Sie  hat  die  Grröße  eines  Atoms,  wie  sich  daraus 
ergibt,  daß  sie  im  Verlaufe  ihrer  Wanderungen  von  einer  Existenz 
zur  andern  bald  in  kleinen,  bald  in  großen  Leibern  Platz  findet. 
Die  Ansicht  der  Jainas,  nach  welcher  die  Seele  jeweils  die  Größe 
des  von  ihr  belebten  Körpers  besitzen  soll,  ist  zu  verwerfen,  denn 
wenn  sie,  um  nacheinander  den  Leib  eines  ganz  kleinen  Wesens 
und  den  eines  Elefanten  zu  bewohnen  sich  entsprechend  verändern 
müßte,  dann  würde  sie,  wie  alle  veränderlichen  Dinge,  auch  ver- 
gänglich sein.  (BS.  II,  2,  34).  Mit  der  Lehre  von  der  Atomgröße 
(anu-parimänatva)  der  Seele  steht  es  nicht  in  Widerspruch,  wenn 
es  in  der  Heiligen  Schrift  gelegentlich  heißt,  die  Seele  sei  daumen- 
groß (angustha-mätra,  Käth  Up.  VI,  17),  denn  dies  ist  nur  ein 
metaphorischer  Ausdruck. 

Die  Herrlichkeit,  welche  den  Seelen  an  sich  zukommt,  wird 
beschränkt  durch  ihre  Verbindung  mit  der  Materie.  Dadurch  wird 
ihre  Erkenntnis  und  ihre  Seligkeit  in  hohem  Maße  vermindert  und 

1)  z.  Ps.  424,  426  werden  folgende  Namen  für  die  14  Manus  und  die  ent- 
sprechenden Indras  unsers  Brahmätages  gegeben :  1)  Sväyambhuva-Yajna,  2)  Svä- 
rocisa-Rocana,  3)  Uttama-Satyajit,  4)  Täpasa-Täpasa,  5)  Raivata-Vibhu,  6)  Cäksusa- 
Mandradyumna,  7)  Vaivasvata-Purandara,  8)  Sävarni-Bali,  9)  Daksasävarni-Ad- 
bhuta,  10)  Brahmasävarrii-Sambhu,  11)  Dharmasävarrii-VaidLrti,  12)  Rudrasävarni- 
Rtudhäman,  13)  Devasävarni-Divaspati-,    14)  Indrasävarrii-5uci. 


Metaphysik  55 

sie  wird  der  Geburt,  dem  Tode  und  mancherlei  Leiden  unterworfen. 
Daß  das  Leid  tatsächlich  nicht  in  der  Seele  selbst  vorhanden  ist, 
sondern  nur  durch  ihre  Verbindung  mit  dem  Stofflichen  hervorge- 
rufen wird,  ergibt  sich  daraus,  daß  es  ihr  fehlt,  sobald  sie  dem 
Einfluß  der  Materie  entrückt  ist,  wie  im  Zustande  des  Schlafes 
oder  des  pralaya.  (z.  BhGr.  II,  14). 

Die  Verbindung  der  Seelen  mit  der  Materie  ist  anfangslos 
und  bei  manchen  Seelen  auch  ohne  Ende.  Sie  ist  eine  Folge  der 
Werke,  welche  die  jivas  seit  unendlicher  Zeit  in  ihren  verschie- 
denen Existenzen  vollbracht  haben.  Eine  Befreiung  der  Seele 
von  der  Materie  ist  nur  möglich  durch  die  Erfüllung  bestimmter 
religiöser  Pflichten,  welche  ihr  die  Grnade  Gottes  und  dadurch  das 
übernatürliche  Wissen  erwerben  helfen,  das  zur  Erlösung  von  den 
Banden  der  Stofflichkeit  führt.  Im  Zustande  der  Erlösung  kommen 
dann  die  der  Seele  an  sich  eigentümlichen  Eigenschaften,  ihre 
Kraft,  Macht,  Energie,  Seligkeit  und  Erkenntnis  zur  Entfaltung, 
so  wie  die  Zeugungskraft,  die  im  Kinde  schon  potentiell  vorhanden 
ist,  im  Jüngling  erst  zu  Tage  tritt  (BS.  II,  3,  30  f.). 

2.    Seelen  und  Leiber. 

Die  im  Sainsära  befindlichen  Seelen  sind  mit  materiellen  Kör- 
pern umkleidet.  Der  grobstoffliche  Leib  (sthüla  sarira),  der  mit 
den  gewöhnlichen  Sinnesorganen  wahrnehmbar  ist,  entsteht  mit 
der  Geburt  und  zerfällt  beim  Tode  wieder.  Er  setzt  sich  aus  den 
groben  Elementen  zusammen,  und  zwar  auf  Erden  zu  50°/o  aus 
Erde,  der  Rest  zu  V*  aus  Wasser,  zu  7*  aus  Feuer;  bei  den  im 
Himmel  (svarga)  befindlichen  Wesen  besteht  er  zur  Hälfte  aus 
Feuer  (z.  BS.  II,  4,  23). 

Jede  Seele  hat  außer  dem  groben  Körper  noch  einen  aus  feiner 
Materie  gebildeten,  sinnlich  nicht  wahrnehmbaren  Leib  (süksma 
oder  linga^arira).  Dieser  besteht  aus  16  Teilen,  nämlich  den  5 
Erkenntnissinnen,  den  5  Tatorganen,  dem  Innenorgan  und  den  5 
pränas  ^).  Von  diesen  ist  der  präna  mit  seinen  5  Unterteilen  von 
besonderer  Wichtigkeit. 

Präna  ist  im  Makrokosmos  die  Lebenskraft,  die  in  allem  die 
Bewegung  hervorruft,    im  Mikrokosmos  der  Lebenshauch,    der  die 


1)  Bhäg  P  IV,  29,  76  „evain  pancavidhaqi  lingam  trivrt  sodasa-vistrtam  ) 
esa  cetanayä  yukto  jlva  ity  abhidhiyate"  und  dazu  Madhva  (Bhg  P.  tp.  p.  56  a): 
„prärißndriyäntahkarana-bhedena  trividham  matain  |  panca  pancaiva  te  sarve  pränä 
buddhindriyäni  ca  |  karmendriyaiji  ca  tathä  tasmät  panca- vidhain  smrtam  |  lingaip 
sodasakam  prähur  manasa  saha  tat  punar  iti  Brähme".    S.  auch  Ps.  574. 


56  Zweiter  Abschnitt 

Organe  regiert :  „Selbst  feststehend  tat  der  Mukhya-präna  fürwahr 
dieses  und  läßt  es  tun,  stärkt  und  bewirkt,  daß  etwas  gestärkt 
wird,  legt  nieder  und  trägt;  deshalb  nennen  sie  ihn  den  mächtigen. 
Die  indriyas  sind  nicht  feststehend,  sie  tun  nichts  und  lassen  nichts 
tun,  sie  stärken  nicht  und  bewirken  nicht,  daß  gestärkt  wird,  sie 
legen  nicht  nieder  und  tragen  nicht ;  die  indriyas  heißen  darum 
kraftlos  und  bloße  Mittel  zum  Zweck".  (Pauträyana  Sruti,  z.  BS. 
II,  4,  19).  So  ist  der  präna  allen  Sinnen  überlegen  und  bedient 
sich  ihrer  als  seiner  "Werkzeuge.  Auch  während  des  Schlafes, 
wenn  sie  untätig  sind,  übt  er  seine  Wirksamkeit  aus  (z.  BS.  11, 
4,  20) ;  bei  kleinen  Kindern  und  im  Turiya-Zustande  wirkt  er,  ohne 
daß  er  die"  Organe  zu  Hilfe  nimmt,  (z.  Chä.  Up.  V,  2,  9).  In 
seinen  5  Formen  als  präna  (Aushauch),  apäna  (Nachhauch),  samäna 
(Mithauch),  vyäna  (Durchhauch)  und  udäna  (Aufhauch)  vollzieht  er 
die  Respiration,  die  Sekretion,  die  Nutrition,  den  Blutumlauf  und 
den  Auszug  der  Seele  aus  dem  Körper.  Seine  Funktionen  be- 
schränken sich  jedoch  nicht  darauf,  das  vegetative  Leben  zu  re- 
geln; er  ist  vielmehr  auch  das  verbindende  Glied  zwischen  dem 
geistigen  jiva  und  den  materiellen  Organen  und  der  Mittler  (madhya, 
z.  BS.  II,  4,  11)  zwischen  Grott  und  Seele,  der  hauptsächlichste 
Sitz  Gottes  (brahma-dhäman) ,  wenn  dieser  im  Inneren  der  Seele 
waltet  (z.  Mund-Üp  III,  2,  1).  — 

Der  feine  Leib  begleitet  die  Seele  durch  alle  ihre  Existenzen 
und  wird  erst  von  ihr  abgelegt,   wenn  sie  den  Sainsära^)  verläßt. 

Als  ein  dritter  Leib  (kärana-sarira)  kann  schließlich  die  Un- 
wissenheit (avidyä)  betrachtet  werden,  die,  aus  tamas-Materie  be- 
stehend (S.  49)  dem  jiva  die  Erkenntnis  Gottes  verbirgt. 

Im  irdischen  Leibe  hat  die  Seele  ihren  Sitz  im  Herzen.  Von 
hier  aus  durchdringt  sie  den  ganzen  Leib,  wie  das  Sandelöl,  das, 
wenn  es  auch  nur  eine  Körperstelle  benetzt,  doch  über  den  ganzen 
Körper  Kühlung  und  Erfrischung  verbreitet,  oder  wie  das  Licht, 
das  von  einem  Platze  aus  die  ganze  Umgebung  erleuchtet  (z.  BS. 
II,  3,  24  f.).  Bei  Menschen,  welche  die  Wunderkräfte  der  Yoga- 
Praxis  sich  zu  eigen  machten,  und  bei  höheren  Wesenheiten  sind 
die  Fem- Wirkungen  der  Seele  noch  größer.  Sie  können  gleichsam 
Teile  von  ihrer  Seele  absondern  und  diese  an  andere  Orte  senden, 
wie  Blumen,  die  ihren  Duft  weithin  ausströmen  lassen.  Zum  Scherz 
können   sie    so  gleichzeitig   mancherlei    Gestalten    annehmen    und 


1)  Der  Samsära  wird  geradezu  definiert  als  die  Verbindung  der  Seele  mit 
materiellen  Elementen  »bhüta-bandhas  tu  samsäro,  muktis  tebhyo  vimocanam" 
(z.  BS.  III,  1,  1). 


Metaphysik  57 

sich  hier  und  dort  ergötzen,  während  ihr  irdischer  Leib  unbeweg- 
lich an  seinem  Orte  bleibt  (z.  BS.  II,  3,  27).  Entsprechend  der 
Machtstellung  der  jlvas  ist  der  Aktionsradius  der  Seelen  ein  sehr 
verschiedener.  Während  er  sich  bei  vielen  auf  die  „Licht- Aus- 
strahlung" (prakäsato  vyäpti)  innerhalb  ihres  Leibes  und  dessen 
nächster  Umgebung  beschränkt,  gewinnt  bei  anderen  die  „Teil- 
Durchdringung"  (ainsato  vyäpti)  eine  größere  oder  geringere  Aus- 
dehnung; die  höheren  Gottheiten,  vor  allem  Väyu,  und  auch  Dä- 
monen, wie  Kali,  können  fast  die  ganze  Welt  ihre  Macht  fühlen 
lassen.  Keine  aber  auch  noch  so  hochstehende  Seele  vermag  es 
Visnu  gleichzutun,  der  als  antaryämin  das  ganze  Universum  durch- 
waltet. 

3.   Das  Verhältnis  Gottes  zu  der  Seele. 

Die  Seele  ist  von  Natur,  dem  Begriff  nach,  und  der  Schrift 
zufolge  von  Grott  durchaus  verschieden.  Da  beide  aber  geistige 
Wesenheiten  sind,  haben  sie  im  Gregensatz  zur  Materie  manches 
miteinander  gemein.  Wegen  dieser  ihrer  Ähnlichkeit  mit  Visnu 
werden  die  Seelen  mitunter  als  Teile  (amsa)  Grottes  bezeichnet^), 
wie  BhGr.  XV,  7.  Damit  soll  zugleich  auch  ausgedrückt  werden, 
daß  die  Seelen  ganz  und  gar  von  Grott  abhängig  sind,  so  wie  die 
Teile  vom  Granzen.  Es  liegt  hier  also  eine  bildliche  Redewendung 
vDr,  ebenso  wie  wenn  die  Seelen  Söhne,  Brüder  oder  Freunde 
Visnus  genannt  werden,     (z.  BS.  II,  3,  43). 

Der  gleiche  Gredanke  findet  einen  Ausdruck  auch  darin,  daß 
von  der  Seele  als  einem  Reflex  oder  Abbild  (äbhäsa,  chäyä,  prati- 
bimba)  Visnus  gesprochen  wird.  Sie  ist  gleichsam  ein  Abglanz 
des  höchsten  Geeistes  ^),  weil  sie  ihm  in  mancher  Beziehung  gleicht. 
„Wie  die  vielen  Spiegelungen  der  Sonne  im  Wasser  der  Sonne 
ähnlich  sind,  so  werden  auch  die  kleinen  Seelen  in  der  Welt  als 
der  höchsten  Seele  ähnlich  angesehen",  (z.  BS.  III,  2, 18).  Aber 
so  wie  die  Sonnenreflexe  von  dem  Himmelskörper  ihrem  Wesen 
nach  vollkommen  verschieden  sind,  so  sind  auch  die  jlvas  von 
Gott  völlig  verschieden.  Genau  so  aber  auch,  wie  die  Abbilder 
der  Sorne  von  der  Sonne  in  ihrem  Dasein  und  Tun  bedingt  werden, 
so  auch  die  Seelen  von  Gott ;  sie  existieren  nur  durch  ihn  und  ihr 
Handeln  ist  ihm  gänzlich  unterworfen^). 

1)  kiipcit  sädrsja-mätrena  bhinno'  py  aipsa  ivöcyate  Gitä  tätp  XV,  7,  p.  37 b 
„aqisas  tu  dvividho  jneyah  svarüpariiso'nya  eva  ca  |  vibhinnäipso  'Ipasaktih  syät 
kiiiicit-sädrsya-inätra-yuk".    Anuvy  p.  37  a. 

2)  cetanäbhäsako  jivah,  paramas  cetano  Harih  (z.  Käth  Up  V,  11). 

3)  na  hi  pratibimbasya  kriyä,  sa  hi  bimba-kriyayaiva  kriyavän  (z,  BhG  II,  19). 


58  Zweiter  Abschnitt 

4.    Das  Wirken  Gottes  in  der  Seele. 

Gott  weilt  als  Innenwalter  (antaryämin)  im  Innern  aller  Wesen. 
Obwohl  nur  einer  und  über  allen  Welten  thronend,  ist  er  doch 
allerorts  gegenwärtig  und  wohnt  im  Herzen  eines  jeden  jiva.  Sein 
hauptsächlichstes  Rezeptakulum  ist  der  präna  (z.  Chä-Up  III,  13). 
„Warum  wird  aber  der  in  jedem  jiva  wohnende  Visnu  nicht  wahr- 
genommen, obwohl  doch  jeder  jiva  sein  eigenes  Selbst  wahrnimmt?" 
„So  wie  in  dem  Kein  des  Feigenbaums  das,  was  das  Wachstum 
des  großen  Baumes  hervorbringt,  nicht  wahrgenommen  wird,  so 
wird  auch  Visnu  im  jiva  nicht  wahrgenommen".  „Wieso  wird 
aber  seine  Kraft  (sakti)  wahrgenommen,  während  er  selbst  un- 
sichtbar bleibt?"  „So  wie  das  im  Wasser  aufgelöste  Salzstückchen 
nicht  wahrnehmbar  ist,  'obwohl  der  Geschmack  deutlich  erkennbar 
ist,  so  ist  auch  Visnu  selbst  unerkennbar,  obwohl  seine  Wirkungen 
deutlich  fühlbar  sind"  (z.  Chä  TJp  VI,  12).  So  wie  ein  Pisäca 
schon  lange  in  einem  Menschen  sein  Wesen  getrieben  haben  kann, 
ohne  daß  er  bemerkt  wurde,  und  dann,  scheinbar  plötzlich,  von 
ihm  Besitz  ergreift,  so  weilt  auch  Visnu  in  jedem  JTva,  wird  ihm 
aber  erst  offenbar,  wenn  die  Wissens erleuchtung  eingetreten  ist. 
(z.  Mu.  Up  III,  2,  1  cf.  BS.  II,  1,  26). 

Visnu  als  antaryämin  bewirkt,  daß  der  jTva  mit  den  Augen 
sieht,  mit  den  Ohren  hört,  mit  dem  manas  denkt,  mit  der  buddhi 
erkennt  (z.  BS.  II,  4,  16) ;  er  trinkt  die  Frucht  der  guten  Werke 
(Kath-Up  III,  1)  zu  seinem  Zeitvertreib,  wird  aber  von  dem  Übel, 
das  dem  jiva  anhaftet,  nicht  berührt;  er  weilt  auch  in  den  jivas, 
welche  in  der  Hölle  Qualen  erdulden,  ohne  an  ihren  Leiden  teil  zu 
haben  (z.  BS.  III,  1,  17);  er  ruft  im  jiva  Wissen  und  Unwissen- 
heit hervor,  er  verleiht  nach  seiner  Gnadenwahl  entsprechend  dem 
karman,  Seelenwanderung  oder  Erlösung,  er  teilt  Lust  und  Leid 
zu,  durch  ihn  entsteht  Licht  und  Finsternis  (Tattvasamkhyäna,  v. 
10.  11),  er  allein  ist  der  autonome,  der  wirkliche  Täter,  der  den 
jiva  anregt  und  beherrscht^),  (z.  BhG.  II,  24). 

Wenn  Gott  allein  als  wahrer  Täter  bezeichnet  wird,  so  würde 
also  die  Seele  an  sich  ganz  passiv  sein  und  keinerlei  Aktivität 
haben?  Das  würde  im  offenbaren  Widerspruch  zu  den  Worten 
der  Heiligen  Schrift  stehen,  welche  gerade  dem  jiva  Vorschriften 
über  sein  Handeln  macht,  ihn  z.  B.  zur  Meditation  auffordert  und 


1)  „asat-kartl  tu  jivali  syät,  sat-kartä  paramesvarah*  (Sabdanirriaya,  nach 
Bhäg  Ptätp  III,  35,  p.  43  b)  „prä^a-samsthasya  vai  Visnoh  samprityai  bhojanam 
bhavetltad  icchayaiva  cauryädi  kuryur  ajnä  api  dhruvaip  |  tathäpi  taip  na  jäniyuh 
pränätmänaip  Janärdanam"  iti  Pravrtte  (z.  ßrh  Up  IV,  1,  3,  p.  47  b). 


Metaphysik  59 

ihm  als  Lohn  für  seine  Taten  bestimmte  Dinge  in  Aussicht  stellt. 
Wenn  der  Einzelseele  gar  keine  „Täterschaft"  (kartrtva)  zukäme, 
dann  wäre  der  größte  Teil  des  Veda  unnütz,  ganz  abgesehen  da- 
von, daß  es  eine  alltägliche  Erfahrung  ist,  daß  jeder  jiva  diese 
und  jene  Taten  vollbringt,  um  bestimmte  Zwecke  zu  erreichen. 
Darum  ist  es  gewiß,  daß  auch  die  Einzelseele  eine  gewisse  Kraft 
(^akti)  und  ein  beschränktes  kartrtva  besitzt.  Die  Handlungsfrei- 
heit des  jiva  ist  jedoch  gering  im  Vergleich  zu  der  Macht  Visnus, 
weil  er  heteronom  und  Visnu  Untertan  ist.  Der  jiva  ist  ein  Täter 
wie  ein  Zimmermann,  der  teils  unter  der  Leitung  eines  Meisters, 
teils  aus  eigenem  Antrieb  handelt.  Die  Fähigkeit  zu  handeln 
aber  stammt  aus  Gott  und  Gott  läßt  die  Seele  handeln  in  einer 
Weise,  die  ihrem  karman,  ihrer  Bemühung  (prayatna)  und  den  ihr 
innewohnenden  Dispositionen  (samskära)  entspricht  (BS.  II,  3,  33  ff.). 
Wenn  der  jiva  auch  ein  intelligentes,  geistiges  Wesen  (cetana) 
ist,  so  ist  er  doch  wegen  seiner  Abhängigkeit  (von  Gott)  unfähig, 
von  sich  selbst  aus  etwas  zu  vollbringen.  Er  gleicht  somit  einem 
Stein  oder  einer  Holzpuppe,  die  von  einem  anderen  in  Bewegung 
gesetzt  werden  müssen ,  um  Aktivität  zu  entfalten.  Wenn  dem- 
gegenüber gesagt  wird,  der  jiva  bringe  ein  Werk,  dessen  Ausfüh- 
rung er  sich  vorgenommmen,  zu  Ende,  und  besitze  also  die  Fähig- 
keit des  Handelns,  so  ist  demgegenüber  zu  bemerken,  daß  ebenso 
wie  die  Kühe  die  Milch  nicht  von  sich  allein,  sondern  vielmehr 
auf  die  Veranlassung  des  Mukhya-präna  hin  erzeugen,  wie  die  Schrift 
lehrt,  so  auch  die  jivas  nichts  von  selbst  vollbringen  können.  Daß 
die  Seele  kein  autonomer  Täter  sein  kann,  ergibt  sich  aus  der 
folgenden  Erwägung :  Wenn  ein  Wesen  nur  einen  Finger  rührt, 
so  [müßte  es  —  als  absolutes,  einheitliches  Wesen  —  damit  zu- 
gleich sich  in  seiner  Totalität  betätigen.  Das  ist  aber  erfahrungs- 
gemäß unrichtig,  weil  nur  an  einem  Punkt  seine  Wirksamkeit  sich 
äußert.  Nähme  man  aber  an,  daß  es  nur  zum  Teil  tätig  ist,  so 
widerspräche  das  der  überall  von  der  Schrift  ausgesprochenen  Un- 
teilbarkeit des  jiva.  Ebenso  ungereimt  ist  es,  zu  glauben,  nur 
der  durch  upädhis  hervorgerufene  Teil  der  Seele  handele,  denn 
dann  müßte  die  Seele  entweder  ganz  mit  upädhis  versehen  sein 
—  sie  handelt  ja  aber  doch  nur  mit  einem  Finger !  —  oder  teil- 
weise, was  wieder  ihrer  Unteilbarkeit  widerspräche  (z.  BS,  II, 
1,  24  ff.).  Schließlich  aber  würde  der  Annahme  einer  absoluten 
Täterschaft  der  Seele  auch  die  Tatsache  widersprechen,  daß  sie 
unfähig  ist  das  zu  tun,  was  ihr  gut  ist,  und  das  zu  unterlassen, 
was  ihr  schadet  (z.  BS.  II,  1,  22).  So  ist  die  Seele  denn  ganz 
und  gar  von  Gott  in  ihrem  Tun  abhängig  und   es   gilt  der  Satz: 


60  Zweiter  Abschnitt 

„Ich  bin  kein  Täter,  du  bist  kein  Täter,  ein  Täter  ist  nur  der 
ewige  Herr«,     (z.  BS.  II,  1,  25). 

Die  Wirksamkeit  Visnus  in  den  jivas  äußert  sich  in  den  fünf 
psychischen  Zuständen  (avasthä) :  1)  Wachen,  2)  Träumen,  3)  Tief- 
schlaf, 4)  Ohnmacht  und  5)  turlya. 

Im  Wachzustande  (jägrad-avasthä)  weilt  Visnu  als  Vaisvä- 
nara  im  rechten  Auge  des  jiva  und  läßt  ihn  die  Außendinge  so- 
wie Lust  und  Leid  empfinden,  indem  er  die  Sinne  lenkt.  Als 
VaisYänara  hat  Visnu  19  Gesichter,  das  mittelste  hat  die  Gestalt 
eines  Elefantenkopfes,  die  übrigen,  die  sich  rings  um  dieses  grup- 
pieren, haben  menschliches  Aussehen.  Er  hat  ferner  7  Glieder, 
nämlich  4  Arme,  2  Füße  und  einen  Elefantenrüssel.  Für  den  jiva 
selbst  ist  Visnu  in  dieser  Gestalt  nicht  wahrnehmbar  (agocara), 
nimmt  aber  selbst  durch  dessen  Sinne  alles  wahr  und  genießt  alle 
dem  jiva  zuteil  werdenden  Genüsse,  ohne  hingegen  von  dessen 
Leiden  affiziert  zu  werden.  Er  verursacht  im  jiva  die  Unwissen- 
heit und  den  Wahn,  sich  für  ein  unabhängiges  Wesen  zu  halten, 
und  das  ganze  Treiben  in  der  Welt  (vyavahära). 

ImZustande  des  Traumschlaf es(svapna-avasthä)befindet 
sich  Vispu  als  Taijasa  im  manas,  das  im  Halse  lokalisiert  wird^). 
Er  hat  hier  ebenfalls  7  Glieder  und  19  Gesichter.  Im  Traum 
zeigt  Visnu  der  Seele,  wie  es  ihm  gefällt,  die  im  anfanglosen  manas 
enthaltenen  Eindrücke.  Er  bedient  sich  dabei  einzig  und  allein 
dieser  samskäras  als  Requisiten  (sädhana).  Durch  Träume  ge- 
stattet Gott  den  Wesen  einen  Blick  in  die  Zukunft,  was  aus 
Schriftstellen  wie  Chänd.  Up.  V,  2,  9  oder  der  Aussage  Vyäsas 
„Was  ein  Brahmane,  eine  Gottheit,  ein  Stier  oder  ein  König  zu 
einem  Träumenden  sagt,  das  wird  so  geschehen"  zu  ersehen  ist. 
Das  Verschwinden  der  Traumbilder  geschieht  ebenso  wie  ihr 
Kommen  durch  den  Willen  Visnus.  Im  Traiimzustand  ist  der  jiva 
zwar  auch  der  Unwissenheit  und  der  trügerischen  Illusion,  sich 
für  selbständig  zu  halten,  unterworfen,  doch  ist  er  auf  dieser 
Stufe  der  Wahrheit  insofern  etwas  näher,  als  er  nicht  mehr  durch 
den  groben  Leib  einen  Kontakt  mit  den  Sinnendingen  herstellt, 
sondern  nur  noch  durch  manas  die  Bilder  der  saqiskäras  wahr- 
nimmt und  somit  durch  die  Isolierung  von  dem  Grobstofflichen 
einen  höheren  Grad  der  Selbstbestimmung  erreicht. 

Im  tiefen  (d.h.  traumlosen)  Schlafe  (susupti-avasthä)  ver- 
einigt sich  die  Seele  in  den  Adern  der  Herzen  mit  Visnu  als 
Präjna,   ohne  jedoch  mit   ihm  sich  zu  vermischen.    Ihre  gesamte 


1)  Taijasa-namä  Bhagavän  kantha-desa-gata-manas-sarpsthaU  (Ps.  444). 


Metaphysik  61 

Sinnestätigkeit  hört  auf  und  sie  genießt  Wonne.  Der  Zustand 
selbst  wird  als  tamas  charakterisiert.  In  ihm  begehrt  der  jiva 
nichts  und  nimmt  nichts  wahr,  außer  sich  selbst,  tamas  und  der 
Zeit.  (z.  Mänd  Up  I,  5)  Visnu  selbst  wird  ebensowenig  wahrge- 
nommen wie  die  Objekte  der  Außenwelt  oder  die  samskäras.  Die 
Illusion  der  Unabhängigkeit  von  Grott  ist  geschwunden,  die  uran- 
fängliche Unwissenheit  (mülävidyä,  bijanidrä)  bleibt  hingegen  be- 
stehen. 

Die  drei  bisher  behandelten  Zustände  treten  bei  allen  jivas 
von  Brahma  an  abwärts,  häufig  auf.  Das  in  ihnen  statthabende 
Verhältnis  des  jiva  zu  Visnu  wird  im  Varäha-Puräna  (z.  BS.  III, 
2,10)  wie  folgt  zusammengefaßt:  „Wenn  der  jiva  fern  ist  von 
dem  im  Herzen  wohnenden  Höchsten,  so  wacht  er;  wenn  er  sich 
in  seiner  Nähe  befindet,  träumt  er ;  wenn  er  in  ihn  versunken  ist, 
schläft  er".  In  seinen  Formen  als  Vaisvänara  (Vi^va),  Taijasa 
und  Präjfia  wird  Visnu  mit  den  drei  Moren  der  heiligen  Silbe  Om 
(A-FU  +  M)  identifiziert,  und  der  Meditation  über  diese  Formen 
wird  eine  übersinnliche  Wirkung  zugeschrieben. 

Selten  tritt  bei  den  jivas  (jedoch  nur  bei  Rudra  und  denen, 
die  unter  ihm  stehen)  der  Zustand  der  Ohnmacht  (moha-avasthä) 
auf.  Er  äußert  sich  als  Bewußtlosigkeit;  der  Erinnerung  beim 
Erwachen  zufolge  ist  er  mit  der  Empfindung  von  Leid  verbunden ; 
seinem  Wesen  nach  ist  er  als  „halbes  Erreichen  Gottes  durch  den 
jiva"  zu  charakterisieren. 

Im  Gregensatz  zu  den  bisher  besprochenen  Zuständen  der  Seele, 
greift  der  letzte,  höchste  „vierte"  Zustand  (turiya-avasthä)  nur 
Platz  bei  den  Erlösten.  Er  ist  transzendent  (avyavahärya)  und 
kann  deshalb  von  den  im  Samsära  stehenden  Wesen  weder  er- 
fahren noch  vorgestellt  werden.  Er  wird  von  Visnu  in  der  Form 
Turiya  hervorgerufen,  der  mitten  im  Kopfe ,  12  Finger  über  der 
Nasenwurzel  weilt.  Seinem  Wesen  nach  besteht  er  in  der  voll- 
ständigen Befreiung  von  Unwissenheit  und  der  Erlangung  des 
direkten,  transzendenten  Wissens.  Während  die  Zustände  Visva, 
Taijasa  und  Präjfia  sich  periodisch  ablösen,  ist  Turiya,  wenn  er- 
langt, unverlierbar. 

5.   Die  Klassen  der  jivas. 

Die  Zahl  der  jivas  ist  unendlich.  In  dem  Baum  eines  Atoms 
im  Kosmos  leben  unendlich  viele  Mengen  von  jivas*).     Ihre  Zahl 


1)  „anägatä  atitäs  ca  yävantah  sahitäh  ksaijäh  |  atit&nägatäs  caiva  yävantah 


62  Zweiter  Abschnitt 

in  der  Welt  ist  unerschöpflich,  weil  nur  ein  Teil  von  ihnen  den 
Samsära  verläßt,  so  daß  dieser  nie  zum  Stillstand  kommt. 

Die  Daseinsformen  der  jivas  sind  außerordentlich  verschieden- 
artig. Die  im  Welttreiben  Verstrickten  zerfallen  in  viele  Klassen 
und  Unterklassen,  in  Grötter  höherer  und  niederer  Ordnung,  in 
halbgöttliche  Wesen,  in  Dämonen,  vergöttlichte  Heilige,  in  Men- 
schen, Tiere  und  Pflanzen.  Zu  diesen  kommen  noch  die  Seelen, 
die  dem  Samsära  entrückt,  die  Erlösung  erreicht  haben,  oder  in 
die  blinde  Finsternis  eingingen  und  diejenigen,  die  in  den  zeit- 
lichen Höllen  ihre  Strafe  verbüßen  oder  auf  dem  Monde  eine  kurze 
Zeit  des  Grlücks  durchleben,  um  dann  zur  Welt  zurückzukehren. 

Die  Verschiedenartigkeit  der  jivas  in  der  Welt,  die  ihnen  zu- 
teil werdende  Menge  von  Lust  und  Leid,  ihre  Begierden  und  An- 
tipathien sind  eine  Folge  ihrer  Taten  in  früheren  Existenzen.  Sie 
sind  nicht  bedingt  durch  das  Milieu,  in  dem  sie  leben,  weil  auch 
Wesen  mit  gleichartigem  Wohnsitz  untereinander  Verschieden- 
heiten aufweisen ;  wollte  man  diese  Differenzen  erklären  und  einen 
Grund  dafür  angeben,  warum  sie  gerade  an  diesem  und  keinem 
andern  Orte  geboren  sind,  so  wäre  man  auch  dann  wieder  genötigt, 
auf  das  karman  zurückzugreifen,  würde  also  die  Beantwortung  der 
Frage  nur  verschieben,  ohne  eine  andere  Lösung  zu  finden.  (BS. 
II,  3,  51  ff.). 

Sind  die  einzelnen  jivas  auch  in  ihren  speziellen  Schicksalen 
von  ihrem  karman  abhängig,  so  ist  doch  die  Grundrichtung  ihres 
Wesens,  ihr  intelligibler  Charakter,  fest  und  unveränderlich.  Das 
„So-sein"  eines  jiva  geht  letzten  Endes  auf  Visnu  zurück,  der  ihn 
nach  seinem  ewigen  Ratschluß  in  bestimmter  Weise  dazu  prädesti- 
niert, ewig  im  Samsära  zu  wandeln,  oder  schließlich  in  die  ewige 
Verdammnis  einzugehen,  oder  am  Ende  seines  Weltenwandems 
erlöst  zu  werden.  Das  paradoxe,  aber  so  tiefsinnige  Mysterium 
der  göttlichen  Gnaden  wähl  wird  somit  von  Madhva  voll  und  ganz 
als  wahr  anerkannt ;  es  folgt  in  konsequenter  Weise  aus  dem  von 
ihm  aufgestellten  Satze,  daß  nur  Visnu  autonom,  alles  andere  he- 
teronom  ist  (Tattvasamkhyäna  1)  und  daß  von  ihm  allein  Wissen 
und  Unwissenheit,  Bindung  und  Erlösung  ausgeht  (ib,  v.  11).  Wenn 
Madhva  durch  Empfehlung  sittlicher  Handlungen  usw.  vielfach  von 
diesem  Prinzip  abgeht  und  wenn  manche  seiner  Anhänger  eine  dem 
Pelagianismus  nahestehende  Lehre  vertreten  haben,  so  sind  das 
Zugeständnisse   an   das  praktische  Leben,    wie   sie  in  anderen  Re- 


paramänavah  |  tato'  py  ananta-gunitah  jivänäm  räsayah  prthak  |  pararaänu-pradese 
'pi  hy  anantäh  präni-räsayah"  (Tattvanirnaya,  Ps.  76)  cf.  Mbhtp.  I,  19. 


Metaphysik  63 

ligionen  auch  vorkommen,  die  jedoch  an  sich  mit  der  religiösen 
Forderung   der  Alleinwirksamkeit  Gottes   im  Widerspruch  stehen. 

Nach  Madhva  gibt  es  also  —  und  das  ist  eine  charakteristische 
Eigentümlichkeit  seiner  Lehre,  die  sie  (soweit  wir  wissen)  von  den 
meisten  hinduistischen  Systemen  unterscheidet  —  drei  große  Ab- 
teilungen von  jivas:  die  zur  Erlösung  befähigten  (vimukti-yogya), 
die  ewig  im  Samsära  umhei wandernden  (nitya-samsärin)  und  die 
„reprobati",  die  zur  ewigen  Finsternis  verdammten  (tamo-yogya)  ^). 

Zur  Erlösung  befähigt  sind:  die  Götter,  die  Seher  (rsi),  die 
Manen  (pitaras),  die  "Weltbeherrscher  (cakravartin,  wie  Raghu  und 
Ambarisa)  und  die  besten  Menschen  (uttama-manusya). 

Ewig  an  den  Samsära  gefesselt  sind  die  „mittelmäßigen  Menschen" 
(madhyama-manusya).  Diese  wandern  unaufhörlich  im  Himmel 
(svarga),  auf  Erden  und  in  den  Höllen  umher,  bald  Lust  genießend, 
bald  dem  Leid  unterworfen,  ohne  jemals  Kühe  zu  finden. 

Zur  ewigen  Finsternis  verdammt  sind  die  Klassen  von  Dä- 
monen (Daitya,  Räksasa,  Pisäca)  und  die  schlechtesten  Menschen 
(manusyädhama). 

Über  die  Zugehörigkeit  der  Pflanzen  und  Tiere  zu  einer  dieser 
drei  Klassen  wird  nichts  ausgesagt,  wahrscheinlich  wird  ange- 
nommen, daß  sich  dies  bei  ihrer  Höherentwicklung  im  Verlaufe 
ihrer  Wiedergeburten  herausstellen  wird.  Daß  die  Pflanzen 
und  Tiere  die  Möglichkeit  haben,  die  Erlösung  zu  erreichen,  wird 
jedenfalls  ausdrücklich  bemerkt  (z.  Bhäg  Ptp.  III,  30,  28,  p.  43  b). 
Zu  Chä  Up  II,  23  (p.  13  b)  wird  ausgeführt,  daß  Pflanzen  (sthävara) 
unter  gewissen  Umständen  der  Weg  zum  Heil  offen  steht.  Daß 
Tiere,  die  die  nötige  Geistesreife  (viäistabuddhi)  erlangten,  erlöst 
werden  können,  wird  z.  BS.  I,  3,  26  mit  dem  Beispiel  des  Jaritäri 
bewiesen. 

Der  den  jTvas  von  Gott  aufgeprägte  Charakter  ist  anfangslos 
und  unabänderlich  (z.  Brh  Up.  I,  5,  p.  14a);  Götter  gehen  stets 
in  die  Seligkeit  ein,  Dämonen  immer  in  die  Finsternis,  bei  den 
Menschen  entfaltet  sich  unbedingt  ihre  Natur,  die  sie  in  die  Höhe 
oder  in  die  Tiefe  führt  oder  beständig  an  den  Saijisära  bindet^). 
Scheinbare  Ausnahmen  beweisen  nichts  gegen  die  allgemeine  Gel- 
tung des  Gesetzes  von  der  Unveränderlichkeit  des  Gnadenstandes. 


1)  Diese  Dreiteilung  der  jivas  wird  an  zahllosen  Stellen  dargelegt,  z.  B. :  z. 
BS.  III,  4,  37;  Mbhtp.  I,  87;  Bhäg  Ptp.  X,  5,  1  (p.  79  b;;  Tattvasahkhy.  4—7. 

2)  „daivim  eva  saippattim  devä  abhigacchanty  äsurim  |eva  cäsurä  naivai- 
tayor  abhibhavah  kadäcit  svabhäva  eva  hy  avatisthate"  BS.  III,  4,  35.  „devänäm 
nirayo  nästi  tamas  cäpi  kathairicana  |  näsuränäm  tathä  muktih  kadäcit  kenacit 
kvacit  I  mänusä^iäip  madhyamänäin  naivaitad  dvayam  äpyate"  Mbhtp.  I,  89  f. 


64  Zweiter  Abschnitt 

Wohl  kann  z.  B.  das  reine  Wesen  eines  Gottes  infolge  des  Ob- 
waltens  besonderer  Umstände  auf  kurze  Zeit  verdunkelt  werden, 
wie  dies  bei  Prahläda  der  Fall  war,  der  durch  einen  Fluch  zu 
einem  Dämon  wurde,  doch  kommt  dann  nach  einiger  Zeit  die  wahre 
Natur  wieder  zum  Durchbruch  (z.  Chä  Up  VIII,  7,  p.  42  b;  Gitätp. 
p.  38  b). 

Die  von  Gott  gewirkten  Verschiedenheiten,  die  an  den  jivas 
zur  Erscheinung  kommen,  sind  nicht  den  Seelen  an  sich  eigen  — 
da  diese  ja  rein  geistig  und  ohne  Fehl  sind  —  sondern  sind  eine 
Folge  ihrer  Verbindung  mit  den  materiellen  Organen  des  psychi- 
schen Lebens ')  sie  sind  aber  trotzdem  angeboren  (svabhävika)  und 
ewig  (sanätana),  weil  die  von  Visnu  gewollte  Verbindung  zwischen 
einer  Seele  und  einem  bestimmten  Denkorgan  ewig  ist. 

Gott  prädestiniert  nicht  nur  die  allgemeine  sittliche  Grund- 
tendenz eines  Wesens,  sondern  auch  die  Höhe  des  von  diesem  zu 
erreichenden  Grades  der  Gnade  oder  der  Verdammnis.  Nach 
Madhva  stehen  nämlich  die  Wesen  innerhalb  der  drei  großen  Kate- 
gorien nicht  einander  gleich,  sondern  es  herrscht  eine  genaue 
Rangordnung  unter  ihnen.  Diese  Rangordnung  (täratamya)  um- 
faßt nicht  nur  die  noch  im  Samsära  befindlichen  Wesen,  welche 
für  die  Erlösung  oder  für  die  Finsternis  geeignet  (yogya)  sind, 
sondern  auch  diejenigen,  welche  die  Seligkeit  erlangten  bezw.  in 
die  Finsternis  eingingen,  denn  nirgends  herrscht  Gleichheit  unter 
den  Wesen,  sondern  überall  eine  uranfängliche  Verschiedenheit: 
Wer  dies  nicht  glaubt,  sondern  eine  Koordination  aller  jivas  an- 
nimmt, der  ist  für  die  Hölle  reif^). 

Madhva  gefällt  sich  darin,  die  Abstufung  der  jivas  bis  ins 
Einzelnste  zu  beschreiben.  Er  führt  die  verschiedenen  Klassen  der 
Erlösten  auf  und  geht  dann  zu  einer  Aufzählung  der  einzelnen 
Gottheiten  über,  die  zu  einer  großen  Hierarchie  geordnet  werden. 
An  dieser  Stelle  sei  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  einzelnen 
Gottheiten,  die  zu  einer  bestimmten  Weltperiode  nur  in  einem 
Exemplar  vorhanden,  in  der  Himmelswelt  herrschen  (also  z.  B. 
Brahma)  im  Zustande  der  Erlösung  auch  wieder  nur  Mitglieder 
einer  bestimmten  Klasse  sind.  Denn  wenn  der  heute  herrschende 
Brahma  die  Seligkeit  erlangt,  so  tritt  ein  anderer  jTva  an   seine 


1)  „cid-rüpä  eva  hi  jiväh  ]  visesas  tv  antahkararia-krtah  |  sarvesäip  ca  sä- 
dhutvädikaip  sarvam  isvara-krtam  eva,  svato  na  kimcit  api".  z.  BhG.  VI,  9. 

2)  anädis  ca  viseso  'yam  sarvesäin  mänusädinäip  |  iyaip  nicoccatä  kväpi  na 
kenäpi  hy  apoditum  |  sakyate  yo'  nya-kathä  kartum  icchet,  so  'pi  tamo  vrajet  (z. 
Brh  üp  I,  5,  p,  14  a). 


Metaphysik  65 

Stelle  und  übt  seine  Funktionen  aus,  Brahma  selbst  aber  nimmt 
neben  allen  Brahmas,  die  ihm  voraufgingen  und  die  ihm  folgen 
werden,  einen  Platz  in  der  Brahma-Klasse  der  Erlösten  ein.  Ebenso 
wie  die  Zahl  der  Seelen  an  sich  unendlich  ist,  ist  auch  die  Zahl 
der  Wesen,  die  zu  der  Ausfüllung  der  Stellung  eines  Brahma  prä- 
destiniert sind  und  diese  schließlich  am  Ende  ihrer  Weltenwande- 
rung erreichen,  unendlich  (Ps.  77). 

Die  Stufenleiter  der  Wesen  erstreckt  sich  nach  oben  bis  zur 
Brahma- Stellung  der  Erlösten,  nach  unten  bis  zur  Kali-Stellung 
der  Verdammten,  so  daß  auf  diese  Weise  jedes  Wesen,  das  den 
Samsära  im  Guten  oder  im  Schlechten  verläßt,  vom  Augenblick 
seiner  Erlösung  oder  seiner  Verdammung  an  für  alle  Ewigkeit 
einen  bestimmten  Platz  innehat.  Bei  den  Wesen,  die  im  Kreis- 
lauf der  Existenzen  stehen,  ändert  sich  hingegen  ihre  Stellung, 
entsprechend  ihrem  karman,  in  ihren  verschiedenen  Geburten;  die 
Rangordnung  unter  ihnen  ist  abhängig  von  dem  Zustande,  in  dem 
sie  sich  zeitweilig  befinden. 

Die  Verdammten  umfassen  die  schlechtesten  Menschen  und 
eine  Reihe  von  Klassen  böser  Geister,  als  da  sind  solche,  die 
Krankheit  und  Besessenheit  hervorrufen,  wie  Pisäcas,  Bhütas, 
Küämän^as,  Pretas,  ferner  Unholde  aller  Art  wie  Räksasas,  Yädas, 
Schlangen-  und  Tier  -  Geister ,  sowie  alle  Sorten  von  Dämonen: 
Daityas,  Dänavas,  Asuras^). 

Heuchelei,  Stolz,  Hochmut,  Zorn,  grobes  Benehmen  und  Un- 
wissenheit sind  die  hervorstechendsten  Eigenschaften  der  zur  Ver- 
dammung Prädestinierten  (BhG.  XVI,  4) ;  die  drei  Tore  der  Hölle : 
Begier,  Zorn  und  Habsucht  stehen  ihnen  offen  (BhG.  XVI,  21) ;  von 
dem  Netz  der  Betörung  umstrickt,  haben  sie  einen  fanatischen  Haß 
gegen  Visnu  und  alles  Gute  und  entwickeln  an  sich  mehr  und 
mehr  alle  die  Laster,  die  BhG.  XVI,  7 — 20  denen  zuschreibt,  von 
welchen  Visnu  sagt,  daß  er  sie  unaufhörlich  (ajasram)  in  dämonische 
Mutterschöße  schleudere  und  daß  sie  betört  von  Existenz  zu  Exi- 
stenz nicht  zu  ihm  gelangend,  den  Weg  in  die  unterste  Tiefe  gehen 
(BhG.  XVI,  19.  20). 

Die  dämonischen  Naturen,  die  Asuras,  d.  h.  „die  sich  an  den 
Genüssen  des  Lebens  ergötzen''^),  die  Daiteyas,  sind  Söhne  des 
Brahma,  aus  tamas  bestehend  und  an  Zahl  den  Göttern  weit  über- 
legen (z.  Brh.  Up  I,  3,  1,  p.  5  b).  Um  die  Menschen  zu  verwirren 
gebärden  sich  Asuras  auch  als  Götter  und  führen  die  Namen  Brahma 


1)  vergl.  Ps.  p.  131b. 

2)  asusu  rata  asuräh  (z.  BhG.  VII,  15). 
Olasenapp,  Madhva's  Philosophie. 


66  Zweiter  Abschnitt 

u.  a.  Diese  Auswürflinge  sind  „Nicht-Grötter"  (adeva)  und  dürfen 
nicht  verehrt  werden.  Von  den  echten  Göttern  unterscheiden  sie 
sich  dadurch,  daß  erstere  nur  annehmen,  was  ihnen  mit  frommem, 
auf  Visnu  gerichteten  Sinne  dargeboten  wird,  während  letztere 
unterschiedslos  alles  akzeptieren,  (z.  Chä  Up  I,  1,  2,  p.  2  a). 

An  der  Spitze  der  Mächte  der  Finsternis  stehen  große  Asuras 
wie  Kälanemi  ^),  Vipraciti  (Ps.  77),  Dväpara  ^),  vor  allem  aber  Kali. 
Kali,  der  Geist  des  gegenwärtigen  Zeitalters,  spielt  in  Madhvas 
System  etwa  die  Rolle  des  Satans  der  christlichen  Theologie^). 
Er  ist  das  schlechteste  von  allen  "Wesen  *) ;  ebenso  wie  sich  in 
Brahma  die  guten  Taten  aller  unter  ihm  stehenden  jivas  zu  einem 
großen  phala  (Lohn,  Frucht)  summieren,  so  in  Kali  die  Sünden 
aller  Verdammten  (Anuvy  63  b).  Er  ist  der  Böse  (päpman),  der 
Freund  des  Unrechts  (adharma-mitra),  die  Ursache  des  Unheils 
(abhadra-hetu).  Als  Krsna  die  Erde  verlassen  hatte,  machte  er 
sich  im  Reiche  des  Yudhisthira  breit,  überall  die  Herrschaft  der 
Gier,  der  Unwahrheit,  des  Mordes  und  aller  Sünden  aufrichtend. 
Pariksit  gelang  es,  ihn  zu  fangen.  Er  wies  ihm  Spiel,  Trunk, 
Frauen  und  Gewalttätigkeit  als  Wohnsitz  an,  in  dem  er  auch 
heute  noch  seine  Tätigkeit  ausübt,  „wie  ein  Wolf  unter  den  Men- 
schen umherstreifend"  (Bhäg  P.  I,  16  f.).  Als  teuflischer  Versucher 
will  er  die  Seelen  sich  Untertan  machen,  wie  ihm  dies  zum  Teil 
mit  Nala  gelang.  Er  dringt  in  sie  ein  als  falsches  Wissen,  als 
Laster  und  Begierde  (Bhäg  Ptp  128  a).  Deshalb  muß  jeder  be- 
strebt sein,  gegen  ihn  anzukämpfen.  Unter  den  verschiedensten 
Formen,  als  Mantharä,  Duryodhana,  Jaräsandha,  Hamsadibika,  Si- 
supäla,  Jina  erscheint  er  in  der  Welt,  um  Visnu  zu  bekämpfen. 
Wenn  er  von  diesem  in  seinen  avatäras  als  Räma,  Kr§na  usw. 
besiegt  und  in  die  Finsternis  gestürzt  worden  ist,  so  ist  er  damit 
nicht  vernichtet;  nur  Teile  (amsa)  von  ihm  haben  die  Welt  ver- 
lassen, seine  Grundform  (mülä-rüpa)  bleibt  bestehen  und  geht  erst 
am  Ende  des  Brahmakalpa,  beim  Weltuntergang  in  die  ewige 
Verdammnis  ein,  um  in  der  nächsten  Weltperiode  in  einem  neuen 
Kali  einen  Nachfolger  zu  finden  (Ps.  552). 


1)  Kälanemi' wird  Gitatätp.  III,  37  (p.  16  a)  als  Regent  der  Begierde  (käma) 
genannt. 

2)  Xach  Gitätp  XIII,  27  (p.  35  a)  Regent  des  Hasses. 

3)  Sein  heiliges  Tier  ist  das  Chamäleon  (krkaläsa).  z.  Brh.  Up  I,  5,  14 
(p.  28  a). 

4)  „adhamah  Kalir  uddistah"  (Bhäg  Ptp  98  b)  „asuräh  Kali-paryantä  evam 
duhkhottaröttaräli,  Kalir  duhkhädhikas  tesu,  te'  py  eva  Brahmavad  gariäh"  (Mbhtp 
I,  136). 


Metaphysik  67 

Die  Stufenleiter  der  Erlösten  beginnt  bei  den  Pflanzen;  es 
folgen  dann  Tiere  und  Vögel,  weiterhin  beste  Menschen  aus  den 
niederen  und  solche  aus  den  höheren  Kasten,  dann  Weltbeherrscher, 
Menschen  -  Gandharvas  (manusya  -  gandharva),  Götter  -  Gandharvas 
(deva-gandharva)  samt  Siddhas,  Cäranas,  Kinnaras,  Kimpurusas, 
Vidyädharas,  Yaksas.  Nach  diesen  kommen  dann  die  Väter  (pi- 
taras),  und  niederen  Götter  (ajänaja-deva),  denen  die  8  großen 
Gandharvas  Tumburu  usw.  gleichgerechnet  werden,  die  Rsis,  die 
höheren  Götter,  Indra,  Brhaspati,  der  Ober-Indra  Purandara,  Siva 
und  Brahma^). 

Während  von  den  meisten  dieser  Wesen  nicht  oft  die  Rede 
ist,  wird  von  den  höheren  Göttern  und  ihren  Kräften  viel  ge- 
sprochen. Wir  haben  uns  daher  mit  ihnen  noch  genauer  zu  befassen. 


V. 

Die  Seelen  (Fortsetzung):  Die  Götter. 

1.    Das  Wesen  der  Götter. 

Die  devas  sind  jivas,  die  infolge  ihrer  in  früheren  Existenzen 
aufgehäuften  guten  Werke  in  den  Himmelswelten  wiedergeboren 
worden  sind  und  dort  ein  glückliches,  von  irdischem  Leid  freies^), 
nach  menschlichen  Begriffen  sehr  langes,  wiewohl  nur  endliches 
Leben  führen  und  als  Schutzherren  über  bestimmte  Dinge  in  der 
Welt  gewisse  Funktionen  erfüllen.  Bei  den  höheren  Göttern  ist 
das  Dasein,  das  sie  von  ihrer  Geburt  bis  zum  Weltuntergang 
führen,  das  letzte,  das  sie  erleben;  mit  dem  pralaya  tritt  (wie 
wir  weiter  unten  sehen  werden)  ihre  Erlösung  ein.  Andere  er- 
langen noch  eine  Wiedergeburt  und  dann  die  Befreiung;  bei  den 
niederen  Göttern  hingegen  ist  das  Herabsinken  in  neue,  tiefere 
Existenzstufen  möglich ;  Madhva  warnt  daher  übereifrige  Menschen 
davor,  nach  der  Stellung  von  Göttern  oder  den  diesen  im  Range 
folgenden  Gandharvas,  Vidyädharas,  Siddhas  oder  Rsis  zu  streben, 
da   die  Götter   wie    die    Könige   einen,    der   nach   ihrer   Stellung 


1)  Madhvas  Lehre  von  der  Rangordnung  der  Erlösten  basiert  auf  Texten 
wie  Brh  Up  IV,  3,  33,  Tait.  Up.  II,  8.  •—  Vergl.  dazu  Madhvas  Komm.,  sowie  Ps. 
499.  —  Zu  Brh  Up  IV,  3,  33  (p.  54)  wird  das  täratamya  kurz  zusammengefaßt 
in  die  Worte:  „nrpä  manusya-gandharvä,  deväs  ca  pitaras  tathä  |  devaih  sahita- 
gandharvä  rsayo  devatäs  tathä  |  Indro  Brhaspatis  caiva  pradhänendrah  Purau- 
darah  j  Rudro  Brahmeti  kramaso  muktäh  satagupottaräh".  Über  die  Rangord- 
nung der  einzelnen  Götter  vergl.  weiter  unten. 

2)  ayam  eva  viseso  devänäiji  duhkhäbhogah  (z.  Ait  Up  II,  5,  p.  89  a). 

5* 


68'  Zweiter  Abschnitt 

trachtet,  herabstürzen.  Namen,  Rang  und  Wirksamkeit  der  Götter 
bleiben  sich  ewig  gleich  und  werden  nicht  von  dem  Ausscheiden 
einzelner  jivas  berührt.  Wenn  also  der  betr.  jiva,  der  die  Stel- 
lung eines  Brahma  oder  Sesa  innehatte,  erlöst  wird  oder  aus- 
scheidet, so  tritt  ein  anderer  jiva  an  seine  Stelle,  der  durch  sein 
karman  zu  dieser  Würde  berechtigt  ist  und  übt  die  entsprechenden 
Funktionen  aus.  So  hat  es  seit  Ewigkeit  einen  Brahma,  einen  Gra- 
ru(Ja  usw.  gegeben  und  wird  sie  in  alle  Ewigkeit  geben ;  die  in 
der  Heiligen  Schrift  vorgeschriebenen  Opfer,  welche  man  den 
Göttern  darzubringen  hat,  behalten  darum  ewig  ihren  Wert. 

Die  Götter  sind  nicht  frei  von  Begierde  (käma),  doch  ist  diese 
nicht  von  so  schlechter  Wirkung  auf  ihr  geistiges  Leben  wie  bei 
anderen  Wesen,  weil  sie  nur  von  momentaner  Dauer  ist.  Die 
Götter  sind  alle  der  Veden  kundig.  Sie  haben  Vis  du  zu  verehren, 
ihn  in  Hymnen  zu  preisen,  über  ihn  zu  meditieren  und  zahl- 
reiche religiöse  und  soziale  Pflichten  zu  erfüllen.  Nach  z.  Brh. 
Up  I,  5  (p.  23b ff.)  gehören  die  Götter  verschiedenen  Kasten  an; 
Brahmanen  sind  Brahma  und  Agni ,  Krieger  Väyu,  Siva,  Sesa 
Garuda,  Indra,  Käma,  Varuna,  Soma,  Sürya,  Yama;  Yaisyas 
alle  Abkömmlinge  der  Diti,  alle  Rudras,  Väyus,  Vasus  (ohne  die 
schon  genannten);  Südras  die  Asvins,  Prthivi,  Kala,  Mrtyu. 
Während  jedoch  auf  Erden  die  verschiedenen  Lebensstadien 
(äsrama)  unter  die  einzelnen  Individuen  verteilt  sind,  betätigen 
sich  die  Götter  in  allen,  sie  sind  gleichzeitig  Brahmanenschüler 
(brahmacärin)  Hausväter  (grhastha),  Einsiedler  (vänaprastha)  und 
Asketen  (muni).     (BS.  III,  4,  47  f.). 

Ebenso  wie  alle  jTvas  sind  sie  Visnu  völlig  Untertan,  sie  sind 
nur  die  ausführenden  Organe  seines  Willens,  gleichsam  hölzerne 
Gliederpuppen,  die  durch  ihn  bewegt  werden,  (z.  BS.  II,  3,  13). 

Die  Götter  bilden  untereinander  eine  große  Hierarchie.  Madhva 
sucht  unermüdlich  die  Rangordnung  der  devas  aus  den  Texten  zu 
ermitteln  und  zusammenzufassen.  Seine  Angaben  sind  außeror- 
dentlich weitschweifig  und  umständlich,  weil  er  große  Schwierig- 
keiten hat,  die  zahlreichen  Stellen,  die  er  interpretiert,  mitein- 
ander in  Einklang  zu  bringen.  Für  unsere  Zwecke  sind  die  um- 
fangreichen Erörterungen,  die  für  seine  Anhänger  natürlich  von 
größter  Wichtigkeit  sein  mußten,  ohne  Bedeutung.  Ich  kann 
deshalb  hier  auf  eine  trockene  Aneinanderreihung  der  zahllosen 
Götternamen  verzichten  und  verweise  den  Leser  auf  die  ein- 
schlägigen Partien  in  Madhvas  Werken^)  und  auf  die  ausgedehnte 


1)  Chä  Up  VII,  4—14;  Brh  Up  IV,  3,  33;   Prasna-Up   VI;   Mupd-Up  III; 


Metaphysik  69 

Behandlung  des  Themas  im  Ps.,  der  alle  wichtigeren  Äußerungen 
Madhvas  anführt.  Einen  ungefähren  Überblick  gewährt  auch  die 
weiter  unten  gegebene  Übersicht  über  das  beim  Weltuntergang 
stattfindende  Eingehen  der  Grötter  in  die  ihnen  im  Range  Voraus- 
gehenden. Wie  man  aus  dieser  Darstellung  und  aus  den  beige- 
fügten Bemerkungen  entnehmen  kann,  folgen  auf  Öri  Brahma  und 
der  ihnen  gleichstehende  Väyu  (der  später  sein  Nachfolger  wird), 
dann  deren  Frauen  Sarasvati  und  BhäratI  (Sraddhä),  danach  Öesa, 
Garuda  (Vindra)  und  Siva,  sowie  deren  Frauen  Väruni,  Saupar?! 
und  Umä.  Nach  diesen  kommen  dann  Indra,  Käma  und  die  zahl- 
losen andern  devas. 

Die  Grötter  üben  über  die  verschiedensten  Dinge  eine  Schirm- 
herrschaft (abhimänitva)  aus.  Madhva  setzt  sie  zu  allen  möglichen 
in  Beziehung,  bedeutungsvoll  ist  namentlich  das  Verhältnis,  in  dem 
sie  zu  den  einzelnen  tattvas  stehen.  Madhvas  Angaben  sind  aber 
auch  hier  sehr  widerspruchsvoll,  bei  Gelegenheit  wird  bald  diese 
bald  jene  Gottheit  als  Regent  dieses  oder  jenes  tattva  bezeichnet. 
Padmanäbhas  Zusammenstellungen  (Ps.  95  ff.)  zeigen  deutlich,  wie 
außerordentlich  dehnbar  der  Begriff  des  abhimänitva  gefaßt  wurde, 
so  daß  bei  einzelnen  tattvas  mehr  als  10  Schutzgottheiten  ange- 
geben werden.  Die  Reihenfolge,  in  welcher  die  Götter  über  die 
tattvas  herrschen,  entspricht  im  allgemeinen  der  Stellung,  die  sie 
in  der  Hierarchie  einnehmen,  so  daß  die  höchsten  Gottheiten  wie 
Öri,  Brahma,  Rudra  usw.  auch  die  höchsten,  d.  h.  bei  der  Evo- 
lution zuerst  aus  der  Urmaterie  entstandenen,  tattvas  regieren. 

Im  Nachstehenden  führe  ich  für  jedes  tattva  die  Gottheit  an, 
die  am  häufigsten  als  ihr  Gebieter  betrachtet  wird ;  für  die  Namen 


Mbhtp  I,  13  f.  Als  Probe  sei  hier  die  Hauptstelle,  Anuvy  p.  53  a,  im  Original 
wiedergegeben  :  „Usäs,  Svähä  ca  Parjanyo,  Mitro,  'gnir,  Varu^o,  Vidhuh,  ]  Pravaho, 
'niruddha,  IndrOme,  Rudro,  Väni  ca  Märutah  |  uttarottaratas  tv  ete  gunaih  sarvais 
ca  muktigäh  1  Sürya-Dharmau  yathä  Somo,  Manur,  Dakso,  Brhaspatih,  |  Saci, 
Eatis  cAniruddha-samäs,  Tärä  ca  Mitra-vat  |  Soma-vac  chata-rüpä  tu  prasütir 
Vahni-vad  Virät  |  Parjanya-vad  Väruni  ca  tathä  Saipjnä  ca  Rohini  |  Dhärml  ca 
Mitra-vat  tv  eva  Prävahi  parikirtitä  |  Mitra-Parjanya-madhya-sthäv  Asvinau  Vighna- 
Vittapau  |  Bhrgur  Agni-samo,  Mitra-tan-madhye  Brahma-putrakäh  |  Varun-Agny- 
antarä  tatra  Näradah  präyalndra-vat  |  Kämah  Suparni  cOmä-vat,  Vindro  Rudra- 
vad  iritali  I  Nirrtir  Mitra-sadrso ,  Visvämitrah  Ka-sünu-vat,  |  Vaivasvato  Manus 
cAsvi-pascäd  anye  tato  varäh  |  CyavanÖcathya-Vainyäs  ca  Sasabindus  ca  Haiha- 
yah  I  tadvac  ca  vipra-räjanya-viseso  'träpi  kascana  |  tadvat  Priyavratas  cäpi  tad- 
anyäh  sata-devatäh  |  Parjanya-Miträntaräle  tad-anye  tu  tato  varäh  |  etebhyo  'bhy- 
adhikä  oris  tu  sadä-muktä  visesatah  [  tat-samo  nästi,  paramo  Harir  eva  na  cä- 
parah  |  Samhitayäm  Brhatyäip  tu  svayaiii  Bhagavatöditam. 


70  Zweiter  Absclinitt 

der  anderen  Regenten  verweise  ich  auf  die  Texte  selbst^).  Über 
prakrti  herrscht  Sri,  über  mahat  Brahma,  über  ahamkära  Siva, 
über  buddhi  SarasvatI,  über  manas  Graruda  und  Sesa,  über  Ton  und 
Berührung  Suparni,  über  Gestalt  und  Geschmack  Yäruni,  über 
Geruch  Umä,  über  das  Gehör  Soma,  über  das  Gefühl  Kubera,  über 
das  Gesicht  Sürya,  über  den  Geschmack  Varuna,  über  den  Geruch 
die  Aävins,  über  die  Rede  Agni,  über  die  Hände  Indra,  über  die 
Füße  Indras  Sohn  Jayanta,  über  den  After  Yama,  über  das  Zeu- 
gungsorgan Daksa,  über  den  Äther  Ganesa,  über  die  Luft  Väyu 
(bezw.  dessen  Sohn  Pravaha),  über  das  Feuer  Agni,  über  das 
Wasser  Varuna.  über  die  Erde  Dharä. 

Die  Einwirkung  der  Götter  auf  die  von  ihnen  regierten  Dinge 
geschieht  durch  die  ihnen  innewohnenden,  für  den  menschlichen 
Verstand  unbegreiflichen  Kräfte.  Sie  üben  diese  aus  vermöge 
ihrer  Allgegenwart  und  der  Fähigkeit,  die  Objekte  zu  durchdringen. 
Der  Feuergott  Agni  ist  nur  einer,  die  vielen  Feuer,  die  in  der 
Welt  das  Kochen  verursachen,  sind  ihm  Untertan,  sie  sind  gleich- 
sam materielle  Abbilder  des  immateriellen,  einen  Gottes.  Jeder 
Luftzug,  den  wir  fühlen,  ist  ein  ungeistiger  Reflex  des  einen 
geistigen  Luftgottes  Väyu.  Das  Auge,  mit  dem  wir  sehen,  ist 
ein  Abbild  des  Sonnengottes  Sürya.  Sürya,  das  kosmische  Pro- 
totyp des  Auges  bringt  es  zum  Funktionieren,  ohne  selbst  jedoch 
von  den  Mängeln,   welche  am   materiellen  Organ   des  Sehens  ent- 


1)  Vergl.  Kath  Up.  III,  10  f.,  Brh  Up  I,  5,  Gitätp  p.  34  b,  Tautrasära  III, 
151  ff.  (ganz  abweichend). 

Über  die  Vorstellungen  der  beutigen  Mädhvas  unterrichtet  die  Tafel  in 
Gandirao  Hanumant  Talapadatur's  „Refutation"  (Dharwar  1920)  p.  33  f.  Hier 
werden  die  Regenten  der  24  tattvas  (ohne  buddhi)  gegeben  sowie  die  Namen 
Vispus  als  des  inneren  Lenkers  der  verschiedenen  Götter  (Kesava  ist  das  niyä- 
maka-bhagavad-rüpa  der  über  avyäkrta  herrschenden  Laksmi,  Näräya^ia  das  der 
mahat  regierenden  Brahma  und  Väyu  usw.).  Zur  Erklärung  wird  hinzugefügt: 
„All  the  Kesavädi  24  names  are  of  Gopal  Krishna  Lowkik  Example.  When  a 
coUector  performs  revenue  affairs  he  is  called  a  coUector,  when  he  performs  Local 
Board  affairs  or  municipal  affairs  or  Sanitary  affairs  the  same  coUector  is  called 
Local  Board  President,  Municipal  President,  Sanitary  Chairman  respectively,  so 
Gopal  Krishna  whenever  he  inspires  different  demigods  of  different  elements  he 
is  called  by  different  names  in  Shastras.  —  From  the  above  schedule,  it  is  piain 
that  every  action  which  is  done  by  mankind,  beasts  and  birds  every  day  and 
night  and  at  every  moment,  is  done  by  demigods  (Governors  of  elements)  and 
Gopal  Krishna.  Unless  we  please  them  by  sandhyä,  yajna  etc.,  we  have  no  hopes 
of  getting  timely  rains  and  avoiding  epidemic  diseases  such  as  plague,  influenza 
etc.  Shri  Krishna  says  in  Gita  (III  14):  „yajnäd  bhavati  parjanyah"  (Regen  ent- 
steht durch  Opfer):  Irrigation  Department  is  no  doubt  useful  but  it  is  external. 
Internal  medicine  means  yajäa  should  be  performed". 


Metaphysik  71 

stehen,  affiziert  zu  werden,  (z.  Käth.  Up  V,  9 — 11).  Die  Götter 
entfalten  ihre  Tätigkeit  in  den  Organen  und  den  mannigfachen 
ihnen  unterstellten  Objekten,  auch  denen  gegenüber,  die  nicht  an 
ihre  Existenz  glauben.  So  können  z.  B.  Leute,  welche  Kräuter 
für  medizinische  Zwecke  verwenden,  mit  ihnen  Heilerfolge  erzielen, 
auch  wenn  sie  die  devas,  welche  ihnen  ihre  Kräfte  verleihen,  nicht 
kennen.  Diejenigen  jedoch,  welche  die  in  den  Kräutern  wirksamen 
Grötter  wissen,  denen  gewähren  diese  nicht  nur  einen  materiellen, 
sichtbaren  Lohn  (wie  die  Linderung  der  Schmerzen),  sondern  dar- 
über hinaus  auch  noch  einen  höhern,  unsichtbaren.  Die  devas 
gleichen  hierin  den  Königen,  die  allen  ihren  Untertanen,  auch 
denen,  die  mit  ihnen  persönlich  nicht  bekannt  sind,  ihren  Unter- 
halt gewähren ,  hingegen  größere  Gaben ,  wie  Belehnung  mit 
Dörfern  usw.  nur  denen  zuteil  werden  lassen,  die  sie  kennen. 
(z.  Chä  Up  VIT,  4ff.)- 

Ein  großer  Teil  des  Veda  gibt  ausführliche  Anweisungen  dar- 
über, wie  die  verschiedenen  Gottheiten  zu  verehren  sind.  Es  wäre 
unrichtig,  daraus  zu  schließen,  die  Götter  seien  selbständige,  für 
sich  allein  zu  verehrende  Wesen.  Jede  Verehrung  derselben  ist 
nur  dann  gut  und  erfolgreich,  wenn  man  sie  nicht  um  der  Götter 
selbst  willen  betreibt,  sondern  in  dem  Bewußtsein,  Visnu  in  ihnen 
anzubeten.  Je  höher  die  devatä  steht,  der  man  seinen  Dienst  weiht, 
desto  größer  ist  der  Erfolg,  weil  Gottes  Liebe  (priti)  zu  den  ein- 
zelnen Göttern  —  und  damit  auch  die  Gnade,  die  er  ihren  Ver- 
ehrern zuteil  werden  läßt  —  desto  größer  ist,  je  höher  sie  in  der 
Rangordnung  stehen.  Durchaus  unrichtig  aber  ist  es,  wollte  man 
die  Götter  neben  oder  anstelle  von  Visnu  verehren.  So  wie  ein 
König  es  übelnimmt,  wenn  man  seine  Diener  ihm  gleichstellt  oder 
mit  ihm  verwechselt,  so  zürnt  Visnu  auch  denen,  die  in  dieser 
"Weise  seiner  Majestät  zu  nahe  treten,  und  verdammt  sie  zu  ewigen 
Höllenstrafen  (z.  Chä  Up  VII,  4 — 14).  Die  Verehrung  der  Götter 
mn  ihrer  selbst  willen  und  somit  die  Entstehung  des  Polytheismus 
betrachtet  Madhva  als  einen  Abfall  von  dem  wahren  Glauben,  der 
sich  im  Tretä-Zeitalter  vollzogen  hat,  während  im  Krta-yuga  noch 
durchaus  am  ursprünglichen  Monotheismus  festgehalten  wurde  und 
man  Indra  und  die  anderen  Götter  nur  als  die  von  Visnu  gelenkten 
Organe  des  göttlichen  Willens  anbetete. 

Weil  die  Götter  von  den  Menschen  als  von  Visnu  durchwal- 
tete Wesenheiten  verehrt  werden,  und  zu  Opfern  und  anderen 
Handlungen  anregen,  welche  das  Wissen  befördern,  werden  sie  als 
Herren  (svämin)  des  Wissens  angesehen.  Es  erhebt  sich  die  Frage, 
ob  ihnen   oder   den  opfernden  jivas    der  von  dem  Veda   für  gute 


72  Zweiter  Abschnitt 

Taten  in  Aussicht  gestellte  Lohn  zufällt.  Madhva  meint,  die  Seelen 
spielten  hierbei  die  Rolle  von  Untertanen  oder  von  Schülern,  die 
Götter  diejenigen  von  Königen  oder  Lehrern.  Als  mitwirkende 
Gehülfen  (sahakärin)  erlangen  die  jivas  den  gebührenden  Lohn, 
die  Götter  aber  einen  ihrer  leitenden  Stellung  entsprechenden  be- 
deutend höheren. 


2.    Die  einzelnen  Götter. 

Von  den  Göttern  treten  nur  einige  in  Madhvas  Lehre  hervor. 
Garugla,  der  Adler  Visnus,  der  ihm  als  Reittier  dient,  und  Sesa, 
die  Weltschlange,  auf  der  Visnu  oft  ruhend  dargestellt  ist,  spielen 
beim  Erlösungsprozeß  eine  führende  Rolle  (s.  unten).  Ebenso 
wie  Sanaka,  Viävaksena,  Aniruddha  und  andere  Visnu  nahestehende 
Wesen,  nehmen  sie  jedoch  nicht,  wie  Laksml,  eine  Sonderstellung 
außerhalb  des  Samsära  ein,  was  betont  wird,  weil  andere  Vais- 
nava-Sekten  ihnen  eine  solche  einräumen.  Ihre  Gattinnen  sind 
Suparni  und  Väruni. 

Siva  ist  von  Visnu  mit  großer  Zerstörungskraft  begabt  worden, 
die  er  namentlich  bei  dem  Weltuntergang  ausübt.  Wenn  manche 
Menschen  glauben,  er,  und  nicht  Visnu,  sei  der  höchste,  ewige 
Gott,  so  ist  dies  ein  Irrtum,  denn  aus  Rgveda  VII,  40,  5  und 
X,  125,  5,  sowie  zahlreichen  anderen  Schriftstellen  ergibt  sich,  daß 
er  erst  von  Visnu  geschaffen  wurde  und  ihm  Untertan  ist.  Die 
falsche  Ansicht  mancher  Hindus  hat  seinen  Grund  darin,  daß  Visnu, 
wie  in  den  Puränen  erzählt  wird,  ihm  den  Auftrag  erteilt  hat, 
die  Menschen  zu  verwirren,  Lehrbücher  der  Verblendung  zu  ver- 
fassen, sich  selbst  zu  verherrlichen  und  Visnu  als  machtlos  hinzu- 
stellen, um  auf  diese  Weise  eine  reinliche  Scheidung  zwischen  den 
Guten  und  Bösen  herbeizuführen,  (z.  BS.  I,  1,  1  (p.  3  b),  z.  BhG. 
II,  72  (p.  13a)).  Seine  Gattin  Umä  steht  ihm  im  Range  nach,  es 
ist  daher  völlig  ungereimt,  wenn  die  Säktas  sie  als  die  Weltur- 
sache betrachten,  um  so  mehr,  als  eine  Frau  ohne  Mithilfe  eines 
Mannes  nichts  hervorbringen  kann  (z.  BS.  II,  2,  42  f.).  Öiva  und 
Umä  stehen  zu  Sesa  und  Väruiii  insofern  in  einer  näheren  Be- 
ziehung, als  sie  ihre  Nachfolger  werden.  Denn  nach  dem  Welt- 
untergang, im  nächsten  Brahma-kalpa  wird  Siva  als  Sesa  und  Umä 
als  Väruni  wiedergeboren. 

Ein  ähnliches  Verhältnis  besteht  zwischen  Väyu  und  seiner 
Gattin  Bhärati  und  Brahma  und  dessen  Gemahlin  Sarasvati: 
Väyu  und  Bhärati  werden  in  ihrer  nächsten  und  damit  letzten 
Existenz  zu  Brahma  und  Sarasvati.     Diese  Theorie   ermöglicht  es 


Metaphysik  73 

Madhva  beide  Paare  einander  gleichzustellen  und  bei  Interpreta- 
tionen miteinander  zu  vertauschen.  Väyu  spielt  in  der  Theologie 
Madhvas  eine  ganz  hervorragende  Rolle,  kein  anderes  indisches 
System  legt  ihm  eine  ähnliche  hohe  Bedeutung  bei.  Väyu  ist  der 
himmlische  Repräsentant  des  Lebensodems  im  Makrokosmos  wie 
im  Mikrokosmos.  So  wie  der  ,,präna"  erst  das  Funktionieren  der 
Organe  ermöglicht  und  so  wie  er  der  hauptsächlichste  Sitz  Visnus 
im  Leibe  des  jlva  und  damit  der  Ausgangspunkt  des  Wissens  ist, 
so  ist  die  Schutzgottheit  des  Lebenshauches,  Väyu,  allen  anderen 
Göttern,  die  die  Sinne  regieren,  überlegen,  steht  in  einem  beson- 
ders nahen  Verhältnis  zu  Visnu  und  führt  die  jlvas  zur  Erlösung. 
An  zahllosen  Stellen  wird  von  Madhva  die  außerordentliche  Be- 
deutung Väyus  in's  hellste  Licht  gesetzt.  „Väyu  ist  das  höchste 
Abbild  (visistapratimä)  des  Udgitha  genannten  Visnu",  er  ist  das 
„liebste  Abbild"  (pratimä  preyasi)  Gottes  (z.  Chä  Up  I,  2,  9),  das 
Kind  (vatsa)  oder  der  Sohn  Haris  (Hareh  suta,  z.  Chä  Up  III,  15, 1). 
Aus  mannigfachen  Stellen  der  Heiligen  Schrift,  wie  Rgveda  V, 
82,  1,  Tait.  Br.  III,  7,  9,  3  f.,  Ap.  Sr.  Sütra  Xm,  4,  2  wird  dieser 
Vorrang  erwiesen.  „Besser  als  die  rsis  sind  die  devas,  besser 
als  die  devas  ist  Väyu,  besser  als  Väyu  ist  Visnu"  heißt  es  im 
Komm,  zu  Chä.  Up.  IV,  9,  und  an  anderer  Stelle  lesen  wir  „Wer 
weiß,  daß  Väyu  der  beste  und  älteste  aller  Götter  ist,  der  wird, 
wenn  er  zur  Erlösung  gelangt  ist,  der  beste  und  älteste  unter 
seinesgleichen  (z.  Chä  Up  V,  2).  Zu  BS  III,  3,  35  wird  die  Kaun- 
tharavya-Sruti  zitiert,  in  der  es  heißt :  „Präna  fürwahr  ist  mäch- 
tiger (bhüyän)  als  alle,  denn  nicht  ist  jemand  mächtiger  als  Präna'', 
und  zu  Bhäg  P  XI,  11,  44  wird  gelehrt  „sarva-devottamo  Väyuh". 
Wegen  dieser  seiner  Größe  wird  ihm  geradezu  eine  Mittelstellung 
zwischen  Gott  und  den  Seelen  zugeschrieben :  „Weil  er  (im  Range) 
unmittelbar  auf  den  HErrn  folgt,  mag  das  Wort  „Herr"  auf  ihn 
angewandt  werden;  deshalb  sagen  die  Weisen,  daß  ihm  in  den 
Veden  die  Stellung  eines  Mittlers  (madhyamatä)  zugesprochen 
wird",  (z.  BS.  II,  4,  11).  Außer  Brahma  besitzt  nur  er  so  großes 
Wissen,  daß  er  den  jiva  Gott  schauen  lassen  kann  (z.  Mund-Up 
III,  1,  9).  Er  vermittelt  den  Seelen  im  Turiya- Zustande  die  Er- 
kenntnis (z.  Chä  Up  V,  2)  und  führt  die  zur  Erlösung  reifen  Seelen 
zu  Brahma  oder  direkt  zu  Visnu  (z.  BS.  IV,  3,  5 — 16).  Ohne  ihn 
ist  kein  Zugang  zum  HeiP).  Er  erschien  auf  Erden  als  Hanumat 
und  als  Bhlma  (Mbhtp.  II,  35 f.);  seine  dritte  irdische  Manifestation, 
als  Madhva  ist  bereits  in  Rgveda  1, 141,  1 — 3  vorausgesagt  worden. 

1)  nibhrto   moksavit   P^ä^as,    tad-yogät,   tat  -  prasädatah  |  jänanti   paramam 
devaip,  nänyathä  tu  kathaqi-cana"  iti  Bhägavata-saiiihitäyäm  (Bhäg  Ptp.,  p.  90b). 


74  Zweiter  Absclmitt 

Brahma,  der  „  Viergesich tige"  (catur-mukha)  ist  der  Erst- 
geborene der  Schöpfung ;  während  Indra,  Agni  und  andere  Götter, 
die  aus  dem  Munde,  der  Nase  und  anderen  Grliedern  Visnus  her- 
vorgingen (Ait  Up  1, 1  ff.),  noch  einmal  aus  Kasyapa  geboren  werden, 
ließ  Visnu  ihn  noch  vor  den  Urwassern  entstehen,  deshalb  heißt 
er  „aja"  (der  Ungeborene)  (z.  Kath.  Up.  IV,  6).  Er  ist  der  De- 
miurg,  der  in  Visnus  Auftrage  die  Welt  schafft.  Er  ist  der  höchste 
Lehrer  (uttama-guru  Ps.  497)  und  deshalb,  wie  Väyu  mit  den  32 
Kennzeichen  eines  solchen  ausgestattet  ^).  Auf  ihn  geht  letzthin 
alle  religiöse  Unterweisung  zurück,  auch  die  Lehre  Madhvas,  die 
deshalb  Brahma-sampradäya  heißt.  Als  Lehrer  aller  Lehrer  ist 
er  in  treuer  Ergebenheit  zu  verehren^).  Er  ist  es  auch,  der  den 
Seelen  die  volle  Erkenntnis  vermittelt,  bevor  sie  zu  Visnu  ein- 
gehen. 

Laksmi  oder  Sri,  die  Gemahlin  Visnus  ist  die  höchste  aller 
Seelen.  Sie  unterscheidet  sich  von  allen  anderen  dadurch,  daß  sie 
ewig  erlöst  (nitya-mukta)  und  ewig  ohne  Leid  (nityäduhkha)  ist. 
Sie  besitzt  keinen  aus  Materie  (prakrti)  bestehenden  Leib  und  ist 
Gott  in  Raum  und  Zeit  ewig  konkomitant  ^).  Visnu  ergötzt  sich 
in  ihr  und  sie  in  ihm;  während  aber  er  seine  Wonne  aus  sich 
selbst  schöpft,  empfängt  sie  die  ihre  nur  durch  Visnu.  Obwohl 
sie  alle  Wünsche  erlangt  hat  (präpta-kämä),  dient  sie  ihm  ununter- 
brochen und  verehrt  ihn  unaufhörlich.  Sie  ist  die  Mutter  aller 
Wesen,  der  Schoß^  in  den  Visnu  den  Keim  legt,  aus  dem  alles 
entsteht  (BhG  XIV,  3).  Als  transzendente  Repräsentantin  der 
Urmaterie  hat  sie,  wie  diese,  3  Aspekte :  als  Sri  regiert  sie  sattva- 
guna,  als  Bhü  rajo-guna,  als  Durgä  tamo-guna^);  als  die  große 
Verblenderin  (mahä-mäyä  vaisnavi,  mohikä)  beginnt  sie  das  Schöp- 
fungsspiel immer  auf's  neue  und  hält  die  Wesen  in  Samsära  fest, 
indem  sie  sie,  entsprechend  den  3  gunas,  mit  den  Leibern  von 
Göttern,  Menschen  und  Dämonen  versieht  (Gitä  tp.  XIV,  5,  p.  36  b). 
Infolge  der  großen  Kraft,  die  ihr  infolge  ihrer  Verbindung  mit 
Gott  eigen  ist,  ist  es  schwer  sich  von  diesem  Einfluß  zu  befreien ; 

1)  Über  die  heilbringenden  laksarias  der  zu  den  verschiedenen  Gütterstellungen 
Prädestinierten  vergl.  Brh  Up  1,3,28  (p.  6  b)  und  III,  9,  17  (p.  45  b),  Mbhtp. 
I,  123,  Bhäg  Ptp  94  a,  Ps.  497.  Die  zur  Verdammung  Bestimmten  sind  mit  üblen 
laksa:pas  versehen. 

2)  „Brahmänta-guravas  caiva  sampradäya-pravartakäh  j  tat-tad-guriänusäreria 
püjyä  mänyäs  ca  krtsnasah"  (Tantrasära  IV,  112). 

3)  desa-käläbhyäm  eva  paramätmanä  samavyäptä  (Ps.  74 ;  cf.  Bhäg  Ptp  93  a). 

4)  „Srir  müla-sattvaip  vijneyä,  bhür  mülarp  raja  ucyate,  |  mülaiii  tamas  tathä 
Durgä,  Mahälaksmis  tri-mülikä"  Bhäg  Ptp  p.  30  a. 


Metaphysik  75 

möglich  ist  dies  nur  allein  mit  Hilfe  Gottes  (BhGr.  VII,  14).  Als 
Personifikation  der  Macht  Visnus  und  als  Schutzgöttin  der  prakrti 
bewirkt  sie  auch  den  Untergang  der  Welt,  die  Rückkehr  aller 
Dinge  in  die  Urmaterie  und  ist  deshalb  die  Schirmherrin  der  ver- 
nichtenden Zeit  (käläbhimänini,  Bhäg  Ptätp  p.  34  b).  Wenn  Laksmi 
eine  so  große  Herrschaft  zugeschrieben  wird,  so  liegt  die  Frage 
nahe,  wie  sie  zu  verehren  sei  und  wie  sich  die  ihr  gewidmete  An- 
betung zu  der  Visnus  verhalte ;  diese  Frage  war  zu  Madhvas  Zeit 
außerordentlich  aktuell,  weil  damals  der  Saktismus  mit  seinem 
Kultus  der  weiblichen  Gottheiten  den  Dienst  der  großen  männ- 
lichen Götter  vielfach  zurückgedrängt  hatte.  Der  XII.  Gesang 
der  BhG  behandelt  nach  Madhva  diese  Frage.  In  seinem  Kom- 
mentar zu  dieser  Stelle  hat  Madhva  daher  Gelegenheit  sich  mit 
dem  Problem  ausführlich  auseinander  zu  setzen.  Nach  ihm  ist 
zwar  die  Verehrung  der  Sri  nützlich  —  sie  wird  ja  auch  in  Rgveda 
IX,  94,  4  c  und  in  anderen  Textstellen  vorgeschrieben  — ,  doch  nur, 
wenn  sie  mit  der  von  Visnu  verbunden  ist ;  Menschen,  deren  Denken 
ganz  auf  Sri  gerichtet  ist  und  bei  denen  Visnu  ganz  in  den  Hinter- 
grund tritt,  haben  es  schwer  das  Heil  zu  erreichen,  das  nur  von 
Visnu  gespendet  werden  kann.  Ebenso  wie  Visnu  auf  Erden  eine 
Scheingestalt  annimmt,  so  auch  seine  Gattin;  als  Sita,  Jayanti, 
Satyä,  E-ukmini  u.  a.  erscheint  sie  in  der  Welt,  scheinbar  dem 
Leid  der  Sterblichen  unterworfen,  in  Wahrheit  ewig  voll  gött- 
licher Seligkeit,     (z.  Brh  Up  I,  5,  11,  p.  12  b). 


76  Dritter  Abschnitt 


DRITTER  ABSCHNITT. 

HEILSLEHRE. 

I. 

Die  Ursachen  des  Samsära. 

Das  seit  anfangsloser  Zeit  vor  sich  gehende  Umherwandem 
der  Seelen  im  Samsära  hat  zur  Ursache  den  Willen  Gottes,  das 
Nichtwissen,  das  durch  Begierde  hervorgerufene  karman,  den  feinen 
Leib,  das  aus  den  drei  gunas  bestehende  Denkorgan  und  den 
groben  Leib  ^).  Ordnen  wir  diese  im  Ps.  526  aufgeführten  „Fesse- 
lungen", welche  den  jiva  an  das  Welttreiben  ketten,  so  ergeben 
sich  mehrere  Grruppen.     Ursache  der  Bindung  sind  demnach 

1)  das  Nichtwissen, 

2)  Begierde  und  karman, 

3)  die  Verbindung  mit  den  materiellen  Leibern  und  ihren  Or- 
ganen. 

Über  und  hinter  allen  diesen  steht  der  Wille  Grottes,  der  alles 
in  der  Welt  lenkt  und  somit  auch  darüber  autonom  verfügt,  ob 
eine  Seele  im  Kreislauf  der  Existenzen  umherirren  oder  aus  ihm 
herauskommen  soll. 

Von  den  genannten  Ursachen  des  Samsära  ist  über  die  letzten 
bereits  früher  alles  Notwendige  gesagt  worden,  wir  können  uns 
daher  darauf  beschränken,   die   ersten  beiden  zu  behandeln. 

Das  Nichtwissen  (avidyä)  ist  ein  materielles  Produkt,  das  — 
wie  schon  oben,  S.  49  gesagt  wurde  —  bei  der  Weltschöpfung 
sich  ans  der  prakrti  entfaltete.  Es  umhüllt  den  jiva  und  hindert 
ihn  so,  Gott  zu  erkennen  und  die  ewigen  Heilswahrheiten  in  sich 
aufzunehmen.  Nach  dem  Grade  der  Intensität,  in  der  es  auftritt, 
zerfällt  es  in  5  Arten  (parvan): 

1)  tamas  Dunkel, 

2)  moha  Betörung, 

3)  mahämoha  große  Betörung, 

4)  tämisra  Finsternis, 

5)  andhatämisra  blinde  Finsternis. 


1)  bandhas  tv  isvarecchä-  vidya-käma-karma-lingasariram  trigupätmakam  manah 
sthülasariram  ityädi  (Ps.  526). 


Heilslehre  77 

Diese  Begriffe  erscheinen  in  der  Sämkhya-Philosophie  ^)  als  Be- 
zeichnung für  die  5  Arten  des  Irrtums.  Tamas  ist  viparyaya,  die 
Umkehrung  des  wahren  Sachverhalts,  die  vorhanden  ist,  wenn  man 
die  Urmaterie  und  die  Organe  für  das  Selbst  hält.  Moha  ist  der 
Subjektivismus  (asmitä),  die  falsche  Anschauung,  die  im  Grott-Da- 
sein  erlangten  übernatürlichen  Kräfte  für  dem  Selbst  angehörig 
und  daher  für  unsterblich  zu  halten.  Mahämoha  ist  räga,  das 
Verlangen  nach  den  Sinnesobjekten.  Tämisra  ist  dvesa,  Abnei- 
gung gegen  die  Faktoren,  welche  den  Grenuß  der  Sinnesobjekte 
oder  der  übernatürlichen  Kräfte  stören.  Andhatämisra  ist  abhi- 
nivesa  die  Furcht  vor  dem  Verlust  des  Lebens  und  seiner  Güter. 
Bei  Madhva  und  in  Ps.  171,  wo  diese  fünf  Arten  der  avidyä  ge- 
nannt werden,  findet  sich  diese  im  Sämkhya  übliche  Erklärung 
nicht.  Madhva  erläutert  die  „paficaparvikä  avidyä"  vielmehr  durch 
Zitate  aus  dem  Mahäbhärata  folgendermaßen:  „tamas  bedeutet 
Finsternis  (särvara),  moha  die  Umkehrung  des  wahren  Sachverhalts, 
das  hartnäckige  Bestehen  auf  dieser  ist  mahämoha,  tämisra  ist 
Zorn,  andhatämisra  ist  das  Sterben".  Nach  einem  von  ihm  im 
Anschluß  hieran  angeführten  Zitat  aus  dem  Harivamsa  hingegen 
ist  „tamas  Nichtwissen,  moha  die  Verkehrung  der  Wahrheit,  die 
anderen  sind  das  hartnäckige  Festhalten  an  jenen"  ^). 

Nach  einer  anderen  Einteilung,  die  Ps.  172  gegeben  wird,  ist 
die  avidyä  vierfach: 

1)  jiväcchädikä  (svagunäcchädikä) ,  das  Nichtwissen,  welches 
die  Seele  hindert,  ihre  eigene  Natur  zu  erkennen, 

2)  paramäcchädikä,  das  Nichwissen,  welches  die  Seele  hindert, 
Gott  zu  erkennen, 

3)  mäyä  das  Nichtwissen,  welches  scheinbare  Erkenntnisse 
und  namentlich  den  Wahn  des  „Ich"  und  „Mein"  hervorruft^). 

4)  saivalä  das  Nichtwissen,  welches  die  wahre  Erkenntnis  ver- 
fälscht, vergleichbar  einer  Wasserpflanze  (äaivala,  Blyxa  octandra), 
die  das  Wasser  eines  Teiches  bedeckt  und  ihm  dadurch  scheinbar 
eine  grüne  Farbe  verleiht*). 

1)  Garbe,  Säijikhya-Philosophie^,  341. 

2)  ^tamas  tu  särvaraiii  proktani,  mohas  caiva  viparyayah  |  tad-ägraho  mahä- 
mohas  tämisrah  krodha  ucyate  |  maranaip  tv  andhatämisram  avidyä  paiicaparvikä* 
iti  Bhärate.  „tamo'  jnänaip  viparyäso  moho  'nye  tu  tad-ägrahä"  iti  Harivaip- 
sesu.    (Bhäg  Ptp  p.  34b  zu  Bhäg  P  III,  13  (12)  2). 

3)  In  einem  Zitat  zu  Ps.  172  wird  mäyä  als  paficaparvikä  bezeichnet,  so  daß 
also  dort  die  vorhin  behandelten  Arten  moha  etc.  als  Unterarten  von  mäyä  er- 
scheinen, was  zu  dem  im  Säipkhya  üblichen  Gebrauch  von  moha  usw.  passen 
würde. 

4)  Zu  Bhäg-P  III,  10,9  (Bhäg  Ptp  28  a)  wird  saivalä  folgendermaßen  er- 


78  Dritter  Abschnitt 

Wie  sich  aus  den  Erklärungen  der  avidyä  ergibt,  ist  sie  keine 
absolute  Unwissenheit,  sondern  nur  ein  Wissen,  das  trügerisch  ist 
und  sich  auf  unrichtige  oder  unwürdige  Objekte  richtet.  Sie  ist 
daher  ein  Wissen,  das  den  Samsära  hervorruft  (jnänam  samsära- 
hetu,  Ps.  479),  indem  es  anstatt  sich  Grott  zuzuwenden,  den  Leib, 
Weib  und  Kind  und  andere  vergängliche  Dinge  dieser  Welt  zum 
Gegenstand  nimmt. 

Die  wahre  Erkenntnis  wird  den  jiva  ferner  verborgen  durch 
die  Begierde  (käma),  durch  die  Leidenschaft,  welche  Zorn  und 
alle  anderen  Laster  im  Gefolge  hat.  So  wie  Rauchschwaden  das 
Feuer  verhüllen,  so  verhüllt  die  Begierde  das  Wissen;  so  wie  ein 
von  Schmutz  bedeckter  Spiegel  nichts  reflektiert,  so  ist  das  von 
der  Begierde  befleckte  antahkarana  nicht  fähig,  Gott  in  sich  wieder- 
zuspiegeln;  so  wie  die  Eihaut  die  Frucht  im  Mutterleibe  umgibt, 
so  fesselt  ;die  Begierde  die  Seele  (BhG.  III,  38).  Die  Begierde 
treibt  die  Seele  dazu  immer  auf's  neue  Taten  zu  vollbringen.  Jede 
Tat,  jedes  Wort,  jeder  Gedanke  ruft  aber  nach  allgemein- indischer 
Anschauung  eine  transzendente  Wirkung  hervor,  die  sich  als  Lohn 
oder  Strafe  in  dieser  Existenz  oder  in  einer  kommenden  äußert; 
denn  die  ganze  große  Verschiedenheit  der  Wesensart  und  der 
Schicksale  aller  jivas  ist  nichts  anders  als  das  Produkt  ihres  karman, 
d.  h.  das  sichtbar  gewordene  Ergebnis  der  Summe  ihrer  guten 
oder  schlechten  Taten  (z.  BS.  II,  3,  51). 

Das  durch  die  von  den  Begierden  veranlaßten  Taten  verur- 
sachte karman  (kämya-karman)  ist  entweder  gut  oder  schlecht. 

1)  Das  gute  karman  wird  hervorgerufen  durch  das  Voll- 
bringen der  von  der  Religion  gebotenen  Handlungen,  wie  Opfern 
und  Almosengeben.  Der  transzendente  Lohn,  den  es  gewährt, 
ist  vergänglich ;  er  besteht  in  einer  der  Bedeutung  der  vollbrachten 
Tat  entsprechenden  glücklichen  Schicksalsfügung,  in  günstigsten 
Fällen  in  der  Wiedergeburt  im  Götterhimmel.  Es  ist  von  dem 
Täter  entweder  mit  Absicht  erzeugt  worden  (ista)  oder  entsteht, 
ohne  daß  er  es  erstrebt  hat  (anista). 

2)  Das  schlechte  karman  entsteht  durch  Verfehlungen  gegen 
die  religiösen  und  sittlichen  Gebote-  Es  äußert  sich  in  dem  Leid, 
das  der  jiva  erdulden  muß,  und  zwar  ist  dieses  Leid  bei  geringeren 
Sünden  zeitlich  —  Ertragen  von  schweren  Schicksalsschlägen, 
Wiedergeburt  in  niederen  Existenzformen,  schlimmstenfalls  in  den 
zeitlichen  Höllen  —  bei  ganz  schweren  Verfehlungen  ewig  (Ver- 
sinken in  die  ewigen  Höllen). 

klärt:  „paririämini  ca  yasyäs  tu   dosäs  cetanatä  tathä  |  saivali  näma  sä  mäyä  ja- 
gad-bandhätmikä  sadä"  (Brahmatarka). 


Heilslehre  79 

Von  dem  durch  die  Begierden  veranlaßten  (kämya)  karman 
verschieden  ist  das  begierdenfreie  karman.  Entsteht  das  erstere 
aus  irdischen,  egoistischen  Motiven,  nämlich  aus  dem  Streben  nach 
einem  Lohn  (phalecchayä  krtam  karma  kämyam),  so  hat  das  letztere 
lediglich  die  Grnade  Grottes  zum  Ziel  (Tsvaraprasädärtham  krtam 
karma  akämyam,  z.  Ps.  6).  Es  verursacht  eine  Reinigung  des 
Denkens  (BhGr.  IV,  33)  und  ermöglicht  dadurch  die  Entstehung 
der  direkten  Erkenntnis  Gottes,  welche  die  Vorbedingung  der  Er- 
lösung ist.     (Ps.  298). 

Neben  den  Taten,  welche  kämya-  oder  akämya-karman  her- 
vorrufen, gibt  es  eine  große  Reihe  von  Akten,  welche  kein  karman 
erzeugen  und  deshalb  als  udäsina  (gleichgültig)  bezeichnet  werden. 
Es  sind  dies  erstens  diejenigen  Handlungen,  welche  die  Seele  me- 
chanisch vornimmt,  ohne  daß  sie  dabei  moralisch  beteiligt  ist, 
z.  B.  das  Emporwerfen,  Herabwerfen,  Krümmen,  Ausstrecken, 
Gehen,  Essen  usw.  Zweitens  gehört  hierzu  jedwede  Tätigkeit, |die 
von  Gott  oder  dem  Erlösten  vorgenommen  wird.  Wenn  daher  die 
Seligen  umherwandeln,  scherzen  und  mit  Frauen  oder  mit  Wagen 
sich  ergötzen  (Chä.  Up.  VIIT,  12,  3),  so  wird  dadurch  kein  karman 
produziert.     (Ps.  10  ff.). 

Nach  seiner  Wirksamkeit  wird  das  karman  eingeteilt  in  prä- 
rabdha  d.  h.  dasjenige,  das  begonnen  hat  sich  zu  realisieren,  und 
samcita,  dasjenige,  das  aufgespeichert  ist  und  vorläufig  latent  bleibt, 
um  sich  später  auszuwirken.  Jedes  karman  wird  durch  seine 
Realisation  (bhoga)  aufgezehrt;  ein  karman-freier  Zustand  kann 
bei  den  jivas  aber  durch  diesen  automatischen  Verbrauch  des  kar- 
man nie  eintreten,  weil  sie  ja  permanent  neue  Handlungen  aus- 
führen, welche  wieder  ihren  Lohn  oder  ihre  Strafe  finden  müssen. 
Ein  Mensch  z.  B.  vollbringt  namentlich  von  seinem  vierzehnten 
Lebensjahre  ab  notwendiger  Weise  so  viele  Werke,  daß  sie  die 
Ursache  von  zehn  Existenzen  sein  können,  (z.  BS.  III,  1,  8  Krs- 
nämrta  217).  Eine  Erlösung  ist  deshalb  durch  bloße  Werke  un- 
möglich ;  sie  läßt  sich  nur  erreichen  durch  das  von  Gott  in  Gnaden 
gewährte  überirdische  Wissen,  welches  die  Entstehung  neuen  kar- 
mans  hindert  und  das  vorhandene  mit  Ausnahme  des  in  der  gegen- 
wärtigen Existenz  zu  realisierenden  vernichtet. 


80  Dritter  Abschnitt 

II. 

Die  Mittel  zur  Heilsgewinnung. 
1.    Gute  Werke. 

In  den  heiligen  Schriften  finden  sich  zahlreiche  Gebote  und 
Verbote,  die  das  Leben  des  Hindus  bis  ins  Einzelne  regeln.  Madhva 
hält  diese,  soweit  sie  auf  dem  Veda  und  den  von  ihm  anerkannten 
Werken  der  Überlieferung  beruhen,  aufrecht.  Das  Kastenwesen 
ist  ihm  eine  göttliche  Institution,  die  Visnu  selbst  geschaffen  hat ; 
die  von  den  Angehörigen  der  vier  Kasten  auszuübenden  Pflichten 
entsprechen  dem  Grade  ihrer  Reinheit,  der  selbst  wieder  durch 
die  gunas  bedingt  ist '). 

Entsprechend  seinem  visnuitischen  Überzeugungen  werden  alle 
in  der  Sruti  und  Smrti,  in  den  Puränas  und  Ägamas  gelehrten 
heiligen  Bräuche  von  Madhva  direkt  oder  indirekt  mit  Visnu  in 
Verbindung  gebracht ;  alle  Mantras,  die  bei  ihnen  hergesagt  werden, 
beziehen  sich  auf  ihn  und  der  gesamte  private  und  öffentliche 
Kultus  dient  mittelbar  oder  unmittelbar  seiner  Verehrung. 

Vom  Erwachen  bis  zum  Einschlafen  soll  der  frommen  Vais- 
nava  Visnus  gedenken;  jede  der  vorgeschriebenen  Handlungen  des 
Tages,  das  Reinigungsbad,  das  "Wasserschlürfen  und  Mundausspülen, 
die  Atemübungen  und  den  Genuß  der  Speise  soll  er  unter  Her- 
sagen von  heiligen  Formeln  vollziehen,  über  Gott  meditierend^). 
Äußerlich  soll  er  seiner  Zugehörigkeit  zur  Vaisnava-Gemeinde  da- 
durch einen  sichtbaren  Ausdruck  geben,  daß  er  das  senkrechte 
Sektenzeichen,  den  ürdhvapundra,  auf  seine  Stirn  malt:  nie  soll 
er  sich  dazu  verstehen,  das  horizontale  Symbol  der  Saivas,  den 
tiryakpundra  zu  tragen,  selbst  wenn  er  mit  dem  Tode  bedroht 
wird  (Krsnämrta  222).  Großen  Wert  wird  ferner  der  Stigmatisie- 
rung (ankana)  beigemessen.  Dieselbe  besteht  darin,  daß  Symbole 
der  Allmacht  Visnus,  wie  sein  Diskus  (cakra)  und  seine  Bluschel 
(sankha),  ein-  oder  mehrmals  täglich  mit  einer  aus  Lehm  (gopi- 
candana)  und  Wasser  bestehenden  Masse  vermittels  eines  Stempels 
auf  Stirn,  Brust  oder  Arm  des  Verehrers  aufgedrückt  werden; 
bei  feierlichen  Gelegenheiten  werden  diese  Zeichen  auch  mit  Hilfe 
von  heißgemachten  Metallstempeln  von  dem  guru  seinen  Schülern 
eingebrannt. 

1)  „sättviko  brähma^iah,  sättvika-räjasah  ksatriyah,  räjasa-tämaso  vaisyah, 
tämasah  südra"  iti  gmna-vibhägah  karma-vibhägas  tu  sämo  dama  ity  ädinä  vak- 
syate"  (z.  BhG.  IV,  13). 

2)  Eine  ausführliche  Beschreibung  mit  Angabe  der  Mantras  gibt  Madhvas 
Sadäcärasmrti. 


Heilslehre  ^  81 

Die  hohe  Bedeutung,  die  dem  Diskusmal  beigemessen  wird, 
zeigt  ein  Krsnämrta  108  gegebener  Spruch,  der  Visnu  sagen  läßt, 
auch  in  einem  unreinen  Barbaren-Lande  sei  der  Ort,  wo  sich  ein 
Diskusmal  befindet,  drei  Meilen  im  Umkreise  sein  Bereich.  Das 
Zeichen  erweist  nicht  nur  den,  der  es  trägt,  als  einen  gläubigen 
Visnuverehrer,  sondern  erinnert  zugleich  alle  andern  Menschen, 
die  es  erblicken,  an  Gott  und  regt  sie  so  zu  frommer  Betrachtung 
an.  Dasselbe  gilt  von  der  „Namengebung"  (nämakarana).  Nach 
Madhvas  Vorschrift  soll  jeder  seiner  Anhänger  einen  auf  Vi§nu 
Bezug  habenden  Namen  (wie  Kesava,  Padmanäbha  u.  a.)  tragen, 
damit  jedesmal  beim  Aussprechen  dieses  Namens  die  Erinnerung 
an  Visnu  wachgerufen  wird  ^).  Wie  wertvoll  es  ist,  seinen  Söhnen 
Visnu-Namen  zu  geben,  lehrt  die  Geschichte  von  dem  schlechten 
Brahmanen  Ajämila,  der  in  seinem  Leben  viele  Sünden  begangen 
hatte,  dadurch  aber,  daß  er  auf  dem  Totenbett  sein  Söhnchen 
Näräyana  herbeirief,  sich  hierbei  an  Visnu  erinnerte,  von  bhakti 
erfüllt  wurde  und  nicht  den  dräuenden  Schergen  Yamas  in  die 
Hände  fieP). 

Visnu  zu  Ehren  sind  von  den  Gläubigen  bestimmte  Observanzen 
zu  erfüllen.  Eine  hervorragende  Rolle  spielen  unter  diesen  die 
Speisegesetze.  Der  Eleischgenuß  und  das  Zusichnehmen  von  al- 
koholischen Getränken  ist  verpönt.  Eine  periodische  Einschränkung 
der  Nahrungsaufnahme  ist  verdienstlich  (BhG  IV  30);  an  Tagen, 
die  dem  Visnu  heilig  sind,  ist  Fasten  vorgeschrieben.  Alle  vierzehn 
Tage,  am  ekädasT-Tag  (d.  h.  am  11.  Tag  jeder  Hälfte  des  lunaren 
Monats)  soll  man  weder  harte  noch  flüssige  Nahrung  zu  sich  nehmen. 
Wer  diesem  Gebot  zuwiderhandelt,  der  ist  so  schlecht  wie  ein  Dieb, 
ein  Brahmanen-  oder  Kuhtöter  (Krsnämrta  130  &.).  Tai  diesen  regel- 
mäßig wiederkehrenden  Fastentagen  kommen  noch  andere;  vor 
allem  ist  Krsnas  Geburtstag  durch  Meiden  jeder  Speise  zu  feiern; 
wer  an  diesem  Tage  ißt,  der  ißt  Eiter  und  Blut  (Jayantinirpaya). 
Verdienstlich  und  heilbringend  ist  der  Genuß  von  der  Visnu  dar- 
gebrachten Opferspeise  (naivedya);  wer  täglich  von  den  Resten 
des  Mahles  Visnus  ißt,  der  erlangt  mit  jedem  Reiskorn,  das  er 
genießt,  mehr  Lohn,  als  wenn  er  hundert  Cändräyanas  ^)  vorgenommen 

1)  Das  Stigmatisieren  und  die  Namengebung  werden  im  Mädhavas  Sarva- 
darsanasaipgraha  als  für  Madhvas  Lehre  besonders  charakteristische  Eigentüm- 
lichkeiten angeführt  (Puna  Ed,  p.  53).  -  Nach  Mvij  IX  39  hat  Madhva  das  Stig- 
matisieren an  vielen  seiner  Anhänger  persönlich  vorgenommen. 

2)  Bhäg  P.  VI  1—3  und  Madhvas  Komm. 

3)  Das  Cändräyapa  ist  eine  bestimmte  Kasteiung,  bei  der  man  den  Mondlauf 
zur  Richtschnur  nimmt,  indem  man  beim  zunehmenden  Monde  jeden  Tag  einen 
Bissen  mehr,  beim  abnehmenden  einen  Bissen  weniger  zu  sich  nimmt  (p.  w). 

V.  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie.  6 


82  Dritter  Abschnitt 

hätte.  Empfehlenswert  ist  es,  naivedya  mit  Basilienkraut  (tulasi) 
zu  mischen  und  das  ganze  dann,  mit  dem  Wasser,  in  dem  sich  der 
Guru  die  Füße  gewaschen,  übergössen,  zu  sich  zu  nehmen  (Krsnä- 
mrta  97). 

Transzendenten  Lohn  gewähren  Wallfahrten  nach  heiligen 
Stätten,  wie  ßenares,  Prayäga,  Grayä,  Puskara,  Dväravati,  be- 
sonders heilbringend  ist  das  Baden  in  heiligen  Flüssen,  wie  der 
Gaiigä,  die  aus  Visnus  Fuß  entsprang  ^). 

Visnus  Symbolen,  dem  Sälagrämastein,  der  TulasTstaude  ist 
Ehrerbietung  zu  erweisen,  vor  allem  seinen  Idolen.  Im  III.  Kapitel 
seines  Tantrasärasamgraha  gibt  Madhva  ausführliche  Vorschriften 
über  die  Herstellung  und  Konsekrierung  von  Grottesbildem  aus 
Ton,  Stein  und  Metall. 

Bei  den  Mädhvas  stehen  in  besonderer  Verehrung  einige  Gottes- 
bilder, die  Madhva  selbst  auf  eigenartige  Weise  erhalten  und  in 
den  Heiligtümern  in  und  bei  U(Jipi  aufgestellt  haben  soll.  Eine 
berühmte  Krsna-Statue  fiel  nach  der  Überlieferung  durch  folgenden 
Zufall  in  seine  Hand.  Als  er  einst  am  Ufer  des  Meeres  meditierte, 
sah  er  ein  Schiff  in  der  Nähe  der  Küste  auf  einer  Sandbank  fest- 
laufen. Durch  Schwenken  eines  Tuches  rief  er  den  Wind  hervor, 
der  notwendig  war,  um  es  wieder  flott  zu  machen,  so  daß  es  landen 
konnte.  Die  geretteten  Seeleute  baten  ihn,  sich  zum  Lohn  für 
seine  Bemühungen  etwas  aus  der  reichen  Ladung  des  Schiffes  zu 
nehmen;  Madhva  aber  ließ  sich  nur  einen  großen  Gopicandana- 
(Lehm-)Klumpen  geben.  In  diesem  befand  sich,  wie  sich  nachher 
herausstellte,  eine  alte  Krsna-Statue,  welche  seit  langem  an  der 
Küste  von  Dvärikä  unbeachtet  im  Schlamm  gelegen  hatte  und 
jetzt  durch  eine  glückliche  Fügung  in  die  Hand  eines  bhakta  ge- 
kommen war.  Madhva  wusch  das  Gottesbild,  weihte  es  und  er- 
richtete ihm  einen  Tempel,    in  dem  es  noch  heute  verehrt  wird^). 


1)  Als  Ersatz  hierfür  betracliten  die  Mädhvas  ein  Bad  in  dem  sog.  „Madhva- 
sarovara"  in  Udipi.  Kurz  nach  seiner  Initiation  soll,  so  erzählt  die  Legende, 
Madhva  die  Absicht  gehabt  haben,  eine  Wallfahrt  zum  Ganges  zu  unternehmen. 
Dies  betrübte  Mädhvas  Guru,  Acyutapreksa  sehr  und  er  betete  zu  Anantesvara, 
er  möge  ihm  dazu  verhelfen,  daß  er  sich  nicht  von  seinem  Schüler  zu  trennen 
brauche.  Der  Gott  veranlaßte  daraufhin  die  Gangä  unterirdisch  nach  üdipi  zu 
fließen  und  dort  einige  Tage  lang  in  einem  Teich  zu  erscheinen.  So  konnte 
Madhva  in  der  Gangä  baden,  ohne  sich  den  Mühseligkeiten  einer  Reise  auszu- 
setzen und  seinen  Guru  zu  verlassen.  Wie  die  Mädhvas  glauben,  wiederholt  die 
Gangä  ihr  Auftreten  im  Madhva-Teich  alle  zwölf  Jahre,  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

2)  Mvij  IX  41 S  und  Sesas  Komm. 


Heilslehre  83 

Acht  Sälagräma-Steine,  in  die  Visnu  (=  Vyäsa)  mit  Laksmi 
eingegangen  war,  erhielt  Madhva  bei  seinem  zweiten  Besuch  in 
Badarikäärama  von  Vyäsa  als  Greschenk  ^) ;  die  kostbaren  Andenken 
werden  noch  heute  an  vier  Orten  verehrt^). 

Andere  wertvolle  Kultobjekte  soll  Madhva  durch  seinen  Schüler 
Sämasästrin  (Naraharitirtha)  erhalten  haben.  Es  waren  dies  die 
Bildnisse  von  Räma  und  Sita,  die  schon  lange,  bevor  dieses  Königs- 
paar in  der  Welt  erschien,  von  Iksväku  und  seinen  Nachkommen 
bis  auf  Dasaratha  verehrt  worden  waren.  Die  Idole  wurden  dann 
von  Sita  und  Laksmana  angebetet  und  schließlich  von  Räma  einem 
alten  Brahmanen  geschenkt,  um  ihn  für  seine  Frömmigkeit  zu  be- 
lohnen. Als  dieser  starb,  übergab  er  die  wertvollen  Kleinodien 
seines  Griaubens  dem  Hanumat.  Als  dieser  während  des  Krieges 
zwischen  den  Pändavas  und  Kauravas  mit  Bhima  im  Gandhamä- 
dana-Gebirge  zusammentraft),  vertraute  er  ihm  die  Heiligtümer 
an.  Aus  dem  Besitz  der  Pändavas  kamen  sie  schließlich  in  den 
der  Gajapati-Könige  von  Orissa,  die  sie  in  ihrer  Schatzkammer 
niederlegten.  Madhva,  der  hierum  wußte,  befahl  Naraharitirtha 
nach  Orissa  zu  gehen  und  ihm  die  Idole  zu  verschaffen,  auf  daß 
er  sie  verehren  könne.  Naraharitirtha  ging  darauf  in  das  König- 
reich Kaiinga  und  wurde  dort  mit  der  Wahrnehmung  der  ßegie- 
rungsgeschäfte  für  den  minderjährigen  Herrscher  beauftragt.  Als 
letzterer  großjährig  geworden  war,  ließ  sich  Naraharitirtha  von 
ihm  die  Götterbilder  schenken  und  brachte  sie  zu  Madhva,  der  sie 
noch  achtzig  Tage  lang  verehrte,  bis  er  die  Welt  verließ.  Seitdem 
haben  sie  sich  in  den  Klöstern  der  Mädhvas  bis  zur  Gegenwart 
fortgeerbt*). 

Naraharitirtha  soll  später  noch  ein  anderes  Kultbild  auf  eine 
wunderbare  Weise  zuteil  geworden  sein.  Als  er  einst  predigend 
durch  das  Land  zog,  träumte  ihm,  in  einem  Teich  in  der  Nähe 
der  Stadt,  in  welcher  er  übernachtete,  befände  sich  ein  Büd  des 
Näräyana.    Am  nächsten  Tage  entdeckte  er  dieses  und  weihte  es. 


1)  „präpa  sa  Nüräyariatah  suddha-silätma-pratimäh  |  yäsu  sa  Padmä-sahito  do- 
syahitah  sannihitah"  Mvij  X  24. 

2)  „One  at  Udupi,  one  at  Subramanyam,  one  at  Madhyatala  (Sode  Mutt) 
and  the  remaining  five  in  the  Acliarya's  Mutt  (Uttaradi  Mutt)".  Padmanabhai 
Char,  loc  cit.  p.  168. 

3)  Das  Zusammentreffen  wird  im  Mahäbh.  III  146  ff.  geschildert. 

4)  Vgl.  Narahariyatistotra  in  Stotramahodadhi  Part  I  (Bombay  1897,  Nir- 
ijaya-Sägara-Press).  H.  Krishna  Sastri  „Srikurman  Inscription  of  Naraharitirtha 
Saka-Samvat  1203"  (Epigraphia  Indica,  VI  261)  und  R.  G.  Bhandarkar,  Vaisna- 
vism  etc.  p.  58 f.;  Padmanabha  Char,  1.  c.  p.  128,  214. 

6* 


84  Diitter  Abschnitt 

Der  Ort,  wo  sich  dies  zugetragen  haben  soll,  heißt  noch  heute 
Näräyanadevarkere  („Teich  des  Grottes  Näräyana")  und  liegt  im 
Hospet  täluka  des  Bellary-Distrikts  ^). 

Die  den  Idolen  zu  erweisende  Verehrung  ist  von  Madhva  bis 
ins  Kleinste  festgesetzt  worden.  Peinliche  Sauberkeit  ist  die  not- 
wendige Voraussetzung  für  alle  heiligen  Handlungen ;  vom  Grottes- 
dienst muß  alles  ferngehalten  werden,  was  irgendwie  stören  könnte. 
Das  Ritual  in  den  Tempeln  ist  genau  geregelt.  Neun  Zeremonien 
sind  es  vor  allem,  die  dort  an  jedem  Tage  vorgenommen  werden : 
Zunächst  wird  der  Tempel  gereinigt  (mala-visarjana),  dann  wird 
das  Krsnabild  aus  dem  Schlafe  geweckt  (upasthäna).  Hierauf  wird 
es  mit  Milch  und  andern  köstlichen  Stoffen  (Zucker,  Ghi,  saure 
Milch,  Honig)  gewaschen  (pancämrta),  dann  abgerieben  (udvartana), 
in  heiligem  Wasser  gebadet  (tirthapüjä)  und  mit  Schmuck  behangen 
(alankära);  Grebete  und  Hymnen  werden  an  es  gerichtet  (ävrtta), 
Früchte  und  Wohlgerüche  ihm  dargebracht  (mahäpüjäj  und  schließ- 
lich nachts  Lampen  vor  ihm  geschwungen  (rätripüjä)  ^). 

Die  vor  Visnu  niedergelegten  Opfergaben  bestehen  in  Milch, 
Reiskuchen,  Blumen.  Wenn  auch  Madhva  zu  BS  III,  1,  27  bemerkt, 
daß  die  Tötung  von  Tieren  bei  dem  im  Veda  vorgeschriebenen 
Kultus  keine  Sünde  sei,  so  treten  doch  in  der  Praxis  seiner  An- 
hänger an  die  Stelle  der  Tieropfer  solche  aus  vegetabilischen  Be- 
standteilen^), wobei  auf  Stellen  wie  Bhäg  P.  XI,  5,  13  und  XI,  21,  29 
hingewiesen  werden  kann. 

Das  ganze  umfangreiche  Zeremoniell,  mit  welchem  das  Idol 
umgeben  wird,  das  Waschen  und  Salben,  das  Bekränzen  und 
Schmücken,  das  an  ihm  vorgenommen  wird,  das  Verbrennen  von 
Räucherwerk,    das    Schwingen   von   Lichtern    und    die   feierlichen 

1)  H.  Krishna  Sastri,  a.  a.  0.  p.  262. 

2)  H.  H.  Wilson  „A  Sketch  of  the  Religious  Sects  of  the  Hindus"  (London 
1862)  p.  148. 

3)  Die  Berechtigung  dieser  Praxis  wird  u.  a.  aus  Mahäbh  XII  hergeleitet, 
wo  (Bo  Ed.  336,  Calc  338,  Kumbh.  344)  von  einem  Opfer  des  Königs  Vasu  Upa- 
ricara  berichtet  wird,  bei  dem  kein  Tier  getötet  wurde,  was  der  Gott  dadurch 
belohnte,  daß  er  sich  Vasu  zeigte,  wie  er  sich  bisher  von  niemandem  hatte  sehen 
lassen.  In  der  von  Mädhvas  veranstalteten  Kumbhakona-Ausgabe  finden  sich 
hinter  Vers  17   sechs  Strophen,    die  in   den   andern  Ausgaben  fehlen.    In  diesen 

•  wird  der  Ersatz  der  Opfertiere  durch  „aus  Backwerk  bestehendes  Vieh"  (pista- 
maya  pasu)  empfohlen.  —  Es  erscheint  auffällig,  daß  das  Verbot  von  Tieropfern 
von  Madhva  in  seinen  Schriften  nicht  mit  Entschiedenheit  in  den  Vordergrund 
gestellt  wird ;  auch  aus  der  Mvij  IX  44  ff.  erzählten  Geschichte  vom  Opfer  des 
Jaräghatita  geht  nicht  deutlich  hervor,  daß  er  gegen  Tieropfer  war ;  es  liegt  daher 
die  Vermutung  nahe,  daß  die  heutige  Praxis  der  Mädhvas  von  Madhva  selbst 
noch  nicht  allgemein  eingeführt  wurde. 


Heilslehre  85 

Prozessionen,  —  sie  alle  dienen  dem  einen  Zweck:  den  Gläubigen 
für  die  Dauer  der  püjä  in  die  lebendige  Gegenwart  des  verehrten 
Gottes  zu  versetzen.  Der  Fromme  wird  gleichsam  herausgehoben 
aus  der  Sphäre  des  Alltäglichen  und  wird  dadurch  gnadenvoller 
Heilsgüter  teilhaftig;  er  erhält  ein  bildhaftes  Objekt  für  seine 
Meditationen,  einen  Gegenstand,  welcher  es  auch  dem  geistig  noch 
wenig  Fortgeschrittenen  erleichtert,  seine  Gedanken  auf  das  über- 
irdische Göttliche  zu  konzentrieren^). 

Die  Visnu  geweihte  Verehrung  bleibt  nicht  auf  den  Gott  be- 
schränkt, sondern  wird  auch  auf  sein  Gefolge  und  seine  Diener 
ausgedehnt.  Es  sind  deshalb  auch  Bilder  von  Durgä,  Öiva,  Skanda, 
Ganesa  u.  a.  aufzustellen  und  in  gebührender  Weise  zum  Gegen- 
stand eines  Kultus  zu  machen.  Man  muß  sich  dabei  aber  immer 
vergegenwärtigen,  daß  diese  Gottheiten  Visnu  Untertan  sind  und 
von  ihm  durchwaltet  werden;  eine  ihnen  erwiesene  Verehrung, 
ohne  daß  dabei  Visnus  gedacht  wird,  ist  wertlos,  ja  teuflisch 
(Tantrasära  III,  143),  denn  wer  die  Anbetung  Visnus  als  des 
höchsten  Weltenherrn  aufgibt  und  an  seiner  Stelle  einem  andern 
Gott  Ehre  erweist,  der  handelt  ebenso  töricht  wie  ein  Mensch, 
der  Nektar  mit  Gift  oder  eine  Kuh  mit  einer  Eselin  vertauscht, 
oder  der  am  Gangesufer  sitzt  und  aus  einem  Brunnen  Wasser 
trinkt  (Krsnämrta  113  ff). 

*  Der  Dienst  Visnus  darf  sich  jedoch  nicht  in  dem  Vollbringen 
ritueller  Handlungen  erschöpfen,  sondern  muß  im  Leben  des  Gläu- 
bigen zum  Ausdruck  kommen.  Dies  geschieht  einerseits  durch  das 
Unterlassen  aller  verbotenen  Handlungen  (nisiddha-samtyäga)  und 
andererseits  durch  das  Führen  eines  Gott  wohlgefälligen  Wandels 
in  Gedanken,  Worten  und  Werken.  In  Gedanken  geschieht  die 
Verehrung  (bhajana)  Visnus  durch  die  Entfaltung  von  Mitleid 
(dayä)  gegen  die,  welche  einem  untergeben  sind,  von  Zuneigung 
(sneha)  gegen  die,  welche  einem  gleichgestellt  sind,  von  respekt- 
voller Liebe  (bhakti)  zu  denen,  die  einem  an  Rang  und  Ansehen 
überlegen  sind^),   ferner  durch  frommen  Eifer  (sprhä)  sowie  durch 

1)  Den  Gedanken,  welche  einen  Mädhva  noch  heute  bewegen,  wenn  er  in 
Udipi  an  dem  Dienste  Krsnas  teilnimmt,  verleiht  C.  M.  Padmanabha  Char  p.  254 
folgenden  Ausdruck :  „One  who  sees  the  courses,  absolutely  forgets  that  it  is  but 
an  idol  that  is  being  served.  Every  honour  and  every  homage  that  the  mind  of 
man  can  conceive  of,  to  glorify  an  Emperor  of  Emperors,  if  present  in  flesh  and 
blood,  is  paid  with  tireless  patience  and  obeisance,  day  after  day,  in  total  forget- 
fulness  of  the  fact  that  it  is  after  all  an  image  that  Stands  before  them.  Where 
can  the  world  show  a  parallel  to  Sri  Krishna's  temple  at  Udupi?" 

2)  svädhamesu  satsu  dayä,  svasamesu  svätmavat  snehah,  uttamesu  bhaktih 
(Ps  485). 


86  Dritter  Abschnitt 

Glauben  (sraddhä).  In  Worten  äußert  sich  der  gute  Wandel  in 
Wahrhaftigkeit  (satya),  Güte  (hita),  Freundlichkeit  (priya)  und 
Veda-Studium  (svädhyäya),  in  Werken  tritt  er  im  Almosengeben 
(däna),  Verteidigen  der  Schwachen  (pariträna)  und  Beschützen  aller 
Wesen  (raksana)  hervor. 

Die  zehn  Gebote,  welche  in  der  Formel  vom  zehnfachen  bha- 
jana*)  zusammengefaßt  sind,  stellen  den  Moralkodex  der  Mädhvas 
dar  und  sollen  das  Tun  in  allen  Kasten  und  Lebensstadien  regeln. 

Alle  guten  Werke  verheißen  einen  transzendenten  Lohn;  dieser 
ist  aber  vergänglich,  solange  sie  egoistischen  Motiven  entspringen. 
Zur  Erlösung  führen  sie  nicht,  mögen  sie  auch  eine  Läuterung  der 
Seele  von  den  Schlacken  der  Leidenschaft  im  Gefolge  haben  und 
dadurch  mittelbar  den  Befreiungsprozeß  fördern.  Der  Weg  zur 
Erlösung  hat  vielmehr  zur  Voraussetzung,  daß  sich  die  Seele  von 
selbstischen  Neigungen  frei  macht,  daß  sie  begierdelos  wird  und 
daß  deshalb  das  karman,  das  ihre  Taten  hervorrufen,  ihr  nichts 
mehr  anhaben  kann.  Dieses  Ziel  läßt  sich  nach  den  Lehren  der 
BhG.  auf  zwei  Wegen  verwirklichen. 

Entweder  erfüllt  der  Erlösungsbedürftige  weiterhin  alle  ihm 
in  seinem  Stande  auferlegten  Pflichten,  tut  dies  aber  ohne  irgend 
welche  persönlichen  Motive  und  ohne  Rücksicht  auf  einen  jen- 
seitigen Lohn,  lediglich  im  Bewußtsein  der  Notwendigkeit  recht 
zu  handeln,  zum  Wohle  anderer  und  in  ständigem  Gedenken  Gottes. 
Oder  aber,  der  Befreiung  Suchende  zieht  sich  ganz  aus  dem  Welt- 
leben zurück,  entsagt  allen  irdischen  Wünschen  und  Tan  und  be- 
müht sich  in  weltabgeschiedener  Einsamkeit  die  Erkenntnis  zu 
erringen.  Beide  Heilswege  streben  demselben  Ziele  zu,  der  Aus- 
rodung aller  Begierden  und  der  Erlangung  des  vollkommenen 
Wissens;  welcher  von  ihnen  für  einen  Menschen  der  geeignetere 
ist,  das  hängt  von  seiner  individuellen  Disposition  ab.  Beide  sind 
an  sich  nicht  so  grundverschieden,  wie  die  Toren  glauben  (BhG  V,  4). 
Denn  der  weltentsagende  Büßer,  der  nur  der  Meditation  lebt,  ist 
darum  doch  nicht  ganz  ohne  Tun,  und  der,  welcher  treulich,  aber 
ohne  eignes  Interesse,  die  Pflicht  eines  Hausvaters,  Herrschers  usw. 
erfüllt,  entbehrt  nicht  des  Wissens.  Gott  beruft  die  Menschen 
dazu,  den  einen  oder  den  andern  Weg  zu  gehen,  und  entweder  in 
der  Ausübung  einer  irdischen  Tätigkeit  wie  Janaka,  oder   durch 


1)  Hierbei  werden  als  Verehrung  in  Gedanken  dayä,  sprhä,  sraddhä  ge- 
rechnet. Vergl.  Sarvadarsana-saipgraha  p.  54,  Dvaita  Catechism  §  73.  Ps  485 
führt  eine  große  Zahl  von  „moksa-sädhanäni"  verschiedenster  Art  nebeneinander 
an.    Danach  die  Liste  bei  Bhandarkar  "Vaisnavism,  Saivism  etc."  p.  60  f. 


Heilslehre  87 

Aufgeben  einer  solchen,  wie  Sanaka,  das  erlösende  Wissen  sich 
anzueignen  (z.  BhG  III,  3). 

Die  Werke  sind  nach  Madhva  demnach  Hilfsmittel  zur  Er- 
reichung der  Erlösung,  falls  sie  ohne  egoistische  Motive  ausgeführt 
werden  und  zur  Förderung  der  Erkenntnis  dienen.  Denn  eine 
Erlösung  durch  Werke  ohne  Wissen  ist  unmöglich.  Wenn  es 
heißt,  daß  ein  Sterbender  in  Prayäga  Erlösung  finde,  so  geschieht 
dies  nicht  infolge  des  durch  Baden  an  heiliger  Stätte  vollbrachten 
guten  Werkes,  sondern  vermöge  des  Aufgehens  der  Erkenntnis, 
das  an  diesem  hierfür  besonders  günstigen  Orte  erfolgte  (z.  BhGr 
III,  20).  So  liegt  also  der  Hauptwert  der  Werke  darin,  daß  sie 
den  Zugang  zum  Wissen  erleichtern^);  sie  sind  nur  Vehikel  zur 
Erlangung  der  Erkenntnis  und  spielen  gleichsam  die  Rolle  eines 
Pferdes,  das  als  Reittier  benutzt  wird,  um  die  Entfernung  nach 
einem  bestimmten  Ort  zurückzulegen,  dem  aber  an  sich  keine 
selbständige  Bedeutung  für  das  Hineingelangen  in  das  Dorf  zu- 
kommt (z.  BS.  III,  4, 26).  Obwohl  die  Werke  somit  insgesamt 
der  Erzeugung  des  Wissens  dienen  und  deshalb  eigentlich  nur 
notwendig  sein  müßten,  solange  das  Wissen  noch  nicht  erreicht 
ist,  so  wird  doch  von  Madhva  —  im  Gregensatz  zu  andern  Schulen 
—  der  G-rundsatz  aufgestellt,  daß  auch  der  zur  Erlösung  Aus- 
erwählte alle  heiligen  Vorschriften  über  das  za  Tuende  und  zu 
Unterlassende  zu  befolgen  habe  (BS.  III,  4,  27—33).  Das  Werk 
verhält  sich  zum  Wissen  wie  der  Minister  zum  König ;  der  Herrscher 
ist  zwar  in  der  Lage,  kraft  seiner  Machtvollkommenheit,  im  Staate 
alles  selbst  zu  regeln,  doch  ist  es  von  Nutzen,  wenn  ihm  der  Mi- 
nister zur  Seite  steht.  So  ist  es  auch  von  Wert,  wenn  der  Weise 
sich  an  alle  Gesetze  betr.  der  Speise  usw.  hält,  denn  seine  Wonne 
im  Zustande  der  Erlösung  wächst  durch  Befolgung  der  heiligen 
Vorschriften  und  vermindert  sich,  wenn  er  sie  nicht  beachtet^). 
Deshalb  wird  auch  in  der  Schrift  gesagt,  daß  Brahma  und  andere 
G-ötter,  obwohl  sie  zur  Erlösung  bereit  sind,  tapas  üben  (Anuvy 
p.55b). 

2.    Wissen. 

Der  vorzüglichste  Weg  zur  Erlangung  des  Wissens  über  Gott, 
das  den  jiva  zur  Erlösung  befähigt,  besteht  in  dem  Studium  der 
heiligen  Schriften.     Dieses   ist  nur  dann  heilbringend,  wenn  es  in 


1)  sarva-dharmäpeksa  jnanasyotpattau  (z.  BS.  III,  4, 26). 

2)  „änando  hrasete   'käryäc,  chubhaip  krtvä  tu  vardhata"   iti  Brahmä^ide 
(z.  BS.  III,  4,  33). 


88  Dritter  Abschnitt 

der   richtigen  Weise   von   den   dazu   berechtigten  Personen   unter 
der  Leitung  eines  erfahrenen  Lehrers  (guru)  betrieben  wird. 

Ein  tiefgründiges  und  systematisches  Studium  setzt  die  genaue 
Kenntnis  des  Veda  voraus.  Nach  der  allen  Vedänta-Systemen 
gemeinsamen  Anschauung  ist  eine  solche  nur  für  Männer  der 
obersten  drei  Kasten,  d.  h.  für  Brahmanen,  Ksatriyas  und  Vaisyas 
sowie  für  im  Range  über  diesen  stehende  Wesen,  d.  h.  für  die 
Grötter  der  verschiedenen  Ellassen  erreichbar.  Die  Südras  und  alle 
Wesen  niederer  Art  sind  nicht  zum  Veda-Studium  berufen,  weil 
ihnen  die  hierfür  erforderlichen  geistigen  Fähigkeiten  abgehen 
und  weil  ihnen  das  Sakrament  des  upanayana,  der  Einführung  bei 
einem  Veda-Lehrer  fehlt.  Götterfrauen  (uttamastri)  hingegen  sind 
dazu  berechtigt,  was  aus  Textstellen  wie  Rgv  X,  145,  2  c  „sapatnim 
me  parä  dhama"  hervorgeht;  hier  sagt  Indras  Weib  „blase  mir 
meine  Nebenbuhlerin  fort",  woraus  sich  ergibt,  daß  Indränl  selbst 
den  Veda  kennen  muß.  da  sie  ja  sonst  nicht  diesen  Hymnus  rezi- 
tieren könnte  ^).  Als  upanayana  gilt  bei  diesen  Frauen  die  Ver- 
heiratung (BS.  I,  3,  36).  Daß  die  Südras  den  Veda  nicht  studieren 
können,  wird  in  der  Heiligen  Schrift  ausdrücklich  und  an  vielen 
Stellen  hervorgehoben.  So  heißt  es  z,  B.  in  Gautamas  Dharmasästra : 
„Wenn  er  (der  Südra)  ihn  hört,  so  soll  man  seine  Ohren  mit  Zinn 
und  Lack  verstopfen ;  wenn  er  ihn  rezitiert,  soll  man  seine  Zunge 
spalten ;  wenn  er  seinen  Sinn  erfaßt,  soll  man  sein  Herz  aufreißen" 
und  „der  Südra  hat  kein  heiliges  Feuer,  kein  Opfer:  wie  sollte  er 
da  den  Veda  studieren?"  (z.  BS.  1,3,38).  Wenn  auch  von  der 
Kenntnis  der  Heiligen  Schrift  gesagt  wird,  jeder,  der  sie  besitze, 
solle  sie  andern  übermitteln,  so  hat  hierbei  doch  eine  strenge  Aus- 
lese stattzufinden,  und  die  Mitteilung  derselben  an  Unbefugte  ist 
eine  schwere  Sünde.  Wenn  es  an  einigen  Stellen  des  Veda  so 
scheint,  als  ob  Südras  im  Besitze  des  Veda  wären,  wie  Raikva 
(Chä  TJp.  IV,  1,3)  oder  Satyakäma  (Chä  Up.  IV,  4,  4),  so  ergibt 
eine  nähere  Untersuchung,  daß  diese  Männer  gar  keine  Südras 
waren,  sondern  den  obersten  Kasten  angehörten.  Werden  die 
Öüdras  somit  vom  Veda-Studium  ferngehalten,  so  ist  damit  nicht 
gesagt,  daß  sie  überhaupt  nicht  zur  Erlösung  gelangen  können. 
Abgesehen  davon,  daß  sie  durch  treue  Erfüllung  ihrer  Pflichten 
sich  eine  Wiedergeburt  in  einer  der  oberen  Kasten  sichern  können, 
ist  das  Veda-Studium  ja  garnicht  die  einzige,  unumgängliche  Be- 
dingung   für   die    Erlangung    des    Heils,    sondern   nur    das    beste, 


1)  Als    weitere   Beispiele  für  Göttinnen,    die   den    Veda    kennen,   werden 
z,  BS.  I,  1,  1  Urvasi  und  Yami  genannt. 


Heilslehre  89 

systematisclie  Mittel  zur  Erreichung  desselben;  die  Grotteserkennt- 
nis  selbst  erfolgt  nicht  automatisch  durch  ein  Studium  der  Heiligen 
Schrift,  sondern  nur  durch  die  Grnadenwahl  Gottes,  die  nicht  durch 
eine  Kenntnis  von  bestimmten  Texten,  sondern  durch  die  rechte 
Einsicht  in  das  Wesen  Visnus  und  durch  die  inbrünstige  Liebe  zu 
ihm  erreichbar  ist.  Eine  Belehrung  hierüber  bietet  aber  auch  der 
„fünfte  Veda",  d.  h.  das  Mahäbhärata,  Rämäyana,  die  Puränas, 
das  Paficarätra  und  andere  allgemein  zugängliche  Vaisnava- 
Werke,  die  Visnu  als  Vyäsa  für  die  unteren  Kasten  verfaßt  hat. 
So  betont  auch  die  Vyoma-Samhitä,  daß  auch  Niedriggeborene, 
welche  Gott  ergeben  sind,  daß  auch  Frauen,  Südras  und  schlechte 
Brahmanen  (brahmabandhu)  das  in  den  Tantras  niedergelegte 
Wissen  erlangen  können,  wenn  es  ihnen  in  der  rechten  Weise  er- 
klärt wird  (z.  BS.  I,  1,  1),  und  BhG  IX,  32  lehrt,  daß  auch  die- 
jenigen, welche  von  sündiger  Geburt  sind,  Frauen,  Vaiäyas  und 
Südras  zum  höchsten  Ziel  gelangen,  wenn  sie  zu  Gott  ihre  Zuflucht 
nehmen.  (Gitätp.  bemerkt  zu  dieser  Stelle,  es  handle  sich  hierbei 
um  Seelen,  die  eigentlich  zu  einer  höheren  Kaste  gehörten,  aber 
infolge  einer  Sünde  in  einer  früheren  Existenz  zu  Frauen  usw. 
wurden.) 

Das  systematische  Studium  erfordert  die  Unterweisung  durch 
einen  Lehrer  (guru).  Es  genügt  nicht,  daß  man  versucht,  auf 
eigene  Faust  zu  forschen,  die  Belehrung  durch  den  Guru  muß  viel- 
mehr die  eigene  Anstrengung  zweckmäßig  unterstützen.  Zu  diesem 
Zweck  geht  der  Jüngling  zwischen  dem  5.  und  25.  Lebensjahre 
bei  einem  vedakundigen  Brahmanen  in  die  Lehre  ^),  er  wohnt  in 
seinem  Hause,  verrichtet  für  ihn  mannigfache  Dienstleistungen 
und  wird  von  ihm  über  den  Veda  und  die  Gotteserkenntnis  be- 
lehrt ;  nach  Beendigung  der  Lehrzeit  wird  er  entlassen,  nicht  ohne 
auch  noch  weiterhin  den  Guru  um  Belehrung  und  Rat  anzugehen. 
Natürlich  spielt  namentlich  bei  denen,  die  sich  einem  asketischen 
Leben  widmen,  der  geistliche  Lehrer  eine  noch  weit  hervorragendere 
Rolle;  ihm  muß  man  glauben  wie  Gott  und  ihn  muß  man  lieben 
wie  Gott,  soll  einem  die  Erleuchtung  kommen  (Svet  Up  VI,  23 ; 
Bhäg  Ptp  93  b).  Es  ist  jedoch  nicht  notwendig,  daß  der  Guru, 
der  zuerst  die  Unterweisung  leitete,  der  einzige  Lehrer  ist,  viel- 
mehr darf  der  Guru  gewechselt  werden.  Wenn  ein  Lehrer,  der 
dem  ersten   dem  Range   nach   überlegen   ist,    sich   von   selbst   als 


1)  Die  in  der  Dharmasästra-  und  Grhyasütra-Literatur  enthaltenen  Vor- 
schriften über  das  Veda-Studium  findet  man  zusammengestellt  bei  Karl  Glaser 
„Der  indische  Student«,  ZDMG.  66  (1912)  p.  1  fif. 


90  Dritter  Abschnitt 

Guru  anbietet,  so  darf  er  ohne  weiteres,  nachdem  der  bisherige 
Lehrer  um  Erlaubnis  gefragt  worden  ist,  als  Guru  angenommen 
werden.  Ein  Lehrer,  der  dem  bisherigen  im  Range  gleich-  oder 
nachsteht,  darf  nur  nach  reiflicher  Überlegung  gewählt  werden 
und  nach  gebührender  Befragung  des  ersten  Guru  (BS  III,  3,  45  f.). 
Höher  als  die  Lehrer,  welche  den  einzelnen  Menschen  gelegentlich 
das  Wissen  übermitteln,  stehen  diejenigen  jivas,  welche  die  Be- 
lehrung ex  officio  ausüben.  Solche  „niyata-gurus"  sind  die  Rsis, 
welche  die  höchsten  Menschen  belehren,  die  Götter,  welche  den 
Rsis  das  Wissen  übermitteln,  und  schließlich  die  höchsten  Götter, 
welche  den  niedriger  stehenden  devas  entsprechend  ihrem  Range 
die  Erkenntnis  zukommen  lassen.  Der  höchste  aller  Gurus  ist 
Brahma  (Ps  486  f.). 

Das  Studium  verleiht  nicht  nur  dem  Schüler,  der  es  ausübt, 
einen  transzendenten  Lohn,  sondern  auch  dem  Lehrer,  der  es  dem 
Schüler  übermittelt.  Und  zwar  ist  das  „phala"  des  Guru  achtmal 
so  groß  als  das  des  Schülers,  das  des  Gurus  des  Gurus  doppelt  so 
groß  als  das  dem  Guru  selbst  zukommende,  das  von  dessen  Guru 
ist  1^/2  mal  größer,  das  der  Götter  wiederum  tausendmal  größer, 
das  Brahmas  seinerseits  nm  einen  „mahaugha"  größer. 

Durch  Fleiß  und  hingebungsvolle  Liebe  erwirbt  der  Schüler 
die  Gnade  des  Lehrers  (guru-prasäda),  die  ihm  den  Weg  zum  Heil 
auftut,  das  ohne  einen  Guru  unmöglich  erreicht  werden  kann 
(Bhäg-P-tp  p.  94  a). 

Die  Belehrung  durch  den  Guru  ^)  genügt  natürlich  allein  nicht, 
um  das  Wissen  zu  erringen ;  es  muß  die  eigene  Anstrengung  (sva- 
prayatna)  hinzutreten.  Immer  aufs  neue  muß  der  Schüler  die 
heiligen  Texte  studieren  und  über  das  Gelernte  nachdenken.  Vor 
allem  muß  er,  will  er  die  Erkenntnis  erringen,  alle  Gedanken  von 
sich  fernhalten,  welche  «vom  Weg  zur  Erlösung  abführen.  Die 
9  Kardinal- Irrtümer,  die  man  unter  allen  Umständen  meiden  muß, 
sind  (vergl.  Ps.  522): 

1)  die  Ansicht,  daß  Gott  und  Seele  identisch  sind  (jiväbheda), 

2)  die  Ansicht,  daß  Gott  eigenschaftslos  ist  (nirgunatva), 

3)  die  Ansicht,  daß  Gottes  Eigenschaften  unvollkommen  sind  (apür- 
nagunatä), 

4)  die  Ansicht,   daß   andere  Wesen  Visnu  im  Range  gleich  stehen 
(sämya), 

o)  die  Ansicht,   daß  andere  Wesen  im  Range  über  Visnu   stehen 
(ädhikya). 


1)  Eine  kurze  Darstellung  dessen,  was  ein  Guru  einen  Novizen  lehrt,   gibt 
Madhvas  Yati-prariava-kalpa. 


Heilslehre  91 

6)  die  Ansicht,   daß  Visnu  von   seinem   avatäras   verschieden   ist 
(tadgata-bheda), 

7)  die   Ansicht,   daß   Krsna   usw.   nicht   avatäras  Vis^us,    sondern 
jivas  sind  (prädurbhävaviparyäsa), 

8)  die  Leugnung  der  absoluten  Oberherrschaft  und  Allmacht  Gottes 
(tatpramänasya  nindä), 

9)  die  schlechte  Behandlung  der  Verehrer  Visnus  (bhaktadvesa). 

In  positiver  Hinsicht  führt  das  Wissen  zur  Anerkennung  der 
richtigen,  den  genannten  Irrtümern  entgegengesetzten  Anschauungen, 
zur  Kenntnis  der  5  Unterschiede  (pancabheda,  oben  S.  14)  und  der 
Stufenfolge  aller  Wesen  (täratamyaparijnäna,  oben  S.  64). 

Das  immer  tiefere  Eindringen  in  die  Wahrheit  bleibt  nicht 
bei  einem  theoretischen  Erkennen  und  bei  einem  bloßen  Fürwahr- 
halten  gewisser  Ansichten  stehen,  sondern  wird  zu  einer  wirklichen 
Lebensmacht,  die  alles  Denken  und  Handeln  aufs  Tiefste  beeinflußt. 
Es  entsteht  die  Einsicht  in  die  Vergänglichkeit  und  Nichtigkeit 
alles  Irdischen,  das  Meiden  aller  Sünde,  das  Verzichten  auf  allen 
Lohn  in  dieser  und  in  jener  Welt,  die  Erkehntnis  der  überwäl- 
tigenden Hoheit  Gottes,  der  der  Mensch  ohnmächtig  gegenübersteht, 
und  das  Bedürfnis,  sich  ganz  und  gar  dem  ewigen  Weltherm  an- 
zuvertrauen, der  allein  die  Seele  aus  dem  leidvollen  Wirrsal  des 
Sainsära  herauszuheben  vermag. 

So  führt  das  Wissen  ebenso  wie  das  selbstlose,  uninteressierte 
Vollbringen  der  Werke  und  die  Entsagung  alles  Tuns  zu  dem, 
was  das  eigentKche,  einzige  und  wahre  Hilfsmittel  der  Erlösung 
darstellt  —  zur  Gottesliebe  ^). 


3.    Gottesliebe. 

Gottesliebe  (bhakti)  ist  die  Zuneigung  zu  Visnu,  welche  zur 
Voraussetzung  hat  die  Erkenntnis,  daß  er  der  höchste  von  allen 
ist*),  die  mit  Liebe  verbundene  Überzeugung,  daß  Gott  über 
allem  steht  ^).  Sie  ist  das  Hauptmittel  (pradhäna  -  sädhana)  zur 
Gewinnung   des  Heils  (z.  BS.  III,  3,  54),  ja  sie  ist  eigentlich  kein 


1)  Die  bhakti  wird  gelegentlich  geradezu  als  ein  Teil  des  Wissens  betrachtet: 
„jSänasya  bhakti-bhägatväd  bhaktir  jnänam  itiryate  |  jnänasyaiva  viseso  yad  bhaktir 
ity  abhidhiyate"  (Anuvy  62  a). 

2)  Vergl.  „sarvöttamatayä  jnänapürvakah  sneha  eva  tu  bhaktir  Vispau" 
(z.  Brh  Up.  1,5,  11  p.  14  a). 

3)  „sarvasmäd  uttama"  iti  samyak  sneha  yutä  matih  susthirä  bhaktir  uddistä" 
(ib.  p.  17  a)  cf.  zu  BS.  111,3,54  „snehänubandho  yas  tasmin  bahumäna-purassa- 
rah|  bhaktir  ity  ucyate". 


92  Dritter  Abschnitt 

sädhana  mehr,  sondern  die  Frucht,  die  aus  allen  anderen  erwächst, 
denn  alle  andern  dienen  nur  dazu,  sie  zur  Blüte  zu  bringen 
(z.  Brh  Up.  1,5,11  p.  14  b). 

In  diesen  und  ähnlichen  Worten  beschreibt  Madhva  die  bhakti 
als  das  höchste  Ziel  und  die  Vollendung  alles  irdischen  Strebens, 
als  die  Krönung  aller  Erkenntnis,  als  den  einzigen  wahren  Weg 
zur  Erlösung,  in  den  alle  andern  Wege  münden.  Alles,  was  er 
lehrt,  dient  einzig  dem  Ziel,  die  rechte  bhakti  zu  entfalten;  nur 
wenn  man  Visnu  als  autonom  und  unvergleichlich  hoch  über  allen 
Wesen  stehend  ansieht,  nur  wenn  man  ihn  als  verschieden  von 
Welt  und  Einzelseelen  betrachtet,  und  wenn  man  alle  heiligen 
Texte  auf  ihn  bezieht,  ist  eine  geeignete  Grrundlage  für  die  bhakti 
vorhanden,  nicht  wenn  man  glaubt,  die  Welt  sei  Schein,  die  Einzel- 
seele mit  Grott  identisch,  oder  Siva  und  Brahma  ständen  Visnu 
gleich  (Brh  Up.  bh.  p.  17  a).  In  der  Grottesliebe  gipfelt  zugleich  aber 
auch  alles  tugendhafte  Tun.  Der  Fromme  ist  sich  bei  jeder  seiner 
Handlungen  seiner  eigenen  Unzulänglichkeit  bewußt,  er  fühlt,  daß 
er  selbst  keinen  eigenen  Willen  hat  und  nicht  die  Macht,  etwas 
zu  vollbringen,  sondern  daß  Gott  alles  in  ihm  wirkt  ^).  Durch- 
drungen von  seiner  eigenen  Ohnmacht,  begibt  er  sich  deshalb  ganz 
und  gar  in  den  Schutz  Visnus  und  stellt  ihm  alle  Dinge  anheim. 
Alles,  was  er  noch  tut,  das  tut  er  nur  um  Gottes  willen,  in  allem 
gibt  er  ihm  allein  die  Ehre. 

Die  wahre  bhakti  ist  so  stark,  daß  sie  Selbstzweck  wird;  für 
den  Gläubigen  tritt  sogar  die  Erlösung  zurück  hinter  der  Gottes- 
ergebenheit. Die  demotivierte  bhakti  ist  wertvoller  als  die  Voll- 
endung selbst;  höher  steht  der  Mensch,  der  sein  ganzes  Denken 
nur  auf  Gott  richtet,  als  der,  welcher  nach  Erlösung  strebt^). 

Die  Gottesliebe  trägt  einen  stark  emotionalen  Charakter,  sie 
äußert  sich  in  ekstatischen  Zuständen,  die  an  den  Frommen  zutage 
treten:  alle  Härchen  am  Leibe  sträuben  sich,  sein  Herz  schmilzt 
gleichsam,  seine  Rede  stammelt,  bald  lacht  er,  bald  stürzen  Tränen 
aus  seinem  Auge,  ohne  Scheu  singt  er  und  tanzt  er  (Bhäg  P  XI, 
14,  23  f.). 

Gefördert  wird  das  Wachstum  der  bhakti  durch  die  Gemein- 
schaft mit  guten  Menschen  (satäm  prasanga),  die  durch  ihre  frommen 
Gespräche  über  Visnu  die  Vaisnavas  erbauen  und  ihren  Glauben, 
ihre  Liebe  und  Ergebenheit  stärken  (Bhäg  P  III,  25,  24).    Ihr  ßei- 

1)  „näham  kartä  tu  sarvasya  kartaiko  Visnur  avyayah"  iti  vittvä  tu  saijx- 
nyäsi,  nänyathä  tu  katham  caneti  Nivrtte  (BhagPtp  112  b). 

2)  „animittä  bhagavati  bhaktih  siddher  gariyasi"  „mumuksor  amumuksus  tu 
varo  hy  ekänta-bhakti-bhäg"  iti  (z.  BhG  VII,  29). 


Heilslehre  93 

spiel  wirkt  anfeuernd,  der  ihnen  erwiesene  Dienst,  ja  schon  das 
Anblicken  von  ihnen,  das  Berühren  ihres  Körpers,  das  "Waschen 
ihrer  Füße  und  die  ihnen  erwiesene  Gastlichkeit  reinigt  von  Sünde 
(BhägP  I,  19,33).  So  wie  Kälte,  Furcht  und  Finsternis  vergehen, 
wenn  man  sich  dem  Feuer  nähert,  so  schwinden  Herzenskälte, 
Furcht  und  geistige  Finsternis  durch  den  Umgang  mit  Heiligen 
(BhägP  XI,  26,  31). 

Die  Grottesliebe  äußert  sich  auf  neunerlei  Art,  nämlich:  im 
Hören  der  heiligen  Legenden  von  Visnu,  im  Preisen  seines  Ruhmes, 
im  ständigen  Denken  an  ihn,  in  dem  zu  seinen  Füßen  [seinem 
Kultbild]  erwiesenen  Dienst,  in  der  ihm  beim  Opfer  dargebrachten 
Verehrung,  in  dem  ehrfurchtsvollen  Grehorsam  gegen  ihn,  in  der 
sklavischen  Abhängigkeit  von  ihm,  in  dem  auf  ihn  wie  auf  einen 
Freund  gesetzten  unerschütterlichen  Vertrauen,  in  der  Hingabe 
der  ganzen  Persönlichkeit  an  ihn^). 

Von  den  Ausdrucksformen  der  bhakti  verdient  hier  das  Lob- 
singen (kirtana)  eine  besondere  Erwähnung,  weil  es  von  jeher  in 
Madhvas  Schule  besonders  gepflegt  worden  ist.  Madhva  selber 
verfaßte  eine  Reihe  von  Hymnen  zu  Ehren  Visrjus  und  seine  An- 
hänger folgten  seinem  Beispiel,  es  sei  nur  an  die  von  Kittel  über- 
setzten Lieder  der  kanaresischen  Däsas  erinnert^).  Die  kirtanas, 
die  seit  Caitanyas  Zeit  in  Bengalen  ertönten  ^),  scheinen  auch  unter 
d$m  Einfluß  des  Vorbilds  der  Mädhvas  entstanden  zu  sein,  ebenso 
wie  die  rituellen  Tänze  der  Anhänger  des  „weißen  Krsna"  (Gau- 
ränga)  von  Navadvipa,  die  noch  in  jüngster  Zeit  durch  Ke^ab 
Candra  Sen  wieder  in  Aufnahme  gebracht  wurden. 

Da  der  Geist  der  bhakti-Frömmigkeit  nirgends  so  deutlich  in 


1)  „sravaijaip,  kirtanaip  Vispoh,  smara9aqi  pädasevanam, 
arcanam  vandanaip  däsyam  sakhyam  ätmanivedanam" 
iti  punisärpitä  Visriau  bhaktis  cen  navalaksa^ä 

kriyate  bhagavaty  addhä  tan  manye  'dhitam  uttamam  (Bhäg  P  VII,  5,  23). 
Statt  ätma-nivedanam  steht  an  der  Parallelstelle  VII,  11, 11  ätma-samarpaijam. 
Madhva  erklärt  ätipa - nivedanam  „ätma-sthatvena  vedanam  ätma-nivedanam". 
„muktasyäpi  mamänta-stho  niyantaiva  Harih  sadä"  iti  jnänaiii  samuddistaqi  samyag 
ätma-nivedanam,  iti  ca"  (Bhägptp  p.  71  a).  Neun  Arten  der  bhakti  spielen  auch 
sonst  in  der  Vaispava-Literatur  eine  große  Rolle ;  vergl.  z,  B.  Tulsidäs,  Räm-carit- 
mänas  III  Caup.  7  ff  nach  Dohä  58  (Ausg.  von  Rämesvar  Bhatta,  Bombay  San 
1918,  p.  589)  übers.  „Neuer  Orient"  Bd.  X  S.  28. 

2)  F.  Kittel  „On  the  Karnätaka  Vais^ava  Däsas  (Ind.  Antiquary  II  (1873) 
307  if.;  IV  ((1875)  p.  20).  —  Vergl.  auch  Gover  „Folk-songs  of  Southern-India" 
(London  1872)  und  Rice  „Kanarese  Literature"  (Calcutta  1918). 

3)  Vergl.  über  diese  D.  C.  Sen  „History  of  Bengali  Language  and  Literature" 
(Calcutta  1911)  p.  579. 


94  Dritter  Abschnitt 

die  Erscheinung  tritt  als  in  den  Hymnen  Madhvas,  die  noch  heute 
in  den  Tempeln  seiner  Sekte  vielfache  Verwendung  finden,  sei  hier 
einer  in  deutscher  Übertragung  wiedergegeben: 

Väsudeva,  den  ich  preise,  thront  in  ewiger  Seligkeit, 
Indiras  erhab'ner  Gatte,  der  das  Paradies  verleiht. 

Aller  Götter  Diademe  rühren  seines  Schemels  Rand, 
Und   sein  Fuß   glänzt  wie   die  Sonne,  wenn   die  Finsternis  ent- 
schwand. 

In  Gedanken  auf  des  HErren  goldumhüllte  Hüfte  blickt, 
Die,  von  Ambikä  getragen,  reich  mit  Zierrat  ist  geschmückt. 

Seines  Bauchs  mit  den  drei  Falten  zu  gedenken  säumet  nie. 
Der   das   Weltall  trägt,   des   schlanken,   der  umschlungen  wird 
von  i^ri. 

Seiner  Brust,  drin  Indira  wohnt,  sei  gedacht  zu  jeder  Frist, 
Die  inmitten  seiner  Arme  endlich  und  unendlich  ist. 

Denkt  an  Haris  Arm,   der   Muschel,   Scheibe,   Keul'  und  Lotus 

trägt. 
Der  das  "Weltall  zu  behüten  immerfort  sich  tätig  regt. 

Seines  Halses  denkt,  den  leuchtend  des  Kaustubha  Glanz  umfließt 
Und  aus  dem  der  Strom  der  Veden  unaufhörlich  sich  ergießt. 

An  den  lotusgleichen  Mund  denkt,  der  den  Mond  an  Lieblichkeit 
Überstrahlt,   den  preisenswerten,   der  von  Daseins  Qual   befreit. 

An  das  Lächeln  des  Govinda,  an  das  milde  Lächeln  denkt. 
Das  des  Glückes  Fülle  ausstrahlt  und  uns  ew'ge  Wonne  schenkt. 

Denkt  an  Rämas  liebevollen  Blick,  der  wie  ein  Ozean, 
Der  Unsterblichkeit,  des  Lebens  Leid  im  Tod  hat  abgetan. 

Denkt   an  Visnus  Brauenrunzeln,  das   die  Götterschar  verehrt. 
Das  uns  führt  in  seinen  Himmel  und  Erlösung  uns  beschert. 

Des  Unendlichen  gedenket,  wenn  das  Ende  euch  wird  nah'n, 
Den  zu  preisen  aller  Götter  Chor  kein  Ende  finden  kann*). 


1)  Der  Hymnus,  der  das  erste  Stück  von  Madhvas  Dvädasastotra  bildet, 
wurde  von  mir  bereits  im  Neuen  Orient,  Bd.  II,  S.  311  publiziert.  Er  ist  ein 
charakteristisches  Beispiel  für  eine  Kontemplation,  die  sich  auf  den  göttlichen 
Leib  Visums  richtet,  der  mit  dichterischer  Überschwenglichkeit  von  den  Füßen 
bis  zum  Haupte  geschildert  wird.  Die  nahezu  wortgetreue  Übersetzung  (für  deren 
poetische  Wiedergabe  ich  meinem  Vater  zu  großem  Danke  verpflichtet  bin),  schließt 
sich  im  Versmaß  dem  Original  an  und  sucht  mit  Hilfe  des  Reimes  die  dichterische 
Wirkung  zu  erreichen,  die  das  Original  durch  den  Rhythmus  allein  hervorbringt. 


Heilslehre  95 

III. 

Die  Meditation,  der  Weg  zur  Vervollkommnung, 

Die  inbrünstige  Liebe  zu  Gott  und  das  Gefühl  der  schlecht- 
hinnigen  Abhängigkeit  von  ihm  findet  in  der  religiösen  Praxis 
seinen  Ausdruck  in  der  eifrigen  Verehrung  (upäsanä)  Gottes.  Diese 
aber  äußert  sich  in  der  Meditation^),  in  dem  möglichst  oft  und 
intensiv  vorzunehmenden  geistigen  Akt  des  Sichvers enkens  in  das 
Wesen  Gottes.  So  wie  im  Christentum  das  Gebet  den  Kernpunkt 
im  religiösen  Leben  des  Individuums  bildet,  so  steht  bei  den 
Mädhvas  —  wie  bei  den  meisten  andern  Religionsgemeinden  Indiens 
—  die  Meditation  im  Zentrum  aller  auf  Gott  gerichteten  Hand- 
lungen. 

Zwei  Arten  der  Meditation  sind  zu  unterscheiden,  eine  niedere 
und  eine  höhere.  Das  Überdenken  (smarana)  besteht  in  dem  Re- 
flektieren (vimarsana)  über  den  Inhalt  der  heiligen  Schrift  und  in 
dem  wiederholten  Sichvergegenwärtigen  (abhyäsa)  ihrer  Lehren. 
Die  Versenkung  (dhyäna)  geschieht  dadurch,  daß  das  ganze  Vor- 
stellungsvermögen auf  einen  Punkt  gerichtet  wird.  Während  das 
Überdenken  stets,  überall  und  in  jeder  Körperlage  vorgenommen 
werden  kann,  erfordert  die  Versenkung  besondere  Aufmerksamkeit 
und  darum  auch  besondere  Sorgfalt  in  der  Ausübung.  Ort,  Zeit 
ujid  Umstände  sind  daher  so  zu  wählen,  daß  das  Denken  ruhig 
und  ungestört  bleibt  und  eine  möglichst  große  Konzentrations- 
fähigkeit erreicht. 

Das  Meditieren  ist  nur  dann  Erfolg  verheißend,  wenn  es 
systematisch  betrieben  wird  und  wenn  der  Meditierende  sein 
äußeres  und  inneres  Leben  in  angemessener  Weise  regelt. 

Am  besten  geschieht  dies  durch  das  Üben  der  vier  „Glieder" 
des  yoga.  Diese  vier  Glieder  sind  1)  Zucht  (yama),  bestehend  im 
Nichtschädigen  anderer  Wesen,  in  Wahrhaftigkeit,  Nichtstehlen, 
Keuschheit  und  Nichtannehmen  von  Geschenken.  2)  Beherrschung 
(niyama),  die  sich  äußert  in  Reinlichkeit,  Genügsamkeit,  Askese, 
Studieren  und  Gottesergebenheit.  3)  Das  Einnehmen  besonderer 
Posituren  (äsana),  wie  der  Helden-,  Svastika-  und  Lotus-Stellung, 
und  schließlich  4)  Atemübungen  (pränäyäma),  als  da  sind  Recaka, 
Püraka,  Kumbhaka.  Bei  diesen  ist  Visnu  und  Väyu  in  der  Susumnä 
zu  denken;  diese  selbst  hat  fünf  Teüe  (Vajrikä,  Äryä,  Prakäsini, 
Vaidyutä,  Brahmanädi),  in  welchen  Visnu  in  fünf  Farben  (gelb, 
dunkelblau,  weiß,  braun,  rot)  in  seinen  Gestalten  als  Pradyumna 
usw.  vorzustellen  ist;   an  ihr  liegen  die  Lotusblumen,   von  denen 

1)  Vergl.  hierzu  BS.  111,3,6—26;  IV,  1,1— 12;  Ps  500—513. 


96  Dritter  Abschnitt 

die  Tantras  soviel  Wunderbares  berichten.  Madhvas  Angaben 
über  die  praktische  Ausführung  der  Atemregulierung,  die  72000 
Adern  usw.  sind  sehr  kurz,  denn  „weil  es  geheim  ist,  wird  dar- 
über nichts  mitgeteilt"  ^).  Die  sachgemäße  Durchführung  dieser 
Praktiken  isoliert  den  Geist  von  den  Einflüssen  des  Leibes  und 
ermöglicht  es  ihm  in  der  Versenkung  sich  das  Wissen  anzueignen. 
Die  Meditation  ist  von  allen  jTvas,  die  ihrer  fähig  sind,  auszuüben, 
bis  die  Erlösung  eintritt.  Sie  ist  demnach  ein  Verfahren,  das  erst 
durch  eine  Reihe  von  Einzelakten  zum  Ziele  führt  und  nicht  wie 
der  Agnistoma  und  andre  Opfer  auf  einmal  einen  transzendenten 
Lohn  verheißt. 

Der  Gegenstand  der  Meditation  ist  immer  Visnu,  doch  ist  das 
im  einzelnen  zum  Ausgangspunkt  zu  nehmende  Objekt  den  geistigen 
Fähigkeiten  des  Verehrers  anzupassen.  Mittelbar  geht  die 
Meditation  vor  sich,  indem  ein  Idol  verehrt  wird  oder  eine  Gott- 
heit, wie  dies  in  Chä-Up  VII,  1 — 15  an  der  Götterreihe  von  Näman 
(Usas)  bis  Präna  (Väyu)  gezeigt  wird.  Man  hat  hier  jedoch  zu 
bedenken,  daß  es  sich  nur  um  Symbole  (pratikä)  Gottes  handelt 
und  daß  Gott  mit  diesen  nicht  identisch,  sondern  nur  in  ihnen 
gegenwärtig  ist  und  ihnen  Kraft  verleiht.  Je  näher  der  zu  ver- 
ehrende deva  Visnu  steht,  in  desto  höherem  Maße  ist  er  von  ihm 
erfüllt  und  entsprechend  wertvoller  ist  das  ihm  zugewandte  Me- 
ditieren. Auch  Meditationen  über  Krankheit,  Hinaustragen  des 
entseelten  Körpers  zum  Scheiterhaufen,  Leichenverbrennung  u.  a. 
sind  nützlich,  wofern  all  dieses  als  eine  für  Visnu  unternommene 
Kasteiung  vorgestellt  wird.  Zur  Erlösung  führt  aber  nur  die 
Meditation  über  Visnu  direkt  (z.  BrhUp  V,  11,  p.  63  b). 

Unmittelbar  versenkt  man  sich  in  Visnu,  indem  man  seine 
Gedanken  auf  die  Eigenschaften  seiner  göttlichen  Wesenheit  richtet. 
Nur  Brahma  vermag  alle  Attribute  Gottes  zum  Gegenstand  seiner 
Meditation  zu  nehmen,  alle  andern  Wesen  müssen  sich  auf  eine 
ihrer  Fassungskraft  entsprechende  Anzahl  derselben  beschränken. 
Unzweckmäßig  für  niedriger  stehende  Wesen  wie  Menschen  usw. 
ist  es,  über  spezielle  Eigenschaften  Visnus,  welche  für  das  religiöse 
Erleben  nur  akzidentellen  Wert  besitzen,  zu  meditieren,  z.  B.  über 
die  Textstelle,  in  der  von  Visnu  ausgesagt  wird,  daß  er  weint. 
Die  geistige  Betrachtung  soll  sich  vielmehr  auf  solche  Dinge  be- 
ziehen, in  welchen  die  Herrlichkeit  Gottes,  seine  Vorzüge  und  sein 
Mangel  an  Fehlern   oifenbar  wird.     Für  die  devas    sind  z.  B.  ein 


1)  rahasyatvän   na   kathyate   (Tantrasära  IV,  170)   Über   die   anatomischen 
Anschauungen  des  Yoga  s.  „Hinduismus"  S.  293  ff. 


Heilslehre  97 

geeignetes  Objekt  die  Glieder  Gottes,  aus  denen  sie  selbst  nach 
dem  Veda  entsprungen  sind,  entsprechend  Schriftstellen  wie  Rgveda 
X,  90,13:  „Aus  dem  Auge  ist  die  Sonne  entsprungen"  usw.  Die 
am  leichtesten  auszuführende  und  allgemeinste  Kontemplation 
richtet  sich  auf  die  Geistigkeit  und  Vollkommenheit  Gottes,  auf 
Visnu  als  ätman  oder  brahman.  Diese  kann  auch  von  Leuten  mit 
einer  geringen  Konzentrationsfähigkeit  vorgenommen  werden.  Die 
jTvas,  welche  nur  sie  ausüben,  heißen  ekaguna-upäsakas  (Verehrer 
der  einen  Eigenschaft).  Gemäß  der  individuellen  Begabung  der 
Verehrer  kann  hierbei  eine  größere  oder  geringere  Zahl  von  Gottes 
Attributen  implicite  enthalten  gedacht  werden.  Nach  vier  Attri- 
buten hin  meditieren  die  caturguna-upäsakas  (Verehrer  von  vier 
Eigenschaften)  beste  Menschen  und  Götter,  über  Gott  als  sat, 
cit,  änanda  und  ätman  (Sein,  Denken,"W"onne  und  geistigen  Herrscher). 
In  die  Eigenschaften  (guna),  Handlungen  (kriyä)  und  Gestalten 
(rüpa)  Gottes  versenken  sich  die  Götter,  wobei  sie  entsprechend 
ihrem  Range  eine  mehr  oder  weniger  vertiefte  und  umfassende 
Erkenntnis  besitzen.  Im  einzelnen  werden  die  mannigfachen  Formen, 
in  denen  Gottes  Wirksamkeit  sich  äußert,  zum  Gegenstand  einer 
geistigen  Betrachtung  erhoben;  so  meditieren  Menschen  über  ihn 
in  seiner  göttlichen  Gestalt  mit  den  vier  Armen,  welche  Lotus, 
Scheibe,  Muschel  und  Keule  tragen,  über  seine  Manifestation 
in  den  avatäras,  über  ihn  als  Urgroßvater,  Herrn  und  höchsten 
Lehrer;  Götter  meditieren  über  ihn  als  Großvater  und  Lehrer, 
Laksmi  über  ihn  als  Gatten,  Brahma  als  Vater,  die  Götterfrauen 
als  Schwiegervater,  die  Apsarasen  als  Buhlen  ^).  Menschen  verehren 
ihn  als  das  äußere  Licht,  wie  es  z.  B.  im  Opferfeuer  erscheint, 
Rsis  als  inneres  Licht,  das  den  Geist  erleuchtet,  Götter  als  Licht 
des  Alls.  Vor  allem  förderlich  ist  die  Kontemplation  über  Visnu 
als  antaryämin,  der  im  Herzen  aller  "Wesen  weilt  und  im  turiya- 
Zustand  die  Erlösung  herbeiführt. 

IV. 

Das  Schauen  Gottes. 

Als  Frucht  und  Vollendung  der  unausgesetzten  Versenkung  in 
Vis^iu  stellt  sich  schließlich  das  direkte  Schauen  Visnus  ein.  Diese 
Erkenntnis  Gottes  ist  intuitiv  (aparoksa),  kein  bloßes  theoretisches 
"Wissen.  Sie  ist  nur  für  wenige  jTvas  erreichbar.  „Neunzig  Millionen 
Götter  gibt  es,  von  diesen  sind  aber  nur  hundert  nach  dem  Veda 
zum  Somaopfer  berechtigt  und  die  beiden  brahmans  außer  diesen 


1)  z.  BhägP  X,  27  (BhägPtp,  p  83  a). 
V.  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie. 


98  Dritter  Abschnitt 

hundert;  so  ist  auch  die  Zahl  der  Wesen  unzählbar,  doch  nur 
wenige  jlvas  sind  zum  Wissen  berufen,  die  zu  Visnus  Füßen  ihre 
einzige  Zuflucht  nehmen"  (z.  BS.  III,  4, 11).  Das  Wissen  erlangen 
nur  die,  welche  dazu  berufen  sind.  Prajäpati  (Brahma)  erklärte 
dem  Asura  Virocana  und  dem  Gott  Indra  in  gleicher  Weise  das 
Wissen  von  Visnu,  und  doch  erlangte  der  erstere  falsches,  und 
nur  Indra  das  richtige  Wissen  (z.  BS.  III,  4,  34  u.  Chä  Up  VIII,  7). 
So  ist  die  Erlangung  der  vollen  Erkenntnis  nicht  abhängig  von 
dem  jiva  und  seinen  Bemühungen,  sondern  von  der  Gnadenwahl 
Gottes :  „Nicht  durch  Schrifterklärung  kann  Gott  erreicht  werden, 
nicht  durch  Reflexion,  nicht  durch  viel  Gelehrsamkeit.  Zu  er- 
reichen ist  Gott  nur  für  den,  den  er  selbst  wählt,  nur  diesem 
allein  offenbart  er  sein  Wesen"  (Mu  Up  III,  2,  3).  Da  Gott  das 
aparoksa-jiiäna  aus  Gnade  spendet,  wird  es  nur  denen  zuteil,  die 
er  dafür  bestimmt  hat.  Bei  anderen  wirkt  die  upäsanä  nur  heil- 
fördernd (upakärini),  ohne  zum  Ziel  zu  führen,  bei  den  ganz  un- 
geeigneten hat  sie  einen  entgegengesetzten  Erfolg,  d,  h.  sie  führt 
zwar  nichts  Schlechtes  herbei,  aber  sie  bringt  allerlei  Hindernisse 
hervor,  die  Gott  dem  jiva  verhüllen  (z.  BrhUp  V,  5,1  p.  62  b). 

Die  Zeit,  während  welcher  Visnu  intensiv  verehrt  wird,  bis 
das  intuitive  Schauen  entsteht,  ist  bei  den  einzelnen  Wesen  ver- 
scldeden,  sie  dehnt  sich  je  nach  der  Befähigung  der  jivas  über 
hunderte  von  Geburten,  ja  über  viele  Brahmakaipas  aus  (Ps  513). 

Das  aparoksa-jnäna  kommt  in  der  Meditation  zum  Durchbruch, 
und  zwar  bei  manchen  jivas  beim  Überdenken  des  Inhalts  der 
Lehrbücher,  bei  anderen  in  der  Versenkung  (Ps  501).  Es  gescMeht 
nicht  durch  das  Auge  und  die  andern  Sinne  der  Wahrnehmung, 
denn  dann  würde  ja  jeder,  der  zufällig  Krsna  oder  andere  avatäras 
Visnus,  als  diese  auf  Erden  weilten,  gesehen  hat,  das  aparoksa- 
jnäna  besitzen  —  sondern  lediglich  durch  den  „inneren  Sinn",  das 
manas  (Ps  518).  Nur  sehr  wenige  jivas,  nämlich  nach  dem  Garu- 
^apuräna,  die  großen  Götter,  hundert  Rsis,  hundert  Könige  und 
hundert  Gandharven  vermögen  Visnu  als  den  Allgegenwärtigen 
(vyäpta)  zu  schauen,  alle  andern  jivas  erblicken  ihn  in  körper- 
licher Gestalt,  in  der  Form  eines  Symbols  (pratika.  BS.  IV,  3, 15; 
Ps  539).  Die  Menschen  sehen  einen  Blitzstrahl,  die  Götter  den 
Sonnenkreis,  Garuda  und  Siva  einen  leuchtenden  Reflex,  nur 
Brahma  sieht  ihn  vollkommen  klar  (z.  Tait  Up  3  p.  9  b).  Die- 
jenigen jivas,  welche  Gott  als  den  Alldurchdringenden  schauen, 
vermögen  dieses  entsprechend  ihrem  Range  in  einem  mehr  oder 
weniger  beschränkten  Umfange.  So  sehen  ihn  manche  nur  als  im 
Brahma-Ei  enthalten  und  begrenzt  durch  die  tanmätras,  die  Götter 


Heilslehre  99 

bis  zu  Sürya  ausschließlich  auch  außerhalb  des  Welteis,  bis  zu  den 
fünf  groben  Elementen,  Candra  und  Sürya  bis  zur  Grenze  des 
manas-tattva,  Umä  und  Sauparni  bis  zur  Grenze  des  mahat-tattva, 
Siva  und  Garuda  bis  zur  Grenze  des  tamo-guna,  Vä?!  (Sarasvati) 
sieht  ihn  jenseits  der  drei  gunas,  Brahma  hingegen  erblickt  ihn 
als  völlig  all-durchdringend,  gleich  dem  leeren  Raum  (avyäkrtä- 
käia;  Ps  516—517;  Anuvy  p.  57  a). 

V. 

Das  Verhalten  der  Lebend-Erlösten. 

Der  intuitiven  Gotteserkenntnis  folgt  die  höchste  Gottes - 
ergebenheit,  ein  grenzenloser,  ununterbrochener  Strom  von  Liebe, 
mit  dem  der  Verehrer  Visnu  umfaßt.  Als  transzendentes  Korrelat 
entspricht  dieser  die  immer  wachsende  übergroße  Gnade  (atyartha 
prasäda),  welche  Gott  auf  den  Wissenden  ausschüttet.  Die  Fesseln, 
welche  die  Materie,  das  Nichtwissen,  Begierde  und  karman  um  die 
Seele  geschlungen  hatten,  lockern  sich.  An  manchen  jivas,  vor- 
nehmlich an  Göttern  und  Heiligen,  entfalten  sich  die  Wunderkräfte 
des  Yoga.  Die  acht  hauptsächlichsten  derselben  sind  (nach  Bhäg  P 
XI,  15):  1)  animan  die  Fähigkeit,  sich  atomklein  zu  machen,  2)  ma- 
himan   die   Fähigkeit,    sich     so    groß    wie    die   Welt   zu   machen 

3)  laghiman    die    Fähigkeit,    äußerste    Leichtigkeit    anzunehmen, 

4)  präpti  die  Fähigkeit,  mit  den  Siunesorganen  alles  zu  durch- 
dringen, 5)  präkäsya  die  Fähigkeit,  in  den  sichtbaren  und  den 
nur  durch  die  Sruti  bekannten  Welten  zu  erscheinen  (s.  S.  50) 
oder  übernatürlich  feine  Erkenntnisfähigkeit,  6)  saktiprerana  die 
Fähigkeit,  übernatürliche  Kräfte  in  Bewegung  zu  setzen,  auch 
iäitä  (Macht)  genannt,  7)  gunesv  asanga  das  Freisein  von  dem  Ein- 
fluß der  gunas,  also  die  völlige  Herrschaft  über  Gefühle,  Emp- 
findungen usw.,  8)  die  widerstandslose  Erfüllung  aller  Wünsche  (yat 
kämas  tad  avasyati)^). 

Der  Erlöste  ruft  kein  neues  karman  hervor  und  von  dem- 
jenigen, das  er  bisher  erworben  hat,  kommt  nur  noch  dasjenige 
zur  Realisation,  das  schon  in  der  Entfaltung  seiner  Wirkung  be- 
grifi'en    ist    (prärabdha-karman).      Das     aufgeschichtete    (samcita) 


1)  Außer  diesen  werden  an  der  betr.  Stelle  noch  eine  Reihe  anderer  an- 
geführt, die  von  Madhva  BhägPtp  118  b  erklärt  werden.  Ps.  519  nennt  im 
Kommentar  „animä  mahimä  caiva  laghimä  garimä  tathä  |  präptih  präkäsyam  isa- 
tvai{i  vasitvaip  cästa-bhütayah".  Dieselben  entsprechen  den  acht  im  Bhäsya  zu 
Yoga-Sütra  III,  45  angegebenen,  mit  der  Ausnahme,  daß  dort  prakämyam  (icchä- 
nabhighätah,  bhümäv  unmajjati,  nimajjati  yathödake)  statt  präkäsyam  genannt  wird. 


100  Dritter  Abschnitt,  Heilslehre 

karman  hingegen  schwindet  restlos,  und  zwar  wird  es  entweder 
von  selbst  zunichte  oder  das  Grute  wird  von  dem  Wissenden  seinen 
Freunden,  das  Böse  seinen  Feinden  vermacht  (z.  BS.  IV,  1, 17 ; 
Ps  532). 

Da  der  Erlöste  von  allem  karman  mit  Ausnahme  des  prärabdha 
befreit  ist,  währt  seine  irdische  Existenz  nur  noch  so  lange,  als 
dieses  vorhanden  ist.  Sobald  es  sich  erschöpft  hat,  ist  seine  Lebens- 
zeit abgelaufen,  sein  Erdendasein  beendet. 

In  Anbetracht  dessen,  daß  keine  Tat  mehr  den  Gnadenstand 
des  Erlösten  aufzuheben  vermag,  können  ethische  und  rituelle 
Vorschriften  für  ihn  keine  Grültigkeit  mehr  haben.  In  der  Praxis 
empfiehlt  es  sich  jedoch  für  ihn,  alle  Grebote  und  Verbote  nach 
wie  vor  zu  beachten  und  alle  Pflichten  zu  erfüllen.  Denn  er  ver- 
mehrt seine  Seligkeit  dadurch,  daß  er  tut,  was  gut  ist,  und  ver- 
mindert sie,  indem  er  nicht  im  Einklang  mit  den  Vorschriften 
handelt  (z,  BS.  III,  4, 13 fP.;  IV,  1, 13 ff.;  vgl.  oben  S.  87). 


Vierter  Abschnitt,  Eschatologie  101 


VIERTER  ABSCHNITT. 

ESCHATOLOGIE. 


Das  Schicksal  der  Seelen  nach  dem  Tode. 

Entsprechend  der  oben  S.  62  behandelten  Lehre  Madhvas  von 
den  drei  großen  Grruppen,  in  welche  alle  lebenden  Wesen  nach 
Gottes  ewigem  Ratschluß  zerfallen,  bestehen  drei  Möglichkeiten 
für  das  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode:  entweder  wird  der 
jlva,  wenn  eine  Existenz  beendet  ist,  in  einer  neuen  Daseinsform 
wiedergeboren,  oder  er  verläßt  den  Samsära  für  alle  Evsdgkeit, 
sei  es,  um  in  die  ewige  Finsternis  zu  versinken  oder  um  in  die 
ewige  Seligkeit  einzugehen. 

Das  Schicksal  der  Individuen  ist  abhängig  von  der  Qualität 
der  Taten,  die  sie  vollbracht  haben.  „Durch  das  karman  wird  ein 
Wesen  geboren,  durch  das  karman  schwindet  es  dahin;  Lust  und 
Leid,  Furcht  und  Behagen  werden  nur  durch  das  karman  zuteil" 
höißt  es  Bhäg  Pur.  X,  24, 13  und  ähnlich  sagt  die  Mäthara-Öruti 
(z.  BS.  III,  4, 5) :  „Nur  das  karman  ruft  einen  göttlichen  oder 
menschlichen  Leib  hervor,  es  gibt  für  diese  keine  andere  Ursache. 
Entsprechend  seiner  Verschiedenheit  gibt  es  entsprechende  Er- 
fahrungen (bhoga),  das  karman,  das  gut  oder  schlecht  ist".  Wenn 
das  karman  somit  auch  die  Wanderung  eines  jiva  im  Samsära  be- 
stimmt, so  ist  es  allein  doch  nicht  ausschlaggebend  für  das  defi- 
nitive Endschicksal  desselben ;  das  Erlöstwerden  wie  das  Verdammt- 
sein ist  abhängig  nicht  von  den  Werken  allein,  sondern  von  dem 
Wissen  und  dem  sich  aus  diesem  ergebenden  emotionalen  Verhält- 
nis zu  Visnu:  Erkenntnis  und  Grottesliebe  ebnen  den  Weg  zum 
Paradiese,  Verstocktheit  und  Haß  öffnen  die  Pforte  zur  Finsternis. 
Wesen,  die  noch  weiter  im  Samsära  umherzuirren  haben,  können 
im  besten  Falle  in  Maharloka  (Ps  555),  im  schlimmsten  Falle  in 
den  oberen  Höllen  Aufenthalt  nehmen;  Jana-,  Tapo-,  Satya-loka 
sind  nur  den  Erlösten,  Tämisra  und  Andhatämisra  nur  den  Ver- 
dammten zugänglich. 

Der  Weg,  auf  welchem  eine  Seele  von  dem  Leibe,  den  sie 
bisher  inne  hatte,  nach  ihrem  neuen  Aufenthaltsort  gelangt,  wird 
im  Folgenden  geschildert  werden.   Der  Auszug  aus  dem  bisherigen 


102  Vierter  Abschnitt 

Körper  geht  in  der  Weise  vor  sich,  daß  die  Seele  die  Elemente 
und  Organe,  welche  den  „feinen  Leib"  (liiiga-sarlra,  S.  55)  bilden, 
an  sich  zieht,  allerdings  nicht  vollständig,  da  ein  Teil  von  jedem 
von  diesen  zu  den  sie  regierenden  Gottheiten  gelangt  (BS.  III,  1,  4). 
Mit  dem  feinen  Leibe  umkleidet  verläßt  die  Seele  dann  den  groben 
Körper  durch  eine  der  101  Adern,  welche  durch  diesen  laufen, 
und  zwar  steigt  die  Seele  eines  Erlösten  durch  die  eine  Ader, 
welche  zum  Scheitel  führt  (brahma-nädi)  heraus,  während  sich  die 
anderen  jlvas  einer  der  übrigen  Adern  bedienen.  Die  Adern  stehen, 
und  zwar  nicht  nur  bei  Tage,  sondern  auch  bei  Nacht  in  Ver- 
bindung mit  tausend  Sonnenstrahlen.  Beim  Lichte  einer  der  500 
nördlichen  Strahlen  gehen  die  Seelen,  welche  nach  Mahar  usw. 
gelangen  sollen,  während  die  500  südlichen  Strahlen  denen  den 
Weg  erhellen,  die  sich  nach  anderen  Welten  begeben  (BS.  IV,  2,  21). 


n. 

Der  Weg  der  Samsärins  zur  Wiedergeburt. 

Der  Weg,  welchen  die  Seelen  zurückzulegen  haben,  welche 
auf  Erden  wiedergeboren  werden  müssen,  der  sog.  Väterweg  (pitr- 
yäna),  wird  Chä  Up  V,  10,  3  (vergl.  BS.  III,  1,  9)  folgendermaßen 
geschildert : 

„Die,  welche  im  Dorfe  gute  Werke,  Opfer,  Freigebigkeit  usw. 
üben,  die  gehen  in  den  Rauch  ein,  vom  Rauch  in  die  Nacht,  von 
der  Nacht  in  die  dunkle  Monatshälfte  [d.  h.  denjenigen  Teil  des 
Mondmonats,  in  welchem  der  Mond  im  Abnehmen  begriffen  ist], 
von  der  dunklen  Monatshälfte  in  die  sechs  Monate,  während  welcher 
die  Sonne  gen  Süden  geht.  .  . .  Von  den  Monaten  gehen  sie  in  die 
Väterwelt,  von  der  Väterwelt  in  den  Äther,  von  dem  Äther  zu 
dem  Mond.  Nachdem  sie  auf  diesem  so  lange  gewohnt  haben,  bis 
der  Schatz  ihrer  guten  Werke  aufgezehrt  worden  ist,  gehen  sie 
denselben  Weg  zurück,  den  sie  kamen,  in  den  Äther,  vom  Äther 
in  den  Wind.  Nachdem  einer  zum  Winde  geworden  ist,  wird  er 
zum  Rauch,  wenn  er  zum  Rauch  geworden  ist,  wird  er  Dunst. 
Wenn  er  Dunst  gewesen  ist,  wird  er  zur  Wolke,  wenn  er  zur 
Wolke  geworden  ist,  fällt  er  als  Regen  herab.  Diese  gehen  auf 
Erden  als  Reis  und  Grerste,  als  Kräuter  und  Bäume,  als  Sesam 
und  Bohnen  u.a.m.  auf.  Von  da  ist  es  schwierig  zu  entkommen. 
Denn  wenn  einer  gerade  eine  solche  Speise  ißt  und  sie  als  Samen 
ergießt,  so  wird  [der  jiva]  ein  solcher.  Diejenigen,  welche  auf 
Erden  einen  erfreulichen  W'andel  führten,  die  gelangen  schnell  in 


Eschatologie  103 

einen  guten  Mutterschoß,  in  einen  Brahmanenleib  oder  einen  K§a- 
triyaleib  oder  in  einen  Vaisyaleib.  Und  die,  welche  hier  einen 
stinkenden  Wandel  führten,  die  gelangen  schnell  in  einen  stinkenden 
Mutterleib,  in  einen  Hundeleib  oder  Schweineleib  oder  Candälaleib." 

Wenn  hier  gesagt  wird,  daß  die  Seele  zum  Winde,  Rauch  usw. 
wird,  so  ist  damit,  nach  Madhva,  nicht  gemeint,  daß  sie  wirklich 
Wind  usw.  wird  oder  den  Rang  der  den  Wind  usw.  regierenden 
Gottheit  erlangt;  denn  sie  kann  nicht  mit  etwas  von  ihr  Ver- 
schiedenem identisch  werden,  noch  weniger  auf  diese  Weise  eine 
hohe  Würde,  die  nur  durch  Wissen  erreichbar  ist,  erlangen.  Diese 
Ausdrücke  bedeuten  vielmehr  lediglich,  daß  sie  in  Wind  usw.  ein- 
geht, mit  ihnen  weitergeht,  wenn  sie  sich  bewegen,  und  stille  steht, 
wenn  sie  halt  machen.  Wenn  weiter  ausgeführt  wird,  daß  die 
Seele  als  Reis,  Grerste  usw.  aufgeht,  so  soll  damit  nicht  behauptet 
werden,  daß  sie  in  diesen  sich  verkörpert  —  denn  das  hieße  ja, 
daß  sie  trotz  etwaiger  guter  Werke  als  ganz  niedrigstehendes 
Wesen  wiedergeboren  wird.  Sie  geht  vielmehr  in  diese,  von  andern 
Seelen  bewohnten  Leiber  nur  ein,  ohne  an  ihren  Freuden  und 
Leiden  teilzunehmen,  lediglich  um  sich  ihrer  als  Vehikel  zur  Er- 
langung eines  neuen  Leibes  zu  bedienen.  Die  Rückkehr  von  der 
Himmelswelt  des  Mondes  zu  einem  neuen  Erdenleben  nimmt  trotz 
der  vielen  Stationen,  die  durchlaufen  werden  müssen,  nur  ganz 
kurze  Zeit  in  Anspruch,  denn  im  Näradiya  heißt  es,  daß  ein  aus 
dem  svarga  zurückkehrender  jiva,  noch  ehe  ein  Jahr  vergangen 
ist,  einen  Mutterleib  erlangt.  Der  hier  geschilderte  Vorgang  der 
Wiedergeburt,  nach  welchem  der  jlva  der  Reihe  nach  in  Pflanzen, 
in  den  Samen  des  Vaters  und  den  Leib  der  Mutter  eingeht,  ist 
der  gewöhnliche.  In  Ausnahmefällen  kann  der  jiva  auch  einen 
Körper  erhalten  unter  den  Pflanzen,  nur  im  Vater,  nur  in  der 
Mutter,  unmittelbar  im  Embryo  oder  an  noch  anderen  Orten 
(z.  BS.  III,  1,  24-29). 


IIL 
Die  Höllenfahrt  der  Verdammten. 

Die  von  Visnu  für  die  Finsternis  bestimmten  Seelen  begehen 
beständig  große  Sünden;  gute  Werke,  die  sie  ausführen,  bringen 
ihnen  nur  vergänglichen  Lohn  im  Diesseits,  nicht  in  den  Himmels- 
welten. Zur  Erlangung  höherer  Erkenntnisse  und  des  aparoksa- 
jnäna  sind  sie  untauglich.  Bei  ihnen  treten  immer  mehr  die 
schlechten  Eigenschaften  hervor,  welche  unausbleiblich  das  Ver- 


104  Vierter  Abschnitt 

sinken  in  die  Finsternis  zur  Folge  haben.  Es  sind  dies:  1)  die 
Begehrlichkeit  nach  Sinnesgenüssen  (visaya-lolatä),  2)  der  dreifache 
Haß  gegen  Gurus  (trividha-gurudvesa),  nämlich  die  Verkleinerung 
der  Vorzüge  derselben,  die  frevelhafte  Leidenschaft  für  ihre  Frauen 
und  die  feindselige  Gresinnung  gegen  sie^);  und  3)  der  neunfache 
Haß  gegen  Gott  (navavidha-Hari-dvesa),  d.  h.  der  Besitz  der  oben, 
S.  90  genannten  Kardinalirrtümer.  Wenn  diese  Laster  ihren  Höhe- 
punkt erreicht  haben,  dann  tritt  das  „Reifwerden  des  Hasses^ 
(dvesa-paripäka)  ein,  das  für  sie  ebenso  das  Ende  des  Samsära 
bedeutet,  wie  das  aparoksa-jnäna  für  die  Erlösten.  Sobald  es 
erfolgt  ist,  ist  das  ganze  aufgeschichtete  (samcita)  gute  karman 
vernichtet  (BS.  IV,  1, 14),  nur  dasjenige,  welches  im  Begriff  ist, 
sich  zu  realisieren  (prärabdha),  bleibt  noch  bestehen,  bis  es  sich 
ausgewirkt  und  dadurch  verzehrt  hat  (BS.  IV,  1, 15).  Die  ganze 
akkumulierte  Schuld  aber  wird  zur  Ursache  eines  Übermaßes  von 
Leiden.  Wenn  die  Lebenszeit  der  Verdammten  abgelaufen  ist, 
verlassen  sie  ihren  groben  Leib.  Nach  BS.  III,  1, 14  f  gelangen 
sie  darauf  zunächst  in  die  oberen  Höllen  (Purgatorien),  wo  Wesen 
weilen,  die  nach  Abbüßung  ihrer  Strafen  wieder  in  den  Samsära 
zurückkehren.  Von  dort  aus  sinken  sie  dann  in  die  „blinde  Finster- 
nis" (andha-tamas)  herab,  von  wo  es  keine  Hückkehr  mehr  gibt. 
Nach  Ps  551  gelangen  die  Seelen  der  Verdammten  zu  Kali,  der 
zu  ihnen  in  demselben  Verhältnis  steht  wie  Brahma  zu  den  Er- 
lösten (vergl.  S.  107).  Beim  Weltuntergang  gehen  sie  in  ihn  ein, 
und  wenn  dann  bei  Brahma  die  Vernichtung  des  „feinen  Leibes" 
(linga-bhaiiga,  S.  108)  erfolgt,  dann  verliert  auch  Kali  seine  fein- 
stoffliche Hülle,  und  zwar  durch  einen  Schlag  von  Väyus  Keule. 
Das  Ablegen  des  linga-^arlra  ist  notwendig,  weil  die  Leiden  in 
den  untersten  Höllen,  in  welche  die  Bösen  eingehen,  so  furchtbar 
sind,  daß  selbst  der  feine  Leib  nicht  ausreichen  würde,  um  sie 
zum  Bewußtsein  zu  bringen.  Denn  während  in  den  Purgatorien 
wenigstens  noch  hier  und  da  einmal  ein  wenig  Lust  empfunden 
werden  kann,  sind  in  Tamas  die  Qualen  so  schrecklich,  daß  man 
schon  in  Ohnmacht  fallen  würde,  wenn  man  sie  bloß  beschreiben 
hörte.  So  wie  ein  König  es  nicht  duldet,  daß  sein  ärgster  Feind 
auch  nur  die  geringste  Freude  hat,  so  läßt  auch  Visnu  bei  seinen 
Verächtern  keine  Erleichterung  ihrer  Pein  zu  (BS.  III,  1,19  f.). 
Man  braucht  darum  aber  mit  diesen  kein  Mitleid  zu  haben,  weil 


1)  svätmottamesu  vidvesät  tamo  niyamato  vrajet  |  gupänam  alpatä-jnänaip 
tat-stri-rägas  tathaiva  ca  |  tat-pratipe  ca  yä  buddhis  trividho  dvesa  ucyate  (z.  Brh 
Up  I,  5, 11  p.  14b). 


Eschatologie  105 

sie  von  Grund  aus  schlecht  sind^).  Wie  schon  mehrfach  bemerkt 
wurde,  sind  die  in  die  Finsternis  Eingegangenen  für  alle  Zeiten 
verdammt  und  können  nie  wieder  zu  einem  besseren  Dasein  empor- 
steigen ^). 

IV. 
Der  Weg  zur  Erlösung. 

Der  Erlösungsprozeß  spielt  sich  bei  den  einzelnen  Wesen,  welche 
aparoksa-jnäna  erlangt  haben,  in  verschiedener  Weise  ab,  ent- 
sprechend ihrer  verschiedengearteten  Befähigung.  Die,  welche  nur 
einen  Teil  des  yoga  zu  verwirklichen  vermochten,  die  pädayogins, 
gehen  nach  Maharloka,  die,  welche  den  ganzen  yoga  bewältigten, 
nach  Janaloka;  Seelen,  die  es  noch  weiter  brachten,  die  tapasvins, 
kommen  nach  Tapoloka^).  In  diesen  Welten  bleiben  sie  bis  gegen 
Ende  des  Brahmakalpa,  dann  gelangen  sie  nach  Satyaloka  und 
von  dort  mit  Brahma  zu  Visnu  (Ps  555). 


1)  Wenn  das  Mitleid  mit  denen,  welche  unter  einem  stehen,  oben  S.  85  als 
religiöse  Pflicht  gefordert  wird,  so  hat  sich  dieses,  wie  z.  Ps  485  (p.  124  a)  aus- 
drücklich bemerkt  wird,  nicht  auf  die  Verworfenen  zu  beziehen  (tamo-yogyänäm 
sarva-jivävaratvät  tatra  na  dayä  käryä). 

2)  Die  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  wird  von  Madhva  an  vielen  Stellen  mit 
größter  Entschiedenheit  betont.  Hier  nur  einige  Belege:  Zu  BS.  HI,  1,14 f 
werden  mehrere  Zitate  gegeben;  welche  besagen,  daß  Diebe,  Trunkenbolde  und 
andere  Sünder  in  den  oberen  Höllen  Strafen  zu  verbüßen  haben,  dann  aber  wieder 
in  die  Welt  zurückkehren,  daß  aber  die,  welche  Gott,  die  Lehrer  oder  die  heilige 
Schrift  hassen  und  verachten,  in  die  Finsternis  herabfallen  „naivaita  uttisthante' 
pi  karhicid".  Ebenso  z.  BS.  HI,  1, 15  „mahä-tamasi-magnänäip  na  tesäm  utthitih 
kvacit".  BS.  HI,  1,  IG  wird  zwischen  den  zeitlichen  Höllen  (anitya-narakäni)  und 
den  beiden  ewigen  unterschieden  „tämisras  cändhatämisro  dvau  nityau  sampra- 
kirtitau".  Vergl.  ferner  „ripavo  ye  tu  Rämasya  vimukhatvän  nirämi^ah  |  abhi- 
droha-pade  nityam  andhe  tamasi  te  sthitäh"  (z.  Anuvy,  p.  50  b)  „yo'  nyad  Visnur 
iti  dhyäyej  jänlyäd  vä  Hariip  tathä  |  andhe  tamasi  majjet  sa,  yatra  naivötthitih 
kvacit"  (ib.  65  a).  Zur  Erklärung  der  Schriftstelle  BrhUpIV,  4, 11  anandä 
näma  te  lokä  andhena  tamasävrtäh  |  täips  te  pretyäbhigacchanty  avidväinso  budho 
(sie !)  janäh"  heißt  es :  „nitya-duhkha-svarüpatväd  anandam  tat  tamo  matam  | 
bodhake  vidyamäne  pi  ye  vidur  na  paraiji  Harim  |  te  pi  yänti  tamo  ghorain 
nityodriktäsukhätmakam"  (p.  59  b).  „mtya-duhkha-susa^lpür^a^l  nirastänandam 
avyayam  |  tamo  yänty  anyathä-jnänäd  dvesäd  vä  Hari-samsraya"  iti  Präpa-sain- 
hitäyäm"  (z.  BhägPtp  p.  90  b)  „tamo  ghoram  anantaip  präpyate  dhruvam"  iti 
Mänya-samhitäyäip"  (ib.  p.  116  b).  „andhe  tamasi  magnasya  nottäras  tasya  ku- 
tracit"  (ib.  p.  133  a).  „muktir  nityä,  tamas  caiva  nävrttih  punar  etayoh  . . .  nä- 
suränäiii  tathä  muktih  kadäcit  kenacit  kvacit"  (Mbhtp  I,  89  f.). 

3)  Eine  Erklärung  der  Ausdrücke  yoga  und  tapas  wird  BhägPtp  p.  134b 
gegeben,  yoga  ist  „dhyänaqi  nityam  akha?iditam",  tapas  „sadaiväkha^iditam  jnänanx". 


106  Vierter  Abschnitt 

Anders  ist  das  Schicksal  der  „Wissenden"  (jnänin),  bei  welchen 
das  aparoksa-jnäna  einen  muhürta  (48  Minuten)  dauerte  und  der 
„großen  Wissenden"  (mahä-jnänin),  bei  welchen  dieses  sich  über 
eine  längere  Zeit  ausdehnte  (Bhäg  Ptp  134  b ;  Ps  555).  Der  Auszug 
(utkränti)  einer  Seele  dieser  Art  aus  ihrem  letzten  groben  Leibe 
geschieht  durch  die  brahma-nädi  und  mit  Hilfe  des  mit  dieser  in 
Verbindung  stehenden  Sonnenstrahls.  Auf  dem  Wege  nach  oben 
hat  der  Erlöste  eine  Reihe  von  Stationen  zu  passieren,  die  nach 
den  sie  beherrschenden  Grottheiten  genannt  werden,  nämlich: 

1)  die  Elamme,  d.  h.  die  Welt  Agnis,  2)  das  Reich  des  Väyu 
ätivähika,  des  Sohnes  Väyus,  3)  den  Tag,  4)  die  lichte  Monats- 
hälfte, 5)  das  nördliche  Halbjahr  (d.  h.  denjenigen  Teil  des  Jahres, 
in  welchem  die  Tage  zunehmen),  6)  das  Jahr,  7)  den  Blitz,  8)  Va- 
runa,  9)  Prajäpati,  10)  Sonne,  11)  Mond,  12)  Vai^vänara,  13)  Indra, 
14)  Dhruva,  15)  Bhärati.  Er  gelangt  dann  nach  der  Welt  Väyus. 
Väyu  führt  hierauf  diejenigen,  welche  Grott  als  symbolfrei  er- 
schauten (apratikälambanas),  direkt  zu  Visnu  ^),  die  Symbolverehrer 
(pratikälambanas)  zum  vierköpfigen  Gott  Brahma.  Dieser  belehrt 
sie  bis  zum  Weltuntergang,  worauf  sie  in  ihn  eingehen  und  ge- 
meinsam mit  ihm  zu  Visnu  gelangen  (BS.  IV,  3,  1 — 16). 

Dieser  „Grötterweg"  (devayäna)  wird  von  der  Mehrzahl  der 
Seelen,  die  zu  Visnu  gehen,  eingeschlagen.  Einige  ekaguna-upä- 
sakas  (d.  h.  Verehrer  Grottes  als  ätman)  in  der  Menschenwelt  haben 
hingegen  keinen  Auszug  aus  dem  Leibe.  Ihr  grober  Leib  bläht 
sich  nach  dem  Eintritt  des  Todes  auf  nnd  zerfällt,  sie  selbst  aber 
gehen  zu  Visnu  nach  Svetadvipa,  um  ihn  zu  schauen,  und  bleiben 
dann  in  der  Erdenwelt,  frei  von  Leid,  sich  ihrer  Seligkeit  erfreuend 
(z.  BrhUp  III,  2, 11  p.  35  a;  z.  ChäUp  II,  24  p.  23  b;  Ps  547),  wo- 
bei sie  wie  alle  Erlösten  wunderbare  Kräfte  entfalten. 

Bei  den  Gröttern  vollzieht  sich  der  Erlösungsprozeß  in  der 
Weise,  daß  die  niedrigeren  von  ihnen  in  die  höher  stehenden  ein- 
gehen, bis  schließlich  alle  (mit  Ausnahme  der  wenigen  noch  zu 
besprechenden)  sich  in  Garuija  oder  Sesa  vereinigen,  die  dann 
ihrerseits  wieder  in  SarasvatI  eingehen,  die  schließlich  selbst  in 
Brahma  sich  auflöst.  Wenn  wir  diese  Involution  der  devas  graphisch 
darstellen,  erhalten  wir  das  folgende  Bild: 


1)  Der  Aufenthalt  der  apratikälambanas  in  Vaikuptha  währt  zunächst  nur 
bis  zum  Weltuntergang,  da  sie  bei  diesem  erst  ihren  linga-deha  verlieren  müssen, 
um  vollständig  erlöst  zu  sein. 


Eschatologie 


107 


Asvins  1 
Apas     I 


Varuna 


Gan-   ] 

dhar-   >  Kubera 
vas     1 


Soma 


Visvak- 
sena 
u.  a. 


Aniruddha 


Kama 


Sanaka 
u.  a. 


'  Varuni 


s 


Sesa 


die 

meisten 

niederen 

devas 


Agni 


Surya 


Vinayakas  \  Ganesa 
Rbhus         )  Prthivi 

Manus  (Vaivasvata  u.  a.) 

Räjamukhyas  (Prthu 
u.  a.) 


Brhaspati 


Nirrti    1 
die  Väter  ( 


Yama 


Sväyam- 
bhuva 
Manu 


Indra 


die  Maruts 


Sau- 
parpl 


J>  Sarasvati  r  Brahma 


Ga- 
ruda 


Bhrgu  usw.  >  Daksa 


Die  Göttin  Umä  geht  in  Hudra  ein,  Rudra  in  Bhärati,  Bhärati 
in  Väyu,  Väyu  in  Laksmi.  Diese  haben  dann  in  der  ablaufenden 
"Weltperiode  keine  Erlösung,  weil  Laksmi  nicht  in  Visnu  eingeht, 
sondern  ihm  ewig  konkomitant  ist,  die  in  sie  eingegangenen  (vilina) 
jivas  daher  zum  Samsära  zurückkehren  müssen  (BS.  IV,  2,  8).  TJmä, 
Rudra,  Bhärati  und  Väyu  werden  deshalb  bei  der  nächsten  Welt- 
entstehung noch  einmal  wiedergeboren  und  zwar  erlangt  Umä  im 
nächsten  Brahmakalpa  die  Stellung  der  Väruni,  Rudra  den  Platz 
Sesas,  Bhärati  den  Rang  der  Sarasvati  und  Väyu  den  Brahmas. 
Die  vier  Götter  gelangen  dann  in  derselben  Weise  wie  ihre  Vor- 
läufer, die  den  Platz  Brahmas,  Sarasvatis,  Öesas  und  Värunis 
innehatten  und  inzwischen  erlöst  wurden,  zu  Visnu  (BS.  IV,  2, 1  ff., 
Ps  570). 


108  Vierter  Abschnitt 

Diejenigen  Grötter,  welche  sich  in  der  Menschenwelt  mani- 
festieren, wie  Indra  als  Arjuna,  haben  zwar  in  ihrer  menschlichen 
Gestalt  einen  Auszug  aus  dem  Leibe,  ein  Beschreiten  des  devayäna 
usw.,  sie  werden  dadurch  jedoch  selbst  nicht  erlöst ;  ihre  Erlösung 
vollzieht  sich  vielmehr  nur  in  der  ihrer  Götterstellung  zukommenden 
Weise  (Ps  555). 

Wenn  der  Weltuntergang  eintritt,  dann  gelangen  alle  Erlösten 
mit  Brahma  zu  Visnu.  Und  zwar  geschieht  dies  in  der  Weise, 
daß  sie  der  Reihe  nach  in  diejenigen  Formen  Visnus  eingehen, 
welche  in  den  einzelnen  das  Brahman-Ei  umgebenden  tattvas  ent- 
halten sind.  Sie  dringen  daher  zunächst  in  den  in  der  Erde 
weilenden  (pärthiva)  Visnu  ein,  dann  in  den  im  Wasser  befind- 
lichen (väristha),  hierauf  in  den  im  Feuer  enthaltenen  (agnistha), 
sodann  in  den  in  der  Luft  vorhandenen  (väyuga),  darauf  in  den 
im  Raum  (Äther)  gegenwärtigen  (nabhogata),  weiter  in  den  im 
manas  stehenden  (manahstha),  dann  in  den  in  der  buddhi  wohnenden 
(buddhistha),  darauf  in  den  im  ahamkära  weilenden  (ahamkäraga), 
weiter  in  den  „Erkenntnis  genannten"  (vijnänanäman),  der  im 
mahattattva  weilt  (mahattattvaga)  und  schließlich  in  den  „Wonne 
genannten"  (änandanäman)  im  „Unentfalteten"  gegenwärtigen 
(avyaktastha)  (Bhäg  Ptp  p.  14  b,  z.  Ps  569).  Damit  haben  die  Er- 
lösten das  Weltei  verlassen;  die  Erlösung  tritt  bei  ihnen  jedoch 
erst  ein,  wenn  sie  den  feinen  Leib  (linga-^arlra),  der  sie  bisher 
umgab,  verlieren.  Dies  geschieht  durch  ein  Bad  in  dem  Fluß 
Virajä,  der  in  der  Mitte  zwischen  der  Urmaterie  und  dem  un- 
entfalteten  leeren  Raum  liegt  und  seinem  Wesen  nach  aus  Laksmi 
besteht  (laksmyätmaka).  Die  Taufe,  die  gleichsam  alle  hier  ge- 
meinsam mit  Brahma  empfangen,  macht  sie  aus  Erlösungsfähigen 
(mukti-yogya)  zu  Erlösten  (mukta)  und  sichert  ihnen  für  immer 
die  ewige  Seligkeit^). 

V. 

Der  Zustand  der  Erlösten. 

Der    Zustand   der    Erlösten   ist   der   einer    ununterbrochenen 

Seligkeit.     Das  Glücksgefühl,   das   ihnen   eigen  ist,   besteht  nicht 

etwa  bloß  in  der  Abwesenheit  aller  Schmerzen,  wie  die  Anhänger 

des  Sämkhya,  Nyäya  und  anderer  Schulen  meinen  (Anuvy  p.  69  b), 


1)  Über  die  Einzelheiten  des  Verlaufes  der  verschiedenen  Stadien  des  Er- 
lö  sungsprozesses  bestehen  bei  den  Mädhvas  verschiedene,  etwas  von  einander  ab- 
weichende Ansichten.  Vergl.  hierzu  Ps  576,  sowie  Padmanabha  Char  p.  447 ; 
S.C.  Vasu  in  seiner  Übers,  der  Muijdaka-Üp,  p.  65 ff. 


Eschatologie  109 

sondern  ist  positive  Lust.  Wissen  und  Wonne  der  Erlösten  bleiben 
sich  beständig  gleich,  mögen  sie  während  der  Dauer  des  pralaya 
in  Visnus  Leibe  weilen  oder  zur  Zeit  der  Weltschöpfung  oder  des 
Weltbestandes  sich  außerhalb  von  ihm  ergötzen  (z.  ßrh  Up  IV,  3,  8 
p.  49  a). 

Empfinden  die  Seligen  die  Wonne  der  Erlösung  mit  einem 
Leibe  oder  ohne  einen  solchen?  Hier  stehen  sich  zwei  Ansichten 
gegenüber.  Bädari  meint,  daß  die  Seligen  nur  aus  Geist  gebildete 
(cinmätra)  Körper  haben,  weil  im  Veda  ausdrücklich  gelehrt  wird, 
daß  der  Erlöste  seinen  Leib  verliert  und  deshalb  nicht  mehr  irdische 
Lust  und  irdisches  Leid  empfindet.  Jaimini  hingegen  glaubt,  daß 
die  Erlösten  Körper  annehmen  können,  die  lichtartig  (jyotisa), 
geistig  oder  ungeistig,  ewig  oder  nichtewig  sind.  Bädaräyana 
und  damit  Madhva  halten  beide  Ansichten  für  richtig.  Der  Er- 
löste empfindet  sowohl  ohne  als  auch  mit  einem  Körper.  Und  zwar 
entstehen  bei  ihm  die  Empfindungen  der  Wonne,  wenn  er  ohne 
Körper  ist,  in  derselben  Weise,  wie  bei  einem  Träumenden  die 
Traumempfindungen.  Wenn  hingegen  der  Selige  nach  seinem 
Wunsch  einen  lichtartigen  Körper  irgend  einer  Art  angenommen 
hat,  so  genießt  er  die  Wonne  gleichsam  in  wachem  Zustande,  bis 
er  diesen  Körper  wieder  ablegt.  Wenn  die  Erlösten  zu  ihrem 
Vergnügen  Körper  annehmen,  so  erfüllen  sie  diese  mit  ihrem  Grlanz 
und  empfinden  in  ihnen  nur  Lust,  nicht  Leid,  so  wie  das  Licht  in 
einer  Lampe  nur  das  Öl,  nicht  aber  den  Ruß  aufzehrt  (BS.  IV, 
4, 10—16). 

Die  Seligkeit  der  Erlösten  besteht  ihrem  Wesen  nach  darin, 
daß  sie  sich  mit  Gott  eng  vereinigt  fühlen,  dabei  aber  vollständig 
das  Bewußtsein  von  ihrem  individuellen  Sondersein  besitzen. 
Würden  sie,  wie  die  Advaitins  wollen,  mit  Gott  identisch  sein, 
so  würden  sie  weder  Wissen  noch  Wonne  besitzen,  denn  sie  hätten 
kein  Objekt,  auf  welches  sich  diese  beziehen  könnten  (z.  BrhUp 
1,5, 11  f.).  Überdies  lehrt  die  Schrift  deutlich  die  Verschieden- 
heit von  Gott  und  Erlösten:  So  heißt  es  Kath-Üp  IV,  15  „So  wie 
reines  Wasser,  in  reines  Wasser  gegossen,  diesem  ähnlich  (tädrk) 
wird,  so  wird  der  Ätman  des  erkennenden  Muni  [dem  Visriu  ähn- 
lic"h]".  Wasser  wird  dadurch,  daß  es  zu  anderem  Wasser  gegossen 
wird,  nicht  dieses  selbst,  sondern  vermischt  sich  nur  mit  ihm; 
wäre  es  identisch  geworden  mit  dem  vorhandenen  Wasser,  so 
würde  auch  die  Wassermenge  dieselbe  geblieben  sein;  tatsächlich 
hat  sich  aber  das  Volumen  des  Wassers  vermehrt,  was  deutlich 
zeigt,  daß  etwas  neues  hinzugetreten  ist  (z.  Kath  Up  IV,  15,  BS. 
II,  1, 14,  z.  BhG  II,  50).   In  der  Mundaka-Upanisad  III,  2,  8  steht: 


110  Vierter  Abschnitt 

„Wie  die  strömenden  Flüsse  im  Ozean  verschwinden,  ohne  ihren 
Namen  und  ihre  Gestalt  aufzugeben,  so  geht  auch  der  Weise,  ohne 
von  Name  und  Gestalt  befreit  zu  sein,  zum  göttlichen  Geist,  der 
höher  ist  als  das  höchste"  ^).  Nur  weil  Name  und  Gestalt  der 
Erlösten  den  Unerlösten  unerkennbar  sind,  erscheinen  die  Erlösten 
den  samsärins  als  ohne  Name  und  Gestalt.  In  Wahrheit  besitzen 
sie  beides,  ebenso  wie  der  Wind  (Väyu),  der  für  körperlos  gehalten 
wird,  weil  man  seinen  Leib  gemeinhin  nicht  sieht,  oder  wie  die 
Flüsse,  die  im  Ozean  befindlich  sind  und  deren  Gestalt  man  ge- 
meinhin nicht  wahrnimmt.  Die  Flüsse  kennen  ihr  eigenes  Wasser 
im  Ozean  nicht,  Väyu  aber  erkennt  es  als  gesondertes,  tut  es  in 
eine  Wolke  und  regnet  es  herab  (z.  Mund.  Up  III,  2,  8).  Denn 
„kein  Ende  hat  der  Name"  sagt  die  Schrift. 

Wenn  die  erlösten  Seelen  auch  toto  genere  von  Visnu  ver- 
schieden sind,  so  sind  sie  doch  mit  ihm  untrennbar  verbunden. 
Bei  Lebzeiten  hatte  der  fromme  Verehrer  im  Gefühl  seiner  voll- 
kommenen Abhängigkeit  von  Gott  sich  immer  wieder  vergegen- 
wärtigt: „Ich  gehe  mit  den  Füßen  Visiius,  ich  sehe  mit  dem  Blick 
Visnus",  jetzt  wird  diese  Meditation  zur  Wahrheit.  „Nachdem  die 
Erlösten  den  sterblichen  Körper  abgelegt,  haben  sie  einen  geistigen 
Leib  und  geistige  Organe.  In  den  unveränderlichen  Visnu  ein- 
gedrungen, betätigen  sie  sich  mit  ihren  eigenen  Gliedern,  die  von 
seinen  Gliedern  begnadet  werden;  inner-  und  außerhalb  von  ihm 
empfinden  sie  Genüsse  und  tummeln  sich  nach  Wunsch,  von  seiner 
Gnade  gefördert"  (Näräyanädhyätma,  z.  BS.  IV,  4,  7). 

Hinsichtlich  der  Intensität  der  Verbindung  der  Erlösten  mit 
Gott  sind  vier  Arten  von  mukti  zu  unterscheiden: 

Bei  der  säyujya-mukti  gehen  die  Seligen  —  und  zwar  haupt- 
sächlich die  erlösten  Götter  —  in  die  Glieder  Visnus  ein,  sie 
greifen  mit  der  Hand  Visnus,  sehen  mit  seinen  Augen,  gehen  mit 
seinen  Füßen.  Ihr  Wille  ist  so  vollkommen  eins  mit  dem  Willen 
Gottes,  daß  ihre  Organe  ganz  und  gar  zu  Werkzeugen  Gottes 
werden  und  sie  selbst  Gottes  Organe  für  ihren  Willen  benutzen. 

Bei  der  särüpya-mukti  erhalten  die  Seligen  —  vornehmlich 
die  niederen  Götter  Jaya,  Vijaya  u.  a.  —  durch  ihre  eifrige  Medi- 
tation eine  der  Gestalt  und  den  Attributen  Visnus  ähnliche  Forrn ; 
sie  haben  vier  Arme,  tragen  einen  ßrustschmuck  von  auserlesenen 
Edelsteinen,  prächtige  Gewänder,  die  himmlischen  Waffen  Diskus  usw. 

Bei  der  sämipya-mukti  weilen  die  Seligen  —  vornehmlich  die 
Rsis  —  in  der  unmittelbaren  Nähe  Gottes. 


1)  vimukta  ity  amukta  ity  arthah,  vipriya  itivat:  avihäya  iti  ca. 


Eschatologie  111 

Bei  der  sälokya-mukti  befinden  sich  die  Seligen  —  in  erster 
Linie  die  höchsten  Menschen  —  in  Visnus  Paradiesen  oder  im 
Milchozean  oder  an  anderen  Stellen  in  der  "Welt,  auf  Erden,  im 
Luftraum,  im  Himmel  (svarga),  in  Mahar-,  Jana-,  Tapo-  oder 
Satya-loka. 

Der  Grrad  der  Seligkeit,  welche  einem  jiva  in  der  Erlösung 
zuteil  wird  und  der  Rang,  den  er  unter  den  erlösten  Seelen  ein- 
nimmt, entspricht  der  Größe  der  Verehrung,  die  er  Visnu  so  lange, 
als  er  in  der  Welt  lebte,  entgegenbrachte,  und  den  guten  Werken, 
die  er  vollbrachte.  Deshalb  ist  auch  in  der  Erlösung  die  Wonne 
der  Grandharven  größer  als  die  der  Menschen,  die  der  Rsis  größer 
als  die  der  Grandharven,  die  der  Götter  größer  als  die  der  Rsis, 
die  des  Indra  größer  als  die  der  Götter,  die  des  Rudra  größer  als 
die  des  Indra,  die  des  Brahma  größer  als  die  des  Rudra,  denn 
Brahma  hat  hundert  Wonnen  (Caturvedasikhä  z.  BS.  III,  3, 33). 
Diese  Ungleichheit  im  Range  unter  den  Erlösten  verursacht  jedoch 
keinen  Streit  unter  ihnen;  denn  alle  haben  sie  Gott  erkannt  und 
sind  alle  gleicherweise  frei  von  Fehlern.  So  wie  auf  Erden  die 
Ungleichheit  des  Ranges  zwischen  Lehrern  und  Schülern  keine 
Eifersucht  hervorruft,  so  gibt  es  auch  unter  den  Erlösten  keinen 
Zwist,  weil  die  im  Range  geringeren  in  den  über  ihnen  stehenden 
ihre  Lehrer  zu  verehren  haben  (BS.  III,  3,  34;  IV,  4,  9). 

Die  Beschäftigung  der  Erlösten  ist  eine  sehr  mannigfache  und 
ihre  Lust  eine  schrankenlose,  weil  sie  die  Erfüllung  aller  ihrer 
Wünsche  erlangen,  ohne  daß  es  dazu  irgendwelcher  Anstrengung 
bedarf.  Nur  etwas  vermögen  sie  nicht;  sie  können  keine  Welten 
schaiFen  und  haben  keinerlei  Einfluß  auf  das  Weltgeschehen.  Die 
Weltregierung  ist  Visnu  allein  vorbehalten  und  da  sie  in  voller 
Harmonie  mit  seinem  Willen  leben,  streben  sie  auch  nie  danach, 
etwas  zu  unternehmen,  zu  dem  sie  nicht  berufen  sind  (BS.  IV,  4, 17). 
Auch  die  erlösten  Götter  üben  ihre  frühere  Tätigkeit  natürlich 
nicht  mehr  aus,  da  ja  bei  der  neuen  Weltschöpfung  andere  Seelen 
an  die  Stelle  gerückt  sind,  die  sie  vor  ihrer  Erlösung  innehatten. 
Das  Leben  der  Erlösten  ist  vielmehr  ganz  und  gar  dem  Genuß 
gewidmet  und  ist  eitel  Lust  und  Freude.  Während  einige  in  der 
ganzen  Welt  umherschweifen,  angetan  mit  Leibern  aus  reinem 
sattva,  die  sie  zum  Spiel  annehmen,  erfreuen  sich  andere  in  den 
unvergänglichen  Stätten  Visnus,  in  Svetadvipa,  Anantäsana  und 
Vaikuntha,  Paradiesen,  die  alle  aus  geistigem  Gold  (citsuvarna, 
vergl.  zu  Chä  Up  VIII,  5  [p.  42  a])  und  Edelsteinen  und  ihrem 
Wesen  nach  aus  Laksmi  bestehen.  Dort  ergötzen  sie  sich  in  den 
Gewässern  und  in  den  Lustwäldern,   die  voll  sind  von  Milch  und 


112  Vierter  Abschnitt,  Eschatologie 

Kuchen,  und  vergnügen  sich  in  Häusern  aus  Kristall,  Sapphir  und 
andern  Edelsteinen.  Mit  himmlischem  Schmuck  geziert  singen  und 
tanzen  sie  und  lassen  Elefanten  und  Pferde  laufen.  Auch  der  Liebes- 
genuß fehlt  ihnen  nicht,  denn  die  Frau,  die  einem  Erlösungsfähigen 
seit  Ewigkeit  als  Grattin  bestimmt  ist,  die  ist  es  auch  im  Zustand 
der  Erlösung.  Bei  den  erlösten  Männern  und  Frauen  gibt  es  keine 
Treulosigkeit,  keine  Trennung,  keine  Eifersucht,  keine  Verstimmt- 
heit, sondern  Gatte  und  Grattin  leben  mit  einander  in  Glück  und 
Eintracht  (z.  BrhUp  p.  14  b).  Froh  darüber,  dem  Meer  des  Sairi- 
sära  entronnen  zu  sein,  stoßen  die  Seligen  jubelnde  Rufe  aus  und 
danken  und  preisen  Visnu.  Sie  meditieren  über  ihn,  rezitieren  die 
heiligen  Hymnen  und  verrichten  heilige  Kulthandlungen  —  alles 
jedoch  aus  freiem  Willen  und  ohne  Aussicht  auf  Lohn,  da  sie  ja 
bereits  alles  erlangt  haben,  was  erreicht  werden  kann.  Sie  handeln 
hierin  vergleichbar  Brahmanen,  die  nach  eigenem  Wunsch  noch 
Gott  verehren,  obwohl  sie  die  Lobpreisungen  und  Opfer,  zu  denen 
sie  verpflichtet  sind,  schon  dargebracht  haben  ^). 

Die  Seligkeit  der  Erlösten  ist  ewig  und  unvergänglich.  Wohl 
können  sie  zu  ihrem  Vergnügen  oder  in  Erfüllung  einer  göttlichen 
Mission  auf  Erden  erscheinen,  um  dort  Gutes  zu  wirken,  von  der 
Notwendigkeit,  wiedergeboren  zu  werden,  sind  sie  hingegen  für 
immer  befreit.  Sie  versinken  nie  wieder  in  den  Strudel  des  leid- 
vollen Weltlebens  (Chä  üp  IV,  15,  6),  sie  haben  „keine  Wiederkehr" 
(Brh  Up  VI,  2, 15;  BS.  IV,  4,  23),  von  ihnen  gilt  Visnus  Verheißung 
(BhG.  XIV,  2): 

„Wer  höchstes  Wissen  sich  erwarb  auf  Erden 
Und  zu  mir  kommt,  in  meinem  Glanz  zu  stehn. 
Wird  nicht  geboren,  wenn  die  Welten  werden, 
Und  stirbt  nicht,  wenn  die  Welten  untergehn." 


1)  Vergl.  zu  der  ganzen  Schilderung  BS.  IV,  4,  l£F;  Brh  Up  I,  5  (bes.  p.  14); 
Ps  578ff.  Eine  dichterische  Beschreibung  der  Wonnen  der  Erlösten  gibt  Näräyana 
im  XI.  Sarga  seines  Madhva-vijaya.  Daselbst  auch  detaillierte  Darlegungen  über 
den  überirdischen  Liebesgenuß  (alaukikaip  nidhuvanam,  v.  61)  in  Visijus  Welt; 
derselbe   ruft  keine  Müdigkeit,  keinen  Schweiß,  keinen  üblen  Geruch  hervor  usw. 


INDICES. 


1.  Indische  Wörter. 

Nicht  aufgenommen  sind:  die  Namen  Madhva  und  Visnu,  die  Werke 
Madhvas  (S.  *13f.),  die  von  Madhva  zitierten  Schriften  (S.  *21ff.)  und  die  S.  *48f, 
angeführten  Werke  der  Madhva- Literatur.  Die  Namen  der  in  englischer  Sprache 
schreibenden  Inder  siehe  im  2.  Index. 


Aipsato-vyäpti  57 

akämya-karman  79 

Aksobhyatirtha  *37,  *43 

Agni  *19,  107 

aükana  SO 

acintya-bhedähheda  *44 

Acyutapreksa  *3ff.,  *17,  *19,  82 

Ajämila  81 

Aditi  30 

adeva  66 

advaita-väda  *3ff.,  *45ff.,  17  f. 

Advaitasiddhi  *46 

Advaitäcärya  *43 

Anantäsana  2,  111 

Anantesvara  *3,  *18 

Aniruddha  35,  44  f.,  72,  107 

anirvacaniya  20 

anumäna  2  f. 

Anumänatirtha  *4 

anusarga  49 

antaryämin  23,  40,  57  f.,  70 

andha-tamas,  °tämisra  52,  76,  101,  104  f. 

aparoksa  97 

apürpaguijatä  90 

apauruseya  4,  6 

Appayadiksita  *46 

apratikälambana  106 

apsaras  97 

abhavya  *31 

abhimänitva  69,  75 

abhyäsa  95 

arcä  39 

Arjuna  108 

alankära  84 

avatära  *4,  *19,  36,  66 

avidyä  49  f.,  56,  76  f. 

avyakta  47,  50  * 

Asvatthäman  9  v  . 

asaipsrsta  49 

asura  *i,  65,  98 

ahamkära  9,  35,  48,  50,  70 

Agama  *24,  3,  9  ^ 

ädhikya  90  , 

änanda  31,  33 
Anandagiri  *14 
Anandatirtha  *4 
äbhäsa  57 

V.  Olasenapp,  Madhva's  Philosophie, 


A^yä  95 
„Äryya«  *44 
ävrtta  84 

Asmarathya  9 
äsana  95 

Indra  3,  50,  54,  67,  98,  107  f. 
indriya  48  f. 

Tsvaradeva  *5 
IsvarapurI,  "äcärya  *42f. 

Udipi  *3,  *5,  *10,  *17f.,  *29,  *41,  *44,  82 

utkränti  106 

uttarapaksa  11 

udäsina-karman  79 

Uddhata  *5 

udvartana  84 

Upanisad  *21,  22  f.,  30  f.,  34,  45,  109 

upasthana  84 

upädana-kära^a  41 

upädhi  20 

upäsanä  95 

Upendratirtha  *37 

Umä  69,  72,  107 

ürdhvapuijidra  80 

Rg-veda  *33,  27,  73,  88,  97 
Rsi  50,  63,  67,  97 

ekagui;ia-upäsaka  97 
ekädasi  81 

aisvarya  33 

Om  61 

Audulomi  9 

kathä  11 
kartrtva  59 

karinan  *30,  6,  62,  78,  101 
Kali  *30,  9,  57,  66,  104 
Kalyäpa  *10,  *29 
Kavindratirtha  *38 
Kasyapa  74 
kämya-karman  78 
Kära^a-sarira  56 


|f 


114 


Indices 


kälacintaka  53 

Kälanemi  66 

Kävyädarsa  *8 

Käsakrtsna  9 

Kumärila  *2,  *19 

Kumbhipäka  52 

küta  *40 

Krti  44 

Krsva  *1,  *19,  *25,  *41,  *43,  8,  35,  38, 

66,  70 
Krspa  Dvaipayana  =  Vyäsa 
Krsnadäsa  *44 
Kesavabhärati  *42 
Kaivalyatirtha  *19 
Kauptbaravya-sruti  *33,  73 
Kausitakibrähmana-Upanisad  *30 
Ksiräbdliisäyin  36 
Esemaräja  *21 
ksobha  47 

Gangä  82 
gandharva  67 
Garuda  69,  72,  106  f. 
Garudavähana  *19 
Gä^apatya  *26,  7 
gu^a  5,  47,  52,  74,  80 
guru  89 
guhyabhäsä  4 
gopicandana  *39,  80,  82 
Goraksanätha  *20 
Govinda-bhäsya  *44 
Gaudapäda  25,  53 
Gaudabrahmänandi  *46 
Gautama  88 
Granthamälikästotra  *15 

cakravartin  63 
caturgupa-upäsaka  97 
Caturvedasikhä  111 
cändräyaija  81 
citsuvar^ia  111 
cinmätra  109 
Caitanya  *19,  *42,  93 

chäyä  57 

Janaka  86 

Janaloka  50,  101,  105,  111 

Janärdanatirtha  *36 

Jaystirtha  *15,  *37,  *43 

Jayadharma  *43 

JayantI  75 

Jayasiipha  *6 

Jayä  44 

Jaräghatita  84 

Jaräsandha  66 

Jaritäri  63 

jalpa  11  f. 

jägrad-avasthä  60 

Jina  66 

jiva  14,  54 ff.  u.a. 


jiväcchädikä  77 
jiväbheda  90 

Jaina  *1,  *27,  *31f.,  *47,  54 
Jaimini  9,  109 
jnäna  21,  33,  78 
Jnänanidhi  *19 
Jnänasindbu  *43 
Jnänesatirtha  *19 

tattva  49,  52,  69  f. 

tattvaviplava  13 

tatpramänasya  nindä  91 

tadgata-bheda  91 

Tantra  *22,  95  f. 

tanmätra  49  f.,  98 

tapas  105 

tapasvin  50,  105 

Tapoloka  50,  101,  105,  111 

tamas  76  f. 

tamoyogya  63 

Tätäcärya  46 

tämisra  52,  76,  101,   105 

täratamya  *35,  *43,  64 

tiryakpundra  80 

tirthapüjä  84 

Turlya  61 

turiya-avasthä  61,  73 

Turuska  *5 

Tulsidäs  -35,  93 

tejas  33 

Taijasa  60 

Trika-säsana  *21 

Triyambaka  *46 

Trivikrama  *6,  *15 

trisarga  14 

Dandin  8 

Dattätreya  20 

Dayänand  Sarasvatl  *33,  *44 

Dayänidhi  *43 

darsanabhäsä  4 

Davvasamgaha  (Dravyasaqigraha)  *32f. 

Dasnämin  *41 

Däsa-küta  *40 

Durgä  *40 

Duryodhana  9,  96 

Durväsas  *19 

Duhsäsana  9 

devayäna  106 

dainandina-pralaya  51 

Dramija,  Dravida  *5 

Dro^a  9. 

Draupadi  9 

Dväpara  66 

dvividhabhüti  41 

dvesa  104 

dvaita-mata  *19,  *45,  15  ff.,  109  f. 

Dharmdev  *44 
Dhrtarästra  9 
dhyäna  95 


Indices 


115 


Nakulisapäsupata  *45 

Nandin  *I9 

Narasiiphatirtha  *36 

Naraliariyatistotra  83 

Naraharitirtha  *8,  *37,  83 

Nala  66 

Nänak  *35 

nämakara^ia  *40,  81 

Närada  *43 

Nä^äya^a  *1,  *7f.,  *15,  *17,  35,  44 

Nä^äya^adevarkere  *84 

Nä^äya^ädhyätma  110 

nitya-saqisärin  63 

Nityänanda  *43 

nimitta-käraija  41 

Mmbärka  *19 

iiiyata-gura  90 

niyama  95 

nirgunatva  90 

nir^iayaka-grantha  Bf. 

nir^eya-grantha  8 

Nrsiqiha  36 

Nrhari  *43 

Nemicandra  *32 

naivedya  81 

Nyäya  *26,  *33,  11,  108 

Nyäyämrta  *46 

Nyäyämrtatarangini  *46 

pancabheda  14  f. 

Pancarätra,  Päncarätra  *26,  5,  7,   10, 

33,  44 
paßcämrta  84 
Padmatirtha  *6 
Padmanäbha  *31,  46 
Padmanäbhatirtha  ♦ö,  *37,  *43 
Padmapäduka  *47 
Padma-purä^a  *32,  *48.  28,  37 
para  54 

paramächädikä  77 
Parasuräma  *6,  *20,  37 
pariyäya  *41 
pariksaka  12 
Päjak'aksetra  *3,  *7,  *10 
Päpdava  8  f.,  83 
pädayogin  50 
pädmakalpa  54 
päsaoda  13 
pitryäna  102 
Pisäca  *5 
pistamaya  pasa  84 
Pandarikapuri  *6 
Purusottama  *43 
Pürijaprajna  *3,  *45 
Purnabodha  *3 
pürva-paksa  11 
Pauträyaija-sruti  56 
pauruseya  4,  7 
prakäsato  vyäpti  57 
Prakäsini  95 
prakrti  14,  47,  70 


Pratäpasiqiha  *42 
prafcibimba  57 
pratika  96 
pratikälambana  106 
pratyaksa  2 

Pratyabhijfiä-darsana  *20 
Pradyumna  35,  44  f. 
prabhä  33 
pramä9a  2  f. 

Prameya-ratnävall  *43,  1 
pralaya  51,  55,  108  f. 
Prayäga  82,  87 
prasthäna  *25 
Prahläda  64 
präkäsya  99 
präkrta-sarga  50 
PräjSa  19,  60  f. 
p^ä^a  *35,  52,  55  f.,  58,  73 
Prä^ia-saiphitä  *33,  105 
präpäyäma  95 
prädurbhäva  36 
prädurbhäva-viparyäsa  91 
prärabdha-karman  99 
präsnika  12 

phala  90 

bala  33 

Baladeva  *43f.,  1 

Basava  *19 

Bädaräyaija  *43 

bijanidrä  61 

Buddha,  Bauddha  *1,  *47,  21,  37 

buddhi  48,  70 

Brahmaghosa  *5 

Brahmaijya  *43 

Brahmatarka  *24,  39,  52,  77  f. 

Brahmadatta  *5 

Brahmadeva  *32 

Brahmanädi  95,  102,  106 

Brahmasära  '24 

Brahmasütra  *4,  9  • 

Brahma  *7,   5,  28,  38,  40,   45  f.,  49  f., 

64  f.,  97,  99,  107 
brahmäpda  49 
Brahmänanda-bhiksu  *46 

bhaktadvesa  91 

bhakti  91  f. 

Bhaktikalpadruma  *42 

Bhagavadgita  *32,  25,  70,  112 

bhajana  86 

Bhartrprapanca  *5 

bhavya  *31 

Bhägavata-puräna  *18,  *25,   *35,  9,  25, 

92  f. 
Bhägavata-sampradäya  *18 
BhäratI  69,  72,  107 
Bhärativijaya  *5 
Bhäskara  1)  *5,  2)  *46 
Bhima  *lff.,  *8,  *35,  8,  73 


116 


Indices 


Bhurar-loka  50 
Bhü  74 
bhüta  49 
Bhü-loka  50 
bheda  110 
bhränti  16 

Ma^iimanjarl  *1,  *7f. 

Maijimat  *2 

Matsyendra  *20 

Madhu  *47 

Madhusarman  *47 

Madhusüdana  *46 

Madhyagehabhatta  *3 

Madhyamandära  *2 

Madhvavijaya  *2,  *7f. 

Madhvasarovara  82 

manas  35,  48,  60,  98 

Manu  8,  38,  51,  53  f.,  107 

mantra  80 

Mantharä  66 

malavisarjana  84 

mahattattva  35,  47,  50,  70 

Mahar-loka  50,  101,  105,  111 

mahäkalpa  *33,  54 

mahäjnänin  106 

mahäpüjä  84 

Mahäbhärata  *2,  *20,  *32,  *35,  *44,  1, 

3,  7,  8,  27  f.,  35,  84 
mahämoha  76  f. 
Mahäyäna  *36,  18,  21 
Mahäraurava  52 
Mäthara-sruti  101 
Mädhava  *43,  *45,  81,  86 
Mädhavatirtha  *37 
Mädhavadäsa  *5 
Mädhavendra  *43 

Mädhvasiddhäntonnähini  Sabhä  *41 
mäyä,  mäyäväda  *2,  16,  19,  25,  44,  77 
Märkai;ideya-puräi;ia  *31 
Mimäiiisä  *2 
mukhya-präria  56,  59 
Meru  52 

Moksadharma  27,  35 
moha  76 
mohävasthä  61 

yama  95 

Yädavaprakäsa  5 

yuga  5,  53 

Yoga,  yogin  *13,  *26,  34,  50,  56,  95,  105 

Raghu  63 

Rajatapitha  *3,  *10 
Raghavendrasvämin  *38 
Räjendratirtha  *38f.,  *43 
rätripüjä  84 
Rädhä  *26 
Rädhävallabhis  *25 
Räma  *1,  36f.,  38,  66,  83 
Ramacandratlrtha  *38 


Rämatirtha  *37 

Rämäcärya  *46 

Rämänanda  *35 

Rämänuja  *16,  *17,  »19,  *35,  *42 

Rämäya?;ia  *35,  7,  28 

Rukmini  75 

Rudra  =  Öiva 

Rudrabhatta  5 

Raikva  88' 

Raurava  52 

Laksmaria  83 
Laksmi  =  Sri 
Laksmipati  *43 
Laghucandrikä  *46 
lingabhanga  104,  108 
lingasarlra  55,  102,  104,  106 

Vajrikä  95 

Varatirtha  *19 

Varäha  36 

Varäha-puräna  34,  61 

Vallabha  *19,  *25 

Vasu  Uparicara  84 

Vasugupta  *20 

Vahni  52 

Vägisatirtha  *38 

Väjindra  *5 

Vä^i  =  Sarasvati 

väda  1 1  f. 

Vädindra  *5 

Vämana  *5 

Vämanatirtha  *36 

Väyu  *1,  *7f.,  *19,   +30,   *34,  8,   45  f., 

104,  107 
Värupi  69,  72,  107 
väsanä  18 
Väsudeva  35,  44  f. 
vikrti  41 
Vijaya  *5 
Vijayabhatta  *5 
Vijayindra  *46 
vijätiya-bheda  22 
vita^idä  11  f. 
Vidyädhiräja  *38 
Vidyänidhi  *43 
Vipascit  *31 
Vipraciti  66 

Vibudhendratirtha  *38  f. 
vibhava  38 
vibhüti  38 
vimukti-yogya  63 
Virajä  *30,  108 
Virocana  98 
Visäkha  *5 
visaya  11 
Visijukränta  *5 
Visnutirtha  *3,  *36f. 
Visvaksena  72,  107 
Vindra  =  Garuda 
Vira-vaisnava  *4b 


Indices 


117 


virya  33 

Vrttikära  *5 

Veda  5,  7,  18,  28,  88 

Veda  (fünfter)  *25,  5,  7,  89 

Vedavati  3 

Vedänta  *2.  *25,  18,  88 

Vaikuijtha  39  f.,  50,  52,  106,  111 

vaikrta-sarga  50 

Vaitarani  52 

Vaidyutä  95 

Vaisesika  *26 

Vaisvänara  60 

vyavahärika  18 

vyäpti  57 

Vyäsa  *1,  *4,  *6f.,  *20,  5,  7,  38,  83 

Vyasa-küta  *40 

Vyäsa-tirtha  *43 

Vyäsaräja  *46 

vyüha  *26,  34_f.,  44  f.,  51,  95 

Vyoma-saiphita  89 

Sakuni  9 

sakti  *26,  33,  58 

Öankara  *2,  *16,  *18f.,  *31,  15,  18 

Öatänanda  *5 

Säkta  *26,  75 

säkhä  6 

Sätyäyanin  *31 

sänti  44 

Sämasästrin  83 

sälagräma  39,  82  f. 

Öiva  *6,  *19,  *41,  7,  9,  29,  33,  38,  45, 

,  .    61,  69,  72,  101,  107 

Sivasütravimarsinl  *21 

Suddhavaisvava  *40 

südra  88 

sünya  21 

^esa  69,  72,  106  f. 

Sesa  (Kommentator)  *5,  1,  3,  82,  107 

Saiva_*l,  *6,  *26,  4,  7,  80 

saivala  77 

baiva-siddhänta  *28 

ßobhanabhatta  *5 

Öraddhä  =  JBhärati 

Sri  *26,  40,  44  f.,  52,  74,  97,  107  f. 

Srika^tha  *44 

^riniväsa  43 

Svetadvipa  52,  106,  111 

sadangäni  33 

Saipvidänanda  *5 

saipsaya  11 

saipsära  56 

saipsrsti  49 

samskära  49,  52,  59  f. 

Sanahitä  *22ff. 

Sakaläcäryamatasaipgraha  *44 


Saipkara  *2 

Saipkarsapa  35  f.,  44,  51 

saqigati  11 

sac-cid-änanda  32 

sajätiya-bheda  22 

saipcita-kannan  99 

Satyakäma  88 

Satyatirtha  *4 

Satyaprajna  *19 

Satyabodhatirtha  *38 

Satyaloka  50,  110  f. 

Satyä  75 

Satyärthaprakäs  *34 

satkäryaväda  41 

Sadäsiva-väda  *33 

Sadvaisnava  *40 

Sanaka  *19,  72,  87 

sandhyä  53 

Samaräiccakahä  *27 

samädhibbäsä  4 

Sarasvati  9,'  46,  69,  72,  107 

sarga  49 

Sarvadarsanasaqigraha  *45,  81 

Säipkhya  *26,  *33,  27,  47  f.,  77,  108 

sädrsya  16 

Sämasaiphitä  *24,  24 

sämipj'a-mukti  110 

sämya  90 

säyujya-mukti  110 

särüpya-mukti  110 

sälokya-mukti  110 

siddhänta  11 

Sita  75,  83 

Sudarsana  *19 

Subhäsitärijava  *12 

susupti-avasthä  60 

susumnä  95 

süksma-sarira  =  linga-sarira 

Sauparni  (Suparpi)  69,  72,  107 

Saura  *26  7 

Saurapuräna  *46 

Skanda  *19 

Skända  *26 

sthüla-sarira  55 

smara^ia  95 

svagata-bheda  22 

svagu^äcchädikä  77 

svatantra  32 

svapna-avasthä  60 

Svarloka  50 

Haipsa  *19 
Haipsadibika  66 
Hanumät  *1,  *3,  *8,  *35,  73 
Harivaqisa  (Werk)  *21 
Harivaipsa  (Autor)  *25 
Haribhadra  *27 
Hrsikesatirtha  *37 


118 


Indices 


2.  Namen 
mit  Ausschluss  der  im  1.  Index  enthaltenen. 


Aiyar,  K.  *10 

Aufrecht,  Th.  *10,  *48 

Barth,  A.  *47 

Besant,  A.  *35 

Bhandarkar,  R.  G.  *8,  *15,  *38,  34,  83, 86 

Bhattacharya,  J.  N.  *39 

Blavatsky,  H.  P.  *20 

Bloomfield,  M.  *27 

Böhthngk,  0.  *12,  *16 

Bombay  Gazetteer  *36,  *38f. 

Census  of  India  *39 

Charbot  *28 

Chatterji,  J.  C.  *20 

Cowell,  E.  B.  *45 

Dasgupta,  S.  N.  41 

Deussen,  P.  *21,  *35,  *45,  3,  34,  41 

Dowson,  J.  38 

Dwaita  Catechism  *19,  *42,  50,  86 

Eliot,  C.  *35 

Farquhar,  J.  N.  *42,  *44,  25,  35 

Garbe,  R.  *29,  *36,  47,  77 

Geddes,  M.  *28 

Geldner,  K.  F.  30 

Germann,  W.  »29 

Ghate,  V.  S.  *16 

Glasenapp,  H.  v.  *18,  +20,  *31,  18,  38, 

53,  93  f.,  96 
Glaser,  K.  89 
Gough,  A.  E.  45 
Gover,  E.  Gh.  93 
Govindacharya,  A.  *43 
Graul,  K.  *39 

Grierson,  G.  *27,  *29,  *34,  *39 
Growse,  F.  S.  *25 
Guha,  A.  *44 
Heimann,  B.  *16 
Hopkins,  E.  W.  *23 
Hough  *29 
Howard,  G.  B.  *29 
Imperial  Gazetteer  *10,  *27 


lyengar,  P.  T.  S.  *16 

Jacobi,  H.  *27,  53 

Jahn,  W.  *47 

Jesus  Christus  *34f. 

Kirfel,  W.  50 

Kittel,  F.  *37,  *39,  93 

Kosmas  Indicopleustes  *29 

Krishnacharya,  T.  R.  *42 

Lucas  *3 

Mackenzie  *38f. 

Medlycott  *29 

Moses  *38f. 

Neuer  Orient  *25,  93  f. 

Oleott,  H.  S.  *42 

Otto,  R.  *22,  *29,  *44,  35 

Padmanabha  Char,  C.  M.  *3^  *8f.,  *18, 

*42,  83,  85,  108 
Philipos,  E.  *29 
Rae,  M.  *29 
Rao,  K.  S.  *41 
Rao,  V,  *8f. 
Rau,  S.  *9,  *42 
Row,  P.  S.  *42 
Rice,  E.  P.  93 
Rice,  L.  *11,  *46 
Sarkar,  J.  44 
Sastri,  K.  83 
Schomerus,  H.  W.  *28 
Schrader,  F.  0.  *22fF.,  *26,  *40,  33,  38, 

44  f.,  48 
Sen,  D.  C.  93 
Stevenson,  S.  *32 
Strauß,  0.  3 
Suali,  L.  41 
Sukthankar,  V.  A.  41 
Talapadatur,  G.  H.  *5,  *21,  70 
Vasu,  S.  C.  *34,  108 
Wesendonk,  0.  G.  v.  *27 
Wilson,  H.  H.  *19,  *39,  84 


3.  Schlagwörter. 


Adern  96,  102 

Asketen  *40 

Atome  *1,  54,  61 

Buddhismus  *lf.,  *47f„  21,  37 

Christentum  *28f, 

Dämonen  63flF. 

Diskusmal  81 

Disputation  11 

Entitäten  14 

Erkenntnismittel  *2f.,  *43,  1  f . 

Erlösung  *31ff.,  108 

Eßlustnif. 

Evolution  43 

Exegese  10,  22  ff,,  30  f. 


Farben  Gottes  34,  35,  95 

Fasten  *12f.,  *18,  *39 

Frauen  88,  112 

Gnadenwahl  62 

Götter  63  ff.,  67  ff.,  97 

Götterbilder  *41,  *45,  82  ff. 

Götterweg  106 

Gottesliebe  91 

Haß  104 

Höllen  *32,  *44,  52,  105 

Hypnotismus  *13 

Jainismus  *1,  *27,  *31  f.,  ♦47,  54 

Inkarnationen  *19 

Kardinalirrtümer  90 


Indicea 


119 


Kasten  *39,  68,  80,  88 
Ketzer  9,  12 
Klassen  der  Seelen  62 
Klöster  *36,  *41,  83 
Kommentare  *5,  *15 
Kräfte  Gottes  *26,  33 
Lebensstadien  der  Götter  68 
Lehrer  89 
Leib  55,  102,  109 
Leib  Gottes  33  f. 
Liebesgenuß  112 
Lotusblumen  im  Leibe  96 
Manichäer  *27 
Materialismus  *1,  3 
Meditation  95 
Menschen  63 

Mohammedaner  *5,  *28,  *38 
„Nicht-Götter«  66 
Ohnmacht  61 
Paradies  Ulf. 
Pelagianismus  62 
Perzeption  2 
Pflanzen  63 
Prädestination  62  ff. 
Rangordnung  64 
Reflexe  Gottes  57 


Ritual  *18,  84 

Schlaf  60 

Schlußfolgerung  2 

Schmerz  1 

Sektenzeichen  *18,  *39,  80 

Speisegebote  81 

Spiel  Gottes  37,  42 

Stigmatisierung  *40,  80 

Symbol  39 

Täterschaft  der  Seele  *40,  59 

Teile  Gottes  57 

Teufel  *30,  66 

Tiere  63 

Tieropfer  *27,  84 

Traum  17,  60 

Überlieferung  3f, 

Väterweg  102 

Wachzustand  17,  60 

Wallfahrtsorte  *41,  82 

Weltalter  53 

Weltschöpfung  44 

Werke  *30,  7,  8  ff. 

Wissen  87  ff. 

Wunderkräfte  99 

zehn  Gebote  86 

Zeit  52  f.,  75 


NACHTRÄGE  UND  BERICHTIGUNGEN. 

Auf  S.  *9,  Zeile  9  und  18  von  oben  lies  „Narahari«.  —  S.  *16,  Z,  10  1. 
„Brahma-Sütren".  —  S.  *21,  Anm.  2,  fehlt  Komma  hinter  „kommentierten".  — 
Zu  S.  *27,  Z.  5:  Die  Lehre,  daß  sich  an  jedem  Punkte  des  Raumes  lebende 
Wösen  befinden,  wird  bereits  im  Vis]?u-Purä^a  3,  7,  3  f.  verkündet.  —  S.  *32, 
Anm.  1  1.  „Sacred  Books  of  the  Jainas".  —  S.  *41,  Z.  9  1.  „eines".  —  S.  *48, 
Z.  29  1.  „Kommentaren",  —  S.  *58,  Z.  19:  Räghavendra-svämin  verfaßte  auch 
„Tantra-dipikä",  eine  B.  S.  vyäkhyä  (Trien.  Madras,  no  880).  —  S.  *59,  Z.  27: 
Legenden  über  Vädiräja  werden  im  Bombay  Gazetteer  XV  2,  p.  346  f.  erzählt.  — 
S.  *63:  Ein  Örlniväsa  verfaßte  „Tarka-täpdava-vyäkhyäna"  (Rice,  no  1385).  — 
S.  9,  Z_.  28  1.  „Käsakrtsna".  —  S.  26,  Anm.'  2  1.  „Hareh  saktir".  —  S.  41,  Z.  33 
1.  „(upädänakäraija)".  —  S.  69,  Z.  8  1.:  „der  ihm  gleichstehende".  —  S.  93, 
Anm.  2 :  Weitere  Literatur  über  die  Poesie  der  kanaresischen  Mädhvas :  Weigle 
ZDMG  2  (1848)  p.  256 ff.;  H.  F.  Mögling  ZDMG  14  (1860)  p.  502 ff.;  W.  GaUen- 
kamp  „Globus"  82  (1902)  p.  62  ff.  —  S.  96  Z.  19  1.  „pratika". 


■m 


Von  demselben  Verfasser  sind  erschienen: 

Die  Lehre  vom  Karman  in  der  Philosophie  der  Jainas  nach  den 
Karmagranthas  dargestellt.   Leipzig,  Otto  Harrassowitz,  1915. 
Vergriffen.     Eine  englische  Ausgabe  befindet  sich  in  Vorbereitung. 

Indische  Liebeslyrik  in  Übertragungen  von  Friedrich  Rückert. 
Herausgegeben,  eingeleitet  und  erläutert.  München,  Hyperion- 
verlag, 1921. 

Der  Hinduismus.  Religion  und  Gresellschaft  im  heutigen  Indien. 
Mit  43  ganzseitigen  Abbildungen.  München,  Kurt  Wolff 
Verlag,  1922. 


Druck  der  Dieterichschen  Univ.-Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestner)  in  Göttingen. 


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BL  Glasenapp,  Helmuth  von 

12/i.5  Madhva's  Philosoph! 

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